Erstes Bändgen. Nro. I. Bleiglanz .
Testament -- das Weinhaus .
So lange Haslau eine Residenz ist , wußte man sich nicht zu erinnern , daß man darin auf etwas mit solcher Neugier gewartet hätte -- die Geburt des Erbprinzen ausgenommen -- als auf die Eröffnung des Van der Kabelschen Testaments .
Van der Kabel konnte der Haschlauer Krösus -- und sein Leben eine Münzbelustigung heißen oder eine Goldwäsche unter einem goldenen Regen oder wie sonst der Witz wollte .
Sieben noch lebende weitläufige Anverwandten von sieben verstorbenen weitläufigen Anverwandten Kabels machten sich zwar einige Hoffnung auf Plätze im Vermächtnis , weil der Krösus ihnen geschworen , ihrer da zu gedenken ; aber die Hoffnungen blieben zu matt , Flegeljahre I. Bd. 1 weil man ihm nicht sonderlich trauen wollte , da er nicht nur so mürrischsittlich und uneigennützig überall wirtschaftete -- in der Sittlichkeit aber waren die 7 Anverwandten noch Anfänger -- sondern auch immer so spöttisch darein griff und mit einem solchen Herzen voll Streiche und Fallstricke , daß sich auf ihn nicht fußen lies .
Das fortstrahlende Lächeln um seine Schläfe und Wulstlippen und die höhnische Fistel-Stimme schwächten den guten Eindruck , den sein edel gebautes Gesicht und ein Paar große Hände , aus denen jeden Tag Neujahrsgeschenke und Benefiz-Komödien und Graziale fielen , hätten machen können ; deswegen gab das Zug-Gevögel den Mann , diesen lebendigen Vogelbeerbaum , worauf es as und nistete , für eine heimliche Schneuss aus und konnte die sichtbaren Beere vor unsichtbaren Haarschlingen kaum sehen .
Zwischen zwei Schlagflüssen hatte er sein Testament aufgesetzt und dem Magistrate anvertraut .
Noch als er den Depositionsschein den 7 Präsumtiv-Erben halbsterbend übergab : sagte er mit altem Tone , er wolle nicht hoffen , daß dieses Zei chen seines Ablebens gesetzte Männer niederschlage , die er sich viel lieber als lachende Erben denke , denn als weinende ; und nur einer davon , der kalte Ironiker , der Polizei-Inspektor Harprecht , erwiderte dem warmen :
ihr sämtlicher Anteil an einem solchen Verluste siehe wohl nicht in ihrer Gewalt .
Endlich erschienen die 7 Erben mit ihrem Depositions-Schein auf dem Rathause , namentlich der Kirchenrat Glanz , der Polizei-Inspektor , der Hofagent Neupeter , der Hoffiskal Knoll , der Buchhändler Passvogel , der Frühprediger Flachs und Flette aus Elsaß .
Sie drangen bei dem Magistrate auf die vom seel. Kabel insinuierte Charte und die Öffnung des Testaments ordentlich und geziemend .
Der Ober-Exekutor des letzteren war der regierende Bürgermeister selber , die Unter- Exekutors der restierende Stadt-Rat .
Sofort wurden Charte und Testament aus der Raths- Kammer vorgeholt in die Ratsstube -- sämtlichen Raths- und Erbherrn herumgezeigt , damit sie das darauf bedruckte Stadt-Sekret besähen -- die auf die Charte geschriebenen Insinuations-Re gistratur vom Stadtschreiber den 7 Erben laut vorgelesen , und ihnen dadurch bekannt gemacht , daß der Selige die Charte dem Magistrate wirklich insinuiert und scrinio rei publicae anvertraut , und daß er am Tage der Insinuation noch vernünftig gewesen -- endlich wurden die sieben Siegel , die er selber darauf gesetzt , ganz befunden .
Jetzt konnte das Testament -- nachdem der Stadtschreiber wieder über dieses alles eine kurze Registratur abgefasst -- in Gottes Namen aufgemacht und vom regierenden Bürgermeister so vorgelesen werden , wie folgt : Ich Van der Kabel testiere 179 * den 7. Mai hier in meinem Hause in Haslau in der Hundgasse ohne viele Millionen Worte , ob ich gleich ein deutscher Notarius und ein holländischer Domine gewesen .
Doch glaube ich , werde ich in der Notariatskunst noch so zu Hause sein , daß ich als ordentlicher Testator und Erblasser auftreten kann .
Testatoren stellen die bewegenden Ursachen ihrer Testamente voran .
Diese sind bei mir , wie gewöhnlich , der selige Hintritt und die Verlas senschaft , welche von vielen gewünscht wird .
Über Begraben und dergleichen zu reden , ist zu weich und dumm .
Das aber , als was Ich übrig bleibe , setze die ewige Sonne droben in einen ihrer grünen Frühlinge , in keinen düstern Winter .
Die milden Gestifte , nach denen Notarien zu fragen haben , mache ich so , daß ich für drei Tausend hiesige Stadtarmen jeder Stände eben so viele leichte Gulden aussetze , wofür sie an meinem Todes-Tage im künftigen Jahre auf der Gemeinhut , wenn nicht gerade das Revüe-Lager da steht , ihres aufschlagen und beziehen , das Geld froh verspeisen , und dann in die Zelte sich kleiden können .
Auch vermach ich allen Schulmeistern unseres Fürstentums , dem Mann einen Augusttor , so wie hiesiger Judenschaft meinen Kirchenstand in der Hofkirche .
Da ich mein Testament in Klauseln eingeteilt haben will , so ist diese die erste .
2te Klausel .
Allgemein wird Erbsatzung und Enterbung unter die wesentlichsten Testamentsstücke gezählt .
Dem zu Folge vermach ' ich denn dem Hrn. Kirchen Rat Glanz , dem Hrn. Hoffiskal Knol , dem Hrn. Hofagent Peter Neupeter , dem Hrn. Polizei- Direktor Harprecht , dem Hrn. Frühprediger Flachs und dem Hrn. Hofbuchhändler Passvogel und Hrn. Fletten vor der Hand nichts , weniger weil ihnen als den weitläuftigsten Anverwandten keine Trebellianica gebührt , oder weil die meisten selber genug zu vererben haben , als weil ich aus ihrem eigenen Munde weiß , daß sie meine geringe Person lieber haben als mein großes Vermögen , bei welcher ich sie denn lasse , so wenig auch an ihr zu holen ist . -- --
Sieben lange Gesichtslängen fuhren hier wie Siebenschläfer auf .
Am meisten fand sich der Kirchenrat , ein noch junger , aber durch gesprochene und gedruckte Kanzelreden in ganz Deutschland berühmter Mann , durch solche Stiche beleidigt -- dem Elsaßer Flette entging im Sessionszimmer ein leicht geschnalzter Fluch -- Flachsen , dem Frühprediger , wuchs das Kinn zu einem Bart abwärts -- mehrere leise Stoss-Nachrufe an den seligen Kabel , mit Namen Schubjak , Narr , Unchrist u. s. w. konnte der Stadtrat hören .
Aber der regierende Bürgermeister Kuhnold winkte mit der Hand , der Hoffiskal und der Buchhändler spannten alle Spring- und Schlagfedern an ihren Gesichtern wie an Fallen wieder an und jener las fort , obwohl mit erzwungenem Ernste. 3te Klausel .
" Ausgenommen , gegenwärtiges Haus in der Hundsgasse , als welches nach dieser meiner dritten Klausel ganz so wie es steht und geht , demjenigen von meinen sieben genannten Hrn .
Anverwandten anfallen und zugehören soll , welcher in einer halben Stunde ( von der Vorlesung der Klausel an gerechnet ) früher als die übrigen sechs Nebenbuhler eine oder ein Paar Tränen über mich , seinen dahin gegangenen Onkel , vergießen kann vor einem löblichen Magistrate , der es protokolliert .
Bleibt aber alles trocken , so muss das Haus gleichfalls dem Universalerben verfallen , den ich sogleich nennen werde . "
-- Hier machte der Bürgermeister das Testament zu , merkte an , die Bedingung sei wohl ungewöhnlich , aber doch nicht gesezwidrig , sondern das Gericht müsse dem ersten , der weine , das Haus zusprechen , legte seine Uhr auf den Sessionstisch , welche auf 111/2 Uhr zeigte und setzte sich ruhig nieder , um als Testaments-Vollstrecker , so gut wie das ganze Gericht aufzumerken , wer zuerst die begehrten Tränen über den Testator vergöße .
-- Daß es , so lange die Erde geht und steht , je auf ihr einen betrübteren und krauseren Kongreß gegeben , als diesen von sieben gleichsam zum Weinen vereinigten trocknen Provinzen , kann wohl ohne Parteilichkeit nicht angenommen werden .
Anfangs wurde noch kostbare Minuten hindurch bloß verwirrt , gestaunt und gelächelt , der Kongreß sah sich zu plötzlich in jenen Hund umgesetzt , dem mitten im zornigsten Losrennen der Feind zurief : wart auf ! --
und der plötzlich auf die Hinterfüsse stieg und Zähneblöckend aufwartete -- vom Verwünschen wurde man zu schnell ins Beweinen emporgerissen .
An reine Rührung konnte -- das sah jeder -- keiner denken , so im Galopp an Platzregen , an Jagdtaufe der Augen , doch konnte in 26 Minuten etwas geschehen .
Der Kaufmann Neupeter fragte : ob das nicht ein verfluchter Handel und Narrensposse sei für einen verständigen Mann , und verstand sich zu nichts ; doch verspürt er bei dem Gedanken , daß ihm ein Haus auf Einer Zähre in den Beutel schwimmen könnte , sonderbaren Drüsen- Reiz und sah wie eine kranke Lerche aus , die man mit einem eingeölten Stecknadelknopfe -- das Haus war der Knopf -- klistiert .
Der Hoffiskal Knol verzog sein Gesicht wie ein armer Handwerksmann , den ein Gesell Sonnabend- Abends bei einem Schusterlicht rasiert und radiert ; er war fürchterlich erboset auf den Missbrauch des Titels von Testamenten und nahe genug an Tränen des Grimms .
Der listige Buchhändler Passvogel machte sich sogleich still an die Sache selber und durchgieng flüchtig alles Rührende , was er teils im Verlage hatte , teils in Kommission ; und hoffte etwas zu brauen ; noch sah er dabei aus wie ein Hund , der das Brechmittel , das ihm der Pariser Hundarzt Demet auf die Nase gestrichen , langsam ableckt ; es war durchaus Zeit erforderlich zum Effekt .
