ERSTES KAPITEL Möhrings wohnten Georgenstraße 19 dicht an der Friedrichsstraße .
Wirt war Rechnungsrat Schultze , der in der Gründerzeit mit dreihundert Talern spekuliert und in zwei Jahren ein Vermögen erworben hatte .
Wenn er jetzt an seinem Ministerium vorüberging , sah er immer lächelnd hinauf und sagte : " Geo 'n Morgen , Exzellenz Gott , Exzellenz . "
Wenn Exzellenz fiel , und alle Welt wunderte sich , daß er noch nicht gefallen sei , so stand er , wie Schultze gern sagte , vis-a- vis de rien , höchstens Oberpräsident in Danzig .
Da war er besser dran , er hatte fünf Häuser , und das in der Georgenstraße war beinahe schon ein Palais , vorn kleine Balkone von Eisen mit Vergoldung .
Was anscheinend fehlte , waren Keller und natürlich auch Kellerwohnungen , statt dessen lagen kleine Läden , ein Vorkostladen , ein Barbier- , ein Optikus- und ein Schirmladen in gleicher Höhe mit dem Straßenzug , wodurch die darüber gelegene Wirtswohnung jenen a-deux-mains-Charakterjenen a-deux-mains-Charakter : jenen Doppelcharakter , jenes ungewisse Aussehen ( bei dem man zweifelt , ob es sich um Parterre oder ersten Stock handelt ) so vieler neuer Berliner Häuser erhielt .
War es Hochparterre oder war es eine Treppe hoch .
Auf Schulze Karte stand : Georgenstraße 19 I , was jeder gelten ließ mit Ausnahme Möhrings , die , je nachdem diese Frage entschieden wurde , drei oder vier Treppen hoch wohnten , was neben der gesellschaftlichen auch eine gewisse praktische Bedeutung für sie hatte .
Möhrings waren nur zwei Personen , Mutter und Tochter ; der Vater , Buchhalter in einem Kleider-Exportgeschäft , war schon sieben Jahre tot und war am Palmesonnabend gestorben , einen Tag vor Mathildes Einsegnung .
Der Geistliche hatte daraufhin eine Bemerkung gemacht , die bei Mutter und Tochter noch fortlebte .
Ebenso das letzte Wort , das Möhring Vater an seine Tochter gerichtet hatte :
" Mathilde , halte dich proper . "
Pastor Neuschmidt , dem es gesagt wurde , war der Meinung , der Sterbende habe es moralisch gemeint , Schultzes , die auch davon gehört hatten und neben dem Geld- und Rechnungsrat-Hochmut natürlich auch noch den Wirtshochmut hatten , bestritten dies aber und brachten das Wort einfach in Zusammenhäng mit dem Kleider-Exportgeschäft , in dem sich der Gedankengang des Alten bewegt habe ; es solle soviel heißen wie :
" Kleider machen Leute " .
Damals waren Möhrings eben erst eingezogen , und Schultze sah den Tod des alten Möhring , der übrigens erst Mitte vierzig war , ungern .
Als man den Sarg auf den Wagen setzte , stand er am Fenster und sagte zu seiner hinter ihm stehenden Frau :
" Fatale Geschichte .
Die Leute haben natürlich nichts , und nun war vorgestern auch noch die Einsegnung .
Ich will dir sagen , Emma , wie es kommt , sie werden vermieten , und weil es eine Studentengegend ist , so werden sie es an einen Studenten vermieten , und wenn wir dann Mal spät nach Hause kommen , liegt er auf dem Flur , weil er die Treppe nicht hat finden können .
Ich bitte dich schon heute , erschrick nicht , wenn es vorkommt , und kriege nicht deinen Aufschrei . "
Als Schultze diesen Satz geendet , fuhr draußen der Wagen fort .
Die Befürchtungen Schulzen erfüllten sich und auch wieder nicht .
Allerdings wurde Witwe Möhring eine Zimmervermieterin , ihre Tochter aber hatte scharfe Augen und viel Menschenkenntnis , und so nahmen [ sie ] nur Leute ins Haus , die einen soliden Eindruck machten .
Selbst Schultze , der Kündigungsgedanken gehabt hatte , mußte das nach Jahr und Tag zugeben , bei welcher Gelegenheit er nicht unterließ , den Möhrings überhaupt ein glänzendes Zeugnis auszustellen .
" Wenn ich bedenke , Buchhalter in einer Schneiderei , und die Frau kann doch auch höchstens eine Müllertochter sein , so ist es erstaunlich .
Manierlich , bescheiden , gebildet .
Und das Mathildchen , sie muß nun wohl siebzehn sein , immer fleißig und grüßt sehr artig .
Ein sehr gebildetes Mädchen . "
Das war nun schon wieder sechs Jahr her , und Mathildchen war nun eine richtige Mathilde von dreiundzwanzig .
Das heißt , eine so ganz richtige Mathilde war sie doch nicht , dazu war sie zu hager und hatte einen griesen Teint .
Und auch das aschblonde Haar , das sie hatte , paßte nicht recht zu einer Mathilde .
Nur das Umsichtige , das Fleißige , das Praktische , das paßte zu dem Namen , den sie führte .
Schultze hatte sie auch Mal ein appetitliches Mädchen genannt .
Dies war richtig , wenn er sie mit dem verglich , was ihm an Weiblichkeit am nächsten stand , enthielt aber doch ein bestimmtes Maß von Übertreibung .
Mathilde hielt auf sich , das mit dem " proper " hatte sich ihr eingeprägt , aber sie war trotzdem nicht recht zum Anbeißen , was doch das eigentlich Appetitliche ist , sie war sauber , gut gekleidet und von energischem Ausdruck , aber ganz ohne Reiz .
Mitunter war es , als ob sie das selber wisse , und dann kam ihr ein gewisses Mißtrauen , nicht in ihre Klugheit und Vortrefflichkeit , aber in ihren Charme , und sie hätte dies Gefühl vielleicht großgezogen , wenn sie sich nicht in solchen kritischen Momenten eines unvergeßlichen Vorgangs entsonnen hätte .
Das war in Halensee gewesen an ihrem siebzehnten Geburtstag , den man mit einer unverheirateten Tante in Halensee gefeiert hatte .
Sie hatte sich in einiger Entfernung von der Kegelbahn aufgestellt und sah immer das Bahnbrett hinunter , um zu sehen , wieviel Kegel die Kugel nehmen würde , da hörte sie ganz deutlich , daß einer der Kegelspieler sagte :
" Sie hat ein Gemmengesicht " .
Von diesem Worte lebte sie seitdem .
Wenn sie sich vor den alten Stehspiegel stellte , dessen Mittellinie ihr gerade über die Brust lief , stellte sie sich zuletzt immer en profil und fand dann das Wort des Hallenser Kegelschützen bestätigt .
Und durfte es auch ; sie hatte wirklich ein Gemmengesicht , und auf ihre Photographie hin hätte sich jeder in sie verlieben können , aber mit dem edlen Profil schloß [ es ] auch ab , die dünnen Lippen , das spärlich angeklebte , aschgraue Haar , das zu klein gebliebene Ohr , daran allerhand zu fehlen schien , alles nahm dem Ganzen jeden sinnlichen Zauber , und am nüchternsten wirkten die wasserblauen Augen .
Sie hatten einen Glanz , aber einen ganz prosaischen , und wenn man früher von einem Silberblick sprach , so konnte man hier von einem Blechblick sprechen .
Ihre Chancen auf Liebe waren nicht groß , wenn sich nicht jemand fand , dem das Profil über alles ging .
Sie hatte deshalb auch den gebildeten Satz akzeptiert und operierte gern damit :
" In der Kunst entscheidet die Reinheit der Linie " .
Rechnungsrat Schultze hatte sich anfangs durch diesen Satz blenden lassen .
Als er ihn aber nochmals gehört hatte , merkte er die Absicht und wurde verstimmt und sagte zu seiner Frau : " Ich bin mehr fürs Runde " .
Das tat der Rechnungsrätin wohl , denn es war das einzige , was sie hatte .
ZWEITES KAPITEL Die Sonne schien , und eine milde Luft ging , und jeder , der in die Georgenstraße einbog und die Bäume sah , die hier und da noch ihre vollbelaubten Zweige über einen Bretterzaun streckten , hätte auf Anfang September raten müssen , wenn nicht vor mehreren Häusern und auch vor dem Rechnungsrat Schultzeschen Hause ein großer Riesenwagen gestanden hätte mit einem Leinwandbehang und der Inschrift Möbel-Transport von Fittichen , Mauerstraße 17 .
Die Seitenwände mehrerer auseinandergenommener Bettstellen waren schräg an den Wagen gelegt , und auf dem Straßendamm stand ein Korb mit Küchengeschirr und an den Korb gelehnt ein Bild in Barockrahmen : hohes gepudertes Toupet und geblümtes Mieder , soweit sich davon sprechen ließ , denn das wichtigste Stück , soweit die Dezenz in Betracht kam , hatte der Maler zu malen unterlassen und der sich darin bergenden Natur freien Lauf gelassen .
Alles in allem , es war Ziehzeit , also nicht Anfang September , sondern Anfang Oktober , Ziehzeit , wodurch die Georgenstraße sehr gewann ; solchen Wagen und solch Porträt sah man in der Georgenstraße nicht alle Tage , weshalb etliche Menschen und eine ganze Anzahl Kinder den Wagen und das Bild umstanden .
Unter denen , die das Bild mit Interesse musterten , war auch ein junger Mann von etwa sechsundzwanzig .
Sein Alter zu bestimmen war nicht leicht , weil zwischen dem Ausdruck seines Gesichts und seinem schwarzen Vollbart ein Mißverhältnis war , der Ausdruck war jugendlich , der Bart plädierte für Mann in besten Jahren .
Aber der Bart hatte Unrecht , er war erst sechsundzwanzig , etwas über mittelgroß , breitschultrig , Figur und Bart nach ein Mann und überhaupt so recht das , was gewöhnliche Menschen einen schönen Mann nennen .
Er hätte sich sehen lassen können .
Als er mit seiner Musterung des Bildes fertig war , nahm er seine eigentliche Aufgabe wieder auf und begann über den Straßendamm weg die an der anderen Straßenseite stehenden Häuser zu mustern Er war nämlich auf der Wohnungssuche .
Die Götter waren mit ihm , und kaum daß sich sein Blick auf das Haus gegenüber gerichtet hatte , so las er auch schon an einem über der Haustür angebrachten Zettel :
" Drei Treppen hoch links ein elegant möbliertes Zimmer zu vermieten . "
Er nickte , wie wenn er zu sich selbst sagte : " Scheint mir ; hier will ich Hütten baun . "
Und gleich danach ging er über den Damm und stieg die drei Treppen hinauf ; oben angekommen , war er ein wenig unwirsch , daß es eigentlich vier waren .
Er klingelte und hatte nicht lange zu warten ; Frau Möhring öffnete .
" Ist es bei Ihnen ? "
" Wegen des Zimmers ?
Ja , das ist hier .
Wenn Sie sich_es ansehen wollen ... "
" Ich bitte darum . "
Und nun trat Frau Möhring in ein einfenstriges Mittelzimmer zurück , das als Entree für rechts und links diente und drin nichts stand als ein einreihig besetzter Bücherschrank mit einem Vogelbauer darauf .
Der im Sommer gestorbene Zeisig war noch nicht wieder ersetzt worden .
Sonst nur noch zwei Stühle und ein weißer Leinwandstreifen als Läufer und am Fenster eine Aralia mit einer kleinen Gießkanne daneben .
Alles dürftig , aber sehr sauber .
Und nun öffnete Frau Möhring die Tür , die rechts nach dem zu vermietenden Zimmer führte .
Hierher hatten sich alle Anstrengungen konzentriert :
ein etwas eingesessenes Sofa mit rotem Plüschüberzug und ohne Antimakassar , Visitenkartenschale , der Große Kurfürst bei Fehrbellin und das Bett von schwarz gebeiztem Holz mit einer aus Seidenstückchen zusammengenähten Steppdecke .
Die Wasserkaraffe auf einem großen Glasteller , so daß es immer klapperte .
Der schöne Mann mit dem Vollbart sah sich um , und wahrnehmend , daß die beiden Dinge fehlten , gegen die er eine tiefe Aversion hatte , Öldruckbilder und Antimakassars , war er sofort geneigt zu mieten , vorausgesetzt , daß er Aussicht hatte , für seine kleinen Bequemlichkeiten seitens der Wirtin gesorgt zu sehen .
Gegen den bescheiden bemessenen Preis hatte er keine Einwendungen zu erheben , Portierfrage , Hausschlüssel , alles war geregelt , und er fragte eben nach dem Hausschlüssel , als Mathilde Möhring vom Entree her eintrat .
" Meine Tochter " , sagte Frau Möhring , und Mathilde und der schöne Mann begrüßten sich und musterten einander , sie eindringlich , er oberflächlich .
" Ich nehme an , daß ich die Kleinigkeiten , die man so braucht , ohne viel Umstände zu machen , haben kann : Frühstück , Kaffee und Mal ein Ei , Tee , Sodawasser , ich brauche viel Sodawasser und dem ähnliches . "
Mathilde , die wie selbstverständlich das Wort nahm , versicherte , daß man das alles im Hause habe und daß von Umstände keine Rede sein könne .
So was gehöre ja wie mit dazu , das Haus sei ruhig und anständig , ohne Musik , der Wirt , ein sehr liebenswürdiger Herr , nähme keinen ins Haus , der Klavier spiele .
" Das trifft sich gut " , lächelte der mit dem Vollbart .
" Nun , im Laufe des Tages komme ich noch mit heran und bringe Ihnen bestimmten Bescheid . "
Und bei diesen Worten nahm er wieder seinen breitkrempigen Hut aus weichem Filz und empfahl sich von Mutter und Tochter .
Mathilde begleitete ihn bis an die Flurtür .
Als sie wieder zurückkam , hatte sich die Mutter auf das Plüschsofa gesetzt , was sie für gewöhnlich ungern tat , und strich über ein kleines seidenes Rollkissen hin , drauf gelbe Sterne aufgenäht waren .
" Nun , Thilde , was meinst du .
Die Stube steht nun schon seit den Ferien leer .
Es wird Zeit , daß wir einen Mieter finden .
Er will sich noch besinnen und uns dann einen bestimmten Bescheid bringen .
Das ist so Rückzug ; das sagen alle die , die nicht wiederkommen wollen . "
" Der kommt wieder . "
" Ja , Thilde , woher weißt du das ?
Dann hätte er doch gleich mieten können . "
" Freilich .
Das hätte er gekonnt , aber so einer sagt nie gleich ja , der besinnt sich immer .
Das heißt , eigentlich besinnt er sich nicht , er schiebt nur so bloß ein bißchen raus , gleich ja oder nein sagen , das können nicht viele , und der schon gewiß nicht "
" Gott , Thilde , du sagst das alles so hin wie_es Evangelium und weißt doch eigentlich gar nichts . "
" Nein , alles weiß ich nicht , aber manches weiß ich Und wenn ich sage : » Mutter , so und so « , dann ist es auch so .
Der kommt wieder . "
" Ja , Kind , warum soll er wiederkommen ? "
" Weil er bequem ist , weil er keinen Muck hat , weil er ein Schlappier ist . "
" Ach , Thilde , sage doch nur nicht immer so was .
Du hast so viele Wörter , die du nicht in den Mund nehmen solltest . "
" Ja , Mutter , warum nicht ? "
" Weil es dir den Ruf verdirbt . "
" Ach , was Ruf .
Mein Ruf ist ganz gut und muß auch ; ich weiß , wo Bartel Most holt , und weil ich es weiß , paß ich auf .
Ich passe ganz schmählich auf .
Mir soll keiner kommen .
Und was die paar Redensarten sind , na , Mutter , die laß man ruhig .
Da halte ich mich dran fest , die tuen mir wohl , und wenn ich so höre , daß einer immer so fromm und faul darum rumgeht , da wird mir ganz schlimm . "
" Ganz schlimm .
Das ist nun auch wieder so .
Na , rede , wie du willst , ändern kann ich dich doch nicht , du hast immer deinen Willen gehabt von klein an , und Vater hat immer gesagt : » laß man ; die wird gut , die frißt sich durch . «
Ja , das hat er gesagt , aber wenn es man wahr ist .
Und warum hat er denn keinen Muck ?
Ich meine den Herrn , von dem du sagst , er wird schon wiederkommen .
Und warum wird er denn wiederkommen ? "
" Du siehst auch gar nichts , Mutter .
Hast du denn nicht seine Augen gesehen ?
Und den schwarzen Vollbart und or'ntlich ein bißchen kraus .
Soviel mußt du doch wissen , mit solchen ist nie was los .
Ich will dir was sagen , so ganz hat es ihm nicht gefallen , aber es hat ihm auch nicht mißfallen , und weil Wohnungsuchen und Treppensteigen langweilig ist und einem Mühe macht , so denkt er bei sich : Gott , eine Wohnung ist wie die andere .
Und ruhig ist es und kein Klavier da und die bunte Steppdecke ... warum soll ich da nicht mieten .
Und ich will dir auch sagen , wie er nun seine Zeit hinbringt , von Suchen und Sichumtun ist keine Rede , dazu ist er viel zu bequem .
Er ist nun hier rübergegangen nach dem Bahnhof , da ißt er ein deutsches Beefsteak oder vielleicht auch bloß eine Jauerscheeine Jauersche :
Die berühmten Jauerschen Würstchen kamen aus Jauer ( heute Jawor ) an der Wütenden Neiße . und trinkt ein Kulmbacher .
Und dann geht er noch in Café Bauer , und wenn ihm das schon zu unbequem ist , denn er geniert sich nicht gern und sitzt nicht gerne gerade , was man da doch muß , dann geht er nach den Zeltennach den Zelten : Schon im 18. Jahrhundert gab es im Tiergarten die Zelte , eine Gruppe von drei Speise- und Bierwirtschaften an der Spree , die in zeltförmigen Gebäuden untergebracht waren .
Die Gartenlokale gehörten lange Zeit zu den beliebtesten Ausflugszielen der Berliner und wurden auch später , als der Tiergarten längst Teil der Stadt geworden war , gern besucht . und trinkt seinen Kaffee und sieht zu , wie sie Skat spielen oder Schach , und lacht so ganz still vor sich hin , wenn ein reicher Budiker mit seinem Wagen vorfährt und seinem Pferd ein Seidel geben läßt .
Und wenn er damit fertig ist , dann schlendert er so durch den Tiergarten hin bis an den Schiffbauerdamm ran , und dann kommt er über die Brücke und steigt die drei Treppen rauf und mietet .
Ich will keinen Zeisig mehr im Bauer haben , wenn es nicht so kommt , wie ich sage . "
Mathilde behielt recht .
Ob der Mann mit dem Vollbart in den Zelten gewesen war , entzieht sich der Feststellung , aber so viel steht fest , daß er zwischen fünf und sechs wieder oben bei Möhrings war und mietete .
" Meine Sachen stehen noch auf dem Bahnhof hier drüben .
Hier ist meine Karte .
Sie können vielleicht jemand rüberschicken und sagen lassen , daß ein Kofferträger oder ein Dienstmann sie rüberbringt .
Ich will noch einen Freund besuchen , und wenn ich wiederkomme , hoffe ich alles vorzufinden . "
Frau Möhring versprach alles .
Als er fort [ war ] , sagte Mathilde : " Siehst du , Mutter .
Wer hat recht ?
Du wirst auch noch hören , daß er in den Zelten war . "
DRITTES KAPITEL Die Sachen kamen , ein Koffer und eine große Kiste , und als Mutter und Tochter die Kiste bis dicht ans Fenster geschoben , den Koffer aber auf einen Kofferständer gestellt hatten , zogen sie sich in ihr an der linken Seite des Entrees gelegenes Wohnzimmer zurück .
Es sah sehr ordentlich darin aus und auch nicht ärmlich .
Vor dem hochlehnigen Kissensofa lag ein Teppich , Rosenmuster , und neben dem Stehspiegel mit dem Riß in der Mitte standen zwei Ständer , in die Blumentöpfe , ein roter und ein weißer Geranium , gesetzt waren .
Auf einem Mahagonischrank stand ein Makart-BouquetMakart-Bouquet : ein Strauß von getrockneten Blumen , Gräsern , Schilf und Palmenzweigen , der ein beliebter Ziergegenstand in der » guten Stube « der Gründerzeit war .
Benannt nach dem österreichischen Maler Hans Makart ( 1840-1884 ) ; dessen schwülstig-pathetische Bilder dem Geschmack der Gründerjahre entsprachen . , neben dem Schrank eine Hänge-Etagere mit einer geschweiften Perlenstickerei .
Der weiße Ofen war blank , die Messingtür noch blanker , und zwischen Ofen und Tür an einer Längswand , dem invaliden Sofa gegenüber , stand eine Chaiselongue , die vor kurzem erst auf der Auktion eines kleinen Gesandten erstanden war und nun das Schmuckstück der Wohnung bildete .
Daneben ein ganz kleiner Tisch mit einer Pendeluhr darauf , die einen merkwürdig lauten Schlag hatte .
Mathilde stellte sich vor den Spiegel , um sich den Scheitel etwas glattzustreichen , denn ihr Haar war sehr dünn und hatte eine Neigung , sich in Streifen zu teilen , Mutter Möhring aber setzte sich auf das Sofa , gerade aufrecht , und sah nach der Wand gegenüber , wo ein Pifferaropifferaro :
Die Pifferari , italienische Hirten aus den Abruzzen , zogen zur Weihnachtszeit in malerischem Aufzug nach Rom und musizierten mit Dudelsack und Schalmei ( Piffera ) vor den Madonnenbildern .
Auch Bezeichnung für einen Straßensänger . auf einem Felsen saß und , seinen Dudelsack blasend , einfältig und glücklich in die Welt sah .
Mathilde sah im Spiegel , wie die Mutter so steif und aufrecht dasaß , und sagte , ohne sich umzudrehn :
" Warum sitzt du nun wieder auf dem harten Sofa und kannst dich nicht anlehnen .
Wozu haben wir denn die Chaiselongue ? "
" Na , doch nicht dazu . "
" Freilich dazu .
Freilich , und war noch dazu gar kein Geld .
Und nun denkst du gleich , du ruinierst es und sitzt ein Loch hinein .
Ich habe es mir gespart und habe mich gefreut , als ich dir_es aufbaun konnte . "
" Ja , ja , Thilde , du meinst es gut . "
" Und Rückenschmerzen hast du immer und klagst in einem fort .
Und doch willst du nicht drauf liegen .
Und wenn du noch recht hättest .
Aber es ruiniert nicht , und wovon sollt es auch , du wiegst ja keine hundert Pfund . "
" Doch , Thilde , doch . "
" Und wenn auch ; je eher das Ding eine kleine Sitzkute hat , desto besser ; so steht es bloß da wie geliehen und als graulten wir uns , uns draufzusetzen .
Und so schlimm ist es doch nicht , wir haben ja doch unser Auskommen und bezahlen unsere Miete mit_dem Glockenschlag .
Also warum machst du dir es nicht bequem .
Und dann sieht es auch besser aus , wenn man so sieht , es ist in Dienst .
Der Spiegel ist alt , und das Sofa ist alt , und da darf die Chaiselongue nicht so neu sein .
Das paßt nicht , das stört , das ist Gens Ensemble . "
" Gott , Thilde , sage nur nicht so was Franzö'sches ; ich weiß dann immer nicht recht .
Zu meiner Zeit , da war das alles noch nicht so , und mein Vater wollte von Schule nichts wissen .
Na , du weißt ja .
Wohin man kuckt , immer hapert es .
Sieh Mal hier seine Karte .
Hugo Großmann .
Na , das verstehe ich , aber nun kommt sein Titel oder was er ist , und da weiß ich nicht , was soll das heißen Cand. jur. ? "
" Das heißt , daß er Kandidat ist . "
" Soso , na , das ist gut , dann ist es ein Prediger oder wird einer . "
" Nein , dieser nicht .
Dieser is bloß ein Rechtskandidat .
Das heißt soviel als wie , er hat ausstudiert und muß nun sein Examen machen , und wenn er das gemacht hat , dann ist er ein Referendar .
Er Ticktakt jetzt so hin und her zwischen Student und Referendar . "
" Na , wenn er nur bleibt .
Glaubst du , daß er bleibt ? "
" Natürlich bleibt er . "
" Ja , du bist immer so sicher , Thilde .
Woraus willst du wissen , daß er bleibt ? "
" Ach , Mutter , du siehst auch gar nichts .
Wo der Mal sitzt , da sitzt er .
Der ist bequem .
Und ehe der wieder auszieht , da muß es schon schlimm kommen .
Und schlimm kommt es bei uns nicht .
Wir sind artig und manierlich und immer gefällig und laufen alle Gänge und sehen bloß , was wir sehen wollen . "
" Glaubst du , daß er ... "
" I , Gott bewahre .
Der is wie Gold .
Mit dem kann man drei Tage und drei Nächte fahren .
Einen so Anständigen haben wir noch gar nicht gehabt .
Und dann mußt du bedenken , er is vorm Examen , und wir haben kein Klavierspiel .
Auf dem Hof das bißchen Leierkasten , das hört er nicht .
Und ich will dir noch mehr sagen , Mutter ; der bleibt nicht bloß , der bleibt auch lange .
Denn sehr anstrengen wird er sich nicht .
Er sieht so recht aus wie » Kommst du heute nicht , so kommst du morgen . «
Und vielleicht morgen auch noch nicht . "
Hugo Großmann , der noch keine Schlüssel hatte , war drei Minuten vor zehn nach Hause gekommen und [ hatte ] für alles , was ihm noch angeboten wurde , gedankt ; er sei sehr müde , vorige Nacht unterwegs , und sei auch noch soviel anderes .
Mutter Möhring , die sich noch einen Augenblick im Entree zu schaffen machte , hörte noch , daß er das Streichhölzchen strich , und sah den Lichtschimmer , der gleich danach unter der Tür weg bis in das Entree fiel .
Dann hörte sie , daß er sich die Stiefel mit einem raschen Ruck auszog , wie einer , der schnell ins Bett will , und keine Minute mehr , so war es wieder dunkel .
Der nächste Tag war so schön wie der vorige .
Möhrings waren Frühauf , und heute waren sie schon um sechs auf , weil sie doch nicht wissen konnten , ob ihr Mieter nicht ein Frühauf sei .
" Ich glaube nicht , daß er ein Frühauf ist " , sagte Mathilde , " aber man kann doch nicht wissen .
Und in der ersten Nacht schlafen viele so unruhig . "
Es war wohl schon acht , als Mathilde das aussprach und hinzusetzte :
" Du sollst sehen , Mutter , der hat einen Bärenschlaf .
Um den brauchst du dir die Nacht nicht um die Ohren zu schlagen , und von Weckeraufziehen is nun schon gar keine Rede mehr .
Na , mir recht .
Wenn erst Winter ist , Schlaf ich auch gern aus und warte lieber mit meinem Kaffee .
Bloß , daß man um acht die ausgesuchten Semmeln kriegt . "
Unter diesen Worten stand sie auf und sah nach der kleinen Pendeluhr .
Es war schon ein paar Minuten über halb neun .
" Mutter , ich werde doch wohl klopfen müssen .
Ich hatte ihn so auf neun Stunden taxiert , aber nun ist es schon zehn und eine halbe .
Was meinst du ? "
" Versteht sich ; es kann ihm ja auch was passiert sein . "
" Gewiß , kann .
Aber es wird wohl nicht . "
Um ein Uhr trat der neue Mieter bei Möhrings ein und sagte , daß er nun zu Tisch wolle ; sie brauchten sich in seinem Zimmer nicht zu übereilen , er werde vor sieben nicht wieder dasein .
Und wenn wer käme , möchten sie sagen , " um acht " .
Damit empfahl er sich sehr artig , und als er aus dem Hause trat , sahen ihm Mutter und Tochter vom Entreefenster aus nach .
Als sie das Fenster wieder geschlossen hatten , sagte die Mutter :
" Es ist eigentlich ein sehr hübscher Mensch .
Ich wundre mich nur , daß er noch so ein halber Student ist .
Am Ende irrst du dich doch , Thilde .
Er muß doch nah an dreißig sein . "
" Ja , du hast recht , Mutter , er sieht so aus .
Das macht der schwarze Vollbart , und weil er so breit ist .
Aber glaube mir , er ist nicht älter als sechsundzwanzig .
Und der Vollbart ist es auch nicht Mal .
Er ist bloß faul und hat kein Feuer im Leibe .
Das sieht denn so aus , als ob einer alt wäre , bloß weil er schläfrig ist Und sentimental ist er auch . "
" Ja , das wird er wohl " , sagte die alte Möhring , aber doch so , daß man hören konnte , sie dachte sich nichts bei " sentimental " und wollte bloß nicht widersprechen .
Eine Stunde später hatte Mathilde das Zimmer zurechtgemacht , während die Mutter sich in der Küche beschäftigte .
Man war übereingekommen , sich jeder ein Setzei zu spendieren , dazu Bratkartoffeln .
Als der Tisch gedeckt und zu den Bratkartoffeln ein Extra von zwei Setzeiern aufgetragen war , war auch die Tochter mit dem Zurechtmachen des Zimmers fertig , und Mutter und Tochter setzten sich .
" Bist du zufrieden , Thilde ? " sagte die Alte und wies auf zwei Setzeier , die sie zu Ehren des Tages spendiert hatte .
" Ja " , sagte Thilde , " ich bin zufrieden , wenn du sie beide ißt und wenn ich sehe , daß sie dir schmecken .
Denn du gönnst dir nie was , und davon magerst du auch so ab .
Kartoffeln ist was ganz Gutes , aber viel Kraft gibt es nicht .
So ängstlich is es ja auch gar nicht mit uns , wir haben ja das Sparkassenbuch .
Ich werde dich nun wieder besser verpflegen , und wenn wir gegessen haben , gieße ich dir eine Tasse Tee auf .
Er hat nicht Mal seinen Zucker verbraucht und auch nicht weggepackt .
Man sieht an allem , daß er ein anständiger Mensch ist .
Aber nun nimm , Mutter . "
Und sie legte der Alten vor und patschelte ihr die Hand .
