I. Buch Die Einöde Ein Besuch in später Nacht Auf dem Rasenplatz vor dem Heidehause liefen Leute herum in großer Verwirrung .
" Schlagt ihn tot !
Schießt ihn nieder !
Werft ihm den Schädel ein ! " riefen sie und zerrten Stangen herbei und haschten nach Steinen und stürmten im Hause umher nach einem Gewehr .
Den Kettenhund wollten sie umbringen .
An der Hausecke unter dem breiten Dache stand der Holzkobel , und an diesen war das Tier gefesselt .
Mit aller Kraft riß und rasselte es an der Kette und stöhnte und winselte dabei .
Es lechzte , es schnappte um sich in die Luft hinein , es wand und wälzte sich , es zerrte mit den Vorderpfoten an den Ohrläppchen und kratzte im Sand und rieb den Kopf an dem Boden und schnappte fort und fort um sich .
Der kleine Gabriel hatte beim Fenster herausgesehen , weil gerade Zapfenwirts Davidl vorüberhopste ; da sah er an dem Hunde das seltsame Gebaren .
Der Knabe lief hinaus und wollte das ihm sonst so anhängliche Tier streicheln , aber Klaps , bis es ihn in den Schenkel , daß das Blut durch das Höslein rann .
Ganz kleinlaut kam er zurück in die Stube .
Darauf gewahrte es auch seine Mutter , die Heidebeterin , und sie sagte zum Knecht :
" Was hat denn heute der Waldl ?
Gar den Buben hat er ' bissen . "
Der Knecht schlug sogleich einen wahnsinnigen Lärm und lief zu den Nachbarn , und die Nachbarn machten neuen Lärm und liefen wieder zu anderen Nachbarn , und so kamen nach und nach die Leute zusammen vor dem Heidehause und schrien :
" Wütend ist das Best !
Nur gleich totschlagen , niederschießen ! "
" Die Hundswut ! " kreischten die Weiber .
" Beterin , habt es denn keine Büchsen im Haus ? " lärmte ein Bauer durch das Gehöft .
Die Beterin hörte ihn kaum , sie hatte den kleinen Gabriel in einen Wasserkübel gestellt , und in wahrer Todesangst wusch sie die Bißwunde am Schenkel .
Der Heidebeter kam vom Walde heim . -
Was denn heute bei mir so viel Leute herumrennen ? es ist doch ' leicht nichts geschehen ! - dachte er bei sich , da hörte er schon : " Der Hund ist wütend ! "
Der Peter sah dem Tier eine Weile zu und lehnte dann langsam seine Holzaxt an die Wand .
Der Heidebeter überstürzte sich nie in etwas .
Schon kam der Hahnenkamm mit einer Flinte dahergeeilt , da sagte der Peter ruhig : " Was willst denn , Steffel , wirst mir doch meinen Haushund nicht niederschießen !
Ist gar kein Rede ' , daß er die Wasserscheu hat , da täte er ganz anders ausschauen . "
Darauf nahte er sich dem winselnden , keuchenden Tier , das unablässig die Pfote an das Ohrläppchen schlug .
" Nun , mein Waldl , was hast denn heute ?
Bist ja sonst ein gescheites Tier , es muß dich was beißen ; halte still ! " sagte er zum Hund und untersuchte das Halsband und die Ohren .
" Aha , da haben wir_es ! " rief er plötzlich und hielt einen glimmenden Feuerschwamm in der Hand .
" Das Ding da ist ihm im Ohr gesteckt . "
- Das Tier war einen Augenblick ruhig , dann sprang es seinem Herrn freudig bellend an die Brust und wedelte mit dem Schweife .
Hinter der Tannengruppe , die in der Nähe des Hauses stand , brach jetzt ein Gekreische los .
Der Heidebeter hörte es ; sogleich drängte er den Hund von seiner Brust zurück und schritt gegen die Bäume .
Da lief von denselben weg und hin über die Felder Zapfenwirts Davidl .
Hob der Peter an und ließ seine Beine aussetzen und rannte dem Flüchtling nach , daß der Hut abflog und das ungeschnittene Haar des Bauers in der Luft flatterte .
Die Leute lachten ; selten hatten sie den Heidebeter so wild gesehen .
Der Davidl lief verteufelt gut , und als er zum hohen Rain kam , husch war er über denselben hinabgekugelt .
Dennoch verließen ihn seine guten Geister - als er zum Bach kam , erfaßte ihn die Hand des Schicksals am Rockkragen und schlenderte ihn zu Boden .
" Hab es nicht 'tan , habe es nicht ' tan ! " schrie der Knirps .
" Hast es ' tan , Bub ! " rief der Heidebeter , " wirst es leugnen auch noch !
Ich haue dich in den Steinboden ! "
" Ja , jetzt ; aber ich tu es nicht mehr ! "
- stotterte der Davidl ; der Peter ließ sich keine Schrift darüber geben .
" Fuchsbartel , du " , knurrte er und faßte die roten Haare und schüttelte den Jungen so heftig , daß diesem all sein Zetern und Bitten von den klappernden Zähnen zermalmt wurde .
Als der Heidebeter müde war , setzte er aus und fragte ganz sanftmütig :
" Hast jetzt genug , Davidl ? "
" Meinem Vater sage ich_es ! " schrie der Knabe .
" Schau , nachher hast noch nicht genug " , sagte der Peter und setzte das Schütteln fort , so daß ein wahres Meckern entstand .
" Feuerschwamm steck ' ich dir keinen in die Ohren , aber merke dir es !
So , und jetzt troll dich ! "
Der Knabe schlich brüllend davon , und als er sich jenseits der Schlucht in Sicherheit glaubte , schrie er laut :
" Meinem Vater sage ich es , der zündet dir das Haus an , du dalkte Heidebeter , du ! "
Der Peter ging jetzt langsam seinem Gehöfte zu ; aber er schnaufte noch immer ; er war ein hagerer , etwas schwächlicher Mann und das Laufen nicht gewohnt .
Die Leute hatten sich verloren .
" es macht mir so leicht keiner die Nägel heiß " , sagte er zu seinem Weibe .
" Aber wenn einem so ein Tunichtgut schier alle Tage einen Schur antut , daß zuletzt gar der Kettenhund vor ihm nicht mehr sicher ist , so steigt einem halte doch die Gallbirn auf .
Wenn ich ihm in der Hitze nur nicht etwa zuviel getan habe ' ! "
" Und was ich ausgestanden habe in der Stunde ' ! " sagte die Beterin , " gar nicht glauben kannst es .
Alle Heiligen im Himmel habe ich angerufen , und ich habe mir gar nichts anders mehr gedacht , als wir kriegen jetzt all miteinand ' die Wasserscheu , und den Gabel tragen sie zuerst hinaus .
Das frisch Blut habe ich ihm aus der Wunde gesogen in der Angst .
Mein Gott , mir schlottern noch Hände ' und Füße ' ! "
Gabriel lief schon wieder in der Stube umher und kletterte auf die Bank , sah zum Fenster hinaus und dem Kettenhund zu ; der schlürfte ruhig seine Abendsuppe .
Dann schlich Gabriel auf den Zehenspitzen zur Wiege , in welcher eben sein Schwesterlein erwacht war und flüsterte diesem zu :
" Regina , derweil du geschlafen , hat mich der Waldl gebissen , schau . "
Und er hob den kleinen Fuß auf , zog das Höschen empor und zeigte dem Kinde die Zahnwunde .
Er bildete sich schier was darauf ein .
Es begann zu dunklen ; auf den Waldbergen lagerte sich Herbstnebel .
Der Halter kam mit den schellenden Kühen heim .
Auf der Tenne hörte man noch lange das Auskörnen der Hafergarben , die der Knecht über einen liegenden Baum schlug , bis das letzte Körnchen herausgesprungen war .
Endlich schloß sich das Scheunentor zu , und das kleine Häuflein Leute verzehrte in der Stube die Roggensuppe und das Erdäpfelmus .
Dann suchten sie ihre Strohbetten auf .
Die Kinder schliefen bald .
In der Stube brannte ein Span , den die Bäuerin noch mehrmals im Haken zurechtsteckte .
Der Peter zog die rauchgebräunte Hänguhr auf .
Aber es sollte noch nicht Ruhe sein an diesem Abend .
Als sich die Eheleute zur Ruhe begeben wollten , schlug der Kettenhund an .
Es klopfte leise an der Fensterscheibe .
" Wer denn ? " rief der Bauer , und sein Weib setzte unwirsch hinzu : " Heute ' ist mehr kein Frieden ! "
" Um die Nachtherberge täte einer bitten ! " sagte draußen eine heisere Stimme .
" Ein Armer wird es sein , ja das ist was anderes , " sagte die Bäuerin , " gehe , Peter , riegle die Tür auf . "
Bald hernach stolperte ein Mann in die Stube , gebeugt , mit der rechten Hand einen langen Stock umklammernd , in der Linken ein Bündel tragend .
Ein breiter , entfärbter und zerdrückter Filzhut saß ihm auf dem Kopfe , und unter der Krempe hingen graue Haarsträhnen nieder .
Der Peter nahm den Span in die Hand , räusperte die Kohle ab und leuchtete dem Fremdling unter den Hut .
Da rief er aus :
" Du liebe Zeit , solch es ist doch leicht nicht möglich , das ist ja der Schulmeister von Rattenstein ! "
" Ja , ja , mein lieber Heidebeter , " entgegnete der Alte , sich ausschnaufend , " es wird wohl so sein .
Mit Erlaubnis , ich setze mich gleich nieder . "
Die Bäuerin warf noch einmal den Rock über und eilte in die Küche , daß sie eine warme Suppe bereite , dann rief sie zurück in die Stube hinein : " Gehe , Peter , zünde eine Kerze an , der Span will frei nicht scheinen , und der Rauch brennt einem schier die Augen aus . "
Als hernach auf dem Tisch eine Talgkerze brannte und als der alte Mann den Schweiß von seinem abgehärmten Antlitz gewischt hatte , hielt ihm der Heidebeter fast schüchtern die rechte Hand hin und sagte : " Ja , wie hat sich denn der Herr Schulmeister verrennt in die Einöde herein ? "
" Es hat sich schon so geschickt , " antwortete der Greis , " bei mir heißt es : Verlassen , verlassen wie der Stein auf der Straßen . Habe den Gebirgsfußsteig genommen und bin fortgegangen über Halt ' und Berg , wie der Herrgott die Welt erschaffen hat .
So bin ich halte da zu Euch in die Einöde gekommen . "
" Und wenn ich fragen darf , wo will der Herr Schulmeister denn hin ? "
Der Alte antwortete nicht , sein Haupt nickte abwärts .
Seine Hand haschte nach dem blauen Sacktuch , aber noch ehe er dieses mit zitternder Hand zum Antlitz führte , begann es ihn zu stoßen , von innen heraus .
" Aber Schulmeister ! -
Aber Herr Schulmeister ! "
- rief der Peter und sprang bei , um ihn zu stützen , denn der Greis drohte zusammenzubrechen .
" Nimmermehr hätte ' ich mir das gedacht , " sagte dieser endlich , " daß mir in meinen alten Tagen noch eine solche Stunde schlagen sollte .
Du weißt es , mein Gott , verdient habe ich es nicht ! "
" es wird wohl ein rechtes Unglück sein , " meinte der Bauer , " aber tue sich_es der Herr Schulmeister nicht gar so schwer legen .
Und wenn ich was helfen kann , tu ' Er es sagen . "
" Vergelte_es Gott , Heidebeter !
Ihr seid eine gute Seele , ich kenne Euch schon lange - wohl gar schon seit fünfunddreißig Jahren . Habe
Euch ja das Häubl zurückgeschoben , wie Euch der Pfarrer getauft hat .
Ja mein , wenn derselbe Pfarrer noch leben täte !
Der hätte mich nicht abgedankt , nicht fortgeschickt wie einen Taglöhner zur Feierabendzeit , und wenn ich dem Halterlois schon zehn Glocken geläutet hätte .
Bin wohl schon alt und kann der Schule nicht recht mehr vor sein .
Zum neuen Kirchenregiment kann ich mich auch nicht schicken .
Dasselbe wißt Ihr noch , wie mich der neue Herr Provisor einen Beelzebubpropheten geheißen hat .
Ich habe gewußt , daß ich damit nichts Unrechtes tue und habe meine Extralehrstunden fortgesetzt .
Nachher müßt Ihr es auch gehört haben , daß sich letzthin der irrsinnige Halterlois das Leben genommen hat .
Der Herr Provisor hat dem Unglücklichen die Verscheidenglocke verweigert , und da ist die Mutter des Toten zu mir gekommen , weil ich ja auch der Mesner bin , und hat mich gebeten um Gottes Willen , daß ich die Glocke läute für ihren Sohn .
Der Lois ist immer ein rechtschaffener Mann gewesen , die alte Frau hat ihr Lebtag gar soviel gehalten auf ein Sterbegeläute , und tief in die Seele hinein hat sie mir erbarmt , wie sie so bitter bitterlich geweint hat , und ich habe gedacht bei mir selbst , der Herr Provisor ist bei einem Amtsbruder in Großhöfen , da nehme ich es auf mich , und weil sie um Gottes Willen bittet , so läute ich die Glocken ; man kann der armen Frau keinen besseren Trost schenken .
Der Lois ist begraben worden im Schachen , wo sie ihn gefunden haben , und wie jetzt die Glocken klingen , eilt die Mutter hin zum Grab und betet ein Vaterunser .
Der Herr Provisor hat die Glocken nicht gehört , und das Gebet nicht , und er hat das Leid und den Trost der armen Mutter nicht empfunden - aber von den Glocken haben ihm die Leute berichtet .
Gestern morgens , wie ich ihm das Meßkleid umhüll , lacht er mich noch an , und ich denke :
Ei ja , der Herr Provisor ist zuletzt doch auch ein recht braver Herr , ich getrau mich mit ihm schon auszukommen .
Darauf bin ich mit meiner Holzkraxe gegangen und habe mir von den Bauern meine Getreidegebühr zusammengetragen .
Die Leute Meinens recht gut mit mir und fassen mir tüchtig auf , hätte mir den ganzen Winter durch kein Schnitthel Brot kaufen dürfen .
Zwei heiße Tagwerk sind es freilich für unsereinen , aber mein , wer trägt nicht gern schwer , was ihm gehört , es hat schon zu dämmern angefangen , wie ich mit der letzten Trage ins Dorf gekommen bin .
Drauf , wie ich vor meiner Haustür stehe , den Schlüssel aus der Tasche ziehe und mich schon freue auf das Rasten , denke ich mir : Der Tausend , wer hat sich denn da heute einen Spaß gemacht ?
- Ist das Schloß versiegelt gewesen .
Ich setze ab , guck das Ding besser an - ja , Heidebeter , da sehe ich es wohl !
- Mit dem Gemeindesiegel ist mir das Schulhaus verschlossen . -
Na , denke ich mir , das ist jetzt schön !
Werfe meine Trage ab und laufe in den Pfarrhof , wo jetzt auch das Gemeindeamt ist .
Nach dem Provisor Schrei ' ich .
Nicht daheim , ruft die Wirtschafterin , unten auf dem Steinhaufen sollt ich es suchen , wenn ich was verloren hätte - und schlägt mir die Türe vor der Nase zu . -
Da ist mir schon das Blut zum Herzen gefahren . "
Dem alten Manne preßte es schier die Kehle zusammen , die Worte waren halb erstickt .
" Aber stehe 'n bleibe ich nicht vor der Pfarrhoftür und anklopfe ich auch nicht .
Zum Steinhaufen Lauf ' ich hinab , und da finde ich Euch meine Sonntagswäsche ' , meinen schwarzen Rock und meine Geige .
Und zwischen den Saiten steckt so ein schmales Plättel Papier .
Nun , da ist_es , mögt es lesen , Heidebeter . "
" Rechtschaffen gern , " entgegnete der Heidebeter gedehnt , " aber es ist halte so eine Sache , die Schule ist so viel weit weg - ich kenne ' keinen Buchstaben . "
" Je nun , dann wäre das Lesen freilich eine Kunst , " sagte der Schulmeister , " indes , allzeit ist es auch nicht gut , wenn man lesen kann .
Das Briefl tut mir altem Mann folgendes kund :
" Es schmerzt uns , im Namen des hochw. Konsistoriums und der hiesigen Gemeinde Euch Nachstehendes mitteilen zu müssen .
Nachdem Ihr , Michel Bieder , Schullehrer in dasiger Pfarre , in dem Unterrichte der Jugend zu wiederholten Malen gegen die Verordnungen gehandelt , Euch trutzig widersetzet und Euch letzter sogar unterfangen habet , in beispielloser Eigenmächtigkeit eine kirchliche Funktion zugunsten eines Selbstmörders zu verrichten , sei Euch kund und zu wissen getan , daß wir Euch Eures Amtes entheben .
Das Pfarramt zu Rattenstein . "
Der Alte schwieg .
Peter putzte in großer Verlegenheit die Kerze und sagte dann : " Ja , das hätte der Herr Schulmeister halte wissen sollen , daß man nicht jedem mir nichts , dir nichts ins Grab nachläuten darf . "
" Und so liege ich da auf dem Steinhaufen , und nichts fehlt mir mehr zum Bettelmann als der Sack und der Stecken .
Die Sterne sind schon am Himmel gestanden , vom Walde her hat ein Uhu gelacht - hat mich ausgelacht .
Was fang ich jetzt an ?
Verstoßen , ich armer , alter Mann , der vierzig Jahre in der Pfarre Schullehrer war , der eine Gemeinde begraben und eine getauft hat .
Ich liege jetzt auf dem Steinhaufen in der kalten Nacht , und mein Haar ist feucht vom Tau .
Von der Kirchenuhr herab höre ich das Ticken ; wie ein Vogel die nackten Körner von der herbstlichen Saat , so pickt sie mir von meinem armen Lebensrest eine Sekunde um die andere weg .
Nur zu , nur zu , Pendel , es ist schon spät .
Da fällt_es mir ein :
Wer läutet denn heute die Abendglocke ? -
Bin aufgesprungen und hinauf über den Hügel zur Kirche , wo man durch den Turm geht .
Die Glocken habe ich alle beim Strick gefaßt und geläutet , alle auf einmal .
Und das war der Abschied von meiner lieben Kirche und von der Gemeinde .
Die Toten in den Gräbern hätte ich aufwecken mögen und ihnen das Unrecht klagen ; - sie haben fortgeschlafen in der Ruhe , ich habe meine Bettelschaft eingeläutet .
Dann habe ich mir im Gesträuche an der Kirchhofsmauer meinen Stock geschnitten und bin fort und fort - ich kann noch rechtschaffen laufen .
Kaum drei Stunden bin ich gewandert , bis da herauf in die Einöd . "
Der Alte stützte seinen Kopf und hielt die flache Hand vor die Augen .
" Närrisch ! " sagte die Bäuerin , die schon eine Weile mit der Suppenschüssel an dem Tisch gestanden war , " und jetzt will der Herr Schulmeister in die Wildschroffen hinauf ? "
" Komme ' ich denn da in die Wildschroffen ? " entgegnete der Schulmeister , " o Gott , was täte ich denn in diesem Gestein ? "
Er verdeckte wieder sein Gesicht .
" Es ist ein rechtes Kreuz und kein Herrgott drauf , sagt die alte Einschicht-Res , und es ist richtig " , sprach das Weib .
" Tu der Herr Schulmeister jetzt in Gottes Namen die Suppe essen , daß Er was Warmes kriegt .
Der liebe Herrgott wird es schon recht machen , dasselbe ist keine Sache . - Peter , komme ein Eichtel mit mir in die Küche ' .
Du mußt mir das Rauchtürl zumachen , ich kann_es völlig nicht derlangen . "
Aber es war nicht des Rauchtürls wegen .
Als die beiden Eheleute in der Küche waren , sagte das Weib :
" Du wirst es einsehen , Peter , daß wir den Schulmeister nicht so fortgehen lassen können .
Ich bin zu ihm in die Schule ' gegangen , und ich kann ein Gebetbüchel brauchen ; es täte mir mein Lebtag kein Bissen Brot mehr schmecken , wenn ich mir sagen müßt : Dein alter Lehrer geht betteln .
Was meinst , wenn wir ihm das obere Stübel herrichten täten ?
Im Winter könnte er uns die Spän ' klieben , und im Sommer , wenn wir auf der Weide ' sind , täte er uns auf die Kinder schauen , und lernen könnten sie auch wohl was bei ihm .
Schau , es wäre halte doch gut , wenn sie was lesen könnten , und der Bub hätte so eine Freude dazu ; und in der Schrift auch , ich will nicht nachgeben , bis er seinen Namen schreiben kann . "
" Dasselbe ' ist kein Muß , Klara , " entgegnete der Peter , " wer ist denn in der Einöd , der seinen Namen schreiben kann ?
Kein Mensch .
Die Arbeitsleute haben auch zu grobe Hände ' für so was ; wenn es drauf ankommt , so macht man_es Kreuz . "
Die Bäuerin darauf :
" Da wundert_es mich nachher gar nicht , daß wir soviel Kreuz haben in der Einöd .
Aber mir steht es nicht an , und ich meine , mit dem Schulmeister könnten wir uns eine Stufe in den Himmel bauen . "
" Du denkst ans eine , und ans andere nicht .
Du weißt es recht gut , daß wir nur fünf Metzen Korn bauen , und daß wir im Winter kein Milch und kein Schmalz haben ; du weißt , daß wir kein Fleisch im Kasten haben , daß wir kein ordentliches Bettgewand aufzutreiben wissen , und daß es in jeder Eck bei uns armselig zugeht .
Und jetzt willst du noch den Schulmeister aufnehmen ; das wäre ' doch gar kein Rede ' , Bäuerin . "
Und sie :
" Nun , wenn dir schon um den Bissen Brot leid ist und um das Zinkerl Schmalz , das der Schulmeister ißt , so spar ich mir es halte von meinem eigenen Mund ab , und ich liege in Gottes Namen auf dem bloßen Stroh , und ich mache mir ein Ehre daraus , wenn ich den alten Lehrer unter meinem Dach haben kann . "
Und er : " Halt ja , und wenn wir fertig sind , nähst für ihn einen Bettelsack , und für mich auch einen , und für dich auch einen , und die Kinder binden wir einander auf den Buckel . "
" Weil du kein Vertrauen auf den Herrgott hast ! "
- versetzte die Bäuerin etwas aufgebracht .
" Meine Mutter hat allweg gesagt :
Jede Guttat auf Erden Marbeln die Engel im Himmel in den goldenen Thron Gottes ein .
Aber mich deucht schier , du willst dort deinen Namen gar nicht drin haben . "
" Wer nichts hat , der kann nichts geben , " sagte der Peter gelassen , " was hilft es dem Bettelmann , wenn ich ihm die leere Hand hinhalte ? "
" Nun , so faßt er an und hat eine Stütze . "
" Gehe , gehe , auf die eigenen Kinder muß man zuerst schauen und nicht auf die fremden Leute ' .
Und letztlich täten wir uns gar mit dem Pfarrer verfeinden , was wäre das ?! "
" Du bist ein alter Steinschädel ! " sagte das Weib und stieß einen Topf auf die Herdplatte , daß er schrillte , " wer mit dir was ausreden will , der muß eine besondere Gnade ' Gottes haben .
Wie froh würdest nicht sein zu einer Zeit , wenn dein Schutzengel zum Herrgott sagen täte :
Da bringe ich den Heidebeter , der hat auf die armen Leute was gehalten , und den mühseligen Schulmeister von Rattenstein hat er auch in sein Haus genommen und hat ihn warm gehalten in seinen alten Tagen ; und der Heidebeter ist doch auch selber arm gewesen , aber dir zu Liebe , Gottvater , hat er es tan , und derowegen tu ihm gnädig verzeihen , wenn er sonst Fehler gehabt hat , und führe ihn in deinen Himmel , und seine Kinder auch , und sein Weib halte auch ! -
Wie würdest du froh sein , Peter , zu einer Zeit ! "
Der Peter hatte sich jetzt ein wenig den Kopf gekratzt , und endlich antwortete er mit weichem Tone :
" Du schreist auch so und weckst die Kinder auf , und der Schulmeister hört es auch noch gar .
Meinetwegen magst ihn ja dabehalten , ich sage nichts mehr . "
Mit weltlich vernünftigen Gründen war beim Peter nie viel auszurichten , da konnte eins sagen schwarz oder weiß , er folgte seiner eigenen Nase .
Aber sein Weib kannte ihn von außen und von innen wie ihre Schlafhaube ; sie faßte es höher an , und wenn sie ihm in ihrer gewandten Redeweise Himmel und Herrgott vorhielt , da wurde er allemal weich .
Als die Eheleute nun wieder in die Stube kamen , sagte Klara :
" Man meint , es Rauchtürl wäre ' nicht zum derlangen , man muß sich frei auf die Zehn stellen . -
Ja , mag denn der Herr Schulmeister die Suppen nicht ? Habe sie meines Gedankens gut kochen wollen , und habe auch recht viel Kümmel hineintan , daß sie dem Magen taugt .
Ja , und jetzt ist noch was auszureden ; ich weiß nicht , was meinem Peter da eingefallen ist , er will den Herrn Schulmeister schnurgerad im Haus behalten , daß er unseren Kindern ein Eichtel das Lesen lernen könnt !
Ich habe drauf gesagt :
Der Herr Schulmeister bleibt uns nicht , so ein Mensch , habe ich gesagt , weiß sich was Besseres .
Wenn wir ihm auch das obere Stübel herrichten und ihm gleichwohl aufwarten täten wie einem gern gesehenen Hausmenschen , er bleibt uns nicht .
Schulgeld können wir ihm auch keins geben , habe ich gesagt , und Kost nur , wie wir sie halte selber haben .
- Wenn Ihm das genug wäre ?
- Mir wäre_es von Herzen recht , wenn Er dableiben wollt ' . "
Der Greis erhob sich und rief : " Oh , ihr lieben , guten Leute !
Weil ihr es denn selber zuerst gesagt habt , so getraue ich mich , Euch zu bitten .
Ich habe kein Ziel , und über die Wildschroffen dürfte ich mich gar nicht wagen .
Nur für einige Tage gebt mir Obdach und einen Löffel Suppe ; dann gehe ich wieder hinaus nach Rattenstein und verleg mich aufs Bitten .
Die Leute werden eine Barmherzigkeit mit mir haben , und der Pfarrprovisor wird doch kein Stein sein . "
" Zu Gnaden fallen täte ich ihm auch nicht , just nicht ! " sagte die Bäuerin , und der Heidebeter meinte , es werde schon alles recht werden , so lange der liebe Herrgott nicht eine andere Anstalt mache , sei der Herr Schulmeister im Heidehaus daheim .
Da schrie der kleine Gabriel plötzlich im Schlafe auf :
" Waldl , Waldl , Waldl ! "
" Kindisch , " sagte die Klara , " jetzt kommt ihm der Hund unter . "
Dann trat sie ans Bett und machte mit dem Daumen das Kreuzzeichen über das Antlitz des Knaben .
Der Peter bereitete dem Gaste in der Scheune ein Nachtlager , und bald war es dunkel und still in der Stube des Heidehauses .
Der Hirsch an der Wand Heidebeters war das höchstgelegene Haus in der Einöde .
Es stand oben an der Moosheide , wo die Waldungen begannen .
Es lag sehr hoch auf einem fast ebenen Platze , vor dem Hause guckten zwischen dem Rasen viele graue Steine hervor .
Auf der Heide lag eine Unzahl großer Felsblöcke mit grauem Moos .
Zwischen diesen Blöcken auf dem sandigen Boden stand hie und da eine Weißbirke , deren Blätter immer flüsterten und zitterten , bis sie im Spätherbste verloren über die Heide wehten .
Das Heidehaus trug auf dem Trambaum der großen Stube die Jahreszahl 1744 ; es war das erste Haus , das sie in der Einöde gebaut hatten .
Peters Vorfahren sollen wohlhabend gewesen sein , weil sie viel Wald besaßen und Viehzucht getrieben .
Der Wald war alle geworden und wieder gewachsen ; aber der Graf Fron - der jenseits des Gebirges ein Schloß , die Fronburg , in der Einödgegend viele Waldungen nebst Jagd und bisher auch den Robotdienst der Bauern besaß und inne hatte - bemächtigte sich allmählich des Bodens der Ansiedler , und es stand nun so , daß ohne seine Erlaubnis kein Stamm geschlagen , kein Ast gebrochen werden durfte .
Die arme entlegene Gemeinde der Einöde war von allen Ämtern und Behörden verwahrlost , fast vergessen .
So hielten sich die Einödbewohner an den Strohhalm - an den kärglichen Ackerbau .
Zum Heidehause fest gehörte nur der steile Feldrain gegen die Schlucht hinab und eine schmale Wiese .
Alles andere , was früher dazu gehört hatte , als Holzung , Halt und Viehweide , war mit Abgaben und Robotverpflichtungen belegt .
An der wettergrauen Holzwand des Heidehauses , gegen Morgen hin , unter der hervortretenden Bedachung , befand sich eine aus Brettern geschnitzte Tiergestalt .
Jeder Fremde , wenn dann und wann ein solcher über das Gebirge wandernd an dem Hause vorüberging , blieb vor demselben stehen und betrachtete das Bild .
Hausierer mit Kleinwaren , Krämer mit Sieben und Holzgeschirren , Rastelbinder , Glaseinschneider , Hadernsammler , wie sie im Sommer in der Einöde manchmal umhergingen , setzten , noch bevor sie in das Haus traten , den Stock unter ihre Rückentrage und beschauten die Figur an der Wand .
Selbst Bettler taten dieses und machten dabei ein süßliches Gesicht , als lobten sie den Mann , der das Bild geschnitzt hatte .
Hierin jedoch , was der Gegenstand darstellen sollte , gingen die Urteile auseinander .
Man hielt das Tier für eine Kuh , für einen Esel , für eine Gemse , einige jedoch meinten , es müsse ein Hirsch sein .
Diese letzte Meinung hatte einen wohl zu beachtenden Umstand für sich ; an dem Haupte des Tieres ragten nämlich zwei schmale Brettchen mit sägezahnartigen Einschnitten empor , welche möglicherweise die Hirschgeweihe darstellen sollten .
Der Heidebeter wußte darüber bestimmten Bescheid , das Tier war wirklich ein Hirsch .
Für das Heidehaus knüpften sich Sprüche und Redensarten an die Gestalt .
Wenn der Peter zum Gabriel sagte :
" Bübchen , morgen heißt_es roten Hirsch jagen ! " so meinte er damit nichts anderes , als daß der Knabe am nächsten Morgen um Sonnenaufgang aus dem Bette müsse .
Der Hirsch war nur um diese Zeit glutrot .
Wenn der Schroffenwind ging , so schlug die Gestalt mit den Füßen zeitweilig an die Wand ; da sagten die Hausbewohner immer :
" Es klöpfelt schon wieder der Hirsch , es wird ein anderes Wetter anheben . "
Einen Sommer hindurch hatte Gabriel einmal lange Zeit beobachtet , wie zwischen den Holzgeweihen zwei Spatzen sich ein Nest bauten .
Gabriel hielt damals ein frisches Vogelnest für das größte Glück auf Erden .
Er konnte dem Drang nicht widerstehen , lehnte eine Leiter an die Wand und wollte hinaufklettern .
Da kam sein Vater herbei und , sonst so sanftmütig , gab ihm in nachdrücklicher Weise zu verstehen , daß er ein für allemal das Nest und den Hirschen in Ruhe lassen möge .
Man hätte meinen mögen , das Geschnitze sei eine Erinnerung an den " laufenden Hirschen " , wie solcher aus dem Brette dargestellt und mit dem Strick durch das Gebäume gezogen zu werden pflegte , ein beliebtes Schützenspiel ; und ein Vorfahre des Peters werde ihn getroffen haben .
Aber es hing an dieser Tiergestalt für den Heidebeter eine andere Sache .
Als der Heidebeter noch in der ersten Zeit seiner Ehe war , da gab es Mißjahre , und in der Einöde wollte nichts wachsen und nichts reifen als die Rüben und das Kohlkraut .
Roggen und Hafer gingen im Frühjahr hoffnungsvoll auf und grünten und sammelten sich zum Ausbruche der Ähren .
Da kam mitten im Sommer anhaltender Regen und Kälte , und in den Wildschroffen lag wochenlang der Nebel .
Das Getreide erbleichte und duckte sich wieder zusammen , als möchte es am liebsten zurückkriechen in die schützende Scholle .
Wohl kamen darauf noch einige Wochen mit Sonnenschein , doch noch bevor das Korn zur Reife gelangen konnte , war der Schnee da .
So kam es mehrere Jahre nacheinander .
Die Leute waren mutlos und wollten im Frühjahre nichts mehr säen , oder hatten keinen Samen dazu .
Auch der Feldkasten des Heidebeters leerte sich , und er konnte den Nachbarn nicht mehr das Gesäme borgen , wie er es sonst gewohnt ; er war kaum imstande , sein eigenes Hauswesen zu versorgen .
Aber er wurde nicht mutlos , denn er hatte ein junges , sorgsames , fleißiges Weib im Hause - eine glückliche Sache , die Mißjahre zu allen Zeiten erträglicher macht .
Sein Weib hatte den Vorschlag getan , mehr Feldrüben als gewöhnlich und einen großen Garten voll Kohlkraut anzubauen , damit für das Korn doch irgendein Ersatz da sei .
Der Heidebeter tat danach , und es wurden im Juni frische , schöne Setzlinge gepflanzt .
Im Juli war wieder Regen und Kälte und Nebel in den Wildschroffen ; die Gartenfrucht aber wuchs langsam fort .
Klara blieb die rauhen Tage über viel in der Stube , weil der Peter , ihren Umständen gemäß , nicht zugab , daß sie in die frostige Luft gehe .
Eines Tages aber kam er zu ihr in die Kammer und sagte : " Du , ich weiß nicht , was das ist , Klara , es muß ein Tier dagewesen sein , ein ganzer Jaun ( Streifen ) der schönsten Kohlpflanzen ist abgefressen . "
Der Knecht erzählte , er habe am Morgen vom Kohlgarten gegen den Wald einen Hirschen laufen gesehen .
Der Heidebeter erhöhte nun den Bretterzaun um den Garten , und als darauf einmal der Graf Fron mit Büchse , Pulverhorn und der stolz gebogenen Hahnenfeder über das Feld ging , rief ihn der Heidebeter an :
" Euer Gnaden , täte wohl untertänigst bitten , es kommt alleweil ein Hirsch , und der will uns das Kraut fressen . "
" So " , antwortete der Jäger lachend , pfiff seinem Hund und schritt vorüber .
Und in einer der nächsten Nächte kam das Tier wieder und fraß eine Reihe Kohlpflanzen .
Hierauf rief der Heidevater bei einer nächsten Begegnung mit dem Hütlein unterm Arm dem Grafen ein zweites Mal zu : " Messen mir_es Euer Gnaden doch nicht übel auf , aber ich kann mir nicht anders helfen .
Es sind halte soviel schwere Zeiten , und wir haben schier nichts mehr zu beißen .
Tut uns doch den Hirschen weg , er frißt uns ja das Kraut bei Putz und Stingel ! "
" Aha , " sagte der Graf launig , " tätest wohl gern du den Hirschen zum Kraut fressen , wäre dir lieber , gelt ? "
Er pfiff seinem Hund und ging vorüber .
Ganz traurig kam der Peter in die Stube , setzte sich auf die Bank und sagte lange kein Wort .
Jählings schlug er die Faust auf den Tisch und sprang auf .
Bevor er jedoch wieder davonging , trat er hin zu seinem Weibe und sagte gelassen :
" Klara , ich bin ein Mensch , der sich um den Finger wickeln läßt , sie nennen mich den Dalkerd ; aber jetzt kann es wohl sein , daß ich einmal einen Unfriede anhebe .
Mache dir nichts draus . Habe gemeint , es käme nicht drauf an , aber jetzt sehe ich es wohl , es kommt drauf an . "
Dann ging er hin und machte den Gartenzaun noch höher und flocht Dornengestrüpp hinein und hing den Kettenhund an eine Ecke des Zaunes .
Aber der Hirsch kam und fraß Kohlpflanzen .
Nun machte sich der Heidebeter auf , nahm den Weg unter die Füße und zog über die Schroffen , bis er jenseits des Gebirges hinaus kam , in das Schloß Fronburg .
Dort war gerade ein großes Festschießen ; Grafen und Herren waren versammelt , und bei schäumenden Bechern tranken sie auf Weidmannsheil .
Der Peter schritt mitten durch und gerade auf seinen Jagdherrn los .
Er schien heute aus seiner Natur zu sein .
" Ich wehr ' mich um mein Brot , Herr ! " sagte er mit gedämpfter Stimme , " und daß ich kein Unrecht habe , komme ich den weiten Weg , um Euch es zu sagen .
Nieder schieß ich den Hirschen ! "
Da lachte der Graf überlaut und rief : " Du Närrchen , was tust dir denn die Mühe an ? "
Er pfiff nach seinen zwei Bulldoggen .
Der Peter sagte kein Wort mehr , sondern machte sich davon .
In derselben Nacht schoß er den Hirschen nieder .
Und schon am nächsten Morgen drangen Jäger in seine Stube und legten ihm Eisen an die Hände .
Er ließ es ruhig geschehen und sagte zu seinem Weibe : " Mache ' dir nichts draus , es wird noch einen gerechten Herrn geben ! "
So wurde der Peter fortgeführt und als Wildschütze in das Gefängnis geworfen .
Wochenlang saß er .
Er dachte weder an das Kohlkraut , noch an den Hirschen , noch an den Grafen , er dachte nur an sein Weib . -
Die Stunde ist vielleicht morgen , vielleicht heute schon , und dein Weib bringt dir den Erstgeborenen .
Sie will ihn dir entgegenhalten , und du bist nicht da !
Oder es ist Unglück , und du bist deiner Gattin nicht zur Seite in der Not , und wenn du heimkehrst in dein Haus , findest du eine Mutter ohne Kind , oder ein Waise , oder keines von beiden .
Durch die Mauer hätte er den Kopf rennen mögen , aber er blieb ruhig , nur murmelte er vor sich hin auf den Ziegelboden :
" Das Menschsein ist ein Rad ; heute ' bin ich unten , du oben , morgen ist es anders .
Graf Fron , rund und im Kreislauf , so hat Gott die Welt erschaffen ! "
Endlich , als die Zeit um war , wurde der Heidebeter freigelassen .
Er eilte heimwärts , er fand Weib und Kind in Wohlfahrt .
Am nächsten Tage begab er sich in die Werkzeughütte und zimmerte und schnitzte aus Brettern einen Hirschen .
Diesen nagelte er auf die wettergraue Holzwand seines Hauses , zum ewigen Andenken .
Die Einödleute hatten Respekt bekommen vor dem entschlossenen Heidebeter , der es gewagt , mit dem Großteufel , wie sie in ihrem Hasse den Grafen nannten , anzubinden .
Sie hatten das dem gutmütigen Manne nicht zugetraut .
Es war aber das erste- und das letztemal geschehen .
Der Peter sah , daß damit nichts zu erreichen war , er wurde durch die Jahre und Drangsale entmutigt .
Er meinte nun , auf Erden sei ein Jammertal , wer könne es besseren ?
Es sei am vernünftigsten , still zu dulden .
Er lehnte sich nicht mehr auf gegen den Grafen , ja , er sagte , es sei besser Unrecht leiden , als Unrecht tun .
Er ging fortan seine eigenen stillen Wege , und die Leute nannten ihn , seines weichen nachgiebigen Wesens wegen , den Dalkerden - den Dalkerd .
In der Einöde Jenseits der Schachenschlucht des Heidebeters lag der Haberturmhof .
Der stand auch auf steinigem Boden , hatte aber größere Felder und auch zweimal soviel Wiesengrund als der Peter .
Der Haberturmhof war weithin bekannt .
Es war in diesem Hause eine große Eigentümlichkeit .
Der Besitzer des Haberturmhofes duldete in seinem ganzen Hauswesen keine Weibsperson , sowie er auch keine Hausfrau hatte , ohne daß aber dadurch das Geschlecht der Habetürmer ausstarb .
Das war ein wunderlicher Mann , der vor mehr denn vierzig Jahren den Haberturmhof besaß , die Wirtschaft dem guten Glück überließ und vor seinem Tode , weiß Gott , ob welcher Ursache , folgende Urkunde niederlegte :
" Ich , Gotthelf Habeturm , der Erbauer dieses Hauses , habe ein Weib geehelicht , männiglich Leid erfahren und bin kinderlos geblieben .
Ich habe einen Waisenknaben zu mir genommen und erzogen und ihm meinen Namen gegeben .
Er sei Herr und Besitzer von Wiese und Feld , von Wald und Heide , so dem Haberturmhofe zugemessen .
Aber den Rat erteile ich ihm :
Er nehme kein Weib ; das Weib macht Übel .
Er soll auch einen Waisenknaben zu sich nehmen und ihn erziehen und ihm seinen Namen geben . "
Was den Mann zu dem Testament veranlaßt hatte , ist zurzeit nicht bekannt worden .
Viele meinten , der Alte hatte die Verordnung nur armen Waisenknaben zuliebe so gemacht .
Das sei ja gar zu häufig , daß so ein Waisenkind verkomme und verderbe , wenn sich niemand seiner annehme .
Der Wille aber war seither wohl beachtet worden ; der Hof hatte stets seine ehrenwerten Besitzer , das weibliche Geschlecht blieb verbannt , und der Wohlstand wuchs immer mehr .
Der gegenwärtige Eigentümer war ein großer , starker Mann , der aber seine Kraft nicht gern in der Wirtschaft verwendete , der am liebsten beim Zapfenwirt saß und sich den reichen Habeturm schelten ließ .
Vom Haberturmhofe eine halbe Stunde abwärts , in einer Talung , über welche der Gemeindeweg ging , stand das Zapfenwirtshaus .
Es unterschied sich von den anderen Bauten der Gegend ; es hatte eine blau angestrichene Tür , die immer offen stand , es hatte große , zierlich vertäfelte Fenster , durch welche Gäste heraussahen oder die Wirtin .
An der braunen Wand unter dem breiten , lichtgrauen Schindeldache hingen weiße Schießscheiben mit schwarzem Zentrum , reichlich mit Bleikugeln bespickt und durchlöchert .
Hinter dem Hause unter einigen alten , lang und dicht beästeten Fichtenbäumen war eine Kugelbahn angelegt .
Wenn der Sturmwind ging , sausten von den Bäumen häufig dürre Zapfen nieder auf die Kugelbahn und auf das Dach des Hauses , daß es knatterte .
Davon soll der Name " Zapfenwirtshaus " stammen .
Einmal prellte dem kleinen Davidl , Zapfenwirts Sohn , so ein rauhschuppiger Zapfen an die Wange , daß sie blutete ; darauf wollte der Wirt sogleich die Bäume umhauen lassen , aber der Nachbar Hahnenkamm widerriet es ernstlich , weil dann das Haus den Stürmen bloßgestellt sei .
Vor dem Wirtshause auf dem großen Anger stand eine Kapelle aus Stein mit einem Holztürmchen .
Unter dieser war die Gruft des Zapfenwirtes - aber nein , ich sollte es nicht verraten .
Zu dieser Kapelle kam dreimal des Jahres der Pfarrer von Rattenstein und las die Messe oder hielt wenigstens eine Christenlehre , weil es in der Einöd Leute gab , die " verludern " und verlottern wollten und jahraus , jahrein in keine Kirche kamen . -
Weiter draußen , wo die Wiesengründe und Äckerlein endeten und wieder die Waldungen begannen , die sich bis gegen Rattenstein erstreckten , stand die Hahnenkammhütte .
Der Hahnenkamm war Holzmeister gewesen und hatte sich vor Jahren diese Baracke zusammengenagelt ; nun besaß er dazu eine kleine Bauernwirtschaft .
Der Hahnenkamm war der größte und stärkste Mann in der Einöd ; und seit der Hahnenkamm da war , hatte der Zapfenwirt sein Pferd verkauft .
Wenn des Weges ab und zu ein besonderes Fuhrwerk zu besorgen war , so kam der Hahnenkamm mit seinem Hanfstrick und förderte die Last weiter .
Der Mann hatte nie ein Hemd auf dem Leibe , und in den Sommertagen warf er auch seinen Leibelfleck weg und ließ den dicken Nacken und die breite , braune Brust mit ihrem ganzen Haarwald frei .
In dem hintersten Schroffeneckgraben stand eine kleine Köhlerhütte , die , aus den Holzreutzeiten noch übriggeblieben , dem Habeturm gehörte .
Dieser äußerte einmal an einem gemütlichen Wintertag beim Wirt :
" Ihr alle seid arme Teufel , aber ich habe zwei Häuser ! "
" Ja , mit deinem Rauchkobel im Schroffeneckgraben , " entgegnete der Wirt , " hörst , die kannst heute ' versaufen noch vor Sonnenuntergang . "
" Recht ! " schreit der Habeturm , " ich versaufet den Kobel , wenn ich ihn da hätte ' ! "
Das hört der Hahnenkamm , und in drei Stunden darauf , just wie die Sonne untergeht , steht er mit der Köhlerhütte vor dem Wirtshaus .
Niedlich zerlegt hatte er sie auf eine " Schlarpfe " geladen und so auf dem mächtigen Halbschlitten herbeigeschleppt .
Kein Balken und kein Holznagel fehlte , gar das Bettstroh war dabei .
Der Habeturm hielt Wort , und das Holz wurde noch in derselben Nacht vertrunken .
Als sie damit fertig waren , sagte der Habeturm :
" So , meine Hütte wäre unten , jetzt , Hahnenkamm , bringe uns deine ! "
Und der Hahnenkamm ging zu seiner Hütte und - legte sich schlafen .
- Nicht ein Splitterle von meinem Güterl ! - war sein Grundsatz , und sein Sprichwort :
Der Schenker ist gestorben , und der Henker hat sein Gut erworben .
Haare kämmen , Gesicht und Hände waschen , das erkannte der Hahnenkamm nicht an , so ein Übermut schicke sich nicht für einen ordentlichen Bauer. Seinem Gesinde gegenüber war er sehr schroff und grämig ; auch hatte er es nicht gern , wenn eines lachte oder während der Arbeit sprach ; das sei ein leichtsinniges Zeit- und Kraftverschwenden .
Nur wenn der Oberknecht vor den Mahlzeiten das Suppenbrot aufschnitt , sagte der Bauer gern : " Pfeif ' was , Toni , ich pfeif auch mit . "
Und der Toni pfiff , und die Brotspalten , die er sonst während des Ausschneidens in den Mund zu stecken gewohnt war , blieben im Trog .
- Eines Tages indes brummte der Toni auf die Anrede beim Aufschneiden des Suppenbrotes : " Mag nicht pfeifen ; bin fuchsrabenwild . "
" Wild bist ? " sagte der Bauer , " was sollst denn du wild sein ?
Du hast es schönst Leben und kein ' Sorge ' .
Hat dir leicht gar der Heidebeter wieder eine Predigt gehalten , seines Prinzen wegen ? "
" Der Dalkerd mag meinetwegen seinen Gabel in ein Papier wickeln und es mit einem roten Seidenschnürl fest zubinden .
Fuchsrabenwild bin ich wegen was anderem .
Der Großteufel ist wieder da . "
Jetzt blinzelte der Hahnenkamm .
" So ? " machte er hernach , " und hast ihn gesehen ? "
" Auf dem Schroffenstuhl steigt er herum ; andere hat er auch bei sich : puff und paff geht_es , und der ganze Wald ist voll Hundegeheul . "
Da trat der Bauer ganz nahe zum Knecht und sagte halblaut :
" Wenn ich_es Leben noch eine Zeit habe , und ich kaufe mich ordentlich an in der Einöd , so setzt es einmal was .
Und wo ich anfaß , da gibt es nach , oder es bricht was ! -
Merke auf , Toni , da an der Tischeck habe ich es gesagt ! "
Der Ton , mit dem diese Worte gesprochen wurden , sagte ungleich mehr als die Worte selbst .
Der Knecht schnitt Brot und aß dabei nicht einen einzigen Bissen .
Dann kamen die anderen Leute , und die Bäuerin brachte ein Milch- und Mehlgericht .
Als sie noch um den Tisch herumsaßen , kam der Forstjunge Herbert zur Tür herein und sagte : " Gott besegne die Mahlzeit ! "
" Hole ' dich der Teufel ! " murmelte der Hahnenkamm in den Löffel , und die Leute sahen auf das Roggenmus und hatten zu würgen , daß ihnen kein Lachen hervorbrach .
Der Forstjunge sagte :
" Im Auftrage des Herrn Grafen Fron !
Morgen und übermorgen ist es in den Schroffenwäldern zum Jagen .
Der Hahnenkamm soll zwei Treiber schicken ! "
" Schon recht ! " brummte der Bauer , " werden wohl kommen . "
Bei diesen Worten bis er die Zähne zusammen , daß es knackte ; es wäre ' nicht so hart gewesen , das Roggenmus .
" Beim Pfaffenhut kommen wir zusammen , um vier Uhr früh ! " -
sagte der Jägersmann noch , dann verließ er das Haus .
Es war still .
Aber der Toni wurde unruhig , und er rückte sein Sitzfleisch .
" Dann mögen wir " , murmelte er endlich in das Muss hinein , " wohl schon um Mitternacht vom Haus Forttrotten ; es ist vier gute Stunden bis hin . "
" Aha , redest schon wieder um das Eichtel Schlaf " , fiel der Bauer ein ; " ihr dummes Volk denkt nur ans Schlafen und ans Kauen und Verdauen .
Wäret lieber Maulwürfe worden .
Wenn man euch die fetten Fleischtöpfe ' ins Nest brächte , gleich tätet ihr noch schreien nach dem Mostkrug , und wenn man euch den auch noch hinstellte , so tätet ihr doch wohl nicht schimpfen über die harte Arbeit und das Hungerleiden - heißt das , derweil nicht ihr die Mäuler voll hättet .
Schon gut so . -
Wenn aber jäh einer käme und sagen täte : Leute , Rafts Sensen und Hacken und Mistgabeln auf - die Fronherrn erschlagen , daß einmal ein Friede ist auf der Welt ! - ei , wie schön langsam ihr da zurückkriechen möchtet in eure Strohlöcher !
Ein rechtes Schmalzschnecken-Gesindel übereinander ! "
Der Hahnenkamm hatte einen kurzen , dicken Hals , der indes noch zusehens anschwoll , wenn der Mann in Wut kam .
Da hoben sich auch seine borstigen Haare unter der rotgestreiften Baumwollhaube , und die mächtige Haubenquaste auf der Achsel begann beträchtlich zu tänzeln .
* Gegen die Abend- und Mitternachtseite der Einöde ragt ein wüster , zerrissener Gebirgszug auf .
Die Leute nennen ihn wegen seiner steilen Wände und unerklimmbaren Kanten die Schroffen .
Schon von weitem sieht man über den dämmernden Wäldern der Einöde die weißen Kalkwände leuchten .
Um die Mittagsstunden aber werden sie stets ein dunkler , zackiger Wall , der seine Schatten allmählich hinlegt über die Einöde , und endlich weiter und weiter hinaus in die unteren Wälder und in das Tal ; und zur Abendstunde liegen auf den Fluren die Kanten und Hörner der Schroffen breit und lang hingezeichnet .
Die ganze , fast furchtbare Herrlichkeit dieses Gebirges entfaltet sich aber erst in den Wild- und Hintereschroffen .
Da ragen Hörner und Riffe auf , die zur Sommerszeit bis in die Mitternacht hinein schimmern in matter Glut , und da sind Tiefen und Schluchten , in welche kein Sonnenblick je gefallen , solange die Welt sieht .
Hier wächst kein grünes Blatt mehr , und die Alpenrose wuchert weiter unten auf den Almen .
Hier hört man keinen Vogelsang und keinen Kuhreigen , und die Gemse klettert an tieferen Hängen .
Hoch über alles Leben haben sich die wilden Felsen aufgebaut ; still und tot ruhen die kleinen , beeisten Seen , kahl sind ihre Ufer , nur das Murmeltier und die Spinne hausen hie und da noch in den Klüften des Gesteins .
In den Tiefen rauschen die stürzenden Wildbäche , um die Grate und Hörner ächzt und braust und pfeift die Windsbraut .
Jahr um Jahr schichten sich in den Einsenkungen der Felshäupter größere Eismassen auf , Jahr um Jahr fahren an den Mulden und Schrunden Schnee- und Steinlawinen nieder , und ohne Ende meißeln Luft und Wasser mit ehernen Armen an diesem Gebilde ; ewig bauen sie an den Alpen , und ewig reißen sie sie ein .
So ragen die Wildschroffen und starren nieder auf die Almweiden und Wälder .
An ihrer halben Höhe führt ein Pfad aus der Einöde über engen Paß in die jenseitigen Gegenden , wo wieder Menschen wohnen .
Jeder Wanderer , der über die Alpe zieht , blickt hinauf zu den Felsgebilden , aber noch selten ist einer emporgeklettert an den Schutthalden und Geröllfeldern bis zu einer der höheren Blockmauern , von denen aus man erst recht in das Innere der ungeheuren Felsenburg schauen kann .
An der Einödseite ist ein tiefer Taleinschnitt in die Schroffen , der das Schroffeneck heißt , und in welchem , von Urwaldbäumen und Felswänden umragt , eine Menschenwohnung stand .
Sie war die einzige weit und breit .
Wohl zählte sie zur Gemeinde Einöde , aber sie hatte nichts mit ihr gemein als - die Einöde .
Im Schroffeneck stand die Hütte der Einschicht-Res. Sie klebte wie ein Schneckenhaus unter einem zerklüfteten Felshang , der stellenweise mit Wacholder- und Haselnußgesträuchen bewachsen war .
Unten schäumte der Wildbach in milchweißen Gischten , weit hinan das braune Gestein bespritzend , ewig brausend und tosend , kein Uferblümlein des Sommers schonend , keine Eisscholle des Winters über sich duldend - das freie Kind der Alpen .
Die Einschicht-Res war noch ein rüstiges Weib , aber so verwildert wie der Urwald .
Sie grub und sammelte in den Wüsteneien Wurzeln , Kräuter , Harz , Waldrauchkörner , wilden Honig und was so zu finden ist in der wuchernden Wildnis .
Sie jagte auch nach Raubtieren , wie sie krochen , liefen und flogen ; aus den Fellen verfertigte sie sich die Kleidung , aus Ästen und Binsen flocht sie die Hausgeräte .
Und so lebte sie .
Ihre Eltern und Ureltern hatten auch so gelebt in dieser Felsenschlucht .
Sie waren vermodert im Waldgrunde .
Den Großvater hatten die Jäger erschlagen , die Großmutter war erfroren , der Vater war an einem Natternbiß gestorben , die Mutter hatten böse Menschen zugrunde gerichtet .
Einen braven Mann hatte die Einschicht-Res gehabt , den erschlug ein Baum beim Reuten .
Ein Kind hatte sie geboren nach dem Tode des Mannes , und dennoch war sie allein , mutterseelenallein auf der alten Heimstätte ihrer Vorfahren .
Die Res erhob sich jetzt von ihrem Mooslager , schlug die braunen , reichen Haarsträhnen zurück und forschte nach dem nahenden Tag .
Dann hüllte sie eine Pelzdecke um sich , befestigte die am Halse und band einen Binsengürtel um die Lenden .
Und nachdem sie ihren Anzug vollendet hatte , machte sie die Hüttentür auf , kniete , gegen das wüsste Gestein gewendet , nieder auf die Schwelle und legte die Hände auf die Brust .
Während sie betete wurde es hinter dem Herd in einem Holzkäfig lebendig , und ein schwarzer Vogel begann in demselben zu flattern und zu kreischen .
Welch ein Gebet hat das Weib im Herzen ?
Ihre Hände über der Brust hatten sich geballt , ihre Unterlippe war krampfhaft zwischen die kräftigen Zahne geklemmt , ihr dunkles Auge hinter den langen Wimpern lauerte , und wenn es aufflammte , war es wie ein wilder Blitz um Mitternacht .
Endlich stand sie auf , ging in die Hütte zurück und langte aus einem Korb mit Wildobst einen Holzapfel hervor .
Sie bis in denselben , schleuderte ihn aber wieder von sich und rief lachend : " Ha , du mit deiner roten Wange bist doch ein saurer .
Nicht einmal so einem Apfel darf man trauen , es steckt in allem die Falschheit .
Ei ja draußen , wo der Weizen und der Wein aufkommt , wachsen wohl auch süße , aber für unsereinen in der Wildnis herinnen darf nichts gedeihen .
Der Herrgott gönnt einem armen Menschen einmal nichts Gutes . "
Dann wendete sie sich zum Käfig .
" Das Rabenvieh schreit auch schon .
Hei , möchtest gar wieder auf den Tannenwipfeln oben hausen ? Habe dich in den Winkel getan , weil es heißt , daß du ein Geschöpf Gottes bist .
Der da oben hat mir alles Böse angetan mein Lebtag und hält mich gefangen in der Einschicht ; jetzt mache ich dir es auch so .
Ich zahl ab .
Da , da , friß den Holzapfel , verbeiß dich daran ! "
Sie hielt die Frucht durch die Astspangen ; der Rabe pickte den Apfel zornig zu Boden und haute nach ihrem Finger .
Da stand plötzlich ein Mann in der Hütte , ein grauer , aber noch rüstiger Jägersmann .
" Was schafft Ihr mit diesem Raben , Frau Res ? "
" Die Federn risse ich ihm aus , wenn es Eure Haare wären . "
" Ihr seid kindisch , Res , und werdet bereits häßlich noch dazu .
es ist kein Vergnügen mehr in diesem Nest .
Gehabt Euch wohl ! "
Der Mann verließ die Hütte und schritt lustigen Waldhorntönen zu .
Die Einschicht-Res blickte halb verwirrt umher .
Sie sah wieder nichts als die tote Einsamkeit um sich . -
Res , du armes Weib , dieser Mann war der einzige gewesen , der nach dem Tode deines Gatten in deine Hütte gekommen , der auch in der Welt draußen deiner gedacht und dir zuzeiten hübsche Dinge mitgebracht herein in die Einöde ; der dir dein Haus neu eindecken ließ , der nicht selten mit dir sein Jägermal teilte , und der dir sagte , du seiest ein schönes Weib .
Das waren die Blumen über der Grube gewesen . . .
Lange stand die Einschicht-Res da und blickte wirr umher ; dann riß sie mit beiden Armen die Spangen des Käfigs ab , das Tier schwirrte heraus , und das Weib rief : " Fliege , Rabe , fliege , du bist ein ehrliches Tier ; bist von innen nicht schwärzer als von außen ! "
Die Zapfenwirtsleute Um Mitternacht verließen die Treiber das Zapfenwirtshaus .
Der Wirt mußte auch mit , aber er schimpfte " wie ein Sperling im Hühnerhof " .
Er , der gesetzte und , wie er sich gern ausdrückte , der allerorts ästimierte Zapfenwirt von der Einöde , der einmal drei Jahre und neun Tage Richter gewesen , in dessen Hause alljährlich die Christenlehre abgehalten wird , und bei dem einmal der Prinz Johann über Nacht geblieben war , er wurde nicht geladen zur Jagd als Jäger , sondern wurde aufgefordert als Treiber wie jeder Köhler und Bauersknecht .
Er hätte sich am liebsten " unpäßlich " gemeldet , aber er dachte an das Lächeln des Patrons , das ihm zuzeiten schon verhängnisvoll geworden war .
So ging er ; doch nun handelte es sich , den anderen Treibern gegenüber zu zeigen , daß er zur Jagd eigentlich geladen sei mit Pulver und Blei , wie sich_es von selbst verstehe und es auch immer der Fall gewesen .
Er habe wohl schon seine hundert Jagden als Ehrengast mitgemacht , und er gehe nun einmal mit den Treibern aus reiner Passion , er müßte wieder einmal sehen , wie sich das Gaudium von dieser Seite ausnehme .
Es sei möglich , daß sich diesmal der Graf selbst als Treiber beteilige , er habe so etwas gegen ihn geäußert , und zwar , als sie letzthin in Fronburg bei Tische zusammen gewesen wären .
Als die Treiber mit ihren Fackeln gegen das Heidehaus kamen , trillerte der Knecht des Hahnenkampf : Faules Heu , Da Dalkerd duselt da sein Wei !
Da lispelte der Zapfenwirt :
" Tut ihm was an , Leute ; wenn unsereins auf ist , soll ein solcher auch nicht Polsterzipf tunken . "
Da hielt ein übermütiger Bursche eine Lunte an das Fenster und schrie aus vollem Halse :
" Auf , Heidebeter !
Feuer ! es Haus brennt ! "
Da erscholl in der Stube ein Schrei , und darauf ein Stöhnen und Jammern .
Die Männer lachten und gingen weiter .
Der Hund bellte und riß heftig an der Kette ; der Zapfenwirt sprang hin und versetzte dem Tier einen Fußtritt .
" Tolles Vieh , deinetwegen letztens meinem Davidl .
Noch eins !
Und sage es dem Dalkerd , ihm mache ich es auch einmal so - noch eins , du Biest ! "
" Ist ein alte Ding , daß der Heidebeter keinen Spaß versteht , " sagte der Knecht , " dalkerd sind diese Leute ' ! "
" Und wollen noch hoch hinaus dabei . "
" Ja , zum Schornstein ' leicht ! "
" Liegen auf der faulen Haut bis sechs ! "
" Jetzt hat er für seinen Prinzen gar einen Hofmeister ins Haus genommen " , sagte der Habeturm .
" Dem versprengten Schulmeister gibt er Unterstand ! "
" Der soll dem Gabel den Teufel austreiben - den Teufel von der Jakobinacht " , lachte ein Kohlenbrenner .
" Weißt du auch schon davon ? "
" Ha , das erzählt die ganze Einöd .
Das war ein Hauptspaß . "
" Wie ist denn das eigentlich zugegangen ? " fragte der Habeturm .
" Du sollst so was gar nicht fragen , Habeturm - weißt , deines Habeturms wegen nicht ! " rief der Wirt , auf die Weiblosigkeit anspielend .
Der Bauer gab darauf keine Antwort ; in Sachen seines Erbverhaltes war er empfindlich .
" Je , wie ist_es zugegangen ! " rief der Toni , Hahnenkampf Knecht , " sauber halte .
Lacken-Lisi .
Ich mache zum Samstagabend bei ihr mein Fensterlen .
Das war nächst , am Jakobitag .
Ich gehe über des Heidebeters Wiese ; sitzt der Gabel auf dem Rain . -
Was machst so spat ? frag ich . -
Ein Liebfrauenschüherl fliegt , sagt er , und ich gebe ihm einen Gruß mit in den Himmel hinauf .
- Wird der heilig Dalkerd wie sein Vater ; heute ' machst mit ihm einen Spaß ! denke ich , und sage :
Magst mit mir laufen , Gabriel ?
- Habe kein Zeit , mein Vater pfeift gleich zum Rosenkranzbeten .
- Bist bald zurück , ich zeige dir ins Paradies hinein , siehst Adam und Eva .
- Hüpft der Kleine vom Rain herab : Weißt du die ? -
Und lauft mit mir und fragt mich zehnmal :
Sieht man den Apfelbaum auch ? -
Freilich sage ich . -
Und beißt die Schlange ? -
Kein' Rede ' ! -
So kommen wir zu der Lisi ihrem Fenster ; es ist schon finster .
Sie macht zu eigens auf .
Wir sind drinnen , und ich hals die Dirn .
Da hebt euch der tolle Bub auf einmal an zu schreien : Vater , Mutter ! "
Sie lachten , und der Wirt sagte : " Der Dalkerd , höre ich , hat dir deswegen ja schon eine Bußepredigt gehalten ? "
Unter solchen Gesprächen ging es aufwärts über die Heide und durch die Waldungen gegen den Pfaffenhut .
* Im Heidehause war Jammer mitten in der Nacht .
Klara lag bewußtlos auf dem Boden , und der Peter schüttete ihr ununterbrochen kaltes Wasser ins Gesicht und rief : " Ja , Klara , meine Klara , was ist denn das ?
Wirst mir doch nicht sterben !
Schau auf , es ist nicht wahr , es brennt ja nicht , es ist ja nur ein Spaß gewesen von den Leuten . "
Gabriel stand im Hemdchen vor der Mutter und weinte , und als der Vater sagte : " Gabriel , gehe , bete , bete zum lieben Gott im Himmel ! " kniete er hin zum Tisch , und gegen den kleinen Hausaltar gewendet , betete er laut : " Vater unser !
Vater unser ! "
Regina schluchzte in der Wiege und stammelte : " Himmel-Tata , Himmel-Tata ! "
Das waren die einzigen Worte , die sie schon sprechen konnte .
Jetzt kam vom Oberstübchen herab der Schulmeister mit Licht , und als er die Dinge sah , sagte er : " Höre ' auf mit dem Wasser , Peter , hast kein Federmesser da ? "
" Mein , wo hätte ich denn ein Federmesser !
Seht , das Unglück auf einmal . "
Der Schulmeister nahm aus der Lade den Brotschnitzer , ließ der Ohnmächtigen zur Ader und verband sie .
Nun bewegte Klara eine Hand , und endlich schlug sie die Augen auf .
" Die Jäger sind vorbeigezogen " , berichtete der Peter , " und die haben halte einen Spaß gemacht , haben eine Fackel ans Fenster gehalten , und darüber ist sie frei soviel erschrocken .
- Daß du nur wieder da bist , Klara , Gott sei Lob und Dank ! "
Dem kleinen Gabriel war das Gebet im Munde erstickt , als er den schwarzen Blutstrahl sah , der aus dem Arm seiner Mutter hervorquoll .
Als das Weib wieder im Bette lag und ruhiger Atem holte , dann und wann die Augen aufmachte , nach den Kindern fragte und dabei ein wenig lächelte , zog der Peter seine Sonntagskleider an , um den Arzt zu holen .
Der Schulmeister machte sich erbötig , den Gang zu tun , allein der Peter sagte : " Nein , bleibe der Schulmeister derweil bei meinem Weib .
Beim Bader ist so viel aufzumerken und anzusagen ; da muß ich schon selber gehen . "
Und er ging hinaus nach Rattenstein .
Das war in derselben Nacht , von der die Treiber sagten , der Dalkerd bleibe liegen bis sechs . -
Nun waren im Heidehause wochen- und monatelang die Fenster verhangen .
Der Arzt kam allwöchentlich einmal hereingeritten , um die Krankheit zu beobachten .
" Sie ist ein so frisches , kräftiges Weib gewesen " , sagte er einmal zum Peter .
Der Bauer zitterte und getraute sich kaum zu fragen :
" Wird es doch wohl wieder werden ? "
" Ei ja freilich , ei ja freilich " , versetzte der Arzt und stellte sich dabei munter .
Als dieser hernach auf der Heimkehr sein Pferd vor dem Zapfenwirtshause anhielt , eilte die Wirtin herbei :
" Nein , Herr Doktor , wie mich das freut , daß uns der Herr Doktor auch einmal heimsucht .
Hans , geschwind dem Herrn Doktor sein Roß in den Stall ; schütte ihm von dem besten Hafer ein !
Nein , das kann ich mir denken , daß so ein weites Hereinreisen da in die Einöd lästig sein wird .
Mit was kann ich dem Herrn Doktor aufwarten ?
Da oben bei diesem Dalkerdbauern haben der Herr Doktor so nicht einmal soviel Jausen kriegt , als eins im Auge ' erleiden könnte , das sind soviel geizige Leute .
Ei beileibe , sie hätten_es schon , und der Heidegrund ist rechtschaffen gut ; wie oft habe ich zu meinem Mann gesagt , du , habe ich immer gesagt , wenn wir diesen Grund hätten , in fünf Jahren wären wir steinreich .
Aber so ! der Heidebeter versteht halte nichts anzufassen , der läßt lieber es Gras auf dem Kornacker wachsen , ehe er um ein Stündl früher aufsteht ; er ist einmal ein Dalkerd und bleibt ein Dalkerd . "
" Mir scheint , " sagte der Chirurg , in der Gaststube Platz nehmend , " es sind gute , fleißige Leute , und soviel man bei uns in Rattenstein weiß , ist der Heidebeter ein braver Mann . "
" Ei , das wohl , " versetzte die Wirtin einlenkend , " und man kann ihm sonst auch gar nicht Feind sein .
Annel , rühr dich doch , hast denn eingefrorene Bein !
Bringe dem Herrn Doktor eine Flaschen vom Guten ! -
Gar nicht , sage ich ! er ist fleißig und auch häuslich ; es ganze Jahr kommt er mir nicht ins Haus , ausgenommen , es ist Christenlehre .
Ja , dasselbe ' muß ich sagen .
Mein , wo wäre der Mensch , über den niemand was aufzubringen wüßte ' ; die Leute ' reden gar viel , wenn der Tag lang ist . -
So nimm doch ein Tassel , du ungeschickte Schnepfe , nein , wenn unsereines nicht alles selber angreift ! "
Und sie riß der Magd die Flasche aus der Hand , langte ein glänzendes Tellerchen aus dem Glaskasten , und stellte darauf die Weinflasche höflich und zierlich vor den Gast auf den Tisch .
" Nein , das freut mich recht , Herr Doktor ; es vergeht schon völlig kein ' Stunde ' , wo ich nicht auf den Herrn Doktor denke , und wo ich nicht sage ' :
Aber schau , der Herr Doktor hat uns halte dennoch ganz vergessen und kommt uns gar nicht mehr heimsuchen .
Vor zehn Minuten habe ich es noch gesagt ; Annel , habe ich es nicht gesagt , vor zehn Minuten gerade ?
Und mit Verlaub , wie geht es denn der armen Haut , der Klara ? "
" Wohl besser , wohl besser , " sagte der Arzt , " aber ganz gesund wird sie sobald nicht , alle ihr Lebtag wird es ihr anhängen .
Der Schlag ist eben ein Unglück , und er wiederholt sich nur zu gern . "
" O mein Gott ! " seufzte die Wirtin und schlug die Hände zusammen .
" Das ist ein Elend für die Leute , sie erbarmen einen wohl rechtschaffen .
Wenn nur die Einschicht-Res nicht dazu kommt , sage ich allemal , die ist gleich da mit ihren Kräutern und Hexensachen , wenn so was ausbricht .
Das von den drei Holzknechten werden der Herr Doktor wohl schon wissen ? "
" Drei Holzknechten ? " fragte der Arzt , indem er trank und darauf ein saures Gesicht machte .
So auffallend dieses Gesicht war , die Wirtin wollte es nicht bemerken , sie rückte ganz geheimnisvoll näher .
" Ja , hören der Herr Doktor , das ist - Gott verlass ' uns nicht - eine schauderhafte Geschichte .
Mir hat es gestern ein Pechölträger erzählt ; wenn er lügt , lüge ich auch , aber ich meine , es wird wahr sein .
Gar nicht weiter soll es eins sagen , aber ich sage es auch nur dem Herrn Doktor , sonst keinem Menschen nicht ; - drei Holzknecht hat sie umbracht . "
" Wer ? "
" Nun ja , halte da oben das Hexenweib , die Einschicht-Res. Drei junge , starke Holzknecht ' ; was weiß ich , durch ein Trankel soll sie s' vergiftet haben .
So habe ich es gehört ; mein , ich sage es halte nach .
Wahrhaftig , bei der Zeit traut sich eins schier nicht auf der Welt zu sein . "
So plauderte die Wirtin fort .
Auf den Arzt schienen ihre Neuigkeiten weniger Eindruck zu machen , als sie es gewohnt war .
Als er hierauf nach der Zechrechnung fragte , sagte sie : " Hätte ' mir eine Ehre daraus gemacht , wenn ich hätte dürfen aufwarten ; aber wenn der Herr Doktor von der Zapfenwirtin schon nichts geschenkt haben wollen : neunundfünfzig Kreuzer alt es Geld , wenn ich bitten darf . "
Er warf einen Gulden hin .
" Behaltet den Kreuzer fürs Schwatzen . "
Sein Gesicht war sauer , und doch funkelte des Weines größter Teil noch im Glase .
" Vergelte_es Gott !
Und kommen der Herr Doktor nur recht gesund heim .
Und fürs nächste Mal bitte ich mir wohl wieder die Ehre aus ! "
Als der Arzt auf dem Pferde fortgetrabt war und die Wirtin in der Gaststube Teller und Glas wegräumte , redete sie noch in einem fort , diesmal zum Annel , dem sie dartat , wie lästig ihr so ein Mensch sei , der da auf hohem Roß herumhopse und stolziere wie der Hahn im Teig , und einen Herrn spielen wolle , während er , recht besehen , doch nichts anderes sei als ein Guckhäusler in Rattenstein , der daheim bei Weib und Kind gewiß froh sein würde , wenn er zum Sonntag so einen Wein hätte .
Hast gesehen das Gesicht , das er geschnitten hat ?
Das Leiden Christi ist oben gestanden und der link Schächer noch dazu .
Und dabei hätte er dem heiligen Antoni drei Wallfahrten versprochen , wenn er das Tröpfel rundweg hätte ' trinken dürfen .
So sind sie , die Hungerleider auf hohem Roß . "
Dann rief sie den Davidl herbei und sagte , er möge den Wein austrinken , und sie warf ein Stück Zucker in das Glas .
Der Davidl war heute besonders zerrauft und zerzaust .
Er hatte eben mit einem Pecherbuben Händel gehabt .
Die Spuren davon fanden sich so auffallend vor , daß die Zapfenwirtin sagte : " Lege ' mir aber gleich das Sonntagshös 'l an , mein Kind , und gib das der Annel zum Flicken . "
" Das tu ich nicht ! " schrie der Knabe trotzig und nagte an den Fingernägeln .
