Erstes Kapitel Wir wollen in diesem Buche von Mühe und Arbeit reden .
Nicht von der Mühe , die der Bierbrauer Jan Tortsen sich machte , der versprochen hatte , seinen Gästen einen besonders guten Eiderfisch vorzusetzen , und sein Wort nicht halten konnte und darüber tiefsinnig wurde und nach Schleswig mußte .
Wir wollen auch nicht von der Mühe reden , welche jener reiche Bauernjunge sich machte , dem es trotz seiner Dummheit gelang , seines Vaters Geld in vier Wochen durchzubringen , indem er tagelang die Talerstücke über den Fischteich schunkte .
Sondern wir wollen von der Mühe reden , auf welche Mutter Weißhaar zielte , wenn sie auf ihre acht Kinder zu sprechen kam , von denen drei auf dem Kirchhof lagen , einer in der tiefen Nordsee , und die übrigen vier in Amerika wohnten , von welchen zwei seit Jahren nicht an sie geschrieben hatten .
Und von jener Arbeit , über welche Geert Dose klagte , als er am dritten Tage nach der Schlacht bei Gravelotte noch nicht sterben konnte , obgleich er die furchtbare Wunde im Rücken hatte .
Aber obgleich wir die Absicht haben , in diesem Buche von so traurigen und öden Dingen - wie viele sagen - zu erzählen , gehen wir doch fröhlich , wenn auch mit zusammengebissener Lippe und ernstem Gesicht , an die Schreibung dieses Buches ; denn wir hoffen , an allen Ecken und Enden zu zeigen , daß die Mühe , die unsere Leute sich machen , der Mühe wert gewesen ist . * * * Wieten Penn , das Großmädchen auf der Uhl , hatte gesagt , daß in diesem Winter noch eine große Gesellschaft zusammenkommen würde .
" Aber das Merkwürdige ist , " sagte sie , " daß die Leute ankommen werden wie zu einem großen Fest und fortgehen werden wie von einem großen Begräbnis . "
So sagte Wieten Penn .
Sie hatte ein tiefdenkerisches Wesen und wurde darum Wieten Clog genannt .
Klaus Uhl , der große Marschbauer , stand mit glänzendem , wohlwollendem Gesichte , in weißen Hemdsärmeln , vor der Haustür und sah in die Marsch hinein und wartete auf die Gäste und lächelte behaglich , indem er an die kommenden Freuden dachte , an das flotte Kartenspiel , an den guten Trunk und an manch starkes Scherzwort .
Die kleine , blasse Frau hatte sich in den Stuhl gesetzt , der am weißen Kachelofen stand , und übersah die festlich geschmückten stattlichen Stuben .
Sie erwartete die Geburt ihres fünften Kindes und war müde vom vielen Gehen .
Die drei ältesten Knaben , große Jungen , nicht weit von der Konfirmation , standen mit langen , ungelenken Gliedern an einem der Spieltische , schmale , hellhaarige , herrische Köpfe .
Sie hatten ein Kartenspiel , das da lag , in die Hände genommen und stritten sich mit lauten , oft groben Worten über die Art des Spieles und rissen Hans , dem Jüngsten , das Kartenspiel aus den Händen und nannten ihn einen dummen Jungen .
Die Tür ging auf , und der kleine dreijährige Jürgen lief auf die Mutter zu :
" Mutter , sie kommen .
Ich kann die Wagen sehen . "
" Mutter , " sagte Hans , der sich an irgend jemand für die erlittene Unbill rächen wollte , " der Jörn sieht ganz anders aus als wir .
Er sieht gerade so aus wie du , mit so langem Gesicht und mit eingesunkenen Augen . "
Sie strich dem Kleinen über das starre , helle Haar und sagte : " Mir ist er hübsch genug . "
Der Kleine legte die Hände auf ihren Schoß und sagte : " Du , Mutter , Hinnerk sagt , ich bekomme nun bald einen ganz kleinen Bruder oder eine Schwester .
Ich will eine Schwester haben .
Wann kommt sie ?
Wenn sie kommt , mußt du es gleich sagen . "
Die beiden Großen spielten weiter , stießen sich an und lachten .
" Du , Mutter , " sagte Hans , " der Knecht sagt : heute Nacht sind die Pferde furchtbar unruhig gewesen .
Er hat es nicht mehr anhören können und ist aufgestanden .
Als er dann in den Stall gekommen ist , haben sie alle mit gehobenen Köpfen gestanden , und am Ende des Stalles hat es geklirrt , als wenn jemand eine Kette nachschleppt .
Nun hat die dumme Wieten Clog natürlich gesagt :
» Das bedeutet was . «
Was soll das wohl bedeuten ? "
" Es bedeutet sicher was ! " sagte Hinnerk und lachte .
" Du sollst sehen , daß es was bedeutet .
Es kommt gewiß ein Pferd mehr in den Stall , und dann wird der Hafer dünner .
Siehst du ?
das bedeutet es . "
Sie warfen einen raschen Blick auf ihre Mutter und gingen hinaus , stießen sich an und versuchten ihr Lachen zurückzuhalten .
Nun war sie allein mit dem kleinen Jürgen , der sich still neben sie gesetzt hatte .
" Es ist nicht gut , " sagte sie leise , " so spät noch .
Wenn die anderen schon so groß sind und so klug .
Sie sind hart wie der Vater und reden auch so hart .
Sie gönnen dem kleinen Wesen das Leben nicht , ehe es da ist . "
Sie sah über die Tische hin und auf die Berge von Tellern und blanken Gläsern , und durch die Zimmer mit dem prächtigen , halb bäuerischem , halb städtischem Staat .
Und da sie das Gefühl hatte , wieder einmal , daß sie zu diesem Gepränge und zu diesem großen , lauten Hause nicht passe , flog ihre Seele auf und davon und flog über kurzen , dürren Heidewald und kam auf den alten Hof im Moor .
Ja , da gehörte sie hin .
Vier Menschen waren sie unter dem langen Strohdache gewesen , das zwischen Moor und Wald stand : Vater , Mutter , der Bruder Thieß und sie .
Und Vater und Mutter waren so merkwürdige drollige Menschen gewesen ; sie hatten Schelmerei miteinander getrieben bis an ihr Ende .
Wenn der Vater vom Freitagsmarkt mit den mageren Pferden aus der Stadt heimkam , dann hatte er schon von ferne mit der Peitsche gedroht und war im Wagen aufgestanden und hatte gerufen :
" Heute sollst du aber vernünftig sein ! "
Oder er schrie : "Drinnen !
Nicht draußen ! "
Aber die Mutter war nicht vernünftig gewesen , obgleich sie damals doch schon vierzig Jahre alt war .
Sobald er die Füße auf den Erdboden gesetzt hatte , draußen , so daß ein Mann , der im Heeser Moor arbeitete , es sehen konnte , sprang sie an ihm in die Höhe und herzte und küßte ihn .
Dann hatte der kleine , hagere Mann mit dem kleinen , feinen Webergesicht gelacht .
Sie hatten nie ein böses Wort zu einander gesagt ; immer waren sie traut und froh miteinander gewesen wie ein Schwalbenpaar im Frühling .
Sie waren beide tot .
Und Bruder Thieß saß hinterm Heesewald allein , ein Junggeselle , und hatte das kleine Gesicht des Vaters und sein freundliches , drolliges Wesen .
Sie aber war als ganz junges Ding in die fette Marsch hinuntergestiegen und war die Frau von Klaus Uhl geworden .
Und nun hatten im Stall die Ketten geklirrt .
" Die drei Großen werden sich selbst helfen .
Sie haben sich schon von mir gelöst , wie die Füllen sich von der Mutter lösen und sie nicht mehr kennen . "
Aber der kleine Jürgen und das , dessen Kommen sie erwartete . . . " Wieten muß bei den Kleinen bleiben . "
Die Wagen kamen : drei , vier hintereinander .
Die starken Dänen hoben und senkten die Köpfe , und jedesmal , wenn sie sie hoben , stieg der Dampf auf , und jedesmal , wenn sie sie niederwarfen , glitzerte das Silbergeschirr in der klaren Luft .
Das war die Sippschaft der Ulen , die jährlich um diese Zeit zum Stammhof heraufzogen , um die Zusammenkunft der Ulen , das Uhlfest , zu feiern .
Sie kamen schon nahe , und Klaus Uhl wollte gerade mit lachendem Gesicht von der Haustür herab auf den niedrig gelegenen Hof hinuntergehen , da kam ein altmodischer , klappriger Wagen vom Dorfe her auf die Hofstelle .
" Ach je , " sagte Uhl , " da kommst du , Schwager ? "
Thieß Thiessen hielt an und lachte :
" Mein Spannwerk paßt schlecht zu den anderen , die da kommen ! " sagte er , " ich selbst passe auch nicht zu ihnen ; ich fahre aber bald wieder davon .
Ich habe im Dorfe ein paar Kälber gekauft und will nur bloß ' Mal nach meiner Schwester und nach dem kleinen Jörn sehen . "
Der kleine Mann sprang mit einem mächtigen Satze von dem hohen Wagen herunter , führte das Gespann bedächtig in die Scheune und kam zu seiner Schwester .
Sie saß mit dem kleinen Jürgen in der Hinterstube und freute sich .
" Komme , " sagte sie , " setze dich ein wenig !
Hier sind wir ganz sicher .
Ach ja !
Sicher vor den großen Ulen ! "
Sie lachte .
" Komme , setze dich hier an den Tisch .
Was machen die Kühe ?
Hast du den großen Schwarzen vorgespannt ?
Nun sage doch was !
Als wenn du die ganze Heese mitgebracht hast ! " sagte sie .
Er stand ihr Rede und Antwort .
Es war eine heimliche , gemütliche Unterhaltung , während von den Vorderzimmern her Geschirrklirren , Laufen und Reden klang .
" Nun will ich ' Mal sehen , " sagte er , " was sie in der Küche machen und im Stall .
Wieten soll mir ein wenig Essen auf den Küchentisch stellen , und der Knecht soll mir die Kälber und Fohlen zeigen .
Den Jörn nehme ich mit .
Du bleibst hier . "
Er nahm den Kleinen an der Hand und ging hinaus .
Am Eingange der Küche lief ihm ein kleiner , breiter Junge gegen die Knie .
" Ein Krey ist es , " sagte Thieß , " man sieht es am rötlichen Dickkopf . "
" Das ist Fiete Krey , " sagte Jürgen , " der spielt immer mit mir . "
" Dann soll er auch mit uns essen , " sagte Thieß , und er setzte sich auf den Küchentisch .
Sie gaben ihm einen Teller voll Fleisch , den nahm Thieß Thiessen zwischen die Knie .
Die beiden Kinder saßen bei ihm .
" Ist dies dein Junge , Trina Krey ? " sagte er .
Die Arbeitsfrau wandte ihr heißes Gesicht vom Herd zu ihm hin : " Ja , " sagte sie , " er ist der fünfte .
Sechs habe ich . "
" Genug an der Raufe , Trina , für einen Arbeitsmann , der im Winter Heidebesen und Bürsten macht . "
" Na , " sagte die Frau , " ich bekomme hier allerlei vom Hofe . "
" Gehst nicht leer übern Weg , Trina ? "
" Nein . "
" Wer sorgt dafür , Trina ? "
" Deine Schwester , Thieß Thiessen . "
" Wollt ' ich hören , Deern !
Wollte ich hören ! "
" Hast du eben gesehen , Jörn ? " schrie Fiete Krey laut , " wie meine Mutter in den Fetttopf gelangt hat ?
So 'n Stück , als mein Kopf ! "
" Trina ! der Junge trachtet nach hohen Dingen .
Er ist ein echter Krey und wird seine Tage nicht unter dem Strohdach verbringen , darunter er jetzt wohnt . "
" Er wird in Dienst müssen , " sagte die Mutter , " und wird ein Knecht werden wie sein Vater und im Winter Bürstenbinder . "
" Wer weiß ? " sagte Wieten .
" Oha , nun kommt Wieten ! " sagte Thieß Thiessen .
" Vergreife dich nicht , Wieten !
Prophezeie ihm Gutes , Deern !
Er hat helle Augen in seinem Rundkopf und starke Phantasie . "
Wieten Penn war sonst zurückhaltend und schweigsam ; aber mit dem Heesebauer , der für alles eine ernste und große Neugier hatte , sprach sie gern ein Wort .
" Es kann einem Menschen merkwürdig ergehen , " sagte sie gedankenvoll .
" Da ging ' Mal einer von den Wentorfer Kreihen aus seines Vaters Haus , war eines Arbeiters Kind , und kam zu den Unterirdischen , die unter den Heesetannen wohnen .
Die luden ihn voll Gold und führten ihn wieder hinaus , und er kam wieder in Wentorf an .
Er meinte , es wäre gestern gewesen , daß er davon ging .
Sie sagten ihm aber , er wäre vierzig Jahre fort gewesen .
Und er mußte es wohl glauben ; denn als er in den Spiegel sah , war sein Haar grau geworden .
Auch ist er bald danach gestorben .
Theodor Storm , der alles besser wissen wollte als ich , sagte damals zu mir :
» Diese Erzählung wolle sagen , daß einer in die Fremde und in die Sorgen und in das Gelderwerben hineingegangen und erst wieder zur Ruhe und zur Besinnung gekommen wäre , als das Leben dahin war . «
Aber das glaube ich nicht .
Es ist einfach eine Geschichte , die geschehen ist . "
" Jörn ! " schrie Fiete Krey .
" Wieder so 'n Stück Fett !
Jörn , der König . . . der König ißt den ganzen Tag schier Talg . "
" Jung , " sagte Thieß Thiessen , " nun sei still !
Sage du was , Jörn . "
" Ich kann bloß :
Adebar Ester , Bringe Miene Süd Schwester , Adebar oder Bringe Miene lütt Broder . "
" Das wollen wir zusammen singen , " sagte Thieß , und sie sangen und schlugen mit den Hacken gegen den Küchentisch .
Darüber bemerkten sie nicht , daß Wieten aufhorchte und herausging und daß das Kleinmädchen fortgeschickt wurde .
Erst als Wieten Penn zu Trina Krey trat , die fleißig am Herd gearbeitet hatte , und diese nach Frauenweise die geballten Hände vor die Brust zusammenschlug , schrak Thieß Thiessen auf .
" Was habt ihr ? " sagte er .
" Wieten , was ist los ? "
" Der Adebar steht schon auf dem Schornstein . "
" Was ? " rief Thieß . . . Mit aufgerissenen Augen starrte er Wieten Penn an .
" Der Adebar ist da ? "
Mit einem Satze war er vom Küchentisch herunter , riß die Tür auf , die auf den Hof führte , und lief in den Stall .
Nach zwei Minuten kam er wieder , in seinem alten dünnen , graubraunen Wagenrock und die Fuchsmütze mit den großen Ohrenklappen tief in die Stirn gezogen .
" Steht ihr beiden meiner Schwester gut bei ! " sagte er hastig .
" Hört ihr ?
Steht ihr gut bei !
Es soll mir auf einen Taler wahrhaftig nicht ankommen , obgleich der Torf und die Kälber billig sind . "
" Willst du nicht warten , Thieß , wie es abläuft ? "
" Nein , nein . . . grüße sie !
Ich habe schon angespannt , ich . . . ich kann das nicht ansehen .
Alles Glück !
Alles Glück ! "
Er schüttelte den Kopf über sich oder über seine Schwester oder über die ganze Welt und ging eilig davon .
Sie hörten ihn mit seinen großen , schwerfälligen Stiefeln über die dunkle Diele trampen und stolpern . * * * Sie hatten gegessen und getrunken und saßen an den Spieltischen .
Lauter große und schmucke , einige stolze und schöne Gesichter .
Die drei großen Jungen standen hinter den Spielenden , sahen in die Karten , wurden zuweilen wohlwollend um Rat gefragt , nickten verständig , stimmten in das Lachen ein und schenkten den Punsch ein .
Sie fingen an , laut zu werden , während des Spieles Geschichten zu erzählen und leichtsinnig zu spielen .
Stattliche Haufen Silbergeld wurden lachend und scheltend hin und her über den Tisch geschoben .
Einige wenige blieben ruhig und nüchtern .
Das waren die rechten Spieler , die ein Stück Geld mit nach Hause nehmen wollten .
Sie saßen getrennt voneinander an verschiedenen Tischen ; denn sie konnten einer vom anderen nichts gewinnen .
Zwei von ihnen waren von Natur kluge , ruhige Spieler ; sie sitzen auch heute noch auf ihren schönen , lindenbeschatteten Höfen in der Marner Marsch .
Zwei aber waren schlau und schlecht ; sie sahen den Leichtsinnigen in die Karten und betrogen sie .
Der eine ist später samt seinem Hof und seinen Kindern Hamburger Agenten verfallen , die noch schlauer und schlechter waren als er ; der andere spielt jetzt , ein Achtziger und halbblind , mit dem Knechte seines Sohnes im Kuhstall Sechsundsechzig um halbe Groschen und wird weidlich betrogen .
Die Leichtsinnigen wußten , daß sie mit Betrügern spielten , aber sie waren zu großartig , gutmütig und leichtsinnig .
Es sagte wohl einer , da er hart verloren hatte : " Höre du , du machst lange Augen . "
Aber dann lachten sie wieder und spielten weiter .
Reden war nicht ihre Sache .
Sie überließen das Reden dem Pastor und dem Lehrer .
Nur Klaus Uhl , der in seiner Jugend in die Lateinschule hineingesehen hatte , pflegte dann und wann ein Wort zu sagen .
Er stand auf und sprach in der wohlwollenden Laune , die man an ihm kannte , einige Worte .
Er fing damit an , seine Frau zu entschuldigen , daß sie sich nicht gezeigt hätte und nun zu Bette gegangen wäre .
Sie sollten sich darum nicht kümmern , sondern zusehen , daß jeder ein Häufchen Taler mit nach Hause nähme .
Man lachte : " Geht nicht an ! "
" Besonders mir selbst , dem Gastgeber , ist ein guter Gewinn zu gönnen : Ihr verzehrt meinen Braten und trinkt meinen Wein und habt , heute wie immer , guten Schluck und guten Trunk .
Ihr wißt , ich erwarte das fünfte Kind . "
Da warfen sie die stattlichen , schweren Oberkörper gegen die Stuhllehnen und schrien durcheinander und lachten überlaut :
" Du hast ja Land genug !
Und Taler im Schrank !
Und der Weizen steigt . . . Laß die Jungs studieren .
Ja , den Jörn . . . Laß den Jörn Landvogt werden . "
Klaus Uhl lachte und stieß mit seinen Gästen an .
August , der Älteste , dem der Punsch den Kopf verwirrt hatte , lächelte dumm vor sich hin .
Da ging Hinnerk , der zweite , in trunkenem Sinne hinaus , und kam wieder hinein und hatte den kleinen Jürgen aus dem Bette genommen und hielt ihn hoch und sagte : " Das ist der Landvogt . "
Er wollte den Gästen eine Freude machen und sich über den Spätgeborenen belustigen .
Aber sie standen alle mit Lärmen auf , lachten und riefen :
" Ein klein feiner Kerl ist das . "
Das aus dem Schlafe gerissene Kind fuhr mit der Hand in dem kleinen Gesicht umher und sah verwundert um sich .
Das kurzgeschorene steile Haar , hellblond , stieg rund um die Stirn in so starker Hebung auf , daß man bis zum Hinterkopf sehen konnte .
" Der soll einmal unser Landvogt werden ! " schrien sie .
" Der Landvogt lebe ! "
Hans , der dritte , kam mit verschlafenem , mopsigem Gesicht vom Flure her , trat von hinten an seinen Vater und sagte :
" Ob du ' Mal zu Mutter kommen willst . "
Uhl achtete nicht darauf , und der Junge ging gleichgültig träge wieder hinaus .
" Meine Gäste haben recht , " sagte Klaus Uhl und sah mit klugen , lachenden Augen über die Tische :
" Ich kann ja freilich allen meinen Jungen Höfe kaufen , wenn sie soweit sind .
Aber ich habe so viel in die Bildung hineingesehen und so viel vom Latein gerochen , daß ich wohl weiß :
Wissen geht über alles .
Darum danke ich für euren Glückwunsch .
Was an mir liegt , so soll der kleine Jürgen der erste Bauernsohn im Lande sein , der ins Landschaftliche Haus einzieht .
Wir als Bauern können wohl erwarten und verlangen , daß einer der Unseren über uns regiert ; und wenn wir das verlangen können , so wüßte ich nicht , aus welchem anderen Geschlecht man den Landrat nehmen sollte , wenn nicht aus dem der Ulen . "
Die Tür öffnete sich wieder .
Hans stand wieder da .
Er blieb an der Tür stehen und sagte laut in das Lärmen hinein : " Vater ! Mutter sagt :
du mußt zu ihr kommen . "
" Junge , laß mich in Ruhe !
. . . Nachher !
. . .
Er wird eine weiche Jugend haben , er wird immer Geld genug haben , er wird klug fein und schmuck , sonst wäre er nicht mein Sohn .
Er wird das Leben leicht nehmen wie ich .
Sorgen wird er nicht kennen .
Kommt , wir stoßen auf den Landvogt an !
Jörn Uhl soll leben ! "
" Der Landvogt soll leben ! "
" Vater !
Die Frau , die bei Mutter ist , sagt , wir sollen einen Wagen bereit halten . "
Das drang durch .
" Pferde ? . . . Nanu ?
. . . "
" Steht es nicht gut ? "
" Dann legen wir die Karten hin .
Es ist auch schon nach elf . "
" Kommt , ich gehe . "
" Ich auch . "
" Bleibt doch , " sagte Klaus Uhl , " es ist Frauenängstlichkeit . "
" Nein , doch nicht . . . "
" Nein . . . wir wollen gehen . "
Sie gingen hinaus .
Einige sprachen noch vom Spiel und bedauerten , daß es so rasch abgebrochen war .
" Ich kehre noch ein wenig im Wirtshaus ein . "
" Ich auch .
Wißt ihr was !
Wir gehen zu Fuß nach dem Krug und lassen unsere Wagen nachkommen . "
" Es tut mir leid , " sagte Klaus Uhl , " daß ich nicht mit euch gehen kann . "
" Wenn du mitgehst , kommen wir sicher nicht vor morgen früh nach Hause . "
" Komme mit !
Du hast ja Leute genug im Haus . "
Einer trat an ihn heran , gab ihm die Hand und sagte : " Nein , gehe nicht mit uns , bleibe lieber bei deiner Frau . "
Er ging zu seiner Frau hinein und fand sie leidlich wohl und hörte , daß man hoffte , den Arzt entbehren zu können , und kam wieder nach der Vordiele und horchte durch die noch offene Tür .
Man hörte noch in der Ferne in der stillen Nacht lauten Zuruf und lachende Antwort .
Noch einmal ging er langsam in die Tiefe der großen Diele zurück und kehrte wieder um .
Dann nahm er die Mütze mit sich vom Haken .
Es war , als wenn ein starker Mann ihn an die Schulter faßte und hinauszog .
Er trat aus der Tür und ging den anderen nach .
Einen Überrock trug er beim Gehen nie ; er hatte so viel Lebenskraft und Hitze in sich , daß er ihn nicht brauchte .
Gleich darauf gingen August und Hinrich mit einer vollen Punschbowle in die Leutestube .
Sie spielten sich sonst als Herren auf und lebten mit den Leuten auf dem Hofe in beständigem Streit .
Aber an einem Tage wie diesem waren sie von großmütiger Vertraulichkeit .
Der Großknecht , ein ergrauter Mann , hatte das letzte Gespann besorgt und kam herein .
Er setzte sich schwerfällig hin und trank das Glas aus , das sie ihm hinstellten .
Der Kleinknecht schnitt mit dem Messer in die Tischplatte und versuchte , dem kleinen Fiete Krey das Geldstück wegzunehmen , das er von den Gästen bekommen hatte .
Er war , den Kopf auf den Tisch gelegt , eingeschlafen und hielt das Geldstück fest und sagte nur zuweilen im Schlaf : " Laß das , Jörn . "
Und zog die Hand zurück .
Das zweite Mädchen kam herein , sonst ein lustiges junges Ding .
Aber sie war nun verstört , und in ihren Augen stand große , helle Frauenangst .
" Ist es wahr , Dietrich , daß die Pferde den Lärm gemacht haben , gestern Nacht ? "
Der Großknecht nickte .
" Ich kann es nicht ändern , Jule , " sagte er .
" Ich habe es gehört .
Was es bedeutet , weiß ich nicht . "
" Mit Wieten ist es nicht auszuhalten , " sagte sie .
" Sie ist blaß wie eine Leiche und behauptet , es gibt heute Nacht noch ein Unglück .
Ich will hier nicht mehr bleiben .
Ich bleibe keine Stunde länger auf dem Hofe , wenn es schief geht . "
Sie griff nach dem Tischrand und setzte sich schwerfällig hin , so schwach waren ihr die Knie .
" Hallo , " sagte Hinrich , " nun laß dein Reden !
Laßt uns essen und trinken und fröhlich sein ; denn morgen sind wir tot . "
Er schob ihr ein volles Glas hin , stieß es mit unsicheren Händen um und füllte ein neues .
" Komme näher heran , Jule . "
" Ich danke , " sagte das Mädchen , " sonst kennt Ihr mich nicht .
Ich will nichts mit Euch zu tun haben und Euren Punsch nicht trinken . "
August hob den schweren Kopf .
" Ihr sollt nicht lachen , ich bin der Herr im Hause ! "
" Du bist gar nichts , " sagte Jule Geerts .
" Du bist nicht mehr als ein dummer Bengel . "
" Dummer Bengel ?
. . . Das sollst du büßen . "
" Was hat Wieten dir gesagt , Dietrich ?
Sie hat Lichter gesehen ?
Ist das wahr ? "
Sie sah mit bangen , weiten Augen auf den Knecht .
Der machte ein verdrießliches Gesicht .
Er hatte ein Verhältnis mit Wieten und wohl Neigung , sie zu heiraten , aber es kränkte ihn , daß man von ihr sagte , sie könnte sehen , wenn kommendes Unglück vorwarne .
" Was hat sie gesehen ? " fragte das Mädchen zum zweitenmal .
Ihr graute schon jetzt .
Sie wußte , daß ihre Angst noch größer werden würde ; aber sie konnte es doch nicht lassen , es zu hören .
" Als sie vor acht Tagen abends um neun vom Dorfe her gekommen ist , hat sie in der Staatsstube Licht gesehen .
Die Lichter haben aber nicht so gestanden wie sonst , wenn sie Karten spielen , sondern höher , so wie sie um einen Sarg gestellt werden , und haben rötlichen Schein gehabt .
Sie hat nicht gewagt , hinein zu sehen , hat sich aber ihr Teil gedacht .
Nun weißt du es . "
" Dummes Zeug , all dummes Zeug ! " sagte Hinrich und wankte mit dem Kopfe .
Die Türe wurde rasch aufgemacht , Jule Geerts fuhr auf und schrie laut .
Sie ist immer eine ängstliche Natur geblieben , auch als sie schon Mutter war .
Und als ihre Kinder groß waren und sich Beschwerden des Alters bei ihr einstellten , Schmerzen im Rücken , hat sie immer behauptet , den Grund zu diesen Schmerzen hätte jene Nacht gelegt und der Schreck , den sie bekommen hätte , als Trina Kreis Gesicht in der Türöffnung der Leutestube erschien .
" Wie ein Geist sah sie aus , " sagte sie .
" Dietrich , spann an !
Rasch !
Hole den Doktor . "
" Scher dich vom Hof ! " schrie Hinrich .
" Du und dein Junge , weg vom Hof ! "
Er stieß den Kleinen , daß er erwachte .
" Die ärmste Frau im Lande ist nicht so verlassen wie eure Mutter . "
Der Großknecht war schon hinaus .
Jule Geerts ging zitternd hinter ihm her .
Ein eilig Laufen durchs ganze Haus .
In der Küche wurde Feuer neu angefacht .
In der großen Diele flog der Schein der Laterne wie ein großer roter Vogel hin und her , als suchte er in wilder Angst einen Ausweg .
Bald flog er gegen die Holzwand der Ställe , bald gegen die Pferde , daß sie unruhig wurden , bald gegen die starken Balken ; bald jagte er an den hohen Strohbergen hinauf .
In den Ställen klirrten die Ketten der unruhigen Tiere .
Das große Tor wurde aufgerissen , und der Wagen jagte in die Schneenacht hinaus .
Die Kranke legte den Kopf unruhig von einer Seite zur anderen , horchte und fragte nach ihrem Mann .
" Fremde Leute müssen mir helfen , wenn ich in Not bin .
Schlafen die Kinder ?
. . . Sie haben den kleinen Jürgen in die Stube getragen ?
. . . Landvogt soll er werden ?
. . . Rechtschaffen soll er werden und nüchtern .
Einerlei , ob Landvogt oder Arbeitsmann . "
Sie hatte die ersten drei Knaben von ihrem Manne empfangen , willenlos , als seine Gaben :
da waren es Knaben geworden von seiner Art .
Dann waren zehn Jahre vergangen , in denen sie sich mehr von ihm abgewandt und sich auf eigene Füße gestellt hatte .
Sie hatte allmählich aufgehört , mit den Augen ihres großen und lauten Mannes Leben und Welt zu betrachten .
Unsicher , langsam , aber immer klarer war die Erkenntnis gekommen , daß ihre eigene Welt und Weltanschauung viel schöner , klarer und reiner wäre als die ihres Mannes .
Die vier Menschen , die einst hinter der Heese auf dem stillen Moorhof gewohnt hatten :
die waren glücklich , rein und klug gewesen ; aber die hier auf der Uhl wohnten , die gingen alle in die Irre .
Sie konnte das nicht mehr hindern .
Sie hatte den Mann neben sich zu stark werden lassen .
Sie konnte nicht einmal ihre eigenen drei Kinder mehr ändern :
Die waren ihr über den Kopf gewachsen .
Aber sie kam doch noch zu ihrem Recht .
Sie gebar noch einmal , einen kleinen feinen Jungen , und konnte leise und stolz und glücklich lachen , als ihr Mann , da er das Kind sah , sagen mußte :
" Der ist anders als die ersten drei , der ist von deiner Art ; er ist ein Thiessen . "
Und das , was heute Nacht zur Welt kommen sollte , das wußte sie ; das war auch ein Thiessen .
Und es ist schwer , als ein Thiessen durch die Welt zu kommen .
Es ist ein wunderlich nachdenklich Volk .
" Die drei Großen brauchen die Ellenbogen ; die finden ihren Weg durch die Welt ; aber um die beiden Kleinen tut es mir leid , wenn ich sterben muß . "
Sie versuchte die Hände zu falten und betete in heißer , bitterer Angst um ihr Leben , daß ihr der Schweiß in hellen Tropfen auf die Stirn trat .
" Wieten soll kommen , " sagte sie .
Das Mädchen trat dicht ans Bett .
" Wieten , ich werde wohl lange krank sein , und vielleicht werde ich nicht wieder gesund .
Wenn du auf dem Hof bleiben wolltest . . . ich glaube , es ist auch besser für dich , wenn du nicht heiratest .
Kümmere dich nicht um die Großen , die kannst du doch nicht regieren .
Aber Sorge mir für die Kleinen .
Sage meinem Manne , daß ich dich darum gebeten habe , und daß er dir mit den beiden Kleinen deinen Willen läßt . "
Wieten Penn , die sie Wieten Clog nannten , hatte vieles kommen sehen , Glück und Notstunde , diese Frage aber nicht .
Kein Mensch kann sagen - sie selbst auch nicht - , mit welcher raschen Kraft sie ihre Zukunft herumwarf .
" Ich werde auf die Kinder passen , " sagte sie , " so wahr ich hier stehe .
Darauf kann Sie sich verlassen , Frau Uhl . "
Sie trat zurück und ging in die Küche und stand stumm und unbeweglich am Herd .
Da kam Dietrich herein und sagte in seiner biederen , trockenen Weise :
" Du brauchst doch nicht die ganze Nacht am Feuer zu stehen .
Die Jungen sitzen alle in der Vorderstube ; komme ein wenig nach unserer Kammer . "
Sie schüttelte den Kopf :
" Es kann doch nichts aus uns beiden werden , Dietrich , " sagte sie ; " laß mich lieber meine Wege allein gehen . "
Da ging er wieder auf den Fußspitzen aus der Küche , und schüttelte noch eine Weile den Kopf .
Er tröstete sich aber bald und ist ein Junggeselle geblieben .
Dann fuhr es donnernd die Auffahrt hinauf , der Arzt ging über die Diele , untersuchte und richtete sich ein .
Er kam noch einmal nach der Küche und fragte nach dem Mann .
" Im Wirtshaus ! " sagte Trina Krey , " und spielt Karten .
Wir haben schon zweimal nach ihm geschickt ; aber er kommt nicht . "
Der Arzt warf einen großen Blick auf sie und nannte einige Tiernamen .
So hatte noch niemand den großen , stolzen und immer fröhlichen Mann genannt .
Dann schrieb er drei Worte auf und sandte das Kleinmädchen in den Krug :
" Laufen Sie ! "
Im unsicheren Licht der Diele , als sie ein Schultertuch vom Haken nahm , las Jule Geerts das Wort , " Operation " .
Da stob sie davon , zitternd und weinend , und sah immer rückwärts , als liefen böse Geister hinter ihr her . * * * Gegen Morgen war alles vorüber .
Die Knechte arbeiteten bleich und still an den schweißbedeckten Pferden .
Wieten Penn stand , die eine Hand über den Kopf gelegt , am Herd und sah in die Glut und sah nichts als lauter Feuer ; denn ihre Augen waren voll von Tränen .
Jule Geerts saß auf der Wasserbank und wich und wankte nicht und fürchtete sich vor Wieten und vor jeder dunklen Ecke im Hause und fürchtete sich am meisten vor der kleinen , toten , stillen Frau .
Der Arzt hatte zu Uhl gesagt : " Wäre ich eine Stunde früher geholt worden , so hätte ich vielleicht helfen können .
Warum bin ich nicht früher geholt ? "
Da hatte Klaus Uhl mit den Zähnen geknirscht und hatte wie ein Tier geschrien .
Nun lag er jammernd vor ihrem Bett und schrie :
" Mutter ! Mutter ! "
Als Weib hatte sie wenig mehr für ihn bedeutet .
Er nannte sie mit dem Namen :
" Mutter ! "
Die Not der Kinder schrie aus ihm , in dem einen Wort .
Im Nebenzimmer stand Wieten und hatte das Neugeborene im Arm .
" Ein kleines , aber kräftiges Mädchen , " sagte Trina Krey .
" Man kann schon sehen , es hat ganz das Gesicht der Mutter .
Es hat sogar ihr dunkles Haar . "
" Es weint nicht , " sagte Wieten .
" Es ist doch nicht tot ? "
" Gib ' Mal her . "
Und Trina Krey nahm die Kleine , drehte sie in der Hand um und gab ihr zwei , drei Schläge mit der flachen Hand .
Da schrie das Kind auf .
" Wollen wir es in mein Bett legen ? " sagte Wieten .
" Ich habe meine Kammer warm gemacht .
Jörn liegt schon da . "
Sie gingen hinüber und fanden den kleinen Jörn ruhig im Bett .
Er lag da wie ein Igel , zusammengedrückt , den Kopf auf der Brust .
Man sah nur wenig von dem kleinen Gesicht , aber man sah den Kopf mit dem steilen , hellen Haar .
Und neben ihm lag Fiete Krey , angezogen .
Er hatte die Decke ein wenig beiseite geschoben und sich so recht gemütlich hineingewühlt .
" Der Schleef ! " sagte Trina Krey , " ist er doch hier geblieben ! "
" Laß ihn liegen , " sagte Wieten , " ich lege die kleine Deern ans andere Ende . "
So schliefen die Kinder diese Nacht in einem Bett , zwei oben und das kleine Mädchen zu ihren Füßen .
Zweites Kapitel Jürgen hieß der kleine borstige Junge , und das kleine Mädchen hieß Elsabe .
So trug der Pastor ins Taufbuch ein .
Das Taufbuch redet hochdeutsch .
Aber die Menschen um die Kinder her reden alle die plattdeutsche Sprache .
Sie nennen ihn Jörn , und das Mädchen in der Wiege nennen sie Elsbe .
Und das sind ihre Namen , mit denen sie noch heute genannt werden , Jörn und Elsbe Uhl .
Das Haus ist für Jörn Uhls Augen weit und groß .
Wenn er in der großen Diele steht oder durch die Scheune stolpert , so sieht er überall ins Schwarze .
Er glaubt auch nicht , daß es da irgendwo ein Ende gibt .
Die Diele ist so groß wie die ganze Welt .
Die großen Menschen , die bald aus dieser Tür kommen , bald aus jener , die bald diese , bald jene sonderbare Hantierung vorhaben , und das alles mit ernstem Gesicht tun , ohne zu schreien oder zu traben oder zu weinen : das ist erstaunlich .
Alle sind anders als er , bloß der weiße Spitz , der neben ihm durch den ungeheuren Raum geht , der ist wie er .
Sie essen zusammen ; und sie schlafen dicht nebeneinander .
Und von Zeit zu Zeit , das ist am Sonnabend , werden sie zusammen von Wieten in die große Waschbalje gesteckt , bis an die Ohren ins Wasser .
Sie sind alle anders .
Man denke an die Pferde , an die Menschen , an die Kühe .
Bloß er und Spitz sind ganz gleich .
Einmal hofften sie , sie bekämen einen richtigen Gesinnungsgenossen .
Ein Fohlen graste neben der Mutter auf der Hofstelle .
Daß das Mutterpferd zu den sonderbaren ernsten Wesen gehörte , das erkannten sie beide sofort .
Aber in dem Fohlen spürten sie verwandte Weltanschauung .
Aber als der Spitz dem Fohlen zu nahe kam , schlug es aus .
Hei , wie schlug es aus !
Heulend stoben die beiden ins Scheunentor .
Dort standen sie , sahen ängstlich auf das Fohlen und bellten .
So sagte er nämlich .
Er sagte nicht : Wieten hat gescholten , sondern : Wieten hat gebellt .
So sehr war der Spitz sein Kamerad und Gleichgenoß .
Es war kein Mensch da , der Jörn Uhl an die Hand nahm und ihm die Erscheinungen deutete .
Wieten hatte nicht Zeit , und die anderen hatten keine Lust .
Daß es so war , war wohl gut .
Denn nun hieß es nach Robinsons Weise : Auf , entdecke dir selbst Land , Wasser , Geräte und Nahrung !
Er und Spitz jagten eines sonnigen Tages mit lautem Hallo in den Burggraben , um eine Wasserratte zu fangen , die da schwamm .
Sie wurden beide herausgezogen , bekamen beide von Wieten ihre Schläge , wurden beide nebeneinander ins Bett gesteckt und bellten sich einander an .
Das war so eine Entdeckungsfahrt .
Sie wußten beide nicht , was ein Keller war .
Sie meinten , es wäre eine Tiefe ohne Boden , mit großen Eidechsen als Balken und Ständern .
Eines Tages , als sie eine Wette gemacht hatten , wer am ersten ans andere Ende der Diele käme , und losstürmten , kam plötzlich vor ihnen eine drohende Stimme aus der Erde .
Große Runkelrüben flogen rechts und links herauf .
In gewohnter Eintracht flogen sie beide dem Knechte auf den Kopf .
Nachher saßen sie , heulend und bellend , an der Leiter , die am Pferdestalle stand , und erzählten sich die schrecklichen Dinge , die sie gesehen hatte .
So entdeckten sie zusammen alles , was sie umgab , und bekamen eine bedeutende Erfahrung .
Aber eines Tages wurde das Verhältnis zu Spitz ein anderes .
Sie waren bisher beide , so drei- oder viermal am Tage , in die Hinterstube gelaufen und hatten das kleine Mädchen , das in der Wiege lag oder im Stuhle saß , gestreichelt und umwedelt , und waren dann wieder hinausgelaufen und hatten sich weiter um das Kind nicht gekümmert .
Aber eines Tages , als er mit Spitz im schönsten Sonnenscheine von der Weide kam , stand das kleine Mädchen draußen vor der Küchentüre und sah mit großen , ängstlichen Augen in die Umgebung .
Niemals haben zwei sich so gewundert , als Jörn Uhl und Spitz .
Daß so etwas möglich war !
Sie nahmen das kleine Ding gleich in die Mitte und gingen mit ihm auf den Weg , wo in den Wagenspuren schönes , lehmiges Wasser war , und fingen an , Gräben zu ziehen und Deiche zu bauen .
Von der Zeit an verlor Spitz an Bedeutung .
Jörn spielte nun den ganzen Tag mit dem kleinen Mädchen .
Der Hund war immer weniger Kamerad ; er wurde immer mehr nur Spielzeug .
Das kleine Mädchen lernte die Umgebung rascher kennen als derzeit der Junge .
Der Junge hatte Spitz zum Führer gehabt , einen unsicheren , unzuverlässigen Führer ; aber das kleine Mädchen hatte den Bruder zum Führer .
Der wußte und konnte alles .
Der führte sie durch das ganze Haus und nach dem Backhaus und nach der Scheune und über den Steg nach der Weide , wo die Kälber liefen .
Und eines Tages sagte er :
" Komme , wir wollen nach Ringelshören hinauf . "
Er nahm sie an die Hand ; Spitz lief bellend voraus .
So gingen sie den Fahrweg hinauf , bis das alte Land vor ihnen aufstieg .
" So , nun man zu ! "
Mühsam steigen sie hinauf .
Es geht schwer und steil aufwärts durch die Heide .
Sie müssen unterwegs Rast machen .
Da kommt Jörn auf den Einfall , dem Spitz , der doch immer voranläuft , das Segelgarn ans Halsband zu binden , das er in der Tasche trug .
Der soll sie hinaufziehen .
So geht es höher , immer höher .
Nun ein Sandloch , nun wieder Heide , nun hoher Ginster , an dem sie sich halten können .
Da ruhen sie ein wenig .
Endlich sind sie oben und wollen die Hände heben und Juhu rufen .
Da packt sie der Ostwind , von dem sie unten nichts gemerkt haben .
Hier oben auf der Heide hat er frei Feld .
Er fährt dem kleinen Mädchen in die Haare und in den Rock , und stößt sie an und wirft sie um .
Jörn springt zu , um sie wieder auf die Füße zu stellen , aber Spitz versteht das alles ganz falsch .
Er ist zu dumm .
Er meint , sie wollen wieder hinunterklettern , und springt den Abhang hinunter .
Da verwickelt Jörn sich in das Tau , und die drei kollern , Spateln und purzeln den Abhang hinunter , bis sie im nächsten Sandloch bei einander liegen .
Und oben steht mit seinen dicken Backen der Ostwind und beugt sich über den Rand und lacht .
" So ! " sagt Jörn , nachdem sie eine Weile geheult haben .
" Das ist gut abgelaufen . "
Sie steigen wieder hinaus .
Aber der Hund will nicht mit .
Er wird gelockt ; er wird mit schweren Worten an seiner Ehre angefaßt ; es wird ihm eine Zeit des Hungers drohend vor die Seele gestellt ; er wird mit Sand und Erdbulten beworfen .
Er versteht das alles , denn er wedelt und zittert und bellt jämmerlich um Entschuldigung .
Aber er hat nicht den Mut .
" Laß ihn , Elsbe , er ist 'n Bangbüx . "
Sie setzen sich oben in den kalten Wind in die Heide , und sehen eine Weile still in die weite , ebene Marsch hinab und auf die Gebäude der Uhl zu ihren Füßen .
" Du , " sagt die Kleine , " warum haben wir keine Mutter ?
Alle haben Mütter , bloß wir nicht . . . Du , Jörn , was tut die Mutter ? "
" Was meinst du ? "
" Ja . . . ich meine mit den Kindern ? "
" Sie tut so , so . . . immer so hin und her , auf den Armen , und dann sagt sie :
» Miene lüttje Witte !
Miene lüttje Popp , « und so was .
Ich habe es gestern noch gesehen , als ich Hinnerks Stiefel vom Schuster holte . "
" Eine Mutter muß überhaupt nicht tot bleiben , " sagte Elsbe .
" Tut sie auch nicht .
Bloß , wenn sie nicht aufpassen . "
" Wer hat denn nicht aufgepaßt ? "
" Vater nicht !
Und die anderen auch nicht !
Es sind ganz viele Leute im Hause gewesen , und haben gegessen und bloß ans Essen gedacht . "
" Vater auch ? "
" Ja . "
" Weißt du das gewiß , Jörn ? "
" Ja , Fiete Krey hat es mir gesagt . "
Elsbe stößt mit dem Fuß auf die Erde und ist so eifrig , daß sie nicht über die erste Silbe hinwegkommen kann : " W . . . weißt du das so gewiß ?
So furchtbar gewiß als ich hier stehe ? "
" Ja . "
" Warum hat er denn nicht aufgepaßt ? "
Jörn springt ein wenig hinunter in die Heide und sagt ganz laut mit abgewandtem Gesicht :
" Weil er besoffen gewesen ist . "
Sie wissen beide noch nicht ganz , was das Wort im Munde führt .
Aber sie haben oft im Hause von den Brüdern Worte gehört , wie :
" Der besoffene Lümmel , " oder :
" Du warst gestern auch besoffen . "
Sie fühlen , daß es etwas Schreckliches ist , und reden nicht weiter , und Jörn sagt : " Du . . . weißt du was ?
Wenn Wieten heute abend zu uns in die Stube kommt , dann wollen wir beide mit einem Mal sagen : Mutter Clog . "
" Ja ! . . . Und wenn Fiete Krey kommt , sagen wir : Vater Krey . "
Nun steigen sie lachend den Abhang hinunter , von buhlt zu buhlt , am Heidekraut sich haltend . * * * Als sie älter werden , beginnt abends ein neues Leben für sie : Sie dürfen nach dem Abendbrot noch zwei Stunden aufbleiben .
Dann sitzen sie in Wieten Stube , um den viereckigen Tisch .
Und alle vier Seiten des Tisches sind besetzt : an der einen sitzt Wieten , an der anderen sitzt Jörn , an der dritten sitzt Elsbe .
Und an der vierten Seite , zwischen Jörn und Elsbe , sitzt Fiete Krey .
Tagsüber kann Fiete Krey nicht kommen .
Dann muß er mit dem Hundefuhrwerk unterwegs weithin in die Marschdörfer , und muß Bürsten und Heidebesen , Striegel und Leuwagen verkaufen .
Und zuweilen geht er in die Schule .
Aber abends kommt er .
Er kommt an jedem Abend .
Er ist im Winter ein wenig verfroren und im Sommer ein wenig müde ; aber er ist immer guter Dinge .
Besonders im Winter ist es gemütlich .
Es fängt immer in derselben Weise an .
Wieten legt einen ganzen Haufen Strümpfe und Knäuel und Flickwerk auf den Tisch , setzt die Lampe in die Mitte und schiebt das Flickwerk zur Seite .
Und dann liegt ein großes Stück Brot , mit derbem Speck belegt , vor Fiete Krey .
Er greift danach .
Niemals hat Jörn Uhl diesen raschen , starken Griff vergessen und die magere , verfrorene Knabenhand , die nicht immer ganz sauber war .
Einer der Brüder kommt herein , Hans oder gar August :
" Fiete , du sollst mit uns Karten spielen . Uns fehlt der vierte Mann . "
Aber Jörn und Elsbe schreien :
" Nein , nein ! " und halten ihn fest .
Dann tritt Hans wohl an den Tisch und sagt drohend :
" Wenn du nicht mitkommst , sage ich zu Vater , daß du hier jeden Abend satt gefüttert wirst .
Du gehörst überhaupt in die Leutestube . "
Aber da sieht Wieten den langen , dummen , unfertigen Jungen über die Brille weg scharf an und deutet nach der Türe :
" Scher dich !
Hier ist mein Reich .
Und wenn du noch einmal wiederkommst , sage ich deinem Vater , daß du junger Lapp in der vorigen Nacht unterwegs gewesen bist , du Nichtsnutz .
Du wirst noch der Schlimmste von allen drei . "
Und zuweilen hebt sie noch drohend die Hand und sagt : " Ich weiß es , du und deine Brüder :
ihr müßt euch noch ' Mal euer Brot auf den Stoppeln suchen . "
Dann lacht er und schilt und geht davon .
Und nun haben sie Frieden .
" Und nun soll Fiete erzählen , was er erlebt hat , " sagte Jörn .
" Nein , " sagt die Kleine wichtig , " erst soll Wieten erzählen , und dann will ich erzählen , und dann soll Fiete erzählen . "
" Na , denn man los ! "
Wieten wühlt in dem Flickhaufen , greift nach diesem und jenem Knäuel und zieht die Fäden über das Loch , das im Strumpfe klafft , und erzählt morgen jene Geschichte und heute diese :
" Als ich in Schenefeld war , da erzählte die Frau :
Da wäre ' Mal ein Bauer gewesen , der hat mit dem Teufel zusammen einen Krug Land geheuert auf zwei Jahre .
Da sagte der Teufel zu dem Bauern :
» Du sollst das Land bestellen .
Wir wollen aber darum würfeln , wer das haben soll , was über der Erde wächst , und wer das haben soll , was unter der Erde wächst . «
Na , das ging denn ja los .
Und der Teufel hatte natürlich die meisten Augen und sollte nun alles haben , was oben wuchs .
Da ging der Bauer hin und bestellte das Feld mit lauter Runkelrüben .
Und als der Herbst da war , bekam der Teufel die Blätter .
Na , . . . im nächsten Jahre würfeln sie denn ja wieder .
Und der Teufel wirft nun ja natürlich die wenigsten Augen , und soll ja denn nun alles haben , was unter der Erde ist .
Da ging der Bauer hin und bestellte das Feld mit lauter Weizen .
Und als der Herbst da war , bekam der Teufel die Wurzeln .
Nun schimpfte er denn ja natürlich dem Bauern die Haut voll .
Und zuletzt sagte er :
» Morgen komme ich wieder .
Dann sollst du dich mit mir kratzen . «
Da wurde der Bauer denn ja bange .
Aber seine Frau merkte , daß er immer mit der Hand hinterm Ohr saß und traurig war .
Da fragte sie ihn :
» Was ist dir in den Nacken geflogen ? «
Da sagte er ihr :
» So und so .
Und morgen soll ich mich mit dem Teufel kratzen . «
Da sagte die Frau :
» Sei man ganz ruhig .
Ich will schon mit ihm fertig werden . «
Also , was zu tun ?
. . . Sie setzt sich hin und wartet und tut , als wenn sie giftig ist .
Richtig kommt der Teufel und sagt : » Was fehlt Ihr denn , kleine Frau ? «
» Ach , « sagte sie , » sieh doch bloß ' Mal diesen großen Riß in meinem schönen Eichentisch !
Mein Mann sagt :
Er soll sich mit einem anderen Mann kratzen .
Da hat er zur Probe mit dem Nagel von seinem kleinen Finger diesen großen Riß gerissen . «
Der Teufel sah nach der Tür und sagte :
» Wo ist er denn jetzt hin ? «
» Wo soll er sein ?
« sagte die Frau .
» Er ist nach dem Schmied gegangen und läßt sich die Nägel schärfen . «
Da ging der Teufel sachte nach der Tür und machte , daß er fortkam . "
Fiete Krey und die kleine Elsbe saßen still , unbewegliche Augen auf Wieten gerichtet ; Jörn hörte nicht mehr .
Er versuchte , zwei Wollknäuel aufeinander zu stellen , und versuchte es immer wieder , und atmete hoch auf , als es ihm gelungen war .
" Wenn er gekommen wäre , " sagte Elsbe , " hätte der Bauer ihn tüchtig gekratzt .
So ! "
Und sie fuhr mit gekrümmtem Finger über den Tisch und machte ein grimmiges Gesicht dazu .
" Mit dem Teufel ist das nichts , " sagte Fiete Krey , " aber die Unterirdischen , das sind gute und freundliche Leute .
Die haben schon manchen Menschen reich gemacht ; aber merkwürdig ist , daß ich noch niemals einen von ihnen gesehen habe .
Nicht einen einzigen .
Ich bin doch manchmal mit meinen Hunden ganz allein durch die Heese gekommen und am Wodansberg vorbei .
Und manchmal habe ich den Wagen auf dem Wege stehen lassen und bin in den Wald geschlichen ; aber ich habe nichts gesehen . "
" Im Wodansberg wohnen sie , " sagte Elsbe .
" Ich glaube es nicht , " sagte Jörn .
" Du glaubst gar nichts ! " sagte Wieten .
" Einmal , " sagte Fiete Krey , " war es so heiß .
Da ließ ich die Hunde mit dem Wagen im Schatten stehen , nicht weit vom Wodansberg , wo der Weg nach dem Tunkmoor umbiegt .
Ich ging ein bißchen in den Wald hinein und legte mich auf das trockene Laub , nicht weit von einem großen Haselbusch , und bin ja wohl eingeschlafen .
Ich wurde davon wach , daß es in dem Laube raschelte .
Und als ich die Augen so eben aufmachte , schien mir , daß drei oder vier kleine Leute , bißchen größer als Eichhörnchen , in den Haselbusch hineinliefen .
Gleich danach rief es aus dem Busche , als wenn sie sagten : » Schlafmütze « .
Ich sah mich um , und wühlte das ganze Laub auf ; aber da lag weder Gold noch Geld . "
Wieten sah den Erzähler bedenklich an .
Die Erzählungen Fiete Kreis sind ihr immer ein Gegenstand der Sorge .
Er ist immer gleich so praktisch wie alle Kreyn .
Er begnügt sich nicht damit , daß der und der Teufel überteufelt oder daß der und der , früher 'mal , von den verborgenen Schätzen bekam , sondern er , Fiete Krey , wartet darauf , daß er auf diesem Wege Geld bekommt .
Er liegt hinter jedem Busch , und lauert hinter jedem Stamme , und wartet auf das Erscheinen des blanken Goldes .
Jörn sieht von seinem Spiele zweifelnd auf und sagt bedenklich :
" Es sind gewiß Eichhörnchen gewesen ; und was du gehört hast , das sind Mäuse gewesen :
die haben gepiept . "
Fiete Krey schüttelt verächtlich den Kopf .
" Wenn man bloß wüßte , " sagte er , " wie man an sie herankommen könnte . "
" Die Frau in Schenefeld , " sagte Wieten , " bei der ich diente , als ich jung war , die sagte , daß sie alle miteinander ausgewandert sind , mit Pack und Sack , mit Frau und Kindern . "
" So ? " sagte Fiete .
" Wohin denn ? "
" Ja , genau kann ich das nicht sagen .
Ich glaube , sie sind ins Vaalermoor und in die Gegend der Willestermarsch gezogen ; vielleicht gar über die Elbe .
Aber Theodor Storm : der behauptete immer , sie wären nach Dithmarschen gekommen . "
" Theodor Storm : sagst du immer ?
Wer war denn das ? "
" Wer es war ?
Er sagte , er wäre ein Student .
Er kam damals öfter in die Gegend von Schenefeld .
Er und ein gewisser Müllenhoff .
Sie stahlen dem lieben Gott die Zeit , lagen in den Dörfern umher und hörten am liebsten solche alte Geschichten .
Und besonders auf mich hatten sie es abgesehen , weil sie wußten , daß meine Frau viele Geschichten kannte .
Die aber wollte ihnen nichts erzählen .
Da kamen sie zu mir .
Jeden Abend , wenn ich nach der Rethkoppel ging und die Kühe molk , standen sie schon da und wollten Geschichten hören .
Dabei tranken sie mir einen halben Eimer Milch aus . "
" Was sagten die denn ? "
" Ich habe es dir ja schon gesagt .
Sie meinten , sie wußten alles besser .
Jeden Spruch kannte der Storm anders ; und jede Geschichte erzählte er anders .
Er sagte , er wollte von diesen Geschichten ein Buch schreiben .
Ich habe ihn mehr als einmal einen dummen Jungen genannt und da stehen lassen , wo er stand , und bin mit meinen Milcheimern davongegangen . "
Fiete Krey sah sie mit zusammengekniffenen Augen an :
" Was meinte der denn , wo die Unterirdischen geblieben sind ? "
" Was der meinte ?
Was geht mich das an ?
Ich gebe gar nichts darauf .
Meine Frau in Schenefeld erzählte so :
» Der Fuhrmann an der Hohner Fähre wird eines Nachts herausgerufen , und als er hinausgeht , sieht er keinen einzigen Menschen und meint , er hat geträumt , und geht wieder zu Bette .
Da aber wird Erde oder Sand gegen das Fenster geworfen , und er steht wieder auf und geht hinaus .
Da grimmelt und wimmelt es vor seinem Hause , bis an das Wasser hin , von lauter kleinen , grauen Leuten .
Und einer mit einem langen Bart , der sagt zum Fährmann , er solle sie über die Eider setzen , sie könnten den Kirchengesang und das Glockengeläute nicht länger ertragen ; sie wollten nach der Marsch auswandern :
da waren damals noch keine Kirchen .
Der Fährmann machte die Fähre los , und nun kamen sie alle in den Prahm hinein , Männer und Frauen und Kinder , mit Betten und Kochgeschirren , und mit Silber- und Goldgerät , alles dicht aneinander gedrängt , daß der Prahm ganz voll ist .
Und so geht es die ganze Nacht hindurch , hin und her , Prahm nach Prahm , und immer war die Fähre gleich voll .
Als sie dann endlich alle hinüber sind , und er wieder zurückgefahren ist , da ist auf der anderen Seite das ganze Feld voll von vielen Lichtern .
Sie hatten alle kleine Laternen angesteckt , und so zogen sie weiter nach Westen zu .
Als aber der Fährmann am Morgen nach der Fähre hinuntergeht , liegen auf dem Steinrand viele tausend kleine Goldpfennige .
Da hat jeder von den Unterirdischen seinen Fährlohn hingelegt . «
Storm sagte damals , sie hätten ans Fenster geklopft ; ich aber sagte , sie haben Sand dagegen geworfen .
Darüber haben wir uns gestritten .
Ich ließ ihn schließlich stehen , wo er stand , und kümmerte mich nicht um sein Nachrufen . "
" Was rief er denn , Wieten ? " fragte Elsbe .
" Er wollte mich ärgern und rief immer : » Drehe dich nicht so !
Drehe dich nicht so ! «
Aber wenn man eine Milchtracht hat von zwei großen , vollen Eimern , und Tracht und Eimer mit Messing beschlagen , dann soll man wohl einen schweren Schritt bekommen . "
" Wo ist dieser Storm jetzt ? " fragte Fiete .
" Wo mag der sein ?
Ich glaube , er sagte , er wolle Landvogt werden .
Der und Landvogt !
Aus dem ist nie was geworden . "
" Hat er das Buch auch nicht geschrieben ? "
" Der ?
Der war so faul , daß er einmal einen ganzen Nachmittag lang auf der Wiese lag , so lang er war , von einer Milchzeit bis zur anderen .
Er sagte , er täte es um den Wald , der sähe so fein aus im ersten Laube .
Der hat sicher kein Buch geschrieben und ist auch nicht Landvogt geworden . "
" Jörn hört gar nicht zu ! " sagte klein Elsbe , und stieß ihn an .
" Höre doch zu , Jörn ! "
" Sieh ' Mal ! " sagte Jörn .
Er hatte aus drei Scheren und aus Wieten Brillenfutteral eine Brücke vom Nähkorbe hinab zum Tische gebaut und drückte mit der Hand darauf und zeigte , wie stark sie war , und sah mit Stolz auf die anderen .
" Du , Wieten , was sagte Storm von unserem Goldsoot ?
Sagte er ebenso wie du , oder sagte er anders ? "
" Ich merke schon , " sagte sie , und sah Fiete Krey scharf an :
" Du glaubst dem Storm mehr als mir .
Du mußt immer was Neues haben . . . Von dem Goldsoot . . . von dem wußte ich damals noch gar nichts .
Von dem habe ich erst gehört , als ich hierher kam und ihn hier gesehen habe . "
Fiete Krey stützte den Kopf in die Hand und sah gerade auf Wieten .
Seine runden Knabenaugen , die sonst so keck und frech in die Welt blickten , sahen schwer grübelnd darein .
Der Goldsoot lag nicht weit vom Dorfe in einer Mulde am Rand der Geest .
Es war seine große , geheime Hoffnung .
" Du , Wieten , erzähle es noch einmal ! "
" Willst du mir glauben oder dem langen Husumer ? "
" Dir ! " sagte Fiete Krey und schlug mit der Faust auf den Tisch .
" Na , denn höre zu !
Das ist so gewesen . . . Es soll hier in der Gegend ein schwerreicher Mann gelebt haben , der ist ohne Kinder gestorben .
Vorher aber ist er in einer dunklen Nacht nach der Mulde am Geestabhang gegangen und hat all sein Geld in den Quellbrunnen geworfen .
Nun sagen sie :
Wenn man mit einem Stocke hineinstößt , klingt es hohl , und einige sagen : Wenn man in den Grund der Quelle hinabsieht , kann man zuweilen einen kleinen , grauen Mann da sitzen sehen , der hat einen dreieckigen Hut auf .
So ist es . . . Und einmal , da haben sich drei Männer in der Nacht aufgemacht , haben stillschweigend die Quelle aufgegraben und sind auf einen großen Braukessel gestoßen .
Da legten sie einen Windelbaum quer über das Loch , und legten Stränge um die Ohren des Kessels und wollten ihn gerade hinaufziehen .
Da kam ein ungeheures Fuder Heu , mit sechs grauen Mäusen bespannt , von der Marsch herauf , sauste an ihnen vorbei und raste nach Ringelshören hinauf .
Sie bissen die Zähne aber zusammen und schwiegen still .
Sie zogen an und hatten den Kessel schon bis fast an den Rand hinaufgezogen : da kam ein grauer Mann auf einem alten Schimmel von der Marsch herauf , an ihnen vorüber und bot ihnen einen guten Abend .
Na . . . sie behielten die Besinnung und antworteten keinen Ton .
Da hielt der Mann mit dem Schimmel an und fragte , ob er wohl dem Fuder Heu noch nachkommen könnte ?
Da wurde der eine von den drei giftig und sagte : » Den Deubel !
Du Schrackel ? «
Im selben Augenblick brach der Windelbaum ; der Kessel stürzte wieder in die Tiefe , und der graue Mann war verschwunden . "
" Aber neulich , " sagte Elsbe , " hat Fiete von der Hexe Gold bekommen .
Weiß du wohl , von der Hexe , die in den Hooper Tannen wohnt ! "
Sie nestelte an ihrem Kleide und brachte eine blanke Münze hervor und legte sie vor sich auf den Tisch .
Fiete Krey sah mit starrem Blick auf die Münze ; dann sah er , wie gezwungen , wie ein Verbrecher , der an der Schulter herangeschleppt wird , in Wieten Augen .
Die hob die Hand und sagte :
" Wenn du Dummheiten machst , haue ich dir die Strümpfe um die Ohren ; und mit dem Butterbrot ist es ein für allemal aus und vorbei . "
Er sah vor sich auf den Tisch und war einen Augenblick bedrückt und still .
Dann fing er an , Elsbe den Inhalt seiner Tasche zu zeigen .
Und dann mußte er seine Kunststücke machen .
Jörn schob sein ganzes Spielzeug , Bindfaden , Scheren und Holzstücke weg und sagte : " Man zu , Fiete ! "
" Kunststück ! " sagte Fiete Krey .
Und während seine flinken Hände unterm Tische arbeiteten , flogen zwei bunte Kiesel , die er unterwegs in der Sandkuhle gefunden hatte , über die Ecke des Tisches hin und her .
" Noch eins . "
" Kunststück ! " sagte Fiete Krey .
Er zeigte seine leeren Hände und steckte sie wieder unter den Tisch , und gleich darauf glitt ein graues Tierlein mit langem Schwanz , husch , husch über die Tischecke auf Elsbe zu , daß das kleine Ding sich mit erschrockenem Gesicht zurückbog .
Als es aber zum zweitenmal vorüberhuschte , griff Jörn danach und hielt es lachend hoch und sagte : " Das ist ja Elsbes altes Taschentuch ! "
" So , " sagte Wieten , " nun haben wir für diesen Abend Kunststücke genug gesehen .
Nun müßt ihr zu Bett . "
Da gingen die drei ohne Widerrede in die Ecke , wo das Bett stand , und die beiden fingen an , sich zu entkleiden , und Fiete mußte der Kleinen die Bänder des Rumpfes aufmachen und die Strümpfe ausziehen .
Dabei mußte er erzählen , was er an diesem Tage auf seinen Fahrten erlebt hatte : ob der große Hund auf der Hofstelle gewesen wäre , ob er auf irgend einem Hofe Mittagessen bekommen hätte , ob die Jungen in den Marschdörfern seine Hunde gereizt und ihn selbst mit Steinen geworfen hätten .
Er erzählte mit verhaltener Stimme , daß die Jungen da unten in der Marsch ihn wieder nicht in Ruhe gelassen hätten .
" Konntest du dich wehren ? " sagte Elsbe .
" Nein . . . Sie kamen gerade aus der Schule und standen mit einem Male rund um meinen Wagen . "
" Waren es Ulen ? " fragte Jörn .
" Natürlich , lauter Ulen .
Von Dickhussen , von Neudeich und da herum . "
" Konntest nicht auskneifen ? " fragte Elsbe .
" Die Leine hatte sich tütert .
Darum konnten die Hunde nicht laufen . "
" Was tatest du ?
Haben sie dich geschlagen ? "
" Sie wagten sich nicht recht an mich heran , weil meine Hunde auf dem Sprunge standen .
Ich sage euch , die hätten zugebissen , wenn sie mich angerührt hätten .
Aber es war doch eine schlimme Sache für mich : die Steine flogen mir man so um den Kopf . "
" Junge !
Junge ! " sagte Elsbe .
" Was tatst du nun . "
" Ich besann mich rasch und sagte : » Jungen , « sagte ich , » kennt ihr die Geschichte von den Ulen und Kreihen ? «
» Nee « , sagten sie .
Da sagte ich : » Ja , seht .
Da waren ' Mal vier Kreihen , die saßen auf einer Esche bei einem alten Bauernhause .
Das dauerte nicht lange , da sah die Eule , die da wohnte , aus ihrer Türe im Giebel und sagte : » Guten Tag ! «
» Guten Tag , « sagten die Kreihen .
» Habt ihr Zeit , « sagte die Uhl .
» Denn könnt ihr euch einen Groschen verdienen . «
» Gern , « sagten die vier ; denn es lag ein alter , dicker Schnee über dem ganzen Lande , und da war wenig zu verdienen .
» Was mein Compagnon ist , « sagte die Uhl , » der alte Tohms Gehl : der ist gestorben .
Nun dachte ich , ihr solltet ihn zu Grabe tragen .
Als mein alter Freund noch lebte , hat er manchmal zu mir gesagt : » Jan Uhl , « sagte er , » laß mich anständig begraben !
Anständig gelebt , anständig zur Erde , « sagte er , denn er war ein gebildeter Mann .
» Nun seht :
ihr vier habt gute , schwarze Röcke an und seid ehrbare Leute . «
» Denn man zu !
« sagten die Kreihen und krochen hinter ihm her ins Uhlenloch .
Nun war es halb dunkel auf dem Boden .
Und das Strohdach war niedrig .
Sie konnten aber den alten Tohms Gehl doch bald liegen sehen : er lag im Heu und streckte alle Vier von sich und rippte und rührte sich nicht .
Die Uhl stellte sich zu seinen Häupten , und die Kreihen hüpften heran , schräg , als hüpften sie vorm Winde im jungen Weizen .
» Manche Maus haben wir hier auf diesem Boden zusammen gefangen , Tohms Gehl , das weißt du , « sagte die Uhl .
» Immer sind wir gute Freunde gewesen , und manchen Jux haben wir miteinander gehabt .
Nun ist das alles aus und vorbei .
Junge !
Junge !
Tohms Gehl !
Was würdest du dich freuen , und was würdest du in die Höhe springen , wenn du noch lebtest , und ich zu dir sagte : » Tohms , vier dumme , schwarze Kreihen stehen rund um dich . . . «
Da sprang der Kater auf , und es gab eine tolle Kreihenjagd .
De erst kunn nicht mehr sehen , De tuet verlor en Been , De dritt de harr ein tweien Rock , De verte flog uut Uhlenlock .
» Und das bin ich ! « sagte ich .
Ich hatte das Tau in Ordnung gebracht , sprang auf den Wagen , und weg war ich . "
" So , " sagte Wieten , " nun gehe nach Hause , Fiete . "
Da schlich sich Fiete Krey aus der Küchentüre über den Weg unter seines Vaters niedriges Strohdach .
Dann geht auch Wieten Penn schlafen .
Gegen Mitternacht oder drüber hinaus kommen der Vater und die großen Brüder aus wüssten Gesellschaften nach Hause .
Dann schlafen die Kinder schon lange in Frieden .
Drittes Kapitel Wenn Lehrer Peters über die hundert Kinder von Sankt Mariendonn hinsah , die seiner Pflege anvertraut waren , und in zwei Bankreihen , die Knaben zur Rechten , die Mädchen zur Linken , zu seinen Füßen saßen , wenn es dann im Winter so um drei Uhr ein wenig schummerig wurde : dann konnte Lehrer Peters deutlich sehen , daß auf dem Donn zwei Sorten Menschen wohnhaft waren .
Das Strohdach hing als müde , schwere Augenwimper über die Fenster herab ; das Tageslicht fiel sehr schräge und sehr gering herein :
in diesem stillschrägen Dämmerschein sah man unter den Kindern verstreut viele runde , rote Köpfe , so brandrot das Haar , mit so starken roten Sommersprossen , daß sie Licht ausstrahlten .
Und heller noch wirkt das Leuchten , und bunter noch wird der Schein , wenn sie die klugen und flinken Augen , unstet oft und verschlagen , hin und her spielen lassen , wie junge Katzen in der Sonne springen .
Das sind die Kreien und ihre Anverwandten .
Man sah aber zweitens zwischen den Rot- und Rundköpfen verstreut , nicht so zahlreich wie sie , unter Knaben und Mädchen schmale , hellblonde Gesichter , das Haar so blond wie Roggen kurz vor der Ernte , Gesichter von starken , oft edlen Formen mit ruhigen , stolzen , klaren Augen .
Wenn einer von diesen Hellen aus der Bank tritt , zeigt sich eine schmale , sehnige Kindergestalt .
Das sind die Ulen und ihre Sippe .
Der Pastor Petrus Momme Lobedanz , der vor etwa einhundertundfünfzig Jahren in Sankt Mariendonn im Amte stand , hat sich schon über diese Sache gewundert .
Er hat auf die letzten Blätter des Taufbuchs , das er mit Namen gefüllt hat , folgende Gedanken und Ansichten niedergeschrieben :
" Die kleinen Dörfer , welche an den Abhängen der Geest gebaut sind , werden meist Donn genannt .
Um sie zu unterscheiden , werden einige von diesen Dörfern nach den großen , reichen Marschdörfern genannt , welche vor ihnen liegen , andere , die schon länger vorhanden sind und eine eigene Kirche haben , nach katholischen Heiligen .
Also heißt dieses Dorf Sankt Mariendonn .
" Während rechts und links vom Dorfe die Düne steil und unversehrt , mit Heide und Eichenkratt bewachsen , aufragt , ist die Düne da , wo das Dorf steht , heruntergewühlt .
Wie spielende Kinder einen Sandberg aufeinanderwühlen , bis es kein Berg mehr ist , sondern nur noch eine breite Wölbung :
so haben die Kreien im Laufe der Jahrhunderte diesen ungeheuren Sandberg heruntergewühlt und heruntergewohnt :
denn sie sind ein unruhig Geschlecht .
" Da nämlich das Land , auf dem sie wohnen , also leicht und sandig ist , daß ihnen in trockener Zeit zuweilen der ganze Garten gleich wehendem Schnee gegen die Hausmauer fliegt , und sie also davon keine Nahrung gewinnen können , und weil sie zu ständigem Tagelöhnern nicht viel Gelegenheit und noch weniger Stetigkeit haben , so wandern sie als Handelsleute in die Umgegend .
" An jedem Montagmorgen , wenn die Sonne aufgeht , stehe ich auf Ringelshören und sehe nach Sankt Mariendonn , und sehe den Ausflug der Kreien .
Die einen wandern mit Packen und Körben auf den Schultern nach den Geestdörfern hinauf ; den Rücken gebeugt , stecken sie den großen Stock , auf den sie sich stützen , vor sich in den Sand .
Die anderen ziehen mit Hundefuhrwerk in die Marschdörfer hinunter .
Die Reichsten unter ihnen spannen ein rauhhaarig , steifes Pferdlein vor einen klapperigen Wagen .
Gegen Ende der Woche fliegen sie wieder zu Neste und haben immer ausverkauft , und haben meist etwas dazu erhandelt .
Der eine , der mit Kurzwaren auszog , brachte ein hinkendes Pferd mit ; der andere , dessen Wagen von Bürstenhaaren starrte , kam mit einer Ladung langer Korbweiden wieder ; der dritte , der zum Krabbenfang nach dem Watt hinunterfuhr , hatte in dem Marschdorf , durch das er kam , eine alte Truhe erstanden .
" Es sind wackere Leute :
ich lasse nichts auf sie kommen .
Ich war mit manchem von ihnen befreundet und bin es mit einigen noch .
Ich lasse nichts auf sie kommen ; denn ich habe selbst von meiner Großmutter her , welche eine Nuttelmann war , Kreische Blut .
" Man sagt allerdings von ihnen , daß sie draußen auf ihren Handelswegen nicht so ehrbare und gottesfürchtige Leute sind , wie Sonntags im Hause .
Hier nämlich , in ihrem Dorfe , sind sie ehrliche , nüchterne Menschen , ja sie pochen auf ihre Gottesfurcht und ihren fleißigen Kirchgang , und rühmen mir gegenüber ihren regen Sinn für Gottes Wort .
Ich aber bin ein schwacher Mann und mag dem Prahler nicht in die blanken , klugen Augen hineinsagen : Weißt du wohl , daß die ganze Gegend sagt : » Ehrlich wie ein Krey am Sonntag ? «
" Die Leute in der Umgegend sagen , daß noch nie ein Donner Krey für sein Pferd Heu und Hafer gekauft hätte :
sie grasen ihre Tiere an einsamen Stellen an den Wegen und auf den Weiden , während sie unterm Dach des Wagens Mittagsschlaf halten .
Und wenn ein Krey vor Gericht muß , so ist es immer auswärtig Gericht , und er ist immer der Angeklagte , nie der Kläger .
Wenn aber der Angeklagte zu mir kommt , um den Taufschein zu holen , den er vor Gericht als Legitimation vorzeigen muß , und ich ihn frage , was das für eine Sache ist , weswegen er verklagt ist , so ist es immer Bosheit oder Mißverständnis des Klägers .
Und wenn der Verklagte vom Gericht nicht wieder heimkommt , sondern einige Wochen verschwunden bleibt , als hätte ihn die Erde verschluckt , und ich die Frau an der Kirchtür frage : » Antj ' Katrien , wo ist dein Mann ? «
Dann schlägt sie hell die Augen auf und sagt :
» Der ist nach Hamburg , Herr Pastor !
Er macht Einkäufe . «
Dann bin ich wieder schwach und wage nichts zu sagen .
In der Marsch aber sagt man spottend , wenn ein Mensch im Gefängnis sitzt :
» Er ist nach Hamburg und macht Einkäufe . «
" Das alles liegt mir sehr auf dem Herzen , et animi semper aeger sum .
Es ist mir aber um so unangenehmer , weil in der Marsch das Gerede geht , ich hätte mich verpflichtet , den Kreien nie zu sagen , daß sie unehrliche Leute seien .
Dafür bekäme ich von allem , was sie von ihren Handelswegen mitbrächten , den zehnten Teil .
Und geht also das Wort :
» Das überschlagen wir , sagte der Pastor von Sankt Marie , als der Junge in der Schule das siebente Gebot aufsagen wollte . «
" Woher kommt nun solche animi rectio und Sinnesart ?
Hier in der Umgegend sagen sie , es komme daher , daß die Kreien Zigeunerblut in sich haben .
Der Vorfahr soll ein starker , verwegener Mensch gewesen sein und ein großer Prahler , und soll sich mit einem Zigeunermädchen eingelassen haben , deren Truppe in einer Sandkuhle bei den Heesetannen am Rande der Wodansheide ihre Feuer angezündet hatte .
Er soll in der nachfolgenden Ehe - oder ob es keine Ehe gewesen ist - der Zigeunerlichen Gemahlin nicht gewachsen gewesen sein und ein bedrücktes und gejagtes Dasein gehabt haben .
Er hat mit ihr in einer Höhle wohnen müssen , da ihr das Wohnen in einem ordentlichen Hause zuwider gewesen ist .
Während sie Karten legend , handelnd und bettelnd durch die Marschdörfer gegangen ist , hat er Essen kochen , die Ziegen füttern und zur Winterfeuerung Heide mähen müssen .
Sie hat ihn nicht anders als » mein Handlamm « genannt ; also kirre ist er geworden .
Von diesem sonderlichen Paare , sagt man , stammen die Kreien .
" Ich behaupte aber : diese Darstellung ist die Torheit der Marschleute und der Ulen Geschrei ; denn die Ulen verachten die Kreien , so lange man denken kann .
" Ich halte viel mehr für wahrscheinlich , daß die Kreien von dem Volke der Wenden abstammen , welche früher große Heerzüge bis in unsere Gegend gemacht haben sollen .
Folgendes hat mich zu dieser Conklusio gebracht : erstens die runden , roten Köpfe und die schiefen Augen , welche sie fast alle haben , zweitens daß am westlichen Ende des Dorfes , nach der Wodansheide zu , unterhalb Ringelshören , drei Häuser abgesondert liegen , nämlich die Schule , der Stammhof der Ulen und die Kate von Simon Krey , welche zusammen den besonderen Namen Wentorf führen , welches man leichtlich auf Wendendorf zurückführen kann .
Endlich und drittens , daß bei Wentorf , neben Ringelshören , alte Erdwälle liegen , Reste von Befestigungen - mea opinione - in denen noch heute die Kinder der Ulen und Kreien gegeneinander ihre Kämpfe führen .
" Von den Ulen ist nicht viel zu sagen , als daß sie in der Marsch auf breiten Höfen sitzen , Haare haben so falb wie Roggenstroh , was bei den Weibern oft schön aussieht , und lange , starke und hochmütige Leute sind .
Noch neulich hat einer von ihnen auf dem Markt in Meldorf in einer Wirtschaft Streit bekommen und , als man zu ihm gesagt hatte : » Ja , du bist ein Uhl !
Du bist ein Uhl !
Du kannst ja tun , was du willst . «
Da hat er sich mitten in der Stube hingestellt und hat sich vor die Brust geschlagen und hat gesagt : » Ja , ich bin ein Uhl !
Und dafür danke ich Gott ! «
" Die Ulen verachten die Kreien und grüßen sie das ganze Jahr hindurch weder mit der Hand noch mit dem Hut .
Nur einmal in jedem Jahre , zur Fastnachtszeit , in der das ganze Land Betrübsame Narretei und schwerem Bechersturz verfällt , spannen die Ulen an , packen Speckseiten und Buttertöpfe ins Wagenstroh und kommen so mit oder ohne ihre Eheweiber nach Sankt Marie und schwelgen und hausen mit und unter den Kreien , gehen Arm in Arm von Haus zu Haus und nennen es : » Jurten « .
Acht Tage lang hallt Sankt Marie von Geschrei und Singen .
Dabei sind sie alle so freundlich miteinander und so gemütlich , daß es mir schwer wird , mich fernzuhalten , und ich einigemal um die Ecke gebogen und mich ein wenig mit verlustiert habe , in finibus pastoralibus .
Aber am siebenten oder achten Tage hebt eine furchtbare Prügelei an .
Auf Ringelshören ist der letzte Kampf ; von da fliegen die letzten Ulen in die Marsch hinunter .
Dann gehört den Kreien wieder der Sankt Mariendonn .
" Ich mag die Ulen nicht leiden .
Ich fürchte mich jedesmal , wenn einer von ihnen in das Pastorat kommt , und ich freue mich , daß nicht allzuviele davon zu meiner Gemeinde gehören .
Alle pastores , die in der Marsch hausen , klagen über sie .
Ich aber , quamquam saepe ab his collegis vexatus , freue mich , wenn ich am Sonntag von der Kanzel herab auf die roten Rundköpfe sehe , auf das Volk des Handels , vorwiegend mit Lumpen , Bürsten und Heidebesen , auf das Volk der Kreien . "
So weit das Taufbuch .
Von dem Charakter und der Urteilskraft des Pastors Petrus Momme Lobedanz ist heute nichts mehr bekannt . * * * Fritz Krey kam selten in die Schule .
Sein Vater , Jasper Krey , hatte immer eine Entschuldigung und Ausrede zur Hand .
Bald hieß es , er müsse den Jungen notwendig brauchen , bald hatte der Junge keine Stiefel .
So kam er fast nur im Winter in die Schule , wenn Wieten morgens , während es noch dunkel war , in das Kreische Haus hinüberlief und sagte : " Es liegt so viel Schnee , daß ich die Kinder nicht allein gehen lassen kann : Fiete muß heute mit ihnen gehen . "
Dann sprang Fiete gleich auf , zog seine geflickte Jacke an und fing an , am Ofen mit viel Stoßen und Trampeln die großen Stiefel anzuziehen .
Aber der Alte knurrte :
" Ich kann den Jungen heute durchaus nicht entbehren . "
" Nicht ? " sagte Wieten bissig .
" Ist es gerade heute so hilde ?
Dann muß ich ihn wohl wieder loseisen . "
Sie legte die drei Groschen auf den Tisch , die sie schon bereit gehalten hatte , wovon nach einem alten Kontrakt der Sohn einen bekam , der Vater zwei behielt , und ging mit dem Jungen nach der Uhl .
Dann gingen die Drei durch den Schnee ; Fritz Krey voran als Wegebahner .
Fast bei jedem Schritt kehrte er sich um .
Er kehrte sich so oft um , daß er auf dem ganzen Wege mehr rückwärts ging als vorwärts .
Soviel hatte er zu reden .
Nun waren sie alle da : hundert Kinder , und der alte Lehrer Peters stand hinterm Pult .
Es war gesungen und gebetet worden .
Und es sollte losgehen .
Da entstand am Ende der Knabenseite , wo viele Kreien einen dichten , rötlichen Schein gaben , eine Unruhe .
" Was ist da ? " fragte Lehrer Peters .
" Er hat sich verdreht . "
" Was hat er ? "
" Tönjes Krey von Süderdonn hat aus dem Fenster geguckt und kann den Kopf nicht wieder geradeaus kriegen . "
" Na nun ? "
Der Junge saß da , den Kopf ganz zur Seite gebogen und machte ein unglücklich Gesicht , sperrte den Mund auf , schloß ihn wieder und sperrte ihn wieder auf .
Es muß allerdings bemerkt werden , daß seine Mutter gestern abend von einem Jungen erzählt hatte , den sie in ihrer Jugend gekannt hatte : dem wäre zuweilen die Zunge aus dem Halse gefallen , wie einem trabenden Hunde im trockenen Ostwind , und er hätte sie nur so wieder an Ort und Stelle bringen können , daß er an seine Gurgel faßte und kräftig nach unten zog .
Dieser sonderbare Junge war natürlich ein Krey gewesen .
Lehrer Peters ist ein Mann , der nicht mit sich spaßen läßt ; er hat den Jungen gleich auf dem Kieker :
" Junge , " sagt er drohend , " drehe den Kopf um ! "
Der springt steil auf , starrt schräge nach dem Fenster und brüllt :
" Ich kann nicht !
Ich kann nicht ! "
Peters schüttelt den Kopf vor diesem neuen Kreienrätsel und sieht sich ratlos um .
Da sieht er , daß Fiete Krey , den er noch gar nicht gesehen hat , aufrecht in der Bank steht .
" Ich kann es ! " sagt er .
" Du , Fiete ?
Ja , mein Junge , denn gehe doch ' Mal hin . "
Fiete Krey kam aus der Bank .
Alle Augen sahen auf ihn .
Graubraun und geflickt , von englischem Leder , ist sein Anzug , und seine Hosenbeine stecken in den Schäften der schweren Transtiefel .
Er stellte sich vor seinen Vetter hin , als wollte er ihn feierlich anreden .
Aber plötzlich hob er die Hand und gab ihm eine harte Ohrfeige , daß der Kopf - er mochte wollen oder nicht - entsetzt umsprang und so beweglich wurde , daß der Inhaber desselben ihn in beide Hände nehmen konnte und laut heulte .
Mit ruhigen , schweren Schritten ging Fiete Krey an seinen Platz .
Fiete Krey war in den Wissenschaften der Schule kein Licht .
Was er auf seinen Handelswegen in Marsch und Geest an Lebenserfahrung sammelte , war grobdrahtige , realistische Ware und im Schulunterricht , welcher das Ideale pflegt , nicht zu gebrauchen .
Was er abends bei Wieten Clog hörte , war alte , bunte Volksweisheit , für welche Lehrer Peters , der ein praktischer Mann war und einiges Geld auf Zins hatte , kein Verständnis besaß .
Dazu kam noch , daß die Volksweisheit , die Fiete Krey überliefert wurde , in seiner Seele einen wildromantischen , indianerhaften Anstrich bekam , einen richtigen Kreien-Charakter .
Weil er aber alle seine praktischen Erfahrungen mit einem väterlichen Wohlwollen zu Gunsten der unterdrückten Gerechtigkeit und der gefährdeten Ordnung verwandte , so hatte er trotz löcherigen Wissens und schlechten Schulbesuchs bei allen Ansehen , bei Lehrer und Schülern .
Die Großen lagen schräg auf ihren Schiefertafeln , klapperten leise , flüsterten , rechneten und schrieben .
" Dritte Abteilung !
Wir wollen Sätze machen .
Wer macht den ersten Satz ? "
Ein kleiner Krey steht steil auf :
" In unserem Hause ist eine Kuh . "
" Alle nachsprechen ! "
Sie sagen es alle , mit hoher , getragener Stimme , die Silben getrennt .
Wer keine Kuh hat , sagt : " Keine Kuh . "
So ging es weiter .
Die Armut sagt : " Kein . "
Der Wohlstand sagt :
" Ein . "
Dabei merkte Jörn Uhl bald , daß er immer » ein « sagt , niemals » kein « .
Ja , als der Sohn von Peter Wiek , einer von den Ulen , den Satz machte :
" Wir haben keinen Hengst , " und alle ihn wiederholten , da konnte er , Jörn Uhl , ganz allein in der Schule - und die Schule war so groß - sagen , und er sagte es laut und kräftig :
" Wir haben einen Hengst . . . und einen Bullen . "
Mit dem Nachsatz klappte er allerdings nach ; es gab aber doch ein großes Aufsehen , zumal das kleine Mädchen von Lorenz Krey , der die vielen Kinder hat , gleich darauf den Satz machte :
" Wir haben kein Mehl im Kade . "
Darauf schlug Peters vor , daß andere Sätze gemacht würden .
" Wir haben in der biblischen Geschichte von König David gehört .
Wie heißt unser König ? "
Da stand die dusselige kleine Krey , die von Lorenz Krey-Süderdonn , wieder steil auf .
Sie schoß förmlich aus der Bank und sagte :
" Unser König heißt Klaus Uhl . "
Der Hengst hatte den Durchschlag gemacht .
Die Großen lachten , die Kleinen waren verdutzt .
Keiner hatte etwas dagegen .
Der Satz wurde in üblicher Weise von allen wiederholt .
Aber als Lehrer Peters sich abgewandt hatte und den Gang hinaufging , riefen die Kinder :
" Der Landvogt ist aufgestanden . "
Da stand Jörn Uhl da , aufrecht , mit einem zornigen Gesicht .
" Was willst du , Jürgen ? "
" Mein Vater ist kein König . "
" Du mußt das wissen , " sagte der Alte .
Als dann die Kinder hinausgingen , sah er , daß das dunkelköpfige , kleine Ding , die Elsbe Uhl , in der Bank sitzen blieb und den Kopf auf den Tisch gelegt hatte , und bitterlich schluchzte .
Er ging auf sie zu und fragte :
" Warum weinst du , Elsbe ? "
Sie sagte mit großer Mühe :
" Mein Vater ist doch ein König . "
Als er sich lächelnd von ihr abwandte , stand Jörn Uhl da mit einem bitterbösen Gesicht .
Er griff den Jungen in das starre , helle Haar und sagte :
" Warum sagst du denn , daß dein Vater kein König ist ? "
" Er kann manchmal nicht stehen . "
" Was sagst du ?
Er kann nicht stehen ? "
" Nein , weil er manchmal betrunken ist . "
Der Alte bis sich auf die Lippen und sah ihn mitleidig an .
" So !
Darum ist er kein König ?
Du , das darfst du den anderen Kindern nicht sagen .
Aber weißt du was ?
Sieh du zu , daß du immer fleißig und nüchtern bist . " * * * Das jährliche Kinderfest war ein großer Tag , viel größer als Weihnachten .
Die Ulen , die zum Kirchspiel gehörten , mochten gar zu gern Feste feiern , und die Kreien waren auch nicht abgeneigt .
Wer hat jene Kinderfeste in Sankt Mariendonn mitgefeiert ?
Er sei Uhl oder Krey :
Er stehe auf und bekenne , daß er an keinem anderen Ort im Vaterland etwas so Schönes und Großes erlebt oder gesehen hat .
Fiete Krey hatte zuerst Anna Seemann gebeten , neben ihm durchs Dorf zum Königstanz zu gehen , nachher aber erfuhr Trina Biesterfeld von Süderdonn , daß Fiete Krey zum Kinderfest einen recht guten Anzug tragen werde , den sein Vater auf einem Bauernhof billig für alt gekauft hatte .
Da bot sie Fiete Krey drei Groschen , wenn er Anna Seemann fahren ließe und mit ihr ginge .
Er tat es , nachdem sie noch ein gutes Taschenmesser , das sie besaß , dazu gelegt hatte .
Außerdem mußte sie ihm versprechen , ihm zum Feste eine blaue Schärpe zu machen .
Als Fiete Krey aber , nachdem er seine eigene Angelegenheit also gut geordnet hatte , nach seiner Gewohnheit seine Nase auch in die Sachen anderer steckte und besonders seinem Freunde und Nachbarn Jörn Uhl eine Braut verschaffen wollte , hatte er Unglück .
Er stieß bei beiden an .
Er sprach in der Spielstunde mit der kleinen , dicken Dora Diek , versprach ihr den » schmucken Jürgen Uhl « und deutete an , daß er einige Groschen Gottesgeld als Verdienst erwarte , wenn die Sache zu stande käme .
Aber sie sagte , daß sie ihr Geld lieber in Limonade anlege , als in einem Bräutigam .
Dabei blieb sie , trotzdem Fiete Krey eine nicht geringe Beredsamkeit entfaltete .
Später , als sie zwanzig Jahre alt war , war eine Umwertung aller Werte bei ihr eingetreten .
Sie besuchte alle Märkte der Gegend und jeden Tanzboden , suchte einen Bräutigam und fand ihn nicht .
Aber auch Jürgen Uhl versagte vollständig .
Er verweigerte seinem Patron zum erstenmal die Gefolgschaft und sagte merkwürdig bestimmt :
er lasse sich eine Braut nicht anschnacken , er werde selber eine fragen .
Er stand drei Abende nacheinander im schönsten Regen unter der Dachtraufe des Schulhauses und wartete , daß die kleine Lisbeth Junker herauskommen sollte , die Enkelin von Lehrer Peters .
Dann wollte er die fragen .
Am dritten Abend kam sie wirklich und lief durch den Regen im Trabe zum Höcker hinüber , daß ihr strohblondes Haar und ihre kurzen Kleider flogen und ihre blauen Strumpfbänder zu sehen waren .
Als sie wieder zurückkam , sah sie ihn und rief schon von weitem :
" Was stehst du da im Regen , Jürgen ?
Hast du Nachstunde gehabt ? "
" Nein , " sagte er .
" Ich habe hier bloß auf dich gewartet , ich wollte dich ' Mal was fragen . "
Sie sprang heran und schmiegte sich dicht an seine Seite , damit sie nicht naß würde .
Und drängte sich so sehr an ihn , daß sie sich an seinem Arm festhalten mußte und sah zu ihm auf .
Ein fremder Mann fuhr die Straße entlang , sah die beiden Kinder , und hatte seine Freude daran und ließ die Pferde langsamer gehen und fuhr vorüber .
" Was wolltest du mich fragen ? "
" Ja , wegen des Vogelschießens , weißt du ?
Wir haben ja bald Vogelschießen ?
Nicht ? "
" Na , und ? "
" Ja . . . Und da muß ich doch ein Mädchen haben , und nun weiß ich nicht .
Ich weiß nicht , welche ich nehme .
Es ist ja ganz einerlei , welche ich nehme .
Was meinst du ? "
" Und danach wolltest du mich fragen ?
Ja , das weiß ich nicht .
Du bist so groß . . . Weißt du ?
Nimm Trina Sim , oder nein , nimm Jule Uhl !
Oder nimm . . . Nein , die ist doch zu klein für dich . "
" Wen meinst du ? "
" Ach , ich hatte man bloß so einen Gedanken , aber die ist wirklich zu klein für dich . "
" Es ist ja einerlei , sage es man !
Klein oder groß .
Und wenn sie so klein ist wie du .
Wen meinst du ? "
" Ich weiß nicht mehr , " sagte sie .
Als sie das gesagt hatte , löste sie sich von ihm und sprang in den Regen , sah sich noch einmal um und wandte sich dann von ihm ab , als würde sie umgerissen , und lief davon .
Er war auf Lisbeth Junker versessen und war in Angst , daß ihm einer zuvor käme .
Und er hatte nicht den Mut , sie zu fragen ; denn er meinte , sie würde lachen und würde sagen : " Nein , Jürgen , meinst du , daß ich das tue ?
Ich gehe ja doch nie mit zum Königstanz . "
So verpaßte er die Zeit .
Als einige Tage vor dem Feste er und der kleine schüchterne Dierk Dierksen im Privatunterricht im Schulhause waren , sagte Lehrer Peters :
" Du , Dierk , ich möchte gern , daß Lisbeth übermorgen an dem Umzuge teilnimmt .
Ich habe gedacht , sie könnte neben dir gehen . "
Dierk Dierksen bekam draußen von Jörn Uhl einige Knüffe , die aber an der Sache nichts änderten .
Er war also ohne Braut und mußte am Festtag neben einer kleinen , sommersprossigen Krey hergehen , die gerade übrig geblieben war .
Sein Vater , der neben dem Zuge her ging , sah ihn spöttisch an , und seine großen Brüder ärgerten sich an ihm .
Er ging mit zusammengekniffenen Lippen und stolzem Gesicht und schweigsam .
Die Sonne schien , und es wehte ein kleiner geringer Wind .
Runde , helle und gelbe Lichter drangen durch die dichten Linden und spielten und jagten sich auf der Straße und auf dem losen Haar der Mädchen .
Und die Lindenblüten fielen langsam auf den Zug .
Wer hat diese Kinderfeste in Sankt Mariendonn mitgefeiert ?
Er sei Uhl oder Krey :
er stehe auf und rede !
Welches Haar leuchtete am meisten ?
Es war dunkel und wieder hell , je wie die Lichter fielen , und die Gestalt im weißen Kleid war schön und schlank , und das Gesicht weiß und rot , als wenn ein Tropfen Blut in weißen Schnee fällt .
Das war Lisbeth Junker .
Und sie ging im Zuge vor Jürgen Uhl und sah sich zuweilen nach ihm um und lachte ihn an .
Und er sagte : " Es sind ganz viel Lindenblüten in dein Haar gefallen . "
Wer ist die kleine Dunkle , die ganz Unruhe und ausgelassenes Glück ist , ein wenig zu klein , ein wenig zu breit , ein wenig zu wild , ein wenig zu laut .
Das ist Elsbe Uhl und ging vor Fiete Krey her , und sie sieht sich zuweilen nach ihm um und lacht ihn an und nickt .
Sie spricht aber heute nicht mit ihm ; denn heute ist sie Bauerntochter .
Und neben ihr geht als ihr Partner der große , stramme Harro Heinsen , einer von den Ulen .
Er ist schon vierzehn Jahre alt und verachtet das Kinderfest schon ein wenig und fängt jeden Satz mit den Worten an :
" Wenn ich erst konfirmiert bin ! "
Und unterhält seine kleine Partnerin mit altkluger Rede .
Wer hat jene Kinderfeste in Sankt Mariendonn mitgemacht ?
Er sei Uhl oder Krey :
Er stehe auf und rede !
Wo ging der Zug entlang ?
Die untere Dorfstraße ging er entlang .
Da ist guter Marschboden , und zu beiden Seiten stehen starke , junge Linden , welche sich fast mit den Kronen berühren .
Wer ging dem Zuge voran ?
Ein Trommler und ein Pfeifer .
Die ganze Landschaft kennt die beiden .
Sie handeln für gewöhnlich mit Bücklingen .
Wer ging neben dem Zuge ?
Das war Lehrer Peters mit weißem Haar .
Lang und hager und ernst .
Wer ging am Wegrand unter den Linden ?
Das waren die großen Ulen mit weinroten und festfrohen Gesichtern .
Haben sie sonst an ihren Frauen und Kindern und an ihrem eigenen Leben schwer gesündigt :
da liegt kein geringes Verdienst :
wenn sie sich selbst einen Festtag gönnten , so gönnten sie den Kindern auch einen .
Wer ging an der anderen Seite am Wegrand ?
Das waren die Kreien , Männer und Frauen , und alle stolz auf ihre Kinder .
Wer stand , wenn der Zug herankam , vor dem Wirtshaus , vor dem alten Strohdach ?
Da stand Ernst Rapp , der Besitzer vom Kirchspielskrug , und rief laut und eifrig , halb sächsisch , halb plattdeutsch , denn er war ein Eingewanderter , in die Haustür hinein nach seinem Sohne : " Fritze , kumm Mal runter !
Die Buren , die kommen !
Du saßt ' Mal blasen . "
Und heraus sprang der dicke , vierkantige Fritz Rapp und blies ein lustig Stück auf der Trompete .
So hielten sie den Einzug in das Festhaus .
Voran die Kinder , dann die Ulen , dann die Kreien .
Oben auf dem Kornboden , über den Ställen , tanzten die Kinder durcheinander , und die Mädchen waren wieder ängstlich ; denn seit zwanzig Jahren geht das Gerede , daß der Kornboden nur schwach ist und eines Tages einbrechen kann .
Die beiden Bücklingsverkäufer wirbeln und pfeifen .
" Mit den Füßen geht es . . . Trip trapp trapp . . . "
Die Jungen trampen mit den schweren Stiefeln dreimal auf den Boden .
Die Mädchen schreien auf :
" Jungen ! Hört ihr nicht ?
Es kracht !
Ihr sollt nicht so schwer stoßen . "
" Mit den Händen geht es . . . Klipp klapp klapp . . . "
" Das tun die Kreien !
Die haben Hufeisen und Nägel unter den Transtiefeln .
Sie sind beschlagen wie Pferde ! "
Die Mädchen heben die Finger und wissen in ihrer Unschuld nicht , was sie singen :
" Junge , wenn du wollte ! "
" Junge , wenn du wollte !
. . . "
" Mit den Füßen geht es . . . Trip trapp trapp . . . "
" Nein ! " sagen die Mädchen .
" Die Jungen sollen nicht so mit den Füßen trampen , sonst laufen wir weg .
Der Boden bricht ein , und wir fallen auf die Pferde . "
" Die Kreien tun es . "
" Wir tun , was wir wollen , " sagt Fiete Krey .
" Um die Ulen kümmern wir uns nicht . "
" Mit den Füßen geht es . . . Ramms !
Ramms !
. . . "
Es kracht an allen Ecken ; Kalk fällt von der Wand .
Lisbeth Junker kommt mit ängstlichem Gesicht durch den ganzen Saal auf Jörn Uhl zugelaufen : " Meinst du , Jürgen , daß wir einbrechen ? "
" Ach was ! " sagt er großartig .
" Komme , laß uns ' Mal tanzen . "
Nun tanzen sie ganz lange zusammen und hören und sehen nichts anderes .
Zuletzt wird ihnen so heiß , daß sie aufhalten .
" Nein , " sagt sie , " wie ich heiß bin ! "
Und sie fächelt sich mit dem weißen Taschentuch und schüttelt sich im kurzen weißen Kleid und lacht .
" Nun will ich dir was zu trinken kaufen , " sagt er .
Sie gehen Hand in Hand durch das Gedränge , wo Fritz Rapp hinter allerlei Gläsern steht , und er kauft eine Limonade , die sie zusammen austrinken .
Sie drückt ihm dafür einige Pfefferminzbonbons in die Hand und ißt auch selbst davon .
Dabei wischen sie immer mit den Taschentüchern über ihre heißen Gesichter .
Aber nun waren die Hände so klebrig .
" Nein , " sagt sie , " das geht nicht , fasse bloß ' Mal an !
Die Hände bleiben beinahe aneinander sitzen , und wenn du mich anfaßt , wird das Kleid auch schmutzig . "
Sie nahm ihr Taschentuch , spuckte mit spitzem Mund ein wenig hinein und scheuerte erst ihm und dann sich selbst die Hände rein .
Dann zeigte sie ihm noch , wie er das Taschentuch unter der Hand halten sollte , mit der er sie umfaßte .
" Nun wollen wir wieder tanzen . "
Sie tanzten wieder miteinander , bis sie ganz müde war und hochatmend still stand und sich ein wenig an ihn lehnte .
Das war immer der Höhepunkt der Freundschaft .
Er sah sie lieb und glücklich mit seinen stillen , klugen Augen an und sagte : " Magst du gern mit mir tanzen ? "
" Ja , " sagte sie , " die anderen kenne ich ja nicht so .
Aber dich kenne ich , weil du immer bei Großvater zur Nachstunde kommst .
Du bist der feinste und klügste von allen . "
Er wurde ganz rot und sagte : " Du bist die feinste , das ist wahr . "
" Sieh ! " sagte sie .
" Siehst du Elsbe ?
Elsbe ist so wild , das mag ich nicht leiden . "
" Ja , " sagte er , " mit Harro Heinsen .
Es paßt mir gar nicht ; darum mag ich dich so gern leiden , weil du immer so still und ordentlich bist . "
So tanzen die Kinder miteinander , bis die erwachsene Jugend herauskommt und sie allmählich verdrängt .
Gegen zehn Uhr , als es schon dunkel ist , räumen die Kinder das Feld .
Lisbeth ist schon mit ihrem Großvater fortgegangen .
Jörn wendet sich an Fiete Krey .
" Ich will nach Hause , wo ist Elsbe ? "
" Wo wird sie sein ? " sagt Fiete zornig .
" Sie hat sich mit Harro Heinsen fortgeschlichen . "
Sie gingen durch die Kegelbahn bis an den Eingang des nachtdunklen Gartens und rufen ihren Namen ; aber es bleibt alles still .
Da sagt Fiete Krey leise , aber deutlich :
" Wenn du nicht gleich kommst , dann sage ich laut , daß du mit Harro Heinsen im Garten bist . "
Da hört man schleichende Schritte , und gleich darauf erscheint Elsbe und sagt nachlässig :
" Seid ihr da ?
Ich hörte etwas rufen . "
" Ja , wir sind hier , und du sollst jetzt sofort mit uns nach Hause kommen . "
Da kam Harro Heinsen zwischen den Bäumen hervor :
" Wir kommen Sonntagnachmittag nach Ringelshören ! " sagt er drohend .
" Dann sollt ihr Kreien wieder ' Mal die Haue haben , die ihr euch heute verdient habt . "
Er drohte noch einmal zurück und sagte : " Verwahre den Ring gut ! "
Dann verschwand er im Hause , und die Drei machten sich auf den Weg nach Hause .
" Er hat dir einen Ring gegeben ? " fragte Fiete Krey .
Und dann so recht mitleidig :
" Laß ' Mal sehen , lüttje Witte !
Ist er aus Silber ? "
" Was geht es dich an , " sagt sie stolz .
" Mußt mir 'mal zeigen , Elsbe . "
" Er ist aus Gold .
Siehst du ? "
" Ach , Deern !
So 'n Ring ?
Meinst du , daß das Gold echt ist ?
Was meinst wohl , was der wert ist .
Nicht viel .
Fünf Groschen höchstens ! "
" So ! " sagte Elsbe .
" Der ist viel mehr wert .
Der ist zehn Mark wert . "
" So 'n dummer Junge !
Schenkt dir einen Ring !
Was willst du mit einem Ring ?
Wenn er dir noch ein paar Karnickel geschenkt hätte !
Du , lüttje Witte , hast du meine beiden jungen Karnickel gesehen ?
Weißt du , die blaugrauen ? "
Da läuft sie in ihrer Angst an Jörns Seite :
" Du , Fiete will schon wieder einen Handel machen . " * * * Den ganzen Nachmittag hindurch , während die Kinder tanzten , hatte die Uhlen- und die Kreiensippe nach alter Gewohnheit , jede für sich , in den beiden Zimmern gesessen , welche durch eine breite Tür verbunden waren .
Aber als die Kinder nach Hause gegangen waren und der Punsch , den die Ulen selbst tranken und den sie ins andere Zimmer hinüber schickten , seine Wirkung tat :
da nahm der Waghalsigste der Kreien sein Glas und ging in das andere Zimmer hinüber und setzte sich unter die Ulen .
In diesem Jahre war Jochen Krey der erste .
Er kam mit hochrotem Gesicht , sah sich herrisch im Kreise der Ulen um und setzte sich stumm und steif dicht neben seinen Nachbar , den großen Klaus Uhl , und stellte sein Glas mit hartem Stoß auf den Tisch : " Will hier ein bißchen sitzen ! " sagte er .
Die Ulen lachten , und einige riefen :
" Der erste Krey kam geflogen . "
Da kamen die anderen allmählich nach ; und nun saßen sie untereinander und durcheinander .
Einmal in jedem Jahre nämlich , in dieser Nacht , sitzen die Ulen und Kreien bei einander , nennen sich gegenseitig " Du " und " Miene lewe Nahwer " und haben sich lieb wie Brüder , singen gemeinschaftlich die alten Lieder , und einige umarmen sich .
Das dauert so drei bis vier Stunden .
Aber dann macht ein Krey Lärm .
Irgend ein Krey fängt an , seinem lieben Nachbarn " die Wahrheit zu sagen " , und bald sind alle Kreien dabei , mit raschem Mundwerk , mit scharfen Zungen , die Verhältnisse der Ulen zu durchwühlen , wie der Ochse im Stall mit hin und her fahrendem Maul im vorgeworfenen Haferstroh wühlt .
Alles , was sich im Laufe des Jahres an Groll und Galle gegen die Ulen bei ihnen angesammelt hat - und das ist nicht wenig - , das packen sie aus .
Sie sind bald grob , bald fein , bald allgemein , bald speziell .
Sie halten jedem Uhl vor , was er im Laufe des Jahres verbrochen hat .
Dem einen sagen sie , daß sein Weib ein Geizhals ist , die um einen Heidebesen und um eine Binsenmatte zwei Stunden handeln kann ; dem anderen beweisen sie , daß er im ganzen Jahre keinen einzigen klugen Handel gemacht hat , weder auf seinem Hofe , noch auf dem Markte ; den Dritten erinnern sie an alte , lächerliche Geschichten , daß ihm das Blut in die Wange steigt .
Zuletzt verkünden sie der ganzen Uhlensippe Tod und Untergang .
" Keiner von euch kommt auf seinem Hofe zu Weges Ende .
Ihr sauft und kauft euch von euren Hofstellen , so wahr wir Kreien sind . "
Da springen die Ulen auf ; auch die Kreien fliegen in die Höhe .
Fritz Rapp hat die Gläser und Punschbowlen schon vorher in Sicherheit gebracht und schaut vom Hintergrunde her gemütvoll in das Getümmel .
Aber was hilft_es ?
Am anderen Nachmittag heißt es für die Kreien : wo verkaufe ich Heidebesen , Leuwagen und Pferdestriegel ?
Und , der in der Festnacht so laut war , steht nun wieder mit besonders ernstem Gesicht auf den großen Dielen der Uhlenhäuser und bietet bescheiden seine Ware an .
Und ob er auch wohl zuerst angebrummt wird , er kommt wieder .
Und allmählich wird der Hader vergessen .
Nur der eine und der andere meidet ein Jahr lang einen bestimmten Hof , weil der Besitzer gar zu hart auf den Tisch geschlagen und den Schwor getan hat :
" Kommt der Kerl mir auf die Hofstelle , so soll er mitsamt seinen Hunden in den Burggraben hinein . "
Viertes Kapitel Wieten Penn rief laut über den Hof : " Die Kinder wollen schon wieder zu Thieß Thiessen . "
Klaus Uhl , der im Wagen saß , um in die Stadt zu fahren , wie er jeden Nachmittag tat , lachte und sagte : " Laß sie laufen , wohin sie wollen !
Wenn sie lieber im mageren Moor hausen als in der fetten Marsch , dann halte sie nicht auf , Wieten . "
" Ihr könnt doch wenigstens so lange warten , bis ich Brot für euch zurechtgemacht habe . "
Sie traten von einem Fuß auf den anderen , so ungeduldig waren sie .
Nun kam Wieten mit dem Brot .
" Fiete ! " sagte sie , " komme ' Mal her ! "
Er trat an sie heran , und sie hob die geballte Hand und sagte leiser :
" Du nimmst dich in acht und lügst den Kindern nichts vor ! "
Dann steckte sie Jörn das Brot in die Tasche .
" Du bist der vernünftigste , Jörn .
Wenn ihr ankommt , sagst du gleich zu Thieß , daß er nicht so viel Dummheiten mit euch macht und euch zur rechten Zeit wieder auf den Heimweg schickt . "
" So ! " sagte Fiete .
" Nun geht es endlich los ! "
Er steckte zwei Finger in den Mund und tat einen gellenden Pfiff zu den beiden Mädchen hin , die schon nach Ringelshören zu hinaufgingen .
Und die eine von den beiden Mädchen sah sich um und winkte , und das war Elsbe Uhl .
Aber die andere kletterte ruhig weiter und achtete darauf , daß ihr Kleid nicht schmutzig wurde , und das war Lisbeth Junker .
Sie ging mit den anderen Kindern in die Schule ; sie hielt sich aber etwas gesondert und sprach hochdeutsch .
Es war Fiete Krey nicht recht , daß sie mitging .
" Sie ist zu sie , " sagte er .
" Wenn ich ' Mal ein grobes Wort sage , dann piept sie gleich : » O , Fiete , was sagst du da ? «
Sie ist immer bange , daß ihre Hände schmutzig werden oder ihr Haar sich vertesselt . "
Aber Jörn hatte sie gern und wollte , daß sie mitginge .
Sie war etwas jünger als Elsbe und war immer gleich in Not .
Dann bat sie ihn mit hoher , feiner Stimme um Hilfe :
" Jörn , willst du mir helfen ? "
Und das war wohl der Hauptgrund , daß er sie gern hatte .
" So , " sagte Elsbe , als die Jungen oben auf der Heide angekommen waren , " nun man zu !
Wohin nun , Fiete ? "
" Immer der Nase nach ! " sagte Fiete Krey .
" Wir wollen auf den Baum da zugehen . "
Und er deutete auf einen Baum ganz fern am Horizont .
Unbegreiflich ist ihnen , und es ist Fiete Kreis großer Ruhm , daß sie immer , obgleich sie so ins Geratewohl hineingehen , erst über die weglose Heide , dann durch den Wald , wo sie ihn gerade treffen , doch immer bei Tieß Thiessen ankommen , der irgendwo hinter dem Walde im Moore wohnt .
Daß sie nicht zu Menschenfressern kommen !
Oder in die Raubhöhlen geraten , die es noch immer im nördlichen Teile des Waldes gibt !
. . . Fiete Krey ist auf seinen Handelswegen zweimal auf eine solche Höhle gestoßen , und einmal hatte denn ja richtig die schwarze Margret davor gestanden .
Sie hatte ihn gesehen und hatte das Zeichen gemacht , das ihn an die Stelle festbannen sollte , wo er stand .
Aber er hatte glücklicherweise das Zauberwort gekannt , das ihn von ihrer Macht befreite .
" Dreimal muß man es sagen , " sagte er , und er sagte es dreimal .
Es war ein sehr grober Ausdruck .
" O , Fiete ! " rief Lisbeth .
" Was sagst du da ? "
Fiete machte eine abwehrende Bewegung mit der Hand .
" Das wilde Weib wurde wütend und warf nach mir .
Kommt ' Mal mit !
Da hinüber !
Ich will euch die Steine zeigen , die liegen da noch . "
Aber Lisbeth wollte nicht mit .
" Ihr könnt ruhig mitkommen , " sagte Fiete Krey .
Mit großen Augen gingen sie hinter ihm her ; Lisbeth am weitesten zurück .
" Ich gehe nicht weiter , " sagte sie .
Jörn kehrte sich nach ihr um und zog sie an der Hand mit .
" Wie ein Vogel piepst du , Heintüüt . "
" Ich mag dich gar nicht mehr leiden , " sagte sie , " ich will wieder umkehren . "
" Wir kommen gleich wieder , " sagte er , " bleibe hier stehen . "
Sie setzte sich auf den niedrigen Wall , und die anderen gingen hinüber und fanden richtig , in Heidekraut halb versteckt , den Haufen Steine , den Sonne , Wind und Regen gebleicht hatten .
" Junge ! " sagte Jörn .
" Die muß aber eine ordentliche Faust gehabt haben , wenn sie die Steine hat werfen können . "
" Wie eine gute Schlachtermulde ! " sagte Fiete Krey nachlässig .
Da kommt von ungefähr ein Windstoß vom Walde her .
" Rasch ! " ruft er , und sie stieben durch die Heide davon und kommen atemlos an den Wall , auf dem Lisbeth Junker ängstlich steht , bereit , davonzulaufen .
Da lachen sie über Lisbeth und legen sich alle an den Wall .
" Was war es doch mit der alten Margret ? " fragte Elsbe .
" Ja , " sagte Fiete , " es sind schon ein paar Jahre her , da war ich ' Mal mit Bürsten und Zeugkneifern nach Kuten und Bokholt gefahren , und es wurde Abend , ehe ich zurückkam .
Da ging ich ganz leise an den Tannen entlang .
Hindurch wollte ich nicht ; denn es war da zwischen den Stämmen alles schwarz ; und es ging zwischen den Stämmen so hin und her , so lang und dünn wie Windelbäume , und so langsam als der Pastor zum Altar geht .
So kam ich an die große Sandkuhle , wißt ihr , nicht weit von Großenrade , dort , wo der Pastor steht . "
" Was ist das ? " fragte Elsbe .
" Welcher Pastor ? "
" Na . . . Wollt ihr das erst hören ?
Denn kann ich das andere nachher ' Mal erzählen . . .
Also : der Pastor von Kuten soll einem Kranken in Großenrade das Abendmahl geben .
Als er nun bis an die Sandkuhle gekommen ist , da sieht er sich ' Mal so um .
Man kann da ja weit sehen , bis nach Hamburg .
Ja , einmal , als helles Wetter war , konnte ich sehen , was auf dem Kirchturm von Hamburg die Uhr war .
Also der Pastor sieht sich ' Mal um und , was meint ihr , was sieht er ?
Sein Haus brennt !
In vollen Flammen !
Nun hat er aber Bücher in seinem Hause , die kann man sonst in der ganzen Welt nicht kaufen .
Es gibt nämlich Bücher , in denen die geheime Kunst steht , durch die man furchtbar klug und reich werden kann .
Solche Bücher hatte der Pastor .
Da stand er nun .
Sollte er umkehren und die Bücher retten , oder sollte er dem Kranken das Abendmahl geben ?
Na gut .
Er hält zu viel von seinen Büchern , kehrt um und rettet sie , und der Kranke stirbt ohne Abendmahl .
Von der Zeit an kann der Pastor nicht mehr einschlafen und muß also bald nachher sterben , und kommt in die Hölle .
Aber der Teufel will ihn da nicht haben und stellt ihn in die große Sandkuhle .
" Na , da also kam ich nun dicht heran .
Bange war mir schon .
Erst schrie eine Krähe , die saß auf einer Tanne und schrie : Marks , Marks !
Aber ich merkte nichts .
Dann schrie eine Eule , die saß auf einer Birke .
Weißt du , eine von den kleinen , die schrie hoch und laut :
Hüte !
Hüte !
Aber ich dachte :
» Vorbei mußt du . «
Dann schrie eine Katze , die saß auf einem Heckpfahl und sagte :
Au !
Au !
Aber ich dachte :
» Laß kommen , was will . «
Da stand richtig der Pastor oben an der Sandkuhle .
Er trat von einem Bein aufs andere ; und wenn er auf das linke Bein trat , sah er nach Kuten , und wenn er auf das rechte trat , sah er nach Rade . "
Fiete Krey sah von einem zum anderen .
" Nun wolltest du von der alten Frau erzählen ? "
" Das erzähle ich ein ander Mal , " sagte er .
" Wir müssen nun wahrhaftig weiter , sonst kommen wir zu spät nach dem Heeshof .
Wo wollen wir nun in den Wald hinein ?
Hindurch müssen wir !
Aber wo ? "
Ja , nun war es wieder wie immer .
Wenn sie in den Wald hinein mußten , hatte er sie glücklich so weit gebracht , daß die Mädchen in großer Angst hineingingen und selbst Jörn unsicher war .
Dicht aneinander gedrängt , gingen sie hindurch .
Fiete Krey sah mit spähenden Augen nach links und rechts in das Dunkel , als erwartete er jeden Augenblick das Hervorbrechen toller Geister .
Elsbe hatte seine Hand angefaßt und sah ängstlich zu ihm auf .
Lisbeth Junker ging so dicht hinterdrein und sah sich so eifrig nach allen Seiten um , daß sie den Vorangehenden auf die Hacken trat .
Jörn ging als der Letzte .
Er hatte Neigung , Fiete Kreis Geschichten für unwahr zu halten oder doch für übertrieben .
Er wagte das aber nicht zu sagen , da er der Erfahrung und dem Wortreichtum Fiete Kreis lange nicht gewachsen war .
Aber er wollte doch seine Verachtung zeigen , darum sagte er zu Lisbeth : " Gehe voran !
Ich will als der Letzte gehen . "
Aber oft sah er sich plötzlich um , weil er deutlich Schritte hinter sich hörte .
Endlich schien die Helle des freien Feldes vor ihnen durch die Stämme .
" Nun lauft ! " sagte Fiete .
Und so rasch sie konnten , liefen sie zwischen den Stämmen durch , erreichten den freien Weg , sahen den Heeshof unten im Moore liegen und schrien und riefen und winkten mit Mützen und Taschentüchern .
Ein Erdwall läuft in Windungen wie eine mächtig lange Schlange zwischen den Feldstücken ins Moor hinab .
Es ist schlecht auf ihm zu gehen : Heide , Ginster und Brombeergestrüpp rankt sich dicht über ihn .
Aber gerade darum gehen sie oben auf ihm entlang , ins Moor hinunter .
Zuletzt , als es gar zu schwierig wird , springen sie mit einem waghalsigen Satze vom Wall ins Gestrüpp hinab , Lisbeth Junker mit Jörns Hilfe , und gehen auf die Torfhaufen zu , die neben den breiten , schwarzen Gräben liegen .
Und da liegt Thieß Thiessen im Schatten eines Torfhaufens im Grase , die Mütze aufs Gesicht gelegt , das Gewehr neben sich .
Sie schleichen auf den Fußspitzen herbei und stehen rund um ihn .
" Er hat uns entgegengehen wollen , " sagte Elsbe leise .
" Da hat er sich erst ' Mal hingelegt und ist eingeschlafen .
Er ist ein Siebenschläfer und macht alles verkehrt . "
" Wir müssen mit einem Male alle laut aufschreien , " sagt Jörn , " dann bekommt er einen tüchtigen Schreck .
Paßt auf ! "
" Hallo . . . Oh . "
Wie ein Hase aus seinem Lager springt , nein , steil , geradeaus , ohne Kniebeuge , wie ein Pfahl : so fliegt Thieß Thiessen aus der Erde heraus .
" Was ? " schreit er .
" Thieß ! " schreit Elsbe , " mache ' ein anderes Gesicht .
Dies geht nicht länger . "
Da nimmt er das Gewehr auf und findet auch die Sprache wieder :
" Ich wollte euch entgegengehen ; aber dieser Platz schrie mich förmlich an :
» Thieß ! « sagte er , » sie kommen noch nicht !
Lege dich noch eine Weile hierher . « "
Sein trockenes , kluges Webergesicht strahlt , und seine kleinen , blanken Augen funkeln und flimmern .
" Mensch , Fiete , es ist zu nett , daß ihr da seid . "
" Ist das Boot fertig , Thieß ? "
" Fix und fertig , " sagte er , " und ein feines Boot . . . Ich wollte ja eigentlich Seemann werden , Kinder !
Aber ich wurde schon seekrank , wenn ich auf dem Deich stand und die Elbe sah .
Da ging ich zu dem Schiffszimmermann Klausen in Brunsbüttel in die Lehre , und es wäre alles gut gegangen und ich hätte jetzt eine große Werft und wäre ein reicher Mann , wenn die verdammte Schlafsucht nicht gewesen wäre .
Lache nicht , Fiete , du bist zu dumm dazu .
Ich verstehe das ganz gut , was da in der Geschichte von Dornröschen erzählt wird , daß sie alle miteinander hundert Jahre lang geschlafen haben :
ich kann ein Lied darüber singen .
Dazu kam , daß ich in den Jahren nicht allmählich , sondern schier gewaltsam in die Höhe schoß , wie ein Windelbaum , lang und schmal , ohne Aufenthalt und ohne Taille , bloß um möglichst bald an die Decke zu kommen .
So lange wir den Kiel streckten , ging es noch ; da hielt ich mich leidlich munter .
Aber sobald die erste Planke saß !
Es war , als wenn die Planke sich bog , Fiete , als wenn sie sich für mich zurechtlegte und zu mir sagte : » Lege ' dich hin , Thieß Thiessen ! «
Genug , es ging nicht !
In den Jahren ging es nicht .
Ich habe noch das Zeugnis im Hause , Kinder , das Klausen mir mitgab .
» Wegen krankhafter Schlafsucht u. s. w. «
Ehe ich dies alte Strohdach erreichte , schlief ich drüben im Heesewald dreizehn Stunden unter den Brombeeren .
" Nachher dachte ich , ich wollte die Lateinschule besuchen ; denn ich wollte durchaus in die Fremde .
Ich dachte : Einem Gelehrten steht die ganze Welt offen ; kommst du auf die Schule , lernst du Latein : das ist so viel , wie schwimmen lernen .
Also hin !
Na , nicht gleich hin !
Sondern erst in die Privatstunde bei Pastor Friedel .
Das ging ganz gut ; denn er kannte meine Natur und legte die Stunden so zwischen sechs und acht morgens und vier und sechs abends , wo ich am muntersten war .
Ich lernte wirklich was :
ihr wißt es .
Ich kann noch manches lateinische Wort sagen . "
" Adsum ! " sagte Fiete Krey , " das bin ich . "
" Du brauchst dich gar nicht darüber aufzuhalten , Fiete .
Willst du sagen , daß dies mein einziges lateinisches Wort ist ?
. . .
Aber nachher , auf der Schule !
Ihr habt den alten Professor Chalybäus nicht gekannt .
Chalybäus heißt eisern , Fiete .
Siehst du ?
Der hat manch liebes Mal zu uns gesagt :
» Es ist kein Leben in euch Dithmarschern . «
Aber über mich , Fiete , hat er manchmal gesagt :
» Bei Thieß Thiessen , da ist Leben , aber es schläft . «
Na , um kurz zu sagen :
es ging nicht , Kinder .
Diese Wissenschaften . . . Man hat eine ganz verkehrte Vorstellung davon .
Man meint , es ist so eine Art - was soll ich sagen - , so eine Art Weg , auf dem es immer heller wird .
Aber das Gegenteil .
Mir schien , es war so eine Art Tunnel , so eine Art Fuchsbau .
Mau geht hinein , wie der Dackel , und man weiß nicht , wo oder ob man wieder herauskommt .
Na . . . ich stob wieder zurück :
» Es ist eine Erleichterung , « sagte der Fuchs , » da ließ er das Hinterbein im Eisen und hinkte auf drei Beinen davon . «
Ich bekam wieder ein Papier ; ich habe es noch .
Es ist nichts daran zu sehen .
" Nun war ich denn ja wieder auf dem Heeshof , stand bald an der Küchentür und bald zu Osten unter der Wand und plante weite Reisen und wollte in die Welt hinaus ; aber mein Vater hatte es satt .
Er nahm mich beim Kragen und gab mir den Dreschflegel in die Hand , und stellte mich neben unseren alten Tagelöhner Klaus Suhm , der gerade auf die langen Hafergarben losschlug , die auf der Moorkoppel gewachsen waren ; und wenn ich später einmal von Reisen sprach , so hielt er mir gleich die geballte Faust vor die Augen .
So war es mit allen Reiseplänen vorbei , und so ist es gekommen :
Ich , der ich am liebsten eine Fußtour durch Rußland über China nach Bangkok gemacht hätte , bin hier auf dem Heeshof sitzen geblieben und habe nicht einmal Hamburg , ja nicht einmal Rendsburg gesehen .
So gut es ging , habe ich mir mit Lesen geholfen .
Ich kaufte mir den Handatlas von Stieler und kaufte mir Grube Charakterbilder und Gerstäckers Romane und allerlei Reisebeschreibungen , und habe die Reisen , die ich in Gedanken machte , an die Kalkwand meiner Schlafstube gemalt .
