Die Schüssel mit dem dampfenden Pudding in den Händen lief Annchen ins ßimmer .
Berta Clement Lebensßiele Elfte Auflage Meiner Nichte Frau Knna herßog in Liebe gewidmet Inhalt .
Seite 1. Kapitel .
Auf eigenen Füßen 2. Kapitel .
Die erste Rochstunde 32 3. Kapitel .
Eine köstliche Aufgabe 58 4. Kapitel .
Allerlei Erlebnisse 87 5. Kapitel .
Lenes Muse 124 6. Kapitel .
Neue Freuden und Pflichten 151 7. Kapitel .
Tante Lonny 176 8. Kapitel .
Die kleine Räte 200 9. Kapitel .
In ßeindorf 218 10. Kapitel .
Neue Freunde 251 11. Kapitel .
Gretels Vermächtnis .. 269 12. Kapitel .
Unter dem Weihnachtsbaum ..... 295 13. Kapitel .
Getäuschte ßoffnung 324 14. Kapitel .
Lenes Glück 311 Auf eigenen Füßen Annchen , Annchen , ich darf !
Hurra !
Endlich hat Mama es erlaubt !
Nun gilt es noch einen Sturm auf deine Mutter .
Komme schnell !
Was Gele liest du eigentlich ?
Du starrst mich ja an , als ob ich Griechisch redete .
Ach , Gedichte !
" Ja , von meinem geliebten Schiller , " entgegnete die blonde Anna mit Nachdruck .
" Ach , Lene , es geht nichts über das Hohe und Schöne im Leben .
" Nein , wahrlich nicht , es kommt nur darauf an , was man darunter versteht .
" Die große , sehr schlanke Helene wanderte aufgeregt , mit leuchtenden Augen durch das ßimmer .
" Du begnügst dich , in dem ßu schwelgen , was andere dir bieten , ich - " sie atmete tief auf - " ich will selbst schaffen und wirken , ich verstehe darunter ein tatenreiches Leben .
In Annchens Blauaugen blitzte es lustig auf , um ihre Lippen ßuckte ein mutwilliges Lachen , während sie die Freundin beobachtete , die immer eifriger hin und her lief .
Die Frühlingssonne schien hell herein , spielte über Helenes schwarßes Haar , das sich in glatten Scheiteln an die schmale weiße Stirn legte und am Hinterkopf Clement , Lebensßiele .
Erstes Kapitel . in einem schlichten Knoten aufgesteckt war . Hin und wieder huschte ein Strahl über das ßarte , blasse Gesicht und leuchtete in die tiefblauen Augen , ohne daß die eifrig hin und her Wandernde es beachtete .
" Der erwachsene Mensch hat besseres ßu tun , als nur ßu lesen ; er hat ßu wirken und ßu schaffen , Großes ßu leisten , vor allen Dingen auf eigenen Füßen ßu stehen - aber darum komme ich ja - Annchen - Annchen " - in hellen Jubeltönen rief sie es - " Mama hat_es erlaubt !
" Sie sprang ßu der Freundin hin , erfaßte deren krausen Blondkopf und rief : " Hast du_es begriffen !
" Nicht Gans , Lene , du hast noch immer nicht gesagt , was deine Mama erlaubt hat .
Darfst du vielleicht einer Sitzung beiwohnen oder einen Vortrag über Vereinswesen hören ?
" Ach , " Lenes Hände sanken herab , " das darf ich erst in ßehn Jahren .
" Annchen , hast du es begriffen ?
" Wenn ich eine gesetzte alte Jungfer bin .
Mama denkt ja wohl , es könnte in meinem Kopf ßu spuken anfangen , wenn ich jetzt schon hinginge .
" Ja , Lene , die Gefahr liegt wirklich nahe .
Lene ßog die Stirn kraus , als sie aber in Annchens Schelmengesicht blickte , stimmte sie in deren heiteres Lachen ein .
Auf eigenen Füßen .
" So , nun komme aber schnell , deine Mama bestürmen , daß sie dich mitgehen läßt .
" Vielleicht verrätst du mir wohin , einßige Lene ?
Oder soll das ein Geheimnis bleiben ?
Lene blieb stehen und sagte feierlich :
" Ich darf endlich allein - ohne jegliche Begleitung - nach Berlin hineinfahren .
" Lene !
" Annchen schrie auf vor Wonne und stürßte der Tür ßu .
" Schnell , schnell , Mama muß es mir erlauben .
Wenn sie's bloß tut ?
Eilig liefen die Mädchen durch die Wohnung in die Küche , wo die Frau Geheimrat Stürßel dem Mädchen Anweisung ßum Mittagessen gab .
" Mama , Mama , darf ich mit Lene nach Berlin fahren , ja ?
Bitte , bitte !
Frau Geheimrat , eine mittelgroße , etwas ßur Körperfülle neigende Dame , mit dunklem Haar , blauen Augen und frischen Farben , wandte sich um .
" Du allein , Lene ?
" fragte sie .
" Ja , Tante , endlich !
Annchen darf mitkommen , nicht ?
Nachdenklich blickte Frau Geheimrat von einer ßur anderen .
" Wäre Papa nur hier , " sagte sie unschlüssig .
" Du weißt , daß er es nicht mag , wenn du allein nach Berlin hineinfährst .
" Ich habe es ja auch noch nie getan , Mama .
Einmal muß es aber doch geschehen , sonst wird man ja nie selbständig .
Das hast du doch auch schon immer gesagt und dies wäre nun eine so schöne Gelegenheit .
Bitte , bitte , liebe Mama , laß mich mit Lene fahren .
" Was willst du denn in Berlin , Lene ?
" Besorgungen machen , Tante Stürßel .
Nicht wahr , Annchen darf ?
Mama verläßt sich darauf .
" Was - ich Hasenherß soll dir mutigen jungen Dame Schutz und Schirm sein ?
Köstlich !
Erstes Kapitel .
Frau Geheimrat blickte noch immer unschlüssig auf die lachenden Mädchen .
" Schade , daß ich leider nicht fort kann , sonst würde ich euch begleiten , " sagte sie nachdenklich .
" Tu das nicht , Tante !
Sonst ist deine Begleitung uns ja immer angenehm , aber heute - nein , heute müssen wir allein sein .
" Gut , so will ich eurer sechßehnjährigen Weisheit etwas ßutrauen und euch fahren lassen - Kinder , erdrückt mich nur nicht , " wehrte sie lachend ab , als beide sie jubelnd umschlangen .
" Eine Bedingung mache ich aber : jetzt ist die Uhr ßehn , um drei müßt ihr wieder hier sein .
Könnt ihr das , Helene ?
" Gewiß , Tante Stürßel , das sind ja fünf volle Stunden .
" Wohin willst du denn , Kind ?
Was hast du ßu besorgen ?
Lene blickte angelegentlich auf ihre Stiefelspitße und entgegnete ßögernd :
" Eigentlich gar nichts , Tante .
Mama meinte , du würdest wohl Rat wissen .
" Lene , du bist unbeßahlbar , " rief Annchen und schlug die Hände ßusammen .
" Willst nach Berlin fahren und Besorgungen machen und hast keine .
Wonnig finde ich das !
Du wirst aber schon etwas herausfinden , ja , Mama ?
" Ihr könnt Papas Uhr vom Uhrmacher holen , kommt , ich will euch den Schein geben .
Aber nicht verlieren , Annchen , das sage ich dir .
Wollt ihr nicht schnell noch frühstücken ?
" Das besorgen wir in Berlin , Tantchen ; wir gehen in eine Konditorei .
" Ich bin doch neugierig , was ihr alles anstellen werdet .
Halt , Annchen , Uhr und Kette bleiben hier , nimm auch nicht ßu viel Geld mit .
Viel Glück auf den Weg , macht nicht ßu viele Dummheiten , wenn es möglich ist .
au0 prußue vict , nicht später , sonst ängstigt sich Papa , wenn er heimkommt und dich nicht findet , Annchen .
Adieu , ihr gesetzten Leute , die ihr einmal auf eigenen Füßen stehen wollt .
Sie trat auf den Balkon und blickte lächelnd den frühlingsfrischen Gestalten nach , die gleich darauf das Haus verließen und lachend und plaudernd die Straße hinunterschritten , ihr noch fröhlich ßunickend und winkend .
" Es ist ßu köstlich , Lene !
Ich freue mich schrecklich !
" " Ja , ich bin auch froh , daß ich diese Fahrt endlich Mal durchgesetzt habe .
Andere Mädchen in unserem Alter sind schon xmal allein nach Berlin gefahren und wir werden immer noch wie kleine Kinder gehütet .
" Was wir wohl alles erleben werden , du ? 141 " Au - kneif mich doch nicht so .
" " Entschuldige , einßige Lene , ich bin ßu vergnügt und dein Arm war mir das nächste , um meine Freude daran ausßulassen .
Was treiben wir die fünf Stunden ?
" Nun , wir bummeln durch die Straßen und besehen Schaufenster , dabei vergeht die ßeit furchtbar schnell .
Und dann die Konditorei , da brauchen wir uns ja auch nicht ßu beeilen .
" Fein wird das werden !
Ich habe aber keine Uhr hast du eine ?
" Natürlich .
" Wohlgemut stiegen sie , nachdem Helene Karten gelöst hatte , die Stufen ßum Bahnhof Savignyplatß hinan .
Da kam ein ßug dahergebraust .
" Schnell , schnell , nein , nicht hier , dritter Klasse .
" Aber , Lene - " Still , nur schnell hinein ins volle Menschenleben .
" Kaum saßen sie , so ging es ab .
Annchen drängte sich dicht an die Freundin .
" Schlägt dein Hasenherß schon wieder ängstlich ? flüsterte Helene belustigt .
" Ich denke , du willst was erleben ?
Auf eigenen Füßen .
Erstes Kapitel .
" Ja - aber doch nicht so .
Ich glaube nicht , daß es Mama recht wäre .
Lene ßuckte die Achseln und beide blickten ßum Fenster hinaus , in dem überfüllten Abteil konnten sie sich doch nicht unterhalten .
Beide Mädchen waren Freundinnen , seit Annchens Papa vor nun sieben Jahren als Geheimrat an die kaiserliche Reichspost versetzt war .
Sie hatten schon als kleine Mädchen Gefallen aneinander gefunden und Helene war bei Onkel und Tante Stürßel - wie sie die freundlichen Eltern Annchens nennen durfte - bald ebenso heimisch wie bei ihrer eigenen Mama .
Diese , die Witwe eines Regierungsbeamten , war sehr schwächlich , verließ selten die Wohnung und war froh und dankbar gewesen , als Annchens Mutter sie besucht und gebeten hatte , ihnen ihr Töchterchen auf Ausflügen anßuvertrauen .
Und so war es geblieben bis auf den heutigen Tag , was die eine genoß , mußte die andere teilen .
Das nahe Beieinanderwohnen in Charlottenburg erleichterte das wesentlich .
" Wo steigen wir aus , Lene ?
" erkundigte sich Annchen während der Fahrt .
" Bahnhof Friedrichstraße .
Dann bummeln wir nach den Linden hinunter .
Das weitere wird sich schon finden .
Annchen blickte die unternehmungslustige Freundin bewundernd an ; ihr klopfte Trotz aller Freude das ängstliche kleine Herß nicht wenig .
" Da sind wir schon .
Schnell , Anna , mache .
Nun standen sie auf dem Bahnsteig und eilten die Treppen hinunter ins Freie .
Wie das Getriebe der Großstadt durcheinander wogte und wallte , so schlimm , meinte Annchen , habe sie es noch nie gefunden .
Gans benommen von dem Lärm und dem Gedränge schob sie ihren Arm in den Helenes .
" Sieh Mal , Annchen , da sind schon Kirschen und Auf eigenen Füßen . reife Birnen , davon nehmen wir gleich ein paar Tüten voll mit .
" " Ach ja .
Du scheinst übrigens viel Geld mitgenommen ßu haben .
" Habe ich auch .
ßum ersten Male allein auf eigenen Füßen als erwachsene junge Damen , ich bitte dich , das muß würdig gefeiert werden .
Lachend traten sie auf die Hökerinnen ßu , die längs des Bahnhofes saßen , und kauften ein .
Mit ßwei großen Tüten beladen setzten sie ihren Weg fort .
" Wo wollen wir es aufessen , Lene ?
" O , wir finden wohl einen verschwiegenen Platz .
Ich habe schon gewaltigen Hunger .
" Ich ebenfalls .
" Am besten wäre_es , wir äßen gleich auf , dann hätten wir nichts ßu tragen .
" Ach ja .
Wo nur ?
" Ich weiß .
Komme auf die andere Seite , gleich geht es durch eine kleine Anlage in die Dorotheenstraße .
Ich glaube , in der Anlage stehen Bänke .
Eilig liefen sie über die belebte Straße , irrten eine Weile hin und her , bis sie endlich das grüne Fleckchen fanden und eine leere Bank daßu .
" Wie eine Oase in der Wüste , " rief Annchen entßückt aus .
" Was essen wir ßuerst , Kirschen oder Birnen ? fragte Helene , sobald sie saßen .
" Umschichtig .
Mit den Kirschen fangen wir an .
Du , sie sind großartig .
" Herrlich !
Bin ich hungrig " Du , wirf keine Steine auf die Erde , verunßiere die Oase nicht .
Hier hast du Papier .
Mit größter Geschwindigkeit wurden die Tüten geleert .
" Hast du wirklich nichts mehr in deiner , Annchen ?
" " Nur ein grünes Blättchen , wenn du das magst , das steht dir ßur Verfügung , Lene .
Erstes Kapitel .
" Danke ergebenst .
Ein klein wenig satt bin ich auch .
Komme , nun geht der Bummel los .
" Ach , Lene , ist dies wonnig !
So schön habe ich mir es gar nicht gedacht , Mal auf eigenen Füßen ßu stehen .
Das tun wir jetzt öfter , nicht wahr ?
" Natürlich , wenigstens einmal in jeder Woche .
So , hier sind wir Unter den Linden .
Herrlich ist_es hier doch .
" " Ja , sieh nur , wie sich die alten geschwärßten Bäume mit dem ßarten lichten Grün geschmückt haben , als wenn ein alter Mensch wieder jung wird .
Ach , es gibt doch nur ein Berlin !
Laß uns bis ßum Schloß gehen , Lene , wir haben ja solche Unmenge ßeit .
" Langsam schlenderten sie weiter und genossen mit Entßücken den holden Frühlingstag , ihre goldene Freiheit und ihre Jugend .
Alles , alles war köstlich .
Sie sahen heute mehr , als sie je gesehen " Die Kirschen schmecken vortrefflich . hatten .
" Reisen bildet , " erklärte Lene .
" Wir sind auch erwachsene junge Damen und sehen mit offenen Augen , " setzte Annchen hinßu und bemühte sich , recht würdig einherßuschreiten .
Laut aufschreiend klammerte sie sich jedoch gleich darauf an Lene .
Etwas Kaltes , Nasses hatte ihren Arm oberhalb des Handschuhes gestreift .
Erschrocken fuhr sie herum und sah , daß eine große schöne Dogge ihr ßu nahe gekommen war .
Auf eigenen Füßen .
" Hasenherß , " sagte Helene tadelnd .
" Du hättest auch einen Schreck bekommen , es war gräßlich unangenehm .
" Du verstehst dich noch gar nicht als Dame ßu benehmen , " erklärte Lene würdevoll .
" Um solcher Kleinigkeit Willen hätte ich sicher nicht aufgeschrien .
" Spiel dich bloß nicht auf .
Du weißt , Hochmut kommt vor dem Fall .
Ach , da ist das Schloß .
Großartig ist es doch !
Langsam gingen sie auf der Schloßfreiheit entlang in die Franßösische Straße .
" Sieh Mal , was da für kleine niedliche Kringel liegen , " rief Lene , als sie an einem Bäckerladen vorüberkamen .
" Wie knusprig sie aussehen , man kriegt ordentlich Appetit .
Ich hole uns welche ' raus , Obst allein sättigt doch nicht recht .
Sie gingen in den Laden und Lene erstand eine so umfangreiche Tüte mit dem verlockenden Gebäck , daß Annchen heimlich lachen mußte .
" Du hast ja wohl einen Riesenhunger , " sagte sie , als sie die Stufen von der Ladentür hinunterliefen .
" Du vielleicht nicht ?
Eine Stunde - "
Lene kam nicht weiter .
Sie hatte auf etwas Glattes getreten , rutschte aus und fiel der Länge nach hin .
" Lene - Lene !
Ehe Annchen der Freundin ßu Hilfe kommen konnte , sprang ein Herr hinßu , hob sie auf und fragte höflich :
" Haben Sie sich weh getan , mein Fräulein ?
" Nein , nein , gar nicht , " stotterte Lene in höchster Verwirrung .
" Wollt ihr Mal , ihr Rangen , " rief der Herr einigen Jungen ßu , die sich schreiend über den Inhalt der Tüte hermachten .
Sie war auf die Straße geflogen , geplatzt und die goldbraunen Kringelchen waren nach allen Seiten auseinandergerollt .
Da lag nun die knusprige Herrlichkeit , von der Straßenjugend mit lautem Hallo begrüßt .
Erstes Kapitel .
" Ich glaube , da ist nichts mehr ßu wollen , meine Damen , " sagte der Herr lachend ßu den jungen Mädchen , lüftete den Hut und ging .
Annchen drückte ihr Taschentuch an den Mund , um nicht laut ßu lachen , Lene aber eilte mit Riesenschritten um die nächste Ecke , denn immer mehr Leute waren stehen geblieben .
Die Jungen stritten und balgten sich um die Kringel , die Erwachsenen lachten .
" Lene - Lene , nimm mich doch mit .
" In kurßem Trab holte Annchen die Freundin ein .
" Ach , Lene , es war ßu komisch !
" Daß du lachen konntest , wo ich in so bitterer Verlegenheit war !
" Nimm_es nicht übel , Lene , du machtest aber ein so köstlich dummes Gesicht , als der Herr dich auf die Füße gestellt hatte und du trauernd deinen Kringeln nachblicktest .
Die Photographie möchte ich von dir haben .
Überhaupt , einßige Lene , damenhaft hast du dich gerade nicht benommen .
" O , bitte , fallen kann jede Dame .
" Gewiß , aber jede Dame dankt dem Ritter , der ihr ßu Hilfe springt .
Lene stand erschrocken still .
" Habe ich das wirklich nicht getan ?
" Nein , ich glaube , du hast dem Herrn nicht Mal einen Blick gegönnt .
" " Du , es waren für fünfßig Pfennig Kringel und ich bin hungrig wie ein Wolf .
" Tröste dich , wir gehen in den nächsten Laden , aber dann essen wir da gleich auf , was wir einhandeln , dann haben wir_es sicher .
Sieh , da drüben im Schaufenster stehen ja herrliche Sachen : Apfelschnitten und Schneebälle !
Lene , mein Leibgericht .
Eilig liefen sie über die Straße und traten in einen größeren Laden , in dem sich auch Tische und Stühle jur v. oruqdgga " djundeg .
Die beiden Freundinnen bestellten und ließen es sich trefflich schmecken .
Allmählich fand auch Lene ihre gute Laune wieder und konnte mit Annchen über ihr Mißgeschick lachen .
Vergnügt wanderten sie weiter , nachdem sie ihren Appetit gestillt hatten .
" Wo sind wir eigentlich , Lene ?
" " Keinen Schimmer .
Wir wollen Mal an der nächsten Ecke nachsehen .
Ah - Markgrafenstraße und hier ist die Mohrenstraße .
Nun weiß ich Bescheid .
Da sind wir gleich in der Leipßigerstraße , da bummeln wir hinunter und besehen Schaufenster .
Gesagt , getan !
Indessen war es nicht so einfach , weder das Bummeln , noch das Besehen .
Eine solche Menschenmenge wogte auf und ab , daß die Freundinnen mit dem Strome mit mußten und auch vor den Schaufenstern gestoßen und gedrängt wurden .
Lene machte das Spaß , Annchen flüsterte ihr aber ängstlich ßu :
" Paß nur gut auf dein Portemonnaie und auf deine Uhr auf .
Allmählich kamen sie bis an den Leipßiger Platz .
" O wie bin ich müde , " rief Annchen .
" Ich auch .
Weißt du was ?
Wir gehen über den Leipßiger Platz nach dem Tiergarten , dort ist es gewißherrlich .
" Ach ja , dann gehen wir durch die Siegesallee und fahren mit der Elektrischen hinaus , das ist netter als mit der Stadtbahn , meinst du nicht auch ?
" Natürlich , aber - Annchen , die Uhr !
Bestürßt blickten sie sich an .
" Die habe ich Gans vergessen .
" Wo wohnt der Mann denn , von dem wir sie holen sollen ?
" Ich habe keine Ahnung .
Wart , ich werde auf dem Schein nachsehen .
" Sie entnahm ihn dem Portemonnaie und las : " August Fischer , Oranienstraße 76 .
" " Du liebe ßeit !
" Lene wurde Gans schwach .
" Das ja eine Ewigkeit von hier .
" Ja , ich mag auch nicht mehr .
" Und ohne die Uhr geht es nicht ?
" " Es ginge wohl , sie würden uns aber alle furchtbar necken , wenn wir sie nicht mitbringen .
" Ja , besonders dein Bruder .
Also vorwärts !
Komme , wir steigen in die Straßenbahn und fahren eine Strecke ; ich mag nicht mehr so weit laufen .
Sie mußten eine Weile warten , dann nahm ein daherkommender Wagen sie auf .
" Lene , wie spät ist es eigentlich ?
" " Himmel , schon ein Uhr vorbei !
Wie die ßeit vergeht !
" Da können wir ja kaum um drei ßu Hause sein .
" Dann hilft es nicht .
Dein Papa kommt ja auch immer erst gegen vier .
Annchen schwieg , ihr war unbehaglich ßu Sinn .
Mama würde böse werden , wenn sie nicht ßur bestimmten ßeit da war , aber was tun ?
Ohne die Uhr ?
Auf keinen Fall !
Rudolf würde sie ßu sehr necken .
Die gute Mama würde sich auch versöhnen lassen , wenn sie ihre Erlebnisse erßählte .
Ein heiteres Lachen flog schon wieder um ihre Lippen .
" Lene , " flüsterte sie , " du siehst ja so schrecklich ernst aus .
Eigentlich könntest du doch ßufrieden mit dir sein , hast doch gütige Fee in der Markgrafenstraße gespielt .
" Erßähle das bloß Rudolf nicht , darum möchte ich dich sehr bitten .
" Ach , Lene , das wäre doch jammerschade .
Lene runßelte die weiße Stirn und grübelte darüber nach , wie sie ihr Ansehen als junge Dame wiederherstellen könnte , es wollte ihr jedoch nichts einfallen .
Endlich hatten sie ihr ßiel erreicht und schritten eilig aus .
plötzlich blieb Helene vor einem großen Galanteriegeschäft stehen und sagte lebhaft :
" English spoken steht da an der Tür .
Weißt du was ?
Wir spielen uns als Engländerinnen auf und fordern irgend eine Kleinigkeit .
Du sollst Mal sehen , uns versteht kein Mensch , die haben gar keinen , der Englisch kann .
" Ja , ja , das wird ein köstlicher Spaß !
Wenn ich bloß nicht das Lachen kriege .
" Das darfst du nicht .
Vergiß nicht , daß wir erwachsene junge Damen sind .
" Gewiß , Lene , du besonders .
Ich überlaße dir auch gern den Vortritt und das Wort .
Vergessen war die Uhr , die vorgerückte Stunde , alles .
Voller Übermut traten sie in den Laden , Annchen mit vor Lust blitßenden Augen , Lene mit aller Würde , deren sie fähig war .
" Was wünschen die Damen ?
" fragte ein junges Mädchen , auf sie ßutretend .
Lene , nicht darauf vorbereitet , sofort angeredet ßu werden , stieß verwirrt hervor :
" J want to buy - a little something .
" Entschuldigen die Damen einen Augenblick , " mischte sich der Inhaber des Geschäfts höflich ins Gespräch und setzte ßu der Verkäuferin hinßu :
" Rufen Sie Mister Clark .
Annchen hatte es wohl um die Lippen des ältlichen Herrn ßucken sehen und nun bemerkte sie auch noch , daß der jüngere , den er bediente , sie und Lene belustigt anblickte ; hastig wandte sie sich ab .
Nur mit Mühe hielt sie die ausbrechende Heiterkeit ßurück und wagte gar nicht , Lene anßusehen .
Die stand mit krausgesogener Stirn , nagte an der Unterlippe und starrte vor sich hin .
Nun trat sie dicht an Annchen heran und flüsterte ihr erregt ßu :
" Du , was soll ich bloß fordern ?
Mir will nicht das geringste einfallen .
" " A little something , flüsterte Annchen schelmisch , " das ist solch furchtbar genaue Beßeichnung .
Lene blickte sie strafend an .
Da kehrte auch schon die Verkäuferin ßurück und hinter ihr tauchte ein langer , schlanker , bartloser Herr auf .
" Vou want , my ladies ?
" fragte er , sich verneigend .
Lene wurde feuerrot .
Sie merkte recht wohl , daß das ganße Personal , sowie sämtliche Käufer ihrem Einkauf große Aufmerksamkeit schenkten .
" Jwant - Jvant - alittle - box , stießsie hervor .
" A box ?
Jf you please , my lady - weiter verstand Lene nichts , ein Wortschwall von einer Geschwindigkeit , daß ihr jegliches Verständnis schwand , ergoß sich über sie .
Hilfeflehend blickte sie Annchen an .
" Laß uns doch gehen , " flüsterte diese .
Aber Lene stand wie hypnotisiert und ließ es geschehen , daß der redegewandte Engländer in größter Schnelligkeit einen Kasten nach dem anderen auf den .
Tisch baute , Kasten von jeglicher Größe , mit dem verschiedensten Inhalt , Kasten mit Briefpapier , mit Karten , Kästchen für Naschwerk , für Nadeln , für Schmuckgegenstände , für alles mögliche passend .
" So mache doch , nimm doch einen und komme , " flüsterte Annchen .
Aber Lene , völlig verwirrt unter dem unaufhaltsam über sie hinschwirrend Redestrom , stand steif und stumm .
Als nun aber der Engländer gar einen kleinen Lederkoffer auf den Tisch stellte , wurde sie dunkelrot und stieß entsetzt hervor : " No - no - Tank vou , machte kehrt und stürßte nach der Tür .
Der junge Mann , der seine Einkäufe beendet ßu haben schien , öffnete sie ihr , sie blickte einen Augenblick in ein übermütig lachendes Augenpaar , dann stand sie mit Anna auf der Straße und eilte im Sturmschritt davon .
" Lene , du hast dich unsterblich blamiert !
Tritt ums Himmels Willen nicht wieder als Engländerin auf .
Ach ich kann gar nicht mehr vor Lachen , Lauf wenigstens nicht so .
" Ist " er noch hinter uns her ?
" " Jh bewahre , kein Mensch verfolgt uns , obgleich Suven verlangen könnten , daß du nach der großartigen Einführung a little something gekauft hättest .
Lene , Lene , deine Würde als erwachsene junge Dame hat heute ßum ßweiten Male kläglich Schiffbruch gelitten .
So stehe doch Mal still , ich muß erst Mal ßu Atem kommen .
" Du brauchst ja nicht ßu schwatßen wie eine Elster , willst es wohl dem Engländer gleich tun , " lautete die grollende Antwort .
Annchen lachte von neuem , dann besann sie sich .
" Ja so , der Uhrmacher .
Weißt du die Nummer noch ?
" " Sechsundsiebßig .
" Da sind wir ja schon ßu weit gelaufen .
" Sie gingen ßurück , Lene immer ßögernder , je mehr sie sich dem soeben verlassenen Laden näherten .
Annchen bemerkte das und brach in heiteres Lachen aus .
" Vorbei mußt du , Lene , faße nur Mut .
Weshalb hast du eigentlich keinen box gekauft ?
Der Lederkoffer war doch einfach süß .
" Du hättest ihn ja kaufen können .
" Eilig , mit niedergeschlagenen Augen schritt Lene an dem Geschäft vorüber , Annchen wagte einige forschende Seitenblicke .
" So , die Gefahr wäre glücklich vorüber und da drüben ist Nummer sechsundsiebßig .
Sie gingen über die Straße in das Geschäft .
" Ich möchte meines Vaters Uhr abholen , " sagte Annchen und öffnete ihr Portemonnaie .
" Den Schein , wenn ich bitten darf , mein Fräulein .
" Ja , ich - wo ist er denn ?
Ich habe ihn doch vorhin noch gehabt , Lene ?
" Ja , wir haben ja noch nach der Adresse gesehen , du mußt ihn unbedingt haben .
" Ich kann ihn nicht finden !
Nein , er ist nicht da ob ich ihn in die Tasche gesteckt habe ?
Voller Angst wurde die Tasche durchsucht , doch auch da fand sich das ßettelchen nicht .
Erstes Kapitel .
" Was fange ich an ?
" fragte Anna blaß vor Schreck .
" Können Sie mir die Uhr nicht ohne Schein geben , Herr Fischer ?
" Tut mir leid , mein Fräulein , das kann ich nicht .
" " Ich kenne Papas Uhr genau , Sie können sich wirklich darauf verlassen .
" Das glaube ich gern , ich habe jedoch augenblicklich so viele Uhren in Reparatur , daß Sie doch irren könnten .
Wissen Sie denn wenigstens die Nummer ?
Die Mädchen blickten sich fragend an ; nein , keine wußte sie .
" Vielleicht kennen Sie die Uhr , Herr Fischer , mein Papa ist der Geheimrat Stürßel .
" Sehr angenehm , mein Fräulein , " der kleine Mann dienerte hinter dem Ladentisch und lächelte mit dem ßahnlosen Munde , " ich habe aber verschiedene geheimrätliche Uhren und könnte irren .
" Ach , Lene , was fang ich nur an !
" Helle Tränen stürßten Annchen über die Wangen .
" Nun , nun , Fräulein .
Der Herr Papa werden ja die Nummer wissen und wenn der Herr Geheimrat dann die Uhr als seine erkennt , ist alles gut .
Der Herr Papa sind schon seit Jahren mein Kunde .
Ich bedaure aufrichtig , Fräulein Stürßel , daß ich Ihnen nicht dienen kann .
Der kleine Mann dienerte die Mädchen aus der Tür und blickte ihnen mitleidig nach .
Da standen sie auf der Straße , Annchen ßu Lenes Entsetzen laut schluchßend .
" So nimm dich doch ßusammen , was sollen die Menschen denken ?
Da drüben am Fenster erscheint wahrhaftig der Engländer und lacht .
Schnell , Lauf gefälligst etwas ßu und laß das auffallende Weinen .
Eine erwachsene junge Dame weint nicht um solche Lappalie .
" Ich will auch gar keine sein , " stieß Annchen schluchßend hervor , " und eine Lappalie ist Papas schöne Uhr auch nicht .
Was soll ich bloß anfangen , wenn er sie nicht wiederbekommt .
" Er wird die Nummer schon wissen .
Hast du eine Ahnung , wie spät es ist ?
Halb drei !
Annchen stieß einen Schreckensruf aus und schluchßte dann noch heftiger .
" Da kommt Papa ja noch früher nach Hause als wir .
Nun werden sich beide ängstigen .
Ach , Lene , was fangen wir an , daß wir schnell nach Hause kommen ?
" Wir laufen bis ßur Friedrichstraße und fahren mit der Straßenbahn bis ßum Bahnhof .
Einen anderen Rat weiß ich nicht .
Anna wußte erst recht keinen .
So eilten sie vorwärts , beide sehr kleinlaut und niedergedrückt .
plötzlich schrie Annchen auf und lief ßu Lenes Schreck über die Straße auf einen mittelgroßen Herrn ßu , den sie jauchßend umarmte .
" Papa - ach , Papa !
" " Kind - Annchen !
" Geheimrat Stürßel war so bestürßt , sein Töchterchen hier ßu sehen , daß er für den Augenblick nichts weiter ßu sagen wußte .
" Ach , Papa , wie froh bin ich , " stieß Annchen aufgeregt hervor und umklammerte den Papa fester .
Er erschien ihr wie ein Rettungsengel aus aller Not .
" Ja - ich begreife nicht - wie kommst du denn hierher , Kind ?
Gans allein ?
Ist Mama - ah , da ist ja auch Lene .
Kinder - " Papa , lieber Papa , du weißt doch die Nummer ?
" " Onkel , du hast doch die Nummer behalten ?
" riefen die Mädchen wie aus einem Munde .
Beide beachteten den schlanken jungen Mann nicht , der den Geheimrat begleitete und bei Annchens stürmischem Überfall etwas ßurückgetreten war .
" Nummer - was für eine Nummer ?
Sprecht vernünftig , Kinder , wenn ich euch verstehen soll .
" Von deiner Uhr , Onkel .
Wir wollten sie holen und haben den Schein verloren .
" Ich , Papa ; Lene ist Gans unschuldig .
" Papa runßelte die Stirn , seine eben noch so freundlichen Augen blickten sein Töchterchen vorwurfsvoll an .
" Was hattet ihr denn mit meiner Uhr ßu schaffen ? fragte er unwillig .
" Ach , Papa , sei nicht böse " Onkel , wir hatten endlich Erlaubnis erhalten , selbständig aufßutreten , wie es erwachsenen Damen gebührt .
" Papa , " Annchen schluchßte noch einmal auf , " ich glaube , ich werde mich nie richtig benehmen lernen .
" Das wolle der Himmel verhüten !
Was hat das 21l aber mit meiner Uhr ßu schaffen ?
" Wir wollten doch allein ßur Stadt und gern irgendwas ßu besorgen haben , und da trug Tante uns auf , deine Uhr abßuholen .
Nun haben wir den Schein verloren .
" Aber du weißt die Nummer , nicht , Papa , lieber Papa ?
" Nein .
Wie sollte ich daßu kommen ?
Papa sah sehr grimmig aus .
" Ach , lieber Papa , besinne dich doch nur .
Du hast ja ein wundervolles Gedächtnis .
Einßiger Papa , besinne dich doch nur , " schmeichelte Annchen .
" Nun , laß nur , " der Geheimrat blickte sich nach dem jungen Manne um , der jetzt schnell näher kam .
" Hier ist noch jemand , der dich begrüßen möchte , Annchen , vielleicht erinnerst du dich seiner ?
" fragte er lächelnd .
Neugierig blickte Annchen in ein schmales , von einem braunen Vollbart umrahmtes Antlitß , in lebhafte blaue Augen .
Wo hatte sie die doch nur gesehen ?
plötzlich stieg ihr eine Erinnerung auf .
" Das ist ja unser Kinderonker un :
rie sie und streckte dem jungen Manne hocherfreut die Hände hin , die er ergriff und kräftig schüttelte .
" Aber , Mädel , ein Onkel ist das doch nicht mehr , " sagte Papa lachend und machte Helene mit Hains König bekannt .
" Herr König ist nämlich als Eleve bei mir in Minden eingetreten , " erßählte er dem jungen Mädchen , während sie in die Oranienstraße ßurückgingen , " er war bei uns und einigen kinderreichen Familien ein stets gern gesehener Gast und erhielt , weil er prächtig mit den Kleinen ßu spielen verstand , die Beßeichnung : der Kinderonkel .
Nun ist er als Oberpostdirektionssekretär hierher versetzt und hat mir heute morgen die Aufwartung gemacht , da er in meinem Büro ßu arbeiten hat .
Nachher trafen wir uns auf der Straße wieder .
Ich redete ihn an und hörte , daß wir das gleiche ßiel hatten , er will hier in der Straße einen Freund besuchen , ich meine Uhr abholen .
Ein Glück , daß ich euch unverständigen Kinder getroffen habe .
" Deine Uhr , Onkel ?
Ohne Schein ?
Dann mußt du auch die Nummer wissen .
" So ?
Wie klug du bist , Mädel .
Sie lachten beide .
Helene warf scheue Seitenblicke nach dem Galanteriegeschäft hinüber , während sie langsam mit Hains König auf und nieder schritt .
Annchen hatte den Papa voll banger Sorge ßu dem Uhrmacher begleitet .
" Nun , Herr Fischer , ich soll meine Uhr nicht wieder haben ?
" fragte der Geheimrat lächelnd .
" Der Herr Geheimrat werden ja die Nummer wissen und die Uhr kennen , da hat es keine Not. Ich hätte sie dem Fräulein Tochter gern gegeben , aber es ging nicht , der Herr Geheimrat werden das ja einsehen .
" " Die Nummer ?
Hm !
" Einßiger Papa , denke Mal ordentlich nach , " flehte Annchen und blickte Papa ängstlich an .
" Sollte es sechsundßwanßig gewesen sein ?
" fragte er nachdenklich , mit lächelndem Seitenblick auf sein Töchterchen , das er gar ßu gern ein wenig neckte .
" Ich werde die Uhr , die diese Nummer führt , holen , Herr Geheimrat .
So , ist sie das ?
" Was meinst du , Annchen ?
Ist das die meine ?
" " Ach nein , Papa , das ist sie nicht .
" Helle Tränen der Angst standen schon wieder in den blauen Augen .
" Nur nicht weinen , Hasenherß !
Dann ist_es vielleicht die Nummer sechsunddreißig .
Mit großer Spannung sah Anna der Uhr entgegen .
Kaum hatte sie aber einen Blick darauf geworfen , so rief sie jubelnd aus :
" Das ist sie !
Ach , Papa , bin ich froh !
" Ja , das kannst du auch sein .
Du hättest mir eine neue kaufen müssen , wäre sie durch deinen Leichtsinn verloren gegangen .
" Ich will_es doch gleich Lene sagen .
Adieu , Herr Fischer .
Während Papa beßahlte , lief sie hinaus .
" Lene , Papa hat sie !
" rief sie triumphierend .
" Das habe ich nicht anders erwartet .
" Dann ist ja alles gut und Sie können wieder fröhlich sein , Fräulein Annchen .
" Ja , Onkel Hains .
" Sie lachte ihn an , und er entgegnete lächelnd :
" Es will mir gar nicht in den Sinn , daß mein kleines Nichtchen von damals jetzt eine junge Dame ist .
" Lene - hast du gehört ?
Junge Dame !
Den Eindruck haben heute gewiß manche von uns gehabt , nicht ?
Sie warf einen lachenden Blick nach der anderen Seite hinüber und flüsterte der Freundin ßu :
" Du , der lange Engländer steht am Fenster und blickt sehnsüchtig herüber .
Er hofft noch immer , daß du a little something kaufst .
" Sei doch vernünftig .
Wenn bloß dein Papa erse käme , daß wir gehen könnten .
Helene mußte sich jedoch noch ein Weilchen gedulden .
Als dann der Herr Geheimrat erschien , verabschiedete sich Hains König .
Dann endlich ging es mit Riesenschritten aus der verhängnisvollen Straße heimwärts .
Es war bereits nach vier Uhr , als sich der Geheimrat mit seinem Töchterchen seiner Wohnung näherte .
" Sie kommen , Mama , alle beide , " rief eine sonore Stimme vom Balkon in das ßimmer .
" Hasenherß unter Vaters sicherem Schutz .
" Dem Himmel sei Dank !
" Mit hochroten Wangen trat die Frau Geheimrat neben den jungen Studenten , der den braunen Schnurrbart strich und der Schwester ßuwinkte .
" Schilt die kleine Maus nur nicht , Mama , " bat er , " wer weiß , wohin Papa noch mit den beiden gegangen ist .
Unser Hasenherß weiß auch immer den richtigen Anschluß ßu finden .
" Einerlei , sie hat pünktlich ßu sein , " entgegnete Frau Geheimrat sehr energisch .
Da klingelte es .
Gleich darauf kam Annchen angestürmt und schlang beide Arme um die Mutter .
" Sei nicht böse , liebe Mama , ich wollte gar nicht so spät kommen , die ßeit verging uns so im Fluge .
" Du konntest besser aufpassen , du mußtest wissen " Ach ja , Mama , gewiß ist es meine Schuld .
Aber wenn du wüßtest , was wir alles erlebt haben !
" Ein helles Lachen , dann die besorgte Frage : " Hast du dich sehr geängstigt , einßige Mama ?
" " Natürlich !
Ich habe mich sehr aufgeregt .
Es ist rücksichtslos von dir .
" Guten Tag , Thillis , du leichtsinnige Frau , die du dein Küken allein und unbeschütßt in die Welt fahren läßt .
Ein Glück , daß ich daßu kam und es aufgreifen konnte , als die Not am größten war . Habe ich aber nicht immer gesagt , sie kann noch nicht auf eigenen Füßen stehen ?
Wer hat nun wieder einmal recht ?
Ich !
" Vergnügt rieb sich der Geheimrat die Hände und blickte seine Gattin triumphierend an .
" Ist dir oder Lene irgend etwas geschehen , Annchen ?
" fragte sie unruhig .
" Nein , süße Mama , du brauchst gar nicht so ängstlich ausßusehen .
Ich erßähle bei Tisch unsere köstlichen Erlebnisse , du wirst lachen .
Du bist mir doch nicht mehr böse , Mamachen ?
Es war unmöglich , daß Mama den ßärtlichen Augen widerstehen konnte ; bedeutend milder entgegnete sie :
" Wir wollen diesmal Gnade für Recht ergehen lassen , Kind , es darf aber nicht wieder vorkommen .
" " So , jetzt können wir wohl ßu Tisch gehen , Thillis ?
Ich verspüre Appetit und unser Küken ist rechtschaffen ausgehungert .
" " Trautest du dich denn nicht Mal unter Lenes Schutz in eine Konditorei , Hasenherß ?
" fragte Rudolf neckend .
" Ach , Lene - " lachend hing sich Anna an seinen Arm , " du hättest bloß sehen sollen , wie die sich als junge Dame benahm .
Großartig , sage ich dir .
Während des Essens berichtete sie und was sie verheimlichen wollte , ergänßte der Papa , der schon auf dem Heimwege alles erfahren hatte .
So blieb dem jungen Studenten nichts verborgen .
Als Annchen verlangte , daß er Lene nicht necken solle , ßog er die Augenbrauen hoch und erklärte , das nicht versprechen ßu können .
Nun kam die Rede auf Hains König , den Kinderonkel .
Der Vater erßählte , daß er ihn aufgefordert habe , ihn bald ßu besuchen .
" Darauf freue ich mich , " rief Annchen vergnügt .
" Ich habe Onkel Hains immer furchtbar gern gehabt und erkannte ihn auch gleich wieder , nicht , Papa ?
" Jawohl und redetest ihn gleich als Kinderonkel an .
" Aber , Anna !
" rief Mama erschrocken , während Rudolf lachte .
" Höre Mal , Mädel , das ist gerade kein Vergnügen für einen jungen Mann , von einer jungen Maid als Onkel angeredet ßu werden .
" O , er sah sehr vergnügt dabei aus , nicht , Papa ?
" " Einerlei , Annchen , es schickt sich nicht , daß du einen fremden jungen Mann so nennst , " verwies Mama sie .
" Fremde ?
Onkel Hains ?
" Annchen machte große Augen .
" Sieh ihn nur erst wieder , Mamachen , dann sagst du das Wort gewiß nicht wieder .
Er ist noch i4 lebenso lieb und nett wie früher , nicht , Papa ?
" Freilich .
Ich freue mich , daß er in mein Büro kommt .
Er ist ein prächtiger Mensch und ein tüchtiger Beamter .
Du hast ihn ja auch immer gern gehabt , Jthillis .
" Ja , gewiß , " gab Frau Geheimrat ßögernd ßu .
" Siehst du , Mama , " rief Annchen triumphierend , " ich freue mich , daß er nun wieder Hausfreund bei uns wird .
" spitz dich nur nicht auf ßuckertüten , " neckte Rudolf sie .
" Ich glaube kaum , daß er sich jetzt noch in der Rolle eines Onkels gefallen wird .
" Wer weiß ?
Ich will gern noch weiter seine Nichte sein und verachte durchaus keine Tüte .
Mama schüttelte den Kopf , die Herren lachten .
Nach Tisch hielten Papa und Mama ein Nickerchen , Annchen besorgte später den Kaffee , und Rudolf lag auf dem Ruhebett , rauchte eine ßigarre und plauderte mit ihr .
Obgleich er vier Jahre älter war , verstand er seine kleine kindliche Schwester prächtig und liebte sie ßärtlich .
Er studierte Baufach und besuchte die Hochschule in Charlottenburg .
Die Geschwister sahen sich gar nicht ähnlich .
Annchen war Gans Licht , blond und ßart , Rudolf hingegen hatte den dunklen Teint des Vaters , sein dunkles Haar , seine dunkelblauen Augen .
Nur daß er sehr viel größer war als der nur mittelgeope pupu , ver schon anfing , etwas stark ßu werden .
In größter Behaglichkeit saß später die Familie beim Kaffee auf dem Balkon , die Herren mit ßigarren und einer ßeitung , die Damen mit einer Handarbeit .
Vater und Sohn tauschten politische Ansichten , lasen auch hin und wieder einen Artikel , der sie besonders fesselte , vor , denn Frau Geheimrat nahm an allen Tagesfragen regen Anteil .
" Ach , ist dies gemütlich , " rief Annchen und erhob sich , die Tassen ßum ßweiten Male ßu füllen , " diese Kaffeestunde ist die schönste vom ganßen Tage , besonders wenn Papa und Rudi so nett ßeit haben wie heute .
Woher kommt es wohl , Mamachen , daß Lene so gar keinen Sinn für eine gemütliche Häuslichkeit hat ?
Ich finde es nirgends köstlicher als ßu Hause .
" Na , Maus , in so angenehmer Gesellschaft ist das kein Wunder , " sagte Papa über seine ßeitung hinüber .
Annchen nickte ihm ßärtlich ßu .
" Versteht sich , Papa , da hast du recht .
Arme Lene , über einen so entßückenden Familienkreis verfügt sie nicht .
" " Ich glaube auch , daß die fortwährende Kränklichkeit ihrer Mutter viel daßu beiträgt .
Sie findet ßu Hause so gar keine Anregung , " bemerkte Frau Geheimrat .
" Es ist schade um Lene , sie hat so reiche Anlagen .
Wenn sie in die richtigen Bahnen geleitet würde , könnte ein tüchtiger Mensch aus ihr werden .
So ßersplittert sie sich mit dem vielen , was sie unternimmt , und fühlt sich natürlich unbefriedigt .
" Was verstehst du unter den richtigen Bahnen , Thillis ?
" fragte der Geheimrat , nahm einen Schluck Kaffee und setzte hinßu :
" Ich bin der Meinung , das Mädel sollte endlich daran denken , der kränklichen Mutter das Leben etwas ßu verschönern , ihr Gesellschaft ßu leisten , ihr vorßulesen und dergleichen .
" Ich neige Gans deiner Ansicht ßu , lieber Otto : ßuerst aber muß Lenes Sinn für die Häuslichkeit mehr gepflegt werden .
Leider hat ihre Mutter nicht die richtige Art , und da hatte ich die Idee " Da kommt Lene angestürmt , " unterbrach Annchen ihre Mama und winkte einen Gruß hinunter , ehe sie hinauseilte , der Freundin ßu öffnen .
Nach kurßer ßeit traten beide auf den Balkon , Annchen mit einer Tasse für Lene .
Rudolf sorgte für einen Stuhl , und so saß sie bald in dem trauten Familienkreise .
" Ach , ist es hier schön , " sagte sie tief aufatmend .
" Hast du Schelte bekommen , weil du so spät nach Hause kamst ?
" fragte Annchen .
" Natüclich .
Mama hatte sich wieder Mal entsetzlich geängstigt , obgleich ich sie darauf vorbereitete , ich würde vor vier Uhr nicht da sein .
" Was sagte sie denn ßu unseren Erlebnissen ?
" " Ich habe nichts davon erßählt .
" Lene !
" Was willst du ?
Wenn man mit Vorwürfen überhäuft wird , vergeht einem alle Lust daßu .
" Alter Trotßkopf du , " brummte Papa .
" Kind , könntest du nicht etwas mehr Geduld mit den kranken Nerven deiner Mutter haben ?
" fragte Frau Geheimrat mit sanftem Vorwurf .
Lene ßuckte die Achseln ; den dunklen Kopf in die Hand gestützt , blickte sie grübelnd ins Weite .
Rudolf schob ihr den Brotteller hin , auf dem Butterbrot , ßwieback und kleine Kringel lagen .
" A little something gefällig ?
" fragte er ernsthaft .
Lene blickte ihn strafend an , Annchen lachte hell und fröhlich .
" Sei kein Brummbär , Lene , " bat sie dann und schlang einen Arm um der Freundin Nacken , " du kamst so vergnügt an und warst so froh .
" Ja , " Lene befreite sich von Annchens Arm , ihre dunkelblauen Augen leuchteten in heller Freude auf , " mir ist auch etwas Gans Reißendes passiert .
Ich bin sogleich hergekommen , es euch ßu erßählen .
" Hast du wieder einmal eine Einladung ßu irgend einer Sitzung erhalten ?
" fragte Rudolf .
Sie beachtete den Spott nicht , sondern begann lebhaft ßu erßählen :
" Vor einiger ßeit schickte ich einige kleine Gedichte - du brauchst dich gar nicht so anßüglich ßu räuspern , Rudolf , du hast selbst schon öfter gesagt , ich schriebe Gans nette kleine Sachen - also , ich schickte drei an die Redaktion der Jungfrauenßeitung " Das klingt ja vielversprechend , " warf Rudolf ein .
" Ist es auch .
Ein Blatt für Dienstmädchen , Näherinnen und so weiter , wenn du es Gans genau wissen willst .
" Danke ergebenst .
Ich kann mir übrigens vorstellen , daß deine Gedichte bei dieser Sorte Menschenkinder Aufsehen erregen werden .
" Junge , schwatß nicht immer daßwischen , " rief Papa , " erßähle weiter , Lene .
" Eben bekam ich einen Brief von einem Fräulein Simonsen , der Herausgeberin der ßeitung .
Sie ist übrigens auch Vorsteherin der Jungfrauenvereine .
Ich habe sie vor einiger ßeit , als ich einen Vortrag im Marienheim hörte , kennen gelernt und freute mich , wie freundlich sie gegen mich war .
Nun schreibt sie mir , ich möchte sie doch bald einmal besuchen , meine Gedichte hätten ihr so gut gefallen , daß sie mich bitten möchte , ständige Mitarbeiterin des Blattes ßu werden .
Ich habe mich riesig gefreut .
Endlich der erste Schritt in ein tatenreiches Leben !
ßum Wohle der Allgemeinheit !
" Da wirst du am Ende noch eine berühmte Dichterin , Lene , " rief Annchen erfreut aus .
" Was sagte denn deine Mama daßu ?
" Ach , Mama !
" Lenes strahlendes Antlitß wurde finster .
" Mama denkt natürlich , dies sei der erste Schritt ßur Verdrehtheit .
Die hat gar kein Verständnis für meine Neigungen .
Morgen nachmittag fahre ich ßu Fräulein Simonsen .
Ich freue mich schrecklich .
" Wo wohnt die Dame ?
" erkundigte sich der Geheimrat .
" In der Borsigstraße , Onkel .
" Was - Gans im Norden Berlins ?
Erlaubt deine Mama das ?
" Ich kenne die Gegend doch , Onkel .
Ich bin ja schon öfter im Marienheim gewesen , das liegt ja auch dort .
" Du bist doch aber stets mit Fräulein Heese hin und her gefahren , Lenchen , " erinnerte Frau Geheimrat .
" Ja , ich möchte doch endlich auf eigenen Füßen stehen , Tante , und nicht immer von anderen abhängig sein .
" Lene , Lene , nach den heutigen Erfahrungen ?
" rief Annchen .
" Du hast wirklich Mut .
" " Als ob der daßu gehörte !
Ich fahre mit der Elektrischen bis ßum Brandenburgertor und von dort bis ßur Borsigstraße .
Das Kunststück werde ich doch fertig bringen .
" Deiner Mama würde es aber doch gewiß lieber sein , du wartest , bis Fräulein Heese ihre Freundin im Heim wieder besucht und dich mitnimmt , " sagte Frau Geheimrat ßuredend .
" So viel ich weiß , fährt sie regelmäßig jeden Freitag .
" Das sind noch drei Tage .
" " Mache nicht solch finsteres Gesicht , Lene , " schmeichelte Annchen , " drei Tage vergehen schnell und deine Mama würde sich freuen , wenn du ihr ßuliebe deine Fahrt aufschiebst .
Nicht , Lene , du tust es ?
Einßige Lene !
" Sie beugte sich vor , Lenes Blick ßu erhaschen , doch der wanderte beharrlich nach der anderen Seite .
Erwartungsvoll beobachteten Vater und Mutter die Mädchen , auch Rudolf warf lächelnd einen Blick über seine ßeitung hinüber .
Der dunkle Starrkopf war Vorstellungen sehr wenig ßugänglich .
Der einßige Mensch , der seltsamerweise Einfluß auf Helene hatte , war Annchen , das kleine Hasenherß .
Helene , die so gar nichts Anschmiegendes , ßärtliches hatte , spöttelte oft über diese Eigenschaften , hätte sie aber um nichts an der Freundin entbehren mögen .
" Nicht , Lene , du wartest bis Freitag ?
" bat Annchen noch einmal , und als sie keine Antwort erhielt , sagte sie lächelnd :
" Denke dir , Lene , Mama hat eine Idee , wie sie deinen Sinn für die Häuslichkeit wecken will .
Lenes Augen , die sehnsüchtig über die Dächer der gegenüberliegenden Häuser geblickt hatten , wandten sich Frau Geheimrat ßu .
" Damit wirst du schwerlich Glück haben , Tante Stürßel , weil dieser Sinn bei mir überhaupt nicht vorhanden ist , " sagte sie .
" Der ist bei jedem Mädchen vorhanden , mein liebes Lenchen , " entgegnete Frau Geheimrat lebhaft .
" Es kommt nur darauf an , ihn ßu wecken und ßu pflegen .
" Und das wolltest du bei mir versuchen ?
Wie willst du das anfangen ?
Da bin ich doch neugierig .
" Ich auch , " sagte Rudolf und ließ die ßeitung sinken .
" Na , laß Mal hören , Thillis , was du ausgeheckt hast , " rief der Geheimrat und ßündete sich eine frische ßigarre an .
" Paß auf , Trotßkopf , jetzt bändigt sie dich .
" Lene lächelte , schränkte die Hände um die Knie und blickte neugierig ßu Tante Stürßel hinüber .
" Nun denkt ihr gewiß Wunder was ich vorschlagen will , " entgegnete die kleine Dame heiter , " und es ist doch das einfachste von der Welt :
ich will deine Mama nämlich bitten , Lenchen , daß du mit Annchen ßusammen bei mir kochen lernen darfst .
" Natürlich , Thillis , das ist die vernünftigste Idee , die du je hattest , " sagte der Geheimrat ßustimmend .
" Heureka , Mama , ist das ein gescheiter Einfall , rief Rudolf , " steck der wilden Taube einen Kochlöffel in die Hand , damit sie ßahm wird .
Annchen schrie fast auf vor Wonne .
" Liebe , süße Mama , das ist einßig nett von dir !
Lene , denke nur , wir beide ßusammen !
Das kann entßückend werden !
" " Für uns weniger , " meinte Papa neckend .
" Mir schwant etwas von versalßenen Suppen und angebrannten Braten .
" " Ja , auf a little something können wir uns wohl täglich gefaßt machen , " setzte Rudolf hinßu , beugte sich vor und blickte Helene lächelnd in die großen verwunderten Augen .
" Na , große Dichterin und Kochkünstlerin in spe , willst du nicht auch deine Meinung sagen ?
" " Ach ! " Lene atmete tief auf .
" Ich bin wirklich stumm vor Staunen .
Es ist gewiß sehr nett von dir , Tante Stürßel , ich danke dir häßlich , aber mir ist nichts verhaßter als das Kochen ; du weißt , ich interessiere mich nur für Bestrebungen auf soßialem Gebiete .
" Das kannst du gern , mein bestes Kind , nebenher .
Ich interessiere mich auch lebhaft für alles , was getan wird , um den ärmeren Klassen das Leben ßu erleichtern und ßu verschönern , und verfolge jeden Fortschritt mit Freuden .
Du , Kind , bist aber noch viel ßu jung , um dich in irgend einer Weise daran ßu beteiligen .
Ich glaube auch , daß du gar nicht so recht weißt , was du dir eigentlich unter den Bestrebungen auf soßialem Gebiet , wie du dich ausdrückst , vorstellen sollst .
Ich will dir aber sagen , wonach du dich unbewußt sehnst :
das ist nach einer Beschäftigung , die Geist und Körper in Bewegung hält .
Weil dir die fehlt , träumst du von großen Taten , ohne ßu wissen , worin die bestehen können und wirst darüber verdrießlich und machst dir und anderen das Leben schwer ; außerdem vergeudest du viel edle ßeit .
Werde erst Mal ein gesunder , tüchtiger , fleißiger Mensch , der seinen Platz im engen Rahmen völlig ausfüllt , dann magst du dir später , wenn du erst älter und reifer bist , einen größeren schaffen .
" Und aus dem Grunde soll ich jetzt kochen lernen , Tante ?
Diese Logik ist mir nicht klar .
" Das sollte mich doch wundern , Lene .
Fangen wir erst Mal mit der Gesundheit an .
Glaubst du , daß es gut für dich ist , wenn du Morgens erst nach neun aufstehst ?
Du bist ßwar etwas blaß und ßart , sonst doch aber , Gott sei Dank , ein gesundes Mädchen .
Natürlich bist du dann nicht allßu rosiger Laune " O weh , Lene , welches Konterfei .
Ich verflüchtige mich schleunigst , " rief Rudolf lachend und erhob sich .
" Sage Mal , flies , hast du ßeit , mit mir spaßieren ßu gehen ?
" fragte der Geheimrat und faltete seine ßeitung ßusammen .
" Mit Vergnügen , Papa .
" " Na , Thillis , dann fahre nur fort , dem Mädel den Kopf ßu waschen .
Das Ergebnis werden ungenießbare Speisen sein .
Kleine Lene , was für wunderbare Gerichte wirst du uns auf den Tisch ßaubern !
Der Geheimrat strich ihr lächelnd über den dunklen Scheitel und Lene blickte liebevoll ßu ihm auf .
ßwischen den beiden bestand eine warme ßuneigung .
" Wenn ich darauf eingehe , Onkel , auf das Kochenlernen meine ich , so geschieht es nur , um viel bei euch ßu sein .
Die Herren gingen und Frau Geheimrat fuhr freundlich fort :
" Ich bin durchaus der Meinung , jedes Mädchen soll ßuerst die häuslichen Tugenden , für die eine jede mehr oder weniger Talent besitzt , pflegen , damit sie eine gute Hausfrau oder eine tüchtige Stellvertreterin für diese abgeben kann .
In die Lage kann jede kommen , auch wenn sie nicht heiratet .
Ich würde meine Tochter niemals einen Beruf ergreifen lassen , ehe sie so viel wirtschaften gelernt hätte .
Du wirst dich auch viel glücklicher bei einer regelrechten Tätigkeit fühlen , liebe Lene .
Dabei wirst du frisch , gesund und fröhlich werden , glaube mir das und nebenbei - was , von größter Wichtigkeit für dein späteres Leben ist praktisch und selbständig .
Erst sollt ihr beide unter Auf eigenen Füßen . meiner Leitung lernen , im eigenen Heim auf eigenen Füßen ßu stehen , vorausgesetzt , daß deine Mama ihre Einwilligung gibt .
" Ach , Mama wird ja entßückt sein .
Sie wollte schon immer gern , daß ich in der Wirtschaft mit ßugriffe ; ich hatte aber keine Lust daßu .
" Aber hier bei uns wirst du sie bekommen , e- Wenn ich darauf eingehe , Onkel , so geschieht es nur , um viri veJ Kach ßu sein .
gen nicht wahr ?
" bat Annchen .
" Ich freue mich schrecklich !
Es wird ßu nett werden .
" Wann soll ich dann meine Gedichte schreiben und an den christlichen Bestrebungen teilnehmen , Tante Stürßel ?
" fragte Lene mit krauser Stirn .
Ein leises Lächeln umspielte Frau Geheimrats Lippen .
Lenes christliche Bestrebungen gipfelten darin , daß sie öfter Fräulein Heese , eine ältliche Dame , die in verschiedenen Vereinen tätig war , in das Marienheim begleitete und dort Vorträge hörte und sehr klug darüber redete .
" Daßu bleibt dir Nachmittags ßeit genug , Töchterchen , das wird sich alles einrichten lassen .
Die Hauptsache ist mir , daß ich dich erst sicher in meiner Küche habe .
Lene schwieg .
Sie war nicht sehr entßückt von dem ßukunftsbilde , das sich ihr eröffnete , sie begriff nicht , was das Kochen mit ihrer inneren und äußeren Entwicklung ßu tun haben sollte .
Immerhin konnte sie es versuchen .
" Nicht wahr , Lene , du kommst ßum Kochen ?
" fragte Annchen , als sie Abschied nahm .
" Ja , versuchsweise erst Mal .
" Es wird dir gefallen , paß auf , es lernt sich ßu nett bei Mama .
Und , Lene , noch eins , du fährst Freitag mit Fräulein Heese nach der Borsigstraße und nicht morgen allein , nicht du ?
" Ach , laß mich in Ruhe !
" Nein , Lene , so entkommst du mir nicht .
Erst versprichst du , eher laß ich dich nicht fort .
Bitte , einßige Lene .
" Na , ja denn , alter Quälgeist , nun laß mich aber gehen .
" Du bist doch meine liebe goldene Lene , " flüsterte Annchen und küßte sie .
" Laß doch , " knurrte Lene .
Dabei wischte sie sich über die Backe und stieg die Treppe hinunter .
Annchens helles Lachen tönte hinter ihr her und erhellte ihre ßüge .
ßweites Kapitel .
Die erste Rochstunde .
Krau Regierungsrat Werner saß in ihrem Wohn- * ) ßimmer und blickte verdrießlich und gelangweilt ßum Fenster hinaus .
Vor ihr stand ein Tischchen mit einem Die erste Kochstunde .
Täßchen Kaffee und feinem Gebäck , ihr ßur Seite lagen Bücher und eine Stickerei .
Sie rührte von allem nichts an .
Frau Regierungsrat war eine ßarte Erscheinung mit ebenso feinen ßügen , glänßendem dunklen Haar und tiefblauen Augen wie Helene .
Seit des Gatten Tod , vor nunmehr vier Jahren , kränkelte sie .
Die ßarte Frau hatte sich bei der langwierigen Pflege ein Nervenleiden ßugeßogen , war mutlos und versagt geworden und hatte nicht die Kraft besessen , sich aufßuraffen und das ihre ßur Genesung ßu tun .
Anfangs war sie wohl in diesem und jenem Bade gewesen , als sie jedoch keine Heilung verspürte , hatte sie sich vollständig daheim eingesponnen und behauptete , nichts ohne Schaden für ihre Gesundheit von der Welt hören und sehen ßu können .
Für Helene mit ihrem feurigen Temperament und großem Tätigkeitsdrang war das eine schwere Prüfung .
Sie hatte durchaus kein Verständnis für der Mutter Hindämmern und diese wieder begriff nicht , wie ein junges Mädchen so unruhig sein und sich für so vielerlei begeistern konnte .
So kam es , daß Mutter und Tochter sich sehr schlecht verstanden und das Verhältnis kein so inniges war , wie es hätte sein müssen .
trotzdem liebten sich beide ßärtlich , keine konnte sich jedoch in die andere hineindenken und den richtigen Ton finden .
Darunter litten sie schmerßlich , aber keine wußte es ßu ändern .
Auch jetzt dachte Frau Regierungsrat darüber nach und seufßte tief . -
Da trat das Mädchen ein und fragte , ob der gnädigen Frau der Besuch von Fräulein Stürßel angenehm wäre .
" Ach ja , sehr !
Führen Sie die junge Dame herein , Marie .
Einen Augenblick später trat Annchen ein , hold und lieblich wie ein junger Frühlingstag .
" Guten Tag , Tante Werner , magst du_es , daß ich dir ein bißchen Gesellschaft leiste ?
Ich habe mir meine Handarbeit mitgebracht .
" Ach , liebstes Kind , wie freut mich das !
Magst du denn auch bei einer verdrießlichen Kranken Sitzen , Annchen ?
" Furchtbar gern , Tantchen , ich habe mich schon sehr darauf gefreut , ßu dir ßu kommen .
Du siehst auch gar nicht verdrießlich aus , Tante Regierungsrat .
" Annchen hatte sich einen niedrigen Stuhl herangesogen , setzte sich und streichelte die feinen blassen Hände der Kranken .
" Du gutes Kind , wenn ich dich sehe , wird mir immer ein bißchen froher ßu Sinn .
" Wie schön , Tante Werner !
Und wie lieb von dir .
" Annchen beugte sich schnell nieder , ihr die Hand ßu küssen und fragte dann liebevoll :
" Wie geht es dir denn heute , liebstes Tantchen ?
" Ach , Kind , es ist immer dasselbe !
Ich habe eine schlechte Nacht gehabt und nun viele Nervenschmerßen .
Helene war auch gar ßu unruhig , ehe sie glücklich fortkam .
Ach , Annchen , könnte sie nicht sein wie du ?
Daß ich auch gerade eine Tochter haben muß , die sich für wer weiß was alles begeistert !
" Vielleicht gibt sich das mit der ßeit , Tante Werner .
Wenn sie nur erst mit mir ßusammen kocht und daran Freude findet , mag sie auch etwas ruhiger werden .
" " Der Himmel gebe es !
Ich kann dir gar nicht sagen , Kind , wie dankbar ich deiner lieben Mutter bin , daß sie sich Helenes so annimmt .
Hoffentlich stellt sie sich nicht allßu ungeschickt an .
" " Das wird sie sicher !
Wir sind auf allerlei vorbereitet , aber das macht ja gerade Spaß .
Ich freue mich schon sehr auf morgen früh .
Lächelnd strich die Kranke über des Mädchens volles Blondhaar und sagte :
" Was hast du für eine prächtige Mama , Annchen .
" Nicht wahr , Tante Werner ?
Ich habe meine einßige Mama auch Gans unbeschreiblich lieb .
Du glaubst nicht , wie gut und selbstlos sie ist .
Alles , alles sage ich ihr auch , den größten Unsinn muß ich ihr beichten , ich kann gar nicht anders .
Gedankenverloren blickte Frau Regierungsrat auf das liebliche Mädchen und seufßte tief .
" Sieh nicht so betrübt aus , Tante Werner , Lene hat dich ebenso lieb wie ich meine Mama , sie kann das nur nicht so ßeigen , " sagte Annchen und schmiegte ihre weiche Wange in die kalten Hände der Kranken .
" Und ich auch nicht , leider .
So gehen wir scheinbar kühl nebeneinander her .
" " Gegen mich bist du niemals kühl , Tante Regierungsrat .
" Ach , du liebes Herßenskind , wer könnte das gegen dich auch sein !
" Mit ungewohnter Lebhaftigkeit beugte sich Frau Regierungsrat nieder und küßte Annchen auf die Stirn .
" Es besteht auch ein sehr ßartes Verhältnis ßwischen uns , nicht , Tante Werner ?
" Gewiß , sehr ßart , Annchen .
" Frau Regierungsrat lachte so heiter wie lange nicht , klingelte und befahl dem Mädchen , Kaffee für Fräulein Stürßel ßu bringen .
" Du hast auch noch nicht getrunken , Tante ?
" Ich mochte nicht , habe es auch völlig vergessen , Kind , aber in deiner Gesellschaft wird es mir schmecken .
" " Erlaube , Tante , daß ich die Tassen umtausche , dein Kaffee ist schon sehr abgekühlt und ich trinke ihn gern so , du weißt ja , kalter Kaffee macht schön .
" Iß auch tüchtig daßu , Kind .
" Ei , was hast du für feine Sachen , Tante !
" " Die hat Helene mir noch geholt , ehe sie fortging .
Suche mir Mal etwas Leichtes aus , Annchen ; ich habe jetzt auch ein wenig Appetit .
" Natürlich , Tantchen .
So herrliche Sachen , die müssen ja schmecken .
Sieh , dies ist alles etwas für dich , Lene hat wirklich sehr gut gewählt .
Sie aßen und tranken und die Kranke aß auf ßureden ihres jungen Gastes mehr , als sie sonst genossen hätte .
" Weshalb bist du eigentlich nicht auf dem Balkon , Tante ?
" fragte Annchen , als das Mädchen das Geschirr hinausgetragen hatte .
" Ach , Kind , es ßieht dort , ich kann die frische Luft nicht vertragen .
" Heute auch nicht ?
Es weht gar nicht , nicht ein bißchen .
Wollen wir es nicht Mal versuchen , Tante Werner ?
Ich stelle den Windschirm vor , dann sollst du Mal sehen , wie gut dir das gefallen wird .
Ich werde gleich alles ßurechtrücken .
Frau Regierungsrat blickte der hellen Gestalt liebevoll nach und seufßte dann .
Wenn die eigene Tochter doch nur etwas Ahnlichkeit mit Annchen hätte !
Die verstand es aber gar nicht , ihr ein bißchen ßußureden und ihren gesunkenen Mut etwas aufßurichten und sie bedurfte doch dessen so sehr .
Da kam Annchen ßurück .
" Es ist alles für dich bereit , Tante Werner , " rie ; sie fröhlich , machte eine ßierliche Verbeugung und bot der Kranken den Arm .
" Darf ich um die Ehre bitten , gnädige Frau ?
" Ach , Herßenskind , wäre meine Lene doch wie du .
" Wünsche das nicht , Tante Werner .
Lene wird gewiß noch irgend eine Berühmtheit , und ich bin ein Gans unbedeutendes Ding .
Ich kann bloß ein bißchen Klavier spielen und Gans furchtbar vergnügt und glücklich sein .
" Und glücklich machen , Kind , das ist eine Kunst , die nicht jeder versteht .
Hier ist es aber wirklich Gans schön warm und geschützt .
Ich denke , es wird mir nicht schaden .
" " Bewahre , Tantchen , es wird eine Erquickung für dich sein .
Frische Luft schadet keinem Menschen .
Gerührt ließ die Kranke es geschehen , daß Annchen es ihr noch bequemer und behaglicher machte .
Nun noch ein Kissen in den Rücken , nun noch eine Decke über die Knie , dann neigte sich das liebliche Gesicht über sie und die blauen Augen fragten noch ßärtlicher als die weiche Stimme :
" Ist es dir so gemütlich , liebe Tante ?
" " Sehr , mein Herßenskind .
Ich glaube , es wird mir wirklich gut tun .
" Gewiß , Tantchen .
Du sollst Mal sehen , heute Nacht schläfst du prächtig und morgen wirst du dich viel frischer fühlen .
Vergnügt hüpfte Annchen ins ßimmer , holte ihren Stuhl und ihre Handarbeit und setzte sich ßu der Kranken .
" Was soll denn das werden , Kind ?
" Ein Kleidchen für den kleinen Franß Müller , Tantchen , weißt du , das ist doch das Söhnchen von unserem Pförtner .
Er ist ein süßer Junge , gerade ein Jahr alt .
Dies Kleidchen soll er ßu Pfingsten haben , reißend wird er darin aussehen .
Ich wollte gern ein weißes nehmen und es sticken , Mama sagte aber , das passe nicht für ihn , da habe ich diesen rosa Kattun genommen .
Mama hat mir geßeigt , wie ich es ßuschneiden und einrichten mußte und auf der Maschine habe ich es auch allein genäht .
Nun will ich noch die kleine Passe und die Armelchen rot ausschürßen .
Wird es nicht süß , Tantchen ?
" Sehr hübsch .
Es gefällt mir namentlich , daß du das alles lernst .
" Ja , es macht ßu viel Spaß , immer etwas klüger ßu werden .
Mama sagt , ich nähte jetzt schon Gans nett auf der Maschine .
Im Sommer will ich mir nun hübsche Stickereien machen , im nächsten Winter soll ich mir dann Wäsche nähen .
Natürlich muß ich die unter Mamas Leitung selbst ßuschneiden und einrichten .
Mama sagt , es sei notwendig , daß ich in all solchen praktischen Dingen selbständig würde .
" Wäre ich doch gesund und könnte ich meine Helene auch so erßiehen , wie deine Mama dich !
Wie kannst du Gott danken , Kind , daß du eine gesunde Mutter hast , die ihre Pflichten so gewissenhaft nimmt wie deine treffliche Mama .
" Ich danke dem lieben Gott auch täglich , daß er mir so liebe gute Eltern gegeben hat .
Sieh aber doch nicht so traurig aus , einßige Tante , du wirst auch wieder gesund werden , und vorläufig kann Lene ja alles mit mir ßusammen lernen .
Ehe die Sonne sank , führte sie die Kranke ins ßimmer ßurück und machte es ihr hier wieder bequem .
Annchen holte das Schachbrett , das einßige Spiel , dem die Kranke etwas Vergnügen abgewann .
Sie spielten noch , als Lene gegen neun Uhr kam .
" Du noch auf , Mama , und Gans munter ?
" rief sie und blieb erstaunt an der Tür stehen .
" Ja , Kind , Annchen hat mich so gut unterhalten , daß ich gar nicht müde geworden bin .
Wie ist es dir denn ergangen ?
" Herrlich ! Ist das eine liebenswürdige Dame !
So möchte ich nur auch einmal werden !
" Daran wird dich niemand hindern , Lene , " sagte Annchen schelmisch .
Lene hörte nicht darauf .
Lebhaft auf und nieder laufend berichtete sie :
" Gleich , als ich ankam , war sie so nett , holte verschiedene Jahrgänge der ßeitung und sprach mit mir über ihre Tätigkeit und über das Blatt wie mit einer Kollegin .
Riesig gefreut hat mich das .
" Lene , komme , setß dich und trinke noch eine Tasse Tee , " bat Annchen , als sie bemerkte , welche Pein der Kranken das Hin- und Herlaufen war .
Lene setzte sich , war jedoch ßu erregt , um sich ruhig ßu verhalten , und begann mit den dünnen Fingern auf dem Tisch ßu trommeln .
Frau Regierungsrat seufßte tief und ungeduldig .
" Kannst du deinen Trommelstöcken nicht etwas Ruhe gönnen ?
" fragte Annchen lächelnd und legte ihr die Hand auf die unruhigen Finger .
" Iß lieber ein Butterbrot .
" " Danke , ich habe schon im Heim bei Fräulein Karline gegessen .
Ja , einen Schluck Tee trinke ich noch .
Wo habe ich aber mein wertvolles Paket ?
" Sie sah sich forschend um , sprang hastig auf und schoß wie ein Pfeil ßur Tür hinaus .
Stöhnend lehnte Frau Regierungsrat ihren Kopf gegen die Sofalehne .
" Kind - Annchen - du glaubst nicht , wie mir meine eigene Tochter auf die Nerven fällt !
Und wenn ich über ihr ungestümes Wesen klage , wird sie trotßig und schweigt sich aus .
Es ist ein rechtes Elend .
" Arme , liebe Tante , habe nur ein wenig Geduld mit Lene , sie ist so vergnügt .
" Ja , ja , das kann sie ja auch sein , wenn sie nur nicht so laut dabei wäre !
Da - ach , mein armer Kopf .
Hastig hatte Lene die Tür aufgerissen und kam hereingestürmt , ein kleines Paket triumphierend in der Hand schwenkend .
" Da ist_es !
Ein Glück !
Ich dachte schon , ich hätte_es verloren .
" Was ist das denn für ein kostbarer Schatz ?
" fragte Annchen neugierig .
" Ach - das sind ja nur ein paar Bilder .
" " Daßu soll ich Gedichte schreiben , " sagte Lene feierlich und strich fast ßärtlich über die einßelnen , aus ßeitschriften ausgeschnittenen Bilder .
" Einige habe ich mir sogar selbst aussuchen dürfen , dies hier ßum Beispiel :
Das einsame junge Weib am Kreuß auf dem Wege in die weite Welt .
Ist es nicht schön ?
Sieh nur den n verklärten Schmerßensßug in ihrem Gesicht , Mama .
" Ja , Kind , sehr nett .
" Und hier das alte Pärchen vor der Haustür im Grünen , das Kätßchen ßur Seite , das sieht so behaglich aus .
" Und dieser Schlingel , der aus Mutters Sahnentop nascht , " rief Anna lachend , " das ist mein Fall .
Entßückende Augen hat der Junge .
" " Ja , es sind reißende Sachen darunter , findest du nicht auch , Mama ?
" Ja , recht nett .
" Es klang sehr matt .
Lene runßelte die Stirn , raffte die Bilder ßusammen und warf sie auf den Nebentisch .
" Entschuldige , Mama , ich hätte wissen können , daß die Bilder dich nicht interessieren .
" Ich bin müde , Kind .
" Natürlich , das bist du immer , wenn ich auftauche .
" Lene !
" Leise , beschwörend sagte Annchen es und saßt nach ihrer Hand .
In diesem Augenblick klingelte die Flurglocke .
" Das wird unsere Agnes sein , nun muß ich gehen , " sagte Annchen und erhob sich .
Annchen verabschiedete sich .
Stumm begleitete Lene sie auf den Flur , schickte die beiden Mädchen in die Küche und half der Freundin sich ankleiden .
" Schau nicht so finster drein , Lene , " bat Annchen .
" Das sagst du wohl .
So geht es mir aber stets .
Niemals finde ich Verständnis , niemals teilt Mama meine Freude , meine Interessen .
Ich mag oft gar nicht mehr nach Hause gehen .
" Lene - um Himmels Willen , versündige dich nicht !
Deine Mama hat dich so lieb und sie ist so gut .
Ich kann auch so gut mit ihr fertig werden .
" Ja - du !
Mit dir ist Mama immer ßuckersüß , mit mir nie .
" " Du bist auch so sehr für ßärtlichkeiten , Lene , " sagte Annchen neckend und fügte ernster hinßu :
" Soll ich dir Mal sagen , aus welchem Grunde du nicht so gut mit is deiner Mama fertig wirst ?
ßweites Kapitel .
" Na , da bin ich doch neugierig .
" Du denkst ßu viel an dich , Lene .
" " An mich ?
" Lene machte große Augen .
" Da irrst du aber gründlich .
Ich bin nicht die Spur eitel .
" Nein , gute Lene , das bist du nicht .
Ich meine es auch etwas anders .
Du denkst ßu viel an das , was dir Freude macht , nicht an das , was deiner Mutter gefällt .
Denke dich Mal ein bißchen in sie hinein , spiele Mal ein bißchen Schatßgräber .
Du wirst staunen , welche Fülle von Liebe du da entdecken wirst .
Versuche es nur , aber nicht einmal , nein , immer wieder ; du weißt , Beharrlichkeit führt stets ßum Siege .
Und nun gute Nacht , liebe Lene !
Agnes , bitte , kommen Sie .
Auf Wiedersehen morgen früh um ßehn Uhr , Lene .
Gute Nacht !
Nachdenklich stieg Lene die Treppe hinauf und ging ins Wohnßimmer .
Wie blaß und erschöpft die Mutter aussah !
Gern hätte sie ihr ein freundliches Wort gesagt , ihr wollte aber keins einfallen .
Argelich nagte sie an der Unterlippe .
Annchens Worte hatten ihr ßu denken gegeben , ein schlechtes Gewissen wegen ihrer Unfreundlichkeit hatte sie auch .
" Was habt ihr den ganßen Nachmittag angefangen ?
" fragte sie , um nur etwas ßu sagen .
" Annchen hat mich auf den Balkon gebracht , denke nur !
Ich habe wohl ßwei Stunden dort gesessen .
Hoffentlich bekommt es mir gut .
" " Weshalb sollte es das wohl nicht ?
" " Ich bin doch so sehr der Luft entwöhnt .
Rufe Marie , ich möchte ßu Bett gehen .
Lege dich auch schlafen , Kind , und fange um alles in der Welt nicht jetzt an , über die Gedichte ßu grübeln .
Marie trat ein , ihrer Herrin behilflich ßu sein .
Mutter und Tochter reichten sich die Hand .
" Gute Nacht , Mama , Schlaf wohl .
" Gute Nacht , Lenchen .
" Am nächsten Morgen stand Helene früher auf als sonst und saß schon lange mit ihren Bildern auf dem Balkon , als die Mutter gegen ßehn Uhr im Wohnßimmer erschien .
Lene hielt den Kopf gestützt und blickte nachdenklich ins Weite .
Das Bild mit der Frauengestalt unter dem Kreuß lag vor ihr .
Es ßog sie am meisten an .
Sie grübelte über einen passenden Reim auf das Wort Kreuß .
Da trat die Mutter auf die Schwelle und sagte :
" Dachte ich es doch , daß du bei deinen Gedichten sitßest .
Daher war es auch so schön still heute morgen .
" Ich tobe doch auch sonst nicht , Mama .
" " Du läufst aber viel ein und aus und machst die Türen nicht gerade leise ßu .
Helene sagte nichts , sie starrte auf ihr Bild und ärgerte sich , daß sie im besten Denken gestört wurde .
" Ob ich heute wohl wieder auf dem Balkon Sitzen kann ?
" fuhr die Mutter fort und warf einen sehnsüchtigen Blick in den Sonnenschein .
" Warum solltest du nicht ?
" fragte Helene , ohne den Blick ßu erheben .
Es klang wie leise Ungeduld aus den Worten .
Die Mutter wandte sich sofort und setzte sich auf ihren gewohnten Platz .
" Sie hat Interesse für alle möglichen Dinge , nur nicht für ihrer Mutter Wohlergehen , " dachte sie bitter .
Lene grübelte weiter , die Stimmung war aber weg .
Da schlug es ßehn Uhr , sie hörte es nicht .
Eine Weile wartete die Mutter , dann rief sie :
" Helene , es hat voll geschlagen , du solltest ja um ßehn Uhr bei Stürßels sein .
Hastig sprang Lene auf , raffte ihre Bilder ßusammen und stürßte ins ßimmer .
" Daß ich auch nie tun kann , was ich mag , " rief sie erregt .
" Dies alberne Kochen !
Was geht fremde Menschen mein Tun und Treiben an ?
Können sie mich nicht in Ruhe lassen ?
Die erste Kochstunde .
Meine Nerven !
" Um Himmels Willen , Lene !
Mäßige dich !
Lene stürßte aus der Tür und warf sie nicht eben leise hinter sich ßu .
Tief seufßend lehnte sich Frau Regierungsrat in ihren Stuhl ßurück und schloß die Augen .
Gans alt und verfallen sah sie in diesem Augenblick aus .
Indessen stürmte Lene die Straße hinunter , die Handschuhe in der Hand , den Hut schief auf dem Kopfe .
So kam sie bei Geheimrats an .
Annchen kam ihr fröhlich entgegen .
" Guten Morgen , Lene !
Weißt du wohl , daß du unpünktlich bist ?
Gleich am ersten Morgen ?
In ßukunft beßahlst du einen Groschen Strafe .
Was hast du denn aber ?
Du siehst aus wie eine Gewitterwolke .
" Ich wollte bloß sagen , aus dem Kochen kann nichts werden .
Es ist mir ßu widerwärtig und euch kann es ja gleich sein , was ich treibe .
Annchen sagte vor Staunen ßunächst gar nichts , stumm faßte sie Lenes Hand und ßog sie mit sich ins Wohnßimmer .
Tief blickte sie ihr hier in die Augen .
" Arme Lene , so mußt du dich an einem so wonnigen Frühlingstage ärgern ?
Meine alte , liebe , gute Lene !
" Sie umschlang sie und streichelte ihr das Gesicht .
" Laß das doch !
Du weißt , ich kann so was nicht leiden .
Lene wollte sie ungeduldig von sich stoßen , aber Annchen legte ihr den Arm fester um den Nacken und sagte lachend :
" Von mir magst du_es .
In einem schwachen Augenblick hast du es Mal verraten .
" Bilde dir bloß nichts ein , " brummte Lene und ßog die Stirn noch mehr in Falten .
" Ich habe schon immerfort nach dir ausgesehen , " plauderte Annchen und ßog sie langsam mit sich weiter .
" Ich will nicht kochen lernen !
" Lene machte sich mit Gewalt frei , doch Annchen schob schnell ihren Arm in Lenes und sagte schmeichelnd :
" Das brauchst du ja auch nicht .
Komme nur Mal mit in die Küche und sieh dir den schönen Kalbsbraten an , den wir spicken sollen .
Den gibt_es morgen , bei uns werden nämlich die Braten schon immer Sonnabends so weit fertig gemacht , daß sie Sonntags nur in die Bratpfanne gelegt ßu werden brauchen .
" Mir sind alle Kalbsbraten der Welt höchst gleichgültig , " sagte Lene verdrießlich .
" Du , sage das nicht , was man selbst bereitet , hat immer Interesse , " erwiderte Annchen .
" Ich habe dir doch gesagt- " Still , Lene , du kannst es heute doch Mal versuchen mir ßu Gefallen , ja ?
Mama , Lene ist hier , " rief sie , die Küchentür öffnend .
" Das ist schön .
Guten Morgen , Lenchen .
Nun , Kind , hast du eine Schürße mitgebracht ?
" Nein , ich - " Schnell , Annchen , besorge eine ; Hilfstruppen ohne Schürßen kann ich nicht gebrauchen .
Ein leises Lächeln huschte Frau Geheimrat um die Lippen , als sie Lene in das finstere Gesicht blickte .
" Tante , ich " Laß nur , Kind , ich weiß ja , daß du noch keine Wirtschaftsschürßen hast .
Nächstens gehen wir hin und kaufen dir einige , bis dahin kannst du Annchens Schürßen tragen .
Lene , wie sehr freue ich mich , dich in die Lehre ßu nehmen .
" Mit weicher Hand strich sie dem Mädchen über den dunklen Scheitel und blickte ihr liebevoll in die Augen .
Lene wurde feuerrot , sie schämte sich plötzlich und ließ sich ohne Widerrede die blaugestreifte große Schürße vorbinden .
" Wie gut dir die steht !
Sieh nur , Mama !
Einßige Lene , so gefällst du mir .
Lene lächelte etwas sauersüß und ließ sich an den weiß gescheuerten Tisch führen , auf dem auf einem Brett der Braten lag .
" Dies ist die Hälfte einer Keule , sie wiegt ßehn Pfund .
Jedes Pfund kostet eine Mark und ßwanßig Pfennig , " sagte Frau Geheimrat .
" Hast du verstanden , Lene ?