" So soll dir die Annel helfen . "
Aber der Magd schlug er ins Gesicht , und dann spuckte er in der Stube umher und polterte aus Zorn mit den Bänken .
Der Forstjunge Herbert trat ein .
Er lehnte sein Gewehr in die Ecke und begehrte ein Glas Schnaps .
" Uj , grüß dich Gott , Herbert , " rief ihm die Wirtin zu , " du kommst mir gar so selten unter mein Dach .
Dein Vorfahr , der Gregor , ist nicht so stolz vorbeigegangen .
Aber , daß ich_es aufrichtig sage , dem Greg hätte ein eisernes Sparbüchsel gar nicht geschadet , der Großteufel - aber na , das ist schon grob , sein Lebtag :
Ein schlechtes Wort , eine graue Maus , wie es beim Ohr hinein , so beim Mund heraus ! -
Aber dasselbe ist richtig , der Herr Graf pensioniert seine Leute mit dem Bettelsack , und just nicht mit dem vollen .
Und daß ich frag , wie geht es dir alleweil , bist doch nicht gar krank gewesen ? "
" Immer gesund , wenn man das nicht zählt , was fehlt " , versetzte der Bursche .
" Ihr wißt es wohl , Zapfenwirtin , daß mir der Habeturm schier ein Bein abgeschlagen . "
" Kein Wort , bei meiner armen Seele , kein Wort " , beteuerte die Wirtin lebhaft , und ihre Äuglein funkelten vor Begierde nach einer wahrhaftigen Neuigkeit .
" Als ob ich anders könnte , als meine Pflicht erfüllen , " sagte der Jäger bitter , " meinetwegen sollen sie alle Böcke und Hirsche niederbrennen , aber sehen darf ich es nicht .
Ich muß den Wald und das Wild hüten , das habe ich geschworen .
Wenn der Habeturm ein Weib hätte , ginge er in der Nacht gleichwohl nicht mit der Büchse herum .
In seinem eigenen Hof habe ich ihm das gesagt , darauf schleudert er mir den Haustiel an die Beine . "
" Siehst du , siehst du , " drauf die Wirtin , " alleweil ist_es mir vorkommen , dieser Habeturm ist ein Wildling !
Und das ist ein rechter Jammer mit diesen Leuten , daß man nie weiß , wer und was sie sind , wo man sie hintun soll , bis sie nicht der Mühe ' wert was anstellen .
Seinen jetzigen Jungen hat der Habeturm gar auf der Straßen aufklaubt .
Mir träumt beim hellichten Tag , das ist ein Zigeunerkind oder noch was drüber , und ein stehender Traum ist selten ein Schaum . "
Der Haberturmhof gab für die Zapfenwirtin stets unerschöpflichen Gesprächsstoff , von welchem sie indessen heute auffallend bald abwich , indem sie zum Jäger sagte : " Just früher ist der Bader von Rattenstein dagewesen ; er kann an uns nicht vorübergehen , sagt er , und draußen im Tal bekam er halte nirgends das Trankel wie bei uns .
Freilich , ein guter Tropfen ist es erst bei einem rechtschaffenen Wirt , und für einen solchen habe ich mich mein Lebtag umtan .
Der Bader ist bei der Heidebeterin oben gewesen ; nicht drei Tag lebt sie mehr , sagt der Bader , es kommt der Schlag und aus ist_es . "
" es wäre ihr zu wünschen ! " sagte der Jäger halb für sich .
Die Wirtin sah ihn von der Seite an .
Ist denn das ein so schlechter Mensch ?
" Wahrhaftig , " fuhr Herbert fort , " das arme Weib hat nichts Gutes auf der Welt .
Diese Einöde ist ein unseliger Fleck Erde .
Ihr alle miteinand' habt nichts als das Elend .
Die Armut ist es nicht allein , mehr sind es ihre guten Kameraden , der Hader , der Neid , die Bosheit ; es gibt wenig Engel , aber viel Teufel hier - eine schauerliche Einöde .
Wenn sie die Heidebeterin hinabsenken , so werfe ich eine Scholle Erde auf den Sarg und sage : Gott sei Dank !
Es sollte gar kein anderes Wort gesprochen werden , wenn sie einen von der Einöde begraben . "
Die Schänken schwieg eine Weile und machte sich bei dem Gläserkasten zu schaffen , endlich entgegnete sie :
" Da laß ich jeden bei seiner Meinung . "
Als der Jäger davongehen wollte , vermißte er das Gewehr .
Der Davidl hatte sich damit heimlich aus der Stube gemacht .
Und der Davidl hielt das Gewehr fest mit beiden Händen und lief damit durch den Schachen aufwärts , gegen das Heidehaus .
" Heidebeter , Heidebeter , der Fuchsbartel kommt ! " schnaufte er unterwegs und guckte immer auf die funkelnde Kapsel unter dem Hahn .
Vor dem Heidehause nagelte der Schulmeister die bretterne Hirschgestalt zusammen .
Es war in der Nacht ein heftiger Wind gewesen , und der hatte das Ding von der Wand geworfen .
Der Schulmeister nahm eine Leiter und befestigte den Hirschen wieder an seinem Platze .
Gabriel langte ihm dazu die Nägel hinauf .
Als sie mit der Arbeit fertig waren , gingen sie zum Bänkl unter den Tannen , und es begann die Lehrstunde .
Gabriel hatte eine Schiefertafel auf den kleinen Knien und einen Stift in der Hand , und der alte Mann diktierte ihm folgende Worte :
Rastlos mußt du vorwärts streben , Durch die Nacht zum Morgenrot ; Denn im Lichte blüht das Leben Und im Dunklen kriecht der Tod .
Es ging wohl ein Stündchen vorüber , bis der Kleine mit diesem fertig war , und die Tafel wurde schier zu eng .
Weil Gabriel die Gewohnheit hatte , das Gesicht sehr nahe an die Tafel zu halten , so fragte ihn der Lehrer heute :
" Gabriel , schreibst du mit der Hand oder mit der Nase ? "
" Mit der Hand " , versetzte der Knabe schnell , erst später hielt er den Kopf empor und wurde sehr rot im Gesicht .
Als der Heidebeter über den Hof ging , entließ der Schulmeister den Knaben und schritt dem Bauer entgegen .
" Lernt der Bub was ? " fragte der Peter .
" es ist eine rechte Freude , was ich mit dem Kind erlebe ' " , antwortete der Greis .
" Wenn es nur wahr ist ; aber die Bauernarbeit muß mir der Bub halte nach und nach auch lernen ; er wird dazu , der Tausend , schon bald Mensch genug . "
" Ich habe ihn jetzt laufen lassen , " sagte der Schulmeister , " weil ich Euch sogleich was auszurichten habe .
Der Bader läßt Euch noch sagen , Ihr sollt die Jagdtreiber verklagen wegen der Spanfackelgeschichte , durch die Eure Hausfrau in die schwere Krankheit gefallen .
Die Leute müßten Euch die Unkosten vergüten . "
" Geht_es , geht es mir mit diesen Geschichten ! " rief der Peter abwehrend , " ich fange ' nichts an , will im Frieden leben mit der Nachbarschaft .
Und wenn ich sie all miteinander klagen täte vor dem Kaiser und vor Gott , und wenn sie mir alles auf der Welt geben könnten , meine Klara machen sie mir damit doch nicht gesund .
Gott allein kann_es , Herr Schulmeister , und ich fang mit der Nachbarschaft keinen Streit an .
Sie haben mich ins Elend brachte , es ist wahr , aber daß es so traurig ausgeht , haben sie halte voraus nicht wissen können . "
Der Schulmeister dachte :
- Der nimmt es genau mit der Satzung :
" Wer dir einen Backenstreich gibt auf die rechte Wange , dem halte auch die linke hin . "
- Gesagt ist es recht schön , aber wenn_es darauf ankommt , hau ' ich schon lieber die erste Ohrfeige gleich wieder zurück .
Da hat die christliche Liebe ' einen wunden Fleck .
" Wie du ausmessest , wird dir eingemessen werden " , wäre das Pflaster drauf .
Der Peter schob einen Ziehkarren aus der Hütte und räderte ihn dem Wiesenrain zu , um das dort in Haufen gesammelte Moos und Heidekraut aufzuladen und zur Winterstreu heimzuziehen .
Bei dergleichen Fuhrwerken sind die Kleinhäusler selber ihre Pferde und Ochsen .
Hinter dem Hause im Haselgebüsch hatte der Peter eine Fuchsfange gelegt .
Zu dieser ging Gabriel gern nachsehen , ob nicht einmal so ein Hühnertod in der Klemme wäre .
Auch heute hüpfte er von der Tannenbank weg gegen das Gebüsch .
Da hörte er in demselben etwas rauschen und bald darauf ein Gezeter .
Als der Knabe vor Begierde brennend nachsah , fand er Zapfenwirts Davidl in der Klemme .
Fest hatte der Eisenreif um das Bein geklappt .
Neben dem Gefangenen lag das Gewehr .
" Du lieber Gabriel , jetzt laß mich aus ! "
bat Davidl kläglich , " du bist immer mein Freund und Gespann gewesen , und ich habe dich am liebsten von allen Menschen .
Laß mich aus ; ich bin ja zu dir gekommen und will dir dann was erzählen .
Was ganz Merkwürdiges will ich dir als Lohn erzählen . "
Vom Herzen gern hätte Gabriel der Bitte willfahren , aber er war zu schwach und konnte die starre Eisenfeder nicht bewältigen .
So ging er und rief den Schulmeister .
" O heiliger Antonius , jetzt bringen sie mich um ! " wimmerte der Davidl und schlug mit der Faust wütend auf das Fangeisen .
Endlich kam der Schulmeister , faßte zuerst das Gewehr und hielt wegen desselben mit dem Jungen ein strenges Verhör ab .
Davidl sagte , daß er es vom Jäger Herbert bekommen habe , um von den Hühnern des Heidebeters die Füchse wegzuschießen .
Ob ihm das aufs Wort geglaubt wurde , hat er selbst nie erfahren .
Endlich aber wurde er aus seiner peinlichen Lage befreit .
" Weil du nur keine Wunde hast , " sagte Gabriel teilnehmend , " aber nun erzähle mir auch das Merkwürdige ! "
" Wirst es gleich hören ! " rief der Davidl .
" Deine Mutter lebt keine drei Tage mehr , es trifft sie der Schlag .
Freilich !
Ich weiß es gewiß , habe_es vom Bader selbst . "
Der Junge lief davon .
Gabriel begann laut zu weinen , aber der alte Mann drückte ihn an seine Brust und sagte mit zitternder Stimme :
" Du gutes Kind , das war ein Lügenwort .
Aber ich bitte dich , sage es nicht daheim .
Sei ruhig , mein Knabe !
Den Wirtsbuben wird Gott strafen , du sei gesegnet .
Bleibe gut , mein Gabriel , bleibe mir nur du gut ! "
Der Greis küßte den Knaben auf die Stirn .
Nach zehn Jahren Was ändert sich in einer kleinen , ringsum abgeschlossenen Gemeinde in zehn Jahren ?
Ein Dutzend Sargdeckel werden zugeklappt , der Taufsteindeckel wird einige Male aufgemacht , ein paar Invaliden kommen heim , ein paar Rekruten jauchzen in die Welt hinaus .
Eine oder die andere Hütte brennt ab , da und dort wird eine neue gebaut .
Alles übrige holpert in gewohnter Weise fort , wie in der Vergangenheit , wie in der Zukunft , wie immerdar .
Alljährlich wachsen die Erdäpfel , alljährlich grünt das Haferfeld , doch nicht alljährlich reift es vor dem Schnee .
Aber Not und Entbehrung , Zwist und Tücke blühen und reifen jahraus , jahrein , und das Wirtshaus steht offen jahraus , jahrein .
Und alles ist älter geworden um zehn Jahre , es wäre denn in dieser Frist geworden oder vergangen .
Die Zapfenwirtin aber ist dieselbe geblieben .
Sie ist stets wohlauf und die erste und letzte im Hause ; sie ist höflich mit den Gästen - heißt das , mit den anwesenden - , sie spricht gern von den Abwesenden und weiß täglich funkelnagelneue Geschichten , die sie gehört hat , die , wenn sie wahr , ganz außerordentlich sind , die sie aber nicht weitersagen will , die sie aus purer Freundschaft und im Vertrauen auf Verschwiegenheit nur dem mitteilt - nun , der eben in der Schankstube sitzt .
Die Zapfenwirtin ist den Gästen gegenüber die Gemütlichkeit selbst , bis es zur Zechrechnung kommt , bei welcher aus reiner Ehrfurcht vor den Gästen die Gemütlichkeit aufhört .
Man sagt , sie könne kein Wort schreiben , aber die Ziffern macht sie wie eine ; nur daß sie mitunter von all den Wirtschaftsgedanken und außerordentlichen Neuigkeiten zerstreut ist und anstatt des Sechser einen Neuner macht - du lieber Gott , wenn eins die Gedanken überall haben soll , so ein Dingelchen ist leicht verkehrt und steht lieber auf dem Fuß als auf dem Kopf .
Ihr Mann ist bei weitem nicht so umsichtig .
Wenn er auch zuzeiten bei den Gästen sitzt und die längste Weile seine Pfeife stopft , so weiß er nichts Rechtes zu erzählen , er scheint eben immer an das Pfeifenstopfen zu denken .
Zwar sagt er nicht :
" Ist ein schöner Tag heute ' ! "
- sondern er gibt das viel getragener und ruft aus :
" Nein , das muß man sagen , eine wunderherrliche Zeit jetzt , und die Sonne scheint alleweil so warm . "
Er tut auch nicht die etwas einförmige Frage :
" Wie geht es denn allweg , Vetter ? "
- sondern er lächelt : " Nun , wie schlägt an ? -
Wie macht sich_es Geschäft ? -
Ja , der liebe Gesund , das ist das Beste . "
- Aber es kommt kein rechtes Leben in das Gespräch , und die meisten Gäste gehen nach dem ersten Glase davon .
Wenn die Wirtin in der Stube ist , brummt sie bei sich :
" Nein , aber der Langweilig mit der Beichtzettelnase vertreibt mir heute die Geäst wieder allesamt . "
- Und laut sagt sie :
" Du , Alter , es kommt mir vor , als hätte dich draußen wer gerufen . "
Und der Alte weiß wohl , von wannen die Stimme kommt ; er geht hinaus und mit verschränkten Armen ein wenig im Hofe umher .
Aber das grelle Tageslicht tut seinen rotunterlaufenen Augen nicht wohl , und da steigt er denn dann und wann in den dunklen Hauskeller oder er schleicht gar hinüber zur Kapelle und tastet die Stufen hinab in die Gruft .
Und da ragen sie der Reihe nach , die runden , bauchigen Särge ; in einigen gärt es noch , in anderen ist es stille - Grabesruhe .
- Sind aber nur scheintot , die Aufgebahrten hier , in jedem schlummert noch der Geist , der Erlösung und Auferstehung harrend .
Der Zapfenwirt verweilt gern in dieser Gruft , und er wagt nicht selten ein verwegen Spielchen mit den Geistern .
Diese Spielchen und die schattige Kühle tun dem Zapfenwirt immer wohl , aber wenn er endlich wieder heraufklettert aus den Kellerräumen , so kann er das grelle Licht schier nicht ertragen , es schwindelt ihm so , er taumelt - muß ins Bett gehen .
Und wenn der Zapfenwirt in seinen Federn ruht , da ist für ihn eine schöne , friedliche Zeit .
Die Zapfenwirtin geht , wie sie sagen , wohl schon auf ihren letzten Füßen , aber ihr Ehegespons geht eben auch nicht mehr auf den ersten .
Indes hegt er zuzeiten ihretwegen noch manch gelinden Zweifel .
Nicht ohne innere Unruhe stand der Zapfenwirt oft da und sah sein Söhnlein , den Davidl , an .
Drei Eimer aus seiner " Gruft " hätte er gegeben , wenn Davidl gleich ihm eine " Beichtzettelnase " trüge .
Aber der Gesichtsvorsprung des Jungen hatte ganz andere Formen , nicht die schmale , dünne Gesichtskante , die man in der Gegend Beichtzettelnase nennt , sondern eine fremde , stumpfwulstige Nase hatte der Davidl . -
Weiß Gott , die Weiber ! und erst die Schenkinnen !
Davidl ist ein erwachsener Bursche geworden , hat aber noch immer die zerzausten Fuchshaare .
Sein Mund ist nicht zu schmal und nicht zu enge und läßt die strohgelben Zähne sehen , die in verschiedenen Richtungen aus den Backen stehen .
Die Wangen sind bereits ein wenig eingefallen und zeitweise von gelblichgrüner Farbe ; um die Oberlippe liegt dunkler Bartanflug .
Um die Augen hat er bläuliche Ringe bekommen , weswegen ihn boshafte Leute den Brillen-Davidl nennen .
Die Zapfenwirtin aber heißt ihn den " jungen Herrn " , wie recht und billig , maßen er bestimmt ist , über kurz oder lang das Zapfenwirtshaus zu übernehmen .
Vorderhand führt freilich noch die Wirtin das Regiment , und es gibt Zeiten , in welchen sie mit ihrem Sohne in Zank gerät , ihn einen Taugenichts , einen Lumpen nennt .
Davidl widerspricht ihr nicht hierin , sondern heißt sie kurzweg eine Schnattergans oder eine alte Vettel .
Trotzdem zieht er regelmäßig den kürzeren , und die Zapfenwirtin schlägt in trauten Stunden Besenstiele ab auf seinem Rücken .
Die Folge davon ist , daß der Davidl auf eine der alten Fichten klettert und dort in der dichten Krone bei einem Geierneste zu verharren beschließt , bis er verhungert und verdorrt wie die Zapfen herabkollert auf das Dach seines Vaterhauses .
So weit indes läßt_es die Mutterliebe nicht kommen ; gar bald ruft sie bangend hinaus das Wort :
" Davidl ! " , und sie eilt unter die Fichten , und trotz des Zapfenhagels , den ihr holder Sohn auf sie herabrüttelt , schreit sie :
" Laß mir die Unbild vergeben und vergessen sein , mein Kind , und komme herab ; ich habe dir einen fetten Eiertomerl gekocht , und zum Hinabschwemmen ist auch etwas hergerichtet .
Gehe , steige nieder , mein Davidl , aber gib mir Gotts wegen Obacht , daß du dich nicht verstauchst ! "
Wenn auch nicht unmittelbar nach solcher Bitte , so siegt doch nach einiger Zeit die Liebe zum Eiertomerl gegen den Todesentschluß , und Davidl klettert vom Baume .
Einmal ging der Hahnenkamm vorüber , als der Bursche nach einem ihm widerfahrenen Unrecht sich eben wieder in die hohe Baumkrone verkrochen hatte .
" Eure Bäume tragen saubere Früchte ! " sagte der Bauer zur Zapfenwirtin .
" Die deinen tragen gar keine , Steffel ! " entgegnete die Schänken giftig , auf Hahnenkampf Kinderlosigkeit zielend .
" Gottes Vorsicht .
So ein Früchtel hätte ' ich schon neunundneunzigmal ins Rübenfeld hineingehaut .
Wäre der Bub da mein Sohn , und er täte sich so ducken da oben beim Geiernest , ich wüsste , was ich ihm sagen täte : Hole ' dich der Geier , du Erzlump !
Und kommst du mir noch einmal auf Gottes Erdboden nieder , so haue ich drei Häustangen über dich ab ! "
" Hau ' du die Häustangen über deine Leute ab ! " schrie die Wirtin mit funkelnden Augen , " deine Knechte ludern sauber genug beim Heurechen ; wenn die Sonne ' scheint , liegen sie unterm Baumschatten ; wenn es regnet , bleiben sie auch liegen unterm Dach .
Die werden dir noch faul mitsamt dem Heu !
Und hau ' lieber deine hochnäsigen Mägde in den Rübenacker , ehe sie dir ganze Säcke Rüben davonschleppen und verschachern .
Von deinem Weib gilt dasselbe , gilt noch mehr , du Hahn'r du !
Und wer vor seiner eigenen Tür soviel Mist hat , der soll vor einer fremden nicht kratzen .
Hörst es , Winkelbauer , die meine Schlag ich dir vor der Nase zu , du bist mir Kas !
Von dir wird kein Wirt reich , du Geizfilz ; und ich dank noch meinem Gott , wenn du mir die Gläser rein läßt , es will nach dir so keiner trinken draus .
Wasch dir dein Maul einmal mit Bachsand , das ist ein guter Rat , du grauslicher Schmutzhammel , du ! "
Der Hahnenkamm lachte überlaut und rief noch durch das Fenster hinein :
" Ich lach !
Du alte Waldschnepfe , und dreihundert Zapfenwirtinnen zusammen sind nicht imstand , mir soviel Ärger zu machen , nicht soviel ! "
Er reckte einen Finger empor und deutete nach dem schwarzen Nagel .
" Und daß du die Tür vor mir zuschlägst , ist mir auch recht ; wenn das Bettelweib die Hand nicht auftut , so bleibt einem der Pfennig gespart , es ist doch wahr , was die Einschicht-Res sagt :
Der Herrgott und der Teufel sind zusammen durch die Welt gegangen ; wo der Herrgott gerastet , da steht eine Kirchen , wo der Teufel gerastet , da steht ein Wirtshaus .
B'hüt dich Gott , Zapfenwirtin ! "
Da flog die Tür auf , und die Wirtin goß einen mächtigen Kübel Schwemmwasser gegen den höhnenden Mann .
Der Hahnenkamm ging langsam davon , aber sein Gesicht war dunkelrot und sein Hals merkwürdig angeschwollen .
Als er über seine Wiese ging , wo die Leute bei der Heuernte waren , sagte er halblaut zu seinem Weibe : " Alte , komme mir in zehn Minuten nach , habe was zu reden mit dir ! "
Dann schritt er dem Hause zu .
Die Bäuerin begann zu schluchzen und klagte es der Magd , daß sie nun wieder Schläge bekäme , warum , das wisse sie nicht , es müsse ihren Mann wieder wer " wild " gemacht haben , er sei nun schon vorausgegangen , um den Strick zu drehen .
" So gehe ihm halte nicht nach , Bäuerin " , riet ihr die Magd .
" O jegerl , da wäre es aus ! " jammerte das Weib , " nicht , daß ich es sage , aber bei den Haaren täte er mich ins Haus schleppen , und erschlagen täte er mich .
Es ist wohl ein Graus , wenn man mit einem solchen Wildling zusammengebunden ist sein Lebtag lang . "
Ergeben in ihr Schicksal , ging sie dem Hause zu .
Ein Wirbelwind kam und zerzauste die Heuschichten , und die Fetzen tanzten in der Luft , und einzelne Halme trug er hoch empor ; sie fielen nicht mehr zurück auf die Wiese des Hahnenkampf , sondern verloren sich im Walde , blieben hängen im Gestrüpp - ein Vogelpaar wird sie sammeln und sich ein trauliches Nest daraus bauen .
Möchten die Ehen der Menschen immerdar so friedlich sein als die der heiteren Vöglein in den Lüften .
Da ging es beim Habeturm ruhiger zu .
Und der Haberturmhof zeigte , daß die Weiber überhaupt auf der Welt zu entbehren sind .
Da gab es keine Stallmagd , sondern einen Stallbuben ; keine Küchenmagd , sondern einen Küchenbuben ; und am Herde und im Speisekasten und in der Vorratskammer , da war nur der Habeturm daheim .
Und es mag wohl gesagt werden , er war hier daheim wie die umsichtigste Hauswirtin , und sein Sterz und seine Knödeln unterschieden sich in nichts weiter von denen weiblicher Erzeuger , als daß sie sehr oft - nicht da waren .
Dieser Unterschied hatte seinen Grund darin , weil auch der Habeturm sehr oft nicht da war .
Es gab Tage , wo der Bauer sich dennoch gern von weiblichen Wesen kochen , einschenken und bedienen ließ , und da saß er denn unten im Zapfenwirtshause beim mittleren Tisch oder beim Kachelofen , und die Gespräche der Wirtin hielten seinen Geist rege bis auf den Moment , wo der Habeturm mit dem Oberkörper langsam nach vorn auf den Tisch sank und friedlich einschlummerte .
Indes hatte der einsichtsvolle Mann für derlei Fälle vorgesorgt .
" Du , Hannes , " hatte er einmal zum Altknecht gesagt , " Mensch ist Mensch , und sollte mir einmal irgendwie was zustoßen und ich nicht pünktlich nach Hause kommen , so wirst in der Haustruhe Zwieback finden , das trage den Leuten auf , und Milch dazu ; ist ein kräftiges Essen . "
Ein kräftiges Essen fürwahr und für kräftige Esser , denn der Zwieback war nichts anderes als altes , gedörrtes Schwarzbrot , das nur mit Eisenhacken zerkleinert werden konnte und erst durch langes Aufweichen in der Milch genießbar wurde .
Und siehe , es ereignete sich öfter und öfter , daß dem guten Habeturm etwas Menschliches zustieß , so daß die unzufriedenen Knechte schon davon sprachen , die Vorratskammer zu erbrechen .
Vor mehreren Jahren , als der Habeturm einmal auf Holzhandel aus war , brachte er einen hübschen Knaben mit heim .
Dieser war der Sohn einer Dienstmagd ; der Habeturm nahm ihn aus " reiner Barmherzigkeit " und übte an ihm Ziehvaterstelle .
Vielleicht wollte er ihn zu seinem Nachfolger machen .
Rudolf , wie der Junge hieß , war lebhaft in der Arbeit , anstellig und flink und immer munter .
Er hatte sich mit seiner Umgebung bald vertraut gemacht , und wo es im Hofe , auf dem Felde oder im Walde was zu tun gab , da war er dabei , und alles wußte er so anzufassen , daß es ihm gelang , so daß der Altknecht sagte :
" Der Kleine ist ein rechter Saggra , da spielt er sich herum mit dem Zeug , und es wird was fertig . "
Rudolphs weiße Zähne waren die einzigen , die auch mit dem Zwieback fertig wurden .
Eines Tages , als der Habeturm grämig vom Zapfenwirt heimkam , sagte der Knabe :
" Vater , ich möchte ' Euch wohl schön um was bitten ! "
" Gib Frieden ' !
Ich bin nicht aufgelegt , will jetzt schlafen gehen ! " entgegnete der Bauer unwirsch , aber des anderen Tages fragte er doch :
" Rudolf , was hast mich denn gestern bitten wollen ? "
" Vater , der Tag ist lang , und die Steinarbeit ist schwer , unsere Leute ' sind alle fleißig und richten was aus . "
" Sei nur still , Bub , ich kenne deine Flausen schon , " unterbrach der Bauer , " du möchtest dich im Hause überflüssig machen und zu Heidebeters Schulmeister ' nüberlaufen , wie du_es heimlich schon getan hast .
Geld , daß ich alles erfahre ' und errat' - gelt !
Aber , ich sage dir es , Bub , denke mir an das Zeugs nicht ! -
Schau , Rudolf , wenn ich meine Pflüge und Mistgabeln politieren wollte , du tätest mich hellicht auslachen , und ein gelehrter Bauer ist geradeso wie eine politierte Mistgabel .
Weißt , die Buchstaben bauen kein Feld an und stocken keinen Wald ab ; die bleiben im Bücherstaub hocken und duseln die Zeit .
Was meinst , daß aus Heidebeters Gabriel wird .
Ein Gar_nichts wird aus ihm : zum Bauer ist er zu gescheit , zum Herrn zu dumm .
Ein Gar_nichts ist auch wer , meinst ? "
" Ich habe Euch nur bitten wollen wegen was anderem , " sagte Rudolf schüchtern , " wenn Ihr nicht daheim seid , da geht_es verkehrt zu - die Leute haben kein rechtes Essen .
Da bitte ich Euch , daß Ihr mich das Kochen lehrt , dann will ich es schon besorgen . "
" Ja , du junger Spatz wirst das Kochen lernen ! " lachte der Habeturm ; aber in den nächsten Tagen , wenn der Knabe neben ihm am Herde stand , redete er in einem fort : " So , Rudolf , jetzt schau , so macht man das , so rührt man das Mehl , so zerläßt man das Schmalz , so kocht man die Suppe ein , und das muß diese Form haben , und diese Farbe und diesen Geruch , und dazu nimmt man einen , oder zwei , oder drei Löffel voll von dem , oder dem - "
Und als hierauf dem Habeturm wieder einmal was Menschliches zustieß , da kochte Rudolf das Mal , und die Knechte lachten und sagten :
" Jetzt mag der Bauer ausbleiben , solang er will ; wenn er nur zu Weihnachten kommt , um uns den Jahrlohn auszuzahlen . "
Und Rudolf war froh in sich hinein und aus sich heraus , und er sang und jodelte , wo er ging und stand .
Und er ging doch manchmal zum Heidebeter hinüber und lernte mit Gabriel und der kleinen Regina , und zu Hause übte er sich , nachts , wenn die anderen schliefen .
Dann kam wieder Gabriel in den Haberturmhof , und sie setzten sich in der Hintereschupfe auf die Hanselbank und schrieben einander kleine Briefe .
Dann wieder erzählte Rudolf seinem Freunde im Vertrauen , daß er nicht bloß Lesen und Schreiben lerne , sondern auch eine andere Wissenschaft - das Kochen .
" Dich hat Gott zum Hausmutterl erschaffen , " sagte Gabriel lustig , " wenn ich Heidebauer werde , ich nehme dich ! "
* Und was hatten die zehn Jahre im Heidehause getan ?
Dem Peter hatten sie eine erkleckliche Anzahl grauer Haare gebracht , und Klara hatten sie , gottlob !
doch nicht mit sich genommen .
Der Tod war wohl mehrere Male ums Haus herumgeschlichen ; einmal um Mitternacht hatte er just vor dem Fenster die Sense gewetzt , und der Uhu hatte geschrien auf den Tannen .
Da lag Klara im Bett , blaß und still , und der Peter stand daneben und hielt ihr , sich selbst den Atem versagend , ein Stück Spiegelglas vor den Mund .
Und das Spiegelglas wurde ein wenig trüb - eine stille Botschaft , daß die Tage der Trübsal dem armen Weibe noch nicht vorüber .
" Gottlob ! " wie der Peter stets sagte , " wenn sie auch mühselig ist , wenn sie auch herumhumpeln muß mit der Krücke , weil ich sie nur noch habe !
Was täte ich denn , wenn mein Weib nicht wäre !
Die Zunge ist ihr freilich schwer seit dem Schlagfall , aber wir verstehen sie schon . "
Klara hatte in diesen zehn Jahren die Ihren wohl tausendmal starr angeblickt und gestammelt :
" Mich deucht , es ist nicht mehr so Licht auf der Welt wie ehe dem ; ich sehe wohl alles noch , aber die Sonne ' will nimmer so hell scheinen , und mir ist_es , als wollte_es allweg dämmriger werden . "
War denn die Gesundheit nicht mehr zu erlangen ?
Wo in der Umgegend ein Arzt zu erfragen gewesen war , da hatte ihn der Peter aufgesucht .
Gut wird_es wohl recht langsam werden , hatten alle gesagt - so hoch waren sie studiert .
Der Peter verkaufte ein Fahrnis um das andere und bezahlte die Medizin .
Da war einmal die alte Kleesam-Kathi gekommen , und die hatte von einem Wunderdoktor erzählt , der weit draußen hinter dem Gebirge lebte .
Der Peter band sich einen Laib Brot auf den Rücken und ging tagelang .
Es war zur frühen Sommerszeit ; die Natur prangte in reicher Kraftfülle , jedes Pflänzlein am Wege atmete junges Leben - und Peter suchte die Gesundheit für seine Gattin .
Allweg trug er den breiten Hut in der Hand und betete ; mit den fremden Menschen konnte er ja nicht reden , der liebe Gott allein verstand ihn .
Der liebe , Gott , zu dem er gebetet in den Tagen seines Glückes , und der stets seine Zuversicht war zur Zeit der Drangsale .
" Geld , du mein himmlischer Vater ! " rief er oft , " es ist nicht dein Ernst , daß ich so in das Elend soll kommen ; du willst mich nur probieren , ob ich nicht verzage .
Bin ja mit allem zufrieden , nur einen Gefallen tu mir , wenn es dir nicht gar zu hart ist , meine Klara laß mir noch ein Eichtel ! "
Als er endlich zum Wunderdoktor kam und ihm sein Anliegen klagte , nahm dieser eine Prise zwischen die zwei Finger und , noch bevor er schnupfte , sagte er :
" Wird nichts nutzen , Bauer , ihr vertut umsonst Euer Geld .
Geht nur gleich heim , daß Ihr Euer Weib noch beim Leben trefft .
Wenn Ihr schnupft , so warte ich mit einer Prise auf . "
Aber der Heidebeter schnupfte nicht , er ging wieder gegen sein Gebirgsland und ging Tag und Nacht .
Und als er zu seinem Hause kam , schimmerte ein Öllicht durch das Fenster , und in der Vorlaube lag eine Leiche .
Der alte Schulmeister , seit seiner Verbannung gebeugt , lange schon mühselig , war eines Morgens in seiner Oberstube nicht mehr aufgestanden .
Regina hatte ihm die Suppe gebracht und gelispelt :
" Herr Schulmeister !
Herr Schulmeister !
- Was Warmes habe ich da ! "
Und da er sich nicht rührte und sie ihn näher ansah , ließ sie die Schale fallen , stürzte davon , kollerte beinahe die Stiegen hinab , eilte wortlos an der Mutter , die auf einem Holzblocke saß , vorüber und hinaus in den Stall , wo Gabriel Streue legte .
" Gabriel ! " stieß das Mädchen fast atemlos heraus , " tu jetzt die Gabel weg und erschrick nicht .
Der Schulmeister ist gestorben . "
Gabriel lehnte die Gabel an die Wand und setzte sich auf den Futterkarren .
Er sagte kein Wort , er starrte auf die grünen Reiser am Boden , es zitterten ihm alle Glieder .
Endlich berieten sich die Geschwister , wie sie das Unglück der Mutter mitteilen sollten , daß sie nicht zu sehr erschrecke .
Da rief Mutter Klara schon den Namen : Regina , und was denn das sei , daß heute der Schulmeister solange schlafe ?
Gabriel lief zum Habeturm , auf daß Leute kämen , um die Leiche aufzubahren , denn seit der Bursche erwachsen war und sich auch Regina im Haushalt schon gut verwenden ließ , war im Heidehause kein Dienstbote mehr .
So wurde der Greis in der Vorlaube aufgebahrt , und am Abend kamen Leute aus der Nachbarschaft und hielten unter Beten und Singen die Leichenwache .
Da war der Regina eingefallen :
" Gabriel , " sagte sie , " wenn in dieser Nacht der Vater heimkäme und machte die Tür auf und sähe so jäh die Leiche ! "
Darauf ging Gabriel hinaus hinter die Tannen , wo der Weg über die Weide hereinzieht , und stand dort die halbe Nacht hindurch , um den heimkehrenden Vater auf den Todesfall vorzubereiten .
Plötzlich aber rief Regina : " Gehe nur her , Gabel , der Vater ist schon da ! "
Und da saß der Vater in der Küche neben seinem Weibe und sagte mit schwankender Stimme :
" Wie geht es dir denn , Klara , bist besser ? "
Dann nahm er sie bei der Hand : " es hat mich wohl ein wenig gestoßen , wie ich das Kerzenlicht habe gesehen , draußen , und das weiße Tuch ! "
In der Stube sangen sie geistliche Lieder .
Der Peter suchte auch sein krankes Weib zu bewegen , daß sie singe , wie sie früher gern gesungen habe , und wie das so schön gewesen .
" Mann , aber sei nicht so einfältig , " entgegnete Klara etwas lallend , " wie könnt ' denn ich singen ?
Täten mich ja all auslachen , mir ist schon der Stimmstock umgefallen . "
Dabei zog sie ihr Kopftuch zusammen und brummte leise mit , als die anderen sangen .
Das Singen war einst ihr Liebstes gewesen auf der Welt , und sie war zu allen Hochzeiten und Leichenwachen geladen worden , weil sie schöne alte Lieder wußte und eine liebliche Stimme hatte .
Sie kannte auch das Lied , das jetzt in langsamen , traurigen Tönen erscholl ; die Leute hatten es ja von ihr .
Aber heute lud sie niemand zum Singen ein .
Die anderen oblagen gesellig den geistlichen Verrichtungen , aßen Weißbrot , tranken Milch , womit sie von Regina bedient wurden , und vergaßen das Ehepaar , das in der dunklen Küche zusammen saß .
Wenn auch einer ausgestreckt liegt auf dem Brette und allen Menschen das Maß gibt zu ihrem Sarge , so kann das den Übermut der Lebendigen nicht immer ersticken .
Regina mußte sich von den Burschen manch mutwilliges Wort gefallen lassen , dem sie nicht ausweichen konnte , solange sie heute als Gastwirtin bedienen mußte ; sobald sie nur abkam , flüchtete sie sich in die Küche und legte ihren Arm sanft um den gebeugten Nacken ihrer Mutter und fragte wiederholt den Vater , was der Arzt in der Fremde denn gesagt habe .
Regina war ein dreizehnjähriges Mädchen , hold und fromm , das niemand kannte als Vater und Mutter und Bruder , das nur den alten Lehrer noch geliebt hatte , der ihm ja so viel Gutes in die Seele gelegt .
Wie oft hatte Gabriel sein Schwesterl auf die Stirn geküßt , wie oft hatte er gesagt :
" Regina , das verzauberte Reh im Märchen kann keine schöneren Augen haben als du , und die feinste Seide ist nicht so zart wie meiner Schwester Haar - "
" Und kein Mensch tut so närrische Reden wie mein Bruder Gabriel " , unterbrach ihn Regina und versetzte ihm mit zwei Fingern ein Tätschel auf die Wange . -
Heute aber saßen sie ganz traurig beisammen und hörten zu , als die fremden Leute in der Stube das Lied vom Lazarus sangen .
Lazarus ist gestorben An einem Sonntagsmorgen , Magdalena , seine Schwester , Die weinet gar so sehr ; Begegnet ihr Christus , Ihr liebster Herr .
" Magdalena , Magdalena , Was haben s' dir getan , Daß du vor meinen Augen Zu weinen hebest an ? "
- " Es ist mir mein Bruder , Der Lazarus , gestorb 'n ; Jetzt habe ich keinen Freund mehr , Ach Gott , erbarm ! "
- Christus ging zum Grabe Mit seinem Hirtenstab :
" Lazarus , du sollst wieder auferstehen Und sollst zu deiner Schwester Gehen ! "
Lazarus steht auf Und geht hin zu der Tür :
" Schwester , bist daheim , So gehe ' eilends herfür !
Ich habe wohl gelitten Groß ' Marter und Pein .
Ach , wie das bittere Sterben So hart mag sein !
Wenn der ganze Himmel Papiere wäre , Und ein jeder Stern ein Schreiber wäre , So könnten sie es alle nicht Genügsam beschreiben , Was eine arme Seele
Im Fegfeu'r muß leiden !
Und wenn der ganze Himmel Goldener wäre , Und wenn ein jeder Stern Silberner wäre , So täte ich doch nicht nehmen Das Silber und das Gold , Daß ich den bitteren Tod Noch einmal leiden sollt ! "
Kaum das Lied zu Ende , war eine große Aufregung in der Stube , und die Leute eilten in die Vorlaube .
Es bewegte sich das Leichentuch .
" Er wird lebendig ! " riefen einige angstvoll und wären davongeflogen , wenn sie sich nicht auch vor der Macht gefürchtet hätten , die draußen in tiefer Stille lag .
" Der Jüngste Tag , die Toten stehen auf ! " stöhnten andere und starrten auf die zugedeckte Leiche , die im Halblicht der Kerze leise Bewegungen machte .
Entsetzen erfaßte sie ; da kam Gabriel herbei .
" Und wenn unser Schulmeister wieder aufwacht , wer sollte da erschrecken ? " sagte er , trat an die Bahre und zog die Leinwand von dem Gesichte .
Der Greis lag da - bleich , starr und kalt .
Der Bursche beugte sich über das Antlitz des Toten , dann zog er die Leinwand wieder darüber , tauchte einen Tannenzweig ins Weihwasser , besprengte die Bahre und ging traurig wieder davon .
Und wieso sich die Leiche bewegt hatte - es getraute sich vor Angst niemand zu fragen .
Die Aufregung legte sich etwas , die Leute kehrten in die Stube zurück .
Als sie wieder um den Tisch saßen , machte der Rindenschlager-Lenz ein sonderbares Gesicht und murmelte in den Milchtopf hinein , der vor ihm stand : " Der Herrgott wird ihn nicht aufwecken wie den Lazarus , aber die Ruhe ist ihm versagt .
Gebete hat er nötig , heilige Messen braucht er .
Ja , Leute , so ist das Ende , wenn sich einer versündigt .
Gegen den Heiligen Geist hat er gehandelt - jetzt verfolgt ihn der Fluch , und er findet keinen Frieden .
Ich sage es euch , sie werden den Schulmeister noch oft läuten hören draußen in Rattenstein um Mitternacht , wie er seiner Tage für den Halterlois geläutet hat . Uns bewahre Gott der Herr ! "
Sie suchten Gabriel zu bewegen , daß er etwas lese , weil er es so schön ausführen könne und völlig eine Predigerstimme habe , aber er blieb bei seinen Eltern in der Küche und las nicht .
Sie verschmähten seinen Vater und seine Mutter , sie sollten ihn auch nicht haben .
Hell leuchtet der Morgenstern , lustig zwitschern die Vögel auf den Wipfeln der Bäume .
Auf dem Kirchhofe steht ein Grab offen .
Regina legte dem Schulmeister einen grünen Kranz auf das Grab , und ein milder heiterer Sommertag lag über dem bekränzten Hügel .
Morgendämmerung in einer jungen Seele Gabriel war in seinem sechzehnten Jahre .
Er war aufgeweckt und kräftig und stand dem Vater bei in den Arbeiten des Feldes und der Wiese , so wie Regina an der Seite der kränkelnden Mutter die Hausarbeiten verrichtete .
Das war ein Mühen und Bekümmern vom Morgen über den langen Tag bis in die tiefe Nacht hinein ; aber das Feld hatte ein Herz von Stein , ließ sich nicht bewegen und brachte nur spärliche Frucht hervor .
Oft ging auch das Mädchen mit auf das Feld , und sie gruben alle drei und vergossen Schweiß , als wollten sie damit den steinigen Boden erweichen .
Und Klara klagte im Hause :
" Da versetzen sie mich leicht daheim und lassen mich allein .
Und jetzt kommt auf einmal wieder der Schlag , und ich habe keine Hilf ' und muß verderben ! "
Briefe von Ärzten kamen :
" Der Heidebeter wird aufgefordert , binnen längstens acht Tagen seine Schuld bei mir zu bezahlen , widrigenfalls ich die Vermittlung des Gerichtes in Anspruch nehmen müßte . "
Gläubiger kamen und polterten an den Türen und mit allen Hausgeräten und schrien :
" Du , Heidebeter !
Das sage ich dir zum letztenmal , wenn du nicht auf der Stelle bezahlst , so führe ich dir die Kuh aus dem Stall ! "
Da verlegte sich der Heidebeter auf das Bitten :
" Ich sehe es wohl ein , Ihr wäret auch gern bei eurer Sache , aber ich habe ein krankes Weib , und mein Grund ist steinig .
Ich und meine Kinder arbeiten wohl fleißig und leiden gern selber Not .
Ich schau zu bitten , was ich nur bitten kann , habt mir doch nur ein wenig Geduld , ich zahle euch nachher ja von Herzen gern ! "
Und die Gläubiger gingen brummend davon , und die Heidehausbewohner arbeiteten und arbeiteten .
Der Peter sagte zu seinem Weibe :
" Sei nur schön geduldig , Klara , ich sage alleweil , der Herrgott verlaßt uns nicht . "
" Ach , wenn mich der Herrgott nur gleich zu sich nehmen täte ' ! "
Über solche Worte erschraken Vater und Kinder , aber die Kranke sagte wieder :
" Gott verzeih ' mir meine Reden !
Es greift oft eine kalte Hand in meine Brust und will mir_es Herz herausreißen ; aber ihr seid doch mein , ihr arbeitet willig Tag und Nacht und tragt das große Kreuz .
Seid nur geduldig mit mir , ich bin so , ich kann nicht anders , ich habe euch doch lieber wie mich selbst . "
So war es im Heidehause , und so litten sie alle .
Am tiefsten aber litt - und das wußten die anderen nicht und hatten keine Ahnung davon - , am tiefsten litt Gabriel .
Dem lag eine Last auf dem Herzen , die er nicht kannte , die er schon seit Jahren fühlte , die immer größer und schwerer wurde und die ihn zuletzt unsäglich drückte .
Oft , an stillen Sonnabenden , wenn andere Burschen sich zusammengesellten zur Freude und Lust , ging Gabriel hinauf in die Waldungen .
- Gabriel , wenn du unverstanden bist , so blättere im Buche der Natur .
Alle Wesen sind Buchstaben , von Gott geschrieben , und die ganze Welt ist wie ein großes Lied .
Siehe , dort hinter dem Waldhang ist ein dunkler Teich .
Da ist kein Leben und Bewegen , er starrt hervor wie das offene Auge eines Toten .
Kann dieses Gewässer ein Spiegel der Welt sein ?
Eine lustige Fliege hatte im Gesträuche eben Hochzeit ; glückselig , berauscht von diesem süßen , lichtvollen Leben , kommt sie dahergetanzt und setzt sich auf die dunkle Fläche des Teiches .
Da wird ein Kreis um das Tier , und größer und größer dehnt er sich hin nach allen Seiten bis an das Ufer , und neue folgen ihm , als wollten sich hier Welten bilden .
Und das ist der neunfache Kranz der Hochzeiterin , und das ist ihr Grab im schwarzen Grunde .
Da fängt am Ufer ein Glöcklein zu läuten an , und jedes Kraut im Walde , das ein Blumenglöcklein hat , läutet den Sterbegesang .
- Den Sterbegesang hört ein bunter Falter , und er flattert auf zu den hohen Wipfeln der Tannen und erzählt es der Meise , und die Meise sagt es der Lerche , und die Lerche schwingt sich zu den Wolken mit purpurnem Saume und hinterbringt die Kunde .
Und die Wolke zieht hin und erzählt es den Himmeln , und in den Himmeln stand es wohl geschrieben von Anbeginn :
Die Fliege muß sterben im Teiche .
Unter einem Steinkoloß halb verborgen blüht das weiße Blümlein Waldmeister .
Und dieses kleine , weiße Blümlein ist eine große , fast unendliche Welt .
Da lebt es und keimt und blüht und reift , und unter einem einzigen Blütenblatte ist eine Hütte , ein Dorf , eine Stadt , ein Königreich mit allem Großen und Kleinen und Kleinsten .
Da geht es wunderlich zu , da wohnt ein ganzes Volk samt Wiege , Ehebett und Sarg , ein Volk mit Feld und Werkstatt , mit Kirche und Gottesdienst - ein Reich Gottes im kleinen .
- Wir sehen mit unserem stumpfen Auge nicht den Zehntausendesten Teil des Zehntausendesten Teiles dieser kleinen Welt , und wie unser Forschen erlahmt in der Unendlichkeit des Großen , so erlahmt es auch in der Unendlichkeit des Kleinen , und zuletzt wissen wir gar nicht , was groß oder klein , ob es überhaupt groß oder klein gibt , oder was hier das Maß ist , oder wie es kommt , daß sich gerade der Mensch angemaßt hat , das Maß zu sein und zu bestimmen die Dinge , die er nicht kennt und nicht imstande ist zu fassen . . .
Solche Gedanken ziehen durch die Waldeinsamkeit , und je wüster und verlorener die Wildnis und je gewaltiger in der Natur das Werden und Vergehen ist , je schwerer oder tiefer und erhabener sind die Empfindungen , die im Walde uns überkommen .
Wie ein Weihrauchkorn , in die Glut geworfen , zahllose Rauchwölkchen in den verschiedensten Gestaltungen hervorbringt , so gebar jedes kleinste , einzelne Wesen in Gabriels Herzen hundert neue Empfindungen .
Oft suchte er aus diesen Empfindungen Gedanken zu bilden , um sich das wunderbare Ahnen und Bangen und Sehnen gegenständlicher zu machen ; aber es wollte ihm nicht gelingen , und das schien eben zu sein , was ihn verwirrte und drückte .
Da lag er denn auf dem Moose und sah in das Geäst der Bäume hinein oder zu den abendsonnigen Wipfeln auf und fragte sich :
Was willst du denn ?
- Was ? -
Willst du ein Mägdlein haben ?
Dreimal fragte sich Gabriel :
Willst du ein Mägdlein haben ? -
Hämmern des Herzens war die Antwort .
Die Welt ist so schön und reich , für jeden Spaten hat sie einen Stiel , für jeden Stil eine Hand - für jeden Wunsch Erfüllung .
Verschmähst du sie ?
Willst du denn sterben ? -
Einmal lehnte sich Gabriel an einen Baumstrunk , verdeckte sein Gesicht und betete : Oh , laß in diesen Nächten nicht , Mein Gott , mich ewig schweben , Ruf gnädig mich zu deinem Licht Und laß mich höher leben ; Und bin als Mensch ich nicht mehr dein , So laß mich eine Blume sein , Auf daß mein Auge dich schaue Und hoffend dir vertraue !
Gabriel erschrak .
Da war ja plötzlich ein Lied aus der Seele gesprungen !
Weiter hinter den Tannen des Heidehauses , wo der Weg abwärts führt gegen Rattenstein , stand unter einer Rotkiefer ein hohes Kreuzbild .
Gabriel stand oft lange davor und sah es an .
Seine Eltern und Ureltern hatten gekniet vor diesem Pfahle .
Die Sonne hatte über der Brust des allmächtigen Schöpfers Himmels und der Erde eine tiefe Spalte gezogen .
Ist doch nur ein Bild aus Menschenhand .
Warum verehren wir Werke aus Menschenhand , warum nicht lieber den Bettelmann als Gotteswerk ?
Die Abendsonne fiel auf das Kreuzbild und vergoldete die Gletscher der Wildschroffen .
O du wunderbar herrliche Welt !
Du schönes reiches Tal mit deinen armen , kleinen Menschen !
Du Dichtung Gottes , geschrieben von der ewigen Liebe !
Wie die Mücken auf dem Blatte eines offenen Buches , so kriechen und tanzen die Menschen hier herum und treten auf lauter Geheimnisse .
Der Mensch ist ein Fragezeichen , die ganze Welt ist ein Fragezeichen ; es muß Antwort geben . . .
Solche Gedanken hatte Gabriel , weil er einsam war unter diesen Menschen und auf der Heide .
Eifriger und eifriger las er in den Büchern und suchte Antwort , Lösung ; häufiger schrieb er Zeilen auf Blätter - lauter Fragen .
Und einmal schrieb er gar einen Brief in die große Stadt , in der die Bücher gedruckt wurden , sagte , wer er sei , und wo , und fragte an , ob es ein Buch gäbe , in welchem alles Wissen der Menschen vereinigt sei , und er tat in dem Briefe auch allerhand andere Fragen und bat um Antwort , und legte , damit ihm diese um so sicherer gewährt werde , einen Zehnkreuzerschein bei .
Später bereute er diese kleine Tat als eine Albernheit und nahm sich vor , nicht mehr hirnverrückende Gedanken zu hegen , sondern wacker und fleißig die Wirtschaft zu stützen und seinen Eltern ein braver Sohn zu sein .
Und er tat's .
Aber das Hauswesen ging nicht vorwärts , der Peter rieb sich schier auf in Arbeiten und Sorgen , und die Klara siechte .
" Besser wird es wohl werden , " sagte die Kranke oft , " aber mich deucht halte , es scheint die Sonne nicht mehr so hell wie vorzeiten , und es will nach und nach finster werden auf der Welt . "
Eine Christenlehre in der Einöde Für den Heidebeter kamen nun Sorgen noch ganz besonderer Art , an die er nie gedacht hätte .
Sein Bub , sein Gabriel !
Der hatte angefangen , so Gesangelen auszudeichen , weltliche , immer einmal nichtsnutzige , die er dann gern sang , die auch Habeturms Rudolf sang und sogar die Regina ! -
Dem Peter wollte es nicht gefallen , das ; doch sein Weib sagte : " Ist halte ein Übermut , der Bub .
Aber daß es was Schlechtes ist , was er zusammendichtet , das kann man nicht sagen .
Immer einmal ist es gar was recht Frommes und Erbauliches . "
" Gott geb's ! " seufzte der Heidebeter .
Da kam jener Tag , der dieses Elternpaar erst hochbeglückte und dann in die bitterste Trostlosigkeit stürzte .
Zur Herbstzeit , als das Fest Maria Geburt kam , war Christenlehre in der Einöde .
Das war immer der schönste Tag für die Zapfenwirtin .
Nicht zu glauben , was es da alles zu tun gab im Hause ; aber sie war eine religiöse Frau , sie fand auch noch Zeit zum Aufputzen des Altars im Kirchlein .
Auch Davidl , der " junge Herr " , folgte dem Beispiele seiner Mutter ; am Christenlehrtag war er immer herausgeputzt wie ein Hochzeiter , und man kann es wohl sagen - er hatte die schönsten Kleider unter allen Burschen der Einöde .
Der Davidl hatte seit seiner Kindheit , sowohl wenn ein Gewitter im Anzuge war , als auch zum Eingange der Christenlehre in der kleinen Kirche das Glöcklein geläutet .
So tat er es auch heute wieder ; dabei lugte er aber angelegentlich in einen Handspiegel , ob sich die Schönheit seines Gesichtes durch die starke Anstrengung nicht etwa verminderte . es ging an , oder wollten die Wangen nicht doch ein wenig zu breit aufeinanderfletschen ?
Als endlich der Herr Provisor in Begleitung des Habeturm des Weges herankam , eilte ihm die Wirtin schon von weitem entgegen , sagte dreimal " Küße d' Hand , Hochwürden Herr ! " und siebenmal " Nein , das ist der schönste Tag in meinem Leben !
Das sage ' ich heute und allemal :
Wir haben einen goldenen Herrn Pfarrer , und im Falle der einmal von Rattenstein wegkommen sollte , so gebe ich nicht nach bei meinem Mann , und wir verkaufen das Haus und ziehen dem hochwürdigen Herrn nach . "
Der Provisor war auch artig und hielt die Zapfenwirtin lange bei der Hand , und die Zapfenwirtin blickte in der Runde umher , ob die Leute , die vor dem Wirtshause bereits versammelt waren , es denn doch wohl auch bemerkten , wie gut sie mit dem Pfarrer stehe .
" Wem gehört das blaugekleidete Mädchen dort ? " fragte der Provisor .
" Ah , das ist die Heidepeterisch' , " antwortete die Wirtin und rümpfte ein wenig die dünne Nase , " nun ja , es könnte ein recht nettes Dirndl sein , aber - man muß sagen , was wahr ist - sie wachst bei diesen Leuten da oben auf wie der Baum im Wald , nur daß sie zu keiner Krone kommt .
Mein Tausendherz ! und der Schulmeister , der alte Ketzer , hat sie auch verdorben .
Ja , dasselbe kann ich nicht oft genug sagen , es ist ein heiliges Glück , daß dieser Mensch - wie rede ich nur gleich - schön fest mit Erden zugedeckt ist - Gott wird mir die Sünde ' vergeben , aber die ganze Einöd hätte er angesteckt und verdorben ! "
Im Kirchlein brannten zwei Kerzen , vor demselben war ein weißgedeckter Tisch aufgestellt , und um den Tisch in einem weiten Kreise auf dem grünen Rasen lagerte sich die Gemeinde Einöde .
Davidl hatte das Glöcklein schweigen lassen , saß nun neben dem Habeturm und blickte auf sein schwarztuchenes Beinkleid .
Gabriel war an ihm vorübergegangen und hatte ihm ein " Grüß dich Gott , David " gegeben ; aber der junge Zapfenwirt tat , als höre er es nicht , er schämte sich heimlich vor den Leuten , daß ihn dieser " ausgehungerte Kleinhäusler , der Dalkerd-Bub " , so vertraulich gegrüßt hatte .
Dem Gabriel tat es einen Augenblick weh , daß sein Gruß unerwidert geblieben war , er vergaß es aber gleich und setzte sich im Hintergrunde ruhig zu seiner Schwester .
Der Hahnenkamm war seit langem heute zum ersten Male wieder beim Zapfenwirt .
Er hatte es seinerzeit auch seinem Gesinde verboten , je ein Glas bei " der alten Waldschnepfe " zu trinken , und er preßte zum Ersatz alljährlich einen Eimer Holzapfelmost , zu dem er drei Eimer Wasser goß .
Das Gesinde war mit diesem Ersatz wirklich auch zufrieden , nur der Stallknecht sagte einmal :
" Daheim trinken , das heißt nichts , da kriegt man keinen Rausch und Rauferei gibt es auch keine . "
Heute also war der Hahnenkamm wieder einmal beim Zapfenwirt .
Aber er ging nicht ins Haus , er sah es gar nicht an , und als die geschäftige Schänken vorüberlief , redete er absichtlich mit dem Heidebeter , um zu zeigen , daß ihm sogar der Dalkerd lieber sei als die Waldschnepfe .
" Ruck ' ein Trümmel , Dalkerd ! " sagte der Hahnenkamm mit spöttisch herablassendem Lächeln , " bist wohl schon fertig mit dem Habesäen ? "
Da lachten alle Umstehenden und Umsitzenden , denn das war ein Spott auf die langsam vorwärtsgehenden Arbeiten im Heidehause , der Hafer mußte ja bereits reif sein .
Der Heidebeter legte seine Hand an das Kinn und strich ein wenig seinen leichten falben Schnurrbart , wie er immer tat , wenn er was sagen wollte , es aber doch unterließ .
Von dem Heidebeter hatte noch niemand Hohn und Spott erfahren ; er sprach in seiner Gemütlichkeit oft spaßhafte Worte ohne Arg und Hinterhalt , die ihm aber nicht selten als hämische Bemerkungen ausgelegt und übel vergolten wurden .
So wollte er auch heute entgegnen :
" Angesät habe ich wohl schon , aber abgeschnitten noch nicht " - doch er schwieg .
Endlich hatte der Habeturm , der hier die Kirchendienerstelle vertrat , dem Provisor den Chorrock und die Stola umgehüllt , und die Christenlehre hob an .
Nachdem sich der Priester an dem weißgedeckten Tisch niedergelassen hatte und sich mit der flachen Hand ein paarmal über den Glatzkopf gefahren war , begann er :
" Geliebte !
Ihr in der Einöde hier seid dem Himmel näher als wir draußen in Rattenstein .
Warum ?
Erstens , weil die Berge höher sind , und zweitens , weil ihr in eurem Tun und Mühen in dieser Gegend viel größere Beschwerden und viel weniger Gewinn habt als die Bewohner gesegneter Landstriche .
Doch harret aus in der Geduld , eure Leiden und Beschwerden werden eingetragen in das Buch des ewigen Lebens , und euer Gewinn ist der Himmel ! "
Bei diesen Worten hörte man den Heidebeter krampfhaft aufatmen , man wußte nicht , war es ein Schluchzen oder ein zurückgehaltenes Lachen .
Er wußte es selbst nicht ; er war so bewegt , es war ihm so trostreich im Herzen .
Der Priester fuhr fort :
" Und eben , weil ihr so sehr beladen seid mit Not und Plage , wird in kirchlicher und geistiger Beziehung nur wenig von euch verlangt ; ihr hört dann und wann auf gute Meinung und für die armen Seelen im Fegfeuer eine Messe , empfanget fleißig die heiligen Sakramente und betet euren Rosenkranz .
Ich will euch heute das Gebet , aus dem der Rosenkranz zusammengesetzt ist , das Vaterunser , auslegen .
Ihr werdet es wohl alle kennen , ich zweifle nicht , ich will es nur von irgend jemandem hersagen lassen , damit wir hernach anfangen können .
Zum Beispiel du dort , Rotschopf , sprich uns jetzt einmal laut und deutlich das Gebet des Herrn ! "
Der Provisor sah den Davidl an ; dieser glotzte vor sich hin .
" Hörst du , Junge ?
Ja , den mit den Brüllen meine ich . "
Jetzt entstand ein Gelächter .
Die Zapfenwirtin flüsterte von rückwärts :
" Die Brüllen laß dem Herrn Pfarrer über , damit er ein anderes Mal besser sieht .
Stehe schön auf , Davidl , und bete das Vaterunser , kannst es ja ! "
Nach und nach erhob sich der Bursche , blickte verwirrt um sich und dann den Provisor an , ob es denn wirklich sein Ernst sei ; er wußte nicht , war es eine Ehre oder eine Beschämung , daß er , der junge Zapfenwirt , jetzt so vor allen Einödbewohnern das Vaterunser sagen sollte .
" Sei gescheit , Davidl ! " flüsterte die Schänken in Todesangst , und plötzlich begann der Bursche : " Va druns Erde bis nimm gal werde nahm gums reich wilg sche niml al saufe erst ; gims heit ste Brot gims un Schule Alse mir va gen Schule gern Sir nicht vers an les al nible amen . "
Genau so wird das heilige Gebet in manchen Gegenden hergeplappert - nicht hochdeutsch , nicht Mundart , bloß ein mechanisches Zungenspiel ; das kommt von dem Mißbrauche der unzähligen Wiederholungen im " Rosenkranz " .
Und genau so hatte es Davidl gesprochen , so daß der Provisor den Kopf schüttelte und den Habeturm fragte :
" Habt Ihr ein Wort verstanden ? "
" Verstanden dasselbe ' just nicht , " antwortete dieser , " aber das Vaterunser ist es gewesen , dasselbe ' weiß ich . "
" Dort hinten sitzt eine liebliche Jungfrau , " rief der geistliche Herr , der heute einmal sehr gemütlich sein wollte , und deutete auf Regina , " diese wird uns gewiß das Vaterunser schöner sprechen ! "
Davidl zog ein merkwürdiges Gesicht .
Regina stand sittsam auf und sagte ruhig und deutlich mit mildem , innigem Tone das Gebet des Herrn .
Die Versammlung hatte den Atem angehalten und den Worten gelauscht , als seien sie eine Himmelsbotschaft und zum ersten Male gesprochen worden in der Einöde .
" Heidebeters Tochter ? " sagte der Provisor .
" Heidebeters Regina ! " murmelte es in der Menge .
Der Heidebeter duckte sich ein wenig hinter seinen Nachbar , und er legte die Hand ans Kinn und tat wieder jene krampfhaften Atemzüge , von denen kein Mensch wußte , war es Lachen oder Weinen .
" Dein Dirndl ist rechtschaffen brav ! " lispelte ihm der Nachbar zu .
" Ich könnte nun die Christenlehre eigentlich schließen , " sagte der Provisor , " denn Heidebeters Regina hat das Gebet nicht allein gesprochen , sie hat es durch die richtige , schöne Betonung auch erklärt . "
Hierauf sprach er , wie das Vaterunser ein gar wunderbares Gebet ist , welches sich nicht durch Worte auseinandersetzen und verständlich machen läßt , sondern nur durch den Hauch des Gemüts , und er redete noch manches über einzelne Sätze dieses Gebetes .
" Ferner , " fuhr er fort , " eine Handlung , die wir des Tages fast ebensooft begehen als das Abbeten des Vaterunsers , ist das heilige Kreuzzeichen .
Das ist das Siegel aller unserer Andachtsübungen und guten Werke , und auch wir wollen heute das unsrige damit beschließen .
Der Rotschopf dürfte ungehalten sein , wenn wir ihm nicht das Recht ließen , uns das heilige Kreuzzeichen schön und deutlich zu machen .
Nun , Rotschopf ? "
" Das Kreuz sollst machen , Davidl ! " lispelte die Wirtin wieder .
Der Bursche war ganz verwirrt ; erbittert zerrte er an seinem feinen Beinkleid , das nicht einmal imstande war , ihn , den jungen Zapfenwirt , gegen solch unerhörte Zumutungen zu schützen .
Endlich hob er die Hand und fuhr sich im Zickzack über das Gesicht .
" Nun , so zeige den Einödern einmal das Kreuzzeichen ! " rief der Provisor .
Davidl riß den Mund auf , und dieser verlängerte sich weit in die Wangen hinein , und die gelben Augenbrauen zuckten , und die kleinen Augensterne verkrochen sich in die Höhlen .
Endlich machte er mit bewunderungswürdiger Schnelligkeit wieder das Zickzack über das verzerrte Gesicht .
Der Anblick brachte die ganze Versammlung zu einem lauten Auflachen .
Der Provisor aber sagte :
" Junge , komme am Sonntag hinaus nach Rattenstein ; des Baders dreijährig Bübchen wird dich das Vaterunser und das Kreuzzeichen lehren .
Schäme dich ! "
Das war zuviel .
" Komme , Davidl , " zeterte die Wirtin , " habe ' gemeint , der Herr Provisor wollt ' uns heute eine Christenlehre ' halten , jetzt ist eine Schimpfschule ' daraus geworden , und du sollst sein Spottmandl sein .
Dazu bist du nicht da , das sage ich !
Komme , Davidl ! "
Der Bursche machte eine unbeschreibliche Gebärde gegen den Priester und lief davon .
Der Provisor blickte ihm nach und suchte dann wieder seine gemütliche Miene zu gewinnen .
" Lebensart gibt es in der Einöde nicht zum Überfluß , " sagte er , " aber man muß euch manches zugute halten .
Indes sind wir mit dem Kreuzzeichen noch nicht fertig ; wenn ihr , wie ihr gern sagt , ein großes Kreuz tragt im Leben , so wird man wohl auch das Kreuzzeichen bei euch finden .
Der Bursche neben der Regina !
Bist du nicht der Heidepetersohn ?
Der Gabriel Stammer ?
Schön !
Zeige uns das Zeichen des Kreuzes ! -
Brav ! -
Ich höre , du bist ein weiser , vielbelesener Mann , der sogar dichten kann ; erkläre uns einmal das heilige Kreuzzeichen ! "
Gabriel hatte sich von dem Rasen erhoben ; aller Augen waren auf ihn gerichtet .
" Ich habe über das Kreuzzeichen nur das gelesen , was in dem Katechismus davon steht , " begann der Bursche , " aber ich habe darüber auch sonst nachgedacht .
Es erinnert mich an die heilige Dreifaltigkeit , an die Schöpfung , Erlösung und Heiligung .
Und das dreifache Zeichen erinnert mich auch an Glaube , Hoffnung und Liebe ; an Glaube und Hoffnung denke ich , wenn ich die Kreuze über das Angesicht mache , und bei dem Zeichen auf der Brust , am Herzen , denke ich an die Liebe . "
Gabriel schwieg .
Die Leute nickten einander mit den Köpfen zu , und der Heidebeter duckte sich wieder ein wenig hinter seinen Nachbar nieder und strich sich den Bart .
" Recht schön ! " versetzte der Priester kalt , " aber der Liebe gibt es verschiedene Arten , du meinst doch wohl die Liebe zu Gott ? "
Gabriel zögerte einen Augenblick mit der Antwort , dann entgegnete er mit einer gewissen Lebendigkeit :
" Auch die Liebe zu den Menschen .
In den Menschen können wir Gott lieben , denn wir haben kein getreueres Ebenbild Gottes als die Menschen .
Darum ist es überflüssig , daß wir mit unseren Händen uns leblose Bilder machen von ihm ; Gott ist allgegenwärtig , ist in allen seinen Geschöpfen , sagt der Glaube .
Durch die Liebe und Verehrung der toten Zeichen aber vergessen wir nur zu leicht auf die Liebe zu den lebendigen Geschöpfen Gottes auf der Welt . -
So denke ich mir , und so habe ich es ausgesprochen , weil mich Euer Hochwürden darum gefragt haben . "
" All mein Lebtag hinein , jetzt kann der predigen " , sagten die Leute zueinander .
Der Provisor war von seinem Platz aufgestanden , winkte mit der Hand , daß Gabriel vortreten möge und sagte dann halblaut , aber so , daß es die Umstehenden noch hören konnten :
" So ist es denn doch wahr , daß mit diesem Bieder Unheil in die Einöde gekommen ! -
Ich ahnte es schon lange , aber in der Hoffnung , daß du zur Vernunft kommen würdest , schwieg ich . "
Und zu den Leuten :
" Wie ich hörte , soll er eine Anzahl Bücher besitzen ; ist das so , dann trage ich euch auf , dem Jungen die Bücher wegzunehmen und sie an mich abzuliefern .
Einödbewohner , ihr wollt doch keinen Irrgläubigen in eurer Mitte ? "
Da ging ein Murren durch die Versammlung gegen Gabriel .
" Nun gut , " fuhr der Geistliche fort , " ihr habt die Worte des Burschen gehört ; sie sind Worte der neuen Lehre , die anstatt Liebe zu Gott , Liebe zur Welt Predigt ! "
" Ich möchte noch ein Wort reden ! " sagte Gabriel , aber da schrie die Menge aufgebracht : " Still sei , du Heide !
Davonjagen wird man dich .
Solche Leute ' bringen uns noch Schande und Schmach in die Einöd ' ! "
" Mäßigt euch , meine lieben Pfarrkinder , " versetzte der Priester , " so weit wird es wohl noch nicht gekommen sein : die Scharte wird sich auswetzen lassen .
Ihr , Habeturm , oder Ihr , Hahnenkamm , einen Gotteslohn könnt ihr euch erwerben , wenn ihr den Burschen als Knecht in euer Haus aufnehmt und ihn fleißig zum Arbeiten anhaltet ; denn ein Kirchenvater sagt :
Emsig arbeiten ist das beste Mittel gegen Verirrungen . "
Jetzt drängte sich der Heidebeter vor ; er hatte es anfangs kaum begreifen können , was da mit seinem Sohne vorging , nun aber rief er laut , wie sonst nie : " Wollen ' leicht die Leute mich und mein krankes Weib zugrunde richten ?
Was täte ich denn , wenn ich den Buben nicht hätte ?
Ich sage euch das vor Gott :
ich laß mein Kind nicht davontreiben wie ein Kalb ; wenn es was Schlechtes tut , so werde ich es schon selber strafen ! "
" Du bist der Dalkerd " , unterbrach ihn der Rindenschlager-Lenz .
" Der Bub bleibt da bei uns , " riefen andere , " und wir gehen sogleich in das Heidehaus und suchen die Bücher auf . "
Jetzt stellte sich Gabriel vor den Provisor und sagte : " Herr Pfarrer , ich bitte um Schutz für mein Eigentum ! "
Der Priester tat , als überhöre er das Wort und rief dem Habeturm zu :
" Was Ihr Verdächtiges findet , das bringt mir in den Pfarrhof . "
" Herr Pfarrer " , rief Gabriel gewaltig erregt :
" Ich habe eine kranke Mutter !
Sind Sie in den Wald gekommen , um Raub zu predigen ? "
" So schlagt ihn doch gleich nieder , den Lästerer ! " lärmte die Menge .
Da kam Regina herbei und beschwor ihren Bruder , kein Wort mehr zu reden .
Der Heidebeter verdeckte sein Gesicht mit den Händen .
" Wo die Lästerzunge spricht , da schweigt das Wort Gottes " , sagte der Priester mit einem Ton tiefer Kränkung .
" Die Christenlehre ist zu Ende . "
" Ich liefere die Bücher freiwillig aus , " sagte Gabriel , " aber wer mir noch in mein Haus dringt und meinen Eltern eine Unbill antut , den - Herrgott ! wo ist deine Gerechtigkeit ! "
" Mein armes Weib , meine unglücklichen Kinder ! " stöhnte der Heidebeter .
" Jetzt ist_es aus , Dalkerd " , rief ihm der Habeturm zu .
" Dein Klagen macht es nicht besser .
Wer sich Kieselsteine ins Bett tut , der muß auf Kieselsteinen liegen .
- Ei der Tausend , daß ich nicht vergeße , einen Brief habe ich für dich in der Taschen .
Er ist schon eine Zeit gelegen draußen beim Rattensteine Postmeister - so habe ich ihn mit hereingetragen .
Da greif an ; es wird kein Tausender nicht drin sein ! "
Der Heidebeter machte eine ablehnende Bewegung mit der Hand .
Er kenne dergleichen Briefe .
Endlich nahm er ihn doch und murmelte zu Gabriel :
" Schau , Bub , kommt alles der Reih ' nach , jetzt ist die Abstiftung auch da ! "
" Dieser Brief ist nicht vom Amt , " sagte Gabriel , " er hat ein fremdes Siegel , und die Aufschrift trägt meinen Namen . "
Er erbrach das Schreiben , steckte es aber ungelesen in die Tasche ; er konnte in diesem Augenblick nicht lesen , es kochte sein Blut .
Endlich ging er mit seiner Schwester seitwärts , fiel ihr um den Hals und weinte .
Die Wirtin brachte für den Provisor eine Flasche Wein auf den Tisch .
" Wenn mein Davidl auch nicht so vornehm das Kreuz machen kann , " bemerkte sie giftig , " und wenn er auch nicht so schön predigen kann wie der Heidepeterisch' , so ist er doch - Gott sei die Ehre ! - ein guter Christ und kein Ketzer , und wir machen uns nicht lustig über die lichtblonden Haare , wie sie ihm Gott erschaffen hat .
Besser Rotschopf wie Kahlkopf . "
Der Herr Provisor suchte die Bemerkungen hinabzuwürgen und schwemmte sauren Wein nach . -
Der Davidl saß zu dieser Stunde auf der mittleren Fichte im Geierneste .
In seiner Wut zerknitterte er das Reisig und zernagte seine Finger .
Er kauerte sich in das Nest , er bildete sich ein , er sei ein Geier und werde abfliegen und dem Pfarrer die Augen auskratzen .