Ihr wißt es , Kinder . "
" Nun laß dein Reden sein ! " sagte Elsbe .
" Wir wollen nun nach dem Fuchsbau . "
" Ja , der Fuchsbau !
Denn man rasch , Kinder !
Wir müssen ein bißchen flink zugehen .
Trina hat das Essen gewiß schon fertig .
Es gibt Mehlbeutel mit Schweinskopf . "
Da hatte er am Wall die beiden Fuchslöcher entdeckt , unter der Heide halb versteckt , in gelblichem Sand .
" Schieße 'mal hinein , " sagte Elsbe .
" Das nützt nichts , Kind ! "
" Das ist ja einerlei , " sagte sie und sah ihn zornig an , " schieß ' Mal hinein ! "
Thieß Thiessen mußte leider immer tun , was klein Elsbe sagte .
So wie er vor zwanzig Jahren seiner Schwester , ihrer Mutter , jeden Willen tat , so tat er jetzt ihrer kleinen Tochter zuliebe , was sie wollte .
Er legte das Gewehr hinein .
Sie standen alle und schauten bedenklich in das gelbsandige Loch und warteten auf den Schuß .
Lisbeth zog sich ein wenig zurück .
Jörn , der immer gleich sah , was Lisbeth trieb , neckte sie , lief zu ihr , ergriff ihre Hände , und wollte sie zu den anderen heranziehen .
Da legte sie , um ihn von seinem Plane abzubringen , mit niedlich bittender Gebärde die Arme um seinen Hals und hielt sich ganz still und hielt ihn so fest .
Er wußte nicht , was er tun sollte , da sie so mit ihrer Brust gegen ihn andrängte .
Er legte unbeholfen die Arme um ihren Leib und sah sie an .
Sie hatte mehrmals , wenn sie beim Spiel auf dem Schulplatze von Knaben ergriffen wurde , laut geschrien und sich in Angst losgerissen .
Er hatte sie noch nie so angerührt .
" Wenn wir bei Thieß sind , bist du immer ganz anders , " sagte sie und nickte ihm zu .
" Zu Hause bist du manchmal so ernst und so mopsig ; aber hier bist du vergnügt .
Ich mag dich heute gerne leiden . "
Sie drängte sehr gegen ihn an .
Er brauchte zwar lange nicht seine ganze Stärke ; aber er wunderte sich , daß sie so viel Kraft in den feinen Gliedern hatte , und war verlegen , daß sie so gegen ihn anging , und hielt sie sanft fest und sagte : " Ich will nun immer Heintüüt zu dir sagen . "
" Warum ? " fragte sie .
" Weil du so eine hohe , piepende Stimme hast wie ein Regentüüt . . . Du weißt doch ?
Auf Hochdeutsch heißt es Regenpfeifer .
So piepst du . "
Sie hielten sich noch fest und sahen sich noch lächelnd an :
Da fing auf einem nahen Baum von ungefähr eine Meise an zu pfeifen .
Sie pfiff so ängstlich und laut , daß sie alle aufmerksam wurden und sie suchten .
Sie saß auf dem höchsten Zweige einer niedrigen Kiefer , warf den Kopf hin und her und äugte seitwärts nach unten .
Und als sie dahin sahen :
da stand da etwas Bräunlich-Gelbes im hellen , trockenen Grase .
Zwei brennende Augen sahen unendlich klug aus dem dreieckigen Kopf auf die Fuchsjäger , die standen mit offenem Munde .
Thieß hielt das Gewehr mit steifem Arm und zusammengezogenem Gesicht weit von sich und schoß wild in das Sandloch hinein .
Fiete Krey griff mit beiden Händen nach seinem eisenbeschlagenen , grauen Schuh , riß ihn vom Fuß und warf ihn mit Wucht hinterdrein .
" Donnerwetter ! " sagte Thieß .
" Der hatte einen mächtigen Schwanz . "
Elsbe schlägt in beide Hände :
" Das sagst du nun !
Aber so geht es immer , wenn wir hier sind ; alles , was du anstellst , geht schief . "
" Na , " sagte er , " denn kommt !
Denn wollen wir essen . " * * * Das Haus , in dem Thieß Thiessen fast sein ganzes Leben zugebracht hatte , und der Kopf , den Thieß Thiessen auf den Schultern trug , hatten eine unzweifelhafte Ähnlichkeit miteinander .
Unaufgeklärt blieb allerdings für alle Zeiten , wer sich nach dem anderen gerichtet hatte , ob Thieß ' Kopf im Laufe der vielen Jahre dem geliebten alten Hause ähnlich geworden war , oder ob das Haus sich etwas nach Thieß gerichtet hatte .
Das Haus Thieß Thiessens war lang und schmal ; das hohe , dunkle Strohdach hing über die kleinen , blinkernden Fenster tief herab ; vorne war ein kleiner , waghalsiger Giebel .
Der Kopf Thieß Thiessens war sehr lang und schmal , und das lange , dunkle Haar hing tief über Ohren und Stirn hinab bis an die blanken , blinkernden Augen ; seine Nase war klein und wenn nicht waghalsig , doch kühn ; eine feine , geschwungene Nase in einem kleinen , verwitterten , vertrockneten und verknitterten Webergesicht .
Elsbe sagte es oft zu ihm :
" Du hast gerade so 'n Kopf wie dein Haus . "
" Kann wohl nicht anders sein , " sagte er dann .
" Wir sind nun schon über vierzig Jahre bei einander , das Haus und ich , und immer allein . "
Dicht aneinander gerückt saßen sie um den runden Tisch , in diesem selben großen Zimmer mit den weißen Kacheln an den Wänden , wo diese selben Menschen zwanzig Jahre später einen so traurig-frohen Weihnachtsabend verlebt haben .
" Kinder ! " sagte er , " über die Heide gehen und dann Dithmarscher Mehlbeutel mit Schweinskopf essen , das ist das Beste in der Welt . "
Er nickte ihnen zu und legte das erste Stück auf Elsbes Teller .
" So ? " sagte Elsbe , " das Beste in der Welt ?
Das weiß Lehrer Peters doch wohl besser , mein Junge !
» Das Beste in der Welt , « sagt er , » ist die Liebe , « und das glaube ich auch . "
Thieß hielt die Gabel auf halbem Wege still .
Er riß die kleinen Augen auf , und die Augenbrauen verschwanden unter dem Stirnhaar .
Er dachte :
Genau so sagte deine Mutter auch .
Die sprach auch schon mit zwölf Jahren von Liebe .
Die Liebe ist ihr teuer zu stehen gekommen . . . " Die Liebe ? " sagte er , " zu wem ? "
Sie hatte wohl nichts Bestimmtes gedacht .
Aber flink , wie sie war , sagte sie :
" Die Liebe zu Gott . "
Nun war er geschlagen .
" Ja , " sagte er und wiegte den Kopf hin und her : " Ich glaube , Elsbe , damit kannst du nicht recht was anfangen .
Liebe zu Gott ?
Wie willst du das machen ?
Wenn er hier neben dir säße ! "
. . . " Was das heißt ? " sagte Elsbe .
" Wir sollen alles das lieben , was gut ist .
Das heißt es . "
" Dieser Schweinskopf ist gut , Elsbe , " sagte er .
" Ich bin ganz mit dir einverstanden . "
Seine Augen sind wie kleine , reine , blanke Fenster in der hellen Morgensonne .
" Jörn , " sagte er , " sage du , was du meinst .
Fiete Krey schweigt , weil ihn nichts anderes interessiert , als Schweinsköpfe , Heidebesen und alte , Steine werfende Weiber .
Aber du , Jörn , bist ein Grübler .
Du bist ein Grübler , Jörn ; wenn auch nicht in dem Grade , wie die indischen Fakire , die sich in die Ecke hocken und so lange auf ihren Bauch sehen , bis sie die tollsten Erscheinungen haben .
Rede , Jörn ! "
" Das Beste in der Welt ist die Arbeit , " sagte Jörn , " weißt du das ? "
Thieß ließ die Gabel sinken und sah bedrückt vor sich hin .
" Jürgen Uhl ! " sagte er , " alles hatte ich erwartet :
das nicht .
Die Arbeit ?
. . . Was steht in der Bibel auf dem zweiten Blatt , nachdem sie aus dem Paradies vertrieben sind ?
Wie heißt das Wort , das hinter den beiden armen Menschen dreinfährt wie Hagelwetter ?
Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen !
Ist das ein Segen , Jörn , oder ein Fluch ?
Die Arbeit , Jörn ?
Die Arbeit ist ein Fluch , Jörn .
Und du nennst sie das Beste in der Welt ?
Ich habe Zeit meines Lebens nichts heißer gewünscht , als daß ich auf den Pesander-Inseln oder aus Suruaci im Molukkenmeer geboren wäre , wo das Arbeiten einfach verboten ist .
Verboten , Jörn !
Weil da sonst nämlich zu viel Bananen wachsen !
Und ich danke Gott alle Tage , daß ich den Heeshof habe und also so ziemlich unter dem Fluch heraus bin ; bloß in der Heuernte und wenn wir Torf backen , da muß ich mit ' ran .
Und du sagst :
Die Arbeit ist das Beste in der Welt ! "
Da schwiegen sie alle , da er ihnen so die Bibel an den Kopf warf .
Aber nun wurde Thieß Thiessen waghalsig und ging vom festen Grund in das Moorige .
" Kinder , " sagte er , " ich lese , so lange ich denken kann , die » Itzehoer Nachrichten « .
Wißt ihr , worauf ich jedesmal neugierig bin , jedesmal , wenn Peter Simsen um die Ecke kommt , die Türe aufreißt und sagt :
Die Itzehoer ?
Daß die Arbeit weniger wird !
Daß die Arbeit ganz aufhört !
Daß wir alle aus dem Fluch herauskommen !
So . "
" So ! " sagte Jörn und legte die Faust auf den Tisch .
" Das wird eine schöne Geschichte !
Nun erzähle man weiter ! "
" Was ist schon alles erfunden worden !
Und jede Erfindung hat die Arbeit weniger gemacht .
Die Spinnmaschine !
Ich sehe meine alte Mutter noch , wie sie den ganzen langen Wintertag hinter dem Spinnrade saß .
Die Dreschmaschine !
Ich sage euch : in die Erde hinein haben wir die Diele geschlagen , ich und Klaus Suhm .
Wenn ich sage : Klaus Suhm hat in seinem Leben zwanzig Lehmdielen in die Erde hineingehauen , so ist das wenig .
Jetzt kommt die Maschine , einen Tag lang , und alles Korn ist gedroschen und gesichtet !
Und die Eisenbahnen , und die Telegraphen !
Früher hieß es :
» Wo sind meine Schmierstiefel , Lise ?
Spann den Wagen an , Krischan ! «
Und nun will ich euch was sagen : Weniger wird die Arbeit .
Klaus Suhm stand im Winter um zwei Uhr auf und klopfte um drei Uhr an mein Fenster .
Wo geschieht das jetzt ?
Aber wundern tut es mich , ich kann nicht sagen wie sehr , daß die Arbeit nicht noch viel weniger geworden ist und bald ausstirbt . "
" Na ? Und was denn ? " sagte Jörn und beugte sich über den Tisch .
" Wenn sie nun weniger wird ?
Was willst du dann in der freien Zeit tun ? "
" Das kann jeder nach Belieben einrichten , " sagte Thieß Thiessen .
" Ich , für meinen Teil , bin für einen langen Schlaf im Schatten eines Torfbergs . "
" So , " sagte Jörn .
" Und andere , " sagte er , " andere " - er wurde ein wenig verlegen - , " die werden den ganzen Tag im Wirtshause liegen . "
Er schüttelte den hellen Kopf .
" Du bist überhaupt zu dumm .
Meinst du , daß Adam und Eva vor dem Fall nicht gearbeitet haben ?
» Sie haben den Garten Eden gepflegt , « steht da , und haben miteinander gespielt .
Wir würden auch arbeiten und schön miteinander spielen , nicht Lisbeth ?
Aber nun sind viele unartig und schlecht .
Und darum müssen wir alle in die Schule gehen und , wenn wir groß sind , in die Arbeit .
Und du , du solltest man hingehen und den braunen Wallach umkoppeln :
Da oben an den Tannen hat er kein Gras mehr . "
Die kleine Lisbeth hatte während der Unterhaltung , die sie nicht verstand , Jörn fortwährend mit spitzem Finger an die Schulter getippt : " Seht ' Mal seine Augen ! " sagte sie .
" Sie sitzen wie Füchse in ihren Löchern und lauern , und die Haare stehen ihm zu Berge wie einem Igel . "
Und sie sprang rasch von hinten auf ihn zu und legte ihren Kopf an den seinen .
Und ihre Haare waren gleich hell .
" So ! " sagte Elsbe .
" Nun seid still .
Ich mag die Reederei nicht mehr hören . "
Thieß nickte langsam und sagte zu Fiete Krey : " Es ist immer gut für mich , wenn ihr kommt , Fiete .
Es ist für mich wie ein Schups von hinten .
Wir wollen den Wallach wahrhaftig herunterholen .
Aber erst müßt ihr sehen , was ich in diesen Wochen für eine großartige Reise gemacht habe . "
Sie gingen hinter ihm her nach seiner Schlafstube , einem großen , kahlen Zimmer mit weißgekalkten Wänden , in dem nichts weiter stand als Thieß Thiessens Bett und eine Lade und zwei Stühle .
Auf den Wänden waren von oben bis unten mit starken Blaustiftlinien die fünf Weltteile und die beiden Halbkugeln der Erde gezeichnet .
Ein Stapel von Büchern lag auf den Stühlen .
Hier machte Thieß Thiessen seine weiten Reisen und stillte seinen Hunger nach der Fremde .
Er zeigte ihnen in einem kurzen Vortrage , wie er in dieser Woche mit Livingstone durch Mittelafrika an manchem Nachtfeuer gesessen und von getrocknetem Ziegenfleisch sich mühselig genährt hatte .
Er nahm das Buch her und las ihnen den Höhepunkt der Reise vor , die Stelle , wo der englische Missionar und Forscher den Friedensvertrag mit dem schrecklich wilden Negerkönig schließt .
Er hatte die Hände erhoben und las mit feierlich getragener Stimme .
Aber es half alles nichts : Elsbes Interesse war wieder weg .
" Wenn wir so beibleiben zu quasseln , " sagte sie geringschätzig , " dann kriegen wir heute überhaupt nichts fertig . "
Sie gingen hinaus und brachten den Wallach auf die untere Koppel , wobei sie im Hector ins Gedränge kamen , weil sie alle zugleich samt dem jungen Braunen hindurchgehen wollten .
Der Braune war aber fromm und tat ihnen nichts , wurde auch nicht unruhig , als die kleine Lisbeth , der er zu nahe kam , laut aufschrie .
" Nun zu dem Boot ! "
" Es ist ein feines Boot , Kinder .
Es ist das beste und größte , das ich je gebaut habe . "
Es lag im Bräunlich-Dunkeln Moorwasser , ordentlich angekettet , und hatte eine entfernte Ähnlichkeit mit einem Kälbertrog , und roch auf zehn Schritt nach Pech , das in all die Ritzen gegossen war .
In der Mitte ragte über dem Mitteldeck ein Mast mit einem gelbseidenen Wimpel , der aus Großmutters Umhängetuch geschnitten war , und auf dem Deck standen vier Kanonen aus Mannesmannröhren , vom Dorfschmied zugeschweißt , mit blankgefeilten Luntelöchern .
Es war großartig !
Und alle lobten Thieß und sagten , da habe er ' Mal wirklich was Gutes zu stande gebracht .
Jörn schlug sich vor Vergnügen auf die Knie und wollte gleich hineinsteigen .
Bloß die kleine Lisbeth äugte mißtrauisch auf das vielgeflickte bunte Ding , reckte ihren kleinen , hellen Kopf und sagte : " Ich gehe da nicht hinein . "
Da wollte Jörn sie wieder greifen , da er Lust hatte , sie wieder anzufassen ; aber sie trat zurück und schüttelte mit so lieblich ernster Gebärde bittend den Kopf , daß er gleich abstand .
Thieß war wieder oben auf .
Er wollte sich den Ruhm nicht verkleinern lassen und sagte : " Die erste Fahrt mache ich allein . "
Er stieg bedächtig hinein und setzte sich sehr vorsichtig platt in den Trog , in dem er die ausgestreckten Beine unter das Mitteldeck schob .
Elsbe hatte sich auf den Stumpf einer Weide gesetzt , die überm Wasser hing , und fing an zu unken .
" Wenn du umkippst , was dann ?
Dann hängst du schön da : mit dem Kopf nach unten ; und mit den Beinen sitzt du fest . "
" Ich ? Umkippen ? "
" Junge , Thieß !
Es geht schief . "
" Thieß !
Du weißt , du hast immer Unglück ! "
" Unglück ?
Schief ?
Es geht all mein Tag nicht schief . "
Er grabbelte in der Westentasche und legte drei schwärzliche Zündhölzer vor sich aufs Deck .
" Junge , Thieß !
Laß es bleiben !
Gerade wenn du dich zeigen willst , hast du immer Pech . "
" Laß ihn doch !
Er sitzt ja schon mitten im Pech . "
Thieß hob sich ein wenig : es gab einen klebrig schmierigen Ton .
Die Kinder lachten und sahen sich an und nickten sich zu .
Fiete Krey , der das Unglück am deutlichsten kommen sah , wand sich vor Lachen .
" Thieß , du stürzt um , so wahr wie was . "
Mit zwei vorsichtigen Stößen kam Thieß richtig vom Ufer ins dunkle Wasser .
Er legte das Ruder bedächtig vor sich hin und langte nach den Zündhölzern .
Das Fahrzeug schwankte leicht , gerade als wenn es Neigung hätte , sich anders hinzulegen .
Er versuchte , die Hölzer an dem Mitteldeck anzureiben , aber sie fingen kein Feuer .
Da hob er nach alter Gewohnheit das eine Bein , um am gewohnten richtigen Orte das schlafende Feuer zu wecken .
Der Trog schwankte .
Es flammte auf .
An die Lunte mit dem brennenden Holz !
Der Trog schwankte .
" Kinder !
So war es am 5. April bei Eckernförde . "
Er wollte rasch ein wenig beiseite rücken , weil es dringend zu empfehlen war .
Blitz und Rauch !
Noch einmal !
Thieß kann nicht rücken ; er sitzt fest im Pech .
In Rauch und Schwefel kehrt sich das Boot um , und Thieß Thiessen kehrt sich mit um .
Jörn Uhl stand bis ans Knie im Wasser .
Fiete Krey sagte leise :
" Es blubbert noch . "
Elsbe sagte : " Aber das Pech ! "
Lisbeth lief weinend davon .
Es kam eine schwüle Stille .
Das Moor und die Menschen hielten den Atem an .
Da fing das Wasser an zu brodeln und zu kochen .
Es liefen runde Wellen auseinander .
Es kam etwas Schwammiges , Schwarzes , wie der Rücken eines großen schwarzen Fisches .
Spuckend , stöhnend , schluckend und prustend kommt es auf allen Vieren an das Land .
Er riß sehr an seinen Augen .
Er schüttelte sich und stampfte und warf Rock und Stiefel von sich ; die Kinder standen mit großen , ängstlichen Augen um ihn .
Fiete Krey rollte auf der Erde hin und her und schrie .
Lisbeth , die gerade still gestanden hatte , kehrte sich um und lief weiter .
" Na , " sagte er und spuckte :
" Dies war , was bei den besten Schiffen vorkommt : eine natürliche Kenterung mit wunderbarer Rettung der ganzen Besatzung .
Es war übrigens eine neue Konstruktion , Jörn .
Wie es scheint , etwas zu schmal .
Na , jedenfalls haben wir etwas gesehen und erlebt und erfahren . "
" Was du wohl gesehen hast ! " sagte Elsbe .
Er sah ins Wasser zurück , wo das Boot wie eine treibende Schildkröte lag .
" Da hast du ganz und gar recht , " sagte er und spuckte wieder .
" Da unten ist es fürchterlich .
Es wurde mir gleich schwarz vor den Augen , und ich hatte jede Richtung verloren .
Ich kam erst auf Umwegen wieder auf den Gedanken , wo oben wäre .
Ihr müßt bedenken , daß ich mit allen vier Elementen zu tun hatte , zuerst mit Feuer , Schwefel und Pech , dann mit Wasser und Erde .
Von diesem allen war zu viel da .
Zuletzt mit der Luft : davon hatte ich zu wenig .
Wenn ich davon nicht zu wenig gehabt hätte , wäre ich sobald noch nicht wieder gekommen , denn ihr glaubt nicht , was für merkwürdige Beinverrenkungen ich da unten gemacht habe , um aus dem Schiff herauszukommen . "
Nachdem er das gesagt hatte , spuckte er noch einmal und ging nach Haus , um sich umzukleiden .
Als er in der Küchentür verschwunden war , sagte Jörn :
" Das ist ganz einerlei :
wir mögen kommen , wann wir wollen , auf dem Heeshof gibt es immer Spaß . "
Dann lief er hinter Lisbeth her , ergriff sie bei der Hand und redete ihr Gutes vor , bis sie lachte .
Sie blieb aber ängstlich und wollte nach Haus .
Da ging er mit ihr zu den anderen und sagte es .
" Siehst du ? " sagte Elsbe , " nun sitzen wir da wieder her .
Immer will Lisbeth zu früh nach Haus . "
" Ich sage immer wieder , " sagte Fiete , " sie muß nicht mit uns .
Sie ist zu klein und zu zimperlich .
Aber du willst sie immer mitnehmen . "
Die Gescholtene stellte sich neben Jörn und weinte .
" Ich gehe mit ihr nach Haus , " sagte Jörn .
" Jetzt gleich !
Ihr könnt tun , was ihr wollt . "
Da wollten sie doch lieber alle miteinander gehen .
Sie warteten , bis Thieß wiederkam .
Er brachte sie durch den Wald bis an den Rand der Heide , hielt die Hand über die Augen und sah ihnen nach , bis die Abendsonne , die durch Nebel und Wolken schwach herüberleuchtete , ihm die Augen blendete .
Die Kinder sahen sich nicht mehr nach ihm um ; sie gingen eilig und still in die Richtung nach Ringelshören über die Heide .
Fünftes Kapitel Klaus Uhl hatte immer davon herumgeredet , daß sein Jüngster ein Gelehrter werden sollte .
" Jörn soll studieren , " sagte er , " das ist selbstverständlich . "
Und wenn er so in halber Trunkenheit in bester Laune war und zu prahlen anfing , dann kam wieder der alte großartige Gedanke .
" Landvogt soll er werden , " sagte er .
Dann lachten die Bauern und die Händler , die mit ihm am Tische saßen , und sagten :
" Er soll ein Kerl werden , wie Landvogt Lornsen von Sylt .
Solch ein Kerl soll er werden !
Prosit , wir trinken auf Jörn Uhl , den Landvogt . "
So war das Wort wieder und wieder gefallen ; und es war eine Ehrensache für Klaus Uhl geworden .
Aber obgleich er am Biertisch in der Stadt zuweilen Lehrer von der Lateinschule traf , fragte er sie doch nicht um Rat und Wegweisung .
Denn er war in seinem Gewissen unsicher .
Er fürchtete , zu hören , daß ein sehr kluger Kopf dazu nötig wäre , daß der Junge schon Ostern auf die Schule müsse , oder daß es sonstige unangenehme Fragen zu entscheiden gäbe .
Er mochte sich in seinem gemächlichen Leben und Treiben nicht stören lassen .
Er sprach nur einmal so zufällig und gelegentlich mit Lehrer Peters , so mit echter bäuerlicher Gleichgültigkeit .
Und als der sagte , daß er den Jungen gern ein wenig extra unterrichten und auf das Gymnasium vorbereiten wollte , nahm er das an und war froh , daß er vorläufig keine unangenehmen Gänge zu tun brauchte .
Also saß Jürgen neben dem alten Lehrer Peters im Sofa , und sein Haar war hell , kurz geschoren und stand steil auf ; und seine tiefliegenden Augen sahen wieder wie Füchse aus ihren Höhlen in das englische Buch hinein und rissen die Weisheit an sich , die darin stand .
Lehrer Peters hatte nämlich die Meinung , daß die Kenntnis des Englischen die erste Stufe zu allem Wissen und zu aller großen Bedeutung in der Welt wäre .
Zuweilen , wenn Zeit übrig war , trieben sie auch ein wenig Latein ; aber das gaben sie bald wieder auf .
Es war ein schöner Sommertag ; die weiße Dorfstraße lag still und leuchtend zwischen den grünen Bäumen .
Die Linden am nahen Straßenrand überschatteten die Fenster .
Die Stube war voll dunkelrotem , heimlichen Licht .
" Jürgen ! " sagte der Alte .
" Ich muß rasch ' Mal sehen , was die Bienen machen .
Übersetze still weiter ; ich komme gleich wieder . "
Jürgen übersetzte weiter .
Eine Biene kam durchs offene Fenster herein , summte durchs Zimmer , merkte , daß sie sich ganz und gar verirrt hatte , summte zorniger und flog wieder hinaus und nahm des Jungen Gedanken mit , daß er eine Weile in Träumen aus dem Fenster sah .
Er sah mit neugierigen Augen in die Welt und hatte eine wachsende Liebe zu den Büchern , besonders zu solchen , welche eine feste , klare Erkenntnis überliefern , später auch wohl zu solchen , die nüchterne , bedächtige Grübeleien enthielten .
Er sagte damals zu Fiete :
" Ich will die ganze Welt verstehen . "
Und er hat in seinem Leben wirklich ein gut Teil davon verstanden .
Fiete Krey sagte : " Hunderttausend Taler will ich haben , dann will ich mir die Uhl kaufen und darin wohnen , bis ich tot bin . "
Nun waren sie beide dabei , ihre Wünsche ins Wirkliche zu bringen .
Fiete Krey , der konfirmiert war und sich auf der Uhl als Dienstjunge vermietet hatte , riß den Pferden im Stall Haare aus den Schwänzen und verkaufte sie für gutes Geld und trieb nebenbei einen kleinen , selbständigen Handel mit Striegeln und Peitschenschmecken .
Jürgen Uhl aber saß über dem englischen Buch und wunderte sich , daß es Menschen gab , die eine so sonderbare Sprache hatten .
Die Fenster standen offen , und die Vögel sangen in den Linden , und die Bienen summten in der goldigen , dämmerigen Luft , die sichtbar zwischen den Linden und dem Fenster stand .
Da kamen lange , leise Schritte unter der Hauswand entlang , und der helle , schmale Kopf von Lisbeth Junker erschien im Fenster :
" Da sitzt du ! " sagte sie , " komme heraus . "
" Was tust du ?
Angelst du ? "
" Ich habe schon zehn große , dicke Kerle .
Eben haben sie den Wurm abgebissen .
Komme heraus !
Großvater hat dich schon lange vergessen . "
" Wie sieht dein Haar aus ! " sagt er .
" Was denn ?
Rauh , nicht ? "
Sie wunderte sich , daß er etwas an ihr zu tadeln hatte .
Aber mit einem Male verstand sie ihn : " Ach , du meinst :
so blank von der Sonne ? "
Sie drehte den Kopf rasch um :
" Siehst du ?
Da geht ein kleiner Strahl durch die Linde , gerade auf meinen Kopf los , als wenn er mich schießen will .
Siehst du ?
Aber rauh ist es sicher auch ; ich bin nun schon dreimal durch den Zaun gekrochen und habe hier ins Fenster gesehen . "
" Ich dachte , du wärst durch die Sonne gekrochen . "
" Komme man ruhig heraus ! " sagte sie .
" Das Bißchen lernst du noch leicht ; so schwer kann es nicht sein , Landvogt zu werden . "
Da ließ er das Buch und kam zu ihr heraus .
Er war ihr immer gern zu Diensten und konnte ihr keine Bitte abschlagen ; denn sie erschien ihm so fein und vornehm und die Klugheit selber .
Er verkehrte freundlich und vorsichtig mit ihr , wie ein kluger und guter Mensch immer tut , wenn ein noch Besserer sein Kamerad wird .
Er war so ängstlich besorgt , ihr zu mißfallen , daß er noch nicht wieder gewagt hatte , Heintüüt zu ihr zu sagen , obgleich es ihm immer wieder als etwas besonders Liebliches ausfiel , daß sie eine so volle , helle Stimme hatte , wie von reinem Silber .
Es herrschte damals unter den Kindern im Dorfe ein ziemlich lauter und gewöhnlicher Ton , und im Hause des Vaters hörte er viel Rohes .
Es war sein besonderes Glück , daß er in gefährlichen Jahren mit diesem Kinde zusammengeführt wurde , das alles Gute und Feine in ihm wachhielt und stärkte .
Durch den Zaun krochen sie an den Teich .
Er war bei seinen dreizehn Jahren eigentlich schon über das Stichlingfangen hinaus :
aber sie sagte immer alles so selbstverständlich , daß er nicht nein sagen konnte .
Auch war er immer glücklich , wenn er tat , was ihr gefiel .
Und alles , was ihr gefiel , und um was sie ihn bat , konnte er tun .
Wenn das Begehrte auch zuweilen ein wenig unter seiner Knabenwürde war , so war es doch nie unverständlich .
Elsbe verlangte zuweilen Unverständliches .
Sie saßen bei einander im Grase unterm Busch und sprachen leise .
Sie erkundigte sich nach Elsbe und Fiete .
" Du , was will Fiete werden ?
Will er auch Handelsmann werden , wie sein Vater und die anderen Kreien ? "
" Nein , das will er nicht . "
" Was denn ? "
" Ja , manchmal will er nach Kalifornien und Gold graben , und manchmal will er Kutscher werden . . . beim Landvogt , glaube ich . "
" Ach so , bei dir !
Das soll er man lieber tun als das Gold graben . . . Es ist furchtbar warm heute . "
Sie schwieg eine lange Zeit .
Die Sonne schien ; die Vögel sangen , und allmählich , langsam , sank ihr Angelstock tiefer , ihr Kopf neigte sich im kommenden Schlaf auf seine Schulter .
Es war alles wie verhext und verwunschen .
Als wenn das nicht wirkliche Häuser wären , deren Mauern und Türen hier und da zwischen den Linden durchsahen , und nicht wirkliche Linden mit satten , vollgrünen , stillen Blättern , sondern als wenn Häuser und Bäume und der Spiegel des Teiches und die Kinder am Teiche und ihre Angelstöcke , als wenn das alles fein sauber und klar hingemalt wäre , und man müßte mäuschenstill darin sitzen , weil es doch nicht Brauch ist , daß im Bilde sich etwas bewegt .
Und das ganze Bild war sauber gemalt , mit großer Liebe , ein wenig simpel ehrbar und ein wenig derb fruchtbar , und hing in Gottes bester Stube .
Der Angelstock lag ganz im Wasser , und das Mädchen lag an seiner Schulter , und der Knabe sah mit seinen tiefen Augen in das Bild , zu dem er selbst gehörte , und fühlte das Haar an seiner Wange und das leichte , schöne Atmen und rührte sich nicht .
Von fern her kam immer näher ein leichter Wagen die Dorfstraße entlang und hielt auf der Straße vor dem Schulhause .
Dadurch wurde das verschlafene Mädchen wieder munter .
Lehrer Peters kam eilig aus der Tiefe des Gartens und trat verwundert an einen gebeugten , grauköpfigen Mann heran , der schon an der Gartenpforte stand , und sagte :
" Wollen Sie ins Haus kommen , Herr Landvogt ? "
" Wir wollen im Garten bleiben , " sagte der Landrat , " und wollen hier ein wenig hin und her gehen .
Meine Frau schickt mich , sie möchte wieder Winteräpfel von Ihnen haben . "
Sie sprachen noch eine Weile über diese Sache ; dann fiel der Landrat plötzlich aus dem Plauderton und sagte leise und langsam :
" Ich komme noch zu einem anderen Zweck .
Ich kenne Sie schon viele Jahre und weiß , daß Sie ein gutes Urteil über Menschen und Dinge haben .
Sie haben die Bedächtigkeit im Urteil , die derjenige zu haben pflegt , der von Haus aus eine nüchterne , ruhige Natur ist und mitten im Volke seinem Beruf nachging und im Laufe der Jahre sich manche Erfahrung und etwas Vermögen erwarb . "
Er lächelte ein wenig : " Das letztere halte ich nicht für unwichtig , " sagte er .
" Ich möchte über volkswirtschaftliche Dinge nicht den Rat eines Mannes hören , der nicht etwas selbstkondensierten Fleiß , d. h. Geld , auf Zinsen hat .
Ich möchte Sie über die hiesigen Marschbauern befragen : über die Ulen . "
Der Alte , erregt durch die Ehre , die ihm widerfuhr , und erfreut , daß er vielleicht ein gutes Werk tun könnte , gab mit verhaltener Stimme Auskunft :
" Klaus Uhl ist der schlimmste , der Tonangeber und der Verderber vieler anderer .
Bei wohlwollender und friedlicher Natur ist er ein Narr vor Hochmut .
Die Kinder auf dem Spielplatz machen ihm den Blick nach , wie er die kleinen Leute von unten bis oben ansieht .
» Tue ' man nicht wie Klaus Uhl , « sagen sie , wenn einer stolz ist .
Und es wird erzählt , daß er kleinen Leuten den Lohn nie anders als aus der Westentasche bezahlt , selbst wenn es Hunderte von Marken sind . "
Die beiden gingen den Steige am Hause hinunter , sprachen weiter und kamen wieder herauf .
" Was kann auf den Höfen geschafft werden , wenn die Besitzer so leben ?
Alles wird lässig betrieben .
Die Leute verschlafen die Zeit , die Tiere werden vernachlässigt , der Acker verarmt .
Das Schlimmste aber ist , daß die heranwachsenden Kinder das wüsste Leben der Eltern sehen , und die ganze lotterige Wirtschaft für in Ordnung halten und so ins Elend laufen wie die nüchternen Kälber gegen die Wand . "
" Und die Frauen ?
Das möchte ich wissen . "
" Was die sagen ?
Wir haben einige , die treiben ihre Männer an , wenn sie ein wenig schläfrig werden , daß sie wieder ins wilde Treiben hineinkommen , und machen alles mit .
Da ist eine Frau , Mutter von acht Kindern , welche mir ins Gesicht hinein gesagt hat , daß sie in der letzten Woche siebenmal , Abend für Abend , bis an den Morgen , in Gesellschaften gewesen ist , und ich kenne eine andere , welche über ihre Hofstelle fuhr und ihr sechsjähriges Kind zu sich auf den Wagen heben ließ und , indem sie ihre grobe Prahlerei unter Bedauern verbarg , in Gegenwart des Hofarbeiters sagte :
» Ich habe das kleine Wurm in acht Tagen nicht gesehen ; morgens , wenn ich aufstehe , ist es schon in die Schule gegangen , und abends , wenn es wiederkommt , ist die Mutter schon wieder ausgeflogen .
Aber , was soll man tun ?
Eine Einladung folgt der anderen . «
Das wissen Sie ja auch , Herr Landvogt : wenn die Frauen unklug werden , dann werden sie es gleich ganz .
Andere Frauen freilich sitzen still und vergrämt im Hause , tun ihre Arbeit , sorgen für den Hof und machen sich um die Zukunft bittere Sorge . "
" Nun sagen Sie noch eins !
Ich kann es ja leider nicht hindern , daß ein Mensch sich und die Seinen von Haus und Hof ins Elend bringt .
Aber ich habe unter der Hand erfahren , daß , gleichsam von dem Geruch dieses Kirchspiels angelockt , sich zweifelhafte Geldleute oder Agenten hier sehen lassen und zu Ultimospielen verleiten wollen . "
Der Alte sah bedächtig auf den Steige .
" Ich erinnere mich jetzt , daß Klaus Uhl in unserer letzten Sparkassensitzung mit Karsten Rievert über allerlei Papiere sprach und das Wort » Ultimo « dabei genannt wurde .
Was ist denn das , Herr Landvogt ?
Ultimo ? "
" Ja . . . wenn ein Bauer anfängt , mit Geld zu spekulieren , dann verliert er sein Geld , nicht ? "
" Ja . . . immer !
Jochen Mill verlor in drei Wochen seine ganzen 150000 Mark . "
" Na , sehen Sie !
Und wenn nun einer » Ultimo « spielt , dann kann er nachher ganz genau sagen , wann er sein Geld verloren hat .
Das ist der ganze Unterschied . . . Was war mit Jochen Mill ?
In drei Wochen , sagen Sie ? "
" Ja .
Er verkaufte seinen Hof und ging nach Hamburg , um dort in drei Jahren zehnmal reicher zu werden , sagte er , als er schon wäre .
Es soll die reine Treibjagd gewesen sein .
Alle die Marder , die um die Börse schleichen , auf den einen dummen Bauern !
Sie haben schon draußen in Haufen gestanden und auf ihn gewartet , und haben ihm vom Pferde geholfen ; denn er war zu großartig , um zu Fuß zu gehen .
Es soll jedesmal ein großes Hallo gewesen sein .
Einige haben es übertrieben , haben ihre Röcke ausgezogen und auf die Stufen legen wollen , damit er , ohne die Erde zu berühren , in die Halle käme .
Aber er hat von all dem Spott nichts gemerkt .
Er hat immer gedacht :
» Welche Ehre , Ehre ! «
Nach acht Wochen war alles Geld weg ; seine Verwandten kauften ihm eine kleine Wirtschaft bei Hamburg , wo er jetzt » Lütt und Lütt « verschenkt , wie sie da sagen . "
" Kommen Sie , " sagte der Landrat .
" Nun wollen wir in den Garten gehen und eine reine Freude haben . "
" Gibt es nicht , Herr Landvogt .
Die Raupen vom Blattwickler tun der Apfelernte viel Schaden . "
" Nun . . . doch beruhigt es , " sagte der Landrat , " von dem Irren der Menschen weg zur Natur zu gehen und zu sehen , wie sie leidet und kämpft , tapfer und ohne Lärmen , wie ein frisches , ehrliches Menschenkind sich durchkämpft bis ans Grab . "
Sie gingen in den Garten hinab .
" So ! " sagte der Junge und legte den Angelstock hin .
" Nun will ich wieder in die Stube gehen und lernen .
Es ist da eine furchtbar schwere Stelle in dem englischen Stück . "
Er drängte sich wieder durch den Busch und ging ins Zimmer und sah wieder ins Buch .
Bald darauf fuhr der Wagen davon , und der Alte kam wieder herein .
" Du bist noch hier ? " sagte er .
" Bist du immer hier gewesen ?
Bei dem offenen Fenster ? "
" Nein ; ich habe bei Lisbeth gesessen . "
" Wo denn ? "
" Unten am Teich .
Wir haben Stichlinge gefangen . "
" So !
So ! "
. . .
Er ging hin und her und sah aus dem Fenster und kam wieder zurück : " Na , denn man zu !
Weißt du was ?
Ein Junge muß schweigen können , sonst wird er niemals ein ordentlicher Kerl . "
" Ich kann auch schweigen , " sagte Jörn Uhl , und sah hart und lang vor sich hin .
" Na ! . . .
Weil es mir gerade einfällt , so will ich dir ' Mal was erzählen ; es kann dir nicht schaden . . . Sieh ' Mal : Alte Leute , die nun schon lange schlafen , haben mir in meinen jungen Tagen erzählt , daß dein Urgroßvater mit einem mächtigen Klüverstaken über die Gräben sprang und querfeldein ins Dorf zur Kirche gekommen sei ; er ist ein langer , hagerer , gebückter Mann gewesen und hat nach der damaligen Sitte einen hohen , schwarzen Hut getragen .
Bei diesem Jörn Uhl , deinem Urgroßvater , ist der damalige König zwei Tage zu Gast gewesen .
Weißt du das ? "
" Ja , das hat Wieten mir erzählt . "
" So !
Dein Vater nicht ?
Nun : der König und Jörn Uhl sind bis in die Nacht allein miteinander in der Stube gewesen und haben über die Zustände der Landschaft gesprochen , und Jörn Uhl soll sehr harte Worte gesagt haben .
» Uhl ! «[ hat der König gesagt :
» Er vergißt , daß Er mit dem Landesvater redet ! «
Jörn Uhl aber hat laut geantwortet :
» Wenn Sie Landesvater wären , würden Sie solche Betrügereien entdecken und so schlechte Beamte nicht dulden . «
Der König hat sich gewehrt :
» Das Königreich ist zu groß , Uhl !
Ich kann nicht alles übersehen . «
Aber der Alte hat gesagt :
» Die Sommerdeiche sind auch groß , und doch kenne ich jeden Wasserzug und jeden Ochsen , der da grast . «
" Kurz und gut :
Am anderen Tage ist im landschaftlichen Haus Revision und Gericht gewesen , und drei Kirchspielvögte der Landschaft , die ihr Amt gebraucht hatten , um reich zu werden , sind mit Schimpf aus dem Amte gejagt worden .
Dein Urgroßvater aber hat Obervollmacht bekommen und hat bei Gelegenheit dieses Besuches den König zu neuen Deichbauten überredet , und hat dem König , der dazu kein Geld hatte , dreißigtausend Taler vorgestreckt .
Das ist alles so geschehen , wie ich gesagt habe .
" Nach einigen Jahren , als dieser fleißige und tüchtige König gestorben war , ist ein anderer ans Ruder gekommen , der sich um seine Pflicht nicht viel gekümmert hat .
Da ist der Staat zurückgekommen ; es ist noch dazu ein langer Krieg entstanden .
So ist es gekommen , daß dein Urgroßvater keine Zinsen bekam und bald gemerkt hat -
denn er war ein aufmerksamer , schlauer Mann - , daß das ganze Kapital in Gefahr war .
Da ist er , kurz entschlossen , nach der Hauptstadt gereist .
" Nun weiß ich nicht , wie die Geschichte wirklich und genau verlaufen ist ; ich kann es nur wiedergeben , wie hiesige alte Leute es zu erzählen pflegten .
Dein Urgroßvater , damals schon weißhaarig , geht also in des Königs Schloß und bittet höflich um eine Unterredung .
Als der Diener ihn so von oben ansieht und sagt , der König wäre nicht zu sprechen , da sagt er :
» Jörn Uhl von Wentorf wäre da .
Das solle er melden . «
Als der Diener dennoch nicht springen will , tut der Alte ein paar rasche Züge aus seiner Meerschaumpfeife und hebt den Kälberstaken , den er als Handstock oft bei sich hatte , und kommt richtig bis vor das Zimmer des Königs , wird angemeldet , stellt Stock und Pfeife in die Ecke und will hineingehen .
Da kommt der König in einem kunterbunten Schlafrock auf ihn zu und hat einen großen , blanken Ordenstern in der erhobenen Hand und lächelt freundlich .
Aber im selben Augenblick hat Jörn Uhl sich umgedreht und hat seine Sachen von der Erde aufgerissen .
Und als der König ihm doch nachkommt , hält er abwehrend die Pfeife und den Kälberstaken hoch und ruft : » Orden und kein Geld ?
Orden und kein Geld ? « und macht , daß er die Treppe hinunterkommt .
Und geht zu den Ministern .
Er hat zwar ziemlich viel verloren ; denn der ganze Staat machte Bankrott ; aber er hat lange nicht so viel eingebüßt als die anderen .
" Sein Sohn dann , dein Großvater . . . Ja !
. . .
Der war ein gutmütiger , freundlicher Mann !
Aber das , Jürgen , das war auch rein alles , was man von ihm sagen kann !
Und das ist wenig , Jürgen .
Es ist schlimm , mein Junge , wenn man von einem Manne nicht mehr sagen kann , als daß er gutmütig gewesen sei .
So weich und leicht , wie er redete , so weich und leicht pflügte er auch .
Ich habe ihn noch gut gekannt .
" Na . . . und dann bekam dein Vater den Hof .
Dein Vater . . . "
Der Knabe sah auf und sah dem Alten trotzig in die Augen , als wollte er sagen : " Ich weiß wohl , was du sagen wirst .
Ich will dir aber nicht zeigen , daß ich glaube , was du sagst . "
Da verstummte der Alte , als er den Blick sah , und fuhr mit allen fünf Fingern durch den Bart , als wollte er das alte Grauwerk auf die Brust herabreißen , und sagte in wieder angenommenem steifen und lauten Lehrerton :
" Was sagt der große Dichter Goethe , der Herold dieses Jahrhunderts , in dem wir leben ?
» Was du ererbt von deinen Vätern hast : erwirb es , um es zu besitzen ! «
. . . Nun gehe , Jürgen !
Ich muß in die Sparkassensitzung . " * * * Früh am anderen Morgen , als die Sterne eben vom blaugrauen Himmel verschwunden waren , stand der Junge auf und ging pfeifend und singend und mit den Türen schlagend durch das ganze Vorderhaus und kam in den Stall .
Wieten stand mit den Milcheimern im Gang .
" Jung ' , " sagte sie .
" Was ist dir eingefallen , die Uhr ist noch nicht vier ? "
Er lachte und tat ganz harmlos und sagte , er hätte nicht mehr liegen mögen , es wäre ihm so heiß gewesen .
" Wo ist Fiete ? " sagte er .
" Den habe ich glücklich herausgebracht , " sagte sie .
" Über den habe ich noch Gewalt . "
Er ging laut pfeifend die Diele auf und ab und kam wieder zu Wieten Penn in den Stall und fragte nach den Mädchen .
" Ich bin bange , mein Junge , die liegen noch beide im Bett .
Willst sie doch nicht besuchen , Jörn ? "
" Du bist doch die Haushälterin ?
Du kannst ja man befehlen . "
" Das ist nicht so einfach , " sagte sie .
" Sie stehen sich mit August und Hinrich zu gut :
Da dürfen sie etwas länger schlafen . "
Da ging er nach dem Verbindungsgang und warf im Vorbeigehen einige Holzstücke , die da an der Küchentüre lagen , gegen die Tür der Mädchenkammer und sang und pfiff , daß seine frische Jungenstimme hell durch das morgenstille Haus klang .
Wie der erste Vogel im Garten am frühen Morgen stolz auf sein Lied und zugleich schüchtern ist , so sang er .
Er ging auch hinaus , um unter den Fenstern entlang zu gehen .
Da sah er seinen Bruder Hans , der vor drei Jahren konfirmiert war , vom Dorfe her über die Weide kommen .
Er ging ihm entgegen und lachte übers ganze Gesicht und sagte fröhlich :
" Junge , Hans !
Ich meinte , du lägst noch im Bett !
Bist du schon nach der Mühle gewesen , oder warst du beim Schmied ? "
Da kam der Bruder näher und schlug ihn .
" Du Lapp ! " sagte er mit schwerbetrunkener Zunge und stieß ihn vor die Brust , in den Pferdestall hinein .
Er wollte noch einmal zuschlagen , traf aber nicht und mußte sich an ein Pferd anlehnen ; das wurde unruhig und fing an zu trampeln .
Da kam Fiete Krey zwischen den Pferden hervor , den Striegel in der Hand .
" Was ist hier los ?
Hast du den Jörn geschlagen ?
Rühr ihn nicht an , du !
Das sage ich dir , wir beide , Jörn und ich , wir verhauen dich , daß du nicht gehen und stehen kannst . "
Am Nachmittage , als der Vater nach seiner Gewohnheit in die Stadt fahren wollte , bot Jörn sich an , die Pferde anzuschirren und vor der Haustür vorzufahren .
Als er alles flink und richtig besorgt hatte und ganz flott mit den beiden schmucken , braunen Pferden um die Hausecke getrabt war , stieg er wieder ab und stand vor den Pferden und hielt das Handpferd am Zügel und tippte ihm auf die Nase und summte jedesmal dazu :
" Ultimo ist Unsinn . "
Klaus Uhl hörte es auf der Diele und sagte : " Hörst du den Duckmäuser , Wieten ?
Was fällt dem ein ? " und er lachte .
" Er hat schon den ganzen Morgen gesungen , " sagte sie .
Er sang unterdessen unverdrossen fort : " Ultimo ist Unsinn . "
" Was singst du da ? " sagte Klaus Uhl .
" O , " sagte er gleichmütig .
" Der Landrat war gestern bei Lehrer Peters , und ich hörte zufällig : » Alle , die Ultimo spielen , die machen Bankrott . « " " Na nun ? "
. . .
Er stieg in den Wagen und lachte herzlich :
" Junge , Jörn ! " sagte er .
" Denn spiele doch man ja nicht Ultimo . "
Der Junge lachte hell auf , und der Vater fuhr davon .
Man hörte noch sein herzliches und frohes Lachen , das so recht voll und leicht aus der Brust herauskam .
Obgleich er in dieser Zeit hoch aufschoß und ihm das Aufstehen so schwer wurde , ließ er sich doch jeden Morgen von Fiete Krey wecken , ging , wie von ungefähr , durch Küche , Stall und Felder und wurde den anderen zum unruhigen , wandernden Gewissen .
Als einmal zwei Pferdehändler im Stalle standen und in Abwesenheit des Vaters mit August , dem ältesten Bruder , handelten , stand er dabei und wich nicht .
Da sagte der eine von den Händlern :
" Du , Junge , gehe doch ' Mal nach der Hofstelle und sieh zu , ob unser Gespann ruhig steht . "
Da ging er .
Nachher sagte dieser zum anderen :
" Merkwürdig , die Augen des Jungen störten mich .
Als wenn ich ein Pferdedieb wäre : so sah er mich an . "
Der andere lachte :
" Mir kam es auch kurios vor .
Er hielt uns mit den Augen fest .
Ich mußte immer nach ihm hinsehen .
Pass auf , das ist der einzige von Klaus Uhls Kindern , aus dem etwas wird .
Der ist ein Wietkieker . "
Als die Brüder eines Tages einem Aufkäufer einige Fuder Heu hinwogen , stand er wieder dabei und mäkelte zuletzt an dem Gewicht .
" Er bekommt zu viel ! " sagte er .
Die Brüder , die betrunken waren , und der Aufkäufer , der ein kluger Spaßmacher war , lachten .
Als der Aufkäufer aber merkte , daß es dem Jungen mit seinem Mäkeln ernst war , beklagte er sich mit würdigen Worten , er könne sich solche Bemerkungen nicht gefallen lassen , am wenigsten von einem grünen Jungen ; es sei ihm so etwas noch nicht widerfahren .
Da flammten die Brüder auf und jagten ihn mit den Forken aus der Scheune .
Er ging aufs Feld und ging stundenlang neben Fiete Krey her , der pflügte .
Als es Herbst wurde , hatte Elsbe zusammen mit Lisbeth Junker bei der alten Großmutter Peters Nähschule und ein wenig Französisch .
Sie war eine alte , freundliche Frau , die über vierzig Jahre mit ihrem Mann Glück und Leid gemeinsam getragen hat .
Aber auf dem Gebiete der fremden Sprachen konnten die beiden nicht zusammenkommen .
Die Frau hatte in ihrer Jugend Französisch gelernt und lobte und lehrte diese Sprache .
Er aber hatte es im Englischen so weit gebracht , daß er ein nicht zu schweres Buch in dieser Sprache lesen konnte ; dazu hatte er dann und wann Gelegenheit , mit englischen Schiffern zu sprechen .
Beide hatten einmal versucht , des anderen Sprache noch dazu zu lernen , hatten es aber wieder aufgegeben .
Also sah man die beiden alten freundlichen Leute oft , jeder an seinem Fensterplatz , seine Sprache treiben , wobei sie sich auf plattdeutsch unterbrachen und neckten , indem jeder die Sprache des anderen verketzerte und sich über das Volk ausließ , das sie sprach .
Elsbe Uhl , die ihrer Mutter das Leben gekostet hatte , war voll überstarker Lebenslust , wie man oft bei solchen Menschen findet , die , von großen und starken Eltern geboren , kurz von Statur geblieben sind .
Sie war für ihre elf Jahre klein ; aber sie hatte Saft und Kraft und war dabei rank wie eine junge Esche .
Die älteren Brüder übersahen sie vollständig ; sie war aber mit Jürgen und mit Fiete Krey ein Herz und eine Seele .
Oft , wenn sie nachmittags vom Dorfe her über die Wiesen kam , standen die beiden an der Stalltür und sahen nach ihr aus .
Dann hob sie die Büchertasche hoch über den Kopf und winkte damit , und wenn es ihr einfiel , machte sie aus Schelmerei ein hochmütiges Gesicht , indem sie den Kopf zur Seite bog .
Sie nannte das :
» Profil zeigen « .
Fiete hatte nämlich behauptet , daß sie von der Seite , besonders von der linken , besser aussehe als von vorne .
Die ganze kleine Person war in Bewegung , die Füße glitten und schritten ; an Knie und Hüften schlug das Kleid , die Arme bewegten sich , als müßten sie sich durch hohes rät hindurcharbeiten , statt durch schweren Wind .
Wenn sie dann am Grabensteg angekommen war , rief sie durch das sausende Wehen und Baumrauschen :
" Soll ich gehen oder soll ich springen ? "
" Springen ! " schrien die Jungen .
Das Küchenfenster wurde aufgerissen , und Wieten rief : " Lasse ' dir von den dummen Jungen nichts vorschnacken . "
" Ärgerst du dich , Wieten , wenn ich springe ? "
" Nein , durchaus nicht !
Bewahre !
Tue , was du willst . "
Sie schlug das Fenster zu .
Die Bücher flogen zuerst hinüber , dann sie , mit kurzem , starkem Anlauf .
Sie kam hinüber und sank ein wenig ins Knie und rief : " Das war ein feiner Sprung , was ? "
Fiete nickte und plierte mit den Augen und schickte Jörn nach der Küche , das Vesperbrot zu holen .
Als er fort war , pfiff er leise vor sich hin und sah in die Luft .
" Weißt du , " sagte er , " ich habe dich hier manchmal den Gang entlang auf dem Arm getragen , als du noch so klein warst . "
" Das lügst du . "
" Wenn ich sage , daß du dir einen tüchtigen Aal geholt hast und beide Füße naß hast , dann lüge ich nicht . "
Da lachte sie :
" Du sagst es nicht zu Wieten !
Warte , ich komme gleich wieder . "
Nach einer Weile kam sie wieder :
" Ich habe die Strümpfe richtig gekriegt , ohne daß sie es gemerkt haben .
Ich will sie hier rasch anziehen . "
Sie ging in einen leeren Pferdestand und zog sich rasch um und kam wieder heraus .
" Nun pass auf ! " sagte sie .
Sie nahm einen wilden Anlauf , wie vorhin am Graben , und sprang ihm in die geöffneten Arme an die Brust und zappelte mit den Händen und Füßen und lachte , und er hielt sie fest .
" Deern , lüttje Witte ! " sagte er .
" Was bist du für eine wilde Hummel . "
" Still , lass mich los !
Jörn kommt . "
Da ließ er sie rasch los , und als Jürgen mit dem Brot den Gang entlang kam , taten sie , als wenn nichts geschehen wäre .
Es war gut für das starke , lebensvolle Mädchen , daß in ihrem Freunde , dem Fiete Krey , im nächsten Jahre der erste Stolz angehender Männlichkeit entstand , und er das Kind , » die lüttje Witte « , wie er sagte , ein wenig zurückdrängte und sein Herz an das Kleinmädchen hing , das unter Wieten Leitung in der Küche arbeitete , ein zierliches , frisches Mädchen , die mit ihm im gleichen Alter war und seine Liebe erwiderte .
Er war aber ein Schelm , als ein Krey , und brach nicht ganz mit der kleinen Elsbe .
Um Allerheiligen kam sie eines Tages aus der Nähstunde in den Stall und sagte zu den beiden :
" Lehrer Peters , der sich um jeden Quark kümmert , sagte heute , es wäre jetzt eine schwere Zeit für viele Leute , weil sie Zins bezahlen müßten , den sie schuldig sind .
Mich soll 'mal wundern , ob denn nun auch zu uns Leute kommen und Vater Zinsen bringen . "
Jürgens Augen eilten scheu umher ; Fiete Krey pfiff dazu .
Nicht lange danach , als sie ihr Vesperbrot verzehrt hatten , kam ein kleiner , alter Mann , ganz gerade und steil , mit eisgrauem , kurzem Haar und einem schmucken , klugen Gesicht über die Hofstelle auf die drei zu und fragte , ob der Bauer zu Hause wäre .
Elsbe sagte , daß er nach dem Dorfe gegangen wäre und bald wiederkommen würde .
" Ich möchte ihn gern sprechen , " sagte der Alte .
Die drei sahen ihn an , und da er wegemüde schien , sagte Fiete gutmütig :
" Gehen Sie ein wenig in die Stube , bis der Herr kommt . "
Da gingen die beiden Kinder mit ihm über die Diele und wollten gerade mit ihm ins Vorderhaus treten , als Hinrich und Hans aus der Küche kamen .
Hinrich sagte : " Nanu ?
Wen habt ihr denn da ? "
Und sie sahen den kleinen , steilen Mann von oben an .
Er hatte einen langen , blauen Rock von eigengemachtem Zeug an , wie sie es auf der Geest heute noch tragen ; seine Stiefel waren grau von Sand , und er hatte sein Vesperbrot in ein rotgewürfeltes Taschentuch geknotet .
Die Kinder sagten , daß der Mann den Vater sprechen wolle .
" Na , " sagten die beiden Großen , " warum denn gleich in die gute Stube ?
Lass ihn in Fiete Kreis Kammer gehen . "
Der Alte ging mit den beiden in die Knechtskammer , setzte sich dort nieder und sagte freundlich :
" Seid ihr die beiden Jüngsten von Klaus Uhl ? "
" Ja , " sagte Elsbe , " ich bin schon zwölf , und Jörn ist vierzehn . "
" Ihr seid freundliche Kinder , " sagte er .
" Die anderen sahen gleich nach dem Rock und sahen , daß ich ein Geestmann bin .
Ich nehme mein Vesperbrot immer von Hause mit , dann brauche ich nicht ins Wirtshaus zu gehen und Geld zu verzehren . "
Jörn sagte mit ernster Betonung :
" Wir beide , ich und Elsbe , wir sind immer ganz einfach und werden auch nie ins Wirtshaus gehen . "
" Wenn Ball ist , doch ! " sagte Elsbe .
" Ich niemals , " sagte er , " im ganzen Leben nicht . "
" Das ist recht , " sagte der Alte und lächelte .
" Dann brauchst du nicht Not zu leiden , wenn du alt bist , und kannst in Ruhe von deinen Zinsen leben . "
Da schlug Jürgen in sich , er kehrte sich um und ging aus der Kammer .
Er lief , wie gejagt , über die Diele und rannte draußen gegen seinen Vater , der mit fröhlichem , rotem Gesicht heimkam .
" Es ist ein kleiner Geestmann da , der will dich sprechen .
Er ist in der Knechtskammer . "
" Was ?
In der Knechtskammer ? "
Er ging eilig über die Diele nach der Kammer zu .
Als Hans ihm in die Quere kam , gab er dem eine Ohrfeige , daß er gegen die Holzwand flog , dann trat er in die Kammer ; es waren Jahre her , daß er darin gewesen war .
Was gingen ihn seine Knechte an , was ging ihn Fiete Krey an ?
Da saß der Alte , und Elsbe stand dicht vor ihm , und sie erzählten sich gerade von Thieß Thiessen , den sie beide gut kannten .
" Gehe hinaus ! " sagte Klaus Uhl .
" Es tut wir leid , Martens , daß die dummen Jungen Sie hierher geführt haben . "
Der Alte winkte abwehrend mit der Hand : " Ich bin nicht hierhergekommen , um gefeiert zu werden , sondern um meine 80000 Mark zu kündigen .
Meine Tochter will heiraten . "
Jürgen war wieder über die Diele zurückgelaufen und in die Küche gekommen und stand neben Wieten , die am Aufwasch stand , und hatte ihre Schürze angefaßt , wie kleine Kinder zu tun pflegen , bis sie sagte : " Jung ' , was fällt dir ein ?
Mache , daß du wegkommst ! "
Aber er sah sie so an , daß sie schwieg und ihm übers helle Haar strich und sagte : " Ja , es ist man gut , daß deine Mutter nicht mehr lebt . "
Sie sagte dies oder ein ähnliches Wort bei jedem besonderen Ereignis , das im Hause vorfiel .
Er verstand es nicht ganz ; aber er empfand , daß die Mutter mit dem Geist , der im Hause war , im Widerspruch stand , und obgleich es von der Mutter ein Bild nicht gab , und er sonst auch mit Phantasie sparsam begabt war , hatte er eine bestimmte Vorstellung , als wenn die Mutter mit totem , tiefbekümmertem Gesicht durch das Haus ging .
Er dachte sie sich aber groß und lang , während sie doch klein und rund gewesen war , eine Erscheinung , wie später Elsbe wurde .
An diesem Abend , als der Vater früher , aber auch betrunkener nach der Uhl zurückkam , trat Jürgen ihm auf der Diele entgegen , in Hemdsärmeln und eine Forke in der Hand , als käme er von ungefähr aus den Ställen , und sagte mit stockender Stimme :
" Vater , wenn wir so viele Schulden haben , müssen wir den Hof wohl bald verkaufen , " und er weinte laut auf .
Der Vater aber schlug ihn und jagte ihn von sich .
Er lief in die Knechtskammer und schlief dort bei Fiete Krey .
Von diesem Tage an ging er beiseite , wenn er das sorglose Lachen seines Vaters hörte ; ja er ging , wenn er sonst nicht wußte wohin , in die Scheunen und in die Gärten , die an dem großen Gewese lagen ; und sie fanden ihn zuweilen in das englische oder in das Schullesebuch versunken , in irgend einer Ecke gelehnt oder auf einem Baume oder Balken sitzend .
Er setzte es bei Wieten durch , daß er weiterhin bei Fiete Krey in der Knechtskammer schlief , welche von der Diele aus rechts , im Mittelgang , gegenüber der Küche lag , nach dem Apfelgarten hinaus .
Dort wohnte er von nun an elf Jahre , nämlich bis zu seiner Verheiratung , die zwei Jahre der Soldatenzeit abgerechnet , und das Jahr da er gegen Frankreich im Felde lag .
Sechstes Kapitel Beim Fohlenstall , nicht weit von der Außentür , stand eine alte Bauernlade als Futterkiste .
Sie war aus Eichenholz gearbeitet und zeigte Formen in schlichter , edler Schnitzerei , links den verlorenen Sohn , im Begriff , in reicher Kleidung und mit schwerem Geldbeutel seinen Vater , der vor der Haustür steht , zu verlassen , rechts denselben Sohn , wie er in Lumpen heimkommt .
Über den Bildern stand , von dem eisernen Schlüsselschild in zwei Teile geteilt , der Satz : " Der Segen des Herrn macht reich ohne Mühe . "
Unten stand : " Klawes Uhl 1624 . "
Sie war vor dreihundert Jahren im Haushalt des Klaus Uhl das Haupt- und Staatsstück gewesen , aber später war die Zeit reicher und der Geschmack schlechter geworden .
Sie war hübsch übermalt worden , einmal übers andere , bis der feine Ausdruck der Figuren verschwunden war , und war zuletzt in Verachtung gefallen und eine Futterkiste geworden .
Da sie nun aber als solche nicht mehr angestrichen wurde , fiel hier und da die dicke Farbenlage ab , und das graue , feste Holz kam wieder zum Vorschein .
Kein Mensch ahnte , daß etwas an ihr war .
Wenn diese alte , niedrige Lade erzählen könnte !
Herz hat sie ja , die so lange unter Menschen lebte !
Aber sie hat keinen Mund .
Auf dieser Lade sitzend , haben die Kinder von Wentorf die zwei Jahre lang , die Fiete Krey nach seiner Konfirmation als Dienstjunge auf der Uhl war , schwere und starke Lebenspläne geschmiedet .
Die hellen Kinderstimmen und das Lachen klang durch den Stall auf die Hofstelle hinaus , wie heller , klarer Hammerschlag am Schmiedefeuer .
" Fiete , komme her ! " sagten die Kinder .
" Hier ist das Vesperbrot . "
Jörn legte das Buch auf die Lade , den Stapel Brot daneben und setzte sich hin .
Elsbe saß schon da und baumelte ungeduldig mit den Füßen .
Fiete stellte den Stalleimer hin und setzte sich mit einem Schwung daneben :
" All riecht ! " sagte er .
Er schnappte immer etwas auf , sowie ihm ein Wort gefiel .
" Das ist nun abgemacht , " sagte Jörn ; " wenn ich jetzt vom Hause fortgehe , dann mußt du hier bleiben und mußt auf den Kram passen .
Sonst will ich nicht Landvogt werden . "
" Ja , ja ! " sagte Fiete , langsam und bedächtig , mit männlichem Brustton :
" Ich habe mich schwer dazu entschlossen ; aber ich will es tun ; ich will hier bleiben .
Früher hatte ich ja allerlei Graupen im Kopf , besonders Kalifornien hat mir lange in den Gliedern gelegen ; aber mit den Jahren kommt auch der Verstand .
Genug , ich bleibe hier . "
" Du bleibst hier noch einige Jahre als Knecht , " sagte Jörn , " nachher wird dein Vater auch bald alt .
Dann ziehst du zu ihnen und nimmst dir eine Frau und bist hier Tagelöhner und sorgst für den ganzen Hof .
Den Bürsten- und Besenhandel mußt du nicht anfangen ; du mußt nichts weiter tun , als für die Uhl sorgen und arbeiten .
Weißt du schon eine Frau ? "
" Kommt Zeit , kommt Rat , " sagte Fiete Krey .
" Frauensleute genug in der Welt ! "
Sie aßen eine Weile und tranken abwechselnd aus der braunen Schüssel , die zwischen ihnen stand , die frische Buttermilch .
" Wenn du man bloß erst auf der Schule wärst ! " sagte Elsbe und schlug mit den Hacken ungeduldig gegen den verlorenen Sohn .
" Ich will es schon fertig kriegen , " sagte Jörn und schüttelte die Faust und nickte ernst mit dem Kopfe .
" Ich freue mich so darauf !
Landmann möchte ich nicht werden , ganz und gar nicht .
Aber in den Büchern möchte ich arbeiten , immerzu .
Es ist bloß das eine bitterböse Bedenken : wenn hier nur alles in Ordnung ist , und darum muß Fiete hier bleiben . "
Fiete wischte sich den Mund und stellte die leere Schale mit festem Aufstoße auf die Lade .
" Du kannst ruhig Landvogt werden :
ich bleibe hier und besorge den ganzen Kram , darauf verlasse dich . "
Jörn hatte seine Bücher schon in der Hand und ging in den Garten in Gedanken davon .
" So , " sagte Elsbe , " nun sind wir allein .
Denke 'mal , du , ich habe Harro Heinsen gesehen ; er ist in der dritten Klasse sitzen geblieben und will nicht wieder hin .
Ich bin mit ihm über den Kirchhof gegangen .
Was er mir alles erzählt hat !
Ich sage dir , der ist klug . "
" Gib dich nicht zu viel mit ihm ab , " sagte Fiete .
" Du weißt , wie wir beide , du und ich , miteinander stehen . "
" Ach , ich weiß schon alles . "
" Glaubst du es nicht ?
Jörn wird Landvogt und ist uns nicht im Wege .
August heiratet bald und bekommt einen anderen Hof .
Hinrich ist jetzt schon Soldat , und Hans muß im nächsten Jahre den bunten Rock anziehen ; und sie sagen alle :
» Wenn der alte König stirbt , gibt es Krieg . «
Dann wird sicher doch einer von ihnen erschossen ; der andere bekommt einen fremden Hof .
Wer ist dann noch übrig ?
Sage 'mal , lüttje Witte , wer ist dann noch übrig ?
Du allein !
Du ganz allein !
Dann bin ich auf der Uhl Großknecht .
Und dann wird dein Vater alt und sagt : » Kinder , heiratet euch , daß ich in meinen alten Tagen meine Ruhe habe . «
So muß es kommen , und so wird es kommen . "
Sie nickte zerstreut und fing wieder von Harro Heinsen an :
" Seine Schwester ist schon Braut und ist erst achtzehn Jahre alt .
Wenn ich sechs Jahre weiter bin , will ich auch Braut sein ; wenn du mich dann nicht heiraten kannst , nehme ich einen anderen . "
" Laß dir nichts von Harro Heinsen vorreden , Elsbe ; er ist ein dummer Junge . "
" Ah , " sagte sie und dehnte die Glieder .
" Erzähle ' mir lieber ' was !
Harro Heinsen weiß immer so viel zu erzählen , so von den Großen , was die alles tun .
Lieschen Wiederhold hat am Markttag schon getanzt und ist kaum sechzehn .
Gehe du doch auch ' Mal zu Tanz , daß du mir ' was erzählen kannst .
Ich glaube , wenn ich so weit bin :
Ich tanze mich tot ; ich will tanzen , bis ich umfalle .
Wenn wir Mann und Frau sind , mußt du mit mir zu jedem Tanz . "
" Das will ich , " sagte Fiete Krey , " zu jedem Tanz .
Das ist ohne weiteres abgemacht . "
" Die Kinder bringen wir erst zu Bett , und dann gehen wir los . "
" Das stimmt . "
Sie lachte und trommelte mit den Füßen gegen die Lade und bog sich hin und her .
" Das wird ein Leben ! " sagte sie .
" Nun gehe , lüttje Witte ! " sagte Fiete Krey .
" Ich muß nun noch fix arbeiten .
Ich muß wacker dran , daß ich bald der Erste auf dem Hofe werde . "
Als die Kleine verschwunden war , ging er , gemächlich pfeifend , nach der Häckselkammer , die durch ein kleines , hochliegendes Fenster erhellt wurde , und setzte sich weich nieder und dachte :
" Die Kleine soll meine Frau werden , so wahr ich hier sitze .
Aber auf der Uhl bleibe ich dann keinen Tag länger ; ich fange einen großen Handel an , oder ich gehe mit ihr und ihrem Geld in die weite Welt und wohne in Hamburg und kaufe mir ein Hotel oder so etwas .
Wer Geld hat , kann alles .
Die dumme , kleine Deern !
Na , so dumm wie Jörn ist sie nicht .
Ich soll zeitlebens auf der Uhl tagelöhnern ?
Was vorn Einfall ! "
Er schüttelte den Kopf , stand auf und nahm vom Fensterbord ein starkes , zerlesenes Buch , das irgend ein früherer Knecht in der Leutekammer hatte liegen lassen , und setzte sich wieder in den weichen Häcksel und las , was das Buch zu erzählen wußte , von schweren Sturmfluten und von den alten Germanen und vom schwarzen Tod , von Kriegen und übernatürlichen Ereignissen .
Denn es war ein vielseitiges , tüchtiges Buch .
Der Deckel war verloren gegangen ; aber das Titelblatt war noch da , da stand : Gnomon von Klaus Harms .
Die Tiere in den Ställen fingen an , unruhig zu werden , und die Kälber schrien nach Fütterung .
Fiete Krey hatte das Buch hingelegt , saß zusammengesunken und fuhr mit allen zehn Fingern durch sein rotblondes Haar , und wälzte schwere Gedanken hin und her und sprach laut bei sich selbst und grübelte , wie er von all den vielen großen Plänen , die er hatte , den einen oder anderen ausführen konnte . * * * Klaus Uhl verbrachte die meisten Stunden im Wirtshause oder in den Bauerngesellschaften bei Witz und Politik und Kartenspiel , und in den wenigen Stunden , die er in seinem Hause war , spaßte er oder ging unruhig durchs ganze Gewese und sehnte sich nach dem Ort seiner Freude .
Er hatte sich um den Unterricht seines Jüngsten nicht gekümmert und wußte nicht , wie es ihm bei der Aufnahmeprüfung gehen würde , und scheute diesen Tag .
Denn nichts war ihm schrecklicher , als in eine lächerliche Lage zu kommen .
Da er so in Lug und Schein dahinlebte , erschreckte es ihn , als Jörn eines Tages zu ihm sagte : " Lehrer Peters hat einen Brief bekommen , daß ich übermorgen zur Prüfung kommen soll .
Die Schule fängt aber erst nach Ostern an .
Soll ich nun übermorgen mit dir zur Stadt fahren ? "
Hans Uhl machte ein bedenklich Gesicht , dann ging schönster Sonnenschein darüber hin .
" Weißt du , was ich mir schon gedacht habe ?
Ich habe gedacht :
Thieß Thiessen soll dich hinfahren .
Es wird ihm großen Spaß machen . "
Also kam am dritten Tage Thieß Thiessen mit seinem großen , alten Wagen mit den beiden gleich hohen Stühlen auf die Hofstelle gefahren und sagte : " Du mußt auf dem zweiten Stuhle sitzen , Jörn , damit du unterwegs noch nachdenken kannst .
Hast deinen geistigen Kram gut beisammen , Jörn ?
Wir wollen den Sandweg fahren , daß nichts davon spielt .
Das tue ich auch , wenn ich Backtorf zur Stadt fahre . "
" Es ist verkehrte Zeit , " sagte Wieten kurz , " dumme Reden zu halten ; und wer bald fünfzig ist und noch nicht vernünftig ist , der ist zu bedauern . "
Da schwieg er und sah auf seine Pferde , während Jörn hinter ihm in den zweiten Stuhl kletterte und seine Bücher auf die eine Seite legte und auf die andere Seite zwei Buttertöpfe stellte , welche Wieten ihm hinaufreichte .
" Es ist ein Elend , " sagte Wieten , " daß Uhl nicht selbst mit dem Jungen losfährt .
Ich weiß wohl , warum er das nicht tut . "
Jörn wußte es auch .
Er fand aber diesen Tag uns seine ganze Lage sehr schwierig , bedenklich und beschämend , und fand es verständlich , daß sein Vater , der große , immer heiter lächelnde Mann , sich heute von ihm zurückzog .
Später , als er ein Mann geworden war , hat er über dies Fernbleiben anders gedacht .
Noch als ein Vierzigjähriger ist er im Namen seines Vaters rot geworden , wenn er sich dieser Stunde und ihrer Schmach erinnerte .
Er saß gedrückt und still gerade hinter Thieß .
Trina Kühl , Fiete Kreis Liebste , stand an der Küchentüre , und die beiden Großmädchen kamen auch heraus und lachten über Thieß und sagten über Jörn zu einander :
" Es wird ihm schon gut gehen . "
Sie mochten ihn alle trotz seines stillen und steifen Wesens gern leiden und bewunderten seine Liebe zu den Büchern und hielten ihn für ein großes Licht .
Fiete Krey stand an der Stalltür , winkte mit der Forke und rief : " All riecht , Thieß ! "
Elsbe stand am Wagen und lachte über den hohen , schwarzbraunen Zylinder , den Thieß trug , und sagte : " Thieß , du machst alles verkehrt .
Solchen Hut trägt man doch nur bei Begräbnissen . "
" Und für den Landvogt , Kind .
Ich sage dir , ich besitze in diesem Hut die Urform aller Totenhüte , die zwischen Elbe und Königsau in den Läden und in den Schränken liegen .
Alles , was an einem Hut rund ist , ist an diesem Hut kreisrund , und alles , was an einem Hut winklig ist , ist an diesem Hut rechtwinklig .
Mein Kopf ist etwas länglich ; darum muß ich ein Gummiband unters Kinn legen . "
" So , " sagte Elsbe , " nun halte man auf ; nun kommst du wieder ins Tühnen hinein . "
" Ja , " sagte Wieten , " nun fahrt ab , damit der Lärm aufhört und wir wieder an die Arbeit kommen . . . Laß es dir gut gehen , Jörn !
Mir ist , als wenn dieser Tag dir noch Gutes bringen wird .
Ich weiß aber nicht . . . es ist etwas dabei . "
Als sie unterhalb Ringelshören auf dem weichen Sandwege hinaufbogen , kam Lisbeth Junker schräge von Ringelshören heruntergelaufen und winkte .
" Thieß , halte still !
Thieß , halte rasch ' Mal still ! "
" Was hast du denn , Prinzessin ? "
" Ich wollte Jörn bloß noch ' was geben , " sagte sie .
" Es geht dich nichts an . "
Sie sprang zierlich auf den Tritt und drückte dem trübseligen Jörn einen großen , schönen Apfel in die Hand .
" Das ist der letzte Apfel im ganzen Hause , " sagte sie , " den kriege ich immer .
Aber nun sollst du ihn haben . "
Sie sprang rasch wieder herunter , und trat seitwärts in die Heide zurück und hob die Hand verlegen und schelmisch und drohte ihm .
" Wenn du nun erst Landvogt bist !
Oha !
. . . Nun fahr man zu , Thieß ! "
Sie fuhren im langsamen Trabe im tiefen Sande durch die Heide .
Es war kein Triumphzug .
Vorne saß Thieß und sah auf die Rücken der Pferde .
In seinen kleinen , klugen Augen und in seinem kleinen , mageren Gesicht unter dem hohen , steifen Totenhut blinkte und lächelte die Weisheit , welche zu den Leiden sagt :
" Ich will leise über euch lachen , " und zu den Freuden :
" Ich will leise über euch weinen , " die Weisheit , welche sagt : " Das Menschenleben ist unerklärlich .
Duck dich , Vögelein , und fürchte dich nicht : es ist alles in eines großen Gottes Hand . "
Und dahinter saß Jörn in all seiner frischen Jugend und in all seinem Reichtum , links Buttertöpfe und rechts Wissenschaft , und sah ernstlich grübelnd vor sich hin , als ginge es das ganze Leben hindurch hinter dem dunkelbraunen Totenhut her in das Grab .
Dann stieg höher und höher die alte Kirche vor ihnen auf , dann kam die Holzbrücke über die Windbergerau , und dann kamen die vielen Häuser , dicht an dicht , mit den spitzen , hellroten Ziegeldächern .
Da sie die herkömmliche Wirtschaft , in der die kleinen Torfbauern mit den eigengemachten , blauen und grauen Röcken verkehrten , in Bau fanden , mußten sie in die untere Stadt fahren und kamen in eine Wirtschaft , in der sonst nur die reichlebenden Marschbauern verkehrten .
Die beiden verweilten zwei Stunden in der großen , leeren Wirtsstube , beide in Druck und Not .
Jörn stand am Fenster und sah hinaus , und Thieß ging hin und her und nippte an dem Glase Kümmel , das er bestellt hatte , und füllte seine Pfeife zweimal aus dem Tabakskasten , der nach alter Sitte zur unentgeltlichen Benutzung für jeden Gast auf der Tonbank stand .
Dann gingen sie durch kleine , stille Straßen nach dem Gymnasium .
Da Thieß die Gewohnheit hatte , die aus seiner Bescheidenheit kam , niemals ein Haus durch die große Haupttür zu betreten , sondern immer in eine Nebentür hineinging , die entweder in die Küche oder in den Stall führte , so ging er auch jetzt in einem scheuen Bogen um die große aufgetreten Haupttür und fand an der Seite glücklich Eingang , welcher in die Kellerwohnung des Pedellen führte .
Der war ein Schuster und saß am Schustertisch , und vor ihm stand sein Morgenkaffee , und die Morgensonne funkelte und spielte in dem blanken Eisengerät und um die Glaskugel , die darüber stand , und in jedem weißen Sandkorn , womit die weiße Diele der kleinen Stube frisch gestreut war .
Ein angenehmer , frischer Geruch von Pech , Lederwerk und Kaffee füllte die Stube und erfreute Thieß Thiessens vereinsamte Seele .
" Ich bringe hier einen Rekruten , " sagte er freundlich .
" Rechenmeister Peters von Wentorf hat ihn vorbereitet .
Das Englische versteht er .
Was sonst noch nötig ist : die anderen Fremdwörter und den ganzen Stil :
das will er hier lernen , und zwar will er auf den Landvogt hinaus . "
Der Schuster sah über die Brille weg und sagte : " Ich will ihn gleich hinaufbringen ; sie haben schon angefangen . "
" Na , Jörn , denn mache deine Sache gut .
Du weißt , daß Mehlbeutel und Schweinskopf gute Dinge sind , dazu ein guter , wehrhafter Anzug für Sommer und Winter und ein gutes , festes Haus überm Kopf .
Das alles sind gute Dinge , Jörn !
Das alles wirst du zeitlebens haben , wenn du Landvogt wirst . "
Die beiden gingen ab , und Thieß setzte sich in die Sonne , stellte den Hut vorsichtig auf die Knie und hoffte auf eine gemütliche Unterhaltung .
Der Schuster kam wieder , stellte die Tasse zur Seite und fing an zu arbeiten .
" Sagen Sie ' Mal , Meister , wie lange dauert denn so ein Gang durch die Schule , bis er mit allem fertig ist ? "
" Ja . . . es kommt darauf an , ob der Junge von unten anfangen muß , oder ob er einige Klassen überspringt . "
" Ich denke , " sagte Thieß , " er wird einige überschlagen ; denn erstens hat er schon zwei Jahre lang bei Peters Unterricht gehabt , und zweitens ist er der Sohn von Klaus Uhl . "
" Klaus Uhl von Wentorf ? "
" Ja , der .
Die Lehrer werden wissen , daß es dem auf ein paar Glas Grog und einige Speckseiten nicht ankommt ; und mir - das wollte ich nur nebenbei sagen - kommt es auf ein Fuder guten schwarzen Backtorf auch nicht an .
Ich bin Thieß Thiessen .
Sie sagen meistens » Thieß achter der Heese . «
Was meinen Sie ? "
" Ja , sehen Sie , Thiessen , das ist so :
Als neulich bei meinem Vetter , dem jüngsten Brudersohn von meiner Mutter . . . Sie ist eine geborene Ehnerwölsen aus Wentorf .
Wissen Sie : von den Kreyen von Süderdonn ? "
" Ich weiß , " sagte Thieß , " der alte Hinrick Krey !
Seine zweite Frau war auf beiden Ohren taub und hörte nur , was sie hören wollte . "
" Richtig , die meine ich .
Mein Vetter ist früher Schuster gewesen , jetzt ist er Fuhrmann .
Na , da waren auf der Taufe vier Schuster und : was meinen Sie , wie viele davon vom Bock gefallen waren ? "
" Na ? "
" Alle vier .
Schusterei aufgegeben , andere Arbeit angefaßt , und es ging ihnen allen gut . . .
So ist es auch mit dem Gymnasium : von fünf , die hineingehen , bringt es höchstens einer zu Ende . "
" Jörn Uhl bringt es fertig ! " sagte Thieß .
" Er sitzt den ganzen Tag bis über die Ohren in den Büchern und hört und sieht nichts .
Er hat es sich in den Kopf gesetzt :
er will Landvogt werden . "
Da stand Jörn in der Tür , ein wenig blaß in dem langen , schmalen Gesicht und das helle Haar steil aufgerichtet , als wollte jedes einzelne Haar sehen , was Thieß für Augen machen würde .
" Mir ist es ganz einerlei , Thieß , unten oder oben !
Lernen will ich ' was ! "
Thieß hielt den Hut in beiden Händen , als wartete er , daß ihm ein Groschen hineingeworfen würde .
" Sie können dir hier nichts mehr beibringen ? " schrie er , " geradeaus auf den Landvogt los ? "
Jörn schüttelte den Kopf , daß die Sonne im Haar sprang .
" Es ist alles verkehrt .
Latein sollte es sein . . . Wie alt sind die Jungen , die in der untersten Klasse sitzen ? "
" Du wirst Flügelsmann , " sagte der Schuster .
" Siehst du , Thieß ?
In der untersten Klasse der allerlängste !
Das kommt davon !
Er ist jeden Tag in die Stadt gefahren ; aber er hat nicht gefragt , ob ich Latein oder Englisch brauchte . . .
Aber ich will doch Landvogt werden .
Ich habe ihnen da oben gesagt , daß ich nach Ostern wiederkomme . "
" Junge , Jörn !
Was soll Lisbeth sagen und Fiete Krey ! "
" Einerlei !
Ist mir ganz einerlei !
Ich komme nach Ostern wieder , wenn die Schule anfängt .
Ich will von unten anfangen und unter den Prickeln sitzen .
Komme mit ! "
Thieß stand langsam auf und schüttelte den Kopf :
" Junge , Jörn , was ist das eine böse Sache !
Elsbe wird wieder sagen , daß alles schief geht , was ich anfange , und deine großen Brüder werden den Mund weit aufreißen und lachen .
Aber was hilft das ?
Aus Englisch wird nicht Latein .
Denn komme , Jörn ! "
So zogen sie ab und kamen wieder ins Wirtshaus .
Thieß trank das Glas Kümmel , das da noch halb voll auf der Tonbank stand , leer und stopfte seine Pfeife von des Wirts Tabak zum drittenmal und setzte umständlich den großen Hut auf und fragte , was er schuldig wäre .
Aber der Wirt , der über die geringe Verzehrung und den großen Tabaksverbrauch halb erheitert und halb erbost war , sagte :
" Du hast dich freigeraucht , Thiessen , " und wollte nichts annehmen .
So fuhren sie , an Geld wenigstens ganz ungeschädigt , über die Heide zurück .
Sie saßen aber diesmal dicht bei einander .
Sie sprachen nicht viel , nur daß Jörn einigemal sagte :
" Ist mir einerlei !
Ich will es doch durchsetzen ! "
Als sie aus der Erlenallee herausbogen und auf den Hof fuhren , kam Elsbe aus der Küchentür mit ganz verweinten Augen und schluchzte heiß und oft auf und war so im Weinen , daß ihre Schultern auf- und niederstießen .
Wenn Thieß Thiessen ein Unglück mit ansehen mußte , geriet er in Aufregung , riß die Augen weit auf und hampelte mit Armen und Beinen .
Am wenigsten konnte er Elsbe weinen sehen : " Sage ' doch bloß , lüttje Witte .
Was hast du ?
Wer hat dir ' was getan ? "
Aber sie konnte nicht reden , so stark stieß es sie .
Da kam Wieten um die Ecke an den Wagen und sagte : " Denkt euch doch !
Uhl kommt zufällig in den Pferdestall , da sitzen Elsbe und Fiete Krey Arm in Arm auf der Futterkiste , und Uhl hört , wie der Bengel ihr vorredet , daß er sie heiraten will , und dann will er Bauer auf der Uhl werden .
Wie der Junge noch im besten Reden ist , kriegt Uhl ihn am Kragen und haut ihn durch und wirft ihn aus der Stalltür .
Nun sitzt er in der Kammer und sammelt seine Siebensachen , und die Deern heult . "
Jörn starrte mit offenem Munde zu Wieten hinab : " Kommt Fiete nun weg vom Hof ? "
" Selbstverständlich ! " sagte Wieten , " sofort !
So ein naseweiser und schlechter Mensch !
Wo der doch bloß die Nücken her hat . "
Da kam Fiete Krey , seinen Sonntagsanzug im bunten Tuch unterm Arm , aus der Stalltür .
" Wo ich das her habe ?
Von dir habe ich es . "
Er brüllte laut ; alle Männlichkeit war ihm vergangen .
" Nun muß ich weit weg nach Hamburg !
So muß ich weg , wie ich gehe und stehe !
Und ich weiß nicht 'mal , wo es liegt .
Du hast immer erzählt von Hans im Glück und von vielen Goldkisten und von dem Bürstenbinder , der König wurde . "
Thieß war vom Wagen gestiegen : " Komme herunter , Jörn , was sitzest du da !
Komme , Elsbe .
Nun sei man still , klein Deern . "
Aber die riß sich los und lief auf den Weg zu Fiete Krey hinunter und faßte ihn am Arm und schrie laut : " Er soll nicht weg , er soll nicht weg !
Ich habe ihn so lieb , ich habe ihn so lieb ! "
Aber Fiete Krey schob sie von sich und brüllte wieder und jammerte :
" Ihr sollt sehen . . . ich werde wiederkommen , und dann will ich hier auf der Uhl wohnen .
Eine große Bürstenbinderei will ich hier anlegen mit Dampfbetrieb . "
Er hob die Fäuste , daß ihm das kleine Bündel entglitt , bückte sich , nahm es wieder auf und ging über den Weg in das Haus seines Vaters .
Wieten Clog stand da und schlug die Hände zusammen , drehte sich um und ging in ihre Stube und setzte sich an die Arbeit und war zuerst in heißem Zorn und großer Scham .
Sie hatte diese Dinge in heimlichen Stunden mit halblauter Stimme staunenden Kindern erzählt , als Weisheit einer Welt , die anderen verborgen , ihr aber ein wenig enthüllt war .
Sie meinte , daß diese alten Dinge wert wären , weiter erzählt zu werden , um die Seele mit Furcht und Grauen , Liebe und Freude zu erfüllen .
Aber dieser Junge hatte sie gehandhabt wie Spaten und Kälberstock und schrie sie nun in der hellen Sonne über den Hofplatz .
Sie ließ die Handarbeit in den Schoß sinken und starrte vor sich auf den Tisch , und während sie so unbeweglich vor sich hin sah , legte eine unsichtbare Hand ein Bild nach dem anderen vor sie hin , und alle Bilder erzählten von viel Mühe , Not und Tod der Menschen , die sie einst gekannt hatte ; und ein Bild war trauriger als das andere .
Und dann sah sie Fiete Krey in die Welt gehen , ohne Führung , mit diesen bunten Gedanken .
Da sah sie sich in der Stube um , und als sie merkte , daß sie allein war , legte sie die Hand auf ihr Gesicht und weinte leise. * * * Als es dunkel wurde , kam Fiete Krey aus seines Vaters Haus , sein Bündel mit dem Werktagsanzug unterm Arm ; seine Mutter saß hinterm Ofen und weinte .
" Fiete , " rief sie ihm nach , " du bist eben erst siebzehn Jahre ; gehe nicht so weit . "
Sie dachte an die anderen Kreien , die so weit geflogen waren , daß sie nicht wieder heimgekehrt waren , nach Amerika , und Gott mochte wissen , was es sonst noch für Länder gibt .
Sie war noch bei dem alten Stübel in die Schule gegangen , der als Hosenschneider einen gewissen Ruf gehabt hatte , aber als Lehrer einen geringen .
Dazu hatte sie immer einen harten , benommenen Kopf gehabt .
" Soweit als die Welt ist , " sagte Fiete Krey .
" Mit der Hundepeitsche hat er mich geschlagen , der Schinderhannes . "
Er fing wieder laut an zu weinen und ballte die Faust gegen das große , alte Haus und gegen die hohen Scheunen , deren gewaltige Strohdächer dunkel und still unter den hohen Pappeln und Eschen lagen .
Wenn Klaus Uhl dies Weinen und diesen Zorn gesehen hätte , so hätte er laut und herzlich gelacht und hätte es ausgeschmückt , und hätte von eigenem ein wenig hinzugefügt und hätte es in allen Wirtshäusern erzählt .
Jasper Krey war mit vor die Tür getreten :
" Es ist ganz einerlei , wo du hingehst , " sagte er , " also kannst du nicht verbiestern .
Und das ist schon etwas , wenn man nicht verbiestern kann .
Und schwer beladen bist du auch nicht :
du kannst zur Not querfeldein gehen , das ist auch ' was wert .
Sieh zu , daß du ' was Ordentliches wirst .
Wenn du ein Lump geworden bist , dann komme nicht wieder .
Wenn du aber etwas erreicht hast , dann sieh einmal nach , wie es uns geht . "
Er war schon unterwegs , in der Dämmerung kaum mehr zu sehen : " Du kannst dich darauf verlassen , Vater , daß ich wiederkomme . "
Als er sich wieder umdrehte , um weiter zu gehen , stand Jörn Uhl da am Wege :
" Thieß hält mit seinem Gespann oben an den Tannen , " sagte er leise .
" Du sollst diese Nacht bei ihm im Heeshof schlafen . "
Sie gingen zusammen unter den Hügeln entlang , bis links eine Mulde kam , die , mit Heide und Eichenkratt bewachsen , zwischen zwei Hügeln schräge zur Höhe führte .
Die Mulde war so breit und tief , daß ein gutes Bauernhaus darin stehen konnte , und wurde nach oben hin seichter und schmaler , bis sie auf das Heidefeld mündete .
Fiete Krey ging voran und war still , nur zuweilen stieß das Schluchzen noch in der Kehle , dann schüttelte es seinen ganzen Körper .
Auf halber Höhe der Mulde , zwischen niedrigem Eichengestrüpp , neben dem schmalen Fußsteig , der zur Höhe führte , lag ein kreisrundes Wasser , an Umfang nicht größer als ein Wagenrad , bis an den Rand voll vom frischesten , klaren Wasser .
Das war der Goldsoot .
Eine Quelle , die unsichtbar von oben kam , füllte ihn immer aufs neue bis an den Rand ; nach unten verschwand , was überfloß , mit leisem Rieseln unters Gestrüpp .
Zwei , drei Sterne , die über ihm um Himmel standen , lagen in Widerschein im Wasser , einzelne blattlose Zweige des Gestrüpps hingen über dem Rande ; ihr Widerschein stand im Wasser als schräge , scharfe Spieße , die den Eingang wehrten .
Ein Wind kam vom Meere herauf und ging über das Gestrüpp hin , das voll trockener , vorjähriger Blätter war .
Es rasselte und redete unten und von oben und von den Seiten .
Fiete stand still und sah nachdenklich in das Wasser .
" Ich möchte wohl wissen , " sagte er , von einem Schluchzen unterbrochen , " wie es auf dem Grunde aussieht , und ob man den Grund fühlen kann . "
Jörn wollte ihn trösten und sagte mit schwachem Zuspruch :
" Willst du nicht ' Mal nach dem Steinberg bei der Heese gehen , von dem du immer gesprochen hast ?
Du sagst :
Da liegt ein ganzer Haufen Gold , Stücke wie Kindsköpfe darunter . "
Fiete Krey schüttelte stark den Kopf :
Diese Kindsköpfe waren in seinem Kopfe entstanden ; er hatte das Feld , das Wieten an manchem Abende unter dem Lampenscheine so fleißig bebaut hatte , durch eigene Arbeit bedeutend erweitert , mit solch starker Freude am Erfinden und solcher Wärme , daß er zuweilen nicht gewußt hatte , was Wieten berichtet und was er selbst dazu erfunden hatte .
Aber heute abend schied sich Wahrheit und Dichtung :
Die Kindsköpfe in der Heide waren erdacht .
Aber der Goldsoot war echt .
Er starrte in das Wasser ; dann ging er langsam weiter hinauf .
Als sie oben auf der Höhe angekommen waren , sagte er :
" Nun gehe nach Hause .
Ich will jetzt allein weitergehen . "
Da ging Jörn ohne Händedruck und ohne Abschiedswort über die Heide .
Fiete Krey aber blieb oben in der dürren Heide stehen .
Als Jörn sich umsah , stand er wie ein schwarzer Pfahl am Horizont .
Langsam kehrte Fiete Krey sich um und ging wieder in die Mulde hinunter , legte sein Bündel neben das Wasser , zog seine Jacke aus , legte sich ins Gras und langte in das Wasser , so tief er konnte .
So kroch er rund um das Wasser und fand nichts .
Da kleidete er sich eilig aus , und als er nackend war , faßte er einige starke Zweige , die am Rande lagen und stieg vorsichtig in das kalte Wasser und bekam Grund .
Es reichte ihm bis an die Brust .
Er trat vorsichtig hin und her ; aber er spürte nichts Hartes .
Es war alles weich , Sand und verwestes Laub .
Er tauchte dreimal unter und suchte an den Rändern , aber da war nichts als eine glatte Lehmwand , mit Wassergewächs überzogen .
Da gab er es auf .
Er stieg wieder heraus und stand eine Weile , ehe er nach dem Hemde griff .
Er stand gerade und still .
Er spürte die schneidende Kälte nicht , die ihn mit feinen , eisigen Ruten schlug .
Er stand und sah ins Wasser , das mit stillem , traurigem Auge ihn ansah , als hielte es wehmütig sein Geheimnis fest. * * * Spinneweben fliegen durchs ganze Land , und Blumenduft und Unkrautsamen fliegen in des Nachbars Garten ; und zuweilen gelingt es einem klugen , nachdenklichen Auge , zu sehen , wie das große , schöne und furchtbare Schicksal auf dem ewigem Steine sitzt und mit aufgestütztem Haupte und gerunzelter Stirn das Gewirr von Linien im Sande malt , die verschlungenen Wege , die wir Menschen dann gehen müssen .
Fiete Krey hatte nicht für sich allein dies Abenteuer in dieser Aprilnacht .
Es traf sich , daß zu der Zeit ein junges Mädchen im Dorfe war , eines Landmanns Tochter .
Die war groß und schön und von den jungen Leuten der Gegend begehrt .
Sie aber hatte bis in ihr zwanzigstes Jahr jede Vertrautheit gemieden ; sie ging selten zu Tanz , und wenn sie einmal da war , konnte es geschehen , daß sie nach dem ersten Tanz mit finsterem Gesicht den Saal verließ , ihr Pferd vorspannte und allein durch die Nacht nach Hause fuhr .
Unter den jungen Mädchen hatte sie keine Freundinnen ; sie hatte sich aber in diesem Winter einer stillen , schmucken Frau angeschlossen , die , jung verheiratet , samt ihrem Manne im Dorfe fremd , sich dort angekauft hatten ; die erwartete die Geburt ihres ersten Kindes .
Bei dieser saß sie zuweilen in stiller Dämmerstunde ; und eines Tages fragte sie in zarter Weise , wie sie es habe übers Herz bringen können , eines Mannes Frau zu werden , sich ihm so ganz zu eigen zu geben .
Als die Freundin , durch diese Frage überrascht und verlegen gemacht , nicht gleich Antwort wußte , sagte sie unter Tränen , daß sie eine Liebe im Herzen hätte , daß sie sich aber nicht überwinden könnte , dem Geliebten entgegen zu kommen .
Sie habe eine unüberwindliche Scheu davor ; als eines Landmanns Tochter und auf dem Lande groß geworden , wisse sie wohl , was die Ehe mit sich bringe .
Die junge Frau tröstete sie mit leisen , unsicheren Worten und redete ihr zu , daß die Liebe , die ja vorhanden sei , alles Peinliche vergessen lasse .
Aber trotz dieser Unterhaltung trat in ihrem Wesen kein Wandel ein .
Sie weinte und beklagte in ihrer stillen Stube ihre unglückliche Beanlagung , welche weder eine Nonne noch ein Weib aus ihr geschaffen hätte , und daß sie den Geliebten und damit sich selbst unglücklich machte .
Nach einiger Zeit , eben an jenem Aprilabende , war wieder ein Ball in der Stadt .
Neumond war gerade vorüber .
Sie war mehrere Tage lang verstimmt gewesen .
Als sie sich aber am Tage vor dem Ball wieder ganz gesund und munter fühlte , beschloß sie , diese gute , fast heitere Stimmung zu benutzen , sich zu überwinden und hinzufahren .
Sie nahm sich fest vor , freundlich zu sein , die Abneigung gegen das Tanzen zu unterdrücken und besonders zutraulich zu sein , wenn der Geliebte mit ihr tanzen würde .
Als sie in den Saal trat , sah sie ihn sogleich am Fenster stehen .
Er schien auf sie gewartet zu haben ; seine Augen blitzten sie freundlich und treuherzig an .
Er war von gutem Bauernstand , wie sie , und war , gleich ihr , von Natur durch eine keusche , vornehme Seele ausgezeichnet .
Sie übersah mit einem Gefühl tiefer Freude seine schmucke Erscheinung und befestigte ihren Entschluß , ihm zu zeigen , daß sie ihm von ganzem Herzen gut wäre .
Aber als die Musik anfing und eine Schar von jungen Leuten auf die Mädchenreihe zuging , und sie unter den gesenkten Lidern mehr fühlte als sah , daß der Geliebte sich ihr näherte , da überwand sie sich zwar so weit , daß sie mit ihm tanzte .
Als er sie aber in der Tanzpause anredete , war ihr Gesicht blaß , ihre Lippen zitterten , und ihre Augen sahen kalt und hochmütig geradeaus , so daß das ganze junge , schöne Gesicht wie im Frost erstarrt schien .
Als er das sah , geleitete er sie still zu ihrem Platz , den sie aber gleich wieder verließ , um aus dem Saale zu gehen und sofort nach Hause zu fahren .
Unterwegs , allein auf ihrem Wagen , in der Stille der weiten Natur und der Nacht , hatte sie zwar zuerst noch dieselben Mienen , die sie im Saale gezeigt hatte .
Zu beiden Seiten des Weges liefen die niedrigen Wälle hin , dehnte sich das flache , demütig liegende Feld der Heide :
sie war hoch über der Natur .
Sie saß aufrecht in ihrem Wagenstuhl und zeigte in einem herrischen Gesichtsausdruck ihren Stolz , daß sie allein von allen Mädchen diese hohe Keuschheit besäße .
Da , während der Wagen im tiefen Sande so geräuschlos durch die Nacht dahinfuhr , hörte sie in der Ferne einen Vogel kläglich seinen Genossen rufen .
Der leise kommende Wagen hatte ihn wohl aus schwerem Schlafe gescheucht .
Gleich darauf kam aus der Nähe ein ermunternder Ruf .
Dicht aneinander gedrängt , flogen sie über den Weg , wobei sie einen süßen Ton ausstießen .
Als das Mädchen die Augen von dem Vogelpaar ab wieder vor sich auf den Weg wandte , erkannte sie mit einem Male , daß die Gegend erschreckend öde war und die Luft voll fahlem , leerem Dunkel .
Das Gefühl der Einsamkeit , bisher ihr Stolz , wurde nun ihre Furcht .
Sie fühlte wieder deutlich , daß es leichter wäre , so wie ihre Schwestern zu handeln , als sich gegen das zu stemmen , was die Natur bald mit lächelnder , bald mit ernster und fast drohender Stimme auch von ihr verlangte .
Indem sie in dieses Gefühl tief versank , beugte sie den Kopf und fing an , leise zu weinen .
Je höher vorher ihr Stolz war , einen um so tieferen Fall tat sie nun .
Das Bild des Geliebten , dem ihr voriger Hochmut allen Schmuck genommen hatte , hatte wieder die guten , feinen Züge .
Die edle Fassung , die in seinem ganzen Wesen und in jeder seiner würdigen Bewegungen lag , erfaßte ihr ganzes Herz , und ihr Herz schrie nach ihm .
Sie runzelte die Stirn und fing an , darüber nachzudenken , sich damit zu quälen , wie sie es wohl anzufangen hätte , daß sie die Scheu überwinde , die sie gegen den hatte , den sie so sehr liebte .
Sie erwog allerlei seltsame Pläne , wie sie sich gewissermaßen selbst übertölpeln konnte .
Zuletzt kam sie auf den Einfall , sie wollte vor seinem Hoftor warten , bis die Morgendämmerung herankäme .
Sein Hof lag zu diesem Plane einsam genug .
Auch durfte sie hoffen , daß er sich bald auf den Heimweg gemacht hätte , nachdem sie den Saal verlassen hatte .
Dann , wenn er ankam - er pflegte zu Fuß zu gehen - , wollte sie sich überwinden und ihn anreden .
Sie wollte ihm sagen , er möchte ihr doch verzeihen , daß sie so scheu wäre ; sie hätte ihn über alles lieb in der ganzen Welt .
Also fuhr sie mit dem festen Gedanken ihres Weges weiter , ihr Vorhaben wirklich auszuführen .
Aber sie war noch nicht weit gekommen , während sie die Lage , in der sie sein würde , deutlicher durchgrübelte , da merkte sie , daß der alte Trotz und Widerwille wieder aufstieg .
Sie versuchte vergebens , sich ihm zu widersetzen und war nahe daran , tief und ganz hinein zu geraten .
Schon war der Glanz in ihren schönen Augen erloschen : da kam sie an die Stelle des Weges , wo man seitwärts in die Mulde hinuntersieht , in welcher auf halber Höhe , keine zwanzig Schritt schräge hinunter , im Eichengestrüpp der Goldsoot liegt , und sah von ungefähr in die Tiefe .
Da sah sie mitten in dem Helldunkel des kleinen Tales neben der runden , blanken Scheibe des Wassers die helle Gestalt eines Menschen ; der stand unbeweglich und sah ins Wasser .
Sie war sehr erschrocken , riß am Zügel und wollte die junge , feurige Stute mit gewohntem , leisem Zuruf zu raschem Trabe bringen ; aber da ihr das Herz bis an den Hals schlug , versagte ihr die Stimme , und so verstand die Stute den stummen Zügeldruck als Befehl , zu stehen und hielt ebenso unbeweglich , wie die helle Knabengestalt am Wasserspiegel und wie das schweratmende Mädchen auf dem Wagenstuhl .
Da kam über sie als eine Erleuchtung der helle , tapfere Gedanke , daß diese Erscheinung nicht zufällig dastände , sondern dahingestellt wäre , daß sie zur Natur gesunde .
Sie sah die Gestalt , wie sie fein und stolz und stark gebaut war , wie ein Aufbau sich frei und stark auf dem anderen erhob , zuerst zu den Knien , dann breiter werdend , in junger , starker Kraft zu den Hüften , dann stark und stürmend und dabei wie aufjubelnd bis zu der Brust , und dann der Kopf , der gebeugt war .
Und wie sie so sah , einen Augenblick nur , erkannte sie in der Tiefe ihrer Seele , wo die reine Wahrheit wohnte , wo Gott und Natur noch in trautem , reinem Bunde miteinander hausen , daß der da der Kamerad ihres innersten Wesens war , mit dem im Geben und Nehmen , jeder mit seinen besonderen Gaben , sein eigenes , unfertiges Wesen zu einem ganzen und vollen abrunden würde .
Ein Gefühl hoher Freude durchströmte ihre Glieder ; ihre Augen füllten sich mit Tränen , so daß sie nichts mehr sah .
Darüber mußte sie vor sich hinlachen , daß es leise klang .
Die Stute zog an , der Knabe am Wasser schrak auf .
Aber auch ein anderer hatte das Lachen gehört , der hinter dem Wagen her des Weges kam und bisher so vor sich hingegangen war , mit gesenktem Kopf , da er trübselige Gedanken hatte .
Er hörte das Lachen und erkannte es gleich .
Er ging rascher und ging bald neben dem Wagen .
" Du fährst langsam , " sagte er .
Sie lachte wieder leise und sagte schelmisch :
" Ich wollte so langsam fahren , damit du mich noch einholen könntest .
Du mußtest ja noch deinen Rock anziehen . "
Er hörte nicht weiter auf ihr Wort .
Er dachte , sie hätte beim Verlassen des Saales noch gesehen , daß auch er sich gleich aufmachte , seinen Überrock zu holen .
Aber er hörte deutlich aus der Stimme , daß jetzt endlich ihre Stunde gekommen sei , und war überfroh , und ihm lachte das Herz .
Er legte die Hand auf die Wagenlehne und ging so nebenher und sagte : " Warum bist du so früh weggefahren ? "
" Was denkst du wohl , warum ? " sagte sie .
" Ich denke , damit wir uns hier treffen . "
" Wenn du so denkst , " sagte sie , " bist du ein kluger Junge und sollst nicht länger neben mir hergehen .
Komme , spring auf . "
Sie hielt die Stute an , und er öffnete das Wagenleder .
Aber bevor er aufsprang , erwog er , daß es richtig wäre , wenn er ihr ein wenig Stolz zeige .
Gerade in diesem Augenblick , meinte er , wäre es am Platz , damit ihre spröde Natur später nicht durch den Gedanken bedrückt würde , daß ihr Liebhaber keinen Stolz besäße , da er ihr häufiges abstoßendes Benehmen ungestraft gelassen hatte .
Also sagte er langsam und ruhig , als wenn es sich von selbst verstand :
" Ich will das Gesicht nicht wieder sehen , das du vorhin im Saal gemacht hast .
Wenn du zutraulich sein willst , will ich mit dir fahren . "
Sie nickte ihm zu und sagte lächelnd : " Komme nur herauf , du sollst es so gut haben , wie du es verdient hast . "
Und sie legte ihre Hand auf seine Schulter .
Da stieg er auf und nahm , ohne ein Wort zu sagen , ihr die Zügel aus der Hand .
Sie ließ es sich gefallen , lehnte sich zurück und sagte : " Fahre ' langsam ! "
" Warum ? " fragte er .
" Bist so klug und weißt das nicht ? "
" Ich weiß , " sagte er , " damit wir recht lange unterwegs sind . "
Damit legte er den Arm um sie und küßte sie herzlich , und von Stunde an war sie ihm ein gutes Weib .
Er führte die Zügel ; und sie wünschte sich , ob sie langsamer oder rascher fahren wollte . * * * Der arme Junge am Wasser hatte sich eiligst in seine Kleider geworfen und war rasch auf die Höhe gegangen , wo der Wagen der beiden glücklichen , jungen Menschen eben verschwunden war .
Er sah sich noch einmal nach dem Dorf um .
Die weite Düne , die seine Vorfahren verwühlt und heruntergewohnt hatten , leuchtete schwach herüber .
Er kehrte sich aber nicht weiter darum , sondern ging stracks über die Heide auf die beiden Eichen zu , die mit niedrigen , breiten Kronen am Kreuzweg stehen .
Unter der einen stand Trina Kühl , die Jungdeern , ganz wie er ein Bündel unterm Arm , in ihrem Konfirmationskleid , das ihr schon zu kurz war , und wartete .
" Wo bist du gewesen ? " sagte sie .
Er antwortete nicht , sondern fragte gleich :
" Willst du wirklich und wahrhaftig mit mir gehen ? "
" Ja , " sagte sie , " warum nicht ?
Klaus Uhl ist Armenvorsteher und behält meinen Lohn in der Tasche oder legt ihn in die Gemeindekasse , weil ich im Armenhause groß geworden bin ; dazu verlangen sie noch von mir , daß ich dankbar bin .
Wenn du mich mithaben willst , rücke ich aus und suche mir in Hamburg einen Platz .
Ich weiß aber nicht , wo es liegt .
Ich muß mein Zeug noch besser einpacken . "
Sie legte sich in die Knie , knotete das Bündel auf und legte das Arbeitskleid und die drei Hemden und drei Paar Strümpfe und ein Paar lederne Pantoffel ordentlich zusammen .
Dann gingen sie nebeneinander über die Höhe .
Der Wind fuhr hinter ihnen drein , dürres Laub der Eichen und Sand flog um sie und hinter ihnen her .
Als sie auf der anderen Seite von der Höhe hinuntergingen , stand da , vor dem Wind geschützt , das Fuhrwerk von Thieß Thiessen .
Die Pferde fraßen mit hängenden Halskappen das Gras unten am Wall ; Thieß Thiessen saß zusammengesunken und schlafend in dem hohen , bequemen Stuhl .
" Thieß ! " sagte Fiete Krey , " wach ' auf !
Trina Kühl ist auch hier und will mit .
Laß das Reden man nach , Thieß , das hilft gar nichts !
Wir wollen erst ' Mal nach Hamburg , und dann sehen , wo wir bleiben . " * * * Einige Tage nach Ostern , als der Schulanfang bevorstand , sagte Hinrich Uhl , den sein Vater am meisten liebte , weil er der glänzendste war :
" Du , Vater , der Junge , der Jörn , redet so merkwürdigen Schnack :
Ich glaube , der will nicht auf die Schule ; er will im Hause bleiben .
Es kann ja doch nicht angehen , daß der auch Bauer wird , woher willst du am Ende all die Höfe hernehmen ?
Du mußt notwendig mit ihm reden . "
Als der Vater ihn dann rufen ließ und ihn fragte , sagte er , er wolle im Hause bleiben und arbeiten .
Als der Vater schalt und ihn zuletzt hart mit der Peitsche schlug , blieb er doch dabei .
Seine Gründe nannte er nicht .
Aber am Abend , als er schon in seiner Kammer , die er seit Fiete Kreis Weggang allein bewohnte , im Bett lag , kam Wieten Clog herein , um ihn zu trösten und bat , er möchte ihr doch sagen , warum er seine Absichten geändert hätte ; er hätte doch so bitter gern ' was lernen wollen .
Da konnte sie zuerst kein Wort aus ihm herauskriegen , so heiß und heftig weinte er .
Nachher aber kam stoßweise heraus , was sie geahnt hatte :
Da wäre keiner , der in dieser Woche auf die Fohlen gepaßt hätte , wenn er selbst es nicht getan hätte .
Und der erste Knecht würde die Pferde allesamt mit Fußstößen wild machen und verderben , wenn er nicht dann und wann in den Stall käme .
Der braune Wallach hätte schon eine Wunde am Knie .
Fiete Krey hätte ja auch manchmal nicht ordentlich aufgepaßt , aber nachdem der weggegangen wäre , und wenn nun auch er noch fortginge , dann würde es schrecklich werden .
Als sie ihn dann beruhigen wollte , ihm das starre Haar streichelte und sagte : " Nun ist ja denn alles gut , nun weine man nicht , mein kleiner Junge , " da fing er wieder mehr an zu weinen und sagte mit zerstoßener Stimme :
" Meinst du denn . . . daß ich es gerne tue ?
. . . Nun kann ich gar nichts mehr lernen .
Kein Buch kann ich mehr anfassen !
Nun bleibe ich so dumm , wie all die anderen . "
Am anderen Morgen , in aller Frühe , zog Jörn Uhl die Blauleinen Stalljacke an , die Fiete Krey hatte liegen lassen .
So kam dieser Wirbel über die Kinder von Wentorf , riß den , der bleiben wollte , in die Fremde und schlug dem , der gehen wollte , die Tür vor der Nase zu ; stellte den Arbeiterssohn auf die kahle , öde Heide und zeigte seinem lebendigen Sinn in dunstiger Ferne alle Schätze der Welt und ihre Herrlichkeit und warf dem Herrensohn eine Blauleinen Stalljacke vor die Füße .
Siebentes Kapitel Jörn hatte am anderen Morgen die Stalljacke angezogen , die Fiete Krey in seinem Zorn an die Wand geworfen hatte .
Für die Schule , deren Lehrplan ihm nichts Neues mehr bot , hatte er von Stunde an keine Neigung mehr .
Der Konfirmandenunterricht , in dem von einem fleißigen und freundlichen Mann die alte Kirchenlehre vorgetragen wurde , war ihm unverständlich und darum quälig .
Der praktische , nüchterne Junge , der alles auf die Uhl und ihre Bewohner bezog und auf die Verhältnisse des Dorfes , konnte weder die Sünde noch die Gnade verstehen , die da gelehrt wurde .
Die Sünde kam ihm viel zu spät , und die Gnade kam ihm viel zu früh .
Die Sünde fing ja erst mit Diebstahl , Raub und Totschlag an , und die Gnade war allzubald da , nämlich : wenn einer seine Sünde » auf den Herrn warf « .
Jörn Uhl konnte diesen lieben Gott nicht verstehen .
Gott schien ihm ein ganz unpraktischer Rechenmensch zu sein , der in seiner Stube seine Bücher stolz in Ordnung hielt und draußen von seinen Leuten unheimlich betrogen wurde .
Die Leute auf dem Hofe mochten ihn wohl leiden :
sie hielten ihn für ihresgleichen .
Eine Schwierigkeit lag aber da , daß er doch mehr sein wollte , als sie :
sie sollten ja gern ein wenig Respekt vor ihm haben , und jeder sollte um seinetwillen fleißig seine Arbeit tun .
So war er ihnen lieb , weil er sich zu ihnen hielt und ihre Arbeit teilte , und war ihnen wieder leid , weil er immer gleich bemerkte , wenn fern im Felde ein Pflug stillstand , oder wenn die Mädchen , die unter den Kühen saßen , über dem Plaudern das Melken vergaßen .
Dann kam er mit langen Schritten quer übers Feld gestapft , die Hände in den Taschen , als wäre es zufällig , daß er da ging ; und tat ganz harmlos und lachte .
Da nannten sie ihn unter sich den Landvogt , und andere sagten wieder :
Er ist ein Wietkieker .
Er kümmerte sich aber um den Spott nicht ; es war ihm alles gleichgültig , wenn nur das Land und der Viehstand auf der Uhl ihr Recht bekämen .
Weiter sorgte er nicht ; weiter dachte er nicht .
So wurde seine Seele schon in früher Jugend auf ein Großes gerichtet , und das war Gewinn fürs ganze Leben .
Darum stand in den beiden Jahren nach der Konfirmation der alte Landmann Wilhelm Dreyer in seinen Augen am höchsten .
Er hatte einst mit wenigem oder gar nichts angefangen , hatte vierzig Jahre lang sehr sparsam und sehr fleißig gelebt und bewohnte nun , über siebzig Jahre alt geworden , an der Dorfstraße unter den Linden ein stattliches Altenteil .
Er war seit Jahren mit Klaus Uhl verfeindet und hatte für dessen älteste Kinder weder Blick noch Gruß .
Er hatte immer mit klugen , beobachtenden Augen in die Welt geschaut und kannte dies Treiben , daß es aus Dummheit und Leichtsinn , Feigheit und schlechtem Gewissen zusammengesetzt ist , und daß es zuletzt in Lumperei , Schlechtigkeit und Verzweiflung endet .
Wenn er aber mit seinen scharfen Augen den langen Jörn im Felde arbeiten sah , stand der Alte nach etlichen Sprüngen über gute Gräben mit dem klugen , bartlosen Gesicht und dem leicht ergrauten Haar , das ihm schlicht bis auf den Rockkragen hing , neben dem Arbeitenden und fragte und überlieferte mit hoher , bedächtiger Stimme bewährte Landmannserfahrung ; und Jörn hörte zu , wie selten ein Mensch in der Kirche zuhört .
Das war für ihn in jenen Jahren Evangelium .
Arbeiten und nüchtern sein und sparsam und klug wirtschaften :
das war für ihn » frohe Botschaft « .
Wenn in viel späteren Jahren sein Weg ihn einmal an den Feldern der Uhl vorüberführte , und eins seiner Kinder neben ihm herging , hob er wohl den Handstock und zeigte auf ein Stück Ackerland :
" Sieh , Junge , da auf der dritten Breite :
da hat der alte Dreyer mir gezeigt , wie man Abfuhrchen muß . "
Und ein andermal :
" Sieh , Junge !
Da , wo jetzt die Bohnen stehen , habe ich das erste Stück Korn selbst gehauen ; und nicht weit davon , am Graben , habe ich vom alten Dreyer das Dengeln gelernt .
Da war ich noch nicht siebzehn .
Der Weizen wuchs aus , und Arbeiter waren nicht zu haben .
Da sagte der Alte :
» Du mußt selbst dran gehen , Jörn . «
Und als ich anfing , kam er selbst mit seinem Schläger , der war rostig , und schlug neben mir , bis die Sonne unterging .
Da war sein Schläger blank .
Nachher lachte er und sagte :
» Ich wollte nicht vor dir zurückstehen . «
Und ich lachte wieder und sagte :
» Ich wollte nicht vor Ihnen zurückstehen . «
Niemals habe ich wieder so tief geschlafen als in jener Nacht . "
Dem Vater und den großen Brüdern wurde er mehr und mehr verhaßt .
Er war ihnen das alltägliche , böse Gewissen .
Die Unsicherheit des Urteils , die man bei sechzehn Jahren gegen die erwachsenen Familienglieder hat , behütete ihn , daß er deutliche Verachtung zeigte .
Im Gegenteil :
er hielt sich scheu vor ihnen zurück , redete kein Wort , wenn sie ihn verspotteten , und wurde rot , wenn sie zusahen , wie er eine Arbeit tat , die sie hätten tun sollen .
Er wurde rot in seinem und in ihrem Namen .
Aber gerade dies scheue , gedrückte Wesen , als wenn sie die verborgene Anklage darin entdeckten , reizte sie .
Wenn er in seinem graublauen Arbeitszeug , das dem hoch aufgeschossenen Jungen um die hageren Glieder schlotterte , vom Haus zur Scheune hin und her ging , dann hob wohl sein Vater , der auf dem Wagen saß , bereit , in die Stadt zu fahren , die Peitsche und machte seine anderen Söhne auf den Jüngsten aufmerksam und rief mit seiner weichen , vollen , lachenden Stimme :
" Das ist ein Kerl !
Der wäre ein Landvogt geworden !
Für zehn Taler ließe ich den Bengel nicht neben mir auf dem Wagen sitzen und führe mit ihm zur Stadt !
Ist das ein Bauernsohn von der Uhl ? "
Wenn der Vater weggefahren war , sagte Hans :
" Du , ich denke das Meine zu tun , daß ich auf der Uhl Bauer werde .
Du magst die Mädchen doch nicht leiden und bleibst zeitlebens Einspänner , ein Duckmäuser und ein Arbeitspferd .
Bleibe hier bei mir auf dem Hof !
Ich will dich so gut halten , wie du es dir wünschest , und will dich pflegen , wenn du dich steif gearbeitet hast . "
Aber Hinrich sagte kurz :
" Wir wollen im nächsten Jahre einen Knecht sparen und den Lohn versaufen . "
Am Abend saßen Jörn und Elsbe mit Wieten in der Stube am Mittelgang .
Wieten war in den letzten Jahren stiller und bedrückter geworden , besonders seit dem Tage , da Fiete Krey seine Vorwürfe über die Hofstelle schrie .
Sie hatte eine so eigentümlich starke Erinnerung und eine solche Einbildungskraft , daß alle Ereignisse , die sie in der Vergangenheit ihres Lebens je gesehen oder gehört hatte , ihr gegenwärtig waren und als Bilder um sie herum standen , immer gleich deutlich , nie verblaßt .
Früher , als sie noch jung war , hatte der Lebensmut der Jugend ihr geholfen , daß sie der Bilder , die um sie standen , Herr wurde , daß sie die helleren und freundlicheren hervorholen und die dunkleren und traurigeren zurückstellen konnte .
Aber allmählich , mit kommendem Alter , drängten sich die dunkleren vor .
Sie konnte stundenlang , während sie die fleißigen Hände rührte , stumm vor sich hinsehen , mit einem traurigen , stillen Gesicht .
In solchen Stunden ging sie durch vergangene Tage von Bild zu Bild , sah bald eine schwere Tat , die an einem einzigen Tage das Glück einer Familie vernichtete , bald eine schwere Sorge , die jahrelang durch ein Haus schlich , sah bald liebliche , reine Augen , von Tränen überströmt , und bald ein hartes Gesicht , von wildem Zorn überflammt .
So wurde sie von Bild zu Bild gezogen , widerwillig .
Später , als das höhere Alter kam und sie in ruhigem Frieden auf dem stillen Heeshof wohnte , erblaßten die Bilder , und diese Not nahm ab .
Jörn saß stumpf und dumpf da , war todmüde von der schweren Arbeit , sagte nicht viel und ging früh zu Bett .
Das waren schlechte Genossen für die kleine , lebendige Elsbe , in welcher der Gedanke immer stärker , immer heißer , immer klarer wurde , den schon das Kind ausgesprochen hatte :
Ich muß etwas lieb haben .
Die großen Brüder hatten in den Stuben des Vorderhauses Gesellschaft von Freunden geladen .
Einige willige Mädchen hatten sich dazu eingefunden .
Wenn dann von der Diele her ein lauter Ruf oder ein unterdrücktes Mädchenlachen zu den schweigsamen Drei kam , dann hob das Kind den schönen , dunklen Kopf mit dem starken Haar und mit den weichen Linien frischester , junger Morgenblüte und sah unruhig nach der Tür .
Dann veränderte Jörn geräuschvoll seine Haltung oder sprach irgend einen Gedanken aus , um ihren Sinn von der Tür abzuwenden .
Aber sie stand unruhig auf und ging bald ans Fenster und bald an die Tür .
Und zuweilen öffnete sie die Tür und sah hinaus .
Dann kamen gleich die beiden ängstlichen Stimmen vom Tische her :
" Elsbe , bleibe hier !
Elsbe , mache die Tür zu ! "
Dann kam sie mit gesenktem Kopf wieder an den Tisch und dachte : " Wärst du erst groß , wärst du erst groß ! "
Während des ganzen Sonntagvormittags arbeitete Jörn in den Ställen und ging nach der Stube und sah nach , wo seine Schwester wäre .
Erst am Abend , wenn sie zu gleichaltrigen Freundinnen gegangen war , kamen drei oder vier Stunden , wo er von Arbeit frei wurde .
Dann saß er entweder still in seiner Kammer oder saß drüben , überm Weg , unter der niedrigen Hauswand von Jasper Krey .
Jörn Uhl !
Wer ist in der Zeit dein Bildner gewesen , da der Menschengeist weich wie Wachs ist , das auf Eindruck wartet ?
Wer war dein Führer in der Zeit , wo die Eltern uns nicht mehr halten können und andere Leute nicht nach den Zügeln greifen , die hinter uns Drainschleifen , wo wir die Straße hinunterrasen , die auf den Marktplatz des Lebens führt , auf jenen Platz , wo das Schicksal so ernst fragt :
» Was bist du wert ? «
Denn so steht es ja : Zu allen Lebenszeiten haben wir bestellte Ratgeber und Führer , Eltern , Schule und Gesetze , Erfahrungen , Frauen , Sorge und Not ; aber in den Jahren , wo ein Frühlingssturm nach dem anderen den jungen , überschlanken Bäumen über die Köpfe fährt , da sind wir ungestützt und unberaten .
Hei , wie knackte es !
Wie stoben die Blätter !
Wir haben Narben davon an der Seele und kahle Stellen im Gezweig .
Der alte Dreyer ist Jörn Uhls Lehrer in allen Dingen des praktischen Berufs gewesen ; Jasper Krey aber hat ihn auf die weiten , weglosen Felder der allgemeinen Lebensweisheit geführt .
Klaus Uhl saß im Wirtshaus und redete kluge Worte und wußte und kannte alles .
Sein Sohn mußte zu dem kleinen , krausen Jasper Krey hinübergehen , und wurde dort unter dem Strohdach zu eigenem Nachdenken geführt , und holte sich dort unter der Hauswand die erste Lebenskunde .
