An Cäsar Die Lage , worin ich mich gegenwärtig befinde , ist recht eigentlich dazu gemacht , meiner Phantasie einen ganz neuen Schwung zu geben .
Abgeschnitten von Ihrem interessanten Umgang , mein angenehmer Freund , und auf mehrere Wochen getrennt von meiner teuren Eugenie , bin ich , mehr als jemals , auf mich selbst zurück geworfen .
Die süße Gewohnheit , mich Ihnen oder meiner Freundin mitzuteilen , würde für mich zur Folter werden , böte mir die Schriftsprache keinen Ausweg dar .
Wenn ich mich lieber an Sie , als an meine Freundin , wende , so geschieht dies , weil ich aufs bestimmteste weiß , daß Sie nur allzu oft gewünscht haben , die Geschichte meiner Entwicklung vollständig zu vernehmen .
Wie vollendet Ihre Diskretion auch sein mag , mein angenehmer Freund , dieser Wunsch mußte in Ihnen entstehen , so oft Sie sich die Frage vorlegten :
Woher es doch kommen möge , daß Ihre Mirabella , trotz ihrem Alter und ihrer Jungfrauschaft , noch immer ihren Platz in der Gesellschaft behauptet , und sogar ein Gegenstand der Zuneigung und Achtung bleibt ?
Gestehen Sie nur , daß Sie sich einige Mühe gegeben haben , dies Rätsel zu lösen , wäre es auch nur geschehen , um begreiflich zu finden , wie ich , zwischen einem Philosophen Ihres Schlages und einer so gebildeten Frau , als unsere gemeinschaftliche Freundin ist , in der Mitte stehend , ein Band abgeben kann , das man als notwendig empfindet , und immer ein wenig ungern zerreißen sehen wird .
Ich müßte Sie aber sehr wenig kennen , wenn ich nicht vorher wissen sollte , daß die Hauptfrage , welche Sie sich in Hinsicht meiner vorgelegt haben , ohne sie jemals vollständig beantworten zu können , immer die gewesen ist :
Wie ich mit den körperlichen und geistigen Eigenschaften , in deren Besitz ich gewesen und allenfalls auch noch bin , eine Jungfrau habe bleiben können ?
In Wahrheit , dies ist das Hauptproblem , das gelöst werden muß , wenn man mich in meiner Individualität begreifen will .
Nun , mein angenehmer Freund , jegliche Frage , die Sie sich , während unserer zehnjährigen Bekanntschaft , in Beziehung auf mich vorgelegt haben mögen , soll Ihnen durch die nachfolgende Erzählung beantwortet werden .
Ich will den Zufall , der mir die Feder in die Hand gegeben hat , recht eifrig benutzen , Sie mir für immer zu verbinden .
Erst nach drei Wochen kann Eugenie zurückkehren .
Bis dahin gehöre ich Ihnen , so viel ich die mit dem Schreiben unauflöslich verbundene Arbeit ertragen kann .
Mein Wille ist der beste von der Welt ; auch an Heiterkeit und Laune gebricht es mir nicht ; denn der lange Winter , den wir seit einigen Wochen überstanden haben , macht einem so angenehmen Frühlinge Platz , daß das Gefühl des inneren Lebens mit verdoppelter Stärke zurückkehrt .
Erwarten Sie aber in meiner Erzählung keine Abenteuer ; ich habe nie zu denjenigen gehört , denen dergleichen begegnen können .
Was in meiner Geschichte Außerordentliches ist , bleibt noch immer in der Regel , wenn man die Eigentümlichkeit der Personen ins Auge faßt , welche einen so wesentlichen Einfluß auf meine Entwicklung hatten .
Im Übrigen wissen Sie , mein angenehmer Freund , daß es wenig Menschen gibt , die mit ihrem Geschick zufriedener sind , als ich .
Die Natur wollte nun einmal , daß in der Reihe der Wesen auch ein solches Geschöpf existieren sollte , wie ich bin .
Eben so weit davon entfernt , mich als Muster darstellen zu wollen , als ich entfernt bin , meine eigene Anklägerin zu werden , will ich mich also nur in meiner Eigentümlichkeit schildern .
Ob diese gut sei , oder nicht , darüber mögen Andere entscheiden .
Ich selbst bin , wenn ich die Wahrheit gestehen darf , dahin gelangt , daß mich nichts so sehr in Verlegenheit setzt , als die Frage :
Ob dies oder jenes gut sei ? und nehme , sowohl für mich selbst als für Andere , meine Zuflucht sehr gern zu dem Grundsatz :
What ever is , is riecht . Auch Sie , mein angenehmer Freund , werden mich so nehmen ; und unter dieser Voraussetzung will ich Ihnen alles bekennen , was nur von einigem Interesse für Sie sein kann .
Erstes Buch Erstes Buch Wer meine Eltern gewesen sind , vermag ich nicht zu sagen ; denn ich habe sie nie kennen gelernt .
In einer gewissen Periode meines Lebens lag mir sehr viel daran , hinter das Geheimnis meiner Geburt zu kommen ; allein so viel Mühe ich mir auch zu diesem Endzweck gegeben habe , so habe ich mit aller angewandten Sorgfalt doch nur zu der Vermutung aufsteigen können :
Meine Existenz sei die Wirkung eines Mißbündnisses , welches entweder durch meine Geburt , oder bald nach derselben aufgehoben wurde .
Meine Erinnerungen reichen bis zu meinem sechsten Lebensjahre herab . -
Wo ich auch vorher existiert haben mag , in diesem Alter brachte man mich , nach einer Reise , welche wenigstens drei Tage dauerte , in die Wohnung eines französischen Geistlichen , der mit seiner Schwester auf dem Lande lebte .
Ich wunderte mich darüber , daß man mich auch hier Mirabella nannte , sobald ich aus dem Reisewagen gestiegen war ; denn ich konnte nicht begreifen , wie ganz fremde Personen mich kennen könnten .
Wesen und Namen war für mich noch einerlei .
Welche Richtungen mein Inneres auch bis dahin erhalten haben mochte , so lag es in der Natur der Sache , daß sie durch die neue Lage verdrängt wurden ; denn so lange der Mensch noch der Entwicklung fähig ist , bestimmt er sich nach seiner Umgebung , die um so kräftiger auf ihn einzuwirken pflegt , je abhängiger er in jedem Betracht von ihr ist .
Eigenen Charakter darf man nur solchen Personen zuschreiben , die sich zu Meistern ihrer Umgebung gemacht haben .
Meine Erzieher waren , nach den Bildern , die mir von ihnen übrig geblieben sind , sehr achtungswerte Personen .
Der Geistliche war nämlich ein Mann von mannigfaltigen Talenten , und in jeder Hinsicht so gesetzt und verständig , daß man hätte in die Versuchung geraten können , ihn für einen Deutschen zu halten ; ja , ich muß bemerken , daß er mir von allen französischen Geistlichen , die mir jemals vorgekommen sind , immer als der einzige erschienen ist , der ein lebendiges Gefühl von der Würde seines Berufs hatte .
Seine Schwester war seiner würdig .
Höchst reinlich in ihrem ganzen Wesen , geschickt in allem , was zu den Verrichtungen einer guten Hausmutter gehört , sanft und nachgiebig , weil sie in ihrem Verstande immer die nötigen Hilfsmittel fand , war sie das bare Gegenteil von dem , was Französinnen zu sein pflegen .
Dieselbe Deutschheit , welche ihren Bruder zu einem Mann machte , gab ihr die echte Weiblichkeit , die man bei so wenigen Französinnen antrifft , weil sie immer erst dann einen Wert errungen zu haben glauben , wenn sie aus ihrem Geschlecht getreten sind .
Gleich wohl sprachen diese beiden Personen unter sich immer französisch .
Hätte die Sprache ihr Wesen bestimmen können , so würden sie Franzosen gewesen sein ; aber dies vermag keine Sprache in der Welt .
Nur der Umgang , oder die Totalität gleichartiger Eindrücke , bestimmt die Individualität .
In dem Hauswesen herrschte die größte Ordnung .
Der Bruder bewegte sich in seinem Kreise , die Schwester in dem ihrigen .
Beide Kreise berührten sich ; aber sie griffen nie in einander , weil dies der Freiheit der Bewegung geschadet haben würde .
Es war in der Tat eine Freude , zu sehen , wie diese Geschwister sich gegenseitig achteten .
großmütig durch sein ganzes Wesen , fand der Bruder nie den Widerspruch der Schwester , wenn seine Liberalität ihrer Sparsamkeit in den Weg trat .
Nicht minder entging der ökonomische Geist der Schwester der Kritik des Bruders .
Beide schienen , ohne förmliche Verabredung , darin überein gekommen zu sein , daß sie sich als vernünftige Wesen in ihrem Tun und Treiben respektieren wollten , da es in der Natur der Sache lag , daß sie sich gegenseitig ergänzen mußten , wenn sie den Charakter der Menschlichkeit in der Staatsbürgerei retten wollten , von welcher sich Niemand ganz losreissen kann .
Des Bruders einzige Liebhaberei war eine Baumschule ; allein auch in dieser Liebhaberei folgte er nur seinem Hange zur Großmut und zum Wohltun .
Da er von seinen Einkünften nichts verschenken konnte , ohne sich zu schaden ; so wollte er wenigstens die Produkte seines Fleisses verschenken .
Die ganze Nachbarschaft versorgte er mit jungen Baumstämmen von der edelsten Gattung , ohne jemals eine Entschädigung in barem Gelde dafür anzunehmen .
Je mehr der ganze Gang des Hauswesens den Bedürfnissen meines Alters entsprach , desto leichter gewöhnte ich mich daran ; und da meine Pflegeeltern unter sich selbst so einig waren , daß alles , was Leidenschaft genannt werden mag , aus ihrem Bezirk verbannt war , so konnte es nicht fehlen , daß ich in diese ihre Stimmung hineingezogen wurde .
In so fern Liebe ein bestimmtes Gefühl ist , das zur Aufopferung treibt , war dies Gefühl nicht in mir ; aber ich teilte die Harmonie des Hauses , und teilte sie um so mehr , weil ich von allen Hausgenossen gleichmäßig behandelt wurde , und die Entstehung dessen , was man Eigensinn zu nennen pflegt , in mir ganz unmöglich war .
Was mir immer vorgehalten werden mochte , ich nahm es als Beschäftigung des Tätigkeitstriebes , und fand daher meine Rechnung eben so sehr im Lehrzimmer , als in der Küche und im Garten .
Nur in Hinsicht der Autorität unterschied ich meine Umgebung .
Die meines Pflegevaters gab den Ausschlag über jede andere .
Ihn betrachtete ich im eigentlichen Sinne des Worts als das Haupt , und wo sein Ausspruch einmal erfolgt war , da galt mir kein anderer .
Hätte man mir damals gesagt :
Es ist ein Unterschied zwischen Wahrheit und Meinung , so würde ich , vorausgesetzt , daß zwei so abstrakte Dinge nicht ganz für mich verloren gewesen wären , auf der Stelle geantwortet haben :
Das weiß ich recht gut ; denn die Wahrheit ist bei meinem Vater und die Meinung bei den Anderen .
Das Geschlecht , zu welchem ich gehörte , gab mir diese Deferenz .
Wäre ich ein Knabe gewesen , so würde die Autorität meiner Pflegemutter entschieden haben .
Ich habe oft gedacht , daß die Erziehung jedes menschlichen Wesens , das nur einigermaßen geraten soll , höchst einfach sein müsse .
Es kommt zuletzt doch nur darauf an , daß man eine achtunggebietende Individualität gewinne .
Wie will man aber zu einer solchen gelangen , wenn es durchaus nicht gestattet ist , bleibende Falten zu schlagen , die , sie mögen nun in Gefühlen oder in Ideen zum Vorschein treten , allein den Charakter ausmachen ?
In Städten , vorzüglich aber in Hauptstädten , besteht die Erziehung eigentlich darin , daß der eine Eindruck sogleich durch den anderen vernichtet werde , so daß der Zögling am Ende in einem leeren Nichts dasteht ; dies ist eine notwendige Folge der allzuweit getriebenen Zusammengesetztheit der Richtungen , welche der Zögling ( ob mit oder ohne Absicht , gilt hier gleich viel ) in den Städten er hält .
Auf dem Lande kann so etwas durchaus nicht statt finden ; da der Richtungen an und für sich weniger sind , so ist die ganze Erziehung einfacher , und die natürliche Folge davon ist , daß das Innere des Zöglings eine bestimmte Form annimmt , die sich zuletzt von selbst gegen alle Unform verteidigt , und im Kampfe mit derselben zu einer höheren Entwicklung führt .
Ganz unstreitig verdanke ich nicht nur den größten , sondern auch den besten Teil meines Wesens der Erziehung , die ich in dem Hause meines Pflegevaters erhielt .
Die Gewöhnung zur Reinlichkeit mußte mir die Reinlichkeit zum Bedürfnis machen ; und indem der materielle Schmutz ein Gegenstand des innigsten Abscheus für mich wurde , konnte der immaterielle , vermöge des Zusammenhanges , worin das Physische mit dem Geistigen im Menschen steht , keinen Eingang bei mir finden .
Mit der Liebe zur Reinlichkeit aber stand die Schamhaftigkeit in der vollkommensten Harmonie .
Da das Wohnhaus geräumig genug war , so hatte jedes Mitglied der Familie sein eigenes Schlafzimmer ; dabei erforderte eine hergebrachte Sitte , nicht anders als vollkommen angekleidet aus demselben zu treten .
Jene Einrichtung und diese Sitte brachten die Wirkung hervor , daß , wie ungezwungen der Umgang im Übrigen auch sein mochte , doch Keiner von uns begriff , wie es möglich sei , sich in Gegenwart eines Anderen aus- oder anzukleiden .
Ich mochte ein Alter von zehn Jahren erreicht haben , als der Anblick eines achtjährigen Knaben , der sich in meiner Gegenwart die Strümpfe aufband , mich in eine solche Verlegenheit setzte , daß ich nicht im Zimmer bleiben konnte ; und der bloße Umstand , daß ich diese Szene niemals habe vergessen können , beweiset mehr , als alles , was ich darüber zu sagen vermag , wie sehr die Schamhaftigkeit in mein Wesen übergegangen war .
Dies verhinderte indessen nicht , daß ich den Umgang mit Knaben , so oft dazu Gelegenheit war , nicht unendlich interessanter gefunden hätte , als den mit jungen Mädchen .
Ein geheimer Zug tat hier alles ; allein wie unwiderstehlich er immer sein mochte , so folgte ich ihm doch , ich will nicht sagen , mit Vorsichtigkeit - denn diese war für mich gar nicht vorhanden - sondern mit Beibehaltung alles dessen , was mir einmal zur Gewohnheit geworden war , und worüber ich nicht weiter Herr werden konnte .
Und so geschah es , daß ich selbst in einem Alter , dem die Herrschsucht ganz fremd ist , die widerstrebende Natur meiner Gespielen männlichen Geschlechts in den Strudel meiner Individualität zog , und diese rettete , ohne für sie zu kämpfen .
Fremde Personen nannten mich nicht selten die gesetzte Mirabella ; meinen Pflegeeltern hingegen war eine solche Benennung eben so fremd , als mir ; unstreitig weil sie einsahen , daß mit dieser Gesetztheit keine Art des Zwanges oder des Kalküls verbunden war .
Ich bewegte mich minder lebhaft , weil die Freiheit mir habituell war , und ich folglich keine Aufforderung hatte , mich zu übernehmen .
Mein Pflegevater lehrte mich Zeichnen , Rechnen , Lesen , Schreiben ; und nachdem ich ein Alter von zwölf Jahren erreicht hatte , kam der Unterricht in der Naturgeschichte und Geographie hinzu .
Wie sehr er auch Geistlicher war , so befaßte er sich doch nicht mit der Unterweisung in der Religion ; unstreitig aus keinem anderen Grunde , als weil er noch kein bestimmtes Dogma in mich niederlegen wollte .
Auch trug er mir nie eine förmliche Moral vor ; und deute ich sein Wesen recht , so hatte er dazu den sehr vernünftigen Grund , daß die Liebe keiner Regulative bedarf , und daß der Haß sie verachtet .
Seine Urteile über Menschen und menschliche Verhältnisse waren die eines gebildeten Mannes , der zwar an Unverstand , aber nicht an Bosheit glaubt , und sich daher immer zur Nachsicht und Schonung berufen fühlt .
Nie habe ich ihn in Leidenschaft gesehen ; und wenn der Charakter eines Weisen in der Apathie enthalten ist , so war er mehr als tausend Andere ein Weiser .
Von meiner Pflegemutter lernte ich Stricken , Nähen , Brodieren ; alles dieses in einem hohen Grade von Vollkommenheit .
Wie sehr auch meine Lehrerin in ihren Wirtschaftsangelegenheiten versenkt schien , so fehlte es ihr doch durchaus nicht an Kunstsinn .
Die Gewalt des Wahren war für sie eben so wenig vorhanden , als für irgend ein Weib ; aber die Gewalt des Schönen offenbarte sich in allen ihren Schöpfungen , in so fern sie alles verabscheute , was den ewigen Gesetzen der Harmonie widersprach .
Zwar sagt man :
" Nur das Wahre sei schön " ; allein , so weit meine Beobachtung reicht , gilt dieser Ausspruch nur in Beziehung auf Männer ; für Weiber ist nur das Schöne wahr , das heißt , sie wollen immer und ewig nur das Schöne , unbekümmert um das Wahre .
Vielleicht rührt dieser Unterschied der Geschlechter daher , daß bei den Männern sich die Phantasie dem Verstande , bei den Weibern hingegen der Verstand der Phantasie unterordnet .
Wie dem aber auch sein mag , noch immer soll das Weib geboren werden , bei welchem die Schönheit des Euklidischen Systems Sache der Empfindung oder Anschauung ist .
Unbemerkt wuchs ich unter so wohltätigen Einflüssen , als meine Pflegeeltern waren , heran .
Meine Entwicklung ging um so glücklicher von statten , da nichts vorhanden war , was sie hätte stören oder verhindern können .
In einem Alter von fünfzehn Jahren war mein Wuchs vollendet , und meinem Umriß nach hätte man mich für ein junges Mädchen von achtzehn bis zwanzig Jahren halten können .
Über das Mittelmaß hinaus groß und von einer anziehenden Fülle , vereinigte ich Brünettheit mit einer blendenden Weiße , und keiner von meinen Gesichtszügen widersprach der Weiblichkeit .
Wer mich sah , verweilte mit Wohlgefallen bei meinem Anblick ; was man aber ganz laut bewunderte , war die Üppigkeit meines kastanienbraunen Haarwuchses ; ich hätte ihn als Schleier gebrauchen können , so lang und dicht war er .
Die Aufmerksamkeit , welche mir alle Fremden bewiesen , führte mich vor den Spiegel , der mir bisher durchaus gleichgültig gewesen war ; ich suchte den Grund dieser Aufmerksamkeit , und wer will es mir verargen , daß ich ihn in dem Abstich fand , den meine Gestalt von denen meiner Umgebung machte ?
Mit Wahrheit aber kann ich versichern , daß mich das öftere Hintreten vor den Spiegel nicht eitel machte ; diese Beschauung gewährte mir nur ein Bild von mir selber , und mit dem Bilde die Überzeugung , daß ich , wo nicht schön , doch wenigstens hübsch sei ; zu Ansprüchen und zur Koketterie verleitete sie nicht , und konnte sie nicht verleiten , weil meine Vorzüge mir von Niemand bestritten wurden .
Man könnte glauben , ich sei in meiner Jugend sehr eitel gewesen , da mir ein so bestimmtes Bild von mir selbst geblieben ist ; allein das ist das Eigentümliche der weiblichen Einbildungskraft , daß sie im Stande ist , die Bilder fest zu halten , welche derselbe Gegenstand in seinen verschiedenen Entwickelungsperioden gegeben hat .
Schwerlich wird irgend ein Mann die Gestalt , welche er als Jüngling hatte , in späteren Jahren bei sich selbst zur Anschauung bringen können ; ein Weib aber kann dies ohne alle Mühe , und wenn sie sich auf Malerei versteht , so muß an der Wahrheit des Bildes , das sie von ihrem früheren Wesen entwirft , auch nicht das Geringste abgehen , vorausgesetzt nur , daß ihre Einbildungskraft nicht durch Eitelkeit verdorben worden ist .
Es war um diese Zeit öfters davon die Rede , daß meine Erziehung nur in der Hauptstadt vollendet werden könnte ; und da mir die Notwendigkeit einer höheren Ausbildung nicht einleuchtete , so rief der Gedanke an eine nahe Trennung von meinen Pflegeeltern die ersten traurigen Gefühle auf , die ich bis jetzt gehabt hatte .
Ob ich diese meine Pflegeeltern liebte oder nicht , war mir bisher eben so unbekannt geblieben , als dem wirklich Gesunden das Gefühl der Gesundheit .
Jetzt , wo ich der süßen Gewohnheit mit ihnen zu leben , entsagen sollte , wurde mir zuerst klar , wie innig ich mit allen meinen Neigungen an ihnen hing .
Meine Traurigkeit war um so tiefer , je größer meine Unerfahrenheit war , und je weniger ich folglich der Lockung folgen konnte , welche mit der Aussicht auf neue Verhältnisse in der Regel verbunden ist .
Dieselbe Stimmung waltete bei meinen Pflegeeltern ob ; es lag nur allzu sehr am Tage , daß auch sie sich seit neun Jahren verwöhnt hatten , und daß es ihnen Mühe machte , dem natürlichen Bedürfnis des Menschen , zu lieben und geliebt zu werden , schnell zu entsagen .
Selbst mein Pflegevater verlor einen guten Teil seiner gewöhnlichen Heiterkeit , während seine Schwester , den edleren Teil ihres Wesens hinter dem unedleren verbergend , nicht aufhörte zu bedauern , daß ihr für ihre Wirtschaft eine so zuverlässige Stütze entrissen würde , als sie seit drei Jahren an mir gehabt .
Das Schicksal nahm sich der ganzen Familie dadurch an , daß mein Pflegevater als Prediger in die Hauptstadt berufen wurde .
Ich sage : " das Schicksal , " weil ich mich nicht anders ausdrücken kann .
Unstreitig ging auch dies sehr natürlich zu , und allen meinen späteren Vermutungen nach , hatte mein Pflegevater seine Berufung bei weitem mehr dem Verhältnis zu verdanken , in welchem er zu mir stand , als seinen persönlichen Eigenschaften , wie achtungswert diese auch sein mochten .
Dem sei indes wie ihm wolle , es war uns allen herzlich lieb , daß wir zusammen bleiben konnten .
Das einzige Problem , das noch zu lösen war , bestand in der Trennung von dem Grund und Boden , auf welchem wir bisher gelebt hatten , die Nachbarschaft mit inbegriffen .
Vorzüglich fiel es meinem Pflegevater schwer , sich von seiner Baumschule zu trennen , die ihm um so teurer sein mußte , weil die Entwicklung in ihr nach solchen Gesetzen erfolgte , deren sich die Willkür vollkommen bemächtigen kann .
Er pflegte öfters zu sagen :
Er habe nie heiraten mögen , weil er nichts so sehr verabscheut habe , als den Gedanken an ein ungeratenes Kind ; aber er freue sich darüber , daß er ein Gärtner geworden sei , weil die Gärtnerei ihm jede Schadloshaltung gewähre , die der Kinderlose wünschen könne .
Dem ungeachtet gab das Menschliche in ihm den Ausschlag über das Räsonnement , so oft beide in Opposition gerieten ; und dies zeigte sich auch gegenwärtig , da die großmütige Zuneigung , die er für mich gefaßt hatte , ihn den Kummer überwinden ließ , der mit einer ewigen Trennung von seiner geliebten Baumschule unauflöslich verbunden war .
Wie sehr sie ihm am Herzen lag , zeigte sich in der Folge sehr häufig , indem sein Gemüt ihn in den Abendstunden regelmäßig den Gedanken an seine Baumschule zurückrief , bis er nach einigen Jahren die Nachricht erhielt , daß sie durch die gänzliche Vernachlässigung seines Nachfolgers eingegangen sei .
Der Seufzer , der ihm bei dieser Gelegenheit entfuhr , sagte sehr deutlich , wie viel er mir aufgeopfert hatte ; in der Tat um so mehr , je uneigennütziger und anspruchsloser er in jeder Hinsicht war .
Nach unserer Ankunft in der Hauptstadt sollte ich vor allen Dingen Musik und Tanz lernen .
Beides würde ich mit großer Leichtigkeit gelernt haben , hätte ich solche Lehrer gefunden , als mein Pflegevater war .
Es fehlte mir weder an Lust , noch an Fähigkeit ; aber die Eigentümlichkeit meiner Lehrer verhinderte alle Fortschritte , die ich hätte machen können , und wurde auf diese Weise die Ursache , warum zwei Talente , die ich erwerben konnte , mir immer fremd geblieben sind .
Mein Lehrer in der Musik galt für einen Meister in seiner Kunst .
Wäre er bloß Künstler gewesen , so würde von seinem Wesen so viel auf mich übergegangen sein , als sich mit meiner Natur vertrug ; allein da er zugleich ein galanter Mann sein wollte , so mußte das , was er seine Artigkeit nannte , ihm einen so lächerlichen Anstrich bei mir geben , daß wesentliche Fortschritte in der Musik unter seiner Leitung für mich unmöglich wurden .
Alles ging vortrefflich , so lange er mich für eine junge Person seines Standes hielt ; sobald er aber gehört hatte , daß man mich Fräulein Mirabella nannte , veränderte er seine Methode auf Kosten seiner Kunst .
Bis dahin hatte er ganz treuherzig gesagt :
So und so muß es sein .
Jetzt bat er , daß es mir belieben möchte , es so und so zu machen .
Griff ich f statt fis , so bat er sich ein gnädiges fis aus .
Überhaupt war seine Deferenz gegen das Vorurteil des Geburtsadels so groß , daß er es nicht offenbaren konnte , ohne mich aus allen meinen Angeln zu heben .
Unbeschreiblich weh tat mir diese Wegwerfung ; und um den unangenehmen Gefühlen zu entgehen , welche so wie der Mann nun einmal war , von dem Unterricht nicht getrennt werden konnten , gebrauchte ich den Ausweg , ihn allein ans Klavier zu setzen , und das zu singen , was er spielte .
Auf diese Weise bildete ich meinen Sinn für Musik aus , ohne jemals die gewöhnliche Fertigkeit zu erwerben , welche sich durch die Fingerspitzen offenbaret ; und ich weiß nicht , ob diese Ausbildung nicht die vorzüglichere war , da sie hinreichte , um zur Kenntnis dessen zu gelangen , was wahre Musik ist , und mich im Übrigen von jener Virtuosität , welche die Weiblichkeit vernichtet , entfernt hielt .
Im Grunde habe ich nie bedauert , daß ich keine größeren Fortschritte gemacht habe .
Mein Tanzmeister war das vollkommenste Gegenteil von meinem Lehrer in der Musik .
Ein geborener Franzose , lebte und webte er in seiner Kunst , welche in seinem Urteil das Komplement aller menschlichen Vollkommenheiten war .
Ich sage nicht zuviel , wenn ich behaupte , daß er auf das allervollkommenste in ihr untergegangen war ; denn nichts verdiente seine Schonung , was der vollendeten Ausübung der Tanzkunst in den Weg trat .
Wie wurde mir gleich in der ersten Lektion zu Mute , als er , nach den ersten Vorzeigungen , mich unsanft bei der Schulter faßte , um meinen Füßen durch die seinigen die kunstmäßige Stellung zu geben !
Alles , was Gemüt genannt werden kann , wurde in mir aufgeregt , und hätte ich nicht die Idee eines Lehrers festgehalten , so würde ich auf der Stelle die verletzte Schamhaftigkeit gerächt haben .
Mit glühenden Wangen kehrte ich auf mein Zimmer zurück , als die Lektion geendigt war ; und als meine Pflegemutter mich fragte , was mich in einen solchen Aufruhr gesetzt habe , war ich schlechterdings nicht im Stande , ihr irgend eine Antwort zu geben ; so groß war meine Verworrenheit .
Zagend ging ich in die zweite Lektion .
Daß meine Geschicklichkeit dadurch nicht gewann , versteht sich ganz von selbst .
Mein Lehrer sprach mir den Mut ein , der die große Mehrheit aufrichtet , mir aber gar nicht fehlte .
Die Übung wurde fortgesetzt , wiewohl ich schon halb betäubt war .
Anstatt zu rechter Zeit abzubrechen , geriet der Meister in den gemeinen Kunsteifer ; und indem er sagte , daß eine so edle Figur , wie die meinige , sich auch edel bewegen müsse , stürzte er auf mich zu , und bog , weil ich die Füße nicht auswärts genug setzte , meine Knie mit den seinigen aus einander .
Dies war aber mehr , als ich ertragen konnte .
Eine Beleidigung meiner Schamhaftigkeit hatte ich verschmerzt ; einen Angriff auf dieselbe glaubte ich ahnden zu müssen .
Ich sprang also unmittelbar nach geschehener Tat auf den Meister zu , gab ihm eine Ohrfeige und lief atemlos auf mein Schlafzimmer .
Jetzt mußte die Sache zur Sprache kommen .
Der Meister , der nicht wußte , wie er zu der Ohrfeige gekommen war , beklagte sich dar über bei meinem Pflegevater , und als mich dieser zur Rechenschaft forderte , kam mit meiner Unschuld die seinige freilich an den Tag , die Lektionen aber waren einmal für allemal abgebrochen , weil ich erklärte , daß ich lieber gar nicht tanzen lernen , als allein unterrichtet werden wollte .
Diese Erklärung hatte die Folge , daß man noch einige andere junge Mädchen in die Lektionen zog ; aber wie sehr mein Gefühl dadurch auch erleichtert werden mochte , so konnte ich mich doch nie gewöhnen , das Tanzen als eine freie Kunst zu nehmen .
Mit brennenden Wangen ging ich in den Tanzsaal ; mit brennenden Wangen verließ ich ihn .
Es war mehr ein Abäschern gegen den Willen des Gemüts , als eine Bewegung auf Geheiß desselben , was ich Tanzen nennen mußte ; und daher ist es unstreitig gekommen , daß ich mein ganzes Leben hindurch so gleichgültig gegen dies Vergnügen geblieben bin , dem Andere so bereitwillig Gesundheit und Leben aufopfern .
Auch bin ich in dieser Hinsicht immer eine Stümperin gewesen .
Obgleich die Lektüre damals noch nicht zu den Dingen gehörte , welche die Elemente einer weiblichen Erziehung ausmachen ; so war ich doch durch meinen Pflegevater von meinem fünfzehnten Jahre an mit drei französischen Dichtern bekannt geworden , die ich unablässig las und beinahe auswendig lernte .
Es waren de la Fontäne , Peter Corneille und Racine .
Die Fabeln des ersteren zogen mich unendlich an , weil in ihnen eine Welt enthalten ist , worein ein jugendlicher Geist sich nur mit Entzücken verlieren kann .
Corneille und Racine beschäftigten mich gleich sehr ; und ob man gleich glauben sollte , daß ich , als Frauenzimmer , meine Rechnung nur bei dem letzteren gefunden haben könne , so gestehe ich doch ohne Bedenken , daß die Stärke Corneille's mir wenigstens eben so zusagte , als die Sentimentalität Racine's ; ja daß ich dem ersteren um des kräftigen Gemütes Willen , das aus ihm spricht , im Ganzen den Vorzug gab , wie eifrig auch die Männer darauf bestehen mochten , daß ich nur den letzteren lieben könnte und dürfte .
Ich müßte mich sehr irren , oder ein Schriftsteller interessiert immer nur in so fern , als seine Gedanken Abgründe enthalten , in welche man nur schwindelnd blickt .
Mit der natürlichen Vorliebe , welche der Mensch für das Große und Starke hat , habe ich in der Folge versucht , mir auch Shakespeares Geist anzueignen ; allein dies hat mir nie gelingen wollen , und habe ich mich anders gehörig beobachtet , so ist es der Mangel an Züchtigkeit in den Werken des Engländers , was mich beständig von ihm zurückgeschreckt hat .
Shakspear hat nur für Männer geschrieben , und Weiber , welche seine Trauerspiele und Lustspiele mit Vergnügen lesen , verderben nichts mehr an sich selbst , wenn sie Pferde zureiten , Armeen kommandieren , und jedes andere Geschäft verrichten , das die Natur dem Manne zugeteilt hat .
Sie haben ihren Lohn dahin , indem sie der Weiblichkeit entsagt haben .
So lange ich auf dem Lande gelebt hatte , waren mir gewisse Empfindungen ganz unbekannt geblieben .
Dahin gehörten die des Mitleids und Erbarmens , für welche es auf dem Dorfe , das ich in der Gesellschaft meiner Pflegeeltern bewohnte , keine Gegenstände gab , weil der Überfluß an Naturgütern wohl zur Gefälligkeit , aber nicht zur Großmut führen kann .
In die Hauptstadt versetzt , fand ich nur allzubald Gelegenheit , aus mir selbst heraus zu treten , um mich mit der zahllosen Menge derjenigen zu identifizieren , welche , ausgeschlossen von den Vorteilen der gesellschaftlichen Arbeit , ihre Zuflucht zu der menschlichen Milde nehmen müssen .
Je weniger ich auf den Anblick des Kummers und der Ohnmacht vorbereitet war , desto heftiger wirkte er auf mich ein .
Ich gab , was ich nur einigermaßen entbehren konnte , und tat mir nicht eher genug , als bis ich die Entdeckung gemacht hatte , daß man für Hülfsbedürftige nichts tut , so lange man ihnen nicht gerade das gibt , was ihnen notwendig ist .
Von jetzt an gewann mein Mitgefühl den Charakter der Tätigkeit ; und ob es gleich dadurch an innerer Stärke verlor , so war doch jeder Akt der Milde mit desto mehr Vergnügen für mich verbunden , je bestimmter ich mir sagen konnte , wodurch ich ihn zu Stande gebracht hatte .
Jenes müßige Wohltun , wodurch man sich zuletzt entweder von einem unangenehmen Gefühl loskauft , oder sich die eigene Unbedürftigkeit klar macht , ist mir seitdem immer fremd geblieben ; und was die Verteidiger der Selbstheit auch immer zur Rechtfertigung ihres Systems sagen mögen , so habe ich immer an mir selbst zu bemerken geglaubt , daß außer der Selbstheit noch etwas anderes im Menschen ist , das , mag man es doch nennen wie man wolle , allein zu Aufopferungen und Anstrengungen für die Gesellschaft führen kann .
Es war , wenn ich nicht irre , eine Französin , welche über ihre Türe schrieb :
Sparsamkeit ist die beste Quelle der Großmut ; aber diese Frau empfand bei weitem richtiger , als Helvétius dachte , der in seinen Werken etwas Bewundernswürdiges geleistet haben würde , wenn er das Problem seiner eigenen herrlichen Natur gelöst hätte .
Der Zeitpunkt war gekommen , wo ich in die Gemeinschaft der Christen durch einen förmlichen Akt aufgenommen werden mußte .
Mein Pflegevater selbst wollte diesen Akt verrichten , und bereitete mich daher auf das sorgfältigste dazu vor .
So viel ich mich seines Unterrichts noch jetzt erinnern kann , unterschied er Christentum von christlicher Religion .
Das erstere setzte er in eine gewissenhafte Anwendung des Moralprinzips auf alle die gesellschaftlichen Verhältnis se , in welchen sich das Individuum befindet ; in der letzteren erblickte er eine Sammlung von Anschauungen des Inneren der menschlichen Natur , welche die Dumpfheit des Mittelalters in Mysterien verwandelt hatte .
Nach ihm war z.B. die Lehre von der Dreieinigkeit mit einer Art von Notwendigkeit aus dem Inneren des Menschen hervorgegangen .
" Von jeher , " sagte er , " war das Bestreben des menschlichen Geistes darauf gerichtet , das Unbegreifliche zu begreifen .
Hierbei konnte es nicht fehlen , daß der Mensch sich zuletzt selbst an die Stelle der ersten Ursache aller Erscheinungen setzte .
Da eine Kraft in ihm vorhanden war , aus welcher alle seine Schöpfungen hervorgingen , so stellte er diese Kraft ( den Geist ) symbolisch als den Vater dar .
Eine andere Kraft in ihm ( das Gemüt ) enthielt die ewigen Aufforderungen zu neuen Schöpfungen ; und wie hätte diese Kraft schicklicher personifiziert werden können , als unter dem Bilde des Sohnes , der den Vater liebt und von ihm geliebt wird ?
Die dritte Kraft ging aus dem Verhältnisse der beiden ersteren hervor , und war in sich selbst das Bewußtsein der größeren oder geringeren Harmonie der beiden ersteren Kräfte ( Gewissen ) ; daher die symbolische Bezeichnung derselben durch den heiligen Geist , der von Vater und Sohn ausgeht .
Die Lehre von der Dreieinigkeit lag also wesentlich im Menschen , und ist im Grunde genommen die umfassendste Reflection , die der Mensch jemals über sich selbst gemacht hat .
Ein Gegenstand des blinden Glaubens und des spottenden Zweifels , so lange das Innere noch nicht erwacht ist , wird sie ein Gegenstand der unmittelbaren Anschauung und der innigsten Überzeugung , so bald man anfängt , sein eigenes Wesen zu zergliedern .
Wie viele Spötter unserer Zeit würden plötzlich verstummen , wenn es möglich wäre , ihnen den wahren Sinn des neuen Testaments und der ersten Kirchenväter einzuimpfen !
Man findet es gegenwärtig ehrenvoll ein Atheist zu sein ; aber nur weil man nicht weiß , was ein Atheist ist .
Sei man es immerhin in Beziehung auf den Gott der Priester , und so bald von einer furchtbaren Weltursache die Rede ist ; aber ist die Weltursache von beiden nicht wesentlich verschieden ?
In Beziehung auf diese ist es an und für sich unmöglich ein Atheist zu sein , und versteht man das neue Testament auch nur einigermaßen , so entdeckt man eine auffallende Harmonie zwischen Schrift und Vernunft .
Was kann das Christentum besser charakterisieren , als der Ausspruch : Furcht ist nicht in der Liebe , sondern die Liebe treibet die Furcht aus ?
Und was ist zugleich erhabener und umfassender , als der Satz :
Gott ist die Liebe , und wer in der Liebe bleibt , der bleibt in Gott und Gott in ihm ?
Wir müssen nur nicht außer uns suchen , was nur in uns sein kann ; und wir sind alles , was wir werden können , wenn unser Geist mit unserem Gemüte in einer solchen Harmonie steht , daß die Verletzung desselben uns als eine Vernichtung unseres ganzen Wesens erscheinen muß . "
Auf diese Weise erklärte mir mein Pflegevater jedes andere Dogma der christlichen Religion , mir das Geheimnis meines Inneren entschleiernd und mir Achtung vor mir selbst einflößend .
Ein Ausspruch , der für ihn einen tiefen Sinn enthielt , und den er mir oft wiederholte , um ein bleibendes Ideal in mich niederzulegen , war der Ausspruch , wodurch der Stifter des Christentums seine Schüler aufforderte :
Klug zu sein , wie die Schlangen , und ohne Falsch , wie die Tauben . Auch ist mir dieser immer gegenwärtig geblieben .
Der Sitte jener Zeiten gemäß , durfte ein junges Mädchen nicht eher öffentlich erscheinen , als bis sie durch die Konfirmation dazu berechtigt war ; durch diese erhielt man gleichsam ein Beglaubigungsschreiben der Zulässigkeit und Würdigkeit , und ich gestehe , daß ich diese Einrichtung ungern habe zu Grunde gehen gesehen , weil doch einmal eine gewisse Reife erfordert wird , um das soziale Interesse zu teilen .
Mein erster Eintritt in die gesellschaftlichen Kreise der Hauptstadt war ohne allen Eklat .
Nach den Vorbereitungen , die ich erhalten hatte , war ich nichts weniger , als verlegen ; aber von allen den gesellschaftlichen Eigenschaften , wodurch man in die allgemeine Stimmung eingreift , war auch keine einzige in mir .
Mein Äußeres schien in dieser Hinsicht bei weitem mehr zu versprechen , als mein Inneres zu halten im Stande war .
Man brachte mich auf allerlei Witz- und Kitzelproben ; ich bestand keine einzige derselben , weil mein Geist dazu durchaus nicht abgerichtet war .
Dagegen trat mein Inneres bei jeder Gelegenheit so ungeschminkt , gesund und kräftig hervor , daß ich denjenigen , die mich durchaus nach sich modeln wollten , alle Lust benahm , ein hartes Urteil über mich zu fällen .
Ich hatte sehr bald das Vergnügen , zu bemerken , daß man sich in allen ernsthaften Dingen vorzugsweise an mich wandte , und mir also den Mangel an Witz um der höheren Verständigkeit Willen verzieh , die mir beiwohnte .
Wie viel meine gute Miene dazu beitrug , die Gemüter mit meiner Eigentümlichkeit zu versöhnen , will ich nicht berechnen ; so ausgemacht es auch ist , daß die Anspruchslosigkeit eines sonst klaren und regelmäßig gebildeten Gesichtes immer damit endigen muß , die Herzen zu gewinnen .
Mehr als alles Übrige pronirte mich der Beifall bejahrter Frauen in der Meinung des Publikums .
Es konnte nicht fehlen , daß ich mit den soliden Eigenschaften , die ich von meiner ersten Jugend an zu erwerben Gelegenheit gehabt hatte , ihnen unendlich mehr Berührungspunkte darbot , als andere junge Mädchen oder Frauen ; und indem sie die schwer erworbene Solidität des Alters in mir wiederfanden , und sich also in mir verjüngt erblickten , blieb ihnen schwerlich etwas anderes übrig , als mir das Wort zu reden , sofern sie sich nicht selbst herabsetzen wollten .
Es kam auf diesem Wege nur allzubald dahin , daß ich von Allen gesucht wurde .
Man möchte nun glauben , daß ich ein Gegenstand des Neides für andere Mädchen meines Alters geworden sei ; dies war aber durchaus nicht der Fall .
Da ich keiner in den Weg trat , so wurde ich mit meiner Gutmütigkeit ein Stützpunkt für alle , so daß selbst diejenigen von ihnen , welche die meisten Ansprüche auf Wertschätzung machten , mir gegenüber diese Ansprüche fahren ließen , und sich , wenn sie uneins mit sich selbst geworden waren , auf mein Urteil und meine Entscheidung bezogen .
In Wahrheit , es mochte keine alltägliche Erscheinung sein , ein junges Mädchen von siebzehn bis achtzehn Jahren , das , wo nicht schön , doch wenigstens nichts weniger als häßlich war , in physischer und moralischer Kraft den Ausschlag über ihres gleichen geben , und sich doch niemals überheben zu sehen .
Das Rätselhafte dieser Erscheinung wurde durch meine Erziehung gelöst ; allein diese Erziehung wurde wiederum dadurch zum Rätsel , daß die wenigsten Menschen - weil es einmal das Eigentümliche der menschlichen Natur mit sich bringt , sich vor allen Dingen mit sich selbst zu beschäftigen - die Fähigkeit haben , solche Charaktere , als meine Pflegeeltern , zur Anschauung zu bringen .
Ich blieb also immerdar ein Rätsel , das man nicht anders lösen zu können glaubte , als durch Voraussetzung einer höheren Natur , welche die Morgengabe meiner Geburt gewesen .
Ich selbst fing an , mir unbegreiflich zu werden , so wie ich in der Meinung Anderer höher emporstieg .
Dem Abstich , den ich durch meine Individualität bildete , die Deferenz , welche man mir von allen Seiten her bewies , zuzuschreiben , dazu war ich mit aller Verständigkeit doch noch zu unschuldig .
Da ich nun in Zeiten lebte , wo man noch gar keine Ahnung davon hatte , daß eine vornehme Geburt nichts geben , wohl aber sehr viel nehmen kann , wenn nicht von staatsbürgerlichem , sondern von rein-menschlichem Wert die Rede ist ; so geriet ich auf die natürlichste Weise von der Welt auf den Gedanken , daß ich über mich selbst unfehlbar ins Reine gekommen sein würde , so bald ich mir die nötigen Aufschlüsse über meine Abkunft verschafft hätte .
Ich wunderte mich , daß ich einen so gesunden Gedanken nicht längst gehabt hätte .
" Man nennt dich , " sagte ich zu mir selbst , " allenthalben Fräulein Mirabella ; dies setzt voraus , daß deine Eltern von Adel gewesen sind .
Warum ist aber nie von deinen Eltern die Rede ?
Du kannst doch kein isolierter Strahl sein .
Die ganze Welt um dich her gibt zu , daß du es nicht bist , und doch wirst du wiederum durch die ganze Welt gezwungen , dich dafür zu halten . "
Mit solchen Ideen wandte ich mich an meinen Pflegevater , zum voraus überzeugt , daß er mir kein Geheimnis aus meiner Geburt machen würde , sofern er nur selbst davon unterrichtet wäre .
" Sie wissen , mein teuerster Vater , " redete ich ihn an , " wie grenzenlos meine Liebe und Achtung für Sie ist .
Hatte je ein menschliches Geschöpf Ursache , mit seinem Geschick zufrieden zu sein , so habe ich alle möglichen Bewegungsgründe , das meinige zu segnen ; der Zufall , der mich Ihrer Pflege übergab , war in jedem Betracht ein beglückender .
Allein , da ich nur Ihre geistliche Tochter bin , und von der ganzen Welt , Sie selbst nicht ausgenommen , als solche behandelt werde : so sagen Sie mir doch endlich , wer die eigentlichen Urheber meines Daseins sind .