Es war ihm doch eine Pein , hier oben zu sitzen , denn unten , gerade unter den Bäumen , fingen sie an , Kugel zu schieben ; Rudolf war Kegelbub und strich den Gewinn ein .
Davidl schleuderte Tannenzapfen hinab , ließ dürre Aststrünke fallen , bis Rudolf sagte :
" Da mag sich einer seine Kegel selber aufsetzen , ich laß mir keine Büberei gefallen ! " und ging davon .
Er wollte sich nach dem Heidebeter umsehen , um ihn zu beruhigen , da eilte ihm Gabriel entgegen mit freudeleuchtendem Gesicht .
Den Brief in der Hand schwingend , rief er :
" Eine andere Zeit , Rudolf , höre !
Ich gehe in die Fremde !
Ein Herr in der Hauptstadt hat etwas von mir erfahren .
Ja , ich meine gar , das ist derselbe , dem ich den Brief geschickt habe .
Er schreibt , ich solle zu ihm in die Stadt kommen und lernen .
Siehst du , das ist doch ein guter Mensch , jetzt will er mir helfen , daß ich was kann lernen .
Gute Leute hat er für mich gesucht und gefunden , ich soll nur gleich kommen , schreibt er .
Schau doch nicht so drein , Rudolf , lies ! "
- Wie sie kurz und vielsagend und ernst waren , und wie sie anheimelten , die Worte des fremden Mannes , der bereit war , sich des armen , lernlustigen Burschen anzunehmen !
Rudolf hielt das Blatt lange in der Hand und blickte seinen Freund schweigend an .
" Was willst du tun ? " fragte er endlich .
" Wie kannst du fragen ? " antwortete Gabriel .
Gabriel geht davon Das war ein trüber , ein stürmischer Septemberabend gewesen .
Der Nordwind hatte den Wipfel einer Tanne geknickt und herabgeschleudert auf Heidebeters Feldkasten , daß die Hausbewohner glaubten , der Blitz habe eingeschlagen .
An demselben Abend war_es , als Gabriel den Seinen vertraute , daß er fortziehen wolle in die weite Welt .
" Du Halbnarr ! " rief der Heidebeter aus , " und uns willst 'leicht verhungern lassen , jetzt , wo du groß wirst und arbeiten kannst ? "
Gabriel sagte kein Wort mehr ; die Rede seines Vaters war ihm gewesen wie ein Eisenhammer ; mit einem Schlage war sein Vorschlag vernichtet .
" Wer weiß auch , " tröstete ihn Rudolf , " in welche Hände du geraten wärest ; vielleicht hätten sie dich in der Stadt an Juden verkauft und über das Meer geliefert .
Es geschieht allerlei draußen in der Welt ; man liest es ja . "
Aber Gabriel hatte von dieser Zeit an seine Ruhe verloren ; schweigsam und betrübt war er .
Mehr als je hielt er sich an die Arbeit , doch manches Geschäft richtete er verkehrt .
Niemand ahnte , welchen Kampf er in seinem Inneren kämpfte .
Wie steht es geschrieben ?
- Du sollst Vater und Mutter ehren , auf daß es dir wohl ergehe auf Erden .
Also dein Wohl will der Herr .
Und du wirst Vater und Mutter ehren und im Andenken bewahren , auch wenn du ihnen fern bist , und du wirst draußen in der Welt das Vermögen sammeln , deinen Eltern ein sorgenloses Alter zu bereiten .
Aber eine andere Stimme rief : - Wenn du ein gutes Kind bist , so wirst du deinen Eltern zur Seite stehen in Krankheit und Not , wirst sie unterstützen mit deiner Kraft und trösten mit deinem Herzen .
An wen soll sich ein armes Greisenpaar wenden unter rohen Menschen , wenn sein eigenes Kind es verläßt ? - Gabriel beschloß , sich den Seinen zu opfern . -
Aber wenn du in der Einöde bleibst und deine schönsten Jahre vergräbst unter das Gestein der Heide , wie du deine Kindheit vergraben hast - ist dir und den Deinen damit gedient ?
Ist dein Opfer für sie nicht ein größeres , wenn du ein fruchtbares Feld suchest und ihnen die reiche Ernte gibst ?
Solche Gegensätze stritten in seiner Seele , und sein Gesicht wurde dabei fahl .
Da sagte Klara einmal zu ihrem Manne :
" Ich habe sonst kein scharfes Auge , aber dasselbe kenne ich , unserem Buben fehlt was .
Ich sage , es ist doch kein Leben für ihn in dieser Wildnis . "
" Hebst du auch an ? " versetzte der Peter , " zugrund gingen wir , wenn der Bub nicht wäre ' ! "
" Versündige dich nicht , wenn du allweg vom Zugrundegehen sagst ; den Buben kann uns der Herrgott über Nacht nehmen , und die alten Leute ' haben gesagt :
Auf Gott vertraue ' und nicht auf die Menschen Bau ' ! "
" Und die alten Leute haben auch gesagt : Mensch , hilf dir selbst , so wird dir auch Gott helfen .
Wenn uns aber der Bub davongeht , so können wir uns nicht helfen ! "
" Und wenn er dableibt , können wir uns auch nicht helfen , und er kann sich selber nicht helfen , und wenn wir uns ins Grab legen , verlassen wir ein unglückliches Kind auf der Welt .
Der Gabel hat mehr Glück und Schick für was anderes als für unsere Einödrackerei , und ich gebe meinen Willen dazu , wenn er was anderes probieren will , und ich trage mit Freuden den Bettelstab , wenn ich weiß , daß es unserem Kind gut geht .
Das wären leicht schlechte Eltern , die ihr Kind vom Glück wegstießen . "
Da sagte der Heidebeter denn doch endlich :
" Wenn er fort will , es ist recht , soll es halte auf Gottes Wegen probieren ! "
Sie offenbarten dem Sohne , daß er ihren Segen habe , ja , daß sie es , recht betrachtet , nach allem , was besonders bei der Christenlehre vorgefallen war , für geraten fänden , wenn er von diesen harten Leuten , die ihm so übel wollten , in Gottes Namen für eine Zeit fortzöge . -
Da wurde Gabriel lebendig .
Die Vorbereitungen zur Abreise , rasch führte er sie nun zu Ende .
Die Nachbarn , als sie das bemerkten , schauten einmal auf .
Heidebeters Gabriel geht wirklich fort ?! -
Und als er nach wenigen Tagen mit Stock und Bündel vor den Seinen stand und versprach , daß er oft Berichte von sich und möglichst bald Hilfe senden werde , faßte der Vater , was er sonst nie tat , des Sohnes Rechte in seine beiden Hände und sagte : " Dasselbe ' ist meine größte Sorge , daß du mir in der Fremde auf den lieben Gott vergessen wirst ! "
Und die Mutter setzte bei : " All ' meiner Tage will ich für dich beten .
Was wäre das , wenn du fehl gingst ? -
Und wenn auch ich mit Gottes Will in den Himmel komme , so könnt ' ich ewig und ewig keine Seligkeit haben , wenn ich den Herrgott fragen täte am Jüngsten Tag : Wo ist unser lieber Sohn Gabriel ?
Und er gäbe mir zur Antwort :
Der hat euer vergessen , hat meiner vergessen und steht zur Linken !
Nein , an das will ich nicht denken .
Wie du noch in der Wiege gelegen bist , habe ich unser liebe Frau gebeten :
Ehe , daß er mir aufwächst und ein Unkraut wird , lass ihn lieber sterben in der Kindheit .
Gottes wegen , ich hätte den Schmerz ertragen .
Aber die liebe Frau hat dich aufwachsen lassen , und daß du nicht verlorengehst , mein Kind , mein liebes Kind , dasselbe ist mein Gebet am Morgen und am Abend und mein fester Glauben . "
Aber dann !
Als ihr Gabriel die Hand zum Abschied hinhielt , brach das kränkliche Weib in lautes Weinen aus .
Als ob sie bisher von allem nichts gewußt hätte und jetzt erst den Verlust einsähe , rief sie mit schmerzerstickter Stimme : " Ja , was tust denn , Gabriel ?
Wirst mir doch nicht fortgehen , wirst deine mühselige Mutter doch nicht verlassen ? " -
In aller Freundschaft und Liebe und Treue steht das Mutterherz obenan ; das Mutterherz magst du anbeten wie die Gottheit , du begehst keine Abgötterei ! - Regina schluchzte so heftig , daß sie nicht ein einziges Wort hervorbringen konnte .
Krampfhaft drückte sie sich die blaue Schürze in das Gesicht .
Nur einen Augenblick ließ sie das Tuch sinken , als sie Gabriel die Hand reichte und das letztemal in seine großen , betrübten Augen blickte .
Nun hatte sie der Bruder allein gelassen daheim bei der elenden Wirtschaft , bei den armen , mühseligen Eltern .
Als Gabriel vom Hause fortging , bellte und rasselte der Hund mit aller Heftigkeit an der Kette , wie einst an jenem Tage , als er den glimmenden Schwamm im Ohr gehabt .
Das gute Tier wollte nicht zugeben , daß der Sohn des Hauses unerfahren so fortziehe in die Weite .
Die Zapfenwirtin erzählte es jedem , der ihr ins Haus kam , und der vorüberging , dem rief sie es nach :
" Hast du es auch schon gehört , daß Heidebeters Gabriel in der großen Lotterie drei Schlösser gewonnen hat ?
Ich habe es selbst gesehen bei der Christenlehre , wie ihm der Brief ist zugeschrieben worden .
Sobald den ersten Schnee macht , kann er mit vier Rössern Schlitten fahren ! "
Und als sie heute am Tisch neben dem Rindenschlager-Lenz saß , sagte sie : " Hab es alleweil gesagt , daß die Einschicht-Res um ein Kapitel mehr weiß wie andere Leute ' .
Sie hat es schon zu derselbigen Zeit , wie der Gabel zur Tauf ' tragen worden ist , ausgeschrien , daß aus dem Buben extra was wird .
Kann wohl sein , habe ich schon oft bei mir gesagt , ein getaufter Heide ist auch extra was , und das Heidehaus heißt nicht umsonst Heidehaus , man kann schon rundweg sagen : das Heidenhaus .
Just , wie wenn_es mir zu Sinne gegangen wäre !
Und drei Schlösser !
Ich aber sage , dahinter steckt was , wirst mich nicht Lügen strafen , Lenz .
Und das wirst auch sehen , seine Vaterleut ' führt er nicht mit in die Schlösser ; die läßt er uns da , daß wir unsere Bettelleut ' haben . "
In diesem Augenblick ging Gabriel mit Bündel und Stock des Weges .
Die Wirtin riß das Fenster auf und schrie : " Ei , wie stolz !
Ein Behüte ' Gott dürftest mir wohl auch geben , Gabriel ; habe dir es die ganze Zeit gut gemeint . "
" Nun , so behüte ' Gott ! " sagte Gabriel .
" Nein , aber mich freut_es , daß du so ein Glück machst , und ich meine , wenn du mein eigen Kind wärst , es könnt mich nicht mehr freuen ! "
Die Wirtin war ganz bewegt .
Gabriel reichte ihr in seiner Einfalt die Hand , dann zog er weiter .
" Der junge Dalkerd , wie die Leute sagen , " näselte die Wirtin , indem sie das Fenster schloß , " und eingebildet noch dazu ; glaubst , er hätte ein ' Gruß gehabt für mein Davidl ?
Ja , und was habe ich Grad früher gesagt ? Habe ich nicht gesagt , seine Vaterleut ' läßt er uns da ? -
Und der abscheuliche Geiz !
Hast gesehen seine Hosen , auf jedem Knie ein Fleck !
Nun , werden_es sehen , das Spruch ist :
Gestickt geht er fort , zerrissen kommt er in den Ort ! "
Der Lenz stimmte allem still nickend und lächelnd bei ; er hoffte dadurch , daß die Schänken zuletzt sagen würde :
Seien wir froh , daß er davon ist , und ich mache dir heute aus Freundschaft keine Rechnung , Lenz !
Indes war der wirkliche Schluß folgender :
" Wir werden_es ' leicht noch erleben , daß das Heidehaus unter den Hammer kommt .
Und wäre_es ein Wunder bei solchen Leuten ?
es hat unsereins nichts zum besten bei diesen mageren Zeiten , und jeden Kreuzer muß man sich mit blutigen Fingern graben . "
Als Gabriel an die Reihe kam , wo sich der Weg hinausbiegt aus der Einöde gegen Rattenstein und wo der Haldebrunnen ist , saß der Haberturm-Rudolf am Rande des Troges .
" Ich habe dich noch einmal sehen müssen , Gabriel ! " sagte er , " weißt , bei diesem Wasser nehmen wir Abschied .
Das ist der Gabriel-Brunnen . "
" Deine Freundschaft nehme ich mit , Rudolf .
Denke zuzeiten an mich ; ich gehe von der Einöde nun erst recht in die Einöde hinaus .
Ich kenne keinen Weg und Steg da draußen in der ganzen Welt .
Ich versuche mein Glück , und solange ich die Sonne und die Sterne der Einöde sehe , kehre ich nicht um .
Rudolf , gib mir deine Hand .
Eine Bitte habe ich noch an dich .
Schau , wenn ich an meine Eltern , an meine Schwester denke , die ich nun habe verlassen müssen , so möchte ich weinen soviel Tränen wie dieser Brunnen Wassertropfen hat .
Nimm dich ein wenig ihrer an , und mache mir von ihnen zu wissen , sobald ich dir meinen neuen Wohnort bekanntgegeben habe .
Und grüße mir sie noch einmal ! "
Er bückte sich und pflückte ein Maßlieb am Rain :
" Das gib der Regina .
Und jetzt , Rudolf , reich mir nochmals deine Hand .
Behüte dich Gott , Rudolf , behüte dich Gott ! "
So schieden die jungen Freunde .
Rudolf schritt zurück in die traurige Welt der Einöde , Gabriel wanderte mutig hinaus in die unbekannte Einöde der Welt .
* Zieht mit den Wölklein Nicht dort der Vögel Lustiges Völklein Singend durchs Land ?
Wo sie entsprossen , Weilt nicht die Quelle , Hüpft zu Genossen Über die Wand !
Hast du zum Wandern , Freund , nicht die Füße Einen zum anderen ?
Sende sie fort ; Fort von der Stelle , Bis sie erreichen die Flüchtige Seele Auf sonnigem Hort .
So sang Gabriel und schlug mit dem Stocke dazu den Takt .
Und fort zog er , hinaus durch die Schluchten und Täler .
Zu beiden Seiten hatte er hohe Berge .
Und als diese zurückblieben , mit ihren Wäldern und Wildnissen , gab ihnen Gabriel keinen Abschiedsgruß .
In Rattenstein machte er dem Arzt einen Besuch und bat ihn , wenn er irgendeinmal in die Einöde käme , sich nach seiner kranken Mutter umzusehen .
Eine Stunde weiter , bei Karnstein , betrat er das breite Tal , in welchem viele Arbeiter am Bau einer Eisenbahn beschäftigt waren .
Als er für die erste Nacht in einem Gehöfte übernachtete und vor dem Schlafengehen in dem Hausflur warme Milch und Brot genoß , setzte sich der Bauer zu ihm und sagte :
" Nichts für ungut , wohin geht die Reis ' ? "
" In die Fremde hinaus " , antwortete Gabriel .
Der Bauer tat mit der Hand einen wegwerfenden Wink :
" Da habe ich schon genug .
Halte nichts auf das Länderpassieren ; mit einem geflickten Rock geht man fort , mit einem zerrissenen kommt man heim .
Arbeiten wollen die jungen Herren nicht , nur alleweil die Welt breittreten .
Gleich mit dem Schnallendrucken seid ihr zur Hand und meint , unser Herrgott hätte die Häuser nur für die Stromer an die Straße gerückt ; - von glühendem Eisen sollte jede Türschnalle sein , täte euch's wünschen . -
Nun , nun , Er mag seine Milch schon ausschaufeln , rede ja nicht von Ihm allein .
Brocken mag er auch noch - gesegne Ihm_es Gott !
Aber das habt ihr schon so , viel lieber Hunger leiden , als einmal einen Haustiel angreifen .
Allweg bequem , das ist eure Such ' ; wenn es euch auf der Strass ' zuviel Staub hat , so lauft ihr über die Felder und stampft das liebe Gotteskörndl in den Grund .
Und wenn ihr zum Haus kommt , gleich nistet ihr euch ein , man weiß gar nicht wie ; die Flügel gehen euch noch ab , sonst wäret ihr prächtige Spatzen auf unseren Scheunen .
- So , wenn Er 'gessen hat , so führt Ihn der Bub in den Stall hinaus , habe ein frisches Heu ; aber tu Er sich einen Strohbausch unter Haupten legen , sonst kennt Er sich morgen nicht aus vor lauter wüstem Kopf .
Lass
Er mir aber seine Tabakspfeife in der Stuben !
- Ihr seid ein leichtsinniges Volk und fragt einen Kletzen danach , wenn ihr einem Haus und Hof niederbrennt .
- Was schaut Er denn so ?
Rede ja nicht von Ihm , Er hat ja gar keinen solchen Trensetiegel , sehe ' ich .
Falle
Er nicht über die Leiter .
Schütz
Ihn Gott der Herr ! "
Die zweite Nachtherberge suchte Gabriel in einer Hütte , welche an einem Berghang klebte .
Sie wurde ihm gewährt , und ein alter Mann setzte sich gleich zu ihm auf die Ofenbank , fragte ihn nach Neuigkeiten und bedeutete , daß er gar rechtschaffen wißgierig sei , was sich in der Welt draußen so hin und wieder zuträgt , und er halte sich deswegen gern lebendige Zeitungen mit zwei Füßen und einem Wanderstab .
Just auf alles dürfe man keinen Eid schwören , was solche Zeitungen bringen , aber die gedruckten seien auch nicht alle Tag ein Evangelium .
Und der Alle hatte für seine zweifüßigen Zeitungen in der Dachstube ein bequemes Lager mit leidlich reiner Wäsche ; wenn Gabriel auch sonst nichts zu erzählen wußte als vom Heidehause in der Einöde , von Habeturms Rudolf und von der Zapfenwirtin , die ein Redetalent habe wie keine zweite mehr auf der ganzen Welt , so wurde er dennoch gut gehalten und gepflegt .
Am dritten Tage kam Gabriel in ein flaches Moorland , und als es Abend wurde , fand er keine Menschenwohnung und mußte hungernd und durstend in einer verfallenen Lehmhütte übernachten .
Am vierten Tage wanderte Gabriel auf einer fruchtbaren Ebene ; die Leute heimsten eben die Spätherbsternte ein .
In der Richtung , in welcher noch einen Tag früher das Gebirge gelegen , mit den bläulichen Höhen der Einöde , mit den Kanten der Wildschroffen , deren Anblick den Wanderer lange begleitet hatte - lag heute auf der Ebene der Horizont mit fernen weißen Wölklein .
Weit , weit war die Heimat zurückgeblieben .
Die Gegend war sehr lebendig .
Große Dörfer und Herrenhäuser hin und hin , und reiche Gärten .
Die Straße hatte zahlreiche Abzweigungen , und auf allen fuhren Lastwagen und Herrschaftskutschen , trabten Reiter hin , eilten Menschen an Schiebkarren .
An demselben Tage sah Gabriel die erste fertige Eisenbahn und den elektrischen Draht .
Und an demselben Tage erreichte er die Hauptstadt .
- Hast du gemeint , Gabriel , gleich , wie du mit Sack und Pack durch das Stadttor gingest , kämen sie dir entgegen und sagten :
Ei schau , des Heidebeters Sohn aus der Einöde !
Mit Freude nehmen wir dich auf ; sei uns gegrüßt ! -
Nun , und ist dir keiner entgegengekommen und hat keiner so gerufen ?
Keiner von den vielen Tausenden , die hier zwischen den hohen Prachtbauten zu Fuß und zu Pferd und zu Wagen an ihm vorübereilten .
Gabriel stellte sich anfangs an eine Mauernische und meinte , das Gedränge würde vorüberziehen .
Als es aber nicht vorüberzog - als er immer wogte , als er immer brauste , der ewig schäumende , gischtende , hochbewegte Menschenstrom , da stürzte sich Gabriel denn auch hinein wie ein Tröpflein aus der Gebirgsquelle , und ließ sich mitreißen in das Meer . . .
Da stand er auf einem großen Platz , den ein weiter Ring von Häusern und Palästen umschloß , und das war ein Hineilen über das Pflaster , ein Rasseln und Schnurren , ein Treiben an den Ständen und Buden , und das war ein feines , glattes Wesen an den Geräten , an den Kleidern , an den Gesichtern , und ein Glitzern und Funkeln an den Fenstern und Auslagen .
Männer in blauen Kitteln zündeten die Laternen an , und es schien doch noch die Sonne auf die Türme und Giebel .
- Gabriel , du hast immer gemeint , du seiest jemand , in der Einöd ' haben sie dich geliebt , oder geneckt , oder verspottet , oder gequält , aber beachtet haben dich alle .
Hier verschwindest du und bist nichts ; ob du lebst oder stirbst , es fragt kein Mensch nach dir .
Ein Trommeln und Wirbeln übertönte plötzlich allen anderen Lärm , und viele Leute eilten einem großen Bretterbaue zu , der zwischen wilden Kastanienbäumen stand .
Auf diesem Baue waren weißrote Fähnlein und Fahnen gepflanzt ; an den Wänden waren große Gemälde von Schlachten , Schiffsbränden , wilden Tieren und Menschen in den wunderlichsten Stellungen .
Über einem roten Vorhang , zwischen welchem Spiegel und brennende Lüster schimmerten , stand groß hingeschrieben :
" Das Universum ! "
Und ein Mann in buntem Anzuge , der auf einem hohen Gestelle stand und die Trommel handhabte , schrie :
" Das Universum , meine Herrschaften !
Alle Hauptstädte der Erde , alle sieben Weltwunder , drei feuerspeiende Berge und ein Seesturm , die Völkerschlacht bei Leipzig und das brennende Moskau um zehn Kreuzer !
Ferner alle Merkwürdigkeiten der Tierwelt , der Drache mit den sieben Köpfen , das Krokodil , der Walfisch , der den Jonas verschluckt hat , alles um zehn Kreuzer !
Und im Extrakabinett das himmlische Jerusalem ; die babylonische Schöne - unvergleichlich , meine Herrschaften ! "
- Die Stimme war heiser , es versagte der Atem .
Mit einem Lappen wischte sich der Marktschreier den Schweiß vom Antlitz , und dabei vernichtete er die rote Schminke , und nun marktschreierte er mit fahlen Wangen .
Dann wieder rührte er die Trommel , und die Menschen strömten in das hölzerne Haus . -
Das Universum !
Wanderer von der Einöde , die ganze Welt auf einmal und um zehn Kreuzer !
Gabriel stand in einem Winkel neben dem Eingang , hielt sein kleines Bündel unter dem Arm und legte die Hand an das Kinn , wie sein Vater tat , wenn er einen schweren Gedanken hatte . -
Um zehn Kreuzer ! -
Ja , wenn das Ding billiger wäre !
Zehn Kreuzer ist ein Teil seines Vermögens .
" Um fünf darf einer nicht hinein ? " fragte er einen Mann , der in kohlschwarzen Kleidern an der Pforte stand .
Dieser sah den Burschen eine Weile an , gab ihm aber keine Antwort .
" Wenn Ihr mich nicht hineinlaßt , so tut mir die Gefälligkeit und sagt , wo der Professor Frei zu finden ist .
Ich bin ganz fremd da und kenne keinen Menschen .
Ich bin weit von der Einöde her und will mich umsehen in der Welt und was Neues probieren . "
" Den Professor Frei weiß ich nicht , aber - "
Der Mann mußte immer Karten abnehmen und konnte deshalb nicht weiterreden .
Als niemand mehr kam und der größte Menschenhaufen sich verlaufen hatte , wendete er sich gegen Gabriel , und mit einer fremdartigen Stimme , welche die Worte nur so herausstieß , sagte er :
" Die Welt wollen Sie ansehen , junger Mann , und was probieren wollen Sie ?
Heiße , dazu gibt es die herrlichsten Wege .
Parbleu , junger Mann , kommen Sie mit uns !
Unser sind wir einige fünfzehn - junge , tolle Bursche , Kerle wie der Blitz , hallohei !
Mit Sang und Klang gehen unsere Straßen über Laub und Meer , und in allen großen Städten sind wir zu Haus ! "
Der Mann strich sich den schwarzen Knebelbart , ein Lächeln zuckte über sein braunes Gesicht , seine dunklen Augen funkelten , und lebhaft schüttelte er seine langen , zurückgekämmten Haare .
Gabriel stand da und wußte nicht , was er sagen sollte .
" Künstlerleben ! " -
fuhr der Schwarze fort , " verstehen Sie_es wohl ?
Eine ganze Welt zu eigen haben und ein Universum noch dazu , Pots Himmel und Morgenstern , das soll uns der Kaiser von China nachmachen !
Maulwürfe sind sie alle , die da graben und sich verkriechen hinter den Ofen , hinter den bestaubten Kodexen , hinter den Zifferbuden .
Der Künstler ist der Mensch !
Kunst und Universum !
So kommen Sie mit uns ! "
" Das wäre schon recht , es ließe sich überlegen , " meinte Gabriel , " reisen hätte ' ich schon lange mögen .
Wenn ich nachher wieder zurückkomme zu meinen Eltern und der Mühe ' wert was profitiert habe ' ? "
" Ha , profitiert haben ! " rief der andere und versetzte dem Burschen einen derben Handschlag auf die Achsel .
" Ein Mordskerl wie Sie , frisch wie 'ne Gemse , kuraschiert wie ein junger Löwe , Ihnen kann_es auf Ehre gar nicht fehlen !
Sie haben auf unseren Reisen Gelegenheit , sich die umfassendsten Welt- und Menschenkenntnisse zu erwerben , sich in allen Zweigen auszubilden , alle erdenklichen Genüsse zu kosten , auszuschlürfen , mit einem Worte , manneswürdig zu siegen .
Und um einen Malefizjungen , wie Sie einer sind , parbleu , zerfleischen sich ja alle Weiber ! "
Gabriel blickte zu Boden und errötete ein wenig .
" Spaß apart ! " sagte der Schwarze und faßte den Burschen bei der Hand .
" Ich bin Eigentümer des Panoramas und brauche gegenwärtig einen jungen Mann von Ihrem Schlage .
Sie sind bei mir gehalten wie mein Sohn , sie wohnen in meinen Etablissements und speisen an meinem Tisch .
Ich versorge Sie mit Kleidern und allem , was Sie bedürfen , und die Arbeit , der Sie zu obliegen haben , ist ein reiner Pappenstiel .
Täglich die Bilderrollen aufziehen , die Guckgläser reinigen , die Transparentlichter besorgen und ein paar Plakate anschlagen .
Sie erhalten entsprechende Gage , und in ein paar Jährchen sind Sie ein versilberter Mann .
Zudem versteht es sich von selbst , daß Sie mir nicht verpflichtet sind , daß es Ihnen jederzeit freisteht , die Verbindung zu lösen .
Also topp ! "
Gabriel blickte auf den Stand und schupfte mit dem Stocke ein Steinchen hin und her .
Endlich warf er seinen Kopf empor und sagte : " Ich werde früher den Professor Frei fragen . "
" Wie Sie wollen , " versetzte der Panoramabesitzer , " Professor Frei wird Ihnen dasselbe sagen , und zudem garantiere ich Ihnen nicht , ob ich Ihnen bis morgen die Stelle reservieren kann .
Wenn ich will , habe ich in ein paar Stunden drei solche Bursche , und wenn ich zehn brauche , bin ich auch nicht verlegen .
Nun , Sie gefallen mir just , und ohne daß ich erst frage , wer Sie sind , wie Sie heißen , biete ich Ihnen die möglichsten Vorteile an , mit denen Sie gewiß zufrieden sein werden .
Also junger Freund , topp ! "
Zu verlieren , meinte Gabriel , hätte er nichts .
Die Welt kennenzulernen und Erfahrungen zu sammeln , sei er ausgezogen , und so wolle er denn einschlagen .
Auf der Gant Und wie ging es in der Einöde , als er fort war ?
Oft , wenn stiller Feierabend , verließ Regina das Haus und ging hinab gegen die Kapelle , die verlassen und halb verfallen dastand , zwischen Erlengebüschen und hohen Föhren .
An einem rostigen Türnagel hing ein Weihwassergefäß .
In dieses tauchte das Mädchen stets die Finger ein , besprengte sich das Gesicht und sagte halblaut :
" Jetzt gehe ich in das heilige Haus Gottes ein , die weltlichen Gedanken sollen weit von mir sein - hier bin ich vor Gott in der Ewigkeit ! "
Dann kniete sie nieder auf ein Querbrett und sah zum uralten , in Einfalt gezierten Frauenbild auf .
Sie betete : " Himmelskönigin Maria , dein Bild verehre ich , und zu dir rufe ich , weil mir so bang ist im Herzen .
Mein Vater ist arm und kann sich nicht helfen , weil ihn das Unglück verfolgt , weil ihn die Leute ' verfolgen , und jetzt wollen sie uns gar das Haus wegnehmen und uns hinausstoßen aus dem eigenen Dach !
Meine Mutter will mir erblinden , und sie weint auch so um den Gabriel .
Jungfrau Maria , und das ist auch mein größtes Anliegen , meine Bitte , beschütz mir doch meinen Bruder in der Fremde .
Ganz unbekannte Leute ' haben ihn fortgerufen , und ich weiß nicht , was sie mit ihm tun .
O heilige , reine Gottesmutter !
Jeden Samstag einen Kranz von Rosen und Marin , den flechte ich deinem Gnadenbilde hier , wenn du meinem Bruder beistehst allzeit , weil ja ich nicht bei ihm sein kann , und weil er gewiß niemanden haben wird , der ihn pflegt und auf ihn Obacht hat .
Und jetzt bete ich auch noch für mich , daß du mich fromm und geduldig sein lassest : die Leute bringen gar allweg Schlechtes über mich auf und führen mich in die Versuchung .
So , und jetzt habe ich dir mein Anliegen geklagt , und jetzt gehe ich und sage : Gute Nacht , Maria ! "
Nichts auf Erden kann ein banges Herz so sehr beruhigen und trösten als ein gläubiges Gebet .
Oh , schleudert den armen bedrängten Menschen nicht die Brandfackel des Zweifels in dieses Heiligtum , oder , wenn ihr es tut , so lasst ihnen in euch jene Allmacht und Liebe angedeihen , die sie von Gott und seinen Heiligen so zuversichtlich erwarten .
Könnt ihr das ?
Regina verließ stets beruhigt die Kapelle und war wieder heiter und doppelt liebreich gegen ihre Eltern .
Eines Tages im Spätherbst , als sie aus der Kapelle trat , stand Rudolf , der junge Habeturmknecht , an einem Baum und zeichnete mit einem Weidenstäbchen Dinge in den frisch gefallenen Schnee .
Das Mädchen erschrak beinahe und sagte : " Willst ' leicht auch dein Abendgebet hier verrichten , Rudolf ?
Was schreibst denn da für Sachen in den Schnee ? "
Der junge Mann zerstörte seine Zeichnung mit einem tiefen Strich und versetzte zerstreut :
" Nichts .
Geben will ich dir was . "
" Ja , das kann ich mir denken , " lachte Regina , " fopp ' du deine Leute , wirst keinen Taglohn schuldig ! "
" Einen Gruß von deinem Bruder bringe ich dir in diesem Blümel . "
Er hielt ihr das vertrocknete Maßlieb hin .
" Gehe , meinst , mein Bruder hätte kein besseren Gruß für mich wie so ein welkes Blümel da ?
Halt her ! -
Schau , lassen mag ich dir es doch nicht . "
Der Bursche stand da und blickte auf den Schnee .
" Willst ' leicht noch was ? " fragte ihn Regina .
Da reichte er ihr seine Hand und sagte : " Gute Nacht , gute Nacht , und nochmals gute Nacht ! "
Dann ging er langsam über den Wassergraben , in welchem unter der Schnee- und Eisdecke der Waldbach murmelte , und jenseits aufwärts gegen den Halberturmhof .
Nun kam der Winter mit Massen .
Es war noch weit vor dem Frühjahre , es war die Faschingszeit , und unten beim Zapfenwirt schlug der Rindenschlager-Lenz das Hackbrett .
Wie da die Hämmerchen hüpften auf den glänzenden , zirpenden Stahlsaiten , auf und ab , hin und her , von einer zur anderen , und wie jede getroffene ein anderes Lied sang !
Und was da die Leute tanzten und jauchzten ; in der Stube flogen die Silbergroschen wie draußen über der Scheune die Spatzen .
Oben im Heidehause ging es auch lebhaft zu , da eilten die Leute erregt und bewegt zur Tür aus und ein , und auch hier wurde zum Fasching ein Instrument gespielt .
Nur daß dazu niemand tanzte und jauchzte , denn der Hammer , der hier spielte , schlug nicht auf klingende Saiten - er schlug auf Menschenherzen .
Der Hammer der Versteigerung .
Zahlreiche Gläubiger waren da und gingen im Hause umher und beguckten alles , und eine Anzahl Kleinhüttler , Köhlersleute , die sonst betteln gekommen waren , polterten in den Stuben herum und warfen hochmütige Blicke auf die Hausbewohner , die alles geschehen lassen mußten und sich nicht rühren durften .
Wenn der Heidebeter was sagte , wenn er bat , ihm das oder jenes , was ihm besonders angewachsen , nicht wegzunehmen , so erhielt er keine Antwort .
Der Hahnenkamm war auch da .
Er trug heute einen großen , breiten Ledergurt um die Hüften , und da steckte er behäbig seine beiden Daumen hinein .
So schritt er im Hofe langsam umher , machte die Stall- und Scheunentore auf und besah und betastete die Wände und Torstöcke und die Bedachung , ob wohl alles seinen guten Stand habe .
Dabei pfiff er und pfiff höllisch falsch .
Der Heidebeter saß neben seinem siechenden Weibe in der Stube und legte die Hand an das Kinn .
Klara hielt die blaue Schürze vor das Gesicht .
" Hast denn nicht besser wirtschaften können , Peter !
Jetzt ist alles hin , was fangen wir an ? "
" Wenn der Bub daheim geblieben , hätten wir uns noch durchgewürgt ; aber hast ihn ja selbst noch fortgeschoben mit deinen Reden , Klara .
Mir darfst keine Schuld geben . "
" So , und jetzt wälzest du noch die Schuld auf mich , auf die arme , kranke Haut , die sich nicht zu helfen weiß !
Wenn mich der liebe Herrgott nur gleich zu sich nehmen täte , das wäre das beste ! "
Sie schluchzte so heftig , daß sie kein Wort mehr hervorbrachte .
Der Peter mußte sie stützen , daß sie nicht auf den Boden fiel .
" Klara ! " hauchte er ihr auf die Stirn , " tu dir_es nur nicht gar so schwer legen .
Sage mir , es wird wohl nicht Unrecht sein , wenn ich dein Gebetbüchel da in den Sack Stecke , daß sie es nicht finden ? "
" Wo ist denn heute die Regina ? " fragte Klara endlich und trocknete sich die Augen .
" Sie muß den Leuten das Korn vermessen und die Kühe aus dem Stalle treiben " , sagte der Peter traurig .
Draußen in der Lauben stand ein Tisch .
Da fiel nun der Hammer nieder .
" Siebenhundert ! " schrie der Amtmann .
" Achthundert ! " rief ein anderer .
" Achthundert zum ersten . "
" Neunhundert ! "
" Neunhundertundfünfzig ! "
" Neunhundertsechzig ! "
" Tausend ! "
" Tausend zum ersten !
Tausend zum zweiten ! "
" Tausendfünfzig ! "
" Tausendundfünfzig zum ersten !
Zum zweiten ! "
Es war still , die Leute hielten den Atem an .
" Tausendundfünfzig zum zweiten ! " rief der Amtmann , " gibt keiner mehr ? -
Tausendundfünfzig zum - dritten ! "
Der Hammer fiel auf den Tisch .
Das Heidehaus gehörte dem Hahnenkamm .
Jetzt entstand eine lebhafte Bewegung , und mehrere Gläubiger fluchten und schrien , sie litten keine Verkürzung , und sie ließen es auf einen Prozeß ankommen .
Der Bader von Rattenstein trat in die Stube .
" Heidebeter ! " sagte er , " es ist schlecht ausgefallen , dein Haus mit allem , was darum und dran , ist um tausendundfünfzig Gulden abgeschlagen worden ; schuldig bist aber um ein gut Stück drüber !
Ich leid ' keinen Schaden , Heidebeter , das sage ich dir ! "
" Könnt es mir ja den Rock vom Leib ziehen , " sprach der Peter tonlos , " mir ist alles recht . "
Der Arzt polterte wieder hinaus .
Der Peter erhob sich : " Gleich gehe ich es ihm sagen , daß er dich gesund mache " , rief er aufgeregt .
" Ich habe ihm mein halbes Haus dafür gegeben , und ich schenke ihm es nicht .
Auf der Stelle muß er dich gesund machen , Klara , oder ich gehe zum Kaiser ! "
" Sei nicht aufgebracht , Peter , " beruhigte ihn nun Klara , " der Arzt kann es halte auch nicht gleich so wie er möchte .
Der Herrgott wird uns nicht verlassen .
Gehe , Ruf mir die Regina her ! "
Jetzt trat der Hahnenkamm zur Tür herein .
" Bleibe ' nur sitzen , Peter " , sagte er mit einem Ton , der wohlwollend sein sollte .
" Habt es freilich ausgeschrien , ich wäre ein Wildling , aber das ist derweil nicht richtig , und ich sage euch's gleich , ich werde euch nicht hinauswerfen ; es Haus ist mein von dieser Stunde ' an , und euch lass ich es Oberstübel .
Du , Peter , hilfst mir in der Arbeit und verdienst schon die Kost für dich und dein Weib .
Ist wohl wahr , und ich sage es : Was mein ist , ist mein , und nicht ein Splitterle von meinem Güterl !
Aber Stein bin ich keiner .
Kannst jetzt ein Eichtel rasten , Peter , und nachher , wenn die Beschau vorbei , gehst den Schnee vom Grashaufen wegschaufeln und hackest Streue ein ! "
Der Peter sagte nichts , er tat nur einen hohen Atemzug .
" Deine Tochter wird zum Ameisehüter als Stallmagd hinauskommen , " fuhr der Hahnenkamm fort , " wird ihm die dreiundzwanzig Gulden abdienen , die nicht ' zahlt werden können .
So , jetzt weißt es , und wenn du willst , so sage es auch deinem Weib . "
" Hab es schon gehört ! " rief Klara , " weiß schon , daß Ihr uns das Haus und unser Kind weggenommen habt .
Wollt es uns ' leicht allein lassen in unseren alten , mühseligen Tagen ? -
Hahnenkamm !
- Er hört mich gar nicht an , lachen tut er noch , und fort geht er , und alle lassen sie uns allein .
Peter , wir zwei sind zuviel auf der Welt , sie hätten uns am liebsten unter dem Gras .
Aber sterben will ich noch nicht , beileibe nicht !
Will_es noch erleben , daß uns der Hahnenkamm um eine Nachtherberge bittet ! "
" Ich möchte sonst nichts erleben , " entgegnete der Peter , " als daß uns unsere Kinder eine Freude machen täten , und das ist allweg meine Hoffnung . "
Regina kam herbei und tröstete die Eltern und sagte , sie wolle ja gern dienen , um den Leuten die Schulden abzustatten , und sie käme jeden Sonntag zu Vater und Mutter und täte sie mit Freuden pflegen .
Sie tat heiter , als sie dieses sagte , und sie wischte der Mutter das Feuchte von den Augen .
Da faßte Klara das Mädchen zitternd an der Hand und führte es aus der Stube hinab in den dunklen Keller .
" Du gehst jetzt zu fremden Leuten , " sagte sie hier , " und da muß ich noch etwas mit dir reden .
Du bist aufgewachsen in Ehren , und bei deinen Eltern daheim hast du Gotts wegen nichts Schlechtes gehört und gesehen .
Ich weiß nicht , verstehst mich schon , aber bei dem Menschen ist es einmal so , wenn er in seinen jungen Jahren ist , daß - Regina , jetzt schau her auf deine kranke Mutter , vergiß es nimmer , wie ich da stehe vor dir mit aufgehobenen Händen und dich bitte um Gottes Willen , tu mir keine Unehre an !
Tu dich allweg hüten , und wenn_es Gott gibt , daß du einstmals in den Ehestand trittst - Regina , bringe den grünen Kranz mit zum Altare ! -
Daß du mich jetzt verlassen mußt , in meinen alten Tagen , just deswegen werde ich nicht sterben , aber wenn du mir mein heiliges Wort vergißt , so hast du mir die Grube gegraben ! "
Gegen Abend schritt Regina hinab zur Waldkapelle , und nun erst brach der Schmerz in Weinen aus , daß es so gekommen war .
" Ich bin ein armes Mädchen , " schluchzte sie vor dem Marienbilde , " und ich habe die heilige Pflicht , meinen Eltern beizustehen , aber die Leute reißen mich von ihnen fort .
Jetzt will es dunkel werden in mir , und kein Mensch ist , der mir zurufen täte ' :
Gute Nacht ! "
Endlich trocknete sich das Mädchen die Tränen von den schönen , dunklen Augen , tat einen tiefen Atemzug und sagte : " Ei ja , Tag und Nacht , es ist so der Brauch auf der Welt .
Die Sonne wird schon wiederkommen , das ist ein schlechter Christ , der verzweifelt . "
Als sie aus der Kapelle trat , blickte sie erstaunt auf die Schneedecke .
Hier standen die Worte geschrieben : " Gute Nacht , Regina ! "
* Wenn die Mutter Natur will , so bringt sie alle Menschen zum Lächeln .
Gram , Sorge , Liebweh mag noch so groß sein , jegliches Leid wird gemildert , wenn die Welt mit ihrem Frühling kommt .
" Sei gut , sei froh und heiter , du Menschengemüt ! " sagt Mutter Natur .
Auch in der Einöde und auf der Heide ist der Frühling schön , gleichwohl er spät kommt , gleichwohl die Junisonne Schnee zu schmelzen hat in den Waldschluchten .
Wohl lange schon war jener weiße , glitzernde Brief zergangen , auf welchem die Worte geschrieben standen : " Gute Nacht , Regina ! "
Tiefe Furchen hatte das Wasser gerissen , und viel Sand und Gestein hatte es hinausgeschwemmt auf die Wiesen des Zapfenwirtes und des Hahnenkampf .
Nun war Maien .
An den Rainen und Hängen blühten dunkelrot die Eriken , die Lärchebäume prangten in hellgrüner Farbe und trugen purpurne Kätzchen ; auf den Wiesen glitzerten zerteilte Wässerlein .
Der säuselnde , summende , alebendige Wald wurde schattiger und dunkler , je mehr in den Ästen frische Blätter nachwuchsen .
Die Ameisen kamen hervor und begannen ihre Arbeit mit den Harzkörnern , mit den Zapfenschuppen , mit den dürren Nadeln .
Auf den Wipfeln hüpften die Amseln und die Finken und die Rotkehlchen und die Meisen und sangen .
- Und hoch oben , im tiefblauen Himmelsauge , kreiste ein Habicht , und sein Gefieder schimmerte silbrig in der Sonne .
Hinter den dunkelnden Hochwäldern aber ragen die leuchtenden Felszinnen der Wildschroffen empor , in deren Klüften noch der Schnee lagert .
Es liegt eine wunderbare Ruhe und Reinheit über der Einöde , obwohl einmal geäußert worden ist , die Hochgegend der Einöde mit ihren träumenden , raubtierreichen Wäldern und mit ihren weißen , scharfen Felskanten im Hintergrunde sei in solchen Tagen wie ein lauerndes Ungeheuer , das die Augen halb zudrückt und die Zähne fletscht .
Über das junge Federgras und über das dunkelrot blühende Wildkraut der Heide ging in sehr kurzen , langsamen Schritten der Heidebeter und führte sein Weib .
Klaras Kopf war dicht in Tücher und Lappen gewickelt , und sie hielt immer die Hand an den Mund , damit das Alpenlüftchen nicht zu sehr hineinkäme , denn zum Alpenlüftchen hatte sie kein sonderliches Vertrauen .
Auch tat ihr der helle Sonnenschein weh .
Sie ging gar schleppend und gebeugt und hing sich fest an den treuen Ehemann , obwohl sie behauptete , daß ihr recht gut sei und daß sie Trost habe , endlich doch wieder gesund zu werden .
" Ich habe was wahrgenommen , Klara , " flüsterte der Peter geheimnisvoll schmunzelnd , " wie ich jetzt vom Hause fort bin , habe ich im Stübel die Schmalzkübel pumpern gehört ; ich sage , wir kriegen heute einen guten Sterz , Klara ! "
Ein guter Sterz , das war dem Heidebeter nach Weib und Kind das Liebste auf Erden .
" Magst ein Brot , Peter ?
Ich habe mein gestriges Stückel bei mir . "
Sie setzten sich endlich auf einen moosigen Stein , und der Peter sagte : " Bin wohl rechtschaffen froh , daß Sonntag ist und daß unsereins rasten kann , es tun mir halte doch dann und wann wollten die Hände weh beim Pflugführen in der Steinleiten . "
" Tust dich frei soviel herabrackern , Peter , und du wirst mir schier ein ganzer Hascher ; bist ehe schon grau auf dem Kopf und wirst nach und nach letz .
Wenn dir was ist , Peter , so sage_es , ' leicht kann ich dir doch dann und wann Hilf reichen .
Freilich wohl , schön geduldig ertragen , wer es zuwegen bringen könnte , das wäre ein Glück .
Allemal kann man es halte nicht .
Und das , denke ich , fragt einen unser Herrgott , wenn man anklopft bei der Himmelstür : Hast Kreuz und Leiden willig tragen ?
Gehe , zeige mir deine Schultern !
Bist auf dornigen Wegen gegangen ?
Gehe , zeige mir deine Füße !
So komme herein , die Erden werde ich verbrennen mit ihrem Kreuz und Leiden , und im Himmel wollen wir zusammen verbleiben .
- Dasselbe , denke ich , sagt der liebe Herrgott , wenn unsereins vor die Himmelstür kommt . "
Der Peter lächelte mit feuchten Augen .
" Ja , und jetzt muß ich dir was sagen , " fuhr sie fort , " ich täte ' am nächsten Sonntag soviel gern nach Rattenstein hinaushumpeln , ich weiß ja schon völlig nimmer , wie eine Kirchen ausschaut .
Schau , Peter , es könnt bei mir auf einmal zum Sterben sein . "
" Dasselbe ' ist wohl richtig " , antwortete der Mann gedrückt und legte die Hand ans Kinn .
" Und zuletzt wäre gar vom Gabriel ein Brief beim Postmeister ! "
" Wenn ich bei der Arbeit bin , " sagte der Peter , " oder wenn ich allein wo gehe und stehe , so bete ich halte gern für unsere Kinder .
Gehe , Klara , magst mir heute nicht das Lied vom armen Dienstmägdlein singen ? "
Das Weib schmunzelte ein wenig hinter dem Tücherwall .
Singen , das war ihr Lebtag was für sie gewesen , und wenn sie überlaut auch sagte , sie könne gar nicht mehr , ihre Kehle sei so rauh wie ein alter Lodensack , so war es ihr doch heimlich recht , wenn jemand sie bat um ein Lied . -
Der Peter war ihr ja einst , als sie Ziegen hütete , im Walde nachgegangen , ihres Singens wegen , hatte sie kennengelernt und hatte sie hierauf geheiratet .
Darum war ihm ihr Gesang immer noch lieb zu hören .
Klara hüstelte nun ein paarmal , um die Kehle zu glätten , dann schlug sie ein klein wenig die Tücher auseinander und begann leise - halb singend , halb sagend - Peters Lieblingslied :
Es war ein armes Dienstmägdeleln , Gar keusch und rein im Leben ?
Das ging wohl alle Tag in Wald :
Da fand es eine Bildnis bald , Die tat es wunderschön zieren .
Die Bildnis war alle verwischt und wild .
Die Bildnis war kaum zu bekleiden , All ' Tag mit ein frischen Blümchen , Wie_es Stunden auf der Heiden - Hier wurde die Sängerin unterbrochen .
" Peter ! " rief eine derbe Stimme vom Hause her , " wo hat dich denn der Geier wieder , du Dalkerd ! "
" Der Bauer , " sagte der Peter , " jetzt muß ich gleich zum Haus hinablaufen , es wird eine Arbeit für mich sein .
Hatsch schön stad nach . "
Und als er zum Hause kam , fluchte der Hahnenkamm , und der Zapfenwirt , der neben ihm stand und mit seinen triefenden Augen blinzelte , sagte höhnische Worte , die dem Peter weh taten .
" Mein Davidl läßt dich grüßen , Dalkerd , " sagte der Zapfenwirt , " er wäre ' sonst mitkommen und hätte dir sein Kompliment gemacht , daß du_es so weit brachte hast , aber es könnte der Kettenhund toll werden , oder du hättest ihm gar wieder ein Fangeisen gelegt .
Ja , ja , Dalkerd , die Welt ist kugelrund ! "
" Laßt mich in Ruhe ! " entgegnete der Peter kleinlaut , " ich und mein Weib haben Euch nichts in den Weg gelegt und meine Kinder wohl gewiß auch nichts . "
" Kommt er gleich mit seinen Kindern und prahlt sich damit " , lachte der Zapfenwirt .
" Nun , ich will dir_es nur sagen , man hört saubere Sachen von deinen Kindern ! "
Da wurde der Heidebeter lebendig :
" Was hört man von meinen Kindern ?
Auf der Stelle , Wirt , was hört man ? "
" Gehe selbst nachfragen , ich bin kein Kostenträger , ich bin der Zapfenwirt ! " war die Antwort .
" Nur peinigen wollt Ihr mich und mein Weib ! " rief der Peter mit bebendem Ton .
" Jetzt troll dich einmal , alter Brummbär ! " schrie der Hahnenkamm , " Futtermähen gehe , oder sollen die Melkkühe heute nichts fressen ?
Du fragst gleich nach der fetten Butter , aber sonst fragst nach nichts !
Wie du dich selbst aufgefressen hast , so willst auch mich auffressen .
Na - muß ich dir weiterhelfen ? "
Der Bauer drohte mit der Faust , aber der Peter blieb auf seinem Fleck stehen .
" es ist wohl heute Sonntag , " sagte er endlich , " und die Sonntagsschänderei ist bei mir nie der Brauch gewesen .
Hättest zum Futtermähen auch die Kuhmagd - aber ich gehe und tu deinen Willen .
Euch , Zapfenwirt , frag ich noch ein andermal später , was für saubere Sachen Ihr von meinen Kindern wißt . "
Der betagte Mann langte die Sense von der Vorwand und ging hinab auf die Wiese .
Und es war doch Sonntag und Ruhetag , und die Leute vergnügten sich und sammelten Kraft für die nächstkommenden Werktage .
Nur er mußte das Zugtier sein , das keine Ausnahme erfährt .
Traurig stand er da und starrte nieder auf das grüne , frische Gras .
Siehe , da saß auf einem Rispenhalm eine Heuschrecke , und die hielt ihre zwei Vorderfüße gefaltet empor gegen den hohen , blauen Himmel .
- Alles hält Sonntag , selbst das Insekt im Grase feiert den Tag mit dem lieben Herrgott .
- Aber Gehorsam und Sanftmut ist auch ein Gottesdienst - hatte Gabriel einmal aus einem Buche gelesen .
Der Heidebeter dachte daran und hieb die Sense in das Gras .
Der junge Habeturm will was Muß ein wenig zu den alten Heidepeterischen hinaufschauen , hatte sich Rudolf , der junge Habeturmknecht , gedacht .
Er war heute in kleidsamer Sonntagstracht und hatte den roten Brustfleck an und den grünen Hosenträger um , und aus der inneren Tasche seiner grauen Lodenjoppe lugte nebst einem blauen Päckchen eine Klarinette hervor .
Das Instrument verstand er , und an jedem Sonntag blies er darauf einen Jodler zur Ehre Gottes .
Seine blonden , krausen Locken trug er hinter die Ohren gekämmt , und er hatte dadurch eigentlich eine neue Mode in die Einöde gebracht .
Wie früher alle Burschen ihre Haare vorn herab über die Stirn , gar über die Augen wischten , so kämmten sie dieselben jetzt zierlich nach rückwärts und blickten aus diesem Anlasse gern in ihre Handspiegel , ob sie wohl so aussahen wie der Habeturmbursch .
Dann hatten auch die Mädchen zu ihren Liebhabern gesagt : " Gehe , ich will dir was anraten .
Wenn du magst , so mache ich dir einen roten Brustfleck , wie der Haberturm-Rudolf einen hat ! "
Aber als endlich alle Burschen ihren roten Brustfleck trugen , so sahen die Mädchen doch immer heimlich nur auf den Rudolf .
Der war auch in allem ein anderer !
Einmal hatte die Zapfenwirtin die Hand des Habeturm lange in der ihrigen gehalten und sie schier zärtlich gestreichelt und zuletzt dem Bauer ins Ohr gelispelt :
" Glaubst , Habeturm , ich kann mir es nicht denken , wo du deinen jungen Burschen genommen hast ?
Oh , du bist gescheit ! "
Dem Habeturm flog eine leichte Röte über das verwitterte Antlitz .
" Halt ja , " flüsterte die Schänken , " so was hält man gern hinterm Zaun , aber der Zapfenwirtin macht einer keine Kohle blau .
Nun , halte her dein Ohrwaschel : Dein Rudolf ist ein Grafensohn !
Geld ? "
Der Bauer tat einen Lacher .
Und nach zwei Tagen sprach man in der ganzen Einöde davon , daß der junge Habeturm ein Grafensohn sei .
Kurze Zeit darauf ließ der Habeturm den Rudolf zu sich in seine Stube kommen und offenbarte ihm den Entschluß , das Gut nach altem Gebrauch des Haberturmhofes einem Nachfolger zu verschreiben .
Er trug dem Burschen die Besitzung an .
Rudolf suchte in seiner Überraschung vergebens nach einer Entgegnung , da faßte schon der Alte seine Hand und sagte : " Es bleibt schon dabei , Junge .
Ich werde alt , du bist mir ans Herz gewachsen und verstehst das Hausen und Bauen . "
Die Aussichten waren nun schön , aber Rudolf war ernster als sonst ; er sann oft nach , wie das kam und wie das werden sollte .
Und auch noch ein anderes gab ihm viel zu sinnen und zu träumen .
Als er an diesem Sonntag , auf dem Gang zu den Heidepeterischen , an der Kapelle in der Waldschlucht vorüberkam , da dachte er an den lieben Winter , der hier einst ein großes , weißes Blatt ausgebreitet hatte , auf das jemand die Worte schrieb : " Gute Nacht , Regina ! "
Er stieg hinauf und ging hin über die ebene Heide , da sah er auf dem Stein die mühselige Heidebeterin sitzen .
Sie schien sehr betrübt zu sein und betete leise .
Der Bursche setzte sich zu ihr und suchte sie zu erheitern .
" Das freut mich so , daß du mit unsereinem was redest , " sagte Klara herzlich , " alle anderen Leute ' treten uns schon völlig unter die Füße ' ; gar solche , denen wir in den besseren Zeiten was Gutes haben tun können .
Mein Peter muß jetzt wieder arbeiten , hat gar nicht einmal einen Sonntag mehr , er hat_es zehnmal schwerer wie der Unterknecht , und jetzt wollen sie ihm den Himmel auch schon wegnehmen .
- Nein , aber daß die Regina heute ' nicht kommen will ; da gehe ich schon stundenlang hin und her zwischen den Steinen und schaue ihr entgegen - sie will halte nicht kommen .
Der Gabel schreibt auch nicht . "
" Ja , er schreibt " , antwortete Rudolf und zog einen Brief hervor .
Und Gabriel schrieb unter vielem anderen :
" Zuerst , da wäre ich bald auf einen unrechten Weg gekommen .
Ein Budenmann hat mich anschwatzen wollen , habe mich aber noch knapp zu rechter Zeit besonnen .
Der Herr , der mir den Brief in die Einöde geschrieben hat und ein paar andere nehmen sich ganz um mich an , und ich gehe in eine Schule und lerne auch zu Haus .
Die Stadt ist so , daß ihr sie alle miteinander nicht denken könnt , wenn ich sie auch beschreiben wollte .
Aber anfangs , da ist_es mir wohl manigsmal nach euch gewesen .
Die Stadtleut leben in Herrlichkeit , aber ums Leben bringen tun sich so viele , daß einem unter ihnen oft völlig die Zeit lang wird .
Und sonst auch :
Die Frömmigkeit ist nicht zum größten .
Was der Rattensteine Pfarrer dazu sagen täte ?
Ich mache keine Lustbarkeiten mit , so Sachen freuen mich nicht .
Ich gehe lieber alleinig um und tue öfters dichten .
So kleine Gesange mache ich , und die gefallen meinen Schulkameraden ( Kollegen heißen sie hier ) und auch den Herren Professoren , und sie heißen mich den Waldsing .
Den Spottnamen haben sie mir schon aufgebracht . "
Und so ging es weiter , aber er schrieb viel zuwenig , daher mußte Rudolf den Brief um so öfter lesen .
" es ist halte doch eine Freude ' " , sagte Klara , " es ist richtig wahr : Wenn es auch ein Elend ist auf Erden , der Himmel ist alleweil über uns , der Himmel ist ein weiter Schirm ; es sei das Elend noch so groß , der liebe Himmel deckt es ein ! "
Jetzt führte Rudolf seine Hand zögernd gegen die innere Rocktasche ; er war verlegen .
Wollte er seine Blaspfeife erfassen ?
Wollte er dem mühseligen Weibel was vorblasen ?
Stetig zögernd zog er endlich ein Päckchen hervor .
" Mutter Klara , " sagte er und wickelte das blaue Taschentuch ab , " er ist mir übrigblieben am letzten Erchtag , und schlecht ist er nicht . "
" Uh , was hast denn da , du Närrisch ? "
" Grad ' keine gebratenen Tauben ; so ein bissel Schinken ist es halte .
Leicht mögt Ihr ihn beißen - täte recht kräftigen . "
Das arme Weib nahm das Geschenk mit beiden Händen und bedankte sich zu tausend Malen .
" Und beißen - dasselbe werden wir ihn schon , der Peter hat rechtschaffen gute Zähn !
Schau , der Gabriel hat geschrieben !
es ist halte doch eine Freude ' ! "
Als endlich Rudolf wieder seinem Hofe zuschritt , begegnete ihm Regina , die vom Ameisehüter kam und zu ihren Eltern hinaufging .
Wie wenn ihm wer einen heißen Stein auf die Brust geworfen hätte , so war es dem Burschen , als er das Mädchen plötzlich vor sich sah . -
Jetzt gilt es - sagte er zu sich - , jetzt fasse ich sie bei der Hand , jetzt nehme ich sie um den Hals , jetzt drück ich sie so fest an mich , wie ich nur kann , jetzt sage ich ihr alles .
" Gehst zu deinen Vaterleuten hinauf ? " redete er die Regina an .
" Ja , und ich bin heute schon rechtschaffen spät dran ; meine Nähterei hat mir soviel zu schaffen geben " , sagte sie .
" Wie geht es dir denn allweg beim Ameisehüter , Regina ? "
" Dank der Frage .
Mag wohl fleißig ansteigen , daß ich hinaufkomme ' . "
Sie war bei diesen Worten nicht einen Augenblick stehengeblieben , sie hatte den Burschen nicht einmal angesehen , hatte vor sich gerade auf den Boden hingeschaut , um den Steinen auszuweichen , und er hatte ihr nichts gesagt von dem , was er wußte und wollte .
So war sie fort .
Rudolf setzte sich auf den Holzzaun und führte ein Selbstgespräch .
" Rudolf , du bist eine Letfeigen .
Hast du das Mädel gern ?
Ei gar nicht , und nicht ein bissel .
- Ist es dir gleich , ob sie bei ihren Eltern ist oder beim Ameisehüter ? - Meinetwegen , ich stelle ' keinen Aufpasser zu ihr . -
Wenn sie beim Wirt auf dem Tanzboden wäre und du solltest mit ihr tanzen ? -
Ja , im Winkel lass ich sie stehen und schau sie gar nicht an .
- Wenn sie aber ein anderer grüßt ? -
Mich braucht keiner darum zu fragen .
- Wenn sie aber der Davidl nimmt ? -
Der ? -
Nein , sage ich , der nicht !
Davidl , du Fuchsbartelbub , wie du mir die Regina anrührst , so schlage ich dich nieder . "
Er brach einen Stecken vom Zaun , er schwang ihn .
Da lachte es hinter ihm .
Der Habeturm stand da .
" Bist toll , Rudolf ? " sagte er , " was brichst mir meinen Zaun ?
Rudolf , der Zaun gehört mein ! -
Schau , ich reiß auch einen Stecken ab , ich kann es tun , kann den ganzen Haberturmhof abreißen , wird mir kein Mensch was sagen .
Ich bin der Habeturm .
Junge , du meinst , du kriegst mein Haus und Hof , und es bleibt dabei .
Wenn dir aber das Weibsbild im Kopfe sitzt , so bleibt_es nicht dabei .
Schau mir ins Gesicht , Bub , und lehne dich nicht so an den Zaun , drückst mir ja alle Stangen ins Feld ! "
Die beiden Männer gingen , ohne noch ein Wort zu sagen , nebeneinander in den Hof .
Als Rudolf hierauf am Abend in seiner Kammer war , saß er lange am Rand seines Bettes .
" Und es ist eine rechte Dummheit , " murmelte er und bis die Zähne zusammen , " lauter Einbildung .
- Nimm sie , rothaariger Davidl , und tanze mit ihr , wie du magst .
Die Spielleut pfeifen zu allem . "
Dann legte er sich zu Bett , und sich bequem rückend , hauchte er : " Ah , es ist doch am besten allein im Bett :
Man kann sich strecken und recken wie man will .
Und man hat einen festen Platz auf Erden , und der gehört einem zu eigen und keinem Menschen sonst .
Das ist was wert .
Der alte Habeturm hat es doch gescheit gemacht . "
Aber Rudolf konnte nicht einschlafen , und es war doch das Lager so weit und so bequem .
Ein Amulett von seiner längst verstorbenen Mutter , das er stets um den Hals trug , küßte und drückte er an die Brust .
Es wollte ihm schier nicht genug sein .
Haus- und heimatlos Jahre gingen hin , aber es blieb heute wie gestern .
Die Felswälle der Wildschroffen ließen nichts Altes hinaus und nichts Neues herein .
Was in der Einöde aufging , das war da , und dahin war , was in der Einöde zusammenbrach .
Zapfenwirts Davidl wuchsen Haare im Gesicht .
Man kann nicht sagen , er bekam einen Bart , denn die Haare waren sehr dünn verteilt über Backen , Kinn und Wangen , und sie waren lichtfalb , so daß das Gesicht ein gelbliches Aussehen bekam .
Auf allen Sommersprossen und Muttermalen standen drei oder vier Härchen .
Die Brüllen waren etwas vergangen , und die grauen Augen sahen nur noch kleiner aus als früher .
Die Nase hatte sich in den letzten Jahren scharf und spitzig gewachsen ; die borstigen Haare waren stets kurz geschnitten .
Einmal hatte ihm die Wirtin gesagt , daß er schier bräunliche Vorderzähne habe , und daß er sich deswegen gewöhnen wolle , den Mund zu schließen .
Über diese Bemerkung riß der Bursche den Mund erst recht weit auf .
Da hatte ihm die Zapfenwirtin auch einmal vertraut , daß es gut sei für das Zahnweh , wenn er sich jeden dritten Freitag die Fingernägel abbeiße ; er hatte aber kein Zahnweh , und so bis er sich die Nägel nur , wenn Christenlehre war .
Der Wirt bekam immer schwächere Augen und mußte sich demzufolge die meiste Zeit in der Gruft aufhalten ; im Tageslicht war er sehr grämig und mißmutig .
Nur einmal hatte er einen rechten Freudentag .
Davidl strich in der Stube am Brotkorb vorüber und schob in merkwürdiger Gewandtheit mit Blitzesschnelle zwei Semmeln in die Tasche .
Da sagte sein Vater : " Schau nach , Davidl , es sind dir zwei Brote in den Sack gefallen .
Eins kannst haben . "
Fletschte ihm der Bursche die Zähne entgegen .
Darauf der Alte :
" Wart , du Grasel , ich fasse dich bei den Ohren ! "
Da erwischte der Junge einen Stiefelknecht und schleuderte ihn seinem Vater unter die Füße .
Und als dies geschehen war , fiel der Alte dem Jungen fast um den Hals und rief : " Davidl , du bist doch mein Sohn , ich habe es ja meinem seligen Vater auch einmal so gemacht ! "
Am wohlsten war dem Zapfenwirt , wenn er seine böse Zunge loslassen konnte ; er hatte hierin nach und nach die Fertigkeit seiner Ehehälfte erreicht .
Der Gegenstand seiner Auslassungen war stets der Dalkerd , gegen den er alles aufzuhetzen suchte .
Der Heidebeter war ja der Feind seines Hauses ; oder hatte der Peter seit Bestehen in dem Wirtshause je soviel verzehrt , was drei Spatzen kosten ?
Hatte ferner der Peter nicht den Davidl mißhandelt , und hatte er nicht einmal das Fangeisen gelegt , wo der Davidl hineinsprang ?
War der Davidl nicht in jener Christenlehre ' durch Heidebeters Kinder zuschanden geworden ?
Eine wahre Qual war es dem Wirt , wenn er hören mußte , wie von Gabriel gute Nachrichten gesagt wurden , und daß dem Burschen das Brot schier in den Honigtopf gefallen sei .
Auch erzählte der Ameisler einmal , daß er seines Gedenkens noch keine Dienstmagd im Hause gehabt hätte , die so fleißig , folgsam und umsichtig gewesen wäre wie Heidebeters Regina , und daß das Mädchen , wenn es auch keinen Groschen mitbringe , doch einmal eine rechtschaffene Hausfrau abgeben werde .
Der Wirt nickte dazu nur langsam mit dem Kopfe , als wollte er sagen : Schon recht , werden schon sehen . -
Dann ging er in den Keller .
Die Wirtin aber sagte : " Gut , wenn es wahr ist ; ich wünsche der Regina nichts Schlechtes nicht ; und ich wünsche keinem Menschen nichts Schlechtes ; aber ich habe kein Zusammensehen mit dieser Person ; anstatt daß sie für ihre Vaterleut ' Brot sammeln ging , trägt sie einen Sack voll Bettelstolz herum .
So duckerisch wie der Heidebeter ist , hat sie es nicht gelernt . es schaut völlig so aus , als wie wenn dasselbe ' gerät ' wahr wäre - daß - Man sagt der mühseligen Haut , der Klara , so was nicht gern nach ; aber wenn halte der Apfel gar so weit vom Stamm fällt , so denkt man dran , man kann sich nicht helfen . "
Einmal saß Davidl unter den Fichten und putzte mit Schmer die Spielkarten , weil sie schon zur Unkenntlichkeit schmutzig geworden waren .
Da kam sein Vater herbei , setzte sich zu ihm auf die Lehmbank und sagte süßlich :
" Davidl ! "
Der Bursche sah nicht auf , er hatte immer Ärger , wenn ihn eins von seinen Eltern ansprach .
" Davidl , " fuhr der Alte fort , " du bist ein verteufelter Junge !
Du , was sagst denn zu der Ameishüter-Regina ? " Davidl glotzte den Vater an und riß den Mund auf .
" Davidl , in deinen Jahren habe ich es ein bißchen anders getrieben als du .
Jeden Unterrock habe ich gekannt in der ganzen Gegend .
Deine Mutter weiß es .
Da war auch so eine Stallmagd beim Ameisehüter - so recht eine fromme und augenverdreherische , daß man gemeint hat , sie hätte ihre Jungfrauschaft in einen Pechöltopf tan und mit einem roten Bandel zubanden .
Sind wir unser drei , vier Burschen einmal gesessen im Wirtshaus beisammen , haben Silberzwanziger in einen Hut geworfen und es ausgemacht :
Wer der Stallmagd das rot ' Bandel aufzwickt , weißt ehe , der kriegt neun Maß Wein und einen doppelten Gamsbart auf den Hut .
Ist im Winterfasching gewesen , und zu Weihnachten drauf haben sie der frommen Stallmagd beim Ameisehüter das rot Bandel mit der Scher abzwickt .
Ich habe den doppelten Gamsbart gewonnen .
Das waren dir Zeiten , Davidl !
Heutigentags ist alles ein wahrer Totengräbertanz , und die jungen Burschen rutschen nur mit den Spielkarten herum und haben kein Hitze und kein Kurasch ! "
Dann stieß der Alte seinen Sohn ein wenig mit dem Ellbogen :
" Die Regina , du , das wäre ein Schluck ! "
Davidl grinste und rieb eifrig an den Karten , und an dem Herz-Aß rieb er sehr lange - das wollte durchaus nicht Licht werden .
- In denselben Tagen verbreitete sich in der Einöde ein sonderbares Gerücht .
Niemand wußte , wer es zuerst gesagt hatte , aber man hörte es allenthalben , und man verbreitete es allenthalben .
Berichte aus der fernen Hauptstadt waren ihm vorangegangen .
Nach Rattenstein war ein Zeitungsblatt gekommen , und darin stand ein langer Aufsatz über Gabriel , des Heidebeters Sohn .
Fremde , die in Rattenstein durchreisten , erkundigten sich nach Gabriels Geburtsort und sagten , der Bursche aus dem Heidehause sei ein berufener Mann geworden und werde seiner Heimat Ehre bringen .
Von anderer Seite hieß es wieder , es wäre siebenmal gescheiter gewesen , wenn Gabriel in der Einöde geblieben wäre und den Eltern tüchtig hausen und bauen geholfen hätte .
Das fände man sonst nirgends , daß ein Haus in fremde Hände käme , wenn einmal die Kinder arbeitsfähig , und so was könne sich nur beim Dalkerd zutragen .
Daß dieser Bursche seine darbenden Eltern verlassen habe und in die Fremde gegangen sei , habe er nur getan , daß er offen von dem heiligen Glauben abfallen könne - wie die Städter denn schon alle ohne Religion und Gewissen seien .
Gabriel sei ein schlauer Bursche , man würde schon noch andere Dinge von ihm hören .
Dann fragte man sich , ob es denn wahr sei , daß bei Gabriels Geburt sein Vater im Gefängnisse saß ; ja , das sei schon ein rechtes Zeichen . -
Man könne sich auch sonst noch Geschichten erzählen von den Heidepeterischen , aber aus Christenliebe schweige man davon .
Es könnte sich nach dem , was in jener Nacht mit der Schulmeisterleiche vorgefallen , so jeder denken , mit welchen Dingen das zuging .
Die Kinder haben ihre Gelehrtheit fertig gehabt , das Brot ist zuwenig gewesen , und so ist der Alte überflüssig gewesen .
Sie haben ihn - lebendig begraben .
Und das war das Gerücht .
Der Schulmeister hatte sich ja auf der Bahre noch bewegt , sie wußten es zu vertuschen , und eine gerichtliche Totenschau unterblieb , wie sie in der Einöd ' öfters unterbleibt .
Wer konnte jetzt kommen und widerlegen , wenn die Leute behaupteten : Sie haben ihn lebendig begraben !
Mit Fleiß lebendig begraben , den guten , alten Mann !
Darum all das Unglück , das über das Heidehaus hereingebrochen ist !
Und sie haben ihn lebendig begraben ! -
Regina hörte es und ging noch an demselben Tage im Abenddämmern fort vom Ameisehüter , hinauf zum Heidehause und klopfte ans Fenster der Oberstube ihre Eltern aus dem Schlafe .
Laut weinend erzählte sie die Anschuldigung .
Der Peter sagte kein Wort darauf , aber Klara rief : " Du , Peter , du hast allweg geschwiegen , du hast zu rechter Zeit geschwiegen , und du hast zu unrechter Zeit geschwiegen .
Nicht arm gegessen und nicht arm gekränkelt - arm geschwiegen haben wir uns , und anstatt den Mund haben wir den Beutel aufgemacht , bis der letzt und der allerletzt ' Groschen herausgefallen ist .
In Gottes Namen , es ist vorbei , ich mache_es Kreuz darüber .
Aber das sage ich dir , Peter , wenn du jetzt auch noch stillschweigst und diese Anklage ' über uns und unsere Kinder ergehen lässt , so schau ich dich mein Lebtag nicht mehr an , und ich heiße dich die Letfeigen , den Dalkerd und noch was anderes !
Und nachher reut es mich so oftmals , soviel Haar ich auf den Kopf habe , daß ich dich geheiratet habe ' ! "
Das Weib sank auf ihr Strohlager , sie hielt ihren Kopf in den Händen , als ob er zerspringen wollte , und klagte halb verloren :
" Närrisch muß man zuletzt auch noch werden ! "
Der Peter sprang aus dem Bett , riß die Tür auf und rief : " Aus ist_es !
Jetzt hat mir mein Weib das gesagt ! "
Dann ging er wieder zurück zum Lager und sagte die Worte :
" Klara , du bist alleweil mein liebster Mensch auf der Welt , und jetzt schreist auch du mit den anderen und hilfst mich martern .
Was kann ich denn sagen ?
Sie werden mir nichts glauben , und beweisen ?
Wieso beweisen ?
Mir schwindelt alles im Kopf ; der lieb ' Herr Jesus hat auch geschwiegen , wie sie ihn angeklagt haben , und ist doch unschuldig gewesen .