" Ja , du bist gut , Thilde .
Wenn du nur einen guten Mann kriegtest . "
" Ach , laß doch . "
" Ich denke immer daran .
Und warum auch nicht ?
Wie du da vorhin vor dem Spiegel standst : von der Seite bist du ganz hübsch . "
" Ach laß doch , Mutter .
Das mit dem Gemmengesicht mag ja wahr sein , und ich glaube selbst , daß es wahr ist Aber ich kann doch nicht immer von der Seite stehen . "
" Brauchst du auch nicht .
Und dann am Ende , du hast die gute Schule gehabt und die guten Zeugnisse , un wenn dein Vater länger gelebt hätte , wärst du jetzt Lehrerin , wie du_es wolltest .
Manche sind so sehr fürs Gebildete .
Wie hast du es denn drüben bei ihm gefunden ?
Alles in Ordnung ? alles anständig ?
Ein ganz Armer kann es nicht sein .
Ein ganzlederner Koffer beinahe ohne Holz und Pappe ; das haben immer bloß solche , die guter Leute Kind sind . "
" Ganz recht , Mutter , das stimmt .
Da sind wir Mal einig .
Und so ist es auch mit ihm .
Guter Leute Kind .
Auf der Kommode lagen noch die Schnupftücher und die wollenen Strümpfe .
Nun , du mußt es dir nachher ansehn , alle ganz gleich gezeichnet und auch die Strümpfe und nicht mit Wolle gezeichnet , alle mit rotem Zeichengarn .
Er muß eine sehr ordentliche Mutter haben oder Schwester , denn ein anderer macht es nicht so genau .
Und die Stiefel auch in Ordnung .
Er muß aus einer guten Ledergegend sein , das sieht man an allem , und hat auch eine Juchtenbriefmappe , schön gepreßt , ich rieche Juchten so gern .
Und die Bücher alle sehr gut eingebunden , fast zu gut , und sehen auch alle so sonntäglich aus , als ob sie nicht viel gebraucht wären , nur sein Schiller steckt voller Leseeichen und Eselsohren .
Du glaubst gar nicht , was er da alles hineingelegt hat , Briefmarkenränder und Zwirnsfaden und abgerissene Kalenderblätter .
Und dann hat er englische Bücher dastehen , das heißt übersetzte , die muß er noch mehr gelesen haben , da sind so viele Ausrufungszeichen und Kaffeeflecke , und an mancher Stelle steht " famos " oder " großartig " oder irgend so was .
Aber nun werde ich dir den Tee aufbrühen .
Du hast doch noch kochend Wasser ? "
" Versteht sich , kochend Wasser is immer ... "
Und damit ging Thilde und kam nach einer Minute mit einem Tablett zurück .
Es war dasselbe Tablett und dieselbe Teekanne , daraus der Mieter seinen Morgentee genossen hatte .
" Das ist ein rechtes Glück , daß er Tee trinkt " , sagte Thilde und goß der Mutter und dann sich selbst eine Tasse von dem Neuaufguß ein .
" Kaffee , das schmeckt dann immer nach Trichter .
Aber von Tee schmeckt das zweite eigentlich am besten . "
Und während sie das sagte , zerbrach sie zwei Zuckerstückchen in viele kleine Teile und schob das Schälchen der Mutter hin .
" Nimm doch auch , Thilde . "
" Nein , Mutter .
Ich mag nicht Zucker .
Aber du bist für süß .
Und nimm nur immer ein bißchen in den Mund .
Ich freue mich , wenn es dir schmeckt und wenn du wieder dick und fett wirst . "
" Ja " , lachte die Alte .
" Du meinst es gut .
Aber dick und fett .
Gott , Thilde , wo soll das herkommen ? "
VIERTES KAPITEL Um sieben war Hugo Großmann zurück .
Er traf Thilde im Entree .
" War wer da , Fräulein ? "
" Ja , ein Herr .
Er kam um die fünfte Stunde .
Und ich sagte ihm , daß Sie um acht wieder dasein wollten .
Da wollt er wiederkommen " " Gut .
Und hat er nicht seinen Namen gesagt ? "
" Ja doch .
Von Rybinski , glaube ich . "
" Ah , Rybinski .
Nun , das ist gut . "
Und acht war kaum vorüber , so klingelte es auch , und Rybinski war wieder da und wurde hineingeführt .
" Guten Tag , Großmann . "
" Tag , Rybinski .
Bedaure , daß du mich verfehltest .
Aber nimm Platz .
Nachmittags bin ich immer unterwegs . "
" Weiß " , sagte Rybinski und schob einen Stuhl an das Sofa .
" Käpernick !Fritz Käpernick : gest. 1887 , hatte durch seine Wett- und Dauerläufe in den achtziger Jahren Aufsehen erregt .
Wird denn diese Dauerläuferei nicht Mal ein Ende nehmen ?
Paßt doch eigentlich nicht zu dir .
Du hast entschieden mehr vom Siebenschläfer als vom Landbriefträger .
Also warum pendelst du zwischen Grunewald und Wilmersdorf immer hin und her ?
Oder hast du jetzt eine andere Pendelbewegung ? "
" Muß sich erst herausstellen , Freund .
Ich bin ja erst gute vierundzwanzig Stunden hier , gestern früh angekommen , hier drüben Friedrichsstraße .
Gott sei Dank , daß ich wieder da bin , und auch wieder nicht , Owinsk ist ein Nest , natürlich , und wenn man aufgestanden ist , kann man auch schon wieder zu Bette gehen , und dazu die ewige Klagerei von Mutter und Schwester und keine Spur Verständnis für ein Buch oder ein Bild , und wenn ein Tanzbär auf den Markt kommt , dann ist es , als ob die Waltercharlotte Wolter : 1834-1897 , wirkte seit 1862 als tragische Heldin am Wiener Burgtheater .
Sie wurde als eine der bedeutendsten Schauspielerinnen ihrer Zeit verehrt . gastierte ...
Na , das alles is nicht gerade mein Geschmack .
Aber ein Gutes hat solch Nest doch , man hat Muße , man kann seinen paar Gedanken nachhängen , wenn man welche hat , und die Büffelei hat ein Ende .
Ach , Rybinski , das geht nun wieder los .
Wie steht es denn mit dir ?
Wenn ich dich so ansehe mit deiner Polenmütze , nimm mir nicht übel , es sieht so 'n bißchen theaterhaft aus , und deinen Stiefeln über der Hose - du siehst mir auch nicht aus , als kommst du recte vom Repetitorium . "
" Welche feine Fühlung du hast , Großmann .
Recte vom Repetitorium ; nein .
Aber was von recte ist auch dabei ; recte vom Galgen ... "
" Wie Roller ? "
Rybinski nickte .
" Ach , mache keinen Unsinn , Rybinski .
Was meinst du ? "
" Was ich meine , davon später .
Erzähle mir erst ein Wort von dir und von den Owinskern .
Hast du zufällig meinen Onkel gesehen ?
Er kommt ja dann und wann in die Stadt , bei Pferdemarkt oder wenn er Geld braucht .
Auf meinen letzten Brief hat er nicht geantwortet ; es wird wohl gerade Ebbe bei ihm gewesen sein .
Und dein Vater ?
Woran starb er denn eigentlich ?
Er kann ja noch keine Sechzig gewesen sein .
Und wie steht es mit dem Vermögen ?
Es hieß immer , er hätte was . "
" Ja , so heißt es immer , und wenn Gott den Schaden besieht ist nichts da .
Da war eine Kiste , so eine Art ArnheimArnheim : Geldschrank ( nach der damals berühmten Berliner Tresorfirma S. J. Arnheim ; seit 1833 ) . , in seinem Büro , die wir immer mit Respekt betrachteten , weil wir uns alle sagten , da liegt es drin .
Und nun denke dir , was wir nachher gefunden haben . "
" Nun , die Hälfte . "
" Ja , proste Mahlzeit ; eine Zereviskappe , ein Kommersbuch und ein Paar hohe Jagdstiefeln , gelbes Leder , genau wie wenn er sie von Wallenstein hätte . "
" War er denn ein Nimrod ... ? Übrigens könntest du mir erst eine Zigarre geben .
Ich sah da eine kleine Kiste ; sie enttäuscht mich hoffentlich nicht so wie dich die große Erbkiste .
Ja , war er denn solch Jäger vor dem Herrn ? "
" I Gott bewahre .
Dazu war er viel zu bequem und fror immer .
Er wird wohl , als er eben Bürgermeister geworden war , Mal eine Jagd mitgemacht haben , aber als ich so_ein halbwachsener Junge war , so kurz vorher , ehe wir nach Inowroclaw aufs Gymnasium kamen , fuhr er immer bloß raus , wenn das Getafel beim Oberförster oder beim Amtsrat losging .
Und einmal war es beim Torf-Inspektor , das weiß ich noch genau . "
" Und dabei war dein Vater doch eigentlich ein famoser Knopp . "
" Ja , das war er . "
" Eigentlich forscher als du . "
" Na , wie man_es nehmen will .
So im meisten sind wir uns gleich .
Fürs Repetieren war er auch nie .
Darin mögen wir uns wohl gleich sein , und als er den Referendar hinter sich hatte , schnappte er ab und sagte :
» Zweimal Fall ich durch und denn Assessor mit Ach und Krach und 800 Taler .
Nein , da lieber Bürgermeister in Owinsk . «
Und verlobt war er ja auch schon lange . "
" Ja sieh , Hugo , das ist eben , was ich das Forsche nenne .
Es war doch ein Entschluß , und seine Familie war doch gewiß dagegen und wollte einen Minister aus ihm backen .
Unterm Minister tun es die guten Kleinstädter nicht , die bei der bekannten Glücksjagd , zu der wir uns alle geladen glauben , bloß den Kirchturm mit dem goldenen Hahn sehen und nicht wissen , wie weit es ist und wieviel Gräben unterwegs , um reinzufallen .
Ich bin für die , die abspringen . "
" Du meinst so im allgemeinen , so theoretisch . "
" Nein , ganz praktisch .
Du mußt mir eine Photographie von deinem Vater schenken ; den sehe ich mir dann an , so vorbildlich . "
" Aber Hans , du willst doch nicht auch Bürgermeister werden .
Und bist ja auch noch vorm Referendar ; mein Vater hatte doch die halbe Quälerei hinter sich .
Sie nehmen jetzt nicht all und jeden , und Referendar ist das wenigste .
Und du siehst mir nicht aus , als ob du in meiner Abwesenheit und sozusagen hinter meinem Rücken den Referendar gemacht hättest und nun bloß kamst , um dich mir in deiner neuen Würde vorzustellen .
Aber verzeih , ich werde uns drüben erst ein bißchen Abendbrot bestellen , was man in einer Chambre garnie so Abendbrot nennt .
Ein Glück , daß die Menschen den Schweizerkäse erfunden haben .
Und soll ich Tee bestellen oder Grog ? "
" Im allgemeinen bin ich für das Übergehn aus dem einen in den anderen , man hat das Spiel ja dabei so hübsch in der Hand , vorausgesetzt , daß einen die Flasche nicht im Stich läßt .
Aber heute laß es gut sein , Hugo .
Sparen wir uns das Gelage für eine große Gelegenheit . "
" Examen ? "
" Das ist zu unsicher , erst an sich , das heißt , ob wir bis dahin kommen , und dann in seinem Resultat .
Nein , wenn ich von Aufsparen und großer Gelegenheit spreche , so habe ich was anderes im Sinn und meine meinen ersten Abend . "
" Ich kann dir nicht folgen , Hans .
Es ist lächerlich zu sagen , aber du bist so mystisch ; erst recte vom Galgen und die Zusage späterer Rätsel-Lösung und nun erster Abend ... "
" Ich habe doch deine Fassungskraft überschätzt , was übrigens nach Ansicht einiger eine ganz untergeordnete Gabe sein soll , vielleicht in Zusammenhäng mit Logik und Mathematik .
Alle Logiker verstehen gar nichts .
Aber wundern muß ich mich doch .
Zu was sind wir denn um den Königsplatz ungezählte Male herumgelaufen , links den Mond und rechts Kroll und die kleine F. , und haben unter Verwerfung aller bisherigen Hamlet-Auffassungen einer neuen , tieferen nachgeforscht ? um was habe ich meine Parallelen gezogen zwischen Amalie und Adelheid von Runeck , zwischen der Milford und der Eboli - wenn du schließlich nicht einmal verstehen willst , wenn ich von meinem ersten Abend spreche .
Also rundheraus , ich spreche von meinem ersten »Räuber«-Abend .
Kosinsky .
Die Geschichte mit dem Repetitorium wurde mir zu langweilig .
Und wenn man den guten Ausgang noch sicher hätte .
Kurzum , ich bin zu DeichmannFriedrich Wilhelm Deichmann : 1821 bis 1875 , hatte von 1850 bis 1872 das ( 1848 gegründete ) Friedrich-Wilhelm-Städtische Theater in der Schumannstraße geleitet , das wegen seiner Operetteninszenierungen außerordentlich beliebt war . gegangen .
Heute war die dritte Probe mit mir , KraußneckArthur Kraußneck : 1856-1941 , Schauspieler , wirkte seit 1884 in Berlin .
Er spielte zunächst im Deutschen Theater , später im Berliner Theater und seit 1897 im Königlichen Schauspielhaus . brillant als Roller , ich denke , daß ich über kurz oder lang auch ins Charakterfach überspringe .
Liebhaber ist bloß Durchgang . "
" Durchgang !
Und die » Räuber « !
Ist es möglich ?
Dann wird also in acht Tagen auf dem Zettel stehen Kosinsky - Herr Rybinski .
Oder willst du dein » von « beibehalten ? "
" Nein , man muß auch etwas für seine Familie tun .
Mein » von « wird gestrichen , wenigstens solange ich unberühmt bin ; nachher kann ich es wieder aufnehmen . "
" Rechnest du darauf ? "
" Natürlich rechne ich darauf .
Jeder rechnet darauf .
Garrick war ursprünglich auch von Adel .
Denkst du , daß er mit der ganzen Geschichte angefangen hätte , wenn er sich nicht gesagt hätte :
» Ruhm geht über Adel « . "
" Und das alles sagst du im Ernst ? "
" In vollem Ernst .
Und ich will dir auch noch mehr sagen und auch im Ernst .
In ganz kurzer Zeit kommst du zu mir und sagst mir :
» Rybinski , du hast recht gehabt , den ganzen Kram an den Nagel zu hängen .
Was meinst du , zu welcher Rolle paßte ich wohl ?
Dunois oder Karl Moor . «
Ich sage dir , du bist der geborene Karl Moor , und wenn du deinen Arm an die Eiche bindest , oder vielleicht auch , wenn du den Alten aus dem Turm holst , du mußt großartig sein . "
" So , meinst du ? "
" Du hast ganz das schwärmerisch Schwabblige , was dazugehört , und hast auch den Brustton der Überzeugung , wenn er sagt : » Diese Uhr nahm ich dem Minister . «
Es ist natürlich der Justizminister gewesen , und auf den wirst du bald ebenso schlecht zu sprechen sein wie ich .
Ich habe die Schiffe hinter mir verbrannt .
Alles im Leben ist bloß Frage der Courage . "
" Na , höre , Hans , es spielt doch noch manches andere mit . "
" Du meinst Liebe .
Damit komme mir nicht Larifari .
Manche sind so verrückt , und dir traue ich schon was zu ; wer soviel spazierenläuft und dieselbe Schwärmerei für Lenau wie für Zola hat ( was dir beiläufig erst einer nachmachen soll ) , der ist zu jedem Liebesunsinn fähig .
Es sieht dann auch aus wie Courage , ist aber das Gegenteil davon , blaß Schlapperei , Bequemlichkeit , Hausschlüsselfrage .
Hugo , sieh dich vor .
Aber soviel will ich dir schon heute sagen , wenn du dich normal entwickelst und nicht einen kolossalen Fauxpas machst und dich sozusagen normal und folgerichtig weiterentwickelst , so kommst du morgen da an , wo ich heute schon bin .
Und wenn du Referendar werden solltest , was vielleicht möglich , Assessor wirst du nie .
Laß doch die Einpaukerei .
Alles umsonst .
Ich kenne meine Pappenheimer . "
Indem klopfte es .
Großmann erhob sich und ging auf die Tür zu und öffnete .
Draußen stand Mathilde Möhring .
Sie müsse noch in die Stadt , und weil keiner da sei außer ihrer Mutter , wolle sie nur fragen , ob Herr Großmann noch irgendwas zu Abend beföhle .
" Danke , Fräulein Mathilde .
Herr von Rybinski hat alles abgelehnt .
Ich gehe noch in den » Franziskaner « hinüber .
Wenn Sie mir vielleicht eine Flasche Sodawasser hinstellen wollen . "
Als er seinen Platz wieder eingenommen hatte , sagte Rybinski :
" Dadurch wirst du dich auch nicht insinuieren .
Sodawasser .
Das trinkt doch bloß ein Philister . "
" Das ist erstlich noch sehr die Frage , denn es hängt viel davon ab , was man vorher getrunken hat , und dann will ich mich auch gar nicht insinuieren .
Frau Möhring ist eine PhilösePhilöse : in der Studentensprache :
( die wenig reizvolle ) Tochter der Zimmerwirtin . , und das Fräulein ist ihre Tochter .
Und da insinuieren .
So weit sind wir doch noch nicht runter .
Und man hat seinen Lenau doch nicht umsonst intus . "
" Grade das , gerade das .
Lyrik schützt vor Dummheit nicht .
» Auf dem Teich , dem regungslosen , weilt des Mondes holder Glanz « - es braucht bloß ein bißchen Mondschein , so verklärt sich alles , und der Teich kann auch 'ne Stubendiele sein . "
" Ich begreife dich nicht , Hans .
Und so ganz ohne Veranlassung . "
" Des Menschen Bestes sind Ahnungen .
Und sie hat solch Profil , Gemme , streng und edel und einen kleinen Fehler am Auge und aschblond .
» So schreiten keine irdischen Weiber , die zeugte kein sterblich Haus ... « "
" Unsinn .
Was soll das .
Eigentlich ist sie doch einfach eine komische Figur . "
" Sage das nicht .
So was rächt sich . "
" Ach was .
Alles Unsinn und Übermut .
Und nun laß uns gehen .
Wann ist denn eigentlich dein Debüt ? "
" Nächsten Dienstag .
Halte den Daumen .
Oder noch besser , komme und klatsche . "
FÜNFTES KAPITEL Die nächsten Tage vergingen ruhig .
Am Vormittag hatte Hugo sein Repetitorium , dann ging er zu Tisch , dann nach Wilmersdorf ; am Abend war er zu Haus , wenigstens meist , und war alles in allem ein Muster von Solidität Was Mathilde auffiel , war sein Studium .
Aus allem , was sie sah und auch aus Andeutungen von ihm selber hörte , ging hervor , daß er sich zu einem Examen vorbereitete , er steckte auch jeden Morgen , wenn er ausging , immer ein Buch oder ein Heft zu sich , trotzdem war ihr klar , daß , wenn er wieder zu Hause war , von Studien keine Rede war .
Auf einem am Fenster stehenden Stehpult , das er sich angeschafft hatte , lagen zwar ein paar dicke Bücher umher , aber sie hatten jeden Morgen eine dünne Staubdecke , Beweis genug , daß er sich den Abend über nicht damit beschäftigt hatte .
Was er las , waren Romane , besonders auch Stücke , von denen er jeden zweiten , dritten Tag mehrere nach Hause brachte ; es waren die kleinen Reclam-Bändchen , von denen immer mehrere auf dem Sofatisch lagen , eingeknifft und mit Zeichen oder auch mit Bleistiftstrichen versehen .
Mathilde konnte genau kontrollieren , was ihm gefallen oder seine Zweifel geweckt hatte , denn es kamen auch Stellen mit Ausrufungs- und selbst mit drei Fragezeichen vor .
Aber das waren doch nur wenige ; " Das Leben ein Traum " hatte die meisten Zeichen und Randglossen und schien ihn am meisten interessiert zu haben .
" Mutter " , sagte Thilde , " wenn da nicht ein Wunder geschieht , der macht es nie . "
" Was denn , Thilde ? "
" Na , das Examen . Uns kann es recht sein .
Je länger es dauert , je länger bleibt er .
Und wenn er es macht und durchfällt , so bleibt er auch .
Wohin soll er am Ende ?
Sehr viel Anhang scheint er nicht zu haben .
Selbst der Herr mit der Polnischen Mütze war noch nicht wieder da . "
Das hatte freilich seine Richtigkeit .
Rybinski war seit seinem ersten Besuche noch nicht wieder dagewesen , aber am Abend desselben Tages , wo Thilde Möhring diese Betrachtungen gemacht hatte , kam er und traf auch seinen Freund Hugo zu Haus .
" Endlich , Hugo .
Du wirst gedacht haben , ich hätte geschwindelt und das mit dem Kosinsky sei nur ein Ulk gewesen .
Aber ich sage dir , großer Ernst .
Eigentlich heißt es bitterer Ernst , aber dies Wort möchte ich begreiflicherweise vermeiden .
Man ist übrigens der Meinung , ich müsse gefallen , und einer sagte mir heute früh , » ich sei der geborene Kosinsky « .
Leider war es Spiegelberg , aber wie das immer ist , gerade dieser ist eine treue Seele .
Nun , morgen muß sich alles entscheiden .
Ich bringe dir hier Billetts , ein Parquet für dich und zwei zweiten Rang für deine Damen drüben , wenn sie auf diesen Namen hören , was mir allerdings zweifelhaft ist .
Ich hätte dir drei Parquets bringen können , aber ich dachte mir , beide so dicht bei dir könnte dich vielleicht genieren , namentlich die Alte , sie ist doch noch sehr Mutter aus dem Volk .
Und dann , offen gestanden , liegt mir und dem Direktor auch mehr am zweiten Rang ; im Parquet sitzt immer Kritik , und wenn sich da zwei solche Damen auf Enthusiasmus ausspielen , wird es lächerlich , aber im zweiten Rang , da geht alles , auf den zweiten Rang , wenn man ein bißchen aufpaßt , kann man sich verlassen .
Dein Platz unten ist Eckplatz , alles vorgesehn , aber ich finde , Hugo , du bist etwas nüchtern . "
" Nein , Hans , ich bin nur etwas benommen ; ich dachte nicht , daß du mir Wind vorgemacht hättest , ich dachte nur , es wäre was dazwischengekommen , weil es sich so hinzog ... "
" Ah , ich verstehe ; man hatte schließlich gemerkt , es ginge doch nicht , es sei nichts [ mit ] mir . "
" Du mußt nicht empfindlich sein , bist noch nicht aufgetreten und fängst schon damit an .
Aber das ist nur die Hälfte von dem , was ich eben dachte .
Das andere ist das mit den zwei Möhrings . "
" Aber , Herz , das ist ja leicht zu ändern , du kannst auch zwei Parquets haben . "
" Nein , das ist es nicht ; im Gegenteil , das mit dem zweiten Rang hast du dir gut ausgedacht und rücksichtsvoll gegen mich .
Es ist mit dem Mitnehmen überhaupt solche Sache , wenn wir auch verschiedene Plätze haben , das ist doch wie gesellschaftliche Gleichstellung , und wenn ich mit der Alten über den alten Moor spreche oder sie mit mir , denn ich werde nicht anfangen , so sind wir intim .
Und das geht doch nicht gut .
Und dann , was kann denn solche Frau sagen ?
Alles bringt nur in Verlegenheit . "
" Ach , Hugo , das ist ja lächerlich .
So viel mußt du doch wissen , daß überhaupt bloß Unsinn gesprochen wird . "
" Und dann muß ich sie doch hinbringen , und wenn es aus ist , muß ich sie wieder nach Hause begleiten . "
" Das sehe ich nicht ein .
Du machst ihnen ein Geschenk und läßt sie ihrer Wege gehen . "
" Gut , du sollst recht haben :
ich will es so machen .
Du siehst nun , warum ich so benommen war , was du nüchtern nanntest .
Von nüchtern keine Rede , eigentlich bin ich aufgeregt , wie wenn ich selber den Kosinsky spielen sollte . "
" Wer weiß , was kommt . "
Und damit brach der Freund wieder auf , weil er noch hunderterlei zu tun und zu bedenken habe .
" Bei Philippi sehen wir uns wieder .
Und ficht tapfer .
Unterlieg ich , so muß ich mich ins Schwert stürzen . "
" Verlange nur nicht , daß ich es halte . "
Rybinski war kaum fort , so ging Hugo zu den beiden Frauen hinüber , um ihnen die zwei Billetts zu bringen ; Parquet sei ausverkauft , das sei der Grund , daß sie sich trennen müßten , aber er werde immer hinaufsehn .
Mutter Möhring sagte gar nichts , Thilde aber fand sich leicht zurecht und sagte mit vielem Anstand und in ihrer ganzen Haltung wie verändert :
" Es sei sehr liebenswürdig , an sie zu denken , und sie empfänden es als eine große Ehre . "
" Ja " , sagte die Alte , das habe sie auch sagen wollen .
Und nachdem noch ein paar Fragen gestellt und hin und her komplimentiert worden war , ging Hugo wieder in sein Zimmer hinüber , während die Alte eine Fußbank an den Ofen schob und sich hinsetzte ; Thilde setzte sich aufs Sofa und schob die kleine Petroleumlampe so , daß sie daran vorbei zur Alten hinübersehen konnte .
" Was ich nur anziehe , Thilde ?
Das Schwarzseidene geht doch nicht mehr und war ja doch eigentlich auf Trauer gemacht .
Und wenn ich das rote Tuch drübernehme , dazu bin ich wieder zu alt . "
" Ach , Mutter , das laß nur gut sein .
Ich werde dich schon zurechtmachen , mit ein paar Schleifen zwingen wir es schon .
Es sieht einen ja doch keiner an .
Und wenn auch .
Die Haube ist für ' ne alte Frau immer die Hauptsache , und deine Haube ist noch ganz gut , ein bißchen tollen und aufplätten , und du siehst aus wie 'ne Gräfin . "
" Ach , Kind , rede doch nicht solch Zeug . "
" Na , ich sage dir , Mutter , das wollen wir schon kriegen .
Mit das bißchen Anziehn und Zurechtmachen , das is es nicht , ich habe Putzmachen gelernt und Blumenmachen auch und Klöppeln auch , und das müßte doch nicht mit rechten Dingen zugehn , wenn ich uns nicht Raustaffieren sollte .
Wundern soll er sich , wie du aussiehst , und wenn er uns nach dem Theater in ein Lokal führt ... "
" Ach Thilde , wie kannst du nur so was denken . "
" Na , wenn nicht , denn nicht .
Ich hänge nicht dran , es macht nur so einen Eindruck und sieht ein bißchen nach was aus und daß man doch auch mit zugehört . "
" Ja , ja ; das is schon recht . "
" Und weißt du , Mutter , was ich dir schon vor ein paar Tagen sagen wollte , wir wollen doch die alte Runtschen wieder ins Haus nehmen , das heißt immer bloß eine Stunde , daß sie drüben rein machen kann und alles einholen .
Ich bin ja nicht dagegen , und mir kommt es nicht drauf an .
Aber neulich hatte er was vergessen und kam gerade dazu , wie ich da bei all dem Planschen und Gießen war und der Blecheimer mitten in der Stube - da war es mir doch genierlich .
Und ich denke wirklich , wir nehmen die Runtschen .
Sie kann dann auch einholen , was wir brauchen . "
Die Mutter hatte kleine Bedenken und sagte : " Thilde , das läuft so ins Geld .
Und man weiß doch nicht , wenn er dann kündigt ... "
" Dann kündigen wir auch wieder .
Die Runtschen is ja ' ne vernünftige Frau .
Und dann , was heißt kündigen !
Glaube mir , der kündigt nicht . "
Der andere Tag war ein großer Tag .
Der Inhalt einer großen Pappschachtel , darin sich Bänder und alte Blumen befanden , war auf die Chaiselongue ausgeschüttet , damit man einen besseren Überblick hatte .
Der Alten war es nicht recht .
" Thilde , das fusselt alles so .
Und es ist doch unser Prachtstück .
Kind , Kind , wo soll es denn alles herkommen . "
Aber Thilde ließ sich nicht einschüchtern , und als sie gefunden hatte , was sie für sich und die Alte brauchte , war sie fleißig bei der Arbeit .
Dann wusch sie zwei Paar hellbraune Handschuh .
Es roch bis in Hugos Zimmer hinüber nach Brönner .
Dann wurde geplättet .
Thilde war in einer apart guten Laune .
" Sieh nur , wie er glüht . "
Und dann schlug sie den Schieber mit einem Feuerhaken zu .
" Hast du auch die Billett , Thilde " , das waren die letzten Worte , die vor Verlassung der Wohnung gesprochen wurden .
Ihr Mieter Hugo Großmann hatte sich den ganzen Tag nicht sehen lassen , wodurch er der Begleitungsfrage klug entgangen war .
Kosinsky war dreimal gerufen worden , und die Alte , die nicht klatschen wollte , hatte sich begnügt , dem Darsteller der Rolle zuzunicken , als er sich gerade nach der anderen Seite hin bedankte .
Dann sagte sie zu Thilde , während der Lärm noch fortdauerte :
" Er macht es recht gut , er hat soviel Anstand .
Es muß doch sehr schwer sein . "
" I Gott bewahre " , sagte Thilde , die sich ablehnend gegen alles verhielt , weil sie bemerkte , daß Hugo vermied , nach dem zweiten Range hinaufzusehn .
Einmal geschah es , und nun grüßte er auch , aber sehr steif und förmlich .
Sie legte sich es aber schließlich doch zum Guten zurecht , und als der große Traum kam und eben das weiße Haar in die Waagschale des Gerichts fiel , sagte sie sich :
Es ist ein gutes Zeichen , daß er nicht raussieht , weil er kein Leichtfuß ist und es ernst nimmt .
Er sagt sich , all so was hat eine Tragweite ... ja , von Tragweite hat er schon ein paarmal zu mir gesprochen ...
Und so ganz abgeschlossen hat er noch nicht ... er nimmt es nicht als Spaß . . .