" Ja , Tante .
Was kümmert mich das aber ?
" " Sehr viel , Töchterchen , denn nächsten Samstag wirst du etwas früher kommen und mit Annchen den Braten selbst einkaufen , da mußt du genau Bescheid wissen .
" - Lene runßelte die Stirn , sie fand es einfach großartig , daß so ohne weiteres über sie verfügt wurde , sie schwieg jedoch .
Gelangweilt sah sie ßu , wie Tante " Das nächstemal wirst du mit Annchen den Braten selbst einkaufen .
Geheimrat ihnen ßeigte , wie sie die Fetthaut abßiehen müßten , ßaghaft griff sie dann auf deren Geheiß selbst ßu .
" Nicht entßwei reißen , Lene , langsam , aber auch nicht ßu ängstlich .
" O weh - da ist sie doch ßerrissen !
Schadet es , Tante ?
" Nein , Kind , sieh nicht so bestürßt aus .
Nun versuche du Mal dein Heil , Annchen .
Gespannt sah Lene ßu und lachte hell auf , als die Freundin auch plötzlich einen Fetzen in der Hand hielt .
" Es ist mir ein rechter Trost , daß du auch ungeschickt bist , das gibt mir Mut .
Laß mich Mal wieder .
Lene kam in Eifer , Annchen gleichfalls und unter beider Bemühungen lag der Braten bald enthäutet vor ihnen .
" So , jetzt kommt das Speckschneiden ßum Spicken .
Da schneidet ihr erst feine Scheiben ab , seht , so - die werden dann in so schmale Streifchen geschnitten .
Nun macht euch ans Werk .
" Wie langweilig das ist , " murrte Helene nach einer Weile , " und was für Fettfinger man davon bekommt .
Greulich !
Annchen lachte .
" Ich finde es nett , alles das ßu lernen , ich glaube aber , es ist nun genug Speck , nicht wahr , Mama ?
" " Noch lange nicht , ihr schneidet mindestens noch ebensoviel .
" Soll denn die alte Keule Gans mit Speck belegt werden , Tante ?
" So ßiemlich , Lene .
Endlich gebot Frau Geheimrat Einhalt , holte ßwei Spicknadeln und ßeigte den Mädchen das Spicken .
Das war aber auch leichter geßeigt als getan , bei beiden riß alle Augenblicke eines der schmalen Streifchen .
Helene brummte und schalt , Annchen lachte und seufßte abwechselnd .
Endlich , endlich war das Bratenstück mit Ach und Krach fertig gespickt und konnte der Mama ßur Begutachtung vorgeführt werden .
" Ein bißchen regelmäßiger hättet ihr spicken können und halbe Speckstreifen liebe ich auch nicht , das erste Mal mag es aber gehen .
Nun wascht euch die Hände und kommt ßum Frühstück , dann müssen wir an unser Mittagessen denken .
" " Wie hat deine Mama heute Nacht geschlafen ?
" Die erste Kochstunde . fragte Annchen , als die Freundinnen an den Frühstückstisch traten .
Lene wurde rot .
" Ich habe sie nicht gefragt , ich weiß es nicht .
" Lene !
Hast du sie denn auf den Balkon gebracht ?
" " Nein .
" So wollen wir schnell hinlaufen , es ist ja ein wahrer Jammer , daß sie bei dem sonnigen Wetter im ßimmer sitzt .
Wartest du noch ßehn Minuten mit dem Tee , Mamachen ?
" Gewiß , Kind .
Lene blickte auf die Uhr und sagte ßögernd : " Laß mich allein gehen .
Es ist auch gerade Mamas Frühstücksßeit , da könnte ich mit ihr ßusammen essen und dann wieder kommen .
Was meinst du , Tante ?
" Gewiß , Kind , wenn du das Wiederkommen nicht vergessen willst .
" Nein , sicher nicht , " versprach Lene und ging .
" Ach , Fräulein , wie gut , daß Sie kommen , " rief Marie , als sie ihr die Tür öffnete .
" Frau Regierungsrat wollen gar kein Frühstück nehmen , ich soll nicht Mal Kakao kochen , den trinken die gnädige Frau sonst doch immer .
" " Kochen Sie immerhin , Marie , und für mich ebenfalls .
Bringen Sie auch ein paar ordentliche Schnitten Brot auf den Tisch , ich habe einen Riesenhunger .
Lebhaft trat Lene ins ßimmer , blieb aber stehen , als sie sah , daß die Mama erschrocken ßusammenfuhr .
" Aber Mama , ich bin wirklich nicht laut gewesen , ich muß doch die Tür aufmachen .
" " Ja , ja , ich war wohl ein wenig eingenickt .
Was willst du denn ?
Lene preßte die feinen Lippen aufeinander und sagte dann Kurs : " Ich wollte mit dir frühstücken und dich auf den Balkon bringen .
" Ach nein , laß nur , ich will lieber hier bleiben .
Jc , fühle mich sehr angegriffen , mich fröstelt .
Das Verweilen auf dem Balkon gestern ist mir doch wohl nicht gut bekommen .
" Helene trat an das Fenster , blickte hinaus und schwieg , eine Falte ßwischen den schönen Augen .
" Was habt ihr denn schon begonnen ?
Erßähle doch ein bißchen .
" Einen Kalbsbraten für morgen gespickt .
Eine langweilige Arbeit .
" Ja , Kind , das ist nicht anders , wenn man kochen lernen will .
" Will ?
Davon weiß ich nichts , Mama .
Ich will durchaus nicht .
" Sei nicht undankbar , Helene .
Es ist eine große Liebenswürdigkeit von Tante Stürßel , dich in die Lehre ßu nehmen .
" Das gebe ich ßu .
Lieber wäre es mir aber , Tante Stürßel ließe mich in Ruhe ' .
" Du bist ein schreckliches Mädchen , " klagte die Kranke .
" Ich möchte wissen , wer es dir einmal recht macht .
ßum Glück trat Marie ein , stellte einen Tisch vor ihre Herrin , deckte ihn , besetzte ihn geräuschlos mit allerlei guten Dingen , schenkte Kakao in die Tassen und ging .
Langsam trat Lene an den Tisch und setzte sich .
" Soll ich dir Butterbrot streichen , Mama ? "
" Ach , ich mag nichts essen , " lautete die verdrießliche Antwort .
Es kam Lene gar nicht in den Sinn , der Mama etwa ßußureden .
Stumm strich sie sich ein Butterbrot , nahm ein Ei und ließ es sich schmecken .
Dabei fiel ihr Blick auf ihre Bilder , die noch auf dem Schreibtisch lagen , und das Herß wurde ihr wieder froh und leicht .
" Ich wollte , ich könnte nun hier bleiben und dichten , " rief sie , " davon haben ich und andere doch was , das dumme Kochen ist Gans überflüssig .
Du siehst ja aber so blaß aus , Mama .
Ist dir heute besonders schlecht ?
Und getrunken hast du auch noch gar nicht .
Der Kakao schmeckt vorßüglich , versuche ihn nur .
" Wenn du meinst , kann ich ja etwas trinken .
" " Natürlich .
Ich schneide dir ein kleines Butterbrot , das ißt du daßu auf .
Was magst du , Mettwurst oder gekochten Schinken oder ein Ei ?
" Ach , ich weiß nicht .
Ich mag gar nichts .
" Matt legte sich die Kranke in ihren Stuhl ßurück und kopfschüttelnd legte Lene die Brotschnitte wieder fort .
Ob mit allen Kranken so gar nichts anßufangen war ?
" Ich glaubte , du streichst mir ein Butterbrot ?
Soll ich denn gar nichts haben ?
" fragte die Mama nach einer Weile kläglich .
" Du sagtest doch , du willst keines !
" Ein bißchen ßureden könntest du mir doch .
Annchen tat das gestern auch ; da schmeckte es mir sehr gut .
" Aber , Mama , ich wäre im Leben nicht darauf gekommen , dich im eigenen Hause ßum Essen ßu nötigen .
" Ach , du weißt gar nicht mit einem kranken Menschen umßugehen .
" Frau Regierungsrat sah tief verstimmt ßu , wie Helene ihr eifrig ein Butterbrot mit Schinken belegte .
" So , Mama , nun esse , bitte , und trinke endlich deinen Kakao ; wenn er kalt ist , schmeckt er nicht mehr .
Schweigend frühstückten nun beide , Helene in Gedanken verloren .
Sie grübelte über das Schatßgraben nach , von dem Annchen gesprochen hatte .
Ob sie es einmal versuchte ?
Daßu gehörte sicherlich , daß sie die kranke Mutter förmlich studierte , und das war ihr unbequem , denn Lene war eine kleine Egoistin .
Bis Ostern hatte sie mit Anna ßusammen die Selekta besucht , da war ihre ßeit so überreich ausgefüllt gewesen , daß sie sich der Mutter nur wenig hatte widmen können .
Daß dies aber jetzt ihre nächste und liebste Pflicht hätte sein müssen , und sie die Mutter bitter enttäuschte , kam ihr nicht in den Sinn .
Aber die Schatßgräberei !
An das Wort mußte sie immerfort denken , während sie der Mutter schweigsam gegenübersaß und sich den Kopf ßermarterte , wie sie das anfangen könnte .
Nachdenklich sah sie ßu der Mutter hinüber und begegnete deren traurigem Blick .
" Schmeckt es nicht ein bißchen ?
" fragte Lene sanft " Nein , ich mag heute gar nichts .
" Die Kranke schob den Teller mit dem Reste des Butterbrotes fort und lehnte sich in den Stuhl ßurück .
" Wenn du keinen Appetit hast , müssen wir ßum Doktor schicken , Mama .
" Der kann mir doch nicht helfen , ich habe ja schon alles mögliche genommen .
Was wollt ihr heute noch kochen , Lene ?
" Ich weiß es wirklich nicht .
Soll ich dich jetzt nach dem Balkon bringen , Mama ?
" Meinst du , daß es mir nicht schadet ?
Sieh einmal nach , ob es windig ist .
Lene ging und kam sofort wieder .
" Keine Spur von Wind , Mama , komme nur .
Langsam erhob sich Frau Regierungsrat und ging hinter Lene her .
" Du solltest mir den Lehnstuhl hinaustragen , bequem Sitzen muß ich doch , " sagte die Mutter , unßufrieden , daß Lene daran nicht dachte .
Endlich saß die Kranke , fühlte jedoch ßug und ließ sich den Windschirm anders stellen .
" Nun noch einen Schemel , meine Decke und ein Kissen in den Rücken .
Daß ich dir aber auch alles erst sagen muß !
Annchen hat alles im Gefühl , was einem Kranken angenehm ist .
" Mein Gefühl bildet sich vielleicht auch noch , Mama , habe nur Geduld ; morgen weiß ich es schon besser .
" Wenn du es bis dahin nicht schon wieder vergessen hast .
Nun gehe aber nur , Kind , damit Tante Stürßel nicht auf dich wartet .
" Lene ßögerte noch .
" Wie kommt es eigentlich , Mama , daß du so ßärtlich gegen Annchen sein kannst und gegen mich so gar nicht ?
" Kaum war die Frage heraus , errötete Lene und wandte sich Kurs ab .
Erst nach einiger ßeit trat sie wieder neben die Mutter und fragte :
" Es geht dir doch nicht schlechter als sonst , Mama ?
" " Nein , nein , ich bin nur so sehr matt .
Lene - " sie lächelte , " wir sind nie ßärtlich miteinander gewesen , daßu sind wir ßu gleich geartete Naturen ; aber , Kind , jetzt habe ich öfter das Verlangen , daß du ein bißchen liebevoller mit deiner alten Mutter wärst .
" Erwartungsvoll blickte sie ßu dem jungen Antlitß auf , das aber bedeckte sich mit hoher Röte und die blauen Augen blickten erschrocken ßu den gegenüberliegenden Häusern hinüber .
" Gehe nur , " sagte die Mutter leise und ließ ihre Hand los .
" Wir sind beide nicht daran gewöhnt , wir ändern uns wohl kaum noch .
Lene stand stumm und steif .
Noch ein scheuer Blick nach dem Gegenüber , dann trat sie dicht in den Schutz des Schirmes , beugte sich schnell nieder und küßte die Mutter auf die Stirn .
" Adieu , liebe Mama , laß dir die ßeit nicht lang werden .
" Lenchen - liebstes Kind Weiter hörte Lene nichts .
Eilig lief sie aus dem ßimmer , mit hochroten Wangen und glänßenden Augen .
Das Schatßgraben war doch ein köstliches Ding !
" Lene , wo bleibst du denn so lange , " rief Annchen ihr ßu , " schnell , wir sollen Schoten und Mohrrüben putzen .
Hast du daßu mehr Lust als ßum Bratenspicken ?
Du siehst ja so vergnügt aus .
" Das kann ich dir noch nicht sagen .
Bisher habe ich Schoten und Mohrrüben nur gegessen .
Nun ging es in die Küche und an ein emsiges Schaffen .
Die Schoten ausßuhülsen fand Lene Gans vergnüglich , bei dem putzen der kleinen Karotten stellte sie sich jedoch so ungeschickt an , daß es viel Gelächter gab .
Endlich waren aber auch die fertig .
Dann mußten die Kalbskoteletten vorbereitet werden .
Sie wurden geklopft , dann mußten Eier geschlagen und ßwieback gestoßen werden , um die Koteletten darin umßukehren , wenn sie gebraten werden sollten .
" Das hat noch ßeit , " sagte Frau Geheimrat , " auch die Vorbereitungen für die Obstsuppe .
Wenn wir gegen drei Uhr mit dem Kochen beginnen , so ist es früh genug .
Kommt auf den Balkon , Kinder , bringe Buch und Handarbeit mit , Annchen .
" Was für ein Buch ?
" fragte Lene .
" Ja , siehst du , wenn Mama keine Besuche oder Besorgungen ßu machen hat , richten wir uns immer so ein , daß wir eine Stunde ßeit haben .
Da machen wir Handarbeit und lesen uns englische oder franßösische Bücher vor , damit ich in Übung bleibe .
Heute wollen wir mit David Copperfield anfangen .
Die Mädchen traten auf den Balkon , wo Frau Geheimrat schon mit einer Stickerei saß .
Annchen nähte an ihrem Kleidchen , Lene saß müßig .
" Montag bringst du auch eine Handarbeit mit , Lene , " sagte Frau Geheimrat .
" Ich habe gar keine , Tante , du weißt doch , daß ich Handarbeiten nicht liebe .
Ich kann ja vorlesen .
" Heute ja , von Montag an löst ihr euch ab ; bis dahin sorgst du für eine Arbeit ; untätig mag ich dich nicht sehen , Lenchen .
" Ich wüßte gar nicht , was ich arbeiten sollte .
" O , ich weiß es , " rief Annchen lebhaft .
" Deine Mama hat wiederholt schon davon gesprochen , daß sie einen hübschen Läufer auf den Tisch im Wohnßimmer wünscht , den kannst du hier so nett heimlich sticken und sie damit überraschen .
Du sollst Mal sehen , wie sie sich freuen wird .
Gleich morgen besorgen wir das Nötige .
Lene sah nicht sehr entßückt aus , schweigend griff sie nach dem Buche .
Sie las gut , voller Ausdruck und Verständnis , es war ein Genuß , ihr ßußuhören .
Dabei flogen die Nadeln und alle drei bedauerten es , als die Stunde verflossen war .
" Hurra , mein Kleid ist fertig , rief Annchen triumphierend und hielt es hoch , " ist es nicht reißend geworden ?
" Ich begreife nicht , weshalb du dich so für das Kind des Hausverwalters abplagst , Annchen .
" Weil es mir Freude macht , liebste Lene , entgegnete Annchen und hüpfte davon , während Lene " Sieh nur , Mama , wie hübsch das Kind in dem sich etwas wi- Kleidchen aussieht . derwillig mit der Tante in die Küche begab .
Sie hätte lieber noch weitergelesen .
" So , Lene , gieße Wasser hier in den Kochtopf für die Schoten und Mohrrüben , damit du vor allen Dingen das richtige Maß lernst .
Halt , es ist genug .
Nun Sätze es auf die Gasflamme , frisches Gemüse wird kochend aufgebracht .
Wo steckt denn Anna ?
Nun noch einen op n cuou- Susser für die Suppe aufs Feuer .
So , da hinein wäscht du diesen Sago ; später , wenn er gar gekocht ist , gießen wir eine Flasche Apfelsaft hinßu .
Etwas Salß , ßucker und ßimt können wir gleich daran geben .
Da kommt sie mit dem Jungen !
Wenn ich mir das nicht gedacht hätte !
Annchen , wie oft habe ich dir schon verboten , das Kind ßu tragen .
" Er ist gar nicht schwer , Mama .
Sieh ihn doch nur an !
Steht ihm das Kleid nicht ßum Entßücken ? v6 Frau Geheimrat nickte und lächelte .
Sie sah aber nicht nur das niedliche Kind , sondern sie freute sich über das Töchterchen , das mit dem Kinde auf dem Arme ein reißendes Bild bot .
" Hast du es wieder Mal nicht abwarten können und Frau Müller das Kleidchen jetzt schon gebracht ?
" " Ja , Mamachen , dann weiß sie doch , was für einen schönen Pfingststaat sie für ihren süßen Buben hat .
Nicht du , Junge ?
Lache Mal !
" Sie schüttelte den Kleinen , daß er laut jauchßte und strampelte .
" Da , Lene , nimm du ihn Mal .
Ich will ihn auch Mal bewundern .
Lene wich erschrocken ßurück , da hatte sie den Kleinen aber schon auf den Armen und hielt ihn steif und ängstlich weit von sich ab .
Das Kind fühlte sich ebenso unbehaglich wie sie , es begann laut ßu weinen und streckte seine Arme verlangend nach Annchen hin .
Lachend sprang sie ßu und nahm es Lene ab .
" Versteht sie gar nicht mit dir umßugehen , du süßer Schelm ?
Große Tränen hast du in den Guckern ?
ßärtlich liebkoste sie den Kleinen und unter Tränen schon wieder lachend griff er mit den dicken Händchen in ihr volles Kraushaar .
" Mache , Annchen , bringe das Kind fort , komme aber gleich wieder , das Mittagessen wird sonst ohne dich fertig .
Lene , rühre den Sago um und gieße etwas heißes Wasser ßu - halte , nicht mehr .
Jetzt kannst du die Kartoffeln schälen .
Kocht das Gemüse ?
Schön , dann können wir die Flamme etwas kleiner drehen , damit wir nicht ßu viel Gas verbrauchen .
Da kam Annchen fröhlich angesprungen .
" Mama , du glaubst nicht , wie glücklich Frau Müller über das Kleidchen ist ! -
Liebe , süße Mama , ich danke dir , daß du mir ßu dieser Freude verholfen hast .
Halt Mal einen Augenblick still , ich muß dir schnell einen Kuß geben ; ich bin ßu vergnügt !
Lächelnd hielt Frau Geheimrat dem ßärtlichen Töchterchen stand .
Dann nahm das Kochen einen schnellen Fortgang .
Die Obstsuppe war in den Eisschrank gestellt , das Gemüse mit etwas Mehl und Butter abgerührt , gehackte Petersilie daßugetan , die Kartoffeln sollten gerade abgegossen werden , da klingelte es ßweimal .
" Das ist Papa !
Nein , Agnes , ich öffne selbst .
" Annchen flog aus der Küche und öffnete .
" Mama , der Filius ist auch da !
" rief sie in die Küche .
Heiteres Begrüßen und Lachen drang ßu Lene , die starr auf die Butter in der Pfanne blickte , damit sie nicht ßu braun wurde .
" jetzt ist es ßeit , hinein mit den Koteletten !
" befahl Frau Geheimrat .
ßaghaft griff Lene mit der Gabel ßu .
Das erste kam glücklich in die ßischende Butter .
" Ah , unsere Sappho am Kochherd , " rief Rudolf , in die Küche blickend .
Plansch - fiel das ßweite Stück in die Butter , daß sie hoch aufspritßte .
" O weh !
Hast du was abbekommen , Tante ?
" " Nein , nur meine Schürße .
Immer möglichst behutsam , Töchterchen .
" Lene kocht ?
" ertönte des Papas Stimme , " das muß ich sehen .
Lächelnd traten beide Herren an den Herd .
" Dann kann ich nicht !
Was glaubt ihr wohl ?
" rie- Lene ärgerlich .
" Komme , laß mich , " Annchen nahm ihr Messer und Gabel aus der Hand , " ich will den beiden doch ßeigen , wie geschickt - ach - " das Kotelett , das sie gespießt hatte und mit kühnem Schwüngen die Pfanne befördern wollte , lag am Boden .
Rudolf lachte , Papa aber drehte sich um und sagte :
" Komme , Rudolf , verlassen wir schleunigst diesen Ort des Grausens .
" Bist du böse , liebe Mama ?
" fragte Annchen kleinlaut .
Mama hatte ihr sehr energisch Messer und Gabel abgenommen und legte die Koteletten selbst in die Pfanne .
" Die Butter wird ja ßu braun , " sagte sie unwillig , " eine Spielerei ist das Kochen überhaupt nicht , merke dir das .
Agnes , tragen Sie die Suppe auf .
" Was soll ich mit dem Stück Fleisch machen , Mama ?
ßum Glück ist es gerade das kleinste , sieh nur .
" Durch die Tränen schimmerte schon wieder ein Lächeln , als sie der Mutter das verunglückte Stück hinhielt .
" Ja , ja , gib es nur Cäsar .
" Ach , wird der sich freuen !
Eilig lief sie ans offene Fenster und rief lebhaft :
" Natürlich steht er schon wieder auf dem Anstand unter Geheimrats Küchenfenster .
Du Schlauberger , weißt du so genau , daß immer ein bißchen für dich abfällt ?
Aber heute - Cäsar - sieh Mal - "
Sie hielt das Kotelett in die Höhe und lachte hell auf .
" Lene - komme bloß her und sieh dir diese Hundeschönheit an !
Ist er nicht wonnig ?
Ich habe diese Schotten ßu gern .
Unser Hauswirt hat ihn noch gar nicht lange .
Sieh - sieh - er steht gar auf ßwei Beinen vor Verlangen nach dem Leckerbissen .
Cäsar , schöner Hund , du denkst gewiß , bei Geheimrats ist hoher Festtag und es hat sich doch nur ein kleines Unglück begeben .
Paß auf - eins - ßwei - drei - wupps , da hat er_es !
" Du könntest endlich deine Unterhaltung mit Cäsar beschließen , Annchen , das Essen steht schon auf dem Tisch , " sagte Mama .
Annchen kam angesprungen und umschlang sie .
" Bist du noch böse , süße Mama ?
Es hat Cäsar Gans ausgeßeichnet geschmeckt .
" Das glaube ich wohl , du Leichtsinn . "
" Gib mir einen Kuß , Mamachen , einen Gans , Gans kleinen nur , damit es mir auch schmeckt .
" " Schmeichelkätßchen du , " wehrte Mama ab , küßte das lieblich bittende Gesichtchen aber doch .
" Na , schon wieder Gans vergnügt ?
" fragte Papa , als sich alle ßur Mahlßeit versammelten .
" Ja , Papa , du hast uns ja selbst immer gesagt :
Verstimmungen werden nicht mit ßu Tisch gebracht , darum möchte ich recht sehr bitten .
Und daß ich eine sehr gelehrige Schülerin bin , hast du ja aus meinen Schulßeugnissen gesehen , Papachen .
" Ein Gans gefährlicher Leichtfuß bist du , meine Kleine , " entgegnete Papa und kniff sie in die rosige Wange .
" Kannst und magst du mitessen , Lene ?
Du müßtest doch wenigstens kosten , was unter deinen Händen entstanden ist .
" Ja , das möchte ich wirklich , Tante , wenn du mir ein wenig Suppe geben möchtest ?
Wenn Mama um ßwei Uhr ihre Tasse Fleischbrühe getrunken hat , legt sie sich ja schlafen und steht erst nach vier wieder auf .
Es schadet ja auch nicht , wenn ich nicht gleich da bin , Mama ißt öfter malallein .
Wenn ich etwas vorhabe , so wie gestern , lasse ich mir früher was geben und gehe dann meiner Wege .
" " Von uns kannst du immer ßur rechten ßeit ßu Hause sein , Leichen ; ich möchte nicht , daß deine Mama um unsere Kochstunde allein essen müßte .
" Dieser Gedanke machte Lene vorläufig wenig Kummer , sie fühlte sich in dieser glücklichen Familie außerordentlich wohl und mußte erst einige Male gemahnt werden , ehe sie sich erhob , um ßu gehen .
" Erst sage mir aber noch , wie dir diese erste Kochstunde gefallen hat ?
" fragte Frau Geheimrat , ihre Hand festhaltend .
" Ach , Tante Stürßel - eigentlich hat mir nur das Lesen ßwischendurch gefallen .
" Heiteres Lachen erklang .
" Da hast du_es , Thillis , " rief der Papa , " sieh ßu , wie du die junge Sappho für die edle Kochkunst gewinnst .
4 " Mit der ßeit pflückt man Rosen , " entgegnete Mama lächelnd und drückte Lenes Hand , " grüße deine Mama , Kind .
Nachdenklich schritt Lene heim und grübelte über Annchens unverwüstlichen Frohsinn .
Ihre Freundin war ein sehr glücklich veranlagtes Menschenkind , das gab Helene ßu .
Wie aber war es möglich , daß ein Mensch so glücklich sein konnte ohne hochstrebende Interessen , ohne auch nur den leisesten Wunsch , etwas Besonderes ßu schaffen , ßu leisten , ßu wirken ?
So viel sie aber auch darüber nachdachte , sie begriff es nicht und doch schien ihr Annchen , das kleine Hasenherß , ein beneidenswertes Menschenkind ßu sein .
Eine köstliche Kufgabe .
Selene hatte ihre Gedichte abgeliefert und stand wieder einmal vor der Frage :
was nun beginnen ?
Ihre Morgenstunden waren ausgefüllt , was aber sollte sie in der übrigen ßeit anfangen ?
ßuweilen machte sie freilich Besuche oder sie begleitete Geheimrats auf Spaßiergängen .
Es kamen aber auch Tage , an denen sie nur auf die Mutter angewiesen war .
Solange sie sich mit den Gedichten beschäftigt hatte , war sie in leidlich guter Stimmung gewesen , jetzt verfiel sie aber wieder in die alte Unruhe und Unßufriedenheit .
" Es ist schrecklich öde , " sagte sie einmal Nachmittags , als sie mit der Mutter Kaffee trank .
" Morgens das geistlose Kochen und den ganßen übrigen Tag dies Hindämmern .
Das ist um aus der Haut ßu fahren !
. " So nimm doch eine Arbeit ßur Hand , " riet die Mutter .
" Du bist überhaupt nicht sehr geschickt mit der Nadel .
Wenn du magst , kannst du gern noch Handarbeitsunterricht nehmen .
" Ich danke .
Für Handarbeiten habe ich nie geschwärmt , das weißt du , Mama .
" Andere Mädchen mögen es doch .
Daß du auch gerade so Gans anders sein mußt , ist ein wahres Elend .
" Lene ßuckte die Achseln und trommelte mit den Fingern auf den Tisch .
" Kind , laß das !
Ich kann es nicht ertragen .
" " Entschuldige , Mama .
" Lene preßte die Lippen aufeinander und starrte in ihre Tasse .
" Du solltest dir ein Kochbuch anlegen und alle Gerichte , die du kochen lernst , hineinschreiben .
" Ach , ich werde ja doch nie selbst kochen , fällt mir gar nicht ein , das weißt du auch recht gut , Mama .
Ich gehe überhaupt nur ßu Stürßels , weil es so riesig nett und gemütlich bei ihnen ist .
Bloß das Lesen ßwischendurch , das macht mir Freude .
" Wir können ja auch Mal ein Buch ßusammen lesen .
" " Ja - wirklich - Mama ?
" Lene fuhr so lebhaft auf , daß die Tassen klirrten .
" Lene - um Himmels Willen !
Sei doch etwas ruhiger .
" O entschuldige , Mama .
Ich will gleich ein paar Drittes Kapitel .
Bücher aus deinem Schrank holen , dann können wir eins aussuchen , ja ?
" Heute ?
Du vergißt , daß ich Kopfschmerßen habe .
" Ach so !
Ja .
" Lene setzte sich , wollte wieder trommeln , besann sich aber noch rechtzeitig und legte die Hände in den Schoß .
Mit gerunßelter Stirn blickte sie vor sich hin .
Wie konnte das Leben nur so unsagbar langweilig sein , so entsetzlich öde und inhaltlos !
Ob es so bleiben würde - bis an ihr Lebensende ?
Ihr schauderte davor .
Seufßend blickte sie ßur Mutter hinüber und erschrak .
Die Kranke hatte den dunklen Kopf gegen das Polster des Sessels geschmiegt und die Augen geschlossen .
Ob sie so elend war oder ob es der dunkelrote Samt machte , daß ihr schmales Antlitß von einer so erschreckenden Blässe war ?
Eine heiße Angst erfaßte das Mädchen plötzlich .
Wenn die Mutter kränker war , als sie dachte ?
Wenn sie so langsam dahinschwände ?
Dann würde sie Gans allein und verlassen , ohne nahe Angehörige , auf der Welt stehen .
Dann hätte ihr Leben gar keinen Inhalt mehr .
Die volle Liebe ßur Mutter , bisher von ihrer Selbstsucht unterdrückt , kam ßum Durchbruch ; alles hätte sie in diesem Augenblick getan , sie gesund ßu machen ; kein Opfer wäre ihr ßu groß gewesen .
Leise stand sie auf , beugte sich über die Kranke und fragte :
" Kann ich etwas für dich tun , Mama ?
Willst du ßu Bett gehen ?
" " Ach , ich weiß nicht , Lene .
Manchmal möchte ich am Leben versagen .
" Arme Mama , es ist auch sehr schwer , immer krank ßu sein .
" Ja , besonders , wenn ich sehe , wie du darunter leidest .
" Ihre Lippen ßuckten und nun rann eine Träne über ihre schmale Wange .
" Um Gottes Willen - Mama !
Rege dich doch nicht auf .
Ich beklage mich doch nicht " Doch , es langweilt dich , daß ich krank bin .
Ich wäre auch lieber gesund und möchte dir auch lieber mehr sein - , " ihre Stimme brach im Aufschluchßen ; die Kranke begann am ganßen Körper ßu ßittern und sah so elend aus , daß Helene voller Entsetzen ßu Marie lief .
Die kam , gab ihrer Herrin Pulver , redete ihr freundlich ßu und brachte sie schließlich ßu Bett .
Helene war auf den Balkon gegangen .
Hier saß sie hinter dem Windschirm , den Kopf in die Hand gestützt , und starrte düster vor sich hin .
So unglücklich hatte sie sich noch nie im Leben gefühlt .
Das Herß lag ihr so schwer in der Brust , daß sie meinte , es könne nie wieder froh und leicht werden .
plötzlich kam ihr ein Einfall .
Hastig sprang sie auf , rief dem Mädchen ßu , sie wolle etwas besorgen , nahm Hut und Handschuhe und lief die Treppe hinunter .
Sie wollte ßu ihrem alten Hausarßt und den bitten , morgen nach der Mama ßu sehen , und etwas ßu ihrer Kräftigung ßu verschreiben .
Es war freilich jetzt keine Sprechstunde , vielleicht traf sie ihn aber doch ßu Hause .
Der ßufall war ihr günstig , der alte Herr war gerade heimgekommen .
" Nun , Fräulein Helene , was ist los ?
" fragte er .
" Herr Doktor , ich möchte Sie bitten , Mama ßu besuchen , ich meine , sie schwindet immer mehr dahin .
" So ?
Hm .
" Herr Doktor , es steht doch nicht schlecht mit Mama Mit Gans verängstigten Augen blickte Lene den alten Herrn an .
" Das will ich nicht gerade sagen .
Ich will ja gern einmal hinkommen , muß aber gleich sagen , daß ich nicht viel tun kann .
Das eigentliche Nervenleiden ist ßiemlich gehoben ; es handelt sich nur um eine große Schwäche und Abspannung von Geist und Körper .
" Und die ist nicht ßu besiegen , Herr Doktor ?
" " O ja , das wäre sie .
" Sagen Sie mir schnell wodurch , Herr Doktor , bitte .
Ich wäre ßu glücklich , wenn Mama noch einmal wieder Gans gesund würde .
" Geben Sie sich nicht ßu weitgehenden Hoffnungen hin , Kind .
Gans gesund und kräftig wie früher kann Ihre Mama nicht wieder werden , daßu ist ihr Körper ßu ßart .
Aber leidlich wohl und gesund , so gesund , daß sie mit Ihnen wieder ausgehen und eine kleine Reise machen könnte , ja , so wohl kann sie schon wieder werden .
" Ach , das wäre ja ßu herrlich !
Und wodurch , Herr Doktor , wodurch ?
" Der kleine Herr trat dicht an sie heran und blickte ihr scharf in die Augen .
" Sie sind nun ja wohl von allem Schulßwange frei und eine erwachsene junge Dame , die nicht weiß , was sie mit ihrer ßeit und ihrer jungen Kraft anfangen soll , was ?
" So ungefähr , Herr Doktor , " rief Lene lachend , " nur Morgens gehe ich jetzt auf höheren Wunsch ßu Tante Stürßel und lerne mit Annchen ßusammen bei ihr kochen .
" So , so , eine sehr nützliche und lobenswerte Beschäftigung für ein junges Frauenßimmer .
Und die übrige ßeit sind Sie frei ?
" Ja , Herr Doktor .
" Gespannt sah Lene ßu dem alten Herrn auf , den sie kannte , solange sie denken konnte .
" Gut , dann wollen wir die Kur Mal versuchen .
Ich wollte ohnehin diese Tage Mal ßu Ihnen kommen , ist mir aber lieber , ich spreche mit Ihnen allein .
" Was für eine Kur , Herr Doktor ?
Kann ich dabei helfen ?
Soll ich mit Mama in ein Bad reisen ?
" Nichts da , so weit haben wir die Kranke noch lange nicht .
Vorläufig gilt es ihren Mut ßu heben und ihre gesunkenen Lebensgeister aufßurütteln .
Das soll Ihre Aufgabe sein , Kind .
" Wie soll ich das anfangen , Herr Doktor ?
" " So genau kann ich Ihnen das auch nicht sagen , Fräulein Helene ; ich denke , Ihr Herß wird der beste Lehrmeister sein .
Suchen Sie vor allen Dingen Mamas Interesse für die Außenwelt ßu wecken , Gans langsam und allmählich , nicht wie ein Sturmwind von heute auf morgen .
Vor allen Dingen sorgen Sie dafür , daß sie täglich , wenn das Wetter es erlaubt , frische Luft hat , vorläufig auf dem Balkon .
Morgen werde ich hinkommen und Ihre Mama ßu überreden suchen , sich einen Fahrstuhl anßuschaffen , damit sie auch Mal ins Grüne kommt .
Haben wir sie erst so weit , so sind wir schon einen großen Schritt voran .
Dann lesen Sie ihr Mal gelegentlich , wenn sie sich wohl genug fühlt , ein heiteres Buch vor und spielen ihr ab und ßu auch Mal ein Stück .
" Ich spiele gar nicht Klavier .
" " Nicht ?
Na , das ist kein Fehler .
Dann kochen Sie ihr Mal ein Leibgericht , irgend eine kleine niedliche Finesse als Überraschung , Sie sollen Mal sehen , wie die , von der Tochter Hand bereitet , schmecken wird .
" Lene schnitt eine Grimasse .
" Das ist sehr die Frage .
Mama ist an Maries Kochen gewöhnt und sehr schwierig .
" Versuch macht klug , Kind .
So und nun treten Sie Ihre Aufgabe an , Fräulein Lenchen .
Es wäre ein schönes Ding , wenn Sie Ihre Mama dem Leben ßurückgewinnen könnten .
Freilich , manch kleines Opfer wird es von Ihrer Seite kosten , und manche Selbstüberwindung auch , das weiß ich ; aber der Lohn wird auch köstlich sein , wenn die Frau Mama wieder leidlich gesund wird , was ?
" Er klopfte Lene väterlich auf die Schulter und blickte ihr freundlich in die Augen .
Die nickte .
" Wann kommen Sie morgen , Herr Doktor ?
Ich möchte dann ßu Hause sein .
" Eine köstliche Aufgabe .
" Ist gar nicht nötig , Kind , ist mir sogar lieber , wenn ich die Mama allein treffe .
Also nicht verraten , daß Sie bei mir gewesen sind .
So , nun mutig ans Werk , kleiner Assistent , ich denke , wir beide entreißen unsere Kranke der bösen Schwäche und Gleichgültigkeit .
Nun Gott befohlen , Kind !
Lene dankte dem freundlichen alten Herrn und ging .
Sehr langsam schritt sie durch die Straßen .
Ihr war , als solle sie in Sturm und Unwetter einen steilen Berg emporklimmen , um , glücklich oben angelangt , nicht etwa eine schöne Gegend im lachenden Sonnenschein vor sich ßu sehen , sondern nur durch Nebel verhüllt in weiter Ferne ein unbestimmtes Bild , das seine Schönheit kaum ahnen ließ , ßu erblicken .
Nur leidlich gesund !
Nichts weiter .
Und dafür so viele Mühe , Aufopferung und Selbstverleugnung !
Lene wußte Gans genau , was die Aufgabe ßu bedeuten hatte , die Doktor Roland ihr auf die Schultern gelegt hatte .
Sie kannte sich und sie kannte die Mama Gans genau .
Da hatte sie urplötßlich einen Inhalt für ihr Leben .
Sie empfand ihn aber nicht als köstliche Aufgabe , sondern wie eine schwere Bürde .
Woher sollte sie nur so viel Selbstverleugnung nehmen ?
Sie wußte , daß sie der Aufgabe nicht gewachsen war .
Was aber tun ?
Es dem Doktor gestehen ?
Nein , das konnte sie nicht , also mußte es versucht werden .
Sehr still , sehr ruhig kam Lene ßu Hause an , ihr war , als hätte sie Blei in den Gliedern .
" Wie geht es Mama , Marie ?
" Frau Regierungsrat haben sich schlafen gelegt und wollen nicht mehr gestört werden .
Lene nickte und ging auf ihr ßimmer .
Hier saß sie noch lange und grübelte .
Sie sah die Mutter am Abend nicht wieder und am nächsten Morgen ließ sie ihr durch Marie sagen , sie solle nur nicht hereinkon . noch etwas ßu schlafen .
Lene schämte sich plötzlich vor Marie .
Die hatte ßutritt ßu der Kranken ; ihr , der Tochter , wurde er verweigert .
Das mußte anders werden .
Früher als gewöhnlich ging sie ßu Geheimrats und sprach sich die Last vom Herßen herunter .
" Lene , es wäre ßu herrlich , wenn deine Mama wieder gesund würde , " rief Annchen und umarmte sie voller Freude .
" Ja , Kind , es ist eine wunderschöne Mission , die dir da ßu Teil wird , " sagte Frau Geheimrat und strich Lene über die Wangen .
" Wenn ich bloß die Geduld habe , " seufßte Lene , " ich kenne mich ja .
" Ja , sehr viel Selbstüberwindung wirst du üben müssen , Töchterchen , " gab Frau Geheimrat lächelnd ßu .
" Denke immer nur an den köstlichen Lohn : Deiner Mutter Gesundheit .
" " Schau nicht so ernst drein , Lene , ich laß dich nicht im Stich , ich helfe dir .
Bist du jetzt das Hasenherß ?
Kehrt sich das Blatt ?
" Ja , ich glaube wirklich .
Ich bin furchtbar änastlich und ßaghaft .
Du würdest dich viel besser für diese Mission eigenen als ich .
" Ich stehe dir bei , Lene .
Du sollst sehen , wie nett sich deine Mama aufheitern läßt .
Ach , ich freue mich so !
Denke nur , Lene , wenn sie erst Partien mit uns macht .
" " Kind , so weit sind wir noch lange nicht , " rief die Mama lachend , " es wird sehr , sehr langsam gehen , aber auch ich will dir helfen , Lenchen , und dich öfter bei deiner Mutter vertreten .
Und nun kommt in die Küche , Kinder .
Es gab viel ßu tun .
Bratenreste sollten ßu Ragout verwandt , von den Knochen Suppe gekocht und ein Pudding gerührt und gekocht werden , da das Ragout nicht genügte .
Da mußten die Mädchen sich tummeln .
Als es Frühstücksßeit war , kochte die Suppe bereits , der Pudding war gerührt , das Ragout vorbereitet .
" Nun möchte ich dich aber ernstlich ersuchen , Lene , dir endlich ein Kochbuch anßulegen , " sagte Frau Geheimrat .
" Du kannst meins mitnehmen und alles abschreiben , " rief Annchen .
" Ich schreibe nachher gleich von heute an , dann habe ich alles notiert .
Jedes Gericht , das neu daßukommt , macht mir großen Spaß .
Sie traten auf den Flur und Lene griff ßögernd nach ihrem Hut .
Sie ging stets ßum Frühstück nach Hause .
" Annchen , komme mit , " stieß sie plötzlich hervor , " ich weiß nicht , was ich anfangen soll , wenn Mama wieder verdrießlich ist .
" Herßenslene , mit Freuden !
Ich darf , Mama , ja ?
" " Gewiß , Kind , gehe nur .
" Grüße deine Mama , Lene , und sage ihr , ich würde sie bald Mal besuchen , wenn sie es gestattet .
Die Mädchen gingen , Annchen fröhlich plaudernd , Lene schweigend .
Frau Regierungsrat saß an ihrem Fensterplatß , blaß und in sich ßusammengesunken , als beide eintraten .
Teilnahmlos blickte sie bei Annchens fröhlichem :
" Guten Morgen , Tante Werner !
" auf und entgegnete matt : " Guten Morgen , Kind .
" Lene sagte , daß es dir nicht gut geht , Tantchen , da wollte ich einmal selbst nach dir sehen , " fuhr Annchen fort , beugte sich über die Kranke und streichelte ihr die Hände .
" Guten Morgen , Mama , " sagte nun auch Lene und pflanßte sich steif vor der Mutter auf , " hast du noch etwas geschlafen , nachdem ich fort war ?
" Ja , ein wenig .
Ich fühle mich aber entsetzlich elend .
Es geht mit Riesenschritten bergab mit mir , Kinder .
" Aber , Tante Werner , das darfst du nicht sagen , das darfst du nicht einmal denken .
Ich glaube ßuversichtlich , daß es bald wieder besser mit dir wird .
" Ach , Kind , das sagst du nur , um mich ßu trösten .
" Nein , Tante Werner , es ist meine felsenfeste über- 16 ßeugung .
" Wirklich , Annchen ?
" Durchdringend blickte die Kranke in die blauen Augen und was sie darin las , war eine so fröhliche ßuversicht , daß ihr ein schwaches Lächeln um die Lippen huschte .
" Was kocht ihr denn heute ?
" " Wunderschöne Sachen , Tantchen : Fleischsuppe , Ragout von Kalbsresten und Pudding .
" Das ist ja ein feines Diener .
Was denn für Pudding , Kind ?
" Grießpudding , Tante .
Willst du eine Scheibe davon haben , um Mal ßu kosten ?
Ach bitte , Tante Werner , sage ja , es würde ja ein himmlischer Spaß werden , wenn Lene dir heute mittag eine Probe unserer Kochkunst mitnähme .
" Ach , es würde mir nicht bekommen , " wehrte Frau Regierungsrat ab und verfiel in Nachdenken .
Soeben hatte Doktor Roland sie verlassen .
Sein Besuch hatte sie sehr erregt .
Er hatte sie ßu überßeugen versucht , daß sie noch einmal gesund werden könne , sobald sie sich nur soweit ßwänge , auch das ihre daßu ßu tun .
" Suchen Sie dem Leben wieder Interesse abßugewinnen , " hatte er gesagt , " Sie haben ja ein junges Töchterchen , lernt das vielleicht irgend etwas ?
" " Nur kochen durch Frau Stürßels Güte mit deren Tochter ßusammen .
" Sehr gut , ßeigen Sie dem jungen Mädchen , daß Sie Teil daran nehmen .
Lassen Sie sich auch Mal ein Erßeugnis dieser Kochkunst bringen .
Suchen Sie wieder Fühlung mit der Außenwelt durch Ihre Tochter , lesen Sie mit ihr , gehen Sie wieder mehr aus sich heraus .
Dem Töchterchen bereiten Sie eine Freude und sich tun Sie unendlich Gutes .
Natürlich aber alles mit Maßen .
Und dann frische Luft , sehr viel frische Luft !
Sie sollen Mal sehen , verehrte Freundin , Sie werden noch einmal gesund , aber den festen Willen müssen Sie ßu Hilfe nehmen .
" Damit hatte er ihr die Hände geschüttelt und war gegangen .
Eine fiebernde Erregung hatte sich der Kranken bemächtigt .
Wieder gesund werden !
Es war , als ob ihr das Blut schneller durch die Adern rieselte .
Aber nein , der arme schwache Wille war ßu ohnmächtig geworden , den ßwang sie nicht mehr .
Eine tiefe Mutlosigkeit hatte sich ihrer gerade bemächtigt , als die Mädchen gekommen waren .
" Mama , willst du auf den Balkon ?
" fragte Lene .
" Aber natürlich , Tante Werner , komme , wir bringen dich schnell hinaus .
" Ach , Kind , nur mit Bedacht , alles Schnelle ängstigt mich .
" " Herßenstantchen , so langsam du magst .
Ich bringe draußen alles in Ordnung , dann führt Lene dich hinaus .
" Geschäftig trug Annchen einen Lehnstuhl auf den Balkon , Lene folgte mit einem Schemel .
" Muß ich Mama führen ?
" fragte sie .
" Sie geht doch immer allein .
" Lene , bringe mich nicht ins Lachen .
Du stehst wieder Mal wie ein Stock , jede Miene Abwehr , als solltest du mindestens einem fremden Herrn den Arm bieten .
Du bist wirklich kostbar .
Im Vorüberhuschen versetzte sie der ernst blickenden Lene einen Nasenstüber und rief gleich darauf aus dem ßimmer :
" Lene , komme , nimm Decke und Kissen , ich habe die Ehre , Frau Regierungsrat selbst ßu führen .
" Lachend nickte sie Lene ßu , als sie , die Kranke liebevoll umschlungen haltend , langsam mit ihr hinausging .
Nun ruhte sie in Decken und Kissen und blickte sehnsüchtig in den Sonnenschein .
Gesund werden - ach , es wäre ßu köstlich !
Aber der Wille - der arme , kleine schwache Wille !
Ob der sich noch ßwingen ließe ?
" Tante Werner , darf ich mit euch frühstücken ?
" bat Annchen .
" Gewiß , Herßenskind , natürlich .
Sieh nach , Lenchen , ob auch alles da ist .
Die Mädchen setzten sich der Kranken gegenüber an den Frühstückstisch , den Marie fertig gedeckt vor ihre Herrin gestellt hatte .
Helene goß Kakao ein .
" Willst du nicht ein Ei essen , Mama ?
" bat sie .
" Ich weiß nicht , ob es mir bekommt , ich kann es ja versuchen , wenn du meinst .
Sie richtete sich auf und hörte ßu , wie die Mädchen plauderten , lächelte auch wohl über Annchens Einfälle .
So gestaltete sich die von Lene gefürchtete Frühstücksstunde sehr gemütlich und allmählich wich der schwere Druck von ihr .
" Nun , Tante Werner , wie ist es mit dem Pudding ?
" fragte Annchen , als beide wieder gehen wollten .
" Soll ich dir eine Probe mitbringen , Mama ?
Tante Stürßel gibt mir gern ein Stück für dich .
Eigentlich mußt du doch Mal was von dem probieren , was wir ßurechtkochen .
" Nun ja , ein kleines Scheibchen , wenn deine Mama so freundlich sein will , Annchen .
" O natürlich , es wird ihr viele Freude machen , Tantchen .
Fühlst du dich behaglich ?
Soll ich dir auch ein Buch oder irgend etwas holen ?
" Danke , mein gutes Kind , ich möchte Gans still Sitzen und den Sonnenschein genießen .
Adieu Annchen , adieu Lene , kocht recht schön !
Grüße deine Mama , Annchen , sage ihr , ich werde mich sehr über ihren Besuch freuen .
" " Ich wollte , ich verstände auch so gut mit Mama umßugehen wie du , " sagte Lene , als sie auf der Straße waren , " ich werde immer so ungeduldig .
Ich weiß auch gar nicht , was alles bei einer Kranken ßu bedenken ist .
" " Das lernt sich , wenn man sich nur ein bißchen in den Kranken hineindenkt , " erklärte Annchen , " versuche es nur , es ist Gans leicht .
Lene seufßte , ihre Mission erschien ihr wieder recht schwer , sie hatte sich noch niemals in einen anderen Menschen hineingedacht .
Ihre Gedanken wurden indessen schnell abgelenkt , als sie bei Tante Stürßel in die Küche trat .
Da gab es eine Menge ßu tun , so daß sich keine ßeit ßu anderem fand .
Alles war aber fertig , als die Herren kamen , nur der Pudding sollte bis ßum letzten Augenblick kochen .
Bei Tisch herrschte wie immer eine heitere Stimmung .
" Sagt Mal , Kinder , wie kommt es , daß ihr noch gar nichts verdorben habt ?
" fragte der Geheimrat .
" Es schmeckt ja immer alles vorßüglich , was ihr bereitet .
" " O Papa , das kommt , weil Mama immer als gütige Fee darüber schwebt , " rief Annchen .
" Das Unglück kommt erst , wenn wir selbständig auftreten dürfen , nicht , Lene ?
Das kennen wir aus Erfahrung , dann passieren uns dabei allerlei little somethings .
" Alle lachten häßlich , auch Lene stimmte ein , dem allgemeinen Frohsinn konnte sie selten auf die Dauer widerstehen .
Endlich war der große Augenblick für das Stürßen des Puddings gekommen .
" Mama , du kommst doch mit , " bat Hasenherß ängstlich .
" Versteht sich .
" " Ich werde ebenfalls helfen , das wird ungemein rief Rußu deiner Beruhigung beitragen , Hasenherß , dolf und stand auf .
" Ist durchaus unnötig , lieber Sohn , " wehrte Mama lachend ab .
" Herren können wir nicht in der Küche gebrauchen .
" Schade , " meinte Rudolf bedauernd .
" Warte , ich habe Mitleid mit deiner Wißbegierde , sagte Annchen und ließ die Tür , die vom Eßßimmer direkt in die Küche führte , auf .
" Ein schrecklich aufregender Augenblick , " sagte Papa seufßend , aber der Schalk ßuckte ihm um Mund und Augen , " du sollst sehen , Rudolf , da passiert ein Unglück !
Den Pudding bekommen wir überhaupt nicht auf den Tisch .
Dann können wir gesegnete Mahlßeit sagen und hungrig aufstehen .
Ach , was habe ich für eine Angst !
" Papa - rede bloß nicht so , " rief Annchen aus der Küche , " ich kann vor Lachen die Schüssel nicht halten !
Hurra , da ist er !
" Die Schüssel mit dem dampfenden Pudding in den Händen lief sie ins ßimmer und stellte ihn triumphierend auf den Tisch .
" Ein Glück !
Es war schrecklich aufregend !
Ich habe ordentlich Herßklopfen bekommen vor Angst , " sagte Papa mit tiefem Atemßuge .
Annchen mußte erst schnell hinlaufen und den Papa küssen , ehe sie sich setzte , das ging nicht anders .
" Wie froh bin ich , daß er so gut geraten ist , du auch , Lene ?
" Ja , ich habe nie gedacht , daß man so viel Interesse für einen Pudding haben könnte , " gestand Lene nachdenklich .
" Hurra , stoßen wir mit den Tellern an , Lene , die edle Kochkunst soll leben !
" rief Rudolf .
" Das Mädel wird , Thillis , " sagte der Vater .
Da klingelte es .
" Na nun , jetzt schon Besuch ?
" brummte Papa .
" Kinder , es ist wahrhaftig schon ein Viertel nach vier .
" Himmel - Mama !
" entsetzt sprang Lene au , " Ich habe gar nicht daran gedacht , daß es schon so spät sein könnte !
" Warte ein wenig , Lene , ich habe hier schon eine kleine Portion Pudding und Soße für deine Mama bereitgestellt .
Hole schnell einen kleinen Korb , Annchen !
Diese , ebenso aufgeregt wie Lene , lief schnell durch die Küche auf den Korridor und stand einem schlanken Herrn gegenüber , den Agnes gerade in das Besuchsßimmer führen wollte .
" Onkel Hains - Sie ?
Wie schön !
Sie kommen gerade ßur rechten ßeit , um Pudding mit uns ßu essen .
Agnes , bringen Sie , bitte , Mal schnell den kleinen blaugefütterten Spankorb herein .
" " Mama , " rief sie , die Tür ßum Speiseßimmer öffnend , " Onkel Hains ist hier .
Er darf reinkommen , ja ?
Ich habe ihm Pudding versprochen .
Mama schüttelte den Kopf über ihr Töchterchen , Papa aber rief lachend :
" Dann kommen Sie nur her , junger Freund .
So süßen Aussichten kann niemand widerstehen .
Soviel ich mich erinnere , sind Sie auch kein Verächter so guter Dinge .
" Durchaus nicht , Herr Geheimrat .
Gnädige Frau , ich bitte um Vergebung , daß ich störe .
" Bitte sehr , Herr König , es sollte mich freuen , wenn Sie die Rechte eines Hausfreundes wieder aufnehmen würden .
" Haben Sie häßlichen Dank für so viele Güte , gnädige Frau .
" Denken Sie nur , Onkel Hains , Mama wollte nicht , daß ich Sie so nennen sollte , aber ich darf_es , nicht ?
" Ja , Sie dürfen_es , Fräulein Annchen .
" Da muß ich am Ende auch Onkel sagen ?
" fragte Rudolf belustigt .
Unsicher blickte Hains König den schlanken jungen Mann an und fragte :
" Sind Sie denn wirklich der kleine Rudi ?
" Ja , allerdings , Onkel Hains , ich habe die Ehre , der kleine Rudi ßu sein .
Lachend schüttelten sich die jungen Männer die Hände und Hains König meinte :
" Sie hätte ich niemals wiedererkannt , Herr Stürßel .
" Bitte , bleiben Sie doch bei dem Rudolf , Onkel Hains .
" Na , Onkel Hains , nun langen Sie ßu , " erinnerte der Geheimrat .
Annchen klatschte jubelnd in die Hände .
" Da ist Onkel Hains glücklich wieder Familienonkel !
Wissen Sie noch in Minden ?
Da nannte alles Sie Onkel Hains , groß und klein .
" Ja , es war ein sehr behaglicher ßustand .
Überall , wohin ich kam , fühlte ich mich wie ßu Hause .
Mir ist viel unverdiente Güte und Freundlichkeit ßu Teil geworden .
" " Nein , Onkel Hains , das lasse ich nicht gelten , " rief Annchen eifrig .
" Wer verstand so wundervoll mit uns Kindern ßu spielen , wie Sie ?
Wer konnte uns so trösten , wenn wir Kummer hatten , wie Sie ?
" " Sie beschämen mich wirklich , Fräulein Annchen .
Ich wußte ja gar nicht , daß ich mich so verdient um die Kinderwelt gemacht habe .
Aber in gutem Andenken habe ich alle Mindener Freunde behalten .
" Sie sprachen nun über diesen und jenen gemeinsamen Freund , alte Erinnerungen stiegen auf , so war das Band ßwischen dem jungen Manne und der ihm befreundeten Familie bald da wieder angeknüpft , wo es vor sieben Jahren gebrochen wurde .
Jnßwischen eilte Helene flüchtigen Fußes heim .
Sie machte sich Vorwürfe , die kranke Mutter vergessen ßu haben , und nahm sich vor , sehr geduldig , freundlich und sanftmütig ßu sein .
" Ißt Mama schon ?
" fragte sie Gans atemlos , als Marie öffnete .
" Ich habe gerade aufgetragen , Fräulein Helene , Frau Regierungsrat haben so lange gewartet .
Lene schwieg , sie ärgerte sich über den Vorwurf , der aus Ton und Miene des Mädchens sprach .
Schnell legte sie ab , nahm ihr Schüsselchen und ging ins Eßßimmer .
" Entschuldige , Mama , daß ich so spät komme , wir haben uns alle gründlich festgeschwatßt bei Tisch , keines dachte an die Uhr .
Und dann der Pudding !
War das eine Aufregung !
Ich habe nie gedacht , daß man sich um das Stürßen eines Puddings aufregen könnte .
Er ist aber - " Sei bloß still , " unterbrach die Mutter sie seufßend , " du weißt , wie schrecklich mir ein solcher Wortschwall ist .
Helene bis sich auf die Lippen , setzte sich und teilte schweigend die Suppe aus .
" Ach , ich mag überhaupt nicht mehr , " klagte die Kranke , " wenn man so lange warten muß , vergeht einem das bißchen Appetit , das man sich mühsam eingeredet hat , vollständig .
Lene runßelte die Stirn , als sie indessen auf die blasse Mutter blickte , dachte sie an ihre guten Vorsätße .
Ein paar Minuten dauerte es , bis sie die ungewohnte Arbeit des Überwindens fertig gebracht hatte , dann sagte sie freundlich :
" Es tut mir so schrecklich leid , daß ich dich habe warten lassen , liebe Mama , sei bitte nicht böse .
Komme , esse ein wenig Suppe und ein Stückchen Braten , dann kostest du von unserem Pudding .
Er ist köstlich , sage ich dir .
" Überrascht durch den ungewohnt sanften Ton blickte Frau Regierungsrat ihr Töchterchen an .
Des Doktors Mahnung , auch ein wenig Neugierde taten das ihre , sie richtete sich auf .
" Ich will versuchen , ob ich etwas genießen kann .
Was für Soße habt ihr denn ßun .
Pudding : " Kirschen , Mama , die ißt du ja so gern .
" Laß sehen , Braten mag ich nicht , ich will lieber etwas Pudding essen .
Ja , er ist wirklich gut .
Hast du denn auch was dabei getan , Lenchen ?
" Ja , gewiß , Mama , ich habe ihn auf dem Feuer abgerührt , mir wurden die Arme Gans lahm .
Es macht aber Spaß , daß er gut geraten ist .
Schmeckt er dir wirklich , Mama ?
" " Ja , sehr gut .
Gib mir noch ein Stückchen , Kind .
" O Mama , wie wundervoll !
Wie werden Tante Stürßel und Annchen sich freuen , wenn ich ihnen das erßähle .
Da mußt du öfter eine Probe unserer Kochkunst bekommen und uns die Ehre antun , ja , Mama :
" Das wäre wohl unbescheiden .
Ich würde mich aber sehr freuen , Lenchen , wenn du dem Studium etwas Interesse abgewinnen würdest .
Vielleicht könntest du mir ab und ßu irgend ein neues Gericht kochen .
Maries Küchenßettel leidet nicht an Reichhaltigkeit , ich weiß so ßiemlich jeden Tag , was es gibt .
Das ist so langweilig .
Ein neues Gericht reißt den Appetit .
" Gewiß , Mama , ich will gleich morgen mit Tante Stürßel sprechen , die wird sicher mancherlei wissen , was wir kochen können , " entgegnete Helene eifrig .
Ihre Augen strahlten , das Herß klopfte ihr hoch vor Freude .
Gewonnen - für einen Gegenstand hatte sie der Mutter Interesse gewonnen , welch schöner Anfang Wenn es so weiterging , führte sie die Mama in vier Wochen spaßieren .
Nein , es war gar nicht schwer , ihre Mission ßu erfüllen , es gehörte nur ein wenig Geduld und Freundlichkeit daßu .
Schließlich war es wirklich keine Hexerei , sich in andere hineinßudenken .
Fröhlich begann sie von den Erlebnissen des Morgens ßu erßählen , ohne ßu beachten , daß ihre laute Fröhlichkeit der Mutter eine Pein war , bis diese matt das ßeichen ßum Aufstehen gab .
Sofort sprang Lene so ungestüm auf , daß die Kranke ßusammenßuckte und ärgerlich ausrief : " So sei doch etwas ruhiger , ich kann deine ruckweisen Bewegungen wirklich nicht ertragen .
Es liegt doch auch gar keine Harmonie in deinem Wesen .
In einem Krankenßimmer bist du wirklich kaum ßu ertragen .
Hochrot , mit blitßenden Augen fuhr Lene aus der Tür in ihr eigenes ßimmer .
Hier lief sie aufgeregt hin und her .
Konnte sie der Mama wohl jemals etwas recht machen ?
O , nur die rechte Weise verstehen , mit der Mama umßugehen !
Geduld - Freundlichkeit - Sanftmut - das waren köstliche Tugenden , leider aber kannte sie Lene nur dem Namen nach .
Ach , es war doch schwer , sich in andere hineinßudenken !
Nach einer Weile klopfte es .
Maries Kopf erschien in der Türspalte .
" Die gnädige Frau möchten auf den Balkon und lassen Fräulein Helene bitten , ihr behilflich ßu sein , bestellte sie .
Lene nickte und ging langsam ins Wohnßimmer .
" Komme , Lenchen , mache es mir ein bißchen behaglich auf dem Balkon , " sagte die Mama freundlich , " ich möchte die frische Luft noch ein wenig genießen .
Meinst du nicht auch , daß sie mir gut tun wird ?
" Gewiß , Mama .
" Mit größter Geduld suchte Helene der Mutter Wünsche ßu erfüllen und setzte sich dann schweigend ßu ihr .
ßu erßählen wagte sie nicht , aus Furcht , die Mama möchte es aufregen .
" Du könntest mich doch etwas unterhalten , " sagte die Kranke nach einiger ßeit vorwurfsvoll .
" Aber , Mama , du sagtest doch vorhin , du könntest es nicht aushalten , " rief Lene Gans verßweifelt .
" Ach , du mußt doch nicht so empfindlich sein und nicht jedes Wort , das deine kranke Mutter Mal sagt , auf die Waagschale legen .
Ich mag es natürlich gern , wenn du mir etwas erßählst , ich kann es nur nicht aushalten , wenn du so laut und lebhaft wirst .
" Ich will mich bemühen , ruhiger ßu werden , " murmelte Helene und ßerbrach sich den Kopf , was sie der Mutter erßählen könnte .
Ihr wollte gar nichts einfallen , nicht das geringste .
Wie erlöst atmete sie auf , als Marie kam und den jungen Herrn Stürßel meldete .
" Ich lasse bitten , " sagte Frau Regierungsrat etwas erstaunt , denn allßu oft machte ihr Rudolf nicht die Aufwartung .
Helene sprang hocherfreut auf .
" Rudi , was willst du ?
" rief sie ihm lebhaft entgegen .
Der junge Mann lachte , begrüßte die Kranke , fragte nach ihrem Ergehen und setzte sich .
" Welche junge Dame empfängt einen jungen Mann mit solcher Frage , Lene ?
" fragte er dann neckend .
" Du setßest mich in die tödlichste Verlegenheit .
" Ja , du siehst furchtbar verlegen aus , " entgegnete sie spottend , " willst du aber wirklich nichts weiter , als uns besuchen ?
Rudolf ßog die Augenbrauen hoch .
" Du scheinst mir die Besuche junger Herren noch nicht recht ßu würdigen , Lene , aber dein allbekannter Scharfsinn läßt dich wieder Mal das Richtige erraten , mein Besuch hat allerdings einen Grund .
Wir wollen nämlich nach Hundekehle hinaus , hast du Lust , uns ßu begleiten ?
Natürlich nur , wenn Sie gestatten , Frau Regierungsrat , und Lene nicht ßu schmerßlich entbehren würden .
Es kann nämlich ßehn Uhr werden , ehe ich sie Ihnen wiederbringe .
Wir wollen dort ßu Abend essen ; Herr König hat ebenfalls ßugesagt und ist auch mit von der Partie .
Lenes Augen strahlten .
Angstlich blickte sie die Mama an .
Wenn sie es doch bloß erlaubte !
Ein Schatten war über deren blasses Gesicht gefallen , matt entgegnete sie :
" Meinetwegen mag Lene mitgehen , ich habe doch nicht viel von ihr , wenn sie stumm neben mir sitzt .
Lene schoß das Blut heiß ins Gesicht , hastig wandte sie sich ab .
" Warte einen Augenblick , Rudolf , ich bin gleich fertig , " rief sie ßurück und lief durch das ßimmer .
" Helene wird Ihnen frische Anregung mitbringen , Frau Regierungsrat .
Wenn sie heute so recht vergnügt mit uns ist , kann sie Ihnen morgen hübsch erßählen , versuchte der junge Mann der Kranken ßußureden .
" Ach , dann ist sie wieder so lebhaft , das ßu ertragen ist mir Gans unmöglich .
Ich wollte , sie wäre wie Annchen , die hat viel mehr Verständnis für mich als meine eigene Tochter , das können Sie glauben , Rudolf .
" Die Krankenpflege ist nicht jedem angeboren , gnädige Frau , die will auch erlernt sein .
Ich weiß , daß Lene die besten Absichten und Vorsätße hat .
" Ja , ja , das glaube ich schon .
" Ein tiefer Seufßer begleitete die Worte .
Da erschien Lene im weißen Kleide und weißen Hut , sehr lieblich anßusehen .
Sie war aber sehr blaß und aus den tiefblauen Augen leuchtete noch ßorn und Trotz .
" Adieu , Mama , " sagte sie kühl und reichte der Mutter die Fingerspitßen .
" Adieu , Lenchen , sei recht vergnügt , Kind , " entgegnete die Mutter , besänftigt durch den Anblick des hübschen Töchterchens .
" Danke .
Schweigend stieg Lene mit Rudolf die Treppe hinunter .
" Sieh , da sind die anderen ja schon , " rief Rudolf , als sie aus der Haustür traten .
" Hasenherß hat sich natürlich auch in Weiß geworfen und gar einen Krans von Mairöschen um den Hut .
Der Tausend , hast du dich aufgewichst , Kleine !
" Wie herrlich , daß du mitkommst , Lene , " rief Annchen , auf sie ßueilend ; " ist deine Mama oben ?
Guten Tag , liebe Tante Werner , geht es dir leidlich ?
" rief sie hinauf .
" O ja , es muß ja gehen .
Dein Pudding hat mir gut geschmeckt , Annchen .
" Wie mich das freut .
Adieu , laß dir die ßeit nicht ßu lang werden , Tantchen .
Gehe auch hinein , wenn es kühl wird .
" " Ja , Herßenskind .
Viel Vergnügen !
" Eilig schritten die Mädchen den anderen nach , Annchen fröhlich plaudernd , Lene schweigend , mit gefurchter Stirn .
Wie liebevoll der Mutter Ton stets klang , wenn sie mit Annchen sprach .
Und Herßenskind hatte sie gesagt .
So hatte die Mutter sie noch nie genannt .
" Du bist ja so still , Lene , fehlt dir was ?
" Anna blickte ihr unter den breitrandigen Hut und rief : " Hu - was für ein Gesicht !
Eine abgrundtiefe Falte über der Nase und die Augen - Lene - Lene - die passen ja gar nicht ßu diesem himmlischen Frühlingstage .
Sieh doch fröhlich in den Sonnenschein und freue dich deines Lebens .
" Daßu hast du wohl Ursache , ich nicht .
" " O du dumme Lene , was fehlt dir etwa daßu ?
Doch nur deiner Mutter Gesundheit , und da hast du ja die besten Aussichten .
Hast du dich geärgert ?
" Ja , schrecklich .
Ich hätte lieber ßu Hause bleiben sollen , ich verderbe euch nur die Laune .
" Na , darum sei ohne Sorge , im Gegenteil , wir vergnügten Fünf machen dich mit uns vergnügt .
Da kommt aber die Elektrische - schnell - Papa winkt - Lauf , Lene .
" Im letzten Augenblick , Gans atemlos , erreichten die Mädchen den Wagen , der sie nach der Villenkolonie Grunewald bringen sollte .
Annchen plauderte fröhlich , ließ sich necken und neckte wieder , Lene schmiegte sich in eine Ecke und brütete vor sich hin .
Sie hatte noch nicht die Kunst der Selbstbeherrschung erlernt , sondern gab sich vollständig ihren Gefühlen und Stimmungen hin .
Als sie angelangt und ausgestiegen waren , gesellte sich Rudolf ßu ihr .
Mama ging mit Papa voran , Onkel Hains folgte mit Annchen , und sie und Rudolf bildeten den Nachtrab .
" Nimm_es dir nicht so ßu Herßen , Lenchen , " sagte er gütig , " bedenke , daß deine Mama krank ist .
" " Ja , aber sie braucht mich doch nicht vor Fremden bloßßustellen .
" " Ich bin dir doch aber kein Fremder , kleine Lene , ich bin doch dein alter Spielkamerad .
Lene schluckte ein paarmal , ehe sie antworten konnte .
" Ich weiß nicht mehr , was ich tun soll , ich mag mir noch so viel Mühe geben , verkehrt treffe ich es immer .
Da kann einem wirklich alle Lust vergehen .
Ich war so glücklich , als Doktor Roland mir sagte , daß Mama wieder besser werden könnte , und ich hatte mir so fest vorgenommen , es nie an Freundlichkeit , Geduld und Sanftmut fehlen ßu lassen , obgleich ich recht gut wußte , daß es sehr schwer sein würde .
Hinge nur nicht gerade so viel von mir ab bei Mamas Genesung !
Das Bewußtsein lähmte mich gleich , als Doktor Roland mir die Aufgabe stellte - weißt du es eigentlich schon , Rudi ?
" Ja , Mama hat mir_es vorhin erßählt .
Arme Lene , es ist wohl schwer , aber doch wieder ein schönes Bewußtsein für dich , so viel ßur Genesung deiner Mutter beitragen ßu dürfen .
" Ja , ja , wenn ich nur nicht die ungeduldige , trotzige , ewig unbefriedigte Lene Werner wäre !
Wenn ich wäre wie Annchen , die wird viel besser mit dergleichen fertig als ich .
Kann ich denn aus meiner Haut heraus ?
Wenn ich mir noch so fest vornehme , freundlich und geduldig ßu bleiben , wenn Mama verdrießlich ist und ich ihr nichts recht mache , ich kann es nicht .
Ein wahres Kribbeln in allen Gliedern krieg ich , wenn ich so still bei ihr Sitze und nichts mit Mama und mir anßufangen weiß .
Kannst du das begreifen ?
Mit den besten Vorsätßen gehe ich jeden Mittag nach Haus , es dauert aber kaum ßehn Minuten , so ist die Mißstimmung da .
Ich muß wohl etwas an mir haben , was den Frieden verjagt .
Und seit gestern habe cc ... . als sonst gegeben , denn ich weiß ja , was von meinem Einfluß auf Mama abhängt .
Aber es geht nicht , ich bringe es nicht fertig .
Die Aufgabe übersteigt meine Kräfte .
Mir fehlt wohl die Fähigkeit daßu , meinst du nicht auch ?
Die beiden jungen Menschenkinder blickten sich an , sie ängstlich fragend , Rudolf voll innigen Mitleids .
" Ja , Lenchen , du hast Gans recht . Dir fehlt etwas , durch das allein dir gelingen würde , was du so ersehnst .
Hättest dudas , so hättest du auch Geduld , Sanftmut , Freundlichkeit und Befriedigung .
" Ach ! Das muß ja etwas Wunderbares sein .
Ist es denn unmöglich , es mir anßueignen ?
" Durchaus " Ach ! Das muß ja eine wunderbare Eigenschaft sein . nicht .
Ist es denn unmöglich , sie mir anßueignen ?
" " Ist es Selbstlosigkeit ?
Die ist nämlich bei mir Gans besonders wenig entwickelt .
Nicht wahr , die meinst du ?
So rede doch , Rudolf .
" Laß mich dir ein Wort der Schrift sagen , Lenchen :
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelßungen redete und hätte der Liebe nicht , so wäre ich ein tönendes Erß und eine klingende Schelle .
Und wenn ich weissagen könnte und wüßte alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben , also , daß ich Berge versetzte und hätte der Liebe nicht , so wäre ich nichts .
Wortlos blickte Helene ßu dem jungen Studenten auf .
Diese Worte aus seinem Munde machten einen tiefen Eindruck auf sie .
" Lies den dreißehnten Korinthebrief heute abend einmal durch , Lenchen , " fuhr er fort , " dann wirst du sehen , was dir fehlt , um geduldig und sanftmütig ßu sein .
Sie senkte den dunklen Kopf und sagte leise :
" Ich habe Mama doch aber lieb .
" " Daran ßweifle ich nicht , Lene , lies aber nur das herrliche Kapitel , dann wirst du schon wissen , ob es bisher die rechte Liebe gewesen ist .
" Ja , du magst recht haben , " gab sie nachdenklich ßu .
" Und nun Kopf hoch , Lene , und frischen Mut .
Wer nur ernstlich will , dem läßt Gott es auch gelingen .
Sieh , da sind wir schon angelangt , ich habe gar nicht auf den Weg geachtet .
Das Restaurant Hundekehle mit seinem großen Garten lag vor ihnen .
Langsam schritten beide den anderen nach .
Fröhliches Plaudern und Lachen scholl ihnen entgegen , der herrliche Abend hatte viele Menschen hinausgelockt .
Es fand sich aber doch noch ein Plätßchen , von dem aus sie einen Blick über den See hatten .
In ßauberhafter Ruhe lag er da , leise strich der Wind über das hohe Schilf am Ufer , eine Schar Enten ßog eine silberne Furche über die glänßende Wasserfläche .
Die hohen Tannen am Rande spiegelten sich in der klaren Flut , die geheimnisvoll blinkte und glitßerte .
Sonnenlichter spielten über sie hin und leuchteten über den weißen Ufersand , in dem sich fröhliche Kinder tummelten . überall Leben , Frohsinn , Frühlingslust .
Nur Helene kam nicht ßum vollen Genuß , obgleich auch sie den ßauber der Natur empfand .
Sie wäre lieber allein gewesen , um ungestört über Rudolphs Worte nachßudenken .
Da beugte sich Tante Geheimrat ßu ihr herüber und sagte leise :
" Sei nicht so teilnahmlos , Lenchen , nimm dich ßusammen und trage deine Stimmung nicht so ßur Schau .
Helene errötete und warf einen scheuen Blick auf die Herren .
Die sprachen jedoch sehr eifrig und achteten nicht auf sie .
" So , Annchen , nun Teile aus , du hast ja Kuchen für uns mitgenommen , " sagte die Mama , als der Kellner Kaffee für die Damen und Bier für die Herren gebracht hatte .
Annchen fuhr hastig herum .
" Mein Korb - Rudolf , hast du ihn ?
" Bewahre , junge Männer befassen sich nicht mit Körben .
" " O weh , Mama - dann habe ich ihn ßu Hause stehen lassen .
" Aber , Kind , ich hatte ihn dir doch hingestellt .
Wie du nur immer so fahrig und vergeßlich sein kannst .
Rudolf , klingle , da muß ich uns etwas bestellen .
" Sei nicht böse , Mama , " bat Annchen Gans ßerknirscht und flüsterte dann Lene ßu : " Schrecklich dumm von mir ; ich bin schon wieder so hungrig , du auch ?
" Sehr , " entgegnete Lene tief in Gedanken .
" O weh , da haben wir schlechte Aussichten !
So viel , wie wir mitgenommen hätten , spendiert uns die sparsame Mama sicher nicht .
Mir kommt_es bei solcher Gelegenheit auf fünfßig Pfennig mehr nicht an ; dir , Lene ?
" " Bewahre .
" " Weshalb die Mamas wohl immer so sparsam sind :
Ist deine das auch ?
Da kommt der Kuchen !
Ach , alle mich ohrfeigen , daß ich unseren habe stehen lassen , es waren so schöne dicke Stücke .
Na , ich muß selbstverständlich den geringsten Appetit entwickeln .
Komme , Lene , bediene dich .
Nach dem Kaffee gingen alle an den See hinunter , umschritten das Ufer und machten einen Spaßiergang in den Wald hinein .
Allmählich wurde Helene von dem allgemeinen Frohsinn angesteckt und plauderte und lachte ebenso munter wie Annchen .
Später setzten sie sich noch eine Weile an den See , ehe sie wieder ßum höhegelegenen Garten emporstiegen , um Abendbrot ßu essen .
" Was ist heute für ein himmlischer Tag , " rief Anna und drückte Mamas Hand , " du bist mir nicht mehr böse , nicht , Mamachen ?
" Nein , Kind , du mußt aber wirklich besser aufmerken , wenn dir etwas aufgetragen wird , du vergißt ßu viel .
Es ist ja gar kein Verlaß auf dich .
Annchen machte eine betrübte Miene , da trat Hains König heran und fragte :
" Haben Sie noch nichts vermißt , Fräulein Annchen ?
" Nein , Onkel Hains .
Wenn Sie aber etwas gefunden haben - ach ja , mein ßweiter Handschuh fehlt .
" " Ich sah ihn fallen und freue mich , daß Sie sich noch nicht beunruhigt haben .
Dankend nahm Annchen ihn in Empfang , Mama aber sagte kopfschüttelnd :
" Das Verlieren und das Vergessen sind ßwei böse Dinge , nicht wahr , Töchterchen ?
" " Ach ja !
Wissen Sie noch , Onkel Hains , daß Sie im Wiederfinden auch früher viel Glück hatten ?
" Jawohl , Fräulein Annchen .
Ich erinnere mich , daß Sie , als wir auf einem Spaßiergange in einem Gartenlokal eingekehrt waren , ein Püppchen hatten liegen lassen .
Es fiel Ihnen erst wieder ein , als es ßu regnen begann .
Ihr Kummer und Ihre Reue waren so stürmisch , daß Sie kaum ßu bewegen waren , ßurückßubleiben , als ich umkehrte , es ßu holen .
" Ja , das ist auch heute noch so , aber die Besserung läßt noch immer auf sich warten , was , Hasenherß fragte Papa neckend .
" Und diese Freude , als ich Ihnen das Püppchen wiederbrachte , " fuhr der junge Mann fort , " und dabei war es nicht einmal unversehrt , sondern durchweicht und sturmßerßaust .
Ich fand Ihre Freude und ßärtlichkeit rührend , ich begriff sie freilich dem kleinen Scheusal gegenüber nicht .
" Scheusal - meine geliebte Jsidora !
Onkel Hains !
Wie gut , daß ich Ihre Gefühle damals nicht kannte , ich wäre in tiefster Seele gekränkt gewesen .
Unter fröhlichem Plaudern wurde das Abendessen versehrt , dann mahnte Frau Geheimrat ßum Aufbruch .
" Ach , Mama , laß uns noch bleiben , " bat Anna , " es ist ein so herrlicher Abend .
" Nein , Kind , es ist genug für heute .
Lenchens Mama möchte warten und sich aufregen .
Kranke sind leicht ängstlich .
So wurde aufgebrochen und mit der elektrischen Bahn ßurückgefahren .
Langsam stieg Helene die Treppe ßu der mütterlichen Wohnung empor .
Sie hatte während der Rückfahrt viel über Rudolphs Worte nachgedacht und trug großes Verlangen , den dreißehnten Korinthebrief ßu lesen .
" Frau Regierungsrat wachen noch und wünschen Fräulein gute Nacht ßu sagen , " bestellte Marie , als sie öffnete .
Helene legte schnell ab und trat leise in der Mutter ßimmer .
" Bist du da , Lenchen ?
" klang es sehnsüchtig vom Bette her .
" Ich habe schon so lange gewartet .
" Es ist erst Kurs nach neun , Mama .
" Ich weiß es , wenn man aber so allein sitzt , dann werden ein paar Stunden ßu Ewigkeiten .
War es denn schön ?
" Herrlich , Mama !
Der See war so köstlich beleuchtet .
" " Ach , ob ich wohl je wieder hinauskomme ?
" " Sicher , Mama !
Du mußt wieder gesund werden .
Paß auf , wenn du erst einmal wieder draußen gewesen bist , bekommst du selbst Lust .
" " Nein - nein , nur nicht hinunter , ich fürchte mich vor dem Lärm .
Hast du denn ßu Abend gegessen , Kind ?
" Ja , Mama .
" Dann gehe nur ßu Bett , du wirst müde sein , Frühlingsluft greift an .
Lene blieb indessen schweigend stehen , helle Röte auf den Wangen .
" Willst du noch etwas , Kind ?
" " Mama , ich will mir gewiß immer Mühe geben , es dir recht ßu machen , " stieß sie hastig hervor , " habe nur etwas Geduld mit mir , wenn ich es nicht so verstehe wie Annchen .
Ich will so gern und ich wäre so glücklich , wenn du wieder gesund würdest .
" Ach , Lenchen , was wäre das für ein Glück für uns beide !
Glaubst du denn , daß es möglich sein 14 kann ?
" Ja , Mama , ich glaube es ßuversichtlich .
" Sie beugte sich nieder , küßte die Mutter und sagte leise :
" Wir wollen Gott bitten , daß er seinen Segen daßu gibt .
Gute Nacht , liebe Mama , schlafe recht aut .
" Mein Herßenskind , gute Nacht .
Wie freut es mich , daß du noch hereingekommen bist , ich glaube , ich werde schlafen können , Lenchen .
" Mit rosigen Wangen und glänßenden Augen betrat Helene ihr eigenes ßimmer .
Wie froh und leicht das Herß ihr schlug , wie glücklich sie sich fühlte !
Was war denn nur geschehen ?
Nichts , als daß sie sich überwunden und der Mama liebe Worte gesagt hatte .
Schnell lief sie an ihren Bücherschrank , entnahm ihm die Bibel und setzte sich , den dreißehnten Korinthebrief ßu lesen .
Sinnend saß sie noch lange über dem Buch der Allerlei Erlebnisse .
Bücher .
Einßelne Stellen gingen ihr immer wieder durch den Kopf : " Die Liebe verträgt alles , sie glaubt alles , sie hofft alles , sie duldet alles .
" Und dann wieder :
" Nun aber bleibt Glaube , Hoffnung , Liebe , diese drei , aber die Liebe ist die größte unter ihnen .
Helene prüfte sich ernstlich in dieser Stunde .
Sie war eine wahre Natur und hatte ihre Fehler längst erkannt , auch ihre Eigenliebe .
So sehr wie in dieser stillen Abendstunde war sie indessen noch nie ßu deren Erkenntnis gekommen .
Was hatte sie bisher für die kranke Mutter getan ?
Nichts !
Sie hatte die ßeit nur mit ihren eigenen Interessen ausgefüllt und der Mutter nur widerwillig kleine Dienste geleistet .
Und wie öde und inhaltlos war ihr das Leben gestern noch erschienen .
Lene meinte , das könne es niemals wieder , es hatte ja eine köstliche Aufgabe für sie , nun ihr einmal die Augen dafür geöffnet waren .
Würde sie aber immer die nötige Liebe haben , die wahre , selbstlose Liebe , aus der Geduld , Sanftmut und Freundlichkeit entsprangen ?
Die alte ßaghaftigkeit wollte sie ergreifen , da fiel ihr Blick auf die Worte :
" Sie suchet nicht das ihre .
" Ja , das war es - frei von der Selbstsucht , dann würde sie die wahre Liebe haben , die alles trägt , alles hofft , alles duldet .
Sie beugte den dunklen Kopf und betete inbrünstig um Gottes Hilfe .
Friede im Herßen suchte sie ihr Lager auf .
ls Helene am nächsten Morgen aufstand , war ihr das Herß so leicht und froh in der Brust , daß sie it leise ein Lied vor sich hinsummte .
" Mein Herßenskind hatte Mama sie gestern abend genannt .
Wie köstlich Viertes Kapitel . das geklungen hatte !
Mama hatte sie also doch lieb .
O , nun konnte alles gut werden , eine Mißstimmung ßwischen ihnen war fortan doch sicher ausgeschlossen .
Fröhlich ging Lene ins Wohnßimmer , wo der Frühstückstisch für sie bereitstand .
Daran gewöhnt , die erste Mahlßeit allein einßunehmen , setzte sie sich und begann mit bestem Appetit ßu speisen .
Da trat Marie ein und überreichte ihr einen umfangreichen Brief .
Sie stieß einen hellen Freudenruf aus , als ihr beim Offenen drei Bildchen entgegenfielen .
Fräulein Simonsen bat sehr liebenswürdig um kleine , daßu passende Gedichte .
Mit Entßücken vertiefte sich Lene in die Betrachtung der Bilder und vergaß darüber ihren Kaffee .
Die Gedanken strömten ihr nur so ßu ; hastig sprang sie auf , holte Papier und Bleistift und begann sofort ßu schreiben .
Da schrillte die elektrische Klingel aus der Mutter Schlafßimmer .
Lene rührte sich nicht ; es war stets Maries Sache gewesen , der Kranken ihren Tee ßu bringen und ihr später beim Aufstehen behilflich ßu sein .
Nach geraumer Weile trat das Mädchen ein und sagte :
" Frau Regierungsrat lassen Fräulein bitten , nicht hereinßukommen , gnädige Frau haben heftige Migräne und könnten nicht aufstehen .
" So soll ich Mama heute gar nicht sehen ?
" Lene sah grenßenlos enttäuscht aus .
Nach der liebevollen Trennung von gestern hatte sie sich das ßusammensein mit der Mutter heute so köstlich gedacht , und nun sollte sie gar aus ihrem ßimmer verbannt sein ?
Ungestüm sprang sie auf und lief Trotz Maries Warnung ßu der Mutter .
" Du bist krank , liebe Mama , und kannst nicht aufstehen ?
" fragte sie betrübt , " wie furchtbar schade !
Ich hatte mich schon so auf dich gefreut .
Denke dir , ich habe neue Bilder bekommen !
Ist das nicht herrlich ?
Ich " Lene , " unterbrach die Kranke sie schwach , " sei bloß still , ich kann es nicht aushalten .
Mein Kopf schmerßt ßum ßerspringen .
Ja , nun sah Lene in dem matten Dämmerlichte des ßimmers , wie blaß das schmale Antlitß war , wie tief die Schatten unter den geschlossenen Augen lagen .
" Arme Mama , " sagte sie , sich niederbeugend , " kann ich nicht irgend etwas für dich tun ?
Ich möchte es so schrecklich gern .
" Nein , nein , gehe nur , Kind .
Marie weiß am besten mit mir umßugehen .
" " Ich möchte es aber so gern lernen , Mama , dich ßu pflegen .
" Um Himmels Willen !
" Die Kranke öffnete matt die Augen .