Mit dem Menschenleben hat es bald ein Ende , und das ist das beste ! "
" Du , das ist eine Sünde , wenn du so denkst , " rief Klara , " merke ' dir das , mit dem Menschenleben hat es kein Ende !
Wir haben Kinder und sind in ihnen fort , wir müssen sorgen für ihre Ehre ' ; und Eltern , die das nicht tun , soll man totschlagen mit einer eisernen Keule , hat die Einschicht-Res gesagt ! "
Der Peter lag auf den Knien und betete still .
Regina hatte große Mühe , ihre Eltern endlich wieder zu beruhigen , und auf dem Heimweg machte sie sich harte Vorwürfe , daß sie den alten , kranken Leuten das Gerücht hinterbracht habe . -
Die Abspannung nach der aufgeregten Nacht machte es , daß am Morgen der Heidebeter über die Stunde ' hinaus schlief .
Es war aber zur Heumahd , und der Hahnenkamm hatte keine Rast und Ruhe , solange noch ein Helmlein Heu auf den Wiesen war .
Er wachte schier die ganze Nacht , und wenn er gleich an dem Heuwagen nicht zerren konnte , so zerrte er am Bettstroh und meinte , damit richte er auch was aus .
Das war ihm unbegreiflich , wie die Leute so fest und sorglos schlafen konnten , und es lag das Heu auf den Wiesen . Seinem Weibe rannte er die Nacht hindurch den Ellbogen mehrmals in die Seite , daß es ächzte .
" Da sieht man es halte , daß du dir gar keine Wirtschaft angelegen sein lassest !
Meine Mutter hat in der Heumahd die ganze Nacht vom Aufstehen geredet , und du liegst im Nest wie zum Hinwerden ! "
Das Weib seufzte und schlief wieder ein .
Und der Morgenstern war dem Hahnenkamm ein heißersehnter Morgenstern .
Wie der zum Fenster hineinguckte , guckte der Hahnenkamm zum Fenster hinaus .
Hei und Heu !
es war wieder schön Wetter .
Da machte er einen gewaltigen Lärm im Hause und schreckte das Gesinde auf , und da wurden Sensen gedengelt , Kümpfe gefüllt , Rechen gezähnt , Heukarren flottgemacht - alles schon zur frühesten Morgenstunde .
Der Dalkerd , bleibt er heute kleben in seinem Nest ?
" Dalkerd , Dalkerd ! " schrie der Hahnenkamm und tummelte mit der Heugabel an der Oberstube , daß die Hühner kreischend von ihren Sitzstangen flatterten .
Er hörte nur ein Brummen in der Stube .
Da trat er die Tür ein und zerrte den alten Leuten die Decke aus dem Bett .
" Du bist ein Unmensch , Hahnenkamm ! " sagte Klara und zog die Decke wieder zu sich , " gib Obacht , daß es dir nicht heimkommt . "
Jetzt war der Bauer von neuem aufgebracht .
" Was ! " rief er , " die Krank ' schreit da !
Schau , sonst will sie alle Tag schon abgeleuchtet sein ; predigen kann sie ' leicht noch ?
Ich aber sage dir , du armselige Krautschreck ' , daß du in meinem Hause stirbst , hast du nicht schriftlich ; du bist eine - eine - gar nicht aufhalten mag ich mich bei dir ; hinaus gehe ! hinaus gehe !
Auf der Stelle nimm deine Fetzen und gehe !
Da hast einen Stecken , da hast einen Bettelsack - da hast einen Kreuzer ! "
Jetzt kam der in Peters Leben so seltene Moment , daß ihm die Geduld riß .
Wutschäumend und jäh warf er sich auf den Hahnenkamm und mehr zufällig als absichtlich schleuderte er den kräftigen Mann an die Tür , daß dieser zu Boden taumelte .
- Kaum war das geschehen , faßte der Peter Klaras Hände und stieß heraus : " Behüte ' dich Gott , mein Weib , jetzt wird es für mich zum Sterben sein ; im Zorn habe ich mich hinreißen lassen , und jetzt wird er mich erschlagen .
Wenn er nur dir nichts tut ; bete für mich !
Daß ich keinen Geistlichen haben kann zu meinem letzten Ende , das ist mein Jammer .
Bete für mich , meine Klara ! "
Der Peter hatte erwartet , daß der wilde , gereizte Mann in seiner Wut ihn töten werde ; allein der Hahnenkamm hatte seinen Kopf in den eisernen Türhaken geschlagen , blieb nun am Boden kauern und ächzte .
Der Peter rief um Hilfe , Klara sprang aus dem Bett , goß einen Krug Wasser über den Kopf des Bauern und jammerte : " Maria und Joseph , jetzt hat er ihn umgebracht !
Jetzt sind wir fertig .
Du unglückseliges Heidehaus , du unglückseliges Heidehaus ! "
Und der Peter stöhnte :
" es ist richtig , jetzt habe ich ihn erschlagen ! "
" O nein ! " gurgelte der Bauer , " noch lange nicht !
Ich bin Herr im Heidehause , und jetzt fangen wir erst an , Peter , jetzt wird es erst lustig .
Oh , da tragen sie alle früher hinaus als mich , alle ! "
Er erhob sich langsam und wischte das Blut von den Wangen .
Und als Leute kamen , sagte der Hahnenkamm , er sei ungeschickt gewesen , und wie er den Peter habe wecken wollen , sei er in der Dunkelheit an den Haken gerannt .
Er schämte sich , die Wahrheit zu sagen : das gäbe doch einen Hohn und Spott , wenn ihn , den großen , kräftigen Mann , der einst des Habeturms Köhlerhütte vor das Zapfenwirtshaus gezogen , nun der Dalkerd an die Wand schleudern könnte .
Die Stunde ging hin , und bei der Morgensuppe sagte der Hahnenkamm , der sich mit einem blauen Tuch den Kopf verbunden hielt :
" Die Klara wirft heute es Heu auf den Überstadl , und der Peter gräbt auf dem Wiesenrain die Steine aus und schafft sie in die Schlucht hinüber ! "
Da hob das Gesinde an zu kichern .
Der Hahnenkamm warf den Löffel weg , schlug die beiden Fäuste in den Tisch und schrie :
" Wer hat da was zu lachen ?
Ich haue euch die Köpfe ineinander !
Ich weiß schon , was ich sage und was ich verlange , und ich lad keinem zuviel auf . "
Drauf zum kichernden Unterknecht :
" Und wenn ich dir Haderlump ein Dutzend Prügel auflade , so wird es nicht zuviel sein ! "
Klara saß am Ofen und kaute an den harten Rinden , die man ihr in die Suppe gebrockt hatte .
Nach dem Frühstück nahm sie den Peter beim Arm und flüsterte :
" Jetzt werde ich dir was sagen , Peter .
Wir hätten keine gute Stunde mehr in dem Haus , wir tun unsere Sache ' zusammen in ein Tuch und gehen fort , ganz fort .
Schlechter kann_es nimmer kommen .
Steine ausreuten !
Du !
Wir gehen zum Ameisehüter hinab , der ist mit der Regina zufrieden und wird uns wohl ein Dach geben .
Und ist das nichts , so gehen wir zum Gabriel , der wird ein Platzel für uns wissen .
Das ist das gescheitest .
Und das verspreche ich dir da , wo ich jetzt stehe , ich gebe dir kein böses Wort mehr , Peter , hast meine rechte Hand drauf . "
Wenn Klara auch in letzter Zeit dann und wann irre , verlorene Worte gesprochen und wieder stumpf vor sich hingebrütet hatte , so zeigte dieser Vorschlag , daß sie doch noch bei Vernunft und einer Überlegung fähig war .
Der Peter war denn mit allem einverstanden , nur sagte er , daß er an diesem Tage dem Bauer noch einmal im Heu helfen wolle , weil er es versprochen habe ; er gäbe dem Hahnenkamm nicht gern einen Grund zu übler Nachrede .
So entschloß sich Klara , allein zum Ameisehüter zu gehen , schärfte aber dem Peter ein , daß er am nächsten Tage mit den Habseligkeiten , soweit sie sie heute nicht tragen könne , nachkommen solle .
Sofort machte sie sich an das Einpacken .
Als dieses vorüber war , kam sie mit ihrem Bündel in die Küche , hielt der Bäuerin die rechte Hand hin und sagte : " So , Hahnenkammpin , jetzt gehe ich .
Wir wissen noch nicht wohin , aber der liebe Herrgott nimmt alleweil und überall Kostgänger auf .
Es muß schon so sein , daß ich jetzt hinausgeh aus diesem Haus , in dem ich geheim und gewirtschaftet habe , in dem ich meinem Manne die Kinder geboren habe , und in dem ich seit vielen Jahren auf das Hinaustragen gewartet habe .
Ich mag nicht leben und nicht sterben , und Ihr habt es ja gesehen , was es mit mir für eine arme Sache ' ist .
Vielleicht wird_es bald anders , ich gehe jetzt in die Welt Gottes hinaus .
Der Peter kommt morgen nach , heute hilft er euch noch im Heu .
Gebt mir die Hand , Hahnenkammpin , ich lege Euch keine Schuld bei .
Ich danke Euch für alles , und ich bedanke mich auch bei Eurem Mann . "
Die Bäuerin sagte beschwichtigende Worte und wollte Klara das Bündel abnehmen , diese aber stolperte zur Tür hinaus .
Tief gebeugt und gestützt auf den Stock , den Kopf dicht in Tücher gewickelt , das Bündel an einem Arm , gehüllt in einen braunen Rock von grober Leinwand und mit schweren ausgestückelten Schuhen - so torkelte das Mütterl davon .
Waldl , der alte , treue Haushund , heulte und riß an seiner Kette , als wollte auch er in seinen letzten Tagen den heimischen Kobel verlassen und seiner vertriebenen Hausfrau folgen .
Hinter den Tannen stand sie still , wendete sich noch einmal um und machte mit der Hand das Kreuzzeichen über den Hof .
Dann blickte sie aus ihrer Vermummung wirr umher , sie suchte den Weg , und sie prüfte mit dem Stock den Boden wie ein Blinder , bis sie endlich , von dem rechten Pfad überzeugt , schleppend und zitternd weiterhinkte .
Zutiefst in der Einöde Es war ein klarer Julimorgen , und es war Leuchten und Musizieren und Freudigsein überall , und die Einöde war in solchen Tagen keine Einöde mehr .
Als Klara zum Lärchenwald hinauskam , wo die Heide zu Ende geht , saß dort auf einem Strunk die Kleesam-Kathel .
Das war ein altes Bettelweib , welches das ganze Jahr hindurch mit Klee- und anderen Samen Handel trieb .
Sie konnte es nicht leiden , wenn man sie ein Bettelweib nannte und sie als solches behandelte ; sie war " Hausiererin " , obwohl sie von ihrer Ware kaum den Tabak erwarb , den sie rauchte .
Auch heute hatte sie das Pfeifel im zahnlosen Munde .
Als sie aber hier so hockte und in die Weite sah , nahm sie das Zeug in die runzelige Hand und keifte :
" Aufrichtig Gott wahr , wenn ich noch einmal auf die Welt komme , so werde ich eine Schnecken , daß ich allzeit mein Haus bei mir habe ' . "
Und plötzlich rief sie wie aufjauchzend : " U Josl Maronsaam , da steigt ja die Heidebeterin daher ? "
Sie kamen gleich ins Gespräch .
" Hätte ' dich völlig nicht kennt , Kathel , " sagte Klara , " meine Augen , die wollen mich schier verlassen , es will halte schon finster werden . "
" Ach , beileibe ' nicht , " versetzte die Kathel , " es ist ja mitten im Vormittag .
Ah so , bei dir , meinst ; lässt ' nur Zeit , Heidebeterin , es wird schon noch einmal hellicht werden ; wenn da nicht , im Himmel oben gewiß .
Ich denke nur auch allweg so . Habe dich aber auf den ersten Blick erkannt , hast mir ja oft einen Sterz gegeben , und du bist eine rechtschaffene Bäuerin gewesen , du , das muß man dir nachsagen , und es kommt keine zweite mehr ins Heidehaus , die dir_es nachtut . "
Klara lächelte ein wenig .
Es war ihr ein großer Trost , daß auch noch in anderen Leuten das Andenken wach war an die schöne Zeit ihres Lebens , da sie eine geachtete Hauswirtin gewesen , da sie von ihrem Eigentum den Notleidenden teilen konnte .
So viele tausend und tausend " Gelt es Gott ! " waren ihr gegeben worden von denen , die der Heiland meinte :
Was ihr den ärmsten meiner Bruder tut , das tut ihr mir ! -
Sollten denn alle diese " Gelt es Gott ! " verhallt sein wie Spatzengesang , sollte denn keines davon aufgestiegen sein zu Gottes Thron , keines aufbewahrt worden sein für diese dunkle Zeit eigener Not und Bedrängnis ? -
Doch , was hat der Peter oft gesagt ?
Unser alles haben wir in unseren Kindern .
Wenn jedes Gelt es Gott auf die Kinder kommt , dann ist es ja recht . -
Besseres könnte sich die Klara gar nicht wünschen .
" Daß du allweg so krank bist , Heidebeterin , das drückt mich schier selber , " sagte die Bettlerin , " wärest ja nicht so alt wie der frische Stamm im Wald .
Ich bin bei deiner Hochzeit gar schon eine betagte Person gewesen ; habe neulich einmal nachgedacht , dein Gabel wird halte jetzt gegen zwanzig sein .
Ja , und das habe ich mir auch gedacht , es muß dir wohl rechtschaffen hart sein .
Mein Gott , was ist zu machen ?
Ich sage , die Eltern können aller Lebtag nichts für die Kinder , es ist halte ein Unglück für den , des trifft .
- Ich denke ' aber , Ketten haben sie ihm nicht angelegt . "
" Wem ? " fragte Klara .
" Nun , deinen Gabel meine ich , " sagte die Bettlerin , " ja , zuletzt weißt du es gar nicht .
Mag auch sein , nachher - Heidebeterin , ist_es besser , wir plaudern was anderes . "
Die Alte sog eifrig an ihrem Pfeifchen .
" Wenn du was weißt , wenn du was weißt , Kathel ! "
Das kranke Weib faltete angstvoll die Hände .
" Mein , die Leute ' reden gar viel . "
" Sie sagen allerhand über meinen Sohn , " versetzte Klara ruhiger , " ich glaube ' nicht alles .
Geld hat er uns schon geschickt ; wenn er nur wieder einmal schreiben täte - daß er mir doch nicht krank ist . "
" Von wegen dem Geld , das meine ich halte auch , " sagte die Alte , " täte dir es aber tausendmal wünschen , Heidebeterin , wenn die ganze Reederei erstunken und erlogen wäre .
Beim Zapfenwirt unten haben sie gestern so gewartelt davon ; mein , ich habe nicht recht nachfragen mögen .
Das habe ich halte gehört , eingesperrt soll er sein . "
Klara zuckte zusammen .
Dann blieb sie eine Weile still , und dann sagte sie , die Hände auf die Brust drückend :
" Das hat mir aber einen Stich gegeben im Herzen .
Eingesperrt - eingesperrt " , murmelte sie und dann wie lauernd :
" Kathel , und kannst mir gar nicht sagen , warum ? "
" Und wenn du mir den Hals abschneiden tätest , so könnte ich dir es nicht sagen . "
Die Heidebeterin bückte sich torkelnd zu Boden nach dem Stock , der ihr entfallen war , dann sagte sie halb verloren :
" So , jetzt drehe ich mich wieder schön langsam um und such den Peter auf .
Der wird aber recht lachen , wenn er es hört .
Eingesperrt !
Was die Leute doch alles aufbringen ! "
Und als sie wieder allein war , kam eine Bitterkeit in ihr Gemüt , die sie bisher noch nie empfunden hatte .
" Nau , Gabriel , " sagte sie , " hast es recht hoch gebracht , hast ja schon ein Haus , wie sie sagen ! Dich werfen sie nicht hinaus , aber deine Mutter haben sie hinausgeworfen ; du , deine Mutter ist jetzt ein sauberes Bettelweib geworden . -
Ei , Gabel , sollst wohl ein wenig herausschauen zum Fenster , lug , das Bettelweib wird es auch hoch geben , das mag nicht mehr recht laufen , das läßt sich tragen von vier Männern , das läßt sich schön zudecken , und auf der Decke wachsen Blumen . -
Magst nicht ein Eichtel durchs Fensterl gucken ? "
Doch bald löste sich die Bitterkeit in Schmerz der Mutterliebe auf - sie lehnte sich an einen Zaun und weinte .
Sie weinte , wie sie in ihrem Leben noch nie geweint . . .
Einmal blickte sie zum Himmel auf , und dort schwebte eine Lerche im blauen Zelt .
" Das ist ein Wunder , daß ich dich noch sehen kann , " rief sie dem Vogel zu , " du fliegst wohl hin über Berg und Tal , du setzest dich wohl lustig auf die Türme und guckest durchs Gitter hinein in sein Gefängnis .
Fliege hin und fliege her und bringe Botschaft , du liebes Vöglein , von Gott erschaffen ! "
Dann betete sie in ihrem Herzen , und dann sagte sie :
" Geht mir weiter mit eurer Reederei !
Ist ja gar nichts wahr , es ist nur zum Lachen ! "
Der Peter stand in der Reihe der anderen auf der Wiese und mähte im hohen Grase .
Funkelnde Tropfen hingen und lagen noch auf den Halmen , Blättern und Blumen .
Und es war immer Vormittag , die Schatten der Erlen wollten nicht kürzer werden , und drüben im Haberturmhof stieg immer noch kein blauer Rauch aus der Dachluke .
Ein einziger Vormittag ist Ewigkeit für einen mühseligen Mann , der da schaffen muß mit und gleich den anderen , die jung und kräftig und übermütig sind .
Dem Peter wollte schier die Sense in den Boden wachsen .
Er stützte sich nur einen Augenblick an den Stab , da sah er sein Weib über die Mahden einhertorkeln .
Er barg die Sense in das hohe Gras , daß sie die Sonne nicht schädige , und trat hin zu Klara .
Und nun hörte er die Kunde von seinem Sohne .
Was entgegnete der Heidebeter darauf ?
Er nahm wieder die Sense aus dem Grase , zog den Wetzstein aus dem Kumpf hervor und schärfte sie .
Da schlug Klara die Hände zusammen und rief :
" Jetzt trau ich mir_es zu sagen vor Gott : Dir ist an deinen Kindern nichts mehr gelegen .
Bei dir heißt_es , aus den Augen , aus dem Sinn , wenn du nur deinen Hahnenkamm hast , so ist dir gut .
Und wenn dich Gott straft und dir Weib und Kind nimmt , so geschieht dir recht , du bist der Dalkerd , du bist der Gar_nichts , du bist - mäh , mäh dein Gras und schau mich nicht an !
Im Himmel ist_es geschrieben worden , und im Himmel ist_es ausgelöscht . "
Das Weib eilte mit einer ungewöhnlichen Schnelligkeit davon .
Der Peter besann sich eine Weile über das , was sie gesagt hatte , dann wollte er ihr nachlaufen .
Aber eine andere Stimme in ihm sagte : Wozu ?
Sie geht zum Ameisehüter ; das weiß man schon , wie sie ist , dort wird man auf sie schauen , bis ich nachkomme ' .
Und er mähte weiter .
Aber als das Mittagsmahl auf die Wiese kam , als sich die Leute unter den Schatten einer Esche setzten und sich aus abgemähtem Grase Sitze und einen Tisch bildeten , und als sie das Tischgebet sprachen und aßen - im hohen und weiten Speisesaal Gottes - , da genoß der Peter keinen Bissen .
Er saß ein wenig abseits und legte die Hand ans Kinn .
Niemand kümmerte sich um ihn , nur eine alte Magd zupfte ihn und lispelte :
" Peter , wir warten alle nur mit der linken Hand auf dich ; wie wirst denn mähen können den ganzen Tag , wenn du keine Vorspann hast ! "
Der Hahnenkamm hörte das und sagte :
" Wenn dem Herrn Heidebeter es Essen nicht gefällig ist , bitten tun wir ihn nicht , dasselbe getrauen wir uns nicht . "
Als sie aber nach dem Essen zum gedörrten Heu gingen , um es in Schobern zu sammeln , schlich der Peter abseits und davon . -
Das war sein letzter Werktag gewesen beim Heidehause .
Er eilte abwärts durch Geschläge und Anwuchs und Heideland gegen den Ameisehüter .
Beim Ameisehüter war das Heu schon eingeheimst ; die Männer waren im Walde , die Mägde arbeiteten auf dem Krautacker und setzten Kohlpflanzen ein .
Als Regina ihren Vater daherkommen sah , wischte sie sich mit der Schürze die Erde von den Händen , ging den Weg hinab und rief : " Wie steigt denn Ihr heute herum , Vater ? es ist doch nichts geschehen ? "
" Ist die Mutter gekommen ? " fragte der Peter schnell .
Da erschrak das Mädchen .
Die Mutter war zum Ameisehüter nicht gekommen , und niemand hatte sie gesehen .
Der Peter lief wieder zum Heidehaus hinauf .
Dort war Klara schon fort seit dem frühen Morgen .
Nun ging er durch die Heide , und er ging hinab durch den Anwuchs und in die Schlucht und rief den Namen Klara .
Vielleicht ist sie in der Kapelle und betet .
Die Kapelle ist leer , aber hinter derselben schimmert etwas Weißes .
Da lag das Bündel , welches die Heidebeterin vom Hause mit fortgenommen hatte .
Jetzt lief der Peter noch einmal hinauf zur Wiese , fiel vor dem Hahnenkamm auf die Knie und sagte : " Bauer , mein Weib ist davon , hilf mir suchen ! "
Der Hahnenkamm lachte .
Da eilte der Peter zum Habeturm hinüber ; auch dort wußte man nichts .
Ein Waldarbeiter kam nach Hause , der berichtete , daß er oben in den Wildschroffen ein Weib an den Felsen habe hinklettern gesehen .
Der Habeturm erlaubte dem Rudolf , daß er dem Heidebeter möge suchen helfen .
Bald wußte man es in der ganzen Einöde , die kranke , halbirre Heidebeterin sei davongegangen , und oben in den Hintereschroffen , wo sich kein Jäger und keine Gemse zu halten vermag , klimme sie umher .
Der Peter eilte barhaupt durch die Gegend , seinen Hut hatte er verloren , er wußte nicht wo .
Er rief nicht mehr den Namen seines Weibes , er hatte sich schon heiser geschrien .
Nur leise beten konnte er noch .
Lass mich krank und blind und lahm werden , barmherziger Gott , betete er in seiner angstvollen Seele , lass mich verhungern auf den Felsen , nur lass mich mein Weib wiederfinden !
Wenn ich mein Weib wiederfinde , so will ich all mein Lebtag nichts mehr essen als Wurzeln und Kräuter , und Glasscherben will ich in meine Schuhe tun .
Ich will meine Füße abgehen bis auf die Knie zu deiner Ehre , oder ich will stehen auf einem Kreuz in Hitze und Kälte , Tag und Nacht !
Nur meine Klara schenke mir wieder , daß ich sie nur noch einmal sehe .
Du weißt es , Herrgott , wie ich meine Kinder lieb habe ; aber wenn du sie verlangst , so nimm sie hin allbeid' , nur meine Klara schenke mir , Vater unser , der du bist in dem Himmel ! - Spät am Abend sprach der Peter , zum Tode erschöpft , im Zapfenwirtshause ein .
Die Wirtin wußte einiges zu erzählen .
Klara sei so zur Nachmittagszeit am Hause vorübergehumpelt .
" Na , denke ich , die schaut heute auch rar aus , und ich habe sie ins Haus geheißen und habe ihr eine warme Suppen vorgesetzt .
Wie wenn sie drei Tage keinen warmen Bissen genossen hätte , so hat sie gegessen , und ich habe noch gesagt zum Rindenschlager-Lenz - der Lenz ist da im Winkel gesessen - , sage ich , es ist halte doch wahr , daß der Hahnenkamm seine Leute völlig verhungern läßt , und von diesem Hahnenkamm kund man für die ganze Einöd ' einen großen Hut machen , so ein Filz ist er .
Da steht die Suppenschale noch , habe ihr auch Brot eingeschnitten , hat es alles sauber ausputzt . Habe sie nachher noch schön gefragt , wo sie hingeht , ist aber kein rechtes Wort von ihr herauszubringen gewesen .
Zuletzt ist sie da vor dem Haus noch ein Eichtel gestanden , und nachher ist sie über den Steinanger hinein gegen das Schroffeneck .
Weiter habe ich nicht nachgeschaut .
Unsereins hat auch seine geschlagene Arbeit in der Wirtschaft ! "
So die Zapfenwirtin .
Rudolf fragte nach Davidl , daß er suchen helfe ; die Wirtin aber sagte , der Davidl sei nach Rattenstein gegangen ; er habe allweg Geschäfte mit seinem Freund , dem Amtmann .
- Das war aber anders .
Davidl strich auf geheimen Wegen mit einer Büchse in den Hochwäldern der Schroffen umher .
Es war eine günstige Zeit zum Wildern , der Herbert war Soldat und mußte zu seinem Regiment einrücken , der neue Jäger war noch nicht da .
Davidl hatte einen grünen , hohen Holzknechthut mit Gamsbart auf , trug heute die Haare schwarz gefärbt und hatte sich ein dunkles Schnurrbärtchen angezeichnet .
Das ist Wildschützen-Vorsicht .
Das Gewehr hatte er , in zwei Teile zerlegt , in der Joppe .
Auch trug er in der Tasche seines Bruststeckes ein Fläschchen Scheidewasser ; er wußte , wozu es gut war .
Gegen Abend war er von dem Wirtshause fortgegangen .
Als er hinaufkam in das Gefälle , wo vor wenigen Jahren der Sturmwind einen ganzen Waldstreifen entwurzelt hatte , setzte er sich auf einen liegenden Baum .
Er sah seinen hohen Hut an und den braunen Gamsbart , und er erinnerte sich dabei an die Jugendgeschichte seines Vaters .
In demselben Augenblicke hallte eine menschliche Stimme durch den Wald , Davidl erschrak und wollte sich unter irgendeiner aufgerissenen Baumwurzel verstecken .
Da rief es noch einmal :
" Mutter ! " Mutter ! sagte der Wald -
Mutter ! lallte es im Jungwald am jenseitigen Berge . - Bald darauf kam Ameisehüters Regina die Lehne heran .
Sie hielt einen großen Baumast als Stock in der Hand und schritt rüstig fürbass den Wildschroffen zu .
" Daß es nur keine Wölfe und keine Bären mehr gibt , und daß es nicht kalt ist in der Nacht " , sagte sie zu sich , dann stand sie still und horchte , und rief wieder mit heller Stimme :
" Mutter ! "
Aber keine Antwort .
- Wann und wo wird man sie finden , und wie wird das enden ?
" Ich gebe nicht nach , und ich ruhe nicht , und ich führe keinen Bissen Brot zum Mund , solang wir sie nicht haben ! " sagte sie zu den Bäumen und eilte weiter - aufwärts gegen die finsteren Hochwaldungen .
Davidl schlich ihr nach . -
Es begann zu dunklen .
* Der Heidebeter und Rudolf wußten nicht , daß auch Regina auf war , um die Vermißte zu suchen .
Die beiden Männer gingen noch in derselben Nacht hinein durch die engen Talschluchten gegen das Schroffeneck .
Als sie zur Hütte der Einschicht-Res kamen , setzte sich der Peter müde auf das Moos und sagte : " So weit bin ich gekommen auf der Welt ! "
Dann sank er ganz zu Boden .
Die Einschicht-Res war in den letzten Jahren gealtert und gebrochen .
Ihr Gesicht war furchig , aber die Augen glühten noch wie zehrende Funken unter der Asche .
Ihre reichen Haarsträhnen waren grau geworden , an ihrem gebeugten Körper hing notdürftig zusammengeheftetes Pelzwerk .
So kam sie nun , führte den armen Mann in die Hütte und bereitete ihm einen Kräutertrank .
Rudolf verließ schon zum ersten Morgengrauen das Dach und ging aufwärts zwischen Felsgraten und Zirbengesträuchen gegen das wilde Gestein ; Peter war sehr erschöpft und blieb in der Hütte .
Durch die Äste und Kronen des Waldes und zwischen den Schluchtwänden war zu sehen , wie hoch oben die Felsen leuchteten in der Morgensonne .
Herunten um die Hütte lag dichter Reif , am brausenden Bache glänzten Eiszäpfchen .
Der Peter richtete sich nun von seinem Mooslager auf , tastete um sich und sah befremdet seine Umgebung .
Halbdürre Kräuter hingen an Querstangen nieder , und an die schwarze Wand waren ausgestopfte Geier und Eulen und andere Tiere genagelt .
Wo war er , daß er heute sein Weib nicht fand neben sich ?
Er faltete die Hände .
Jetzt trat die Alte zu ihm und sagte :
" Bist auch noch so einer , Heidebeter , der meint , er muß beten !
Ach , das können sich die wenigsten Leute ' abgewöhnen , und sie mögen noch so alt werden .
In guten Tagen , da lassen sie es oft eine randige Zeit lang ; aber wenn halte die liebe Erde sie zermalmt zwischen den Steinen , da rufen sie einen Gott an .
Dieser Gott soll nachher alle anderen im Stich lassen und ihnen helfen .
- Peter , was mich - wie ich jetzt dastehe , ein Weib , weit über die Fünfzig hinaus - dieses Leben schon gemartert hat !
Zuerst kam_es kleinweis , habe schon geflennt bei einem Distelstich .
Dann habe ich im Zahnschmerz geschrien ; bin ungeduldig geworden in langwierigen Krankheiten und habe einmal ein ganzes Jahr zu Gott gebetet , daß er mich sterben lasse .
Es geschah kein Wunder ; wie die Krankheit aus war , wurde ich gesund .
Dann kam_es innerlich , und das war was anderes !
Nicht mehr an mich , an die Meinen machte sich das Unglück .
Ich sage dir nur von demselben Ostertag , an dem kein Reindel Brot und kein Stückel Fleisch in der Hütte war .
Für was lauft es denn lebendig herum draußen im Schnee und hungert ?
Kann dem Rehbock geholfen werden und dem Menschen auch , denkt mein Großvater und geht mit der Büchse in den Wald .
Dasselbe ist schon recht gewesen , aber am Ostermorgen haben sie ihn gefunden bei einem Stein , ist sein Gewehrkolben abgeschlagen , sein Kopf eingeschlagen gewesen .
Im Walde haben wir ihn begraben .
Meinen Vater hat eine totgiftige Schlange gestochen , meine Mutter - ich mag es gar nicht sagen , was sie der angetan haben . Meinen Mann hat der Wald selbst umgebracht , damit ein es sagen kann , es ist alles zusammengespielt auf der Welt , den Menschen auf der Marterbank zu halten .
Peter , ich habe einmal auf geweihte Dinge viel gehalten , und eine breitgeschlagene Bleikugel , ein Andenken an den Urgroßvater , habe ich angehängt gehabt .
es ist blöd , wenn man auf solche Sachen was setzt .
Gebetet habe ich , geflucht habe ich , verzweifeln habe ich wollen - alle eins ist es geblieben .
Nun bin ich das Wesen , das ausschaut , als hätte es der Tod vergessen in der Einöde .
Aber das Mundwerk noch , und ich rede mit mir selber , und ich rede mit den Füchsen und Geiern. Nachher Bild ich mir wieder die alte Geschichte ein und rede mit Gott , und bitte ihn um Verzeihung für alles ; und er hat meinetwegen doch an keinem Härlein gelitten , ich habe gelitten .
Er soll mich um Verzeihung bitten , daß er mich erschaffen hat auf Erden zum Elendsein ! - -
Hui , wie du dreinschaust , Peter !
Geht es dir ' leicht viel besser als mir ?
Glaub nicht .
Ist wer , der dir hilft ?
Kein Mensch .
Dieses rote Steinl da am Herd und du , das ist der Welt just gleich .
Und ob du dich erfreuest , oder ob du dich windest und krümmst unter den allergrößten Schmerzen , ob dein Weib verdirbt , deine Kinder zugrunde gehen - ist ihr just gleich , und ob du bist oder nicht bist - ist ihr just gleich .
Wir wissen uns nicht zu helfen - "
Die grauen Haarsträhnen hingen der Alten wirr über das Gesicht , die strich sie jetzt mit den hageren , halbnackten Händen zurück .
Dann raffte sie aus einem Topfe eine Handvoll Samenkörner und hüstelte :
" Schau , Heidebeter , das ist das beste Morgengebet ! " und warf die Körner zwischen die Holzspangen eines kleinen Hühnerkäfigs , welcher unter der Herdstelle war .
Die Hühner pickten die Körner auf , reckten dann ihre Kragen hervor und glucksten .
" Oh , paß auf , Heidebeter ! " fuhr das Weib fort , " die Einschicht-Res weiß noch ein anderes Morgengebet ! "
Nach diesen Worten schob sie den Deckel eines Holzzubers beiseite und zog aus dem Gefäße einen flatternden kohlschwarzen Raben .
Diesen hielt sie über einen Block , ergriff mit der anderen Hand ein rostiges Messer und hackte dem Tiere den Kopf ab .
Der Kopf schnappte noch im Finsteren unter der Bank , der Körper aber flatterte in der dunklen Hütte umher , prallte an die Wand , an den Ofen , fiel endlich an dem Türpfosten nieder und regte sich nicht mehr .
" Das ist heute mein Mittagsmahl , und mir bringen Raben die Speise vom Himmel wie dem heiligen Antonius " , sagte das Weib .
Dann hielt sie den toten Vogel vor Peters Augen und rief : " Der Rabe hätte noch lange leben können ; er hat nichts Böses getan , er hat nur gelebt nach seiner Natur , und doch hat er nieder müssen von der hohen Luft auf das Fangbrett und ins Gefängnis hier , und doch hat er sterben müssen .
- Und er hat zum Ersatz kein anderes , ewiges Leben - bei ihm ist alles hin .
Und ich , sein Mörder , befinde mich jetzt wohl .
Heidebeter , Heidebeter , es ist kein Gott . . . "
Wie wenn der Blitz neben ihn in die morsche Wand gefahren wäre , so war der Peter bei diesen letzten Worten aufgesprungen und hinausgetaumelt vor die Hütte .
Als ob auch ihm ein scharfes Messer den Kopf abgehauen hätte wie dem Raben , so kopflos war er . -
Wie blaute oben das Himmelsauge , wie strahlte und leuchtete der junge Morgen in den hohen Schroffen , wie tausendstimmig zirpte es in allen lebendigen Zweigen des Hochwaldes , und eine Meise im Föhrengehege sang in einem fort :
" Dir zu Ehre ! Dir zu Ehre ' ! "
Aber die Einschicht-Res in der Hütte rief laut : " Es ist keiner , und das ist die Wahrheit .
Amen . "
- Jetzt , Heidebeter , bist du in der Einöde !
Jetzt ist alles von dir , dein Haus , deine Ehre , deine Kinder , dein Weib , dein Selbstvertrauen - dein Gott !
Jetzt ist alles von dir , Heidebeter , jetzt bist du in der Einöde !
In der Einöde .
Das ist jene dornengekrönte Geschichte , die ein Mann aufgeschrieben hat in trüben , einsamen Stunden .
Die Poesie wendete ihr Antlitz von ihm ab , ließ ihn allein mit der Erde ; zerrissen starrte er in den dunklen Webstuhl , an welchem die Menschen sitzen und so unsinnig weben .
Ein Morgen im Walde Die Seele des Waldes , wer leugnet sie , wer hat sie noch nie empfunden ?
Die Sonne neigt sich , es naht der Abend .
Der Vögel Sang verstummt beizeiten ; diese Wesen halten nur Morgengottesdienst und arbeiten bloß am Vormittage , dann ziehen sie sich zurück in ihre Familie .
Nur der Specht ist fleißig länger hinaus ; er hackt an seinen Stämmen und Rinden bis spät am Abend - wie es schon bei allen Holzhauern geht .
Der Uhu fängt gar erst am Abend an und singt seine klagenden Lieder .
Wohl den ganzen Tag hindurch herrscht Dämmerung im Walde , und im Halbdunkel wiegen an dem verwitterten Geäst sanft die grauen Moosfahnen .
Hier und da auf dem mit Wurzeln und dürren Nadeln bedeckten Boden liegt ein sonniges Scheibchen , oder an den glatten Stämmen hängt da und dort ein goldiges Täfelchen , oder es windet sich ein Silberfaden durch das Geäst .
Gegen Abend finden sich diese Dinge an einer anderen Stelle und sind rötlicher ; allmählich werden sie matt , und endlich lösen sie sich auf , und es ist gar nichts Farbiges mehr da , es ist kein Ast und kein Stamm deutlich mehr zu sehen , es ist eine Mauer von Dunkelheit ; die Sonne ist untergegangen .
Da jauchzt der Baumkauz , und er redet laut mit sich selbst , und er schüttelt vor Lachen seinen großen Kopf .
Er lacht sich schier heiser ; wen er wohl auslacht , der alberne Kauz ?
Ein Totenvogel soll er sein - und sein Lachen ?
So war es in den unwirtlichen Waldungen der Schroffen , als Regina angstvoll durch dieselben dahineilte .
Sie suchte die Mutter , sie hörte den Totenvogel .
" Sind Geschichten , " sagte sie dann , sich selbst ermutigend , " die Eule hat auch der Herrgott erschaffen , und sie lebt so gern wie jedes andere Tier , und sie wünscht keinem Menschen was Böses .
Wenn ich den Vogel nur verstehen könnte , vielleicht hat er meine Mutter gesehen und erzählt es mir jetzt , daß sie unter einem dichten Baume ruht , oder daß sie drüben ist bei den Holzhauern .
Und er lacht , weil ich da wie närrisch umhersuche . "
Es knisterte in dem dürren Gefälle , der Boden dröhnte , und eine Gestalt huschte hin zwischen den Stämmen .
- Dem Mädchen zitterten alle Glieder vor Angst , gleich aber sagte es halblaut :
" Ist ein Reh gewesen , und mir geschieht nichts , und ich weiß gewiß , daß ich morgen , wenn die Sonne aufgeht , frisch und gesund bin .
Wenn ich nur nicht so dumm wäre und nicht allweg an Gespenster denken müßte , ich bringe mir die Gedanken nicht aus dem Kopf , und es ist doch nichts , es ist zur Nachtzeit im Walde kein Tüpfelchen mehr und keines weniger als am Tag ; nur daß die Finsternis ist .
Daß rote Flämmlein leuchten um Mitternacht , wenn der Mond aufgeht , ist wahr , weil es glänzende Käfer sind : der alte Schulmeister hat es ja oft gesagt .
Daß es einen Seelenschimmel gibt , der einem im Walde auf der Achsel sitzt und die kalte Totenschnauz ' vorn herab hält , dasselbe ist eine helle Lug .
Der liebe Gott mag keine solchen Dinge bei seinen Menschen auf der Welt .
- Wenn ich mich nur nicht versündige , daß ich_es da gleich wissen will , was Gott mag oder nicht , und daß er mich nur nicht etwa straft dafür gleich auf der Stelle ' ! "
Die Angst wurde immer größer , Regina fürchtete sich zuletzt gar vor ihren eigenen Gedanken , und sie betete .
Sie eilte weiter , stolperte über Wurzeln , stieß an Baumstämme , verrannte sich endlich so in das hohe Heidekraut , in das Gefälle und Gestein , daß sie gar nicht mehr weiter konnte .
" Das ist ein unsinnig Rennen , " sagte sie endlich , " was will ich denn ?
Wo will ich denn hin mitten in der Nacht ?
Jetzt komme ich schon bald in die Wildschroffen hinein und auf den gottessträflichen Schroffenstuhl , und ich bin vier Stunden weit von den Häusern und Menschen weg .
Die anderen suchen ja auch , die haben meine Mutter lange schon , und ich steige da in der Wildnis herum .
Zuletzt trete ich gar noch auf eine Irrwurzen , und ich finde nicht mehr zurück und stürz wo ab an den Wänden .
Jetzt will ich gescheit sein und will da in einem Dickicht niedersitzen und warten , bis der Tag kommt , nachher wird mir mein Schutzengel schon eingeben , was ich weiter tun soll . "
- Sie verkroch sich in eine dichtverwachsene Baumgruppe , kauerte sich zwischen verschlungene Wurzeln und sagte : " So , das ist heute mein Bett , man muß alles probieren auf der Welt . "
Es war eine laue , stille Nacht ; es war , als hörte man von den fernen Schroffeneckschluchten herauf leise , leise das Rauschen des Wildbaches .
Regina betete ihren Abendsegen : Im Gottesnam' schlafen , Sechs Engel werden mir wachen , Zwei zu Häupten , zwei zu Füßen , Zwei zur Seiten .
Mein Namenspatron wird mich leiten .
Und unser liebe Frau wird über mich Ihren Schutzmantel ausbreiten .
Zehn Schritte von ihrer Lagerstätte stand Zapfenwirts Davidl .
Dem Davidl ging es sonderbar .
Die Gamsbartgedanken hatte er schon lange nicht mehr gehegt ; er hatte in dieser gottverlassenen Wildnis bereits ungeheuerliche Dinge gesehen .
Zuerst unten in dem nackten entrindeten Gefälle ein bleiches Totengerippe , dann ein flackerndes Licht , das auf ihn zukommen wollte , und das die unerlöste Seele eines vor der Taufe gestorbenen Kindes war .
Dann war ein Uhu aufgeflattert und hatte geschrien : " Gehe mit !
Gehe mit ! " , und zuletzt war ihm gar der Seelenschimmel auf den Schultern gesessen .
Dem Burschen standen die Haare zu Berg ; er wollte um Hilfe rufen , aber es versagte ihm die Stimme , er murmelte Beschwörungsformeln .
Das Wild war längst vergessen ; er wollte nun das Gewehr wegwerfen , daß er damit nicht etwa die Gespenster reize , hielt es aber doch krampfhaft umspannt .
Daß außer ihm ein Mensch in der Nähe , war sein einziger Trost ; er schlich dem Mädchen immer nach und war ängstlich , daß er nicht dessen Spur verliere .
Es kam ihm der Gedanke , sich Regina zu zeigen , ihr seinen Schuh anzubieten und mit ihr wieder abwärts zu wandeln gegen die Häuser .
Er hatte aber nicht den Mut dazu , er war stets in gleicher Entfernung von ihr gebannt , die Angst und Furcht ließ ihn nicht zurückbleiben , und eine innere Scheu ließ ihn ihr nicht näher kommen .
So litt er große Bedrängnis .
Als Regina im Gebüsche zur Ruhe gekommen war , blieb Davidl an einem Baumstamme stehen , setzte sich endlich nieder und blickte immer und immer ängstlich umher , ob nicht irgendwo ein blutiges Licht flackere oder das Totengerippe wandle .
Der heilige Wald !
Wehe dem Unreinen , der in seinen Hallen schleicht !
All die Geister der Einsamkeit kommen und halten über ihn Gericht : Fort , du faules Blatt , für dich ist kein friedsam Rasten unter dem grünen Baum !
Des Zapfenwirts Sohn soll in derselben Nacht unglaubliche Erscheinungen gehabt haben .
Endlich aber gingen die Schauer der tiefen Waldesruh vorüber .
Der Fink meldete sich zuerst mit seinem gebrochenen : " Zi - zi ! "
Dann zirpte eine Grasmücke , dann schallte ein Wachtelschlag .
Hernach für Momente wieder Stille .
Bald aber piepste ein Waldhuhn , dann pfiff ein Geier auf der höchsten Fichte .
Endlich säuselten die Äste , und es zog eine kühle Luft , und nun schimmerte es grau durch die Waldwölbung , und die Gegenstände traten hervor und standen ruhig da , wie sie dagestanden waren vor den Schauern und Geheimnissen der Nacht .
Nun trillerte die Schwarzamsel , sang die Meise , zwitscherten die Sperlinge und alle anderen .
Jetzt war dem Davidl der Stein vom Herzen .
" Bin doch ein verfluchter Kerl , wie ich da ausgehalten habe die ganze Nacht im Schroffenwald ! " sagte er zu sich und zog den Mund breit .
Dann schlich er zur dichten Baumgruppe hin und lauerte .
Das Mädchen schlief noch .
Es lag da , förmlich eingeflochten von moosigen Ästen und Wurzelarmen , wie in einem Neste .
Regina ruhte in den Armen des Waldes .
Die eine Hand lag ihr am sorglich verdeckten Busen , die andere hielt sie unter dem Haupte , um welches die lose gewordenen Haarsträhnen wallten .
Ihre Wangen waren frisch gerötet , ihr Mund schien sich ein wenig zu bewegen .
Auf einmal hauchte sie verständlich : " Alle , alle sind davon .
Gute Nacht ! -
so steht es geschrieben im Schnee . "
Im Gesträuche raschelte es , ein Rehbock .
David sah ihn , aber er achtete nicht darauf , er ließ das Gewehr zu Boden gleiten .
- Er bog die Äste auseinander und reckte den Kopf gegen das Lager .
Er tat den Mund auf , und es zuckten ihm die Augenlider .
Er grinste und bog die Äste noch weiter auseinander und lauerte .
Plötzlich taumelte er zurück .
Regina hatte die Augen geöffnet .
Einen Moment blickte sie verwundert um sich , sie sah den Wald glühen im Morgenrot - sie sah sich um nach der Mutter , nach Gabriel , nach allen , die ihr im Traum erschienen .
Nun erblickte sie den wilden Burschen , tat einen Schrei und sprang auf .
Davidl verzog sein Gesicht zu einem Lächeln , dann stotterte er Worte , die keinen Sinn hatten , und plötzlich haschte er nach ihrem fliegenden Halstuch .
Sie entwand sich , das Kleidungsstück blieb in seiner Hand , er ließ es fallen und verfolgte das Mädchen .
Da wurde er plötzlich zurückgerissen und taumelte , von einem Faustschlag ins Gesicht getroffen , zu Boden .
Habeturms Rudolf kniete ihm auf der Brust .
" Jetzt habe ich dich , " sagte dieser , " jetzt machen wir Rechnung .
Ich zahle für den Heidebeter ! "
Der Davidl stöhnte und bis um sich und schäumte .
Der angestrichene Schnurrbart zog sich bereits als schmutziger Flecken über die Wange hin .
Regina sah den Kampf , sie konnte die Gegenwart der beiden Männer nicht begreifen ; es wollte ihr unheimlich werden , aber sie fuhr sich mit den taunassen Händen über das Gesicht und rief : " Das ist doch eine Schande .
Gehe , Rudolf , laß diesen Menschen !
Meinetwegen ?
Über den hätte ich schon noch allein die Herrschaft davongetragen ! "
" Regina , das weiß ich besser , " sagte Rudolf , " er ist dir nachgeschlichen . "
Der Bursche wand und wehrte sich verzweifelt , aber Rudolphs Arme und Fäuste , die ihn knebelten , waren ehern .
" Du Haberturmischer Teufel , du ! " knirschte der Davidl .
" Ich bitte dich gar schön , laß den Ekel laufen ! " rief das Mädchen .
" Und sage mir doch um Gottes Willen was von der Mutter ! "
" Rudolf ! " stöhnte der Davidl jetzt , " das ist - kein Spaß mehr , du - bringst mich ja um .
Halt , laß mich ein wenig , da - habe ich was für dich . "
Es gelang ihm , eine Hand so weit frei zu machen , daß er aus dem Brustfleck das Fläschchen hervorziehen konnte ; mit einem Daumendruck den Stoppel weg und gegen Rudolphs Gesicht .
Mit einem derben Faustschlag schnellte Rudolf dem Burschen das Fläschchen aus der Hand .
Da tat Davidl einen kreischenden Schrei .
Sein Auge war hin .
Scheidewasser hatte er gehabt .
Der halbe Inhalt des Fläschchens hatte sich über Davids Gesicht und das rechte Auge ergossen .
Rudolf hatte ihn losgelassen .
Noch einen wütenden Schlag tat der Unglückliche nach ihm , aber die Faust schlug in die Kannte eines Steines .
Rudolf richtete den Burschen auf , wischte ihm das Blut und die ätzende Flüssigkeit ab , und Regina verband ihm das Gesicht .
Dann führten sie ihn abwärts durch die Waldungen über das Gefälle und über die Heide gegen das Zapfenwirtshaus .
Und das war ein Aufruhr im Zapfenwirtshause !
Die Wirtin fragte ihren fiebernden und vor Schmerz sich krümmenden Sohn in einem fort : " Hast du dir es tan , Davidl , oder hat dir_es der Habeturm tan , oder die Heidepeterisch ? " -
Das eine Mal sagte er " nein " , dann wieder " ja " , und zuletzt rief er immer nur : " Ach Gott , ach Gott , gebt mir Schlaftrunk ein !
Gebt mir Schlaftrunk ein ! "
Stürmische Zeit Rudolf und Regina suchten die Mutter und nun auch den Vater . -
Der Vater lag krank in der Hütte der Einschicht-Res ; das wunderliche Weib pflegte ihn mit herber Güte .
Es sagte dem Kranken , daß ein Wunder geschehen werde , und daß es dann wieder an einen Gott glaube .
Und das Wunder geschah , der Heidebeter brach nicht unter der Wucht des Schicksals .
Er saß auf seinem Lager und betete und betete .
Wochen vergingen , sein Weib blieb verschollen , von Gabriel kam auch keine Nachricht ; und der Mann aus dem Heidehause genas dennoch , und er ging hinaus zum Ameisehaufen und saß stundenlang vor demselben und kam gestärkt in die Hütte zurück .
Die Sonne stieg nicht mehr so hoch , sie ging an dem Saume der Waldberge und der Schroffen dahin , und in die Schluchten der Hintereschroffen senkten sich die Vorboten des Herbstes , die Nebel , nieder .
Der Heidebeter blieb in der Hütte bei der Einschicht-Res. Rudolf hatte alle Arbeit in der Wirtschaft eingestellt , er strich durch die Gegend , durch das Land und suchte das kranke , verirrte Weib .
Er schrieb an Gabriel , aber er teilte ihm das Unglück noch nicht mit , er schrieb nur :
" Gabriel , wenn etwa einmal deine Mutter bei dir ankommt , so mache es uns alsogleich zu wissen . "
Von Gabriel kamen endlich wieder heitere Briefe .
Er schrieb , daß ihm seine Studien endlich über die Brotsorgen hinausgeholfen hätten , und daß er Aussicht habe auf eine gute Stelle , von der er aber noch nicht wisse , ob er sie annehmen könne oder nicht .
Das übrige mündlich in der Einöde .
- Als Nachschrift , daß er Rudolphs Bemerkung über die Mutter nicht verstehe .
Regina hing mit ihrem Herzen an Rudolf .
" Rudolf , " sagte sie einst , als sie an einem Sonntage auf dem Kirchweg nach Rattenstein am Waldbrunnen zusammengekommen waren , " habe ' ich doch einen Menschen , an den ich mich halten kann . "
" So halte dich an mich dein Leben lang " , antwortete der Jüngling , " und gib zu , daß auch ich in schwerer Zeit mich halte an dein liebes , treues Herz .
Wir sind beide heimatlos und stehen abseits von den Leuten , und dich hat das Unglück verfolgt , daß es zum Erbarmen ist .
Aber dir hat es nichts anhaben können ; du bist geblieben , wie dich Gott selber nicht besser haben kann .
Und das ist all Tag mein einziger Wunsch gewesen :
Gesundheit und einen starken Menschen .
Und dann täte ich anfangen und probieren , wie weit es sich auf der Welt mit Fleiß und Liebe ' bringen läßt .
Ich hielte mich allweg fest an dem einzigen lieben Menschen , und täte nicht hüpfen , täte bedachtsam gehen , Schritt für Schritt , von einer Stufe zur anderen steigen , damit ich immer festen Boden unter mir hätte .
Und das wäre doch was Rechtes , wenn man wüßte , was man ist und was man will .
Regina , der Haberturmhof ist dreitausend Gulden wert , ich sage dir es gleich .
Ich aber will ihn nicht , ich bettle nicht , und kann mir mein ' Sache ' selbst erwerben .
- Ist dir das recht ? "
Das Mädchen häkelte wie spielend die Finger aneinander und entgegnete leise :
" Warum sollt es mir nicht recht sein :
ich mache es ja selber so .
Und bei dir ginge es mich auch nichts an . "
" Gar viel geht es dich an ! " sagte der Bursche lebhaft , " ich habe ' keinen Verwandten auf der Welt . Dich hat der Herrgott aufgestellt , daß du schaust auf mich . "
" Wie bist denn du , und was redest mir da vor ? " fragte das Mädchen .
" Was ich heute zu dir rede , Regina , " sagte Rudolf , und seine großen , klaren Augen ruhten in den ihren , " was ich heute zu dir rede , das habe ich schon sieben Jahre mit mir herumgetragen , und sooft ich dich angeschaut , und sooft ich gute Nacht zu dir gesagt , immer habe ich das gemeint .
Und wenn ich weit weg von dir gewesen bin , und wenn ich Holz geschlagen habe im Wald , und wenn ich gebetet habe , und wenn ich doch wohl dann und wann was Gutes getan habe - das habe ich gemeint , und das allein , und jetzt bitte ich dich um dein heiliges Wort . "
Darauf faßte ihn das Mädchen an der rechten Hand und sagte :
" Wenn es dein aufrichtiger Ernst und dein ehrliches Fürnehmen ist , so will ich gleichwohl nicht nein sagen , aber daß du mich ja verstehst , eine Bedenkzeit bis zum Christtag muß wohl sein , nicht meinetwegen , aber deinetwegen , weil du das im Ernst betrachten mußt , daß dir meinetwegen Haus und Hof verfällt .
Mich kennst , ich bin eine arme Magd ; wenn du aber meinst , daß ich Haus und Hof wert bin und dich selber noch dazu - "
Er beugte sich und wollte einen Kuß auf die Lippen drücken , sie aber machte sich schnell los und sagte : " O Bübchen , da haben wir noch weit hin !
Wenn gleichwohl der Christentag schon da war , so sage ich vor Gott und sage es dreimal :
Solang meine Mutter nicht gefunden ist , solang bin ich Heidebeters Regina , wie ich_es bisher gewesen bin .
Das bleibt dabei ; der erste Kuß gehört meiner Mutter - erst den zweiten - wenn kein Rad bricht - kannst du haben . "
So wurde es abgemacht am Brunnen auf dem Kirchweg nach Rattenstein .
Rudolf wendete darauf seinen grünen Hut , daß die Hahnenfedern , wie man sie in der Einöde trägt , nach vorn zu stehen kamen .
Dies nehmen sie für eine Bedeutung .
Die Hahnenfeder nach vorn gerückt , erzählt dort von einer Eroberung .
Als später andere Burschen das sahen , neckten sie den jungen Habeturm und sagten :
" Was macht denn dich heute so herlebig ( herausfordernd ) ? "
Die Mädchen flüsterten einander zu und rieten hin und her , wer denn die Auserwählte sein könne .
Andere Dache an das Testament im Haberturmhofe und schüttelten den Kopf .
Und als bei demselbigen Kirchgang der alte Habeturm auf dem Hute seines Ziehsohnes die kecke Stellung der Federn sah , blickte er höchst verwundert auf .
Rudolf zog den Hut ab und streute die Federn auf die Erde .
" Sie haben das Zeugnis gegeben vor Euch und vor den Leuten , " sagte er , " ich habe mich mit Heidebeters Regina versprochen . "
" Hast recht ! " versetzte der Bauer kurz .
" Ich weiß es , Vater , daß ich nun wieder fremd bin in Eurem Hause , aber es muß wohl so sein .
Ich habe jahrelang zurückgehalten ; ich habe Euch keinen Kummer machen wollen und mich nicht heimatlos .
Ihr seid mein größter Wohltäter auf der Welt , und das verlangt Ihr nicht von mir , daß ich mein Leben selber begrabe . "
Der Habeturm starrte vor sich hin , dann murmelte er :
- " So . "
Aber auf der Heimkehr gesellte sich der Bauer wieder zu Rudolf .
Sie waren anfangs die Vordersten , doch sie ließen die anderen Einödleute vorübergehen .
Und als alle vorüber und sie die Letzten waren , sagte der Alte :
" Rudolf , was ich damals beim Zaun gesagt habe , das ist nicht so genau zu nehmen .
Du bleibst noch da , Rudolf .
Nur das nächst mit der Feder hättest dürfen bleibenlassen .
Gehe jetzt heim und koch den Leuten das Mittagsmahl , ich muß auf einen Sprung zu der Zapfenwirtin hinein , es ist was auszurichten vom Amtmann . "
* Das war in demselben Jahre eine bewegte Erntezeit in der Einöde .
Die Kornähren waren schwer und die Gartenfrüchte groß und frisch wie schon seit langem nicht .
Und dennoch war kein ruhiges , planmäßiges Arbeiten , sondern eine ungewöhnliche Erregung und Verwirrung .
Selbst den Habeturm ließ es nicht bleiben im Zapfenwirtshause , und der so strenge Hahnenkamm ließ die Wirtschaft gehen , wie sie ging : er schritt stetig um seinen Hof und knirschte in sich hinein :
" Niederschlagen , niederschlagen , aufknüpfen auf den höchsten Baum in der Einöde ! "
Wen meinte er nur ?
Büttel gingen umher und pochten an alle Haustüren , und wo nicht freiwillig aufgemacht wurde , brachen sie ein .
Wenn man sie zur Rede stellte , was diese Gewalt bedeute und wer sie dazu berechtige , so gaben sie keine Antwort .
Sie fluchten und höhnten nur , sie durchstöberten Korn und Kammer , Kisten und Kästen , und wo sie ein Schießgewehr fanden , da lachten sie und nahmen es mit sich .
" Eine solche Zeit ist noch nicht gewesen , " sagten die Bauern , " haben wir nicht Weib und Kind zu wahren und zu schützen ?
Gibt es nicht wilde Tiere und schlechte Leute in der Gegend ?
Leben wir nicht in der Einöde ?
Und die Schutzwehr tragen sie uns davon ! "
" Sollen sie uns davontragen ! " rief der Hahnenkamm .
" Bauern , dasselbe ist erlogen , daß diese Herren keinen Herrn haben !
Das sage ich : Nicht ein Splitterle von meinem Güterl !
Was mein ist , ist mein !
Nachbarn !
Wir finden in unseren Häusern noch Sensen und Beile und Hacken , wir finden noch was anderes , Bauern , wir stehen auf ! "
" Aufstehen " , meinte ein anderer kopfschüttelnd , " wäre ' schon recht , aber es ist halte eine gewagte Sache ' ! "
" Du wagst am wenigsten was , " schrie ein Holzhauer , " und wenn sie dir deinen Kürbis einbrennen , so hat die Einöd ' keinen Nutzen und keinen Schaden . "
Aber die Büttel gingen doch umher und durchstöberten die Gehöfte .
Graf Fron hatte nämlich wieder neue Wilderergeschichten vernommen , besonders den Fall mit dem Zapfenwirtssohn im Schroffenwald .
Er gab darauf in seinem Jägerhause dem neuen Förster folgenden Auftrag :
" Mir scheint , diese Einödler wildern wieder ?
Auch Waldfrevel kommen vor .
Das ist albern von den Leuten .
Es wird gut sein , ihnen vorläufig die Gewehre abzunehmen . "
Wenige Tage später , als der Patron die Widersetzlichkeiten der Einödbauern erfuhr , flog eine matte Röte über sein Gesicht , und er sagte zu sich " Wenn es die Leute so treiben , ziehen wir andere Saiten auf .
Wenn sie es denn just wissen wollen , wer der Herr ist , so mögen sie es wissen .
Wir haben die Besitzungen hier nicht , daß sie uns Ärger bringen , wir haben das Bauernvolk auch nicht aufkommen lassen , daß es das Wild vernichte und den Wald verderbe .
Mein seliger Vater hat hier ansiedeln lassen , ich will aufräumen .
Der Wald ist mein , keinen Stamm Holz sollen sie mehr haben - nicht einen Fidibus !
Absteift ich sie ! "
Und bald war es laut in der ganzen Einöde :
" Absteiftet er uns all ' ! "
Die Jüngeren wußten gar nicht , was das heißt " Absteiften " , aber die Älteren wußten es wohl .
" Absteiften ! Uns Grund und Boden wegnehmen , uns davonjagen , unsere Häuser niederreißen und auf dem Boden Waldsamen säen .
Das heißt Absteiften . "
" Sonst nichts ? - Herrgott , da setzt es was ab ! "
" Absteiften , das kann er nicht , " riefen andere , " Grund und Boden ist unser Eigentum .
Die Jagd und der Wald ist zwar sein , und auch dazu haben wir nach altem Herkommen ein Recht .
Wir Übens aus , und wenn neunundneunzigtausend Großteufel - "
" Ja , ja , ja , schreit nur und macht Fäuste , wird euch nichts helfen .
Die Seeleiten ist vor sechzig Jahren auch abgestiftet worden , und nun steht ein schlagbarer Wald darauf . "
" Zu den drei Teufeln hinein ! " fluchte der Hahnenkamm , " da habe ich das Heidehaus um die Halbscheid zu teuer .
Ich aber sage euch's , Bauern , ich gehe nicht von Haus und Hof , das ich mir ehrlich erworben , und ich heb' mit dem Großteufel was an ! "
" So heirate ich , " meinte der alte Habeturm , " wenn mein Hof auf alle Fälle hin ist , so heirate ich ! "
Auf diese Weise wurde planlos hin und her geschrien .
" So schlecht wird es nicht sein " , sagte Rudolf zum Habeturm .
" Das mit dem Absteiften ist ein neues Aufkommen - dagegen sind Gesetze da .
Wir haben Anrecht auf Grund und Boden , wir haben ihn urbar und fruchtbar gemacht , wir - "
" Du hast gar nichts urbar und fruchtbar gemacht " , unterbrach ihn der Bauer in seinem Ärger .
" Allweg wollen es die jungen Gelbschnäbel besser wissen wie unsereins .
Wer ist länger da , ich oder du ? "
Der Hahnenkamm fluchte mit seinem Gesinde noch mehr und beständiger als jemals , und nun wollte er es nicht einmal mehr leiden , wenn der Knecht beim Brotaufschneiden pfiff , was er sonst ja immer gern gehabt hatte .
Das Gesinde aber sagte zueinander :
" Ist schon recht , wie es jetzt kommt .
In der Einöd ' ist sein Lebtag soviel Streit und Neid und Ungerechtigkeit gewesen .
Der Stärkere hat den Schwächeren niedergehalten und ihm das Knie auf die Brust gesetzt ; jetzt kommt über den Stärkeren ein noch Stärkerer .
Wir lachen , wenn diese Hungerleidnester abgestiftet werden ; wir binden unsere Sache auf den Buckel und gehen um ein Pfarrl weiter . "
Beim Zapfenwirt fanden wiederholte Hausuntersuchungen statt , des Wilderns wegen .
Man wollte den Davidl ins Verhör nehmen , allein er lag immer noch an seiner Augenwunde danieder , und die Wirtin zeterte fort und fort : " Da liegt er , zu was wollt es ihn denn , ihr Schergen !
Schleppt ihn davon , bringt ihn gleich gar um !
Da habt_es ihn , da liegt er ! "
Sie wußte wohl , daß ihn die Krankheit beschützte .
Aber der Bursche stand endlich wieder auf , wenn auch nur mit einem Auge ; die Höhle des anderen war häßlich zu sehen .
Die Wirtin weinte oft stundenlang über die Entstellung ihres einzigen Lieblings und knirschte :
" Dieser Herlaufer Rudolf ist an allem schuld !
Wenn ich nur genau wüsste , wie es gewesen ist ! "
Das erfuhr sie indes bei der nächsten Untersuchung .
Diese kam so unerwartet , daß sich Davidl kaum flüchten konnte .
Der alte Habeturm als Gemeinderichter , Rudolf , Heidebeters Regina , ein Beamter und zwei Gerichtsdiener traten ein .
Die Wirtin stellte sich arglos , eilte den Eintretenden entgegen und sagte : " Was Schaffens ? "
" Ist der Zapfenwirt zu Hause ? " fragte der Habeturm im Bewußtsein seines richterlichen Amtes .
" Ist zu Hause , liegt draußen im Stübel ; er hätte ' schon lange gern einmal wieder mit dir was plaudert , kommst aber jetzt gar so selten . "
Sie gingen in das hintere Stübchen , kehrten aber bald wieder zurück , denn der Wirt war trostlos besessen von den Geistern seiner Gruft .
" Wo ist Euer Sohn ? " fragte der Beamte die Schänken .
" Je , der Davidl , der ist jetzt die ganze Wochen nicht daheim ; er ist draußen beim Rattensteine Pfarrer im Tagwerk . "
" Er ist vor einer Stunde hier gesehen worden ! " versetzte der Beamte streng .
" Nun , wenn Ihr_es besser wißt , " entgegnete das Weib , sich zurückziehend , " und wenn Ihr Euch schon soviel Recht macht es mit den Leuten , Ihr Winkelkriecher , Ihr Schelme - "
Der Beamte ging ihr nach und drohte ihr mit dem Einsperren , wenn sie noch so ein Wort sage .
So sagte sie denn nichts , aber sie schwieg auch nicht , sie brummte .
Dann begann die Durchsuchung des Hauses .
Man stöberte im Keller , im Stalle , in den Scheunen , man beunruhigte alle Haustiere , man rührte gar einen Wespenschwarm auf , aber man fand den Burschen nicht , so daß der Habeturm schon sagte : " Wird doch fort sein . "
In demselben Augenblick aber hörte man ein Gewinsel und ein Geschrei auf einer der hohen Fichten , und nieder von Ast zu Ast , mehr kollernd als kletternd , kam der Davidl , umkreist und umsummt von dem aufgestöberten Wespenschwarm .
Da war zuerst Heiterkeit unter den Männern , aber bald begann die ernste Untersuchung .
Der Bursche stand nicht bloß vor dem Jagdherrn , sondern auch vor der Gemeinde als Angeklagter da .
Der Habeturm hatte dessen Festnahme angeordnet , und er hielt ihm nun vor , daß er und die Seinen vor allem die Ursache der Unruhe und Zwietracht in der Gemeinde seien .
Er , der Davidl , habe in letzter Zeit durch Wildern und Waldfreveln dem Grafen zu dem harten Vorgehen Anlaß gegeben .
Rudolf und Regina erzählten nun ihr Zusammentreffen mit dem Wilderer an jenem Sommermorgen und wie er sich mit dem Fläschchen Scheidewasser so unglücklich verteidigt hatte .
Es kamen noch andere Anklagen vor , und sie wurden begründet und aufgeschrieben .
Davidl verteidigte sich nicht , er hielt sein rotes Tuch vor sein Gesicht - nicht aus Schande , sondern aus Schmerz der Wespenstiche wegen .
Seine Mutter kam mit kalten Umschlägen und hätschelte den Burschen und zeterte mit den Männern , beschimpfte sie , nannte sie Ehrabschneider , Verleumder und zuletzt auch Räuber .
Dann zählte sie hundert Wohltaten auf , die sie den Einwohnern der Einöde stets bewiesen .
" Und jetzt ein solcher Undank ! " schloß sie , " das tut wohl weh im Herzen , das tut weh ! "
Dann weinte sie über sich und ihr unschuldiges Kind .
Es kamen auch andere Leute herbei , denn es war bald bekannt geworden , daß es heute gelte , die gleisnerischen , heimtückischen Wirtsleute , die endlich jedem verhaßt geworden waren , niederzudrücken .
Verbittert durch die mißlichen Verhältnisse in der Einöde , durch die Androhungen des Patrons , wollten sie alle Schuld auf das Zapfenwirtshaus wälzen .
Der Hahnenkamm war auch gekommen , ließ sich ein Glas Wein geben und rief der Wirtin höhnisch zu :
" Frau Wirtin , sollst leben ! und dein Söhnerl daneben ! Habe ich nicht schon vor vielen Jahren einmal gesagt : Eure Bäume da draußen tragen saubere Früchte !
» Zapfen , Zapfen ! « "
Da trat der Rindenschlager-Lenz vor : " Reiße ' dein Klapperwerk nicht so weit auf , Steffel Hahnenkamm , du trägst auch dein Teil dazu bei , wenn wir abgestiftet werden .
Du bist alleweil der Anstifter gewesen gegen den Waldherrn , hast gleich vom Niederschlagen geschrien , wenn ein Jagdtreiben gewesen ist .
Das läßt sich so ein Herr nicht gefallen .
Wenn es mir so kommen täte - gleich absteiften ! "
" Weil du ein Herrenlecker bist ! " schrien andere , " Und weil einer dahin und ein anderer dorthin zieht , deswegen fällt die Einöd ' auseinander . "
" So mag sie zu Scherben gehen , ins Teufels Namen . . . ! "
Aufgegeben war die Einöde von den Einödbewohnern selbst .
Und der arme Heidebeter irrte in den Schroffen und Wäldern umher und suchte sein Weib .
* Es war ein Tag nach dem Herzen Gottes .
Still und rein lag der Herbstmorgen über den Waldbergen ; die kühle Luft war so klar , daß man in den Wildschroffen jedes Steinchen und jedes Klüftchen zu sehen glaubte .
Gewaltig hoch türmten sich die leuchtenden Wände über den Waldungen .
- " Wer hat deine Grundfesten gegraben , wer hat dich aufgebaut , du erhabene Alpenwelt !
Wer hat dich erdacht , wer hat dich gewölbt , wer hat dich gekrönt , du herrlicher , wunderbarer Wald !
Du bist ein allgemeines Vaterhaus , du bist eine unerforschte Welt , du bist ein Tempel mit ewigem Harfenklang !
Wie sie hinausziehen , groß und klein , reich und arm , du gibst allen das gleiche Grün , das gleiche Blühen , das gleiche Reifen , den gleichen Schatten ; du grüßest alle mit gleichem Fächeln und Flüstern , du küssest alle mit gleichem Lebensodem , du hüllest sanft die Herzen in Frieden und badest sie in träumender Ruhe , du lieber , holder Wald ! "
So rief Gabriel aus in seiner feierlich gestimmten Seele , als er eines Tages hinging über die Höhen der heimatlichen Waldberge .
Nach jahrelanger Abwesenheit kam er zurück von der Hauptstadt , um endlich seine armen Eltern , seine liebe Schwester wiederzusehen .
Er hatte nicht den gewöhnlichen Weg genommen , er kam über die Alpen her , er wollte das Bergland wieder einmal so recht genießen .
Er war im schmucken Kleide des Älplers , das er angetan hatte , um die Heimat damit zu ehren .
Den Jammer ahnte er nicht , der ihn daheim erwarten sollte .
Gabriel war groß geworden , er schritt durch den Wald wie ein junger Priester , so feierlich .
Fremde und allein , wie er hingezogen vor Jahren , kam er wieder zurück .
Wohl hatte er seine Studien glücklich vollendet , seine Prüfungen glänzend bestanden ; er hatte Aussicht auf eine bevorzugte Professorenstelle , man prophezeite seinem durch schwere Schicksale geläuterten , nach hohen Idealen strebenden Geiste eine glückliche Zukunft .
Aber er hatte nun die Welt kennengelernt in ihrem Prunk und Stolze , in ihrer glitzernden Armseligkeit , und er sehnte sich wieder zurück in den Wald .
Gabriel sah jetzt die Natur mit ganz anderen Augen an als einst .
Manche poetische Anschauung hatte ihm die Wissenschaft verdrängt , dafür war durch sie manch neue merkwürdige Seite enthüllt worden .
Er wußte nun , daß der rohe Eigennutz auch außer dem Menschen in dem Naturleben herrscht .
Als Knabe hatte er weinen müssen vor Rührung , wenn er eine Heuschrecke sah , die ihre Vorderfüße gegen den Himmel streckte , sie war ihm die fromme , stille Gottesanbeterin .
Heute wußte er , daß sie ihre Füße emporreckt , um Mücken zu fangen .
Oft fand er als Knabe in den Splint der Fichten geheimnisvolle Buchstaben eingegraben , die sich in wunderlichen Formen schlingen , aber nie kreuzen ; " die Waldjungfrau hat damit die Geschicke der Menschen beschrieben , aber niemand kann die Zeichen lesen " .
Heute kannte Gabriel den schädlichen Borkenkäfer , der mit seinem Rüssel die Buchstaben gräbt , und heute verstand Gabriel die Buchstaben zu enträtseln , sie heißen Tod dem Walde !
So hatte die Natur für Gabriel vielleicht den Heiligenschein verloren , dafür aber blickte er ihr tief ins Leben .
Als Gabriel gegen die drei riesigen Tannen kam , die an der oberen Waldgrenze standen und der Pfaffenhut genannt wurden , sah er dort bläulichen Rauch emporwallen , und als er näher kam , hörte er heitere Männerstimmen .
Der Graf Fron hielt hier mit seinen Jagdgenossen Gelage und Mahlzeit .
Gabriel ging seines Weges , aber der Jagdtag der fröhlichen Gesellschaft hatte ein seltsames Ende .
Zuerst schlug das Wetter um .
Es mögen die Herbsttage noch so still und rein sein viele Wochen hin - plötzlich wird es anders .
Wie war an diesem Morgen die Luft noch so klar und ruhig ; da begann zur Mittagszeit sachte das dürre Laub der Erlen und Haselnußgesträuche zu tänzeln und zu hüpfen über den Boden hin , da kamen Windstöße , und mit einem Male wallte dichter , finsterer Nebel über die Wildschroffen her .
In den Tannen des Heidehauses rüttelte und rauschte der Nordwind und pfiff durch alle Fugen des Hofes , und die Balken und Bretter klapperten und klirrten , und der Hirsch an der Wand polterte .
Bald war der ganze Himmel bedeckt mit dunkelgrünem Gewölk , das sich träge weiter wälzte und das von den Schroffen immer dichter und dichter nachgeschoben wurde . -
Auf dem Rasenplatz vor dem Heidehause liefen Leute herum in großer Verwirrung .