Sie kam in ihren Betrachtungen nicht weiter , weil die Alte sagte : " Sieh doch Mal nach , Thilde , wer der alte Diener ist ; er zittert ja so furchtbar . "
" Ach , laß doch " , sagte Thilde und reichte der Alten die Tüte mit Drops zurück , die sie mitgenommenen hatte .
Seitens der Möhrings waren Mantel und Hut draußen abgegeben worden , Thilde hatte drauf bestanden .
" Mutter " , hatte sie gesagt , " du weißt doch , daß ich_es zusammenhalte .
Aber mitunter muß man , und mitunter ist Anständigkeit auch das klügste . "
" Na , wenn du meinst , Thilde .
Wir wollen es aber auf eine Nummer geben . "
Jetzt hatten sie sich eingemummelt und stiegen die Treppe hinunter .
Unten in der Vorhalle verweilte sich Thilde , weil sie es für möglich hielt , daß ihr Mieter an einer der Barren stehen und auf sie warten würde .
Aber er war nicht da .
Das gab eine neue Verstimmung , und einen Augenblick überkam die sonst unerschütterliche Thilde die Frage :
" Ob ich mich doch vielleicht irre ? "
Sie war aber , weil sie den Charakter ihres Mieters ganz genau zu kennen glaubte , von einem unvertilgbaren Optimismus oder Hoffnungsseligkeit und sagte sich :
er muß natürlich seinen Freund beglückwünschen , und er kann nicht an zwei Stellen zugleich sein .
Erst nach zehn waren sie zu Hause , was nichts schadete , da sie den Hausschlüssel mithatten .
" Siehst du , Thilde , wie gut " , sagte die Alte , als sie den Hausschlüssel aus ihrer Tasche hervorholte .
" Ach , Mutter , als ob ich nicht gewollt hätte .
Natürlich .
Ich dachte ja sogar , wir könnten erst um elf kommen . "
Auf der Treppe trafen sie den Portier , der eben das Gas ausmachte .
" Soll ja sehr schön gewesen sein " , sagte dieser .
" Gott , Krieghof , wissen Sie denn schon ? "
" Ja , meine Ida war auch da ; Ida ist immer da .
Sie kennt welche von's Theater . "
" Na , das ist recht " , sagte Thilde .
" Theater bildet . "
Und damit stiegen Mutter und Tochter höher die Treppe hinauf , während der Portier , in einem Anfall von Wohlwollen , ihnen noch eine halbe Treppe hinaufleuchtete .
Oben sagte Thilde : " Nun , Mutter , wollen wir uns einen Tee aufgießen und warten , bis er kommt .
Er wird uns wohl auch noch sehen wollen und hören , ob wir uns amüsiert haben . "
" Ach , Thilde , es war ja doch so graulich .
Der alte Mann .
Und wie er aussah , wie er da rauskam und der andere gleich rein .
Na , da fiel mir'n Stein vom Herzen .
Wenn ich mir denke , daß so einer noch frei rumliefe ... "
" Das kann er ja gar nicht , Mutter ; es ist ja schon so lange her .
Und dann is es ja doch auch bloß so was Ausgedachtes .
Du denkst immer , es ist wirklich so . "
" Ja , Kind , warum soll ich so was nicht denken .
Es gibt so viele schlechte Menschen ... "
" Ja , ja , erzähle nur nicht die Geschichte von dem Kürschnermeister in Treptow ; ich weiß ja , daß er seine Frau mit_dem Marderpelz erstickt hat .
Aber es gibt auch gute Menschen . "
" Ja , die gibt es auch .
Und ich glaube , unser Jetziger hier drüben ist ein guter Mensch . "
" Ja , das ist ein sehr guter .
Das heißt , wenn er so ist , wie ich ihn mir denke . "
" Du sagst ja immer , du bist so sicher . "
" Bin ich auch .
Bloß mitunter wird einem doch so bange .
Aber es geht gleich wieder vorüber . "
SECHSTES KAPITEL Die Möhrings hatten bis Mitternacht gewartet und den Tee schon zweimal wieder aufgegossen .
Als aber der Mieter noch immer nicht da war , sagte die Alte :
" Thilde , was sollen wir soviel Petroleum verbrennen ; nun kommt er nicht mehr .
Und wenn er kommt , wird er wohl auch nicht wollen , daß wir ihn so in seinem Zustand sehen .
Er wird wohl in Töpfers Hoteltöpfers Hotel : in der Karlstraße .
Das Hotel verfügte über einen Frühstückskeller , der vor allem von Künstlern besucht wurde . sitzen , im Keller unten , da sitzen sie immer . "
Danach waren sie zu Bett gegangen und lagen auch still und sprachen nicht .
Aber von Schlafen war keine Rede .
Thilde beschäftigte sich mit seiner Haltung während des ganzen Abends und dieser nächtlichen Kneiperei , die ganz jenseits ihrer Berechnungen lag , und die Alte war immer noch bei dem Stück .
Es schlug schon eins , als sie sich aufrichtete und leise sagte :
" Thilde , schläfst du schon ? "
" Nein , Mutter . "
" Das ist gut , Kind .
Mir ist so Angst .
Ob es von dem Tee is ?
Aber ich habe solch Herzschlagen und sehe immer den alten Mann ... "
" Ach laß doch den alten Mann , Mutter .
Der schläft nun schon zwei Stunden , und du mußt auch schlafen . "
" Und das einzige is , daß der Rotkopf ... "
" Ja , der hat nun seinen Denkzettel . "
" Und was wohl aus dem armen Wurm , dem Fräulein , geworden ist ?
Wie hieß sie doch ? "
" Amalie . "
" Richtig , Amalie .
Ja , die is doch nun so gut wie eine Waise .
Denn wenn sie den Alten auch wieder rausgeholt haben .
Lange kann er es doch nicht mehr machen . "
" Nein , das kann er nicht , Mutter .
Aber jetzt werde ich dir ein Glas Wasser holen , und dann legst du dich auf die andere Seite . "
" Na ja , ich werde bis hundert zählen . "
Es war darauf gerechnet , daß Hugo spät aufstehen würde , aber das Gegenteil geschah , er klingelte früher als gewöhnlich und mußte wohl zehn Minuten auf sein Frühstück warten .
Thilde wollte diese Verspätung entschuldigen ; er sagte aber , es hätte nichts zu sagen , er müsse sich entschuldigen ; um vier nach Hause kommen und um sieben Frühstück , das sei beinahe unnatürlich .
Ob es denn hübsch gewesen sei , das heißt , ob sie sich amüsiert hätten und ob ihnen Rybinski gefallen hätte .
Er wolle ausgehen und gleich nachsehn , ob er gelobt sei .
Daß sie nicht geklatscht hätten , sei sehr gut gewesen ; es falle auf und schade bloß und heiße dann in den Zeitungen , es sei alles Claque gewesen .
Übrigens hätte Rybinski ihm gesagt , er würde wieder Billetts schicken , wenn er in einer neuen Rolle aufträte .
Das sei in der nächsten Woche , da spiele er den Dunois , Bastard von Frankreich .
" Sie kennen die Rolle , Fräulein Thilde . "
" Ja , den Dunois kenne ich " , sagte sie mit Betonung des Namens , ohne weitere Zutat , um ihn auf diese Weise das Unpassende des " Bastard " fühlen zu lassen .
Zu dem Plan , den sie sich ausgedacht hatte , gehörte durchaus Tugend .
Sie hielt es deshalb , um ihrer Reprimande noch mehr Nachdruck zu geben , auch für angezeigt , das Gespräch abzubrechen , so schwer es ihr wurde .
Als sie wieder drüben in ihrem Zimmer war , fand sie die Runtschen vor , die nicht durch das Entree , sondern durch die Küche gekommen war .
Sie sah aus wie gewöhnlich , Kiepenhut und eine schwarze Klappe über dem linken Auge .
" Ah , guten Tag , Frau Runtschen .
Na , das ist gut , daß Sie da sind .
Hat Ihnen Mutter schon gesagt ... ? "
" Ja , Tildchen , Mutter hat mir schon gesagt , daß wieder ein Herr da ist und daß ich rein machen und einholen soll .
Aber wann muß es denn sein ?
Von sieben bis acht bin ich drüben bei Hauptmann Petermann und von acht bis neun bei Kulickes unten . "
" Das paßt sehr gut .
Neun bis zehn ist die beste Zeit oder noch ein bißchen später .
Um die Zeit ist er immer weg .
Und Sie können sich es dann einrichten , wie Sie wollen , und Sie wissen ja auch Bescheid , wo alles steht .
Aber mitunter ist er auch noch da und sieht so aus_dem Fenster , ja , Frau Runtschen , dann müssen Sie sich so_ein bißchen zurechtmachen . "
" Zurechtmachen ? "
" Ja , Frau Runtschen .
Ich meine natürlich nur ein bißchen .
Sie können nicht kommen wie 'ne Prinzessin .
Soviel wirft es nicht ab . "
" Eine , ne , soviel wirft es nicht ab . "
" Aber doch so das Nötigste .
Eine weiße Schürze .
Und dann , daß Sie den Kiepenhut abnehmen .
Wenn er nicht da ist dann ist der Kiepenhut ganz gut , und man sieht nicht alles .
Aber wenn er da ist , is doch 'ne Haube besser . "
" Ja , Fräuleinchen , was heißt Haube ? "
" Natürlich sollen Sie sich keine mitbringen .
Aber an unserem Ständer , da finden Sie allemal eine . "
" Na , wenn es erlaubt ist , denn nehme ich sie mir solange . "
" Ja , Frau Runtschen , und dann noch eins , die schwarze Klappe da dürfen Sie nicht länger als acht Tage tragen , ich werde jeden Sonnabend eine neue anschaffen .
Ihr Schaden soll es nicht sein . "
SIEBENTES KAPITEL Die " Jungfrau " kam zur Aufführung , mit Rybinski als Dunois , aber weder die Möhrings noch ihr Mieter Hugo Großmann wohnten der Aufführung bei , da dieser letztere krank geworden war .
Er fieberte ziemlich stark und bat , nach einem Arzt zu schicken ; dieser kam und war mehrere Tage lang im unsicheren , bis es sich eines Morgens herausstellte , was es war .
Er ging mit zu Möhrings hinüber und sagte : " Es sind die Masern , nichts Besonderes und nichts Gefährliches .
Aber Vorsicht , liebe Frau Möhring , sonst haben wir einen Toten , wir wissen nicht wie . "
" Gott , Herr Doktor , er is ja erst sechs Wochen bei uns und denn so was .
Und wenn die Leute das hören , da will ja denn keiner einziehen , und tuscheln geht auch nicht ; es sind immer so viele schlechte Menschen , und Schulzen wird es auch nicht recht sein . "
" Wohl möglich .
Aber das hilft nicht ; vor allem nicht gleich so ängstlich ; noch lebt er und wird auch wohl weiterleben .
Ich habe Sie nur warnen wollen , daß Sie aufpassen und immer nasse Lappen über den Bettschirm hängen .
Mit dem Bazillus is nicht zu spaßen .
Und vor allem kein Zug .
Zug ist das schlimmste , da tritt alles zurück und wirft sich auf die edleren Teile ... "
" Gott , is es möglich ... "
" Und dann haben wir Kasus mortis . "
Mathilde war dabei nicht zugegen .
Als sie von einem Gang in die Stadt nach Hause kam und hörte , was der Arzt gesagt , sagte sie :
" Mutter , du kannst doch auch gar nichts vertragen . Masern. Gar nichts .
Masern sind Masern .
Jedes kleine Wurm hat sie ; sie sollen sogar gesund sein , es kommt alles raus , und das is immer die Hauptsache .
Natürlich müssen wir aufpassen und auch sorgen , daß er die Runtschen nicht zu sehen kriegt , er ist so empfindlich in manchem und hat mir Mal gesagt , er graule sich vor der Runtschen . "
" Ach , das hat er bloß so gesagt ... "
" Nein , ganz im Ernst , Mutter .
Solche , die immer Stücke lesen und ins Theater gehen , die sind so .
Und das schwarze Pflaster es ist auch zum Graulen . "
" Ach Thilde , was unsereiner auch alles erleben muß .
Und das nennen sie dann Fügungen , und man soll sich auch noch bedanken . "
" Rede nicht so , Mutter , das bringt Unglück , denke an Hiobbendenke an Hiobben : soviel wie :
Klage nicht , habe Geduld ( wie die alttestamentarische Gestalt Hiob , die Gott mit schwerem Leid heimsucht , um ihr Vertrauen auf die göttliche Gerechtigkeit zu prüfen ) . .
Und Fügungen .
Natürlich sind es Fügungen , und die Leute haben auch ganz recht , wenn sie von Bedanken reden .
Wenigstens wir .
Denn das kann ich dir sagen , für uns is es eine sehr gute Fügung , und wenn ich mir was hätte denken sollen , auf so was Gutes wie diese Masern wäre ich gar nicht gekommen . "
" Meinst du ? "
" Freilich mein ich . "
" Aber wie denn , Thilde ? "
" Das erzähle ich dir ein andermal , wenn es da ist .
Wenn man drüber redet , dann beruft man es . "
" Ach , Thilde , du rechnest immer alles aus , aber du kannst auch falsch rechnen . "
" Kann ich .
Aber du sollst sehen , ich rechne richtig . "
Hugo Großmann überstand seine Masern und war im Abschülberungszustand , als der Doktor sagte : " Ja , liebe Frau Möhring , den haben wir nun Mal wieder raus .
Das heißt aus_dem Gröbsten .
An Gesundheit ist noch nicht zu denken , und die Vorsicht muß verdoppelt werden ; der kleinste Fehler , und es wirft sich auf die Ohren oder , wenn er zu früh Licht kriegt , auf die Augen , und dann is er blind .
Andererseits hätte ich es gern , er könnte hier raus ; die nassen Lappen sind gut , aber immer nasse Lappen geht auch nicht .
Könnten Sie ihn nicht umbetten , ich meine umlogieren , vielleicht neben an ] in das Entree .
Sie müssen dann freilich zuschließen und allen Verkehr mit der Welt abschließen , und wer zu Ihnen will , muß durch die Küche .
Krankheit entschuldigt alles .
Überlegen Sie_es mit Fräulein Mathilde , die ist findig , die wird schon Rat schaffen . "
Und damit ging er .
Mathilde rechtfertigte natürlich das gute Vertraun , das der Doktor zu ihr hatte , und sagte : " Doktor Birnbaum hat ganz recht .
Er muß raus .
Ich kann die Lappen schon gar nicht mehr riechen .
Aber das mit dem Entree , das geht nicht .
Entree .
Das sieht so weggesetzt aus , so nicht hü und nicht hott ; er ist doch ein studierter Mann und ein Burgemeisterssohn , und die Masern hat er bei uns gekriegt .
Er muß in unsere Stube ... "
" Ja , Thilde , das geht doch nicht .
Wir haben ja doch bloß die eine .
Und dann ein Bett und ein fremder Mann drin , es geht doch nicht . "
" Es geht alles .
Aber das mit dem Bett is gar nicht nötig .
Das Bett bleibt stehen , wo es steht , und abends bringen wir ihn rüber und packen ihn ein und seine Reisedecke drüber , daß er sich nicht bloßwirft . "
" Und bei Tage ... "
" Bei Tage is er bei uns drüben .
Er wird nichts tun , was uns genieren kann , und ich kann immer rausgehen .
Du freilich , du bist eine alte Frau , und er könnte dein Sohn sein , und an dich muß er sich wenden .
Aber er wird nicht , er is viel zu anständig , er schadet sich lieber .
Und da haben wir ihn denn , solange die Rekonvaleszenz dauert , immer drüben und müssen die Rouleaux halb runterlassen , daß er kein Licht kriegt , und müssen ihm was vorlesen und müssen ihm was erzählen .
Aber erzähle nicht zuviel von Vaters , du gehst immer so ins einzelne , und so was Interessantes war Vater nicht . "
" Aber er war ein sehr guter Mann ... "
" Ja , das war er . "
" ...
Ein sehr guter Mann .
Und dann , Thilde , was ich sagen wollte , wie denkst du dir das eigentlich mit ihm .
Sein Bett bleibt drüben , und auf einen Stuhl können wir ihn doch nicht setzen ; so lange kann er sich doch nicht gerade halten , er is ja noch krank und schwach . "
" Nein , das kann er nicht .
Und da siehst du nun wieder , wie gut es ist , daß wir die Chaiselongue haben .
Ich wußte , daß sich das verlohnen würde . "
" Ja , findest du , daß das geht ?
Es ist doch sozusagen unser Prachtstück , der Stehspiegel hat den Riß und sieht nicht recht nach was aus .
Aber die Chaiselongue .
Du mußt doch nicht vergessen , vierzehn Tage oder vier Wochen dauert es , und dann is es hin .
Er wird Kuten einliegen und alles eindrücken , denn Kranke sind so unruhig und liegen Mal hier und Mal da . "
" Das ist ja gerade das Gute .
Da verteilt es sich aufs Ganze , und von Kuten-Einliegen is keine Rede .
Und wenn auch , Mutter .
Wer was will , der muß auch was einsetzen .
Er sieht dann , daß wir ihm unser Bestes geben , und wie ich ihn kenne , wird ihn das rühren , denn er hat was Edles , das heißt so auf seine Art. Zuviel darf man von ihm nicht verlangen . "
Gleich am Tage , wo dies Gespräch geführt wurde , wurde Hugo Großmann in die Möhringsche gute Stube herübergenommen und auf der Chaiselongue installiert .
Er nahm sich da ganz gut aus .
Ein kleines Tischchen stand neben ihm , mit einem Heliotrop darauf .
Er roch aber zu stark und wurde durch weiße Astern ersetzt .
Auf einem grünen Weinblattelle lagen zwei Apfelsinen .
Daneben eine Klingel , bloß als Putzstück , denn Mutter und Tochter waren immer da und brauchten nicht erst zitiert zu werden .
Der Arzt war mit dieser Umlogierung sehr zufrieden und sagte , als er mit Hugo allein war , allerlei Verbindliches über so " gute Menschen " , in deren ganzem Verhalten sich die einzig wahre Bildung ausspräche , die Herzensbildung .
Fräulein Mathilde sei übrigens überhaupt gebildet und , wenn man ihren Kopf öfter gesehen und sich so mehr hineingelebt habe , fast eine Schönheit .
Draußen im Entree standen Mutter und Tochter und stellten allerlei Fragen , was wohl für den Kranken erlaubt sei und was nicht .
" Immer in Dämmer " , sagte der Doktor , " am besten ist es , wenn er auch in einem geistigen Dämmer bleibt . "
" Aber wir dürfen doch mit ihm reden ? "
" Gewiß , liebe Frau Möhring , alles , was Sie wollen .
Bloß nichts Aufregendes . "
" Oh , du mein Gott , wie werde ich denn was Aufregendes ... "
" Und Vorlesen ist vielleicht auch erlaubt ? " unterbrach Thilde , die sah , daß sich die Alte noch weiter über das " Aufregende " verbreiten wollte .
" Ja , Vorlesen geht , aber nicht viel und nichts Schweres . "
Als sie wieder bei Hugo eintraten , erzählte ihm Thilde , was der Doktor alles erlaubt habe , nur immer abends ein grüner Lichtschirm , eine grüne Lampenglocke sei nicht genug , und wenn er Lust hätte , so dürfte ihm auch was vorgelesen werden , drei- , viermal des Tages , aber nie länger als eine halbe Stunde .
Hugo nickte sehr erfreut , denn sein Kranksein fing ihm an langweilig zu werden , und als Thilde fragte , " was er denn wohl wünsche ?
Bücher seien ja da die Hülle und Fülle " , da sagte er :
Ja , die Geschichte von Zola , wo das Paradies drin vorkäme , die möchte er wohl hören , er sei gerade bis dahin gekommen , wo das Paradies beschrieben würde .
Freilich , es käme so manches darin vor , und er wisse nicht , ob er an Fräulein Thilde das Ansinnen stellen dürfe ... Thilde merkte gleich , daß er dies in Erinnerung an das kurze Jungfrau-von-Orleans- und Dunois-Gespräch sagte , darin sie den " Bastard " , übrigens sehr taktvoll , abgelehnt hatte , und wenn sie damals geglaubt hatte , sich den sittlichen Standpunkt sicheren zu müssen , so hatte sie jetzt das Gefühl , daß man den Bogen der Sittlichkeit und den Eindruck des Engen und Kleinlichen , was immer eng und kleinlich und spießbürgerlich wirkte , nicht überspannen dürfe .
Sie sagte denn also , während sie sich an das Fußende der Chaiselongue stellte und mit einem gewissen sittlichen Ernst zu ihm hinübersah , in der Schilderung des Paradieses , wenn auch ein Sündenfall darin vorkäme , der ja fast dazu gehöre , sähe sie kein Hindernis .
Auf einem so niedrigen Standpunkte stünde sie nicht .
Ein Mädchen müsse freilich auf sich halten , im Leben und im Gespräch und in Theaterstücken , und dürfe nicht alles sehen und hören wollen , denn gerade die Neugier sei ja der Versucher gewesen , aber ein Mädchen müsse sich auch vor Prüderie zu bewahren wissen , wenn ihr ihr Gefühl sage , selbst das Stärkste stehe hier um einer großen Sache Willen .
Und das sei nicht bloß in Theaterstücken und Romanen so , das sei auch schon so beim Lernen und im Konfirmandenunterricht .
Sie habe früher bei Pastor Messerschmidt aus der Bibel vorlesen müssen .
Da wären mitunter furchtbare Worte gekommen , und sie denke noch mitunter mit Schrecken daran zurück .
Aber immer , wenn sie gemerkt hätte , " jetzt kommt es " , dann habe sie sich zusammengenommen und die Worte ganz klar und deutlich mit aller Betonung ausgesprochen .
Wie Luther .
Hugo nickte nur und fand bestätigt , was Doktor Bolle eben über Thilde gesagt hatte .
Wie richtig , wie gebildet war das alles , und er freute sich über ihre tapferen und aufgeklärten Ansichten .
" Es ist ein merkwürdiges Mädchen " , so gingen seine Betrachtungen , " nicht eigentlich schön , wenn man sie nicht zufällig im Profil sieht , aber klug und tapfer , ich möchte sagen , ein echtes deutsches Mädchen , charaktervoll , ein Wesen , das jeden glücklich machen muß , und von einer großen Innerlichkeit , geistig und moralisch .
Ein Juwel . "
ACHTES KAPITEL In dieser Richtung gingen von Stunde an Hugos Gedanken , und als er eine Woche vor Weihnachten wieder in sein eigenes Zimmer hinüberquartiert wurde , was der alten Möhring , die nicht über den Tag hinaus zu rechnen verstand , eine gewisse Genugtuung verursachte , stand es bei Hugo fest , daß Thilde die Frau sei , die für ihn passe .
So gewiß er sich für einen ästhetisch fühlenden und mit einer latenten Dichterkraft ausgerüsteten Menschen hielt , so war er im Leben selbst doch von großer Bescheidenheit , beinahe demütig , und hatte kein rechtes Vertrauen zu seinem Wissen und Können .
" Ich bin ein unnützer Brotesser " , hatte er zu Rybinski gesagt , der ihn lachend mit der Versicherung getröstet hafte , " dann gerade schmeckt es am besten " , was Hugo mit einer gewissen Wehmut akzeptiert hatte .
Seine Beurteilung seiner selbst war richtig , und weil sie richtig war , war auch das richtig , daß Thilde für ihn passe .
Sie hatte gerade das , was ihm fehlte , war quick , findig , praktisch .
Er wollte sich noch vor Weihnachten ihres Jaworts versichern .
Daß ihm dies Ja nicht versagt werden würde , davon hielt er sich überzeugt , denn schließlich war er doch immer ein Burgemeisterssohn mit Vollbart , während Thilde , soviel sah er wohl , auf Geburtsstolz verzichten mußte .
" Fräulein Thilde " , sagte er , als sie gleich am ersten Abend seiner Wiederumquartierung ihm den Tee brachte mit geschnittenem Schinken , " Fräulein Thilde , Sie sind sich immer gleich in Ihrer Güte gegen mich , und weil Sie glauben , es würde mir alles noch schwer , so haben Sie auch den Schinken schon geschnitten .
Sie haben mich gepflegt und verwöhnt und haben mir all die Wochen über erst gezeigt , wie glücklich man im Leben sein kann .
Eine liebevolle Hand ist das , was man im Leben am meisten braucht .
Aber setzen Sie das Teezeug erst hin ... Und nun geben Sie mir Ihre liebe kleine Hand , denn es ist eine kleine Hand , und treten Sie mit mir ans Fenster und sehen Sie mit mir auf das Bild da , das Gewölk , das am Monde vorüberzieht und sich wieder aufhellt im Vorüberziehn .
Es ließe sich vielleicht ausdeuten , aber auch ohne das , ich frage Sie , ob ich Ihre kleine Hand , denn es ist eine kleine Hand , auch noch weiter halten darf , lange noch , ein Leben lang . "
Sie gab nicht unmittelbar Antwort und beschäftigte sich vielmehr damit , das Rouleau herunterzulassen .
Dann nahm sie seinen Arm , führte ihn vom Fenster her bis an das hochlehnige Sofa zurück und sagte , während sie sich , mit aufgestemmten Händen und das Teezeug zwischen ihnen , auf die andere Seite des Tisches stellte :
" Sie sind noch so angegriffen .
Ich höre es an Ihrer Stimme , darin noch die Krankheit zittert , und daß Sie gerade den Mond in unser Gespräch gezogen haben .
Ach , Herr Großmann , der Mond ist nichts für Sie ; Sie brauchen Sonne . . .
Das gibt mehr Kraft . "
" Das mag schon sein .
Aber das ist keine Antwort , Fräulein Thilde .
Sie sollen mir ja oder nein sagen . "
" Nun denn ja , trotzdem es noch lange dauern wird , eine lange Verlobung . "
" Auf dem alten Wege , ja .
Aber es gibt auch neue Wege . "
" Rybinski-Wege ? "
Hugo schwieg , weil sie seine Gedanken erraten hatte .
" Nein , Hugo , nichts davon .
Dann nehme ich mein Ja zurück .
Ich will nicht in der Welt herumziehn und dir die Königsmäntel anziehen .
Ich bin fürs Ernste , für hergebrachte Formen und auch für Religion .
Und wenn es noch dazu kommt , so komme mir nicht mit Standesamt .
Alles , mein ich , muß seinen Schick haben .
Ich rechne darauf , daß du mir durch Arbeit den Beweis deiner Liebe gibst .
Erst das Examen .
Das andere findet sich .
Da will ich schon sorgen .
Aber nun komme , daß wir_es Müttern sagen .
Oder nein , heute lieber nicht ; du bist noch nicht fest auf den Füßen .
Ich werde es ihr selber sagen , heute abend im Bett .
Und morgen früh kommst du dann .
Ob sie sich freut , weiß ich nicht .
Aber ja wird sie schon sagen . "
Sie stellte die kleine Teekanne vor ihn hin und was sonst noch auf dem Teebrett stand .
Als sie alles geordnet und die Decke gradegezupft hatte , nahm sie das Tablett unter den linken Arm und gab ihm einen Kuß auf die Stirn .
Er wollte sie , vielleicht in unklarer Vorstellung von Bräutigamsrecht und -pflicht , festhalten und einen Sturm auf ihre schmalen Lippen versuchen .
Aber sie entwand sich ihm .
An der Tür legte sie den Zeigefinger an die Lippen und grüßte zurück .
" Alles an ihr ist so mädchenhaft " , sagte Hugo .
Das geplante Bettgespräch hatte stattgefunden und war unter Vermeidung aller Umschweife mit dem Satze begonnen worden :
" Mutter , weißt du was ? "
" Nun was denn , Thilde ? "
" Ich habe mich mit ihm verlobt . "
Die Alte richtete sich auf wie ein Gespenst , sah Tilden an und sagte dann : " O Gott , was soll nun aus mir werden ? "
" Gar nichts , Mutter .
Du bleibst , was du bist , und ein Esser ist weniger .
Und wenn du was brauchst , dann schick ich es dir . "
" Ja , kann er denn ?
Hat er denn was ? "
" Noch nicht , Mutter .
Aber wenn ich ihn bloß erst habe , das heißt richtig verlobt vor Gott und Menschen , da wird es schon werden .
Er sieht ja doch aus wie auf der Kanzel , und so einer kommt immer an .
Ich werde ihn schon anbringen . "
" Und wirklich verlobt ?
Und nicht bloß so gesagt ? und nachher sitzt du da , wie so ganz , ganz arme und unglückliche Mädchen dasitzen ... "
" Ich weiß nicht , was das immer soll , Mutter .
Vater hat gesagt :
" Thilde , halte dich proper . "
Und habe ich nicht ?
Und nun kommst du immer mit solchen Geschichten , so hintenrum , daß man nicht recht sagen kann , was du meinst .
Aber ich weiß es schon .
Und ich sage dir , ich bin nicht so dumm .
Er wollte mir einen Kuß geben und war so stürmisch , weil er noch krank ist .
Aber ich habe ihn in seine Schranken zurückgewiesen . "
" Das ist recht , Tildchen .
Und wann denkst du denn , daß es ins Blatt kommt ?
Oder soll es ganz still und verborgen sein ?
Es ist doch immer besser , andere wissen es auch ; dann geniert er sich mehr , wenn er sich vielleicht anders besinnt . "
" Ach , anders besinnt .
Er darf sich nicht anders besinnen , und er wird auch nicht , und er will auch nicht .
Er wird nun morgen früh bei dir anfragen , und da mußt du was Gutes sagen und nicht so klein und ängstlich .
Und er muß sehen , daß wir nicht auf ihn gewartet haben . "
" Ja , da hast du recht ; aber was soll ich sagen ?
Du mußt mir was zurechtmachen , was paßt . "
" Das geht nicht , Mutter .
Dann verschnappst du dich und sagst es an der unrechten Stelle . "
" Ja , das is möglich .
Na , denn werde ich bloß sagen : » Gott sei mit euch « . "
" Das ist gut .
Aber du darfst ihn nicht gleich » du « nennen .
» Du « kommt erst , wenn es dringestanden hat und wir richtige Verlobung gefeiert haben .
Ich denke so Heiligabend .
Unterm Christbaum , das habe ich mir immer gewünscht .