Flette aus Elsaß tanzte gerade zu im Sessionszimmer , besah lachend alle Ernste , und schwor , er sei nicht der Reichste unter ihnen , aber , für ganz Straßburg und Elsaß dazu , wäre er nicht im Stande bei einem solchen Spaß zu weinen .
-- Zuletzt sah ihn der Polizei-Inspektor Harprecht sehr bedeutend an , und versicherte : falls Monsieur etwan hoffe , durch Gelächter aus den sehr bekannten Drüsen , und aus den Meibomischen und der Karunkel und anderen die begehrten Tropfen zu erpressen und sich diebisch mit diesem Fensterschweiss zu beschlagen , so wolle er ihn erinnern , daß er damit so wenig gewinnen könne als wenn er die Nase schnäuzen und davon profitieren wollte , indem in letztere wie bekannt , durch den ductus nasales mehr aus den Augen fließe , als in jeden Kirchenstuhl hinein unter einer Leichenpredigt . --
Aber der Elsaßer versicherte , er lache nur zum Spaß , nicht aus ernsteren Absichten .
Der Inspektor seiner seit , bekannt mit seinem dephlegmierten Herzen , suchte dadurch etwas Passendes in die Augen zu treiben , daß er mit ihnen sehr starr und weit offen blickte .
Der Frühprediger Flachs sah aus wie ein reitender Betteljude , mit welchem ein Hengst durchgeht ; indes hätte er mit seinem Herzen , das durch Haus- und Kirchenjammer schon die besten schwülsten Wolken um sich hatte , leicht wie eine Sonne vor elendem Wetter auf der Stelle das nötigste Wasser aufgezogen , wäre ihm nur nicht das herschiffend Flös- Haus immer dazwischen gekommen als ein gar zu erfreulicher Anblick und Damm .
Der Kirchenrat , der seine Natur kannte aus Neujahrs- und Leichenpredigten , und der gewiß wußte , daß er sich selber zuerst erweiche , sobald er nur an andere Erweichungs- Reden halte , stand auf -- da er sich und andere so lang am Trockenseile hängen sah -- und sagte mit Würde , jeder , der seine gedruckten Werke gelesen , wisse gewiß , daß er ein Herz im Busen trage , das so heilige Zeichen , wie Tränen sind , eher zurück zu drängen , um keinem Nebenmenschen damit etwas zu entziehen , als mühsam hervorzureizen nötig habe aus Nebenabsichten -- " Dies Herz hat sie schon vergossen , aber heimlich , denn Kabel war ja mein Freund " sagte er und sah umher .
Mit Vergnügen bemerkte er , daß alle noch so trocken da saßen wie Korkhölzer ; besonders jetzt konnten Krokodile , Hirsche , Elefanten , Hexen , Reben leichter weinen als die Erben , von Glanze so gestört , und grimmig gemacht .
Bloß Flachsen schlug_es heimlich zu ; dieser hielt sich Kabels Wohltaten und die schlechten Röcke und grauen Haare seiner Zuhörerinnen des Frühgottesdienstes , den Lazarus mit seinen Hunden und seinen eigenen langen Sarg in der Eile vor , ferner das Köpfen so mancher Menschen , Werthers Leiden , ein kleines Schlachtfeld , und sich selber , wie er sich da so erbärmlich um den Testaments- Artikel in seinen jungen Jahren abquäle und abringe -- noch drei Stöße hat er zu tun mit dem Pumpenstiefel , so hatte er sein Wasser und Haus .
" O Kabel , mein Kabel -- fuhr Glanz fort , fast vor Freude über nahe Trauertränen weinend -- einst wenn neben deine mit Erde bedeckte Brust voll Liebe auch die meinige zum Mod " -- -- " Ich glaube , meine verehrtesten Herren -- sagte Flachs , betrübt aufstehend und überfließend umher sehend -- ich weine " -- setzte sich dar auf nieder , und lies es vergnügter laufen ; er war nun auf dem Trocknen ; vor den Akzessit-Augen hatte ' er Glanze das Preis-Haus weggefischt , den jetzt seine Anstrengung ungemein verdross , weil er sich ohne Nutzen den halben Appetit weggesprochen hatte .
Die Rührung Flachsens wurde zu Protokoll gebracht und ihm das Haus in der Hundsgasse auf immer zugeschlagen .
Der Bürgermeister gönnt es dem armen Teufel von Herzen ; es war das erstemal im Fürstentum Haslau , daß Schul- und Kirchenlehrers Tränen sich , nicht wie die der Heliaden in leichten Bernstein , der ein Insekt einschließet , sondern , wie die der Göttin Freia , in Gold verwandelten .
Glanz gratulierte Flachsen sehr , und machte ihm froh bemerkbar , vielleicht habe er selber ihn rühren helfen .
Die übrigen trennten sich , durch ihre Scheidung auf dem trockenen Weg von der Flachsischen auf dem nassen sichtbar , blieben aber noch auf das restierende Testament erpicht .
Nun wurde es weiter verlesen .
4te Klausel .
Von jeher habe ich zu einem Universalerben meiner Activa -- also meines Gartens vor dem Schaftore , meines Wäldleins auf dem Berge und der 11000 Georgd'or in der Südseehandlung in Berlin , und endlich der beiden Fronbauern im Dorf Elterlein und der dazu gehörigen Grundstücken -- sehr viel gefordert , viel leibliche Armut und geistlichen Reichtum .
Endlich habe ich in meiner letzten Krankheit in Elterlein ein solches Subjekt aufgetrieben .
Ich glaubte nicht , daß es in einem Duzend- und Taschenfürstentümlein einen blutarmen grund-guten herzlich frohen Menschen gebe , der vielleicht unter allen , die je den Menschen geliebt , es am stärksten tut .
Er hat einmal zu mir ein Paar Worte gesagt , und zweimal im Dunklen eine Tat getan , daß ich nun auf den Jüngling baue , fast auf ewig .
Ja ich weiß , dieses Universalerben täte ihm sogar wehe , wenn er nicht arme Eltern hätte .
Ob er gleich ein juristischer Kandidat ist , so ist er doch kindlich , ohne Falsch , rein , naiv und zart , ordentlich ein frommer Jüngling aus der alten Väterzeit und hat dreißigmal mehr Kopf als er denkt .
Nur hat er das Böse , daß er erstlich ein etwas elastischer Poet ist , und daß er zweitens , wie viele Staaten von einer Bekanntschaft bei Sitten-Anstalten gern das Pulver auf die Kugel lädt , auch am Stundenzeiger schiebt , um den Minutenzeiger zu drehen .
Es ist nicht glaublich , daß er je eine Studenten-Mausfalle aufstellen lernt ; und wie gewiß ihm ein Reisekoffer , den man ihm abgeschnitten , auf ewig aus den Händen wäre , erhellet daraus , daß er durchaus nicht zu spezifizieren wüßte , was darin gewesen und wie er ausgesehen .
Dieser Universalerbe ist der Schulzen Sohn in Elterlein , Namens Gottwalt Peter Harnisch , ein recht feines blondes liebes Burschen -- --
Die sieben Präsumtiv-Erben wollten fragen und außer sich sein ; aber sie mußten Fortören .
5te Klausel .
Allein er hat Nüsse vorher aufzubeißen .
Bekanntlich erbte ich seine Erbschaft selber erst von meinem unvergeßlichen Adoptivvater Van der Kabel in Broek im Waterland , dem ich fast nichts dafür geben konnte als zwei elende Worte , Friedrich Richter , meinen Namen .
Harnisch soll sie wieder erben , wenn er mein Leben wie folgt , wieder nach- und durchlebt .
6te Klausel .
Spasshaft und leicht mag_es dem leichten poetischen Hospes dünken , wenn er hört , daß ich deshalb bloß forder und verordne , er soll -- denn alles das lebt ich eben selber durch , nur länger -- weiter nichts tun als : a ) Einen Tag lang Klavierstimmer sein -- ferner b ) Einen Monat lang mein Gärten als Obergärtner bestellen -- ferner c )
Ein Vierteljahr Notarius -- ferner d ) so lange bei einem Jäger sein , bis er einen Hasen erlegt , es dauere nun 2 Stunden oder 2 Jahre -- e ) er soll als Korrektor 12 Bogen gut durchsehen -- f ) er soll eine Buchhändlerische Meßwoche mit H. Passvogel beziehen , wenn dieser will -- g ) er soll bei jedem der Hrn. Akzessit-Erben eine Woche lang wohnen ( der Erbe müßt ' es sich denn verbitten ) und alle Wünsche des zeitigen Mietsherren , die sich mit der Ehre vertragen , gut erfüllen -- h. ) er soll ein Paar Wochen lang auf dem Lande Schule halten -- endlich i ) soll er ein Pfarrer werden ; dann erhält er mit der Vokation die Erbschaft .
Das sind seine neun Erb-Ämter .
7te Klausel .
Spasshaft , sagte ich in der vorigen , wird ihm das vorkommen , besonders da ich ihm verstatte , meine Lebens-Rollen zu versetzen , und z. B. früher die Schulstube als die Messe zu beziehen -- bloß mit dem Pfarrer muß er schließen ; -- aber , Freund Harnisch , dem Testament biege ich zu jeder Rolle einen versiegelten Regulier-Tarif , genannt die geheimen Artikel bei , worin ich Euch in den Fällen , wo ihr das Pulver auf die Kugel ladet , z. B. in Notariatsinstrumenten , kurz gerade für eben die Fehler , die ich sonst selber begangen , entweder um einen Abzug von der Erbschaft abstrafe , oder mit dem Aufschube ihrerAus Flegeljahre l. Bd. 2 Lieferung .
Seid klug , Poet , und bedenkt Euren Vater , der so manchem Edelmann im -- a -- n gleicht , dessen Vermögen wie das eines russischen zwar in Bauern besteht , aber doch nur in einem einzigen , welches er selber ist .
Bedenkt Euren Vagabunden Bruder , der vielleicht , ehe ihrs denkt , aus seinen Wanderjahren mit einem halben Rocke vor Eure Türe kommen und sagen kann : " Hast du nichts Altes für deinen Bruder ?
Sieh diese Schuhe an ! " --
Habt also Einsichten , Universal-Erbe !
8te Klausel .
Den H. Kirchenrat Glanz und alle bis zu Hrn. Buchhändler Passvogel und Flette ( inklusive ) mache ich aufmerksam darauf , wie schwer Harnisch die ganze Erbschaft erobern wird , wenn sie auch nichts erwägen als das einzige hier an den Rand genähte Blatt , worauf der Poet flüchtig einen Lieblings-Wunsch ausgemalt , nämlich den , Pfarrer in Schweden zu werden .