" Was ist anzufangen ? " fragten sie einander bestürzt , " wenn er uns kein Brennholz und keine Stallstreu mehr gönnt , so müssen wir ja fort , mit Weib und Kind hinaus auf die Bettelstraße ! "
" Einödler bin ich ! " rief ein Bauer , " und daß ich um ein Stückel Brot anhielte , da tu ich mein Lebtag eher rauben .
Höllsaggra !
ich laß schon alles drauf ankommen ; wenn mir mein ' Sache ' geraubt wird , so raub ich wieder ! "
Der Hahnenkamm trat herbei mit geballten Fäusten : " Wer Schneide ' hat , der geht mit .
Wo ich anfass , da bricht was !
Der Großteufel jagt heute im Schroffenwald , dem würgen wir seine vermaledeite Seele aus dem Leib .
Und wenn er am Abend zur Gebetglocken noch herumlauft , so zünde ich mein eigen Haus an . "
Da trat Habeturms Rudolf herbei :
" Leute , von Betteln , Rauben und Morden kann keine Rede sein ; wir haben noch andere Mittel .
Zusammenhalten , ein festes Anstemmen gegen Gewalt , und wir werden unser Recht erlangen .
Nur zusammenhalten ! "
Ein Windstoß brauste heran , in dem Geäst der Tannen war ein schweres Tosen und Stöhnen , auf dem Dachfirste des Hauses riß es mehrere Latten los - der Bretterhirsch rüttelte heftig an seinen Holznägeln .
An demselben Tage abends kam Graf Fron mit seinem Gefolge heiter wie gewöhnlich vom Schroffenwalde zurück und quartierte sich für die Nacht im Haberturmhofe ein .
Die Jäger setzten sich sogleich an den großen Tisch in der Gesindestube , der Graf obenan .
Er ließ zu den mitgebrachten Resten auftragen , was die Speisekammer vermochte ; sich mitten in das Volk begeben und dessen Brot essen , das ist herren-demokratisches Prinzip .
Da gab es wieder Scherz und Weidmannsgeschichten , und draußen im Vorhause bei den hingelehnten Schießgewehren lag so mancher verblutete Rehbock , von dessen Sterben drin so lustig geplaudert wurde .
Es war finster geworden ; draußen brauste der Regen , und wer in die von Kienspänen erhellte Stube trat , der hatte Schneeflocken auf seinen Kleidern .
Rudolf und der alte Ameisehüter traten zur Tür herein , gegen den Tisch hin und zogen höflich ihre Hüte vom Kopf .
Dann baten sie , daß den Einödbauern auch für die Zukunft wie bisher das Recht an dem Walde bewahrt bleiben möchte .
Der Graf entgegnete freundlich , daß er heute wohl keine Audienz erteilen könne , und beachtete die beiden Männer nicht weiter . -
Jetzt ging wieder die Tür auf , und Kopf an Kopf standen vor dem Eingange die Männer der Einöde , mit Stöcken und Knitteln bewaffnet .
Sie drangen gegen den Tisch vor .
Jäger und Knechte riefen nach den Gewehren , die draußen im Vorhause lehnten .
Plötzlich aber drängte sich der Hahnenkamm durch den wüssten Haufen , und mit dem Schrei :
" Den Schädel spalten wie einen Holzklotz ! " stürzte er mit einer geschwungenen Axt in die Stube und auf den Grafen los .
Dieser fiel in seinem Schreck unter den Tisch , und das Beil fuhr tief in die Holzwand .
In demselben Augenblick sauste ein gebrochener Stuhlfuß nieder auf des Bauers Haupt - der Hahnenkamm wankte zur Tür und brach zusammen . - - - Den Getroffenen schafften sie davon .
Den Grafen hoben zwei Männer zu seinem Sitze empor .
Mit rollenden Augen starrte er gegen die Tür und auf das schwere Beil in der Wand ; bebend bewegte er den Mund , aber sprachlos war er und blaß bis hinein auf den Gaumen .
Still führten die Jäger ihren Gastherrn mit sich .
Still und finster gingen an demselben Abend die Bewohner der Einöde auseinander .
- Und dicht und dichter fielen vom Himmel die Flocken .
Es will finster werden auf der Welt Am anderen Tage waren sie wieder im Wirtshause beisammen und konnten nicht genug sprechen über das gestrige Ereignis beim Habeturm .
Aber auch von etwas anderem war die Rede .
Ein interessanter Fremder war angekommen .
Der Fremde trug eine silberne Uhrkette ; das mußte schon ein großer Herr sein .
" Wasser hat er getrunken in der Küche gleich aus der Schöpfpfanne . "
" Das täte ' ich schon nicht , wenn ich so ein großer Herr wäre , da müßt ' ich wohl meinen Wein haben . "
" Heidebeters Gabriel ist es gewesen ! " sagte plötzlich einer .
Da war alles auf , und alle glaubten und wußten es nun und hatten es sich ja gedacht .
" Alleweil habe ich es gesagt , " rief die Wirtin , " aus dem Gabel wird ein großer Herr , und wenn die Leute ' über ihn allerlei unebene Sachen haben aufbringen wollen , so habe ich hundertmal gesagt :
Geht es , geht es mit eurem Tratsch , ihr seid an der ersten Lug nicht gestorben .
All miteinander lacht er uns jetzt aus . "
" Ja , und schmiert uns an ! " schrie der Rindenschlager , " ich sage , wir wollen nichts von ihm , er trägt Herrenloden , er ist ein Stadtherr .
Ein Herab ' hackt dem anderen die Augen nicht aus ; wenn er auch nicht so tut , aber er hat_es mit dem Großteufel unter einem Hütel .
Er ist der Sohn des Dalkerd . "
Vom Hahnenkamm wurde nichts gesprochen ; dieser lag in seiner düsteren Stube verlassen im Sterben .
Gabriel hatte am frühesten Morgen desselben Tages endlich seine Schwester Regina umarmt und seinen Freund Rudolf , und beide geküßt .
Sie hatten ihn kaum erkannt .
Regina errötete tief .
Sie getraute sich den vornehmen Herrn gar nicht anzuschauen .
Das war Gabriel - Gabel , der einst so schmale , bleiche , schwächliche Junge im Zwilchjopplein .
Wie war er jetzt so groß und fein , wie hatte er so weiche Hände , so krause , zarte Locken und das Bärtchen .
Und die Stimme tönte so tief und doch so hell und freundlich .
Und seine weiße Binde um den Hals - wie ein Pfarrer .
Das war ihr Bruder , der Gabriel , der Gabel ?
Ja doch , seine leicht aufgeworfenen Lippen , seine milden , dunkelblauen Augen waren es .
Und Regina redete endlich und sprach : " Ja , wie bist denn jetzt ? -
So bist du geworden ? "
Sie gingen nicht hinauf gegen die Heimstätte , das Heidehaus , sie gingen zum Ameisehüter .
Vor dem Hause standen einige Eschen , und von einer derselben scholl ein Hacken , und es rauschten buschige Äste nieder .
Ganz oben im Wipfel saß der Heidebeter , der von seinem vergeblichen Suchen einmal zurückgekehrt war .
" Vater , " rief Regina hinauf , " steigt ein wenig herab , es ist wer da . "
Und gleich darauf Gabriel : " Grüß ' Euch Gott !
Ist das Laub noch grün ? "
" Ja , es ist noch ein wenig grün " , antwortete der Mann mit zitternder Stimme und kletterte sogleich herab ; er hatte seinen Sohn schon erkannt .
Und nun sah Gabriel seinen sehr gealterten Vater mit den furchigen Wangen , mit dem grauenden Haar .
Nicht das halbe Elend hatten sie ihm geschrieben , das während seiner Abwesenheit dieser Mann ertragen mußte .
Der Peter aber sah seinen Sohn frisch und in der Jugendkraft .
Er vergaß in diesem Augenblick all sein Leid .
" So grüß dich Gott , Gabel , " sagte er ganz leise , beinahe furchtsam - " bist uns doch wohl endlich einmal 'kommen .
Bei uns gibt es halte alleweil viel Elend . "
" Wo ist die Mutter ? " fragte Gabriel schnell .
Da war es einen Augenblick still , Regina fing leise an zu weinen , und der Peter legte seine Hand an das Kinn und starrte zu Boden .
Sollte Gabriel denn noch nichts wissen ?
* Die Einschicht-Res saß auf der Bank vor ihrer Hütte .
Neben ihr saß wieder der Heidebeter und legte die Hand ans Kinn , auf welchem rauhe , ungepflegte Bartstoppeln standen .
" Mein Gabriel geht sich die Füße ab , " murmelte er , " wird mir zuletzt auch noch krank vor Gram . "
" Unten beim toten See sehen sie alleweil ein Licht herumfliegen " , sagte das Weib .
" Und das kann ich mein Lebtag nicht glauben , daß der Herrgott meine Klara so verlassen hätte , daß sie mir ins Wasser gegangen wäre .
Res , ich habe kein ' Frieden ' und kein ' Ruhe ' . "
Die Res hatte still zugehört , plötzlich aber tat sie eine lebhafte Bewegung und rief :
" Jetzt laß das Trübsalblasen sein , Peter , und tu einmal einen Jauchzer ! "
Er starrte die Res an .
" Mit dem Beten und Traurigsein richten wir beim Herrgott nichts mehr aus , dasselbe habe ' ich schon gesehen ; auch gut , so wollen wir singen und jauchzen , daß ihm die Ohren gellen ! "
Und sie stieß einen grellen Ton hervor , der vielfach im Gewände widerhallte .
Von den Waldungen herüber hallte es , von der Schlucht herein hallte es auch .
Und wie hell und deutlich !
War das Widerhall ?
Nein , das war ein selbständiges Klingen und Schallen , das waren Töne aus einem Horn . -
Wer bläst hier im Walde ?
Hatte die Res mit ihrem Schrei Geister geweckt ?
Wer kommt da ?
Stehen die Toten auf ?
Ein alter , halblahmer Mann und seine Tochter , ein blindes Mädchen , die sich durch das Land bettelten , fanden eines Tages draußen auf der Ebene neben der Straße an einer Zisterne ein betagtes Weib sitzen .
Das zerrte an seinen ärmlichen Kleidern und wusch mit der hohlen Hand die Augen und die Stirn .
" Was macht denn die Muhme da bei dem Wasser ? " fragte der Alte halb als Gruß , halb aus Neugierde .
" Mein , was werde ich machen , " antwortete das Weib , " dunkel will_es schon werden . "
" Ihr seid ja vom Gebirge her , ich kenne es an Eurem Gewand . "
" So , vom Gebirge bin ich her ? " versetzte die Fremde ein wenig verwundert , " ja , es wird wohl sein . "
Der Bettler fragte sie noch um manches , aber sie sagte als Antwort immer :
" Vom Gebirge bin ich her , man kennt es am Gewand . "
Dann im Selbstgespräch : " Ja , richtig , man wird es wohl kennen .
Ich sehe es ein , ich hätte doch noch warten sollen auf den Peter , allein werde ich dasselbe ' Haus nicht finden , wo er herausschaut durchs Fenstergatter .
es wird halte schon soviel dunkel auf der Welt . "
" O du dreidoppelter Morgenstern übereinand ! " rief der Bettelmann jetzt aus , " das ist ja die Heidebeterin aus der Rattensteine Pfarre !
So laßt Euch einmal recht anschauen .
Und was sage ich denn !
Die Beterin in der Einöd ' , mein Lebtag , bei der ich vorzeiten meine beste Milch getrunken habe !
He , schaut mich an , ich bin ja der alte Greg , der Jägersknecht , der in Eurem Haus allweg auf dem Herd gesessen ist und sein Tabakfeuer geholt hat .
Mein , das ist die Heidebeterin !
Jeßtl , Hedwig , die Frau ist zuletzt gar nicht recht in Ordnung mit dem Kopf . "
Das Weib starrte den Alten an und gab verworrene Antworten .
Dann holperte es zum Mädchen und sagte : " Grüß ' dich Gott , Regina ! " setzte aber sogleich dazu : " Schau das junge Volk an , jetzt ist sie schon wieder eine andere . "
Dann nahm sie der alte Greg am Arm und sagte : " Heidebeterin , jetzt gehen wir all drei zusammen und suchen die Einöd ' auf .
Siehst du , Musik haben wir auch bei uns ! "
Und er blies in ein Waldhorn , daß es schmetterte .
Und da humpelten drei Bettelleute die Straße entlang .
Vorüberziehende blieben stehen und sahen ihnen nach und sagten :
" Gott erbarm ! das sind drei Ausgesuchte :
das eine ist lahm , das andere ist blind , das dritte ist lahm und blind und gar noch was dazu . "
Die arme Klara paßte prächtig zu den zwei :
sie wurde endlich heiter und wußte nicht warum .
Einmal , als sie an einem Kruzifix vorüberkamen , wie sie häufiger und häufiger dastanden , je mehr sie dem Gebirge nahten , stand die Heidebeterin still und sagte : " Aha , da hängt er .
Meinem Peter haben sie es just so gemacht . "
Einmal stand eine Kapelle am Weg , da meinte sie :
" Das ist mir ganz recht , jetzt da drin sitzt unser liebe Frau .
Muß ein wenig was mit ihr reden , wir sind gut miteinander . "
Und als sie am Marienbilde stand , hielt sie ihm die Hand hin : " Grüß ' dich Gott !
Jetzt hätte ich dich im Himmel oben gesucht , und du bist so in der Fremde da .
Ja , und jetzt muß ich dich schon fragen , halten sie meinen Gabriel noch eingesperrt ?
Und wegen was denn , weißt mir gar nichts zu sagen ?
Ei ja , jetzt bleibe ich da bei dir .
Du kennst mich ja , jeden Samstag einen Rosenkranz habe ich dir verehrt , weißt es noch ?
Ich bin die Heidebeterin . "
" Was denn aber muß geschehen sein in der Einöde ! " meinte der Greg , " und wie sie die irrsinnige Person so herumwallen lassen in der Welt ! "
Sie hatten ihre Not , bis sie das Weib mit sich fortbrachten .
Das Mädchen sprach ihr zu mit guten Worten , und da sagte Klara einmal :
" Nein , aber lachen muß ich auch über mich , ich bin ' leicht doch ein ganzer Narr .
Dank dir Gott , Regina ! "
" Wie seid Ihr denn so weit weggeraten von daheim ? "
" Von daheim ? " sagte Klara verwundert , " ja , wenn es recht aufkommt , dasselbe ' weiß ich zuletzt selber nicht . "
Abendrot ? -
Morgenrot ?
So kamen diese drei Menschen schwer wandernd und bettelnd nach Tagen endlich in das Gebirge .
So nahten sie immer mehr der entlegenen , unfruchtbaren Waldgegend mit ihren armen , verkommenen Menschen - die Einöde genannt .
- Das Hallen und Schallen - der alte Greg blies sein Waldhorn - war näher und näher gekommen , nun aber plötzlich verstummt .
Aus dem Waldesdunkel kamen drei Menschengestalten .
Die Einschicht-Res hielt ihre Hand über die Augen , blickte den Nahenden entgegen und rief : " Wer kommt da ?
Peter , die Toten stehen auf ! "
" Meine Klara ! " schrie der Peter und lief dem mühseligen Weiblein entgegen und umarmte es lachend , weinend .
Sie sank vor Müdigkeit auf einen Stein .
Sie trug noch ihre alten Kleider , sie hatte noch ihren trüben Blick , sie zitterte , sie hielt die Hände zusammen und rief mit lallender Stimme :
" Daß du mich nur wieder hergeführt hast , du liebe Mutter Gottes , und daß ich mein Leben nur ertragen habe mögen ! -
Peter , " sagte sie dann traurig , " es ist umsonst , jetzt bin ich überall herumgegangen und habe ihn nicht gefunden . "
" O Klara , " schluchzte der Peter , " nur solang ' , solang ausbleiben , warum hast du mir das angetan ?
Du hast mich gepeinigt , nicht zu sagen ; ich hätte ' nicht selig werden mögen ! "
" es will halte nicht mehr Licht werden auf der Welt " , murmelte sie und fragte dann lebhaft :
" Die Regina habt ihr ' leicht auch einsperren lassen ? "
So kam sie zurück , irre und wirr .
Die Hühner flatterten scheu herum und schlugen den Rauch des Mittagsfeuers nieder .
So viele Leute waren sie nicht gewohnt .
- Und das war eine glückselige Stunde , als auf der Bachwiese die Kinder aus dem Heidehause an dem Arme des Vaters ihre verloren geglaubte Mutter heranhumpeln sahen .
Aber Gabriel hätte sie kaum mehr erkannt .
Das war seine arme , kranke Mutter , an die er gedacht hatte viel tausendmal , die er sooft im Traume gesehen , gesund und fröhlich und arbeitsam , wie sie einst gewesen in den Tagen seiner Kindheit .
In der Gegend der Einöde ist bei erwachsenen Leuten das Küssen nicht Sitte , aber Gabriel stürzte hin vor das Weiblein und küßte ihm Wangen und Stirn und Augen und Mund .
O Gott , seine Mutter !
Klara erkannte ihren Sohn sogleich .
Einen Freudenschrei tat sie , dann war Stille einen Augenblick .
Das Weib zitterte am ganzen Körper , und dann hob es ein stilles , süßes Weinen an . . .
Der Heidebeter hatte wieder jenes krampfhafte Aufatmen .
" Jetzt wird es schon besser werden , liebe Mutter , " sagte Gabriel , " ich bleibe nun bei euch , vielleicht eine lange Zeit .
Der Ameisehüter hat mir seine Ausgedingestube verpachtet , da wohnen wir uns ein . "
" Siehst du , Peter , " rief Klara fast wie gesund , " was habe ich allweg gesagt ! -
Und jetzt ist_es völlig Licht in der Welt , ist 'leicht just die Sonnen Aufgang ? "
Regina hatte kein Wort gesagt , sie wußte nichts mehr anzufangen , sie konnte die Tränen nicht stillen - sie schämte sich schon .
Nun nahmen sie und Gabriel ihre Mutter am Arm und führten die Wiedergefundene in die neu eingerichtete Stube .
Der Heidebeter war aus Freude auf einen Eschenbaum geklettert , um für die Schafe des Ameisehüters Laub zu sammeln .
Er war so dankbar für diesen heutigen Tag , er wußte dem lieben Gott keine andere Gefälligkeit dafür zu tun , als daß er einigen seiner Geschöpfe , den Schafen des Ameisehüters , frische Laubblätter brachte .
* Möge ein gütiges Geschick walten über allen Menschen , die in der Einöde wohnen ! sei es in der Einöde der Natur oder in der Einöde der Städte .
Als der Frühling wieder kam in unsere Waldberge , brachte er ein Leben und Weben mit , wie es hier bisher noch nie gewaltet .
Zum erstenmal blieb in diesem Jahre das Verbot aus , zur Zeit der Hahnenbalz Waldarbeiten zu unternehmen ; wohl aber erhielten der junge Habeturm und der Ameisehüter höfliche Einladungen , sich an der Hahnenjagd zu beteiligen .
Unten auf dem Gemeindeanger neben der Kapelle wurde ein Platz ausgemessen für ein neues Schulhaus .
Die Gründungsurkunde desselben hatte das Patronat ausgestellt .
Noch im Laufe des Winters hatte Gabriel das Heidehaus zurückerworben und seine betagten , mühseligen Eltern in dasselbe eingeführt .
Als der Peter und sein Weib wieder eingezogen in die alte , traute Heimstätte , sagten sie zueinander :
" Gottlob , jetzt sind wir wieder daheim . "
Im Haberturmhof war die offene Verlobung des jungen Besitzers mit der Tochter des Heidebeters .
Auf dem Ehrenplatz neben den Brautleuten saß der Heidebeter .
Heute ehrten sie ihn mehr als den Richter , und kein Mensch nannte ihn mehr den Dalkerd .
Er goß sich sehr viel Wasser in den Wein , und dennoch hüstelte er nach jedem Nipp und meinte , das sei wohl ein rechtschaffen starkes Trinken ; es hebe bei dieser Lustbarkeit ja völlig das ganze Haus an zu tanzen !
Des Wirts Davidl lag immer noch krank , seine Mutter stand stets an seinem Bett und legte Pflaster um Pflaster über die Augenhöhle .
" Bleibe ' nur hübsch liegen , mein Kind , " sagte sie , " wie du aufstehst , so haben sie dich gleich und führen dich zum Gericht .
Die Leute ' sind heutzutage wie die Teufel . "
Das Wirtshaus stand die längste Zeit leer .
Wenn zuweilen doch ein durchziehender Handwerksbursche oder ein arbeitsuchender Holzhauer einkehrte , so erzählte ihm die Schänken mit großer Herzbewegung die Geschichte von Heidebeters Gabriel , der aus einem armen Bauernbuben ein so angesehener Herr geworden sei .
Endlich aber hatten es die Zapfenwirtsleute eingesehen , daß nach all dem , was vorgefallen , ihres Bleibens in der Einöde nicht mehr länger sein könne .
Sie verkauften das Haus .
Noch einmal , bevor sie auszogen , setzte sich die Wirtin zu ihrem getreuesten Freund , dem Rindenschlager-Lenz , zu einem Scheidetrunk ; noch einmal ließ sie ihrer Zunge und Erfindungsgabe freien Lauf , noch einmal tat sie in den höchsten Tönen die Armseligkeit und den Undank der Einödebewohner dar .
Da , zur bittersten Neige , unterbrach sie heute der Lenz und sagte : " Ein Eichtel weniger reden täte nicht schaden .
Es haben auch das Zapfenwirtshaus nicht die Engel ' baut , wie es sich weist .
Es kommt ja alles auf . "
" Nicht wahr ist_es , daß alles aufkommt , " schrie die Wirtin hitzig , " dasselbe ' , was mein schlauer Davidl oben im Heidehause mit dem toten Schulmeister ' trieben , wie er durch ein Roßhaar das Bahrtuch aufzupft hat , derweil er selber auf dem Dachboden gewesen , ist schon viele Jahre vorüber und ist auch noch nicht aufkommen ! "
" Und wird auch nicht aufkommen " , versetzte der Lenz tückisch .
" Behüte ' dich Gott , Wirtin , dir geht auch heute die Welt wie ein Mühlrad herum , weil du das Mühlwasser dazu aus deinem Extrafaßl hast rinnen lassen .
Im Wein ersauft die Lüg ' - das ist wohl richtig , aber dann bist du dir mit diesem Trankel alleweil zu sparsam gewesen .
Das Kunststück von deinem Davidl werde ' ich schon ausrichten .
Nichts für ungut . "
- Und er ging davon .
Der Wirt trennte sich schwer von der Gruft , aber ihre Geister begleiteten ihn - wohin , ist unbekannt .
- Sie zogen fort , zogen wahrscheinlich dem " hochwürdigen Herrn " nach , wie es die Wirtin einst bei der Christenlehre vorausgesagt hatte ; der Pfarrsprengel Rattenstein war nämlich schon lange aufgelassen und die Gemeinde mitsamt der Einöde in Karnstein eingepfarrt worden .
Karnstein ist der schöne freundliche Ort draußen im breiten Tale , in dem wir noch eine wundersame Mär erleben sollen .
Gabriel war wieder in die Stadt gegangen , wohin ihn seine geistigen Beziehungen zurückzogen .
In der Stadt aber lebte er seinen Bergwäldern , die er beschrieb und besang mitsamt ihren Menschen .
Er nahm kein Amt , er trieb kein Geschäft , er lebte und dichtete .
Er wußte selbst nicht , wie es war , daß er nun so schön und frei dahinleben konnte .
Nun aber nimmt die Geschichte einen neuen Lauf .
Und sie wird zeigen , daß der Menschen echtes Glück nicht von Osten kommt und nicht von Westen , daß es in keiner Himmelsgegend aufsteigt , durch keinen Wind herbeigeweht wird , daß es still und wunderbar entkeimt aus dem eigensten Herzen .
Daß es dann mitunter aber weitergreift über alle Wünsche und Ahnungen hinaus , schier wie eine lieblich gewaltige Feuersbrunst , alles erfassend und einhüllend und endlich auch - verzehrend .
Oft , wenn Gabriel in seinem Stadtstübchen träumte und die Abenddämmerung war , durchzogen Erinnerungen an eine herrliche Zeit seine Seele .
Aber an eine Zeit , die er niemals durchlebt hatte .
Denn es war nicht Erinnerung , es war eine Ahnung von dem , was bevorstand .
Die Sommertage lockten ihn allemal wieder in die Einöde zurück , wo er arbeitete und dichtete , und im Heidehause seinen alten Vater , seine sieche Mutter hatte , seine Vergangenheit durchträumte .
An einem solchen Sommertag entschlief seine Mutter .
- " Leute ' ! " hatte sie mit heller Stimme gerufen :
" Was ist denn das , jetzt wird_es auf einmal ganz Licht ! " II .
Buch Das Daheim Sie gehen ins stille Dorf hinein Auf dem Dorfbahnhof zu Karnstein verkündete die Glocke den nahenden Zug .
Ein Bahnwart stellte sich mit dem roten Fähnchen an das Geleise , ein alter Postbeutelträger stand in Bereitschaft zum Geben und Empfangen , was das Dorf bot und die Welt sandte .
Sonst war niemand hier , auf der eisernen Straße ins Weite zu gleiten ; das Dorf barg abgeschlossen eine Welt in sich .
Der kurze Zug - hastig und herrisch wie die Zeit , der er diente - rollte rasch in den Bahnhof , stand daselbst ein paar Augenblicke still , schnaubte ungeduldig auf und dampfte sofort wieder davon .
Auf dem Bahnhofplatz standen zwei fremde Menschen hingeschneit ; sie hielten ihr kleines Reisegepäck in den Händen und blickten umher .
Ein ältliches Männchen in lichtgrauen Kleidern und mit einem alebendigen Angesicht , in welchem die zwei grauen Augensterne hin und her flogen wie ein paar Weberschiffchen im Garn .
Es zitterten die weißen Büsche der Brauen , es wogten die Runzeln der Stirn , die Falten der lederbraunen Wangen ; es waren die Lippen in Erregung , es wollte die scharfe Nase aus ihren Grundfesten brechen , um zu ermitteln , wo denn der Tausend in diesem Neste das faule Volk der Packträger stecke .
Neben dieser schier possierlichen Gestalt stand ein Mädchen .
Ein Mädchen in jungen , schönen Jahren .
Es trug ein einfaches Kleid in der Farbe des Veilchens , besät mit weißen Sternlein .
Das Kleid verdeckte schlicht auch den Busen und die Arme und ließ an den zarten Händen nur ein Paar blütenweiße Ärmelchen hervorschimmern ; es ging bis hoch an den schlanken Hals empor , wo ein weißes , umgeschlagenes Krägelchen den Rand deckte , und wo an einem schwarzen Samtbande ein goldenes Kreuzel hing .
Das Antlitz , ein wenig länglich und gar fein geschnitten , war zart und weiß , die Augen waren dunkelblau und groß und hell und blickten ruhig und munter .
Lange Wimpern legten schützend einen Schatten über die Schönheit dieses Auges .
Die Brauen waren dunkel wie Ebenholz und fein wie Seide .
Das Näschen hatte eine ganz leichte Ausbiegung , und in den Hügelchen der Wurzel desselben zuckte es manchmal ein klein wenig ; leises Zucken an den Nasenflügeln bedeutet nicht selten ein bißchen Schalkhaftigkeit .
Die Lippen des kleinen Mundes waren voll und frischrot erblüht ; zwischen denselben blinkten bisweilen drei Oberzähnchen .
Das Kinn mit seinem Grübchen drängte sich nicht hervor und war mitsamt den Backen und dem Halse von mildester Rundung und zartestem Farbenhauch .
Die Locken des lieblichen Wesens waren etwas dunkler als Kastanien und hatten einen weichen Glanz ; sie waren nach rückwärts gekämmt und durch das elfenbeinerne Diadem des Kammes so gehalten , daß sie in einer reichen Welle über den Nacken flossen .
Die Gestalt des Mädchens war schlank und vornehm gebaut , und jede ihrer Bewegungen war natürlich und anmutsvoll .
Am Arm trug es durch ein blaues Bändchen einen breiten Florentiner Strohhut , und in einer der handschuhlosen Hände hielt es - was der kleine Mann daneben bass nicht leiden wollte - einen tüchtigen Regenschirm .
Die Gegend ist seltsam schön .
Ein breites , grünes Tal mit sanften Höhungen , auf welchen stattliche Gehöfte stehen , mit wiesenreichen Niederungen , in welchen zahlreiche Quellen sprudeln , Bächlein rieseln , Mühlen und Holzsägen klappern , und mit dem Alpenflusse , der , unter Gischten und Brausen vom Hochgebirge der Wildschroffen niedergesprungen , hier sachte und blaugrün durch die Gegend zieht .
Dann sind Dörfer mit weißen oder grauen Kirchtürmen , Gärten , Schachen und schimmernde Landhäuser .
Auf Hügeln und felsigen Bergvorsprüngen ragen Ruinen .
Der schöne längliche Kessel des Tales ist besäumt und umfriedet von den waldigen Bergen , die sich , je weiter zurück , je höher heben .
Gegen Sonnenaufgang zu , über Berg und Tal , breiten sich die ewigen Schatten der Einödwälder .
Es war zur Hochsommerszeit , aber eine kühle Luft wehte von den Wäldern her und rieselte sanft in den losen Locken des Mädchens , das völlig versunken war im Sehen dessen , was es in seinem Leben vielleicht noch niemals geschaut und gefühlt : den Zauber der Berge und des Waldlandes .
Über den Holzdächern des Dorfes ragte als ungefüge , düstere Maße der alte Kirchturm , in welchen manches Jahrhundert sein Denkmal gegraben hatte .
Um den grauen Turm kreisten Schwalben , deren Gefieder in der Abendsonne schimmerte .
Große Stille war .
Das Mädchen tat einen tiefen Atemzug , worüber es von dem Begleiter besorgt angeblickt wurde .
Als dann von dem " Pack der Packträger " niemand kam , faßte das behende Alterchen Gepäck und Geschirme fest in und unter die Arme , dann gingen sie die weiche , grüne Gasse entlang den Häusern zu .
Anfangs getraute sich das Mädchen kaum , auf den grünen Rasen zu treten , der vom Bahnhof ab auf dem Dorfsteig wucherte , es tat ihm leid um den " Garten " , und es ergötzten sie wohl auch ein wenig die übermütigen Heupferdchen , die auf dem Rasen herumhüpften und zuweilen gar gegen die Spitzchen ihres Fußes trachteten .
" Wie schön , " sagte das Mädchen , " da ist die Welt ja auf einer Sänfte ! "
" Gewiß , gewiß , " entgegnete der Alte , " das Fräulein hat durchaus recht , und die Sänfte hängt mit vier Stricken an dem Himmelsgewölbe , und - da fällt mir gescheitem Manne noch was ein - die Stricke , das sind die vier Jahreszeiten , da schaukelt hin und schaukelt her - hopp auf und hopp nieder . "
Jetzt blieb das Mädchen stehen , langte nach dem Arm des Alten und sagte : " Ferdinand , philosophieren und närrisch sein magst auf unserer Landpartie , was das Zeug hält , aber wenn du mich noch einmal Fräulein heißest , so laufe ich von dir hinweg und laufe in den Wald hinaus , daß du mich nimmermehr findest . "
Das Männlein antwortete nichts , sondern zog sein Sacktuch heraus und drehte in dasselbe einen doppelten Knopf ; den hielt es dem Mädchen vor die Augen : " Ist er groß genug ? "
" Wir sind ja ausgeflogen wie zwei Vöglein in die Lüfte , und ich mag von unserem Käfig und vom Weltbrauch einmal gar nichts hören .
Ferdinand , nenne mich wieder Anna , so wie du es sonst getan hast . "
" Wohl , wohl , Anna , " sagte der Alte rasch , " aber besinne ' dich , bist ja schon so schauderlich erwachsen .
- Ich wollte gern , du wärst es nicht .
Kehr die Hand um , wird dich einer wegfischen .
Je nun - mag dich das gnädige Fräulein heißen oder mein Herz-Annchen - es wird mir nichts nutzen , dastehen wird der Ferdinand Küßdenker wie ein einschichtiger Spatz auf dem Zaun .
Mädel , ich errat dir es sicher ! "
Hastig schritt er nach diesen Worten die Gasse entlang , das Mädchen vermochte kaum ihm zu folgen .
Er blieb bald wieder stehen : " Komme ' , Anna ; will recht bei dir sein , solang noch geht .
Und das werde ich deinem Herrn Papa auf dem Todbett nicht vergessen . "
" Ferdinand ! " unterbrach ihn Anna , launig mit dem Finger drohend :
" Bist schon wieder der Papagei ?
- Einen Vater habe ich . "
" Na ! " rief der Alte , " heute ' bist aber schon gar - ! "
" Freilich " , lachte das Mädchen , und dann ernsthaft :
" Will einmal eine Tyrannin sein und will geradeso und gerade das tun , was mich freut .
Dazu hat mein Vater mir die drei Tage ja geschenkt .
Ich frage nichts nach der Stadt ; ich bin jetzt eine dreitägige Märchenprinzessin , und du bist mein Berggeist - magst du ? "
" Dein Wille geschehe , Trotzköpfel , du ! " rief Ferdinand in einer Art von Begeisterung , " und ich werde es deinem Herrn Vater noch auf dem Todbett gedenken , daß er mich dieser kleinen Prinzessin mit auf den Weg gegeben hat ; daß er sein Kind mir und keinem anderen vertraut hat , um es zu begleiten auf einer Vagabundenfahrt , von der ich zur Stunde noch Zweck und Ziel nicht weiß - "
" Ich auch nicht , " unterbrach ihn Anna , " aber ohne meinen Ferdinand wäre ich mutterseelenallein davongegangen . "
Man merkte ihr aber leicht an , daß der Trotz nicht Ernst war .
Jetzt standen die zwei Fremden mitten unter den Bauernhäusern und Scheunen des Dorfes .
Auf dem Platz vor der Kirche ragte ein hohes Kreuz in die abendliche Stille auf ; nebenhin im Bächlein plätscherten Enten , auf den Dächern girrten Tauben , etliche Kinder sprangen um .
Das war das ganze Leben des Ortes .
Der kleine alte Mann drehte sich auf den Fersen und suchte an den Wänden der hölzernen Häuser nach dem Schilde eines Gasthofes .
Da er nichts entdeckte , zog er einen barfüßigen Knaben zu Rat. - " Beim Kirchenschneider , da werden Sie zu essen und zu schlafen kriegen . "
Bald darauf saßen sie - der alte Mann und das junge Mädchen - in der dunklen Wirtsstube des " Kirchenschneiders " .
Es war ein großer Kachelofen , und es waren einige Tische da , auf die durch die nebeligen Scheiben der kleinen Fenster ein bißchen Abendschein hereinfiel .
Im Winkel tickte , vielleicht seit Urzeiten her , eine Pendeluhr .
Ein paar Stübchen waren den Fremden für die Nacht gesichert worden , und es war zu hören , wie man aus denselben alte Kisten und Wirtschaftsgeräte entfernte , denn seit zwei Jahren war kein Gast mehr beim Kirchenschneider über Nacht geblieben .
So saßen die beiden einstweilen still und vergessen da , und zweier unbekannter Gäste wegen zündet die Kirchenschneiderwirtin in der Dämmerung noch keine Kerzen an .
" Die Prinzessin hat sich ein feines Königreich gesucht " , flüsterte Ferdinand spöttisch .
Das Mädchen erhob sich und ging in das Freie .
Sie ging langsam die Gasse hinan , betrachtete die Gegenstände des Dorflebens und plauderte mit den Kindern .
Bald war sie aus der Gemarkung der Häuser hinausgeraten , und ein Fußsteig führte sie über Felder , auf welchen das Korn wogte .
Die meisten der Blumen hatten sich in ihre Hüllen vermummt , es war ein kühler Abend , es kam der Tau .
Das Mädchen , dem ewigen Lärm der Großstadt entflohen , wandelte wie träumend dahin und stand plötzlich vor einem Garten , der durch eine Bretterplanke , Hecken und Bäume umfriedet war .
Da drinnen standen ein paar weiße Steine und viele hölzerne Kreuze .
Anna brach von einem Lärchenbaum buschige Zweige , flocht sie aneinander zu einem Kranz , flocht Rosenknospen eines Dornenstrauches hinein ; fast gedankenlos tat sie das - und hatte doch ein Empfinden , als müsse sie in diesem Garten wen grüßen .
Mit dem Kranz am Arm schritt sie in den Gottesacker .
Sie las bei dem Scheine des Abendrotes die Inschriften der Kreuze .
Inmitten des Friedhofes hing auf hohem Pfahl der Heiland , spannte seine Arme aus , wendete sein Haupt dem Himmel zu .
Der leidende Heiland , den armen Menschen dieser Gegend ein trostreiches Vorbild ; der sterbende Erlöser , die stille Gräbergemeinde noch segnend ; der allmächtige Gott , der einst wird kommen , um die Toten zu wecken .
- Das Mädchen aus der großen Stadt stand lange vor dem Bildnisse .
Seltsam war ihm zumute .
Weltfremd in dieser verlorenen Gegend stand es da , war geradeswegs hierhergekommen und wußte nicht recht warum .
Als Anna einige Schritte weiterging , ragte vor ihr auf dem Hügelchen ein Marmorstein .
" Hier ruht Klara Stammer , geboren in der Einöde den 30. Oktober 1802 ; gestorben in der Einöde den 16. Juli 1856 . "
- Diese Worte standen auf dem Stein .
Das fremde Mädchen hatte gelesen und war in andächtiger Stimmung .
Dann hatte es sich den Lärchenkranz vom Arm gestreift und hatte ihn sanft - sehr sanft auf den Grabhügel hingelegt .
- Wer die Leute nur sind , und was sie wollen !
Mittlerweile stürzte im Dorfe das graue Männlein umher , rief die Leute aus den Häusern und wollte Sturm läuten lassen .
Sein Schützling sei ihm abhanden gekommen .
Es sei ein wunderliches Kind , sei auch zu Hause schon einmal davongelaufen und ganz absichtlich mitten in die größte Todesgefahr hinein .
- Noch zu rechter Zeit - Ferdinand hob schon an , seine spärlichen Locken vom Haupte zu zerren - schritt Anna die Gasse heran .
Jetzt , da die Sterne schon am Himmel standen , gingen sie erst ins Wirtshaus , wo nun Gäste zusammengekommen und Lichter aufgesteckt worden waren .
Ein Tisch war für die fremde Herrschaft bereitet und mit einem weißen Tuche bedeckt worden .
Bald setzte sich zu den beiden der Kirchenschneider , der heute die weiße Schürze umgebunden und das grüne Samtkäppchen auf dem Kopfe hatte .
So vornehme Gäste traten nicht jeden Tag über seine Schwelle herein .
Er wollte aber zeigen , daß man auch auf dem Dorfe weiß , was sich schickt .
Tat sofort seine Tabaksdose hervor , hielt sie auf der hohlen Hand dem Herrn hin :
" Gefällig ? " Ließ sich es nicht zweimal sagen , der Alte .
" Mit Erlaubnis " tunkte er seine Finger tief ein .
Hierauf der Wirt gegen das Mädchen :
" Auch gefällig ? "
" Danke ! " sagte dieses und wurde ein wenig rot .
Die Dorfhonoratioren , welche die Wirtsstube füllten , wollten heute nicht recht in ihre gewohnte Lebhaftigkeit kommen .
Sie saßen nur so kleinlaut bei ihren Stammgläsern und rauchten aus Pfeifen .
Die beiden Fremden machten ihnen zu schaffen .
- Wer sie nur sein mögen !
Er ist nicht der Vater , und sie ist nicht die Tochter .
Er schaut aus wie ein vazierender Schulmeister .
Weinhändler wird er doch nicht sein ?
Sie ist ein lieber Schatz .
Ei , reisende Musikanten sind es , das liegt doch auf der Hand ; heute ' gibt es noch Musik beim Kirchenschneider ; die Junge wird singen , der Alte wird eine Harfe oder dergleichen spielen .
Ich denke , wir holen unsere Weiber .
- So wurde gemutmaßt .
Der Wirt machte wieder den Mund auf und sagte in sehr leutseligem Tone zu den Fremden :
" Mit Verlaub , wo sind wir her ? "
" Schnurgerade aus der Metropole " , antwortete Ferdinand und nieste auf die Prise .
" Wahr ist_es ! " versetzte der Wirt in landläufiger Bemerkung über das Niesen .
" Warum sollt es nicht wahr sein ? " fragte der Graue .
Die Leute blickten sich an . -
Metropole ?
Von dem Land hätten sie noch nie was gehört .
" Ein wenig Geschäfte da herum ? " hierauf der Wirt .
" Eben nicht .
Wollen nur so ein bißchen die Gegend anschauen " , sagte Ferdinand .
" Wie geht sich es denn da in die Einöde hinauf ? "
" In die Einöde ?
Sehr weit .
Schlechter Weg , nichts zu sehen ; lauter Wald , etliche Bauern- und Holzerhütten darunter .
Nicht der Mühe wert . "
" Wenn Sie eine gute Aussicht genießen wollen , so müssen Sie den Karnstein hinaufsteigen " , rief einer von den benachbarten Tischen herüber .
" Oder auf den Gilgenberg " , ein anderer .
" Die Rederer-Werke sollen Sie sich aber ansehen . "
- " Und auf die Ruine Breitenwart zu gehen , dürfen Sie ja nicht versäumen ! "
" Alles nichts .
In die Wolfshöhle müssen die Herrschaften , kaum eine Stunde vom Ort , prächtig , sage ich Ihnen ! werden es nicht bereuen . "
So kamen sie nun alle mit gutem Rat .
Das Mädchen saß bewegungslos da und senkte die Wimpern .
Der Alte verstand es .
" Wir wollen doch vor allem in die Einöde " , sagte er , und um das Vorhaben nur irgendwie zu begründen :
" Es muß dort so viele Krammetshäher geben . "
" Krammetshäher ?
Oh , die sind jetzt noch nicht an der Zeit " , riefen mehrere Stimmen .
" Auch ist das Fräulein hier eine große Freundin von Erikenkraut . "
" Ist lange schon verblüht " , sagten sie , und Ferdinand , der sonst wohl die Zeit der Krammetsvögel und Eriken gut genug kannte , härmte sich seiner erwiesenen Blöße wegen .
Er war diesen Menschen im Grunde gar keine Verantwortlichkeit schuldig , aber das war eigen an ihm , wo er hinkommen , mit wem er zu tun haben mochte , sein gutmütiges Wesen ordnete ihn überall unter den Willen anderer .
" Die Einöde , " fuhren die Tischnachbarn eifrig fort , " die ist nur für Förster , Jäger und Wildschützen was und schließlich für etwelche Strolche . . . die Wälder sind groß , wüst , und die Leute drin wachsen auf wild wie die Bäume ; man hört just nicht viel Gutes von ihnen .
Man hört gar nichts ; alles bleibt versteckt .
Es ist sozusagen finster in den Wäldern .
Nicht zu raten , für so zwei Reisende nicht zu raten ! "
Der Graue trommelte eine Weile mit den Fingern auf dem Tisch .
" Jetzt sitzen wir da " , brummte er und schielte über die Achsel gegen das Mädchen .
" Was meinst , morgen nach dem Aufstehen , was werden wir anfangen ? "
Anna saß unbeweglich da und senkte das Auge .
" Doch noch in die Einöde " , hauchte sie endlich .
" Vor zwei oder drei Tagen hätten Sie einen Begleiter gehabt in die Wälder " , sagte der Wirt , und gegen die übrigen Gäste :
" Der Heidepetersohn ist wieder dagewesen . "
" Jerum ! " riefen einige , " der Gabriel ein Begleiter !
Der ist ja menschenscheu und lungert in den ödweiligsten Winkeln herum wie ein versprengter Rehbock . "
Jetzt hatte das Mädchen seine Augen weit aufgeschlagen .
" Der Gabriel Stammer ? " flüsterte sie dem Alten zu , " und er wäre in der Gegend ? "
" Wetten mag ich nichts , die Leute da wollen zum Heidebeterhaus hinaufgehen ! " rief die Wirtin , die eben mit frischgekochter Milch kam .
" Genau so ist es , " antwortete Ferdinand , " wir möchten gern das Haus sehen , in welchem der Waldsing geboren ist , und darum wollen wir in die Einöde spazieren , und das ist die ganze Geschichte . "
" Nein , nein , " sagte jetzt das Mädchen lebhaft , " wir gehen nicht in die Einöde !
Wir gehen anderswo hin , auf den Karnstein , oder - . . .
Nein , nur nicht in die Einöde ! "
Sie war erregt und hatte plötzlich hochrote Wangen .
Die Kuhmilch und den ländlichen Mehlkuchen , den sie sich eigens bestellt hatte , ließ sie fast unberührt .
" Du kindisches Herz , " sagte Ferdinand , " was wird er uns denn anhaben , der Waldsingsang , wenn wir ihm auch begegnen ?
Und hast es nicht fort selber gesagt , du hieltest die Gelegenheit , ihn persönlich kennenzulernen , für eine besondere Gnade ' Gottes ? "
" In der Stadt wohl , Ferdinand , aber hier nicht " , flüsterte sie ängstlich .
" Der Heidepetersohn ! " schrie die Wirtin drein , " der ist lange schon wieder davon , sitzt vielleicht mitten in der Stadt drin , von der ihr herauskommt , und schreibt Geschichten , die nicht wahr sind , und macht Liedeln , die kein Mensch nicht singen kann .
Oder letztlich ist er im Salzburgischen und Tirolischen drin , oder Gott weiß , wo sonst ; der Mensch wandert ja herum wie der ewige Jude - Kunz nicht besser sagen - wie der ewige Jude ' ! "
Das Stadtkind genoß endlich einige Löffel voll der frischen würzigen Milch .
Der Kirchenschneider verbiß darüber einen stillen Ärger .
Da hatte er für die noblen Gäste schon ein Extrafässchen anzapfen und ein Huhn schlachten lassen wollen , und jetzt - Zu Milch und Sterz braucht man nicht erst so Stadtleut ' , dafür ist der simpelste Drescherknecht auch noch gut genug .
Ist es denn nicht wahr ?
Die Partie in die Einöde wurde beschlossen .
Jetzt hoben die Männer von Karnstein an Wege vorzuschlagen und Führer anzurühmen .
Aber Anna tupfte mit ihren Füßchen die dünnen Waden des Gefährten , er möge sich ja von der Leute Ratschlägen nicht bestricken lassen .
Ganz allein und unbeirrt wollten sie durch die Gegend wandern .
Der Alte verstand seinen Liebling jedesmal ; er sagte , er könne heute noch nichts Sicheres verabreden , weil man nicht wisse , was die Nacht bringen und der Morgen geben werde .
Als in der niedrigen Stube der Tabaksqualm so dicht geworden war , daß die Menschengestalten fast wie Schatten im grauen Nebel standen , sagten die beiden Stadtleute nach allen Seiten hin höflich " gute Nacht ! " und ließen sich auf ihre Stuben führen .
Als das Mädchen in seiner Kammer allein war , verrammelte es Tür und Fenster mit Sesseln , Bänken und anderen Möbeln , so daß Ferdinand in der Nebenstube durch die Wand schrie : " He , Prinzessin , geht er gut vonstatten , der Festungsbau ? "
Da war es im Kämmerlein still geworden .
Sie wandern in den Wald hinaus Ein grelles Schallen schreckte des anderen Morgens die beiden Fremden aus dem Schlafe .
Die Glocke des nahen Kirchturms läutete zum " englischen Gruß " .
Im Hause war es noch still , aber draußen knarrten die Schritte der Mähder , die über den steinigen Weg den taunassen Wiesen zugingen .
In den Sensen , die sie auf den Achseln trugen , spiegelte sich das Morgenrot .
Unsere Reisenden waren bald angekleidet .
Das Mädchen hatte sein Angesicht mit kaltem Wasser gewaschen und dabei zur Verwunderung recht warme und rote Wangchen bekommen .
Ferdinand hätte nun gern mit der Wirtin über ein gutes Frühstück verhandelt ; allein die Kirchenschneiderin war noch nicht zu finden .
Anna drängte ins Freie und zur Wanderschaft , bevor noch die Siebenschläfer des Dorfes erwachten und sich den Bergfahrern etwa an die Ferse hängen konnten .
Es war ein Sommermorgen , wie das Mädchen noch keinen erlebt hatte .
Der reine , kühle Waldhauch , das freudige Geschrei der Vöglein all , das Aufgehen der Blumenknospen , das Glitzern des Taues , die tiefe , wolkenlose Bläue des Himmels über den klaren Waldbergen , auf deren Höhen bereits das Gold der Morgensonne lag .
Sie waren aus dem Bereiche des Dorfes gekommen , sie gingen einen Fußsteig entlang über die Wiesen hin .
Der kleine graue Alte hüpfte und tanzte auf dem Rasen und sang : Weil ich nur einmal Heraus aus dem Städtle bin , Städtle bin !
Weil ich nur einmal Allein mit meine Mädel bin , Mädel bin ! . . .
" Ja , du Närrl ! " rief er dann dem Mädchen zu , " auf so einem Boden ist freilich das Liedeldichten keine Kunst ! "
Anna hob das Kleid ein klein wenig und schritt still und gelassen über den Teppich von frischen Gräsern und Vergißmeinnicht .
Sie senkte ihr großes Auge auf die Pracht des Fußbodens , und um ihre roten Lippen zuckte ganz leise die Freude .
Der Weg war ihnen vorgeschrieben .
Sie gingen über die Wiesen und Auen einem dunklen Schachen zu , hinter welchem die Turmspitze eines Waldkirchleins schimmerte .
Sie gingen unter finsteren Tannen hin , sie gingen über Blößen und Weiden , auf welchen ihnen schon die Sonne entgegenkam , und von denen aus man den Blick ins Rattensteinertal und auch den ersten Blick in die Schroffen hat .
Sie gingen an einem verkommenen Bauerngehöfte vorüber , sie hörten das Geläute der Herden und das Jodeln der Hirten .
Anna horchte , sie meinte , alles , was hier gesungen werde , müßte vom Waldsing sein - aber es waren Lieder ohne Worte .
Sie konnte es nicht lassen , sie hob ihre Stimme : Mitten im Gebirge
Auf der Felsenwand : Mägdlein an der Seite , Büchslein in der Hand , Und ein Herz im Leib , Mut und Treue darin , Gott sei Dank , daß ich Ein Älpler bin !
Mit diesen Worten des Waldsing wollte sie das Selbstbewußtsein des jodelnden Hirten wecken .
Dann gingen sie ein Gehänge entlang , kamen auf einem Hohlpfad wieder durch den Wald und gelangten auf einen breiteren Fahrweg , auf welchem sie nun stundenlang wandeln sollten .
Der Weg stieg , engen Schluchten ausweichend , sachte die Lehne des Bergzuges hinan , stets durch jungen Wald von Tannen und hellgrünen Lärchen .
Oftmals war der Blick frei in das besonnte Tal , aus welchem sie herangestiegen , und in welchem die Dörfer , die weißen Punkte der Höfe lagen , in welchem der lichte Streifen der Landstraße , die scharfe Linie der Eisenbahn und das glitzernde Band des Flusses sich schlängelten .
Sie kamen durch größere Wälder , in welchen die braunen Schäfte der Bäume hoch hinauf kahl waren , aber schwere Kronen keinen Sonnenstrahl niederfallen ließen auf den feuchten Grund der Straße und den glatten , heidekrautlosen Waldboden .
Zuweilen standen die Wanderer still und horchten dem Hacken des Spechtes und dem Geknister , wenn ein flinkes Reh über das Gefälle setzte .
Dann wieder war Ruhe und nur jenes Flüstern , von dem der Liedermann sang :
Wenn das Hochlüftchen weht , So träumt der liebe Wald , So säuseln alle Ästlein , So singen alle Blättlein Ein wundersam Lied .
Im Wald hüpft ' das Herz auf , Und wäre es von Stein .
Unter grünenden Kronen , Im Wald möchte ich wohnen , Im Wald ganz allein .
Weiterhin kam niederes Strauchwerk , über welches die Augen in langgestreckte Schluchten sehen konnten , und in eine Gegend hin , wo nichts war als Wald und Wald ; hier im tiefen Tone der Tannen und Fichten , dort im milden Grün der Buchen , Ahorne und Gesträuche .
Wohl stieg zuweilen auch ein blaues Nebelchen auf über die Wipfel , zeugend von Kohlenstätten und versteckten Menschenwohnungen .
- Das war schon die Einöde , die Heimstätte der " Waldlieder " und ihres Sängers .
Zwischen Erlen- und Haselsträuchern rieselte eine Quelle .
Unsere Wanderer setzten sich daneben auf einen moosumsponnenen Stein , und Anna sagte : " Ferdinand , jetzt werden wir in der Einöde frühstücken . "
" Es ist der Rabe noch nicht da " , antwortete der Alte .
" Frage einmal deine tiefen Taschen aus " , schlug das Mädchen vor .
" Er ist noch nicht da , " wiederholte der Alte , " der Rabe , der uns das Brot vom Himmel bringen soll , wie dem heiligen Antonius . "
Nun , in Ermangelung eines himmlischen Brotes genossen sie ein irdisches Brathuhn , das der Alte in seiner Ledertasche vorfand .
Dazu tranken sie von der Quelle , und Anna trank in ihrer Herzenslust ein wenig über den Durst .
Dann gingen sie wieder ; im Brombeerstrauch trillerte eine Amsel , der rief das Mädchen zu : " Grüß ' dich Gott , Vögel !
Singst du auch Waldlieder ? "
Das Tier flog nicht davon , ja es hüpfte noch über etliche Zweige dem Mädchen zu und hob sein Schnäblein und sang recht freudig .
Dann hob wieder der finstere Wald an , links und rechts am Wege .
Dann standen die Wanderer vor einem rotangestrichenen Kreuze , daß Anna völlig erschrak .
Hier waren Seitenstiege .
Das Mädchen hatte die Dreistigkeit , einen heranführenden Holzführer zu fragen :
" Wie geht der Weg zum Heidehaus ? "
" Schöne Jungfrau , " antwortete der Holzführer , " der Weg geht nicht zum Heidehaus .
Den müßt Ihr selber gehen . "
" Ist schon recht , " sagte Ferdinand , " ich kenne den Spaß auch . "
" Wir fragen nur , ob man hier zum Hause des Gabriel Stammer kommt ? "
" Nein . "
Die beiden erschraken .
Der Holzhauer fuhr fort :
" Ihr meint den Heidepetersohn .
Der hat gar kein Haus , der streicht in der weiten Welt herum und ist der Überall- und Nirgendsdaheim . Habe gehört , er soll viel bei den großen Herren in der Stadt leben .
Hat auch recht ; besser geht es ihm wie unsereinem . "
" Aber sein Geburtshaus möchten wir sehen . "
" Wollt ihr_es kaufen ? " war die Frage .
" Ich sage euch's redlich , Leute , an dem Haus ist gar nichts , es ist eine alte Hütten ; schade um die Schuhe .
Jetzt wohnt der Alte , der Vater vom Gabriel , wieder drin .
Laßt sich nicht wegbringen von der Hütten .
Dieser Weg hat in einer halben Stunde rechts einen Fußsteig seitlings bergan , und der Fußsteig geht beim Heidehaus vorbei . "
Hierauf gingen sie der Weisung gemäß weiter .
Sie kamen in ein waldschattiges Tal hinab .
Da rauschte ein Bach unter Wildgefälle und zwischen braunem Gestein .
Kleine Wiesen und Äcker lagen oder lehnten an den Hängen .
Hier und da stand unter Schutztannen halb versteckt eine Hütte aus Holz , ein Ziegenstall dabei , ein Krautgärtlein daneben .
Und weit oben , wo das Tal zur freien Höhung ansteigt , von einer trotzigen Fichtengruppe bewacht , fanden unsere Wanderer endlich ihr Ziel .
" Hätten wir doch einen Maler bei uns ! " rief Ferdinand , als er das Haus sah .
Und in der Tat , es schaute malerisch aus .
Eine morsche Wand , ein Bretterdach , von dem die knochenbleichen Latten und Balken niederhingen .
Die Fenster waren teils mit Holzgitter verwahrt , die Türpfosten waren in die Schiefe gesunken , so daß sich die Tür nicht mehr in den Falz fügen wollte und dem Winde zum Spiel knarrend auf und zu schlug .
Vor dem Antrittsteine wuchs das Gras , an der Wand hin wuchs das Brennkraut , und die Untermauerung des hölzernen Baues bröckelte dazwischen hervor .
Ein Heer von Schwalben umkreiste hell zwitschernd das alte , hinsterbende Haus .
Anna stand da wie ein Bäumchen .
Mit Scheu und Verehrung blickte sie , die aus einem Stadthause kam , diesen Bau an .
Hier also war der Waldsing geboren !
Und in der Gegend nichts als Wald und etliche arme verkommene Menschen .
- Wieso hat es sich zugetragen ?
Im Neste des Waldsing Zögernd traten sie endlich in das Haus .
Im finsteren Flur flatterten erschreckte Hühner auf .
Nebenan in einem räucherigen Gelaß prasselte ein Herdfeuer , und neben diesem stand eine Tür angelweit offen , die in ein Stübchen führte .
Die Wohnung war von innen besser , als sie von außen versprach ; sie war reinlich und bequem und nach bäuerlicher Weise eingerichtet .
Die Eintretenden wußten nicht , wohin sich wenden , und Anna zitterte vor Angst .
Im ganzen Hause war kein Mensch zu sehen , und das Herdfeuer brannte wie für sich allein .
Nach langem Herumspähen in der Hütte fand Ferdinand endlich im nebenan stehenden Ställchen auf dem einfüßigen Melkstuhl einen weißhaarigen Greis sitzen , der just eine Ziege molk und laut mit derselben schwätzte .
Der Greis ließ sich von den Fremden , die ihn sehr höflich gegrüßt hatten , nicht irremachen und setzte dem Tiere zu , solange noch ein Tropfen zu bekommen war .
Dann stand er auf und hastete gebeugt der Küche zu , um die Milch sofort zu kochen .
Hatte er vorhin mit der Ziege gesprochen , so sprach er jetzt mit dem Feuer und den Töpfen , sie stets gütlich an ihre Dienstbarkeit erinnernd und zu ihren herkömmlichen Leistungen ermunternd .
Dieses gemütliche Wesen des Bäuerleins flößte dem Mädchen Mut ein , und es bat leise um einen Schluck von der frischgemolkenen Milch .
" Oh , halte ja ! " sagte der Heidebeter - er war es - mit heiterer Stimme , goß die Milch in eine Tonschüssel und schnitt Schwarzbrot dazu ; dann bedeckte er den kleinen Tisch mit einem blauen Tuche , und nun mußten sie essen .
Anna wußte den Holzlöffel nicht recht zu handhaben , doch sprach sie der Gabe Gottes - wie der Greis seine schlichte Spende bezeichnete - wohlgemut zu .
Ferdinand zwinkerte mit den Augen und tat eine Weinflasche aus dem Ledersack , desgleichen einen Schinken und lud zum Essen und Trinken ein .
Der Heidebeter nippte gar schämig , doch wurden seine Wangen von den ungewohnten Tropfen beizeiten rot .
Ferdinand befragte ihn nun nach seinen Verhältnissen .
Der Peter lächelte und sagte :
" So gut wie heute geht_es mir freilich nicht alle Tage .
Aber beklagen will ich mich auch nicht .
In meinen jungen Jahren , da ist alles passabel gewesen , kein Pfennig Schulden ist gelegen auf meinem Haus und Grund .
Nachher sind halte die bösen Zeiten gekommen ; schlechte Jahre , Krankheiten und wie die Boten schon alle heißen , die einem der liebe Herrgott schickt .
So geht_es .
Aber jetzt schon besser ! -
Eine Tochter habe ich , die ist in der Nachbarschaft verheiratet .
Nachher habe ich noch einen Sohn - der ist gar nicht daheim . "
Der Bauer schwieg und tat einen lose gewordenen Schuhriemen knüpfen .
" Doch nicht bei den Soldaten ? " fragte Ferdinand absichtlich .
" Beileibe nicht , beileibe nicht , " antwortete der Heidebeter ohne aufzublicken , " aber nicht viel besser . "
- Und nach einer Weile sah er seine Gäste an und sagte : " Wie_es mit dem ist , das kund ich deutsch nicht erzählen ; ich weiß es selber nicht .
- Die Leute reden viel über den Buben - viel reden sie über ihn ; ich kenne ' mich hell nicht aus .
- Mir meint er es gut , sucht mich oft heim .
Steigt wollte gern herum in der Einöd ' , noch immer .
Tat er sonst aber ' leicht gar nicht auf rechten Wegen sein , so wollte ich fleißig für ihn beten . "
" Wo lebt er denn , Euer Sohn , und was ist er denn geworden ? " fragte Ferdinand , während das Mädchen kaum zu atmen wagte .
" Was er worden ist ?
Ja , wenn ich das kund sagen - lange nicht sooft müßt ich mich auslachen lassen , es ist frei eine Schande ' , wenn der Alte nicht weiß , was sein Junger für ein Handwerk treibt .
Gesagt hat er mir es oft , aber unsereiner kann sich das Zeug nicht aufeinanderklauben .
So Liedler hat er auch ausstudiert .
Wenn er sich nur nicht versündigt , fürchte ich alleweil , wo er da seine närrischen Gesangelen drucken laßt , wie das Evangeli und das heilige Meßbuch gedruckt ist , und wenn er seine weltlichen , ' leicht vorwitzigen Liedeln singen tut als wären sie Kirchfahrtsgesänge .
- Will mir halte nicht gefallen das !
Wenn er sich nur nicht versündigt , mein Bub ! "
Das Mädchen hatte bei diesen Worten des Alten beharrlich das Haupt geschüttelt :
Das Versündigen auf diese Weise fürchte sie nachgerade gar nicht .
" Wisset was , Vater Stammer ? " rief jetzt Ferdinand , " Euer Sohn , der ist schon recht , und die Leute haben ihn gern . "
Und Anna bestätigte den Ausspruch durch ein sanftes Neigen ihres Hauptes .
" Wohl ? " lächelte der Heidebeter , " wenn es aber nicht wäre , ich wollte keine Schuld haben - habe ihn oft ermahnt .
- Schon als Halterbübel hat er mit dem Zeug angefangen .
Mein Weib , das hat so schön singen können - "
Der Alte bückte sich wieder , um an seinen wuchtigen Schuhen zu Riemen .
" Die Weisen ( Arien ) hat sie all von ihrer Mutter her noch gewußt , aber es Lied ( den Text ) hat sie bisweilen deutsch vergessen gehabt .
Ist euch nicht der Gabriel da und hat zu den alten Weisen neue Lieder gemacht ?
Wir haben uns hell verwundert ; lauter Muttergotteslieder sind es gewesen und fromm dabei , daß einem das Wasser in die Augen gekommen ist , und sein alter Schulmeister gesagt hat : Hätten wir_es Geld , der Bub müßt was studieren . "
" Und Ihr habt ihn ermahnt ? " fragte der alte Ferdinand .
" Deswegen nicht " , antwortete der Weißkopf .
" Na , wie halte der Bub größer wird , ist er mir liederlich worden , heißt das , mit seiner Dichterei ; da hat er - wollte die Jungfrau nicht so gut sein und in die Lauben hinausschauen gehen , mich deucht , es ist die Geiß beim Mehlsack . "
Anna stand auf , blickte von einem Alten auf den anderen und wußte nicht , was sie tun sollte .
" Bleibe nur da , " sagte Ferdinand , die Sache durchschauend , " es wird nichts Ungebührliches sein , was der Vater Stammer erzählt ! "
" Weiß es nicht ! " sagte dieser kleinlaut .
" Nicht lang , so hat der Junge lauter Vierzeilige gedichtet ; aus den Liebfrauenliedern sind Liebsg' sangeln worden , kecke ; und die hat ihm das junge Volk nachgesungen , zuerst , glaube ich , in der Stadt drin , und jetzt auch schon im Hinterwald , in Karnstein , auf dem Seeboden bei den Sennhütten , in den Schroffen , überall , höre ich , täten sie die nichtsnutzigen Gesangelen von meinem Buben singen . "
" Nichtsnutzig ? Nein , " sagte Ferdinand , " die Lieder sind gedruckt worden . "
" Das ist ja noch das Schlechteste , " versetzte der Heidebeter , " daß sich auch die hohen Herren um so was annehmen .
Wird mir der Bub Vorzeit mit Herrenleuten bekannt , und so weit ist es gekommen , daß er ganz fort ist von heim , daß er in die Stadt studieren gegangen und nur zur Sommerszeit im Gebirge herumstreift - weil er es doch nicht vergessen kann .
Ja , habe ich gesagt , studiert er , so wird er wohl gescheiter werden .
Jetzt treibt er es erst recht . "
So der Weißkopf , und inzwischen hatte er mehrmals mißtrauisch auf den Schinken gelugt , der ein wenig aus dem Papier hervorguckte .
Als jetzt der Graue anhob , mit kühnen Schnitten Stücke davon loszutrennen und auch den Peter dazu einlud , sprang dieser auf und sprach :
" So !
Jetzt weiß ich_es , wie_es mit meinem Sohn steht ; lutherische Leute ' haben ihn gelobt .
- Geht mir weg ! " rief er aufgeregt , " ihr seid lutherische Leute !
Heute Fleisch essen , heute , am heiligen Freitag ! "
Da blickten sich die beiden Reisenden verblüfft an .
Dem Mädchen war , als müsse es vor dem Erzürnten auf die Knie fallen .
Ferdinand der Graue aber verlor die Fassung nicht .
- " Freitag ! " rief er , " köpfen will ich mich lassen , wenn heute Freitag ist ! -
Und es wäre ? es wäre richtig ? -
- Du elendiglicher Knochen !
Deinetweg das Gebot zu übertreten ! "
Er faßte den Schinken und machte Miene , ihn zur Tür hinauszuschleudern .
" Nein , " sagte er dann gelassener , " du guter Brocken kannst nichts dafür , der Freitag ist daran schuld , zum Sonntag kommst du aber dran , verlaß dich drauf . "
Er schob den " guten Brocken " in die Ledertasche und trank Wein .
Und der Peter war durch die so sichtbar zutage getretene Selbstentrüstung besänftigt und beruhigt und trachtete nun , seinen Gästen durch einen Eierkuchen Entschädigung zu bieten .
Ferdinand mahnte zum Aufbruch .
Anna wäre lieber noch ein wenig sitzengeblieben und hätte für ihr Leben gern gefragt , was der Herr Sohn , wenn er daheim sei , denn treibe , wo er herumgehe und mit wem , auf welchem Platz er am liebsten sitze , ob er auch etwas esse usw .
- Sie brachte dazu aber den Mund nicht auf .
Sie blickte in der Stube umher und suchte in Gedanken jeden kleinen Gegenstand mit dem Sänger und seinen Liedern in Verbindung zu bringen .
Etliche Strohhalme aus dem Bettschaub wollte sie zupfen zum Andenken an dieses Haus .
Vielleicht hatte Gabriel Stammer diese Halme selbst geschnitten auf dem Felde , er soll ja gern noch manchmal den Pflug und die Sichel führen ; vielleicht hatte er sogar einmal auf diesem Schaube geruht .
Doch sollte das schwärmerische Kind zu was Besserem kommen .
Auf einem Wandnagel hinter dem Ofen hing ein alter halbverwitterter Hut mit grünem , verschlissenem Bande , schwer und breitkrempig und mit schwammigem Filze .
Im Bande steckte noch eine kecke Hahnenfeder und ein borstiger Gamsbart .
" Welcher Waldteufel hat denn das getragen ? " fragte Ferdinand , mit der Stockspitze den Filz betupfend .
" Der da , " sagte der Peter , " der gehört meinem Sohn - heißt das , jetzt tragt er ihn nimmer viel , es sind schon die Schaben dran , und man muß ihn wegwerfen . "
Er schickte sich an , dieses Vorhaben sofort auszuführen .
" Je , Vetter ! " sagte der Graue , der ein Zupfen seiner Genossin am Rockschoß wohl wahrnahm , " wenn Ihr das Kleidungsstück wegwerft , so hebe ich es wieder auf , und Ihr geht leer aus .
Ich gebe Euch daher den guten Rat : Verkauft mir den Hut ! "
" So , so , " antwortete der Heidebeter darauf , " Ihr seid so einer , der alte Kleider zusammenkauft .
Nun , wartet ein wenig , 'leicht finde ich noch mehr solche Sachen . "
Hellauf lachte Ferdinand .
Es lag ihm wohl daran , die Mutmaßung des Bauers zu zerstreuen , doch erstand er den Hut und setzte denselben scherzend Annen auf das Köpfchen .
Als das Mädchen nun aus diesem Hause wieder davongehen sollte , war es in einer großen Bedrängnis .
Endlich wagte es etwas .
Ganz in der Nähe zum alten Vater stand es , drückte warmherzig dessen Hand , und mit errötendem Antlitz preßte es in dieselbe ein Papierschächtelchen :
" Zu einem ganz , ganz kleinen Angedenken . "
Der Alte meinte , es wäre gewiß ein Heiligenbildel drin und bedankte sich gar schön .
Als aber die Fremden fort waren und er das Schächtelchen öffnete , fand er in demselben , auf schneeweiße Baumwolle gebettet , drei funkelnde Kreuzer , wovon jeder genau so aussah wie der Dukaten , den vor Wochen erst ein Kohlenmann mit in die Einöde gebracht und unter den Waldleuten herumgezeigt hatte .
Der Alte schlug die Hände zusammen :
" Drei Dukaten für eine Schale Milch !
Wer sind diese Leute gewesen ? "
Das Blümchen wollte er entfalten Als unsere beiden Reisenden das alte Heidehaus verließen , hoben schon die Schatten der Bäume und der Berge zu wachsen an .
Der graue Ferdinand war ein wenig hinkend geworden , jedoch trillerte er allerlei Waldliederfragmente und war guter Dinge .
Auch gab er sich mit der goldkronigen Arnika und mit dem wilden Wegerich ab ; er rieb sich mit diesen Kräutern die Glieder - das sei gut gegen das Alter .
Anna ging still hinter dem Alten her und blickte zu Boden .
Das zierliche Strohhütchen hatte sie mittels seines blauen Bandes an den Arm gestreift ; auf dem Haupte , über den weichen , stets gelösten Locken , trug sie den schweren , häßlichen Hut aus dem Waldhause .
Er drückte sie , er ängstigte sie schier , aber sie wollte ihn nicht lassen .
Das war ja des Lieblingssängers Hut , ein ehrwürdiger , aber auch ein unheimlicher Hut .
Das Mädchen war nicht ganz so heiter als am Vormittag .
Der Wunsch war jetzt erfüllt , sie hatte die Einödwälder und Gabriel Stammers Geburtshaus gesehen ; ja noch mehr , sie trug von der ihr so merkwürdigen Stätte Reliquien mit sich .
Und dennoch hatte Anna das Gefühl der Befriedigung nicht in ihrem Herzen .
Am Bache dahinschreitend , sah sie zuweilen ein rotgesterntes Forellchen im braunklaren Wasser schwimmen .
Sie erschrak vor dem sausenden Fluge der buntfarbigen Libellen ; sie ergötzte sich an den flinken Bachstelzen , die über das schimmernde Weidegebüsch schwirrten , aber sie konnte nicht mehr recht in die helle Lustigkeit kommen , die sie sich vorgenommen hatte auf ihrer Gebirgsreise zu hegen .
Morgen soll sie ja schon wieder in das schwüle , staubige Gewirre der Stadt hinein , und der Traum von den schönen Einödwäldern war vorbei .
Die Meisen und Goldhähnchen hatten freilich lustig hüpfen in dem dämmerigen Astgeflechte des Waldes ; das Dröschen sang auf dem höchsten Zweig der Wipfel - sie alle konnten ja in den Wäldern verbleiben .
" Ferdinand , " sagte Anna plötzlich , " hast du es bemerkt , wie der alte Vater Stammer seine Schuhe zugeriemt hat , wenn von seinem Weibe die Rede war ?
Ich habe es gewahrt , daß die Riemen gar nicht lose gewesen sind ; er hat sich nur gebückt , um uns seine Augen zu verbergen .
Die lieben Leute müssen sich wohl sehr gern gehabt haben ! "
" Je nun , " sagte der Graue , " eine bessere Ehe mag es schon gewesen sein als die des Grafen Franggi , der vor einigen Tagen in den Zeitungen bekanntmachen ließ , daß seine kleine Gemahlin , die auf den Ruf Maribella höre , sich verlaufen oder verfahren habe , und daß der redliche Finder gebeten werde , dieselbe gefälligst als Belohnung für sich zu behalten - "
Das Mädchen hielt dem Begleiter rasch die flache Hand vor den Mund :
" Ich bitte dich , verdirb mir mit so Reden den Wald nicht . . . "
Ferdinand schwieg denn .
Ein Weib war am Wege beschäftigt , wucherndes Erlengebüsch abzuhauen .
" Muhme , wollt Ihr uns Geleitschaft geben nach Karnstein ? " redete sie der Alte , um etwas zu sagen , freundlich an .
" Hab ' nicht die Zeit " , war ihre Antwort .
" Wenn die Herrenleut ' aber einen Kameraden haben wollen , just vor ein Fingerlang ist - glaube , er wird es gewesen sein - der Förster des Weges gegangen .
Kann nicht mehr als drei Büchsenschuß voraus sein . "
" Na , den Mann werden wir einholen .
Guten Tag , Muhme ! "
Sie schritten fürbass .