Das hat dann so seinen Schick und auch so 'n bißchen wie kirchliche Handlung .
Und is schon so 'n Vorschmack .
Das heißt , ich meine von der Trauung .
Denn bei dir muß man sich immer vorsichtig ausdrücken .
Du denkst gleich ... "
Am nächsten Morgen hielt Hugo richtig um Tilden Hand an , und die Alte sagte gar nichts , sondern nickte nur immer und streichelte Hugos Hand .
Das war auch das allerbeste .
Dann zog sich Hugo wieder in sein Zimmer zurück , und er sah nun Thilde fast weniger als sonst .
Wenn es irgend ging , wurde die Runtschen vorgeschoben .
Allerdings war dies mit besonderen Schwierigkeiten verknüpft , weil gerade sogenanntes Matschwetter war , was die Runtschen in ihrer Erscheinung auf ein niedrigstes Maß oder Stufe herabdrückte .
Für eine reine Schürze war zwar immer gesorgt , und den Kiepenhut , mit dem sie wie verwachsen war , mußte sie abnehmen , aber man kann nicht sagen , daß dies viel half , fast im Gegenteil , weil die Mannsstiefel , die die Runtschen bei solchem Wetter trug , in einem beleidigenden Gegensatze zu der weißen Schürze standen .
All das entging Tilden nicht , aber sie hatte nicht Zeit , sich mit diesen verhältnismäßig geringfügigen Dingen zu beschäftigen , da die heranrückende Verlobung unterm Christbaum , es waren nur noch vier Tage , sie ganz in Anspruch nahm .
Eine kleine Gesellschaft sollte gegeben werden , aber wie sie komponieren ?
Einen Augenblick war an Schulzen und auch an Frau Leutnant Petermann gedacht worden , deren Mann schon 1849 im badischen Aufstand 1849 im badischen Aufstand : Baden , eine Hochburg der deutschen Liberalen , war in den Jahren 1848/49 eines der revolutionären Zentren . gefallen war , aber Thilde ließ beide Pläne wieder fallen .
Schulzen waren zu reich und konnten denken , man wolle was von ihnen oder wolle sich mit ihnen wichtig tun .
Und so stand es doch noch lange nicht .
Sie , die Rätin , hatte keine Ahnung vom Exportgeschäft ; sie ging zu Mannheimer , das war alles .
Und die Petermann war wohl arm genug , aber sie hatte so was Schnippisches und sprach so gebildet , weil sie früher Schneiderin gewesen war , was nun keiner merken sollte .
Kurzum , Thilde sah ein , daß aus dem Kreise eigener Bekanntschaft niemand so recht zu wählen sei , und einigte sich in einem Gespräche mit Hugo dahin , daß nur ein Vetter Hugos , ein sonderbares altes Genie , das zwischen Maurerpolier und Architekt stand und seit zwanzig Jahren der Freund einer Witwe war ( ein Umstand , der über sein Leben entschieden hatte ) , geladen werden solle .
Dieser auf geistige Getränke gestellte Vetter , von dem Hugo zu sagen pflegte , daß seine Verwandtschaft zu Karoline Pichlerverwandtschaft zu Karoline Pichler : Wortspiel , das sich auf " picheln " ( gern trinken ) und auf den Namen der österreichischen Schriftstellerin Karoline Pichler ( 1769-1843 ) bezieht . näher sei als zu den Großmanns , paßte gut , weil er kein Spielverderber war , außerdem natürlich mußte Rybinski geladen werden .
Um zehn wollte dann Thilde , dies war ein von ihr gestelltes , frühere Beschlüsse halb aufhebendes Amendement , zu Schulzen runtergehen und sich als Braut vorstellen und daran die bescheidene Frage knüpfen , ob Rat und Rätin vielleicht eine Viertelstunde ihnen schenken und sich von ihrem Glück überzeugen wollten .
An der Ausführung dieses letzteren Planes war der Alten beinahe mehr gelegen als an der Verlobung selbst .
Ein Wirt blieb doch immer die Hauptsache .
Das mit dem Bräutigam konnte doch am Ende nichts sein , aber das mit Schulzen , das war immer was .
Das Billet an Rybinski schrieb natürlich Hugo .
Rybinski kam und sagte zu , vorausgesetzt , daß er seine Braut mitbringen dürfe .
" Deine Braut ? " staunte Großmann .
" Bist du denn verlobt ? "
" O ja .
Schon seit meinem Debüt , und wir sind sehr d'accord .
Aber natürlich kann so was auch wieder zurückgehen , und wenn du Mal so was hören solltest ... "
" Gut .
Ich verstehe schon .
Ich darf sie doch als deine Braut vorstellen ? "
" Ich muß sogar sehr darum bitten . "
NEUNTES KAPITEL Der Vierundzwanzigste kam und ging , die Verlobung war proklamiert worden , und die sechs Menschen , aus denen die ganze Gesellschaft bestand , waren ausnahmslos sehr vergnügt gewesen .
Eine halbe Stunde lang sogar Schultze , der auf Tilden Aufforderung in einer gewissen Paschalaune , sein Volk beglückend , in der kleinen Möhringschen Wohnung erschienen war , zurückhaltend in Bezug auf alles , was an Speis und Trank aufgetragen war , aber desto intimer mit Rybinskis Braut .
Rybinski selbst lachte , versicherte dann und wann , daß er sich mit dem Rechnungsrat über das Schnupftuch schießen müsse , weil ihm ein solcher Eingriff in geheiligte Rechte noch gar nicht vorgekommen sei , und versprach schließlich , beim Rat und der Rätin eine Visite zu machen , spätestens zu Neujahr , aber ohne Braut .
" Man kann doch nicht wissen , wie sich die Rätin stellt " , flüsterte er seinem neuen Freund Schultze zu .
Und Schultze zwinkerte .
Den Toast auf das Brautpaar brachte der Vetter Architekt aus .
Man werde nicht überrascht sein , wenn er seinerseits , als ein Mann des Baus , auch die Ehe , als deren Vorkammer die Verlobung anzusehen sei , wenn er auch die Ehe als einen Bau ansehe .
" Das Fundament , meine Herrschaften , ist die Liebe ; daß wir diese hier haben , ist erwiesen , und der Mörtel , der bis in alle Ewigkeit den Bau zusammenhält , das ist die Treue . "
Schultze nickte ; Rybinski rief " Bravo " und drohte seiner neben Schultze stehenden Braut mit dem Finger , indem er mit dem Zeigefinger eine Stechbewegung machte , als müsse Schultze auf dem Platze bleiben .
Der Vetter Architekt aber fuhr fort : " Der Mörtel , sage ich .
Aber auch der bestgefügteste Bau , bei den Erschütterungen , die das Leben mit sich führt , bedarf noch der Klammern und Stützen , und diese Klammern und Stützen , das sind die Freunde , das sind wir .
Auch Schmuck hat ein gutes Haus , und in seine Nischen sehen wir gern allerhand liebe kleine Gestalten gestellt , Putti sagen die Italiener , Putten sagen wir selbst .
Ich weiß , ich greife vor , aber in dieser heiteren Stunde wird auch ein heiterer Blick in die Zukunft gestattet sein .
Es lebe das Brautpaar , es lebe die Zukunft , es leben die Putten . "
Rybinski umarmte den Redner und sprach etwas von dem geheimnisvollen Reiz der gefälligen oratorischen Begabung , die sei wie ein Quickborn : ein Schlag mit dem Pegasushuf , und die Quelle springe .
" Gesegnet die , die diesen Huf haben . "
Erst gegen Mitternacht ging man auseinander , und die Tochter der alten Runtschen , eine schmucke Person , die an einen Bahnhofsgepäckträger verheiratet war [ und ] die schon beim Mantelabnehmen und dann beim Mohnpielen präsentieren die Bedienung gemacht hatte , begleitete die Herrschaften runter .
Selbst Schultze nutzte seine Sonderstellung nicht aus und gab ihr , als er auf dem ersten Treppenabsatz in seine Wohnung abschwenkte , ein Trinkgeld .
Alles benahm sich in dieser Beziehung sehr anständig , und oben angekommen teilte die alte und die junge Runtschen die Beute , was von der jungen Runtschen sehr anständig war .
Die Alte war aber über die ganze Aushilfe verstimmt und konnte mit einer Hälfte nicht zufrieden sein , die eben die Hälfte und nicht das Ganze war .
" Du hast es doch nicht so nötig , Ulrike " , sagte die Alte .
" Gott , Mutter , du kannst doch nicht runterleuchten mit deinem einen Auge , erst fällst du und das Licht , und dann fallen die anderen auch .
Du vergißt immer das mit das eine Auge .
Und manche graulen sich auch .
Und was denkst du denn !
Glaubst du denn , daß der alte Schultze sich so honorig gemacht hätte , wenn du runtergeleuchtet hättest ?
Ich sage dir , der sieht sich seine Leute ordentlich an . "
Mutter und Tochter saßen noch lang in ihrem Bette auf .
Es gab viel zusprechen .
Für die Alte war Schultze die Hauptperson , er habe doch feiner gewirkt als die anderen und man hätte doch merken können :
der hat_es .
" Es gibt einem doch so 'n Gefühl , und das hat er . "
" Ach , Mutter , du verstehst ja so was nicht .
Schultze war der einzige , der in die Gesellschaft nicht paßte .
Von uns will ich nicht reden .
Aber die anderen .
Ja , das waren ja lauter feine Herren , alle studiert und Kunst dazu ; der Vetter auch , wer so was baut , das ist auch 'ne Kunst .
Und nur von Vorkammer hätte er nicht sprechen sollen und von Putten erst recht nicht .
Aber daran siehst du es gerade ; feine Leute , die sind so und die behandeln all so was spielrig und lassen immer , wie Doktor Stubbe sagte , den rechten Ernst vermissen .
Aber es kommt doch immer so was raus , was nicht jeder sagen kann .
Und nun Schultze .
Ja , du mein Gott , wenn er nicht das sonderbare Zeug zu Rybinskis Braut gesagt hätte , so hätte er so gut wie gar nichts gesagt .
Und dann is es auch nicht fein , daß er gar nichts nahm , und is bloß Tuerei , sehr viel Gutes kriegt er unten auch nicht .
Aber du hast seine großen Manschettenknöpfe immer angesehen , [ und ] weil er die zwei Steine vorn im Chemisette hatte und weil er Wirt ist , so denkst du , es war was Feines .
Ich habe ihn auch nur raufgeholt , weil du doch nun mit ihm durchkommen mußt , wenn ich Mal weggehe . "
" Na , wann denkst du denn ? "
" Ich denke mir , so zu Johanni . "
" Hast du denn schon was ? "
" Nein , noch nicht , Mutter .
Aber ich werde es nun in die Hand nehmen .
Morgen und übermorgen sind Feiertage , da kommt keine Zeitung , aber den dritten Feiertag abends , da steht es drin .
Und Verlobung haben wir nun gehabt , und nun is es an mir , nun werde ich es in die Hand nehmen . "
Die alte Runtschen hatte sich schließlich beruhigt und gab zu , daß Ulrike sehr anständig gehandelt habe .
Sie hätte ja gar nichts zu teilen brauchen oder wenigstens mogeln können , aber daran war gar nicht zu denken , dazu war es viel zuviel .
" Überhaupt , es is eigentlich ein gutes Kind , und bloß daß sie nur immer dran denkt , daß sie die dicken blonden Zöppe hat , Runtsch war schwarz , und ich erst recht ; sie sagten immer die » Schwarze « ; es muß aber doch so Bestimmung gewesen sein . "
In dieser Richtung gingen die Gedanken der Alten , das Versöhnliche herrschte vor , aber auch wenn sie verbittert gewesen wäre , so hätte diese Verbitterung nicht anhalten können , weil sie vom frühen Morgen des anderen Tages an ein Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit im ganzen Schultzeschen Hause und in der Nachbarschaft war .
Jeder wollte was wissen , und wohin sie kam , wollte man hören , wie die Verlobung gewesen wäre .
Zu begreifen war es nicht , darin waren alle einig .
Solch feiner Herr und ein Studierter und nun diese Thilde mit ihrem gehlen Teint ; und früher hatte sie auch noch Pickel ; alle Morgen mußte sie bei die Herren rein machen und ausgießen und nun doch Braut , und ehe Gott den Schaden besieht , steht sie da mit Atlas und Myrte .
So hieß es bei den Portiersleuten und namentlich in dem Keller gegenüber , wo sie Sellerie , Petroleum und Semmelfrühstück holte .
Zuletzt kam sie zur Leutnant Petermann , und hier erst , weil diese wegen eines Unfalls am Abend vorher noch im Bette lag , blühte ihr Weizen .
" Gott , Frau Leutnant , Sie liegen noch ; was is denn los ? "
" Ach Runtschen jetzt geht es ja wieder .
Aber bis viere habe ich kein Auge zugetan .
Solche furchtbaren Schmerzen ... "
" Hier ? "
" Nein , hier nicht .
Diesmal nicht .
Das hätte bloß noch gefehlt , daß ich auch aufgemußt hätte bei dem kalten Fußboden und dem Zug draußen .
Nein , hier ... Zahnschmerzen .
Der halbe Backzahn is weg . "
" Na , aber wie denn ? "
" Ja , wie das so geht .
Da hatte ich mir nun das Bäumchen angesteckt und sein Bild druntergestellt und wollte seine Briefe noch Mal lesen , das heißt , bloß die ersten , wo er noch wie rapplig war .
Er war so .
Und als ich da nun so sitze und lese und den Teller ranrucke und zu knabbern anfange , erst ein kleines Marzipanherz und dann eine Pfeffernuß und dann ein Stück Steinpflaster , da beiße ich in das Steinpflaster rein , gerade an eine Mandelstelle , und da sitzt nun gerade ein Stück Mandelschale , was man ja nicht sehen kann , weil alles dieselbe Farbe hat , und weil ich scharf zubiß , war der halbe Zahn weg . "
" Un mit runtergeschluckt ? "
" Nein , so weit kam es gar nicht .
Es tat gleich so weh , und ich kriegte gleich solchen Schreck , daß ich darauf verzichtete .
Und war immer , als säße noch was drin , und ich holte mir eine Stopfnadel .
Aber da wurde es immer toller , und ich fing beinahe an zu schrein .
Ein Glück , daß ich warm Wasser im Ofen hatte .
Da habe ich dann gespült und gespült , und nun hat es sich beruhigt .
Und nun sagen Sie , Runtschen , wie war es eigentlich ?
Setzen Sie sich auf den Rohrstuhl , aber nicht zu nah , da neben den Ofen , ein bißchen Wärme wird er wohl noch haben . "
" Ja , Frau Leutnant , wie soll es gewesen sein ?
Sehr fein war es .
Rechnungsrat Schultze war auch da ... "
" Mit ihr ? "
" Nein . "
" Na , das konnte ich mir denken .
Er nimmt es nicht so genau , die Rätin aber hält auf sich , wie alle Frauen .
Und wer war dennoch da ? "
" Ja , die Namens weiß ich nicht , Frau Leutnant , bloß eine Braut war noch da , die sie Fräulein Bella nannten , und alle sehr darum rum , well sie sehr hübsch [ war ] .
Schultze fand es auch , und was denken Sie wohl , was sie Ulrike gegeben hat ?
Die war nämlich auch mit da und mußte runterleuchten . "
" Ja , wer will das sagen . "
" Einen richtigen Taler hat ihr das Fräulein gegeben . "
" Ach , das ist ja Unsinn . "
" Nein , Frau Leutnant , es ist so .
Ulrike hat es mir alles erzählt und wird doch nicht mehr gesagt haben , weil sie mit mir teilen mußte .
Das heißt , müssen war es eigentlich nicht .
Und wie Ulrike die Lampe hingesetzt hatte und aufschließen wollte , [ sagte das Fräulein : ]
" Hans , gib mir Mal dein Portemonnaie " , und dann nahm sie es heraus und sagte : " Wir berechnen uns morgen . "
Und es ist nur schade , daß es Schultze nicht mehr hörte , oder vielleicht war es auch nicht gut .
Der war schon vorher ganz weg , und es war wohl gut für ihn , daß er allein gekommen war . "
" Und wie war denn die Braut ?
Was hatte sie an ? "
" Ihr lila Seidenes mit 'm Einsatz . "
" Und war wohl eine große Zärtlichkeit ?
Solche , wie Fräulein Thilde , wenn es da Mal kommt , die sind immer sehr zärtlich . "
" Nicht daß ich sagen könnte , Frau Leutnant .
Ich habe nichts gesehen , und die Wohnung ist so , daß man eigentlich alles sehen muß .
Alles wie aufs Tempelhofer Feld und kein Vorhang und keine Schirme .
Und Lichter waren überall .
Fräulein Thilde war auch immer bloß um die Schüsseln rum und präsentierte , wenn Ulrike nicht da war , und der Herr Hugo , was der Bräutigam is , der stand immer so da und sah so genierlich vor sich hin , und als ein Ältlicher , aber noch nicht so ältlich wie Schultze , das Brautpaar leben ließ , da sah er so verflixt aus , als wenn er nicht so recht zufrieden wäre . "
" Kann ich mir denken . "
" Oder eigentlich bloß als ob er gar nicht so recht da wäre .
Vielleicht is das noch so von seiner Krankheit , denn ein bißchen spack sieht er noch aus , oder vielleicht is es auch nicht ganz richtig mit ihm . "
" Das is es , Runtschen ; es ist nicht ganz richtig mit ihm ... Und wenn Sie gehen , nehmen Sie sich das Steinpflaster mit , das noch neben dem Baum liegt , aber sehen Sie sich vor damit . "
" Ach , Frau Leutnant , bei mir is es nicht mehr ängstlich . "
Thilde war am anderen Morgen in einer gehobenen Stimmung .
Sie war nun Braut , und das andere mußte sich von selber geben .
Solange sie bloß Fräulein Thilde war , die den Tee zu bringen und eine Bestellung auszurichten hatte , da lag die Sache noch schwierig genug , jetzt aber hatte sie das Recht , zu sprechen und zu handeln .
Das mit den Theaterstücken war ein Unsinn und mit dem ewigen Lesen auch , und Rybinski und seine Braut - die ihr übrigens , trotzdem sie klarsah in allem , sehr gut gefallen hatte - mußten über kurz oder lang beseitigt werden .
Rybinski war eine Gefahr , noch dazu eine komplizierte .
Zunächst aber konnte von einem Vorgehn keine Rede sein , weil sie deutlich einsah , daß sie zur Erreichung ihrer Zwecke der Fortdauer guter Beziehungen zu Rybinski durchaus bedurfte .
Wenn ihr feststand , wie sie Hugo zu trainieren habe , so stand ihr auch ebenso fest , daß sie so was wie Zuckerbrot beständig in Reserve haben müsse , um Hugo bei Lust und Liebe zu erhalten , und dazu war Rybinski wie geschaffen .
Überhaupt nur nichts Gewaltsames , nur nichts übereilen .
Alles mit Erholungspausen .
Ihrem natürlichen Gefühle nach hätte sie den ersten Feiertag nicht vorübergehen lassen , ohne mit ihrem Bräutigam über ihre Zukunft zu sprechen und ein bestimmtes Programm aufzustellen , aber in ihrer Klugheit empfand sie , daß etwas Nüchternes und Prosaisches darin liegen würde , den Tag nach der Verlobung , der noch dazu der erste Weihmachtsfeiertag war , zu Behandlung solcher Fragen heranziehen zu wollen , und so bezwang sie sich und nahm sich vor , ihm eine Woche Weihnachtsferien zu bewilligen und ihn zu kleinen Vergnügungen anzuregen .
Er sollte sehen , wie gut er es auch im Behaglichen getroffen habe und daß Thilde durchaus verstehe , sich seinen Wünschen anzupassen .
Am Ende dieser Ferienwoche wollte sie dann mit der Prosa herausrücken , unter Hinweis darauf , daß ohne Durchführung ihres Programms von Glück und Zufriedenheit und überhaupt von einem Zustandekommen ihrer Ehe gar keine Rede sein könne .
ZEHNTES KAPITEL Ja , diese Ferienwoche !
Thilde war wie nicht zum Wiedererkennen und schien eine Verschwenderin geworden .
" Hugo , das ist nun unsere Flitterwoche , wenn ich mir solch Wort , das uns eigentlich nicht zukommt , erlauben darf .
Aber ich will es mir erlauben .
Es ist so schön , solche Erinnerung zu haben , und ich denke es mir hübsch , wenn wir Mal alt geworden sind , von solcher Zeit sprechen zu können .
Und darum muß alles wie Sonnenschein sein , und wir wollen es so recht genießen . "
Hugo hielt Tilden Hand und sagte : " Das ist recht , Thilde ; das freut mich , daß du so sprichst .
Ich dachte , du hättest so nicht den rechten Sinn dafür , für die Freude , für das süße Nichtstun , was doch eigentlich das Beste bleibt . "
Thilde hielt es nicht für klug , ihn eines anderen [ zu ] belehren ; sie schwieg unter freundlichem Lächeln , und Hugo fuhr fort :
" Und dachte , du wärest immer nur für Pflicht und Ordnung und Stundehalten , was mir , sosehr es mir gefiel , doch auch wieder ängstlich war , weil man auch im Guten zuviel tun kann .
Und nun sehe ich , daß ich eine heitere , lebenslustige Braut habe .
Ja , das ist beinahe mir die Hauptsache .
Nun sage , was nehmen wir heute vor ?
Aber wähle nicht ängstlich und sprich nicht von Geld und bescheidenen Verhältnissen .
Wenn man sich verlobt hat , da darf man in nichts ängstlich sein und muß einem zumute sein , wie wenn man das Tischleindeckdich hätte . "
" Nun " , sagte sie , " dann wollen wir ins Opernhaus , Proszeniumsloge .
Vielleicht haben wir den Kaiser vis à vis . "
" Ach , Thilde , so darfst du nicht sprechen .
Ein bißchen Spott is gut , das kleidet .
Aber nicht so .
Da werde ich wieder irre an dir . "
" Nun , dann wollen wir zu Kroll und uns die Weihnachtspantomime ansehn . "
Er stimmte freudig zu , fragte dann aber :
" Und die Mutter ?
Werden wir sie mitnehmen müssen ? "
" Wir werden es ihr wenigstens anbieten müssen .
Vielleicht , daß sie nein sagt .
Ich bekenne , daß ich gerne mit dir allein wäre .
Solche Freude genießt sich am schönsten zu zwei . "
Hugo war glücklich .
Er entdeckte Seiten in seiner Braut , die ihm Perspektiven auf ein höheres und feineres Glück eröffneten , als er an jenem Abend des ersten Geständnisses erwartet hatte .
Was damals in ihm lebte , war eine Dankbarkeit , war ein weiches , sentimentales Gefühl , in dem die voraufgegangne Krankheit noch nachspukte .
Jetzt schien es ihm , daß Thilde warmer Gefühle fähig sei , vielleicht sogar einer Leidenschaft .
Und seine Brust hob sich .
So begann die Festwoche .
Man ging zu Kroll und vergnügte sich ganz leidlich , trotz Gegenwart der Mutter , die nach anfänglicher Ablehnung ihren Entschluß geändert hatte , als sie hörte , daß " Schneewittchen und die sieben Zwerge " gegeben würde .
Thilde war eigentlich froh darüber ; der Alten eine Freude zu machen war ihr eigentlich wichtiger als alles andere .
Was sie da von " Genießen zu zwei " gesprochen hatte , war nur so hingesagt , weil sie wußte , daß Hugo gerne so was hörte .
Am zweiten Feiertage fuhr man in einer offenen Droschke , deren Vorbau den Wind abhalten mußte , nach Charlottenburg hinaus , aber nicht die große Chaussee hinunter , sondern auf einem weiten Umwege erst an der Rousseau-Insel und dann am Neuen See vorüber .
Auch hier war Mutter Möhring zugegen .
Es war rührend , die alte Frau zu sehen .
Am Neuen See stieg man einen Augenblick aus , um die Schlittschuhläufer besser zu sehen .
Am meisten freute sie sich über die vielen Flaggen und Fahnen , aber bloß über die großen .
Von den vielen kleinen meinte sie , sie sähen aus wie Taschentücher auf der Leine .
Möhring habe auch solche bunten gehabt , weil er immer am Schnupfen gelitten habe .
So brachte jeder Tag was Neues .
Das Glanzstück war aber ein Diener apart bei Hiller , zu dem auch Rybinski geladen war , natürlich mit Braut .
Bei diesem Diener fehlte die Alte , weil sie , wohl in Folge der Fahrt durch den Tiergarten und zu langen Stehens im Schnee , um die Schlittschuhläufer besser sehen zu können , ihren Hexenschuß gekriegt hatte .
Hugo war damit zufrieden und diesmal auch Thilde , die bald einsehn mußte , daß Hiller kein Lokal für die Mutter war .
Rybinski sprach von seinen neusten Bühnentriumphen und machte damit einen großen Eindruck auf seinen Freund und Landsmann , was Thilde mit Sorge sah .
Es kam ihr aber Hilfe .
Bella , die die ganze Kunstfrage großartig superior behandelte , lachte beständig , wenn das Wort Talent fiel , und sagte , das gänzliche Fehlen davon sei es ja gerade , was ihr ihren Hans so unaussprechlich teuer mache .
Talent !
Talente gäbe es so viele , sie erschräke schon immer , wenn sie von einem neuen höre , aber es gäbe nur einen Hans von Rybinski .
Der wöge ihr zehn Talente auf ; sie sei für das schön Menschliche und in der Liebe für das Übermenschliche .
" Glaubt ihr nicht " , sagte Rybinski gutmütig , " mein Kosinsky hat ihr Herz erobert .
Ein mir unvergeßlicher Moment .
An demselben Abende begann unser Glück . "
" Da sagt er die Wahrheit .
Aber warum war es so ?
Als Kosinsky war er er selbst .
Schade , daß die Rolle nicht bedeutender ist und daß man sie drüben nicht recht kennt .
Ich ginge sonst mit ihm nach Amerika rüber , immer querdurch , und wenn wir bei San Francisco wieder herauskämen , wären wir Millionäre .
Jeden Tag bloß Kosinsky mit Polenmütze und Silbersporen . "
Rybinski trank auf das Brautpaar , und Hugo hätte diesen Toast in gleicher Form eigentlich erwidern und auch von einem " Brautpaar " sprechen müssen .
Das konnte er aber doch nicht übers Herz bringen und begnügte sich , die Kunst leben zu lassen und zwei liebenswürdige und befreundete Herzen und dergleichen mehr .
Und nun ging die Weihnachtswoche zu Rüste , der 31. Dezember war da , und die Frage war , ob man in eine Silvestervorstellung mit Schlußakt im Café Bauer gehen oder aber zu Hause bleiben und einen guten Punsch machen und gießen wolle .
Man entschied sich für das letztere , weil die alte Möhring zwar schon wieder außer Bett war , aber doch immer noch Schmerzen hatte .
Geladen wurde nur der Vetter Architekt , und Ulrike sollte ganz wie am Weihnachtsabend aufwarten .
" Die Alte kann ich nicht sehen " , hatte Hugo erklärt .
Das mußte berücksichtigt werden , aber man wollte sie doch auch nicht ganz weglassen , und so saß sie draußen in der Küche und hielt den großen Blechlöffel , in dem Thilde das Blei schmolz .
Als diese gegossen hatte , konnte nur noch die Frage sein , was es sei .
Die Runtschen hielt es für eine " Krone " , Ulrike aber ging weiter und sprach von " Wiege " .
Mathilde , die Verlegenwerden albern fand , bestritt Ulrikens Auslegung und behauptete nur , " das ginge nicht " , worauf Ulrike meinte :
" Gott , Fräulein , es geht alles . "
Denn Ulrike war eine sehr schlaue Person , die ihr Geschlecht kannte .
Nur freilich bei Thilde verfing es nicht .
Diese ging mit der " Krone " , oder was es sonst war , in das Vorderzimmer zurück , wo man eine Weile weiterorakelte , bis Hugo die Gläser mit einem guten , nach eigenem Rezept gemachten Punsch füllte .
Seines Vaters Haus war berühmt in Punsch gewesen .
Der Alte hatte solche Spezialitäten .
Und nun nahm der Vetter Architekt wie schon am Weihnachtsabend wieder das Wort und trank auf ein glückliches neues [ Jahr ] .
Es war noch nicht viel nach Mitternacht , als Mutter und Tochter wieder allein in ihrem Zimmer waren .
Es war etwas stickig , eine merkwürdige Luftmischung von Punsch , Wachsstock und türkischem Tabak , so daß Thilde sagte :
" Mutter , wenn es dir nicht schadet , ich möchte wohl das Fenster noch ein bißchen aufmachen . "
" Ja , mache auf , Thilde .
Was soll es mir am Ende schaden .
Und dann ist mir auch so sonderbar zumute und so feierlich , und weil gerade Neujahrsnacht ist , ich möchte wohl die Singuhr spielen hören .
Die spielt immer so was Schönes und Frommes . "
Thilde rückte der Alten einen Lehnstuhl ans Fenster , aber so , daß sie der Zug nicht traf .
Dann sagte sie : " Ja , Mutter , die Singuhr .
Du denkst immer noch , du wohnst Stralauer Straße ; da wohnen wir doch aber nicht mehr .
Und dann , Mitternacht is ja nun schon lange vorbei , und die Singuhr muß sich doch auch ein bißchen ausruhn . "
" Ja , du hast recht , Thilde .
Ich vergeße es immer .
Ich weiß nicht , ich bin doch noch nicht so alt , aber ich bin schon so taprig , mitunter denke ich , es is gar kein Unterschied mehr zwischen der Runtschen und mir . "
" Das mußt du nicht sagen , Mutter .
Du hast überhaupt so was Kleines und Ängstliches .
Und man muß sich nicht zu klein machen , dann machen einen die Leute immer noch kleiner . "
" Ja , das is schon richtig , aber man muß sich auch nicht zu groß machen , und daß wir die Ulrike wieder hier hatten , die bloß immer die Augen so schmeißt und immer denkt , sie is es , und die alte Runtschen mußte draußen sitzen und den Gieße-Löffel halten , und ich sah wohl , wie ihr die Hand zitterte , weil sie recht gut gemerkt hat , daß wir sie hier vorne nicht mehr sehen wollen - ja , Thilde , das is , wo ich so sage , man soll sich auch nicht zu groß machen .