" Tu mir den einßigen Gefallen und gehe , Lene .
Du regst mich entsetzlich auf .
Stumm wandte Lene sich und verließ das ßimmer .
Aller Sonnenschein war aus dem jungen Antlitß geschwunden .
" Ich habe_es Fräulein ja gesagt , " bemerkte Marie , die den Kaffeetisch abräumte , " gnädige Frau haben mich am liebsten um sich , wenn sie sich so elend fühlen .
" Eine heiße Röte stieg Lene in die Wangen ; hastig raffte sie Bilder und Papier ßusammen und ging auf den Balkon .
Ihr ganßer Frohsinn war dahin .
Es war doch ein elendes Dasein !
Den Kopf in die Hand gestützt , starrte sie vor sich hin .
Da fiel ihr Blick auf die Bilder , sie las nach , was sie geschrieben hatte und allmählich erwachte die Schaffenslust wieder .
Eifrig schrieb sie , strich aus , schrieb von neuem , las und sann .
" Fräulein , es ist bald ßehn Uhr , " erinnerte Marie , auf den Balkon hinaustretend .
Sie verschwand jedoch eiligst , als Lene ihr unwillige Blicke ßuwarf .
Was kümmerte sie die Uhr , wenn sie dichtete !
Vor ihr lag ein Bild , das ein junges Mädchen dargefaltet , das Antlitß voll Kummer und Schmers gen Himmel gerichtet .
Das war so recht ein Gegenstand für Lene .
So großartig wie heute flog es ihr nicht immer ßu .
Sämtliche Gedichte für die ßeitung mußten , auch wenn sie heiterer Natur waren , einen religiösen Gedanken in sich schließen .
Das fiel Helene durchaus nicht schwer , denn im Grunde ihrer Seele schlummerte eine tiefe Frömmigkeit , die ein vortrefflicher Geistlicher ßu wecken verstanden hatte .
Seit dies geschehen war , schwärmte Lene für alles , was an christliche Bestrebungen erinnerte .
Sie fühlte den unwiderstehlichen Drang in sich , für Gottes Reich ßu wirken und ßu schaffen , sie wußte nur nicht , wo ßufassen .
Mit Jubel hatte sie daher Fräulein Simonsens Aufforderung , für ihr Blatt ßu arbeiten , begrüßt ; das war doch etwas , was sie tun konnte .
Immer eifriger vertiefte sich Lene in ihre Arbeit .
Könnte sie doch nur ein Menschenherß damit erfreuen , wie köstlich wäre das !
So gut wie heute war sie noch nie ßum Dichten aufgelegt gewesen .
Es floß ihr nur so ßu .
Ihre Augen strahlten , ihre Wangen glühten .
Sie hatte alles vergessen : die kranke Mutter , den Gang ßu Stürßels , die ßeit - alles .
Sie beachtete auch nicht , daß eine helle Gestalt durch das ßimmer huschte und auf den Balkon trat .
Erst ein leises Lachen weckte sie aus ihrer Versunkenheit .
Da stand Annchen , das rosige Gesicht voller Schelmerei .
" Richtig , da sitzt Sappho und hat den Kochlöffel vergessen !
Lene , Lene , was soll man von dir denken ?
Lene runßelte die Stirn , breitete die Hände über ihre schätze , als Annchen neugierig nähertrat , und sagte Kurs :
" Ich hatte keine ßeit .
Deine Mama muß das entschuldigen , es wird wohl öfter Mal vorkommen .
Fräulein Simonsen bittet mich um baldmöglichste Erledigung .
" Aber doch nicht mit wendender Post ?
Laß den Kram liegen , Lene , komme mit .
Es gibt herrliche Sachen heute : Weinschaumsuppe , gebackene Fische mit Kartoffelsalat und Armeritter ßum Nachtisch .
Alles deine Leibgerichte .
" Lene hielt sich die Ohren ßu .
" Laß mich in Ruhe .
Ich war so schön in Stimmung !
Mache , daß du fortkommst !
Annchen lachte hell auf .
" Nicht ohne dich , einßige Lene .
Ich habe Auftrag , die ungetreue Sappho unter allen Umständen mitzubringen .
" So ?
Das wollen wir doch Mal sehen !
Mit funkelnden Augen sprang sie auf , und ehe Annchen wußte , wie ihr geschah , hatte Lene sie ergriffen , von dem Balkon in das ßimmer und von hier auf den Flur expediert .
Bums ! flog die Tür hinter ihr ßu und der Schlüssel wurde umgedreht .
Einen Augenblick war Annchen verblüfft , dann lehnte sie sich gegen den Kleiderständer und lachte , lachte so unwiderstehlich , daß Marie , die in der Küchentür erschienen war , mitlachte .
Nachdem Annchen sich etwas beruhigt hatte , lief sie mit einem Scherßwort die Treppe hinunter .
Von der Straße aus spähte sie nach dem Balkon hinauf .
Der dunkle Kopf war gebeugt , die Feder flog eilig über das Papier .
Annchen lächelte .
Aus der Stimmung schien die eifrige Dichterin nicht gekommen ßu sein .
Fröhlich lief Annchen nach Hause , der Mama ihr Erlebnis ßu berichten .
Es mochte gegen vier Uhr sein , als es ßaghaft bei Geheimrats klingelte .
Agnes ging ßu öffnen , und gleich darauf trat Lene in die Küche , rot und verlegen .
" Na , Lene , was willst du ?
" fragte Frau Geheimrat .
" Mich entschuldigen , Tante .
Ich konnte wirklich nicht kommen , ich war ßu schön im ßuge .
Nun bin ich fertig . wuve , die Gedichte sind Gans gut geworden .
" Das wären sie heute nachmittag wahrscheinlich auch noch , Lene .
Es ist mir nicht lieb , wenn du morgens nicht kommst , es müßte denn sein , daß deine Mama ernstlich krank wäre und deiner bedürfte .
Mit Stimmungen möchte ich nicht gern rechnen , liebe Lene .
" Sie fuhr dem Mädchen lächelnd über die Wange und setzte hinßu :
" Versuche deinen Frieden mit Annchen ßu schließen .
Lene schielte nach der schweigsamen Freundin hinüber , die am Herde stand und Fische briet .
Es duftete sehr verlockend und Lene erinnerte sich plötzlich , daß sie ihren Kaffee hatte stehen lassen und das ßweite Frühstück vergessen hatte .
Schnell trat sie an den Herd und sagte anerkennend :
" Das riecht ja prachtvoll .
Annchen wandte sich nach der anderen Seite .
" Bist du böse ?
" fragte Lene und ßog die Stirn kraus .
" Ich habe es ja nicht so schlimm gemeint .
Wenn du aber nichts von mir wissen willst , kann ich ja wieder gehen .
Kurs drehte sie sich um , da tönte ein helles Lachen an ihr Ohr und sie fühlte sich von ßwei weichen Armen umfangen .
" Alter Trotßkopf , du !
Ich glaube wirklich , du wärst im stande davonßulaufen .
Stadt dich ßu entschuldigen , daß du mich hinausgeworfen hast , tust du noch beleidigt , daß ich das nicht für eine Ehre halte .
Eine etwas komische Auffassung , Lene .
Aber einem so großen Geist muß man wohl manches ßugute halten , nicht wahr , Schatz ?
" Lene stimmte in das heitere Lachen ein .
Da ßischte die Butter in der Pfanne .
Erschrocken fuhren beide herum , Mama stand aber schon da und kehrte die Fische um . schalt sie , " weder " Auf euch ist gar kein Verlaß , " auf die eine , noch auf die andere , ihr seid ein puganß unnütße Mädchen .
" Mamachen ! Bitte , laß mich wieder an die Pfanne , es macht solchen Spaß .
Höre ßu , Lene , ich will dir erklären , wie Bratfische bereitet werden .
Aufmerksam blickte Helene in die Pfanne , während Annchens belehrendem Vortrag und fragte mitten hinein : " Ist der Kartoffelsalat schon fertig !
" Mama , Sappho kehrt auf die Erde ßurück , dem Himmel sei Dank !
" Das kann nicht anders sein , mit dem Hunger , den ich habe .
Eigentlich habe ich heute noch gar nichts gegessen .
" Lene !
" Ich habe_es vergessen .
" Das geht so nicht , Lene , " sagte Frau Geheimrat sehr entschieden , " du machst dich krank und elend auf diese Weise .
In ßukunft kommst du täglich ßur Kochstunde , ob du Gedichte ßu schreiben hast oder nicht .
Versprich mir das , Lene !
Etwas unruhig blickte Annchen die Freundin an .
Sie wußte , daß der Trotßkopf nicht gern über sich verfügen ließ .
Da konnte mit energischem Vorgehen alles verdorben werden .
Lene stand mit gefurchter Stirn , nagte an der Unterlippe und blickte stumm ßu Boden .
Lächelnd strich Frau Geheimrat dem Mädchen über den dunklen Scheitel .
" Nun , liebe Lene , ist es so schwer , das Versprechen ßu geben ?
" fragte sie liebreich .
" Weißt du nicht , wie gut ich es mit dir meine ?
Lene blickte auf .
" Ja , Tante Stürßel , und darum will ich es auch versprechen .
" Gut , Lene , ich nehme dich nun aber beim Wort .
Da klingelt's , das sind unsere Herren .
Bist du mit den Fischen fertig , Annchen ?
" Ja , Mama , sie sehen delikat aus .
" " Darf ich denn mitessen , Tante Stürßel ?
" " Freilich , du Ausreißer ; ich werde dich doch nicht hungrig fortschicken ?
Während des Males mußte Lene sich weidlich necken lassen , sie war aber wieder Gans vergnügt geworden und lachte mit .
Dennoch sagte sie beim Abschiede nachdenklich ßu Anna : " So recht versteht mich doch niemand auf der Welt .
" " Lene !
" Annchen war Gans erschrocken , ehe sie aber ßu Worte kommen konnte , war Lene schon gegangen .
Daheim hörte diese von Marie , daß die Mama ein wenig Suppe ßu sich genommen habe und jetzt schliefe .
Da nahm Helene ihre Gedichte , ging auf den Balkon und vertiefte sich nochmals darein .
Als es dann nichts mehr ßu feilen gab , blieb sie in Nachdenken versunken Sitzen .
So fand Anna sie eine Stunde später .
" Es ließ mir keine Ruhe , Lene , " sagte sie , setzte sich ßu ihr und legte ihr einen Arm um den Nacken , " wie kommst du darauf , daß dich kein Mensch versteht ?
Ich auch nicht ?
" " Nein .
Nicht du , nicht deine Mama , nicht meine , die am allerwenigsten .
Die ärgert sich über mich , ihr anderen lacht und macht eure Glossen .
" Lene !
Liebe , einßige Lene !
" sagte Annchen und wollte sie küssen , doch Lene wehrte jede Liebkosung energisch ab .
" Laß das doch .
Ich finde es ßu dumm .
" In Annchens Wangen erschienen die Grübchen , die Sache war ihr aber ßu ernst , um ßu lachen .
" Willst du mir dein Inneres denn nicht Mal enthüllen , Lene ?
" bat sie .
" So intime Freundinnen wie wir müßten sich doch verstehen .
Nicht wahr , mich verstehst du völlig ?
" Das ist kein Kunststück , Hasenherß .
" Lene mußte lächeln , als sie einen Blick in die - . .-g . warf .
" Meine alte Lene !
So krempele dich doch auch Mal um , damit ich deinen inneren Menschen gründlich kennen lerne .
Was werden mir da für wunderbare Überraschungen ßu Teil werden !
Helene antwortete nicht .
Sie lehnte sich ßurück , verschränkte die Hände hinter dem dunklen Kopf und sah nachdenklich ßum Himmel auf , während Annchen sie erwartungsvoll anblickte .
" Denkst du gar nicht daran , Anna , daß man uns einst gesagt hat , daß wir , soviel in unseren Kräften steht , für Gottes Reich wirken sollen ?
Daß wir nicht müde werden sollen , Gutes ßu tun ?
" Ja , gewiß denke ich daran .
Ach , Lene , es ist ja so köstlich , etwas für Arme ßu arbeiten und ihnen etwas ßu bringen , Mama hat mich ja immer daßu angehalten .
" Ja - ja - ja - das meine ich aber nicht .
Ein Kleidchen nähen - was ist das ?
Das würde mich nicht befriedigen .
" Es würde auch ein etwas wunderliches Kunstwerk werden , das unter deinen Händen entstände , gute Lene .
Diese beachtete den Einwurf nicht , sondern riesensüchtig aus :
" Wenn ich doch wüßte , wie ich für Gottes Reich wirken könnte !
" Quäl dich doch darum nicht , liebe Einßige , " sagte Annchen .
" Sieh , die kleinen Freuden , die wir anderen bereiten , sind auch etwas wert .
Du hättest Mal sehen sollen , wie Frau Müller sich gefreut hat , als sie das Kleidchen für ihr Jüngstes erhielt .
Wir jungen Dinger müssen doch im kleinen anfangen , von uns verlangt kein Mensch große Taten .
Und du , Lene , hast ja eine so köstliche Mission :
Deine Mama !
Laß dir doch daran genügen .
" Ach , die hat Marie .
Die ist ihr ja ihr ein und alles .
" " Versuche , daß du es allmählich wirst , Lene , und strebe nicht ins Weite .
Es ist eine so köstliche Aufgabe , die du im eigenen Hause hast .
Allerlei Erlebnisse .
Lene antwortete nicht .
Mit gefurchter Stirn blickte sie ßum Himmel empor .
" Darf ich deine Gedichte lesen , Lene ?
" Lene nickte , und Annchen ßog Bilder und Gedichte ßu sich heran .
Die beiden ersten lobte sie warm , das dritte legte sie still beiseite , schlang die Arme um Lene und sagte ßärtlich :
" Ich glaube , Lene , nun geht mir das rechte Verständnis für dich auf . Dir sind all die schönen Worte und Sprüche , die wir in der Schule lernten , viel tiefer ßu Herßen gegangen als mir .
Nun drängt dich , davon mitzuteilen .
Ach Lene , du wirst gewiß noch eine berühmte Dichterin !
Lene schüttelte den Kopf und blickte träumerisch in den Sonnenschein .
" Daßu fehlt mir viel , ja alles .
Ich habe nur den guten Willen und den glühenden Wunsch , etwas ßu geben .
Rührend finde ich es von Fräulein Simonsen , daß sie mit meinen kleinen Reimereien ßufrieden ist .
" Na , höre Mal !
Ich brächte nicht ein solches Gedicht fertig und wenn ich wer weiß was bekäme .
Annchen nahm das letzte Blatt noch einmal auf und begann ßu lesen :
Die junge Waise .
Es ist dahin , du armes Kind , Dein ganßes stilles Erdenglück .
Die liebe Mutter ging davon Und ließ dich Gans allein ßurück .
Wie war bei aller Armut doch Bisher dein Leben wunderreich !
In Mutterliebe ruhtest du Nach harter Arbeit lind und weich .
Ihr wart euch stets genug ihr ßwei , In eurer Armut glücklich doch .
Da kam das Leid - die Mutter starb !
Du armes Kind - was blieb dir noch ?
Du weißt es nicht ?
Dein Blick umflort Hängt an dem blauen Himmelsßelt , Du fühlst dich einsam und allein In dieser öden , kalten Welt ?
O Kind , schau tiefer nur hinein In Gottes Liebe und Herrlichkeit .
Er will der Waisen Vater sein , Er öffnet dir sein Herße weit .
Komme nur .
Auf schwerer Pilgerfahrt Ruht sich es ßu seinen Füßen gut .
Er nimmt dich armes , müdes Kind So gern in seine Vaterhut .
Was kann dir nun wohl noch geschehen ?
Du bist geborgen sanft und lind .
Des Vaters Hände schützen dich Du bist ein glücklich Menschenkind. R - e . d a.s- a. - a. a . a. .a Was Trübsal , Not und Einsamkeit ?
Du bist ja sein - bist Gottes Kind Für alle ßeit und Ewigkeit !
Ja sein - ja sein !
Das Herße jauchst .
Es wird dir still und froh ßu Sinn .
Du hebst die Hände :
Vater nimm Mein Herß - mein Seele - nimm Gans mich hin !
Am anderen Tage hatte Lene die Freude , die Mutter ßu sehen , ehe sie ßu Geheimrats ging .
Die Kranke fühlte sich ßwar sehr matt und angegriffen und sah ßum Erschrecken blaß und elend aus , sie saß aber doch wieder in ihrem Lehnstuhl und nickte dem Töchterchen freundlich ßu .
" Mama , " bat Lene , als Marie gegangen war , " kann ich dir in ßukunft nicht des Morgens helfen ?
Ich möchte doch so gern etwas für dich tun .
Wirklich , nächstens werde ich eifersüchtig auf Marie .
" Sprich doch nicht so albern , Lene , freue dich lieber , daß ich eine so umsichtige und verständnisvolle Pflegerin an ihr habe .
Du würdest am ßweiten Tag schon die Geduld verlieren , das kannst du glauben .
Lene war tiefgekränkt und wandte sich schweigend ab .
" Was hast du denn gestern den ganßen Tag getrieben ?
" Gedichte geschrieben .
" " Hast du wieder Bilder bekommen ?
" " Ja .
Es wird aber die höchste ßeit , daß ich gehe .
Adieu , Mama .
" " Adieu , Lene .
" Die Türschloß sich hinter der jungen Gestalt , und die Kranke blickte vergrämt vor sich hin .
Da trat Lene nochmals ein , auf den Wangen helle Röte , und fragte freundlich :
" Soll ich dir die Bilder und Gedichte holen , Mama ?
Vielleicht magst du dir die ßeit etwas damit vertreiben .
" Ach , laß nur , Kind , vielleicht heute nachmittag .
Ich werde jetzt wohl etwas schlafen ; ich bin so müde , so müde .
Die Tür schloß sich abermals und die Stunden schlichen der Kranken , die Trotz aller Müdigkeit keinen Schlaf finden konnte , langsam hin .
Die Uhr war schon nach vier , der Tisch längst gedeckt , da kam Helene mit glänßenden Augen und frohem Lächeln .
" Mama , " rief sie noch auf der Türschwelle , " darf ich mit Annchen nach Berlin fahren ?
Ihr Papa hat uns Karten ßur Urania geschenkt , es wird eine Reise durch Norwegen vorgeführt .
Herrlich , nicht ?
Ich freue mich schrecklich !
Du hast doch nichts dagegen , Mama ?
" " Nein , nein , gehe nur .
" Dann wollen wir nur schnell essen - Marie - bringen Sie schnell die Suppe , ich habe nicht lange ßeit .
Onkel ist nämlich schon wieder fort , Mama , er will sich mit einem Kollegen , der durchreist , irgendwo treffen , wir sollen nachkommen .
In der Urania nimmt er uns in Empfang .
" Fährt denn Frau Geheimrat nicht mit ?
" " Nein , Tante geht ßu Frau Schelf ßum Tee , Annchen und ich stehen also wieder auf eigenen Füßen .
ßu wonnig ist das !
Soll ich dir vorlegen , Mama ?
" Nein , nein , diese Hast ängstigt mich .
Iß du nur , Marie kann mich nachher bedienen .
Nach einem Blick auf die blasse Mutter aß Helene schweigend weiter .
Heimlich machte sie sich Vorwürfe , daß sie die Einladung angenommen .
Tante Stürßel hatte auch sehr eindringlich gefragt :
" Willst du heute nicht lieber bei Mama bleiben , Lenchen ?
" Aber Annchen hatte so stürmisch gebettelt und Onkel auch gemeint , ein kleines Vergnügen müsse sie doch hin und wieder haben , da konnte sie nicht widerstehen .
Rudolf hatte sie freilich auch erwartungsvoll angesehen , aber nichts gesagt .
Ob sie ßu Hause bleiben mußte ?
Aber sie konnte doch nicht alles und jedes Vergnügen der Mutter ßum Opfer bringen !
Da fiel ihr das köstliche Wort ein : " Die Liebe suchet nicht das ihre .
" Lene wurde rot und blickte scheu ßur Mutter hinüber .
Hastig , aber nicht gerade allßu freundlich fragte sie :
" Soll ich lieber hier bleiben , Mama ?
" " Meinetwegen nicht .
Ich halte doch nicht den ganßen Tag aus , nach dem Essen lege ich mich wieder hin .
Gans erleichtert atmete Lene auf .
Also brauchte die Mama sie nicht .
Eilig sprang sie auf , wünschte der Mutter gesegnete Mahlßeit und lief , sich anßukleiden .
Ein Gans gutes Gewissen hatte sie dabei nicht .
Sie sah fortwährend der Mutter blasses , vergrämtes Gesicht .
Das war ihr unbehaglich .
Eilig ging sie ins Wohnßimmer , sich ßu verabschieden .
" Entbehrst du auch gewiß nichts , Mama , wenn ich gehe ?
" fragte sie ßaghaft .
Der Kranken schwebte eine etwas bittere Antwort auf der ßunge , als sie aber sah , wie traurig und niedergeschlagen das junge Gesicht war , beßwang sie sich und entgegnete :
" Es wird ja etwas einsam sein , Lene , ich möchte aber nicht , daß du meinetwegen auf irgend ein Vergnügen sichten müßtest .
Gehe nur , Kind , und sei recht vergnügt .
" Möchtest du , daß ich bei dir bliebe , Mama ?
" Atemlos wartete Lene auf die Antwort .
Ein liebevolles , ßärtliches Wort , und sie wäre mit Freuden geblieben .
Doch der Kranken wurde schon ßu viel über den Gegenstand gesprochen , ungeduldig winkte sie mit der Hand .
" Gehe doch nur !
Du wärst ja tiefunglücklich , wenn ich ja sagte .
Ich werde auch ohne dich fertig , deshalb brauchst du dich nicht ßu beunruhigen .
Lene wandte sich ab .
" Adieu , Mama , " sagte sie tonlos und ging .
Langsam stieg sie die Treppe hinunter , da kam ihr ein guter Gedanke .
Hastig lief sie wieder hinauf und stieg noch eine Treppe höher .
Hier wohnte ihre alte Freundin , Fräulein Heese , die sie öfter mit in das Mädchenheim nahm , wenn dort Vorträge gehalten wurden .
ßu ihrer Freude war das Fräulein ßu Hause , wie sie von dem Mädchen hörte .
Sehr überrascht blieb sie jedoch an der Tür stehen , als sie sah , daß ihre alte Freundin Besuch hatte .
" Nun , Kindchen , kommen Sie nur näher , " lud eine sanfte Stimme sie ein und fügte vorstellend hinßu :
" Meine liebe junge Hausgenossin , Fräulein Lenchen Werner - Fräulein Leonie Steinberg , die Tochter einer lieben Freundin und eine berühmte Schriftstellerin .
" " Tantchen , das Prädikat könntest du dir füglich schenken , " rief die junge Dame lachend , " sieh nur die ehrfurchtsvollen Blicke der Kleinen .
Glauben Sie der alten Tante nicht so unbedingt aufs Wort , Kind , und bleiben Sie nicht wie verßaubert auf der Schwelle stehen , sondern kommen Sie und geben Sie mir die Hand .
Ich bin auch nur ein Gans gewöhnliches Menschenkind mit entsetzlich vielen Fehlern .
Lene stand schon neben ihr ; beide reichten sich Hände und lachten sich an wie alte Freunde .
Entßückt blickte Lene in die blitßenden braunen Augen , in die sprechenden ßüge .
Der feine Kopf war von dunklem krausen , kurßgeschnittenem Haar umgeben , das sich weich und lockig um den weißen Nacken schmiegte .
Fräulein Steinberg war groß und schlank und man sah es den lachenden Augen an , daß ihr die naive Bewunderung des Backfischchens unendlichen Spaß bereitete .
" Sehe ich so anders aus als andere Menschen ? fragte sie schelmisch .
Lene wurde feuerrot und stammelte eine Entschuldigung .
Da strich eine weiche Hand über ihre Wange und Fräulein Heeses liebe Stimme sagte : " Mache mir das Kind nicht so verlegen , du übermütiges Mädchen .
Kommen Sie , Kind , setzen Sie sich , aber erst legen Sie ab .
" " Danke sehr , Fräulein Heese , ich wollte Sie eigentlich um etwas bitten - aber - " mit einem Blick auf den Besuch , " nun geht es nicht .
" Bitte , ist es ein so großes Geheimnis ?
Ich verschwinde so lange , " erbot sich Leonie Steinberg lachend .
" O nein - nein - es ist nur - ich meine , weil Sie überhaupt da sind , geht es nicht , " stammelte Lene in nicht geringer Verwirrung .
Die junge Dame sprang auf , faßte den dunklen Mädchenkopf mit beiden Händen und sagte :
" Sie sind ein köstliches kleines Menschenkind .
Gar nicht wie eine hochfeine Großstädterin , sondern wie ein frisches Provinßröslein .
Das gefällt mir !
Ich paß Ihnen also nicht in Ihren Kram , Kind ?
Gut , ich gehe schleunigst .
" Nein - ach , ich bitte Sie - so meine ich es ja nicht - ich wollte Fräulein Heese nur bitten , ein Stündchen ßu Mama ßu gehen , weil ich in die Urania will , aber , nun sie selbst Besuch hat , geht es doch nicht .
" " Beruhigen Sie sich , meine Kleine , es geht doch , da ich in spätestens einer halben Stunde aufbrechen muß .
Dann kann Tante Heese immer noch ßu Ihrer Mama gehen .
" Gewiß , Lenchen , ich gehe gern hinunter .
Genießen Sie Ihr Vergnügen von ganßem Herßen , ohne Sorge um die Mama , " erklärte die kleine Dame bereitwillig und drückte Lenchen die Hand .
Sie dankte und verabschiedete sich .
" Adieu , Provinßröslein , " sagte Fräulein Steinberg lächelnd , " ich hoffe , wir sehen uns wieder .
Sie denken aber sicher , mit der alten greulichen Person will ich nichts ßu tun haben , was ?
" Lene schüttelte den Kopf und ihre sprechenden Augen hingen in so glühender Bewunderung an den feinen ßügen der jungen Dame , daß diese sich plötzlich vorneigte und dem Mädchen einen Kuß auf die Stirn drückte .
" So , Kind , nun gehen Sie , ich will Sie ja nicht aufhalten , " sagte sie lachend , " sonst ist die Vorstellung halb ßu Ende , ehe Sie hinkommen .
Nochmals auf Wiedersehen , Kleine !
Lene wußte nicht , wie sie aus der Tür gekommen war , sie wußte auch nicht , ob sie sich von Fräulein Heese verabschiedet hatte .
Mit glühenden Wangen und blitßenden Augen stürmte sie die beiden Treppen hinunter .
In der Haustür rannte sie mit Annchen ßusammen .
Gans verstört fuhr sie ßurück .
" Aber Lene , ich bin doch kein Gespenst ?
Was hast du nur ?
Du siehst ja so entgeistert aus .
" Ach ! Ich habe sie gesehen -
mein Ideal - meine Muse - den Traum meiner Seele !
Lene stand völlig verßückt und blickte verklärt gen Himmel .
In Annchens ßügen wetterleuchtete ein fröhliches Lachen , sie beßwang sich aber , um Lene nicht ßu kränken .
" Was ist das denn für ein merkwürdiges Wesen ? fragte sie neugierig und ßog die Freundin mit sich fort .
" Existiert es in Wirklichkeit oder ist es dir als Geist auf der Treppe erschienen ?
" Spotte nur , du !
Ebenso begeistert wie ich wärst du , hättest du sie gesehen .
Ach !
Einfach himmlisch ist sie !
Aber Anna - " sie blieb stehen , ein tiefer Kummer flog plötzlich über ihre strahlenden ßüge , " ich sehe es ein , daß es furchtbar schwer ist , sich als erwachsene junge Dame ßu benehmen .
Ich habe mich wieder gründlich blamiert und das noch daßu ihr gegenüber .
Ich hätte weinen müssen , wenn sie nicht so entßückend gewesen wäre .
" Sage doch bloß , wer sie ist , Lene , und dann komme vorwärts , wir kommen sonst ßu spät .
War sie denn bei euch ?
" So , Kind , nun gehen Sie , sonst ist die Vorstellung " Nein , bei ßu Ende , ehe Sie hinkommen .
" Fräulein Heese .
Sie heißt Fräulein Leonie Steinberg .
Denke nur : Leonie !
Klingt das nicht wie die reine Musik ?
Und schön ist sie , schön wie der junge Morgen , wenn er über die Berge steigt .
Annchen lachte leise und kniff Lene in den Arm .
" Komme ßu dir , geliebte Sappho , du wandelst schon wieder über den Wolken .
Wie kommt denn deine Muse ßu Fräulein Heese ?
" Ich weiß nicht .
Sie ist die Tochter einer Freundin Fräulein Heeses .
" Ist die Leonie denn in unserem Alter ?
Ist sie bei Fräulein Heese ßu Besuch ?
" Das weiß ich alles nicht .
Fräulein Heese wird es aber Mama wohl erßählen ; ich habe sie nämlich gebeten , ein bißchen ßu ihr ßu gehen und ihr Gesellschaft ßu leisten .
Fräulein Steinberg ist eine berühmte Schriftstellerin , denke nur !
" Ach ! Wie interessant !
Dann ist sie aber wohl schon alt ?
" Alt ? " Entrüstet blieb Lene stehen .
" Leonie Steinberg kann niemals alt werden , " rief sie voll tiefer Überßeugung aus .
" Lene - da kommt unser ßug - schnell !
Während der Fahrt plauderte Annchen fröhlich , Lenchen träumte von ihrer Muse .
Auf dem Bahnhof Friedrichstraße sagte Anna nach einem Blick auf die Uhr : " Wir haben noch reichlich ßeit und können erst die Schaufenster ein bißchen genießen .
Willst du auch a little something kaufen ?
Was hast du aber ?
Du bist ja so abwesend !
Denkst du noch immer an dein Ideal ?
Mache mich nicht eifersüchtig .
" Ach , wenn ich sie bloß bald wiedersehen könnte !
Ich glaube es aber .
Sie sagte : auf baldiges Wiedersehen .
" Du , ich habe noch nie von ihr als Schriftstellerin gehört .
" O , du bist nicht maßgebend und ich auch nicht .
Sie schreibt gewiß großartige Romane und führt sicher ein Pseudonym .
" Ja , das ist möglich , aber - Lene - " Beide bückten sich gleichseitig , um die goldene Brosche Lenes , die ihr vor die Füße gefallen war , aufßuheben .
Eine große , rote Hand kam ihnen jedoch ßuvor und ergriff das Schmuckstück .
" Bitte , es ist meine Brosche , " rief Helene und streckte die Hand nach ihrem Eigentum aus .
" Det kann jeder sagen , " entgegnete der Finder , ein junger Arbeiter , lachte spöttisch auf und steckte die Brosche in die Westentasche .
Lene wurde dunkelrot , ihre Augen blitßten entrüstet auf .
" Ich werde mein Eigentum doch kennen , die Brosche ist mir soeben vor die Füße gefallen , das müssen Sie ja gesehen haben , " entgegnete sie Kurs .
Einige Gaffer hatten sich um die Mädchen gesammelt , neugierig , welchen Ausgang die Angelegenheit nehmen würde .
" Jieb das Ding nicht raus , Aujust , es is dein Jute Recht , inßustechen , was du jefunden hast , " schrie eine Stimme dem jungen Arbeiter ßu .
Annchen , Gans blaß vor Schreck und Angst , hielt Lenes Arm umklammert und flüsterte aufgeregt : " Komme bloß , Lene , laß ihm die Brosche , die gibt er doch nicht wieder heraus .
" So ?
Da gäbe es gar keine Gerechtigkeit , " rief Lene entrüstet , " es wird mir doch wohl erlaubt sein , meine eigenen Sachen selbst aufßuheben !
Nun soll ich mir gar noch abstreiten lassen , daß die Brosche mir gehört ?
" Was streiten ?
Wer tut hier streiten ?
Jck oder Sie ?
" Der Arbeiter trat so drohend auf die Mädchen ßu , daß Annchen leise aufschrie und Lenes Arm noch fester umklammerte .
" Auf diese Weise werden Sie schwerlich ßu Ihrem Recht kommen , meine Damen , " wandte sich ein Herr an die beiden Mädchen .
" Sie würden gut tun , dem Manne ßur nächsten Polißeiwache ßu folgen ; denn , nicht wahr , dorthin wollen Sie Ihren Fund doch abliefern ? fragte er den Arbeiter .
- " Det versteht sick .
Jck habe keine Verwendung nicht für det blanke Ding .
" So gehen Sie nur mit , meine Damen .
Ein kleiner Finderlohn wird genügen , Sie wieder in den Besitz Ihres Schmuckstücks ßu bringen .
" Gans verwirrt dankte Lene und ßog die blasse , ßitternde Anna mit sich .
" Ach Lene , ich bin halbtot vor Angst .
Lauf wenigstens nicht so .
" Damit wir die beiden Männer aus den Augen verlieren ?
Nimm dich etwas ßusammen , Hasenherß .
" Wo mag denn die nächste Polißeiwache sein ?
" " Keinen Schimmer .
" Und inßwischen wartet Papa und ängstigt sich , wenn wir nicht kommen .
" Gehe du schnell hin , ich komme nach .
" Nein , nein , ich verlaß dich nicht .
Ach Lene , was passiert uns doch alles , sobald wir auf eigenen Füßen stehen !
" Dies ist nicht unsere Schuld .
Einfach unverschämt ist es , mir mein Eigentum vorßuenthalten .
Da - sie gehen in ein Haus .
Ob das schon die Polißeiwache ist ?
Na , jedenfalls müssen wir nach .
" Sollen wir das , Lene ?
Wenn sie nun hinter der Tür stehen und uns überfallen , wenn wir reinkommen ?
" Ach was , " sagte Lene verächtlich , als sie in Annchens verängstigte Augen blickte , " bleibe du draußen , ich gehe nach .
Das wollte Annchen aber nicht ; blaß , mit weitaufgerissenen Augen sah sie sich scheu um , als sie auf einen schmalen Flur traten .
Da verschwand oben auf der letzten Treppenstufe der ßweite Arbeiter .
" Schnell ! " rief Lene und eilte ihm nach , ßaghaft folgte Annchen .
Sie atmete erst auf , als sie dicht hinter den Arbeitern in ein ßimmer traten , in dem einige Beamte saßen und schrieben .
Der Mann brachte sein Anliegen vor und legte seinen Fund auf den Tisch .
Der Polißeiwachtmeister , ein älterer , untersetßter Mann , unterßog die Brosche einer genauen Musterung und bat dann die jungen Mädchen höflich , den Tatbestand gleichfalls ßu berichten .
In ihrer lebhaften Weise kam Lene seinem Wünsche nach .
" Hm , " sagte er und warf noch einen Blick auf das Schmuckstück , " wertvoll ist die Brosche keinesfalls " O bitte , mein Herr , " unterbrach Lene ihn entrüstet , " ich trage keinen unechten Schmuck .
Meine Mama hat mir die Brosche ßu meiner Einsegnung geschenkt .
Ein leises Lächeln flog über das Gesicht des Beamten , dann wandte er sich an den Arbeiter :
" Nun , guter Freund , Ihnen ist es doch wohl nur um einen Finderlohn ßu tun , nicht wahr ?
" Ja , Herr Wachtmeister , det is mein Jute Recht , det laß ich mir nicht streitig machen .
" Schön .
Ich denke , mit einer Mark wäre die Sache beigelegt .
Viele Mühe hat es Ihnen nicht verursacht , das kleine Ding aufßuheben und hierher ßu tragen , was ?
" Nee , nee , das hat es nicht , nee , ich wäre janß ßufrieden mit 'ne Mark .
" Also , mein Fräulein , wenn Sie eine Mark Finderlohn ßahlen wollen , können Sie Ihr Eigentum wieder in Empfang nehmen .
Lene ßahlte und steckte die Brosche in ihre kleine Geldtasche .
" Bitte , wollen die Herrschaften noch die Güte haben und unterschreiben , " bat der Wachtmeister und las ihnen vor , was der Schreiber über den gefundenen Gegenstand , der sofort wieder an seine rechtmäßige Besitßerin ßurückgegangen war , ßu Protokoll gebracht hatte .
Der Arbeiter mußte ßuerst unterschreiben , dann Lene .
Bitte darunter , " sagte der Wachtmeister .
Annchen blickte ihr über die Schulter und die Grübchen erschienen in den schon wieder rosigen Wangen , als sie die beiden Namen las : August Käsmeier , Fabrikarbeiter .
Helene Werner . flüsterte sie , " das " Schreibe doch Dichterin dahinter , " würde sich wundervoll ausnehmen .
Helene warf ihr einen strafenden Blick ßu und beide verließen nach freundlichem Dank das ßimmer , ausdem die Arbeiter schon verschwunden waren .
" Lene , sieh bloß , was an der Tür steht : Standesamt !
Und da stehst du nun für alle ßeiten mit August Käsmeier in trauter Gemeinschaft in einem Buche !
Es ist ßu wundervoll !
" Schauderhaft finde ' ich_es !
Mit Windeseile schritten sie nun durch die Straßen und kamen Gans außer Atem in der Urania an .
Geheimrat Stürßel stand schon sehr ungeduldig in der Haustür und schaute nach ihnen aus .
" Wo bleibt ihr denn ?
" rief er ihnen entgegen , " daß du auch nie rechtzeitig fertig sein kannst , Anna .
Helene mußte ihren Namen unterschreiben .
" Entschuldige , lieber Papa , wir waren sogar ßu früh in Berlin , wir mußten aber noch schnell aufs Standesamt .
Lene ist in aller Windeseile mit einem ehrenwerten Herrn August Käsmeier ßusammengegeben .
" Rede nicht solchen Unsinn , " verwies Papa sein lachendes Töchterchen , " beeilt euch .
Geschwind wurde abgelegt , noch einmal glättend über das Haar gefahren , dann folgten die Mädchen dem Geheimrat in den Saal .
Kaum saßen sie , so ging der Vorhang in die Höhe , die Vorrede war bereits beendet .
Die schönen Wandelbilder fesselten die Aufmerksamkeit der Mädchen derartig , daß sie ihr Erlebnis darüber vergaßen .
Der Redner führte sie von der Hauptstadt Bergen ins Gebirge , an blinkende Seen mit kleinen sauberen Dörfern , von Bergen eingeschlossen , weiter in großartige Felspartien , in denen wilde Wasserfälle herabrauschten , die von elektrischem Licht so natürlich beleuchtet wurden , daß man sich in Wirklichkeit ihnen gegenüber glaubte .
Dann führte er sie wieder in freundliche Hafenstädte , in denen geschäftiges Leben herrschte , und wiederum in stille , einsame Gegenden , wo Eis und Schnee die Bergspitßen bedeckten und klare Seen ßwischen starrem Felsgeröll hindurchschimmerten .
Begeistert äußerten beide Mädchen ihr Entßücken , als der Geheimrat später mit ihnen heimfuhr .
" Nun , sagt Mal , Kinder , was habt ihr vorhin wieder erlebt ?
" forschte der Papa .
Unter großer Heiterkeit berichtete Annchen , mit gefurchter Stirn warf Lene ihre Bemerkungen daßwischen .
" Kinder , man sollte es nicht für möglich halten , daß euch stets etwas ßustößt , sobald ihr auf eigenen Füßen steht , " sagte Papa kopfschüttelnd .
Daheim angelangt , hörte Helene , daß die Mutter bereits schlief .
Schade , sie hätte ßu gern noch von ihr erfahren , wie Leonie Steinberg ßu Fräulein Heese gekommen war .
Kaum erschien die Mutter am nächsten Morgen in der Tür , so lief Lene auf sie ßu und rief lebhaft :
" Guten Morgen , Mama , hast du gut geschlafen ?
War Fräu- 1. lein Heese gestern bei dir ?
Hat sie dir nicht erßählt " Ich bitte dich , Kind , laß mich wenigstens erst Sitzen .
Ich komme ja gar nicht ßur Besinnung vor so vielen Fragen .
" Gnädige Frau haben nicht sehr gut geschlafen , " ließ Marie ihre Stimme ertönen .
Lene wurde rot und ging auf den Balkon hinaus .
Diese Marie konnte sie nächstens nicht mehr sehen , so viel stand fest .
Solange die bei der Mama blieb , würde sie nie ßu ihrem Recht kommen , nicht die kleinste Hilfeleistung würde sie ihr abtreten .
Bisher war sie froh gewesen , daß Marie so treu für die Mutter sorgte , jetzt empfand sie es schmerßlich , daß sie so gar nichts für die Kranke tun konnte .
" Lenchen , " ertönte der Mutter schwache Stimme .
Schnell eilte sie ins ßimmer , beugte sich nieder , streichelte der Mutter Hände und fragte : " Geht_es dir nicht gut , Mama ?
" Ach , ich hatte eine schlechte Nacht .
Ich kann nicht ßur Ruhe kommen , wenn du nicht ßu Hause bist .
Ich rege mich auf , und wenn du dann glücklich da bist , so bin ich so munter geworden , daß Stunden vergehen , ehe ich wieder müde werde .
Lene nagte an ihrer Unterlippe und blickte stumm vor sich hin .
Der Mutter Worte trafen sie wie ein Vorwurf .
Mußte sie wirklich der Mutter ßuliebe auf alles sichten ?
" War_es denn schön , Lenchen ?
" " Wundervoll !
Ich war wie verßaubert .
Wie herrlich muß es sein , wenn man solche Wunderwelt in Wirklichkeit sehen darf .
Mama , wenn du gesund würdest und wir könnten ßusammen in die schöne Gotteswelt reisen !
Gar nicht ausßudenken wäre das Glück !
" Kind , welche Idee !
Ich und reisen !
" Ein tiefer Seufßer begleitete diese Worte , dennoch flogen die Blicke der Leidenden sehnsüchtig in den Sonnenschein .
" Komme auf den Balkon , liebe Mama , " rief Lene , die Blicke bemerkend , " die Luft wird dir gut tun und dich stärken .
Allmählich wirst du selbst Lust bekommen , hinunterßugehen und dann - ja dann können wir auch bald eine kleine Reise machen .
In freudiger Geschäftigkeit lief Lene hinaus , stellte den Windschirm ßurecht , trug Decken , Kissen und Tücher herbei und vergaß vollständig , daß sie die Mutter ja nach Leonie Steinberg hatte fragen wollen .
" So , Mama , willst du nun kommen ?
Es ist alles fertig , nur der Schemel fehlt noch .
" Hastig raffte sie ihn auf und stieß dabei das Tischchen um , das immer mit Büchern und ßeitungen neben der Mama stand .
entsetzt sank die Regierungsrätin in ihren Stuhl ßurück ; sie wurde Gans blaß und ßitterte heftig .
" Verßeih , " stammelte Lene , " ich weiß gar nicht , wie das gekommen ist .
" Durch dein fahriges Wesen .
Ach , mein Herß wie das klopft !
Rufe Marie , daß sie mir Tropfen gibt .
" Ach Mama , bitte , nicht !
Kann ich sie dir nicht geben ?
Marie sieht mich immer so triumphierend an , wenn ich ungeschickt gewesen bin .
Bitte , sage mir , wo die Tropfen stehen , ich will auch Gans vorsichtig sein .
" Die Kranke wollte schon widersprechen , es war ihr jedoch unmöglich , als sie in der Tochter flehende Augen blickte .
" Ach , du wirst ja alles herunterreißen , ehe du die richtige Flasche findest !
Aber meinetwegen , versuche dein Heil .
In dem Schlafßimmer auf dem kleinen Wandbrett steht eine Flasche mit gelblicher Flüssigkeit .
ßehn Tropfen auf ßucker ßu nehmen steht darauf .
Sie steht links auf dem Brett .
Lene ging und kehrte hocherfreut mit der richtigen Flasche ßurück .
" Laß mich erst sehen , " gebot die Mama , die ihrem Töchterchen nicht traute .
" Ja , das ist sie wirklich .
Hast du auch nichts heruntergerissen ?
" Nein , Mama , ich bin Gans geschickt gewesen .
" Nun ßähle auch richtig , es müssen genau ßehn Tropfen sein .
Sind es auch nicht mehr ?
" Nein , Mama .
Die Kranke nahm den ßucker und lehnte sich seufßend ßurück , während Helene den Tisch aufhob und die Bücher und ßeitungen wieder darauf ßurechtlegte .
ßu sagen wagte sie nichts , die Mama saß still , mit geschlossenen Augen .
Lene wurde das Herß schwer .
Sie empfand so warme Liebe für die Mutter , wie kam es nur , daß sie alles verkehrt anfing ?
Sie seufßte so tief , daß die Kranke die Augen aufschlug .
Als sie das traurige Gesicht des Töchterchens sah , lächelte sie matt und sagte leise :
" Es geht schon vorüber .
Mußt du ßu Stürßels , Kind ?
" Ja , bald .
Soll ich dich nicht erst auf den Balkon bringen ?
" Nein , nein , ich fühle mich augenblicklich viel ßu matt , ich bleibe lieber hier .
Hast du deine Gedichte schon abgeschickt ?
" setzte sie hinßu , als Lene steif und stumm , mit gequältem Ausdruck vor ihr stehen blieb .
" Nein , Mama , ich wollte sie mitnehmen und in den Briefkasten stecken .
" Ach so !
" Möchtest du sie lesen , Mama ?
" " Ja , aber wenn sie Eile haben " O nein , ich kann sie ebensogut heute mittag fortschicken , " Hastig lief Lene aus dem ßimmer und kam gleich darauf mit den Bildern und Gedichten wieder .
" Schön , Kind , lege sie mir nur auf den Tisch , wenn ich mich später besser fühle , will ich sie lesen .
Kommt da schon jemand ?
Das ist ja wohl Annchen ?
Eine helle Stimme ertönte im Flur , dann wurde die Tür geöffnet und Annas fröhliches Antlitß blickte durch die Ritße .
" Darf ich so unverschämt früh schon kommen , Tante Werner ?
" bat die weiche Stimme schmeichelnd .
Ein Lächeln flog über der Kranken blasse ßüge .
" Komme nur , Annchen , du bist mir stets willkommen , entgegnete sie freundlich .
" Guten Morgen , Tante Werner !
Guten Morgen , Lene !
Wie die Verkörperung des Frühlings kam Annchen durch das ßimmer , küßte der Leidenden die Hand und fragte liebevoll , wie sie geschlafen habe und wie sie sich heute befinde .
" Hier habe ich dir etwas mitgebracht , liebe Tante , damit du doch eine kleine Ahnung davon bekommst , wie schön es gestern war .
Ich dachte , eine Gans kleine Freude würde es dir machen , " sagte sie und breitete einige Postkarten mit sehr fein ausgeführten norwegischen Landschaften vor der Kranken aus .
" Woher hast du die ?
" fragte Lene erstaunt .
" In der Urania gekauft .
Ich entdeckte sie noch ßu allerletßt .
Hast du nicht gehört , wie ich dich rief ?
Du warst so weit weg mit deinen Gedanken , daß du mir keine Antwort gabst .
" Das sind ja reißende Bilder , ich danke dir sehr , mein Herßenskind , " sagte Frau Regierungsrat und reichte Annchen die Hand , " wie lieb von dir , daß du an mich gedacht hast .
" Hier ist auch der Vortrag , Tante , vielleicht magst du ihn lesen ?
" Gern .
Nun habe ich ja den ganßen Morgen Unterhaltung , " entgegnete die Leidende und sah Gans vergnügt aus .
Lene gab es einen Stich durch das Herß .
Hätte sie nicht daran denken können ?
Nun war es wieder eine andere , die der Mutter diese Freude bereitet hatte .
Aber ihre , Lenes , Gedanken waren stets mit anderen Dingen beschäftigt als mit der kranken Mutter .
Sie mußte das köstliche Wort :
" Die Liebe suchet nicht das ihre !
" erst verstehen lernen , es mußte ihr in Fleisch und Blut übergehen .
Ob es das jemals würde ?
Sie seufßte so tief , daß Anna sie erstaunt anblickte .
" Was hast du ?
Denkst du an deinen Schwarm oder an deinen Aujust ?
Tante Werner , was hast du ßu unserem Erlebnis gesagt !
" ßu welchem , Kind ?
" " Lene , das hast du nicht erßählt ?
Du bist mir wirklich unbegreiflich .
" Unter fröhlichem Lachen berichtete sie .
" Aber Lene , ich mag dich ja gar nicht mehr fortlassen , wenn du stets solche Dinge erlebst !
Ich muß ja ewig in Unruhe sein , " rief Frau Regierungsrat aufgeregt .
" O Tante Werner , du kannst Gans ruhig um uns sein , uns geschieht nichts .
Und dann werden wir doch eher selbständig , das sagt Mama auch .
Übung ist die Hauptsache , daher soll ich nun auch mit Lene ßusammen einen Ochsenbraten einhandeln , fünf Pfund , merke dir das gefälligst , Lene .
Nun wird es aber die höchste ßeit , daß wir fortkommen .
Adieu , liebe Tante Werner , ich freue mich , daß es dir doch leidlich geht .
Du siehst wirklich etwas besser aus .
" " Findest du , Annchen ?
" " Gans gewiß , deine Augen sehen weniger matt aus .
Sollen wir dich nicht schnell noch auf den Balkon bringen ?
" Danke , Herßenskind , ich möchte lieber hier bleiben .
Adieu , mein liebes Annchen .
Adieu , Lene .
Die Mädchen gingen , Annchen fröhlich plaudernd , Lene still .
Sie war wieder einmal tief betrübt .
Annchen beachtete ihr Schweigen nicht weiter .
" Hast du schon erfahren , wer die Schriftstellerin ist ?
" fragte sie .
" Nein , Mama war noch nicht lange da und gestern abend habe ich sie nicht mehr gesehen .
Es ist ja auch Gans gleichgültig , was habe ich davon ?
Ich werde sie . schwerlich wiedersehen .
" Annchen beugte sich vor und blickte ihr schelmisch in die Augen .
" Schwermütig , Lene ?
Was ist los ?
" " Ach , nichts .
" Sage es mir doch , liebe Einßige .
Ich habe doch das nächste Anrecht daran , dich ßu trösten .
Na , was ist_es ?
" " Ach , ich ärgere mich über mich .
Erst war ich grenßenlos ungeschickt und erschreckte Mama und dann - ja , dann ärgerte ich mich , daß nicht ich an die Karten gedacht habe .
" " Lene - du bist doch nicht eifersüchtig auf mich ?
" Gans erschrocken war Annchen stehen geblieben .
" Nein , nein , für so niedrig denkend kannst du mich nicht halten .
Aber sage , wie fängst du es nur an , daß dir immer etwas einfällt , was anderen eine Freude macht ?
" " Wie ich das anfange ?
Das ist schwer ßu sagen , Lene .
Ich fühle das Bedürfnis , allen , denen ich gut bin , ab und ßu eine kleine Freude ßu machen , eine andere Erklärung kann ich dir nicht geben , Lene .
" Das Bedürfnis habe ich noch nie gehabt ; ich habe bisher meine Geschenke ßu Weihnachten und ßu Geburtstagen gemacht und damit basta !
" Du arbeitest jetzt doch den hübschen Läufer für deine Mama , darüber wird sie sich sehr freuen .
" Ach , wann wird der fertig !
Das kann noch Wochen dauern .
" Weißt du was , nimm deiner Mama die entßückende Teerose mit , die dort drüben im Schaufenster steht , das wird sie erfreuen .
Komme , wir gehen gleich rein und kaufen den Topf , später könnte er weg sein .
" Glaubst du , daß Mama sich freuen würde ?
" " Na und ob !
Ich spränge deckenhoch , wenn ich ihn bekäme .
Annchen öffnete die Ladentür und machte den Handel ab , Lene beßahlte .
Gans glücklich blickte sie auf ihren Rosenstock herab , als sie ihn im Arm hatte .
" Wenn ich ihn bloß nicht fallen lasse , sobald ich ihn Mama überreiche !
Und was sage ich bloß dabei ?
Mama wird sehr erstaunt sein , ich habe ihr noch nie im Leben außer der ßeit etwas geschenkt .
Annchen lachte .
" Ich will darüber nachdenken und dir eine feierliche kleine Rede einstudieren .
Nein , Lene , bist du komisch !
Wenn ich mir dächte , daß ich in Verlegenheit um einige passende Worte sein könnte , wenn ich meiner einßigen Mama etwas schenken wollte !
Wenn ich mir daßu erst was einstudieren müßte !
ßu ulkig finde ich das !
Aber hier hinein , Lene , ' rein in den Fleischerladen .
Lene rümpfte die Nase .
" Muß ich mit ?
Es riecht immer so gräßlich nach Fleisch .
" Hilft nichts , Lene ; mitgefangen , mitgehangen .
" Sie traten ein und Anna bat den Ladeninhaber um fünf Pfund Ochsenfleisch .
" Was wünschen Sie ?
Kluft ?
" Annchen , rot und verwirrt , stieß Lene an .
" Du , was ist das - Kluft ?
" Keinen Schimmer .
Falle bloß nicht rein .
" " Nein , von der Brust , " erklärte Annchen daraufhin .
Sie erhielt das Fleisch , beßahlte , und beide gingen .
" Wenn Mama nur ßufrieden ist , was meinst da , " Ein bißchen knochig scheint mir das Fleisch ßu sein .
" " Ach ja , mir auch .
Ich sollte auch Braten , nicht Fleisch sagen , vielleicht gibt es dann weniger Knochen .
Na , wir haben_es nun Mal und schmecken wird es schon .
Gans ßuversichtlich überreichte sie der Mama , daheim angelangt , ihren Einkauf .
Frau Geheimrat bewunderte erst Lenes Rose und wickelte dann das Fleisch aus .
" Was ist denn das für ein Stück ?
" fragte sie staunend .
" Aus der Brust , Mama , ist es nicht sehr schön ?
" Sehr schön ?
Nicht ßu gebrauchen ist es .
Hast du es so gefordert ?
" Ja , Mama .
Ist es nicht richtia ?
Gans kleinlaut stand Hasenherß vor der Mama .
" Ich hatte dir doch ausdrücklich gesagt , du solltest aus der Kluft bringen .
" Ich habe es nicht gehört , Mama , daß du Fleisch aus der Kluft haben wolltest , " erwiderte Anna kleinlaut , " der Fleischer bot es mir auch an , aber ich wußte nicht , ob das Stück das rechte ist , da wollte ich es lieber nicht nehmen .
Lene sagte auch , ich sollte mich nicht anführen lassen .
" Ihr kleinen Schafe !
Ein andermal höre besser ßu , sagte Frau Geheimrat kopfschüttelnd .
" Aus der Kluft nennt man ein Keulenstück , merkt euch das und nun geht schnell und tauscht das Stück gegen einen guten Schmorbraten um .
" Ach , Mama , kann Agnes das nicht tun ?
" " Nein , Töchterchen , deine eigenen Dummheiten mußt du selbst wieder gutmachen .
Hier hast du das Fleisch , nun gehe und laß dir auch sagen , was das Pfund kostet .
Eine ßervelatwurst , so ungefähr ein Pfund schwer , kannst du noch mitbringen .
" Lene , du kommst doch wieder mit ?
" Ja , Hasenherß , ich laß dich nicht im Stich : mitgefangen , mitgehangen , " entgegnete Lene nun ihrerseits , stellte ihren Rosenstock auf den Tisch und lief Anna nach .
Triumphierend kamen beide nach kurßer ßeit wieder .
" Ich habe ein Prachtstück , Mama .
Herr Horn war sehr nett , er sagte , er hätte es sich gleich gedacht , daß dir das Bruststück nicht passen würde .
Es ist aber schwerer , Herr Horn sagt , hiervon könne er nichts abschneiden .
" " Sehr schön , Kind , wieviel kostet das Pfund ?
" " Das hat Herr Horn nicht gesagt , Mama .
" Wieviel hast du denn für die ßervelatwurst gegeben ?
" Weißt du es noch , Lene ?
" " Keinen Schimmer .
Ratlos sahen sich die Mädchen an .
" Nein , dies ist denn doch ßu arg , " rief Frau Geheimrat erßürnt aus , " ich hatte euch doch aufgetragen , danach ßu fragen .
" Ich habe nicht so genau acht gegeben , liebe Mama .
" " Ich möchte mir aber ausbitten , daß du das künftig tust .
Besorgst du etwas , so sollst du es ordentlich besorgen .
Jetzt hast du das Vergnügen , ßum dritten Male ßu Herrn Horn ßu gehen und ßu fragen , wie schwer der Braten ist und wieviel das Pfund kostet .
" Mama - bloß nicht !
Tu mir das nicht an !
Sie lachen mich ja aus im Laden .
" Dann laß es dir eine Lehre für die ßukunft sein .
" " Mama , liebe Mama , habe doch Erbarmen mit mir .
Du bist doch ßufrieden mit dem Braten und beßahlt ist er ja auch , das andere kann uns doch Gans gleichgültig sein .
" Mir nicht , mein Töchterchen , und damit auch du Genauigkeit in wirtschaftlichen Dingen lernst , verlange ich von dir , daß du mir Auskunft über den fraglichen Punkt verschaffst .
Wenn die Mama in diesem Tone redete , wußte Annchen , daß es nur eines gab : unweigerlich gehorchen .
Seufßend trocknete sie die Wangen rannen und sagte ßu Lene : " Bleibe ' du nur wenigstens hier , es ist genug , wenn sich eine blamiert .
" Laß .
Ich komme mit , ich hätte ja auch hinhören können .
Dies alte , verdrehte Kochen !
Als ob die Seligkeit davon abhinge .
" Bums ! knallte sie die Tür hinter sich ßu .
" Aber , Lene !
" rief Annchen Gans erschrocken .
Lene wurde rot , sah aber sehr trotßig und ßornig aus .
" Nun , Fräulein Stürßel , noch etwas gefällig ? fragte der freundliche Schlächtermeister .
Schüchtern , mit gedämpfter Stimme begann Annchen : " Ach , entschuldigen Sie , Herr Horn , meine Mama ist so schrecklich genau , sie möchte gern wissen , wie schwer der Braten ist und wieviel das Pfund kostet ?
" " Sie meinen doch nicht etwa , daß ich Ihnen ßu viel abgenommen habe ?
" fragte der Meister mit hochgesogenen Augenbrauen und so dröhnender Stimme , daß alle Käufer aufmerksam wurden .
" Nein , nein , " stammelte Hasenherß ßitternd und Gans blaß vor Schreck , " Mama schreibt nur alles Gans genau auf und darum " Na ja , dann ist es gut .
Also der Braten - wollen doch gleich Mal nachsehen - sehen Sie , Fräulein , da steht_es , 6' s Pfund à 1 Mark 20 Pfennig .
Die Wurst wog genau 1 *5 Pfund , macht 2 Mark 10 Pfennig , der Braten 8 Mark 16 Pfennig , ßusammen 10 Mark 26 Pfennig .
Stimmt , Fräulein Stürßel ?
" Ja , Herr Horn .
Bitte , nehmen Sie es nicht übel .
Erleichtert atmeten beide auf , als sie wieder auf der Straße standen .
" Wie schrecklich war das , " sagte Annchen , " so was soll mir aber nicht wieder passieren , in ßukunft will ich besser aufpassen .
" Das kommt bloß von dem alten , verdrehten Kochen , " brummte Lene , sie fühlte sich aber doch recht unbehaglich , als sie ßu Frau Geheimrat ins ßimmer trat .
Eigentlich hatte sie sich vorhin betragen wie ein ungeßogener Junge und immerhin war es doch anßuerkennen , daß Tante Stürßel ihr die Freundlichkeit erwies , sie in die Lehre ßu nehmen .
Sie hätte es Annchen gleichtun mögen , als diese die Arme um die Mutter schlang und schmeichelnd bat :
" Bist du mir nun wieder gut , einßige Mama ?
So seufßte Lene nur so tief , daß Frau Geheimrat lächelnd ßu ihr hinblickte und freundlich sagte :
" Wenn du nicht vorsiehst , aus der Lehre ßu laufen , Lene , so könntest du die Küchenschürße vorbinden .
" Ach , Tante , " Lene wurde feuerrot und sagte ßiemlich kleinlaut , " ich meinte es so schlimm nicht .
" So ?
Nun , das ist mir lieb .
Ich schrieb es auch mehr dem ßufall ßu , daß dir die Tür aus der Hand flog .
" Gütig strich sie dem Mädchen über das dunkle Haar und blickte ihr liebevoll in die Augen .
" Tante Stürßel !
" Lene umschlang sie ungestüm und blickte reuevoll ßu ihr auf .
" Ich habe_es mit Absicht getan .
Ich bin viel schlimmer , als du denkst .
Schicke mich sort , bitte , ich verdiene nicht , daß du so gut gegen mich bist .
" Jh , kleine Lene , das könnte dir wohl passen ?
Dann wärst du ja mit einem Male frei von der Kocherei .
Nichts da , Töchterchen , freiwillig entlasse ich dich nicht eher , als wenn ich mit gutem Gewissen sagen kann : die Lene versteht ßu kochen .
" Du gute , gute Tante !
" Lene tat , was sie noch nie getan hatte , sie küßte Tante Geheimrat die Hand .
Wie mit Glut übergossen lief sie dann aber hinaus , scheinbar , um die Tür ßu öffnen , in Wirklichkeit jedoch , um ihre Verwirrung ßu verbergen .
Rudolf , der geklingelt hatte , trat mit fröhlichem Gruß ein .
" Tag , kleine Sappho , kochst du herrliche Gerichte vvu vvasup .
vu noc herrlichere Gedichte ?
Du siehst ja aber so rot aus , Mädel , und du auch , Maus ?
Was ist los ?
" Wir haben Dummheiten gemacht , Rudi .
" " Gleich im Plural ?
Das ist alles mögliche .
Gans erwachsenen jungen Damen angemessen .
Was fange ich denn mit meinen Tüten an ?
Ich hatte sie artigen jungen Damen ßugedacht , indessen " Rudi , hast du die für uns mitgebracht ?
" Halt - so ohne weiteres gibt es die nicht !
Ich hatte ja keine Ahnung , daß hier heute morgen ßuckertüten nicht am Platße wären .
Er hielt die Papierbeutel so hoch er konnte und sah belustigt ßu , wie die Mädchen sich vergeblich bemühten , sie ßu erhaschen .
" Einßiger Rudi , sei lieb , ßart behandeln , meine Damen , wenn ich bitten das !
" gib sie uns , bat Anna , " du glaubst nicht , was dies für ein schwerer Morgen gewesen ist , wir bedürfen wirklich einer kleinen Stärkung .
" Ja , Rudi , her mit den Tüten , es ist nicht ritterlich , sie uns vorßuenthalten .
Hurra - ich - nein - schändlich - ich dachte , ich hätte sie .
" ßart behandeln , meine Damen , wenn ich bitten darf !
" Lene , es sind gewiß Schneebälle drin !
Ja , Rudi ?
Du siehst so pfiffig aus " Ich habe sie - Hurra !
" Laß sehen , Lene , mache auf Neugierig beugten sich der blonde und der dunkle Kopf über die verheißungsvolle Tüte und beide Mädchen jubelten hell auf , als sie wirklich Schneebälle enthielt .
" Du bist einßig nett , Rudi , vielen , vielen Dank !
" rief Anna .
" Vielen Dank , " rief auch Lene , " wie bist du auf den großartigen Einfall gekommen , Rudi ?
" Na , man macht sich doch gern Mal angenehm .
Onkel Hains soll doch nicht allein das Vorrecht haben , Tüten mitzubringen .
" Bravo , Rudi , tritt nur ja mit ihm in die Schranken .
Je größer euer Wetteifer wird , je entßückter sind wir , nicht , Lene ?
" " Versteht sich , darin könnt ihr euch gern ßu überbieten suchen .
" Was seid ihr doch für Schleckarchen und was für Kinder noch !
Mit einer Tüte voll ßuckerwerk kann man euch unendlich beglücken .
O selig , o selig , ein Kind noch ßu sein .
" Spotte du nur , uns schmeckt doch .
Mamachen , willst du nicht auch nehmen ?
" Ich habe jetzt keine ßeit und euch möchte ich auch raten , euren Schmaus ßu unterbrechen , wir müssen an unser Mittagessen denken .
Schnell wurde die Tüte fortgelegt .
Anna stopfte noch schnell ein großes Stück des Gebäcks in den Mund , fing auf einen Blick Lenes an ßu lachen und verschluckte sich .
Mama schüttelte den Kopf , Rudolf ließ etwas wie " wunderbares Benehmen junger Damen " hören , und Anna flüchtete eilig in die Küche .
Als Helene später mit ihrer Rose ßum Frühstück nach Hause ging , blickte sie wieder aus hellen Augen .
Als sie aber die Treppe hinaufschritt , wurde sie wieder ßaghaft .
" Wie geht es Mama ?
" fragte sie Marie .
" Gnädige Frau scheinen aufgeregt ßu sein .
Langsam nahm Lene ihren Hut ab und ging ßögernd ins ßimmer , das Gesicht hinter dem Rosenstock versteckt .
" Ach , Lenchen , wie gut , daß du kommst , es war mir schon so einsam , " rief die Mutter ihr entgegen .
Verwundert über den weichen Ton horchte Lene auf .
" O , die schöne Rose .
Woher kommt die ?
" Vom Gärtner , Mama .
Gefällt sie dir ?
" Ja , sie ist sehr schön .
Wie kommst du daßu , Lenchen ?
" Ich habe sie gekauft , Mama .
" Du - für mich ?
Lene wurde dunkelrot .
Erstaunen klang aus der Frage .
" Ja , Mama , ich wollte dir so gern eine kleine Freude machen .
" Mein gutes Kind !
Ich danke dir häßlich .
Wie freue ich mich . Lenchen " - sie hielt der Tochter Hand fest und ßog sie näher ßu sich heran - " ich habe deine Gedichte gelesen und mich sehr darüber gefreut , besonders über " Die junge Waise .
Lenchen , du hast so hübsche Worte gefunden für die Liebe , die Mutter und Kind verbanden , - Lenchen - würdest du dich auch so verlassen fühlen , wenn ich von dir ginge ?
" Mama " - heftig erschrocken kniete Helene nieder und umschlang die Mutter - " so etwas mußt du nie wieder sagen .
Du mußt leben und wieder gesund werden - für mich .
Ich habe ja bloß dich auf der Welt .
" Die ganße heiße Liebe , die Lene für die Mutter empfand , kam ßum Durchbruu , ßurruch oruckte je die vor Aufregung Bebende an sich und streichelte ihr dunkles Haar .
Unter Tränen lächelnd flüsterte die Kranke :
" Wir wollen uns in ßukunft auch ßeigen , wie lieb wir uns haben , nicht wahr , Kind ?
Das Leben ist so Kurs und die Liebe ist wirklich das Beste , was wir haben .
Wir wollen unsere Herßen nun nicht wieder vor einander verschließen , nicht wahr ?
Ich habe in deines einen tiefen Blick durch deine Gedichte getan .
Es war mir eine solche Freude , und nun noch der schöne Rosenstock .
Das ist fast ßu viel auf einmal .
" Sie beugte sich vor und küßte das junge Gesicht .
" Ich danke dir , meine kleine Lene , mein Herßenskind , " setzte sie weich , voll tiefer ßärtlichkeit hinßu .
Lenes Augen strahlten , ihr Herß klopfte stürmisch , sie hätte himmelhoch jauchßen mögen vor Glückseligkeit .
Jama , denke dir , was ich eben bekommen habe , " 414 rief Lene , als sie eines Mittags nach Hause kam .
Sie schwenkte einen Brief in der Hand und war in so freudiger Aufregung , daß sie jetzt erst Doktor Roland bemerkte .
" Guten Tag , Herr Doktor , entschuldigen Sie , ich habe Sie gar nicht gesehen .
Wie finden Sie Mama ?
" " Besser , entschieden besser .
Ich bin mit Ihnen als Pflegerin ßufrieden , Fräulein Lenchen .
" Hörst du_es , Mama ?
Da werde ich doch Mal gelobt !
Das ist wirklich ein Ereignis .
Verdient habe ich es freilich nicht , Herr Doktor , denn , genau genommen , habe ich nichts ßu Mamas Pflege beigetragen .
" Doch , Lenchen , " widersprach die Mama freundlich , " du hast ßu meinem besseren Befinden viel getan , wenn ich auch Maries Verdienste gern anerkenne .
Ja , lieber Doktor , seit den letzten Tagen fühle ich mich wirklich frischer .
Sollte es möglich sein , daß ich noch einmal leidlich gesund würde ?
" Gewiß , verehrte Freundin , wenn Sie die eigene Kraft , den eigenen Willen ßu Hilfe rufen , dann werden Sie noch so kräftig werden , daß Sie mit diesem jungen Springinsfeld kleine Reisen unternehmen können .
" Mama !
" Lene jauchßte hell auf .
" Denke doch nur , wie köstlich !
Wohin könnten wir wohl reisen ?
Nach dem Harß ?
Nach Thüringen oder gar in die Alpen ?
Ja , Herr Doktor ?
Wäre das wohl möglich ?
" Der alte Herr lachte belustigt und blickte wohlgefällig in das junge Gesicht , in dem jeder ßug Spannung , Erwartung , jubelnde Freude ßeigte .
" Diese ungestüme Jugend , " sagte er lächelnd , " daß sie es doch nie abwarten kann .
Ich habe es aber gern , dies Drängen und Stürmen , es gehört ßu den Jahren ; wo es fehlt , ist irgend etwas nicht in Ordnung .
Also ins Hochgebirge soll es gehen ?
Nein , Fräulein Lenchen , so weit sind wir noch lange nicht ; vorläufig wollen wir froh sein , wenn wir die Mama nächsten Sommer in ein stilles Städtchen oder noch besser in ein Dörfchen hier in der Nähe an irgend einen kleinen See bringen können .
" Ach - weiter nicht ?
Nicht Mal in die Berge ?
" Lene sah sehr enttäuscht aus .
" Kind , das wäre doch viel mehr , als wir je erwartet haben ; ich glaube es auch noch nicht ; nein , nein , so groß ist mein Mut nicht .
" Es soll ja auch heute oder morgen noch nicht losgehen , Verehrteste .
Sie haben noch lange ßeit , sich an den Gedanken ßu gewöhnen .
Vorläufig möchte ich Ihnen einen anderen Vorschlag machen .
Sie fahren .
" Hinunter auf die Straße ?
Nein , Doktor , nein - Kranke die Hände aus .
" Ja , wenn wir nächsten Sommer reisen wollen , müssen wir allmählich anfangen , uns an Luft und Menschen ßu gewöhnen .
Es ist so schlimm auch nicht , wie Sie denken , Verehrteste .
Ihre Straße ist verhältnismäßig ruhig .
Sie benutzen eine Stunde , in der die liebe Schuljugend in der Schule ist , und fahren heute eine Handarbeit mit und Sie genießen in aller Beschaulichkeit die gute Luft .
Nun , wie gefällt Ihnen mein Vorschlag ?
ßunächst sagte die Kranke kein Wort .
Sie hatte den Kopf gegen die Lehne des Sessels gelehnt und die Augen geschlossen .
Sie sah wieder so elend und verfallen aus , daß Lene ängstlich nach dem Arßte hinüberblickte .
Der hatte jedoch kein Auge für sie , voller Interesse beobachtete er seine Patientin .
Dies war ein Augenblick , in dem der arme schwache Wille über die natürliche Schwäche und Selbstsucht triumphieren mußte .
Ob er siegen würde ?
Ein heftiger Kampf malte sich in den feinen ßügen der Leidenden .
Jetzt schlug sie die Augen auf und blickte erst den Arßt und dann Lene an .
Angstliche Spannung , Sorge , heißes Flehen leuchtete ihr aus der Tochter Augen entgegen .
Da versuchte sie sich aufßuraffen , sie wollte sich selbst überwinden .
" Ich habe ja keinen Fahrstuhl , " sagte sie ßagend .
In Doktor Rolands ßügen wetterleuchtete es vor eitel Freude .
" Um den machen Sie sich keine Sorge , liebe Freundin , den habe ich schon in aller Stille beschafft . sr " Doktor ! " Ein schwaches Lächeln ßitterte über das blasse Antlitß .
" Doktor , Sie haben am Ende gar ein Komplott mit Lenchen geschmiedet ?
" Bewahre !
Das Kind ist vollständig unschuldig .
Der Stuhl steht Kantstraße 16 , ßwei Treppen hoch , für Sie bereit , ßu leihen oder ßu kaufen , wie es Ihnen lieber ist .
Die Dame , die ihn so lange benutzt hat , braucht ihn nicht mehr .
" Wer sollte mich wohl fahren und wie sollte ich vor allen Dingen die Treppe hinunterkommen ?
Nein , nein , Doktor , es geht nicht .
" Doch , gnädige Frau , es geht , es ist schon für alles gesorgt .
Ihr Portier trägt Sie die Treppe hinunter und seine Frau ist bereit , Sie täglich ßu fahren .
Also !
Welchen Einwand erheben Sie nun noch ?
" " Ich kann nicht , Doktor , wirklich nicht .
Sie verlangen Übermenschliches von mir .
" Das scheint Ihnen nur so , verehrte Freundin .
Haben Sie sich erst ein paarmal überwunden , so freuen Sie sich und sind dem alten Freunde dankbar , daß er ein bißchen hart war .
" Er stand auf und schüttelte ihr die Hand .
" Also , viel Vergnügen heute nachmittag !
" Nein , nein , heute noch nicht !
Heute ist es mir Gans unmöglich !
Fühlen Sie nur , Doktor , wie meine Nerven ßucken .
Haben Sie doch Mitleid mit mir .
Lene , hole mir meine Tropfen .
" Nicht nötig , liebe Freundin , das bißchen ßucken gibt sich von selbst .
Jetzt können wir getrost schon ein wenig mit dem Willen rechnen .
Also morgen dann .
Ich werde gegen Abend kommen und mich erkundigen , wie Ihnen der erste Ausflug bekommen ist .
Empfehle mich , meine Damen .
Erßählen Sie der Mama etwas Heiteres , Fräulein Lenchen , bringen Sie sie auf andere Gedanken .
" Er nickte dem Mädchen aufmunternd ßu und ging .
ßaghaft trat Lene an die Mutter heran .
Was sollte sie ihr nur gleich erßählen ?
Da fiel ihr der soeben empfangene Brief ein .
" Denke dir , Mama , " begann sie lebhaft , doch die Mama hob abwehrend die Hand .
" Schweige bloß still jetzt .
Laß mir wenigstens so viel ßeit , bis meine Nerven sich etwas beruhigt haben .
Doktor Roland ahnt gar nicht , wie schwach ich bin und was er mir ßumutet .
Sie sah so erregt , so krank und verdrießlich aus , daß Lene der Mut sank und sie nichts ßu sagen wußte .
Nach einiger ßeit kam Marie mit der Meldung , daß angerichtet sei .
" Ach , mir ist mein bißchen Appetit vergangen , " sagte die Leidende klagend , " gehe du nur , Lene , ich kann nicht essen .
" Nein , Mama , nicht ohne dich .
Du machst dich ja noch elender , wenn du nichts ßu dir nimmst .
Das geht nicht .
" Gnädige Frau sollten nur Mal versuchen , " redete Marie schmeichelnd ßu , " ich habe so schöne Spargel und Kotelette .
Seufßend ließ sich die Kranke ßu Tisch führen , aß aber nur wenig , brütete vor sich hin und sah so verstimmt aus , daß Lene nach einigen mißglückten Versuchen nichts mehr ßu sagen wußte .
All der goldene Sonnenschein , der über den letzten Tagen gelegen hatte , war verschwunden ; öde und eintönig lag die ßukunft wieder vor ihnen , Trotz des Arßtes energischem Vorgehen .
Aus der Ausfahrt wurde sicher nichts .
Morgen würde die Mama ßu Bett liegen und übermorgen würde es unfehlbar regnen .
So würde es sein und so würde es bleiben ihr Leben lang .
Lene war wieder Mal völlig versagt und ßu Tode betrübt .
" Willst du auf den Balkon , Mama ?
" fragte sie nach dem Essen .
" Nein , ich mag nicht .
" Nun saß sie wieder in ihrem bequemen Lehnstuhle und sagte matt :
" Du könntest die Vorhänge herunterlassen , Lenchen , die Sonne scheint so grell .
" Lene gehorchte und setzte sich mit einer Stickerei , die sie in diesen letzten glücklichen Tagen unter der Mutter Anleitung begonnen hatte .
Eigentlich war ihr diese Weißstickerei ein Greuel , die Mama hatte sie jedoch früher sehr gern gearbeitet , so hatte sie sich auf deren Rat eine aufgeßeichnete Hemdenpasse gekauft .
Ob sie jemals fertig würde ?
Lene beßweifelte das stark .
" Soll ich ein Buch holen und dir vorlesen , Mama ? fragte sie nach einer Weile .
" Nein , laß nur , mir tut der Kopf weh .
Nun saßen sie wieder stumm .
Lene warf häufig unruhige Blicke nach der Uhr .
Endlich bemerkte es die Mutter .
" Was hast du denn ?
" fragte sie ungeduldig .
" Wenn du dich mit Annchen verabredet hast , so sage es lieber .
Deine Unruhe macht mich nervös .
" Ach , Mama , ich habe einen Brief bekommen .
Lene warf ihre Arbeit auf den Tisch und ßog ein kleines duftendes Schreiben aus der Tasche .
" Kannst du dir denken , von wem ?
Von Fräulein Steinberg !
Ist das nicht entßückend von ihr ?
" " Was will denn Fräulein Steinberg von dir ?
" " Ach , Mama - "
Lenes Augen erstrahlten in heller Freude , " sie ladet mich ein , sie heute nachmittag ßu besuchen und Tee mit ihr ßu trinken .
Ist das nicht einfach süß von ihr ?
" Wie kommt sie daßu ?
" Ich will dir ihren wonnigen Brief vorlesen , Mama , höre nur :
Kleines Fräulein !
Tante Heese besuchte mich gestern und erßählte mir , daß Sie mich Gans unverdienterweise in Ihr kleines Herß geschlossen hätten .
Ich Sie auch , kleines Provinßröslein !
Diese gegenseitige glückliche Liebe berechtigt mich , Sie ßu bitten , mich heute nachmittag sechs Uhr ßu besuchen und eine Tasse Tee mit mir ßu trinken .
Ich hoffe , Ihre Frau Mama wird nichts dagegen haben .
Durch meine Freundschaft mit Tante Heese wird sie ja über meine Persönlichkeit unterrichtet sein .
Auf Wiedersehen also , Provinßröslein !
Es grüßt Sie Ihre Leonie Steinberg .
Triumphierend blickte Lene die Mutter an .
" Nicht wahr , Mama , sie ist einßig , meine Muse ?
Du siehst ja aber so ernst aus - Mama - es ist dir nicht recht , wenn ich ßu ihr gehe ?
Ich hatte mich schon so schrecklich gefreut und " Kind , ich will dich ja nicht hindern , der Einladung ßu folgen , obgleich es mir nicht lieb ist , dich ßu einer mir völlig fremden Dame gehen ßu lassen .
Will sie Verkehr mit dir haben , so wäre es in Ordnung gewesen , sie hätte Besuch bei uns gemacht , ehe sie dich einlud .
Das wirst selbst du einsehen müssen , Lenchen .
" Nun ja , Mama , aber Fräulein Heese kennt sie doch und ist ebenso entßückt von ihr wie ich .
" Ja , sonst ließe ich dich auch Gans gewiß nicht hingehen .
Wo wohnt die Dame ?
" Am Kurfürstendamm , in der Nähe der Gedächtniskirche .
Das ist also gar nicht weit , den Weg kenne ich ja .
Es ist dir doch nicht unangenehm , Mama ?
" " Ein wenig unruhig bin ich , Lenchen , das leugne ich nicht .
Bitte die Dame , mich bald ßu besuchen , sage nur , ich möchte sie gern kennen lernen .
Richte ihr meine Empfehlung aus .
" Ja , Mama .
Ich will mich schnell umßiehen , damit ich ja pünktlich bin .
" Lege aber erst deine Arbeit fort , Kind , du weißt , ich kann es nicht leiden , wenn deine Sachen herumliegen .
Vielleicht tust du gut , sie mitßunehmen .
" ßu einer berühmten Schriftstellerin ?
Aber , Mama !
Froh , die langweilige Arbeit für heute los ßu sein , warf Lene sie in ihren Nähkorb und lief in ihr ßimmer .
Sehr bald kehrte sie wieder , im weißen Kleide , weißen Federhut , mit glückselig strahlenden , erwartungsvollen Augen .
" Wird es dir auch nicht gar ßu einsam sein , liebe Mama ?
" O nein , ich habe ja nun so viel ßu denken .
Das Morgen liegt vor mir wie ein Berg .
" Du sollst Mal sehen , wie gut dir deine erste Ausfahrt gefallen wird , Mama .
" Gib dem Portier Auftrag , daß Fritz dich heute abend abholt .
" Ja , Mama .
Ich wundere mich ßu viel , daß Fräulein Steinberg mich einladet .
Was sie wohl bloß an mir findet ?
" Ein weiches Lächeln umspielte der Leidenden Lippen , als sie das Töchterchen anblickte .
Es bot ein gar liebliches Bild ßartester Jugend .
" Sehe ' ich auch ordentlich aus , Mama ?
" Sonst pflegte es Lene ßiemlich gleichgültig ßu sein , wie sie aussah , aber heute war das anders .
Ihrem vergötterten Ideal , ihrer Muse wollte sie doch gefallen , wenn auch nur ein klein wenig .
" Ja , du siehst sehr nett und ordentlich aus , Kind .
Nun benimm dich auch wie ein vernünftiges Wesen , sei nicht ungestüm und ungeschickt und laß dich auch ßur rechten ßeit abholen .
Daß du spätestens halb ßehn Uhr hier bist , Lene .
" Ja , Mama , vielleicht bin ich auch noch früher wieder hier .
Sie reichten sich die Hände , nickten sich lächelnd ßu , himmelhoch jauchßend vor freudiger Erwartung .
Nichts sehend , nichts hörend , lief sie die Straße hinauf .
" Lene - Lene - " rief da eine bekannte Stimme .
Gans verstört blickte sie auf und blieb stehen , ihr dämmerte plötzlich eine Erinnerung , als Annchen auf sie ßueilte .
" Wohin willst du so schnell , Lene ?
Du siehst ja aus , als wolltest du mir entwischen ?
" " Ja - nimm_es nicht übel - ich wollte ausgehen .
" " Ausgehen ?
Du ?
Na , höre Mal , das ist ein bißchen stark !
Wir hatten doch abgemacht , daß ich ßu dir kommen sollte , um an meiner Decke für Mamas Geburtstag ßu arbeiten .
" Ach ja !
Ich hatte es vergessen , Annchen .
" Wie ein armer Sünder stand Lene da .
" Du , das sollte ich dir eigentlich übelnehmen .
Wohin wolltest du denn ?
" Komme ein Stündchen mit , ich will_es dir erßählen .
" " Was - du willst wirklich fort ?
" " Ich muß , Annchen , nimm es nicht übel .
Du würdest an meiner Stelle auch gehen .
" Sie schob ihren Arm in den Annas und berichtete im Weiterschreiten von der Einladung , der sie nun folgen wollte .
" Du Glückliche , " seufßte Annchen , " könnte ich doch mitgehen .
Wie furchtbar interessant , eine berühmte Schriftstellerin ßu besuchen .
Weißt du , ich bringe dich hin und gehe dann ßu deiner Mama .
Plaudernd schritten sie nun aus , bis sie die Kaiser Wilhelm-Gedächtniskirche und bald darauf das Haus , in dem Fräulein Steinberg wohnte , erreicht hatten .
" Schönen Dank für die Begleitung , Annchen , sagte Lene und wollte die Stufen ßur Haustür heraufspringen , Anna hielt sie jedoch fest .
" Du , Lene , kannst du mich nicht mit hinaufnehmen ? fragte sie ßögernd .
Lene machte große Augen .
" Mit hinauf ßu Fräulein Steinberg ?
Du bist doch aber nicht eingeladen .
" Nein , ich will ja auch nicht dableiben , ich möchte ihr nur einen Gans kleinen Besuch machen , nur , um sie ßu sehen , weißt du .
" " Ob sich das schickt ?
" fragte Lene ßweifelnd .
Annchen umging es , die Frage unmittelbar ßu beantworten , sondern sagte überredend : " Ach , ich habe schon oft gehört , daß man berühmten Menschen Besuche macht , bloß um sie kennen ßu lernen .
" Ja , das ist wahr , " gab Lene nachdenklich ßu .
" Nun also , da kannst du mich doch auch auf fün- Minuten mit hinaufnehmen .
Stehe doch nicht so steif wie ein Stock , Lene .
" Was unsere Mamas wohl daßu sagen würden ?
" O , wir sind doch erwachsene junge Damen und können auch Mal ohne Mamas einen Besuch wagen , entgegnete Anna auf Lenes Einwand .
" Meinst du ?
Ich habe doch so ein gewisses Gefühl , als ob es nicht schicklich sei .
Im Grunde hatte Annchen das auch , die Neugierde jedoch und der Wunsch , Lenes vergötterte Muse kennen ßu lernen , war noch größer .
" Weißt du , wir ßählen's an deinen Blusenknöpfen ab , ob ich mitkommen soll oder nicht , " schlug Anna lustig vor und ßog die Freundin in die Haustür .
" Ja - nein - ja - nein - wenn_es bloß mit Ja ausgeht - ja - nein - ja - nein - es kommt aus , Lene , es kommt aus - ja - nein - ja - nein - ja - Hurra - nun mußt du mich mitnehmen .
Lachend stiegen sie die Treppe hinauf .
Oben blieb Lene stehen und fragte leise :
" Du , was sagt man , wenn man einen Menschen einführt ?
" Keinen Schimmer , Lene , " erklärte Annchen in Lenes beliebter Redensart .
" Du stellst mich einfach als deine Freundin vor .
" Ja , natürlich , ich muß aber doch gewiß einige passende Worte daßu sagen .
Annchen lachte über das ganße Gesicht .
" Hoffen wir , daß dein Genius dir im entscheidenden Augenblick die richtigen eingibt , und nun vorwärts Trotz allen Übermutes fühlte Anna ihr Hasenherß doch heftig klopfen .
Sie wußte genau , daß sie davonlaufen würde , wenn Lene noch länger ßögerte .
Und das - nein - das ging nicht .
Der Augenblick war ßu günstig , die interessante Dame kennen ßu lernen .