Ich weiß nicht , ob ich irgend etwas für sie werde empfinden können ; denn alles , was von Dankbarkeit und Liebe in mir ist , haben Sie und meine teure Pflegemutter unstreitig für immer in Beschlag genommen .
Aber mich drückt das Geheimnisvolle meiner Geburt ; und der Wunsch , den Schleier , der auf ihr ruht , gelüpft zu sehen , wird um so lebhafter , je öfter ich bemerke , welchen hohen Wert man auf die Abkunft legt , und wie man auch mich , um meiner vorausgesetzten guten Abkunft Willen , auszeichnet .
Es ist mir , als wenn mein Inneres gewinnen würde , so bald die Ungewißheit , worin ich über diesen Punkt bisher gelebt habe , beendigt sein wird . "
Mein Pflegevater hörte mich , seinem Charakter gemäß , sehr ruhig an , und nachdem er mich auf einen Sessel hingezogen hatte , der neben seinem Lehnstuhl stand , antwortete er mir folgendes :
" Dein Ursprung , meine geliebte Tochter , ist mir selbst immer ein Geheimnis geblieben .
Es war der geheime Rat von K... , der mir deine Erziehung antrug .
Von ihm habe ich sehr regelmäßig die Gelder erhalten , welche bei der ersten schriftlichen Verhandlung stipuliert wurden .
Ob er aber im Stande ist , Auskunft über deine Geburt zu geben , weiß ich nicht ; ich habe es aber immer vermutet , weil er dich in seinen Schreiben immer Fräulein Mirabella nannte .
Wenn du von mir verlangst , daß ich ihn um Erörterungen bitten soll , so kann ich nicht umhin , dir eine abschlägige Antwort zu geben .
Meiner Einsicht nach , wirst du wohl tun , wenn du die ganze Sache fürs erste auf sich beruhen läßt .
Ich gebe zu , daß diese Ungewißheit dich drückt ; ich gebe sogar zu , daß es gut sein würde , wenn diese Ungewißheit gehoben werden könnte .
Allein so lange deine Eltern nicht von selbst zum Vorschein treten , wirst du dich vergeblich bemühen , sie kennen zu lernen und dich nur unglücklich machen .
Zu deiner Beruhigung kann ich dir noch das sagen , daß ( der Schleier , der auf deiner Geburt ruht , mag gelüpft werden , oder nicht ) dein Schicksal wenigstens in sofern gesichert ist , als du Vermögen genug hast , mit Freiheit in der Gesellschaft dazustehen .
Diese Notiz verdanke ich den Erklärungen des geheimen Rats .
Ich füge nur noch hinzu : daß die Welt dich immer nach deinem Werte nehmen wird , und daß es also nur von dir abhängt , das Allerhöchste zu sein . "
Die Bemerkung , womit mein Pflegevater seine Antwort beschloß , sprach mich ungemein wohltätig an ; sie machte auf mich ungefähr eben den Eindruck , den ein kühlendes Lüftchen auf den erhitzten Wanderer macht .
Ich faßte ihre Wahrheit sogleich , wiewohl ich in keine geringe Verlegenheit geraten sein würde , wenn ich sie auf der Stelle hätte zergliedern sollen .
Da mein Pflegevater mir unmittelbar vorhergesagt hatte , daß mein Schicksal vollkommen gesichert wäre ; so würde ich mich , seinem Wunsch gemäß , beruhigt haben , hätte er mir nicht zu verstehen gegeben , daß der geheime Rat von K... allein im Stande sei , das Dunkel aufzuhellen , das auf meiner Geburt ruhte .
Auf eine sehr natürliche Weise erhielt meine Neugierde eine Bundesgenossin an der Eitelkeit .
Was meinem Pflegevater nicht gelungen war , das könnte , dachte ich , mir gelingen ; und da mir die besondere Aufmerksamkeit , womit der geheime Rat mich beehrte , so oft wir an irgend einem dritten Orte zusammentrafen , nicht entgangen war , so nahm ich mir vor , ihn , der mir , unter anderen Umständen , ewig gleichgültig bleiben mußte , so für mich zu interessieren , daß er von selbst mit dem Geheimnis hervorträte .
Mir schlug das Herz , indem ich diesen Vorsatz faßte ; allein wie bestimmt ich auch fühlen mochte , daß er meiner unwürdig sei , so hatte ich doch nicht den Mut , ihm zu entsagen , oder ihn nicht in Ausübung zu bringen .
Wie wenig kannte ich die Welt !
Derselbe Mann , der mir vorher in allen Dingen zuvorgekommen war , und , um mich liebkosen zu können , seinen Ernst beseitigt hatte , nahm die abschreckendste Amtsmiene an , so bald er bemerkt hatte , daß ich ihm näher trat .
Was blieb mir nun noch anderes übrig , als dem Rate meines Pflegevaters zu folgen ?
Die Lektion , die mir für meine Eitelkeit geworden war , tief empfindend , faßte ich den Entschluß , gar nicht weiter an meine Geburt zu denken .
Dies gelang mir auch so gut , daß ich nur durch den Tod des geheimen Rats ( der ungefähr ein halbes Jahr darauf erfolgte ) an die Neugierde zurück erinnert wurde , die mich einen Monat hindurch so eigentümlich gequält hatte .
Als ich die Nachricht von diesem Tode erhielt , war mir zu Mute , wie einem , der nicht in den Besitz des versprochenen Schatzes gelangt ist , weil seine Wünschelrute nichts taugte .
Ich war um so gelassener , weil um diese Zeit mein Kopf in eben den Wirbel gezogen wurde , worin sich die Köpfe aller jungen Mädchen von meiner Bekanntschaft drehten .
Nichts ergreift eine weibliche Einbildungskraft so heftig und sicher , als die lebendige Vorstellung des schönen Zukünftigen .
Die ganze Gegenwart versinkt , wenn von etwas Schönen die Rede ist , das mit Gewißheit erwartet werden kann ; ist dies Schöne aber vollends ein Mann , so dürfte in der Zusammensetzung des Weibes schwerlich etwas enthalten sein , das verlorene Gleichgewicht sogleich wieder herzustellen .
Wie fest ich auch war , und wie noch weit fester ich mich auch glaubte , so verlor ich doch die Tramontane , so bald ich nicht umhin konnte , die Freude zu teilen , welche das Fräulein Z... über die Zurückkunft ihres Bruders aus Italien empfand .
Dies hing auf folgende Weise zusammen : Ungefähr um eben die Zeit , wo meine Pflegeeltern mit mir in die Hauptstadt gezogen waren , hatte sich die Frau von Z... mit ihrer Tochter daselbst niedergelassen .
Das Fräulein war von meinem Alter , und ihre nächste Bestimmung fiel mit der meinigen zusammen , in sofern wir unsere letzte Ausbildung in der Nähe eines Hofes erhalten sollten , der in dem Rufe stand , der gesittetste in Deutschland zu sein .
Unsere Bekanntschaft war bald gemacht , und die Verschiedenheit unserer Charaktere brachte es mit sich , daß wir Freundinnen wurden .
Unruhig , heftig , witzig , in ihrem Witze nicht selten beleidigend , und aus allen diesen Gründen zusammengenommen eben so oft von sich selbst , als von der Welt verlassen , bedurfte Adelaide ( so hieß meine junge Freundin ) einer Stütze , die sie nur in einem so sanften , stetigen und verständigen Wesen finden konnte , als ich nun einmal war .
Ich meiner Seits bedurfte eines starken Reizes , um mir , bei dem gänzlichen Mangel glänzender Eigenschaften , der inneren Güte meiner Natur bewußt zu werden ; und da ich diesen Reiz vorzüglich in Adelaiden fand , so suchte ich sie wenigstens eben so sehr , als ich von ihr gesucht wurde .
Unsere Freundschaft war weit davon entfernt , eine leidenschaftliche zu sein ; aber gerade weil ihr dieser Charakter fehlte , war sie nur um so zuverlässiger und traulicher .
Bisweilen mußte es das Ansehn gewinnen , als ob ich für Adelaiden alles dasjenige wäre , was der Mann , als Intelligenz und moralische Kraft genommen , dem Weibe ist ; allein da das Weib , seinem geistigen Wesen nach , nie ein Mann werden kann , so geschah es nicht selten , daß sich unser Verhältnis umkehrte .
Es waren zwei Talente in Adelaiden , welche dies bewirkten : nämlich das musikalische und das poetische .
Ich fühle , daß ich mich hier sehr unvollkommen ausdrücke ; aber ich will versuchen , die Sache selbst ohne Kunstausdrücke zu fixieren .
Adelaide hatte eine ungemeine Fertigkeit auf dem Klaviere , und liebte es , Proben ihrer Geschicklichkeit abzulegen .
In dieser Hinsicht paßten wir vortrefflich zusammen ; denn da ein solches Talent nicht in mir war , und meine Liebe für Musik darunter gar nicht litt , so halfen wir uns vortrefflich aus , Adelaide mir , indem sie mir etwas vorspielte , ich Adelaiden , indem ich mich ihrer Kunst hingab , und diese von Zeit zu Zeit durch meine Stimme verschönerte .
Außerdem fand meine Freundin sehr viel Vergnügen am Versemachen .
Dies war , genau genommen , ihre schwache Seite ; allein da das , was unsere schwache Seite ausmacht , uns immer am meisten am Herzen liegt , so suchte Adelaide für diesen Teil ihrer Beschäftigung - soll ich sagen Bewunderung und Lob , oder Entschuldigung und Nachsicht ? und ein sehr richtiger Instinkt sagte ihr , daß sie eins wie das andere nie erhalten könnte , wenn sie einen Mann zu ihrem Vertrauten machte .
Es mochten Verse sein , was sie meiner Beurteilung vorlegte ; Poesie aber war es gewiß nicht .
Adelaidens ganze Zusammensetzung verhinderte sie , eine Dichterin zu werden ; es fehlte ihr vor allen Dingen an dem Phlegma , das dazu , wie zur Ausübung jeder anderen schönen Kunst , erforderlich ist ; mit allen poetischen Ideen , die ihr beiwohnten , konnte sie nie dahin gelangen , auch nur ein erträgliches lyrisches Ganze zu schaffen .
Indessen paßten wir auch in dieser Hinsicht herrlich zusammen .
War in ihr die Erhebung , welche zu freien Schöpfungen führt , so war in mir die Ruhe , welche diese Schöpfungen vollendet ; und nachdem ich das Mechanische des Versbaues weg hatte , fehlte es mir nicht an Kraft , meiner Freundin da nachzuhelfen , wo sie von ihrer Unvollkommenheit in Stich gelassen wurde .
Auf diese Weise lebten wir ohne alle Eifersucht , mehr als Schwestern , denn als Freundinnen , bis die Ankunft ihres Bruders unseren gegenseitigen Gefühlen eine andere Wendung zu geben versprach .
Von diesem Bruder war dann und wann die Rede gewesen ; aber ohne bemerkbare Wärme und ohne Enthusiasmus , ungefähr so , wie man von Personen spricht , die man zwar liebt , mit denen man aber zufälligerweise in solchen Verhältnissen lebt , daß es eine Torheit sein würde , den Empfindungen nachzugeben , welche man für sie unterhält .
Gegenwärtig , wo Moritz ( so hieß dieser Bruder ) seine baldige Zurückkunft angemeldet hatte , veränderte sich die Sprache .
Seine Mutter , deren Liebling er immer gewesen war , brannte vor Ungeduld , ihn wieder zu sehen ; allein sie sprach nicht davon , unstreitig weil die jungen Mädchen , welche ihre Tochter besuchten , sehr wenig geeignet waren , ihre Gefühle zu teilen .
Adelaide hingegen , wie wenig sie auch in Beziehung auf ihren Bruder empfinden mochte , sprach unaufhörlich von ihm ; und hätte ich damals die Erfahrungen haben können , welche mir ein fortgesetztes Studium der menschlichen Natur gegeben hat , so hätte mir einleuchten müssen , daß meine Freundin jenes Ideal , das jedes junge Mädchen in seinem Kopfe trägt , treuherzig auf ihren Bruder anwandte ; voll von der Voraussetzung , daß ein dreijähriger Aufenthalt in Italien ihm alle die Eigenschaften werde gegeben haben , welche den Mann vollenden .
Da ich diese Erfahrungen nicht hatte , so konnte es schwerlich fehlen , daß Adelaide , zum erstenmal seit unserer Bekanntschaft , mit mir durchging .
Wie alle übrigen jungen Mädchen , welche in das Familieninteresse eingeweiht waren , glaubte ich an die Wirklichkeit dessen , was Adelaide von ihrem Bruder sagte , und unter uns allen war gewiß keine Einzige , die nicht mit klopfendem Herzen den Augenblick herbeigewünscht hätte , in welchem entschieden werden mußte , welcher der schönste und liebenswürdigste der Männer - denn in diesem Lichte erschien uns der Herr von Z... - den Vorzug geben würde .
Für einen ruhigen Zuschauer würde es unstreitig ein großes Vergnügen gewesen sein , zu sehen , wie Adelaide durch die Art und Weise , wie sie über ihren Bruder sprach , zur Königin des ganzen Mädchenkreises erhoben wurde .
Da war auch keine ihrer Launen , der man nicht nachgegeben hätte ; ja , selbst ihre Sarkasmen verloren die scharfe Spitze , wodurch sie sonst verletzt hatten ; und hätte sie den Vorteil des Augenblicks benutzen wollen , mit Tyrannei über uns alle zu walten , so würde sie es ungestraft gekonnt haben .
Ich selbst , obgleich von allen am wenigsten von Schwärmerei ergriffen , war in dieser Periode die Nachgiebigkeit selbst , und würde eine ganze Nacht durchwacht haben , um in einen ihrer poetischen Versuche einen erträglichen Sinn zu bringen .
Die Täuschung , worein uns Adelaidens Phantasie gesetzt hatte , hörte nicht auf , als der von Z... wirklich angelangt war .
Zwar sagte uns der Augenschein , daß er dem Bilde nicht entsprach , welches wir uns von seinen körperlichen Vorzügen entworfen hatten ; allein körperliche Vorzüge sind etwas , das in der Phantasie des Weibes unter allen Umständen der Liebenswürdigkeit weichen muß , und diese blieb unbestritten , so lange keine Beweise vom Gegenteil vorhanden waren .
Aus dem Adonis , der Adelaidens Bruder sein sollte , war ein Mann von mittler Größe , festem Baue und einem Gesicht geworden , das , obgleich nicht ohne interessante Züge , sehr wesentlich von den Blattern verunstaltet war , und sich zuletzt nur durch eine sehr feine Nase und ein Paar großer schwarzer Augen auszeichnete .
Auch seine Liebenswürdigkeit war ganz anderer Art , als wir sie uns gedacht hatten .
Artig gegen alle , schien er keine einzige zu bemerken ; und wiewohl wir alle Ursache hatten , mit einem so klugen Benehmen zufrieden zu sein , so war doch jede gleich sehr davon empört , weil jede sich einbildete , daß er , ohne ungerecht zu sein , ihr den Vorzug nicht versagen könnte .
Indessen wurden wir alle in Atem erhalten ; und diejenigen von uns , bei welchen das Temperament den Ausschlag über den Verstand gab , legten es recht augenscheinlich darauf an , Entscheidung herbei zu führen .
Einen solchen Wettstreit zu teilen , hielt ich nicht für ratsam , nicht weil ich mein persönliches Verdienst in einen allzu geringen Anschlag gebracht hätte , sondern weil ich das Unweibliche einer Bewerbung fühlte .
Mich zurückziehend , überließ ich den sämtlichen Freundinnen Adelaidens das Vergnügen , sich um einen Mann zu zanken , von welchem ich aufs bestimmteste ahnte , daß etwas in ihm sein müsse , wodurch er gegen die Aufmerksamkeit , die ihm von dem schönsten Teile meiner Bekanntschaft bewiesen wurde , gleichgültiger war , als seine Jahre es mit sich brachten .
Wenn Alles um uns her Politik treibt , so gibt es unstreitig kein Sicherers Mittel , unseren Konkurrenten den Rang abzulaufen , als stilles Zurückbleiben und ruhiges Abwarten des vorteilhaften Augenblicks , wo die Übrigen verzweifeln .
Ich sage damit nicht , daß ich dieser Maxime gemäß handelte , als ich mich aus dem Kreise zurückzog , der Adelaiden umgab ; ich folgte dabei keiner Idee , sondern nur einem Gefühl .
Allein die Idee hätte mich nicht sicherer leiten können , als das Gefühl mich leitete .
Kaum war Herr von Z... der Bewerbungen überdrüssig geworden , deren Gegenstand er war , so zog er sich in die Einsamkeit zurück ; und kaum war er den Augen seiner Bewerberinnen entschwunden , so stürzte der Thron zusammen , auf welchem Adelaide bis dahin die Huldigung aller ihrer Gespielen erhalten hatte .
Verlassen und auf sich selbst zurückgebracht , konnte diese meiner nicht länger entbehren ; und als sie zu mir zurückkehrte , fand sie alles , was sie ehemals an mir besessen hatte , um so eher wieder , weil kein förmlicher Bruch uns getrennt hatte .
Ich wollte , als sie mich aufforderte , ihren Besuch recht bald zu erwidern , meine Entschuldigung von dem Aufenthalte ihres Bruders in dem Hause ihrer Mutter hernehmen ; allein sie kam meinen Ausflüchten dadurch zuvor , daß sie eingestand : Sie habe sich bei der Beurteilung des wahren Charakters ihres Bruders nicht wenig geirrt .
" Ich kenne ihn gar nicht wieder , " sagte sie .
" Ehemals lauter Feuer , ist er jetzt lauter Eis .
Wer sollte glauben , daß man sich auf einer Reise durch Italien in die Mathematik verlieben könnte !
Und doch ist dies sein Fall .
Tag und Nacht brütet er über seinen Vollard , und alle Exaltationen , deren er noch fähig ist , beziehen sich auf das verwünschte Kriegeshandwerk .
Ich würde ihn hassen müssen , wenn er nicht mein Bruder wäre . Dir , liebe Freundin , aber kann ich mit vollkommener Wahrheit sagen , daß weder deine Jugend noch dein guter Name die mindeste Gefahr läuft , wenn du zu uns zurückkehrst ; alle Leute kennen ihn nach gerade als einen harmlosen Sonderling , der Keinem etwas zu Liebe noch zu Leide tut ; außerdem ist die Frage :
Wie lange er noch bei uns verweilen wird .
Denn es ist ihm hier viel zu enge , und ich stehe gar nicht dafür , daß er nicht über kurz oder lang Soldat wird . "
Adelaiden so reden zu hören , kam mir freilich unerwartet ; allein da ich mich auf die Wahrheit ihrer Aussage verlassen konnte , so trug ich auch nicht weiter Bedenken , mich in ein Haus zurück zu wagen , das von einem so harmlosen jungen Manne bewohnt wurde .
Die erstenmal war ich mit Adelaiden allein , und ich gestehe , daß mich dies ein wenig beleidigte .
Das drittemal fand sich indessen der junge Herr von Z... bei uns ein ; und da wir gerade von Racine's Phädra sprachen , so nahm er Gelegenheit , uns über das Eigentümliche der französischen Poesie zu belehren .
Er gab zu , daß dies eines der interessantesten Stücke wäre , die jemals aus der Feder eines korrekten Dichters geflossen ; " allein , " fuhr er fort , " was ist Korrektheit gegen das Wesen der Poesie gehalten !
Wie stolz auch die Franzosen auf ihre Dichter sein mögen , und wie selbstgenügsam auch einer ihrer Didaktiker die italienische Poesie Schellengeklingel nennen mag , dennoch bin ich sehr geneigt , die wahre Poesie nur bei den Italienern zu suchen .
Ich will , wenn die Wirklichkeit mir nicht länger behagt , eine von ihr durchaus verschiedene Welt , und diese finde ich durchaus nicht in den Werken französischer Dichter , wohl aber in denen der italienischen .
Welche Schöpfung ist in dem befreiten Jerusalem enthalten ; und wo ist der Franzose , welcher behaupten dürfte , eine ähnliche sei von ihm ausgegangen ?
Der rasende Roland - welches Meisterstück für denjenigen , dessen Geist nicht in den Konvenienzen des Lebens untergegangen ist !
So hundert andere Dichterwerke der Italiener , welche hier aufzuzählen am unrechten Orte sein würde .
Was will ich denn , wenn ich einen Dichter in die Hand nehme ?
Nicht Wahrheit will ich , sondern Schönheit , Übereinstimmung mit sich selbst , Harmonie in der höchsten Bedeutung des Worts .
Wahrheit ist die Sache des Verstandes , und kann gelernt werden ; Schönheit hingegen ist Sache des Gefühls und der Anschauung , und eben deshalb über das Lernen hinaus .
Ich gebe zu , daß Wahrheit zuletzt auch schön ist ; aber deswegen ist Schönheit nicht wahr , und so lange es noch einen Dichter auf der Welt gibt , d.h. so lange der letzte Funke der Phantasie noch nicht im menschlichen Geschlecht erloschen ist , verlange ich von dem , der sich mir als Dichter darstellt , daß er mir Vergnügen mache , ohne daß jemals in seinem Werke von Wahrheit die Rede sei .
Gerade darin liegt die Schwäche der französischen Poesie verborgen , daß die Franzosen das Wahre vom Schönen nicht zu trennen wissen , und das eine nicht ohne das andere geben wollen .
Boileau's rien n' est beau que le vrai ist das Siegel des poetischen Unvermögens der Franzosen , die , wenn sie jemals Dichter werden wollen , von neuem geboren werden müssen .
Es ist zuletzt nur die höhere Kraft des Menschen , die ihn zum Dichter macht , und in Hinsicht dieser Kraft stehen die Franzosen bei weitem den Italienern nach , die , so lange sie eine große Einheit bildeten , die ganze Welt eroberten , und als sich diese Einheit in Trennung auflöste , das Gefühl ihrer vorigen Größe so lange in sich konzentrierten , bis es endlich losbrach und idealische Welten schuf .
Ich möchte nicht gern übertreiben ; allein soll ich meiner Überzeugung gemäß reden , so waren die Italiener zur Zeit ihrer Horaces und Virgile , welche die Welt einzig bewundert , noch Barbaren ; zur Zeit ihrer Ariosto's , Tasso's und Guarini's hingegen ein hoch kultiviertes Volk . "
Adelaide war , so wie ich , nicht wenig über diese Erklärung erstaunt .
Wir kämpften für unseren Corneille und Racine und Voltaire , so viel wir konnten ; allein über diesen Punkt fand für den Herrn von Z... kein kapitulieren statt .
Als wir zuletzt , nicht ohne uns zu schämen , eingestanden , daß wir nicht berechtigt wären , Dinge zu bestreiten , die uns nie berührt hätten , und zugleich zu erkennen gaben , wie sehr wir in die Geheimnisse der italienischen Poesie eingeweiht zu werden wünschten : so war unser Antagonist sogleich erbötig , unser Mystagog zu sein .
Wirklich nahm der Unterricht im Italienischen gleich am folgenden Tage den Anfang , und unsere Fortschritte waren , wie unser Lehrer sie nur immer wünschen konnte .
Ob Adelaide mich , oder ich Adelaiden fortriß , konnte nicht in Betrachtung kommen , da wir unter den verschiedensten Antrieben standen ; sie , indem sie sich in ihrem Lieblingselement , der Poesie , bewegte ; ich , indem ich die Autorität eines Mannes ehrte , der mir durch die Eigentümlichkeit seiner Urteile täglich bedeutender wurde .
Übrigens hatten wir uns kaum acht Wochen ausschließend mit dem Italienischen beschäftigt , als uns die ganze poetische Literatur der Franzosen ein Greuel war .
Wie viel von diesem Abscheu auf Rechnung unseres Lehrers kam , war etwas , das wir nicht weiter untersuchten ; aber schwerlich würden wir durch uns selbst , oder unter der Leitung irgend eines anderen Lehrers , zu unserer entschiedenen Vorliebe für die italienische Poesie gelangt sein , und Adelaide namentlich ihre ganze französische Bibliothek für eine gute Ausgabe des Aminte von Tasso feilgeboten haben .
Solche Keckheit , wenn man sie in Weibern findet , ist immer das Produkt männlichen Einflusses , und beruhet , so weit meine Beobachtung reicht , zuletzt nur auf Autorität , nicht auf Gefühl und Anschauung .
Wenn ich in meinen Urteilen vorsichtiger war , so hatte diese Vorsichtigkeit ihren Grund nicht in einem schwächeren Gefühl , sondern in dem Verhältnis , worin das Göttliche der italienischen Poesie mit Adelaidens Bruder für mich stand .
Auf eine ganz eigentümliche Weise waren beide für mich eins ; denn indem ich die erstere nur durch den letzteren in mich aufnehmen konnte , mußte es mir vorkommen , als wäre jene nur in diesem vorhanden .
Dasselbe würde Adelaiden begegnet sein , wäre Moritz nicht ihr Bruder gewesen .
Sie konnte von der italienischen Poesie an und für sich sprechen ; ich hingegen mußte immer den Herrn von Z... ins Spiel ziehen , und weil ich dadurch mein Geheimnis verraten haben würde , so schwieg ich lieber .
Mein Geheimnis aber bestand darin , daß ich den Herrn von Z... über alle Männer setzte , die mir jemals vorgekommen waren .
Außer meinem Pflegevater , dessen moralische Heiligkeit - wenn ich mich so ausdrücken darf -
ungefähr eben so auf mich einwirkte , als das Licht , und den ich aus Gewohnheit hochachtete , hatten mich bisher alle Männer so gleichgültig gelassen , daß ich mit Wahrheit von mir sagen konnte :
das ganze männliche Geschlecht sei gar nicht für mich vorhanden .
Wodurch sich Herr von Z... von meinem Pflegevater unterschied , war mir nicht auf der Stelle klar ; aber irgend eine Ahnung sagte mir , daß bei ihm außer dem Lichte auch Wärme sei .
Es war , mit einem Worte , die Phantasie , wodurch er mich so unwiderstehlich an sich zog .
Was ich damals nicht begriff , was mir aber seitdem sehr deutlich geworden ist , war : daß ein Weib an einem Manne zuletzt nie etwas anderes lieben kann , als jene schaffende Kraft , wodurch er , das Geschöpf , wiederum zum Schöpfer wird .
Was Platon die irdische Liebe nennt , ist immer nur ein Abglanz der himmlischen , und ohne diese würde jene gar nicht vorhanden sein , wenigstens nicht in einer weiblichen Brust .
Ich habe viele Weiber gekannt , die man ausschweifende nannte und als solche verabscheute .
Die Unglücklichen fanden nur nie , was sie suchten .
Sie wollten nicht den physischen Genuß ; sie wollten jene Wärme , die das Weib empfindet , wenn es , befreit von den Banden des Egoismus , ganz in Anderen lebt , und dadurch seine Bestimmung vollendet .
Wie ganz anders würden sie geraten sein , hätte der Zufall sich ihrer erbarmt !
Von diesem verlassen , und ohne jemals einen entwickelten Begriff von dem Gegenstande ihres rastlosen Strebens gehabt zu haben , konnten sie freilich nicht anders endigen , als so , daß sie zuletzt als Abschaum der Gesellschaft dastanden ; aber was sie zuerst in Bewegung setzte , war dieselbe göttliche Flamme , durch welche allein Veredelung zu hoffen ist .
Ein Weib , das einmal einen Mann in der wahren Bedeutung des Wortes fand , ist der Untreue eben so unfähig , als ein Weib , das an einen Lotterbuben geriet , mit den allerbesten Vorsätzen von der Welt sich nicht in den Schranken der Treue erhalten kann , so bald ein Mann ihr unter die Augen tritt .
Dies beruht auf einem Naturgesetz , dem alle gesellschaftliche Institutionen weichen müssen ; und wer sich jemals in der Welt umgesehen hat , kann sich hieraus erklären , wie die schönsten Weiber an die ( physisch ) häßlichsten Männer geraten , und woher das Übergewicht rührt , das alle echte Künstler über das weibliche Geschlecht ausüben .
Ich ging , ich bekenne es , nach und nach in Adelaidens Bruder so vollkommen unter , daß ich nur in ihm lebte und webte .
War aber jemals ein Mann unfähig , diese vollendete Hingebung auf eine unedle Weise zu benutzen , so war es Moritz .
Wie teuer ich ihm war , leuchtete aus seinem ganzen Betragen gegen mich hervor , das schwerlich liebevoller und zärtlicher sein konnte ; allein er schien mir dadurch nur beweisen zu wollen , daß , wenn irgend ein weibliches Wesen ihn fesseln könnte , ich dies weibliche Wesen sein würde .
Frei von aller Leidenschaft , hatte seine Hinneigung zu mir mehr den Charakter des Wohlwollens , als den der Liebe ; wenigstens fehlte ihr diejenige Stärke , welche zwei Wesen so verschmilzt , daß sie nur in gegenseitiger Anschauung leben .
Ich fühlte dies ; und es schmerzte mich , die Wahrheit zu gestehen , um so tiefer , je unendlicher meine Liebe für Moritz war .
Allein was konnte , was mußte geschehen , wenn es anders werden sollte ?
Ich grübelte in den Augenblicken , wo ich mir selbst wieder gegeben war , recht emsig darüber nach ; aber ich sagte mir zuletzt immer , daß alle diese Grübeleien vergeblich sein würden , so lange ich die unbekannte Gewalt , welche Moritzen von mir zurückzog , nicht genauer kennen gelernt hätte .
Wie sehr fürchtete ich , daß sie in mir selbst sein könnte !
Wie gewissenhaft erwog ich alle meine Äußerungen und in ihnen mein ganzes Wesen !
Vergeblich für meinen Endzweck ; ich mochte mich betrachten von welcher Seite ich wollte , alles führte mich zu dem Resultat , daß ich gut und edel sei ; und in dieser Überzeugung wurde ich nicht wenig bestärkt , als Adelaide , der mein innerer Zustand nicht entgangen war , mir gelegentlich sagte , daß ihr Bruder nicht ohne Wärme und Enthusiasmus von mir spreche .
War aber jene unbekannte Gewalt außer mir - worin bestand sie ?
Ich schloß auf eine frühere Verbindung , auf ein gegebenes Wort und dergleichen zurück .
Um hierüber ins Reine zu kommen , erkundigte ich mich bei Adelaiden mit aller nur möglichen Schonung nach den Verhältnissen , worin ihr Bruder stehe ; aber ihre Antwort war so beschaffen , daß mein Zustand dadurch nur verschlimmert wurde .
" Glaube mir , " sagte sie , " über diesen sonderbaren Menschen kommen wir nur dadurch ins Reine , daß wir annehmen , er sei mit allen seinen herrlichen Eigenschaften doch nur ein kalter Egoist , den nichts berührt , was nicht ganz unmittelbar in seine Ideen und Entwürfe eingreift .
Ich wenigstens werde sonst nicht klug aus ihm .
Dafür kann ich dir einstehen , daß er in keinen Verbindungen lebt , welche der Freiheit Abbruch tun .
Sollte man nicht glauben , er habe die eine oder die andere Bekanntschaft auf seinen Reisen gemacht , welche einer tätigen Zurückerinnerung wert wäre ?
Allein , wie erwiesen es auch ist , daß er mit den interessantesten Personen gelebt hat , so hat er doch seit seiner Zurückkunft , d.h. seit mehr als vier Monaten , bis jetzt an keine lebendige Seele geschrieben .
Was in ihm vorgeht , mag Gott wissen .
Jeder Augenblick , den er dem Umgange entziehen kann , ist noch immer dem Studium der militärischen Wissenschaften gewidmet .
Die sonderbarste Liebhaberei von der Welt , sofern er nicht damit umgeht , sich auf seinen Gütern zu verschanzen !
Ich möchte nur wissen , wie alle diese Zahlen und Linien - denn mit etwas anderem beschäftigt er sich gar nicht - ihn wach erhalten können .
So etwas muß ja den Geist abstumpfen und töten ; aber weit gefehlt , daß er dies zugeben sollte , besteht er , so oft ich hierüber mit ihm anbinde , darauf , daß dies nur eine andere Art der Poesie sei , die ihre Grundlage in der Wirklichkeit habe , und den Vorzug besitze , für das gesellschaftliche Leben , das durch meine Poesie zu Grunde gerichtet werde , neues Interesse einzuflößen .
Mehr bringe ich nicht aus ihm heraus ; und wenn seine Behauptungen nicht Unsinn sein sollen , so muß er sie vor denjenigen verteidigen , die etwas mehr davon verstehen , als ich . "
Nach diesen Aufschlüssen mußte ich annehmen , daß die Mathematik meine Nebenbuhlerin sei ; allein wie hätte ich dazu kommen sollen , dieser Voraussetzung Wahrheit zuzuschreiben , da Moritz höchstens 25 Jahre zählte ?
Der Reiz der Wissenschaft sei noch so groß , so ist er doch nicht früher vorhanden , als der Besitz .
Was uns aber zur Erwerbung treibt , ist nie die Wissenschaft , sondern irgend etwas Menschliches , dem sie als Mittel dienen soll .
Was trieb nun meinen Moritz ?
Ich war der Katastrophe , welche das Geschick meines Lebens entscheiden sollte , bei weitem näher , als ich glaubte ; ehe ich aber der Aufschlüsse erwähne , welche mir Moritz über sein Inneres gab , muß ich von den Zeiten reden , in welchen dies vorfiel .
Der siebenjährige Krieg war seit anderthalb Jahren begonnen , und nicht bloß Deutschlands , sondern auch des ganzen Europa Augen waren auf den verwegenen Friedrich gerichtet , der lieber einen Kampf mit den größten Mächten des festen Landes eingehen , als nur einen Fingerbreit von dem einmal Erworbenen zurückgeben wollte .
Die Urteile über seinen Charakter waren verschieden , je nachdem sie von der Schwäche oder der Stärke ausgesprochen wurden .
Die große Mehrheit , welcher innere Größe ein unauflösliches Rätsel ist , verdammte ihn bis in den tiefsten Abgrund , als einen Räuber und als einen Tyrannen seiner eigenen Völker ; indessen fehlte es nicht an Einzelnen , welche auf die Notwendigkeit eingingen , worin sich der Monarch befand , und , seinen Mut bewundernd , zugleich seine Einsicht priesen .
Wenn jene ihn nicht schnell genug zerschmettert sehen konnte , weil er sich gleich bei Eröffnung des Feldzuges Sachsens bemächtigt hatte ; so wünschten diese seinen Unternehmungen jeden glücklichen Erfolg , überzeugt , daß das Genie nur dann zerstört , wenn es aufbauen will , und fest versichert , es werde doch noch einmal eine schöne Welt durch ihn ins Dasein gerufen werden .
Der Ausgang des wunderbaren Kampfes , in welchem der Verstand gegen die Maße zu Felde zog , beschäftigte alle Köpfe ; und nicht selten geschah es , daß man sich in einer und derselben Familie über eine von Friedrich gewonnene oder verlorene Schlacht freute und härmte , je nachdem die Mitglieder derselben ihm wohl oder übel wollten .
So sehr war seine Angelegenheit die des ganzen Deutschlands , daß seine Taten selbst in die entferntesten Kreise drangen , und wenigstens die muntere Jugend für den Helden ihrer Zeit begeisterten .
Der Hof , in dessen Nähe ich lebte , war nicht bloß durch die Bande der Verwandtschaft an das preußische Haus gefesselt , sondern auch durch Charakterschwung und Genie dem großen Friedrich besonders zugetan .
In unserer Hauptstadt galt also nur das preußische Interesse .
Wer sich von demselben losgesagt hätte , würde nicht sowohl für einen schlechten Bürger , als vielmehr für einen Einfältigen gegolten haben , der das Edlere und Bessere nicht zu fassen vermöchte .
So lebendig war die Teilnahme an Friedrichs Siegen , daß sie von Privatpersonen in Familien-Zirkeln gefeiert wurden .
Die Neugierde war unersättlich , wenn einmal von dem preußischen König die Rede war .
Alles , was zu seiner Umgebung gehörte , wurde als Bestandteil seines Wesens betrachtet ; und so erhielten die Namen seiner vorzüglichsten Generale eine Illustration , welche sie schwerlich auf irgend einem anderen Wege erworben haben würden .
Kein Jahr war reicher an Glückswechseln , als das Jahr 1757 .
Im Anfang desselben Sieger , so daß Maria Theresia sich in Wien selbst nicht sicher glaubte , wurde Friedrich bald darauf aus Böhmen vertrieben .
Von seinen Bundesgenossen verlassen , von allen Seiten mit Feinden umringt , dem Verderben bloßgestellt , ermannte er sich zu neuen Triumphen .
Die Schlachten bei Rosbach und Leuten setzten ganz Europa in Erstaunen ; vorzüglich die letztere , in welcher eine selbstgeschaffene Taktik dem dreimal stärkeren Feinde den Sieg entriß .
Die Wiedereroberung Schlesiens folgte diesem Siege .
Gern hätte Friedrich auf seinen Lorbeern ausgeruht ; denn der Krieg war gegen alle seine Wünsche erfolgt , und die Fortsetzung desselben störte ihn in edleren Entwürfen .
Allein wie tief auch seine Feinde das Übergewicht seines Genies empfunden haben mochten , so fühlten sie sich noch nicht erschöpft , und ihre Kampflust gebot seinen Neigungen .
Ich befand mich bald nach der Schlacht bei Leuten eines Nachmittags in dem Hause der Frau von Z.. .
Es war die Rede von dem neuen herrlichen Siege , den die preußische Tapferkeit erfochten hatte , und mit tiefgefühlter Teilnahme sprach man von Friedrichs mißlicher Lage bei seiner Ankunft in Schlesien , und von der Art und Weise , wie er , wenige Tage vor der Schlacht , seinen Generalen in einem Kriegsrat den Zustand seines Gemütes offenbaret .
Plötzlich sprang Moritz , der während dieser Unterhaltung stumm und in sich selbst vertieft da gesessen hatte , von seinem Lehnstuhl auf , und , in die Mitte des Zimmers tretend , sprach er , starren Blickes und festen Tones , uns allen unerwartet , folgenden Monolog : " Könnt ' ich etwas an diesem Friedrich tadeln , so würde es die Vorliebe sein , die er für französischen Geist und französische Sitte zeigt .
Wie wenig kennt er sich selbst , wenn er Formen ehrt , die keine andere Grundlage haben , als die Flachheit selbst !
Doch er gebärde sich , wie er wolle , nie wird er das Gemüt eines Deutschen ganz verleugnen können .
Durch dies kräftige , reiche Gemüt gebietet er selbst den Franzosen , deren Schöngeisterei vor seinem Genie verstummt , und deren Hinterhaltigkeit vor seiner Ehrlichkeit erbebt .
Ja , er ist das Größte , was das Schicksal diesen Zeiten verleihen konnte ; der einzige Mann seines Jahrhunderts , bestimmt , ein neues Geschlecht zu gründen , und in der Weltgeschichte mit unverwelklichem Lorbeer zu prangen .
Wer seine Rechtlichkeit anklagt , vergisst , daß das Genie die unversiegliche Quelle neuen Rechtes ist , und jeglichen Beruf aus sich selber nimmt .
Alle kräftigen Naturen , so viel ihrer in Deutschland übrig geblieben sind , sollten Kreis um ihn schließen und seine Sache zu der ihrigen machen .
Was ist das Leben ohne Liebe , und wie kann man das Leben höher ausbringen , als wenn man große Entwürfe befördern hilft !
Ich weiß , daß diese Ziethen und Seidlitz und Keith nur Maschinen sind ; allein war jemals der Mensch etwas anderes , als Werkzeug in den Händen des Schicksals , und was ist das Schicksal selbst , wenn es seinen letzten Grund nicht in der Idee eines vielumfassenden Kopfes hat ?
Friedrichs Planen dienen , ist die höchste Bestimmung , die man sich geben kann .
Je größer er der Nachwelt erscheint , desto mehr Verdienst hat man sich um die Mitwelt erworben ; denn nur dadurch kann er wahrhaft groß werden , daß man kein Bedenken trägt , sich ihm aufzuopfern .
Magnetisch fühle ich mich an ihn angezogen , und verdorben ist meine ganze Existenz , wenn ich nicht dahin gelange , mich in seinem Geiste zu spiegeln .
Mich seiner würdiger zu machen , habe ich es nicht an Anstrengungen fehlen lassen .
Jetzt hat die Stunde der Vollbringung geschlagen .
Keinen Augenblick will ich verlieren . "
Es war uns sonderbar zu Mute bei diesem Monolog ; denn so rücksichtslos wurde er gesprochen , daß unsere erste Ahnung keine andere sein konnte , als die , daß Moritz von Sinnen gekommen sei .
Adelaide , welche neben mir saß , umschlang mich mit ihrer Linken und starrte auf ihren Bruder hin .
Ob auch ich auf ihn hinstarrte , oder die Augen niederschlug , weiß ich nicht ; aber das weiß ich , daß ich nun mit einemmal gefunden hatte , was ich bisher vergebens suchte .
Es war also Friedrich der Große , der sich zwischen mich und meinen Moritz in die Mitte stellte und unsere Vereinigung verhinderte .
Einen solchen Nebenbuhler hatte ich nicht erwartet .
Sollte ich ihm zürnen ?
Ich konnte es nicht .
Er stand ja nur als Idol da ; und war er wohl das meinige minder , als Moritzens ?
Ich begriff den inneren Zustand des jungen Mannes auf der Stelle ; und wie sehr ich ihn anbeten mochte , so fühlte ich doch , nach einem solchen Aufschluß , nicht das kleinste Verlangen , ihn an der Ausführung seines Entwurfes zu verhindern .
Wie Liebe ohne Eigennutz bestehen könne , begreifen wenige ; aber noch weit weniger haben die Kraft , sich eine leidenschaftslose Liebe zu denken .
Ich möchte in diesen Bekenntnissen um keinen Preis zu viel oder zu wenig von mir sagen ; aber das wage ich zu behaupten , daß , wenn der Eigennutz meiner Liebe für Moritz immer fremd geblieben war , die Leidenschaft von Stunde an daraus verschwand .
Ich kannte das Schöne , ehe ich seine Bekanntschaft gemacht hatte ; er versinnlichte es mir und wurde mir dadurch unendlich teuer .
Jetzt , wo ich ihn in Regionen aufsteigen sah , die ich nie geahnt hatte , jetzt wurde er für mich eben so das Symbol des Herrlichen , wie das Kruzifix in den Händen eines gläubigen Katholiken das Symbol jeder Tugend ist .
Was ich hier sage , können nicht Alle zur Anschauung bringen ; aber wie soll ich es sagen , um mich deutlich zu machen ?
Genug , ich verließ das Haus der Frau von Z... mit ganz anderen Empfindungen , als diejenigen waren , mit welchen ich gekommen war ; und ich behaupte , daß es unmöglich ist , zugleich ruhiger zu sein , und einen gegebenen Mann bestimmter anzubeten , als beides bei mir der Fall war .
Gelassen zog ich mich aus , nachdem ich zu meinen Pflegeeltern zurückgekommen war ; eben so gelassen ging ich zu Bette ; und als ich am folgenden Morgen nach einem sanften Schlaf erwachte , war mein erster Gedanke : Moritz ist der erste aller Männer .
Ich wollte mir die Gefahren vergegenwärtigen , denen er entgegenging ; aber damit wollte es mir durchaus nicht gelingen ; die Stimmung , in welcher ich mich einmal befand , brachte es mit sich , an keine Gefahr in Beziehung auf Moritz zu glauben , und diese Idee , wie sonderbar sie auch erscheinen mag , war gewiß eine sehr richtige .
Es wird nach allem , was ich bisher gesagt habe , schwerlich auffallen , wenn ich hinzufüge , daß ich nicht unterließ , meine Freundin , wie bisher , zu besuchen , und mich dadurch dem Herrn von Z... zu nähern ; ich konnte dies jetzt um so eher tun , da das Verhältnis , worin ich mit ihm stand , durch die Bestimmtheit , welche seine letzte Erklärung ihm gegeben hatte , eine Unschuld gewann , die es zu einem kindlichen machte .
Von dem Auftritte des vorhergehenden Tages war nicht weiter die Rede , nachdem Moritz über das Pathos , womit er seinen inneren Zustand verraten , gelächelt hatte .
Über andere Gegenstände wurde gescherzt ; ja irgend eine Freude , die ich nicht beschreiben kann , die aber das unmittelbare Resultat der aufgehobenen Spannung war , herrschte in allen Gesichtern und sprach aus allen Gedanken , als Moritz , ich weiß nicht ob am dritten oder vierten Tage nach der oben beschriebenen Szene , die augenblickliche Abwesenheit seiner Mutter und Schwester benutzend , meine Hand ergriff und folgende Rede an mich richtete :
" Ich gestehe Ihnen , meine Teure , daß ich vor ungefähr einer Woche an den König von Preußen geschrieben habe , um ihm meine Dienste anzutragen .
Schon lange war dies mein geheimer Entschluß ; allein ehe ich ihn zur Ausführung bringen konnte , bedurfte es mehrerer Vorbereitungen , mit welchen ich erst jetzt zu Stande gekommen bin .
Viele werden diesen Schritt tadeln ; allein ich bleibe ruhig , wenn ich weiß , daß Sie , meine Teure , nicht zu meinen Tadlern gehören .
Sagen Sie selbst , ob mir etwas anderes übrig blieb ?
Fünf und zwanzig Jahre alt , befinde ich mich in dem Wechselfall , entweder Civildienste zu nehmen , oder auf meine Güter zu gehen , wenn ich durchaus nicht Soldat werden soll .