Die Bedeutung dieser Stunden war aber um so größer , als hier Mannesalter und Knabenalter zusammenkamen , so , daß beide sich gleich hoch einschätzten und es also zu geraden , ehrlichen Debatten kam .
Wo lernten wir am meisten ?
In den Schulen ?
In den Hörsälen ?
Von den Professoren ?
Wir lernten das Meiste , als wir auf freies Feld gingen und aufzufliegen versuchten , so gut es ging .
Wie alle Kreien , so hatte auch Jasper eine Vergangenheit .
Er war in jungen Jahren oben in Deutschland gewesen , in jenen Jahren , als das Volk ungestüm forderte , daß es mitregieren dürfte .
Es war Jasper Krey von Wentorf nicht gelungen , ein unparteiischer Zuschauer zu sein .
Es ist einem Krey nicht gegeben , neutral zu sein .
Ein wenig erhitzt , ein wenig außer Atem , ein wenig verlegen , kurz wie einer , der aus einem Tanzsaal herausgeworfen ist , sich umsieht und weitergeht , als wäre nichts geschehen : so war er wieder nach Wentorf gekommen .
Wenn er ledig geblieben wäre , oder mit der Heirat gewartet hätte , so wäre er wohl noch einmal wieder in die Fremde gegangen und hätte sicher mit Geschick dies und das unternommen und hätte es vielleicht zu Vermögen gebracht ; aber noch unter dem Druck seiner kümmerlichen Heimkehr , heiratete er und verfiel , in dem unklaren Wunsch , sich selbst Zaum und Zügel anzulegen , auf ein Mädchen von einfachstem Geist , das noch dazu so sehr an Sankt Marie klebte , daß es Heimweh bekam , wenn es den Schornstein des Elternhauses nicht mehr sah .
Es kamen Kinder ; es kam Krankheit ; es kam die tägliche Sorge .
Er war ein Tagelöhner auf der Uhl und wußte nun schon lange , daß er nichts anderes werden würde .
In winterlicher , arbeitsloser Zeit machte er Heidebesen , Bürsten und Pferdestriegel ; äußerlich war er wie die anderen geworden .
Aber zuweilen brach alte Unruhe hervor .
An jedem Kinderfest , so gegen Morgen , wenn er seinem Nachbarn Klaus Uhl die ganze Wahrheit gesagt und Not und Tod geweissagt hatte , hob er an , das alte Lied zu singen , das er einst auf der Zeile in Frankfurt gesungen hatte ; und in späteren Jahren , wenn die Zeit der Reichstagswahlen kam , ging er hin und her in sechs oder acht Häuser , wo politisch Unwissende oder Gleichgültige wohnten , und belehrte und schärfte die Geister .
Äußerlich war er wie die anderen ; aber inwendig hegte er noch alte , bunte Gedanken .
Da diese Gedanken mit der so bescheidenen , sorgenvollen Wirklichkeit sehr in Widerspruch standen , hatte er die Wahl , entweder als ein Verbitterter in die Welt zu sehen und sich und den Seinen das Leben zu versauern , oder mit gutem , lächelndem Humor die eigenen Fehler zu verspotten und über die Felder der anderen zu reiten und zu jedem Besitzer zu sagen , wie verkehrt er wirtschaftete .
Unter der niedrigen Hauswand haben sie an manchem Sonntagabend über den Lauf der Welt geredet .
Die Frau saß drinnen hinterm offenen Fenster in der Stube ; die Kinder kamen von ihren Spielen von Ringelshören her und gingen still zu Bett .
Der Älteste , August , der eine schwere Sprache hatte und in der Schule gar nicht vorwärts kam , saß an der Haustür auf einem Stuhl , umgeben von vielen feinen , weißen Spänen und schnitzte Zeugkneifer und Wurstprickel , die er für eigene Rechnung fleißig vertrieb .
Er hatte die Beschränktheit der Mutter und interessierte sich gar nicht für das , was sein Vater mit Jörn Uhl besprach .
Er war nach seiner Konfirmation nicht wieder in die Kirche gegangen , hatte auch niemals wieder in ein Buch oder in eine Zeitung gesehen .
Er lebte geistig allein von dem , was er von den Vorfahren ererbt hatte , und von dem , was er auf seinen Handelswegen hörte und sah .
Indem er aber so seine geringen Geisteskräfte sparsam verwandte , indem er sie auf das allein richtete , was um ihn lag und was auf zwei Meilen in der Runde vorging , und sich all das , was darüber hinaus lag :
Religion , Politik , Tagesneuigkeiten , vom Leibe hielt , gewann er allmählich einen scharfen Blick für das , was ihm in seinen kleinen Verhältnissen Vorteil brachte , und nährte später sich und seine Familie wacker , und überflügelte , ohne schlecht oder gottlos zu werden , viele von seinen Schulkameraden , die viel gelernt hatten , aber sich zerstreuten , indem sie sich um jede Neuigkeit kümmerten , die in der Zeitung stand oder über die Dorfstraße lief .
" Jörn , " sagte Jasper Krey , " was steht im Alten Testament ?
Du weißt es natürlich nicht !
Ihr Ulen wißt es nicht .
Da steht , daß alle fünfzig Jahre alles Eigentum von neuem aufgeteilt werden soll !
Ihr Ulen sitzt schon viel zu lange auf eurem Lande ; nun müssen wir Kreien ' Mal auf euren breiten , fetten Höfen sitzen .
Ich sage dir :
wir würden unsere Sache auf den Höfen besser machen , als ihr die unsrige auf unserem Sande .
Ihr müßtet ' Mal Sandbauern werden , Jörn !
Stelle dir ' Mal bloß deinen Vater vor , wie er mit dem Hundefuhrwerk unterwegs wäre .
Ich bitte dich , Jörn !
Dann kommt er zu mir auf den Hof .
» Herr Krey hier !
Herr Krey da ! «
Dann sehe ich ihn von oben bis unten an und sage : » Ich habe keine Zeit , Uhl , für solche Dinge !
Gehen Sie zu meiner Frau . « "
Die Frau rief aus der Stube :
" Du tühnst , Jasper . "
" Still , Trine !
. . . Sieh ' Mal , Jörn , wenn du das Maul gegen den Westwind aufsperrst und happst soviel hinein , als du brauchst , um zu leben , dann sagt kein Mensch zu dir :
» Hallo , weg da !
Das ist mein Wind ! «
Aber wenn du dich irgendwo hinstellst und fängst im Schweiße deines Angesichts an , mit dem Spaten soviel Land umzuwühlen , wie du brauchst , um dich und deine Kinder satt zu machen , dann sagen die Menschen :
» Weg da !
Das ist mein Land . «
Lunge und Magen , Jörn , die haben das Recht von Gott , satt zu werden .
Wenn du Nahrung und Kleidung hast , so laß dir genügen .
Will einer es durch Klugheit und Fleiß weiter bringen , über Nahrung und Kleidung hinaus , so soll ihm das frei stehen . "
" Ja , " sagte Jörn , " das kann ich nicht durchdenken . "
" Nicht ?
Und hast doch eine so nachdenkliche , lange Nase !
Ist nicht genug Land da , und ist nicht die Regierung ein starker Mann ? Wieviel Land wird in Schleswig-Holstein schlecht gepflügt ?
Es würde zweimal soviel einbringen , wenn es in Arbeiters Händen wäre . "
" Das mußt du nicht glauben , " sagte Jörn , " daß alle Arbeiter fleißig sein würden und sparsam und nüchtern .
Hast du vergessen , wie es dir mit den 1200 Mark ergangen ist ? "
" Junge , wer redet von alten Zeiten ! "
" Ich ! " sagte Jörn und schlug mit seiner langen Hand auf sein Knie .
" Wenn ich heute , obgleich ich erst siebzehn Jahre alt bin , 10000 Mark bekäme , glaubst du , daß ich eine einzige Mark unnütz verbrächte ? "
" Sei still , " sagte Jasper Krey , " rede von ' was anderem . "
Da kam aus der Stube vom Bett her ein starker , grollender Ton , wie von einem gegen Abend aufsteigenden Gewitter .
Gleich darauf lehnte Trine Krey in der Nachtjacke am Fenster .
" Ich will es dir ' Mal ganz genau erzählen , Jörn . "
" Nun paß auf ! " sagte Jasper Krey und nickte Jörn Uhl zu .
" Wir erbten also richtig die 1200 Mark von der Tante Stine , die gestorben war .
Ihre Schwester , die alte Trine , lebt noch .
Wir holten das Geld selbst vom Amtsgericht , ich weiß es noch , als wenn_es gestern gewesen wäre :
er hatte die schönen Goldstücke und die Taler in ein Taschentuch gebunden .
Bei Gudendorf setzten wir uns in die Heide und zählten nach ; denn als uns das Geld im Amtsgericht vorgezählt worden war , flimmerte es uns vor den Augen .
" Na , zuerst blieb er ganz vernünftig .
Aber nach einigen Tagen merkte ich , daß er keinen Appetit mehr hatte , auch kam er mitten aus der Arbeit nach Haus , riß die Lade auf und zählte das Geld .
Nachts konnte er nicht schlafen .
" So ging es acht Tage und wurde immer schlimmer .
Er saß stundenlang aufrecht im Bett ; zuletzt stand er auf und setzte sich auf die Lade .
Ich schlief wieder ein .
Als es gegen Morgen hell wurde und ich die Augen aufschlug , saß er da , halb angezogen , sage ich dir , auf der Lade und hatte die große Baumaxt zwischen den Knien .
" Na , du kannst dir denken , nun wurde ich ängstlich .
Ich fürchtete , er würde dösig , und redete ihm ein , daß er das Geld zur Sparkasse trüge .
Dann brauche er doch keine Angst mehr zu haben ; die hätten da eine eiserne Geldkiste mit siebzehn Schlössern , und was ich sonst sagte .
Erst wollte er lange nicht ; aber zuletzt brachte er es hin und bekam denn ja so 'n kleines gelbes Buch dafür .
" Aber da wurde es ganz schlimm .
Was habe ich mit dem Menschen ausgestanden , Jörn !
Er las immer wieder in dem Buche und sagte , ein Satz spucke dem anderen ins Gesicht .
Es wäre offenbar auf Betrug angelegt , und überhaupt , wenn es eine anständige Sache wäre , müßte das Buch doch mindestens so dick wie ein Gesangbuch sein , nicht so 'n Wisch .
Endlich , in einer Nacht , als er aufgestanden war , um das Buch zu suchen und es nicht gleich finden konnte , fuhr er auf mich los und sagte : Ich hätte_es gestohlen .
Da habe ich ihm geraten : Hole ' das Geld wieder .
Das hat er getan .
" Und nun , Jörn , was meinst du nun ?
Getrunken , Jörn !
Gespielt , geschrien , im Streit mit mir , mit Uhl , wegen der Kinder mit Lehrer Peters , Geschrei im Hause .
Weißt du noch , wie du bei Uhl auf dem Mistberg standest und mit der Forke um dich schlugst und immer schriest :
» Ich bin Jasper Krey von Wentorf ! «
Kein Mensch hatte dir ein Leid getan .
Und weißt du noch , wie du aus der Stadt heimkamst und hattest die Kiste mit Wein auf dem Rücken und wolltest politische Versammlungen abhalten ?
Wir und Wein ! und Politik !
Und weißt du noch , wie du da drüben , da , gegen den Heckpfahl mit dem Beutel schlugst und schriest :
» Jasper Krey hat Geld ! «
Das war ein Jahr , Jörn !
In Angst und Not habe ich gesessen .
Nachher , als das Geld vertan war und er keine Sorge mehr darum hatte und wußte , daß er wieder arbeiten mußte , da war wieder ganz gut mit ihm auszukommen :
er sorgte wieder wie ein Christenmensch für Frau und Kinder .
Damals war Fiete fünf Jahre alt , Jörn .
Ach , Jörn , wo mag Fiete sein ! "
Sie schlug das Fenster zu .
" Ich will wetten , " sagte Jasper Krey , " wenn einer zu ihr sagt :
Hier sind die 1200 Mark und hier ist die Geschichte von den 1200 Mark , dann wählt sie die Geschichte .
Ich bin zuweilen etwas hochmütig , Jörn , und besonders über die geistigen Fähigkeiten von Trine Krey denke ich nicht hoch .
Aber wenn ich an diese Geschichte denke und besonders , wenn sie selbst mir die Geschichte einmal wieder erzählt , dann bin ich ein bescheidener Mensch .
Es kam zu plötzlich , das Geld .
Es war auch zu viel : 1200 Mark .
Ich war nicht vorbereitet .
Wenn die andere Tante stirbt , die an die achtzig ist , dann sollst du sehen , wie fein ich mit Geld hausen kann . "
" Paß auf , " sagte Jörn , " dann sitzt du wieder in Angst , und um aus der Angst heraus zu kommen , vertrinkst du es . "
" Was ? " sagte Jasper Krey und sah seinen Bankgenossen groß und strafend an .
" Man wird doch wohl endlich ' Mal vernünftig ! "
" Viele , ja , " sagte Jörn , " aber lange nicht alle . "
Er sah in schweren Gedanken nach der Uhl hinüber , die im Schatten der Eschen und Pappeln jenseits des Weges lag .
So redeten sie manchen Abend .
Wie ein ungleich Paar Hunde , die zusammen übers Feld gehen .
Jasper Krey immer voraus , die Nase überall , laut bellend ; Jörn Uhl hinterher , knurrend und zuweilen blaffend und immer zur Wachsamkeit , zur Umsicht und Vorsicht gemahnt , darum , weil der andere so ein Draufgänger war .
Ein Vorsichtiger und Nachdenklicher ist Jörn Uhl immer geblieben .
Dann , wenn die Dämmerung da war , kam der Großknecht mit den beiden Mädchen vom Wege herüber .
Und der Großknecht - jener Harke Sim , der nachher Bahnwärter wurde und das Unglück bei Hamburg verhütete , indem er mit brennendem Rock dem Zuge entgegenlief , daß er kurz vor der zerbrochenen Schiene zu stehen kam - , Harke Sim hatte seine Harmonika unterm Arm und fand noch Platz auf der Bank , wenn auch die Armbewegung beschränkt war .
Die Mädchen lagerten sich am Wege ins grüne Gras .
Und Harke Sim spielte und bewegte den Kopf so schwerfällig nach dem Takt , und hatte die Augen halb geschlossen und sah so dumm aus , daß man ihm eine rasche Tat nicht zutrauen konnte .
Danach sprachen sie noch von Nachbars Korn und Nachbars Tochter .
Danach vom Lehrer und vom Pastor , danach von Hamburg , danach vom König , und zuletzt vom Tod .
Der Mond stand in den Pappelzweigen , und das Wiesel lief über den Weg . * * * Zu derselben Abendstunde saß in einer hohen Straße in Hamburg , dicht an der Petruskirche , ein junger Mensch in einem Buchladen und hielt nach verlaufenen Geschäften die Abendwache , um als ältester Lehrling zu bedienen , wenn etwa noch ein später Kunde käme .
Er war eines Pastors Sohn am Rande der Lüneburger Heide , in Freiheit aufgewachsen , und war früh in Feindschaft mit dem Latein geraten .
Aber deutsche Bücher mochte er gerne leiden und desto mehr , je bunter sie waren .
Da hatte ihn sein Vater in den Laden unter der Petruskirche gebracht , der bis obenhin voll Bücher war .
Er war gern hineingegangen ; aber bald zeigte es sich , daß auch dies noch nicht sein Lebensideal war .
Es gab Bücher die Fülle , und er durfte viel darin kramen , und er durfte sich abends zuweilen ein Buch , das ihm gefiel , aussuchen und darin lesen ; aber das andere fehlte , gewissermaßen der Bücher rechter Einband : die weite Heide und die dunklen Häuböden und der Spielplatz an der Sandkuhle .
Da faßte den jungen Gesellen grimmiges Heimweh .
Also saß er an diesem Abende am hinteren Ende des Ladens in dem Verschlage , den die Treppe abschrägt , und las in einem Buche , das war betitelt :
" Die Chronik der Sperlingsgasse « und war von einem Wilhelm Raabe geschrieben , und las und las , und war nicht mehr in Hamburg , war weit weg von der Petruskirche und spielte am strohgedeckten Pastorat und kletterte auf die Birke , die am Wall stand , und sah übers weite Land nach dem nächsten Kirchturm .
Da ging die Ladentür , und ein junger Arbeiter von seinem Alter , ein kräftiger , untersetzter Junge , in grauer Arbeitsjacke , mit rundem , frischem Gesicht und unternehmenden Augen und rötlichem Haar stand am Tisch und sah auf ihn .
Und als der Lüneburger langsam aufstand , legte der Kunde einen ziemlich hohen Stapel Silber auf den Tisch und sagte : " Dafür will ich mir Bücher kaufen . "
" Bücher ? "
" Ja , Bücher !
Bücher !
Haben Sie davon gehört , ob ein gewisser Theodor Storm ein Buch geschrieben hat ? "
" Storm ?
Ja , das hat er .
Der hat Novellen geschrieben . "
" Novellen ?
Ich weiß nicht , was das ist ; aber ich fürchte , es ist nicht das Rechte .
Ich will es Ihnen offen sagen .
Ich bin hier Austräger bei einem Geschäft , hier in der Hemanstraße , und ich habe gewartet , bis ich Sie ' Mal allein träfe .
Die Sache ist die : Wir hatten da in der Heimat ein altes Mädchen , eigentlich hieß sie » Penn « ; aber sie war so unvernünftig gescheit , daß man sie nicht anders als Wieten Clog nannte .
Diese Wieten Clog also behauptete immer , daß ein gewisser Storm und ein Müllenhoff zusammen ein Buch schreiben wollten .
Sie selbst hatte zwar nicht viel Meinung von den Leuten ; wenn sie aber vielleicht doch dazu gekommen sind : dies Buch wollte ich kaufen .
Und da ist das Geld .
Es sind sechs Preußische . "
Der Lehrling unter der Petruskirche setzte sich auf den Kontorbock und sah mit großen Augen auf den seltenen Kunden .
" Storm und Müllenhoff ?
Was soll denn eigentlich in dem Buche drin stehen ? "
" Nun . . . Um es kurz zu sagen . . . Wie man klug wird und reich .
Das ist die Sache . "
Da stand der Geselle aus der Lüneburger Heide auf und sagte laut :
" Das gibt es überhaupt nicht .
Eine !
Alles andere !
Aus einem Buche klug werden ?
Dumm können Sie werden , das sage ich Ihnen , aus manchem Buche .
Und verrückt aus anderen .
Und traurig aus anderen , und einige machen lachen .
Und einige können über dies und das belehren , das ist wahr .
Aber klug und reich ?
Nein , solche Bücher gibt es nicht . . . Was der Storm geschrieben hat ?
Warten Sie ' Mal . . . Sehen Sie , hier ist eins .
Dies Buch hat er geschrieben .
Es sind so Geschichten von guten und tiefen und träumerischen Menschen .
Er ist einer von unseren größten Dichtern . "
Der Käufer schüttelte den Kopf und bis die Zähne zusammen und sah auf den Ladentisch .
" Denn hat Wieten doch wohl recht behalten , daß nichts Rechtes aus ihm geworden ist . "
Der aus der Lüneburger Heide stieß die Bücher , die vor ihm lagen , zurück .
" Meine Meinung , " sagte er , " ist die : Sehen Sie !
Diese Bücher , von unten bis oben hin .
Reihe an Reihe , die können Sie alle durchlesen und können so dumm , ja noch dümmer sein , als vorher .
Von Büchern wird man nicht klug , sondern von dem , was man erlebt .
Sind Sie von der Lüneburger Heide ? "
" Nein , von Dithmarschen . "
" Einerlei .
Wenn ich Ihnen einen Rat geben soll : Sie wollen klug und reich werden ?
Dann gehen Sie dahin , wo keine Bücher sind . . . Bücher ?
Wissen Sie :
Wenn ich meinen Vater nicht hätte , und Mutter weinte sich nicht die Augen aus , so ginge ich nach Amerika , wahrhaftig , das täte ich .
Und wehe dem , der mir ein Buch unter die Nase hielte . "
" So ! " sagte Fiete Krey .
" So !
Das ist Ihre Meinung .
Na so ! "
Er nickte eifrig mit dem Kopf und langte nach dem Geld und steckte es wieder in die Tasche .
" Vater und Mutter sehen nicht nach mir aus .
Reich will ich werden , einerlei wie .
Von Amerika habe ich Gutes und Schlechtes gehört .
Niemals das Mittlere .
Ich glaube , ich thu's . "
" Tun Sie_es , Menschenkind !
Und wenn Sie Zeit und Lust haben , und wenn es Ihnen gut geht , schreiben Sie 'mal an den ersten Lehrling in der Heroldschen Buchhandlung .
Wie ist Ihr Name ? "
" Ich bin Fiete Krey von Wentorf . "
Achtes Kapitel Eines Tages im Sommer , als die Ernte vor der Tür stand und die Linden voll gelber Blüten hingen , kam Jörn Uhl , ein Pflugeisen auf der Schulter , das er zur Schmiede bringen wollte , an der Schule vorbei .
Da flog ihm aus dem Garten eine Stachelbeere an die Mütze , und als er sich umsah , schaute Lisbeths heller Kopf durch das Gebüsch , und gleich darauf , da er ziemlich verlegen still stand und sie anstarrte , arbeitete sie sich durch das Gezweig und trat an die Planke und rief mit verhaltener Stimme :
" Du , Jürgen , komme ' Mal her . "
Er sah sich um , ob auch jemand da wäre , der es sähe .
Aber es war Mittagszeit , und die Dorfstraße und alle Häuser waren wie verschlafen .
Da nahm er die Mütze vor ihr ab und kam näher .
Er hatte sie in den letzten Jahren selten gesehen und war mit kurzem Gruß an ihr vorübergegangen .
Er hatte hart gearbeitet ; sie aber hatte eine städtische Schule besucht .
Er war auf dem einsamen Felde gewesen , hinterm Pfluge her im losen Land ; sie war auf den schmalen , zierlichen und glatten Fußsteigen der Stadt gewesen .
Er war gesunken , war hölzern und rauh geworden ; sie aber war in Kleidung und Bildung feiner geworden .
Das hatte er dunkel gefühlt und hatte sich darum fern von ihr gehalten .
Dazu kam , daß die Natur ihr ewig altes Spiel mit ihnen gemacht hatte .
Sie hatte den beiden Kindern , die im Schulgarten und auf Ringelshören rechte Kameraden gewesen , die Hände gelöst , an denen sie sich festhielten , und hatte jeden in ein besonderes Land geführt , weit auseinander , jeden zu besonderen , bunten Träumen , und hatte weise und freundlich dazu gelächelt .
So macht sie es immer .
Danach , nach Jahren , wenn sie in jedem , in stiller Einsamkeit , sein Geschlecht zur Blute gebracht hat , führt sie ihre Kinder wieder zusammen ; aber nun nicht mehr als Gespielen , sondern als Vertreter ihres Geschlechts . . . Jörn Uhl kommt heute mit Lisbeth wieder zusammen .
Aber es wird ein äußerlich und unglücklich Zusammenkommen sein ; denn sie sind beide noch unfertig , sind weder Kinder noch Erwachsene , wohnen jeder in seinem eigenen Land .
Sie erzählte ihm , gegen die Planke gelehnt , mit weiser Miene , daß sie diesmal lange Ferien hätte ; die Schule der Stadt würde aufgelöst , und bis eine neue gegründet wäre , habe es gute Weile .
Ob er schon wüßte , daß sie Lehrerin werden wolle ?
Nein .
Das wußte er nicht .
Er hatte noch nie davon gehört , daß es Lehrerinnen gab .
Er fragte schüchtern , ob sie Elsbe bald besuchen wolle .
" Ach , " sagte sie und warf den Kopf in den Nacken .
" Elsbe ist ein Jahr älter als ich .
Die sind immer so ganz anders .
Ich habe gar keinen Umgang , der für mich paßt .
Es ist furchtbar langweilig . "
Er meinte :
sie solle doch kommen , Elsbe würde sich gewiß freuen .
" Meinst du ? " sagte sie zweifelnd .
" Ich glaubte , daß Elsbe mich gar nicht mehr leiden mag .
Sie war neulich abends an meinem Fenster , denke dir , als es schon dunkel war , und sagte , ich verstünde noch gar nichts , ich wäre noch wie ein Kind . . .
Wirst du bei uns sein , wenn ich zu euch komme ? "
" Nein , " sagte er , " ich muß immer arbeiten .
Und abends mußt du nicht kommen , dann will Elsbe dich wieder wegbringen , und das ist nicht gut . "
Sie ließ den Kopf sinken und dachte nach .
" Dann kannst du ja ' Mal zu uns kommen ? "
Er erschrak , daß er so etwas tun sollte .
" Nein , " sagte er , " das kann ich nicht . "
" Ja , du brauchst ja nicht ins Haus zu kommen .
Du kommst in den Garten .
Du gehst hinten herum .
Großvater und Großmutter sitzen dann beide in der Stube und lesen . "
Er sah sie mit raschem Blick an .
Sie erschien ihm unendlich großartig und vornehm ; es war erstaunlich , daß es ein so zierliches , sauberes Ding auf der Welt gab .
Aber er konnte sich nicht denken , daß es in irgend einer Weise gemütlich werden könnte , wenn er mit ihr sprechen sollte .
Er hatte einerseits große Neigung dazu ; er wußte aber andererseits , daß es eine Sache großer Verlegenheit sein würde .
Aber sie bestand darauf , daß er käme .
Sie stellte es so selbstverständlich hin und nickte so eifrig mit dem Kopf , daß er es ihr zusagen mußte .
Den ganzen Nachmittag sann er nun darüber nach , wie es heute abend wohl ablaufen würde .
Er hielt es für möglich , daß sie ihn gleich wieder wegschicken könnte , weil er so langweilig wäre .
Und fast erschien ihm das von allen Möglichkeiten das Kurzweiligste zu sein .
Aber dann hielt er es auch wieder für denkbar , daß es ihm glücken könnte , sie zu unterhalten und einiges Ansehen bei ihr zu gewinnen .
Er kam auf den Gedanken , sich auszugrübeln , über welche Gegenstände er mit ihr sprechen wollte , und verfiel auf bestimmte Dinge .
Er meinte , die Sache würde bei einem so feinen Mädchen auf Gelehrsamkeit hinauslaufen .
Er erinnerte sich einiger Gespräche , die Lehrer Peters mit dem Pastor gehabt hatte , während er mit seinen Büchern dabei gesessen hatte .
Das Gebiet seines Wissens war klein , er brachte aber doch einige Gegenstände zusammen , die ihm brauchbar schienen .
Er wollte zuerst über eine neue Dampferlinie nach Dänemark reden , danach über landwirtschaftliche Schulen , die derzeit gerade aufkamen , dann über eine Brutmaschine für Hühnereier und zu allerletzt , wenn es noch nötig wäre , wollte er noch etwas über indische Witwenverbrennungen sagen , worüber er neulich in einem Blatte gelesen hatte , darin der Kaufmann in der Stadt die Waren gewickelt hatte .
Er dachte es sich so , daß er wie von ungefähr über einen von diesen Gegenständen anfangen wollte zu reden . . . ob sie schon gelesen hätte . . . oder was sie darüber dächte . . . oder ob sie etwas davon wisse ; und dann wollte er seine Weisheit auskramen .
Er machte sich eine Stunde vorher auf den Weg , ging an vielen Gräben entlang und sah hinein , als wenn er ein verlaufenes Schaf suchte , und kam in die Nähe des Baumgartens .
Es war da ein Graben mit klarem , fließendem Wasser ; über dem lag schief ein kurzer Weidenstamm , dessen dicker Kopf von kurzen , geraden Zweigen wie von Haaren starrte , die zu Berge stehen .
Von diesen Zweigen fast verborgen , saß sie auf dem Stamm und ließ die Füße dicht überm Wasser baumeln .
Sie sah sehr ernst aus und nickte ihm traurig zu , als er höflich grüßte .
Das Herz klopfte ihm so , daß er , statt mit einem forschen Satz über den Graben zu springen , wie er sich ausgedacht hatte , mit einem langen und sehr ungeschickten Stabs hinüberschritt , wobei er fast in der moorigen Erde stecken blieb .
Er sah sie rasch an und glaubte fast , daß ein Lächeln in ihren Augen lag ; aber gleich machte sie wieder das traurige , ernste Gesicht , so daß er wie von selbst auf die indischen Witwen verfiel ; und er hatte Glück damit .
Sie sagte , daß sie gerade über sehr ernste Dinge gelesen hätte .
Er fragte unsicher , ob das denn nötig wäre ; sie sollte doch lieber etwas Lustiges lesen .
" Ach nein , " sagte sie , " man muß auch doch die traurigen Seiten des Lebens kennen lernen . "
Dann erkundigte sie sich genau nach der Form des Holzstoßes , und ob die Frauen , wenn sie zum Tode gingen , ihre Schmucksachen mitnähmen .
Sie fand das Ganze sehr gut und sagte , sie würde auch gleich dazu bereit sein , sich verbrennen zu lassen , wenn ihr Mann stürbe , denn sie würde nur aus Liebe heiraten .
Darauf kam sie wieder auf Schmucksachen zu sprechen , und es fand sich , daß sie Brosche und Uhrkette zufällig in der Tasche bei sich trug .
Eine Uhr wäre ihr zu Weihnachten versprochen .
Bisher war alles über Erwarten gut gegangen ; nun aber wollte das Gespräch nicht recht vorwärts .
Sie sahen ins fließende Wasser und sagten nichts .
Sie dachte trotzig und unfreundlich :
er ist ein rechter Bauernlümmel ; er aber wünschte , hundert Meilen fort zu sein .
Er quälte sich , einen Gedanken zu finden , den er aussprechen könnte ; aber es schien ihm nichts geeignet .
Sie war ihm so fremd , als wenn sie anderer Sprache und anderen Wesens war .
Zuletzt begann er mit bedrückter Stimme von den beiden Fohlen zu sprechen , die in diesen Tagen auf der Uhl geboren waren .
Aber davon wollte sie nichts wissen .
" Was geht mich das an ? " sagte sie lachend .
Und nun hatte sie mit einem Male ein ganz lustiges , natürliches Kindergesicht .
Sie zeigte alle ihre Zähne , und ihr Haar hing am Ohr herunter , und er erkannte mit einem Male Heintüüt .
" Ja , " sagte er , " was sollen wir denn sprechen . "
Da erzählte sie ihm , wovon ihre Schulkameraden sprächen .
" Erstmal sprechen wir von den Lehrern , dann von den Kindern , die gerade nicht anwesend sind ; dann sprechen wir auch manchmal von den Jungen ; ich aber nicht .
Ich finde das ganz und gar unschicklich . . . Sieh ' Mal , " sagte sie , " dein Fuß hängt ganz im Wasser . "
Er riß den Fuß hoch , als wenn er ihn aus Feuer zog .
Aber sie sah gleich , daß er nun so unglücklich dasaß .
" Komme , " sagte sie , " wir wollen aufstehen und ein wenig spazieren gehen .
Das tun sie da in der Stadt auch .
Einige gehen mit den Sekundanern . "
Er stand Gehorsam auf und sah zu , wie sie so viele Umstände machte .
Erst gab sie ihm die Goldsachen , dann das Buch , dann legte sie die Kleider zurecht , obgleich das gar nicht nötig war ; dann sagte sie :
" Soll ich nun gegen dich anspringen ? "
Er sagte : " Das tatest du damals auch , als wir den Fuchs fangen wollten , " und er stellte sich mit gespreizten Armen und Beinen hin , als sollte er ein Pferd aufhalten .
Sie lachte ihn lustig an :
" Ich will_es lieber nicht , " sagte sie , " du könntest mich tot drücken . "
Dann ging sie ehrbar hinunter , indem sie sorgfältig für den Saum des Kleides sorgte .
Nun gingen sie in den schmalen Steigen unter den niedrigen Apfelbäumen hin und her , und sie sagte : " Du wolltest damals nicht mit mir zum Kinderfest , weißt du noch ? "
" Wenn dein Großvater zu mir gesagt hätte :
» Du sollst mit Lisbeth gehen , « dann wäre ich gern mit dir gegangen .
Ich wagte aber nicht , es dir selbst zu sagen . "
Er atmete hoch auf , als er dies gesagt hatte , und sah sie nun erwartungsvoll an .
" Sage ' ' Mal , wenn jetzt Tanz wäre ; würdest du dann mit mir tanzen ? "
" Gleich .
Von Anfang an , und bis es aus und vorbei ist . "
Er sah sie an .
In seinem Blick lag seine ganze , treuherzige Bewunderung .
" Na ! " sagte sie .
" Und soll ich dir nun ' Mal ' was sagen ?
. . .
Jetzt will ich nicht mit dir tanzen . "
Da ließ er den Kopf sinken und war still .
Er fand es ganz natürlich , daß sie nicht mit ihm tanzen wollte .
Da wurde sie wieder anders wie Aprilwetter , lachte und sagte zutraulich :
" Ich mein's nicht so ernst , Junge .
Ich glaube , ich würde doch mit dir tanzen .
Aber du müßtest mich so anfassen , wie sie in der Stadt tun , weißt du , so ganz höflich und lose . . .
Aber nun mußt du wieder fort gehen .
Ich will dich bis zum Weidenbaum bringen ; da wollen wir Abschied nehmen .
Und komme Sonntag wieder ; ich will hier wieder auf dem Baum sitzen und auf dich warten . "
Als er drüben auf der Weide war , grüßten sie sich und gingen auseinander .
So kam ihm die kleine Gespielin wieder in den Weg .
Mit ihrer freundlichen Hilfe schien sich für Jörn Uhl der Übergang vom Knaben zum Jüngling aufs natürlichste und lieblichste zu vollziehen .
Es schien , daß sein Leben , was die Liebe angeht , in einer geraden Linie verlaufen sollte .
Wenn acht Tage später das Sandfahren nicht gekommen wäre !
Wenn das Sandfahren nicht gekommen wäre , hätte Jörn Uhl am Ende seines Lebens sagen können : " Jugendsünde ?
Was ist das ?
Ich habe in meiner Jugend Arbeit und Not kennen gelernt , Sünde nicht . "
Er hätte nie nötig gehabt , in Erinnerung an begangene Jugendtorheit die Stirn kraus zu ziehen , wie Jasper Krey und alle anderen Menschen .
Aber , als wenn es durchaus so sein muß , als wenn alle Menschen , selbst die besten , Staub auf die Stiefel kriegen und Flecken am Rock : es kam dies Sandfahren , und die ganze tadellose Gerechtigkeit hatte einen großen Riß .
Er fuhr nichtsahnend mit seinem Sandwagen so gegen Abend unterhalb Ringelshören entlang ; ein frischer Seewind wehte , der Himmel war voll treibender Wolken , grau und weiß und blau , bunt durcheinander .
Es war ein Wetter , um hoch und stark Luft zu holen und sich zu freuen , daß man das noch kann .
Das tat Jörn Uhl denn auch .
Er saß auf dem Wagenbrett , ließ die Beine baumeln und summte und brummte so gegen den Wind an , und sah in Grübelei über das ebene , stille Feld , und war so recht das Bild eines friedevollen , tiefdenkerischen Bauernjungen .
Kein Mensch hätte für möglich gehalten , daß dieses langgliedrige , langsichtige Menschenkind heute abend noch , an allen Gliedern zitternd , der Natur selbst in die schönen und furchtbaren , bodenlos tiefen , dunklen Augen schauen sollte .
Als er um Ringelshören herumgefahren war , sah er Telse Dierk , die man in der Gegend die Sanddeern nannte , unweit ihres Hauses am Rande ihrer Sandkuhle stehen .
Sie sah einem vollbeladenen Wagen nach , der eben auf den Weg abbog , und stützte sich leicht auf die Schaufel , mit der sie hatte aufladen helfen .
Als sie das Klappern und Klirren seines Wagens hörte , kehrte sie sich um und rief ihm entgegen :
" Kommst du noch , Jörn Uhl ?
Denn man hierher !
Du kommst mir gerade zupass :
ich habe noch keine Lust , Feierabend zu machen . "
Sie stand vor der gelblich weißen Sandbank , welche höher war als sie , und blitzte ihn mit klugen Augen an .
Sie war barfuß und sah frisch aus , als wäre sie eben aus erquickendem Schlaf gekommen .
So war sie schon seit zehn Jahren , schlank von Leib und hoch von Brust und blank von Augen , und hatte immer diese frische , unermüdliche Kraft in der Haltung und in ihrem Gange .
Vor zehn Jahren , als sie ein ganz junges Ding war , hatte sie eine beste Freundin , die einzige Tochter des Nachbarn , der oben seinen kleinen Hof hatte , wenn man das Tal hinaufging , in dem der Goldsoot lag , und oben auf der kahlen Hochfläche auf einem Fußsteig über ein Stück Heide ging .
Eines Tages verlobte sich diese Freundin mit einem jungen Geestbauern .
Die beiden jungen Leute waren , wie es besonders auf der Geest nicht selten geschieht , zusammengeschnackt worden , das heißt : die beiderseitigen Eltern und irgend eine Tante , die zum Heiratsstiften neigte , hatten den beiden vorgeredet , sie müßten ein Paar werden : die beiderseitigen Verhältnisse paßten eben so schön zusammen wie die beiden Persönlichkeiten .
Der junge Mann ging darauf ein ; er war noch jung , sein Herz war bisher ganz stumm und gleichgültig gewesen ; das Mädchen , mit dem er auf einem Markttage flüchtig zusammengeführt worden war , war ihm nicht unangenehm .
Das Entscheidende für ihn war , daß sein Bruder , den er sehr liebte , jetzt den Hof des Vaters allein übernehmen konnte , während sie ihn hätten teilen müssen , wenn er ohne Vermögen geheiratet hätte .
Das aber ging nicht gut ; denn der Hof war klein und unfruchtbar .
Es war der rätselhafte , dunkle Wille des Schicksals , daß Telse Dierk , die unten an der Marsch an ihrer Sandgrube wohnte , den Erwählten der Freundin vor der Hochzeit nicht zu Gesicht bekam .
Die Braut aber kam häufig durch das Tal des Goldsoots zu ihr herunter und erzählte viel von der Erscheinung und dem Wesen des Geliebten : wie seine Augen wären und sein Haar und sein Gang , und daß er diese und jene Meinung hätte , von der sie die eine billigte und die andere verwarf .
Telse Dierk hörte fleißig zu und sagte im Scherz :
" Schade , daß ich ihn nicht früher gekannt habe ; ich glaube , der hätte gerade für mich gepaßt . "
" O , " sagte die Freundin , " ist es nicht merkwürdig ?
Gerade das habe ich auch schon gedacht .
Er hat sonderbar viel Ähnlichkeit mit deinem ganzen Wesen ; und er hat manchmal ebenso merkwürdige Ansichten wie du .
Weißt du :
er will alles ganz genau verstehen , wie du auch ; er redet so ernst und so lange über ein Höhnerei , wie über die heilige Taufe . "
Das Schicksal wollte auch , daß das frische , kraftvolle Mädchen , das sonst nie krank war , in den Tagen der Hochzeit infolge einer Erkältung in ein hartes Unwohlsein verfiel und im Hause bleiben mußte ; aber am neunten Tage der Hochzeit ging sie ahnungslos hinauf , die Freundin in ihrem jungen Glück zu sehen .
Da sahen sie sich zum erstenmal .
Sie waren beide große Gestalten , wie sie in der Landschaft nicht selten sind :
er dunkelbraun mit dunklem , krausem Haar , sie ganz hell mit gelblichem Haar .
Sie sahen sich an , und sie erschraken voreinander , als sähen sie ein Gespenst .
Die Freundin führte das große Wort , indem sie in einem fort von der Hochzeit erzählte ; die beiden anderen waren still .
Als die Dämmerung kam und es anfing , wolkig und regnerisch zu werden , verlangte die Freundin , welche stolz war , einen solchen Hausgenossen und Diener zu haben , daß er Telse hinunter geleite .
Er griff stumm nach seiner Mütze , und ging hinter ihr her .
Als sie dann in der Mulde hinunter gingen , während der Regen strömte und sie vor ihm auf dem schmalen Steige von gelblichem Lehm ging , geschah es in der Nähe des Goldsoots , daß sie ausglitt und rücklings zu stürzen drohte :
da faßte er sie an und hielt sie .
Und da jeder glaubte , die Dunkelheit verhüllte es , sah er voll und frei in des anderen geliebtes Angesicht .
Aber da waren Lücken in den treibenden Wolkenzügen , darin standen plötzlich Mond und Sterne : die warfen den Glanz von Auge zu Auge , daß jeder die unverhüllte Seele des anderen sah .
Da wußten sie , daß sie sich lieb haben müßten und keinen anderen sonst auf der Welt lieb gewinnen könnten bis an ihr Ende .
Da flohen sie voneinander , weil sie sich fürchteten .
Jahre vergingen .
Es war eine große Qual .
Sie arbeitete den ganzen Tag im Hausstand und half freiwillig manches Fuder Sand laden , um sich müde zu machen und Ruhe zu haben , und saß abends am Fenster hinter ihren Geranienstöcken und Nelken , und sah in die Marsch hinein , wo man Ringelshören nicht sehen kann .
Sie hatte einen Antrag abgelehnt und behandelte die jungen Leute , die ein Wort mit ihr reden wollten , so unfreundlich und kalt , daß sie von ihr abstanden .
Er aber darbte wie sie .
Seine Frau war von unverständigen Eltern als einziges Kind erzogen worden ; jedes Wort des Kindes war bestaunt und bewundert worden .
So hatte sie bei kleinem Geiste einen vorlauten Mund bekommen .
Er war ein kluger , nachdenklicher Mann , kurz und wohlüberlegt mit seiner Rede .
Da war es ihm unerträglich . daß sie über alle Menschen und Dinge mit so vollem Munde redete .
Sie hatte nach den ersten Jahren der Ehe mit großer Mühe und Not einem Kinde das Leben gegeben ; seitdem war ihre körperliche Blüte ganz gebrochen ; sie kränkelte ; das Kind starb , und die Ehe blieb kinderlos .
Die Jahre vergingen .
Sie beschlossen , jeder für sich , das Haus des anderen zu meiden , und wenn er den anderen sah , wollte er sich stracks umdrehen .
Aber wenn der Augenblick da war , dann meinten sie , es könnte ihnen niemand die armselige Freude wehren , den anderen mit raschem , scheuem Blick anzusehen .
Es lebte aber in beiden die versteckte Hoffnung , daß sie sich einmal angehören könnten .
Es wußte das aber keiner vom anderen , kaum jeder von sich selbst .
Diese Hoffnung bändigte ihre Leidenschaft .
Der Vater von Telse Dierk war im Feldzuge gefallen .
Nun starb ihr auch die Mutter .
Sie war eine starke , tüchtige Frau , hatte aber , seit sie so plötzlich Witwe geworden war , von Zeit zu Zeit ein unruhiges Wesen .
Dies wurde schlimmer , als sie hoch in die Vierziger kam .
Sie wanderte dann unruhig ums Haus , liebte es , wenn starker Wind wehte , und ging , wenn die Kopfschmerzen ganz schlimm wurden , nach Ringelshören hinauf und stand da oben und fand Erleichterung im harten , kalten Winde .
Einige Wochen nach dem Tode der Mutter kam er am lichten Vormittag zu ihr , nachdem er sich von obenher überzeugt hatte , daß keine Sandfahrer da wären .
Sie kam ihm in der Tür ihres Hauses entgegen und fragte ihn hart , was er wollte .
Es war ein Herbsttag mit frischem Winde .
Da fragte er sie , was aus ihnen beiden werden sollte .
Sie blieb leidlich ruhig und sagte : es müßte bleiben , wie es wäre , daran wäre nichts zu ändern ; sie könne nicht über Gottes Gebote weggehen , als wären sie nicht da , und sie hoffe , daß er das auch nicht könne .
Sie nahm einen Korb mit Wäsche auf und trat vor mit finsterem Gesicht , so daß er aus der Tür zurück ins Freie treten mußte .
Da sagte er :
Nach seiner Meinung könne Gott nicht den Willen haben , mit seinen Geboten alles Gute in ihm und dazu seine ganze Lebenslust tot zu schlagen .
Er hätte seine Frau gebeten , den Besitz zu verkaufen und anderswo hinzuziehen , aber sie hätte wohl den Grund geahnt und hätte gelacht und ihn verhöhnt .
Sie sah ihn finster an , als wäre ihr ganz zuwider , was er da vor sich hinmurmelte .
Ohne weiter ein Wort aus ihr herausgebracht zu haben , mußte er gehen .
Nach einiger Zeit sprach er wieder mit ihr , als sie im Garten die Bohnenstangen auszog und in Bündeln zusammenband , und bat sie wieder :
er könnte es nicht länger so ertragen , sagte er ; wenn er denn nicht fortziehen könnte , dann möchte sie gehen .
Da fing sie an , bitterlich zu weinen .
Und leichter setzte er durch , daß sie sich an jedem Tage in später Abendstunde am Goldsoot trafen .
Dann hatten sie beide Eimer in den Händen , sahen sich groß und ernst an , sprachen einige Worte miteinander , zuweilen gewöhnliche , zuweilen ein schüchternes , heißes Liebeswort , rührten sich nicht an und gingen wieder auseinander .
Er täuschte sich , indem er meinte , er würde durch diese abendlichen Zusammenkünfte befriedigt und hätte im übrigen einen eisernen Reifen um seinen Willen geschlagen ; ihr aber wurde täglich deutlicher , daß er sie immer näher an sich heranzog , mit jeder Bewegung seiner Gestalt , mit jedem Ansehen .
Es war ihr , als würde sie zu ihm hingerissen ; sie fühlte , wie ihr Widerstand müde wurde .
Tausend Stimmen ihrer Natur redeten ihr zu .
Sie war in großer Angst , wie ein Mensch , der mit wollüstigem Irrsinn zu einem Abgrunde hingezogen wird ; sie fürchtete sich so sehr , daß sie oft wie im Fieber zitterte .
Die einzige Hilfe , die schwere Arbeit , die ihr Müdigkeit und Schlaf brachte , versagte auch .
Da verfiel sie in ihrer großen Not auf einen Gedanken , der ebenso wunderlich als gefährlich war :
sie wollte den Versuch machen , ob sie ihr Herz und ihre Sinne nicht mit einem anderen Manne täuschen und betrügen könnte , dem sie ohne Sünde angehören könnte .
Sie nahm seit Jahren an keiner Geselligkeit Teil .
Die heiratsfähige Jugend mied sie trotz ihrer gesunden Schönheit .
Denn in den Bauernstuben hieß es schon lange , daß sie in einem trauten Verhältnis zu dem Manne ihrer Freundin stände .
Während sie tapfer wie keine im Lande gegen ihre Leidenschaft stritt , für die es so viel Entschuldigung gab , hatten die Menschen sie schon längst schuldig gefunden und kurzes und hartes Gericht geübt .
Um diese Zeit kam Jörn Uhl vier- oder fünfmal nach Feierabend , um Sand zu holen , und es gefiel ihr , daß er so ernst und still war und sie ansah , als wenn er sagen wollte :
du bist auch so einsam und immer in Sorgen wie ich ; und sie dachte sich , wenn er kam und wenn er ging , und Tag und Nacht , tiefer da hinein und redete sich zuletzt ein : daß sie dieses junge , frische Blut lieb hatte .
Und sie freute sich , daß es ihr gelang , Freude an ihm zu haben , und sie lachte abends laut und fröhlich und sagte bei sich selbst :
" Nun bist du den anderen los und hast einen Schatz , einen ganz jungen und sonderlichen . "
Und da er in schüchterner und unsicherer Weise ein wenig lebendiger wurde und sie freundlich ansah und ein Scherzwort wagte , lachte sie bei sich selbst und dachte :
" Es ist ein sittsamer Brautstand , ohne Gefahren , aber doch schön . "
Als er am vierten Abende wiederkam , und sie beide den Wagen gefüllt hatten , lud sie ihn in ihrer Freude ein , auf eine kurze Weile in die Stube zu kommen und noch ein wenig zu plaudern .
Sie setzte sich ihm am Tisch gegenüber in ihrem Kleide , das am Halse lose war , und mit aufgekrempelten Ärmeln , und lehnte sich über den Tisch und lachte ihn freundlich an , fragte nach diesem und jenem und war neugierig froh , ob er wohl mehr aus sich heraustreten würde .
Und als er nicht antwortete , machte sie es noch schlimmer und sagte mit einem fröhlichen Blitzen ihrer grauen Augen :
" Du bist ein hübscher Junge , Jörn :
du hast so kluge Augen , als wärst du immer dabei , etwas zu suchen , was ganz versteckt ist , und hast so 'n eigenwillig Gesicht , als wolltest du nur deinen eigenen Willen tun .
Das mögen wir Mädchen gern leiden .
Wenn du 'mal drei Jahre weiter bist , kannst du dir aussuchen , welche du haben willst :
sie wird nicht nein sagen . "
Er konnte nichts sagen ; er sah sie nur an .
Sie fing noch einmal an und fragte :
" Wie muß die denn aussehen , die du leiden magst ? "
Da stand er auf , und auch sie erhob sich .
Und da sie meinte , daß er beleidigt wäre - auch war sie nun doch in ihrer Eitelkeit verletzt - , trat sie an ihn heran und sagte ruhig und lächelnd :
" An mir findest du wohl gar nichts , nicht einmal das Reden bin ich wert ?
Willst du so weggehen ?
Willst du nicht einmal einen einzigen Kuß von mir mitnehmen ? "
Da erschrak er so , daß ihm Fuß und Atem stillstanden .
Gleich darauf aber riß er sie mit so überschwellender , so sinnloser Leidenschaft an sich , daß sie sich mühsam und erschreckt von ihm losriß .
Sie hatte eine sanfte , freundliche Flamme wecken wollen und hatte ein wildes Feuer aufgerührt .
Sie drängte ihn hart von sich und hieß ihn fortgehen .
Am folgenden Abend , gegen Mitternacht , stand er am Fenster und klopfte und bat sie , ihn einzulassen .
Sie tat aber , als hörte sie es nicht .
Sie lag still , die Hände unterm Kopf geschlungen , und reichliche Tränen liefen ihr über die Wangen , und sie hielt sich für die unseligste der Frauen .
So kam er in drei oder vier Nächten .
Neuntes Kapitel Um diese Zeit hatten die Bauernsöhne den sogenannten Jungeleuteball angesetzt , und auch Jörn bekam die übliche Einladung .
Wäre sie vor vierzehn Tagen gekommen , so hätte er diese Einladung verständnislos angestarrt und beiseite gelegt .
Was sollte er auf einem Balle ?
Er wäre sich lächerlich vorgekommen .
Aber die Erlebnisse dieser letzten acht Tage hatten seine Seele von Grund aufgestört .
Diese acht Tage hatten in dem jungen Blut so gearbeitet , als wenn ein Garten , der am Abend noch in stiller Ruhe lag - es rührte sich kein Blatt am Baum , alle Zweige waren voll von dichtem , blankem Laub , und alle Steige waren rein - , aber gegen Mitternacht setzte ein Sturm ein und tobte bis an die Morgenfrühe .
Da lag am Morgen alles zerzaust , unrein und verwüstet .
Aus Ruhe und Frieden war Not und quälige Unruhe geworden .
Die Brüder lachten und spotteten , als sie hörten , daß er mit zum Balle wollte .
Elsbe aber freute sich .
" Ich freue mich , " sagte sie , " daß du nun doch auch munter wirst .
Du warst so ein recht Langweiliger .
Einen guten , neuen Anzug hast du ja !
Du kannst zuerst mit mir tanzen , damit du es wagst .
Nachher mußt du auch mit Lisbeth tanzen . "
Sie nickte ihm zu und tanzte ein wenig zur Probe um den Tisch , und tanzte so lange vor ihm , bis sie gegen die Tür fiel und in die Knie sank und lachte .
Er sah ihr zu und dachte :
" Sie ist ein liebliches , kleines Ding , lauter Leben ; und immer geradeaus ist sie und wahr und freundlich . "
Er ging ganz allein hin , scheu , als ginge er auf schlechtem Wege .
In der Ecke an der Tonbank stellte er sich hin und stand da stundenlang .
Viele kannten ihn gar nicht , da er noch nie ein Wirtshaus betreten hatte .
Sie waren stutzig und fragten , wer das wäre .
Und als sie hörten , es wäre der Jüngste von Klaus Uhl , wunderten sie sich und sagten :
" Nun , der soll ja ein Träumer sein . "
Einige Mädchen nahmen sich vor , mit ihm zu tanzen .
Sie dachten : " Ei , das ist ein schmucker Junge , und was für ernste Augen er macht !
Das muß fein aussehen , wenn die lachen . "
Er stand da und fiel von einem Gedanken in den anderen .
Bald war er bedrückt und suchte in den Gesichtern derer , die vorübergingen , ob sie ihn auch beobachteten .
Und wenn einer ihn mit einem Blick streifte , sah er an sich herunter und fand , daß er eine lange , unbeholfene Figur abgäbe , oder er meinte in den Gesichtern zu lesen , daß sein Verhältnis zur Sanddeern bekannt wäre .
Dann wieder sah er stolz darein und dachte :
" Wenn ihr wüßtet , daß das schöne , große Mädchen mich geküßt hat . "
Er hatte von den Brüdern und von Elsbe manches Urteil über Mädchen gehört ; aber er hatte kein Interesse an diesen Unterhaltungen gehabt .
Das war seit acht Tagen ganz anders .
Er erinnerte sich aller dieser Worte und besah die vorübertanzenden Mädchen und fand sie schmuck oder häßlich .
Eine Zeitlang , wie er so stand und nichts geschah , sah er im Geiste seine Kammer , wie sie sich darstellte , wenn er sie vom Bett aus übersah .
Er dachte sich im Bett liegend , mit dem Gefühl , das er so oft gehabt hatte : noch so jung und doch schon so voll Sorgen zu sein und ein so Verständiger .
Aber dann sah er wieder die blühenden Mädchen vorübertanzen , sah die schönen Bewegungen und die frischen Gesichter .
Nun suchte er Lisbeth mit den Augen und nahm sich vor , sie zu gewinnen .
Und bei dem Gedanken blieb er .
Er malte sich aus , wie er sie nach Hause brachte .
Dann , unter den verschwiegenen Linden , wollte er sie ebenso anfassen , wie er die Sanddeern angefaßt hatte .
Sie sollte nicht so von ihm fortkommen , wie neulich im Baumgarten .
Dann sah er Lisbeth schräg durch den Saal kommen ; sie setzte sich zu Elsbe , die ihr entgegengesprungen war .
Er sah und sah immer hin .
Es war ihm , als wenn er sie noch nie gesehen hätte , so hatten diese wenigen Tage seine Natur verändert .
Er verfolgte die blaue Schleife , die sie am weißen Kleide an der linken Schulter trug , während sie durch den Saal tanzte .
Er beugte sich vor , um ihre ganze Gestalt zu sehen , und immer heißer wurde der Wunsch , sie diesen Abend an sich zu reißen .
Es hielt ihn aber etwas zurück , ein Gefühl , er dürfe es nicht wagen , ihr so zu nahen , und er konnte den Mut nicht gewinnen , sie zum Tanz zu bitten .
Einige Paare gingen schon an ihm vorüber , um in den vorderen Zimmern gemeinschaftlich Wein zu trinken .
Sie grüßten und neckten sich und beredeten , in welchem Zimmer sie sitzen wollten , faßten sich an den Händen und gingen vorüber .
Da kam auch Elsbe daher , ließ die Hand eines jungen Landmanns los und kam auf ihn zu .
Ihr junges Gesicht war von Freude verklärt , ihr schweres , dunkles Haar war aufs Kleid heruntergesunken , ihre volle , kleine Gestalt war in Tanzen und Wiegen .
" Du , Harro Heinsen ist nicht da ; er hat keinen Urlaub bekommen können !
Ich gehe mit Hans Jarren , er ist fast noch ein Junge ; aber das macht nichts .
Wir wollen eine Flasche Wein trinken .
Gehe doch hin und hole dir Lisbeth und komme zu uns . "
Er tat trotzig und sagte : " Ich mag nicht tanzen . "
" Du hast bloß keinen Mut , mein Junge !
Trinke ein paar Glas Punsch : dann wird es besser . "
Weg war sie .
Da forderte er sich richtig ein Glas Punsch , und noch eins und wieder eins ; und als er vier Gläser von dem schweren Getränk genommen hatte , da hatte er den Mut und ging auf Lisbeth zu .
Sie hatte noch nicht viel getanzt .
Da sie nämlich eine so anmutige , zierliche Haltung hatte und so wenig und ruhig mit hoher , feiner Stimme zu sprechen pflegte , wobei sie den , mit dem sie sprach , mit sonderbar erstaunten Augen ansah , so hielten sich die meisten von ihr zurück , wußten auch nicht , was sie mit ihr reden sollten .
Ihr Haar war sehr hell und lag , glatt und blank wie rohe Seide , um den zierlichen Kopf .
Ihr Kleid war frisch und zart wie weiße Blüten und schien , wie ihr Gesicht , den Schmelz von Blüten zu haben .
Sie sah so unberührt aus , so fein und frisch , wie ein sonniger , stiller Sonntagmorgen , wenn man keine Sorgen hat .
Er paßte nicht zu ihr .
Vor acht Tagen paßte er zu ihr , trotz seiner Ungelenkheit .
Aber jetzt gehörte er nicht mehr neben sie .
Als er zum Tanzen ansetzte und es ihm nicht gleich gelingen wollte , den Takt zu finden , sah er sie mit Auflachen an , und als sie unsicher fragte :
" Was hast du ? " da sagte er herausfordernd :
" Es hat ja gar keinen Zweck , daß wir tanzen .
Es ist ein albernes Umeinanderherumspringen .
Laß uns zu den anderen gehen und Wein trinken :
das mußt du auch lernen . "
Da erschrak sie vor ihm und trat von ihm ab und sagte : " Das tue ich nie . "
" Ach , sei nicht so sie ! "
Er versuchte , sie am Arm mit sich fort zu ziehen ; aber da riß sie sich mit ängstlichen Augen los .
" Na , denn bleibe hier , " sagte er , " du dumme Deern ! "
Das sahen und hörten einige und lachten .
Da ließ er sie stehen , und ging an die Tonbank zurück und setzte sich wieder hin und trank , und wühlte sich in einen verbissenen Trotz hinein und sah mit verächtlicher Miene um sich .
Einige , die von Natur dem weiblichen Geschlecht abgeneigt waren , und die andere Leidenschaft , die des Trunkes , hatten , und andere , die gleich ihm Absage bekamen , setzten sich zu ihm ; und bald gab es ein wildes Reden und Singen um ihn her .
Er saß still unter ihnen und sah finster vor sich hin ; dann lachte er wieder spöttisch bei sich selbst und trank viel .
Sein Bruder Hans , der schon betrunken war und nur in diesem Zustande der Wahrheit ehrlich ins Gesicht sah - nüchtern war er ein großer Prahler und Selbstbetrüger - , der kam herzu , warf sich neben ihn auf einen Stuhl und fing laut an zu weinen .
" Ich dachte , du würdest ein nüchterner und ehrbarer Mensch bleiben .
Ich bin immer stolz auf dich gewesen , obgleich ich tat , als wenn ich dich verachtete .
Aber nun sehe ich , daß du ein Lump bist , wie ich und die anderen Brüder und wie unser Vater . "
Da fuhr der Junge auf , als hätte er hinterm Zaun gelegen und auf das Wort " Lump " gewartet .
Er schlug auf den Tisch , lärmte , trank und schrie , und war der Schlimmste am Tisch und sagte :
" Alle Ulen sind Lumpen .
Es hat gar keinen Zweck , dagegen anzugehen .
Der Sohn von Klaus Uhl muß ein Trinker werden . "
Er lärmte und schlug auf den Tisch und rief laut :
" Wer kann über die Ulen ? " und versuchte , ein Trinklied mitzusingen , das angestimmt wurde .
Er kannte aber weder Text noch Ton .
Einige Verständige , die gerade vorüberkamen , wurden auf den Lärm aufmerksam , und einer sagte :
" Ist das nicht Jörn Uhl ?
Bisher war er eine Stalljacke und konnte nicht bis drei zählen , und nun ist er der Schlimmste von allen Ulen . "
Aber da war einer , Otto Lindemann - das ist der , welcher nachher auch mit bei Gravelotte war ; er ist jetzt schon lange Amtsvorsteher und sitzt seit Jahren im Landtag - , der war damals schon ein guter Menschenkenner und hatte ein starkes Interesse an dem , was seine Augen sahen .
Der schlug dem Wilden auf die Schulter und sagte : " Nein , Jörn Uhl , du magst noch so laut schreien :
du hast doch kein Talent zum Lumpen .
Es kommt alles unnatürlich heraus .
Du wirst noch ' Mal ein tüchtiger Kerl , Jörn Uhl ! "
Und er schüttelte ihn , daß die Gläser vom Tische tanzten .
Gegen Morgen taumelte er nach Haus und schlief bis an den Mittag .
Da kam Wieten in seine Kammer , trat an sein Bett und sah ihn mit großem Kummer an und sagte mit traurigem Kopfschütteln :
" Deinetwegen und wegen Elsbe bin ich hier im Hause geblieben .
Um Elsbe ist mir immer bange gewesen :
aber auf dich hatte ich große Hoffnung gesetzt . "
Sie setzte sich auf den Bettrand und fing an zu weinen .
" Ich habe kein Glück in der ganzen Welt .
Als ich fast noch ein Kind war , habe ich das ganze Hans zu Grunde gehen sehen , in dem ich damals lebte .
Da konnte ich wohl hoffen , ich hätte genug Leid gesehen und getragen für mein ganzes Leben .
Aber nun ich grau werde , muß ich so durch lauter Leid und Unruhe waten , und muß ein Mensch werden , der gar keine Hoffnung hat .
Ich werde mit leeren Händen aus der Welt gehen .
Ich werde Gott meine leeren Hände hinhalten und werde sagen müssen :
Lieber Gott , alles , was ich lieb hatte , ist mir unterwegs verloren gegangen und in den Schmutz gefallen . "
So klagte sie und rang die Hände im Schoße und weinte bitterlich .
Er hörte es mit geschlossenen Augen an , und sie ging wieder hinaus .
Er blieb bis gegen den Abend im Bett , die Augen immer geschlossen :
so sehr schämte er sich vor seiner Kammer .
Erst als es dunkel wurde , stand er auf und ging hin und her .
Als es Nacht war , schlich er sich hinaus und lief nach Ringelshören , nach dem Hause an der Sandkuhle , stellte sich unter das Fenster und rief ihren Namen .
Als es lange still blieb , kam der ganze Jammer , den er bisher noch mit Trotz und Scham gebunden hatte , so jäh zum Ausbruch , daß er wie ein Junge weinte , der geschlagen wird .
Da stand sie auf und öffnete das Fenster , und klagte sich mit harten Worten an :
" Ich habe schon gehört , wie du es gestern abend getrieben hast .
Ich bin ein Unglücksmensch .
Alles , was ich berühre , wird unglücklich , darum will ich weg von hier .
Ich habe mein Haus mit allem , was darin ist , heute verkauft und gehe morgen in der Frühe über alle Berge und komme niemals wieder . "
" O du , dann nimm mich mit !
Ich kann nicht wieder nach Hause gehen ; ich kann nicht .
Ich kann mich niemals wieder vor den Leuten sehen lassen .
Ich gehe ins Wasser , oder du nimmst mich mit . "
Sie redete ihm gut zu und bat ihn viel :
er wäre noch jung ; was geschehen wäre , würde bald vergessen werden .
Er solle sich wundern , wie bald die Wunde vernarbe , die man empfange , wenn man so jung wäre .
Er müsse gerade denen , die ihn so laut und so betrunken gesehen hätten , zeigen , was an ihm wäre ; es wäre wohl Elend genug , daß sie die Heimat verlassen müßte .
Aber er blieb dabei , er höre schon das Lachen seines Vaters und den Hohn seiner Brüder , und Wieten verachte ihn , und alle Menschen sagten :
Klaus Uhl ginge mitsamt seinen Kindern zu Grunde , und er , der Jüngste , wäre der Schlimmste .
Darum , um sich aus all dem Elend zu reißen und zu retten , wolle er es machen , wie Fiete Krey es gemacht hätte .
Über alle Berge wolle er .
Sie tröstete ihn mit allerlei verständigen Erwägungen , besonders mit ihrem eigenen Unglück , das er unerträglich machen würde , wenn er sich ein Leid antäte oder ihretwegen aus der Heimat ginge .
Als er aber dabei blieb , daß er mit ihr gehen wolle , gab sie soweit nach , daß sie ihm erlaubte , morgen in aller Frühe , ehe der Tag graute , oben auf Ringelshören ihrer zu warten .
" Bis zur Heese will ich dich mitnehmen , dann sollst du wieder umkehren . "
Es war eine traurige Nacht .
Sowohl für die , welche im Scheine der kleinen Handlampe im Hause hin und her ging und die wenigen Sachen zusammenpackte , die man ihr nachschicken sollte , und die zuweilen verwirrt stillstand und dann kopfschüttelnd wieder an die Arbeit ging , während ihr schwere Tränen über die Wangen liefen .
Aber auch für den Jungen , der seinen Sonntagsanzug anlegte und seine Arbeitskleider in ein Tuch packte , und dann stumm am nachtdunklen Fenster saß und die Bedeutung dieser Stunden nicht erfassen konnte , der bald mit stolzem Lächeln hohe Pläne aufbaute und bald Neigung hatte , in Wieten Klocks Stube zu gehen und ihr zu sagen , was er vorhatte , und an ihrem Bett sich auszuweinen und aus ihrem Munde zu hören :
" Bleibe hier , mein Junge .
Es kann noch alles wieder gut werden . "
Als der Morgen grauen wollte , ging er aus der Hintertür über die Fohlenweide auf die Heide hinauf und wartete auf einem Stein am Wege , bis sie kam .
Sie kam mit festem , frischem Gang , den sie immer hatte , und ihre Augen waren blank und voll verhaltener Fröhlichkeit .
" So ! " sagte sie , " das andere habe ich alles überstanden .
Hinter mir liegt es . "
Sie deutete nach der Gegend zurück , wo am Ende der Heide das Haus ihres Geliebten lag .
" Nun kommst du noch ; und mit dir werde ich leichter fertig .
Ich will dich aber nicht gleich wegschicken ; ich will mich noch eine Weile an dir freuen . "
Das sagte sie so sicher und mit so heiterer Ruhe , daß er nicht zu widersprechen wagte .
Er blieb aber im Herzen dabei , mit ihr zu gehen , und ginge es um die ganze Erde .
Er hatte bisher nichts , das er verehren konnte .
Die Religion ihm nahe zu bringen , hatte man nicht verstanden .
Die lebensfrische , liebliche und stolze Gestalt des Heilands hatten sie ihm verdorben und vermalt .
Eine Mutter hatte er nicht .
So war der frische , warmherzige Junge ohne eine Liebe .
Wenn der Mensch aber einen regen Geist hat , sucht er ein Ideal , wie einer , der ein gutes Gewehr in der Hand hat und gerne schießt , sich ein Ziel sucht .
Da kam dies Mädchen , das alles hatte , was seinem Alter begehrenswert erschien , Mut vor allem und sicheres Urteil , sittliche Reinheit und eine große Güte .
Dazu kam der geheimnisvolle , dunkle Zauber , den das Weib in seiner vollen Blüte auf das Jünglingsalter ausübt , ein Gefühl , das sowohl etwas von Anbetung wie von erster , gesunder Sinnlichkeit hat .
Sie sprach wieder gütig mit ihm wie am Abend vorher , wobei sie ihn oft ansah und ihm zunickte :
" Es ist mir ganz recht , daß du noch bis zum Walde mit mir gehst , daß ich dich noch so lange ansehen kann . . . Du wirst ein schmucker und tüchtiger Mann werden , Jörn , das sollst du sehen .
Fürchte nicht , daß du auf die schlechten Wege deiner Brüder kommst .
" Du hast so feste Lippen und so tiefe , ernste Augen , und schlank und stark bist du schon jetzt .
Wenn ich dich ansehe , sehe ich dich immer als Mann .
Es ist schade :
wenn du fünf Jahre älter wärst , dann würde ich sagen : » Komme mit ; « aber nun geht es nicht .
Denn wenn du jetzt mit mir gingst und kämst nachher in die Mannesjahre und hättest männliche Gedanken , dann würde ich etwas Mütterliches für dich haben und du würdest ungern neben mir gehen .
Wahrscheinlich würdest du sogar denken :
Die ist eine Schlaue gewesen damals bei Ringelshören , daß sie mich mitnahm :
sie hat möglichst lange einen jungen Mann haben wollen .
Beides ist gleich schrecklich .
Aber das alles verstehst du jetzt nicht ; du wirst es mir aber glauben ; denn du hast mich lieb und weißt , daß ich die Wahrheit sage . "
Die Heese lag noch schwarz unter dem dunkelgrauen , lichtlosen Himmel , aber allmählich wurden die Wolken von fernen , verborgenen Feuern blaßrot .
Und wie sie noch unter solchen Gesprächen weitergingen , schoben sich mächtige , goldene Radspeichen überm Wald hinauf , die bis oben an den Himmel reichten .
Und bald schob es seine rotglühende Achse über den Waldweg .
" Was die Leute über mich reden und reden werden , das sollst du nie und nimmer glauben .
Ich bin so rein wie du bist .
Wenn wir bei einander blieben , würde ich in deinen Augen sinken und kleiner werden .
Wenn ich aber fortgehe und du nichts wieder von mir hörst , wirst du mich in gutem Andenken behalten , ja , du wirst mich höher stellen als ich bin .
Ich werde dir schöner und reiner erscheinen , und du wirst stolz sein und stark deswegen , weil du eine so feine Freundin hattest , als du noch so jung warst .
" Du mußt nicht glauben , daß das , was du in den letzten Tagen erlebt hast , verderblich für dich ist .
Wir bleiben nun einmal nicht ohne Schuld .
Es scheint , das soll nicht sein .
Das Schicksal ruht nicht eher , als bis es uns schuldig gemacht hat .
Darauf kommt es an , daß du trotz der Schuld den Glauben an das Gute festhältst und Liebe und Treue nicht aufgibst .
Schuldig sein und den Kampf um das Gute aufgeben , das ist Tod .
Schuldig sein und doch für das Gute streiten , das ist rechtes Menschenleben .
Du bist stark inwendig , darum habe ich dich lieb .
Was du in diesen Tagen erlebt hast , das ist für dich nichts anderes , als ein Sturm für einen guten , jungen Baum .
Der Sturm wird noch einige Wochen über dich hinwehen ; du wirst dich unglücklich fühlen und unruhig , und die Menschen werden dich auslachen .
Dann wird es vorüber sein , und dann wirst du merken , daß du stärker geworden bist und fester stehst und weiter sehen kannst . "
So sagte sie , in ruhiger Sicherheit , während sie frisch und wie sorglos fröhlich neben ihm herging .
Sie sahen sich an beim Gehen , und ihr Haar , das hell wie seins war , war rot vom Widerglanz des Himmelsfeuers .
Er meinte , daß er nie wieder solch hohe Stunde erleben würde , so voll Leid und so voll Freude ; denn er wußte nun auch , daß geschieden sein müßte .
Unter ihren ernsten , festen Worten war ihm der innere Wert und die innere Notwendigkeit des bitteren Scheidens aufgegangen .
Sie zeigte nach der Sonne , die mit großen , grauen , zerrissenen Wolken einen stillen , heißen Kampf führte .
" Siehst du ?
da steht es wie ein großes , graues Haus .
Aber darin glüht es ; und das Feuer fliegt aus Fenstern und Türen .
Der Meister schmiedet dadrinnen ; das glühende Eisen liegt breit und dick auf dem Amboß .
Ich bin nicht bange um dich .
Es wird uns wohl noch irgendwo ein Glück beschieden sein . . . " Nun gehe !
Gehe rasch , daß wir uns nicht quälen . "
Er stand mit zuckendem Munde vor ihr und sah sie an .
" Es ist nicht leicht , Junge !
Komme her ! "
Sie küßte ihn herzlich und stürmisch .
" Werde ' ein tüchtiger Mann ! "
Sie sah ihn noch einmal von oben bis unten an .
Ihre Augen waren heiter .
" Um dich bin ich nicht bange . "
Dann ging sie mit leichten Schritten , als ginge sie zu einem Feste , den Waldsteig hinunter und verschwand am ersten Haselbusch .
Er stand noch eine Weile mit angehaltenem Atem und nassen Augen ; dann ging er mit langen Schritten davon .
Er fand das Kleiderbündel an der Hecke , wohin er es vorhin gelegt hatte , und zog im Schutz des Walles das Arbeitszeug an .
Dann lief er in langen Sätzen quer über die Heide , sprang den Abhang hinunter und holte Pferde von der Weide .
Im raschen Trabe kam er auf die Hofstelle geritten , ging nicht erst ins Haus hinein , schirrte die Pferde an und arbeitete den ganzen Tag draußen auf dem Felde .
Aber so leichten Kaufes kam er nicht davon .
Am anderen Tage sahen ihn die Brüder , höhnten und spotteten , daß er so feige gegen die dumme " Schulmeisters Deern " gewesen wäre , und daß er sich nachher wie ein Wilder benommen hätte .
Am Nachmittage , als er zum Pferdewechsel auf die Hofstelle ritt , hatten sie alles erfahren .
Sie sagten ihm , er hätte sich und seine ganze Familie mit der Sanddeern unsterblich blamiert .
Es wäre besser gewesen , wenn er mit ihr auf und davon gegangen wäre .
Das ganze Dorf wäre toll und voll von dieser unglaublichen Geschichte .
Er wäre fünf Nächte bei ihr gewesen , bei diesem Frauenzimmer .
Sie könnten sich seinetwegen im Dorfe nicht sehen lassen ; er selbst aber wäre für alle Zeit , und rund umher , fertig und verloren .
Und als er abends , um den Augen der Hausgenossen zu entgehen , einen einsamen Gang durchs Feld machte , tauchte in einem Graben am Feldwege ein roter Kopf auf , und August Krey , der für seine Ziege Gras schnitt , nickte ihm zu und sagte : " Du , Jörn , ich soll dir von Vater sagen :
Der eine , soll ich dir sagen , habe seine Not mit den Weibern , der andere mit dem Gelde .
Und er glaube nicht , daß du das bessere Teil erwählt hättest .
Das soll ich dir sagen , Jörn . "
In der Nacht hatte er einen seltsamen Traum :
Er saß wieder am Stein an der Landstraße auf der Heide , auf dem er gestern morgen gesessen hatte .
Da kamen drei Leute des Weges .
Der in der Mitte war ein alter , würdiger Mann , und die links und rechts waren seine Kinder , ein junger Mann und ein junges Mädchen .
Das Mädchen war die , mit der er gestern gegangen war ; den jungen Mann hatte er noch nie gesehen .
Er sah aus wie ein kriegerischer Landmann , hatte einen starken , freien Gang , war von edler Schönheit , und in seinen Augen lag Mut und Güte , wie er denn überhaupt seiner Schwester , die an der anderen Seite ging , sehr ähnlich war .
Als die drei an ihm vorübergingen , blieben sie stehen und sprachen über ihn , wie man in Gegenwart eines Schlafenden spricht .
Das Mädchen sagte :
" Soll ich ihn wecken , daß er mit mir geht ? "
Der alte Mann sah mit einem seltsam tiefen Blick in seine Brust und sagte : " Du kannst bis an den Waldrand mit ihm gehen .
Zeige ihm die Sterne , wie sie reisen , und wie die Sonne aufgeht und was das für Vögel sind , die im Haselbusch sitzen . "
Der junge Mann sagte :
" Wenn es dir recht ist , möchte ich auch mit ihm gehen : er ist ja mein Bruder . "
" Noch nicht , " sagte der alte Mann .
" Wenn er in den Wald hineinkommt , dann wird es dunkel , dann kannst du mit ihm gehen .
Sorgt dafür , Kinder , daß er gut nach Hause kommt ; er hat seinen besten Anzug an . "
Das Mädchen sagte : " Sollen wir Lisbeth holen ?
Er hat sie sehr lieb . "
" Noch nicht , " sagte der alte Mann , " er kann noch nicht ordentlich pflügen . "
Der Sohn sagte : " Sollen wir den Vater mitnehmen ? "
" Noch nicht , " sagte der alte Mann , " er soll ihn noch eine Strecke tragen .
Er soll erst ' Mal so langsam vor sich hingehen , ganz allein , und immer schaufeln , bis er den Wagen voll hat . "
Er hörte dies alles , wie einer , der aus dem Schlafe kommt und noch nicht ganz bei der Sache ist .
Der alte Mann ging fort , er hörte deutlich die Schritte auf der Straße .
Die beiden Jungen blieben bei ihm am Steine stehen .
Er vergaß sie aber ; denn auf einmal hörte er Wieten Stimme , die sagte : " Ich hätte es doch nicht für möglich gehalten , daß der liebe Gott so am hellen Tage auf dem Wentorfer Heidewege geht .
Er sieht aus wie ein Dithmarscher Bauer ; man erkennt ihn aber gleich am Gange . "
Da meinte er , er könnte ruhig wieder einschlafen , und das tat er .
Er schlief , bis Wieten ihn weckte und zu ihm sagte : " Jörn , wenn du die Brach heute fertig pflügen willst , mußt du aufstehen , mein Junge .
Die Sonne steht schon hinter Ringelshören . "
Zehntes Kapitel Die Erlebnisse dieser Tage wirkten jahrelang auf ihn .
Sie wirkten auf ihn , wie ein bitterkalter Winter mit wundervollen Sternennächten auf den jungen Baum .
Vom Frost bis ins Mark getroffen , zieht er sein Leben in sich hinein und führt es still zwischen Wachen und Schlafen weiter , zwischen hellen Ängsten und süßen Träumen .
Allmählich , wie die Sonne ihm lange schmeichelt , stundenlang ihre weiche Wange an seine Rinde legt , taut er auf und wird fröhlich .
So verschloß der Junge das Schöne und das Traurige , das er in jener Morgenfrühe am Heesewald erlebt hatte .
Er schloß Augen und Mund , um inwendig ungestört zu sein .
Er wurde ein stiller , wortkarger Mensch .
Einige Narren sagten , er wäre dumm .
Wer ihm aber in diesen Jahren begegnete und ein kluger und feiner Mensch war , und hat nur einen einzigen Blick in diese scheuen , tiefliegenden , bitterernsten Augen getan , der hat wie in eine alte Bauernkirche hineingesehen , in Dämmer und Dunkel , goldene Sonnenstrahlen schräg durch hohe Fenster ; und ganz hinten hat er auf dem goldglänzenden Altar hohe , stille Lichter brennen sehen .
Er war ohne Freunde und ohne Bücher , ganz auf sich selbst angewiesen .
Da hat er sich seine Seele bunt ausgestattet , nach seinem eigenen Geschmack .
So wie Jan Reepen tat , welcher Knecht bei Volkmar Harfen war .
Der war ein Philosoph oder ein Dichter oder ein Taugenichts .
Der bemalte die Kalkwände seiner kahlen Kammer , von oben bis unten hin , zuletzt auf dem Bauche liegend und auf dem Tische stehend , mit allem , wie er sagte : » was es in der Welt gibt , von jeder Gattung eins « .
Da waren Menschen und jede Tierklasse .
Er verstieg sich aber auch zu den Elementen und zu den Himmelskörpern und zu den bösen und guten Engeln und bis zu der Dreieinigkeit .
Und für alles und jedes fand er eine bezeichnende Form .
Man hat nie erfahren , was in ihm steckte , denn er starb in derselben Kammer an Gehirnentzündung , nachdem er in der letzten Nacht über seine Bilder in schönen und wilden Phantasien geredet hatte .
So bunt stattete auch Jörn Uhl seine Seele aus .
Vielen Bauernsöhnen in unserem Lande , die nach dem Willen des strengen Vaters durchs Gymnasium und auf die Universität laufen müssen , wird es bittersauer , den Hof zu verlassen , wenn die Ferien zu Ende sind .
Es kommt wohl vor , daß der Bauer den großen Jungen im letzten Fach des Pferdestalles findet , wo er still vor sich hin weint , und daß er den Peitschenstiel brauchen muß , um die Hofstelle von ihm zu befreien .
Auf der Schulbank ist er nachher noch tagelang nur körperlich zugegen ; seine Seele wandelt durch die großen Scheunen und Dielen .
Das Brummen des Religionslehrers - viele Religionslehrer brummen ; sie sollten fröhlich sein - ist ihm Anlaß , sofort die Ohren zu spitzen und das satte Brummen der Fetten zu hören ; und wenn der Direktor mit den Fäusten auf der Pultplatte den Takt der Oden schlägt , hört er winterlichen Drescherschlag .
Wenn das Schicksal es gut mit ihm meint , setzt es ihn nachher in dörfliche Umgebung , und er kann , seinen Sohn an der Hand , am Sonntagnachmittag einen Ausflug machen und am Hector stehen bleiben , und im Winter durch den vollen Stall eines befreundeten Bauern gehen , der seine landwirtschaftlichen Reden verachtet , und kann dabei denken :
" Warum hat dein Vater dich nicht König werden lassen ?
Nun mußt du ein Knecht sein . "
Wenn das Schicksal aber hart ist , daß er sein Gelehrtenbrot in einer großen Stadt zwischen hohen Mauern suchen muß , verfällt er in seiner Not auf den Plan , sich eine kleine Wirtschaft anzulegen , und fängt mit zwei Tauben an und fährt mit Kaninchen fort und kommt zuletzt mit einer Ziege nach Haus und verfällt in Kündigung und schweres Ärgernis .
Es gibt aber auch solche Bauernsöhne - und sie sind in diesem Lande , bei diesem nachdenklichen Geschlecht der Friesen und Sachsen , nicht sehr selten - , die einen heißen Hindrang zum gelehrten Wissen haben , welche aber nach dem Willen des eisernen Vaters auf dem Hof und am Pfluge bleiben müssen .
Diese Leute sind fast unglücklicher als jene .
" Vater , " sagt der Junge , " ich will was lernen . "
Aber der Vater sagt : " Du wirst Bauer . "
Denn der Vater scheut die Studiengelder , oder er hält den Bauernstand für den besten in der Welt , oder er denkt , es sei ein Jungeneinfall , der vorübergehe wie der langweiligste Regentag ; oder er ist den Büchern abgeneigt :
" Was fällt dir ein ?
In die Bücher starren ?
Halt den Mund !
Gehe nach dem Schmied und frage , ob er das Pflugeisen fertig hat . "
Also wächst der Junge auf dem Hofe auf , in den Ställen und hinterm Pflug , heute die Forke in der Hand und morgen die Leine , den ganzen Tag .
Und während der Arbeit fängt der unruhige Geist an , zu wühlen , zu laufen , zu rennen .
So wie ein edles , freies Tier in der Gefangenschaft unruhig und rastlos am Gitter hin und her geht , hin und her , in trostloser , vergeblicher Unruhe und Verzweiflung , so geht sein Geist auch unterwegs und sieht zwischen all den Gitterstäben durch , und sieht und sieht .
Und ungelehrt und ungeführt , sieht und spintisiert und ergrübelt er wunderliche und verdrehte Dinge .
Da der Menschenschlag des Landes vorwiegend für Philosophie und Mathematik beanlagt ist , kommt er bald auf blankes Eis und kommt leicht zu Stellen , wo unter dunkler , durchsichtiger Decke die grünliche , unermeßliche Tiefe gähnt , in der es von Gestalten wimmelt , die er nicht bewältigen noch deuten kann .
Dann geht er wohl einen scheuen , schweren Gang zum Buchhändler in der Stadt und fordert ein Buch über :
" Die Menschheit , wie sie entstand und was ' Mal daraus wird , " oder :
" Ob es wohl ein Buch gibt über Berechnung aller Flächen und über den Bau des Weltalls . "
Dann sitzt er bis in die Nacht hinein beim trüben Schein der Stalllampe über dem Buch und verwirrt sich und meint , er versteht_es , und lebt in einer wirren Welt der Gedanken und kommt da immer tiefer hinein .
Die um ihn wohnen , verstehen ihn nicht : seine eigenen Brüder nennen ihn einen lateinischen Bauern .
Für die Mädchen , die um ihn blühen und nach ihm sehen , hat er keine Augen ; und wenn er einmal zugreift , ist er so tapsig , wie der junge Hund , der unter die Hühner springt .
Seine Augen richten sich immer mehr nach innen .
Dort sehen sie immer Wunderliches .
Endlich sehen sie dort deutlich und klar in greller , roter Schrift das Wort : " Gehe ' in den Tod .
Du taugst nicht unter den Menschen . "
Dann bringen sie mit stattlichem Bauernbegräbnis , nach der Größe des väterlichen Hofes , den Bauernjungen zu Grabe und wundern sich weiter nicht viel und sagen : " Es ist ihm durcheinandergegangen . "
Und noch innerhalb der Kirchhofspforte reden sie von Kornpreisen und Landpacht . * * * Es war ein Städter nach der Uhl gekommen , hatte nach Altertümern gefragt und hatte die Lade gesehen , die im Pferdestalle stand , und hatte ein Angebot gemacht und war weggeschickt worden .
Jörn , der gemerkt hatte , daß das alte Möbel dem Mann wertvoll schien , besah es zum erstenmal in seinem Leben , fand Gefallen daran , reinigte es an einem stillen Sonntagnachmittag , machte das Schloß in Ordnung und brachte die Truhe in seine Kammer und legte seine Sonntagskleider hinein .
Dann lag da noch ein Gesangbuch und das alte , abgegriffene Lesebuch von Klaus Harms und noch ein altes Buch mit gelbem , zerfetztem Umschlag : Littrow , Wunder des Himmels .
Das Buch war mit Jörns Mutter vom Heeshof her ins Haus gekommen und war eine Art populärer Astronomie .
Mehr lag nicht in der Lade .
Wenn es nun Feierabend war oder Sonntagnachmittag , dann setzte Jörn Uhl sich in den alten , sächsischen Stuhl mit Seitenlehnen und strohgeflochtenem Sitz und legte die Beine auf die Lade und zündete die kurze Pfeife an und sah sich in der Kammer um , die an den weißgekalkten Wänden weiter keinen Schmuck hatte , als einen kleinen Spiegel , und sah von dem Fenster in den Apfelgarten und rauchte , und machte ein sehr ernstes und langes Gesicht und baute seine Seele aus .
Heiraten wollte er nicht .
Das war nun vorbei .
Er hatte in dem Fache mehr Erfahrung gesammelt als mancher alte Mann .
Es stand freilich so , daß es schön sein mußte , eins von diesen merkwürdigen Wesen mit den weichen Augen und losen Gliedern zu gewinnen ; aber für ihn war das nichts .
Er war eben eine merkwürdige und seltene Ausnahme .
Das war traurig , aber leider wahr .
Er hatte es ja erfahren .
Die eine , die einst in Kindertagen sein Kamerad gewesen war , war eine Fremde geworden ; sie hatte ihn von oben herab gönnerhaft angesehen und war , mit Angst im Gesicht , von ihm zurückgetreten , als sie in seinem Gesicht das gesehen hatte , was die andere geweckt hatte .
Diese andere aber , vor der er mit wilder Unruhe und mit heißem , neuem Begehren gestanden hatte , war eine Heilige gewesen .
Die Scham stieg ihm ins Gesicht , wenn er an beide dachte .
So wollte er nicht wieder vor einem Mädchen stehen .
Er wollte diesem ganzen argen Gebiet des Menschendaseins immer fern bleiben .
Er wollte Junggeselle bleiben .
" Thieß ist es auch , " dachte er .
" Es liegt in der Familie . "
So war nun also dies abgetan , ein für allemal .
Die Tochter vom Nachbarhof kam zuweilen , mit der Milchtracht auf der Schulter , an ihm vorüber , wenn er mit den Gespannen auf dem Felde war .
Sie grüßte und wollte ein Wort mit ihm reden .
Sie kam auch am Sonntagnachmittag zu Elsbe und ging vor seinem Fenster vorbei durch den Apfelgarten und nickte ihm zu und sah ihn klug und gut an .
Sie war ein schmuckes , freundliches Mädchen .
Aber er , wenn er sie kommen sah , zog die Brauen zusammen , wie einer , der über sehr schwierige und harte Dinge hart nachdenken muß und als ein Sechzigjähriger nicht Zeit und Interesse für junge Mädchen hat .
Es fiel ihm wohl zuweilen in den Sinn : Merkwürdig , wie sie die Füße ansetzt ; oder bei einer anderen :
Die ist rank und schlank , und zierlich und flink , wie unser dreijähriger Litauer ; oder bei einer anderen :
Schmuck sieht das aus , wie sie die Hüften biegt unter der Milchtracht .
Aber weiter nicht .
Hinaus mit den Gedanken aus der Seele !
Diese Sorte Menschen bringt nur Unruhe , Zeitverlust und Spott .
Aber zwei- oder dreimal widerfuhr ihm dies :
Es war beide Male am Sonntag .
Er hatte den ganzen Nachmittag ohne Arbeit zugebracht und war gegen Abend allein übers Feld gegangen .
Da hatte er seine Gedanken nicht bändigen können , sie waren zu der Sanddeern gelaufen .
Er durchlebte noch einmal alles wieder .
Er kam so ins Träumen , sah so deutlich die schöne , starke Gestalt und ihre ruhigen Augen und hörte ihre tiefe Stimme , daß er nicht eher wieder herauskam , als bis er plötzlich seine eigene Stimme hörte und merkte , daß er mit raschen Worten auf sie einredete .
Er stand an einem Heck gelehnt und wußte nicht , wie er dahin gekommen war .
Da rüttelte er sich auf und das Blut stieg ihm zu Kopf .
Den Rest des Abends brachte er in Unruhe zu .
Er setzte sich zu Pferde und ritt nach den Füllen , die auf dem Vorland grasten , und kam wieder zurück und ging im Apfelgarten von Baum zu Baum , faßte die Stämme an und strich Moos von ihrer Rinde und sah in die Zweige hinauf , und lächelte , und fühlte sich wieder unglücklich und wollte etwas , und wußte nicht was , und schämte sich und wäre gern in die weite Welt gelaufen , in irgend ein buntes Leben , eine Arbeit oder einen Streit , um dem zu entgehen , was ihn in solche Zwietracht brachte .
Und da , in der Nacht , ob im Traum oder im Wachen , kam das Mädchen in die Kammer in der ganzen , starken Schönheit , die sie damals hatte , als sie sich ihm gegenüber über den Tisch gebeugt hatte , und wie damals kam sie dicht an ihn heran , und war lieb und zärtlich und sagte , sie sehne sich so nach ihm .
Da küßte er sie , so lange und so heftig , immer lieber und immer heißer , bis die Erregung ihn wach machte .
Da schämte er sich sehr .
Er ging tagelang mit finsterem Gesicht seiner Arbeit nach und redete kein Wort und war besonders gegen Elsbe unfreundlich .
Und eines Tages , als er eine Ladung Korn nach der Stadt gebracht hatte und zur Wohnung des Maklers durch die Straße ging , sah er im Papierladen ein handgroßes Bild mit zwei jungen Frauen , die links und rechts an einem marmornen Brunnen saßen .
Sie waren hoch und kräftig gebaut und selbst die , welche fast nackend war , hatte ein feines und freundliches Gesicht .
Sie hatten etwas Vornehmes und Adeliges an sich , und er konnte nicht verstehen , wie sie dazu gekommen waren , sich so abbilden zu lassen .
Darunter stand in lateinischen Buchstaben : Himmlische und irdische Liebe , von Tizian .
Er stand lange davor und sah es an , und plötzlich gab er sich einen Ruck und ging in den Laden und wurde sehr verlegen , als er darin eine junge Frau fand , die nach seinem Begehre fragte .
Er machte ein hochmütig , nachlässiges Gesicht und zeigte mit dem Peitschenstiel auf das Bild , und erstand es für einige Mark .
Er verbarg es als einen großen Schatz sorgfältig zwischen Rock und Weste und brachte es nach Haus und versteckte es zu unterst in der Lade ; und Sonntagnachmittags , wenn er rauchend und sinnend in seiner Kammer saß , nahm er es heraus und stellte es auf die Lade , seinem Sitz gegenüber , und betrachtete es lange , und war immer in großer Sorge , daß jemand das Geheimnis dieses Bildes entdecken könnte .
Schwerer als mit den Weibern wurde Jörn Uhl mit der Welt fertig .
Man kann sich von der Welt nicht so leicht abwenden :
man dreht sich um :
sie ist da ; man dreht sich noch einmal um :
sie ist noch immer da .
Man hält sich die Augen zu , so hört man ihr Summen und Schreien ; man hält sich die Ohren zu , so macht sie vor unseren Augen ihre Fratzen und Sprünge .
Man muß Stellung zu ihr nehmen , Frieden halten oder Streit anfangen .
Er , bei seinen Jahren und in seiner Stimmung , dazu aus einem Volksstamm , der von jeher im ganzen Lande für streitsüchtig gehalten wird , fing Streit an :
" Frau Welt !
Alt bist du und häßlich !
Verkehrt und verdreht ist alles an dir , von deiner Sohle bis zu deinem Scheitel .
Ich bin Jörn Uhl von Wentorf " . . .
Er hatte die Brauen seiner Augen zu tief zusammengezogen , da sah er die großen Wunder nicht ; und er trug die Nase zu hoch , da achtete er nicht der großen Schönheit .
Es gab kein Ding in der Welt , alles , was kriecht oder fliegt , glänzt oder trauert , Rock trägt oder Schürze , rund oder vierkantig ist : Jörn Uhl hatte über alles ein gerechtes und strenges Urteil .
Darum sah er es deutlich kommen , daß kein Platz für ihn in der Welt wäre .
Reinliche Scheidung zwischen ihm und der Welt : das war das einzig Richtige .
Also beschloß er , in der Verborgenheit dieser Kammer und des Uhlschen Hinterhauses ein Knecht zu sein , zuerst bei seinem Vater , danach bei seinen Brüdern , sich aber einen jährlichen Lohn zahlen zu lassen .
Das , was er also verdiente , wollte er in der städtischen Sparkasse anlegen , davon er gehört hatte , daß sie durchaus sicher wäre .
Danach , als ein ältlicher Knecht , wollte er mit dem Ersparten einen kleinen , einsamen Hof kaufen und mit Wieten fern vom Treiben der Welt leben , bis an seinen Tod .
Und also wollte er der Welt zugleich entgehen und zugleich trotzen .
Nun also , wenn die Welt mit allen ihren natürlichen und menschlichen Einrichtungen Jörn Uhls Anerkennung nicht fand , so mußte , der Himmel und Erde gemacht hat , nicht gut wegkommen .
Er ging freilich in die Kirche .
Er tat es seit einem halben Jahre ; denn er sah , daß die Sparsamen , Nüchternen und die ein wenig altmodischen Leute in die Kirche gingen ; und er hatte sich fest vorgenommen , gerade ein solcher Mann zu werden .
Der alte Dreyer ging in die Kirche , der als Knecht angefangen hatte und nun ein reicher Mann war .
Und der alte Klempner Reder ging in die Kirche .
Er galt zwar für hartherzig und geizig ; aber es empfahl ihn , daß er noch den Rock trug , mit dem er schon vor fünfzig Jahren zum Abendmahl gegangen war .
Und die Frau von Thomas Luch , die das gemeinsame Schlafgemach , in dem ihre Kinder lagen , verließ , wenn ihr Mann von wildem Trunk und Kartenspiel nach Hause kam : die saß mit zusammengepreßten Lippen und strengem Gesicht jeden Sonntag in ihrem Familienstuhl .
Diese und ähnliche Leute , altehrbare und sparsame , gingen in die Kirche .
Aber die Jungen und die Wilden und die Staatmacher , die gingen nicht hin .
Jörn Uhl ging in die Kirche , weil er ein Ordentlicher sein und bleiben wollte .
Er wollte das schon äußerlich anzeigen , darum ging er in die Kirche .
Er ging in die Kirche und langweilte sich .
Zuerst nahm er Anstoß und konnte durchaus nicht darüber hinwegkommen , daß der Mann , der seit dem vorigen Jahre in der Kirche das große Wort führte , in der ganzen Gegend als ein fester Trinker und ein sicherer Kartenspieler bekannt war .
Dreyer hatte ihm zwar gesagt :
" Es kommt nicht auf den Mann an , Jörn , und auf seine Lebensführung , sondern darauf , daß er das richtige Wort Gottes Predigt . "
Das wollte schon in Jörn Uhls Verstand nicht hinein .
Aber davon ganz abgesehen : eben diese rechte Lehre , die der kleine , starke Mann verkündigte , die ging Jörn Uhl ganz und gar gegen den Strich .
Es hieß da nämlich immer :
" All unser Dichten und Trachten ist böse von Jugend auf , " und :
" Wer auf sein Leben und seine Werke baut , der wird ewig verdammt , " und :
" Die Dreieinigkeit , gelobt in Ewigkeit , " und : " Der Sohn Gottes von Ewigkeit geboren , " und : " Glaube nur , so wirst du selig werden . "
Das war so der Inhalt der Predigten .
Jörn Uhl saß und hörte aufmerksam zu und konnte ganz und gar nicht entdecken , was diese Lehren mit dem wilden Leben im Dorfe und mit seinem eigenen Pflügen und Eggen zu tun hatte .
Er wunderte sich im stillen , daß Gottes Wort so durchaus unpraktisch war .
Nach seiner Ansicht mußte es heißen , ein Vers nach dem anderen , ungefähr so : " Der Bauer , der die Quäke und den Senf in seinem Feld nicht jätet , wird nicht selig . "
" Der durch fleißige Arbeit und ehrbar nüchternes Leben sein Vermögen verdoppelt , der kommt obenan . "
" Jeden Abend , den ein junger Mann im Wirtshaus sitzt , wird ihm ein Jahr der Seligkeit abgezogen " u. s. w. So ungefähr hätte er die Bibel gemacht .
Zuweilen , wenn der kleine Mann vom Altar her oder auf der Kanzel mit singender , wogender Stimme die vorgeschriebenen Bibelstellen vorlas , klang es Jörn Uhl , als wenn er etwas anderes hörte , als was der Mann nachher predigte .
Es war ihm , als wenn er alte , tiefe Weisheit hörte und große , starke Gedanken , mitten aus dem Menschenleben .
Da war ihm wie einem Menschen , der am Waldrande liegt , umsummt und umsurrt von Vögeln und Mücken , und hört in der Ferne im Walde einen Brunnen rauschen mit vollem und schwerem und reinem Wasser .
Aber bei der Unselbständigkeit seiner Jugend und bei seiner innerlichen Schwerfälligkeit kam er nie auf den Gedanken , einmal den Matthäus oder Markus durchzulesen und nachzusehen , ob der kleine Mann vielleicht ein gutes Stück vom Evangelium unterschlug und ein anderes fälschte .
" Du mußt immer auf demselben Platz sitzen , " hatte der alte Dreyer gesagt .
" Sechzig Jahre lang sitze ich jeden Sonntag auf meinem Platz in der dritten Reihe , bloß die zwei Jahre abgerechnet , als ich gegen die Dänen im Felde lag . "
Also saß Jörn Uhl jeden Sonntag auf demselben Platz .
Und so blieb nichts weiter nach , als daß Jörn Uhl darum etwas auf Gott hielt , weil derselbe so ' was Altmodisches hatte . * * * Im Herbst des anderen Jahres aber ereignete sich etwas , das wie ein Tau in seine innere Welt hineinfiel .
Und das war gut .
Denn sie war in Gefahr , zu verdorren , wie ein junges Weideland , wenn im April vier Wochen Ostwind weht .
Zu der Zeit , als die Felder sich von Korn leerten , verwilderten einige Jagdhunde , deren Besitzer weder nüchtern noch geschickt genug waren , auch nur ein Tier zu erziehen .
Also vertrieben sich die Hunde die Zeit auf dem Felde ; die Bauern die ihre im Wirtshaus .
Bald wurde es bekannt , daß Schafe zerrissen und Hühnerhöfe verwüstet waren .
Die Kinder der Arbeiter , die längs dem Kirchensteig in die Schule gehen mußten , gingen zitternd ihres Weges .
Eins von ihnen kam atemlos und ganz verängstigt ins Dorf und behauptete , verfolgt worden zu sein .
Es geschah aber nichts gegen das Übel ; denn die Besitzer der Hunde lachten ; es wagte niemand gegen sie vorzugehen , denn sie waren die ersten Leute im Dorf , saßen in der Sparkasse und konnten im Guten und Bösen Vergeltung üben .
Da traf es sich , daß an einem Sonntag morgen die Kinder vom Kamp , die den Kirchensteig entlang gingen , sahen , wie die Hunde das Kalb eines Kamper Arbeiters hetzten .
Die Kinder des Arbeiters fingen an zu weinen und jammerten , sie hätten nur das eine Kalb , und ermunterten zwei große Jungen , mit ihnen gegen die Hunde anzugehen .
Aber die fürchteten sich .
Da gingen die beiden Kleinen in ihrer Angst allein vor , da sie wohl auch im kindlichen Unverstand meinten , sie würden von den Eltern Schläge bekommen , wenn sie das Kalb nicht retteten .
Als die Kinder nun aber , vor Angst schluchzend , näher kamen , wichen die Hunde nicht , sondern gingen vielmehr auf das kleine Mädchen zu , das an das Kalb heran wollte und mit den Händen schlug und immer rief : " Miene Bulle , Miene Bulle . "
Da sank den großen Knaben ganz der Mut , und sie liefen schreiend dem Dorfe zu , das fern lag .
Die beiden Kinder aber standen allein , und die Hunde fingen an , mit ihnen zu spielen .
Sie duckten sich , sprangen vor , sprangen wieder zurück und duckten sich wieder und zerrten an den Kleidern der Kinder , und das eine Kind fiel , und es war nahe daran , daß Furchtbares geschah .
Da kam Jörn Uhl aus den schwarzen Bohnenhocken hervor in seinem Sonntagsstaat , und sah , was da geschah , und bis die Zähne zusammen und dachte :
" Verflucht sind sie !
Soweit ist es gekommen : die Kinder des Dorfes werden von Hunden gefressen . "
Sein Gesicht wurde dunkel vor Zorn , und seine Augen brannten .
In drei langen Sprüngen war er zur Stelle .
Der eine wich ; der andere , der in heller Wut , mit gesträubtem Haar , stehen blieb , bekam die harte Stiefelspitze in die Seite .
Aufheulend sprang er mit schäumendem Maul gegen Jörn Uhl an , der bückte sich nach dem Kinde .
Und gerade , als er sich aufrichten wollte , traf ihn der Ansprung des Tieres , und da er keinen rechten Halt hatte , riß es ihn durch Gewicht und Wucht in die Knie .
Mit einem harten Griff seiner großen , knochigen Hand drückte er das wilde Tier gegen seine Brust und hielt es mit genauer Not von seiner Gurgel ab , nach der es mit wilder Anstrengung , mit schrecklich aufzuckendem Körper und bloßem , geiferndem Munde auslangte .
Mit Mühe , kreideweiß im Gesicht , gelang es ihm , sich aufrecht zu halten .
Als er aber gut und sicher kniete , schrie er wild und laut auf , nahm seine junge Kraft zusammen , erfaßte mit zustoßender Hand die Gurgel des Tieres , bückte sich und brach ihm im Zorn die Knochen .
Von dieser Tat ist noch Jahre nachher viel geredet worden .
Er selbst auch sprach in späteren Jahren , als durch glücklichere Verhältnisse das Freundliche , das Thiessensche in seiner Natur , mehr zum Vorschein kam , lieber von diesem Ereignis neben dem Bohnenstoppel am Kirchensteig , wo er einem Hunde die Knochen brach , der ein kleines Mädchen anfiel , als von jenem anderen Tage , da er gebückt über der Lafette stand und zackige Eisenstücke gegen Menschen warf , die , wie er leiser hinzusetzte , " mir persönlich nichts getan hatten , auch nicht schlechter waren als ich " .
Als das Ereignis am anderen Tage durch die Schulkinder auch auf den Hof drang , merkte er wohl , daß das Großmädchen ihn mit Staunen ansah .
Und der Knecht erzählte , daß die Jungen in den Spielstunden sich lebhaft stritten , wie er auf den Knien gelegen und die Hand ausgeworfen hätte , und überall ständen Gruppen von Jungen , und einer von ihnen läge in den Knien und zeige die Handgriffe .
Und der Lehrer hätte seinen gelben Köter aus den Klauen der Jungen retten müssen .
Nach acht Tagen ging er wieder , Feldüber nach dem Kirchensteig , der Kirche zu und kam den Kindern vom Kamp nach , die auch unterwegs waren .
Sie traten von den Rotsteinen ins Gras und sahen zu ihm auf .
Aber die Kleine , die er gerettet hatte , schob stumm ihre Hand in die seine und ging im kleinen Trabe neben ihm bis an die Kirchentür , ohne einen Ton zu sagen .
Er ging hinein und hörte die Predigt über den Glauben , und daß die sogenannten guten Werke und das sogenannte ehrbare Leben meist verdächtig wäre : " Glänzendes Laster . "
Als er aus der Kirche heraustrat , kam ihm der alte Schneider Rose nachgelaufen , der zu den Stillen im Lande gehörte .
Er trippelte neben Jörn Uhl her ; denn er war schon ein alter Mann , sprach ein wenig vom Wetter , stand wieder still und fing an , in seiner verlegenen Weise mit weichen Fingern nach Schneiderart seinem Begleiter vorn auf der Brust über Rock und Weste zu fahren .
" Bringe die Jacke zu mir , Jörn , " sagte er .
" Der Hund hat sie dir ganz verkratzt ; ich will sie dir mit Seide heil machen .
Ich tue es umsonst , Jörn . . .
Aber , Jörn , was wollte ich noch sagen ?
Es kommt nicht auf die Jacke an , Jörn , sondern auf das Herz unter der Jacke , das muß Gott gehören . "
Jörn Uhl wurde verlegen .
Wo redet in diesem Lande ein gewöhnlicher Mensch über diese Dinge ?
Über Gott und Seele zu reden ist Sache des Pastors , wenn er auf der Kanzel steht .
" Ich wollte den Kindern helfen , " sagte Jörn Uhl , " ich war giftig auf die verdammten Hunde . "
" Du mußt alles tun um Gottes Willen , als Gottesdienst . "
Das verstand Jörn Uhl nicht .
" Ehrlich gesagt , ich dachte nur an das kleine Ding , das schrie wie besessen . "
" Du hast dies eine Mal das Gute auf eigene Faust getan , und das war schön .
Wenn du aber durch dein ganzes Leben und immer das Gute tun willst und willst rechte Freude haben , dann mußt du mit Gott Handschlag wechseln und aus Liebe zu ihm das Gute tun .
Du mußt es nicht tun , weil du giftig warst auf die Hunde , oder weil du die Angst der Kinder nicht ansehen konntest , sondern weil Gott neben dir stand und dich ansah und sagte : » Spring ' zu , Jörn Uhl !
Rette das Kind !
Fass den Hund an , Jörn Uhl ! « "
" Ja . . . das ist ja doch einerlei , ob ich es mit oder ohne Gott tue . "
" Lange nicht , Jörn .
Denn sieh ' Mal :
Wenn du es auf eigene Faust tust , wirst du stolz und bildest dir ' was ein , wirst ein Breitspuriger und vielleicht ein Narr .
Auch tust du nicht immer das Gute ; auch triffst du nicht immer das Rechte ; auch hast du keine rechte Freude daran , weil du es nicht um seiner selbst , sondern deinetwegen und wegen der Leute tust .
Wenn du dich aber an Gottes Seite stellst und alles so von Gottes Seite aus tust , dann bleibst du fein demütig , lachst , freust dich , weißt sicher , daß du gerade das Richtige tust , und hast für alles Verständnis und trotzest und freust dich der ganzen Welt .
Unser Herz bei Gott , Jörn , und unsere Hände gegen die Hunde , gegen alles Schlechte : das ist das Christentum . "
" Das laßt sich hören , " sagte Jörn , " bei Gott stehen und dann , von da aus , das Gute tun : wahrhaftig , das ist nicht übel .
Ich meine aber . . . "
" Der Heiland hat es auch so gemacht , Jörn .
Immer an Gottes Seite und immer gegen die Hunde !
Bloß daß zuletzt zuviel Hunde da waren :
sie wurden ihm über und zerrissen ihn .
Was hat er sonst gewollt und getan , als mit Gott auf Leben und Tod für das Gute streiten ? "
" Das ist gut , " sagte Jörn Uhl wieder .
" Gewissermaßen im Bunde mit Gott . "
" Auf Treue und Glauben , Jörn . "
" Ganz recht , auf Treue und Glauben gegen alles Böse , gegen Hunde und Faule , gegen Trinker und schlechte Pflüger . "
" Ganz recht , Jörn , und zuerst gegen die eigenen Fehler . "
" Das ist klar , " sagte Jörn Uhl .
" Siehst du ? " sagte der Alte .
" Bringe ' mir morgen die Jacke , Jörn , ich mache es umsonst . "
Er nickte viele Mal und ging , noch nickend , davon .
Jörn Uhl dachte plötzlich :
" Den mußt du 'mal fragen , was er über die Predigten denkt , die hier drinnen gehalten werden . "
Er kehrte sich um .
Aber der Alte war in einen gelinden Trab verfallen und verschwand hinterm letzten Kirchenbaum .
Als Wieten Clog am anderen Morgen den Anzug forderte , um ihn nach ihrer Gewohnheit zu bürsten , erzählte er ihr , daß der Alte die Jacke ausbessern wollte und zwar umsonst .
" Das ist ein wunderlicher Heiliger , " sagte sie .
" Was hat er gesagt ? "
Jörn Uhl sah bedenklich vor sich hin .
" Es war an der Kirchenecke etwas windig .
Wenn ich ihn recht verstanden habe , so sagte er :
» Das wäre das beste Menschenleben , wenn einer für andere das Eisen aus dem Feuer holte . « "
" Das ist mir ein Heiliger !
Gott stehe mir bei , Jörn .
Der alte Mann wird noch ganz unklug . "
" Na , " sagte Jörn , " warum gleich das ?
Er ist fleißig und nüchtern ; kein Mensch kann ihm etwas nachsagen ; er ist immer vergnügt und freundlich , und du weißt , daß er dem kleinen Dierksen den Konfirmandenanzug umsonst gemacht hat . "
" Ja , was ist das alles ?
Hat er sich einen Groschen erobert ?
Arbeitet den ganzen Tag .
Hat er ' was ? "
Sie gab ihm das Bündel und sagte : " Schier dich mit deiner Jacke ! " und er ging aus der Küche .
Auf der Diele dachte er :
Das sind nun drei Meinungen .
Was der in der Kirche Predigt , kann ein verständiger Mensch nicht für richtig halten .
Was der alte Schneider sagt , das hat Sinn .
Aber was Wieten sagt , das hat auch Sinn .
Der Schneider sagt :
Für andere sorgen , in Gottes Namen .
Wieten sagt :
Für sich selber sorgen , im eigenen Namen .
Plötzlich blieb er stehen , besann sich und kehrte wieder nach der Küche um .
Sie stand , von der Tür abgewandt , am Handstein , und arbeitete .
" Du , " sagte er , " du sagst , der Schneider hat Blech geredet ?
Aber denn sage mir ' Mal :
Wie ist das mit dir selbst ?
Du arbeitest für nichts und wieder nichts in diesem öden Hause , wo drei Trinker ohne Sinn und Verstand darauf loswirtschaften , und plackst dich täglich mit den widerhaarigen Mädchen ? "
Sie drehte sich flink um und sah ihn groß an .
Er redete zum erstenmal als ein selbständig Denkender zu ihr , und sie konnte sich da nicht so schnell hineinfinden .
" Jung ' , " sagte sie , " tühn nicht !
Gehe deiner Wege und werde nicht hintersinnig . "
Da ging er nachdenklich mit seinem Bündel davon. * * * Sein äußeres Leben war wahrlich nichts als Mühe und Arbeit .
Der Vater pflegte zu sagen :
" Er hat zu viel von den Thiessens und wird zeitlebens der Tagelöhner seiner Brüder sein . "
Heute pflügen , morgen säen , übermorgen schwere Arbeit im Hause :
das war sein Tag .
Morgens der erste und abends der letzte : ein Mensch , der keinen Feierabend und kaum einen Sonntag hat .
Die Augen fielen ihm zu , wenn das Abendbrot eingenommen war .
Dann ging er bald in die Kammer und schlief traumlos .
Der Leib schoß hoch und hager auf , der Schritt wurde vom Gehen in dem schweren Pflugland stark und schwerfällig .
Die Muskeln wurden stark von Sehnen .
Es machte ihm keine Mühe , den ganzen Tag ohne Ablösung , Furche ab , Furche auf , hinter den vier Pferden herzugehen , den Pflugsterz in den Händen ; und es war dem noch nicht Achtzehnjährigen nicht zuwider , wenn er in der Weizenernte statt einer Garbe drei auf die Forke spießte .
Seine Schultern wurden breit , wie nach den Seiten hin ausgebaut , und sein Gesicht wurde braun von Sonne und Salzwind .
Sein Wesen und Wort hatte jene langsame Bestimmtheit und schwere Beharrlichkeit , welche dem schwerfällig grübelnden Geist eigen ist .
Sein Kirchenbesuch wurde seltener , aber an jedem zweiten und dritten Sonntag hielt er in blauem , gutsitzenden Jackanzug , hochaufgerichtet , mit stillem , stolzen Gesicht , seinen Kirchgang .
Die Ereignisse des Herbstes wirkten wohltätig auf ihn .
Er hatte einige Jahre lang gedacht : Fleißig , nüchtern , sparsam , so der Nase nach bis in den Tod : das ist der ganze Witz .
Aber die Unterhaltung mit dem Heiligen und das Nachdenken und Vergleichen , das danach folgte , machte , daß er die Augen ein wenig aufriß und noch einmal genauer zusah .
Und da entdeckte er , daß die Sache so einfach nicht lag .
Es gab noch andere Dinge von Wert , als Ehrbarkeit und Geld .
Er wurde ein wenig aufgeschlossener , weicher und milder .
Er gewann eine stille , wortkarge Zuneigung zu etlichen Arbeiterkindern vom Kamp , und saß zuweilen am Sonntagnachmittag mit ihnen am Ufer der Au und schnitzte ihnen Flöten aus Weidenzweig und half den Kleinsten , welche mit ungeschickten Händen aus den Stängeln des Löwenzahns Ketten machten .
Im Winter aber bewahrte er Äpfel zu unterst in der Lade im Stroh und lachte , wenn die Kleinen auf ihrem Schulwege am Hof vorüberkamen und husteten oder laut redeten und sich auf jede Weise bemerkbar machten ; denn sie wagten nicht , ihn geradewegs mit einer Bitte anzusprechen .
Dazu war er ihnen zu ernst und zu lang .
Zuweilen , an Winterabenden , holte er den Littrow hervor , besah die Himmelskarten , die dem Buche angehängt waren , und ging in den sternklaren Abend in den Apfelgarten hinaus und suchte die gezeichneten Sterne und merkte sich ihre Namen .
Wenn er aber entdeckte , daß es ihn fortriß , daß er gierig wurde , dies alles und mehr zu erkennen , wenn er merkte , daß die Lust am Lernen ihm wie Wein heiß zu Kopf stieg , dann erschrak er und legte das Buch wieder in die Lade , ganz zu unterst , unter das Stroh , wo die Äpfel lagen .
Die Entdeckungen , die er an Menschen und Ereignissen machte , verschloß und verstaute er , wie ein Schiffer die Ladung unten im dunklen Schiffsraum verstaut .
Sie schien nicht vorhanden zu sein .
Ohne Bedeutung und zwecklos schien sie ; aber sie war nur verborgen .
Sie hatte den Besitz seiner Seele bereichert , lag da und war sein Eigentum , und das Fahrzeug ging tiefer und sicherer .
So kam ein Erlebnis nach dem anderen , ein Mensch nach dem anderen .
Sie traten an ihn heran und gaben ihm ein Stück neuer Erkenntnis und Erfahrung und gingen wieder davon .
Elftes Kapitel Im folgenden Frühling überlegte er sich mit der Bedächtigkeit eines älteren Mannes , daß es das Klügste wäre , wenn er sich jetzt freiwillig zu den Soldaten meldete ; dann hatte er nachher freie Bahn .
Der General sah den großen , breitschultrigen Jungen , der nackend vor ihm stand , mit Wohlgefallen an und sagte in guter Laune :
" Kürassier oder Kanonier ? "
Er besann sich kurz und sagte : " Kanonier . "
Darob verwunderten sich die Herren der Kommission sehr .
" Warum ? " fragte der General .
" Ich passe besser dazu . "
" Warum ? " fragte der Alte noch einmal .
Er machte ein kluges Gesicht und sagte : " Ich denke mir , daß die Kanoniere einfacher sind und auch für das Land nötiger . "
Der General nickte bedeutungsvoll und ließ ihn abtreten .
Der Kirchspielvogt Eisohn , derselbe , der mit den Bauern trank und spielte und dessen einziges Kind nachher betteln gehen mußte und in Elend starb , beugte seinen kurzen Hals zur Seite und sagte : " Aus dem angesehenen Geschlecht der Ulen , Herr General !
Ist aber aus der Art geschlagen ; sitzt kein Schneide darin ! "
" In dem nicht ? " sagte der General , " in dem nicht ?
Für den übernehme ich jede Garantie .
Ich kann die Menschengesichter taxieren , Herr Kirchspielvogt , und weiß , wie die einzelnen Leute sich im Frieden und in zwei Feldzügen bewährt haben . "
Also ging er im Herbst , gleich nach der Ernte , nach Rendsburg .
Geert Dose , der Sohn von dem Dose , der früher auf dem Dingerdonn gewohnt hat , wurde zur selben Batterie gezogen und ging mit ihm .
Rendsburg war damals noch eine stille Stadt .
Und wäre sie lebhaft gewesen wie Hamburg und die schönste Stadt im ganzen Lande :
was ging diesen Bauernjungen diese Stadt an ?
Was ging ihn überhaupt die Welt an ?
Er hatte hier drei Jahre lang zu lernen , was gelehrt wurde , und zu gehorchen , was befohlen wurde .
Ruhte aber die Arbeit , dann konnte er tun , was er wollte .
Dann waren seine Gedanken auf den Feldern und in den Ställen der Uhl .
Es ging ihm gut ; es konnte keinen besseren Friedenssoldaten geben .
Er war abgehärtet , klug und Gehorsam .
Ein Unteroffizier , frisch von der Schule gekommen , der gern von den " vierkantigen Holsteinern " sprach , hatte Neigung , Jörn Uhl zum Schemel seiner jungen Herrlichkeit zu machen .
Aber am vierten oder fünften Tage merkte Leutnant Hax , von den Leuten " der lange Johann " genannt , die Absicht und unterhielt sich kurz mit dem Unteroffizier :
da war es aus .
Am anderen Tage , als der lange Johann durch den Stall kam und Jörn Uhl ihm mit Wassereimern begegnete , sagte er : " Uhl , woher haben Sie diesen langen , schweren Schritt ? Habe es bei so jungen Leuten all mein Lebtag nicht gesehen !
Als wenn Sie Eisenschienen tragen ! "
Die Wassereimer klirrten , Jörn Uhl stand wie ein Scheuerpfahl .
" Ich habe von Kind an schwer gearbeitet . "
" Zweijährig in den Pflug gekommen ? "
" Ja .
Und es ist da schweres Land . "
" Ich bin aus der Gegend von Itzehoe , " sagte der Leutnant .
" Kenne die Gegend , bin auch in Wentorf gewesen .
Ich denke , der Vater hat einen großen Hof ? "
" Zu Befehl .
Aber ich habe arbeiten müssen- "
" Aha , der Alte nicht ? "
" Zu Befehl , nein . "
" Die Brüder auch nicht ?
Was ? "
" Nein . "
" Sie machen ein Gesicht , so . . . was soll ich sagen ?
. . . so sorgenvoll .
Ist nicht recht von einem jungen Menschen . "
" Sie werden in diesem Herbst schlecht pflügen , Herr Leutnant . "
Leutnant Hax zog die Augenbrauen , sagte nichts und behandelte Jörn Uhl von Stunde an mit Hochachtung , was sich besonders darin zeigte , daß er von ihm das meiste verlangte und ihm die schwersten Aufträge gab .
Die Kameraden mochten ihn zuerst nicht leiden .
Nachdem sie bald erfahren hatten , daß er eines großen Marschbauern Sohn war , lag es nahe , daß sie seine ruhige Zurückhaltung für Stolz hielten .
Und er war auch nicht frei von Bauernstolz .
Dazu kam , daß in der ersten Zeit auf der Stube , zu der er gehörte , ein roher Ton herrschte .
Es lag das an einem oder zwei windigen Gesellen , denen es gelungen war , den Eindruck weltgewandter Leute zu machen , indem sie mit vielen Erlebnissen und Erfahrungen prahlten .
Es war Jörn Uhl , als einem Dorfkind und Landmannssohn , zwar vieles von dem , was die beiden Helden erzählten , nicht unbekannt ; vieles hatte er grübelnd geahnt ; auch wohnte eine starke Sinnlichkeit in ihm :
aber alle diese Dinge lagen in der geheimsten Tiefe der Seele verborgen und wurden ängstlich behütet .
Es war ihm unerträglich und fast körperlich schmerzhaft , wenn die Prahler diese heiligen Geheimnisse der Natur unter Lachen ausbreiteten .
Es kam dazu , daß ihm beim Anhören dieser Reden klarer und klarer wurde , wie sehr die Brüder im Hause in Leidenschaften und Roheiten rettungslos verstrickt waren .
Also , wenn solche Reden fielen , saß er mit einem Gesicht da , als hörte er seine Brüder reden , und verbarg Mißmut und Verachtung nicht .
Darüber wurde er eines Abends von den beiden Helden zur Rede gestellt .
Er hatte sich aber mit der Schlauheit eines Menschen , der sein Leben im Verkehr mit der Natur zugebracht hat , eines Helfers versichert , seines Schulkameraden Geert Dose , und als die Helden hofften , mit einem zu tun zu haben , und ihn meuchlings überfielen , da hatten sie zwei Gegner und bekamen eine starke Tracht Prügel .
Von da an , obgleich der Ton derbe blieb , wurde er nicht wieder roh .
Die Kameraden mochten ihn zuerst nicht leiden .
Den eifrigen Fleiß , mit dem er Tag für Tag den Dienst tat , hielten sie zuerst für Strebertum , als wollte er sich bei den Vorgesetzten beliebt machen .
Als sie aber bald dahinter kamen , daß sein Eifer nichts weiter als schlichte Treue war , und daß man sich auf ihn verlassen konnte , und daß er für sich nichts erstrebte , und als sie von Geert Dose gehört hatten , daß er eine harte Jugend hinter sich hatte , da achteten sie ihn , wie junge Schiffer den Genossen , der die weiteste Fahrt gemacht hat .
Er bekam so etwas wie ein Schiedsrichteramt , und manchem Muttersohn ist er mit kurzem , trockenem Wort ein guter Helfer gewesen .
" Du , Uhl !
Hast du schon gehört :
Der Rückert ist durchgebrannt und abgefaßt . "
" Was will er durchbrennen ?
Wenn das Pferd vorm Pflug geht , soll es nicht ausschlagen .
Was will er durchbrennen , so lange er Soldat ist ?
Ordnung muß sein . "
" Uhl , du bist ein vernünftiger Kerl ; aber du bist zu vernünftig . "
Jörn Uhl sog an seiner kurzen Pfeife und sagte : " Ich weiß nicht , was das ist , daß ich nicht ordentlich lachen kann .
Es ist , als wenn mein Gesicht gefroren ist :
Ich kann es nicht in Gang bringen .
Aber wenn ihr lacht : das mag ich mächtig gern haben .
Erzählt ' Mal ' was !
Geert , erzähle du eine Geschichte von dem großen Sott . "
" Du , der Planke . . . weißt du ?
. . . der im dritten Jahre : der hat die kleine , hellhaarige Deern , die bei dem Doktor dient , denn nun richtig ins Unglück gebracht .
Sie ist gestern weggejagt worden und ist in der Kantine gewesen und hat mit Planke sprechen wollen ; aber der hat getan , als wenn er krank wäre . . . Hörst du , Uhl ? "
" Er ist ein Lump , " sagte Jörn Uhl .
" Wenn er das kleine Mädchen zu tief in die Schwemme geritten hat , muß er sie auch wieder herausholen .
Wir müssen ihm keine ruhige Stunde lassen , bis er Verlobung mit ihr gefeiert hat .
Wir wollen ihm sagen , daß wir zusammenschatten und ein Fass Bier auflegen wollen .
Wenn er das hört , merkt er , daß wir alle so über die Sache denken . "
Geert Dose war auf der Stube oft der Gegenstand der Neckereien , weil er in der Schule fast nichts gelernt hatte und aussehen konnte , als wenn er dütterig wäre .
Aber seine Mutter war eine von den echtesten Kreien , eine Tochter von dem bekannten krummen Stoffer Krey , der aber von Haus aus nicht krumm gewesen war .
Dieser Krey hatte in seiner Jugend stark geschmuggelt und hatte die Zollwächter am Strande oft dadurch irre geführt , daß er sich verkleidete , als wäre er verwachsen .
Zuletzt kam einer von diesen Wächtern draußen im Watt um : man sagte , Stoffer Krey habe ihn irre geführt und ins Wasser gestoßen .
Von der Zeit an gab er das Schmuggeln auf und wurde ein stiller , nähriger Mann .
Er bekam aber allmählich , obwohl von Haus aus steil und gerade wie ein Eschenstamm , die Haltung und den Gang eines Verwachsenen .