( Herr Bürgermeister Kuhnold fragte hier , ob er_es mit lesen solle ; aber alle schnappten nach mehreren Klauseln und er fuhr fort )
Meine T. H. Anverwandten fleh ' ich daher -- wofür ich freilich wenig tue , wenn ich nur zu einiger Erkenntlichkeit ihnen zu gleichen Teilen hier so wohl jährlich zehn Prozent aller Kapitalien als die Nutzniessung meines Immobiliar- Vermögens , wie es auch heiße , so lange zuspreche , als besagter Harnisch noch nicht die Erbschaft nach der sechsten Klausel hat antreten können -- solche fleh ich als ein Christ die Christen an , gleichsam als 7 Weise , dem jungen möglichen Universalerben scharf aufzupassen , und ihm nicht den kleinsten Fehltritt , womit er den Aufschub oder Abzug der Erbschaft verschulden mag , unbemerkt nachzusehen , sondern vielmehr jeden gerichtlich zu bescheinigen .
Das kann den leichten Poeten vorwärts bringen , und ihn schleifen und abwetzen .
Wenn es wahr ist , ihr sieben Verwandten , daß Ihr nur meine Person geliebt , so zeigt es dadurch , daß Ihr das Ebenbild derselben recht schüttelt ( den Nutzen hat das Ebenbild ) , und ordentlich , obwohl christlich , schikaniert und verirrt , und sein Regen- und Siebengestirn seid und seine böse Sieben .
Muß er recht büßen , nämlich passen , desto ersprießlicher für ihn und für Euch. 9te Klausel .
Ritt der Teufel meinen Universalerben so , daß er die Ehe bräche , so verlor er die Viertels- Erbschaft -- sie fiele den sieben Anverwandten heim ; --
ein Sechstel aber nur , wenn er ein Mädchen verführte .
-- Tagreisen und Sitzen im Kerker können nicht zur Erwerbzeit der Erbschaft geschlagen werden , wohl aber Liegen auf dem Kranken- und Totenbette .
10te Klausel .
Stirbt der junge Harnisch innerhalb 20 Jahren , so verfället die Erbschaft den hiesigen corporibus Pis .
Ist er als christlicher Kandidat examiniert und bestanden :
so zieht er , bis man ihn voziert , zehn p. c. mit den übrigen Hrn. Erben , damit er nicht verhungere .
11te Klausel .
Harnisch muß an Eidesstatt geloben , nichts auf die künftige Erbschaft zu borgen .
12te Klausel .
Es ist nur mein letzter Wunsch , obwohl nicht eben mein letzter Wille , daß wie ich den Van der Kabelschen Namen , er so den Richtärschen bei Antritt der Erbschaft annehme und fortführe ; es kommt aber sehr auf seine Eltern an. 13te Klausel .
Ließe sich ein habiler dazu gesattelter Schriftsteller von Gaben auftreiben und gewinnen , der in Bibliotheken wohl gelitten wäre :
so soll man dem venerablen Mann den Antrag tun , die Geschichte und Erwerbzeit meines möglichen Universalerben und Adoptivsohnes so gut er kann , zu schreiben .
Das wird nicht nur diesem , sondern auch dem Erblasser -- weil er auf allen Blättern vorkommt -- Ansehen geben .
Der treffliche , mir zur Zeit noch unbekannte , Historiker aber nehme von mir als schwaches Andenken für jedes Kapitel Eine Nummer aus meinem Kunst- und Naturalienkabinett an .
Man soll den Mann reichlich mit Notizen versorgen .
14te Klausel .
Schlägt aber Harnisch die ganze Erbschaft aus , so ist_es so viel als hätte er zugleich die Ehe gebrochen , und wäre Todes verfahren ; und die 9te und 10te Klausel treten mit vollen Kräften ein .
15te Klausel .
Zu Exekutoren des Testaments ernenn ich dieselben hochedlen Personen , denen oblatio testamenti geschehen , indes ist der regierende Bürgermeister , Hr. Kuhnold , der Ober-Vollstrecker .
Nur er allein eröffnet stets denjenigen unter den geheimen Artikeln des Reguliertarifs vorher , welcher für das jedesmalige gerade von Harnisch gewählte Erb-Amt überschrieben ist .
-- In diesem Tarif ist es auf das Genaueste bestimmt , wie viel Harnischen z. B. für das Notarius werden beizuschießen ist -- denn was hat er ? --
und wie viel jedem Akzessit-Erben zu geben , der gerade ins Erbamt verwickelt ist , z. B. Hrn. Passvogel für die Buchhändler-Woche , oder für 7tägigen Hauszins .
Man wird allgemein zufrieden sein .
16te Klausel .
Folioseite 276 seiner vierten Auflage fordert Volkmanus emendatus von Erblassern die providentia oder " zeitige Vorsehung , " so daß ich also in dieser Klausel festzusetzen habe , daß jeder der sieben Akzessit-Erben oder alle , die mein Testament gerichtlich anzufechten oder zu rumpieren suchen , während des Prozesses keinen Heller Zinsen erhalten , als welche den anderen oder -- streiten sie alle -- dem Universalerben zufließen .
17te und letzte Klausel .
Ein jeder Wille darf toll und halb und weder gehauen noch gestochen sein , nur aber der letzte nicht , sondern dieser muß , um sich zum zweiten-dritten-viertenmal zu ründen , also konzentrisch , wie überall bei den Juristen , Clausula salutaris , zur donatio mortis caussa und zur reservatio ambulatoriae voluntatis greifen .
So will ich denn hiermit dazu gegriffen haben , mit kurzen und vorigen Worten .
-- Weiter brauche ich mich der Welt nicht aufzutun , vor der mich die nahe Stunde bald zusperren wird .
-- Sonstiger Fr. Richter , jetziger Van der Kabel .
So weit das Testament .
Alle Formalien des Unterzeichnens und Untersiegelns etc. etc. fanden die 7 Erben richtig beobachtet .
Nro. 2. Katzensilber aus Thüringen. J. P. F. Rs Brief an den Stadtrat .
Der Verfasser dieser Geschichte wurde von der Testaments-Exekution , besonders vom trefflichen Kuhnold zum Verfasser gewählt .
Auf einen solchen ehrenvollen Antrag gab er folgende Antwort .
P. P. Einem hochedlen Stadtrat oder einer trefflichen Testaments-Exekution die Freude zu malen , daß Sie und die Klausel : Ließe sich ein habiler , dazu gesattelter Schriftsteller etc. mich aus 55,000 zeitigen Autoren zum Geschichtsschreiber eines Harnisch ausgelesen ; Ihnen mit bunten Farben das Vergnügen zu schildern , daß ich mit solchen Arbeiten und Mitarbeitern beehrt worden : dazu hatte ich vorgestern , da ich mit Weib und Kind und allem von Meinungen nach Coburg zog und unzählige Dinge auf- und abzuladen hatte , ganz natürlich keine Zeit .
Ja , kaum war ich zum Stadt-Tore und zur Haus- Türe hinein , so ging ich wieder heraus auf die Berge , wo eine Menge schöner Gegenden neben und hintereinander wohnen : " wie oft , sagte ich droben , wirst du dich nicht künftig auf diesen Tabors verklären ? "
Hier sende ich dem etc. etc. Stadtrate die erste Nummer , Bleiglanz überschrieben , ganz ausgearbeitet ; ich bitte aber die trefflichen Exekutoren zu bedenken , daß die künftigen Nummern reicher und feiner ausfallen , und ich mich darin mehr werde zeigen können , als in der ersten , wo ich fast nichts zu machen hatte als die Abschrift der erhaltenen Testaments-Kopie .
Das Katzensilber aus Thüringen habe ganz erhalten ; nächstens läuft das Kapitel dafür ein , das aus einer Kopie des gegenwärtigen Briefes , für die Leser , bestehen soll .
Ein weder zu barocker noch zu verbrauchter Titel für das Werk ist auch schon fertig , Flegeljahre ist er betitelt .
So hat denn die Maschine ihren ordentlichen Mühlengang .
Wenn die Van der Kabelsche Kunst- und Naturalien-Sammlung sieben Tausend und zwei hundert und drei Stücke und Nummern stark ist , wie ich aus dem Inventarium ersehe :
so werden wir wohl , da der Selige für jedes Stück sein ganzes Kapitel haben will , die Kapitel etwas einlaufen lassen müssen , weil sonst ein Werk heraus käme , das sich länger ausstreckte als alle meine opera omnia ( inklusive dieses ) zusammengenommen .
In der gelehrten Welt sind ja alle Kapitel erlaubt , Kapitel von Einem Alphabet bis zu Kapiteln von Einer Zeile .
Was die Arbeit selber anlangt , so verpfändet sich der Meister einem hochedlen Stadtrate dafür , daß er eine liefern will , die man keck jedem Mitmeister , er sei Stadt- oder Frei- und Gnadenmeister , zu beschauen geben kann , besonders da ich vielleicht mit dem seel. Van der Kabel , sonst Richter , selber verwandt bin .
Das Werk -- um nur einiges vorauszusagen -- soll alles befassen , was man in Bibliotheken viel zu zerstreut antrifft ; denn es soll ein kleiner Supplementband zum Buche der Natur werden und ein Vorbericht und Bogen A. zum Buche der Seligen -- Dienstboten , angehenden Knaben und erwachsenen Töchtern wie auch Landmännern und Fürsten werden darin die Collegia conduitica gelesen --
Ein Stylisticum liest das Ganze -- Für den Geschmack der fernsten , selber der geschmacklosesten Völker wird darin gesorgt ; die Nachwelt soll darin ihre Rechnung nicht mehr finden , als Mit- und Vorwelt .
Ich berühre darin die Vakzine , -- den Buch- und Wollenhandel -- die Monatsschriftsteller -- Schellings magnetische Metapher oder Doppelsystem -- -- die neuen Territorialpfähle -- die Schwänzelpfenninge -- die Feldmäuse samt den Fichtenraupen -- und Bonaparten , das berühr ich , freilich flüchtig als Poet .
Über das Weimarische Theater äußer ich meine Gedanken , auch über das nicht kleinere der Welt und des Lebens -- Wahrer Scherz und wahre Religion kommen hinein , obwohl diese jetzt so selten ist , als ein Fluch in Herrenhut oder ein Bart am Hof .