Und wenn du sagen willst , daß wir es nicht sind und daß bloß unser Herr Hugo es nicht will , ja warum will er es nicht ?
Daß sie das Pflaster hat , na , das is ein Unglück , und die meisten haben eins .
Und ich sage dir , Hochmut kommt vorm Fall .
Und so hoch ist er doch auch nicht . "
" Ach , Mutter , was du da wieder alles redest .
Na , nachher davon .
Aber nun komme erst in die Schlafstube , hier zieht es doch ein bißchen .
Und wenn du nicht willst , na , dann bleibe noch , aber das Fenster will ich wieder zumachen . "
" Ja , Thilde , das tu , ich kriege sonst mein Reißen wieder . "
" Und das mit der Runtschen und mit Hugo , da hast du ganz Unrecht , und ich freue mich , daß er so is , wie er is . "
" Ja , es is aber doch wie ein hartes Herz und eine Grausamkeit ... "
" Ach Unsinn , Mutter .
Wenn der ein hartes Herz hat , hat jedes Kaninchen auch eins .
Ein zu weiches Herz hat er , das is es , und das muß ich ihm abgewöhnen .
Denn die , die ein zu weiches haben , sind immer faul und bequem und können auch nicht anders , weil alles , was hier sitzt , keinen rechten Schlag hat . "
" Meinst du , Thilde ? "
" Ja , Mutter , wenn man verlobt ist , hört man ja mitunter den Schlag , weil man sich so nahe kommt , und geht auch nicht anders , und wenn man anders wollte , so wäre es wie Ziererei .
Ja , was denkst du , was er vorn Herzschlag hat ?
Wie 'ne Taschenuhr . "
" Am Ende war es auch so . "
" Nein , es war sein Herz .
Und das einzige Gute ist , und deshalb is das so wichtig mit der Runtschen , wenn er was Häßliches sieht , dann schlägt es besser , und dann hat er ein starkes menschliches Gefühl und beinahe männlich , und ein so guter Mensch er ist , das Liebste an ihm is mir doch , daß er immer einen so furchtbaren Schreck kriegt , wenn er den Runtschen[schen ] Kiepenhut sieht und all das andere .
Es ist mir ja leid .
Aber er steht mir doch näher , und du glaubst gar nicht , wie wichtig das is .
Sieh , Mutter , mit einem schwachen Menschen ist eigentlich nicht recht was zu machen .
Aber man muß auch nicht zuviel verlangen , und wenn einer bloß so viel hat , daß er sagen kann :
" Thilde , die Runtschen muß draußen bleiben " , so is das schon ganz gut .
Denn wer so furchtbar gegen das Häßliche ist , der kommt auch zu Kräften , wenn er was sehr Hübsches sieht . "
" Ach , Thilde , das is ja das allerschlimmste , das kenne ich auch , damit komme mir nicht . "
" Ja , Mutter , gerade damit komme ich .
Du denkst immer bloß an Ulriken und an Schulzen unten .
Aber das is nicht die richtige Hübschigkeit , das is , was man das Untere nennt .
" Ja , ja . "
" Das Untere , das Niedere .
Daneben gibt es aber auch was , das ist das Höhere .
Und sieh , wer das hat , der kann auch das Schwache stark machen .
Lange vor hält es wohl nicht , aber es kommt doch , es ist doch da .
Und wie er gegen das Häßliche is , so is er auch gegen das Schlechte , und wie er für das Hübsche is , für das richtige Hübsche , so is er auch für das Gute .
Und ist sogar für Tugend , ich habe die Beweise davon .
Und dies habe ich dir alles sagen müssen , damit du mir nicht wieder mit der Alten draußen kommst .
Daß er so gegen die Runtschen is , das ist mein Hoffnungsanker .
Und nun komme , Mutter , es ist ja schon über eins , und morgen is ein schwerer Tag für mich .
Denn morgen is die Ferienwoche vorbei , und morgen muß ich ihn ins Gebet nehmen . "
" Ach Gott , Thilde , was soll nun wieder ins Gebet nehmen .
Mitunter is mir doch recht bange .
Und so geht es nun ins neue Jahr rein , und unser bißchen Erspartes wird immer weniger .
Er is ja nicht ein Studierter , er is ja doch bloß ein alter Studente . "
" Ja , das is er .
Aber laß nur gut sein .
Wenn ich auch nicht viel aus ihm mache , soviel doch , daß ich ihn heiraten kann und daß ich dir alle Monate was schicken kann und daß ich einen Titel habe . "
Der erste Januar war ein wundervoller Wintertag , alles überreift und übereist , aber nicht sehr kalt und eine helle Sonne am blauen Himmel .
Hugo war früh auf , so früh , daß Möhrings noch schliefen ; er ging hinüber , klopfte an das Schlafzimmer , und als er Tilden etwas erschreckte Stimme gehört hatte , rief er durch die Türspalte , daß er sein Frühstück in den Zelten nehmen wolle .
" Das tu " , sagte Thilde , während die Alte vor sich hin brummelte :
" Gott , so fängt er nun an , so is nun Neujahr . "
Hugo hörte aber nichts davon , er drückte schon die Entreetür ins Schloß und überließ es Tilden , die Alte ein bißchen zurechtzusetzen .
" Mutter , mit dir is auch gar nichts ; du denkst immer gleich an Feuermelder und Hinrichtung .
Ich bin doch nun verlobt und seine Braut , und ich muß dir sagen , du mußt nun wirklich ein bißchen anders werden . "
" Ja , ja , Thilde , ich will ja . "
" Sieh , du schadest uns .
Ich habe dir neulich gesagt , wir seien keine » kleinen Leute « , die Runtschen sei kleine Leute , und das ist auch richtig , aber wenn du immer gleich so weimerst , dann sind wir auch » kleine Leute « .
Wir müssen nun doch ein bißchen forscher sein und so , was man sagt , einen guten Eindruck machen ... "
" Ach , Thilde , es koste ja alles soviel .
Wo soll es denn herkommen . "
" Dafür will ich schon sorgen .
Und wenn nicht einen forschen Eindruck , so doch einen anständigen und gebildeten .
Aber weimern is ungebildet . "
" Un so fängt nun das neue Jahr an " , wiederholte die Alte , " so mit Zank und Streit und mit In- die-Zelten .
Und ich glaube , so früh kriegt er noch gar keinen Kaffee .
Die Zelten sind ja bloß für Nachmittag . "
" Ach , er wird sich schon durchschlagen ; in so was is er findig . "
Hugo genoß den schönen Morgen .
Er war glücklich , Mal wieder einen weiten Spaziergang machen zu können , denn seit dem Tage , daß er krank wurde , war er nicht hinausgekommen .
Er freute sich über alles und wußte nur nicht recht , ob es das Bräutigamsgefühl oder bloß das Rekonvaleszentengefühl sei .
" Es wird wohl das Rekonvaleszentengefühl sein , aber es ist am Ende gleich . "
Er ging bis über Bellevue hinaus , und erst auf dem Rückwege machte er sich es in dem mittleren Zelte , wo der Alte Fritze mit dem Krückstock an der Barre steht , bequem .
Dabei hing er seinen Gedanken nach und überlegte :
" Heute früh kriegen sie nun meinen Brief , Mutter und Schwester , und dann wird es ein großes Gerede geben .
Aurelie ist ein sehr gutes Mädchen und auch nicht eng und nicht kleinlich , aber sie hat doch so 'n sonderbares Honoratiorengefühl , oder eigentlich nicht sonderbar .
Und wenn sie nun liest , daß ich mich mit einer Chambre-garnie-Tochter verlobt habe , so wird sie die Nase rümpfen und von Philöse sprechen .
Und vielleicht schreibt sie mir auch so was .
Na , ich muß es hinnehmen .
Möhrings sind sehr gut , auch die Alte so auf ihre Art , aber wenn sich einer mokieren will , dann kann er_es .
Schließlich schadet es nichts .
Man kann sich über alles mokieren .
Und wenn Aurelie Tilden sieht , wird sie sich vielleicht auch wundern .
Thilde hat nichts Verführerisches , aber das ist doch auch ein Glück ; wenn sie so was hätte , wohin sollte das sonst führen , bei so weiten Aussichten und so täglichem Verkehr .
Und auch schon jetzt , ich muß mich vor Intimitäten hüten .
Sie hat was Herbes , aber das kann angelegte Rüstung sein .
Im übrigen weiß ich , was ich mir und anderen schuldig bin . "
Es war schon zwölf , als er wieder nach Hause kam .
Er hatte noch an der Ecke der Friedrichsstraße eine Litfaßsäule durchstudiert und war zu dem Resultat gekommen , daß sie den Abend über in den Reichshallen verbringen wollten , wo eine Luftkünstlerin merkwürdige Sachen aufführen wollte .
Sie war auch abgebildet auf dem Zettel , ein leichtes Kostüm , eigentlich nur eine Andeutung , und flog durch die Luft .
" Ich sehe gern so was " , sagte er , als er von der Säule her in die Friedrichsstraße einbog .
" Es ist sonderbar , daß mir alles Praktische so sehr widerstreitet .
Man kann es eine Schwäche nennen , aber vielleicht ist es auch eine Stärke .
Wenn ich solche schöne Person durch die Luft fliegen sehe , bin ich wie benommen und eigentlich beinahe glücklich .
Ich hätte doch wohl so was werden müssen , ausübender Künstler oder Luftschiffer oder irgendwas recht phantastisches .
Oder Tierbändiger , das hat von klein an einen besonderen Reiz für mich gehabt .
Es soll auch alles nicht so gefährlich sein , wie_es aussieht ; sie machen sich etwas Moschus oder Zibet ins Haar , dann schnappt er nicht zu .
Gott , wenn Thilde wüßte , daß ich so Verwegene Gedanken habe .
Nun , Gedanken sind zollfrei , und es zieht nur so über mich hin .
Wenn ich ernsthaft zusehe , sehe ich , daß alles lächerlich ist .
Tierbändiger .
Und dabei hat mich Thilde in Händen ; sie denkt , ich merke es nicht , aber ich merke es recht gut , ich laß es gehen , weil ich es so am besten finde .
Schließlich is man , wie man is.. .
Und wenn ich nur so leidlich bequem durchkomme ... "
Bei dieser Stelle seiner Betrachtung war er bis vor Schulze Palazzo angelangt und sah hinauf .
Schultze stand in Samtschlafrock und türkischem Fez am Fenster und grüßte gnädig hinunter , wobei er seinen Fez zog .
Hugo erwiderte den Gruß , war aber nicht sehr erbaut davon , weil sich in dem Ganzen was von Überhebung aussprach , jedenfalls nicht viel Respekt .
Und nun stieg er hinauf .
Das Messingschild eine Treppe hoch war glänzend geputzt , und ein Hausmädchen mit kokettem Häubchen und Tändelschürze , das Schultze selbst ausgewählt hatte , stand auf dem Vorflur am Treppengeländer und sah in den Hausflur hinunter .
Als Hugo vorüberging , wandte sie sich und grüßte sehr artig , aber mit einem Gefühl von Überlegenheit über ihn oder eigentlich über Thilde .
Hugo fühlte es heraus und kam ziemlich kleinlaut oben an .
Ein Glück war , daß er solchen Stimmungen ebenso rasch entrissen werden konnte , wie sie ihm kamen .
Als er oben war , dachte er wieder an die Reichshallen und das Bild auf dem Zettel , und wieder gehoben in seiner Stimmung , trat er in das Entree , legte den Überzieher ab und ging zu Möhrings hinüber .
Er fand nur Thilde , die merkwürdig gut aussah und sich ihm in einem neuen Kleide präsentierte .
Die Alte war nicht da .
" Guten Tag , Thilde , und viel Glück zum Neujahr .
Aber wo ist denn die Mutter ? "
" Die wollte zwei Neujahrsbesuche machen bei Schmädickes und bei Donners .
Das sind noch alte Hausbekannte , als wir noch in der Stralauer Straße wohnten . "
" Davon habe ich ja nie gehört . "
" Kann auch nicht .
Sie machen sich nichts aus uns , und wir machen uns nichts aus ihnen , sehr langweilig und sehr ungebildet , aber Mutter hat so alte Sätze :
» Man soll alte gute Freunde nicht aufgeben « , als ob es alte Freunde wären .
Aber es sind keine , bloß alt sind sie , das is richtig , aber alle Neujahr geht Mutter hin .
Ich denke mir , es is ein bißchen Neugier .
Und nun sage , wo warst du ? "
Hugo berichtete getreulich , und während sich Thilde auf das Sofa und Hugo dicht neben sie setzte , sprach er auch von der Litfaßsäule und daß sie heute abend in die Reichsballen wollten , da wäre die " Tochter der Luft " , eine pompöse Person und doch ganz ätherisch .
Die Mutter könne ja gut mitkommen .
Thilde sah ihn an und lächelte .
Dann nahm sie seine Hand und sagte : " Reichshallen .
Nein , Hugo , das ist nun vorbei .
Wir waren nun von Heiligabend bis Silvester jeden Tag aus oder hatten unseren Punsch , und einmal waren wir in einem ganz feinen Lokal , ich möchte beinahe sagen über unseren Stand und unsere Verhältnisse ; aber nun ist es genug , und nun müssen wir anfangen . "
" Ja womit denn , Thilde ? "
" Nimm es mir nicht übel , aber so was kannst nur du fragen .
Willst du mir erlauben , dir offen meine Meinung zu sagen , und willst du mir versprechen , mir nichts übelzunehmen und von vornherein davon auszugehen , daß ich es gut meine mit dir und allerdings auch mit mir . "
" Gewiß , Thilde .
Sprich nur , ich weiß ja , daß es immer was Vernünftiges ist , was du sagst .
Mitunter ein bißchen zu sehr .
Aber in dieser Woche habe ich dich auch von der lebelustigen Seite kennengelernt . "
" Und das sollst du auch weiter , Hugo .
Ich bin gar nicht so schlimm und so schrecklich vernünftig , wie manche glauben .
Ich bin auch für Siechputzen und für Vergnügen .
Aber mit Arbeit muß es anfangen .
Daß wir arme Leute sind , wußte du , und daß du nicht reich bist , weißt du auch .
Zweimal null macht null .
Und mit Null kann man nicht in teure Lokale gehen und nicht einmal die Tochter der Luft sehen .
Wir sind nun verlobt , und ich bin glücklich , einen so guten und einen so hübschen Mann zu haben , und bin sicher , daß ihn mir viele nicht gönnen , die Rätin unten gewiß nicht und die Frau Leutnant Petermann auch nicht .
Das sind neidische alte Weiber .
Und das schöne blonde Frauenzimmer unten mit der Spitzhaube sieht mich auch immer so an .
Nun , Neid macht glücklich , und ich bin es .
Aber Stillstand ist Rückschritt , sagte mein Vater das Jahr vor seinem Tode , als er keine Weihnachtszulage gekriegt hatte . "
" Du hast ganz recht " , unterbrach Hugo .
" Freilich habe ich recht .
Aber du sagst das nur , weil du nicht weiter zuhören willst .
Ich weiß das .
All so was , was doch schließlich wichtiger ist als Kosinsky , womit ich aber nichts gegen unseren Schiller gesagt haben will , all so was hörst du nicht gern , es soll alles bloß hübsch aussehn und glattgehn und bequem sein .
Nun gewiß , Bequemlichkeit ist immer das bequemste , versteht sich , und ich kann dir sagen , wenn früher die Herren um sieben ihren Kaffee wollten , und einen hatten wir , der war schon immer um Klock Sechs auf , und ich mußte dann raus und Kien spalten und mit einem Tuch übern Kopf zu Bäcker Pfannschmidt , um die Semmeln zu holen , ich kann dir sagen , da hätte ich mich auch lieber noch Mal rumgedreht und das Kissen übers Kinn gezogen , denn es war ein bitterkalter Winter , und ich bibberte man so ... "
" Na , Thilde , das is nun vorbei . "
" Ja , das sagst du so hin , vorbei .
Was heißt vorbei .
Verlobt sind wir , das heißt also , wir wollen doch Mal heiraten und in eine christliche Ehe eintreten .
Darum muß ich bitten .
Komme mir nicht so mit so bloß drüber_hin .
Dafür bin ich nicht .
Alles muß sein Vergnügen haben , aber auch seinen Ernst .
Und der Ernst kommt erst .
Und da wir doch nicht als Herr und Frau Student oder Kandidat , was eigentlich dasselbe ist , durch die Welt gehen können , schon deshalb nicht , weil , wer kein Amt und keinen Dienst hat , auch kein dienstliches Einkommen hat , was wir doch haben müssen , wenn wir leben wollen und eine Familie bilden wollen ... "
" Ach ,Thilde , das ist ja noch weit hin ... "
" ...
Also leben wollen , so mußt du für das sorgen , was zum Leben nötig ist , das heißt , du mußt nun endlich dein Examen machen und nicht immer die Bücher beiseite schieben und die » Gespenster « lesen , was übrigens , wie es sein Titel schon ausrückt , ein greuliches Stück ist .
Dein Examen machen , sage ich , je eher , je lieber .
Und von morgen ab wird angefangen ... "
" Aber wie denn ? "
" Ganz einfach .
Stadt an die Reichshallen und die Tochter der Luft zu denken , denkst du an dein Repetitorium , was du während deiner Krankheit ganz vergessen hast , und schon vorher war es auch nicht viel , und du bezahltest bloß und gingst spazieren .
Aber nun mußt du wirklich hingehen .
Und abends , ihr habt da ja solche Fragehefte mit beigeschriebener Antwort , was ich alles auf deinem Stehpult habe liegen sehen , abends kommst du zu Mutter und mir herüber und kannst dich auch auf die Chaiselongue legen , wenn es dir paßt , und dich mit deiner alten Reisedecke , mit dem Löwen drauf , zudecken .
Und wenn du so daliegst , werde ich dir die Künste abfragen und nicht eher ruhen , als bis du mir Rede und Antwort stehen kannst und alles ganz genau weißt wie am Schnürchen . "
" Aber Thilde . "
" Verlaß dich drauf .
Wenn es was werden soll , so kommst du und legst dich hin oder kannst auch sitzen bleiben , und ich frage dich .
Und heute abend , wenn dir so sehr daran liegt , kannst du noch Mal die » Tochter der Luft « sehen .
Aber ich gehe nicht mit , ich habe vorläufig keinen Sinn für dergleichen , und morgen abend fangen wir an . "
ELFTES KAPITEL Hugo wußte nicht recht , ob er froh oder verstimmt sein sollte .
So schwach war er nicht , um nicht einzusehn , daß Thilde mit ihm machte , was sie lustig war , und so uneinsichtig war er nicht , daß er das sehr Unheldische seiner Situation nicht herausgefühlt hätte .
Ja , das hätte nicht sein sollen .
Aber das waren nur kurze Anwandlungen , eigentlich war er froh , daß jemand da war , der ihn nach links oder rechts dirigierte , wie es gerade paßte .
Daß es gut gemeint war und daß er dabei vorwärtskam , empfand er jeden Augenblick , und was ihm über gelegentliche Mißstimmungen am besten forthalf , war die Beobachtung der Methode , nach der Thilde mit ihm verfuhr .
In seinem ästhetischen Sinn , der sich an Finessen erfreuen konnte , sah er mit einem gewissen künstlerischen Behagen auf die Methode , nach der Thilde verfuhr , und freute sich der Erleichterungen , die das pädagogische Verfahren ihm unmittelbar gewährte .
Es stand nämlich für Thilde fest , daß sie sich hüten müsse , seiner Tragekraft mehr zuzumuten , als diese doch nur schwache Kraft beim besten Willen leisten konnte , weshalb sie mit Klugheit und Geschick für Unterbrechungen Sorge trug oder , wie sie sich scherzhaft ausdrückte , für " Entrefilets " , ein Wort , das sie sich aus Hugos etwas feuilletonistischem Sprachschatz angeeignet hatte .
Wenn das Examinieren , das sie nach Möglichkeit in ein quickes Frage-und-Antwort-Spiel verwandelte , bedrückend zu werden anfing und sich in Hugo[s ] Zügen etwas von Ermüdung zeigte , so brachte sie ein Glas Tee oder Rotwein oder eine Ingwertüte , und während sie ihm daraus präsentierte und auch wohl selber ein Stückchen nahm und von den Molukken sprach , wo der Ingwer am besten eingemacht würde und wo sie von China her ( oder vielleicht würden sie auch nachgemacht ) auch die großen blaugeblümten Porzellankrüge hätten , glitt sie zu Tagesfragen über und las ihm von Christenverfolgungen in China vor oder von den Franzosen in Annam und Tonkin oder von dem Kriege , den die Holländer mit den Eingeborenen führen müßten .
Die Japaner seien den Chinesen doch weit voraus , und ein Volk , das solche Naturbeobachtung habe und solche Blumen und solche Vögel machen könne , das repräsentiere doch eine allerhöchste Kultur , was man jedem Teebrett absehen könne .
Dabei wolle sie noch nicht einmal von dem Lack sprechen , der doch auch unerreicht dastehe .
Dabei war Thilde groß in Übergängen , und wenn sie so mit Hilfe der Ingwertüte bei den Molukken und Japan und China begonnen hatte , war es ihr ein leichtes , sich bis zu Kroll und der Sembrich und sogar bis zu Rybinski zurückzufinden , und wenn sie dann noch was Pikantes , das sie eigens für Hugo sammelte , zum besten gegeben und ihn erfrischt hatte , sagte sie :
" Nun aber , bricht Verkaufe Miete oder nicht ? "
Und Hugo ging dann mit wiedergewonnener Kraft ins Feuer und antwortete mitunter so gut , daß Thilde ihre helle Freude hatte .
Die alte Möhring war immer dabei , schon weil sie nicht wußte , wo sie hinsollte .
So kam Ende Januar heran , und als eines Abends um die zehnte Stunde Hugo das Zimmer verlassen und Thilde die Gläser und Tassen beiseite geräumt hatte , sagte die Alte , während sie sich auf eine Fußbank und mit dem Rücken an den Ofen setzte : " Sage Mal , Thilde , lernt er denn gut ? "
Thilde : " O ganz gut , Mutter , eigentlich besser , als ich dachte . "
Die Alte : " Ja , ja , es kommt mir auch so vor , und er is auch ein bißchen vivigerviviger : lebhafter ( umgangssprachlich eindeutschende Steigerung des französischen Adjektivs " vif " ) . , als er eigentlich is .
Aber du kommst immer mit soviel dazwischen . "
" Wie denn ? "
" Mit soviel von Theater und Bella .
Mir is , was so zwischenkommt , immer das liebste , und wenn gar nichts Zwischenkämme , so ging ich zu Bett .
Aber es is doch wohl nicht richtig , daß immer soviel zwischenkommt . "
Thilde lachte .
" Nein , Mutter , es ist ganz richtig so .
Sieh Mal , es ist so .
Wenn ich heute noch nach Spandau gehen soll , na , dann zieh ich mir meinen Gummimantel über und nehme den Regenschirm und staple los ; und in Charlottenburg lehne ich mich Mal an und sehe nach es Schloß rüber und was die Uhr ist , und um zwölf bin ich in Spandau , und um vier bin ich wieder hier und bringe dir deinen Kaffee . "
" Ja , Thilde , das glaube ich schon .
Aber was meinst du nun eigentlich ? "
" Und nun nimm Mal [ an ] , daß du gehen sollst , auch nach Spandau .
Na , bis vors Brandenburger Tor kommst du mit einem Zug , und dann setzt du dich auf die erste Bank , gleich da , wo die kleinen Springbrunnen sind .
Und wenn du dich ausgeruht hast , dann geht es weiter , [ dann ] kommst du bis an den Kleinen Stern und dann bis an den Großen Stern und dann bis an die Chausseehäuser .
Und überall ist 'ne Bank und kannst dich ausruhn , und so kommst du nach Spandau .
Sagen wir gegen Abend .
Aber du kommst doch an .
Und ohne Ruhebank wärst du liegengeblieben und gar nicht angekommen . "
" Ja so , nun verstehe ich .
Ohne die Bank kommt er nicht an .
Na , wenn er bloß ankommt . "
Thilde : " Er wird schon . "
Und richtig , er kam .
Hugo bestand .
Er hatte zwar nur das Notdürftige gewußt , es trotzdem aber erzwungen .
Dasitzend wie Hause auf dem Konzil zu Kostnitz , ernst , schwärmerisch und bescheiden , halb tapfer und halb angstvoll , war es diese Haltung gewesen , die schließlich alles zum Guten geführt hatte .
Seine Persönlichkeit hatte gesiegt .
Einer der Herren Examinatoren nahm ihn beiseite und sagte : " Lieber Großmann , es war alles gut , ich gratuliere Ihnen . "
In einem merkwürdigen Seelenzustande , gehoben und doch auch gedrückt ( gedrückt , weil er an die Zukunft dachte ) , kam er nach Haus und sah sich dieser Stimmung erst entrissen , als er hier Mutter und Tochter begegnete .
Thilde , deren Auge leuchtete , blieb verhältnismäßig ruhig , der Gefahr aber , von der Alten geküßt zu werden , entging er nur mit genauer Not im letzten Augenblicke durch Rückzug in sein Zimmer .
Mutter Möhring war das nicht recht , und weil sie wie die meisten alten Berlinerinnen das Bedürfnis der Aussprache hatte , mußte nun Thilde alles mit anhören , was der Alten auf der Seele brannte .
" Gott sei Dank , Thilde , nun kann man doch wieder ruhig schlafen und weiß auch , was aus einem wird .
Denn gut is er doch eigentlich und wird eine alte Frau nicht umkommen lassen . "
Hugo schrieb Briefe nach Haus und auch ein paar Zeilen an Rybinski , um ihn wissen zu lassen , daß alles gut abgelaufen .
Als er gegen sieben wieder hinüberging , fand er ein kleines Souper vor , das Thilde samt einer Flasche Rüdesheimer , mit einer aufgeklebten Rheingaulandschaft als Beweis ihrer Echtheit , aus einem benachbarten großen Restaurant herbeigeschafft hatte .
Das Aufmerksame , das darin lag , und beinahe mehr noch der gute Geschmack , mit dem alles arrangiert worden war , blieben nicht ohne Wirkung auf Hugo , der sich plötzlich von dem Gefühl ergriffen sah , doch vielleicht in seinem dunklen Drange das Rechte getroffen zu haben ; gewiß , es waren einfache Menschen , etwas unter Stand , doch gut und ordentlich und zuverlässig , und alles andere war ja nur Schein , Plattiertheit , und er reichte über den Tisch hin Tilden die Hand , wie wenn er sagen wollte :
" Wir verstehen uns . "
Dann ließ er sich_es schmecken , und als er den sich wiederholenden Widerstand der alten Möhring , die jedesmal die Hand über das Glas hielt , endlich siegreich aus dem Felde geschlagen und auch ihr von dem goldgelben Wein eingeschenkt hatte , verstieg er sich bis zu einem launigen Toast , darin er die gute Möhring mit dem guten Examinator geschickt verglich und verband und beide leben ließ .
Nach Tisch brachte Thilde den Kaffee , der zu Ehren des Tages von einer Extrastärke war .
" Höre , Thilde , der geht aber ins Blut , Ich kriege dann immer solch Jucken . "
" Ach , laß nur , Mutter , wenn er nur schmeckt . "
" Ja , schmecken tut er , und stark is er , oder wie Möhring immer sagte :
» Mutter , da is keine Bohne vorbeigesprungen . «
Gott , wenn ich so an Vaters denke ; was würde der wohl gesagt haben . "
Und nun mußte sich Hugo in einen Großvaterstuhl setzen und genau berichten , wie_es eigentlich gewesen wäre , ja , Thilde fragte sogar , ob er auch nicht zu sicher geantwortet hätte , sie habe Mal gehört , das könnten die Herren nicht leiden .
Hugo beruhigte sie hierüber , und als alles erzählt und im vorbeigehen auch erwähnt war , daß er gleich an seine Mutter und Schwester nach Owinsk hin geschrieben habe , kam er überhaupt auf Owinsk und seine Jugend und sein elterliches Haus zu sprechen und welch forsches Leben sie da geführt hätten .
Bürgermeister und Apotheker und Rechtsanwälte , die lebten immer am forschesten , weil sie das meiste Geld hätten , und eigentlich sei solch kleinstädtisches Leben viel vergnüglicher als ein Leben in der großen Stadt , denn immer sei was los , und wenn sie nicht Skat spielten , so spielten sie Theater , und wenn nicht Ball wäre , so wäre Schlittenbahn , und dann bimmelte das Schellengeläut den ganzen Nachmittag , und die Schneedecken flögen , und die hübschen Frauen , denn in den kleinen Städten gäbe es immer hübsche Frauen , hätten die Hand im Muff und , wenn es sehr kalt wäre , auch die Hand von ihrem Partner dazu .
" Gott " , sagte die alte Möhring , " was heißt Partner ? wo sind denn die richtigen Männer , die dazu gehören ? "
" Die sind in einem anderen Schlitten . "
Hugo plauderte noch so weiter , und es gelang ihm , auch Tilden ein kleines Lächeln abzugewinnen .
Die Moralia von Owinsk waren ihr um so weniger ängstlich , als sie sich überzeugt hielt , daß ihres Bräutigams Hand nie in solchem Muff gesteckt hatte .
Hugo malte nur gern so was aus , weil er es hübsch fand , aber es lag nicht in ihm , solche Bilder in Taten umzusetzen .
All das wußte Thilde recht gut , die denn auch , statt sich mit Eifersucht zu quälen , aus Hugos Schilderungen des Owinsker Lebens nur das heraushörte , was sie für ihre eigenen Pläne brauchen konnte .
Was immer in ihr festgestanden hatte , daß Hugo in eine kleine Stadt und nicht in eine große gehöre , das stand ihr jetzt fester denn je .
Hugo selbst zog sich früh zurück , es konnte kaum neun sein , denn wenn auch siegreich , es war doch ein heißer Tag gewesen .
Aber er mochte noch nicht schlafen und ging auf und ab in seinem Zimmer .
Alles in allem war ihm nicht sehr siegerhaft zumute .