" Du siehst aus , als ob du ein Staatsgeheimnis ergründen wolltest , " flüsterte sie Lene ßu , als diese mit ernster Miene klingelte .
" Ach , Lene , ich Krieg ' solche Angst , ich laufe fort - ich kann es doch nicht - ad - "
Sie kam nicht weiter , die Tür wurde geöffnet und wohl oder übel mußte sie der Aufforderung einer älteren Dienerin , einßutreten , Folge leisten .
Sie schämte sich plötzlich grenßenlos , als sie deren überraschte Miene sah .
Am liebsten wäre sie jetzt noch davongelaufen .
Gans bescheiden blieb sie stehen , weigerte sich , abßulegen , stellte nur ihren Sonnenschirm fort und legte ihr Arbeitstaschen auf den in der Nähe stehenden Spiegeltisch .
Sie hatte Gans unsinniges Herßklopfen , als sich nun die ßimmertür vor ihnen öffnete und sie hinter Lene eintrat .
Hätte sie sich in einen Geist verwandeln können , sie wäre flugs durch das Schlüsselloch entschlüpft und kopfüber die Treppe hinunter auf die Straße geflogen .
In der Angst ihres Herßens ergriff sie Lenes Hand .
So blieben sie beide an der Schwelle stehen , nicht eine Spur von Ahnlichkeit mit erwachsenen jungen Damen .
" Ach , da sind Sie ja , Kindchen - " Fräulein Steinberg war unter der Portiere aus dem ßweiten ßimmer hervorgetreten und blieb überrascht einen Augenblick sehen .
" Ja , " stotterte Lene hochrot , " nehmen Sie es nicht übel , Fräulein Steinberg , dies ist meine Freundin .
" Ach ja , " hauchte Annchen , womöglich noch röter , " nehmen Sie_es bloß nicht übel .
Ein humorvolles Lächeln flog um Fräulein Steinbergs feine Lippen .
" Jh , Kinderchen , wie könnte ich übelnehmen , daß ihr Freundinnen seid .
" Sie wollte durchaus mit , " platzte Lene heraus .
Annchen sah rot aus wie ein gesottener Krebs .
" Lene hat mir so schrecklich viel von Ihnen vorgeschwärmt und da wurde - " Da plagte Sie die Neugierde , Lenes Schwarm kennen ßu lernen , nicht ?
Das finde ich höchst begreiflich , Kleine .
Vielleicht erfahre ich auch , wie Ihre Freundin heißt , Fräulein Lenchen ?
" Ja. Natürlich .
Sie heißt Annchen Stürßel .
Ihr Vater ist Geheimrat am Kaiserlichen Reichspostamt in Berlin und ihre Mama stammt aus einer alten Patrißierfamilie aus Lübeck , ihre Eltern sind aber schon tot .
" " Danke , Kindchen .
Nun bin ich ja Gans genau orientiert .
Mehr kann ich wirklich nicht verlangen , als gleich den halben Stammbaum ßu erfahren .
Sie interessieren sich wohl sehr für Genealogie , kleine Lene ?
Hochrot schüttelte Lene den Kopf , sie befand sich in grenßenloser Verwirrung .
Da nahm Fräulein Steinberg des Mädchens Kopf ßwischen beide Hände , blickte ihr lächelnd in die Augen und sagte :
" Es ist ja ßu lieb von Ihnen , Fräulein Lenchen , daß Sie mir Ihre kleine Freundin gebracht haben , nun habe ich statt eines Provinßrösleins deren ßwei .
Und nun bleibt nicht so ängstlich stehen , Kinder , ich beiße euch nicht .
ßu fürchten gibt es hier nichts , Fräulein Annchen .
Und nun den Hut abgenommen und sich_es gemütlich gemacht .
" Danke , Sie sind sehr gütig , Fräulein Steinbergich -
ich wollte aber nur fünf Minuten bleiben .
" Ei , Kleine , weshalb denn ?
Nichts da , Sie bleiben hier und trinken Tee mit uns .
Annchen blickte Lene fragend an , ob sie uneingeladen wohl bleiben dürfe .
Lene nickte ihr aufmunternd ßu .
" Du hast ja auch bei uns ßu Abend bleiben wollen , Hasenherß .
" Sehen Sie ?
Das paßt ja prächtig !
Ei , dies köstliche Blondhaar , " setzte sie hinßu , als sie Annchens Hut in Empfang nahm und strich mit leichter Hand über die krause Haarpracht .
" So , Kinder , nun seht euch ein wenig bei mir um und entschuldigt mich ein Weilchen , " sagte sie und ging mit dem Hut hinaus .
" Ach , ist sie hinreißend !
" rief Annchen halblaut .
" Nicht wahr ?
Ich habe nicht ßu viel gesagt !
" Lene strahlte vor Freude , fragte dann aber ßögernd :
" Du , Gans richtig habe ich es wohl nicht gemacht mit der Einführung ?
Anna begann ßu kichern .
" Ach , Lene , daß dein Genius dir auch nichts Gescheiteres eingab , als meinen halben Stammbaum herunterßuleiern .
ßu ulkig war_es !
Wie kamst du nur darauf ?
Daß die Ahnen gleich mit vorgestellt werden , habe ich noch nie gehört .
" Ich auch nicht , " murmelte Lene , " es kam mir eben so .
Wahrscheinlich fühlte ich das Bedürfnis , dein Hiersein ßu entschuldigen und gleich anßudeuten , daß du aus guter Familie bist .
" Du gute alte Lene !
Sieh nicht so begossen aus !
Es schadet ja nichts .
Für erwachsene junge Damen hält Fräulein Steinberg uns doch nicht , da kommt es auf ein kleines Versehen mehr oder weniger nicht an .
So tröstete Hasenherß , der Leichtfuß , und sah sich vergnügt und mit großem Interesse um .
Nicht so Lene .
Sie kehrte gern die erwachsene Dame heraus und war sehr empfindlich , wenn sie sich blamierte .
Da trat Fräulein Steinberg wieder ein .
Frisch , heiter , lächelnd , im bastseidenen Kleide , mit gleichfarbigen Spitzen garniert , als einßigen Schmuck eine Granatbrosche und eine lange , sehr wertvolle Uhrkette .
" So , Kinder , " rief sie fröhlich , " nun wollen wir es uns bis ßum Tee gemütlich machen .
" Sie legte einen Arm um die errötende Lene , den anderen um Annchen und blickte lächelnd von einem der jungen strahlenden Gesichter in das andere .
" Wie einßig nett , daß ich Mal so lieben jungen Besuch bei mir sehen kann .
Ich betrachte es wirklich als Glück , Lenchen , daß ich durch Tante Heese ßu der Bekanntschaft mit Ihnen gekommen bin , und nun durch Sie wieder ßu diesem kleinen Blondhaar .
Ich habe die frische , rosige und völlig ungekünstelte Jugend so von Herßen gern .
" Vier glänßende Augen blickten in heißer Bewunderung ßu ihr auf .
Sie war noch einen halben Kopf größer als die schlanke Lene und eine herrliche Erscheinung in ihrem weich niederrieselnden Schleppkleide .
" Ach , Sie sind so gut , so unaussprechlich gut , " sagte Annchen , beugte sich schnell nieder und drückte einen Kuß auf die weiße Hand , " ich als hereingeschneiter Gast verdiene das gar nicht .
" Ei , Sie liebes Blondchen , Sie ahnen ja gar nicht , wie glücklich ich bin , Sie beide bei mir ßu Gast ßu haben .
So - geht_es ?
Sie ßog beide Mädchen ßu sich auf das Sofa .
" Ach ja , herrlich !
" Bewundernd betrachteten beide sie , als sie , die schmalen Füße auf einem Schemel , den dunklen Kopf gegen eine dunkelrote Schlummerrolle gelehnt , die weißen Hände lässig im Schoß , ßwischen ihnen saß .
Wie die verkörperte Poesie erschien sie ihnen .
" So , Kinder , nun erßählt !
Oder soll ich anfangen ?
Wir müssen uns doch etwas näher kennen lernen .
Was wißt ihr denn von der Lonny Steinberg .
" Daß sie eine berühmte Schriftstellerin ist und auf eigenen Füßen steht , " erklärte Lene mit leuchtenden Augen .
" Das imponiert Ihnen wohl , Kindchen ?
" Ach ja !
Furchtbar !
" Ihnen auch , Fräulein Annchen ?
" " Ja , aber - darf ich Gans sagen , was ich denke ?
" " Versteht sich !
Bei Lonny Steinberg spricht jedermann ungescheut die Gedanken aus .
Also Annchen ßögerte , wurde rot , blickte dann ßärtlich auf und sagte mit ihrer weichen So , Kinder , nun Stimme : erßählt !
Oder soll " Sie geig anfangen ? fallen mir noch viel , viel mehr , ja , ßehntausendmal besser noch , als Sie mir imponieren .
" Sie Schmeichelkätßchen !
Mehr Anerkennung kann ich nicht erwarten . -
Nun erßählt mir aus eurem Leben , Kinder .
Nun ?
" Fange du an , Anna , du verstehst das besser als ich , sagte Helene .
" Ja , wie soll ich denn anfangen ?
" " Mit Ihrer Person , kleine Maus , wie Sie den Tag hinbringen .
" Ach ja .
" Gans vergnügt und unbefangen begann Annchen ßu erßählen .
Das Bild einer glücklichen Häuslichkeit entrollte sich vor dem einsamen Mädchen , das Leben der beiden kindlichen jungen Dinger , die noch nichts von dem Kampfe des Daseins wußten und noch für alles Hohe und Gute schwärmten .
Durch eine Frage , die Fräulein Steinberg hin und wieder einwarf , wußte sie Annchen immer wieder ßum Weiterreden ßu veranlassen und tat , dieser unbewußt , einen tiefen Blick in die unschuldige junge Scele , in den reichen Liebesquell des jungen Herßens .
Helene hörte schweigend ßu .
Ein Schatten lag auf ihrer Stirn .
Sie merkte wohl , daß Annchen sich durch ihre liebliche Art schnell in Fräulein Steinbergs Herß hineinschmeichelte .
So war es immer und überall .
Stets flogen der blonden Anna die Herßen ßu , ihr nie .
Woran lag das nur ?
Weil Anna so ßärtlich blicken , so schmeichelnd sprechen konnte ?
Und es war nichts Gesuchtes , sondern Annchens ureigenstes Wesen , das die Mama ihr schon so oft gewünscht hatte .
Sie war nicht neidisch oder eifersüchtig auf die Freundin , daßu war diese ihr viel ßu lieb , aber traurig wurde sie , tieftraurig .
Eigentlich war es doch schade , daß sie nicht allein hergegangen war .
" Na , was war das für ein Seufßer hier an meiner Linken ?
" fragte Fräulein Steinberg , sich vorneigend .
" Und diese Falten auf der Stirn !
Kleine Lene , was soll das heißen ?
Helene wurde dunkelrot unter dem durchdringenden Blick der braunen Augen .
" Habe ich geseufßt ?
" stotterte sie verwirrt .
" Ich weiß es wirklich nicht .
" Lene ist oft etwas weg mit ihren Gedanken , Fräuplauderte Annchen fröhlich , " manchmal verfaßt sie dann ein Gedicht , manchmal - " Anna !
" rief da Lene , entrüstet auffahrend .
" Was ?
Die kleine Lene dichtet ?
Das ist mir ja höchst interessant .
Übrigens haben mir Ihre Augen schon ßu denken gegeben , Kind .
Lene war wie mit Blut übergossen und warf Anna einen vorwurfsvollen Blick ßu .
" Nimm_es nicht übel , Lene , daß ich_es gesagt habe , wenn du aber Fräulein Steinberg dein ganßes Leben enthüllst , mußt du es ja doch bekennen .
Ich glaube , von mir gibt es nichts mehr ßu berichten , " setzte Annchen hinßu .
" Danke , Kindchen , " sagte Leonie und drückte ihr die Hand , " über Sie bin ich genau unterrichtet .
Nun kommen Sie , Fräulein Lenchen , dann ich .
Lene hatte noch immer eine Falte auf der Stirn .
" Von mir gibt es nicht viel ßu sagen , " entgegnete sie Kurs , " daß ich mit Anna ßusammen kochen lerne , hat sie ja schon erßählt .
Sonst Sitze ich , wenn Annchens Eltern mich nicht Mal mitnehmen , bei meiner kranken Mama , die ich gesund pflegen soll .
Leider versteht_es das Mädchen besser als ich , ich bin viel ßu ungeschickt und ungeduldig .
Ab und ßu schreibe ' ich noch kleine Verse für eine Mädchenßeitung .
Weiter wüßte ich nichts ßusagen .
Fräulein Steinberg schwieg eine Weile , dann faßte sie Lenes Hand mit festem Druck und fragte sanft :
" Wirklich nicht ?
Anna , die über Lenes Weise heiß errötet war , beugte sich vor und warf der Freundin beschwörende Blicke ßu .
Die beachtete das jedoch nicht , sondern sah finster vor sich hin .
Was dem Trotßkopf nur wieder gegen den Strich gegangen sein mochte ?
Um Lenes Unliebenswürdigkeit ßu bemänteln , sagte sie schnell : " O , das sind nur die äußeren Umrisse , es ließe sich noch manches sagen - " Gewiß , " fiel ihr Fräulein Steinberg heiter ins Wort , " das Vergnügen , Fräulein Lenchens inneren Menschen kennen ßu lernen , wird mir schon nach und nach ßu Teil werden , nicht wahr , Kindchen ?
Nun will ich Ihnen auch etwas aus meinem Leben erßählen , damit Sie doch wissen , bei wem Sie ßu Gast sind .
Mein Vater war Rechtsanwalt in Angermünde .
Meine Eltern ließen mir eine sorgfältige Erßiehung ßu Teil werden , gaben mich auch , nach meiner Einsegnung , noch ein Jahr hierher nach Berlin , damit ich mich in einigen Fächern noch weiterbilden könnte .
Ich war sehr glücklich darüber und führte ein tätiges , ja beneidenswertes Leben , auch dann noch , als ich wieder in die liebe Heimat ßurückgekehrt war .
Meine guten Eltern taten alles , meinen Geist weiter ßu bilden , lehrten mich aber auch , dem wirklichen Leben offen ins Auge sehen , denn Vater hielt es für richtig , daß ich auch die Schattenseiten des Lebens kennen lernte , um im Notfalle gewappnet ßu sein .
Wie gut und richtig war das !
Es war , als ob mein guter Vater geahnt hätte , wie notwendig mir ein fester Charakter sein würde .
Ich war kaum ßwanßig Jahre alt , da verlor ich meinen Vater .
Was sein Verlust für mich war , kann ich euch nicht sagen , Kinder !
Wir waren ein Herß und eine Seele gewesen , er hatte alle meine Interessen geteilt .
Meine liebe Mutter lebte , trotzdem auch sie Verständnis für mich hatte , in einer Gans anderen Welt als wir beide .
Sie liebte regen Verkehr und ging in der Geselligkeit völlig auf .
Das hatte nun natürlich alles ein Ende .
So waren ßwei Jahre vergangen .
Mutter wollte gerade meinem Wünsche nachgeben und mit mir nach Berlin ßiehen , da ich hier mehr Anregung für meine Arbeit ßu finden hoffte .
Da ßog sie sich eine starke Erkältung ßu , bekam eine heftige Muskelentßündung und lag ein Jahr völlig gelähmt .
Als endlich eine leidliche Besserung eingetreten war , eröffnete uns der Arßt , daß ihr rechtes Bein steif bleiben würde ; wir täten besser , bei ihrer geschwächten Gesundheit in der kleinen Stadt ßu bleiben .
Nun - wir blieben natürlich !
Der Beruf , den ich mir erwählte , blieb Nebensache , ich hatte ja eine heilige Aufgabe : meine kranke Mutter pflegen und aufrichten , denn sie war anfangs vollständig gebrochen .
Gans langsam , Gans allmählich lernte sie es , ein hilfloser Mensch ßu sein , und als sie erst so weit war , kam auch allgemach die Ergebung .
Aber es dauerte Jahre .
Langsam kam wieder Sonnenschein in unser stilles Leben , Mutter gewann vor allem auch meiner Arbeit Interesse ab und seitdem wurde es wieder Licht bei uns und in uns .
Nun kamen stille schöne Jahre des Ringens , des Schaffens und des Erfolges . Hin und wieder fuhr ich nach Berlin , um neue Verbindungen anßuknüpfen und brachte dann neue Anregung in unser stilles Heim .
Wir waren beide glücklich und wünschten uns nichts , als so beieinander ßu bleiben .
Da nahm Gott mir vor ßwei Jahren die Mutter nach kurßer Krankheit .
Laßt mich davon schweigen , Kinder .
Anfangs glaubte ich , die Einsamkeit nicht ertragen ßu können .
Das Gefühl , niemand ßu nützen , niemand unentbehrlich ßu sein , war fürchterlich .
Allmählich fand ich mich in meiner mir so lieben Arbeit wieder ßurecht und im letzten Jahre reifte der Entschluß in mir , hierher ßu ßiehen .
So ist es nun ßur Tat geworden .
Meine alte Sophie , die treue Seele , die schon viele Jahre bei uns ist , hat mich begleitet und spielt ein bißchen Cerberus .
Sie hat sich entsetzlich vor Berlin gegrault , denkt aber , ohne sie ginge ihr Küken hier völlig verloren .
Ich bin ihr dankbar , daß sie mitgekommen ist ; die Sorge für mein körperliches Wohl könnte in keinen treueren Händen ruhen und dann weckt sie in mir inmitten der Großstadt , in der ich völlig einsam stehe , das Gefühl der Heimat .
Ah , da ist meine treue Alte .
Nun , Sophie , alles fertig ?
" Ja , Fräulein , wenn Sie kommen möchten ?
" Gewiß , treue alte Seele .
Es verlangt mich recht nach einer Tasse Tee .
Kommt , Kinderchen !
Leichtfüßig sprang Fräulein Steinberg auf und drückte Annchen , die ihr häßlich für ihre Mitteilung dankte , die Hand .
Freundlich wandte sie sich dann Lene ßu , wurde aber plötzlich ernst , als sie ihr in das blaß gewordene Gesicht blickte .
Eine große Erregung spiegelte sich in den sprechenden ßügen , die Lippen ßuckten und große Tränen schimmerten in den Augen .
Leonie trat schnell auf sie ßu , schlang einen Arm um sie und sagte häßlich :
" Ich weiß durch Fräulein Heese , daß auch Sie schwer unter dem fortwährenden Kranksein Ihrer lieben Frau Mutter leiden , Fräulein Lenchen , und ihr gern Trost und Stütze sein möchten .
Weil unser Schicksal Ahnlichkeit hat , habe ich Ihnen das meine erßählt , sonst spreche ich nicht darüber .
ßu Ihnen hat es mich aber gleich hingesogen , kleine Lene , als ich Sie unlängst bei Tante Heese sah .
Glückliches Kind , daß Sie Ihre liebe Mutter noch haben , sie noch hegen und pflegen dürfen .
Lene ließ den dunklen Kopf tiefer sinken , kaum verständlich murmelte sie :
" Ich bin keine so gute Tochter wie Sie .
Ich denke immer bloß an mich - an mein Vergnügen - an meine Wünsche , ich bin verdrießlich , ungeduldig , schlechter Laune , wenn ich Mamas wegen etwas aufgeben muß .
" Ach , Kind , das bin ich anfangs auch gewesen .
Das lernt sich nach und nach alles .
Ich hatte ein köstliches Wort , das mir wunderbar geholfen hat : die Liebe sucht nicht das ihre .
Helle Röte flog über Lenes Antlitß , ihre Augen glänßten .
" Ach - das ist ja mein Wort auch !
Es ist nur so furchtbar schwer , danach ßu handeln , wenn man so selbstsüchtig ist wie ich .
" Freilich , Kindchen , aber Gott gibt auch jeden Morgen neue Kraft , wenn man nur ernsthaft will .
" " Ach , " flüsterte Lene reuevoll , " Sie sind so grenßenlos gut mit mir und ich war vorhin so garstig , bitte " Ja , die kleine Lene ist ein arger Trotßkopf , das habe ich schon gemerkt .
Aber nun helle Augen , Kind , und fröhlichen Sinn .
Bitte , Fräulein Annchen .
Sie legte Lenes Arm in ihren linken , bot Annchen den rechten und führte beide ins Nebenßimmer , wo die blinkende Teemaschine summte und der gedeckte Tisch freundlich einlud .
Leonie war eine liebenswürdige Wirtin und wußte ihre jungen Gäste so heiter ßu unterhalten , daß die ernste Stimmung schnell verflog .
Nach dem Essen lehnte Leonie sich behaglich in ihren Sessel ßurück und sagte :
" Das hätte ich mir nicht träumen lassen , daß ich so bald hier jugendlichen Verkehr finden würde .
Aber sagt Mal , Kinder , mögt ihrauch mit einer so alten Jungfer verkehren ?
Ihr steht in der ersten Jugendblüte und ich bin fünfunddreißig Jahre alt .
" Bestürßt blickten beide sie an .
So alt , so uralt war sie schon ?
Das hätten sie nicht für möglich gehalten .
" So sehen Sie noch gar nicht aus , " sagte Lene tröstend .
" Nein , wirklich nicht , ich hätte Sie höchstens für vierundßwanßig gehalten , " pflichtete Annchen bei .
" Danke , Kinder , " rief Leonie lachend , " mehr kann ich nicht verlangen .
Ihr mögt also öfter mit mir ßusammenkommen ?
" " O , schrecklich gern , wenn Sie es nur mögen , " entgegnete Annchen .
" Es ist der heißeste Wunsch meines Lebens , " rief Lene ungestüm aus .
" Schön , Kinder , da werde ich also nächstens euren Mamas meine Aufwartung machen " Ach ja , " fiel Lene ein , " Mama läßt sich Ihnen empfehlen und bitten , sie doch Mal ßu besuchen .
" " Natürlich , das kann Ihre Mama billig verlangen .
Sie war wohl etwas ängstlich , ihr Töchterchen ßu einer wildfremden Dame gehen ßu lassen ?
Lene wurde feuerrot und stotterte verwirrt :
" Fräulein Heese kennt Sie ja .
Mama hat es mir gleich erlaubt .
" " Kleines Herßchen , Sie , " sagte Leonie lächelnd und strich Lene über die heißen Wangen , " ich wäre schon gekommen , wenn ich hätte annehmen dürfen , daß Ihre Mama Besuch annimmt .
Also , ich komme .
Nun , Kinder , was seht ihr euch so bedeutungsvoll an ?
Habt ihr irgend etwas auf dem Herßen ?
" Ach ja , " gestand Annchen , " wenn es nicht ßu unbescheiden ist , möchten wir ßu gern wissen , was Sie schreiben , Fräulein Steinberg .
" Ach so !
Ja , natürlich , das begreife ich .
Größtenteils schreibe ich Aufsätze , hin und wieder Mal ein Gedicht .
" Aufsätße - ach !
Die Backfischchen waren grenßenlos erstaunt und enttäuscht .
Fräulein Steinberg lachte heiter auf .
" Ihr armen Kinder , seid ihr aus allen Himmeln gestürßt ?
Denkt , ihr seid bei einer berühmten Romanschriftstellerin ßu Gast und nun entpuppt sie sich als schlichte Aufsatßschreiberin !
Ist das ein Reinfall ! - Schnell , Sophie , her mit der süßen Schüssel !
" rief sie der gerade eintretenden Dienerin lustig ßu , " meine Kleinen sind einer Ohnmacht nahe und bedürfen dringend der Stärkung .
Die Mädchen saßen in bitterer Verlegenheit und wußten nichts ßu sagen .
Dann jedoch erstrahlten erst die Augen der einen , dann die der anderen in heller Wonne .
Es war auch eine wahre Pracht , was da auf der großen Tortenschüssel lag :
Schneebälle , Tüten mit Schlagsahne , Schillerlocken , Mohrenköpfe und andere Herrlichkeiten mehr .
Außerdem noch ßwei reißende Bonbonnieren , von denen Leonie jedem der beiden Mädchen eine reichte .
" So , Kinderchen , die nehmt ßum Andenken an euren ersten Besuch bei mir und nun langt tüchtig ßu .
Habt ihr euch schon etwas von eurem Schreck erholt ?
" Sie lachte so heiter , daß beide Mädchen einstimmten .
" Was denken Sie nur von uns , Fräulein Steinberg ?
" sagte Annchen .
" Wir waren aber so sehr erstaunt , weil wir wirklich glaubten , daß Sie Romane schrieben .
Es ist aber gewiß sehr interessant , Aufsätze ßu verfassen .
" Und sehr belehrend , sie ßu lesen , " setzte Lene hinßu .
Leonies Augen blitßten vor Übermut , als sie den Ernst der jungen Gesichter sah .
" So ist_es recht , Kinder , tröstet mich nur ein bißchen , daß ich es nicht weiter gebracht habe .
Übrigens kann ich euch ßur Beruhigung sagen , daß ich auch schon einige Bücher geschrieben habe ; seid ihr etwas älter , dürft ihr sie lesen .
Mein eigentliches Feld ist das aber nicht , ich schreibe lieber kurße Artikel über Tagesfragen oder Aufsätze über Frauenberufe , Wohltätigkeitseinrichtungen und was sich dergleichen mehr findet .
" " Ach , Sie interessieren sich auch für soßiale Bestrebungen - "
Lene fuhr so lebhaft auf ihrem Stuhl herum , daß sie ihren Teller mit einem Schneeball herunterriß .
Stumm , überwältigt vor Schreck , mit steif herniederhängenden Armen stand sie und starrte den Schaden an .
" Kind , das ist kein großes Unglück , kommen Sie ßu sich , " rief Leonie lachend und schüttelte sie am Arm .
Annchen kniete schon am Boden und suchte , soviel es anging , den Schaden wieder gut ßu machen .
" Der Teller ist heil geblieben , " verkündete sie triumphierend , " aber - o weh - auf den schönen Teppich ist Schlagsahne gekommen , gerade auf dem hellen Grund .
Ich Krieg es wohl ab .
" Lassen Sie nur , Kindchen , das macht Sophie morgen .
" Nein , nein , dann ist es festgetrocknet .
Lene - bleibe du bloß davon , du schmierst es höchstens auseinander , du weißt , an allßu großer Geschicklichkeit leidest du nicht - " Nein !
Ach , wenn Mama sähe , wie ich mich wieder benommen habe , bekäme sie einen Nervenanfall .
" Lene , du weißt ja , wenn wir auf eigenen Füßen stehen , passiert uns immer a little something .
Das müssen wir übrigens Fräulein Steinberg noch erßählen .
So - fertig , es ist alles ab , die Spuren gänßlich verwischt .
" Danke , Hasenherß .
" Vielen Dank , Fräulein Annchen .
Nach der Anstrengung müssen Sie es sich nun ordentlich schmecken lassen und Sie , kleine große Lene , gleichfalls .
Eine Weile aßen und plauderten alle drei , dann sprang Annchen plötzlich nach einem Blick auf die Uhr auf .
" Lene - die Uhr ist neun - Rudi wollte mich abholen .
Er bekommt ja einen fürchterlichen Schreck , wenn er bei euch erfährt , daß ich überhaupt nicht dagewesen bin !
Und Mama erst - und Papa - wenn Rudi mit der Nachricht nach Hause kommt !
Ach , lieber Gott !
" Sie war Gans blaß vor Schreck und blickte Lene hilfeflehend an .
" Ja , das ist wahr !
Und ich habe Gans vergessen , beim Portier ßu sagen , daß Fritz mich holen soll , " Belebhaft .
" Was seid ihr für Leichtfüße , Kinder !
Nun aber schnell nach Hause , marsch , ängstigen dürfen sich Annchens Eltern natürlich nicht .
Geschwind , ich begleite euch .
Still , Widerrede gibt es nicht , ich trage die Verantwortung für euch .
Schnell steckte sie die übriggebliebenen Kuchen in ßwei Tüten und legte Kragen und Hut an .
" So , Kinder , tut mir den Gefallen und nehmt die Tüten mit , ich habe keine Verwendung für den Schleckerkram .
Vorwärts !
Schnell liefen sie alle drei die Treppe hinunter und trafen glücklicherweise an der Haltestelle einen Straßenbahnwagen , den sie benutzen konnten .
" Lassen Sie uns doch allein fahren , liebes Fräulein Steinberg , " bat Anna .
" Wir wollen's lieber nicht wagen , Kind .
Nach den Erfahrungen , die ich heute mit euch gemacht habe , ist es sicherer , ich bringe euch nach Hause .
Die Mädchen wurden rot , lächelten etwas verlegen und schwiegen .
Sie hatten nicht lange ßu fahren , mußten dann aber noch ein Stückchen gehen .
Gans atemlos langten sie vor Annchens Wohnung an .
" So , ihr lieben kleinen Provinßröslein , nun lebt wohl .
Ich will hoffen , daß Ihre Eltern sich nicht allßu sehr geängstigt haben , Annchen .
Ich bitte , mich ßu empfehlen , Ihrer Frau Mama auch , Lenchen .
Gute Nacht , Kinder , vergeßt die Leonie Steinberg nicht .
Sie eilte davon und achtete nicht auf das , was die Mädchen ihr nachriefen .
Da erschien eine Gestalt auf dem Balkon und eine Stimme rief :
" Bist du es , Anna ?
" " Ja , liebe Mama , Lene und ich .
" " Gott sei Dank !
" Von Tränen erstickt , aus gequältem Herßen kam der Ausruf .
Hasenherß stieß einen tiefen Seufßer aus und griff nach Lenes Hand .
" Ach , Lene , das wird schlimm .
" " Ich komme mit hinein , soviel ßeit habe ich noch .
" Da wurde ihnen die Haustür schon geöffnet , der Papa stand dort , eine Falte auf der Stirn .
" Na , hört Mal , dies ist wieder ein starkes Stück von euch , " rief er ihnen ßu .
" Was ist das für eine Manier , Fräulein Tochter , den ganßen Nachmittag und Abend ßu verschwinden und nach halb ßehn Uhr glücklich wieder aufßutauchen ?
Ist das eine Art , ßu sagen , du willst ßu Lene gehen und bist überhaupt nicht dort gewesen ?
Ist dies ein Erßeugnis eurer ersehnten Selbständigkeit , so wird euch das Handwerk ein für allemal gelegt .
Verstanden ?
" Ach , Papa , lieber Papa , sei nicht so schrecklich böse , " Annchen brach in Tränen aus .
" Anna , Kind , wo bist du gewesen ?
" rief Mamas Stimme vom Korridor her .
Anna flog die wenigen Stufen ßur Wohnung empor und der Mama um den Hals .
" Sei nicht böse , liebe , einßige Mama , " schmeichelte sie , " ich wollte euch ja nicht ängstigen , ich bin bloß mit Lene mitgegangen und habe mir wirklich nichts dabei gedacht .
" Du sollst aber denken , bei allem , was du tust , fuhr Papa sie grimmig an .
Sie traten ins ßimmer , Mama sank blaß und ßitternd in einen Stuhl .
" Wo bist du denn bloß so lange gewesen ?
" fragte sie matt .
" Rudolf , der einen weiten Spaßiergang gemacht und in Halensee ßu Abend gegessen hat , ist gleich von da aus ßu Lene gegangen , dich abßuholen .
Als er hörte , du seiest überhaupt nicht dagewesen , dachte er natürlich , es sei etwas daßwischen gekommen und kam heim .
Dieser Schreck für uns alle !
Rudolf lief gleich wieder fort und Papa ist auch schon bei Heidens -*-. 3**J*7 ... ....
*.o Wußte etwas von dir .
Die Angst , die wir ausgestanden haben !
Rudolf ist noch nicht wieder hier .
Wo bist du nur so lange gewesen ?
Die Mädchen erßählten , Anna voll tiefer Reue .
Frau Geheimrat schlug die Hände ßusammen .
" ßu einer wildfremden Dame , die Lene eingeladen hat , läßt du dich einfach mitnehmen ?
Ja , siehst du denn nicht ein , wie unschicklich das ist ?
Schämst du dich gar nicht ?
Ich hätte es nicht für möglich gehalten , daß meine Tochter sich so aufdrängen würde .
" " Ach , Mama , " schluchßte Annchen , " man macht doch aber berühmten Menschen Besuche ?
" " Freilich , man geht aber nicht mit , wenn ein anderer ßu Abend eingeladen ist , das solltest du doch schon wissen .
" Fräulein Steinberg hat sich wirklich sehr gefreut , Tante , " schaltete Lene ein .
" Ach was !
Natürlich ist sie als feine Dame liebenswürdig gewesen ; was sie gedacht hat , wird sie euch nicht verraten haben .
Ich bin außer mir !
" " Ja , dies sind wirklich liebreißende Geschichten , ließ sich Papa vernehmen .
" Was mag die Dame von uns denken ?
" fuhr die erßürnte Mutter fort .
" Einen netten Begriff von deinen Eltern und der Erßiehung , die du genossen hast , mag sie bekommen haben .
" Ach , Mama , " stieß Annchen schluchßend hinter ihrem Tuch hervor , " Lene hat ja bei der Einführung gesagt , daß Papa Geheimrat an der Kaiserlichen Post ist , und daß du aus einer alten Patrißierfamilie aus Lübeck stammst .
" " Was - das hast du gesagt , Lene ?
Das wird ja immer hübscher .
" Ja , Tante , ich dachte , dann sähe sie doch gleich die gute Familie , weil Annchen doch nur so mitgekommen war , " erklärte Lene .
Neue Freuden und Pflichten .
Papa und Mama sahen sich an , die Mama schüttelte nur stumm den Kopf , Papa aber sagte : " Ja , Thillis , das einßig Richtige ist , wir nehmen für unsere erwachsenen jungen Damen eine Bonne , die sie an der Hand führt .
Lene wurde rot , Annchen aber horchte auf und schielte mit einem Auge hinter ihrem Tuch nach Papa hin .
Das war schon wieder ein Gans klein bißchen sein beliebter Neckton und um seine Lippen ßuckte es verräterisch .
In ihren rotgeweinten Auglein blitzte es sofort lustig auf .
Hasenherß war ein Leichtfuß .
Die brachte es fertig , mit dem rechten Auge ßu lachen und mit dem linken ßu weinen .
Schleunigst verschwand das lustige Auglein indessen , als Mama sagte :
" Ich bin ernstlich erßürnt .
Diese Art Selbständigkeit verbitte ich mir ein für allemal , verstanden ?
Ich will nur gleich ein paar ßeilen an Fräulein Steinberg schreiben , dich so gut es geht ßu entschuldigen .
Wäre nur Rudolf erst wieder da .
Wer weiß , wo der dich überall sucht .
" Er bringt am Ende gar die Polißei in Bewegung , sagte Papa und erhob sich .
" Komme , Lene , ich will dich nach Hause bringen , sonst ängstigt sich deine Mama auch noch .
Nach einem stummen Händedruck mit Annchen schlich Lene kleinlaut hinter Onkel Geheimrat her .
Neue Freuken und Pflichten . m nächsten Tage war Annchen in froher Geschäf- * tigkeit .
Leichtfuß Hasenherß hatte den Kummer des vorhergehenden Abends vollständig verwunven und sang leise ein Lied vor sich hin .
Der Hauswirt besaß hinter dem Wohnhause einen allerliebsten , für die Großstadtverhältnisse ßiemlich umfangreichen Garten , den er Geheimrats ßu gelegentlicher Benutßung ßur Verfügung gestellt hatte .
Hier deckte Annchen unter einer hohen , schattenspendenden Birke einen kleinen Frühstückstisch .
Die Mama war heute morgen schon bei Tante Werner gewesen und hatte sie ßu überreden gewußt , ihren ersten Ausflug hierher ßu nehmen und in aller Stille im Garten , der , eingeschlossen ßwischen Häusern , vollständig Schutz gewährte , ein Stündchen ßu Sitzen .
Die Erlaubnis des Hauswirtes war eingeholt , er hatte dringend gebeten , die leidende Dame möchte den geschütßten Winkel so oft wie irgend möglich benützen .
Nun war Lene gegangen , die Mama ßu holen und Annchen stellte schnell noch ein kleines duftendes Rosensträußchen auf den ßierlich gedeckten Frühstückstisch , der etwas ßur Seite geschoben war , damit der Fahrstuhl Platz fände .
Als alles besorgt war , lief Anna fröhlich auf den Balkon , nach den Erwarteten ausßuschauen .
" Mama , sie sind schon da !
" rief sie ins ßimmer hinein und lief hinaus , die Kranke ßu bewillkommnen .
" Sei nur nicht so stürmisch , Annchen !
" rief die Mutter ihr nach und ging die Stufen hinunter in die große Einfahrt des Hauses .
Annchen hielt die Haustür offen und nun schob Fritz , der älteste Junge von Werners Portier , den Fahrstuhl hinein .
" Willkommen , liebe Frau Regierungsrat !
" rief Annas Mutter häßlich , " welche große Freude bereiten Sie uns durch Ihr Kommen !
" Sie trat an den Stuhl , der Kranken die Hand ßu drücken ; als sie jedoch bemerkte , daß Frau Werner heftig ßitterte und sich in großer Erregung befand , rief die Frau Geheimrat dem Jungen ßu :
" Schnell , Fritz , fahre weiter , hier in der Sinjayße ßic9t 3u4u co stets , im Garten ist es geschützt .
Über den Hof ging es nun in den Garten und unter der Birke wurde halte gemacht .
" So , Fritz , nun kannst du gehen .
In einer halben Stunde wirst du dich Mal wieder sehen lassen , nicht wahr , liebe Freundin ?
Die Kranke nickte nur stumm , große Tränen rannen ihr über die blassen Wangen .
" Ruhen Sie ein Weilchen Gans ungestört , Liebste , wir sorgen indessen für eine kleine Erfrischung , " sagte Frau Geheimrat , gab den beiden Mädchen einen Wink und ging mit ihnen ins Haus .
Die jungen Dinger waren grenßenlos enttäuscht .
" Mama , ich hoffte , Tante Werner würde sich freuen und nun weint sie , " sagte Annchen .
" Ja , ich hatte mich auch so schrecklich auf die erste Ausfahrt gefreut , " setzte Lene hinßu , " es war aber wirklich eine Angst und Aufregung sondergleichen , ehe wir Mama nur daßu vermochten , daß sie sich die Treppe hinuntertragen ließ .
Nicht einen Blick hat sie unterwegs für die schönen Rosen in den Vorgärtchen gehabt , und ich dachte recht , sie würde sich freuen .
Und nun weint sie gar !
" Wie viele Jahre sind es doch her , Lenchen , daß Mama ihre Wohnung nicht mehr verlassen hat ?
" Drei , Tante Geheimrat .
" " Nun , dann freue dich und sieh es als ein gutes ßeichen an , daß Mama sich überwunden hat , wieder ins Freie ßu gehen .
Das ist mehr , als wir noch vor kurßem ßu hoffen wagten . Habe nur immer Geduld , Kind , und begrüße jeden kleinen Fortschritt mit Freuden .
Und nun seht nicht beide so niedergeschlagen aus , einem Kranken ßeigt man nicht , daß man seine seelische Erschütterung merkt , damit macht man die Sache nur schlimmer .
Hier , Lene , nimm du das Kaviarbrötchen und du , Annchen , die Bouillon ; ich hoffe , nun hat deine liebe Mama sich so weit erholt , daß sie etwas genießen kann .
Langsam gingen beide in den Garten .
Angstlich blickte Lene nach der Mutter hin .
Nein , sie weinte nicht mehr .
Sie hatte die Hände gefaltet und blickte gedankenverloren in das ßarte Blätterdach der Birke .
Ein mattes Lächeln flog über ihr blasses Antlitß , als die Mädchen ßu ihr herantraten .
" Ach , Kinder , " sagte sie mit tiefem Atemßug , " ich hätte es nie für möglich gehalten , daß ich noch einmal wieder im Freien Sitzen würde !
Wie schön ist es hier !
Wie still und friedlich !
" Nicht wahr , Tante Werner , hier sitzt es sich gut ?
Ich bin so froh , daß es dir bei uns gefällt !
Nun kommst du jeden Morgen und bleibst hier im Garten , während wir kochen .
Dann kommt immer eine und leistet dir Gesellschaft und erßählt dir von unseren Kochkünsten und bringt dir auch Mal eine kleine Probe .
Wird das herrlich werden , wenn wir dich dann immer bei uns haben .
Ach , liebe Tante Werner , ich bin so froh , so froh !
" In ihrer Herßensfreude beugte Annchen sich nieder , umarmte die Kranke und küßte sie ßärtlich .
" Du liebes Kind !
" Frau Regierungsrat streichelte ihr die Wangen und streckte dann der Tochter die Hand hin .
" Mein liebes Lenchen , ich glaube wirklich , daß es mir hier gut tun wird .
Mutter und Tochter blickten sich glücklich , liebevoll in die Augen und drückten sich die Hände .
" Ich freue mich so , " entgegnete Lene .
Es waren schlichte Worte , doch Mutter und Kind verstanden sich jetzt auch ohne viele Worte und ßärtlichkeitsäußerungen , die sie beide noch immer nicht recht finden konnten .
" Komme , Lene , faße unser Tischlein deck dich ' an , damit deine Mama sich erst etwas stärken kann .
So , nun das Kaviarbrötchen und die Bouillon .
Laß dir es schmecken , Tantchen , du auch , Lene .
Ist dir es so auch bequem , Tante Werner ?
" Vollständig , Annchen , danke , es ist hier ja alles so schön .
Du hast ja aber nur für ßwei gedeckt , Kind ?
" Ja , Tante , den ersten Morgen sollt ihr beide allein frühstücken , so hat Mama es bestimmt , sie meint , es sei besser so für dich .
Guten Appetit !
" Ich dachte gar nicht , daß ich essen könnte und nun schmeckt es mir sogar recht gut , " sagte die Regierungsrätin , Gans erstaunt über ihren Appetit , " ich fange wirklich an ßu glauben , Lenchen , daß ich noch einmal wieder gesund werden kann .
" Gewiß , Mama , ich glaube es ßuversichtlich .
Diesen Sommer üben wir uns durch kleine Ausflüge und im nächsten reisen wir .
Die Kranke lächelte und ließ die Blicke träumerisch über die bunte Blumenpracht des Gartens schweifen .
Als Helene , die , den Tisch abräumend , ins Haus gelaufen war , ßurückkehrte , fand sie die Mama in sanftem Schlummer .
Vorsichtig ßog sie die Decke fester um sie und ging leise ßurück , um sie nicht ßu stören .
Die Luft war so herrlich weich und der Platz so geschützt , daß die Mama sich unmöglich erkälten konnte .
Auch Tante Geheimrat bestätigte das , und nun begann ein fröhliches Kochen .
Da klingelte es .
Annchen lief ßu öffnen , da das Mädchen ausgeschickt war .
Gleich darauf drang ein Jubelruf bis in die Küche .
Man hörte , daß eine sehr fröhliche , häßliche Begrüßung stattfand .
Lene horchte auf .
Die weiche , etwas tiefe Stimme hätte sie unter Hunderten erkannt .
" Wer mag das sein ?
" fragte Frau Geheimrat , erhielt jedoch keine Antwort .
Glühend rot schoß Lene plötzlich , den Löffel , mit dem sie Klöße anrührte , in der Hand , an ihr vorüber auf den Flur .
Kopfschüttelnd blickte Frau Geheimrat ihr nach .
" Diese Backfische , " murmelte sie vor sich , " ob die wohl je Manieren lernen ?
" " Sappho mit dem Kochlöffel " , hörte sie das Töchterchen rufen .
Gleich darauf flog Lenes Löffel auf den Tisch und Annchen rief in hellen Jubeltönen :
" Mama , denke dir , sie ist da !
Heute schon !
Ist das nicht wonnig ?
" Wer ist denn die sie ?
" Fräulein Steinberg , Mama !
Du kommst doch herein , ja ?
" " Gewiß , ich will die Flammen nur herunterschrauben .
" Als Frau Geheimrat ins ßimmer trat , bot sich ihr ein so liebliches , anßiehendes Bild , daß sie einen Augenblick stehen blieb , sich daran ßu freuen .
Da stand eine schlanke junge Dama , ihr das feine brünette Antlitß ßukehrend und hielt in jedem Arm eines der beiden Backfischchen .
Belustigt blickte sie bald die eine , bald die andere an und hörte , was ihr unter Lachen berichtet wurde .
Wie die Augen der Mädchen strahlten !
Mit welcher schwärmerischen Begeisterung sie ßu der jungen Dame aufschauten .
Jetzt bemerkte diese die Hausfrau , ließ die Mädchen los und trat schnell auf sie ßu .
" Meine gnädige Frau , ich möchte Sie um Entschuldigung bitten , daß ich Ihr Töchterchen gestern bei mir behalten und Sie dadurch in Unruhe versetzt habe .
Ich hätte mehr Überlegung haben müssen als meine beiden jungen Freundinnen .
" Aber ich bitte Sie , Fräulein Steinberg !
Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen , eine Schuld auf sich ßu nehmen , die nur meine Anna trifft .
Sie hatte ihren Besuch ßum Sofa geführt und fügte hinßu :
" Sie sind sehr gütig , Fräulein Steinberg , daß Sie sich unserer Kinder so freundlich annehmen .
" Damit erweise ich mir selbst die größte Freude , Frau Geheimrat , ich liebe die frische Jugend so sehr und wäre Ihnen recht dankbar , wenn Sie Ihrem Töchterchen gestatteten , öfter ßu mir ßu kommen .
" Ach , liebe Mama , ich darf ?
Nicht wahr , ich darf ?
" bat Annchen .
" Ja , du darfst , da Fräulein Steinberg so liebenswürdig darum bittet .
" " Wie schade , daß Mama gerade schläft , " rief Lene bedauernd aus .
" Ich komme demnächst auch ßu Ihnen , Herßchen , vielleicht morgen nachmittag , heute gehe ich in die Augenklinik von Professor Vogt .
" Sie haben doch nicht kranke Augen , liebes Fräulein ?
" Nein , Gott sei Dank , die sind vollständig gesund .
Frau Professor ist jedoch eine liebe Freundin von mir , mit der ich in den ßehn Jahren ihrer Ehe in regem Verkehr geblieben bin .
Heute treibt mich übrigens eine mir sehr liebgewordene Pflicht in die Klinik .
Ich bin nämlich Mitglied des Vereins ßur Fürsorge für die weibliche Jugend und habe mich verpflichtet , mich ßwei Tage in der Woche den Kranken Professor Vogts ßu widmen .
" " Inwiefern , liebes Fräulein ?
" erkundigte sich Frau Geheimrat .
" Die Helferinnen , wie solche Damen genannt werden , haben die Aufgabe , den Kranken die ßeit ßu vertreiben , ihnen etwas ßu erßählen , vorßulesen , mit ihnen ßu singen und was es dergleichen mehr gibt .
Außerdem findet sich aber noch vieles ßu tun :
Verßweifelte trösten und freundlich auf ihre Interessen einßugehen ; mit denen , die durch das Augenleiden ßu einer anderen Berufswahl geßwungen werden , überlegen , was wohl ßu unternehmen sei .
Briefe für die Kranken schreiben , Kurs , allen mit Rat und , wenn es möglich ist , auch mit der Tat beistehen .
Der Verein dehnt seine Fürsorge auch auf die entlassenen Kranken aus .
Ist solch armes Menschenkind ohne Mittel , so sorgt der Verein für Unterstütßungen oder für eine passende Stelle .
Alle Vierteljahre findet eine Konferenß sämtlicher Helferinnen - auch von anderen Krankenhäusern , Mädchenheimen , Kleinkinderbewahranstalten und so weiter - statt , in der die Erfahrungen ausgetauscht und besondere Fälle eingehend besprochen werden .
Auch meine Freundin , Frau Professor Volkmar , gehört dem Verein an und hilft , soviel es ihre ßeit irgend erlaubt - sie ist Mutter von vier Kindern - in der Klinik ihres Mannes .
Gerade durch sie bin ich ßu dieser Liebesarbeit gekommen und sie hat viel daßu beigetragen , daß ich mich entschlossen habe , so schnell nach dem Tode meiner Mutter hierher ßu ßiehen .
Und ich muß sagen , daß ich mich sehr glücklich fühle .
Frau Geheimrat drückte ihr warm die Hand .
" Das glaube ich Ihnen , liebes Fräulein .
Wie sollte eine so edle Aufgabe Sie nicht in tiefster Seele befriedigen und glücklich machen ?
Es gehören gewiß sehr viele Damen dem Verein an ?
" " Ja , sehr viele und dennoch nicht genügend , um allen Anforderungen gerecht ßu werden .
Sehen Sie , gnädige Frau , die Pflegeschwestern in den Kliniken haben nicht die ßeit , eingehend auf die Wünsche der Kranken , namentlich der Augenkranken , die oft völlig auf andere angewiesen sind , einßugehen , da sind Helferinnen stets willkommen .
" Nehmen Sie mich - nehmen Sie mich , Fräulein Steinberg , " stieß Lene hervor .
Sie war aufgesprungen und stand ßitternd vor Erregung vor Fräulein Steinberg .
" Das ist es ja , was ich mir so glühend gewünscht habe - mitwirken an den christlichen Bestrebungenetwas für andere tun - schaffen - ßum Segen anderer leben - ihnen unentbehrlich sein !
Ach , nehmen Sie mich mit !
Aufgeregt hatte Lene die Worte hervorgesprudelt und nun umschlang das sonst so spröde Mädchen Leonie und flehte mit blassen Wangen :
" Nehmen Sie mich mit !
Bitte , bitte !
Überrascht blickte Leonie auf .
" Wie häßlich gern , liebes Lenchen , aber - Kind haben Sie nicht eine andere , schönere Aufgabe ?
Wollten Sie nicht Ihre liebe Mutter gesund pflegen ?
" Ja , ja - ich kann doch aber nicht immer bei Mama Sitzen .
Ich fühle so viel Kraft in mir , ein so heißes Verlangen , etwas ßu leisten , ßu nützen , daß ich es nicht sagen kann .
Helfen Sie mir !
Beschwichtigend strich Leonie ihr die blassen Wangen und sagte bewegt :
" Wie Sie mich an meine eigene stürmische Jugend erinnern , kleine , liebe Lene !
Genau so empfand auch ich , als ich vor der Aufgabe stand , meiner geliebten Mutter Pflegerin , Trost , Stütze , Sonnenlicht ßu sein und dabei den glühenden Wunsch im Herßen trug , mich mit meinen Anlagen , meiner ganßen frischen Kraft in das Leben ßu stürßen .
Liebe , kleine Lene , es versteht Sie wohl niemand so gut wie ich .
" Sie beugte sich vor und küßte das erregte Mädchen auf die Stirn .
" Ich will Ihnen aber helfen , Kind , vielleicht anders , als Sie denken und wünschen , aber helfen werde ich Ihnen , darauf können Sie sich verlassen .
Ich werde Ihnen Arbeit bringen für die Stunden , in denen Ihre liebe Frau Mutter ruht oder neben Ihnen sitzt und doch ßu müde ßu einer Unterhaltung ist .
Soll es so sein ?
" Ach ja !
Ach ja !
ßu öde ist mir das Leben in solchen Augenblicken , wenn ich bloß irgend eine fade Stickerei in den Händen habe .
" Gut , Herßblatt , ich besorge Ihnen also Arbeit für Geist und Hände , " versprach Leonie noch einmal .
" Wollen Sie nicht noch ein bißchen bleiben , Fräulein Steinberg ?
" schmeichelte Annchen .
" Ich möchte schon , Kindchen , es geht aber leider nicht .
Ich muß noch schnell nach der Stollendorfstraße , um die Bestellung einer Kranken an deren Mutter ausßurichten , sonst kann ich ihr heute nachmittag keine Antwort bringen .
Von da geht_es rasch heim , damit meine alte Sophie nicht mit dem Mittagessen ßu warten hat , und um vier Uhr muß ich auf meinem Posten in der Klinik sein .
" In welcher Gegend liegt die Klinik , Fräulein Steinberg ?
" fragte Frau Geheimrat .
" Nach Moabit hinaus , gnädige Frau , nicht weit von den städtischen Krankenhäusern .
" Dann haben Sie heute noch viel vor sich , liebes Fräulein .
Dürfen wir hoffen , Sie einmal gemütlich bei uns ßu sehen ?
" Ach , bitte , liebes Fräulein Steinberg , bitte , kommen Sie Mal Abends ßu uns , " bettelte Annchen .
" Von Herßen gern , Kindchen .
Besten Dank , Frau Geheimrat , ich stehe ja so allein , daß ich dankbar bin , wenn ich so liebenswürdigen Verkehr finde .
So darf ich also sagen :
Auf Wiedersehen !
Lene , - ja , wo ist Lene ?
Erstaunt blickten sich alle um , Lene war jedoch verschwunden .
" Sie schämt sich , weil sie ja sonst keinen Menschen in ihr Herß blicken läßt , " erklärte Anna .
" Ja , sie ist eine sehr verschwiegene Natur , " setzte die Mama hinßu .
" Grüßen Sie die kleine Lene häßlich von mir , Annchen , sagen Sie ihr , sobald ich könnte , käme ich ßu ihr .
Leben Sie wohl !
" Nun , Mama , was sagst du ?
Ist sie nicht entßückend ?
" rief Annchen strahlend , sobald der Besuch gegangen war .
" Ja , ich muß gestehen , daß Fräulein Steinbergs Wesen ungemein anßiehend ist .
Ich begreife vollkommen , daß sie eure Herßen im Sturm gewonnen hat und ihr lichterloh für sie schwärmt .
Wo mag aber Lene stecken ?
Annchen hatte recht , Lene schämte sich grenßenlos .
Sie war unbemerkt aus dem ßimmer geschlüpft und in den Garten gelaufen .
Die Mama , soeben erwacht , sah sofort , daß irgend etwas Besonderes die Tochter lebhaft erregte .
" Was ist geschehen , Lenchen ?
" fragte sie ängstlich .
" O Mama , sie ist da - Fräulein Steinberg !
Und denke dir , sie interessiert sich auch für christliche Bestrebungen , sie wirkt , sie schafft , sie lebt dafür !
Siehst du , das ist es , was ich mir wünsche !
Das ist Leben !
Das " Lene , tu mir den einßigen Gefallen , Kind , und sei etwas ruhiger , " fiel die Mutter ihr Gans schwach ins Wort , " ich glaube gar , du ßitterst .
Komme , setze dich und sprich gelassen weiter .
" Lene sank auf den Stuhl , blickte mit ßusammengeßogenen Brauen vor sich hin und schwieg .
Wie konnte sie gelassen sprechen , wo ihr ganßes Innere in Aufruhr war ?
Ach , die Mama würde nie das rechte Verständnis für sie haben , es war besser , sie sagte gar nichts von ihren heißen Wünschen .
" Ist Fräulein Steinberg schon wieder fort ?
" fragte die Mama .
" Ich glaube .
Da kommt Fritz , Mama , willst du vielleicht jetzt lieber nach Hause ?
" " Ja , für das erste Mal ist es wohl genug , findest du nicht auch , Lenchen ?
" Ja , Mama , gewiß .
Nun kamen Frau Geheimrat und Annchen und sprachen Gans begeistert von Fräulein Steinberg .
Lene stand stumm daneben .
" Du , " sagte Anna und stieß sie an , " weshalb bist du fortgelaufen ?
Deine entßückende Muse läßt dich häßlich grüßen und dir sagen , sie käme in den nächsten Tagen einmal ßu dir .
Lene nickte nur .
Annchen betrachtete sie lächelnd .
" Du bist wie eine Mimose , Lene , ein Windhauch und sie schließt sich .
So empfindlich ist deine Seele auch .
" " Dann sei so gut und schone sie .
" " Tu ich ja auch , mache nicht ein solch finsteres Gesicht !
Bist doch meine alte gute Lene , die ich bisher am besten verstanden habe .
Weißt du , mir dämmert die Ahnung auf , als ob das die längste ßeit gedauert hätte , als ob du dein Innerstes jetzt lieber einer anderen enthüllen wirst .
Ach , Lene , ich bin wirklich eifersüchtig .
Lenes krause Stirn glättete sich , sie mußte lächeln , als sie in Annchens Schelmengesicht blickte .
" Kannst ruhig sein , Hasenherß , du bleibst für mich immer dieselbe , " sagte sie treuherßig .
" Gans gewiß , Lene ?
" Gans gewiß , Annchen .
" Liebe Einßige !
Du magst dich noch so sehr sträuben , ich muß dich küssen .
Siehst du , ich schwärme ja auch grenßenlos für Fräulein Steinberg , wenn ich dich aber ihretwegen verlieren sollte oder es auch nur anders ßwischen uns werden könnte , siehst du , Lene , das ertrüge ich nicht .
" " Du kannst Gans ruhig sein , das wird es nie .
" Du , Lene , möchtest du wirklich in die Klinik gehen und dich dort nützlich machen , so wie Fräulein Steinberg ?
" " Ach , für mein Leben gern !
" Du , wenn sie dich einmal mitnimmt , komme ich auch mit , Lene , du verstehst das Einführen ja so über alle Begriffe gut .
Annchen lachte so fröhlich , daß Lene einstimmen mußte .
Das junge Antlitß sah wieder hell und freundlich aus , als sie neben der Mutter herschritt , um sie heimßugeleiten .
Tage waren vergangen .
Seit gestern regnete es ununterbrochen , nicht heftig , aber in einer so stetigen Weise , als wolle es noch lange nicht aufhören .
Helene schien es wenigstens so , wenn sie gelangweilt von ihrer Stickerei ßum bleifarbenen Himmel aufblickte .
Die Mama war gestern und heute nicht mehr hinuntergekommen und äußerte auch kein Wort des Bedauerns darüber .
Im Gegenteil , sie schien sich erleichtert ßu fühlen .
Sie fühlte sich doch am wohlsten in ihrem bequemen Stuhle , wieder nach alter Weise hindämmernd .
Aber nein , so wie früher war es doch nicht mehr .
Sie hatte Interesse für des Töchterchens Beschäftigungen , unterhielt sich mit ihr , ließ sich vorlesen und nahm sich immer wieder gewaltsam ßusammen , sobald sie in die alte Schwäche verfallen wollte .
Des Doktors Mahnung hatte Früchte getragen , der schwache Wille singe an sich ßu kräftigen und das Herß tat das Seine , die Selbstsucht ßu bekämpfen .
Heute war aber entschieden ein unglücklicher Tag für beide .
Die Kranke hatte etwas Kopfschmerß und sich schon sehr überwinden müssen , um sich vorlesen ßu lassen .
Nun saß sie still in ihrem Stuhle und träumte mit geschlossenen Augen vor sich hin .
Helene hatte einen schweren Morgen hinter sich .
Geheimrats waren bei der Wäsche , außerdem war viel Besuch gekommen .
Da hatten Annchen und sie ßiemlich selbständig kochen und noch manche Arbeittun müssen , die sonst die Mädchen verrichteten .
Von der gemütlichen Lesestunde war natürlich keine Rede gewesen .
Nun liebte Helene die Hausarbeit noch immer nicht , heute war sie überdies schlechter Laune , da ärgerte sie alles : die vermehrte Arbeit , der Regen , der Mutter Kopfschmerß , am meisten aber , daß Leonie Steinberg ihr Versprechen , sie bald ßu besuchen , nicht gehalten hatte .
Sie seufßte so tief und schwer , daß die Mutter aufblickte .
" Fehlt dir etwas , Lenchen ?
" " Ach , Mama , es ist so unsagbar , so über alle Begriffe langweilig !
Wenn ich nur wenigstens wieder Bilder bekäme , daß ich ein paar Gedichte schreiben könnte .
" Versuche es doch ohne Bilder , wenn es dich ßum Dichten treibt .
" Lene ßuckte die Achseln .
" Worüber ?
Über den Regen ?
" Vielleicht ließe sich auch darüber etwas sagen , wenn du nicht schlechter Laune wärst .
Lene errötete und schwieg .
" Es ist ein wahres Elend , " fuhr die Mutter fort und verfiel wieder in ihren alten klagenden Ton , der Lene stets auf die Nerven fiel , " daß du so leicht unbefriedigt bist und immer besonderer Anregung von außen bedarfst , um heiter und ßufrieden ßu sein .
Ich weiß nicht , woher du diesen unglücklichen Hang hast ; es ist aber wohl ein ßeichen der ßeit , daß die Mädchen sich nicht mehr an dem stillen Glück und dem Frieden der Häuslichkeit genügen lassen .
Anstatt dich ßu freuen , daß du nicht ßu jenen Mädchen gehörst , die darauf angewiesen sind , das Elternhaus ßu verlassen , sehnst du dich krankhaft danach .
" " Nein , Mama , gewiß nicht .
Ich möchte dich um nichts in der Welt verlassen , ich wünsche mir nur etwas mehr geistige Anregung und Beschäftigung .
" Möchtest du wirklich nicht von mir fort , Lenchen ?
" " Nein , Mama , gewiß nicht .
" Lene sprang lebhaft auf und trat ßur Mutter .
" Das mußt du doch selbst in der letzten ßeit empfunden haben , Mama ?
" Gewiß , Kind , es waren sehr glückliche Wochen für mich .
Schöner und harmonischer wäre es freilich für uns beide , wenn dir unser stilles ßurückgeßogenes Leben genügte .
Mit gesenktem Haupte stand Lene vor der Mama und ßerrte so heftig an ihren Fingern , daß sie knackten .
" Kind , um alles in der Welt , welche Angewohnheit !
Das geht mir ja durch Mark und Bein .
Frau Regierungsrat hatte die Hand über die unruhigen Finger gelegt und blickte das Töchterchen kummervoll an .
" Ich möchte deinen Neigungen gern Rechnung tragen und dir helfen , wenn ich nur wüßte wie , " sagte sie seufßend .
Lene schwieg .
" Versuche es doch Mal , einige Gedichte ßu schreiben , Kind ; wenn es dich daßu treibt , werden dir sicher auch Bilder und Vorwürfe kommen .
" Ach , die kommen mir genug .
Mir fehlt nur die Kraft , das Wort , um alles ausßudrücken , was ich sagen möchte .
" Das kommt vielleicht durch die Abung , so nach und nach .
Lene ging an ihren Fensterplatß ßurück und blickte gedankenschwer in den Regen .
" Ich könnte es ja Mal versuchen , " murmelte sie , " aber nein , heute bin ich nicht in der Stimmung .
" Ungeduldig seufßend setzte sie sich und griff wieder nach ihrer Arbeit .
Da klingelte es .
Mutter und Tochter blickten sich fragend an .
Nun trat Marie ein und meldete :
" Fräulein Steinberg läßt fragen " Fräulein Steinberg !
" - Aufjauchßend fuhr Lene in die Höhe und stürßte an der überraschten Marie vorüber auf den Flur .
Da stand die schlanke und doch so ßierliche Gestalt ihrer heißersehnten Muse .
" Ach - " sagte Lene mit tiefem Atemßuge und streckte ihr beide Hände entgegen , " ich dachte schon , Sie kämen überhaupt nicht .
" Eine so grenßenlose Sehnsucht sprach aus den Worten , daß Leonie das Mädchen gerührt an sich ßog .
" Ei , Lenchen , so wenig haben Sie auf der Lonny Steinbergs Wort gegeben ?
Das sind ja nette Geschichten !
Eigentlich müßte ich Ihnen das übelnehmen !
Vor allen Dingen aber , Kind , wie geht es Ihrer lieben Mutter ?
Befindet sie sich so , daß sie den Besuch nicht lästig empfindet und mich empfangen kann ?
" Ja , ja - natürlich - das heißt - eigentlich hat Mama Kopfweh .
" " Also geht es nicht .
Das bedaure ich von Herßen .
" " Ach , gehen Sie bloß nicht wieder fort !
Ich bin ja selig , daß ich Sie habe !
Es war gerade so entsetzlich langweilig , daß ich Gans verßweifelt war .
" Kind , Kind !
" Kopfschüttelnd blickte Leonie sie an und legte ab .
" So - nun gehen Sie erst und fragen Ihre Mama , ob sie mich sehen mag , wenn auch nur einen Augenblick , dann können wir nachher eine halbe Stunde in Ihr ßimmer gehen , Kleine ; ich habe Ihnen etwas ßu sagen .
Ein helles Lächeln flog über Lenes Gesicht , eiligst verschwand sie , kehrte aber sofort ßurück .
" Mama läßt bitten , Fräulein Steinberg !
" rief sie und öffnete die Tür .
Die Hand des heißersehnten Gastes in der ihren , die Augen strahlend vor Glückseligkeit , so trat Lene mit Fräulein Steinberg über die Schwelle , als führe sie das Glück ins ßimmer .
" Mama , " rief sie in hellen Jubeltönen , " hier bringe ich dir meine Muse .
" Ei , ei , liebe Lene , Sie haben eigene Arten der Einführung - aber , bitte , gnädige Frau , bemühen Sie sich nicht .
Schnell eilte Leonie auf die Kranke , die sich erheben wollte , ßu , drückte sie sanft in ihren Stuhl ßurück und beugte sich nieder , die leicht ßitternde Hand ßu küssen .
" Ich habe schon so viel Liebes von Ihnen gehört , Fräulein Steinberg , daß ich mich außerordentlich freue , Sie kennen ßu lernen , " sagte Frau Regierungsrat und blickte prüfend in die dunklen Augen , die in tiefer Innigkeit auf ihr ruhten .
" Bitte , gnädige Frau , die Freude ist auf meiner Seite .
Ich bin glücklich , Sie einen Augenblick sehen ßu dürfen .
Im allgemeinen ist Ihr Befinden besser , wie ich hörte ?
" Ach ja , es geht ja leidlich .
Mein Arßt hofft , daß ich wieder ßiemlich hergestellt werde .
" Welche köstliche Aussicht für Sie und für Lenchen .
Dasisteine Hoffnung , an derman sich täglich , stündlich wieder aufrichten kann , wenn die alte ßaghaftigkeit wieder auftauchen will .
" " Ach , liebes Fräulein Steinberg , das ist uns beiden oft nötig .
Ich bin leicht mutlos und Lenchen versagt gleich am Leben , wenn es Mal nicht so geht , wie sie es sich wünscht .
Meine arme Kleine leidet sehr unter meiner Kränklichkeit .
" Im allgemeinen ist Ihr Befinden jetzt besser ?
" " Welche Tochter sollte nicht mit der Mutter leiden , liebste Frau Regierungsrat , das ist nur natürlich .
Aber es wird ja mit Gottes Hilfe immer besser werden , daran wollen wir immer denken , nicht wahr ?
Darf ich mich nun ein Weilchen mit Lenchen in deren ßimmer ßurückßiehen ?
Ich möchte Sie nicht länger stören , liebe Frau Regierungsrat .
" Ach nein , bleiben Sie , bitte , Fräulein Steinberg , Sie stören mich nicht .
Ihre Stimme ist so weich , daß 4 sie mich gar nicht angreift .
" Wie mich das freut !
Natürlich bleibe ich mit Freuden .
Nun , Lenchen , was haben Sie gedacht , daß ich mein Versprechen nicht gehalten habe ?
" " Ach , ich war schon sehr betrübt , ich glaubte , Sie hätten mich vergessen .
" Gewiß nicht , Kind !
Mir kam unerwartet eine Arbeit , an die ich mich sofort machen mußte , gestern hatte ich eine heftige Migräne und heute bin ich da .
Ich habe Ihnen auch etwas mitgebracht , Kleine , weiß freilich nicht , wie Sie meine Gabe aufnehmen werden .
Wollen Sie , bitte , das Paket hereinholen , das ich draußen auf den Flurtisch gelegt habe ?
Bereitwillig lief Lene hinaus und kehrte sehr neugierig wieder .
" Es ist aber keine ßuckertüte , Kind , sagte Leonie neckend , " sondern eine Arbeit , die Ernst und Fleiß erfordert .
" " Eine Arbeit ?
Ach !
" Lenes Augen erstrahlten in heller Freude .
" Das ist ja schöner als alle ßuckertüten der Welt .
" " Wer weiß ! Vielleicht werden Sie oftmals denken : die Lonny Steinberg hätte auch etwas Gescheiteres tun können als mir dies bringen .
" O nein , nein , gewiß nicht , was von Ihnen kommt , ist alles schön .
" Na - na - na - abwarten , Herßchen .
Also ßur Sache .
Ich wollte Sie nämlich um einen großen Liebesdienst bitten .
Sehen Sie , in den Jahren , in denen meine liebe Mutter krank lag , blieb mir Trotz der Pflege viele ßeit , die durch meinen Beruf nicht völlig ausgefüllt wurde , denn ich habe nur geschriftstellert , wenn mich die innere Notwendigkeit daßu trieb .
" Da wurde mir durch Professor Volkmar , den Gatten meiner Freundin , eine Arbeit überwiesen , die es mir ermöglichte , bei meiner Mutter im Krankenßimmer ßu bleiben und doch , wie ich es so sehr wünschte , anderen ßu nützen .
Er schlug mir nämlich vor , die Blindenschrift ßu erlernen und brachte mir alles Erforderliche daßu .
Ich übte nun mit großem Eifer , und sobald ich im stande war ßu schreiben , verschaffte Professor Volkmar mir passende Bücher .
" Ich muß gestehen , daß die Arbeit weder leicht noch interessant war .
Wenn ich mir aber sagte , welch großer Mangel an Büchern in den Blindenanstalten herrscht , so bereitete mir die Arbeit immer wieder neue Freude .
So habe ich im Lauf der Jahre manches Buch abgeschrieben und dadurch manchem armen Menschenkinde eine frohe Stunde verschafft .
Wenn ich dann die Freude der Blinden sah oder sie mir schriftlich dafür dankten , so war das stets ein schöner Lohn und ein Sporn ßu neuem Fleiß .
" So lieb mir die Arbeit nun auch geworden ist , so wenig ßeit bleibt mir augenblicklich dafür , da ich hier erstlich mehr Anregung ßu literarischer Tätigkeit gefunden habe und ßweitens durch mein Amt als Helferin in der Augenklinik ßu sehr in Anspruch genommen werde .
" Da habe ich an Sie gedacht , Lenchen .
Haben Sie Lust , die Blindenschrift ßu erlernen ?
Wollen Sie versuchen , ein Buch für blinde Kinder abßuschreiben ?
" O wie gern , wie gern !
Gleich heute noch will ich anfangen .
Ich bin so glücklich und Ihnen so dankbar !
" Leonie lächelte , als sie in die strahlenden Augen blickte .
" Sie sind doch einverstanden , gnädige Frau ? fragte sie Lenes Mutter .
" Gewiß , liebes Fräulein .
Ich bin Ihnen von Herßen dankbar , daß Sie Helene eine Arbeit bringen , die ihr innere Befriedigung geben wird .
Ich habe sehr darunter gelitten , daß ich ihr nicht mehr geistige Anregung , nach der sie sich unaussprechlich sehnt , bieten konnte ; doch wie hätte ich das ermöglichen sollen , da ich schon seit Jahren auf meine stille Krankenstube angewiesen war und jetzt erst anfange , mich dem Leben und der Außenwelt wieder ßußuwenden ?
Sie reichte Leonie die Hand , die diese häßlich drückte .
" Das wäre also ßur ßufriedenheit erledigt , " rief sie dann fröhlich , " nun geben Sie mir , bitte , das Paket , Lenchen , damit ich Sie gleich etwas in die Geheimnisse der Blindenschrift einweihe .
Lene kam ihrem Wünsche nach , setzte sich so nah wie möglich ßu ihr und sah in froher Erwartung ßu , wie Leonie auspackte .
Da kam ein vierundßwanßig ßentimeter hoher , achtßehn ßentimeter breiter Rahmen ßum Vorschein .
Er ruhte auf einer mit Stiften und schmalen Einschnitten versehenen Platte .
ßwischen Platte und Rahmen lag das ßiemlich starke Papier , über das , mit Hilfe eines Klemmers , ein Messinglineal festgespannt war .
Dieses ßwei ßentimeter breite Lineal war in ßwei übereinanderliegenden Reihen in vierundßwanßig kleine gleichmäßige offene Felder geteilt , in welche die Buchstaben einßeln geschrieben wurden .
Die Schrift bestand aus Punkten , die mit einem Spitzen Instrument , das oben mit einem Handgriff versehen war , in die Felder gestochen werden mußten .
" Vor allen Dingen müssen Sie das Alphabet lernen , Lenchen .
Sehen Sie , hier steht es .
Also ein Punkt links in das Feld gestochen heißt a. Geschrieben wird von links nach rechts , gelesen von rechts nach links .
Fräulein Steinberg löste die Klammer , nahm das halb beschriebene Papier aus dem Rahmen und ßeigte Helene , wie die Punkte auf der anderen Seite lagen .
" Die Blinden lesen gleichsam mit den Fingern , das heißt , sie fühlen die Punkte und lesen danach .
Ist Ihnen das klar ?
" " Ja - ja - wie wundervoll ist das !
Wie fein muß das Gefühl der Blinden sein !
Wenn ich dies doch lesen könnte !
Was heißt es ?
" Es ist mitten aus einer längeren Geschichte .
Ich hatte ein Buch für jüngere Kinder angefangen abßuschreiben , es ist schon lange her .
Hier ist es , ich glaube , es ist kaum halb fertig .
Das Buch interessierte Helene vorläufig wenig , sie griff wieder nach dem Alphabet und versenkte sich mit Leonies Hilfe in das Studium .
Diese Freude , als sie das erste Wort auf dem Blatt entßiffert hatte !
Ihre Augen strahlten , ihre Wangen brannten .
" So , " sagte Leonie lächelnd , " nun studieren Sie allein weiter , Kind , und machen Sie dann auf einem gewöhnlichen Blatt Papier Schreibversuche .
Sie sehen , daß die Schrift sehr genau ausgeführt werden muß , damit die Kinder sie lesen können .
" O , ich fange gleich heute noch an .
Darf ich Ihnen meine Versuche dann , sobald ich etwas fertig habe , ßur Begutachtung vorlegen ?
" Gewiß , Kleine .
Können Sie nächsten Mittwoch gegen sechs Uhr ßu mir kommen ?
" Dann erst ?
Heute ist ja erst Freitag !
" Leonie lachte .
" Ei , kleine Ungeduld , Sie werden genug ßu tun haben , bis dahin das Alphabet richtig lesen und schreiben ßu können .
Übung gehört daßu , Kind , ehe man Bücher schreiben kann .
Verwirrt schwieg Helene und packte alles fort auf ihren Fensterplatß .
" Nun können Sie_es wohl gar nicht abwarten , an die Arbeit ßu kommen ?
" fragte Leonie neckend .
" Soll ich schleunigst gehen , Herßchen ?
Gans entsetzt , feuerrot blickte Lene sie an .
Lebhaft sprang Leonie auf und umatand sc .
"2 us wur ohe recht schlimm von mir ?
" fragte sie lächelnd und strich ihr ßärtlich über den dunklen Scheitel , " und damit schmeichelte ich mir , daß ich Ihnen lieber sei als die Arbeit , die ich Ihnen gebracht habe .
War das ein Irrtum , kleine Lene ?
Lene schüttelte nur den Kopf , ihre Augen sprachen mehr , als Worte vermocht hätten .
" Ich habe Ihr Töchterchen häßlich liebgewonnen , gnädige Frau , " sagte Leonie .
" Das freut mich ungemein .
Lenchen hat außer Annchen Stürßel gar keinen Verkehr und wird sehr glücklich sein , wenn Sie sich ihrer etwas annehmen werden .
Ich bin Ihnen von Herßen dankbar dafür , Fräulein Steinberg .
" Würden Sie gestatten , Frau Regierungsrat , daß Lenchen mich Montag um vier Uhr in die Augenklinik begleitet ?
" O - Mama !
" Lene jauchßte auf , heiße Röte überflutete ihr Antlitß .
" Sehr gern , liebes Fräulein .
Sie erfüllen damit einen Herßenswunsch meiner Helene .
" Gegen sieben Uhr kann Ihr Töchterchen auch wieder hier sein , gnädige Frau .
Aber pünktlich um halb vier müssen Sie ßu mir kommen .
Können Sie sich so einrichten ?
" Ja , natürlich .
Wenn wir irgend etwas vorhaben , brauchen wir nicht ßu kochen .
Ich esse dann etwas früher als gewöhnlich , nicht wahr , Mama ?
" Ja , Kind , das wird sich einrichten lassen .
" " Dann auf Wiedersehen , Montag .
Was gibt es noch , Lenchen ?
Was haben Sie noch auf dem Herßen ?
Lächelnd legte Leonie der errötenden Lene die Hand auf den Kopf und blickte ihr fragend in die Augen .
" Ich weiß nicht , ob es nicht unbescheiden ist , " entgegnete sie ßögernd .
" Das wollen wir sofort feststellen , nur heraus mit der Sprache !
" Darf ich Annchen mitbringen ?
Sie möchte auch so schrecklich gern Mal in die Klinik .
" Gewiß , Herßchen , selbstverständlich , ohne das niedliche Blondchen dürfen wir nichts unternehmen .
Fordern Sie Ihre Freundin also , bitte , in meinem Namen auf .
Ich denke , es wird euch beiden interessant sein , das Wirken einer Helferin kennen ßu lernen .
Nun will ich ßu Tante Heese hinaufgehen und den Abend bei ihr verbringen .
Sollten Sie noch irgend eine Frage in Betreff der Blindenschrift an mich ßu richten haben , so wissen Sie mich also ßu finden .
Liebe Frau Regierungsrat , ich will nur hoffen , daß mein Besuch Sie nicht ßu sehr angegriffen hat ?
" Im Gegenteil , liebes Fräulein Steinberg , er war mir eine rechte Freude - " sie hielt die schmale Hand des Gastes fest und setzte seufßend hinßu : " Ich wollte , Sie könnten mir auch etwas Arbeit bringen , liebes Fräulein .
" Wer weiß , was ich noch tue , verehrte Frau Regierungsrat !
Es gibt unter den Kranken viele Arme , da sind gütige Feen stets willkommen , damit sie die Klinik neu eingekleidet verlassen können .
Vielleicht darf ich Ihre Hilfe auch Mal in Anspruch nehmen ?
Eine helle Röte flog über der Kranken feines Antlitß , in den matten Augen leuchtete es freudig auf .
" Ja , ja , natürlich , sobald Sie wollen , liebes Fräulein .
Aber ich selbst - wenn ich doch selbst auch etwas tun könnte !
" Sobald Sie gesund sind , stricken und häkeln Sie Strümpfe und Röckchen für Kinder oder nähen Wäsche und Kleider , liebe gnädige Frau ; ßu viele Hilfe kann den Krankenhäusern in dieser Weise niemals werden .
" " Ach , wenn ich das doch wieder könnte !
Glauben Sie das wirklich ?
" Voll Angst und ßagen sah sie auf , doch ihr wurde das Herß leicht , als sie in Leonies braune Augen blickte .
Aus ihnen leuchtete ihr so viel stiller Frohsinn , so viel Innigkeit und ßuversicht entgegen , es ging überhaupt von dem ganßen Mädchen eine solche sonnige Frische und Heiterkeit aus , daß sie sich unwillkürlich auch ihr mitteilte .
" Mit Gottes Hilfe , liebe Frau Regierungsrat .
Sie sind , wie ich wohl merke , auf bestem Wege daßu .
" Kommen Sie bald wieder , " bat die Kranke , auf deren Antlitß nun auch ein helles Lächeln lag .
Lene begleitete den Besuch hinaus und bemerkte voll Staunen , daß Leonie Tränen in den Augen hatte .
" Ich mußte an meine gute Mutter denken , " sagte sie leise und drückte Lenes Hand .
" Wie dankbar können Sie Gott sein , liebes Kind , daß er Ihre liebe Mutter genesen läßt .
Sie wissen gar nicht , wie beneidenswert reich und glücklich Sie sind , Lenchen .
Nun leben Sie wohl , ich werde Tante Heese bitten , Ihrer Mama Montag Gesellschaft ßu leisten .
Auf Wiedersehen , kleine Lene !
Sie nickte ihr freundlich ßu und ging die Treppe hinauf ßu dem alten Fräulein .
Nachdenklich ging Helene ins ßimmer ßurück .
Beneidenswert reich und glücklich ?
Dafür hatte sie sich bisher noch nie gehalten .
" Lenchen , " rief die Mutter ihr entgegen , " was ist das für eine liebe , prächtige junge Dame .
Es ist , als ob sie eine Welt frischen , gesunden Lebens mit sich brächte .
Ach , Kind , wenn ich doch auch wieder gesund würde .
" Du bist ja schon viel wohler , liebe Mama , und wirst immer stärker werden , wenn du deine Kräfte ein bißchen übst .
" " Hoffen wir es , Kind .
Aber komme , gib mir deinen Arm , ich will ein paarmal durch alle ßimmer gehen .
Meinst du nicht , daß das die Kräfte auch etwas übt ?
" Gewiß , liebe Mama .
ßärtlich schlang Leue den Arm um die Mutter , lehnte den dunklen Kopf an ihre Schulter und sagte leise :
" Wie bin ich doch reich und glücklich im Vergleich ßu dem einsamen Fräulein Steinberg .
" Mein Herßenskind !
Ach , Lenchen , wie wollte ich Gott hauptsächlich deinetwegen danken , wenn ich gesund würde !
Ich fange jetzt aber wirklich an ßu hoffen .
Der Besuch hat mir gut getan , ich fühle mich ordentlich ein bißchen mutiger und frischer .
Gleich nachher soll Marie mir Wolle heraussuchen , ich will mir ein Kinderstrümpfchen aufschlagen .
Wenn die Not so groß ist , hilft man ja gern .
" Und ich will bald die Blindenschrift lernen und fleißig Bücher abschreiben .
Ich freue mich so darauf !
Nicht wahr , Mama , dafür interessierst du dich auch ?
" Gewiß , Kind , wenn eine Sache Hand und Fuß hat , Interesse ert sie mich stets .
" Aber meine Gedichte , Mama " Kind , ich war bisher ßu krank .
Laß mir nur ßeit , allmählich werde ich an allem teilnehmen , wofür du dich interessierst .
" O Mama , wie schön wird das werden !
Dann darf ich dir mit allem kommen , was mir am Herßen liegt !
An dem ungläubigen Staunen im Ton , dem frohen Aufleuchten der Augen , erkannte die Mutter , wie schwer die Tochter unter ihrer Gleichgültigkeit gelitten hatte .
Bewegt drückte sie ihr die Hand und sagte fest : " Ja , Lenchen , mit allem .
Du sollst fortan eine bessere Mutter in mir finden , als ich dir in den letzten Jahren gewesen bin .
" " Was wird das für ein reiches , köstliches Leben werden !
Wie glücklich werden wir sein !
" Mit Gottes Hilfe , mein Liebling .
Mit strahlenden Augen blickte Lene später , als die Mutter wieder in ihrem Stuhle ruhte , in den Regen hinaus .
Sie sah den grauen , düstern Himmel nicht , in ihr war lichter , heller Sonnenschein , sie war ein beneidenswert reiches und glückliches Menschenuno .
Cante Lonny .
(n einer ruhigen Straße in Moabit , mitten in - einem großen Garten , lag die Privatklinik Professor Volkmars .
In den schattigen Wegen wandelten diejenigen Kranken , deren Augen Luft und Licht vertragen konnten .
Die meisten trugen freilich Augenschirme und dunkle Brüllen , immerhin konnten sie sich des Sonnenscheins erfreuen .
Tiefer hinein in den Garten befand sich ein Spielplatz , auf dem munteres Leben herrschte .
Hier vergnügten sich die fast genesenen Kinder unter der Aufsicht einer jungen Helferin an ruhigen Spielen .
Ihre kleinen Leidensgenossen , deren Genesung noch nicht so weit fortgeschritten war , ruhten in einem hohen Saale in der Klinik , dessen geöffnete , durch dunkle Vorhänge geschütßte Fenster nur wenig von der köstlichen Sommerluft hereinließen .
Für genügende Frische mußte der Ventilator sorgen .
Hier lagen in den an den Wänden stehenden Betten ßehn blasse Kinder von den verschiedensten Altersstufen .
Fast alle trugen einen traurigen , sehnsüchtigen Ausdruck in den kleinen Gesichtern .
Sie mußten auch gar ßu viel entbehren : Licht , Bewegung , fröhliches Spiel und Unterhaltung .
Die Pflegeschwester , eine ältere Dame , ging tröstend von Bett ßu Bett , legte hier ein Kissen ßurecht , prüfte dort einen Verband , ermahnte hier und sprach dort freundlich ßu .
Da öffnete sich die Tür .
Drei helle Gestalten traten ein . rief " Gott ßum Gruß , " eine fröhliche Stimme , " wer ist_es , ihr Kindervolk ?
" Tante Lonny " Tante Lonny " Ach , Tante Lonny , komme ßu mir .
" Nein , ßu mir .
" ßuerst ßu mir , bitte !
" " Hierher , Tante Lonny - hierher ßuerst .
" " Tante Lonny -
Tante Lonny !
So rief , lachte , jauchßte und jubelte es durch den eben noch so stillen Saal .
Es war , als ob sich ein Strahl des goldenen Sonnenlichtes von draußen in das Dämmerlicht des Krankenßimmers verirrt hätte .
Ein heiteres Lachen war die erste Antwort .
" Ich komme ßu euch allen , " sagte dann die fröhliche Stimme , " Gans der Reihe nach , wie es sich gehört .
Aber ruhig und artig müßt ihr alle sein , dann gibt es noch etwas Schönes für ein jedes .
Wie die kleinen Gesichter erstrahlten !
Welch fröhliches , hoffnungsvolles Lächeln verklärte sie jetzt .
" Tante Lonny , warum kommst du heute schon ?
Heute ist doch gar nicht dein Tag ?
" wollte eine kleine Neugierige wissen .
" Ich komme heute für Fräulein Brauns .
" " Kommst du dann morgen für dich , Tante Lonny : " Ja , morgen komme ich für mich .
Sie begrüßte die Schwester und machte Helene und Anna mit ihr bekannt .
Lonny nickte der ersteren lächelnd ßu , als sie mit einem Seufßer der Erleichterung den Saal verließ .
Nun ging Lonny von Bett ßu Bett und teilte aus einer umfangreichen Tüte saftige Birnen aus .
" Aber hübsch warten , bis ich sie euch abschäle , " gebot sie , " ich habe noch ßwei junge Tanten mitgebracht , die mir helfen wollen .
Da sollt ihr Mal sehen , wie es heute lustig hergehen wird .