So hat er lange Jahre neben seinem Hundefuhrwerk durch die Dörfer getrabt .
Von diesem seinen Großvater hatte Geert Dose Mutterwitz .
Er hatte in der Marsch bei einem großen Bauern gedient , der sehr dumm , gröhlig und schläfrig war .
Bei dem hatte sich der Schelm durch freundliche Gefälligkeit beliebt gemacht .
Er hatte sich diese Zuneigung gefallen lassen , hatte gute Tage gehabt und hatte dem beschränkten Manne manchen lustigen Streiche gespielt .
Von diesen Streichen erzählte er , wenn er sehr darum gebeten wurde .
Er saß auf dem Rande seines Strohsacks , ließ seine Augen in die Runde gehen und erzählte .
" Ja , da war ' Mal eine Geschichte mit einem Geestkerl . . . Wißt ihr , was ein Geestkerl ist ?
Geestkerl ist ein Mann , der so gegen den Winter sein hungriges Heidedorf verläßt , und in die Marsch hinuntergeht und da bei einem Bauern drischt und wieder nach Haus geht , wenn es Frühjahr wird .
Mit diesen Geestkerls hatte der große Sott immer seine Not .
" Also da kam einer , der war ein kleiner , grauer Kerl , dunkel , trocken und eckig wie Backtorf , und hatte so verlorene , verbiesterte Augen und fuhr mit dem Kopf hin und her .
Ich dachte gleich : na , das gibt wieder ' was .
» Wirt , « sagte ich , » passen Sie bloß auf : mit dem kriegen wir wieder unser Herzeleid . «
" Na , der Kerl geht denn ja auch zu Bett und steht am Morgen wieder auf .
Als er nun bei der Sauerbuttermilch sitzt und bei dem Brei - es gab damals jeden Morgen und Abend Sauerbuttermilch , manchmal auch mittags - , kommt der Sott so von ungefähr herein und will ihn so_ein bißchen untersuchen , so wie der Hund den Swienegel , so ganz vorsichtig , und ich sah an seinem großen Gesicht und an seinen aufgerissenen Augen , daß er auf alles gefaßt war .
» Ich wollte bloß wissen , « sagte er , » wie du heißt und woher du bist . «
Da sieht der Kerl sich um , als wenn sein Name irgendwo dicht bei ihm in der Luft auf und nieder fährt wie ein Brummer und ihn beißen will .
» Mein Name ? « sagt er .
» Mein Name ? «
Und er fuhrwerkt wieder durch die Luft .
Der Sott hatte sich über den Tisch gebeugt und sah aus , als wenn er mit seinem großen Munde Fliegen fangen wollte .
Ich saß ganz still ; aber ich legte ein altes Doppelschillingsstück , das aus der Mode war , vor mich auf den Tisch und dachte :
das will ich Sonntag extra in den Klingelbeutel legen für den Spaß .
" Na , was zu tun ?
Der Geestkerl hat also seinen Namen vergessen .
" Er hätte ihn gestern noch gehabt , sagte er .
Aber in dieser Nacht hätte er ihn vergessen oder verloren ; das wäre ihm schon mehrfach passiert .
Ich sagte , ob ich ' Mal im Bettstroh nachsehen sollte , vielleicht läge er da noch .
Aber ich hatte ja wohl gegrient ; denn mit einem Male haut der Sott über den Tisch und reicht mir einen hinüber , daß ich Hören und Sehen vergesse und aufspringe und mich davon mache .
" Na , soweit war ja alles gut und schön .
Der Geestkerl hatte also seinen Namen verloren und konnte ihn nicht wieder finden , obgleich wir ihm alle suchen halfen .
Er sagte , es wäre ihm , als wenn sein Name ziemlich lang wäre und irgend etwas mit Essen zu tun hätte .
Mehr , sagte er , erinnerte er nicht .
Wir machten ihm allerlei Vorschläge , aber er lehnte sie alle ab .
Er sagte , es wäre ein ganz merkwürdiger Name .
Der Sott kam auf den schlauen Gedanken , ihn nach dem Pastor zu schicken , der solle ihm ' Mal aus dem Taufbuche ganz viele Namen vorlesen , und wenn er einen Namen hörte , der seinem eigenen ähnlich wäre , dann solle er mit dem Kopf nicken .
Er hat aber nicht genickt :
es fiel ihm gar nicht ein ; er arbeitete nur immer mit den Augen , wie ein Mädchen , das Vierball spielt .
Zuletzt sagte er , er glaube , daß sein Name ziemlich lang sei .
Wenn er nur erst einen Teil davon wiedergefunden hätte , dann würde er den Rest vielleicht auch wiederfinden .
» Ja , « sagte Sott , » wie das zu machen wäre ? «
» Ja , « sagte der Geestkerl , » das beste Mittel wäre wohl . . . wenn der Bauer das dafür tun wollte « . . . » Natürlich ! « sagt Sott und macht Augen wie_ein Ochs , so neugierig war er . . . » Ja , « sagt der Geestkerl , » sein Name hätte ja irgend etwas mit Essen zu tun .
Das beste Mittel wäre daher , wenn er eine Zeit lang das zu essen kriegte , wovon er nachts träumte .
Das würde ja wahrscheinlich mit seinem Namen zusammenhängen .
Wenn er dann seinen ganzen Namen ordentlich durchgeträumt und auch tüchtig durchgegessen hätte , dann würde er ihm wohl endlich wieder einfallen . «
" Na , das geht los : kein Mensch kann es halten .
Sechs Nächte lang träumte der Kerl immer von Schwarzsauer und kriegt es denn ja auch und ißt mächtig .
Wir hatten damals gerade so schönes , frisches Schwarzsauer im Keller .
Na . . . Danach sagt er :
» Ihm hätte von großen Haufen Butter geträumt . «
Die Frau ärgert sich ; aber der Sott sagt : » Das hilft alles nicht .
Wir müssen 'raus haben , wie der Kerl heißt . «
Und der Kerl frißt sechs Tage lang zu seinem Essen Butter hinein , all was das Zeug halten will .
Na , nach so und so viel Tagen fängt er an und träumt von Milch .
» Was für Milch ? « fragt Sott , und die Frau legt sich über den halben Tisch und glotzt ihn voll Erwartung an .
» Abgerahmte ? « fragt Sott .
» Eine , « sagte er , » es war ganz dicker Rahm darauf . «
Also das geht los : Wir haben immer einen Topf voll süßer , schöner Milch bei Tisch stehen und tun uns alle was zu gute .
Und der Kerl frißt sich so durch den Winter und gedeiht mächtig .
Da , eines Tages , als es so allmählich anfängt , draußen grün zu werden , so Mitte März , läßt er sich eines Abends das Geld geben , das er verdient hat , und als er es bekommen hat , geht er in seine Kammer und holt sein Zeug , und gleich nachher kommt er draußen ans Fenster und sagt , er habe seinen Namen jetzt durchgegessen und wisse ihn jetzt .
» Was ? « sagt Sott und springt steil auf .
» Ja , « sagt der Kerl :
» Was mein Name ist , ist mir nun bewußt .
Johann Stoffer Suerbottermelk heiße ich . «
» Suerbottermelk ? « schreit Sott .
» Warum hast du das denn nicht gleich geträumt ?
Was ?
Das wäre billiger gewesen . «
» Ja , « sagt der Kerl und lacht so recht vergnügt und spielt wieder mit Kopf und Augen Vierball , » das geht mir immer so , ich träume immer nur die Teile . «
Der Sott macht ein freundliches Gesicht , wie der Fuchs dem Hasen : » Na , « sagt er , » denn komme man herein :
Denn kannst du nun ja acht Tage lang Sauerbuttermilch haben . «
Da schüttelt sich der Kerl , als wenn ihm zwanzig kalte Aale den Rücken hinunterlaufen :
» Das war_es gerade , Meister ! « sagte er .
» Die Meisterin hat mir zuerst immer Sauerbuttermilch vorgestellt , und die mag ich den ganzen Tag nicht . «
Und damit geht der Kerl davon und läßt sich nicht wieder sehen . . . Ich hatte natürlich wieder die Last zu tragen , denn als ich nachher im Dunklen nach meiner Kammer gehe , steht der große Sott da im Gange , wo es dunkel ist , und wartet auf mich und sagt , ich hätte die Geschichte zusammen mit dem Winterkerl ausgeheckt , und haut mich da in aller Stille durch . "
" Das hast du auch getan , " sagte Jörg Uhl und lachte .
Und die anderen sagten auch :
" Die Prügel hast du redlich verdient , Geert . . .
Diese Geschichte war übrigens nicht so windbeutelig , als gewöhnlich .
Also erzähle noch eine . "
" Ja , "
. . . sagte Geert Dose . . . " Wenn ihr immer sagt , daß ich lüge . . . "
" Geert , erzähle !
Wenn du nicht sofort anfängst , gehen wir dir an den Kragen .
Hast du heute nicht gelogen , so hast du es sonst schon oft getan .
Los !
Angefangen !
Oder es gibt ' was . "
Geert Dose sieht Jörn Uhl mit Augen an , in denen steht :
" Jörn , wir beide , wir sind die einzigen Verständigen unter diesen Kindern . "
Aber da sie schon aufstehen und die Fäuste gegen ihn erheben , fängt er mit bedrückter Stimme wieder an .
" Ja . . . Ihr sprecht davon , daß der Gefreite Kiekbusch so mächtig essen kann , aber da hatten wir bei dem großen Sott wieder ' Mal so_ein Winterkerl , der hat vom November bis März bei uns gedroschen .
Der aß erst mit uns anderen am selben Tisch .
Aber wir sahen bald :
Das hatte gar keinen Zweck .
Er hatte alles gleich weg .
Wenn wir ordentlich einhauen wollten , war die Speckschüssel schon leer .
Da sagte Sott , sie sollten für ihn in dem großen Braukessel kochen , satt sollte der Kerl werden und wenn_es ihm den ganzen Hof kosten sollte .
Na . . . Nun wurde denn im Braukessel gekocht , und er wurde denn auch wirklich satt .
Aber es dauerte lange Zeit ; es dauerte zwei Stunden , ehe er den Kessel leer hatte .
Also . . . was zu tun ?
Der Sott geht nach der Scheune und sagt : » Du , Geestkerl , sage uns ' Mal frei von der Leber :
wie hast du das im Hause gemacht , daß du satt geworden bist und hast noch ein bißchen Zeit übrig gehabt , zu arbeiten .
Wir wollen gern alles tun , was möglich ist . «
Der Geestkerl sperrt Maul auf und sagt :
So hätten sie das gemacht .
Seine Frau hätte einen Besenstiel quer über den Kälbertrog genagelt , und dann hätte er sich an die Küchentür gestellt und dann hätte sie ihn gefüttert .
» Mensch ! « sagt Sott , » bist wohl nicht klug ?
So habt ihr das gemacht ?
Na , denn machen wir das auch so .
Genau so machen wir das ! «
" Und wahrhaftig , das geht so los .
Sott sagt zu mir :
» Geert , du mußt das tun , du hast den Kopf offen und kriegst den Schwung wohl raus . «
» Natürlich ! « sagte ich .
» Ich bin nicht auf den Kopf gefallen ; ich will es schon fertig bringen . «
Na , so machen wir es denn ; und wir kriegen den Kerl ja richtig durch den Winter .
" Als es gegen das Frühjahr geht , kommt seine Frau , um ihn abzuholen und sagt , ihr Mann wäre noch niemals bei so netten Leuten gewesen .
Er hätte ja ordentlich Speck angesetzt .
Sie befühlt ihn überall und nickt immer mit dem Kopf und lobt den Sott .
Der hört das gern .
Im Sommer , sagt sie , brauche er nicht viel .
" » Was ? « schrie Sott .
» Was sagst du ?
Im Sommer braucht er nicht viel ?
Dann zehrt er wohl von den Rippen ? «
" »Nein , « sagt die Frau , » so wäre es nicht .
Sondern . . . Menschenkinder !
. . . Denkt euch bloß !
. . .
Er wäre so ' was wie_ein Wiederkäuer , sagt sie . « "
" Dose , du lügst ! " schrien die anderen .
" Er macht es zu schlimm !
Haut ihn ! "
Aber Jörn Uhl lachte und wehrte mit der Hand .
" Laßt ihn in Ruhe .
Es ist alles wahr , was er erzählt , und wenn es nicht wahr ist : warum hört ihr denn zu ? "
Geert Dose saß ganz still , als ginge es ihn nichts an , und als wäre er ganz unschuldig .
Er sah sie alle vorwurfsvoll an und sagte : " Hört ihr ?
Was Jörn Uhl sagt : das ist immer wahr . "
" Na , denn erzähle man weiter !
Wenn du es aber zu schlimm machst , kriegst du doch deine Haue .
Du kannst dich doch zusammen nehmen , Mensch ?
Mußt du denn gerade lügen , daß man_es auf zehn Schritt riechen kann ?
Nun man los ! "
" Ja , man los ! sagt ihr .
Ihr meint , ich greife es bei den Beinen auf , nicht ?
Einmal , weiß ich noch . . . aber wenn ihr immer sagt , ich bin ein Windbeutel . . . "
" Na . . . nun man zu ! "
" Ja . . . wenn so die Zeit kommt , wo der Winter zu Ende gehen will , dann ist es manchmal ' ne böse Sache mit den Bauern .
Denn werden sie alle mehr oder weniger wunderlich , namentlich die Grasbauern .
Einige bekommen Hitze , andere frieren .
Einige bekommen ihren Anfall schon im März , andere so um die Zeit , wenn das Vieh heraus soll , so Anfang Mai .
Es gibt sogar einige , die gehen um die Zeit , wo sie ihren Törn bekommen , von selbst auf vier Wochen nach Schleswig .
Die Doktoren da sind ordentlich darauf eingerichtet .
Na , in der Zeit bekam der große Sott immer so ' was Verfrorenes , so ' was Glasiges .
Es war so wenig Leben in ihm , wie in einem toten Maulwurf .
Na , das ist ja denn gut .
" Einmal , so im März , war so_ein naßkaltes , eisiges Wetter , daß der ganze Hof in Nebel und Wasser lag . und die Eiszapfen wie Forkenstiele vom Dach herunterhingen .
Da hatte die Frau wieder ' Mal ihre liebe Not mit ihm .
Er stand in der Küche und queste ihr ' was vor .
Dann wurde er immer langsamer mit seinen Worten , und zuletzt fiel er um und lag in der Torfkiste .
Und weil er da im Wege war , schalten die Deerns und gaben ihm dann und wann einen mit dem Holzpantoffel .
Endlich trieben sie ihn auf , und da ging er hinaus ; und sie freuten sich , daß sie ihn los waren .
Aber er kam gar nicht wieder herein , auch nicht , als es dunkel wurde .
Wir suchten ihn überall ; aber wir konnten ihn nicht finden .
Da sagte die Frau : » Nun bin ich bloß neugierig , was wir nun wohl mit ihm erleben werden . «
Ich war aber ganz ruhig und dachte :
» Er hat sich gewiß irgendwo in den Scheunen ins Heu geworfen und schläft da weiter . «
" Na , am anderen Morgen , als wir alle um die Breischüssel sitzen , da sagt das Kleinmädchen :
» Ich habe den Bauern gestern abend noch gesehen .
Er stand unter der Wand unter den Eiszapfen und war ganz blank und glitschig . «
Na , ich sehe hinaus und sehe durchs Fenster , daß die langen , dicken Eiszapfen vom Dach herunter hängen .
Da denke ich mir ja gleich mein Teil .
Ich sage : » Frau « - damit meinte ich Sotts Frau - » und Kinder « - damit meinte ich die anderen :
» Ich kann mir jetzt denken , wo der Bauer ist .
Kommt ' Mal mit . «
" Wir gehen alle hinaus .
Und richtig .
Da hat er sich hinten am Scheunendach unter die Lecke gestellt und hat nach seinen Weiden ausgeguckt , ob sie schon grün würden , und ist im Stehen eingeschlafen und , kalt und glasig , wie er schon war , hat er nicht gemerkt , daß das Wasser so an ihm herunterläuft und so unterwegs zu Eis wird .
So war er denn so allmählich ganz überglast .
Es war alles unter Eis. Alles , sage ich euch : hinten und vorn , Gesicht und alles .
Und auf dem Kopf hatte er bis zum Dach hinauf so etwas wie eine gläserne Zipfelmütze , die steil aufstand .
" Na . . . wir brechen ihn ja nun oben und unten ab und tragen ihn mit vier Mann in die Küche .
Es kostete uns Mühe , eine Klaue an ihm fest zu kriegen , so glatt war er .
Die Frau schalt schon mit ihm .
Er machte aber nichts weiter , als daß er durchs Eis hindurch mit dem linken Auge nach mir zwinkerte , was er immer tat , wenn sie schalt und ich dabei war .
Der Junge sagte : » Wir sollen ihn so lassen und mit ihm zum Meldorfer Markt gehen und ihn für Geld sehen lassen , « kriegte aber einen an die Ohren .
" Na . . . was zu tun ?
Um es kurz zu erzählen :
Wir stellen ihn erst in die Ecke und essen ganz gemütlich , wobei er mächtig hungrige Augen machte und mit der Zunge immer an dem Eise leckte , und die Frau ihn dann und wann anschrie .
Dann stellen wir den ganzen Eiskerl , so wie er ist , in den Bohnengraben , erst mit dem Oberteil - denn die Frau wollte durchaus an ihn ' ran - , dann so weiter , und wir kriegen ihn richtig mit einem guten halben Fuder schwarzen Torf wieder glitschrig und dann mit Soda und Natron wieder mürbe . "
Nun fuhren die anderen über Geert Dose her , und Jörn Uhl konnte ihn nicht retten .
Er wehrte aber ab , daß es nicht allzu schlimm wurde .
Dann wurde es still ; Dose war ins Schlafen gekommen , Jörn Uhl ins Grübeln .
Die anderen redeten leise von der Tagesarbeit , die hinter ihnen lag .
Im letzten Jahre , als der Dienst wie von selbst ging , verbrachte Jörn Uhl seine freie Zeit viel in der Wohnung eines kleinen Stadtbeamten , der gut zehn Jahre älter war als er .
Er stammte samt seiner Frau aus der Wentorfer Gegend , hatte als Knabe Thieß Thiessen auf dem Heeshof besucht und hatte Fiete Krey gekannt .
Er war ein adretter Mann , sein Haar war immer glatt und seine Hemdsärmel waren blendend weiß .
Er war fleißig , tüchtig , nüchtern und sparsam und hatte vielleicht noch einige gute Eigenschaften mehr .
Er tadelte Thieß Thiessens Wirtschaft und die des Magistrats der Stadt , der ihn angestellt hatte .
Er tadelte , daß Fiete Krey , als er ihn zum letztenmal gesehen hatte , splettbeinig auf seinem Hundefuhrwerk gesessen hatte , er tadelte , was die Regierung unternahm und der König gesagt hatte .
Er tadelte alles .
Er lobte nur sich selbst und zuweilen seine Frau , die selten und schüchtern hinter ihm herredete .
Wenn er diese aber lobte , setzte er immer hinzu :
" Ich habe sie darauf aufmerksam gemacht .
Nun macht sie es so . "
Wenn die Krankheit , an welcher der saubere Mann litt , ihrer Natur nach ansteckend wäre , so wäre es ein gefährlicher Umgang für Jörn Uhl gewesen , zumal er noch jung war .
Aber diese Krankheit ist nicht ansteckend ; sie entsteht in der Natur eines einzelnen Menschen , tobt sich in ihm aus und geht mit ihm zu Grunde .
Danach steht sie an irgend einem anderen Ort in irgend einem anderen Menschen wieder auf .
Die Umgebung des Kranken hört sein Prahlen geduldig an und verspottet ihn , wenn er den Rücken zeigt .
Wenn einmal einer von seinen Bekannten am Wirtstisch , durch eine günstige Gelegenheit verführt , zu prahlen anhebt , fällt ihm mit einem Male seines Nachbarn Krankheit ein .
Da schließt er schnell den Mund und entgeht der Narrheit .
Jörn Uhl war zwanzig Jahre alt .
Er durchschaute nicht die furchtbare innere Leere und Narrheit seines Gastgebers .
Obgleich er das ewige Selbstloben etwas aufdringlich und taktlos fand , ließ er es über sich ergehen , indem er dachte :
" Es hat ein jeder seine Art . "
Er sagte also nicht viel dazu , kam überhaupt sehr selten zu Wort .
Er saß still in dem weichen , warmen Sofa , rauchte ein wenig , hörte ein wenig zu , fühlte sich ein wenig geehrt , daß der gewichtige , schmucke Mann so viele Worte und Lebensweisheit an ihn verwandte ; kurz : es war ihm in der geleckten , sauberen , kleinen Häuslichkeit und in dem friedlichen , kinderlosen Familienheim sehr behaglich .
An einem Sonntagnachmittag aber , als Jörn Uhl wiederkam , lag der schmucke Mann längelang auf dem Sofa und hatte Zahnschmerzen und konnte nicht reden und bat den jungen Hausfreund , ihn ein wenig zu unterhalten .
So kam Jörn Uhl zum erstenmal in dieser Stube zu Wort .
Er redete - wovon sollte er sonst reden ? - von der Uhl und von seiner Mühe und Arbeit : wie er diesen Acker durch weise Kultur in die Höhe gebracht hatte , und wie er jenes Stück Vieh gut verkauft hatte .
Er wurde warm und redete zwei Stunden lang über das Thema :
Jörn Uhls Leben , Taten und Meinungen .
Der Hausherr hatte Zahnschmerzen , schwieg und hörte zu .
Die Frau ging mit ängstlichem Gesicht hin und her und schien sehr besorgt um ihren Kranken .
Als Jörn Uhl am anderen Tage schon wiederkam , um zu hören , wie es mit dem Kranken stände - es hatte ihm auch ein wenig gefallen , von sich selbst zu sprechen - , zog ihn die Frau geheimnisvoll in die Küche und eröffnete ihm unter Tränen , daß ihr Mann gestern , nachdem Jörn Uhl fortgegangen wäre , schrecklich böse gewesen wäre und sie geschlagen hätte .
Er könne es ganz und gar nicht ertragen , wenn ein Mensch von sich selber spräche .
Er wolle von einem weiteren Verkehr mit Jörn Uhl von Wentorf nichts wissen .
Jörn Uhl hat öfter in seinem Leben ein erstauntes und dummes Gesicht gemacht , was er leicht dadurch erreichte , daß er sein langes Gesicht noch ein wenig länger machte .
Niemals jedoch ist es länger gewesen , als da er diese blankpolierte Tür hinter sich schloß und die frisch geölte Treppe hinunterging , um sie nie wieder hinauf zu gehen .
Er hat dies Erlebnis zu den anderen gelegt und still verschwiegen .
Erst viel später , zwanzig Jahre später , war er so geläutert , war er der Wahrheit so nahe gekommen , war seine Selbsterkenntnis so echt geworden , daß er seiner Frau die Geschichte lachend erzählte .
Sie aber hat damals noch eine Waffe daraus machen können und hat sie gelegentlich gegen ihn gebraucht .
" Wie war doch die Geschichte , Jörn ?
Ihr wart beide blank und poliert , nicht ?
Jörn , du wirst rot .
Und das ist sehr am Platze , Jörn Uhl . "
Einmal nur ließ er sich von seinen Stubengenossen bereden , mit ihnen zu einer Tanzgelegenheit zu gehen .
Er sah zu , wie sie sich tapfer drehten und freute sich an einigen Mädchen , die ihre Sache gut machten .
Eine , die groß und geschmeidig und doch stark war , gefiel ihm besonders , und er verfolgte sie mit den Augen .
Sie merkte das bald , nahm eine Freundin am Arm und ging an ihm vorüber und sah ihn an .
Als er sich aber nicht anschickte , mit ihr zu tanzen , ließ sie den langen , steifen Menschen stehen , wo er stand , und ging zu anderen .
Er verließ den Saal und ging auf die Stube zurück , stopfte sich die Pfeife und saß als ein Gerechter am Fenster , und dachte an den Tag der Heimkehr und wie es wohl auf der Uhl aussehen würde , und malte sich aus , wie er alles wieder in Ordnung bringen wollte , und wunderte sich über seine Kameraden , daß sie so gar keine bestimmte Sorge und kein gewisses Ziel hatten .
Und wenn sie zu ihm sagten :
" Es ist nicht recht von dir , daß du hier so mutterseelenallein sitzest , du bist doch ebenso jung wie wir :
dann konnte er nicht unterlassen , ein wenig geheimnisvoll zu tun und anzudeuten , daß er viele Sorge hätte .
Es war ja alles ganz gut und ganz recht , daß der Gefreite Jürgen Uhl bei seinen jungen Jahren nicht in der Herde lief , sondern gedankenvoll wohlerwogene Wege selbständig ging .
Aber daß er seine Jugend für tot hielt und zur Feier ihres Begräbnisses dies lange , gerechte Gesicht machte und Augen dazu , als wenn alle vorsichtige Überlegung aller vorsichtigen Menschen in ihm lag : Das war seine Lächerlichkeit .
Die Jugend wird sich an dir rächen , Jörn Uhl !
Auf , junges Blut !
Daß Jörn Uhl kein Narr wird !
Es ist besser , ein Sünder zu sein als so ein Gerechter .
Zwölftes Kapitel In den letzten Wochen des Soldatendienstes hatte er sich besonders stark nach Hause gesehnt , nach den Ställen und Feldern , nach jedem Stück Vieh , ob er es noch anträfe , und nach jedem Wirtschaftsgerät , das er in den Händen gehabt hatte .
Er log und trog sich in die Hoffnung hinein , daß eine gute Zeit kommen würde , daß der Vater älter geworden wäre und die Brüder vernünftiger , und daß er selbst auf den Wirtschaftsbetrieb einen größeren Einfluß haben würde .
Er hatte sich ausgemalt , daß er abends gemütlich mit Elsbe und Wieten zusammensitzen wollte .
Ein feines , grünes Kleeblatt wollten sie sein .
Als er dann ungesehen und unerwartet in seine altgewohnte Kammer gekommen war und die Truhe geöffnet hatte , und seinen blauleinenen Stallanzug hervorgekramt und einen neugierigen Blick in Littrows Himmelswunder geworfen hatte , sah er sich um und staunte seine Schwester an , die dicht hinter ihm stand .
" Sieh , " sagte er , " klein bist du geblieben ; aber rund und voll bist du .
Du bist ein schmuckes Mädchen geworden , so wie es sich gehört . "
Aber sie machte eine gelangweilte , fast bittere Miene .
Er fragte nach ihrem Leben und nach ihrem Umgang .
Aber sie antwortete wenig und mißmutig .
Ihr Aussehen war wie das eines jungen , vollen und fruchtbaren Maimorgens ; aber ihr Wesen war bedrückt wie eines Menschen , dem schon lange hartes Unrecht geschieht .
Jörn Uhl , viel zu klug , um an eigenem Urteil zu zweifeln , und um vorsichtig und bescheiden nachzusehen , was in dem Schwesterherzen vor sich ging , dachte in seiner Selbstherrlichkeit , er würde sie wohl zurechtkriegen .
Er meinte , sie wäre vereinsamt , und seine Gegenwart würde sie wieder munter machen .
So sagte er auch zu Wieten , und die nickte ihm zu .
Als er aber aus der Küche ging , warf sie ihm einen langen Blick nach , der nicht gerade von Hochachtung herkam .
Da kam ein Abend , als er etwa vierzehn Tage lang im Hause war :
Da hatten Hinnerk und Hans junge Leute zu sich geladen , und plötzlich erschien Harro Heinsen in der Hinterstube , wo die drei in langweiliger Unterhaltung um den Tisch saßen .
Er hatte bei den Ulanen in Moabit gedient und eine Unsumme Geld gebraucht .
Er kam , um Jürgen zu begrüßen , wie er sagte .
" Ich wollte dir doch guten Tag sagen .
Wir sind ja nun mit dem Soldatenspielen fertig .
Kommst du ein wenig mit nach vorne ? "
Jörn schüttelte den Kopf und blieb sitzen und hüllte sich in den Rauch seiner Pfeife .
Da setzte Harro Heinsen sich hin und fing an , von seiner Soldatenzeit zu erzählen und zu prahlen , und Jörn , der über alles , was der Moabiter sagte , eine andere Meinung hatte , sagte kein Wort .
Da bat er Elsbe , die er immerfort mit seinen schönen Augen ansah , ob sie nicht ein wenig mit nach vorne kommen wollte :
sie sollte es doch tun ; denn wenn sie käme , würden noch einige andere Mädchen dazukommen , die auf dem Nachbarhofe versammelt wären .
Elsbe saß da , als wäre sie von Stein .
Dann sah sie auf ihren Bruder ; aber der bis sich auf die Lippen und zeigte zu deutlich , daß er dieser Lage nicht gewachsen war .
Da packte das Mädchen ihre Handarbeit zusammen , atmete schwer auf und ging mit ihm , und als sie heraustraten , kamen ihnen schon lärmende Mädchenstimmen entgegen .
Es war spät am Abend und eine finstere Novembernacht .
Nun ging Jörn in der Stube hin und her und sah dann und wann auf Wieten .
Aber die sah mit verschlossenem Gesicht auf ihre Arbeit und sagte nichts .
Da lernte er in diesen beiden Stunden etwas Großes und Neues : bittere Sorge um einen Menschen haben .
Zuletzt ging er nach seiner Kammer hinüber und wanderte dort hin und her und stand am Fenster und sah in das Dunkel hinaus .
Er klagte Gott und alle Welt an , daß alles , was zu diesem Hause gehörte , in den Schmutz hinein müßte , rettungslos .
Es quälte ihn , daß er kein Selbstbewußtsein hatte , und daß er nicht den Mut hatte , mitten unter die Gesellschaft zu treten und zu sagen : " Gebt mir meine Schwester . "
Er meinte , er würde niemals ein Mann werden .
" Ich werde es alles ansehen , " sagte er , " ich werde meine Arbeit in Feld und Stall tun und werde zeitlebens als ein Knecht verwendet werden müssen , ganz wie mein Vater von mir gesagt hat . "
Als er noch so traurig grübelte , wurde eilig die Tür nach dem Hinterhaus aufgerissen , trunkene Stimmen erschallten , die Tür schlug wieder zu , und flüchtige Füße kamen über die finstere Diele .
Er öffnete die Kammertür , da fiel sie ihm fast in die Arme , ihr Atem ging rasch und hörbar :
" Ich bin ihm davongelaufen , " sagte sie .
" Wenn du es so machst , " sagte er .
" Das geht nicht gut .
So wild , wie du bist . "
" Ich habe auch gerade genug davon , " sagte sie und ging nach der Lade am Fenster und setzte sich darauf , wie sie als Kind so oft darauf gesessen hatte .
" Ich will dir man sagen , Elsbe :
es dauert keine zehn Jahre , dann sind die Heinsens alle miteinander von ihren Höfen herunter und handeln in Hamburg mit Heu und Kaff .
Das kannst du glauben . "
Sie lief seitwärts der Lade und lugte aus dem Fenster :
" Mich soll verlangen , ob er mich sucht . . . Warum bist du noch nicht zu Bett ?
Ich sagte zu ihm , ich wollte zu dir laufen ; aber ich dachte , du wärst im Bett und hättest deine Tür zu .
Dann wäre ich nach der Scheune gelaufen .
Ich hatte solche Angst . "
Er stand mitten im Zimmer :
" Ich konnte nicht zu Bett gehen ; ich mußte immer denken , was du wohl triebest . "
" Was soll ich treiben ? "
" Du hast sonst immer zu mir gehalten . "
Sie sah flüchtig nach ihm hin .
" Mein allerbester Junge , was hilft mir das ? "
Sie lachte .
Dann sah sie wieder aus dem Fenster .
" Merkwürdig , daß er nicht hinterdrein kommt .
Ich will ' Mal vorsichtig aus der Küchentür sehen .
Ich glaube , er hat gedacht , ich würde nach der Gartenseite hinauslaufen .
Gehe man zu Bett !
Schlafe man gut ! "
Sie lief hinaus , ehe er ein Wort sagen konnte .
Der Regen klatschte wieder an die nachtdunklen Fenster ; aus der Tiefe der Nacht kam wieder das mächtige , dunkle Rauschen der Pappeln .
Und er hörte auf die Stimmen der Nacht , und hörte gern auf sie und gab sich ihnen eine Weile willenlos hin .
Aber als er noch so in schwächlichem , untätigem Sinnen hin und her ging , kam ein Ton von draußen durch den Regen , als wenn im März ein Vogel verlegen das erste Lied probiert .
Deutlich erkannte er die Stimme seiner Schwester .
Im selben Augenblick war er , wie mit einem gewaltigen Sprunge , aus dem Träumen heraus ; er ballte beide Hände .
Er rang kurz mit der Unentschlossenheit der Jugend , mit der Schüchternheit , welche die langjährige Unterdrückung im Vaterhaus ihm aufgezwungen hatte .
In einem Augenblick , in auffahrendem Zorn , hatte der Mann in ihm die Stunde seiner Geburt .
So wird ein gutes , junges Pferd , das in Träumen , mit hängendem Kopf am Waldrand steht , vom plötzlichen Axtschlag , der im Walde widerhallt , aufgeschreckt , und ist lauter Leben und lauter Auge .
Er riß die Tür auf und kam in die Küche und sah hinaus .
Da sah er seine kleine Schwester im Dunkel neben den Weiden stehen , in enger Umarmung mit Harro Heinsen .
Er legte seine Hand auf sie und sagte mit harter , selbstbewußter Stimme :
" Du gehst hinein !
Für dich bin ich verantwortlich . "
Sie wollte erst auffahren , ging dann aber mit ihm .
Harro Heinsen lachte verlegen auf und ging nach vorne ins Haus .
Jörn Uhl hatte seine Schwester an die Hand genommen , wie er es oft getan hatte , als er noch ein Knabe war , und ließ sie mitten in der Kammer stehen .
Er ging wieder hin und her und sah ihre Schönheit und die Feinheit ihrer Glieder , die sich trotz der Fülle und Kleinheit schlank und schön aufbauten , so daß sie größer erschien , als sie war , und an einem schönen Weibe in seiner ersten Blüte nichts fehlte .
Er sah auch in ihrer Haltung und in ihren braunen Augen die nicht verdeckte Glut .
" Was soll das ? " sagte er .
" Ich muß jemand lieb haben , " sagte sie trotzig .
" Das hat keine Eile .
Es wird ein anderer kommen , der dir Brot geben kann . "
" Brot ?
Hast du danach gefragt , als du mit der Sanddeern ausrücken wolltest ?
Wolltest du wegen des Brotes mit ihr gehen ?
. . . Es ist langweilig , so jahraus , jahrein hier in dem großen , öden Hause zu sitzen und nichts zu sehen , als grüne Weiden und betrunkene Brüder .
Meinst du , daß ich hier versauern will ? "
" Gott bewahre ! " sagte er .
" Was ist das für ein Jammer !
So gehst du auch ins Elend , und ich bleibe ganz allein . "
" Wenn ich selbst will ?
Des Menschen Wille ist sein Himmelreich .
Ich mache dich nicht verantwortlich . "
Da packte ihn der Zorn , daß er mit den Zähnen knirschte :
" Ich will es nicht dulden ; ich bringe ' dich morgen heraus aus diesem Hause .
Ich bringe dich zu Thieß Thiessen ; er ist der einzige Bruder deiner Mutter .
Nachher will ich sehen , daß du eine ordentliche Stellung in einem guten , fremden Hause bekommst , weit weg , daß du Harro Heinsen vergißt . . . Hörst du es ?
Höre deutlich zu !
Ich will nicht , daß du irgend einen von diesen Säufern zum Mann nimmst ; sondern du sollst einen von meiner Sorte haben , einen , der arbeiten kann und mag .
Mögen Vater und die Brüder sagen , was sie wollen : hier lasse ich mir nicht hineinreden . "
" Ich will nicht !
Ich will ihn haben !
Lieber einen Tag bei ihm , als zehn Jahre lang bei einem Menschen wie du bist . "
Aber als sie das gesagt hatte , warf sie sich auf den Stuhl , verbarg den Kopf in die Hände und legte ihn auf den Tisch , und sagte mit lautem Aufweinen :
" Das kommt davon , daß ich keine Mutter habe .
Mutter !
Mutter !
Wo soll ich doch bloß hin ?
Ich habe ihn so lieb , was kann ich dafür ?
Aber es geht niemals gut , das weiß ich ; und ich muß zeitlebens dafür büßen . "
So weinte sie , und er stand dabei und starrte mit finsteren Augen in die Nacht und wußte nichts zu sagen .
Er wartete , bis sie stiller weinte , nahm sie wieder an die Hand und führte sie in ihre Stube , in der Wieten Clog schon im Schlafe lag .
Am anderen Morgen , in der dämmernden Frühe , ging er nach der Wohnstube , die er sonst nie betrat , und schrieb dort am Schreibtisch seines Vaters den ersten Brief in seinem Leben mit schwerer Hand und schwerfälliger Form .
Aber der Inhalt war richtig .
" Lieber Thieß !
Ich tue ' Dir zu wissen , daß ich Elsbe heute nachmittag zu Dir schicke , denn ich will nicht , daß sie hier ins Unglück kommt ; sie soll einen ordentlichen Kerl heiraten , einerlei was , auch einen Knecht .
Ich wollte wohl selbst aufpassen wie ein Hühnerhund ; aber die Nacht ist lang und schwarz , und ich schlafe fest .
Und ihre Zeit ist gekommen .
Du weißt ja , wie es auf dem Hofe hergeht , wenn es nahe am Maitag ist : der ganze Stall ist in Unruhe .
Also bringe ich sie lieber auf eine andere Weide , und Du bekommst die Aufsicht .
Paß gut auf !
Laß sie in der Stube nebenan schlafen oder in Deiner Stube .
Du kannst das Bett unter Afrika stellen .
Jürgen Uhl . "
Mit diesem Brief schickte er den Dienstjungen zu Pferde nach dem Heeshof .
Als es aber Nachmittag wurde und die anderen den Hof verließen , um im Dorfe Fohlenschau zu halten , das heißt : um die Gelegenheit der Fohlenschau zu benutzen , um im Wirtshaus zu sitzen , da meinte er , Zeit zu haben , und hielt es auch für richtig , wenn er sie selber hinbrächte .
Er spannte also die beiden schwerfälligen , braunen Dänen vor den altmodischen Korbwagen , mit dem einst seine Mutter als junges Mädchen vom Heeshof zum Unterricht in die Stadt gefahren war , und fuhr mit Elsbe , die ihn gut und freundlich und ein wenig spöttisch anlachte , durchs Dorf .
Als sie am Wirtshaus vorbeikamen , saßen da die Ulen und die Heinsens und viele andere , und der alte Lehrer Peters , der eine Sparkassensache besprechen wollte , stand draußen vor dem offenen Fenster .
Von ihrem Kartenspiel aufsehend , erkannten die Spieler das Fuhrwerk , und gleich gab es ein Fragen und Lachen .
" Wahrhaftig !
Das ist der Jörn !
Den sieht man sonst das ganze Jahr nicht .
Der Junge ist altmodisch , Uhl . "
Da stand der alte Uhl auf , rot im Gesicht , und wußte sich keinen anderen Rat : Er trat ans offene Fenster und verspottete mit lauten Worten seine eigenen Kinder .
Der Sohn hörte die Worte und kannte den Ton und kannte auch das Gesicht , das dazu gehörte ; aber er sah nicht hin .
Er blieb still sitzen , ein wenig gebückt , die Nase vorgerückt und ließ auf dem breiten Rücken der Pferde gemächlich die Peitsche spielen .
Er hörte noch , wie der Vater ein lustiges Wort in die Stube rief , und wie sie darauf alle lachten .
Da waren sie aus Hörweite gekommen .
" Sieh , Elsbe ! " sagte er , " so steht es mit unserem Vater !
Er fürchtete , daß sie über ihn lachen würden .
Darum wandte er sich rasch und zeigte auf uns mit dem Finger und forderte die Leute auf , über uns zu lachen , über seine beiden jüngsten Kinder .
Du kannst deutlich sehen , was für einen Vater wir haben . "
Und von Zorn übermannt , stieß er einen schweren Fluch aus .
Wenn sein Vater nochmal unglücklich würde und seiner Hilfe bedürfe , so wollte er keinen Finger rühren .
Das ist nachher anders gekommen . * * * Als er seine Schwester nun also in Sicherheit gebracht hatte , wie er meinte , und er wieder der Großknecht auf der Uhl war , da merkte er wohl bald , daß es auf der Uhl und auf mehreren anderen Höfen schlimm stand und das Ende von dem wilden Liede nicht mehr fern war .
Es kamen Erscheinungen , und es gingen Gerüchte , welche die Gemüter erregten .
Es kam eine Unruhe , wie bei einem schweren Gewitter : man hat den Blitz einschlagen sehen , und man steht und wartet , daß der rote Hahn vom Dache auffliegt .
Ein Mann in Uniform besuchte einige Höfe und alles fragte , wer das wäre .
Kein Mensch hatte diesen Mann und diese Uniform jemals gesehen .
Als dann ein Kluger sagen konnte , es könnte kein anderer sein als ein Gerichtsvollzieher , und als es vom Wirtshaus aus bekannt wurde , daß Junge Siek betrunken gesagt hatte , er würde seinen schönen Hof verlassen müssen , es jammere ihn um seine Kinder :
da standen an diesem dunklen , wolkenschweren Novembertage unter den kahlen Linden an allen Haustüren die Handwerker und Arbeiter , und die Fenster im Dorfe waren bis in die Nacht erleuchtet .
Zu der Zeit kam August , der Älteste , mit seiner Frau und seinen drei Kindern .
Es war ein feines Gefährt , und die Frau , welche in ihrer Jugend die höhere Töchterschule besucht hatte und in Hamburg in Pension gewesen war , hatte einen großen Abendmantel an , der mit dunklem Pelz besetzt war .
Sie grüßte Jörn von oben herab und ging ins Haus ; August ging still hinterher .
Jörn spannte die Pferde aus und ging wieder an seine Arbeit .
Nach einer Stunde aber mußte er doch in die Wohnstube hinein , weil ein Händler vor dem Hofe hielt und mit dem Bauern sprechen wollte .
Da fand er den Bruder in wilder Aufregung mitten in der Stube stehen , zur Abfahrt bereit , im großen Wagenrock und die Peitsche in der Hand .
Er schrie gegen seinen Vater an :
" Was hast du uns gelehrt ?
Sage es doch !
Die Brust heraus , schmuck gehen , Geld ausgeben , den Mädchen nachlaufen .
Alles ganz gute Dinge !
Paßt nur dein Geldsack nicht dazu ; ist viel zu klein !
Alles , alles ist Schwindel : dein ewiges Lachen , und dein großer Geldbeutel , und das Silbergeschirr , und das große Erbbegräbnis und Mutters Sarg mit dem Samtüberzug .
Alles , alles .
Geht über deinen Stand !
Du und die ganze Bande , die mit dir säuft , ihr seid alle Halunken und Schwindler , und wir Kinder tragen die Last . "
Klaus Uhl , der Vater , saß in der Ecke des Sofas und sah vor sich hin .
Und zum erstenmal sah der jüngste Sohn , der wie ein eingepflanzter Pfahl in der Türöffnung stand , daß sein Vater ein ernstes , ja sogar ein banges Gesicht machen konnte , und daß er ein ältlicher Mann war von ungesundem Aussehen .
" Wenn die Mutter gelebt hätte , dann wäre doch wenigstens ein vernünftiger Mensch auf der Hofstelle gewesen .
Aber wir dummen Jungen haben die Mutter verachtet .
Die Mutter !
Ach , die war der Engel des Hauses !
Aber du ?
Du bringst alles in den Dreck .
Ich sehe es kommen :
Wir müssen von unseren Höfen , wie Hans Meyer von seines Vaters Hofstelle ging : der hatte einen Sack Weizen auf der Schiebkarre , und sein Kind ging mit einem halben Brot neben ihm her .
Mit rechten Dingen geht das nicht zu :
Der Satan hat seine Hand im Spiel . "
Er wandte sich nach der Tür , um zu gehen , da sah er seinen jüngsten Bruder hinter sich stehen .
" Du ? " sagte er , " du bist ein Fuchs " und schlug ihn hart auf die Schultern .
" Du bist mit einundzwanzig klüger als der da mit sechzig und als wir alle .
Wir haben jedes Ding in Seide gewickelt und mit Wein begossen , da wußten wir nicht mehr , was wir in der Hand hatten .
Aber du siehst die Dinge , wie sie sind .
Mache nicht so_ein verlegen Gesicht : Denke an mich , Landvogt , wenn du in dein Reich kommst .
Du hast das Zeug dazu , dir eins zu suchen .
Die Uhl wird es nicht sein : die hat der da versoffen . "
So ging der älteste Sohn von seines Vaters stolzem Hof .
Es war ein Hof , wertvoller als manches sogenannte Rittergut .
Als er ein ältlicher Mann geworden war , und er mit seinem kleinen , kümmerlichen Fuhrwerk zum Krautfang nach dem fernen Watt von Ringelshören hinunterfuhr , saß er immer so auf dem Wagen , daß er die Uhl nicht sah , die so breit und sicher unter den großmächtigen Pappeln lag , deren Kronen der ewige Westwind nach Osten zu gebeugt hatte .
Auch mit anderen ging es zu Ende .
Die bittere Sorge donnerte mit schwerer Hand gegen die Türen der alten , starken Bauernhäuser , und die Insassen gingen die langen , dunklen Dielen auf und nieder und wollten die Tür nicht öffnen , und drinnen in der Stube saßen die Frauen und weinten , und die Kinder waren voll schwerer , banger Ahnung .
Auf einem Hofe schirrte die Frau selbst die braunen Jucker vor den Wagen , und tat ihnen das Silbergeschirr um und fuhr selbst zur Stadt , und kam zum Amtsgericht und verlangte die Unmündigkeitserklärung ihres Mannes , heute noch .
Die starke Frau breitete die Papiere aus , die sie mitgenommen hatte , und wies nach , wieviel vom eingebrachten Frauengut verloren gegangen war .
Sie stellte ihren kleinen Jungen , den sie mitgebracht hatte , auf den grünen Tisch , zog ihm die Hose herunter und zeigte die schwere Handfläche ihres trunkenen Mannes , und sie entblößte ihren vollen , weißen Hals und zeigte die Spur seiner Finger , und verlangte Kuratel , und sie Kurator .
Der Amtsrichter war noch jung , hatte schon neben manchem Weibe gestanden , aber noch niemals einem gegenüber .
Er griff nach der Klingel und sagte : das wäre nach dem Gesetz nicht so einfach ; und er fing an , ihr zu sagen , was dazu nötig wäre .
Und das war viel .
Da hat sie über Recht im Vaterland ein starkes Wort behauptet : daß es so schwerfällig wäre wie 'ne alte Kuh und so weiberfeindlich wie ein alter verbissener Junggesell .
Es schallten ihre Worte bis in den Korridor .
Zuletzt sagte sie , es gäbe ja Gott sei Dank noch ein anderes Recht , das werde sie von nun an anwenden .
Und sie hob die Hand zum Schlag .
Sie werde ganz ohne Amtsgericht fertig werden , billiger sei es auch .
Wenn aber in Zukunft ihr Mann hierher käme , um sich über sie zu beschweren , so solle der Amtsrichter ihn doch ja abweisen ; sonst würde sie ihren Mann so zurichten , daß er vierzehn Tage lang weder stehen noch gehen könnte .
So sagte die durch das jahrelange Elend wild gewordene Frau und fuhr unbehelligt nach Hause ; und ist noch oft durchs Dorf gefahren , immer mit zwei flinken Pferden .
Das Geschirr von Silber hatte sie am anderen Tage verkauft ; die Pferde gingen und gehen noch heute in hellen , hanfenen Sielen ; und sie sieht weder nach rechts , noch nach links .
Sie ist eine harte Frau geworden .
Die Knechte und die Händler haben Angst vor ihr ; ihre Kinder sind tüchtige Menschen geworden , die Jungen ein wenig verschüchtert , die Mädchen Herrinnen ihrer Männer ; der Mann schob sich eines Tages aus dem Leben , nachdem er sich jahrelang im Hause an den Wänden entlang gedrückt hatte .
Er liegt im vernachlässigten Grabe links vom Hauptsteig neben dem Grabe seines Tagelöhners , des alten Peter Back , das immer so sauber im Stande ist .
Als eine Sohnesfrau das Grab des Bauern einst stillschweigend gereinigt hatte , sagt man , hat die Witwe , die zufällig vorüberkam und einen stolzen Blick hinwarf , Brennesselsamen vom Grabenrand geholt und darauf gesät .
Dabei wußten dann ältere Leute zu berichten , daß sie weiland an ihrem Hochzeitstage vor Glück sich nicht hatte halten können und ihrem jungen Ehemann gleich nach dem Jawort , vor allen Leuten , weinend und lachend zugleich , um den Hals gefallen war .
Aus so heißer Liebe war so heißer Haß geworden .
In diesem Winter machte auch Wilhelm Isermann seine letzte Fahrt durchs Dorf ; sein Geschlecht wohnt am Querweg gegenüber dem neuen Kirchhof auf hoher , stolzer Wurth .
Nach dem Grundbuch der Kirche haben dort Isermannen seit über 400 Jahren gewohnt .
Das dreieckige Hinterepflugeisen , nach dem sie genannt sind , hängt noch heute über der Tür seines Hauses und steht noch in der Wange seines Kirchenstuhles .
Eines Abends , kurz vor Weihnachten , kam sein Bruder , der als ein ernster und angesehener Arzt in Hamburg wohnt , in sein Haus .
Sein Freund , der Landrat , hatte ihm geschrieben :
Wenn er den Bruder zur Umkehr mahnen wolle , so würde es Zeit .
Er erfuhr mit vieler Mühe die Wahrheit und sah , daß er zu spät kam .
Er , der mit so großer Freude jährlich einmal aus der großen , engen Stadt in die Heimat gefahren war , um sich der schönen , freien Jugend zu erinnern und noch einmal durch alle Räume und über jedes Stück Land zu gehen : er ging diesen Abend zum letztenmal die Hofstelle auf und nieder , und sah in jeden Graben und sah an jede Esche hinauf , und legte zuletzt den Kopf an den Pfosten der Haustür und weinte .
Und Stark Behrens , der immer klüger war als alle anderen , mußte auch vom Wagen steigen und zu Fuß weitergehen .
Seine Kinder waren schon groß und sein Haar schon grau .
Er hatte fünfunddreißig Jahre lang auf dem schönen Hof gesessen , und hatte immer wie ein Kluger geredet und manchem Rat erteilt , und hatte über die Dummheit gescholten , die so weit im Lande verbreitet wäre .
" Was ?
Wirtschaften ?
Das kann ein jeder , " sagte er ; " aber vorwärts kommen beim Wirtschaften , das ist die Kunst . "
Die ganze Gegend glaubte , was er prahlte .
Es waren nicht drei in der Gegend , die es nicht glaubten .
Es war die allgemeine Überzeugung , daß er ein schlauer Fuchs wäre .
Aber nun stellte es sich heraus , daß er in all den fünfunddreißig Jahren , von Anfang bis zu Ende , überhaupt niemals gewußt hatte , wieviel Vermögen oder Schulden er gehabt hatte , und keine Ahnung davon , ob sie abnahmen oder wuchsen .
Er war nicht ein Fuchs gewesen , sondern ein Ochs .
Seine Verhältnisse waren vertesselt wie Mädchenhaar , in das lose Buben Kletten geworfen .
Er mußte vom Hof und ging bei seinen sieben Kindern , die er arm und lächerlich gemacht hatte , von Haus zu Haus , und sie wiesen ihn ab .
Zuletzt fand er eine Ecke zum Sitzen und zum Sterben bei seiner alten Schwester , deren Mann in der Stadt ein kleines Amt hatte .
Und Jan Wiek , der lange Jahre Bauernvogt und Deichgraf gewesen , ging von seinem Hof nach Hamburg hinter seinen drei Söhnen her , die ihm voraufgegangen waren .
Dort saß er tagsüber in einer kleinen , schmutzigen Stube , die nach dem Hof hinausging , und teilte das dürftige Brot seiner Kinder , das sie ihm mit Hohn und harten Worten salzten ; abends ging er hin und setzte im Klubhaus der Kesselschmiede Kegel auf , um ein paar Groschen für einen Trunk zu gewinnen .
Am Montage aber zog er den langen , gelben , zerschundenen Wasserrock an , den er einst in seinen großen und herrlichen Tagen getragen hatte , und ging nach dem Viehmarkt und redete mit den Landleuten , die aus der Heimat zum Markte gekommen waren , und redete laut und klug und lachte fröhlich und sagte , er wäre gern in Hamburg , und redete von dem gemütlichen Leben , das er hier führte , und begleitete die Heimatgenossen nach dem Bahnhof und winkte noch und ging nach seiner sonnenlosen , verwahrlosten Stube zurück und schlug sich vor den Kopf und weinte :
" Wenn ich noch einmal wieder unter den breiten Linden sitzen dürfte auf meinem schönen , schönen Hof !
Noch ein einzig Mal !
Wie wollte ich sorgen und arbeiten und sparen !
Und nie wieder sollte ein einziger Trunk über meine Lippen kommen , nie wieder ! "
Und Klaus Uhl kam durchs Dorf : der schien noch nicht in Not. Ja , er ist nie hochmütiger gegen kleine Leute gewesen , als in dieser letzten Zeit , da ihm von der Uhl kein Brett und kein Stein mehr gehörte .
Er hatte noch immer den weichen , schelmischen Zug um den Mund ; wenn er aber durchs Dorf fuhr , wo so viele Kinder und kleine Leute sein blitzendes Gefährt anstaunten , dann sah er tiefernst aus : dann wurde er von seiner eigenen Wichtigkeit erdrückt , wie der Hofnarr , wenn er durch die Volksmenge zum König fährt .
Und Hinnerk und Hans Uhl und andere junge Leute kamen durchs Dorf gefahren , gegen Morgen .
Die kamen von den Jahrmärkten und Tanzgelagen .
Von den unruhigen , abgejagten Pferden hin und her gerissen , schlugen die Wagen hart auf ; die Fahrer schliefen oder gröhlten .
Am Abend in den Stuben hatten die Handwerker und die Arbeiter wieder Stoff zum Reden .
Die Jungen sagten leichthin :
" Die Erde dreht sich , also gleiten die Menschen aus .
Diese rutschen von den Worten hinunter und andere rutschen hinauf .
Warum haben sie gelebt wie die Wilden ? "
Die Alten sprachen von den Vätern und Großvätern der Stürzenden , was das für arbeitsame , schlichte , ehrenfeste und harte Menschen gewesen wären .
Sie suchten aber auch bei den Vorfahren nach schweren Vergehen , die , ungerächt geblieben , nun an den Kindern heimgesucht würden .
Und man fand solche :
Man wußte von grausamer Härte zu erzählen , von schlauem Erbbetrug und von rascher , wilder Tat .
Viele , da sie die Verblendung sahen , mit der diese alten , stolzen Geschlechter sich selbst zu Grunde richteten , hatten das Gefühl , daß diese Menschen untergehen sollten und müßten , wider ihren Willen , nach einer mitleidslosen Vorherbestimmung .
Es kam eine stumme Angst auf viele Gemüter , als ginge eine übermenschliche , furchtbare Erscheinung durch die Straßen und Wege , und rührte die Menschen an und zerrüttete ihre Gehirne .
Jörn Uhl hatte schon vor seiner Soldatenzeit einsam zur Seite gestanden und hatte auf all das unsinnige Treiben gesehen , wie ein Arbeiter im Kleiegraben mitten im Felde die wilden Wagen auf der Straße vorüberfahren sieht und sich wieder über seinen Spaten bückt .
Aber es hatte ihm damals noch an Erkenntnis und Übersicht gemangelt : zuweilen hatte er dies ganze wilde Treiben hart verdammt und ein böses Ende vorausgesehen ; zuweilen aber hatte er gezweifelt , ob er auch richtig urteilte .
Nun aber war er durch die Jahre im Erkennen reifer geworden .
Er stand für sich und sah sie :
" Da fahren sie !
Da jagen sie !
Nun fallen sie ! "
Und es dämmerte in ihm auf :
" Dein Weg , Jörn Uhl , war durch Schicksalsfügung bisher ein anderer und soll nach deinem eigenen Willen immer ein anderer bleiben . "
Nichts bildet den Menschen mehr , als Menschenschicksal sehen .
Dreizehntes Kapitel Doppelt einsam war Jörn Uhl , einmal , weil Vater und Brüder , Alters- und Standesgenossen andere Wege gingen .
Zum zweiten , weil im Innersten seiner Seele eine große , feine Sonntagsstube war oder eine Kirche .
Er begehrte , diese Stube oder Kirche , die leer war , auszustatten und schöne Feste darin zu feiern .
Er wußte aber nicht , wie er das anfangen sollte .
Es war kein kluger und guter Mensch da , der ihm die Wege wies .
Da kam ein Nachmittag , da waren alle Hausgenossen ausgeflogen und nach Meldorf zu Markt gefahren , bis auf Wieten , welche in der Stube saß und nähte .
Da ging er , als der Abend kam und es dämmerte , die Diele entlang , so recht in jener Stimmung , wo die Gedanken sogar keine Spitze haben , sondern so weit und breit , so eben und endlos daliegen , wie die weite und breite , endlose und stille Marsch .
Es ist aber fruchtbares Land .
Da , wie er so über die lange , hohe Diele nach der offenen Halbtür zuging , lag auf der Diele wie ein Teppich von Gold und Silber der Mondschein .
Er trat heran und sah nach dem Mond , der im dritten Viertel stand : wie er über Ringelshören heraufkam und in seiner ganzen goldenen Herrlichkeit auf der Erde lag , auf der schwarzen Heide im Eichengestrüpp am Goldsoot .
Jörn Uhl stand und sah auf ihn , und seine liegenden Gedanken richteten sich auf , langsam und mit steifen Gliedern , und spitzten sich zu .
" Mare nubium " sagte er leise , und es huschte ein wenig Schelmerei über sein Gesicht , als wenn man nach langer Trennung bei einem alten Freunde die Sonderbarkeiten seiner Jugend entdeckt .
Nachdem er noch eine Weile hingesehen hatte , kehrte er sich bedächtig um , ging nach seiner Kammer und kramte aus der Lade ein langes Fernrohr mit starken Beulen .
Das hatte er im ersten Soldatenjahr in Rendsburg um ein Billiges erstanden und noch nie gebraucht .
Er stand wieder in der Halbtür und sah nach dem Mond hinauf ; und alle die guten Geister , die ihn da in seiner kurzen , blauleinenen Jacke stehen sahen , die Hausgeister der Uhl , die auf den Balken reiten , und jenes Gezeuge , das in der Nacht auf der Hausfirst hockt und sich auf den Pappelzweigen wiegt , und auf der alten Heide die dunklen , liegenden Gestalten , die an Körper und Seele zwischen Tier und Menschen stehen , weitsehende , schwer bewegliche , ruhevoll träumende Wesen , und alles , was sonst in der Nähe war , von jener Art , die der Astronomie und jeglicher anderen Wissenschaft spottet , der Natur versippt ist und an ihren Brüsten glucksend , schnalzend , lachend , wehend und weinend sich nährt , das alles freute sich über Jörn Uhl : " Glück auf !
Jetzt hat er wieder eine Liebe . "
Jörn Uhl starrte nach dem Mond hinauf und nannte die einzelnen Meere mit ihren Namen und erkannte die Gebirge und freute sich , daß er auch ihre Namen noch wußte .
Und plötzlich , während er genau hinsah , sah er Kraft des Fernrohrs zum erstenmal deutlich die einzelnen Krater und schrie leise auf , als er klar und leuchtend sah , wovon das alte Buch geredet hatte , das er in der Lade hatte :
Er sah da oben am blauen Himmel , wie die Berghöhen am mare Nektar in der Morgensonne glühten .
Da blieb er lange so stehen .
Und allmählich , um die Freude in Ruhe recht auszukosten , traten seine Gedanken ein wenig zur Seite und unterhielten sich am Wege darüber , wie er doch ein ganz anderer Kerl wäre , als die anderen jungen Leute , die jetzt auf dem Meldorfer Markt tranken und hinter den Mädchen herliefen .
Er dagegen hatte den ganzen Tag gepflügt und sah abends noch nach dem Mond und trieb hohe Wissenschaft .
Unterdes , während Uhls Gedanken so hohe , halsbrecherische Wege gingen , lebte es rings um ihn , überall , in der Luft , in den Bäumen und am Heideabhang , und er wußte und sah es nicht .
Oben , unweit des Goldsoots , wohin Jörn Uhl sein Fernrohr in den Mond richtete , in einer kleinen Mulde , von Eichenkratt umgeben , auf altem , vorjährigen Eichenlaub , geschützt vorm Westwind , lagen sieben von schöner Art bei einander , Kinder der Heide , immer jung , mit brauner Haut und dunklem , schlichtem , langem Haar und unergründlich tiefen Augen , die nach Menschenurteil ein wenig dumm und glasig glänzen , auch zu langwimperig sind .
Wer sie gesehen hat , der weiß es .
Sie erzählen sich von den Mädchen , die heute nachmittag mit sinnigen und mit lustigen Augen den Heideweg entlang zu Markt gezogen waren , und kamen auf Elsbe Uhl zu sprechen .
Denn sie sprachen gern von Elsbe Uhl , weil diese ihnen ähnlich war und nahe stand , darum , weil sie schwach an Willen war , sich der Gegenwart hingab und ihre Liebe für ihr Recht hielt .
Die Sieben hatten gesehen , daß Harro Heinsen vor einigen Nächten auf seinem blanken Braunen quer über die Heide geritten war , und daß er den Braunen an die Weißbirke gebunden hatte , die vorm Heeshof unter Thieß Thiessens Fenster stand , und daß Thieß Thiessen geschlafen und nichts gehört hatte , gar nichts , und wußten , daß klein Elsbe heute mit Harro Heinsen auf dem Markt zusammentreffen wollte ; und sie sagten :
" Heute Nacht kommt sie hierher und heute Nacht fällt sie hier am Goldsoot in seine Hände . "
Und darum waren sie zusammengekommen .
Und wie sie daran dachten und das besprachen , veränderten sich ihre Gesichter nicht :
sie blieben langwimperig und schläfrig , gleichgültig und traurig träge wie immer .
Sie lagen also und warteten , denn sie , unverfälschte Kinder der Natur , sehen gern an Menschen natürliche Kräfte .
Und sie vertrieben sich die Zeit und erzählten von alten und neuen Geschichten :
Von jenem alten und schmutzigen und geizigen Bauern , der vor dreißig Jahren einmal mit Spaten und Hebebaum gekommen war und mit rohen , falschen Worten versucht hatte , dem Goldsoot seine Schätze zu nehmen .
Den hatten sie erschreckt .
Die wilden , braunen Leiber hochgereckt und die Augen wie ausgehende Kohlenglut , waren sie über den Rand des Tales erschienen , daß er aufkreischend und mit gesträubtem Haar davonstürzte und am dritten Tage nach wilden Träumen starb .
Und von jenem schmucken Jungen , der vor sechs Jahren an einem rauhen Frühlingsabend in den Sod stieg und dann über alle Berge ging .
Und sie dachten daran , heute Nacht wieder einen Menschen , der des Weges käme , nach ihrer Gewohnheit zu bezaubern , daß er Vorsicht und Bedachtsamkeit , und was ihm an Ziererei anhaftete , fahren ließ , und der Natur , die in ihm war , ihren Willen ließ , sowie einst Fiete Krey getan hatte und in derselben Nacht jenes Mädchen , das wohl lieben , aber nicht heiraten konnte .
Und als der Abend vergangen und die Nacht gekommen war und sie noch beredeten , was und wie es geschehen würde - denn dieses Geschlecht ist schwankend und schwerfällig im Willen , schwer und breit in der Ausführung ; Träumen ist seine Stärke , Leiden seine Wonne - da kamen zwei junge Menschen des Wegs und gingen Hand in Hand den Fußsteig nach dem Goldsoot hinunter , der im Mondschein weißlich glänzte .
In ihren jungen Gesichtern lag jene heilige , ernste Freude , mit welcher ein Menschenantlitz geschmückt wird , wenn inwendig in der Seele alles Gute aufgestanden ist und mobil gemacht hat .
Von dem Heiligsten und Schönsten , was in ihnen war , von Vertrauen und Liebe und gutem Willen strahlten ihre jungen , unschuldigen Gesichter , und in ihren Augen blitzte es wie von goldenen Waffen , gegen alles Böse zu streiten . * * * Vor etwa zwanzig Jahren , bald nach der Waffenstreckung des heimatlichen Heeres , war eine Familie von den Wentorfer Kreien nach Südafrika ausgewandert und war später mit einem Zug treckender Buren , unter denen sich Deutsche befanden , bis an den Krokodilfluß hinaufgezogen , und hatten dort ihr niedriges Steinhaus mit langem Gras gedeckt und waren nach Burenweise zu bescheidenem Wohlstand und etwas schläfriger Behäbigkeit gekommen .
Sie hatten einige Kinder aus Wentorf mit hinübergenommen , von denen aber nur ein Sohn und eine Tochter am Leben geblieben waren .
Die Tochter war an einen jungen Holländer verheiratet worden ; der Sohn war noch ledig .
Er war etwas tiefdenkerisch von Natur als ein Krey und schien sich nicht entschließen zu können , eine Holländerin zu nehmen .
Er pflegte seinen Eltern , die ihn zur Ehe drängten , zu sagen : " Ich bin zu alt gewesen , als ich die Heimat verließ ; ich war schon zehn Jahre .
Nun kann ich mich an diese fremden Mädchen nicht gewöhnen .
Wenn ich eine Deutsche fände , so wollte ich es schon wagen . "
Da machten sie ihm , nachdem sie die schwierige Sache im geheimen sorgfältig beredet hatten , eines Tages den Vorschlag , er möge nach Holstein hinüberreisen und die Mädchen der Verwandtschaft besehen , danach , wenn ihm von diesen keine gefiele , die anderen Kinder der Heimat , und möchte die Gefundene dort gleich zu seiner Frau machen und dann hierher zurückkommen .
Er ging darauf ein , nachdem er seiner Mutter lächelnd mit dem Finger gedroht hatte ; denn diese hatte den Plan ersonnen .
So reiste er also nach fast zwanzig Jahren nach der Heimat , wie weiland der Erzvater Jakob , der auch auf Frauensuche ging .
Er kam nach Sankt Mariendonn , ging von Haus zu Haus , bestellte Grüße , wurde ausgefragt und erzählte gern und offenherzig von dem unbekannten Lande und von der Lage der Eltern und verhehlte zuletzt auch nicht , zu welchem Zweck er die weite Reise gemacht hatte .
Aber dadurch wurde seine Stellung eine schiefe und die Absicht durchzuführen schwer ; denn nun sahen ihn alle Menschen als einen Freiersmann an .
Einige Eltern , die fürchteten , er könnte ihre heiratsfähige Tochter durch sein schmuckes Aussehen überreden , mit ihm zu gehen , behandelten ihn unfreundlich .
Die besser Gestellten unter den Verwandten kamen nach der Lage der Dinge auf den Gedanken , der Fremdling habe es auf ihr Kind abgesehen und wollte mit ihrem Vermögen zerrüttete und wilde Verhältnisse aufbessern .
Einige , die waghalsiger waren oder mehr Vertrauen hatten , oder die einige Töchter an den Wänden der Stube sitzen hatten , machten ungeschickte Versuche , den jungen Mann mit ihrem Kinde zusammenzubringen , die beiden Teilen peinlich waren .
Zuletzt kamen gar zwei alte Leute , die ein Stück Geld verdienen wollten , und erklärten sich bereit und befähigt , ihm ein Mädchen mit einem bestimmten Vermögen zu verschaffen .
Durch alle diese Erlebnisse wurde der junge Mann so abgestoßen , daß er mißmutig beschloß , seinen Plan aufzugeben und mit dem nächsten fälligen Schiff , das nach sechs Tagen nach Kapstadt abfuhr , wieder davonzureisen .
Da wurde er von einem Schelmen , der ihm von Herzen gute Verrichtung seiner Absicht wünschte , auf den Markttag hingewiesen , der am folgenden Tage in Meldorf abgehalten und von den Töchtern der ganzen Umgebung besucht würde .
Dieser Menschenfreund war ein Student der Theologie aus der nahen Marsch , eines Handwerkers Sohn , der als ein lebensfrisches Gemüt und ein Kind aus dem Volke und bestimmt , mitten im Volke zu stehen , mit seinen Kameraden aus der Volksschule Freundschaft und Umgang fortsetzte und mit ihnen die allbekannten Wege ging , wie junge Leute sie lieben .
Obwohl er in dieser Gesellschaft manche fröhliche Nacht erlebt hat und manchen Ritt in der Nacht auf geliehenem Bauerngaul zu Tanze gemacht hat und manchem Mädchen in die lustigen Augen gesehen , ist er doch - Gottes Wunder - keine Schande seines Standes geworden .
Obwohl schon mißmutig und fast scheu geworden - da es immer bekannter geworden war , was er vorhatte , auch schon Briefe ohne Namen an ihn gelangten - , entschloß er sich doch , diesen letzten Versuch zu machen , den er für aussichtslos hielt .
Denn wie sollte sich ein junges Mädchen nach kaum wöchentlicher Bekanntschaft entschließen , mit ihm , dem Fremden , in ein Land zu gehen , das durch beides erschreckte , durch seine Entfernung und durch seine Wildheit ?
Aber er wollte seinen Eltern gar zu gern die Freude einer gelungenen Fahrt machen ; auch sehnte er sich nach einem Weibe .
Nun war da ein junges Mädchen zu Tanz gekommen , die war groß und blond und von schlichter Schönheit , vom friesischen Geschlecht , im Anfang der Zwanziger .
Sie war die Tochter eines Landlehrers der Nachbarschaft , der viele Kinder hatte , und hatte nun schon jahrelang in dem großen Haushalt eines stolzen Marschbauern bei Sankt Mariendonn eine arbeitsreiche und freudlose Stellung als Stütze der Hausfrau .
Sie war eine tiefsinnige Natur , von weicher Empfindung und mit allerlei eigenen Gedanken im Kopf , die um so eigener und um so zarter und scheuer wurden , als sie gar keine Gelegenheit hatte , sich anderen Menschen zu äußeren .
Sie hatte nicht die Absicht gehabt , den Markt zu besuchen .
Weil aber ihre Herrin etwas von oben herab zu ihr gesagt hatte :
sie sollte nur zu Hause bleiben , sie würde doch schwerlich zum Tanzen gebeten werden , da sie nicht Bauerntochter wäre , kam ihr der Trotz ; es drängten sich auch bunte Bilder wunderlicher Hoffnung vor ihre Seele , durch den Hochmut der Frau herbeigerufen .
Also bestand sie darauf , nach dem Markt zu wollen , und kam da an und kam in das Tanzhaus , und es war ihr wie ein Traum .
Sie wußte aber von nichts .
Sie wurde anfangs von niemandem zum Tanz gefordert und saß mit stillem Gesicht da , gleich dem Nachthimmel , der von leichtem Nebel überzogen ist ; nur einige helle Punkte sind hier und da , leuchten schwach und matt und deuten viel verborgenes Feuer an .
Wenn sie die Augen hob , sah sie auf der anderen Seite des Saales unweit der Tür einen jungen Mann stehen , der mit seiner dunklen Hautfarbe und blauer , seemännischer Kleidung fremdartig aussah .
Er hatte ein schmuckes , ernstes und ein wenig finsteres Gesicht .
Und bald darauf bemerkte sie , daß er sie ansah .
Und , von einer Macht , die sie nicht kannte , gezwungen - sie meinte , es wäre der Wunsch zum Tanzen - sah sie ihn mit ruhigen , stillen Augen wieder an und hatte Wohlgefallen an ihm .
Da kam er durch den Saal auf sie zu , machte seine Verbeugung und stellte sich in die Reihe der Tanzenden , die sich langsam vorwärts bewegte , und sagte mit einiger Verlegenheit , indem er ihre hohe Gestalt und ihren Gang musterte :
" Ich hatte nicht gedacht , daß Sie so groß und stattlich wären , so wie Sie da saßen .
Wenn ein Mann zu Pferde sitzt , kann man wohl seine Größe merken , aber nicht , wenn eine Frau sitzt . "
Sie wunderte sich über diese Rede , sagte nichts , sah ihn nur an und nickte ihm zu .
Dann , als das Tanzen angehen sollte , sagte er :
" Ich bitte um Entschuldigung , Fräulein , daß ich Sie aufgefordert habe ; ich habe das Tanzen nicht gelernt und niemals geübt .
Es ist daher meine Meinung , daß wir uns nicht zum Spott machen , indem wir schlecht tanzen .
Ich habe eine andere Bitte an Sie .
Vorher aber muß ich fragen , ob Sie wissen , wer ich bin . "
Sie schüttelte den Kopf , daß die hellen Locken an den Schläfen tanzten , und sagte , von seinem schlichten Ernst nahe zu ihm hingezogen :
" Sie brauchen mir nicht zu sagen , wer Sie sind .
Sagen Sie mir nur , was Sie von mir wollen .
Wenn es nichts Unrechtes ist , will ich es wohl tun . "
Da sagte er :
" Sie haben wohl gemerkt , daß ich Sie vorhin längere Zeit angesehen habe , und Sie haben mich auch angesehen .
Viele Menschen werden sagen : das ist gar nichts .
Ich glaube aber : für uns beide bedeutet es etwas , nämlich , daß wir Gefallen aneinander haben .
Ist das so ? "
Sie sah , daß alle Augen auf sie und ihn gerichtet waren , und hinter sich hörte sie eine Stimme laut sagen :
" Mensch , weißt du das nicht ?
Das ist der Afrikaner . "
Gleich darauf kam eine kleine , dunkle Schöne mit übervollem Herzen und heißen Augen an das Mädchen herangesprungen , legte den Arm um sie und sagte leise und rasch : " Du !
Wenn du ihn lieb hast , dann kümmere dich um weiter gar nichts in der ganzen Welt !
Gehe mit ihm , wohin er dich mitnimmt .
Kennst mich nicht ?
Ich bin Elsbe Uhl . "
Er nickte der kleinen Elsbe lebhaft und freundlich zu , trat mit seiner Genossin aus der Reihe und stellte sich so , daß er mit ihr reden konnte , ohne von anderen gehört zu werden .
Da erzählte er ihr in kurzen Worten , ohne irgend eine Verheimlichung , von seiner Reise , von ihrem Zweck und ihrem Mißerfolg , und von seiner schon festgesetzten Abreise und schloß : wenn sie nun , nachdem er ihr dies offenbart hätte , noch weiter mit ihm reden wollte oder vielleicht gar mit ihm hinausgehen wollte , so würde er das als einen starken und deutlichen Beweis auffassen , daß sie ihm vertraute , und würde ihr weiter jede Rede und Antwort stehen .
Schwerlich ist ein Mädchen in unseren Tagen in einer so eigentümlichen Lage gewesen .
Denn was sie beide verhandelten - das sahen sie wohl - das war allen bekannt , die im Saal waren .
Es tanzten nur ein oder zwei Paare ; alle anderen beredeten und beobachteten die beiden Menschen , so daß ein Gesumm im ganzen Saale war .
Und es war jedem zu Mute nach seiner Art .
Viele Oberflächliche witzelten miteinander ; viele Ernste bedachten , daß dort zwei Menschenschicksale entschieden würden ; einige Mädchen machten ein finsteres Gesicht .
Wenn sie jetzt mit dem Fremden hinausging , und sie lehnte ihn nachher ab oder er täuschte sie , dann haftete hier in der Heimat zeitlebens Makel und Lächerlichkeit an ihr .
Der Gedanke an ihre ehrenwerten , frommen Eltern machte sie zaudern ; und alle ihre vielen Geschwister , alle blondhaarig und blauäugig , standen vor ihrer Seele .
Aber das Gute in ihr siegte , und die falsche Scham verschwand .
Sie sagte : " Ich habe Vertrauen zu Ihnen .
Ich bin bereit , weiter mit Ihnen zu reden . "
Wie durch eine Gasse gingen sie zwischen Menschen und Blicken durch den Saal .
Hinter ihnen schloß sich die aufs höchste gestiegene Aufregung der Menschen wie zusammenstürzende Wellen .
Draußen vor der Tür , im Angesicht der stillen , einsamen Nacht , atmete das Mädchen hoch und schwer auf , und als er fragte , wohin sie gehen wollten , antwortete sie nicht , ging aber vorwärts .
Er ging stumm neben ihr , und sie kamen aus der Stadt auf dem Wege nach Sankt Marie , beide mit schweren Gedanken so beschäftigt und von dem bitteren Ernst und der Wunderlichkeit der Stunde so hingenommen , daß sie willenlos gingen , als würden sie geführt .
Zuletzt , als die Häuser hinter ihnen waren , und sie auf ebenem , grauem Weg eine Weile still nebeneinander gegangen waren , nun , wo der Drang des Augenblicks nicht so stark war und die Gegenwart fremder Menschen den Mut nicht benahm , fingen sie an , mit schüchternen , zaghaften Worten einer dem anderen von seinen Verhältnissen zu offenbaren .
Dabei bewirkte die Erregung und die Überfülle des Herzens , daß eine klare , objektive Darstellung nicht zu stande kam , sondern was ihnen lieb und leid war , darüber sprachen sie .
Sie sprachen über Dinge , die gegenüber der Wichtigkeit dieser Stunde lächerlich klein waren ; dadurch kam aber der beste Erfolg zu stande .
Nämlich sie hatten Gelegenheit , einer dem anderen nicht in den Geldkasten , auch nicht in den Kopf , sondern in das Herz zu sehen , und wurden einander rasch nahe geführt , wie fremde Kinder , die beim Spielen zusammenkommen .
Nachdem das Mädchen zuerst allerdings mit einer gewissen Härte gesagt hatte , daß sie gar kein Vermögen besäße und daß sie die siebenhundert Mark , die sie sich verdient hätte , für ihren Bruder bestimmt hätte , der Lehrer werden wolle , er aber geantwortet hatte , das wolle er nicht wissen :
da erzählte sie von ihren Eltern , daß der Vater weicher wäre als die Mutter , daß die Mutter aber besser mit dem Gelde umzugehen wisse und sehr tüchtig und klug haushalte .
Dann kam sie auf ihre Geschwister , auf die Pläne der großen Jungen und die Art der kleinen Mädchen : daß die zweitjüngste ein Kätzchen so gern hätte , daß sie es eines Tages mit in die Schule genommen , und wie der Vater erst spät , da er zufällig an der Bank vorübergegangen wäre , das Tier entdeckt hätte , das ganz klug auf den Tisch gesehen , und wie die Allerkleinste zu sagen pflegte :
sie wolle Königin werden .
Und wurde eifrig und erzählte mit heißen Wangen und baute Luftschlösser , was aus den Kindern werden solle .
Und wurde ganz beredt ; denn zum erstenmal nach langer Zeit war ihr , als hätte sie einen Gesinnungsgenossen neben sich .
Ihr Herz war geöffnet und ihre Zunge gelöst .
Zuletzt erschrak sie und sagte : " Nun erzähle ' du .
Was ist deine Mutter für eine Frau ? "
Da fing er an , daß seine Mutter nicht allzu stark wäre , auch etwas zu weichlich für das einsame und ein wenig rauhe Leben , sie würde wohl besser in eine stille , freundliche , holsteinische Stadt passen , nach seiner Meinung , als auf dem Feld am Krokodilfluß .
Aber unglücklich wäre sie doch nicht ; denn es wäre nun seine und seines Vaters stille Übereinkunft , die Mutter zu verhätscheln und zu necken , überhaupt ein wenig wie ein Kind zu behandeln , was sehr drollig wäre .
So zum Beispiel nennten sie die Mutter nicht anders als " Uns' Lüttje " und ruhten nicht eher , als bis sie täglich dreimal herzlich gelacht hätte ; und wenn sie das nicht hätten durchsetzen können , wenn auch der alte Kaffer , der Hirte , das nicht hatte erreichen können , dann ritt er Sonnabends zu seiner Schwester hinüber , und dann käme die am Sonntag samt ihrem Manne und ihren fünf Söhnen , alle sieben zu Pferde und alle sieben die Haare in der Stirn , und dann müßte sie lachen .
Da lachte sie hell auf und sagte : " Das ist gut ; das mag ich alles sehr gern leiden .
Denn ich bin seit Jahren in einem großen Bauernhause , wo es an Gesundheit und an Brot nicht fehlt .
Aber das Freundlichsein und das Lachen sind da zwei verächtliche und fast sündige Dinge .
Ich meine aber :
Das ist das Beste auf der Welt , daß man freundlich und lieb miteinander ist und mit allen Menschen . "
Er nickte und gab ihr lebhaft recht und sagte : " Du paßt sehr gut zu den Meinen .
Du mußt mit mir gehen . "
Nun war sie wieder still .
Nach einer Weile fing sie wieder an , mit zurückhaltender Stimme zu sprechen von den Großeltern , welche Landleute gewesen , und von dem Ansehen des Vaters im Dorf , und von dem klugen Ernst der Brüder , in dem stillen , unschuldigen Wunsch , ihrem Begleiter klar zu machen , daß sie ein Kind guter Familie wäre , daß er nicht glaube , er hätte sie hier auf der Straße gefunden .
Da sagte er ihr , daß ihre Erscheinung und ihr Wesen den Eindruck auf ihn gemacht hätten , daß eine von den besten Töchtern des Landes neben ihm ginge , und daß er von Herzen froh wäre , ihr Vertrauen gewonnen zu haben , und nun neben ihr gehe .
Sie hätte ihn nicht enttäuscht , im Gegenteil , sie gefalle ihm immer besser , sie wäre ihm schon wie ein guter Kamerad , und er möchte gern so weiter mit ihr wandern , wenn sie wollte .
Sie sagte nichts .
Aber wie sie weiter ging und sie einmal in der Dunkelheit den Fußsteig am Wege nicht sah , nahm er ihre Hand und legte sie auf seinen Arm und hielt die Hand fest , und sie duldete es .
So gingen sie eine Weile schweigend nebeneinander , während er zuweilen ihre Hand streichelte , und ihre Herzen mit immer größerer Zutraulichkeit , langsam , ohne Worte , einander entgegenkamen .
So wanderten sie schon geraume Zeit auf dem Heideweg und näherten sich dem Goldsoot .
In undeutlichem Mondlicht sahen sie die Talmulde und den kleinen , runden Spiegel der Quelle .
Sie gingen Hand in Hand zum Sod hinunter .
Vor dem Wasser blieben sie stehen und sahen hinein .
Und sahen , da die Wolken vorm Mond vorüberfuhren , im klaren , blauen Licht ihr dunkles Abbild .
Und sahen wieder herauf und sahen sich an .
" Ich bin durstig , " sagte das Mädchen und lachte leise .
Er bückte sich , schöpfte Wasser in seine zusammengelegten Hände und hielt sie hin , und sie trank mit spitzem Mund aus seinen Händen und nickte ihm dankend zu .
Da nahm er die Gelegenheit wahr und legte seine beiden nassen Hände an ihre Wangen und küßte sie vorsichtig .
Und als er merkte , daß sie ihm den Mund darbot und ihre Hände sich willig auf seine Arme legten , umfaßte er sie und sagte : " Nun weiß ich , daß du mit mir gehst . "
Nun gab sie sichere und ernste Antwort .
" Ja , ich will mit dir gehen ; ich habe dich so lieb und kenne dich so gut , als wärest du zehn Jahre lang mein Schatz .
Vater und Mutter werden mich ziehen lassen , so schwer es ihnen wird ; denn sie haben immer erwartet , daß ich ein besonderes Geschick haben würde ; und ich kann dir sagen , daß ich mit besonderer Ahnung und Hoffnung zu Markt gegangen bin , als ob ich etwas erleben oder doch etwas Besonderes sehen sollte . "
Soweit hatte sie gesprochen , da schrie sie plötzlich leicht auf : " O , " sagte sie , " da oben im Eichengestrüpp floß es wie Blut . "
Er beruhigte sie und sagte : " Es ist der Mondschein , man sieht es deutlich . "
" Oder war es dein Mund ? " sagte sie und lachte .
" Er ist ganz rot . "
Er küßte sie vielmal , was sie still duldete , und fragte , ob sie nun satt wäre .
" Noch lange nicht , " sagte sie lachend .
" Ich bin sehr hungrig gewesen . "
Da küßte er sie wieder .
Dann nahm er sie in seinen Arm und ging mit ihr in die Marsch hinunter und beruhigte sie , und brachte sie bis vor die Tür des Bauernhofes , in dem sie diente .
Am anderen Tage verlobte sie sich mit ihm in ihrem elterlichen Hause ; und die Eltern und die hellhaarigen Geschwister sahen ernst , aber freundlich darein , und zwei von den Knaben behaupteten noch am selben Tage , sie wollten einst nach Südafrika auswandern .
Einer von ihnen hat es auch getan ; der andere ging früh ins Grab .
Das junge Paar ging am sechsten Tage an Bord .
In Kapstadt wurden sie Mann und Frau .
Es ist ein glückliches Zusammenleben gewesen .
Sie hat in keiner Stunde bereut , daß sie mit dem fremden Mann in das fremde Land ging .
Sie hat es auch dann nicht bereut , als man ihr dreißig Jahre später die Nachricht brachte , daß ihr dritter Sohn bei Colenso im Vorrücken gefallen war .
Sie hat damals auch nicht an das Blut gedacht , das ihr die Kinder der Heimaterde am Goldsoot gezeigt hatten . * * * An jenem Abend , bald , nachdem der Afrikaner und seine Liebe die Talmulde verlassen hatten , hielt oben am Heideweg ein Wagen still , und Harro Heinsen sagte :
" Komme , wir wollen ein wenig nach dem Goldsoot hinuntergehen !
Alles , was Uhl heißt und mit ihnen verwandt ist , hat jetzt Gold nötig ; vielleicht , daß wir etwas finden . "
" Wie du willst , " sagte Elsbe .
Sie sprang vom Wagen in seine Arme , und er hielt die kleine , geschmeidige Gestalt fest und trug sie den Fußsteig hinunter .
Und am Goldsoot , im grauen Grase , wurde sie sein Eigen . * * * Jörn Uhl stand in seiner blauleinenen Jacke und starrte nach dem Mond hinüber , nach diesem alten , verrosteten und verdorrten und unfruchtbaren Gesellen , und achtete nicht auf alles das , was da rings um ihn in den Bäumen und auf den Feldern und oben auf der Heide lebte und liebte .
Er trieb hohe Wissenschaft .
Als er aber noch so nach den leuchtenden Bergspitzen sah , die am Rand des mare Nektar in der vollen Sonnenglut standen , gingen plötzlich zwei Menschengesichter , Wange an Wange , durch den Mond .
Da ließ er verblüfft das Rohr sinken und sah und horchte in die Nacht hinaus .
Dann schloß er die Türen und ging in seine Kammer und dachte an die Arbeiten , die er morgen zu tun hatte . * * * So vergingen Winter und Frühling , und es ging dem Sommer entgegen , und Jörn Uhl sorgte um die Arbeit des Tages und wartete auf den Schicksalsschlag , der seine Familie vernichten würde .
Aber es geschah nichts .
Es schien , als wenn die Verhältnisse der Uhl noch gut waren .
Es kam zwar ein Schlag für Jörn Uhl ; der kam aber von einer anderen Seite .
Es war im Juli in der Heuernte ; da flog ein Gerücht von Völkerunruhe und Krieg durch das Land .
Und das Land und die Menschen hoben die Sinne und horchten mit Gier auf das dumpfe Rauschen und Tosen .
Die Volksseele zog den Lärm in sich .
Denn es war da eine alte , stille , lange schon schlafende Hoffnung , die konnte nun erfüllt werden ; und es war da ein alter Streit , eine lange Reihe von alten , bösen Klagen und Prozessen , die konnten nun geschlichtet werden .
Der einzelne Mensch dachte an diese Dinge nicht ; der einzelne Mensch war in Sorge und Not und sah mit Bangen , was da in der Ferne wühlte und toste .
Aber in der gewaltigen Volksseele , einem Ding ohne Raum und Zeit , ohne Vergessen und Sterben , wühlten und grübelten diese Gedanken einer alten Vergangenheit und einer Hoffnung , mit der sie wohl tausend Jahre schwanger ging .
Der Jüngste auf der Uhl hörte nicht viel davon ; es ging ihm auch nicht zu Herzen .
Es war noch nicht die Zeit für ihn gekommen , weiter zu sehen ; er sah nicht weiter , als bis zum letzten Graben der Uhl .
Da kam ein Tag im Juli , da gab es ein hildes Arbeiten im Heu am Deich .
Geert Dose , der sich als Großknecht auf der Uhl verdungen hatte , stach mit der Forke tief in die Diemen und sagte :
" Diese Franzosen sollen ja hochnasige Leute sein .
Also ist es richtig , daß wir ihnen zeigen , was 'ne Forke ist .
Und was denn ?
Es ist ' Mal ' was anderes . "
Der Kleinknecht fragte , ob er alt genug wäre , um als Freiwilliger mitzugehen .
Er war eben achtzehn .
Jörn Uhl schüttelte den Kopf : " Seid man still , " sagte er , " da kommt nichts danach . "
Am anderen Morgen wachte er früh auf und sah seine Kammer hell von Mondschein und dachte :
" Es ist noch zu früh , die anderen zu wecken ; aber ich will aufstehen und will einmal nach dem Mond sehen . "
Er hatte den Winter über eifrig in Littrow gelesen und an der Beobachtung der Sterne desto mehr Freude gewonnen , je größer seine Erkenntnis wurde .
Er hatte sich Zeichnungen von dem Mond und von den Stellungen der Gestirne gemacht und sich gefreut , daß sie mit Littrows Zeichnungen übereinstimmten , und hatte mehrere Bogen Papier mit gewaltigen Meilenrechnungen gefüllt .
Diese ganze Beschäftigung stillte seinen Drang nach Wissen und füllte die freudlose Leere seiner Seele .
Er nahm also das Fernrohr , das nun immer bereit oben in der Lade lag , und ging aus der Kammer über die Diele und öffnete die Tür und wollte hinaustreten , das blanke Rohr in der Hand , da kam der alte Amtsdiener im blauen Rock mit blanken Knöpfen , sah ihn ein wenig verwundert an und sagte dann :
" Ich hatte mir wohl gedacht , Jörn , daß du schon aufgestanden wärst ; ich habe hier zwei Papiere , eins für dich und eins für Geert .
Ihr sollt morgen früh um zehn Uhr in Rendsburg sein , es wird mobil gemacht .
Ich muß gleich weiter .
Komme gesund wieder , Jörn ! "
Jörn Uhl sank das Fernrohr nieder , und er atmete hoch .
" Na so ! " sagte er und kehrte sich um und ging über die Diele in seine Kammer , legte das Fernrohr an seinen Ort und setzte sich auf die Lade .
" Das kann lange dauern , " dachte er .
" Es ist ein mächtiges und tapferes Volk , und es wird hart hergehen .
Es ist eine alte , böse Feindschaft . . . Hans wird zu Hause bleiben ; Hinnerk muß mit .
Wer wieder kommt , das weiß kein Mensch . . . Es wird hier bunt hergehen .
Hans und der Vater . . . Elsbe . . . Das muß ich Thieß noch alles sagen .
Ich gehe über den Heeshof .
Heute nachmittag um drei müssen wir fortgehen . . . Jasper Krey muß als ständiger Arbeiter angenommen werden .
Er wird nicht allzu viel schaffen ; aber er wird nichts verkommen lassen .
Wo Fiete Krey wohl ist ?
. . . Es ist ein böser Strich durch meine Rechnung .
Aber was sein muß , muß sein .
Wenn sie uns nicht in Ruhe lassen wollen , dann müssen wir sie erst schlagen ; dann kann man nachher wieder pflügen .
Es kann ein Jahr dauern und darüber .
Jasper Krey ist der einzige , zu dem ich ein wenig Vertrauen habe .
Ich will ein vertrauliches Wort mit ihm reden und ihm hundert Mark extra versprechen , wenn ich alles in Ordnung wiederfinde .
Ein Jammer ist es :
ich habe Vater und Brüder und muß zum Nachbar laufen und ihn bitten :
Verwahre mir das Unsrige . "
Dann stand er auf , sah sich in der Kammer um und ging und weckte alle und sagte : " Steht auf .
Wir müssen heute noch viel besorgen .
Ich und Geert sind zur Fahne gerufen . " * * * Gegen sechs Uhr abends kamen er und Geert den Waldweg hinunter und warfen einen Blick auf den Heeshof .
Da sahen sie Thieß Thiessen mit einem schweren Sack über die Schulter vom Hof weg dem Dorf zugehen und sich immer wieder umdrehen .
Sie fingen beide an , zu rufen , und er blieb stehen .
Als er Jörn erkannte , schüttelte er trostlos den Kopf , Tränen stiegen ihm in die Augen , und er sagte von ferne : " Jörn , Jörn , ich habe etwas Schlimmes angerichtet !
Elsbe ist seit vierzehn Tagen nicht mehr hier , sondern mit Harro Heinsen in Hamburg .
Ich habe nicht gewagt , es dir zu schreiben .
Und nun schreibt sie , er will mit ihr nach Amerika , und sie fürchtet sich vor Amerika , und sie nimmt Abschied von uns allen , besonders von dir . "
Jörn sah mit großen Augen auf Thieß .
" Gib den Brief her ! " sagte er .
Thieß Thiessen warf den Sack hin , den er auf der Schulter trug , wischte sich das heiße Gesicht und suchte nach dem Brief , und kehrte sich um , während er suchte , und sah nach dem Heeshof zurück .
" Was willst du mit all den Papieren ?
Wo willst du hin ?
" Frage doch nicht , Jörn , " jammerte er ; " nach Hamburg will ich , und wenn ich sie da nicht finde , will ich nach Amerika . "
Geert Dose hatte den Sack befühlt :
" Es sind zwei gute Schinken darin , " sagte er , " und zwei Speckseiten .
Die sind aber von einem kleineren Schwein .
Und ein Schweinskopf . "
" Für die Reise , " jammerte Thieß .
" Bis Hamburg ? " fragte Geert Dose höflich .
" Bis Amerika , " sagte Thieß schluchzend .
" Das läßt sich hören , " sagte Geert .
Jörn hatte den Brief gelesen und sah stumm auf Thieß :
" Und nun willst du hinterher ?
Nach ihrem Schreiben muß sie schon von Hamburg abgefahren sein , und wenn sie auch noch da wäre , du kannst sie nicht hindern , mit ihm nach Amerika zu gehen . "
" Sie soll sich von ihm trennen und soll bei mir bleiben , und kein Mensch soll ihr ein Wort sagen . "
Jörn Uhl sann nach :
" Du weißt wohl nicht , daß wir Krieg mit Frankreich haben und nach Rendsburg einberufen sind ? "
" Ach Gott ! " sagte er .
" Auch das noch .
Ein Unglück über das andere . "
" Wir haben keine Zeit , lange zu überlegen , " sagte Jörn .
Er schüttelte den Kopf ; er konnte die Nachricht noch nicht fassen .
Die kleine Elsbe mit diesem großen , rohen Menschen in die Welt hinaus ?
Plötzlich kam ihm ein Gedanke :
" Es ist möglich , daß das Schiff wegen des Krieges nicht hat abfahren können .
Wenn du sie noch triffst , so tue , was du kannst , und bringe sie hierher nach dem Heeshof . "
" Meinst du , " sagte Thieß , " daß es glückt ? "
Er sah sich nach seinem Hof um und schluchzte , und die Tränen liefen ihm über die schmalen Wangen .
" Na , " sagte Jörn , " nun tröste dich doch !
Du hast dich immer so gesehnt , eine Reise zu machen , doch wenigstens Hamburg ' Mal zu sehen .
Nun kommst du ' Mal heraus aus deinem Moor . "
" Ja , ja , " sagte er und blieb wieder stehen und sah nach seinem Strohdach .
" Es ist eine bitterböse Sache . "
Da ging Jörn Uhl eine Ahnung auf .
" Thieß , " sagte er , " was fehlt dir ? "
Sie waren auf der Anhöhe angekommen , von wo man den Heeshof zum letztenmal sieht .
" Ich weiß nicht , " sagte er weinend , " mir ist so beklommen zu Mut . "
" Thieß !
Mit deiner Reisewut , und mit all deinen Landkarten , und mit Brasilien und mit Japan :
Das alles ist Schwindel und Einbildung gewesen .
Du hast Heimweh . "
" Nein , nein !
. . . Ich gehe schon mit euch . "
Er schwankte wie ein Trunkener .
" Kehre ' um , Thieß , du kannst es nicht übers Herz bringen . "
" Ich kann nicht schlafen , " jammerte der kleine Mann , " ich habe sie die ganze Nacht im Elend gesehen und muß hinter ihr her .
Und ich kann auch nicht vom Heeshof weggehen . "
" Wenn Thieß nicht mehr schlafen kann , " sagte Geert Dose , " dann steht es schlecht mit ihm , dann verliert er auch bald die Eßlust .
Was soll er dann mit den Schinken ? "
" Ich muß los , " jammerte Thieß , " es hilft alles nichts .
Ich will mit Ecket Witt fahren , weißt du , dem Torfschiffer .
Laßt mich in Ruhe und quält mich nicht :
es muß sein . "
" Gut , denn gehe !
Wir haben auch keine Zeit mehr . "
Am Kreuzweg gaben sie ihm die Hand und standen und sahen ihm nach .
" Er trägt zu schwer an dem Sack , " sagte Geert .
" Sieh 'mal , er schwankt ordentlich . "
" Es greift ihn so an , " sagte Jörn , " daß er fort muß . "
" Du , sage ' Mal : was ist Frankreich für 'n Land ?
Ich meine , ist da ' was zu holen ?
Machen sie da Schweine fett , oder weißt du das nicht ?
. . . Siehst du ?
Er hat den Sack hingelegt .
Es ist 'ne Quälerei für den Alten , Jörn .
Der Sack ist ihm zu schwer . "
" Er steigt auf den Wall , " sagte Jörn Uhl , " er will versuchen , ob er den Hof noch ' Mal sehen kann .
Und der kennt in Hinterindien jeden Katzensteig ! "
" Ich spring rasch 'mal hinüber , Jörn .
Ich glaube , es ist der Sack . "
Geert sprang quer durch die Buchweizenkoppel und kam nach einer Weile zurück , die beiden Speckseiten unterm Arm .
" Was sollte ich ihm eine lange Rede halten ? " sagte er .
" Er hat es gar nicht gemerkt .
Er steht und jappt nach dem Hof hinüber . . . Wer weiß , wie es uns noch gehen wird .
Diese beiden Speckseiten sind das einzig Sichere , was wir besitzen ; alles andere ist in Wirrwarr . "
Vierzehntes Kapitel Jeder Dorfmann in Schleswig-Holstein weiß , daß Jacke und Hose von Blauleinen die richtige , alte Stalltracht ist , die , nebenbei bemerkt , einen stattlichen Mann sehr gut kleidet .
Es ist freilich zu sagen , daß solch Blauleinen im Laufe der Zeit an den Stellen , wo viel Reibung und Nutzung ist , hellblau wird , während die geschonteren Stellen alte , dunkle Bläue behalten .
Diese Buntheit kann dadurch noch erhöht werden , daß die Hausfrau neue , tiefblaue Flicken auf die Knie und auf die Brust setzt ; dann kann das Aussehen des Mannes so mannigfach werden , daß es schwer wird , zu glauben , es stecke ein ehrlicher , holsteinischer Mensch in dem bunten Josephsrock .
Es war bei Rendsburg auf der Loher Heide , und Frankreich hatte vor vier Tagen den Krieg erklärt .
Vor vier Tagen war der Gefreite Lohmann - der erst in diesem Jahre an den Folgen der Kriegsstrapazen gestorben ist - ins Lager gejagt und hatte dem Lagerkommandanten eine Depesche gebracht .
Eine Minute später wußten alle Batterien :
es geht gegen Frankreich .
Da waren sie ohne Kommando , wie wenn Alarm geblasen wäre , an die Pferde gesprungen und hatten mit fliegenden Händen angefangen , zu satteln und zu schirren .
Sie meinten , es ginge sofort los .
Hans Lohmann , des Gefreiten Bruder , zweite Schwere , Nummer drei , rechts am Geschütz , Wischer und Ansetzer , war vier Wochen lang stumm und starr .
Erst am dritten Tage nach Gravelotte wurde es wieder klar bei ihm .
Erstens begriff er nicht , warum es nicht sofort losging , zweitens , warum die Franzosen nicht am anderen Tage auf der Loher Heide erschienen , drittens , als die Batterien endlich unterwegs waren , wie es möglich wäre , daß die Welt so groß wäre ; er hatte geglaubt , die Franzosen wohnten gleich hinter Hohenwestedt und Heinkenborstel .
Zu dem geographischen Irrtum kam ein sittlicher :
Was der Hauptmann ihnen von altem Recht und von Liebe zum Vaterlande und von großen Hoffnungen gesagt hatte , das hatte er nicht verstanden .
Aber nachher hatte der Gefreite Lindemann , der für ihn dasselbe war , was für die dunkle Stube die helle Lampe , ihm kurz gesagt , daß die Franzosen den alten König beleidigt hätten .
" Sie haben so getan , Lohmann . "
Und er hob die Hand zum Schlage .
" Wie alt ist er ? " fragte Lohmann .
" Über die siebzig hinweg . "
Von Stunde an , als er das hörte , hatte Lohmann klare Erkenntnis und gutes Gewissen .
" Wenn sie den alten Mann ins Gesicht schlagen , dann haben wir das Recht , ihnen an die Jacke zu kommen . "
Also herrschte bei Lohmann II einige Dunkelheit .
Bei Hauptmann Gleise aber war helles Licht .
Was hat der Mann in diesen sieben Tagen bis zum Auszug gearbeitet !
Hat er nicht drei Tage lang , vom Morgen bis zum Abend , wie ein Pfahl im Sande gestanden und Menschen und Pferde gemustert ?
Und nie war es ihm gut genug .
Der ist in diesen Tagen auch mehr als einmal starr gewesen .
Er , Hauptmann Gleise , Seiner Majestät schönster Offizier , wie er selbst sagte : er hat in diesen Tagen mehr als einmal behauptet , daß er die schlechteste Batterie hätte , die nach Frankreich zöge .
Die Schmiede war zum achtenmal an ihm vorbeigefahren , mit sechs gleichen Rappen bespannt , Schritt , Trab , Gal . . . Lob . . .
So !
Das klappte .
Da entstand unten ein Gedränge .
Ein langbeiniger Gaul , ein schönes Tier , wollte nicht länger gut tun .
Er riß am Halfter , hoppte , kam zwischen die Reservisten , die da mit ihren Bündeln standen , und schien auf seinen Hinterbeinen Polka tanzen zu wollen .
" Wollen ihn kirre machen ! " schrie der Hauptmann .
" Den Braunen vor . "
Der Fahrer , mit starkem Schwunge hinaufgehoben ; eben oben , lag er schon auf dem Rücken im Staub .
" Laß dich auf der Stelle begraben !
Gefreiter Jürgens ! hinauf !
Mit den Kerlen nach Frankreich !?
Ich gehe allein !
Ich gehe ganz allein ! "
Gefreiter Jürgens lag in der Höhlung im Sande , die der Fahrer gemacht hatte .
Hauptmann Gleise sah sich um .
Er sah sich um wie ein Mensch , der , im Zentrum der Welt stehend , nur sich selbst als Menschen anerkennt .
Er wollte das Pferd reiten .
Es ist der Mühe wert , dreihundert geringwertigen Menschen zu zeigen , was Hauptmann Gleise kann .
So , mit solchen Gedanken , sah er sich um .
Unter den Reservisten , die da noch in ihren Civilkleidern standen , hundert und einigen Mann , stand einer ein wenig abseits , in einem alten , blauleinenen Anzug , auf dem große , neue Kniestücke frisch aufgesetzt waren .
Er war bei ziemlicher Länge und Hagerkeit eine Rassefigur , breitschulterig , gerade und von stolzem , schmalem Gesicht .
Mancher Fürst im Vaterlande würde wünschen , daß Gestalt und Gesicht dieses Bauernjungen in seinem Hause erblich wäre .
Auf dem hellen , fast weißen Haar hatte er eine blaue Schirmmütze , und in der Hand hielt er einen mäßigen Koffer .
Den Mann entdeckte Gleise .
" Gefreiter Uhl ! " schrie er .
Der kam heran .
" Leichtfüßiger sind Sie nicht geworden , " schrie er .
" Ist der Alte Holzschuhmacher ? "
" Bauer , Herr Hauptmann . "
" Ist mir ganz egal !
Können Sie den Deubel reiten , oder sind Sie auch so_ein gebeulter Teekessel . . .
Los ! "
Jedermann von den Männern , der an dem Tage auf der Loher Heide gewesen - die noch leben , haben graues Haar - , der weiß , wie steif und bedächtig der Gefreite Uhl aus Wentorf den grauleinenen Koffer in den Sand stellte , und wie er sich wieder aufrichtete , als knackten ihm alle Gelenke ; und wie er , als er sich wieder aufgerichtet hatte und die Hand an den Braunen legte , ein anderer war , wie seine Augen sich aufrichteten , wie aufspringende Löwen , wie er hinauf flog , wie der Braune bäumte und bockte und sich drehte und sich schüttelte , und zuletzt über den Sand jagte , daß er in einer Staubwolke verschwand , und nichts unversucht ließ , um nicht mit nach Frankreich zu kommen ; wie er dann aber den Kampf aufgab , und der Gefreite Uhl , den Kopf ziemlich hoch , auf ihm wieder zurück kam .
" Uhl , " schrie Gleise , " Sie reiten das Pferd und sind Geschützführer vom sechsten Geschütz . "
So zog Jörn Uhl als Unteroffizier in den Krieg . * * * Acht Tage später zogen sie bei strömendem Regen durch die lange Pappelallee , welche die Vierrundsiebziger vor sechs Tagen durchquert hatten , als sie gegen die Speicherer Berge stürmten .
Es war ein jämmerliches Wetter und alle etwas müde und geschlagen .
Wer es erzählte oder gesehen hatte , blieb unbekannt :
Sie sahen den alten General reiten , und einer sagte es dem anderen :
" Er hat eben gesehen , daß sie mit Trommelschlag einen Offizier begruben ; dort links von den Bäumen .
Da ist er herangeritten und hat gefragt :
» Wen begrabt ihr da , Leute ? «
» Unseren Hauptmann ! «
» Laßt mich ihn noch einmal sehen , « hat der Alte gesagt , » es ist mein Sohn . « " Gleich nachher ritt er mit seinem Adjutanten an den Batterien , die im Regen dahinzogen , vorüber .
Er war keine gute Figur zu Pferde , zu dick und zu kurz .
Sie sahen ihm nach und zogen weiter .
Ein jämmerliches Wetter .
" Sieh da , drei tote Pferde !
Junge , die sind dick geworden ! "
" Du , was bedeuten die langen Beete ?
Das ist ja merkwürdig :
da haben sie Säbel hineingesteckt ? "
" Kannst nicht sehen , Mensch ?
Das sind frische Gräber . "
" Für Menschen ? "
" Ja , für Menschen .
Für wen sonst ?
Nun laß dein dummes Reden ! "
" Sieh !
Da steckt ein Gewehr in der Erde .
Das hat einer als Krücke gebraucht .
Die Krücke steht noch ; er nicht mehr . "
Jämmerliches Wetter .
Wie der Regen durch die Bäume schlägt !
Die Geschütze rasseln und klirren langsam vorwärts .
Gräber .
Lauter Gräber .
Und die Pappeln sind abgeschält , und zerbrochene Zweige zeigen ihre zersplitterten Knochen .
" Wir kommen nicht an den Feind . . .
Wir Schleswig-Holsteiner ?
. . . Nie und nimmermehr !
. . . Wir sind den preußischen Eisenfressern viel zu unerfahren und wabbelig .
Wir ziehen nur zur Parade mit .
Wir sind bloß da , um hinterdrein zu fahren . "
" Die Sechsundsechzig mitgemacht haben , die müssen es ausfressen . "
Wer die Meinung aufgebracht hat , und ob sie richtig ist , das fragt kein Mensch .
In der Nacht biwakierten sie auf den windigen und nassen Höhen westlich von Spichern und warfen vierzehn französische Wagen , die da standen , in die Wachtfeuer .
Sie waren alle still und bedrückt , wenn auch viele laut lachten und viel sprachen .
Der Feldwebel knurrte die ganze Nacht , daß die schönen Wagen verbrannt würden , und ließ gegen Morgen die Eisenteile auf den Feuerstätten zusammentragen und freute sich , daß er sieben Franken für die Batteriekasse gewann .
Die Batterien zogen weiter .
Es wurde mühselig .
Dies ewige : weiter , weiter .
Lieber ' Mal 'ran an den Feind , ihn schlagen und dann wieder nach Haus .
" Wer soll sonst pflügen und säen ?
Der Herbst kommt heran .
Vater kann nicht allein für den vollen Stall sorgen .
Und die Mutter ?
Und das Mädchen ? "
" Wir ziehen immer weiter in Frankreich hinein !
Ich glaube : wir haben Weg und Steg verloren .
Wenn die Geschichte man gut geht . "
Weiter , immer weiter !
Wie ist Wentorf klein geworden !
Wentorf , Mittelpunkt und Nabel der Erde !
Es gibt ja wohl zehntausend Dörfer in der Welt und Menschen wie Sand am Meer .
Erst war ihre Batterie allein gewesen , damals , als sie auf zwei Dampfschiffen über die Elbe setzten .
Dann waren sie Regimenter geworden , dann ein Korps , dann ein Heer .
Seit gestern waren sie ein Volk .
Die Batterie hielt am vierzehnten auf einer Anhöhe , an einem Kreuzwege .
Neben Jörn Uhl hielt Hauptmann Gleise .
Da lagen und marschierten Regiment an Regiment , Kanonen und Reiter und endlose Wagenzüge , Mensch an Mensch , bis an die Höhen in dunstiger Ferne .
Da wandte Gleise sich um : " Uhl , was sagen Sie ? "
Jörn Uhl starrte hin und sagte nichts .
" Sie Bauer !
Das Vaterland , Deutschland reißt sich aus alter Not ! "
Er warf das Pferd herum und sagte nichts .
Da sah Jörn Uhl noch einmal auf , und sah all die ziehenden Menschen , die alle nach einem Ziele strebten , und fühlte die Größe der Zeit .
In der folgenden Nacht zogen sie bei Fackelschein über einen Fluß .
Am sechzehnten hörten sie Kanonen von ferne , zur Rechten , von Höhen herunter .
" Da gibt es ein wenig Geschützkampf !
Sieh ' Mal an !
Aber zweitausend Schritt !
Ein wenig Feuerlärm ! "
Weiter dachten sie nicht nach .
Es kam aber etwas wie Neugier über sie ; und über das Ganze kam eine Unruhe , wie eine Jägerunruhe .
Der achtzehnte brach an , und sie sahen wieder , wie vor vierzehn Tagen , frische Gräber , diesmal in der hellen Sonne .
Elf ist die Uhr .
" Ein schöner Tag . "
Wenn nur die Gräber nicht wären .
Es war doch gut , daß sie in der Reserve blieben .
Vorgestern und so immer .
Immer hinterher .
" Wir sind ja viel zu junge , frischgebackene Truppen , dazu aus der neuen Provinz .
Wir kommen nicht an die Front .
Und das ist gut . . . Und das ist schade . . . Nein . . . es ist doch gut .
Ich muß zu meinem Vater . . . Ich muß zu meinem Mädchen .
So jung noch !
Ich will noch ' was erleben !
Zehn Jahre will ich noch leben .
Dann meinetwegen . "
Elf ist die Uhr .
So still wie am Sonntag in Holstein .
Nur das Klappern und Stoßen der Geschütze und das Knarren und Janken des Lederzeuges .
" Merkwürdig ! . . . Da vorne rechts !
. . . "
" Siehst du ?
. . . "
" Die Schwere biegt wahrhaftig vom Wege ab auf die Höhe ! "
" Dort rechts , Mensch !
Kannst nicht sehen ? "
" Was will die da ? "
" Weiß ich es ? "
" Wie still und schön ist der Tag . "
" Wir kriegen in diesem ganzen Feldzuge kein Pulver zu riechen .
Bald heißt es : umkehren in die Heimat ! "
" Es ist doch dumm , so wiederkommen und nichts erlebt haben !
Nachher kommen die großschnauzigen Preußen und reden hinterm Bierglas von ihren Heldentaten , daß die Balken sich biegen , und wir müssen das Maul halten . "
" Jan Busch , wo hast du die Pfeife her ? "
" Die gab mir meine Wirtin in Dingsda , und ich sollte an sie denken . "
" Sieh !
Da oben die erste Reitende ! "
" Siehst du ? "
" Was will die da oben ?
. . . Mensch , was bedeutet das ? "
" Gut schwenken die jungen Pferde ! "
" Da stehen die sechs . "
" Das ist so ein übereifriger Hauptmann . "
" Vater sagte : bei Idstedt . . . "
" Mensch , rede nicht von Idstedt ! "
" Was ist das ? "
" Die feuern ?
. . . "
" Die feuern ?
. . . "
" Batterie . . . trr . . . ab . . . " Hauptmann Gleise sieht über seine Batterie hin .
Den Blick vergißt keiner .
Das ist Ernst .
Wer sieht noch etwas ?
Wer hört noch etwas ?
Wer redet noch ?
" Batterie Galopp . . . "
Da hält Hans Detlef Gleise auf seinem hohen , schönen Fuchs ; die Sonne blitzt in seinem Helm und in seinen Augen .
Das ist seine Freude , seine sechs Geschütze an sich vorüberjagen zu lassen und dann dem Fuchs die Sporen zu geben und noch als der Erste am Platze zu sein .
Der Major jagt ihnen entgegen .
Er will wohl Stellung bezeichnen . . .
Der Major sitzt gut zu Pferde , auch ohne Kopf . . . Wie grausig das . . . Nun stürzt der Tote herunter .
Das Pferd rast weiter .
" Was ist das für ein Pferd , das gerade vor Jörn Uhls aufjagendem Geschütz vorüber rast ?
Reitet Oberst von Jagemann diesen Braunen ? "
Seine Seite ist naß und rot von Blut .
" Im Avancieren . . . "
Die Pferde fliegen zur Seite .
Mit Granaten geladen !
Auf das feindliche Lager !
" Achtzehnhundert Schritt . "
Nun keine Gedanken mehr .
" Es ist nicht möglich . "
Keine Gedanken mehr .
Ruhig Blut !
Die weißen Zelte . . . Da laufen Menschen .
Tausende ziehen dort hin und her , stehen da in Rauch .
Pjj . . jj . . juu . . juu . .
Ein Sausen und Pfeifen schwillt auf und ab .
" Ruhig Blut , Jungen !
Wenn ihr es hört , ist_es vorüber . "
Es fliegt hoch singend vorbei , schlägt hart vom Radreif ab . . . verkriecht sich mit kurzem , sirrenden Ton in den Leib des Stangenpferdes .
Das zittert und fällt zur Seite .
Der Stangenreiter sieht es mit zorniger Miene an .
" Was so einem Tier einfällt ?! "
. . . Pjjuu . . .
Sein Zorn ist verflogen .
Er hebt mit langgezogenem Schrei die Hände , als hätte ihn einer mit spitzem Pfahl ins Kreuz gestoßen , macht den Rücken hohl und stürzt hinterrücks vom bäumenden Pferde .
Jörn Uhl wirft den Kopf herum und sieht auf Leutnant Hax , der hat etwas gesagt ; aber es ist nicht zu verstehen .
Es brüllt und lärmt und klirrt und donnert .
Ist auch nicht nötig .
Er weiß schon so .
" Geschütz vor !
Geschütz vor ! "
Eins und zwei die Fäuste in die Speichen .
Granaten auf den Arm . . . der Verschluß ist offen .
" Tschuu . . . uu . "
Die Mücken da wollen stechen ; da vorne : die lange , weiße Linie .
Aber keine Zeit . . . keine Zeit .
Wir müssen uns die Brummer vom Leibe halten . . . dort auf den Höhen .
" Auf die Batterien !
. . . Fünfzehnhundert Schritt . "
Nummer eins zieht ab .
Das Feuer fliegt .
Aus dem Knallen und Krachen ist Melodie geworden .
Ein Heer von schrecklichen Tönen fliegt und rast mit wahnsinnigen Augen und verzerrten Gesichtern über die Höhen .
Von halblinks her klingt immerfort ein Quäken und Kratzen , ein niederträchtiges Geräusch , als wenn einer mit Eisen in einen Haufen Glasscherben stößt .
Eine Garbe davon fliegt quer über die keuchenden Menschen .
" Feuer ! "
Das Feuer fliegt .
Jörn Uhls Augen fliegen mit .
Das war ein Treffer .
Eine Garbe fliegt .
Knatternd knirscht sie vorüber .
Ein Leutnant kommt im Trabe gelaufen .
Jörn Uhl wirft einen Blick hin .
Der Leutnant wird gemäht und fliegt zur Seite .
Sein Rücken ist plötzlich in Dunkelrot getaucht .
Leutnant Hax geht von Geschütz zu Geschütz , ganz wie auf der Loher Heide .
Einer stellt sich stramm vor ihn hin ; das Blut leckt ihm vorn längs dem Beine herunter und bildet eine breite Biese , als wäre es ein General .
" Abtreten . "
Der Mann geht fünf Schritt ; dann taumelt er .
Einer sagt den Namen : " Sieh da .
Geert Dose . "
Leutnant Hax bleibt plötzlich stehen , als hörte er auf ein Kommando .
" Uhl ! "
" Herr Leutnant ! "
Er dreht sich um .
" Sehen Sie ' Mal nach .
Ich bin im Rücken verwundet . "
" Nichts zu sehen . "
" Kein Loch ? "
" Kein Loch ! "
" Na , . . . denn nicht . . . die grobe Batterie dort an den Bäumen ! "
" Feuer !
. . . das war zu kurz . "
" Feuer ! "
" So ist es recht . "
Nummer zwei stolpert .
Gefreiter Jan Busch .
Er taumelt zurück und schlägt die Hände vor den Kopf , als sähe er plötzlich etwas Schreckliches , und fällt schwer aufschlagend hintenüber .
Mit gehobenen Händen bleibt er auf dem Rücken liegen , mit denselben entsetzten Augen .
Jörn Uhl springt ans Geschütz .
Nummer fünf ist am Fuße verwundet .
Stöhnend hinkt er heran und legt zu Jörn Uhls Füßen neue Granaten .
Leutnant Hax schreit den Pferdehaltern zu :
" Weiter zurück . "
Es sind noch drei Pferde .
Die anderen liegen an der Erde .
Und noch drei Mann am Geschütz .
Die anderen liegen an der Erde .
Jörn Uhl steht über der Lafette , hat den Kartuschentornister hinter sich , die Granaten liegen neben ihm auf der Erde .
Er nimmt sie auf .
Vorstecker und Zündschraube .
Mit starrem Auge über Aufsatz und Korn .
Lohmann II zieht ab und braucht den Wischer .
" Lohmann ! " schreit Hax .
" Nicht so langsam , Mensch !
Rühr di !
Wir sind nicht auf der Loher Heide . "
Lohmann kann nicht anders .
" Eins . . . und . . . zwei . "
Ganz wie auf der Loher Heide .
" Feuer ! "
Von links her kommt es fürchterlich näher und näher , knarrend und krachend .
Leutnant Hax greift nach seinem Rücken und seufzt laut : " Dee Lohmann . . . das ist 'n Kerl .
Dee kann nie anners . "
Hauptmann Gleise reitet heran : " Gut , Leute !
So ist es gut ! "
Vier oder fünf Stabsoffiziere reiten zum zweitenmal vorüber und halten dicht hinter ihnen .
Gleich spüren sie es :
es surrt und brüllt . . . es splittert . . . es schlägt hart auf . . . es wühlt in der Erde .
Das Pferd eines Offiziers fällt in die Knie ; der Reiter fliegt über den Hals weg , springt auf und rennt auf ein Pferd zu , das zwischen den Geschützen durchjagt ; er greift es ; Jörn Uhl hilft ihm ; schon sitzt er auf der roten Schabracke .
Die Reiter traben ab .
Die Mütze des Generals flaggt ; ein Stück des Randes ist losgerissen ; ein Stück Watte hängt heraus und fliegt nach .
Sie arbeiten am Geschütz ; sie arbeiten im Schweiße ihres Angesichts .
Immer zu .
Immer zu .
Sie keuchen und zielen , stoßen und schieben , rufen und fluchen .
Es geht ein sonderbar kurzatmiger , heißer Wind , hin- und zurückstoßend .
Die Erde wirft Feuer auf ; durch aufwallenden Rauch blinkt es gelb .
Aus den undicht gewordenen Verschlüssen fliegt bei jedem Abzug eine lange , rote Feuerzunge .
Sie haben keinen Gedanken als : arbeiten , arbeiten .
Sie haben keine Sorge .
Sie denken nur :
" Es geht heiß her .
Wann nimmt es ein Ende ? "
Sie denken nicht daran , daß der überstarke Feind , der im weiten Halbbogen auf sie dringt , in jedem Augenblick den Ansturm wagen kann .
Da kommt Nummer fünf von der Protze gelaufen :
" Keine Granaten mehr ! "
Nun ist die Not da , die bittere Not .
Sie stehen wie versteinert am Geschütz , Lohmann mit erhobenem Wischer ; Jörn Uhl , die eine Hand am Verschluß , die andere im Grimm geballt , starrt vor sich in das Blitzen ; Leutnant Hax kommt mit schweren Füßen heran und zeigt Lohmann den Rücken :
" Ist da noch kein Locke ? "
" Ja , Herr Leutnant , nun ist da ein Loch , und Blut ist da auch . "
" Stehen kann ich nicht mehr .
Weggehen mag ich nicht .
Ich mag nicht . "
Er spuckt verächtlich aus .
Da rast ein Stabsoffizier heran .
" Warum feuern Sie nicht ? "
" Keine Granaten . "
" In drei Deiwels Namen !
So feuern Sie mit Kartuschen . "
" Befehl ! "
Sie feuern blind , mit Leinwandfetzen . . . immer zu . . . immer zu . . . eine ganze Weile .
Jörn Uhl , über die Lafette gebeugt , langt in Gedanken nach rechts :
da liegen da wieder Granaten .
Das geht besser .
Ein blutjunger Leutnant steht hinter ihnen und lobt sie mit hoher Stimme : " Gut , Unteroffizier !
Sehr gut !
. . . Kamerad ! "
Er grüßt zu Hax hinüber , der auf der Erde sitzt , mit dem Rücken am Rad der Protze .
Aber Hax sieht ihn nicht ; Hax sieht unter halbgeschlossenen Augen verächtlich , mit vorgeschobener Unterlippe , nach der Richtung des Feindes .
Da schweigen links von ihnen die Geschütze .
" Was machen die beiden Batterien ?
Warum schießen sie nicht mehr ? "
Schweres Infanteriefeuer kommt halblinks von hinten , vom Waldrande her .
Deutsche Infanterie springt auf , wirft sich hin , kommt näher .
" O . . . die wollen uns helfen . . . "
" Die Geschütze !
. . . Warum schießen sie nicht ? "
" Schießt doch , Brüder ! "
Hier und da steht noch ein einzelner Mann . . . blitzt noch ein Rohr .
Unteroffizier Heesch von Eesch bedient mit einem einzigen Mann sein Geschütz .
In Rauch und Feuer steht er .
Der ist ein Held .
Von dem wird man in der Heimat reden noch nach fünfzig Jahren .
" Schießt , Brüder ! "
Ein fremdartiges Lärmen und Tosen kommt brüllend näher .
Der junge Leutnant springt heran und schreit überlaut :
" Auf die Batterie zur Linken . . . Kartätschen !
Kartätschen ! "
" Herr Leutnant , " schreit Uhl . . . " das ist ja unsere Batterie ! "
. ,Sehen Sie nicht ?
Sie ist voll von roten Hosen ! "
" Herum ! "
Sie greifen alle zu .
Die Fäuste in den Speichen .
Schwer fällt es herum .
" Kartätschen ! . . . Vierhundert Schritt . . . " Leutnant Hax steht wieder aufrecht , will kommandieren , langt nach seiner Seite und fällt lang hin .
Von der verlorenen Batterie kommen drei oder vier Flüchtige .
Einer davon fällt im Laufe , wie ein Kind fällt , und hält sich am Rade und fängt an , einzelne Bitten des Vaterunsers zu beten .
Die vierte Bitte sagt er zweimal .
Er war armer Leute Kind .
Deutsche Infanterie , immer neu aus dem Walde herausströmend , steht , liegt , hier und da , im Haufen und einzeln .
Sie stehen und liegen zwischen den Geschützen und feuern gegen den anstürmenden , brüllenden und heulenden Feind .
Ein Füsilier , ein flinker , sehniger Mensch mit rötlich rundem Kopf , ist dicht neben Jörn Uhl gesprungen und schießt . . . und schiebt eine neue Patrone ein .
" Jörn Uhl !
Junge !
. . . adsum , Jörn ! "
Jörn Uhl schiebt eine Kartätsche ins Rohr und schlägt den Verschluß zu . . . Warum soll Fiete Krey nicht neben ihm stehen ?
" Dein Schießen nützt nichts mehr .
Das geht to Enn . "
Eine Granate wühlt die gelblich braune Erde auf .