-- Böse Charaktere , so mir der hochedle Rat hoffentlich zufertigt , werden tapfer gehandhabt , doch ohne Persönlichkeiten und Anzüglichkeiten ; denn schwarze Herzen und schwarze Augen sind ja -- näher in letztere gefasst -- nur braun ; und ein Halbgott und ein Halbvieh können sehr gut dieselbe zweite Hälfte haben , nämlich die menschliche -- und darf die Peitsche wohl je so dick sein als die Haut ? --
Trockene Rezensenten werden ergriffen , und ( unter Einschränkung ) durch Erinnerungen an ihre goldene Jugend und an so manchen Verlust bis zu Tränen gerührt , wie man mürbe Reliquien ausstellt , damit es regne -- Über das siebzehnte Jahrhundert wird frei gesprochen , und über das achtzehnte human , über das neueste wird gedacht , aber sehr frei -- Das Schaf , das eine Chrestomathie oder Jean Pauls Geist aus meinen Werken auszog mit den Zähnen , bekommt aus jedem Bande einen Band zu extrahieren in die Hand , so daß besagtes gar keine Auslese , sondern nur eine Abschrift zu machen braucht , samt den einfältigsten Noten und Präfationen -- Gleich dem Noth- und Hilfs-Büchlein muß das Buch Arzneimittel , Ratschläge , Charaktere , Dialogen und Historien liefern , aber so viele , daß es jenem Not-Büchlein könnte beigebunden werden als Hülfs-Buch , als weitläufiger Auszug und Anhang , weil jedes Werk der Darstellung so gut aus einem Spiegel in eine Brille muß umzuschleifen sein , als venezianische Spiegelscherben zu wirklichen Brillengläsern genommen werden --
In jeden Druckfehler soll sich Verstand verstecken und in die errata Wahrheiten -- Täglich wird das Werken höher klettern , aus Lesebibliotheken in Leihbibliotheken , aus diesen in Ratbibliotheken , die schönsten Ehren- und Parade-Betten und Wittwensize der Musen -- --
Aber ich kann leichter halten als versprechen .
Denn ein Opus wird_es . . . O hochedler Stadt-Rat !
Exekutoren des Testaments ! sollte es mir einst vergönnet werden , in meinem Alter alle Bände der Flegeljahre ganz fertig abgedruckt , in hohen aus Tübingen abgeschickten Ballen um mich stehen zu sehen -- --
Bis dahin aber erharr ich mit sonderbarer Hochachtung Ew. Wohlgeb. Coburg den 6. Juni 1803. etc. etc. etc. J. P. F. Richter Legaz .
Die im Briefe an die Exekutoren versprochene Kopie desselben für den Leser ist wohl jetzt nicht mehr nötig , da er ihn eben gelesen .
Auf ähnliche Weise setzen uneigennützige Advokaten in ihren Kostenzetteln nur das Macherlohn für die Zettel selber an , setzen aber nachher , wie wohl sie ins Unendliche fort könnten , nichts weiter für das Ansätzen des Ansetzens an .
Ob aber der Verfasser der Flegeljahre nicht noch viel nähere historische Leithammel und Leithunde zu einer so wichtigen Geschichte vorzutreiben und zu verwenden habe als bloß einen trefflichen Stadtrat ; und wer besonders sein herrlichster Hund und Hammel darunter sei -- darüber würde man jetzt die Leser mit dem größten Ver- genügen beruhigen , wenn man sich überzeugen könnte , es sei sachdienlich , es sei prudentis .
Nro. 3. Terra miraculosa Saxoniae .
Die Akzessit-Erben -- der schwedische Pfarrer .
Nach Ablesung des Testaments verwunderten sich die sieben Erben unbeschreiblich auf sieben Weisen im Gesicht .
Viele sagten gar nichts .
Alle fragten , wer von ihnen den jungen Burschen kenne , ausgenommen der Hoffiskal Knol , derselbe gefragt wurde , weil er in Elterlein Gerichtshalter eines polnischen Generals war .
" Es sei nichts besonderes am jungen Haeredipeta , versetzte Knol , sein Vater aber wollte den Juristen spielen und sei ihm und der Welt schuldig . "
-- Vergeblich umrangen die Erben den einsilbigen Fiskal , eben so Raths- als neubegierig .
Er erbat sich vom Gerichte eine Kopie des Testaments und Inventars , andere vornehme Erben wandten gleichfalls die Kopialien auf .
Der Bürgermeister erklärte den Erben , man werde den jungen Menschen und seinen Vater auf den Sonnabend vorbescheiden .
Knol erwiderte : " da er über morgen , das heißt den 13ten hujus , nämlich Donnerstags in Gerichts-Geschäften nach seiner Gerichtshalterei Elterlein gehe :
so sei er im Stande , dem jungen Peter Gottwalt Harnisch die Zitation zu insinuieren . "
Es wurde bewilligt .
Jetzt suchte der Kirchenrat Glanz nur auf eine kurze Lese-Minute um das Blähten nach , worauf Harnisch den Wunsch einer schwedischen Pfarrei sollte ausgemalt haben .
Er bekam .
Drei Schritte hinter ihm stand der Buchhändler Passvogel , und las schnell die Seite zweimal herunter , ehe sie der Kirchenrat umkehrte ; zuletzt stellten sich alle Erben hinter ihn , er sah sich um und sagte , es sei wohl besser , wenn er_es gar vorlese :
" Das Glück eines schwedischen Pfarrers . "
So will ich mir denn diese Wonne ohne allen Rückhalt recht groß hermalen , und mich selber unter dem Pfarrer meinen , damit mich die Schilderung , wenn ich sie nach einem Jahre wieder überlese , ganz besonders auswärme .
Schon ein Pfarrer an sich ist selig , geschweige in Schwa den .
Er genießet da Sommer und Winter rein , ohne lange verdrußliche Unterbrechungen , z. B. in seinen späten Frühling fällt statt des Nachwinters sogleich der ganze reife Vorsommer ein , weißrot und Blütenschwer , so daß man in einer Sommernacht das halbe Italien , und in einer Winter-Nacht die halbe zweite Welt haben kann .
Ich will aber bei dem Winter anfangen , und das Christfest nehmen .
Der Pfarrer , der aus Deutschland , aus Haslau in ein sehr nördlich-polarisches Dörflein voziert worden , steht heiter um 7 Uhr auf , und brennt bis 91/2 Uhr sein dünnes Licht .
Noch um 9 Uhr scheinen Sterne , der helle Mond noch länger .
Aber dieses Hereinlangen des Sternen-Himmels in den Vormittag gibt ihm liebe Empfindungen , weil er ein Deutscher ist , und über einen gestirnten Vormittag erstaunt .
Ich sehe den Pfarrer und andere Kirchengänger mit Laternen in die Kirche gehen ; die vielen Lichteren machen die Gemeinde zu einer Familie und setzen den Pfarrer in seine Kinderjahre , in die Winterstunden und Weihnachtsmetten zurück , wo jeder sein Licht Flegeljahre I. Bd. 3 gen mit hatte .
Auf der Kanzel sagt er seinen lieben Zuhörern lauter Sachen vor , deren Worte gerade so in der Bibel stehen ; vor Gott bleibt doch keine Vernunft vernünftig , aber wohl ein redliches Gemüt .
Darauf teilt er mit heimlicher Freude über die Gelegenheit , jeder Person so nahe ins Gesicht zu sehen , und ihr wie einem Kinde , Trank und Speise einzugeben , das heil. Nachtmahl aus , und genießet es jeden Sonntag selber mit , weil er sich nach dem nahen Liebesmahl in den Händen ja sehnen muss .
Ich glaube , es müßte ihm erlaubt sein . "
Hier sah der Kirchenrat mit einem fragenden Rüge-Blick unter den Zuhörern umher , und Flachs nickte mit dem Kopfe ; er hatte aber wenig vernommen , sondern nur an sein Haus gedacht .
" Wenn er dann mit den Seinigen aus der Kirche tritt , geht gerade die helle Christ- und Morgensonne auf , und leuchtet ihnen allen ins Gesicht entgegen .
Die vielen schwedischen Greise werden ordentlich jung vom Sonnenrot gefärbt .
Der Pfarrer könnte dann , wenn er auf die tote Mutter-Erde und den Gottesacker hinsähe , worin die Blumen wie die Menschen begraben liegen , wohl diesen Polymeter dichten :
Auf der toten Mutter ruhen die toten Kinder in dunkler Stille .
Endlich erscheint die ewige Sonne , und die Mutter steht wieder blühend auf , aber später alle ihre Kinder .
Zu Hause letzt ihn ein warmes Museum samt einem langen Sonnenstreif an der Bücherwand .
Den Nachmittag verbringt er schön , weil er vor einem ganzen Blumen-Gestelle von Freuden kaum weiß , wo er anhalten soll .
Ist_es am heil. Christfest , so Predigt er wieder , vom schönen Morgenlande oder von der Ewigkeit ; dabei wird_es ganz dämmernd im Tempel ; nur zwei Altar- Kerzen werfen wunderbare lange Schatten umher durch die Kirche ; der oben herabhängende Taufengel belebt sich ordentlich und fliegt beinahe ; draußen scheinen die Sterne oder der Mond herein -- der feurige Pfarrer oben im Finsteren auf seiner Kanzel bekümmert sich nun um nichts , sondern donnert aus der Nacht herab , mit Tränen und Stürmen , von Welten und Himmeln und allem , was Brust und Herz gewaltig bewegt .
Kommt er flammend herunter :
so kann er um 4 Uhr vielleicht schon unter einem am Himmel wallenden Nordschein spazieren gehen , der für ihn gewiß eine aus dem ewigen Südmorgen herüber schlagende Aurora ist , oder ein Wald aus heiligen feurigen Mosis Büschen um Gottes Thron .
Ist_es ein anderer Nachmittag , so fahren Gäste mit erwachsenen Töchtern von Betragen an ; wie die große Welt , diniert er mit ihnen bei Sonnenuntergang um 2 Uhr , und trinkt den Kaffee bei Mondschein , das ganze Pfarrhaus ist ein dämmernder Zauberpalast .
-- Oder er geht auch hinüber zum Schulmeister in die Nachmittagsschule , und hat alle Kinder seiner Pfarrkinder gleichsam als Enkel bei Licht um sein Grosvater- Knie , und ergötzet und belehret sie .
-- Ist aber das alles nicht :
so kann er ja schon von drei Uhr an in der warmen Dämmerung durch den starken Mondschein in der Stube auf und ab Watten und etwas Orangenzucker dazu beißen , um das schöne Welschland mit seinen Gärten auf die Zunge und vor alle Sinne zu bekommen .
Kann er nicht bei dem Monde denken , daß dieselbe Silberscheibe jetzt in Italien zwischen Lorbeer-Bäumen hänge ?
Kann er nicht erwägen , daß die Äolsharfe und die Lerche und die ganze Musik und die Sterne und die Kinder in heißen und kalten Ländern dieselben sind ?