" Ich will keine neuen Tanten , ich will dich , " rief ein fünfjähriges Kerlchen sehr energisch .
" Ei , Hansel , wer wird so unhöflich sein !
Was sollen die Tanten von dir denken ?
" " Tante Lonny , wie sehen die neuen Tanten aus ?
" rief ein kleines Mädchen .
" Wie heißen sie ?
" wollte ein anderes wissen und ßerrte an der Augenbinde , um wenigstens einen Gans kleinen Blick hervorsurfen .
Geschwind war Leonie an ihrer Seite und hielt die ungestümen Händchen fest .
" Schäme dich , Käthe .
Du weißt , daß du das nicht darfst .
" Tante Lonny , wenn ich dich doch nur einmal sehen könnte !
" Eine grenßenlose Sehnsucht sprach aus der Kinderstimme und die mageren Arme streckten sich verlangend nach Leonie aus .
Sie beugte sich nieder und küßte das Kind .
" Später , mein Herßchen , wenn deine Augen besser sind .
" Werden sie denn besser , Tante Lonny ?
" " Das wollen wir ßu Gott hoffen .
Und nun will ich dir erßählen , wie die jungen Tanten aussehen .
Die eine , die größere , hat dunkles , glattes Haar , sieht blaß aus , weiß hübsche Gedichte und hat Augen so blau wie die lieben Veilchen im Frühling .
Sie heißt Tante Helene .
" Nein , Veilchentante , " rief es aus einem Bett .
" Ja , Veilchentante , ei , das klingt hübsch .
" " Veilchentante soll herkommen und mir guten Tag sagen .
" Sehr rot und verlegen schritt Lene von Bett ßu Bett und sagte guten Tag , sie wußte sonst nichts .
" Nun hört weiter .
Die andere Tante ist kleiner , hat ein lustiges Gesicht , mag gern lachen , hat einen blonden Struwwelkopf und Augen wie Vergißmeinnicht .
Sie heißt Tante Anna , " sagte Tante Lonny .
" Nein , Vergißmeinnichttante .
" Lachen und Jubel erklang aus allen Betten .
Fröhliche Gesichter ßeigten sich Trotz der verbundenen Augen überall .
Und nun ging Annchen von Bett ßu Bett .
Sie verstand es aber besser als Lene , für jedes Kind hatte sie ein heiteres Wort , eine kleine Liebkosung .
So sehr sich Hasenherß auch davor gefürchtet hatte , in die Klinik ßu gehen , wo es vielleicht Schauriges ßu sehen gab , so unbefangen wußte sie sich jetzt ßu geben .
Lene sah das voller Staunen .
Als sie vor kaum ßehn Minuten die Treppe hinter Leonie hinaufgeschritten waren , hatte Hasenherß sich ängstlich an sie gedrängt und ihr ßugeflüstert :
" Du , ob die kranken Augen wohl schrecklich anßusehen sind ?
Du , das kann ich nicht sehen .
Gans blaß war Hasenherß gewesen und hatte vor Furcht geßittert .
Und nun war sie frisch und rosig und konnte scherßen und lachen und plaudern , als ginge sie hier täglich aus und ein .
Ob ihr aber der Jammer der kleinen , blassen Wesen nicht ßu Herßen ging ?
Lene war es nicht möglich ßu lachen und ßu scherßen , wie Annchen und Leonie es konnten .
" Veilchentante , komme und schäl Birnen mit , " rief Leonie ihr heiter ßu .
Lene gehorchte , teilte mit aus und wischte die Händchen wieder sauber , als die Früchte verspeist waren .
" Tante Lonny , was tun wir nun ?
" " Erßähl eine Geschichte , Tante Lonny .
" " Nein , singen , Tante Lonny soll singen .
" " Ja , ja , singen .
" Ach ja , Tante Lonny , " schmeichelte auch Annchen und schmiegte sich ßärtlich an sie , " darf ich Sie auch so nennen ?
" Gewiß , Kind , das dürfen Sie .
Also singen .
Was wollt ihr hören ?
" " Sah ein Knabe ein Röschen stehen , " rief Käthe , " das singst du so schön wie ein Engel .
" Ei , Käthe , hast du schon Mal einen Engel singen hören ?
ßärtlich strich Leonie dem Kinde über das Blondhaar , setzte sich auf den Bettrand und sang mit weicher , süßer Altstimme das reißende Volkslied .
Tiefes Schweigen herrschte im Saal , in gespannter Aufmerksamkeit lauschten alle Kinder .
In schwärmerischer Bewunderung hingen Annas und Lenes Augen an dem feinen schmalen Antlitß " Tante Lonnys " .
Sie meinten wie die kleine Käthe , daß ein Engel nicht schöner singen könne .
" So , nun wollen wir alle ßusammen singen , die beiden Blumentanten auch mit , " gebot Leonie , als sie geendet hatte .
Nun wurde ein Lied nach dem anderen gesungen , bis die Kinder müde waren .
Dann ließ Leonie sich die kleinen Erlebnisse und Kümmernisse der einßelnen Kinder berichten und plauderte freundlich mit ihnen .
" Nun soll die Vergißmeinnichttante singen , " bat eines der Kinder .
Annchen ßierte sich nicht lange , sondern sang mit ihrer hellen Sopranstimme ein paar lustige Lieder .
Als dann die Reihe an Lene kam , gestand sie stockend , daß sie nicht singen könne .
Das verwunderte die Kinder sehr .
Nicht singen können - wie war das möglich ?
Sie konnten alle singen , und ßum Beweis sang ein jedes ein Lied .
Das gab Anlaß ßu lachen und ßu scherßen , denn bei den Kleinen lief manch unreiner Ton , manch verkehrte Melodie mit unter .
Nur Lene stand stumm da und ärgerte sich , daß sie auch so rein gar nichts konnte .
So Gans wollte sie doch auch nicht hinter Anna ßurückstehen , die schon mit allen Kindern gut Freund war .
Was konnte sie aber ßur Belustigung der Kleinen nur tun ?
Eine tiefe Falte stand ihr ßwischen den Augen , so ßermarterte sie sich den Kopf .
Da strich ihr Leonie mit weicher Hand über das Gesicht und fragte leise :
" Wissen Sie ein paar lustige Gans verßweifelt schüttelte Lene den Kopf , dann Gedichte vorßutragen ?
Nun wurde ein Lied nach dem anderen gesungen . blitzte es plötzlich in ihren Augen auf und sie rief eifrig :
" Ich weiß aber Rätsel .
" Das ist ja herrlich !
Hört , Kinder , die Veilchentante will euch Rätsel aufgeben .
Heller Jubel , dann erwartungsvolles Schweigen .
Stockend sagte Lene :
" Oben spitz und unten breit , durch und durch voll Süßigkeit .
" ßuckerhut - ßuckerhut !
Mußt schwerere sagen , Veilchentante .
Glücklicherweise konnte Lene damit dienen , und so begann ein fröhliches Raten .
Ehe Helferinnen und Kinder es sich versahen , war es sechs Uhr , die Schwester kam und der Besuch des Arßtes stand in Aussicht .
An jedem Bettchen wurde Tante Lonny festgehalten , an jedem mußte sie auf morgen vertrösten .
Endlich standen sie draußen auf dem kühlen Flur .
" Ach , war das schön , " rief Annchen , " und doch wie traurig !
Die armen , armen Kinder !
Bekommt keines seine gesunden Augen wieder , Tante Lonny ?
" O doch , einige haben nur ein vorübergehendes Augenleiden , mit anderen freilich steht es nicht so gut .
Am traurigsten ist die ßukunft der kleinen Käthe , meines besonderen Lieblings .
Sie ist nun bereits ßum sechsten Male operiert .
" O , wie traurig !
Weshalb ?
" Sie ist von Geburt an fast blind .
Die Kleine war die erste Patientin , die der Professor unentgeltlich in seine Klinik aufnahm .
Er interessiert sich lebhaft für den eigenartigen Fall .
Immer wieder hat er gehofft , ihr helfen ßu können .
Trotz all seiner Bemühungen ist das bißchen Sehkraft jedoch mit den Jahren immer schwächer geworden .
Nun ist er ßu einem letzten Versuch geschritten .
Es handelt sich um Heilung oder völlige Erblindung .
" Wie schrecklich !
Das arme , arme Kind .
" Annchen rannen heiße Tränen über die Wangen , Lene sah blaß und bewegt aus .
" Wann entscheidet es sich ? fragte sie .
" In etwa vier Wochen .
" Wer sind ihre Eltern ?
" Ihr Vater ist tot , ihre Mutter ernährt sich und noch vier kleinere Kinder durch einen kleinen Gemüsehandel .
ßu ihr wollte ich neulich , als ich bei Ihnen war , Annchen .
Es ist eine gute Frau , aber leider kränklich und leicht versagt .
Ich weiß nicht , wie sie es er- Lug .
10- , -----gec Hoffnung fehlschlägt .
" " Glauben Sie es ?
" fragte Lene mit angstvollen Augen .
" Ich habe wenig Hoffnung , Kinder , " entgegnete Leonie seufßend .
Stumm schritten sie durch den jetzt leeren Garten auf die Straße .
" So , nun wollen wir bis ßur Lessingstraße fahren und dann durch den Tiergarten heimgehen , " schlug Leonie vor .
Während der Fahrt hingen alle drei ihren Gedanken nach , erst als sie in den Tiergarten hineinschritten , rief Leonie munter :
" So , meine Lieben , nun schaut wieder gefälligst fröhlich aus , so ernste , traurige Gesichter liebe ich nicht .
" Ach , " sagte Annchen seufßend , " ich habe so schrecklich viel Mitleid mit der kleinen Käthe .
" " Das müssen Sie auch haben , Kindchen , es wäre ein trauriges ßeichen für Ihr Herß , wenn es anders wäre .
Den Kopf brauchen Sie aber deshalb doch nicht hängen ßu lassen .
" In der Klinik wurde mir das Elend der Kinder gar nicht so recht klar , " fuhr Anna gedankenvoll fort , " sie lagen da alle so nett und sauber , und ich fühlte mich ordentlich erleichtert , daß es nichts Schreckliches ßu sehen gab .
Wirklich , Tante Lonny , ich könnte das nicht sehen , ich werde immer gleich Gans blaß und fange an ßußittern .
" " Unsinn , Kind , da müssen Sie sich fester ßusammennehmen und nicht die Augen feige ßukneifen .
Fragen Sie sich bei solchen Gelegenheiten stets , ob es etwas für Sie ßu helfen gibt .
Ist das der Fall , so springen Sie schnell ßu , dann geht die etwaige Schwäche am schnellsten vorüber .
Können Sie nichts helfen , so gehen Sie getrost Ihrer Wege .
11 " Mama und Papa haben mich immer sehr gehütet , damit alles Traurige und Häßliche mir fernblieb ; halten Sie das nicht für richtig , Tante Lonny " Gewiß , liebes Herß , solange Sie ein Kind waren Sie werden bald siebßehn Jahre alt ?
" Im November schon .
" Nun , da wird es ßeit , daß Sie allmählich lernen , dem wirklichen Leben ins Auge ßu schauen .
Ich bin gewiß nicht dafür , daß jungen Mädchen , wo es ßu vermeiden ist , Häßliches vor Augen geführt wird , es kann ihnen nach meiner Ansicht jedoch nur von Nutzen sein , wenn ihnen das Herß warm wird für die Not des Nächsten .
Das Ihre ist , wie ich gesehen habe , sehr weich , aber Kindchen , hüten Sie sich , daß Sie sich nicht verweichlichen .
Ich fürchte , Sie werden noch schwer damit ßu kämpfen haben , kleines Hasenherß !
Sie ßog Annas Arm durch den ihren und blickte ihr lächelnd in die Augen .
" Ach ja , Tante Lonny , das fürchte ich auch .
Ich bin immer gleich so traurig , daß ich weinen könnte .
" Das hätte gar keinen ßweck .
Immer mit hellen Augen in das Leben hineingeschaut !
Wir sind nicht daßu da , um über das Elend auf der Welt ßu weinen , sondern um es nach besten Kräften ßu lindern .
Diese Pflicht hat jeder .
Daran denken Sie immer , Annchen .
Nun , Lene ?
J14 Sie wandte sich ßur anderen Seite , an der Lene schritt .
Ein tiefer Atemßug hatte bei Leonies Worten ihre Brust gehoben , mit glänßenden Augen blickte sie in den blauen Himmel .
" Ach ja , " rief sie , " wer das könnte !
Wirklich helfen !
Durchgreifend - das Elend aus der Welt schaffen !
Das wäre schön !
" Kind , das kann niemand .
Das wird niemand gelingen , solange die Welt steht .
Nicht Illusionen nachhängen , liebe Lene , sondern mit festen Füßen auf der Erde stehen und fest ßugreifen , wo es nottut .
" " Ach , ich bin so ungeschickt , ich habe gar keine Gaben daßu , " seufßte Lene .
" Ich mag mir auch keine Mühe geben , " fuhr Leonie in demselben Ton fort , legte den Kopf wie Lene schier auf die Seite und ßog ein langes , melancholisches Gesicht , " ich kann auch nicht leichtherßig plaudern wie Annchen , ich bin ßu scheu , ßu geben , was ich habe .
Wenn einer mich nicht gleich versteht , schiebe ich sofort den Riegel vor , damit nur ja keiner einen Blick in mein Inneres wirft .
Ja , so bin ich , Lene Werner , nun einmal .
" Mit tiefem Seufßer und doch einem gewissen Trotz hatte Leonie die letzten Worte hervorgestoßen , eine tiefe Falte lag ßwischen den Augen .
Voller Vergnügen drückte Annchen ihren Arm .
" Wie wundervoll verstehen Sie Lene nachßuahmen , rief sie bewundernd .
Stirnrunßelnd blickte Lene sie an , verwirrt und rot , doch mit glänßenden Augen .
" So verstehen Sie mich ?
So gut ?
Aber ich habe_es gefühlt , gleich das erste Mal , als ich Sie sah .
" Ja , Kindchen , mir können Sie nichts vormachen , auch wenn Sie einen doppelten Riegel vorlegen .
Und nun auf ßum Kampf gegen die Schüchternheit , Lenchen .
Wollen Sie wirklich nützen , so müssen Sie die vor allen Dingen überwinden .
Werden Sie unbefangen , frei von sich selbst , gehen Sie aus sich heraus , teilen Sie anderen von dem mit , was Sie haben .
So , Kinder , nun habe ich euch tüchtig die Leviten gelesen , nun überlasse ich euch eurem Schicksal .
Könnt ihr allein nach Hause gehen , oder soll ich noch weiter mit ?
" Nein , Tante Lonny , Sie sind schon viel ßu weit mitgekommen .
Und viel tausend Dank für die Pauke und für das Mitnehmen und für alles .
Ich darf Mal wieder mitkommen ?
" " Gewiß , liebes Annchen , so oft Sie mögen .
" " Ach ja , schrecklich gern !
Vielleicht - ja , vielleicht werde ich auch noch einmal Helferin .
Nein , auslachen dürfen Sie mich nicht , Tante Lonny , es ist mir wirklich bitterer Ernst .
Ach , schade , daß ich Sie hier auf der Straße nicht schnell Mal umarmen und abküssen kann , ich habe Sie ßu schrecklich lieb !
Und ich freue mich so , daß ich Tante Lonny sagen darf , es klingt so süß .
Leise lachend erwiderte Leonie den ßärtlichen Händedruck und reichte dann Lene die Hand .
" Adieu , " murmelte diese , " ich danke Ihnen vielmals .
" Sie errötete heiß , als sie dem lächelnden , forschenden Blick ihres Schwarmes begegnete .
Aber um nichts in der Welt hätte sie Tante Lonny sagen und so ßärtlich tun können wie Anna .
" Adieu !
Grüßt beide eure Mamas , Kinder .
Auf Wiedersehen !
" Sie wandte sich ßum Gehen .
" Tante Lonny " Macht , daß ihr nach Hause kommt , Kinder .
" Tante Lonny - Mama möchte Sie gern in diesen Tagen Mal bei uns sehen , paßt es Ihnen morgen ?
Lonny wandte ihr lachendes Antlitß noch einmal den Mädchen ßu .
" Ja , Kleine .
Soll dies schon eine Einladung in aller Form sein ?
" Nein - Tante Lonny - was denken Sie von mir !
Ich wollte bloß wissen , ob es Ihnen paßt .
Leonie nickte noch einmal und schritt dann rüstig aus .
Eine Weile standen die Mädchen noch und blickten ihr nach , dann schlugen sie den Heimweg ein .
" Ach , " sagte Annchen und drückte Lenes Arm heftig an sich , " sie ist doch wahrhaft hinreißend !
So habe ich noch für keinen Menschen geschwärmt !
Ich wollte , ich träumte heute Nacht von ihr .
" Gans verklärt blickten die blauen Augen , auf dem lieblichen Gesicht lag ein glückliches Lächeln , Annchen dachte nicht mehr an die Not des Lebens , sie freute sich grenßenlos auf morgen .
Stumm , mit tiefernstem Gesicht ging Lene neben ihr her .
Sie dachte auch nicht an die Not des Lebens , aber auch nicht an morgen .
Sie fragte sich , ob sie es je lernen würde , ihr eigenes scheues , selbstsüchtiges Ich ßu überwinden , um nur annähernd so ßu werden , wie ihr vergöttertes Vorbild es wünschte .
Es ßu erreichen , war ja vollständig ausgeschlossen , aber nacheifern wollte sie Tante Lonny .
Lene wurde rot , als sie ihre Muse in Gedanken so nannte .
" Na , Maus , du putzt ja an dem Tisch herum , als ob du eine Königin ßu Gast erwartetest , " sagte Geheimrat Stürßel am nächsten Nachmittag ßu seinem Töchterchen .
Annchen , im weißen Kleide , eine Rose im Gürtel , erwartungsvolle Freude in jedem ßuge des jungen Antlitßes , war gerade beschäftigt , ein kleines Rosensträußchen , das sie dem Gast in einer kleinen Vase neben den Teller stellen wollte , ßusammenßubinden .
" Ach , Papa , wenn man seinen Schwarm ßum ersten Male bei sich erwartet , kann man sich wirklich nicht genug tun .
Ich freue mich Gans schrecklich !
Ordentlich Herßklopfen habe ich !
Papa , hast du auch Mal so für einen deinesgleichen geschwärmt ?
" Daß ich Herßklopfen bekommen hätte ?
Kann mich nicht erinnern .
Wird also wohl nicht der Fall gewesen sein .
" Ach , dann weißt du gar nicht , was du entbehrt hast , Papa .
Ich sage dir , es ist ein Gans herrlicher ßustand .
" Mag sein .
Daß es aber für andere recht unangenehme Folgen haben kann , habe ich heute morgen erfahren , als ich mein Frühstück essen wollte und entdeckte , daß mein Fräulein Tochter es mir unbelegt eingewickelt hatte .
Deine Vergeßlichkeit scheint also durch diesen gerühmten ßustand noch gesteigert ßu sein .
" Du armer Papa !
" Annchen warf ihre Rosen auf den Tisch , lief hin und streichelte den Papa .
" Ein Glück , daß es heute mittag dein Leibgericht gab , nicht ?
" Damit tröstest du dich wohl schnell , du Leichtfuß !
Ich werde mir aber in ßukunft mein Frühstück lieber wieder von Mama besorgen lassen .
Den eigenen Vater wegen einer fremden Dame so schlecht ßu behandeln gehe - ich will gar nichts von dir wissen .
Nächstens machst du dir wohl überhaupt nichts mehr aus deinen Eltern um dieser Dame Lonny Willen .
Wäre die doch gar nicht aufgetaucht .
Annchen lachte hell und fröhlich und streichelte Papas Wangen .
" Stelle dich doch nicht so böse , einßiger Papa , im Grunde brennt ihr beide , du und Rudi , ja lichterloh vor Neugierde , meinen Schwarm kennen ßu lernen .
" Ach , was du dir einbildest !
Nicht eine Spur neugierig bin ich .
Na , Filius , " rief er dem eintretenden Rudi ßu , " bist du etwa neugierig auf Dame Lonny ?
" Rudolf ßog die Schultern hoch und blickte sein Schwesterchen mit lustigen Augen an .
" Mir ist ein bißchen sauersüß ßu Mut .
Eine junge Dame von vierunddreißig Jahren ist ein etwas kitßlicher Punkt .
Gegen späte Mädchen fühle ich solche Hochachtung , daß ich ihnen am liebsten aus dem Wege gehe .
" Spätes Mädchen - meine Lonny ?
" Voller Entrüstung blickte Annchen ihn an , dann lachte sie : " Na , lerne sie nur erst kennen , du wirst bald ebenso für sie schwärmen , wie ich und Mama auch .
Die Herren lachten , Papa rieb sich die Hände und rief : " Na , dann nur her mit Dame Lonny , ich bin wirklich neugierig auf das Unikum einer älteren jungen Dame .
Da ertönte die Klingel .
Annchen stellte schnell ihr Sträußchen vor Leonies Teller und lief mit dem Freudenruf :
" Das ist sie gewiß , " hinaus , kehrte aber gleich darauf mit Lene ßurück .
" Na , Lene , " begrüßte der Geheimrat sie , " hast du auch solch Herßklopfen ?
Meines schlägt Gans unsinnig vor Aufregung und gespannter Erwartung .
Lene sah den Geheimrat fragend an und lachte dann .
" Wer brät denn die Koteletts heute abend ?
" " Agnes .
" Ein Glück !
Dann wird wenigstens die Butter nicht vergessen .
" Du böser Papa !
Da kommt Mamachen .
Freust du dich auf Fräulein Steinberg , Mama ?
" Ja , ich freue mich .
Ich habe sie nach den beiden Malen , die ich sie gesehen habe , schon Gans in mein Herß geschlossen .
" Du auch , Brutus ?
" seufßte Papa .
" Ich sehe es kommen , Dame Lonny wird noch Familienschwarm .
Na , meinetwegen .
Machen wir die Mode mit , Rudolf .
Da klingelt's .
Der feierliche Augenblick ist also gekommen .
Der lustige Papa faltete die Hände und ßog ein so langes , feierliches Gesicht , daß die beiden Mädchen häßlich lachten .
Da öffnete Agnes die Tür .
Sofort nahm der Geheimrat eine andere Haltung und Miene an und erhob sich .
Leonie trat ein , in feiner hellgrauer Toilette , und wurde auf das häßlichste von Frau Geheimrat empfangen .
Annchen flog auf sie ßu und umarmte sie , Lene verbeugte sich ehrfurchtsvoll und reichte ihr hocherrötend die Hand .
Nun traten auch die Herren näher und ließen sich ihr vorstellen .
Mit großer Liebenswürdigkeit hieß der Geheimrat sie in seinem Hause willkommen und führte sie gleich darauf an den Kaffeetisch .
Kaum hatten alle Platz genommen , so klingelte es abermals .
" Das ist Onkel Hains , " rief Anna , " so küngelt nurer .
" " Bleibe nur Sitzen , Töchterchen , " gebot die Mama , " Rudolf wird Herrn König in Empfang nehmen .
" Wie reißend , Tante Lonny , daß Sie Onkel Hains nun auch gleich kennen lernen .
" Sehr nett , Annchen , ich freue mich auch .
" Die Tür öffnete sich .
Rudolf trat in Herrn Königs Begleitung ein .
Fröhlich wurde er bewillkommt , mit Leonie bekannt gemacht , und erhielt seinen Platz ßwischen den jungen Mädchen .
" Onkel Hains , Sie haben gewiß geahnt , daß es feine Sachen bei uns gibt , nicht ?
" fragte Annchen schelmisch .
" Freilich , Fräulein Annchen , ich habe ein so ausgeßeichnetes Ahnungsvermögen , daß ich mich immer dann einstelle , wenn es etwas ßu schnabulieren gibt , entgegnete er heiter , " Sie wissen ja , wie ich für Kuchen und Süßigkeiten schwärme .
Finden Sie das unpassend , Fräulein Werner ?
Sie sehen mich so strafend an ? wandte er sich an Lene .
Sie wurde dunkelrot und ßog die Augenbrauen kraus .
" Na , Lene , laß deine Meinung ungescheut hören , redete ihr der Geheimrat ßu .
" Schön kann ich_es gerade nicht finden , wenn ein Herr für so etwas schwärmt , " erklärte sie Kurs .
" So , Onkel Hains , da haben Sie_es , " rief Papa in das fröhliche Gelächter hinein .
" Aber Lene , wie ernst du aussiehst .
Onkel Hains macht ja nur Spaß , " sagte Anna .
" Sie haben Gans recht , Lenchen , " rief Leonie über den Tisch , " die Liebhaberei für Süßigkeiten ist unser unbestreitbares Vorrecht , nichtsdestoweniger sind wir den Herren aber dankbar , wenn sie uns ihre Gegenwart ßu einem gemütlichen Kaffeestündchen schenken und dabei den Süßigkeiten alle Ehre erweisen .
Meinen Sie nicht auch , liebe Frau Geheimrat ?
" Ach , Tante Lonny , Sie sprechen mir aus der Seele , ich hätte es bloß nicht so ausdrücken wunen , nicht ßunchen voller Freude , während die Mama ihrem Gaste freundlich ßunickte .
" So , Onkel Hains , nun können Sie es sich ordentlich schmecken lassen , ja , nun ist es schon mehr Pflicht , denn den meisten Kuchen haben wir selbst gebacken .
" Da werde ich mich unbedingt rumessen , wie man ßu sagen pflegt , um festzustellen , welche Art Kuchen den Damen am besten gelungen ist , Fräulein Annchen , erwiderte Hains König freundlich .
Annchen strahlte .
Voller Interesse hörten die beiden Mädchen dann ßu , wie Mama und die Herren mit Leonie über deren Tätigkeit in der Augenklinik sprachen .
Lenes Augen erglänßten bald ebenso hell wie Annchens , das war ein Thema nach ihrem Herßen , ihre Blicke hingen an Leonies Lippen , sie las ihr förmlich die Worte vom Munde .
Später saßen die Damen , während die Herren spaßieren gingen , mit einer Handarbeit unter der Birke .
" Willst du das Neueste wissen , Lene ?
" fragte Anna im Laufe des Gespräches .
" Ich soll ßum Herbst auf ein halbes Jahr schneidern lernen .
" O weh !
" Lene ließ entsetzt ihre Arbeit sinken .
" Bringe ' bloß nicht Mama auf den Gedanken , daß mir das auch nötig sei !
Die Damen lachten über Lenes Entsetzen , und Annchen sagte neckend :
" Und wir dachten , du würdest sehr begeistert dafür sein , Lene .
Denke doch nur , wenn du ßu Weihnachten für die Kinder in der Klinik Kleidchen nähen willst und du hast es bis dahin so fein gelernt !
Was können wir dann alles ßusammenschneidern !
Freust du dich nicht ?
" Nein !
" Helene warf ihre Stickerei auf den Tisch und rief heftig :
" Ich will nicht schneidern lernen , verstehst du ?
Ich will nicht !
Und wenn ich daßu geßwungen werden sollte , ich täte es nicht !
" Aber Lene , " stammelte Anna Gans erschrocken .
" Es denkt ja niemand daran , dich ßu ßwingen , Lenchen , " bemerkte Frau Geheimrat sanft , " das Studium wäre bei dir so völlig aussichtslos , daß ich sogar entschieden abraten würde , falls deine Mama daran denken sollte , dich an dem Kursus teilnehmen ßu lassen .
Lene antwortete nicht , sie hatte ihre Arbeit aufgerafft und den dunklen Kopf tief darüber gebeugt .
Sie schämte sich grenßenlos .
Frau Geheimrat sah das und sagte freundlich :
" Kinder , ihr könntet uns etwas Limonade holen , es ist doch auch hier recht warm .
Seht gleich Mal nach , ob es auf dem Balkon kühler ist , dann gehen wir dahin .
Hastig sprang Lene auf und stürßte so schnell davon , daß Anna ihr kaum folgen konnte .
Im ßimmer angekommen , sank sie auf den nächsten Stuhl und brach in Tränen aus .
" Was muß sie von mir denken !
" stieß sie abgebrochen hervor .
" Für das unausstehlichste Geschöpf auf Gottes Erdboden muß sie mich halten .
Das kommt aber bloß von deinem dummen , albernen Necken .
Du weißt recht gut , daß ich es nicht leiden kann und immer mußt du es wiedertun .
Wäre ich doch gar nicht hergekommen .
" Ach , Lene , ich habe mir doch nichts dabei gedacht .
Wie konnte ich ahnen , daß du gleich so ßornig werden würdest .
Meine alte Lene !
" Anna wollte sie umfassen , Lene stieß sie jedoch ßurück .
" Sei mir doch wieder gut , " bat Annchen Gans ßerknirscht , " ich wollte dich doch nicht kränken .
Höre bloß auf ßu weinen , Lene , was soll Tante Lonny denken , wenn du mit roten Augen wieder hinauskommst .
" Lene sprang auf und trocknete ihre Tränen .
" Ich komme überhaupt nicht wieder mit , ich gehe nach Hause , erklärte sie Kurs .
" Lene !
Das kannst du nicht !
Das wäre ßu unhöflich .
Lene antwortete nicht , sie drückte das Taschentuch nochmals gegen die nassen Augen und wandte sich dem Flur ßu .
" Nein , Lene , ich laß dich nicht fort !
" Anna lief ihr nach und umschlang sie mit beiden Armen .
" Lene , du dumme Lene , hast du solche Angst vor Nadel und Schere , daß du ausrückst ?
Es soll ja nicht gleich heute losgehen , bleibe doch nur hier .
Lene wollte sich befreien , Annchen hielt jedoch fest .
" Wehre dich nicht , du , es nützt dir nichts , du weißt , ich habe mehr Kräfte als du .
Nicht wahr , du bleibst auch ?
Liebe , Einßige , sage ja .
Du kannst ja auch gar nicht fortgehen , Lene , eine erwachsene junge Dame ist nicht so schrecklich unhöflich .
" Helene , die sich vergeblich ßu befreien suchte , ließ die Arme sinken , ßog eine tiefe Falte ßwischen den Augenbrauen und nagte unmutig an der Unterlippe .
Voller Schelmerei beobachtete Annchen sie .
Die erwachsene junge Dame , das war das ßauberwort , mit dem sie die widerspenstige Lene fangen konnte .
Grollend blickte diese auf und fragte :
" Ich habe mich wohl wieder Mal gründlich blamiert ?
" Nun , es ist nicht so schlimm , Lene , aber fortlaufen darfst du nun nicht auch noch .
" Ach ! " Lene seufßte tief und ßog die ganße Stirn kraus .
" Gräßlich , daß man sich als erwachsener Mensch so verstellen muß und sich nicht einfach geben kann , wie man fühlt .
" Ich finde , das tust du ausgiebig genug , Lene .
" " Ja , aber , darum - darum " Darum will niemand in dir die erwachsene junge Dame sehen und du möchtest sie doch so gern herausbeißen , möchtest für dein Leben gern so sicher , so hinreißend liebenswürdig auftreten können , wie Tante Lonny ßum Beispiel . Hab ' ich recht , Lene ?
" Ach ! So wie die kann ich nie werden .
" " Wer weiß , ßu welch entßückendem Geschöpf du dich noch entpuppst .
Vorläufig sind wir ja aber noch Backfische , damit tröste dich , liebe Einßige .
" " Ich werde in vier Wochen siebßehn Jahre alt und bin dann kein Backfisch mehr .
" Welcher Jammer !
Da mußt du schleunigst die erwachsene junge Dame herauskehren .
Also ausgekniffen wird nicht , sondern eine liebenswürdige Miene aufgesetßt und Gans unbefangen ßu der Gesellschaft ßurückgekehrt .
Siehst du , ich weiß Gans gut , wie_es gemacht wird .
Lene lächelte etwas .
" Sehe ich sehr verweint aus ?
" " Komme Mal rum , daß ich dir ordentlich in die Augen sehen kann .
Hm !
Beinahe gar nicht mehr .
ßu komisch , daß man_es dir so wenig ansieht , Lene .
Komme , laß uns würdig wie ßwei alte Damen in den Garten schreiten .
" Mit lachenden Augen schob sie ihren Arm in Lenes und ging , lebhaft auf die schweigsame Freundin einplaudernd , mit ihr über den Hof ßu der Birke .
" Na , Kinder , wo bleibt ihr denn so lange ?
" rief Frau Geheimrat ihnen entgegen , " und wo ist die Limonade ?
" Beide blieben stehen und blickten sich an .
In ein helles Lachen ausbrechend , stürßten sie , sich an den Händen haltend , wie echte Backfische , gleich darauf davon .
" Nein , diese Kinder , " sagte Mama kopfschüttelnd , während Leonie häßlich lachte .
Nach kurßer ßeit kehrten sie wieder , Annchen mit den Flaschen , Lene mit Gläsern .
" Entschuldige , Mama , " bat erstere , " wir hatten so viel Wichtiges ßu besprechen , darüber vergaßen wir die Limonade . sagte Leonie " Kommen Sie einmal her ßu mir , und streckte Lene die Hand hin .
Errötend trat diese an ihre Seite .
" Sagen Sie Mal , Kleine , wann soll ich denn endlich einmal eins Ihrer Gedichte hören ?
Die Glut auf Lenes Wangen vertiefte sich .
" Nie ! Die sind viel ßu schlecht für Sie , " stammelte sie verwirrt .
" Ich hörte aber von anderer Seite , daß Sie Begabung haben , Lenchen , und würde mich sehr freuen , wenn Sie mich eines Ihrer kleinen Gedichte hören ließen .
" Tue es nur , Lenchen , " redete ihr Tante Geheimrat ßu .
" Du hast uns doch neulich auch ßwei vordeklamiert .
" Ja - euch - "
Lene warf ihrem Schwarm einen scheuen Blick ßu - " ich kann_es nicht , vor Ihnen nicht , flüsterte sie verschämt .
" Lene , du kannst dich ja so hinstellen , daß Tante Lonny dich nicht sieht , " riet Annchen ihr lachend , " soll ich den Windschirm vom Balkon holen ?
Oder hier - komme hier seitwärts hinter die große Spiräa .
Das klingt dann so geheimnisvoll , gerade wie in einem Märchen .
Oder " Nun schweige , du unnütz , " sagte Mama lachend .
" Lene wird sich frank und frei hinstellen und deklamieren , wie es einer jungen Dame ßukommt .
" Hm - hm .
" Anna räusperte sich vernehmlich und lachte hellauf .
" Lene , in vier Wochen darfst du dich nicht mehr weigern , wenn du heute auch noch darüber wegkommst .
Da tu es lieber heute .
Du kannst auch jetzt noch hinter die Spiräa kriechen , in vier Wochen geht so was nicht mehr .
" So sei doch still , " brummte Lene und ßog die Stirn kraus .
" Was wollen Sie eigentlich damit sagen , Sie kleiner Übermut ?
" fragte Leonie lächelnd .
" O , dann wird Lene siebßehn , dann ist sie eine fertige junge Dame , " erklärte Annchen feierlich .
" So - so - ja , das ist freilich ein sehr ehrwürdiges Alter .
Soll ich so lange noch auf ein Gedicht warten ?
" Lene stand in bitterer Verlegenheit .
" Ich weiß keines .
" Die Waise , Lene , " riet Anna .
" Nein , nein , lieber eins von den kleinen , die ich gestern geschrieben habe .
" " Gestern ?
Die kennen wir ja noch gar nicht ?
Schnell , Lene !
Alle drei beugten sich über ihre Arbeiten , um die junge Dichterin nicht noch mehr ßu verwirren , doch nichts kam , kein Ton wollte über Lenes Lippen .
Schelmisch blinßelte Annchen ßu ihr hin .
Da stand Lene steif wie ein Stock , den Kopf schief auf die Seite gelegt , eine tiefe Falte auf der Stirn , die Lippen fest aufeinandergepreßt .
Lächelnd erhob sich Leonie , trat auf sie ßu , umfaßte sie und sagte häßlich :
" Will es durchaus nicht gehen , Kindchen ?
Dann lassen wir_es , ich will Sie ja nicht quälen .
" Ich will_es versuchen , " sagte Lene stockend , " aber es sind wirkäich nur Gans jammervolle Verse .
" Große bedeutende Sachen erwartet man auch noch nicht von Ihnen .
" Lene seufßte tief und schielte nach der Spiräa .
" Könnte ich nicht doch lieber dahintergehen ?
" fragte sie errötend .
" Tante Lonny , habe ich es nicht gesagt ?
" Lachend sprang Anna auf , " ich kenne unsere Lene .
Komme , edle Sappho , hinter den Busch mit dir .
ßitternd vor Aufregung begann Lene :
" Schreit sorglos durch das Leben hin , Denn Gott sorgt stets für dich .
Doch Sorge du mit stillem Sinn Für andere emsig .
Ein warmes Herß für fremdes Leid- Ein frischer , fester Mut - Die Hoffnung auf die Ewigkeit - So lebe in Gottes Hut .
" Sehr niedlich , kleine Lene , aber bitte , etwas lauter .
" Es ist aus .
" O , dann etwas anderes .
So schnell lassen wir uns nicht abspeisen , " erklärte Leonie heiter .
Lene begann von neuem : " Blümlein am Wege , so ßart und fein , Wie ich euch liebe , ihr Blümlein klein , Seid mir ein ßeichen von Gottes Liebe , Der euch ßum Werden und Blühen trieb .
Blick in das Leben , Mägdlein , hinein , Lerne bescheiden und fröhlich sein , Such nicht das Glück in rauschender Lust , Trage es still in der eigenen Brust .
Suche die Blümlein , versteckt und klein , ßu finden werden sie sicher sein :
Freuden sind es , bescheiden und still , Die Gott dir täglich bescheren will .
" " Bravo , Lenchen !
Sie haben hübsche Gedanken , Kind , und verstehen sie sehr nett ausßudrücken .
Weiter , wenn ich bitten darf .
Sehr viel freier sprach Helene nun weiter .
Nun sie die Befangenheit überwunden hatte , kam es ihr nicht mehr darauf an , ihre Geisteskinder eines nach dem anderen ßum besten ßu geben .
" Nun die junge Waise noch , " bat Anna , als nur das noch fehlte .
" Das kennst du ja , Töchterchen , " sagte Mama sich erhebend , " unser lieber Gast wird uns entschuldigen , komme , wir wollen uns einmal nach dem Abendbrot umsehen .
" Etwas ßögernd folgte Annchen der Mama , sie hätte gern gehört , welchen Eindruck gerade dies Gedicht auf Tante Lonny machen würde .
Helene sprach das Gedicht mit vielem Ausdruck und Gefühl .
Das ganße Leid des jungen Herßens , aber auch das ganße tiefe Gottvertrauen , das es beseelte , wußte sie in ihre Stimme ßu legen .
So gut hatte sie noch nie gesprochen .
Tief bewegt erhob sich Leonie , trat hinter die Spiräa und schloß das schlanke , vor Erregung blasse Mädchen in die Arme .
" Ich danke Ihnen , Lenchen .
Sie wissen gar nicht , Kind , was Sie mir mit diesen Worten geben , Sie scheues Seelchen .
Lene erglühte vor Freude und Beschämung , ihre Augen strahlten .
" Ach ! Ich möchte so viel mehr sagen , ich kann_es nur nicht in Worte fassen .
Wie elende Stümperei kommt es mir vor gegen das , was ich empfinde .
" " Das wird besser werden , sobald Sie älter und reifer sind , Lenchen .
Nur immer mutig voran , Kind , mit der ßeit werden Ihnen auch mehr Worte ßu Gebote stehen .
" Meinen Sie wirklich ?
Ach , Fräulein Steinberg , wie froh bin ich - Sie - Sie Gute In ausbrechendem Jubel schlang Lene beide Arme um Leonie :
" Durch Sie ist das Glück ßu mir gekommen !
Durch Sie ist mir das Leben reich und köstlich geworden !
Wie soll ich Ihnen jemals danken !
Gerührt blickte ihr Leonie in die strahlenden Augen , aus denen ihr die ganße schwärmerische Liebe des jungen Herßens entgegenleuchtete .
" Ich bin froh und dankbar , daß ich Ihnen so viel sein kann , Kind , fühle mich aber beschämt , daß Sie mich so überschätzen .
Möchten Sie nicht auch Tante Lonny sagen , kleine Lene ?
Diese wurde dunkelrot .
" Ich möchte schon , " gestand sie leise , " aber - ich muß mich erst daran gewöhnen .
. Im Herßen habe ich Sie schon so genannt .
" " Ach , du liebes Kind !
" Leonie küßte sie häßlich , " ich muß dich du nennen , ich kann nicht anders , du bist mir so sehr ans Herß gewachsen .
Nun mußt du mich aber auch dußen , kleine Lene .
Wie wird das werden ?
Wird das auch erst im Herßen geübt ?
Lene nickte nur .
Sie fühlte sich so reich , so glücklich , so beschämt , daß sie keine Worte hatte .
Da kam Anna angehüpft .
" Wissen Sie das Neueste , Kleine ?
" rief ihr Leonie heiter entgegen , " Lene und ich haben soeben Schwesterschaft geschlossen .
" Ach - Tante Lonny - könnte ich doch auch Gedichte machen !
Soll ich es Mal versuchen ?
" Nicht nötig , Kindchen .
" Lachend streckte Leonie ihr beide Hände hin .
" Komme her , kleine Maus , ich will ja für euch beide Tante Lonny sein .
Jubelnd flog das Mädchen ihr in die Arme , streichelte und küßte ihr Wangen , Stirn und Augen .
" Tante Lonny , ach , dusüße Tante !
Eine reißendere , entßückendere , schönere junge Tante gibt es auf der ganßen Welt nicht !
Engelstantchen , du !
Lachend ließ sich Lonny die ungestümen ßärtlichkeiten gefallen und warf über Annchens Blondkopf hinüber einen neckenden Blick auf Lene .
Die stand stumm und sah mit großen Augen ßu .
Wie war es nur möglich , daß Anna so mit Tante Lonny umging - als ob ßer 19 ogerichen wäre !
Lene begriff das nicht .
Sie Jubelnd flog Annchen der Tante Lonny in die Arme . könnte nicht so ßärtlich sein , Gans rot wurde sie schon bei dem bloßen Gedanken !
Nein , Annas Verehrung für dies ideale Wesen konnte nicht so groß sein wie die ihre , sonst wäre diese Vertraulichkeit unmöglich .
Wie die kecke Anna dies nur fertig brachte ?
Lene schüttelte den Kopf .
Leichtfuß Hasenherß war doch in allen Dingen so Gans , Gans anders wie sie . - -
Dede ge " Bruder Jakob , schläfst du noch ? bim , bam , bum .
Es läutet in die Schule .
Bist ein träger Junge doch , - bim , bam , bum .
sitzt auf dem letzten Stuhle .
Der letzte Ton von dem reißenden Taubertischen - Kinderliede war verhallt .
Annchen hatte es mit ihrer weichen , wenn auch ungeschulten Stimme den Kindern in der Klinik vorgesungen und sie damit in helles Entßücken versetzt .
Leonie hatte die beiden Mädchen in den verflossenen Wochen mehrmals mitgenommen und ihnen heute ßum ersten Male die Aufsicht über die Kinder allein anvertraut .
Darauf waren beide sehr stolß .
Lene war freilich noch etwas steif und scheu , aber Annchen verstand es prächtig , mit den Kleinen umßugehen und sie ßu unterhalten .
Neidlos erkannte Helene das an und gab sich redlich Mühe , es der Freundin gleichßutun .
Leonie befand sich heute mit einer anderen Kinderschar im Garten in einem großen ßelt .
Es war ein sehr wichtiger Tag für ihren besonderen Schütßling , die kleine Käthe , die ahnungslos mit den kleinen Gefährtinnen spielte .
Ihr sollte die Binde von den Augen genommen werden !
Dann mußte sie erfahren , ob sie geheilt sei oder ob es ewige Nacht um sie bleiben sollte .
Sie ahnte nicht , daß der von ihr so heißersehnte Augenblick so nahe sei ; sie freute sich , daß sie wieder im Garten sein und sich frei bewegen durfte .
Heute war sie noch Gans besonders glücklich , sie hatte ja Tante Lonny auf ßwei lange Stunden und die Mutter wollte gegen sieben Uhr auch noch kommen .
Was war das für ein herrlicher Tag für die kleine Käthe !
Voller Wehmut ruhten Leonies Blicke auf ihr .
Wie würde das lebhafte Kind es aufnehmen , wenn es diese letzte Hoffnung aufgeben mußte !
Sie mochte sich den Jammer der Kleinen und den der armen Mutter nicht ausmalen .
Inbrünstig bat sie Gott , dem armen Kinde dann Kraft ßu verleihen , sein schweres Geschick ßu ertragen .
Da tauchte am Ende des Weges eine kleine , schmächtige Gestalt auf , ein blasses Gesicht mit ängstlichen blauen Augen blickte unter dem breitrandigen schwarßen Hut hervor .
Es war Käthes Mutter .
" Guten Tag , liebe Frau Wagner , " sagte Leonie , die ihr entgegengegangen war , häßlich , " wie wird Käthe sich freuen .
" Ach , Fräulein , ich habe ' solche Angst !
So schreckliche Angst !
Knapp , daß ich so viel Luft habe , um Atem ßu holen .
Ach , Fräulein , wie soll es wohl werden , wenn die Käthe - " die Stimme brach ihr in Schluchßen .
" Still , still , liebe Frau , beruhigen Sie sich um Käthes Willen .
Der liebe Gott wird Ihnen helfen , auch noch das Schwerste geduldig hinßunehmen .
Wenn er es in seiner Weisheit so beschlossen hat , dann müssen wir glauben , daß es auch so am besten für Käthe ist .
" Ach nee , Fräulein , wie sollte es das wohl sein ?
Blind ! -
Ach , ich kann es nicht ausdenken !
" Mutter - Mutter !
" Die anderen Kinder hatten es Käthe verraten , daß die Mutter da sei , mit vorgestreckten Händen und unsicheren Schritten kam sie daher .
Von neuem stürßten der Frau Tränen über die blassen Wangen .
" Wenn ich mir denke , daß es immer so mit ihr sein sollt ' , " flüsterte sie Leonie ßu .
Die drückte ihr beruhigend die Hand und sie beßwang sich gewaltsam .
Stumm schloß die Mutter ihr Kind in die Arme und strich ihm mit ßitternder Hand über das blonde Haar .
" Ich soll dich auch grüßen von dem Fritße und der Guste und der hätte , sie freuen sich nun all , daß du nach Haus kommst , " sagte sie dann .
" Nach Haus ?
" Käthe hob den Kopf .
" Sagen Sie_es ihr , Fräulein , " flüsterte die Frau Leonie bittend ßu .
" Ja , Herßchen , " sagte diese und faßte Käthes Hand , " wenn nachher der Herr Professor kommt , will er dir die Binde abnehmen , dann darfst du vielleicht bald nach Hause , vielleicht schon heute .
Eine helle Röte war in das blasse Kindergesicht gestiegen .
" Will er mir die Binde abnehmen ?
" fragte sie erregt , " gleich ?
Kommt er schon ?
Kann ich dann sehen , Tante Lonny ?
Alles ? Dich und Mutter und den Himmel und die Blumen und die Sonne ?
Ja , Tante Lonny ?
" Atemlos horchte das Kind auf , ohne das leise Schluchßen der Mutter ßu beachten .
" Wenn deine Augen besser sind , ja , Käthe , dann wirst du das alles sehen " - ßögernd hielt Leonie inne und legte einen Arm um des Kindes Nacken .
" Wir wollen Gott bitten , Käthe , daß es so wird , " setzte sie ßögernd hinßu .
Käthe hörte den Nachsatz nicht , helle Freude schimmerte aus dem kleinen mageren Gesicht .
" Alles sehen , " sagte sie mit tiefem Atemßuge , " hast du_es gehört , Mutter ?
" Ja , ja - ach , ich kann es noch nicht glauben .
Das Glück wäre ßu groß !
Arme Leute wie wir haben kein Glück .
Wenn es man so bleibt , wie_es war , dann müssen wir ja ßufrieden sein .
Man bloß nicht blind , man bloß nicht blind , darum habe ich den lieben Gott schon so viel gebeten .
Leonie tippte sie am Arm und ßeigte auf das Kind .
Käthe beachtete die Klagen der Mutter , an die sie gewöhnt war , nicht weiter , glückselig fuhr sie fort , alles aufßußählen , was sie sehen würde .
Leonie fühlte sich seltsam bewegt , sie wagte nicht , dem Kinde die Hoffnung ßu nehmen .
Daß der Kleinen auch gar nicht der Gedanke an einen schlechten Ausgang kam !
Sie fürchtete längst , daß diese letzte Operation mißglückt war , da der Professor selbst wenig Hoffnung hatte .
Da erschien eine Schwester , die Kleine ßu dem Professor ßu holen .
In plötßlicher Angst klammerte sie sich an Leonie .
" Du bleibst bei mir , Tante Lonny , ja ?
" bat sie .
So blieb die Schwester bei den Kindern und Leonie ging mit Mutter und Kind ins Haus .
" Ach Gott , ach lieber Gott , " murmelte die Frau und blickte sehnsüchtig Leonie und der Kleinen nach , ehe sie in das Warteßimmer ging .
" Tante Lonny , " flüsterte Käthe ängstlich , " ich werde ' doch sehen können , ja ?
" Wenn Gott es will , mein Liebling , sonst müssen wir uns in seinen Willen fügen .
Das Kind schwieg und drängte sich verschüchtert an sie , als sie in den Saal traten .
Der erste angstvolle ßweifel war in die kleine Seele gedrungen .
Außer dem Professor war nur die Oberin anwesend , welche der Kleinen häßlich entgegenkam .
" Nun , kleine Käthe , " rief Professor Volkmar mit seiner frischen Stimme , die stets belebend auf seine Patienten wirkte , " jetzt wollen wir einmal sehen , was die Augen machen .
" Er ergriff die Hand des Kindes und führte es mit sich ßu einem Stuhl , auf den er es setzte .
" Tante Lonny , " rief das Kind ängstlich , " bleibe bei mir .
Mutter - ist Mutter da ?
" Nein , Käthe , Mutter ist unten geblieben .
" " Tante Lonny , stelle dich so , daß ich dich gleich sehen kann , ja ?
Tante Lonny - " sie faßte nach der weichen Hand und ein Lächeln huschte um die schmalen Lippen , " ich bin ßu neugierig , wie du aussiehst .
" Wir alle wünschen von Herßen , daß du das feststellen kannst , kleine Käthe , " sagte Professor Volkmar und trat vor sie hin .
Mit fester Hand löste er die Binde und nahm sie ab .
Lautlose Stille herrschte in dem großen Saale , gespannt blickten alle auf das Kind .
Das saß regungslos , heiße Röte freudiger Erwartung auf dem Gesichtchen .
Jetzt öffneten sich die großen Augen weit , fest klammerte sich die kleine Hand an Leonie .
" Tante Lonny - " Käthe stieß die Worte in heißer Angst hervor , " ich kann nichts sehen !
Ist es denn hier so dunkel ?
Heiße Tränen stürßten Leonie über die Wangen , sie konnte kein Wort sprechen , schweigend drückte sie die bedauernswerte Kleine an sich .
Die Oberin wechselte einige Worte mit dem Professor und ging dann , die beklagenswerte Mutter vorßubereiten .
Professor Volkmar trat ßu Käthe , wandte ihr Antlitß dem vollen Tageslichte ßu und unterßog dann die Augen nochmals einer Gans genauen Untersuchung .
Traurig schüttelte er den Kopf und fuhr mitleidig über der Kleinen Haar .
" Armes Kind , " sagte er leise .
" Nicht wahr , Herr Professor , Käthe darf heute Nacht ! sagte Leonie bittend . noch hier bleiben ?
" " Das kommt auf des Kindes Mutter an , " entgegnete er und schritt auf die Frau ßu , die soeben eintrat und still vor sich hinweinte .
" Tante Lonny , " flüsterte Käthe und schmiegte sich unruhig an sie , " weshalb kann ich nicht sehen ?
Wenn ich die Nacht noch hier bleibe , sind meine Augen dann morgen besser ?
Leonie setzte sich und ßog das Kind auf den Schoß .
Sie hatte nicht den Mut , ihm jetzt schon die volle Wahrheit ßu sagen .
" Das kann ich dir so genau nicht sagen , mein Liebling , " entgegnete sie sanft , " augenblicklich sind deine Augen noch sehr schwach ; da kannst du jetzt noch nicht sehen , wir müssen auf später hoffen .
Tiefe Enttäuschung malte sich auf Käthes ßügen .
" Also wieder später ?
Wann ist das , Tante Lonny ?
" Das weiß ich so genau nicht , Kind , wir müssen Gans geduldig sein .
" Das kann ich nicht mehr , Tante Lonny , Gans gewiß nicht , ich bin_es schon so furchtbar lange gewesen .
Ich will sehen , gleich !
Ich habe mich so schrecklich gefreut .
Kann der gute Onkel Professor das nicht machen ?
Leonie gab es einen Stich durch das Herß , als sie sah , wie große Tränen aus den blinden Augen stürßten .
Mit Gewalt beßwang sie sich , als jetzt der Professor mit der Oberin und Käthes Mutter herankam .
" Ja , am liebsten nehme ich sie mit mir , " sagte die arme Frau schmerßlich .
" Es nützt ja doch nicht , daß sie noch hier bleibt .
Ach du mein Heiland , wie soll das werden , ein blindes Kind und die drei anderen Würmer daßu und ich arme Witfrau .
" Käthe , " sagte Leonie schnell , " möchtest du mit deiner Mutter nach Hause fahren ?
" Heute schon ?
Ich denke " Ja , ßum Besuch nur , Käthe .
Denke , wie die Geschwister sich freuen werden .
Wir nehmen uns eine Droschke und unterwegs steige ich aus und kaufe nette Sachen ein , die bringst du den Kleinen mit .
Was meinst du , möchtest du mit Mutter nach Hause ?
Käthe lachte glückselig und klatschte vor Vergnügen in die Hände .
" Ei , das wird fein !
Mutter , wo bist du ?
Ich komme mit dir , und Tante Lonny kauft schöne Sachen für die Kleinen .
Und dann komme ich wieder und Onkel Professor macht meine Augen gesund .
" Ach Gott , ach Gott !
" seufßte die Mutter unter neu hervorbrechenden Tränen .
Leonie ßog sie beiseite und sagte eindringlich :
" Lassen Sie Käthe vorläufig bei dem Glauben , die schreckliche Wahrheit erfährt sie noch früh genug .
Ich werde morgen kommen und es ihr schonend sagen .
" Ja , ja , Fräulein .
Ach , das Unglück !
Es is rein , als ob es mich verfolgen täte .
" Der liebe Gott hilft auch wieder , liebe Frau Wagner , verßweifeln Sie nur nicht .
" " Das sagen Sie wohl , Fräulein , was soll ich arme Frau aber mit 'm blinden Kind anfangen , das nichts verdienen kann und ßu nichts nütze is ?
" Sagen Sie das nicht , liebe Frau , und sagen Sie es vor allen Dingen nie ßu Käthe .
Wer weiß auch , welcher Trost und welche Stütze Ihnen gerade dies Kind einmal noch wird .
" Ach Fräulein , wie sollte das ßugehn ?
Nee , nee , in blinder Mensch , das is 'n Elend und da is nichts nicht mit los .
Aber mitnehmen möchte ich Käthe doch , hier nütßt's ja nichts mehr und ich bin doch immer die Mutter .
Sie weinte still vor sich hin , wie jemand , der das Unglück gewohnt ist und sich darunter beugt , wie unter etwas Unabwendbares .
Leonie bat den Professor , eine Droschke holen ßu lassen , und ging dann schnell in den Garten hinunter , wo sie Anna und Helene ihrer war- --1 ...o nieder gehen sah .
Beide stürßten ihr entgegen und riefen wie aus einem Munde :
" Wie steht_es mit Käthe ?
" " Was war das Resultat ?
Wie ist alles abgelaufen ?
" Schlecht , Kinder .
Käthe ist nun völlig blind .
Stumm vor Schreck blickten die Mädchen sie an .
" Wie schrecklich , " flüsterte dann Annchen , helle Tränen in den Augen , " kann nun gar nichts mehr für sie geschehen , Tante Lonny ?
" Nein , Kind , nichts .
Könnt ihr wohl ohne mich nach Hause fahren ?
Ich habe einen Wagen kommen lassen , ich möchte Käthe und ihre Mutter begleiten .
" Käthe geht nach Hause ?
ßu ihrer Mutter ?
Ach !
" Ja , sie geht heim .
Also , ihr werdet ohne mich fertig : " Ja , Tante Lonny , Lene ist ja seit ihrem gestern gefeierten Geburtstag eine erwachsene junge Dame .
" " Nun , dann will ich dich Lenes Würde mit anvertrauen .
Adieu , Kinder , grüßt ßu Hause .
Auf Wiedersehen !
" Sie nickte ihnen noch einmal ßu und ging ins Haus ßurück .
Da fuhr auch schon die Droschke vor .
Die beiden Mädchen blieben neugierig stehen .
Bald darauf kam Leonie mit Käthe an der Hand , Frau Wagner schritt , noch immer leise weinend , hinterher .
Alle drei stiegen in den Wagen .
Am nächsten Morgen blieb die schrilltönende Klingel ßu Frau Wagners Wohnung in fortwährender Bewegung .
In der Nachbarschaft hatte es sich schnell herumgesprochen , daß Wagners Käthe aus der Klinik ßurückgekehrt sei , nicht geheilt , sondern völlig erblindet .
Das rief lebhafte Teilnahme hervor .
Da konnte sich es niemand versagen , in den Keller ßu gehen , wenn es auch nur war , um für fünf Pfennige Suppengrün ßu holen .
Jeder wollte Käthe sehen und ihr die Hand drücken , und vor allen Dingen seine Neugierde befriedigen .
" Das arme Kind , " sagte eine dicke Schustersfrau , die mit sechs anderen Käuferinnen schwatßend im Laden stand .
" Es ist doch gar ßu hart für eine arme Witfrau .
Und was soll nur aus der Kleinen werden ?
" Ja , es ist ein großes Unglück für die Wagnern .
Arm wie eine Kirchenmaus und auch noch ein blindes Kind daßu , das ihr , statt helfen ßu können , nur eine Last sein wird .
O , wie ist die Frau ßu bedauern !
Das unglückliche Kind aber saß schon seit Stunden ßwischen frischem Gemüse , Obst und Kartoffeln im Laden , ließ sich streicheln und beklagen , und beantwortete die unßähligen neugierigen Fragen .
Die Kleine rührte sich kaum , ein gequälter , erwartungsvoller Ausdruck lag auf dem blassen Gesichtchen .
Ein starres Entsetzen hatte des Kindes Seele ergriffen , seit es aus der Mutter Klagen und Jammern noch gestern abend erfahren hatte , daß es blind sei , völlig und für immer blind .
Käthe konnte das nicht begreifen , sie glaubte es einfach nicht .
Nun saß sie und wartete voll heißer Sehnsucht auf Tante Lonny , die ihr ja versprochen hatte , sie heute ßu besuchen .
Die mußte es wissen , ob sie wirklich für immer blind bleiben sollte .
So oft die alte Klingel schrillte , hob die Kleine lauschend den Kopf , ließ ihn aber jedesmal traurig wieder sinken , sobald sie eine fremde Stimme hörte .
In Käthes Schoß lag Weißbrot und allerhand Naschwerk , das ihr diese und jene mitleidige Seele gebracht hatte , sie rührte aber nichts davon an , sondern litt es schweigend , daß die kleineren Geschwister es ihr fortnahmen und damit in dem kleinen , halbdunklen ßimmer hinter dem Laden verschwanden .
Für die Kleinen war die blinde Schwester eine wichtige Persönlichkeit .
Fast beneideten sie Käthe um die viele Freundlichkeit , die ihr ßu Teil wurde , und um das Aufsehen , das sie erregte .
Kling-ling !
Immer wieder schrillte die alte Glocke durch den Keller , und immer wieder erschienen neue Käuferinnen .
Frau Waaners kummervolles Gesicht hatte sich etwas erhellt .
So gut , wie heute , war das Geschäft lange nicht gegangen , die blinde Käthe übte eine wunderbare Anßiehungskraft aus .
Während die anwesenden Käuferinnen in lebhaftem Gespräche standen , das vorßugsweise der blinden Käthe galt , erschien eine schlanke Dame im Kellereingange , die jetzt die wenigen Stufen herunterstieg .
" Guten Morgen , liebe Frau Wagner , " sagte die Dame ßur Begrüßung .
Ein Schrei , so hell , daß die Weiber ßusammenfuhren , ein wahrer Erlösungsschrei , drang durch den dumpfen Raum .
" Tante Lonny -
Tante Lonny !
" In heißer Sehnsucht streckte Käthe , die den Schrei ausgestoßen hatte , die Arme nach ihr aus .
Sofort eilte Leonie an Käthes Seite .
" Mein Liebling , " sagte sie ßärtlich und ßog das ßitternde Kind in die Arme , dich konnte nicht früher kommen , nun will ich dir aber etwas sehr Schönes erßählen .
Liebe Frau Wagner , ich kann wohl mit Käthe ins ßimmer gehen ? wandte sie sich freundlich an die Frau .
Diensteifrig riß diese die Tür auf , hieß die Kinder auf die Straße gehen , und von Leonies Arm umschlungen , verließ Käthe den Laden .
Kaum hatte sich die Tür geschlossen , so warf Käthe sich leidenschaftlich Leonie in die Arme und rief : " Muß ich wirklich blind bleiben ?
Immer - solange ich lebe ?
Sage du es mir , Tante Lonny !
" Fest drückte Leonie die kleine Gestalt an sich und sagte sanft :
" Meine liebe , kleine Käthe , der liebe Gott will es so .
Wir müssen uns ihm fügen , mein Liebling .
Du hast ja gelernt , ihn ßu lieben und ihm ßu vertrauen , da glaube auch fest , daß er es dennoch gut mit dir meint .
Käthe hatte den Kopf gesenkt , eine grenßenlose Hoffnungslosigkeit sprach aus dem kleinen , blassen Gesicht .
" Nie sehen , nicht die Mutter , nicht den Himmel und die süßen Blumen und die kleinen Vögel - nicht dich , Tante Lonny !
Ich konnte es ja gar nicht abwarten , dich ßu erblicken !
Du mußt aussehen wie ein Engel .
Warum sehe ich nicht wenigstens soviel wie früher ?
Da wußte ich doch , ob es Tag war oder Nacht , und ob die Sonne schien oder nicht , und wenn ich mir etwas Gans dicht vor die Augen hielt , konnte ich sehen , ob es hell oder dunkelwahr .
Tante Lonny , ich will so gern sehen , kannst du mir nicht helfen ?
" Mein Herßblatt , wie gern , wenig nur könnte !
Was wollte " Muß ich wirklich blind bleiben ?
Immer - solange ich lebe ?
" ich geben , dir dein Augenlicht ßu erkaufen !
Aber leider bin ich Gans machtlos .
" Tante Lonny - ach - Tante Lonny !
" In heiße Tränen ausbrechend , umklammerte das Kind sie , als hoffe es dennoch Hilfe von ihr .
Erschüttert ßog Leonie sie fester in die Arme , liebkoste sie und sprach ihr leise ßu .
Endlich wurde Käthe ruhiger und trocknete ihre Tränen . fragte sie .
" Die Frauen sagten , ich sei für Mutter nur eine Last , es wäre dann doch gewiß besser , ich läge auf dem Kirchhof .
" Nein , Kind , darüber sei nicht traurig , eine Last sollst du nie für deine Mutter werden , sondern ihr Trost und ihre Stütze , so hoffe ich von Herßen .
Nun will ich dir aber sagen , weshalb ich heute ßu dir gekommen bin .
Dein Augenlicht kann ich dir freilich nicht geben , mein armes Kind , ich will dir aber helfen , soviel in meiner Macht steht , daß es in deinem Herßen und auf deinem Lebenswege hell und Licht wird .
" Leonie setzte sich au . das alte , wackelige Sofa und ßog Käthe an ihre Seite .
Lange sprachen sie miteinander , und als die Ladenglocke nicht mehr fortwährend in Bewegung war , kam auch Frau Wagner ins Hintereßimme und nahm Teil an der Beratung .
Unter Tränen gab sie ihre ßustimmung ßu allem , was Käthes Wohltäterin vorschlug , und als diese endlich die Kellerwohnung verließ , mußte die arme Frau sich eingestehen , daß sie Trotz allen Unglücks noch Glück habe .
Käthe begleitete Leonie bis an die kleine Treppe und ein heller Freudenschein flog über das verweinte Gesichtchen , als die geliebte Stimme ihr ßurief :
" Also auf morgen , kleine Käthe !
" Leonie fuhr mit dem ersten elektrischen Bahnwagen , den sie traf , nach Charlottenburg hinaus und ging ßu Geheimrat Stürßels .
Ihr Kommen erregte große Freude .
Annchen führte sie sofort in den Garten , wo die Mama mit Tante Werner und Helene saß .
" Sie sehen blaß und abgespannt aus , liebes Fräulein , " bemerkte Frau Geheimrat nach der Begrüßung .
" Das bin ich auch , liebe Frau Geheimrat .
Es is schwül heute und ich komme von der kleinen Käthe .
Nun will ich nur gleich mit meinem Anliegen ins Haus fallen : Könnt und mögt ihr beiden mich , natürnch nur , wenn eure Mamas einverstanden sind , auf sechs Wochen in der Klinik vertreten ?
Ich will verreisen .
" Ach ! " Weiter sagte Lene nichts , aber eine grenßenlose Enttäuschung sprach aus ihren , sowie aus Annchens Mienen .
" Gerade jetzt - das hätte ich am wenigsten erwartet , " sagte Annchen .
Belustigt blickte Leonie beide an .
" Meine Bitte scheint euch nicht ßu gefallen , Kinder ?
" " O doch , " rief Lene schnell , " ich gehe sehr gern in die Klinik .
" Ich auch .
Ich tue überhaupt alles gern für dich , Tante Lonny .
Ich darf doch , ja , Mama ?
" " Gewiß , Kind , ich freue mich , wenn du dich nützlich machen kannst .
" Ich dachte , Annchen könnte gehen , wenn Sie , liebe Frau Regierungsrat , sich einmal nicht wohl genug fühlen sollten , um Lenchen entbehren ßu können .
" O , mir geht es ja viel besser , liebes Fräulein , da kann Lenchen gern ßweimal in der Woche hingehen .
" Ich danke Ihnen , meine Damen , daß Sie meiner Bitte so freundlich entgegenkommen .
Es ist nämlich jetzt in der Reiseßeit großer Mangel an Helferinnen .
Es kommen wohl Damen einige Male hin , sie wollen sich jedoch nicht für bestimmte Tage binden , aus Furcht , irgend ein Vergnügen aufgeben ßu müssen .
Und dabei gibt es doch so viele Töchter wohlhabender Eltern , die ihre ßeit nicht hinßubringen wissen , und sich unglücklich und unbefriedigt fühlen .
Könnten sie sich unserer armen Blinden nicht ein wenig annehmen ?
Es würde kein Mädchen in ihrer Freiheit hindern , wenn sie sich verpflichtete , ein- oder ßweimal wöchentlich in einer Klinik oder irgend einer anderen Anstalt tätig ßu sein .
" Tante Lonny !
" Hocherrötend sprang Annchen auf , lief ßu ihr hin und hockte sich neben ihr nieder , " ich schäme mich so schrecklich , Tante Lonny !
Darum wollte ich mich ja nicht verpflichten , weil ich fürchtete , mir könnte Mal irgend ein Vergnügen entgehen .
Das war recht unschön von mir , ich sehe es nun so recht ein , ich begreife es jetzt selbst nicht , ich gehe doch so schrecklich gern mit dir und Lene hin .
Aber allein für mich an bestimmten Tagen , so als Pflicht - siehst du , das wollte ich nicht .
Tante Lonny , hast du mich nun noch lieb ?
" Lächelnd streichelte ihr Lonny die heißen Wangen .
" Gewiß , ebenso lieb wie bisher .
Wie dir geht es sicher manchem jungen Mädchen .
Vielleicht überwindest du dich aber für sechs Wochen mir ßuliebe und vertrittst mich recht nett ?
" Furchtbar gern , Tante Lonny .
Ich kann doch stets mit Lene gehen ?
" Ihr könnt immerhin ßusammen hingehen , ihr werdet aber wohl verschiedene Säle bekommen .
Weshalb so erschrockene Augen , kleine Lene ?
" Wenn ich bloß allein fertig werde !
Könnte ich doch nur singen !
" Du nimmst dir ein nettes Geschichtenbuch mit und liest den Kindern vor , " riet Tante Geheimrat .
" So , Lenchen , da weißt du gleich , wie du die kleine Gesellschaft beschäftigst .
Nimm aber lieber auch ein Buch für Erwachsene mit , es könnte leicht sein , daß du einen anderen Saal bekommst .
Stumm vor Entsetzen blickte Lene die ältere Freundin an .
" Erwachsene ?
ßu denen soll ich gehen ?
Und sie gar beschäftigen - unterhalten ?
Jedem ein passendes Wort sagen ?
Das kann ich nicht !
Nein , das kann ich wirklich nicht .
" " Kind , das lernt sich alles , wenn man nur ein Herß voll Liebe und Teilnahme mitbringt .
Du mußt nicht immer an deine Unfähigkeit denken , Lenchen , sondern an die armen Blinden , dann kommen dir die Gedanken und Worte Gans von selbst .
" Ja , Tante Lonny , dir wohl , mir aber nicht , " sagte Lene errötend .
Es wurde ihr noch immer schwer , ihren Schwarm so anßureden .
" Ei , wer wird so ßaghaft sein .
Du mußt mehr Selbstvertrauen haben .
" Ja , das sagst du wohl !
Aber schon die Einführung , wie soll ich das nur machen !
Alle lachten .
" Darin hast du ja Übung , Lene , " rief Annchen neckend , " du ßählst gleich alle deine Ahnen auf , dann bist du für die erste Viertelstunde wohl versorgt .
Hu , dies Gesicht !
Mache schnell ein anderes .
Weißt du , Lene , wenn eine von uns die Kinderstation bekommt , will ich sie dir großmütig abtreten und ßu den Erwachsenen gehen .
Ich bin freilich noch keine erwachsene junge Dame , wie gewisse Leute , und mein Hasenherß mag schrecklich klopfen , es mag mir Trotz alledem aber doch gelingen , mich leidlich bei ihnen einßuführen .
" Willst du das wirklich , Annchen ?
Ach , das wäre ßu nett von dir !
Weshalb seufßest du so , Mama ?
Ist es dir nicht recht ?
" Ich bedaure , Kind , daß meine Kränklichkeit mich so lange verhindert hat , dich ausßuführen , damit du dir etwas mehr gesellschaftliche Form angeeignet hättest .
Wie sehr mußt du nun bei deinem scheuen Wesen darunter leiden .
" Machen Sie sich deshalb keine Sorgen , liebe Frau Regierungsrat , " sagte Leonie und streichelte ihr die Hand , " lassen Sie Lene vorläufig nur , wie sie ist ; was ihr fehlt , lernt sie alles noch .
Mir gefällst du gerade so wie du bist , Lene , ich möchte dich nicht anders haben .
" Tante Lonny , wohin willst du reisen ?
Nach der Schweiß ?
" Nein , Annchen , nur an den Müggelsee , und ßwar Die kleine Käthe . nach dem Dörfchen Heindorf , das man von Grünau bequem mit einem Wagen erreichen kann .
" Liebes Fräulein , fühlen Sie sich so elend , daß Sie sich so in die Einsamkeit ßurückßiehen wollen ?
" fragte Frau Geheimrat besorgt .
" O nein , gottlob , Frau Geheimrat , mir geht es gut , ich gehe aber Käthes wegen , das Kind bedarf dringend einer Erholung .
" Ach , du Engelstantchen !
" Annchen eilte ßu ihr hin , sie ßu liebkosen , " ich wußte ja , daß du sie nicht im Stich lassen würdest .
Wie froh bin ich , wie froh !
Wir waren beide gestern so enttäuscht , als du sie nach Hause brachtest .
" Aha - also daher ist Lene heute so gemessen !
" Leonie lachte , Lene wurde dunkelrot .
" Wissen Sie denn , ob Sie in Heindorf gutes Unterkommen finden , Fräulein Steinberg ? fragte Frau Regierungsrat .
" O ja , ich habe mir das Dorf schon angesehen und gleich gestern abend geschrieben und das mir ßusagende Haus gemietet .
Das wäre übrigens so recht etwas für Sie , liebe Frau Regierungsrat , wenn Sie den nächsten Sommer im Grünen verbringen wollen .
Das Häuschen bietet die Aussicht auf den See und ist mitsamt dem kleinen Dorf von dem ausgedehnten Köpenicker Forst umgeben .
Es liegt reißend , so recht geeignet , kranke Nerven ßu stärken .
Ich denke , die herrliche Wald- und Seeluft soll meiner kleinen Käthe gut tun .
" Wem gehört das Haus ?
" " Einem Junggesellen , Frau Geheimrat .
Er lebt im Auslande , das Haus ist ihm schon vor Jahren durch Erbschaft ßugefallen .
Er läßt es durch ein altes Dienerpaar , das er soßusagen mitgeerbt hat , verwalten .
Sobald sich eine passende Gelegenheit bietet , soll es verkauft werden .
Das wird sich aber so leicht nicht machen , da das alte Paar nicht gern aus der behaglichen Ruhe hinaus möchte und den Verkaufe durchaus nicht betreibt .
" " Tante Lonny , was soll mit Käthe werden , wenn du mit ihr ßurückkommst ?
" erkundigte sich Annchen .
" Dann bringe ich sie nach Steglitz in die Blindenanstalt .
" Wirklich ?
Das tust du ?
" Diese enttäuschten Gesichter wieder !
Sehen Sie nur , meine Damen .
Was habt ihr denn gedacht , Kinderchen ?
Was habt ihr eigentlich von mir erwartet ?
" " Wir glaubten , du würdest Käthe Gans ßu dir nehmen , sie nett erßiehen und ihr das Leben so angenehm wie möglich machen , " gestand Annchen .
" Kindsköpfe , ihr !
Glaubt ihr , daß sie im Müßiggang ein glücklicher , in sich befriedigter Mensch werden würde ?
Nein , Käthe soll den Segen und das Glück der Arbeit genießen , Trotz ihrer Erblindung .
Frau Wagner ist mit allem einverstanden , und Käthe ist glücklich in dem Gedanken , ihrer Mutter nicht ßur Last ßu fallen .
Während unseres Aufenthaltes auf dem Lande will ich Käthe unterrichten , damit sie , wenn sie Michaelis in die Anstalt tritt , schon die ersten Schwierigkeiten überwunden hat .
Ist sie mit der Schule durch , soll sie das Korbflechten erlernen .
Wird sie darin tüchtig , wie ich hoffe , so wird sie das Glück haben , sich selbst ernähren ßu können .
" " Und das ist für das Kind wirklich ein Glück , " fiel Frau Geheimrat ihr lebhaft ins Wort , " ich bin Gans Ihrer Ansicht , liebes Fräulein .
Sie erweisen dem Kinde die größte Wohltat , wenn Sie es auf die eigene Kraft hinweisen und es dementsprechend ausbilden lassen .
Was ist der Frauenverein doch für ein Segen !
" " Tante Lonny , beßahlt der Frauenverein für Käthe ?
" forschte Annchen .
" Nein , kleine Maus .
Vielleicht steige ich wieder etwas in eurer Achtung , wenn ich eingestehe , daß ich die Kosten übernommen habe .
Für den Verein bleibt immer noch genug ßu tun , es gibt unßählige traurige Fälle , wo er hilfreich einspringen muß .
Nun , seid ihr nicht mit mir ßufrieden ?
Belustigt blickte sie die beiden Mädchen an .
Lene sah , rot und verwirrt , nicht von ihrer Arbeit auf , Annchen aber beugte sich vor und küßte Lonny die Hand .
" Du hast Gans recht , Lonny , Mama sagt es ja auch , aber - sei , bitte , nicht böse - wir hatten_es uns so reißend ausgemalt , wenn du Käthe als Nichte oder als Schwester ßu dir genommen hättest , nicht , Lene ?
Die Kleine ist so hübsch und hat so köstliches krauses Blondhaar .
Das hätte sie immer aufgelöst getragen und natürlich wäre sie immer in Weiß gegangen .
Du hättest sie fein erßogen , gute Bücher mit ihr gelesen und wärst mit ihr an die See oder in die Wälder gegangen .
Wir hatten es uns so fein ausgemalt , wenn du dann den Arm um sie gelegt hättest und mit ihr am Strande auf und ab gewandelt wärst -
du selbst so entßückend , Tante Lonny , wie ein Gedicht , und die blonde , weißgekleidete Käthe neben dir - alle wären entßückt gewesen .
Ach , ein Bild ßum Malen wäre es gewesen !
Und wie grenßenlos hätte Käthe dich geliebt , ihr guter Engel wärest du ja gewesen .
Wir haben förmlich geschwelgt , als wir uns euer Leben ausmalten , und nun soll sie in die Blindenanstalt und Körbe flechten lernen !
Nimm es nicht übel , Tante Lonny , wir sind aber grenßenlos enttäuscht und aus all unseren Himmeln gestürßt .
" Die drei Damen lachten häßlich .
" Ihr seid wirklich Gans törichte Kindsköpfe , " sagte Frau Geheimrat kopfschüttelnd .
" Ihr armen Mädchen , " rief Leonie bedauernd aus , " daß ich euch eine solche Enttäuschung bereiten muß !
Diese hartherßige Tante Lonny !
Anstatt rührende Posen mit dem blinden Schwesterchen einßustudieren , stößt sie das Kind in die rauhe Welt hinaus .
Eine schreckliche Person !
Ich würde mit ihr brechen .
" Sie erhob sich .
" Wollen Sie schon gehen , liebes Fräulein ?
" " Ich muß , Frau Geheimrat .
Ich habe noch allerlei Vorbereitungen für die Reise ßu treffen , da ich auch meine alte Sophie mitnehme .
Nun will ich noch einige einfache Kleider für mein " Schwesterchen einkaufen , sie warf den beiden Mädchen einen neckenden Blick ßu .
" Ich hoffe , die Damen noch vor meiner Abreise ßu sehen .
Nun und ihr , Kinderchen , ich hoffe , daß ihr die Enttäuschung überstehen werdet !
" Ach , Tante Lonny , " Anna fiel ihr stürmisch um den Hals , " sei uns nicht böse .
Wir haben dich doch so schrecklich lieb .
" " Freut mich ungemein .
Wie wäre es , Kinder , wenn ihr mich draußen einmal in der Waldeinsamkeit besuchtet ?
" " Ach - wundervoll !
Tante Lonny , so entßückend wie du ist doch kein Mensch auf der Welt !
Lonny lachte , reichte allen die Hand und ging .
Cast ein Jahr war vergangen .
Ruhe und Friede lag ( ) über dem Dörfchen Heindorf .
Der kleine Ort umfaßte nur ungefähr ßwölf Häuser ; das Forstamt , eine Mühle , die Rosenvilla , ein Gasthaus , verschiedene kleinere Bauerngehöfte und einige Fischerhäuschen .
Hell lag der Sonnenschein über dem sich lang hinstreckenden Dörfchen ; er ließ das klare Wasser des in heindork . weiten Sees hell glitßern und leuchtete goldig über den Kornfeldern und Wiesen , die sich hinter dem Dorfe bis an den Wald hinsogen .
In der Veranda der Rosenvilla - so genannt wegen der vielen Provinßrosen , die in dem Garten gerade in voller Blüte standen - war eine ältliche Frau beschäftigt , einen Frühstückstisch ßu decken .
Sie war klein und rundlich , hatte ein freundliches Gesicht mit fröhlichen blauen Augen und noch volles blondes Haar , auf das sie bei ihren ßweiundsechßig Jahren sehr stolß war .
Sie trug ein dunkles Kattunkleid , eine große weiße Schürße und sah so sauber und appetitlich aus , daß sie eine gute Empfehlung für die Rosenvilla abgab .
" Vater , " rief sie in den Garten hinunter , einem großen , hagern Alten ßu , der mit einer gefüllten Gießkanne von Rose ßu Rose ging , " schneide 'n paar recht schöne ab für unsere Jäste .
" Jh wo - je wo - Rosen - für fremde Leute !
" Er drehte sich um und wendete ihr sein faltiges , vertrocknetes Runßelgesicht ßu .
" Keine einßige kommt nicht auf_dem Tisch mit meine Bewilligung , " setzte er eifrig hinßu und richtete den krummen Rücken so gerade wie möglich .
" Ei , du Jeißkragen , so kommen sie mit meine Bewilligung druf , " rief seine resolute Ehehälfte und lief , so schnell es ihre Körperfülle gestattete , die Treppe hinunter .
Er vertrat ihr jedoch den Weg und fragte feierlich :
" Mutter , kannst du wissen , ob die kranke Gnädige auch unsere Rosen richtig ästimieren tut ?
" " Ach , Schnicksack , das Fräulein tut's , und das is jenug .
" Ja , ja , das junge Fräulein , das unser Fräulein das Provinßröslein nennen tat - ja , ja , ein nettes hübsches Fräulein is's , aber 'n bisschen still .
Ob sie sich wirklich was aus meine schönen Rosen machen tut , is mich nicht jewiß .
Schade , daß das andere Fräulein , das kleine blonde , das vorig Jahr mit hier war , nicht mitkommt .
Für Fräulein Annchen täte ich gleich meine schönsten Rosen abschneiden , und für uns' Fräulein Steinberg erst recht .
Na je - das is auch 'ne Dame- " Ja , ja - das wissen wir , Vater .
Nun höre aber auf ßu reden und schneide ßu , sonsten kommen die Herrschaften und es stehen nicht Mal 'n paar Rosen auf 'n Tisch .
Herrjeh - du meine Jute - da kommt der Wagen all !
Das kommt von dein dämliches Jerede , das nun nicht alles fertig is .
Sie stürßte ins Haus , während er bedächtig ßu seinen Rosen ging und ein Messer aus der Tasche ßog .
" Möchte wissen , wer am meisten reden tut , " murmelte er dabei , " sie redet den ganßen Tag , und ich rede doch man bloß , wenn es nötig is , sie will man immer das letzte Wort behalten .
Aber es das is mit die Frauensleute nicht anners .
" In aller Seelenruhe schnitt er einen kleinen Strauß und trug ihn auf die Veranda , wo seine liebe Ehehälfte schon eine Vase bereitgestellt hatte .
Da kam auch schon der Wagen .
Nun eilte er doch , so schnell ihn seine Füße trugen , ßur Pforte , öffnete sie und blieb dann steif wie ein alter , im Dienst ergrauter Grenadier stehen , jeder ßoll ein herrschaftlicher Diener , bis der Wagen an ihm vorübergerollt war .
Auf der Veranda erschien die kleine rundliche Frau Klausen - im Dorf unter der Benennung Mutter Klausen bekannt - die neuen Mieter in Empfang ßu nehmen .
Hinter ihr tauchte ein frisches , kräftiges Dorfmädchen auf , das sie für diese ßeit gemietet hatte .
Mutter Klausens blaue Augen weiteten sich vor Staunen , als sie einen jungen Mann erblickte , der den beiden erwarteten Damen gegenübersaß .
" Willkommen , die Herrschaften !
" rief sie und knickste tief , " ich hoffe , es wird der jnäd'gen Frau bei uns in der Rosenfilla jefallen .
Ehe die blonde Doris ßuspringen konnte , den Schlag ßu öffnen , war Vater Klausen schon ßur Stelle und Rudolf , der die Damen begleitete , sprang schnell aus dem Wagen , um Frau Regierungsrat behilflich ßu sein .
Unwillkürlich faltete Mutter Klausen die dicken Hände und murmelte : " Det sich Gott erharm !
Der pußt ja det blanke Elend durch die Backen !
Na Lawise , da kriegst jut was ßu päppeln .
Schwer auf des jungen Mannes Arm gestützt , wankte die Kranke ins Haus und sank in dem freundlichen Wohnßimmer in den nächsten Sessel .
Sie sah erbärmlich aus .
Die Aufregung und Unruhe der letzten Tage , die Angst vor der Fahrt hatten das Ihre getan , das bißchen Erholung und das bißchen mühsam errungene Willenskraft über den Haufen ßu werfen .
Besorgt blickte Helene die Mutter an und bedauerte heimlich , Marie nicht mitgenommen ßu haben .
Sie hatte es sich aber so köstlich gedacht , einmal Gans allein für die Mama ßu sorgen , daß sie diese überredet hatte , dem Mädchen während ihres hiesigen Aufenthaltes Ferien ßu geben .
Ein wenig unsicher fühlte sie sich aber doch , nun sie Gans auf sich allein angewiesen war .
" Kann ich in irgend einer Weise behilflich sein , Lenchen ?
" fragte Rudolf , " vielleicht wäre ein Glas Wein gut ?
" Nein , lieber einige Tropfen .
Ist die kleine Tasche da ?
" Rudolf reichte sie ihr und Helene gab der Mutter das gewohnte Beruhigungsmittel .
" Ach , war das schrecklich !
" sagte die Kranke , als sie sich etwas erholt hatte .
" Auf Reisen gehe ich nie wieder , Lenchen .
Ich fürchte mich jetzt schon vor der Rückkehr nach Berlin .
" du noch gar nicht denken .
Bis dahin hast du dich gründlich erholt , es ist hier ja so still und schön .
Wollen wir nun unser Frühstück essen , Mama ?
Wie ich sehe , steht auf der Veranda alles schon bereit .
" Ja , gehe nur hinaus , Rudolf wird auch hungrig sein .
Eßt nur beide , mir kannst du eine Kleinigkeit hereinbringen , dann will ich mich ein Stündchen hinlegen .
Laß mir nur die Frau Klausen nicht herein , sie sieht aus , als ob sie sehr geschwätßig wäre , sie gefällt mir gar nicht .
Hätte ich nur Marie mitgenommen , ich fühle mich sehr unbehaglich ohne sie .
" Du hast ja mich , Mama , ich will dir alles so gemütlich wie nur irgend möglich machen .
" Ja , mein gutes Kind , das weiß ich .
Morgen fühle ich mich hoffentlich wieder etwas besser .
Nun laß aber Rudolf nicht länger warten , Lenchen , gehe lieber und laßt es euch schmecken .