Sie gingen eine lange Strecke durch Schatten , zuweilen ein goldiges Sonnenbändchen überschreitend , das quer über dem Wege lag .
Der Wanderer versteht die Zeichen nicht zu lesen , die in weihevollen Stunden seinen Pfad umgaukeln , arglos schreitet er der Erfüllung entgegen .
Sie kamen auf einen kleinen , von sehr hohen Tannen und Lärchen umstandenen Anger .
Auf dem Grase stand das Maßlieb mit seinen schneeweißen und rosenroten Blättchen .
Grüngliedrige Heupferdlein schnellten keck darüber hin , an den Baumkronen schwamm ein weißer Schmetterling wie die losgelöste Blüte eines Schlehdornes .
Am Rande dieses Angers - über welchen die durch das Gestemme funkelnde Sonne einige Strahlenlinien goß - weilte eine Mannesgestalt .
Sie kauerte auf dem schattigen Grunde und bewegte sich kaum .
Der so Ruhende war auf das rechte Knie niedergelassen , stützte seinen vorgebeugten Oberkörper auf den linken Fuß und hatte sein Gesicht zur Erde gekehrt .
- Unsere Wanderer mußten ganz nahe an ihm vorüber und konnten ihn wohl beobachten .
Er war in dunkelgrauer Kleidung , die Lodenjacke war mit grünem Tuch besäumt .
Ein Bergstock und ein Alpenhut lagen im Grase .
Die braunen Locken des Mannes waren wirr und dicht ; das jugendliche Antlitz war etwas gebräunt und im Augenblick gerötet ; auch war es durch ein leichtes Bärtchen beschattet .
Dem schier mattgetragenen Anzuge nach hätte man die Erscheinung wohl für einen Holzschläger oder Hirtenburschen halten mögen , jedoch der feinere Wollkragen am Hals deutete mindestens auf einen Förster oder dergleichen hin .
Er bemerkte die beiden Wanderer , die leise den Moosweg herankamen , nicht ; er war in ein sonderbares Geschäft vertieft .
Aus dem Grase wuchs ein verspätetes Veilchen hervor , das seinen zarten Kelch noch nicht geöffnet hatte .
" Dir ist ja kühl im Walde , " flüsterte der junge Mann wie scherzend dem Blümchen zu , " die Sonne sucht dich nicht und findet dich nicht .
Halte einmal , vielleicht geht es so . "
Und er beugte sich über das Pflänzchen und suchte mit der Wärme seines Atemhauches den Kelch des Veilchens zur Entfaltung zu bringen .
Schon dünkte ihn , das Knospchen wolle sich zu lösen beginnen , da hörte er die Schritte .
Er erhob sich und stand vor dem grauen Alten und vor dem jungen Mädchen mit dem häßlichen Hut .
Der Alte neigte lächelnd seinen Kopf zum Gruße ; das Mädchen tat sein großes helles Auge gegen ihn auf - dann wollte es an ihm vorübergehen .
" Gar nicht ein bißchen müde ? " sagte der junge Mann .
Da meinte Ferdinand in seiner Leutseligkeit , sie könnten sich ja wohl ein wenig auf das Gras niederlassen .
Er tat es und reckte bald alle viere von sich .
Anna blieb stehen und blickte einer Ameise zu , die - gewiß den seltsamsten Weg ihres Lebens - über der Städterin weiches Samtschühlein lief .
" Mein Fräulein ! " sagte der junge Mann , sich artig verbeugend , " am Ende haben Sie mich belauscht , als ich vorhin den Frühling spielte ; dieses herzige Blümel wollte ich entfalten " - er pflückte das Veilchen - , " aber ich merke wohl , ich bin nicht zum Schöpfer geboren .
Vielleicht behagt es der kleinen Blume bei Ihnen besser , wenn sie angenommen würde ? "
Er hielt ihr zierlich mit zwei Fingern das Pflänzchen hin .
Sie wollte nach demselben greifen , aber ihre Hand und ihre Augenlider sanken .
" Ich bitte ! " versetzte der Fremde kühn , " oder denken Sie , für Blumen gehöre ein Körbchen ? "
Anna nahm das Veilchen .
Ferdinand war davon so überrascht , daß er wie eine Bildsäule dastand .
Dieser kecke Bursche da mit seiner sonderbaren Anrede !
Und dieses sonst so spröde Mädchen !
" Ich habe gemeint , Sie wären ein Jägersmann oder dergleichen , " sprach er mit unverhohlener Neugierde , " aber Sie tun mir viel zuviel mit Blumen um . "
" Warum just ein Jägersmann ?
Sehe ich denn so mörderisch aus ? " lachte der andere , " fiele es Ihnen nicht gescheiter ein , daß ich ein Waldgärtner wäre , der die Wesen lieber belebe als sie töte ? "
" Der Herr Förster also ! " sagte der Graue und rückte mit Respekt sein Hütchen .
Der Förster denn wendete sich wieder zum Mädchen :
" Es scheint zwar , als treibe die zarte Touristin sich noch nicht lange in den Wildnissen um , und doch macht sie schon die Waldmode mit . "
Er deutete auf den alten Wetterhut .
Jetzt hatte Anna Mut bekommen . -
Der will sich lustig machen über den Hut ?
" Sie mögen vielleicht keinen solchen Hut haben , Herr Förster , " sagte sie , dem Manne ins Gesicht blickend , " das ist der Hut des . . . "
Sie sprach_es nicht aus .
" Haben ihn auch auf redlichem Wege erworben , " warf Ferdinand halb scherzend ein , " wir sind eigens von der Stadt gekommen und haben das Heidehaus besucht , wo der Sänger von den - den - "
" Waldliedern " , ergänzte Anna .
" Geboren worden ist - " , schloß der Alte .
Sie machten sich wieder auf den Weg .
Der Waldgärtner bat mit leichter Höflichkeit , sich anschließen zu dürfen .
Er schritt neben dem Mädchen her .
Sein Benehmen war offen , heiter und unbefangen , und bald waren sie zusammen durch ein fröhliches Gespräch verwebt .
" Sie wären wirklich des alten Heidehauses wegen den weiten Weg von der Hauptstadt in die Einöde gekommen ? " fragte der Förster .
- " Ja " , sagte das Mädchen .
" Sie sind wohl die einzigen zwei , die auf solchen Einfall kamen .
Sind Sie mit Ihrer Berg- und Waldfahrt auch zufrieden ? "
" Oh , sehr zufrieden , " antwortete Anna , " nur habe ich nach allem , was ich über die Einödwälder gelesen , mir diese Gegend anders vorgestellt . "
" Haben Sie denn so vieles über diesen Wald gelesen ? "
" Sie kennen gewiß alles , Herr Förster , was Gabriel Stammer darüber geschrieben hat ; Sie singen doch auch seine Waldlieder ? "
" Die Sachen sind mir nicht unbekannt , " versetzte der junge Mann , " doch , mein Fräulein , wer im Walde lebt wie ich , und seinem verborgensten Weben und Walten zu lauschen Gelegenheit hat , und wer seine Lieblichkeiten , seine Gewalt , seine Schrecknisse im Laufe der Jahreszeiten erfährt , den können die Waldlieder nicht befriedigen .
In den Liedern kommen doch nur Stimmungen des Poeten mittelbar zum Ausdruck ; ich ziehe es vor , mir die Stimmung und Schönheit gleich aus erster Hand der Natur zu holen . "
Gelassen sagte Ferdinand :
" es ist die alte Geschichte .
Der Prophet wird in seinem Vaterlande nicht geachtet . "
Anna fühlte sich seltsam verletzt , daß der Förster ihre Begeisterung für den Lieblingssänger nicht teilte .
Es war ihr das vielleicht oft schon geschehen , aber gerade heute tat es ihr weh .
- Eine Weile ging sie schweigend neben den beiden Männern her .
Da tat der junge Förster die Frage :
" Mein Fräulein , Sie scheinen von Stammers Liederbüchlein eine gute Meinung zu haben ? "
Das Mädchen zögerte mit der Antwort .
" Es ist ihr Gebetbuch " , beschied Ferdinand .
" Warum nicht ? " sagte Anna , " Stammers Lieder haben mich oft genug erbaut , haben mich gelehrt , die Natur und die Natürlichkeit zu lieben . "
" In diesem Falle hätten Sie dem Verfasser allerdings ein großes Gut zu verdanken , " sprach der Förster , " doch - vergeben Sie mir - Fräulein - ein natürlich geartetes Wesen wäre auch ohne Waldlieder der lieben Natur treu geblieben . "
" Auf dem Lande , denke ich , wäre das keine Kunst , " meinte Anna , " allein in der Stadt und in Kreisen , in welchen man leben muß , ist vieles nicht echt . "
" Ei nein ! " versetzte der Förster höflich .
" Und doch , " sagte sie , " nicht aber , als wären es die Kreise der vornehmen Welt .
Mein Vater ist Kaufmann - "
Ferdinand hob bei diesen Worten seine waagerecht gehaltene Hand hoch über das Haupt empor , als wollte er sagen : Und was für einer !
" Mein Vater ist Kaufmann " , fuhr das Mädchen in seiner treuherzigen Offenheit fort .
" Ich bin nicht viel in die ländliche Natur gekommen ; ich mußte lernen .
Habe aber meinen Lehrern niemals viel Vergnügen gemacht - gelt , Ferdinand ? "
" Warte , so will ich dich aber recht schwärzen ! " sagte der Alte .
" Anstatt fleißig Französisch zu lernen , las sie die Dichter ; wenn sie am Klavier sitzen sollte , spielte sie auf der Zither Volkslieder , Kirchenlieder .
Sollte sie hübsch die Tanzschule besuchen , so lief sie in den Waisenhausgarten und gab sich mit den Kindern ab .
Ihre Freude waren die Trauerspiele im Theater und die Kirche mit der Orgel und den Gesängen .
- Eine schöne Aufführung das für ein junges Mädchen ! "
Man merkte es aus Ton und Miene des Alten nur zu gut , wie sehr er im Innersten mit den Neigungen seines Schützlings einverstanden war .
" Ich kann nichts dafür , " sagte Anna leise , " es hat mir oft weh getan , wenn ich hören mußte , ich wäre anders , als Mädchen meines Alters sein sollten . "
Plötzlich erschrak sie jetzt ; sie nahm wahr , daß ihr linker Arm in dem des Försters ruhte .
Der Weg war uneben und steinig , und so hatte sich der junge Mann stillschweigend als Stütze erboten .
Anna wurde befangen , wagte es aber nicht , ihre Hand von der des Försters loszumachen .
" Sie sollten mir noch ein wenig von sich erzählen " , bat er in weichem Tone .
" Oh , sie weiß schöne Geschichten !
Etwa die vom Kloster ! " rief der Graue boshaft dazwischen .
" Vom Kloster ? " fragte der Förster , " Sie waren doch nicht schon im Kloster , mein Fräulein ? "
" Ich wollte aber hinein ! " antwortete Anna ernsthaft .
" Meine Eltern hätten mich kaum davon abzuhalten vermocht .
Ich ginge vielleicht heute nicht durch diesen grünen Wald , sondern wäre eine graue Schwester , hätte mich Gabriel Stammer nicht davon abgehalten . "
" Wie ? " fragte der Förster .
" Seine Waldlieder sind mir in die Hand gekommen .
O Gott , ich habe sie wieder und immer wieder gelesen , und da habe ich eine neue Welt gefunden .
Liebe und Leben in der Natur , und einfache Sitten , Redlichkeit und Herzenstreue , und frohen Genuß eines mutfrischen Lebens - das alles sieht man und kommt einem ins Herz , wenn man die Waldlieder liest . -
Meine Eltern sind auch so und waren dem Sänger dankbar , der mich bekehrt hatte .
Ja , sie freuten sich selbst an den Dichtungen .
Wir wollten den Verfasser sogar einmal in unser Haus laden , doch man sagt , er gehe in keine Gesellschaft .
Er soll zwar viel in der Stadt leben , aber ich habe noch nicht das Glück gehabt , ihn zu sehen . "
Der Graue war etwas zurückgeblieben , um sich einen Weißbirkenstock zu schneiden .
Die beiden gingen allein des Weges .
Der Förster hatte auf die obigen Worte keine Bemerkung gehabt .
Er machte nur seine grünlich-grauen Augen weit auf und blickte das Mädchen an .
Da sah er , daß das junge Veilchen , welches an einem Henkelchen ihres Busenkleides steckte , Miene machte , sich zu entfalten .
Er sagte nichts ; sie gingen Arm in Arm still nebeneinander hin .
Einmal bückte sich das Mädchen , um einen schimmernden Reifen vom Boden aufzuheben .
Der Förster hielt sie mit kräftigem Arm zurück , da war der Reifen schon lebendig geworden und glitt schlängelnd und züngelnd ins Gebüsch .
" Sie sehen , mein Fräulein , " sagte der Waldhüter , " auch die Einödwälder sind nicht ganz so harmlos , als sie etwa aussehen mögen .
Es gibt nicht allein gemütliche Singdrosseln in ihnen , sondern auch giftige Kupfernattern . "
Da schmiegte sich das Mädchen wie ein geängstigtes Kind schier ein wenig inniger an des Begleiters Arm . -
An dem roten Kreuze waren sie längst vorüber .
Der Graue trottete mehrere hundert Schritte hinter ihnen her und schnitt mit seinem Taschenmesser die Zweige von dem silberweißen Stab der Birke , den er sich als Andenken an die Einödwälder mit nach Hause nehmen wollte .
" Und wie kommt es denn , Fräulein Mildau , " fragte der Förster , der mittlerweile auch ihren Namen erfahren hatte , " daß Sie mit diesem alten Herrn allein reisen ? "
" Weil er ein Mensch ist , der Geduld hat " , sagte Anna .
" Er hat mich als kleines Kind auf den Händen getragen .
Wir zwei verstehen uns , ich habe ihn lieb .
Er ist der Jugendfreund meines Vaters und lebt seit vielen Jahren in unserem Hause .
Mein Vater oder meine Mutter konnten mich nicht begleiten ; mein einziger Bruder ist zurzeit in London .
Sonst habe ich keine Geschwister , und so ist der Ferdinand mit mir gegangen . "
" War Ihr Herr Vater mit der Partie in die Einödwälder gern einverstanden ? "
" Oh , " sagte das Mädchen heiter , " jetzt hätte er es wohl gern hintertrieben , aber ich habe ihn beim Wort genommen , das er mir schon vor fünf Monaten gegeben hat . -
Jetzt möchte ich aber doch einmal sehen , ob da oben keine Erdbeeren wachsen ? "
Schon war sie im Gehege .
Sie wollte nämlich auf Ferdinand warten , fand aber wirklich Erdbeeren .
Ferdinand kam heran und schritt mit dem Förster langsam weiter .
" Ich wundere mich immer noch über Ihre Partie in diese Gegend " , sagte letzterer .
" Ich auch , " antwortete Ferdinand , " es ist eben eine Grille von meinem gnädigen Fräulein .
Sie glauben es nicht , was in ihm steckt .
Hören Sie nur :
Im Karneval des vergangenen Winters wollte Herr Mildau seinem Töchterlein zu Ehren einen Hausball geben .
Derlei liebe sie nicht , sagte die Kleine und dankte .
Hierauf ist ihr die Wahl freigestellt worden , ob sie als Ersatz für das Ballfest eine Jahresloge im Theater haben möchte , oder ob sie eine Reise machen wolle , oder irgend etwas anderes wünsche .
Da ist sie nun mit ihrem Herzenswunsche herausgerückt : ins Gebirge , wo die Lieder entstanden , in die Einödwälder möchte sie gern gehen , wenn der Sommer käme .
Herr Mildau hat über die schlechte Wahl gelacht und den Wunsch dem Töchterlein gewährt .
So sind wir gekommen , die Heimat von diesen vertrackten Waldliedern zu sehen . - Aufrichtig gesagt , der törichten Verse wegen hätte ich meine alten Füße nicht mehr strapaziert ; aber der kleinen Fee kann man nichts abschlagen .
Und heute geht ihr das Herz über .
Ich erkenne sie kaum wieder . "
Die letzten Worte mußten schon leise gesprochen werden , da das Mädchen bereits heraneilte .
Es hatte eine schlingende Efeuranke in der Hand .
" Welcher von uns wird bekränzt ? " scherzte der Förster .
" Das kommt auf das Grab seiner Mutter " , sagte Anna , gegen den Alten gewendet .
Dann zum Waldmann :
" Sie haben die Frau gewiß recht gut gekannt - Stammers Mutter , die im vergangenen Sommer verstorben ist ? "
" Wohl - ich habe sie gekannt " , antwortete der Förster .
" Das muß eine brave Frau gewesen sein .
Ich kann ihr nicht danken für die Freuden , die ihr Sohn mir bereitet hat , so will ich ihr Grab bekränzen . "
Der Förster schwieg .
Er führte das Mädchen , an dem sich Sinnigkeit und Einfalt in so eigener Weise paarten , wieder am Arm , schritt nun aber selber fast unsicher dahin und sagte lange kein Wort .
Als sie zur Quelle kamen , bei welcher am Vormittag gefrühstückt worden war , setzten sie sich auf das moosumwobene Gestein , und Ferdinand hatte Durst .
Es war aber kein Becher da , um Wasser zu schöpfen .
" Wenn Sie nach der Wäldler Sitte trinken wollen , " sprach der Förster zum Alten , " so ersuchen Sie das Fräulein um den vornehmen Hut . "
- Er nahm ihr sanft den alten Filz vom Haupte , bog die breite Krempe desselben zu einer Rinne , ließ darauf das Wasser rieseln und hob nun das seltsame Gefäß dem Alten an den Mund .
" Ja , so trinken wir im Walde . "
Aus solchem Becher gelüstete es auch das Mädchen zu trinken .
Es tat einen langen Zug und hat dabei vielleicht des Mannes gedacht , dessen Haupt von diesem Hut beschirmt worden war .
Sie trank ihm insgeheim Gesundheit zu und ein langes , glückseliges Leben . . .
Dann gingen sie wieder und redeten über vielerlei Dinge .
Der Förster erklärte die Pflanzen und Tiere , die Täler und Berge , die sie sahen .
Ohne jegliche Ziererei führten sie die Gespräche wie alte , vertraute Bekannte .
Als sie zur Lichtung kamen , wo man in das schöne , breite Tal hinaussah , blaute in diesem schon der Schatten , und nur auf den Kuppen der Berge leuchtete der rote Sonnenschein , anders rot als am Morgen , und auch an ganz anderen Gipfeln .
Die feierliche Stimmung des Abends lag über der Gegend .
Und als unsere Wanderer zur Stelle kamen , wo der Fußsteig gegen die Wiesen hinaus abbog , und wo auch andere Wege nach verschiedenen Richtungen hin abzweigten , blieb der Förster plötzlich stehen .
" Mein Fräulein !
mein Herr ! " sagte er , " da Sie nach Karnstein hinaus wollen , so müssen wir uns hier trennen . "
" Ach schade ! " versetzte der Graue , " wir hätten gemütlich weitergeschwatzt .
Wir haben eine freundliche Bekanntschaft gemacht . "
Anna Mildau sagte leise : " Der Rückweg war kurz . "
" Halten Sie einem ungeschlachten Wäldler manches zugute , " sprach der junge Mann , " und lassen Sie sich die Einödwälder nicht verdrießen ! "
" Kommen Sie einmal in die Stadt , Herr Förster , so besuchen Sie uns " , lud Ferdinand ein .
Der Förster blickte fragend in die großen Augen des Mädchens .
" Ich würde sogar nicht leer kommen " , sagte er schalkhaft ; " wenn ich auch nicht ganz der begeisterte Verehrer des Sängers der Waldlieder bin wie eine einzige seiner anmutsvollen Leserinnen , so bin ich doch gut Freund mit dem Landsmann Gabriel Stammer , und ich besuche ihn jedesmal , sooft ich in die Stadt komme .
Und da wir drei nun auch Bekannte geworden sind - so könnte ich den Mann ja wohl in Ihr Haus mitbringen ? "
" Ich bitte Sie , nein ! " rief Anna erschrocken , " ich fürchte mich vor ihm und brächte kein Wort hervor , und - und er ginge Ihnen auch nicht mit .
Er ist gewiß nicht wie andere Menschen . "
" Dann ist es besser , Fräulein Mildau , ich führe ihn nicht bei Ihnen auf , " sagte der Förster , " Sie könnten enttäuscht sein ; es ist unangenehm , wenn ein schönes Ideal zum Staube der Gewöhnlichkeit herabsinkt .
Stammer ist , wie andere Menschen auch sind .
Ich kenne ihn von Jugend auf , ich habe nie etwas gegen ihn gehabt , aber das mögen Sie mir glauben , er hat Vorzüge und Schwächen , wie sie an anderen Leuten eben auch zu finden sind , und nur so müssen Sie sich ihn denken , wenn Ihnen an der Wirklichkeit dieses Poeten gelegen ist . -
Und nun leben Sie recht , recht wohl ! "
Mit beiden Händen hatte er des Mädchens Rechte gedrückt .
Dann war er , ohne noch einmal umzusehen , seitab über die Wiesen gegangen .
Anna war noch ein Weilchen stillgestanden und hatte dem Dahinschreitenden nachgeblickt .
Ferdinand mußte sie am Kleide zupfen . -
Gar schweigsam schritt sie neben dem treuen Begleiter hin über die Au , deren Gräser schon abendlich feucht wurden . - -
Wie ist das nun so seltsam gewesen ?
Ein weltfremder Mensch tritt er heran , ein weltfremder Mensch geht er wieder seiner Wege ; und sie , die sonst so schüchtern , so schweigsam , ist an seiner Seite gegangen , hat mit ihm treuherzig geplaudert .
Was haben ihr die Einödwälder für einen Streiche gespielt !
Sie fragte den alten Gefährten :
" Ferdinand , ist es doch nicht unschicksam gewesen ? "
" Nun , zu wortkarg warst du gerade nicht ! " antwortete der Graue , " übrigens ein ganz netter Mensch ; das Sprichwort sagt wahr :
Es ist auch im Walde nicht alles Tier , was brummt .
Je nun , Förster müssen auch ihre Schulung haben .
Das eine muß ich aber wohl sagen , wenn der alle Waldgewächse mit seinem Atem aufziehen will , so wird er nicht weit kommen . "
Dem Mädchen war kaum wohl ums Herz .
Der Frohsinn war ganz weg .
Hob der Alte mit knarrender Stimme an zu singen : Der Weichselbau'rn-Sohn Ist ein gar schlimmer Bua , Dirndl , ich rat' dir es .
Sperr es Türl zu !
Anna dachte jetzt an den Sänger nicht ; sie senkte das Auge .
Da erblickte sie das Veilchen an ihrer Brust ; das Blümlein , welches er , der Förster , angehaucht und gepflückt und ihr geschenkt hatte .
Und die Knospe war ein wenig aufgeblüht . . .
Ich fürchte mich vor diesem Licht !
Wieder im Dorfwirtshause zu Karnstein .
Der gute Ferdinand Küßdenker lag zusammengekauert unter seiner kühlen Decke und schnarchte .
Er empfand es zur Stunde nicht , wie der Bergmarsch noch in den Beinen gellte .
Anna , vom Stundenrufe des Nachtwächters geweckt , stand am Fenster und blickte in die Nacht hinaus .
In ihrem Haupte , an dessen Lockenhaar die Nachtluft hinstrich , waren allerlei ruhelose Gedanken und Träume .
Unten vor dem Hause rieselte der Dorfbrunnen ; sein Rauschen war jetzt viel lauter als am hellen Tag .
Sonst war alles so geruhsam .
- Die Leute schlafen ; die Tage sind lang , heiß , die Arbeit ist mühevoll .
Manche Dienstmagd ist eingenickt , ehe das dritte Vaterunser ihres Abendsegens zu Ende , manchem Knecht in der Scheune sind die Augen gesunken , die Lippen erlahmt , bevor seine Tabakspfeife zur Neige gekohlt hatte . . .
Über den finsteren Brettergiebeln der Häuser und über den dunklen Waldbergrücken glimmen , funkeln hell und matt , groß und klein die Sterne des Himmels .
Wie sie schön sind , wie sie lächeln !
An ihnen ist alles Licht und Freude und Liebe .
Bei ihnen ist Frieden in Ewigkeit .
Anna MiIdau schaute in jener schwermutsvollen Nacht zu den Gestirnen .
Es war ihr ganz anders als sonst .
In einem der Giebeldächer des Dorfes glüht ebenfalls ein Sternlein .
Es ist - das Mädchen wendet sinnend seinen Blick dahin - wie ein Johanniswürmchen , so klein , so zart , und jetzt hebt es an zu flattern .
Sie schaut scharf hin , sie kann ihr Auge nicht wenden von diesem Sterne .
Jetzt legt sie die Hand über ihr Gesicht , und mit zagender Stimme ruft sie aus : " Ferdinand !
Schau !
Ich fürchte mich vor diesem Licht ! "
An dem glühenden Würmchen beginnt , in der Richtung wie die Dachfuge geht , ein roter Faden zu wachsen .
An dem gegenüberliegenden Dache zuckt ein Schein ; rasch mehren sich die glühenden Linien , rasch dehnen sich die hellroten Täfelchen .
Ein gebrochener , gedämpfter Schrei wird gehört im Orte , da bricht an jenem Giebel plötzlich die blendende Lohe hervor .
" Feuer ! " schreit in der Ferne eine heisere Stimme .
" Feuer ! " ruft mit aller Kraft ein Mann und rennt die Gasse herauf und dem Glockenturm zu .
An einigen Häusern fliegen die Fenster auf , in anderen knarren die Türen .
Oben leuchtet es hin über den Dächern wie Alpenglut ; die geröteten Wirbel des Rauches fliegen über das Dorf und verdecken die Sterne .
" Feuer ! " schreit es in allen Winkeln .
" Wasser ! " lärmt es an allen Enden .
Nach Hilfe rufen halbnackte Menschen , die auf den Gassen planlos hin und her hasten .
Da schallt die Glocke .
Anna hat den Alten gerufen :
" Eilends stehe ' auf !
Da ist dein Rock . "
Hastig wollte sie die Treppe hinabeilen , aber diese war verrammelt , zwei heulende Mägde waren mit einem Kleiderkasten darin steckengeblieben .
Ferdinand stürzte zum Fenster , rüttelte am Gitter , da kam der Kirchenschneider mit einer Holzaxt aus der Oberstube und zertrümmerte den Kasten auf der Treppe .
Mitten durch die Trümmer des Schrankes , durch der Mägde Flachsvorrat und Sonntagsröcke kollerte Ferdinand , seinen Schützling im Arme , die Stiege herab , zur Tür hinaus , da flogen ihm schon die Funken entgegen .
Man meint , es wäre eine windstille Nacht gewesen , aber nun brüllt und dröhnt im Feuer ein Sturm ; hoch über die Gipfel peitschen die Flammengarben , und hin über die Dachungen sinken sie mit Knattern und Prasseln .
Leute eilen mit rostigen Wassereimern ; eine einzige Feuerspritze gießt ihren Strahl auf die dröhnenden Bretter , das wilde Element eher noch reizend als dämpfend .
Der Brunnen ist bald ausgeschöpft .
Oben in der Wiesenmulde ist der Teich abgelassen worden ; ein trüber Bach gießt heran durch das Dorf , die Gassen , die Keller überschwemmend .
Darüber doch qualmen die Rauchmassen hin , und der Glutstrom rast über die ächzenden Häuser zu den Fenstern hinein , zu den Fenstern heraus ; bald bricht er durch die Giebel ein , bald brandet er an den Wänden , und wie eitel Stroh vergehen die hölzernen Gebäude .
Ferdinand war bestrebt , Ketten zu bilden , um rasch die Eimer zu fördern , er bat , daß man ihm folge , man hörte ihn nicht ; er kommandierte , er vernahm eine Stimme :
Haben hergelaufene Leute hier zu befehlen ? -
Da hob der Alte entsetzlich an zu fluchen .
Anna hatte einen Melkzuber erwischt und schöpfte damit Wasser und schleppte es zur Spritze hin , aber sie wurde niedergerannt , und das Wasser ergoß sich über ihr Antlitz .
Jetzt ließ sie das Geschirr fallen und suchte die Kinder zu sammeln , die teils in bloßen Hemdchen zwischen den Rädern der Wasserwagen und Möbelfuhren umhertaumelten , und führte und trug sie hinaus in einen Baumgarten , über dessen Kronen und Lauben selbst noch die Funken hinflogen .
Die Leute warfen ihre Habe zu den Fenstern hinaus und ließen sie im Hofe verbrennen .
Die Haustiere wurden aus den Ställen gejagt und liefen mitten ins Feuer hinein .
Endlich war es des erstickenden Qualmes wegen nicht mehr möglich , die Löscharbeiten fortzusetzen : und nur die noch gänzlich verschont stehenden Dächer begoß man mit Wasser .
Die Turmglocken hatten aufgehört zu klagen , denn der Mesner suchte seine kleine Habe zu retten .
Der Himmel war rein , so verkündeten es der Gegend keine glühenden Wolken , was vorging zu Karnstein .
Nur die Röte des aufsteigenden Rauches schreckte die Nachbarsorte auf .
Bis jedoch die Leute herbeizueilen vermochten , war_es zu spät , da leckten aus Mangel an Nahrung die Flammen zumeist nur mehr auf den Aschenstätten , zwischen Ofenmauern und Herdstellen der niedergebrannten Gebäude .
Ein Wald von rostbraunen Schornsteinen ragte noch auf über den träge rauchenden Schutt .
Von der Kirche war ein Teil des Daches herabgebrannt .
Der gemauerte Pfarrhof hatte nur etliche Fensterscheiben eingebüßt ; er und noch wenige abseits stehende Häuschen waren verschont geblieben - als Rest von Karnstein .
Schier größer noch als der Schreck und Schmerz der Verunglückten , war Ferdinands Angst um sein Mädchen .
Es war ihm abhanden gekommen ; ein stürzender Balken konnte es begraben , ein scheues Rind niedergestoßen , das Gewässer konnte es mit fortgerissen haben in den Fluß .
Weinend lief er durch Rauch und Wirrnis , laut verwünschte er diese Fahrt in die Einödwälder ; schon hastete er dem Bahnhofe zu , um an das Haus Mildau zu telegraphieren : Unglück über Unglück !
Kommt doch alle , unser Annchen zu suchen ! -
da wiesen ihm Kinder ihre Spur .
Anna hatte während der Schrecknis die Kinder im Baumgarten bewacht .
Mit ihrer eigenen Joppe hatte sie eines der halbnackten Würmer bedeckt , andere auf ihren Schoß gehoben .
Mit freundlichen Worten und lächelnd und kosend und Märchen erzählend und Lieder trillernd , suchte sie die Kleinen zu beruhigen .
Bei dem Schein des durch das Gestemme herstrahlend Brandes leerte sie die Taschen ihrer Kleider vor den Kindern aus , um sie zu zerstreuen , bot ihre Sackuhr , nahm ihr goldenes Kreuz vom Halse ihnen zum Spielzeug .
Dabei zitterte sie selbst vor Frost und Angst , und still betend hielt sie die Hände zusammen .
Die Menschen hasteten irre und dumpf klagend umher , und jeder dachte sich , der Unglücklichste zu sein von allen .
Da war plötzlich neue Aufregung .
" Verunglückt ist einer ! " hieß es .
" Heidebeters Gabriel ist verunglückt ! " flog es von Mund zu Mund .
- Gabriel , der Waldsing ! -
Auch Anna vernahm bald die Kunde , da verging ihr schier Hören und Sehen .
Seit Stunden hatte sie kaum mehr an den Waldsänger gedacht ; der Förster , die wüsste Nacht hatten sie seltsam genug zerstreut .
Um so greller schlug die Nachricht an ihr Herz .
Der Mann , dessen Namen sie so verehrte , dessen Heimat sie mit der Stimmung und Andacht einer Wallfahrerin besucht hatte - er in der Nähe ?
Und verunglückt ?!
- " Bei der Rettung eines Kindes hat ihn ein stürzender Dachdrämling getroffen ! "
Anna hatte keine Gedanken mehr , sie eilte fort , um etwa helfen zu können .
Weinend und schreiend zappelten ihr die Kleinen nach , hingen sich an ihr Kleid ; so konnte sie die Kinder nicht verlassen .
Jedem Vorüberstürzenden rief sie die Frage zu :
" Ist_es denn wahr ?
Ist es gefährlich ? "
Aber ihre Stimme war allzu verzagt , sie erhielt keine Antwort .
Erst als einige Weiber kamen und mit Freudentränen ihre Kinder unter der Hut der fremden Jungfrau fanden , da ging Anna und suchte den Verunglückten .
Über den Wäldern her schimmerte schon das Morgenrot .
Über den Kornfeldern wirbelten die Lerchen .
Abseits von den rauchenden Stätten , unter einem Apfelbaum , standen Leute in einer Gruppe .
Auf dem taunassen Rasen lag er .
Die Stirnwunde war mit einem weißen Tuch verbunden , an den braunen versengten Locken zitterten etliche Blutstropfen .
Die Augen hatte der Verwundete halb geschlossen , in seinem Antlitz spielte es nicht wie Schmerz , eher wie Behagen . -
Es werde bald gut sein , meinte er , man möge ihn nur ein wenig ruhen lassen auf dem Rasen .
Als Anna diesen jungen Mann - Gabriel Stammer genannt von allen Seiten - hier liegen sah , sprang über ihre Lippen ein kurzer Laut - ein einziger nur , dann verdeckte sie ihr Angesicht mit den Händen .
Der Verwundete war - der Förster , an dessen Arm sie gestern durch die Wälder gegangen .
Und dieser Förster war Gabriel .
Als der im Grase Ruhende das Mädchen sah , streckte er nach ihm die Hand aus :
" Nicht wahr , Anna Mildau , Sie haben es böse getroffen in Karnstein ! "
Sie stand ganz unbeweglich und sprachlos da .
Eine große Träne im Auge .
Sie reichte ihm nicht die Hand .
" Sie müssen mir " , fuhr der Verwundete fort , " die Unaufrichtigkeit von gestern nicht übel deuten . "
Anna schwieg .
" Wenn Sie böse wären , das täte mir weh . . . "
Er brach ab und schlug sein Auge bittend zu dem Mädchen auf .
Anna schluchzte nicht und zitterte nicht mehr .
Mit einem wunderbar seltsamen Blick - mit einem Blick voll unbeschreiblicher Milde und Reinheit - beugte sie sich über den Mann mit der Stirnwunde .
In diesem Augenblick kam laut weinend ein Weib herbeigestürzt - die Mutter des von Gabriel geretteten Kindes .
" Maria und Joseph ! " rief sie , die Hände faltend , " da liegt er .
O du mein Herrgott im Himmel , lass ihn nicht versterben , lass ihn leben , gib ihm deinen Segen !
Er hat mir mein Kind aus dem Feuer getragen . "
" Wie hat sich_es begeben ? " fragten mehrere Stimmen .
" Das weiß der Herr Christus , ich nicht ! " rief das Weib .
" Mit dem Nachtwächter habe ich zu reden ; wo ist er denn ?
Das zerspringende Fenster hat mich erst aus dem Schlaf wecken müssen .
Auf die Gasse gesprungen bin ich im ersten Schreck ; und wie ich wieder zurück will in die Dachkammer , da brennt das Haus , und was ich um und um laufe in der Angst , und was ich mir die Knochen an die Wand renn , ich habe euch im Rauch die Stiege nicht mehr gefunden .
Herr und mein Heiland , das Kind höre ich schreien oben bei den prasselnden Flammen - - weiter habe ich nichts mehr gehört und gesehen ! "
" Das glaube ' ich wohl , " sagte einer der Umstehenden , " weil du auf den Erdboden gefallen und liegengeblieben bist wie ein Block .
es ist viel Geschrei gewesen ums Haus herum , wer kann in die Dachkammer , wenn die Stiege brennt ?
Im Fenster steht ein eisern Gatter , es winseln schon die Flammen hinein . -
Wer kann dafür ! schreit noch der Kirchenschneider , lange wird es nicht leiden , das arme Geschöpf , es ist bald vorbei . "
" Ein sauberer Trost ! " riefen mehrere .
" Heiliges Kreuz , wie haben die Leute geschrien , da jetzt auf einmal der Heidepetersohn auf dem Dach steht und die Bretter aufreißt , daß es kracht und im Rauch die Splitter fliegen .
Ich habe es gesehen , er steigt hinein in die wilde Höllen .
Und nachher - wir sehen nichts - hören auch das Kind nicht mehr .
Das Dach lodert in Glut über und über .
- Hin ist er ! Hin ist er ! hat alles geschrien , da taumelt er unten zur Tür heraus - mit dem Kinde - mit dem lebendigen Kinde .
- es wäre alles glückselig gewesen - da stürzt euch der Dachstuhl ein , und ein sprühender Balken saust dem Gabriel an das Haupt . "
" Du lieber , du goldener Herr ! " rief das Weib wieder und kniete vor dem Verunglückten auf die Erde und wollte nicht aufhören , seine Hände und die blutige Binde seiner Stirn zu küssen .
Gabriel richtete sich mit Hilfe des Mädchens ein wenig empor und sagte : " Da geht es ja gerade zu wie in einer Komödie ! -
Ein wenig schlafen möchte ich jetzt . "
Die barmherzige Schwester In einem Stübchen des Pfarrhofes schlief der Waldsing .
An seinem Lager saß Anna Mildau .
Sonst niemand war um ihn in der Verwirrung und Not des Ortes .
Ferdinand mochte wollen oder nicht , er mußte an diesem Tage noch den Rauch und Brandgeruch von Karnstein atmen .
- " Na , das ist just wieder einmal das Rechte für sie , " brummte er , " jetzt hat sie ihren Waldsing , und krank ist er noch dazu .
Nicht im Traum könnte sie es besser haben . "
Und in aller Wahrheit !
Anna fühlte ein bißchen noch nicht gekanntes Glück , da sie jetzt an dem Bett des schlummernden Gabriel saß .
Als er erwachte , bat sie um Verzeihung , daß sie bei ihm sei .
Fröhlich dankend preßte er ihre zarten Finger zwischen seine beiden Hände .
Da sagte sie scherzend :
" Weil Sie mich gestern hintergangen haben , darum hat Sie das Schicksal in meine Gewalt gegeben . -
Ja !
ein Mensch , der unter verschiedenen Namen so herumgeht , muß Aufsicht dulden . "
Und recht finster schärfte sie die Augenbrauen , und trotzig schüttelte sie das Köpfchen .
Sie hatte leicht zu scherzen , denn nach des Arztes Versicherung war für ihren Pflegling keine Gefahr mehr .
" O kleiner Schalk ! " lächelte Gabriel , " kein Verbrechen ist mir zu groß , wenn dafür Sie mich in ewige Ketten legen . "
Darauf entgegnete Anna nichts ; sie tauchte das weiße Tuch in kaltes Wasser und legte es über seine Stirn .
Ihrer milden Gelassenheit war es nicht anzusehen , wie unstet in ihrer Brust das bange Herzchen pochte .
Endlich schlich auch Ferdinand zur Tür herein ; er war von dem Arbeiten auf der Brandstatt rußig über und über .
" Wieder einmal Schwester spielen ! " neckte er , als er das Mädchen so traulich sorgend an dem Lager des Verwundeten beschäftigt sah .
Gabriel hielt es an der Hand : " Er will Sie fortführen .
Bleiben Sie da .
Ich bin allein . "
" Oh , glauben Sie nicht , Sie , Herr Förster , Sie ! daß Sie allein der glückliche Kranke sind " , flüsterte der Graue , als sich das Mädchen aus dem Zimmer entfernt hatte , um frisches Wasser zu holen .
" Die hat schon ganz andere Patienten gehabt ! "
" Wie meinen Sie das ? " fragte Gabriel .
" Sollen es gleich hören .
Daß vor zwei Jahren die Seuche in unserer Stadt gewesen ist , werden Sie wissen .
Den alten Lehhof auf der Fischerau , wo die Pulvermühlen sind , den wissen Sie auch .
Den Lehhof haben sie damals zu einem Spital für Seuchenkranke eingerichtet .
Wäre insoweit gut gewesen , hätte man nicht jeden Tag in den Zeitungen lesen müssen , die armen Kranken lägen zum Verschmachten , weil sich keine Wärter finden wollten .
Die Klosterfrauen reichen in solchen Zeiten nicht aus , und so ist eine ewige Frage nach Pflegern .
Und wie das so fortgeht , die Leute in der Bedrängnis , in der Klage , in der Furcht , was trägt sich zu ?
- Ist Ihnen nicht eines Tages unser Fräulein aus dem Hause verschwunden ?
Beim dreieinigen Herrgott , der mächtige Schreck !
Zu allen Bekannten und auf die Polizei laufen wir herum wie besessen - einen ganzen Tag und eine Nacht .
Sie ist nicht zu finden .
In alle Weltgegenden ist telegraphiert worden , und ich habe nichts mehr anders vermeint , als sie wäre uns gewaltsam entführt .
Herr ! neun Seelen im Fegfeuer ertragen das nicht , was ich an demselben Tag ausgestanden habe .
Da fällt_es der Frau Moldau ein , Anna hätte sie vor einiger Zeit gebeten , bei dem Mangel an Wärterinnen im Lazarett Krankendienste verrichten zu dürfen .
Natürlich ist ihr so etwas rundweg abgeschlagen worden ; jetzt aber haben wir schon gewußt , wo das Mädel zu suchen ist .
Und richtig ist es gewesen !
Im Spital auf der Fischerau hat sie Pflegerin gemacht .
- Sie , was das unseren guten Herrn , ihren Vater ans Herz gestoßen hat ! -
Das versieht sich , zurück ins Haus hat sie müssen zur ersten Stunde , und jetzt hätten Sie sehen sollen , wie wir das Fräulein mit Wacholderrauch und Vitriol - "
Anna kam mit Wasser zurück .
Ferdinand erzählte nicht weiter , mahnte jedoch wieder an die Heimkehr .
Es war schon der dritte Tag : " Das Reich der Zauberprinzessin geht zu Ende ! "
Anna schaute sinnend hin .
" Nur eines noch wollte ich " , sagte sie , und man weiß heute nicht , ob es Ernst war oder doch nur Schalkhaftigkeit .
" Eines wollte ich noch .
Was Lebiges aus den Einödwäldern : das Kind , Herr Stammer , das Sie gerettet haben , möchte ich gern mit mir nehmen . . . "
Kaum das Wort gesagt , errötete die Sprecherin ; sie wußte selbst nicht , warum ihr jählings heiß war in den Wangen .
" Zeit und Weil ist bald vorbei , laß Zeit , ein Jährchen oder zwei ! " trillerte der Graue .
" Und Sie wollen gehen , Fräulein Anna , ohne mir noch jenes Wort zu sagen ? " flüsterte Gabriel , sich langsam in seinem Bett aufrichtend .
" Welches Wort ? " hauchte das Mädchen .
" Den Förster haben Sie eingeladen , Sie in Ihrem Hause einmal zu besuchen .
Ich bin eifersüchtig auf den Förster . "
Anna blickte ihm mit ihrem schönen Auge in das seine - entgegnete aber kein Wort .
Seltsam still ist der Abschied gewesen .
Die beiden Wanderer aus der Hauptstadt verließen das Pfarrhaus und schritten an den rauchenden Trümmerstätten und den armen trauernden Menschen vorüber , dem Bahnhof zu .
Die Glocke schellte .
Der Zug , hastig und herrisch wie die Zeit , der er dient , rollte heran und mit unseren zwei Menschen wieder davon . -
Anna hatte noch einen langen Blick auf die Gegend geworfen , dann barg sie sich in den Winkel des Sitzes und hielt ein weißes Tüchlein vor ihr Antlitz .
Die Binde wieder trocken Gabriel war allein .
Und so still war es in der düsteren Stube , daß die Mäuse aus ihren Verstecken kamen und auf dem Boden sachte herumschnupperten .
Gabriel fühlte in seiner Brust eine Beklemmung , als läge ihm auf dem Herzen ein heißer Stein .
Sollte das von der Kopfwunde kommen ? -
Das Tuch , das sie ihm zuletzt noch kalt befeuchtet über die Stirn gelegt hatte - es war wieder trocken .
Wie oft in seines Vaters Hütte , auf seinen stillen Heiden , in seinen Wäldern , in seiner Studierstube war er allein gewesen !
Heute war er vereinsamt .
Jeder andere hat einen Genossen , der mit ihm denkt und strebt .
Es ist kein Glück , ein Sondermensch zu sein ; man lebt außerhalb des Kreises , ist durch einen Abgrund getrennt von den anderen .
Was dient mir ein Anschließen an die Mitlebenden , wenn ich in dem nächsten Augenblick wieder abgestoßen werde ?
Sie suchen mich mit Gier , sie lassen mich enttäuscht wieder laufen .
Das Bild meiner Zukunft ist nebelhaft und gestaltlos , denn mein Leben läuft nicht hin in bekannten Regeln .
Ich habe niemand , für den ich leben könnte ; niemand , der mit mir wäre in Drangsal und Not. - So sann Gabriel , der einsam gewordene .
Die Menschen , sie wähnen mich glücklich , weil ich singe .
Auch der geblendete Vogel singt .
Nicht glücklich bin ich gewesen im Waldland .
Nun habe ich einen Blick in die Welt getan .
Ach , ich hätte mir sie schöner , besser gedacht .
Neue Wünsche und Bedürfnisse sind in mir aufgestanden , von denen ich einst keine Ahnung gehabt , die nur da sind , um zu quälen und die unersättlich weiterwachsen , auch wenn sie erfüllt werden .
Da ich sah , daß da draußen alle - die Besten wie die Mächtigsten - dem Eigennutz frönen , und daß des Menschen ganzes pathetisches Trachten nichts anderes bedeutet als einen lebenslänglichen Kampf um sich selber - so ist das Ideal wie eine verscheuchte Taube ausgeflogen aus meinem Herzen .
Schon sind meine Lieder angekränkelt , denn ich vermag das , was ich singe , selber nicht immer zu glauben . . .
Wie sehne ich mich nach einer treuen Seele ! . . .
Zu dieser Stunde entstand im Stübchen des Pfarrhauses das Lied von dem einsamen Burschen , der vergleichbar ist einem vergessenen Zaunpfahl draußen auf der Heide . . . . Und weiß er doch eine , Die er gern haben möchte , Die er , müßte es sein , Aus der Felsenwand graben möchte , So sucht er nicht erst Mit dem Faden zu binden , Und nicht mit dem Strohhalm , Auf der Gasse zu finden .
Er eilt um eine Kette , Die stark ist und starr ist , Die doppelt und dreifach Geschlungen und wahr ist . . .
Er schleppt sie zum Schmied , Sein Mädchen führt er mit :
Schmied ' ewig zusammen uns , Du herzguter Schmied !
Dann wird er nach anderen Freuden nicht fragen mehr , Dann wird er in Drangsal und Leiden nicht klagen mehr . . .
" Gott grüße Sie in unserem Hause ! "
Auf der Trümmerstätte zu Karnstein saß mancher und starrte wirr und betäubt vor sich hin .
" Was ist da geschehen ? " murmelte der eine ; er kann es nimmer fassen .
Ein anderer kauert auf den geborstenen Steinen seines Herdes und klagt in sich hinein :
" Haben - ja , haben tu ich gar nichts .
- Essen möchte einer doch was . "
Ein weiterer rafft sich auf :
" Da mag bauen wer will , ich gehe davon . "
In den Bauernhöfen und Waldhäusern der Umgebung waren die Obdachlosen aufgenommen .
Mancher behandelte den unglücklichen Gast mit Liebe ' ; manch anderer ließ es seinem Eingeheimten wohl empfinden , wie bisweilen auch bürgerliche Herrlichkeit - die Karnsteiner ließen sich gern Bürger nennen - mit dem niedrigen Bauerntum bei frischem Wasser Bruderschaft trinken müsse .
Den Kindern des Dorfes Karnstein gereichten die neuen Verhältnisse bei den Hühnern , Schafen und Kälbern des Bauernhofes , beim hochgehörnten Ziegenbock und beim rasselnden Kettenhund zur wahren Freude .
Sie waren auch bald innig befreundet mit den Kindern des Gastherrn und spielten auf freiem Felde gern Feuersbrünste und Wiederaufbauung von Karnstein .
Und manches Mädchen gab dabei mit Anmut die Rolle der fremden , schönen Jungfrau , welche während des Brandes die Kleinen im Baumgarten versammelt und beschützt hatte .
Gabriel blieb nicht lange in der Stube .
Er vergaß der Wunde seines Hauptes .
Er ging hinaus und suchte zu ordnen , zu schlichten , zu helfen und zu trösten .
Bald brachte er in der Umgebung einen kleinen Verein von Männern zustande , der bestrebt war , dem verunglückten Orte alsogleich wieder eine neue Grundlage zu geben .
Er rief in das Land hinaus , auf daß Wohltäter die erste Not der Abgebrannten lindern und zum neuen Aufbau von Karnstein beitragen möchten .
Er selbst hielt zu diesem Zweck in der Hauptstadt Vorträge aus den " Waldliedern " .
Denn so sind unsere edelherzigen Herrschaften : für jedes Almosen , das sie geben , möchten sie einen Genuß haben .
Nur wenige sind so uneigennützig , sich mit ihrem im Anzeiger gedruckten Vor- und Zunamen zu begnügen .
Diesen war besonders leicht Rechnung zu tragen .
Gabriel eignete eine Auflage seiner " Waldlieder " den Hablosesten und Verlassensten von Karnstein und ließ den Sammelbogen zu Ende des Buches bedrucken , und so war mit einer Tat einem mehrseitigen Bedürfnisse abgeholfen .
Die Leute von Karnstein wunderten sich bass , daß dieser Singvogel aus den Einödwäldern schließlich ein so brauchbares Nutztier geworden war .
Gabriel hatte in demselben Sommer noch manchen Gang getan durch die Einödwälder , hatte das Heidebeterhaus besucht und den Haberturmhof , wo er Schwester und Schwager in ehelichem Glück und wirtschaftlicher Zufriedenheit fand .
Dann war Gabriel , als im Gebirge die Ahorne gilbten und die Buchen sich röteten , wieder in die Stadt gezogen .
In Karnstein klangen schon lustig die Mörtelkellen , pochten hallend die Hammer , freundliche Wohnstätten wieder zu erwecken aus dem Schutt .
Über der Stadt aber lag frostiger Nebel und machte die Studierstube des Waldsing noch düsterer , als sie schon war .
Oft wendete sich der junge Mann von seinen Büchern , verdeckte mit der flachen Hand seine Augen und schaute im Geiste das liebe sommerliche Waldland .
An jenes anmutsvolle Mädchen , Anna Mildau mit Namen , hatte Gabriel in dieser Zeit so oft , so sehr oft gedacht , daß etliche seiner neuen Waldlieder darüber zu Minneliedern geworden waren .
Zu Minneliedern ganz eigener Weise , wie zu singen ihn bisher niemand gelehrt hatte .
Er trieb sonst mit Vorliebe botanische Studien , um so auch noch zwischen den Mauern mit den trauten Gewächsen seiner Wälder zu verkehren .
Zu dieser Zeit aber unterbrach er das Studium seltsam oft ; dann zog er immer seinen schwarzen Rock an , um in dem Hause Mildau vorzusprechen ; aber es fehlte ihm der Mut .
Er kannte den " Salon " bereits zu wohl , er fürchtete sich , enttäuscht zu werden und geweckt aus seinem lieblich schönen Traum , der ihm die Seele so hold belebte und erhellte .
Er tritt ein .
Wie , wenn ihn das gnädige Fräulein nicht kennt , oder wenn es nichts als kühle Höflichkeit , ironisches Wohlwollen oder schäkernde Koketterie für ihn hat ? -
Sie hat einmal seiner Eitelkeit geschmeichelt - was weiter ? -
Er zog seinen schwarzen Rock immer wieder aus .
Eines Tages aber - er hatte die braune Lodenjoppe mit den grünen Rändern an - , als er zufällig am Hause des Kaufmannes Mildau vorüberging , rief ihn plötzlich eine Stimme :
" Herr Förster , heda ! "
Der alte Ferdinand .
Gabriel entschloß sich rasch , ließ sich melden .
Sein Fuß schritt über Teppiche .
Er wies seine Karte ; die Aufwärterschaft geht mehr auf ein glattes Blättchen Papier als auf ein ehrlich Gesicht .
Ein Diener schob die Vorhänge des Einganges auseinander und krümmte Bücklinge vor dem Eintretenden .
Dem Burschen , im Walde geboren , war beklommen zumute , als er in den Salon trat .
Er war einmal im Hause des Ministers gewesen , um für die Einödwäldler in Sachen des Jagdrechtes zu wirken ; aber beim Minister wäre es schlicht gegen diesen Palast , wo - seine Phantasie spielte mit - welsche Seide , kalifornisches Gold , venezianisches Glas , chinesisches Porzellan prangte , wo seltenes Getäfel und außerordentliche Kostbarkeiten aller Art die Sinne bestachen .
Und zwischen all diesen Herrlichkeiten auf bunten Webematten des Fußbodens standen scheinbar wildwuchernde Blumenbüsche , Dornstrauche mit roten und weißen Rosen , das Raffinement der Pracht nur noch erhöhend .
Denn die Gesellschaft hat einen solch hohen Grad der Verfeinerung und des Aufwandes erreicht , daß - will sie einen noch höheren Reiz erzielen -
sie wieder zur Wildheit der Natur zurück muß .
Gabriels Besorgnis wuchs ; hätte er nicht befürchtet , daß ihn der Alte unten wieder kapern würde , er wäre leise umgekehrt .
Doch schon ging die Flügeltür auf , und herein hüpfte - Anna ; mit einem hellen Freudenrufe flog sie ihm zu .
Das Mädchen hatte ein einfaches lichtes Hauskleid an ; die reichen Locken trug es nach rückwärts in zwei Köpfen geflochten , welche durch ein blaues Bändchen miteinander verbunden waren .
" Gott grüße Sie in unserem Hause ! " sagte sie nun fromm und fröhlich , " Sie haben lange gesäumt ; aber ich habe wohl gewußt , daß Sie kommen würden . "
Dann eilte sie in ein Nebengemach :
" Mutter , komme !
Komme doch zu sehen , wer da ist ! "
Die Frau des Hauses , eine würdevolle Gestalt in elegant-einfachem Anzug , mit glattgescheitelten Haaren und blauen Augen , begrüßte den Eintretenden mit schmeichelhaften Worten und hielt ihm die weiße Hand hin .
Ein höflicher Wink , da saßen sie schon in den schwellenden Lehnstühlen , die Hausfrau zur Rechten , das Fräulein zur Linken , Gabriel in der Mitte .
" Wir haben so viel Schönes von Ihnen gelesen , Herr Stammer , und meine Tochter hat so viel Liebes von Ihnen erzählt - daß es mich herzlich freut , Sie persönlich kennenzulernen . "
So die Dame .
Dann wies sie auf ein fein gebundenes Büchlein , welches nebst anderen Goldschnittbänden auf dem Prunktische lag - es waren die " Waldlieder " .
- " Sie sehen , mein lieber Herr , daß Sie bei uns bereits Hausgenosse sind . "
Der junge Mann verbeugte sich und wartete nun auf Worte , von Annen gesprochen .
Aber das Mädchen schwieg und blickte mit seinen klaren , ruhevollen Augen dem Gaste in das Angesicht .
Das Gespräch nahm eine andere Art an , als Herr Mildau eintrat .
Schon seine schlicht bürgerliche Kleidung sowie sein behäbiger gelassener Schritt , mit welchem er in den Salon trat , war für Gabriel ermunternd .
Er lachte mit seinem vollen , glatten Gesichte , und dem Gaste beide Hände entgegenstreckend , rief er :
" Mein Herr Stammer , willkommen ! "
Ein Viertelstündchen saßen sie beisammen , sprachen von den Einödwäldern , von dem alten Vater in denselben , von Karnstein , dessen Unglück und Wiedererstehung , und von der Waldfahrt der Tochter des Hauses endlich .
Bei diesem Gegenstande brach Frau Mildau ab und erhob sich .
Herr Mildau bat den jungen Mann noch , sich mit in sein anstoßendes Kabinett zu begeben , zeigte ihm dort mehrere Meisterstücke der Malerei , die in Prachtrahmen an der roten Tapetenwand hingen , und bot Gabriel eine Zigarre an , die dieser höflich ablehnte .
Hierauf öffnete Herr Mildau einen zierlichen Schrank , nahm ein unbeschriebenes , aber zugeklebtes Kuvert heraus , und selbes in der Hand wiegend , sagte er :
" Ich hatte schon die Absicht , an Sie zu schreiben , aber Sie wissen , ein Geschäftsmann - Ich möchte daher jetzt die Gelegenheit benützen , Sie zu bitten , diese Kleinigkeit gefälligst von mir zu übernehmen - " Gabriels peinliches Erröten bemerkend , setzte er sofort bei : " und sie nach eigenem Gutdünken an die Ortsarmen von Karnstein zu verteilen . "
Gabriel atmete auf , und mit dem Ausdruck warmen Dankes übernahm er den Brief .
Dann lud ihn der Kaufmann in seiner leutseligen Höflichkeit ein , das Haus recht bald wieder und recht oft mit seinen herzlich willkommenen Besuchen zu beehren und sich in demselben heimisch zu fühlen .
Mit heiter-zutraulichen Worten und kräftigem Händeschütteln wurde er entlassen .
Als Gabriel durch den Salon schritt , stand Anna noch da .
Sie hielt eine Hand hinter dem Rücken , senkte ein wenig das Köpfchen und richtete ihr Auge prüfend , zagend , bittend auf den Fortgehenden .
Er sagte ihr ein warmherziges Wort und war zugleich froh , eine Gelegenheit zu finden , seinen Lodenrock zu entschuldigen .
Das Mädchen beachtete die Entschuldigung gar nicht , es hatte ein Anliegen , " eine sehr große Bitte : ob er nicht wollte seinen Namen auf das Titelblatt der Waldlieder schreiben " .
Sie reichte ihm zögernd das Büchel und die hinter dem Rücken gehaltene bereits tintennasse Feder .
" Ja , aber gerade auf dem Titelblatte steht er schon ! " neckte Gabriel .
" Ehe ! " machte das Mädchen , " den mag ich nicht , den hat der Schriftsetzer hergetan , und den hat jeder , der das Buch besitzt .
- Ich - " setzte sie schelmisch bei , " ich möchte was Besonderes haben . "
Er nahm sanft die Feder aus ihrer Hand und schrieb ins weiße Blatt des Buches die Worte : " Dem verehrten Fräulein Anna Mildau , der wackeren Wallerin in die Einöde , zur freundlichen Erinnerung an den Verfasser Gabriel Stammer . "
Errötend drückte sie ihm mit einem leisen Worte den Dank aus .
Sie hielten sich an der Hand .
Sie nahmen nicht Abschied , und sie sagten kein Wort vom Wiedersehen .
Im Vorsaale kam der alte Ferdinand auf ihn zugerannt .
" Sie glauben es nicht , " flüsterte er vertrauensselig , " die Not , die wir mit dem Kinde haben !
es ist nicht mehr unsere Anna , es ist eine andere , seitdem wir von Karnstein zurück sind .
Ich will es nicht verantworten , Sie heute ins Haus gelockt zu haben .
Nun in Gottes Namen Sie einmal da waren , so kommen Sie nur oft . . . "
Er hastete davon .
Gabriel stieg sinnend den Treppenteppich nieder .
Ein Diener öffnete ihm den Ausgang .
Bei Mildau an der Tafel Das war der erste Besuch gewesen im Hause des Kaufmanns Mildau .
Nicht lange , so folgte ihm ein zweiter , und zwar im schwarzen Rock und zur üblichen Empfangsstunde .
Anna war wie das erstemal , ruhig und schlicht - und fast schwesterlich traut .
Mildau lud den Studenten - als solcher wollte Gabriel angesehen sein - zu einer bevorstehenden Festlichkeit ein .
Mildau verstand zu leben ; gern gesellte er die Pracht und die Schönheit , das Bequeme und das Heitere , ohne der Üppigkeit zu huldigen .
Diesmal wurde ein häusliches Fest vorbereitet , ein Fest jedoch mit besonderem Glanz , denn es war die Feier des dreißigjährigen Bestehens der Firma .
Der Tag war da .
Die Herren erschienen im Frack , die Damen mit Schleppen und in strahlendem Schmucke .
Anna hatte ein lichtblaues Kleid an und trug keine andere Zier als ein blaßrotes Röschen im Haar und am Halse das goldene Kreuz von der Großmutter .
- Die Mutter ihres Vaters war eine einfache Frau gewesen , die sich durch Handarbeiten ernährt hatte .
In den Jahren , da ihr Sohn in der Fremde war , darbte sie , denn ihre größte Freude bestand darin , alljährlich zum Weihnachtsfeste die zwölf ärmsten Kinder ihres Ortes mit Leinwand zu beschenken .
Sie war deshalb von der dankbaren Mitwelt die " leinene Plona " genannt .
Eines Tages aber wurde die mildtätige Frau durch einen Abgesandten des Statthalters mit einem goldenen Kreuz geschmückt .
Und dieses Andenken war auf die Enkelin überkommen , die es hoch in Ehren hielt und - sonst allen goldenen Schmucksachen Feind - sich von dem Kleinod nicht trennen konnte .
Eine der Ehrenstellen bei dem Feste nahm - wenn auch scharf dazu genötigt - der alte Ferdinand ein .
Man sah es dem guten Alten wohl an , wie unbehaglich schwül ihm in der Festkrawatte war .
Auch hatte man ihn bei dem Mahle so von seinem Liebling getrennt , daß der Bürgermeister und die Hausfrau zwischen ihm und Annen saß .
Nächstan saß der Hofrat v. Mandling .
Der sagte gern jedem , den er über Gläser und Teller und Blumenvasen erreichen konnte , eine nette Artigkeit .
So bemerkte er dem Alten , daß ihn der Name Küßdenker sehr anmute , der sei so minnehaft und ehrwürdig zugleich .
" Das ist er erst mit dem kaiserlichen Willen geworden , " versetzte Ferdinand , " meine Urgroßvaterleute haben noch Küßdenkerl geheißen - Küss ' den Kerl !
Ich bitte !
Da ist mein Großvater selig zum Kaiser gegangen und hat einen Fußfall getan , daß doch um Gottes Willen das l aus unserem Familiennamen weggenommen werde .
Der Kaiser hat nachforschen lassen , ob_es ein ehrlicher Mann , und weil dies wohl der Fall gewesen , so hat er entschieden : Gleichwohl ein ehrlicher Mann unter jedem Wortlaute achtbar sei , habe er nichts gegen die Streichung des letzten Buchstabens .
Sehen Sie , und so ist aus dem Kerl ein Denker geworden . "
Die Sache erregte Heiterkeit .
Als die Lichter angezündet waren und die Flaschen mit den silbernen Köpfen aufmarschierten , wollte sich Ferdinand davonstehlen .
Frau Wildau erhaschte ihn noch rechtzeitig am Rockzipfel und hielt ihn fest .
Die mattgeschliffenen Tulpengläser wurden gefüllt , eisige Schaumwellen flossen über die Ränder .
Da erhob sich Herr Mildau und begann zu sprechen :
" Meine lieben Tischgenossen !
Seltsam mag es erscheinen , wenn der Hausherr zu Ehren des eigenen Hauses ein Fest gibt .
Daß mir aber die Anmaßung verziehen ist , beweist mir die Vollzahl meiner lieben Gäste , trotzdem die Geschichte dieses Hauses vielen nicht zur Genüge bekannt sein dürfte .
Denen bin ich bei der heutigen Gelegenheit verpflichtet , über diese anmutige Historie Unterricht zu erteilen . "
Nach einer kleinen Pause , da sich aller Ohren in Bereitschaft gestellt hatten , fuhr Mildau fort :
" Die Geschichte des Hauses Mildau beginnt auf der Reichenberger Straße in Böhmen , etliche Stunden vor dem Orte Gitschitz .
Dort war es vor fünfunddreißig Jahren , daß ein lustiger Tuchmachergeselle des Weges zog .
Er soll - heißt es - gerade ein Vagabundenlied gesungen haben , als er an einem Schotterhaufen einen Mann liegen sah .
Der war nicht so lustig als der andere , der konnte nicht weiter , er war krank .
Wo fehlt_es , Freund ? rief ihm der Tuchmacher zu .
Wo es fehlt ! antwortete der andere und schlägt mit der Hand an seine Füße , an seine Brust , an seine Taschen ; da und da und da - und überall .
Ich komme weit her von Prag , erzählt er treuherzig , meines Zeichens bin ich ein Schuster .
In Gitschitz bin ich daheim .
Dort liegt - so steht es im Brief , den ich in der Tasche habe - meine Mutter auf den Tod krank .
Ich will eilends hin und bin schon tagelang auf der Wander .
Meine Füße sind wund , bin zum Sterben matt und kann nicht weiter . - Möchte ' sie wohl noch einmal sehen !
Dort haspelt der Häutewagen noch , dort .
Ich habe ihn gebeten , er möchte mich mitnehmen .
Was zahlst ?
Ja , zahlen kann ich nichts .
Da haut er in die Pferde drein und fährt davon .
So muß ich - zwei Stunden vom Haus und von der sterbenden Mutter da verbleiben .
- Sagt der Tuchmacher :
da bleibst nicht liegen , Schuster .
Schau , dort kommt ein Krämerwagen daher , er tut gegen Gitschitz hin - den packen wir an . -
He , Vetter ! schreit der Tuchmacher den Krämer an , auf zwei Maß Zahl ' ich beim Brauer in Gitschitz , wenn Ihr diesen Mann mitnehmt .
Zwei Maß ist nicht viel , sagt der Böhme ; drei Maß ist mehr , sagt der Tuchmachergesell , da sind sie handelsein .
Der Wagen rollt mit dem Schuster davon .
Der Tuchener trottet langsam hinterdrein , kommt nach in den Ort und tut beim Brauer seine Schuldigkeit .
Darauf , wie er abends beim Mondschein seine Herberge sucht , sieht er vor einer Hütte seinen Schuster sitzen .
Der springt auf , will ihm die Hand küssen : Euch Dank , daß ich sie noch einmal gesehen habe .
Euch ihren guten Segen .
Und zerrt ihn mit in die Hütte zur Toten .
Und er erleichtert sein Herz und erzählt vom Elend seiner Familie .
Das Haus war einmal gut dagestanden , aber der Vater hat alles verspielt .
Was mit den Spielkarten nicht ist gegangen , das hat er in die Lotterie getragen .
Da draußen vor dem Ort liegt der Teich , darin sein Ende gewesen .
Meine Mutter hat sich ehrlich weitergeholfen , aber nicht das Bett ist unser , auf dem sie gestorben .
So arm ist sie , daß ihr nicht einmal die Kirchenglocken auf den Kirchhofsweg läuten wollen .
- Das lass dir nicht anliegen , sagte der Tuchmacher - und ein Hundsfott müßte er gewesen sein , wenn er nicht so gesagt hätte - , ich habe , sagt er , auch eine alte Mutter daheim .
Von der habe ich immer so ein paar Schimmel in der Taschen .
Weil wir schon beieinander sind , Schuster , so wollen wir machen , was recht ist .
Als das Begräbnis vorüber war , zogen beide wieder davon .
Sie wanderten gegen das Erzgebirge ; in einem Bergstädtchen nahmen sie Arbeit , der eine in der Wolle , der andere im Leder .
Sie blieben beisammen .
Indes denke ich , geehrte Festgenossen , es ist Zeit , wir heben einmal die Gläser an unsere Lippen . "
Sie tranken .
Mildau fuhr fort : " So treuherzig und so arm und so glücklich dabei , wie es der Schuster war , wird es nicht leicht einen geben .
Er war ein fleißiger Arbeiter und erwarb sich manchen Taler , aber seine Mitgesellen brauchten stets Geld ; er gab ihnen , was er hatte , sie durften es verrauchen , vertrinken , der Liebsten zustecken - was sie wollten - nur nicht verspielen .
Dem Spielen war er Feind bis aufs Messer .
Spielteufel , Hausverderber , Leutumbringer !
- Mehreren Meistern hatte er die Arbeit gekündet , weil im Hause Spielkarten waren .
Wie er dastand , war er gar kein übler Bursche und hätte eine saubere Tabakskrämerin heiraten können .
Aber es war ein falsches Weib , sie hatte hinter dem Tabaksladen auch noch eine Lottokollektur .
Der Schuster wandte sich mit Verachtung von ihr ab . "
Ein feines Herrchen am anderen Ende der Tafel , welches seit der Rede Beginn seine Nase mit dem goldspornigen Zwicker beritten hielt , obwohl es bloß zu hören gab , trommelte mit den Fingern auf dem Tisch um das Kelchglas herum und murmelte :
" Das ist keine Geschichte für einen charmanten Champagner . "
Mildau hörte es nicht und fuhr fort : " An einem Sonnabende saßen die beiden Freunde , der Tuch- und der Schuhmacher , in der Handwerksschwemme des Städtchens und tranken Apfelwein .
Da rief der Schuster : Setzen wir uns in die Nebenstube , ich kann den prahlerischen Anschlagbogen nicht sehen .
An der Wand hing nämlich eine Anzeige mit zinnoberroten , schreienden Ziffern und kündete eine neue Staatslotterie mit großen Treffern .
O Narr ! rief der Tuchmacher , hätte ich lieber das Kleingeld im Sack , ein Los zu kaufen .
Auf einen Schlag ein reicher Mann sein , was meinst denn ? -
Schäme dich ! war seine Antwort .
- Oder wenigstens die Hoffnung haben , einer zu werden .
Schon die Hoffnung , Freundchen , ist ihren Groschen wert . -
Ja freilich , sagte der Schuster , und auf den Konto hin gleich ein Luderleben anfangen , nicht arbeiten , nicht sparen und bei jeder Ziehung fluchen .
Wäre mir das Rechte !
Nicht geschenkt nehme ich ein Los. - Der gute Junge hatte noch nicht ausgeredet , als die Tür aufging und ein Loseverkäufer in die Gaststube trat .
Es waren aber keine Staatslose , es waren Lose einer Effektenlotterie zugunsten der armen Bevölkerung des Erzgebirges , die damals durch eine Überschwemmung arg mitgenommen worden war .
Das Los kostete - glaube ich - vierundzwanzig Kreuzer ; eine Unzahl kleiner Treffer aller Art war aufgestellt , die Ziehung war vor der Tür - die Papiere gingen reißend ab .
Nur der Schuster weigerte sich , einen Schein zu nehmen :
es wäre Spiel , er wolle nichts damit zu tun haben .
Die Gesellen schalten ihn Geizhals und stellten ihm vor , daß er doch nichts gewinnen könne als etwa eine blanke Achtschere oder einen rotbehefteten Taschenfeitel , und daß , was er da gäbe , nur ein Almosen wäre .
So nahm er drei Lose , die er sofort dem Tuchmacher in die Hand rieb : Mache , daß mir die Fetzen aus den Augen kommen .
Die Ziehung fand statt .
Allerlei wurde gewonnen .
Auf eine Nummer , die der Schuhmacher seinem Freunde gegeben hatte , fiel als Treffer ein Staatslos .
Der Schuhmacher nahm es nicht .
Freund , sagte er , das Papier gehört dein , verwerte es , wie du kannst ; ich wünsche nur , daß es dir von allen Kümmernissen , die daran hängen , die kleinste macht : daß dich kein Treffer trifft .
- Nicht lange hernach wurden die beiden Freunde getrennt .
Der Tuchmacher wurde in seine Heimat gerufen , um dort das kleine Wollengeschäft seines verstorbenen Vaters zu übernehmen .
Da war plötzlich der Haupttreffer da !
Der Haupttreffer des Staatsloses !
Der Gewinner hatte selbstverständlich nichts Eiligeres zu tun , als seinen Freund , den Schuster , aufzusuchen .
Nach langem Herumschreiben entdeckte er denselben in einem schlesischen Städtchen .
Er war der alte wie damals .
Er hatte es noch nicht einmal zum Meister gebracht , trotz seines Fleißes und seiner Geschicklichkeit .
Ich will frei und sorgenlos leben , sagte er , und blieb Schustergeselle .
Nun gab es Streitigkeiten .
Der Tuchmacher wollte den Schuster zwingen , von dem Gewinne wenigstens die Hälfte in Empfang zu nehmen .
Der Schuster hielt die Ohren zu und schrie :
Lass mich in Ruhe , sonst sind wir geschiedene Leute .
Da fuhr der Tuchmacher auch in die Höhe und nannte ihn einen Halbnarren ! "
Mildau kühlte sich mit dem Tuch das Angesicht , dann fuhr er fort : " Bevor ich noch dieses Glas hebe , habe ich mitzuteilen , daß also der Tuchmacher den Wunsch seines Freundes erfüllt hat .
Er errichtete ein Tuch- und Seidenwarengeschäft ; dasselbe gedieh zu einer Großhandlung .
Der Kaufmann dehnte sein Geschäft auf industrielles Gebiet aus , und seine Firma war in Heimat und Fremde wohlgeachtet .
Auch fand er ein Mädchen aus gutem Hause , welches seine Lebensgenossin und die Teilnehmerin seines hellen Glückes wurde .
Der Freund Schuhmacher hätte es auch so gut haben können , doch da er endlich mit Mühe ins Haus gebracht worden war , begnügte er sich , das Glück des Mannes zu sehen und bewachen zu helfen .
Er war im Hause der Bruder und Oheim .
- Stürmische Zeiten und Gefahren blieben nicht aus , mehrmals wankte die Firma unter schweren Geldkrisen , und dreifach verloren wurde die Summe des Haupttreffers , der sie begründet hatte .