Civildienste - wohin können sie fuhren ?
Meiner Berechnung nach nur zur Erbärmlichkeit .
Jedes einzelne Geschäft , das man als Civilbeamter betreibt , vorausgesetzt , daß man nicht an der Spitze eines Departements steht , ist zuletzt nichts weiter , als eine anständigere Art von Besenbinderei , die , wie gut sie auch remuneriert werden mag , den inneren Menschen tötet , indem sie den Staatsbürger belebt .
Soll ich Prozesse instruieren , oder Landesverordnungen entwerfen , oder Kammerherrendienste tun ?
Meine Kraft würde mich von jedem Subalternposten , den man mir geben könnte , verdrängen .
Ich habe nicht Atem genug , die lange Dienstkarriere zu ertragen .
Mich interessiert das in einander greifende staatsbürgerliche Leben , aber nur im Großen , nicht im Kleinen ; um das Detail lieb zu gewinnen , müßte ich vor allen Dingen meinem ganzen Wesen entsagen , d.h. aufhören , ein Edelmann zu sein .
Wahr ist , ich könnte mich auf meine Güter begeben und Herrscher in meinen eigenen Staaten sein .
Aber zu welchem Zweck ?
Meine Vorfahren haben genug erworben , um mich zufrieden zu stellen .
Ich will erhalten , was auf mich vererbt worden ist ; aber ich will es weder vermehren , noch ängstlich darauf bedacht sein , Schätze zu sammeln .
Kommt Zeit , kommt Rat .
Fürs Erste will ich mich zum Bewußtsein meiner Existenz erheben ; und da dies nur im Felde möglich ist , so will ich in den Krieg ziehen .
Mich lockt dazu vor allen Dingen die Größe des Helden , der unbezwungen gegen ganz Europa ankämpft .
Je kritischer seine ganze Lage ist , desto stärker ist mein Beruf , ihn mit meinen Kräften zu unterstützen .
Ich werde keinen materiellen Vorteil davon haben , das weiß ich vorher ; aber es wird mich in Atem setzen , und das ist mir genug .
Werde ich meinen Wünschen gemäß angestellt , so komme ich in seine Nähe und finde Gelegenheit , den größten Charakter unseres Jahrhunderts zu studieren .
Und was will ich mehr ?
Der Rückzug auf meine Güter steht mir immer offen .
Trete ich ihn nach einigen Jahren an , so habe ich , bis dahin wenigstens , mein Leben hoch ausgebracht und mich mit seltenen Erfahrungen bereichert .
Diese Gründe , meine Teure , haben mich bestimmt .
Sollten Sie etwas dagegen einzuwenden haben ? "
Meine Antwort auf diese Frage war :
" Sie haben sich , mein edler Freund , durch diese Analyse vor sich selbst zu rechtfertigen gesucht ; aber ich glaube nicht , daß es einer solchen Rechtfertigung bedarf .
Es war genug , daß Ihr Gemüt so entschieden hatte .
Friedrichs Wesen umschließt alles , was Sie groß und edel nennen ; darum drängen Sie sich in seine Nähe , wie ich mich in die Ihrige gedrängt habe .
Ich verstehe Sie vollkommen ; und weil ich Sie verstehe , muß ich Ihre Schritte billigen .
Wie konnten Sie erwarten , daß wir hierin verschiedener Meinung sein würden ?
Dies sind wir nie gewesen , dies können wir niemals werden .
Der Streit ist nur für diejenigen vorhanden , die sich einander nicht begreifen ; wir aber können , dünkt mich , nur zusammen sprechen , nicht mit einander disputieren .
Ich , die Ihnen so viel verdankt , ich sollte dieselben Ideen , die Sie in mich niedergelegt haben , gegen Sie wenden ?
Wie wäre dies nur möglich !
Ich habe nicht das Allermindeste gegen Ihren Entschluß vorzubringen ; erlauben Sie nur , Ihnen zu sagen , daß Sie im Schlachtgetümmel mir eben so gegenwärtig sein werden , als Sie es in diesem Augenblicke sind . "
Um keinen Preis hätte ich eine andere Antwort geben können , und ihre Wahrheit ergriff den Herrn von Z... so sehr , daß er in ein tiefes Nachdenken versank .
Mutter und Schwester kehrten zu uns zurück , und nun war von anderen Dingen die Rede .
Schwerlich ist jemals eine Liebeserklärung in dieser Form gemacht worden ; und schwerlich meinten es gleichwohl zwei Liebende ernstlicher und redlicher mir einander .
Mit welchem Feuer würden wir uns umfaßt haben , hätte es keinen Friedrich den Zweiten gegeben !
Wir fühlten auf das deutlichste , daß wir für einander da waren , aber wir fühlten zugleich , daß der Augenblick unserer Verbindung noch nicht gekommen sei .
Ein Eilbote überbrachte in einem königlichen Handschreiben die Nachricht von Moritzens Anstellung im Gefolge des Monarchen nach einem monatlichen Garnisondienst .
Die Anstalten zur Abreise wurden unverzüglich gemacht .
Mein Herz klopfte bei dem Anblick derselben , und eine schwarze Ahnung bemächtigte sich meines Gemüts ; aber ich half beim Einpacken , indem ich Pflicht nannte , was ich zu meiner Zerstreuung tat .
Moritz war wechselsweise exaltiert und niedergeschlagen , und ich sah nur allzudeutlich , wie er sich zugleich an mich angezogen und von mir zurückgehalten fühlte .
Einmal sagte er mir :
" Es bleibt eine ewige Wahrheit , daß die Ruhe nur in dem Gemüte der Weiber ist . "
Ich hatte nicht das Herz darauf zu antworten , wiewohl ich für den Augenblick sehr viel gegen diese ewige Wahrheit einzuwenden hatte .
Die Stunde der Trennung rückte immer näher .
Ich wollte einem förmlichen Lebewohl ausweichen , weil ich mich nicht stark genug dazu glaubte ; allein Moritz hatte meine Absicht allzugut erraten , um sie nicht zu vereiteln .
Überraschend erschien er in meiner Wohnung , und mit einer Miene , welche mir seinen inneren Zustand als sehr aufgeregt darstellte , überreichte er mir , außer einem Ringe , sein Bildnis im Kleinen an einer leichten goldenen Kette mit der Bitte , beides zu seinem Andenken zu tragen .
Ich nahm Ring und Bildnis mit dem Versprechen an , daß ich sie tragen wollte , und fragte den Geber :
Ob er gleiches Unterpfand von mir zu besitzen wünschte ?
Auf seine bejahende Antwort verabredeten wir den Ort , wohin ich beides schicken sollte .
Moritz zauderte noch .
Ich legte ihm die Frage vor :
Ob er noch etwas wünsche ?
" Einen Kuß , Mirabella ! " war seine Antwort .
" Wiewohl es der erste ist , " entgegnete ich , " den ein Mann von mir erhält ; so bin ich doch nicht berechtigt , dieses Zeichen weiblichen Wohlwollens dem vorzuenthalten , den ich für den ersten der Männer halte . "
Mit diesen Worten reichte ich ihm meine Lippen .
Meine Tränen ergossen sich ; die seinigen nicht minder .
Und so schieden wir aus einander , hoffend , daß wir uns wiedersehen würden .
Moritz hörte nicht auf , mir gegenwärtig zu sein , weil er abwesend war .
Ring und Bildnis hatten nur eine untergeordnete Kraft , die sich bisweilen ganz verlor .
Eine höhere lag in der italienischen Poesie ; denn noch immer dauerte die Täuschung fort , vermöge welcher diese für mich mit Moritz einerlei war .
So oft ich das befreite Jerusalem in die Hand nahm , unterhielt ich mich nicht mit Tasso - dieser war gar nicht für mich vorhanden - sondern mit dem Geliebten , durch welchen sich in mir die Fähigkeit entwickelt hatte , in diesem Gedicht ein Meisterwerk zu schätzen .
Vermöge eines besonderen Mechanismus meines Inneren fing ich die Lektüre nie mit der Betrachtung des Bildnisses an , das Moritz mir zurückgelassen hatte ; wohl aber endigte ich mit derselben .
Und diese Eigentümlichkeit ist mir mein ganzes Leben hindurch geblieben ; ich kann noch immer keinen Vers eines italienischen Dichters hören oder lesen , ohne sogleich an Moritz zu denken und mir die ganze Periode zu vergegenwärtigen , in welcher ich seine erste Bekanntschaft machte , und durch ihn Richtungen erhielt , die mir eine ganze Ewigkeit hindurch bleiben mußten .
Moritz schrieb häufig an mich und die Seinigen .
Am liebsten sprach er von dem großen König , der ihn in seinen Strudel gezogen hatte .
In einem seiner Briefe drückte er sich folgendermaßen aus :
" Über Friedrichs ganzes Wesen ist ein unwiderstehlicher Zauber verbreitet , der eben so sehr aus seinen großen blauen Augen , als von seinen kleinen geschlossenen Lippen spricht .
Eine Folge dieses Zaubers ist , daß er in dem Urteil seiner Umgebung immer Recht hat .
Viele hassen ihn , weil sie nicht von ihm geliebt werden ; aber sie vollbringen seine Befehle deshalb nicht langsamer , als ob die feurigste Liebe sie beseelte .
Um als Diener eines solchen Monarchen in keinem Widerspruche mit sich selbst zu stehen , muß man auf Gegenliebe Verzicht leisten können ; denn er hat sie nicht in seiner Gewalt .
Das große Ganze mit seinem Gemüte umspannend , kann er zu Individuen nicht mit Liebe herabsteigen , ohne sein Wesen zu zerstören .
Sie gelten ihm etwas , aber nur im Vorbeigehen , nur im Fluge , nur in so weit sie sich deutliche Begriffe von seinem Geschäfte machen und keine Ansprüche an den Menschen bilden , die der Monarch nicht erfüllen kann , ohne seiner Pflicht zu entsagen .
Wer dies nicht fassen kann , weil es ihm an Kraft fehlt , aus sich selbst heraus zu gehen und sich gewissermaßen mit dem Könige zu identifizieren , der ist verloren , wenigstens in sofern sein Verhältnis zu dem Könige nie ein angenehmes für ihn werden kann .
Wie neu mir auch der Dienst noch ist , so erkenne ich doch schon aufs deutlichste , daß ich , um jedem Widerspruch zu entgehen , in welchen ich mit mir selbst geraten könnte , von vorn herein allem Egoismus entsagen und nur in der Liebe leben muß ; und um mir die Auflösung dieses schweren Problems zu erleichtern , wiederhole ich mir unaufhörlich , daß Friedrich nichts anderes ist , als die allgemeine Intelligenz des Staates , an dessen Spitze er steht , und daß ich für alle Dienste , die ich ihm leisten kann , hinlänglich belohnt bin , wenn ich ihn als allgemeine Intelligenz begriffen habe .
In der Tat , das ist das große Ziel , das ich mir vorgesetzt habe .
Erreiche ich es jemals , so hat die Stunde meines Abschiedes in eben dem Augenblick geschlagen , wo ich es erreicht habe .
Eben so unbefangen , ehrlich und uneigennützig , als ich in Friedrichs Dienste getreten bin , verlasse ich dieselben , indem ich dem Monarchen melde , daß ich die Reife erhalten habe , die ich beim Eintritt in seine Dienste suchte .
Die Urteile um mich her berühren mich nicht , weil ich die Quelle derselben aufgefunden habe ; wenn das Gemüt die Stelle des Verstandes vertritt , so ist Schiefheit und Verwirrung unvermeidlich .
Man muß , einem Friedrich gegenüber , nicht als Mensch , sondern nur als Staasdiener gelten wollen ; man muß sich mit ihm identifizieren , ohne jemals zu verlangen , daß er sich mit uns identifiziere . "
Moritz , welcher , unmittelbar nach der Übergabe von Schweidnitz , in die Nähe des Königs gekommen war , begleitete sein Idol als Adjutant auf dem Zuge nach Mären .
Viele unvorhergesehene Hindernisse hemmten den Lauf der Kriegsoperationen .
Als alle endlich überwunden waren und Olmütz belagert werden konnte , fehlte es an den Belagerungsmitteln , weil es den Österreichern gelungen war , einen großen Teil derselben zu zerstören .
Die Lage des preußischen Heeres in Mären war um so kritischer , da Laudon eine solche Stellung genommen hatte , daß der Rückzug nach Schlesien wo nicht unmöglich , doch wenigstens sehr gefährlich geworden war .
Nur Friedrichs überlegenes Genie konnte hier Rettung bringen .
Ein Marsch , auf den der österreichische General nicht gerechnet hatte , weil er über lauter Gebirge führte , brachte das preußische Heer in verschiedenen Abteilungen durch Böhmen und die Grafschaft Glatz dennoch nach Schlesien zurück .
Gewiß waren die Mühseligkeiten dieses Marsches für jeden unbeschreiblich ; aber , wie andere sie mehr oder weniger empfinden mochten , für Moritz waren sie , wenigstens seinen Briefen nach , gar nicht vorhanden .
Überhaupt war es auffallend , daß er nie von den Beschwerden seiner Existenz , sondern nur immer von den neuen Ideen sprach , womit sie ihn bereicherte .
Bekanntlich waren die Russen , während Friedrich in Mären verweilte , aus Preußen , welches sie als Eigentum verschonten , verheerend nach Pommern und der Mark vorgedrungen .
Küstrin , dessen Festung sie allein verhindern konnte , in das Herz des preußischen Staates einzudringen , wurde von ihnen belagert und in einen Aschenhaufen verwandelt .
Der Sturm , womit der russische General die Festung bedrohte , sollte anheben , als sich die Nachricht von der Ankunft des Königs verbreitete .
Mit vierzehntausend Mann war Friedrich aus Schlesien aufgebrochen , den Barbaren , die nur zerstören konnten , das Handwerk zu legen .
In einem verhältnismäßig kurzen Zeitraum hatte er unter großen Beschwerden sechzig deutsche Meilen zurückgelegt ; und so wie er sich dem Kriegesschauplatz genähert hatte , war sein Gemüt von den Brandstätten und Trümmern ergriffen worden , welche den verheerenden Zug der Russen bezeichneten .
Die Stimmung , worin er sich befand , ging , wie ein elektrischer Strahl , auf seine Krieger über .
In allen entwickelte sich der Gedanke : daß Verschonung eines solchen Feindes ahndungswürdiger Frevel sei , den man an der Menschheit selbst begehe .
Racheschnaubende näherten sich die Preußen den Russen , und in dem Heere der letzteren erfuhr man nur allzubald , daß die ersteren keinen Pardon geben würden .
Eine mörderische Schlacht lag im Hintergrunde .
Sie wurde bei Zorndorf geliefert .
Was Andere vor mir beschrieben haben , mag ich nicht wiederholen .
Genug , diese Schlacht war die Verklärung der preußischen Tapferkeit .
Der König selbst stürzte sich in jegliche Gefahr .
Um ihn her fielen seine Adjutanten , seine Pagen .
Gleich einer ehernen Mauer stand der linke Flügel der Russen da , als der rechte bereits geschlagen war .
Was diesem geschehen war , mußte auch jenem zu Teil werden , wenn Friedrich seine Staaten mit Erfolg retten wollte .
Seidlitz eröffnete das Gemetzel , indem er die russische Reiterei warf .
Es wurde vollendet ; aber indem Moritz als Adjutant hierhin und dorthin flog , fiel er , von einer Flintenkugel , welche der Zufall leitete , ereilt , eine halbe Stunde vor dem Ausgang einer der merkwürdigsten Schlachten des siebenjährigen Krieges , mit vielen anderen Edlen , welche im Kampfe fürs Vaterland hier ihr Grab fanden .
Erst am folgenden Tage fand man ihn unter den Toten .
Die Kugel war durchs Herz gefahren .
Den Tod hatte er also nicht empfunden .
Seine Briefe blieben aus .
Eine schwarze Ahnung trat in unsere Seelen .
Die Sache selbst war gewiß , ehe die Bestätigung erfolgte .
Endlich erfolgte auch diese .
Die Mutter war trostlos ; denn es war ihr einziger Sohn , den sie verloren hatte , und dieser einzige Sohn war um so mehr ihr Stolz , je unerreichbarer ihr die Höhe war , auf welcher er als geistiges Wesen stand .
Adelaide weinte ; allein ihr Kummer war weder tief , noch von Dauer ; die Wandelbarkeit ihres Wesens rettete sie von einem langen Schmerze .
Ich - -
Was soll ich von mir sagen ?
Daß es keinen Ersatz für mich gebe , fühlte ich tief ; aber in der Größe meines Verlustes selbst lag ein Trost , der , wenn ich ihn auch auf niemand übertragen konnte , doch aufs bestimmteste von mir empfunden wurde .
Nur das begrenzte Etwas kann ein Gegenstand menschlicher Empfindung werden , und das Gemüt in angenehme oder unangenehme Bewegungen setzen ; das unendliche Alles ist immer nur ein Gegenstand des Geistes , und kann daher nie auf die Empfindung zurückwirken .
Weil ich in Moritz untergegangen war , konnte ich nicht um ihn weinen .
Eine zweite Alkeste , hätte ich für ihn eben so bereitwillig sterben können , als er für sein eigenes Ideal gestorben war ; aber seinen Verlust bejammern konnte ich nicht .
Er war ja nicht der Meinige , wie ich die Seinige war .
Dem Gemahl hätte ich folgen müssen in den Tod ; den Bräutigam konnte ich um so eher überleben , weil es sehr problematisch war , ob das Verhältnis , worin ich mit ihm stand , so modifiziert werden konnte , daß aus dem Bräutigam ein Gemahl wurde .
Denn nur seinem Ideale hatte Moritz gelebt .
Wollte er sich mit mir verbinden , so mußte er aus seinem Wesen heraustreten .
Konnte er das , wenn er es auch wollte ?
Konnte er es nicht , so mußte zwischen uns eine Kluft befestigt bleiben , welche durch nichts auszufüllen war ; und die natürlichste Folge davon war , daß ich mich in einer ewigen Sehnsucht verzehrte .
Und hatte ich durch seinen Tod das Mindeste an ihm verloren ?
In sofern er für mich das Symbol des Schönen und Edlen war , existierte er für mich noch immer .
Auf ihn mußte ich zurückkommen , so oft ich einen Maßstab gebrauchte , das unsichtbare Große nach allen seinen Dimensionen zu erforschen .
War er gleich nie der Meinige gewesen , und war es gleich jetzt physisch unmöglich geworden , ihn als Gemahl zu besitzen ; so konnte ich doch nie aufhören , die Seinige zu sein und ihn mit aller der Hingebung zu lieben , die meiner durch ihn veredelten Natur eigen war .
Ich sage nicht , daß ich in jenen Unglückstagen , wo Mutter und Schwester durch die Bestätigung seines schönen Todes zu Boden geworfen wurden , so dachte aber ich sage , daß ich so empfand , wenn es anders erlaubt ist , diesen Ausdruck da zu gebrauchen , wo Ruhe und Resignation obwalten .
So also , und nicht anders , hätte ich mich gegen den Vorwurf der Fühllosigkeit verteidigen müssen , wäre er mir gemacht worden .
Ich würde sehr Wenigen verständlich geworden sein ; aber alle diejenigen , welchen ein über die gewöhnlichen Schranken hinausgehendes Verhältnis nicht ganz unbegreiflich gewesen wäre , würden den Mut verloren haben , mich zu verdammen .
Aller Widerspruch , den man an mir entdeckt zu haben wähnen konnte , lag nicht in mir , sondern in den mangelhaften Vorstellungen derer , die davon beleidigt waren .
Man hätte mich , man hätte Moritz ganz kennen müssen , um zu begreifen , wie ich bei seinem Tode gelassen sein konnte .
Ich bin versichert , daß Moritz , wäre mir sein Schicksal zu Teil geworden , auch ruhig geblieben sein würde , wiewohl ich von allen weiblichen Geschöpfen das einzige war , dem er wohlwollen konnte .
Nur da , wo eine Identifikation zweier Wesen vorhergegangen ist , kann eine Trennung mit tödlichen Schmerzen verbunden sein ; nicht da , wo sie noch im Hintergrunde der Zukunft liegt und aus weiter Ferne winkt .
Übrigens war es , in Beziehung auf Moritzens Mutter und Schwester , ein Glück für mich , daß ich mich genug für sie interessieren konnte , um mit ihnen zu weinen - nicht um Moritz , sondern aus jener reinen Sympathie , welche sich bei allen besseren , von keiner Art des Egoismus zusammen geschrumpften Menschen wiederfindet , so oft sie Tränen des Kummers oder der Freude vergießen sehen .
Was beide beklagten , war für mich noch kein Gegenstand der Klage ; aber sie selbst waren Gegenstände des Mitleids , und so vermischten sich unsere Zähren , während der edlere Teil meines Selbst eben so unumwölkt blieb , als , nach dem Ausdruck des ersten aller Sänger , der Wohnsitz der seligen Olympier ist .
So wenig war ich in meinem ganzen Wesen gestört , daß kein einziges meiner Geschäfte stockte .
Es kam mir zwar vor , als wäre ich in vielen Dingen hurtiger und bestimmter geworden ; und in sofern dies wirklich der Fall war , konnte meine größere Hurtigkeit und Bestimmtheit nur daher rühren , daß mich das Problem , Moritz zu dem Meinigen zu machen , weniger beschäftigte .
Ich kann aufs Heiligste versichern , das ich bei der Auflösung dieses Problems nie an seiner Rechtlichkeit zweifelte ; durch diese mußte er mir zu Teil werden .
Das Einzige , was mir immer zweifelhaft blieb , war : Ob seine höhere Natur ihn , seinen Wünschen gemäß , zu mir hinführen würde ?
Und bei diesem Zweifel mußte ich notwendig sehr viel von meiner natürlichen Klarheit einbüßen .
Zweites Buch Zweites Buch Mein Verhältnis mit dem Herrn von Z... hatte mich seit Jahr und Tag sehr isoliert ; allein die gute Meinung , welche man vorher von mir gehabt hatte , war sich gleich geblieben ; und so fand ich bei meinem Zurücktritt in die gesellschaftlichen Zirkel , welche ich ehemals besucht hatte , denselben Empfang wieder , womit man mir in allen Dingen zuvor zu kommen gewohnt war .
Die etwaigen Bewegungen des Neides , wenn ja dergleichen in dem Busen der einen oder der anderen meiner Gespielen vorhanden gewesen waren , hatte Moritzens Tod zum Stillstand gebracht ; man näherte sich mir mit desto mehr Freundschaft , je bestimmter man voraussetzte , daß dieser Tod mich sehr unglücklich gemacht hätte .
Ich sprach , ganz der Überzeugung gemäß , welche das Anschauen mit sich führt , mit Enthusiasmus von dem Vollendeten ; aber ich überließ es Anderen , mein Schicksal zu beklagen , weil ich mich hiermit nicht befassen konnte , ohne zur Lügnerin zu werden , was ich aus allen Kräften verabscheute .
Dafür hatte ich denn freilich den Verdruß , Kondolenzen über Kondolenzen annehmen zu müssen , von welchen die eine noch abgeschmackter war , als die andere .
Überhaupt bemerkte ich bei diesem meinen Zurücktritt in die Gesellschaft , daß ich seit Jahr und Tag eine so spröde Individualität gewonnen hatte , daß ich für den Umgang unendlich weniger taugte , als vorher .
Ich untersuchte nicht , ob die Personen , mit welchen ich gerade zu schaffen hatte , über oder unter meinem Horizont waren ; allein ich fühlte , daß zwischen mir und ihnen irgend eine Antipathie obwaltete , die , sie mochte nun gegründet sein , worin sie wollte , die größte Aufmerksamkeit auf mich selbst nötig machte , da ich als ein unverheiratetes Frauenzimmer nicht berechtigt war , den Ausschlag zu geben .
Selbst mit dem größten Wohlwollen und den hellsten Ideen kann man dahin kommen , die Gesellschaft zu fliehen ; ja , in solchen Eigenschaften liegt zuletzt der stärkste Bewegungsgrund zur Isolierung , oder wenigstens zur Beschränkung auf einige Wenige , da einmal kein Einzelner verlangen kann , daß alle Übrigen sich in seine Form schmiegen sollen , und es von der anderen Seite doch etwas sehr Wesentliches ist , seine Individualität zu retten .
Sind wir einmal breit getreten , so mag es immerhin etwas Gutes sein , aller Menschen Freund sein zu können ; allein so lange wir es noch nicht sind , müssen wir alles , was unseren Charakter ausmacht , als das köstlichste Kleinod bewahren , weil eine kräftig ausgesprochene Individualität zuletzt mehr wert ist , als die ganze Gesellschaft .
Ich sollte dies nicht sagen , weil ich ein Weib bin ; aber meine Rechtfertigung liegt in dem Stillschweigen , welches die Männer in Beziehung auf diese Wahrheit behaupten .
Adelaide , welche mir unter diesen Umständen besonders teuer wurde , nicht weil der Unterschied , den die Natur selbst zwischen uns gelegt hatte , durch die Länge der Zeit aufgehoben war , sondern weil die Gewohnheit des Beisammenseins den Ausschlag über diesen Unterschied gab - Adelaide sah sich seit dem Tode ihres Bruders , der sie zu einer sehr reichen Erbin gemacht hatte , von Bewerbern umgeben , welche den Augenblick , wo sie sich für den einen oder den anderen von ihnen erklären würde , nicht zeitig genug erleben konnten .
Das Unglück des armen Mädchens bestand recht eigentlich darin , daß unter diesen Bewerbern kein einziger war , der ihr Achtung abgewinnen konnte .
Ich habe immer bemerkt , daß diejenigen Frauenzimmer , welche im Besitze bestimmter Talente sind , in die größte Verlegenheit geraten , so bald es darauf ankommt , über ihre Person zu disponieren ; und in dieser Verlegenheit befand sich auch Adelaide .
Was ihre Freier am meisten in Betrachtung zogen , ihr Vermögen , war gerade das , worauf sie den geringsten Wert legte .
Dagegen brachte sie ihre Fertigkeit in der Musik und Poesie , oder vielmehr im Klavierspielen und Versemachen , in einen desto höheren Anschlag ; und wo nun unter den jungen Männern ihres Standes denjenigen finden , den sie der Erwerbung solcher Talente in ihrer Person würdig gehalten hätte ?
Es gab Einen , der sich nur hätte zeigen dürfen , um mit offenen Armen von ihr empfangen zu werden ; aber dieser Eine war fern , im Kriegesstrudel umgetrieben , vollkommen unbekannt mit der Schönen , welche ihn über alle Männer ehrte ; es war der berühmte Kleist , dessen einzelne Gedichte damals anfingen bekannter zu werden , und der , wenig Monate darauf , in der Schlacht bei Kunersdorf verwundet , sein Leben nur rettete , um es im Lazarett auszuhauchen .
Alle Übrigen mochten sie noch so sehr loben ; da ihr die Idee blieb , daß sie von der Sache selbst nichts verständen , so konnte sie nicht umhin , sie samt und besonders als ein Pack feiler Schmeichler zu verachten .
Mir leuchtete schon damals ein , daß Adelaide für eine Ehe so gut als verdorben sei .
Hätte sie kein bedeutendes Vermögen gehabt , so hätte es nur gewisser Umstände bedurft , um ihr die Weiblichkeit wiederzugeben , welche die Talente ihr genommen hatten ; durch die Herrschaft , welche sie als reiche Eigentümerin über die Umstände ausübte , mußte sie ewig verhindert werden , in die volle Weiblichkeit zurück zu treten .
Sie war klug genug , um nur dem Manne , dessen Anspruchslosigkeit ihr vollendete Freiheit versprach , ihre Hand zu geben ; allein , weil bei ihr alles ins Unendliche ging , so bedurfte sie für ihre Eigentümlichkeit eines Beschränkers , und da sie diesen in ihrem Gatten nicht fand , so war es wohl kein Wunder , wenn sie in der Folge von der Sonderbarkeit zur Seltsamkeit und von dieser zur Albernheit überging .
Herr von M... , den sie wählte , war ein begüterter Landedelmann , von gesundem Geist und guten Sitten .
Er war unstreitig die beste Partie , die Adelaide machen konnte ; das Schlimme war nur , daß es für Adelaiden keine gute Partie gab .
Vermöge der Eigentümlichkeit ihres Geistes standen ihre Mittel nie in einem nur erträglichen Verhältnis zu ihren Zwecken .
Man hätte mit großer Wahrheit von ihr sagen können : Sie setze einen Ozean in Bewegung , um eine Feder fortzuschaffen .
Die Liebe ihres Gatten zu gewinnen , glaubte sie sich die Hochachtung der ganzen Welt erwerben zu müssen .
Wie bot sie alles auf , um die Meinung zu erwerben , daß sie eine Frau von großem Verstande sei , und wie blieb sie immer und ewig hinter ihrer Erwartung zurück !
Ein besonderes Unglück für sie war ihre Kinderlosigkeit .
Diese setzte sie in eine Art von Wut , welche sich dadurch offenbarte , daß sie alles vereinigen wollte , was nur immer ein Gegenstand des menschlichen Wissens ist .
Nachdem sie alle Zweige der Naturgeschichte studiert hatte , endigte sie mit dem Studium der Mathematik ; aber ihr armer Mann wurde ihr in eben dem Maße unausstehlicher , in welchem sie selbst gelehrter wurde .
Eine Scheidung , die aus allen Gründen notwendig geworden war , erfolgte , so bald Herr von M... eingesehen hatte , daß seine Individualität sich nur auf diesem Wege retten ließ .
Adelaide zog in eine Hauptstadt , um den Bibliotheken und Gelehrten näher zu sein , als sie es bisher gewesen war ; aber auch diese Art der Existenz wurde ihr nur allzubald lästig und abgeschmackt .
Sie warf sich in die sogenannte schöne Kunst , und um diesem Studium mit desto besserem Erfolge zuliegen , ging sie nach Italien , wo sie große Summen verschwendete .
Die Briefe , die ich von Zeit zu Zeit von ihr erhielt , sagten mir , wie über Alles reizend ihr diejenige Periode ihrer Jugend erschiene , in welcher sie meine Bekanntschaft gemacht , und wie alles , was sie unternähme , um sich zu zerstreuen , doch nicht die Kraft habe , sie über die Dauer weniger Stunden zu beglücken .
Es würde Torheit gewesen sein , ihr mit einem guten Rat an die Hand zu gehen , von welchem sie keinen Gebrauch machen konnte ; auch sah sie selbst sehr deutlich ein , daß sie nicht mehr genesen konnte .
Den Hang nach ewiger Bewegung befriedigte sie dadurch , daß sie von einem Lande in das andere reiste .
Von England aus meldete sie mir :
Die europäische Welt mache ihr Langeweile , und darum sei sie fest entschlossen , nach Asien zu gehen . -
Seit dem habe ich nichts von ihr erfahren .
Mehreren Anzeigen zufolge ist sie auf ihrer Reise nach Ostindien am Kap der guten Hoffnung gescheitert .
Anders , aber nicht besser , konnte eine Person endigen , in welcher die Phantasie den Ausschlag über den Verstand gab , indes das Schicksal dafür gesorgt hatte , daß es ihr nicht an Mitteln fehlte , jeden noch so seltsamen Einfall ins Werk zu richten .
Ihre ganze Geschichte habe ich , der Zeit vorgreifend , an diesem Orte konzentriert , um nicht auf sie zurückkommen zu dürfen , nachdem wir uns einmal getrennt hatten , und nur neben nicht mit einander gehen konnten .
Um eben die Zeit , wo Adelaide sich mit dem Herrn von M. ... verband , wurde mir die Stelle einer Gesellschaftsdame bei der jüngsten Tochter unseres Fürsten angetragen , welche damals ein Alter von fünfzehn Jahren erreicht hatte .
Dieser Antrag war um so ehrenvoller , weil ich berechtigt war , ihn als das Resultat der guten Meinung zu betrachten , in welche ich mich bei dem Publikum gesetzt hatte .
Mehr indessen , als die Ehre , bestimmte mich die Liebenswürdigkeit der jungen Prinzessin , über welche nur Eine Stimme war .
Das Einzige , was mich von der Annahme abschrecken konnte , war meine eigene Individualität , die , wie es mir vorkam , sehr schlecht zu den Verhältnissen paßte , welche ein Hof in sich selbst zu erzeugen pflegt .
Als dieser Punkt zwischen meinem Pflegevater und mir zur Sprache kam , beruhigte mich dieser durch folgende Vorstellungen , die mir immer gegenwärtig geblieben sind :
" In dem Leben mit Seinesgleichen , " sagte er , " hat man entweder gar keinen , oder nur einen sehr schwachen Antrieb , die eigene Individualität zu verbergen ; und indem man sie mit Unbefangenheit Preis gibt , läuft man beständig Gefahr , dadurch anzustoßen , weil jeder einmal die seinige retten will .
Nicht so im Umgange mit Vornehmeren .
Hier kommt es darauf an , solche Formen zu gewinnen , daß man selbst die kräftigste Individualität rettet , ohne jemals dadurch zu beleidigen .
Es ist wahr , daß es Personen gibt , die zuletzt nichts weiter haben , als die Form ; allein dies ist nicht sowohl die Wirkung des Hoflebens , als vielmehr die einer ursprünglichen Leerheit , welche sich hinter Repräsentation verkriecht .
Wer einmal inneren Gehalt und eigentlichen Kern hat , für den ist das Untergehen in der Form unmöglich ; dagegen gewinnt er durch die Form eben das , was der Diamant durch die Politur erhält .
Vollendet ist zuletzt doch nur derjenige Mensch , der mit der gefälligsten Form den meisten inneren Gehalt verbindet , den das Individuum erwerben kann .
Und gehe von diesem Grundsatz aus , so gibt es für dich , meine liebe Mirabella , keine bessere Schule , als den Hof .
In ihr soll dir das Siegel der Vortrefflichkeit aufgedrückt werden ; denn in ihr sollst du lernen , wie man , ohne weder seiner Individualität zu entsagen , noch durch dieselbe anzustoßen , allen Menschen ohne Ausnahme gebietet .
Könnte ich befürchten , daß du zu lauter Form würdest , so würde ich der Erste sein , der dich von der Annahme des dir gemachten Antrages zurückschreckte ; denn nichts ist mir in der Welt so sehr zuwider , als ein gehaltloser Mensch , wenn ein solcher noch Mensch genannt werden kann .
Aber indem ich dies ganz und gar nicht befürchte , erwarte ich nichts Geringeres von dir , als eine Vereinigung oder vielmehr Verschmelzung der schönen Form mit einem reichen Wesen ; gerade wie bei dem Diamant , um bei dem einmal gebrauchten Bilde zu bleiben .
Besorge nicht , daß man dir irgend eine Gewalt antun werde .
Alle tugendhaften Neigungen , die in dir sind , wirst du befriedigen können , wenn du Verstand genug hast , deine Pflichten scharf ins Auge zu fassen .
Selbst deinen Gewohnheiten brauchst du nicht zu entsagen , sofern du nicht für gut befindest , neue anzunehmen .
Sehr bald wirst du die Entdeckung machen , daß man sich auch bei Hofe nicht von dem allgemeinen Gesetze dispensieren kann , den Menschen nur nach seinem inneren Wert zu schätzen , und daß es neben dir noch manche Andere gibt , die davon nicht weniger haben , weil sie gefällige Manieren damit verbinden .
Das beste Mittel , dich auf der Stelle geltend zu machen , ist , dich an diese anzuschließen , und dabei deine Stellung so zu nehmen , daß du immer aus der Schußweite der Parteien bleibst .
Da ich deine Gutmütigkeit kenne , so warne ich dich vor nichts so ernstlich , als vor allem Befassen mit Empfehlungen .
Verbinde so viel Bedürftige , als du immer kannst , das heißt , so viel deine Einkünfte und deine Kräfte überhaupt erlauben ; aber setze deine Freunde nicht in Kontribution , weil du sie dadurch zu Gegengefälligkeiten berechtigen würdest , die zu sehr unangenehmen Verwicklungen führen könnten .
Das große Problem , das du zu lösen hast , besteht , so weit ich diese Region kenne , darin , daß du von Allen abzuhängen scheinest , und immer deine volle Freiheit behauptest .
Man nennt den Boden , den du betreten sollst , schlüpfrig ; er mag es auch im Ganzen genommen sein .
Allein wer in einem natürlichen Gleichgewicht mit sich selbst steht , bewegt sich zuletzt selbst auf einer spiegelglatten Eisfläche mit Leichtigkeit und Anmut ; und meiner Mirabella darf ich es zutrauen , daß sie da nicht fallen werde , wo sich so viele Andere vor ihr aufrecht erhalten haben . "
Diese Bemerkungen meines Pflegevaters beruhigten mich , indem sie mir zugleich die Vermutung zuführten , daß Alles vorher mit ihm verabredet worden sei .
Wenigstens geriet ich auf den Gedanken , daß seine Konnivenz , außer dem pädagogischen Zwecke , den er nicht verhehlte , auch einen politischen haben könnte , da er , seiner Gewohnheit ganz entgegen , in dieser Angelegenheit bei weitem entschlossener war , als ich ihn bei minder wichtigen kennen gelernt hatte .
Wie dem aber auch sein mochte , so hatten alle meine Bedenklichkeiten nach dieser Unterredung ein Ende ; und vertrauensvoll trat ich meine neue Laufbahn an .
Sowohl der Fürst als dessen Gemahlin empfingen mich mit einer ausgezeichneten Huld , welche mir um so mehr wohltat , da sie sich weniger in Lobsprüchen , als in - ich möchte sagen elterlicher Affektion offenbarte , und mir zuraunte , daß es nur von mir abhange , um am Hofe wie zu Hause zu sein .
Prinzessin Caroline ihrer Seits kam mir mit aller der Naivetät entgegen , wodurch sie der Zauber aller ihrer Bekannten war .
Da sie mich schon sonst gesehen hatte , so lag in meinem Wesen nichts Fremdes für sie ; und dies mußte mir notwendig um so lieber sein , weil in meiner Miene sehr viel Ernsthaftes war , wodurch ich leicht zurückschrecken konnte .
Ich befand mich gegenwärtig in einem Alter von drei und zwanzig Jahren , und die höhere Kultur , die mir durch Studium und Schicksale zu Teile geworden war , konnte mich , einer so jungen Person , als Prinzessin Caroline , gegenüber , nur allzuleicht zu einer Verwechselung der Gesellschaftsdame mit der Gouvernante verführen .
Um diesem Übelstand auszuweichen , nahm ich mir vor , alles zu vermeiden , was einer förmlichen Lehre oder Zurechtweisung ähnlich sähe , mich , wie man es gegenwärtig nennt , gehen zu lassen , und immer nur auf die Unterhaltung der Prinzessin , wenn gleich so bedacht zu sein , daß ich nicht von ihr gezogen würde .
Der Erfolg rechtfertigte meine Maximen .
Ohne nur ein einzigesmal auf Albernheiten oder Fadaisen eingegangen zu sein , wurde ich der Prinzessin so notwendig , daß sie nicht von meiner Seite wich , so lange es ihre übrigen Verhältnisse erlaubten , in meiner Gesellschaft zu sein .
Da ich mich zugleich in einer gewissen Zurückgezogenheit hielt , und alle , mit welchen ich , oder welche mit mir zu tun hatten , mit gleicher Aufmerksamkeit behandelte ; so gewann man mich in kurzer Zeit lieb .
Vielleicht wußte man nicht , was man von mir denken sollte ; allein mir war es auch nur darum zu tun , daß Niemand Nachteiliges von mir denken möchte .
Ich wünschte , meine Gewohnheiten mit denen des Hofes in Harmonie zu setzen ; und dies wurde mir nicht schwer , so bald die Tagesordnung des Hofes mir geläufig geworden war .
Seit meinem sechsten Jahre gewohnt , um fünf Uhr des Morgens , im Winter wie im Sommer , aufzustehen , behielt ich diese Sitte bei , indem ich mir berechnete , daß die drei bis vier Stunden , die ich auf diesem Wege gewann , nicht übel angewendet sein würden , wenn ich sie meinen Privatangelegenheiten widmete .
Mochte ich also auch noch so spät ins Bette kommen - und dies war , ich gestehe es , Anfangs keine geringe Beschwerde für mich - so war ich immer zu derselben Zeit aus dem Bette .
Mein erstes Geschäft war alsdann , mich mit kaltem Wasser zu waschen , und mein nächstes , mich vollständig für den Vormittag anzuziehen .
War ich damit fertig , so las oder schrieb ich im Winter , und verrichtete für mich oder für andere irgend eine weibliche Handarbeit im Sommer .
Immer war es mein Stolz gewesen , den größten Teil meiner Bekleidung selbst verfertigen zu können ; und diesen Stolz behielt ich bei , weil er mir niemals schaden konnte .
So lange ich bei meinen Pflegeeltern lebte , war ich nie allein , wenn ich auch noch so früh aufstand ; denn meine Pflegemutter wenigstens war immer schon vor mir aus dem Bette .
Es kam mir daher anfangs ein wenig schauerlich an , wenn ich , besonders im Winter , wo die Natur um fünf Uhr selbst noch schläft , das einzige wachende Wesen im ganzen Schlosse war ; doch , da ich einmal durchaus nicht im Bette bleiben konnte , wenn ich ausgeschlafen hatte , so suchte ich das unangenehme Gefühl des Alleinseins durch eine verdoppelte Tätigkeit zu zerstreuen , und dies gelang mir so gut , daß es sich nach und nach gänzlich verlor .
Sobald die Prinzessin aufgestanden war , frühstückte ich mit ihr , und von diesem Augenblick an war ich in allem , was Gewohnheit war , au kurant des Hofes , ohne mir auch nur die kleinste Abweichung zu gestatten .
In Hinsicht meiner Neigungen hatte ich größere Mühe , mich in den Hof zu schicken .
Es gab besonders zwei Punkte , worin ich sehr gern meinem Genius allein gefolgt wäre , hätte es in meiner Gewalt gestanden , die Bedingungen zu machen .
Der eine war der Tanz , der andere das Spiel . Um den Tanz zu lieben , fehlte es mir offenbar an Temperament ; und da man nicht mit Erfolg tanzen kann , wenn man nicht gern tanzt , so war ich in einer desto größeren Verlegenheit .
Es kam aber noch dazu , daß die Prinzessin Caroline über diesen Punkt ganz entgegengesetzter Neigung war , und nicht aufhörte , mich in ihr Interesse ziehen zu wollen .
Ich tat zuletzt , was in meinen Kräften stand , und erreichte dadurch alles , was ich zu erreichen nur wünschen konnte .
Aber im Ganzen genommen blieb mir der Tanz zuwider , und mein liebster Trost war immer , daß die Gelegenheit dazu nicht täglich wiederkehrte .
Spielen hatte ich nie gelernt , wiewohl es mir auch dazu nicht an Gelegenheit gefehlt hatte .
An den Hof versetzt , sah ich sehr bald ein , daß Fertigkeit in dieser Beschäftigung eine von den Haupttugenden sei , die ich mir erwerben müßte .
Allein wie in den Besitz dieser Fertigkeit gelangen ?
Ich ließ mich unterrichten , und ohne Mühe faßte ich die Regeln des Spiels .
Doch wie wenig hatte ich dadurch gewonnen !
Die Hauptsache war und blieb , diese Regeln mit Leichtigkeit und Grazie anzuwenden ; und dahin konnte ich es nicht bringen .
Es fehlte mir ganz offenbar der Spielgeist .
Um ihn zu erhalten , sagte ich zu mir selbst : " das Spiel , so wie es am Hofe getrieben wird , ist ein Pis aller weil es unmöglich ist , eine große Gesellschaft auf eine edle Weise in Tätigkeit zu setzen , so hat man diesen Ausweg erfunden , sie nicht ganz unbeschäftigt zu lassen .
Ohne Spiel würde man in den Hofzirkeln von der Langenweile zu Tode gemartert werden , und jeder den Hof fliehen ; eben deswegen aber muß jeder , der dem Hofe keine Schande machen will , sich auf das Spiel verstehen . "
Allein , wie ich mich auch stacheln mochte , ich kam in der Sache selbst nicht weiter ; ich war und blieb zerstreut , verlor mein Geld , und würde gern das Doppelte verloren haben , wenn ich nur hätte dispensiert bleiben können .
Endlich schlug sich der Fürst selbst großmütig ins Mittel ; und indem er erklärte , daß es künftig immer von mir abhängen sollte zu spielen oder nicht zu spielen , fand ich in meiner Abneigung von dem Spiele den Keim zu einer seltenen Tugend , die ich genauer analysieren muß .
Wie ich sie nennen soll , weiß ich nicht ; ihrem Wesen nach aber bestand sie darin , daß , indem ich für alle Nichtspielenden die Gesellschaftsdame machte , ich die in der Tat nicht leichte Kunst lernte , mich mit allen Menschen , wenn ich mich so ausdrücken darf , zu ihrer und meiner Zufriedenheit aus einander zu finden .
Es war zuletzt die Langeweile , die mich zur Unterhaltung hintrieb ; aber , indem ich diesem Stoße folgte , abstrahierte ich sehr bald , daß man , um mit Erfolg zu unterhalten , so wenig als möglich von dem Seinigen geben , und so viel als möglich von dem Fremden empfangen müsse .
In wenigen , sehr bestimmt ausgedrückten , das Individuum , welches man vor sich hat , tief ergreifenden Fragen muß die Kraft enthalten sein , nicht nur Mitteilung überhaupt , sondern auch diejenige Art der Mitteilung zu erzwingen , welche den sämtlichen Verhältnissen des Hofes entspricht .