" Helene fand Rudolf im Garten mit Vater Klausen im Gespräch .
Er kam , sobald er sie erblickte , auf sie ßu .
" Das ist eine originelle Ausgabe von einem Diener , der Alte , " sagte er heiter .
" Er hat mir gleich einen Vortrag über seine Rosen gehalten .
Ah , dieser Frühstückstisch sieht ja äußerst einladend aus !
Ich muß gestehen , daß ich einen Riesenhunger habe .
Kommt deine Mama nicht heraus , Lenchen ?
" Nein , sie fühlt sich ßu abgespannt , ich will ihr ein Brötchen streichen und hineintragen .
Wenn sie sich bloß hier erholt , und wenn sie sich nur vor allen Dingen hier glücklich und behaglich fühlt .
" Lene faltete die Hände im Schoß und blickte den Freund ängstlich an .
" In den ersten Tagen wird es damit wohl hapern , aber allmählich wird es schon kommen .
Nur immer Kopf hoch und unverßagt , kleine Lene .
Sie lächelte .
" Ich bin so froh , daß du uns hergebracht hast , Rudi , ich wäre allein gar nicht fertig geworden mit Mama .
" " Nun , das verstand sich doch von selbst , Kind .
" " Ich freue mich nun schon auf Anna , in vierßehn Tagen will sie ja kommen und ein paar Wochen bei uns bleiben .
" Während Helene nach dem Frühstück die Mutter ßur Ruhe brachte , ßündete sich Rudolf eine ßigarre an und schlenderte von Rosenstock ßu Rosenstock .
Wie still es hier war .
Kein anderer Laut als lustige Vogelstimmen .
Wie ein Idyll lag das kleine weiße Haus , an dem hochgeßogene Provinßrosen emporwuchsen , in dem blühenden Garten .
Es war einstöckig , an der Vorder- und Rückseite mit freundlichen Erkern , die je ßwei große ßimmer enthielten .
Ja , schön und friedlich war es hier , dennoch beschlich Rudolf ein Gefühl des Mitleids mit Helene , die monatelang allein mit der kranken Mutter hier leben sollte .
Da kam Lene langsam die Stufen herunter , ernst und nachdenklich .
" Na , ist etwas nicht in Ordnung " Ach , ich habe doch vielleicht nicht recht getan , Marie nicht mitßunehmen .
Mama ist ßu sehr an sie gewöhnt und glaubt nun etwas ßu entbehren , wenn es auch vielleicht gar nicht der Fall ist .
" Das läßt sich ja jederßeit ändern .
Will es gar nicht gehen , so läßt du einfach Marie kommen .
" Ja , gewiß , aber weißt du , Rudolf , ich würde mich dadurch tief beschämt fühlen .
" Wart's erst ab , Lene , nicht gleich die Flinte ins Korn werfen .
Und nun komme in den Garten .
Plaudernd schritten sie nebeneinander her .
Helene kannte ja die Umgebung des Hauses schon vom vorigen Jahre her und freute sich , den Freund führen ßu können .
An der Rückseite war noch eine große , Gans mit wildem Wein berankte Veranda .
Auch hier befanden sich am Hause ennang proving Rosen , ebenso auf dem großen Rasenplatß , abwechselnd mit schönen Edeltannen , deren ernste Majestät sie wunderbar belebten .
Dahinter befanden sich Gemüse und Kartoffelbeete , alles in musterhafter Ordnung .
Eine kleine Tür führte direkt in den Forst , der an den Garten stieß .
" Ein Stückchen können wir wohl gehen , was meinst du , Lene ?
" " Ach ja .
Mama wollte schlafen , die braucht mich jetzt nicht .
Sie traten aus dem Garten in den Schatten des köstlichen Eichenwaldes , der sich nach allen Seiten erstreckte , und machten einen kleinen Spaßiergang .
Gans heiter und erfrischt kam Lene ßurück .
" Wem gehört denn der Garten , der da an euren stößt ?
" fragte Rudolf .
" Oberförster Runge .
Siehst du das große Haus durch die Bäume schimmern ?
Das ist die Oberförsterei , Tante Lonny war ja sehr befreundet mit den Leuten .
" Alt oder jung ?
Ist dort Verkehr für dich ?
" " Wohl mehr für Mama .
Übrigens ist eine Tochter da , die voriges Jahr in Pension war , vielleicht ist sie jetzt ßu Hause .
" " Das wäre ja herrlich für dich .
Und nun lebe wohl , kleine Lene , werde hier nicht schwermütig in der Einsamkeit , sondern denke immer , daß dieser Aufenthalt dich deinem köstlichen ßiele - der Genesung deiner Mutter - um vieles näher bringen soll .
Er hatte ihre beiden Hände ergriffen und blickte ihr teilnehmend in das schmale Gesichtchen , über das eine helle Röte flog .
" Rudi , " sagte sie ßögernd , " ich muß es dir doch sagen , daß er mir eine große Hilfe gewesen ist - der Psalm nämlich - du sagtest mir doch damals , ich soll ihn immer wieder lesen .
Das habe ich getan , täglich Au ßug-*9 94. e5 mir geholfen .
Ich habe mir ein Wort herausgesucht :
" Die Liebe suchet nicht das Ihre " , das sage ich mir immer vor , wenn ich Mal ungeduldig und selbstsüchtig werden will , das hilft immer wunderbar .
Manchmal freilich - wenn ich Gans besonders störrisch und verdrießlich bin , versagt es , aber das ist dann Gans allein meine Schuld , weil ich nicht ernstlich beten will .
Das sind immer schreckliche Stunden , aber schließlich bewährt sich der Psalm immer wieder .
Ich mußte dir das Einmalsagen .
Wirhabennie wieder davon gesprochen und ich bin dir doch so viel " Rudi , ich muß es dir doch sagen , daß mir der Psalm Dankschuldig . rinne gronr Huse gewesen ist .
" Liebe kleine Lene !
" Er drückte ihr warm die Hand .
" Nun bin ich Gans ruhig und ohne Sorge um dich , du bist auf dem rechten Wege .
Und , Lenchen , solltest du irgend etwas für dich oder deine Mama wünschen , so wende dich nur an mich , du weißt , ich bin dein guter Freund und stehe dir jederßeit ßur Verfügung .
Wie eitel Sonnenschein flog es über Lenes Antlitß .
" O Rudi , das ist ein schönes Wort :
Freundschaft ist das köstlichste Gut auf Erden .
" Wenigstens eins der köstlichsten , kleine Lene .
Nun will ich noch schnell Vater und Mutter Klausen Addio sagen und dann meine Wanderung antreten .
" Sie hatten beide nicht bemerkt , daß sie von der im Erdgeschoß liegenden Küche aus beobachtet worden waren .
Dort stand das alte Paar am Fenster , er ein pfiffiges Lächeln auf dem Runßelgesicht , sie eitel Freude iff und Neugierde .
" Siehst_du , Vater , wie er ihr die Hände schüttelt , " sagte sie und stieß ihn in die Seite , " wenn det nicht 'n Paar wird , will ich nicht Lawise heißen .
Det habe ' ich mir jleich jedacht , als er mitkam .
" Jh , Mutter , daß ihr Frauensleut ' das Heiratsstiften nicht lassen könnt .
Das sieht mich noch nicht aus wie 'n richtiges Brautpaar .
" Was nicht is , kann werden .
Jck bin helle in Koppe , ich habe for so was Augen , det Weste , Peter .
Nun mache , der junge Herr wird sich von uns verabschieden wollen .
Sie traten beide gerade auf den Hausflur , als Rudolf in die Haustür kam .
Beide begleiteten ihn auf die Veranda , Lene ging mit bis ßur Pforte .
" Grüß deine Eltern und Annchen .
Wenn sie doch recht bald käme .
Ich glaube , ich bekomme hier schreckliche Sehnsucht nach euch , Rudolf .
" Nur Mut , kleine Lene , ich komme in den nächsten Tagen Mal wieder .
Soll ich auch Tante Lonny grüßen ?
" Ja , ja , natürlich , Gans besonders häßlich .
Verlauf dich auch nicht , Rudi .
Er schwenkte lachend seine Mütße und ging .
" Gott befohlen , Lenchen , " rief er , sich noch einmal umwendend , dann schritt er schnell davon .
Sie blickte ihm nach , solange sie ihn sehen konnte , dann ließ sie die Blicke über den glitßernden See schweifen .
Eine tiefe Ruhe lag über der sonnendurchleuchteten Landschaft , ihr ßauber wirkte jedoch nicht auf das junge Herß .
Lene überkam ein Gefühl so großer Einsamkeit und Verlassenheit , daß ihr helle Tränen über die Wangen strömten .
Aber fort damit , sie wollte ja stark , mutig und selbstlos sein .
Hastig trocknete sie die nassen Augen und ging eilig ins Haus ßu der Mutter .
In starrem Schreck blieb sie jedoch auf der Schwelle des Schlafßimmers stehen .
Da saß die Mutter halb angekleidet auf einem Stuhle , totenblaß , mit bläulich schimmernden Lippen .
" Mama !
" entsetzt stürßte Helene ßu ihr .
" Mir ist so schlecht - " stieß die Kranke hervor - " ich konnte es unmöglich im Bett aushalten - ich hatte solche Angst - und bin aufgestanden - es geht aber nicht mehr - " Immer leiser wurde die Stimme ; nun sank der Kopf hintenüber , die Augen schlossen sich .
Mit einem Schrei flog Helene ßur Tür hinaus .
" Frau Klausen - Frau Klausen " Was jibt es denn , Freileinchen ?
" Ihr rotes Gesicht tauchte auf der unteren Treppe auf .
" Kommen Sie schnell , Frau Klausen , Mama stirbt .
" Gott doch , sie wird doch nicht !
Doris , die Essigbuttel , " rief sie in die Küche hinunter .
Mit einer großen Flasche bewaffnet schritt sie mit Lene in das Schlafßimmer und beugte sich über die Bewußtlose .
Voll Todesangst beobachtete Lene sie .
" Det is 'ne Ohnmacht , nix nicht weiter , ich kenne mir aus in so was , von meinen sel'jen Herrn her , sagte Frau Klausen dann , hob die Kranke auf wie ein Kind und legte sie auf das Bett .
Mit Geschick und Umsicht begann die Frau ihre Belebungsversuche und war dabei so ßart und ruhig , daß Lene Vertrauen ßu ihr faßte .
" Da , " flüsterte sie , als die Kranke einen tiefen Atemßug tat , " sie kommt wieder ßu sich .
Nun sein Sie man nicht mehr bange , Freileinchen , det is bloß vom Reisen und die Aufregung jekommen , hier wollen wir die Jnäd' je schon wieder auf die Beine bringen .
Sie muß man Ruhe haben und nicht viel reden .
Da will ich Ihnen raten , Freilein , nehmen Sie sich vor meinen Ollen in acht , der is reine verpicht aufs Reden .
Was ich bin , ich weiß mir ßu menagieren und verstehe mir ßu benehmen , aber was der feine Schliff is , den krieg ich meinen Ollen nicht mehr bei .
Nun will ich aber jähen , brauchen Sie mir , so stehe ' ich Ihnen immer ßu Diensten .
" Danke , Frau Klausen , ich danke Ihnen sehr .
Lene war niedergekniet und legte den Arm leise um die Mutter .
" Meine süße Mama , flüsterte sie ßärtlich , " ist dir nun wieder besser ?
" Ja , Kind , nur sehr schwach fühle ich mich .
Was war mir nur , Lenchen ?
" Du bist ohnmächtig geworden , Mama , wahrscheinlich von der Unruhe und Aufregung .
Hättest du doch nur geklingelt , als du vorhin aufstehen wolltest .
" " Ich mag die dicke Frau nicht um mich haben und dich hatte ich ja in den Garten geschickt .
Nicht wahr , Lenchen , wenn ich mich nicht gewöhne , läßt du Marie kommen ?
" " Gewiß , Mama , sobald du es willst .
Ich bin ja aber bei dir , Mama , und will alles , alles für dich tun , was ich nur kann und vielleicht gewöhnst du dich auch an Frau Klausen , sie war eben wirklich sehr nett .
" " Ach , sie sieht so unheimlich dick und gesund aus !
Schon ihr Anblick fällt mir auf die Nerven , " entgegnete die Kranke klagend .
" Ein Glück für uns beide , daß sie so gesund ist .
" rief Lene lachend .
" Was hätte ich Hering wohl allein mit dir anfangen sollen ?
" Armes Kind , du hast es schwer mit deiner kranken Mutter .
" Das mußt du nicht sagen , liebste Mama .
Es ist ja meine schönste Lebensaufgabe , dich gesund ßu pflegen .
" Mein Herßenskind !
Ich will auch das Meine daßu tun , um kräftiger ßu werden , das verspreche ich dir , Lenchen .
Langsam verging beiden der Tag .
Die Mutter blieb im Bette und Helene verließ sie nur , während sie schlief .
Sie saß dann auf der Veranda .
Hier konnte sie es deutlich hören , sobald die Mutter klingelte .
Nun war der Abend herabgesunken .
Helene stützte sich auf die Brüstung der Veranda und blickte auf das friedliche Landschaftsbild hinaus .
In träumerischer Ruhe lag der See , das Mondlicht ßog silberne Streifen darüber hin .
Leise säuselten die Buchen und Birken , die jenseits des Gartens die Hecke begrenßten , und der Abendwind spielte mit dem dunklen Haar des Mädchens .
Der tiefe Frieden der Natur teilte sich auch dem jungen Herßen mit .
Lene fühlte sich nicht mehr einsam und verlassen .
Voll dankbarer Freude empfand sie das Glück ihrer köstlichen Aufgabe .
Inbrünstig bat sie Gott um seine Hilfe , damit sie es nie an Liebe und Geduld fehlen ließe .
Welch ein Gnadengeschenk Gottes wäre es , wenn er die Mutter hier gesunden ließe !
Da schreckte ein leises Geräusch sie auf .
Unter ihr , aus dem Grün der Klematis , die die Veranda umrankte , tauchte ein freundliches gelbes Runßelgesicht auf und eine Stimme rief leise :
" Nichts für ungut , Fräulein , ich wollte man bloß Mal fragen , wie_es der Gnädigen heute abend geht ?
" Danke , Vater Klausen , es geht Mama besser .
Hoffentlich erholt sie sich hier .
Sie braucht hauptsächlich viel Ruhe , sie kann das viele Reden durchaus nicht vertragen .
" " Ja , ja , das Reden !
" Der Alte lachte leise vor sich hin , machte ein pfiffiges Gesicht und sagte vertraulich :
" Da will ich Ihnen was sagen , Fräuleinchen : da hüten Sie sich vor meiner Alten , die is reine weg aufs Reden .
Na ja , Fräulein , was die geborenen Berliners sind , die haben das alle mit es Schnaken , da is nicht gegen anßukommen .
Was ich bin , Fräulein , ich bin 'n herrschaftlicher Diener und weiß mit die Benehmigung Bescheid , aber meine Alte lernt es nicht mehr recht .
Sonsten is sie gut , Fräulein .
Die beste Frau , die_es auf 'n Erdboden gibt , und ins Kochen , da is ihr keine über , alles , was recht is .
Und nun wünsche ' ich Ihnen und der gnäd'- gen Mama ' ne recht geruhsame Nacht , Fräulein , und wenn Sie den Peter Klausen brauchen tun , er is immer für Sie da .
" Danke , Vater Klausen .
Gute Nacht .
" Belustigt blickte Lene dem Alten nach , wie er die Mütße auf das dünne graue Haar setzte und langsam durch den Garten schob .
" Mama - Mama - Hurra !
" Einen Brief in der Hand schwenkend , stürmte Lene eines Morgens , hochrot , mit glänßenden Augen in das Schlafßimmer , wo die Mutternach dem Genuß des ersten Frühstücks noch ruhte .
Hastig fuhr sie in die Höhe .
" Lenchen - ich bitte dich - ich bin ßu Tode erschrocken , " stöhnte sie und sank schwach ßurück .
" O Mama , seih !
Wie konnte ich nur so gedankenlos sein !
" Lene warf den Brief auf den nächsten Tisch und bemühte sich um die Mutter .
" Es gibt sich schon wieder - ängstige dich nicht , Kind .
Ich war wohl wieder etwas eingenickt .
" Arme Mama !
Darf ich dir eine Tasse Tee bringen ?
" " Ja , wenn du meinst , daß es mir gut tun würde ?
" Lene eilte , das Getränk ßu holen , und die Mutter trank es langsam aus .
" So , nun geht_es vorüber .
Was hattest du denn , Lenchen ?
" Etwas Köstliches , Mama !
Denke dir , meine beiden Gedichte sind angenommen !
" Von den Efeublättern ?
Herßenskind , da wünsche ich dir Glück !
Voller Freude drückten sich Mutter und Tochter die Hände .
" Und höre nur , was sie mir aus der Redaktion schreiben :
" Sehr geehrtes Fräulein !
Wir erlauben uns , Ihnen mitzuteilen , daß wir Ihre beiden Gedichte :
" Am See und " Sommerabend ' für unser Blatt angenommen haben , und beehren uns , Ihnen ein Honorar von ßehn Mark ßu übersenden .
Weitere Einsendungen wären uns jederßeit willkommen .
Mit vorßüglicher Hochachtung die Redaktion der Efeublätter .
Was sagst du nun , Mama ?
" Meine kleine Lene !
Ich bin Gans stolß auf dich , mein Liebling .
Gans verklärt , die gefalteten Hände im Schoß , blickte Lene aus dem offenen Fenster ins Weite .
" Weißt du , Mama , was ich mir vorgenommen habe ?
Dies ist doch das erste Honorar , das ich bekomme , und du gibst mir ja so reichlich Toilettengeld , daß ich es nicht gebrauche .
Da möchte ich alles , auch was ich in ßukunft noch einnehmen werde , in eine besondere Kasse tun und für arme Kinder in der Klinik verwenden .
Was meinst du daßu , Mama ?
" Gewiß , Kind , da dient es einem guten ßweck .
Wenn wir ßum Herbst wieder nach Hause ßurückgehen , möchte ich auch , daß du als Helferin eintrittst .
" Mama - wirklich ?
" " Ja , Lenchen , ich weiß , daß es längst dein Herßenswunsch ist und du nur aus Rücksicht auf mich nichts davon gesagt hast .
Ich will nun nicht länger hinter meiner Tochter ßurückstehen , " setzte sie lächelnd hinßu , " sondern mich auch in der Selbstüberwindung üben .
" " Du liebe , gute Mama !
" Lene beugte sich nieder und küßte ihr die weiße Hand .
" Was ist das für ein himmlischer Morgen !
Beinahe ist es ßuviel Glück auf einmal .
Mir ist , als ob mir Flügel wüchsen !
Nun will ich dir aber erst mein Geld holen .
" Sie lief ins Wohnßimmer und kehrte sofort ßurück .
Rot vor Freude ßählte sie das Geld auf .
" Mein erstes Honorar , Mama !
Sieh Mal , leuchtet es nicht Gans besonders ?
" Gewiß , Lenchen , es ist der Glanß , den ihm der eigene Fleiß verleiht .
Und nun laß mich aufstehen , Kind , und an den See hinuntergehen .
Ich glaube , heute morgen kann ich es ; mir ist auch , als ob mir Gans kleine Flügelchen wachsen wollten .
" O Mama , weißt du , wovon das kommt ?
Das macht die Freude und die Hoffnung !
Du sollst sehen , hier wirst du gesund , Mama !
Wie glücklich werden wir dann sein .
Etwas später schritten beide Arm in Arm an den See hinunter , freuten sich des schönen Morgens , der köstlichen Luft , der ländlichen Stille , Kurs über alles .
" Heute ist mir viel wohler und frischer , " sagte Frau Regierungsrat und richtete ihre müde , ßusammengesunkene Gestalt höher auf .
" Meinst du , daß wir hier unter dem Ahornbaum einen Augenblick Sitzen könnten , Lenchen ?
Die Bank ist freilich sehr unbequem , aber einen Augenblick geht es schon .
ßieht es hier ?
" " Keine Spur , Mama .
Ich habe übrigens ßum Glück Tücher mitgenommen .
So , auf das eine kannst du dich setzen , das andere lege ich dir um .
Geht es so ?
" Danke , Kind , ja .
Wie schön ist es hier doch , Lenchen !
Ich bin Fräulein Steinberg recht dankbar , daß sie uns auf dies stille Dorf aufmerksam machte .
Weißt du , Kind , ich habe den Gedanken schon ernstlich erwogen , die Rosenvilla ßu kaufen .
" Mama !
" Gans verstört blickte Lene die Mutter an .
" Würdest du dich hier nicht heimisch fühlen können , Lenchen ?
Ich habe mich allmählich so eingelebt , daß ich gar nicht mehr an die Heimkehr denken mag .
Wie denkst du darüber , Kind ?
Sprich dich offen aus .
" Lene antwortete nicht gleich .
Starr blickte sie über die glitßernde Wasserfläche , die strahlende Lebensfreude war plötzlich völlig aus ihren ßügen entschwunden .
Ihre Lippen ßuckten , Röte und Blässe wechselten auf ihrem Antlitß , während sie aufgeregt hervorstieß :
" Du sagtest doch vorhin noch , ich könne ßum Herbst als Helferin in der Klinik eintreten .
Wie kann ich das , wenn du mit solchen Gedanken umgehst .
Überhaupt - hier immer bleiben - so in der Einsamkeit " - sie sprang ungestüm auf - " nichts hören und sehen - keinen Verkehr haben - keinen Menschen bei sich sehen - den ganßen langen Winter allein - Mama - ich kann es nicht !
Das geht über meine Kraft .
" Mit verschlungenen Händen und blassem Antlitß blieb sie vor der Mutter stehen .
" Kind , " sagte diese Gans erschrocken , " Kind " Ich weiß , Mama , es ist Unrecht von mir , ich sollte ßuerst an dich , an deine Gesundheit , an dein Behagen denken - vielleicht überwinde ich mich auch , laß mir nur ßeit .
" " Kind , du verstehst mich ja gänßlich falsch .
Denkst du , daß ich so selbstsüchtig bin und deine Jugend hier vergraben will ?
Meine kleine , törichte Lene , du kennst deine Mutter doch noch nicht Gans .
Nein , nein , ich möchte das Häuschen nur kaufen , um Gans sicher ßu sein , daß es jeden Sommer ßu unserer Verfügung steht .
Mit dem Herbst würden wir selbstverständlich stets nach Charlottenburg ßurückkehren .
Die Farbe kam langsam in Lenes Wangen ßurück .
" Das ist etwas anderes .
Aber , Mama , weshalb jeden Sommer wieder hierhergehen ?
Es gibt doch gewiß schönere Gegenden .
Im Harß oder in Thüringen ßum Beispiel , da soll es ja himmlisch sein .
" Ja , Lenchen , das ist es gewiß , aber für mich sind solche Reisen ßu angreifend . s6 " Du wirst mit jedem Jahre kräftiger werden , Mama .
" Nur bis ßu einer gewissen Grenße , Kind , und die werde ich wohl bald erreicht haben .
Meine eigentliche Lebenskraft ist erschöpft , ich will froh und dankbar sein , wenn ich jeden Sommer in dies friedliche Dörfchen reisen und mich hier an der schönen Natur erquicken darf .
Das ist viel mehr , als ich vor einem Jahre ßu hoffen wagte .
Helene schwieg .
Sie setzte sich nieder und blickte trübselig über den stillen See .
Jeden Sommer hierher reisen , immer wieder in diese Einöde !
Nichts von der köstlichen Welt da draußen sehen , nach der sie doch einen förmlichen Hunger hatte !
Nichts sehen und kennen lernen als dies armselige Dörfchen .
Sommer auf Sommer hier am See Sitzen , immer von neuem , bis sie alt und schwach würde .
Ihr schauderte .
Es war nicht ausßudenken !
So ungestüm , daß die Kranke ßusammenfuhr , sprang sie auf und lief die kurße Strecke bis dicht an den See .
Hier starrte sie in die klare Flut , als könne ihr von dort Hilfe kommen .
Ein Glück , daß sie wenigstens den Winter stets in Charlottenburg verleben würden .
Daran mußte sie sich in ßukunft halten , sich daran genügen lassen .
Wie viele köstliche Träume begrub sie aber mit dem Gedanken .
Wie herrlich hatte sie sich doch die ßukunft ausgemalt !
Sie schrak fast ßusammen , als die Mutter sanft rief :
" Lenchen , komme her ßu mir , Kind .
Hastig wandte sie sich um , und als sie der Mutter Blick in unendlicher Liebe auf sich gerichtet sah , stürßte sie ßu ihr hin , sank neben ihr nieder und rief : " Verßeih , Mama , daß es mir so grenßenlos schwer fällt , ich hatte mich ja so sehr auf größere Reisen mit dir gefreut .
Du kannst ja auch noch viel kräftiger werden , wir wollen die Hoffnung noch nicht aufgeben .
" Du magst ja recht haben , Kind .
So kräftig jedoch , um dir Vergnügen von einer größeren Reise versprechen ßu können , werde ich nie , das fühle ich selbst am besten .
Lene schwieg .
" Nur leidlich gesund " hatte ja auch Doktor Roland gesagt .
Nein , viel ßu hoffen war wohl nicht .
" Armes Kind , " sagte die Mutter und strich ihr über den glänßenden Scheitel , " ich sehe es vollkommen ein , wie schwer es für dich ist , eine so kränkliche Mutter ßu haben .
" Mama " Still , Lenchen , laß mich jetzt sprechen .
Soviel wie möglich will ich deinen Neigungen Rechnung tragen und dafür sorgen , daß du deine Jugend nicht bei mir verkümmerst .
Ich habe schon mit Geheimrats gesprochen .
Wenn sie diesen Winter mit Annchen die Postfeste besuchen , wollen sie dich mitnehmen " ßu Ball - ich ?
Mit fremden Herren tanßen ?
Nein , Mama , daßu bringst du mich nicht .
Das brauche ich nicht , Mama , nein ?
Lächelnd blickte Frau Regierungsrat in das vor Eifer gerötete Antlitß .
" Ich werde dich gewiß nicht ßwingen , Lenchen , die Lust wird aber schon kommen , wenn es erst so weit ist .
Vielleicht gefällt dir mein ßweiter Vorschlag besser :
Geheimrats wollen dich künftig , wenn sie im Sommer ihre großen Urlaubsreisen machen , mitnehmen .
In ungläubigem Staunen blickte Lene auf .
Heiße Röte stieg ihr langsam in das Gesicht , die Augen begannen in einer Weise ßu strahlen , daß die Mutter die ganße Sehnsucht des jungen Herßens erkannte .
" Wirklich - Mama - ich soll mit ?
An die See oder gar nach Bayern , nach Tirol oder in die Schweiß : Wirklich , Mama ?
" So Gott will , hoffe ich das von ganßem Herßen , mein Kind !
" O - " Lene sprang stürmisch auf und breitete die Arme sehnsüchtig aus , " die Welt sehen - die schöne , schöne Welt !
Ich - ich - Lene Werner - soll sie sehen !
Es ist nicht ausßudenken , das Glück !
Aber du - Mama - " sie ließ die Arme sinken und trat hastig näher , " du kannst hier doch nicht allein bleiben ?
In atemloser Spannung blickte sie die Mutter an .
" Ich bin hier ja gut aufgehoben , Kind .
Ich hoffe auch , daß Fräulein Heese mich nächsten Sommer auf einige Wochen hier besuchen wird .
Du weißt , bei ihrem großen Wohltätigkeitssinn bleibt ihr nichts für größere Reisen übrig .
" Ja , ja , das würde gehen !
Aber nur , wenn es dir wirklich behaglich und angenehm wäre , Mama , sonst würde ich selbstverständlich bei dir bleiben und lieber auf alle Reisen sichten .
" Fräulein Heeses Gesellschaft ist mir immer angenehm , darüber kannst du dich beruhigen , Lenchen .
Ich werde sehr froh und völlig ßufrieden sein , wenn ich dich glücklich weiß .
Aber , Lenchen - können wir nicht ins Haus gehen ?
Mir ist mit einem Male Gans schwach und kraftlos .
" Um Himmels Willen , Mama , du wirst Gans blaß !
Ich Ungeheuer , daß ich nur immer an mich denke !
Und du bist so himmlisch gut und selbstlos .
Meine süße Mama , fühlst du dich sehr schlecht ?
" Nein , Herßblatt , ängstige dich nicht , ich bin nur müde und abgespannt .
Von Lenes Armsorgsam umschlungen , ging die Kranke langsam dem Hause ßu .
Da trat Mutter Klausen aus der Pforte und spähte , die Augen mit der Hand gegen die Sonnenstrahlen schütßend , nach rechts und links .
" Mama kann nicht mehr im Freien bleiben , Mutter Klausen , " rief Lene ihr ßu .
" Was is das auch für 'ne Manier , Fräulein , das Sie die Frau Mama um die Mittagsßeit an 'n See schleppen !
Jck habe schon alles durchjesucht nach Ihnen und konnte mir Jahr nicht denken , wo Sie alle beide jeblieben waren .
Lassen Sie Mal los - so .
" Frau Klausen - Frau Klausen " Man immer still , jnäd'je Frau , ich habe meinen sel'jen Herrn ofte jenug Jetragen , als es mit det jähen haperte , und Sie sind ja leicht wie 'ne Feder .
" Ohne Anstrengung trug sie die Kranke in die Veranda und setzte sie in einen bequemen Sessel .
Eilig verschwand sie dann im Hause und kehrte bald darauf mit dem Frühstück wieder .
Ja , Mutter Klausen verstand es , einen Kranken ßu pflegen und seinen Appetit immer von neuem durch kleine Überraschungen ßu reißen .
Auch jetzt hatte sie auf ihrem Präsentierbrett außer dem Frühstück ein Schälchen mit eingeßuckerten Erdbeeren und kleine goldgelbe Kuchen .
Die sahen so appetitlich aus , daß Frau Regierunasrat erfreut ausrief :
" Was haben Sie da wieder für schöne Sachen , Frau Klausen ?
Ich glaube , Sie könnten jeden Tag im Jahre eine andere Art Kuchen backen .
Die kleine Frau lachte geschmeichelt .
" Wenn es druf ankommen täte , brächt Ecks schon fertig , jnäd'je Frau .
Jh , wie sollt ich auch nicht ?
Jck bin ja lang jenug Köchin bei feinen Herrschaften jewesen , ehe ich meinen Peter heiratete .
Na , es wurde ßeit , daß 'n vernünftiger Mensch hierherkam , mein sel'jer Herr war daßumal akrat so_ein Jammerjemälde , wie die Jnäd'je , mit Verlaub ßu sagen .
Eine , ich habe ' denn so lang mit ihm rumjepäppelt , bis es helfen tat , bloß bei meinen Ollen , da is Hopfen und Mals verloren .
Den könnt man in Fett umdrehen und er würde doch 'n Hering bleiben sein Lebtag .
Aber bei die Jnäd' je schlägt es an , ich habe so meine ßeichen .
Sollen Mal sehen , Fräuleinchen , wenn Sie ßum Winter wieder nach Charlottenburg fahren , spielt die Frau Mama 'n ander Bild , oder ich müßt nicht Lawise heißen .
" Sie ging und lächelnd blickten Mutter und Tochter ihr nach .
" jetzt ist sie dir doch nicht mehr unangenehm , liebste Mama ?
" Nein , sie meint es ja gut , nur wage ich kaum , sie anßureden oder irgend eine Bemerkung ßu machen , aus Furcht , ihren Redestrom ßu entfesseln .
" Komme , Mama , trinke deine Bouillon , sonst wird sie kalt .
Weißt du , ein bißchen Geschwätz kann man bei so vorßüglicher Pflege schon mit in den Kauf nehmen .
Nachdem das Frühstück eingenommen war und die Mutter sich ßurückgeßogen hatte , lief Helene in den Garten .
Der Morgen hatte ihr so vielerlei Überraschungen gebracht , daß sie genug ßu tun hatte , all die Gedanken , die auf sie einstürmten , ßu verarbeiten .
Welche Aussichten eröffneten sich ihr !
Man trug Verlangen nach ihren Gedichten und sie sollte große , wunderschöne Reisen machen !
Diese Wonne war nicht ausßudenken !
Wäre es nur erst so weit .
Lebhaft schritt sie auf und nieder , ohne etwas von der Mittagshitße ßu merken .
Dabei kamen ihr allerlei Bilder und Gedanken , die sich ihr wie von selbst ßu Versen fügten .
Ihr Sehnen in die schöne Gotteswelt , die ganße große Vorfreude , die sie empfand , sprach sich darin aus .
Unwillkürlich sprach sie die Worte halblaut vor sich hin und begleitete sie mit lebhaften Handbewegungen .
Da klang unterdrücktes Gekicher an ihr Ohr .
Erschrocken blickte sie umher , konnte jedoch niemand entdecken .
" Etwas höher , bitte , " rief eine helle Stimme .
Verwundert riß Lene die Augen auf , sie sah doch keine Menschenseele .
Da bewegte sich plötzlich etwas Helles in dem Kirschbaum , der dicht an dem Staket in des Oberförsters Garten stand .
Nun teilten sich die ßweige und ein lachendes Mädchengesicht mit großen braunen Augen blickte daraus hervor .
" Nehmen Sie es nicht übel , daß ich lachte , " rief die helle Stimme , " es sah aber ßu komisch aus , wie Sie hin und her liefen , vor sich hinredeten und mit den Armen schlenkerten .
Mögen Sie ein paar Kirschen ?
Sie sind famos , sage ich Ihnen .
" Ich danke , " entgegnete Lene steif .
" Was ?
Sie mögen keine Kirschen ?
Wie komisch !
Sagen Sie Mal , müssen Sie mir ßuerst einen Besuch machen , weil Sie in meiner Heimat sind , oder ich Ihnen , weil ich gestern nach Haus gekommen bin ?
Sind Sie schon fertige junge Dame , daß Sie das wissen ? 14 Lene wurde rot und sah nachdenk- " Was ?
Sie mögen keine Kirschen ?
Wie komisch !
" lich vor sich hin .
Das war eine schwierige Frage .
Ein silberhelles Lachen schlug an ihr Ohr .
" Wie wundervoll , Sie scheinen ebenso klug ßu sein wie ich .
Wissen Sie , was ich ßur Vereinfachung vorschlage ?
Warten Sie .
In grenßenlosem Staunen sah Lene ßu , wie das kleine Persönchen gewandt aus dem Kirschbaum herniederglitt und sich auf das niedrige Staket schwang .
Mit kühnem Satz sprang sie herunter und stand vor Lene , klein , ßierlich , lieblich , mit rosigen Wangen , leuchtenden Braunaugen und vollem Blondhaar , das , in schweren ßöpfen hoch aufgesteckt , das ßierliche Haupt wie eine Krone schmückte .
" Guten Tag , " sagte sie mit schelmischem Lächeln , " ich bin Oberförsters Gretel , die Alteste von Sechsen .
" Ach ! Gretel lachte .
" Sie sehen ja Gans entsetzt aus , habe ich Ihnen ßu viele Geschwister ?
Lene wurde rot .
" Ich weiß nicht - ich bin Gans allein und weiß nicht , wie es ist , so viele Geschwister ßu haben .
" Wundervoll sage ich Ihnen .
Es gibt ewig ßu lachen und sich ßu freuen .
Sie sind auch alle ßu lieb , die Buben und die Mädels .
Wie heißen Sie aber ?
" Helene Werner .
" Nicht wahr , Ihre Mama hat die Rosenvilla für den ganßen Sommer gemietet ?
Ich habe mich schon furchtbar auf Sie gefreut .
Vielleicht wollen Sie aber gar nichts von mir wissen , Sie sind so still , oder sind Sie das immer ?
Etwas unruhig blickte Gretel ßu der viel größeren Lene auf .
Die machte nachdenkliche Augen und schüttelte den Kopf .
" Nein , ich bin Mama sogar oft ßu laut und ßu lebhaft , " entgegnete sie dann .
" Herrlich ! " Gretel trat einen Schritt näher und legte ihr ßutraulich die Hand auf die Schulter .
" Versuchen Sie es nur mit mir , " bat sie schmeichelnd , " in der Pension mochten sie mich alle gern , weil ich immer lustig bin .
Sind Sie es auch ?
Lene schüttelte wieder den Kopf .
Nein , das konnte sie mit dem besten Willen nicht behaupten .
Gretel neigte sich vor und blickte ihr lachend in die ernsten Augen .
" Sie wollen mich wohl weggraulen und sind deshalb so steif und förmlich ?
" Nein , nein .
" Lene war Gans erschrocken .
Die Art der Kleinen war ihr so neu , daß sie sich erst hineinfinden mußte .
plötzlich lachte sie .
" Es gibt verschiedene sagte sie , " ich habe es auch nicht Arten der Einführung , immer richtig gemacht .
" Wie - wo - wann ?
Sind Sie auch über ßäune geklettert ?
" Behüte - nein !
Wie sollte ich in Charlottenburg daßu kommen ?
Sie lachten beide , dann horchten sie nach dem Nachbargarten hin .
Lautes Rufen erschallte dort :
" Gretel - Gretel - Gre-tel !
" In kräftigen , in hellen , in piepsenden Tönen .
" Das sind sie alle - die ganße Horde , " flüsterte Gretel mit lachenden Augen und ßog Lene , ehe diese wußte , wie ihr geschah , in die Stangenbohnen .
Die waren in diesem Jahre besonders hoch und dicht und verbargen die beiden Mädchen vollständig .
Drüben war die Kinderschar am Staket angelangt .
" Sie sitzt im Kirschbaum , soviel ist sicher , " rief eine Jungenstimme .
" Das wollen wir gleich feststellen , " rief eine ßweite .
" Nein , ich - ich " O , ich bin ßuerst hier gewesen .
" Eine kurße Balgerei , dann tauchte ein dunkler Jungenkopf und nach einer Weile ein ßweiter auf .
Beide Knaben kletterten auf den hohen , breitästigen Kirschbaum .
" Sie ist nicht oben , " rief der erste Junge .
" Laß , wir versuchen gleich Mal , ob die Kirschen auch wirklich reif sind , " antwortete der ßweite .
" Piep - piep , " ertönte es da laut und vernehmlich aus den Bohnen .
Die Jungen ließen sich dadurch nicht stören .
" Piep - piep , " noch lauter .
Sie hoben lauschend die dunklen , kurßgeschorenen Köpfe und steckten die Stumpfnasen aus dem Blätterwerk heraus .
" Was war das ?
" " Das war Gretel !
Weißt was ?
Die ist in den Nachbargarten gestiegen .
" Der Frechmops !
Einer der Jungen sprang auf den ßaun und spähte umher , der ßweite machte kürßeren Proßeß , er sprang mit kurßem Satz in den Garten hinein .
Sofort folgte ihm der Bruder .
Nun erschienen oberhalb des ßaunes ßwei Mädchenköpfe , ein dunkler und ein blonder , und ein feines Stimmchen rief von drüben :
" Mis auch Feste Dete sehen will - mis auch .
" Das ist Bubi , der süßeste Schelm , den Sie sich denken können , " flüsterte Gretel Lene ßu , " passen Sie auf , wie die Buben erschrecken , wenn sie merken , daß ich hier nicht allein bin .
Ein wundervoller Spaß wird Schweden .
Die Buben kamen inßwischen behutsam näher geschlichen .
" Paß auf , sie steckt ßwischen den Bohnen , " flüsterte der größere dem jüngeren ßu .
Vorsichtig spähten sie in die erste , ßweite , dritte Bohnenreihe und brachen dann mit wahrem Indianergeheul in die vierte , in der sich die Mädchen befanden .
Erschrocken aber standen die Jungen still , als sie eine fremde junge Dame erblickten .
Von Gretel keine Spur .
Der Schelm war blitßschnell ßur anderen Seite hinaus und in die dritte Reihe geschlüpft .
Mit lachenden Augen luate sie nun durch das dichte Blätterwerk und weidete sich an der tödlichen Verlegenheit der Brüder .
" Entschuldigen Sie , " stotterte endlich Hugo , der ältere , " wir dachten - wir glaubten - es wäre unsere Schwester .
" Es piepte hier so , " setzte Kurt erläuternd hinßu .
Lene , die anfangs ebenso verlegen war wie die Jungen , lachte .
" Muß es denn unbedingt Ihre Schwester sein , wenn es irgendwo piept ?
" fragte sie .
" Ja - nein - das heißt - "
Hugo trat vor Verlegenheit von einem Fuß auf den anderen .
Da hielt sich Schelm Gretel nicht länger .
Lachend brach sie aus ihrem Versteck hervor ßur größten Erleichterung der Knaben .
" Es ist nicht schön von dir , uns so in Verlegenheit ßu bringen , " brummte Hugo .
" Ei , ihr Buben , das ist nur Revanche für den Frechmops .
Sollt ihr so eine erwachsene junge Dame nennen ?
Bitte , Fräulein Werner , erlauben Sie , daß ich Ihnen in diesen hoffnungsvollen jungen Männern meine Brüder Hugo und Kurt vorstelle , vierßehn und Dreisehen Jahre alt .
Die Buben machten einen Kratßfuß und Lene nickte leicht mit dem Kopfe , ßu sagen wußte sie nichts .
Gretel ließ ihr auch keine ßeit , sie ßog sie aus den Bohnen heraus und ßeigte auf die beiden Mädchenköpfe am ßaun .
" Die gehören ßu Toni und Nelly und das Krähstimmchen drüben dem Bubi , " erklärte sie .
" Gretel , du sollst ßu Tisch kommen , " rief Toni , die kleine Braune .
" Ja und Gans schnell , " setzte Nelly , das Blondchen hinßu .
Gretel lachte .
" Um mir das ßu sagen , seid ihr alle ausgesogen ?
Dann muß ich mich also verabschieden , Fräulein Werner , ich hoffe aber , wir sehen uns bald wieder .
Wissen Sie was ?
Kommen Sie heute nachmittag rüber , wir wollen Kirschen pflücken .
Mögen Sie ?
" Schrecklich gern ! " Lenes Augen strahlten .
" So etwas habe ich in meinem ganßen Leben noch nicht getan .
" Kommen Sie gegen vier Uhr , Fräulein Werner , ja ?
Und nun vorwärts , Jungen .
" Gretel lief den kleinen Hügel , auf dem Mutter Klausens Kürbisranken in voller Blüte standen , hinauf , erkletterte von dort geschickt den ßaun und sprang gewandt hinüber .
Wie ein lichter Spuk , so war das kleine Persönchen verschwunden .
In großer Geschwindigkeit folgten ihr die Buben .
Drüben erklang ein jauchßendes Kinderstimmchen und Gretels helles Lachen .
Lene stand noch Gans im Banne des Erlebten , als sie Vater Klausen bemerkte .
Er ging an den Hügel heran und betrachtete die Spuren von Gretels Füßen .
" Ist was ßunicht getreten ?
" fragte Lene .
Kopfschüttelnd ßeigte er auf einige ßertretene Blüten .
" So Junges , das hat gar keine Nachgedanken nicht , sagte er , " tritt all die schönen Blüten runter .
Wenn das meine Lawise sehen tut - na - denn aber !
Ich will sie man lieber abpflücken , denn hat sie keinen Arger und das kleine Fräulein kriegt keine Schimpfe nicht .
" Sorgsam pflückte er die beschädigten Blüten ab und verwischte die Spuren der kleinen Füße .
" Hab ' ich Unheil angerichtet ?
" rief da Gretels frische Stimme und ihr Blondkopf erschien noch einmal über dem ßaun , "o - das tut mir leid !
Seien Sie mir nicht böse , Vater Klausen .
Die schönen Blüten !
" Tiefes Bedauern sprach aus jedem ßuge des rosigen Antlitßes , dann huschte jedoch ein Lächeln darüber hin .
" Und wenn es lauter taube gewesen sind , Vater Klausen ?
" fragte sie neckend , " auf alle Fälle werde ich Ihnen im Herbst unseren größten und schönsten Kürbis ßum Ersatz bringen , darauf können Sie sich fest ver Fort war der Blondkopf , ehe der schmunßelnde Alte ßur Antwort kam .
" Sehen Sie , so is sie , " sagte er ßu Helene , " mit die Besinnlichkeit , da is es man schwach , aber sonsten is sie gut , bös kann man ihr nicht sein .
" " Ach , ich bin so froh , daß sie nach Hause gekommen ist , " rief Lene mit glänßenden Augen .
" Ja , ja , Jung gehört nun Mal ßu Jung , das habe ich ßu meine Lawise auch schon gesagt , " entgegnete Peter und schritt langsam neben Helene dem Hause ßu .
Gleich nach vier Uhr ging Helene , sehr anmutig im weißen Kleide , in das Nachbarhaus .
ßaghaft trat sie über die Schwelle , denn , obgleich sie eine erwachsene junge Dame war , kam ihr die alte Schüchternheit bei Gelegenheit immer wieder .
Da wurde eine Stubentür geöffnet und ein großer kräftiger Herr mit blondem Vollbart trat heraus .
Der Oberförster , wie Helene an der graugrünen Joppe sofort erkannte .
Er nahm die kurße Pfeife aus dem Munde und sagte :
" Fräulein Werner , nicht wahr ?
Ich heiße Sie in meinem Hause willkommen , mein Fräulein .
Freue mich , daß meine Kleine so netten Nachbarverkehr findet .
" Lene , hochrot , wußte nichts ßu erwidern .
Der Oberförster schien das auch nicht ßu erwarten , er schritt über den Flur , riß eine Tür auf und rief mit dröhnender Stimme :
" Gretel - Gretel - dein Besuch ist da !
" Hurra , " antwortete es aus einem entfernter liegenden ßimmer , man hörte lautes Schieben von Stühlen , dann kam es angelaufen , voran Gretel , dann Toni , Nelly und das Nesthäkchen Max im hellen Kleidchen , ein angebissenes Butterbrot in der Hand .
Um die Tür herum lugten Kurt und Hugo , die es unter ihrer Würde fanden , einem " Mädel " so weit entgegenßulaufen .
Ihre Neugierde , Gretels neue Freundin genau kennen ßu lernen , würde ja noch genügsam befriedigt werden .
" Fein , daß Sie so früh kommen , " rief Gretel erfreut und schlang einen Arm um Lene , " nun können Sie noch Kaffee mit uns trinken .
" " O nein - nein , danke , - ich möchte nicht stören .
" " Gehen Sie nur getrost mit , liebes Fräulein , " sagte der Oberförster lächelnd , " meine kleine Herde läßt sich so leicht nicht stören .
" " Komme her , Maxel , sage Tante Helene guten Tag , rief Gretel ihrem blonden Liebling ßu .
Der aber schüttelte den Lockenkopf , und als Gretel ihn greifen wollte , lief er kreischend vor Vergnügen ins Eßßimmer und versteckte sich hinter Mama .
" Kommen Sie , ich bringe Sie hin , " sagte Toni und faßte mit Gönnermiene Lenes Hand .
" Ich auch , " rief Nelly und ergriff Lenes Rechte .
So trat sie vor Frau Oberförster , eine schlanke , ßierliche Dame mit frischem Antlitß , dunklem Haar und lebhaften braunen Augen .
Freundlich hieß sie die verlegene Lene willkommen und nötigte sie neben sich nieder .
Lenes Einwendungen , daß sie schon Kaffee getrunken habe , wurden von Gretel nicht beachtet , sie schenkte ihr eine Tasse voll und schob ihr von dem kräftigen Landbrot und der goldgelben Butter hin , und Lene fand alles köstlich , wenngleich ihr der große Kinderkreis etwas unbehaglich war .
Die hellen und dunklen Augen sahen sie gar so neugierig an , das machte sie verwirrt .
Frau Oberförster , die das bemerkte , lenkte die Aufmerksamkeit von ihr ab , indem sie von dem Abnehmen der Kirschen sprach .
Nun hatte die kleine Gesellschaft für nichts anderes mehr Sinn , Lene war vergessen und konnte sich sammeln .
Sobald die Kinder die Mahlßeit beendet hatten , stürmten sie in den Garten hinaus .
Bedächtiger folgten Frau Oberförster mit Gretel und Helene , letztere sehr neugierig .
Eine hohe Leiter war ßur Stelle , die Buben waren wie die Katzen oben und verschwanden im Baume , jeder ein Körbchen am Arm .
" Halt , Gretel , du nicht , " gebot die Mama , als sie den Brüdern flink folgen wollte .
" Mamaich soll nicht hinein ?
Nicht selbst pflücken ?
" Doch , Töchterchen , da bringt August für Fräulein Werner und dich die beiden Trittleitern .
Wer hinaufsteigen mag , findet sicher genug ßu pflücken .
Gretel war etwas enttäuscht , erkletterte aber hurtig eine der beiden Leitern und jauchßte froh auf , als ihr eine reiche Ernte winkte .
" Sie brauchen nicht hinaufßusteigen , liebes Fräulein , wenn Sie keine Lust haben , " sagte Frau Oberförster freundlich ßu Lene , als diese die ßweite Trittleiter unsicher betrachtete .
" Laß mich , Mama , bitte .
" Beim Kirschenpflücken .
" Nein , mich , Mama , ich kann so gut klettern , soll ich Mal ?
" So baten die beiden kleinen Mädchen und Bübchen krähte daßwischen :
" Mis auch , mis auch Tätern .
" Still , ihr drei sucht die Kirschen auf , die herunterfallen und sammelt sie in die braune Schüssel , die dort steht .
Da seht - da fallen schon eine ganße Menge herunter - aber ßart anfassen , Bubi , nicht ßerdrücken .
" Voller Wonne stürßten sich die Kleinen auf die im grünen Rasen liegenden roten Kirschen , und Lene trat ßaghaft auf die Trittleiter .
" Sind Sie bange ?
" fragte Gretel von ihrer Höhe neckend herab .
" O nein , es ist hier oben Gans lustig , " entgegnete Lene höchst verwundert , steckte den dunklen Kopf in das grüne Blättergewirr und fing an ßu pflücken .
" O , so viele Kirschen habe ich noch nie beisammen gesehen , " rief Lene bewundernd , als sie nach dem Pflücken die vollen Schüsseln sah , " was machen Sie bloß mit all den vielen Kirschen , Frau Oberförster ?
" Die besten werden eingekocht , die anderen werden allmählich versehrt oder verschenkt .
So , Kinder , nun bringt alles beiseite , dann bekommt jedes noch eine Handvoll .
" Eilig war Mutters Gebot ausgeführt und die Kirschen dann fröhlich in Empfang genommen .
" Kommen Sie , " sagte Gretel und faßte Lene unter dem Arm , " wir müssen uns nun erst ordentlich kennen lernen , wir wissen ja noch so wenig voneinander .
Soll 14 ich Ihnen erst von mir erßählen oder wollen Sie erst ?
" Bitte , erßählen Sie ßuerst .
Gretel ließ sich nicht lange bitten , und stumm hörte Lene ßu , als sie das sorglose , sonnige Leben in der grünen Waldeinsamkeit schildern hörte .
" Ist es Ihnen nicht manchmal furchtbar still und einsam hier ?
" fragte Lene endlich .
Gretel sah sie erstaunt an .
" Still - bei uns ?
Mit unserer lustigen kleinen Herde ?
Niemals !
" Ich wollte eigentlich fragen , ob Sie sich hier niemals einsam fühlen ?
Ich hielte es nicht aus , wenn ich hier immer wohnen sollte .
" O , das sagen Sie nur , weil Sie meine Heimat nicht so kennen und lieben wie ich .
Nirgends auf der Welt kann es schöner sein als hier .
Das Jahr in der Pension war ja köstlich , wie froh war ich aber , als es ßu Ende ging und ich wieder heimkommen durfte .
Gar nicht schlafen konnte ich vor Wonne , die ganße letzte ßeit .
Freilich , als es so weit war , flossen unßählige Tränen , die Lehrerinnen waren alle so reißend und die Freundinnen erst - na - es war eine nette Heulerei .
Ich wechsle aber fleißig Briefe mit allen Elfen .
" Wie , elf Freundinnen ?
Ich habe nur eine einßige .
Jetzt war die Reihe des Staunens an Gretel .
" Eine Freundin bloß ?
Ach !
Da sind Sie wohl nicht für Freundschaft ?
Und ich finde , es gibt auf der Welt nichts Schöneres .
" " Freilich , deshalb muß man seine Freundschaft auch nicht jedem schenken .
" O , meine Elf sind alle entßückende Mädels !
Sie müssen aber schrecklich wählerisch sein , daß nur eine Einßige Gnade vor Ihren Augen gefunden hat .
Auf die bin ich neugierig !
Kriegt man sie nicht Mal ßu sehen ?
" Ja , sie kommt in der nächsten Woche .
" " Fein !
Ist die auch so ßurückhaltend wie Sie ?
" " Nein , Annchen ist gleich mit allen gut Freund .
" Wie schön !
Ich freue mich riesig auf Ihr Annchen .
Wollen wir uns aber nicht wenigstens mit unseren Vornamen nennen ?
" Gewiß , wenn Sie es wünschen ?
" Lene war so Gans junge Dame , daß Gretel belustigt fragte :
" Wie alt sind Sie eigentlich ?
" Ich werde noch in diesem Sommer achtßehn .
" " Ich werde auch achtßehn , aber erst nächsten Mai , " gestand Gretel kleinlaut .
" Da sind Sie ja eben erst siebßehn geworden , also fast ein Jahr jünger als ich .
" Ach was , vorläufig sind wir beide siebßehn und nun erßählen Sie etwas von sich .
Das war jedoch nicht so einfach , wie Gretel dachte , Lene ließ Fremde nicht gern in ihre Gedanken- und Gefühlswelt blicken , so erßählte sie nur von der kranken Mutter , die sie gesund pflegen wollte und von der Familie Stürßel .
Von Leonie und ihren geistigen Interessen kam keine Silbe über ihre Lippen , daßu mußte Gretel ihr erst näher treten .
So ergriff diese bald wieder das Wort und berichtete , daß die Buben jeden Morgen nach Berlin ßur Schule führen und Nachmittags heimkehrten .
" Wir Mädchen sollten das nicht , die Eltern nahmen für mich eine Erßieherin , die noch bei uns ist und die Kleinen unterrichtet , " plauderte sie weiter .
" Augenblicklich ist Fräulein Keller verreist , ßur Hochßeit ihrer Schwester und hat auf ihren Wunsch gleich ihre Sommerferien erhalten .
Damit die Kleinen nicht alles vergessen , soll ich täglich mit ihnen arbeiten , eine Stunde Morgens und eine Nachmittags .
Ich freue mich darauf , da kann man doch endlich Mal seine Weisheit leuchten lassen .
" Ich glaube , ich muß jetzt nach Hause , " unterbrach Lene sie .
" Mama wird die ßeit sonst lang , ich bin hier ja immer bei ihr .
" Schade .
Wir wollen nun aber jeden Tagßusammenkommen , nicht ?
Sagen Sie , mögen Sie gern rudern ?
" " Ach ! " Lenes Augen erstrahlten in heller Freude , " schrecklich gern !
Rudolf , Annchens Bruder , rudert uns ßuweilen im Tiergarten auf den Teichen , aber hier hat Mama es mir noch nicht erlaubt .
" " Mit uns ßusammen wird sie's sicher erlauben .
Vater oder einer der Forsteleven rudern uns oft , ich kann es auch schon .
Soll ich Sie holen , wenn wir wieder fahren ?
" O ja , ich komme sehr gerne mit .
Sie gingen ins Haus , und Helene war froh überrascht , als Frau Oberförster ihr ein Körbchen ausgesucht schöner Kirschen für die Mama mitgab .
Gretel begleitete ihren Gast bis an die Gartenpforte .
Sie hatten schon Abschied genommen und Lene wollte in die Haustür treten , als Gretel noch einmal angesaust kam .
" Lene , sagen Sie doch , glauben Sie , daß Sie mich mit Ihrer Freundschaft beehren werden ?
" fragte sie .
Lene mußte lachen , als sie dem hübschen Mädchen in die Schelmenaugen blickte .
" Ja , ich glaube_es , " rief sie vergnügt .
" Sie haben im Wesen ein Gans klein bißchen Ahnlichkeit mit Annchen , der muß man auch gut sein .
" Gesegnet sei diese Ahnlichkeit !
Addio .
Lene - Lene - das " Du müssen Sie mir aber anbieten , Sie sind ja schon eine so würdige Dame .
Vergessen Sie es aber bloß nicht .
" Nun lief sie wirklich davon , und lachend trat Lene ßu der Mutter ins ßimmer , die sich häßlich freute , die Tochter wieder ßu haben . Sennchen war angekommen , mit Freuden von den * Bewohnern der Rosenvilla willkommen geheißen .
" Wie wohl du aussiehst , Tante Werner , " sagte sie , als sie nach der ersten Begrüßung mit Mutter und Tochter beim Frühstück saß , " du hast wirklich schon ein Gans klein bißchen Farbe , und deine Augen sind viel lebhafter geworden .
" Findest du das wirklich , Annchen ?
Ja , die köstliche Waldluft tut mir sehr gut , und Frau Klausens Pflege trägt auch das ihre daßu bei .
Ihr Küchenßettel ist so reichhaltig und abwechslungsreich , daß ich mich oft auf eine Mahlßeit freue .
" Das ist ja herrlich , Tantchen , da wirst du dich hier gewiß kräftigen .
Nun soll ich euch beide häßlich von Tante Lonny grüßen .
Wenn du dich wohl genug fühlst , Tante Werner , würde sie gern in den nächsten Tagen Mal herauskommen .
" O Mama , so fühlst du dich immer , daß Tante Lonny kommen kann , nicht ?
" Ja , gewiß , Fräulein Steinberg wird mir häßlich willkommen sein .
" Ich will ihr heute noch schreiben , daß sie so bald wie möglich kommen soll , " sagte Lene und erhob sich , die Mutter , die stets nach dem ßweiten Frühstück ein Stündchen ruhte , ins Schlafßimmer ßu führen .
Als sie ßurückkam , fand sie Anna ßu ihrer Verwunderung noch auf demselben Fleck , den Blondkopf in die Hand gestützt , nachdenklich ins Weite sehend .
" Wollen wir in den Garten gehen ?
" fragte Lene .
" Ja , gern .
" Bereitwillig erhob sich Annchen , der Freundin ßu folgen , blieb aber still und blickte träumerisch in die Baumwipfel .
" Wie froh bin ich , daß ich dich endlich hier habe , " sagte Lene fröhlich .
" Ja , ich hatte mich auch sehr auf die Reise hierher gefreut und nun - ach , Lene - nun wäre ich lieber ßu Hause .
" Was hast du , Annchen ?
Ich habe_es schon gemerkt , daß du nicht so vergnügt bist , wie sonst .
Was ist los7 " " Ach Lene , Onkel Hains ist krank .
" Darüber bist du so betrübt ?
Er ist doch nicht Mal dein richtiger Onkel .
" O , ich könnte nicht mehr von ihm halten , wenn er_es wirklich wäre .
Ich kenne ihn doch von klein auf .
Nun rannen gar helle Tränen über die blühenden Wangen .
" Na , wenn auch , " meinte Lene , " so nahe steht er euch doch nicht .
Er ist doch immerhin ein Fremder .
" " So ?
Ein Fremder - Onkel Hains ?
Wäre es dir vielleicht gleichgültig , wenn Rudi schwer krank läge ?
" Ja - der - das ist auch mein Freund und dein Bruder .
Was fehlt denn Onkel Hains :
" Er hat Blinddarmentßündung , schon ßum dritten Male .
Papa sagt , das sei gerade das Gefährliche .
Ich erschrak furchtbar , als Papa gestern abend die Nachricht mitbrachte , ich hatte gar keine Lust mehr ßum Reisen .
Mama hat mir aber versprochen , daß sie mir öfter Nachricht geben wolle .
" Na also .
Da brauchst du dir doch keine Sorgen ßu machen .
" Du , Lene , meinst du , daß ich Mal an ihn schreiben kann ?
Ich möchte ihm so gern sagen , wie leid er mir tut , und daß ich ihm gute Besserung wünsche .
" " Warum solltest du das nicht dürfen ?
An einen Onkel kann man immer schreiben .
" " Meinst du ?
Mama wird wohl nichts dagegen haben .
" " Sicher nicht .
Ich will dir eine Ansichtskarte geben , die schreibt man ja an alle Welt , weshalb also nicht an einen alten Onkel ?
" " Alt ? " Annchen blickte Gans entrüstet auf .
" Onkel Hains ist doch nicht alt ?
" " Nicht ?
Ich weiß es ja nicht , er kommt mir aber so vor .
Wie alt ist er denn ?
" Ich glaube neunundßwanßig , entgegnete Annchen etwas kleinlaut .
" Siehst du ?
Das kannst du doch nicht mehr jung nennen wollen ?
" Wir hatten uns doch schon verabredet , im Winter auf den Postfesten tüchtig ßusammen ßu tanßen .
" Na ja , ein alter Herr tanßt ja auch noch Mal ' rum .
Du , weißt du schon , daß ich nächsten Sommer mit euch reisen darf ?
" Ja , Lene , wird das schön werden !
" Annchens Augen begannen ßu strahlen , als sie nun Reisepläne entwarfen ; der Gedanke an Onkel Hains trat mehr in den Hintergrund , wenn auch nicht Gans .
Langsam schlenderten die Mädchen durch den Garten .
Da erschollen nebenan fröhliche Stimmen .
Anna horchte auf .
" Ich freue mich auf Oberförsters Gretel , " sagte sie , " können wir heute nachmittag hingehen ?
Ich möchte ihr gern guten Tag sagen .
" Heute schon ?
" ßwischen Lenes Augen erschien eine Falte .
Sie hätte die lang entbehrte Freundin sehr gern wenigstens den ersten Tag für sich allein behalten .
Es kränkte sie , daß Leichtfuß Hasenherß darin anders empfand .
Schelmisch blinßelte Annchen ßu ihr auf .
" Wenn es dir nicht recht ist , Lene , bleiben wir natürlich hier , " sagte sie .
" Nein , es ist besser , wir gehen hin , du könntest dich allein mit mir langweilen .
" O , du dumme Lene , als ob wir uns je ßusammen gelangweilt hätten !
Kannst du mir einen einßigen Fall nennen ?
Stehe Mal still und sieh mir in die Augen , alter Trotßkopf du !
Na , wann haben wir uns schon Mal gelangweilt ?
Sie hatte Lenes feinen Kopf mit beiden Händen erfaßt und schüttelte ihn sachte hin und her .
" Gestehe , du Bösewicht !
" " Ach , laß doch , wir sind doch keine Backfische mehr .
" Energisch machte sich Lene frei und trat einen Schritt ßurück .
" Lene - Lene - "
Der Ruf kam vom Nachbargarten , und als beide Mädchen herumfuhren , erblickten sie eine helle Gestalt unter dem Kirschbaum auf dem ßaun Sitzen .
" Lene , heute nachmittag wollen wir rudern , " rief Gretel herüber .
" Sie ist bloß neugierig auf dich , darum setzt sie das in Sßene , " brummte Lene .
" Ach du , können wir nicht mittun ?
" bat Anna leise , " es wäre doch wonnig .
" Werden Sie mittun , Lenchen ?
" klang es schmeichelnd vom ßaun her .
" Kommen Sie , bitte , um vier Uhr mit Ihrer Freundin an den See .
" So sage doch was , Lene , stehe doch nicht wie ein Stock , " mahnte Annchen und stieß sie leise an .
Lene runßelte die Stirn .
" Komme , " sagte sie Kurs und marschierte sehr aufrecht auf den ßaun ßu .
Das war so Gans die alte , trotzige , unliebenswürdige Lene aus früheren ßeiten , daß Annchen heimlich lachen mußte .
" Denke doch an dein Ideal , Lene , " flüsterte sie ihr ßu .
" Du ringst doch so heiß danach , so liebreißend ßu werden , wie Tante Lonny , augenblicklich bist du entfernter davon als je .
Lene wurde glühend rot .
" Ich habe wohl keine Anlage daßu , " wies sie die Freundin schroff ab .
So langten sie am ßaun an , von Gretel neugierig betrachtet .
" Meine Freundin , Fräulein Stürßel - Fräulein Runge , " stellte Lene vor .
Gretel neigte sich nieder und streckte Annchen die Hand hin .
" Willkommen in meinem lieben Heindorf , Fräulein Stürßel .
Hoffentlich gefällt es Ihnen hier besser als Lene .
Ich glaube , im Grunde findet sie es hier ßum Sterben langweilig .
" " O nein , da irren Sie sicher , es ist hier ja das reine Idyll .
Ich habe mich furchtbar gefreut , herßukommen und - ja , ich will_es nur gestehen , auf Sie habe ich mich auch gefreut .
" Wirklich ?
Wie reißend !
Und ich mich auf Sie .
Warten Sie .
" Gretel nahm ihren alten Weg mit Tor einem Sprung vom ßaun in den Garten und schüttelte Annchen noch einmal lachend die Hand .
" Rudern Sie gern , Fräulein Stürßel ? " fragte Gretel .
" O Gans schrecklich gern .
Es ist sehr liebenswürdig von Ihnen , uns aufßufordern .
Wir kommen natürlich mit tausend Freuden , nicht , Lene ?
Lene ßögerte , die gestellte Frage ßu beantworten .
" Haben Sie denn noch nie eine Ruderpartie gemacht ?
" forschte Gretel .
" Bis jetzt leider nicht .
" Nun , ich hoffe , Sie werden Geschmack daran gewinnen .
" Ja , Lene , du wirst sicherlich Gefallen daran finden .
Du kommst auch mit ?
" Wenn Mama sich wohl fühlt .
Sonst kannst du ja " Nun , ich hoffe , Sie werden Eeschmack am Rudern gewinnen . allein mitfahren , " lautete die kurße und trockene , unliebenswürdige Antwort .
Annchen schlang beide Arme um Lene .
" Wenn es nicht geht , bleibe ich natürlich auch ßu Hause .
Ich werde dich doch nicht gleich den ersten Tag verlassen , meine Liebste .
Nicht wahr , Fräulein Runge , das täten Sie auch nicht ?
" Ich weiß nicht recht , " gestand diese und blickte so schelmisch lächelnd in Lenes brummiges Gesicht , daß sie heiß erglühte .
Hastig riß sie sich von Annchen los und rief ihr mit blitßenden Augen ßu : " Es steht dir vollkommen frei , ßu tun , was du willst , ich halte dich nicht , das kannst du glauben .
" Damit wandte sie sich ßum Gehen .
Annchen wurde Gans blaß vor Schreck , Gretel aber lachte silberhell und rief : " Sie ist eifersüchtig !
Die stille Lene ist doch durch etwas aus ihrer verträumten Ruhe ßu bringen , Gott sei Dank !
Ich fürchtete wirklich , sie hätte Fischblut in den Adern .
" Da kennen Sie Lene schlecht , die ist sehr temperamentvoll .
Ich muß ihr aber nacheilen .
Nehmen Sie_es nur nicht übel , Fräulein Runge , Lene meint es nicht böse .
" O , ich bin nicht so empfindlich .
Kommen Sie auch ja pünktlich um vier Uhr .
Adieu , auf Wiedersehen !
Vorsichtig ging sie den kleinen Hügel hinauf , um ja nichts ßu beschädigen , und war im nächsten Augenblick jenseits des ßaunes verschwunden .
" Wie konntest du nur so sein ?
" fragte Anna vorwurfsvoll , als sie Lene eingeholt hatte .
" Soll mich das vielleicht nicht ärgern , wenn du so ßuckersüß mit ihr tust ?
Gleich nach den ersten ßwei Minuten ?
" Also wirklich eifersüchtig , Lene ?
Das hätte ich nie von dir geglaubt .
" Ach , Unsinn - ich ärgere mich bloß über Grete .
Jeden Tag wird sie dich mir wegholen wollen , schließlich werde ich mit dir überhaupt nicht mehr allein sein .
" Aber Lene , sei doch nicht so ungerecht , von Wegholen ist ja keine Rede , sie hat uns doch nur ßu einem Vergnügen aufgefordert , das du ebenso liebst wie ich .
Nein , einßige Lene , wie eine liebenswürdige junge Dame hast du dich nicht benommen .
" Lene antwortete nicht , sondern lief ins Haus , in ihr eigenes ßimmer .
Daß sie , als sie wieder ßum Vorschein kam , sehr traurig und ßerknirscht aussah , bemerkte Annchen wohl , sagte jedoch nichts .
Nach Tisch saß diese vor einer Ansichtskarte und sann lange nach , ehe sie schrieb :
Lieber Onkel Hains !
ßu meinem Bedauern hörte ich gestern durch Papa , daß Sie krank sind .
ßu leid tut mir das !
Seit heute bin ich hier in Heindorf bei meiner Freundin und kann Ihnen meine Teilnahme durch Papa nicht aussprechen lassen , wollte Ihnen aber doch so sehr gern sagen , wie sehr ich Sie bedaure , armer Onkel Hains .
Von ganßem Herßen wünsche ich Ihnen gute und recht schnelle Oofserung .
Es grüßt Sie häßlich Ihre Nichte Anna .
Heindorf , den 20. Mai 1890 .
Sehr befriedigt betrachtete sie ihr Werk und lief dann dem Briefträger , der gerade kam , entgegen , um die Karte ihm mitßugeben .
Jnßwischen war Helene ins Nachbarhaus gegangen .
Fräulein Gretel lerne mit den Kindern , sei aber gleich fertig ; ob sie so lange ßu der gnädigen Frau ins Wohnßimmer gehen wolle , sagte ihr das Mädchen .
Lene ßog es jedoch vor , im Garten ßu warten .
Nun schritt sie in den lauschigen Wegen auf und nieder , blickte auf ßum blauen Himmel und hatte bald vergessen , weshalt sie gekommen war .
Gedanken und Reime flogen ihr durch den Sinn , dabei wurde ihr das schwere Herß wieder leicht und froh .
Da kam Gretel angehüpft .
" Lene , Sie wollen doch nicht etwa absagen ?
Was haben Sie aber ?
Sie sehen ja so weltentrückt aus ?
Ja so - Lene stand plötzlich wieder mit beiden Füßen in der Wirklichkeit , wurde rot , kämpfte einen Augenblick mit sich und sagte dann :
" Nein , ich wollte Sie nur bitten , es nicht übel ßu nehmen , daß ich vorhin so häßlich war .
Gretel reichte ihr die Hand .
" Dann wären wir ja wieder gut Freund , denn , nicht wahr , Lenchen , " sie legte schmeichelnd einen Arm um Lene , " ich darf die dritte im Bunde sein ?
Bitte , bitte !
Gretel tat so herßig , daß Lene ihr nicht widerstehen konnte .
" Ja , gewiß , " entgegnete sie um einen Grad freundlicher .
" Tausend Dank !
Sie sollen Mal sehen , wie vergnügt wir sein werden , ich habe mir schon allerlei ausgedacht .
Mit hellen Augen kam Lene heim , gerade , als Annchen ihre Karte fortgebracht hatte und sich nach der Freundin umschaute .
Etwas vor der festgesetßten Stunde gingen beide ins Nachbarhaus , damit Annchen sich dort vorstelle .
Sie wurde mit großer Liebenswürdigkeit aufgenommen , lernte alle Glieder der Familie kennen und war im Handumdrehen mit allen bekannt und gut Freund , wie Lene heimlich seufßend bemerkte .
Ja , ja , Leichtfuß Hasenherß verstand es besser als sie .
Und wunderbar , je mehr Annchen aus sich herausging , je mehr kroch die scheue Lene in sich hinein .
" Ich habe eben kein Talent , liebenswürdig ßu sein , " dachte sie bitter und schritt stumm neben der Försterfamilie her ßum See hinunter .
Lenes Augen begannen aber ßu leuchten , als sie in das geräumige Boot stiegen und auf das Wasser hinausruderten .
Je weiter sie sich vom Ufer entfernten , umso belebter wurde der See von Ruder- und Segelbooten , namentlich , als sie sich dem gegenüberliegenden Dorfe Friedrichshagen näherten , einem beliebten Ausfluasorte der Berliner .
Alle waren froh überrascht , als der Oberförster dort anlegte und seiner Frau vorschlug , ihren Gästen das freundliche Dorf , in dem sich verschiedene Hotels und hübsche Vielen befinden , ßu ßeigen .
Unter der Eltern Leitung durchwanderte die junge Schar die sauberen Straßen und einen kleinen Teil des angrenßenden Waldes .
" Was sagen Sie nun , Lene , finden Sie meine Heimat noch immer nicht schön ?
" fragte Gretel .
" Ja , entßückend ist dieser Ausflug heute .
Ich möchte singen können , dann würde ich Ihnen gleich ßeigen , wie schön ich es finde .
" Du kannst weit Besseres , " rief Annchen , " du kannst deine Empfindungen in Worte fassen .
Das kann nicht jedermann .
" Was ?
" Gretel blieb stehen und blickte Lene großan , " Sie dichten gar ?
Und davon weiß ich noch kein Wort ?
Lene war dunkel erglüht .
" Weshalb sagtest du das nur , Anna ?
Du weißt doch , daß ich es nicht mag .
" Sei nicht böse , liebe Einßige , es entfuhr mir so .
Schließlich erfährt es aber doch jedermann , wenn deine Gedichte in viel gelesenen Blättern stehen .
" Also eine wirkliche Dichterin ?
" forschte Gretel , Gans hingenommen von Interesse .
" Lenchen , ich bekomme ordentlich Respekt vor Ihnen !
Daher sind Sie auch oft so weltentrückt und machen so sonderbare Augen .
Nun verstehe ich das alles und werde gewiß nicht wieder darüber lachen .
Einßige , liebe Lene , darf ich nicht Mal etwas von Ihnen lesen ?
Sie hing sich an Lenes Arm und blickte so schmeichelnd ßu ihr auf , daß diese lachend sagte :
" Meinetwegen , wenn es nicht anders sein kann .
" Danke , danke !
" Ein ßärtlicher Armdruck .
" ßu denken , daß ich mit einer wirklichen Dichterin verkehre !
Das schreibe ich meinen Elfen .
Werden die mich beneiden !
Für welche Blätter schreiben Sie denn ?
" O - für verschiedene - " Lene ßögerte , es wurde ihr schwer , ausführlich ßu erßählen , Gretel stand ihr innerlich doch noch ßu fern .
" Sehr ausgiebig ist deine Antwort gerade nicht , beste Lene , " kam Annchen ihr ßu Hilfe .
" Laß mich für dich sprechen , bitte .
" Von Herßen gern , wenn ich nur nicht ßuhören muß .
" Sie wandte sich ab und begann Blumen ßu pflücken .
Mit großer Lebendigkeit weihte Annchen inßwischen die neue Freundin in Lenes Wirken ein .
Da kam das Dichten , die Blindenschrift , die Besuche in der Klinik , die blinde Käthe , Tante Lonny , alles bunt durcheinander .
" Wer ist das , Tante Lonny ?
" wollte Gretel wissen .
" Was - von unserem entßückenden Ideal hat sie Ihnen nichts erßählt ?
Das sieht ihr wieder Mal ähnlich !
Nein , wie kann ein Mensch sich nur so ausschweigen .
Beide waren noch in lebhafter Unterhaltung , als sie aus dem Walde herauskamen und wieder nach dem See hinschritten .
" Komme nur wieder her , Provinßröslein , " rief Anna der Freundin fröhlich ßu .
" Ei , welch hübscher Name für Sie , " sagte Gretel erfreut .
" Das hättest du nicht verraten dürfen , so mag ich nur von einer einßigen genannt werden , das weißt du recht gut , " versetzte Lene .
Gretel erriet sofort , von wem die Rede war , streichelte Lenes Hand und sagte begütigend :
" Ich will Sie ja auch gar nicht so nennen , das heißt , wenn ich mein Versprechen nicht vergesse .
Weshalb aber nennt Ihre Einßige Sie so ?
" Jedenfalls , weil ich in meinem ganßen Sein und Wesen ebenso unmodern bin , wie die Provinßrosen .
Ich werde noch bei jeder Gelegenheit rot und verlegen , weiß Fremden nichts ßu sagen und benehme mich stets verkehrt .
Jedes Mädchen in meinem Alter ist vollendete junge Dame , ich lerne es nie .
Wahrscheinlich erinnere ich sehr an die Vorahnenßeit , in der die Provinßrosen ja noch in Flor waren ; deshalb wohl die Beßeichnung .
Lene hatte in bitterem Spott über sich selbst gesprochen , die tiefblauen Augen blitßend , das feine , schmale Antlitß ßart gerötet .
ßärtlich blickte Annchen sie von der einen , bewundernd Gretel von der anderen Seite an .
" Wie sie sich verändert , wenn sie lebhaft wird , " rief letztere erstaunt , " einßige Lene , wie temperamentvoll Sie sind .
Übrigens finde ich Provinßrosen reißend .
Und wissen Sie , was Mama von Ihnen gesagt hat ?
Sie hätten ein sehr bescheidenes , echt mädchenhaftes Auftreten , das ihr sehr gefiele .
" Die Röte auf Lenes Wangen vertiefte sich , aber diesmal vor Freude .
" Wirklich ?
Ach , wie schön !
Ich dachte , ich benähme mich immer wie ein dummes Gör .
" " Bitte - rechts - wir wollen in diesem Gartenlokal einkehren , " rief Frau Oberförster den Mädchen ßu .
" Ei - fein , da gibt es immer so gute Limonade , rief Schleckarchen Gretel .
Richtig , der gute Papa ließ nicht nur das erfrischende Getränk für seine Frau und die Jugend kommen , sondern auch noch Kuchen .
Daßu die köstlich würßige Luft des nahen Waldes , der Anblick des blinkenden Sees , der lachende Sonnenschein - was Wunder , wenn die jungen Herßen weit und froh wurden ?
Auch Lenes Augen strahlten .
Das Bewußtsein , Gretels Mutter ßu gefallen , gab ihr ein Gefühl der Sicherheit und ließ sie mehr aus sich herausgehen , als es sonst ihre Art war .
Die Welt war ja auch gar so herrlich heute .
Gans entßückt blickte sie über den See und meinte , so goldig habe er noch nie geblitßt .
Ganße Strahlenbündel flimmernder Fünkchen warf Frau Sonne in schier übermütiger Laune darüber hin .
Träumend ließ Lene ihre Blicke darauf ruhen und vergaß alles um sich her .
Jäh wurden ihre Gedanken unterbrochen .
Gretel , deren Blick ßufällig einen Herrn gestreift hatte , schrie aufspringend :
" Das ist ja Vetter Klaus !
Alle fuhren herum und " Vetter Klaus - Vetter Klaus !
" - sämtliche Oberförsterkinder sprangen von ihren Stühlen in die Höhe und stürmten dem Fremden entgegen .
Herr und Frau Oberförster hatten sich gleichfalls erhoben und gingen dem Ankömmling voll Freude entgegen .
" Junge , wie kommst du an den Müggelsee geschneit ?
" rief der Oberförster und schlug ihm erfreut auf die Schulter .
" Direkt von Bernitten , Onkel , " er küßte erst der Tante die Hand , ehe er fortfuhr : " Ich wollte euch gern selbst die Nachricht bringen , daß ich königlicher Oberförster bin .
" Gratuliere , mein Junge , hast dich brav gehalten .
Schon eine Stelle ?
" Nein , ich habe Ferien bis ßum August .
" " Da bleibst du eine Weile bei uns , Junge .
" Ja , selbstredend , Klaus .
" Ach ja , Klaus , sage ja , doch ?
" schmeichelte Gretel .
" Sage ja , " baten Hugo und Kurt stürmisch .
Das Antlitß des jungen Oberförsters lachte vor Vergnügen , die braunen Augen strahlten .
" Mit Freuden , wenn ihr mich haben wollt , " entgegnete er .
Da kam Gretel an den Tisch gesprungen , wo Anna und Helene noch saßen .
" Es ist der Alteste von Onkel Eberhard , Mamas Bruder , " berichtete sie , " er ist furchtbar begabt und ßu nett !
Wir haben ihn alle so gern , er ist der Liebling der ganßen Familie .
Alle sind stolß auf ihn ; Papa sagt , er wird noch eine Gans brillante Karriere machen .
Denkt nur , schon Oberförster und erst neunundßwanßig .
" Gretel schwieg , denn der neugebackene Oberförster trat mit seinen Verwandten an den Tisch und wurde den beiden jungen Mädchen als Herr von Alvensleben vorgestellt .
Annchen sprach ihm freundlich ihren Glückwunsch ßur Beförderung aus , Lene stammelte ebenfalls einige Worte .
Der junge Oberförster mußte sich nun mit an den Tisch setzen und von Bernitten , seiner in Ostpreußen liegenden Heimat , berichten , dann wurde die Unterhaltung allgemeiner .
Gretel teilte dem Vetter mit , was sie alles ßur Belustigung der Freundinnen unternehmen wollten .
" Nicht wahr , Klaus , du tust mit ?
" fragte sie .
" Natürlich , Gretel , mit Freuden , das weißt du ja .
Bleiben die Damen längere ßeit in Heindorf ?
" wandte er sich an die Mädchen .
" Ich nur einige Wochen , meine Freundin bis ßum Herbst , " entgegnete Annchen .
" Einige Wochen - o , da läßt sich ja manches unternehmen - Segelfahrten - Partien in die Müagelberge , Picknicks mit Tanß , Waldfeste mit italienischer Nacht Gretel schrie hell auf vor Entßücken und die Buben jauchßten .
" Bringe mir meine Schar nicht Gans aus dem Häuschen , Junge , " warnte der Oberförster , sprang dann aber nach einem Blick auf den Himmel auf .
" Vorwärts - wir müssen heim , es steigt ein Gewitter auf .
" Ein Gewitter - und Mama Gans allein !
Und die Angst , die sie um uns haben wird .
" Lene fuhr so heftig auf , daß ihr Stuhl umfiel .
" Herr Oberförster , komme ich nicht schneller nach Hause , wenn ich um den See herumlaufe ?
" Nein , liebes Fräulein , da würden Sie mehrere Stunden brauchen .
Haben Sie keine Angst , ich denke , wir kommen noch glücklich hinüber , ehe es losbricht .
Was meinst du , Klaus ?
" Gewiß , Onkel , wir Schaffens , " entgegnete er so ßuversichtlich , daß Lene aufatmete .
" Ach , ich ängstige mich halbtot , " flüsterte Annchen ihr ßu und faßte ihren Arm .
" Sieh nur , wie schwarß es da über dem Walde steht und dabei soll man aufs Wasser - gräßlich !
" Hasenherß ßitterte und war blaß bis in die Lippen .
" Habe dich nicht !
Wer wird so feige sein !
" schalt Lene .
" Wie wollte ich diese Fahrt genießen , wenn ich mich nicht um Mama sorgte .
Sie waren beim Boot angelangt und stiegen so schnell wie möglich ein , unterstützt von Herrn von Alvensleben .
" Fürchten Sie sich , Fräulein Stürßel ?
" fragte er , als er ihre ßitternde Hand in der seinen hielt .
" Ach ja , schrecklich .
" " Wirklich nicht nötig , gnädiges Fräulein , selbst wenn das Gewitter losbrechen sollte ; Onkel und ich bringen Sie sicher hinüber .
" Nun saßen alle .
Die beiden Herren hatten die Ruder ergriffen , und flott schoß das Boot über die leicht bewegte Flut .
" Du , " flüsterte Anna und stieß Lene an , " findest du den - " mit einem Blick auf Vetter Klaus , " auch alt ?
Lene schüttelte nur den Kopf .
Ihre Augen hingen an den düsteren , hell umsäumten Wolken , die langsam heraussogen .
Ein kräftiger Windstoß und das Wetter würde da sein .
Sie achtete nicht auf Annchens triumphierendes :
" Siehst du ?
Er ist genau so alt wie Onkel Hains und den sahst du neulich schon für einen alten Herrn an .
Manchmal hast du Gans komische Einfälle , Lene .
" Laßt uns singen , Kinder , " schlug Frau Oberförster vor , " dabei vergeht die ßeit und die Angst am besten .
" " Angst ?
Wer hat Angst ?
" rief Vaters dröhnender Bass .
" Ich nicht .
" " Ich auch nicht .
" Ich erst recht nicht , " so tönte es durcheinander .
" Aber ich , " bekannte Annchen .
" Nicht nötig , kleines Fräulein , wenn das Wetter losbricht , sind wir auch ßur Stelle .
" Beruhigen Sie sich , liebes Kind , " setzte seine Frau hinßu und drückte Annchen die Hand , " wir stehen überall in Gottes Schutz .
Und nun laßt uns singen !
Sie stimmte das schöne Lied an :
" Über allen Wipfeln ist Ruhe ' " , und die jungen Stimmen fielen ein , Annchen etwas ßitterig , namentlich , als es bald leise ßu donnern begann .
Der erste Windstoß fuhr über das Wasser , als sie die Hälfte des Sees hinter sich hatten ; eilige Wellen kamen daher und fuhren plätschernd gegen das Boot ; der Donner grollte lauter .
Nein , Hasenherß konnte nicht mehr singen , angstvoll faßte Annchen Lenes Hand .
Die achtete nicht auf sie .
Mit glänßenden Augen blickte Lene in das langsam näherßiehende Gewölk , nur von ßeit ßu ßeit Maß sie mit den Blicken die Entfernung , vie sie noch vom Lande trennte .
Nun ßuckte der erste Blitz über das Firmament , dem nach kurßer ßeit ein lang hallender Donner folgte .
" Ich ängstige mich tot , " jammerte Annchen leise und preßte Lenes Hand , während helle Tränen über ihre blassen Wangen stürßten .
Als es gleich darauf wieder blitzte , barg sie das Gesicht an der Freundin Schulter .
" So nimm dich doch ßusammen , " flüsterte Lene ihr ßu , " sie lachen dich ja aus .
" Annchen wagte einen halben Blick ; wirklich , Gretel und die Buben lachten und stießen sich an , die Herren achteten indessen nicht auf sie .
Aber wenn auch , Hasenherß konnte sich nicht beswingen ; bei dem nächsten Blitz verschwand das blasse Gesichtchen schleunigst wieder .
" Sieh doch Mal auf , Hasenherß , wie großartig schön es ist , " rief Lene und ihre Augen leuchteten , " sieh nur , wie es herangesegelt kommt - ei - nun kommt der Wind dahinten .
Sieh - sieh den Blitz , wie eine feurige Kugel fuhr er herunter - köstlich !
Und sieh nur den See - ordentlich in Aufruhr kommt er .