Wenn nun gar die reitende Post , die aus Italien kommt , durchs Dorf bläst und ihm auf wenigen Tönen blumige Länder an das gefrorene Museums-Fenster hebt ; wenn er alte Rosen- und Lilienblätter aus dem vorigen Sommer in die Hand nimmt , wohl auch eine geschenkte Schwanzfeder von einem Paradiesvogel ; wenn dabei die prächtigen Klänge : Salatzeit , Kirschenzeit , Trinitatissonntage , Rosenblüte , Marientage das Herz anrühren :
so wird er kaum mehr wissen , daß er in Schweden ist , wenn Licht gebracht wird , und er verdutzt die fremde Stube ansieht .
Will er_es noch weiter treiben , so kann er sich daran ein Wachskerzen-Enden anzünden , um den ganzen Abend in die große Welt hinein zu sehen , aus der er_es her hat .
Denn ich sollte glauben , daß am Stockholmer Hofe wie anderwärts , von den Hofbedienten Enden von Wachskerzen , die auf Silber gebrannt hatten , für Geld zu haben wären .
Aber nun nach Verlaufe eines halben Jahres klopft auf einmal etwas Schöners als Italien , wo die Sonne viel früher als in Haslau untergeht , nämlich der herrlich beladene längste Tag an seine Brust an , und hält die Morgenröte voll Lerchengesang schon um 1 Uhr Nachts in der Hand .
Ein wenig vor 2 Uhr , oder Sonnenaufgang trifft die oben gedachte niedliche , bunte Reihe im Pfarrhause ein , weil sie mit dem Pfarrer eine kleine Lustreise vor hat .
Sie ziehen nach 2 Uhr , wenn alle Blumen blitzen und die Wälder schimmern .
Die warme Sonne droht kein Gewitter und keinen Platzregen , weil beide selten sind in Schweden .
Der Pfarrer geht so gut in schwedischer Tracht einher wie jeder -- er trägt sein kurzes Wams mit breiter Schärpe , sein kurzes Mänteln darüber , seinen Rundhut mit wehenden Federn und Schuhe mit hellen Bändern ; -- natürlich sieht er , wie die anderen auch , wie ein spanischer Ritter , wie ein Provenzale oder sonst ein südlicher Mensch aus , zumal da er und die muntere Gesellschaft durch die in wenigen Wochen aus Beeten und Ästen hervorgezogene hohe Blüten- und Blätterfülle fliegen .
Daß ein solcher längster Tag noch kürzer als ein kürzester verfliege , ist leicht zu denken , bei so viel Sonne , Äther , Blüte und Muße .
Schon nach 8 Uhr Abends bricht die Gesellschaft auf -- die Sonne brennt sanfter über den halb geschlossenen schläfrigen Blumen -- um 9 Uhr hat sie ihre Strahlen abgenommen , und badet nackt im Blau -- gegen 10 Uhr , wo die Gesellschaft im Pfarrdorfe wieder ankommt , wird der Pfarrer seltsam bewegt und weich gemacht , weil im Dorfe , ob gleich die tiefe laue Sonne noch ein müdes Rot um die Häuser und an die Scheiben legt , alles schon still und in tiefem Schlafe liegt , so wie auch die Vögel in den gelb- dämmernden Gipfeln schlummern , bis zuletzt die Sonne selber , wie ein Mond , einsam untergeht in der Stille der Welt .
Dem romantisch bekleideten Pfarrer ist , als sei jetzt ein rosenfarbenes Reich aufgetan , worin Feen und Geister herum gehen , und ihn würde ' es wenig wundern , wenn in dieser goldenen Geisterstunde auf einmal sein in der Kindheit entlauf einer Bruder heran träte , wie vom blühenden Zauber-Himmel gefallen .
Der Pfarrer lässt aber seine Reisegesellschaft nicht fort , er hält sie im Pfarrgarten fest , wo jeder , wer will , sagte er , in schönen Lauben die kurze laue Stunde bis zu Sonnen-Aufgang verschlummern kann .
Es wird allgemein angenommen , und der Garten besetzt ; manches schöne Paar tut vielleicht nur als schlafe es , hält sich aber wirklich an der Hand .
Der glückliche Pfarrer geht einsam in den Beeten auf und ab. Kühle und wenige Sterne kommen .
Seine Nachtviolen und Levkoien tun sich auf und duften stark , so hell es auch ist .
In Norden raucht vom ewigen Morgen des Pols eine goldhelle Dämmerung auf .
Der Pfarrer denkt an sein fernes Kindheitsdörfern und an das Leben und Sehnen der Menschen , und wird still und voll genug .
Da greift die frische Morgen-Sonne wieder in die Welt .
Mancher , der sie mit der Abend-Sonne vermengen will , tut die Augen wieder zu ; aber die Lerchen erklären alles , und wecken die Lauben .
Dann geht Lust und Morgen gewaltig wieder an ; -- -- und es fehlt wenig , so schilder ich mir diesen Tag ebenfalls , ob er gleich vom vorigen vielleicht um kein Blütenblatt verschieden ist .
Glanz , dessen Gesicht die günstigste Selbstrezension seiner geschriebenen Werke war , sah mit einigem Triumphe über ein solches Werk , unter den Erben umher ; nur der Polizeiinspektor Harprecht versetzte mit einem ganzen Swift auf dem Gesicht :
" Dieser Nebenbuhler kann uns mit seinem Verstande noch zu schaffen machen . "
Der Hoffiskal Knol und der Hofagent Neupeter und Flette waren längst aus Ekel vor der Lektüre weg und ans Fenster gegangen , um etwas vernünftiges zu sprechen .
Sie verließen die Gerichtsstuben .
Unterwegs äußerte der Kaufmann Neupeter :
" Das verstehe ich noch nicht , wie ein so gesetzter Mann als unser Seele .
Vetter noch am Rande des Grabes solche Schnurren treiben kann . "
-- " Vielleicht aber -- sagte Flachs , der Hausbesi zehr , um die anderen zu trösten -- nimmt der junge Mensch die Erbschaft gar nicht an , wegen der schweren Bedingungen . "
-- Knol fuhr den Hausbesitzer an : " geradeso schwere , wie heute eine .
Sehr dumm wäre es von ihm und für uns .
Denn nach Clausul .
IX. Schlägt aber Harnisch fielen ja den corporibus Pis drei Viertel zu .
Wenn er sie aber antritt und lauter Böcke schießet "
-- " Das gebe doch Gott " sagte Harprecht .
" Schießet , fuhr jener fort , so haben wir doch die Klauseln :
Spasshaft sagte ich in der vorigen -- und Ritt der Teufel -- und den Hrn. Kirchenrat Glanz und alle , für uns und können viel tun . "
Sie erwählten ihn sämtlich zum Schirmherrn ihrer Rechte , und rühmten sein Gedächtnis -- " Ich erinnere mich noch , sagte der Kirchenrat , daß er nach der Klausel der Erb-Ämter vorher zu einem geistlichen Amte gelangen soll , wie wohl er jetzt nur Jurist ist " -- -- -- " Da wollt ihr nämlich , versetzte Knol geschwind , Ihr geistlichen Herren und Narren dem Examinanden schon so einheizen , so zwicken -- wahrhaftig das glaube ich " -- und der Polizei- Inspektor fügte bei , er hoffe das selber .
Da aber der Kirchenrat , dem beide schon als alte Kanzel-Stürmer , als Baumschänder kanonischer Haine bekannt waren , noch vergnügt einen Rest von Eß-Lust verspürte , der ihm zu teuer war , um ihn weg zu disputieren :
so suchte er sich nicht recht sonderlich zu ärgern , sondern sah nach .
Man trennte sich .
Der Hoffiskal begleitete den Hofagenten , dessen Gerichtsagent er war , nach Hause , und eröffnete ihm , daß der junge Harnisch schon längst habe -- als riech er etwas vom Testamente , das dergleichen auch forder -- Notarius werden und nachher in die Stadt ziehen wollen , und daß er am Donnerstag nach Elterlein gehe , um ihn dazu zu kreieren .
( Knol war Pfalzgraf . )
" So möge er doch machen , bat der Agent , daß der Mensch bei ihm logiere , da er eben ein schlechtes unbrauchbares Dachstübern für ihn leer habe . "
-- " Sehr leicht " versetzte Knol .
Das erste , was dieser zu Hause und in der ganzen Sache machte , war ein Billet an den alten Schulz in Elterlein , worin er ihm bedeutete " er werde übermorgen Donnerstags durch und retour passieren , und unterwegs , gegen Abend , seinen Sohn zum Notarius kreieren ; auch habe er ein treffliches , aber wohlfeiles Quartier für solchen bei einem vornehmen Freunde bestanden . "
-- Vor dem regierenden Bürgermeister hatte er demnach eine Verabredung , die er jetzt erst traf , schon für eine getroffene ausgegeben , um wie es scheint , das Macherlohn für einen Notar , das ihm der Testator auszahlte , vorher auch von den Eltern zu erheben .
In allen Erzählungen und Äußerungen blieb er äußerst wahrhaft , so lange sie nur nicht in die Praxis einschlugen ; denn alsdann trug er ( da Raubtiere nur in der Nacht ziehen ) sein nötiges Stücken Nacht bei sich , das er entweder aus blauem Dunst verfertigte als Advokat , oder aus arsenikelischen Dämpfen als Fiskal. Nro. 4. Mammuthtsknochen aus Astrakan .
Das Zauberprisma .
Der alte beerdigte Kabel war ein Erdbeben unter dem Meere von Haslau , so unruhig liefen die Seelen wie Wellen untereinander , um etwas vom jungen Harnisch zu erfahren .
Eine kleine Stadt ist ein großes Haus , die Gassen sind nur Treppen .
Mancher junge Herr nahm sogar ein Pferd , und stieg in Elterlein ab , um nur den Erben zu sehen ; er war aber immer auf die Berge und Felder gelaufen .
Der General Zablocki , der ein Rittergut im Dorfe hatte , beschied seinen Verwalter in die Stadt , um zu fragen .
Manche halfen sich damit , daß sie einen eben angekommenen Flöten-Virtuosen , Van der Harnisch , für den gleichnamigen Erben nahmen , und davon sprachen ; besonders taten einhörige Leute , die , dabei taub auf dem zweiten Ohr , alles nur mit halbem hörten .
Erst Mittwochs Abends -- am Diensttage war Testaments- Öffnung gewesen -- bekam die Stadt Licht , in der Vorstadt bei dem Wirt zum weichen Krebs .
Ansehnliche Glieder aus Kollegien gossen da gewöhnlich in die Tinte ihres Schreib-Tages einiges Abendbier , um die schwarze Farbe des Lebens zu verdünnen .