Die Fragen an und für sich würden nichts bewirken , wenn sie nicht unter solchen Wendungen gemacht und von solchen Manieren begleitet wären , daß , während das Gemüt in den Fesseln des Fragenden einhergeht , der Geist in Freiheit gesetzt wird .
Vor allen Dingen kommt es darauf an , den Stolz , der in der Frage selbst liegt , so zu verschleiern , daß er gar nicht sichtbar wird .
Eine Kunst , auf welche sich nur sehr Wenige verstehen , die aber , wenn ich nicht irre , das Criterion der gesellschaftlichen Bildung ist .
Das ganze Manövre , welches man in dieser Hinsicht macht , setzt den allerschnellsten und feinsten Takt voraus ; denn der kleinste Fehlgriff zerstört das Werk , weil man sogleich aus der Stellung gehoben wird , in welcher man sich notwendig befinden muß , um Anderen die Täuschung zuzuführen , daß man nur mit ihnen beschäftigt sei .
Wer sich nicht ganz in seiner Gewalt hat , wird von seiner eigenen Kunst über den Haufen geworfen ; denn es kommt nicht nur darauf an , daß man schicklich anfange und gut fortfahre , sondern auch , daß man vortrefflich endige .
Die ganze Unterhaltung muß ein Sonett sein , in welchem ein interessanter Gedanke so verarbeitet wird , daß die Hauptidee den Beschluß macht .
In der Tat , jene italienischen Improvisatoren , welche jedes beliebige Thema so ausbilden , daß es mit allen Farben der Poesie zum Vorschein tritt , haben die größte Ähnlichkeit mit wirklich ausgebildeten Hofleuten ; und der Zauber , welche beide in den Gemütern zurücklassen , ist vollkommen derselbe .
Alle Saiten sanft berühren , und aus dem Instrument , worauf wir spielen , eine solche Harmonie hervorlocken , wodurch wir selbst nie beleidigt werden , das Instrument selbst aber entzückt wird - dies ist es , worauf wir ausgehen müssen , und was wir gewiß erreichen , sofern es uns nicht an der scheinbaren Entsagung fehlt , die alles Eigentümliche nur deshalb in den Hintergrund stellt , damit es desto unerreichbarer bleibe .
Ob Überlegenheit des Geistes die unerlaßliche Bedingung der besten Ausübung dieser Kunst sei , möchte ich weder bejahen , noch verneinen , da sie es bei den einen wirklich , bei den anderen gar nicht ist .
Ich glaube wenigstens bemerkt zu haben , daß man , wie in vielen anderen Dingen , so auch in dieser Kunst , durch gewisse Eigenschaften des Gemütes eben so weit kommt , als durch die des Geistes ; und der größte Teil ihrer Ausüber dürfte sie wohl durch die ersteren erwerben .
Vielleicht ist dies aber nur Schein , und wenn in irgend einer Kunst , so muß in dieser Geist und Gemüt in dem vollkommensten Gleichgewicht stehen .
In welcher bestimmten Individualität ich auch als Weib dastehen mochte , so gab die Weiblichkeit in mir doch den Ausschlag über alles ; und da der Grundcharakter des Weibes Resignation ist , so wurde mir die Erlernung jener Namenlosen Kunst , die ich so eben beschrieben habe , dadurch nicht wenig erleichtert .
Für mich selbst gewann ich dabei auf eine doppelte Weise ; einmal indem jene spröde Eigentümlichkeit , die ich an den Hof gebracht hatte , sich nach und nach verlor , ohne daß mein Charakter im Wesentlichen dabei litte ; zweitens indem sich mein Gesichtskreis durch alle die Ideen erweiterte , welche mir durch die Mitteilung ganz absichtslos zugeführt wurden .
In Beziehung auf den ganzen Hof aber füllte ich eine Lücke aus , die man vor meiner Ankunft mehr empfunden als deutlich gedacht hatte .
Hätte ich in jenem zarten Alter über diese Beziehung raisoniert ; so würde ich auf das Resultat gestoßen sein , daß der ganze Hof , als geistiger Mittelpunkt genommen , in mir konzentriert wäre ; allein daran dachte ich damals eben so wenig , als irgend einer von denen , die ich in den Stand setzte , ihren Neigungen rücksichtsloser zu folgen .
Die Oberhofmeisterin war im Besitz aller der Formen , welche ihr Geschäft mit sich führte ; aber sie war zugleich so sehr in der Repräsentation untergegangen , daß sie , auch wenn sie noch einer Erhebung fähig gewesen wäre , allen Geist für eine Todsünde erklärt haben würde .
Man nannte sie in der Regel Madame Etikette ; und diese Benennung beleidigte sie nie , teils weil sie sich bewußt war , als Repräsentantin der Etikette einen hohen Wert zu haben , teils weil sie keine Ahnung davon hatte , daß es neben dem staatsbürgerlichen Wert noch einen anderen gibt , der zuletzt alles entscheidet .
Das einzige Menschliche , was in ihr zurückgeblieben war , bestand in einer Art von Witz , wodurch sie zwar sehr zum Lachen reizte , wobei es aber sehr unentschieden blieb , ob sich das Lachen mehr auf ihre Einfälle , oder auf den Widerspruch bezog , in welchem diese Einfälle mit ihrer Person und ihrem Geschäfte als Oberhofmeisterin standen .
Es war nämlich eine gute Mundvoll Zweideutigkeiten , wodurch sie sich auszeichnete : eine üble Angewohnheit , die sie unstreitig ihrer ersten Erziehung zu verdanken hatte , um so übler , weil sie längst über das Alter hinaus war , wo der weiblichen Erfahrenheit ein freieres Wort verziehen wird . -
Aus allen diesen Gründen nun konnte kein Abstich auffallender sein , als der , den ich gegen sie bildete .
Ich sage in der Tat nicht zuviel , wenn ich behaupte , daß in ihr und mir zwei Extreme einander gegenüber standen , von welchen man das eine die vollendete Unweiblichkeit , das andere die höchste Jungfräulichkeit nennen konnte .
Dieser Gegensatz blieb nicht unbemerkt ; und wenn man sich auch nicht darüber äußerte , so lag die Sache selbst doch dadurch an dem Tag , daß man , aus überwiegender Achtung für mich , eine Frau vernachlässigte , welche , dem Range nach , die erste nach der Fürstin selbst war .
Mir war dabei oft sehr peinlich zu Mute ; allein , wie sehr man sich auch an mich anschließen mochte , so sah die gute Oberhofmeisterin darin immer nur die größere Freiheit , welche sie als leidenschaftliche Lhombrespielerin für sich gewann , und das Höchste , was ihr Neid ihr auszupressen vermochte , war : daß ich in ihrem Alter auf gleicher Linie mit ihr stehen würde ; eine Prophezeiung , welche niemals eintreffen konnte , weil ich mit meinen Eigenschaften darüber hinaus war , ihre Erfahrungen zu machen .
Abgesehen von dieser Opposition , wirkte die Stellung , welche ich genommen hatte , dadurch sehr eigentümlich auf mich zurück , daß ich , indem ich für alle vorhanden sein mußte , für keinen Einzelnen vorhanden sein konnte .
Selbst wenn Moritzens Bild mir - wie dies wirklich der Fall war - nicht als Ideal vorgeschwebt hätte , so würde ich durch das Problem , dessen Auflösung ich einmal übernommen hatte , von allem , was Liebe im engeren Sinne des Wortes genannt wird , entfernt geblieben sein .
Ich hatte mich , trotz meines jugendlichen Alters , von der Liste der fühlenden Wesen gestrichen , um mich auf die der Intelligenzen setzen zu können .
Mein Pflegevater freute sich nicht wenig über diese Verwandlung meines Wesens ; sie entsprach seinen Erwartungen von mir eben so sehr , als seinen Wünschen .
Unstreitig würde sie noch vollkommener gewesen sein , hätte nicht mein Verhältnis zu der Prinzessin Caroline meinen ursprünglichen Charakter , d.h. denjenigen , mit welchem ich an den Hof gekommen war , auf das wesentliche festgehalten .
Wie der ganze übrige Hof , so war auch die Prinzessin von der Verbindung belehrt , in welcher ich mit dem Herrn von Z... gestanden hatte ; und da sie sich in einem Alter befand , worin keine Unterhaltung willkommener ist , als diejenige , welche einen Liebeshandel zum Gegenstand hat , so bat sie mich in den Augenblicken , wo wir allein waren , sehr oft , ihr etwas von meiner Geschichte zu erzählen .
In sofern ich selbst die Heldin derselben war , würde ich es schwerlich der Mühe wert gehalten haben , den Mund zu öffnen ; aber da ich das Andenken an meinen Moritz liebte , so ließ ich mich immer bereitwillig finden , der Prinzessin mitzuteilen , was ihn in seiner eben so kräftigen als edlen Individualität darstellte .
Merkwürdig war der Erfolg meiner Erzählung dadurch , daß niemals eine von uns beiden dadurch gerührt wurde , dies Wort in seinem gewöhnlichen Sinne genommen .
Meine Erzählung enthielt gewiß alle Elemente des Tragischen ; aber auf unsere Tränendrüsen wirkten diese nie zurück .
Ich selbst war wie begeistert , und mein Zustand riß die Prinzessin zu einem ähnlichen hin ; doch alles , was sich mit Wahrheit von uns sagen ließ , war : daß wir uns im höchsten Grade interessiert fühlten , ohne in unserem Gemüte im Mindesten verwirrt zu sein .
Ich kann bei dieser Gelegenheit nicht umhin , eine artistische Bemerkung zu machen , die , wie sehr sie auch den gewöhnlichen Theorien widersprechen mag , mir vollkommen richtig scheint .
Sie ist : " daß die wahre Tragödie das Gemüt nicht foltern , sondern heben müsse , so daß der Zuschauer , nachdem der Vorhang gefallen , nicht mit beklommenem , sondern mit freudigem Herzen die Bühne verläßt . "
Es ist gewiß nur immer die Schuld des Dichters , wenn dies nicht der Fall ist .
Wer sich eines tragischen Stoffes so zu bemächtigen versteht , daß er die Entwicklung in ihrer Notwendigkeit fortführen kann , der befriedigt zugleich unser Gemüt und unseren Verstand ; und dabei ist die volle Heiterkeit des ganzen Menschen nicht nur möglich , sondern sogar notwendig .
Wer hingegen den tragischen Stoff zerreisset , und aus poetischem Unvermögen die Einbildungskraft der Zuschauer nötigt , das Ganze , das er selbst nicht zu Stande bringen konnte , an seiner Stelle zu schaffen ; der kann nicht anders als verwirren , ängstigen und foltern .
Will man wissen , wer der eigentliche Meister in der tragischen Kunst ist ?
Derjenige unstreitig , der alles so anzuordnen weiß , daß das Notwendige immer mit Freiheit vollzogen wird , so daß das Schicksal nie über den Helden , dieser hingegen beständig über jenes siegt , sogar alsdann , wenn er vom Schicksal zerschmettert wird .
Wer dies nicht kann , der ist und bleibt ein Pfuscher in der Tragödie , gut genug für den Pöbel , dem es immer nur um Gemütsbewegung zu tun ist , aber zu schlecht für gebildete Menschen , welche die Freiheit im Kampf mit der Notwendigkeit obsiegen sehen wollen .
Wollte man sagen , daß ich hier als Aristokratin spreche , so würde meine Antwort sein :
" Die größte Aristokratin ist die Kunst selbst , die sich nur in der Region des Idealen bewegen will , weil sie weiß , daß sie , ohne abgeschmackt zu werden , diese Region nicht verlassen kann . "
Doch ich lenke wieder ein .
Indem ich der Prinzessin gegenüber meine ganze Individualität festhielt , so konnte es schwerlich fehlen , daß , vermöge der achtungsvollen Anhänglichkeit , die sie für mich empfand , von meinem ganzen Wesen sehr viel auf sie überging .
Ich möchte nicht sagen , daß ich mich zu ihr herabließ ; dies war durchaus unnötig , da alle ihre Anlagen von einer solchen Beschaffenheit waren , daß ich sie mit Leichtigkeit zu mir heraufziehen konnte .
Es kam dahin , daß wir Studien und Vergnügungen gemein hatten und in einer solchen Harmonie lebten , daß man uns für geborene Schwestern hätte halten können .
Im Scherz nannte mich die Prinzessin bisweilen ihren Moritz ; und dies mochte ich auch in der Tat sein , wenn nur von dem geistigen Verhältnis die Rede ist , das zwischen ihr und mir statt fand .
Ob ich durch Übertragung meiner Eigentümlichkeit der Prinzessin nützlich oder schädlich wurde , war etwas , woran ich gar nicht denken konnte , da die Verhältnisse , in welche sie zu treten bestimmt war , tief im Hintergrunde lagen ; wenn ich aber auch daran gedacht hätte , so würde mich keine Klugheit abgehalten haben , meinen ganzen Charakter zu behaupten , weil dieser zuletzt doch das Einzige ist , was der Mensch sein nennen kann , und jede künstliche Modifikation desselben bare Narrheit genannt werden muß .
Ich habe mich hinterher , ich gestehe es , sehr häufig über die Unbefangenheit gewundert , womit der Fürst seine einzige Tochter eine Entwicklung gewinnen sah , welche sie in ihren künftigen Verhältnissen nur unglücklich machen konnte ; allein mir selbst habe ich nie den mindesten Vorwurf darüber ge macht , daß ich die Urheberin dieser Entwicklung war ; denn ehe man mich zur Gesellschaftsdame wählte , hätte man ausmachen sollen , ob meine Wahl nicht schädliche Folgen haben könnte .
Es ging hierin , wie es in der Welt gewöhnlich geht :
An das Wesentliche dachte man nicht , und nachdem der Schaden einmal geschehen war , konnte er nicht wieder gut gemacht werden .
War es aber auch meine oder der Prinzessin Schuld , daß diejenigen , welche , ihrem Stande nach , zu uns hätten passen sollen , als ob sie für uns geboren gewesen wären , nicht zu uns paßten ?
Wir konnten unserem Wesen nicht entsagen , ohne uns herabzuwürdigen ; aber diejenigen , mit welchen wir zu schaffen hatten , konnten dies sehr wohl ; und alles Unglück , das uns begegnete , rührte nur daher , daß sie in ihren Gewohnheiten allzu tief versunken waren , um das Edlere und Bessere zu lieben .
Ehe ich die Rätsel löse , welche in dem vorhergehenden Abschnitt enthalten sind , muß ich , aus Achtung für die Zeitfolge , noch des Todes meines Pflegevaters erwähnen .
Er starb , nachdem ich ungefähr drei Jahre am Hofe gelebt hatte .
Über sein Hinscheiden weiß ich nur das zu sagen , daß es das Hinscheiden eines echten Christen war , der , wenn seine letzte Stunde geschlagen hat , mit Ergebung in den Mittelpunkt der Gesellschaft zurücksinkt , welcher er sich , sein ganzes Leben hindurch , nützlich zu machen gestrebt hat .
Das Testament , welches er zurückließ , war ganz eigentümlichen Inhalts , in sofern er seiner eigenen Schwester den kleinsten , mir hingegen den größten Teil seines Vermögens mit dem Zusatze vermachte , daß davon nie etwas auf seine Verwandten zurückfallen sollte .
Ich erbte auf diesem Wege von ihm nicht weniger als dreißigtausend Taler ; eine ungleich größere Summe , als wofür man sein Vermögen bis dahin angenommen hatte .
Das Wahre von der Sache aber war unstreitig , daß die eben genannte Summe nicht zu seinem Vermögen gehörte , sondern ihm nur von denjenigen anvertrauet war , die es für gut befanden , meine Abkunft zu verschleiern .
Immer hatte ich so viel gewonnen , daß ich , ohne mein Kapital anzugreifen , von den Zinsen desselben mit Anstand und Freiheit leben konnte .
Dies war die Ansicht , welche ich faßte , sobald ich mich über den Hintritt meines Pflegevaters beruhigt hatte ; und dieser Ansicht gemäß nahm ich mir vor , nie zu heiraten , indem ich noch immer daran verzweifelte , einen Mann zu finden , wie der Herr von Z... gewesen war .
Auf meine Verhältnisse am Hofe wirkte die Unabhängigkeit , die ich durch mein Vermögen erworben hatte , nicht weiter zurück ; denn diese waren so gut , als sie werden konnten , da ich mich schon vorher durch meine innere Kraft frei gemacht hatte .
Ich war kaum mit meiner Erbschaft im Reinen , als das ...sche Fürstenhaus um die Hand der Prinzessin Caroline für den Erbprinzen Carl werben ließ .
Ohne gerade glänzend zu sein , war dieser Antrag ehrenvoll ; auch wurde er keineswegs zurückgewiesen .
Was man von dem Erbprinzen sagte , war so beschaffen , daß er zu den frohsten Erwartungen berechtigte ; man schilderte ihn nämlich als einen schönen jungen Mann von den besten Sitten und den herrlichsten Eigenschaften des Gemüts und des Geistes .
Der ganze Hof schätzte die Prinzessin glücklich , einen solchen Bewerber gefunden zu haben ; und sie selbst gab sich der süßen Täuschung , alle ihre Wünsche nach kurzer Frist erfüllt zu sehen , nur allzu bereitwillig hin .
Da unser Hof den Rang vor dem ...schen hatte , so wurde nur die Bedingung gemacht , daß der Erbprinz sich in eigener Person bewerben möchte , und diese Bedingung zu erfüllen , erschien derselbe anderthalb Monate darauf .
Eine schöne Figur , mit einem Gesichte , dem es weniger an Adel , als an bestimmten Ausdruck fehlte !
So wie sich der Prinz zum erstenmal produzierte , mußte er gefallen .
Die Prinzessin Caroline war eben so bezaubert von seinem Betragen , als von seiner Gestalt .
Mir entging , bei einer fortgesetzten Aufmerksamkeit auf den Prinzen , nicht , daß eine gewisse Heftigkeit in ihm war , die sich auf den ersten besten Gegenstand wirft , weil sie denjenigen noch nicht gefunden hat , der sie anhaltend beschäftigen könnte ; allein , wie wichtig mir meine Entdeckung um der Prinzessin Willen sein mochte , so hielt ich es doch nicht der Mühe wert , darüber ein Wort fallen zu lassen , da sie einen Fehler betraf , der sehr leicht zu verbessern ist .
Die Vermählung würde ohne Karolinens Einwilligung beschlossen und vollzogen worden sein ; aber dies war so wenig notwendig , daß in dem vorliegenden Falle das Herz recht eigentlich im Bunde mit der Politik zu sein schien , oder vielmehr wirklich war .
Das Einzige , was die Prinzessin sich ausbedang , war , daß es ihr erlaubt sein möchte , mich als Gesellschaftsdame mit an den ...schen Hof zu nehmen ; eine Bedingung , die man sehr gern gestattete .
Von der Vermählung der Prinzessin , welche einige Monate darauf an unserem Hofe vollzogen wurde , kein Wort ; denn sie war , wie dergleichen immer zu sein pflegen .
Vierzehn Tage darauf erfolgte die Abreise .
Während der Reise hatte ich mehr als eine Gelegenheit , die Bemerkung zu machen , daß meine erste Entdeckung in Betreff des Erbprinzen eine sehr richtige gewesen sei , und ich gestehe , daß ich jetzt anders darüber urteilte , als vorher ; allein wenn mir die Mitteilung meiner Entdeckung früher nicht der Mühe wert geschienen hatte , so war sie jetzt zu spät , und mein Vorsatz konnte kein anderer sein , als mich mit der größten Behutsamkeit zu betragen , im Fall meine Freundin selbst aus ihrer bisherigen Täuschung erwachen sollte .
Diesem Vorsatze gemäß betrug ich mich so , daß ich die junge Fürstin zu keiner Vertraulichkeit aufforderte , wie bestimmt ich es ihr auch schon am vierten Tage nach unserer Abreise ansah , daß sie ihren Busen gegen mich auszuschütten wünschte .
Als wir endlich an Ort und Stelle angelangt waren , wurden wir zwar mit allem Pomp empfangen , der bei solchen Gelegenheiten herkömmlich ist ; aber über Täuschungen dieser Art erhaben , wie wir einmal waren , rekognoszierten wir nur das Terrain , worein uns das Schicksal geworfen hatte .
Ein jeder warf sich , wie sich dies von selbst versteht , in seine besten Atours , und die Erscheinung einer so liebenswürdigen Prinzessin , als Caroline war , trug gewiß nicht wenig dazu bei , daß alle Bewillkommnungen und Glückwünsche nur desto besser von statten gingen ; bei allem dem aber konnten wir nicht verfehlen , die Entdeckung zu machen , daß irgend ein düsterer Geist über diesem Hof walten müsse , ein unmittelbares Gefühl sagte uns dies , ohne alle künstliche Vernunftschlüsse .
Die nächsten vierzehn Tage klärten unsere Ahnung - denn mehr war unsere Entdeckung nicht - gänzlich auf .
Alles beruhte auf einem Mißverhältnis der Herzogin zu dem Herzoge .
Von Gewissenszweifeln geängstigt und im höchsten Grade abergläubisch , war die erstere ( ihre Kinder allein ausgenommen , welche sie aus unbezwingbarem Instinkt liebte ) sich selbst und allen Menschen abhold , während der letztere , wenn gleich nicht minder zum Aberglauben geneigt , mit einer gesünderen Konstitution die Freuden , welche er im eigenen Familienkreis nicht finden konnte , außerhalb desselben suchte , und , weil er sie auch da nicht fand , in der Regel mürrisch und auffahrend war , und dadurch alles von sich zurückschreckte .
Dies hatte auf Karolinens Gemahl in sofern zurückgewirkt , als er in dem vergeblichen Bestreben , seinen sich selbst so ungleichen Eltern genug zu tun , zuletzt ungeduldig und über die Gebühr heftig geworden war .
Unfähig seinen Vater zu lieben , und eben so unfähig sich mit seiner Mutter zu identifizieren , war er , von seinem eigenen Herzen verleitet , die Beute aller derjenigen geworden , in deren Arme er sich geworfen hatte .
Wie gesund auch sein Verstand in seinen Anlagen war , so hatte er ihn doch nie in den Besitz der Mittel führen können , durch welche man sich seiner ganzen Umgebung bemächtigt ; und je mehr er zwischen hundertfältigen Rücksichten dahin schwankte , desto unzufriedener war er mit seiner ganzen Lage .
Vor seiner Vermählung mit einem liebenswürdigen Fräulein verbunden , hatte er dieser Verbindung entsagen müssen , ohne seinen Neigungen entsagen zu können ; und wie diese Schwäche von allen denjenigen mißbraucht wurde , welche , aus früherer Zeit her , im Besitz seines Vertrauens waren , läßt sich ohne Mühe denken .
Kurz der ganze Hof war ein Vereinigungspunkt der Antipathien , und , was immer damit verbunden ist , der Intrigen .
Keine einzige klare Seele , an welche man sich verdachtlos hätte anlehnen können !
Und die Quelle von diesem allen war der Aberglaube in dem Geiste der Herzogin und des Herzogs , der von dem ersten Hofgeistlichen kräftigst unterstützt wurde .
Ich habe seitdem sehr oft Gelegenheit gehabt , die Bemerkung zu machen , daß fürstliche Personen ungemein zum Aberglauben hinneigen ; und so oft ich mir diese Erscheinung zu erklären versucht habe , bin ich immer auf das Resultat gekommen , daß , während alles , was ihnen untergeordnet ist , nur sie fürchtet und verehrt , sie ihrer Seits auch etwas fürchten und verehren wollen , weil es ihnen unmöglich fällt , der menschlichen Gebrechlichkeit diesen Tribut zu versagen .
Nur wenige dürften hiervon eine Ausnahme machen .
Indem ich diese Entdeckungen machte , nahm ich mich wohl in Acht , darüber mit der Erbprinzessin zu sprechen .
Ich bot vielmehr meine ganze Heiterkeit auf , sie glauben zu machen , daß ich ganz unbefangen sei und bleibe .
Es war mir , ich gestehe es , ein wenig peinlich , meiner Freundin gegenüber der Offenheit zu entsagen , womit ich sie bisher behandelt hatte ; allein ich sagte mir wiederum , daß dies ein Opfer sei , das ich höheren Verhältnissen bringen müsse .
Sehr deutlich leuchtete mir ein , daß hier nichts zu verbessern sei , daß man aber aus übel leicht ärger machen könnte .
Ich nahm mir also vor , meine Stellung immer so zu nehmen , daß ich , so viel an mir wäre , die Sachen in einem erträglichen Gange erhielte .
Auf keinen Fall war ich gesonnen , die erste Konfidenz zu machen ; und war es irgend möglich , die Erbprinzessin von Konfidenzen gegen mich zurück zu halten , so wollte ich es nicht an mir fehlen lassen .
Am meisten fürchtete ich den Charakter der Herzogin , welche , nachdem ihre Schwiegertochter einmal mit eigenen Augen gesehen hatte , sehr leicht auf den unglücklichen Einfall geraten konnte , sich vor ihr zu rechtfertigen , und mich darüber zum Zeugen zu nehmen .
Ich sah dies so bestimmt vorher , daß ich vorläufig auf den Gedanken verfiel , nichts zu tun , was der Herzogin Vertrauen zu mir einflößen könnte .
In der Tat , ich war sehr übel daran .
An unserem Hofe hatte ich mit der größten Freiheit gelebt ; hier hingegen war ich von allen Seiten her so eingeklemmt , daß ich mich durchaus nicht bewegen konnte , ohne anzustoßen und Quetschungen und Schrammen davon zu tragen .
Meiner ganzen Natur nach ohne Falsch und ohne Hehl , war ich gegen meinen Willen zur Politik hingezogen .
Hätte mich das Interesse für meine Freundin nicht aufrecht erhalten , so würde ich , gleich der Tochter Ludwigs des Fünfzehnten von Frankreich , den Aufenthalt in irgend einem Karmeliterkloster der meschanten Lage vorgezogen haben , in welcher ich an diesem Hofe war .
Der auffallende Entschluß jener Prinzessin hat mich nie in Erstaunen gesetzt , weil ich selbst erfahren habe , wie abgeschmackt und langweilig das Hofleben unter gewissen Bedingungen werden kann .
Die Erbprinzessin verstand mich vollkommen ; auch in den zartesten Empfindungen und Ideen begegnete sie mir mit einem Takt , der , wenn ein Dritter als Zuschauer zwischen uns in der Mitte gestanden hätte , diesen notwendig hätte bezaubern müssen .
Wir , die wir drei Jahre hindurch in der vollkommensten Freundschaft gelebt hatten , welche auf Erden möglich ist , verabredeten jetzt stillschweigend unter uns , daß , obgleich unsere Unschuld dieselbe sei , es dennoch Geheimnisse gäbe , welche wir Ursache hätten , uns gegenseitig zu verbergen .
Hieraus entwickelte sich ein eigentümliches Verhältnis , das freilich nie Konsistenz gewinnen konnte , aber , so lange es dauerte , unseren inneren Zustand so modifizieren mußte , daß unsere gegenseitige Anhänglichkeit an einander verstärkt wurde .
Sonst hatte sich die Erbprinzessin in ihrer Liebe zu mir eben so frei gefühlt , als ich mich in der meinigen zu ihr .
Jetzt hingegen , wo die in ihrem Gemahl eingeschlossene zurückstoßende Kraft sie in Ansehung des Spielraums liebender Gefühle so wesentlich beschränkte , und wo ich meiner Seits durch die Erbärmlichkeit des Hofes ganz auf mich selbst zurückgeworfen wurde , jetzt konnten wir den Stützpunkt , dessen wir bedurften , nur eine in der anderen finden .
Wir würden glücklich gewesen sein , hätten wir dem Zuge folgen dürfen , der uns zu vereinigen versprach ; aber gerade darin lag das Verzweifelnde unserer Lage , daß wir diesem Zuge nicht folgen durften ; wenigstens nicht mit der Rücksichtslosigkeit , welche die Freundschaft gebietet .
Wir beide ahnten , daß ein Zeitpunkt eintreten würde , wo wir dem Verderben nur durch festes Aneinanderschließen entrinnen könnten ; aber wir wollten diesen Zeitpunkt nicht beschleunigen , welches unvermeidlich war , sobald wir zum voraus gemeinschaftliche Sache machten .
Mochte das Problem , das wir uns aufgegeben hatten , immerhin nicht zu lösen sein ; genug wir wollten , was die Klugheit gebot , so lange ehren , als es wahrer Freundschaft unbeschadet geschehen könnte .
Den übrigen Mitgliedern des Hofes war ich ein unerklärbares Rätsel .
Was sie durchaus nicht begreifen konnten , war , wie man an einem Hofe fremd und doch so abgeneigt sein könnte , sich an irgend eine Partei anzuschließen .
Diese meine Eigentümlichkeit war ihnen um so unbegreiflicher , da ich , dem Anscheine nach , ganz isoliert dastand , und selbst von der Prinzessin , deren Gesellschaftsdame ich sein sollte , vernachlässigt war .
Gern hätte mich die eine oder die andere Partei für sich gewonnen ; aber gerade das , was mich zum Gegenstand so mannigfaltiger Bewerbungen machte , mußte mich behutsam und vorsichtig machen .
Dies war nämlich das bisschen Verstand , wodurch ich mich auszeichnete .
Wie bescheiden ich selbst auch darüber denken mochte , so konnte ich mir doch nicht verhehlen , daß ein Amalgam mit diesen Personen für mich unmöglich sei .
Es war vor allen Dingen ihre unbeschreibliche Flachheit , die mich von ihnen zurückschreckte .
In der Tat , man erweiset den Hofleuten in der Regel allzuviel Ehre , wenn man von ihrer Intrige mit irgend einer Art von Achtung spricht , sollte diese Achtung sich auch nur durch Mißbilligung und Abscheu ausdrücken .
In keiner Sache tief , sind sie es eben so wenig in der Intrige .
An dem Kitzel fehlt es ihnen nicht , wohl aber an dem Geiste , der sich ein Ziel setzet und seine Mittel demselben anpaßt .
Es würde wenigstens eine Art von Poesie in das Hofleben gebracht werden , wenn dieser Geist vorherrschte ; allein dies ist so wenig der Fall , daß es immer und ewig nur die leidige Prosa bleiben kann .
Es ist wahr , jeder hat sein besonderes Interesse , dem er nachgeht ; doch , indem man sich mehr von irgend einem Instinkt als vom Verstande leiten läßt , vertrödelt man das Leben , ohne jemals ans Ziel zu gelangen ; und daher die große Zahl der Unzufriedenen , die , wenn sie endlich aus allen ihren Erwartungen herausgefallen sind , wenigstens ihre Rechtlichkeit retten wollen , und , indem sie von unerkannten Diensten sprechen , die sie geleistet haben , sich nur immer selbst verdammen .
Kurz : die eigentliche Gemeinheit , in sofern sie mit Flachheit eins und dasselbe ist , wird nirgend sicherer und allgemeiner angetroffen , als an den Höfen , vorzüglich aber an den kleinen deutschen Höfen .
Und dies gerade war , was mir in meiner neuen Lage eine Behutsamkeit gebot , welche man unbegreiflich nannte .
Mich zu erforschen schickte man das Faktotum des Hofes , den Herrn Hofcapellan , an mich ab .
Dieser Mann , der , seinem Berufe nach , der rechtlichste und edelste des ganzen Hofes sein sollte , war , wie es zu geschehen pflegt , nur der feinste und eigennützigste ; und so groß war die Verkehrtheit aller Mitglieder des Hofes , daß man ihn gerade um derjenigen Eigenschaften Willen achtete , die ihn vor jedem intelligenteren Richterstuhle verdammen mußten .
Seine Erscheinung kam mir nicht ganz unerwartet , wiewohl ich in dem Augenblick , wo er sich melden ließ , auf seinen Empfang nichts weniger als vorbereitet war .
Der Zufall wollte , daß Klopstocks Messiade aufgeschlagen vor mir lag , als er in mein Zimmer trat .
Der hochwürdige Herr konnte , nachdem die ersten Begrüßungen vorüber waren , nicht umhin , einen neugierigen Blick auf meine Lektüre zu werfen ; und als er Klopstocks Messiade erblickte , die er wenigstens von Hörensagen kannte , war seine erste Frage :
Ob mir diese Lektüre Vergnügen mache ?
" Unendliches , " war meine Antwort ; " ich erblicke in der Messiade eine Welt , wie sie sich noch keinem schaffenden Geist aufgeschlossen hat .
Alles ist groß und erhaben , und weil man das Große und Erhabene nicht betrachten kann , ohne dem Kleinen und Niedrigen zu entsagen , so wäre wohl zu wünschen , daß Klopstocks Schöpfung sich in Jedermanns Händen befände .
Aber ich bin versichert , fügte ich hinzu , daß dies Gedicht , anstatt wie andere Werke in dem Zeitstrom unterzugehen , einer ganzen Ewigkeit von Entwicklung trotzen und in eben dem Maße an Wert gewinnen wird , in welchem es als reine Poesie dasteht . "
Dieser Gedanke fiel dem Herrn Kaplan auf ; und weil er ihn wirklich nicht verstand ( was mir sehr wahrscheinlich geworden ist , seitdem ich andere seines Gelichters kennen gelernt habe ) , oder weil er gute Ursache hatte , ihn nicht verstehen zu wollen , legte er mir die naive Frage vor :
Wie ich das meinte ?
" Ich meine , " erwiderte ich , " daß wenn der religiöse Geist , welcher die Messiade diktiert hat , längst verflogen sein wird , dies Heldengedicht nicht nur noch bezaubern , sondern auch um so mehr bezaubern wird , je weniger sich der Glaube , oder vielmehr der Unglaube , bei der Lektüre ins Spiel mischet . "
Der Kaplan , der mich noch immer nicht verstand , ließ irgend etwas Albernes fallen , wodurch er zu verstehen gab , daß er von mir voraussetze , nur Religiosität treibe mich zur Lektüre der Messiade ; und als ich hierauf nicht antwortete , nahm er sogleich Gelegenheit , über die Irreligiosität des Zeitalters ( welche ihm bei weitem vollendeter erschien , als sie wirklich war ) ein Langes und Breites zu sprechen , und sich so eine Brücke zu bauen , um zur Herzogin zu kommen , die er als das Muster aller Fürstinnen vorstellte .
Eine nähere Bekanntschaft mit ihr , meinte er , würde mir zeigen , wie sehr es zu wünschen wäre , daß ihr Geist den ganzen Hof durchströmen möchte ; und hierauf erfolgten neben den Lobeserhebungen , welche der Herzogin gemacht wurden , mehrere Winke , welche mich orientieren sollten .
Ich ließ den hochwürdigen Herrn ausreden , und als er das Bedürfnis fühlte , wieder zu Atem zu kommen , setzte ich das Gespräch durch einige Bemerkungen fort , worin ich zu verstehen gab , daß , allen meinen Beobachtungen zufolge , der Hof wirklich von dem Geiste der Herzogin durchdrungen sei .
" Ach wie viel fehlt daran , " antwortete der Hofcapellan ; " da ist z.B. der Kammerherr unseres geliebten Erbprinzen , ein Mann , dem außer seinem Vorteile nichts heilig ist , und gegen den sich der ganze Hof verschwören sollte , da er es so geflissentlich darauf anlegt , die liebenswürdigste Prinzessin verhaßt zu machen , um .... "
" Still ! still , Herr Hofcapellan ! fiel ich ihm in die Rede ; dies sind Dinge , über welche wir nicht berechtigt sind zu sprechen .
Die Wendung , welche Sie der Unterhaltung zu geben geruhen , ist mir so neu als interessant , aber ich darf darauf nicht eingehen , wenn ich nicht einmal für allemal aus der Bahn weichen will , die ich mir vorgezeichnet habe . "
Der Hofcapellan sah mich mit so dummen Augen an , als wenn von Verschmitztheit und Ränkesucht nie eine Spur in ihm gewesen wäre .
Offenbar erstaunte er darüber , an ein Wesen geraten zu sein , dem er nicht gewachsen war ; und ob er sich gleich alle Mühe gab , in sein voriges Gleichgewicht zurückzutreten , und seinen Besuch recht absichtlich verlängerte , um mir irgend einen Vorteil abzugewinnen , der alles , was zwischen uns vorgefallen war , wieder ins Gleiche bringen möchte , so schieden wir zuletzt doch so auseinander , daß von einer Gemeinschaft zwischen uns beiden , was auch immer ihr Gegenstand sein möchte , nicht wieder die Rede sein konnte .
Was den Kammerherrn des Erbprinzen betraf , so hatte ich längst bei mir ausgemacht , daß er bei weitem unschuldiger sei , als er in der Darstellung des Hofcapellans erschien .
Sein Hauptverbrechen war , der Liebling des Erbprinzen zu sein , dessen Gunst er durch nichts so sehr erobert hatte , als durch seine Polsterartigkeit , wenn man mir diesen Ausdruck gestatten will .
Es ist wahr , es fehlte ihm nicht an Verstand ; allein sein Verstand war nicht der schöpferische , der Anderen gebietet , indem er ihnen Richtungen gibt , die sie aus sich selbst zu nehmen allzuschwach sind , sondern der legale , der nur immer den fremden Willen bearbeitet , und folglich gar nicht für und durch sich existiert .
Des Kammerherrn höchster Grundsatz war : der Erbprinz ist der Herr . Diesem Grundsatz gemäß wagte er es nie , dem Erbprinzen zu widersprechen .
Hätte dieser seine Gemahlin lieben können , so würde er nichts dagegen einzuwenden gehabt haben ; da aber der Erbprinz dies nicht konnte , so hatte der Kammerherr auch wiederum nichts dagegen , daß er seine Verbindung mit einer früheren Geliebten fortsetzte , und tat , was in seinen Kräften stand , die Wünsche des Prinzen in dieser Hinsicht zu befriedigen .
Er meinte es gewiß mit der ganzen Welt gut ; aber da es einmal unmöglich ist , der ganzen Welt zu genügen , so hielt er es nur mit dem , dem er seine Dienste einmal gewidmet hatte .
Seine Furchtbarkeit war gewiß nicht weit her ; indessen erschien er allen denjenigen furchtbar , welche in Erwägung zogen , daß es , nach dem Tode des Herzogs , nur von ihm abhängen werde , Premier-Minister zu sein .
Einem solchen Schlag zuvorzukommen , wollte man ihn so zeitig als möglich verdrängen .
Wenn man mich in die Kabale zu verflechten wünschte , so geschah dies um der guten Meinung Willen , die man von meinem Verstande gefaßt hatte .
Nichts beabsichtigte man weniger , als eine Vereinigung des Prinzen mit der Prinzessin , und der Hofcapellan hatte sich nur in das Komplott ziehen lassen , weil er erfahren hatte , daß eben dieser Kammerherr im Punkt der Religion ein wenig locker sei .
Indem ich also in dem Gegenstande des Parteihasses keinen Widersacher der Prinzessin erblickte , konnte ich unmöglich geneigt werden , mich mit den Übrigen zur Entfernung eines Mannes zu vereinigen , der zuletzt der Unschuldigste von Allen war .
Ich konnte dies um so weniger , weil mir immer deutlicher einleuchtete , daß das Mißverhältnis zwischen dem Erbprinzen und seiner Gemahlin eben so sehr durch die Individualität der letzteren als durch die des ersteren gehalten wurde .
Es ist gewiß sehr zu bedauern , wenn die Tugend selbst die Quelle unseres Mißgeschicks und unserer Leiden wird ; allein dies ist unter gewissen Umständen eben so notwendig , als daß das Gegenteil der Tugend zum Mißvergnügen mit sich selbst und zur Opposition gegen die ganze Welt führen muß .
Es war ganz offenbar die Liebenswürdigkeit der Erbprinzessin , was sie ihrem Gemahl so verhaßt machte .
Wäre der Prinz in den Besitz seiner Gemahlin gekommen , ohne vorher in einem ernsthaften Verhältnis mit einer anderen Person gestanden zu haben ; so würde er , bezaubert von der Liebenswürdigkeit seiner Gemahlin , vielleicht sein ganzes Leben hindurch an keine Untreue gedacht haben .
Da dies nicht nur nicht der Fall war ; da die ehemalige Geliebte noch immer ihren Platz in seinem Gemüte behauptete , und , von den Eigenschaften der Gemahlin unterrichtet , es sich vielleicht doppelt angelegen sein ließ , die Zuneigung des Prinzen zu fesseln ; so konnte es schwerlich fehlen , daß dieser , von seinen Neigungen auf der einen , und von seinen Pflichten auf der anderen Seite gedrängt , in eine Leidenschaft geriet , wie sie dem Menschen nur einmal eigen ist , so oft er sich zwischen zwei Feuern befindet .
Erleichterung für sich selbst konnte der Prinz unter diesen Umständen nur dadurch erhalten , daß seine Gemahlin Eigenschaften offenbarte , welche die Untreue wo nicht rechtfertigen , doch wenigstens entschuldigen ; da diese aber immer in derselben moralischen Schönheit dastand , und , ohne weder zur Rechten noch zur Linken aus der einmal vorgezeichneten Bahn zu weichen , nur immer darauf dachte , wie sie die Weiblichkeit retten wollte , so blieb ihm zuletzt nichts anderes übrig , als entweder sich selbst , oder diejenige zu hassen , die ihn , wenn gleich gegen ihren Willen , in einem solchen Widerspruch mit sich selbst erhielt .
In der Tat , mehr , als alles andere , war dies die Quelle der heftigen Ausbrüche , welche sich der Erbprinz gegen seine Gemahlin erlaubte ; und welche Wahrscheinlichkeit , daß sich dies jetzt noch abändern lassen werde !
Um anhaltend zu hassen , darf man nur beleidigen ; und wen es befremdet , daß fürstliche Personen bei weitem tiefer in ihrem Hasse sind , als andere Erdensöhne und Töchter , der darf nur bedenken , daß jenen die Beleidigung unendlich mehr kostet , als diesen , weil sie sich auf die Kunst des Ausweichens bei weitem besser verstehen , und , nur im höchsten Drange der Not und nie ohne ihrem Wesen zu entsagen , zu dem , was man Unhöflichkeit nennt , gebracht werden können .
Fasset man dies gehörig , so hat man den Schlüssel zu sehr viel Erscheinungen , welche in der Regel äußerst schlecht interpretiert werden .
Um nur nicht unhöflich sein , oder beleidigen zu müssen , ( und beides ist zuletzt einerlei ) hat man sich , wer weiß wie oft , durch eine Vergiftung aus der Affäre gezogen .
Dies ist besonders an großen Höfen der Fall gewesen , wo man noch weit mehr Ursache hatte , die Folgen eines Skandals in Erwägung zu ziehen , als an kleineren , wo die Bürgerei zuletzt , wenn gleich in einer etwas veredelten Gestalt , ihr Wesen forttreibt .
Wäre von den Szenen , welche täglich zwischen dem Prinzen und seiner Gemahlin statt fanden , nur eine einzige an dem französischen oder spanischen Hofe vorgefallen , so wäre eine Trennung - gleich viel unter welcher Form - unvermeidlich gewesen .
Ich will damit nicht sagen , daß ihre Feindschaft in der Periode , von welcher hier die Rede ist , den höchsten Gipfel erstiegen hatte ; allein es gibt Verhältnisse , bei welchen es gleich viel ist , welchen Grad der Verschlimmerung sie erreicht haben , so bald man sagen muß , daß sie aufgehört haben gut zu sein .
Die Erbprinzessin fühlte sich wahrlich nicht minder unglücklich , weil ihr Gemahl noch einige Rücksichten nahm , die unter Personen fürstlichen Standes nie wegfallen dürfen , wenn sie nicht zu dem Pöbel herabsinken wollen .
Ich machte sehr bald die Bemerkung , daß ein weit höheres Maß von Kraft erfordert wird , die Dinge in einem gegebenen Zustande zu erhalten , als sie zu leiten .
Das Erstere ist in der Regel ganz unmöglich ; die menschliche Natur ist es , was diese Unmöglichkeit hervorbringt .
Das letztere läßt sich bewerkstelligen ; nur erfordert es eine Überlegenheit des Geistes , wodurch man den Ausschlag über seine ganze Umgebung gibt .
Nichts war dadurch gewonnen worden , daß ich mich neutralisiert hatte ; allein wie meine Taktik so verändern , daß ich das Verlorene wieder gewann ?
Diese Aufgabe war schlechterdings nicht zu lösen , da ich es mit Personen zu tun hatte , durch welche sich kein einziger von den Planen ausführen ließ , die ich entwerfen konnte .
Unaussprechlich leiden sah ich die Prinzessin , und eben so unaussprechlich blutete mein Herz bei diesem Anblick ; aber wie ich sie retten , oder wenigstens erleichtern sollte , darüber konnte ich durchaus nicht mit mir selbst ins Reine kommen .
Der Zufall tat zuletzt mehr , als ich erwartet hatte .
Es war an einem von den schönen Tagen , durch welche der Frühling zum Sommer übergeht , als die Prinzessin mich gegen Abend zu sich rufen ließ .
Ich eilte in ihre Nähe ; wir waren allein .
Der Vertrag , den wir stillschweigend geschlossen hatten , dauerte fort , und keine von uns beiden beabsichtigte einen Bruch desselben .
Die Prinzessin bat mich indessen neben ihr Platz zu nehmen , und redete mich hierauf folgendermaßen an :
" Ich kenne jetzt keine angenehmere Zerstreuung , als die der italienischen Dichter , weil diese mich am schnellsten in die Regionen führen , wo ich die Wirklichkeit vergesse .
Aber ich bin nicht länger im Stande , dies hohe Vergnügen allein zu genießen .
Sie , meine geliebte Mirabella , sollen es mit mir teilen .