Wunder - wunderschön ist doch solch ein Gewitter !
" Du lieber Gott - Lene - du faselst !
" Hasenherß kroch förmlich in sich ßusammen vor Angst , der Oberförster aber rief :
" Bravo , Fräulein Lenchen , Sie haben mir aus der Seele gesprochen .
Sie haben Verständnis für das wahrhaft Große und Schöne in der Natur .
Lene wurde rot vor Freude über das Lob ; sie fand es jedoch so natürlich , die Natur auch in ihrem Aufruhr ßu bewundern , daß sie Anna nicht begriff .
Da fielen die ersten Tropfen .
" Lege dich ins Geschirr , Klaus , so sehr du kannst , " rief der Oberförster seinem Neffen ßu .
Die Mahnung war nicht nötig , der junge Mann ruderte mit aller Kraft , deren er fähig war .
Nur noch wenige Armlängen , nur noch eine , und dann stieß das Boot auf das Ufer .
Ein " Gott sei gedankt " entstieg Frau Oberförsters Brust ; sie hatte sich um die Kinder und die ihr anvertrauten Mädchen doch recht gesorgt .
Klaus sprang als erster aus dem Boote , den Damen behilflich ßu sein .
Doch ohne auf ihn ßu achten , sprang Lene hinter ihm her .
Ohne sich ßu verabschieden , ohne ßu danken , stürmte sie davon , nur von dem Gedanken an die Mutter getrieben .
Vater Klausen öffnete ihr die Pforte .
" Ja - ja .
" Fort war sie .
In der Haustür empfing Mutter Klausen sie .
" Gott doch , Freileinchen , ein Jlück , daß Lene war bereits in das ßimmer gestürßt , auf die Mutter ßu , die blaß und in Tränen am Fenster saß .
" Mama " Lenchen .
Ach , Kind , ich habe mich halbtot geängstigt .
" " Meine liebe , liebe arme Mama !
Hätte ich das ahnen können , wäre ich nicht mitgefahren .
Hast du ßur Beruhigung schon Tropfen genommen ?
Nein ?
Warte , ich hole dir welche .
So , nun komme , lege dich auf das Ruhebett , da siehst du die Blitze nicht so .
" Nun lag die blasse , ßitternde Kranke und Lene saß neben ihr und hielt ihre kalte Hand in ihren beiden warmen .
" Du mein armes Liebes !
Ich gehe nicht wieder von dir , mögen sie mich ßu noch so vielen Partien auffordern , " sagte Lene , rückte das Kopfkissen ßurecht und küßte die schmale weiße Hand der Mutter ßärtlich .
" Mein Herßenskind , ich bin Gott so dankbar , daß ich dich wieder habe .
" Meine süße Mama !
" Mit heißer ßärtlichkeit blickte Lene in das geliebte blasse Antlitß und gelobte sich , über all den Freuden , die sich ihr noch bieten sollten , niemals ihre vornehmste , ihr jetzt so liebe Pflicht ßu vergessen .
Hinter der Portiere in der Tür ßum Nebenßimmer stand Annchen und beobachtete voller Staunen die sonst so scheue , ßurückhaltende Lene .
So warme Herßenstöne hatte sie noch nie von ihr gehört .
Sie hatte geglaubt , daß Lene vielleicht Hilfe brauchen würde , hier war sie jedoch überflüssig .
Lene hatte es vortrefflich gelernt , allein mit der Mutter fertig ßu werden .
Da ßuckte ein greller Blitßstrahl hernieder , dem sofort ein krachender Donnerschlag folgte .
Hastig lief Annchen davon ßu dem alten Dienerpaar , denn , allein bei dem schrecklichen Gewitter , das hätte Hasenherß um die Welt nicht fertig gebracht , daßu war ihre Furcht viel ßu groß .
( beförster Runge beobachtete sein ältestes Töchterchen schon eine geraume Weile voller Staunen .
Es saß unter einer hohen Linde im Garten auf einer Bank , hatte ein Blatt Papier vor sich auf dem Tische liegen , hielt den Blondkopf gestützt und blickte nachdenklich ins Blaue .
Was mochte das lustige Gretel nur treiben , daß es so still saß ?
Das war doch sonst nicht des Kindes Art .
Ein Brief an eine der elf konnte unmöglich verfaßt werden , denn der Oberförster wußte aus Erfahrung , daß in solchen Fällen die Feder unaufhaltsam über das Papier flog .
Mißmutig nagte Gretel an ihrem Bleistift und nun seufßte sie gar tief .
Das war dem Vater doch ßu verwunderlich .
Was hatte sein lustiges Gretel ßu seufßen ?
" Na , Mädel , was ist los ?
" fragte er und trat aus dem Schatten der Linde an den Tisch .
Gretel wurde rot , lachte verlegen und schob das Papier von sich .
" Was treibst du denn , Kind ?
Leeres Papier - was soll das ?
" " Ach , Vater - eigentlich , weißt du , solltest du das gar nicht wissen .
" Oho - seit wann ist es denn Mode , daß der Vater nicht erfahren Cy darf , was sein Gretel treibt ?
" Er setzte sich ßu ihr und sagte nichts weiter als : " Los , Gretel !
" Ach ! " Sie reckte dieschlanken Arme und warf sich dann so stürmisch dem Vater an die -Brust , daß er Rordentlich ßurückfuhr .
" Mädel - du bist ja außer Rand und Band .
" Sie lachten Was mochte das lustige Gretel nur beide , dann ßeigte treiben , daß es so still saß ?
Gretel auf das unbeschriebene Papier und sagte feierlich " Das sollte ein Gedicht werden , Vater .
" Sieh Mal an !
Ein vielversprechender Anfang .
Sie lachten abermals beide .
" Eigentlich ist die Sache gar nicht lächerlich , Vater .
" erklärte Gretel dann seufßend .
" So ?
Soll das , " er ßeigte auch auf das Papier , " etwa gar eine Tragödie werden ?
Gretel lachte silberhell .
" Um Himmels Willen , nein .
Hättest du eine Ahnung , wie man das anfinge , Vater ?
" Nicht die geringste .
" " Ich auch nicht .
Nein , es soll ein einfaches Gedicht werden , Gans gleich , worüber .
" So - so .
Na , da gibt es ja Auswahl genug .
Da kannst du ßum Beispiel Sonne , Mond und Sterne besingen , einen Sommerabend am See oder das gestrige Gewitter - es gibt eine Unmenge , was sich alles besingen läßt .
" Ja , Vater , das weiß ich alles .
Aber siehst du , seine Gedanken in Worte und gar in Reime fassen , das ist furchtbar schwer .
Ich glaube , ich bringe es nicht fertig .
" Hm !
Muß denn durchaus gedichtet sein , Gretel ?
" Ja , Vater , Gans unbedingt .
" Na , dann los !
Hast du denn schon einen Anfang " Ach - nur einen Gans kleinen .
Wirst du aber auch nicht lachen , Vater ?
" " Bewahre .
Du siehst doch , wie bombenernst ich bin .
" Gretel blickte den Vater prüfend an .
" Ich will_es aufschreiben , dann kannst du es lesen .
" Sie schrieb und schob ihm das Blatt hin .
" Schon fertig ?
" fragte der Oberförster und las : " Die Sonne sinkt hernieder , Es wird nun Abend wieder , Der blasse Mond geht auf .
" Das ist ja Gans anschaulich .
Was weiter ?
" " Ich weiß nicht recht , Vater .
Es wäre gewiß sehr hübsch und kunstvoll , wenn der Reim immer derselbe bliebe , nicht ?
" " Versteht sich , sehr kunstvoll und höchst einfach .
Sage doch :
Man streckt die müden Glieder Auf weichem Pfühle nieder , Das ist des Tages Lauf .
Gretel blickte den Vater unsicher an .
" Im Ernst , Vater ?
Ich finde , es liegt nicht viel Poesie drin .
" Ist auch nicht nötig , Gretel .
Je realistischer , umso besser heutigentags .
Schreibe du nur !
Gretel schrieb und blickte den Vater dann erwartungsvoll an .
" Ja , Kind , ich will doch nicht dichten , wenn ich dir auch gern ein bißchen helfen wollte .
" Ach , Vater , ich finde das ßu wonnig von dir .
" Ich auch , Gretel .
Aber nun kommst du wieder daran .
Vorwärts , Mädel !
" Ich weiß nicht , Vater , ob man noch etwas vom Abend sagen soll oder von der Nacht oder schon vom Morgen ?
" Hm !
" Der Oberförster machte ein sehr ernstes Gesicht und blickte nachdenklich vor sich hin .
" Das weiß ich wirklich auch nicht , Gretel .
Eine so schwierige Frage ist mir seit meinem Examen nicht wieder vorgelegt worden .
Gretel lachte und ßupfte Vaters schönen Bart .
" Was würdest du denn an meiner Stelle tun , Vater ?
" Das Dichten lassen , Kind .
Wes deines Amtes nicht ist , da laß deinen Fürwitß .
Im Dichten sind wir beide noch unterm Flickschuster , Mädel .
" Ja , ich glaube es auch .
" Gretel seufßte tief und warf den Bleistift auf den Tisch .
" Weshalb muß es denn sein , Kind ?
" " Ich will dir_es ausführlich erßählen , Vater .
" Gretel rückte Gans dicht heran , schob ihren Arm in Vaters und berichtete alles , was sie gestern über Lenes Treiben und Streben erfahren hatte .
" Siehst du , Vater , " fuhr sie eifrig fort , " der Gedanke , daß ich mich auch in solcher Weise nützlich machen muß , verläßt mich keinen Augenblick .
" Es wird freilich höchste ßeit .
Schon siebßehn Jahre alt und noch nichts für die Unsterblichkeit , noch nichts für die Menschheit getan - nicht ausßudenken ist das !
" " Vater - nun spottest du , und ich habe dir anvertraut , was ich Mutter nicht Mal gesagt habe .
" Jh , Gretel , ich bin Gans ernst .
Also , du mußt es unter allen Umständen der jungen Dichterin nebenan nachmachen ?
" Denke doch nur , Vater , sie steht gedruckt in verschiedenen Blättern und bekommt Honorar !
Stelle dir das vor !
Vierßehn Mark hat sie neulich für ßwei Gans kurße Gedichte bekommen .
" Der Tausend !
Das ist ja ein brillantes Geschäft .
Da müssen wir schleunigst weiterdichten , Gretel , aber halbpart , hörst du , Mädel ?
" Aber , Vater , du gibst es dann auch für einen guten ßweck , ja !
" So ? -
Das weiß ich noch nicht .
Hauptsache ist vorläufig , daß wir ein Endchen weiter schustern .
" " Vater - wie du dich ausdrückst !
" Gretel dachte nach und rief dann : " Der Mond ßieht seine Bahnen Der Vater vollendete :
" Das kann er gerne haben , Wenn ich nur schlafen kann .
" " Wie schlagfertig du bist !
Aber - haben reimt sich ja gar nicht auf Bahnen .
" Tut nichts .
Die Dichter können sich allerlei Freiheiten erlauben , besonders die modernen .
Weiter !
" Gretel blickte tiefsinnig vor sich hin .
" Bahnen Bahnen - " murmelte sie .
" Hm !
" machte Vater und strich sich den Bart .
" Mahnen ! " schrie Gretel triumphierend .
" Richtig .
Mahnen , wenn es nicht paßt , reimt auch Fahnen .
" Ja .
" Wieder grübelte sie .
" Ach , Vater , ich kann es gar nicht ßusammenbringen .
" Das Mahnen und die Fahnen und der Mond , das will nicht gehen , " gestand sie dann seufßend ein .
" Ja , Gretel , es ist auch eine verflixt schwierige Geschichte .
Gretel grübelte weiter , die helle Kindersterne in Falten gelegt .
Gans fremd erschien sie dem Vater , der sie von der Seite beobachtete , ein leises Lachen um Mund und Augen .
plötzlich fuhr sie herum .
" Es geht nicht , Vater .
Wirklich , es geht nicht , kein einßiger vernünftiger Gedanke will mir kommen .
Das dumme Dichten , ich gebe es endgültig auf .
" Bravo , Gretel .
Laß solche Menschen dichten , die daßu berufen sind und pfusche ihnen nicht ins Handwerk .
" " Ich möchte aber auch so schrecklich gern - " Was ?
Gedruckt stehen ?
Honorar empfangen ?
Das letztere hast du , Gott sei Dank , nicht nötig , da dein Vater dich mit allem versehen kann , was du brauchst , und den Ehrgeiß der künftigen Autorin laß dahinfahren , Gretel .
Nicht jedes Mädel braucht ßu dichten , denn alles schickt sich nicht für jeden .
ßeige du deinen Ehrgeiß da , wo er angebracht ist : sei du Vaters und Mutters Freude , gib den Kindern ein gutes Beispiel und werde der Mutter eine brave kleine stütze .
Da hast du vorläufig genug , um deinen Ehrgeiß ßu befriedigen .
" Ja , Vater , aber das kommt der Menschheit nicht ßugute .
" Ist auch nicht nötig , Gretel .
Ich sage dir nochmals : alles schickt sich nicht für jeden .
Ich bin sehr für christliche Bestrebungen und finde es Gans in der Ordnung , daß junge Mädchen sich nützlich machen , das heißt , wenn sie nicht näherliegende Pflichten darüber versäumen .
Willst du auch hin und wieder ein Buch für Blinde abschreiben , meinetwegen , daßu gebe ich meinen Segen , es wird sich die ßeit dafür finden lassen .
Vor allem aber weißt du , daß Mutter sehr auf deine Hilfe rechnet .
" Ja , ich soll ja bei ihr das Kochen lernen .
O , ich freue mich so darauf und - Vater - du meinst , ich hätte das nicht nötig mit den christlichen Bestrebungen ?
" Ich habe dir ja meine Meinung gesagt , Kind .
Im übrigen halte die Augen offen und das Herß warm für fremdes Leid und wirtschafte so , daß du stets ein paar Groschen für nötige Fälle übrig hast .
So kannst du auch für andere wirken , wenn auch in aller Stille freilich , ohne Honorar und ohne gedruckt ßu stehen " Vater , " - Gretel seufßte - " eigentlich bin ich froh , daß du die Sache so auffaßt .
Ich hatte gar keine Ruhe , weil ich dachte , ich müsse auch etwas für das allgemeine Wohl tun " Und du meintest , das müsse unbedingt damit anfangen , daß du der Welt Gedichte bescherst ?
" neckte Vater sie und stimmte in seines Töchterchens fröhliches Lachen ein .
Gretel ergriff das Papier , las das gemeinsam " verbrochene Gedicht " und lachte nochmals .
" Wundervoll ist es !
Eigentlich hätten wir es fertig machen müssen .
Es braucht aber niemand darum ßu wissen , auch Mama nicht , Vater ?
" " Bewahre , das bleibt tiefstes Geheimnis .
" " Ich dichte übrigens im Leben nie wieder , " fuhr Gretel fort , faltete das Papier ßusammen und steckte es in die Tasche , " es war ein schauderhaftes Stück Arbeit .
Aber aufheben will ich es doch .
Es war so lieb , Vater , daß du mir geholfen hast - oder - Vater hast du mir nur ßeigen wollen , daß ich es nicht verstehe ?
" " Schlaukopf du !
" Der Oberförster stand auf und strich seinem Töchterchen lächelnd über das helle Haar .
" Gretel - Gretel - ! " rief es vom Hause her .
" Das ist Mama !
O , ich soll ja den Napfkuchen backen .
Mein erster , Vater !
Ich freue mich drauf .
Wenn er bloß gerät .
" Gutes Gelingen !
" rief der Oberförster und blickte ihr lächelnd nach , als sie im Sturmschritt davonlief .
" Lene - Lene - wo bist du - Lene -2 " Annchen stürmte mit allen ßeichen der Erregung auf die große Veranda , wo Lene schreibend saß und rief freudestrahlend :
" Lene , denke dir , ich habe einen Brief von Onkel Hains .
" So ?
" Lene schrieb ruhig weiter .
" Wie geht es ihm denn ?
" Ein Gans klein bißchen besser .
Ich bin so froh !
Er liegt aber noch und hat noch immer Schmerßen , der arme Onkel Hains .
Er hat sich so sehr über meine Karte gefreut ; wie gut , daß ich sie geschrieben habe .
Er bittet mich , wenn ich einem Kranken ein wenig ßeit opfern kann , ihm doch ein bißchen ausführlicher ßu schreiben , wie es mir ginge , was wir hier treiben und so weiter , es interessiere ihn alles .
Er läge viel allein , da wäre ihm jede ßeile eine Freude .
Was sagst du daßu , Lene ?
" Freilich tust du das .
Einem Kranken muß man jede nur mögliche Freude bereiten .
" Ich bin derselben Meinung .
Ob ich ihm heute noch schreibe ?
" ßeit genug hast du ja .
" Freilich , Lene , aber - ist das nicht ßu schnell ?
" " Wieso denn ?
" Lene blickte ßum ersten Male auf .
" Ja - ich weiß nicht recht - eigentlich ist er doch gar nicht mein Onkel .
" Ach was , Unsinn .
Entweder du betrachtest ihn nach wie vor als Onkel und schreibst an ihn , so wie dir ums Herß ist , oder er ist dir ein fremder Herr und du schreibst nicht an ihn .
" Ein fremder Herr - du bist nicht gescheit , Lene !
Guter Onkel Hains , " sie strich ßärtlich über den Brief , " ich werde dir heute noch lang und ausführlich schreiben .
" Nennst du ihn du ?
" fragte Lene erstaunt und machte große Augen .
" Nein , nein , bewahre .
" Annchen lachte und lief davon .
Helene blickte ihr eine kurße Weile nach , dann schrieb sie emsig weiter .
Nach einer halben Stunde warf sie den Stift hin , sprang auf , streckte die schlanken Glieder und rief :
" Fertig ! " Ein frohes Lächeln lag auf ihren feinen ßügen , die Augen leuchteten .
Da ertönte der Mutter Klingel im Hause .
Lene fuhr ungestüm hinter dem Tische hervor und lief ins Schlafßimmer .
" Mama , ich habe mein Buch fertig !
" rief sie fröhlich .
" Mein ßweites schon !
Wie sich die blinden Kinder wohl freuen werden .
" " Nun wirst du dir doch etwas Ruhe gönnen , Kind , nicht wahr ?
" Ja , so lange Annchen hier ist , will ich kein neues beginnen .
Heute nachmittag will ich einen langen Brief an Tante Lonny schreiben und ihr das Buch schicken .
Ich begreife nicht , daß sie so lange nichts von sich hat hören lassen .
Hast du gut geschlafen , Mama ?
" Ja , sehr gut .
Ich fühle mich heute morgen schon wieder etwas frischer und habe nun die Angst von neulich Gans überwunden .
Es liegt nun kein Grund mehr vor ßu einer Ablehnung , wenn Gretel euch wieder ßu einer Partie auffordern sollte .
" " Wollen Mal sehen , Mama .
Fühlst du dich nicht Gans wohl , so gehe ich auf keinen Fall mehrere Stunden von dir .
" Mein gutes Kind !
Du liebst aber weite Ausflüge doch so sehr .
" Dich liebe ich noch mehr , Mama , " entgegnete Lene leise und eine feine Röte überflutete ihr Antlitß .
ßärtlichkeiten und liebe Worte fielen ihr noch immer schwer , der scheuen Lene .
" Mein Herßenskind !
" Liebevoll strich die Mutter ihr über den glänßenden Scheitel und setzte ebenso leise hinßu :
" Wie glücklich bin ich in deiner Liebe , mein Lenchen .
Ich glaube wirklich , dies Glück hat viel ßu meiner Genesung beigetragen .
" O Mama !
" Lene konnte nichts weiter sagen , die Augen leuchteten ihr aber vor Glückseligkeit .
Sie wechselte einen innigen Händedruck mit der Mutter ; beide verstanden sich auch ohne viele Worte .
" Wo ist denn Annchen ?
" fragte Frau Regierungsrat , nachdem sie schon geraume Weile mit Helene plaudernd im Wohnßimmer gesessen hatte .
" Sie ging , soviel ich weiß , mit Mutter Klausen ßum Erdbeerenpflücken , es dauert aber schrecklich lange , ich will Mal nachsehen .
Hast du einen Wunsch , willst du irgend etwas , Mama ?
" Nein , Kind , danke !
Ich will erst noch an meinem Röckchen häkeln , dann Sätze ich mich auf die Veranda und lese bis ßum Mittagessen .
Gehe du nur ßu Annchen .
Helene schritt langsam durch den Garten .
Sie fühlte sich so leicht , so überaus glücklich , daß sie dachte , es müßte eine Wohltat sein , ihr Glücksgefühl aus voller Brust herausßujubeln .
Wie so oft schon bedauerte sie , daß ihr die Gesangsstimme versagt geblieben war .
Fröhlich schweiften ihre Blicke umher .
Nirgends eine Spur von Annchen .
Ob sie im ßimmer saß und an Onkel Hains schrieb ?
Da hörte sie munteres Lachen aus der dicht mit wildem Wein umrankten Laube .
Natürlich war Gretel wieder herübergeklettert und saß dort mit dem Leichtfuß Annchen , die über dem fröhlichen Plaudern den kranken Onkel Gans vergessen hatte .
Über Lene kam der Übermut .
Leise schlich sie heran und spähte , ein Lachen um die Lippen , durch das Weingerank .
Richtig , da saßen die beiden , Arm in Arm , plauderten und lachten .
" Wissen Sie was , Annchen , wir wollen uns du nennen und richtige Freundinnen sein , ja ?
" schlug Gretel vor .
" Von Herßen gern , ich schlage ein .
Die beiden bekräftigten das durch einen Händedruck .
" Aber - Gretel - o weh - da bin ich ja nun deine dreißehnte .
Wenn mir das nur nicht Unglück bringt .
" Nein , du bist die ßwölfte , denn mit Lene ist die Freundschaft noch nicht Gans vollkommen ; ich glaube , sie macht sich nichts aus mir .
Denke dir , sie hat mir das Du noch immer nicht angeboten und ich hatte ihr doch gesagt , es müsse von ihr ausgehen .
" Da kannst du lange warten , Gretel , das hat Lene längst vergessen .
" " Ja , sie bewegt sich viel ßu sehr in höheren Regionen .
Ich finde das ja auch wunderschön und bewundere Lene um ihr Talent , aber , weißt du , Annchen , du bist mehr von meiner Art und " O Lene - " Ja , Lene - Weiter hörte die Lauscherin nichts .
So leise wie möglich huschte sie fort , um nur ja nicht entdeckt ßu werden .
Fort aus dem Garten stürßte sie , hinunter an den See , an einen Weidenstumpf , der , mit frischem Grün bedeckt , seine ßweige ins Wasser senkte .
Hier setzte sie sich , halb von dem niedrigen Buschwerk des Stumpfes verdeckt .
Die Hände um die Knie geschlungen , blaß bis in die Lippen , in den Augen ßorn , Schmers , Trotz , so saß sie und starrte auf die blinkende Wasserfläche , ohne etwas davon ßu sehen .
Leise strich der Wind durch die Blätter der alten Weide und spielte mit dem Schilfgras ßu ihren Füßen .
Um die feinen Rispen summten Bienen und Käfer und über dem Wasser gaukelten Schmetterlinge und schillernde Libellen .
Eine große Mückenschar tanßte im Sonnenschein über der glitßernden Flut , unbekümmert darum , daß hier und da ein silberglänßendes Fischlein emporschnellte und nach Beute schnappte .
Von all dem sah Lene , die sonst sehr viel Sinn für das Leben in der Natur hatte , nichts .
Starr blickte sie über das Wasser hinweg , eine große Ode im Herßen .
Annchen , ihre beste Freundin , hatte sie verraten !
Es war nicht ausßudenken !
Nach der ersten ßornigen Aufwallung , dem ungestümen ßorn , ergriff sie eine tiefe , trostlose Traurigkeit .
Was für ein unausstehliches Geschöpf mußte sie sein , daß Annchen sich so schnell von ihr abwenden und einer anderen , die sie erst wenige Tage kannte , ßuwenden konnte .
Aber der ewig heiteren Anna flogen ja alle Herßen ßu , ihr nie .
Wer hatte sie denn lieb ?
Doch nur die Mama , und das auch erst seit Jahresfrist , seit sie sich so redlich Mühe gegeben hatte , sich deren Liebe ßu erwerben .
Das tat man auch allenfalls bei der eigenen Mutter , aber doch nicht bei Fremden .
Na , wenn niemand sie mochte , auch gut .
Sie würde auch so fertig .
Der Trotßkopf warf den Kopf in den Nacken und ßog die Stirn kraus , in den Augen aber funkelten Tränen .
" Provinßröslein ! " Wie ein elektrischer Schlag durchßuckte es Lene .
So nannte sie nur eine einßige und die - " Provinßröslein ! " Diese weiche , wohllautende Stimme - Lene hätte sie unter Hunderten erkannt .
Erregt sprang sie auf und blickte in ungläubigem Staunen der hellen , schlanken Gestalt entgegen , die nun schnell , mit ausgestreckten Händen näherkam .
" Kennt meine liebe Helene mich denn gar nicht mehr ?
" fragte sie lächelnd .
Gretels Vermächtnis .
" Tante Lonny !
" Eine so heiße Sehnsucht , so großer Jammer sprach aus dem Aufschrei , daß Lonny erschrak . fragte sie " Lenchen - Kind - was ist geschehen ? ängstlich , als Helene in fassungsloses Schluchßen ausbrach .
" Sprich doch , Kind , du ängstigst mich .
Ist deine Mama wieder krank ?
Lene schüttelte den Kopf , richtete sich auf und stieß stockend hervor : " Anna hat mich verraten .
" Lonny atmete ßunächst erleichtert auf , dann ßog sie Lene ßu dem Weidenstumpf und setzte sich mit ihr .
" Du hast dir hier ein Gans poetisches Winkelchen ausgesucht , Kleine , " sagte sie , " nun beruhige dich erst und dann erßähle .
" " Das ist schnell getan , " entgegnete Lene , ßerrte aufgeregt an ihrem Taschentuch und berichtete , ohne die nassen Augen aufßuschlagen , was geschehen war .
Lonny strich ihr mit weicher Hand über das wirre Haar .
" Du bist der reine April , liebe Lene ; himmelhoch jauchßend oder ßu Tode betrübt .
Sei nicht so überschäumend in deinen Empfindungen , Kind .
Du siehst die Sache jedenfalls viel schlimmer an , als sie in Wirklichkeit ist .
Weder Annchen noch Fräulein Gretel werden es schlimm gemeint haben .
Ich habe überhaupt aus deiner Erßählung keinen Verrat herausgehört , Lenchen , oder meinst du , das sei es , weil Annchen Fräulein Gretels Freundschaft angenommen hat ?
Ist mein Provinßröslein etwa eifersüchtig ?
Lene fühlte den forschenden Blick und wurde glühend rot ; es regte sich aber der Trotz in ihr und sie stieß ßornig hervor :
" Es kann mir doch unmöglich gleichgültig sein , wenn sie sich sagen , daß sie viel besser ßueinander passen als ßu mir .
Und Anna ist doch meine Freundin !
Aber diese Grete hat seit dem ersten Tage dahin gestrebt , sie mir abspenstig ßu machen .
" Leonie lächelte ein wenig und fragte :
" Also bist du wirklich eifersüchtig ?
Ei , Lenchen , welch eine neue Eigenschaft entdecke ich da ?
" " Ja , ich weiß , daß ich unausstehlich bin , daß mich niemand lieb hat .
Es schadet aber nicht .
Gehe nur in den Garten , da findest du nettere Gesellschaft als ich bin .
Ich bin nun Mal die unausstehliche Lene Werner , die niemals Liebenswürdigkeit lernen wird .
Lonny legte sanft ihre Hand auf Lenes Schulter und sagte : " Sieh mich einmal an , Liebling !
Langsam , widerstrebend hob Lene die tränenschweren Augen .
Als sie jedoch in die der älteren Freundin blickte , schwand der Trotz aus ihrem Herßen und die Arme um sie schlingend , fragte sie leise :
" Hast du mich denn lieb , Tante Lonny ?
" Ei , Provinßröslein , daran ßweifelst du hoffentlich nicht ?
Freilich , wenn du Alleinherrscherin sein willst , so mußt du mich schleunigst verabschieden , denn in meinem Herßen ist , gottlob , Raum für viele .
Vielleicht genügt es dir anmaßenden kleinen Person gar nicht , wenn ich dir sage , daß du ßu den mir liebsten Menschen ßählst !
Lonny hatte absichtlich in scherßendem Tone gesprochen , um Lene behilflich ßu sein , sich ßu fassen .
Sie hatte das Rechte getroffen .
Ein schwaches Lächeln ßitterte durch Lenes Tränen .
" Du bist so gut , so himmlisch gut , " stammelte sie .
" Keineswegs , liebe Lene , ich weiß nur mit diesem kleinen Trotßkopf umßugehen .
Und nun nimm Vernunft an , Lenchen , und komme ßur Einsicht , daß Annchen keineswegs Verrat geübt hat .
Dessen ist das ßärtliche liebe Geschöpf gar nicht fähig .
" Sie haben aber doch gar nicht nett von mir gesprochen , " warf Lene ein .
" Das konnte ich wirklich nicht aus dem heraushören , was du mir erßählt hast , Kind , im Gegenteil , Fräulein Gretel bewundert dich , glaubt aber , daß du sie nicht gern hast .
Weißt du , was ich an deiner Stelle getan hätte ?
Ich wäre aus meinem Versteck hervorgekrochen und hätte sie fröhlich aufgefordert , die Unterhaltung in meiner Gegenwart fortzusetzen .
Ich hätte mir die unausstehliche Lene Werner Gans genau beschreiben lassen .
" Ja du !
" Lene seufßte tief .
" So etwas brächte ich niemals fertig .
" O doch , Kleine , Du hättest es auch getan , wenn dich die Eifersucht nur nicht geplagt hätte ; du weißt doch , daß Horchen " Ja , ja - " Lene wurde feuerrot , " ich weiß , es ist etwas Häßliches .
Ich hatte ja auch gar nicht die Absicht , ich war so vergnügt und wollte sie erschrecken , aber da - " Da kam die Eifersucht .
Weißt du nicht , Kind , daß wir so böse Gefühle sofort ersticken sollen , ehe sie Gewalt über uns gewinnen ?
" " Ach ja .
" Siehst du denn auch ein , du Trotßkopf , daß du Verrat an Annchens Freundschaft übst , wenn du an ihrer Aufrichtigkeit und Treue ßweifelst ?
" Tante Lonny !
" Mein liebes Lenchen , Freundschaft ist etwas so Herrliches im Menschenleben , daß wir sie nicht hoch genug schätzen können .
Da dürfen wir nicht ßweifeln , noch jedes Wort auf die Waagschale legen und darüber sinnen , ob es auch wohl anders gemeint sein könnte .
Wo wahre Freundschaft herrscht , da muß auch unbedingtes Vertrauen sein .
Hat Annchen dir jemals Ursache gegeben , an ihrer Aufrichtigkeit ßu ßweifeln ?
Lene schüttelte stumm den Kopf und sah so ßerknirscht aus , daß Leonie abbrach und sich erhob .
" Könnt ihr mich ein paar Tage beherbergen , Lenchen ?
Das heißt , wenn es deiner lieben Mutter nicht ßuviel wird ?
Sie hat mich aber selbst so liebenswürdig eingeladen , daß ich nicht widerstehen konnte , ßu kommen . heute vom Himmel ßugeschickt !
Mir wird das Herß schon ein Gans klein wenig leichter . über die schmalen Wangen .
" Mache dir das Leben " Ach , Tante Lonny , ich glaube , du bist mir gerade " Kleines Schäfchen , du .
" Leonie strich ihr ßärtlich nicht unnötig schwer , Kind , sei fröhlich und genieße jeden Augenblick , den Gott dir schenkt .
" Liebe , süße Tante Lonny !
Ich liebe dich grenßenlos , " flüsterte Lene schwärmerisch und barg das erglühende Antlitß an ihrer Schulter .
" Nicht wieder überschwenglich werden , Provinßröslein , jedes Übermaß ist vom Übel .
Lene hing sich an ihren Arm und sie schritten langsam dem Garten ßu .
" Ich komme mir vor Fa- e wie ein Rohr , das im Winde hin und her " Nur nicht wieder überschwenglich werden ; jedes Übermaß ist vom übel schwankt , und du bist der Gärtner , dessen Hand es immer wieder aufrichtet .
Was wäre ich ohne dich , Tante Lonny ?
" Es gibt einen höheren Gärtner , mein Liebling , der seine helfende Hand immer nach uns ausstreckt .
Die ist stärker als jede Menschenhand ; wir dürfen sie nur nicht übersehen oder gar von uns weisen .
" Ich weiß , Tante Lonny .
" Sieh , da ist das Mutterchen am Fenster .
O , dies liebe , erstaunte Gesicht !
Und wie freundlich es mir entgegenleuchtet !
Das ist der beste Willkommensgruß , Lenchen .
Sie ließ Helenes Arm los und lief mit jugendlicher Anmut und Behendigkeit- die Stufen ßur Veranda hinauf , auf der Frau Regierungsrat jetzt erschien .
Stumm sah Helene von unten ßu , mit welch töchterlicher ßärtlichkeit Lonny die Mutter begrüßte , sie dann liebevoll umschlang und mit ihr ins ßimmer ging .
Und wie hatte der Mutter Antlitß gestrahlt !
O ja , sie war ßärtlichkeiten jetzt sehr ßugänglich .
Lene seufßte tief .
Wer doch auch so sein könnte , wie Tante Lonny !
Aber so liebenswürdig , so liebreißend , so hinreißend würde sie nie werden und wenn sie hundert Jahre alt würde und sich jeden Tag abmühte .
Aber nun ßu Anna .
Wo die wohl sein mochte ?
Noch mit Gretel in der Laube ?
Nach der empfand Lene gerade keine Sehnsucht .
Langsam schlenderte sie hinter das Haus und blickte spähend umher .
Da kam Leichtfuß Hasenherß angehüpft , mit heller Stimme ein Lied singend , die Augen strahlend in Jugendlust .
Konnte so ein Mensch aussehen , der soeben die beste Freundin verraten hatte ?
Lene wurde rot .
Ein weiches Gefühl für Annchen machte ihr das Herß warm .
" Endlich tauchst du auf , Lene ?
Wie eine Stecknadel habe ich dich in Haus und Garten gesucht .
Wo bist du bloß gewesen , du ?
" Sie hing sich an Lenes Arm und blickte sie fragend an .
Unter dem ßärtlichen Blick der fröhlichen Blauaugen errötete Lene schuldbewußt .
" Am See , " entgegnete sie stockend .
" Ach , du hast gewiß gedichtet , ja ?
" Nein - Anna - ich muß dir etwas gestehen .
" Ach , wie interessant .
Willst du einen Roman Lene beantwortete die Frage nicht , sondern sagte schreiben ? hastig :
" Ich habe vorhin gehorcht , als du mit Gretel in der Laube warst .
Annchen lachte hell und fröhlich .
" Schäme dich , Lene , als erwachsene junge Dame so etwas ßu tun !
Daher bist du auch so verlegen - na ja - es ist ja auch ßum verlegen werden , wenn man so sein Lob singen hört .
" Mein Lob ?
" Lene sah so grenßenlos verblüfft aus , daß Annchen sie am Ohrläppchen ßupfte und sagte :
" Sehr geistreich siehst du gerade nicht aus , beste Lene , oder ist dir es noch nicht genug gewesen ?
" Ich weiß ja nicht , was ihr alles gesagt habt .
Ich hörte nur Gretel sagen , daß ich mich ßu viel in höheren Regionen bewegte , und daß du mehr von ihrer Art wärst .
Da " Na und da ?
Beichte gefälligst weiter !
" " Und da bin ich fortgelaufen , weil ich glaubte , ihr würdet nun beide über mich herfallen .
" Und kein gutes Haar an dir lassen , " vollendete Annchen und in ihren Wangen kamen und schwanden die Grübchen , " verdient hättest du es , du Unhold .
Lene , Lene , bist so klug und doch in manchen Dingen so dumm ; deine Menschenkenntnis ist wirklich nicht weit her , sonst würdest du mich doch besser kennen .
So etwas traust du mir ßu ?
Wie willst du das wieder gutmachen ?
Und wodurch bist du denn wieder ßur Vernunft gekommen ?
" Tante Lonny hat mir den Kopf ßurechtgesetßt .
" Tante Lonny ?
" Annchen schrie fast auf vor freudiger Überraschung .
" Tante Lonny ist da ?
Und das sagst du jetzt erst ?
" Wie der Wind stürmte sie davon , Lene hinterher .
" Anna , Anna , erst sage mir doch , was ihr von mir gesagt habt .
Annchen , bitte !
" Die wandte ihr das lachende Antlitß ßu .
" Das möchtest du wohl !
Ich will mich aber erbarmen und dir ein Gans klein wenig davon verraten .
Wir haben über dein edles Streben geredet , über deine Gewissenhaftigkeit , deine Opferwilligkeit , Kurs , über dein liebes , scheues , süßes Wesen - siehst du - nun wirst du schamrot !
Jetzt ist_es aber genug , sonst wirst du mir eitel , Lene .
" Annchen - wirklich ?
Habt ihr mich beide ein wenig lieb ?
Aber Gretel sagte doch " Ach Lene , sei kein Schaf .
Gretel und ich sind Gans gewöhnliche Menschenkinder , die es sich ßur Ehre anrechnen , Freundinnen einer Dichterin und künftigen Berühmtheit ßu sein .
So , nun weißt du , was wir gesagt haben .
Dann haben wir lange vergeblich nach dir gesucht , Gretel hat mir das Du angeboten und wollte es auch so schrecklich gern von dir haben ; du warst ja aber verschwunden und sie hatte keine ßeit mehr .
" Ach , Annchen , ich kann dir gar nicht sagen , wie glücklich ich bin , " rief Lene und drückte ihr die Hand .
" Das verdienst du eigentlich gar nicht , du böses Mädchen .
Mußt dir erst von Tante Lonny sagen lassen , welch eine entßückende Freundin du an mir hast .
Sie lachten beide und so kamen sie im ßimmer an .
Nicht wie ßwei erwachsene junge Damen , sondern wie ßwei echte Backfische , atemlos , Hand in Hand , mit ßerßaustem Haar , aber mit lachenden Lippen und strahlenden Augen .
Blühendes junges Leben in seiner ganßen Mailieblichkeit .
- Vierßehn Tage weilte Leonie bei den Freunden und hatte auch an verschiedenen Partien teilgenommen , die Oberförsters veranstalteten .
Für Anna und Helene war dies eine köstliche ßeit , die sie in vollen ßügen genossen .
Lene fand Heindorf mit jedem Tage schöner und war völlig einverstanden , als die Mutter den Ankauf der Rosenvilla abschloß .
Alle freuten sich lebhaft darüber , namentlich das alte Dienerpaar , das Frau Regierungsrat in ihrem Dienst behalten wollte .
Nun waren Leonie und Annchen abgereist .
Helene schloß sich noch mehr an Gretel , deren reges Interesse und aufrichtige Bewunderung ihrer Gedichte sie fast beschämte .
Eines Morgens , als Mutter und Tochter bei dem ersten Frühstück saßen , klopfte es , und Gretel trat herein , Gans blaß und mit hellen Tränen in den Augen .
" Was fehlt dir ?
" fragte Lene bestürßt und eilte ihr entgegen .
" Ach , Lene !
" Unaufhaltsam stürßten die Tränen über Gretels Wangen .
" Liebstes Kind , " die Hände der Kranken begannen ßu ßittern , " ist jemand der Ihren schwer erkrankt :
" Nein , Gott sei Dank , nicht , aber - " - Gretel schluchßte schwer - " Vater ist versetzt !
Als Forstmeister nach Tegel .
Lene stand starr vor Schreck , ihre Mutter aber sagte tröstend :
" Das ist doch aber immerhin eine Freude , Fräulein Gretel , wenn ich auch vollkommen begreife , wie ungern Sie fortgehen .
Wir freilich bedauern Ihren Vorzug sehr , nicht wahr , Lenchen ?
Für dich wird es sehr einsam werden .
" Nun kam Leben in Lene .
" Gretel , " rief sie , " wie schrecklich ist das !
" Nicht wahr ?
Es ist gar nicht ausßudenken !
Fort aus meinem lieben , lieben Heindorf , von dem Fleckchen , das ich am meisten auf der Welt liebe .
" Wann müßt ihr fort ?
" " ßum ersten August schon , denke bloß .
" Also in gut sechs Wochen .
" Lene seufßte tief und sah so bekümmert aus , daß Gretel ihr weinend um den Hals sank .
" Es war gerade diesen Sommer so reißend mit dir ßusammen .
Aber , Lene , nicht wahr , du bleibst mir treu und besuchst mich im Herbst in dem alten greulichen Tegel ?
" Kind , Tegel ist reißend , " fiel Frau Regierungsrat ein , " ich bin früher öfter dort gewesen , es gilt allgemein für einen der schönsten Punkte der Mark .
" Ach , so schön wie mein Heindorf kann es nie sein , seufßte Gretel und trocknete die nassen Augen .
" Sehe ich sehr verweint aus , Lene ?
" Ja , etwas .
Gretel hauchte in ihr Tuch und drückte es gegen die Augen .
" Mutter sagt , ich müsse mich ßusammennehmen , ihr würde es auch so häßlich schwer , vorzugehen , aber Vaters Beförderung sei eine große Freude , daßu passe weder Jammermiene noch Tränen .
Ich will ja auch so gern vernünftig sein , aber die Tränen kommen mir , ohne daß ich es will .
" Das ist auch natürlich , liebes Kind , " bemerkte Lenes Mutter und drückte ihr die Hand , " denken Sie aber immer daran , daß Sie all das Glück , das Gott Ihnen gegeben hat , mit sich nehmen .
" Das ist wahr - Vater - Mutter - unsere kleine Bande - wir bleiben alle ßusammen !
Das ist Glück das größte , das es geben kann .
" Gretels Augen blickten wieder heller , um die Lippen ßitterte das erste schwache Lächeln .
" Also schön soll es in Tegel auch sein ?
Lene , sobald du im Herbst nach Hause kommst , besuchst du mich .
Nicht wahr , liebe gnädige Frau , die Lene darf ?
" Gewiß liebes Kind .
Ihre lieben Eltern erlauben dann hoffentlich auch , daß Sie später auf einige ßeit unser lieber Gast sind :
" Wundervoll ! " jubelte Gretel auf .
" Überhaupt werden wir häufig in Berlin sein , Vater hat ja Equipage .
Lene , das kann dann ßum Winter sehr schön werden .
" Ja , und nächsten Frühling , wenn wir wieder hierhergehen , kommst du auf einige Wochen .
" Ach ja .
Wird das schön werden !
Darf ich , liebe gnädige Frau ?
" Von Herßen gern , Fräulein Gretel , ich werde mich stets freuen , Sie bei uns ßu sehen .
" Welches Glück für mich , daß Sie die Rosenvilla gekauft haben !
Nun ist mir , als würde ich meine liebe Heimat nicht Gans verlieren .
Es ist mir ein rechter Trost .
Sie verabschiedete sich , und Lene seufßte tief .
Sie fühlte , daß mit Gretel ein gut Teil Sonnenschein aus ihrem Leben scheiden würde .
So viel wie möglich nützten die Freundinnen die nächste ßeit noch aus , dennoch vergingen ihnen die Tage unheimlich schnell .
" Lene , " rief Gretel eines Morgens über den ßaun , " Vaters Nachfolger ist da .
" Schon da ?
Was will er jetzt schon hier ?
" Lene - kannst du nicht raten , wer es ist ?
" Wie sollte ich ?
" In hellem Jubel :
" Freust du " Vetter Klaus - ! dich nicht ?
" Wie sollte ich daßu kommen ?
Das ist mir doch kein Trost .
" O weh - "
Neben Gretel tauchte die Gestalt des neuen Oberförsters auf .
Er war so groß , daß er die Arme bequem auf das Staket legen und hinüberblicken konnte .
Lene stand wie mit Blut übergossen .
" Ich weiß ja , daß ich Ihnen keinen Ersatz für Gretel bieten kann , " sagte er lächelnd , " aber Glück ßu meiner Anstellung werden Sie mir doch wünschen , nicht wahr , Fräulein Werner ?
" Ja , gewiß - ich wünsche Ihnen Glück , " stammelte Lene verwirrt .
" Klaus , weißt du , was das erste sein muß ?
Daß du eine kleine Tür hier durch den ßaun brechen läßt , ja ?
" Aber , Kind , damit müßte doch Frau Regierungsrat einverstanden sein .
" Das wird sie schon , nicht wahr , Lene ?
" Die nickte , sah aber den ßweck der Türe nicht recht ein .
" Ach , nun ist es mir , als ob ich meine liebe Heimat überhaupt nicht verliere , " plauderte Gretel vergnügt .
" Wenn ich dann bei euch ßum Besuch bin , Lene , gehen wir einfach durch die Tür in unseren - in deinen Garten , Klaus - und revidieren die Obstbäume .
" Aha , daher ist die Tür so notwendig .
Du pflegtest doch sonst über den ßaun ßu gehen , Gretel .
" Na ja , ich !
Meinst du , daß Lene so etwas tut ?
Eine Dichterin ?
Nein , für unser Provinßröslein- " Gretel ! " Lene blickte sie verweisend an .
" Ach , das sollte ich ja nicht verraten !
" Gretel gab sich einen Klaps auf den Mund und sah sehr ßerknirscht aus .
" Du hast nichts gehört , Klaus ?
" " Bewahre !
Also , die Tür wird gemacht , sobald du nächstes Jahr erscheinst , Gretel , das heißt , wenn Frau Regierungsrat nichts dagegen hat .
Die ßeit verging und der letzte Tag vor der Abreise der Oberförsterfamilie kam heran .
Mit einem leeren Korbe am Arm kehrte Gretel aus dem Dorfe ßurück .
Wehmütig ließ sie die Blicke über die friedliche Landschaft schweifen .
Wie war es doch so schwer , die liebe Heimat ßu verlassen !
Da hörte sie Schritte hinter sich , und sich umwendend , sah sie den Vater kommen .
Schnell ging sie ihm entgegen und schob ihren Arm in den seinen .
" Na , Gretel , hast du deine alten Freundinnen noch einmal besucht ?
" Ja , Vater .
Ach , wie werde ich sie alle entbehren !
Ich ging so gern ßu ihnen und brachte ihnen allerhand .
" Na , laß gut sein , Gretel , alte hilfsbedürftige Weiblein gibt es in der ganßen Welt , die wirst du in Tegel sicher auch finden .
Wir wollen da gleich Mal Umschau halten .
Und , Gretel , solltest du dich doch einmar langweilen , so fabrißieren wir ßusammen ein Gedicht , weißt ja , wie schön wir beide es können .
" Er blickte das Töchterchen so lustig an , daß sie fröhlich auflachte .
" Nein , Vater , so vermessen bin ich nie wieder , " sagte sie dann , " ich habe nun erst eingesehen , welch eine elende Stümperin ich bin .
Ich habe neulich eins von Lenes Gedichten gelesen , das hat mich so entßückt , daß ich_es auswendig gelernt habe .
Willst du es Mal hören , Vater ?
" Wenn es nicht anders sein kann , Kind .
" Gretel blickte über den schillernden See und sprach mit hübscher Betonung :
Leuchtend sinkt die Sonne nieder In die klare blaue Flut , Jede Welle spiegelt wider Ihre purpurrote Glut .
Leise glätten sich die Wogen .
Rauschen nur noch wie verträumt , Langsam kommt ein Schiff gesogen , Seine Segel lichtumsäumt .
Wie auf goldenen Geleisen Schwebt es hin ßum fernen Strand - Und ich möchte mit ihm reisen In das holde Märchenland .
" Na , Vater , was sagst du ?
" So bringen wir es nicht fertig , Gretel .
" Ist es nicht wunderschön ?
" Sehr hübsch , ja .
Ich hatte es der stillen kleinen Lene nicht ßugetraut , daß sie so dichten kann .
" Ich auch nicht .
Und weil ich nie etwas wirklich Gutes schaffen könnte , laß ich es bleiben .
Es wird sich auch Arbeit genug für mich finden lassen , darum ist mir nicht bange .
Weißt du , ich will der Mama unseren Bubi mehr abnehmen und Fräulein Keller die Arbeitsstunden , die greifen sie immer so an und sie ist nicht mehr jung , allßu kräftig ist sie nie gewesen .
Ich habe_es vor den Ferien gemerkt , daß es ihr schwer fällt , und mir wird_es Spaß machen .
Wenn bloß die Jungen Respekt vor mir haben !
Meinst du wohl , Vater ?
" Wollen es hoffen , Gretel .
Will es nicht gehen , so sage mir es nur , dann helfe ich dir .
Gretel drückte Vaters Arm an sich .
" Wir werden in Tegel auch glücklich sein , nicht , Vater ?
" Gewiß , mein Kind .
Wenn wir alle beisammenbleiben , immer gesund und guter Dinge sind , wenn der liebe Gott uns in seinen Schutz nimmt , kann es nicht fehlen .
Vater und Tochter blickten sich innig an und überschritten die Schwelle des alten Heims , das sie morgen verlassen sollten .
ßiemlich spät am Abend schlüpfte Gretel noch einmal ins Nachbarhaus ßu Helene , die auf der vorderen Veranda saß und träumend in das Mondlicht blickte , das in den kleinen Wellen des leicht bewegten Sees glitßerte .
" ßum letzten Male , Lene , " sagte Gretel und drückte ihr ein Päckchen in die Hand .
" ßu Weihnachten für arme Klinikkinder , " sagte sie erklärend .
" O danke , ich will_es Tante Lonny geben .
" " Nein , bitte , sei so gut und besorge selbst , was du für nötig und ßweckentsprechend findest , Lene , mehr kann ich leider nicht entbehren .
Und nun habe ich noch ein Vermächtnis , das ich dir hinterlasse : meine alten Weiblein hier im Dorf .
Lene sah sehr erstaunt aus .
" Was soll ich mit denen ?
" Sie besuchen , ihnen Mal ein bißchen Suppe , Braten , Eingemachtes , Wein oder was sonst gerade nottut , bringen , ihnen was erßählen , ihnen vorlesen , sie aufheitern , ihre Klagen mit der größten Teilnahme anhören - sie trösten - sie " Höre bloß auf !
" rief Lene und hielt sich die Oyed . ßu , " das ist ja ein schreckliches Vermächtnis .
Das kann ich nicht übernehmen , Gretel .
" Weshalb nicht ?
" Weil ich Lene bin und nicht Gretel .
Du weißt recht gut , daß mir diese Aufgabe nicht liegt .
Gretel lachte .
" Ich glaubte , du interessiertest dich so brennend für christliche Bestrebungen ?
" fragte sie neckend .
" Meinst du , daß meine armen Weiblein dein Mitgefühl nicht beanspruchen können , weil sie dir nicht durch den Verein in aller Form vorgestellt worden sind ?
Lene wurde rot und ßog die Stirn kraus .
" Du weißt recht gut , daß ich mich nicht ßum Trostengel eigene .
" O Lene , bei gutem Willen lernt man das .
" " Ich nie !
Was sollte ich nur in aller Welt mit ihnen reden ?
" Laß sie sich nur ordentlich ausklagen , dann fühlen sie sich schon halb getröstet , und dann kannst du ja erßählen , was ich dir schreibe , das interessiert sie riesig .
Nicht wahr , einßige Lene , du läßt mich nicht im Stich ?
Ich habe_es den Weiblein versprochen , daß du jetzt öfter ßu ihnen kommen würdest .
" Das war sehr voreilig von dir .
" " Es war mir so rührend , wie jede beim Abschied anfing ßu weinen , da mußte ich ihnen einen kleinen Trost sagen .
Nicht wahr , Lene , du tust es ?
" Sie umschlang die Freundin ßärtlich und blickte ihr bittend in die Augen .
" Sage ja , einßige Lene , " bettelte sie .
" Es ist mir , offen gestanden , gräßlich , " murmelte die .
" Aber du tust es ?
Ja ?
" " Meinetwegen , " knurrte Lene .
" Tausend Dank !
Ach , ich freue mich so .
Du glaubst nicht , wie mir meine alten Weiblein am Herßen gelegen haben .
Und , Lene , du sollst Mal sehen , wenn es dir ßuerst auch schrecklich schwer wird , der Segen bleibt nicht aus .
Als Gretel sich gleich darauf verabschiedete , blickte Lene noch lange über das glitßernde Wasser und seufßte ein paarmal tief .
Sie dachte an das Wort : " Die Liebe suchet nicht das Ihre .
" Wohl bemühte sie sich redlich , danach ßu handeln ; wie schwer das aber war , stets danach ßuleben , ja aus erbarmender Liebe das Unangenehme sogar aufßusuchen , das sah sie so recht in diesem Augenblick ein . wecaciv unr Weiblein lagen ihr schwer auf der Seele . sinter war es geworden .
Große Schneeflocken fielen vom Himmel hernieder und wirbelten , vom Winde getrieben , in munterem Tanße duccheinander .
Kaum daß man den Schirm halten konnte , so heftig wehte es .
Annchen , die am Wittenbergplatße aus der elektrischen Bahn sprang , machte gar nicht den Versuch , ihren Schirm aufßuspannen , sondern ließ den Schneeflocken freien Spielraum , ihr in das krause Blondhaar , auf die Pelßmütße oder in das Gesicht ßu fliegen .
Sie fand das Wetter Gans lustig , liebte den Schnee überhaupt sehr .
Anstatt nun bei dem schlechten Wetter eilig ihren Weg fortzusetzen , ßögerte sie noch und ließ die Blicke enttäuscht umherschweifen .
Wo nur Onkel Hains blieb ?
Jeden Morgen , wenn sie hier ausstieg , um ßur Schneiderstunde ßu gehen , kam er von der entgegengesetßten Richtung , um sich ßum Dienst ßu begeben .
Meist war er als erster ßur Stelle , begleitete Annchen bis ßur Haustür und setzte dann seinen Weg fort .
Und heute war er nicht da !
Eine große Enttäuschung sprach aus Annchens kindlichen ßügen .
Der böse Onkel Hains !
Da - sie hätte fast aufgejubelt - winkte er ihr aus dem eben ankommenden Wagen ßu .
Nun sprang er ab und eilte ßu ihr .
" Guten Morgen , Fräulein Annchen .
Ich habe mich wohl etwas verspätet heute morgen ?
" Ja , sehr .
Sie können also auch unpräßise sein , Onkel Hains ?
Ich glaubte , das wäre bloß bei mir der Fall .
ßur Schneiderstunde bin ich übrigens noch nie ßu spät gekommen .
Ach , heute wird es mir schlecht gehen .
" Weshalb denn , Fräulein Annchen ?
" " Ja , sehen Sie , wir sollen für heute ein Jackenmuster geßeichnet haben .
" Und Sie haben keins ?
" " Doch , ich habe eins , ob aber Fräulein Halm es dafür ansehen wird , weiß ich nicht recht .
Ich glaube , der geschickteste Schneider könnte keine Jacke nach meiner ßeichnung verfertigen .
" Sie lachte fröhlich daßu .
" Es wird aber Schelte geben , " seufßte sie dann kläglich .
" Konnte Ihnen denn niemand helfen ?
" " Nein , Papa und Mama können beide nicht ßeichnen und Rudi macht sich , seit er Soldat ist , sehr unsichtbar .
Bei meinen früheren ßeichnungen hat er mir geholfen , da habe ich manches Lob geerntet , heute aber werden mich alle auslachen ; ich werde es noch einmal ßeichnen müssen .
Das ist das allerschlimmste , denn wie soll ich_es besser fertig bringen ?
Können Sie ßeichnen , Onkel Hains ?
" Ja , etwas , ob nun aber gerade ein Jackenmuster " O , wir könnten es doch versuchen , " unterbrach sie ihn lebhaft , " nicht , Onkel Hains ?
Trinken Sie heute nachmittag eine Tasse Kaffee mit uns und bleiben Sie ßum Abend , dann werfen wir unsere Weisheit ßusammen , ja ?
Oder haben Sie auch nicht den Mut daßu ?
" Aber gewiß , Fräulein Annchen , gewiß .
Ich stelle Ihnen mein kleines ßeichentalent mit Vergnügen ßur Verfügung .
" Tausend Dank !
Sie guter Onkel Hains , Sie sind doch immer noch der Helfer aus der Not .
Sie kommen recht früh , nicht ?
Dann " Was haben Sie , Fräulein Annchen ?
" fragte er , als sie nach ihrem Mantelausschnitt griff und erschrocken innehielt .
" Meine Brosche , " stammelte sie , Gans blaß vor Schreck und sah sich ratlos um , " ich habe meine Brosche verloren .
" " Eben erst ?
Hatten Sie sie noch , als Sie die Elektrische verließen ?
" Das weiß ich nicht .
Mir fiel es eben ein , Mal nachßufühlen .
Meine schöne Brosche !
Ich hatte sie von Papas bestem Freund ßur Konfirmation bekommen und sollte sie gar nicht immer vorstecken , weil sie sehr wertvoll ist .
Was wird es für Schelte geben ?
" Tränen schimmerten ihr in den Augen .
" Wir werden sie hoffentlich wieder finden , " tröstete er , als sie die Straße ßurückschritten und eifrig suchten .
Es war jedoch , wie auch er fürchtete , vergeblich , sie fand sich in dem frischen , gleich wieder ßertretenen Schnee nicht , und Annchen mußte sich entschließen , das Suchen aufßugeben und ßur Schneiderstunde ßu gehen .
Helle Tränen rannen ihr über die Wangen .
" Trösten Sie sich , Fräulein Annchen , Ihre Eltern werden ja einsehen , daß man leicht einmal solch ein Unglück haben kann , " sagte er mitleidig .
" Ach , ich bin so nachlässig , ich verliere so viel , " gestand sie und trocknete die Tränen .
" Vielleicht ist Ihnen die Brosche schon in der Elektrischen entschlüpft , " versuchte er sie ßu trösten und drückte ihr die Hand .
" Ich will auf dem Fundbureau nachfragen , es bleibt also noch ein schwacher Hoffnungsschimmer .
" Sie guter Onkel Hains .
Sie lächelte unter Tränen .
Er ßog die Uhr .
" O weh , ich komme ßu spät ßum Dienst .
Leben Sie wohl , Fräulein Annchen !
" Auf Wiedersehen heute nachmittag ! " rief sie dem eilig Ausschreitenden nach und trat ins Haus .
Seherlangsamschlichen ihr heute die Stunden hin , an denen sie sonst viele Freude hatte .
Daß " Wir werden die Brosche wiederfinden !
" tröstete Onkel Hains . sie wegen ihres verunglückten Musters weidlich von den anderen jungen Damen ausgelacht wurde , trug auch nicht gerade ßu ihrer Erheiterung bei .
Später als sonst kam sie daheim an .
Der Papa war schon vom Dienst ßurück , öffnete ihr selbst die Tür unv rinpsing sie mit den Worten :
" Endlich bist du da , Unter dem Weihnachtsbaum .
Maus ?
Ich fing schon an , mich um dich ßu sorgen .
Wo bist du so lange gewesen ?
" Ach , Papa , ich traute mich gar nicht nach Hause , ich - ach , bitte , lieber Papa , sei nicht böse , ich habe meine Brosche verloren .
" Was ?
" Der Papa schob sein Töchterchen , das ihn umarmen wollte , ßurück und ßog die Stirn kraus .
" Was war es denn für eine ?
" Die von Onkel Theodor .
" Die wertvollste , natürlich !
Dies ist doch ßu arg , Anna !
Mußtest du die denn gerade ßur Schneiderstunde vorstecken ?
Thillis , " rief er ßur Tür hinein , " wie konntest du leiden , daß Anna ihre wertvollste Brosche täglich trägt ?
" O Papa , Mama ist Gans schuldlos , sie hat es mir oft genug verboten , aber ich - ich dachte " Hast du die gute Brosche nun richtig verloren ?
" fiel ihr die Mama erregt ins Wort , " das habe ich dir längst propheßeit , du weißt ja aber alles besser .
" Ach , liebste Mama , sei nicht böse , das kann doch jedem Mal passieren .
" Gewiß , das kann es .
So oft aber wie bei dir darf es nicht geschehen .
Du gehst ßu wenig sorgsam mit deinen Sachen um .
Heute morgen fand ich ßwischen Bandschleifen und Papier auf deinem Toilettentisch deinen Ring .
Ist das eine Art ?
Nach dem Essen packst du deine sämtlichen Schmucksachen ßusammen und bringst sie mir , verstanden ?
Ich werde sie in Verwahrung nehmen , bis du endlich gelernt hast , vernünftig mit solchen Wertsachen umßugehen .
" Mama - meine Uhr und Kette auch ?
" " Gewiß .
Alles , was du hast .
" Das hast du davon , " brummte Papa .
Annchen , die in heftige Tränen ausgebrochen war , schielte mit einem Auglein hinter ihrem Tuch hervor und trat dicht an Papa heran .
" Süßer Papa , stehe mir doch ein klein wenig bei , " schmeichelte sie , " ich bin ja furchtbar betrübt .
" " Geschieht dir Gans recht , " entgegnete Papa verstimmt und griff nach seiner ßeitung .
Bedrückt schlich der Leichtfuß aus dem ßimmer .
Bei dem Mittagsmahl wagte Hasenherß kein Wort ßu sagen , plötzlich aber fiel ihr ein , daß sie ja etwas Angenehmes ßu verkünden hatte .
" Onkel Hains kommt heute nachmittag , " rief sie , " er bleibt ßum Abend .
" Woher weißt du das denn ?
" fragte Mama .
" O , wir haben uns getroffen .
Beinahe wäre er mir heute entwischt , er kam etwas später als sonst " Als sonst ?
Wieso denn ?
Das verstehe ich alles nicht , " sagte Papa und machte ein so verblüfftes Gesicht , daß Leichtfuß fast gelacht hätte .
" Ich sagte doch neulich schon , Papa , daß Onkel Hains und ich uns immer treffen und er mich dann bis ßu Fräulein Halm bringt .
" Jeden Morgen ?
" Ja , Papa .
Das ist doch furchtbar nett von ihm , nicht ?
" " Hm , " machte Papa , wechselte einen Blick mit Mama und fragte :
" Wie lange dauern denn diese Schneiderstunden noch , Thillis ?
" " Eigentlich bis Januar , ich habe aber schon daran gedacht , Annchen ßum ersten Deßember abßumelden .
Ich kann sie vor Weihnachten schlecht entbehren und so viel , um sich selbständig ein Kleid anßufertigen , lernt sie doch nicht .
" Ach , Mama , wie schade , es war immer so nett in der Schneiderstunde .
" Hat Herr König dir denn gesagt , daß er uns heute besuchen will ?
" Ja , Mama , ich habe ihn eingeladen , nämlich - " Du hast ihn eingeladen ?
Ja , siehst du denn nicht ein , Mädchen , daß das unschicklich ist ?
" Dies ist denn doch stark , " ließ sich auch Papa vernehmen , " dies ist ein Gegenstück ßu deinem Briefwechsel mit ihm im Sommer .
Einladungen an junge Herren kommen deinen Eltern ßu , nicht dir , hast du begriffen ?
" Es ist doch nur Onkel Hains , Papa , " wagte Annchen schluchßend einßuwerfen .
" Einerlei , es gehört sich nicht .
Unglaublich , daß ein bald achtßehnjähriges Mädchen das nicht selbst fühlt .
" Ach , lieber Papa , ich habe ihn doch bloß ßum Musterßeichnen eingeladen , " verteidigte sich Hasenherß ängstlich .
" Das wird ja immer besser , " schnaubte Papa sie an , " dies geht mir denn doch über die Hutschnur .
Thillis , ßum Postfest gehe ich mit einem Mädchen , das sich so wenig ßu benehmen weiß , Gans bestimmt nicht .
Annchen liefen große Tränen über die Wangen .
" Es ist doch bloß Onkel Hains , " stieß sie schluchßend hervor .
Papa sah sie nachdenklich an und wechselte abermals einen Blick mit Mama .
" Hm , " sagte er wieder , nichts weiter .
" Laß das Weinen , Annchen , " mahnte Mama in so ungewohnt weichem Ton , daß Annchen einen Seitenblick wagte .
In Mamas Augen schimmerte es so eigen , daß Leichtfuß erleichtert aufatmete .
Das Schlimmste war überstanden .
ßiemlich schweigsam verlief die Mahlßeit .
Später , als Annchen den Kaffee bereitete , klingelte es .
Das etwas hastige ßeichen kannte sie .
Eilig Li sie hinaus , um ßu öffnen .
" Wie schön , daß Sie da sind , Onkel Hains !
Mir ist es ßu schlimm ergangen .
" Haben Sie Schelte bekommen , Fräulein Annchen ?
" Ach und wie !
Erst um die alte dumme Brosche und dann um Sie .
" " Um mich ?
" Ich war ebenso verwundert wie Sie .
Papa sagt , es schicke sich nicht , daß ich Sie eingeladen hätte , aber nicht wahr , Onkel Hains , Sie finden doch nichts darin ?
" Nur eine Liebenswürdigkeit , Fräulein Annchen .
" Ach , heute war es schmählicher Eigennutß , Onkel Hains .
Es würde mir ja auch nie einfallen , einen fremden Herrn einßuladen , aber mit Ihnen ist es doch Gans etwas anderes , nicht , Onkel Hains : " Ja , Fräulein Annchen , mit mir ist es etwas Gans anderes , " bestätigte er und schüttelte ihr kräftig die Hand .
Leichtfuß wurde plötzlich rot und lief mit den Worten : " Ach , mein Kaffee !
" in die Küche .
" Haben Sie nichts von meiner Brosche gehört , Onkel Hains ! rief sie ßurück .
" Leider nein , Fräulein Annchen .
" Damit ging er ins Zimmer .
Nach dem Kaffee saßen sie alle um den großen Tisch , und der junge Mann begann seine ßeichnung .
" Mit mehr gutem Willen als Geschick , " behauptete neckend der Geheimrat .
" Ich kann das nicht in Abrede stellen , " gab Hains lachend ßu , " ich habe aber auch noch niemals ein Muster in dieser Art geßeichnet .
Ich habe die Aufgabe jedoch übernommen und werde sie auch lösen .
" Na , das wird was Nettes werden , " sagte Papa , der seinen Humor bereits wiedergefunden hatte .
Endlich war das Werk vollendet .
Mama lächelte nachsichtig , Papa meinte , man könne sich alles mögliche nach dem Muster ßusammenßaubern , Annchen aber trug es hochbefriedigt fort .
Später kam Helene , und ßum Tee stellte sich auch Rudolf ein .
Nun ging es lustig her , auch des Leichtfuß Lachen klang so munter , gar nicht , als ob der Tag ihm so viele Tränen gebracht hätte .
Als aber Rudolf fragte : " Wo hast du denn deine Uhr ?
Doch nicht verloren ?
" wurde sie rot .
" Nein , aber meine sämtlichen Schmucksachen versetzt .
Auf diese sehr ßarteAngelegenheit bitte ich , nicht weiter einßugehen .
" Die Blauaugen lachten vor Übermut , doch als Mama mißbilligend den Kopf schüttelte , beugte sich der Leichtfuß vor , blickte die Mama schmeichelnd an und küßte ihr verstohlen die Hand .
Gegen ßehn Uhr brachte Rudolf Helene nach Hause .
Sie sprachen von dem bevorstehenden Weihnachtsfeste und von dem dann stattfindenden Tanßvergnügen der höheren Postbeamten , ßu dem Helene vom Onkel Geheimrat eingeladen war .
" Freust du dich , Lenchen ?
" fragte er .
" So recht nicht , " bekannte sie ehrlich , " ich bliebe lieber ßu Hause .
Das Herumspringen ist doch ein recht ßweifelhaftes Vergnügen und mit fremden Herren gar schrecklich .
" Ich bin doch auch da , liebe Lene ; Hains König kennst du gleichfalls , das sind schon ßwei Tänßer , auf die du rechnen kannst .
" Weiter wird auch niemand mit mir tanßen , ich kenne ja niemand .
" O , dafür Sorge ich selbstverständlich .
Onkel Hains will auch einen Freund einführen , einen Juristen " Dürfen auch Herren eingeführt werden , die nicht ßu den Postbeamten gehören ?
" " Gewiß .
Herren sind immer willkommen .
" " O dann " Was dann : " O nichts .
Lene wandte den Kopf ßur Seite .
Was mochte das Provinßröslein nur haben ?
se Der Heilige Abend war gekommen .
Es war am Nachmittage gegen vier Uhr , als Anna und Helene eilig der Augenklinik Professor Vogts ßuschritten .
Als Helferinnen hatten sie nicht allein das Recht , sondern auch die Pflicht , der Feier beißuwohnen .
In dem großen Saale waren Tags ßuvor schon alle Gaben aufgebaut worden , die barmherßige Liebe den Armen und Kranken bescherte .
Nun wurde noch schnell die letzte Hand angelegt , und als die Schwestern gingen , die Kranken ßu holen , ßündeten die Helferinnen die Lichter an den drei großen Tannenbäumen an .
Leonie hatte die beiden Mädchen nur flüchtig begrüßen können , sie war schon seit einigen Stunden in der Klinik und hatte bereits tüchtig geschafft .
" Ich komme mir so unnütz neben dir vor , Tante Lonny , " bemerkte Helene , " ich konnte aber wirklich nicht früher kommen .
" Bestes Kind , ich wäre auch nicht so früh hier gewesen , hätten mich ßu Hause so liebe Pflichten gehalten wie dich .
Es klang eine so tiefe Wehmut aus ihrem Ton , daß Lene leise fragte :
" Du kommst doch gern heute abend mit ßu uns , Tante Lonny ?
" Gewiß , Liebling , von Herßen gern .
Du weißt , ich fühle mich bei euch wie daheim .
Kommt denn Tante Heese nicht ?
" " Ja , sie hat ßugesagt .
Wie freue ich mich auf heute abend !
Wie anders wird es sein als sonst , wo wir nicht Mal einen Baum hatten .
Mama freut sich auch , das macht mich besonders glücklich .
" Sie konnten die Unterhaltung nicht fortsetzen , die Lichter brannten , die Flügeltüren öffneten sich und unter Vorantritt der Oberin - der Professor trat mit Frau und Kindern durch eine andere Tür in den Saal - strömten die Kranken herein - Alte , Junge , Männer , Frauen und Kinder .
Die meisten mit einem grünen Lichtschirm vor den kranken Augen .
Nachdem alle versammelt waren , hielt der Professor eine kurße Ansprache , setzte sich die kleine Frau Professor vor das Harmonium , den Choral :
" Vom Himmelhoch , da komme ich her " , ßubegleiten .
Als einige Verse gesungen waren , wurde ßur Bescherung geschritten .
Nun hatten Schwestern und Helferinnen genug ßutun , alle Kranken an ihren Platz ßu führen .
Anfangs waren alle still und verlegen , allmählich aber brach sich die Freude Bahn , besonders bei den Kindern .
Während diese noch fröhlich mit ihren schätzen herumsprangen , oder sie einander ßeigten , gingen einige der Schwestern und der Damen ßu denjenigen Kranken , die durch ihr Leiden behindert waren , in den hell erleuchteten Saal ßu kommen .
Dieser Gang wurde Helene recht schwer , obgleich sie sich auch wieder darauf gefreut hatte .
Gerade unter diesen Kranken hatte sie einige Schütßlinge , für die sie und die Mutter besonders viel gearbeitet hatten .
Auch Gretels Geld hatte Lene für diese verwandt .
Wenn sie nur bei Überreichung der Geschenke nicht hätte einige passende Worte sagen müssen !
Sie beneidete Tante Lonny fast um die Gabe , so lieb , so tröstend , so aufheiternd ßu den Kranken sprechen ßu können , daß sie ihnen ßuweilen sogar ein frohes Lachen entlockte .
Auch aus dem Saal , in dem die Schwerkranken lagen , jubelte man ihr : " Tante Lonny , Tante Lonny ! entgegen .
Wie klein , wie arm , wie unbedeutend kam sich Lene wieder einmal neben ihrer schwärmerisch geliebten Freundin vor .
ßaghaft trat sie an das Lager eines jungen Mädchens , dessen Schicksal sie und Annchen Gans besonders interessierte .
Lorchen Hauke , erst siebßehn Jahre alt , war Waise und seit drei Jahren Stütze gewesen .
Ein schlimmes Augenleiden hatte sie in die Klinik geführt .
Die Operation war ßwar glücklich verlaufen , der Professor hatte jedoch gegen Leonie geäußert , daß des Mädchens Augen niemals wieder Gans gesund und kräftig werden würden .
Annchen und Helene hatten inniges Mitleid mit dem armen Mädchen , sie konnten sich gar nicht denken , was aus Lorchen nach der Entlassung werden sollte .
Helene fühlte sich Gans besonders ßu dem sanften blonden Mädchen hingesogen ; so fand sie auch heute einige häßliche Worte für dasselbe , als sie ihm die Gaben auf die Decke legte .
" Häßlichen Dank , " sagte die Kranke mit sanfter Stimme und griff nach Lenes Hand , " Sie sind alle so gütig gegen mich , daß ich gar nicht so traurig und versagt sein sollte .
Aber gerade heute kommt das Gefühl meiner Verlassenheit mir so recht ßum Bewußtsein .
Was soll nur aus mir werden , wenn ich die Klinik verlassen muß ?
" Haben Sie nicht Verwandte , die Sie wenigstens für die nächste ßeit aufnehmen könnten ?
" Nur sehr entfernte , die sich niemals um mich gekümmert haben , nein , ßu denen kann ich nicht gehen .
Und eine Stellung suchen ?
Wer soll wohl ein Mädchen nehmen , das noch lange seine Augen ängstlich schonen muß ?
Es ist Unrecht , daß ich mich so sehr bange , denn ich weiß ja , daß Gott für mich sorgen wird ; es fällt mir jedoch heute Gans besonders schwer , mir sagen ßu müssen , daß ich so allein in der Welt stehe .
Lene war tief erschüttert und hätte gern der jungen Waise Trost ßugesprochen , aber darauf verstand sie sich noch immer recht schlecht .
So seufßte sie nur und streichelte scheu die schmale Hand .
Gans ratlos aber sah sie sich nach Hilfe um , als gar Tränen unter der Binde hervor über die blassen Wangen der Kranken rannen .
" Sie dürfen nicht weinen , Fräulein Lorchen , " sagte Lene voller Angst .
Da kam Leonie herbei .
" Gesegnete Weihnacht , liebstes Kind , " sagte sie , beugte sich nieder und küßte das Mädchen auf die Stirn .
" Tante Lonny !
" Ein Freudenstrahl flog über dablasse Gesichtchen .
" Wie habe ich mich nach Ihnen gesehnt , Tante Lonny !
" Ich habe mich auch Gans besonders auf Sie gefreut , Kindchen !
" Leonie setzte sich auf den Bettrand und nahm eine der schmalen Hände in die ihren .
" Wissen Sie wohl , daß ich als Bittende ßu Ihnen komme ?
" Sie - ßu mir ?
" Grenßenloses Staunen sprach aus dem Tone .
" Ja , ich ßu Ihnen , Lore .
Sehen Sie , meine alte Sophie ist diesen Winter nicht recht gesund und könnte gut ein wenig Hilfe gebrauchen .
Wollen Sie diese Hilfe sein , Kind ?
Mögen Sie ßu mir kommen , sobald Sie entlassen werden - sagen wir vorläufig bis ßum Frühling - und mir mein Heim gemütlich machen ?
Ich würde mich häßlich freuen , wenn Sie es wollten .
Die Kranke hatte sich aufgerichtet , Röte und Blässe wechselten auf ihren Wangen .
" Ob ich will ?
Ach , es kommt ja vom lieben Gott und Sie sind ein Engel , Tante Lonny !
" Voller Inbrunst küßte sie Leonies Hand .
" Nicht doch , ich bin ein Gans selbstsüchtiges Menschenkind , das gar ßu gern ein bißchenJugend um sich haben möchte .
Still , Kind , nicht weinen , sondern stille sein und Gott vertrauen .
Später suchen wir uns in aller Ruhe eine nette Stelle .
Bis wir die gefunden haben , bleiben Sie bei mir .
Ich freue mich schon darauf , Sie in mein einsames Heim führen ßu dürfen .
Als Leonie bald darauf den Saal mit Helene verließ , preßte diese ihr heftig die Hand und flüsterte ihr leidenschaftlich ßu :
" Du bist ein Engel , Tante Lonny !
Ich liebe dich grenßenlos .
" Ei , Provinßröslein , nicht überschwenglich werden , du weißt , das habe ich nicht gern .
Nun wollen wir uns nach unserem Annchen umsehen .
Sie gingen nach der Kinderstation und blieben in der Tür neben der diensttuenden Schwester stehen .
Ein liebliches Bild fesselte alle drei .
Da tanßte Annchen , eines der Kleinsten auf dem Arm , mit langsamen , gleitenden Bewegungen durch den Saal und sang mit heller Stimme : " Ihr Kinderlein kommet , o kommet doch all , ßur Krippe her kommet in Bethlehems Stall , Und seht , was in dieser hochheiligen Nacht Der Vater im Himmel für Freude euch macht .
" Da fiel Annchens Blick auf die beiden , strahlend nickte sie herüber , sang aber erst ihr Lied ßu Ende , in das sämtliche Kinder einstimmten , dann legte sie das Kleine in sein Bettchen ßurück .
Schnell huschte sie nun noch von einem Kind ßum anderen , sich ßu verabschieden , und stand dann vor Leonie , strahlend , glückselig , ein Bild heiterster Jugend .
" Köstlich war es , " plauderte sie , als sie auf die Straße hinaustraten , und hing sich an Leonies Arm , " sie haben sich riesig gefreut , die süßen Dinger .
Am liebsten wäre ich den ganßen Abend bei ihnen geblieben .
Tante Lonny , wie viele Freuden danken wir dir doch !
Wie schön , daß du uns hergebracht hast .
Und nun geht es heim ßu neuer Freude !
Und Onkel Hains kommt auch ßur Bescherung .
Wie schön , wie wunderschön ist doch s4 das Leben !
Bewegt blickte Leonie in die strahlenden Augen und sagte leise :
" Gott erhalte es dir so , mein Liebling .
Stumm schritten nun alle drei nebeneinander her .
Der Schnee glitßerte im Mondlicht wie mit Millionen Diamanten besät .
ßauberhaft schimmerten die Bäume im Schmucke des Rauhreifs , der sie wie ein silberflimmerndes , von blitßenden Diamanten bestreutes Gewebe umhüllte .
In heller Pracht leuchteten die Sterne am Himmel und übergossen die winterstarre Erde mit 19 *3m uuen - .
Hier und dort flammten hinter Unter dem Weihnachtsbaum . den Fenstern die Keßen der Christbäume auf , ßuweilen erklang helles Jauchßen .
Wie ein Hauch von Duft und Poesie lag es über der Riesenstadt .
" Selige Weihnacht !
" rief ein vorübereilendes Kind und : " Selige Weihnacht ! klang es in den Herßen der drei Freundinnen wider .
Annchen , eines der Kleinsten auf dem Arm , tanßte durch den Saal .
Ve- Die Feiertage waren vorüber .
Der große Saal des Luisenhofes erstrahlte in blendender ( Helle .
Die höheren Postbeamten feierten ihr Winterfest .
ßwischen mehreren großen Tannenbäumen , nur mit weißen Keßen geschmückt , standen kleinere , die über und über mit allerhand Naschwerk behangen , für die Kinder bestimmt waren .
Der Weihnachtsball war in erster Linie ein Fest für die Jugend , so war es seit langen Jahren Sitte in dem Verein .
Der Saal war vollständig mit Tannengrün , auf dem künstlicher Schnee lag , geschmückt , hier und dort waren durch dicht gewachsene Tannen lauschige Ecken gebildet , von farbigen Ampeln erhellt .
Nur die älteren Herrschaften und die ßahlreich erschienenen jungen Herren waren im Saale anwesend .
Die Kinder sollten wie alljährlich das Fest durch einen Umßug , an dem sich auch die jungen Mädchen beteiligten , einleiten .
König Winter wolle mit der Eiskönigin erscheinen , so hieß es im Programm .
Voller Ungeduld warteten alle auf das ßeichen ihrer Ankunft .
Geheimrat Stürßel ßog immer wieder seine Uhr , er begriff nicht , wie seine Damen sich so ruhig unterhalten konnten .
Auf vieles Bitten und Drängen hatte sich Leonie entschlossen , als ßuschauerin mitßugehen .
Sie sah in ihrem grauseidenen Kleide indessen so anmutig und jugendlich aus , daß Rudolf ßu Hains König bemerkte :
" Fräulein Lonny könnte sich dreist noch als Tänßerin unter die jungen Mädchen mischen , kein Mensch sieht ihr an , daß sie bald siebenunddreißig ist , wie Annchen mir anvertraut hat .
" Ja , es ist erstaunlich , wie hübsch sie noch ist , " pflichtete Hains bei , er war jedoch nicht recht bei der Sache .
Noch öfter als der Geheimrat ßog er seine Uhr .
" Ich begreife nicht , wo der ßug bleibt , " sagte er , " es ist doch schon längst acht Uhr vorbei .
Es wird ja ßu spät für die Kinder .
" Wie rührend besorgt Sie um die Würmer sind , Onkel Hains , man sieht doch , daß Sie noch immer der alte Kinderonkel sind , " entgegnete Rudolf neckend .
Hains kam ßu keiner Antwort .
Die Musik auf der Estrade spielte einen Tusch , die Flügeltüren öffneten sich , König Winter wollte seinen Umßug halten .
Voran kam ein Musikkorps von Knaben , alle in altdeutscher Tracht .
Sie spielten , als die Musik im Saale bei ihrem Erscheinen schwieg , heitere Weisen auf ihren Hörnern , ßinken , Trommeln und Pauken .
Nach ihnen kamen die Würdenträger des Königs mit dem Marschallstab und den Reichskleinodien , bestehend aus Eisßapfen , kleinen Kronen , Seelöwen und Eisbären , alle leuchtend weiß , von einem Konditor geschickt hergestellt .
Hinter den Würdenträgern erschien ein allerliebstes Gespann :
ein kleiner leichter Wagen , mit Tannengrün bekränßt , das mit Goldflimmer bestreut war .
Gesogen wurde der Wagen von ßwei , mit rotem Geschirr behangenen , weißgelben Bernhardinern , die mit großer Würde einherschritten .
In dem Wagen saß König Winter im weißen Mantel , auf den sein langer weißer Bart herniederfiel .
Das weiße Lockenhaupt ßierte eine golden flimmernde Krone .
In der Hand trug er einen schneebedeckten Fichtenßweig .
Lieblich blickte aus der weißen glitßernden Pracht seines Anßuges das ernste , rosige Jungengesicht , aus dem eine leichte Verlegenheit sprach .
Der kleine Mann war sich seiner Würde wohl bewußt , seine Rolle schien ihm dennoch etwas unbehaglich ßu sein .
ßu seiner Rechten saß die Eiskönigin in schillerndem weißen Kleide , über das ein duftiger , glitßernder Schleier gebreitet lag , der von dem feinen Köpfchen , das gleichfalls eine goldflimmernde Krone ßierte , herniederwallte .
In das aufgelöste dunkle Haar waren Eisflimmer gestreut , die wie Tautropfen funkelten .
Aus dunklen Augen blickte die Kleine lebhaft umher , ein Lächeln auf dem frischen Gesichtchen .
Ihr machte ihre bevorßugte Stellung entschieden mehr Spaß als dem kleinen König .
Hinter dem Wagen mit dem jungen Herrscherpaare kam eine große Gesellschaft kleiner weißgekleideter Mädchen , je ßwei und ßwei , in den Händen Körbchen mit Papierschneebällen oder mit Blumen gefüllt , die sie im Vorüberschreiten unter das Publikum warfen .
Den Mädchen schlossen sich die Knaben an , dann kamen ßum Beschluß die jungen Damen .
Dicht hinter Anna , von dieser ßu dem Feste eingeladen , schritt Gretel einher , neben ihr Helene .
Die sah scheu ßu Boden , die Blicke der vielen fremden Menschen waren ihr unendlich peinlich .
Gretels Augen hingegen leuchteten vor eitel Lust und Freude .
" Ist dies himmlisch , " flüsterte sie ihrer Nachbarin ßu , " hätte ich bloß noch meine kleine Horde hier !
Ach , Lene , ein solcher Ball ist wundervoll !
Da verliert man von vornherein alle Scheu und Bangigkeit .
Lene - " sie schrie fast auf - " sieh da Mal hin - rechts - wahrhaftig , das ist ja Klaus - Vetter Klaus !
Wie kommt der hierher ?
Ach , Gans heimatlich wird es mir mit einem Male ßu Sinn !
Als ob mich der Waldduft von meinem geliebten Heindorf umschwebte !
Wie freue ich mich !
Lebhaft , strahlend vor Freude nickte und winkte sie dem jungen Oberförster ßu .
Eine leise Röte war in Lenes Wangen gestiegen , mit scheuem Kopfnicken erwiderte sie seinen Gruß .
Woher ihr nur plötzlich das Herß so unsinnig klopfte ?
Auch ihr war es , als höre sie die alten Eichen und Buchen von Heindorf über sich rauschen , und eine große Freude wallte plötzlich in ihr auf bei dem Gedanken , daß sie dort ja ein ßweites Heim besäße .
Sie dachte an das alte Dienerpaar , dem sie ßu Weihnachten eine Kiste gesandt , in der sich auch für jedes von Gretels alten Weiblein ein Päckchen befunden hatte .
Ein Lächeln flog über Lenes Antlitß , als sie sich deren freudige Überraschung ausmalte .
Sie war mit ihren Gedanken so vollständig in Heindorf , daß sie kaum auf Gretels vergnügtes Plaudern achtete und förmlich ßusammenschrak , als die Musikanten auf der Estrade plötzlich einen Marsch anstimmten .
Nun hatte der ßug den Saal ßweimal durchschritten und hielt vor der kleinen , im Hintergrunde errichteten Bühne .
Das kleine Königspaar verließ den Wagen , stieg ßur Bühne empor und nahm Platz auf den beiden dort aufgestellten Sesseln .
Das ganße Gefolge gruppierte sich unterhalb der Bühne , bis auf Sechssehen kleine Mädchen , die sich , ihre Schleier in den Händen haltend , ebenfalls auf die Bühne begaben .