Da bei dem weichen Krebswirte der alte Schultheiss Harnisch seit 20 Jahren einkehrte :
so war er im Stande , wenigstens vom Vater ihnen zu erzählen , daß er jede Woche Regierung und Kammer anlaufe mit leeren Fragen , und daß er jedesmal unter vielen Worten die alten Historien von seinem schweren Amte , seinen vielen juristischen Einsichten und Büchern , und seiner " Zweiherrchen " Wirtschaft und seinen Zwillingssöhnen Abende lang vorsinge , ohne doch je in seinem Leben mehr dabei zu verzehren als Einen Hering und seinen Krug -- Es führe zwar , fuhr der Wirt fort , der Schulz sehr starke hochtrabende Worte , sei aber ein Hase , der seine Frau schickte bei handfesten Vorfällen , oder er reiche eine lange Schreiberei ein ; habe auch ein zu nobles Naturell , und könne sich über eine krumme Miene zu Tagen kränken , und habe noch unverdauete Nasen , die er im Winter von der Regierung bekommen , im Magen .
Nur von der Hauptsache , beschloss er , von den Söhnen , wiß er nichts , als daß der eine , der Spitzbube , der Flötenpfeifer Vult im 141/2 Jahre mit einem solchen Herrn -- er zeigte auf Hrn. van der Harnisch -- durchgegangen ; und vom anderen , der der Erbe sei , könne gewiß der Herr unten mit den schwarzen Knopflöchern die beste Auskunft geben , denn es sei der Hr. Kandidat und Schulmeister Schomaker aus Elterlein , sein gewesener Präzeptor .
Der Kandidat Schomaker hatte eben in einem Makulaturbogen einen Druckfehler mit Bleistift korrigiert , ehe er ihn dick um ein halbes Lot Arsenik wickelte .
Er antwortete nicht , sondern wickelte wieder weißes Papier über das bedruckte , siegelte es ein und schrieb an alle Ecken :
Gift -- darauf überwickelte und überschrieb er wieder , und ließ nicht nach , bis er_es siebenmal getan , und ein dickes Oktav-Paquet vor sich hatte .
Jzt stand er auf , ein breiter , starker Mann , und sagte sehr furchtsam , indem er Kommata und andere Interpunktionen so deutlich im Sprechen absetzte als jeder im Schreiben :
" Ganz wahr , daß er mein Schüler , und hinlänglich , erstlich , daß er so edel ist , zweitens , daß er treffliche Gedichte , nach einem neuen Metrum , macht , so er den Streckvers nennt , ich einen Polymeter . "
Bei diesen Worten fing der Flöten-Virtuose van der Harnisch der bisher kalt die Runde um die Stube gemacht , plötzlich Feuer .
Wie andere Virtuosen hatte er aus großen Städten die Verachtung kleiner mitgebracht , -- ein Dorf schätzen sie wieder -- weil in kleinen das Rathaus kein Odeum , die Privathäuser keine Bilderkabinette , die Kirchen keine Antiken-Tempel sind .
Er bat verbindlich den Kandidaten um Ausführlichkeit .
" Fodert meine Pflicht schon " versetzte dieser , daß ich morgen , bei der Heimkunft , dem Erben selber , die Eröffnung eines Vermächtnisses noch nicht eröffne , weil es erst die Obrigkeit , am Sonnabend , tut , wie vielmehr , daß ich die ganze Geschichte eines lebenden Menschen , nie ohne seine Erlaubnis , kund tue , wie vielmehr -- Aber Gott , wer von uns wird die Leiche sein ! " setzt er dazu , da er die Stundenglocke ins Gebetläuten tönen hörte ; und griff sogleich zu einer daneben liegenden Schlacht in der Zeitung , um dreist zu werden , weil wohl nichts den Menschen so sehr zum kalten Waghalse gegen sein Totenbette macht , als ein oder ein Paar Quadratmeilen , worauf unzählige rote Glieder und ein Tod nach dem anderen liegt .
Über diesen religiösen Skrupelluxus zog der Flötenist ein sehr verächtliches Gesicht und sagte , -- indem er ein Prisma aus der Tasche holte und vier Lichter verlangte -- verdrießlich :
ich könnte es bald wissen , wer die Leiche sein wird ; aber ich will Ihnen , Hr. Kandidat , lieber alles erzählen aus diesem Zauber-Prisma , was Sie mir nicht erzählen wollen .
" Er sagte , das Prisma verschließe die viererlei Wasser , welche man aus den vier Weltecken sammle , man reibe es am Herzen warm , forder leise , was man in der Vergangenheit oder Zukunft zu sehen wünsche , und wenn man vorher etwas vorgenommen , was er ohne Todesgefahr nicht sagen dürfte -- daher das Geheimnis immer nur von Sterbenden mitgeteilt werde , oder auch von Selbstmördern -- alsdann entstehe in den viererlei Wassern ein Nebel , Flegeljahre I. Bd. 4 dieser ringe und arbeite , bis er sich in helle Menschengestalten zusammengezogen , welche nun ihre Vergangenheit wiederholen oder in ihrer Zukunft oder auch Gegenwart spielen , wie man es eben gefordert .
Der Schulmeister Schomaker erhielt sich noch ziemlich gleichgültig und fest gegen das Prisma , weil er wusste , ihm habe , wenn er bete , kein Teufel viel an .
Van der Harnisch zog seine Taufdecke aus der Tasche und sie sich über den Kopf , und war darunter rege und leise ; endlich hörte man das Wort : Schomakers Stube .
Jetzt warf er sie zurück , starrte erschrocken in das Prisma hinein und beschrieb laut und eintönig jede Kleinigkeit , die in dessen stillem Zölibatszimmer war , von einer Druckerpresse an bis auf die Vögel hinter dem Ofen , ja so gar bis auf die Maus , die eben darin umherlief .
Noch immer stiegen dem Kandidaten wenig oder keine Haare zu Berge ; als aber der Seher sagte : " irgend ein GeisterSchatte in der leeren Stube hat Ihren Schlafrock an und spielt Sie -- nach und legt sich in Ihr Bette " so überlief es ihn sehr kalt .
Das war etwas Gegenwart von Ihnen , sagte der Virtuose ; nun einige wenige Vergangenheit , und dann soviel Zukunft , als man braucht , um zu sehen , ob Sie etwan die diesjährige Leiche werden . "
Umsonst stellte ihm der Kandidat das Unmoralische der Rük- und Vorseherei entgegen ; er versetzte , er halte sich ganz an die Geister , die es ausbaden möchten , und fing schon an , im Prisma zu sehen , daß der Kandidat als junger Mensch eine Frühpredigers-Stelle und eine Ehe ausschlug , bloß aus 11000 Gewissensskrupeln .
Der Wirt sagte dem gepeinigten Schulmann etwas ins Ohr , wovon das Wort Schlägerei vorklang .
Schomaker , der noch mehr seine Zukunft als seine Vergangenheit zu hören mied , schlug auf moralische Unkosten der Geister den Ausweg vor , er wolle selber lieber die Geschichte der jetzt durch Vermächtnisse so interessanten Harnischeschen Familie geben , H. v. d. Harnisch möge dabei ins Prisma sehen und ihm einhelfen .
Das hatte der quälende Virtuose gewollt .
Beide arbeiteten nun mit einander eine kurze Vor- Geschichte des Testamentes-Helden aus , welche man um so lieber im Vogtländischen Marmor mit mäusefahlen Adern -- denn so heißet die folgende Nummer -- finden wird , da sich nach so vielen Druckbogen wohl jeder sehnt , auf den Helden näher zu stoßen , wäre_es auch nur im Hintergrunde .
Der Verfasser wird dabei die Pflicht beobachten , beide Eutrope zu verschmelzen zu einem Livius und diesen noch dadurch auszuglätten , daß er ihm Patavinitäten ausstreicht und etwas Glanzstil an .
Nro. 5. Vogtländischer Marmor mit mäusefahlen Adern .
Vorgeschichte .
Der Schultheiss Harnisch -- der Vater des Universalerben -- hatte sich in seiner Jugend schon zum Maurergesellen aufgeschwungen und wäre bei seinen Anlagen zu Mathematik und Stubensitzen -- denn er las Sonntage lang draußen im Reiche -- weit gekommen , hätte er sich nicht an einem frohen Marientage in einem Wirtshause in das Fliegenglas der Werber zu tief verflogen , in die Flasche .
Vergeblich wollte er am anderen Morgen aus dem engen Hals wieder heraus ; sie hatten ihn fest und darin .
Er war unschlüssig , sollte er hinaus schleichen , und sich in der Küche die Vorderzähne ausschlagen , um keine für die Patronen zum Regimente zu bringen , oder sollte er lieber --
denn es konnte ihn doch die Artillerie als Stückknecht fassen -- vor den Fenstern des Werb- und Wirtshauses einen Dachsschliefe niedermachen , um unehrlich zu werden und dadurch nach damaliger Sitte Kantonfrei .
Er zog die Unehrlichkeit und das Gebiß vor .
Allein der erlegte Dachs machte ihn zwar aus den Werber- Händen los , aber er bis ihn wie ein Zerberus aus seiner Gewerkschaft aus .
" Nun nun , sagte Lukas in seinen Landbildern , " lieber einen Schlitz in dem Strumpf aufgerissen " als einen in der Wade zugenäht . "
-- So sehr floh er , wie ein Gelehrter , den Wehrstand .
Damals starb sein Vater , auch Schultheiss ; er kam nach Hause und war der Erbe des Hau ses wie der Kronerbe des Amts ; obwohl seine Krongüter in Kroneschulden bestanden .
In kurzem vermehrte er diese Krongüter beträchtlich .
Er warf sich mit Leib und Seele auf das Jus -- versaß seine kanonischen Stunden an angeborgten Akten und gekauften Büchern , teilte auf alle Seiten umsonst responsa aus , ganze Bogen und Tagelang -- jeden Schulzenaktus berichtete er schriftlich , und konzipierte und mundierte das Schreiben mit schöner gebrochener Fraktur und schiefer Kurrent , wobei er_es noch für sich selber kopierte -- schaute als Schulz überall nach , lief überall hin , und regierte den ganzen Tag .
Durch alles dieses blühte wenigstens das Dorf mehr als seine Äcker und Wiesen , und das Amt lebte von ihm , nicht er vom Amte .
Er konnte gleich den besten Städtern , die ein gutes Haus machen , sich nun wie die Sorbonne , als das ärmste unterschreiben ( pauperrima domus ) .
Alle verständige Elterleiner traten darin einander bei , daß er ohne sein Handtierendes Weib -- eine gesunde Vernunft in corpore -- das an Einem Morgen für Vieh und Menschen kochte , graste , mähte , längst mit dem Schulzenzepter in der einen Hand und mit dem Bettelstabe in der anderen , hätte von seinem regierenden Haus und Hof ziehen müssen , wovon er eigentlich nur der Pächter seiner Gläubiger war .