Wenn ich Sie ersuche , meine Vorleserin zu sein , so leitet mich dabei der besondere Eigennutz , die Musik der italienischen Poesie durch Ihre Stimme erhöht zu fühlen .
Wählen Sie , welches Gedicht Sie wollen , und lesen Sie mir vor , was Ihnen beliebt . "
Mit der besonderen Zärtlichkeit , die ich noch immer für Tasso's befreites Jerusalem hatte , wählte ich dies göttliche Gedicht ; und da der Charakter der Erminia mich immer vor allen übrigen weiblichen Charaktern , die in demselben entfaltet sind , angezogen hatte , so las ich den sechsten Gesang vor .
Ich war bis an die Stelle gekommen , wo Erminia auf ihrer Flucht beim Anblick des Lagers der Christen in folgende Klagen ausbricht :
O belle agli occhi miei tende Latine , Aura spira da voi che mi recrea , E mi conforta , pur che m' avvicine .
Cosi a mia vita combattuta e rea Qualche onesto riposo il Ciel destine , Come in voi solo il cerco : e solo parme , Che trovar pace io possa in mezzo alle arme .
Raccogliete me dunque , e in voi si trove Quella pieta , che mi promise Amore etc .
Als die Prinzessin , von ihren Gefühlen überwältigt , in die Worte ausbrach : " O wäre doch auch für mich eine Flucht möglich ! " und unmittelbar darauf dem gepreßten Herzen durch einen Strom von Tränen Luft machte .
Mir fiel bei diesem Anblick das befreite Jerusalem aus den Händen , und , meiner früheren Vorsätze uneingedenk , warf ich mich zu den Füßen der Prinzessin nieder , sie beschwörend , daß sie mir nichts verhehlen möchte .
" Ich bin ganz die Ihrige , " rief ich aus , " so bald Sie verlangen , daß ich es sein soll . "
Die Prinzessin sah mich mit der Miene der Rührung an , und nachdem sie sich gefaßt hatte , sprach sie folgendes :
" Ich habe Sie nur allzugut erraten , Mirabella ; um nicht zu verschlimmern , was sich nicht verbessern ließ , nahmen Sie diese Stellung an , worin Sie die Dinge sich selbst überließen .
Aber ich hätte Sie nie kennen lernen müssen , wenn ich auch nur einen Augenblick an Ihrer Bereitwilligkeit , alles was in Ihren Kräften steht , für mich zu leiden und zu tun , hätte zweifeln sollen .
In dem gegenwärtigen Augenblicke folgen Sie mehr Ihrem Gemüte , als Ihrem Verstande ; aber dies liegt so sehr in der Natur der Sache , daß Sie mir dadurch nur um so teurer werden .
Wie die Lage der Sachen ist , wissen Sie , ohne daß wir jemals darüber gesprochen haben .
Auch jetzt wollen wir nicht ausführlich darüber werden .
Genug , daß ich die Verlassenheit , worin ich mich befinde , nicht länger ertragen kann .
An irgend ein menschliches Wesen muß ich mich anschließen können , wenn das Leben einen Wert für mich behalten soll .
Mein Gemahl kann es nicht sein , und wer bleibt mir übrig , als Sie ?
Ich stehe für nichts , wenn Sie sich mir noch länger entziehen .
Berechnen Sie hiernach , was Sie tun müssen .
Die Politik , von welcher Sie sich bisher leiten ließen , hat Ihrem guten Herzen zuletzt am meisten Wehe getan .
Warum wollen Sie ihr noch länger folgen ?
Verderben läßt sich nicht , was schon im höchsten Grade verdorben ist .
Ich verzeihe Alles , und verzeihe mit der höchsten Freudigkeit des Gemüts ; aber meine Bedingung ist , daß Sie sich fester , als jemals , an mich anschließen .
Ihnen gegenüber werde ich die Kraft haben , Alles zu ertragen , was mir noch bevorsteht ; oder vielmehr , ich werde von nun an gar nichts mehr zu ertragen haben , und meines Daseins von neuem froh werden .
Hätte ich von mir allein abgehangen , wer weiß , ob ich jemals in ein Verhältnis getreten wäre , wodurch eine Scheidewand zwischen uns errichtet werden mußte ?
Da dies einmal geschehen ist , so wollen wir lieber gar nicht daran zurückdenken .
Gewiß , wir sind uns selbst genug ; nur müssen wir fest zusammenhalten , und auf die Wirklichkeit um uns her so wenig als immer möglich zurückblicken .
Was habe ich von meiner Freundin , von meiner Mirabella , zu erwarten ? "
Meine Antwort auf diese Frage war , wie sie nach einer solchen Szene sein konnte ; ich wiederholte mein :
" Ich bin die Ihrige mit Allem , was in mir ist ; " denn ob sich gleich die Folgen dieser Vereinigung nicht berechnen ließen , so wollte ich doch lieber aus Heroismus edel , als aus Feigheit klug handeln .
Es war von diesem Augenblick an gleich viel , wo wir existierten ; aber um der Prinzessin einige Erleichterung zu verschaffen , entwarf ich den Plan zu einem Sommeraufenthalt auf einem drei Meilen von der Hauptstadt gelegenen Lustschlosse , welches seit vielen Jahren unbewohnt geblieben war .
Voraussehen ließ sich , daß dieser Plan große Schwierigkeiten finden würde ; vorzüglich von Seiten der Herzogin , wel che seit einiger Zeit ihre Schwiegertochter liebgewonnen hatte , weil sie wenigstens eben so unglücklich war , als die Herzogin selbst .
Allein alle diese Schwierigkeiten ließen sich überwinden , sobald es mir gelang , den Kammerherrn des Erbprinzen in mein Interesse zu verflechten .
Ich trat zu diesem Ende mit ihm in Unterhandlungen , und so bald er eingesehen hatte , daß für ihn selbst nichts dabei zu wagen sei , bestimmte er den Erbprinzen , seine Genehmigung zu geben .
Es gewann für den großen Haufen der Hofleute das Ansehen , als sei eine Versöhnung zwischen dem Erbprinzen und seiner Gemahlin erfolgt , weil ich darauf bestand , daß der Erbprinz , um den Schein zu retten , uns begleiten sollte , und er sich wirklich dazu hergab .
Doch , von dem Nachmittag des zweiten Tages an , waren wir uns ganz selbst überlassen , und so wenig um die Folgen unserer Isolierung bekümmert , daß wir nur daran dachten , wie wir recht angenehm leben wollten .
Ein ziemlich hoher Berg lag zwischen der Hauptstadt und dem Lustschlosse , und mehr bedurfte es nicht , uns glauben zu machen , daß wir von der ganzen Welt geschieden in dem Paradiese selbst lebten .
Die Lage des Lustschlosses war die reizendste , die man sich denken kann .
Auf einer Anhöhe gelegen , war es rechts durch unabsehbare Wiesen und links durch einen dunklen Tannenwald begrenzt .
Vorn dehnte sich ein geräumiger Garten aus , den man anzubauen nicht vernachlässigt hatte , und in welchem eine zahlreiche Orangerie neben den Treibhäusern hin ihre Wohlgerüche verbreitete .
Hinten war ein dicht verwachsener Park mit zahmen Wildbret angefüllt , und an den Park lehnte sich eine Meierei mit hohen Lindenbäumen bepflanzt .
Der Aufenthalt war über alle unsere Ertwartungen romantisch und bequem .
Ihn durch nichts zu verderben , hatten wir von der Dienerschaft nur diejenigen mitgenommen , die uns unentbehrlich waren .
Ein halb geöffneter Wagen mit zwei Pferden war unsere einzige Equipage ; aber auch von ihm wollten wir nur selten Gebrauch machen .
Unsere Genüsse sollten zugleich einfach und ausgesucht sein ; und dazu war vor allen Dingen nötig , daß der Tisch nie befrachtet , die Bibliothek hingegen mit allen den Dichtern angefüllt war , die uns jemals entzückt hatten ; denn da die Wirklichkeit uns einmal verhaßt war , so wollten wir ihr auf allen möglichen Fittichen entfliehen .
Unser Leben sollte , wenigstens für den nächsten Sommer , ein wahres Idyllenleben sein , und um diese Idee immer gegenwärtig zu haben , nannte mich die Prinzessin in eben dem Augenblick Chloe , wo sie mir gebot , sie selbst Daphne zu nennen .
Es fehlte uns beiden nicht an Erfindungskraft .
Die ersten Morgenstunden wurden im Garten oder im Park verlebt , wo wir mit irgend einer leichten Arbeit in der Hand , mehr empfindend als denkend , uns nach allen Richtungen hin bewegten .
Wurde die Sonnenhitze uns allzustark , so begaben wir uns in einen Pavillon , wo wir abwechselnd vorlasen .
Der Anfang wurde mit Gesners Idyllen gemacht ; allein wir legten sie bald zurück , weil es uns vorkam , als ob der größte Reiz , den sie gewähren könnten , nicht in den Gemälden , sondern in der Einfassung enthalten sei .
Ich hatte seit ungefähr einem halben Jahre einen Teil meiner Muße auf das Studium der spanischen Sprache und schönen Literatur gewendet , und die Prinzessin mit dieser Liebhaberei angesteckt .
Indem wir frühere Fortschritte gegenwärtig zu unserem Vergnügen benutzen wollten , verfielen wir auf die Diana des Montemayor , und machten sehr bald die Entdeckung , daß dies Meisterstück der sogenannten Schäferpoesie ohne Gleichen dasteht , und allen modernen Idyllendigern zum Muster dienen muß , sofern der wahre Dichter eines Musters bedarf .
Das dritte Buch der Diana , welches die Geschichte der unglücklichen Belisa enthält , bezauberte uns vor allen ; wir wurden nicht müde es zu lesen und wieder zu lesen , bis wir ganz davon durchdrungen waren .
Bezauberte uns Montemayors Einfachheit , so entzückte uns Boscan's und Garcilaso's kunstreiches Genie nicht minder .
Es kam uns vor , als ob der Strom der Gedanken und Empfindungen in diesen Dichtern etwas ganz Eigentümliches habe , wodurch er von Anfang bis zu Ende aufs innigste zusammenhänge und immer nur Ein Erguß sei .
Noch andere spanische und italienische Dichter wechselten mit diesen ab .
War die Lektüre geendigt ; so kehrten wir in das Lustschloß zurück , wo wir , im rechten Flügel , der lachendsten und unabsehbarsten Aussicht gegenüber , zu Mittag aßen , und uns auf diese Weise selbst das Materielle vergeistigten .
Nur die einfachsten Gerichte durften auf unserer Tafel erscheinen , und junges Geflügel war die einzige Fleischspeise , die wir uns erlaubten .
Die schwülen Mittagsstunden wurden verschlafen , oder verträumt , sofern dieser Ausdruck auf Personen anzuwenden ist , welche gewissermaßen nie aus ihrem Traum erwachten .
Gegen Abend fuhren wir aus .
Die ganze umliegende Gegend wurde von uns besucht , und wo wir Gelegenheit fanden , unsere liebenden Gefühle zu ergießen , da blieb sie nicht unbenutzt .
Ein leichtes Abendessen empfing uns bei unserer Zurückkunft , und unmittelbar darauf erfolgte jener süße Schlummer , den Gesundheit und Unschuld geben .
In diesem Kreislauf von Beschäftigungen und Vergnügen verstrich ein Tag nach dem anderen , bis ein Schreiben von dem Kammerherrn des Erbprinzen mir zu verstehen gab , daß ich die Achtung für den Schein , auf welcher ich vor meiner Abreise in Beziehung auf die Prinzessin so nachdrücklich bestanden , seit meiner Ankunft auf dem Lustschlosse in Beziehung auf den Prinzen ganz aus den Augen gesetzt hätte .
Der Vorwurf war gerecht ; und wie schwer es uns auch fallen mochte , aus unserer Idyllenwelt , wäre es auch nur auf wenige Stunden , herauszutreten , so mußte doch irgend etwas geschehen , den begangenen Fehler wieder gut zu machen .
Ungefähr vierzehn Tage nach unserer Ankunft auf dem Lustschlosse fuhren wir also in die Hauptstadt zurück , um an dem Hofe zu mittag zu essen , und unmittelbar darauf in unsere Einsamkeit zurückzukehren .
Ich befürchtete bei dieser Gelegenheit , daß die Erbprinzessin alle die Ungeduld beweisen würde , welche dann einzutreten pflegt , wenn wir uns von geliebten Formen losreissen müssen ; allein meine Befürchtung war sehr überflüssig , und ich bemerkte jetzt zum erstenmal , wie meine Freundin , seit ihrer förmlichen Wiedervereinigung mit mir , eine Ruhe gewonnen hatte , die sich durch nichts stören oder unterbrechen ließ .
Ein Seufzer aus der äußersten Tiefe der Brust , so bald wir das Stadttor im Rücken hatten , war alles , was zum Vorschein trat , um ihre Liebe für Freiheit , Offenheit und Unschuld zu beurkunden ; und als wir an Ort und Stelle angekommen waren , drängte sich das Geständnis hervor : daß sie nur an meiner Seite glücklich leben könne .
Derselbe Besuch wurde alle vierzehn Tage wieder holt , und zur Abwechslung erhielten wir auch wohl auf einige Stunden die Ehre , von dem Herzog oder dem Erbprinzen selbst besucht zu werden .
So wie aber die Zeit vorrückte , fingen wir an , den Winter zu fürchten , den wir uns als diejenige Jahreszeit dachten , in welcher die künftige Freiheit durch die drückendste Sklaverei erkauft werden müßte .
Wohlmeinender , liebender und schuldloser konnten schwerlich zwei andere Wesen sein ; allein dies alles rettete uns nicht vor der Langenweile , der Kränkung und dem Argwohn .
Mit unseren Eigenschaften mußten wir das Schicksal mancher anderer Weiber teilen , die nur deswegen verkannt werden , weil man ihre Eigentümlichkeit nicht zu begreifen vermag .
Den Klang des Silbers kann man nur durch Silber erforschen ; und eben so bedarf es einer sympathetischen Seele , um den wahren Gehalt eines edlen Gemüts kennen zu lernen .
Wahrlich nicht alle Weiber sind lächerlich , die in die Regionen der Kunst und des Schönen streben .
Wie können sie es vermeiden , wenn ihre bescheidensten Ansprüche auf die Wirklichkeit unerfüllt bleiben ?
Zuletzt will jede von uns , die nicht von der Wiege an verdorben ist , nur ihren rechtmäßigen Teil an häuslicher Zufriedenheit ; aber wenn auch dieser versagt wird , bleibt dann etwas anderes übrig , als das wirkliche Glück durch ein eingebildetes zu ersetzen ?
Manche , die von einem bösen Dämon getrieben zu werden scheint , so lange sie diesseits der Schwelle ihres Hauses verweilt ; manche Andere , welche nur in der schönen Kunst lebt und alle ihre Nerven zerreisset , um als Schriftstellerin zu glänzen , würden , wenn sie an den rechten Mann gekommen wären , das bare Gegenteil von dem geworden sein , was sie jetzt sind .
In der Begrenztheit der meisten Männer liegt für Weiber , die nur einigermaßen einer Entwicklung fähig sind , eine zur Verzweiflung treibende Kraft .
Das Weib will bewahren , was es instinktmäßig für sein Herrlichstes erkennt , die Weiblichkeit ; aber durch die Einseitigkeit des Mannes aus sich selbst heraus getrieben , schwärmt es umher , die verlorene Stütze zu suchen , und findet es sie nicht in der Kunst , so muß es Ruhe in der Zerstörung seines Wesens finden .
So endigen die meisten .
Unaufhaltbar näherte sich der Winter .
Wir mußten unser Paradies verlassen und in die Hauptstadt zurückkehren .
Die Verhältnisse am Hofe waren noch dieselben ; aber das Gemüt der Erbprinzessin hatte durch den Aufenthalt auf dem Lustschlosse eine Verwandlung erfahren , welche nicht ohne Folgen bleiben konnte .
So lange ihr Gemahl die einzige Stütze war , die es für sie gab , mußte sie sich ihm , wenn gleich gegen ihren Willen und gegen alle ihre Neigungen , unaufhörlich nähern ; und da konnte es denn nicht fehlen , daß sie zurückgestoßen und einmal über das an derer beleidigt wurde .
Jetzt , wo sie in mir , oder vielmehr in ihrer Liebe für die schöne Kunst , eine Stütze gefunden hatte , jetzt war ihr der Gemahl so gleichgültig , als ob er gar nicht vorhanden gewesen wäre .
Der Erbprinz mochte sich hierüber nicht wenig wundern ; aber selbst dann , wenn er über diese Verwandlung gar nicht nachdachte , mußte es ihm sehr empfindlich sein , daß er in seiner Gemahlin keinen Gegenstand des Hasses mehr hatte , während er eines solchen für seine anderweitigen Verhältnisse bedurfte .
Immer ruhig , immer gelassen und heiter , ohne irgend eine Spur von beleidigtem Stolze zu zeigen , und ohne irgend einen Anspruch zu bilden , wodurch sie den Neigungen ihres Gemahls in den Weg getreten wäre , stellte sich die Erbprinzessin beständig in den edelsten Formen dar , eben so sehr ein Gegenstand der Verzweiflung für denjenigen , der ihr etwas anhaben wollte , als der liebenden Huldigung für Alle , welche unbefangenen Gemütes auf sie hinblickten .
Dies mußte zu neuen Entwicklungen führen ; ich sah es vorher und zitterte vor dem Ausgange , aber ich begriff den ersten Anfang nicht eher , als bis er gemacht war .
Von den Eigenschaften seiner Schwiegertochter bezaubert , und , weil eben diese Schwiegertochter mit allem Glanze der Gesundheit und Schönheit bisher unfruchtbar geblieben war , nicht ohne Sorge für seine Descendenz , wollte der Herzog von den Ursachen belehrt sein , welche den Erbprinzen und dessen Gemahlin von einander entfernt hielten .
Da fehlte es nun nicht an Personen , welche , sich der Erbprinzessin annehmend , alle Schuld auf das Verhältnis schoben , worin ihr Gemahl noch immer mit seiner ersten Geliebten stand .
Der Herzog war vor der Vermählung seines Sohnes von diesem Verhältnisse unterrichtet gewesen , hatte sich aber gar nicht träumen lassen , daß es noch immer fortdauerte .
In Harnisch gesetzt durch die Entdeckung , wozu man ihm verholfen hatte , hielt er es für seine Pflicht , diesem Unwesen auf dem Wege der Gewalt sogleich ein Ende zu machen .
Ohne also auf die Individualität seines Sohnes die mindeste Rücksicht zu nehmen , und ohne irgend eine von den Folgen , welche dieser Schritt nach sich ziehen konnte , schärfer ins Auge zu fassen , erteilte er Knall und Fall den Befehl , daß Fräulein von M... nicht nur die Hauptstadt , sondern sogar seine Staaten innerhalb vier und zwanzig Stunden räumen sollte .
Ich würde alles aufgeboten haben , diesen Streiche abzuwenden , wäre ich davon unterrichtet gewesen ; allein er fiel so plötzlich , daß er bereits vollendet war , als ich die erste Nachricht davon bekam .
Wie sehr ich auch wünschen mochte , daß es für die Erbprinzessin eine wahre Ehe geben möchte , so sah ich doch sehr deutlich ein , daß die Gewalt sie nie herbeiführen werde .
Mir war daher sehr übel zu Mute , als mich der Herzog einige Tage darauf zu sich berufen ließ , und mir erklärte , daß , nachdem von seiner Seite alles geschehen sei , um ein gutes Verhältnis zwischen der Erbprinzessin und seinem Sohne zu begründen , er nun auch von mir erwartete , daß ich das Meinige tun würde , um die Sachen in das gehörige Gleis zu bringen .
So mußte freilich der Herzog sprechen , der , weil er im Besitz der Gewalt war , alles nur in dem Lichte der Pflicht betrachten konnte ; allein so konnte derjenige nicht sprechen , der das Wort zum Rätsel hatte und zu beurteilen verstand , welche Hindernisse in der Erbprinzessin zurückblieben , nachdem alle Hindernisse in dem Erbprinzen aus dem Wege geräumt waren .
Ich versicherte - und gewiß mit Wahrheit - daß es nie an mir gelegen habe , den Erbprinzen in dem Besitz seiner liebenswürdigen Gemahlin beglückt zu sehen ; ich fügte aber zugleich hinzu , daß man es der Zeit überlassen müsse , diejenige Vereinigung der Gemüter hervorzubringen , ohne welche eine Ehe nicht denkbar sei .
" Das sind Schimären , " erwiderte der Herzog .
" Was bedarf es hier der Zeit ?
Die Erbprinzessin ist hübsch ; mein Sohn ist nicht häßlich .
Daraus folgt , daß sich beide lieben können .
Ich bin zufrieden , wenn ich vor meinem Tode einen wackeren Enkel habe . "
Gegen eine solche Sprache läßt sich nie etwas einwenden , und ohne dem Herzog noch irgend eine Bemerkung zu machen , welche seine Logik kompromittiert hätte , entfernte ich mich mit dem Versprechen , daß ich für die Erfüllung seiner Wünsche alles tun würde , was in meinen Kräften stände .
Die Erbprinzessin war gegen die Maßregel ihres Schwiegervaters so gleichgültig geblieben , als ob sie tausend Meilen von ihr entfernt genommen worden wäre .
Das Einzige , was sie dabei zu befürchten schien , war , daß der Prinz , der gewaltsamen Richtung folgend , welche sein Vater ihm gegeben hatte , sich ihr wieder nähern könnte .
Sie war weit davon entfernt , ihn zu hassen ; allein sie war eben so weit davon entfernt , ihn zu lieben .
So teuer waren ihr seit Jahr und Tag ihre Beschäftigungen geworden , daß sie keinen anderen Wunsch hatte , als sich selbst überlassen , d.h. ganz ungestört zu bleiben .
Ich , meiner Seits , stand als die Urheberin dieser Vorliebe für das Schöne da , die sich ihrem ganzen Wesen so tief eingefugt hatte .
Nie hatte ich eine andere Absicht gehabt , als ihr einen temporären Ersatz für das zu geben , was sie entbehren mußte .
Wenn das , wobei ich immer nur an ein Pis aller gedacht hatte , vermöge der Vortrefflichkeit ihrer Anlagen , etwas ganz Anderes geworden war - wer konnte die Schuld tragen , wenn sie nicht von eben diesen Anlagen übernommen wurde ?
Wie achtungswert , ja wie liebenswürdig sogar , die innere Notwendigkeit sein mochte , worin die Prinzessin meinen Blicken erschien ; so konnte ich mir doch nicht verhehlen , daß diese Notwendigkeit eben so eisern sei , als jede andere .
Denn wie die Ideale , in welchen sie lebte und webte , wieder aus ihr verdrängen ?
So lange sie in ihrem bisherigen Geleise blieb , war für die Wünsche des Herzogs nichts von ihr zu hoffen .
Es würde mir nichts gekostet haben , mein eigenes Werk in ihr zu zerstören , weil ich wohl einsah , daß es zerstört werden mußte , wenn die Prinzessin wieder in ihr emporkommen sollte ; allein wie diese Zerstörung einleiten ?
Ich verzweifelte , so oft ich hierüber nachdachte ; ich verzweifelte um so mehr , weil ich mich selbst genug kannte , um das Notwendige in mir in einigen Anschlag zu bringen .
Da aber von meiner Seite irgend Etwas geschehen mußte , so glaubte ich nicht besser zum Ziele kommen zu können , als wenn ich mich mit dem Kammerherrn des Erbprinzen zur Wiedervereinigung der beiden fürstlichen Personen verbände .
Ich ging von der Voraussetzung aus , daß er , als ein Mann von Verstand , vor allen Anderen mich verstehen müsse , so bald ich ihm über das Wesen der Prinzessin die Aufschlüsse gäbe , die Niemand geahnt hatte .
Ehe aber diese Aufschlüsse erfolgten , sondierte ich ihn über die Gesinnungen des Erbprinzen in Beziehung auf dessen Gemahlin .
Was ich erfuhr , entsprach meinen Wünschen und übertraf alle meine Erwartungen ; denn der Kammerherr sagte mir geradezu , daß der Erbprinz durch die Maßregel seines Vaters zwar politisch beleidigt , aber nicht menschlich gekränkt worden sei , da er es schon seit längerer Zeit darauf angelegt habe , sich aus der Klemme zu ziehen , worin er sich bisher befunden .
Er fügte hinzu , der Erbprinz würde schon seit mehreren Monaten zu seiner Gemahlin zurückgekehrt sein , hätte diese ihn nicht eine niederschlagende Gleichgültigkeit blicken lassen , wodurch sein Stolz notwendig hätte geweckt werden müssen .
Ich rückte hierauf mit meinen Aufschlüssen über das Wesen der Erbprinzessin hervor .
Der Kammerherr sah mich bei dieser Analyse mit so großen Augen an , als ob von den sieben Wundern der Welt die Rede gewesen wäre .
Unstreitig verstand er mich nicht , ob er sich gleich das Ansehn gab , als hätte er dies längst vermutet .
" Indem nun , " fuhr ich fort , " die Kräfte so einander entgegen wirken , begreifen Sie sehr leicht , daß unser Plan , in so weit er auf Vereinigung des Erbprinzen mit seiner Gemahlin abzweckt , nur auf einem einzigen Wege durchgetrieben werden kann .
Alles ist verloren , sofern die Individualität beider gleich sehr respektiert wird .
Von dem , was die Pflicht gebietet , kann hier gar nicht die Rede sein ; denn hat sie nicht immer geboten und ist sie nicht immer unter die Füße getreten worden ?
Sie müssen von der Voraussetzung ausgehen , daß die Neigungen Ihres Herrn die Erbprinzessin in die Form hineingedrängt haben , worin sie jetzt erscheint , und alles aufbieten , was in Ihren Kräften steht , den Erbprinzen so zu stimmen , daß er keine unzeitigen Ansprüche an die Gemahlin macht , die das Weib in ihr verwerfen muß .
Meine Sache wird es sein , die Erbprinzessin aus dem geistigen Schwerpunkt , in welchem sie versunken ist , wieder heraus zu heben und den Engel in ihr von neuem zu verkörpern .
Gemeinschaftlich müssen wir dahin arbeiten , den Erbprinzen in eine Achtung zu setzen , die er bis jetzt noch nicht gefunden hat .
Da ich mich nie über ihn erklärt habe , so kann ich , ohne mich mit mir selbst in Widerspruch zu bringen , alles Gute von ihm sagen .
Sorgen Sie ihrer Seits dafür , daß es mir dazu nicht an Veranlassung fehle .
Wir Weiber achten an den Männern nichts so sehr , als die staatsbürgerlichen Tugenden , und ich stehe Ihnen dafür , daß ich die Prinzessin in den Prinzen verliebt mache , so bald dieser aufhört , seine Bestimmung nur von Seiten der Genüsse zu schätzen , welche damit verbunden sind .
Über kurz oder lang tritt er an die Stelle seines Vaters ; bewegen Sie ihn doch , sich dazu in jeder Hinsicht vorzubereiten .
Ganz neue Gefühle müssen in der Erbprinzessin erwachen , wenn sie , welche nie abfiel , sondern nur verdrängt wurde , wieder an den Gemahl angezogen werden soll . "
Entwürfe dieser Art können nur dann gelingen , wenn sie zwischen einer Palatine und einem Kardinal von Retz verabredet werden .
Ich sage wohl nicht zu viel , wenn ich behaupte , daß der veredelte Geist der Palatine auf mir ruhte , als ich diese Vorschläge tat ; aber der Kammerherr war weit davon entfernt , ein Kardinal von Retz zu sein .
Es war seine Legalität , was ihn unfähig machte , mit mir vereinigt zu wirken .
Gegen den Zweck hatte er nichts einzuwenden ; eben so wenig konnte er die Mittel mißbilligen ; die Moralität unseres Entwurfs war über allen Zweifel erhaben .
Aber woher den Mut nehmen , seinem Herrn eine Richtung zu geben !
Dies war die Klippe , an welcher alles scheitern mußte ; und ich gestehe , daß , wenn ich diese Klippe geahnt hätte , ich meinen ganzen Entwurf für mich behalten haben würde .
Der große , wenn gleich sehr verzeihliche , Fehler , den ich beging , bestand darin , daß ich Verstand und Genie verwechselte .
Ich glaubte an dem Kammerherrn einen tüchtigen Gehilfen gefunden zu haben , weil er ein Mann von Verstand war ; aber ich bedurfte eines Mannes von Genie , und davon war , genau genommen , keine Spur in dem Kammerherrn .
Mochte er noch so sehr versichern , daß er mich vollkommen verstanden habe ; er konnte meine Idee nur verderben .
Da meine Operationen von denen des Kammerherrn abhingen ; so war ich auf nichts so aufmerksam , als auf das Betragen des Prinzen gegen seine Gemahlin .
Gewisse Modifikationen in demselben zeigten mir an , daß eine Unterredung statt gefunden haben müsse ; aber diese Modifikationen hatten noch keinen so bestimmten Charakter , daß ich mit Sicherheit auf den Gehalt der Unterredung zurückschließen konnte .
Mir schlug das Herz vor Ungeduld ; in mehreren Billetts zeigte ich dem Kammerherrn an , daß keine Zeit zu verlieren sei .
Dieser mochte seiner Seits den besten Willen von der Welt haben ; da er aber seiner Einsicht unterlag , so konnte er sein Geschäft nur verderben .
Unfähig , einen solchen Charakter , wie der der Prinzessin nun einmal war , zur Anschauung zu erheben , und sich unstreitig einbildend , daß das , was wir erreichen wollten , sich auf mehr als einem Wege erreichen lasse , gab er seinem Herrn lauter solche Anschläge , daß dieser sich in der Achtung der Prinzessin noch weiter zurücksetzen mußte .
Soll ich das Betragen des Prinzen mit Einem Worte charakterisieren , so muß ich sagen , daß es ein galantes war .
Was in aller Welt konnte aber die Prinzessin mehr empören , als dieses Gemisch von Ehrerbietung und Verachtung , zusammengehalten durch Heuchelei und Niederträchtigkeit ?
Sie hätte zu den allergemeinsten Naturen gehören müssen , wenn ihr der Prinz auf diesem Wege achtungswert geworden wäre .
Auch fühlte sie sich tief verwundet ; und ob sie gleich kein Wort fallen ließ , wodurch sie ihren inneren Zustand offenbaret hätte , so zeigte doch eine gewisse unbeschreibliche Traurigkeit , wie heftig der Schmerz war , der ihr Innerstes durchwühlte .
Es lag am Tage , daß der Kammerherr sich nicht hatte von der Idee losreissen können , die er von der Gebrechlichkeit des weiblichen Geschlechts hatte ; und wollen wir ihm hier Vorwürfe darüber machen , daß er in dieser Hinsicht auf Einer Linie mit den meisten Männern stand , welche nie begreifen können , wie es außer ihrer Realität noch eine andere geben könne ?
Es versteht sich von selbst , daß ich neutralisiert war , so bald die Sache diese Wendung genommen hatte ; denn ich hatte mich nur zur Nachhülfe anheischig gemacht , und diese konnte nicht statt finden , so bald das ganze Werk verdorben war .
Dies war indessen etwas , wovon sich der Kammerherr nicht überzeugen konnte .
Da er sich einem so schwierigen Geschäfte einmal unterzogen hatte , so wollte er dies auch mit Verstand getan haben .
Hierüber fand kein kapitulieren mit ihm statt ; und weil ich ungern zankte , so blieb ich weit davon entfernt , ihm auch den glimpflichsten Vorwurf zu machen .
Er selbst trat mit Vorwürfen hervor , so bald er sah , daß die Sache , anstatt von der Stelle zu rücken , nur schwerkräftiger und schlimmer wurde .
Mir war hierbei sehr übel zu Mute ; denn ich sah sehr deutlich ein , daß ich mich in die fatalste Lage von der Welt gesetzt hatte .
Es konnte nämlich nicht fehlen , daß ein Ungewitter von Gemeinheit über meinem Haupte losbrach , sobald die von mir zuerst entworfene Wiedervereinigung des Erbprinzen mit seiner Gemahlin nicht wirklich erfolgte .
Was blieb mir aber , wenn dies durchaus geschehen mußte , anderes übrig , als entweder meinem Gehilfen den Prozeß machen , oder meinem ganzen Wesen zu entsagen und der Prinzessin eine Gemeinheit aufdringen , die mir selbst fremd war , und die sie ewig verabscheuen mußte ?
Zu beidem war ich gleich unfähig ; ich konnte daher nur die Hände in den Schoß legen , und den Donner , der mich vernichten sollte , voll Ergebung erwarten .
In der Tat , mein Geschlecht ist in jeder Hinsicht sehr übel daran .
Werden die Plane eines Biedermannes vereitelt , so darf er sich deshalb rechtfertigen , und je kräftiger er die Wahrheit sagt , desto mehr ehrt man seine Tugend .
Ein edles Weib hingegen kann die triftigsten Gründe der Rechtfertigung haben ; sie darf davon immer nur innerhalb der Schranken der Weiblichkeit Gebrauch machen , wenn sie nicht alles verlieren will .
Wie viele weibliche Tränen würden unvergossen bleiben , wenn dem weiblichen Geschlecht die Sprache des Gemüts gestattet wäre !
Was ich mit so viel Bestimmtheit vorhergesehen hatte , blieb nicht lange aus .
Die ganze Schuld des Mißlingens fiel auf mich zurück , ob ich gleich nicht dahin gelangt war , auch nur einen Finger in der Sache selbst in Bewegung setzen zu können .
Es kam nur noch darauf an , sich das Wie zu erklären .
Man er schöpfte sich in Vermutungen über die Natur meines Verhältnisses mit der Prinzessin ; und da es unmöglich war , das Wort zum Rätsel zu finden , so machte man es wie immer : das Heiligste wurde bis zur Scheußlichkeit entheiligt .
Man sprach ganz laut von Lastern , die uns selbst dem Namen nach unbekannt waren .
Und welche Bewegungsgründe legte man mir unter !
Nach Einigen hatte ich es darauf angelegt , die Mätresse des Prinzen zu werden ; nach dem Urteil Anderer war ich damit umgegangen , den Kammerherrn zu erobern , um , nach dem Tode des Herzogs , gemeinschaftlich mit ihm das Land zu regieren .
Ein Paar Familien , welche seit hundert und fünfzig Jahren im Besitz großer Vorrechte waren , und sich steif und fest einbildeten , daß von der Behauptung dieser Vorrechte nicht nur die Wohlfahrt des Herzogtums , sondern auch die des ganzen heiligen römischen Reichs abhange , nannten mich eine Verderberin der guten Sitten , weil ich eine Fremde war und meine Gesellschaftsdamen-Stelle nicht ihrer Großmut verdankte .
Der Herr Hofcapellan , auf dessen Intrigen ich nicht hatte eingehen wollen , vereinigte sich mit den Übrigen , und eröffnete den förmlichsten Kreuzzug gegen mich , indem er über den Text predigte :
Es ist besser , daß Einer umkomme , denn daß das ganze Volk verdorben werde .
Rache , Neid und Bosheit liehen der Verleumdung ihre Waffen , um mich zu Grunde zu richten , und nie wirkte eine Verschwörung , in welcher nichts verabredet war , konzentrierter .
Hätte man wenigstens die Erbprinzessin verschont !
Doch um mich zu stürzen , glaubte man die ganze Hölle in Bewegung setzen zu müssen .
Verworren und dumpf hallten zu der Prinzessin und zu mir die Gerüchte herüber , die man auf unsere Kosten verbreitete .
Was sollte , was mußte geschehen , um das Ungewitter abzuleiten ?
Ich gestehe , daß es Augenblicke gab , in welchen ich mich zermalmt fühlte ; aber diese Augenblicke gingen um so schneller vorüber , weil meine Liebe für die Prinzessin immer die Oberhand behielt .
Noch hatte sie kein Wort von dem Entwurf erfahren , welcher zwischen dem Kammerherrn und mir zu ihrer Wiedervereinigung mit dem Erbprinzen war verabredet worden .
Ich hielt es für meine Pflicht , sie gegenwärtig damit bekannt zu machen , weil in diesem Entwurfe alle die Unfälle eingewickelt lagen , die seitdem über uns zusammengeschlagen hatten .
Sie lächelte , als meine Erzählung geendigt war .
" Mein Wille war rein , " fuhr ich fort ; " meine Absicht edel ; meine Mittel auf die herrliche Natur meiner Freundin berechnet . "
" Dies ist es nicht , " erwiderte die Prinzessin , " was mir ein Lächeln abdringt ; ich lächle nur darüber , daß meine Mirabella auch nur einen Augenblick an die Besieglichkit der Gemeinheit glauben konnte .
Doch was geschehen ist , läßt sich nicht ändern , fuhr sie fort ; und die Hauptsache ist und bleibt , welche Maßregeln wir ergreifen müssen , um aus diesem Kerker ins Freie zu kommen ?
Was meinen Sie ? "
Ich sah es der Prinzessin an , daß sie große Lust hatte , mein Geschick zu teilen ; allein dies war etwas , das ich aus allen Kräften , wenigstens für den Augenblick , abwenden mußte .
Ich sagte ihr also :
Ich nähme mit Freuden die ganze Schuld auf mich , und würde mich darüber an Ort und Stelle schon zu verantworten wissen .
Da man es nur auf meine Entfernung anlegte , so wollte ich auch die Einzige sein , welche das Terrain räumte , ein noch größerer Triumph wäre zu viel Ehre für diese erbärmlichen Seelen .
Der Besiegte hätte in den Augen der Welt immer Unrecht , und darum müsse die Prinzessin nicht als besiegt erscheinen .
Ich gäbe zu , daß ihr der Aufenthalt an diesem Hofe unerträglich sein würde , so bald ich mich entfernt hätte ; allein es käme auch nur darauf an , einen besseren Vorwand zu finden , und dieser würde nicht zu teuer erkauft , wenn die peinliche Lage der Prinzessin noch einige Monate fortdauerte .
Am Ende hätte sie es doch immer in ihrer Gewalt , mit gebietender Herrlichkeit hervorzutreten , so bald sie es für gut befände ; denn all dies Volk , das sie in dem gegenwärtigen Augenblick um meinetwillen verunglimpfe , würde sie anbeten , so bald sie es verlangte .
" Ob Egoismus , oder Liebe für meine Freundin , " fuhr ich fort , " meine Schritte leitet , darüber kann wohl kein Zweifel statt finden .
Alles , was ich vernünftiger Weise bezwecken kann , ist : Rettung derjenigen , die ich gegen alle meine Absichten unglücklich gemacht habe .
Ich will bleiben , so bald Sie mir beweisen können , daß mein Bleiben sicherer zum Ziele führt .
Allein davon werde ich mich nie überzeugen ; denn der Kampf , in welchen wir geraten sind , ist von einer so seltsamen Beschaffenheit , daß wir , selbst mit dem höchsten Mute , die Flucht ergreifen müssen , wenn wir uns nicht für immer besudeln wollen .
Sagen Sie selbst , meine Freundin , wodurch wollen wir die Gerüchte niederschlagen , die man gegen uns in Gang gebracht hat ?
Der bloße Versuch würde uns brandmarken .
In uns beiden ist so Vieles enthalten , was sich durchaus nicht vor Gericht stellen läßt ; und wer würden unsere Richter sein , wenn wir es auch in unserer Gewalt hätten , unsere Gegner zu fassen ?
Das Leben gilt mir alles in Beziehung auf Sie ; aber eben deshalb möchte ich nicht vor der Zeit untergehen .
Hier können wir uns nur durch das Gefühl unserer Ohnmacht vernichten . Habe ich mich aber einmal aus dem Strudel gerettet , der uns in seinen Abgrund zu ziehen droht , so bekomme ich meine ganze Freiheit wieder ; und meine Energie wird um so größer sein , je ehrwürdiger mir das Ziel ist , das ich verfolge .
Erlauben Sie mir , zu Ihren Eltern zurück zu reisen , um diesen die nötigen Aufschlüsse über Ihre Lage zu geben . "
Die Prinzessin empfand , daß ich Recht hatte .
Es war nun nur noch davon die Rede , wie meine Entfernung einzuleiten sei .
" Ich habe , " sagte ich , " nur von Ihnen abgehangen , und kann daher meinen Abschied nur aus Ihren Händen erhalten . "
Die Prinzessin setzte sich sogleich nieder , um dem Herzog und ihrem Gemahl zu melden , daß sie für gut befunden habe , mich zu entlassen , nachdem ich selbst darauf angetragen .
Unter stummen Umarmungen schieden wir von einander , nicht ohne Tränen , diesen ewigen Symbolen der Ohnmacht .
Mein Reisekoffer war bald gepackt , und nach zwei Stunden befand ich mich auf dem Wege nach W... , freier atmend , mit tausend Entwürfen für die Zukunft beschäftigt , das Bild der geliebten Prinzessin immer vor Augen habend .
Ich kam wohlbehalten an .
Mit meinem Berichte fand ich Eingang , so weit die elterlichen Gefühle reichten ; da diese aber bei fürstlichen Personen durch politische Verhältnisse in sehr engen Schranken gehalten werden , so war das letzte Resultat meiner großmütigen Unternehmung , daß man das Schicksal einer geliebten Tochter beklagte , und es ihrem Verstande überließ , die Gewalt desselben zu brechen .
Vergeblich sagte ich , daß dies nur dadurch geschehen könne , daß die Prinzessin zur Gemeinheit herabsänke .
Die einzige Antwort , die ich hierauf erhielt , war : daß man sich nach seiner Umgebung bequemen müsse . Unstreitig bedachten diejenigen , die mir diese Antwort gaben , nicht , wie abscheulich sie war ; ich aber mußte fortan den Mut verlieren , mich noch einmal zu verwenden .
Zwar blieb ich in der Nähe des Hofes , und so oft ich an demselben erschien , wurde ich auf eine Art empfangen , welche sehr deutlich anzeigte , daß man mich um der Ideale Willen ehrte , die aus mir sprachen ; allein , da alle Berührungspunkte , in welchen ich ehemals gestanden hatte , wegfielen , so beschlich mich die Langeweile , und um dieser zu entrinnen , gab es keinen besseren Ausweg , als die Einsamkeit .
Mit der Prinzessin blieb ich in Verbindung .
Posttäglich empfing ich Briefe von ihr , worin sie mich mit den Begebenheiten des ...schen Hofes bekannt machte ; posttäglich antwortete ich ihr , und jeder meiner Briefe enthielt irgend eine Aufforderung , ihren Charakter zu behaupten .
Denn ich konnte mich durchaus nicht von der Idee losreissen , daß ein menschliches Geschöpf alles preisgibt , wenn es dem Heiligsten entsagt , das in ihm ist .
Über diesen Punkt war ich mit mir selbst vollkommen im Reinen ; und wenn nur diese Denkungsart eine männliche genannt werden kann , so ist es die meinige nicht bloß gewesen , sondern auch immer geblieben .
Geschah es , um meine Einsamkeit aufzuheitern , oder liebenden Gefühlen einen unmittelbaren Gegenstand zu verschaffen , daß ich mich um diese Zeit eines von seinen Eltern verlassenen liebenswürdigen Kindes annahm ?
Vielleicht war noch etwas Höheres dabei im Spiele .
Der Mensch hört nicht auf , die Unschuld zu lieben , welche im Fortgange seiner Entwicklung so notwendig als unwiederbringlich verloren geht .
Nun hatte ich zwar die meinige bisher bewahrt ; allein je teurer sie mir zu stehen kam , desto mehr wünschte ich , recht viel an ihr zu besitzen .
Sie mir nach ihrem ganzen Werte zu vergegenwärtigen , gab es unstreitig kein besseres Mittel , als die symbolische Repräsentation derselben in einem Kinde .
Ich müßte mich sehr irren , oder es ist nichts als verlorene Unschuld , was so viele Menschen so allmächtig zu Kindern hinzieht ; in diesen wollen sie wiederfinden , was für sie selbst nicht mehr vorhanden ist ; in diesen wollen sie sich die Möglichkeit einer vom gesellschaftlichen Leben unbefleckten und selbst in ihrer höchsten Entwicklung schuldlos gebliebenen Seele denken .
So etwas wirkte freilich nicht in mir ; aber , ohne den ersten Anflug davon , würde ich schwerlich dahin gekommen sein , mich mit einem Wesen zu verbinden , das in jeder Hinsicht ein Kind war .
Von Ideen der Nützlichkeit wurde ich durchaus nicht geleitet ; das Nützliche ordnete sich in mir dem Schönen ganz von selbst unter .
Um übrigens mein Wesen auf meinen Liebling zu übertragen , erzog ich ihn nach eben den Maximen , welche meiner eigenen Erziehung zum Grunde gelegen hatten .
Vor allen Dingen flößte ich ihm die Liebe zur Reinlichkeit und Ordnung ein .
Überhaupt dachte ich mir den Körper immer als den Abglanz der Seele ; und so wie ich selbst von dem Bedürfnis der physischen Sauberkeit zu dem einer metaphysischen aufgestiegen war , so sollte dies auch bei meinem Zögling der Fall werden .
Dies ist mir auch ganz nach Wunsch gelungen , und hätte das Schicksal nicht gewollt , daß meine Luise vor mir hinsterben sollte , so könnte ich auf die Frau des Professors D... als auf ein Muster aller weiblichen Tugenden hinweisen , diejenigen gar nicht ausgenommen , die zu üben ich selbst nie Gelegenheit gehabt habe .
Ich kann von meinem edukatorischen Verdienste jetzt nicht ausführlicher sprechen , wenn ich meine eigene Entwickelungsgeschichte nicht allzuweit aus den Augen verlieren soll .