" Wenn Hinnerk noch so pflügen wollte ! "
" Die Postkarte , die ich im Helm habe . . . "
" An Thieß schreiben .
Elsbe noch einmal grüßen . "
" Lisbeth Junker hat . . . Hat alles keinen Zweck . "
Er wirft das Geschütz in die Richtung des Feindes .
Fiete Krey hilft stoßen und werfen .
Der Kartätschenhagel fliegt . . . noch einmal . . . noch einmal .
Sie stocken da drüben .
Aber es kommen mehr .
Es wimmelt von fremden , roten Menschen , die in Rauch und Feuer vorwärts dringen .
Es geht zu Ende .
Pferde !
Pferde !
Die Pferde liegen alle an der Erde .
Da rennt Lohmann übers Feld und holt von den Pferden , die da verlassen jagen , und traben und stehen , drei ; und kommt wieder , und sie schirren mit fliegenden Händen an .
Ab !
. . . ab !
. . . Ein jammervoller Rückzug .
Fiete Krey sitzt vorn auf der Protze und fährt mit der Kreuzleine .
Lohmann , aufrecht neben ihm stehend , haut mit der Karbatsche auf die elenden , verwundeten Tiere .
Jörn Uhl trabt neben dem Geschütz her und hält den Leutnant , der auf dem Achssitze mit krummem Rücken hin und her schwankt .
" Grade wie in Wentorf , " denkt Fiete Krey , " wenn ich in den Apfelgarten gestiegen war , und ich lief weg , und Wieten schalt hinterdrein .
Gott stehe mir bei !
Was schimpfen sie ! "
Zwei Feuergarben teilen den Rauch ; sie fegen schräg vor ihnen übers Feld .
" Die dritte ist für uns . "
Nein . . . Es ist kein Eisen für sie geworfen ; es ist kein Feuer für sie aufgesprungen .
Sie kommen lebend bis in den Schutz des Waldes .
Und da stehen zehn bis zwölf Geschütze .
Andere kommen noch an , ganz wie sie : mit wankenden , strauchelnden Pferden , mit drei oder vier Mann , denen Jammer und Zorn , Angst und wilde Erregung in den schweißbedeckten Gesichtern steht .
Wie sie arbeiten !
Pferde werden herangezerrt , mit lautem Schelten und kurzen , wilden Worten .
Geschosse werden herbeigeschleppt und in die Kasten gelegt .
Der Batterieschlosser , ohne Mütze , mit wirrem Haar und aufgerissener Uniform , liegt vor einem kranken Geschütz in den Knien ; ein Unteroffizier stopft einem Pferde Charpiepfropfen in die tiefen Wunden , aus denen das Blut sprang .
Als wenn man einen Hahn in die Biertonne stößt !
Kommandorufe dazwischen .
" Merkwürdig , daß der Feind nicht hierher kommt . "
Drei Geschütze , frisch bespannt und leidlich mit Mannschaft besetzt - darunter versprengte Infanteristen - fahren wieder vor .
Der junge Leutnant arbeitet , schreit , rennt . . . Nun kann auch er mit zwei Geschützen wieder abfahren .
Ein Offizier hält oben und zeigt mit der Schwertspitze die Richtung :
" Da hinüber !
An den Waldrand ! "
Jörn Uhl sitzt auf dem ersten Geschütz , Fiete Krey neben ihm .
Ringsum , aus der Nähe und aus der Ferne , rollt und braust in alter Furchtbarkeit das schreckliche Knattern , Dröhnen und harte Aufschlagen .
Als sie den Waldweg zu Ende traben und am Rande ankommen , klingt der Donner ferner .
" Wissen Sie , Unteroffizier ? "
" Ich glaube , dahinüber . "
" Ich muß ' ran ! " sagt das junge Blut und knirscht mit den Zähnen . . . " Mein Vetter von der zweiten Leichten ist gefallen ; morgen muß ich an seine Mutter schreiben . "
" Es sind viele gefallen , Herr Leutnant . "
" Es ist ein schrecklicher Tag . "
Als sie sich umsahen , war das andere Geschütz nicht mehr da .
Der brüllende Lärm hatte nachgelassen .
Vom Himmel war der Abend gekommen .
Und es hob keiner seine Hände und beschwor Sonne und Mond , wie einst der rasende Jude :
" Sonne , stehe still zu Gibeon und Mond im Tale Ajalon ! "
Nein . . . nein . . . Sie fahren weiter und kommen an der rechten Stelle aus dem Wald heraus .
Aber die Geschütze werden zurückgezogen .
Frische Infanterie steht in Massen und bedeckt das Feld .
Der Feind ist still geworden .
Der Abend kommt .
Und wie es stiller wird . . . ruft es in den Furchen und an den Büschen : " Hölp mi . . . O . . . Hölp mi doch . "
Und auf der Höhe :
" Je prie . . . ma mère . . . pitié . "
Und aus dem trockenen Bachlauf :
" So döste . . . so döste ^ . .
Miene Moder . "
Es wird stiller .
Die am Waldrand steigen von Pferd und von Eisen .
" Meine Mutter hat mir für die höchste Not ein Paket in die Brusttasche gesteckt , "
. . . sagt der Leutnant . . . " aber ich kann den Arm nicht hochkriegen . "
Da nahm Jörn Uhl es ihm aus der Tasche und gab es ihm , und der bot ihm die Hälfte .
Das Stangenpferd hatte den Charpiepfropfen verloren .
Das Blut schoß aus der Wunde .
Jörn Uhl sprang auf und riß es zur Seite .
Es stürzte .
Der Leutnant , vom Blutverlust ermattet , setzte sich auf die Lafette ; Fiete Krey warf sich ins Gras .
" Lohmann , gehe hin !
Sieh zu , wo die anderen stehen . "
Er legte den Wischer , den er wieder in die Hand genommen hatte , in sein Lager und verschwand im Waldwege .
" Ach , " sagte der Leutnant , " geben Sie mir einen einzigen Schluck .
Ich habe meine Flasche dem langen Johann gegeben ; der hat sie in einem Hob ausgetrunken . "
Er sagte sonst :
" Herr Leutnant Hax " ; aber in dieser Stunde sagte er : " Der lange Johann " .
" Sehen Sie , Herr Leutnant ? " sagte Fiete Krey , " da kommt einer von der anderen Seite ! "
Ein Soldat in weiter , roter Hose und kurzer , blauer Jacke kam langsam auf sie zugehinkt .
Er hatte den zerbrochenen Unterschenkel mit seinem Seitengewehr geschient und mit der Koppel umbunden .
Aber der Fuß glitt zur Seite , und er schrie laut auf .
Fiete Krey stand auf und faßte ihn an und setzte ihn auf die Erde .
" Ich bin ein Franzose , " sagte er .
" O , o . . . "
" Was ? " sagte Fiete Krey und sah ihn verblüfft an .
" Ich bin von Straßburg . "
" Na , dann tröste dich !
Bleibe sitzen und laß dein Quasseln . "
Er holte Tauwerk aus der Tasche und richtete das Bein wieder gerade .
Das Tauwerk , das Fiete Krey aus der Tasche holte , löste Jörn Uhls Seele : " Du . . . " sagte er . . . " Wie kommst du hierher ? "
" Ich kam gerade an dem Tage , als der Krieg erklärt wurde , in Hamburg an .
O , meine Farm !
Meine schöne Butterfarm !
Nicht weit von Chicago , Jörn !
O , meine Frau , und meine beiden schönen Stuten !
. . . Schweig still davon !
. . . Laß dein Stöhnen , Straßburger :
ich kann nicht mehr für dich tun . "
Lohmann kam wieder und meldete , daß da . . . da drüben . . . die Batterien wären .
Er stotterte und wankte .
Der Leutnant hatte trübsinnig vor sich hin gestarrt und dann und wann mit schwerem Wehruf nach seinem blutenden Arm gegriffen .
" Sind Sie verwundet ? " fragte er .
" Nee , Herr Leutnant . "
Wenn er nun geschwiegen hätte , wäre alles gut gegangen ; aber er griff nach dem Wischer und fing an zu prahlen :
" Mit dem Wischer wolle er gegen die Franzosen gehen , ganz allein ! "
Da stellte sich heraus , daß er über einen französischen Marketenderwagen , der verlassen am Wall gestanden hatte , gestolpert war .
" Wir wollen aufbrechen , " sagte der Leutnant .
Sie hoben den Elsässer auf die Protze und zogen ab .
" Sie sind auch Holsteiner ? " sagte der Leutnant .
" Aus Dithmarschen . "
" Ich wohne nicht weit von Plön , und mein Vetter wohnt im nächsten Dorfe .
Nun ist er tot .
Gesehen habe ich ihn nicht ; aber ich weiß es : die von seinen Geschützen sind alle tot . . . Das wird ein schrecklicher Jammer werden .
Ich muß es schreiben . . . und ich kann es nicht .
Grethe weint sich die Augen aus .
Es war so ein lieber , tapferer und kluger Mensch . "
" Grethe ist seine Schwester ? "
" Ja , wir haben alle zusammen gespielt .
Wir sind alle in einem Pott groß geworden , pflegte Onkel zu sagen . "
Fiete Krey tröstete :
" Es geht mancher Pott entzwei , Herr Leutnant . "
" Das Fräulein Grethe ist nämlich meine Braut , " sagte das junge Blut .
" Wir haben uns verlobt , als wir Abschied nahmen ; das ist lange her . "
" Ja , " sagte Jörn Uhl , " das ist lange her . "
" Es sind drei Wochen her , schätze ich , " sagte Fiete Krey .
Da schüttelten sie alle die Köpfe .
" Drei Wochen ?
. . . Das ist nicht möglich . "
" Vor drei Wochen habe ich noch Häcksel für die Kühe geschnitten ? "
" Eine endlose Zeit ist es her . . . Mehr als sieben Jahre . "
So hatte die weite Reise , der mühselige Marsch und dieser furchtbare Tag sich in ihren Gehirnen breit gemacht und alles andere , was dahinter lag , in blaue Ferne zurückgedrängt .
Sie trafen wirklich in einer Senkung am Walde die anderen Batterien .
Und wieder war keine Ruhe .
Das ist ein Arbeiten gewesen am Rande des Bois de la Kusse , diese ganze Nacht hindurch !
Und als die Morgenröte kam , da standen vierzig Geschütze nebeneinander , wie auf der Loher Heide ; zwei waren in Feindeshände gefallen .
Pferde und Mannschaft , von den Staffeln ergänzt , standen wieder neben den schwarzen Rohren , bereit , wenn die Sonne kam , wieder auf dasselbe gelbliche , mit kleinen Steinen übersäte Feld zu fahren , das von Pferden und Rädern zertreten , von Granaten zerwühlt , und mit Leichen und dunklen Blutflecken , zerrissenem Lederwerk , zerbrochenen Waffen und gesplittertem Holz übersät war .
Aber der Feind kam nicht .
Der Feind war kein Tiger mehr in brüllendem Ansprung .
Er war ein gebundener Stier , der stöhnend mit den Hörnern in der Erde wühlt . * * * Am Vormittag wurde Jörn Uhl ausgeschickt , um sich nach einigen Verwundeten zu erkundigen .
Er fand nach vielem Suchen den Leutnant Hax , der im hellen Fieber auf seinem Mantel lag .
" Mutter war eben hier , " sagte er .
" Sie sagte , ich soll nicht immer so laufen , daß ich nicht so heiß werde .
» Du wilder Junge ! « sagte sie und gab mir eine Ohrfeige .
Das tut sie immer , aus Spaß , wenn ich so toll gelaufen habe .
Dann lache ich und gehe nach dem Spiegel und sage : » Nun sieh !
Nun sind die Backen noch röter . «
Aber hier ist ja kein Spiegel .
Hier , wie sieht es hier überhaupt aus !
Ihr Kerls , ihr sollt mir auf Ordnung halten . . . Ach , Sie sind es , Uhl . . . Das war ein schlimmer Tag , und ich glaube , ich habe genug . "
" Herr Leutnant . . . es steht nicht schlecht . . . "
" Die Luft ist so heiß , die kann kein Mensch atmen , namentlich nicht , wenn man so laufen muß .
Sagen Sie ' Mal , warum laufen Sie nicht ?
Sie sind immer so steif und ruhig . . . Ach , ich weiß schon :
das kommt vom Pflügen . . . Ich habe heute im Traum den rothaarigen Jungen gesehen , den ich einmal mit seinem Hundefuhrwerk von unserem Hof gejagt habe . "
" Nicht im Traum , Herr Leutnant .
Er war wirklich in der Batterie und hat geholfen . "
" Braver Kerl .
Damals auf der Hofstelle hatte er gleich die Hand geballt und schlug auf mich los .
Ist nicht christlich , ist aber menschlich . "
" Ist auch wohl christlich , Herr Leutnant : wenn man gegen alles Böse angeht . "
" Recht !
Ja : gegen das Böse !
Ich will es auch tun .
So wahr mir Gott hilft !
Immer die Hand geballt und drein gehauen , wie heute .
Und wenn man nicht mehr hauen kann , dann muß man spucken .
Christlich und menschlich ist all eins .
Ich glaube , Mutter baut im Ahlbeker Moor schlechten Hafer .
Wenn ich wieder nach Hause komme , will ich so lange pflügen , bis ich so steif bin wie der Unteroffizier beim sechsten Geschütz . . . wie heißt er doch ? "
" Uhl . "
" Dann soll alles in Flor kommen , und ich will ein neues Haus bauen ; aber die Turngeräte im Hof sollen stehen bleiben .
So , nun wollen wir nicht weiter darüber reden .
An die Geschütze !
. . . Dose , was stehst du da und grienst ?
Wunderst dich , daß ich so redselig bin ?
Du sollst wieder beim langen Sott in den Dienst , du Greuel .
So , nun protzt ab . . . Es nützt alles nichts .
Die Franzosen sind tüchtige Kerle und kriegen das eiserne Kreuz , und wir kriegen ein Grabkreuz . "
" Was soll ich in der Batterie bestellen , Herr Leutnant ? "
" Sie sollen mir nicht immer gerade in die Augen feuern .
Ist das eine Weise ?
» In drei Deiwels Namen « , sagt er ?
Sie sollen mit Runkelrüben schießen , das hat mehr Zweck , als mit dem Dreck von Kartuschen ; und Hauptmann Gleise soll seine Lackstiebel ausziehen . "
Hax mochte den Hauptmann nicht leiden .
Jörn Uhl suchte auch Geert Dose , konnte ihn aber nicht finden .
Er ging auch am zweiten Tage hin und suchte ihn und fand ihn noch nicht .
Es lagen Tausende in ihrem Jammer .
Aber am dritten Tage fand er ihn in derselben engen Stube , in der Hauptmann Straudiger lag , der durch die Brust geschossen war .
Beide waren von den Ärzten überhaupt nicht angefaßt worden .
Es war ja zwecklos .
Jörn Uhl stand stramm vor dem Hauptmann .
Der sah ihn aus großen , fiebrigen Augen verständnislos an .
Du dummer , steifer Jörn Uhl .
Dann bückte er sich über den Todwunden auf feuchtem , rötlichem Stroh .
Geert Dose war klar und ruhig .
Er grüßte mit den Augen .
Er grüßte mit demselben Augenausdruck , mit dem er einst in der Kaserne in Rendsburg gegrüßt hatte :
" Jörn , wir beide , wir sind die einzigen Vernünftigen auf der ganzen Stube . "
Aber nun war es bitterer Ernst .
" Kann ich etwas für dich tun , Geert ? "
" Nein , Jörn , ich muß hier sterben .
Ich verstehe nicht , daß ich noch immer lebe . "
" Kann ich nichts für dich tun ?
Hast du viele Schmerzen ? "
" Schmerzen ?
Der Rücken hat keine Schmerzen ; der ist nicht mehr da .
Hier vorn nach der Brust hin bis zum Hals . . .
Aber das ist auch alles einerlei .
Ich wollte bloß , ich könnte noch einmal wieder bei Vater und Mutter sein . . . Mutter legte Sonnabends immer das frische Hemd zurecht , und ich muß hier so liegen . . . Es stinkt so , Jörn . "
" Fein ist mein Hemd nicht , Geert ; aber es ist besser als deins . "
Er warf den Rock ab und zog sein Hemd aus und faßte den Oberkörper des Verwundeten .
Da stieß er einen Schrei aus ; sein Kopf fiel zurück , und er war tot .
Jörn Uhl stand bis zum Knie im blutigen Stroh .
Er sah auf den Toten und zur Seite auf den Hauptmann , der , den Kopf zurück , mit weit anfgerissenen Augen nach Atem rang , und es packte ihn Grauen vor dem furchtbaren Jammer der Menschheit .
Als er zur Batterie zurückkam , war Fiete Krey dagewesen und wieder fortgegangen .
Wilhelm Lohmann aber wurde gerade auf zwei Stunden ans Rad gebunden , weil er am Achtzehnten betrunken gewesen war .
Es war ihm aber zur Tröstung das eiserne Kreuz in Aussicht gestellt , weil er an demselben Tage gewischt hatte , wie auf der Loher Heide : eins - und - zwei .
Das war der Tag von Gravelotte für die Kinder von Wentorf . * * * Es kam das Lager vor Metz , in nassem Stroh , in bösem Geruch .
Ungeziefer die schwere Menge .
Mancher wurde krank und mußte nach Haus .
Jörn Uhl blieb gesund , tat seine Pflicht und dachte an die Uhl , wo Erntezeit war und der Pflug lief .
Es kam der schwerste Teil des Krieges : die langen Märsche in den Bauch von Frankreich hinein , und im Marschieren ein Kampf nach dem anderen , den ganzen Winter hindurch .
Heute kein Wasser , morgen kein Brot ; heute kein Feuer , morgen keinen Atem ; heute kein Haus , morgen kein Hemd .
Und die Bauern des Landes wurden jeden Tag kommandiert : " Dort unterm Nussbaum !
Grab ein Grab , paysan !
C'est mon bon camarade , cochon ! "
Da kam es soweit , daß sie zum Hauptmann sagten :
" Herr Hauptmann , aus diesem schrecklichen Kriege kommt keiner von uns wieder nach Haus . "
Und der Hauptmann ging zur Seite , stand lange und sah nach Osten in die Ferne .
" Und kommen wir nicht bald wieder nach Haus , so sind wir auf der Welt nicht mehr zu brauchen .
Wir sind keine Menschen mehr .
Wir sind wie unreine Tiere geworden . "
Sein Haar war in diesen Monaten grau geworden .
Jörn Uhl zog mit , hielt sein Geschütz blank , hielt seine Leute in leidlicher Zucht und dachte :
" Wenn die Pflugzeit wiederkommt , muß ich auf der Uhl sein . "
Im Anfang Februar , an einem regnerischen Abende in einer kleinen Stadt , fehlte der Unteroffizier Uhl beim Appell .
Die Nachtpatrouille fand ihn in einer Nebenstraße im Rinnstein liegen .
Als sie ihn in die Mitte nahmen und ins Lazarett brachten , jammerte er nach der Weise Fiebernder über Nebensachen : über den Schmutz auf seinem Rock , und daß er seine Mütze verloren hatte .
Sie brachten ihn ins Bett und gingen davon .
Da die Lazarettgehilfen ihn aber nicht bewachten , so stand er in derselben Nacht auf , zog sich wieder marschbereit an und ging wieder auf die Straße .
Man fand ihn morgens an einer Mauer gelehnt , im traumschweren Schlaf .
Er wurde ins Lazarett geschafft , wo er an Typhus krank lag .
Es quälte ihn die Einbildung , daß der neusilberne Geschützaufsatz abhanden gekommen wäre , und daß seine Leute meinten , er , Jörn Uhl , hätte ihn heimlich beiseite geschafft , aus Feigheit , um nicht mehr gegen den Feind zu müssen .
Diesen quälenden Traum hat der Kranke über hundert Meilen weit mit sich getragen .
Der Traum wich erst , als er in Straßburg im Lazarett in sorgsame Pflege kam .
Fünfzehntes Kapitel Ein glücklicher Zufall wollte es , daß Fiete Krey schon im März entlassen wurde und Jörn Uhl im Lazarett aufsuchen und den fast Genesenen nach Hamburg mitnehmen konnte .
Jörn Uhl , lang , bleich und noch etwas teilnahmslos , Fiete Krey kleiner , mit raschem Gang und flinken , spähenden Augen :
so gingen sie in den abgetragenen Uniformen , die man ihnen zur Heimreise gelassen hatte , durch Hamburg , um sich ein Quartier für die Nacht zu suchen .
Wie sie so gingen , Jörn Uhl die Augen am Boden , Fiete Krey die Augen überall , kommt ihnen da ein großes , schmuckes , blondes Mädchen entgegen , hellblond , rot und weiß , so in der frischesten Jugendblüte , ein Buch unterm Arm , einfach und sehr sauber gekleidet .
Und Fiete Krey sieht sie an und muß sie wieder ansehen ; denn es ist etwas Besonderes in ihrem Gesicht , etwas , was ihn an die Wodansheide und an den Heeshof erinnert .
Das Besondere ist , daß sie in Haltung , Haar und Augen etwas Helles und Auffliegendes hat , und daß die scheuen , grauen Augen so etwas schräg im Gesicht stehen , wie die beiden Flügel der Taube , wenn sie auffliegen will .
Ein unsicherer Blick fliegt hin und her .
Da stutzen sie beide ; da hebt auch Jörn Uhl die Augen .
" O , Jörn , Jörn !
. . . Wie krank siehst du aus !
O , Fiete Krey !
Ich habe von Thieß gehört , daß du mit nach Frankreich gewesen und daß du verheiratet bist . . . O , Jörn !
O , was wird Thieß sagen !
. . . Wißt ihr , daß Thieß hier wieder in Hamburg ist ? "
So sagte Lisbeth Junker und stand vor ihnen und schüttelte ihnen immerfort die Hände , und ihre Augen waren zwei strahlende Feuer , wie die Maifeuer auf Ringelshören .
Mit solchen Augen sah sie besonders Jörn Uhl an .
Besonders Jörn Uhl !
" Thieß ist noch hier ? "
" Ja , denkt ' Mal !
Er sucht immer noch nach Elsbe .
Die ist nämlich damals mit dem Schiff , mit dem sie fahren wollten , nicht abgefahren .
Nun behauptet einer von unseren Bekannten , daß er sie gesehen hat ; ein anderer aber hält für möglich , daß Harro Heinsen über Kopenhagen vor dem Kriege weggelaufen ist . "
" Weißt du , wie es in Wentorf steht ?
Oder kommst du nie mehr dahin ? "
" Meine Großeltern sind ja tot , " sagte sie , " aber die Frau von dem neuen Lehrer kenne ich gut .
Weihnachten bin ich erst da gewesen . "
" Und was tust du hier ? "
" Ich bin hier bei meiner Tante ; die hat einen kleinen Buch- und Papierladen , nebenbei lerne ich Buchhaltung . "
" Kannst du uns sagen , wo Thieß wohnt ? "
" Ja , und ich gehe mit euch . "
So gingen sie den weiten Weg nach Sankt Pauli hinaus , und kamen in die Marinestraße mit ihren hohen , öden Mietshäusern , und stiegen vier Treppen hinauf , und Lisbeth Junker öffnete am Rande eines dunklen Ganges eine Tür .
Da saß Thieß Thiessen neben einem kleinen , eisernen Stubenherd .
Er hatte die Kaffeemühle zwischen den Knien und drehte eifrig und hatte nichts gehört .
Er war kleiner und trockener geworden .
" O , Jörn !
. . . " sagte er und sprang steil auf .
" Da bist du !
. . . Fiete !
Mein Junge !
O , Fiete !
. . . Kinder , was ist das hier für ein Elend !
Ich habe die Bohnen gleich entzwei und will euch Kaffee kochen , soviel ihr wollt . "
Er war aufgesprungen und suchte seine Pantoffeln .
" Sagt nichts , Kinder , sagt nichts !
Dies ist nun der Heeshof , diese vier Wände .
O , die arme , kleine Deern . . . Heintüüt , hast du sie nicht gesehen ?
Um diese Zeit gehen die armen Frauen auf die Straße und kaufen ein .
Ach Gott , wenn sie bloß etwas hat , einzukaufen .
Denke dir , Jörn , . . . Jörn , nun denke dir das :
das kleine , kleine Menschenkind in dieser großen , schrecklichen Stadt .
Fiete , ich glaube , er schlägt sie !
Er will mit ihr nach Amerika ; aber ich laure am Hafen , daß er nicht mit ihr fortkommt .
Wie kann ein Mensch nach Amerika gehen ?
So weit vom Heeshof weg ?
Heintüüt , koch du ihnen den Kaffee !
Hier ist der Kessel !
Das Wasser läuft hier aus der Wand ; bei uns läuft es dagegen .
Es ist eine ganz und gar verrückte Welt . "
Fiete Krey drückte ihn auf den Stuhl zurück und sagte : " Du bleibst sitzen .
Glaub doch nicht , daß sie sich schlagen läßt .
Hier ist dein Pantoffel .
Wenn sie sieht , daß er sie nicht mehr lieb hat , dann läuft sie ihm sofort davon .
Ich denke mir , sie ist schon von ihm weg und wagt nicht , nach dem Heeshof zurückzukehren , und schlägt sich hier irgendwo durch auf eigene Faust .
Sie fürchtet dich und Jörn ; Scham hält sie zurück . "
Lisbeth meinte , es könnte wohl so sein ; und Jörn nickte .
" Na , Thieß !
. . . Und nun bedenke , " sagte Fiete , " daß wir eine lange Bahnfahrt hinter uns haben : Sorge für Kaffee und Brot , dabei wollen wir weiter reden . "
Da wurde es fast gemütlich , dank Fiete Krey , der den Heeshofbauern zum Reden brachte , und dank Lisbeth , welche Kaffee einschenkte und Brot schnitt .
" Setze dich , alter Erdmann ! " sagte Fiete Krey .
" Paß auf , wir kriegen die Elsbe noch wieder . "
" Ja , Thieß , nun esse ! " sagte Lisbeth .
" Hier ist deine Tasse . "
" Wißt ihr , " sagte Fiete Krey und lehnte sich behaglich zurück , " es ist hier ganz wie in Wieten Märchen ; ich halte sonst nicht mehr viel davon , aber heute werde ich sehr daran erinnert : Du , Thieß , bist der alte , wohlwollende Zwerg , der die beiden heruntergekommenen und müden Wanderer aufnimmt .
Eine schöne , gläserne Prinzessin bedient uns , und nachher wandern wir weiter und finden unsere Schwester . "
" Bin ich gläsern ? " sagte Lisbeth ein wenig schnippisch .
" Du bist immer noch ein Krey , scheint mir . "
" Du bist schmuck geworden , " sagte er und lachte ihr ins Gesicht , " und ein wenig gläsern bist du mir immer vorgekommen .
Nicht Jörn ?
Sie ging nie mit uns durch dick und dünn , wie Elsbe tat ; sie stand immer ein wenig bedenklich zur Seite .
Dazu kommt , daß es ein Jahr her ist , daß mir ein so sauberes Frauenzimmer Kaffee reicht .
Ich danke , Heintüüt . "
" Du hast dich immer um andere Leute bekümmert , " sagte sie , " immer die Augen zu beiden Seiten des Weges . "
Sie warf den Kopf zurück und sah nun auch Jörn nicht mehr an , und war in der Tat steif , und klirrte ein wenig wie Glas .
" Erzähle ! " sagte Fiete Krey und sah Thieß strenge an .
" Sicher ist , daß du bei der Sache Gevatter gestanden hast . "
" Ja , " sagte Thieß Thiessen und stöhnte .
" Was soll ich erzählen ?
Er hat sie da auf dem Heeshof besucht , und ich habe geschlafen und nichts bemerkt .
Ich sagte : » Kind , was bist du blaß !
Hast du diese Nacht nicht geschlafen ? «
» Fein habe ich geschlafen , « sagte sie , » eine Königin schläft nicht besser . «
Da freute ich mich .
Einmal sagte sie :
» Du , Thieß , ist es nicht hier im Lande ein altes Recht der jungen Leute , wenn sie sich gegenseitig die Ehe versprochen haben , dann sind sie vor Gott und Welt wie Eheleute ? «
» Ja , « sagte ich , » Kind , ich habe irgendwo in einer Chronik gelesen , daß Wolf Isebrand , der Held von Hemmingstedt , in der Nacht vor der Schlacht bei seiner Liebsten in der Kammer gesessen hat ; ich glaube , es ist alte sächsische oder friesische Sitte . «
Na , wir kamen dann von diesem Thema ab , und ich duselte und träumte weiter .
Ich sagte : » Fahre ' 'mal in die Stadt , Elsbelein . «
Oder ich sagte : » Fliege ' 'mal in den Wald , kleine Uhl . «
Aber sie ging ums Haus und pfiff und sang und sagte : » Ich brauche die Stadt nicht und auch den Wald nicht .
Ich habe keine Langeweile . «
Ich merkte immer noch nichts .
Dann eines Tages kam Harro Heinsen auf seinem blanken Braunen , sprang über die Latten am Hector und sagte , er wolle von Elsbe Uhl das Jawort holen und lachte .
" Na und da . . . fünf oder sechs Tage danach : da kam das Elend .
Da kam er wieder und schimpfte auf seinen Vater und auf Klaus Uhl : Die hätten beide nichts , gar nichts ; die könnten ihm keinen Hof kaufen .
Da wurde die kleine Deern still und ernst .
So habe ich sie nie gesehen .
All ihr großes Glück war ihr zerbrochen .
Ich sagte : » Bleibt hier auf dem Heeshof :
es läßt sich mehr aus dem Heeshof machen , wenn ein Mann hier ist , der arbeiten mag . «
Ich bin zu schläfrig , Fiete , das weißt du wohl .
Ich gestehe es gerade heraus .
Aber der Heinsen lachte , Geestbauer würde er noch lange nicht .
Ich sah wohl , daß sie Bittergern geblieben wäre ; er hat sie vom Hof geschleppt , wie man ein Füllen am Halfter hinter sich herzieht , das sich am Hector mit langem Blick umsieht . "
Er schüttelte jammernd den Kopf , und fuhr mit den Füßen hin und her , und suchte nach den Pantoffeln und seine Augen liefen ihm über .
" Ich habe es alles verschlafen , " fuhr er mit hoher Stimme fort , " dafür werde ich nun bestraft : muß hier in diesem Loche sitzen , und weit von hier liegt der Heeshof breit in der Sonne , und all die schönen Torfberge stehen im hohen Grase , und die Katskeulen in den Gräben schwanken so großartig hin und her , als hörten sie einen langsamen , feierlichen Gesang und wiegten sich danach .
Und ich träume jede Nacht und suche das Kind in den Binsen , ich kann sie nicht finden und falle dabei ins Wasser , und wache auf und kann dann nicht wieder einschlafen .
Daran kannst du sehen , Fiete , wie es mit mir steht :
ich kann nun nicht mehr schlafen .
Die alte Frau , die neben mir wohnt , sagt , es ist Heimweh , und das ist ja auch wahr : bitterlich schlimm habe ich Heimweh .
Ihr kennt meine Schlafstube auf dem Heeshof , Kinder !
Wenn ich noch einmal wieder in Frieden im Heeshof wohnen werde , dann will ich zu allererst die Schlafstube kalken lassen : ihr wißt !
. . . Die alte Frau will mir gern helfen , sie hat mir aus der » Deutschen Apotheke « Merkur und Phosphoriac gegeben , sie sagt , das ist gut gegen Heimweh .
Aber es ist nicht allein Heimweh , es ist auch schlechtes Gewissen .
Und sie sagt : dagegen gibt es nichts in der » Deutschen Apotheke « .
Ich habe es verschlafen , und darum muß ich hier nun in Elend sitzen und den ganzen Tag am Hafen laufen und in den Straßen suchen , und muß nachts im Tunkmoor in den Binsen umherrennen . "
So klagte Thieß Thiessen , und sein vertrocknetes Webergesicht war sehr lang und seine kleinen , blinkernden Kinderaugen flehten um Hilfe , und seine Lederpantoffeln fuhren hin und her , und wenn sie aus seinem Bereiche waren , erhob er sich halb vom Sessel und holte sie wieder , und sah seine Zuhörer der Reihe nach an .
Fiete Krey hatte sich über den Tisch gebeugt und sah auf den Redner .
Das ganze Behagen , das der Heeshof dem armen , abgejagten Bürstenbinderjungen so oft gebracht hatte , war über ihn gekommen .
Lisbeth sah mit traurigen , ernsten Augen auf Thieß Thiessen und warf zuweilen einen raschen Blick auf Jörn Uhl ; aber der saß stumm da , die Augen auf den Tisch gerichtet , von überstandener Krankheit und von der neuen Sorge starr und still geworden .
Er sah mit keinem Blick auf das Mädchen , das er von Kind an so verehrt und als Junge so geliebt hatte und das nun in strahlender Frische vor ihm saß .
Es war keine Stunde , an Liebe zu denken .
" Ich gehe so um acht Uhr morgens unterwegs , " sagte Thieß weiter , " und nachmittags gehe ich auch wieder los , immer durch die Straßen , wo die kleinen Leute wohnen , und den Hafen entlang .
Und fünfmal , " sagte er , und seine Stimme war wie die eines Kindes , die zum Weinen umschlägt , " bin ich unterwegs gewesen , als man ein Mädchen aus dem Wasser gezogen hatte .
Ich glaube , wenn sie in Not kommt , so tut sie es . "
" Nein , " sagte Fiete Krey , und zum zweitenmal zeigte er sich als Menschenkenner .
" Sie tut das nicht .
Keiner hängt fester am Leben als sie .
Ihr kennt sie nicht . . . Hast du den Namen Heinsen im Adreßbuch gesucht ?
Bist du zur Polizei gegangen ? "
" Nichts gefunden , " sagte er .
" Und dann ist das Schlimme , daß ich manchmal , wenn ich unterwegs bin und suche sie , und sehe irgend etwas , was mir auffällt , dann komme ich ins Träumen und bleibe stehen und vergesse alles , zum Beispiel : was der Rollkutscher wohl denkt , und wie viel Kinder der Schaffner wohl hat , und wo die große Dogge wohl nachts schläft , und wem sie gehört , und wie die alte , magere Zeitungsfrau wohl ausgesehen hat , als sie noch ein junges , lustiges Ding war .
Und dann am Hafen , Fiete :
was wohl in den Packen und Säcken drin ist , und wie die Leute und das Land wohl aussehen , wo diese Dinge herkommen .
Und dann das Puppentheater hier auf der Langenreihe .
Nicht , Lisbeth ?
Das ist das Beste in ganz Hamburg . "
" Hast du denn gar keine Bekannte ? "
" Ja , " sagte der Alte verlegen , " sie haben hier ja alle so ' was wie einen Klub . "
" Was ? "
" Ja , siehst du : hier links unten in der Erde , da wohnt ein Schuster , der stammt von der Geest bei Meldorf .
Und da ganz oben , da . . . siehst du es , Fiete ? da , bei den Telegraphendrähten , da wohnt ein Strackelmeier , weißt du , einer von den Strackelmeiers aus Hindorf .
Du kennst die Familie , Fiete :
du hast ' Mal einen Hund von ihnen gekauft und hast ihn an mich wieder verkauft .
Es war nichts daran , Fiete :
er war nicht stubenrein .
Er hat eine Frau und große Kinder , aber ich glaube , seine Frau ist nicht freundlich mit ihm , und er ist nur ein kleiner , unbedeutender Mann von Person .
Der freut sich , wenn er ' Mal von seinen Telegraphendrähten herunterkommt . "
" Na , und die kommen hierher zu dir ? "
" Ja , siehst du , Fiete : Sie haben hier alle so ' was wie_ein Klub .
Klub ist hier dasselbe , was bei uns Feierabend ist .
Na , denn sitzen wir hier so bei einander und erzählen uns ' was . "
" Immer hier bei dir ? "
" Ja , immer bei mir .
Das ist ja gerade die Sache : Sie haben nämlich beide Heimweh .
Fiete !
Fiete !
Wieviel Heimweh überhaupt in dieser großen Stadt ist , das glaubst du nicht .
Jeder dritte Mensch hat Heimweh , nicht bloß die , welche auf dem freien Lande geboren sind , nein , es liegt auch noch ihren Kindern im Blut .
Erst das dritte Geschlecht begreift , daß es klug und schlau ist , übereinander in engen Straßen zu wohnen . . . Na , da kommen denn die beiden armen Menschen zu mir :
ich heize nämlich mit Torf , Fiete , mit Torf aus dem Tunkmoor ; den lasse ich mir sackweise von Eggert Witt mitbringen .
Und oben auf dem Torf ist jedesmal - kein goldener Becher , Fiete , sondern ein gutes , frisches Schwarzbrot .
Siehst du , auf dem Sack , darauf beruht unser Klub .
Du glaubst nicht , Jörn , wie gemütlich die beiden Menschen sind .
Du hast es gesehen , Lisbeth , wenn der Strackelmeier die Ofentür aufmacht , daß ein wenig Rauch herauskommt !
Bloß weil er den Torf riechen will !
Fiete , du kennst das alte Strohdach zwischen Prickeln und Quickborn , da , wo der Weg nach Großenrahde abbiegt :
da stammt er her .
Da hatte sein Vater eine Roggenkoppel für Brot und ein kleines Moorstück , um das Brot zu backen .
Einen Schornstein hatte das Haus nicht ; der Rauch zog über die Diele .
In dem Rauch ist er groß geworden .
Er ist noch braunrunzlig davon und hält sich gut .
Wenn er hereinkommt , hebt er schon die Nase hoch und ist gleich furchtbar gemütlich :
du weißt es , Lisbeth . "
" So ! " sagte Fiete Krey .
" Nun müssen wir ins Quartier gehen .
Du wirst wieder ganz schnabbelich aussehen , Jörn .
Gib dir keine Mühe , Thieß !
Ich kenne diese Stadt und kenne einen dicken und gemütlichen Wirt in der Königsstraße , der soll uns Quartier geben .
Geht ihr noch ein Stück mit uns ? "
Da gingen sie alle vier nebeneinander die Langereihe entlang , nach der Königsstraße zu .
Es war Abend geworden ; es hatte stark geregnet , und noch fiel ein feiner Regen .
Gelbe und weißliche Lichter warfen ihren deutlichen Schein auf die dunkle Straße und die gehenden Menschen und auf die wasserblanken Spiegel der Steine .
Und Thieß drehte den Kopf und blieb stehen und lief dann im steifen Trabe hinterdrein , daß seine eisenbeschlagenen Stiefel klirrten .
" Es ist so recht ein Wetter , " sagte er , " in dem sie wohl unterwegs sein könnte , so ein Wetter für alles , was sich schämt und nicht gut gekleidet und traurig ist . "
Er sah verlegen lächelnd zu ihnen auf .
" Ich möchte hier ein wenig hin und her gehen , " sagte er .
" Du wirst ganz naß , nimm den Schirm , " sagte Lisbeth .
" Nein , nein , ich werde leicht wieder trocken . . . Ihr beide kommt morgen noch einmal wieder her zu mir !
Und bringt mir das Mädchen gut nach Hause ! "
Sie versprachen es ihm , und er ging davon .
Sie standen und sahen ihm nach .
Das Wasser glänzte auf seinem Rücken .
Die steifen Schäfte seiner Stiefel gaben der Hose einen Knick .
Er ging im kurzen Trabe .
Ein Paar blieb stehen und sah dem kleinen , trabenden Manne nach .
" O Thieß , o Thieß ! " sagte Fiete Krey .
" Du Hansnarr unserer Kindheit !
Wir Kinder sahen nicht , was in dir war .
Dies ist ein böser Tag für die Kinder von Wentorf !
Komme mit , Lisbeth ! "
Die drei gingen still weiter .
Nach einer Weile sagte Fiete Krey : " Ich werde nun in diese Wirtschaft gehen und warten , bis du wieder kommst .
Du bringst Heintüüt nach Hause : das ist deine Sache ; ihr habt immer zusammengehalten . "
Da ging Jörn neben Lisbeth bis zur Haustür der Tante .
Sie sprachen wenig miteinander .
Er fragte sie des Näheren , wie sie lebte ; und sie erzählte , daß die Tante gut und freundlich mit ihr wäre .
Ein wenig still und einsam wäre das Leben und ein wenig ohne Hoffnung ; sonst hätte sie nichts zu tragen .
Das alles sagte sie in zurückhaltender , scheuer Weise , so wie sie immer gesprochen hatte .
Sie fragte ihn , ob er in großer Gefahr gewesen wäre , und wie lange er krank gewesen , und ob er gute Verpflegung gehabt hätte .
Er beantwortete ihre Fragen kurz und dürftig .
Von ihrer Jugend redeten sie kein Wort .
Als er ihr ehrerbietig die Hand gab , wurde sie ein wenig zutraulich , hielt sie lange fest und sagte : " In den Sommerferien komme ich nach Wentorf , dann will ich auch dich besuchen . "
Als er aber in gleicher Weise schweigsam und zerstreut blieb , ließ sie die Hand rasch fahren und verschwand hinter der leise sich schließenden Tür .
Er fand Fiete Krey in der Wirtsstube sitzend .
" O , " sagte der , " ich dachte , euer Abschiednehmen würde etwas länger dauern .
Doch wie du willst !
. . . Und nun will ich dir ' was sagen :
Ich will Thieß Thiessen nicht erst wieder sehen , und Lisbeth Junker auch nicht , und Wentorf auch nicht , sondern ich will morgen wieder nach drüben fahren . "
" Was ? " sagte Jörn Uhl .
" Willst du wieder abreisen , ohne deine Eltern gesehen zu haben ? "
" Meine Eltern , " sagte er , " sind mir schon teuer genug gekommen .
Mache nicht so 'n dummes Gesicht , Jörn , ich will es dir erzählen .
Als ich im vorigen Sommer kurz vor Ausbruch des Krieges in Wentorf ankam , um mir mein kleines Erbe zu holen , da erfuhr ich als erstes , daß die Tante gar nicht tot wäre .
Ein Schelm von einem Bauern hatte einen falschen Brief an meinen Alten geschrieben , sie wäre tot , er möge kommen .
Da zieht Jasper Krey seinen schönen , schwarzen Rock an und kommt in die Stadt .
Und in seiner Herzensfreude , daß die Alte nun endlich tot ist , kauft er fünf bis sechs große , teure Totenkränze mit langen Schleifen und schönen Inschriften , und geht mit ihnen ins Wirtshaus und trinkt mehr als gut ist , und kommt so , seine Totenkränze über Arm und Schulter , bei der Tante an .
Die sitzt am Fenster .
Na , das Weitere kannst du dir nach Belieben ausmalen . . . Jasper Krey kommt also mit seinen Kränzen wieder nach Haus .
Mutter weint ; Jasper Krey pfeift .
Er pfeift und hängt die sechs Kränze rund umher an den Wänden unserer Stube auf : Du weißt , Jörn , wir Kreyen haben Sinn für das Bunte und Schöne .
Es machte sich gut , Jörn .
Die großen , weißen Schleifen hingen bis auf die Stuhllehne hinunter , so daß man die Widmungen vor Augen hatte :
» Dem Auge fern , dem Herzen ewig nah «
. . . » O lieb , so lang du lieben kannst «
. . . » Auf Wiedersehen « u. s. w. Als ich noch so sitze - mitten in der Stube , Jörn - , und Mutter mir die jämmerliche Geschichte erzählt , und ich denke : Darum also hast du Frau und Farm verlassen , darum bist du tausend Meilen gefahren , und ich mich immer so mit meinem Stuhl rundum drehe und die Inschriften lese - denn etwas wollte ich doch auch davon haben , Jörn - da kommt der Amtsdiener von Mariendonn : » Krieg gegen Frankreich !
Und du bist zur rechten Zeit gekommen , Fiete Krey !
Und mußt mit ! «
. . . " Da schrieb ich an Trina Kühl : » So und so , und ich hoffe , daß ich gesund wiederkomme ; und wenn ich wiederkomme , will ich dich vier Wochen lang auf den Armen durchs Haus tragen « . . . Ich wollte drei Monate fort sein , Jörn , und bin nun fast ein Jahr lang fern von ihr und ohne Nachricht .
Es kann dich nicht wundern , daß ich ihretwegen in Unruhe bin , obgleich ich sie in dem Schutz eines guten Freundes zurückließ .
In Wentorf habe ich nichts mehr zu suchen . . . Und nun noch eins , Jörn Uhl !
Wenn es dir auf der Uhl zu kraus und zu bunt wird , laß dich hier nicht am Elend festbinden , sondern dann reiße dich los und komme zu mir herüber . "
Aber Jörn Uhl legte die geballte Faust auf den Tisch und sagte : " Ich habe von meinem zwölften Jahre an um die Uhl gesorgt und gearbeitet :
ich will sehen , ob ich sie nicht aus ihren Händen retten kann . " * * * Am anderen Morgen reiste Fiete Krey nach Amerika , Jörn Uhl nach Wentorf .
Als der Zug mit Jörn Uhl abgefahren war , ging Thieß Thiessen wieder durch die Straßen und suchte .
So hat er acht Jahre lang gesucht , während Peter Suhm , der Sohn von Hans , dem Heeshof vorstand .
Oft , vom brennenden Heimweh gepeinigt , ging oder fuhr er nach dem Heeshof , stand an allen Ecken des Hauses , atmete den Wind ein , ging in den Wald hinauf und ins Moor hinunter , und besuchte Jörn Uhl in Wentorf , und ordnete vieles an und richtete sich ein , als wenn er bleiben wollte und blieb vier , und wenn es hoch kam , acht Wochen .
Dann kam Unruhe und Schlaflosigkeit über ihn , und er riß sich mit immer gleichem Schmerz von der Heimat los , und saß wieder mit bitterem Heimweh in der großen Stadt , und wohnte wieder in der kleinen Stube mit dem eisernen Kochofen , mit dem Torf und mit dem Klub , und suchte wieder in den langen Straßen .
Die in jenen Jahren an der Straße gewohnt haben , die über Itzehoe und Elmshorn nach Hamburg führt , die müssen sich seiner erinnern , denn meistens wanderte er zu Fuß diese lange Straße , da er sich einbildete , sie könnte ihm auf dem Wege zum Heeshof eines Tages entgegenkommen , dann hätte er ja gleich wieder mit ihr nach seinem geliebten Heeshof umkehren können .
Auch die , welche die Gegend von St. Pauli und den Hafen bis zur Elbstraße oft begangen haben , die müssen sich des kleinen Mannes erinnern , der in einem kurzen , dicken , dunkelgrauen Rock und in zu kurzen und zu engen Hosen , in harten und groben Stiefeln , deren steife Schäfte sich durch die Hosen abzeichneten , und mit seinem kleinen , klammten Webergesicht mit den suchenden Kinderaugen so oft durch diese Straßen gegangen ist .
Er hatte etwas Trabendes und Fallendes in seinem Gange , wie man es oft bei Leuten sieht , die viele und gleiche Wege gehen .
Es fiel aber auf , daß er nicht gleichgültig daherging , wie jene Leute zu tun pflegen , sondern daß er die flinken Augen überall zwischen den gehenden Menschen durchschießen und durchgleiten ließ , und daß er zuweilen plötzlich an die nächste Mauer zurücktrat und mit klugen , freundlichen und ziemlich verträumten Augen lange stand und betrachtete , was ihm im Getriebe der Straße plötzlich aufgefallen war .
Sechzehntes Kapitel Die Leute dieser Gegend sind zu verschiedenen Zeiten in verschiedener Stimmung in ihre Heimat zurückgekehrt , als Sieger und als Besiegte .
Denn das Land Schleswig-Holstein ist von grauen Zeiten her eine rechte Wiege von Völkern und Fürsten gewesen .
In alten , grauen Zeiten , da dem wachsenden Volke das Land zu enge wurde , rüsteten sie ihre dickbäuchigen Boote mit langen Rudern von Eschenholz und mit breiten , grauen Segeln und fuhren übers Meer nach Britannia .
Und einige Boote kamen mit spärlicher Besatzung zurück ; die ging von Gehöft zu Gehöft , das lange Haar mit bunten Wollbändern geschmückt , und brachte Grüße von denen drüben : herrlich wäre das Land , weite Ebenen mit schönen Pferdeweiden , tiefe Seen mit guten Fischen , und besiegt wäre das Volk , das da wohnte , und sie wären gesandt , zu sagen : kommen sollte Mechtild , die mit den hellgrauen Augen , und die rothaarige Traut , und die kleine Emma und andere Mädchen , und dort drüben im fremden Lande auf breiten Höfen Herrinnen sein über viel gehorsames und flinkes Gesinde .
Und als der Bote aus dem Hoftor weiter ging , warf er , in Übermut aufjauchzend , den Speer in die nächste Linde .
Verschieden kamen die Leute dieser Gegend heim in ihre Heimat .
Das war fünfhundert Jahre später :
da waren sie ostwärts hinter den Wenden hergezogen , die hatten einen Einfall in ihr Land gemacht .
Aber zwischen Neumünster und Eutin , als sie um eine Waldecke biegen wollten , wurde der Wald lebendig .
Da flogen flinke Wenden hin und her , daß ihnen wirr vor den Augen wurde , und noch flinkere Wendenpfeile flogen manchem guten Mann in die Seite , daß er lendenlahm wurde .
Da kamen sie mit lang hängenden Schnurrbärten und mit trübseliger Miene heim zu ihren Feuerstätten .
Wieder fünfhundert Jahre :
da war der Däne ins Land gebrochen :
es lockte ihn des Landes Reichtum und des Bauern langhaarige Tochter .
Aber sie riefen den Landsturm auf , es heulten die Glocken , es flammten auf den Deichen die Fanale ; das Meer , ihr Nachbar und sonst ihr Feind , machte auf drei Tage einen Bund mit ihnen , und sie schlugen den Feind mitten in ihrem Lande , und erwürgten sein Heer und duckten es in den Schlamm der Marsch .
Und als Hinnerk Wiebers nach seinem Hof heimkehrte , warf er seinem Weibe , die am Herde saß , Goldgerät vor die Füße , das er aus des Königs Wagen erbeutet hatte , und band seinen grauen Hofhund lachend an die goldene Kette , die Herzog Adolf von Holstein dem Ritter von der Wisch um den Hals gehängt hatte .
In verschiedener Stimmung kehrten sie aus der Fremde heim in dies Land .
Nicht immer in Siegeslaune . . . Es wurden sich fünfundzwanzig einig aus Hemmerwurth - ist ein kleines Dorf an der Eidermündung - , bemannten zwei Schiffe und erklärten Hamburg den Krieg und lagerten in der Elbe .
Hemmerwurth gegen Hamburg .
Sie wurden gefangen genommen und in den Turm gesteckt , wo er am finstersten war .
Zuletzt wurden diejenigen freigelassen , welche zu den tausend Mark Lübsch Kostgeld , welche Hamburg verlangte , ihren Beitrag liefern konnten .
Das konnten sie alle , bis auf Maß Jahrring .
Der hatte nichts .
Es wollte aber niemand etwas für ihn tun ; denn er hatte immer einen losen Mund gehabt und war ein Schelm .
Da gab er in seiner Not seinen Genossen , als sie dem Turm entrannen und nach Hause reisten , eine Verschreibung mit , worin er bei der Großmutter des hochgelobten Seligmachers , der Heiligen Anna von Bösbüttel , das Gelübde tat , daß er die Telse Bokel heiraten wollte ; die war nicht schön .
Da gab die für ihn das Lösegeld .
So entrann auch er dem Turm und kam in die Heimat .
Nicht in Siegerlaune .
Es ist kein Ende des Erzählens .
Dies Land ist alt und hat viel erlebt .
Jörn Uhl kehrte nicht im Gefühl des Siegers heim .
Er empfand durchaus nicht , daß die Heimat die Pflicht hätte , sich wegen seiner Wiederkehr in Grün und Blau und Gold zu werfen , wie sie tut , wenn sie Feier macht .
Er fand es vielmehr ganz richtig , daß es trübseliges Wetter war und lange , schwere Nebelschiffe zu beiden Seiten des Weges auf den niedrigen Feldern lagen .
Er sah in der Dämmerung , daß sie schlecht gepflügt hatten , und daß das Weizenfeld ungeschickt gesät war .
Das Hector der Weide war heruntergebrochen und lag soweit in den Weg hinein , daß die Wagenspur einen Bogen machte .
Sie waren alle zu träge gewesen , das Holzwerk beiseite zu werfen .
Er legte sein Bündel ins feuchte Gras und stellte das Tor wieder auf .
Als er aus dem Baumgang herauskam , sah er aus den hohen , unverhangenen Fenstern breiten , ruhigen Lichtglanz kommen , der fiel auf die Steinplatten vor der Tür und streifte den Türpfosten von Sandstein , daß das Gold der Buchstaben schimmerte , die da eingegraben waren : die Namen der Ulen , die nacheinander auf diesem Hofe gesessen hatten .
Junge Leute traten redend über die Schwelle , ins Wetter zu sehen .
Jörn ging tiefer in das Dunkel der Pappeln den Weg der Knechte , um das lange Hinterhaus herum nach der Gangtür zu , die in die Dreschdiele führte .
Die jungen Leute sahen ihn undeutlich gehen , und einer sagte : " Der will bei Wieten Clog am Fenster stehen . "
Gleich darauf hörte er seines Bruders Stimme :
" Mensch , wenn ich nicht wüßte , daß er die Ruhr im Leibe hat , so hätte ich gesagt , das ist Jörn . "
Er mühte sich , mit seinen eisenbeschlagenen Stiefeln möglichst wenig Geräusch zu machen , kam an die Tür und wunderte sich , daß sie offen stand ; denn Wieten pflegte für dies alles gut zu sorgen .
Die Hand zum Schutz in der Finsternis vor sich hingestreckt , ging er langsam die große Diele hinauf .
Einmal Rakete sein Arm an Holz :
das war die Schrotkiste vor den Pferderaufen .
Gleich darauf stieß sein Fuß an liegendes Stroh .
Er merkte an dem weichen , vollen Rauschen , daß es Hafergarben waren .
Er bückte sich und griff in den Kopf der Garbe , die gereift hatte und geerntet war , während er in Frankreich gewesen , und die nun vor dem Drescher lag .
Da fing er an , sich heimisch zu fühlen .
Und wiederum wunderte er sich , daß die Tür nach der Mitteldiele offen stand und daß aus der offenen Küchentür schwankender Feuerschein auf die Diele fiel , als sollte einer in dem Schein den Weg zur Küche finden .
Er kam langsam und zögernd heran , bereit , gleich nach seiner Kammer zu gehen , wenn Fremde in der Küche wären .
Aber da saß nur Wieten auf einem Stuhl und strickte beim unsicheren Licht des Herdfeuers , die Brille auf der Nase , und sah über die Brille weg auf ihn , und griff nach der Brille und sagte mit verhaltener , zitternder Stimme : " Na , da bist du ja . . .
Mein Junge . . . Ich habe den ganzen Tag auf dich gewartet .
Ich habe Kaffee aufgesetzt .
Sieh . . . der ist bald gut . "
Sie war aufgestanden und wollte sich nach der Gewohnheit unserer Leute bezwingen , und langte nach dem Kessel , der überm Feuer stand .
Aber die heiße Sehnsucht und die übergroße Freude , daß sie ihn gesund wieder hatte , tat der auslangenden Hand Gewalt an und drängte sie aus der Richtung .
Da lag die bebende Hand auf seinem Arm .
" Wieten ! " sagte er .
" Miene ole Wieten ! "
Und er griff schüchtern nach ihrer Hand und nahm sie in die seine .
" Freust dich so sehr , daß ich wieder da bin ?
Bist du immer gesund gewesen , Wieten ?
Bist du noch fix und rüstig , alte Deern ? "
Sie nickte , da sie vor aufsteigenden Tränen nicht sprechen konnte .
Dann legte sie den Strickstrumpf auf den Tisch , der am Fenster entlang lief , und sagte : " Bringe es nach der Stube , Lena . "
Da erst sah er ein großes Mädchen , das am Aufwasch stand und nach ihm hinsah .
Sie kam jetzt in den Schein des Herdfeuers , und er sah sie an , und sie gefiel ihm ; denn sie war groß und stark und stattlich von Gang .
Dazu war ihr Gesicht frisch von Farbe , weiß und rot und weich gerundet , und das Haar gelb und ein wenig wellig ; nur an den Ohren waren kleine Locken , so groß , daß man einen Finger hineinstecken konnte .
Er meinte , noch niemals so ein frisches und zugleich ordentliches Mädchen gesehen zu haben .
Dazu gefiel ihm auch , wie sie ihm zunickte und " guten Abend " sagte und ihn so frei neugierig und ernst freundlich betrachtete , von oben bis unten .
Es war ein gutes Zeichen , daß er nach seiner Heimkehr wegen dieses Mädchens die erste Frage tat : " Wo hast du die denn her , Wieten ? "
" Das ist Lena Tarn , " sagte sie .
" Sie ist seit November Großmädchen . . . Nun trinke .
In den Vorderstuben ist wieder großer Hopphei .
Hinnerk hat Pferde gekauft und muß natürlich zu dem Teueren Preise auch noch den Weinkauf zahlen . . . Sie bekommt zwanzig Taler Lohn ; viel zu viel . "
" Ist sie so , wie sie aussieht ? "
" Na , du weißt , Jörn :
da ist immer etwas daran auszusetzen . . . Sie singt mir zu viel . "
" Die singt ?
Die sieht so verständig aus . "
" Du meinst : sie ist eine Heilige , weil sie so rein und ernst aussieht , nicht ?
Ist sie lange nicht , Jörn .
Alles andere . "
" Wild ? "
" Nein , das kann ich nicht behaupten , Jörn .
Sie ist bloß so singig .
Auch ist sie so patzig und so geradeaus mit dem Mund .
Das mag ich bei einem Mädchen nicht leiden . . . Hörst du ? "
Man hörte sie in der Stube vor sich hinsingen .
" Wer soll denn singen , Wieten , wenn junge Mädchen es nicht sollen ?
. . . Wohnt sie bei dir in der Stube ? "
" Ja . . . Da schläft sie auch .
Das hat sie sich ausbedungen .
Sie ist von ordentlichen Eltern und hält sich ehrbar .
Das muß ich ihr lassen .
Ich sage : sie ist bloß zu singig und zu rechthaberisch .
Weiter sage ich nichts . . . Nun trinke , Jörn ! "
Er trank und aß und sagte : " Setze ' dich auf deinen Stuhl , Wieten , und sage : Wie kam es , daß du mich erwartetest ? "
" Wie es kam ?
Meinst du , daß ich nicht in allen Gliedern spürte , daß du unterwegs warst ?
Die Türen wären die ganze Nacht offen geblieben , Jörn , und ich wäre nicht vom Herd gegangen .
Das kannst du glauben . "
Sie hatte sein Bündel geöffnet , breitete die Wäsche aus und staunte über den guten Zustand derselben , und er erzählte , daß eine mitleidige Frau ihn reichlich beschenkt hatte , als er im Lazarett gelegen .
" Und dann , Jörn , " sagte sie : " es wurde hohe Zeit , daß du kamst . "
Sie ging nach der Waschküche und kam wieder , und stocherte mit der Feuerzange in der Torfglut , und nun weinte sie .
" Es kann mir doch nicht einerlei sein , wie es auf einem Hofe hergeht , auf dem man alt und grau geworden ist .
Elsbe ist ins Elend gegangen .
Und was soll aus dir werden ?
Ihr beide seid mir wie leibliche Kinder .
Darum muß ich dir alles sagen : Dein Vater fährt jeden Nachmittag in die Stadt , und nachher sitzt er hier im Dorf in der Wirtschaft von Torkel , und du weißt , der hat ein liederliches Weib und zwei verdorbene Töchter .
Und deine Brüder sind auch mehr als Trinker und Mädchenjäger geworden :
ich weiß , daß einige ihnen drohen , sie sollen Geld zurückbezahlen , das sie sich erschwindelt haben .
Ich bin in Ehren grau geworden , Jörn . "
Nun stand der Jammer riesengroß vor ihm .
Er trat ans Fenster , und sie trat auch hinzu , noch weinend , und sah von ungefähr aus dem Fenster .
Es war aber Mond- und Sternenschein , wenn auch neblig und wolkig .
Und sie fing an zu klagen , daß sie den Pflug nicht hatte fortschaffen lassen , der da an der Auffahrt lag .
Man sah das blanke Eisen im Schein des Mondes .
" Der Knecht war betrunken und wollte nicht in den Regen hinaus .
Wenn dein Vater nun heute Nacht nach Hause kommt , könnten die Pferde scheuen . "
" Die Pferde sind Nachtreisen gewohnt , " sagte er .
" Komme , wir wollen schlafen gehen . "
" Willst du nicht nach vorne gehen und deinen Brüdern sagen , daß du wieder da bist ? "
" Nein . . . Ich bin ihnen noch zu früh gekommen .
Wir wollen schlafen .
Ist das Mädchen schon zu Bett ?
Sorge dafür , daß sie den Lumpen da vorne nicht in die Hände fällt ; es wäre schade .
Elsbe ist dahin ; laß das genug sein . "
Sie gingen still auseinander , ohne Gutenacht ; denn fast ehe sie ausgeredet hatten , waren sie schon beide in tiefen Gedanken .
Er legte sich angekleidet nieder , um nach alter Gewohnheit den Ausspann zu besorgen , wenn der Vater heimkäme .
Aber von Unruhe getrieben , stand er wieder auf und trat ans Fenster und sah in die Nacht hinaus .
Um dieselbe Zeit war auch die Haushälterin aufgestanden und stand vornübergebeugt , und spähte nach dem Pflug hinaus , und sah ihn blinken , und atmete schwer und schüttelte sich wie vor Grauen .
Dann legten sich beide wieder hin .
Und als sie sich hingelegt hatten , wurden ihre Seelen wider ihren Willen in schwarze Tiefen hinabgezogen , die sich grenzenlos dehnten , und hatten nicht die Kraft , wieder heraufzukommen .
Und während sie stöhnend mit der Finsternis rangen , während auch das junge Mädchen in unruhigem Schlaf bei sich selber sprach , erhob sich ein Kriechen in den dunklen Ställen , ein Schleifen auf den Böden und ein schweres Schlürfen und Schleppen auf den langen Dielen ; und die große Doppeltür zwischen den Staatsstuben sprang mit hohlem Stoß auf .
Sie konnten aber alle nicht aus dem Schlafe kommen ; sie wurden von großen , schwarzen Händen in der Tiefe gehalten .
Am Morgen , gegen sechs Uhr , als es noch dunkel war , kam Jasper Krey in die Küche .
Er war ein wenig verdutzt , als er Jörn neben Wieten am Herdfeuer stehen sah ; aber dann sagte er ruhig , als wenn es sich um den Unfall eines Wagenpferdes handelte :
" Du mußt 'mal mitkommen , Jörn .
Der Wirt hat umgeschmissen und ist in den Pflug gestürzt .
Ich glaube : er hat zuviel bekommen . "
Er zeigte auf die Stirn .
Wieten Clog schrie laut auf und warf die Hände vors Gesicht : " Der Pflug ! " jammerte sie .
" Ich habe es kommen sehen ; aber ich konnte keinen Finger rühren . "
Jörn Uhl sprang hinaus und fand seinen Vater .
Er lag beschmutzt und durchnäßt im nassen Grase und in Wasserlachen .
Das dünne Haar war ganz voll Blut .
Er redete mit undeutlicher Stimme irre , er wollte hier im Bette liegen bleiben , sagte er , sie sollten nur hingehen und pflügen , er könnte es nicht .
Und er sagte , er wäre beim Abfuhrchen unter den Pflug gekommen .
Die Pferde hatten den umgeworfenen und zerbrochenen Wagen weiter geschleppt und standen vor dem Scheunentor .
Sie trugen Klaus Uhl ins Haus und legten ihn aufs Bett .
Der Arzt wurde geholt und stellte fest , daß Erschütterung und schwerer Schrecken den Schlaganfall herbeigeführt hätten , zu dem der Verunglückte seit Jahren geneigt hätte .
Er könnte noch lange leben ; der Zustand würde sich vielleicht etwas besseren ; schwerlich werde der Kranke wieder gehen können ; seinen klaren Verstand werde er wohl nicht wiederbekommen . * * * Am dritten Tage kam der kleine Weißkopf auf den Hof .
Er kam zu Jörn , der mit stillem Gesicht die Pferde fütterte , und sagte : " Ich habe von dem Unfall deines Vaters gehört und habe jetzt ein Anliegen an dich .
Wenn es dir recht ist , so wollen wir beide mit deinen beiden Brüdern zusammen in der Kammer sitzen , in der du damals wohntest , als du noch ein Junge warst . "
" Da wohne ich auch heute noch , " sagte Jörn .
" So ! " sagte der Alte und sah ihn aufmerksam an .
" Das sieht dir ähnlich .
Es tut mir leid , daß deine Schwester Elsbe , die damals so freundlich mit mir war , so unglücklich verheiratet ist , wie ich gehört habe . "
Jörn antwortete darauf nichts , und führte den Alten in die Kammer , und ging hinaus und rief die Brüder .
Sie kamen widerwillig und sahen mit ihren schönen , hochmütigen Ulgesichtern verächtlich darein .
Hinrich , der auf dem Marsch nach Frankreich , auf dem Bahnhof in Düsseldorf , angetrunken und mit seinen Kameraden albernd , beim Besteigen des Wagens gestürzt war und ein Bein gebrochen hatte , war also durch sein eigenes Verschulden verhindert worden , den Feldzug mitzumachen .
Da er von Natur ein Prahler war , und zwar ein größerer noch als sein Vater , da ihm des Vaters Klugheit fehlte , so wäre er schon des Prahlens wegen gern dabei gewesen .
Er ertrug es nicht , daß er sich nicht in die Brust werfen konnte .
Er wäre einer von denen gewesen , die in jenen ersten Jahren nach dem Kriege den Schnurrbart zwirbelten , erst den linken :
" Siebzig ! " dann den rechten :
" Einundsiebzig ! "
Dann stolz lächelnd beide Seiten mit starkem Ausrufungszeichen :
" Mitgemacht ! "
Daß er das nicht konnte , das hatte seiner zu Roheit neigenden Natur die letzte Stütze weggerissen .
Geprahlt mußte werden .
Jetzt erst recht .
Es mußte über die anderen hinweggeprahlt werden .
Also prahlte er mit liederlichem Leben und mit gemeinen Worten .
" Hören Sie genau zu ! " sagte der Alte .
" Ich bin von der Sparkasse hierhergeschickt und bin zugleich in eigenem Namen hier .
Wir beide , die Sparkasse und ich , hatten vor zwölf Jahren einen größeren Geldposten frei und boten ihn unter der Hand aus .
Ihr Vater nahm ihn als erste und einzige Schuld auf seinen Hof , der sie , wenn auch mit genauer Not , tragen konnte .
Wir wunderten uns , daß er seinen Hof so schwer belastete .
Er sagte aber , er wolle sein Bargeld zu guten Geschäften brauchen , die er machen könnte , und wir glaubten ihm ; denn er galt damals noch für klug , gewandt und wohlhabend , wenn er auch ein sehr reichliches Leben führte .
Nachher aber , als wir wohl merkten , daß es bergab mit ihm ging , und als auch die erwachsenen Kinder das Ihre taten , das Vermögen zu verringern , da haben wir auf ihn geachtet , und haben ihn vor zwei Jahren gewarnt und haben ihm endlich , als Gefahr vorhanden war , daß der Hof unter Wert kam , gekündigt .
Vor drei Tagen hat er den Brief bekommen .
Am selben Abend ist er verunglückt , und zwar so schwer , daß er , wie ich höre , zwar das Leben noch ziemlich lange bergen kann , den Verstand aber schwerlich wiederbekommt . "
" So ? " sagte Hinrich .
" Also so steht es !
So , so ! "
Er war weiß im Gesicht geworden , und seine Augen blickten scharf .
" Ja , so ist es , " sagte der Alte und nickte mit dem Kopf .
" Und nun haben Sie die Wahl .
Entweder wir treiben den Hof zum Konkurs : dann ist anzunehmen , daß ihr alle drei , ohne einen Pfennig zu retten , in die weite Welt gehen müßt ; oder wir überlassen dir , Jörn , für die gesamte Schuldenlast den Hof und sehen zu , was du herauswirtschaftest .
Für die kleineren Schulden , die etwa noch da sind , hättest du auch aufzukommen .
Euch beiden aber bieten wir jedem 2000 Mark , womit ihr abgefunden wäret und den Hof zu verlassen hättet .
Das ist unser Vorschlag . "
Jörn saß und starrte auf die Lade und war glücklich :
" Mir der Hof !
Ich der Herr ! "
Und er schämte sich vor seinen Brüdern .
Hinnerk gab Hans einen Wink und ging mit ihm hinaus , und wie von selbst kamen sie an das Bett des Vaters .
Wieten Penn , die daneben saß , ging hinaus .
Sie waren sonst immer nur zu ihm gekommen , damit er ihnen einige Goldstücke gäbe .
Jetzt standen sie da um andere Dinge .
Aber er lag in schwerem Schlaf und hörte nicht .
Da fing Hinnerk an zu behaupten , daß der Weißkopf löge :
es stände nicht so schlimm und man müsse vorsichtig sein .
Aber wie sie noch ein wenig so redeten , merkten sie , daß sie beide an der Wahrheit des Berichts nicht zweifelten , und wurden stumm .
Da fingen sie an , einer dem anderen Vorwürfe zu machen .
" Du hast in diesem Winter sechshundert Mark im Spiel verloren , " und :
" Du gegen zweitausend bei deinem unklugen Pferdehandel . "
Sie sahen sich an , und es war nahe dabei , daß sie übereinander herfielen .
Aber da kam wieder der Gedanke der Zukunft , und sie wurden wieder grüblerisch .
Sie standen an der Stelle , wo jener stand , der zu sich sagte :
Graben kann ich nicht ; zu betteln schäme ich mich .
Und es kam sie ein Grauen an , wie einem Menschen , welcher träumt , ihm wären beide Arme abgenommen , und er solle sich nun so armlos durchs Leben schlagen .
Hinnerk wandte sich zum Bett und schrie mit geballten Fäusten , was der Älteste vor fünf Jahren geschrien hatte :
" Was hast du uns gelehrt ?
Büßen wirst du das !
Du !
Allerheiligen kommt !
Du sollst Pacht bezahlen , so wahr Gott lebt ! "
In diesem Augenblick glaubte er fest an ein Leben in einem anderen Lande , darum , weil er wünschte , daß sein Vater ins Gericht käme .
Hans stand stumm und steif und sah auf des Vaters Gesicht , in dem es zuckte und wirrte .
Hinrich riß des Vaters Kleidungsstücke auseinander und suchte die Schlüssel und fand sie , öffnete den braunpolierten , schweren Eckschrank und suchte in der bekannten Schublade nach Geld .
Es war aber nichts darin als ein Stück Papier und ein goldenes Halskettlein von guter , alter Arbeit , an welcher ein Petschaft und ein Trauring befestigt waren .
Er öffnete das Papier und fand eine kurze Zahlenreihe darauf , eine Schuldenaufrechnung .
Unter der großen Hypothek standen noch über zehntausend Mark Wechselschulden .
Darunter hatte der Vater sauber und fein , wie einer , der sich im Schönschreiben übt , geschrieben :
" Ich kann keine Luft mehr kriegen . "
" Na , " sagte Hinnerk .
" So steht es .
Da haben wir es schwarz auf weiß .
Nun : also wird Jörn auch nicht lange auf der Uhl sitzen .
Er wird gezwickt und gezwackt werden , daß er die Wechselschulden bezahlt , und dann werden sie ihn vom Hofe jagen .
Es nützt nichts , Hans , wir müssen auf und davon .
Hier ist nichts mehr zu haben :
Es gehört uns nicht ein einziges morsches Brett auf dem ganzen Hof . "
Er nahm das Kettlein an sich , riß die Anhängsel ab und gab die dem Bruder .
Hinnerk hat das Kettlein nachher beim Kartenspiel verkauft ; Hans aber hat die goldene Kleinigkeit bis auf diesen Tag als Andenken an die Mutter behalten und an seiner Uhrkette getragen , auch in der Zeit , als er die Uhr verkauft hatte , um sich mit seinen Kindern satt zu essen .
Sie sahen sich noch einmal um und gingen hinaus .
Auf der Mitteldiele ging der Weißkopf hin und her und sagte :
" Nichts gefunden ?
Wollt ihr die Zweitausend annehmen ? "
" Können wir sie heute bekommen ? "
" Heute nachmittag vier Uhr ist unser Vertreter in der Holländerei zu sprechen .
Er wird mit euch zum Notar gehen . "
Da gingen sie hinaus , packten ihre Sonntagsanzüge in ihre Soldatenkoffer und befahlen , daß angespannt würde .
Jasper Krey sollte sie fahren .
Jörn ging ihm nach in den Pferdestall :
" Das Gespann ist mein , " sagte er stolz und hart , " du bist mir verantwortlich , daß es heute abend wieder auf der Uhl ist . "
Draußen , als sie neben dem Wagen standen und noch einmal über das große Gewese hinsahen und über die breiten Felder , die westlich von Ringelshören liegen , der beste Teil des Hofes , waren sie ernst und still .
Hinnerk stand mit knirschenden Zähnen und weißem Gesicht .
Hans sagte zu dem Jüngsten : " Vater hat die größte Schuld ; aber wir haben auch nicht getan , was recht war .
Es ist recht so , daß du hier Bauer wirst .
Sieh zu , daß es nicht in fremde Hände kommt . "
Er kehrte sich um und stieg auf den Wagen .
Dann fuhren sie davon und sahen sich nicht wieder um .
Als Jörn vom Wagen zurückgetreten war und ihm lange nachgesehen hatte und sich langsam , in schweren Gedanken versunken , nach der Tür hinwandte , stand da neben dem Weißkopf die kleine , magere Gestalt von Thieß Thiessen .
" Jörn !
Jörn ! " sagte er .
" Dieser alte Mann , den ich seit dreißig Jahren kenne , hat mich aus Hamburg hierher kommen lassen , damit ich dir in diesem Wirrwarr rate .
Jörn , mein Junge :
das habe ich immer gesagt :
Was gehen uns vergangene Zeiten an ?
Laß die Toten ruhn !
Was sollen wir mit Wulf Isebrand und mit Napoleon ?
Ja , selbst über meine Schwester , sage ich :
sie Ruhe in Frieden !
Und damit gut .
Aber was vor uns liegt , Jörn : danach müssen wir neugierig ausschauen ; das muß uns Sorge machen !
Der Rest der Weltgeschichte , Jörn , da liegt unsere Not .
Und sieh , der Rest der Weltgeschichte , soweit sie dich angeht , ist dir jetzt vor die Füße gelegt . . . Ich bin eben bei deinem Vater gewesen , und Wieten hat mir alles erzählt .
Komme herein !
Die Störenfriede sind weg ; Vernunft regiert auf der Uhl .
Komme , wir wollen eine Tasse Kaffee trinken , und zwar neben der Lade in deiner Kammer .
Ich soll dich von Lisbeth grüßen ; ich glaube : tausendmal . "
Siebzehntes Kapitel Wenn ein großes Ereignis plötzlich unter die Menschen tritt , als ein finsterer Riese , und im Eintreten sie mit seinem Ärmel streift , dann zucken die Seelen der Berührten und bleiben in einer zitternden Bewegung , die je nach der Größe und Plötzlichkeit des Ereignisses andauert .
In diesem Zustand zeigt sich der Charakter der Menschen offener ; ihr Mund ist redseliger ; ihre Ohren sind wacher .
Sie sind wie tiefgepflügtes Land , aus dem der starke Geruch frischer Erde aufsteigt .
Sie saßen in der Kammer .
Goldgeränderte Tassen mit blauen Blumen standen auf der Lade .
Die beiden Alten hatten ihre kurzen Pfeifen angezündet und trösteten vom hohen Standpunkt ihrer Erfahrung und ihrer gesicherten Lebensstellung herab das bedrückte junge Blut .
" Wir wollen dein Glück , " sagte der Weißkopf und machte sein freundlichstes Gesicht , " und wir wollen unser Geld . "
" Besonders das letztere ! " sagte Thieß .
" Jetzt , " sagte der Alte , " ist der Hof etwas über Wert belastet ; denn da sind noch einige Wechselschulden , und das Inventar ist nicht das beste .
Wir würden also Geld verlieren , wenn wir den Hof zum Zwangsverkauf brächten .
Darum lassen wir dir den Hof . "
" Du sollst ihnen das Geld verdienen , Jörn , " sagte Thieß .
" Ja .
Das soll er .
Und sich selbst den Hof .
Denn wenn die Preise etwas steigen , was nach jedem Kriege geschieht , wird er sich allmählich aus den Schulden herausarbeiten , bis er sagen kann :
Der Hof ist mein . "
" Was sagst du dazu , Jörn ? " fragte Thieß .
" Was ich sage ? " rief Jörn Uhl und machte zum erstenmal in seinem Leben beim Sprechen eine lebhafte Handbewegung , indem er seine beiden großen , leeren Hände ausgebreitet hinhielt .
" Soll Vater im Bett vom Hof getragen werden ?
Soll ich die Uhl fahren lassen ?
. . . Was ich tun kann , daß ich hier bleibe , das werde ich tun .
Das kannst du glauben , Thieß . "
" Gut , " sagte der Weißkopf .
" Nun laßt uns von ' was anderem reden . "
Er rauchte kräftig aus der kurzen Pfeife und sah wohlwollend auf Jörn , der wieder mit geschlossenem Gesicht dasaß .
" Du mußt heiraten , " sagte er .
" Es ist nicht gut , daß der Mensch allein sei , weder bei Tag , noch bei Nacht , weder in der Not , noch in der Freude .
Du hast Anlage , ein Einspänner zu werden . "
Und er fragte , halb ernst , halb im Scherz , ob er ihm eine vorschlagen sollte .
" Auf der Geest , " sagte er , " weiß ich Nester mit goldenen Eiern .
So wäre dir und uns mit einem Mal geholfen . "
Aber Jörn sagte : " Die Haushälterin bleibt bei mir ; ich brauche keine Frau . "
Als er das sagte , war das rotblonde Mädchen hereingekommen , mit dem Rahmguß in der Hand .
Sie hörte , was der neugebackene junge Bauer sagte , und machte ein hochmütiges Gesicht und dachte :
" Was redet der altklug ! "
" Weißt du , " sagte der Alte behaglich , " daß ich deine Haushälterin schon vor vierzig Jahren gekannt habe ?
Ich habe Lust , euch zu erzählen , und besonders dir , was ich von ihrer Jugend weiß . "
Als Lena Tarn hinausgehen wollte , sagte er :
" Wenn du Zeit hast , bleibe hier und höre zu .
Es kann dir nicht schaden , die Geschichte zu hören .
Es ist etwas wie aus alter Zeit :
als wäre es aus dem Rugenberg gegraben , in dem die Hünengräber liegen .
Die Geschichte ist so weit wie die Welt und so tief wie das Menschenleben .
Ich könnte es lang und breit erzählen :
ich will aber kurz sein und nur das berichten , was Wieten Penn angeht . "
Also sagte der Alte , hatte die Augen weit geöffnet , sog vergeblich an seiner Pfeife und legte sie neben sich .
Das junge Mädchen setzte sich neben Thieß Thiessen , den sie heute samt dem Weißkopf zum erstenmal sah , und dachte :
" Das ist ein merkwürdig Kleeblatt , " und sah während der Erzählung mit drollig neugierigem Mienenspiel von einem zum anderen .
Die Menschen , unter denen sie saß , interessierten sie mehr als die Geschichte .
Es muß aber gesagt werden , daß sie am meisten nach Jörn hinsah , und sein stilles , langes Gesicht mit den tiefen , klugen Augen mit stillem Verwundern , ohne Scheu , mit zutraulicher Neugier betrachtete .
" Nun , da war in meiner Jugend in Schenefeld ein Sohn armer Eltern , ein schmucker , stolzer Junge , der ging mit mir in die Volksschule und wurde nachher aus angeborener Liebe zu den Pferden Hengsteknecht , und diente in diesem Beruf zuletzt auf einem großen Hof bei Schenefeld .
Er war sehr tüchtig und ging immer ein wenig finster einher , sagte kein Wort zu viel und schien nur Leben zu bekommen und Feuer zu zeigen , wenn er auf dem Wege , der rund um den Hof lief , die Hengste ritt .
Dann sah die einzige Tochter des Hofes mit großen Augen nach ihm hinaus , ging von einem Fenster zum anderen , rund um den Hof herum , je nachdem er ritt , und ihre Augen wurden glänzend und ihre Wangen rot .
Er aber achtete nur auf die Pferde .
Eines Tages , nachdem sie ihn wieder so mit den Augen verfolgt hatte , kam sie , als er den Hengst ins Haus zurückgeführt hatte , zu ihm in den Stall , wo er dabei war , die Tiere zu striegeln , und versuchte , mit ihm zu reden .
Aber es war immer dasselbe :
Er redete mit ihr kalt ; aber mit den Tieren redete er freundlich .
Da beschloß sie , ein übriges zu tun .
Sie wollte ihm zeigen , daß er auf falscher Fährte wäre , wenn er meinte , sie achtete ihn gering , weil er ein Knecht war , und er müßte den Hochmut zeigen , den die ehrliche Armut hat .
Also sagte sie ihm bei schicklicher Gelegenheit :
» Du sollst wissen , daß du in meinen Augen mehr bist als alle Bauernsöhne . «
Als sie das gesagt hatte , lief sie davon , und lief auf den obersten Boden nach dem Taubenschlag und kam erst nach zwei Stunden wieder herunter .
Man weiß nicht genau , wie sehr das feurige und schwärmerische Mädchen ihm entgegengekommen ist .
Genug , eines Tages sprang sie ihrem Vater an den Hals und sagte , sie hätte schon drei Nächte lang nicht schlafen können ; sie müßte und wollte den Knecht heiraten .
Der Vater war weichherzig , und sie war sein einziges Kind : so gab er sein Jawort .
Er soll es mit Sorgen gegeben haben .
Sie war ihm wohl zu weit entgegengekommen , also , daß er gering von ihr dachte .
Sie war nicht das Weib , dessen Bild er - wie jeder junge Mann das seine - im Herzen trug .
Sie war ein weiche Träumerin , eine heißblütige Grüblerin .
Es hätte zu ihm eine Frau gepaßt , welche bei großer , stattlicher Figur ruhiges , klares Wesen und viel stolze Frauenwürde gehabt hätte .
Schon am Tage nach der Hochzeit stand er den ganzen Nachmittag zwischen seinen Pferden , musterte , rangierte aus und fuhr am folgenden Tage zu Markt , tauschte und kaufte .
Sie stand am Fenster der Schlafstube und schaute ihm nach , die Augen voll zorniger Tränen .
Es wurde dann zwar ein Mädchen geboren , dann ein Knabe , aber das hatte sie auch nicht näher gebracht .
Im Gegenteil .
Denn nun , da sie Kinder um sich hatte , meinte er , er könnte noch mehr seine eigenen Wege gehen .
Seine Wege waren die eines eifrigen , tüchtigen und ehrenhaften Geschäftsmannes .
Er handelte und wandelte besonders in Pferden , bekam einen Ruf darin , vergrößerte sein Vermögen und wurde im Laufe der Jahre durch den Verkehr mit den Offizieren des Reiterregiments , die von ihm kauften , ein Mann von guter Weltkenntnis und von guten , sicheren Formen .
Je mehr Erfolg er hatte und je besser sich der frühere Knecht im Leben zurechtfand , um so mehr kam er in die angeborene Neigung hinein , nur das kluge , nüchterne Vorwärtsstreben für menschenwürdig zu halten und alles , was man so das Ideale nennt , gering zu achten .
Er kam aber um so mehr in diese Einseitigkeit hinein , als er so viel weiches , schwärmerisches Leben - so erschien es ihm - in seinem eigenen Hause , an seiner Frau und bald auch an seinen Kindern sehen mußte .
Der Mann war unterwegs ; die beiden Kinder waren ganz und gar in den Händen der Frau .
Eine Schule besuchten sie nicht ; die Mutter unterrichtete sie .
Das geschah ganz unschulgemäß , aber doch mit solch günstigen Resultaten , daß die Behörde keine Ursache hatte , dagegen anzugehen .
Der hauptsächlichste Teil des Unterrichts bestand in der freien Erzählung und ebenso freien Wiedergabe von Phantasien und Märchen .
Dabei hatte sie die Weise , daß sie die stoffgebenden Bücher wohlverschlossen in einem Schrank hielt und den Kindern keins davon in die Hände gab .
Allen Bitten der Kinder , namentlich des Knaben , die Bücher selbst kennen zu lernen , widersetzte sie sich .
Zuweilen , an besonderen Tagen , an schönen Sommertagen oder an christlichen Festtagen , kleideten sich die drei in Gewänder der Großeltern , die auf dem Hausboden in den Koffern lagen , und machten sich pomphafte Trachten und verwandelten das Erzählte in Dargestelltes , oder sie gingen in einfacher Verkleidung in den Wald und verlebten den Nachmittag in einer Waldblöße , um ein Feuer gelagert , und dachten sich als Zigeuner , Flüchtlinge oder was ihnen sonst einfiel .
An diesen Verkleidungen und Streifereien ließen sie ein junges Ding , eine Waise , teilnehmen , die vom Armenverband dem Hof zur Ausnutzung übergeben war .
Das war Wieten Penn .
Es war ein Leben wie in einem guten Märchen :
Das Menschenleben selbst mit seiner ganzen Fülle von Kraft und Saft und mit seiner ganzen bunten Mannigfaltigkeit war in eine Umgebung und in eine Natur hineingestellt , die für äußerliche Augen aus Rand und Band geraten schien , die aber in Wahrheit nur mit tieferen und freieren Augen angeschaut war .
In diesem Leben fand die vereinsamte Frau ein wenig Ersatz für die verlorene Mannesliebe und kam zu einem leidlichen Glück ; doch mangelte dem ganzen Treiben das innerliche Gleichgewicht , die Ruhe und die Ständigkeit , weil die Hand des Mannes fehlte .
Der schüttelte den Kopf oder spottete , und ging seine Geschäftswege und vergaß in Handel und Wandel Frau und Kinder .
Die Mutter sah nicht , daß der Knabe , der allzuviel von ihrer Natur hatte , immer tiefer in eine Welt hineingeriet , die nur im Traum vorhanden war .
Wenn er am Leben geblieben wäre , hätte er wohl noch viel von sich reden gemacht :
er hatte eine solche Erkenntnis , daß ihm das Wesen der Dinge klar war wie Glas .
Aber es fehlte ihm jeder Wille ; und es fehlte des Vaters führende Hand .
So wuchs er auf , wie man zuweilen einen jungen Birnbaum sieht , der nicht gestutzt wird : allzu schlank , allzu gertenhaft .
Die Mutter war allmählich körperlich schwach geworden :
sie war aber zu willenlos und auch zu scheu , um einen Arzt zur Hilfe zu rufen .
So brachte eine langwierige Krankheit ihr den Tod .
Damals war das Mädchen etwa sechzehn , der Knabe und Wieten Penn etwa vierzehn Jahre alt .
Von Stunde an , da die Augen der Mutter geschlossen waren , waren die drei Kinder haltlos und verwehten .
So lange die Leiche über der Erde war , saßen und standen sie rat- und tatlos umher und mieden es , den Vater anzusehen , der ihnen ein fremder Mann war .
Abends schlichen sie mit Wieten Penn auf den Boden und betrachteten die alten Kleider , die sie in den Spielen gebraucht hatten , und sprachen leise miteinander , welches Spiel das beste wäre .
Dann vergaß der Knabe den Tod der Mutter ; er erging sich mit sprühenden Augen in großen , überschwänglichen Bildern , riß die Kleider an sich und wollte damit in den Saal hinuntergehen , wo sie immer gespielt hatten , bis sie ihn anriefen , daß er leiser redete .
Als aber der Tag des Begräbnisses kam und das ganze Haus leer war - nur die Schwester des Vaters war zurückgeblieben - , wagten sich die Kinder hervor , schlichen sich in Verkleidungen in den Saal , wo vor einer halben Stunde noch der Sarg der Mutter gestanden hatte und noch Blumen und Sargkränze verstreut lagen , und spielten da mit leiser Stimme .
Da die Mutter immer so gern und so harmlos gerade an dieser Stelle mit ihnen gespielt hatte , auch in den letzten Wochen vom Tode geredet hatte , als wäre sie zu einem Gartenfest im Mai geladen , so lag es ihnen ganz fern , zu denken , sie könnten dem Andenken der Mutter mit ihrem Spiel eine Schmach antun .
Während sie da also spielten , vergaßen sie die Eile der Zeit und waren noch beim Spiel , als der Vater von der Beerdigung zurückkam .
Er war in bitterer Laune , weil der Pastor in seiner Grabrede deutlich gesagt hatte , daß die Verstorbene durch seine Verschlossenheit auf ihren einsamen und fast unheimlichen Weg gedrängt worden sei .
Auf der Diele erzählte ihm seine Schwester , wo die Kinder sich befänden und was sie trieben .
Da verlor er den Rest von Gerechtigkeit und Selbsterkenntnis und lief in blindem Zorne in den Gedanken hinein , daß diese unselige Frau ihm diese unseligen Kinder gebracht hätte .
Er trat unbeachtet an das offene Saalfenster , und sah dem Spiel der Kinder zu , und trat hinein und züchtigte den entsetzten Knaben , den er als den Haupturheber erkannt hatte , und sperrte sie alle drei in die Häckselkammer .
Von nun an hielt er die Kinder strenge .
In der richtigen Meinung , daß ihr Zusammensein zerstört werden müsse , ließ er das Mädchen unter Aufsicht der Tante den ganzen Tag im Hausstand arbeiten .
Der Knabe mußte pflügen , Kühe holen und was es sonst an Arbeit gab .
Dabei zeigte es sich , daß ihm zu dieser Arbeit jegliche natürliche Geschicklichkeit fehlte :
er faßte die Gegenstände unbeholfen an ; auch konnte er die Teile einer Arbeit nicht miteinander verbinden , stand dann verwirrt da , bis die Knechte ihm spottend die Einfachheit der Sache zeigten .
Wenn seine Seele sich auftun wollte , sich freundlichen und bunten Eindrücken öffnen wollte , kam solch eine Ungeschicklichkeit , eine praktische Not , ein unfreundlicher Spott , ein verächtlicher Hohn , und seine Seele , die in einem so hellen , leichten und luftigen Hause wohnte , machte erschrocken und tief verletzt alle Türen zu , und verhängte alle Fenster und saß und brütete im Finsteren finstere , quälige Dinge .
Wenn es den Kindern einmal gelang , etwa an einem stillen Sonntagnachmittag , zusammen nach dem Boden hinaufzugehen , kramte er gedankenvoll in den alten Sachen , nahm die bunten Mäntel und die papiernen Königskronen - die glücklicher machen und also wahrer sind als manche goldene - und die roten Schuhe mit den Schellen , besah sie lange mit verträumten Augen und legte sie still wieder hin , während ihm Tränen über die Wangen liefen .
In diesem Frühling - es war so im April , wenn der Frühling ausbrechen möchte und kann noch nicht , weil an jedem Abend kalte Nachtwinde gegen ihn losfahren und ihn zurückdrängen - , da pflügte er den ganzen Tag fern vom Dorf auf einer großen Koppel , welche , sich von oben herabsenkend , unten an ihrem Saume eine Wüstenei hatte , in der zwischen hohem Gras und allerlei niedrigem Gestrüpp alte , verlassene Mergelgruben lagen , die in der Tiefe viel Wasser hatten .
Die Leute , besonders Kinder , mieden die Gegend , welche für unheimlich galt und auch wirklich unheimlich war .
Die wüsste Erde , uneben und mit wildem , dichtem Unkraut bedeckt , dazwischen diese steilen Gruben , in denen tief unten das immer stille Wasser stand , erweckte in den Leuten das unheimliche Gefühl , als wenn die Erde hier tiefe , offene Wunden hätte , welche die Menschen ungeheilt ließen , und als hockten und lauerten in den bloßgelegten Tiefen dunkle , böse Erdkinder , die Leiden der Mutter zu rächen .
Er pflügte dort drei ganze Tage , vom Morgen bis zum Abend , indem er sein Mittagbrot morgens mitnahm und dort auf dem Felde verzehrte , und kam an jedem Abend trauriger heim .
Als die Kinder am dritten Tage Gelegenheit hatten , auf dem Boden ein Stündchen beisammen zu sein , erzählte er seinen beiden Gespielen , nachdem er lange stumm dagesessen hatte , daß er am frühen Morgen , ehe die Sonne käme , und am Abend , wenn sie hinter dem Hügel verschwände und die Mergelgruben in Schatten kämen , aus der Wüstenei heraus eine Stimme gehört hätte , wie eine Mädchenstimme oder wie die Stimme einer alten , schwachen Frau , die riefe immer : » Komme her , komme her . «
Er habe große Angst ausgestanden , so daß er sich den Schweiß von der Stirn gewischt habe , habe aber auch große Sehnsucht gehabt , hinzugehen ; Furcht und Liebe habe ihn hin und her gezogen . . .
So sagte er , stützte den Kopf in die Hand und sah sie an .
Seine Schwester schüttelte zuerst den Kopf , als sie das hörte , dann den ganzen Körper , als griffe schon eins der Ungeheuer aus den Mergelkuhlen nach ihrer Hüfte , und sah ihren Bruder ängstlich an .
Dann lachte sie laut und nannte das Ganze einen großen Unsinn .
Denn mit ihr war seit dem Tode der Mutter eine Wandlung vorgegangen .
Die tägliche Arbeit , zu der sie jetzt angehalten wurde , welche auch den Verkehr mit allerlei Menschen mit sich brachte , weckte und stärkte in ihrem Wesen das , was von ihrem Vater darin lag .
Was den ungewandteren und zarteren Bruder erschreckt und seine Seele verfinstert hatte , dem war sie nach Mädchenart neugierig , gewandt und schmiegsam nähergetreten und hatte es sich angesehen .
Sie sah , wie aus schweren , schönen Träumen erwachend , in das wirkliche Leben , wie es sie umgab , und sie hatte ihre helle , große Freude daran .
Da sie sich aber noch nicht so rasch von den bunten Träumen erholen konnte , da sie also Gewisserweise noch mit Königsmantel und roten Schellenschuhen ins wirkliche Leben hineinging , schritt sie nicht hinein , sondern taumelte hinein , noch schlaftrunken , und taumelte um so mehr , als sie von der Leidenschaftlichkeit der Mutter ein gut Teil geerbt hatte .
Sie hatte auch deren junge , braune Augen bekommen , die immer feucht glänzten .
Also taumelnd aber hatte sie Glück .
Sie traf auf einen jungen Mann aus dem Dorfe , den Sohn eines Handwerkers , der zur Erholung in der Heimat war , nachdem er als jüngster Steuermann auf einem Frachtdampfer seine erste große Fahrt gemacht hatte , auf der er erkrankt war .
Das junge , frische Blut , das sich eines Tages auf einsamem Feldweg sah und ein paar törichte Worte miteinander sprach , hatte sich so ineinander versehen und verliebt , daß die übrige ganze Welt für sie im Nebel lag .
Darum mußte sie herzlich lachen , als sie aus jener unwirklichen Welt der Phantasie diese Stimme des Bruders hörte .
Sie ging auch bald danach aus der Kammer in die Tiefe des Apfelgartens , wo hinter den dichten Schlehen der Steuermann stand .
Die andere Gespielin aber , die kleine Wieten Penn , horchte mit heißen Wangen und offenem Munde auf diesen Bericht , nach welchem die geheimen Mächte , die bisher immer stumm und mit geschlossenen Augen fern im Nebel gestanden hatten , nun zum erstenmal Stimme und Augenwinken gaben .
Dazu hatte sie den Knaben herzlich lieb , weil er so gut und klug war und so seltsam spiegelnde Augen hatte , und hatte hart getrauert , daß sie in den letzten Wochen so selten mit ihm hatte sprechen können , und hatte schon einmal in der Nacht herzklopfend an seiner Kammertür gestanden , und hatte ein wenig mit ihm plaudern und spielen wollen .
Nun war sie froh , unbewußt , daß seine Schwester fortgegangen war und daß sie eine gemeinsame , geheime Sache mit ihm hatte .
Sie klagte , daß er so blaß aussähe und so traurig wäre , und fing an , ihm mit scheuer Hand die Wange zu streicheln , und zuletzt küßte sie ihn .
Und das gefiel ihm über die Maßen .
Denn obwohl in den Stücken , die sie gespielt hatten , so oft von Küssen die Rede gewesen , hatte er es doch nie erlebt .
Nun probierten sie es in kindlicher Weise , ob es so oder so besser ginge , und wurden eifrig und lachten und waren wie die Engel im Himmel .
Und fast hätte das zutrauliche Kind mit seinen jungen , roten Lippen ihn da auf der Stelle gesund geküßt ; aber er hatte zu viel von der Schwäche seiner Mutter .
Er fiel wieder in seine bange Verstörtheit zurück , zitterte und zagte und fragte :
» Was soll ich tun ?
Soll ich hingehen , wenn es wieder ruft ? «
Da versprach sie ihm , sie wolle morgen früh von der Kuhkoppel her , wo sie zu melken hatte , zu ihm hinüberlaufen .
An demselben Abend bat er seinen Vater mit herzbewegenden Worten , er möchte die Arbeit auf jener Koppel einem anderen geben , redete aber von der Ursache dieser seiner Bitte nicht .
Der Vater sah wohl die Angst des Knaben , wollte ihn aber mit Härte in das Joch der sogenannten » Lebensarbeit « spannen , wurde auch durch die Bitte an alte Schuld erinnert und versagte ihm seine Bitte mit höhnischem , stummem Kopfschütteln .
Und so geschah das Unglück .
Es war ein kalter , rauher , dunkler Frühlingsmorgen .
Breite Nebel lagen noch wie große , faule Tiere , dumm und stumm , in den Senkungen der Felder .
Dennoch lag etwas über dem Land wie erstes Regen , als wartete viel junges , schlafendes Leben auf ein leises , klares Schöpfungswort .
Westwind wehte ruhig und gleichmäßig vom Meere her als Lied vor dem Schauspiel , das kommen sollte .
Aber doch war die Nacht noch Königin , und ihre Grauen noch Fürsten , und begehrten , noch dunkle Taten zu tun , ehe das Reich verloren ging .
Da kam das Kind von der Kuhkoppel her schräg übers Feld auf ihn zugelaufen .
Er pflügte gerade bergunter , so daß er sie nicht sah .
Er ging unruhig hinter den Pferden , neigte den Kopf , als wenn er horchte , nickte mit dem Kopf , schüttelte ihn dann wieder und ballte die Hände , wobei er den Pflug losließ .
Sie meinte , er redete mit den Pferden , nach Pflügerweise , und kam ihm laufend näher .
Aber plötzlich hob er beide Hände und rief laut :
» Ich komme , « und lief seitwärts des Pfluges und der Pferde und rief : » Ich komme !
ich komme ! « und war in einigen Sprüngen im Gestrüpp .
Sie sah undeutlich in der Dämmerung , wie er stürzte und verschwand .
Da verlor sie die Besinnung ; im Vorwärtslaufen fiel sie .
Die Sonne ging auf .
Eine Stunde später kam das Großmädchen , das Kind zu suchen , auf die Koppel , da sie dachte , sie wäre zu dem Pflüger gelaufen und verplaudere nach Kinderweise die Zeit , und fand das Gespann stillstehend , ohne Führer , und das Kind auf dem Leibe ausgestreckt , nicht weit hinterm Pflug , im frisch gepflügten Lande liegend , die Hände vor sich in die Erde gekrallt , als wollte sie sich halten .
Sie wurde wieder zur Besinnung gebracht und erzählte zitternd und zuletzt laut weinend , was sie gesehen hatte .
Nachher lag sie Tag und Nacht im Fieber .
Gegen Mittag fand man den Knaben in einer der Gruben ertrunken . "
Der Weißkopf griff nach seiner Pfeife und streckte die Hand nach Thieß aus , ohne ein Wort zu sagen .
Der verstand ihn , rieb ein Zündholz an und gab es ihm .
" Was soll ich lang und breit erzählen ?
Der Vater kam spät abends nach Haus und fand den Knaben im Saal auf zwei Brettern liegen .
Er beugte sich vor und sah ihn groß an , und wurde immer steiler und stand zuletzt gerade auf .
Als die Nachbarn ihm am Begräbnistage ihr Mitleid aussprechen wollten , sagte er :
» Warum ?
Meine Frau und ihr Sohn waren zwei unbrauchbare Sonntagsmenschen .
Sie sind im stillen , tatenlosen Grabe an dem Platze , wo sie hingehören . «
Acht Tage später erfuhr er das Liebesverhältnis , das seine Tochter hatte .
Er forderte kurz und hart , daß sie von ihrem Geliebten lassen sollte .
Sie war aber ein Hartkopf wie er und sagte ihm , sie wolle glücklicher werden als ihre arme Mutter , sie wolle von ihrem Steuermann nicht lassen .
Da jagte er sie vom Hofe .
Von da an ging es rasch mit ihm bergab .
Acht böse Wochen lang ist Wieten Penn , das unerfahrene Kind , noch allein bei ihm gewesen .
Er hat sie nicht angesehen und kein Wort mit ihr geredet .
Zuerst war er noch viel unterwegs und versuchte , in alter Weise zu kaufen und zu handeln .
Aber weil er neben dem Handel Zustimmung zu seinen harten und finsteren Gedanken suchte , zogen sich seine alten , guten Geschäftsfreunde von ihm zurück .
Stadt ihrer kamen unlautere Menschen , drängten sich an ihn heran , stimmten ihm laut zu und führten ihn tiefer in Trotz und Dunkel .
Zuletzt sah er sich vom Bösen umstrickt wie von einer Schlange ; aber Blutschuld und Trotz hinderten ihn , daß er die Stricke zerriß .
Als es ihm immer deutlicher wurde , daß sein Streit ein Streit gegen das Ewige war , gegen das , was allem zu Grunde liegt , und daß dieser Streit vergeblich war , weil er unmenschlich ist :
da ekelte und graute es ihn vor sich selber .
Das arme Kind hat dann noch vier Tage und vier Nächte allein mit ihm gehaust .
Mit bitterer Angst hat sie sein ruheloses Wandern angesehen und seine verzweifelten Selbstgespräche angehört .
Am fünften Morgen hat sie ihn tot gefunden .
Siehst du , Jörn , das ist die Jugend von Wieten Penn , die jetzt am Bett deines Vaters sitzt .
Sie kam in die Marsch herunter und wurde hier auf der Uhl Jungmädchen .
Durch all das Schreckliche , das sie erlebt hatte , war ihre Jugend wie eine Blüte abgebrochen ; sie hatte Erscheinungen und sogenannte Vorwarnungen , war verwirrt und verdüstert .
Unverständige Menschen gaben ihr den Namen Wieten Clog und taten das Ihre , daß sie sich in sich selbst einschloß .
Aber deine Mutter , Jörn , die freundlich und zutraulich war , hielt die Hand über ihr und half ihr wieder zurecht ; doch ist sie sonderlich ernst geblieben , und oft ist sie bedrückt .
Sie ist kein Umgang für einen Menschen wie du , Jörn , der dasselbe schwere Blut hat wie sie ; du brauchst , zumal jetzt , da du eine schwere Sache anfaßt , einen guten , jungen Kameraden . " * * * Als der Weißkopf seine Geschichte also beendet hatte , griff er nach seinem Stock und sagte , er wolle gehen .
Er ließ anspannen und fuhr mit Thieß Thiessen in die Stadt .
Jörn Uhl ging an seines Vaters Krankenbett und löste Wieten Penn ab .
Als sie aus der Stube hinausging , sah er ihr mit einem langen Blick nach .
Er verbrachte die Nacht in dem großen Lehnstuhl , in dem seine Mutter an Winterabenden gesessen hatte , und wachte über den unruhigen Schlaf seines Vaters .
Und wie er so saß und grübelte , wanderten seine Gedanken nach zwei Richtungen .
Bald sann er nach , wie er nun diesen oder jenen Teil der Wirtschaft einrichten wollte , und wie sich nun wohl die ganze Zukunft gestalten würde : bald aber war er mitten in den wunderbaren , erschütternden Begebenheiten , die der Weißkopf erzählt hatte .
Und allmählich , wie das Dunkel der Nacht vorrückte und die Mitternachtsstunde kam - in den Pappeln wühlte und rauschte der Westwind und warf schweren Sprühregen schräg gegen die Fenster , der Kranke starrte mit ausdruckslosen Augen nach oben , Jörn Uhl dachte an das Urteil des Arztes :
" Er kann lange so hinleben ; aber die Herrschaft über seinen Körper wird er nicht wieder bekommen " - : da kam zum erstenmal in Jörn Uhls Seele das Gefühl der Unzulänglichkeit der Menschenkraft , das Gefühl der Bedürftigkeit , das Gefühl : Wohin , meine Seele , in deiner schrecklich großen Einsamkeit und Verlassenheit .
Und nun war es doch gut , daß er in der Schule von dem » Vater im Himmel « gehört hatte ; sonst hätte er sich in dieser Stunde vor den übergewaltigen , dunklen Gestalten , die feindlich rings um ihn standen in der Nacht , allzusehr gefürchtet , ja er hätte sie vielleicht angebetet .
Aber nun lief er in bangem Vertrauen zu den unsichtbaren , starken , segnenden Mächten , die im Evangelium sind .
Und das war ein gewaltiger Schritt , den der bisher immer noch so sichere Jörn Uhl da machte .
Denn nur dem Demütigen gibt Gott Gnade , wie ein kluger Mann richtig gesagt hat .
Nur denen , die tief forschen , viel und ernst fragen , nur denen , die bewundern , staunen und demütig verehren :
nur denen öffnen sich die Pforten zu einem ganzen , weiten Menschendasein .
Zu den Weiten und Tiefen des Menschendaseins , den wunderbaren , schönen , gelangen nur die Nichtwissenden .
Achtzehntes Kapitel Es ist auf keinem Hofe in der Marsch so gearbeitet worden , wie in diesem Sommer und Herbst auf der Uhl .
Wenn der Nachtwächter morgens um vier seine letzte Runde machte und am sogenannten Westereck stehen blieb und pflichtgemäß nach der Uhl hin dreimal ins Kuhhorn blies , dann sah er die langen Ställe schon erleuchtet und sah auf dem Herde die Flammen lodern .
Es war ein scharfes Regiment .
Der junge Bauer hatte nur in jener Nacht gebetet ; jetzt war er beim Arbeiten .
Seine Nase trat bedeutend hervor , und seine Augen flogen mit scharfen Blicken aus ihren Tiefen .
Er wurde etwas länger und hagerer und sein Wesen herrisch .
Der Name » Landvogt « , der sieben Jahre lang vergessen gewesen , kam wieder auf .
Das ging nicht ab ohne Anstoß und bittere Worte .
Jochen Ebel , in der Gegend als " Hm "-Ebel bekannt , der dreißig Jahre lang in den Wassergräben der Uhl gestanden hatte , kam abends mißmutig in die Leutestube , wo Jörn Uhl einen Knecht ablohnte , der nicht gehorchen wollte , und sagte : " Das ist nicht mehr menschlich , nicht mehr menschlich , was der Bauer verlangt .
Ich habe allerlei erlebt ; ich bin Anno fünfzig in Rendsburg mit dem Arsenal in die Luft geflogen und bin glücklich wieder heruntergekommen , hm ja , das bin ich . "
" Was ist denn ? " fragte Jörn Uhl und tat , als wenn er staunte .
Er fürchtete aber schon lange , daß es so kommen würde .
" Wenn der Bauer . . . wenn der Bauer in drei Tagen reich werden will , kann er ja ! kann er ja !
Ich aber lasse mir die Haut darum nicht abziehen . "
Er wischte an der Schneide seines Spatens , ging fort und kam am anderen Tage nicht wieder .
Stadt dessen kam seine zehnjährige Tochter .
Sie meinte , sie müßte in der großen , stattlichen Vordiele , in der ein feierliches Halbdunkel lag und jeder Ton sich großprahlerisch dehnte , hochdeutsch reden und bestellte :
" Ich soll von meinem Vater grüßen ; er ist flöten gegangen und kommt nicht wieder .
Er ist mit Krischan Lühr seine Ochsen zusammen nach Husum . "
Damit drückte sie sich aus der Tür .
Es war ein großer Augenblick im Leben des Tagelöhnerkindes , daß es auf dieser großen Diele mit den weißen und schwarzen Marmorfliesen und den hohen , geschnitzten Schränken so große Worte sagen durfte .
Sie hörte noch jahrelang den Ton ihrer Stimme , den die Wände so großartig zurückgaben .
Jetzt ist sie die glückliche Frau eines gutmütigen Mannes und könnte gern ein lautes Wort wagen .
Aber sie ist fast leise mit ihrer Stimme , als fürchtete sie noch immer den Widerhall , den sie auf der Diele der Uhl hörte , und der sie so erschreckte .
Als ihr Mann sie aber einmal fragte , woher ihr stilles Wesen käme und ihr leises Reden , ob das noch von der Diele der Uhl herkäme , besann sie sich eine Weile und sagte : " Nein .
Das kommt davon , daß ich später , als Vater zwei Jahre lang krank war , zwei Winter hindurch habe betteln gehen müssen .
Da habe ich auf den Bauerndielen ganz leise meine Bitte hergesagt ! "
Als sie das gesagt hatte , warf sie sich in ihres Mannes Arme und lachte .
Die beiden Knechte konnten es nicht lassen , dem starken Antreiben des Bauern ein ebenso starkes Beharrungsvermögen entgegen zu setzen , und es gab bittere Worte .
" Wenn ihr bis Mittag glücklich einmal herumgepflügt habt , dann meint ihr , ihr habt euer Mittagessen verdient . "
Da antwortete der Großknecht :
" Und wenn es nach Ihnen ginge , hätten wir uns kurz vor Mittag totgearbeitet und brauchten überhaupt kein Essen . "
Da konnte der Junge , der auf dem Handpferd saß , das Lachen nicht lassen .
Aber der lange Bauer tat zwei große , ruhige Schritte und langte nach ihm hinauf , daß sein Ohr den ganzen Tag rot war .
Aber als der Landvogt weg war , lachte er doch wieder , die Schelmenaugen voll Tränen .
In der Küche wollte es auch nicht gehen .
Wieten mußte fast den ganzen Tag neben dem Bette des Kranken sein , der sonst unruhig wurde und wie ein Kind schrie .
Da wollten die in der Küche Lena Tarn nicht gehorchen .
Da besprach er die Sache mit Wieten und wurde mit ihr einig , daß sie ganz und gar , Tag und Nacht , für den Vater da sein , dabei nähen , stricken und flicken sollte ; Lena Tarn aber sollte in Küche und Kuhwirtschaft Herrin sein , doch so , daß sie in wichtigen Fällen zu Wieten in die Stube käme und Rat holte .
" Mache ' das so , Jörn ! " sagte Wieten .
" Mir ist es lieb , wenn ich die Last los bin ; ich bin nun sechzig . "
Also ging Jörn Uhl mit strengem , hochmütigem Gesicht in die Küche , mit vorgeschobener Unterlippe , und setzte den versammelten Schürzen in kurzer Rede die Lage der Dinge auseinander .
Lena Tarn , die mit aufgekrempelten , weißen Armen am Aufwasch stand , nickte kurz zustimmend mit dem rotblonden Kopf , ohne von der Arbeit aufzuhalten oder sich gar nach dem bedächtigen Redner umzusehen .
Das zweite Mädchen aber flog wie ein Pfeil aus der Küche , ballerte die Tür hinter sich zu und verließ am selben Nachmittag den Hof .
So kam der Winter .
Jörn Uhl ging langbeinig und schwerfüßig über seine Felder und durchdachte einen Plan , einen Teil des Hofes zu trainieren und diese Arbeit selbst auszuführen und damit jährlich viel Tagelohn zu sparen .
Er Maß wie ein vereidigter Feldmesser Längen und Neigungswinkel und saß in seiner Kammer und zeichnete eine Karte des ganzen Hofes , der jetzt ihm gehörte .
Es kam das Frühjahr .
Der Maitag brachte neue Leute auf den Hof , die weder die Standeserhöhung des Bauern , noch das Emporsteigen Lena Tarns erlebt hatten .
Von da an ging es besser : des Bauern Stimme schalte sicherer und voller über die Hofstelle .
Und er konnte zu Wieten Penn gehen , die am Fenster saß und über die Brille weg auf den Hof sah , und konnte zu ihr sagen : " Es geht gut mit der Lena .
Es ist Zug in der Sache .
Du kannst ganz ruhig sein . "
Dann kam der Morgen des zehnten Mai .
Die Sonne stand weißstrahlend am blauen , tiefen Himmel .
Ihr Schein vermischte sich mit der aufsteigenden Feuchtigkeit der Erde zu leichtem , lichtdurchglänztem Nebel .
In der Ferne an den Meerdeichen stand der Nebel als bläulich weißer Dunst .
Der alte Dreier , den Handstock bei jedem Schritt fest und vorsichtig auf die Erde stoßend , schlich am Hof vorüber .
" Jörn , " sagte er , " einundzwanzigmal habe ich am zehnten Mai das Vieh auf die Weide gebracht . "
Da wartete Jörn , bis der Alte in der Ferne verschwunden war , dann rief er in die Diele , daß es schallte :
" Wir wollen ausjagen !
Und die Frauensleute sollen helfen . "
Darauf wurden zuerst vierzig Ochsen , zwei- und dreijährige , starke Tiere , einer nach dem anderen , an die Tür geführt und losgelassen .
Sie nahmen die Hofstelle im Sturm und füllten sie , wie Kinder den Schulplatz , mit Laufen und lautem Rufen .
Aber mit fünf Mann wurden sie ihrer Herr .
Allzugewaltig schallte Jörn Uhls Stimme und allzulang und sicher reichte der Hieb seiner großen Peitsche .
Er stand oben auf der Höhe , vor dem großen Scheunentor , und zeigte die Richtung .
Als sie endlich aus der Hofstelle heraus und auf den Deichweg gebracht waren , zogen die beiden Tagelöhner mit ihnen ab .
Man atmete auf .
Mit zehn Pferden , die danach ausgelassen wurden , zog der Großknecht und der kleinste der Jungen davon ; zwei Fohlen trabten zierlich hinterdrein .
Aber die Allerletzte des ganzen Zuges war die alte Stute , die vor zwanzig Jahren als nachträgliches Erbstück der Mutter vom Heeshof herübergekommen war ; denn eine Stute war der Hessetochter zugesprochen worden , dazu ihre Nachkommen bis ins vierte Glied .
Sie bekam auf dem Hofe das Gnadenbrot .
Darauf kamen die Kühe , acht an der Zahl , große , rotbunte Marschkühe .
Gleich hinter dem Hause auf der Urweide , auf der niemals ein Pflugeisen geblinkt hatte , hatten sie ihre Nahrung , damit sie den melkenden Frauen näher zur Hand wären .
Die Frauen führten sie .
Als der Junge eine davon anfassen wollte und seine Sache geschickt genug machte , fand er doch keine Gnade ; der Strick wurde ihm aus der Hand gerissen , und er bekam das Zeugnis , daß er ein Taps wäre .
So zogen die Frauen , Lena Tarn in stattlicher Größe voran , die Wurte hinunter .
Wenn die Sonne einen Weg durch die Pappelzweige fand , war ihr Haar so voll Feuer wie das glänzende Haar der Rotbunten .
Aber da gab es eine Unterbrechung .
Der große , dreijährige Stier hatte sich losgemacht , da es ihm in dem leerwerdenden Stall zu langweilig wurde .
Er stand plötzlich in der Stalltür und kam gemächlich auf die Frauen und die Kühe zu .
Da war es gut , daß Lena Tarn , die immer an alles dachte , den dreibeinigen Milchbock von festem Holz in der Hand hatte , um ihn am Heck der Weide niederzulegen .
Sie stellte sich ihm mit funkelnden Augen entgegen und sagte : " Stehe , du Lump ; " denn sie war nicht seine Freundin .
Und sie schwang das hölzerne Dreibein .
Aber der Rote kam ruhig näher , nichts als Sicherheit , Kraft und Trotz .
Da warf sie einen raschen , zornsprühenden Blick auf die Mannschaften , die mit ihren Peitschen oben am Scheunentor standen :
" Was steht ihr da , ihr Tapse ? "
hob den Schemel und schmetterte ihn dem Roten vor den Schädel .
Das erschreckte ihn so , daß er sich abseits begab , wo er in die Hände der Männer fiel .
Lena Tarn aber hatte den ganzen Nachmittag eine auf- und absteigende Röte in den Wangen , weil der Bauer sie mit Augen wie ein junger , übermütiger Mann angesehen hatte .
Das machte ihr heimlich Freude und Sorge .
Zuletzt kamen die Kälber , mehr als zwanzig .
Sie benahmen sich schlimmer als Schulkinder ; und das will ' was sagen .
Sechs , die im Stall geboren waren und nicht wußten , was Wasser , Luft oder Erde war , versuchten zuerst zu fliegen , indem sie sehr hohe Sprünge machten , mit allen Vieren hoch , und standen starr und steifbeinig vor Erstaunen , daß sie wieder auf die Erde kamen .
Sie konnten sich von ihrem Erstaunen nicht erholen und waren nicht von der Stelle zu bringen .
Danach entdeckten zwei von ihnen den Burggraben und sprangen mit mächtigem Satz hinein .
Der Junge , der sie am Strick hatte , bekam nicht genug Zeit , zu überlegen , ob er gemeinschaftlich alles mit ihnen erleben oder ob er seine Sache von der ihren trennen sollte :
er machte den letzten Sprung mit .
Nun standen die drei bis an den Hals im dunklen Wasser , alle drei starr vor Erstaunen , und rührten sich nicht .
Da wurde der Bauer böse .
Er schalt » den Lümmel von Jungen « , der von » Tuten und Blasen nichts wüßte « , stellte die Peitsche an die Wand und kam in langen Schritten von seiner Höhe herunter und mischte sich unter die Menschen und Tiere .
Es war auch Zeit , daß dem Hallo ein Ende gemacht wurde ; denn die Mädchen an der Stalltür schrien und lachten , und Lena Tarn stand mit spöttischem Gesicht und zusammengekniffenen Augen am Hector .
Also faßte er auf halber Höhe den größten Übeltäter , der gerade seinen Verwunderungsaugenblick hatte und dumm um sich glotzte , am Strick , und wollte mit ihm abgehen .
Der aber bekam gerade in diesem Augenblick einen Gedanken , einen Einfall oder so etwas und sauste mit dem langbeinigen Jörn Uhl die schräge Hauswurte hinunter .
Die Mütze flog , die Erde bebte , die Küche kreischte : ein kühner Sprung , Wasser spritzte hoch auf .
Nun standen da fünf im Wasser und hatten alle fünf ihren Verwunderungsaugenblick .
Endlich kam doch alles in Ordnung .
" Weil wir zuletzt Hand anlegten , " sagten die Mädchen .
Es wurde still auf dem Hofe .
Lena Tarn ging wieder in die Küche und sah immer das Gesicht , das Jörn Uhl gemacht hatte , als sie gegen den Stier anging .
Sie war sonst immer in der besten Laune ; aber wenn sie , wie in den letzten Tagen , körperlich nicht ganz wohl war , hatte sie Neigung zum Zorn .
Also machte sie ein finsteres Gesicht , so gut und so lange sie es konnte .
Bald aber , wie sie noch so da stand und arbeitend hin und her ging und fühlte , daß neue , frische Gesundheit ihr durch die Glieder strömte , änderte sich ihr Gesicht .
Sie ging eilig in ihre Kammer , schloß sie ab und kam dann wieder .
Und nun waren ihre Augen schon strahlend , sie plierte ein wenig gegen die Sonne , warf die Lippen auf , lächelte gedankenvoll bei sich selbst , und dann , der Wasserfahrt des Bauern gedenkend , lachte sie hell auf , und hob an zu singen .
Jörn Uhl kam an diesem Tage auch nicht zur Ruhe .
Die scharfe Fahrt ins Wasser hinein hatte sein Blut in Wallung gebracht ; die Frühlingssonne tat das Ihre .
Es wehte einen wie junge Lebenskraft an und zwang , hoch auf zu atmen , und in die bunte Welt zu sehen , und den Kopf in den Nacken zu legen und die Lerche zu suchen , die oben am Himmel stand und sich vor Freude nicht lassen konnte .
Es kam etwas Feiertägiges über ihn , und er kam auf den Gedanken , ins Dorf zu gehen und heute die Steuern zu zahlen , die fällig waren .
Er zog also den Sonntagsrock an und ging langsam den Feldweg entlang , besah den jungen Weizen , der schon einen kräftigen Schuß getan hatte , und dachte indes auch an Lena Tarn .
" Ihr Haar ist ihr auf den Kopf gestülpt wie ein Helm von rotem Messing , der in den Nacken gerutscht ist .
Ganz wie der Helm dem französischen Kürassier im Nacken saß , der am Abend von Gravelotte mit der Strohbinde um den Schenkel auf dem Baumstumpf saß . . .
Wenn sie » schafft « , wie sie sagt , sind ihre Augen streng und eifrig auf die Arbeit gerichtet .
Wenn sie aber angeredet wird und mit jemandem spricht , lacht sie gleich .
Die Arbeit scheint ihr das einzige Gebiet , wo ruhiger Ernst am Platze ist .
» Das muß sein « , sagte sie .
Aber gegenüber allen anderen Dingen ist sie zorniger oder guter Laune , meist guter .
Bloß gegen mich ist sie immer kurz und manchmal grollig .
Daß ich das Pech hatte und mit dem unklugen Biest zu Wasser mußte , das hat ihr mächtig Spaß gemacht .
Wenn sie bloß dürfte , so würde sie mir das dreimal täglich aufs Butterbrot schmieren und sagen : » Da hast du_es . « "
Als er noch so ging , begegnete er dem alten Dreier , der nie auf der breiten Dorfstraße ging , sondern , da er mit ganzer Seele an der Landwirtschaft hing , bis an seine letzten Lebenstage die stillen , grünen Graswege beging , an deren beiden Seiten das Ackerland ihm nahe und seine Frucht seinen alten Augen sichtbar war .
Die frische Jugend mäßigte ihren Schritt und ging neben dem bedächtigen Alter und hörte , wie schon so oft , gute Ratschläge , die mit Geschichten aus der Väterzeit und mit eigenen Erfahrungen erhärtet wurden .
" Vor allem , Jörn !
Wie alt bist du ?
Vierundzwanzig ?
Ja nicht heiraten , Jörn !
Auf keinen Fall !
Das wäre jetzt das Dümmste , was du tun könntest !
Jedes Lebensalter hat seine separate Dummheit , Jörn ; die deine wäre heiraten .
Ich habe bis in die Dreißig gewartet und dann vorsichtig gewählt .
Sie brachte sechstausend Mark mit , Jörn ; das war für die damalige Zeit viel .
Unter fünfzigtausend darfst du es nicht tun !
Laß dir Zeit , sage ich dir . "
" Das ist selbstverständlich , " sagte Jörn , " daß ich wenigstens noch zehn Jahre warte .
Wieten ist noch gesund und munter und kann noch lange nach dem Rechten sehen . "
An der Wegbiegung nahm er von dem Alten Abschied und ging rasch weiter und dachte : " Der Alte ist doch stumpf geworden ; das ist mir heute besonders aufgefallen . . . Schöne , weiche Luft heute .
Es ist doch schöner , so allein zu gehen und seine Gedanken laufen zu lassen , hin und her , wie heute morgen die Kälber liefen , statt neben dem Alten zu gehen und Lebensweisheit zu hören .
Ich weiß nun auch schon selbst , was klug ist .
Ich habe nicht gedankenlos in den Tag hineingelebt wie meine Brüder .
Heiraten ?
Jetzt heiraten ?
Ich werde mich hüten .
Nach dreißig ! "
Er zog seinen Rock aus und hing ihn über den Arm .
Seine weißen Hemdsärmel glänzten wie die des gerechten Sohnes , als er vom Felde kam und hörte das Gesänge und den Reigen .
" Sie sah gut aus , als sie dem Roten den Schemel gab .
Wie wenn ein dreijähriges Pferd sich aufbäumt .
Gestern sah sie nicht so gut aus , hatte nicht so blanke Augen , fuhr Wieten an und sagte nachher zu ihr : » Nimm es nicht übel , Wieten :
ich habe schlecht geschlafen , « und lachte .
Merkwürdige Krabben : schlecht geschlafen ?
Wenn man sich den ganzen Tag so tummelt , wie sie es tun muß , soll man doch liegen wie ein Pfahl ; aber das liegt ja wohl an den Maitagen .
Es ist nur gut , daß die Männer verständig bleiben , sonst ginge in jedem Frühjahr die Welt aus dem Leim .
" Merkwürdige Luft !
Als wenn man sie trinkt .
Und sie schmeckt gut .
Es ist doch gut so , daß ich heil aus dem Kriege gekommen bin , und daß ich noch jung bin und kann an dem großen Hofe zeigen , was an mir ist .
Nachher , wenn die Jahre vergehen - und die vergehen rasch - und ich fest im Sattel sitze , nehme ich mir eine schmucke Frau mit Geld und gelbem Haar .
Es gibt auch reiche Mädchen , die so lustig sind und frisch , und so zugreifen , und einen so stattlichen Leib haben .
Es schießen immer neue Mädchen auf , in jedem Jahre , dicht wie neues Gras .
Gott mag wissen , wo sie alle herkommen .