Nur eine Arznei gab_es für ihn , nämlich den Entschluß das Haus und dadurch die Schultheisserei wegzugeben .
Aber er ließ sich eben so gerne köpfen , als er diese Arznei nur roch , oder einnahm , einen Gifttrunk seiner ganzen Zukunft .
Erstlich war die Dorfschulzenschaft seit undenklichen Zeiten bei seiner Familie gewesen , wie die Regentengeschichte derselben beweiset , sein Jus und Herz hing daran , ja seine ewige Seligkeit , weil er wusste , daß im ganzen Dorfe kein so guter Jurist für diesen Posten zu finden war als er , wiewohl Sachverständige erklärten , es werde zu diesem Posten nicht mehr gefordert als zu einem römischen Kaiser nach der goldenen Bulle * ) , nämlich ein gerechter , guter und brauchbarer Mann .
Sein Haus anlangend , so trat vollends folgender frappanter Jammer ein .
* ) Aur. bull. II. r. homo justus , bonus et utilis .
Elterlein war zweiherrig ; am rechten Bachufer lagen die Lehnmänner des Fürsten , am linken die Einsaßen des Edelmanns ; wiewohl sie einander im gemeinen Leben nur schlecht die Rechten und die Linken hießen .
Nun lief nach allen Flurbüchern und Gränzrezeßen in alten Zeiten die Demarkationslinie , der Bach , dicht an des Schulzen Hause vorbei .
Nachher veränderte der Bach sein Bette oder ein dürrer Sommer nahm ihn gen Himmel ; kurz Harnisches Wohnung wurde so weit hinüber gebaut , daß nicht nur Ein Dachstuhl auf zwei Territorien stand , sondern auch Eine Stubendecke , und wenn man ihn hinsetzte , Ein Krüpelstuhl .
Aber so wurde dieses Haus des alten Schulzen juristischer Vorhimmel , so wie zugleich seine kameralistische Vorhölle .
Mit unsäglichem Vergnügen sah er oft in seiner Wohnstube -- die an der Wand ein fürstlicher Gränz- und Wappenpfahl abmarkte -- sich um , und warf publizistische Blicke bald auf Landesherrliche , bald auf Ritterschäftliche Stubenbretter und Gerechtsame und bedachte , daß er Nachts ein Rechter wäre -- weil er fürstlich schlief -- und nur am Tage ein Linker , weil Tisch und Ofen geadelt waren .
Es war seinen Söhnen nichts seltenes , daß er Sonntags vor dem Abendessen , wenn er viel gedacht hatte , mehrmals heiter und hastig den Kopf schüttelte und dabei murmelte :
mein Haus ist einem redlichen Iktus * ) , sage ich , ordentlich wie auf den Leib gemacht -- ein jeder anderer Mann würde die besten importantesten Gerechtsame und Territorien darin verschleudern , weil er gar nicht der Mann dazu wäre -- denn er wäre in der Sache gar nicht zu Hause -- und ich alter verständiger Iktus soll heraus , soll_es losschlagen , höre Vronel ? --
Erst nach langer Zeit antwortete er sich selber : " nun und nimmermehr " , ohne die Antwort Veronika's , seiner Frau , zu hören .
Freilich wenn er sich täglich gegen seine Gläubiger mehr in die Zitadelle seines Hauses zurückzog und ihnen dabei wie andere Kommendanten die Vorstädte , nämlich das Feld , d. h. die Felder räumte und so gut er konnte , mit dem Hause zugleich seinen Schulzenposten , den Spielraum seiner Kenntnisse , zu versteigern aufschob , statt soll * ) Juristen . chen zu steigern -- gleichsam sein schlagendes Herz , den Saitensteg seines lauten Lebens , wenn er das tat :
so hatte ' er noch vier von ihm selber gezeugte Hände im Auge , die ihm helfen und den Steg seiner hellsten Töne und Misstöne wieder stellen sollten ; nämlich seine Zwillingssöhne .
Als Veronika mit diesen niederkommen wollte , hielte er , als sei sie eine sizilianische oder englische Königin , hinlängliche Geburtszeugen bereit , die nachher sich in Taufzeugen einteilten .
Das Kindbette hatte er ins ritterschaftliche Territorium geschoben , weil es einen Sohn geben konnte , dem man durch diese Bett stelle der Bett stelle den Landesherrlichen Händen entzog , die ihm eine Soldatenbinde umlegen konnten , statt der schon bestimmten Themisbinde .
In der Tat trat auch der Held dieses Werkes , Peter Gottwalt ans Licht .
Aber die Kreisende fuhr fort ; der Vater hielt es für Pflicht und Vorsicht , das Bette dem Fürsten zuzuschieben , damit jeder sein Recht bekomme .
" Höchstens gibt_es ein Mädchen , sagte er , oder was Gott will . "
Es war keines , son deren das letztere ; daher der Knabe nach des Kandidaten Schomakers Übersetzung den Namen des Bischofs von Karthago unter Geiserich , nämlich Quod Deus vult , oder Vult im Alltagswesen bekam .
Jetzt wurden in der Stube scharfe Markungen , Einhegungen und Teilungstraktate gemacht , Wiegen und alles wurde geschieden .
Gottwalt schlief und wachte und trank als Linker , Vult als Rechter ; späterhin als beide ein wenig kriechen konnten , wurde Gottwalten , dem adeligen Sassen , das fürstliche Gebiet durch ein kleines Gitterwerk -- das man bloß aus Hühner- und anderen Ställen auszuheben brauchte -- leicht zugesperrt ; und eben so sprang der wilde Vult hinter seinem Pfahlwerk , der dadurch fast das Ansehen eines auf- und ablaufenden Leoparden im Käfig gewann .
Erst mit langer Mühe und Strenge schaffte Veronika die lächerliche Ab- und Erbsonderung ab ; denn der alte Lukas hatte , wie jeder Gelehrte , eine besondere Hartnäckigkeit der Meinungen und bei aller Ehrliebe steifen Kaltsinn gegen das Lächerlich werden .
Bald wurde deutlich , daß wissenschaftliche Fächer künftig Gottwalt's Fach sein würden ; ohne alle elterliche Vorliebe war leicht zu bemerken , daß er weislockig , dünnarmig , zartstämmig und , wenn er einen ganzen Sommer Schafhirtlein gewesen , noch schnee- Lilienweiss in solchem Grade war , daß der Vater sagte : einen Stiefel wolle er mit einem Eiweisshäuten , statt Pfundleder ebenso gut besohlen als den Jungen zum Bauersmann einrichten .
" Dabei hatte der Knabe ein so gläubiges , verschämtes , überzartes , frommes , gelehriges , träumerisches Wesen , und war zugleich bis zum Lächerlichen so eckig und elastisch-aufspringend , daß zum Verdrusse des Vaters -- der sich einen Juristen nachziehen wollte -- jedermann im Dorfe , selber der Pfarrer , sagte , er müße , wie Zäsar , der erste im Dorfe werden , nämlich der Pfarrer .
Denn wie ? -- fragte man -- Gottwalt , der blauäugige Blondin mit aschgrauem Haar und feiner Schneehaut , -- wie ? dieser soll einmal ein Kriminalist werden und unter dem großen Triumphator Carpzov dienen , welcher bloß mit seinem Federmesser , wozu er das ThemisSchwert ausgeschliffen , an zwanzigtausend Mann niedergehauen ?
So schickt ihn doch , fuhr man fort , nur Versuchsweise mit einem Gerichtssiegel zu einer blassen Witwe , die mit gefalteten Händen auf dem Sessel sitzt und die schwach und leise ihre Effekten anzeigt , und lasst ihn den Auftrag , unbehindert alle ihre alten Türen und Schränke und des Mannes letzte Andenken gerichtlich zu petschieren , vollziehen und seht zu , ob er_es kann , vor Herzklopfen und Mitleiden ! --
Aber der jüngere Zwilling , Vult , sagte man in froherem Tone , der schwarzhaarige , pockennarbige , stämmige Spitzbube , der sich mit dem halben Dorfe rauft und immer umher streift , und ein wahres tragbares theatre aux Italiens ist , das jede Physiognomie und Stimme nachspielt -- dieser ist ein anderer Mensch , dem gebt Akten unter den Arm , oder einen Schoppenstuhl unter den Steiss .
Wenn Walten am Fastnachtstage in der tanzenden Schulstube den Kandidaten und dessen Geige mit dem Bässlein unterstützte und mit nichts hüpfte als mit ungemein freudigen Blicken und mit dem Bogen :
so sprang Vult zugleich allein tanzend und mit einer Groschenflöte im Maule herum und fand noch Zeit und Glieder zu vielem Schabernack -- Sollen solche Talente nicht für das Jus benutzt werden , Herr Schulz , beschloss man -- -- Sie sollen's , sagte er .
Also Gottwalt wurde auf die Himmelsleiter gesetzt als zukünftiger Pfarrer und Konsistorialvogel ; Vult aber musste sich die Grubenleiter in die delphische Rechtshöhle zimmern , damit er ein juristischer Steiger würde , von welchem der Schultheiss alle Ausbeuten seiner Zukunft erwartete , und der ihn aus der giftigen Grube ziehen sollte , zugleich mit Gold- und Silbergeäder umwunden , es sei nun , daß der Sohn Prozesse für ihn führte , oder schwere ihm ersparte , oder Gerichtshalter im Orte wurde , oder Regierungsrat , oder wie es etwa ginge , oder daß er ihm jeden Quatember viel schenkte .
Allein Vult hatte außerdem , daß er bei dem Schulmeister und Kandidaten Schomaker nichts lernen wollte , noch das Verdrußliche an sich , daß er ewig blies auf einer Batzenflöte , und daß er sich im 14. Jahr bei der Kirmes unten vor die spielende Flötenuhr des Schlosses hinstellte , um bei ihr als seiner ersten Lehrerin , wenn nicht Stunden zu nehmen , doch Viertelstunden . --
Hier sollte Zeit sein , das Axiom einzuschichten , daß überhaupt die Menschen mehr in Viertelstunden , als in Stunden gelernt .
Kurz , an einem Tage , wo Lukas ihn in die Stadt und unter das Rekrutenmaas geführt ( Scheines und Ordnung halber ) , lief er mit einem betrunkenen Musikus , der nur noch sein Instrument , aber nicht mehr sich und die Zunge regieren konnte , in die weite breite Welt hinein .
Er blieb dann weg .
Jetzt mußte Gottwalt Peter daran , ans Jus .