Während ich mich in Luisen - so hieß mein Zögling - zum zweitenmal erzog , und , weil ich mir selbst lebte , auf keine Weise in der Stimmung gestört wurde , die mich zur Harmonie mit der ganzen Welt führte , geriet die Erbprinzessin aus einer mißlichen Lage in die andere .
Von ihren fürstlichen Eltern verlassen , jeder anderen Stütze beraubt , den Intrigen des ...schen Hofes bloßgestellt , und , weil sie überall dieselbe Gemeinheit fand , zuletzt an sich selbst verzweifelnd , schwankte sie so lange hin und her , bis sie sich zu einer Aussöhnung mit ihrem Gemahle entschloß .
Von welcher Art diese Aussöhnung war , ist leicht zu erraten ; zwei so ungleiche Naturen können nie zu einem dauerhaften Einverständnis zusammenschmelzen , nie diejenige Einheit bilden , ohne welche die Ehe nur ein leerer Schall ist .
Immer war indessen die Partie , welche die Prinzessin genommen hatte , die beste , die sie den Umständen nach nehmen konnte ; denn so lange sie auf ihrem Eigensinn beharrte , mußte sie den Hof in einer verderblichen Gehrung erhalten , nicht zu gedenken , daß der Erbprinz von allen Personen ihrer Umgebung zuletzt noch die zuverlässigste und edelste war .
Die Prinzessin trug einiges Bedenken , mich in diesem Schritte preiszugeben ; allein ich selbst hob alle die Gewissensskrupel , welche sie sich hierüber machte .
In der Tat , was konnte es mir , nachdem ich mein Schicksal einmal von dem der Prinzessin getrennt hatte , noch verschlagen , daß man mich am ...schen Hofe eine Furie nannte , welche sich zwischen dem Erbprinzen und dessen Gemahlin in die Mitte gestellt und den Frieden des Hofes gestört hätte ?
Ich kannte nach gerade die Welt allzugut , um nicht zu wissen , daß es den wenigsten Sterblichen verliehen ist , den Kern von der Schale , das Wesen von den Formen desselben zu unterscheiden .
" Wie man sich auch über mich erklären mag , " schrieb ich der Prinzessin , " so ersuche ich Sie , keine Notiz davon zu nehmen .
Mich treffen diese Urteile nicht ; und eben deswegen dürfen sie Ew. Durchlaucht nicht berühren .
Die Hauptsache ist und bleibt , daß die ewigen Oszillationen des Hofes zum Stillstand gebracht werden ; und wenn dies durch Aufopferung meiner Renommee zu Stande gebracht werden kann , so bin ich damit sehr zufrieden ; ich schätze mich sogar glücklich , daß ich mich in Gedanken an die nicht unbedeutende Anzahl der besseren Menschen anschließen kann , die man für Verbrecher oder Wahnsinnige hielt , weil man sie durchaus nicht verstand .
Übrigens bin ich unbesorgt für meine Freundin und Beschützerin .
Wie auch ihre Umgebung sei , sie wird den Idealen nicht ungetreu werden , die sie bisher zwar gemartert , aber auch hoch beglückt haben ; und denke ich mir vollends , daß ihr im Verlaufe der Zeit die Verwandlung ihres Gemahls gelingen werde , so möchte ich die Stunde segnen , wo ich mich freiwillig aus ihrer beglückenden Gegenwart verbannte , um ihr ein besseres Geschick vorzubereiten .
Es ist höchst selten der Fall , daß die Dinge gerade die Wendung nehmen , die wir ihnen geben möchten ; aber dafür nehmen sie oft eine weit glänzendere . "
Dieser Schluß meines Briefes drückte mehr meine Wünsche als meine Hoffnungen aus .
Wie hätte ich auch das Mindeste hoffen können , da sich nicht begreifen ließ , wie eine solche Verwandlung des Erbprinzen zu Stande kommen könnte ?
Hat sich das Zarte einmal in eine Verbindung mit dem Starken eingelassen , so muß es sich auch darauf gefaßt machen , in ihm unterzugehen .
Ich konnte nicht an die Prinzessin zurückdenken , ohne mich der unglücklichen Johanna von Kastilien zu erinnern , welche , mit dem Erzherzog Philipp vermählt , so lange mit der Stärke ihres Gemahls rang , bis alle ihre Nerven rissen .
Der unbesiegliche Teil des Erbprinzen war jene Heftigkeit , vermöge welcher erschütternde Sensationen ihm allein lieb und wert waren .
Er konnte der Mann , aber nie der Gemahl der Prinzessin werden ; denn um das letztere zu werden , hätte er sie begreifen und verstehen lernen müssen , wozu auch nicht die mindeste Anlage in ihm war , ob man gleich nicht mit Wahrheit behaupten konnte , daß es ihm an gesundem Verstande und an einem gewissen Adel in den Gesinnungen fehle .
Auf jeden Fall mußte die körperliche Schönheit der Prinzessin für dies Verhältnis das Beste tun , und die Sinnlichkeit des Erbprinzen die Vermittlerin einer Harmonie werden , die , wie lange sie auch dauern mochte , ihre Dauer nie über die den körperlichen Reizen von der Hand der Natur selbst gesetzten Schranken hinaus erstrecken konnte .
Auch quälte mich in Beziehung auf die Prinzessin nichts so sehr , als der Gedanke an ein trostloses Alter , und mit Schaudern dachte ich an ihre Schwiegermutter zurück , die , bei einem weit geringeren Grad von hellen Gedanken und bestimmten Empfindungen , so namenlos unglücklich geworden war , daß man ihr Schicksal verabscheuen mußte .
Noch war seit unserer Trennung kein Jahr verstrichen , als mir die Prinzessin meldete , daß sie sich schwanger fühle .
Wie viel Mühe es ihr auch gekostet haben mochte , die mit diesem Geständnis für sie verbundene Schamröte zu überwinden , so durchblitzte mich doch bei dieser Nachricht ich weiß selbst nicht welche Ahnung eines besseren Geschickes für meine Freundin .
Nicht als hätte ich künftige Mutterfreuden in einen hohen Anschlag gebracht ; wie hätte ich dies tun können , da ich aus Erfahrung wußte , daß die Kinder fürstlicher Personen nur einen politischen Wert haben , und eben deswegen als Unterpfänder gegenseitiger Liebe wenig oder gar nicht auf ihre Eltern zurückwirken ?
Sondern weil ich mir sagte , daß der Zweck der ursprünglichen Verbindung meiner Freundin mit dem Erbprinzen jetzt erfüllt würde , und daß sich von dieser Erfüllung ein höheres Maß von Freiheit für die vom Schicksal Verfolgte erwarten ließe .
Meine Ahnung war , wie die Folge zeigen wird , sehr richtig ; was mir aber für den Augenblick die höchste Genugtuung gewährte , war : daß der ganze ...sche Hof , von dem ersten Augenblick der erklärten Schwangerschaft der Erbprinzessin an , um meine Freundin Kreis schloß , daß der alte Herzog außer sich war vor Freuden , seinen letzten Wunsch in Erfüllung gehen zu sehen , daß selbst die Herzogin zu einem neuen Leben erwachte , als sie die erfahrene Ratgeberin machen konnte .
Dazu kam noch , daß , außer den Jagdpartien , welchen die Erbprinzessin gegen alle ihre Neigungen hatte beiwohnen müssen , noch alle übrigen geräuschvollen und heftigen Zeitvertreibe eingestellt wurden , welche ihren gegenwärtigen Zustand gefährlich machen konnten .
Der ganze Hof wurde durch die Erwartung der Dinge , die da kommen sollten , in eine Stimmung gebracht , welche dem ruhigen , von keinen Leidenschaften zersetzten Gemüt meiner Freundin entsprach ; und unaussprechlich war die Freude , als sie , nach Ablauf der gewöhnlichen Zeit , von einem so starken als schönen Prinzen genas .
Sie selbst meldete mir , wenig Tage nach ihrer Niederkunft , ihre Entbindung , und forderte mich auf , gegenwärtig zu ihr zurückzukehren , weil sie es in ihrer Gewalt habe , mich vor allen Verfolgungen zu sicheren .
Hätte ich dem Zuge des Instinkts folgen wollen , der mich unablässig zu meiner Freundin hintrieb ; so hätte ich , wie lieb mir auch meine Einsamkeit geworden war , keinen Augenblick verlieren dürfen , mich auf den Weg zu machen .
Allein ich zog in Betrachtung , daß die temporelle Ergebenheit des Hofes gegen die Erbprinzessin , wie groß sie auch sein möchte , keine wesentliche Veränderung in seinen Ideen und Tendenzen hervorgebracht haben könnte ; und , wie wenig ich auch mein eigenes Selbst in Anschlag bringen mochte , so blieb es noch immer problematisch , ob meine Wiedererscheinung nicht das Gegenteil von dem wirken würde , was die Erbprinzessin sich davon versprach .
In diesem Sinne schrieb ich meine Entschuldigungen nieder ; und um der Prinzessin , welche nicht aufhörte , sich nach mir zurück zu sehnen , nicht auf einmal alle Hoffnung zu rauben , versprach ich zu kommen , so bald der Erbprinz seinem Vater in der Regierung gefolgt sein würde .
Dieser Zeitpunkt stellte sich weit früher ein , als ich es geglaubt hatte ; denn der alte Herzog starb wenige Monate darauf .
Da die Prinzessin mich an mein Versprechen erinnerte , so machte ich mich auf den Weg , so bald ihr Gemahl mich in einem eigenhändigen Schreiben dazu aufgefordert hatte .
Ich kam früh genug an Ort und Stelle , um den Festlichkeiten der Succession beizuwohnen .
Die junge Herzogin empfing mich mit all dem Enthusiasmus , welcher ihrer schönen Seele eigen war ; aber eben dieser Enthusiasmus sagte mir auch , daß hier alles noch beim Alten sei ; denn die Wiedererscheinung der Freundin mußte minderen Eindruck machen , wenn zwischen Gemahl und Gemahlin eine wirkliche Harmonie statt fand .
Ich sollte mich auf der Stelle entschließen , den Posten einer Oberhofmeisterin bei der jungen Herzogin anzunehmen ; allein wie hätte ich dies gekonnt , ohne dem warnenden Genius entgegen zu streben , der mir zuflüsterte , daß hier kein Gedeihen für mich sei ?
Im Grunde war ich nur gekommen , das Terrain zu rekognoszieren .
Ich bat also , daß man mir Zeit lassen möchte ; und ich tat wohl daran , mich nicht zu übereilen .
Der Geist des Hofes war durchaus derselbe .
Kaum war es bekannt geworden , daß ich bestimmt sei , Oberhofmeisterin zu werden , als jene Paar Familien , von welchen oben die Rede gewesen ist , alles aufboten , um mich zu kränken und wieder zu entfernen .
Ich war aufrichtig genug , darüber mit der Herzogin zu sprechen .
Sie zog die Schultern , und eine Träne des ohnmächtigen Unwillens drang aus ihren schönen Augen .
" Sie haben Recht , Mirabella , " sagte sie , " hier kein Gedeihen zu erwarten ; und könnten Sie noch in meiner Achtung gewinnen , so würde es durch die Entsagung geschehen , womit Sie in Beziehung auf sich selbst zu Werke gehen , indem Sie die Stelle der Ersten Dame von sich ablehnen .
Ich muß es ganz Ihrem Gutbefinden überlassen , ob Sie bei mir bleiben wollen oder nicht .
Welche Partie Sie aber auch ergreifen mögen , nie werde ich an Ihnen irre werden , so lange noch etwas in mir ist , wodurch ich das Edle von dem Gemeinen , das Schöne von dem Häßlichen zu unterscheiden im Stande bin .
Ich habe , um alles mit einem Worte zu sagen , weder das Recht , Sie unglücklich zu machen , noch die Befugnis , von Ihnen zu verlangen , daß Sie mich durch engeres Anschließen an meine Person noch unglücklicher machen sollen , als ich gegenwärtig bin ; denn dies ist es doch zuletzt , was Sie allein vermeiden wollen . "
Es gibt , behaupte ich , kein angenehmeres Gefühl , als sich in einer großmütigen Idee erraten zu sehen .
Und wären mir , während meines kurzen Aufenthalts am ...schen Hofe , die größten Beleidigungen widerfahren ; so würde ich sie in diesem Augenblick vergessen haben .
Ich küßte die Hand der Herzogin voll stummer Wehmut , während sie mit einem Blick , aus welchem etwas Göttliches strahlte , mich ihre ewig teure Mirabella nannte .
Um mir meinen Aufenthalt in der Nähe eines so herrlichen Wesens nicht unnötig zu verbittern , sorgte ich dafür , daß es noch an demselben Tage bekannt wurde , daß ich die Stelle einer Oberhofmeisterin abgelehnt hätte .
Die Wirkungen dieser Nachricht zeigten sich bald .
Um die Achtung der meisten Menschen zu gewinnen , darf man ihnen nur unbegreiflich werden .
Je weniger man darauf gerechnet hatte , daß ich eine so einträgliche und ehrenvolle Stelle ausschlagen würde , desto emsiger drängte man sich zu mir , um das Warum zu erforschen .
Wie geschmeidig waren nun mit einemmal alle die Kreaturen , welche sich noch kurz vorher so trotzig und boshaft bewiesen hatten !
Dem Kammerherrn muß ich indessen die Gerechtigkeit widerfahren lassen , daß er sich auch jetzt seinem legalen Charakter gemäß bewies .
Kaum konnte ich mich bei seinem Anblick des Lachens enthalten , so feist und glänzend hatte ihn seine Legalität gemacht , die in ihm , wie in allen anderen Menschen , sich ganz vortrefflich mit der goldenen Mönchsregel vertrug : " daß man seine Pflicht handlich erfüllen , den Herrn Abt in Ehren halten und die Welt gehen lassen müsse , wie sie nun einmal gehen will . "
Es war eine Lust , zu sehen , wie der ehrliche Kammerherr , von seiner Korpulenz gedrückt , auf einem Lehnstuhl da saß , die Ellenbogen auf die Lehnen gestützt , die Daumen um einander schiebend , und von Zeit zu Zeit so tief aufatmend , als ob die Bürde der Weltregierung auf ihm lastete .
Und diesen Ehrenmann hatte ich einmal in meine Ideale verwickeln wollen ; und diesem Manne hatte ich zugemutet , einem jungen Prinzen Erhebung und bleibenden Antrieb fürs Edle zu geben !
Fehlgriffe dieser Art werden in der Welt nicht selten gemacht ; aber sehr selten lacht man darüber , weil man nicht auf die Kontraste merkt , zu welchen sie führen .
Ich wollte einen Versuch machen , mit dem guten Kammerherrn über unseren ehemaligen Entwurf zu plaisantiren ; allein ich hatte kaum davon zu sprechen angefangen , als der Schweiß aus allen seinen Poren hervorbrach ; unstreitig weil er sich noch sehr lebhaft der Folter erinnerte , auf die ich ihn gesetzt hatte .
Der bewaffneten Neutralität , in welcher ich den Hofleuten gegenüber dastand , verdankte ich es , daß der Rest meines Aufenthalts am Hofe sehr angenehm war .
Lange durfte ich aber nicht bleiben , sofern ich nicht Mißtrauen und Eifersucht erregen wollte .
Ich trennte mich also von der Herzogin , so bald ich es nur über mich erhalten konnte .
" Wir sehen uns wieder , " sagte sie beim Abschied ; " und so Gott will , kommt nun die Reihe des Aufsuchens an mich . "
Ich verstand dies so , als ginge sie damit um , ihre Eltern zu besuchen , und antwortete in diesem Sinne .
Nähere Verabredungen wurden unter uns nicht genommen .
Ich trat meine Rückreise mit frohem Herzen an , weil mir volle Genugtuung zu Teil geworden war .
Was ich nach meiner Zurückkunft unserem Hofe berichtete , machte um so mehr Vergnügen , weil es eine indirekte Lobrede auf die Weisheit enthielt , womit man die Dinge sich selbst überlassen hatte .
Mit Vergnügen trat ich in meine Einsamkeit zurück , welche nicht mehr einsam war , seitdem sie durch ein junges Geschöpf belebt wurde , das sich täglich herrlicher entwickelte .
Die Tage verstrichen mir als Minuten ; aber sie dehnten sich desto mehr in der Erinnerung aus ; ein sicheres Zeichen , daß sie weder gedanken- noch empfindungslos verlebt wurden .
Das einzige , was mein Gemüt in einer unangenehmen Spannung erhielt , waren die Briefe der Herzogin voll bitterer Klagen über ihr Geschick .
Doch , ohne hierüber in ein Detail einzugehen , begnüge ich mich , im Allgemeinen zu erzählen , wie sich ihr Geschick entwickelte , und wie wir gegen alle unsere Erwartungen ganz plötzlich wieder vereiniget wurden .
Das höhere Maß von Freiheit , welches der Herzog durch den Tod seines Vaters gewonnen hatte , wirkte in sofern nachteilig auf seine häuslichen Verhältnisse zurück , als es ihn zu Liebeshändeln aufgelegt machte , welche sein Ansehn kompromittierten .
Seine Gemahlin war nicht sehr geneigt , davon Notiz zu nehmen ; allein , indem einzelne Hofleute , die schwache Seite des Herrn benutzend , sich ein Verdienst daraus machten , ihm behilflich zu sein , so konnte es nicht fehlen , daß alle die Spaltungen erneuert wurden , welche den ...schen Hof in einer früheren Periode zu einem so unangenehmen Aufenthalte gemacht hatten , und daß selbst die Herzogin litte .
Es kam aber noch dazu , daß , während sie auf der einen Seite durch das Dasein eines Erbprinzen ihre Bestimmung erfüllt hatte , der Herzog auf der anderen seiner Gemahlin gegenüber eine Scham empfand , die zu überwinden er zuletzt allzugut war .
Es war besonders dieser letzte Umstand , der das edelste Weib , das je die Sonne beschienen hat , lästig , wo nicht gar verhaßt , machte .
Die Herzogin fühlte dies , wußte sich aber nicht eher zu raten noch zu helfen , als bis sie auf den gesunden Gedanken geriet , ihren Gemahl um die Erlaubnis zu einer Reise nach der Schweiz und Italien zu bitten .
Ihr Vorschlag wurde auf der Stelle angenommen , und eine hinlängliche runde Summe zur Bestreitung der Reisekosten ausgemittelt .
So wurde die Ahnung erfüllt , die mich bei der ersten Nachricht von der Schwangerschaft der Herzogin durchblitzte .
Zwei Jahre mochten seit meiner Zurückkunft verstrichen sein , als ich ganz unerwartet ein Schreiben voll Jubels von der Herzogin erhielt , worin sie mir nicht nur den Ausgang des langen Kampfes meldete , den sie gekämpft hatte , sondern auch sagte , daß sie , um bequemer zu reisen , nicht den ganzen Aufwand machen würde , den die eigennützige Großmut ihres Gemahls ihr zu machen erlaube .
Übrigens verstände es sich von selbst , daß ich sie begleiten sollte .
" Nur auf diese Weise , " schrieb sie , " konnten wir uns wieder vereinigen , und ich schätze mich glücklich , daß ich endlich zum Ziel gelangt bin . "
Ich hatte Mühe mich von meinem Erstaunen zu erholen ; allein indem ich die Sache nahm , wie sie einmal da lag , fand ich mich darin , und machte meine Reiseanstalten mit allem Eifer , den meine Liebe für die Herzogin mit sich führte .
Meine Luise nicht an Andere abzutreten , beschloß ich , sie mit mir zu nehmen .
Ich war , als dies geschah , ein und dreißig Jahre alt ; die Herzogin sechs Jahre jünger .
Gesundheit und Erfahrung besaßen wir in gleichem Maße ; unsere Köpfe hatten dieselbe Richtung genommen .
War irgend ein Unterschied , den physischen nicht in Anschlag gebracht , zwischen uns , so bestand er darin , daß bei der Herzogin , welche durch eine weit härtere Schule gegangen war , als ich , die Empfindungen mehr Tiefe hatten , während ich , ohne deshalb nur im Mindesten leichtsinnig zu sein , die ersten Eindrücke bei weitem leichter überwinden und zur Sprache bringen konnte .
Selbst vermöge dieses Unterschiedes paßten wir herrlich zusammen ; denn indem die Herzogin in ihrer stillen Größe blieb und sich nur selten aussprach , war ich gewissermaßen ihr Dolmetsch , und ihr selbst um so willkommener , weil ich ihre Empfindungen in Ideen verwandelte .
Wenige Wochen nach ihrem letzten Schreiben kam sie bei ihren Eltern an .
Diese waren wiederum sehr zufrieden mit der Wendung , welche das Schicksal ihrer Tochter genommen hatte .
Sie freuten sich herzlich , sie wieder zu sehen ; sie freuten sich aber noch weit mehr der bedeutenden Pension , welche ihr Gemahl ihr ausgeworfen hatte .
Es wurden Feste veranstaltet , welche frohe Gefühle wecken sollten , aber , wie immer , nur Langeweile erregten .
Die Herzogin konnte den Augenblick nicht erwarten , wo sie in meiner Gesellschaft ihre Reise nach der hochgepriesenen Schweiz antreten sollte .
Endlich schlug die Stunde , und wir reisten in einer wenig zahlreichen Begleitung ab .
Drittes Buch Drittes Buch Befürchten Sie nicht , mein angenehmer Freund , daß ich in meinen Bekenntnissen von Dingen sprechen werde , welche Sie weit besser wissen , als ich .
Mein Reise-Journal liegt zwar neben mir ; allein ich werde mich wohl in Acht nehmen , Ihnen durch die Mitteilung desselben Langeweile zu machen .
Alles , was ich Ihnen mitzuteilen habe , sind einzelne Bemerkungen , hergenommen von dem Eindruck , den Gegenstände der Natur und Kunst , oder auch sehr interessante Personen , während meiner Reise auf mich gemacht haben .
Auf diese Weise werde ich dem Alltäglichen entrinnen , und die Geschichte meiner Entwicklung beendigen , ohne auch nur ein einziges Mal in den unverzeihlichen Fehler der Geschwätzigkeit verfallen zu sein .
Ich selbst finde meine Rechnung bei diesem Verfahren ; denn das Schreiben ist in sich selbst eine so große Beschwerde , daß ich gar nicht begreife , wie Leute sie überwinden können , die , um mich des gewöhnlichen Ausdrucks zu bedienen , durchaus nichts auf ihrem Herzen und Gewissen haben .
Doch zur Sache !
Wenn die meisten Reisenden gar keinen Beruf zum Reisen haben , so haben dafür diejenigen Individuen den allerbestimmtesten Beruf , die aus dem Kampf mit der Gesellschaft eine Empfindlichkeit davon getragen haben , vermöge welcher sie , in bleibenden Verhältnissen , nur beleidigen oder beleidigt werden können .
Auf Reisen hat man es in seiner Gewalt , seine ganze Eigentümlichkeit zu behaupten ; denn von dem Augenblick an , wo sie bekämpft wird , reiset man weiter ; und da dem Reisenden , besonders dem bemittelten Reisenden , alles entgegen kommt , so fehlt es nie an Gelegenheit zu neuen Verhältnissen , die alsdann wiederum so lange dauern , als sie können .
In dieser Hinsicht war mein Bedürfnis zu reisen bei weitem nicht so stark , als das der Herzogin ; allein da ich nur an meinen Idealen hing und in der Herzogin die Repräsentantin derselben liebte , so war es mir vollkommen gleichgültig , an welchem Orte ich existierte ; und auf diese Weise begegneten die Wünsche meiner Freundin vortrefflich meinen Neigungen .
Selbst die Reise nach der Schweiz ließ ich mir sehr gern gefallen , ob ich gleich für dieses Land nie die mindeste Zärtlichkeit empfunden hatte .
Die Vorliebe der Herzogin für dasselbe gründete sich von der einen Seite auf die hohe Achtung , welche sie für Haller unterhielt , von der anderen auf die Urteile jüngerer Dichter , welche die Schweiz als das Land der Freiheit und des Ruhmes besungen hatten .
Um keinen Preis hätte sie sich von einer Reise dahin abwendig machen lassen .
Ich gestehe , daß , nachdem wir an Ort und Stelle angelangt waren , die Naturwunder der Schweiz einen starken Eindruck auf mich machten ; allein wenn dieser Eindruck zur Erhebung führte , so führte er zugleich zur Niedergeschlagenheit ; mit einem Worte :
Er verwirrte das Gemüt und raubte die innere Freiheit , ohne welche es unmöglich ist , sich wohl zu befinden .
Herrliche Einfassungen , eine üppige Vegetation und - was immer damit zusammenhängt - eine kräftige Animalität zeichnen die Schweiz vor allen Ländern Europa's aus ; hat sie aber das , was der gebildete Mensch unaufhörlich sucht - Menschen von höherer Entwicklung ?
Ich möchte nicht gern darüber absprechen ; das aber kann ich mit Wahrheit behaupten , daß ich dergleichen in der Schweiz nicht gefunden habe .
Eben deswegen ist mir dies Land immer als ein schöner Rahmen mit einem schlechten Bildnis erschienen .
Ich habe nicht den Mut gehabt , dies jemals öffentlich zu sagen , weil ich mich auf den allgemeinsten Widerspruch gefaßt machen mußte ; allein deshalb würde ich , wenn es einmal gölte , mein Urteil nicht minder standhaft verteidigen .
Worin die große Beschränktheit der Schweizer ihren letzten Grund hat , ob in ihrer Umgebung , oder in ihrer Verfassung , das mögen Andere entscheiden ; genug daß sie allgemein ist , und daß , wenn man sich mit der Schweizerhit selbst nicht identifizieren kann , eigentlich kein Interesse für diese Nation möglich ist .
Selbst die Herzogin , so groß auch ihre Vorliebe für die Schweiz war , trat zuletzt mit dem Geständnis hervor , daß es ihr problematisch geworden sei , ob man die Schweizer zu den Menschen rechnen könnte , da sie immer und ewig auf demselben Punkt blieben , und die Entwicklung des übrigen Europa kaum im Widerschlage teilten .
" Ich würde mich , " sagte sie , " auf das tödlichste langweilen , wenn die tote Natur hier nicht den Ausschlag über die lebendige gäbe ; um jener Willen muß man dieser etwas nachsehen ; es versteht sich ja auch von selbst , daß da , wo Adel ist , auch Gemeinheit sein muß . "
Nach meiner Zurückkunft in Deutschland habe ich , um meine Urteile über die Schweizer zu berichtigen , ihre Geschichte studiert ; allein ich muß gestehen , daß mich mein Studium in diesen Urteilen nur bestärkt hat .
Und hier kann ich nicht umhin , die Bemerkung zu machen , daß die Vorurteile über die Schweiz in dem gegenwärtigen Augenblick so allgemein sind , daß sie sich selbst über den neuesten Geschichtsschreiber dieses Volks erstrecken .
Wie dieser Mann zu seiner Reputation gelangt ist , begreife ich durchaus nicht .
Seine Art zu komponieren hat für mich so viel Widerwärtiges , als ob ich mit entblößten Füßen über scharfe Kiesel laufen müßte .
Ich bin so leicht nicht abzuschrecken , wenn es Belehrung gilt ; aber es ist mir nicht möglich , acht Blätter von ihm hintereinander zu lesen , ohne mich ermüdet zu fühlen , und ich forder alle Leute von Geschmack und Bildung auf , mir zu sagen , ob es ihnen besser gelingt ?
Ich will nicht sagen , daß die Affektation selbst bei der Abfassung den Vorsitz geführt habe , wiewohl ich nicht begreife , wie man ohne der Einfachheit den förmlichsten Abschied gegeben zu haben , so schreiben kann ; allein , wenn der Stil in historischen Kompositionen auch noch so gleichgültig sein sollte , so entsteht noch immer die Frage : Wo hier die historische Komposition sei ?
Dieser Mann muß auch nicht die entfernteste Idee von einem Kunstwerk haben .
Alle guten Geschichtsbücher , die ich bisher gelesen habe , enthielten in der Darstellung selbst so viel Notwendiges , daß mein Geist wider seinen Willen angezogen und fortgerissen wurde ; in der sogenannten Geschichte der schweizerischen Eidgenossenschaft hingegen mag ich anfangen wo ich will , mein Interesse ist immer und ewig dasselbe , d.h. gleich null ; und wenn es nicht vorher ausgemacht ist , daß die Schwerkraft der Schweizer eben so wenig eine eigentliche Geschichte gestattet , als die der Felsenwände , wovon sie umgeben sind , so kann die Schuld nur an der Unfähigkeit des Geschichtsschreibers liegen , der es nicht versteht , die Notizen zu Tatsachen zu erheben , und durch die abgemessene Zusammenstellung dieser Tatsachen ein anziehendes Ganze zu bilden .
Doch was geht mich die Kritik an ?
Ich bitte allen Grazien die Sünde ab , die ich hier begangen habe ; dabei versichere ich aber , daß ich sie nicht begangen haben würde , wenn ich es dem Deutschen verzeihen könnte , daß er sich in seinem Götzendienst immer gleich bleibt , nicht ahnend , daß er von allen Bestandteilen des menschlichen Geschlechts zuletzt der einzige wahre Gott ist und allein Verehrung verdient .
Wie es sich aber auch mit der Schweiz und ihren Bewohnern verhalten mag , immer bleibt es ausgemacht , daß man sich für Italien , als das Land der schönen Kunst , nicht besser vorbereiten kann , als durch einen längeren Aufenthalt in der Schweiz .
Schwerlich gibt es zwei Länder , die sich in jeder Hinsicht noch mehr entgegen gesetzt wären .
In der Schweiz sind die Menschen nichts ; in Italien hingegen sind sie alles .
Mag das Weltgeschick die Bewohner dieses schönen Erdstrichs für den Augenblick noch so sehr niedergedrückt haben ; deshalb haben sie nicht aufgehört , die Herrn der Erde zu sein ; ihr ganzes Wesen kündigt an , daß sie es gewesen sind , und daß es nur begünstigender Umstände bedarf , damit sie es von neuem werden .
Auf keinem Erdfleck hat es seit drei bis vier Jahrhunderten so viel Revolutionen gegeben , als in Italien ; und ob man gleich , diesen langen Zeitraum hindurch , nie den rechten Punkt getroffen hat , so folgt doch daraus nicht , daß man ihn niemals treffen werde .
Eine bessere politische Verfassung ist es , was den Völkern Italiens fehlt , und ist diese nur erst vorhanden , so wird sich die alte Größe ganz von selbst wieder herstellen .
Mailand und Toskana ausgenommen , hat die Natur im Ganzen genommen sehr wenig für die Bewohner Italiens getan ; aber gerade dieser Umstand ist es , dem die Italiener diesen hohen Grad von Entwicklung zu verdanken haben , in dessen Besitz sie sich befinden .
Wir gingen nach einem zweijährigen Aufenthalt in den verschiedenen Hauptstädten der Schweiz nach Italien .
Da die Kunst der Magnet war , welcher uns zog , so eilten wir nach der Hauptstadt des Kirchenstaates , wo wir mehrere Jahre verweilen wollten .
Unser Weg führte uns durch das Mailändische nach Florenz .
Hier machten wir die Bekanntschaft der Gräfin Luisa Stolberg d' Albania , Gemahlin des Prinzen Stuart , Prätendenten von England ; und mehr bedurfte es nicht , um uns auf der Stelle Fesseln anzulegen , die wir Mühe hatten wieder abzustreifen .
Denn welche eigentümliche Richtungen wir auch in unserer Ausbildung genommen hatten , so zeigte uns doch jetzt die Erfahrung , daß wir nicht die Einzigen unserer Gattung waren .
Die Gräfin Luisa d' Albania war Unseresgleichen ; auch hatten wir uns kaum kennen gelernt , als wir mit aller der Unzertrennlichkeit an einander hingen , welche gleichgestimmten Gemütern eigen ist .
Das Einzige , wodurch die Gräfin sich von uns unterschied , war ihre Religiosität ; da diese aber mit dem , was man kirchlichen Glauben nennt , durchaus nichts gemein hatte , so bildete sie auch keinen trennenden Unterschied .
Es gibt offenbar Dinge , welche über alle Beschreibung hinaus sind ; und zu diesen Dingen gehört eine solche Religiosität , als die der Gräfin war .
Ihrem Wesen nach , so weit ich dasselbe habe beobachten können , bestand sie in einem unablässigen Streben nach Harmonie mit dem Universum .
In ihr war also alles begriffen , was Philosophie und Poesie genannt werden kann ; nicht etwa diejenige Philosophie , welche darauf ausgeht , einen dynamischen obersten Grundsatz für das All der Welterscheinungen aufzufinden , sondern diejenige , welche über alles , was Erscheinung ist , hinaus strebt , und sich in das Wesen der Dinge versenkt und mit Poesie einerlei ist .
Wie die Gräfin zu dieser Entwicklung gelangt war , weiß ich nicht mit Bestimmtheit anzugeben ; unstreitig aber hatte ihre Verbindung mit einem so prosaischen Prinzen , als ihr Gemahl war , das Meiste dazu beigetragen .
Zwischen beiden fand eben das Verhältnis statt , welches mehrere Jahre hindurch die Herzogin gedrückt hatte ; und da die Unmöglichkeit einer Trennung aus staatsbürgerlichen Gründen für die Gräfin eine unwiderstehliche Gewalt erhalten hatte ; so war ihr nichts anderes übrig geblieben , als die freieren Sitten Italiens zu einer Verbindung zu benutzen , welche ihrem ins Unendliche hinstrebenden Geiste zwar eine Stütze gewährte , allein doch bei weitem mehr versprach als wirklich leistete .
Der Mann , mit welchem die Gräfin in Verbindung stand , war der Graf Vittorio Alfieri d' Asti , ein Piemontese , dessen Tragödien in Deutschland jetzt bekannter zu werden anfangen .
Nie habe ich einen Sterblichen kennen gelernt , der mir das Bild , das ich mir immer von dem jüngeren Brutus , dem Mörder Cäsars , entworfen habe , getreuer repräsentiert hätte .
Ich kann mit Wahrheit sagen , daß er ein Römer im höchsten Sinne des Worts war ; eine Natur , wie man sie in unseren Zeiten gar nicht mehr erwarten sollte .
Eine lange , hagere Gestalt , bewegte er sich langsam , mit starrem , auf die Erde geheftetem Blick .
Sein Gesicht war blaß , seine Lippen fein und geschlossen , seine Zähne weiß und scharf , seine Nase regelmäßig gebildet , seine Augen dunkelblau , seine Stirn groß , aber schön gewölbt .
In seiner Miene lag neben unbegrenztem Wohlwollen eine Wut , die auch das Äußerste nicht scheuet ; und dies war so ganz der Charakter seines Gemütes , in welchem die sanftesten Empfindungen neben den allerheftigsten bestanden .
In seinem Geiste flossen die Geister des Tacitus , Macchiavelli und J. J. Rousseau zusammen .
Wie in einem der edelsten Römer aus den besten Zeiten der Republik , war in ihm Alles auf das Politische hingerichtet .
Er hatte keinen Begriff davon , wie die Poesie sich selbst Zweck sein könnte ; und darum wollte er ihr einen politischen Zweck geben .
Alle Monarchien der Welt zu stürzen , darauf arbeitete er in seinen Trauerspielen hin , und ohne diesen Zweck würde er es nicht haben über sich erhalten können , eine Feder anzusetzen .
Gewissermaßen war dies der böse Dämon der ihn trieb ; aber er war weit davon entfernt , ihn dafür anzuerkennen , und würde wütend geworden sein , hätte man einen Versuch gemacht , ihm das Falsche seiner Idee zu zeigen .
Was man gemeiniglich unter einem Aristokraten versteht , gibt nur eine schwache Idee von seinem Wesen , und ich sage nicht zu viel , wenn ich behaupte , daß er die Repräsentation der Aristokratie in der höchsten Potenz war , gerade so , wie jeder alte Römer , nachdem die Universalherrschaft errungen war .
Was er ewig bedauerte , war , in diesen elenden Zeiten geboren zu sein , die keinen freien Aufflug durch Taten gestatteten , und in dem Schreiben allein eine Entschädigung erlaubten .
" Ich setze mich an den Schreibtisch , nur um meinem Unwillen Luft zu machen und meine Galle zu verdünnen , " sagte er mir mehr denn zehnmal , und ich glaubte es ihm , weil dies mit seinem ganzen Wesen zusammenhing .
Ein höchst charakteristischer Zug von ihm war , daß er , um ungehinderter schreiben zu können , oder , wie er sich aus zudrücken pflegte , per poter scemar la bile , seiner Schwester einen sehr wesentlichen Teil seines großen Vermögens abgetreten hatte .
Man hätte glauben sollen , daß die Gräfin Luisa d' Albania und der Graf Vittorio Alfieri mit so entgegengesetzten Eigenschaften sehr wenig für einander vorhanden gewesen wären .
Allein , indem die Gräfin mit der unendlichen Liebe , die in ihr war , einen Gegenstand der Hochachtung suchte , mußte der Graf ihr teuer werden ; und indem dieser mit seinem grenzenlosen Unwillen gegen das Verderbnis seiner Zeiten doch Etwas lieben wollte , gab es für ihn keinen anderen Gegenstand , als ein Weib von Luisa's Gepräge .
Beide bewunderten sich um so mehr , je weniger sie sich begriffen .
War der Graf Brutus , so war die Gräfin Portia .
Dies Verhältnis wurde zuerst durch unsere Dazwischenkunft abgeändert .
Die Herzogin , welche einmal für allemal mit dem männlichen Geschlecht gebrochen hatte , schloß sich enger an Luisen an , weil sie in ihr die eigene Vollendung zu erblicken glaubte .
Ich hingegen fühlte mich an Vittorio Alfieri angezogen , unstreitig weil er nach Moritz der einzige Mann war , den ich achten konnte .
Mir entging die Schwärmerei nicht , die aus ihm wirkte , und um keinen Preis hätte ich die Seinige werden mögen ; allein , da die Phantasie zuletzt das Einzige ist , was ein Weib an einem Mann lieben kann , so huldigte ich in meiner Hinneigung zu dem Grafen , soll ich sagen der Schwäche meines Geschlechtes , oder dem ewigen Gesetz , unter welchem es steht ?
Übrigens war niemals eine Verbindung unter vier Personen inniger und schuldloser , als die unsrige .
Ich lernte nach und nach den Grafen ganz kennen .
Selbst aus seinem besonderen Antriebe zum Schreiben machte er mir kein Geheimnis , und es war wahrlich nicht seine Schuld , wenn ich seinen Tyrannenhaß nicht teilte .
Diese Trauerspiele der Freiheit ( wie er seine Tragödien nannte ) , die einander so ähnlich sind , daß sie dem unbefangenen Auge nur als Variationen desselben Thema's erscheinen müssen , hatten alle nur einen und denselben Zweck , nämlich Verunglimpfung der Fürstenmacht .
Aus der Emsigkeit und Anstrengung , womit der Graf arbeitete , hätte man schließen sollen , daß ihm die Kunst über Alles teuer wäre ; und doch war dies gar nicht der Fall .
In ihm ordnete sich der Künstler dem Grafen , oder , wenn man lieber will , dem Aristokraten , auf das allerbestimmteste unter ; in der Tat so sehr , daß er sich selbst verachtet haben würde , wenn er in sich nur den Künstler gesehen hätte .
Was ihn unaussprechlich verwundete , war die Unempfindlichkeit seiner Zeitgenossen gegen den Zweck seiner Schöpfungen .
Erraten sollten sie ihn und zu einem unendlichen Fürstenhaß hingerissen werden ; und da weder das eine noch das andere er folgte , indem die Zuschauer und Leser nur bei dem tragischen Schicksal seiner Helden verweilend , lieber dem Mitleid als dem Unwillen Raum gaben , so wurde der Graf bisweilen zu einer Verzweifelung getrieben , worin es keinen anderen Trost für ihn gab , als die Idee eines unbegrenzten Ruhmes , der seiner in besseren Zeiten harrte .
Mit unbeschreiblicher Wollust erfüllte ihn dagegen alles , was die Wahrheit seiner Grundidee auch nur von fernher bestätigte .
Die Nordamerikanische Revolution war für ihn eine Erscheinung von unberechenbarer Wirksamkeit für den gesellschaftlichen Zustand von Europa ; und so bestimmt sah er durch sie alle Thronen umgestürzt , daß er in einem Washington den Heiland der Welt verehrte .
Was ihn zu seiner eigenen Gattung machte , war diese innige Vereinigung des Schönen mit dem Politischen , die sein Wesen so einzig bestimmte .
Ob die Idee , von welcher er ausging , probehaltig war , oder nicht , das kann und mag ich nicht bestimmen ; das weiß ich aber , daß sie in ihm eine philanthropische war .
Gibt es für die wahre Größe keinen anderen Maßstab , als die Ideen , womit ein Individuum sich unablässig beschäftigt ; so stand Vittorio Alfieri in einer Größe da , welche die Mehrzahl gigantisch zu nennen gezwungen ist .
Und welche Kindlichkeit bei dieser Größe !
Eben der Mann , dessen Kopf in politischer Hinsicht einem Vulkan glich , war durchaus unfähig , irgend ein Individuum zu kränken , selbst dann nicht , wenn er es verachten mußte .
Er selbst sprach hierüber , als über einen ewigen Widerspruch zwischen seinem Herzen und seinem Kopf , und war nur allzuoft ungewiß , ob er sich für einen Thersites oder Achilles halten sollte ; dies rührte aber nur daher , daß er in seinem Unwillen und Haß die Liebe verkannte , welche die Quelle derselben war .
In sich selbst war er ein Ganzes , wie die Natur es selten hervorbringt ; allein , indem er sich nicht als ein solches erschien , konnte er , anstatt sich seiner Individualität zu freuen , sich nur zerreiben und vor der Zeit zerstören .
Bewundernswürdig waren seine Affektionen in Beziehung auf einzelne Zweige der Kunst .
Wäre er bloß Künstler gewesen , so würde die Kunst für ihn eine einige gewesen sein ; denn er hätte in den Künstlern nur immer die Poeten sehen können .
Weil er aber Graf und Künstler zugleich war , so schied er die Poesie von allen übrigen Künsten , und mehrere derselben berührten ihn gar nicht .
So waren z.B. Malerei und Bildhauerei durchaus nicht für ihn vorhanden , oder ihm wohl gar verhaßt , weil sie der staatsbürgerlichen Größe dienten .
Die Musik hingegen liebte er sehr , ob gleich auch nicht um ihr selbst Willen , sondern weil sie ihn in einen Zustand versetzte , worin seine herrschende Stimmung sich in Harmonie auflöste .
Überall war der Adel seiner Natur auf eine ganz eigentümliche Weise mit demjenigen verschwistert , den er seiner Geburt verdankte , und was er am wenigsten ins Reine bringen konnte , war :
wie viel von seinem Wesen er sich selbst und wie viel er dem gesellschaftlichen Zustand verdankte ?
Nichts wollte er dem letzteren zu verdanken haben , und vielleicht hätte er nie eine Tragödie geschrieben , wenn ihm zeitig genug klar geworden wäre , auf welchen Bedingungen seine ganze geistige Natur beruhte , oder , mit anderen Worten , wenn er sich als Aristokraten hätte zur Anschauung bringen können .
Sobald ich den Grafen genauer kennen gelernt hatte , verzieh ich ihm Alles , weil ich in ihm nur den verfehlten Monarchen sah .
Ich konnte ihm nicht werden , was die Gräfin d' Albania ihm gewesen war und noch war ; dazu fehlte es mir an Einbildungskraft .
Allein , indem ich mich zwischen beiden in die Mitte stellte , nahm ich der eisernen Notwendigkeit , in welcher er dastand , das Lästige , das bis dahin von ihr unzertrennlich gewesen war .
Er selbst fühlte sich durch mich nicht wenig erleichtert ; und ob er gleich nicht angeben konnte , worin diese Erleichterung bestand , so lag es doch nur allzusehr am Tage , daß er in seinem Wirken durch mich an Freiheit gewonnen hatte .
Wir kamen täglich zusammen , bald bei der Gräfin d' Albania , bald bei der Herzogin .
Des Grafen Sache war , uns seine Kompositionen mitzuteilen .
Was er seine Poesie nannte , war freilich sehr wenig für uns vorhanden ; allein wir fanden dabei dennoch unsere Rechnung auf eine doppelte Weise .
Einmal konnten wir nicht umhin , über das reiche Gemüt eines Mannes zu erstaunen , der , unbekümmert um die gewöhnlichen Hilfsmittel der tragischen Kunst , seinen Personen eine solche innere Stärke gab , daß die Handlung sich mit gleichem Interesse zum Ziele fortbewegte , ohne daß mehr als vier bis fünf Werkzeuge dazu beitrugen ; und in der Tat werden seine Tragödien von dieser Seite immer bewundernswürdig bleiben .
Zweitens wurden während der Vorlesung alle die schauerlichen Gefühle in uns geweckt , welche den religiösen so nahe verwandt und doch so wesentlich von ihnen verschieden sind ; wir glaubten uns von lauter Gespenstern umgeben , und ich erinnere mich auf das bestimmteste , daß , als der Graf an einem stürmischen Herbstabend seinen Orestes vorlas , die Herzogin sich fest an ihre Freundin anklammerte und starren Blicks auf den Grafen hinschaute , als wollte sie begreifen , wie eine Elektra oder Clytemnestra sich in seinem Gehirn hätte entwickeln können .
Dergleichen Vorlesungen endigten sich in der Regel mit einem Streit über die tragische Kunst .