Es muß nicht gerade diese sein . "
Er zog den Rock wieder an und kam unter die Dorflinden ; und der schwerhörige Kirchspielschreiber stand vor seiner Tür , in schlechter Stimmung .
Denn im Laufe des Tages waren nicht weniger als sechs Geburten angemeldet worden , und jeder Anmeldende hatte eine Stunde lang in der Amtsstube auf dem bequemen Armstuhl gesessen und hatte vom Laufe des Dorfes und der Welt , vom Nachbar und vom Lehrer , und zuletzt noch ein ziemliches Stück von sich selbst geredet .
Und der Kirchspielschreiber hatte dabei gesessen und hatte gedacht :
" Du könntest auch ' was Besseres tun , mein Freund , als immer neue Kinder in die Welt setzen und mir jedes Jahr mit der Schreiberei zur Last fallen .
Du solltest man hingehen und pflügen . "
" Uhl , " sagte er , " man sollte denken , daß der Krieg darin einen Eindruck gemacht hätte .
Aber mit nichten .
Das Gegenteil .
Vier aus unserem Kirchspiel sind in Frankreich gefallen .
Was sagt das ?
Heute sechs Taufen angemeldet !
Und bei Jens Tappe , dem bei Le Man_es der Arm kaputt geschossen ist , ist schon wieder ' was unterwegs .
Wir werden in diesem Jahre nicht mehr als fünfzig Todesfälle haben , Jörn , aber über hundert Geburten .
Wo soll endlich die Nahrung herkommen ?
Weißt du das ?
Das Land wird nicht größer , und jede Kuh braucht sechs Scheffel .
Viel zu viel Publikum !
. . . Komme herein , Jörn . "
So redete er und zählte mit zwinkernden Augen die Goldstücke , die Jörn Uhl auf den Tisch legte , drehte jedes Stück zweimal um und trug den Posten sorgfältig ein .
Jörn Uhl , als verständiger Mann , als Besitzer eines großen Hofes und Steuerzahler , gab dem Kirchspielschreiber vollständig recht und beredete dies alles mit ihm .
" Wohin soll das laufen , wenn das Volk so zunimmt ? "
Und er sagte zuletzt laut :
" Das Heiraten vor fünfundzwanzig muß einfach verboten werden . "
Mit diesen Worten ging er davon , voll von dem stolzen Bewußtsein , daß er mit einem so verständigen , erfahrenen alten Mann , wie dem Kirchspielschreiber , gleicher Meinung in so hohen Dingen war .
Und wieder , wie er den Feldweg entlang ging , den Rock überm Arm , leuchteten die weißen Hemdärmel .
Als er auf die Hofstelle einbog , sah er auf der weißen Holzbank zwischen den Linden , seitwärts der Haustür , einen Mann sitzen , wie einen Tagelöhner im Sonntagsrock .
Er war wohl sechzig Jahre alt und hatte um das breite Gesicht einen grauen Vollbart , dazu dichtes , graues Haar , das dick um die ganze Stirn lag , und war bei all seiner breiten Gutmütigkeit ein Löwe in grauer Mähne .
Er hatte beide Hände auf den Eichenstock gelegt und war wegemüde .
Lena Tarn stand neben ihm mit einem auffallend ernsten Gesicht , zeigte auf Jörn Uhl und sagte : " Da kommt der Bauer . "
Der Alte stand vor dem Bauern auf und gab ihm die Hand , und setzte sich wieder und fing nach der Gewohnheit der Gegend vom Wetter und vom Felde an .
Lena Tarn brachte stillschweigend den Kaffee , setzte sich ihnen gegenüber und fuhr fort , den französischen Soldatenmantel zu flicken , den Jörn Uhl mitgebracht hatte .
" Ich komme wegen einer Sache . . . , " sagte der Alte .
" Meine Frau läßt mir keine Ruhe .
Du hast doch bei der dritten Reitenden gestanden , Hauptmann Gleise ?
Na , da stand doch auch Geert Dose , der nach seiner Soldatenzeit bei dir diente ?
Ist es nicht so ?
Na , siehst du , das ist mein Sohn . . . Was nun seine Mutter ist . . . "
" Er war einer der Ersten , der verwundet wurde . "
" Nun läßt Mutter mir keine Ruhe :
sie fragt jeden Abend , wo er wohl den Schuß bekommen hat , und wie es dann ist . . . ich meine , ob so einer sich lange quälen muß .
Sie meint neun Tage .
Es ist ja jung , gesundes Blut und das Sterben wohl sauer genug .
Und ob er wohl noch ' was gesagt hat . "
" Ja . . . "
Der Alte war ein wenig kleiner geworden und sah mit großen , stillen Augen über seine Hände weg in den Sand .
" Wenn du mir das erzählen willst , wie es in Wahrheit gewesen ist .
Man erzählt sich , daß du zuletzt bei ihm gewesen bist .
Dann kann ich ihr nachher sagen , was sie vertragen kann . "
Da erzählte Jörn Uhl bedächtig von Geert Dose Wunde , Heimweh und Tod , und verschwieg nichts .
Lena Tarn hatte in ihrem Leben noch nichts weiter gesehen und gehört , als was innerhalb des Dorfes geschah , hatte sich auch um andere Dinge nicht gekümmert .
Bei dem Wort " Krieg " hatte sie ein großes , sehr buntes und feuriges Bild vor sich gesehen : oben helle , runde Wolken , unten brennende Häuser , dazwischen laufende und reitende Menschenhaufen , der Feldherr voll Orden , Hurrarufen , Helmschwingen , Wachtfeuer , " Nun danket Alle Gott " .
So hatte es im Lesebuch der Schule gestanden .
Von dem grausamen Jammer und der himmelschreienden Qual des einzelnen Soldaten hatte sie nichts gewußt .
Sie hörte zu , das Gesicht in Schmerz zusammengezogen .
In der Tiefe ihrer Seele aber zuckte und lachte heimlich die Freude : daß du heil zurückgekommen bist , Jörn Uhl .
Der Alte sagte nicht viel mehr .
Er stand bald auf und ging still davon .
Bis zum Ende der Allee gab der Bauer ihm das Geleit .
Er hat diese Ehre sonst niemandem angetan , weder vorher , noch nachher .
Lange stand er und sah ihm nach , wie er so steif und schwer dahin ging , einen rechten Tagelöhnergang .
Vier Stunden hatte er zu gehen .
Ein schwerer Gang und ein schweres Ankommen .
Durch den Baumgang zurückgehend , kam ihm das Behagen des Tages wieder .
Durch die schwankenden , frühlingsgrünen Blätter sah er den sonnenhellen Platz , dahinter das lange , breit ruhende Haus :
Lang und hoch das dunkle , graue Strohdach , im roten Mauerwerk im grünen Rahmen die blinkenden Fenster , an der Haustür breit gewachsen echter Wein , vor dem Weinlaub die weiße Bank mit dem Tisch davor , und auf der weißen Bank Lena Tarn mit der stolzen , kriegsbereiten Haltung und all ihrer frischen , vollen Jugendblüte .
Da flog ihm ein Wort in den Sinn , das er während des Feldzugs einmal in einer Zeitung gelesen hatte , die sich zur Batterie verirrt hatte .
Da war in einem Weihnachtsartikel von dem kommenden Frieden die Rede gewesen und in hochtönender Rede von den " Werken des Friedens " .
Das großartige Wort hatte ihm damals gefallen .
Jetzt machte das ruhevolle , wunderschöne Bild , daß er sich seiner erinnerte .
Und in seiner schwerfälligen Weise machte er nach Art des Katechismus Frage und Antwort daraus :
" Werke des Friedens ?
Was ist das ?
Als da sind : Pflügen , Säen , Ernten , Häuser bauen , Heiraten , Kinder erziehen . "
Lena saß da mit so tiefgebeugtem Kopf , als könnte sie gar nicht singen , noch das Dreibein überm Kopf schwingen , noch Augen haben voll von Mutwillen .
Die Maisonne lachte und zeigte mit Strahlenhänden auf den gebeugten Kopf : " Sieh doch , Jörn Uhl , wie das funkelt ; fass ' es nicht an , das ist lauter Feuer ! "
Die Luft lag in den Armen der Maisonne , weich , wohlig und willenlos , als hätte sie sich müde gefreut .
Als er vorbeigehen wollte , deutete sie , ohne aufzusehen , auf ein blaues Heftlein , das neben ihr auf dem Tisch lag , und sagte mit ziemlich patziger Stimme :
" Ich will über Butter abrechnen . "
Solch eine Butterabrechnung war ihr sehr zuwider , weil es eine Sache von Mißtrauen war ; mußte ja aber sein .
Sie gab dem Heftlein noch einen verächtlichen Stoß und richtete sich ein wenig auf .
Er setzte sich zu ihr und besprach genau die einzelnen Zahlen , die sie absichtlich , aus Trotz , um ihre Abneigung gegen jegliche Abrechnung zu zeigen , unordentlich geschrieben hatte , so daß er einige davon nicht genau lesen konnte .
Es war nötig , daß sie ihren brennenden Kopf über das Buch beugte , das er in der Hand hielt .
Da kam ein solches Flimmern in seine Augen , daß er die Stirn runzelte und seine Abneigung gegen solch unsolides Gefunkel nicht verbarg .
Nun fing er an , umständlich und genau zusammen zu zählen , um zu sehen , ob die Summe , die sie darunter geschrieben hatte , auch stimmte .
Halblaut nannte er die einzelnen Zahlen , indem er jede mit steifem Zeigefinger wie auf die Heugabel nahm .
Sie paßte indes einen Flicken ein , bog sich links und rechts , die ästhetische Wirkung des Flickwerkes zu beachten , und summte dazu wie eine Hummel , die halb gutmütig , halb zornig eine andere im Blumenkelch sitzen sieht .
Es dauerte nicht lange , so hörte er aufmerksam zu .
Die Zahlen gingen ihm durcheinander .
Er wurde ärgerlich und stand auf :
" Ich will in der Kammer weiter rechnen . "
" Das finde ich ganz richtig , " sagte sie .
Abends , als es dämmerte , schlenderte er noch durch den Querweg , um zu sehen , ob die ausgelassenen Tiere wohlauf wären .
Aber während er sonst eine halbe Stunde lang hinter seinen Tieren stehen konnte , ihre Vergangenheit und ihre Zukunft überdenkend , sah er heute über sie weg in die Luft und kehrte wieder um .
Als er auf der Hofstelle ankam , drehte er sich rund um .
Und als kein Mensch zu sehen war , da lachte er leise auf .
Spät am Abend fing es an zu regnen .
Er saß in seiner Kammer am offenen Fenster und rauchte die halblange Pfeife und fühlte sich , wie meist in dieser Stunde , auf diesem Platz neben der Lade , in diesem kleinen , eigensten Reiche , unendlich behaglich .
Es kam in diesen Stunden der Sinn für Gemütlichkeit zur Geltung , der von der Thiessenseite her in ihm war .
Aber während er hier sonst in ruhigem Bewußtsein wohlgetaner Arbeit saß oder nach eigenen Plänen ein wenig an der Zukunft baute und sein Leben einteilte , wie ein Kind den übergroßen Weihnachtskuchen , der nach seiner Meinung nie alle werden wird , so groß ist er : kam er heute abend ' Mal wieder ins Philosophieren und Grübeln hinein : daß er doch bis jetzt wenig sonnige Tage gehabt hätte und wie es wohl zu machen wäre , daß er ein wenig aus dem Schatten und aus dem kalten Wind heraus käme .
Bisher ginge es so : von Sorgen in Schulden , von dem harten Stand bei Gravelotte auf den frischgepflügten Acker , auf dem sich so schwer ging , und so immer weiter .
Zuletzt war er der Meinung , daß er wohl ein wenig Anspruch hätte , ins Weiche , Sanfte und Gemütliche zu kommen .
Im Hause war es totenstill .
Draußen rieselte und plauderte der Regen .
Aus den Apfelbäumen kamen weiche Vogelstimmen .
Es lag ein weiches Schwellen und Dehnen zwischen den Büschen , und die Zweige tropften schwer , als wenn mit jeder klaren , fallenden Kugel ein winzig feines , schönes Wesen von Zweig zu Zweig zur Erde glitt .
Er sah hinaus und wartete und glaubte zu hören , wie es leise lachte und wie die Blätter sich auftaten .
Ums Fenster war ein buntes Regen und Leben :
Mücken fuhren auf und nieder , Spinnen machten sich auf , suchten und fanden Genossen und gingen jeder an seine Verrichtung .
Die Gestalt der Sanddeern ging an ihm vorüber , und jene stolzen Erscheinungen auf dem Bilde , das in der Lade lag , stiegen vor ihm auf .
Er sann und sah vor sich hin und kam in Gedanken wieder zu Lena Tarn .
Sie saß neben ihm auf der weißen Bank und beugte sich über das Buch , und er sah den schönen , weißen Hals unter dem rotblonden Ringelhaar .
Er riß sich aus seinem Sinnen , richtete sich ein wenig im Stuhl auf und sagte langsam und getragen : " Werke des Friedens . "
Da ging die Tür , und Lena Tarn kam herein und blieb unschlüssig an der Tür stehen .
" Komme her ! " sagte er .
" Was willst du ? "
Er war so erregt , daß er mit Mühe sprach .
" Ich will mir das Buch wieder holen .
Ich meinte , Sie wären noch unterwegs im Querweg . "
Sie suchte das Buch auf der Lade .
Da redete er sie an und sagte : " Du bist in den letzten Tagen nicht gut gelaunt .
Fehlt dir was ? "
Sie warf den Kopf in den Nacken und sagte kurz :
" Es fehlt einem wohl ' Mal ' was ; aber es geht bald wieder vorüber . "
" Du freust dich wohl , daß Wieten jetzt bei dem Kranken schlafen muß und du deine Kammer allein hast ? "
" Warum ?
Es ist mir ganz gleichgültig .
Wer ein gutes Gewissen hat , kann immer gut schlafen , allein oder zu zwei . "
" Dann mußt du ein schlechtes Gewissen haben ; denn gestern abend , als ich durch den Gang kam , hörte ich dich im Schlaf rufen . "
" Na ja . . . Ich bin nicht wohl gewesen . "
" Ach was . . . du nicht wohl ?
Der Mond hat das getan ; der hat in deine Kammer geschienen . "
" Ich sage aber :
das kann auch eine andere Ursache haben . "
" Ich sage , das kommt vom Mond . "
Sie sah ihn zornig an :
" Als wenn Sie alles wissen !
Ich habe überhaupt nicht im Schlaf gerufen , sondern in hellem Wachen .
Es waren drei Kälber ausgebrochen und sprangen im Grase umher .
Ich sah sie deutlich im Mondschein .
Die rief ich . "
Er lachte spöttisch :
" Das sind gewiß Mondkälber gewesen . "
" So ?
Ich glaube nicht .
Denn ich habe sie heute morgen selbst wieder hineingebracht ; und da habe ich denn gesehen , daß die Stalltür offen stand .
Ich denke mir , der Knecht ist heute Nacht auf Freite gewesen .
Du hast immer so fliegende und losschießende Augen und kümmerst dich um jeden Quark : mich wundert , daß du das nicht gesehen hast . "
" Sagst du » du « zu mir ? "
" Du ja auch zu mir !
Ich bin fast ebenso groß wie du , und ein Graf bist du ja nicht , und ebenso verständig wie du bin ich auch . "
Sie trug den Kopf ziemlich hoch , und während sie das Buch von der Fensterbank riß , als wenn es da im Feuer läge , sah er den prächtigen Zorn in ihren Augen .
" Nimm dich in acht vorm Mond ! " sagte er .
" Sonst mußt du heute Nacht wieder Kälber hüten . "
Er war aufgestanden , wagte aber nicht , sie anzurühren .
Sie sahen sich aber an , und jeder erkannte , wie es um des anderen Willen stand .
Er hatte wieder den Blick , den er heute morgen schon einmal gehabt hatte , so einen siegesgewissen , übermütigen Blick , so einen Blick , als wenn er sagen wollte :
" Ich weiß ganz genau , wie solch ein Mädchenzorn zu deuten ist . "
Ihre Augen aber sagten :
" Ich bin zu stolz , dich lieb zu haben .
Ach , ich habe dich so lieb . "
Sie ging zögernd in die dunkle Tiefe der Kammer , als wollte sie ihm Zeit lassen , noch etwas zu sagen oder nach ihr zu langen .
Er war aber zu schwerfällig dazu und lachte verlegen .
Die Nacht brach herein .
Es war eine wundervolle , ruhige Nacht .
Es rieselte noch ein wenig in den Bäumen , als wenn ein Kind abends im Bett leise weint , weil es verlassen ist und sich fürchtet .
Es blitzte ein wenig am Horizont , als wenn eine Mutter mit einem Licht in die Kammer kommt , zu sehen , ob die Kinder schon schlafen .
Es wehte ein wenig , als wenn eine Mutter leise ein Wiegenlied summt .
Dazu schien der Mond fast voll , nur noch ein wenig schmal im Gesicht , und Sterne am ganzen Himmel warfen tausend goldene Lanzen auf die Erde , daß alles auf ihr sich duckte und still war .
Selbst die Menschen , die unterwegs waren , redeten leise miteinander .
Jörn Uhl hatte sich hingesetzt und stand wieder auf :
" Ich will doch ' Mal nach dem Mond sehen .
Es ist merkwürdig klar . "
Er nahm das mannshohe Gestell , das er selbst gezimmert hatte , und aus der Lade das Fernrohr .
Es war aber statt jenes alten , buckeligen Rohres ein stattliches Nachtrohr mit einem dreieinhalbzölligen Objektiv .
Der Professor vom Gymnasium , der von den astronomischen Neigungen des jungen Bauern gehört hatte , hatte ihn eines Tages besucht und ihm das Rohr besorgt .
Es war der erste und einzige Luxus , den er sich erlaubt hatte .
Als er aber möglichst geräuschlos über die Mitteldiele ging , stand ihre Kammertür noch offen , und sie trat auf die Schwelle und lehnte sich an den Pfosten .
" Bist du noch wach ? " sagte er beklommen .
Sie sagte : " Es ist noch nicht spät . "
" Der Himmel ist so klar :
ich will noch ' Mal nach den Sternen sehen .
Hast du Lust , so kannst du mitkommen . "
Sie blieb erst stehen ; aber dann hörte er , wie sie ihm nachkam .
Er stellte das Dreibein mitten auf den Rasen und sagte : " Du hättest Sonntagmittag dabei sein müssen , da hatte ich den Mond und schöne Sterne im Rohr . "
" Ach , was du sagst !
Am Mittag ?
Sind denn die Sterne auch am Tage am Himmel ? "
" Natürlich , Deern !
Wo sonst ? "
" Ach . . . das habe ich nicht gedacht !
Ich dachte , die machten es wie der Nachtwächter , des Nachts unterwegs und am Tage im Bett . "
Jörn Uhl schüttelte stark den Kopf : " Was du doch für Grabben hast !
Hast du das wirklich gemeint ? "
" Ja , " sagte sie .
" Du brauchst mich gar nicht so anzusehen ; ich habe es wirklich so gemeint . "
Aber er traute ihr doch nicht .
Sie hatte immer so ' was Plieriges in den Augenwinkeln , auch wenn sie ernst war .
Er suchte am Himmel und richtete das Rohr und sah hinein , und richtete es genau und sagte mit verhaltener Stimme :
" Nun sieh hinein . "
Sie stellte sich ungeschickt , daß er seine Hand auf ihre Schulter legte , und fragte :
" Was siehst du ? "
" O , " sagte sie .
" Ich sehe . . . ich sehe . . . ein großes Bauernhaus , das brennt .
Es hat Strohdach .
O !
. . .
Alles brennt ; das Dach ist ganz in Flammen .
Funken fliegen darüber hin .
Es ist ein richtiges altes , Dithmarscher Bauernhaus . . . O , nein , doch !
Ich habe nie geglaubt , daß auch auf den Sternen Bauern wohnen .
Auf welchem Stern ist das denn ? "
" Na , " sagte er .
" Das ist gut !
Nein , Deern !
. . . du bist entweder nicht recht klug oder ein großer Schelm . "
" Was denn nun wieder ? " sagte sie und sah ihn erstaunt an .
" Du hast zuviel Phantasie , " sagte er ernst , " die ist bei der Wissenschaft von Schaden . . . Was siehst du sonst ? "
" Ich sehe . . . ich sehe . . . seitwärts von dem Bauernhause eine Planke , die ist dunkel ; denn das brennende Haus ist dahinter .
Aber in die brennende Diele kann ich tief hineinsehen .
Drei , vier Garben sind schon vom Boden heruntergefallen und liegen brennend auf der Lohdiele .
O , wie ist das schrecklich !
Zeige mir ein anderes Haus , das nicht brennt . . . Zeige mir ein Haus , weißt du , zeige mir einen Bauernhof , wo sie gerade dabei sind , die Kälber auszujagen . "
Er lachte fröhlich auf .
" Du Schelm , " sagte er , " du möchtest wohl auch dein Dreibein am Himmel sehen , was ?
So : Hoch überm Kopf ! "
" Du hättest das Dreibein haben sollen !
Den Tag vergesse ich dir nicht , du . . . und wie du mich ansahst !
Das kannst du glauben ! "
Er hatte noch niemals jemand an seinen Beobachtungen teilnehmen lassen .
Nun wunderte und freute er sich über ihr Erstaunen und ihre Freude .
" Das hast du nicht erwartet , was ?
Ja , siehst du !
Was du da gesehen hast , das war ein Nebelstern , Orion heißt er .
Weißt du : so ein Stern , der noch lose ist . "
Sie sagte aufatmend :
" Ich kann es wohl verstehen , daß es dir Freude macht . "
Er nickte und sagte :
" Weil du so verständig redest , sollst du auch den Mond ' Mal sehen .
Warte ein wenig . "
" Du tust , als wenn du das alles da oben zu verschenken hast .
Her mit dem Mond ! "
Er stellte und faßte sie wieder am Arm , als wenn sie ein unbeholfenes Kind wäre .
Nun wunderte sie sich über die Maßen :
" Was sind das ?
Beulen ?
Wie in unserem kupfernen Kessel !
Ganz genau so :
wenn er blank gescheuert überm Herd hängt und morgens das Feuer nach ihm hinauf scheint . "
" Die Beulen sind Berge und Täler .
Kannst du links am Rande die Gebirgsspitzen sehen ?
Sie werden von links her von der aufgehenden Sonne hell erleuchtet , und nach rechts hin fällt ihr dunkler Schatten aufs Land . "
Sie schüttelte verblüfft über das , was sie sah und was er sagte , den Kopf , verlor das Bild aus dem Rohr und richtete sich wieder auf , sah mit bloßen Augen hinauf und sagte : " Ich habe das ja in der Schule gehört , von den vielen tausend Meilen Entfernung und Umfang und so ' was .
Aber ich habe Lehrer Karstensen das nie geglaubt .
Er log es zwar nicht .
Aber ich dachte immer , er hätte es sich aufbinden lassen .
Aber nun scheint es mir fast , daß doch ' was Wahres daran gewesen ist . "
" So !
. . . Und nun hast du genug gesehen und weise genug geredet .
Gehe hinein !
Du erkältest dich , und dann träumst du wieder und siehst im Traum , ich weiß nicht was .
Wirst du schlafen können ? "
" Ich will_es versuchen . "
Wieder wollte er die Hand nach ihr ausstrecken ; aber die Hochachtung vor ihr hielt ihn zurück .
Er meinte , er dürfte sie nicht so , gewissermaßen unterwegs , ergreifen .
" Mache ' rasch , " sagte er , " daß du fortkommst . "
Sie ging , und er blieb .
Er stellte das Rohr noch auf den Mittelstern an der Deichsel des großen Bären , und stellte es noch einmal auf den Mond , und beobachtete die Umrisse der Meere , um eine Karte vom Mond zu vervollständigen , die er angefangen hatte .
Es verging die Zeit .
Er war eifrig geworden , stand da mitten auf dem Rasen und hantierte geräuschlos an seinem Rohr .
Und verwarf noch einmal wieder das junge Leben , das vor einer Stunde so schwer neben ihm geatmet hatte , und kam wieder in das alte Geleise , daß der alte Dreier doch recht hätte .
" Mache ' nicht die Dummheit , Jörn ! "
. . . und doch :
" Fein ist sie und gut .
Glücklich der Mann , um dessen Hals die ihre Arme legt . . . Was muß die für köstliche Augen haben , wenn die einen Mann so recht mit Zutrauen ansehen wird . "
Hauseulen flogen von Baum zu Baum und sahen den Nachtsteher mit aufgerissenen , wimperlosen Augen an .
Wenigstens fünf Igel saßen beim Steinbrockenhaufen unterm Holunder und zankten und vertrugen sich mit leisem Grunzen .
Vom Felde her kamen die bekannten Nachttöne : bald ein Möwenschrei , bald das ferne Brüllen eines Rindes .
An einem Pferdehuf klirrte eine Kette , und Wildgänse flogen über den Hof .
Er hörte das alles ; aber es war ihm alles so gewöhnlich , daß er es nicht zu Herzen nahm .
Aber plötzlich , während noch die Gänse über ihm schrien , war ihm , als hörte er dicht überm Hausdach und dann zur Seite an der Hauswand leichten Schrei einer Gans und schwaches Flügelschlagen .
Er sah sich um und dachte : Fliegen die Wildgänse heute abend durch den Garten ?
Aber als er hinsah , stand da unter dem Hausdach im hellen Mondschein eine weiße , menschliche Gestalt , hatte die Hand über die Augen und tastete mit der anderen gegen die Mauer , als wollte sie da ins Haus hinein , wo doch gar keine Tür war , und redete dazu in erregten , eilfertigen Worten :
" Die Kälber sind im Garten : Du mußt besser aufpassen !
Stehe doch auf , Jörn , und hilf mir ! "
Jörn Uhl kam in drei langen Schritten über den Rasen und rief leise ihren Namen :
" Ich bin schon hier . . .
Hier stehe ich . . . Ich bin es . . .
So !
So !
. . . Nun sei man still . . . Ich bin es . . .
Sonst ist niemand hier . "
Sie war verstummt und fing an , sich mit der oberen Handfläche die Augen zu reiben , wie ein Kind sich den Schlaf aus den Augen reibt , und klagte auch nach Kinderweise .
Da umfaßte er sie und sagte ihr wieder , wo sie wäre , und führte sie nach der Stalltür und suchte sie zu trösten .
" Siehst du , hier ist schon die Stalltür .
Hier bist du hindurchgegangen , du Träumerin ; durch den ganzen Stall bist du im Schlaf gegangen .
Hast du die Mondkälber gesucht ?
Ach , du Hansnarr !
. . .
So , hier brauchst du nicht bange zu sein .
Nun bist du bald in deiner Kammer . "
Als sie nun endlich ihre Lage klar erkannte , erschrak sie , warf ihre Hände gegen ihr Gesicht und stieß wehe Laute aus : " O , o , wie ist das schrecklich . "
Aber er liebkoste sie und nahm ihr die Hände vom Gesicht und sagte herzlich :
" Nun laß das Klagen .
Laß es nun so sein , wie es ist . "
So kamen sie bis zur offenen Tür , die zur Kammer führte .
Es muß eine merkwürdige Nacht gewesen sein ; denn nicht allein , daß die Hälfte der Kälber aus der Weide ausgebrochen war und am Morgen wirklich in Hof und Garten standen : der Knecht war in dieser Nacht überhaupt nicht nach Haus gekommen .
Er kam im Morgendämmern , so vor sich hinsummend , übers Feld .
Als er den jungen Bauern sah , der mit langen Schritten am Hause entlang ging , die Augen an der Erde , als suchte er eine verlorene Spur , sagte er :
" Ich habe das einspännige Leben satt .
Wenn ich bis zum Herbst eine Ordentliche finden kann , will ich heiraten . "
Nach dem Morgenkaffee zog Jörn Uhl , ganz wie gestern , den Sonntagsrock an und ging ins Dorf .
Der Kirchspielschreiber war besserer Laune als gestern .
Er wunderte sich weiter nicht .
Er hatte als Kirchspielschreiber , Standesbeamter , Kirchenrendant und Brandkommissar viel Buntes erlebt und wußte , daß es nichts Wunderlicheres , Abgrundtieferes gibt , als einen Marschbauern .
" Ist recht , Uhl ! " sagte er .
" Es ist nicht gut , daß der Mensch allein sei ; man muß ihm eine Gehilfin geben .
Maria Magdalena Tarn , eheliche Tochter des Kätners Jasper Kornelius Tarn in Totum .
Hier sagt kein Mensch » Kätner « , Jörn .
Aber in den preußischen Formularen steht es so .
Und weil der Preuße uns aus dem Schlaf gebracht hat , darf er uns auch an die Arbeit schicken .
Und damit gut .
Neunzehn Jahre alt !
Noch jung , Jörn !
Aber alt werden sie von selbst . "
Als er zurückkam und durch den Apfelgarten ging , lag da unweit der Gartenpforte auf der Steinbrücke eine Wildgans , die noch lebte .
Er tötete sie und nahm sie mit in die Küche , wo das Mädchen mit heißen Wangen vor der Herdglut stand .
Er zeigte ihr den Vogel und sagte : " Sie hatte einen Flügel gebrochen und lag auf den Steinen . "
Sie warf einen scheuen Blick auf das Tier und sagte nichts .
" Na , " sagte er verlegen .
" Nun möchte ich bloß wissen , was du von mir denkst .
Was ? "
Als sie nichts sagte , trat er ein wenig näher :
" Du bist doch sonst immer ein großer Held gewesen , besonders mir gegenüber .
Wirf den Kopf in den Nacken und schilt mich ordentlich aus , ich habe_es verdient . "
Sie schwieg aber still , legte nur beide Hände an die Schläfen und starrte in die Glut .
Da zog er ihr die eine Hand sanft vom Haar herunter und faßte sie an und ging mit ihr über die Diele durch die Bindungstür ins Vorderhaus .
Sie folgte ihm willenlos , die Augen an der Erde , die eine Hand noch immer im Haar .
In der Wohnstube führte er sie zu dem großen Stuhl , der am Fenster stand , und drückte sie hinein .
" So , " sagte er weich , " hier sind wir ganz allein , Lena .
Bist traurig , kleine Deern , und bist sehr böse ?
Ist dir all dein schönes Lachen vergangen ? "
Er setzte sich auf die Lehne und fing an , ihr Haar und Wange zu streicheln und ihre Hände , die im Schoß lagen .
Aber sie sah ihn nicht an .
" Hier in diesem Stuhl , sagt Wieten , hat Mutter manchen Sonntagnachmittag gesessen .
Da gehörst du nun hinein . "
Sie sagte noch immer nichts .
" Ich bin beim Kirchspielsschreiber gewesen , Lena , und habe alles in Ordnung gebracht , und im Juni ist Hochzeit . . . . Sagst du noch nichts ? "
Da umfaßte sie seine Hände und sagte leise :
" Du meinst , damit ist alles gut . "
Und sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und weinte .
Da fing er an , sie sehr zu streicheln und zu küssen :
" Kind , laß doch bloß dein Weinen !
Bist ja meine kleine , feine Braut !
Sei doch nur wieder fröhlich ! "
Und in seiner Not sagte er :
" Ich will_es auch nicht einmal wieder tun .
Lach bloß wieder . "
Zuletzt , da er sonst keinen Schmeichelnamen mehr wußte , nannte er sie " Rotkopf " .
Da mußte sie lachen ; denn das war der Name der besten Kuh , welche vorne als erste im Stalle stand .
Nun hob sie auch den Kopf und sah ihn lange an , unbeweglich .
Und dann kam Jörn Uhl richtig in das Weiche und Wohlige , wie er meinte , es verdient zu haben .
Neunzehntes Kapitel Es war ein glückliches Jahr .
Sie waren stolz , einer auf den anderen und auf den stattlichen Hof , dem sie mit gravitätischem Ernst vorstanden .
Der alte Uhl hatte die Herrschaft über seinen Körper nicht wieder bekommen , hatte sich aber von seinem schlafähnlichen Zustande soweit erholt , daß er auf einem Lehnstuhl die Tage verbrachte .
Das Essen schmeckte ihm gut , die Pfeife auch ; die Sprache hatte er soweit wieder bekommen , daß die Hausgenossen seine gröhligen Ausrufe verstehen konnten .
Der Jüngste kam täglich in die Stube und erzählte , hin und her gehend , ohne den Vater anzusehen , was im Laufe des Tages an Arbeiten vor sich ging .
Der Vater schwieg dazu .
Wenn der Sohn die Stube aber verlassen hatte , nannte er alles , was er gehört hatte , dumm und verkehrt .
Wenn er aber im besten Reden und Schimpfen war , fing Wieten Clog an , von seiner Frau zu sprechen :
" Einmal , da sagte die Frau " . . . oder :
" Einmal war kein Mensch im Hause , bloß ich und die Frau , da wurde sie gemütlich und erzählte " . . . oder :
" Als damals die kleine Elsbe geboren werden sollte , die nun an den Lumpen , den Harro Heinsen , weggeworfen ist . . . "
Oder sie lobte Lena Tarn und das mühsame , fleißige Leben auf dem Hofe .
Dann wurde er still und saß mit halbgeschlossenen Augen ; der schiefe Mund war noch mehr verzogen .
Das fröhliche , wohlwollende Lachen , das er früher gehabt hatte , war ihm ganz vergangen .
Der junge Bauer war schon längst wieder an die Arbeit gegangen und sorgte während der Arbeit um morgen und übermorgen , ob er Korn oder Vieh jetzt oder später verkaufen sollte , ob er die gewaltige Zinsensumme zum 10. November beisammen haben würde .
Er war wohl sehr glücklich und stolz , wenn er daran dachte , daß ein großes Vertrauen ihm , dem Vierundzwanzigjährigen , solchen Hof übergeben hatte , und daß eine so blühende , fröhliche und tüchtige Frau neben ihm arbeitete .
Aber er kam nicht zum Genuß seines Glückes .
Er trank wie ein Hirsch , der gejagt wird , der rasch am Wasserlauf sich aufs Knie legt und , erst halb satt , schon wieder aufspringt , weil er Jäger und Hunde hört .
Die junge Frau sorgte nicht .
Aber sie " strebte " , vom frühen Morgen bis in die Nacht .
Die Arbeit flog ihr aus der Hand .
Sie gab keinen Groschen unnütz aus .
Thieß hatte ihr zur Hochzeit einige Meter grauen Lüsterstoff geschenkt .
Daraus hatte sie sich selbst zwei schlichte Kleider gemacht , mit weiten Ärmeln , die unten am Handgelenk aufgeknöpft werden konnten .
Darin arbeitete sie nun , immer gesund , immer munter , immer mehr aufblühend , die Arme meist braun und bloß bis zum Ellenbogen , und summte dazu .
Nun war sie in der Küche .
" Grethje , " sagte sie , " mache ' flink !
Je flinker du die Hände rührst , desto eher kriegst du einen Mann . "
" Das ist auch recht ' was ! "
" Wenn er gut ist ? "
" Giebt's gute ? "
" Deern , willst du mir meinen Mann schlecht machen ? "
" Ja ! Der Bauer ! "
" Still jetzt !
Meinst du , ich will mit dir über meinen Mann handeln ?
Sieh zu , wie du einen kriegst :
es ist ein Kunststück , sage ich dir . . . Ich muß zu den Kälbern . "
Nun war sie im Stall beim jüngsten Kalb .
" Gleich haben sie dich von der Mutter weggerissen , du armer Rotkopf .
Saug . . . oder ich schlage dich .
Ich bin die Stiefmutter . . .
So . . .
Jetzt geht es schon gut .
Bist satt ?
Dann lege dich hin und Schlaf !
Soll ich dir vorsingen ?
Ich weiß Wiegenlieder genug für die Zeit , daß ich sie brauche .
Sieh mich nicht so dumm an , Rotkopf , ich habe keine Zeit .
Wenn der Bauer mit seinen langen Beinen an dir vorüberstapft , dann grüße ihn und sage ihm , er wäre ein Schelm .
Wenn du größer wirst , mußt du mit ihm in den Burggraben sausen , wie es im vorigen Jahre dein Bruder tat .
Er hat es redlich um mich verdient .
Was hat er aus mir gemacht ? "
Es kamen die kleinen Kinder des Arbeiters , als sie an der Waschbalje stand , und fingen an , zutraulich mit ihr zu plaudern .
Sie redeten eine Weile miteinander ; dann spitzten die Kinder die Ohren .
Sie hatten ein leises Piepen gehört .
" Du , Neusche ( das heißt Nachbarin ) , was piept da ? "
" Hört zu ! "
" Du , Neusche , wo piept das ? "
" Hört zu ! "
" Du , Neusche , da bei dir piept es , da in deiner Brust . "
Da kniete sie vor den Kindern nieder , öffnete das Kleid an der Brust und zeigte ihnen das kleine Hühnerkücken , das sie halberfroren gefunden hatte und zwischen ihrer Brust wärmte .
Es piepte laut , als sie es mit dem Wolltüchlein auf die Erde setzte .
Die Kinder staunten , und Lena Tarn lachte und sagte : " Ihr müßt zu eurer Mutter sagen :
» Mutter , bei Neusche piept es . « "
Das ist eine landläufige Redeweise , wenn eine junge Frau guter Hoffnung ist .
Gegen Ende der Erntezeit kam die Dreschmaschine ins Dorf .
Da war da eine habgierige Bauernfrau , die hatte , wie sie meinte , zu viel Geld für ein seidenes Kleid ausgegeben und müßte den Verlust nun bei den dreißig Arbeitern an der Maschine wieder gut machen .
Auch hatte sie noch einen Topf mit ranzigem Fett stehen .
Also buk sie Pfannkuchen , steif und hart , in schlechtem Schmalz .
Die Leute rochen daran , bissen hinein , standen von den Bänken auf und nagelten die sämtlichen zweiundsiebzig Pfannkuchen an das große Scheunentor , legten Stricke um die schwere Maschine und zogen sie mit lautem Singen von der Hofstelle .
Nun ging der Maschinenmeister unterwegs und suchte rasch neue Arbeit und wußte wohl , daß er sie schwer bekäme : der eine Bauer , dessen Frau sparsam kochte , wollte einen Druck ausüben ; der andere meinte , schlau zu sein , wenn er das Korn noch in der Garbe ließe .
Vor allem aber setzten sich die Frauen auf :
" Ich kann doch jetzt nicht ohne weiteres und so auf den Pfiff dreißig Mann mehr satt machen ?
In zwei Stunden ist Mittag . "
Da kam der Meister in seiner Verlegenheit zu Jörn Uhl gelaufen .
Der lief in die Küche .
" Was sagst du , Lena Tarn ? "
" Ist es dir recht ? "
" Sehr , du .
Ich fahre die Bohnen mit fünf Gespannen vom Felde her direkt an die Maschine . "
Sie drehte sich einmal rasch herum , sah durch die Küche und in die Richtung des Kellers : " Laß sie kommen !
Sie müssen eine Stunde später essen . "
Nach einer halben Stunde surrte und brummte die Maschine .
Die Garben flogen , und das schwere Schwarzkorn rauschte in die Säcke .
Sie hatte keine Anlage zum Sorgen und Grübeln .
Sie lebte wie ein Kind vom Tage .
Darum hatte sie ihm auch wohl so sehr gefallen , weil sie in diesem wichtigen Punkte so anders war als er .
Sie lebte sorglos wie ein Vogel .
Seht die Vögel unter dem Himmel an !
Sie säen nicht .
Und sie werden doch satt .
Sie begehrte nichts für sich , machte keine Kosten .
So meinte sie , müßte es gut gehen .
Sie meinte , sie könnte es mit ihrer treuen Arbeit zwingen .
Einmal , im Herbst , fiel es ihr doch auf , daß er wohl Sorgen hätte .
Er kam vom Dorf her über den Hofplatz , und sie bemerkte durch das Türfenster , daß er im schweren Grübeln stehen blieb .
Sie ging zu ihm hinaus und sagte : " Hast du so viel Sorge , Jörn ?
Komme , setze dich ein wenig her zu mir auf die Bank . "
" Ich sitze hier nicht gern .
Es sieht so großartig aus , als wenn die Leute hinsehen sollen : Seht , da sitzt der Bauer und seine Frau . "
" Du bist der Bauer und ich die Frau .
Merkwürdigerweise .
Ich bin noch als dreizehnjähriges Mädchen mit nackten Füßen durch Sand und Heide gelaufen , und die Hinterwand von meines Vaters Haus war aus Backtorf gemacht . "
Sie stützte den Arm auf den Rundtisch und legte die Wange in die aufgestützte Hand und sah ihn sinnend an :
" Aber da liegt auch gerade der Fehler .
Du hättest eine reiche Frau haben müssen , dann hättest du keine Sorgen , du armer Jörn Uhl . "
Er sagte nichts .
Da fuhr sie leiser fort : " Arbeiten mag ich und kann ich , und lachen kann ich auch .
Und wenn es sich bloß ums tägliche Brot und um Kleidung handelte , so wollte ich dich und einige Kinder mit meinen Händen satt machen und kleiden .
Aber hier wird mehr verlangt .
Mein Händerühren soll Silber machen und mein Singen Gold . "
" Sei man ruhig , " tröstete er .
" Ich kriege die Zinsen wohl zusammen .
Ich muß freilich die beiden Zweijährigen verkaufen , die hätte ich gerne noch ein Jahr behalten . "
Ihr kam schon wieder das Lachen .
" Nachher vergreif ' dich man nicht und verkaufe nicht deine eigenen Kinder . "
" Was wird das kosten ? "
" Ach , du armer Jörn Uhl !
Was wird das kosten ?
Nicht viel .
Ich lege mich in Wieten Kammer ; dann muß Wieten vier oder fünf Tage lang für zwei Kranke sorgen .
Dann stehe ich wieder auf und gehe an meine Arbeit . "
Er war von Kind an gewohnt , allein zu grübeln .
So war er ein Mensch geworden wie ein Haus mit einer hohen Mauer rund umher .
Das junge Weib lachte , sang , arbeitete und liebte , und kam mit alledem nur bis vor das Tor seiner Seele .
Sie klopfte zuweilen an ; er ließ sie nicht ein .
Sie war ihm zu gut , zu lieb und zu fröhlich .
Was sollte sie in seine dunkle , sorgenvolle Seele sehen ?
Wenn sie ein höheres Alter erreicht hätte und hätte sorgenlosere Tage auf der Uhl erlebt , so wäre sie eine von jenen köstlichen Bauernfrauen geworden , die wir hier und da im Lande haben , die mit immer guter Laune , mit raschem Wort und flinken Händen , ziemlich energisch und ein wenig behäbig , der fröhliche und starke Mittelpunkt des ganzen Hofes sind .
Aber nun war sie noch zu jung , um zu wagen , mit ihrer ganzen Natur herauszutreten , und war noch zu sehr unter dem Druck ihrer armen Jugend , um selbstbewußt zu sein .
Aber : als wenn sie wußte , daß sie nicht viel Zeit hatte , warf sie eine Fülle von Liebe und Freude auf alle , die um sie wohnten .
Abends , wenn sie mit ihm allein war , war sie seine Freude .
Dann lag sie in seinem Arm und tat immer wieder dieselbe Frage : " Heute war es fein , nicht ? "
" Ja . "
" Die ganze Wäsche trocken .
Du auch ? "
" Was ?
Ich . . . trocken ? "
" Ach . . . ich meine , ob du auch viel beschickt hast ? "
" Ja . . . das Bohnenstück ist gepflügt . "
" Was denn für Not !
Weißt du , was mich ärgert ? "
" Ja , ich weiß . "
" Daß ich wegen der Leute nicht singen darf , du .
Damals , als ich noch ein junges Mädchen war , da sang ich den ganzen Tag ; es ging ja niemand ' was an , auch dich nicht , obgleich du immer so hochnasig an mir vorübergingst .
Aber nun muß ich mich zusammennehmen .
Ich darf auch nicht alles sagen , was wir gerade einfällt .
Das ist fast noch schlimmer . "
" Du hast den ganzen Tag gesummt . "
" Aber nicht gesungen . . . Nun ?
. . . Sage ' Mal ' was ! "
" Denn man los !
Aber nicht so laut ! "
Nun sang sie allerlei alte und neue Weisen , am meisten alte Volkslieder , mit verhaltener Stimme .
Dazwischen versteckte sie ihren Kopf zwischen seinem Arm und seiner Schulter und lachte :
" Das sollten die Leute wissen . "
Dann stützte sie den Kopf in die Hand , und lag gelehnt über ihm und reihte ihre drolligen , bunten Einfälle aneinander , und ließ sie vor ihm spielen , wie die Mutter die bunte Kette über dem liegenden Kind .
Sie hatte am Morgen noch für die Menschen gesorgt und einem neugeborenen Kalb die erste Milch gegeben .
Sie hatte eine besondere Liebe und Gabe , dem hilflosen Neugeborenen zu helfen .
Dann , in einer unruhigen Eile und mit fliegenden Händen , setzte sie noch Wasser aufs Feuer .
Dann kam sie zu Wieten hinein :
" Die junge Rotbunte hat ein schönes Kalb geworfen , und nun muß ich . . . " sie wollte lachen , konnte aber nicht .
Wieten Clog stand schon neben ihr und legte die Hände um sie .
" Du bist unvernünftig , " sagte sie .
" Komme , leg dich hin .
Deine Stunde ist da . " * * * Es war ein feiner , aber kräftiger Knabe .
Und wenn es auch gegangen war nach dem Wort :
" Du sollst mit Schmerzen Kinder gebären , " und wenn sie auch zu ihrer großen Verwunderung matt und müde dalag :
am anderen Morgen summte sie doch schon dem Kinde das erste Schlaflied ; und obwohl Wieten warnte und von Jörn verlangte , daß er ein Machtwort spräche , stand sie doch am sechsten Tage auf .
Sie sorgte den Tag über allein für ihr Kind und ging sogar nach der Küche und trug das Wasser , ihr Kind zu baden , und sang leise , und war stolzer und glücklicher als jemals eine Königin gewesen ist .
Jörn Uhl ließ es geschehen .
Er war so stolz darauf , daß er eine so kräftige Frau hatte : " nicht so zimperlich wie die anderen . "
Jörn Uhl war zu jung und zu dumm .
Es muß Zugwind in der Küche gewesen sein .
Es war im Nachwinter , im März , wenn es so feucht und kalt weht , und die Luft so naß und sonnenlos ist , als könnte es niemals Frühling werden .
Am selben Abend lag sie schon mit brennendroten Wangen im Bett und war teilnahmlos , und in der Nacht redete sie irre .
Sie , die niemand beleidigt hatte , sie , die Freundliche , ging in ihrem Wahn zu jedem im Hause , auch zu dem kleinen Dienstjungen und zu allen Nachbarn , und bat jeden um Vergebung :
" Wenn ich dir etwas zu nahe getan habe . . . "
Wie von ihrer geängstigten , wandernden Seele herbeigerufen , kamen die treuesten Freunde .
Thieß Thiessen stand plötzlich in der Stubentür .
Der nasse Märzwind hatte sein verknittertes Gesicht noch mehr zusammengezogen .
Er sagte , daß Lisbeth ihn überredet hätte , Hamburg mit ihr zu verlassen und die ersten sonnigen Tage auf dem Heeshof zu erleben .
Er trat ans Bett und trat gleich wieder zurück , bebend am ganzen Körper - so erschrak er - , und ging nach der Diele , und ging rastlos hin und her , und rieb die Hände und schüttelte den Kopf .
Am Morgen kam eine helle , junge Gestalt .
Sie trat auf Jörn Uhl zu , der ratlos am Bett stand , gab ihm die Hand und sah ihn mitleidig an .
" Du , Lena , " sagte er , " das ist Lisbeth Junker , mit der ich als Junge immer gespielt habe .
Ich habe dir davon erzählt . "
Aber Lena Tarn blieb teilnahmlos .
Als Wieten ihr das Kind hinhielt , sah sie es mit langem , stillem Blick an .
Dann haben Mutter und Kind sich nicht wiedergesehen .
Gegen Abend nahm das Fieber zu .
Sie brauchte das ganze große Bett .
Sie gingen durch die Stube hin und her , gingen nach der Küche und kamen wieder .
Lisbeth Junker stand mit tränenschweren Augen am Fenster und starrte in die Dunkelheit hinaus .
Thieß Thiessen stand in der Küche am Herd und stocherte mit der Feuerzange in der Torfglut .
Der Arzt kam zum drittenmal und fuhr bald wieder weg .
Als der Kutscher , der ihn schon kannte , nach ihm hinsah , sah er in blanke , kummervolle Augen .
Der Pastor kam auch und sprach mit Jörn Uhl ; er hätte ebensogut mit einem der Eichenständer sprechen können , die in der Diele stehen .
Es war eine lange , bange Nacht , eine Nacht ohne Rat , eine Nacht voll Jammer .
Gegen Morgen wurde sie wieder ruhiger , war aber todesmatt und redete mühselig .
Er sollte " Vater sagen , daß sie ihn lieb gehabt hätte " .
Jörn Uhl schluchzte heiß auf :
" Der hat kein einzig gutes Wort zu dir gesagt , du arme Deern . "
Sie versuchte zu lächeln .
" Du hast nichts wie Mühe und Arbeit gehabt , " sagte er .
Da machte sie ihm mit schwerer Zunge verständlich , daß sie sehr glücklich gewesen wäre .
Er beugte sich tief zu ihr nieder .
Sie versuchte , seine Hand zu streicheln .
Um andere kümmerte sie sich nicht mehr ; auch ihr Kind hatte sie vergessen .
Am Nachmittag , als das Fieber wiederkam , erzählte er ihr , daß die beiden neuen Kühe gebracht worden wären .
Da wollte sie die Tiere sehen .
Sie bat ihn .
Sie wollte wohl den Eindruck erwecken , daß sie noch Interesse hätte und ihn dadurch trösten , und griff im Fieberwahn falsch und kam auf diesen Wunsch .
Da führten der Knecht und das Großmädchen mit sicherer Hand die beiden schweren Kühe durch die Stube ; sie sah auf und lächelte .
Am Spätnachmittag raste das Fieber von neuem durch ihren Körper , und sie kämpfte mit ihm , bis die Nacht anbrach :
da war es mit ihrer Kraft aus .
Der Arzt kam durch die Nacht .
Die Laternen seines Wagens wehten im eiskalten Winde .
Er sah die Kranke und rief Jörn Uhl beiseite und sagte , daß keine Hoffnung mehr wäre .
Wenn da noch etwas zu ordnen wäre . . . Jörn Uhl ging wieder ans Bett zurück , an dem er seit sechzehn Stunden stand .
Ja , da war noch etwas zu ordnen .
Etwas .
Er beugte sich zu ihr nieder , und mit seinen schwerfälligen Worten sagte er ihr , wie lieb er sie gehabt hätte .
Sie versuchte , ihn anzusehen .
Es sollte ein langer , verwunderter Blick sein .
Sie sah ja zum erstenmal in seine Seele .
Aber die Augenlider waren zu schwer .
Nach Mitternacht wurde sie ein wenig wacher .
Sie sagte einige Worte , welche andeuteten , daß sie in ihrer Kindheit auf der Heide von Totum wäre .
Man hörte etwas von :
" Du hast bloße Füße " . . . und :
" Da sind Schlangen "
. . . und :
" Hier sind wieder welche , schöne , blaue "
. . . Zuerst waren ihre Schulkameraden aus der Todumer Schule noch mit ihr .
Es ging von Strauch zu Strauch .
Endlos dehnte sich die Heide .
Da wurden die anderen mutlos und wollten umkehren .
" Ja , " sagte sie , " denn muß ich ja allein gehen ? "
Da gab sie allen die Hand .
Und als sie so von einem zum anderen ging , da waren es mit einem Mal nicht Schulkinder , sondern da stand der alte Lehrer Karstensen , und seine schönen , dunklen Augen blitzten gerade so wie manchmal in der Religionsstunde , wenn er Luthers Katechismus beiseite schob und frei heraus von der Treue und dem Mut des Heilandes erzählte .
Er strich ihr über die Stirn , die vom Sonnenbrand heiß war , und sagte : " Nun gehe ja richtig , daß du die Uhl nicht verfehlst . "
Und Jörn Uhl stand da und gab ihr zum Abschied die Hand , und küßte sie und weinte , und sie begriff nicht , wie der große , mächtige , starke Mann dazu kam , so kindlich zu weinen .
Deutlich hörte sie es .
Und Wieten Clog war auch da und ging mit einem Kinde , das eben gehen konnte , durch den Garten .
Und noch viele andere waren da und weinten .
Deutlich hörte sie das bittere Aufschluchzen rund um sich .
Da wandte sie sich ab und ging also von den Menschen weg allein über die Heide , immer weiter .
Und es war einsam , und es wurde dunkel , und ihr wurde bange .
Aber wie sie weiter ging , wurde es wieder heller , als wenn eine schwere , schwarze Wolke die Sonnenseite des Himmels verdeckt hatte und nun zur Seite wich .
Und allmählich , in der wachsenden Helle , kam auch wieder Gesellschaft .
Es kamen von beiden Seiten unauffällig , um nicht zu erschrecken , einzelne Gestalten , und gingen von hinten her schräge und lautlos auf sie zu .
Sie waren Menschen ähnlich ; aber sie hatten viel reinere Augen und hatten einen Gang , als hätten sie nie Sorgen gehabt , und Gewänder wie von weißer Seide .
Die kamen zuletzt so nahe und waren so viel , daß sie ganz umringt war , und waren sehr freundlich mit ihr .
Da wollte sie lachen .
Aber sie sagten , das dürfe sie noch nicht .
Der Weg stieg an ; von vorne kam es wie Licht oder wie Gesang .
Es kam ihr entgegen wie Milde und Stärke .
Von vielen Händen angefaßt und vorwärts geleitet , kam sie vor eine ernste , heilige Gestalt , die beugte sich weit vor und sah sie freundlich an .
Da streckte sie die Hand aus und hatte plötzlich einen großen Strauß von leuchtenden , roten Blumen in der Hand , und gab ihm die und sagte : " Das ist alles , was ich habe .
Ich bitte dich , laß mich bei dir bleiben .
Ich bin furchtbar müde .
Nachher will ich arbeiten , soviel ich kann .
Wenn du es hören magst , möchte ich gern dabei singen . "
Als es im Dorfe bekannt wurde , daß Lena Tarn im Kindbett gestorben war , entstand ein großes Frauengelaufe , von Haus zu Haus , unter allen Linden , und es hob ein großes Trauern an .
Es war kein Haus in Sankt Mariendonn , in dem nicht das Fenster rechts von der Haustür mit weißem Laken verhüllt wurde .
Selbst der alte Jochen Rinkmann , der sonst immer gerade das Gegenteil von dem tat , was alle taten , der so widerhaarig war , daß er bei einem Hausbrande immer seine eigene Ecke löschte und den anknurrte , der auch da löschen wollte :
selbst der nahm seine blaue Tischlerschürze , da er sonst nichts zur Hand hatte , und verhängte das Fenster seiner kleinen Werkstatt , das der Haustür am nächsten war , und arbeitete den ganzen Tag im Halbdunkel .
Und er sollte nicht einmal den Sarg machen . * * * Als Jörn Uhl am vierten Tage vom Kirchhof heimkam , sah er die Knechte und Mädchen bei einander stehen ; er wies sie an ihre Arbeit .
Auf der Mitteldiele blieb er stehen und horchte .
Er hatte hier oft gestanden und gehorcht , aus welchem Raum das Summen käme und der leichte , tapfere Schritt , ob sie in der Stube oder in der Küche wäre .
Als er noch so horchte , hörte er das hohe Weinen des Kindes .
Da ging er in die Stube .
Da saß sein Vater hinterm Ofen und hatte die kalt gewordene Pfeife in der hin und her fliegenden Hand und schalt , daß Wieten nicht für ihn sorgte , und am Bett stand Wieten und beugte sich über das Kind .
Und es war unordentlich in der Stube .
Zwanzigstes Kapitel Es gibt Bauernhöfe im Land , welche tot sind .
Geiz oder Überschuldung , oder öffentliche Schande oder böses Gewissen , oder langwierige , unheilbare Krankheit , haben alles Leben , das im Hause war , getötet , und sperren aus , was von draußen hereinkommen will .
Die Erde dreht sich , die Kultur geht weiter , Sitten und Gebräuche ändern sich , das Volk führt Kriege , die wirtschaftlichen Verhältnisse des Volkes werden besser und wieder schlechter : der Hof da im einsamen Felde , unter den hohen , dunklen Bäumen , hinter den dichten Büschen , rührt sich nicht .
Wie ein Nagel , der in der feuchten Wand rostet , so still steht er .
Das Mädchen in der Kammer und der Dienstjunge im Stall vergessen sich , und lachen auf und schlagen sich auf den Mund und sind still .
Endlich , eines Tages , wird ein Sarg vom Hof getragen , oder ein verschlossener Wagen fährt vor und , gezwungen oder freiwillig , steigt ein Umdüsterter ein und verschwindet für den Rest des Lebens im Irrenhaus ; oder ein paar alte Leute , Mann oder Frau , oder Bruder und Schwester , mit mißtrauischen , scharfen Augen , ziehen aus den unreinen , muffigen Stuben und von dem verfallenen Hofe ins Altenteil und fürchten die Nacht , weil sie vor Unruhe und Angst nicht schlafen können , und fürchten den Tag , daß ihre Kinder kommen , die sie für Diebe halten , vor denen sie ihre Wertpapiere ängstlich verbergen .
Der Hof aber kommt in andere Hände .
Fenster und Türen werden aufgerissen .
Maler und Tischler singen in allen Stuben .
Bald lacht eine junge Frau .
Bald stolpern hellhaarige Kinder im Sonnenschein über die Hofstelle .
Es war ein trüber November .
Nasser Westwind fuhr schon tagelang in die Pappeln , daß es rauschte und wühlte wie in schweren Wellen .
Da kamen eines Abends die beiden Brüder von Hamburg ins Haus .
Sie taten , als wenn sie nur ' Mal nachsehen wollten , wie es um den kranken Vater stünde und um des Vaters Hof .
Aber der Vater drehte den Kopf zur Wand .
Als sie hinausgegangen waren , schalt er , daß alle die jetzigen Ulen nichts taugten , er wäre der einzige tüchtige Uhl gewesen .
Sie kümmerten sich auch weiter nicht um ihn , gingen breitbeinig durch Haus und Ställe , lobten einiges , tadelten mehr und erzählten von dem Heu- und Strohgeschäft , das sie hätten , und von einem großen Fuhrwesen .
Am selben Abend gingen sie ins Wirtshaus , nachdem sie wegen " Mangel an Goldgeld " sich von Jörn zwanzig Mark hatten geben lassen .
Spät in der Nacht kamen sie heim .
Jörn Uhl schlief in dieser Nacht nicht , er lag auf dem Rücken , starrte mit offenen Augen nach oben und grübelte .
Er wußte , daß sie am Ende waren und daß sie Geld von ihm wollten .
Er hatte gesehen , daß ihre Röcke fleckig waren und vorn an der Brust ausgefranst .
Es stieg ihm heiß in die Wangen , daß Kinder der Uhl so im Wirtshaus saßen .
Am anderen Vormittag sagten sie wie beiläufig zu ihm :
" Du , wir wollen uns von Fritz Nah etwas Geld geben lassen .
Er bot es uns an .
Kapital ist da in Hamburg alles ; ob eigenes oder fremdes :
das ist egal .
Also wollen wir es nehmen .
Wegen Leben und Sterben kannst du den Schuldschein unterschreiben . "
" Ja . . . Ja , " sagte Jörn Uhl .
" Das kann ich ja . . . ich sitze allerdings schwer genug davor und bin als Bürge nicht zu brauchen . "
" Es ist nur Formsache , " sagte Hinrich .
Das war der Ton , auf den der Jüngste keine Antwort wußte .
Am Nachmittag wurde die Sache erledigt .
An demselben Abend reiste Hans wieder ab , um mit dem erhaltenen Gelde einen falschen Wechsel zu bezahlen , um den er angeklagt werden sollte .
Hinrich aber blieb .
Er klagte über Rheumatismus in seinem kranken Beine und sagte , daß er von der feuchten und weichen Marschluft Erholung hoffte .
Er trieb sich in den Wirtshäusern der Gegend umher und kaufte sich auf den Namen seines Bruders einen neuen Anzug .
Eines Abends , gegen Weihnachten , kam er in die Kammer , als Jörn in der Dämmerung allein saß :
er wolle zehn Mark haben .
Jörn sagte ruhig , daß er ihm nichts geben wolle .
Da begannen Hinnerks Augen zu funkeln :
Geld werde er doch los ; er habe sich bei Rapp auf seines Bruders Namen schon dreihundert Mark geben lassen .
Jörn Uhl blieb noch ruhig , obgleich ihm die Stimme bebte :
er werde ihm nie wieder etwas geben ; er brauche es ja nur dazu , um die Schande der Familie von Wirtshaus zu Wirtshaus zu schleppen .
Da schrie der verrohte Mensch auf und hob die Hand gegen seinen Bruder .
Da kochte dem das Blut über ; Feuer schoß ihm aus den Augen :
er warf sich gegen den Trunkenen , drückte ihn hart und stieß ihn aus der Tür .
Von da an verhielt sich der Hinkende ruhig im Hause .
Er ließ sich von dem Mädchen oder von vorübergehenden Kindern Kümmel holen und saß mit des Nachbarn Knecht , der liederlich war , in seiner Kammer und warf sich ins Bett und schlief seinen Rausch aus .
Zu den Mahlzeiten erschien er selten .
Er schien sich an Branntwein zu sättigen .
Jörn ertrug das schweigend , mit finsterem , verschlossenem Gesicht .
Der alte Dreier hatte zu ihm gesagt : " Laß ihn nicht aus den Augen , Jörn !
Fritz Rapp hat nichts Gutes mit dir im Sinne , weil du Hinnerks Schulden nicht bezahlen willst .
Sie haben gesagt :
sie wollen ihn vierzehn Tage lang satt Kümmel machen . "
Wenn der Trinker hinaus wollte , stellte sich Jörn ihm gegenüber und sagte kurz und hart : " Du bleibst hier . "
Eines Tages aber , im Frühling , war er doch davongegangen .
Nun trieb er sich ein ganzes Jahr lang in der Gegend als Vagabund umher , arbeitete so viel , daß er genügend zu trinken hatte , und beschimpfte Vater und Bruder und kam zuweilen mit seinen Saufgenossen am Hofe vorbei und schrie und prahlte .
Der alte Uhl war eines Tages im Frühling aus dem Lehnstuhl aufgestanden und hatte wieder angefangen , auf einen Stock gestützt , mühselig zu gehen .
Bald stand er , gegen die Wand gelehnt , und sah nach dem Wege hinüber .
Nachher ging der alte , schwere Mann , die Hände tief in den Taschen , barhaupt , mit unordentlichem , grauem Haar , schwerfällig um das Haus und spähte aus , ob nicht einer des einsamen Weges käme , dem er vorschimpfen und klagen könnte , wie sehr " Klaus Uhl und seine Kinder " den Hof verlotterten und verlumpten .
Er war ganz in den Glauben gekommen , daß er jener Hinrich Uhl wäre , der den Stammhof gegründet und die Familie zu Ansehen gebracht hatte .
Einmal traf es sich , daß der Alte da stand , als der Hinkende des Weges kam : da gab es ein rohes Schelten hin und zurück , daß Jörn Uhl die Scham seiner Seele vor dem Knechte , der ihm im Futtergang entgegenkam , nicht verbergen konnte :
er schüttelte verzweifelt den Kopf ; dann stieß er in blindem Zorn die Forke in die Mauer , daß der Stiel splitterte .
Solche Zornanfälle kamen in diesem Jahre häufiger über ihn .
Sein Charakter fing an , brüchig zu werden und nach dem Finsteren und Harten zu neigen . * * * Das alte Mädchen , dessen Haar dünn und grau wird , besorgt mit alter Treue , doch mit geringerem Ehrgeiz und Erfolg , als in ihren jungen Jahren , den schweren Hausstand ; sie sitzt und näht und flickt nun für drei : für den Alten , für Jörn und für das Kind .
Wenn der Blödsinnige von draußen hereinkommt , setzt er sich schwer in den großen Lehnstuhl und stößt kurz und verdrießlich heraus : " Erzähle ' ' was ! "
Dann erzählt sie ihm alte , bunte Geschichten , wie die Volksseele sie im Traume erzählt .
Einige sind besonders närrisch , andere besonders wunderbar , andere besonders grausig .
Abends greift sie nach Brille und Bibel .
Sie wählt immer Stücke aus dem Alten Testament .
Unheimliche Wunder , große , wilde Taten , kräftiges Scheltwort :
das wählt sie .
Zum Neuen Testament hat sie nie rechte Stellung nehmen können .
Es lag von Haus aus Sonniges genug in ihrer Natur ; sie war ein weiches , anschmiegendes Kind gewesen , als sie mit Anna Stuhr und ihren Kindern in der Waldlichtung Zigeuner gespielt hatte .
Aber die schrecklichen Erlebnisse , die dann folgten , und die einsamen Dienstjahre auf großen Marschhöfen , und daß sie dann mit dem Unglück der Uhl verkettet wurde :
das alles hatte ihre widerwillige Seele aus der Sonne tiefer und tiefer in den Schatten geführt .
Sie fand das Ewige nicht mehr in der Sonne ; sie suchte es im Dunklen .
Sie fand das Bild der Welt und des Lebens nicht mehr in der hellen , grünen Waldlichtung , sondern in der grauschwarzen Luft , die unter alten , hohen , dichten Tannen ist .
Der Herr des Hofes ist ein grüblerischer , finsterer Mann , dem die Lippen trotz seiner Jugend scharf aufeinanderliegen , wie zusammengewachsen .
Er geht nicht ins Dorf , weiß auch nicht , was darin geschieht , hat auch kein Interesse daran .
Er geht nicht in die Kirche .
Seine Gedanken gehen nicht weiter als rund um den Hof , soweit die Felder der Uhl gehen .
Und dann laufen sie noch an drei Stellen über die Uhl hinaus , nach dem Grabe Lena Tarns , und nach der Kirchspielschreiberei , wo die Abgaben bezahlt werden , und nach dem schönen , neuen Haus des Weißkopfs unweit der Kirche in Schenefeld .
Wenn man ihm heute sagen würde : das Vaterland ist in Gefahr , er müßte mithelfen , so würde er sagen : " Vaterland ?
Ihr wißt doch , daß ich alle Hände und alle Gedanken übervoll habe .
Der Hof überschuldet , der Vater blöde , der Bruder ein Lump , Lena Tarn im Grabe ?
Vaterland ? "
Um die Handwerker zu sparen , flickt er selbst an Krippen , Türen und Lattenwerk .
Er geht mit dem Kalkeimer ums Haus , setzt ausfallende Steine ein , und schämt sich vor den Dienstleuten .
Aber der Hof darf nicht verfallen : der Weißkopf könnte kommen und könnte sagen :
" Der Hof verfällt .
Gehe weg vom Hof ! "
Von diesem Hofe , um den er schon als Kind sich gequält hat ?
Und wohin dann mit den beiden , die sich drinnen die Geschichte vom Knecht erzählen , der beim Pflügen den eisernen Topf fand , der war bis oben voll von Talern ?
Das Kind läuft einsam und sich selbst überlassen in den Ställen umher .
Immer von schweigsamen Leuten umgeben ; da es doch neugierig ist , erfährt es nur nüchterne und traurige Dinge , und bekommt etwas Altkluges , redet vierjährig in langgezogenem Plattdeutsch von dem Preiswert der einzelnen Tiere und versucht im Stallwinkel mir dem alten Knecht Sechsundsechzig zu spielen .
In jedem Jahre kam Lisbeth Junker aus Hamburg , um einige Tage im Lehrerhause zu besuchen .
Sie kam dann auch nach der Uhl , " um nach dem kleinen Jürgen zu sehen " .
Ihr Haar und ihre Augen hatten noch immer das frische Sonntägliche , Unberührte ; und ihre Gestalt war noch immer voll aufstrebender , stolzer Kraft .
In den grauen Augen und um den festen , roten Mund lag ein Zug tiefen Ernstes .
Den kleinen Jürgen an ihren Knien , erzählte sie mit den scheuen Blicken und mit der hohen , weichen , verlegenen Stimme von ihrem Leben in der Stadt .
Sie wäre noch immer bei der Tante und hätte es gut , sagte sie .
" Unser kleiner Laden liegt neben dem Gymnasium und nicht weit von einer großen Volksschule .
Die Kleinen und Großen kaufen ihre Kleinigkeiten bei uns , Schreibbücher und Tinte und was sie sonst brauchen , und für die Primaner und die Professoren übermitteln wir zuweilen größere Bestellungen . "
Er sah ehrerbietig ihre feine , stolze Schönheit und dachte :
Wie fern ist sie dir !
Sie eine Prinzessin , du ein armer , roher Knecht .
Was will sie hier mitten in deinem Elend ?
Er sagte verlegen und höflich :
" Du bist zu jung dazu , Lisbeth . "
Sie schüttelte den Kopf .
" Was soll ich sonst , Jürgen ?
Ich hätte ja sonst keinen Lebenszweck .
Dies ist doch viel besser als irgendwo ein Anhängsel sein ? "
Damit war das Gespräch schon wieder am Ende .
Sie versuchte , von alten Zeiten zu sprechen ; aber die lagen ihm fern , wie hinter breitem , finsterem Wald .
Er war zu dicht von schweren Gedanken umringt , um den schüchternen Druck ihrer Hand zu verstehen , und den Schmerz in ihren Augen , wenn sie Abschied nahm .
Dann kam sie vielleicht am zweiten Tage noch einmal wieder , um " noch einmal einzusehen " .
Wieder gab es eine karge Unterhaltung .
Sie erzählte und fragte und merkte mit ihrem feinen Gefühl , daß er mit seinen Gedanken nicht dabei war .
Dann ging sie .
Unterwegs flog brennende Scham über ihre Wangen .
Am Abend in Hamburg wieder angekommen , weinte sie , bis sie sich satt geweint hatte .
Einmal , als das Kind drei oder vier Jahre alt war und am Wege gespielt hatte , kam es an der Hand eines jüngeren , blondbärtigen Mannes in die große Diele und rief : " Vater , das ist der Pastor . "
Jener andere , der einst so breit , im Bewußtsein seines Wertes , durchs Dorf gegangen war , und so sicher und laut über den rechten Glauben gepredigt hatte , hatte in einer größeren Stadt ein Pfarramt überkommen .
Dieser Neue war noch jung an Jahren , war von Natur ein Kind und sagte seine Meinung über alles .
Es war alles wahr , was er sagte ; aber es war nicht alles angenehm .
Er paßte nicht zu den Ulen ; er paßte nicht zu diesen harten , klugen und vorsichtigen Menschen , bei denen man die Wahrheit schräg hinter ihren Worten mühsam suchen muß .
Er bekam im Laufe der Jahre immer mehr Gegner .
Zuletzt schrie die ganze Gemeinde :
sie begehrte einen anderen , sie begehrte einen Sicheren , einen Breitspurigen , einen , der voll öliger Salbung wäre und zugleich ein guter Kartenspieler .
Die evangelischen Gemeinden können dreihundertfünfzig Jahre nach Luthers Tod noch keinen Pastor ertragen , der nichts weiter ist noch sein will , als ein schlichter , ehrlicher Mensch .
Es gibt viel schweres und ganz zweckloses Herzeleid in den Landpastoraten .
Damals war er noch ein frischer Mann , war erst ein halbes Jahr in der Gemeinde und war voll sonniger Hoffnung :
er wollte es wohl fertig bringen ; er wollte durch seine ehrliche Liebe und Arbeit alle für sich gewinnen und damit für das stolze , schöne Evangelium .
Der Pastor redete ein weniges über Wind und Wetter und sagte dann :
" Wir haben die Absicht , nächsten Sonntag in der Kirche eine Gedenktafel für die Gefallenen aufzustellen .
Nun wollte ich Sie bitten , daß Sie doch auch kommen .
Ich weiß wohl , daß Sie kein Kirchgänger sind ; aber bei dieser Feier sollten Sie doch nicht fehlen . "
Jörn Uhl sagte , nicht unfreundlich , die Augen an der Erde : " Ich bin nicht in der Stimmung , Herr Pastor , so etwas mitzumachen .
Sie werden wissen , daß es mit meinem Vater nicht richtig ist , und was ich hier sonst durchgemacht habe , und wie es mit meiner ganzen Lage steht .
Es ist mir die Lust zu allem Feiern vergangen . "
" Das verstehe ich , " sagte der Pastor und sah ihn mitleidig an ; " aber wir wollen ja nicht tanzen .
Dazu hätte ich Sie nicht eingeladen .
Es ist ein Totenfest . "
Da sah Jörn Uhl mit freundlichem Blick auf :
" Ich kann wirklich nicht kommen , " sagte er , " es geht über meine Macht .
Aber ich will daran denken , wenn Sie in der Kirche feiern .
Es sind lauter brave Jungen , alle vier , die auf der Tafel stehen werden .
Bei Geert Dose habe ich in seiner Todesstunde gestanden .
Ich will nachher auch hinkommen und die Tafel sehen . "
Der Pastor sah ihn an , und hatte ihn gern , und sagte : " Ich muß wohl zufrieden sein . "
Dann gaben sie sich die Hände und gingen auseinander .
Am Sonntagabend nahm er den Kleinen an die Hand und ging mit ihm übers Feld nach dem Kirchensteig , dem Dorfe zu , und kam ungesehen auf den Kirchhof und in die Kirche .
Da hing an der Wand im Dämmern die helle Marmortafel im Eichenrahmen , von Eichenlaub umkränzt .
Er konnte die Namen noch lesen .
Unter den Namen stand : " Sie starben für das Land . "
Er nickte .
Die schlichte Tafel und das kurze Wort erfreuten ihn .
Da kam noch jemand in die Kirche , und als er sich umsah , war_es der Pastor , der fragte gleich :
" Gefällt es Ihnen so ? "
" Der Spruch ist gut , " sagte Jörn Uhl .
" Viele in der Gemeinde , " sagte der Pastor , " hätten gern ein schwungvolles , hohes Wort gelesen . . . Genau genommen , " sagte er ernst , " tut ja jeder ernste Mensch dasselbe , was diese vier getan haben .
Diese taten es in drei Tagen oder in drei Wochen mit gehäuftem Jammer .
So tat es auch Ihre junge Frau , Uhl , in wenig Tagen ; sie ließ ihr Leben für Sie und das Kind .
Andere tun es in vielen Jahren , sei es für ihre Kinder , sei es für eine Idee , oder was sonst Edles eine Menschenseele treibt , freiwillig zu leiden .
Wir haben gestern eine Arbeiterfrau begraben .
Sie kam selten in die Kirche ; aber ihr ganzes Leben ist ein heißes und treues Sorgen für Mann und Kinder gewesen .
Das Dienen , das Siechopfern , oder das Helfen und Treusein oder wie man es nennen will : das ist das rechte , menschliche Königtum .
Das ist auch das rechte Christentum . "
" Das kann ich wohl verstehen , " sagte Jörn Uhl .
" Das ist eine Sache , die einen ehrlich und klar anschaut . "
Er nickte und sah den Pastor an , als erwarte er noch ein weiteres Wort hierüber .
" Der Heiland , " sagte der Pastor , " hat durch sein köstlich schönes und reines Leben und seinen sonderbar erschütternden Tod , und durch seine guten , starken und stolzen Worte eine mächtige Fülle von Gedanken und Leben in die Menschheit geworfen , als ein blinkendes Feuer , wie er sagte .
Nun nimmt sich der eine dies , der andere das , und die eine Kirche dies und die andere das , und jeder setzt sich mit dem Feuerscheitlein , das er sich genommen hat , in eine Ecke und besieht es , und läßt es qualmen oder flammen , je nachdem er Rauch oder Feuer lieber hat , und sagt : » Das ist des Heilandes Wahrheit . «
Viele tun noch ihre eigene Weisheit hinzu , viele sogar ihre Unehrlichkeit , ja viele sogar ihren bösen Willen .
So ist des Heilandes wirkliches Bild bei einigen versteinert , bei anderen verkleidet , bei anderen sogar so verzerrt , daß man von seinem edlen Angesicht nichts mehr sieht .
Und dabei ist es doch gar nicht so schwer , auch nicht für den Ungelehrten , sich aus den ersten Evangelien ein Bild von ihm zu machen , so klar und deutlich , daß man die Grundzüge seines Wesens , Willens und Lebens erkennt .
Soviel ich sehe , so ist es dies , was er uns zu sagen hat :
Wir sollen Vertrauen haben , daß Gott im Himmel uns zu aller Zeit , auch im größten Dunkel , mit starkem , immer wachem Willen und mit immer guter Absicht zur Seite steht , und von diesem fröhlichen Glauben aus sollen wir wacker gegen alles Böse in uns und um uns streiten .
Den Rücken durch das Gottvertrauen als durch eine hohe , starke Mauer gedeckt , sollen wir für das Gute kämpfen und am endlichen Sieg , erst auf dieser , dann auf der anderen Seite , nimmer zweifeln .
Das , meine ich , ist das ganze Christentum .
Wenn aber einer zu diesem Gottvertrauen nicht kommen kann - denn das ist nicht jedermanns Sache - , und kann ohne Gottvertrauen das Gute und Liebe tun : so soll man es genug sein lassen und sich freuen . "
" Dem , was Sie da sagen , muß jeder gute Mensch sofort zustimmen , " sagte Jörn Uhl .
" Man braucht nicht lange auf einem Bein zu stehen und nachzugrübeln , wozu wir keine Zeit haben .
Man hat auch nicht nötig , den Verstand , den Gott einem gegeben hat , erst selbst unmündig zu machen und dann das anzunehmen , was sie einem vorhalten : Friß , Vogel , oder stirb . "
Der Pastor lachte hell auf :
" Nichts ist sicherer , " sagte er , " als daß die Sache , die Jesus den Menschen hat bringen wollen , eine sehr einfache , eine ursprüngliche und klare war .
So weiß ich nicht , welche es gewesen ist , wenn es nicht die war , die ich vorhin genannt habe . "
Sie gingen miteinander bis an die Grenze des Kirchhofs .
Der Pastor fing an , nach dem Feldzuge zu fragen .
Jörn Uhl war ein wenig aufgetaut und erzählte bedächtig von der Bedrängnis bei Gravelotte , und von dem nassen Lager vor Metz , und von den langen , bitterbösen Wochen um Orléans .
Dann sagte er , er hätte keine Zeit mehr : " Wir haben eine Fohlenstute im Stalle stehen , und der Junge , der dabei sitzt , ist nicht ganz zuverlässig . "
So gingen die beiden auseinander , jeder mit guter Meinung über den anderen .
Der Pastor ging ins Dorf hinein , seine Gedanken und Taten an die harten Menschen zu bringen und zu erreichen , soviel ein Hund erreicht , der gegen einen vorbeifahrenden Lastwagen bellt .
Jörn Uhl ging nach seinem Hof zurück in die dunkelste Stunde seines Lebens .
Denn während er nach der Kirche ging , war sein Bruder des Weges gekommen , nachdem er den ganzen Sonntag in irgend einem Wirtshause getrunken und gelärmt hatte , und hatte von dem Jungen , der an der Stalltür lehnte , erfahren , daß der Bauer nicht daheim wäre .
Da brach er schimpfend und fluchend ins Haus und stolperte in die Stube , wo der Alte hauste , und schüttelte seinen Haß und Jammer vor ihm aus .
Der Alte war schon im Bett , richtete sich auf und sah ihn wirr an .
" Was willst du ? " sagte er unsicher .
" Ich habe es mir sauer werden lassen , habe gearbeitet und bin all meine Tage im Hause geblieben , und wenn ich in der Stadt zu tun hatte , bin ich zu Fuß gegangen .
Ich , ich alter Mann . . . ich verfluche euch und euren Vater .
Geld und Gut , das ich sauer erworben habe , hat euch den Verstand verwirrt .
Gehe weg :
ihr seid nicht wert , daß euch die Sonne bescheint . "
" Du bist verrückt , " sagte der Trunkene und stützte sich auf den Stuhl , der am Bett stand .
" Vollständig verrückt .
So verrückt , wie 'ne Sau , die ihre Jungen verzehrt .
Aber es ist eine bequeme Verrücktheit .
Du hast dir immer das Bequeme ausgesucht .
Erst wirtschaftetest du wie ein Lump , und als du alles verludert hattest , machtest du dich in deiner Verrücktheit zum Edelmann . "
Er nahm die Flasche , die er in seinem zerlumpten Rock trug , und trank und trank .
" Die ganze Welt ist aus Rand und Band :
Wenn die Leute nicht mehr sein mögen , was sie sind , bestellen sie sich eine Verrücktheit , wie sie ihnen paßt .
Ich will auch ein anderer werden , als ich bin .
' raus aus der Haut : Sie ist zu schäbig ! "
Er zog den Rock aus und warf ihn aufs Bett .
" Adieu , Großvater , Urgroßvater , alter Adam !
Ich will mich häuten .
Dies Leben hat keinen Zweck . "
Er stolperte nach der großen Diele .
Da war es dunkel .
Als Jörn Uhl nach Hause kam , fand er seinen Vater schlafend .
Wieten war nicht da .
Da ging er nach der großen Diele .
Da lag Hinnerk Uhl auf dem Lehmboden neben der Leiter , und Wieten Clog und der alte Knecht standen neben ihm .
Wieten erzählte , wie er ins Haus gekommen wäre :
" Ich ging ihm nach und konnte ihn erst nicht finden .
Nachher fand ich ihn hier an der Leiter . "
Der Knecht ging nach dem Pferdestalle zu und sagte zu dem Jungen , der mit bleichem , bangem Gesicht in der Tür stand : " Mache ' , daß du nach der Stute kommst .
Dies ist nichts für dich . "
Als die beiden verschwunden waren , kam Jörn Uhl aus seiner Starrheit .
Er lehnte sich schwer gegen die Leiter und hob die Hand .
Und Wieten sagte : " Ach , weine man nicht so , Jörn .
Weine nicht so , mein Junge . "
Der Amtsrichter kam , und der Gemeindevorsteher kam auch , und Jörn Uhl war kalt wie Eis und gefährlich wie zertretenes Glas .
Der Vorsteher fragte , wer den Sarg machen solle .
Er antwortete :
" Was geht es mich an ? "
" Ja , wir können ihn doch nicht als Armenleiche begraben lassen ? "
Jörn Uhl sah ihn stolz an : " Warum nicht ?
Wer konzessioniert in dieser Gemeinde die Wirtschaften , in denen die Menschen sich betrinken dürfen , bis sie Schweine sind ?
Tue ich das oder die Gemeinde ?
. . .
Dann mag die Gemeinde die Schweine begraben , die sie selber groß zieht . "
Da kam am selben Abend der Armensarg und wurde in die Kammer gestellt , die rechts am Kuhstall ist .
Sie ist früher Häckselkammer gewesen .
Jörn Uhl und Tischler Finke legten den Toten hinein :
" Die Armensärge werden im voraus gemacht , " sagte er .
" Er ist zu lang . . . er hat bei der Garde du corps gestanden . "
" Es geht so . "
Wieten kam und hatte den alten Mann , den sie notdürftig angekleidet hatte , an der Hand wie ein Kind .
In der anderen Hand hatte sie die leere Flasche und den Strick .
" Wir wollen ihm alles mitgeben , " sagte sie ; " es nützt doch nichts , daß man Gott ' was vormacht .
Nun kann er gleich sehen , was seine Not und sein Tod gewesen ist . "
Und sie legte ihm beides unter die Knie .
Jörn Uhl schüttelte den Kopf und ließ die beiden allein , und ging vors Haus , und ging da hin und her wie ein Wachtposten , daß nicht noch mehr Unglück und Schande in das Haus hineindringe .
Als er wieder hineinging , um den Vater zu Bett zu bringen , wie er fast jeden Abend tat , fand er ihn schon drin .
Wieten saß vor seinem Bett und las aus dem Alten Testament die Geschichte von Eli , dem starken , dicken Mann , der seine Kinder nicht erzog .
" Jörn , " sagte sie , " ich glaube , er weiß heute abend , daß er Klaus Uhl ist .
Er fragte mich vorhin , ob er es wäre , der in das Pflugeisen gefallen ist . "
Jörn Uhl trat an das Bett und sah seinen Vater an und sagte : " Liegt Er gut , Vater ? "
Der alte Mann sagte nichts .
" Laß das Lesen , Wieten , " sagte er , " es nützt nichts .
Das hätte früher geschehen müssen . "
" Na , denn nicht ! " sagte sie und legte das Buch an seinen Platz .
" Ich dachte sonst , es könnte ihn zu sich selbst bringen . "
" Und dann ? " sagte Jörn . * * * Die Sonne schien .
Der Wind wehte .
Der kleine Junge lief in Sonne und Wind über die Hofstelle und hielt die Hände hoch überm Kopf , als wollte er auffliegen .
Aber die Uhl ist tot .
Einundzwanzigstes Kapitel Die Uhl ist tot .
Die Menschen , die auf einem toten Hofe wohnen , werden meist geizig und schmutzig .
Das geschieht auf der Uhl nicht .
Wieten hat ihr Haar glatt und ordentlich gestrichen ; der kleine Junge ist sauber gekleidet , wie das Kind eines Arbeiters , der eine ordentliche Frau hat ; der Bauer geht im Sommer in Blauleinen , im Winter in englisch Leder , die Weste bis an den Hals zugeknöpft .
In der Lade , ganz zu unterst , liegt unbenutzt der dunkelblaue Anzug , den er sich machen ließ , als er mit Lena Tarn Hochzeit machen wollte .
Auch innerlich verrohen die Leute auf der Uhl nicht .
Dafür sorgt schon das Andenken Lena Tarns , der Gütigen , und das ernste , stille Wesen Wieten Klocks ; dafür sorgt bei dem Bauern der angeborene Sinn für das Ehrenwerte , Reinliche .
Aber eine andere Gefahr ist da : die , daß der Bauer ein Einsiedler wird , ein Wunderlicher .
Er war schon einmal in dieser Gefahr , damals , als seine erste Liebe ein so unglückliches Ende nahm .
Jetzt kommt die Gefahr wieder .
In der traurigen , sorgenvollen Einsamkeit bricht wieder mit Macht der starke Trieb hervor , zu grübeln , zu ergründen , zu erkennen .
Und jetzt kommt diese Gefahr über einen Mann , dessen Seele müde , verbittert und fast verzweifelt ist .
Aber während er damals alles allein in sich verarbeiten mußte , den langen Leib auf dem strohgeflochtenen Stuhl , so halfen ihm jetzt Menschen und Sterne .
Gut war es , daß er nicht nötig hatte , weg- und zwecklose Gedankengänge zu machen wie jener Bauernjunge , der einen ganzen Tag lang kreuz und quer über die Wodansheide galoppierte und patzig und tiefsinnig sagte :
er täte es , weil er_es müßte .
Gut war es , daß er nicht aufs Geratewohl ins Abstrakte und Unsinnliche hinab zu taumeln brauchte , als wenn ein Mensch einen Anlauf nimmt und von der Erde ins Weltall hinunterspringt . . . Es zogen oben am Himmel noch immer die goldenen Heerhaufen vorüber , quer auf dunkler Straße hunderttausend Mann , mit blanken Kürassen und funkelnden Lanzen .
Auf diese konnte er sein gutes Rohr richten und in stillen und ernsten Gedanken zielen .
Hinten im Apfelgarten , am Rande des Burggrabens , stand ein Gartenhaus , dessen Mauern noch gut waren .
Aber das Dach war verfallen .
Er riß es herunter und zimmerte selbst ein neues , das drehbar war , und machte Spalten darin und baute in dem Rundraum zwei gute , steinerne Pfeiler , und stellte auf den einen den Refraktor und auf den anderen das Passageinstrument , und stellte Bücher und Uhr aufs breite Fensterbrett und nagelte Tabellen und Sternkarten an die Wand .
Das alles tat er selbst , ohne jemandes Hilfe .
In dem Gartenhaus hatte der Vater mit lauten Gästen gelacht und gespielt , und die Brüder hatten nachts mit liederlichen Mädchen darin gesessen :
nun stillte dort der Jüngste seinen Durst nach Wissen .
Er saß zuweilen die halbe Nacht hinter Karte und Okular , und sah tief in ein gewaltig gelehrtes Buch , und schüttelte oft den Kopf und hatte die Stirn voll Furchen , und schlug zuweilen , erstaunt über das , was er gefunden hatte , mit der flachen Hand aufs Knie , daß es schallte .
Und so war es gut .
Es war ein Sprung aus einem Feld voll Dornen und Disteln auf einen hohen Wall , wo den staubbedeckten Arbeiter ein frischer Wind umwehte .
Und Menschen halfen ihm .
Das Kirchspiel wollte eine neue Entwässerung der ganzen Gemarkung vornehmen , eine Sache , die genaue Vorarbeiten nötig macht , sich durch Jahre hinzieht , vielen Arbeitern Brot gibt und viele Tausend Mark kostet .
Sie hatten drei Jahre lang darüber nachgedacht , wie sie es am schlausten und billigsten ins Werk setzten , ob sie es nicht ohne gelehrte Leute durchsetzen könnten , die bekanntlich heidenmäßige Rechnungen schreiben .
Da kamen sie zu dem jungen , schweigsamen , gelehrten Bauern , der auf der Uhl saß wie in Spinneweb , und fragten ihn um Rat .
Der überlegte die Sache acht Tage lang und zeichnete auf den großen Grundbuchkarten der Gemeinde die halben Nächte durch , wobei er den langen Zeigefinger oft an die lange Nase legte , als ob er genau messen wollte , wer länger wäre .
Dann trat er vor die Kirchspielsherren und erklärte ihnen : er , er selbst , wolle die ganze Ausführung leiten , unter ihrer eigenen Oberaufsicht ; und sie sollten ihm seine Arbeit bezahlen , so und so , immer zu Neujahr , wenn das Jahrespensum zu ihrer Zufriedenheit ausgeführt wäre .
Sie erstaunten sehr und baten ihn , hinaus zu gehen , und berieten lange und lebhaft .
Mit knapper Stimmenmehrheit wurde sein Anerbieten angenommen .
Er führte die ganze Arbeit in fünf Jahren aus , wie er mit ihnen abgemacht hatte , und hatte den doppelten Nutzen , daß er eine kleine Beihilfe für seine große , immer leere Kasse gewann , und daß er eine Arbeit mehr hatte , welche zweckloses Sorgen und schwerblütiges Grübeln unterbrach .
Die Arbeit wurde noch dazu Veranlassung , daß er in Botanik und Mineralogie hineinkam .
Auf den vielen Gängen über die Gemarkung der Gemeinde , die Geest und Marsch , Moor und Heide hatte , sammelte er Kraut und Unkrautsamen und erfreute den Professor in der Stadt mit guten , sauberen Präparaten ; und als sie die neuen , tiefen Gräben durchs Land zogen , erfaßte ihn die Neugier , die verschiedenen Erdarten und -schichten zu untersuchen und zu bestimmen , und der alte Professor bekam saubere Zeichnungen und peinlich genauen Begleitbericht .
Menschen halfen ihm .
Der kleine Junge wuchs heran und lief mit unermüdlichen Fragen im kurzen Trabe neben dem Vater her durch Haus und Scheune , und ritt und fuhr mit ihm zur Schmiede ; und eines Tages ging er allein ins Dorf und brachte einen kleinen Jungen als Spielkameraden mit , so wie die einsame Taube sich einen Genossen holt .
Von da an bewirkte der Verkehr mit Kindern , daß Gedanken und Reden kindlich wurden .
Und Jörn Uhl , der bisher vergeblich versucht hatte , den rechten Ton der Unterhaltung zu treffen , saß nun zwischen den beiden , kleinen Kerlen auf der Bank neben dem großen Scheunentor und hörte klug zu , wie sie miteinander redeten , und fand den Ton , und baute ihnen einen Kaninchenstall , halb in der Erde , halb über der Erde , wie es sich gehört .
Als er fünf Jahre alt war , trug er dem Vater von Feld zu Feld Meßkette und Stäbe nach .
Und als er sechs war , und er im Anfang der Ernte hörte , daß sein Vater gegen Wieten klagte , er müßte wohl einen Dienstjungen eigens wegen des Zwischenfahrens annehmen , da behauptete der kleine Kerl , er getraue sich wohl , das zu tun .
Und dann hat er während dieser heißen und Helden Ernte vier Wochen lang den ganzen Tag den Erntewagen gefahren .
Und war stolz wie ein König , und lachte hell auf und trampelte vor Vergnügen mit den Füßen , als der alte Knecht den letzten vollen Wagen am Hector des Aukrugs umschmiß , da , wo die Einfahrt so beschwerlich ist .
Das war ihm nicht widerfahren .
Jörn Uhl stand an der Ecke des Weges und sah des Jungen Freude und hätte fast gelacht .
Von Wuchs waren des Kindes Eltern gleich gewesen , groß , weit gebaut und gelenkig ; aber die Augen hatte der Junge von seiner Mutter ; und es schien , daß er auch viel von ihrer freundlichen Natur und ihrem hilfbereiten Sinn geerbt hatte .
Wenn er , mit dem Hofhund oder den Kindern spielend , einmal hell auflachte , trat der Vater aus der Tür und sah mit verlorenen Gedanken auf das Kind .
Menschen halfen ihm .
Eines Abends - es war ein Jahr nach der Unterhaltung in der Kirche - wagte Jörn Uhl es und ging übers Feld nach dem Kirchensteig ins Pastorat .
Es war nach dem Abendbrot .
Die rissen die Wohnstubentür auf , verwundert , wer da noch käme .
Da stand Jörn Uhl da , in seinem guten , dunkelblauen Anzug und in seiner ganzen , stattlichen Eckigkeit .
Er wurde hereingebeten und trat ein , indem er sich unter der niedrigen Tür des alten Hauses tief bückte .
Es stand in der Mitte der niedrigen Stube ein viereckiger Tisch , und alle vier Seiten waren besetzt .
An der einen saß der Pastor und las .
An der anderen saß seine Frau ; die war schmuck und ein wenig zart , und war kinderlos ; die las auch .
An der dritten Seite saß die Stütze der Hausfrau , irgend ein junges Ding , meist so um achtzehn herum , und meist eines Lehrers Tochter , und meist in guter Laune ; die las auch .
An der vierten Seite saß der Vater des Pastors .
Er war ein alter Mann , war in seiner Jugend mit bei Idstedt über die Koppel gesprungen und verwundet worden , und hatte auch nachher im weiteren Leben als Handwerker auf dem Lande allerlei Buntes erlebt und noch Bunteres gesehen , und pflegte zu sagen : " Ich brauche nicht mehr in Büchern zu lesen ; mein Leben ist ein Buch . "
Er saß seitlich am Tisch und rauchte und erzählte ; und niemand hörte danach .
Nur wenn es ihnen neu war und interessant , sahen sie von ihren Büchern auf und fragten :
" Wie war das , Vater ? "
Irgendwo in die breiteste Lücke gedrängt , saß ein kleiner , munterer Junge von zehn Jahren .
Er hatte keine Eltern und ging beim Pastor auf die Fohlenweide .
Der las auch .
Nun kam Jörn Uhl , nachdem er gebückt eingetreten war .
Und es war kein Platz für ihn .
Zuletzt stand das junge Mädchen auf und gab dem Jungen verstohlen einen Wink , und beide setzten sich im Hintergrunde der Stube auf das Sofa , stellten ein Spiel zwischen sich , und spielten eifrig , und langten abwechselnd mit spitzen Fingern in eine große Rosinentüte , die aus Versehen auf dem Sofa stehen geblieben war .
Also hatte Jörn Uhl nun richtig einen Platz , und die Unterhaltung konnte vor sich gehen .
Und zuerst , da der Pastor meinte , der Besuch hätte ein bestimmtes Anliegen , redete er ein wenig Allgemeines und wartete auf das Besondere .
Das ging spärlich .
Dann , als das Besondere nicht kam , und der Gast seßhaft blieb , merkte der Pastor , daß Jörn Uhl wirklich und wahrhaft gekommen war , bloß um einige gemütliche Stunden zu verleben , wozu er seit Jahr und Tag mehrfach eingeladen worden war .
Nun kam das Gespräch auf Weltbegebenheiten und stieg von da , auf Veranlassung der Frau , zu den Sternen empor .
Und es kam an diesem Abend bis dahin , daß Jörn Uhl ein Blatt Papier vor sich hatte , und mit einem Bleistift , den er wie einen Forkenstiel anfaßte , eine flüchtige Karte entwarf und in bedächtigem und richtigem Hochdeutsch , mit langsamen Schritten und in ruhiger Unterhaltung , mit dem gesamten Pastorat die Milchstraße entlang , immer der Nase nach , quer über den Himmel spazierte .
Das Pastorat atmete erleichtert auf , als sie die Haustür hinter ihm zugemacht hatten .
Der Pastor sagte :
" Habe ich zuviel gesagt ?
Ist er nicht ein feiner und kluger Mensch ? "
Die Frau sagte :
" Diesmal hast du recht gehabt :
es ging sehr gut . "
Er kam nach vierzehn Tagen wieder und kam dann immer so ungefähr alle vierzehn Tage .
Wenn die Unterhaltung nicht recht mehr wollte - da weder Jörn Uhl , noch der Pastor , noch seine Frau Gesellschaftsmenschen waren - , so wurde ein Buch genommen und vorgelesen .
Ja , es geschah , daß der Pastor so wild auf ein Buch war , in dem er gerade las , daß er gleich sagte :
er könne heute abend nicht davon lassen .
Dann sprach Jörn Uhl mit dem Alten über Krieg und Kriegsfahrten , oder mit der Frau über allerlei Lebensschicksale .
Mit den Büchern , die vorgelesen wurden , griff der Pastor erst ganz und gar fehl .
Er kam mit " Faust " und las vor , danach mit Reineke Fuchs .
Jörn Uhl hörte zu ; aber als sie fertig waren und er um seine Meinung gefragt wurde , schüttelte er ganz stark den Kopf .
" Nein , Herr Pastor , " sagte er , " das ist nichts für mich ; mit solchen Dingen hat Wieten Clog mich in meiner Kindheit überfüttert .
Sie pflegte gerade solche wilde und unzuverlässige Geschichten zu erzählen wie diese , und Fiete Krey , der bisher in Wisconsin eine Butterfarm gehabt hat und nun in Chicago einen Holzhandel anfängt - er hat es mir geschrieben - , der und meine Schwester , die hörten genau zu ; aber für mich war das nichts .
Ich machte unterdes Schwellen aus Stopfnadeln und legte Schienen aus Wieten Strickwieren und baute eine Eisenbahn , und als ich etwas älter wurde , las ich in Littrows » Wunder des Himmels « .
Solche Dinge sind meine Neigung .
Aber ich habe immer etwas anderes tun müssen . "
Da versuchte es der Pastor mit Reisebeschreibungen und Lebensgeschichten .
Und das ging .
Sie lasen die Reise eines Nordpolfahrers und eines Wüstenwanderers , und die Lebensgeschichte eines Staatsmannes , die er selbst erzählt hat , und die Lebensgeschichte Jesu , die Markus erzählt hat .
Sie lasen dies Büchlein , wie sie die anderen gelesen hatten , und stritten sich sehr .
Zuletzt , im dritten Jahre des Verkehrs , kam es soweit , daß der Pastor sagte :
" Wir haben beide friesisches Blut in uns , Uhl .
Sind wir aber Friesen , so müssen wir Weltweisheit verstehen können ; das kann nicht anders sein .
Wir wollen die Zähne zusammenbeißen und ein dickes und schweres Buch lesen , das ein Bauernjunge aus Langenhorn zusammengeschrieben hat , der jetzt ein großer Professor ist . "
Und so geschah es .
Und manchmal sahen die beiden sich dumm an .
Und manchmal schien es , daß der Bauer mehr davon begriff als der Pastor .
Der ist niemals ein Weltweiser geworden .
So halfen Menschen und Sterne , daß Jörn Uhl über böse , einsame Jahre hinweg kam .
Zweiundzwanzigstes Kapitel Er hatte es gewagt und hatte dreißig Hektar vom besten Land mit Weizen besät .
Er wollte einen tüchtigen Zug tun .
Wenn es glückte , konnte er nach der Ernte zum erstenmal von der großen Hypothek abtragen ; bisher hatte er sich mit den Wechselschulden der Brüder geplagt .
Der Weizen kam gut durch den Winter .
Der Weizen schoß regelmäßig und dicht auf .
Die Hoffnung war sehr groß .
Die Hoffnung war sehr nahe .
Da fiel sie ins Wasser .
Das Jahr wurde das berüchtigte , schlechte Weizenjahr .
Was Jörn Uhl widerfuhr , ist mehreren widerfahren .
Wir erzählen die Geschichte vieler .
Es ist uns , als wenn viele vergrämte und harte Gesichter auftauchen und sagen : " Du erzählst unser aller Leid . "
Es war noch die Zeit , da ein Drittel der ganzen Landschaft mit Weizen besät war und der Weizen den Ausschlag gab , da ein Jahr den Landmann fest in den Sattel setzte und ein Jahr den Schwachen herauswarf .
Jetzt ist es anders geworden .
Jetzt wogt die Marsch nicht mehr von Weizen , der schwere Wellen hat , wie jenseits des Deiches das Meer .
Die Marsch ist grün geworden .
Wir fangen an , Viehzüchter zu werden , und wir fangen an , dumm zu werden .
Von einem Bauern jenseits der Eider erzählt man , daß er jeden Morgen mit seiner Meerschaumpfeife hinausging , seine Ochsen zu besehen , wie ein ordentlicher Züchter täglich tun muß .
Und wenn er sie traf , trat er unter sie und sagte : " Guten Morgen , alle miteinander , " und fuhr fort , mit ihnen zu reden , etwa dermaßen :
" Kinder , " sagte er , " nun dauert es nicht mehr lange , dann seid ihr fett .
Mit dir , mein Lieber , steht es allerdings schwach im Achterviertel , was doch die Hauptsache ist .
Aber einerlei :
ihr kommt nun weg , alle miteinander .
Ihr kommt nach Husum ; das ist eine feine Stadt , da steht Haus an Haus .
Dann kommt ihr auf die Eisenbahn :
da geht es immer puff , puff .
Nach Rheinland geht ihr hinunter .
Da werdet ihr euch wundern !
Lehnsmann Olders ist dagewesen und erzählt tolle Dinge : Schornstein an Schornstein , und überall wird geglüht , gehämmert und gefeilt .
Und dort . . . dort werdet ihr . . . Ja . . . dort bekommt ihr einen anderen Herren , und ich . . . ich bekomme mein Geld .
Und dann sind wir vergnügt , alle miteinander . "
So sprach er laut und bedächtig , zwischen den Zähnen hindurch , mit denen er die Meerschaumpfeife hielt ; denn er hatte beide Hände in den Taschen .
Ein Tagelöhner , den er nicht sah , stand arbeitend im nächsten Graben .
Der hörte genau zu und brachte die Geschichte unter die Menschen , nachdem er sie ein wenig ausgeschmückt hatte .
Und alles Volk wunderte sich über die Worte , die Lehnsmann Soderbohm zu seinen Ochsen gesagt hatte .
Denn zu Menschen sprach er nie .
Es kam nie etwas aus seinem Munde , es sei denn Rauch seiner Pfeife und zur Seite fliegender Priemtabak .
Solche Leute werden wir hier auch werden .
Darum hat , der diese Geschichte von Jörn Uhl erzählt , sich einen Landbesitz oben auf der Geest gekauft , vier Fuß breit , acht lang .
Wenn man sich dort still hinlegt - und das denkt der Erzähler zu tun - , dann hört man im Sommer den Roggen rauschen .
So Ende Juli ging Jörn Uhl eines Abends in die Marsch hinunter und begegnete dem alten Dreier .
Der blieb stehen , stützte sich schwer auf seinen Stock und atmete laut .
" Du , Jörn , " sagte er , " hast du schon gesehen , daß die Mäuse im Weizen sind ? "
" Nein , " sagte der .
" Ich war vorgestern da und habe keine einzige gesehen . "
" Vorgestern waren es wenige ; gestern waren es viele ; heute sind es eine schwere Menge .
Mir ist bange um den Weizen , Jörn .
Alle fünfzig Jahre sind sie da .
Vor hundert Jahren , hat mir mein Vater erzählt , haben sie drei Jahre lang den Weizen und die Weiden verdorben ; da hat ein guter Dithmarscher Bauernhof nicht mehr gekostet als eine Pfeife Tabak und einen Weidenstock . "
Jörn Uhl ließ den Alten stehen und kam an dem Hafer vorüber und sah noch nichts , ging weiter und stellte sich ans Hector und sah in seinen Weizen .
Rechts von ihm , so daß er den Wasserspiegel sehen konnte , floß die ziemlich breite Au .
Als er noch so stand und über das weite , wogende Feld sah , war ihm , als wenn nicht weit von ihm ein Weizenhalm plötzlich verschwand , und wieder . . . nun da . . . nun da .
Als wenn eine Hand leise aus der Erde langt und ihn herunterzieht .
Er wischte sich mit der Hand über die Augen ; er meinte , es wäre Augenverblendung .
Aber da sah er es : wie eine Maus sich auf die Hinterbeine hob , ein Bis , noch einer : der Halm fiel herunter und lehnte sich schräg an seinen Nebenmann .
Es war eine feine , zierliche Arbeit .
Er sah übers Feld und sah wohl mehr , als zu sehen war : als wenn das ganze Feld lebt .
" So ! " denkt er .
" Das ist das Ende . "
Er steht noch so in Gedanken :
da hört er es im dunklen Wasser rieseln und leise plätschern ; und wie er hinuntersieht , schwimmen , ziehen und wandern sie da quer durchs Wasser tausend und abertausend .
Da kehrt er sich kurz um und geht nach Hause .
" Wenn nun der Vater tot wäre .
Wenn der nun sterben wollte , heute oder morgen !
Soll der noch in seinem Lehnstuhl vom Hofe getragen werden ?
Sollen alle Leute die Armut sehen , die wackligen Möbel und die zerrissenen Polster ? "
Er geht gleich in die Stube , um zu sehen , wie es dem Vater geht .
Wieten kommt ihm entgegen :
" Es geht wie gewöhnlich , Jörn ; aber er will heute nicht aufstehen ; ich glaube , er bildet sich jetzt ein , daß er im Bett am sichersten ist . "
" Im Bett sicher !
Ach , Wieten !
Wieten , es gibt ein Mäusejahr !
Ein Mäusejahr , wie in diesem Jahrhundert noch keines gewesen ist .
Die Mäuse sind im Weizen ; sie sind auf der Hofstelle , sie nagen am Bettpfosten , sie fallen uns bei lebendigem Leibe an .
Es geht mit uns zu Ende , Wieten . "
" Jörn ! " sagte sie .
" Ach Gott , Jörn ; nun rede doch nicht so ! "
Sie schüttelt den Kopf und geht hinaus .
Klein ist sie und geht etwas vornüber und hat etwas Unbeholfenes und Verschüchtertes .
Arme Wieten , dein ganzes Leben eine einzige Sorge .
Rasch nachdenken !
Nachdenken !
Denn in jeder Sekunde fallen zehn Weizenhalme .
In jeder Minute ärmer !
. . . Ja , was hilft nachdenken !
Nachdenken hilft nicht mehr .
Ein Wunder hilft noch . "
Er ist wieder einmal hinuntergegangen , um den Jammer zu sehen .
Es kommt ihm einer entgegen , der hat auch ein Weizenfeld da unten und hat auch Schulden bis an den Hals .
Der ist ordentlich alt geworden in den paar Tagen .
" Was sagst du , Jörn ? "
" Ja , was soll ich sagen , Peter ?
An unserem Pflügen hat es nicht gelegen .
Es ist außer unserer Macht . "
Der nickt und geht an ihm vorüber .
Er hat fünf Kinder im Hause .
Im Anfang August fängt es an zu regnen , und es ist Hoffnung vorhanden , daß eine Krankheit unter die Mäuse kommt und sie so rasch wegsterben , wie sie gekommen sind .
Aber der Regen ist warm und weich und anhaltend .
So recht ein Regen , bei dem selbst Kinder es aufgeben , auf gut Wetter zu hoffen , und in Haufen unter der Dachtraufe stehen und sich ' was erzählen : Damals , als die Sonne noch schien . . .
So eine Woche , noch eine Woche , nun die dritte .
Es ist ja Erntezeit ?
Wann soll denn die Sichel in der Sonne blinken ?
Es ist ja nur kleines Leben , das da unten in den Weizenfeldern wühlt und arbeitet .
Aber was ist da für ein Unterschied : klein oder groß ?
Es ist ein unnatürliches Leben : die Mäuse im lockeren Erdboden treiben Unzucht ; und das Korn , das der Regen auf die weiche , nasse Erde gelegt hat , lernt es von ihnen .
So jung es ist , noch in der Wiege , treibt es aus .
Die geile , überreife Ähre wird Mutter .
Erste und zweite Frucht wühlt und gehrt durcheinander .
Nun hat es keinen Zweck mehr , nach den Weizenfeldern zu gehen :
da ist nichts mehr zu suchen .
Er kam wieder nach Hause und fühlte einen dumpfen Kopfschmerz und dachte bei sich selbst :
" Ich grüble mir noch den Kopf kaputt . . . Es ist dumm , immer zu fragen : warum ? wohin ? aber es ist merkwürdig :
ich kann nicht davon weg kommen .
Es ist gerade , als wenn man in ein dunkles Haus geschleppt wird .
Man rennt wieder heraus an die Sonne ; aber gleich wird man wieder ins Haus hinein geschleppt und muß durch jedes muffige Loch kriechen . "
Er ging in seine Kammer , setzte sich in den Stuhl und warf die Beine auf die Lade , daß es krachte .
" Was steht da auf der Lade ?
» Der Segen des Herrn macht reich ohne Mühe ? «
Das wäre !
Na , denn man zu !
Ich bitte um etwas Segen ohne Mühe !
Ich bitte um etwas Segen mit Mühe !
Wenn der Spruch in der Bibel steht , ist die ganze Bibel nichts wert und der Herrgott auch nichts . "
Er fuhr mit der Hand über den Kopf , als müsse er dort öffnen und freimachen , was unter schwerer Last lag .
Wie ein Mensch , der unter einem schweren , hohen Haufen Stroh liegt , und immer mehr wird aufgepackt , und dumpfer wird der Kopf , und ängstlicher wird das Atmen .
Er blieb so sitzen , und grübelte mühselig und angstvoll , und fuhr sich immer über das Haar , als suchte er dort Wirbel , Klinken und Schlösser , die er lösen könnte , um frei von dem schweren Druck zu sein ; und kam in einen dumpfen Schlaf und wachte wieder auf .
Da war ihm , als wenn er in seinem Leben verirrt war .
Es war ein Augenblick : als wenn ein Knecht , der unweit seines Wagens steht , sieht , daß seine Pferde wild auffahren und im Todesschreck davon rasen wollen .
Jörn Uhl sprang heran und warf sich seinen Gedanken entgegen .
Er riß an schäumenden Gebissen ; seine Zähne knirschten ; er sah aus wilden Augen in noch wildere hinein .
Aber er wurde zurückgestoßen , daß er in die Knie sank .
Nun rasten sie davon .
Hei , wie sie jagen und stürzen !
Wer kann die halten ?
Hei , laß laufen , was laufen will . . . Wie war das doch ?
Er war ja doch auf der Lateinschule gewesen ?
Wie war es denn nun geschehen , daß er doch hier in Sorgen saß ?
Wer hatte doch den Hof bekommen ?
Hinrich nicht , der war tot ; den hatte er tot im Sarge gesehen .
Wer denn ?
Der Älteste natürlich .
Aber wie war es möglich , daß er das nicht wußte ?
" Ich habe wohl eine schwere Krankheit durchgemacht , " dachte er , " da gehen manchmal die Gedanken weg ; das kommt nachher alles wieder in Ordnung . "
Aber das war doch sicher :
er hatte doch auch lange Jahre auf dem Hofe gelebt .
Wie kam das denn ?
Ja . . . das kam so . . . richtig !
. . .
Der Vater trank , und da mußte er das Gymnasium verlassen und mußte schwere Jahre durchmachen .
Aber nun war alle Not vorüber : mit Lena Tarn war das Glück gekommen .
Er hatte die Stelle an der Sternwarte bekommen , so als Diener des Professors .
Er ging hin und her , und wollte sich darüber freuen , und war doch in großer Unruhe , und machte die Tür auf und wollte Lena Tarn fragen , ob sie mit dem kleinen , festen Gehalt von neunhundert Mark auskommen könnte und dachte :
die lacht natürlich übers ganze Gesicht und sagt : " Kleinigkeit !
Macht Spaß !
Alle Tage Pfannkuchen in Fett umgekehrt ! "
Als er aber die Tür öffnete , ging gerade der Knecht über die Diele .
Da stutzte er und machte die Tür wieder zu .
Dabei stieß er mit einem harten Gegenstand gegen die Türpfosten .
Er sah hin , was er da unter dem Arm hätte :
da war es das Fernrohr samt dem Wolllappen , mit dem er die Metallstücke des Rohres zu reinigen pflegte , und er wußte nicht , wie er beides in seine Hand bekommen hatte , da es das alte Rohr war , das ganz zu unterst in der Lade lag .
Er bis die Lippen zusammen und wurde blaß , und seine Stirn wurde naß von furchtbarer Angst .
" Verrückt , " sagte er .
Er ging wieder hin und her , in furchtbarer Not , in schrecklicher Angst .
Er suchte , was er eben gedacht hatte , und quälte sich mit der Vergangenheit und konnte sich nicht zurechtfinden .
" Es ist mir wohl nichts geglückt , " dachte er .
" Es ist alles schief gegangen . . . "
" Das sagte der alte Klaus Johann auch , der sein Leben selbst bruddelt hatte ; der erzählte jedermann :
er hätte kein Glück gehabt . . . so ist es auch mit mir . "
Und plötzlich erschien ihm sein Leben so : nicht als lauter Mühe und Arbeit , sondern als lauter Irrtum und Sünde .
Die schlechten Gedanken , die bei allen guten Menschenwerken , auch bei den besten , nebenan laufen , wie häßliche , schwarze Hunde neben edlen , trabenden Pferden , die wurden riesengroß .
" Wo ist deine Schwester Elsbe ?
Du hast nicht auf sie geachtet , nun ist sie verloren gegangen .
Wo ist dein Bruder Hinnerk ?
Du hast ihn geschlagen und vom Hofe gejagt ; auf der staubigen Landstraße ist er ein Trinker geworden ; du wolltest den Hof allein haben .
Wie war das mit dem Pflugeisen : wolltest du , daß dein Vater hineinfiel ?
Wo ist Lena Tarn ?
Du verbotest ihr wohl das Singen ?
Du sagtest , sie solle vom Bett aufstehen , sonst wolltest du sie schlagen .
Du bist ein schlechter Mensch und ein Mörder .
Du bist es siebenfach wie Timm Tode .
Sie kommen !
Höre . . . sie suchen dich .
Sie wollen dich wegschleppen . . . durchs ganze Dorf ! "
" Ich muß ' Mal sehen , " sagte er mit fliegender Stimme , " ob das alles wahr ist , was sie sagen . "
Er nahm das Rohr und ging nach dem Gartenhaus hinunter und legte das Rohr auf , alles mit fliegender Hand , und dachte nicht daran , den Schutzdeckel abzunehmen , der überm Objektiv lag , und sah hindurch und sprach überstürzend bei sich selbst : " Schwarz wie die Nacht .
Es ist wirklich wahr .
So ist meine Seele .
Nichts , gar nichts Gutes .
Kein Fünkchen Licht und kein Stern am ganzen Himmel .
Das ist nicht zu ertragen .
Wenn es so steht , wo soll man denn hingehen ?
Man kann ja keine drei Schritt vor den Augen sehen .
Das ist ja 'n Leben wie 'n Maulwurf .
Hinnerks Leiter steht im Mittelfach in der Scheune .
Ich will weg hier .
Hier will ich weg , ehe die Leute es merken .
Es muß doch irgendwo Licht sein . . . "
Er schob das Instrument mit derselben Eile wieder zusammen und wollte hinaus : da sah er einen Schatten vor sich und sah erschreckt auf .
Da stand Wieten Clog in der niedrigen Tür und sah mit verzweifelten Augen auf ihn .
Da wußte er , daß er kein Verbrecher war , sondern ein Irrer .
" Gott sei Dank ! " sagte er .
" Gott sei Dank ! "
Und wollte rasch verbergen , daß es so dunkel und wirr in ihm war , und sagte mit verzerrtem Gesicht , als wollte er lachen oder freundlich sein :
" Ich wollte ' Mal nach einem Stern sehen , dort . . . über den Cirruswolken . "
Aber sie trat rasch an ihn heran und sah ihm hart in die Augen : " So ? " sagte sie . . . " So ?
Nein , das nicht !
Das geht nicht ! "
Sie ergriff seine Hand und führte ihn durch den Garten .
" Nein , Jörn . . . das geht nicht !
So hat Lux nicht gefiedelt !
Das fehlt noch gerade !
Hier heißt es : Kopf hoch , mein Junge .
Dein Sohn soll nicht sagen , sein Vater hätte sich das Leben genommen .
Da kommt nichts danach .
So den Pflug mitten auf dem Stück stehen lassen und am hellen Mittag davon laufen .
Bist dreißig Jahre alt ?
Das ist ein schlechtes Feierabendmachen . "
Er tat zuerst ganz erstaunt .
Dann wurde er verlegen .
Endlich kam er aus weiter , dunkler Ferne wieder in sich selbst hinein ; es wurde heller um ihn , und er fühlte wieder den dumpfen Druck im Hinterkopf .
Er wußte wieder , wo er war und wie es um sein Leben stand .
" Schwer ist es , " sagte er mühsam .
" Warte ! " sagte sie , " ich hole dir kaltes Wasser .
Du sollst frieren .
Bleibe hier sitzen , hörst du ?
Bleibe hier sitzen !
Ich komme gleich wieder , dann will ich den ganzen Abend bei dir bleiben . "
Sie lief in die Küche und war so ruhig dabei , daß die beiden Mädchen nicht merkten , in welcher Not sie war .
In der Wohnstube riß sie den Jungen an sich und lief mit ihm über die Diele zurück .
Er saß da noch auf der Lade .
Sie gab ihm zu trinken , und als er die Schale hoch aufatmend vom Munde setzte , stand der kleine Junge an seinen Knien und sagte : " Jung ' , Vater , was bist du aber blaß !
Nun sieh man zu , daß du nicht krank wirst ! "
" Was soll das alles helfen , Wieten ? " sagte er .
" Ja , ja , Jörn .
Du hast recht .
Aber einerlei , schwer oder nicht ; die Sache muß durchgeführt werden .
Kommt Zeit , kommt Rat .
Nun sollst du dich hinlegen und einen tüchtigen Schlaf tun .
Flink : ich weiß , was sich gehört .
Sieh 'mal , wie müde du bist !
Lege dich rasch hin !
Schlafe wie jener : der kam in den Schlafberg und schlief sieben Jahre .
Schlafe , mein Junge . "
Es war ihm eine Wohltat , daß die beiden , die ihm gehörten , um ihn waren und so schön mit ihm taten .
Er lächelte müde und stand mit schweren , steifen Gliedern auf , legte die Jacke ab und legte sich hin .
Sie blieben neben seinem Bett sitzen .
Als er nach zwei Stunden nach schwerem Schlafe erwachte , da eine Stimme ihn rief , stand der ältliche Knecht vor seinem Bett .
Es war Abenddunkel , und der Knecht sagte :
" Wir wissen nicht , wo Wieten ist :
sie ist vor einer Stunde weggegangen , wir meinten , zum Nachbar .
Sie ist aber nicht da .
Nun sagt das Kleinmädchen , sie sei den Feldweg nach Ringelshören hinaufgegangen .
Was kann sie da wollen ?
Da wohnt ja kein Mensch ; und es ist dunkel , und die Gräben sind voll Wasser ; und sie sagt selbst , daß sie im Dunklen nichts mehr sehen kann . "
" Wo ist der Kleine ? "
" Der spielt in der Stube bei seinem Großvater . "
Jörn Uhl sprang aus dem Bett und fuhr in die Jacke .
Er war plötzlich ganz gesund .
" Ich gehe ihr nach , " sagte er und sprang aus dem Hause .
Der kalte Regen schlug gegen seinen unbedeckten Kopf und erfrischte ihn .
Er ging den breiten Weg hinauf , und dann in den Fahrweg hinein bis an den Fuß von Ringelshören , und fand nichts .
Da er wegen der schweren , regnerischen Luft nicht viel sehen konnte , stand er ratlos und wollte gerade ihren Namen rufen , da kam ihm der Gedanke , noch den Fußsteig hinauf zu gehen , der durch die Mulde hinaufführt .
Als er eben in das Tal hineingegangen war , sah er vor sich am Goldsoot eine kleine , gebückte Frauengestalt stehen und wußte gleich , daß sie es war und was sie da suchte .
Er ging auf sie zu ; aber sie hörte ihn schon kommen und kam ihm entgegen und sagte traurig :
" Es ist nichts damit .
Ich habe mich zu lange nicht darum gekümmert , oder ich bin zu alt und stumpf dazu . "
Er legte den Arm um ihre Schulter und nahm sie mit : " Komme rasch wieder nach Haus .
Du wirst ja ganz durchnäßt .
Komme , ich will dir meine Jacke übern Kopf legen .
So . "
Sie ging gebückt und mühsam neben ihm .
" Früher , " sagte sie schämig , " als ich noch ein junges Ding war , da waren alle diese Dinge lebendig ; aber nun ist das so allmählich gestorben . "
" Was wolltest du ? "
" Ich weiß nicht .
Ich wollte ' Mal sehen , ob ich etwas erreichen könnte ; aber es sah mich alles stumm und tot an . "
" Es ist nichts damit , Wieten ! "
Sie schwiegen eine Weile .
Er hatte den Arm um ihre Schulter gelegt und leitete sie auf die trockenen Stellen des feuchten Weges .
" Das kommt , " sagte sie , " weil man nicht mehr daran glaubt .
Das weißt du auch selbst : wenn einer kein Interesse mehr an Sonne , Mond und Sternen hat , dem sagen sie auch nichts mehr ; und wenn man nicht mehr am Hausstand arbeitet , verfällt er .
Das ist mit allem so .
Die Gleichgültigkeit macht alles tot ; die Liebe macht alles lebendig .
Ich habe diese Dinge lange vergessen gehabt , nun sind sie vom langen Liegen gerostet . "
" Du bist nun ganz mutlos , Wieten , das mußt du nicht sein . "
" Ja , siehst du , Jörn . . . vorhin , als ich dich da in deinem Gartenhaus fand , da dachte ich :
Wenn es so wird , was dann ?
Und da bin ich in meiner Angst hierher gelaufen . "
" Wieten , dies hier hilft uns nicht .
Heide und Wasser , Wind und Regen : das ist wohl alles noch hilfloser als der Mensch .
Da muß man nicht hingehen und Hilfe suchen . "
" Sage das nicht , Jörn !
Es liegt hinter unserem Leben ein Geheimnis .
Wir leben nicht wegen dieses Lebens , sondern wegen des Geheimnisses , das dahinter liegt .
Und es muß möglich sein , das Geheimnis zu raten , und wer es rät , hat Klarheit und Wahrheit .
Und in solchen alten , heiligen Dingen und Geschichten :
da muß es doch am ehesten liegen .
Von alters her haben unsere Vorfahren es da gesucht , und einige haben es gefunden . "
" Ja , Wieten , da hast du recht : das mit dem Geheimnis , ich glaube , das ist wohl so , wie du sagst .
Aber ich glaube nicht , daß wir es finden und raten können .
Das ist gerade so , als wenn ein Mensch über sich selbst wegspringen will .
Mensch bleibt Mensch , Wieten , Esche bleibt Esche .
Und zum Menschen gehört , daß wir dies alles nicht wissen noch sehen .
Es kann gern sein , daß es ganz offen , und breit und lebendig , rund um uns liegt oder steht , lacht oder weint ; aber wir haben keinen Sinn , es zu sehen oder zu hören . "
" Es mag wohl sein , " sagte sie gedankenvoll und traurig .
" Man muß dann eben so weg arbeiten , bis es Abend wird , und immer gut und lieb sein , soviel man kann . "
" Richtig , Wieten :
das steht im Neuen Testament . "
Sie hob den Kopf ein wenig , während sie kurzatmig neben ihm herging .
" So ?
Steht das da ?
Was steht da denn . . . weißt du . . . von dem Geheimnis ? "
" Ja . . . soviel ich verstanden habe , Wieten , denn steht da : daß wir hier nicht dahinter kommen ; wir sollen aber das beste Zutrauen haben , daß alles einen inwendigen , guten Sinn und Zweck hat .
Danach , nach dem Tode , sollen wir es weiter bringen , daß wir hinter das Geheimnis kommen und die Dinge sehen , nicht wie sie scheinen , sondern wie sie sind . "
" So , das sagt Christus ?
So . . . das wundert mich .
Das mag denn wohl so sein .
Aber ich bin von Kind an immer so heißhungrig gewesen :
ich wollte immer wissen , was es wohl mit uns und allen Dingen eigentlich wäre , und habe immer gemeint , man müßte es finden können .
Damals , als ich bei Jörn Stuhr in Schenefeld diente , haben wir eigentlich nichts anderes getan , als daran herumgespürt .
Aber wir konnten auch nichts finden .
Und Hans Stuhr mußte in die Mergelkuhle hinein . "
Sie fing an zu weinen .
" Das Suchen ist vergeblich , Wieten .