Ganz Unrecht hatte also der gute Schustergeselle auch in diesem Falle nicht ; was da übrigblieb und wieder erstand , es stammt von Mühe und redlicher Arbeit , der ein weites Feld geboten war . -
Ich bemerke , " unterbrach sich nun Mildau , " ich bemerke im Kreise meiner verehrten Gäste schon seit einiger Zeit allerlei Geflüster ; dieser Umstand bringt mich auf die Vermutung , daß man die Namen der Helden meiner Geschichte bereits erraten hat . -
Auf einen derselben erhebe und leere ich dieses Glas . "
Da erhob sich rasch ein brüllender , klingender , schäumender Sturm , und als der Toast vorüber war , troff der arme , im Anstoßen und Trinken so überaus unbehilfliche Ferdinand Küßdenker über und über von Champagner .
" Das habe ich ja gewußt , " murmelte der Alte , sich so gut als möglich wieder instand setzend , " daß heute etwas über mich kommt ; ich gehöre da nicht her . "
Zitternden Armes stieß Ferdinand mit jedem an , doch erst als sein Glas mit Annens Becher angeklungen , leerte er es aus .
Als sich endlich der Aufstand wieder ein wenig gelegt hatte , erhob Herr Mildau nochmals seine Stimme und sagte : " Wie ich heute dastehe im trauten Kreise der Familie , umgeben von den Besten der Stadt und des Landes , die ich Freunde nennen darf , gesegnet mit so manchem , was das Leben angenehm machen kann , so hält mich die Welt wohl für einen glücklichen , beneidenswerten Mann .
Ich will ihr nicht widersprechen .
Doch ist das eine gewiß : Heute , wo es mein innigster Wunsch ist , diesem lieben Genossen hier an meiner rechten Seite eine besondere Freude zu machen - bin ich bettelarm .
Dieses anspruchslose treue Freundesherz - "
" Er vertreibt mich rein ! " knurrte Ferdinand und sprang auf .
" Bruder ! " sagte Mildau , den Alten an beiden Händen fassend , " heute verzeih ' mir_es .
Ich will nichts mehr sagen .
Nur eine Kleinigkeit noch .
Daß dir mit nichts beizukommen , das wußte ich .
Ich habe es anderwärtig versucht . "
Er enthüllte eine große Photographie , welche auf dem Nebentische stand ; das Bild stellte ein ziemlich umfangreiches Gebäude vor .
" Meine Herrschaften ! " rief er heiteren Tones , " da vorhin von dem Dorfe Gitschitz in Böhmen gesprochen worden ist , so dürfte es Sie vielleicht interessieren , das neue erst eröffnete Armenhaus jenes Ortes zu sehen .
Es steht auf dem Platze , wo die hinfällige Heimatshütte des wackeren Schuhmachergesellen gestanden hatte .
Es ist zum Gedenken an die gute arme Handwerkerfamilie aufgeführt und der Gemeinde gewidmet worden .
Es trägt den Namen " Ferdinandeum " .
Ein vielstimmiger Ruf der Überraschung .
Ein begeistertes Bravo dem Manne für die schöne dankbare Tat .
Ferdinand war verschwunden .
Man hielt Jagd nach ihm durch alle Gemächer .
Anna fand ihn später in seinem schlichten Stäbchen , wo er vor einem Wasserfarbenbildchen seines fernen Heimatsdorfes auf den Knien kauerte und schluchzte .
Nun ergriff er des Mädchens Hand :
" Anna , dein Vater ist gut !
Nur schleppt mich jetzt nicht mehr unter die Leute ' . "
" Mägdlein , die Himmelslieder spielst nur du ! "
So war Gabriels erstes Mal im Hause Mildau gewesen .
Von diesem Tage an fühlte er besondere Zuneigung zur Familie , und trautsam war ihm das Haus .
War doch der Herr desselben gleich ihm einst jenen Pfad gewandelt , der den Menschen adelt !
Der reiche Mann , aus den Tiefen der Armut emporgestiegen , ist besser daran als der Reichgeborene .
Fürs erste hat er einen weiteren Weltblick als dieser ; fürs zweite weiß er den Wert seines Glückes zu schätzen und mit weisem Behagen zu genießen ; und fürs dritte endlich kennt er die Größe und Bedeutung der Wohltaten , die an den Armen zu üben er Gelegenheit hat .
Öfter und öfter kam nun Gabriel in Mildaus Salon , wo er allerdings zuweilen ein bißchen angefochten wurde .
Frauen und Herren ans eleganten Kreisen , wie sie sich im Hause des einflußreichen Mannes als Freunde einzufinden pflegten , machten sich höflich herablassend an den Poeten , wurden durch seine treuherzige Naivität dreist , suchten mitunter wohl auch Mäzene zu spielen und fragten ihn schließlich , wie doch eigentlich er die " Waldlieder " mache .
" Ich gehe in den Wald und singe " , gab er einmal zur Antwort .
Lange freute sich Anna insgeheim über diesen Trumpf .
Annen taten die kleinen Unziemlichkeiten weh , die sich die Herrschaften dem jungen Manne aus dem Walde gegenüber gestatteten ; Gabriel merkte sie kaum oder setzte sich darüber mit stillem Humor hinweg .
Nur selten beteiligte er sich an der inhaltslosen Salonunterhaltung , an der auch die Familie keinen besonderen Gefallen fand .
Und doch war er stets gern gesehen , denn sein Wesen , bar aller Ziererei , mutete schließlich auch das zimperliche Höflichkeitspüppchen an ; und wenn Gabriel Gedichte aus seinen " Waldliedern " vortrug oder lustige Anekdoten zum besten gab , da duftete es im Saale nicht mehr nach süßlichem Friseurparfüm , da roch es nach Tannenreisig .
Wenn Gabriel sich mit der Tochter des Hauses unterhielt , so bedauerte Frau Mildau immer , daß ihr Sohn nicht daheim sei .
Das wäre für Herrn Stammer eine Gesellschaft , und sie würden gewiß gute Freunde sein .
Der leise Wink ist aber nicht verstanden worden .
Zuweilen geschah es , daß Gabriel und Anna im großen Park wandelten , der sich hinter dem Wohngebäude des Kaufmanns über eine sanfte Höhe hinanzog .
Sie gingen wie Bruder und Schwester ; ihre Bekanntschaft war ja schon alt .
Sie sprachen es nicht aus , aber manchmal kam über sie ein Gefühl , als wären sie in frühen Zeiten ein Leben lang mitsammen durch einen blühenden Wald gewandelt .
Von Karnstein und den Einödwäldern sprachen sie oft .
Dann auch wieder von den schönen Pflanzen , die an ihrem Wege standen ; sie freuten sich nicht allein an den Farben der herbstlichen Blumen , sie prüften nach Art der Botaniker die Blüten und drangen an den Blättern und Staubgefäßen vorbei bis ins Heiligtum des Kelches hinein .
Da war es bei diesem Studium einmal , daß Anna plötzlich errötete .
Von dieser Zeit an gab sie sich so eingehend mit Blumen nicht mehr ab .
Eines Tages hatte das Mädchen den Waldsing an ihr Lieblingsplätzchen geführt .
Dasselbe war abseits von den Kunstpflanzungen und Kieswegen , im hintersten Winkel des Parkes , wohin sich durch Gebüsche und Gesträuche nur ein schmales , kaum bemerkbares Fußsteiglein schlängelte .
Das Plätzchen hatte nichts als eine Moosbank und eine kühlende Gruppe junger wildwachsender Tannen und Schwarzfichten .
Etliche Flechtenbärte hingen an den Bäumen , und ein Bergfink hüpfte im Geäst .
" Das sind meine Einödwälder , " sagte Anna , als sie den trauten Winkel gezeigt hatte , " im ganzen Garten werden nur diese Bäume von der Morgensonne beschienen , weil sie die höchsten sind und über die Mauer ragen .
Ferdinand und ich haben diesen Wald gehegt , sonst mag ihn kein Mensch , und alles ist im Urzustande .
- Auch Waldlieder gibt es zu hören ! " flüsterte sie .
Ferdinand brachte ein braun poliertes Kästchen herbei , Anna öffnete es zögernd , und ihre durchscheinenden Finger glitten über die Saiten einer Zither .
Sie spielte Lieder - Weisen aus den Einödwäldern .
Gabriel lehnte an der Moosbank und wandte sein Gesicht empor zu den Tannenzweigen , die in zahllosen Quirlchen und Kreuzlein in der Himmelsbläue schwammen .
Da klang es in ihm :
- Mein Herz ist eine Harfe , Zittert ohne Ruhe ' ; Mein Liebe , die Himmelslieder Spielst darauf nur du !
Als sie ihr Spiel geendet hatte , sagte er kein Wort .
Als er dann von ihr gehen sollte , hielt er sie an der Hand und - und - sagte nichts .
" Oh , sie hat Ihnen noch lange nicht alles vorgespielt ! " vertraute ihm Ferdinand am Gartentor , " sie hat Ihre Waldlieder alle in Musik gesetzt , kein einziges haben Sie davon gehört . "
Etliche Tage später trat Gabriel mit einer neuangekauften Zither unter dem Arm in Mildaus Garten .
Und nun saßen sie - er und das Mädchen - oft so manche Stunde beisammen unter der Tannengruppe und frönten dem Saitenspiel .
Dann freilich wieder ruhten die Finger , und sie träumten oder plauderten von Vergangenem und hegten Wünsche für die Zukunft .
Anna gab sich zufrieden mit einem Häuschen in einem freundlichen und stillen Tal .
Gabriel war damit einverstanden .
Dann wandten sie sich wieder den Saiten zu .
Gabriel hatte einst im Heidehause manches alte , in Rumpelkammern morschende Tonbrett aufgesucht und besaitet , um in Klängen dem Gestalt zu geben , was er durch Worte nicht zu offenbaren vermochte ; es war oft eine ganz sonderbare Musik daraus entstanden , zu welcher weder jemand singen noch tanzen konnte , welche mitunter wie ein Lawinensturz polterte , dann wieder wie ein Waldbächlein rieselte , aber weder Kopf noch Fuß hatte .
Ganz anders unter dieser jungen Tannengruppe .
Hier mußte sich sein Spiel an Kunstregeln halten , und Anna - heimlich selbst am liebsten ungezwungene Volksweisen spielend - sah gar streng darauf , daß jeder Note volles Recht widerfahre .
Und Gabriel , der sich immer eingeredet hatte , er besäße kein musikalisches Talent , spielte nach kurzer Zeit Lieder von Abt und Schubert fehlerfrei auf der Zither .
So hob sie ihn mit sanfter Hand sachte , sachte empor , und sein bisher einseitiges Wesen reifte in Kunst und Leben der Ebenmäßigkeit entgegen .
Anna , werden Sie mein Weib !
Noch öfter , als mit der lieblichen Tochter Mildaus , wandelte Gabriel freilich allein , und zwar in den stillen Laubwäldern , in denen das eingeschrumpfte Blätterwerk nur mehr unter den Füßen raschelte , das kahle Gezweige oben dem schneidenden Herbstwind überlassend .
Nicht Waldlieder dichtete er ; anderes hatte er zu denken .
- Sein Herz war strenge durchforscht worden .
Nun wurden die äußeren Verhältnisse geprüft , so gewissenhaft , als man es eben von einem Liebenden verlangen kann .
Auch ein und der andere Freund war zu Rate gezogen worden .
- " Was fragst du ! " hatte einer von ihnen gesagt , " du tust ja doch , was du willst .
Dichter müssen lieben , viel lieben und immer lieben .
Was hat denn das Heiraten dabei zu tun ? "
Gabriel hatte darauf kein Wort entgegnet , sondern war seiner Wege gegangen .
Ein Heim wollte er sich gründen .
" Philister ! " hatte ihm der Freund nachgerufen .
Doch blieben die vielen einsamen Spaziergänge des Poeten nicht fruchtlos .
Zu erträumen , sagte er sich , ist dieses Glück nicht , es muß auf geradem Wege erstrebt werden .
Da war es eines schönen Spätherbstnachmittags - saßen die beiden wieder in ihrem Einödwäldchen .
Heiterer Himmel blaute über den scharfgeschnittenen Wipfeln .
Kaum war ein Vogelflüstern zu hören , die Ruhe eines herbstlichen Tages lag über dem großen Garten .
Sie machten wieder Musik , waren aber heute nicht ganz dazu gestimmt , schraubten jedoch um so mehr an den Saitenhaltern .
- Herr und Frau Mildau waren auf eine ländliche Besitzung gefahren .
Ferdinand war in die Stadt gegangen ; die Gärtner sahen nicht viel Arbeit mehr zu dieser Jahreszeit .
Der Poet und das Mädchen waren allein zwischen dem dichten Gezweige und mitten in den zarten Geweben des Nachsommers , die durch unsichtbare Hand von Baum zu Baum , von Strauch zu Strauch gezogen wurden .
Es ging das Spiel nicht vonstatten und auch nicht das Gespräch .
Gabriel wühlte nur so in den Saiten , er blickte nicht auf die Zither , und er blickte nicht auf das Mädchen .
" Fräulein Anna " , sagte er plötzlich , ließ aber nichtsdestoweniger den Saiten eine Ruhe .
Da die Angeredete sein Wort überhört zu haben schien , so wiederholte er noch einmal : " Fräulein Anna ! "
Sie hob ein klein wenig das Haupt .
" Ich hätte , " sagte er , " ich hätte Sie wohl gern um etwas gefragt . . . "
Seine Stimme zitterte wie die feinen Stahlfäden auf dem Instrument . . . . "Anna - wollen Sie meine Hausfrau werden ? "
Das Mädchen war stark genug , den Schreck zu verbergen , der bei den Worten durch die Nerven gezuckt war .
Es zitterte leise und glitt mit den Fingerspitzen langsam über die Saiten .
Gabriel wiederholte das Wort .
Und nun hauchte sie glühenden Angesichtes :
" Ich weiß nicht . . . ob es eine ernstliche Frage ist . "
Da faßte er mit beiden Händen heftig ihre Rechte :
" Anna , werden Sie mein Weib ! "
Es war eine ungestüme Werbung .
" Verzeihen Sie mir ! " sagte nun Gabriel , als das Mädchen immer noch schwieg und unter einer schweren Beklemmung zu leiden schien .
" Seit vielen Tagen habe ich mir gute und artige Worte für diese Frage an Sie ersonnen .
Ich habe keines dieser Worte jetzt gefunden , und wie es das Herz herausgestoßen , so muß es gelten . "
Das Mädchen sagte weder ja noch nein .
Gefaßt hob es nun das große helle Auge und sagte : " Herr Stammer - wenn meine Eltern ja sagen . . . "
Für heute wurde kein Lied mehr gespielt .
Schweigsam verließen sie die Tannengruppe ; Gabriel sagte seinen herzlichen Abschiedsgruß und ging davon .
Und als er in dem Straßengewühle ihren Augen entschwunden war , stürzte Anna zurück zu den Tannen , sank auf den Knien hin an die Moosbank , und in wilden Atemstößen hervor schluchzte das Glück .
Ein heißer Gang unter den Flocken Anfangs war doch ein bißchen Eitelkeit im Spiele gewesen .
Man war Geschäftsmann und als solcher durchaus realistisch ; aber es stand gut , der Welt zu zeigen , daß man trotz so manchem und manchem auch Sinn für Ideales habe , und daß Mildaus Haus den sonst stets flüggen Vogel aus den Einödwäldern zu fesseln vermochte .
Frau Mildau hatte , die jungen Leute beobachtend , freilich bald geahnt , wohin das zielte , nur wollte sie sich_es , wollte es ihrem Manne nicht gestehen ; ihr war , es könne , es dürfe nicht sein , was ihr vorschwebte .
Nicht , weil sie einer Familie entstammte , die ihr den Adelsbrief als Erbe hinterlassen , war ihr der Gedanke peinlich ; denn noch edler als ihre Herkunft war ihr Gemüt .
Aber vor dem Verlust der einzigen Tochter bangte Frau Mildau so sehr , und eine Ahnung war zuweilen in ihrer Seele wach , als wäre mit dem ersten Schritt des jungen Mannes in ihr Haus ein ernstes Geschick mit eingezogen .
Sie bedauerte einerseits die Reise ihrer Tochter in die Einödwalde , sie grämte sich still über das harmlose Mädchenherz , in welches die Gewalten der Liebe eingezogen waren ; und andererseits fühlte sie sich selbst dem schlichten , offenen Manne warm geneigt .
Herrn Mildau ging es insgeheim nicht viel besser .
Er hatte sich in der Schule des Lebens jenen Scharfblick erworben , der den Frauen angeboren ist .
Als praktischer Mann ging er jeder Sache stets auf den Kern ; er wußte bei jedermann gleich , wo der Geldbeutel saß - und auch das Herz .
Mildau sah von der Stunde an , als Anna aus den Einödwäldern zurückgekehrt war , daß sie ihr Herz an den Sänger der " Waldlieder " verloren hatte .
Wohl erschrak er bei dieser Wahrnehmung , denn er ahnte , was in einem Kinde , wie Anna mit der treuen Seele , die Liebe bedeuten mochte .
Als er sich aber mit dem Gedanken vertrauter gemacht hatte , und als er Stammer kennen und achten gelernt , da sagte er bei sich :
Was soll es schließlich ?
Die Hauptsache ist das Glück des Kindes .
- Dennoch aber lehnte sich der Geschäftsmann auf : Ein Poet !
Ein unpraktischer Mensch !
Und noch dazu - nein , die Sache ginge denn doch wohl nicht . -
Wie unerwartet kam ihm daher das , was an einem stöbernden Novemberabende geschah .
Wir sahen ja , Mildau war schon von Natur aus ein tiefer gegründeter Mensch , als seine Genossen in der Regel zu sein pflegen .
Geld und Geschäft war wohl sein erstes , aber nicht sein letztes .
Und wenn er zuweilen an Kopfschmerz litt , so gestand er ganz offen , es wären die leidigen Ziffern daran schuld , die sich in sein Gehirn eingenistet und die guten , gesunden Gedanken daraus vertrieben hätten .
Er fühlte das Bedürfnis , jeden Tag ein Stündchen aus seinem Geschäftskreis zu fliehen , um ein Mensch zu sein wie andere Menschen auch , die keine Reichtümer und keine Orden hatten , und das Beste an dieser Welt , das Familienglück und die Schönheiten der Natur dennoch in reichem Maße genossen .
Es war gar nicht zu leugnen , der Mann hatte eine poetische Ader an sich ; er freute sich nicht allein an dem goldenen Steigen der Kurse , sondern auch an dem goldigen Sonnenmorgen ; und oftmals , wenn ein Gewitter mit Blitz und Donner über die Stadt zog , verließ er sein Kontor , in welchem die feuerfesten Kasten standen , und ging auf den Söller des Hauses , um das Naturspiel zu betrachten .
Irgendwo in seinen alten Papieren , vielleicht im Wanderbuche des Tuchmachers noch , mußten sich sogar etliche Gedichte von ihm finden .
Humoristische Gelegenheitsstrophen von Mildau zu Familienanlässen oder einem vertrauten Freunde zu Ehren waren seitdem sogar auf gut geleimtem Papier gedruckt worden , natürlich aus Rücksicht für den kaufmännischen Kredit nicht unter dem wahren Namen des Verfassers .
Mildaus idealer Sinn war es auch gewesen , der sich einst unter den besten Familien der Stadt eine wenngleich vermögenslose , so doch feingebildete Braut zu suchen und zu erringen gewußt .
Es gab eines der glücklichsten Ehepaare .
Heute war ein unwirtlicher Novemberabend .
Ein heftiger Sturm hatte den Winter gebracht .
Große Schneeflocken wirbelten an den Gebäuden nieder und tanzten um die flackernden Laternen .
Mildau verließ , in einen guten Mantel gehüllt und eine Zigarre schmauchend , sein Haus und schlenderte durch die gewundenen Gassen hinaus gegen die blattlosen Alleen der Promenade .
Die stillen kalten Flocken taten ihm wohl ; die Dunkelheit schützte ihn vor dem Grüßen und Gegengrüßen - er war im Bewußtsein des Glückes , sich selbst zu gehören .
In einer ähnlichen Stimmung schwelgte auch Gabriel Stammer , als er an jenem Abend , aus einem Deklamationssaale fliehend , durch die menschenlose Öde schritt , die sich um die Stadt zog , und die mit ihren Platanen , Büschen und Gartenhäusern zur Sommerszeit die Wonne der spazierenden schönen Welt ausmachte .
Heute waren die beiden Männer völlig allein .
Aber sie blieben es nicht .
Sie begegneten sich , sie begrüßten sich bei dem trüben Scheine einer Laterne .
" Auch Sie gehen dem Winter entgegen ? " sagte der Kaufmann leutselig .
" Entgegen und schnurgerade hindurch - dem Lenze zu " , antwortete Gabriel .
Dann gingen sie langsam nebeneinander hin und ließen den Flockenschleier still über sich niedersinken .
" Herr ! " sprach Gabriel plötzlich , " ich glaube , der Zufall kommt mir zustatten . -
Ich hätte Ihnen ein wichtiges Wort zu sagen . " - Haben Sie ein Anliegen , lieber Freund , so seien Sie offen . -
Mildau wollte es sagen , schritt aber gleichmäßig weiter , schwieg und blies viel Rauch in das Gestöber hinein .
Eine Weile verging , ohne daß einer ein Wort sprach .
" Herr Mildau , " sagte endlich Gabriel leise , " ich mache Ihnen das Geständnis , daß ich Ihre Tochter so sehr liebhabe . "
" Was tausend ! " rief Mildau laut aus , ärgerte sich aber sofort über diesen Ruf - er wollte ja doch platterdings nicht passen für seine Stimmung und für des jungen Mannes Bekenntnis .
- Gabriel blieb nun stehen ; Mildau mußte dasselbe tun .
Gabriel sagte :
" Geben Sie mir Anna zum Weibe . "
Da hob der Kaufmann an , auf dem weichen Schnee wieder zu wandeln .
Beide schwiegen .
Die Flocken schmolzen , die an Gabriels Wangen vorübertanzten .
" Haben Sie denn schon mit meiner Tochter darüber gesprochen ? " fragte nun Mildau mit völlig klangloser Stimme .
" Ich habe mit ihr darüber gesprochen , " antwortete Gabriel , " sie hat nicht nein gesagt .
Sie wies mich an ihre Eltern . "
Wieder schritten sie schweigend .
Auf den Hüten der Wandelnden schwollen die flaumigen Schneehauben .
Mildau räusperte sich ; Gabriel schlich ganz auf den Zehenspitzen und hielt schier den Atem ein , da - wurden sie unterbrochen .
Ein Geschäftsfreund Mildaus war hastig des Weges gehuscht ; er kam aus einer Filiale der Vorstadt , fluchte über das Wetter , machte Späße mit seinem Fanghund - dem Poeten war ganz gräßlich zumute - und suchte Mildau mit sich fort gegen die Stadt zu zerren : " Komme ' , Alter , heute trinkst du mit mir eine Tasse Grog .
Hast du das Hamburger Kursblatt gelesen ? "
" Ich komme nach , Freund , ich komme nach ! " versetzte Mildau rasch .
Der andere eilte wegsüber davon .
Mildau und Gabriel , wieder allein , schritten weiter .
Lange waren sie stumm .
Gabriel hörte fast die Schneeflocken fallen .
Plötzlich tat der Kaufmann mit lebhafter Stimme die Frage : " Als was , junger Mann , als was wollen Sie heiraten ? "
Als Mann .
Das Wort lag auf der Zunge ; der Werber würgte es glücklich hinab .
Doch die Frage des Geschäftsmannes heischte Antwort .
" Der günstige Erfolg meiner Waldlieder - "
" Sie sind der Dichter der Waldlieder " , unterbrach ihn Mildau .
" Das weiß ich und freut mich .
Doch aufrichtig gesprochen , lieber Freund , Waldlieder singt jeder Fink . -
Ich bitte um Entschuldigung .
Ich möchte Sie nicht beleidigen in einem Augenblick , da Sie mir bekennen , daß Sie das Wesen lieben , welches auch mir über alles teuer ist .
Und - Sie mögen es sogleich wissen - ich bin prinzipiell der Verbindung nicht entgegen .
Ich zweifle nicht daran , daß Sie lediglich nur die Persönlichkeit meiner Tochter bestochen haben wird .
Doch hier müssen Sie nicht allein mit dem Herzen , sondern auch mit dem Kopfe rechnen .
Sie sind ein unbemittelter Mann ; meiner Tochter hingegen muß bewußt sein , daß sie das Kind eines vermögenden Hauses ist . -
Vor kurzer Zeit erst ist in ähnlichen Verhältnissen eine Verbindung eingegangen worden .
Ich kenne das Paar , es ist eines der beneidetsten der Stadt , und dennoch weiß ich , daß die junge Frau jetzt schon ihrem Gatten vorwirft :
Was waren Sie , was hatten Sie , ehe ich Ihnen die Hand gab ? -
Freund , wie unangenehm müßte so etwas Ihr zartes Gemüt berühren !
Glauben Sie mir , auch in den sogenannten besseren Ständen gibt es niedrig denkende Leute . "
" Aber , Herr Mildau - "
" Sie verteidigen meine Tochter .
Ich auch .
Ich denke , Anna wird einen Gatten glücklich zu machen wissen .
Doch sollten Sie auf alle Fälle - und wäre es nur bloß der Welt Willen - auch Ihrerseits auf etwas pochen können .
Sie verstehen mich . "
" Ich verstehe " , sagte Stammer .
" Herr , ein zagender Bursche trat heute vor Sie ; ein entschlossener Mann sagt Ihnen seinen Dank . "
Nach kurzer Zeit hatten sie sich getrennt , und die Flocken verhüllten bald die Spuren ihres Fußes .
Willkommen , Professor Die Zeit des heißen Harrens und Erwartens kann noch weniger als der Schlaf zum Leben gerechnet werden .
Sie gibt nichts , erfüllt nichts .
Und der Harrende erkennt sie nicht an , sucht sie zu überspringen , und da er das nicht kann , so ist er tot mitten in seinem Leben , ja , elender als tot , er ist in der Qual , bis ihn die Erfüllung seines Erwartens wieder erweckt und erlöst und oft auch - enttäuscht .
- Diesen Winter - so hatte Anna später ihrem Gatten vertraut - diesen Winter vergesse ich nimmer .
Die Tage waren traurig und finster , die Nächte wollten kein Ende nehmen .
Du kamst so selten und bliebst so kurze Zeit und warst so ernst .
Und da kam es mir in den Sinn , du möchtest mich nimmer liebhaben .
Mein Vater war noch herzlicher mit mir als sonst ; meine Mutter schickte mir mehrmals den Arzt , zu sehen , was mir denn fehle .
Dem Arzt lief ich davon , sie suchten mich im ganzen Hause , und ich steckte in Ferdinands Kleiderschrank .
- Hätte damals Gott mein Gebet erhört , ich läge unter der Erde , und - nicht wahr , Gabriel - das wäre doch nicht gut .
Damit ist dieser Winter kurz und gut beschrieben .
Um die Osterzeit desselben Jahres war_es , da machte ein neues Buch Aufsehen im Lande .
Es war ein Lehrbuch über die Pflanzenwelt der Alpen .
Das Buch war in Klarheit und mit erschöpfender Gründlichkeit geschrieben ; es hielt sich nicht an die herkömmliche Form und Einteilung eines derartigen Werkes ; im Anhing " Über die Psychologie der Pflanzen " war der Poet zu spüren .
In den Studierstuben der Gelehrten , auf den Prunktischen der Salons war das neue Buch zu finden ; der Minister des Unterrichts führte es in Schulen ein ; der Verfasser erwarb sich durch dieses Werk den Titel Doktor und Professor ; eine Lehrstelle an der Hochschule wurde ihm angetragen .
Der Verfasser hieß Gabriel Stammer .
Der Mann war aus der Verborgenheit gerissen .
Die " Waldlieder " hatte man nur vernommen , wie man etwa auf Spaziergängen eine Drossel hört , ohne sie selbst zu sehen .
Jetzt wurde Stammer mit Auszeichnungen überhäuft .
Ein noch junger Mann mit so eigenartigen Schicksalen , ein Waldkind , und berühmt !
Das zog an .
Es kamen schmeichelhafte Einladungen aller Art. Buchhändler machten sich an ihn , stellten ihm für weitere Werke glänzende Anträge .
Manche Sirenenstimme lockte ihn zu Weltleben und Genuß .
Gabriel lehnte höflich ab .
Leuchtenden Auges trat er eines Tages , bald nach der amtlichen Auszeichnung , in das Haus Mildaus .
" Willkommen , Professor ! "
Mit diesen Worten empfing ihn der Kaufmann .
Anna beglückwünschte ihn herzlich , aber mit ernster Miene , zu dem schönen Erfolge .
" Den müssen Sie mit mir teilen , Anna , " sprach Gabriel fröhlich , " denn das Schönste , was in meinem Buche steht , das haben Sie gemacht . "
Das Mädchen senkte sein Haupt , legte den gebogenen Zeigefinger an die Lippen und lispelte :
" Sie sollten nicht spotten . "
" Ich spotte nicht ! " rief Gabriel lebhaft , " glauben Sie mir , Anna , der Gedanke an Sie hat mich ermutigt und gestärkt , eine Arbeit , die mich schon jahrelang beschäftigt hatte , zur Ausführung zu bringen .
Wenn Sie meine Psychologie der Blumen einmal durchsehen , so werden Sie manchen Gedanken , manche Idee darin finden , die Ihnen bekannt ist , weil Sie , mein Fräulein , davon die Urheberin waren .
Sie dichten und schaffen mit mir . "
" O Gott , das kann ich nicht ! " rief das Mädchen und hielt die Hände vor das blasse Gesicht .
" Ein Weib , " sagte Gabriel , " das den Künstler durch die Liebe beseligt , hat den ersten Anteil an dem Gelingen des Kunstwerkes . "
Nun konnte sich Anna Mildau nicht mehr beherrschen , sie fiel dem jungen Manne an die Brust , umschlang mit beiden Armen bebend seinen Nacken und preßte ihr Antlitz , über welches Tränen rannen , an sein Herz .
Es klingelte ein Gerücht in der Stadt herum .
Man gab ihm gern Gehör und trug es gern weiter , denn es hing viel Redestoff daran .
" Das Fräulein soll eine Schwärmerin sein . "
" Wahrhaftig , ja ; es ist ganz heillos in den jungen Menschen vernarrt . "
" Sie soll ihm ja ins Gebirge nachgezogen sein . "
" Davon weiß man nichts Genaues .
Jedenfalls ist ihr Vater zum Ja gezwungen worden .
Sie wäre imstande und täte sich ein Leid an . "
" Mildau soll aber den Poeten wohl leiden können , hat sich stets einen Doktor oder Professor zum Schwiegersohn gewünscht . "
" Und andererseits soll er wieder gesagt haben , sein Tochtermann brauche nicht Schulmeisterei zu treiben . "
" Ja , freilich , wenn zum Titel die Mittel kommen , dann hat es weiter keine Not. "
" Klingendes Geld mit einem klingenden Namen zu vermählen , ist eine vornehme Sache ' .
Es ist fabelhaft , wie dieser Naturbursche sein Glück macht ! "
" Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben . "
So gaukelt das Geschwätz gern rings um die Wahrheit wie der Falter um die Flamme .
Aber den rechten Fleck trifft der Klatsch selten .
Herr und Frau Mildau hatten ihr Ja ohne Nebenzweck gegeben - lediglich aus Liebe zu ihrem Kinde .
Waldsings Hochzeitstag Und an einem gottesfrischen , taufunkelnden Maimorgen klangen die Glocken der Waldkirche .
Die Kirche stand eine halbe Stunde von Karnstein gegen die Einödwälder hin ; sie stand auf einer Anhöhe , und das weiße schlanke Türmchen ragte über die dunkelnden Tannen und grünenden Lärchen , in denen die Amseln und die Finken und die Zeisige und die Meisen und die Lerchen trillernd , singend , jauchzend Hochzeit hielten .
Das neu und schöner erstehende Karnstein hatte sich festlich geschmückt ; und seit der Ort besteht , das erstemal waren die Wege mit Besen ausgekehrt und mit hellen Blümlein bestreut .
Vom Bahnhofe her kam ein kleiner , aber seltsamer Zug .
Ein paar stattliche Herren , etwelche schöne freundliche Frauen - Gabriel Stammer in ihrem Kreise .
Und der alte Ferdinand Küßdenker , nimmer in Grau , sondern pechschwarz , glatt und glänzend auf und auf , eine Rose im Knopfloch , Glück im Herzen , Lust in den Augen - denn ihm zur Seite schwebte sein liebes Mädchen , Anna Mildau , im Brautschleier .
Er , der Ferdinand Küßdenker , liebender Jüngling seit Anna auf Erden - heute Bräutigam im Geiste .
Er führte das herrliche Mädchen zum Altar . -
So hatte er es seit jenem Gange in die Einödwälder bei siebenmal verschlossenen Türen seines Herzens gewünscht ; so war es gekommen .
Er geleitete die Tochter seines Herrn und Freundes zum Altar - ihrem Erwählten entgegen .
Anna glitt , schwebte in ihrem zarten , schwanenweißen , myrtendurchwobenen Hochzeitskleide wie eine Äthergestalt dahin .
Ihr blasses Antlitz , die dunklen Wimpern ihrer großen Augen gesenkt , mit losen Locken , auf welchen wie ein Heiligtum das grüne Sträußchen ruhte - so schwebte sie dahin .
Der Schleier wallte wie eine zarte Wolke , die der nächste Lufthauch wird verwehen , über ihr Haupt .
Hochklopfenden Herzens und doch kaum zu atmen wagend , um ihre süße Pein und Seligkeit nicht hinauszuschreien in den himmlischen Morgen , um sich nicht etwa selber zu wecken aus dem wunderbaren Traum - so schwebte sie dahin . . . . Ich kann_es nicht fassen , nicht glauben , es hat ein Traum mich berückt , wie hätte er doch unter allen mich Arme erhöht und beglückt ! . . .
So sann sie nach den Worten eines Dichters . . . . Mir war_es , er habe gesprochen :
Ich bin auf ewig dein .
- Mir ist_es , ich träume noch immer - es kann ja nimmer so sein . . .
Sie zogen über die Felder , auf denen schon das Korn grünte , welches ein paar Wochen früher der Landmann gläubig und hoffend in die Erde gelegt hatte .
Am Rande des Waldes stand ein Dornstrauch mit vielen Rosenknospchen und mit vielen Tautropfen auf seinen Blättern .
Am Rande des Waldes standen hohe Buchen , die eine schattige Pforte wölbten über den Hochzeitszug .
Anna schwebte durch den dunklen Wald wie ein weißes Rosenblatt - nein , diese Erde weiß keinen Vergleich mit dem heiligen Wesen einer jungfräulichen Braut .
Wie eine Flocke wehte sie dahin , und sooft durch das hohe Gestemme ein Sonnenstrahl auf die weiße Gestalt fiel , war es , als zuckte ein Blitzstrahl durch diese Flocke .
Selbst die Vögel auf den Wipfeln , schien es , wurden andächtig und wisperten nur leise .
Aber zwischen den Bäumen her klangen die Glocken hell und heller , und diesem Rufe folgte der Zug , bis er auf dem stillen Waldanger stand vor der Kirche .
Aus dem Dunkel des kleinen Gotteshauses strahlten des Altars Lichter , und das liebfreundliche Bildnis Maries war umwunden mit einem Kranze von weißen und roten Rosen .
Als sie in die Kirche getreten waren , schwiegen die Klänge .
Bis zum roten Samt der Altarstufen geleitete Ferdinand die Braut ; dort tat er noch einen kurzen , fast wirren Blick in ihr Angesicht und trat dann einige Schritte zurück .
Denn an Annens Seite stand jetzt Gabriel mit dem Myrtenstrauß auf der Brust .
- Er hob sein Auge gegen den Lichterkranz ; sie neigte ihr Haupt zur Erde - was in ihrem Augensterne lag und was um ihre roten Lippen zuckte - - es kann nicht aufgeschrieben werden .
Nun kam der Priester .
Er hielt eine kurze Ansprache über den Hauptsatz : nichts ist so göttlich auf Erden als die ewige Ehe , wenn sich zwei lieben .
Es war ein hellenischer Festgruß , frohgemut stimmend mit den freudig bewegten Herzen und mit dem sonnen- und klangvollen Maimorgen .
Und als er die Stufe niederstieg , um das dreifache Ja zu hören , und als der Priester die goldenen Ringe gleiten ließ über die Fingerspitzen , und als er - die Rippe Adams wieder einsetzend in dessen Seite - die beiden Hände ineinanderlegte , da zitterte ein Sonnenfunke nieder durch die Kronen des Waldes und durch das Kirchenfenster auf die Häupter des jungen Paares . . . . Bist mein Geliebter Du mir erschienen , Gibst du , Sonne , mir deinen Schein ! . . .
So hob jetzt plötzlich draußen zwischen den Stämmen ein Chor von Mädchenstimmen an zu singen , im Lied der Braut um die Stirn windend der blühenden Myrte Zier .
Mildau hatte sich während der Feier mehrere Male umgesehen nach dem Vater des Bräutigams .
Der Heidebeter und Regina mit ihrem Mann aus dem Haberturmhause standen in dem finstersten Winkel der Kirche ; der Peter wollte sich vor den vornehmen Herrschaften gar nicht sehen lassen , er wollte nichts , als das Paar am Altar schauen , und er mochte nun schier nicht glauben , daß dieses schöne junge Weib , so schön und lieblich wie " unsere lieben Frauen im himmlischen Saal " , von nun an sein Kind heißen soll . . . . Wenn ein Brautpaar zum Traualtar tritt , so begleiten es die Himmlischen : die Sehnsucht und die Hoffnung .
Darum ist dieser Gang so feierlich , so wundersam , so beklemmend , und fast schwankt die Erde . -
Anders wenn die Vereinigten aus der Kirche schreiten ; da fühlen sie unter ihren Füßen den festen Boden des irdischen Seins , und die Stimmung ist eine weltliche , leichtlebige , bisweilen sogar übermütige .
Gleichwohl in den schweren Banden jetzt , " die nur der Tod kann lösen " , fühlten sich Gabriel und Anna frei und wie neugeboren zu einem Leben , das keine Not mehr kennt , das erhaben ist und vollkommen - eine ewige Burg des Glückes .
- Arm in Arm verschlungen gingen sie aus der Kirche und durch den Wald .
Sie gingen etwas gesondert von den Hochzeitsgästen und taten nichts , als sich ins Auge blicken und selig sein .
" . . . Ich kann_es nicht fassen , nicht glauben ! " lispelte Anna , " es hat ein Traum mich berückt . "
Und Gabriel , Chamissos hohes Liebeslied vervollständigend :
" Wie hast du doch unter allen mich Armen erhöht und beglückt ! "
Gabriels Einödverwandte waren aus der Kirche dunklem Hintergrunde kaum hervorzubringen .
Der Bräutigam selber mußte Vater , Schwester und Schwager Habeturm schier mit Gewalt in die Gesellschaft zerren .
" Wir gehören nicht dazu " , murmelte Rudolf , sich verlegen sträubend , und Regina weinte in ihr Tüchlein :
" Jetzt haben wir ihn erst ganz verloren ! "
- " Im Gegenteil , " sagte Gabriel lustig , " ihr müßt noch unsere Butterlieferanten werden . "
Denn die Haberturmleute hatten einen großen gelben Butterstritzel dahergetragen , der zierlich mit Tannenreisig bekränzt war , weil in der Einöde zurzeit noch keine Blume blühte .
Der alte Heidebeter hatte dem Brautpaar als Hochzeitsgeschenk ein lebendiges Reh gebracht .
Anna hatte nun , als sie beim Mahle saßen , das zahme Tier auf dem Schoß , ließ sich von ihm das bräutliche Kleid zerdrücken , herzte es , gab ihm die zärtlichsten Kosenamen - wohl dem Bräutigam vermeint .
Und die Sänger von Karnstein sangen :
Der Mai , der schön ' Mai Ist erfreuliche Zeit , Ist die ganz Welt voll Liebe
Und voll Lustbarkeit .
O Mägdelein mein's , Wie fein , wie fein !
Die Vögelelen Schreins , Daß du mein sollst sein !
Ist eine ewige Schrift : Dich lieben , dich lieben !
Der Adam im Paradies Hat es unterschrieben .
Der Abend Das Jagdhaus im Ring war oftmals schon Gegenstand geheimer Wünsche des Waldsings gewesen .
Das Haus stand gegen die Schroffen hin mitten im Wald , auf einer Lichtung , der Ring geheißen ; es war - wie in den Märchen alle verlorenen Königsschlösser der Wildnisse - im Spitzbogenstil gebaut .
Wilde Rosenhecken umwucherten das Gebäude , und hundertarmiger Efeu stieg an den grauen Wänden hinan bis zu den schmalen Fenstern , in welchen die Zellenscheibchen funkelten .
Das Gebäude stand auf der Anhöhe einer Wiese , um welche in einem weiten Ring die hohen finster beästeten Stämme des Waldes ragten .
Das Haus mit den Revieren war Eigentum eines Großen des Landes .
Ein alter Forstwart bewohnte es ; nur zur Zeit der Jagden kamen die Herren aus der Stadt , um etliche Nächte in dem wohnlichen Waldhause zu schlafen .
In dieses Jagdhaus hatte am Abend ein Wagen das Brautpaar gebracht .
Ferdinand Küßdenker führte - selbstbewußt wie ein richtiger Hauswart - das Paar in die Gemächer .
Hier brannten zwischen den Jagdgeräten und Hirschgeweihen in silbernen Leuchtern schon die Kerzen .
Da war ein Saal in altertümlicher Art eingerichtet , stand ein Bücherkasten drin , und auf einem Nußbaumtischchen fanden sich zwei Zithern .
Da war ein Speisezimmer , und in demselben ein Täfelchen fein gedeckt .
Da war ein Gemach mit zwei Himmelbetten , in welches Anna bei dem ersten Gang durch das Haus nicht eintrat ; sie blieb in der Vorkammer zurück und blickte sinnend aus gegen die stillen Wipfel des Forstes , die mit ihren Zacken und Spitzen in den klaren Abendhimmel aufragten .
Als sie so in flüchtigem Laufe die Wohnung besehen hatten , riet Ferdinand dem jungen Ehepaar , daß es sich ein wenig zu Tisch setze .
Ein Glas Wein darf Braut und Bräutigam zu solcher Weile nicht verschmähen .
Dabei fand sich noch ein übriges .
Auf dem Tisch lag ein Brief von Vater Mildau , folgenden Inhalts :
Meine Kinder !
Ich hoffe , daß Ihr mir die durch mich angezettelte Entführung in den Wald gern verzeihen werdet .
Das Jagdhaus ist gepachtet , laßt es Euch darin behagen , bis das eigene Landhaus fertig sein wird , zu welchem freilich noch kein Grundstein gelegt worden , weil es Eure Sache ist , den Platz dazu zu wählen .
Um Euch Liebesglück und Poesie zu vervollständigen , erlaube ich mir , hier eine Beilage anzubiegen .
In Kürze Euren Besuch in der Stadt erhoffend mit fröhlichem Glückauf ! Euer Vater Josef Mildau .
Die " angebogene Beilage " bestand in einem kunstvoll gearbeiteten Stahlkästchen , in welchem sich Dinge und Schriften befanden , die - als wie prosaisch sie auch verschrien sind - " zur Vervollständigung der Lebenspoesie " allerdings viel beitragen .
Die Gabe war liebreich und groß .
Die süß-bange Stimmung aber vermochte sie nicht zu zerstreuen , die Annens Brust heute beengte .
Sie hatte ihn doch zu unsagbar lieb .
Nur ihm , ihm allein anzugehören , war stets ihr Gebet und ihre Sehnsucht gewesen .
Und jetzt , da sie allein an seiner Seite saß , im stillen , waldumfriedeten Hause , jetzt -
Als sich der alte Ferdinand anschickte , sein Kämmerlein zu suchen , bat Anna , daß er noch bleibe .
Heute das erstemal tat er ihren Willen nicht .
Ein sonderbares Gutnacht lispelte er , dann schlich er davon und zog die Türen leise , aber fest hinter sich zu .
Von diesem Augenblick an sagte Anna kaum ein Wort mehr .
Schweigsam saßen sie da , und eine altväterische Pendeluhr tickte laut und lauter , so , daß es schließlich zu hören war , als schreite ein geharnischter Ritter mit eherner Gleichmäßigkeit durch den Saal .
Da rückten sich die Leutchen näher .
Ein Fensterflügel glitt in der Abendluft leise auf und zu .
Da kam es sachte - über die Wipfel herangezittert durch die Nacht wie Harfenklang .
Männerstimmen sangen im Wald ein Lied .
Die Worte waren kaum zu verstehen , nur die letzte Strophe kam , wie auf einem eigenen Lufthauch herübergeschifft , zum offenen Fenster :
- Bin ich voll Verlangen Noch zum Herrgott gegangen :
Darf ich_es Dirndl liab'n ? -
Ei ja freilich , sagt er und hat gelacht , Z'weg dem Büaberl haben ich es Dirndl gemacht . . .
Die Töne waren zittert .
Über dem finsteren Gestemme lag die Ruhe des Sternenhimmels .
Ein Luftzug durch das Fenster blies die Kerze aus .
Wie sie Honigwochen hielten Unter Gabriels Papieren finden wir ein Blatt , auf welchem folgendes geschrieben steht : Den lieben Gott selber nimmt man bei der Hand und nennt ihn Bruder und dankt ihm , daß er einen nicht zum Engel , sondern zum Menschen gemacht hat .
" Soll denn eine Zeit kommen , wo Honigwochen nicht mehr sind ? " fragt sie dich , die Geliebte , die einzige , die Angetraute .
Du sitzest in leichtem Hauskleide neben ihrem Bett und blickest das holde Wesen an - es ist so zart , so weiß , die reiche Fülle der Locken umrahmt das Antlitz , die langen Wimpern verhüllen das Kleinod des Auges ; ein wenig entfaltet ist das Lippenpaar - leise aus und ein den Atem ziehend - deines Frühlings warmen Hauch ; auf dem Busen wiegt die zarte Hand sich im sanften Auf und Nieder . . .
Der erste Morgen .
Jetzt schlägt sie die Augen auf , sieht dich und macht sie wieder zu .
An euren Wangen ist Morgenrot . Deinen Mund zieht es nach ihren Lippen !
Draußen ist Sommertag .
" Komme ' , mein Liebe , wir gehen ins Freie . "
" Aber - nicht unter Leute " , flüstert sie .
" Also in den Wald .
Ja , Weib , du hast recht , es wird keine Zeit kommen , da diese Tage nicht mehr sind . "
Ihr wandelt die Wege , die ihr gestern gegangen seid mit den Myrten und mit den Lilien .
Das ist aber nicht mehr derselbe , es ist ein anderer Weg .
Gestern und heute !
Und merkwürdig ist ihr Blick , nicht wahr ?
Du hast bisher keinen solchen Blick ihres Auges erfahren - so verwirrt , so vorwurfsvoll , so verzeihend , so innig , so befangen - " Schau , " sagt sie , " jetzt trägst du eine Ehemannsseele in dir ! "
" Ja , " sagst du , " jetzt lebe ich zwei Leben .
Ist das eine unpäßlich , so hüpfe ich auf das andere hinüber .
Mache du es auch so . "
" Ich bin schon drüben " , antwortet sie .
Ihr ruhet im Grünen und wendet euer Angesicht gegen das Blau , welches zwischen den Zelten des Tanns blinkt .
Ein weißes Wölklein schwimmt vorüber ; ein munterer Vogel hüpft in den immergrünen Gabeln , pickt in den Samengehäusen der Zapfen .
Waldbienen summen und klingen - wären Saiten gespannt an den Stämmen , so müßten sie klingen .
Du schließest wohl halb die Augen , um neben dieser äußeren Welt auch noch die innere zu schauen .
Du öffnest halb die Lippen , um die Waldesluft in deine Brust zu trinken .
Sie hat ein Doppelpflänzchen gepflückt , an welchem zwei große Erdbeeren hängen , sie legt dir das Streusel so in den Mund , daß eine der Beeren zwischen die Lippen sinkt .
Dann neigt sie sich zu dir und nimmt mit ihrem Munde die zweite Beere der Pflanze .
Dann liegt auf deinem Schnurrbärtchen nur mehr der Zweig mit seinen grünen Blätterherzen .
- So liebt ein junges Paar Erdbeeren zu pflücken .
Ihr schreitet tiefer in den Schatten und suchet die dunkelsten Büsche auf .
Sie ist im Herzen ein Kind und freut sich an einem Neste der Wildschnepfe ; aber sie rührt keinen Halm an , und willst du es tun , so hält sie dir den Arm zurück ; und willst du dir den kunstvollen Bau des Nestes besehen , so breitet sie ihre Hände darüber aus .
Du bist allzu gierig .
- Himbeer- und Brombeergesträuche hat seine Dornen und Hecken ; da bleibt sie wohl bisweilen hängen mit ihrem luftigen Kleid .
Je mehr sie sich wendet und bückt , um sich zu erlösen , je vielfältiger wird sie umstrickt .
Du befreiest sie gern , bist aber nicht uneigennützig genug , um auf den Sold zu verzichten , den du dir in baren Küssen holst .
Muß sie denn alles zahlen und alles geben ?
Schon am ersten Tage ? -
Was soll sie morgen für dich haben und im nächsten Jahr und in aller Zukunft ?
- Du fragst heute nicht , mein Freund , und ich antworte dir doch .
Heute beglückt dich ihrer Liebe zitternde Ergebung , morgen berauscht dich ihrer Liebe Glut , aufs Jahr beseelt dich ihr Mutterglück und ihr Opferwille , in aller Zukunft bleibt dir ihre Treue :
sie lebt für dich , sie duldet für dich , sie stirbt für dich .
Du liebst sie , weil sie deine Lust ist , sie liebt dich , weil sie für dich leiden wird .
Welche Schätze , um dich zu beschenken dein Lebtag lang !
Weiterhin in der Sonne wächst das immerblühende Kraut der Eriken ; des Waldes Lorbeer , die edle Pflanze der Preiselbeere glänzt darunter .
Dazwischen wiegen die goldfarbigen Liebfrauenschühlein , an denen die Hummeln und Bienen gern Honig sammeln .
So mag es sich ja zutragen , daß auch ihr euch einmal in das Kraut der Eriken und Preiselbeeren legt und der Sonne volles Anrecht laßt auf eure Glieder .
Ameisen rieseln geschäftig über eure Kleider hin , kleine und große Schmetterlinge gaukeln vor euren Augen , einer ist dabei , der will sich ins Lockenmeer des jungen Weibes setzen - aber du jagst ihn fort .
Arg drohen euch die Tiere in ihr Bereich zu ziehen .
Ihr ruht auf einem Wald im kleinen , auf einer Welt im kleinen ; in ihren Schattentiefen weben andere Wesen , die sind jung , da ihr euch niederlasset , und sind alt , bis ihr euch erhebt .
Während einer einzigen Spanne eures süßen Lebens haben die da unten im Heidekraut und im Gemoose geworben , geliebt , gelitten und gestritten .
Idealisten sind darunter , die streben höheren Welten , vollkommeneren Wesen zu und kommen - zu euch herauf .
An deiner Stirnlocke sehe ich eine junge Kreuzspinne sitzen .
Sie blickt mit ihren vielen Augen hinüber zu deiner Liebsten , sie möchte gern drüben sein , aber es ist keine Brücke gezogen . . .
Soll sie doch warten , bis ihr selbst die Brücke baut und eure Häupter sich innig nahen ?
Sie will vorlang nicht müßig sein ; sie spinnt einen Faden so fein , so unsichtbar wie die Ahnung der Jungfrau .
Ein Lufthauch weht und trägt den Faden hinüber ins zarte Gelock deiner Gesponsin , und nun ist die fliegende Brücke vollendet .
Du schaust der Liebsten unersättlich in das Auge .
In deiner Brust wehen die Schauer des vollsten Lebens , mit den Lippen begehrst du zu küssen , mit den Armen ihren weißen Nacken zu umwinden .
Jetzt gewahrt sie auf dem fliegenden Faden hastig die Kreuzspinne nahen - entsetzt springt sie auf - lachend eilt sie über das Heidekraut .
" Ach , Kind , " sagst du , " hättest sie gewähren lassen , sie hätte uns neu verbunden und verflochten , sie hätte uns wieder eingewebt in ihren seligen Schleier ! "
Ihr seid der Erde und verschmäht den Himmel : so verhüllen euch der Bäume Kronen sein Blau , das nur die Sehnsucht mißt .
Auch eure Sehnsucht hat alle blauen Himmel durchmessen und hat - zur Erde wiedergekehrt - ihr Ziel gefunden .
Die Rinden des Gestemmes sind gerissen , durchfurcht und durchgraben , das sieht aus wie eine Geheimschrift .
Kannst du sie lesen ?
Euer Morgen mag hier aufgeschrieben sein , eure Zukunft .
" Ewig vereinigt , ewig beisammen ! " so jauchzt ihr heute in Hymnen ; aber einst kann ein Tag sein , da eins von euch beiden allein die Pfade wandelt - weinend oder froh !
Oh , geht rasch vorbei an diesen geheimnisvollen Zeichen ! - Seht , dort grast ein Reh .
Es sieht euch wohl , aber flieht euch nicht , es weiß , ein Mensch an diesem Tage tötet nicht .
Ihr seid des Lebens Frucht und seid des Lebens Keim , ihr seid heute das Herz der Welt . . .
Bis ihr den Weg nach dem heimatlichen Dach antretet , dämmert es .
Leuchtwürmchen funkeln euch entgegen ; dein liebes , großes Kind verbirgt davor die Hände , weil es glaubt , die fliegenden Funken könnten brennen .
Bald aber wird sie kühn , fängt einen der strahlenden Käfer ein , stellt ihn fürsorglich auf die Spitze ihres Zeigefingers und leuchtet dir mit solcher Kerze in das Gesicht .
Bei diesem Lichte lugt ihr euch nächtlicherweile in die Augen .
Nach Hause gekommen , könntet ihr beobachten , wie eine verzweifelte Köchin die Hände über den Kopf zusammenschlägt .
Die Brühe veraltet , der Braten verdorben , der Pudding vertrocknet !
Leichtfertiges Volk , ihr habt das Mittagsbrot vergessen ! -
Ein schuldlos Huhn muß alles bezahlen , ihm kostet dieser Abend das Leben .
Um so fröhlicher lodert das eure auf .
Rheinwein !
Ein kleines Glas .
Ihr stoßet an : diese Kelche sind noch gut zu leeren .
Euer Wohl ! . . .
Und soll ich euch weiterbegleiten ? . . .
Ah , du winkest ! -
Gute Nacht !
Zu wem Gabriel all das wohl gesprochen hat ? -
Er sagte es zu einer Stunde , da er mit sich allein war .
Ein Schatten im sonnigen Tag Vom Jagdhause aufwärts hinter den Hochleutlehnen ist ein kühler Grund , in welchen sieben Schluchten ausmünden .
Jede dieser Schluchten bringt ein leise rieselndes oder laut rauschendes Wildbächlein mit sich .
Drei dieser Wässer bilden Fälle über terrassenförmiges Gewände ; das Plätschern und Sausen davon ist weithin zu hören , und Wasserstaub durchweht den Tann , so daß an den Nadeln immer regenbogenfarbige Perlen hängen .
In der Talung , wo diese sieben Bäche zusammenrinnen , liegt ein See , der Stern geheißen .
Die Umgebung des Sees ist teils schwarzer Hochwald mit vom Wurm getöteten Stämmen , die allen Ausweg versperren , teils steiniges Gehänge , an welches sich wildes Rosengehege und anderes Laubwerk emporwindet .
Darüber herein leuchtet an freundlichen Tagen die Sonne auf den See , von dem keine Farbe anzugeben ist , weil er alle besitzt vom lichtesten Blau an bis ins dunkelste Grün - je nach der Stimmung des Himmels , je nach der Tageszeit , je nach seiner Tiefe .
An den Ufern hin schimmern eine Weile noch die grünlichen Steine .
Weiterhin ist von den wenigen Waldleuten , die zu seltenen Zeiten hierherkamen , der Grund nicht entdeckt worden .
Es ist ein gar versteckter Ort , der nur auf einem einzigen , durch sträubende Büsche und zwischen Felsblöcke sich schlingenden Fußsteig erreichbar ist .
Der Abfluß geht durch eine zerrissene Kluft und gurgelt hinab in die Tiefe .
Diesen See suchte unser junges Paar gern auf , wenn es von seinen Ausflügen an der Hochleut niederstieg .
Ein kleiner grüner Rasenplatz am Ufer , ganz mit bemoosten Felsblöcken und blühenden Dornbüschen umfriedet , war ausschließlich Annens Eigentum .
Hierher durfte ihr Gabriel nicht folgen , denn hier stieg Anna in die blaue Flut .
Gabriel hatte sich einen anderen Winkel des Sternes ausgewählt , und zwar in der Nähe eines Wasserfalles , der , ein schimmernder Schleier , von der Wand in den See stürzte und so den schönen , glatten Spiegel in einem weiten Kranze hin erregte .
Hier schleuderte der junge Mann in übermütiger Lust Stück für Stück der Kleider von sich , und als er frei war von all den gewobenen , gewundenen Fäden , die ihn noch mit der Kultur verbunden hatten , sprang er in den Schleier des Wasserfalles hinein oder stürzte sich kopfüber in die Wellen . -
Gut , daß ihn Anna nicht sehen konnte , ihr wäre bange geworden , denn die Flut , die sich über dem lust- und lebendurchglühten Menschenkörper geschlossen , tat sich nicht mehr auf ; und immer stürzten die Bänder des Falles nieder , und weithin zitterte der See - aber der Badende tauchte hier nicht mehr empor .
Der gewandte Schwimmer strebte einer Wassernixe zu . . . und war ihm schon verboten , die Einsamkeit des Rosengestades zu verletzen , so tauchte er doch im Wasser plötzlich neben seinem plätschernden Weibchen auf ; und Anna saß in der Flut und suchte den Eindringling durch Wellengischten zu verscheuchen .
- Eines Tages rüsteten sie sich zu einer Partie in die Wildschroffen .
Selbstverständlich suchten sie die allereinsamsten Wege auf .
Ihre Liebe beleuchtete die Felsen ; sie sahen Alpenglühen , auch wenn die Pelze der Nebel sich über die Berge schmiegten .
Es war im Gebirge tagelanges Unwetter gelegen , nun es sich löste , leuchtete auf den Höhen der Schnee .
Züge von Herden trachteten niederwärts ; unser Pärchen stieg rüstig und lustig bergan - dem Himmel näher , den Himmel im Herzen .
Als sie zum Schnee kamen , jubelten sie ; ein solches Weiß , umsäumt von dem grünen Grunde des tieferen Waldlandes , hatte Anna noch niemals gesehen .
Allzulange waren sie nicht heiter .
Sie verloren im Schnee die Spuren des Weges , sie kamen in ein Gewirr von Steinblöcken hinein .
Gabriel - der Alpenkundige sonst - wollte es lange nicht gestehen , daß sie den rechten Weg nicht mehr unter den Füßen hätten .
Die Gesponsin sagte :
" Mein Liebster du , setzen wir uns hier auf diesen Stein zur Rast ; dann kehren wir um und bleiben wohlgemut . "
So taten sie , stiegen dann in eine Schlucht hinab , in der sie die bestimmte Richtung des Pfades zu finden hofften .
Sie gingen eine Weile die Schlucht hinaus und hatten zur Rechten und zur Linken schauderhaft wilde Wände , an denen sich kein Schnee hielt und keine Gemse , an denen nur zwei Wanderer emporzuklettern vermochten : das Auge und der Gedanke .
Endlich standen unsere zwei Wanderer still und blickten sich an .
Die Schlucht mündete in einen Abgrund aus .
Am Felsen , wo sie standen , prangte eine Holztafel :
" Hier ist Martin Scheiter auf der Gemsjagd durch einen Sturz verunglückt .
Nach vier Tagen konnte sein zerschmetterter Leichnam aus der Tiefe gehoben werden . "
- " Keine Bitte um ein Vaterunser " , sagte Gabriel .
" Hier geht kein Weg vorüber , " sagte Anna , " wer soll hier denn beten ? " Gabriel schwieg .
Er glaubte in ihrem Worte einen Vorwurf zu hören .
Anna blickte ihn lange an , schlich dann ganz nahe an seine Seite und hauchte :
" Bist du mir böse ? "
" Du mir diese Frage ! " rief Gabriel , sie stürmisch an seine Brust drückend .
" Ja , " setzte er kleinlaut bei , " Martin Scheiter ist der beste Kletterer in der Gegend gewesen . "
Sie setzte sich auf eine Felsbank ; sie milderte das Stoßen ihres Atems und wollte nicht zeigen , wie sehr sie erschöpft war .
Endlich legte sie ihre zarte Hand in die seine und flüsterte :
" Ich möchte wohl gern noch ein wenig leben . "
Vor die Sonne hatten sich Wolkenbänke geschoben ; über das Riff nieder fegte ein scharfer Wind .
Gabriel versicherte , daß ihm warm wäre , und er legte sein Reisetuch doppelt über ihre Schultern .
Ein Steinfalke schoß über sie hin ; sonst war Ödnis .
Gabriel fühlte eine unermeßliche Wucht auf seinem Herzen , da er die zarte Pflanze betrachtete , die ihm , dem Bergsohne vertrauend , hier im Gesteine atmete .
Plötzlich gellte schlagartig , ohne allen Nachhall , ein Schuß in der Schlucht .
Erschreckt fuhr Anna empor , wendete ihr Gesicht gegen die Richtung hin und schrie :
" Jesusmaria , da unten steht er ! "
Und schon lachend , setzte sie hinzu : " Der leibhaftige Schwarze ! "
" Na , der fehlt uns gerade noch " , sagte Gabriel .
Und siehe , dort hinter den Felsblöcken - eine wüsste Gestalt mit kohlschwarzem Antlitz , in welchem ein paar Augen funkelten .
Da sie aber einen Kugelstutzen in der Hand trug und einer gestürzten Gemse zuhastete , so sagte Gabriel :
" Der Teufel , Gott Dank , ist das dieweilen noch nicht , aber ein mit Ruß bestrichener Wildschütze . "
Kaum dieser Unterricht gegeben , waren sie von dem Manne bemerkt worden .
Im ersten Augenblick machte er Miene zu fliehen ; im zweiten wendete er sich mit einigen Schritten gegen das Paar und rief mit heiserer Stimme : " Wollt ' der Herr und die schöne Frau so gut sein und dem Jäger sagen , ich wäre hier den Berg hinaufgesprungen .
Er ist gleich da .
Geld , der Herr und die Frau wollte so gut sein . . . ? " faßte die noch zuckende Gemse über die Achsel und sprang damit , daß es in den Felsen klang , von Zacke zu Zacke , das Gewände hinab gegen die Tiefe .
Solange sie ihn springen sah , hielt Anna den Atem an , und als er im Geschütte verschwand , hob sich ihre Brust , als wäre mit dem Wilderer auch sie selber gerettet .
Die tote Gemse hatte sie freilich auch bedauert , aber in einem der " Waldlieder " hieß es :
Manch Tierlein bringt der Hunger um .
Der Hunger des schleichenden Schützen . . .
Und wie der Schütze berechnet : schon stand der Jäger mit Weidtasche , Griesbeil da und hielt den Finger an das Schloß des Gewehres .
Auf die Bitte des jungen Paares wies er ihm kurz einen Steige , der zwischen den scheinbar zusammengewachsenen Wänden durch in die Niederung der Matten führen sollte .
Dann fragte er hastig , ob nicht ein Schuß gehört und ein Wildschütze gesehen worden wäre , und welche Richtung dieser eingeschlagen hätte .
- Gabriel hob schon den Arm , um durch die Andeutung der Gegend dem Wilderer die strafende Gerechtigkeit nachzuschicken .
Doch stieß ihn Anna mit dem Ellbogen in die Seite , just an die Herzrippe hin , und wieder wach wurde sein eigenes Lied :
" Vom Hunger des schleichenden Schützen . "
" Ein Wilderer wäre der Mann gewesen ? " antwortete Gabriel dem Jäger mit dreist unbefangener Miene , " nun , der ist da den Berg hinaufgestiegen . "
" Schön Dank ! " entgegnete der Weidmann und eilte flink die steinige Lehne hinan , und Anna - sonst abhold allem Bösen - freute sich , den Mann mit der erlegten Gemse gerettet zu haben .
Aber für einen Augenblick kam nachher doch das böse Gewissen :
" Er hat uns den rechten Weg gezeigt , und wir haben ihn angelogen ! "
Sie hatten dann noch arge Wege zu wandeln , über scharfes Gestein und loses Gerölle , durch fließen Firn , ferner unter Baumgefälle hin , das der Sturm gerissen hatte .
Anna , die sich so sehr auf die Alpenfahrt gefreut hatte , blutete an Händen und Füßen .
Ihr junges Herzchen aber war lustig und froh und jauchzte , als sie in der Abenddämmerung den Fensterschein einer Hütte sah .
Eine Hütte auf der stillen Matte ; da wollten sie einkehren und das süße reine Glück des hellenischen Arkadiens in vollen Zügen trinken .
Anna trat mit schalkhafter Entschlossenheit zuerst in das Haus , doch blieb sie in der Tür und der fröhliche Gruß ihr in der Kehle stecken .
Sprachlos wendete sie sich ihrem Gatten zu .
Der Schein , welcher die Nahenden durch die Fenster gegrüßt hatte , kam von einem Öllicht , das in einem Wasserglase flackerte .
Es stand an der Wandbank , zu Häupten eines toten Menschen .
Und daneben der schwarze Mann von unten .
Gabriel wollte sich wenden , da schritt schon der Schwarze gegen die Tür und sagte : " Tu sich die Herrschaft nicht schrecken .
Wir haben uns oben schon gesehen .
Ihr tut mir nichts , gelt ? "
Es war in diesen Worten etwas Anheimelndes ; was sollten sie auch sonst zur nächtlichen Weile , als in der Hütte bleiben ?
" Redlich wahr , " sagte der Schwarze , während er bestrebt war , den Ruß vom Angesichte zu waschen , " mich tut's Gefreue , daß ich Unterstand und klein Ding Warmes bieten kann .
Hätte mich der Jäger ertappt , kund morgen der Ehemann seinem Weib nicht zum Grab mitgehen .
Hannerl , mache ein Essen ! "
Jetzt trat aus der Nebenkammer ein halberwachsenes , verstört aussehendes Mädchen .
Es hatte blutige Hände , es war mit der Gemse beschäftigt gewesen .
Nun machte es ein Herdfeuer an .
" Ist die Tochter , das , " stellte sie der Mann vor , " sie ist dabei gewesen . - Hannerl , das Mehl ist im Mehlschrank und nicht in der Salzbutten .
- Mein Gott , sie hat soviel den Kopf verloren .
Eine schauderhafte Sache ist es gewesen .
Wer wollte so was glauben ! "
Dem jungen Paare wurde bang .
Es atmete sich schwer .
Anna ließ Gabriels Hand nicht einen Augenblick los .
Das war kein hellenisches Arkadien .
" Ist Euer Weib ? " fragte Gabriel den geschwärzten Älpler , " ist wohl schon eine betagte Frau gewesen ? "
" An ihren Tagen ist sie nicht gestorben " , antwortete der Mann , an dem mittlerweile aus der Schwärze ein gutmütiges Gesicht hervorgekommen war .
- " Hell erfroren ist sie uns . . . "
Das Herdfeuer verlieh dem Antlitz der Toten noch einmal den Schein des Lebens .
" Haben ihr abgeraten , " fuhr der Älpler fort , " bei dem groben Wetter auf den Sattel zu gehen . -
Speik wollte sie haben und so Zeug mehr ; ist mit dem Korb davon .
Das Hannnerl geht mit ihr ; allzwei im Sommergewand - es ist eine Leichtsinnigkeit gewesen , gar nichts anders , der Pfarrer sagt es auch .
- Tu die Herrschaft jetzt was essen .
Gott gesegne !
Wie schaut sie denn aus heute , die Suppen ? "
Freilich war die Suppe nicht in Ordnung .
Anstatt Salz ein Löffel voll Asche war hineingeworfen worden .
" Mar und Joseph ! " murmelte der Mann , " letztlich wird sie mir noch närrisch !
Leicht kann_es sein ! "
Gabriel und Anna aßen ein paar Schnitten Brot und tranken Wasser .
" Da hat sich etwas Böses zugetragen " , sagte Gabriel .
" Hannerl , " rief der Mann , " setze ' dich auf den Zuber und erzähle_es noch einmal . "
" Ich bleibe beim Herd , " wimmerte das Mädchen , " mir ist soviel kalt . "
" So bleibe beim Herd ; wir wollen dich schon verstehen . "
Sagte das Hannerl :
" Ich weiß nimmer , wie ich anheben muß . "
" Auf dem Schafsattel oben habt ihr Wurzeln gegraben . . . " , leitet ihr Vater ein .
" Auf dem Schafsattel oben haben wir Wurzeln gegraben " , sagte das Mädchen .
" Wir haben halte nicht auf die Höhe ' geschaut , und gäh ist der finster Nebel da und der Regen .
Der eiskalt Regen und die Nacht .
Wir wollen heimzu und versteigen uns in den Wänden .
Nicht so weit , wie da vom Herd bis zum Tisch haben wir gesehen .
Frei mit Messern hätte ' eins den Nebel schneiden mögen .
Eine Höhlen finden wir , da tappen wir uns hinein .
Naß bis auf die Haut ; der Wind hat schauderlich geschnitten ; der Schnee ist in die Höhlen geflogen . -
Jetzt , die Mutter , die - " , sie schürte mit einem Asthaken in der Glut , daß die Funken sprühten , " die Mutter , die - "
Sie stockte wieder .
" Mache , Hannerl , erzähle_es in Gottes Namen ! " sagte der Mann .
"- ist eine Weile still neben mir , und dann sagt sie : Kind , heute ist mein letzt ' Ende - und hebt an zu zittern am ganzen Leib .
Heiliger Schutzpatron Valentin ! denke ich , wenn sie jetzt ihr Hinfallend kriegt ! "
" Die Fallsucht hat sie soviel gehabt " , schaltete der Vater ein .
" Und es ist nicht anders gewesen " , fuhr das Mädchen fort .
" Ich meine hell , der ganz ' Erdboden hat geschüttelt , wie es die Mutter jetzt reißt und stoßt .
Ihre Zähn höre ich scharkezen , daß es mir gerade durch und durch geht .
Ich will sie mit beide Händen festhalten - keine Menschenmöglichkeit .
- Nachher , auf einmal ist sie stillgelegen . "
" Hannerl ! " rief der Mann , sein Kind aus der Betäubung des Schmerzes weckend .
Anna schauerte an Gabriels Brust .
Nach einer Weile , als das Mädchen einen Schluck Wasser zu sich genommen hatte , stand es auf , ging gegen den Tisch und sagte leise :
" Jetzt habe ich es verspürt , die Mutter wird kalt und starr .
So sitze ich bei ihr in der Nacht und im Sturm und bete zu unserer lieben Frau .
Mich schüttelt wohl auch . -
Ja , Leute , und da höre ich was rauschen in der Luft .
Das ist kein Sturmwind . . .
Raubvögel flattern zu meiner Mutter Leib . -
Schuh ! sage ich ; mit beide ' Händen habe ich müssen fechten , daß das Getier nicht hat angepackt . "
Das Mädchen zerrte an seinem Haar .
Jetzt trat Anna zu ihm und legte ihm den Arm um und wollte es trösten .
" Die Totenvögel , " bemerkte später der Hüttenbewohner , " die Totenvögel haben mir mein Kind gerettet .
Das fortwährende Abwehren und die Angst haben es ein Eichtel erwärmt .
Wir haben sie dann zur Morgenfrüh neben der verstorbenen Mutter gefunden .
Ich sage es aber , das Hannerl , zu erkennen ist es nimmer .
Glaube es gern .
Die schreckbare Nacht ! -
Gehe jetzt , Kind , leg dich in das Bett .
Wenn die Leute ' kommen , so sollen sie sich selber die Mahlzeit kochen . "
Anna blickte ihn fragend an .
" Morgen werden wir halte das Weib auf den Freithof tragen , " sagte der Mann , " und das darf mir die Frau und der Herr wohl glauben , ich bin kein solcher , daß ich gleich zum Zeitvertreib mit der Büchsen ging .
Wäre zu einem Totenessen , wie es schon sein muß , die Sache im Haus , so hätte ich sicher das Gamsel nicht geholt . "
Da war ihnen die Schuld des Schützen geschlichtet .
Anna wollte sich hierauf in die Sache mischen und das Mal bereiten helfen , aber der Rosenhauch ihres Angesichtes war vergangen .
Es war christlich von dem Hüttler , daß er seinen Gästen im Dachraum die Schlafstätte anwies .
Anna sank bald in den Frieden .
Gabriel wachte und hörte , wie unten Leute kamen , wie Weiber um das immer knisternde Herdfeuer wirteten , um das Fleisch der erlegten Gemse zu bereiten , und hörte , wie Männer den Deckel des Sarges festnagelten .
Er legte der lieben Schläferin beide Hände an die Ohren , auf daß sie nicht geweckt werde von diesem Schall .
Dann hörte er , wie sie unten beteten , wie sie zu Tisch saßen , und wie sie endlich , als das Morgenrot aufging , den Sarg unter summenden Gebeten hinaustrugen zur Tür und davon über die Hochmatten dem Kirchhof des Tales zu .
Draußen sangen die Vögel , da zog Gabriel die Hände von ihren Ohren , und sie wachte auf .
" Bist da , Gabriel ? " flüsterte sie , mit der Hand über seine Locken gleitend .