Der Graf sprach gern über diesen Gegenstand , weil er nur etwas Vortreffliches liefern wollte ; allein da sich , wie ich schon oben bemerkt habe , der Künstler in ihm dem Grafen so wesentlich unterordnete , so war über diesen Punkt kein Einverständnis mit ihm möglich ; der eigentümliche Zweck seiner Tragödien verhinderte die Vortrefflichkeit derselben , ohne daß es möglich war , ihn davon zu überzeugen .
Ich hatte schon damals eine Ahnung davon , daß die wahre Tragödie das Gemüt des Zuschauers oder Lesers nicht martern , sondern erheben müsse , und ohne Rückhalt äußerte ich diese Ahnung ; allein der Graf war hierüber durchaus entgegengesetzter Meinung , und ob er gleich die Weinerlichkeit von ganzem Herzen verabscheute , so bestand er doch auf Erzeugung eines großen Unwillens , indem er sich einbildete , daß das Gemüt nur durch Gefühle , nicht durch Ideen , erhoben werden könnte .
Dies war ein Punkt , auf welchem er standhaft beharrte ; und auf welchem er freilich beharren mußte , wenn er nicht seinem ganzen Wesen entsagen wollte .
Überhaupt war es mehr die Individualität des Grafen , als seine Kunst , was an ihm beschäftigen konnte .
Am reinsten sprach sich diese Individualität in seinen Sonetten aus , welche vielleicht die schönsten sind , die Italien aufweisen kann .
Hätte der Graf den Unterschied der lyrischen und dramatischen Poesie in Beziehung auf seine Natur gekannt , so hätte er es schwerlich jemals darauf angelegt , durch die letztere unsterblich zu werden .
Zwei Jahre waren auf diese Weise verstrichen , als die Herzogin sich nach Rom zu sehnen begann .
Die Gräfin d' Albania versprach uns dahin zu begleiten ; der Graf Vittorio Alfieri hingegen , welcher seine Mirrha angefangen hatte , wollte sich nach Siena begeben , um seinen republikanischen Ideen in diesem kleinen Freistaat ungehinderter nachhängen zu können .
Es wurde die Verabredung genommen , daß der Graf uns , während des nächsten Winters , in Rom auf einen Monat besuchen sollte , und daß wir gegen den nächstfolgenden Winter wieder in Florenz zusammentreffen wollten .
Ein florentinischer Maler hatte die Gefälligkeit , uns begleiten zu wollen .
Die Reise ging vor sich , wir kamen wohlbehalten in Rom an , und wurden , von der liebenswürdigen Gräfin eingeführt , allenthalben unserem Stande gemäß empfangen .
Obgleich der ausschließende Zweck unseres Aufenthalts in Rom die Kunst und namentlich die Malerei war ; so konnten wir doch nicht umhin , auch auf die Menschen einzugehen , von welchen wir uns umgeben sahen .
Man nennt die Römer schlau und fein ; allein man vergißt , daß sie mit diesen Eigenschaften eine Unschuld verbinden , welche erst dann aufhört , wenn eine gewisse Rohheit Forderungen an sie macht , die sie nicht befriedigen können , ohne ihrem Wesen zu entsagen .
Einem vielseitig ausgebildeten Menschen muß , allen meinen Erfahrungen zufolge , in Rom sehr wohl zu Mute sein , weil er allenthalben auf seines Gleichen stößt .
Dem vornehmeren Teil der Römer besonders ist ein Entwickelungsgrad eigen , wie man ihn , außerhalb des Kirchenstaates , schwerlich auf irgend einem Erdfleck antrifft .
Je unbestimmter und schwankender die gesellschaftlichen Verhältnisse in Italien , besonders aber im Kirchenstaate , sind , desto stärker ist die Aufforderung , welche jeder Einzelne hat , in diesem Kampfe aller gegen alle seine Existenz zu sicheren .
Daher die Feinheit , womit man sich gegenseitig behandelt .
Schon von der frühesten Jugend an nimmt das Studium menschlicher Kräfte und Eigentümlichkeiten seinen Anfang ; es ist also kein Wunder , wenn man es hierin zu einem hohen Grade der Vollendung bringt .
Das Verhältnis der Kirche zum Staate , oder vielmehr das Verhältnis des Mittelpunkts der Theokratie zu der Welt trägt nicht wenig dazu bei , dem Geiste der Römer eine Gewandtheit zu geben , wie man sie sonst nirgend findet ; eine Gewandtheit , die , obgleich ursprünglich nur in den ersten Repräsentanten der Kirche vorhanden , von diesen selbst auf die untersten Volksklassen übergeht .
Mit Vergnügen erinnere ich mich einer Unterredung mit dem berühmten Cesarotti , der , als von dem Charakter der Römer unter uns die Rede war , mir Folgendes zur Aufhellung desselben sagte : " Unser ganzes gegenwärtiges Wesen besteht aus drei Elementen , die , wie verschiedenartig sie auch scheinen mögen , den innigsten Zusammenhäng unter einander haben .
Das erste ist die Messerträgerei eine Folge des unvollkommenen gesellschaftlichen Zustandes , in welchem wir leben .
Das zweite ist unsere Religiosität , welche mit unserer physischen Trägheit in enger Verbindung steht , und durch nichts so sehr gehalten wird , als durch den Umstand , daß von Rom aus aller kirchlicher Impuls geschieht .
Das dritte ist unsere Kunst , wodurch wir , abgesehen von der Kraft selbst , welche sie möglich macht , nichts weiter beabsichtigen , als Sicherstellung unserer Eigentümlichkeit .
Man zerstöre eines dieser Elemente in uns , so sind die beiden anderen zugleich zerstört .
Auf den ersten Anblick sollte man freilich glauben , daß die Messerträgerei dem hohen Aufschwung , welcher in das Gebiet der Kunst führt , nicht gerade notwendig sei .
Ich will auch nicht im Allgemeinen behaupten , daß ohne Messerträgerei keine Kunst statt finden könne .
Aber etwas anderes ist Kunst überhaupt , und etwas anderes römische Kunst insbesondere .
Die letztere kann nur dadurch möglich werden , daß das Gemüt dem Geiste eine Erhebung gibt , wie sie nun einmal erforderlich ist , um das Außerordentliche zu Stande zu bringen .
Hätten wir eine regelmäßige , nur für den Kirchenstaat vorhandene Regierung , beschäftigte sich diese Regierung nur mit der Beglückung der Untertanen , und fände Jeder im Ackerbau , in der Ausübung irgend eines Handwerks , in Fabrikarbeit und dergleichen , was zur Leibesnahrung und Notdurft gehört ; so wären wir gewiß eben so moralisiert , als die Bürger anderer Staaten .
Da wir keine solche Regierung haben , und auch alle übrige Bedingungen geradezu wegfallen ; so sind wir nicht moralisiert , aber wir sind Römer , und , was man auch zu unserem Nachteil im Auslande sagen mag , unseren großen Vorfahren bei weitem mehr verwandt , als die Kurzsichtigkeit es begreifen kann .
Was unsere Vorfahren durch eine mit physischer Gewalt verbundene List vollzogen , das vollziehen wir durch die reine List .
Die römische Universalmonarchie hat deshalb noch nicht aufgehört , weil es keine römische Imperatoren mehr gibt ; die Bande , durch welche die Welt an Rom gefesselt ist , sind nur geistiger geworden .
Wollen Sie leugnen , daß dies große Eigenschaften von Seiten der Römer voraussetze ?
Der würde ein Tor sein , der unseren gesellschaftlichen Zustand als Muster empfehlen wollte ; wer ihm aber alle Kraft abspricht , der versündigt sich an der Wahrheit .
Das staatsbürgerliche Elend , das hier vielleicht größer ist , als in irgend einem anderen europäischen Staate , muß vorhanden sein , damit es einzelnen Menschen gelinge , über die ganze Menschheit hervorzuragen .
Das Wesen eines Römers ist auf ein ungemeines Maß von Kraft berechnet .
Wer im Besitze desselben ist , der emergiert , und muß als ein Repräsentant der Römerhit betrachtet werden ; wer es nicht ist - nun der gehört zum Pöbel , zu den Lastträgern der Gesellschaft .
Von einem höheren Standpunkt aus betrachtet , ist die Kraft immer dieselbe , und der Unterschied besteht nur in der temporellen Richtung , die sie genommen hat .
Dasselbe Individuum , daß Sie heute als Bildhauer oder Maler in seiner Werkstätte bewundern , ist vielleicht nach acht Tagen ein Kardinal , und als solcher nicht minder bewundernswert .
Jene Universalität , welche zu jedem ausgezeichneten Lebensgeschäft geschickt macht , finden Sie nur in dem Römer ; und man möchte sagen , sie sei ihm angeboren , so bestimmt geht sie aus seinem ganzen Wesen hervor .
Anderwärts zerquetschen staatsbürgerliche Klemmen tausend und aber tausend Kräfte ; hier ist dies nicht der Fall , weil die Idee des Rechts uns fremd ist , und wir gewissermaßen fortgesetzt im Zustande der Natur leben .
Wer dem anderen ein Bein unterschlagen kann , hat auch die Befugnis dazu , und niemand fragt , ob er ungroßmütig gehandelt habe .
Jeder will der Erste sein ; jeder sich zum Mittelpunkt machen .
Er tue es auf seine Gefahr ; gelingen kann es ihm immer nur in sofern , als er allen Übrigen zusammengenommen gewachsen ist .
Möglich , daß unser Wesen in der Folgezeit sehr bedeutend abgeändert wird ; aber so lange Rom das Zentrum der Theokratie bleibt , wird es auch Römer geben , und überall begreife ich nicht , was den Römer aus der Welt verbannen könnte , da sein Wesen nicht an eine einzelne Form gebunden , sondern immer in der Kraft gegründet ist .
Es ist vielleicht sogar wünschenswert , daß irgend eine Revolution erfolge , die uns aus dem Schwerpunkt hebe , worin wir gegenwärtig stehen .
Ich fürchte sie nicht , und überlasse es kurzsichtigen Toren ihren Eintritt zu bejammern .
Die Stützen meines Mutes sind diese sieben unfruchtbaren Hügel , welche so viele Jahrhunderte hindurch unendlich mehr stützten . "
Ich habe hier alles zusammengefaßt , was ich über die Römer zu bemerken hatte , damit ich ungestörter in meiner Erzählung fortschreiten möchte .
Sowohl die Herzogin als die Gräfin d' Albania wurden sehr wenig von den Menschen um sie her berührt ; die erstere , weil sie nur nach der Weihe strebte , welche die Kunst verleiht , die letztere , weil sie sich durch den Umgang in dem Fluge gehemmt fühlte , den ihre Einbildungskraft zum Universum genommen hatte .
Fleißig wurden die Tempel der Kunst besucht , deren Rom so viele hat ; aber verschieden waren die Eindrücke , welche die Schöpfungen der auserlesensten Geister auf uns machten .
Die Gräfin d' Albania begrüßte sie als Jugendgespielen , an welche wir uns selbst dann noch hingezogen fühlen , wenn wir in unserer Entwicklung weit über sie hinausgegangen sind ; sie war seit vielen Jahren mit ihnen vertraut , da sie aber ihrer Bildung zum Grunde lagen , so konnten sie nicht mehr in die selbe eingreifen .
Die Herzogin trat in die Sixtinische Kapelle , in welche wir zuerst geführt wurden , mit der holden Verwirrung einer Jungfrau , die sich plötzlich in einen Kreis wunderschöner Jünglinge versetzt sieht ; errötend starrte sie hin auf die dem Pinsel entquollenen Gestalten , als ob alle diese Bilder von jeher in ihrer Seele gelegen hätten , ohne daß ihr die Kraft geworden , sie selbst zu erzeugen .
Was mich selbst betrifft , so empfand ich zwar das Außerordentliche dieser Schöpfungen ; allein sie übten keine anziehende Kraft an mir aus , es sei nun , weil der Verstand in mir den Ausschlag über die Einbildungskraft gab , oder weil Vittorio Alfieri's Geist stärker auf mich eingewirkt hatte , als ich mir selbst gestehen mochte ; wenigstens muß ich bekennen , daß ich mich oft instinktmäßig nach ihm umsah , um sein Urteil zu erfahren .
Diese verschiedene Empfänglichkeit für die Wunder der Kunst führte zu eigentümlichen Entwicklungen .
Während die Gräfin darüber hinaus war , und ich dahinter zurückblieb , ging die Herzogin darin unter .
Eine längere Zeit hindurch schwankte sie zwischen verschiedenen Meistern hin und her ; ihr Zustand konnte eine ästhetische Betäubung genannt werden , so wie die Allgewalt des Schönen ihn erzeugen muß .
Als sie sich aber nach und nach wieder sammelte und mit Bewußtsein zu empfinden begann , da erklärte sie sich mit allem , was in ihr war , für Raphael . Nie hat eine reinere Seele diesem unsterblichen Meister feuriger gehuldigt .
Sie wurde nicht müde , seine Werke zu betrachten , und seine Schöpfungen verdrängten aus ihr alle anderen Bilder , von welcher Art sie auch sein mochten . Habe ich sie anders gehörig beobachtet , so fühlte sie sich allzuschwach , die Individualität der Gräfin in sich aufzunehmen ; aber Raffaels Begrenzung entsprach der ihrigen .
Ihn begriff sie in allen seinen Bildungen , und wunderbar waren die Kommentare , die sie darüber machte .
Sie wußte z.B. alle Widersprüche zu lösen , welche einzelne Kritiker in Raffaels Verklärung anzutreffen geglaubt haben , und nannte dies Werk die Apotheose des Künstlers .
Denn ihrer Versicherung nach , waren die beiden Handlungen , die man in diesem Gemälde erblickt , aufs innigste für einander vorhanden , und das Wunder der Verklärung nur durch die fehlgeschlagene Heilung des besessenen Knaben bedeutend und idealisch .
Dabei rühmte sie die tiefe Menschenkenntnis , welche Raphael dadurch offenbaret , daß er den schönsten der Apostel in einer Unterredung mit Weibern , die übrigen im Gespräch mit Männern dargestellt habe ; und was die in gleicher Linie laufenden Arme der Apostel betrifft , so behauptete sie , daß , die kunstgerechte Anordnung möchte sich noch so heftig dagegen erklären , die Symmetrie der Komposition sie notwendig mache .
Um übrigens immer von Raphael umgeben zu sein , setzte sie sich in den Besitz der besten Kopien , vorzüglich in Kupferstichen ; und so konnte es schwerlich fehlen , daß dieser Künstler nach und nach der einzige Gegenstand ihrer Liebe wurde .
Es ist unstreitig schon öfter der Fall gewesen , daß ein hingeschiedener Geist einen noch vorhandenen einzig beschäftigt hat ; allein schwerlich ist dies jemals auf eine so eigentümliche Weise geschehen , als in der Liebe der Herzogin für Raphael .
So weit eine rein geistige Ehe denkbar ist , vermählte sie sich auf das förmlichste mit ihm .
Es war zuletzt nicht der Künstler , es war der Mann , den sie in ihm erblickte , die schaffende Kraft , die sie in ihm anbetete .
Die Folgen fürchtend , welche eine so eigentümliche Wendung ihres Geistes nach sich ziehen konnte , suchte man ihren Enthusiasmus dadurch zu vermindern , daß man ihr Anekdoten von Raffaels Liederlichkeit erzählte . Vergeblich ; so keusch sie auch war , so wurde sie dadurch doch nicht beleidigt .
" Wie konnte , erwiderte sie , Raphael anders sein ?
Was ihr Liederlichkeit nennt , war bei ihm die Folge einer üppigen Fülle .
Zugegeben , daß er länger gelebt hätte , wenn er haushälterischer mit seinen Kräften umgegangen wäre , entsteht noch immer die Frage , ob diese Ökonomie ihm möglich war ?
Und hat er etwa weniger gelebt , weil er im sechs und dreißigsten Jahre gestorben ist ?
Seine Schöpfungen sagen , daß er viel gelebt hat , und was wir ihm alle beneiden sollten , ist , daß er die Kraftlosigkeit und Erschöpfung des Alters nie empfand , sondern wie Achilles zu den Unsterblichen gewandert ist .
Sagt mir , Raphael sei siebzig Jahre alt geworden , weil er durchaus verständig gewesen sei , und ihr werdet euren Zweck erreichen .
Was ihr seine Liederlichkeit nennt , redet ihm bei mir das Wort ; denn wer das Schöne so darstellt , wie Raphael es dargestellt hat , der kann nur das Schöne lieben und - nur in dem Schönen untergehen . "
Und indem die Herzogin auf diese Weise ihrer Leidenschaft für Raphael das Wort redete , verzehrte die innere Glut , womit sie empfand , ihre physischen Kräfte zusehends .
Es war ein eigentümliches Schauspiel , das der Gräfin und mir in dieser Hinsicht gewährt wurde ; denn wir sahen eine Verklärung von statten gehen , wie man sie selten erlebt .
Ohne daß irgend ein Lebensorgan angegriffen war , wurde die Herzogin nach und nach zu einem Schemen .
Alles , was Kraft genannt werden kann , blitzte aus ihren großen blauen Augen und sprach von ihren Lippen ; aber andere Kennzeichen des Lebens waren nicht in ihr vorhanden .
Sie selbst hatte keine Ahnung von ihrem nahen Hintritt , und sprach zu uns nur immer von ihrer Liebe ; Ort und Zeit aber war darin untergegangen .
In uns erstickte eine gewisse Feierlichkeit alle die gewöhnlichen Gefühle des Mitleides , des Bedauerns u. s.w. Immer mußte es uns schmerzen , eine solche Freundin zu verlieren ; aber wie hätten wir sie beklagen können , da sie nur in einem Übermaß von innerem Leben ihren Untergang finden konnte ?
Noch ruhiger , als ich , war die Gräfin d' Albania .
Sobald sie wahrgenommen hatte , daß der Herzogin nicht mehr zu helfen sei , versetzte sie sich in diejenige Stimmung , wodurch sie dem hohen Flug ihrer Phantasie innerhalb des Gebietes der Kunst nachhalf .
Wirklich wurden die letzten Augenblicke der Herzogin dadurch nicht nur aufgeheitert , sondern auch verlängert , und der Ankunft des Grafen Vittorio Alfieri war es aufbehalten , den kritischen Moment herbeizuführen .
Er hatte seine Myrrha vollendet , als er bei uns ankam .
Seiner eigenen Vorstellung nach war dies von allem , was er je gearbeitet hatte , das Beste .
Er brannte vor Begierde , diese Tragödie vorzulesen , weil er es darin ausschließend auf eine Huldigung der Gräfin angelegt hatte .
Meinen Wünschen nach sollte die Herzogin entfernt werden ; aber dazu war keine Gelegenheit .
Die Vorlesung nahm ihren Anfang , sobald es dunkel geworden war .
Wir saßen dem Vorleser gegenüber .
Die Herzogin teilte unsere Spannung nicht , wiewohl sie nicht ganz unaufmerksam war .
So wie indessen der Charakter der Myrrha , in welchem des Heldenmütigen genug , des Weiblichen aber nur allzu_wenig ist , sich mehr entwickelte , nahm die Unruhe der Herzogin zu .
Beim vierten Akt sank sie ganz unerwartet in die Arme der Gräfin .
Wir vermuteten nichts weniger als plötzlichen Tod ; allein ihre Augen erhielten die Richtung der Verklärten , und zwei Zuckungen , welche unmittelbar darauf erfolgten , vollendeten den Hintritt .
Hatte Alfieri's Vorlesung die Herzogin getötet , so war Alfieri dabei ganz unschuldig .
Es gibt Krankheiten , in welchen ein kaltes Lüftchen die Kraft hat , die leidende Maschine einmal für allemal zu zerrütten .
Eine ähnliche Bewandtnis mußte es mit dem Zustande der Herzogin haben .
Die Gräfin , wie tief sie auch von dem Tode unserer gemeinschaftlichen Freundin verwundet war , behielt ihre ganze Klarheit und vergoß daher keine Träne .
Was mich betrifft , so gestehe ich , daß die Plötzlichkeit des Todesfalles verwirrend auf mich zurückwirkte , und das Gefühl der Ohnmacht so bestimmt in mir aufregte , daß ich weinen mußte , um mir wieder klar zu werden .
Unendlich mehr , als ich , war der Graf Vittorio ergriffen ; die Kindlichkeit seines Gemütes zeigte sich bei dieser Gelegenheit in ihrer ganzen Stärke .
Er , der in seinen Trauerspielen den Tod so oft vorbereitet hatte , daß man hätte glauben sollen , er sei in der Wissenschaft der Gesetze , nach welchen der Tod erfolgen muß , abgehärtet worden - er ertrug den vorliegenden Fall so ungeduldig , als ob er unter uns das einzige Weib gewesen wäre .
So wenig hatte er das Wesen der Herzogin ergründet , daß er darauf bestand , sie lebe noch , und durch diese kühne Behauptung uns in die Notwendigkeit setzte , die geschicktesten Ärzte herbei zu rufen .
Überflüssige Maßregel !
Sie , die kein Arzt hätte retten können , weil ihre Krankheit über alle Hilfe hinaus war , wurde von den Ärzten für vollkommen tot erklärt , und wohl hatte die Gräfin Recht , wenn sie sagte : " Wie konnte sie noch länger leben , da sie am Ziele war ? "
Auch bin ich überzeugt , daß die Herzogin , wenigstens in den letzten Tagen ihres Daseins , eine Ahnung von dem nahen Aufhören desselben hatte ; denn , obgleich ihre ehemaligen Verhältnisse mit ihrem Gemahl ganz in ihrer Erinnerung untergegangen waren , so gedachte sie doch noch des Sohnes , dem sie das Leben geschenkt hatte , und schmeichelnd bat sie mich , Erkundigungen von seinem Befinden einzuziehen .
Dies würde nicht geschehen sein , hätte sie nicht die Abnahme ihrer physischen Kräfte gefühlt , und hätte dies Gefühl sie nicht getrieben , der Mütterlichkeit den letzten Tribut zu bringen ; denn es ist nun doch einmal die Mutter , die in einem vollendeten Weibe zuletzt stirbt .
Von der Leichenbestattung der Herzogin kein Wort , so glänzend sie auch war , da die Fürstin für eine gute Katholikin ausgegeben wurde , und die römische Geistlichkeit keine Ursache fand , diese Unwahrheit zu bestreiten .
Ihr Tod wirkte vorzüglich in sofern auf mich zurück , als er das Verhältnis zerriß , in welchem ich bisher mit Vittorio Alfieri gestanden hatte .
Nicht daß ich ihm nicht teuer geblieben wäre ; ich blieb ihm alles , was ich ihm jemals gewesen war .
Allein die Gräfin war der Zeit nach seine erste Liebe , und mußte es auch dem Range nach bleiben , weil die Unendlichkeit , die in ihr war , durch kein anderes Weib ersetzt werden konnte .
Auch die Gräfin ihrer Seits fühlte sich wieder an Vittorio angezogen , da die Herzogin nicht mehr war .
Ich stand von nun an zwischen beiden in der Mitte , gleichsam als Dolmetsch ihres gegenseitigen Interesses .
Sie baten mich , mit ihnen nach Florenz zurück zu gehen , und ich tat es in Ermangelung eines besseren Schicksals .
Mehrere Jahre blieb ich bei ihnen , und war ein Zeuge von Alfieri's steigender Verwirrung und Luisa's wachsender Klarheit .
In diesem Zeitraume verheiratete ich meine Pflegetochter mit dem Professor D... , einem Deutschen , dessen Bekanntschaft ich in Rom gemacht hatte , wo er jene lieb gewann und nicht eher rastete , als bis ich ihm erlaubte , sie zu ehelichen und mit nach Deutschland zurück zu nehmen .
Der Prätendent von England war indes gestorben und bald darauf die französische Revolution ausgebrochen .
Die Felsenmasse die bisher auf Vittorio Alfieri's Brust gelegen hatte , wurde durch diese beiden Ereignisse versprengt ; denn das erstere erfüllte alle die Wünsche , die er in Beziehung auf die Gräfin unterhalten hatte , und durch das letztere glaubte er alle seine politischen Ideale der Realisierung nahe .
Den Kothurn von sich schleudernd , faßte er den Entschluß , nach Frankreich zu gehen und ein Bürger der neuen Republik zu werden .
Die Gräfin d' Albania war leicht beredet , ihm dahin zu folgen ; denn von allen gleichgültigen Dingen war der Ort ihrer Existenz ihr das gleichgültigste .
Auch ich sollte mit nach Frankreich gehen ; da mir aber die Franzosen noch immer zuwider waren , und alles , was ich jetzt noch lieben konnte , sich in Deutschland befand , so entschuldigte ich mich so gut , als möglich , indem ich versprach , daß ich erst eine Reise in mein Vaterland machen und alsdann meine Freunde in Paris aufsuchen wollte .
Beide gingen über Turin nach Lyon , von wo aus sie ihre Wallfahrt nach der Hauptstadt des Reiches fortsetzten .
Ich begab mich in die pisanischen Bäder , um daselbst neue Bekanntschaften anzuknüpfen , und mit diesen nach Deutschland zurück zu gehen .
Hier war es , wo ich meine Eugenia zuerst kennen lernte .
Ehe ich aber in meiner eigenen Geschichte fortfahre , muß ich noch einen Blick auf die Gräfin d' Albania und den Grafen Vittorio Alfieri werfen .
Nur Weniges habe ich seit meiner Trennung von beiden erfahren .
Die erstere kehrte nach Italien zu rück , sobald die Revolution eine blutige Wendung genommen hatte .
Der letztere blieb in Paris , bis alle seine Erwartungen getäuscht waren .
In einer feurigen Ode besang er die Zerstörung der Bastille ; in einer noch feurigeren den Umsturz des Thrones .
Als aber der Schrecken eintrat , da siegte seine Menschlichkeit über alle seine Ideale .
So groß wurde sein Abscheu vor allem , was um ihn her vorging , daß er sich mehr , als jemals , in der Einsamkeit begrub .
Sich zu zerstreuen , lernte er Griechisch , und hätte ein Künstler aus ihm werden können , so würde es unter diesen Umständen geschehen sein .
Doch die heitere Region der Kunst sollte ihm ewig verschlossen bleiben .
Anstatt sich von den Schlacken der Aristokratie zu reinigen , wurde er trübsinnig und schwermütig ; und wie konnte dies ausbleiben , da von allem , was er geahnt hatte , das Gegenteil erfolgte und sein ganzes System über den Haufen geworfen wurde ?
Nach einem achtjährigen Aufenthalte in Frankreich kehrte er nach Florenz zurück , wo die Gräfin d' Albania unterdessen gestorben war .
Hier lebte er seitdem zerbrochenen Herzens als ein von seinen Idealen Verlassener .
Hat er nicht selbst die Dauer seines Lebens abgekürzt , so ist er wenigstens nicht ungern gestorben .
Wenige Menschen haben im Kampfe mit sich selbst mehr gelitten .
In einem Sonett , das ich sorgfältig aufbewahre , weil er es zu einer Zeit machte , wo er mit sich selbst höchst unzufrieden war , redet er sich also an :
Um , sei tu grande , o viel ?
Und seine Antwort ist : Mure ; il saprai .
Aber der unglückliche Mann ist nie hinter das Geheimnis gekommen , das ihn einzig beschäftigte ; denn nie konnte er seiner Verwirrung Meister werden ; sie mußte ihn töten .
Ich habe oft gedacht , daß Alfieri in jenen Zeiten , wo das Feudalwesen in seiner Blüte dastand , ein herrlicher , hoch hervorragender Mann gewesen sein würde .
Nicht die Feder , sondern Lanze und Schwert waren ihm , allen seinen Anlagen nach , vom Schicksal beschieden ; sein großes Unglück war daß seine Existenz in Zeiten fiel , wo sich von beiden kein Gebrauch mehr machen läßt .
Sanft Ruhe seine Asche ; sie Ruhe um so sanfter , weil alle Stürme , die sein Dasein zerrütteten , innere Stürme waren , deren Wut sich nicht beschwichtigen ließ .
Selbst Bonaparten , der das Problem der französischen Revolution so vollständig gelöst hat , mußte Alfieri hassen , weil er nicht an seiner Stelle war .
Gleich bei der ersten Bekanntschaft fühlte ich mich unwiderstehlich an Eugenie angezogen .
Es war ihre Physiognomie , was mir die Versicherung gab , daß wir Freundinnen werden könnten ; und da dieser Bürge sich in diesem , wie in jedem anderen Falle , bewährt hat , so so sehe ich mich genötigt , hier einen Teil meines Systems in Ansehung freundschaftlicher Verbindungen zu enthüllen .
Ich werde von der einen Seite sehr viel Mühe haben , mich deutlich zu machen , und von der anderen , gegen alle meine Neigungen , zu einer ( wenn gleich kurzen ) Dissertation über das Verhältnis der Physiognomie zur Freundschaft hingerissen werden .
Allein ich muß mich jener Beschwerde und diesem Übelstande unterwerfen , sofern meine Bekenntnisse nur einigermaßen vollständig ausfallen sollen .
Eine längere Zeit hindurch folgte ich in freundschaftlichen Verbindungen einem gewissen Instinkte , welcher mir sagte , daß mit diesen oder jenen Personen ein gutes Verhältnis für mich möglich oder unmöglich sei , weil ihre Physiognomie irgend eine Wendung hatte , die mich anzog oder zurückschreckte .
Das Wunderbare hierbei war , daß sich , bei genauerer Bekanntschaft mit eben diesen Personen , beständig fand , daß die Aussage meines Instinktes eine sehr zuverlässige gewesen war .
Eben deswegen wünschte ich alles Dunkle aus diesem Instinkte zu verbannen .
Allein wie das , was bisher bloßes Gefühl , und zwar ein sehr verworrenes Gefühl , gewesen war , in eine Formel verwandeln , die ich auf jede mir vorkommende neue Physiognomie anwenden könnte ?
Daß die Physiognomie selbst nur etwas Symbolisches sei , leuchtete mir sehr bald ein .
Eben so begriff ich ohne Mühe , daß sie als etwas Symbolisches nur auf das Gefühl wirken könnte .
Wollte ich nun das Gefühl in Idee und den Instinkt in haltbare Formel verwandeln , so blieb mir nichts anderes übrig , als das Symbolische aus der Physiognomie fortzuschaffen , und , wo möglich , in ihr den inneren Zustand des einzelnen Menschen , dessen bloßer Typus sie war , zu erkennen und zu begreifen .
Ich sagte mir selbst , daß dies nur auf dem Wege einer sehr genauen Analyse aller meiner Erfahrungen über einzelne Menschen geschehen könnte .
Indem ich nun über diesem Gedanken rastlos brütete , gelangte ich dahin , zwei Grundkräfte im Menschen zu unterscheiden , die eine durch Gemüt , die andere durch Geist zu bezeichnen , und die letzte Bestimmung jedes menschlichen Individuums in die Harmonie dieser beiden Grundkräfte zu setzen .
Die Menschen unterschieden sich demnach sehr wesentlich von einander , je nachdem sie mehr Gemüt , oder mehr Geist , oder Gemüt und Geist in Harmonie gesetzt , waren .
Da , wo das Gemüt den Ausschlag gab , mußte ein rastloses Streben nach freundschaftlichen Verbindungen statt finden ; allein , da in dem Gemüte keine regulierende Kraft enthalten ist , so konnten die Gemütreichen weder diskrete , noch standhafte und zuverlässige Freunde werden ; sie mußten , vermöge ihrer ganzen Eigentümlichkeit , immer zu unerfüllbaren Ansprüchen aufsteigen , und sich und ihre Freunde dadurch um den Genuß der eigentlichen Freundschaft bringen ; es waren , um alles mit einem Worte zu sagen , nur Passaten in der Freundschaft mit ihnen möglich .
Da , wo der Geist den Ausschlag gab , war an gar keine freundschaftliche Verbindung zu denken ; denn der Geist ist sich unter allen Umständen selbst genug , und , von dem Gemüte getrennt , mehr eine umherschweifende , als regulierende Kraft .
Nur da , wo Gemüt und Geist in Harmonie gesetzt sind , war eigentliche Freundschaft möglich , wiewohl nur immer unter der Bedingung , daß zwei gleichartige Wesen zusammen trafen ; denn das bloße Gemüt des Freundes würde eben so zerstörend auf die Harmonie zurück gewirkt haben , als der bloße Geist desselben .
Mit diesen Grundbegriffen war ich im Stande , mir alle physiognomische Rätsel zu lösen .
Die Idee festhaltend , daß die Physiognomie immer nur etwas Symbolisches oder Typisches sei , sagte ich zu mir selbst :
" Da , wo das Gemüt vorherrscht , muß die Physiognomie unregelmäßig und verworren sein ; aus keinem anderen Grunde , als weil es an der regulierenden Kraft gebricht , welche einen bestimmten Charakter wirkt .
Da , wo der Geist , vom Gemüte verlassen , wild umherschweift , wird freilich keine Unregelmäßigkeit und Verworrenheit sichtbar werden , allein der Physiognomie wird es an allem Adel fehlen , und ihre anziehende Kraft gänzlich vernichtet sein .
Nur da , wo Gemüt und Geist in Harmonie stehen , wird man im Antlitz des Menschen das Siegel seiner Oberherrlichkeit entdecken ; und was auch der Zufall tun mag , ein solches Meisterstück der plastischen Natur zu verunstalten , so wird es ihm doch nie gelingen , den Charakter desselben aufzuheben , weil dieser auf etwas Innerem beruhet , das über allem Zufall erhaben ist . "
Man urteile über dies Räsonnement , wie man wolle , für mich ist es so hinreichend , daß ich aufrichtig bekenne , es vertrete bei mir die Stelle mathematischer Evidenz .
Nie hat es mich irre geleitet , und eine große Menge von Erscheinungen habe ich mir nur auf diesem Wege erklären können .
Dahin gehört , daß eben die Nation , der wir das schöne Ideal verdanken , für die Freundschaft so ausschließend vorhanden war , daß sie mit einem besonderen Sinne dafür ausgestattet schien .
Allerdings hatte sie diesen besonderen Sinn ; aber er lag in der Harmonie des Gemüts und des Geistes , welche den Griechen eigen und unstreitig das Resultat ihrer gesellschaftlichen Institutionen war .
Dieselbe Harmonie aber , wodurch sie der wahren Freundschaft empfänglich wurden , wirkte auf ihre Gesichtsbildung und auf ihren ganzen Körperbau so zurück , daß sie vorzugsweise in den Besitz der physischen Schönheit kommen mußten , und einer ihrer Philosophen vollkommen berechtigt wurde , zu behaupten :
" Eine schöne Seele könne nur in einem schönen Körper wohnen . "
Wie verschieden von der griechischen Physiognomie ist die italienische und die französische !
In der ersteren lauter Karikatur , wenn gleich nicht selten erhabene und höchst interessante Karikatur ; meiner Theorie nach , aus keiner anderen Ursache , als weil in dem Italiener , von alten Zeiten her , das Gemüt den Ausschlag gegeben hat .
In der letzteren bei weitem weniger Karikatur , aber zugleich auch beinahe gar keine Spur von Erhebung und innerer Größe , weil in dem Franzosen das Gemüt dem Geiste weicht , und dieser , von dem Gemüte verlassen , sich immer nur in witzigen Kombinationen , nie in großen , viel umfassenden Ideen offenbaret .
Vermöge dieses wesentlichen Unterschiedes ist der Italiener für die Freundschaft unendlich empfänglicher , als der Franzose ; nur daß jener durch die Heftigkeit seines Gemütes sie unaufhörlich zerstört , während dieser sie zu einem Spielwerk macht , worüber der Mutwille schaltet .
Die edelste französische Physiognomie , welche mir jemals vorgekommen ist , hat Racine , so wie er von den Künstlern gewöhnlich dargestellt wird .
Auch bin ich vollkommen überzeugt , daß dieser Mann der wahren Freundschaft fähig war .
Wäre ich seine Zeitgenossin gewesen , so würde ich mich mit ihm verbunden haben , hätte ihn gleich die ganze Welt treulos und falsch genannt ; er konnte es nicht sein , sobald er einen Gegenstand antraf , an welchem sich die Harmonie seines Gemütes und Geistes , wovon seine Physiognomie immer nur das Symbol war , offenbaren konnte .
Um bei diesem Gegenstande nicht allzulange zu verweilen , will ich nur noch eine artistische Bemerkung machen , die mir von einiger Bedeutung scheint .
Sie besteht darin , daß der Streit , ob die Schönheit oder der Charakter der eigentliche Vorwurf der schönen Kunst sei ? ein sehr unnützer Streit ist , weil es , nach allem bisher Gesagten , am Tage liegt , daß die Schönheit als etwas Sichtbares , nur immer das Resultat einer inneren Harmonie ist , die in sich selbst einen Charakter bildet , und zwar den höchsten , den es geben kann .
Der Charakter ist also eben so sehr ein Vorwurf der schönen Kunst , als die Schönheit , oder vielmehr , beide sind in Beziehung auf die schöne Kunst eins und dasselbe , so daß der Künstler nie etwas anderes tut , als das Symbol der inneren Harmonie zwischen Gemüt und Geist darstellen .
Das Ideal des Schönen wäre demnach nichts weiter , als der Abdruck dessen , was von der inneren Harmonie äußerlich sichtbar wird , und daber versteht sich ganz von selbst , daß jeder Charakter , dessen Wesen nicht mehr auf innerer Harmonie beruht , aufhört , ein Vorwurf der schönen Kunst zu sein ; denn sonst würde Karikatur und Häßlichkeit mit Harmonie und Schönheit einerlei werden müssen .
Genug von meiner Lebensphilosophie und meinem Kunsttakt .
Es kam bloß darauf an , begreiflich zu machen , wie ich mich für Eugenie so lebhaft interessieren konnte , ohne sie jemals gesehen oder von ihr gehört zu haben .
Die anziehende Kraft , die sie an mir ausübte , brachte uns sehr bald näher ; und ich glaube mit Wahrheit behaupten zu können , daß wir Freundinnen waren , ehe wir uns dem Namen nach kannten .
Erst am dritten Tage unserer Bekanntschaft entdeckte sich_es , daß wir beide geborene Deutsche waren ; denn bis dahin hatten wir nur Französisch gesprochen , und uns in dieser Sprache über jedes höhere Interesse , das Menschen an einander kettet , einverständigt .
War es mir angenehm , in Eugenie ein Weib kennen zu lernen , dem ich mich aufschließen konnte ; so war die Freude Eugeniens über diese Entdeckung in Beziehung auf mich nicht geringer .
Ob ich gleich um mehrere Jahre älter war , als meine neue Freundin ; so verschwand doch der Unterschied des Alters vor unseren Augen .
Was unserer Verbindung eine so plötzliche Innigkeit gab , daß wir von dem ersten Momente unserer Bekanntschaft an unzertrennlich waren , ist etwas , das sich nur dann wird sagen lassen , wenn die menschliche Sprache einen weit höheren Grad von innerer Vollkommenheit erreicht haben wird .
Genug , daß das Interesse , welches wir an einander fanden , von dem gewöhnlichen wesentlich verschieden war .
Wären wir Männer gewesen , so würden wir uns gegenseitig achten gelernt haben ; in dieser Achtung aber hätte unser Verhältnis seinen höchsten Charakter gefunden .
Da wir Weiber waren , so mußte zu der Achtung sich noch die Liebe gesellen und unsere Freundschaft um so vollkommener werden .
Denn für den Mann , der , es sei durch welches Talent es wolle , immer seinen Stützpunkt in der ganzen Gesellschaft hat , ist die Freundschaft mehr Luxus als Bedürfnis , während sie für ein Weib , das in der ganzen Gesellschaft nie einen Stützpunkt haben soll , ein um so stärkeres Bedürfnis ist , wenn das Weib auch der männlichen Unterstützung ermangelt .
Freundschaft unter Weibern ist nur darum so selten , weil sie in der Regel in der Geschlechtsliebe untergeht ; ein Fall , in welchem sich keine von uns beiden befand .
Wenn Personen sich einander mit Vertrauen nähern , so ist das Erste , daß sie sich gegenseitig ihre Geschichte erzählen ; und ob dies gleich in der Regel sehr absichtslos geschieht , so offenbart sich doch auch hierin das Eigentümliche der menschlichen Natur , die , weil sie nicht auf einmal wird , was sie werden kann , über sich selbst nur dadurch Aufschluß zu geben vermag , daß sie aussagt , wie sie allmählich zu Stande gebracht worden ist .
Auch zwischen Eugenie und mir fand diese Art von Mitteilung statt , und Eugeniens Entwickelungsgeschichte war im Wesentlichen folgende :
Mit großer Sorgfalt erzogen , hatte sie sich in einem Alter von siebzehn Jahren durch ihre Mutter bereden lassen , einem fünfzigjährigen Manne , der sich in ihre Unschuld verliebte , ihre Hand zu geben .
" Auch mein Herz , " fügte sie hinzu , " würde ' ich hingegeben haben , wenn dies von meinem Willen abgehangen hätte .
Nicht als hätte ich einen Anderen geliebt ; denn in einem solchen Falle würde keine Macht der Welt im Stande gewesen sein , mir eine meinen Neigungen entgegen strebende Richtung zu erteilen .
Sondern weil der Unterschied der Jahre ins Mittel trat , und ich an meinem Manne nicht lieben konnte , was er an mir liebte .
Dies verschlug indessen für die Solidität unseres Verhältnisses sehr wenig .
Da mein Mann in jedem Betracht achtungswürdig war , so fand er meine ganze Hochachtung ; und in so weit die Liebe durch diese ersetzt werden kann , hat er gewiß nie das Mindeste entbehrt .
Etwas Eigentümliches an ihm war , daß er nicht aufhörte , sich über meine Kälte zu beklagen ; allein diese Klage berührte mich sehr wenig von dem Augenblick an , wo ich einsah , daß das , was er meine Kälte nannte , seiner Wärme sehr notwendig war , und wo ich mich über unser Verhältnis hinlänglich orientiert hatte , um zu wissen , was sich daraus machen ließe , und was nicht .
Im Grunde war es auch nur eine Art von Laune , welche meinem Manne diese Klagen eingab ; denn im Ganzen genommen lebten wir zufrieden und vergnügt , bis der Moment eintrat , der uns für immer trennen sollte .
Dies geschah , nachdem wir elf Jahre zusammen verlebt hatten .
War es nun die Überzeugung , daß ich nie an einen anderen Mann geraten könnte , der mich aufrichtiger liebte , als er , oder lag seiner Forderung irgend eine andere moralische oder religiöse Idee zum Grunde , die mir nicht ganz deutlich geworden ist - genug mein Mann verlangte auf seinem Sterbebette , daß ich mich nie wieder vermählen sollte ; und sobald ich ihm mein Wort gegeben hatte , band er an die gewissenhafte Erfüllung desselben den Besitz seines ganzen Vermögens , von welchem mir nur ein bedeutender Teil werden konnte , wenn die Ansprüche einiger Verwandten in Betrachtung gezogen wurden .
Nach seinem Tode entstand die Frage , ob ich verbunden sei , mein Versprechen zu halten .
Die Jurisprudenz sprach mich davon los , weil die ganze Sache meinem Gewissen überlassen war ; da ich aber mein Versprechen nicht aus Eigennutz gegeben hatte , und in mir selbst auch nicht die allermindeste Versuchung wahrnahm , über die freiwillig gesetzte Schranke hinauszugehen , so mochten mich meine Verwandten noch so sehr für den einen oder den anderen Bewerber interessieren , ich blieb meinem Vorsatz , Witwe zu sein , nicht minder getreu .
Einmal sagte ich zu mir selbst , daß derjenige , der ein freiwillig geleistetes Versprechen , das er halten kann , nicht hält , gewissermaßen zum Mörder seiner Moralität wird .
Zweitens war es mir sehr problematisch , ob ich in einer zweiten Ehe finden würde , was ich in der ersten hatte entbehren müssen .
Zwar hatte ich es jetzt in meiner Gewalt , zu verhindern , daß der Unterschied der Jahre die Gleichheit der Gefühle nicht aufhob ; allein lag nicht in dem Mittel , das ich zu diesem Endzweck anwenden konnte , ein anderes noch wesentlicheres Hindernis der Gleichheit ?
Ehemals hatten persönliche Eigenschaften mich wählbar gemacht .
Diese waren zwar nicht verschwunden ; allein neben ihnen standen staatsbürgerliche Vorzüge von solcher Bedeutung , daß es ungewiß wurde , welche von beiden in einen höheren Anschlag gebracht würden .
Ich verabscheute aber nichts so sehr , als den Gedanken , einen Mann so sehr in Widerspruch mit sich selbst zu setzen , daß ein Heuchler aus ihm werden mußte .
Überall konnte ich nie gewinnen , wohl aber verlieren .
Dies gerade machte mich vorsichtig .
Um aber meinen Vorsatz desto leichter auszuführen , faßte ich den Entschluß , bis zu einem gewissen Alter nirgend häuslich zu sein ; und Kraft dieses Entschlusses haben Sie mich zu Pisa angetroffen , nachdem ich schon seit einigen Jahren umhergereist bin , die Welt , die ich sonst nur in dem kleinsten Fragment gekannt habe , mehr im Großen kennen zu lernen .
Es ist nicht die zweite Ehe , der ich aus dem Wege gehe , sondern die unglückliche Ehe ; denn die Ehe selbst ist nach allen Erfahrungen , die ich darüber zu machen Gelegenheit gehabt habe , so wie das natürlichste und einfachste , so auch das genußreichste und edelste aller Verhältnisse , in welches ich ohne Bedenken zurücktreten würde , wenn ich glauben könnte , daß es für mich einen so unschuldigen Gatten gäbe , als ich eine unschuldige Gattin sein würde . "
Die letzte Bemerkung Eugenia's bezog sich auf neue Heiratsvorschläge , welche ihr in Pisa waren gemacht worden .