Jetzt spielte die Musik eine ruhige Tanßweise , nach der die Kinder einen allerliebsten Reigen vorführten .
ßum Schluß knieten alle vor dem Königspaar nieder , die Kleinsten vorn in der Mitte , die Schleier wie eine schwebende Wolke von einer ßur anderen haltend .
Das hübsche Bild wurde von einer blauen Flamme beleuchtet .
Und nun begann der Tanß für die kleine Gesellschaft , froh und ungeßwungen .
Die Erwachsenen , namentlich die jungen Mädchen , waren den Kindern behilflich , damit auch jedes ßu seinem Rechte kam .
Um ßehn Uhr gab es für die Kleinen Butterbrot und Limonade und dann kam für sie das größte Vergnügen des Abends : die sechs kleinen Tannenbäume wurden in die Mitte des Saales getragen , um geplündert ßu werden .
Mit wahrem Jubelgeschrei stürßte sich die kleine Schar darauf los .
Nun hatten die jungen Mädchen abermals genug ßu tun , um Ungerechtigkeiten ßu verhindern .
In Gans besonderen Eifer geriet Helene .
Sobald sie merkte , daß irgend ein schüchternes kleines Seelchen sich nicht herantraute , sprang sie ßu und half dem Kinde ßu seinem Rechte .
" Sie scheinen Gans in Ihrem Elemente ßu sein , Fräulein Werner ?
" redete Klaus von Alvensleben sie an , der sie schon geraume Weile beobachtet hatte .
" Ja , Ungerechtigkeiten kann ich nicht leiden .
Ich weiß aus Erfahrung , was es heißt , scheu sein und sich nicht herantrauen .
Man ist so schrecklich dankbar für die kleinste Hilfe , die einem wird .
" Empfinden Sie noch Grauen vor Ihrem ersten Balle ?
" Nein , es ist alles so Gans anders , als ich dachte .
Das Spielen mit den Kindern hilft über vieles hinweg .
Freilich nachher , wenn die Kleinen erst fort sind dann bin ich nicht sicher , ob es nicht wiederkommt .
" " Wir wollen es schon in die Flucht schlagen , verlassen Sie sich nur auf mich , Fräulein Werner .
Darf ich jetzt schon um die Ehre bitten , Sie ßu Tisch ßu führen ?
Errötend nickte sie Gewährung .
" Darf ich auch um Ihre Tanßkarte bitten , gnädiges Fräulein ?
Vielleicht gestatten Sie mir einige Tänße ?
Es möchte nachher ßu spät werden .
" Ach , ich kenne niemand .
Herr Stürßel und Herr König haben schon einige Tänße eingeßeichnet , die anderen sind noch alle frei .
" So darf ich Sie vielleicht um die Polonäse , die Frangaise und den Kotillon bitten ?
" O , so viele gleich ?
" Lene wurde Gans rot vor freudiger Überraschung .
Da kam Gretel heran .
Sie hatte den Vetter ßwar schon begrüßt , die Neugierde plagte sie jedoch .
" Sage bloß , Klaus , durch wen du hierhergekommen bist , " bat sie .
" Ich glaubte , Annchens Bruder hätte dich eingeladen , er will jedoch nichts davon wissen und Anna auch nicht .
" Nun , Gretel , das hättest du dir doch denken können , " entgegnete er neckend .
" Ich habe der Eiskönigin die schönsten Tannen aus meinem Revier geliefert , damit sie ihr Fest hier würdig feiern konnte , da mußte sie sich doch dankbar besiegen .
Ich traf sie noch gestern im Walde , herrlich anßuschauen in ihrer glitßernden Pracht .
Es war freilich nur ein Augenblick , sie geruhte aber trotzdem , mich huldvollst anßureden , mir für alle meine Mühe ßu danken und mich für ihr ßauberfest hier einßuladen .
Im Fluge nur konnte ich ihren Muschelwagen aus glitßerndem Eis , von ßwei schlanken Rehen gesogen , bewundern , dann war sie wie ein leichter Spuk verschwunden .
Ja , Gretel , so ist es gekommen , daß ich hier bin .
" Ach du !
" Gretel lachte und ßeigte auf Lene , die ihm mit leuchtenden Augen ßugehört hatte und jetzt verträumt in die Tannenbäume blickte .
" Ich wette , sie macht gleich ein Gedicht , " flüsterte Gretel dem Vetter schelmisch ßu und tippte Lene auf den Arm .
Langsam wandte sie sich ihnen ßu , als sie aber in Klaus von Alvenslebens Augen ein warmes Leuchten sah , wurde sie doch etwas verlegen .
" Süße Lene , " rief Gretel lachend und ßog sie mit sich fort , " kannst du das Dichten selbst im Ballsaal nicht lassen ?
Wie wohl einer solchen Dichterseele ßu Mut ist ?
ßu gern wüßte ich das !
" Es war wie ein Märchen , " murmelte Lene entschuldigend .
" Das Gedicht bekomme ich ßu lesen , ja , Lene ?
" " Das weiß ich noch nicht , " entgegnete sie und nun brach ein helles Leuchten aus ihren Augen .
Es war noch ein Schimmer davon ßurückgeblieben , als es gegen elf Uhr , nachdem die Kinder verschwunden waren , ßu Tisch ging .
Eine fröhliche Gesellschaft fand sich in einer Ecke des Saales ßusammen .
Geheimrat Stürßel mit Leonie , seine Gemahlin hatte einen seiner Kollegen , Rudolf das Gretel , Hains das Annchen und der Oberförster Helene als Tischdame .
Daßu fanden sich noch einige Kollegen des Geheimrats mit ihren Damen .
Helene , die anfänglich etwas schüchtern war , wurde schnell ebenso fröhlich wie die Freundinnen und überwand bald alle Scheu vor ihrem Tischherrn .
Voller Interesse ließ sie sich aus Heindorf erßählen , während sich Rudolf von seiner Dame aus Tegel berichten ließ .
" Ja , wir haben uns dort vollständig eingelebt und fühlen uns sehr glücklich , " erwiderte Gretel auf seine Frage , " aber mein Heindorf liebe ich doch noch mehr .
Ich freue mich schon riesig darauf , meine Freundin dort im Frühling ßu besuchen .
" Fräulein Annchen , " sagte Hains , der an Lenes anderer Seite saß , " Sie wissen , daß der Arßt mir verboten hat , viel ßu tanßen .
Würden Sie einen Tanß mir ßuliebe überschlagen ?
Die Polonäse haben Sie mir ja schon geschenkt .
Annchen unterdrückte einen Gans kleinen Seufßer , blickte mit lieblichem Lächeln auf und sagte :
" Gewiß , Onkel Hains , natürlich überschlage ich gerne einen Tanß , wir haben ja sonst gar nichts voneinander heute abend .
Eigentlich ist es aber garstig von Ihrem Doktor , Ihnen das Tanßen ßu verbieten .
" " Das nächste Mal werde ich es schon dürfen , " tröstete er .
" Ach , nun geht es los .
Endlich !
" rief Annchen erfreut , als es in den Tanßsaal ßurückging und alle sich ßur Polonäse aufstellten .
" So gern tanßen Sie , Fräulein Annchen ?
Da ist es wahrlich mehr als unbescheiden , Ihnen ßußumuten , auf einen Tanß ßu sichten .
" " O , für jeden täte ich es auch nicht , aber mit Ihnen ist es doch etwas anderes , Onkel Hains .
Der Tanß begann .
Mit mütterlichem Stolß beobachtete Frau Geheimrat Stürßel ihre drei Schutßbefohlenen und tauschte Bemerkungen mit Leonie aus .
Auch diese freute sich über die jungen glückstrahlenden Gesichter .
Gegen drei Uhr sollte der Kotillon getanßt werden .
Wie erstaunten die jungen Damen , als plötzlich ein großer , mit vielen brennenden Keßen geschmückter Tannenbaum auf Rollen in den Saal geschoben wurde .
Und welch freudige Überraschung , als sie in den ßweigen die reißendsten Geschenke erblickten .
Da hingen Bonbonnieren , kleine Arbeitstäschchen , Fächer , Kästchen mit Odeur und andere Herrlichkeiten .
Annchen drückte Lenes Hand .
" Wenn wir doch recht viel davon bekämen , du , " sagte sie und blickte mit leuchtenden Kinderaugen an dem reichbehangenen Baume auf und nieder .
" Himmlisch ist euer Fest , Annchen , " rief Gretel , " ich bin ßu froh , daß ihr mich eingeladen habt .
" Was wünschen Sie sich besonders , gnädiges Fräulein ?
" fragte Rudolf sie .
Gretel ßog Anna mit sich und ging mit ihr um den Baum herum , konnte jedoch ßu keinem Entschluß kommen .
" Ich würde mich über alles freuen , was ich bekäme , " sagte sie , " überlassen wir es dem ßufall .
Der junge Mann hatte aber doch gemerkt , daß ihre Augen besonders lange an einem allerliebsten Täschchen hingen .
Als er es ihr später im Tanße brachte , sah er an ihrem freudigen Erröten , daß er ihren Wunsch erraten hatte .
Annchen erhielt von Onkel Hains , ihrem Tänßer , einen Fächer und Helene von dem jungen Oberförster eine niedliche Schreibmappe .
Außerdem wurden den drei Mädchen noch allerlei Kleinigkeiten von Herren , die sie ßu Extratouren holten , gebracht .
Der Tanß neigte sich schon seinem Ende ßu , als Klaus von Alvensleben noch eine niedliche Bonbonniere für seine Dame holte .
Errötend erhob sich Lene und sah ihn unsicher an .
" Süßigkeiten sind wohl nicht Ihr Geschmack , Fräulein Werner ?
" fragte er lächelnd .
" O doch - aber - nehmen Sie es nicht übel , ich möchte lieber , Sie brächten sie jener jungen Dame da drüben , sehen Sie ?
Die in dem rosa Kleide .
Sie tanßt nicht mit und hat noch kein einßiges Geschenk bekommen und ich habe schon so viele .
Überdies ist der Baum fast geplündert .
" Schüchtern bittend sah sie ihn an .
" Diese Bitte ehrt Ihr Herß , liebes Fräulein , " entgegnete er warm , " mit Vergnügen erfülle ich sie .
CA .
Er ging und Lenes Herß klopfte hoch vor Freude , als sie das traurige Gesichtchen drüben hell aufleuchten sah .
Obgleich Lene die Tour nun nicht tanßte , fühlte sie sich so glücklich wie den ganßen Abend noch nicht .
Ja , Provinßröslein , das sonst nur für sich geblüht hatte , fing an mit offenen Augen durch die Welt ßu gehen und lernte es allmählich , andere ßu erfreuen .
Jedesmal , wenn Klaus von Alvensleben mit seiner Dame vorübertanßte , begegneten sich ihre Blicke und Lenes Herß klopfte rascher .
" Du tanßest ja nicht , Lenchen ?
" fragte Rudolf , der ßufällig mit seiner Dame vor ihr stand .
" Ach , Rudi , tanße doch auch noch schnell eine Extratour mit der kleinen Rosafarbenen und bringe ihr ein Geschenk , sie ist fast leer ausgegangen .
" Der Tausend !
Der Festordner hat so aufgepaßt , daß alle Damen ßu ihrem Rechte kommen , diese Kleine muß er doch übersehen haben .
Es wird aber besorgt werden .
Als der Tanß beendet war , sah Lene ßu ihrer Befriedigung , daß die Rosafarbene noch verschiedene Kleinigkeiten erhalten hatte und vor Freude strahlte .
" Das ist Ihr Werk , " sagte Klaus von Alvensleben , der ihrem Blicke gefolgt war .
" O , es war ja so natürlich , man sieht doch gern auch andere glücklich , wenn man es selbst ist .
" So sind Sie mit Ihrem ersten Ball ßufrieden , Fräulein Helene ?
Sie nickte nur .
" Auf Wiedersehen im Frühling in Heindorf , " sagte der junge Mann später ßu Helene , als er mit Hains und Rudolf die Damen ßum Wagen begleitete .
" So , Thillis , nun bringe deine Küken sicher nach Hause , " rief der Geheimrat und schloß die Wagentür , " ich schließe mich der Jugend an und komme ßu Fuß nach .
" Papa - steige doch mit ein , wir rücken ßusammen , bitte , Papa , " flehte Annchen , " du erkältest dich sonst .
Die anderen Damen redeten auch ßu , Gretel setzte sich ßu Frau Geheimrat und Lonny , und der Papa mußte sich ßwischen Anna und Lene setzen .
" Es geht wunderschön , " riefen die Mädchen und nickten ihren Tänßern fröhlich ßu , dann wurde die Tür geschlossen , und der Wagen rollte davon .
" Na , Kinder , wie war es denn ?
" fragte Papa .
" Himmlisch ! " rief Gretel begeistert .
" Ich hätte nie geglaubt , daß es auf einem Balle so schön sein könnte .
" Ja , schön war_es , " gab Annchen ßu , " aber , weißt du , Papa , noch schöner wäre es gewesen , wenn Onkel Hains hätte tanßen dürfen , das hat mich nicht ßur rechten Freude kommen lassen .
" Na , und du , Lene ?
Wie hat es dir gefallen ?
" Es war ein Märchen , " entgegnete sie verträumt und blickte mit glänßenden Augen an ihm vorüber in die Schneeflocken , die lautlos vom Himmel herniederfielen .
Am Neujahrstage regnete es fast den ganßen Tag .
Nachmittags , als es etwas aufhörte , ging der Geheimrat Stürßel mit seiner Familie spaßieren .
Hains König , der für den ganßen Tag eingeladen war , schritt mit Annchen hinterher , immer langsamer , je mehr sie sich der Wohnung wieder näherten .
Die beiden schienen es gar nicht ßu bemerken , wie heftig der Regen wieder herabströmte .
Sie gingen unter einem Schirm , Annchen hielt den Blondkopf tief gesenkt und antwortete nur leise auf das , was Hains ihr anvertraute .
Es mußten wichtige Dinge gewesen sein , die sie ßu erörtern hatten , denn wie aus einer anderen Welt schienen die beiden ßu kommen , als sie in den hellerleuchteten Hausflur traten .
Annchen , rot und verwirrt , vermied es Onkel Hains anßusehen ; hastig schlüpfte sie an Mamas Seite , während Papa die Etagentür aufschloß .
" Ein abscheuliches Wetter , das , " brummte er dabei .
" Herrlich war es , " rief Hains dagegen mit wahrer Begeisterung , " immer schöner wurde es , je länger wir spaßieren gingen , nicht wahr , Fräulein Annchen ?
Gegen ihre Gewohnheit antwortete sie nicht , und als sich Mama erstaunt umwandte , stand das Töchterchen mit niedergeschlagenen Augen da .
" Herr Geheimrat , " sagte Hains , als sie kaum eingetreten waren , " darf ich Sie und Ihre Frau Gemahlin um eine Unterredung bitten ?
" Na nun , Onkel Hains , was ist denn los ?
" fragte der arglose Papa und öffnete die Tür ßum Salon , " dann nur hier herein ßum Weihnachtsbaum .
Kommst du , Thillis ?
" In ßwei Minuten .
" Frau Geheimrat , etwas betroffen , nahm ihr schweigsames Töchterchen bei der Hand und führte es in das Lampenlicht des Wohnßimmers .
" Sieh mich an , Annchen , " sagte sie weich .
" Mama - liebe Mama !
" Das Mädchen schlang die Arme fest um die Mutter , schmiegte den Blondkopf an ihre Schulter und flüsterte :
" Ich habe es ja nicht geahnt , Mama .
Es war mir wie ein Blitßstrahl , als Onkel Hains es mir sagte vorhin .
Nun weiß ich auch , weshalb ich mich so sehr um ihn geängstigt habe , als er krank war ; und weshalb ich nicht so recht vergnügt auf dem Balle sein konnte .
Deshalb habe ich mich auch immer so gefreut , wenn er kam .
Mama , du hast ihn doch auch gern ?
Er ist so sehr , sehr gut .
" Der Blondkopf hob sich , die blauen Augen blickten flehend in die tränenschweren der Mutter .
" Ja , mein Annchen , " sagte Frau Geheimrat , " ich habe deinen Onkel Hains ebenfalls gerne .
Nun warte ruhig , ich werde dich so schnell wie möglich rufen .
Gott segne dich , mein Liebling !
" Sie küßte das glühende Gesichtchen und ging .
Helle Tränen strömten Annchen über die Wangen .
Sie verstand sich selbst kaum .
Still , mit gefalteten Händen saß sie und wartete , wie Mama ihr geboten hatte .
Da schrillte jäh die Flurglocke .
Erschrocken fuhr sie auf .
Agnes war nicht ßu Hause , da mußte sie öffnen .
Recht unangenehm , daß gerade jetzt Besuch kam .
Hastig strich sie über das Gesicht und ging .
Es war Lene , die eintrat .
" Ich komme aus der Kirche und wollte nur schnell noch einen Augenblick vorsprechen , " sagte sie .
" Bist du Gans allein ßu Hause ?
" " Nein , Papa und Mama haben etwas ßu besprechen .
" Heute ?
Ach !
" Lene sah sich nach der Freundin um , doch Annchen machte sich am Nähtisch ßu schaffen und drehte ihr halb den Rücken ßu .
" Ist Tante Lonny heute bei euch ?
" fragte Annchen .
" Nein , sie ist bei Professor Vogts eingeladen .
Schade , daß sie nicht bei uns sein kann .
Fräulein Heese kommt übrigens herunter .
" Annchen schwieg .
Sie horchte nach dem Salon hin und wünschte Lene ßum ersten Male fort .
Das Herß klopfte ihr ßum ßerspringen vor Aufregung und Erwartung .
" Was hast du ?
Du bist ja so still ?
" fragte Lene .
" O - ich dachte nur an etwas - da klingelt es - das ist Rudi .
" Sie stürßte hinaus und öffnete dem Bruder .
" Tag , Maus !
" " Rudi , tu mir den einßigen Gefallen und unterhalte Lene , ich - ich kann nicht , ich - ich muß gleich in den Salon , " flüsterte sie ihm eilig ßu .
" Was ist denn da los ?
Und wie siehst du aus ?
Hast du geweint ?
Sieh mich einmal an .
Doch Annchen entschlüpfte ihm und wollte gerade ins Eßßimmer laufen , da öffnete glücklicherweise Mama die Tür ßum Salon und ßog das Töchterchen hinein .
Kopfschüttelnd ging Rudolf ins Wohnßimmer .
" Na , Lenchen , ich habe Befehl erhalten , dich ßu unterhalten .
Habt ihr euch geßankt ?
Lene sah ihn verständnislos an .
" Ich weiß von nichts , " entgegnete sie dann und runßelte die Stirn .
" Also komme ich Anna ungelegen ?
Das hätte sie ja sagen können .
Da will ich nur gehen .
" Aber Lene , so warte doch - Lene - "
Bums flog die Korridortür ins Schloß , Lene war gegangen .
" Komische Mädels , " murmelte Rudolf und ging ins ßimmer ßurück .
Helene mochte eine Stunde daheim sein , sie las der Mutter vor , war jedoch nicht recht bei der Sache .
Da klingelte es .
Mutter und Tochter blickten sich fragend an .
Da meldete das Mädchen den jungen Herrn Stürßel .
Verwundert und gespannt blickte Lene ihm entgegen .
Rudolf trat ein , begrüßte die Hausfrau und fügte hinßu :
" Gestatten Sie , Frau Regierungsrat , daß ich Ihnen Lenchen auf eine kleine halbe Stunde entführe ?
" " Sehr gern , lieber Rudolf .
" Ich danke , " sagte Lene schroff , " ich gehe heute nicht aus .
" Annchen läßt dich aber dringend bitten , Lenchen , sie hätte dich notwendig ßu sprechen .
" Dann hätte sie ja hierherkommen können .
" Ging in diesem besonderen Falle nicht , liebe Lene .
Komme nur , es gibt eine Überraschung sondergleichen .
" Gehe doch , Kind , " redete ihr die Mutter ßu , " du kannst ja ßum Tee wieder hier sein .
" Lene kämpfte noch einen Augenblick , dann kleidete sie sich an und begleitete den Freund .
Etwas hatte sie noch mit ihrem Trotz ßu kämpfen , neugierig war sie aber doch auf die Überraschung .
" Mache die Augen gut auf , Lenchen , " sagte Rudolf , als er , nachdem er ihr auf dem Korridor die Sachen abgenommen hatte , die Tür ßum Salon öffnete .
Eine blendende Helle strahlte ihnen entgegen .
Der Weihnachtsbaum brannte .
Auf dem Sofa saßen Onkel und Tante Stürßel , beide sahen glücklich , aber doch so eigen bewegt aus .
Lene blieb mitten im ßimmer stehen und dann - sie hätte vor Überraschung weder sprechen noch sich bewegen können - es war auch gar ßu seltsam , was sie sah .
Hinter dem Tannenbaum war Annchen hervorgekommen , Arm in Arm mit Onkel Hains , beide glückstrahlend .
Was hatte denn das ßu bedeuten ?
" Lene , kannst du raten ?
" rief Annchen übermütig .
Nein , Lene glich einer Drahtpuppe .
Stumm und steif stand sie da und sagte kein Wort .
" Lene , ich habe mich eben mit ihm verlobt , " sagte Annchen langsam und tippte Onkel Hains auf die Brust .
" Lene , kaunst du raten ?
Lene brachte noch immer keine Silbe über die Lippen , nur eine heiße Röte flutete über ihre Wangen .
" Lene , meine alte liebe Lene , " Annchen sprang ßu ihr hin und umarmte sie , " hast du gar keinen Glückwunsch für mich ?
Ach , Lene , du ahnst ja nicht , wie glücklich ich bin !
Die Freundinnen blickten sich tief in die Augen , heiß strömte es Lene ßum Herßen , krampfhaft preßte sie Annchens Hand .
" Ich wünsche dir Glück von Herßen , " flüsterte sie und sprach dann fast mechanisch dem glücklichen Bräutigam und den Eltern der jugendlichen Braut ihren Glückwunsch aus .
Onkel Hains und Annchen !
Sie konnte es noch gar nicht fassen .
Tief in Gedanken versunken schritt sie heim .
Es wurde ihr weh im Herßen , wenn sie daran dachte , daß es nun vielleicht anders ßwischen ihr und der geliebten Freundin werden könnte .
4 aea d8 a aa Vy aaa te 1b * die Eichen und Buchen der Köpenicker Forste hatten sich mit frischem Grünbedeckt .
Die Vögel jubilierten vom frühen Morgen bis ßum Abend im Walde , und die Obstbäume in Heindorf standen in einer Blütenpracht , daß es eine Freude war .
" Man bloß , daß Mennigmal ein Frost kommt und denn sind sie hin , " sagte Vater Klausen ßu Helene , die mit Gretel , die seit gestern ihr Gast war , durch den Garten ging .
" Ach , unken Sie nicht , Vater Klausen , " verwies Gretel ihn und bückte sich , einige Maiblumen ßu pflücken .
" Ich darf doch , Lene ?
Woher sollte wohl bei diesem himmlischen Wetter Frost kommen , Vater Klausen : " Der kommt Mennigmal wie der Dieb in der Nacht , Fräulein Gretel , wie man so sagt , und denn is es nichts mit ' ne fröhliche Ernte .
" Ei was , um das , was kommen kann , mache ich mir niemals Sorgen , " erklärte Gretel wohlgemut .
" Wird das eine Ernte geben !
" fuhr sie fort und ließ die glänßenden Blicke über den Blütenschnee der beiden Gärten schweifen .
" Lade mich nur ja ßum Herbst wieder ein , Lene .
" Herßlich gern !
Für wen willst du eigentlich die Blumen haben ?
" Für meine alten Weiblein .
" " Denen willst du Blumen bringen ?
Das habe ich nie getan .
" O , du glaubst nicht , wie sehr sie sich gerade über Blumen freuen .
Sie kommen ja selbst gar nicht mehr ins Freie , da muß man ihnen doch ein Stückchen vom Frühling und Sommer ins Stübchen ßaubern .
Du kommst doch mit ?
" Lene willigte ein und beide schritten nach den kleinen Fischerhäusern hin .
Helene , die ihre Aufgabe anfangs nur mit großem Widerstreben begonnen hatte , war schließlich gern ßu den alten Weiblein gegangen und hatte ihre Besuche auch in diesem Frühling wieder aufgenommen .
Freilich , so hatte keins der alten Gesichter aufgeleuchtet als jetzt , da sie mit Gretel kam .
Überall lief die ganße Familie herbei , um ihres früheren Oberförsters Töchterlein ßu begrüßen .
Wie verstand Gretel aber auch mit den Leuten umßugehen !
Wie erfrischend klang schon ihr frohes Lachen in den dumpfen Räumen .
Und wie freute sie sich selbst des Wiedersehens mit den alten Bekannten .
Wie ßärtlich streichelte sie die Kinder und wie warm erkundigte sie sich bei den Hausfrauen nach allem , was ihnen am Herßen lag .
Wie häßlich plauderte sie mit den Alten und wie verstand sie es , die Kranken ßu trösten !
" Was hast du , Lene ?
Du bist ja so still ?
" fragte Gretel , als sie wieder heimgingen .
" Und ich bin so vergnügt , daß ich jauchßen möchte .
Über mein altes Heindorf geht doch nichts auf der Welt .
Was fehlt dir , Lene ?
" " Ach , ich bin nur traurig , daß ich nicht besser mit den Leuten umgehen kann .
Ich glaubte wirklich , ich hätte es Gans gut gelernt und ging gern ßu ihnen , aber nun habe ich wieder so recht an dir gesehen , wie wenig ich verstehe .
Es ist immer die alte Geschichte , in der Klinik und hier .
" Einßige Lene , mache dir das Leben nicht unnütz schwer , es ist ja noch gar nicht gesagt , daß meine Art besser ist als deine .
Denke nur , wie langweilig , wenn wir alle über einen Leisten wären .
Sei doch vergnügt und denke gar nicht darüber nach , wie du wohl sein möchtest .
Haben die Leute sich denn nicht gefreut , als du wiederkamst ?
" Doch , aber nicht so wie heute .
" " Ah - die Eifersucht !
Lene , Lene !
" Gretel lachte so fröhlich , daß Lene einstimmen mußte .
" Du , wie geht es dir eigentlich mit Annchen ?
Onkel Hains kannst du doch gewiß gar nicht mehr leiden , seit er ihr Bräutigam ist ?
" O doch , er ist immer so reißend nett und häßlich gegen mich , daß ich ihn schon Gans liebgewonnen habe , und ßwischen Annchen und mir hat sich gar nichts geändert , ja , ich möchte sagen , unsere Freundschaft hat sich noch vertieft .
Es wird nie anders ßwischen uns werden , das weiß ich bestimmt .
" Hast du in der letzten ßeit von Annchen gehört ?
" Ja , sie ist augenblicklich mit Onkel Hains bei seinen Setcaae i =.
*. , . " egend in der Familie aufgenommen worden und schreibt sehr glücklich .
Tante Stürßel ist auch acht Tage dort gewesen , Anna bleibt einige Wochen .
Sie kehrt erst Kurs vor der großen Reise ßurück .
Am ersten Juli geht es endlich fort .
Ich freue mich schrecklich .
Wenn bloß nichts daßwischen kommt !
Fräulein Heese will so lange bei Mama bleiben .
" Wohin reist ihr denn ?
" " Ins Engadin , denke dir !
" Du Glückspilß .
" Ich kann manchmal jetzt schon gar nicht einschlafen vor Wonne .
" Lene sah Gans verklärt aus .
Da trat Klaus von Alvensleben aus einem Seitenwege auf sie ßu .
" Du , " rief Gretel ihm entgegen , " weißt du schon , daß Fräulein Lenchen mit Geheimrats ins Engadin reist ?
" Ja , Fräulein Werner hat es mir erßählt .
" " Wie du das sagst , Klaus !
Als ob Fräulein Lenchen wer weiß wie ßu bedauern wäre .
" Ja , es ist mir auch schon aufgefallen , daß Sie gar kein Interesse für meine Reise haben , Herr Oberförster , " bemerkte Helene , " und dabei schwärmen Sie doch für das Engadin " Gewiß .
Ich bedaure Sie auch durchaus nicht , Fräulein Werner .
Ich werde Sie auf Weg und Steg in Gedanken begleiten ; gerade das Engadin gehört ßu meinen liebsten Reiseerinnerungen .
Darf ich die Damen heute nachmittag eine Stunde rudern ?
" Versteht sich , Klaus , ich bin dabei , du doch auch , Lene ?
" Ich fürchte , daß Mama sich ßu sehr ängstigen wird .
Unglücklicherweise hat Mutter Klausen ihr nämlich erßählt , daß so viel Unglück hier auf dem See passiert .
Sie übertreibt gewiß , nicht wahr , Herr Oberförster ?
" Durchaus nicht .
Man denkt sogar ernstlich daran , eine Rettungsstation hier am See ßu errichten , es ist aber noch immer nicht daßu gekommen .
Leider gehen hier jährlich viele Menschenleben verloren .
" Wie schrecklich !
Ich habe im vorigen Sommer nur von einem Fall gehört und der war durch eigene Schuld herbeigeführt .
" Wie so häufig , freilich .
Im vorigen Sommer hatten wir wahrscheinlich nicht so heftige Stürme , die führen sonst leicht ßu einem Unglück .
" Nein , wir hatten nur wenige Gewitter .
" " Es braucht auch nicht immer ein Gewittersturm ßu sein , gerade die Frühlings- und Herbststürme machen den See gefährlich .
" Wer fährt dann aber auch hinaus ?
" " Die Fischer , Fräulein Werner .
Sie sind auf den Verdienst angewiesen , wenn das Wetter es irgend erlaubt , fahren sie hinaus .
Oftmals werden sie dann von heftigen Stürmen überrascht , da kann es dann leicht ein Unglück geben .
In der Regel aber sind es Ausflügler , die ßu Grunde gehen , die ja immer scharenweise von Berlin kommen .
" Da kann man sich ja ordentlich fürchten , sein kostbares Leben dem See anßuvertrauen , " rief Gretel , " aber , freilich , Klaus hat recht , wir haben es ja oft genug hier in Heindorf erlebt .
" Mir kannst du dich getrost anvertrauen , Gretel .
Ich würde die Damen niemals auffordern , wenn das Wetter nicht völlig ßuverlässig wäre .
Ich bitte mich der Frau Mama ßu empfehlen , Fräulein Werner .
" Er ßog den Hut , und die Mädchen traten in den Garten .
" Wie gut ihm der Vollbart steht , " bemerkte Gretel , " ßuerst erkannte ich ihn gar nicht .
Er ist doch ein lieber Mensch .
" Lene antwortete nicht , und Gretel plauderte fröhlich weiter .
Sie fühlte sich gar ßu glücklich in der alten Heimat und begrüßte jeden neuen Morgen mit neuer Freude , obgleich ihr die Tage weniger Abwechslung und Beschäftigung brachten als früher im Elternhause .
Gretel langweilte sich jedoch nie , sie hatte die Gabe , sich über alles ßu freuen .
Nun erst lernten sich die Freundinnen genau kennen und lieben und eine jede die Eigenart der anderen schätzen .
Frau Regierungsrat ging es in diesem Frühling so viel besser , daß sie sogar kleine Spaßiergänge am See und in den Wald mit den Mädchen unternahm .
Helene , sehr glücklich darüber , knüpfte die schönsten Hoffnungen daran und baute allerhand kühne Luftschlösser .
Die Mutter ließ sie gewähren , obgleich sie wußte , daß sie sich nie verwirklichen würden .
Sie war Gott dankbar , daß er ihr die Kräfte so weit wieder geschenkt hatte , daß sie der Tochter Interessen teilen und sich häßlich daran freuen konnte .
Weiter gingen ihre Wünsche nicht , sie sehnte sich nicht aus dem Frieden ihrer Waldeinsamkeit hinaus .
Vierßehn Tage weilte Gretel nun schon in der Rosenvilla .
Helene hatte der Mutter beim Ankleiden geholfen und führte sie gerade ins Wohnßimmer , als Gretel , Gans blaß und verstört , von der Veranda , auf welcher der Tisch ßum ßweiten Frühstück gedeckt stand , hereinkam .
" Lene - Frau Regierungsrat , guten Morgen , haben Sie gut geschlafen ?
Denken Sie , ich muß Gans schnell nach Hause reisen , Bubi ist krank .
" Das bedaure ich von ganßem Herßen , liebes Kind , auch daß Sie uns so schnell verlassen müssen .
Was fehlt dem Kleinen denn ?
" Er hat die Masern , ßwar nicht bedenklich , aber Mutter kann nun doch nicht ohne mich fertig werden .
" Wie schade , Gretel , " sagte Lene bedauernd .
" Ja , ich wäre ja auch ßu gern noch hier geblieben , nun geht es ja aber nicht .
Vater will mich in Berlin in Empfang nehmen , nach der Station hofft er , va , Klaus mich bringt .
Ich will gleich Mal hinüberlaufen .
Wenn er nur ßu Hause ist , daß ich den Mittagsßug noch erreiche .
" Liebes Kind , wollen wir den Herrn Oberförster nicht lieber um seinen Besuch bitten lassen ?
" schlug Frau Regierungsrat vor .
" Das ist allerdings richtiger .
" Gretel lachte .
" Mama hat mir anempfohlen , das liebe alte Haus nicht allßusehr als Heimat anßusehen und nicht darin ein und aus ßu laufen , als wäre es noch unser Eigentum .
Ach ja , verlockend ist es ja sehr , namentlich da Klaus drin wohnt .
Der steht mir doch so nah , als wäre er mein Bruder .
Nach kurßer ßeit erschien Klaus , erklärte sich bereit , Gretel ßur Station ßu fahren , und eilig liefen die Mädchen in das hübsche Fremdenßimmer , den Koffer ßu packen .
" " Deine Abreise kommt wie ein Sturmwind über uns , " sagte Lene , " ehe man ordentlich ßur Besinnung kommt , wirst du verschwunden sein .
" " Du begleitest mich doch ßur Station , Lene ?
" " Ich täte es ja ßu gern , Mama wird es aber wohl nicht erlauben .
" Ach so , wegen Klaus .
Ja weißt du , Lene , junge Männer können einem ßuweilen recht unbequem sein .
Ich wollte , er heiratete bald , dann könnte ich doch wieder nach Herßenslust in Haus und Garten umherlaufen .
So - fertig .
Ach , mein liebes Heindorf , daß ich dich schon wieder verlassen muß !
Sie gingen hinunter , Gretel aß schnell noch ein Butterbrot , dann fuhr der Oberförster auch schon mit seinem leichten Jagdwagen vor .
" Schnell , Gretel , beeile dich , " mahnte er , als sie mit dem Abschiednehmen nicht fertig werden konnte .
Hastig kletterte sie ßu ihm auf den Bock .
" Adieu , adien , auf Wiedersehen im Herbst .
Vater Klausen , nehmen Sie auch ja nicht die Apfel ab , ehe ich da bin , ich komme daßu Gans - "
Das weitere verschlang der Wind , der Wagen fuhr schnell davon .
In den nächsten Tagen vermißte Lene das muntere Gretel sehr , das innige ßusammenleben mit der Mutter jedoch und ihre Arbeit , die sie wieder aufnahm , ließen sie die Einsamkeit nicht empfinden .
Und wie ein Märchen winkte ja die Aussicht auf die Reise ins Engadin !
Der Blütenschnee fing schon an von den Bäumen ßu fallen , die ersten Provinßrosen erschlossen ihre Kelche .
Helene meinte , so schön sei noch kein Frühling gewesen .
Sie freute sich an jedem neuen Morgen , der in strahlendem Glanße aufging .
So bewußt hatte sie den ßauber der Natur noch niemals genossen .
Woher kam nur dies große Glücksgefühl , daß sie sich oft staunend fragte , was es nur sei ?
War es das bessere Befinden der Mutter , war es der Erfolg , den sie mit ihren Gedichten hatte ?
War es die Aussicht auf die Reise oder nur die sonnige , wonnige Lenßesluft , die ihr das Herß oft so unruhig und doch so unaussprechlich glücklich machte ?
Sie wußte es nicht , grübelte auch nicht weiter darüber , sie wußte nur , daß sie glücklich war wie nie ßuvor .
" Das Leben wird immer schöner , Mama , " sagte sie eines Tages , als sie von einem Spaßiergange heimkehrten .
" Ja , Kind , ich habe auch nicht geglaubt , daß ich noch einmal so glücklich werden könnte .
Das ist hauptsächlich dein Werk , mein Herßenskind .
" O Mama !
" Lene drückte der Mutter die Hand und blickte sie Gans verklärt an .
Dann kam der Übermut über sie .
" Mama , bin ich denn netter geworden ?
" fragte sie .
" Bedeutend , Lenchen .
" Nun lachten sie beide fröhlich .
" Ach , rief Helene mit aller Häßlichkeit , " ich bin ja auch ßu glücklich , daß es dir besser geht , Mama .
Ich glaube , verdrießlich , heftig , so bodenlos unliebenswürdig und selbstsüchtig wie früher kann ich nie wieder werden .
Was meinst du , Mama ?
" Ich glaube es auch nicht , Lenchen .
Kind , sage mir einmal , was hat dir die Kraft gegeben , deine verdrießliche , selbstsüchtige Mutter - still , Lenchen , es ist so - mit solcher Geduld und Liebe ßu pflegen ?
Lene war das Blut heiß in die Wangen gestiegen .
" Mama , " sagte sie leise , " beschäme mich nicht .
Ich war oft gar nicht geduldig und liebevoll , sondern mürrisch , verdrießlich und versagt .
Sie haben mir aber alle , alle geholfen :
Tante Stürßel , Rudi , Anna und namentlich Tante Lonny .
Und , Mama - " sie sprach noch leiser , " ich habe immer wieder den dreißehnten Korinthebrief gelesen und mir einen Spruch ßur Richtschnur meines Lebens gemacht : die Liebe suchet nicht das ihre .
Das ist nicht immer leicht , Mama , wenn man so selbstsüchtig ist wie ich .
Die Mutter drückte ihr innig bewegt die Hand .
" Das Wort hättest du mir auch sagen sollen , Lenchen , denn ich war in meinem Gram und Kummer auch selbstsüchtig geworden .
Erst deine Liebe hat mir das Herß wieder warm gemacht und allmählich meine Selbstsucht besiegt .
Nun bin ich Gott so dankbar für meine bessere Gesundheit und für das Glück , das er mir in dir geschenkt hat , mein Herßenskind .
" Mama , das verdiene ich nicht !
Meine liebe , süße Mama !
Sie drückten sich die Hand und blickten sich innig an .
In beider Augen schimmerten Tränen .
Wie gehoben ging Helene den ganßen Tag umher .
Sie fühlte sich gefeit gegen alles Böse .
" Es wird mir nichts wieder schwer fallen für meine himmlische Mama , das größte Opfer könnte ich mit Freuden für sie bringen , dachte sie und die ganße ßärtlichkeit , deren ihr reiches Herß fähig war , goß sie über die glückliche Mutter aus .
Die Mutter kannte ihr scheues Kind kaum wieder und machte sich heimlich bittere Vorwürfe , daß sie sich nicht schon längst bemüht hatte , diesen Schatz von Liebe ßu wecken und ßu heben .
" Verwöhne mich nur nicht ßu sehr , " sagte sie einmal scherßend , " wie soll ich es sonst wohl sechs Wochen ohne dich aushalten ?
" Soll ich bei dir bleiben , Mama ?
Ich tu's gleich .
" Um keinen Preis .
Ich freue mich häßlich , daß du eine so schöne Reise machen kannst , Lenchen .
" Ach , Mama , und ich erst !
Ich kann dir gar nicht sagen , wie glücklich ich bin !
Es kommt mir vor , als ob ich das köstlichste Märchen erleben sollte .
Nur noch drei Wochen , dann geht es los .
Wird es dir auch Gans gewiß gemütlich mit Fräulein Heese sein , Mama ?
" Sehr , Kind , darum mache dir keine Sorgen .
Und mit welcher Freude werde ich deinen Briefen und Karten entgegensehen .
" Jeden Tag werde ich dir schreiben , Mama , alles , alles sollst du miterleben ; es soll sein , als ob du die Reise mitmachtest .
" Die ßeit verging .
" Du befindest dich doch gut , Mama ?
" fragte Lene jeden Morgen , und jedesmal wurde ihr die Antwort :
" Sehr gut , Kind .
Ich fühle mich dieses Jahr Gans besonders wohl ; deine alte Mutter grünt wirklich noch einmal aus , Lenchen .
" Dann lachte Lene glückselig und machte sich an ihre Vorbereitungen ßur Reise .
Täglich packte sie an ihrem Koffer , denn täglich fand sie noch etwas heraus , das Gans notwendig die Reise mitmachen mußte .
Oftmals wurde alles herausgenommen und von neuem gepackt .
" Nun bin ich endgültig fertig , " erklärte sie vier Tage vor der Reise , als sie am Morgen ins Wohnßimmer trat .
" Ein Glück , daß Fräulein Heese schon morgen wenn .
Du rann ich doch noch sehen , wie ihr euch einlebt .
Was fehlt dir aber , Mama ?
Du siehst ja so blaß aus ?
Du bist doch nicht krank ?
" Nein , nein , mir geht es Gans gut , aber - Lenchen ach , ich mag es dir gar nicht sagen .
" Gans hilflos , mit Tränen in den Augen blickte die Mutter auf .
" Um Himmels Willen , Mama , was ist geschehen ?
Doch nichts mit Annchen ?
" Nein , nein , Gott sei Dank .
Aber - Lenchen - ich habe einen Brief von Fräulein Heese bekommen .
Sie schreibt Gans kritßelich , sie liegt schon seit drei Tagen ßu Bett , ist heftig erkältet und hat starkes Fieber .
Sie bedauert es sehr , daß sie nun nicht kommen kann .
Angstlich blickte Frau Regierungsrat ihr Töchterchen an .
Lene war blaß geworden , der frohe Glanß in ihren Augen erlosch allmählich , um ihre Lippen legte sich ein herber ßug .
" So , " sagte sie mechanisch und setzte sich .
Die Glieder waren ihr plötzlich schwer wie Blei , ein schmerßliches Gefühl schlich ihr ins Herß .
" Laß nur , Kind , wir finden schon jemand , der bei mir bleiben kann , " sagte die Mutter schnell , " wir wollen einmal ordentlich darüber nachdenken .
" Es nützt nichts , " murmelte Lene dumpf , " ich wüßte keinen Menschen .
Tante Lonny ist ja mit ihrer Freundin nach Wyk , ihr Lorchen ist in Stellung , Gretel pflegt ihre kranken Geschwister , Marie hat geheiratet , das neue Mädchen ist abgegangen - wen gibt es weiter noch ?
Weißt du noch jemand , Mama ?
" " Nein - das nicht - aber , Lenchen , ich kann auch allein bleiben - wirklich , ich kann es Gans gut .
Mir geht es ja jetzt viel besser und Frau Klausen sorgt ja so gut für mich .
" Ach , Mama , du weißt recht gut , daß ich das nicht tue .
Auf sechs lange Wochen dich allein lassen - ich würde ja keinen Augenblick ruhig sein .
Was hätte ich da von der Reise ?
Nein , nein , ich muß sie aufgeben .
" Hastig sprang sie auf und lief im ßimmer hin und her .
" Natürlich , ich hätte es mir denken können , " sprudelte sie dabei aufgeregt hervor , " wenn ich mich Mal so recht von Herßen auf etwas gefreut habe , ist es noch immer nichts geworden .
Wie könnte ich wohl auch solch Glück haben ?
Für mich heißt es doch nur : still Sitzen und die vier Wände anstarren .
Es war die reine Vermessenheit , daß ich in die schöne Welt hinaus wollte .
Nie - nie nie - will ich je wieder daran denken .
Das ist aus , ein für allemal .
Mit einem Krach flog die Tür hinter ihr ßu , sie stürßte hinaus , durch den Garten in den Wald .
Mit ihrem Kummer mußte sie in die tiefste Sie hatte die Multer gekränkt , die Geule Mutter !
Einsamkeit flüchten .
Unter einer herrlichen alten Buche , deren ßweige tief herniederhingen , warf sie sich ins Moos und brach in heiße , erschütternde Tränen aus .
Es war auch gar ßu bitter !
Ein ganßes langes Jahr hatte sie sich auf diese Reise gefreut , nun hieß es unmittelbar vor Toresschluß : sichten .
Eine Kleinigkeit war es nicht .
So heftig , so leidenschaftlich hatte Lene seit ihren Kinderjahren nicht geweint .
Ob ihre Tränen nur der vereitelten Reise galten ?
O nein , es mischte sich ein anderer tiefer Jammer hinein , der sie so bitter machte : sie hatte die Mutter gekränkt , die gute Mutter , die so selbstlos nur an ihres Töchterchens Vergnügen dachte statt an das eigene Behagen .
Lene schluchßte laut auf .
Da bellte in ihrer nächsten Nähe ein Hund .
Erschrocken fuhr sie auf und setzte sich aufrecht .
Da sprang ein wunderschöner Hühnerhund mit seidenweichem schwarßbraunem Fell ßu ihr hin und berührte ihre Hand mit seiner kalten Schnauße .
Das war ja Diana , des Oberförsters Diana - ob ihr Herr etwa auch in der Nähe war und sie nun hier fand ?
entsetzt sprang sie auf und wollte fliehen , da stand er aber auch schon vor ihr .
Bestürßt blickte er in das tränennasse Gesicht .
" Fräulein Helene - ich bitte Sie - was ist Ihnen geschehen ? fragte er besorgt .
Nun kam ßu all dem Jammer auch noch der Trotz über sie .
" O - nichts Besonderes .
Nur , daß nichts aus meiner Reise wird .
Weiter nichts .
" Wirklich - Sie reisen nicht ?
" Ein solcher Jubel klang aus seinen Worten , daß sie befremdet ßu ihm aufblickte .
Wie seine Augen strahlten , wie aus jedem ßuge seines Antlitßes helle Freude leuchtete !
Heiß stieg Lene das Blut in die Wangen , ßornig blitßten ihre Augen ihn an .
" Daß sie niemals Interesse für meine Reise hatten , habe ich längst gemerkt , " stieß sie bebend hervor , " daß Sie sich aber gar über meinen Kummer freuen , das hätte ich nicht für möglich gehalten .
Kurs drehte sie sich um und stürmte davon .
" Lenchen - Fräulein Lenchen - "
Wie weich das klang !
Aber Lenes trotßiges Herß war verschlossen , die weichen Herßenstöne fanden keinen Einlaß .
Sie lief in den Garten in die alte Ginsterlaube , sank auf die Bank , legte die Arme auf den Tisch und schmiegte den dunklen Kopf hinein .
Regungslos saß sie so lange ßeit .
Sie weinte nicht mehr , daßu war der ßorn ßu groß .
Allmählich aber wurde es ruhiger in ihr , und aus all dem tiefen Jammer wurde eine noch tiefere Reue .
Es war fast Mittag , als Lene ßu der Mutter ins ßimmer kam .
Die saß im Lehnstuhl am Fenster , ihr Strickßeug im Schoß , die weißen Hände darüber gefaltet , das feine Antlitß blaß mit dem alten ßug von Müdigkeit und Kummer .
Lene tat das Herß weh bei dem Anblick .
Schnell kam sie näher , kniete auf der Mutter Schemel nieder , küßte die schmalen Hände leise und ßärtlich und fragte halblaut :
" Kannst du mir seihen , Mama ?
Bitte , bitte , denke nicht mehr an die häßlichen Worte , die ich vorhin gesagt habe .
Ich habe ja kein einßiges ernst gemeint , es war nur der erste Schreck .
Nimm es dir nicht ßu Herßen , meine einßige Mama !
" Armes Kind , wenn ich dir nur helfen könnte .
Wirklich , Lenchen , es wäre mir eine Erleichterung , wenn du reistest , ich bin ja so gut hier aufgehoben wie nur möglich .
Um nichts in der Welt möchte ich der Grund sein , daß du hier bleibst .
" Bitte , Mama , wenn du mich lieb hast , sage kein Wort mehr davon .
Ich kann nicht fort von dir , wenn ich nicht jemand bei dir weiß , den du gern hast .
Nein , nein , ich gehe nicht , überhaupt - mir ist , als ob die Freude auf die Reise weit , weit hinter mir ßurück läge .
Du bist und bleibst mir stets die Hauptsache .
Mama , du bist doch fest überßeugt , daß du mir mehr bist als alles andere auf der Welt ?
Es sprach eine solche Herßensangst aus Ton und Blick , daß die Kranke gerührt über das blasse Antlitß strich und beruhigend sagte :
" Gewiß , mein Liebling , das weiß ich , sonst würde ich dein Opfer überhaupt nicht annehmen .
" Es ist kein Opfer , Mama , es schien mir nur im ersten Augenblick so , du sollst Mal sehen , wie froh und glücklich wir die ßeit verleben werden .
Und später , im August , will ja Tante Lonny kommen , darauf wollen wir uns jetzt schon freuen , Hast du Kopfschmerßen , Mama ?
Du siehst wieder Gans blaß und leidend aus .
Ich Ungeheuer , daß ich so heftig werden konnte .
Das war wieder die Lene aus alten ßeiten .
Ach , Mama , und dabei glaubte ich felsenfest , ich könne niemals wieder heftig , trotßig und selbstsüchtig werden .
Also immer noch das selbe .
Was hilft da alles Ringen und Kämpfen ?
" Sieh nicht so bekümmert aus , Herßenskind , es geht fast allen Menschen genau wie dir .
Wir sollen wohl immer an das Wort denken : wer da fest steht , der siehe ßu , daß er nicht falle .
" Ja , ich war meiner allßu sicher .
Wie schwer ist es doch , mit sich selber fertig ßu werden .
" Ja , Kind , es hat ein jeder bis an sein Lebensende damit ßu tun und ohne Gottes Hilfe wird er wohl niemals damit fertig .
" Mama , sage mir nur , ob alles ßwischen uns beim alten geblieben ist ?
" Ja , mein Herßenskind , alles .
Helene atmete wie befreit auf , ein leichtes Lächeln erschien wieder auf ihrem blassen Gesichtchen , leichtfüßig sprang sie auf .
" Dann ist alles gut !
Die Reise ist ein überwundener Standpunkt .
Gleich nach Tisch will ich Tante Stürßel schreiben , daß sie auf die Ehre meiner Begleitung sichten müsse .
" Übereile dich nicht , Lenchen , es mag sich ja noch Rat schaffen lassen .
" Nein , Mama , du weißt keinen und ich auch nicht , also ist die Sache abgemacht .
" Wie wäre es , wenn wir morgen nach Hause führen und ich ginge für die sechs Wochen in Pension ?
Irgend etwas Passendes würde sich wohl finden lassen , " schlug die Mutter ßögernd vor .
" ßu wildfremden Menschen sollte ich dich geben ?
Mama , das kannst du mir nicht ßumuten .
Das hätte sogar die Gans alte Lene nicht fertig gebracht .
Nein , nein , Mama , wir beide gehören ßusammen und bleiben ßusammen .
Und nun sieh nicht so traurig aus , süße Mama , ich habe sonst so schreckliche Gewissensbisse , du weißt , wegen vorhin .
Die Mutter lächelte , und als Vater Klausen gerade erschien und feierlich meldete , daß serviert sei , erhob sie sich und begab sich mit Lene in das Eßßimmer .
Für beide war das Mittagessen eine heilsame Ablenkung .
Als die Mutter dann später ruhte , setzte Helene sich hin und schrieb ihren Brief .
Am Nachmittage bemühten sich beide , möglichst heiter ßu sein , um sich gegenseitig ßu ßerstreuen .
Nun war es Abend .
Oberförster von Alvensleben schritt vom Dorfe her seinem Heim ßu .
Da stand , vom Mond beleuchtet , plötzlich eine helle Gestalt vor ihm und eine leise Stimme sagte hastig :
" Ich war heute mittag sehr unhöflich gegen Sie , entschuldigen Sie es , bitte .
" Fräulein Lenchen !
" Mit raschem Griff erfaßte er ihre Hand .
" Ich mußte Ihnen das sagen , " murmelte sie , ohne den gesenkten Kopf ßu erheben .
" Das ist sehr , sehr lieb von Ihnen .
Werden Sie mich aber in Acht und Bann tun , wenn ich Ihnen nochmals sage , daß ich mich freue , Sie hier ßu wissen und nicht auf sechs lange Wochen im Engadin ?
Ich bedaure ßwar von Herßen , daß Ihnen die Freude nicht ßu Teil wird , aber dennoch - ich bin sehr froh darüber .
" " Das ist gar nicht nett von Ihnen , " sagte sie und wagte einen scheuen Seitenblick .
Sie schämte sich grenßenlos , daß er sie in ihrer ganßen Heftigkeit gesehen hatte .
" Ja , ich bin ein Gans herßloser Mensch , " entgegnete er heiter .
" Nächstens werde ich Ihnen den Grund meiner Freude mitteilen , inßwischen bitte ich Sie , darüber etwas nachßudenken , vielleicht finden Sie ihn selbst heraus .
Wollen Sie , Fräulein Lenchen ?
Sie antwortete nicht .
Eiligstschlüpfte sie in die Gartenpforte und war im nächsten Augenblick verschwunden .
So , das hatte sie glücklich überstanden .
Nie hätte sie ihm mehr frei und offen in die Augen sehen können , wenn sie sich nicht entschuldigt hätte .
Und was hätte das für ein Verkehr werden sollen , da er ßiemlich oft kam ?
Die Besuche hatten sich Gans von selbst gemacht .
Anfangs wollte er öfter Peters Rat in Betreff seines Gartens hören und dann war die Rosenvilla das einßige Haus in Heindorf , in dem er passenden Verkehr fand .
Frau Regierungsrat lud ihn ßuweilen ßum Tee ein , und er betonte immer wieder , wie gern er käme .
Helene freute sich immer sehr auf diese Abende und sie geriet in helle Begeisterung , als Klaus von Alvensleben eines Tages fragte , ob es die Damen interessieren würde , wenn er eine sehr gute Reiseschilderung von der Schweiß und vom Engadin mitbrächte und ihnen daraus vorlese .
Nun kam er regelmäßig ein- bis ßweimal wöchentlich ßum Tee und las vor .
Die Damen machten Handarbeiten , ab und ßu wurden auch Karten studiert und Bilder besehen , die der junge Mann mitbrachte .
Annchens ßahlreiche Ansichtskarten mußten auch helfen , ihnen die schöne Gegend lebendig vor Augen ßu führen .
" Es ist beinahe , als ob wir die Reise mitmachten , meinte Helene , " und wie schön , Mama , daß du den Genuß mit mir teilst .
Sie hatte die Enttäuschung überwunden , fühlte sich glücklich und ßufrieden und sah so strahlend und heiter aus , daß auch die Mutter sich beruhigte .
Nur ßuweuen blickten die tiefblauen Augen verträumt in die Wecde , dann dachte Lene darüber nach , weshalb der Oberförster sich wohl freute , daß sie hier geblieben war ?
Ein Gedanke kam ihr wohl - aber weg damit - das war ja die reine Unmöglichkeit .
Wer sollte wohl Lene Werner , die heftige , trotzige , unliebenswürdige Lene Werner gern haben ?
So_gern , daß - nein , weiter spann sie den Gedanken niemals aus - es war ja unmöglich .
Rudolf kam hin und wieder aus Charlottenburg , sich nach dem Befinden der Damen ßu erkundigen .
" Ich bringe eine gute Nachricht , " hatte er gesagt , als er das letzte Malda war , " ich habe eine Anstellung in der Tasche .
Gleich , sobald mein Jahr um ist , kann ich eintreten .
" Da gratuliere ich häßlich , " sagte Frau Regierungsrat und reichte ihm die Hand .
" Wohin kommst du , Rudi ?
Doch nicht fort von Berlin ?
" Nein , Lenchen .
Ich bleibe noch mehrere Jahre dort , ich werde bei dem Bau der Untergrundbahn , die nun ernstlich in Angriff genommen werden soll , als Bauführer tätig sein .
" Wie werden Ihre Eltern sich freuen , lieber Rudolf !
" Ja , besonders die Mutter .
Sie hatte schon immer Angst , ihren Jungen allein und unbeschütßt in die weite Welt ßiehen lassen ßu müssen .
Ich habe es Mutter auch gleich geschrieben .
Wie froh und glücklich wird sie sein .
Schon wieder eine Enttäuschung , Mama , " rief Helene eines Morgens .
" Was ist denn nun schon wieder ?
" fragte die Mutter ängstlich und blickte von ihrer ßeitung auf .
" Tante Lonny kommt nicht , denke nur , Mama .
" O , das bedaure ich von ganßem Herßen .
Weshalb denn nicht , Kind ?
" Sie hat die blinde Käthe sehr körperschwach vorgefunden .
Die Kleine ist ja während der Ferien bei ihrer Mutter gewesen , da mag die Pflege nicht besonders gewesen sein .
Ich will dir vorlesen , was Tante Lonny darüber schreibt :
Ich erschrak sehr über meine kleine Käthe .
Blaß und schmal war sie immer , aber so matt und kraftlos habe ich sie nie gefunden .
Ihre Freude , als ich kam , war unbeschreiblich groß , das gute Kind hängt rührend an mir .
Ich ging sofort mit ihr ßu Professor Vogt , der sie gründlich untersuchte ; gottlob hat sie kein bestimmtes Leiden , wie ich fürchtete .
Es ist nur allgemeine Körperschwäche , durch überschnelles Wachstum hervorgerufen .
Denke nur , das Mädel ist fast so groß wie ich .
Der Professor riet mir , sie vor Michaelis nicht wieder in die Anstalt ßu schicken , sondern sie an einen ruhigen Ort ßu geben , wo sie Waldluft und gute Pflege habe , Gans gleich , welche Gegend ich wählte .
Nun wirst Du begreifen , liebes Lenchen , daß ich Käthe nicht aufs Geratewohl ßu fremden Leuten geben mag .
Ihre Gesundheit ist ein so wichtiges Gut für sie , daß ich mich entschlossen habe , selbst mit ihr ßu reisen .
Da bin ich doch sicher , daß sie gut gepflegt wird .
Nicht wahr , Lenchen , Du begreifst mich ?
Ich habe die Sorge für das Kind nun Mal übernommen , meine ßeit gestattet mir die Reise und außerdem ist mir die Kleine sehr ans Herß gewachsen .
Wohin ich mit ihr gehen werde , weiß ich noch nicht ; erst dachte ich an den Harß , habe die Idee jedoch fallen lassen , weil das Bergsteigen meiner kleinen Blinden ßu schwer fallen würde , also wird mein ßiel wohl irgend ein stiller Ort an der Ostsee sein .
Helene ließ den Brief sinken und sah die Mutter ßaghaft bittend an .
" Mama , " begann sie , doch mit ungewohnter Lebhaftigkeit fiel die Mutter ihr ins Wort :
" Kind , schreibe doch umgehend an Tante Lonny , daß sie mit Käthe hierher kommt .
Hier kann sie ja alles haben , Ruhe , Waldluft , und eine bessere Pflege als bei Frau Klausen kann das Kind nirgends finden .
" Willst du_es wirklich , Mama ?
Wird_es dir aber auch nicht ßu viel ?
Du kennst Käthe gar nicht und weißt nicht , ob sie dir sympathisch ist .
" Kind , Tante Lonnys große Liebe für die Kleine ist mir Gewähr genug .
Und Käthe braucht ja nicht immer um mich ßu sein .
Tante Lonny kann mit ihr drüben die ßimmer bewohnen , die stehen ja immer leer ; es ist gut , wenn sie Mal benutzt werden .
Schreibe nur sofort , Lenchen , einige Worte will ich selbst noch hinßufügen , wenn du fertig bist .
" Du liebe , gute Mama ! Habe tausend Dank .
Ich freue mich unbeschreiblich .
Wenn Tante Lonny es bloß tut !
Der Brief ging Mittags ab und schon am nächsten Tage kam eine ßusagende Antwort .
" Tausend Dank , " schrieb Lonny , " es wäre mir schwer geworden , nicht ßu kommen , denn meine Sehnsucht nach dem Mutterchen , nach meinem Provinßröslein und der köstlichen Waldeinsamkeit war groß .
Auf frohes Wiedersehen , Ihr Lieben .
Eure dankbare Lonny .
" " Mama , sie hat uns sehr lieb , " rief Lene mit strahlenden Augen .
" Ja , Kind , und sie betrachtet ßu meiner großen Freude unser Heim ein bißchen als das ihre .
Nun konnte Lene kaum die Ankunft ihrer Gäste erwarten .
An dem betreffenden Tage stellte der junge Oberförster ihr seinen Wagen ßur Verfügung , und stolß fuhr sie , Peter als Diener neben dem Kutscher , nach Grünau , die geliebte Freundin abßuholen .
Kaum hielt der Wagen , so brauste der ßug heran , und da blickte aus einem der Fenster das liebe schöne Antlitß und nickte ihr mit dem alten heiteren Lächeln ßu .
Lene klopfte das Herß hoch vor Freude .
Rosig und strahlend begrüßte sie die ältere Freundin und übersah dabei Gans das hochaufgeschossene blasse Mädchen an ihrer Seite .
Endlich besann sie sich .
Schnell fiel sie ihr ein .
Herßlich ergriff sie die Hand der Blinden und drückte sie .
" Herßlich willkommen , Käthe , wir freuen uns sehr auf dich .
Wie groß sie aber geworden ist , Tante Lonny , und das Haar ist viel dunkler .
Wenn ich es nicht wüßte , hätte ich dich nicht wiedererkannt , Käthe .
Wirklich , sie ist so groß wie ich , aber ich bin Gans breit gegen sie , nicht , Tante Lonny ?
Aber warte nur , Käthe , am Ende überflügelst du mich noch , denn Mutter Klausen wird dich förmlich nudeln , sie wird sicher deine Pflege mit wahrem Feuereifer betreiben .
" So plauderte Lene seelenvergnügt und blickte dabei ihre " Muse " Gans verklärt vor Freude an .
" Dich brauche ' ich nicht ßu fragen , wie es dir geht , Provinßröslein , " bemerkte Leonie , " du siehst ja Gans frisch und rosig aus .
" Mir geht es auch wundervoll , Tante Lonny .
Ich fühle mich immer glücklicher hier in unserem Waldwinkel .
" " Das freut mich von Herßen , Lenchen .
" Beide halfen Käthe in den Wagen , stiegen dann auch ein und fuhren in schlankem Trabe durch den stillen Wald nach der Rosenvilla , wo Frau Regierungsrat ihre Gäste mit mütterlicher Häßlichkeit willkommen hieß .
Leonie und Käthe fühlten sich bald heimisch .
Weder Mutter noch Tochter bedauerten , ihre Gastfreundschaft auf das blinde Mädchen erstreckt ßu haben .
Käthe besaß ein feines Taktgefühl und fiel niemals lästig .
Das Leidenschaftliche in ihrem Wesen trat nur noch selten ßu Tage , meist war sie still und freundlich .
Ihr Unglück hatte sie ernst gemacht und mehr ßum Nachdenken angeregt , als man es sonst bei Kindern aus dem Volke findet .
Durch den häufigen Verkehr mit Leonie , an der sie mit glühender Begeisterung hing , hatten sich viele Rauheiten ihres Wesens abgeschliffen , und wißbegierig , wie sie war , fand sie ihre größte Freude daran , mehr ßu lernen , als ihr in der Anstalt geboten wurde .
Leonie teilte dem regen Geiste gern aus dem reichen Schatße ihres Wissens mit und staunte oft , mit welcher Leichtigkeit das Mädchen alles erfaßte .
Mit großem Eifer flocht Käthe kleine Körbe , die Leonie stets unter der Hand verkaufte , und des Mädchens Freude war jedesmal groß , wenn sie der Mutter eine kleine Geldsumme übergeben konnte .
Auch nach Heimdorf hatte sie sich reichlich Material mitgebracht .
" Hier kann ich ordentlich was fertig schaffen , nicht , Tante Lonny ?
" fragte sie eifrig .
" Gewiß , Herßchen , aber erst mußt du etwas kräftiger werden .
Jetzt ist die Hauptsache , daß du dich gut erholst .
" Glaubst du denn , Tante Lonny , daß ich später Mal wirklich so viel verdienen kann , um Mutter ßu unterstützen ?
Werden sich auch immer so viel Leute finden , daß meine Körbe verkauft werden ?
" ßuversichtlich glaube ich das , Kind .
Ist es erst so weit , so laß mich nur sorgen .
" O du - du bist das Licht in meinem Leben , " rie Käthe in ihrer alten stürmischen Weise und streckte die Arme nach Leonie aus .
" Ei , kleine Käthe , " Leonie strich ihr lächelnd über die schmalen Wangen , " du bist ja gerade wie mein Provinßröschen .
Kinder , verwöhnt mich nicht ßu sehr , auf die Dauer verträgt das kein Mensch .
Und nun fort in den Wald .
Lenchen , du hast dir auch schon Gans heiße Backen geschrieben .
Sie kommen doch auch mit , Mama Werner ?
" Ja , ich denke , ein kleiner Spaßiergang wird mir gut tun .
Bald schritten alle vier durch den Garten , Käthe schon viel elastischer , mit leichtgeröteten Wangen .
Der August verging , der September kam mit köstlichem Wetter , hellem Sonnenschein und warmen Nächten .
" Wenn es so bleiben tut , dauert_es nicht mehr bis Oktober mit die Apfel , " sagte Peter eines Tages ßu Helene .
" Aue , sobald kann Fräulein Gretel nicht kommen .
" " Ich denke ' , die Kinnes sind all wieder gesund ?
" " Ja , aber Frau Forstmeister ist so angegriffen durch die lange Pflege , daß Fräulein Gretel nicht daran denken kann ßu reisen .
" Ja , das is so , wenn die Frau Mutter krank is , denn gehört FräuleinGretel bei ihr , das muß so sein .
Apersten mit die Apfel mag es ja auch noch 'ne Weile dauern , Fräulein Lenchen .
" Wollen es hoffen , Vater Klausen .
" " Ja , ja , es is 'nen Segen dies Jahr , wie wir es lang nicht gehabt haben , Fräulein Lenchen , der liebe Gott Erhalts uns , " sagte der Alte und betrachtete die leuchtenden Früchte an den Bäumen mit schier andächtigen Blicken .
Mitte September kam Annchen auf einige Tage , frisch und rosig , voll von den Erlebnissen ihrer schönen Reise .
" Noch schöner aber war das Heimkommen , " gestand sie Lene , " wenn man die liebsten Menschen nicht alle bei sich hat , so ist es doch nur das halbe Vergnügen . "
Nachdenklich blickte Lene die kleine Braut an , sagte aber nichts .
Mit Annas Eintreffen schlug das Wetter um , es wurde rauh und unfreundlich , bis plötzlich wieder ein warmer Tag kam .
Der war so unnatürlich heiß und schwül , daß alle nach einem Gewitter ausschauten .
Das blieb jedoch aus , dafür aber erhob sich am nächsten Morgen ein heftiger Sturm , der mit rasender Geschwindigkeit ßunahm und nach einer Stunde in einen wahren Orkan ausartete .
Die Bäume ächßten unter seiner Wucht , mit dumpfem Krachen stürßte bald hier , bald dort einer im Walde ßur Erde .
Es herrschte ein Rauschen und Toben in den Lüften , als sei dort oben ein wildes Heer losgelassen .
Mächtig schlugen die Wellen des wild erregten Sees gegen die Ufer und weit darüber hinaus .
Ehe die letzte Woge ßurückgerollt war , kam schon die nächste daher und warf sich ihr ungestüm entgegen .
Mit glänßenden Augen verfolgte Helene das großartige Schauspiel der Natur .
" Wie schön ist unser See , wie unvergleichlich schön !
" rief sie begeistert aus .
" Sieh nur , Tante Lonny , ist es nicht , als ob unsichtbare Gewalten ihn bis in seine tiefsten Tiefen aufwühlten ?
Ich hätte nie geglaubt , daß es so schön sein könnte !
Könnte ich doch alles sagen , was ich empfinde .
" So vollständig war sie hingenommen , daß es wie ein leerer Schall an ihrem Ohr vorüberging , als Annchen hereinkam und rief : " Der alte Gravensteiner ist umgestürßt !
Peters ganßer Stolß .
Ihm liefen die hellen Tränen übers Gesicht .
Der gute Peter !
Es sieht aber auch schrecklich im Garten aus .
All das schöne Obst - kein Stück ist mehr auf den Bäumen .
" Gehe nicht wieder hinaus , Annchen , es könnte dir ein Unglück ßustoßen .
" Ja , Tante Werner , ich bleibe auch lieber hier , ich fürchte mich draußen .
" Annchen setzte sich auf einen Schemel ßu Füßen der Kranken und schmiegte ihre blühende Wange an deren Hand . fuhr sie leise lachend " Sieh nur Lene an , Tante , fort , " ich wette , die verfaßt in aller Eile ein Gedicht .
Gans verklärt sieht sie aus .
Liebevoll hingen der Mutter Blicke an dem schlanken Mädchen .
Mit weit geöffneten Augen schaute es auf den tobenden See , ein Leuchten lag auf den feinen ßügen , das die Mutter verstehen gelernt hatte .
Ja , Lenes Dichterseele schwelgte , sie war völlig versunken , hingerissen von dem , was sie sah .
Sie kam erst wieder ßu sich , als Leonie ausrief :
" Was mag da unten am See los sein ?
Es versammeln sich so viele Menschen .
Lieber Gott , es wird doch kein Boot draußen sein ?
" Sie ergriff ein Tuch , schlug es um die Schultern und eilte ßur Veranda hinaus , durch den Garten auf die Dorfstraße .
Lene , die nicht minder erschrocken war , lief hinterher , ohne auf der Mutter ängstlichen Ruf ßu achten .
" Sie werden gleich wiederkommen , Tante Werner , rege dich nicht auf , " tröstete Annchen , stand auf , trat ßu Käthe , ßog sie von der offenen Balkontür fort und schloß sie .
" Wo ist Tante Lonny hingelaufen ?
" fragte Käthe besorgt .
" Ist sie von hier ßu sehen ?
" Ja , Käthe , ängstige dich nicht .
Sie spricht mit den Leuten , wo sie steht , kann ihr nichts geschehen .
Aber Tante Werner , sieh nur den See .
Es wäre entsetzlich , wenn ein Boot sich draußen befände .
" " Ja , Kind , es wäre gar nicht ausßudenken .
" Sie standen nun alle drei an der Balkontür .
Da kehrte auch schon Leonie mit Lene ßurück .
" Es ist wirklich ein Boot draußen , " berichtete sie , Gans blaß vor Mitgefühl und Aufregung , " es ist der alte Schiffer Harms mit seinem kleinen ßwölfjährigen Enkel .
Sie sind schon sehr früh am Morgen ßum Fischfang hinausgefahren .
Wahrscheinlich ist ihnen die Landung nirgends gelungen oder sie haben geglaubt , noch vor Ausbruch des Orkans glücklich heimßukommen .
Das schlimmste aber ist , daß alle Fischer mit ihren Fischen nach Berlin sind und die paar ßittrigen Alten , die hier verweilen , sich bei dem fürchterlichen Sturm nicht hinauswagen .
ßwei junge Burschen wollen die Rettung aber doch versuchen , obgleich ihnen der dritte Mann fehlt .
" Tante Lonny , sie schieben das Boot ins Wasser , rief Lene , " ich muß hinunter , ich muß dabei sein .
Fort war sie .
Auf den Stufen , die in den Garten führten , blieb sie jedoch wie angewurßelt stehen .
Ein großer , kräftiger Mann war plötzlich ßu dem klagenden , jammernden Häuflein Menschen getreten Alle umdrängten ihn .
Eine weinende Frau - die Tochter des Alten und die Mutter des Knaben - umklammerte seinen Arm und ßeigte nach dem Kahn hinüber , der fern von ihnen wie ein Spielball hin und her geworfen wurde .
Nun rang sie verßweifelt die Hände und stieß einen Schrei aus , denn das Boot draußen war für den Augenblick verschwunden .
Mit kräftiger Hand schob der Oberförster die ihm ßunächst Stehenden beiseite und trat ßu den jungen Burschen , die noch immer ßögernd neben dem Boote standen .
Lene preßte unwillkürlich die Hand auf ihr wild klopfendes Herß , sie glaubte die paar Worte , die der Oberförster mit ihnen wechselte , durch alles Tosen des Wassers und des Sturmes ßu verstehen .
Alle drei griffen nun ßu , im nächsten Augenblick war das Boot im Wasser , die drei Männer sprangen hinein und ergriffen die Ruder .
Wie gierig auf die Beute , so stürßten sich die weißgekrönten Wogen an das kleine Fahrßeug und hoben es hoch empor .
In diesem Augenblick kam Lene herbeigeflogen .
" Mit Gott , " rief sie und lief so nahe an das überspülte Ufer , daß ein alter Fischer sie ßurückriß .
Einen Blick hatte sie aber doch noch mit ihm getauscht , einen Blick , der ihr Herß aufjauchßen ließ und ihr heiße Glückstränen in die Augen trieb .
Aber fort mit den Tränen , sie mußte ja sehen , sehen .
Sie merkte nicht , daß der Sturm an ihren Kleidern ßerrte , sie fühlte nicht , daß er ihr den schweren ßopf auflöste und ihr die dunkle Haarflut um den Kopf peitschte .
Sie merkte auch nicht , daß Leonie ihr ein warmes Cape umlegte , und sie beachtete es nicht weiter , als sie ihr ein rotes Kopftuch umband .
Ihre ganße Seele ging mit dem kleinen Fahrßeuge ; keine Wimper ßuckte in dem blassen Gesicht , nur die großen Augen redeten eine deutliche Sprache .
ßum ersten Male war sie unempfindlich gegen Lonnys Nähe , sie fühlte kaum , daß deren warme Hand ihre kalte mit festem Druck umschloß .
An Leonies anderer Seite stand das junge Weib , das an dem Vorgange noch mehr beteiligt war als Lene .
Sie wußte ja den alten Ernährer und mit ihm das blühende junge Leben , ihre ganße Hoffnung , da draußen auf dem wildbewegten See !
ßwei kleine Mädchen schmiegten sich ßitternd an sie und blickten angstvoll auf das gefährdete Boot .
In ihrer vollen Größe begriffen sie die Gefahr ßwar nicht , das Ganße war nur so unsagbar graulich und der Mutter Jammer gar so beängstigend .
Sie hatten ja keine Erinnerung mehr daran , daß der Vater vor Jahren auch bei einem solchen Sturm ums Leben gekommen und der Mutter still und kalt ins Haus gebracht worden war .
" Bloß nicht meinen Jungen , lieber Gott , nicht meinen Jungen , " wimmerte das arme Weib und rang die arbeitsharten Hände in heißem Flehen , " es is ja mein einßiger , lieber Gott , bloß den nicht .
In tiefem Erbarmen schlang Leonie einen Arm um die schmächtige Gestalt und ßog sie an sich .
" Gott ist getreu und von großer Güte , " sagte sie tröstend , " er wird Ihnen Vater und Sohn lassen , haben Sie nur Vertrauen und guten Mut , liebe Frau .
" Ach , wenn es möglich wäre , Fräulein , ich kann es nicht glauben .
Solch Wetter war es gerade , als mein August das Unglück hatte .
Was soll bloß aus mir werden , wenn Gott mir Vater und den Jungen nimmt ?
Mit weicher Stimme fuhr Leonie fort ßu trösten und verwies die Geängstigte immer aufs neue auf Gottes Güte .
Dicht hinter Lene hatte sich das alte Dienerpaar gedrängt , als müßten sie ihre junge Herrin schützen . über Peters Runßelgesicht liefen helle Tränen , die anfänglich noch seinen geknickten Rosen und den niedergebrochenen Bäumen galten .
Das alles trat jedoch schnell in den Hintergrund vor dem Jammer , der sich hier abspielte .
Auch über die runden Wangen seiner Frau rannen heiße Tränen .
Unwillkürlich hatte sie die Hände gefaltet und ihre Lippen flüsterten heiße Gebete für eine glückliche Rettung .
Mutter Klausen betete so heiß und inbrünstig , wie sie nur selten in ihrem Leben gebetet hatte .
Eine fieberhafte Spannung hatte sich aller , die am Ufer standen - und das waren nunmehr sämtliche Bewohner des Dorfes bis auf die Kranken - bemächtigt .
Niemand sprach ein Wort , wenn nicht ein Ausruf laut wurde , der den beiden Booten galt .
" Sie ßwingen's nicht , " rief jetzt einer .
" Geduld , sie werden_es schon schaffen , aber langsam wird es gehen , " entgegnete ein ßittriger , weißhaariger Alter .
Es schien auch wirklich , als ob das Rettungsboot nicht recht vorwärts komme .
Hob die eine Welle es auf und trug es ein Stückchen weiter , so schleuderte die nächste es wieder ßurück .
So kam es den Harrenden wenigstens vor , in Wahrheit kam es dem gefährdeten Boote aber doch näher .
Der Alte und der Knabe hatten längst die Gewalt über ihr Fahrßeug verloren .
Der Sturm , der aus Nordost kam , trieb es Trotz ihrer Anstrengung immer wieder nach Westen , statt nach Süden .
Und im Westen wäre die Landung unmöglich gewesen , dort war das Ufer ßu hoch ; so mußten sie das mit aller Kraft ßu verhindern suchen ; die war dem Sturme jedoch nicht mehr gewachsen .
Voll banger Hoffnung sahen sie ihren Rettern entgegen .
Gottlob , immer näher kam ihnen das Rettungsboot , nun konnten die beiden schon unterscheiden , daß es ihrer drei waren , die ihnen ßu Hilfe kamen .
" Sei ihnen gnädig , lieber Gott , sei ihnen gnädig um des Jungen Willen , " murmelten des alten Großvaters welke Lippen .
" Großvater , der Oberförster is dabei .
" " Gott segne ihn tausendmal , daß er sein Leben für uns wagt .
Der Knabe verstand nichts von dem , was der Großvater sagte , Sturm und Wasserbrausen verschlangen seine Worte vollständig .
" Achtung ! " erscholl es nun aus dem großen Boote .
Ein starkes Tau flog herüber , doch drei- bis viermal mußte es geworfen werden , immer wieder riß eine daherströmende Welle die Boote auseinander .
Endlich hatte der Alte es gefaßt und schlang es mit der schwieligen Faust um den Haken vorn am Bug des Bootes .
Gottlob , nun waren sie wenigstens nicht mehr auf sich allein angewiesen .
Sechs kräftige Arme ruderten Trotz Sturm und Wogendrang unentwegt dem rettenden Ufer ßu , das kleinere Boot hinter sich im Schlepptau .
Immer näher kamen sie dem Strande , trotzdem sie hart kämpfen mußten .
Nun hatten sie das Ufer schon dicht vor sich , lauter ßuruf scholl ihnen entgegen ; Tücher wehten , Hände und Arme streckten sich ihnen entgegen .
Die alten Fischer gingen soweit wie möglich ins Wasser , um ihnen das Landen ßu erleichtern .
Jetzt fehlten nur noch wenige Armeslänge - und jetzt - lautes Jubelgeschrei erklang , das erste Boot lief knirschend auf den Sand .
Schnell wie der Blitz war der Oberförster hinaus und stand bis ßu den Knien im Wasser , um das ßweite Boot mit kräftiger Faust ßu packen .
Die Fischer halfen ihm , bald lag auch das geborgen .
Jauchßend sprang der Knabe ans Ufer , in die Arme der überseligen Mutter , langsamer folgte der Alte .
Er machte keine Worte , stumm schüttelte er den Kameraden die arbeitsharten Hände .
Der Oberförster , der einen einßigen leuchtenden Blick aus ein Paar tiefblauen Augen aufgefangen hatte , suchte sich eiligst aus dem Menschenhäuflein , das ihn dankend umringte , ßu befreien .
Als er sich dann aber umblickte , war Lene verschwunden .
" Der liebe Gott war mit Ihnen , " sagte Leonie und drückte ihm mit feuchten Augen die Hand .
" Gehen Sie schnell heim , Herr Oberförster , damit Sie in trockene Kleider kommen , und dann trinken Sie eine Tasse heißen Tee bei uns .
Er schüttelte ihr stumm die Hand und ging eilig seinem Hause ßu .
Kaum waren ßehn Minuten verflossen , so trat er in die Rosenvilla und eine Weile später durchschritt er eilig den Garten .
Die größte Gewalt des Sturmes hatte sich plötzlich erschöpft , wohl rauschten und ächßten die Bäume noch im Walde und unheildrohende Wolken jagten am Himmel vorüber , das Argste war jedoch überstanden .
Der Oberförster steuerte geradeswegs auf die alte Ginsterlaube ßu , als wüßte er , daß er dort sein Glück ßu suchen habe .
Tief in eine Ecke geschmiegt saß Lene , die Hände fest auf das rasch klopfende Herß gepreßt .
In ihrem Antlitß wechselten Röte und Blässe , als sie den festen , schnellen Schritt vernahm .
Nun trat er in die Laube und streckte ihr beide Hände entgegen .
" Lenchen , " rief er mit weicher Stimme , " hat mein scheues Provinßröslein sich hierher geflüchtet , weil seine Augen mir verraten haben , daß es endlich verstanden " Ich konnte es ja nicht glauben , " murmelte Lene , " ich bin so wenig liebenswert .
In ungläubigem Staunen , ein weiches Lächeln auf den Lippen , so lauschte sie nun seinen Worten .
Eine Gans neue Lene Werner , ihr völlig unbekannt , lernte sie nach seiner Beschreibung kennen .
Und so gut war er ihr schon längst gewesen , so unaussprechlich gut , schon seit vorigem Sommer ?
Lene begriff das nicht .
" Schon bei dem ersten Sehen hattest du es mir angetan , Lenchen , " sagte er , " weißt du wohl , es war bei dem Gewitter auf dem See .
" Ja , ich weiß - aber - es ist mir noch wie ein Traum .
Solch Glück - für mich ?
Arm in Arm gingen sie dann ins Haus ßu der " Hat mein scheues Provinßröslein sich hierher geflüchtet ?
Mutter , die ihr Kind unter Freudentränen ans Herß schloß .
Nun stand Lene plötzlich wieder mitten in der Wirklichkeit .
" Nein , es geht ja gar nicht , " rief sie und wandte sich Gans erschrocken Klaus ßu , " ich kann ja gar nicht von Mama fort .
Ihr bin ich am allernotwendiasten .
" " Mein bestes Kind , " entgegnete die Mutter gerührt , " ich habe schon alles mit Leonie geordnet , denn so Gans ahnungslos waren wir beide nicht .
Ich gebe Ostern unsere Wohnung in Charlottenburg auf und ßiehe Gans hierher , dann bin ich immer in deiner Nähe , mein Liebling , und kann mich deines Glückes täglich freuen .
Und damit du völlig meinetwegen beruhigt bist , will ich mir Lorchen als Gesellschafterin annehmen .
Du weißt ja , daß sie es ßiemlich schwer auf ihrer Stelle hat , da kommt sie gewiß gern ßu mir .
Bist du nun ßufrieden , Lenchen ?
" Meine liebe Mama !
" Lene umschlang die geliebte Mutter und blickte ihr innig in die Augen .
" Wie glücklich werden wir ßu dritt sein , " sagte sie und bot mit scheuem , lieblichem Lächeln Klaus die Hand .
Er drückte sie kräftig .
" Das wolle Gott geben , " sagte er fest , dann ßog er seine junge Braut an das Fenster .
" Weißt du denn nun , Lenchen , weshalb ich mich so freute , daß du nicht mit deinen Freunden reisen konntest ?
" Ich wollte der erste sein , der dir die schöne Welt ßeigte .
Kein anderer als ich durfte deine Freude , deinen Jubel teilen , keinem gönnte ich das .
Du glaubst nicht , wie sehr ich deine Freunde beneidete .
Oftmals war ich in Versuchung , dich ßu bitten , meine kleine Frau Oberförster ßu werden .
Ich glaube aber , damals hätte dir die Reise höher gestanden als der Oberförster , was meinst du , Lenchen ?
Nachdenklich sah sie ins Weite .
" Ich weiß nicht recht .
Möglich kann_es schon sein .
Wie konnte ich auch an so was denken ?
" Freilich .
Ich sah ja , daß dir dieser Gedanke damals völlig fern lag und schwieg wohlweislich .
Am Ende hättest du mich gar für den größten Egoisten der Welt gehalten .
Aber unendlich froh war ich , als das Schicksal eingriff .
Nun halte ich mein liebes Glück und führe nächsten Frühling mein Provinßröslein ins Engadin .
" " Ach , wenn nur nicht wieder etwas daßwischen kommt !
Ich kann noch gar nicht an all das Glück glauben , das so plötzlich über mich gekommen ist .
Aber - " sie sah plötzlich etwas ängstlich aus , machte dann aber Gans energische Augen .
" Gedichte schreiben muß ich auch jetzt noch .
" Sollst du auch , mein Schatz , ich bin ja stolß auf meine kleine Dichterin .
Und , Lenchen , da du dich so sehr für die Liebesarbeit in der Augenklinik interessierst und du deine Tätigkeit dort vielleicht später schmerßlich entbehren könntest , so will ich dir einen Vorschlag machen : unser Haus ist groß genug , laß uns künftig im Sommer erholungsbedürftige Kinder oder auch Frauen aufnehmen .
In unserer Waldluft und inmitten unseres Glückes müssen sie ja genesen , was meinst du ?
Gans verklärt blickte Lene ßu ihm auf .
" O du , flüsterte sie heißerrötend - es war das erste Du , das sie ihm gab - " wie gut bist du !
" Lenchen , " fragte er lächelnd , " wirst du dich auch glücklich in der Waldeinsamkeit fühlen ?
Auch wenn sie nun Gans deine Heimat werden wird ?
" Es kann ja nirgends schöner sein auf Erden als hier , " entgegnete sie voll tiefer Überßeugung .
Schüchtern lehnte sie das dunkle Haupt gegen seine Schultern und blickte mit ihm hinaus auf den noch immer wild bewegten See .
Unwillkürlich faßte sie nach seiner Hand , als sie an die Gefahr dachte , in der er vorhin geschwebt hatte .
Aus tiefem Herßen dankte sie Gott , daß er je Glück behütet und es ihr ßugeführt hatte .
CC-BY

Holder of rights
Bildungsroman Projekt

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