Er war nun Referendar , alles ganz gut , aber nun blieb noch der Assessor , und wenn er daran dachte , daß diese zweite Weghälfte notorisch viel , viel steiniger sei , so überkam ihn dasselbe Angstgefühl wieder , das er schon auf dem Heimwege von der Examinationsstätte bis zur Georgenstraße gehabt hatte .
Mit Thilde war nicht zu spaßen ; und er rechnete mit halber Gewißheit darauf , daß Thilde vielleicht morgen schon das am Neujahrstage mit ihm geführte Gespräch wiederholen und ihm zum zweiten Mal die Epistel lesen würde , vielleicht unter Wiederbewilligung einer Ferienwoche .
Dann nahm das Repetieren bei Tag und das Frag-und-Antwort-Spiel bei Abend wieder seinen Anfang , und er erschrak davor und zweifelte , daß er_es überwinden werde .
Vielleicht wäre es besser gewesen , er wäre durchgefallen , dann war die ganze Quälerei vorbei .
Verlobt war er freilich , aber doch erst ein Vierteljahr , das wollte nicht viel sagen , und am Ende - mußt es denn gerade die Juristerei sein , die so gar nicht zu ihm paßte , weil alles so steif und hölzern war .
Rybinski lebte doch auch .
Und wenn er auf der Posener Bahn fuhr ( dessen entsann er sich jetzt mit Vorliebe ) und an den kleinen Stationen vorüberkam , wo das Bahnhofsgebäude halb in wildem Wein lag und der Bahnhofsinspektor in seiner roten Mütze den Zug abschritt , während eine junge Frau mit einem Blondkopf neben sich halb neugierig und halb gelangweilt aus dem Fenster der kleinen Beletagebeletage : das erste , " schöne " Stockwerk eines Hauses , das als Haupt- und Prachtgeschoß galt . sah , Gott , da war ihm schon manch liebes Mal der Gedanke gekommen : ja , warum nicht Bahnhofsinspektor ?
Und dieser Gedanke kam ihm wieder .
Und wenn nicht Bahnhofsinspektor , warum nicht Schuppeninspizient oder Telegraphist ; das bißchen Tippen muß sich doch am Ende lernen lassen , und mitunter kommt auch Mal ein interessantes Telegramm , und man gewinnt Einsicht in allerlei .
Diesen Betrachtungen hingegeben , wurde er ruhiger und schlief ein .
Aber am anderen Morgen war die alte Sorge wieder da , und er war verlegen , als ihm Thilde seinen Kaffee , den er noch immer allein nahm , in sein Zimmer brachte .
" Guten Morgen , Hugo .
Sieh , wie prächtig die Sonne scheint , das ist dir zu Ehren .
Und es ist auch warm draußen , du solltest spazierengehn und dich nach all den Strapazen erholen .
Denn wenn einer auch noch so tapfer ist " ( und sie lächelte dabei ) , " vor einem Examen hat doch jeder Furcht .
Gehen macht wieder frisch , und bringe uns ein paar Neuigkeiten mit .
Ich glaube , deine » Tochter der Luft « ist nicht mehr da , sonst ließe sich darüber reden , und wir könnten heute abend vielleicht hingehen .
Heute vormittag muß ich in die Stadt .
Soll ich dir etwas mitbringen ?
Oder hast du auf was Appetit ?
Mein lieber alter Mensch , du bist doch recht blaß geworden . "
Und dabei gab sie ihm einen Kuß mit ihren schmalen Lippen und ging dann und nickte ihm von der Tür her noch Mal freundlich zu .
" Merkwürdiges Mädchen " , sagte Hugo , " so gut und so tüchtig ; aber Küssen is nicht ihre Force .
Nun , man kann nicht alles verlangen , und jedenfalls bin ich froh , daß sie nicht gleich wieder davon angefangen hat .
Es wird wohl nur eine Galgenfrist sein .
Aber wieviel Tage hat denn das Leben ?
Und ein Tag ist schon immer was . "
Hugos Befürchtungen schienen sich nicht erfüllen zu sollen .
Das Examen war Ende März gewesen , und schon war Mitte April , ohne daß Thilde von Assessor-Examen und Vorbereitung dazu gesprochen hätte .
Sie ließ es gehen , war voll kleiner Aufmerksamkeiten , unter denen Stückevorlesen aus kleingedruckten Reclamschen Zweigroschen-Ausgaben obenan stand , und hatte sich nur darin geändert , daß sie minder häuslich schien als früher und jeden Vormittag ein paar Stunden in der Stadt war .
Hugo selbst kümmerte sich nicht darum und auch kaum die Alte , bis diese eines Tages fragte :
" Thilde , du bist jetzt immer gerade weg , wenn die Runtschen kommt und reine macht .
Ich will nichts sagen , aber sie rennt immer gegen , weil sie nicht sehen kann , und schlägt alles entzwei , heute wieder die grüne Lampenglocke . "
" Ja , das is schlimm , Mutter . "
" Wo gehst du denn eigentlich immer hin , Thilde ? "
" Lesehalle für Frauen . "
" Und da ? "
" Da les ich Zeitungen . "
" Aber Hugo kriegt ja doch jeden Tag eine . "
" Freilich .
Aber eine is nicht genug ; ich brauche viele . "
" Na , wenn du meinst ; für mich wäre es nichts . "
Und dabei blieb es .
Die Alte kam nicht wieder darauf zurück , bis eine Woche später diese halb geheimnisvolle Zeitungslesei , auch ohne weitere Frage , ihre Erklärung fand .
Es war ein Sonntag , an welchem Tage die Lesehalle nur von elf bis eins auf war , und um eineinhalb war Thilde wieder zu Haus .
" Guten Tag , Mutter .
Es riecht ein bißchen nach verbrannt .
Du hast wohl nicht recht nachgesehn .
Na , Hugo merkt es nicht .
Und wenn auch , er ißt ja die verbrannten Stellen am liebsten und sagt dann bloß immer :
" Da is nun alles Animalische raus . "
" Ja , ja , so was sagt er , und ich habe ihn schon immer danach fragen wollen .
Aber dann dachte ich auch wieder , » lieber nicht « . "
" Und das war auch am besten so .
Nicht fragen ist immer besser .
Aber bist du denn gar nicht in die Küche gekommen ? "
" Ja , Thilde , jetzt eben .
Und da habe ich es auch gleich gemerkt und habe ein paar Kohlen rausgenommen und habe auch aufgegossen .
Und geärgert habe ich mich auch , denn es kost ' ja soviel , aber ich konnte nicht eher rausgehen , weil die Schmähdicke hier war . "
" Na , die hätte auch wegbleiben können .
Die Schmähdicke bedeutet nie was Gutes und kommt immer bloß aus Neugier oder aus Boshaftigkeit und um einem armen Menschen einen Floh ins Ohr zu setzen . "
" Ach , Thilde , da tust du ihr aber Unrecht , wenigstens heute .
Sie kam bloß , um uns zu gratulieren von wegen Hugos Examen , und wann denn nun Hochzeit sei . "
" Und da hast du gesagt , noch lange nicht .
Nicht wahr ?
Kann ich mir denken .
Denn du bist ewig in einer Todesangst und glaubst immer noch , es wird nichts werden und alles ist umsonst gewesen und alles ausgegeben .
Das is immer deine Hauptangst .
Und wenn du diese Angst kriegst , dann machst du dich klein und jämmerlich und auch vor solcher Person wie diese Schmähdicke , diese spitznasige PosamentierswitwePosamentierswitwe :
Witwe eines Händlers oder Fabrikanten von Kleiderbesatz aus Schnüren , Borten u. ä.. "
" Nein , Thilde , das habe ich nicht gesagt , ich habe nicht gesagt » noch lange nicht « , ich habe bloß gesagt , ich wüßte es nicht , aber du tätest mitunter so , als ob es wohl bald losgehen würde . "
" Und da ?
Was sagte sie da ? "
" Nun , da sagte sie : » Ja , liebe Frau Möhring , manche haben Courage .
Referendar is nicht viel und eigentlich bloß ein Anfang , aber aller Anfang is schwer , und so kann man sagen , es is immer was , und Minister wird er ja wohl nicht werden wollen .
Oder vielleicht doch .
Und Gott , wenn ich mir denn Tilden denke ... « "
" Das sagte sie ? "
" Ja , Thilde , so was war es . "
" Unverschämte Person .
Und dumm dazu .
Diese verflossene Gimpen-Madam .
Aber sie wird sich wundern , wenn wir ihr die Hochzeitsanzeige schicken . "
" Ach Thilde , rede doch nicht so was .
Wenn man so was redet , dann beredt man_es , und es wird nie was .
Und es hat doch schon soviel gekostet , und ich weiß mitunter gar nicht , wo es immer noch herkommt . "
" Ja , Mutter , ich kann hexen . "
" Gott , Kind , nun redest du auch noch so .
Wenn man den Deibel ruft , is er da .
Und zum Spaß darfst du doch so was nicht sagen in einer so ernsthaften Sache .
Vater sagte auch immer : » Ja , die Leute glauben , es is ein Vergnügen ; aber es is kein Vergnügen , und der Hochzeitstag ist der ernsthafteste Tag , und manche , die sich nicht recht trauen , sehen auch schon so aus . «
Und nun sprichst du von Hexen und tust , als ob alles schon da wäre und als ob es zu Johanni losginge . "
" Geht es auch , Mutter . "
" Gott , Thilde , das fährt mir ja in alle Glieder .
Denn du stehst ja so da , wie wenn du es alles schon in der Tasche hättest ... "
" Hab ich auch . "
Und dabei holte Thilde einen halben , zweimal zusammengefalteten Konzeptbogen aus der Kleidertasche , schlug ihn auseinander und sagte : " Nun lies Mal , Mutter . "
" Ach , wie kann ich denn lesen , und alles mit Bleistift geschrieben , und ohne Brille . "
" Nun , dann höre zu , dann will ich lesen . "
Und Thilde las :
Qualifizierte Personen ... verstehst du , Mutter ? "
" O ganz gut , lies nur weiter . "
" Qualifizierte Personen , das heißt Personen , die mindestens das erste Staatsexamen bestanden haben und darüber vollgültige Zeugnisse vorlegen können , werden , bei Geneigtheit , hierdurch aufgefordert , sich um die Bürgemeisterstelle unserer Stadt zu bewerben .
Gehalt 3000 Mark bei freier Wohnung und einigen anderen Emolumenten .
Aspiranten werden ersucht , ihre Zeugnisse einzusenden , wenn sie nicht vorziehen , sich den Unterzeichneten gleich persönlich vorzustellen .
Magistrat und Stadtverordnete zu Woldenstein in Westpreußen . "
Die Alte war an die Chaiselongue gegangen und ließ sich darauf nieder , was sie sonst immer vermied , namentlich seit das Wertstück durch Hugos fünfwöchentliche Krankheit etwas gelitten hatte .
" Gott , Thilde , is es denn möglich ?
Du bist doch ein und aus .
Von Hexen rede ich nicht , denn fliegt es wieder weg .
Aber hat er denn die Stelle schon ?
Es gibt ja doch wohl so viele .
Und wenn er auch ein sehr schöner Mann is und den Augenaufschlag hat , daß man gleich denkt , » nun liest er die Sonntags-Epistel « - ja , ich denke mir , es gibt so viele so .
Und manche sind flinker wie er und Schnappens ihm weg ... "
" Das laß nur gut sein , Mutter .
In Flinkigkeit soll ihm diesmal keiner über sein .
Er muß noch heute weg mit 'm Nachtzug .
Woldenstein liegt eine Stunde von der Bahn , und ein Omnibus wird doch wohl dasein .
Um fünf ist er auf der Station und um sechs in Woldenstein in Westpreußen .
Ein Gasthof » Zum braunen Roß « oder irgend so was wird doch wohl dasein , ich denke mir , dem Rathaus gerade gegenüber , und da kann er bis zehn noch schlafen .
Denn ausschlafen muß er erst , sonst is er nicht zu brauchen .
Und dann frühstückt er und macht sich fein , und um Schlag zwölf tritt er an und macht seine Verbeugung .
Und ich will nicht Thilde heißen , wenn sie nicht gleich alle sagen :
» Natürlich , der muß es werden «
Und der Neid von der alten Schmähdicke hilft auch noch , und den Tag nach Johanni hat sie die Karte . "
ZWÖLFTES KAPITEL Frau Schmähdicke kriegte wirklich die Anzeige , denn alles kam genauso , wie Thilde vorausgesagt hatte , und am Johannistage konnte die Hochzeit in einem ganz kleinen Saale des Englischen Hauses gefeiert werden .
Pastor Hartleben , der getraut hatte , ließ sich bewegen , auch dem kleinen Festmale beizuwohnen , und hielt eine gefühlvoll humoristische Rede , die besser war als die Traurede in der Kirche .
Er saß der Braut gegenüber , zwischen Hugos Mutter und Schwester , die von Owinsk herübergekommen waren , mit noch zwei Cousinen , von denen jede Mal auf Hugo gerechnet hatte .
Da sie beide aber halb polnisch und sehr hübsch waren , so verschlug es nicht viel , und als die Feierlichkeit überwunden war , tranken sie Hugo zu , gaben ihm einen Muhmenkuß , der so laut klang , wie wenn man ein Baumblatt auf der hohlen Hand kloppt , und sagten unter liebenswürdiger Drohung gegen die Braut , " alte Liebe rostet nicht " , was alles von Thilde mit großer Seelenruhe hingenommen wurde .
Hugos Vergangenheit beunruhigte sie wenig , viel konnte es nicht gewesen sein , und noch weniger beunruhigte sie die Zukunft .
Außerdem waren es fünfzehn Meilen von Owinsk bis Woldenstein .
Beim Kaffee setzten sich beide neben Pastor Hartleben , der sich von dem katholischen Leben in Owinsk erzählen ließ , schmunzelnd zuhörte , als die katholische Geistlichkeit und zum Schluß auch der evangelische Geistliche durch die Hechelmühle der beiden hübschen Mädchen hindurchmußten , und , als er aufbrach , sich in seinem alten Dogma von der Überlegenheit der Weltkinder neu gestärkt fühlte .
Es war niemand da , gegen den er sein Herz ausschütten konnte , als er aber die Treppe hinabstieg und den Portier , den er von vielen Hochzeiten her kannte , freundlich lächelnd gegrüßt hatte , sann er seinem alten Lieblingssätze von der Überlegenheit der Weltkinder nach .
" Es ist ein eigen Ding mit der Frömmigkeit ; es sind doch nur wenige , die sie vertragen können , und in diesem Nichts- sein- und Nichts-bedeuten- Wollen leichtsinnigen Gottvertrauens steckt eigentlich Besseres als in der Sicherheit und dem Anspruch derer , die sicher sind , für ihren Gott was getan zu haben .
Diese Mädchen ... wie graziös und eigentlich wie bescheiden , und der entzückende Kerl , der Rybinski ... "
Ja , Rybinski war auch dagewesen mit einer neuen Braut , von der er behauptete , " diesmal sei es ernsthaft " .
" Wirklich ? " hatte Hugo gefragt .
" Ja ! Sie ist Tragödin . "
Die Schmähdicke saß neben der alten Möhring und sprach viel von dem Hochzeitsgeschenk , das sie zum Polterabend ( der aber ausfiel ) geschickt hatte .
Es war eine rosafarbene Ampel an drei Ketten .
Die Schmähdicke war sehr geizig .
" Ich habe es mir lange überlegt , was wohl das beste wäre .
Da mußt ich dran denken , wie duster es war , als Schmähdicke kam .
Ich kann wohl sagen , es war ein furchtbarer Augenblick und hatte so was , wie wenn ein Verbrecher schleicht .
Und Schmähdicke war doch so unbescholten , wie einer nur sein kam .
Und seit dem , wenn eine Hochzeit is , schenke ich so was .
Zuviel Licht is auch nicht gut , aber so gedämpft , da geht es . "
Die alte Möhring nickte mit dem Kopf , schwieg aber , denn sie hatte sich über die Ampel geärgert .
Noch denselben Abend reiste das junge Paar ab , und zwar gleich nach Woldenstein .
Weil sie aber vorhatten , die erste Nacht in Küstrin und die zweite Nacht in Bromberg zuzubringen , so nannten sie diese Fahrt doch ihre Hochzeitsreise , ja , Hugo tat sich etwas darauf zugute .
" Ich finde es nicht in der Ordnung , daß es immer Dresden und die Brühlsche Terrasse sein muß oder gar der Zwinger .
In Küstrin wollen wir uns am anderen Morgen das Gefängnis des Kronprinzen Friedrich ansehn und die Stelle , wo Katte hingerichtet wurde .
Das scheint mir passender als der Zwinger . "
Thilde war mit allem einverstanden gewesen .
Küstrin war Etappe nach Woldenstein , und daß Woldenstein baldmöglichst erreicht wurde , nur darauf kam es an .
Am 26. mittags waren sie da .
Sie bezogen die Wohnung , die schon der vorige Bürgermeister innegehabt und die Hugos Mutter und Schwester von Owinsk aus eingerichtet hatten , teils mit einigen alten Sachen aus dem Owinsker Haus , teils mit neu gekauften Möbeln und Stoffen , die sämtlich in Woldenstein gekauft waren .
" Es wird wohl teurer sein und nicht viel taugen " , hatte Thilde gesagt , " aber es bringt sich wieder ein .
Wir müssen uns lieb Kind machen .
Woldenstein ist jetzt die Karte , drauf wir setzen müssen . "
Am 1. Juli wurde Hugo eingeführt und eroberte sich gleich die Herzen durch eine Ansprache , die er hielt .
" Er sei ein halber Landsmann und habe , von Jugend an , an der Überzeugung festgehalten , daß die Kraft des preußischen Staates in den östlichen Provinzen liege .
Von daher habe die Monarchie den Namen , aus Königsberg stamme das preußische Königtum , und wenn Woldenstein auch vielleicht nicht bestimmt sei , derart in die Geschicke des Landes einzugreifen , so sei auch das Kleinste groß genug , durch Pflichterfüllung und durch Festhalten an den alten preußischen Tugenden vorbildlich zu wirken und dem Lande eine Ehre und Seiner Majestät dem Könige eine Freude zu sein . "
An dieser Stelle wurde Beifall laut , denn Woldenstein wählte konservativ .
Aber Hugo , der gut sah , hatte doch auch das spöttische Lächeln gesehen , mit dem eine kleine Gruppe diese patriotische Wendung begleitete , weshalb er hinzufügte :
" Seiner Majestät eine Freude sein , dem Könige , der ein Hort der Verfassung ist , zu der wir alle stehen mit Leib und Leben . "
Der Schluß der Rede hatte so gewirkt , daß die Firma Silberstein und Isenthal ein Ständchen anregte , das auch am selben Abende noch gebracht wurde .
Die Konservativen schlossen sich aus , aber nicht aus Demonstration gegen Hugo , sondern nur aus Demonstration gegen die fortschrittliche Firma .
Die nächsten Tage waren etwas unruhig , Hugo hatte Besuche in [ der ] Stadt und auch in der Umgegend zu machen , namentlich beim Landrat , der persona Gratissima war und mit dem er gleich entschlossen war sich gut zu stellen .
Es war nicht ganz leicht , da das Ständchen doch hören Orts Anstoß gegeben hatte .
Thilde sagte : " Das tut nichts .
Rom ist nicht an einem Tage gebaut ; gut Ding will Weile . "
Sie richtete zunächst ihre Aufmerksamkeit auf die Einrichtungen des Hauses und vervollständigte die Einrichtung durch allerhand kleine Einkäufe .
Den dritten Tag nach ihrer Ankunft trafen auch noch einige Sachen aus Berlin ein , darunter die Ampel .
Hugo war nicht abgeneigt , ihr den Ehrenplatz zu geben , der der Schmähdicke vorgeschwebt hatte , Thilde sagte aber :
" Da sieht sie ja keiner " , und hing sie in den Hausflur , wo sie freilich bei den hellen Sommertagen zunächst noch zu keiner Wirkung kommen konnte .
Das Beste der Wohnung war der hübsche , ziemlich große Garten , der , nach Passierung eines schmalen Hofes mit einem Truthahn und Perlhühnern ( alles vom vorigen Bürgermeister übernommen ) , unmittelbar hinter dem Hause lag .
Durch die Mitte zogen sich Buchsbaumrabatten , halben Wegs war eine Sonnenuhr , und in den Beeten , die links und rechts liefen , blühten Balsaminen und Rittersporn , überall überwachsen von riesigen Sonnenblumen , für die der Vorbesitzer eine Vorliebe gehabt haben mußte .
Hier war Thilde besonders tätig , trug einen großen weißen Schnurrenhut eigener Erfindung und legte , wenn Hugo vom Rathaus kam , ihren Arm in den seinen und ließ sich , während sie mit ihm auf und ab schritt , von den Sitzungen erzählen .
" Ich bin mitunter in Verlegenheit " , sagte er .
" Sie haben ein Vertrauen zu meiner Rechtskunde , und ich soll immer am Schnürchen wissen , was da zu tun sei und was rechtens sei .
Natürlich sage ich immer :
es läge sehr schwer , es sei ein komplizierter Fall , der je nachdem höchstwahrscheinlich so oder so entschieden werden müsse , dabei schlägt mir aber das Herz , denn alles , was ich da sage , kann auch Unsinn sein . "
" Du fängst es nicht richtig an , Hugo .
Was heißt Rechtsfragen ?
Rechtsfragen , das ist für Winkelkonsulenten .
Und wenn es was Ordentliches ist , dann mußt du sagen , da wollen wir Justizrat Noack fragen ; ich halte den für einen scharfen Kopf ... "
" Ja , Thilde ... "
" Für einen scharfen Kopf .
Und wenn du das sagst , so legt dir das keiner zum Schlimmen aus , und den Justizrat hast du nun schon sicher auf deiner Seite .
Der sagt dann :
» Ihr Herren , da habt ihr endlich Mal einen richtigen Bürgermeister , einen klugen , verständigen Mann .
In der Regel wollen sie alles selber wissen .
Das ist Pfuscherei , das ist , wie wenn die Apotheker die Kranken kurieren wollen .
Dazu gehört noch mehr .
Ein Bürgermeister ist ein Verwaltungsbeamter , ein kleiner Regente , kein Rechtsprecher , und das kann ich euch sagen , der versteht zu regieren , er ist ein Adininistrationstalent er hält auf Ordnung , und er hat Ideen . « "
" Ja , Thilde ... "
" Und hat Ideen , sage ich . "
" Ja , das sagst du oder läßt es deinen Justizrat sagen .
Aber wer hat Ideen ?
Ideen , das ist nicht so leicht . "
" Ganz leicht . "
" Ach , Thilde , das ist ja Torheit .
Ideen ... "
" Ideen hat jeder , der sie haben will .
Du bist bloß zu ängstlich , du hast kein Zutraun zu dir , du denkst immer , die anderen sind Wunder wie klug und verstehen alles besser .
Wenn man Bürgermeister ist , dann muß man so was aufgeben ... "
" Ja , das sagst du wohl .
Aber ich muß doch mit was kommen ... "
" Natürlich . "
" Ich muß doch mit was kommen und Vorschläge machen .
Und was soll ich vorschlagen ? "
" Alles . "
" Ach , Thilde , das ist doch Torheit .
Du sagst » alles « , und ich weiß gar nichts . "
" Weil du die Augen nicht aufmachst und die Ohren erst recht nicht .
Du bist immer wie im Traum , Hugo . "
Er lächelte .
" Sieh , da is hier der Weg zwischen der Stadt und dem großen Torfmoor .
Alkitten hat mir gesagt , im Herbst , wenn es regnet , ist gar nicht durchzukommen , und wer seinen Torf bis dahin nicht eingefahren hat , der mag sehen , wo er bleibt ... "
" Hab ich auch gehört . "
" Ja .
Aber du denkst dir nichts dabei .
Du mußt morgen den Stadtverordneten vorschlagen , daß ein Steindamm gebaut wird ( es ist ja nur eine halbe Meile ) oder eine Klinkerchaussee oder doch mindestens ein Knüppeldamm , daß die Wagen im Modder nicht steckenbleiben .
Und dann laß ein Chausseehaus baun , es ist ja alles noch auf städtischem Grund und Boden , und der Landrat hat nicht mit dreinzureden .
Und für den einen Groschen haben die Leute dann einen feinen Weg und können noch stolz sein , daß sie so was aus eigener Kraft und eigenen Mitteln gebaut haben . "
" Sehe ich ein ; ist ein guter Vorschlag " " Und dann mußt du wegen der Garnison anpurren .
Alkitten sagt mir , daß schon lange davon die Rede war , daß aber dein Vorgänger nicht wollte , vielleicht weil er sich wegen seiner Frau fürchtete .
Die soll nämlich etwas forsch gewesen sein ... "
" Ja , das is richtig . "
" Nun , da siehst du_es .
Und die Knauserei mit dem Stallgebäude , das ist ja der pure Unsinn .
Alkitten hat mir erzählt , die Stadtverordneten hätten nicht gewollt .
Ja , warum nicht ? weil der Anstoß fehlte .
Nun , bei mir liegt es anders .
Und wenn der schönste Rittmeister herkommt , du kennst doch deine Thilde . "
Hugo versicherte , daß er sich ganz überzeugt halte .
" Von ganzem Regiment kann natürlich keine Rede sein .
Dazu ist Woldenstein zu sehr Nest , und Silberstein und Isenthal können es nicht rausreißen und Rebecca Silberstein auch nicht .
Übrigens ist es eine hübsche Person .
Aber doch nicht zum Heiraten .
Und für sonst ist sie zu streng .
Also nicht das ganze Regiment , für einen adligen Obersten ist auch eigentlich gar keine Wohnung hier , höchstens in unserer ersten Etage ... "
" Thilde ... "
" Aber zwei Eskadrons , das geht .
Und nun berechne dir Mal , wie das wirkt .
Von Brot will ich nicht reden , das backen sie selber .
Aber dreihundert Pferde und dreihundert Menschen .
Und ein Kasino müssen sie doch auch haben .
Und dann die jungen Frauen und Ball und Theater .
Silberstein ist gegen das Militär , aber das gibt sich .
Die ganze Bäckerei und Schlächterei kommt auf einen anderen Fuß , und Woldenstein hört auf , ein Nest zu sein , und wird eine Stadt , und vielleicht ziehen sie hier Mal eine Division zusammen und machen ein Kavalleriemanöver , und wenn der General bei uns wohnt , so hast du den Kronenorden weg , du weißt nicht wie ... "
Hugo bückte sich , um einen Rittersporn zu pflücken und Tilden in den Gürtel zu stecken .
" Und sieh , Hugo , so mußt du es anfangen .
All dies kleine Zeug , was ihr da immer durchsprecht , damit zwingst du es nicht ; das kann jeder .
Aber immer auf dem Auskiek , immer sehen , was so dem Ganzen zugute kommt , damit zwingst du_es , und das is , was ich die » Ideen « genannt habe .
Die Welt kann nicht jeder auf einen hören Fleck bringen , aber Woldenstein so weit zu bringen , daß es alle Woche Mal in der Zeitung steht und daß die Menschen erfahren , » es gibt einen Ort , der heißt Woldenstein « - ja , Hugo , das ist möglich , und das ist in deine Hand gegeben ... "
" Oder in deine " , lächelte Hugo .
" Aber du hast recht , wir wollen's versuchen . "
DREIZEHNTES KAPITEL In dieser Weise gingen die Unterhaltungen , die Thilde mit Hugo führte , wenn dieser vom Rathaus in seine Wohnung zurückkehrte .
Gegen den Herbst hin wurde auch die Ampel jeden Abend herabgelassen und ein Unschlitt-Licht hineingesetzt , was so wunderbar leuchtete , daß niemand vorüberging , der nicht einen Blick hinein getan hätte .
" Die Berliner haben doch einen Schick für so was . "
Rebecca Silberstein drang in den Vater , auch dergleichen anzuschaffen .
Er war aber dagegen .
" Rebecca , wenn er kommt ( ich sage nicht wer ) , dann sollst du haben die Ampel , und nicht Rosa sollst du haben , du sollst sie haben in Rubin und sollst haben , wenn du schläfst , einen himmlischen Glanz . "
Rebecca war unzufrieden über dies Hinausschieben , aber sie war beinahe die einzig Unzufriedene in der Stadt , alle anderen freuten sich über ihr neues Stadtoberhaupt , und Silberstein , der viel las und immer sehr gebildet sprach , sagte :
" Er hat die Iniative .
Das Initative hat jeder , aber die Iniative , das ist es , was den hören Menschen von dem niederen unterscheidet . "
Isenthal , der immer widersprach , widersprach auch in diesem Fall .
Aber Silberstein ereiferte sich heftig und sagte : " Sage nichts , Isenthal , oder du tust ein Unrecht und bringst es auf deinen Kopf .
Ist er nicht wie Nathan ?
Ist er nicht der Mann , der die drei Ringe hat ?
Ist er nicht gerecht und sieht doch aus wie ein Apostel ?
Und seine Frau Gemahlin , eine sehr gebildete Frau , hat gesprochen von der Dreieinigkeit , und der Papst in Rom und Luther und Moses , die müßten aufgehen in einem .
Und dies sei Preußen .
Und sie sei gesegnet wegen der Einheit Das hat sie gesagt , und ich sage dir : Moses bleibt , Moses hat die Priorität " Alles ging gut .
Nur der Landrat verhielt sich kühl , und es war ganz ersichtlich , daß er weder von der " Iniative " , die sein eigenes Licht in den Schatten stellte , sonderlich erbaut war noch von Hugos Nathanschaft und seiner Gleichberechtigung der drei Konfessionen .
Es kamen Begegnungen vor , in denen Hugo " geschnitten " wurde , besonders auch von der Frau Landrätin , die Tänzerin erst in Agram und dann in Wien gewesen war und sich die Festigung des christlich Germanischen zur Lebensaufgabe gestellt hatte .
Hugo war mehr als einmal in bittere Verlegenheit geraten und hatte sich auf seinen Spaziergängen im Garten , die bis in den Spätherbst hinein fortgesetzt wurden , mehr als einmal gegen Thilde darüber ausgesprochen .
" Du verstehst es nicht " , sagte Thilde und nahm eine Beurre grise vom Baum .