Ich meine , daß Christus selbst gesagt hat , daß auch er nicht alles wüßte .
Er sagte , es wäre auch nicht nötig , daß wir_es wüßten ; wir sollten nur immer Vertrauen haben und rein und lieb sein .
Er war gegen alles Verknittert- und Verbittertsein , gegen alles Von-oben-treten und Alles-wissen- wollen , gegen alles Hassen und Hartsein .
Habt Zutrauen , sagte er , und seid rein und barmherzig . "
" Na ja . . . und man kann wohl zu dem , was er sagt , Vertrauen haben ; denn er war klug und gut ; und es ist kein Zweifel , daß er das Beste gewollt hat , und er ist dafür gestorben , als er noch ganz jung war .
Also müssen wir uns daran wohl halten , Jörn , und sehen , wie es abläuft . "
" Ja , Wieten :
denn wollen wir man zusammenstehen und den Nacken steif halten , du liebe , alte Deern . "
Als er sie bis an die Küchentür gebracht hatte , gelüstete es ihn , noch eine Zeitlang mit bloßem Kopfe in der frischen Luft zu gehen .
Der Regen hatte aufgehört ; Wind war nicht .
Als er sich weiter vom Hofe entfernte , verloren sich die letzten Töne , welche die Stille des Herbstabends störten .
Er kam in Träumen an Ringelshören heran und stieg hinauf und ging langsam , ziellos schräg über die Heide , die in ödem Graudunkel um ihn lag .
Allmählich , als er so ging , löschte der Tag das letzte Licht , so daß er nichts wie Nacht sah , rings um sich .
Da kam er noch einmal in ein trauriges Grübeln über Vergangenes und über seine Zukunft .
Und , wie er da tief hinein kam , war ihm , als wenn die Heide sich zu beiden Seiten hob , daß sie wie schwarze Höhen wurde , an denen hohe , finstere Tannen hinaufstiegen , und als wenn er also in einem tiefen Tal dahin ging .
Und es war so einsam und so dunkel und tot , und er kam in eine solche Tiefe , daß er sich fast so sehr fürchtete wie vorhin im Gartenhaus .
Dazu erschreckten ihn Erscheinungen , die wie körperlich waren .
Sein Bruder Hinnerk ging mit bösem Gesicht nicht weit von ihm , und Lena Tarn ging vorüber , als kennte sie ihn nicht , und Geert Dose stand da mit der blutigen Biese , und viele andere gingen ruhelos und ziellos und traurig vorüber .
Und die Erscheinungen und die Landschaft , durch die sie gingen , hatten etwas Schauriges und Verzerrtes .
Aber als er noch so in großer , furchtbarer Einsamkeit , doch auch nicht ohne heimliches Behagen - wie ein Kind vor Gespenstern - , mitten im Land der Schmerzen dahinging :
da dachte er an das Wort , das er vorhin selbst gesagt hatte , daß man an das Gute glauben müsse , es möge laufen , wie es wolle .
Und gleich , als er das gedacht hatte , wurde es ein wenig heller , und die Gestalten bewegten sich ruhiger und bekamen freundlicheres Aussehen , und er sah einen schmalen Weg , der hinauf führte , der ging erst zwischen hohen Tannen durch , die wie stolze Männer standen , so daß er sich schämte vor den Bäumen , und seinen Stock fester aufstieß und gerader und mutiger ging .
Es kam ein frischer Wind und stärkte ihn , und er kam wieder zu der Fläche der Heide hinauf und sah deutlich die Linie am Horizonte , wo die Heide aufhört und man zur Marschebene hinunter steigt .
Da stand er still und horchte .
Und als er so stand , da alles um ihn still war , kein Wind wehte , kein Vogel schrie :
da hörte er ganz hinten vom Walde her ein schweres Stoßen und Dunsen , als wenn mit langsamen Schlägen viele schwere Hammer dumpf auf schweres Holz und Eisen niederfielen ; die fielen so schwer und gewichtig , als schmiedete jeder Schlag ein ganzes Menschenleben .
Vom Walde her aber kamen über die Heide her viele leise , rasche Füße , daß es wie ein großes , tiefes Rauschen war , als wären zehntausend unterwegs , die Stellungsbefehle , noch heiß vom Feuer , kleinen Menschenkindern in die Hände zu drücken .
So stand er eine Zeit und lauschte auf das Arbeiten der ewigen , verborgenen Mächte .
Dann wandte er sich ab und ging in stillen , gefaßten Gedanken nach Haus .
Als er in die Küche trat , um nach Wieten zu sehen , begegnete sie ihm , und sah zu ihm auf , und wunderte sich über sein stolzes , schönes Gesicht , daß sie erschrak . * * * Am anderen Nachmittage kam der Weißkopf auf den Hof und fragte freundlich nach dem Befinden des alten Uhl .
Als er dann mit Jörn Uhl in der Kammer war , wurde er noch freundlicher und machte den Vorschlag , daß der Bauer ihm etliche Kornvorräte heimlich überließe , es solle sein Schade nicht sein .
Aber Jörn Uhl lachte ihm ins Gesicht .
" Was denken Sie , " sagte er .
" Unglücklich bin ich ; nun soll ich auch noch schlecht werden ?
Haben Sie das gedacht ?
Sie haben ganz falsch gedacht , alter Mann .
Machen Sie , daß Sie von der Hofstelle kommen . "
Als der schleunig gegangen war , sah Jörn Uhl ein wenig zu seinem Vater hinein , sprach mit Wieten und sah in die Bibel , die da offen lag .
Als er sah , daß es das Kapitel von den ägyptischen Plagen war , lächelte er Wieten an und sagte : " Sei man ruhig .
Die Letzte davon habe ich eben vom Hofe gejagt . "
Darauf ging er nach seiner Gewohnheit in seine Kammer , um allein zu sein , und dachte wieder , doch mit einem gewissen zähen Gleichmut :
" So , nun muß ein Wunder kommen . "
Dreiundzwanzigstes Kapitel Nein , es geschah kein Wunder .
Es geschah etwas sehr Gewöhnliches .
Es kam ein Unwetter , und es kam der Tod .
Das gab frische Luft , daß Jörn Uhl den letzten Druck verlor , der noch auf seinem Kopfe lag .
Der Regen ging vorüber ; es kamen Tage voll heißen , grellen Sonnenscheins .
Und an jedem Tage , gegen Abend , lag über der Elbe eine schwere , dunkle Wolke und grollte kurz auf .
Einige sagten allerdings , es würde bei Cuxhafen von den Kriegsschiffen geschossen ; aber ältere Leute wußten genau , daß da ein Gewitter gebraut würde :
" Das kann bloß nicht über die Elbe kommen . "
Am Abend des dritten Tages meinte man sicher , es käme .
Es war eine laurige , weiche Luft .
Die Tiere auf dem Felde hörten auf zu grasen und standen wartend an den Hecken .
Aber es geschah wieder nichts .
Der Kleinknecht vom Nachbarhof ritt nach dem Abendbrot zum Schmied und rief den Mädchen auf der Uhl , die am Backhaus standen , zu :
" Heute Nacht hat mir geträumt , die Uhl stände in hellen Flammen .
Am Westgiebel brach es heraus und lief so bedächtig , wie eine Katze , den First entlang " .
Am anderen Morgen war große Aufregung im Hause .
Es war Sonntagmorgen , und Wieten hatte in gewohnter Weise abends vorher ihr Hemd gewechselt und hatte , nach einem alten , guten Glauben , das ausgezogene Hemd vor ihr Bett auf den Fußboden gelegt .
Und am Morgen lag da , wo das Hemd gelegen hatte , Asche verstreut .
Mädchen und Knechte liefen zusammen und beredeten den Fall ; es gab ein Hin- und Herreden und Lachen , und das Mädchen , das mit Wieten in derselben Stube schlief , schüttelte den Kopf und wunderte sich , daß sie von dem Brandgeruch nicht aufgewacht war .
Wieten ging mit ängstlichen Augen unruhig umher und sagte nichts .
Die Leute gingen ein jeder an seine Arbeit und brachten die Geschichte am selben Abend noch ins Dorf .
Thieß Thiessen war wieder einmal von Hamburg gekommen und einige Tage auf der Uhl geblieben .
Er ging den ganzen Tag neben Jörn Uhl her und redete auf ihn ein und suchte ihn an den Gedanken zu gewöhnen , daß er die Uhl aufgeben müßte .
" Ich will dir gern mit einigen tausend Mark helfen , aber du weißt , der Heeshof kann nicht viel Schulden tragen . "
" Du sollst mir nicht helfen , " sagte Jörn Uhl ; " aber das andere , das Davongehen : das ist auch nicht leicht .
Dort auf dem Osterkrug habe ich gepflügt , als ich zwölf Jahre alt war , der Pflugsterz schlug hin und her , daß mir fast schwindlig wurde ; und jedesmal , wenn ein Pferd den Kopf vorstreckte , riß es mich nach vorn ; denn ich hatte die Leine um den Hals gelegt .
Todmüde war ich von der Angst und dem Gehen in der Furche . "
Er zog den Kleinen , der neben ihm ging , näher an sich heran .
" Als ich später vom Feldzug zurückkam und Lena Tarn meine Frau wurde , da ist kein Ständer im Haus und keine Latte , da ist kein Rethhalm auf dem Dache , dem ich nicht zugenickt habe und habe gesagt :
» So , nun seid ihr in guter Hut , nun Sorge ich für euch . «
Es ist wohl nicht anders , Thieß , ich muß den Hof fahren lassen , aber leicht ist es nicht :
ich lasse Lena Tarns mühselige Arbeit fahren , und ich verkaufe ihr fröhliches Singen an fremde Leute .
Und all die bitteren Jahre , die dann kamen . . . ich mag nicht darüber reden .
Und , Thieß :
Wenn nun eines Tages Elsbe aus dem Elend wiederkäme , und wildfremde Menschen öffnen ihr die Tür ?
Ich weiß wohl , ich muß hinaus :
ich kann keine Zinsen mehr zahlen ; aber leicht ist es nicht . "
Am anderen Morgen ging Thieß wieder fort .
An diesem Tage zog das Gewitter herauf .
Am Spätnachmittag hob sich eine tiefdunkle Wolke aus dem Meer , stand hoch über der Marsch und warf im Zorn gerade Blitze wie goldene Speere in das Land .
In der Ferne am Seedeich leuchtete ein Feuer auf .
Die Wolke kam höher und näher und stand gegen sieben Uhr abends , voll zum Bersten , gerade über Sankt Marie .
Die Männer , die auf den Feldern gearbeitet hatten , suchten im raschen Gang ihre Häuser ; die Frauen standen an den Türen und sagten :
" Ist gut , daß du kommst ; " die Kinder liefen von ihren Spielplätzen in die Türen .
Da brach es los .
" Das war ein Schlag ! "
" Das hat eingeschlagen ! "
Die Leute traten heraus und sahen sich um und sagten einer zum anderen :
" Es ist nichts zu sehen . "
Gleich daraus fing es an zu gießen .
Die mächtige Wolke brach und fiel auseinander und überdeckte , blaß und grau geworden , den ganzen Himmel .
Es war nichts geschehen .
" Siehst du , Wieten ? " sagte der alte Knecht , " das mit dem Hemd . . . "
" Sei du still , " sagte Wieten .
Wieten ging wieder in die Küche , und der Knecht kletterte die Leiter hinauf , um Heu hinunterzuwerfen .
Da kam der Kleine mit seinem fünfjährigen Spielkameraden auf die Diele gesprungen und sagte : " Kassen , wir wollen mit hinauf . "
" Junge , " sagte der Alte , " du weißt , ihr dürft das nicht . "
" Ach was !
Wir gehen mit ! "
Da stiegen sie hinter dem Knecht die Leiter hinauf und kletterten den schrägliegenden Heuberg hinauf bis ganz nach oben .
" So , " sagte der Kleine , " nun können wir nicht weiter .
Komme her , ich will dich aufheben , daß du durchs Uhlenloch sehen kannst . "
Bald darauf kamen sie beide wieder herunter , und der Knecht sagte : " Na , habt ihr es schon satt ? "
Es wurde acht Uhr , und Wieten schickte den Jungen zu Bett .
" Du , " sagte er , " ich muß dir man ' was sagen :
Ich bin auf dem obersten Heuboden gewesen , zusammen mit Fritz Hansen . "
" So . . . das hat dein Vater dir verboten . "
" Wenn ich dir aber ' was erzähle , sagst du es nicht nach . "
" Was du wohl zu erzählen hast . "
" Soll ich ' Mal sagen ?
Fritz Hansen ist da ganz oben gewesen , weißt du , wo am Dach das kleine Fenster ist ; und was meinst du :
da hat eine furchtbar große , schwarze Katze gelegen .
So groß wie 'n Kalb .
Die hat zwei glühende Augen gehabt und ist auf ihn losgeschlichen . "
" Nun lege dich hin und schlafe , " sagte sie , ging hinaus und sprach mit Jörn Uhl .
" Jörn , " sagte sie , " hat man nicht schon erzählt , daß ein Blitz stundenlang in einem Hause gelegen hat , ehe er zündete ?
Es war ein furchtbarer Schlag .
Auch redet der Junge so sonderbar .
Tue mir den Gefallen und gehe noch auf den Heuboden ; mir ist so ängstlich zu Mut . "
Der stieg auf den Boden , kam wieder herunter , ging um Haus und Scheunen und fand nichts Verdächtiges .
Es wurde zehn , und sie waren alle zur Ruhe .
Da meinte der Blitz , daß Haus und Menschen sein wären , und machte sich leise auf den Weg .
Er wand sich mit langem , glattem Leib , blank wie ein gut gebrauchter Spaten , langsam zwischen Heu und Dach .
Wo er , mit den dünnen Armen vorlangend , hingriff , schwelte rote Glut auf .
Als er sah , daß , aus Mangel an Luft , Flamme nicht aufkommen konnte , glitt er schwelend bis ans Fenster .
Das Fenster zersprang .
Die Eule , die im Giebel saß , flog mit lautem Uhschrei auf .
Wieten war von ihrem Bett aufgestanden , schlich sich aus der Stube auf den Mittelgang und sah durch die Scheiben der Bindungstür auf die große Diele .
Alles dunkel und still .
Da ging sie wieder hinein und setzte sich auf den Rand des Bettes , in dem der Knabe schlief und horchte .
" Es sind Menschen im Haus . . . vier hier . . . drei da . . . zwei in der Knechtskammer . . . und Jörn . . . Mehr doch nicht ?
. . .
Doch nicht mehr ?
Nein , mehr nicht .
Das Kind zuerst .
Ja den Alten nicht vergessen !
Zehn Menschen . . . zehn . . . zehn . . .
Die Tiere sind auf der Weide bis auf einige . . . "
Sie hörte einen Ton von der großen Diele her und stand wieder gerade aufrecht .
" Es muß etwas unterwegs sein , irgend etwas .
Ich fühle es in allen Gliedern .
Vielleicht hat mich der furchtbare Schlag so aufgeregt ; vielleicht ist es etwas anderes . "
Sie stand wieder auf und horchte mit vorgebeugtem Leib .
" Höre ' , höre . . . es ist doch nicht ruhig im Haus .
Es schleppt und wühlt ; sie tragen mit ihren Siebensachen , mit Ketten und Töpfen . . . "
Sie schlich wieder nach der Tür .
" Ich wußte früher einen Spruch , wie hieß er noch ?
Gott und Petrus gehen übers Land , Sie sehen brennen einen Brand , Brand , du sollst nicht Hitzen , Brand , du sollst nicht schwitzen , Bis die liebe Mutter Gottes Ihren anderen Sohn . . . " Ehe sie ausgesprochen hatte , als sie die Tür noch öffnete , kam von der großen Diele ein knisternder Ton , als wenn man junges Holz in eine helle Glut wirft .
" Feuer ! " schrie sie , " Feuer ! "
Das Mädchen , das in der Stube lag , hob sich jach im Bett : da lag ihr schon das Kind im Arm : " Du gehst mit dem Jungen nach Jasper Krey und siehst dich nicht um . "
" Jörn !
Jörn !
. . . "
Die Stimme konnte wohl Tote wecken .
Was ist das für ein Greifen nach der Kleidung , für ein gewaltiges Arbeiten des Gehirns , für ein Hin- und Hergreifen der Hände .
Und nachher weiß man nicht , was man gedacht und getan hat .
Jörn konnte später nicht sagen , warum er zuerst nach der alten Lade griff , und wie er das schwere Ding , das weder Griff noch Handhabe hatte , und auf welchem Wege er es hinausgetragen hatte .
Er erinnert als erstes , daß er wie einer , der von draußen zur Rettung in ein fremdes Haus stürzt , in die Stube gelaufen ist und den schweren , alten Mann , der vor Angst um sich schlug und laut schrie , in die Bettdecke gewickelt , auf den Hofplatz und über den Weg getragen und in Jasper Kreis Stube in die eingemachte Bettstelle gelegt hat , die auf der anderen Seite des Ofens ist .
Dann lief er zurück , und nach dem Gefühl , das dem Landmann inne wohnt , rannte er in den Stall , schnitt die drei Pferde los , die da standen , und führte die wild sich hebenden Tiere einzeln hinaus .
Es stand schlecht um ein Fohlen ; der Knecht und herzugelaufene Nachbarn konnten nicht mehr zu ihm kommen , aber da war eine Tür , die war jahrelang nicht geöffnet .
Daran dachte er und nahm einen Windelbaum , der da zufällig lag und schlug mit zwei Stößen die Tür ein und holte das Tier glücklich heraus .
Nun war nichts mehr zu machen .
Als er mit angesengtem Haar und blutender Hand noch einmal hinein wollte , stellte sich ihm der Lehrer , der gerade angelaufen kam , in den Weg : " Menschenleben ist mehr wert . "
Da warf er mit verzweifelter Bewegung das Messer weg und ging nach vorne , um das Brüllen der Kuh nicht zu hören , die mit ihrem neugeborenen Kalb hinter den Flammen stand .
Vom abschießenden Rethdach getroffen und von dem Rauch , der von der großen Scheune herkam , bedrängt , mußte er weiter von den Gebäuden weggehen und kam nach der Einfahrt .
Die Spritze jagte an ihm vorüber in den Hof ; dicht vor den Pferden lief der kleine Junge quer über den Weg auf ihn zu und schrie weinend :
" Vater , ist das Fohlen verbrannt ? " und umklammerte seines Vaters Beine .
Jasper Krey kam zu ihm , geschwärzt an Gesicht und Händen , und sagte : " Wir haben die Kuh auch noch gerettet .
Durch Küchentür und Backhaus ; " und ging wieder fort .
Jörn Uhl stand und sah in die Flammen ; sein kleiner Junge stand neben ihm .
Die Böden des Vorderhauses bogen und wanden sich , und nun langte eine feurige Hand in die Staatsstuben der Uhl .
Auch an die Tür schlug es und glitt und brannte , und die obere Füllung sprang auf , und die glühende Hand langte nach dem Griff .
Der Kronleuchter stürzte klirrend auf den Tisch , der Tisch brannte , und plötzlich sprang der gelbe Gast mit Katzensprung aufs Fensterbrett , hob die Gardine und schlug die Fenster ein .
Da gab es frischen Zug !
Die ganzen Decken stürzten in die Stuben ; der Nachthimmel schien hinein .
In dieser Stunde , als die Staatsstuben der Uhl in rotem Feuer lohten und auffahrende Feuergarben die nachtdunklen Weiden erhellten , welche im Halbkreis um Wentorf liegen , kam von Sankt Mariendonn her , längs dem schmalen Kirchensteig , an der Au entlang , der Tod .
Er mied den Feuerschein , indem er auf der Fohlenweide den Steige verließ .
Er ging schräg hinüber , stracks auf Jasper Kreis Haus zu , das , klein und niedrig , mitten im roten Schein unter den hohen , hellerleuchteten Pappeln lag .
Wieten Penn , die vor dem Bett stand und auf ihn wartete , trat mit weitgeöffneten Augen zur Seite und machte ihm Platz .
Er trat heran , legte seine Hand mit festem Griff auf die Schulter des Schlafenden .
Der zuckte zweimal .
Da stand der Atem still .
Da fing Wieten Penn an , mit Trina Kreis Hilfe alles zu verrichten , was nötig war .
Hunderte von Leuten standen und gingen um die hohen , brennenden Gebäude und sahen dem sinkenden Feuer zu .
Aber selten trat einer zu Jörn Uhl und seinem Kinde .
Er hatte immer etwas Wunderliches gehabt , etwas Nachdenkliches und Wortkarges , mit einem Stich ins Hochmütige .
" Nun , da er nicht aus noch ein gewußt hat , hat er nach dem letzten Rettungsmittel gegriffen und ist ein Brandstifter geworden . "
" Wahrhaftig , er steht da mit einem Gesicht wie ein Verbrecher .
Seht , was für ein Gesicht ! "
" Mensch , was sagte er zu dir ?
. . . Ich muß sagen , ich hätte es ihm nicht zugetraut . "
" Mensch , was willst mit dem reden ?
Es ist doch klar . . . na , du kannst dir denken , was ich meine . "
Namentlich von den Arbeitern , welche geneigt sind , in dem Leben des Bauern das Böse deutlich zu sehen , das Gute aber nicht zu finden , redeten viele so über ihn .
Er war ja immer knapp und wortkarg gegen sie gewesen und fast geizig .
Er hatte ja immer Sorgen und Geldnot gehabt .
Also stand Jörn Uhl stundenlang unter den Pappeln , da , wo der Fahrweg nach den Scheunen umbiegt , da , wo er an dem Abend gestanden hatte , als er vom Feldzuge heimkehrte .
Aber als Mitternacht vorbei war , kamen die beiden Knechte von Harn Folkens und sagten :
Als sie heute abend um sieben vom Felde gekommen wären und der furchtbare Schlag gefallen wäre , hätten sie deutlich gesehen , daß die Uhl getroffen worden wäre .
Sie hätten gesehen , wie ein brennender Pappelzweig oder Pappe von der First , oder was es gewesen wäre , aufgeflogen wäre .
Sie hätten auf der Stelle Halt gemacht und hätten gewartet , daß Feuer auffahren würde , und sich sehr gewundert , daß es nicht geschah .
Auch der Kleinknecht auf der Uhl sagte , daß der Schlag ihn fast umgeworfen hätte , als er zwischen Haus und Scheune unterwegs gewesen wäre , und daß er um den Giebel einen leichten Rauch bemerkt hätte und auf der Hofstelle brenzlichen Geruch .
Diese Reden verbreiteten sich rasch .
Da traten viele Männer und Frauen an Jörn Uhl heran und erzählten ihm , was sie gehört hatten , wußten auch von ähnlichen Blitzschlägen zu sagen und sprachen ihm mit herzlichen Worten Mut zu .
Als die Kälte des Morgens kam , verliefen sie sich .
Als der Himmel grau wurde , ging Jörn Uhl über den Weg zu Jasper Krey .
Einige Sterne standen noch hoch am Himmel , wie übermüde , glänzende Augen in einem blassen , überwachten Gesicht .
Als er in die Stubentür trat , stellte Wieten sich ihm in den Weg .
Aber er sah ja weit über ihre kleine Person weg und sah die Lichter und die hingestellten Vorbereitungen .
Er drängte sie sanft zur Seite und trat ans Bett und sah seinen Vater lange an .
Dann ging er auf Wieten zu , griff nach ihrer Hand und hielt sie lange fest und sagte weich und leise : " Es ist nur gut , daß meine alte Mutter noch lebt . " * * * Am zweiten Tage danach , als er wegen der Beerdigung und wegen des Brandes alle Wege getan hatte , stieg er gegen Abend nach Ringelshören hinauf und setzte sich auf einen Stein , der neben dem sandigen Wege im langhaarigen , grauen Grase lag , und holte hoch und tief Atem , und ließ seine Gedanken gehen , wie sie wollten , und wunderte sich , wie ruhevoll und schön die Welt war .
Als er lange so gesessen hatte , hörte er um den Hügel herum ein Gefährt kommen .
Der Fahrer redete laut mit seinen Gäulen :
" Noch ein wenig Trab !
Trab , alle meine Pferde .
Die Uhl ist abgebrannt , und Klaus Uhl ist tot , und dies ist ein Abschnitt in der Lebensgeschichte von Jörn Uhl .
Über den Rest kann ich sagen . . . Hallo , Jörn !
Da sitzt du ?
Und kannst ein wenig lachen ? "
" Thieß ! " sagte Jörn . . . " Laß uns erst den Toten begraben , wie es sich gebührt .
Danach will ich sehen , wie mir zu Mute ist . " * * * Nach dem Begräbnis , als das lange Gefolge der Ulen und ihre Sippe sich vom Kirchhof verlaufen hatte und das Grab schon zugeschaufelt war , kamen Jörn Uhl und Thieß Thiessen und der Kleine von Lena Tarns Grab her noch einmal zu dem Erbgrab der Uhl .
Das neue Grab war mit vielen Kränzen hoch bedeckt .
" Weißt du , Jörn , " sagte der Heesebauer , " was ich diesem Manne am meisten übel genommen ?
Nicht sein Geldwegwerfen , nicht sein Saufen , sondern sein Lachen : daß er alle Menschen anlachte , bloß meine arme Schwester nicht .
Es gibt nicht wenige solche Menschen , Jörn Uhl , die gegen Fremde freundlich sind , auf der Straße und im Wirtshause , aber gegen die Ihren sind sie Teufel .
Es ist gut , Jörn , daß es einen Tod gibt , denn darin liegt die einzige Gewähr einer Gerechtigkeit .
Meinst du , daß dieser unbestraft bleibt , der meine kleine Schwester so quälte , und die schönen Felder verkommen ließ und im Lande umherfaulenzte und lachte ?
Ich sage dir , Jörn :
Er wird in dem anderen Land schwer pflügen müssen .
Er wird ein zähes Stück Marschland überkommen und vier alte Gäule mit Spat und allen Schikanen , und den größten Schelm von allen Engeln als Pferdejungen .
Sieh ' Mal !
Meine Schwester hat keinen einzigen Kranz ! "
Er bückte sich , faßte zwei Kränze und legte sie auf das Grab seiner Schwester .
" Jörn , sie war das lustigste und bescheidenste Ding von der Welt .
Sie setzte sich als Kind auf die Ecke eines Baumstumpfes , ganz beiseite , sie hing nur eben darauf , und sagte : » Setze ' dich , Thieß , sieh 'mal , wie viel Platz ! «
Sie war so bescheiden , sie begehrte nichts weiter vom Leben als eine kleine , gemütliche Sitzgelegenheit in der Sonne .
Der hier hat_es ihr verweigert ; er wies sie in den Schatten . "
Wieder legte er einen Kranz auf das Grab seiner Schwester .
" Jörn . . . wenn sie aufstehen könnte , diese hier " - er nahm schon wieder zwei Kränze auf , - " so würde sie sagen : » Gehe weg vom Hof , mein Jörn , gehe heute noch nach dem Heeshof . . . « Gib die Uhl auf , Jörn !
Die Uhl hat dich arm und krank gemacht .
Komme mit mir nach der Heimat deiner Mutter ; ich glaube , da wirst du gesund werden .
Komme mit , Jörn . . . ich bitte dich im Namen deiner Mutter .
Du , Kleiner !
Stehe mir bei !
Willst du mit nach dem Heeshof ? "
" Man zu , Vater ! " sagte der Kleine , " Vater , das wird 'n Spaß ! "
" Jörn . . . ihr steigt zu mir auf den Wagen :
du und der Kleine und Wieten .
Und die Lade stellen wir hinten ins Wagenstroh .
Dann hast du alles , was du besitzest , auf dem einen Wagen ! "
Jörn Uhl wendete sich ein wenig ab und sah mit einem langen Blick nach Lena Tarns Grab hinüber .
" Denke ' bloß an die Lade , Jörn !
Da ist dein guter Anzug darin und das Fernrohr und die Karte von Sonne , Mond und allen Sternen , und die krausen Bücher , und das alte , geschnitzte Mangelholz von meiner Großmutter , der alten trinke Thiessen , geborenen Stührmann .
Ich meine wenigstens , daß du das Mangelholz hast , Jörn , sonst hat Peter Voß von Vaale es . . . alles dies , Jörn , die Menschen und die Lade : alles das ist dein , wenn du mit mir nach dem Heeshof fährst .
Hier gehörte es der Uhl und ihren Sorgen ; dort auf dem Heeshof wird es dir gehören .
Ach , Jörn , ich bitte dich , komme mit uns !
Ich bitte dich , Jörn : reiße deine Seele aus der Uhl heraus und nimm sie endlich einmal für dich selbst in Gebrauch .
Ich bitte dich , lieber Jörn , komme mit mir !
Sonst , das sage ich gerade heraus , sonst ist mir bange um den Rest . "
Jörn Uhl sagte nichts .
Er atmete schwer und sah bald nach dem Grabe von Lena Tarn , bald nach den beiden Gräbern zu seinen Füßen .
Die drei Gräber redeten mit lauter Stimme .
Als sie eine Weile unbeweglich gestanden hatten , sagte Thieß :
" Nun komme !
Nun wollen wir noch diese drei Kränze auf Lena Tarns Grab legen , jeder einen . "
" Lena Tarn ? " sagte der Kleine , " wer ist das ?
Lena Tarn sagst du ?
Das ist ja meine Mutter . "
" Ja , Junge !
Was hattest du für eine Mutter ! " * * * Am anderen Vormittag ließ Jörn Uhl die Knechte und Mädchen kommen und bezahlte einem jeden den Lohn , den er verdient hatte , und ging zu den Handwerkern und bezahlte die kleinen Summen , die er schuldig war , und sagte , als sie ihn verwundert ansahen , in seiner kurzen , kargen Weise :
" Ihr sollt keine Laufereien haben nach eurem Gelde oder gar darum betrogen werden . "
Da verstanden sie ihn und strichen das Geld rasch ein , und geleiteten ihn zur Tür , und riefen ihre Frauen und sahen ihm nach , wie er hoch und aufrechter als sonst unter den Linden entlang ging .
Dann ging er noch einmal über die wüsste Brandstätte und stand noch einmal an der geschwärzten , halb niedergebrochenen Hausmauer , unweit der Küchentür , wo er oft gestanden hatte ; denn man hat von da einen weiten Blick über das Kornland der Uhl .
Da kam Thieß Thiessen über den Schutt hingestolpert , den kurzen Wagenrock angetan und die Peitsche in der Hand , und rief von weitem :
" Der kleine Jürgen sitzt schon auf der Lade im Wagenstroh und baumelt mit den Beinen , und Wieten legt schon ihr braunkariertes Umschlagetuch um . . . Wie steht es Jörn ?
So ist es recht !
Dein Gesicht gefällt mir , mein Junge . "
" Thieß , " sagte Jörn Uhl und wandte sich zu ihm , " ich bin nun fertig damit !
Ich lasse die Uhl nun fahren , samt allen ihren Sorgen .
Ich bin ein Mensch . . . ich habe in fünfzehn Jahren keinen Sonntag gehabt ; ich glaube :
ich bin ein armer , unglücklicher Narr gewesen . . .
Aber nun , wahrhaftig , nun will ich wirklich versuchen , was du gestern sagtest :
ich will sehen , daß ich meine Seele wiederbekomme , die hier in der Uhl gesteckt hat .
Her mit meiner Seele !
Her mit meiner Seele !
Die gehört mir !
. . . Komme schnell , Thieß . "
Der Kleine saß auf der Lade , und Wieten stand gebückt neben dem Wagen .
" Vater , " sagte der Junge , " was schriest du da ?
Schaltest du oder lachtest du ? "
" Beides ! " sagte Jörn Uhl . . . " Komme her , Wieten , ich will dich hinaufheben . . . Willst du etwas sagen , Wieten ? "
Sie sah ihn mit ihren ernsten , dunklen Augen sinnend an .
" Ich dachte an die Geschichte von dem , Jörn , der hundert Jahre bei den schwarzen Erdmännern war , und als er wieder herauskam , war er alt .
Es ist doch viel Wahrheit in den alten Geschichten , Jörn . "
" Ja , Wieten ! " sagte er .
Und er schüttelte sich , als wenn ihn ein Grauen überkam .
Vierundzwanzigstes Kapitel Wenn über dem jungen Wald , der in Schnee und hartem Frost liegt , der Westwind anhebt sanft zu wehen , dann beginnt es in den Tannen von oben bis unten leise zu knattern und zu splittern :
es will sich nicht biegen , es muß brechen .
Aber die weichen Lüfte schmiegen und schmeicheln um all die Eiskristalle , gleiten und streicheln .
Und wie es geht :
Das Weiche siegt zuletzt überall auf der Erde .
Die Liebe siegt .
Das Klingen und Klirren und Waffengerassel hört auf .
Die Eiskristalle lassen die blanken Lanzen fallen ; es schmelzen ihre Harnische ; es laufen ihnen die Augen über ; sie sinken der weichen Luft in die Arme .
Wenn einer nun durch den Wald geht , hört er , wie es gleitet und fällt , und wie es im Träumen leise und eintönig redet .
Schön ist es zu sehen und zu hören , wenn der Wald auftaut .
Schöner noch ist es , dabei zu sein , wenn ein Mensch auftaut .
Thieß Thiessen stand am anderen Tage nachmittags an Jörn Uhls Bett und sagte : " Du wirfst dich mit gutem Erfolg auf die Thiessensche Seite , Jörn .
Du hast jetzt achtzehn Stunden geschlafen . "
" Wo ist der Kleine ? " fragte er .
Der kam schon an :
" Vater , " sagte er , " du hast geschlafen wie 'n Maulwurf .
Ich bin schon zehnmal an deinem Bett gewesen , siebenmal allein und dreimal mit Thieß . "
" Siehst du , " sagte Thieß , " von allen Seiten lebhafte Anerkennung !
. . . Ich bin heute morgen schon nach Sankt Mariendonn gefahren .
Der Schmied hatte den letzten Spaten noch nicht bezahlt bekommen ; ich habe ihm einen Taler gegeben . "
Jörn Uhl richtete sich auf :
" Den kann ich dir nicht wiedergeben . "
" Fängst du schon wieder an zu sorgen ? "
Da warf er sich wieder hin und lachte :
" Ich werde mich hüten .
Alles in Sicherheit !
Der Vater und die Uhl , dieser kleine Junge und Wieten !
Und keine Schulden und kein unfreundlich Gesicht !
Alles einfach , ganz einfach .
So einfach wie ein Stück Schwarzbrot !
Du mußt uns vorläufig hier behalten . "
" Das ist klar : Ihr bleibt hier , und wir sind gemütlich miteinander und warten den Rest ab . "
" Ich danke dir , Thieß .
Ich will mich besinnen und dann sehen , was ich beginne . "
Am anderen Morgen ging er zu Fuß nach Sankt Mariendonn zum Amtsvorsteher und beredete mit dem ruhigen und verständigen Manne seine Lage und sagte , daß er den Hof nicht wieder anfassen wolle .
Wenn der Weißkopf den Hof für die Schulden nicht übernehmen wolle , so möge der Bankrott erklärt werden .
Er wolle keinen Pfennig haben ; aber er wolle auch keine Schulden in sein neues Leben hinein nehmen .
Er hätte lange genug schwere Sorgen und Schulden getragen ; es sei ihm zehn Jahre lang gewesen , als hätte er Schweres auf dem Gewissen , als hätte er ein Brett vor der Brust gehabt , auf dem groß und deutlich stände :
" Dieser Mensch hat viele Schulden . "
Wie verdammt und verflucht sei er sich vorgekommen .
Nun aber sei ihm leicht und froh ums Herz .
Der Amtsvorsteher lächelte über diesen Jörn Uhl , mit dem sich sonst kaum ein Wort hatte reden lassen , der aber nun , da seine Sache ganz verloren war , so frei und selbstbewußt redete , und sprach die Hoffnung aus , daß ein freihändiger Verkaufe zu stande käme , das Land wäre ja in hoher Kultur und gutem Stande .
Zuletzt beredeten sie noch , daß Jörn Uhl , gegen Bürgschaft von Thieß Thiessen , zwei von seinen Pferden behalte , Paßpferde , an denen Lena Tarn , als sie Fohlen waren , noch ihre helle Freude gehabt hatte , jetzt hohe , achtjährige , fehlerlose Wallache , holsteinische Marschrasse .
Als er wieder auf der Dorfstraße stand , nickte er fröhlich bei sich selbst und schwang den gelben Eichenstock und rührte im Gehen das Lindenlaub auf , das dicht die Straße bedeckte .
Als er von fern , unter Büschen und Linden fast versteckt , das Schulhaus sah , suchte er das Fenster , hinter dem er einst Englisch getrieben hatte und den Garten und dachte :
" Lisbeth Junker wird auch bald wiederkommen .
Die wird sich wundern , daß die Uhl nicht mehr steht , und daß wir davongezogen sind .
War doch nett von ihr :
Jeden Sommer , wenn sie im Schulhaus besuchte , kam sie nach der Uhl .
Ein mächtig feines Mädchen !
Und schmuck wie immer ! "
Er kam näher und sah über die Planke .
Der ganze Garten war voll bunter Lichter und starker , lustiger Farben .
Die Weinlaube an der Wand flimmerte und leuchtete in der hellen Oktobersonne .
Ein leiser Wind wühlte rote , grüne und gelbe Farben im Sonnenlicht durcheinander .
Und doch entdeckte er in all der bunten Pracht , mitten in dem bunten Weinlaub , einen besonderen Fleck , der in all dem ruhevollen Spiel unruhig auf und nieder fuhr .
Dem Mädchen , das im Wein saß und Bohnen ausmachte , war etwas in den Nacken geflogen , und nun wußte es nicht , ob es ein Blatt oder eine Raupe war ; und sie stand und schüttelte sich , und das Licht sprang lustig über ihr helles Haar und um ihre Augen .
" Warte ! " sagte Jörn Uhl , " ich will dir helfen . "
Und ehe sie sich_es versah , stand er über ihr gebeugt und sagte : " Es ist nichts zu sehen als lauter krauses , helles Haar . "
Sie sah ihn mit verwunderten und strahlenden Augen an .
" O , Jürgen ! " sagte sie , " wie hast du mich erschreckt !
Und wie freue ich mich , daß du so gut aussiehst !
. . . Du armer Junge !
Nun hast du auch deinen Vater verloren , und die ganze Uhl ist abgebrannt . "
Er nickte : " Davon wollen wir nicht reden , " sagte er .
" Das liegt dahinten !
Da ganz weit hinten !
Ich freue mich , daß ich dich gerade noch sah .
Wie lange bist du schon hier ? "
" Seit gestern abend .
Ich wollte nur die Bohnen besorgen , dann wollte ich nach der Uhl hinübergehen und sehen , ob ich dich und den Kleinen wohl treffen könnte .
Wie geht es dir , Jürgen ? "
Da erzählte er bedächtig von Bruder und Vater , und von den Mäusen im Weizen und von dem Feuer , und was er mit dem Amtsvorsteher beredet hätte .
Und sie bedauerte ihn mit guten Worten .
" Was ich nun anfange , " sagte er , " das weiß ich nicht . "
" Ach , " sagte sie , " Jürgen , es findet sich ja leicht etwas für dich .
Du kannst und magst arbeiten .
Und du bist so klug !
Da mache dir man keine Sorgen . "
Die Sonne machte sich lustig in Laub und Zweigwerk , warf Schatten und Licht , Feuer und Farbe überall hin und auf die beiden .
Es wunderte ihn , daß sie so von ihm sprach .
Sie hatte doch nicht bloß Mitleid mit ihm .
Sie achtete ihn !
Mächtig gefiel ihm das .
So 'n feines , vornehmes Mädchen !
" Nein , " sagte er , " mir ist nicht bange vor der Zukunft .
Es wird sich schon ' was finden .
Ich will viele Wochen , vielleicht den ganzen Winter durch , so sorgenlos hinleben , und dann will ich mich entscheiden . "
" Das ist recht , " sagte sie . . . " Weißt du ' was , Jürgen ?
Komme in der Zeit ' Mal nach Hamburg !
Ich zeige dir die ganze Stadt , alles , was sehenswert ist .
Den Kleinen bringst du mit .
Du hast bisher nichts als Mühe und Arbeit kennen gelernt .
Man zu ! "
Da wurde er ganz ausgelassen .
" Soll ich dir ' Mal ' was sagen ?
. . . "
" Sage ' es , Jürgen ! "
" Wenn du es daran wenden willst , und wenn es dir gut genug ist . . . wir sind da sehr einfache Leute . . . "
" Sage ' es doch , Jürgen ! "
Sie sah ihn voll froher Erwartung mit großen Augen an .
" Ich weiß nicht , ob ich es dir anbieten soll , wenn du uns da auf dem Heeshof besuchen magst :
wir haben beide nichts zu tun .
Wir drei , du und der Junge und ich , wir könnten den ganzen Tag tun und treiben , was wir wollten . "
" Nein doch , Jürgen ! "
" Und dann , wenn du magst , könntest du auch ' Mal mit mir ausfahren .
Ich wollte gern einen Kriegskameraden besuchen , der in der Gegend von Burg wohnt .
Ich meine , wenn dir das Spaß macht . . . "
Ihre Augen blitzten in klarem Wasser :
" Jürgen , " sagte sie , " furchtbar gern tue ich das !
Wenn es dir wirklich und wahrhaftig lieb ist , daß ich komme , dann komme ich zu gern . "
Er staunte über ihre Freude und wurde noch froher und sagte : " Nein !
Wie du dich freust !
Das hatte ich nicht gedacht .
Wenn es dir man nicht zu einfach ist !
Die Schinken sind sicher vom vorigen Jahre , und die Klöße sind von Buchweizen , und wie es mit der Schlafgelegenheit wird , das ist mir nicht ganz klar . "
" Ach , " sagte sie , " das ist ja alles so gleichgültig .
Ach , wie ich mich freue !
Weißt du , daß du manchmal gar nicht gut mit mir gewesen bist , wenn ich zu dir auf die Uhl kam ?
So kurz warst du und so gleichgültig .
Als wenn es dir ganz einerlei war , wie es mir ginge und was ich für Gedanken hätte , und ob ich auch in Sorgen wäre .
Du warst doch mein guter Kamerad gewesen , als wir Kinder waren ?
Ich habe geweint darum ! "
" Du ? " sagte er . . . " du hast geweint ?
Darum ?
. . . Lisbeth !
Ich dachte , es wäre jedesmal so ' was wie ein Höflichkeitsbesuch !
Ich meinte , du wolltest mir dein Mitleid bringen .
Und du wolltest dir ' was von mir holen ?
Nein doch !
Von mir ?
Deern , wie gerne hätte ich alles mit dir besprochen !
Wenn ich das bloß gewußt hätte !
Aber ich saß in Gram und Sorgen und hatte Spinneweb vor den Augen .
Ich habe immer gemeint , du wärst in Glanz und Glück . "
" Ach , Jürgen .
Ich in Glück ! "
" Wenn du wirklich so zu mir stehst , Lisbeth , daß du ' was von mir willst , daß ich dir mit irgend etwas helfen kann . . . dann . . . wahrhaftig . . . Lisbeth . . . wo ich auch bin und bleibe . . . ich will dich aufsuchen , und in jeder Not sollst du dich auf mich verlassen . "
" Nein , " sagte sie und schlug die Hände zusammen .
" Wie freue ich mich , daß du so fröhlich bist und so mit mir redest . "
Er lachte stolz und glücklich und sagte : " Das wird ein Spaß morgen .
Thieß hat morgen vormittag hier zu tun und holt dich ab .
Der Kleine und ich legen uns irgendwo am Waldrand im Hinterhalt und fangen euch ab .
Wir lassen Thieß laufen :
aber du mußt gleich mit uns quer durch die Heese .
Ich will dem Jungen die großen Steine zeigen , weißt du ?
. . . welche die Hexe geworfen hat .
Weißt du noch ?
Hände wie 'ne Schlachtermulde ! "
Sie schlug die Hände zusammen :
" Nein , " sagte sie , " ich kann und kann dir nicht sagen , wie ich mich über dich freue , daß du so fröhlich und herzlich bist ! "
Die Tränen standen ihr in den Augen .
Er nickte ihr zu und sagte schelmisch :
" Du hast noch immer dieselbe hohe Stimme wie damals . "
Sie lachte .
" Sei man still , " sagte sie , " bei dir werden in diesen Tagen auch allerlei alte Fehler zu Tage kommen . "
" Hatte ich welche ? "
" Welche Einbildung !
Du warst zuweilen nicht bei der Sache , und zuweilen warst du hitzig .
Und zuweilen . . . zuweilen kehrtest du den Uhl heraus . "
Sie schlug sich mit der Hand gegen die Brust , wie ein Prahler tut .
" So ! " sagte er .
" Also so war ich !
Wie du warst , darüber will ich nun nachdenken , wenn ich über die Heide gehe .
Ich muß nun gehen .
Es hat mir gut getan , Lisbeth .
Ich hätte nicht gedacht , daß du ein so schlichtes Menschenkind bist . "
" Und ich nicht , daß du heute so fröhlich und freundlich sein würdest . "
" Du !
Das macht , daß ich keine Sorgen habe .
Früher hatte ich lauter schwere Gedanken , die gingen einher wie Müllerknechte ; jetzt aber sind sie Herrenleute geworden , gehen im Sonntagsstaat spazieren und sehen nach den Mädchen , die unterm Weinlaub sitzen .
Nun also !
Auf morgen , Lisbeth ! "
" Grüß den kleinen Jürgen ! "
Er schüttelte ihr die Hand und nickte und grüßte und ging davon .
Sie sah ihm nach , bis er verschwunden war .
Dann sammelte sie lächelnd und gedankenvoll mit Bedacht die Bohnen auf .
Als sie aber noch nicht damit fertig war - flog ihr wieder etwas in den Nacken ? - , schüttelte sie sich und rief : " Marie , Marie ! "
Die Freundin kam herausgelaufen , ihr Kind auf dem Arm , und fragte , was da wäre .
Da sagte sie :
" Ach du . . . weißt du , wer hier gewesen ist ?
Wer hier gesessen hat ?
Hier auf der Bank ?
Und hat ganz vergnügt mit mir geplaudert ? "
" Ist nicht möglich !
. . . Jörn Uhl ? "
Da nickte die andere , die Hellhaarige , und lachte und lief ins Haus . * * * Am anderen Tage saß sie richtig neben Thieß auf dem Wagen , und es sah aus , als wenn ein schöner , junger Rosenbusch neben einem kleinen , dürren Wacholderlein steht .
Und Thieß lachte übers ganze Gesicht , als Jörn Uhl und der Kleine da richtig am Waldrand standen .
Sie wollte nicht herunterspringen ; er hielt die Arme so hoch und machte ein so finsteres Gesicht .
Aber zuletzt wagte sie es .
Sie lief aber gleich mit dem Kleinen davon , gerade nach dem Heeshof zu , und befaßte sich nur mit ihm , als wenn sie nach dem Heeshof gekommen wäre , wie früher nach der Uhl , " nur um nach dem Jungen zu sehen " .
So trieb sie es den ganzen Tag .
Er war indes mit Thieß nach dem Moor geschlendert , um nach dem Torf zu sehen .
Als er heimkam , fand er sie noch mit dem Jungen spielend .
Sie sprangen hin und her über einen Graben und schienen unendlich großes Vergnügen daran zu finden .
Als er auf sie zukam , sagte sie zu dem Kleinen :
" So , nun habe ich keine Zeit mehr , nun muß ich Wieten helfen . "
Und lief ins Haus , wie ein Wiesel in sein Loch am Wall .
Eine Stunde später , als er ihr auf der Vordiele begegnete , und sie gerade ein Tuch um den Kopf band und sagte , sie wolle nun noch mit Wieten zusammen die Wände der Küche abfegen , welche liederlich aussähen , da wurde es ihm zu bunt .
Er faßte sie in guter Laune an , drehte sie in seinem Arme um , knotete Tuch und Schürze bedächtig auf , warf beides in die Ecke und sagte : " Wir gehen zusammen nach der Heese . "
" Der Kleine soll mit . "
" Der Kleine bleibt hier . "
Sie verzog ein wenig das Gesicht und meinte , es wäre eine starke Zumutung , daß sie tun sollte , was ihm beliebte .
" Willst du einen Hut aufsetzen ? "
" Nein , aber ich will mich etwas wärmer anziehen . "
Sie holte ihr schlichtes , schwarzes Jackett und hielt es ihm hin .
Er stellte den Stock an die Wand und sagte : " Nun sage mir , was ich tun soll . "
" Stelle ' dich nicht an :
du kannst doch ein Jackett halten , das man anziehen will ? "
" Das habe ich nie getan , weder bei Mannsleuten noch bei Frauensleuten . . . Was ist das für ein feines Ding !
. . . Ist das mit Seide gefüttert ? Habe ich all mein Lebtag nicht gesehen !
Na , denn man zu ! "
Sie hatte es nun zwar angezogen , aber es saß noch nicht .
Sie wand sich und reckte die Arme und versuchte , die weiten und bequemen Ärmel des wollenen Hauskleides im Jackett unterzubringen ; aber es wollte nicht gelingen .
" Komme 'mal her , " sagte er , " ich will dir helfen . "
Sie drehte sich einmal rund um . . . " Nein , nein . . . es geht schon . "
" Siehst du , " sagte er , " du bist noch immer so , wie du als Kind warst !
Immer : Rühr mich nicht an !
Immer stolz !
Da kann kein Uhl dagegen an ! "
" Jürgen ! " sagte sie , und ihre Augen waren gerade und vorwurfsvoll auf ihn gerichtet , und ihre Stimme war hoch und fein : " Ich bin nur still und zurückhaltend , weiter nichts .
Wenn du in mich hineinsehen könntest , würdest du anders denken . "
" Na , " sagte er , " nun sei man nicht böse .
Ich habe aber immer den Eindruck gehabt , daß du viel zu fein wärest , mit mir Umgang zu haben .
Und das ist , neben meiner traurigen Lage , der Grund gewesen , daß ich in den letzten Jahren so zurückhaltend gewesen bin . "
Sie sah ihn schelmisch an und sagte : " Sage ' doch ' Mal , Jürgen , was ist denn so fein an mir ? "
Er wurde verlegen und versteckte seine Unsicherheit hinter einer wichtigen Miene .
" Na , " sagte er , " da ist erst ' Mal deine Gestalt , weißt du : wie die junge Linde , welche an der Ecke des Schulhauses steht , an der Gartenpforte .
Deine ganze Gestalt und Haltung hat so etwas Frisches , Aufstrebendes , weißt du . "
Sie zog an ihrem Jackett und lachte und sagte :
" Weiter , das mag ich gerne hören . "
" Ja , und dein Gesicht , als wenn dieser wunderschöne , sonnige Tag es heute morgen erst gemacht hätte .
Und Augen , die immer so bitter ernst sind ; ganz abgesehen davon , daß du sie noch besonders im Kopf zurecht stellst , wenn du mich ansiehst . "
" Nein doch , Jürgen ! "
" Und wenn du redest , machst du mit deinem Mund so viel Umstände , daß man schon gern hinsieht , um dies Manöver zu sehen .
Dein Mund ist breiter und ruhiger geworden . "
" Na , bist du nun fertig ? "
" Weißt du noch , " sagte er , " daß du Fiete Krey niemals die Hand geben wolltest , wenn wir euch über den Wall helfen wollten ?
Dann standest du da !
Hinunterrutschen ging nicht !
Das Kleid wäre ja schmutzig geworden !
Auch hätte es nicht gut ausgesehen !
Dann riefst du :
» Jürgen ! Jürgen ! «
Ich höre noch deine Stimme vom Wall herab .
Siehst du , so warst du ! "
" Und warum das ?
Weil Fiete Krey nicht allzu reinliche Hände hatte .
Das weißt du ! "
" Ja , Kind , was ist denn nun aus meinen Händen geworden !
Was haben die alles anfassen müssen !
Der Bruder lag auf der Diele , da . . . ach , ich will nicht daran denken .
Du bist zu gut für das alles , Lisbeth . "
" Gib 'mal her , " sagte sie .
Und ehe er merkte , was sie wollte , hatte sie seine Hand ergriffen und an ihre Wange gelegt .
" So denke ich , " sagte sie .
Da zuckte es ihm durch den Körper .
Er hielt ihre Hand fest und sagte mühsam :
" Du bist mein lieber , kleiner Spielkamerad . "
Sie waren bis zum Waldrand hinauf gekommen , und er zeigte ihr eine Stelle , wo der Abhang des Walles , so lang wie ein Mensch ist , mit schönem , dichtem Moose belegt war .
" Willst dich hier ein wenig niedersetzen ? "
Sie tat es zu seiner Verwunderung .
" Hier , " sagte sie , " haben wir einmal alle vier gelegen . "
" Wo sind die beiden anderen ? " sagte er .
Sie strich mit der Hand über das Moos an ihrer Seite , und wollte etwas sagen und sah vor sich nieder .
Dann sagte sie :
" Es läßt mir keine Ruhe , Jürgen :
du sollst richtig über mich denken .
Ich bin weder hochmütig noch sie .
Sieh ' Mal , Jürgen , du erinnerst unser Zusammentreffen im Apfelgarten : es war eine komische Geschichte .
Du warst natürlich und verständig , und ich benahm mich lächerlich .
Warum ich nachher auf dem Ball nicht mit dir tanzen wollte , das weißt du ganz gut , Jürgen ; und darüber hast du vielleicht bald anders und richtiger gedacht , als du damals dachtest .
Daß ich aber dann mit Elsbe wenig verkehrte : sieh , Jürgen , ich weiß , wie treu und lieb ihr Herz war , und klug war sie auch .
Als sie noch ein ganz junges Ding war , sah sie merkwürdig klar und nüchtern ins Leben , während ich eine Zeitlang ein verbildetes , törichtes Ding war .
Sie schwärmte nicht und redete nicht über Dinge , welche des Ansehens nicht wert sind , über Gardinenspitzen , Jürgen , und dergleichen Dinge , sondern sie sah auf das Wirkliche und Wahre .
Sie war darin deine rechte Schwester , Jürgen . . .
Aber , du hast es nicht erfahren , wie schlimm es um sie stand .
Du weißt nicht , daß sie , als du Soldat warst , in der Nacht aufgestanden ist und sich durchs dunkle Dorf zu mir ans Fenster geschlichen und die halbe Nacht bei mir zugebracht hat .
Dann weinte sie bitterlich und klagte über ihre Unruhe .
Wenn dann im Winter die Bälle kamen , war sie so wild und ausgelassen , daß sie Aufsehen machte . "
Sie atmete tief auf und wagte nicht , zu ihm aufzusehen .
" Siehst du , Jürgen , ich bin von diesem nicht frei .
Ich bin nicht stumm und dumm , hart und gleichgültig ; aber ich habe es in meiner innersten Seele verschlossen , es ist in meiner Seele das Geheimste , dies und die Religion . "
" Sind das nicht zwei verschiedene Dinge ? "
" Ich meine nicht , Jürgen .
Sind sie nicht wie Bruder und Schwester ?
Du hast hoffentlich nicht die Meinung , daß die Religion von Gott ist und die Natur vom Teufel ; sondern sie sind beide von Gott , und sollen bei einander wohnen und sich gegenseitig dienen . "
Sie fuhr mit der Hand wieder leicht über das Moos .
" Sieh , das ist der Stolz , von dem du redest :
Ich wohne in einem feinen Hause , die Wände sind sauber weiß angestrichen , und die Fenster sind blitzblank und nicht allzu hoch und ein wenig Vorhänge davor .
Aber wenn man nun meinte , da wohnt sicher eine alte , fromme Jungfer . . . du weißt , Jürgen , von jener Lemmerin Frömmigkeit . . . dann irrt man sich .
In meiner sauberen Stube , hinter den Vorhängen , singe ich oft , und lache laut und tanze , und manchmal werfe ich mich längelang auf den Teppich , und weine mich satt und weiß nicht , warum ich das alles tue . "
Er sah mit blanken Augen auf sie nieder .
Die Bäume hinter ihr hatten sich ein wenig zu ihr hinübergebeugt , um alles zu hören , und die Abendsonne rollte goldene Kugeln über das Moos .
Er war mitten in einem Märchen und wußte es nicht .
" Es ist mir sonderbar mit dir ergangen , " sagte er .
" Gestern bin ich zu dir gekommen , und heute kommst du zu mir . "
Nun sah sie zum erstenmal zu ihm auf :
" Wenn du willst , Jürgen , wollen wir nun wieder rechte Freunde werden und es bleiben , so lange wir leben . "
Da stieß er seinen Stock in die Erde und sagte : " Größeres kann mir nicht geschenkt werden , Lisbeth , als ein Mensch , mit dem ich alles bereden mag .
Das habe ich nicht gehabt , seit Fiete Krey hinter Ringelshören verschwand und Lena Tarn sich zum Sterben zurecht legte .
Ich bin einsam gewesen , einsam ; und in der Einsamkeit bin ich wunderlich und starr geworden . "
" Aber nun taust du auf , Jürgen .
Nun knüpfst du da wieder an , wo du als Junge warst .
Du bist noch jung genug dazu .
Wie warst du drollig !
So wichtig warst du immer , so ernst !
Das hattest du vom Heeshof . "
" Nun , " sagte er , " komme .
Wir wollen nach Hause und es morgen weiter bereden .
Morgen wollen wir beraten , was ich anfangen soll .
Bist du mein Kamerad , mußt du mir auch darin beistehen . "
" Weißt du was ? " sagte sie .
" Es kann sein , daß du in der nächsten Zeit nicht gut für deinen Kleinen sorgen kannst .
Hier kannst du ihn nicht gut lassen ; der Schulweg ist so weit .
Wenn du ihn mir mitgeben wolltest , Jürgen ?
Wir haben da so gute Schulen , und ich . . . ich habe am Sterbebette seiner Mutter gestanden . "
" Das wolltest du ? "
Fünfundzwanzigstes Kapitel Als Jörn Uhl am anderen Morgen , in ziemlicher Frühe , vom Moor zurückkam , wohin er mit Thieß gegangen war , dachte er :
" So !
Nun sollen die beiden sofort aufstehen und mit mir in die Heese . "
Aber als er sie erst in der Stube und dann in der Küche suchte , sagte Wieten zu ihm :
" Ich soll dich von den beiden grüßen , Jörn ; sie wären erst heute nachmittag für dich zu sprechen : den Vormittag solltest du mit Thieß zubringen . "
" Nein . . . Wieten ! " sagte er , " der Junge . . . der macht förmlich schon Komplott mit ihr . "
" Das ist ja kein Wunder , Jörn !
Sie ist in dem Alter , daß sie seine Mutter sein könnte ; und sie hält viel von ihm .
Das ist keine Anstellerei , Jörn . "
Er ging Gehorsam wieder nach dem Moor hinunter , und kam erst zu Mittag nach Haus , und fand die beiden eben angekommen .
" Habt ihr euch gut vertragen ? " sagte er .
" Wir haben auch nicht ein bißchen Streit gehabt , " sagte der Kleine , " und haben uns fix ' was erzählt .
Heute nachmittag darfst du nun ' Mal mit uns gehen . "
" Das ist schon etwas ! " sagte Jörn Uhl .
Lisbeth wurde rot und lachte :
" Wir tun mit dir , was wir wollen .
Heute nachmittag sollst du mit uns nach dem Rugenberg gehen ; wir wollen das Hünengrab sehen . "
" Wo der tote Mann darin gelegen hat . "
" Man los ! " sagte Jörn Uhl . * * * Sie gingen fast eine Stunde durch die Heese und dann über eine Heide , kamen über Wiesen zu einer kleinen Holzbrücke hinunter und stiegen jenseits durch ein kleines Gehölz wieder hinauf : da lag der Rugenberg vor ihnen .
Es ist eine ansehnliche Anhöhe .
Man hat einen Blick über ein weites und breites Moor , bis an jenseitige Höhenzüge .
Auf der Spitze , unter jungen Tannen und Buchen , hat man alte Grabkammern geöffnet .
Als die drei hinauf stiegen und bis zu den Buchen gekommen waren , sagte der Kleine :
" Du , Lisbeth , wollen wir uns hier ein wenig hinlegen ? "
" Wollen wir , Jürgen ? "
" Vater , hast 'n Messer bei dir ?
Denn mache ' Mal rasch ein Läuferloch ; wir wollen Läufern . "
" Was für 'n Einfall ! " sagte Jörn Uhl .
" Nun willst du mit einmal Läufern ?
. . . "
" Wir haben_es gestern auch getan , " sagte Lisbeth .
" Weißt du noch ? " sagte Jörn Uhl , " wie wir beide zum letztenmal miteinander geläufert haben ? "
" Ja , und du fingst Streit an . "
Er lachte :
" Das weiß ich doch nicht !
Du griffst ins Loch und nahmst die Läufer heraus . "
" Die Läufer waren mein , " sagte sie .
Jörn Uhl rundete das Loch mit dem Messer .
" Sie waren nicht dein .
Der sechste Läufer war am Rande stehen geblieben .
Du sahst das wohl , aber du dachtest :
Zulangen fackelt nicht .
So warst du immer : vornehm und immer im Recht , sonst : Kopf in den Nacken ! "
" So ?
. . . Ich weiß heute noch , wie die Läufer lagen .
Von Zweifel war gar nicht die Rede .
Gib die Läufer ' Mal her !
Er lag im Loch .
So lag er . "
" Der brennt ! " sagte der Kleine .
" Denn mußt du noch ' Mal werfen . "
Jörn Uhl legte sich den beiden gegenüber ins Knie .
" Hörst du , was der Junge sagt ? "
Sie legte den Läufer noch einmal an den Abhang des Lochs , scharf am Rande :
" So lag er . "
Der rollte hinunter .
" Siehst du , " rief er , " kann sich der Läufer da halten ? "
Da langte sie rasch mit der Hand aus , riß die Läufer an sich und hielt sie in der geschlossenen Hand im Schoß und sah über ihn weg , als wenn sie mutterseelenallein wäre .
Er lachte : " Just so machtest du es damals !
Und da langte ich nach dir und riß dich am Ohr . "
" Na ? Und wie konntest du das tun ? "
" Weil du das Spiel verdarbst !
Aber du . . . du konntest nicht ertragen , daß ich dich anfaßte .
Wie kann ein so grober Junge ein so feines Mädchen anfassen ! "
" Mich am Ohr zu reißen ?
Dazu hattest du kein Recht . "
" Nein , ich . . . ich hatte kein Recht !
Aber du . . . du hattest immer recht .
» Jürgen , wir wollen spielen !
Jürgen , wir wollen ' Mal sehen , wie auf Ringelshören der Wind weht !
Jürgen , wir wollen Stichlinge fangen ! «
Aber wenn Jürgen ' Mal recht Kamerad sein wollte und wollte dich ' Mal anfassen als seinesgleichen , dann gab es ein erschrecktes Gesicht und Zorn .
Und das würdest du jetzt noch ebenso machen !
So 'n Rühr-mich-nicht-an !
Zehn Schritt vom Leibe !
Wer dich zur Frau begehrt , der muß ein waghalsiger Mensch sein . "
Er sah sie halb mutwillig und halb verlegen an .
Als er aber sah , daß sie ganz verwirrte Augen hatte , sagte er mit dem sanften Ton , mit dem er zu dem zornigen Kinde gesprochen hatte : " Gib die Läufer her , Heintüüt !
Pass ' Mal auf :
wir wollen das Spiel ' Mal fertig machen .
Wer von den sieben Läufern sechs ins Loch wirft , der soll damals recht gehabt haben . "
" Nein , " sagte sie , " ich will nicht .
Ich will mein gutes Recht nicht aufs Spiel setzen . "
" Das täte ich auch nicht , " sagte der Kleine .
" Denn nicht ! " sagte Jörn Uhl , " denn nicht ! "
Und fing an , mit den Läufern , die da noch lagen , einigemal zu werfen .
Sie sah patzig geradeaus .
Als sie aber sah , daß er so ängstlich warf , daß höchstens einer hinein lief , da meinte sie , daß ihre Aussichten gut wären .
Sie lachte hell auf und sagte :
" Denn man zu ; ich will ! "
Nun warfen sie eifrig und kamen mit den Köpfen immer näher zusammen , und der Junge lag fast überm Loch und machte sich über die schlechten Würfe lustig und rief immer : " Nein doch !
Laßt mich ' Mal ! "
" Nein , Junge , nachher ! "
Da gelang es Jörn Uhl , trotz des unebenen Bodens , sechs hinein zu werfen .
Aber im selben Augenblick griff sie mit rascher Hand zu , riß die Läufer an sich und sagte :
" Jürgen ! Wahrhaftig , du hast betrogen !
Du hast den Daumen vorgehalten ! "
Aber im selben Augenblick hatte er sie am Ohr und schüttelte sie .
Aber er sah sie ängstlich und verlegen an ; er dachte :
Wie wird das ablaufen !
Aber sie beugte den Kopf so , daß seine Hand weich zwischen ihrer Wange und Schulter lag und sah ihn verlegen lächelnd an .
Er zog die Hand langsam zurück und sagte leise und erregt :
" Du bist doch anders als ich gemeint habe . . . Wie fein und rein ist dein Gesicht ; ich erkenne deutlich das Kindergesicht . "
Der Kleine , dem es langweilig geworden war , war aufgestanden und ein wenig nach der Höhe hinauf gegangen .
Plötzlich sagte er von oben herab : " Sieh ' Mal , Vater , kannst sehen ?
Da oben sitzt ein Mann im Gras . . . Weißt , wer das ist ? "
" Ich sehe gar nichts , Junge .
Wo denn ? "
" Da ? kannst nicht sehen ?
Und soll ich ' Mal sagen , wer es ist ? "
" Wer denn , Jung ' ? "
" Heim Heiderieter ist es !
Der manchmal Kälber an dich verkauft hat ! "
" Wahrhaftig ! " sagte Jörn Uhl und stand auf .
" Siehst du , Lisbeth ? "
Da stand Heim Heiderieter schon auf und sah mit großen Augen auf sie hinunter .
" Wer seid ihr ? " rief er .
" Wodan schrecke euch , und Tor hebe drohend seinen Hammer . . .
Aber Freya lenke des Weibes Seele , daß sie mir wohlgesinnt ist . . . Ach , du bist es , Jörn Uhl !
Der in der Höhe nach den Sternen sieht ; was will der hier , wo die Fußspuren unserer Väter in den Gräbern liegen ?
Lisbeth Junker : weil er dich mitgebracht hat samt seinem kleinen Jungen , so soll auch er auf dieser sonnigen Höhe willkommen sein . "
Lisbeth und der Kleine liefen vorauf , und Lisbeth gab ihm die Hand und sagte leise und rasch : " Du wirst gehört haben , daß Jürgen den Hof aufgegeben hat .
Er ist aber froh darüber , weil er die Sorgen los ist .
Rede nicht mit ihm von alten Zeiten . "
" Was pfeift sie da ? " sagte Jörn Uhl .
" Sie pfeift wie 'n Buchfink am Küchenfenster . . . Was treibst du hier , Heim ? "
" Das will ich dir rund und ehrlich sagen , " sagte Heim .
" Vor einem Jahre haben der alte Peter Voß von Vaale und ich und einige andere eine Steinkammer hier oben geöffnet , und haben darin einen toten Mann gefunden und haben ihn nach Kiel in unser Museum abgeliefert . "
" Wo lag er ? " sagte der Kleine .
" Da . . . Siehst du ?
In dem kleinen Keller von Grausteinen . . . Nun bin ich neulich in Kiel gewesen und habe mit meinem lieben Freunde , dem Pastor Biernatzki aus Hamberge , zum zweitenmal vor dem kümmerlichen Skelett gestanden und vor den armseligen , schwarzen Resten des Bootes , darin sie den Mann damals begraben haben .
Da sagte Biernatzki - du kennst Biernatzki doch , Jörn ?
Wir haben dich ' Mal auf der Uhl besucht : ein langer , schwarzer Mensch ?
Er sagte : » Heim « , sagte er , » du mußt 'mal erzählen , was der Mensch erlebt hat . «
Ich sage : » Warum ?
Weil er so 'n merkwürdig starkes Gebiß hat , was ?
Hast schon gesehen ?
Seine Vorderzähne sind wie seine Backenzähne , an der Krone abgeplattet . «
» Nein , « sagt er , » nicht wegen seiner Zähne !
Sondern weil er einen guten Hinterkopf hat !
Ich glaube , der Mann hat einen sonderlichen Geist gehabt . «
So sagte er .
Und seht , ihr drei : darum bin ich hierher gegangen . . . Und - was meint ihr ? " er schlug mit der Hand ins Gras : " Hier , an dieser Stelle , wo sie ihn vor dreitausend Jahren begraben haben , da habe ich erfahren , was er erlebt hat ! "
Da rief Jörn Uhl :
" Junge , Heim !
. . . Nun geht es wieder mit dir durch ! "
Aber Lisbeth Junker sagte : " Weißt du was ?
Du sollst es uns erzählen !
. . .
Hier auf der Stelle !
Man zu , Heim ! "
" Du sollst dich mir gegenüber setzen , " sagte er ; " denn ich mag dich gerne ansehen .
Und Jörn Uhl soll nicht so 'n hochmütiges Gesicht machen !
Der meint natürlich , ich phantasiere alles zusammen .
Aber ich sage dir , Jörn :
es liegt ebensoviel Wahrheit in dem , was ich von dem Toten erzählen will , als wenn du von Erdschichten redest oder von Unkrautsamen .
Ich will die reine Wahrheit berichten . "
" Gott bewahre ! " sagte Jörn Uhl .
" Denn man zu !
Zeit genug haben wir ! "
Da legte Heim Heiderieter sich lang hin , stützte den krausen Kopf in die Hand und erzählte :
" Wenn man von diesem Hügel dort hinunter geht , dann kommt man an einen verlassenen Bachlauf .
In jedem Frühling und Herbst staut sich dort noch heute das Wasser und schwemmt noch heute allerlei Erde zusammen , und das Tal des Baches ist in magerer Umgebung ein breiter grüner Strich .
Vor dreitausend Jahren lief dort ein kräftiges Wässerlein ; denn alle diese Höhen rund umher waren mit einem dichten Waldgewirr überdeckt : Linden und Buchen , Birken und Eichen wuchsen und kämpften nebeneinander .
Hasel und Schlehen und wilde Äpfel wuchsen und wühlten unten an den Knien der großen Brüder ; wo ein Großer im Herbststurm gestürzt war , machten sie sich breit und drängten sich an die Sonne .
Der Wald auf den Höhen und das Wasser in den Tiefen waren damals Herren im Lande .
Der Mensch bedeutete noch nicht so viel wie jetzt ; doch hatte er es schon so weit gebracht , daß er die Tiere , die mehr Kräfte hatten als er , nicht so sehr mehr fürchtete .
Hier und da , wo zwischen Wasser und Wald ein wenig Freiplatz war , standen selten und vereinzelt ihre Hütten .
Junge Baumstämme waren auf dem nackten Erdboden als Sparren gegeneinander gestellt und mit rät vom Moorrand überdeckt .
Schwere Buhlte von Grassoden lagen oben auf der First , dem Gebäude Schwere zu geben gegen anstürmenden Herbstwind , und dem andauernden Regen das erste Hindernis zu bieten .
Am schmalen Bach , unter den hängenden Buchenzweigen , wohnte damals ein Mann in erster bester Kraft .
Er hatte früher irgend einen anderen Namen gehabt , aber seit seinen ersten Jünglingsjahren wurde er Bootsmann genannt , darum , weil er mit unermüdlichem Eifer aus Lindenholz kleine Boote höhlte und kleine Segel von Bast darauf setzte und sie im Bach erprobte .
Wenn er dann ausgeprobt hatte , machte er nach dem Modell ein großes Boot mit einem großen Segel aus Rindshaut und erprobte es in der Elbbucht , welche jetzt das Moor ist , das dort liegt .
Er war so in seinem Arbeiten und Probieren versunken , daß er sich den ganzen Sommer hindurch nicht um die Mädchen bekümmerte , die sich mit Geschrei an der Bachbiegung badeten .
Auch kümmerte er sich nicht um das Feld , noch um Kuhhaltung , noch um Jagdtiere für den Winter .
Und war also , wie alle Erfinder , leichtsinnig , unpraktisch , und dem Winter nicht gewachsen .
So bastelte er und probte er den ganzen Sommer .
Wenn aber der Winter da , und der Hunger groß war , sprang er im eiligen Laufe durch Schnee und kalten Ostwind - denn sein Wolfsfell war dünn und schäbig - zu der Hütte , die zu unterst am Bach lag .
Dort wohnte ein Graubart , der den ganzen Sommer nichts anderes tat , als daß er auf sein Gerstenfeld in der Sonne paßte und auf seine Schweineherde unter den Eichen , und im ganzen Winter nichts anderes , als daß er diese Gerste in einem großen Suppentopf kochte und austrank und , vom Herdfeuer sich aufrichtend , nach oben in den blaugrauen Dunst langte , wo breite und schwere Speckseiten hingen .
Dort lag der Bootsmann den ganzen Winter , zwischen Feuer und Rauch , kochender Gerste und Speckseiten , und führte tiefsinnige Gespräche : ob Tors Hammer von Gold oder von Erz wäre , . . . ob auch die in Wotans Halle kämen , die jung in der Hütte stürben , ohne tapfere Taten getan zu haben , . . . ob die Menschen es noch ' Mal so weit bringen würden , daß sie ein Boot bauen könnten , so groß , daß es hundert Menschen trüge .
Und dergleichen mehr .
Wenn aber die ersten Frühlingstage kamen , tauchte der Bootsmann aus dem Rauch auf , stieg in den Bach , wusch sich Rauch und Fettkruste ab , die sich beim langen Liegen angesetzt hatte , und ging , glänzend blank und mit straffer Haut , wieder an seine Arbeit .
Einmal nun , mitten im Arbeiten , kam ihm ein großer Gedanke .
Der Gedanke kam so auf ihn herabgeschossen , daß er nach dem Häher aufsah , der gerade über ihn wegflog , als hätte der ihn fallen gelassen .
Er wollte ein ganz anderes Boot bauen , er wollte schlanke , junge Stämme in Bootrundung biegen , mit Riemen schnüren und mit Ochsenfell überkleiden und so ein großes , leichtes , bisher unerhörtes Boot gewinnen .
Er baute den ganzen Sommer daran und war zuweilen so mutlos , daß er den Kopf zwischen die Knie steckte , und war zuweilen so ausgelassen , daß er um das Holzgerippe tanzte .
Alle waren neugierig , was das wohl würde .
Die meisten lachten ihn aus .
Die Mädchen kamen , und jede für sich sagte :
» Es wird sehr schön , Bootsmann ! «
Wenn sie aber alle bei einander waren , sagten sie alle :
» Es wird nichts . «
An einem rauhen Herbsttage schleppte er das neue Boot ins Wasser .
Sie standen alle am Ufer und sahen zu .
Und wie es so geht :
Der erste Versuch mißlang , es hing schief , es tanzte wie ein Blatt im Wind , es schlug um .
Er mußte weit und mühsam schwimmen .
Am Ufer wurde er empfangen mit dem lauten , jubelnden Hohn , mit dem man allezeit die Erfinder , ob Dichter , Techniker oder Staatsmänner , empfangen hat , die verunglückten .
Er ging nicht hin und erhängte sich .
Aber es kam ein starker , grimmiger Zorn über ihn :
er setzte sich seinem Herdfeuer gegenüber auf den Feldstuhl und saß so wochenlang .
Sein hellblonder Bart wuchs ; er rührte sich nicht .
Sein hellblonder Bart wurde lang ; er saß noch da .
Sein hellblonder Bart wurde so dicht , daß man die zusammengekniffenen Lippen nicht sehen konnte , und so lang , daß er breit auf der Erde vorm Herde lag ; er saß noch da .
Er saß auf seinem Feldstuhl und grämte sich .
Doch stand er an jedem Abend , wenn die Dämmerung da war , auf und ging in Sturm und Schnee bis in die halbe Nacht und kämpfte mit dem Wolf um den Hasen und das Huhn und mit der Otter um den Fisch , und verschaffte sich so die notdürftige Nahrung , und wurde wetterhart und stark und klug im Vor- und Seitensprung .
So trieb er es bis in die Mitte des Winters .
Da vermißten ihn die Leute der Siedelung .
Denn seit der lustige Baldermann , der noch im weißen Haar in jedem Frühling den Mädchen neue Reigenlieder gesagt hatte , tot war , hatte der junge Bootsmann genau den Tag bestimmt , wann die Sonne sich zum Frühjahr wandte .
Dann hatten sie auf sein Wort das Julfest gefeiert .
Sie schickten also einen zu ihm , der hatte ein freundliches Wort im Munde und das Hinterviertel eines Kalbes in der Hand .
Aber kaum sah der Bootsmann den Eintretenden , da sprang er auf und warf ihn lautlos hinaus .
Das Hinterviertel flog hinterher .
Da feierten sie das Julfest , indem sie sich auf das Wort der alten Mutter Gruhle verließen , welche sagte , jetzt müsse die Zeit des Festes da sein ; denn sie hätte nur noch fünf Töpfe Schwarzsauer unterm OkenDer spitze und immer dunkle Winkel , den Fußboden und Strohdach bildet . stehen , und um die Zeit hätten sie immer das Fest gefeiert .
Als sie nun das Fest begingen und ziemlich tranken , und nach der Gewohnheit , die sie damals schon hatten , anfingen , von Hütte zu Hütte zu gehen , da hatten sie den trunkenen Mut , auch zu Bootsmann hinab zu steigen .
Sechs Mann stolperten in seine Hütte und schwenkten mit Grölen ihre Kuhhörner .
Bootsmann sah sie erst rundum an , plötzlich aber sprang er auf und warf sie zu zwei aus der Hütte , daß sie , Füße voran , über das Eis des Baches rutschten .
Da wurde es allen bedenklich ; denn noch nie war es im Lande vorgekommen , daß einer die Julfreude verschmäht hatte .
Es war ein starker und langer Winter .
In den rauchigen Hütten wurden die Augen trübe ; vom langen Liegen wurden die Leiber ungelenk ; von dem ewigen Starren gegen das Dachreth wurde der Geist stumpf .
Darum , als endlich der Frühling kam , waren sie überfroh .
Sie waren viel froher , als wir jetzt sind .
Einige rissen mit großem Geschrei die steile Vorderwand der Hütte nieder ; andere banden Birkenreiser um die Hüften und tanzten im Reigen ; andere sprangen in den Bach ; andere zogen in den Wald zur Jagd .
Die Kinder aber machten alles nach , spielender Weise .
Nur allein der Bootsmann blieb in seiner Hütte .
Als sie das sahen , daß er selbst der Sonne am Himmelshaus und der Freya im Walde böse war , da war es klar , daß er von bösen Geistern betört war .
Nun war in der Siedelung ein Mädchen , die war von Körper so geschmeidig wie eine Katze , und konnte allerhand Faxen machen , und war ein Schelm .
Sie konnte alle Spiele auf der Wiese am allerbesten , konnte unter Wasser schwimmen wie die Otter , und konnte , indem sie ihre verschlungenen Hände zwischen Herdfeuer und Rethdach hielt , Schattenbilder gegen das Dach werfen , die wie Tiere und Menschen aussahen , und konnte Geschichten erzählen von Bäumen , Tieren und Menschen .
Der fiel es eines Morgens ein , im Bade :
» Ich will hingehen und seinen langen Bart sehen ! «
Also stieg sie aus dem Bach , zog das helle , lose Wollkleid an , darin sie mit dem Saft der wilden Kirsche dunkle Streifen gemacht hatte , gürtete sich mit dem Lederriemen , der voll von feinen , verschlungenen , bunten Linien war , und hatte es so eilig , daß die kleine Axt , die in schöner Lederscheide daran hing , heraus zur Erde fiel .
Um den bloßen Arm legte sie oben und unten starke Spangen von rotem , blanken Erz .
Und lief zur Mutter in die Hütte :
» Mutter , wir wollen spielen , wie Freya böse Feen besiegt , und ich soll Freya sein :
Gib mir deine Brustschilder und die gelbe Perlenschnur . «
Da gab ihr die Mutter mit Schelten die beiden roten Schilder , handgroß , die sie rasch anlegte , und die Perlen , die sie in das lose , helle Haar schlang .
Und schlich sich unter den hängenden Buchenzweigen nach seiner Hütte .
Sie trat gebückt ein und suchte mit großen Augen neben dem geringen Herdfeuer seine Gestalt , mit klopfendem Herzen ; denn nun war ihr Schelmenmut doch gering geworden .
Als sie aber gar die tiefen Augen voll Groll und Zorn sah , die schweigend auf sie starrten , da wußte sie sich keinen anderen Rat : sie griff rasch über ihren Gürtel in ihr Kleid , wo sie immer einiges Spielzeug trug , legte sich in die Knie und fing an , mit sechs Schweineknüsseln Fange zu spielen .
Und spielte weiter und immer weiter und dachte :
» Da hast du dich schön in die Nesseln gesetzt !
Wärst du bloß wieder hinaus ! «
Und spielte ; und er starrte sie immerfort an .
Zuletzt konnte sie den Schmerz in den Schultern nicht mehr ertragen ; die Knüssel rollten vor den Herd .
Da hielt sie ihm die leeren Hände hin und sagte : » Die Sonne scheint , die Vögel lachen , wir spielen den ganzen Tag am Bach . «
Da sagte er endlich seit einem halben Jahre das erste Wort :
» Wer hat dich hergeschickt , du Botterhexe ? «
Als sie das hörte , war sie auf hohem Pferde und lachte :
» Ich bin von selbst gekommen , « sagte sie ; » ich mochte nicht haben , daß du hier so sitzt und so schwarz und sauer wirst !
Gittigitt : sei doch kein Maulwurf , Mensch ! komme doch hinaus ! «
» Gehe deiner Wege , « knurrte er .
» Du solltest bloß sehen , « sagte sie , » wie du aussiehst !
Bart wie ' ne alte Tanne !
Soll ich dir 'mal zeigen , wie du aussiehst ? «
Sie rüttelte mit dem Eichenstock das verschlafene Feuer wach , verschlang ihre Hände und sah nach dem Schatten an der Wand .
» Guck 'mal hin , « sagte sie , » so ungefähr ! «
Er sah flüchtig hin .
» Ist nicht wahr , « brummte er .
» Ist_es auch nicht !
Warte ' Mal !
. . . So !
Jetzt ist_es richtig !
Nun sieh ' Mal hin . «
Er sah wieder flüchtig hin .
» Ist nicht wahr , « sagte er .
» Ist nicht wahr ?
Das kann jeder sagen .
Sieh ' Mal deinen eigenen Schatten , da , am Dach , sieh doch bloß ' Mal : das Gesicht ! «
Er drehte den Kopf hin : da war Nase und Bart weg , da war da bloß eine große , schwarze Kugel .
Sie schlug die Hände zusammen , daß die Armbänder klirrten .
» Du bist zu dumm ! « sagte sie .
» Komme ' Mal her ! «
Sie griff in seinen Bart und hielt ihn fest .
» Nun drehe die Augen vorsichtig nach der Wand !
Kannst sehen ? «
Er schüttelte stark den Kopf und zog ihn zurück .
» Laß meinen Bart los , « sagte er , » und mache ' , daß du weg kommst . «
Sie sah ihn beobachtend an und dachte :
» So kriege ich ihn nicht mit , « und fing an , langsam die Schweineknüssel aufzusammeln .
Und plötzlich hielt sie ihm die geschlossene Hand hin und sagte : » Eben oder uneben ?
Rätst du_es , so gehst du mit mir ; rätst du es nicht , so «
. . . » So bleibst du bei mir ! « sagte er . . . » Uneben ! «
Sie wollte » nein « schreien und aufspringen ; aber er hatte die Hand gefaßt und aufgerissen .
Da waren vier darin .
Sie atmete so hoch auf , daß das Wollhemd auf der Brust sich strammte .
» Du hast verloren !
Freya !
Was bekam ich einen Schreck !
Nun mußt du mit mir gehen . «
» Behext sind deine Schweineknüssel , « schrie er .
» Ich will sie mit meinen Zähnen zerbeißen und hier bleiben , oder ich will an einer Weidengerte hinter dir durchs Dorf traben . «
» Tue es ! « sagte sie zornig .
» Mit deinem Wolfsgebiß ! «
Da bis er zu und . . . knacks . . . zersprang der Zahn , aber der Knüssel blieb heil. » Gewonnen habe ich ! « rief sie .
» Zweimal !
Ich hole ' die Gerte , und du mußt mit . «
Sie lief hinaus und kam wieder herein und streifte mit geringter Hand die Blätter von einem langen Weidenzweig .
» Auf ! « sagte sie .
Als er Gehorsam aufstand , konnte sie sich nicht länger halten .
» Meinst du , « sagte sie , » daß du so mit mir auf die Wiese sollst ?
Daß sie wieder alle über dich lachen , wie damals , als das Boot umschlug ?
Ich bin nur gekommen , daß du das Bocken aufgibst und aus der Hütte gehst ! «
» Gib die Gerte her !
Ich will so mit dir hinaus gehen .
Sie sollen über mich lachen . «
Aber sie sah ihn mit blitzenden Augen an :
» Will ich nicht ! « sagte sie .
» Denn gehe ich nicht mit dir . «
Da schossen ihr die Tränen des Zorns in die Augen , daß ihr die ganze Hütte in Feuer stand : » Denn bleibe , bis du schwarz wirst ! « sagte sie , warf die Gerte auf die Erde und lief hinaus .
Drei Tage lang versteckte sie sich unter den dichten Zweigen einer Weide , die schräg überm Ufer hing , und sah mit träumenden Augen in den Bach , und sah durch das Wasser hindurch seine Augen .
Aber am vierten Tage , morgens , dachte sie :
» Was nicht ist . . . ist nicht . «
Und fing an , aus ihrem Versteck heraus mit der Stimme des Kauzes zu rufen , daß erst die Kinder zusammen liefen , dann die Alten .
Dann wurde sie entdeckt und bekam von den alten Frauen Schelte , weil sie den Totenvogel nachgeahmt hätte .
Sie aber lachte , mischte sich wieder unter die anderen , und war wie zuvor .
Im Laufe dieses Sommers kam eine solche Trockenheit übers Land , daß junge Leute von den jenseitigen Höhen , von den Dietmargos , zu Fuß durch die Bucht gingen , sich in die Wälder schlichen und von der Höhe hinab den Bachlauf erspähten und die schöne Weide , und die Rinder sahen .
Der Platz gefiel ihnen ; denn sie wohnten da drüben ziemlich bedrängt , am Rande des Moores oder auf kahlen Höhen .
Die fruchtbare Marsch war damals noch nicht vorhanden ; die lag noch im Meer .
Also rückten sie eines Tages mit Springen , Waten und Schwimmen über die Bucht , verloren unterwegs im Wasser drei Mann , die im Schlamm versanken , und gelangten , gegen hundert Mann stark , unten an den Bachlauf .
Da liefen junge Knaben von Herd zu Herd und riefen alle zum Kampf .
Aber sie liefen durcheinander wie gestörte Ameisen ; denn sie hatten keinen Häuptling .
Der war im Winter an schwerer Gliederkrankheit gestorben .
In des Bootsmanns Hütte , oben am Bach , riefen sie zu allerletzt :
» Auf , Feinde im Tal ! «
Da sprang er auf , reckte seine Glieder und freute sich der Stunde , die ihn der Sonne und den Menschen wiedergab .
Er legte den breiten Gurt an , an dem Schwert und Dolch herunter hingen , griff nach Eichenschild und Eschenspeer und sprang barhaupt aus seiner Hütte .
Die anderen waren schon hinunter gezogen .
Als er aber am Bachlaufe hinunter eilte , sah er von ungefähr - es war ein Herbsttag - ein großes , überreifes Blatt der Blaubeere im Wasser treiben .
Es war länglich rund und zur Mulde gewölbt , und mitten drin , auf dem Boden , lag ein Häuflein Beeren , gleich einer Bootslast .
Sicher und glatt trieb es im Sonnenschein quer über den Bach .
Als er das sah , fiel plötzlich vom Himmel herab der Gedanke auf ihn :
So mußt du Boote bauen .
Mit Stiel und Rippen , und Last auf dem Grunde , so kannst du groß bauen , so groß du willst . . . und fest und sicher wird der Gang .
Er warf sich auf die Knie und besah das zierliche Ding und grübelte :
» Wie fange ich das an ?
Wie führe ich das aus ?
Das wird ein anderes Boot als aus einem Eichenstamm ! «
Schild und Esche lagen neben ihm im Grase .
Als er noch so lag , hörte er wildes Schreien von unten her den Bach herauf kommen .
Er sah die Seinen fliehend ihm entgegenkommen .
Da rannte er gegen die Feinde an , hob Schild und Speer und schrie :
» Ich und der Häuptling ! «
» Bist du der Häuptling ? « schrie der Feind .
Da riefen sie alle , Angst in den Knochen : » Ja . . . Bootsmann ist unser Häuptling .
Jetzt wählen wir ihn ! «
Da waren die Feinde großmütig .
» Ein Volk ohne Weisel , « sagten sie » das ist kein Volk . «
Und steckten die Schwerter rund im Kreise in die Erde .
Und die beiden kämpften dort am Bachrande und waren gleiche Gegner , gleich gewandt , gleich stark , und gleich an Mut .
Und so kam es , daß beide , an schweren Wunden todkrank , zusammenbrachen .
Alte Frauen kamen hinzu , mit schwerem und dichtem Spinneweb das Blut zu hemmen , versuchten auch Kraut und Heilwort ; aber das Blut sickerte doch durch .
Da sagte Bootsmann : » Wer zuerst ins Totenland geht , der hat verloren . «
Da lagen sie einander gegenüber , die Augen nach oben gerichtet , und wehrten sich gegen den Tod .
Zuweilen aber erhob sich bald der eine , bald der andere mit Hilfe der Genossen und durchsuchte des anderen Gesicht , ob der bald dahinfahre .
Zuletzt aber , als die Sonne zur Rüste ging , traten die schwarzen Schatten so nahe an sie heran , daß es ihnen dunkel vor den Augen wurde .
Und der Fremde starb zuerst ; dann Bootsmann .
Da zogen die Feinde wieder ab .
Drei Tage lang sangen am Bach vor seiner Hütte die Weiber langsame Totengesänge , während die Männer hier oben auf dieser Höhe schwere Steine herbei schleppten und behieben und ein stattliches Häuptlingsgrab bauten .
Dann legten sie ihn in voller Kleidung und im Schmuck seiner Waffen in das Eichenboot , das er selbst als letztes gemacht hatte , und trugen ihn , unter lautem Weinen der Weiber , zu dieser Höhe hinauf .
Hinterher ging mit schwerem Gang seine rotbunte Kuh , die den Opferschmaus liefern sollte .
Zu allerletzt humpelte die alte Gruhle vom Brook , seitwärts gegen die Brust gedrückt den besten und größten Topf mit Schwarzsauer .
Sie ließen den Toten in seinem Boot ins Grab hinunter .
Sie stellten den Topf mit Schwarzsauer zu seinen Füßen , damit er auf der Reise ins Totenland zu essen hätte .
Sie stellten seinen Feldsessel mit den hölzernen Kreuzbeinen daneben , daß er unterwegs ruhen konnte , denn die Reise ging über weites , dürres Land .
Sie zogen sein gutes Schwert aus der Scheide , daß er gleich danach langen konnte , denn das Land war voll wilder Tiere .
So , meinten sie , würde es ihm wohl gelingen , die selige Heimat aller guten und tapferen Menschen zu erreichen .
Zuletzt trat auch das Mädchen heran , das einst des Toten Augen drei Tage lang im Bach gesehen hatte , riß mit starkem Stoß ihr feines Hammermesser vom Gurt , und legte sich ins Knie und ließ das schöne , goldglänzende Ding hinunter gleiten .
Sie wollte das Ihrige tun , daß er gut und heil ankäme .
Es fiel neben das Haupt des Toten , mit der Spitze nach seinem Ohr weisend .
Sie standen alle ums Grab , und alle Weiber weinten und lobten seine Schönheit und seine Boote und seinen letzten , tapferen Kampf .
Und das Mädchen weinte auch sehr .
Dann legten sie schwere , genau abgepaßte Decksteine säuberlich über die Kammer , machten aus Feldsteinen einen Herd darüber , töteten die Kuh , gaben guten und bösen Geistern Euter und Beinknochen , und behielten für sich selbst Achterviertel und Schulter und die breiten Lagen an den Rippen , und brieten , und begannen seitwärts vom Grabe - hier , wo wir sitzen - den Leichenschmaus , und wurden allmählich vergnügt und froh .
Es war ein Herbstabend wie heute .
Nach der Mahlzeit , als die Alten noch um die Feuer lagen , da drückte sich die erwachsene Jugend ein wenig zur Seite , nach ihrer Weise , und saß um das frische Grab und plauderte .
Und das Mädchen saß in der Mitte und erzählte , wie sie vor etlichen Monden bei dem Bootsmann gewesen und wie sie vor ihm mit den Knüseln gespielt hatte .
» Nein , Kinder ! « sagte sie , » was hatte ich eine Angst !
ihr wißt , er war immer ein wunderlicher Mensch ! «
Und wie sie ihn am Bart gefaßt hatte :
» Nein , Kinder !
Das Gesicht ! «
Und wie sie daran dachte , kam ihr das Lachen .
Sie lachte so sehr , daß sie mit den Händen auf die Steinplatten schlug und den Kopf darauf legte .
Sie lachte noch , als sie in der elterlichen Hütte den Gurt löste und die Wolfsdecke zurück warf , unter der sie schlief .
So ging dieser Mann zu Grunde .
Man kann sagen :
weil er ein Künstler war .
Denn die Menschen haben die Gewohnheit , die Künstler aus der Welt zu ekeln .
Vielleicht aber ist dieses Hinausekeln gar nicht der Menschen Bosheit , sondern Gottes heiliger Wille .
Denn wenn der Kreisel nicht geschlagen wird , dann brummt er nicht .
Vielleicht kann man aber sagen :
er ging zu Grunde , weil er die Dinge nicht reinlich auseinander hielt .
Als er das Boot gebaut hatte , was ging ihn das Lachen der Menschen an ?
Als das Mädchen ihre schönen , hohen Augenbogen in Liebe und Zorn auf ihn spannte , was ging ihn die Gerte an ?
Als er gegen den Feind lief , was ging ihn das Blaubeerenblatt an , das im Bach trieb ?
Die Menschen haben immer Neigung , mehrere Dinge zusammen zu mengen und eine Suppe daraus zu kochen , daran sie sich zu Tode essen .
Oder ich weiß nicht , woran er zu Grunde ging .
Wer kann es wissen ?
Man kann nicht auf die Ursache hinzeigen wie auf einen runden , schwarzen Punkt Fliegendreck und sagen :
Da liegt_es .
Man kann auch nicht einen einzelnen Satz darüber schreiben und sagen :
Das ist die Idee ; daran ging er zu Grunde .
Das Menschenleben ist viel bunter und breiter als eine Ursache oder eine Idee .
Im vorigen Jahre öffneten wir das Grab .
Wir hätten ihn ja liegen lassen können ; er lag da gut von all seinen Enttäuschungen .
Aber wir wollten gern wissen , wie die Menschen vor dreitausend Jahren gelebt haben .
Als wir ihm das Schwert von der Brust nahmen und es zum erstenmal wieder in der Sonne hielten , hatte es noch den alten Glanz .
Von dem Feldstuhl war Holz und Ledersitz verschwunden ; nur die beiden erzenen Bolzen , welche die Kreuzbeine gehalten hatten , lagen auf den Steinen .
Der Schwarzsauertopf der alten Gruhle stand da wohlbehalten , war aber leer .
Die zierliche Axt des Mädchens wies nach dem Ohr . " * * * Die Sonne stand zwischen den jenseitigen Höhen , als wäre es eine runde Laterne , wie die Kinder sie an Herbstabenden singend durchs Dorf tragen .
Da hatte Heim Heiderieter seine Geschichte beendet , stand behende auf und sagte : " Wehe dem Menschen , Jörn Uhl , der nur ein Jäger ist nach Brot , Geld oder Ehre , der nicht eine einzige Liebhaberei hat , wo , wenn auch nur auf schmaler Brücke , die Mutter Natur mit Gesang und bunten Kränzen in sein Leben einzieht . . . Ich muß nach Haus .
Ihr habt gut zugehört .
Auch du , Kleiner . "
" Wird dir der Weg nicht lang ? " sagte Lisbeth .
" Ich habe drei Stunden zu gehen , " sagte er , " durch Moor und über Sand , dann durch stille , kleine Geestdörfer und zuletzt über eine Heide .
Es ist unterwegs genug vorhanden , was man besehen und bedenken kann ; dazu weiß ich :
wenn ich zu Hause ankomme , dann freuen sie sich . . . Gute Nacht , alle drei !
Grüßt Thieß Thiessen und Wieten !
Ich habe mich so sehr gefreut , daß du so blanke Augen hast , Jörn !
Und du , Lisbeth Junker , hast ein rotes Ohr ; wer hat dich daran gerissen ? "
" Das hat Vater getan , " sagte der Kleine .
Da lachte Heim Heiderieter , und nickte immerfort , und weidete sich an Lisbeth Junkers Verlegenheit und ging davon. * * * Sie standen noch und sahen ihm nach , wie er zum Moor hinabstieg ; da fuhr Jörn Uhl auf , als käme er jäh aus tiefem Schlaf , und sagte :
" Dieser Mensch !
Vier Jahre lang war er auf der Universität und kam ohne Examen wieder .
Er hatte mit der Wissenschaft Streit bekommen .
Natürlich !
Frau Wissenschaft ist eine nüchterne , ehrbare Frau .
Aber solche brotlose Künste :
die kann er . "
" Es ist doch ein fein Ding um solch Erzählen , Jürgen .
Du hättest sieben wissenschaftliche Bücher über unsere Vorfahren lesen können und sieben andere über das Wesen der Menschenseele : und hattest vielleicht nicht so viel Erkenntnis und Freude gewonnen , als durch das kleine , bunte Bild , das er uns eben gemalt hat . "
" Ach , " sagte Jörn Uhl , " ein Greuel ist er .
Er hat uns gesehen , wie wir unter den Buchen saßen .
Da hat er die Geschichte erfunden .
So 'n Tühnkram ! "
Er drehte sich rund um , ging nach dem Grabe , sah hinein und sah wieder auf Lisbeth .
" Was sagte er ?
Schweineknüssel !
Wie kommt der Mensch auf Schweineknüssel !
Das sage mir um alles in der Welt .
Und wie lang wurde der Bart ?
» Der hellblonde Bart !! «
Wie er das sagte !
Immer länger und länger wurde er , ich glaube sieben Ellen .
Beweisen kann er das , sagt er ?
Was sagt er ?
Es wäre so wahr , wie Erdschichten und Unkrautsamen ?
Unglaublich ! "
" Und doch hast du gern zugehört ! "
" Das muß ich zugeben .
Es war , als wenn man vom lieben Herrgott ein wenig in seine Werkstatt geladen wäre , um sich dies und das ' Mal anzusehen ; man zog ganz von selbst seinen Sonntagsrock an , um an einem solchen Ort nicht schäbig zu erscheinen . "
Er drehte sich wieder um und sah nach dem Moor hinunter , wo in der Ferne Heim Heiderieter wanderte .
" So 'n Mensch ! " sagte er zornig .
" Lügt einem die Haut voll , und am Ende bedankt man sich noch dafür .
Er soll beweisen , was er gesagt hat !
Beweisen soll er_es , " rief er .
Lisbeth lachte und sagte : " Nein , Jürgen !
Dein Zorn ist köstlich .
Nun komme . . . Was wollen wir morgen beginnen ? "
" Morgen ?
Wir wollen bei einander sein , weiter nichts . "
" Ich kann nicht dabei sein , " sagte der Kleine .
" Ich muß morgen mit Thieß nach Meldorf . . . auf dem Torfwagen . "
" Also müssen wir auf dich verzichten , " sagte Jörn Uhl .
" Was meinst du , Lisbeth ?
Mir scheint , wir fahren morgen zu dem Kriegskameraden .
Wir werden stundenlang gemütlich miteinander im Wagen sitzen , und der Kriegskamerad wird dir gefallen . "
Sechsundzwanzigstes Kapitel Sie freute sich sehr , als sie neben ihm auf dem Wagen saß und die Braunen anzogen .
Jörn Uhl hatte in den letzten Jahren gebückt auf dem Wagen gesessen und immer vor sich auf die Pferde und den Weg gesehen ; jetzt aber saß er gerade da und sah mit Munterkeit in den frühen , wogenden Herbstmorgen , dem der Nachtnebel noch in den Augen lag , und wandte oft rasch den Kopf zur Seite und fragte : " Magst du das wohl ? "
Wenn sie ihm dann strahlend zunickte , dann nickte er wieder und sah eine Weile geradeaus auf den Weg oder über die Felder .
Dann sah sie von der Seite auf ihn .
Wenn sie aber merkte , daß er sich ihr zuwenden wollte , dann sah sie rasch irgendwo in die Luft , als läse sie wunderliche Dinge in dem losen Nebel .
Und so war_es , wie es immer ist : der Mann griff in der Front an , das Weib in der Flanke .
Und so war alles in bester Ordnung .
Sie waren einander ähnlich ; beide mit zusammengerafften , geraden , friesischen Gesichtern , als wenn Natur , die Bildnerin , einen besonders ernsten Beschluß gefaßt hätte , mit einfachsten Mitteln Schönes und Starkes zu schaffen .
Das Haar hell , bei ihm ganz schlicht , bei ihr leuchtender und an den Rändern sich kräuselnd .
Das Gesicht bei ihm lang und stark , mit schmalen , festen Lippen , gerader , langer Nase und sehr klaren , grauen Augen , die immer auf Wache standen : ein friesisch-sächsischer Bauer , der sich sein Leben aus Not und Sorgen holen muß , der nicht lange und laut und herzlich lacht , sondern kurz auflacht , und im übrigen seine Schelmerei in den Augenwinkeln versteckt , als hockten da kleine Kinder in den Ecken und würfen sich glänzende Bälle zu und kicherten leise .
Sie vornehm , zurückhaltend , daß er zeitlebens zu ihr aufsieht als ein Bauer , der eine Grafentochter freit , und ihre Zärtlichkeit , die scheu und plötzlich hervorbricht , mit immer neuem Verwundern entgegennimmt .
Dreimal hielten sie unterwegs , und jedesmal war Lisbeth Junker schuld daran .
Das eine Mal , als sie durch junge Buchen fuhren , sah sie es übers trockene Laub hin und her huschen und legte die Hand auf seinen Arm , daß er hielt .
Da waren es schmucke , schlanke Vögel mit schwarzem Kleide und gelbem Schnabel , die in eiligem Hin- und Hergehen ein wenig Morgenkost suchten .
" Amseln ! " sagte er .
" Turdus merula , ein kluger und gewandter Geselle . "
" Nein , Jürgen !
Du kennst wohl rein alles . "
" Wie es anderswo aussieht und was anderswo lebt und webt , davon weiß ich nichts .
Es geht mich auch nichts an , " sagte er stolz .
" Aber was hier in dieser Gegend in der Erde liegt und darauf wächst und darüber hinläuft :
das habe ich untersucht und davon verstehe ich etwas . "
Das zweite Mal hielt er still , damit sie den Blick über das weite Tal genösse , das zur Linken lag .
Er zeigte und nannte ihr mit der umständlichen Wichtigkeit des Eingesessenen , der jeden Ort in der Heimat lieb hat , und des Landmannes , der in der ganzen Landschaft den Wert von Grund und Boden kennt , jedes Dorf , und im Grunde des Tales , im tiefen Moor , jede Feldmark , und jenseits des Moores die Namen der Dörfer , " die da . . . ungefähr da , Lisbeth , wo die Peitsche jetzt hinweist , " liegen mußten .
Sie dachte zwar im stillen : " Ach , was geht mich das an ! "
Aber sie unterbrach ihn nicht ; sie hörte mit halbem Ohr zu und dachte :
" Wie fein sitzest du hier !
Ob er wohl heute noch ein offenes Wort redet ?
Und wie er es wohl anstellt !
Ach , der liebe Junge . "
Und da er von ihr weg , mit ausgestreckter Peitsche in das Nebelland zeigte , nach Schenefeld zu , drängte sie ihr Gesicht verstohlen gegen die Falten seines Mantels .
Es war der Mantel , den Leutnant Hax ihm im Feldzuge geschenkt hatte .
Lena Tarn hatte die goldenen Knöpfe sorgfältig mit schwarzem Tuch umnäht .
Das dritte Mal hielten sie auf Lisbeths Vorschlag im " Roten Hahn " und fütterten vor den Fenstern der Gaststube die Pferde .
Die Sonne hatte den Nebel aufgesogen ; es war hell und warm geworden , daß sie draußen blieben und auf der großen , weißen Bank in der Sonne saßen .
Die Wirtsfrau setzte zwei Gläser frischer Morgenmilch vor sie hin und ging ab und zu und redete mit den beiden , die sie nicht kannte , über Ernte und Wetter .
Jörn Uhl fragte und antwortete .
Das Mädchen , das neben ihm saß , sah mit stillen Augen über den Weg nach dem Gesträuch auf dem Wall , in dem flinke Vögel ihr Wesen hatten , malte in Träumen kleine , verschwommene Bilder naher und ferner Zukunft , und wischte sie wieder aus und malte neue , und kam erschreckt zur Gegenwart gelaufen , welche aller Zukunft Mutter ist .
Und hörte die Stimme des Mannes neben sich , und lächelte vor sich hin und malte weiter .
Jörn Uhl redete und fühlte sich großartig gemütlich .
Er hätte sich gern ein wenig bequemer hingesetzt , die Füße weit ausgestreckt ; aber sie saß da so sie und sauber wie ein seiden Tuch , das man eben aus der Lade geholt hat .
Als die Wirtin ins Haus ging , fragte er sie wieder , ob sie Freude an der Fahrt hätte , und sie versicherte ihm wieder , daß sie niemals in ihrem ganzen Leben einen so schönen Tag gehabt hätte .
" Das mußt du mir auch ansehen können , Jörn . "
Und sie sah ihn an , daß ihm ganz wunderlich ums Herz wurde , und er sagte : " Ich wage mich gar nicht nahe an deine Augen heran .
Mir wird dann schwindlig , als könnte ich hineinfallen : so tief sind sie . "
Und er schlug mit seiner großen , flachen Hand auf den Tisch und sagte : " Sage ' noch ' Mal ' was , Heintüüt . "
Da warf sie den Kopf in den Nacken , legte sich zurück und lachte , und schlug den Handschuh auf seine Hand , und legte ihre Hand neben die seine und sagte :
" Solche Hände ! "
Da fragte die gutgelaunte Wirtin aus dem offenen Fenster heraus :
sie wären wohl noch nicht lange verheiratet ?
" Nein , " sagte Jörn Uhl .
" Ich habe sieben Jahre um sie gefreit .
Ich hatte nie den Mut : vorgestern habe ich sie endlich bekommen . "
Sie schüttelte heftig den Kopf , verbarg ihr Gesicht in den Händen und lachte :
" Nein , Jörn , Jörn , was machst du ! "
" Man braucht wirklich nicht studiert zu haben , " sagte die Wirtin , " um zu sehen , daß sie eben erst Frau geworden ist .
Sie hat Ihnen eben einen Blick zugeworfen :
So sieht man den Mann nicht an , wenn man schon jahrelang bei ihm wohnt . "
Da schlug Jörn Uhl zum zweitenmal auf den Tisch und sagte : " So !
Sah sie mich so an ? "
Er nahm ihr die Hand vom Gesicht und sagte : " Tue es noch ' Mal . "
Aber sie schlug ihn auf die Hand , und riß sich los und sah geradeaus über den Weg , und sah einem fliegenden Vogel nach und dachte :
" Könntest du eine Weile davon fliegen , das wäre gut . "
Da kam gerade zur rechten Zeit der Junge der Wirtin aus der Schule gelaufen , ein hellhaariger Junge von zehn Jahren , und suchte mit seinem Buch einen Platz zum Sitzen und setzte sich auf den Rand der Krippe vor die Pferdemäuler .
Da schob Lisbeth Junker die Milchgläser nach Jörn Uhl hinüber , mit einer Bewegung :
" Da hast du alles . "
Und ohne aufzusehen , lud sie den Jungen ein :
" Komme , du sollst hier bei mir sitzen .
Was für ein Buch hast du da ? "
" Aus der Bibliothek , " sagte er .
" Märchen .
Ich lese sie alle der Reihe nach .
So weit bin ich schon . "
Sie sah in das Buch , das der Junge ihr hinhielt , sah die Überschrift und sagte : " Lies mir das ' Mal vor . "
" Dies ? " sagte der Junge .
" Nein . . . dies da . . . » vom gescheiten Hans « .
Dieser Mann hier mag gern Märchen hören , wenn sie gut und wahr sind . "
Da las der Junge die Geschichte vom gescheiten Hans .
Hansens Mutter sagte :
" Wohin , Hans ? "
Hans antwortet :
" Zu Gret . "
" Mache es gut , Hans . "
" Schon gut machen , adjüs , Mutter . "
Hans kommt zur Gret .
" Guten Tag , Gret . "
" Guten Tag , Hans .
Was bringst du Gutes ? "
" Bringe ' nichts , will ' was haben ! "
Gret schenkt ihm ein Messer .
" Adjüs , Gret . "
" Adjüs , Hans . "
Hans nimmt das Messer , steckt an den Hut und geht nach Haus .
" Guten Abend , Mutter . "
" Guten Abend , Hans .
Wo bist du gewesen ? "
" Bei Gret gewesen . "
" Was hast ihr gebracht ? "
" Gebracht ? Nichts gebracht !
Gegeben hat .
Messer gegeben ! "
" Wo ist das Messer ? "
" An Hut gesteckt . "
" Das hast du dumm gemacht , Hans , mußtest das Messer in die Tasche stecken . "
" Tut nichts , Mutter , besser machen . "
" Wohin , Hans ? "
" Zu Gret , Mutter . "
" Mache es gut , Hans . "
" Schon gut machen , Mutter .
Adjüs , Mutter . "
" Adjüs , Hans . "
Hans kommt zu Gret .
" Guten Tag , Gret ! "
" Guten Tag , Hans .
Was bringst du Gutes , Hans ? "
" Bringe nichts , will ' was haben ! "
Gret schenkt Hans eine junge Ziege .
" Adjüs , Gret . "
" Adjüs , Hans " Hans nimmt die Ziege , bindet ihr die Beine zusammen und steckt sie in die Tasche .
Als er nach Hause kommt : " Guten Abend , Hans .
Wo bist du gewesen ? "
" Bei Gret gewesen . "
" Was hast du ihr gebracht ? "
" Gebracht ?
Nichts gebracht .
Gegeben hat .
Ziege ! "
" Wo hast die Ziege , Hans ? "
" In die Tasche gesteckt . "
" Das hast dumm gemacht , Hans ; mußtest die Ziege ans Seil binden und an die Raufe stellen . "
" Tut nichts , besser machen . "
" Wohin , Hans ? "
" Zur Gret , Mutter . "
" Mache es gut , Hans . "
" Schon gut machen .
Adjüs , Mutter . "
" Adjüs , Hans . "
Hans kommt zu Gret .
" Guten Tag , Gret . "
" Guten Tag , Hans .
Was bringst du Gutes ? "
" Bringe ' nichts , will ' was haben . "
Da sagte Gret :
" Ich will mit dir gehen . "
Hans bindet Gret ans Seil , und stellt sie an die Raufe und macht sie fest und geht zu seiner Mutter .
" Guten Abend , Hans .
Wo bist du gewesen ? "
" Bei Gret gewesen . "
" Was hast du ihr gebracht ? "
" Nichts gebracht . "
" Was hat sie dir denn gegeben . "
" Gegeben ?
Nichts gegeben .
Mit gekommen . "
" Wo hast sie denn ? "
" Am Strick , an der Raufe . "
" Das hast dumm gemacht , Hans , mußtest sie streicheln . "
" Tut nichts , besser machen . "
Da geht Hans in den Stall , nimmt einen Pferdestriegel und streicht sie .
Da wird Gret böse , reißt sich los und läuft fort .
Und ist Hansens Braut geworden .
" Na ! " sagte der Junge , " das ist aber ein Dummer gewesen ! "
" Großartig ! " sagte Lisbeth .
" Steht da nicht , woher er stammt ?
War er aus Wentorf ? "
Da schlug Jörn Uhl zum drittenmal auf den Tisch .
" Wenn das nicht gut und grob ist , dann will ich nicht Jörn Uhl heißen . "
" So ! " sagte sie .
" Nun wollen wir weiter fahren . "
Die Sonne stand schon ziemlich hoch :
da fuhren sie links auf die Höhe . und bald sahen sie unter Linden und alten , hohen Äpfelbäumen das stille , kleine Dorf , und als sie vor dem ersten breiten Hof anhielten , in der Hoffnung , es sollte irgend ein Bewohner herauskommen und ihnen sagen , wo der Kriegskamerad wohnte , da erschien er selbst in der Tür , größer und bedeutend breiter als damals , da er in Rendsburg den weißen Lederriemen um die Hüfte schnallte .
" Hier wohnt der Mann ! " rief er .
" Junge , Jörn , wen hast du neben dir sitzen ?
Ist das nicht ?
. . . Mensch , das ist ja Lisbeth Junker ?
Die habe ich lange nicht gesehen . "
" Nanu ? " sagte Jörn , " ihr kennt euch ? "
" Ja , wir haben uns mehrmals gesehen ; sind aber nun sieben oder acht Jahre her . "
Lisbeth Junker nickte etwas stolz , daß Jörn Uhl dachte , es wäre nicht gerade eine angenehme Erinnerung für sie , und nicht weiter nachfragen wollte .
" Lisbeth und ich sind Nachbars Kinder , " sagte er .
" Nun kam sie bei Thieß Thiessen zum Besuch . . . du weißt doch , daß ich die Uhl aufgegeben habe ? "
" Das weiß ich alles , mein Jung ' ; auch daß du bei Thieß Thiessen bist .
Gut , daß du den hast , Jörn !
Mich freut , Junge , daß du so munter bist .
Ist das Ihr Werk , Fräulein Junker ? "
Lisbeth sah von der Höhe des Wagens auf den Kriegskameraden und sagte : " Du hast damals » du « zu mir gesagt :
Stelle dich nicht so an und tue es heute auch !
Und nun hilf mir vom Wagen . "
Er lachte fröhlich wie ein Mensch , der aus einer Unsicherheit und Verlegenheit wieder auf festen Grund kommt .
" Du bist noch immer dieselbe , " sagte er .
" Komme her , Deern ! "
Er machte das Wagenleder los und hob sie herunter .
" Eine Tonne schweren , guten Moorhafer , " sagte er , " so um hundertdreißig Pfund . "
Jörn stand an der anderen Seite des Wagens und machte eifrig die Stränge los und sagte laut :
" Wir wollten ' Mal sehen , ob wir uns vertragen könnten ; darum sind wir zusammen ausgefahren . "
" So ! " sagte der Kamerad .
Dann sagte er ungeduldig :
" Nun sagt ein Wort :
Seid ihr Brautleute , oder wollt ihr es werden ? "
" Muß man gleich Brautpaar sein , " sagte Jörn mit flammenden Augen , " wenn man mit seinem Schulkameraden eine gemütliche Wagenfahrt macht ?
Brautleute ?
Sie hat mir vorhin im » Roten Hahn « noch eine Rede gehalten , die hart war .
Ich bin froh , wenn ich mit ihr wieder im Hause bin . "
So sagte er mit zornigen Augen .
Als sie aber an den Pferdeköpfen vorbei an ihm vorüber wollte , um ins Haus zu treten , kehrte er sich flink zu ihr um und ließ sie so an sich vorüber gehen .
Und sie sah ihn rasch an , und ihre Augen strahlten .
Dann ging sie eilig ins Haus .
Da merkte er , daß es wirklich gut um ihn stand .
Er arbeitete weiter an den Pferden und pfiff dazu .
" Mich freut mächtig , " sagte der Kamerad , " daß du so munter bist und auch ' Mal ein Wort sagst , das nicht gerade nötig ist .
Weißt du noch ?
Sie erzählten nachher :
Bei Gravelotte , am achtzehnten , hättest du , solange wir im Feuer standen , nichts gesagt als : » Schad ' um das gute Pferd . « " Jörn kehrte sich lebhaft um :
" Es tut mir heute noch leid , " sagte er ; " es war ein wackeres , arbeitsames Pferd , und es war eine Stute . "
Dann fing er da , an Ort und Stelle , an , von den vergangenen Jahren zu sprechen .
Er sprach , durch das Wiedersehen des Kameraden erregt , im Suchen nach der alten Vertrautheit , die er doch nicht gleich wiederfand , aus fröhlicher Seele heraus .
Aber da sein Körper und seine Seele von den langen , stillen Jahren und der schweren Arbeit steif und unbeholfen war , so kam alles , was er sagte , ein wenig gemacht übertrieben zu Tage , wie die ersten Sprünge , welche die Märzlämmer auf der Weide machen .
Er erzählte mit viel Handbewegung und mit großer Offenheit , daß er jetzt ganz land- und heimatlos , aber auch ganz sorgenlos wäre , und daß es ihm schiene , als wenn die Deern , die Lisbeth Junker , wahrhaftig etwas von ihm hielte ; das hätte er nie für möglich gehalten .
Aber er wisse ja noch nicht , was er anfassen sollte .
Der Dienstjunge kam und übernahm die Pferde und sah neugierig auf den großen , etwas gebückten Mann , der so wichtige Dinge in seiner Gegenwart erzählte .
Der Kamerad legte die Hand auf Jörn Uhls Schulter und sagte : " Nun komme herein , " und ging lächelnd hinter ihm her .
Die Mutter , eine breite Frau mit gutem Gesicht und dunklem , leicht ergrautem Haar , betrachtete ihre beiden Gäste mit gemütlicher Behäbigkeit , sprach mit Bedauern von der langen Krankheit des alten Uhl und wie nett es wäre , daß er den Thieß Thiessen hätte .
" Und so einsam bist du ja auch nicht ; denn als du ein wenig über Land fahren wolltest , fandest du eine so schmucke Begleiterin . "
Unter diesen Reden nötigte sie die beiden Gäste in die Stube und sah ihren Sohn an , als wenn sie sagen wollte :
" Was soll ich von den beiden denken ?
Wie steht es mit ihnen ? "
Denn hier zu Lande muß alles klar und deutlich sein , rein oder schmutzig , weiß oder schwarz , verlobt oder nicht .
Das hatte Jörn Uhl nicht recht bedacht .
" Ja , Mutter , " sagte der Schelm laut , der ihre Augensprache erriet , " ich weiß nicht , was mit den beiden ist : verlobt sind sie noch nicht .
Ich weiß auch nicht , an wem es liegt , daß sie es nicht sind ; ich denke aber , es kommt noch alles in Ordnung .
Sie sind jedenfalls hierher gekommen , weil sie denken , du kannst ihnen helfen ; denn es ist doch im ganzen Lande bekannt , was du alles tust , um deinem Sohne zu einer Frau zu verhelfen . "
Da drohte sie ihm mit der Hand und schalt ihn aus , daß er alles gleich so herausrede , und sagte , er solle sofort seinen losen Mund halten .
Er aber lachte und sagte : " Weißt du was ?
Du nimmst diese Lisbeth Junker mit dir nach der Küche und beredest alles mit ihr , und ich nehme Jörn Uhl und zeige ihm unseren Stall . "
Er nahm Jörn Uhl am Arm und ging mit ihm hinaus .
Und draußen , als sie durch Haus und Scheune gegangen waren , sagte er zu ihm :
" Du , Jörn , wie kommst du dazu , mit dem Mädchen allein durchs Land zu fahren ?
Sage 'mal , wie stehst du zu ihr ? "
Und er zeigte mit rückwärts gerichtetem Daumen über die linke Schulter weg nach der Gegend der Küche und zwinkerte mit den Augen .
" Ja , " sagte Jörn und wurde lebhaft :
" Wie stehe ich mit ihr ?
Weißt du das ?
Ich weiß es nicht .
Ich habe sie von Kind an mächtig gern gehabt ; aber ich hatte immer , bis auf diesen Tag , zu viel Respekt vor ihr : das ist es .
Wir sahen alle miteinander zu ihr auf , bis auf Fiete Krey - weißt du ? - den Sechssundachtziger , den wir bei Gravelotte trafen .
Aber der steht ja mit dem Kaiser auf du und du . . . Ich habe niemals gedacht , daß es dazu kommen könnte . "
" Wozu , Dösiger ? "
" Ja , Mensch , was soll ich sagen ?
. . .
Daß sie mich vielleicht zum Manne nehmen würde !
. . . All meine Tage werde ich mich mächtig in acht nehmen müssen ; ich muß immer im Sonntagsrock gehen . "
Er atmete hoch auf .
" Mensch , " sagte er , " was ist sie schmuck !
Aber vornehm , du !
Ich riskiere nicht , sie anzufassen .
Und ein bißchen kalt , glaube ich . "
Da lachte der Kamerad : " Kalt ?
Die kalt ?
Die hat ebenso rotes Blut wie andere .
Sie hat sich nur versteckt und verschanzt hinter so stolzem , stillem Wesen .
Das hat man nicht selten .
Pass auf : wenn du die Schanze stürmst , verwandeln sich die kalten Brustwehren in lauter Feuer .
Das ist meine Meinung . "
" Wie kannst du das so sicher sagen ? "
" Ach , " sagte der Schelm und zog die Schultern hoch .
" Ja , " sagte Jörn und machte wieder ein getrostes Gesicht .
" Das ist wahr .
Sie ist großartig gut mit mir .
Es ist ganz erstaunlich , wie freundlich sie ist .
Köstlich ist das . "
Aber gleich wurde er wieder wankend .
" Ich kann mir es nicht denken , " sagte er .
" Siehst du :
sie war mir immer das Feinste , was ich mir auf der ganzen Welt denken konnte .
Turmhoch , sage ich dir , über mir .
Ihre Kleider , ihre Hände und ihr Haar .
Ist das gewöhnliches Mädchenhaar ?
Und vor allem ihr Wesen !
Weißt du : es war mir von Kindheit an , als ginge ich immer um ein feines , hohes Schloß herum ; und ich machte mir immer viele Gedanken und war neugierig , wie das inwendig wohl aussähe .
Und nun , Mensch , seit vorgestern führt sie mich an der Hand von Saal zu Saal , und du glaubst nicht , du kannst dir gar nicht denken , wie wunderbar schön das alles ist , alles so hoch und rein und schön , daß dir vor Freude der Atem still steht .
Und ich ?
Ich dagegen ? Habe nichts , kann nichts , bin nichts .
Du weißt , alle Leute halten sich über mich auf und sagen , ich bin ein wunderlicher Mensch .
Neulich hörte ich in der Dorfstraße , daß ein Kind zum anderen sagte : » Guck , der kann aus den Sternen sehen , wann einer tot bleibt und wann wir Krieg bekommen . «
Ich bin immer ein Vierkant gewesen , das weißt du .
Und solche Hände habe ich .
Sieh ' Mal , solche Hände !
So groß und so leer .
Was will die Prinzessin mit dem Bauernjungen ? "
" Du bist 'n Taps .
Streck die Hand aus :
sie fliegt hinein . "
" Meinst das wirklich ? "
" Ich kenne das Zeug , " sagte der Kamerad großartig .
" Das Zeug ?! " sagte Jörn .
" Sie ist eben kein Zeug ! "
" Na . . . ich sage : Sie ist nicht anders als die anderen .
Vielleicht ist sie noch ein bißchen lebendiger , weil sie ein bißchen klüger ist . "
So sprachen sie miteinander .
Dann gingen sie weiter und kamen auf das Thema " Pferde " , und der Kamerad ließ zwei Vierjährige vorführen und regte sich auf , als Jörn Uhl sie nicht unbedingt loben wollte .
" Bringe ' sie wieder hinein , " schrie er den Jungen an .
" Nun mag ich sie nicht mehr sehen . "
" Sage ' ' Mal , " sagte Jörn , " wo hast du sie kennen gelernt ? "
Da zog der Kriegskamerad die Brauen hoch und sagte , noch zornig wegen des mangelnden Pferdelobes : " Frag ' sie selbst : vielleicht erzählt sie es , vielleicht auch nicht . "
" Sage ' es doch .
Es ist ja Unsinn , daß du es nicht sagen willst . "
Da lachte der Haussohn und sprang zur Küchentür und riß sie auf :
" Du , " rief er hinein , " der Jörn Uhl will wissen , wo und wie ich dich kennen gelernt habe .
Soll ich es erzählen oder nicht ? "
Lisbeth Junker stand am Herd neben seiner Mutter , warf den Kopf in den Nacken und sagte : " Erzähle ' , was du nicht lassen kannst . "
Seine Mutter sagte :
" Hinaus ! " und griff nach der Feuerzange .
Da kam der Kriegskamerad zurück : " Na , " sagte er . . . " wenn du es wissen willst , es war so : . . . Vor sechs oder sieben Jahren , bald nach dem Feldzuge , war ich mit Fuhrwerk in die Stadt gekommen .
Es muß mitten im Sommer gewesen sein . . . Als ich abends in der Dämmerung wieder hinausfahre , geht da bei den letzten Häusern die Lisbeth Junker , die ich zuweilen gesehen hatte , als ich das Gymnasium besuchte und sie in die Klippschule ging .
Ich halte still und frage , wie es ihr geht .
Du weißt : daß wir den Feldzug hinter uns hatten , das hatte uns kühn und stolz gemacht , auch gegenüber den Mädchen .