" Jetzt habe ich dir einen närrischen Traum gehabt .
Aber er ist ganz gescheit gewesen . "
" Närrisch und ganz gescheit ! " lachte Gabriel , " ja , den mußt du mir wohl erzählen . "
" Du ! " sagte Anna , " zum Auslachen ist er zu ernst . "
" So will ich recht andächtig sein . "
" Dafür ist er wieder zu lustig " , lachte sie selber .
" Jetzt bedenk ' einmal , Gabriel , jetzt sind wir Ehefrauen alle miteinander gestorben gewesen .
Und jede hat einen weiten Sarg gehabt , und zu jeder hat sich ihr Ehemann - der lebendige Ehemann in den Sarg gelegt .
Und wie du es tun willst , rufe ich :
" Gabriel ! bleibe außen , ich stehe selber auf , ich lebe ja noch . . . "
Sie verließen die Hütte und zogen in das Sonnenlicht hinaus .
Sie atmeten frei und leicht und dankten Gott für ihr junges Leben .
Der Annenhof Bald nach dieser Brautreise wurde der traumhafte Rausch der Liebe auf eine mildere Art unterbrochen .
Ein Baumeister , von Herrn Mildau gesandt , kam nach Karnstein in der Absicht , den Platz zu prüfen und aufzunehmen , den Gabriel und Anna für den Bau eines Landhauses sich ausgewählt haben würden .
Gabriel und Anna hatten aber an ein neues Landhaus noch gar nicht eigentlich gedacht .
Und dennoch wußte jedes der beiden insgeheim eine Stelle , auf der ihm eine Hütte gut zu stehen schien .
Es wollte nur keines dem anderen in der Wahl vorgreifen .
Als sie sich nun aber verständigen mußten , zeigte es sich , daß beide den einen Gedanken und dieselbe Wahl getroffen hatten .
Ein Viertelstündchen etwa von Karnstein erhebt sich in sanfter Böschung ein Hügel , den hinan die grünen , fruchtbaren Felder liegen .
Die Höhung selbst aber ist steiniger Grund , auf welchem einige Erlengebüsche , Weißbirken und Lärchen standen .
Von diesem Hügel gegen Abend und Mitternacht hin liegt das schöne , breite Tal mit dem Flusse , der Eisenbahn und den vielen Ortschaften , die aus Baumgärten ihre schimmernden Kirchtürme emporrecken .
Jenseits des Tales steht der dreieckige Karnstein mit seiner senkrechten Wand und seiner alten zinnenreichen Burg .
Weiterhin auf buschigen Anhöhen ragen die Ruinen Lichtenwart und Treisau und das Bergkirchlein St. Georg .
Rückwärts hin zieht sich ein Bergwall in mannigfaltiger Gestaltung .
Gegen Sonnenaufgang und Mittag breiten sich über Tiefen und Höhen hin die Schatten der Einödwälder , und ganz im Hintergrunde erheben sich die Wuchten der Wildschroffen .
An der rückwärtigen Seite zwischen dem Hügel und dem Saum der ansteigenden Waldungen hat ein Bergbächlein ein kleines Tal , eine mäßige Schlucht gewühlt , und wenn man bei den Weißbirken stand , so hörte man deutlich das Anprallen und Gischten des Wassers unten in dem Gefelse der mit Büschen bewachsenen Schlucht .
So beherrscht dieser Hügel völlig das Tal und die Wälder .
Kleine Ziegen- und Schafhirten weideten zuweilen ihre Herde zwischen dem Gesträuche , oder es schlüpfte durch dasselbe ein Besenbinder , der sich die schönsten Zweige von den weißen Stämmen schnitt , oder es fand sich wohl gar einmal ein Karnsteiner Liebesgespann ein und lugte vergnügt zwischen den grünen Blätterherzen auf das Dorf hinab , das kein Plätzchen bieten wollte für ein heimlich Grüß ' Gott zwischen Lippe und Lippe .
Und auf diesem Hügel baute Heidebeters Gabriel das Haus .
Während des Baues wohnte das junge Paar abwechslungsweise im Jagdhause des Ring und in der Stadt .
Die Stadt gefiel ihm aber nicht mehr , sie war ja doch gar zu irdisch für das Eden , das es im Herzen hegte .
Gabriel war ja nicht angespannt an den Lastwagen der Gesellschaft , an welchem viele und die Besten oft nur deshalb so schwer ziehen , weil sie nicht die gleiche Richtung mit dem Troß anstreben wollen und können .
Vergebens ringen die Armen einem eigenen Ziele zu , bis sie endlich liegenbleiben , zermalmt von den ehernen Rädern des Alltags .
Mildau war zufrieden mit dem Titel " Professor " , ja er rief jetzt diesen nicht einmal ; er schämte sich insgeheim seiner Engherzigkeit , da er sah , seine Tochter gab sich ganz und gar zufrieden mit dem titellosen Menschen .
Am allerwenigsten wollte er einen Pegasus im Joch zum Schwieger haben . -
Hoch könnte er fliegen , Wäre nicht mehr gebannt .
Hätte ihm die Liebe ' nicht Die Flügel verbrannt . . . sang Gabriel um diese Zeit . -
Als der erste Jahrestag der Hochzeit kam , da zogen Gabriel und Anna ein in das neue stattliche Heim am Saume der Einödwälder .
Es war ein Haus , keinem der hergebrachten Stile ausschließlich huldigend , aber von jedem das Beste tragend , in der bequemen Bauart der Neuzeit .
Von den breiten Quaternestufen des Einganges bis zu dem halbflachen Schieferdache mit den Blitzableitern lag Ebenmaß .
Die Wände waren aus behauenen Steinen ehern gefügt , Weinreben und junge dunkelgrüne Ranken des Efeus strebten schon empor zu den glatten Glastafeln der Fenster , aus denen die Stimmung der Trautsamkeit blickte .
Ein Söller , von vier Steinsäulen getragen , führte an der Vorderseite gleichsam die Stube in die freie Weite .
Ein scheinbar wildernder Park voll junger Bäume , der Schachen genannt , deckte gegen Mitternacht hin den Bau , während gegen Abend und Mittag die Fruchtbeete trieben und gegen Aufgang des Tages die Blumengärten prangten .
Dort stand auch das Glashaus und der figurenreiche Brunnentempel , in welchem ein dreifacher Quell sprudelte .
Der eine Strahl floß aus dem Schlangenrachen des Äskulap , der zweite aus dem Horn der Fortuna , der dritte sprang aus einer bemoosten Felsenspalte , gemahnend an die Ursprünglichkeit und Natürlichkeit , die Labe , die nimmer fehlen darf , wo Gesundheit und Glück den Waller erfreuen .
Hinter dem Schachen duckten sich - als bangten sie ein wenig vor dem Auge des Poeten - ein paar Wirtschaftsgebäude , in denen der alte Ferdinand vielbeschäftigt aus und ein ging .
Der Alte hatte zwei Tage lang keinen Bissen genossen , als er gehört , daß man ihn von seinem Annchen trennen wolle ; und Anna hatte ein heimliches Tränchen vergossen , als sie hörte , den guten , betagten Mann dürfe man nicht mehr aus seiner gewohnten Bequemlichkeit in die rauhe Landluft ziehen :
doch schlichtete sich die Sache , und Ferdinand ging mit dem Paare und sollte der Hauswart sein .
Von Karnstein her führte ein mählicher , gut gebauter und mit einem lebendigen Zaune besäumter Weg , mündend in den ebenen Platz vor dem Hause , der mit weißem Sande bedeckt war .
Das Innere des Baues bot alles Gute und Schöne eines Herrenhauses , von dem Marmorbecken des Badezimmers an bis zu den Meisterwerken im Ahnensaal .
Die Ahnenbilder des Poeten waren Meisterwerke .
Moses und Homer , Walther von der Vogelweide und Klopstock und Goethe und Schiller und Grillparzer und Stifter und wie sie heißen mögen alle , die der Poet von heute Ahnen nennen muß , weil er von ihnen stammt und bewußt oder unbewußt auf ihren Pfaden schreitet .
Gabriel konnte es nimmer leugnen , daß die Bücher Mosis in der alten Bibel seines Vaterhauses ihn das Singen und das Sagen gelehrt .
- Die Gemälde des Saales waren so beschaffen , daß sie nicht allein die großen Dichter , sondern in deren Umgebung auch die Zeit , in der sie gelebt hatten , darstellten ; die Bilder hatten demnach zweifach kulturhistorische Bedeutung .
Ferner unterschied sich das neue Haus bei Karnstein von anderen Herrenhäusern durch eine reiche und gewählte Büchersammlung , die , abgesehen von allem geistigen Wert , in ihren geschmackvollen Einbänden selbst für das Auge wohlgefälliger war , als die prachtvollsten Möbelstücke es sein können .
Die Wohngemächer , das Spiel- und Musikstübchen , das Arbeitszimmer des Poeten sollen näher nicht beschrieben werden ; überall war die Anmut mit der Bequemlichkeit gepaart , und zu all dem Reichtum und zu all den Meisterwerken aus Menschenhänden leuchtete die ewige Pracht der Alpennatur zu den Fenstern herein .
" Für einen Poeten ist das zuviel ! " rief Gabriel aus .
" Für einen Poeten ist dieses Haus zu unbedeutend , solltest du vielmehr sagen , " versetzte Mildau , " ich wünsche , daß es sich hier annähernd so gut wohnen lassen möge , wie es der Dichter als Kenner der Schönheit wohl ersinnen und beanspruchen mag .
Das Beste an dem neuen Hause ist , daß es in einer so schönen Gegend steht . - Gabriel , bleibe der freie Waldvogel !
Hier steht dein Bauer mit dem Weibchen - fliege nach Belieben aus und ein . "
Da versetzte Gabriel heiter :
" Ich habe als Knabe einen Finken gehabt , der sang in seinem schlechten Bauer nur , wenn er hungerte . "
Mildau verstand .
" Du aber , mein Schwieger , " sagte er , " wirst das Singen nicht lassen , denn du wirst niemals übersättigt und blasiert sein .
Und wenn ich dir und deinem Weibe alle Wünsche erfüllen könnte , die auf Erden erfüllbar sind , so würdet ihr immer noch nach weiterem streben , hungern und - singen , nicht wahr ?
Wir sind einmal so , nur daß mancher seinen Hunger klagt , anstatt ihn zu singen .
Und gut ist_es , daß wir unersättlich sind , sonst blieben wir und die Welt mit uns stehen auf einem Fleck . "
Ein schönes Haus , Gesundheit , Jugend und ein liebes Weib - ein Narr , der mehr verlangt !
Gabriel verlangte mehr , und siehe , der Erfüllung nahte sein Wunsch , noch ehe derselbe recht laut wurde .
Ein erstes Anzeichen war eine regere Empfindsamkeit Annens .
Eines Tages , als Gabriel aus seiner Arbeitsstube trat , sagte Anna , die mit etwas gerötetem Antlitz an ihrem Nähtischchen saß - Anschicksame und emsig lag sie stets den schlichten häuslichen Beschäftigungen ob - , " ach , " sagte sie , " kommst gerade recht , Gabriel , jetzt mußt du mir einen tüchtigen Verweis geben .
Das ist häßlich von mir gewesen . "
" Was denn ? " fragte der Gatte .
" Mag es gar nicht sagen , " antwortete sie unmutig , wie er sie noch kaum gesehen hatte , " du wirst mich noch fortschicken . "
" Na , na , na ! "
" Zornig bin ich dir plötzlich geworden - den ganzen Seidenstoff hätte ich mögen mitten auseinanderreißen .
Und das , weil - zank mich aber aus ! - zornig , weil sich dieser Faden ein wenig verschlungen hat . "
Sie lachte jetzt , und er lachte mit ihr , und sie sagte , wenn das Laster noch einmal auftauche , so peitsche sie sich selber aus der Haut .
Gabriel küßte das junge Weib für eine solche Beichte , dachte insgeheim aber beschämt daran , wie oft er der Leidenschaft des Zornes schon unterlegen war , ohne sich deshalb auch nur ein einzigmal zu peitschen .
Mildau hatte im neuen Hause noch besonders zwei lichte Zimmer einrichten und in einem derselben einen Großvaterstuhl aufstellen lassen .
Und nun hielt Gabriel Stammer das stattliche Heim für wert genug , es den Annenhof zu heißen .
Um diese Zeit sang er das Lied " von den sechs Brettern " :
Sechs Bretter , die muß ich nun haben , Doch laß ich mich noch nicht begraben , Sechs Bretter zur Wiege . . . Arm in Arm mit Gott Wenn Sonntag war , da standen gern Leute , die aus der Einöde niedergekommen waren , vor dem Hause und staunten die Herrlichkeit an und konnten sich nicht genug verwundern über das Glück , welches Heidebeters Gabriel gemacht .
Und Gabriel war mit ihnen freundlich , setzte ihnen Labungen vor und hatte längst vergessen , wie sehr die Einödleute einst sein und der Seinen Leben verbittert .
Wie sie ihm einst das Böse gegönnt , so gönnten sie ihm jetzt das Gute .
Für den alten Heidebeter war in dem neuen Hause eine freundliche Wohnung eingerichtet worden .
Der Peter freute sich , bedankte sich unzähligemal bei Mildau und bei seiner neuen Tochter , blieb darauf auch wirklich einen Tag und eine Nacht in der guten Wohnung - dann aber hinkte er schnaufend wieder zurück gegen das alte hinfällige Haus auf der Heide .
Doch kam der Greis oftmals wieder hervor und klopfte fein den Staub von den Schuhen vor den Stufen des Einganges und klopfte höflich an die Eichentür und drückte schüchtern an der Stahlklinke und trat ein , zu schauen ein Glück , desgleichen er all sein Lebtag in den weiten Wäldern nicht gesehen .
Da nahm ihn Anna wohl gern zu ihrer rechten Seite und legte ihren Arm in den seinen , und schritt langsam mit ihm die Gemächer auf und ab und fragte nach seinen Leiden und Freuden .
" Ja , die Freuden " , meinte der Alte fast schämig , " wären jetzt wohl da - " und er deutete mit dem Haupte ein wenig gegen das junge , blühende , neue Glückseligkeit erhoffende Weib .
Der Hauswart , Ferdinand Küßdenker mit Namen , war verläßlich wie der strengste Verwalter ; er war bescheiden wie der niedrigste Diener ; er war wachsam wie der treueste Hofhund ; er war tollheiter und kindisch wie der ausgemachteste Narr .
Einmal trat er frühmorgens in die Gartenlaube , wo Anna bei einem Buche saß , unter dem Tischchen aber einen alten Gebirgshut barg .
Ferdinand trug hoch in der Hand einen silberweißen Stock und rief : " Das ist er !
Den habe ich mir geschnitten heute vor zwei Jahren in den Einödwäldern ! "
Da legte Anna den Finger an den Mund ; nur noch einen Ruck mit dem Haupte machte der Alte und ging dann still seiner Wege .
An demselben Vormittage schritt Gabriel über die Felder hinaus und betrachtete den Himmel .
Es wanderten die Wolken .
- Der Wolkenhimmel ist eine der überwältigendsten Schönheiten unserer Erde .
Man meint , alle Menschen , die offenen Auges wandeln , müßten sich an ihr erfreuen , anstatt ihren Blick in den Staub zu bohren . -
So dachte Gabriel , als seine Aufmerksamkeit von den lichten Wundererscheinungen des Himmels indes doch der Erde zugelenkt wurde .
Vom Walde her schritt langsam eine Frauengestalt in einem veilchenfarbigen Kleide , das nicht nach ländlichem Schnitte war .
In der Hand hielt sie einen Bergstock , den sie bei jedem Schritt wacker auf die Erde stieß ; auf dem Haupte saß ihr ein wetterzerrissener Hut mit Band und Hahnenfeder .
War das nicht ?
War das nicht jene junge Wallerin in die Einöde ?
- " Wo ist er denn , mein Waldsing ? " rief sie und hüpfte lustig heran und verrannte sich so sehr in Gabriels Arme hinein , daß schier kein Loskommen mehr war .
So hatte Anna den Gedächtnistag des ersten Begegnung gefeiert .
Dann zeigte sie dem Gatten auch das freilich schon lang verwelkte und verblaßte Veilchen , welches damals der Sänger im Waldschatten zu entfalten gesucht und das hernach an dem Busen des Mädchens aufgeblüht war .
Beim Mittagstische waren sie hierauf noch fröhlich beisammen gesessen .
Sie gedachten des Tages , da sie sich fanden .
" Wenn man es aber bedenkt , " sagte Anna , " ist es nicht gerade , als hätte ich damals meine drei Tage benutzt , um nur einen Mann zu suchen ? "
" Besser , dächte ich , könnte eine Jungfrau ihre Zeit ja gar nicht benutzen ! " scherzte Gabriel .
" Ich bitte dich , denke so nicht ! " rief Anna , " hätte mir jemand gesagt , meine Landpartie würde den Ehestand zur Folge haben , ich hätte mich lieber drei Klafter tief in die Erde vergraben als in die Einödwälder zu gehen .
Aber jetzt , Gabriel , " setzte sie leise bei , " freut es mich doch , daß sich der Prophet nicht gefunden hat . "
Gabriel hob das Kelchgläschen mit dem roten Burgunder , umfing mit dem anderen Arm sein Weib und flüsterte :
" Anna , du weißt es , was leben soll ! "
" Warte nur , bald ! " flüsterte sie , klang an und trank ein klein wenig ; und der Widerschein des Rubinenweines spielte auf ihren Wangen .
An demselben Tage war sie viel beschäftigt und eilte durch das Haus von einem Zimmer zum anderen und schichtete in den Schränken .
Am anderen Morgen wiegte Gabriel in seinen Armen ein neugeborenes Kindlein .
Anna schlummerte .
Die anwesenden Frauen nahmen den kleinen , unendlichen Schatz nur zu bald wieder aus dem Arm des Vaters .
Gabriel lief vor Glückseligkeit hinaus in den Wald , lief wieder zurück in das liebe süße Haus .
Er fühlte sich im Mittelpunkte der Welt , er fühlte sich unsterblich , er fühlte sich Arm in Arm mit Gott .
Er war Vater .
Singen wollte er , konnte nicht , sein Herz war ihm beklommen vor lauter Glück .
Was lieben heißt und glücklich sein Rasch dahin flog die Zeit .
Der Kleine gedieh , und die junge Mutter ließ das Kind Tag und Nacht nicht aus dem Auge .
Sie konnte nicht satt werden ihn anzusehen , ihn zu herzen und zu weinen vor Freude .
Gleich anfangs war ihr geraten worden , dem Kind eine Amme zu geben .
Sie wies den Rat mit einer Entschiedenheit zurück , deren man die sanfte Frau kaum für fähig gehalten hatte .
Eine Amme !
Ihr Kind an eines fremden Weibes Brust !
Ihr Kind genährt durch eines fremden Weibes Leben !
Ihr Kind , ihres Gabriels Kind , einsaugend die Eigenschaften eines fremden Wesens !
Dem Kinde vorenthalten sein erstes größtes Anrecht , zu ruhen an der Mutterbrust , an dem Mutterherzen ; das süße , hilflose Geschöpfchen gleichsam hinausgestoßen in die Fremde , daß es seine ureigenste Heimat nimmer ganz kennenlerne und finde !
Glühenden Zorn empfand Anna über eine solche Zumutung .
" Und du kannst das so ruhig hinnehmen ? " fragte sie ihren Mann .
" Deiner Gesundheit Willen hätte ich es zugegeben " , antwortete er .
Insgeheim doch war er glücklich darüber , daß sie die Sitte verwarf , die ihm , wo die Not sie nicht gebot , als die unbegreiflichste schien von allen Verirrungen , denen die Gesellschaft anheimgefallen .
Anna verschmähte selbst eine Wärterin .
Ihr gehörte das Kind , und auch die Mutterliebe kann eifersüchtig sein .
Der Wiegenkreis des Kindes war ihre Welt .
" Wird sich alles geben , wenn Zeit und Weile kommt ! " sagte der alte Ferdinand , " das erste Kind trinkt Mutterblut . "
Es konnte wohl kein Wunder sein , daß Anna , dieses so zart organisierte Wesen , etwas blasser wurde , als das die frische Landluft sonst leiden mag .
Sie sah seit der Mutterschaft noch fast jünger und milder aus als früher .
Und wenn sie Gabriel zuweilen still beobachtete , wie sie dasaß vor der Wiege , das Kind auf dem Arm - madonnenhaft - , da fielen ihm wohl des Dichters Worte ein : Schön ist der Mutter Liebliche Hoheit ! - - - - - - - Nicht auf der Erden Ist ihr Bild und ihr Gleichnis zu schauen .
Niemand aber hörte es , wenn Anna , am Bette des kleinen Engels wachend , ihres anderen Dichters Worte summte : Habe überglücklich mich geschätzt , Bin überglücklich aber jetzt .
Nur die da säugt , nur die da liebt Das Kind , dem sie die Nahrung gibt , Nur eine Mutter weiß allein , Was lieben heißt und glücklich sein .
Chamissos schönes Gedicht " Frauenliebe und Leben " trug sie stets mit sich herum , verbarg es aber vor dem Gatten .
Eines Tages jedoch kam ihm das Heftchen zufällig in die Hand , und da sah er , daß das Gedicht nicht vollständig war .
Das Blatt mit den zwei Liedern - vom toten Gatten und den einsamen Tagen - , es fehlte . -
Um sein Weib in der fast verzehrenden Mutterliebe ein wenig zu zerstreuen , plante Gabriel einen Aufenthalt in der Stadt .
Sie zog das Landhaus vor und fragte , warum er sie doch abzulenken suche von der stillen Stätte ihrer Seligkeit . . .
Mildau und seine Gattin waren zur Freude des Paares oft auf Besuch anwesend .
Mit liebreicher Verehrung hing Gabriel an seinen Schwiegereltern , ihnen dankend insgeheim , daß sie in ihrer Tochter ihm ein so echtes Weib erzogen hatten .
Auch zuweilen ein fremder Gast trat ins Haus .
Anna machte die gefällige Wirtin , und dabei hatten ihre blassen Wangen Gelegenheit , aus zweifachem Grunde zu erröten .
Einmal aus Glückseligkeit , wenn die Gäste ihr Kind herzten ; ein andermal aus Ursache der landläufigen Gemütlichkeit , die der Herr " Burgermeister " von Karnstein und auch der Schulmeister , hatten sie ihre Gläser öfter als zweimal geleert , so kernig zu handhaben wußten .
Sie ahnten nicht , daß mehr als einmal im Nebengemache die Träne eines verletzten Frauengemütes floß . -
Es gibt Glockenklänge , die unverstanden wohl eine Jungfrau hören mag , die aber das Gemüt der Gattin verletzen .
In den Stunden , da Gabriel in seiner Stube saß , um zu studieren , zu arbeiten , bewachte Anna die Tür des Gemaches mit ängstlicher Sorgfalt .
Sie ahnte es wohl : dem Dichter ist jede Stunde der Kraft und Begeisterung ein Besuch Gottes . . .
Auf Zehenspitzen schlich sie herum , daß ja kein Geräusch ihn störe , da sein Geist still und selig im Garten der Poesie wandelte .
Und kam ein Besuch , so verleugnete sie den Gatten nicht , denn eine Unwahrheit zu sagen war sie nicht imstande ; doch flüsterte sie bittend :
" Er arbeitet ! " und führte den Ankömmling in den Garten zu den hellen Rosen und wahrte so in Treue das Stübchen des Poeten .
Dann wieder stand sie vor seiner Tür , legte die Finger an den Mund und lauschte , ob sie denn nicht den Weihekuß ihrer göttlichen Nebenbuhlerin , der Muse , vernehme .
Und dann faltete sie innig die Hände über dem Herzen und flehte um Segen für das Haupt ihres geliebten Sängers .
Und wenn er dann blassen Antlitzes , im Blicke noch die Begeisterung , wieder in ihr Zimmer trat , so schritt sie ihm langsam und still entgegen , legte ihre beiden Arme über seine Schultern und schlug ihr Auge in Ehrfurcht und unbegrenzter Liebe stumm empor zu seinem Angesicht . . .
Die Seligen des Himmels ! -
Anna hatte ihrer längst nicht mehr gedacht .
Sie fühlte nicht mehr wie einst als schwärmerisches Mädchen das Bedürfnis , in der Kirche die Botschaft des ewigen Heiles zu vernehmen , und doch war ihr Sinn religiöser als je .
Edle Frauen haben ihre besondere Religion .
Sie beten nicht für sich , sie beten für Gatten und Kind .
Ihr Glaube ist der Gatte , ihre Hoffnung das Kind , in der Liebe opfern sie sich beiden .
- Des Gatten Kuß , Ideale und Werke , des Kindes friedsames Schlummern und heiteres Spielen und Lächeln sind ihnen ebenso viele Sakramente .
Gabriel war seit seiner Vermählung kaum mehr von Annens Seite gewichen .
Die Welt war ihm versunken und vergessen ; nur bei der Geliebten war sein Leben .
Selbst die Größe und Schönheit der Natur erfreute ihn nur mehr , wenn er sie gemeinsam mit seinem Weibe bewundern konnte .
" Ach schade , " klagte er eines Tages , " daß wir heute um zwei Uhr morgens den Mondregenbogen nicht gesehen haben .
Im Dunkel der Nacht über den Einödwäldern ist er gestanden mit seinen drei wunderbar klaren Farben . "
" So hast du ihn doch gesehen , Gabriel " , sprach sie .
" Ach , was ist es , du warst nicht bei mir . "
" Du grantiger Mann , du !
Jetzt auf der Stelle lache mir eins ! "
Da mußte er freilich lachen .
" So , mein Gabriel , jetzt habe ich den Mondregenbogen von dir .
Der ist mir der liebste . "
Als das Weihnachtsfest kam , hatte das Knäblein schon so große Augen , daß sich die Lichter des Christbaumes allesamt darin spiegelten .
Und es reckte die Händchen nach den Funken im Gezweige des Tannenwipfels , der heute eingekehrt war in das Haus - ein Abgesandter des Waldes , um dem Sänger zum seligen Familienfeste den Gruß der Wälder zu bringen .
Gabriel und Anna standen mit ihrem Kinde vor dem flammenden Bäumchen ; sie sagten kein Wort .
" Ist dir auch so zumute , Gabriel , wie mir ? " flüsterte Anna endlich , " mir ist , als wäre mein Herz aus der Brust geflogen und täte da im Christbaum brennen . "
" Oh , du lieber kleiner Poet ! " sagte Gabriel und schlang seinen Arm um das Weib , " auch ich fühle es , nur hätte ich es nicht so zu sagen gewußt . "
Ein doppeltes Kind - ein kleines , zappelndes , jauchzendes und ein erwachsenes , träumendes , sinnendes , stand der Poet vor dem Weihnachtsbaum .
In diesem Augenblick wurde er sich des göttlichen Glückes der Vaterschaft ganz bewußt .
Die Gottheit baut spielend dem Menschen die goldene Leiter zum Himmel , doch eifersüchtig ist sie , naht der Begünstigte dem Ziel .
Allein will sie in den ewigen Himmeln walten .
Vergebens mit ihr ringt der Mensch , sie mahnend an Liebe und Gerechtigkeit .
Er stürzt , denn sie ist der Stärkere .
Über Gabriel Stammer kam - wie die lieblichen Tage so hinglitten in schattenloser Schöne - zuweilen ein seltsames Gefühl der Schwermut und Bangigkeit .
Er hatte diese Stimmung bisher nicht gekannt , selbst in den Tagen nicht , als er heimatlos und ungeliebt die rauhen Wege gewandelt war . -
Oft ging er in den Wald hinaus , brütete über den Ring des Polykrattes und sah es nicht , wie ihn die lebendige Welt anlachte von allen Seiten .
Und das leichtlebige Gevögel flatterte in den Bäumen höher um etliche Äste , kam Gabriel gegangen - er war nicht mehr der ihrige .
Wenn er jedoch wieder bei Annen mit dem Kinde saß , und wenn sie ihm mit zwei Fingern die Wange streichelte und ihm recht ins Auge blickte und mit ihrer leisen Stimme das Wort " Gabriel " sagte , dann freilich zerfloß der unheimliche Schatten in seinem Gemüte .
Eines frischen , hellen Februarmorgens fuhr er auf schellendem Schlitten in die Gegend hinaus , die Schönheit des Winters zu schauen , die jene des Sommers an ernster Größe , ja selbst an Glanz und Schimmer weit übertrifft .
Und da war es zum ersten Male , daß über die junge Frau , die allein am Bette des Kindes saß , eine schwere Bangigkeit kam .
Es lag sonst die holde Sorglosigkeit in ihrem Wesen , eine Unverzagtheit in allem , was sie selbst betraf .
Sie konnte in plötzlicher Gefahr allerdings viel heftiger erschrecken als Gabriel , aber sie fand sich und ihren Mut um so eher wieder und wußte durch ihre Gelassenheit und Besonnenheit den Gatten stets zu beruhigen .
Nur wenn diesen irgend etwas zu bedrohen schien , war sie aus Rand und Band . -
Was aber sollte ihn heute bedrohen ?
Der Wintertag war schön , die Wege und Pferde waren gut , der Kutscher war verläßlich , Gabriel frisch und gesund .
Sie sah die Grundlosigkeit ihres Bangens ein , nahm ihre Zuflucht zur Zither und spielte unter leisem Fiebern der Finger das Volkslied :
Wenn ich ein Vöglein wäre
Und auch zwei Flüglein hätte , Flöge ich zu dir . . .
Ihr Herz lächelte erst wieder , als der Knabe erwachte und sie mit den Augen des Vaters anblickte .
Noch ehe der Abend kam , fuhr der Schlitten wieder in den Hof ein .
Gabriel sprang vom Gefährt und seinem Weibe um den Hals , so stürmisch bewegt , als hätte er es seit Jahren nicht mehr gesehen .
" Gott sei Dank , daß du wieder daheim ! " rief Anna , " du warst doch wohl in keiner Gefahr , Gabriel ? "
" Die schönste Fahrt von der Welt war es gewesen ! " sagte er , " in einem frischkalten Feuer gelodert hat das ganze Tal , meiner Tag habe ich soviel Licht nicht gesehen .
Alle Bäume haben Pelze an und Mützen auf , die Häher und Ammern haben ihr helles Getty in den Zweigen .
Der Wasserfall in der Lug hat sich hinter eine silberne Wand verschanzt und sieht aus wie das Gebilde einer Tropfsteingrotte .
Aus den Zweigen der Weiden sind gläserne Sägen herausgewachsen .
Die Karen ist aus ihrer Eiswölbung hervorgebrochen .
Die Karnsteiner rutschen auf Schlittschuhen herum , in Georgendorf gibt es großes Eisschießen - es ist ein vornehmer Wintertag , Anna . "
" Ist mir recht lieb , daß er dich erfreut hat , Gabriel " , sagte sie .
" Das hat er eben nicht ! " rief er , " ich weiß nicht , was seit einiger Zeit in mir ist .
Eine Unruhe , öde war mir der Wintertag .
Die lustigsten Waldlieder wollte ich singen - ich war heiser .
Die tollsten Worte rief ich dem Kutscher zu - ist ein drolliger Kerl , der Michel - setzte mich schließlich selber zu ihm auf den Bock und ließ das Fuhrwerk sausen in die scharfe Luft hinein , von der ich hoffte , daß sie mir diese Gemütsstimmung wegfegen würde .
Allvergebens , mir war Angst und weh - da ließ ich umkehren .
Und siehe , da die Pferde heimwärts traben , ist das Ding wie weggeblasen - und jetzt ist er wieder da , dein kindischer Mann . "
Daß auch sie zu Hause von der trüben Stimmung überfallen worden , davon sagte sie nichts .
" Anna , " sagte Gabriel in ernsthaftem Ton , " ich bin nichts mehr ohne dich ; all mein Lebtag kann ich nicht mehr von deiner Seite gehen , nicht auf zwei Stunden lang .
Du bist mein ganzes , ganzes Herz , mein alles - ach , wie sind diese Worte abgebraucht , Anna , ich bin ein kläglicher Poet !
Ich finde in unserer klingenden Sprache keinen Namen für das , was du mir bist - laß mich hell aufjauchzen ! "
Und der Sänger , der seines Volkes Lust und Weh in Lieder goß , er hatte nichts für seines eigenen Gefühles Übermaß als den wilden Aufschrei , der auch dem Tiere des Waldes gegeben ist . . . . Ihre Liebe war eine zitternde .
Sie liebten sich fast zu sehr , um glücklich zu sein .
Ängstlich und still wurde der heilige Hort im Gemüt bewahrt und bewacht , kaum durch ein einziges Wort wurde er der Welt , der fremden , vertraut .
Der Weise hat gesagt , die Liebe sei ein Egoismus zu zwei - wohl , dann gab es keinen größeren , glühenderen Egoismus mehr auf Erden als die des Doppelwesens Gabriel und Anna .
Doch wieder andererseits fühlte der Poet , daß er gegenüber dem lieben Weibe ein echterer Mensch geworden war .
Eine warme Innigkeit des Herzens , die er bisher nicht an sich gekannt , eine ruhige Ebenmäßigkeit des Denkens und Taten trat mehr und mehr hervor - gesegnet und gekräftigt war sein Wesen durch sie , und er konnte rufen :
" Ich suchte dich und habe mich gefunden ! "
Mir graut inmitten meiner Lust !
Als in demselben Jahre der Mai kam - ach , wie oft hatte Anna den Mai gerufen ! -
da stand die junge Hausfrau mit ihrem blühenden Kinde gern an den Rosenhecken des Gartens .
Wie war sie so jung , so zart , so blaß - der leise , kaum sichtbare Purpurhauch auf ihren Wangen war bloß Widerschein der Rosen .
Gabriel blickte oft mit starrem Auge auf diese schwebende , fast ätherische Gestalt , in welcher sich das Irdische allmählich aufzulösen schien in Gatten- und Mutterliebe .
" Mein Annchen ! " sagte er eines Tages , ihre weichen , kühlen Hände in die seinen fassend , " es ist wunderbar und mir graut inmitten meiner Lust .
- Du wirst jünger von Tag zu Tag . "
" Du meinst , weil ich so kindisch bin und die Blumen frage ? " sprach sie lächelnd .
" Nein , Gabriel , ich habe sie nicht gefragt . "
" Anna , " sagte er und preßte ihre Hände an seine Brust , " Anna - wenn - ich meine es nur - , wenn dir etwa einmal nicht ganz wohl wäre - es gibt Zustände , die an sich oft unbedeutend und vorübergehend sind - , doch , wenn du an dir etwas merktest , das dich irgendwie beunruhigte , mein Weib - bei unserem Leben ! bei unserem Kinde ! Teile mir es mit ! "
Anna schwieg einen Augenblick , senkte die langen Wimpern , und um ihre Lippen schwebte ein Lächeln , das dem Gatten durch Mark und Bein ging .
" Wir wollen einen Arzt zu Rate ziehen " , sagte er .
Da löste sie ihre Hände von den seinen los , hob sie gefaltet , so daß die Fingerspitzen an ihren Lippen lagen , und den Freund mit aller Innigkeit ihres Auges anblickend , sagte sie leise : " Gabriel , ich bitte dich , quäle dich nicht .
Du siehst , ich bin so frisch und lustig wie kaum je einmal zuvor .
- Einen Arzt nicht ; Ärzte machen krank .
Siehe , ich verstehe selber auf mich zu achten .
Magst es glauben , Gabriel , heute liefe ich nicht mehr in das Seuchenspital - bin viel eigennütziger geworden - , mich freut die schöne Welt . "
" Gewiß , Anna , du bist gesunder Natur , doch die vielen Nachtwachen bei dem Kinde - "
" Die kommen mir gar nicht schwer an .
Wo ist eine Mutter , die das nicht mit Freuden täte ? "
" Ich dächte aber doch , Anna , ein Ratgeber - "
" Gabriel ! " sagte sie mit leiser , aber entschiedener Stimme .
" Wenn du mir einen Arzt ins Haus rufest , so laufe ich in den dichtesten Wald hinaus , und kein Mensch wird mich finden .
Und wenn ich einmal zu laufen anhebe , und der Arzt läuft mir nach , so wird sich_es weisen , wer von den zwei der Gesündere ist . "
So ließ sie die Angelegenheit in einen leichten Scherz ausspielen .
Gabriel schüttelte den Kopf .
Wohl kannte er ihre Abneigung gegen die Medizin schon lange .
Hatte sie doch einmal gesagt , daß auch bei der Medizin nur der Glaube selig mache , daß sie den Glauben aber verloren habe seit jenem Tage , da an ihres Vaters Tisch ein Arzt saß und in der Wahrheit des Weines Geheimnisse verriet , die für vertrauensselige Patienten nicht erbaulich waren .
Dann fragte sie einmal , um wieviel eigentlich die Stadtleute länger lebten als die Wäldler , die keine andere Apotheke kennen als die des lieben Herrgotts - die reine Luft und das frische Wasser , die Arbeit und die Nüchternheit , und über allem das helle Sonnenlicht ? -
Diese Herrgottsapotheke eben läßt den Wäldler des Arztes entbehren , hatte damals Gabriel geantwortet ; und jetzt bestand Anna darauf - das Landleben sei ihr zum Heile .
Der besorgte Gatte aber ging insgeheim zu allen Ärzten der Umgebung - es waren deren nicht viele - und heischte Rat .
" Mir bangt , sie ist so zart wie ein weiches Nebelchen in der Himmelsbläue des Sommers . "
" Nehmt ihr das Kind vom Arm ! " war der einstimmige Bescheid .
Wohl , er nahm ihr es vom Arm , aber sie schmeichelte es ihm wieder ab .
In die Hände der Mägde legte sie das liebherzige Wesen nicht ein einzig Mal , nur der alte Ferdinand durfte es wiegen .
Und der Alte wußte ein possierliches Wiegenlied , das er in der Aussprache der Waldleute so gern trällerte : es Hascherl im Heiderl is leide , es Äugerl is ah nach nicht hell , es Busserl is nach nicht recht zeite , Und im Herzerl , da steckt nach a buxklani Seele !
Nutz Heidl !
Und es Hascherl im Heiderl wird schneide , es Äugerl is nimmermehr trüab ; es Busserl vom Büaberl wird zeite , Ins Herz kommt fürs Dirndl a Butt 'n vull Liab , Nutz Heidl !
Dabei schlief der Knabe gern ein , um der so lieblichen Verheißung in süßen Träumen entgegenzuschlummern .
Allzu glücklich sein - es kann nicht taugen Es kam der Hochsommer .
Das Kind wuchs wie eine Knospe ; es hatte goldfarbige Ringellocken , und es hatte die Züge der Mutter , und es regte sich von Tag zu Tag lebhafter die " buxkloani Seele ' " .
Anna war wirklich so lustig , wie kaum jemals zuvor ; doch schien diese Lust eine innere zu sein , die lächelnden Gesichtes nur zu den Augen heraussah , wenn die junge Mutter ihr heiteres Kind anblickte oder ihren sinnenden Gatten .
Dabei war sie aber eifersüchtig , wenn Gabriel den Kleinen herzte .
" Jetzt bist du mir nicht mehr genug mein " , sagte sie einmal scherzend , und er entgegnete :
" Was , du klagst ? und du hast jetzt zwei und ich nur eine .
Das müssen wir ausgleichen . "
Sie sagte nichts , errötete ein wenig und war dabei entzückend schön .
Im August , zum Feste Maries , kam Frau Mildau von der Stadt , um einige Tage in dem Hause an den Wäldern bei Kind und Kindeskind zuzubringen .
Seit Anna selbst Mutter geworden , war ihr Verhältnis zur Mutter fast noch inniger als sonst .
Mit Freudentränen begrüßte sie die Ankommende .
Da dachte Gabriel auch an seine Mutter .
Wie arm und dunkel war ihr Erdenweg gewesen .
Wenn sie das alles noch hätte erleben können ! -
Eines Morgens hatte der alte Ferdinand der jungen Hausfrau einen Strauß auf das Fenstertischchen gestellt .
Der Strauß bestand aus einer weißen , einer roten Rose und einer Knospe .
Da das Kind noch schlummerte und der Gatte schon im Garten bei den jungen Obstbäumen tätig war , so stand Anna sinnend eine lange Weile vor dem Strauß .
Gabriel überraschte sie in ihrem Sinnen .
" Poetin du ! " rief er , sie umarmend .
Anna war völlig erschrocken aufgefahren und glitt sich nun mit den Fingerspitzen über die Schläfe .
" Ja freilich , " sagte sie dann schalkhaft , " ich lerne dir ja das Handwerk ab .
Jetzt habe ich just ein Gedicht gemacht . "
" Und wird der strebsame Lehrling seine Arbeit weisen ? "
" Ja , " sagte sie , ihren Zeigefinger über die weiße Rose haltend , " das ist das Eheweib ! "
Dann die Fingerspitze gegen die rote senkend :
" Das ist der Ehemann ! "
Dann leise und schelmisch die Knospe berührend :
" Und das ist das Kind ! "
" Anna ! " sagte er , " das ist ein schönes Gedicht ; doch warum nicht das Eheweib die rote Rose ?
Und hast du wohl nachgesehen , ob an diesem blühenden Ehepaare keine Dornen sind ? "
" Ach , der garstige Ferdinand ! " rief die junge Frau , " die Dornchen hat er alle weggeschnitten . "
" Und das tut dir leid ? "
" Weil der Strauß verdorren wird .
Zur Rose gehören die Dornen , sonst verkommt sie . "
Gabriel schritt schweigend durch den Hausflur .
Anna beugte sich über das schlummernde Kind .
" Ach , mein Kind ! Deiner Mutter ist bang . -
Allzu glücklich sein - es kann nicht taugen . . . "
Als Frau Mildau nun auf Besuch kam , stand der Strauß noch da .
Sie lobte die Rosen und stellte sie vor das Fenster , weil für das Kind der Duft betäubend sei .
Am Abend des Marientages , während eines Gewitters , sagte Anna ganz ohne Anlaß :
" Gabriel , du mußt länger leben als ich .
Sonst wäre es mein bitteres Verderben .
Tu mir den Strauß weg !
Den Strauß tu mir weg !
Ich mag ihn nicht mehr sehen . "
An demselben Abend - da die Großmutter bei dem Kinde war - gingen sie in das Engtal hinein , in welchem das Wildwasser des Gewitters noch rauschte .
" Eine glückselige Stunde ! " sagte er und schmiegte sich an sein Weib , " jetzt sehe ich wieder einmal , wie schön dieses Tal ist und dieser Wald und diese Welt ! "
Anna lächelte und sprach :
" Trippelt nur erst der kleine Sepp zwischen uns einher , dann schau die Welt mit sechs Augen an . . . "
Sie rang nach ihrer natürlichen Heiterkeit .
" Ich möchte dir gern einmal etwas sagen , Gabriel ! " sprach sie plötzlich .
Er blickte sie an .
" Wir wollen uns dazu auf diesen Stein setzen " , entgegnete er .
" Gehen wir noch ein wenig weiter ; gehen wir bis zum Baumstrunk dort . "
Als sie auf dem Baumstrunk saßen , lauschten sie dem Tosen des Wildwassers und blickten in die braunen Wellen , die allerlei Getrümmer mit sich wälzten .
" Nun , Anna ! " sagte Gabriel .
" Sollst dich vorbereiten , Gabriel - "
" Wie meinst du das ? "
- " Hier rauscht das Wasser so , " sagte Anna , " laß uns bis zum Wegkreuz gehen . "
Sie gingen bis zum Wegkreuz .
Dort blieben sie stehen .
" Gabriel , " sagte Anna , " jene Kleider , die ich vor zwei Jahren unterwegs in die Einödwälder getragen habe - "
" Was , mein Herz ? "
" Sie sind in der Lade des Betpultes . . . "
Sie stockte und atmete schwer .
Gabriel blickte ihr ins Angesicht .
Auf diesem Angesichte lag jetzt ein erschreckend wundersamer Ausdruck .
" Und dann - " , fuhr sie fort , und wieder schwieg sie .
- " Nein , Gabriel , ich will dir_es ein andermal sagen . "
- Sie gingen schweigend dahin .
Als sie wieder gegen das Haus hinabschritten und Anna in der wohligen Abendluft aufatmete , sagte der Gatte :
" Ich dächte , mein Weib , wir sollten nun , solange die Großmutter bei dem Kleinen bleibt , die Zeit recht benützen .
Machen wir Ausflüge ! "
Damit war sie wohl einverstanden , denn der Mutter vertraute sie das Kind .
Gabriel war darüber innig froh ; und die freie , frische Waldluft würde sie gewiß erquicken , stärken und erheitern .
Es wurde gleich für den nächsten schönen Tag eine Partie bestimmt , und zwar zum Waldsee , der Stern genannt , um die Erinnerung an so manche liebliche Stunde daselbst wieder aufzufrischen .
Dies ist der Tag von Gott gemacht !
Und am anderen Morgen zur frühen Zeit stand Anna am offenen Fenster und rief hell die Worte aus :
" Dies ist der Tag von Gott gemacht ! "
Und wahrhaftig , das war ein Morgen voll Frische und Licht und Reine , voll Leben und Lust , ein Tag zum Erwachen aus der Welthit , zum Aufschwingen in das Reich des Hehren und des Schönen , ein Tag zum Freudigsein - ein Tag von Gott gemacht !
Auf dem Fenstertisch lag die Zither .
Anna begrüßte den Tag durch das Lied " Waldesruh " .
Es war ein unsagbar zartes , seelisches Spiel , es war , als habe sich das Herz der jungen Frau in Töne und Klänge aufgelöst , um hinauszuzittern in Gottes wunderbare Welt .
Das Spiel lockte sogar einen Gast herbei .
Ein Vogel mit silberschimmerndem Gefieder hüpfte im Laubwerk vor Annens Fenster , horchte zuerst ein wenig der " Waldesruh " , sang und jauchzte dann und flüsterte ins Gemach :
" Ich wüsste was , ich wüsste was !
Soll ich_es nennen ? " -
Dann flatterte das Tier plötzlich ins Zimmer , aber sogleich wieder hinaus und hin über die Wipfel des Baumgartens und hin gegen den Wald .
Gabriel und Anna rüsteten sich , und der alte Ferdinand kam wichtigtuend mit seinem Birkenstock heran :
" Hausfrau , diesen Stab müßt Ihr heute tragen , es ist Segen daran ! "
" Meine Mutter ! " sagte Anna und nahm Frau Mildau an der Hand .
" Du hütest ja mein Kind ! "
Dann kniete sie nieder vor der Wiege :
" Du schläfst , Herz , und deine Mutter geht davon . -
Nein , das ist nicht recht . "
Sie blickte zum Gatten auf :
" Geld , Gabriel , du meinst es auch , die Mutter soll beim Kinde bleiben ? "
" Na , so macht nur einmal fort , ihr gefühlsseligen Leute ' ! " rief Frau Mildau , " hoffentlich wandert ihr nicht ins Amerika , und unsereins versteht doch auch noch einiges von der Windelwirtschaft .
Gott hüte euch und kommt beizeiten wieder zurück ! "
Gabriel verstand die Unruhe der jungen Mutter wohl ; es war ja das erstemal , daß sie auf stundenlang von ihrem Kind Abschied nahm .
Dann gingen sie davon .
Er jauchzte , als sie in den lichtdurchzitterten , sangeslebendigen jungen Tag dahinschritten .
Sie gingen über die Felder hinaus .
Sie begegneten Schulkindern , kleinere sahen sie am Bache spielen .
" Wieviel es doch Kinder gibt im Orte ! " sagte Anna ; erst jetzt , da sie Mutter war , fiel es ihr auf .
Als Gabriel die Wildnelken und Enzianen betrachtete , die im Morgenhauche wiegten , sagte er :
" Siehe , Annchen , wie dich die neigenden Blumen grüßen .
Sie freuen sich , dich endlich wieder unter sich zu sehen . "
Sie pflückte eine Nelke und steckte sie an die Brust ihres Mannes zur linken Seite , wo vor zwei Jahren die heilige Myrte geprangt .
- Sie hatten den unteren Feldweg gewählt ; an der Friedhofshecke blieb Anna stehen .
Als sie Gabriel leise zum Weitergehen mahnte , fuhr sie sich mit den Fingerspitzen über die Stirn und hauchte wie im Traum :
" Gott , wie das schön ist !
Aber , " setzte sie erwachend hinzu , " sollten wir nicht ein wenig zu deiner Mutter hineingehen ? "
Er zog sie sanft des Weges weiter .
So rief sie einer hinschmetternden Lerche zu :
" Du siehst , mein böser Mann , der läßt mich nicht .
Fliege du , und richte mir den Gruß aus. Morgen komme an mein Fenster und hole dir den Botenlohn . "
Im Hohlweg , der endlich aus sonnigen Auen in den Wald führt , begegnete unserem Arm in Arm wandelnden Paar ein altes Bettelweib , das hinkte und schielte und grinste .
Gabriel wollte der Alten ausweichen , weil sie so häßlich war , allein Anna sagte , weil häßlich , um so hilfs- und liebebedürftiger wäre sie .
Die junge Frau nestelte eine Münze hervor .
Die Alte ergoß sich in Dankesbezeugungen , erhaschte Annens Hand und wollte wahrsagen .
" Heute nicht , " sagte Anna , " liebe Frau , ein andermal . "
Doch die Alte ließ die kleine weiße Hand nicht mehr los .
Mit hin und her zuckenden Äuglein betrachtete sie die zarten Linien und rief : " Ein langes Leben , schöne , goldene Frau , ein langes Leben ! "
Gabriel griff jetzt auch in die Tasche .
Dann kamen sie zu der Waldkirche .
" Schon zwei Jahre vorbei " , sagte Anna , ging hinein , kniete nieder auf der untersten Stufe des Altars , senkte das Haupt mit den vollen Locken und betete .
Gabriel stand im Hintergrunde und blickte auf das liebe traute Wesen , das eine solch nimmergeahnte Seligkeit in sein Leben gebracht hatte .
Und wie sie da kniete in der heiligen Stille des Waldkirchleins und im kindlichen Gebete wohl ihres Mannes , ihres Kindes gedachte und auch für sich den lieben Gott anflehte um Dauer des Glückes . . .
Endlich kamen sie auch zum Ring und an dem Jägerhause vorüber , in welchem sie die ersten Honigwochen genossen hatten .
Als sie vor dem Hause saßen und Anna auf die bunten Steine des Sandbodens blickte , sagte sie :
" Hier könnte unser Knabe schon spielen . "
Als sie wieder gehen wollten , kam ein Hochzeiter des Weges .
Der war in schmucker Tracht der Gegend , trug einen langen Stock in der Hand und einen großen Strauß mit roten Bändern auf dem Hut .
" Die Herrenleut ' vom neuen G'schloß ? " fragte der Mann und sah dem Paare ins Gesicht .
" Schau , gerade habe ich wollen hinsteigen .
Ich hätte die schöne Bitte , daß mir die Herrschaft die Ehre wollte erweisen und in der Montagsfrüh zu meiner Hochzeit gehen . "
" Das ist ja ein alter Bekannter ! " rief Gabriel , den Mann betrachtend .
" Wird wohl völlig so sein ! " antwortete jener , " und deswegen bin ich halte so keck .
Und mein Lisei läßt auch schön bitten .
Ein klein Frühstück hätten wir in der Hütten !
Zusamm'geben werden wir in der Karnsteiner Kirchen , und das Essen ist beim Bräuer .
- Und die Frau auch mitnehmen !
Geld , ich krieg das Geheiß ? "
Händeschüttelnd gab ihm Gabriel das Geheiß .
Der Hochzeiter eilte davon .
Der Berghütten-Franz war es gewesen , welchen unsere Gatten vor zwei Jahren im Gebirge als Wildschützen begegnet und in dessen Haus sie eingekehrt waren , als sein erfrorenes Weib auf der Bahre lag .
" Und - der freit wieder ? " sagte Anna .
Der Sonnenstern leuchtete hoch über den Wipfeln des Rings .
Gabriel und Anna gingen immer tiefer in den Wald hinein .
Allerlei Tiere - krabbelnde , kriechende , flatternde , fliegende kamen ihnen in den Weg .
Das Geschlecht der Spinnen hatte ganze Netze gezogen , um die Wandernden zu umgarnen .
Es war ein frohes Hüpfen und Schlüpfen über Stock und durch das Dickicht .
Anna tat mit , und Gabriel sah , wie ihre Wangen leise glühten - im Wald , im schönen frischen Wald . . .
Plötzlich aber , mitten im schäkernden Hineilen , stand Anna still ; es war , als müsse sie tief Atem holen .
Sie legte nun den Finger an den Mund , als horche sie .
- " So närrisch !
Mir ist es gewesen , als hätte unser Kind gerufen , - Gabriel , wann können wir denn wieder zu Hause sein ? "
" Bis der Sepp von seinem Mittagsschläfchen erwacht , können wir wieder zu Hause sein , " antwortete Gabriel , " und auch noch früher , wenn wir jetzt umkehren wollen . "
" Du gehst so gern zum See , liebes Mannerle " , sagte sie .
" So gehen wir nur . "
Es war gegen die Mittagsstunde , als sie zum Stern kamen .
Bis hierher schien das gestrige Gewitter nicht gereicht zu haben .
Die sieben Bäche rieselten klar , und die Wasserfälle plätscherten in dünnen Schleiern nieder über das Gewände .
Der See war rein und lau und ganz geruhig .
Am Rande glitzerte und zitterte der braune Sand durch das Wasser , und manche Forelle ging spazieren am Ufer entlang , ein wenig lauernd nach Mücken und Käferchen an den niederhängenden Halmen .
Ein paar Libellen , einander verfolgend aus Haß oder aus Liebe , schossen hin über die bezahnten Farnkräuter und wilden Lilien des Ufers .
Da und dort auf dem Wasserspiegel trieben winzige Geschöpfe , die man kaum sah , Kreise auseinander - Reiche , die sich stolz dehnten , allmählich verflachten und lösten .
Auf jenem kleinen , vom See , von bemoosten Felsen und wilden Dorn- und Rosenbüschen umfriedeten Rasenplatz , seit den ersten Honigwochen her die Annenruh geheißen , ließen Gabriel und Anna sich nieder .
Hier ruhten sie ein wenig und blickten - ein ewig träumendes Paar - den zarten Wolken zu , die oben über den Felsen und Höhen in der Bläue schwammen .
" Merkest du es nicht auch , Anna , daß die Wolken immer rascher ziehen , je länger man sie anblickt ? " sagte Gabriel .
" Und ich ginge dir was wetten , " entgegnete Anna , " daß die Wolken stillstehen wie eine Mauer ; aber die Felswand neigt sich immer mehr herüber , als wollte sie auf uns fallen . "
" Mein Kind , " sagte Gabriel , " der Felsen steht fest auf seinem Grund , fest wie die Zeit .
Aber die Wolken fliegen , und - wir sind die Wolken . "
Unverwandt blickte Anna in den Himmel hinein .
- " Seltsam , seltsam , " rief sie plötzlich , " hier wächst meine Seele . . .
Gabriel , hier baue ein Haus , hier möchte ich wohnen . . . hier müßte ich gesunden . "
" Wohlan ! " rief Gabriel und richtete sich auf , " bauen wir hier am See eine Hütte für die Hochsommertage .
- Anna , je tiefer mit dir in der Wildnis , je einziger sind wir uns eigen . " - -
Still und heiß in der Mittagssonne .
Ewig das Flüstern der fallenden Schleier - und das süße Atmen des schlummernden Sees .
Sie stiegen in das Wasser .
Gabriel in frischer Lebenslust jauchzte hervor aus den gischtenden Wellen .
Anna tat einen Hauch des Behagens .
So erquickend war die laue Flut , die sich weich um die Glieder legte und die Gestalten verklärte zu weißem lebendig gewordenen Marmor .
Erst als Anna zwischen den Rosensträuchern ihre rieselnden Locken getrocknet und den Schnee ihres Kleides wieder an sich getan hatte , stieg auch der Gatte aus dem See .
Sie pflückte eine weiße Rose , aber mitsamt dem Dornenstengel und drei grünen Blättern .
Kein Stäubchen und kein Mückenstich war auf der Rose ; sie ist später genau besehen und mit unzähligen Tränen begossen worden .
Als Gabriel sich wieder in den gehörigen Stand gesetzt und angeschickt hatte , das kleine Mittagsmahl aufzutischen , bat Anna vor dem Essen um ein Viertelstündchen Ruhe .
Das Bad hatte sie ein wenig ermüdet .
Auf den Samt eines moosigen Steines legte sie ihr Haupt .
Das immerwährende Flüstern der Wässer und ein mild rieselndes Lüftchen luden zum Schlummer ein .
Halbgeschlossenen Auges lächelte Anna ihrem Manne entgegen , hob ein wenig den rechten Arm : " Komme ' , Gabriel , laß mich in deine lieben Augen schauen ! "
Er neigte sich über ihr Angesicht und trank mit zitternder Seelenlust den wundersamen Blick aus ihrem Auge .
Noch sog sie den Kuß von seinen Lippen , dann sanken die Wimpern .
Auch Gabriel wendete sich , um ein wenig zu ruhen .
Das Antlitz nach aufwärts gerichtet , wie es seine Gewohnheit war , sah er den Wolken zu .
Zuerst in leichten Flocken kamen sie , bald in dichteren Hüllen und endlich in schweren finsteren Massen gezogen , die alles Blau des Himmels verdeckten und einen Schatten warfen auf den See . - -
" Es ist doch so , wie ich mir_es habe gedacht ! " hörte er sein Weib sagen .
Dann wurde die Finsternis schwerer , er schlief . - -
Ein Ruf nach Licht scholl in den Felsen .
Die Worte : " Auf ! . . . auf ! " zitterten nach ; dann war es , als hörten die Wasserfälle auf zu rinnen .
Als Gabriel aus dem Schlaf erwachte , blickte er erstaunt um sich .
Da war wieder der See am Stern mit seinen Wänden und Wasserfällen ; am Himmel zogen die Wölklein wie vor und ehe , nur die Sonne war hinübergesunken gegen den Waldrand . -
Anna hatte ihr Haupt noch liegen auf dem grünbemoosten Stein und schlummerte .
Sinnend blickte er hin auf dieses Bild .
In weißem Kleide ruhte sie , die eine Hand gegen den Gatten hin ausgestreckt , die andere leicht die weiße Rose haltend über die Brust gelegt .
Lose wallten die Locken , schier noch dunkler als sonst , um das zarte , blasse , so seltsam jugendliche Angesicht .
Kaum weißer war die Rose als dieses Antlitz , auf dessen rechter Wange etwas wie eine Träne glitzerte . . .
" Anna ! " lispelte Gabriel .
Es fiel ihm plötzlich ein , sie zu wecken .
" Anna ! " rief er beklommen .
- Wie schlief sie so fest !
- " Anna ! "
Mit wildem Schrei stürzte er hin , faßte sie , stöhnend rüttelte er mit aller Macht an ihrem Leibe . - - - Sie war leblos . - -
Die Geliebte im Tode Der Kleine war erwacht aus seinem Mittagsschläfchen .
Er saß , ein possierliches Spielzeug handhabend , auf dem Schoß der Großmutter .
Beide waren heiter .
Der alte Ferdinand aber ging nur so im Hause umher ; er hatte sonst stets Dringendes zu tun , heute aber wußte er nicht , was er zuerst anfassen sollte , daher tat er gar nichts .
Er ging umher und guckte alle Wanduhren an , denn seiner " Taschnerin " mochte er es gar nicht glauben , daß die Stunde schon vorüber , zu welcher die Herrschaft nach Hause kommen wollte .
- " Nanu , " brummte er bei sich , " wenn die zwei einmal in den Wald kommen ! -
Sechs schlägt es - es ist ein guter Herr , ein gottsmöglich guter Herr , aber wenn er in die Wildnis gerät , Gott straf mich hart !
da steckt noch das wilde Tier in ihm . -
Und sie ist nicht ein klein Stückel besser .
- Mein ' sündige Seele wett ich , wenn sie zum Stern gegangen sind , heute muß er sie nach Haus tragen wie ein klein Kind .
- Sieben Minuten schon darüber .
Ach , es ist ein lasterhaftes Volk ! "
Er fragte bei Frau Mildau an , ob sie für ihn was zu schaffen habe .
Auf ihre Verneinung rannte der Alte aus dem Hause und dem Walde zu .
Er wußte nicht , was ihn peinigte .
Ruhelos eilte er hin ; mehrmals hätte er gern ausgehorcht , aber er geizte mit der Zeit .
Beim Jägerhause fragte er an ; da hatte man seit Vormittag die jungen Herrenleut nicht mehr gesehen ; sie hätten die Richtung gegen den See genommen .
So lief der Alte - lief heute wie ein Knabe , daß er zu sich selbst sagte :
" Suchen muß einer was Rechtes , dann wird man wieder jung ! " - lief gegen den See hin .
Abenddämmerung , als er vor der dunklen Tafel stand , atemlos .
Das Rauschen der Wasserfälle , das Plätschern der nach Mücken schnappenden Fische - sonst war nichts zu hören .
- " Sind längst über die Berge , angenommen , daß sie dagewesen .
- Das Weiße dort bei den Büschen ? -
Nein , welcher Christenmensch klettert da hinüber ! - und doch - sie sind_es ! -
Na , die muß ich mir heute ausborgen !
Das sind lose Kinder , die man heimholen muß , wenn es finster wird . "
- Er kletterte mühsam über das Steingeblöcke , schlich hinter den Büschen durch . -
Das Brummen des Bären will er nachmachen , da werden sie auffahren .
- Seltsam das , am hohen kühlen Abend noch dasitzen auf dem feuchten Moos .
- Sie schläft .
- Er sitzt daneben wie eine steinerne Figur .
- Das Brummen des Bären läßt der Alte bleiben .
Mit seiner heiseren Menschenstimme ruft er sie bei ihren Namen .
Sie regen sich nicht .
Da faßt den alten Ferdinand plötzlich der Graus .
Hastig tritt er vor sie hin .
Gabriel wendet kaum das Haupt , blickt starren Auges auf den Greis .
Sein Antlitz ist wie Marmor .
Ein Blick Ferdinands auf die Ruhende - jetzt weiß er alles .
Weiß es und glaubt es nicht .
Ihren Namen ruft er laut , daß die Felsen gellen .
Sie ist kalt und erstarrt .
- Des klagenden Jammers voll , eilt der alte Mann zurück in das Tal von Karnstein .
Stille Rast hält Gabriel , des Heidebeters Sohn , bei seinem Weibe .
Des wachsenden Mondes Halbkreis zieht allmählich empor an dem nächtigen Himmelsdom .
Leicht kräuseln die Wellen , und nimmer faßbar ist dir , o Ärmster am sandigen Ufer , was da geschah . . .
Die finsteren Felsen umragten die Annenruh , doch dort , wo sie ruhte und wo er in Seelenohnmacht Wache hielt bei ihr , dort dämmert der Mondentag mit seinen heiligen Schauern .
Als um Mitternacht die Leute mit der Tragbahre kamen und mit Fackeln , saß Gabriel immer noch unbeweglich auf dem Stein .
Er blickte den Zug verwundert an .
Und als sie ihn emporhoben , taumelte er wie ein Schlaftrunkener .
- Dann sind sie durch den Wald heimwärts gezogen .
Voran die schwankende Bahre mit der leichten Bürde , bedeckt von weißen Linnen , begossen jetzt von Mondenschein und jetzt von den roten Strahlen der rauchenden Lunten .
Und unter der Bahre die Männer , nie noch seufzend unter so seltsamer Last als heute .
Und hinter der Bahre , zur Rechten den alten Ferdinand , zur Linken den alten Heidebeter , wankend und stumm vor sich hinstierend Gabriel - klagelos - seelenlahm .
Frau Mildau ist mit einem entsetzlichen Jammerschrei hingestürzt auf ihr stummes Kind , als man es an der Schwelle des Hauses zu Boden hob .
Der Knabe hat süß geschlafen zur selbigen Stunde .
Im Saale des Landhauses , mitten in einem Walde ewig grünender und üppig blühender Gewächse , zwischen denen die Lichter flammten wie glühende Knospen und goldene Schmetterlinge , ist das irdische Gebilde aufgebahrt worden .
- Wer sie liegen sah auf hohem Ruhebette , in jenem weißen Kleide , das sie am glückseligen Tage der Trauung getragen , in einem Kranze von blassen Rosen , die Hände über der Brust gefaltet , mit leicht geschlossenen schattigen Augenlidern , leise lächelnd noch im ewigen Schlummer , auf den Wangen den zarten Rosenhauch - ein Widerspiel der Lichter und Blumen - eines reinen Wesens Gestalt - einer siebzehnjährigen Jungfrau gleich . . . !
Zur linken Seite der Bahre stand , einer Bildsäule ähnlich , Gabriel , und unverwandt ruhte sein starres Auge auf dem Antlitz der Schlummernden .
Kein einziges Wort hatten sie ihn noch sprechen gehört seit der Stunde , da er mit Annen hinausging gegen die Wälder .
Daher wußten sie nicht , wie sich das Schreckliche begeben .
Die Bewohner der Gegend waren herbeigekommen ; völlig zu klein wurde das Haus .
Viele waren der Ansicht , die Frau sei vom Blitze getötet und der Mann durch denselben gelähmt worden .
Die Untersuchungen der Ärzte ergaben nichts Bestimmtes ; aber der Tod muß einen Namen haben , so gut wie das Leben .
Das Wort " Herzlähmung " schrieben sie in seinen Passierschein .
Bald war Herr Mildau aus der Stadt gekommen .
Wohl brach auch er zusammen vor der Bahre seines über alles geliebten Kindes ; doch mit des Mannes Willenskraft raffte er sich wieder auf , um die Bestattung anzuordnen mit derselben Umsicht , mit welcher er einst das Hochzeitsfest geleitet hatte . -
Das erste war , daß er mit rücksichtsvoller Gewalt den Gatten von der Bahre hinwegführte .
Er geleitete ihn in das Gemach und legte ihm das Kind in den Arm .
Der Knabe schmiegte das Händchen um des Vaters Nacken , lachte mit den großen Augen und streichelte seine Wange - geradeso , wie es die Gattin getan , wenn sie ihn in kleinen Dingen zu trösten hatte und beruhigen wollte .
- Und jetzt - jetzt brach er aus , der wilde , unbändige Schmerz in einen Tränenstrom .
Im ganzen Hause hörte man sein Weinen , und da sagten die Leute :
" Er ist gerettet . "
In den großen Saal ließ man ihn nicht mehr treten .
Auf dem mit wildem Weinlaub umrankten Söller saß er und blickte in die Wälder hinaus .
Wollt ihr mein Bräutchen sehen ?
Trägt ein weiß Kleidchen schön , Hochzeitsleut tanzen Ums festliche Haus . . .
Die Gattin des Waldsing wurde im schönen Tal von Karnstein bestattet .
- Der Trauerzug war groß und echt bis ins Herz eines jeden , der daran teilnahm .
Der Sarg , hinschwebend durch den sonnenfunkelnden , lebensfreudigen Morgen , war ganz bedeckt mit Kränzen aus Wäldern und Bergen , welche die Bewohner der Umgebung herbeigebracht hatten .
Die Liebe , die Dankbarkeit will zu solchen Stunden sichtbar werden .
Das Grab auf dem Kirchhof , nicht weit von jenem der Mutter Gabriels , war holdsam aufgerankt mit grünendem , blühendem Gezweige - ein Rosenbettlein war_es , auf das sie den Schrein hinabsenkten .
Seit einem Tage war der alte Ferdinand vermißt .
Nun , als sie darangingen , das Grab zu decken , kam das Männlein atemlos herbeigehastet , einen Kranz tragend , geflochten aus edlem Weiß , das auf hohen Bergen wächst .
" Mein Annchen ! das Hochgebirge ist deine Freude gewesen .
Der höchste Berg im Land schickt dir den Gruß ! "
Das Edelweiß war das letzte , was diese Welt ihr gab .
Und nicht anders zu bezeigen wußte Ferdinand seine Liebe , als daß er ihr zum letzten Gruß sein Leben ausspielte auf hohem Firn .
In wenigen Tagen nachher ruhte auch der Alte .
Er hatte sich die Seele aus dem Leib gelaufen bei diesen Begebenheiten .
Gabriel war von Freunden bewacht ; er hatte der Bestattung nicht beiwohnen können .
In den großen Saal wollte er treten , wo rings um die leere Bahre noch die Lichter brannten zwischen den Gewächsen .
Der Eingang war ihm verwehrt .
Auf dem Söller kauerte er und hörte die Glocken läuten in Karnstein und im Walde , wo das Kirchlein stand .
Und als die Glocken schwiegen , murmelte er :
Jetzt bin ich ganz allein In diesem Totenhain ; Sang und Klang , Sonnenschein Ist mir zur Pein .
Stammer hatte oft in heiterer Laune den Wunsch ausgesprochen :
" Etliche Tage möchte ich mich überleben , um mein Leichenbegängnis mit anzusehen und zu hören , wie die Leute den Toten loben . "
Wie alle seine Wünsche bisher , so wurde ihm auch dieser erfüllt .
In seinem Weibe sah er sich begraben .
Er fühlte , das Beste seines Wesens ging mit ihrem Sarge zur Erde .
Die Seele dahin .
Das Ideal gestorben .
- Einen wandelnden Leichnam sah man schwanken über die Auen zwischen dem Hause und dem Gottesacker . -
Gestorben !
- Des Tages unzähligemal sah er sein Weib sterben und starb mit ihr .
Der alte Heidebeter sagte zu ihm :
" Gabriel , da kannst du nichts machen .
Denke an den Stärkeren .
Ergib dich in seinen Willen . "
" O mein Lebenslauf ! " rief Gabriel , "o mein Lebenslauf !
Wieder Gabriel in der Einöde ! "
Die Liebende nach dem Tode Seelenlos blätterte Gabriel zuweilen in den Schriften großer Männer .
Unbefriedigt legte er sie wieder aus der Hand : frohen Geistes läßt sich es so bequem weise sein , so salbungsvoll von Ergebung sprechen .
Durch die Wälder irrte er verloren umher .
" Ach , " seufzte er einmal , " wäre ich nur noch ein bißchen Poet !
Es geht der Spruch , daß einen aus verborgenen Blumen der Wildnis die Toten grüßen .
- Nein , mein Herz wird für derlei nimmer warm , und verloren habe ich alles , alles . . . "
Nicht weit von ihm rauschten die Wasserfälle des Sees am Stern .
Dort war die Annenruh , warum nicht auch die Gabrielsruh ? -
Ewige Ruhe verleihe den Seelen !
Gabriel ging hin und starrte in den See . - - Vorher wollte er noch was in sein Notizbuch schreiben und es dann auf einen Stein legen am Ufer .
Da findet er im Notizbuch einen Brief .
Der ist - von ihrer Hand .
- Heidebeters Gabriel hat den Brief gelesen :
" Mein lieber Gabriel !
Wenn du dieses Schreiben findest , werde ich nicht mehr bei dir sein .
Wenn mich aber meine Ahnung täuscht und diese Zeit , von der ich fürchte , vergeht , ohne mich fortgenommen zu haben , so will ich den Brief vernichten , und du sollst von ihm nichts erfahren . -
Ich kann dem Drang , diese Zeilen zu schreiben , nicht widerstehen , denn es ist etwas , das mir sagt , ich müßte bei dir sein , wenn du wieder allein bist .
- Ich bin allzu glücklich gewesen bei dir und unserem Kinde .
Das kann nicht lange währen .
Es wäre mir wohl leichter ums Herz , wenn ich darüber mit dir sprechen könnte , aber ich kann es nicht .
Schau , Du mußt nicht trostlos traurig sein .
Ich bin Dir nur ein wenig vorausgegangen , wir werden immer und immer beisammen verbleiben .
- Solange Du aber noch auf Erden lebst , solange genieße das Leben , wie Gott es gibt , und sei wieder freudig , ich bitte Dich darum .
Du erzähltest einmal von einem hartgeprüften Mann , der alles , was er liebte , verloren , im stillen Wohltun und in der Vervollkommnung seiner selbst den Frieden gefunden hat .
Gabriel , sei wie dieser Mann .
Du wirst gewiß wieder glücklich werden , gewiß , gewiß , und ich werde bei Dir sein .
Und Dein treues Herz , mein Gabriel , das mich so süß und einzig hat liebgehabt , das mußt Du nicht töten .
Siehe unser Kind , das mußt Du jetzt lieben , für Dich und für mich .
Und gedenke , in ihm bin und bleibe ich bei Dir .
- Das mußt Du nimmer vergessen .
Wenn ich nur weiß , Du bleibst aufrecht und trägst den Schlag wie ein Mann , dann erwarte ich ergeben die Stunde .
Schau , mein lieber Mann , wir sinken alle an unseres Herrgotts Herz , ob heute oder morgen .
Und wir sind mitsammen glückselig verbunden .
Singe nur frisch , mein Waldsing Du , ich höre Dich gerne .
Und sooft Du einem Blümlein begegnest im Walde , denke , es ist ein schöner Gruß von Deiner Anna . "
Ein unendliches Gut hatte die Heimgegangene durch diesen Brief dem Gatten hinterlassen .
Er ging am tiefen See vorbei - seinem Hause zu .
Er ging zu seinem Kinde und suchte in den Knaben die Keime zu pflanzen zu jenem Heile des Herzens , welches ihm selbst so wunderbar und ach !
so kurz geblüht hatte .
- Rechtsinhaber*in
- Bildungsroman Projekt
- Zitationsvorschlag für dieses Objekt
- TextGrid Repository (2025). Korpus. Heide-Peters Gabriel. Heide-Peters Gabriel. Bildungsromankorpus. Bildungsroman Projekt. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0jv.0