" Sieh , Hugo , die Beurre grise ist noch hart , und du mußt sie vier Wochen auf Stroh legen , ehe sie schmeckt .
Aber noch ehe die vier Wochen um sind , habe ich dir den Landrat weich gemacht .
Er ist ein sehr guter Herr und eigentlich liebenswürdig von Natur , und das müßte nicht mit rechten Dingen zugehn , wenn der nicht zu bekehren wäre .
Wer eine Tänzerin heiratet , hat immer ein weiches Herz . "
Hugo seufzte , denn er litt unter der Gegnerschaft und sah kein Ende davon .
Aber er hatte Tilden unterschätzt , und die vier Wochen waren noch nicht um und die Birne noch nicht präsentiert , als Hugo , Ende November , von einer Kreistagssitzung heimkam und von der Liebenswürdigkeit des Landrats nicht genug erzählen konnte .
Thilde sagte kein Wort , und Hugo sah erst einigermaßen klar in der Sache , als er am selben Abend Silberstein in der Ressource traf .
" Haben Sie schon gelesen , Herr Großmann ? " sagte er zwinkernd , und als Hugo verneinte , gab er ihm die vorletzte Nummer der Königsberger Hartungschen Zeitungkönigsberger Hartungsche Zeitung : eine der ältesten deutschen Zeitungen .
1751 kam das Blatt in den Besitz des Königsberger Verlegers und Druckers Johann Heinrich Hartung ( 1699-1756 ) . , die in Woldenstein am meisten gelesen wurde , und sagte :
" Sehr gut geschrieben ; ich möchte sagen fein .
Aber es ist die Wahrheit .
Er ist ein feiner Herr , der Herr Landrat . "
Und dabei ließ er Hugo mit dem Zeitungsblatte allein .
Hugo schüttelte den Kopf und setzte sich in einen Stuhl neben dem Schenktisch , auf dem sechs , acht Weingläser mit Apfelsinencreme , Baumtorte und kleine Korianderkuchen standen .
Er selbst hatte sich schon vorher einen Curacao geben lassen , und während er daran nippte , las er die blau angestrichene Stelle :
" Woldenstein , 14. September .
In unserem Kreise rührt man sich bereits für die Wahlen , ohne daß eine besonders pressante Benötigung dafür vorläge .
Denn die Wahl unseres Landrats v. Schmuckeren darf wohl als gesichert angesehen werden , da , soviel wir bisher erfahren konnten , seine politischen Gegner auf Aufstellung eines Gegenkandidaten verzichtet haben .
Sowohl die polnisch-katholische wie die fortschrittliche Partei vereinigen sich in Würdigung der hervorragenden Charakter- und Verwaltungseigenschaften des Landrats v. S. [ und halten es für ihre Pflicht ] , selbst auf Kosten ihrer sonstigen politischen Überzeugungen , ihrem Vertrauen gegen ihn Ausdruck zu geben .
Es läßt sich hier von einem Siege der Persönlichkeit sprechen , der um so glänzender ausfällt , als das landrätliche Hauswesen eine Anziehung auf das Polentum äußert .
Die feine Sitte , die dem Polentum soviel bedeutet , hat in diesem Hauswesen ihre Stätte .
Diese Vorzüge sieht sich auch der Fortschritt , trotz gesellschaftlichen Draußenstehns , in der angenehmen Lage vollauf würdigen zu können , weil der vorherrschende Ton nicht nur ein Ton der Vornehmheit , sondern beinahe mehr noch schönste Humanität ist .
Frau v. Schm. hat einen Krippenverein [ ge ]gründet , zu dem auch die dritte Konfession beigesteuert hat , und die Tätigkeit dieses Vereins wird am Weihnachtsabend Freude in die Hütten der Armut tragen .
Über alle großen Fragen hinaus bedarf unser Kreis vor allen Dingen einer Sekundärbahn , um endlich bequeme Verbindung mit der Weichsel zu haben , eine Sache , darin alle Parteien einig sind .
Und diese Bahn uns zu sicheren , ist Landrat v. Schm. geeigneter als jeder andere , da seine Beziehungen zum Hofe bekannt sind .
Adel , wenn er die Zeit begreift und auf Exklusivität verzichtet , ist immer die beste Lokalvertretung . "
Hugo legte das Blatt aus der Hand und nahm einen Korianderkuchen .
" Also daher .
Er hält mich für den Verfasser .
Natürlich , [ da ] in Woldenstein nur drei Menschen in Betracht kommen können : Silberstein , der katholische Lehrer und ich , und da's Silberstein und der Lehrer aus inneren Gründen nicht gut sein können , so bin ich es ... "
Er erhob sich und sah in den Saal hinein , um noch an Silberstein eine Frage zu richten .
Aber der war fort , und so brach er auch auf , um auf seine Wohnung zuzugehn .
Unterwegs fiel ihm ein : Sollte vielleicht ... ?
Aber nein , das war nicht möglich , dazu war es alles zu gewandt , zu routiniert .
Und noch damit beschäftigt , trat er in sein Zimmer , wo Thilde gerade den roten Papierschleier über die Lampenglocke warf .
Auf demselben Sofatisch lag auch ein Zeitungsblatt .
" Guten Abend , Thilde .
Nun , was gibt es ? "
" Das mußt du wissen ; du warst ja aus . "
" Ja , ich war in der Ressource , nur eine Viertelstunde .
Der Landrat wie ein Ohrwurm .
Und dann kam Silberstein und gab mir die Hartungsche Zeitung .
Ein Artikel drin aus Woldenstein . "
" Ah , das is gut ; ich dachte schon , er wäre unter den Tisch gefallen . "
" Aber Thilde , dann ist es am Ende doch so , dann hast du den Artikel eingeschickt ? "
Thilde lachte .
" Ja , das mit dem Landrat , das mußte anders werden , das ging nicht so weiter . "
" Also wirklich - du hast ihn geschrieben ? "
" Nein , geschrieben nicht eigentlich . "
" Aber wer denn ? "
" Ein Unbekannter , dem ich nun zu Danke verpflichtet bin .
Als wir damals das Gespräch hatten , da sah ich jeden Tag , wenn die Vossischedie Vossische : die Vossische Zeitung .
1751 vom Verleger Christian Friedrich Voß ( 1722-1795 ) erworben . kam , in die Wahlangelegenheiten hinein , und es sind nun wohl schon acht Tage , da fand ich das alles in einer kl[ einen ] Korrespondenz aus Myslowitz .
Und danach habe ich es zurechtgemacht .
Wenn man erst das Gestell hat , ist es ganz leicht , eine Puppe zu machen . "
Er lächelte gutmütig vor sich hin , war aber etwas verlegen .
" Thilde , du solltest doch lieber so was nicht tun . "
" Ich dachte , du würdest mir danken , daß ich das beglichen und deine Stellung angenehmer gemacht habe . "
" Ja , du kannst aber Mal damit scheitern , es kann auch Mal schiefgehn . "
" Gewiß .
Alles kann Mal schiefgehn , und die sich dadurch einschüchtern lassen , die sitzen still und tun gar nichts . Schiefgehn ; ich würde warten , bis es soweit ist .
Bis dahin aber würde ich mich freuen , wenn einer für mich sorgt .
Silberstein , der so schrecklich gebildet ist , spricht immer von deiner Iniative . "
" Ja .
Und es ist mir mitunter sehr fatal , wenigstens wenn du dabei bist .
Aber ich bitte dich , habe nicht zuviel . "
VIERZEHNTES KAPITEL Seit dem Artikel in der Hartungschen hatte sich Hugos Stellung in Woldenstein und Umgegend noch erheblich verbessert .
Auch der katholische Lehrer war gewonnen , nachdem auf Tilden Anregung eine Gehaltszulage beantragt und bewilligt war .
Thilde freute sich ihrer Errungenschaften und gab ihrer Freude auch dadurch Ausdruck , daß sie sich modisch kleidete , wobei Silberstein , der oft nach Posen und Breslau fuhr , mit Rat und Tat helfen mußte .
Die Ressource leitete Beziehungen ein , und ein Erscheinen im landrätlichen Hause war in hohem Maße wahrscheinlich .
Es setzte sich mehr und mehr die Meinung fest , daß sie sehr klug sei und immer wisse , was in der Welt los sei .
Selbst Isenthal gab zu , " sie höre das Gras wachsen " , und sagte huldigend ; " Sie hat was von unsere Leute " .
Im ganzen ließ sie sich all das aber nicht anfechten und blieb nüchtern und überlegend , und nur darin zeigte sich ein kleiner Unterschied , daß sie sich zu einer gewissen Koketterie bequemte und auf Hugo einen gewissen Frauenreiz ausüben wollte .
Sie ging darin so weit , daß sie die Ampel vom Flur her in das Schlafzimmer nahm und zu Hugo bemerkte :
" Draußen im Flur hat sie nun ihre Schuldigkeit getan .
Schade , daß das Rosa wie gar nichts aussieht ; es müßte Rubinglas sein .
Man kriegt dann so rote Backen .
Die gute Schmähdicke !
Was wohl Mutter sagen würde ... "
" Ja " , sagte Hugo , " die würde sich freuen über dich .
Und ich habe mir es auch überlegt , ob wir sie nicht zum Fest einladen sollen . "
" Nein , Hugo , dazu haben wir es denn doch noch nicht .
Und sie müßte doch Zweiter fahren oder wenigstens von Bromberg aus .
Und dann , es geht auch überhaupt nicht .
Wir müssen für sie sorgen , natürlich müssen wir das , denn sie is doch [ eine ] gute alte Frau und immer allein und bloß die Runtschen um sich her , was kein Vergnügen ist ... "
" Nein " , bestätigte Hugo , dem bei dem bloßen Namen der alte Schrecken wiederkam .
" Die Runtschen und die Schmähdicke , die nicht viel besser ist .
Aber einladen hierher geht nicht .
Wir packen ihr eine Kiste , Schinken , Eier , Butter , und legen ihr vier oder sechs Pakete Thorner Kackaschienchen bei und einen schwarzen Muff , den sie sich schon lange gewünscht hat , und Gummistiefel mit Pelz , und wenn sie das auspackt , dann freut sie sich viel mehr , als wenn wir sie hier mit in die Ressource nehmen .
Und überhaupt es geht nicht .
Der Landrat kann dasein oder die gnädige Frau .
Und nun denke dir einen Postontisch und Mutter mit der Landrätin zusammen .
Ich glaube , Mutter kann gar nicht Boston ; sie hat , seit Vaterns Tod , immer nur Patience gelegt .
Nein , dazu ist mir Mutter zu schade , daß sie sie hier auslachen .
Und dann , Hugo , auch unsertwegen .
Wir sind doch nun , was man in Büchern und Zeitungen so die » Ren Zehntausend « nennt , obschon Woldenstein bloß dreitausendfünfhundert hat , und was der Adel auf dem Lande ist , das sind die Honoratioren in der Stadt .
Und das sind wir .
Also es geht nicht .
Ich denke , wir warten , bis ein Jahr um ist , und dann nimmst du Urlaub , und dann besuchen wir Müttern und können dann auch sehen , was aus Rybinski geworden ist . "
Hugo war mit allem einverstanden .
Er hatte das mit der Alten auch nur so gesagt , weil er Tilden eine Freude machen wollte .
Zugleich dachte er an ein Weihnachtsgeschenk ; er fand Rubinglas auch hübscher .
Die Woche zwischen Weihnacht und Neujahr verging in Saus und Braus .
Der Landrat , der während der letzten vier Wochen im Reichstag gewesen war , kam zurück , und eine Festlichkeit drängte die andere .
Am Weihnachtsabend war erst Aufbau für die armen Kinder aller Konfessionen , wobei Thilde , die Landrätin und Rebecca Silberstein die Leitung übernahmen , am Silvesterabend war Theateraufführung in der Ressource , wo erst " Monsieur Herkules " und dann " Das Schwert des Damokles " gespielt wurde .
Hugo hätte gern mitgespielt , mußte aber verzichten , weil es sich nicht passe .
Silberstein gab den Buchbindermeister Kleister und erfuhr , daß sein Spiel an Döring erinnert habe .
Hugo dachte den ganzen Abend über an Rybinski und beneidete das Stehen in der freien Kunst .
Der Ball , der folgte , ließ aber trübe Gedanken nicht aufkommen , er eröffnete mit der Landrätin die Polonaise , der Landrat folgte mit Thilde , die die Reichstagsberichte jeden Morgen las und einen markanten Satz aus einer kurzen Rede zitierte , die der Landrat über die Simultanschulfrage gehalten hatte .
" Sie interessieren sich für Politik , meine gnädigste Frau . "
" Ja , Herr Landrat .
Je mehr ich die kleinen Verhältnisse fühlte , die mich umgaben , je mehr empfand ich eine Sehnsucht der Auffrischung , die nur , ich will nicht sagen das Ideal , aber doch das Höhere geben kann .
Ich darf sagen , daß die Reden des Fürsten erst das aus mir gemacht haben , was ich bin .
Es ist so oft von Blut und Eisen gesprochen worden .
Aber von seinen Reden möchte ich für mich persönlich sagen dürfen : Eisenquelle , Stahlbad .
Ich fühlte mich immer wie erfrischt . "
Beim Souper , das den Tanz auf eine Stunde unterbrach , saßen sich Landrat und Bürgermeister gegenüber .
Als um zwei Uhr der Tanz wieder begann , rückten sie nebeneinander , und der Landrat sagte :
" Bürgermeister , Freund , sie haben eine famose Frau .
Kolossal beschlagen .
Weiß ja Bescheid wie 'n Reporter oder eigentlich besser , die Reporter sind Maschinen und folgen bloß mit Ohr und Hand .
Aber Ihre Frau , Donnerwetter , da merkt man was , Muck , Rasse , Schick .
Sagen Sie , was is es für eine Geborene ? vielleicht Kolonie oder Familie , die den Adel hat fallenlassen . "
Hugo nannte den Namen , und der schon stark angefesselte Landrat fuhr fort :
" Hören Sie , Bürgermeister , es stecht da was drin ...
Oder ob vielleicht die Mutter ... "
Hugo sagte , " soviel er wisse ... "
" Nun , ganz egal " , schloß der Landrat , " ganz egal , wo_es herkommt , wenn es nur da ist ... Und muß ein Bombengedächtnis haben . "
Hugo , gegen den Schluß hin , tanzte noch eine Radowa mit der Landrätin und geleitete dann beide bis an den draußen wartenden Schlitten .
Er war im Frack mit weit ausgeschnittener Weste , und draußen blies ein Südoster von den Karpaten her .
Als er mit Thilde eine Stunde später in seiner Wohnung ankam , war er im Fieber und hüstelte .
" Thilde , mir is nicht recht ; ich möchte ein Glas Zuckerwasser . "
" Immer dasselbe . Zuckerwasser .
Wer trinkt Zuckerwasser , wenn er von einem Ball nach Hause kommt .
Ich werde dir eine Tasse Kaffee machen . "
Und sie holte die Spirituslampe , setzte das Kesselchen auf und machte ihm eine Tasse Kaffee von drei Lot .
Er fieberte furchtbar .
Wäre das Wetter über Nacht anders geworden , so hätte das Fieber vielleicht nicht viel bedeutet .
Aber der Wind ging noch mehr nach Osten rum , und an Schonung war nicht zu denken , weil allerhand Visiten zu machen und allerhand Pik- und StuhlschlittenPik- und Stuhlschlitten :Peekschlitten , der vom Fahrer mit einer Stange ( Peeke ) vorwärtsbewegte Schlitten . für den Nachmittag zu besorgen waren .
Sich davon auszuschließen war um so unmöglicher , als Hugo beim Abschied um die Ehre gebeten hatte , die Landrätin auf dem Eise fahren zu dürfen .
Eine kleine Eitelkeit kam hinzu , er war ein sehr guter Schlittschuhläufer und wollte sich in den Pausen als solcher zeigen .
Thilde schlug ihm zum Frühstück ein Glas Portwein vor , aber sein Zustand war doch schon so , daß er auf Haferschleim drang .
Er genoß auch bei Tisch nichts anderes und nahm ein Schächtelchen isländische Moospastillen mit sich , als er um drei zu dem Rendezvous auf dem Eise aufbrach .
Er sah sehr verändert aus , was auch Tilden nicht entging , und weil sie trotz alles Abhärtungsprinzips , nach dem sie selber lebte , nicht ohne eine gewisse Teilnahme für ihn war , so würde sie ihn vielleicht vom Eise zurückgeschickt und bei der Landrätin , die noch nicht da war , bei ihrem Eintreffen entschuldigt haben , wenn [ nicht ] ein alter polnischer Graf , dessen Bekanntschaft sie schon am Abend vorher gemacht , sich ihrer bemächtigt und ihr auf seinem kleinen Muschelschlitten , mit zwei Scheckenponies davor , einen Platz angeboten hätte .
Sie mußte das annehmen , denn er war der reichste und angesehenste Mann der ganzen Gegend , Original und schon über siebzig .
Thildes France , ganz uneingeschüchterte Manier hatte ihm schon auf dem Silvesterball gefallen , und er war enchantiert , als sie seine Aufforderung , den Platz im Schlitten einzunehmen , ohne weiteres annahm .
Er fuhr selbst und legte seine mächtige Wolfsschur um den kleinen Schlittensitz herum und forderte Tilden auf , die Schur von rechts her zu halten , so daß sie wie in einer Pelzlaube saß .
Und nun flog der Schlitten über das Eis hin , und die Glöckchen läuteten , und die weißen Decken blähten sich im Winde , während der Alte von [ der ] Pritsche her seine Konversation machte : " Freut mich , meine gnädigste Frau ... Sacrebleu , man sieht doch ... große Stadt ... andere Menschen ... Ah , Berlin ... nicht preußisch ich , nicht sehr ...
Aber Berlin ... O Berlin , eine merkwürdigen Stadt , eine tollen Stadt " Thilde versicherte lachend , daß sie davon eigentlich wenig gemerkt habe , das Berlin , das sie kenne , sei sehr wenig toll , fast zu wenig , es passiere ja eigentlich gar nichts ... "
" Ja , meine Gnädigste , das macht die Stelle , wo man steht , von der aus man sieht , ich habe gestanden immer sehr in Front , immer sehr Avance . "
" Glaube ich , Herr Graf .
Ihre gesellschaftliche Stellung ... "
" O nicht das Gesellschaftliche , das vor dem großen Tor .
O viele Lichter da , viele Schatten .
Da hatten wir Maskenball .
Kroll .
Kennen Sie Kroll ? "
" Gewiß , Herr Graf .
Jede Berlinerin wird doch Kroll kennen . "
" Und da hatten wir Maskenball .
Ich Fledermaus .
Und da hatten wir Orpheum ... "
" Auch davon habe ich gehört ... "
" Aber ich habe gesehen .
Eine merkwürdige Stadt , eine tollen Stadt , aber eine Stadt ohne Grimasse ... "
" Ja , das ist wahr . "
" Eine Stadt von sehr freier Bewegung ... "
" Ich glaube doch nicht überall . "
" Nein , nicht überall .
Das ist wieder , wo man steht , meine gnädigste Frau .
Wo ich gestanden , sehr freie Bewegung .
Und keine falsche Schämung ... "
" Aber doch vielleicht eine richtige ? "
" Schämung immer falsch , immer Grimasse .
Und ich liebe die freie Bewegung . "
Ein Herzählen sämtlicher Berliner Lokale mit freier Bewegung stand in Sicht , und wer will sagen , wo Graf Goschen schließlich gelandet wäre , wenn nicht eine plötzlich quer durch das Flußeis gezogene Rinne das Weiterfahren gehindert und zur Umkehr gezwungen hätte .
Wenige Minuten , und der Schwanenteich war wieder erreicht , wo sich die Woldensteiner Honoratioren in engerem Kreise bewegten , die jüngern in Nähe eines Leinwandzeltes mit einem aufgemauerten Herde , drauf eine Punsch- und Waffelbude , draus der angesäuerte Fettqualm ins Freie zog .
In Front dieser Bude hielten die Schlitten , und auf einer Bank , der die eine Wand der Bude als Rückenlehne diente , saßen Hugo und die Landrätin , die eben den Pikschlitten verlassen hatte , sich hier zu erholen .
[ Hier hielt jetzt ] der kleine Muschelschlitten des Grafen , und der Graf schlug die Schur zurück , um Tilden aus ihrem Gefängnis zu entlassen .
" Ja , meine gnädigste Frau .
Es hat nicht sollen sein ... "
" Was , lieber Graf ? "
" Eskapade .
Wollte wie Gott der Unterwelt oder Pluto ... "
" Warum nicht höher hinauf , warum nicht Jupiter ? "
" Ach , ich verstehe .
Wegen der Attrappe .
Gnädigste Frau haben eine spitze Zunge . "
Er winkte von den Leuten , die umherstanden , einen heran und gab ihm die Zügel und hieß ihn den Schlitten seitwärts führen , an eine Stelle , wo rotes Weidengesträuch vom Ufer her auf das Eis hinabhing .
Dann nahm er Hugo unterm Arm und ging , um ein Glas Punsch zu trinken , auf die Bude zu , wo wenige Schritt neben dem Herd ein zerschlißenes Sofa stand .
" Sehr erfreut , Bürgermeister .
Eine charmante Frau , kluge Frau , gar nicht ängstlich .
Haben alles gesehen und denken immer , alles geht vorüber , und den Kopf wird es ja wohl nicht kosten . "
Hugo , halb geschmeichelt , bestätigte .
Das sei so die Schule der großen Stadt .
" Ja , merkwürdige Stadt , tolle Stadt . "
Diese Worte hatten etwas Beunruhigendes selbst für Hugo , der seiner Thilde sicher zu sein glaubte .
Er kam aber nicht dazu , dem lange nachzuhängen , denn ein heftiger Hustenanfall zwang ihn , sich an der Sofalehne festzuhalten .
Als der Anfall vorüber war , kam der Graf mit einem Glase Punsch , " das löse " .
Hugo kam in die Verlegenheit , ablehnen zu müssen , es würde seinen Zustand verschlimmern .
" Kann nicht verschlimmern .
Punsch nie . "
Als er Hugo mit seinen listigen , etwas bluttunterlaufenen Augen aber ansah , kam ihm doch ein Zweifel , ob Punsch hier Allheilmittel sei , und er ging sogar hinaus und rief die noch im Gespräch mit der Landrätin auf der Bank sitzende Thilde .
" Gnädigste Frau , der Herr Gemahl .
Packen wir ihn in die Schur , und der Knecht kann ihn nach Hause fahren . "
" Es ist besser , wir gehen , Herr Graf " , sagte Thilde , und Hugo führend , der traumhaft hin und her schwankte , gingen sie auf die Stadt zu .
Als sie fort waren , setzte sich der Graf neben die Landrätin und sagte : " Woldenstein kann sich nach einem neuen Bürgermeister umsehn . "
Die Landrätin lachte ; " Bei Ihnen draußen gedeiht das Zweite Gesicht . "
" Nein .
Aber ich sehe gut . "
FÜNFZEHNTES KAPITEL Der Arzt war über Land ; erst gegen Morgen kam [ er ] und hatte gegen Thildes Behandlung des Kranken : Brotrinde mit Essigwasseraufguß , ein Mittel , das noch von der alten Möhring herrührte , nichts Erhebliches einzuwenden .
" Es hat nichts geschadet " , sagte er , " und das ist immer schon viel . "
Er verordnete dann eine Althee-AbkochungAlthee-Abkochung :
Tee von Eibisch ( Althaea officinalis ) , der als reizmilderndes Mittel bei Husten und Katarrhen der Atemwege verwendet wurde . , und als Thilde fragte , " ob es was zu bedeuten habe " , lächelte er und sagte : " Einigermaßen ; es ist eine Lungenentzündung .
Vor allem Ruhe . "
Thilde war eine gute Krankenpflegerin und gab ihm die Medizin mit einer Genauigkeit , als ob das Leben an der Minute hinge .
Sie glaubte nicht daran , aber sie wollte nichts versäumt haben .
Die Vormittagsstunden vergingen unter Umwandlung des Schlafzimmers in ein Krankenzimmer ; die nach dem Hof hinausgehenden Fenster wurden verhangen , während die Tür nach der Vorderstube offenblieb , nur durch eine halbe Portiere geschützt .
Thilde sah oft hinein , ohne daß der Kranke irgendwas verlangt hätte , dann ging sie wieder an das Vorderfenster , das , von der vorigen Frau Bürgermeister her , noch einen altmodischen Tritt und einen Fensterspiegel hatte .
Dieser war eigentlich überflüssig , denn es gab so wenig zu sehen , daß es auch nichts zu spiegeln gab .
Mitten auf dem Marktplatze stand das Rathaus mit einer schräglaufenden hölzernen Stiege , die bis zum ersten Stock aufstieg und sich hier in einem schmalen Laubengang fortsetzte , aber alles von Holz .
Dicht neben dem Rathaus standen ein paar alte Scharren , verschlossen und verschneit .
An der anderen Marktplatzseite war die Löwenapotheke , deren Provisor gähnte , denn seit der Mixtur für den Herrn Bürgermeister war seine Tätigkeit noch nicht in Anspruch genommen worden .
Daneben ein Bäckerladen mit einem schräggestellten Blechkuchen im Schaufenster und einigen bewundernd davorstehenden Kindern ; die Sonne fiel so grell darauf , daß Thilde die großen Zuckerstellen erkennen konnte .
Zwischen dem allem glitt ihr Auge hin und her und nahm erst eine andere Richtung , als sie , diesmal allerdings mit Hilfe des Spiegels , den Briefträger die Herzog-Kasimir-Straße heraufkommen sah .
Er trat auch gleich danach ins Haus , und Thilde ging ihm entgegen , um ein paar Briefe in Empfang zu nehmen .
Einer war aus Breslau , also wahrscheinlich eine Rechnung oder ein Verzeichnis , der andere eine Vermählungsanzeige Rybinski[s ] ( aber mit einer anderen Dame ) und der dritte von der alten Frau Möhring .
" Frau Bürgermeister Großmann , geb. Möhring .
Woldenstein in Westpreußen . "
Die Buchstaben waren so steif gekritzelt wie auf einem Waschzettel .
" Gott " , sagte Thilde , " wenn Mutter bloß nicht immer geborene Möhring schreiben wollte .
Möhring ist doch zu wenig . "
Dann ging sie bis an die Portiere und horchte hinein , und als sich nichts in der Schlafstube regte , ging sie wieder bis ans Fenster und setzte sich in den kleinen schwarzen Stuhl mit drei Goldstäbchen , der hier stand .
Und nun las sie .
" Meine liebe Thilde .
Die Kiste kam gerade Heiligabend an , aber schon früh , und da gerade die Runtschen da war , sagte ich , nun , Runtschen , nun wollen wir sie aber auch gleich aufmachen .
Und da hättest Du sehen sollen , wie geschickt sie war und wie sie jeden einzelnen Nagel rausholte , ohne Kneifzange , bloß alles mit Küchenmesser .
Und als wir alles raus hatten , gab ich ihr eins von die Pakete , weil ich dran denken mußte , daß ihr die Petermann zu vorigen Weihnachten auch ein großes Stück Steinpflaster gegeben hatte .
Sie war aber noch nicht ganz zufrieden , bis ich ihr sagte : » Na , Runtschen , wenn es soweit is , den Schinkenknochen , den kriegen Sie auch . «
Da bedankte sie sich ; ich weiß das schon von Ulrike , sie sind immer so sehr nach Fleisch .
Natürlich , wer soll es denn bezahlen .
Und muß ich Dir doch sagen , daß ich mich sehr über alles gefreut habe , weil man doch die Liebe sieht , und darin auch , weil ich sehe , daß Du_es kannst und Ihr es haben müßt .
Und sieh , Thilde , das is doch die Hauptsache .
Denn mit der Sparkasse , das is ja nun vorbei , weil es alles soviel gekostet hat , und wenn ich mir denke , daß es auch knapp ginge , was sollte da werden .
In 'n Spital mag ich nicht .
Und nun sage mir , Thilde , wie steht es eigentlich mit Dir ?
Ach , es macht ja bloß Angst und Sorge , und wie sie nachher einschlagen , weiß man auch nicht .
Besser ist besser .
Und Du hast mir noch immer nicht geschrieben von wegen der Witwenkasse .
Die Schmähdicke meinte zwar neulich : » sie müßten einkaufen , ob sie wollen oder nicht « , aber es wäre mir doch lieb , zu hören , daß Du ganz sicher bist .
Ich bin immer so sehr fürs Sichre .
Denn der Mensch denkt ; und Gott lenkt , und heute rot und morgen tot .
Und er war mitunter so rot , was mir nicht gefallen hat , und auch die Runtschen sagte :
» Glauben Sie mir , Frau Möhring , es sitzt ihm hier . «
Und nun grüße Deinen lieben Mann und sage ihm , ich ließ ihm ein glückliches neues Jahr wünschen .
Er verdient es , und es wird sich schon belohnen .
Es is ja viel draufgegangen , aber es schadet nicht , und ich habe es alles gerne gegeben , und die Schmähdicke sagte neulich : » Aufs Kapital kommt es nicht an , wenn man bloß gute Zinsen hat . «
Deine Dich liebende Mutter Adele Möhring , geb. Prinz "
" Gott , nun auch noch » Prinz « " , sagte Thilde .
" Was sich Mutter nur eigentlich denkt .
Und was sie da schreibt !
Als ob sie sich geopfert und mir mit ihrem Sparkassenbuch , was doch mein war , mein Glück bereitet hatte .
Nun , sie war immer so , und nach ihrer Art meint sie es gut , erst mit sich und dann mit mir .
Und darin war das Gute , daß sie mir immer freie Hand gelassen hat .
Eine weimrige alte Frau , aber ich habe doch mit ihr leben können .
Und vielleicht muß ich wieder mit ihr leben .
» Heute rot und morgen tot . «
Daß sie auch gerade so was scheiben mußte ... Hugo gefällt mir nicht , und der Doktor mit seinem » Einigermaßen « hat mir auch nicht gefallen .
Ich möchte ihn nicht gern verlieren .
Er ist so gut und hat mir eine Stellung gegeben .
Denn wenn ich es auch gemacht habe , wenn er nicht da war , so ging es nicht .
Ich möchte ihn nicht gern verlieren .