Ob sie darauf eingehen sollte , oder nicht , darüber war sie nicht länger zweifelhaft , sobald der Zufall uns zusammen gebracht , und eine gewisse Sympathie uns mit einander verbunden hatte .
Da sie keinen Beruf fühlte , noch länger in Italien zu verweilen , und ich von einer unbestimmten Sehnsucht in mein Vaterland zurückgetrieben wurde ; so vereinigten wir uns leicht , durch das Tirolische nach Wien zu gehen .
Unsere Abreise ging vor sich , sobald die Badezeit vorüber war .
Wir kamen ohne Abenteuer in der Kaiserstadt an ; und weil der Aufenthalt in den Hauptstädten für Personen , die der Beobachtung noch nicht überdrüssig geworden sind , immer mit großen Reizen verbunden ist , so nahmen wir uns vor , einige Jahre unter den Wienern zu verleben .
Schwerlich hätten wir uns an irgend einem anderen großen Orte so teuer werden können , als in der Hauptstadt der österreichischen Staaten .
Hier lebten wir gewissermaßen wie in einer Einöde .
Denn nicht genug , daß die Kraft der Hauptstadt eben so auf uns zurückwirkte , als auf die übrigen Bewohner derselben , in sofern sie uns isolierte , fanden wir durch Alles , was wir unsere Eigentümlichkeit nennen konnten , ein besonderes Hindernis freundschaftlicher Verbindungen .
Dies war die mit Recht verschriene Sinnlichkeit des Volks , unter welchem wir lebten ; eine Sinnlichkeit , über welche wir hinaus waren , und die wir eben deswegen weder teilen noch achten konnten .
Ist von den geselligen Tugenden der Wiener die Rede , so lasse ich ihnen alle Gerechtigkeit widerfahren ; sie sind gastfreundschaftlich und bieder , wie kein anderes Volk , das ich kennen gelernt habe .
Allein in diesem Kreise dürften auch alle ihre Vorzüge eingeschlossen sein ; denn sobald von etwas Höherem die Rede ist , strengen sie sich vergeblich an , es zu fassen , und erliegen ihrem geistigen Unvermögen nur allzubald .
Mit dem besten Willen , nur Deutsche zu frequentieren , sahen wir uns genötigt , unseren Geselligkeitstrieb im Umgange mit französischen Ausgewanderten zu stillen , sofern wir nicht ganz auf uns zurückgebracht sein wollten .
Jahr und Tag war auf diese Weise verflossen , als die französische Gräfin C... sich enger an uns anzuschließen begann .
Hätte sie es mit mir allein zu tun gehabt , so würde ihr die Lust dazu nach den ersten Versuchen vergangen sein ; denn meine physiognomische Formel sagte mir gleich bei der ersten Bekanntschaft , daß diese Frau , obgleich , vermöge ihres sehr gebildeten Verstandes , für den Umgang wie geschaffen , zu denjenigen gehöre , mit welchen man sich in kein bleibendes Verhältnis einlassen muß , weil sie seiner unwürdig sind .
Da Eugenia aber zwischen uns beiden stand , so war von ihrer Seite der Versuch zu wagen , von der meinigen zu erdulden .
Ich war höchst begierig , die Triebfedern kennen zu lernen , welche sie in Bewegung gesetzt hatten ; allein wie gespannt auch meine Aufmerksamkeit auf alle ihre Reden sein mochte , so konnte ich doch eine längere Zeit hindurch nichts Unedles entdecken ; und da meine Freundin mir den Vorwurf machte , daß ich in meinem Mißtrauen zu weit ginge , so wurde ich nach und nach sogar geneigt , an der Wahrheit meiner Regel wenigstens in sofern zu zweifeln , als ich einzelne Ausnahmen gestattete .
Die Gräfin war weit häufiger bei uns , als wir bei ihr ; die Ursache lag in ihrer gegenwärtigen Lage , wel che eine strenge Ökonomie notwendig machte .
Wie selten wir uns aber auch bei ihr zeigen mochten , so hatten wir doch nie das Vergnügen , irgend eine Spur von Reinlichkeit und Ordnung bei ihr zu finden .
Eugenia verzieh auch dies , wiewohl sie eingestand , daß alles anders sein würde , wenn die Gräfin aus Einem Stücke wäre .
Ich mochte also noch so deutlich zu erkennen geben , daß wir durch eine engere Verbindung mit dieser Frau unserem Wesen entsagten ; meine Winke waren verloren , und Eugenia schien sogar ein gewisses Ergötzen daran zu finden , daß sie eine Frau kennen gelernt hatte , welche alle Weiblichkeit in den Wind schlug und das Gemüt unter die Füße trat .
Wir mochten unsere Besuche drei bis viermal wiederholt haben , als wir bei der Gräfin eine gewisse Aurora kennen lernten , welche , um alles mit einem Worte zu sagen , die Gräfin in Ungebundenheit des Geistes noch übertraf , wiewohl es mir nicht entgehen konnte , daß sie sich , uns gegenüber , nicht wenig Gewalt antat .
Talentvoller und einschmeichelnder kann übrigens kein Weib sein , als diese Aurora es war .
Zu einer Tassonischen Armida fehlte ihr die Schönheit ; allein wer hätte diesen Mangel nicht verziehen , wenn er nur ein einzigesmal ein Zeuge ihrer heiteren Laune , ihres sprudelnden Witzes , ihrer Sarkasmen auf sich selbst und der Kindlichkeit war , womit sie gelobte sich zu besseren ?
Alle Männer waren von Auroren wie bezaubert , und die Weiber trösteten sich mit dem Besitz soliderer Eigenschaften , welche Aurora keiner von ihnen streitig machte .
Wir wurden auf die Bekanntschaft des Chevalier de B... vorbereitet , und nicht lange darauf führte die Gräfin ihn bei uns ein .
Ein schöner Mann , wenn von bloßem Wuchs die Rede ist !
In seinen Mienen lag etwas Hartes , das er vergeblich durch Geschliffenheit und gut gewandte Phrasen zu milderen suchte .
Er behauptete - und seine Manieren bewiesen es unwidersprechlich - daß er bis zum Ausbruche der Revolution in den besten Zirkeln der Hauptstadt gelebt und mit dem Hofe durch die Prinzessin Lamballe in der engsten Verbindung gestanden habe ; aber seine Auswanderung motivierte er so schlecht , daß er dem Titel eines Chevaliers die größte Schande machte .
Übrigens war seine Partie gleich nach der ersten Bekanntschaft genommen .
Um nämlich Eugenie mit Erfolg den Hof machen zu können , glaubte er mich mit tausend Artigkeiten überschütten zu müssen .
Was ihm durchaus nicht klar werden wollte , war das Verhältnis , worin wir standen .
Denn anstatt Eugeniens Freundin in mir zu sehen , betrachtete er mich fortgesetzt in dem Lichte einer Duenna , und indem er mich als eine solche behandelte , konnte er nicht verfehlen , mir alle Vorsichtigkeit einer Duenna einzuflößen und sich dadurch selbst zu schaden .
Nur allzuoft ist es im Leben der Fall , daß die Kombinationen der Listigen in sich selbst zusammenstürzen , weil sie nicht umfaßt haben , was sie zu ihrem eigenen Gedeihen umfassen sollten ; und es ist mehr als merkwürdig , daß es , um solche Menschen mit Erfolg zu beherrschen und zu seinen Zwecken zu leiten , nur einer Ehrlichkeit bedarf , die alle List überflüssig macht .
Für einen unbefangenen Einsichtsvollen hätte es ein Schauspiel ganz eigener Art sein müssen , zwei deutsche Frauen ihre Eigentümlichkeit gegen die Angriffe verteidigen zu sehen , welche von zwei sehr gewiegten Französinnen , die von einem eben so gewiegten Franzosen unterstützt waren , darauf gemacht wurden .
Ich will unsere Gegner nicht beschuldigen , daß sie es darauf anlegten , uns zu demoralisieren ; eine solche Absicht zu haben , hätten sie sich in ihrer wahren Gestalt erkennen müssen , welches durchaus nicht der Fall war .
Allein die Demoralisation mußte ganz von selbst erfolgen , sobald wir nachgiebig genug waren , uns von ihnen gebieten zu lassen .
Und wie dies vermeiden ?
Die Unwiderstehlichkeit der Franzosen besteht gerade darin , daß sie es in der Kunst des Ausweichens so weit gebracht haben ; sie respektieren , dem Scheine nach , jede ihnen gegenüberstehende Individualität , weil sie wissen , daß man sich ihrer durch nichts so leicht bemächtigt , als durch diesen scheinbaren Respekt .
Am allergefährlichsten war Aurora .
Nach einem gewissen Maßstab genommen , gab es für sie gar keine Tugend ; allein sie beschönigte alle ihre Laster oder Schwächen dadurch , daß sie kein Geheimnis daraus machte , und so oft die Sache ernsthaft zu werden begann , über sich selbst plaisantirte .
Zwischen der Gräfin und dem Chevalier in der Mitte stehend , war sie ein ausgesuchtes Werkzeug zur Erreichung jedes egoistischen Zweckes ; denn so vollkommen war alles edlere Gemüt in ihr ausgestorben , daß sie sich den größten Abscheulichkeiten preisgegeben haben würde , ohne nur eine Ahnung davon zu haben , daß es Abscheulichkeiten wären .
Bewundernswürdig war es , daß alle diese Personen sich mit Idealen trugen , welche nie von ihnen wichen ; allein sie blickten darauf hin , wie auf das goldene Zeitalter , und Asträa war für sie auf immer entflohen .
Unparteiisch gesagt , fanden sie alles , was einen Wert in ihren Augen haben konnte , in uns wieder , und die Art des Interesses , welches sie für uns fühlten , mochte zuletzt nur darauf beruhen , daß wir ihre Gegensätze waren ; allein , um dies anzuerkennen , hätten sie aus dem Gespinst heraustreten müssen , womit sie sich umgeben hatten ; und so weit reichte ihre Kraft nicht .
Über alle Veredelung hinaus , konnten sie es immer nur darauf anlegen , uns in ihren Wirbel zu ziehen ; und für uns bestand die Aufgabe darin , wie wir uns in unserem eigenen Wirbel halten möchten .
Eugenie schien die Gefahr minder groß , als mir .
Als ich sie eines Tages auf das Verhältnis aufmerksam machte , worein wir geraten waren , antwortete sie mir :
" Wir hätten es ja in unserer Gewalt , dies Verhältnis aufzuheben , sobald wir es für gut befänden .
Sie selbst sähe sehr deutlich ein , daß sie dadurch nie gewinnen könnte ; allein so lange der Verlust erträglich wäre , würde sie nicht brechen , weil sie doch einigen Ersatz in dem Geistesreichtum dieser Personen fände .
Überall begriffe sie nicht , wie wir den längeren Aufenthalt in der Kaiserstadt ohne diesen Umgang ertragen wollten .
Das Kasperle zu besuchen , fühlten wir uns zu gut , und ganz und gar in die Einsamkeit zurück zu treten , wäre weder heilsam noch unseren Planen entsprechend .
Wie wenig Terrain der Chevalier bei ihr gewönne , davon wäre ich selbst Zeuge .
Nur Aurora amüsiere sie , als ein Wesen , das mit der ganzen Gesellschaft gebrochen habe und noch immer den Ausschlag geben wollte .
Es gäbe ja zuletzt kein anderes Mittel , zum Gefühl seines Wertes zu gelangen , als der Umgang mit Personen dieser Art , die sich so treuherzig beredeten , die Geburt habe alles für sie getan . "
So lange Eugenia dieser Ansicht getreu blieb , konnte ich ganz ruhig sein .
Ich störte also den Chevalier auf keine Weise in seinen Bewerbungen um meine Freundin , und sah es ruhig an , wie Aurora , anstatt die Ungebundenheit zu predigen , sie auf das liebenswürdigste repräsentierte .
Meine ganze Aufmerksamkeit war nur darauf gerichtet , welche Wendung diese Verbindung nehmen werde , um einen bestimmteren Charakter zu gewinnen .
Die Gräfin ließ mich nicht lange warten .
Nachdem sie einigemal in der Gesellschaft gegähnt hatte , brachte sie das Kartenspiel in Vorschlag .
Der Chevalier und Aurora waren nicht abgeneigt davon ; und da Eugenia und ich die Wirte waren , so durften wir uns nicht versagen , wie fremd uns auch der Spielgeist sein mochte .
Als aber die Sache einmal in Gang gebracht war , fand kein Stillstand statt .
Wie bedeutend auch unsere Verluste sein mochten , so durften wir sie nur in dem Lichte solcher Tribute betrachten , welche der Freundschaft dargebracht wurden .
Dies war indessen der geringste Nachteil , den wir von unserer Nachgiebigkeit hatten .
Ein nicht zu berechnender stand uns dadurch bevor , daß wir uns durch das Spiel mit unseren Gegnern identifizieren mußten .
Es ist nun einmal das Eigentümliche des menschlichen Geistes , immer dahin zu neigen , wo er die meiste Beschäftigung findet , sollte er sich auch dadurch zerstören .
So lange der Austausch von Ideen und Gefühlen unsere einzige Unterhaltung gewesen war , fanden Eugenia und ich darin das Mittel , unsere Individualität gegen jeden Angriff zu verteidigen .
Sobald hingegen alle Unterhaltung in Spiel ausgeartet war , kamen wir in eine so unvorteilhafte Stellung , daß aller Widerstand vergeblich wurde und in sich selbst verging .
In der Tat , man braucht nur aus Neigung zu spielen , um das Gefühl seines Wertes zu verlieren und jeder Erhebung unfähig zu werden ; denn indem der Geist seine ganze Kraft auf das Spiel richtet , büßt er sie in Beziehung auf alle edleren Gegenstände ein , auf die sie gerichtet werden könnte .
Indem ich diese Reflektionen machte , war ich auch auf den Rückzug bedacht .
Aber wie ihn einleiten ?
Eugenie zurücklassen und sie dem allerschlimmsten Schicksal preisgeben , war eins ; und dies vermochte ich nicht über meine Liebe für sie .
Eugenie die Augen öffnen , war mißlich , da das Spiel , welches sie liebgewonnen hatte , zwischen ihr und mir in der Mitte stand , und der freundschaftlichen Wärme , womit sie mir sonst entgegen zu kommen pflegte , nur allzuviel Abbruch tat .
Ich machte den Anfang meiner Operationen damit , daß ich mich vom Spiele ausschloß und dadurch gewissermaßen aus der Schußweite setzte .
Dies mußte sehr übel aufgenommen werden ; und dies wurde auch wirklich der Fall .
Ohne mich indessen daran zu kehren , spielte ich die Beobachterin .
Mir selbst zurückgegeben , bemerkte ich mit Entsetzen , welche Fortschritte durch das Spiel in der Familiarität gemacht waren .
Aurora fand es gar nicht mehr der Mühe wert , ihre Gebrechen zu verschleiern ; sie sprach darüber , als ob es unmöglich wäre , Verstand zu haben und anders zu sein , als sie .
Der Chevalier hatte das Bisschen Galanterie , das ihm vorher eigen gewesen war , an den Nagel gehangen , und behielt nur noch die Manieren eines Glücksritters .
Die Gräfin gebot mit einer Unverschämtheit , als ob alle Vorrechte in ihr vereinigt worden wären .
Und Eugenia blieb bei allen diesen widerwärtigen Äußerungen immer gelassen , weil sie für den Augenblick die Schärfe des Gefühls verloren hatte , wodurch man gegen fremde Anmaßung empört wird .
Ich schauderte vor dem Abgrund zurück , in welchen ich meine Freundin stürzen sah ; aber ich hatte nicht den Mut , sie darauf hinzuweisen , so lange sie nicht aus ihrer Gleichgültigkeit hervortrat .
Indessen hatten die Ausgewanderten nicht sobald wahrgenommen , daß ich ihrem Interesse abhold sei , als sie es darauf anlegten , Eugenie von mir zu trennen .
Aurora wurde dazu gebraucht , dies Meisterstück der Intrige zu Stande zu bringen .
Niemand hatte dazu mehr Geschicklichkeit ; denn niemand war um den Unterschied zwischen Lüge und Wahrheit weniger verlegen , und niemand verstand sich auf die Kunst des Lächerlichmachens besser , als Aurora .
Um aber noch von einer anderen Seite her zu wirken , verstärkten sich die Gräfin und der Chevalier dadurch , daß sie mehrere andere Ausgewanderte bei uns einführten .
Dies mochte sich zuletzt ganz von selbst machen , da der Gewinn , den man von Eugenie zog , die Lockspeise war ; indessen wurde dadurch immer eine große Mehrheit zu Stande gebracht , in welcher sich Eugenia als die einzige Fremde erscheinen und alle Lust zum Widerstande verlieren mußte .
Es war zum Erstaunen , mit welcher Freiheit sich alle diese Personen um meine Freundin hinbewegten .
Sie , welche für alle der Mittelpunkt hätte sein sollen , war nichts mehr und nichts weniger , als die Schußscheibe des Geldinteresses .
So vollkommen war man hierüber mit sich selbst einig , daß man aus Poissardensinn gar kein Geheimnis mehr machte .
Ich sah alle diese Manövers mit Gelassenheit an , weil meine Stunde noch nicht geschlagen hatte .
Um Eugenie von diesen Vampiren zu befreien , mußte ich den Zeitpunkt abwarten , wo sie sich davon beschwert fühlte .
Dieser Zeitpunkt konnte möglicherweise nicht eher eintreten , als bis meine Freundin in Geldverlegenheit geriet und ihre Zuflucht zu meiner Kasse nahm .
Ich enthielt mich das erstemal aller Bemerkungen über ihre allzuweit getriebene Nachgiebigkeit ; aber das zweitenmal legte ich ihr ganz unverhohlen die Frage vor :
Ob sie denn dieses ekelhaften Einerleis nicht überdrüssig würde ?
Sie betrachtete mich nicht ohne Verwunderung ; und als ich kühn genug war , meine Frage zu wiederholen , anwortete sie :
" Was soll ich machen ?
Verstrickt , wie ich einmal bin , muß ich mein Schicksal ertragen .
Ich selbst fühle wohl , daß ich mich von meiner Höhe herabgeworfen habe ; allein wie kann ich es anfangen , sie noch einmal zu erreichen ? "
Ohne weder die Gräfin , noch den Chevalier , noch Auroren , noch irgend einen von den Übrigen anzuklagen , stellte ich sie Eugenie als Bedürftige dar , welche sie , aus irgend einem Instinkt , eben so behandelten , als sie ehemals den Hof behandelt hätten , und auf gleiche Weise von ihr abfallen würden , sobald sie nichts mehr zu geben hätte .
" Es ist , " fügte ich hinzu , " ganz offenbar die Parasitenkunst , die sie treiben ; die ekelhafteste von allen Künsten , die es geben kann , weil sie ihre Grundlage weder im Verstande , noch im Gefühl , sondern in einem dumpfen Egoismus hat , der sich nicht besser zu verschleiern weiß , als dadurch , daß er die Miene annimmt , für das Vergnügen Anderer zu sorgen , während er nur den gröbsten Vorteil im Auge hat .
Mag es doch in der Gesellschaft Personen geben , denen ihr Recht widerfährt , wenn sie von einem Parasitenheer umlagert werden ; allein zu ihnen zu gehören , kann weder angenehm sein , so lange man die Wahrheit noch von der Lüge zu unterscheiden weiß , noch ehrenvoll , so lange man noch nicht in leerer Repräsentation untergegangen ist .
Meine Freundin muß zu einem neuen Leben erwachen ; und dies kann nur dadurch geschehen , daß sie solchem Volke den Rücken weiset und es seinem Schicksal überläßt .
Man muß die Kraft haben , einem Umgange zu entsagen , durch welchen man nicht veredelt werden kann ; denn sonst läuft man Gefahr , wo nicht selbst verunedlt zu werden , doch wenigstens solche Schrammen und Quetschungen davon zu tragen , daß es unmöglich wird , noch einmal zu einem heiteren Lebensgenuß aufzusteigen . "
Recht absichtlich drückte ich mich mit dieser Stärke aus , um einen tiefen Eindruck zu machen .
Meinem Vorsatze nach wollte ich mich von Eugenie trennen , so bald sie dadurch beleidigt würde .
Dies war aber so wenig der Fall , daß nur von den Mitteln die Rede war , sich aus der Schlinge zu ziehen .
Eugenia wollte sogleich abreisen ; dagegen aber hatte ich Mehreres einzuwenden .
Vor allen Dingen sollte meine Freundin die Kaiserstadt mit eben so unumwölkter Seele verlassen , als sie in dieselbe eingetreten war .
Außerdem aber sollten diese Ausgewanderten , deren Rache ich vorhersah , nicht Raum gewinnen , hinter unserem Rücken zu sagen , was sie für gut befinden würden .
Zu diesem doppelten Endzweck schlug ich Eugenie eine Reise in die Gebirgsgegenden Böhmens vor , deren bezaubernde Mannigfaltigkeit alle die peinlichen Gefühle zerstreuen mußte , die ihre Wangen mit Schamröte überzogen ; zugleich aber bat ich sie , davon nicht eher ein Wort zu sagen , als bis alle Reiseanstalten gemacht sein würden , und alsdann der Gräfin in einem kurzen Billet außer der Abreise zugleich den Tag der Zurückkunft anzuzeigen .
Eugenia gab sich meinen Anordnungen mit der Entsagung vertrauender Freundschaft hin .
Nach wenig Tagen waren wir reisefertig .
Welchen Eindruck unsere plötzliche Abreise auf die edle Gesellschaft machte , läßt sich nur dann berechnen , wenn man sie in ihrer Gemeinheit kannte .
Sie mochte davon eben so betroffen sein , als die National-Versammlung von der Flucht Ludwigs des Sechzehnten .
Unsere Reise brachte alle die Wirkungen hervor , die ich beabsichtigt hatte , und Eugenia dankte dem Himmel für die Freiheit , die ihr zu Teil geworden war .
Zur festgesetzten Zeit kehrten wir nach Wien zurück .
Die Ausgewanderten unterließen nicht , sich wieder bei uns einzufinden , sobald sie unsere Ankunft erfahren hatten ; allein wir hatten es jetzt in unserer Gewalt , jede beliebige Stellung gegen sie anzunehmen .
Aurora stellte sich zuerst ein , und ganz offenbar legte sie es darauf an , uns durch ihre Familiarität in das alte Geleise zurück zu führen .
Doch die Feierlichkeit , die wir ihr entgegensetzten , verwirrte sie so , daß sie sich ein Dementi über das andere gab , bis sie mit Bekenntnissen hervortrat , auf welche wir gar nicht gefaßt waren .
Ihrer Aussage zufolge war unter allen diesen Personen keine einzige ehrliche Seele .
Was sie von jeder einzeln sagte , soll mit Stillschweigen übergangen werden .
Genug , wir wurden , wenn auch nur die Hälfte von Aurores Offenbarungen Glauben verdiente , hinlänglich überzeugt , daß wir es mit eigentlichem Auswurf zu tun hatten , der es wohl verdiente , von der Welt verlassen zu sein und sich selbst zu bekämpfen .
Aurora selbst wünschte sich an uns anschließen zu können ; allein wir lehnten ihre Bitte ab , weil , wie gut auch ihre Vorsätze für den Augenblick sein mochten , ihr Inneres durch langen Mißbrauch allzusehr verdorben war , um noch einmal zu genesen .
Wir verweilten noch einige Wochen in Wien , um der Welt zu zeigen , daß es zwischen uns und den Ausgewanderten zu einem förmlichen Bruch gekommen wäre , den wir selbst zu Stande gebracht hätten .
Alle Billetts der Gräfin , des Chevalier u. s. w. , die während dieser Zeit ankamen , wurden angenommen , aber nicht beantwortet .
Der Verlust , den Eugenia gelitten hatte , war bedeutend genug ; indessen ließ er sich ertragen , wenn man in Anschlag brachte , daß sie bestimmt war , noch weit mehr zu verlieren , und nicht nur ihr Vermögen , sondern auch ihre Moralität und ihre Ehre einzubüßen .
Hierüber hatte uns Aurora so vollständige Aufschlüsse gegeben , daß die Sache keinem Zweifel unterworfen war .
Wien verließen wir mit der traurigen Reflektion , daß , mit allem guten Willen uns an Deutsche anzuschließen , wir unsere Zuflucht zu egoistischen Franzosen hatten nehmen müssen , die in uns nur die leichte Beute schätzten .
Wir durchreisten einen großen Teil des deutschen Reichs , um einen Aufenthalt zu finden , der unseren Neigungen entspräche ; allein wir kamen nicht eher zur Ruhe , als bis Eugenia sich entschloß , in der Nähe von W... das Gut zu kaufen , das wir noch immer bewohnen .
Seit dieser Zeit leben wir in unserer eigenen Welt , hinlänglich geschieden und hinlänglich berührt von unserer Umgebung , um in voller Freiheit zu existieren .
Unsere Sorge ging gleich Anfangs dahin , das Nützliche dem Schönen so unterzuordnen , daß dieses ein hinreichendes Fundament in jenem erhielte ; und dies ist uns über alle Erwartung gelungen .
Unser Gütchen ist der Wohnsitz der Reinlichkeit , der Ordnung , der Bequemlichkeit und Gastfreundlichkeit ; und in sofern diese Schöpfung von uns ausgegangen ist , macht sie , hoffe ich , unserem Verstande keine Unehre .
Die Angelegenheiten der Wirtschaft sind unter uns so geteilt , daß jede von uns ihren eigenen Wirkungskreis hat , ohne gleichwohl dadurch so beschäftigt zu sein , daß wir außer Stande wären , uns im Notfall zu ersetzen ; denn wir haben das Geheimnis aufgefunden : Alles so zu ordnen , daß es nur eines leichten Impulses bedarf , um das Ganze im Gange zu erhalten .
Den Frieden neben die Tätigkeit zu stellen , dies ist die große Kunst bei allen Organisationen ; und diese Kunst ist von uns ausgeübt worden .
Wir würden noch immer glücklich sein , wenn wir auch ganz von der Welt getrennt lebten .
Dies ist aber nicht der Fall ; wir leben vielmehr mitten in der Welt .
Es kam darauf an , eine solche Stellung zu gewinnen , daß wir von dem Geräusch um uns her nur gerade so viel berührt würden , als sich mit der Bestimmung vertrug , die wir uns selbst gegeben hatten .
Zu diesem Endzweck konnten wir uns nur dem Umgange solcher Personen hingeben , die wirklich zu uns paßten ; allein , indem wir in dieser Hinsicht so klug als vorsichtig waren , brachten wir es dahin , daß wir die ganze Welt durch wenige Personen in einem kurzen Auszuge um uns herstellten .
Wer sich mit dem Volumen befaßt , wird davon erdrückt ; wer hingegen Verstand genug hat , nur nach der Quintessenz zu streben , behält seine ganze Freiheit und wird durch die höchsten Genüsse belohnt .
Durch Sie , mein teurer Cäsar , wurde ich von neuem in die deutsche Literatur eingeweiht , die mir seit vielen Jahren fremd geworden war ; und dafür danke ich Ihnen , wenn es eines Dankes bedarf .
Ich habe mich überzeugt , daß die Deutschen in jeder Kunst und Wissenschaft seit ungefähr dreißig Jahren Riesenschritte gemacht haben ; und weit entfernt , an einen nahen Stillstand zu glauben , erwarte ich vielmehr von der Zukunft noch glänzendere Perioden .
Mag doch die große Mehrheit der Schriftsteller in gar keine Betrachtung kommen ; dies verschlägt demjenigen nichts , welcher einsieht , wie notwendig sie sind , um einen ausgezeichneten hervor zu bringen .
Auch das Gold erzeugt sich nur in Bleistufen ; und wer verlangt es , daß kein Blei existieren soll ?
Alle materielle Industrie ist die Bedingung der immateriellen , und in dieser Ansicht mögen wir jene wohl verzeihen .
In der Tat , ich freue mich , die Zeit erlebt zu haben , in welcher Göthe's natürliche Tochter erscheinen konnte .
Höher als jedes andere Produkt desselben Meisters setze ich dieses .
Mag die Mitwelt darüber urteilen wie sie wolle , die Nachwelt wird darin nur ein Dokument unseres gegenwärtigen Kulturgrades erblicken ; und auf diese Weise erwarte ich nichts Geringeres , als daß die natürliche Tochter die Zeiten , in welchen wir leben , verherrlichen werde .
Was ist es denn zuletzt , was die Lektüre eines Reineke Fuchs so anziehend macht ?
Meinem Urteile nach nichts anderes , als die Entdeckung , daß in diesem Gedichte eine große Welt dargestellt ist , die so und so gegen oder für einander wirkte .
Das Feudalwesen in seiner Glorie ; dies ist der Inhalt des Reineke Fuchs , und es wäre unendlich zu bedauern , wenn der Verfasser nicht allegorisiert hätte .
Das Feudalwesen in seinem Verfall und nahen Zusammensturz ; dies ist der Inhalt der natürlichen Tochter , und es wäre eben so unendlich zu bedauern , wenn der Verfasser keinen König , keinen Herzog , keinen Grafen , keinen Weltgeistlichen , keinen Mönch , keinen Gouverneur u. s.w. aufgeführt hätte .
Beide Kunstwerke bezeichnen also bestimmte Entwickelungsepochen , und haben in dieser Hinsicht , wie verschieden sie auch ihrem Inhalte nach sein mögen , gleichen Wert .
Ist von der Kraft die Rede , durch welche beide ins Dasein gerufen wurden , so möchte ich behaupten , daß sie in beiden Verfassern gleich groß war ; so daß ich mich gar nicht darüber wundere , wie Goethe der Übersetzer des Reineke Fuchs werden konnte ; ein Werk , das mich bezaubert , und dessen sorgfältiges Studium mich zu meiner Ansicht der natürlichen Tochter geführt hat .
Man rühmt es als einen großen Vorzug der letzteren , daß die edlen Formen der Griechen in ihr konzentriert sind .
Was mich betrifft , so bin ich der Meinung , daß die natürliche Tochter als Kunstwerk erbärmlich wenig sein würde , wenn nur die Formen in Betrachtung gezogen werden sollen .
Auch ohne jemals den Aischylos und Sophokles gelesen zu haben , mußte Goethe , vermöge seines Verstandes , solche Formen erzeugen .
Der Geist , welcher in der natürlichen Tochter lebt und webt , ist aber über den der Griechen so un endlich erhaben , daß ich zweifle , Aischylos und Sophokles würden die natürliche Tochter verstehen , wenn sie ihnen in die Hände gegeben werden könnte .
Da ich einmal ein wenig in das Gotische Kunstwerk verliebt bin ; so müssen Sie mir , mein angenehmer Freund , verzeihen , wenn ich zu diesen Bemerkungen noch einige andere hinzufüge , von welchen ich glaube , daß sie zur Sache gehören .
Mir war bei der Lektüre der natürlichen Tochter eben so zu Mute , als bei der Betrachtung der Verklärung Raffaels .
Anfangs wußte ich nicht , wodurch ich in diese Stimmung geraten war ; als ich aber tiefer nachdachte , entdeckte ich zwischen beiden Kunstwerken eine auffallende Ähnlichkeit , welche darin bestand , daß in beiden eine doppelte Handlung vorgeht , welche die höchste Einheit mit sich führt .
Wollen Sie sich gefälligst desjenigen erinnern , was ich weiter oben über das Raphaelsche Kunstwerk als Urteil meiner verewigten Freundin bemerkt habe ; so müssen Sie gestehen , daß das Wunder der Verklärung zu der fehlgeschlagenen Heilung des besessenen Knaben in eben dem Verhältnisse steht , worin sich die Revolution zu Eugenia's Schicksal befindet .
Vereinigung des Epischen mit dem Dramatischen war wie Raffaels so auch Göthe's Zweck , und beide haben ihn auf das allervollkommenste erreicht , indem sie die doppelte Handlung so stellten , daß die eine die andere beleuchtet und aufklärt .
Ist nicht alles , was der Gotischen Eugenia begegnet , von einer solchen Beschaffenheit , daß es in dumpfes Erstaunen setzt , sofern man nicht an das zurückdenkt , was der ganzen Gesellschaft , zu welcher sie gehört , bevorsteht ?
Nur auf diese Weise ließ sich eine große Revolution auf die Bühne bringen ; aber indem sie im Hintergrunde gehalten werden mußte , so konnte es schwerlich fehlen , daß alle diejenigen ( Zuschauer oder Leser ) , denen es an Einbildungskraft gebrach , von der Handlung sehr wenig ergriffen werden , und daß Goethe in dieser Hinsicht Raffaels Schicksal teilte , an dessen Verklärung die gewöhnliche Kritik zur Tadlerin werden mußte .
Große , hocherhebende Gefühle wollte der Dichter erzeugen , und solche hat er in allen denen erzeugt , die ihn zu fassen Kraft genug haben .
Doch auf die Menge konnte er nicht einwirken .
Dieser mußte es sogar problematisch werden , ob sein Kunstwerk für eine wahre Tragödie zu achten sei , da sie sich in derselben durch nichts gemartert und gefoltert fühlte .
Mit tiefer , alles umfassender Menschenkenntnis hatte der Dichter gezeigt , wie aus Eugenia's nicht gesetzmäßiger Geburt sich , mit ihren seltenen Talenten und ungemeinen Eigenschaften , ihre Ansprüche auf anerkannte Hoheit und ihre Schicksale entwickelten ; allein sich mit einem solchen Wesen , wie diese Eugenia ist , zu identifizieren , ist der großen Menge unmöglich ; und da sie die Heldin des Drama's nicht vor ihren Augen vernichtet sieht , so entgeht ihr diejenige Vernichtung , welche Eugenia dadurch erfährt , daß die Flammen der Revolution über alle ihre Wünsche , Hoffnungen und Ideale zusammenschlagen .
Nur dem gebildeten Zuschauer oder Leser ist es einerlei , ob er eine Iphigenia in Aulis zum Opferaltare führen , oder eine Eugenia ein Mißbündnis eingehen sieht ; und wie sehr der Dichter auf diese höhere Bildung gerechnet habe , liegt darin am Tage , daß er den Schmerz über Eugenia unglückseliges Geschick nicht besser besänftigen zu können glaubte , als wenn er ihrem letzten Schritte Vaterlandsliebe zum Grunde legte , und sie noch obendrein zur Gattin eines achtbaren Mannes machte .
Wäre Göthe's Empfindsamkeit allen Zuschauern und Lesern seiner Eugenia eigen , so müßten sie in eben die melancholische Stimmung geraten , in welcher er sein Kunstwerk schuf .
Es ist also nur das Mißverhältnis , worin Goethe , als Kulturgeschöpf , zu der Welt , auf welche er einwirken möchte , steht , was alle die schiefen Urteile zu verantworten hat , die über seine Eugenia , wie über seine übrigen Dramen , gefällt worden sind .
Ob dies Verhältnis immer dasselbe bleiben werde , mag ich nicht entscheiden ; kommt aber die Welt auf ihrem Entwickelungsgange so weit , daß sie Goten fassen lernt , so muß das Schicksal seiner Eugenia eben so tiefe Rührungen hervorbringen , als alles , worüber das Publikum gegenwärtig in Tränen zerfließet ; nur mit dem Unterschiede , daß man sich in Göthe's Dramen zugleich im Gemüte verwirrt und im Geiste erleuchtet , zugleich niedergedrückt und gehoben fühlen wird .
So wie die Sachen gegenwärtig stehen , ist dies unmöglich .
Denn - um bei der natürlichen Tochter stehen zu bleiben - es ist nicht Eugenia's Individualität allein , was den größten Teil der Zuschauer oder Leser unberührt läßt ; die übrigen Personen des Drama's sind ihnen nicht minder unbegreiflich .
Um in diesem Herzog den schwankenden Vasallen neben dem gefühlvollen Vater , in diesem Sekretär das egoistische Werkzeug eines fremden Willens , in dieser Hofmeisterin die verzweifelnde Jungfrau , in diesem Gouverneur das Geschöpf militärischer Disziplin , in dieser Äbtissin die durch die weltliche Macht beschränkte Frau , in diesem Mönch den religiösen Schwärmer , in diesem Gerichtsrat den über sein Geschäft hoch erhabenen , das Recht idealisierenden Menschen zu fassen , muß man etwas mehr von der Welt begriffen haben , als die große Mehrheit , der alles , was gesellschaftliches Verhältnis genannt werden mag , ein unauflösliches Rätsel ist .
Ohne Zweifel hing es nur von dem Dichter ab , sein Kunstwerk dennoch der großen Mehrheit angenehm zu machen ; aber alsdann hätte er eben die Wege einschlagen müssen , welche Schakespear einschlug , so oft es ihm darauf ankam , ungemeinen Charaktern Eingang zu verschaffen ; nämlich viel Theatergeräusch in nächtlichen Erscheinungen , Zweikämpfen u. s.w .
Da Goethe dies nicht getan hat , so müssen wir annehmen , daß er dergleichen Behelfe verachtet ; und wie kann man anders als sie verachten , wenn man nicht zu dem großen Haufen gehört , oder für ihn lebt ?
Die Unsterblichkeit sichert man sich nur dadurch , daß man die eigene Individualität vor allen Verunstaltungen bewahrt ; und wenn Alfieri über irgend einen Punkt Recht hatte , so war es in der Behauptung , daß nur diejenige Schriftstellerei einen Wert haben könne , deren Inzentiv ein großer , ewig dauernder Ruhm ist .
Ich stelle mir vor , daß es mir an Göthe's Stelle Vergnügen machen würde , in meinen dramatischen Werken die Verzweiflung der Schauspieler und Kritiker zu erblicken .
So viel über Göthe's Eugenia , deren Lektüre mir unaussprechliches Vergnügen gemacht hat ; ein Kunstwerk , das sich in jedem Betracht den ersten Meisterwerken aller Nationen zur Seite stellen kann , ohne durch die Vergleichung zu leiden , und das ganz unstreitig das allervollkommenste ist , das der deutsche Geist jemals geschaffen hat .
Ich komme nach dieser Abschweifung auf mich selbst zurück .
Durch die Lektüre auserlesener Geisteswerke erhalte ich meinem eigenen Geiste die jugendliche Kraft , wodurch ich mich von anderen Personen meines Alters unterscheide .
Allen meinen Erfahrungen nach , gibt es kein besseres Mittel , dem Alter auszuweichen .
Eine Sammlung wirklich geistreicher Schriften hat den Vorzug selbst vor der besten Gesellschaft .
Einmal behält man seiner Bibliothek gegenüber die vollste Freiheit , welche notwendig verloren geht , wenn man sich , im persönlichen Umgange , fremden Individualitäten anschmiegen muß .
Zweitens hat man den Vorteil , die Geister in ihren Sonntagsschmuck zu sehen , d.h. nicht verunstaltet durch Launen , Antipathien und alle die Wirkungen momentaner Eindrücke , welche die Mitteilung hemmen ; denn wer sich einmal an sein Pult gesetzt hat , um mit der Welt zu sprechen , befindet sich gewiß in der ihm vorteilhaftesten Verfassung .
Drittens hat man es in seiner Gewalt , aufzurufen welchen Geist man will , nur ihm zu leben , und ihm nur so lange zu leben , als man es für gut befindet .
In der Tat , ich wundere mich , wie so viele Personen , welche auf Bildung Anspruch machen , diese Vorzüge verkennend , den Geselligkeitstrieb nur dann zu befriedigen glauben , wenn sie sich durch den Umgang auf die Folter spannen lassen .
Da von meinen Schicksalen nicht weiter die Rede sein kann , so bleibt mir nur noch übrig , von meiner Lebensweise und meinen Erwartungen zu sprechen .
Ich habe die Gewohnheiten und Neigungen meiner Jugend immer beibehalten ; ich konnte es , weil sie in jeder Hinsicht leicht und bequem waren , und tat es , weil ich mich dabei wohl befand .
Meiner Mäßigkeit verdanke ich , daß ich nie krank gewesen bin .
Aber ich kann mit gleicher Wahrheit sagen , daß ich mich nie unglücklich gefühlt habe ; und dies bedeutet etwas mehr .
Vielleicht sind die Gemütskräfte nie so stark in mir gewesen , daß sie mich zu inneren Widersprüchen führen konnten ; vielleicht aber auch hat die frühe Gewöhnung , ihren Anfällen zu begegnen , die Wirkung hervorgebracht , daß ich mir zu allen Zeiten klar und gleich bleiben konnte .
Dem sei wie ihm wolle - denn hierüber ganz ins Reine zu kommen , ist vielleicht unmöglich - indem ich Anderen eben so sehr gelebt habe , als mir selbst , habe ich immer einer beneidenswerten Ruhe und Heiterkeit genossen .
Jungfrau bin ich geblieben , weil nach Moritz sich mir kein Mann dargestellt hat , dem ich meine Freiheit aufzuopfern der Mühe wert gehalten hätte ; ich muß mich so ausdrücken , ob ich gleich bei mir überzeugt bin , daß meine Jungfrauschaft nicht die Folge des Raisonnements bei mir gewesen ist .
Wäre ich Gattin und Mutter geworden , so würde ich diesen Verhältnissen keine Schande gemacht haben ; denn Treue und Liebe lagen in meinem Wesen eingehüllt .
Als eine geborene Katholikin würde ich mich nach Moritzens Tode entschlossen haben , in irgend ein Kloster zu gehen ; schwerlich aber wäre dann aus mir geworden , was ich jetzt bin , und in sofern ich einen Wert auf mich setze , freue ich mich auch , eine Protestantin zu sein .
Ich fürchte weder den Verfall , noch den Tod .
Den ersteren betrachte ich als eine Folge des mangelnden Reizes , und so lange mir noch mein Bewußtsein bleibt , werde ich dafür sorgen , daß dieser Mangel mich nicht treffe .
In dem letzteren sehe ich nur den Stillstand einer Maschine , die nicht für die Ewigkeit geschaffen wurde .
So lange ich lebe , werde ich mich auch Wohlbefinden .
Mein Arkanum in dieser Hinsicht ist sehr einfach .
Es heißt : Fliehe den Umgang mit alten und langweiligen Personen .
Nichts verbittert das Leben so bestimmt und tötet so sicher , als das überhandnehmende Gefühl der Langenweile .
Gewissen Anzeigen nach , werde ich aber ein hohes Alter erreichen , ohne daß ich dies gerade wünsche .
Denn blicke ich auf die Vergangenheit zurück , so dehnt sie sich unermeßlich vor mir aus , welches durchaus nicht der Fall sein könnte , wenn der langweiligen Tage , Wochen , Monate in ihr sehr viele gewesen wären .
Ich glaube nämlich die Bemerkung gemacht zu haben , daß es in jedem Menschen ein von allen künstlichen Zeitmaßen ganz unabhängiges gibt , nach welchem das Fortschreiten der Zeit durch Gefühle und Ideen bezeichnet wird .
Vermöge dieses natürlichen Zeitmaßes muß eben die Zeit , welche im Durchleben sehr rasch vorüber zu fliegen scheint , in der Zurückerinnerung eine große Ausdehnung gewinnen , und umgekehrt die träg vorüber schleichende Zeit in der Erinnerung zusammen schrumpfen .
Da ich aber die letzte Erfahrung durchaus noch nicht an mir selbst gemacht habe , so muß ich daraus schließen , daß noch ein hohes Maß von Lebenskraft in mir ist , und ich für eine ungewöhnlich lange Dauer bestimmt bin .
Doch dies komme , wie es wolle , ich werde mit meinem Geschick künftig eben so zufrieden sein , als ich es gegenwärtig bin .
Das Einzige , warum ich den Himmel bitten möchte , ist die Erhaltung der letzten Freunde , die er mir zuführte .
Bessere werde ich niemals wiederfinden , und ein freundloses Leben hat so viel Abscheuliches für mich , daß ich lieber gar nicht mehr existieren will , wenn die nackte Existenz durch sich selbst bedingt ist .
Und nun , mein teurer Cäsar , habe ich Ihnen alles mitgeteilt , was Sie wissen mußten , um mich nach meinem ganzen Wesen zu begreifen .
Von größerer Ausführlichkeit haben mich zwei Rücksichten abgehalten .
Einmal wollte ich Ihnen so wenig Langeweile machen , als mir immer möglich wäre , und Ihnen schlechterdings nichts von dem wiederholen , was sonst wohl zwischen uns beiden zur Sprache gekommen ist .
Zweitens - ich weiß , Sie verzeihen , daß ich bei einem so unangenehmen Geschäfte , als das Schreiben nun einmal ist , auch an mich gedacht habe - wollte ich mir durch alle diese Bekenntnisse nur die Abwesenheit meiner Freundin erträglicher machen , und folglich nur bis zu ihrer Zurückkunft an meinem Pulte kleben .
Ich habe das Vergnügen , Ihnen zu melden , daß Eugenia übermorgen ganz unfehlbar wieder eintreffen wird .
Unstreitig werden Sie bald zu uns kommen , und dann Ihre Mirabella mit ganz anderen Augen betrachten , als es bisher der Fall war .
Nun , es wird sich zeigen , ob ich durch meine Aufrichtigkeit bei Ihnen gewonnen oder verloren habe .
Immer war es meine Sache , für nichts mehr und nichts weniger gelten zu wollen , als was ich wirklich bin .
Adieu .
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- TextGrid Repository (2025). Unger, Friederike Helene. Bekenntnisse einer schönen Seele. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0dm.0