Ich spreche ein wenig mit ihr und freue mich , wie sie mit ihrem kleinen , schmucken , weißen Gesicht so zutraulich zu mir hinauf sieht .
Sie sagte , sie warte auf den Wagen von Vollmacht Dieck , der hätte ihr versprochen , sie mit nach Wentorf zu nehmen .
Ich sage : » Na , da kannst du vielleicht noch lange warten .
Weißt du ' was ?
Fahr mit mir !
Ich lasse meine Pferde über Sankt Mariendonn laufen ; was liegt mir an dem Umweg , wenn du neben mir sitzest . «
Ich dachte nämlich :
du hast so manche einsame Fahrt gemacht ; diese muß gemütlich werden .
Sie besann sich erst ziemlich lange und wollte erst nicht und sah ein wenig bedenklich zu mir auf .
Ich rede auf sie ein , so gut ich kann , werde hochmütig , werde demütig , scherze und spotte und werde zornig .
Ich glaube , sie hörte nur halb auf meine Worte , sah mich nur immer beobachtend an , und plötzlich , als ich gerade nach einem neuen Halfter suche , sie zu fangen , sagte sie : » Mache ' Platz . «
Ich reiße das Schutzleder auf , und sie sitzt da richtig neben mir , und ich hole ordentlich Luft und denke :
» Soweit wären wir . «
Ich grübelte aber nach , wie ich es wohl ein wenig weiter brächte , und dachte , daß es ein feines und zartes Stück Arbeit werden müßte , sollte_es gelingen ; denn sie war bei uns allen bekannt als eine , die sich nicht an den Gurt kommen ließ .
Ich unterhalte mich also , so gut ich kann , rede mit ihr , was ihr wohl gefallen konnte .
Du , damals hat Gravelotte mir den ersten Dienst getan .
Wenn sie aber irgend etwas sagte , gab ich ihr recht und bekräftigte ihre Meinung mit starken Gründen .
Und sie war guter Dinge , und ich merkte wohl , daß ich ihr in dieser Stunde nicht unangenehm war .
Ich war aber meiner Sache sehr ungewiß , fand auch ganz und gar keine glatte Überleitung , so sehr ich auch nachdachte .
Ich fürchtete , daß sie einen furchtbaren Schreck bekommen würde , und würde schlecht von mir denken und mir lebenslang Gram sein .
Und das wäre mir leid gewesen ; denn sie war eine schmucke , feine Deern , vor der man ohne weiteres Respekt hatte , man brauchte ihr bloß in das reine , schöne Gesicht zu sehen .
Aber so ist es ja , du : gerade so eine zu gewinnen , das scheint uns der größten Mühe wert .
Na , nun kam es so :
Wir waren beinahe schon nach Wentorf .
Weißt du , da , wo der Weg nach Gudendorf abbiegt , und es war inzwischen so recht weiche , dunkle Nacht geworden , da denke ich : Du mußt die Sache jetzt angreifen , sonst kommt nichts danach .
Ich fange also vorsichtig und mit Herzklopfen an .
Wahrhaftig , Mensch , das kannst du glauben .
» Du , Lisbeth Junker , « sagte ich , » du fährst ja nun mit mir , nicht ? «
» Ja , « sagt sie und lacht .
» Ja , siehst du , wenn sonst jemand so mitfährt , dann sagt er :
» Komme , wir wollen hier oder da einkehren , und du sollst einen Freischluck tun , weil ich mit dir gefahren bin . «
Das können wir beide nicht tun , was ?
Nein , du würdest ins Gerede kommen , auch ist es zweifelhaft , ob in der Wirtschaft noch Licht ist .
Nun überleg dir ' Mal recht verständig , was du mir nun Gutes tun willst ; denn sonst würde es dir nachher immer ein peinlicher Gedanke sein , daß du mit mir gefahren wärst und hättest mir nichts Gutes dafür getan .
Sieh , du fährst nun doch ' Mal mit mir , und daran ist nichts zu ändern . «
» Ja , « sagte sie und lachte , » sage ' man lieber gerade heraus , was willst du haben ? «
Da riskiere ich ein Wort und sage : » Ja , wenn du es mir nicht übel nehmen willst , kleine Deern , ich möchte gerne einen Kuß haben , und wenn_es angehen kann , noch einige mehr .
Sei um Himmels Willen nicht bange .
Bleibe still sitzen .
Du brauchst nicht vom Wagen zu springen .
Wenn du es nicht willst , so lasse ich dich so ungeschoren wie meine Großmutter , wenn ich mit ihr zur Kirche fahre .
Nimm es bloß nicht übel . «
Na , so ungefähr sage ich .
Sie sitzt eine Weile still , als besänne sie sich , und ich höre ihr leises Atmen , und es tut mir schon leid , daß ich es gesagt habe , und ich will zum Rückzug blasen , da sagt sie langsam und leise : » Ich weiß wohl , daß ihr nachher manchmal damit prahlt , wenn ein Mädchen euch zu Willen gewesen ist .
Ich will mich wohl von dir küssen lassen , weil du ein freundlicher und ordentlicher Junge bist ; du sollst mir aber in die Hand versprechen , daß du niemandem in der Welt jemals ein Wort davon sagen willst . «
Ich , ich sage dir , Jörn . . . ich wurde ganz still und ernst .
Ich mußte ihr wahrhaftig die Hand geben und mußte ihr die Worte nachsprechen , die sie vorsagte , und ich glaube , ich hätte nachher noch eine Weile steif und tapsig neben ihr gesessen , wenn sie nicht ihre Hände vors Gesicht gelegt hätte , um zu weinen oder zu lachen , ich weiß nicht .
Da nahm ich mit einem guten Wort ihr kleines , frisches Gesicht hoch , und Jörn . . . sie ist zutraulich zu mir gewesen .
Wir haben geküßt und geplaudert .
Die Pferde grasten am Straßenrand , der Wagen stand schräg überm Weg :
wir haben uns nicht darum gekümmert .
Bei Ringelshören stieg sie vom Wagen :
» Du , « sagte ich , als sie neben dem Wagen in der Heide stand , » es hat mir mächtig gut gefallen .
Sei eine kleine , gute Deern und sage mir , an welchem Abend in der nächsten Woche ich nach Wentorf kommen und an den Weiden im Schulgarten auf dich warten soll . «
Aber sie schüttelte den Kopf und sagte : » Du sollst Dank haben , bist ein lieber , guter Junge gewesen ; aber vom Schulgarten bleibe weg .
Zum bloßen Liebeln bin ich viel zu gut , und heiraten tue ich dich doch nicht ; ich habe einen anderen lieb , den ich nie bekomme . «
Ich warf ihr einige » Hexen « an den Kopf und mußte sie so gehen lassen .
Sie ging den Abhang hinunter nach dem Goldsoot zu .
Seitdem habe ich sie nur einmal am Bahnhof gesehen ; sie kam auf mich zu und grüßte mich , als wäre ich ihr guter Bruder .
Ich kann dir sagen :
Ich freue mich bis auf den heutigen Tag des Abenteuers .
Nach dem Schulgarten bin ich nicht gegangen ; ich dachte damals noch nicht an Heiraten . "
So sagte der Kriegskamerad und warf einen spähenden , schelmischen Blick erst auf Jörn Uhl , dann nach der Küche .
Unterdes saß Lisbeth Junker auf der Torfkiste neben dem Herd , und die Frau mit dem blanken , dunkelgrauen Scheitel fragte :
" Nun sage mir ' Mal gerade heraus :
was ist das mit euch ?
Von Jörn Uhl weiß ich ja allerlei .
Ein bißchen sonderbar ist er , guckt nach den Sternen und tüftelt allerlei aus , was zum Bauern nicht nötig ist .
Steif und ungewandt ist er auch .
Nicht so schlimm wie Pastor weht : dem gab seine Haushälterin den Schirm in die Hand und sagte : » So müssen Sie ihn tragen , Herr Pastor ; von Westen kommt der Wind . «
Auf der Rückkehr sagte der Kutscher :
» Nun anders rum , Herr Pastor ! «
Aber er wollte nicht ; er hielt ihn so fest , wie seine alte Kathrin ihm gesagt hatte .
Nein , so schlimm ist es mit ihm nicht ; aber unpraktisch ist er und vierkantig , kurz : ein lateinischer Bauer .
Aber das sage ich :
doch einer , wie eine Mutter sich einen Sohn wünschen kann . O ja : das ist wahr ; du brauchst gar nicht so blanke Augen zu machen .
Mein dummer Junge hat oft zu mir gesagt :
» Wenn der dein Sohn wäre , Mutter , an dem hättest du deine helle Freude . «
Na , kurz und gut , bist du mit ihm versprochen ? "
Lisbeth sah von ihrer Torfkiste auf und fand , daß sie keinen Grund hätte , zu verbergen , was sie bewegte .
Ihr war das Herz seit acht Jahren voll von Jörn Uhl ; aber seit vorgestern war es übervoll .
Also , wie ein kleines Kind dem fremden Besuch erst schüchtern , mit bangen Augen und zögernd , die Hand reicht , dann aber bald zutraulicher wird , so begann Lisbeth Junker von ihrer Mutter , der unglücklichen Lehrerstochter , von ihrer Jugend bei den alten , freundlichen Großeltern , und von ihrem Spielkameraden , dem wunderlichen Jörn Uhl , zu erzählen .
Und nun blieb sie bei Jörn Uhl .
Jörn Uhl , Jörn Uhl .
Nichts als Jörn Uhl .
" Immer habe ich ihn lieb gehabt .
Aber zuerst war er mir noch zu dünn und zu dumm .
Danach hätte ich ihn schrecklich gern gehabt ; aber da heiratete er eine andere .
Ach , wie bin ich in der Zeit in Not gewesen .
Dann starb die .
Da hätte ich ihn erst recht gern gehabt .
Aber da kam der Jammer mit seinem Vater und den Brüdern , sieben Jahre lang ; da hatte er keinen einzigen Gedanken für mich übrig .
Und nun . . . nun sieht es fast so aus , als wenn . . . Ach Gott , gestern hat er mit mir geläufert .
Er ist jetzt einunddreißig , und ich bin sechsundzwanzig . "
Die Frau am Herde schlug die Hände vor der Brust zusammen :
" Nein , " sagte sie , " was ist das für eine Geschichte !
Ich habe in meinem Leben einen einzigen Roman gelesen :
» Die Ohrringe der Henkerstochter « .
Aber dies ist auch ein Roman .
Was für eine Geschichte !
Aber wer weiß , wozu es gut ist .
Ich habe mit achtzehn geheiratet , und er war fünfundzwanzig , und ich war vernünftig , und er war es nicht .
Er war gerade so 'n Wildfang wie jetzt sein Junge ist .
Da mußte ich ernst sein .
Da bin ich denn so geworden , wie ich bin , so ein bißchen strenge und laut .
Von Haus aus war ich ein weichmütiges Ding . "
" Wenn ich bloß wüßte , " sagte Lisbeth , " ob er mich nimmt .
Er hat keinen Hof und kein Geld .
Ich nehme ihn so gern , so gern , so wie er ist .
Und wenn ich auch mit ihm auf dem Heeshof sitzen soll , werde ich glücklich sein , ja wenn ich mit ihm Torf graben soll .
Aber das tut er nicht .
Er wird irgendwo hingehen und irgend etwas anfangen .
Und wer weiß , was dann alles zwischen uns tritt . "
So klagte sie und sah mit überströmenden Augen in die Herdflamme .
" Ach , " sagte die Frau und wehrte mit den Händen : " Mache ' dir keine Sorge .
Sieh zu , daß er dir heute noch reinen Wein einschenkt :
dann bist du seine Braut . "
Lisbeth legte die Hände vors Gesicht , weil ihr die helle Röte darüberfuhr : so erfreute und erschreckte sie das kleine Wort , das die Frau gesagt hatte .
" Er wird es jetzt nicht tun , " sagte sie zweifelnd , " weil er noch nicht weiß , was er beginnen soll .
Aber so viel ist sicher : eine andere heiratet er wenigstens nicht . "
So redeten die Frauen miteinander , bis sich alle Hausgenossen samt den Gästen um den schwerbesetzten Mittagstisch setzten : das Großmädchen an der Seite der Frau , ihr Sohn ihr gegenüber , neben diesem der ständige Tagelöhner , dann die anderen Dienstboten .
" Du hast viel Gutes an meinem Jungen getan , " sagte die Frau , " solange ihr miteinander Soldat gewesen seid , erst im Frieden , dann im Kriege .
Er war wohl ein Taugenichts ? "
" Das war er , " sagte Jörn ; " aber einer von der Sorte , die man gern leiden mag . "
" Das ist gerade das Schlimme , " sagte sie , " daß man ihm nicht recht böse werden kann , wenigstens nicht auf die Dauer .
Wenn man seinen Zorn an ihm auslassen will , muß man es gleich tun : sonst kommt man nicht dazu .
Du kannst mir glauben , ich bin satt , mich an ihm zu ärgern ; ich wollte , daß er sich endlich eine tüchtige Frau suchte . "
" Mutter , " sagte der Kamerad , " du hast gestern noch gesagt , daß ich im letzten Jahre verständiger und ernster geworden bin . "
" Ja , das ist wahr , Uhl .
Das ist er .
Im letzten Jahre wird es besser ; aber es wird nichts Rechtes aus ihm werden , bis er heiratet . "
" Heiraten will ich noch nicht , " sagte der Schelm .
" Weißt du was ?
Heirate du !
Du bist noch jung genug .
Dann hast du Hilfe im Hause . "
Da langte sie mit dem Holzlöffel , den sie in der Hand hatte , über den Tisch und gab ihm , obgleich er sich behende zurückbog , einen starken Hieb auf den krausen Kopf , daß die Mulde des Löffels davonsprang .
" Wenn du dich über deine Mutter lustig machen willst !
Gret , hole einen neuen Löffel . "
Die Leute lachten ein wenig , schienen aber solche Begebenheiten gut zu kennen .
" Auf drei Schulen ist er gewesen , " schalt sie , " und bei zwei Pastoren ; aber so , wie er gegangen ist , ist er wieder heimgekommen : so ohne Ernst und ohne Interessen .
Danach dachte ich , daß der Feldzug ihn verständiger machen würde ; aber gleich auf dem Bahnhof , wie er ankommt , ist das erste , daß er mich auf den Arm nimmt und trägt mich durch alle die Menschen nach dem Wagen .
Seit dem Tage habe ich schon wieder manchen Schleef auf ihm abgeschlagen .
Ich weiß nicht , was daraus werden soll .
Er trinkt nicht , er spielt nicht , er fault nicht und schläft nicht ; aber er ist nicht ernst , nicht strebsam . "
" Sie nimmt alles krumm , " sagte der Kamerad , " alles , was ich tue und sage .
Alles , was ich sage und tue , ist nach meiner Meinung das einzig Richtige und Vernünftige ; aber nach ihrer Meinung ist es gerade das Verkehrte !
Entweder ist sie nicht meine Mutter , oder ich bin nicht ihr Sohn .
Am ehesten könnte sie noch meine Frau sein . "
Sie sah ihn kopfschüttelnd an .
" Sein Vater , " sagte sie , " war auch so .
Was habe ich mit dem getragen ?
Ich konnte keinen Schritt im Hause tun , ohne geneckt , geküßt , gezerrt zu werden , überall stand er mir bei der Arbeit mit seinen Albernheiten im Wege .
Eine ernste Sache war nicht mit ihm zu besprechen ; er wandte alles ins Lächerliche .
In diesen Jahren unserer jungen Ehe habe ich oft gedacht :
wenn das so dreißig Jahre dauert , dann wirst du nie alt , kommst aber auch nie zur Ruhe .
Aber nachher , als wir so etwa zehn Jahre verheiratet waren , da änderte er sich .
Gerade als wenn er ein neues Blatt in seinem Leben aufschlug .
Wenn man das erzählt , glaubt es kein Mensch und ist doch wahr .
Er bekam Interesse an Handel und Wandel , ließ Moor im Großen graben und legte eine Ziegelei an , die er nachher wieder verkaufte .
Nun ging er häufiger unterwegs , als mir recht war , und war mehr auf Arbeit und Erwerbe versessen , als mir lieb war ; nun stellte ich mich ihm in den Weg , und nun hatte er keine Zeit und sagte : » Gehe , Kind , ich bin in Gedanken . «
Er kümmerte sich wenig um mich , höchstens , daß er mir einmal mit der Hand übern Kopf fuhr , wenn er heimkam und sagte : » Was hast du für glattes und blankes Haar , Mutter , und glatt und blank hältst du den ganzen Hof . «
Fremde Leute sagten mir zuweilen :
» Was hast du für einen lustigen Mann ! «
Ich wußte nichts davon .
Ich hatte einen lustigen Mann gehabt ; nun hatte ich fast gar keinen .
Es liegt in der Familie .
Die Sorte kommt erst um die dreißig zu Verstand .
Ich glaube , so wird es dem auch gehen . "
Lisbeth Junker bog sich über den Tisch und sah den Kriegskameraden mitleidig schadenfroh an :
" Spürst du denn schon , daß der Verstand bei dir kommt ? "
" Sorge ' für deinen eigenen , " sagte er , " mit dem stand es vor sieben Jahren ebenso schlecht wie mit meinem . "
Da wurde sie rot und warf den Kopf in den Nacken , und dann lachte sie kurz auf .
Aber sie sah Jörn Uhl nicht an .
Nach Tisch nahm er die beiden mit sich und führte sie auf weiten Feldwegen und zeigte ihnen alles Land , das zum Hofe gehörte , hier ein Stück , da ein Stück , dazwischen erzählte er von lustigen Soldatenstreichen , von einer fröhlichen Reise nach Hamburg und Berlin , und neckte Lisbeth .
Wenn Jörn Uhl über die Bewirtschaftung dieses oder jenes Ackers ein Wort hören wollte , so lachte er und warf es in den Wind und sagte : " Ach was !
So und so !
Das besorgt Mutter . "
Zuletzt , als sie schon weit vom Dorf entfernt waren und Lisbeth gerne umkehren wollte , verlangte er eifrig , daß sie noch eine Anhöhe bestiegen , die seitwärts vom Feldwege lag .
Als sie zwischen hohen Wällen , die mit jungem Schlehdorn besetzt waren , hinaufgestiegen waren , zeigte er ihnen , daß diese hohe Koppel ihm gehöre , bis an die Au herab , deren blankes Wasser breit und still dalag .
" Nicht viel wert , " sagte Jörn Uhl .
" Nicht viel wert ? " sagte der Kriegskamerad .
" Nicht viel wert ?
Willst du mir dies auch entzwei reden , wie du die Vierjährigen zerredet hast ?
Du meinst : zu grasen und zu pflügen ? "
Er stampfte mit dem Fuß in die leichte Erde :
" Aber was ist darunter ?
Grab Mal fünf Fuß tief ?
Was ist da dann ?
Was ? "
" Na , was denn ? " sagte Jörn Uhl und machte große Augen .
" Ton , mein Junge !
Eine mächtige Schicht vom feinsten Ton ! "
" Ton ? "
" Ton , Mensch ! " rief der Kamerad .
" Aus Ton macht man Töpfe und Zement . "
" Na nun ! "
" Na , siehst du ?
Siehst du , Lisbeth Junker ?
Laßt uns 'mal zwei Jahre weiter sein , dann wird hier eine große Graberei losgehen .
Auf Lowriese hinunter .
Drahtseil . . . du !
Dann in Schuten auf der Au weiter .
Wenn sie mir aber in Lägerdorf nicht genug dafür geben wollen , dann baue ich selbst eine Zementfabrik . "
" Na , denn man zu ! " sagte Jörn Uhl und sah bald auf die grausandige Erde und bald nach der Au hinunter .
" Ja , siehst du , nun ist die Sache die : Ich verstehe nichts davon .
Ich muß mir einen Techniker annehmen , oder ich muß selbst nach Hannover gehen oder wohin sonst , und muß das lernen . "
Lisbeth lachte und spottete :
" Sieh , " sagte sie , " da kommt ein Stücklein Verstand zum Vorschein ! "
Jörn Uhl aber schien ganz in sich hineingesunken zu sein .
Er hielt die Augen am Boden und sagte nichts mehr .
Zu Hause wieder angekommen , ging Lisbeth noch mit der Frau durch den Garten ; Jörn aber war mit dem Freunde in die Stube gegangen .
Dort kramte der Kamerad zwei Bücher hervor , die er sich neulich angeschafft hatte , eins über Mineralogie , das andere eine besondere Lehre über Thongewinnung .
Er schlug auf den Tisch und sagte zornig :
" Es ist ein Jammer , daß man auf der Schule so gleichgültig gewesen ist :
nun steht man da wie der Ochs vorm Scheunentor . "
Er warf Jörn Uhl das Buch hin und sagte : " Du kannst es natürlich alles verstehen .
Du , um dessen Ausbildung sich kein Mensch gekümmert hat , hast dir selbst weiter geholfen , daß du zehnmal mehr verstehst als ich , der zehntausend Mark studierte .
Schlage ' Mal auf :
Seite 350. Kannst du das verstehen ? "
Jörn Uhl konnte es alles verstehen und setzte es dem Kameraden auseinander .
Er nahm auch das andere Buch und konnte ihn auch da belehren .
Der Kamerad vergaß seinen Zorn und wurde ganz froh und sagte : " Mensch , komme doch nächste Woche ' Mal wieder , daß wir weiter darüber reden . "
Jörn Uhl nickte und fragte nach der Einrichtung so einer technischen Schule und wie lange man wohl da sein müsse , um so etwas wie eine Empfehlung oder ein Zeugnis zu bekommen .
Zuletzt saß er wieder still da , mit zusammengedrängtem Gesicht ; und sonderbar sah es aus , wie er auf das neue , feine Buch seine große , braune , hart verarbeitete Faust gelegt hatte .
Das Buch sah unter dieser Hand klein aus , wie ein zierlich Spielzeug .
Um noch bei Tageslicht unterwegs zu sein , brachen sie auf .
Die Frau nahm Jörn Uhl beiseite und sagte ihm , wie sehr das Mädchen ihr gefallen hätte , und mahnte ihn mütterlich , er solle nur Vertrauen haben und sie zu seiner Braut machen , er werde wohl irgendwo sein Brot bekommen .
Und er solle doch bald ' Mal wiederkommen : der Junge wäre heute rein vernünftig gewesen .
In der Küche hätte er mit der Feuerzange in der Hand von ihr verlangt , daß sie Jörn Uhl mit etwas Geld beistände .
Also möge er kommen , wenn er wolle , einige tausend Mark stünden für ihn zur Verfügung , was immer er auch kaufen oder anfassen wolle .
Jörn Uhl wollte danken ; aber es gelang ihm nicht .
Er nickte mit blanken Augen und schüttelte der wackeren Frau lange die Hand , und sie merkte am Druck , was er ihr sagen wollte .
Die Sonne stand doch schon tief am Himmel , als sie auf der hohen , freien Straße heimfuhren .
" So , " sagte sie , " nun bin ich wieder ganz allein mit dir .
Das war ein schöner Tag und nun noch die schöne Heimfahrt . . . Was sagst du von der Frau ? "
" Was sagst du von dem Kriegskameraden ? "
" Ach , der !
. . . Was hat die Frau dir noch zuletzt gesagt ? "
" Weiberrede ! "
" Soll ich es nicht wissen ? "
" Nein , heute noch nicht .
Morgen vielleicht . "
Er fing an zu grübeln und sagte nichts .
Als er so eine gute Weile gesessen hatte , merkte er , daß sie eine eigentümliche Haltung annahm , wie ein Mensch , der sich verteidigt oder abwendet .
Er sah auf und sah , daß ihr Gesicht voll Stolz war .
" Nun , " sagte er , " was hast du ?
Heraus mit der Sprache , Heintüüt .
Rede frei heraus , kleine Deern ! "
" Meinst du , daß ich nicht aus dem Küchenfenster gesehen habe , als dein sauberer Kamerad dir erzählte , was er mit mir erlebt hat .
Mit solchen Armbewegungen !
Und nun bist du böse .
Und das , das hätte ich nicht von dir gedacht . "
Er lachte : " Bist du auf dem Holzwege !
Froh bin ich dazu !
Ist man dem böse , dem man unterwegs begegnet und fragt ihn :
» Wie weit ist es noch ?
Ich höre , es sind noch sieben Meilen ? «
Und der sagt : » Nein , es ist nur noch eine kleine Strecke ! «
Froh bin ich :
ich weiß ja nun , daß du nicht sie bist . "
" Ach du mit deinem Sippsein . . .
Er kam vorübergefahren , und war lieb und freundlich , und sah so sauber und treuherzig darein .
Und da hat er mich geküßt . "
" Er ist ein Ekel , " sagte Jörn Uhl .
" Ein Ekel ist er : ein Mädchen zu küssen , das sich nicht wehren kann . "
" Wehren ?
Ich habe mich nicht gewehrt .
Ich wollte mich nicht wehren .
Ich wollte es gerade so haben , Jörn . "
" Ein Husarenstück war es , das muß man sagen .
Stundenlang mit dem Menschen allein auf der Landstraße !
Du !
Das stolzeste Mädchen im Lande . "
" Es war ungefähr die Zeit , Jörn , als du mit Lena Tarn Hochzeit machtest . "
Er schwieg still .
Nach einer Weile ergriff er ihre Hand und hielt sie fest und sagte : " Liebe , feine Heintüüt .
Ich habe das ja alles nicht gewußt . "
Sie sagte mühsam , mit Tränen in der Stimme :
" Der gescheite Hans bist du gewesen . "
" Paß auf !
Wenn du wirklich und wahrhaftig den Mut dazu hast :
dann machst du auch noch Hochzeit .
Paß auf ! "
" Mit einem langweiligen Menschen mache ich sie nicht . "
Da lachte Jörn Uhl und kehrte sich ganz zu ihr und sagte :
" Soll ich die Pferde grasen lassen , wie weiland der andere auf der Meldorfer Straße getan hat ? "
Sie schüttelte den Kopf und sah ihn an , und ihre Augen blitzten von Tränen :
" Es geht nicht , Jörn , die Sonne ist noch da . "
" Ist_es das allein ? "
Sie schüttelte wieder den Kopf :
" Nicht hier , Jürgen !
Es paßt nicht für uns beide .
Ich denke an Lena Tarn und an ihr Kind . "
Sie legte ihre Hand fest in die seine .
Er nickte und sagte : " Es ist ein Wunder .
Es ist rund und klar , nichts als ein Wunder .
Das schmuckste Mädchen im Land und Jörn Uhl !
Kein Mensch hat in drei Tagen mit solchen Riesenschritten in die Sonne hineingestürmt wie ich .
Siehst du :
wir fahren geradewegs in die Sonne .
Wenn ich nur wüßte , was ich anfasse ! "
Nun wurde er wieder schweigsam , und sie ließ ihn gewähren .
Als sie aber in den weichen Sandweg einbogen und es dunkel wurde , rückte sie ein wenig hin und her , als wenn sie nicht bequem säße .
Da stellte er die Peitsche in den Halter und umfaßte sie , und zog sie mit starkem Arm dicht an seine Seite , und sah ihr verlegen ins Gesicht : " Willst du so sitzen ? "
" Ja , " sagte sie und wühlte sich fester an seine Schulter .
" Nun will ich schlafen . "
Sie dachte aber :
" Das tue ich lange nicht .
Ich will mich hüten , diese Stunde zu verschlafen . "
Jörn Uhl saß still und steif wie ein Pfahl , und sah auf die trabenden Pferde und dachte an seine und ihre Zukunft , und dachte in seinem ehrlichen Sinn , sie schliefe .
Sie aber sah , an ihn gelehnt , mit großen , klaren , unbeweglichen Augen immer auf einen Punkt .
Als sie an der großen Tür des Heeshofes hielten , sagte er :
" Nun gehe schlafen !
Du bist müde .
Morgen wollen wir weiter reden . "
Sie blieb noch bei ihm stehen , als wollte sie etwas sagen .
Da streichelte er ihr die Wange und sagte : " Sei guten Muts !
Ich glaube , es kommt alles in Ordnung . "
Da ging sie , ohne ein Wort zu sagen .
Nachdem er die Pferde besorgt hatte , ging er in die Wohnstube und fuhr fort zu grübeln .
" Ich weiß jetzt :
da hat die ganze Not gelegen : es ist da ein Irrtum in mir gewesen durch all die Jahre . . . Ich habe immer alles Getty und allen falschen Schein gehaßt :
ich habe bei Vater und Brüdern und bei vielen anderen gesehen , welches Unheil es anrichtet , sich selbst zu belügen , anders zu denken und zu handeln , als die reine Wahrheit .
Ich habe wohl gemerkt , wie weit das Übel verbreitet ist , und ich habe immer mit Stolz gemeint , von meinem achtzehnten Jahre an :
» Du , Jörn Uhl , bist frei davon . «
Und nun ist es mir klar geworden , in diesen drei Tagen :
ich selbst habe in Selbsttäuschung und Lüge gelebt und bin in der Irre gewesen .
Ich , Jörn Uhl , habe mich und meine Sache nicht genau angesehen und habe mich nicht gekannt .
Ich habe die Uhl festgehalten , die mir nicht gehörte , und habe damit die Lüge fortgesetzt , die Vater und Brüder getrieben haben und damit ihren Jammer .
Ich habe in schrecklich großer Arbeit gestanden , wie ein Pferd am Zieglergöpel , und habe in greulich harten Sorgen gesessen .
Ich meinte , meine Lebensaufgabe wäre , die Uhl festzuhalten .
Die Uhl . . . was ist die Uhl ?
Was ist die Uhl gegen meine Seele ?
Und gegen Lena Tarns Seele ?
Und wenn einer die ganze Welt gewönne !
Und nimmt Schaden an seiner Seele ?
Wer heilt ihm wieder seine Seele ?
Mir ist die Seele hart geworden , und Lena Tarn ist tot , und Wieten hat schlohweißes Haar .
Ich bin von oben angefangen , von der hohen Uhl her , hoch von oben , und bin gesunken . . . gesunken .
Hätte ich hier auf dem Heeshof gesessen oder auf einem anderen kleinen Geesthof oder hätte sonst irgend etwas angefangen , etwas Kleines , mit meinen Kräften , so hätte Lena gute Pflege gehabt , und Wieten wäre nicht so alt und so weiß , und ich könnte noch singen , wie einst , als ich ein Junge war , und hätte nicht den Jähzorn .
Und so hätten wir auf dem wirklichen Grund und Boden gesessen , und hätten uns hinausgearbeitet .
Von unten anfangen , das ist alles !
Ich will wahrhaftig von unten anfangen .
So wahr mir Gott hilft .
Ich will anfangen mit Läuferspiel , und will ein Kind sein wie der Bootsmann und der Kriegskamerad . "
Er machte Licht und ging nach der Lade , die in der Ecke stand , und fing an , dies und das hervorzusuchen , bis der Fußboden um ihn her mit Büchern , Karten , Gläsern und Fernrohren bedeckt war .
Er zog einen Stuhl heran , schlug ein Buch auf und noch eins und setzte sich zurecht , wie Schüler sich zum eifrigen Lernen hinsetzen , und hielt das Buch vor sich , wie ein zehnjähriger Junge tut , der auswendig lernt , und lachte leise auf und ließ das Buch sinken :
" Ein merkwürdiger Student wird das .
Er wird den Zeichenstift führen wie einen Spaten , und den Zirkel herumwerfen wie einen Schwungpflug ; er wird die Wissenschaft schlucken wie ein verdursteter Soldat das frische Wasser , und wird Augen machen wie ein Jäger , der in der Dämmerung am Fuchsbau lauert .
Sollte es wirklich möglich sein ?
Dies alles , das von Kind an meine verstohlene Freude war , meine gestohlene Freude :
das soll ich nun lieb haben dürfen , als wäre ich ehrlich und öffentlich mit ihm getraut ?
Sollte es möglich sein ?
Am hellen Tage soll ich in Bücher sehen , ohne daß die Leute sagen : sieh da , der verrückte lateinische Bauer ? "
Er sah mit zusammengezogenen Augen scharf in das Dunkel der Stube : " Wenn mein Vater ein ernster Mann gewesen wäre und hätte mich lieb gehabt und hätte abends bei uns gesessen :
dann hatte er erkannt , wonach damals schon mein Sinn stand .
Dann wäre mir ein mühsamer Weg und viel Not erspart geblieben , ich wäre dann auch ein freundlicher Mensch geworden , mit Sonnenschein in Herz und Augen .
Nun wird der Mut immer schwer bleiben und der Charakter brüchig .
Aber . . . ich fürchte mich nicht .
Das Graueln habe ich verlernt , damals schon , bei Wieten Geschichten , danach an Lenas Sterbebette , danach in langen , furchtbaren Einsamkeiten .
Ich bin bis dicht an das Nichts herangekommen und bis dicht an Gott .
Was kann mir noch mehr geschehen ?
Man muß nur von unten anfangen und an das Gute glauben , bei Gott und bei sich selbst : das ist alles .
Also will ich es wagen .
Kann ich es hier nicht mehr brauchen , weil ich zu alt bin oder vorher sterbe , so baut wohl Gott da oben Wege , und gräbt in unfertigen Welten Schächte , Dünen und Kanäle , und stellt mich als Schachtmeister an oder als Schleusenwärter .
Ich will meine Leinen bis an die Sterne werfen und will für eine Akkordarbeit auf der Milchstraße meinen Spaten schärfen .
Ich will es wagen , als wenn ich sechzehn Jahre wäre .
Wahrhaftig , ich thu's .
Und wenn ich es tue , so wird mir sein , als wenn ich das schönste und stolzeste Weib . . . ach , was gehen mich alle Weiber an . . . mein Mädchen , mein feines , stolzes Mädchen , wird hinter meinem Stuhl stehen , und wird mit heißen Augen auf mich sehen und auf mein Buch , und wird warten , bis ich fertig bin mit dem Buch .
Und bin ich dann fertig , dann wird sie hell auflachen und wird von Hochzeit reden .
Und hier am Heeswald , hier wollen wir Hochzeit machen .
Wahrhaftig , ich thu's ; es ist der Mühe wert .
Und gleich will ich hingehen und sie fragen , ob es ihr recht ist . "
Und so wie er ging und stand . . . den Rock hatte er schon abgelegt . . . ganz ohne Bedenken , in seinen weißen Hemdsärmeln , ganz eingenommen von seinem großen Plane , ging er aus der Stube quer über die Diele und trat in die Kammer , wo Lisbeth Junker schlief , und sah im Licht der hellen Herbstnacht ihr Bett , unfern dem Fenster , und wurde nun doch ein wenig unruhig , und trat auf leisen Füßen heran .
Sie rührte sich nicht , sah ihn nur groß an .
" Bist du es , Jürgen ?
Komme her ! "
Sie langte nach seiner Hand , machte ein wenig Platz und zog ihn zu sich auf den Bettrand .
" Was wolltest du noch ? "
Er setzte sich ein wenig steif hin und setzte ihr bedächtig seinen Plan auseinander , und war bald verlegen und bald wurde er lebendig und machte eine große Handbewegung .
" Und nun ist das die Frage , ob du mich nun wirklich haben und ob du noch zwei Jahre warten willst . "
Sie sagte : " Komme näher her zu mir ; dann will ich dir antworten . "
Als er sich Gehorsam zu ihr beugte , umschlang sie ihn , und herzte und küßte ihn , und stieß die Worte heraus , daß sie sich überstürzten :
" Du alter , wunderlicher Jörn Uhl , du lateinischer Bauer . . . es ist mir ja einerlei !
Ach , du gescheiter Hans . . . wenn ich nur weiß , daß du mich lieb hast .
Komme näher her , Jörn !
Küsse mich !
Ich bitte dich , daß du mich küsst .
Ei , ich bin eine Stolze und Kalte !
Siehst du , wie stolz ich bin ? "
Jörn Uhl war starr vor Staunen .
Der dumme Jörn Uhl .
Er saß auf der Bettkante und streichelte ihr Wangen und Haar , und sah ihr in das heiße , schöne Gesicht und sagte mühsam :
" Daß du . . . mich . . . so lieb hast . . . Ich . . . ich will mir siebenmal täglich meine Hände waschen .
Und du . . . du mußt mir alles sagen , wie ich mich halten und haben muß .
Ich mache es alles verkehrt . "
Siebenundzwanzigstes Kapitel Was sollen wir noch viel von Jörn Uhl erzählen ?
Oder wie weit sollen wir ihn noch begleiten ?
Sind wir nicht durch sein Leben gegangen , wie man allein durch eine stille , schlichte Dorfkirche geht , und besieht alles und tritt leise und vorsichtig auf , und setzt sich zuletzt noch ein wenig still in einen Stuhl gegenüber dem Altar ?
Oder was fehlt Jörn Uhl noch ?
Was kann die schöne Stadt Hannover und ihre Hochschule an seinem inneren Wesen noch ändern ?
Sie wird ihm zeigen , wie man sich in guter Haltung die Straßen entlang durch die Menschen drängt , und wie man Thonfabriken anlegt und Schleusen baut und Eisenbahnen .
Mehr nicht .
Sein innerstes Wesen , der Kern von ihm , der ist nicht mehr zu ändern .
Der ist auch gut so .
Denn was soll man von einem Menschen mehr verlangen , als daß er das große Geheimnis des Menschendaseins und der ganzen Welt demütig verehre , und Lust und Vertrauen habe zu allem Guten ?
Da steht Jörn Uhl auf dem großen Bahnhof und nimmt von zehn oder zwölf Kameraden Abschied .
Und ein munterer Deutschamerikaner , den sein Vater , der in Buffalo Lohgerber ist , übers Meer geschickt hat , hält die Abschiedsrede .
Mit der einen Hand hält er den Überrock dicht zu , denn es ist ein kaltes , nebliges Novemberwetter , und ein harter Zugwind geht durch die Halle ; die andere Hand hat er nach dem Scheidenden ausgestreckt .
" Jürgen Uhl , Landvogt von Wentorf . . . ich denke in diesem Augenblick der Morgenstunde , da du zum erstenmal in den Zeichensaal tratest .
Gebeugt war dein Rücken , als wärst du Sackträger , hart waren deine Hände und hungrig waren deine Augen .
Du kamst treuherzig auf uns zu und gabst uns der Reihe nach die harte Hand und sagtest uns kurz , wer du wärst , woher du kämst und was du wolltest .
Da hatten wir dich lieb , von der Stunde an .
" Wir nahmen dich in unsere Mitte und beschützten dich ; denn wir merkten wohl , daß du in Gefahr warst , anzustoßen .
Wir haben dir die Stube gemietet und haben dir Weißwäsche gekauft ; wir haben dich überredet , daß du die langen Schmierstiefel nach dem Heeshof zurücksandtest , und wir haben dich von den Büchern weggezerrt , wenn du dich daran festgebissen hattest , wie der Marder am Forkenstiel .
" Aber als wir so um dich her liefen und dich beschützten . . . ach , wir dich beschützen !
. . . da merkten wir bald , was in dir war : daß du ein rechter Nachkomme wärst von jenen Bauern , welche auf eigene Faust Meer und Land und Sterne studierten , und welche Deiche bauten , die hielten , und Schiffe , die der Nordsee widerstanden , und welche die Lippen zusammenpreßten , bis sie schmal wurden , und sich aus Neugier und Ehrfurcht eine Weltanschauung bauten , mit der ein ernster Mensch wohl hausen kann .
Wir waren noch dabei , Jürgen Uhl , dich zu » beschützen « , ein wenig städtische Politur dir beizubringen :
da saßen wir schon zu deinen Füßen und lernten von dir und gehorchten dir .
Du warst uns an Verstand zehn Jahre überlegen , an Ernst und Erfahrung zwanzig .
Aber trotzdem hast du uns behandelt , als wären wir deinesgleichen :
du hast zu unserer Dummheit freundlich gesehen , manche hast du gehindert ; unsere Erfahrungen hast du angehört und hast sie mit klugem Wort erweitert .
Kurz , du bist unser Landvogt gewesen , Jürgen Uhl , und unser König . "
Da drängte sich der Jüngste vor , eines Pastors Sohn aus Süddeutschland .
" Dick , " sagte er , " was redest du für Blech !
Du weißt doch , daß Jürgen solch Lobgedudele nicht hören mag !
Wie kannst du überhaupt für uns alle schwatzen ? "
" Seid still , " sagte Jörn Uhl und sah die Genossen des Zeichensaales der Reihe nach an .
" Ihr wißt , daß ich lange Zeit einsam und in Not gewesen bin .
Von Natur und durch harte Zeiten bin ich ein schwerfälliger Mensch , der jedes Wort und jede Bewegung mit klappernden Trossen und Eimern aus der tiefsten Tiefe holt .
Schon in der Heimat sind freundliche Leute an mich herangetreten und haben mich ermuntert : von Fiete Krey habt ihr Briefe gelesen , und der Name Thieß Thiessen ist euch nicht unbekannt , und von Heim Heiderieter habe ich euch erzählt , und auf die Gesundheit meines Mädchens habt ihr häufiger getrunken , als euch gut war .
Diese Aufmunterung , die diese Leute also angefangen haben , die habt ihr fortgesetzt , was sehr nötig war .
Wenn ihr euch im Anfange über mich belustigt und gewundert hättet , und hättet euch fern von mir gehalten : dann wäre ich hier vereinsamt ; denn ich hätte euch nicht zum zweitenmal die Hand geboten .
Aber nun wart ihr freundlich und zutraulich mit mir , ihr Jungen , dafür danke ich euch ! "
Der Zug stand bereit , und Jörn Uhl stieg ein .
Der Jüngste , der Pastorssohn , trug ihm den Koffer nach , und drängte sich an ihn und sagte :
" Mutter schreibt , ich soll dich grüßen . "
Er war vom Gymnasium entgleist , und sein Lebensschicksal hatte ein Jahr lang hin und her geschwankt , ob es einen verbummelten Pastorssohn mehr geben sollte oder nicht .
Es hatte im Pastorat am schönen Main schlimme Szenen gegeben , auch zwischen Mann und Frau .
Mutter hatte gesagt :
" In unserem Hause ist zuviel gebetet und äußerlich heiliges Wesen getrieben worden : das ist nichts für einen frischen Jungen .
Nun wirft er mit dem äußerlichen Kleide , das ihm widerlich geworden , auch das weg , was gut und ewig ist : Liebe und Treue . "
Und der Vater hatte gesagt :
" Du magst recht haben .
Wir Prediger kommen leicht in die Gefahr , von der du redest .
Die Religion ist ein feines , zartes Ding und rächt sich an dem , der sie als Beruf hat .
Aber wenn du so dachtest , hättest du mir es sagen müssen .
Stadt dessen hast du ihm hinter meinem Rücken von dem Gelde gegeben , das du aus dem Hühnerhof gemacht hast , und er hat es zu dem dicken Wirt gebracht , diesem faulen Schmarotzer unter lauter Fleißigen . "
. . . Da war er in den Zeichensaal geschickt , und da war er in die Hände des langsichtigen , friesischen Bauern gefallen , der mit unentwegtem Beharren in die Wissenschaft stieß , wie der Stier gegen die Stallverschalung .
Und allmählich war in dem Gedusel und Gewusel seiner Lebensanschauung fester Grund entstanden .
Jörn Uhl hatte einen guten Brief an den Vater schicken können ; darauf war eine Antwort von der Mutter gekommen , mit Tränen gesalzen .
Unruhiges Blut sitzt auch jetzt noch in ihm .
Er wird nachher einige Jahre unter Jörn Uhl in Holstein arbeiten .
Dann wird er ins Ausland gehen .
Allerdings !
Er wird sich überzeugen , daß die Erde rund ist .
Aber er wird aus dem Lande gehen , als einer , der dem Lande Ehre macht .
Daher der Grußauftrag der Mutter .
Nun fährt der Zug ab .
Der Wind stößt gegen die Fenster ; blanke Regentropfen laufen die Scheiben hinunter .
In Graudunst liegen hinter vorbeigleitendem Rauch undeutlich Höfe und Dörfer , Heide und Wald .
Es ist ein Wetter , in dem jede Schmiedung eines Lebensplanes , überhaupt jede berufliche Tätigkeit höchst überflüssig erscheint ; denn es ist keine Aussicht , daß der Regen je aufhört oder gar die Sonne wieder scheinen wird .
Aber Jörn Uhl kennt diesen Wind und diesen Regen .
Oft sind sie über die Felder der Uhl geflogen , während er , Furche auf , Furche ab , hinter dem Pfluge herging .
Er weiß , man muß pflügen , pflügen , auch bei dunklem Wetter , und man muß sich aufs Warten legen : die Sonne kommt von selber wieder .
Also sitzt er da , die Hand auf die Knie aufgestützt , und sieht auf die gleitenden Tropfen und in die mitreisende Nebelwelt , und denkt bald an die Wentorfer Jugend , bald an Fiete Krey , bald an den Lohgerber von Buffalo , bald an Wieten Penn , die mit weißem Haar und gebeugtem Rücken im Heeshof hinterm Ofen sitzt , und bald an die Thongruben des Kriegskameraden .
Da wird er nun zuerst Arbeit und Brot finden .
Zuletzt bleiben seine Gedanken bei Lisbeth Junker und bei seinem Jungen , der nun schon zwei Jahre lang bei ihr in ihrem Hause ist , an ihrem Tisch ißt und neben ihrem Bett schläft .
Aber als er daran lange gedacht hat , da steigt ein Schatten auf ; da sind seine Gedanken bei seiner Schwester Elsbe .
In Hamburg machte er sich eilig auf den Weg durch die halbe Stadt .
Oft mußte er sich die Richtung zeigen lassen .
Zuletzt erschien ihm die Gegend bekannt ; dazu geriet er in einen Haufen wandernder Schulkinder .
Und da war richtig das Ladenfenster der Tante : Schreib- und Schulbücher von Ellin Walter .
Er besann sich eine Weile ; es stürmten so viel Gedanken auf ihn .
Als er aber sah , daß einige kleine Kerle mit großer Beherztheit eindrangen , ging er mit ihnen .
Sie stand hinterm Ladentisch und stellte Schachteln weg , und sah nicht auf , und sagte in ihrer vornehmen Weise mit der lieben , hohen Stimme :
" Einen Augenblick Geduld , bitte . "
" Bitte , " sagte er , " bedienen Sie erst diese Herren ! "
Da ließ sie die Schachtel fallen und reichte ihm über den Tisch die Hand , und wurde rot und staunte und wunderte sich und sagte : " Der Kleine wird gleich aus der Schule kommen . . . Was willst du ?
Für zwanzig Pfennige Federn ?
Löschpapier ?
Hier .
Bezahlen kannst du morgen .
Ein Schreibbuch mit Linien ?
Mache nicht so viel Kleckse !
Jungen , ich habe heute keine Zeit , habe hohen Besuch .
Seht ' Mal : dieser große Mann hat mit mir gespielt , als er so groß war wie ihr . . .
So , Jürgen , nun sind wir allein .
Die Tante schläft schon zu Mittag . . . Stelle deinen Koffer hierher . . . du wirst hungrig sein .
Du . . . Jörn . . . mache es nicht so schlimm .
Ach , Jörn . . . Sei nicht so laut , Jörn . . . Ach , was redest du ! "
" Nun ist dir die Flechte losgegangen . "
" Und . . . o , Jörn !
. . . Elsbe hat geschrieben !
Jörn !
Elsbe hat nach dem Heeshof geschrieben .
Sie kommt von Amerika herüber .
Thieß ist schon hier ; er wohnt in seiner alten Stube und rennt nach jedem Schiffe , das von drüben kommt .
Laß mich los , Jörn !
. . . Ich höre seinen Schritt . . . Siehst du :
da ist unser kleiner Junge ! "
" Junge , Vater !
Da hätte ich beinahe einen Schreck gekriegt !
Du bist das ? "
" Ja , ich bin das ! " sagte Jörn Uhl , und kniete schon , und streichelte seinem Kinde das helle Haar , und sah ihm in die blanken Augen .
" Nein doch , Vater !
Was sagst du nun bloß dazu , daß ich hier in die Schule gehe !
Lisbeth hat mich einfach hingebracht !
Drin war ich !
. . . Bleibst du nun bei uns ? "
" Ja . . . immer . "
" Was ist dein Bart hell , Vater !
Ganz wie der Roggen , den wir zuletzt unter Ringelshören hatten .
Weißt du noch ?
. . . Vater , gehen wir nach der Uhl oder zu Thieß ?
Lisbeth sagt , zu Thieß . "
" Die Uhl gehört uns nicht mehr ; wir gehen erst ' Mal nach dem Heeshof .
Du , Lisbeth . . . sage es ihm . . . ich weiß nicht , wie ich es anfangen soll . . . "
Da kniete auch Lisbeth Junker vor dem kleinen Jungen und sagte mit lächelndem Munde :
" Du , Prinz , . . . weißt du ' was ?
Ich möchte wohl sehr gern mit euch beiden nach dem Heeshof ; aber ich will dir ' was sagen :
ich will bloß unter einer Bedingung mit euch gehen .
Ich mag es nicht gern haben , daß du » Lisbeth « zu mir sagst , ich mag lieber hören , wenn du » Mutter « sagst .
Und dein Vater . . . der soll » meine liebe Frau « zu mir sagen .
Wollt ihr das ?
Sonst will ich nicht mit euch gehen . "
Da machte der Kleine die Schelmenaugen , die er von Lena Tarn hatte , und sah seinen Vater an .
" Was meinst du , Vater ?
Wollen wir das ?
. . . Na , denn komme her ! "
Und er warf seine Arme um seine Mutter . * * * Fünfzig schwärzliche , staubige Schauerleute haben die Szene beobachtet und haben ihren Frauen zu Hause lachend davon erzählt .
Sie waren aus den Dampfbooten gestiegen und zogen die Quaistraße entlang , zu Mittag zu essen .
Jeder hatte sein Trinkgeschirr an der Seite , und jeder hatte es eilig .
Da kam ihnen , vom Kohlhöfenquai her , wo , wie jedermann weiß , die Torfschiffe von Burg und Kuten anlegen , ein kleiner Mann entgegen , welchen die meisten von ihnen seit Jahren schon von Zeit zu Zeit in den Hafenstraßen gesehen hatten .
Er trug einen Torfsack auf dem Rücken , und ging gebückt , und hatte ein schmales , braunes Gesicht und rasche , blinkernde Augen , die flogen und suchten wie Schwalben , die zwischen Bäumen im Garten fliegen , in dem Haufen von wandelnden Menschen .
Und plötzlich sahen sie einen .
Er nahm keine Rücksicht .
Er ließ den Sack seitwärts zur Erde gleiten und schrie laut und klagend : " Fiete !
Mein Fiete !
Fiete Krey !
Heh da !
. . .
Der Mann da !
Mit dem grauen Regenrock ! "
Es gab ein Aufsehen , Stillstehen , Leben und Lachen .
Viele wollten ihm helfen .
" Heh da , Fiete !
Fiete !
Fiete Krey , drehe dich 'mal um , du !
Du sollst dem Alten den Torfsack tragen . "
Da drehte der Mann , der den grauen Regenrock trug , sich um und sah erstaunt alle die lachenden Gesichter auf sich gerichtet .
" Seid ihr verrückt geworden , " sagte er , " oder bin ich es ? "
" Hierher , Fiete !
Sperre die Augen auf !
Der Alte da mit dem Torfsack ! "
Das Wort " Torfsack " fiel als eine geworfene Leine über Fiete Kreis Seele und fing sie .
Seine Augen irrten durch die Menge und sahen den kleinen Mann , der mit der einen Hand den Sack festhielt , an dem zwei Straßenjungen zogen und zerrten , und die andere sprachlos nach ihm ausreckte , als wollte er ihn greifen .
Die Sprache war dem Heesebauern vergangen .
Da lief Fiete Krey auf ihn zu .
Auch er nahm keine Rücksicht .
Nein , er nahm keine Rücksicht .
Er streichelte dem zitternden Alten die Wange und setzte ihm den Hut wieder auf , der auf der Straße lag , und schüttelte immerfort den Kopf : " Ach , du alter Thieß !
Daß du mich gerade sahst !
Kannst nicht gehen ?
Ist es dir in die Knie geschossen ?
Komme , setze dich auf den Sack ! " und kehrte sich um und sagte zu den Leuten , die im dichten Kreise um sie standen :
" Gentlemen , " sagte er , " dies ist Thieß Thiessen , Torfbauer achter der Heese ; und einem krumm und schief getrockneten Torfsoden sieht er in diesem Augenblick ähnlich .
Ich aber bin Fiete Krey , wie ihr schon wißt .
Ich habe , als ich ein Junge war , mit diesem Manne in Handelsbeziehung gestanden , indem ich ihm mit Hundefuhrwerk Bürstenwaren und Heidebesen , Bush and grase , vors Haus fuhr .
Aus diesen Besuchen entstand eine Freundschaft , die nicht gerostet ist , wie ihr seht , obgleich ich inzwischen fünfzehn Jahre drüben war .
Wenn diese Daten ihnen genügen , haben wir nichts dagegen , daß sie nunmehr zu ihren mittäglichen Kochtöpfen gehen . . . Geht_es jetzt , Thieß ?
. . . Geht_es noch nicht , Alter ?
. . .
So sitzen wir noch ein wenig .
Wir sammeln nicht , Leute !
Bleibt ruhig stehen und seht uns an . "
Er setzte sich auf das andere Ende des Torfsackes , und die Leute verliefen sich .
" Fiete , hast du sie mitgebracht ? "
" Es ist eine unglaubliche Eselei von mir , Thieß . "
" Sage ' es mir , mein Junge . "
" Ich sah sie an Bord meines Dampfers .
Plötzlich sah ich sie .
Sie fuhr Zwischendeck ; Kajüte wollte sie nicht . "
" Ist sie allein ? "
" Sie hat ein Mädchen bei sich , ein kleines Ding von sechs Jahren , ebenso klein und dunkel und mager und schüchtern wie sie . "
" Ach Gott , ach Gott . . .
Wo ist sie ?
Wo hast du sie ? "
Da schlug Fiete Krey mit der Faust auf den Torfsack und sagte : " Als wir landeten , hatte ich die Augen überall .
Überall hatte ich sie .
Das ist die verdammte Eigenschaft der Kreien .
Da habe ich sie aus dem Gesicht verloren .
Sie hat sich davon geschlichen . "
Thieß Thiessen sprang auf .
Er drückte die Knie durch , so gut es ging .
Ganz steil stand er .
" Wir wollen sie suchen . . . die ganze Nacht .
Die ganze Nacht .
Wir wollen in die Wirtschaften gehen und nach der Polizei .
Ein kleines Mädchen mit einem kleinen Kinde . "
Fiete Krey warf den Sack auf die Schulter und sagte kleinlaut :
" Es wird schwer halten , sie hier zu finden .
Sie hat mir versprochen , sie wollte mit mir nach dem Heeshof gehen .
Darauf müssen wir hoffen . "
Achtundzwanzigstes Kapitel Jörn und Lisbeth gingen am Waldrande entlang .
Sie waren in der Stadt gewesen , um eine Wohnung zu besehen und Möbel zu kaufen .
Am zweiten Weihnachtstage wollten sie auf dem Heeshofe stille Hochzeit feiern und am selben Tage noch nach der Stadt fahren .
Sie hielt sich so dicht an ihm , daß er sich in ihrem Kleide verfing , das in rüstigem Gehen zur Seite flog .
" Es fehlt nicht viel , " sagte er , " so stürze ich noch .
Der Schnee ist glatt genug dazu . "
Er zwang sie , langsamer zu gehen .
Sie lachte .
" Du , " sagte sie und drängte sich wieder dicht an ihn :
" Ich bin so glücklich . "
" Das ist natürlich , " sagte er .
" Wieso natürlich ? "
" Nun , " sagte er und sah sie schelmisch an :
" Es ist ja bald Weihnachtsabend .
Jedes Kind freut sich auf den Tannenbaum . "
" Ach , " sagte sie und schüttelte seinen Arm .
" Was meinst du , werden wir glücklich miteinander sein und es auch bleiben ? "
" Kein Zweifel ! " sagte er .
" Siehst du :
wir wissen beide , wen wir heiraten , daß es ein Heiliger nicht ist ; und wir haben die Absicht , jeden in seiner Haut und seiner Art zu lassen .
Daran gehen so viele Ehen in die Brüche , daß einer den anderen drängen und zwingen will , zu denken und zu tun wie er selbst .
Ich meine im Gegenteil , man muß den anderen in seinem Eigenen , wenn es nicht gar zu unklug ist , bestärken , damit man doch einen ganzen Menschen neben sich hat , einen runden , ganzen Menschen .
Was sagen sie ?
Eiche und Efeu ?
Tasse und Untertasse , was ?
Bett und Unterbett , nicht ?
Ach , die Dummheit !
Sondern sie sollen nebeneinander stehen wie ein Paar gleiche , gute Bäume .
Nur daß der Mann an der Windseite stehen soll .
Das ist alles . "
" Wie klug du darüber redest ! "
" Nun , ich habe es mit Lena Tarn versucht .
Die war ein Eisenkopf .
Ich auch .
Und es ging fein . "
Schweigend dachten sie an die Tote .
" Sie war damals wie für mich geschaffen , " sagte Jörn Uhl gedankenvoll .
" Jung war sie und frisch und immer unverzagt .
Eine Gelehrte war sie nicht .
Sie hatte keinen Sinn für Bücher .
Sie sah nicht einmal in die Zeitung .
Sie lachte und sagte :
Das Lesen hätte sie in der Schule ein für allemal abgemacht .
So ungefähr , wie man die Milchzähne ablegt .
Ein köstlich , drollig Menschenkind war sie .
Ich muß , wenn ich mir ihr Wesen und ihr Treiben wieder vorstelle , an Wieten Märchen denken .
Sie war wie aus der Erde heraus gewachsen , wie ein junger , schöner , starker Baum , der mit Wind und Sonne kluge Rede führt , ohne auf der Schulbank gesessen zu haben . "
" Wie war sie sonst ?
Ich meine , als Frau . "
" So . . . du meinst . . . Ja , wie ein Naturkind .
Es kam eine Zeit , da schrie sie nach Liebe , und es kam eine andere , da verachtete sie dergleichen . "
Sie faßte nach seinem Arm und sagte , die Augen am Boden :
" Ich bin zuweilen traurig , daß du so verständig mit mir bist .
Einmal , vor zwei Jahren , als wir den Kriegskameraden besuchten , warst du anders .
Du hast mich doch auch so lieb , wie Lena Tarn ? "
Er legte den Arm fest um sie und nahm sie an sich , daß sie ihm an der Brust stand und sie sich nicht rühren konnte , und sah sie so an , daß sie ihr Gesicht an seiner Schulter verbarg .
" Gehe nach Haus , " sagte er , " daß du nicht kalt wirst .
Ich will noch rasch ins Dorf hinauf gehen . "
" Du willst nach Elsbe aussehen .
Ach Gott , wenn sie doch käme !
Ich gehe mit dir . "
Als sie auf die Anhöhe kamen , von wo man die Straße weit hinunter sieht , die von Hamburg über Itzehoe in die Einsamkeit der Heese führt , stand Fiete Krey da - sah auch in die Weite .
Sie fanden aber nichts und gingen heim. * * * Sie saßen bedrückt bei einander und sagten nicht viel .
Wieten strickte an einem Paar Kinderstrümpfen und stellte an jedem Abend weiche , warme Filzpantoffeln hinter den Ofen .
Thieß hing den großen , messingnen Bettwärmer an den Haken neben der Tür .
Und keiner fragte , für wen diese Dinge bereit gehalten würden .
An einem Abend unterbrach Lisbeth das Schweigen :
" Fiete , erzähle uns , wie ist deine Frau gestorben ? "
Fiete Krey fuhr aus Träumen auf und sah von einem zum anderen .
Als er auch Wieten graue Augen auf sich gerichtet sah , sagte er :
" Ich habe mich gewundert , daß ihr noch nicht danach gefragt habt .
Wenn ihr es wissen wollt , - und ich glaube wohl , daß es ganz gut paßt zu unserem Warten , - so will ich euch erzählen , warum und woran Trina Kühl , die Jungdeern auf der Uhl war , gestorben ist .
" Wie ich sie verlor ?
Ich habe sie ebenso verloren , wie ich einmal als Junge einen ganzen Packen Zeugkneifer verlor .
Ich sah einen Junghasen am Waldrande , und vergaß das Fuhrwerk und die Waren , und sprang dem Tiere nach in den Wald hinein .
Da kam der Lump vorbei , der Dieter Krey von Süderdonn .
Du kennst ihn , Thieß :
er schielt etwas . "
" Ja , " sagte Thieß , " er schielte .
Er schielte stark , Fiete .
Das kannst du ruhig behaupten .
Er suchte mit dem rechten Auge Sterne und mit dem linken Regenwürmer .
Er hatte keinen guten Blick , Fiete . "
" Na , der kommt vorüber und nimmt mir den Packen vom Wagen und fährt davon .
So habe ich mehrmals das Beste verloren , was ich hatte , weil mir plötzlich etwas anderes in den Sinn kam und mir den Kopf heiß machte .
Ich lief dem nach und verlor das Erste .
Ich bin nicht wie Thieß , der den Torfsack festhält und fünfzig Leute zur Hilfe aufruft .
" Wir hatten einige Jahre miteinander gelebt , kinderlos , Trina Kühl und ich .
Da kam ein Brief von Jasper Krey aus Wentorf , daß seine Trine-Tante gestorben wäre und er nun endlich erben würde .
Da ließ ich Frau und Farm in Stich und kam herüber , um mir ein- oder zweitausend Mark Geld zu holen .
Ich fürchtete , Jasper Krey würde mir das Geld nicht schicken , sondern es hindurchbringen wie sein erstes Erbe .
" Sie war auf der einsamen Farm zurückgeblieben ; ich hatte aber sie und die Farm der Obhut eines jungen Deutschen , eines Schlesiers , übergeben , der die Nachbarfarm besaß .
Er war der Sohn eines Arztes , hatte studieren sollen , hatte aber unruhiges Blut gehabt , von seiner Mutter her .
Diese ist nämlich die Tochter eines deutschen Forschungsreisenden gewesen , und hat , als die Mutter sie noch unterm Herzen trug , viele hundert Meilen mit ihren Eltern durch Indien und Australien wandern müssen .
Davon ist es gekommen , daß sie nachher im Leben keine Ruhe gehabt hat .
Als sie in Schlesien die Frau des Arztes geworden ist , hat sie wochenlange , weite Fußwege gemacht , im Sommer und im Winter , von innerer Unruhe von Dorf zu Dorf getrieben .
Diese unruhige Wanderlust ist , wenn auch gemildert , auf alle ihre Kinder übergegangen :
sie sind , kaum flügge , der Reihe nach aus dem Hause in fremde Länder gegangen .
Eines von diesen Kindern war also nach Amerika gekommen und war unser Nachbar .
Er war ein gerader und kluger Mensch .
Seine Klugheit war uns , den Einsamen , unterhaltend und nützlich ; seine Geradheit machte , daß wir ihn lieb gewannen .
" Wir kamen abends oft zusammen .
Dann spielten wir zuerst ein wenig Karten .
Das wurde mir aber bald langweilig , und ich las die englischen Zeitungen , die er mitbrachte :
ich wollte ja die Sprache des Landes kennen , ich wollte ja reich werden in dem Lande .
Ich bin bitter arm geworden .
" Während ich las und dann und wann nach der Bedeutung eines Wortes fragte , freute ich mich , daß die beiden so einträchtig miteinander spielten oder sich freundlich unterhielten , wobei Trina Kühl die plattdeutschen Brocken ins Englische warf , wie Rübenschnitzel in Bohnenschrot .
Mir war das alles lieb , und ich freute mich darüber ; denn erstmal lernte ich durch den Umgang mit dem Nachbarn viel .
Er hatte so eine besondere Fähigkeit , sich in die Art eines Landes hinein zu finden ; er war in einem halben Jahre heimischer als mancher in zwanzig .
Dann auch war es mir lieb , daß er sie unterhielt ; denn sie hatte sich schon früher oft über mich beklagt :
» Du bist so langweilig .
Erzähle doch etwas ! «
Und wenn ich etwas erzählte , hatte sie kein Interesse daran und sagte : » Du kannst nicht erzählen . «
Endlich aber gefiel mir , daß sie besonders zärtlich mit mir war , wenn er abends bei uns gewesen war .
Sie hatte sonst leicht etwas Gleichgültiges und zuweilen fast etwas Widerwilliges gegen mich gehabt , so daß ich wohl halb scherzend , halb im Ernst gesagt hatte :
» Ich glaube , du hast mich nicht recht lieb . «
Das war nun besser geworden .
" Nun , als ich also den Brief von Jasper Krey bekam und abreise , da haben die beiden denn also in der Wildnis allein gehaust .
Sechs Meilen weit kein Mensch als sie beide und ein alter , tauber Mann , den ich angestellt hatte , nach dem Vieh zu sehen .
Und allmählich , bald , da ist es so weit gewesen , da haben sie sich guten Morgen gewünscht , indem sie einen weißen Stock gegen das dunkle Hausdach gestellt haben :
So ruft man ja in Deutschland die Arbeiter vom Felde heim zum Essen .
Bald haben sie gemeint , es wäre töricht , daß sie jeder für sich äßen .
Da ist sie am Vormittag zu ihm hinüber gegangen und hat ihm das Essen bereitet ; und sie haben zusammen gegessen , und gleich nach dem Essen ist sie davon gelaufen .
Bald ist er an jedem Abend zu ihr gekommen , und sie haben miteinander Karten gespielt .
Bald haben sie nicht mehr Karten gespielt , sondern haben sich gegenüber gesessen und haben Handgreifen gespielt , und er hat ihre Hand , wenn er sie gefangen hat , so festgehalten , als hätte er ein wildes Schwert in der Hand ; sie aber hat seine Hand , wenn sie die fing , wie glühendes Eisen wieder fahren lassen .
Bald haben sie mit Jubel und Angst gesehen , daß sie nicht voneinander bleiben konnten .
" Da haben sie meinen Brief bekommen , daß ich mit nach Frankreich in den Krieg müßte .
Da haben sie in den Zeitungen geforscht , ob der Krieg wohl bald zu Ende wäre , und haben sich mit dem deutschen Komitee in Neu York in Verbindung gesetzt , ob der Name von dem Sechssundachtziger Johann Friedrich Krey , derselbe , der hier vor euch sitzt , in den Totenlisten gestanden hätte .
Und sie haben jeder am anderen wohl gemerkt , daß sie wünschten :
» Wenn er doch nicht wiederkäme . «
Da ist immer_mehr aus Lust Leid geworden .
Da haben sie sich klar darüber ausgesprochen :
» Wir haben uns lieb .
Was fangen wir an ? «
" Sie haben beschlossen , sich voneinander los zu reißen .
Er ist zu einem Freunde gereist , welcher am Michigansee Vögel und Fische fing , und hat dort bleiben wollen , bis ich wieder gekommen wäre .
Aber der Krieg zog sich in die Länge .
Er hat sie immer deutlicher gesehen , wie sie mit einem stillen Gesicht am Fenster stand und in die Weite sah .
Dann wieder hat er fest geglaubt , sie wäre in diesem Augenblick in großer Gefahr und riefe laut nach ihm .
Da hat er seinen Freund verlassen und ist in der Nacht bei ihrem Hause angekommen und hat still vor der Türe gesessen , bis die Morgenröte aufgekommen ist .
" Und da , mit den ersten Sonnenstrahlen , ist sie , die er in ihrem eigenen Hause glaubte , von seinem Hause her übers Feld gekommen .
Als sie ihn da auf der Schwelle hat sitzen sehen , hat sie sich an die Stirn gegriffen und hat ihm gestanden , sie hätte in seinem Hause geschlafen , unter seinen Wolldecken .
Da sind sie denn zusammen ins Haus gegangen und haben den Beschluß gefaßt , die Sünde zu bekämpfen , so lange sie noch könnten , dann aber zu sündigen ; und dann , wenn ich , Fiete Krey , wieder käme , die Sünde bar zu bezahlen nach dem harten Wort :
» Der Tod ist der Sünde Sold . «
" Nachdem sie diesen Beschluß gefaßt haben , sind sie etwas ruhiger geworden .
Der Gedanke : Wir können es tun , und wir können es lassen , der Gedanke , frei zu sein , Selbstherren ihres Schicksals , hat sie stolz gemacht .
Sie haben sich angelacht und sich zugenickt , und sind abends mit dem Wort auseinander gegangen :
» Morgen , wenn wir wollen !
Morgen ! «
So haben sie vier Wochen lang ihr heißes Wollen unter die Füße getreten .
" Da kam ich von Deutschland zurück ; es traf sich , daß ein Farmerssohn , der gut beritten war , mir zuvor kam , und ihr die Nachricht brachte , daß ich in gut einer Stunde kommen würde .
Du haben die beiden kurze und heiße Beratung gehabt :
» Was tun wir ?
Ein einziges Mal ? «
Und so lange ein Vogel auspfeift , haben sie gesagt :
» Dies eine Mal . «
" Aber plötzlich ist ihnen klar geworden :
» Dazu haben wir so lange und so tapfer gegen das Böse gekämpft , weil wir siegen sollten .
Komme !
Zu Pferde !
Wir wollen ihm entgegengehen und ihm heute abend noch alles sagen . «
" So kamen sie mir entgegen .
Und am Abend , nachdem ich selbst auserzählt hatte , und ich ihn nach seinem Hause begleitete , da sagte er mir von ihrer Liebe , ihrem Kampf und Sieg .
Ich sagte nicht viel dazu .
Als ich ihn aber verlassen hatte , und er weit genug von mir weg war , daß er mich nicht hören konnte :
da lachte ich laut .
Und ich kam zu ihr hinein und lachte .
Wir legten uns schlafen , und sie war zutraulich , und ich hatte eine gute Nacht und dachte und lachte :
Gut ist es , Fiete Krey , daß es so gekommen ist .
Die Gleichgültigkeit , die Schläfrigkeit ist vorüber .
Ein feines Weib hast du jetzt .
Sie ist jetzt wach geworden .
Du mußt deinem Nachbar dankbar sein .
" Thieß , wie war ich dumm !
Ach , du verstehst nichts davon !
Lisbeth !
Ich , Fiete Krey , einer von den klugen Kreien , war dümmer als dumm .
Eines Tages , da sie in meinem Arme hing , und sie mich wieder einmal heiß küßte , fast wie von Sinnen , da fragte ich sie , warum sie die Augen so fest geschlossen hätte :
da antwortete sie mir , daß sie bei all ihren Liebkosungen immer an den anderen dächte und mit all ihrer Leidenschaft bei dem anderen wäre .
Ich möchte böse sein oder nicht , sie könne nicht anders .
Es wäre ihr trostloses Schicksal .
" Da wurde mir klar , daß es schlimm mit uns beiden stand .
Ich habe die ganze Lage ruhig mit ihr besprochen .
Ich fragte sie , ob sie mich damals lieb gehabt hätte , als sie meine Frau geworden wäre .
Da antwortete sie :
sie wäre damals siebzehn oder achtzehn Jahre alt gewesen , ein junges , unerfahrenes Ding , das weder sich selbst noch das Leben gekannt hätte .
Was wisse solch junges Ding , halb Kind noch an Seele und Geist , von dem , was ihm wert und unwert sein würde , wenn es einst Herrin seiner ganzen Kräfte wäre , wenn es einst fünfundzwanzig wäre ?
Sie sagte , sie wäre überzeugt , das , was ihr widerfahren , das erlebten die meisten , die so jung geheiratet hätten wie sie ; es käme für die meisten die Zeit , da sie wahrlich klar in die Welt sähen und das Leben erkennten , und dann würde es ihnen klar : der und der wäre das Glück und die Wonne deines Lebens gewesen und nicht der , an dessen Seite du geschmiedet wurdest , als du noch von nichts wußtest .
" Da fragte ich sie :
» Kann nun dies nicht anders werden ?
Wirst du ihn lieb behalten , so daß alle Gedanken und aller Wille auf ihn gerichtet sind ? «
Da sagte sie :
» Bis ich tot bin .
Ich bin für ihn geschaffen , und er für mich .
Darum sind wir hier von Gott zusammengeführt .
Für dich ist wahrscheinlich auch eine da ; die hast du nur noch nicht gefunden . «
Da fragte ich sie :
» Wenn ich stürbe , das wäre dir recht ? «
Da sagte sie :
» Ja . «
Da fragte ich :
» Hast du denn gar kein Gefühl für mich ?
Ich bin doch immer treu und freundlich zu dir gewesen .
Du bist mit mir aus der Heimat gelaufen in dies fremde Land , und nun wolltest du mich gern los sein ? «
Da fing sie bitterlich an zu weinen .
Ich aber ging hinaus .
Es graute mir .
Ich dachte :
Das ist keine Ehe mehr , und es war mir klar , daß ich ein Ende machen müsse .
Es bäumte sich zwar mein Stolz auf .
» Das , « dachte ich , » für deine Mühe , deine Treue , deine Liebe . «
Aber ich mußte sie doch von aller Schuld freisprechen .
Es war ein Schicksal über sie gekommen und damit über mich , das stärker war als wir beiden armen Menschen .
" Also , ich will es kurz sagen :
ich bis die Zähne zusammen , ich strich ihr den Halfter ab und ließ sie zu einer deutschen Familie gehen , damit sie dort ihren Aufenthalt hätte , bis unsere Ehe geschieden wäre .
Dort hat sie aber nur drei Monate gelebt .
Dann ist sie ins Wasser gegangen .
Eine alte Holsteinerin , aus der Gegend von Nortorf , ist dort ihre Vertraute gewesen .
Täglich hat sie von uns beiden gesprochen , hat sich angeklagt und hat sich freigesprochen und ist wieder von vorne angefangen .
Von dem anderen hat sie gesagt :
» Wir gehören zusammen .
Mein Herz ist Tag und Nacht bei ihm . «
Von mir hat sie gesagt :
» Er ist immer gut mit mir gewesen .
Immer sehe ich ihn mit seinem stillen Gesicht allein durch sein ödes Haus gehen . «
Dann hat sie geschrien :
» Gott hilf mir aus der Not !
Was soll ich tun ? «
Zuletzt hat sich ihr Verstand verwirrt , der also nach zwei Seiten hin und her gerissen wurde .
" Ich bekam die Nachricht , und wir beide ritten hinüber .
Es war ein stiller Ritt , einen Tag und eine Nacht .
Der Sarg war geschlossen ; wir haben sie nicht gesehen .
Es war ein Sarg aus vier guten , weißen Bohlen von einer Weißfichte , nicht ganz dicht ; sie hatten auf der Hofstelle vier Tage lang daran gesägt .
In der Ecke eines Weizenfeldes haben wir sie begraben : einen Kirchhof hatten sie da noch nicht .
" Das ist die Geschichte von Trina Kühl .
Sie war Jungdeern auf der Uhl .
Du weißt doch noch , Wieten , wie sie aussah ?
Ihr habt sie alle gekannt .
Du auch , Lisbeth ?
" Und das ist das Merkwürdige , " sagte Fiete Krey und sah mit krauser Stirn vor sich auf den Tisch , " daß die beiden edelsten Dinge , die es auf der ganzen Welt gibt , diese beiden stolzen und edlen Königinnen , nämlich Treue und Liebe , sich zankten , und sich vor Wut ins Gesicht spuckten und aufeinander losschlugen , und zerrissen mir dabei meinen schönen Schmetterling , der gerade zwischen ihnen vorüber flog . . . Und was soll man über die christliche Ehe denken ?
Der Pastor sagte bei der Trauung :
» Was Gott zusammengefügt hat , das soll der Mensch nicht scheiden . «
Und so meinten wir beide auch .
Mit reinerem Willen sind nie zwei Menschen vor den Altar getreten .
Wir waren wie die Kinder .
Wie traurig steht es um die Menschen , wenn selbst das Gute in uns gegeneinander aufsteht und die Zähne fletscht .
" Ich habe später einmal einem deutschen Pastor , einem feinen und klugen Mann , die ganze Geschichte erzählt - ich wohnte da schon in Chicago - und habe ihn gefragt , was er dazu sagen könnte .
Er gestand als ein ehrlicher Mann , daß wir dies nicht wissen könnten ; wir täten aber gut , zu trauen , daß Gott sich in einer bitteren Notwendigkeit befunden habe und gezwungen dies Unheil habe geschehen lassen müssen .
Wir müßten trauen , daß freundlich und zweckvoll wäre , was jetzt als grausiges Rätsel erscheine .
So sagte er .
Und mir hat das ruhige Wort geholfen , daß ich mich darein ergab und nicht weiter grübelte .
Er war ein verständiger , guter Mann .
Er redete nicht , wie viele andere Prediger tun , welche jeden Katzenweg kennen , den die Engel gehen , wenn sie mit Aufträgen Gottes über die Erde schleichen , und welche reden , als wären sie dabei gewesen , als »dich die Morgensterne lobten « . " Johann Friedrich Krey von Wentorf schwieg und sah wieder sinnend vor sich hin .
Thieß hatte sich vom Ofen abgewendet , saß mit vorgebeugter Brust , und sah ihn an , und sah jetzt in dem Gesicht seines alten Freundes die Schrift , welche das Leben da hinein gegraben hatte , seit er damals vor fünfzehn Jahren im Mondschein neben dem Wagen stand , bei den drei Eichen , um in die Welt zu gehen ; und neben ihm stand das schmucke , hagere Mädchen .
Um das zu erleben , mußten sie in die Welt hinaus .
Wieten Clog saß gebückt hinterm Ofen im Halbdunkel , hatte das Strickzeug fallen lassen und sah mit sinnenden Augen vor sich auf die Erde .
Sie sah die kleine , hellhaarige Deern mit dem zierlichen , reinen Kindergesicht neben sich in der Küche der Uhl stehen und dachte an ihr sonderbares Ende .
Und zu vielen anderen Erinnerungen ihres Lebens legte sie mit feierlichem Gesicht diese , wie man einen weißgekleideten Toten in den Sarg legt .
Sie war noch stiller geworden in den letzten Jahren .
Wenn Thieß zu ihr sagte : " Lies ' Mal ein wenig , Wieten , " dann antwortete sie wohl : " Ich habe so viel erfahren , was soll ich wohl noch lesen oder hören ? "
Wenn Thieß sagte : " Erzähle ' ein wenig , Wieten , " dann sagte sie :
" Es kommt nichts dabei heraus ; wir Menschen können es doch nicht ändern . "
Sie saß und sann , hob den Kopf nach dem Fenster und ging hinaus .
Die drinnen hörten das leise Tappen ihrer Füße im frischen , harten Schnee .
Sie wußten : nun geht sie ums Haus und sieht , soweit der Sternenschein geht , ob das Kind kommt .
Aber keiner sagte ein Wort und keiner hob den Kopf , als sie wieder hereinkam und sich müde am Ofen niedersetzte .
Bald danach gingen sie alle zur Ruhe .
Thieß und Jörn gingen in das Zimmer , in dem sie gemeinschaftlich schliefen .
" Mit der Schlafsucht ist es vorbei , Jörn , " sagte der Alte .
" Als ich die Sechzig erreicht hatte , war sie verschwunden .
Jetzt stellt sich sogar Schlaflosigkeit ein .
Lege dich hin , mein Junge ; ich will noch ein wenig hin und her gehen . "
Thieß Thiessen hat mit zunehmendem Alter mehr und mehr an Schlaflosigkeit gelitten , so sehr , daß ihm schon das Stillliegen unmöglich war .
Er hat als ein Siebzigjähriger manche halbe Nacht so zwischen Bett und Fenster hin und her gewandert , wobei er am Fenster immer eine Weile Halt machte und in die Nacht hinaussah .
In diesen drei Wochen vor Weihnachten hat dies abendliche Wandern und Am-Fenster-stehen seinen Anfang genommen .
" Ob sie kommt , Jörn ?
Kommt sie zu Weihnacht nicht , dann kommt sie nie . "
" Und wenn sie kommt ?! "
Nach einer Weile sagte Thieß :
" Darüber will ich mir keine Sorge machen ; wenn sie nur kommt . . . Hörst du ?
Es kommt Ostwind auf !
Wenn sie nun unterwegs ist : das arme , arme Ding . "
Jörn Uhl stand am anderen Fenster und sagte : " Früher , als ich noch sehr jung war , da meinte ich , es könnten einem nur zwei Dinge gegenüber treten , nämlich solche , die sich biegen lassen und solche , die sich brechen lassen .
Nachher , in den traurigen Jahren , habe ich gemerkt , daß es noch eine dritte Sorte von Dingen gibt .
Die stehen einen Augenblick oder auch jahrelang vor einem als ein wildes , schwarzes , überstarkes Ungeheuer , das seine fürchterliche Tatze mit den toten , weißen Krallen gehoben hat .
Was soll man nun dagegen tun ?
Beiseite biegen , schmeicheln , lügen ?
Hat keinen Sinn .
Da steht es , dicht vor dir !
Und es ist irre , Thieß !
Es hat keinen Verstand ; es ist ein grausig , wüstes Wesen .
Darauf los hauen ?
Hat keinen Sinn ; es ist viel stärker als du .
Also . . . was bleibt gegenüber solchem Ungeheuer , solchem übergroßen Schicksal , noch übrig ?
Nur eins .
Man muß zu ihm sagen :
Ob du mich sterben oder leben läßt , ob du mich und was ich lieb habe , frißt oder nicht , ob du durch dein ewiges Drohen und den Anblick deiner Tatze mir den Verstand verwirrst oder nicht , ganz wie es dir paßt ; aber das sage ich dir : beides geschieht im Namen Gottes , von dem ich fest traue , daß seine Sache - das ist das Gute - in mir und überall siegen wird .
Siehst du , Thieß : so stehe ich auch zu Elsbes Sache . "
Der Alte ging wieder hin und her , und trat ans Fenster , und sah lange hinaus .
" Jörn , " sagte er leise , " glaubst du ganz gewiß , daß alles , was so geschieht , auch all das Traurige , was du und ich erlebt haben , all das , was Wieten Penn in ihrer Jugend erlebt hat , und was Fiete Krey mit Trina Kühl durchgemacht , und der Greuel , den sie da auf der Uhl angerichtet , und das Elend meiner Schwester : glaubst du , daß das alles einen guten Zweck hat , ich meine , daß da Sinn darin liegt ? "
" Thieß , " sagte Jörn . . . " wenn man das nicht glaubt , woher soll dann ein ernster , nachdenklicher Mensch den Mut zum Leben nehmen ?
Sieh , man kann deutlich erkennen , daß alles , was geschaffen ist , unter Mühe und Not gestellt ist ; es wühlt in der ganzen Schöpfung auf und nieder wie in brodelndem Wasser .
Aber man kann wohl merken , daß ein Sinn in dem Mühen und Wühlen ist .
Das Böse sinkt widerwillig , und das Gute ringt und strebt mühsam nach oben .
Eine geheimnisvolle Kraft ist immerzu tätig , und stößt und schiebt , und will Ordnung schaffen , wie die Hand des Schäfers und seine Hunde .
Und wohl dem Menschen , der des Hirten leisen Ruf durch den Sturm hin hört und dem Herrgott hilft bei seiner mühseligen Arbeit . "
" Horch ! " sagte Thieß .
" Hörst du ? "
" Es ist der Frost , der in der Esche sitzt . " * * * Sie warteten , und sie kam nicht .
Und sie hatten alle das Gefühl , daß sie unterwegs war .
Ihre heimathungrige Seele streckte die Arme aus und griff nach den Seelen derer , welche sie in der Heimat lieb hatte .
Ihre Seele ging schon im Heeshof alle die alten Wege und machte sich denen bemerkbar , die im Hause wohnten .
Thieß Thiessen ging heimlicherweise auf den Kornboden , und stand dort lange in der bitteren Kälte , und sah durch die Fenster weithin nach Südosten .
Die alte Wieten fuhr auf in der Nacht :
" Sie steht im Schnee und kann nicht weiter . "
Jörn Uhl stand in Gedanken und fuhr zusammen , wenn Lisbeth ihn anredete .
Fiete Krey war wieder unterwegs und fragte auf der Landstraße nach einer jungen Frau , klein und blaß , mit dickem , dunklem Haar und mit einem kleinen Mädchen an der Hand .
Aber er kam vergeblich wieder .
Da mußten sie wohl Weihnachten feiern ohne Freude .
Lösche das Licht deiner Augen , Lisbeth Junker !
Strecke die Hand nicht aus nach deiner schönen Braut , Jörn Uhl !
Thieß Thiessen und Fiete Krey , ihr Freunde gemütlicher Rede :
Hütet euch , daß ihr nicht lebhaft werdet !
Es kam ein kalter Nebel und zog mit einem trägen Winde dünne , graue Tücher über das ganze Land .
Die Sonne stand wie ein weißlich-trüber Fleck , so groß wie ein Haus , am Himmel .
Und im Vorbeiziehen ließ der Nebel in jedem Baum und an jeder Hecke , an der er vorüber ging , von seinem losen Gewebe hängen : da lag das ganze Land im Rauhreif .
Da wurde es noch stiller .
Die vielen tausend Stimmen , das Leben , Regen und Rufen , das sonst die Luft auch dieser Einsamkeit erfüllt , hielt an sich .
Die Vögel hielten sich lautlos in der Nähe der Häuser ; die Krähen flogen stumm zu ihrer Nachtherberge .
So sehr bangte und verwunderte sich die Natur .
Die Menschen , die sonst auf das beständige Rauschen , das durch die ganze Natur geht , nicht achten , verwunderten sich jetzt , da es verstummt war .
Wenn zwei zusammen des Weges gingen , standen sie still , sahen sich an , blieben stehen , hoben die Finger und sagten leise : " Höre ' doch ! "
Die Tannen am Waldrande standen gerade und schlank , vom Scheitel bis zu den Füßen in Silberbrokat , Bräute , bereit zur Hochzeit , und hinter ihnen in fallenden , weißen Schleiern die dichte Schar der Jungfrauen .
Halb schön erschien ihnen der Zauber , halb schaurig , und sie sahen jeder erstaunt auf seine Nachbarn , so lange das geringe Tageslicht da war .
Als es aber Abend wurde , da wandelte sich die ganze seltsame Herrlichkeit .
Da sahen sie einer den anderen im Totenhemd ; das war mit vielen weißen Spitzen kalt und steif besetzt .
Da nahm das Grauen überhand .
Das Dorf lag glänzend und neu , als wäre es zu diesem Weihnachtsfest als ein sauberes Spielzeug wie in eine neue Schachtel in dies weiche , weiße Tal gelegt .
Als kämen bald Riesen aus dem Walde vom Meere her und setzten sich rund umher auf die Hügel und fingen an , mit den weißen Häusern und den schmucken , weißen Bäumen zu spielen , und setzten die Häuser durcheinander und stellten die Menschen hin und her , und stellten zwei zusammen , und stellten dann Kinder daneben und ließen sie alt werden , und brächten sie nach dem Kirchhof und grüben ein kleines Loch im weißen Schnee .
Und dieses Spiel der Riesen dauerte schon tausend Jahre , und die Menschen im Dorf merkten es nicht .
Man glaubt es ja jetzt nicht mehr , weil man es nicht mehr sieht .
Man sieht es nicht mehr , weil man es nicht mehr glaubt .
Wunderbare Dinge sind aber nicht aus der Welt geschafft , wenn die Menschen die Augen zukneifen und sagen : " Ich sehe nichts , " oder die Augen aufreißen und sagen : " Ich sehe alles . "
Es soll ja damals in Bethlehem ein Engel gewesen sein , der war flink und vorlaut .
Er sprach einen Prolog , der nicht vorgesehen war , und verwirrte das ganze Programm , wie die Erzählung deutlich zeigt .
Die anderen , die nachkamen , waren mehr aristokratisch , mehr rein himmlisch , mehr von der Sorte :
da freien sie nicht und lassen sich nicht freien .
Die Geister , die unter und über uns wohnen , sind verschwiegene Leute .
Wer weiß etwas ?
. . . Das ist die gemeinsame Sünde der Jünger Darwins und der Jünger Luthers , daß sie zu viel wissen .
Sie sind dabei gewesen , die einen , als die Urzelle Hochzeit machte , die anderen , als Gott in den Knien lag und wehmütig lächelnd die Menschenseele schuf .
Wir aber sind Anhänger jenes armen , staunenden Nichtschweissers , welcher das Wort gesagt hat :
" Daß wir nichts wissen können , das will uns schier das Herz verbrennen . "
Wir staunen und verehren demütig neugierig .
Wir erzählen , was wir gesehen haben und was uns erzählt ist , und machen nicht einmal den Versuch , das Gesehene und Gehörte zu deuten .
Wunderbare Dinge sind geschehen an diesem Weihnachtsabend , da Gefahr vorhanden war , daß die abgehärmte Frau des stolzen Harro Heinsen , der in dieser Stunde irgendwo in einer Straße Chicagos betrunken an einer Hauswand lehnte , noch kurz vor der Heimat , am Rande des Heeswaldes , die Heimat verfehlte .
Sie war an der Heimat schon vorbeigefahren , wollte den Heeshof und die darin wohnten , nicht wiedersehen , und hatte oben in Schleswig ein Unterkommen gesucht und hatte dort die letzte Enttäuschung erlebt .
Da war der Rest des Lebensmutes dahin .
Sie wanderte mit ihrem Kinde nach Süden zu , kam bei Friedrichstadt über die Eider , wanderte endlose , kahle Chausseen entlang , ging mit dem Kinde an der Hand durch verschneite Dörfer , nicht in der Absicht , die Heimat zu erreichen , sondern getrieben , geschoben , in dumpfen Träumen .
Das Bild des Heeshofes und der Menschen , die darin wohnten , stand immer vor ihren müden , halbgeschlossenen Augen :
da mußte sie hinter dem Bilde herwandern .
Es kam die Dämmerung , und die Abendnebel zogen in schweren , losen Massen und bauten weiter an dem Wunder der weißen , toten Welt .
Einzelne Sterne schossen auf wie im Zorn und durchdrangen den Nebel :
da breitete sich kaltes , bläuliches Licht übers Feld .
" Wie weit ist es noch , Mutter ? "
" Nicht weit mehr , Kind . "
" Wollen wir uns hierher setzen ?
Mir tun die Füße so weh . "
" Nein , das geht nicht .
Siehst du das Licht ?
Dahin wollen wir . "
" Wohnen da gute Leute ? "
" Ja . . . da wohnen gute Leute . . . Ich kann nicht .
Ich kann nicht zu ihnen gehen .
Wo soll ich hin mit dem Kinde ? "
Da kam ein Mann vorüber und sagte im Gehen : " Wohin noch , kleine Frau ? "
" Ich . . . ich will noch weit . "
Er trat näher heran .
" O , " sagte er , " du bist die Tochter von Grete Thiessen und die Schwester von Jörn Uhl .
Die werden sich freuen , daß du kommst :
sie haben überall nach dir gesucht . "
Sie sagte nichts .
Sie dachte : " Ich komme wohl noch von ihm ab , " und ging so mit ihm .
" Nun komme , " sagte der Mann , " hier geht ein Richtweg .
Kennst du nicht den Weg über den Odelkrug ?
Den bist du gewiß oft genug gegangen , als du noch ein Kind warst . "
Sie gingen mühsam und langsam neben ihm her .
" Das Kind ist müde , " sagte er .
" Komme her , Kleine .
So !
Sei nicht bange ; ich will dich tragen .
Ei , wird der Jörn Uhl sich freuen !
Und Thieß verliert heute abend noch dreimal seine ledernen Pantoffeln .
Und die anderen !
Denen bringe ich Weihnachten ins Haus . "
Er trug das Kind , wobei er immer schwerer atmete .
Am Querweg setzte er es hin und sagte : " Nun hast du keine Viertelstunde mehr .
Siehst du ?
Sie haben Licht auf der Diele und in beiden Stuben . "
Er ging von ihr weg dem Dorfe zu .
Sie hatte ihn nicht erkannt , hat ihn auch nachher nicht wieder gesehen , obgleich sie bis auf diesen Tag auf dem Heeshof wohnt .
Aber vergessen hat sie ihn nicht .
Wenn das kleine , müde Mädchen Kinder haben wird , wird sie diesen ihren Kindern von dem langen , schwächlichen Mann erzählen , der sie über den Odelkrug getragen hat .
So arbeitet und wühlt Gutes und Böses unter , an und in den Menschen , und kommt wie ein bunter , lauter Volkshaufe vor Gottes Thron und schreit ihn an .
Er wird Ordnung in dem Wirrwarr schaffen .
Der Abend war da .
Kinder kamen nach alter Gewohnheit vom Dorfe her nach dem Heeshof , und rührten mit Stöcken in aufgeblähten Schweinsblasen , und sangen zu dem eintönigen Geräusch und bekamen Nüsse , Äpfel und Kuchen ; und dreimal stieg Thieß Thiessen nach dem Boden hinauf und schnitt von dem Speck ab , der unter dem schrägen Hausdach hing .
Und Lisbeth Junker schickte die anderen hinaus und zündete den Weihnachtsbaum an , den Fiete Krey aus der Heese geholt hatte , und dachte traurig bei sich :
" Es ist nur wegen des Kleinen .
Wir Großen werden an Elsbe denken und werden uns nicht freuen können . "
Als sie aber die neuen Schulbücher für den Kleinen unter den Baum legte , und das Bilderbuch und die ersten Schlittschuhe darunter versteckte , wurde sie ein wenig froh .
Und kam in Eifer , und holte die Wäschestücke , die sie für den langen Jörn Uhl genäht hatte ; dazu zwei wertvolle Bücher , von der Tante zu diesem Zweck gestiftet .
Ein junger Hilfslehrer der Mathematik hatte ihr die Bücher empfohlen .
Er war häufig in den Laden gekommen , und sie hatte ihn schon in Verdacht gehabt , daß er käme , um ein Abenteuer zu haben .
Es stellte sich aber heraus , daß er eine stille , zutrauliche Natur war , die eine fühlende Seele suchte , mit der er von dem Liebesglück reden konnte , das er in einer blonden , holsteinischen Bauerntochter gefunden hatte .
Da hatte auch Lisbeth Glück und Hoffnung nicht länger verborgen , und sie hatten manche halbe Stunde überm Ladentisch von ihrer Liebe geredet .
" Für Thieß die Pfeife !
Dazu den Schulatlas zu zwei Mark .
Was soll man Thieß Thiessen sonst schenken ? "
" Nun habe ich einen einzigen großen und heißen Wunsch : daß Elsbe mit ihrem Kinde unter diesem Tannenbaum stände !
Horch !
. . . Nein , es ist nichts . "
" Nun will ich sie rufen . "
Und zuerst kam der Kleine an der Hand seines Vaters .
Er war ein ernster , nachdenklicher Junge und blieb auch ruhig , als er den Baum sah .
Er stand eine Weile davor , und man sah wohl , daß er sich innerlich freute .
Er zeigte es aber nicht weiter , als daß er Lisbeth Junker schelmisch ansah und zu ihr trat und sich an ihre Seite stellte .
Dann aber sah er die Bücher und fragte :
" Du , wer soll die haben ? "
Und legte sich längelang daneben und kramte in seinen Sachen umher , und die Lichter spielten über sein helles Haar .
Thieß und Wieten hatten in ihrem Leben noch keinen Weihnachtsbaum gesehen und konnten sich nicht recht ' was dabei denken .
Fiete Krey fing an , in der Stube hin und her zu gehen und leise vor sich hinzusummen , eine Gewohnheit , welche die Einsamkeit ihn gelehrt hatte .
Jörn Uhl stand und starrte den Baum an , und die Lichter , die ihm das schöne Gesicht seiner Braut zeigen sollten , zeigten ihm das Dunkel , das diese Stunde hatte .
So standen sie alle da und fühlten :
" Wir können nicht Weihnacht feiern .
Lösch den Baum aus , Lisbeth Junker !
Das Licht tut uns weh . "
In diesem stillen , peinlichen Augenblicke , da zwei schöne , stolze Augen sich mit Tränen füllten , hörten sie plötzlich alle ein Geräusch draußen , als wenn zwei oder drei Menschen unterm Fenster hin und her gingen .
Sie erschraken und standen unbeweglich .
Ihre Herzen zitterten hin und her , in großer Furcht , zwischen Hoffnung und Angst vor Unheimlichem .
Da riß sich Jörn Uhl auf , und ging aus der Tür und mit großen Schritten über die Diele , und öffnete mit raschem Griff die Tür .
Da stand da draußen im Schnee , was er gehofft hatte .
Und er sagte mit schwerer Zunge :
" Bist du es , Elsbe ?
Bist du es ? "
" O , Jörn !
. . . Bist du es , Jörn ?
So komme ich wieder ! "
" Komme herein , Kind , komme herein .
So . . . Ich nehme das Kind .
So . . .
So , nun komm. "
" Ich , Jörn . . . Jörn , ich . . . was soll ich hier ?
. . . "
" Komme doch .
Ja . . . Nun komme !
. . . Lisbeth , komme rasch her !
Sie ist müde . "
Thieß stand in der Stubentür und sagte immer :
" Miene lüttje Witte , " und streckte die Hand nach ihr aus und konnte nicht von der Stelle .
" O , Thieß !
Thieß !
Wie oft habe ich gesagt : Du machst alles verkehrt . . . O , mein Gott . . .
Mein Gott , Wieten !
Dein Haar ist weiß . "
" Hier in den Stuhl , Lisbeth !
Wieten , wo sind die Schuhe ? "
Sie saß im warmen Stuhl am Ofen und weinte , und Wieten kniete vor ihr und zog ihr die nassen Schuhe aus , Lisbeth öffnete die reifbedeckte Jacke , und Jörn versuchte , dem Kinde den Mantel abzunehmen , und verstand es nicht , und Fiete Krey faßte Thieß Thiessen an und sagte : " Da steht ein Stuhl , Thieß .
Setze dich . "
Das Kind sah mit zwinkernden Augen in den Tannenbaum .
" Wollen wir hier bleiben , Mutter ? "
" Ach Gott , " sagte Thieß , " das arme Kind . "
Er warf die Pantoffeln von den Füßen , und sprang auf und suchte und fand einen Teller mit Kuchen , und füllte des Kindes Hände .
Jörn trat an das Kind heran und sah von dem Kinde auf seine Schwester .
Die hob den Kopf und sah ihn an .
Da sah er in den ganzen Jammer ihrer und seiner Jugend .
Er ballte die Hände und rief mit wilder Gebärde :
" Verflucht mein Vater ! "
Da sprang Lisbeth auf , warf sich gegen ihn und weinte laut : " Sieh mich an !
Sieh mich an ! "
" Gehe weg von mir ! " schrie er .
" So eine gute Mutter !
Soviel friedliche und reine Tage !
Alles verdorben und lachend tot getreten durch den Einen . "
Da schmeichelte sie sehr , und drängte ihn zurück und herzte und küßte ihn und bat ihn , sich zu freuen , daß die Schwester wieder da wäre .
Und sagte : " Sie meint , du bist ihr böse . "
" Ich ? " rief er laut , " ihr böse ? "
Und er lief auf sie zu , der große , harte Mann , und kniete vor der gebrochenen Gestalt seiner kleinen Schwester , streichelte ihre Hände und legte seinen Kopf gegen den ihren und gab ihr alle Spottnamen , die er lange vergessen glaubte , und sagte : " Der Vater hat Schuld , und ich habe Schuld . . . Nicht , Wieten ?
. . . Thieß , sage du es !
Ich habe auch Schuld . "
Dann redete er große Dinge von der Zukunft :
" Wie eine Prinzessin sollst du auf dem Heeshof sitzen , und keiner soll dich anrühren , und die alte Wieten will immer bei dir sein , und Thieß will so lange reden , bis du lachen mußt . "
Sie ließ alles über sich ergehen , hatte ihre Hand auf ihres Bruders Haar gelegt und weinte sich aus .
Und allmählich wurde ihr Atem schwer und tief und ihr Weinen stiller und müder .
Sie sank zusammen wie ein Mensch , der die schwere Last neben sich auf die Erde stellt und sich ein wenig auf einen Stein am Wege setzt .
Da gingen Wieten und Lisbeth hinaus , die Betten zu bereiten .
Als dann alles besorgt war , die Heimgekehrte und ihr Kind unterm Dach des Heeshofes in schwerem , tiefem Schlafe lagen , da stand Jörn Uhl noch mit Lisbeth Junker am Fenster .
" Du hast es gesehen , " sagte er , " verhärtet und vereist ist ein ganzes Stück von meiner Seele . "
Sie sagte wieder : " Sieh nicht über mich weg , Jörn !
Komme ganz nahe heran und sieh mich an .
Du mußt sehen können , daß ich dir helfen kann und helfen will , soweit es noch möglich ist . "
Er sah stumm auf sie nieder .
Und wie er sie ansah und sie ihr ganzes Gesicht mit klaren Augen ihm hinhielt , wurde ihm , als sähe er in ein lieblich weites Tal hinab , in dem zwischen Grün der Weiden und dem Dunkel schöner Bäume tiefe , stille Seen lagen .
Da wurde ihm froher ums Herz .
Er sagte : " Ich muß immer zu dir kommen , wenn ich traurig und verfinstert bin . "
Neunundzwanzigstes Kapitel Jahre kamen und gingen .
Jörn Uhl hat dem Kriegskameraden die Fabrik eingerichtet und hat an dem gewaltigen Kanal mit gearbeitet , der quer durch unser Land geht , auf den wir so stolz sind als auf einen deutlichen Beweis der Stärke des Vaterlandes , und baut Schleusen an der Störe und Buhnen auf Sylt und Röm , und unterrichtet im Wintersemester an einer großen Fortbildungsschule in Zeichnen und Mathematik , und gilt überall im Land für einen Mann , auf dessen Kenntnisse und Worte man sich verlassen kann .
Der Knabe , welcher damals in der Stube des Pedellen gesagt hatte :
" Einerlei , Thieß , oben oder unten :
ich will ' was lernen ! " der hat zweimal von unten angefangen , ganz von unten .
Das Leben ist lang genug , etwas aus sich zu machen , wenn einer Zutrauen hat und starken Willen .
Ohne Narben ist es nicht abgegangen .
Jörn Uhl wird zeitlebens etwas Brüchiges in seinem Charakter behalten .
Obwohl seine Frau sein Wesen klug durchschaut , und obgleich sie so heiter und stark ist und immer lieb mit ihm , hat sie dies Brüchige , das von bösen Zeiten her in ihm entstanden ist , nicht beseitigen können .
Als sie ihm das erste Kind gebar , und Heim Heiderieter , der eingeladen war , wieder einmal eine Behauptung aufgestellt hatte , über die alle lachten , weil sie viel zu waghalsig war , und es ein wenig vergnügt herging , da ging Jürgen Uhl hinaus .
Frau Lisbeth vermißte ihn gleich und suchte ihn im ganzen Haus , und fand ihn draußen im Dunklen stehen , trat zu ihm und fragte :
" Was stehst du hier , Jörn , und kommst nicht wieder herein ? "
Da wollte er erst nicht mit der Sprache heraus .
Dann sagte er ihr , er könnte das Fröhlichsein und Lachen nicht vertragen ; dann ständen gleich alte Bilder vor ihm .
Er wolle sich aber zusammennehmen und gleich wieder hineingehen ; sie solle ja nichts sagen .
Sie herzte ihn , und redete ihm freundlich zu , und streichelte ihn und ging wieder hinein .
Er kam dann auch bald hinter ihr drein , und saß erst still und bedrückt da , und hörte mit einem aufmerksamen Gesicht zu , was geredet wurde .
Aber dann hob er sein Glas und nickte einem Gast freundlich verlegen zu , und dann erzählte er eine kleine Geschichte , und dann sah er auf seine Frau .
Da waren Lisbeth Junkers Augen blank von Tränen , und sie nickte ihm zu .
Als sie ihm dann noch ein wenig halfen , gelang es ihm , mit ihnen fröhlich zu sein .
Es kam vor , daß er von irgend einer Reise wie verfroren nach Hause kam , mutlos , still und müde .
Wenn er dann noch dazu , ins Haus tretend , zufällig lautes Kinderlachen hörte , dann tat er so steif , wie weiland der lange Sott unter der Dachlecke .
Dann sahen sie sich an , liefen zur Mutter in die Küche , beredeten sich heiß und kurz , und kamen wieder in die Stube , und waren sehr ernst und still , und dann kam einer mit irgend einem Leid , und der andere bat um irgend eine Hilfe , und alle taten schön mit ihm .
Dann lächelte der erste .
Nun wagte es der zweite .
Und nun liefen sie in die Küche :
" Mutter , Mutter !
Vater taut auf ! "
Dann schüttelte er den Kopf und drohte ihnen und wurde fröhlich . * * * Jahre kamen und gingen .
Da kam eines Tages über Heim Heiderieter die Unruhe , und er beschloß , die Gegend von Ringelshören und Wentorf zu besuchen , und kam ohne Abenteuer bis an die Häuser von Sankt Mariendonn , welche am Rande der Heide liegen , und sah da einen jungen Matrosen von der kaiserlichen Marine , der in grauem Drillich Heidekraut , das er gemäht hatte , in einen Sack stopfte .
Seine Mutter , eine kleine , abgearbeitete Frau , harkte den Rest zusammen .
" Woher , Seemann ? " fragte Heim .
" Ja , " sagte der , " ich war mit einem Kreuzer in China und habe nun vier Wochen Urlaub bekommen . "
Heim setzte sich ein wenig am Abhang des Hügels , und der Seemann erzählte .
Zuletzt , als Heim weiter wollte , fragte er :
" Wie ist denn der Name ? "
" Stoffer Krey , " sagte der Seemann .
Heim dachte :
" Na , das fängt gut an , " und ging weiter .
Als er die ersten Häuser erreicht hatte , wurde ihm zweifelhaft , welchen Weg er wohl wählen sollte , ob er den Goldsoot wohl finden würde , wenn er weiter auf den Heidehöhen entlang ging .
Bisher war er immer von unten her , von der Marsch her , nach dem Sod gekommen .
Er fragte also gleich beim ersten Hause einen Mann , der vor seiner Haustür einen Baum vierkantig hieb , daß er ein Heckpfahl würde .
Der kehrte sich um , sah nach den braunen Höhen , die jenseits des Dorfes aufstiegen , und sagte : " Das ist einfach .
Sie gehen an dem Bauernhaus da links vorüber ; rechts an dem Baum dort . . . sehen Sie ihn ?
. . . gehen Sie den Fußsteig hinein .
Wo der sich gabelt , quer über das Roggenstück !
Dann gehen Sie immer geradezu auf das graue Pferd los , das da ganz oben in der Heide geht . . . sehen Sie ?
Dann gehen Sie auf den Höhen entlang und halten sich rechts , immer dicht am Rande , bis da eine große Mulde in die Marsch hinuntergeht .
In der Mulde liegt der Goldsoot . "
Heim Heiderieter nickte bedächtig , obwohl er von der ganzen Rede nichts verstanden hatte , und fragte im Fortgehen :
" Wie ist Ihr Name ? "
" Stoffer Krey , " sagte der Mann .
" So ! " sagte Heim , und nickte zustimmend , und ging weiter und dachte :
" Nun soll mich bloß wundern , was ich heute noch erlebe . "
Er kam glücklich durch das obere Dorf , ohne an irgend einem Menschen hängen zu bleiben , und zielte nun auf den Schimmel , der da oben in der Heide stand .
Als er aber so ging , kam er nach seiner leidigen Gewohnheit ins Träumen und ging , die Augen an der Heide zu seinen Füßen , so dahin .
Als er wieder erwachte und aufsah , war der Grauschimmel weg .
" Natürlich ! " sagte er .
" Da haben wir_es .
Verschwunden ist er .
Merkwürdig , daß die Natur gleich aus Rand und Band ist , sobald ich unterwegs bin .
Das war Wotans Schimmel . "
Er traute den guten Geistern und drang auf die braunen Höhen los , und stand zuweilen still und sah sich um und dachte sich nach seiner Gewohnheit viel bei allem , was er sah , und fand sich zuletzt in lauter Eichengestrüpp und wußte nicht , wie er hineingekommen war , und dachte :
" Den Goldsoot finde ich nicht .
Versteckt ist er .
Sie wollen nicht , daß ich ihn sehe , und halten mich zum Narren . "
Er war aber nicht traurig darum , sondern pfiff vielmehr und lachte kurz auf und dachte :
" Ihr verderbt mir nicht meine Laune , " und fand es reizend genug , hier oben auf den Höhen , mit dem Blick über die weite Marsch , durch Heide und Eichengezweig zu stolpern .
Dabei wandte er sich einigemal um ; denn ihm war , als riefe einer hinter ihm .
Er dachte :
" Das ist natürlich alles nichts als Hohn und Spott , " hörte wieder einen Ruf , drehte sich um , sah nichts und sagte zu sich selbst : " Siehst du wohl ? "
Aber nun hörte er doch leichte , eilige Schritte hinter sich und kehrte sich erschreckt um .
Da stand ein barfüßiger Junge mit hellem Haar hinter ihm und sagte : " Ich soll Heim Heiderieter sagen , daß er verkehrt geht .
Hier muß er gehen . "
Und er ging rasch voran in den schmalen Fußsteig hinein , der sich durch das hüfthohe Eichengezweig wand .
Heim ging still hinterher und wunderte sich , daß der Junge nicht anstieß :
es bewegte sich kein einziger Zweig und es raschelte kein einziges dürres Blatt .
So führte der Junge ihn auf schrägem Abstieg in das kleine Tal , das zur Marsch hinunterneigte :
" Hier ist der Goldsoot . "
" Nun ? " sagte Heim .
" Woher weißt denn du , daß ich den Goldsoot suche ? "
" Mein Vater hat mich hierher geschickt , " sagte der Junge .
Heim sah ihn mißtrauisch an .
Es war so etwas Frisches und Freies an dem Jungen , dazu so etwas Ungelenkes , Neues , als wäre er eben noch eine Wurzel gewesen und nur so zeitweilig und zum Notbehelf ein Menschenkind geworden .
Heim hoffte , ihn zu fangen und sagte : " Wie heißt dein Lehrer ? "
" Brodersen , " sagte der Junge .
" Siehst du ? " sagte er , " das ist nicht wahr .
Hermann von Rhein heißt er und ist mein alter Schulkamerad .
Ich bin nicht so dumm wie andere Leute , mein Junge !
Sage man gerade heraus , was es mit dir ist . "
Der Junge lachte und steckte die Spitze seines nackten Fußes ins Wasser des Soots .
Heim machte große Augen und dachte :
" Nun springt er hinein , und weg ist er . "
" Der Lehrer , den Sie meinen , der ist ja nach Brunsbüttel gekommen , " sagte er .
Er zog den Fuß aus dem Wasser und wartete , bis der Spiegel wieder heil war .
" Nun kann ich den Frosch sehen , " sagte er .
" Welchen Frosch ? " sagte Heim und legte sich ins Knie .
" Da ist ein grauer Frosch in dem Sod .
Sieh . . . da am Grund !
Da sitzt er im Moos . "
" Wahrhaftig , " sagte Heim .
" Noch niemals habe ich einen grauen Frosch gesehen .
Hole ihn ' raus . "
Der Junge lachte .
" Ich glaube , " sagte er , " er ist tot , und bloß gebleicht . "
" Was ? " sagte Heim .
" Ein gebleichter , toter Frosch ?
All mein Lebtag habe ich so ' was nicht gehört . . . "
Er sah den Jungen wieder mißtrauisch an :
" Der Dümmste in der Schule bist du nicht , " sagte er .
" Nein , " sagte der Junge und nickte ihm zu .
" Jung ' , " sagte Heim und richtete sich auf , " kannst du das Einmaleins .
Sage ' Mal auf : einmal sieben . "
Der Junge tat es .
" Na ja , " sagte Heim .
" Das stimmt ja . . . du kannst nun gehen und sollst Dank haben .
Und hier sind zwei Groschen . "
" Geld soll ich nicht nehmen , sagt Vater . "
" Was ?
Ihr könnt wohl kein Geld brauchen ?
Was ?
Habt da unten wohl mehr als ich ?
Bezahlst sonst wohl mit buntem Kiesel und Goldquarz , was ?
Ich glaube . . . ich glaube wahrhaftig , du bist nicht sauber .
Sage 'mal , was hast du heute gegessen ? "
" Bohnen mit Speck , " sagte der Junge und zeigte alle Zähne .
" Das ist allerdings menschlich . "
Der Junge sprang auf und lief die Höhe hinauf .
Heim Heiderieter ihm nach .
" Junge , " rief er , " sage ' ' Mal : hast du vorhin den Schimmel gesehen , der hier lief ? "
" Schimmel ? " rief der Junge , " Schimmel ?
Ist ja gar kein Schimmel .
Ist ja 'n weißer Sandfleck .
Sieh . . . dort .
Sieht bloß so aus wie 'n Schimmel . "
Heim Heiderieter sah mit dummem Gesicht bald nach dem Sandfleck , bald nach dem Jungen , der über die Heide trabte .
" Merkwürdig , " sagte er , " daß ich immer so sonderbare Dinge erleben muß .
Richtig war das nicht mit dem Jungen . "
Er stieg wieder in die Mulde hinunter und legte sich neben dem kleinen , klaren Wasser ins lange , graue Gras .
Da hörte er Schritte von unten herauf kommen und sah einen Mann in den besten Jahren , so in den Vierzigern , dessen Bart und Haar ist wie Roggenstroh , das reif zur Ernte , und das Gesicht ist lang und die Augen sind merkwürdig tief und wahr .
Halb ist es ein Gelehrter und halb ein Bauer .
Da erkannte er Jörn Uhl und sprang auf .
Nachdem sie sich tüchtig die Hände geschüttelt hatten , legten sie sich ins Gras und hatten den Sod zwischen sich und fingen an , von den Bekannten zu sprechen .
Sie hatten sich seit zwei Jahren nicht gesehen .
" Wieten ist ja tot , " sagte Jörn .
" Du kennst ja die Alte . "
" Mensch , ob ich die kenne !
Weißt du , wie sie da auf dem Heeshof zusammenlebten ?
Thieß saß zwischen Tisch und Ofen , und studierte ostasiatische Verhältnisse , und setzte die Füße gegen den Ofen , immer höher hinauf , und redete über das , was er gelesen hatte .
Und dabei ist der Mensch in den letzten zehn Jahren , seit Elsbe wieder daheim ist , nicht weiter vom Heeshof weg gewesen als bis zum Dorf .
Wieten saß am Ofen und strickte und stopfte wie weiland auf der Uhl , als sie zwischen dir und Fiete Krey saß . "
" Woher weißt du das alles ? " fragte Jörn Uhl .
" Meinst du , daß ich Wieten Penn nicht besucht habe ?
Wieten hatte eine bunte Welt in sich , Jörn .
Was in den letzten fünfzig Jahren in dem kleinen Dreieck geschehen ist , das zwischen diesem stillen Wasser und der alten Stadt da drüben und dem Kirchturm von Schenefeld liegt - und das ist nicht wenig - das wußte sie und das sah sie deutlich vor sich .
Und das interessierte uns , Jörn :
das ist uns mehr als die ganze Mandschurei .
Sie war ziemlich verschlossen , Jörn .
Sie hatte rund um ihre bunte Welt eine hohe Mauer bauen müssen , weil dumme Menschen lachten , wenn sie hineinsahen .
Aus diesem Grunde sind viele ernste und tiefe Menschen schweigsam , Jörn .
Aber mir , Jörn , mir hat sie zuweilen dies Tor geöffnet und mir das ganze Haus gezeigt .
Du weißt es , Jörn :
es ist ein gutes , altsächsisches Bauernhaus , ein wenig niedrig vom Boden und mit dunklen Winkeln , aber fest und fromm . . . Was sagst du über Elsbe , Jörn ? "
" Sage du ! "
" Ich hatte gedacht , daß sie Fiete Kreis Frau würde .
Und gefragt hat er sie , Jörn ; aber sie hat nicht gewollt .
Weißt du , was sie sagte ? "
" Hast du mit ihr darüber gesprochen ? "
" Ja , Mensch , warum nicht ?
Wir sind ja alte Freunde ?
» Sieh , Heim , « sagte sie , » er ist ein Krey ; und die sichersten Leute sind die Kreien nicht .
Und ich brauche ihn auch nicht , Heim :
ich habe ja genug zu bemuttern . «
. . . Sie ist Herrin vom Heeshof , Jörn , und wirtschaftet besser als Thieß jemals getan hat ; besonders hält sie auf sechs bis sieben gute Milchkühe .
Thieß muß ihr gehorchen und tut es gerne .
Über die Mandschurei darf er frei reden , auch vor ihr ; das ist sein Separatsparren , an dem sie nicht rüttelt .
Wenn er aber anderweitig Gedanken über Menschen , Gott und Welt aussprechen will , dann wartet er , bis ich komme , und dann gehen wir hinaus .
Im Sommer sitzen wir am Wall am Heesrand , im Winter gehen wir nach dem Kuhstall . . . Es ist schade , Jörn , daß Elsbe nicht heiratet ; sie wäre eine von den Frauen geworden , die weder Mann noch Kinder frieren lassen . "
Jörn Uhl sah in Gedanken vor sich hin .
" Sie ist zufrieden , " sagte er , " und Fiete Krey auch .
Was er als Junge geträumt hat , ist ja in Erfüllung gegangen .
Er sitzt auf der Uhl und sieht über den Weg das niedrige , kleine Vaterhaus .
Er hat Schulden genug , fast so viel , wie ich derzeit hatte ; aber er wird leichter damit fertig ; der Bahnbau hat ihm mächtig geholfen .
Sein Handel mit allem , was Leute brauchen können , mit Bauholz und Stakholz und Kohlen und Sand und womit sonst , geht gut .
Leid ist mir meine gute , reinliche Hofstelle ; wüst und bunt sieht es da aus , und ich bin froh , daß das alte Haus nicht mehr steht .
Sonntags fährt er zuweilen nach dem Heeshof hinüber , und trinkt dort Kaffee und plaudert mit Elsbe und mit dem Alten .
Ich glaube , so wird es bleiben .
Sie werden alt werden und werden es nicht merken ; und zuletzt werden sie davongehen . "
" Du hast Schweres durchgemacht , Jörn .
Ich möchte wohl wissen , was du selbst darüber denkst . "
" Willst du meine Lebensgeschichte schreiben , Heim ?
Es ist wohl nicht der rechte Stoff . "
" Dein Leben , Jörn Uhl , ist nicht ein geringes Menschenleben .
Du hast eine stille und mit bunten Bildern geschmückte Jugend gehabt .
Du bist , als du heranwuchst , einsam gewesen , und hast als ein einzelner , ohne Hilfe , mit des Lebens Rätseln wacker dich herumgeschlagen , und wenn du auch nur wenige hast raten können : die Mühe ist doch nicht vergeblich gewesen .
Du bist für dieses Land , das rund um diesen Quellbrunnen liegt , in den Krieg gezogen :
da bist du in Feuer und Frost gehärtet worden und hast einen Fortschritt gemacht im Wichtigsten : den Wert der Dinge zu unterscheiden .
Du hast heiße Frauenliebe kennen gelernt und damit das Zweithöchste , was das Leben geben kann .
Du hast Lena Tarn in den Sarg gelegt und Vater und Brüder , und hast in jenen Stunden dem menschlichen Jammer ins Weiße des Auges gesehen und bist demütig geworden .
Du hast mit hartem , widrigem Geschick gekämpft und bist nicht unterlegen , hast dich herausgearbeitet , obgleich es lange dauerte , bis Hilfe kam .
Du hast dich mit zusammengebissenen Zähnen und hohem Mut in die Wissenschaft hineingearbeitet , in einem Alter , da etliche daran denken , Rentner zu werden .
Und obgleich Bauen , Graben und Messen nun seit Jahren deine Arbeit und Freude ist , so bist du doch nicht einseitig geworden , kümmerst dich immer noch um all das Land , das jenseits deiner Meßketten liegt , kümmerst dich sogar um die Bücher , die dein Freund schreibt , der Heim Heiderieter heißt .
Was soll man denn erzählen , Jörn , wenn solch schlichtes , tiefes Leben nicht erzählenswert ist ? "
Jörn Uhl sah ihn freundlich sinnend an :
" Du redest gut darüber , " sagte er .
" Und wenn ich länger mit dir reden würde , könntest du mir wohl manches in Ordnung stellen , was in mir in dumpfem Gefühl unordentlich umherliegt .
Mir wird immer sein , als wenn an meinem Leben etwas zerrissen ist . "
" Ich weiß , " sagte Heim und streckte den Arm über den Goldsoot hin auf ihn : " Sieh ' Mal , wenn du die gute , kluge Fürsorge deiner Mutter gehabt hättest , und wärst so eben und glatt in die Naturwissenschaften geraten : dann , meinst du , wäre dein Leben richtiger verlaufen , nun ist da , wie du ganz richtig sagst , ein Bruch .
Du hast so das Gefühl , als wärst du früher einmal , vor Jahren , falsch gefahren und führest nun noch auf einem Nebenwege und sähest die rechte Straße , die du fahren solltest , von ferne .
Aber ich sage dir , Jörn , du kannst alle ernsten Menschen fragen , es ist in jedem Menschenleben etwas , was nicht stimmt .
Und weißt du , warum ?
Wenn es genau stimmen würde , würde es dünn klingen , Jörn ; und wenn wir so gehen würden , wie Mutter gerne wollte , würden wir glatt und platt werden , Jörn .
Wir müssen alle in Sandwege hinein , Jörn , damit die Geschichte Fülle und Tiefe bekommt . "
" Ja , " sagte Jörn Uhl .
" Zutrauen haben : das ist alles . "
" Siehst du ?
Das ist alles ! "
" Heim !
Heim ! " sagte Jörn Uhl .
" Es kommen Jahre , wo es nicht leicht ist . "
Heim langte wieder über den Sod .
" Ich weiß , " sagte er , " woran du denkst .
Aber kam nicht rechtzeitig die Hilfe ?
Wieten ging neben dir her , und dein kleiner Junge lachte auf deiner Hofstelle .
Es öffnete sich die Tür zum Pastorat , die breite , grüne Tür mit dem Klopfer von Messing .
Da hast du dir viel Mut geholt , Jörn .
Danach kam der Tod und mußte dir Hand- und Spanndienste tun , daß dein Weg ebener wurde .
Es kam das stolze , feine Mädchen , und stellte sich neben dich und läuferte mit dir am Rügenberge .
Es kam das Studium :
da wehte dir frischer Wind über den Weg . "
Jörn Uhl nickte und sagte : " Du weißt alles . "
" Ich weiß wenig , Jörn , und mag die nicht leiden , die tun , als wenn sie alles wüßten .
Aber schön ist es , recht und auch klug , auch aus den Wolken , die über den Himmel ziehen , Gutes zu deuten . "
" Ich kann mich nicht so aussprechen , wie du , " sagte Jörn Uhl ; " aber ich freue mich , daß ich mit dir einer Meinung bin .
Als ich ein Junge war , richtete ich mir eine Lade und eine Kammer ein , wie sie mir gefiel , und hielt sie für den Mittelpunkt der Erde , und besah von da aus Gott und die Welt und nannte beide du ; aber je älter ich werde , desto unwissender werde ich und desto größer wird mein ehrfürchtiges Staunen . "
" Da hast du recht , " sagte Heim , " es ist verkehrt , viel und lange zu reden .
Man soll alles in Taten deutlich machen , nicht in Worten .
Aber da wir beide schon einige Arbeit hinter uns haben , durften wir wohl ein Wort darüber reden .
Nach der Schlacht ist es wohl erlaubt , daß die Kriegsgefährten einander sagen , wie sie die Schläge pariert und wie sie zugeschlagen haben .
Ich will gehen .
Wo gehst du hin ? "
" Ich habe in Brunsbüttel eine Schleuse besehen , " sagte Jörn Uhl , " und will nun zu Fuß nach dem Heeshof .
Grüße Frau und Kinder , Heim . "
" Das tue du auch .
Grüße besonders deine Zweite .
Ein schmuckes Kind , Jörn . "
" Wenn du uns besuchst , sage ' es weder ihr , noch ihrer Mutter . "
Sie gingen die Mulde hinaus nach dem Heideweg .
" Und wenn ich dein Leben erzählen wollte , " sagte Heim , " was soll ich als Titel darüber schreiben ? "
Jörn Uhl stand still und sagte ernst :
" Meine Frau hat einmal vorgeschlagen :
» Der gescheite Hans . « "
" Da liegt Sinn darin , Jörn .
Wahrhaftig !
O , die Frauen , Jörn !
Aber falsch ist es ohne weiteres !
Es ist immer nur halb wahr , was sie sagen , Jörn .
Sie sehen alle Dinge platt , selbst ein Ei , Jörn .
Weil sie nicht rund herum gehen , Jörn . "
" Es ist etwas Wahres daran , Heim .
Ich weiß nicht , ob es daran gelegen hat , daß ich in den bedenklichsten Jahren keine Führung hatte : es ist mir nicht leicht geworden , das Rechte zu finden ; ich habe das Gefühl , daß ich weite , unnötige Umwege gemacht habe . "
Heim schüttelte den Kopf .
" Das Gefühl haben alle die , welche nicht auf andere hörten und schwuren , sondern sich selbst eine Weltanschauung suchen . "
" Nun , " sagte Jörn Uhl , " wenn es mit dem gescheiten Hans denn nichts ist , so gib mir irgend einen guten , deutschen Namen nach deiner Erfindung und sage zuletzt : obgleich er zwischen Sorgen und Särgen hindurch mußte , er war dennoch ein glücklicher Mann .
Darum , weil er demütig war und Vertrauen hatte .
Aber sei nicht zu weise , Heim .
Wir können es doch nicht raten . "

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Frenssen, Gustav. Jörn Uhl. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0j9.0