Aber sonderbar , alles hat doch so seine zwei Seiten , und wenn ich so den Platz und die drei Scharren sehe , jetzt kuckt sich der Provisor im Spiegel [ an ] und findet sich hübsch , da weiß ich doch nicht , ob es nicht hübscher war , wenn ich nach der Stadtbahn rübersah und wenn Bollbolle : ursprünglich Berliner Molkerei , die früher mit Pferdewagen Milch und Molkereiprodukte ausfuhr .
Begründer war Karl Bolle ( 1837-1910 ) . durch die Straßen klingelte . . .
Nun , Mutter hat ja auch geschrieben :
» Der Mensch denkt , und Gott lenkt « , sie hat immer solche neuen Sätze .
Aber richtig is es , und ich muß es abwarten , wie Gott lenkt . "
Hugo genas , und Ende Februar saß er im Garten in Front von einem Weinspalier , auf das eine warme Februarsonne fiel .
Thilde saß neben ihm und las ihm die Zeitung vor , denn es waren die Tage , wo Bismarck ins Schwanken kamTage , wo Bismarck ins Schwanken kam : Im Februar März 1890 verschärfte sich der Konflikt zwischen Bismarck und Wilhelm II. , und am 18. März wurde Bismarck entlassen . .
Hugo sog jedes Wort ein und zeigte großes Interesse , ergriff aber nicht Partei , " sie werden wohl beide recht haben " .
Thilde lächelte : " Ja , Hugo , das bist ganz du .
Beide recht .
Ich bin für einen . "
Über den Zaun fort grüßten die Nachbarn , die sich schon in ihren Gärten zu schaffen machten , und stellten auch Fragen nach seinem Befinden , denn so kurze Zeit er in der Stadt war , so war er doch sehr beliebt , und jeder freute sich seiner Wiedergenesung .
Die Landrätin kam persönlich und klagte sich an : " eigentlich sei sie schuld , er habe sich_es bei Ostwind auf dem Eise geholt " , und der alte Graf schickte eine große Melone aus seinen Treibhäusern mit einem Billet voll phantastischer Verbindlichkeiten und Ratschläge .
Nach Berlin hin war all die Wochen über kein Wort über die Krankheit vermeldet worden , weil Thilde dem Gejammer der Alten entgehen wollte , und auch jetzt , wo die Genesung da war , schrieb sie nichts von der zurückliegenden schweren Sorge .
Vielleicht unterließ sie es auch , weil sie der Genesung mißtraute , wozu , wie sich bald zeigen sollte , nur zuviel Veranlassung da war .
Eines Tages , als Hugo wieder in der Sonnenstelle saß , schlug das Wetter plötzlich ab , ein Schüttelfrost stellte sich ein , und ehe noch der Arzt es feststellen konnte , war es klar , daß ein Rückfall da war .
Er nahm in rapidem Verlauf die Form einer rapide fortschreitenden Schwindsucht an , und am zweiten Ostertag abends starb er , nachdem er Tilden ans Bett gerufen und ihr für ihre Tüchtigkeit , ihre Liebe und Pflege gedankt hatte .
Diese Worte waren ehrlich gemeint , denn die Bedenken einer frühen Zeit waren ganz geschwunden , und er sah in Thilde nichts als die rührige , kräftige Natur , die sein Leben bestimmt und das bißchen , was er war , durch ihre Kraft und Umsicht aus ihm gemacht hatte .
Den dritten Osterfeiertag bei niedergehender Sonne wurde er auf dem Woldensteiner Kirchhof begraben ; alles war da , der alte Graf , der alles auf den Arzt schob und dann wieder versicherte , er habe es schon am Neujahrstage gewußt , der Landrat , der , weil Osterferien waren , gerade in seinem Kreise sein konnte , viel Adel aus der Nähe und die ganze Bürgerschaft einschließlich der dritten Konfession .
Auch der Provisor , der sich zufällig einen neuen Frühjahrsüberzieher hatte machen lassen , wollte nicht fehlen .
Alle Bläser bliesen , der alte Graf unterhielt sich ziemlich laut , und was Woldenstein an Blumen hatte , wurde auf das Grab gelegt .
Der Geistliche geleitete Tilden in ihre Wohnung , und während der alte Graf im " Herzog Kasimir " eine Flasche herben Ungar ausstach , saß Thilde auf dem Trittbrett und sah auf den immer dunkler werdenden Marktplatz , über den ein Westwind einige braune Winterblätter trieb .
Dann wurden ein paar an Ketten hängende Laternen angesteckt , und im Schatten des Rathauses , da , wo die Stiege hinaufführte , stand ein Liebespaar .
Sie ließen sich durch den immer heftiger werdenden Wind nicht stören , aber die Laternen bewegten [ sich ] und quietschten an den Ketten hin und her .
Als Thilde wohl eine halbe Stunde lang auf das alles hinausgestarrt hatte , zündete sie die Lampe an und setzte sich an ihren Schreibtisch , um ein paar Zeilen an die Mutter zu schreiben .
" Liebe Mutter .
Heute gegen Abend haben wir Hugo begraben .
Es war sehr schön und feierlich , alle Welt erschienen , auch der Adel aus der Umgegend .
Prediger Lämmel hielt die Rede .
Sie wird gedruckt und wird uns dann ( denn bis dahin denke ich wieder in Berlin zu sein ) von hier aus zugestellt werden .
Wie ich Dir gleich bemerken will , kostenfrei , auch der Druck .
Denn Du wirst wohl sehr in Angst sein .
Ich muß Dich aber ernstlich bitten , mich mit dieser Angst nicht quälen zu wollen .
Ich habe von hier aus für Dich gesorgt , und ich werde weiter für Dich sorgen .
Du denkst immer an jämmerlich zugrunde gehen , aber solange Deine Thilde lebt , so lange wirst Du zu leben haben .
Dessen sei versichert .
Ich empfange noch das Gehalt bis Jahresschluß und die Witwenpension vom 1. April an .
Dies wird Dir einen Stein von der Brust nehmen , und wenn Du erst weißt ( und deshalb habe ich dies alles vorausgeschickt ) , daß Du nicht ins Spital kommen und nicht wie die alte Runtschen rein machen und einholen wirst , wirst Du vielleicht auch zuhören , wenn ich Dir sage , daß Hugo gut gestorben ist , ganz wie ein feiner Mensch , der er immer war .
Denn er war aus einem sehr guten Hause , was immer die Hauptsache bleibt .
Er hat mir auch noch gedankt , als ob ich Wunder was wäre .
Das macht , er hatte so was Edles .
Und Dich hat er grüßen lassen .
Daß er bloß schwächlich war , dafür konnte er nicht .
Wenn es nach ihm gegangen wäre , wäre er stärker gewesen .
Alle Leute hier haben ihn sehr geachtet , weil alle sahen , daß er sehr gut war , und selbst Silberstein , von dem ich Dir schon geschrieben , hat an seinem Grabe gesprochen .
So daß selbst Pastor Lämmel zufrieden war und ihm die Hand gab .
Silberstein , Firma Silberstein und Isenthal , wird auch alles besorgen , es sind sehr reelle Leute , fortschrittlich , aber sehr reell .
Und was aus dem Mobiliar herauskommt , das werden wir kriegen auf Heller und Pfennig .
Ich habe noch ein paar Tage hier zu tun und Briefe zu schreiben , auch an den alten Grafen , der mir eine Stellung als Hausdame in seinem Hause angeboten hat ( natürlich mit Gehalt ) , aber all das wird in drei oder vier Tagen beendet sein , und spätestens Sonnabend früh gedenke ich in Berlin einzutreffen .
Ich schreibe aber noch eine Karte vorher , damit Du ganz sicher bist und die Runtschen zu rechter Zeit bestellen kannst .
Ich bringe Dir auch ein Andenken von ihm mit , ein kleines Kreuz , vorn mit einer Perle .
Die Perle hat einigen Wert .
Ich freue mich , Dich wiederzusehn , so schmerzlich auch die Veranlassung ist , denn die Pension reicht nicht an das Gehalt Ich muß Dir das sagen .
Mir ist es gleichgültig .
Ich bringe mich schon durch und Dich mit .
Deine treue Tochter Thilde "
SECHZEHNTES KAPITEL Sonnabend früh mit dem Acht-Uhr-Zuge kam Thilde auf dem Friedrichsstraßenbahnhof an .
Den kleinen Handkoffer , den sie mit sich führte , gab sie einem Gepäckträger zugleich mit ihrem Gepäckschein und wies ihn an , ihr alles in ihre Wohnung zu schaffen , drüben zu Schulze , drei Treppen .
" Ja , Fräulein . "
Er verbesserte sich aber rasch , denn er kannte sie von alter Nachbarschaft her ganz gut , und versprach , in einer halben Stunde dazusein .
Als sie ging , sah er ihr einen Augenblick nach .
" Was doch nicht das liebe Geld alles tut ; hat sich schmählich rausgemausert .
Ohr ntlich ein bißchen forsch und einen Krimstecher . "
Während ihr diese Betrachtungen folgten , schritt sie über den Damm hin und sah auf das Haus und nach der dritten Etage hinauf .
Es hatte sich nichts verändert , und doch kam ihr alles ganz anders vor .
Ein eigentümliches Gefühl beschlich sie , bis sie sich sagte :
" Sei froh , daß es ist , wie es ist ; es könnte viel schlimmer sein .
Wie war es vor zwei Jahren .
Da mußt ich noch alles selber tun . "
Sie ging auf der rechten Seite der Straße und sah nach der dritten Etage hinauf , ob sie die Alte vielleicht am Fenster sähe .
Aber sie sah nichts , auch nicht in den anderen Etagen , überall waren noch die Rouleaux herunter .
Es war ihr lieb , ganz unbeobachtet zu sein , aber sie war es nicht , und während sie über den Damm ging , sagte die Rätin , die vom Frühstückstisch aufgestanden war und sich ein Kuckloch zurechtgemacht hatte :
" Was sitzt du wieder über der Zeitung .
So was sieht man nicht alle Tage ; sie hat bloß schwarze Handschuh an und sieht aus , als reiste sie nach Dresden und Sächsische Schweiz .
Regenmantel und Opernglas ; fehlt bloß noch der Alpenstock . "
- " Ach , du hast immer was zu reden , Luise .
Wenn sie mit einer langen Trauerfahne ankäme , dann wäre es auch nicht recht " Thilde stieg langsam die Treppen hinauf , je höher sie kam , desto langsamer , weil sie vor der Begegnung mit der Alten erschrak .
Auf dem letzten Treppenabsatz stand die Runtschen und nahm ihr , weil sie nichts anderes mit sich führte , wenigstens den Regenschirm ab .
" Tag , Runtschen , wie geht es ? "
- " Gott , Frau Bürgemeistern , wie soll es einem gehen " , und ehe das Gespräch sich fortsetzen konnte , war man oben , und Thilde lief auf die Mutter zu , die , halb sonntäglich zurechtgemacht , in der offenen Tür stand und gleich zu weinen anfing .
" Mutter , weine nur nicht gleich .
Jeder kommt ran . "
" Ja , bloß der eine zu früh und der andere zu spät .
Wenn ich doch rangekommen wäre . "
Und dabei traten sie vom Flur her in das Entree und vom Entree in die Wohnstube , wo vor dem Sofa schon der Kaffee stand und Semmeln und Butter .
" Und nun komme , Thilde , nun wollen wir eine warme Tasse trinken , und erzähle mir alles , wie es war . "
" Ja , Mutter , gleich ; ich möchte mir aber erst die Hände waschen , und das Haar is auch in Unordnung , ich hatte den Wind ins Gesicht und wollte nicht zumachen . "
Und dabei erhob sich Thilde wieder , legte den Hut und den Krimstecher beiseite und hing den Mantel an einen Ständer im Entree .
Dann kam sie wieder und sagte : " So , Mutter , nun schenke uns ein .
Kalt war es .
Und der Mantel hat auch nicht viel geholfen . "
" Ich dachte , du würdest ein Umschlagetuch drübernehmen .
Und überhaupt .
Hast du denn gar keine Trauer gehabt ?
Ich weiß ja , daß es hier sitzt , aber wegen der Leute .
Und sie haben sich doch sehr anständig gegen dich benommen . "
" Ja , Mutter , natürlich habe ich Trauer gehabt .
Silberstein hat mir alles besorgt und hatte selbst alles auf Lager .
Ich war ganz schwarz und Schleier und Schnebbe , alles , wie sich_es gehört , aber als ich mich für die Reise zurechtmachte , habe ich alles eingepackt , und du kannst es sehen , wenn es kommt . "
" Und unterwegs wolltest du nicht . "
" Nein , Mutter .
Unterwegs nicht , und ich wollte auch nicht hier so ankommen .
Das sieht so gefährlich aus . "
" Aber willst du es denn so liegenlassen .
Es kriegt ja Fleck .
Silberstein hat es doch auch nicht umsonst . "
" Auftragen will ich es nicht .
Die meisten glauben nicht dran , und ich habe welche gesehen , die zudringlich wurden bloß wegen der Trauer .
Manche machen es auch zu toll .
Aber wenn ich es auch nicht auftragen will , so werde ich es doch tragen , wo sich_es hingehört , wenn ich ernste Besuche mache .
Denn wenn ich auch die Pension habe , so muß doch was geschehen . "
" Ach , Thilde , daß du nun davon sprichst .
Ich habe es ja nicht gewollt und habe mir diese ganze Nacht gesagt :
» Sprich nicht davon , Thilde mag es nicht , Thilde war immer großartig , und nun is sie es erst recht . «
Aber da du nun selber davon anfängst , sage , Kind , was soll nun werden .
Denn es war ja doch eine furchtbare Krankheit . "
" Ja , Mutter , das war es .
Immer die Beklemmung und die Atemnot . "
" Ach ja , Thilde , die Beklemmung .
Aber ich mein nicht die Beklemmung , ich mein , daß es so lange gedauert hat . "
" Ja , gerade ein Vierteljahr ... "
" Und wenn in einer kleinen Stadt der Doktor auch um die Ecke wohnt , die Länge hat die Last , und zuletzt macht es doch was .
Und dann die Medizin .
Und gerade weil es Mal besser war , da müssen sie dann immer gestärkt werden .
Aber es hilft meistens nicht , und alles is bloß hin . "
Thilde nahm ein Stück Zucker und brach es zweimal durch und sah nun auf die vier Krümel , die da vor ihr lagen .
In den vier Krümeln hatte sie nun wieder ihr Leben , und die Mutter , die noch kein Wort von dem armen guten Mann gesprochen hatte , rechnete schon wieder , was es gekostet habe .
So nüchtern sie selber war , das war ihr doch zuviel .
Sie nahm der Alten Hand und sagte : " Mutter , bringe der Runtschen den Kaffee raus , sie wird wohl noch nichts Warmes genossen haben .
Die Runtschen is wirklich arm .
Ich will in die andere Stube gehen und mich einen Augenblick hinlegen ; vielleicht schlafe ich ein , mir is doch so übernächtig . "
Sie dachte nicht an Einschlafen , sie wollte nur allein sein und einen Augenblick andere Gedanken haben .
Sie schritt auf und ab .
Da war das Stehpult , drauf die juristischen Bücher immer so verstaubt umherlagen , und da war der Sofatisch , auf dem hochaufgeschichtet die kleinen Bücher lagen und ein paar Bleistifte daneben , um immer gleich Notizen an den Rand schreiben zu können .
Und da war das Fensterbrett , an das gelehnt sie so sonderbar sentimental ihre Verlobung gefeiert hatten , er noch halb krank und verlegen und sentimental , sie nüchtern und berechnend .
" Ich habe mich ihm immer überlegen geglaubt .
Es war nicht so .
Wenn das ewige Nachrechnen klug ist , dann ist Mutter die klügste Frau .
Von den anderen , zu denen Hugo gehörte , hat man doch mehr , und ich will versuchen , daß ich ein bißchen davon wegkriege .
Aber es wird mir wohl nicht viel helfen ; von Natur bin ich geradeso wie Mutter , sie berechnet immer , was es kostet , und ich rechne mir den Vorteil aus .
Die vier Krümel Zucker will ich mir in eine Schachtel legen und hier in das offene Sekretärfach stellen .
Da habe ich es immer vor Augen und will dran lernen , daß das ganz Kleine nun wieder anfängt ; und wenn Mutter weimert , will ich nicht ungeduldig werden .
Ich dachte Wunder was ich aus ihm gemacht hätte , und nun finde ich , daß er mehr Einfluß auf mich gehabt hat als ich auf ihn .
Rechnen werde ich wohl immer , das steckt Mal drin , aber nicht zu scharf , und will hülfreich sein und für die Runtschen sorgen .
Schon deshalb , weil die Runtschen seine einzige Renoncerenonce : eigentlich : Fehlfarbe im Kartenspiel ; hier : unangenehme , widerliche Person . war .
Und wenn er das sieht , wird er mir_es danken .
Aber er wird es wohl nicht sehen . "
Und dann ging sie wieder auf und ab und trat ans Fenster , und da , wo damals der Mond gestanden hatte , lang ein grau Gewölk .
Aber als ihr Auge noch drauf ruhte , rötete sich_es , und die Sonne gab einen goldenen Saum .
" Vielleicht ist das meine Zukunft . "
Und sie holte sich den Regenmantel aus dem Entree , deckte sich zu , verfolgte das Schattenspiel an Wand und Decke und schlief ein .
SIEBZEHNTES KAPITEL Zu Tilden besonderen Eigenschaften gehörte von Jugend auf die Gabe des Siechanpassens , des Siechhineinfindens in die jedesmal gegebene Lage .
Wäre Hugo am Leben und im Amt geblieben und nach Ablauf ( was nicht anzunehmen , aber doch auch nicht unmöglich ) seiner Woldensteiner Amtszeit wegen bewiesener Tüchtigkeit zum Oberbürgemeister einer Provinzialhauptstadt gewählt worden , so würde seine Frau , bei Besuchen des Oberpräsidenten , ja selbst bei Kaiserparaden , die Honneurs des Hauses mit ausreichender Geschicklichkeit und jedenfalls mit vollkommener Unbefangenheit gemacht haben ; jetzt , wo sie sich nach einem kurzen Erfolg auf die Stufe zurückversetzt sah , von der sie ausgegangen war , fand sie sich auch darin zurecht und nahm ihr altes Leben ohne jede längere Betrachtung und jedenfalls ohne Klage darüber wieder auf .
Die Sache lag so und so , folglich mußte so und so gehandelt werden .
Nur nicht nutzlose Betrachtungen .
Es handelte sich für sie keinen Augenblick darum , ihre Situation in irgendein Gegenteil zu verkehren , sondern nur darum , aus der Situation , wie sie nun Mal war , das Beste zu machen , und dies tat sie voll Überlegung und auf ihre Weise , rücksichtsvoll und doch auch wieder entschieden .
Soweit es möglich , war sie unerschöpflich in kleinen Guttaten und Aufmerksamkeiten und der Alten insoweit zu Willen , daß sie wie vordem das bloß alkovenhafte Schlafzimmer mit ihr teilte ; den ganzen Tag aber [ die ] sich beständig über Spital und ähnliche Dinge verbreitende Unterhaltung mit anzuhören oder Fragen zu beantworten , die sich fast immer auf ihr intimes Woldensteiner Leben bezogen , dazu war sie nicht mehr gewillt und hatte dementsprechend kategorisch erklärt , daß sie den Tag über allein sein müsse .
" Das mit dem Vermieten müsse ein Ende haben . "
Und so hatte sie sich " drüben " eingerichtet , und als die Alte sah , daß Thilde viel schrieb und sich unter Büchern und Karten vergrub und , wenn sie zu Tisch kam ( die Runtschen mußte das Essen holen ) , oft rote Backen vom Lernen hatte , konnte sie sich [ denken ] , was Thilde vorhatte .
Sie konnte sich es denken und war auch nicht eigentlich dagegen .
Aber wenn die Alte auch nicht eigentlich dagegen war und sich recht gut entsann , daß der Seminardirektor schon damals , ehe Möhring starb , immer von ihren schönen Gaben gesprochen hatte , so ging sie doch davon aus , daß " Lehrerin " nicht recht was sei , ja daß jedes andere Unterkommen , auch wenn von etwas fraglicher Beschaffenheit , immer noch vorzuziehen sei .
Bei Tage wagte sie mit solchen Betrachtungen nicht recht hervorzutreten , aber wenn sie zu Bett gegangen waren und schon eine Weile ganz ruhig gelegen hatten erhob sich die Alte von ihrem Kissen und sagte , während an der Straße her durch die nach vorn hin offenstehende Tür ein schwacher Lichtschimmer sie traf : " Thilde , schläfst du schon ? "
" Nein , Mutter .
Aber beinahe .
Willst du noch was ? "
" Nein , Thilde , wollen will ich nichts .
Mir is bloß so furchtbar Angst wegen deiner Lernerei .
Du siehst so spack aus und hast solchen Glanz .
Er hat ja doch die Schwindsucht gehabt .
Und am Ende ... "
" Nun ? "
" Am Ende wäre es doch möglich .
Und wenn es so is , is doch frische Luft immer das beste ... "
" Gewiß , frische Luft is immer gut .
Aber wo soll ich sie hernehmen ?
Hier is sie nicht gut , und wenn es nicht wegen deines Rheumatismus wäre ... "
" Nein , Thilde , so das Fenster offen , das geht nicht .
Aber du könntest doch die frische Luft haben . "
" Ich ? woher denn ? "
" Ja , Thilde , du hast mir doch gleich in deinem ersten Brief geschrieben , ich meine in deinem ersten , als er tot war , da hast du mir geschrieben von wegen » Hausdame « mit Gehalt .
Und wenig kann es doch nicht gewesen sein , weil er ja so reich is , wie du mir geschrieben hast .
Und alt is er auch .
Ja , da hättest du die schöne frische Luft gehabt und die gute Verpflegung , ich will nichts sagen , aber was wir heute hatten , hatte doch keine Kraft nicht , und alt is er , und wenn du ihn ordentlich gepflegt hättest , und das hättest du gewiß , denn du hast ja Mitleid mit jedem und mit mir auch , denn du bist gut , Thilde , ja , Thilde , dann hätten wir vielleicht was .
Einer , der so reich is , kann doch nicht so mir nichts , dir nichts sterben , ohne was zu hinterlassen .
Und vielleicht daß er noch ganz zuletzt ...
War er denn katholisch ? "
" Natürlich war er katholisch . "
" Na , denn ging es nicht . "
" Ach , deshalb wäre es schon gegangen .
Katholisch is nicht schlimm .
Aber was denkst du denn eigentlich ?
Ich will von Woldenstein nicht reden .
Aber hier ?
Was würden hier die Leute gesagt haben .
» Die hat es eilig . «
Und die Petermann der alte Giftzahn , die hätte gesagt :
» Es wird wohl eine schöne Geschichte gewesen sein . « "
" Ach , Thilde , dessentwegen muß man sein Glück nicht fortstoßen .
Die Leute sagen immer so was .
Aber wenn man was hat , dann is es gleich .
Und bloß wenn man nichts hat ... "
" Ja , Mutter .
Nun wollen wir aber schlafen . "
Der Wunsch der Alten ging ganz entschieden dahin , daß sich Thilde wieder verheiraten sollte .
Hugo war ein sehr hübscher Mann gewesen und aus einem sehr guten Hause .
Und wenn sie damals , wo sie bloß ein armes Mädchen war , den Hugo gekriegt hatte , so konnte sie jetzt jeden heiraten , denn sie hatte ja nun einen Titel , und wenn sie mitunter ausging und war eine junge Witwe , und die Trauer stand ihr gut , und wenn sie zum Schulrat ging mit dem geteilten langen Schleier , sahen ihr die Leute nach .
Und die Alte war nur unglücklich , daß sie gesagt hatte , " die Haubenschnebbe , das is zuviel .
So furchtbar trauern darf ich nicht , das is anstößig . "
Ja , wieder heiraten sollte Thilde .
Als die Alte aber merkte , daß Thilde dies ganz entschieden ablehnte und wirklich nur Lehrerin werden wollte , kam sie auf einen anderen Plan , der geraume Zeit nach jener Unterhaltung über den alten Grafen und das mutmaßlich verscherzte Glück , auch wieder nächtlicherweise , geführt wurde .
Diesmal nicht in dem sauerstoffarmen Alkoven , sondern noch in der Vorderstube , die Alte steif aufrecht auf dem Sofa , Thilde zurückgelehnt auf der Chaiselongue .
" Na , Thilde , du warst ja heute wieder da .
Wann glaubst du denn , daß es soweit is ? "
" Du meinst mit dem Examen und mit der Stelle .
Und meinst , wann ich das erste Gehalt kriege ? "
" Ja , Kind , das mein ich .
Du willst immer davon nicht hören .
Aber es is doch was Sicheres . "
" Ach , sicher is das andere auch . "
" Meinst du ?
Na , ich will es dir wünschen .
Aber wenn es auch noch so sicher ist , das mit der Schule , das is doch nun die Hauptsache .
Das hast du selber immer gesagt .
Und da habe ich dich nun schon lange fragen wollen , ob du nicht das mit der Witwe fallenlassen und deinen Mädchennamen wieder aufnehmen willst .
Es werden ja so viele mit andere Namen getauft , und bei dir is es nicht Mal so , da kommt das Alte bloß wieder obenauf . "
Thilde schüttelte den Kopf , ersichtlich in einiger Verstimmung .
Aber die Alte , die sich , solange sie den Wiederverheiratungsplan hatte , von " Witwe " viel versprochen hatte , wollte bei veränderter Sachlage mit ihrem neuen Plane nicht nachlassen und fuhr fort :
" Ich denke mir , Thilde , du mußt es nun lieber so nehmen , als ob es ... ja , wie heißt es doch , wenn was ganz kurze Zeit dauert und dann wieder vorbei ist ... "
" Ich weiß schon , was du meinst ... "
" Also so nehmen , Thilde , wie wenn es gar nicht gewesen wäre .
Daß dir als Witwe was zugute getan wird , kann ich mir nicht denken , und Fräulein is doch das Gewöhnliche ... "
Thilde richtete sich auf , nahm ein noch von Woldenstein mitgebrachtes Luftkissen in den Rücken und sagte : " Ja , Mutter , was denkst du dir eigentlich dabei .
Das is doch wie eine Defraudation , wie eine Unterschlagung , wie Lug und Trug . "
" Gott , Kind , rede doch nicht so was . "
" Ja , Mutter , das ist Ableugnung des Tatsächlichen und straffällig . "
" Gott , Gott . "
" Ich habe dir wohl öfters gesagt , wenn du so beständig anpurrtest und alles wissen wolltest , was auch nicht richtig war und immer nur davon kam , daß du gegen den armen Hugo was hattest - nun , da habe ich dir wohl Mal gesagt , daß es nicht so was Besonderes gewesen sei , was ich vielleicht nicht hätte sagen [ sollen ] , denn alles , was man so sagt , wird doch bloß mißverstanden .
Und nun bist du geradeso wie die anderen Menschen .
Aber es is alles falsch , was du da denkst , und ich muß dir sagen , ich glaube beinahe , daß er lieber nicht hätte heiraten sollen .
Er sah so stark aus mit seinem Vollbart , aber er war nur schwach auf der Brust , und ich bin ganz sicher , es hat ihm geschadet .
Und nun soll es gar nichts gewesen sein. I , das wäre ja doch schändlich und undankbar , wenn ich ihm so was in seinem Grabe nachsagen wollte .
Fräulein Möhring !
Was denkst du dir nur ?
Ich bin kein Fräulein und habe meinen Stolz als Frau und Witwe , wenn ich auch kein Pfand seiner Liebe unterm Herzen trage . "
" Gott , Thilde , sage doch nicht so was . "
" Ja , so sagt man , Mutter ; das ist gerade das richtige Wort .
Und es ist bloß ein Zufall , daß es so ist , wie es ist ... "
" Meinst du ? "
" Freilich meine ich .
Und mitunter denke ich , es wäre doch hübsch und auch besonders für dich , wenn du ihn Einbuschen könntest .
Freilich , Rechnungsrats schlafen gerade unter uns , und die würden wohl raufschicken und sagen , wir sollten nicht so viel hin und her wiegen , denn die denken , drei Treppen hoch ist so gut wie gar nichts . "
" So is es , Thilde .
Arme Leute ... "
" ... müssen sich alles versagen . "
" ... Un sollen nicht Mal buschen .
Ach , die Menschheit is zu schlecht , und ich erlebe es auch nicht mehr . "
Das war kurz vor dem Examen , das Thilde glänzend bestand , viel glänzender als Hugo damals das seine .
Noch an demselben Tage sagte man ihr , daß eine Stelle für sie frei sei ; man freue sich , ihr dieselbe geben zu können .
Am 1. Oktober trat sie ein , Berlin N , zwischen Moabit und Tegel .
Sie ging mutig ans Werk , hatte frischere Farben als früher und war gekleidet wie an dem Tage , wo sie von Woldenstein wieder in Berlin eintraf .
Nur ohne Krimstecher .
Das seitens der Schuldeputation in sie gesetzte Vertraun hat sie gerechtfertigt .
Hinaus fährt sie jeden Morgen mit der Pferdebahn , den Weg zurück macht sie zu Fuß und kauft immer was ein für die Mutter , einen Kranzkuchen oder einen Geraniumtopf oder eine Tüte mit Prünellen .
Oft auch am Oranienburger Tor eine Hasenleber , weil sie weiß , daß Hasenleber das Lieblingsgericht der Alten [ ist ] .
Und die Alte sagt dann :
" Gott , Thilde wenn ich dich nicht hätte . "
" Laß doch , Mutter , wir haben es ja . "
" Ja , Thilde , es is schon wahr .
Aber wenn es man bleibt . "
" Es wird schon . "
Von Hugo Großmann wird selten gesprochen , seine Photographie hängt aber mit einer schwarzen Schleife über der Chaiselongue , und zweimal im Jahre kriegt er nach Woldenstein hin einen Kranz .
Silberstein legt ihn nieder und schreibt jedesmal ein paar freundliche Zeilen zurück .
Rebecca hat sich verheiratet .

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TextGrid Repository (2025). Fontane, Theodor. Mathilde Möhring. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0m3.0