Aber er wollte auf keine Weise .
Da er stets las , -- was das Volk beten heisset , wie Cicero religio von relegere , oft lesen , ableitet -- so lief er dem Dorfe schon als Pfarrherrlein durch die Finger , ja ein Metzger aus Tirol nannte ihn bald den Pfarrbuben , bald den Pfarrknecht * ) , * )
Jener bedeutet in Tirol den Pfarrer , dieser den Diakonus . weil er in der Tat ein kleiner Kaplan und Küster , nämlich dessen Koadjutorie war , insofern er die schwarze Bibel gern auf die Kanzel trüg , das Kommunikantentüchlein am Altare den Oblaten und dem Kelche unterhielt , allein den Nachmittagsgottesdienst , wenn Schomaker sich nach Hause geschlichen , hinausorgelte und ein fleißiger Kirchengänger bei Wochentaufen war .
Ja , sah Abends der Pfarrer nach dem Studieren mit Mütze und Pfeife aus dem Fenster , so hoffte er nicht zurück zu bleiben , wenn er sich mit einer leeren kalten Pfeife und weißen Mütze an seines legte , welche letztere dem Knabengesicht ein zu altväterisches Ansehen gab .
Nahm er nicht einmal an einem Winterabend ein Gesangbuch unter den Arm und stattete , wie der Pfarrer , bei einer ihm ganz gleichgültigen , arthritischen , steinalten Schneidersfrau einen ordentlichen Krankenbesuch ab und fing an , aus dem Liede :
O Ewigkeit , du Freudenwort , ihr vorzulesen ?
Und musst er nicht schon bei dem zweiten Verse den Aktus einstellen , weil ihn Tränen übermannten , nicht über die taube , trockene Frau , sondern über den Aktus ?
Schomaker nahm sich seines Lieblings so sehr an , daß er eines Abends vor dem Gerichtsmann -- " so höre ' ich mich lieber nennen als Schulz " sagte Lukas -- frei erklärte , er glaubte , im geistlichen Stande komme man besser fort , besonders zarte Naturelle .
Da nun der Kandidat selber nichts geworden war , als sein eigenes Minus und seine eigene Vakanzstelle , so beantwortete der Gerichtsmann die Rede bloß mit einem höflichen Gemurmel und führte nur seine schimmlige Geschichte wieder auf , daß einmal ein juristischer Professor seine Studenten so angeredet habe : " meine Hochverehrte " Herren Justizminister , geheime Kabinettsräte , " wirkliche Geheime Räte , Präsidenten , Finanz- " Staats- und andere Räte und Syndikus , " denn man weiß ja noch nicht , was aus Ihnen " allen wird ! "
Er führte noch an , im Preussischen werde die Stunde eines Advokaten auf 45 Kreuzer von den Gesetzen selber taxiert und bat , man solle das nur einmal für ein Jahr ausschlagen -- ferner einem rechten Juristen komme der Teufel selber nicht bei und er wolle eben so gut Flegeljahre I. Bd. 5 ein Ferkel am eingeseiften Schwanz fest halten , als einen Advokaten am jus -- ( welches wohl im edleren Stile heißen würde : Kenntnis des Rechts ist die um einen Mann geschriebene Münz- Legende , und verwehrt das Beschneiden des Stücks ) -- und Heringe wie sein Peter Walten , wären eben die ganzen Hechte ; je dünner der Messerrücken , desto schärfer die Schneide ; und er kenne Iktuße , die durch Nadelöhre zu fädeln waren , die aber ungemein zustachen .
Wie immer , halfen seine Reden nichts : aber die verständige Veronika , seine Frau , wollte gegen die Sitte der Weiber , die im häuslichen Konsistorium immer als geistliche Räte gegen die weltlichen stimmen , den Sohn aus dem geistlichen Schafstall in die juristische Fleischscharre treiben ; und das bloß , weil sie einmal bei einem Stadtpfarrer gekocht habe und das Wesen kenne , wie sie sagte .
Diese hielt , als sie einst allein mit dem Sohne war , der mehr an ihr als am Vater hing , ihm bloß so viel vor : " mein Gottwalt , ich kann dich nicht zwingen , daß du dem Vater folgst ; aber höre mich an : das erstemal , wo du predigst , so tue ich meinen Trauerrock an , und die weißen Tücher um , und gehe in die Kirche , und bücke mich unter der ganzen Predigt wie bei einer Leichenpredigt mit dem Kopfe nieder und weine , und wenn mich die Weiber fragen , so zeige ich auf dich . " -- Dieses Bild packte seine Phantasie so gewaltsam an , daß er weinend Nein Nein schrie -- womit er Trauer-Verhüllen meinte -- und Ja Ja zum Advozieren sagte .
So werden uns die Lebensbahnen , wie die Ideen , vom Zufall angewiesen ; nur das Fort- und absetzen der einen wie der anderen , bleibt der Willkür freigestellt .
Walten erlernte nun , wie Völker , Sprachen fast von selber .
Er warf dadurch den Vater in ein Freudenmeer ; denn Dorfleute finden , wie die Schulleute , fast bloß auf der Zunge den Unterschied des Lehr- und des Nährstandes .
Der ErMäuerer baute daher in einem trockenen Frühjahr ohne allen Widerspruch des toten Dachshundes und des Gewerks ein eigenes Studierstüben für seinen Iktus .
Dieser frequentierte das Lyzeum ( illustre ) Johanneum ; darauf wurde er ins Gymnasium ( illustre ) Alexandrinum geschickt ; -- welches beides niemand war , als in kollegialischer Eintracht der Kandidat Schomaker allein , der Johann Alexander hieß .
Anfangs hatte Walten noch mit Volten , ehe ' er davon gelaufen , die Kleintertia und darauf die Großtertia sowohl besucht , als repräsentiert ; aber nachher musste er ohne den Pfeifer die ganze Sekunda und Prima allein ausmachen , worin er das Hebräische , das in beiden Klassen die Theologen trieben , wie gewöhnlich auch mit aufschnappte .
Im zwanzigsten Jahre war er vom Gymnasium oder Gymnasiarchen unmittelbar als Abiturient abgegangen auf die hohe Schule Leipzig , in welche er aus Mangel einer höheren so lange täglich ging , als er es vor Hunger aushalten konnte .
" Seit Ostern sitzt er bei den Eltern , und wird morgen Abends zum Notarius reiieret , um zu leben " beschloss der Kandidat Schomaker die artige Historie. Nro. 6. Kupfernickel .
Quod Deus Vultiana .
Nach dem Ende der Geschichte trat der Flötenist mit grimmigem Gesicht an den betrübten Schulmeister fragend : " wäret ihr nicht wert , daß ich sogleich ins Prisma sähe und Euch darin als lange Leiche anträfe ?
Wie , Ihr moralischer Mikrolog , Ihr moralischer esprit de Bagatelle , Ihr konntet Euch aus Furcht vor schätzbaren Weissagungen erfrechen , gegen Euer Gewissen die Geheimnisse zweier bedeutender Brüder und Eltern aus dem Laub heraus zu ziehen ?
Es soll Euch gereuen , wenn ich Euch entdecke , daß ich kein wahres Wort gesagt und daß ich die Geheimnisse nicht vom Prisma , sondern von dem davon gelaufenen Flötenisten Vult selber erfahren , der ein ganz anderer Mensch ist .
Ich habe mit dem Manne im anderen Elterlein , nämlich im Bergstädtlein bei Annaberg , vereint geblasen .
Damit ich aber nach dem bisherigen Weismachen , der Gesellschaft glaubhaft werde , so will ich_es ihr so beschwören : ewig verdammt will ich sein , kenne ich ihn nicht und habe ich nicht alles von ihm . "
Es war kein Meineid ; denn er war jener entlaufene Vult selber , aber ein starker Schelm .
Der Kandidat nahm alles friedlich hin , weil ihn eine neue Lage , in welche er sich immer so schnell geworfen fühlte , daß er keine Sekunde Zeit zum Ausarbeiten eines moralischen Models und Lineals bekam , über alles abstieß .
Es gab wenige Kasuisten und Pastoraltheologen , die er nicht gelesen , sogar den Talmud , bloß um selig zu werden .
Er hielt mit jedem Steckbrief seine eigene Person zusammen , um , im Falle sie zufällig der begehrten gleich sähe , so fort juristisch und sittlich gesattelt zu sein , so wie er sich häufig des Mords , der Notzucht und anderer Fraischfälle heimlich aus Spaß anklagte , um sich darein zu finden , falls ein Bösewicht öffentlich dasselbe täte im Ernst .
Er versetzte daher nur , daß er dem Bruder Gottwalt keine frohere Nachricht bringen könne , als die von Vults Leben , da er den Flüchtling unendlich liebe .
" So , lebt die Fliege noch ? fiel der Wirt ein .
Wir hielten sie sämtlich für krepiert .
Wie sah er denn aus , gnädiger Herr ? "
" Sehr wie ich , ( versetzte Vult und sah bedeutende trinkende Dikasterianten an , ) falls nicht das Geschlecht einen Unterschied macht ; denn ich könnte wohl eben so gut eine verkleidete Ritterin d' Äon sein , als diese bekannte Frau , Messieurs , -- ob wir gleich davon abbrechen wollen .
-- Vult selber ist wohl der artigste Mann und der schönste , ohne es aber zu wissen , dem ich je ins Gesicht gesehen , nur zu ernst und zu gelehrt , nämlich für einen Musikus .
Sie alle sollten ihn sehen , das heißt hören .
-- Und doch so bescheiden , wie schon gesagt .
Der Musikdirektor der Sphärenmusik werde ich doch nie , sagt er einst , sich verbeugend die Flöte weglegend , und meinte wahrscheinlich Gott .
Jeder konnte mit ihm so frei reden , wie mit einem russischen Kaiser , der in Kaiserspracht in die Kulisse von der Bühne kommt und fühlt , daß ihn Kozebue geschaffen und er diesen . --
Er war Herzensgut und voll Liebe , nur aber zu aufgebracht auf sämtliche Menschen .
Ich weiß , daß er Fliegen , die ihn plagten , Einen Flügel auszupfte und sie auf die Stube warf mit den Worten : " kriecht , die Stube ist für euch und mich weit genug , " indes er gleichwohl mehreren ältlichen Herren ins Gesicht sagte , sie wären siebenfache Spitzbuben , alte obwohl in Milch eingeweichte Heringe , die sich dadurch für frische gäben ; inzwischen , setzt er sogleich dazu , er hoffe , sie deuteten ihn nicht falsch , und bewies ihnen jede Artigkeit .
-- Unsere erste Bekanntschaft machte sich , als er von einer fürstlichen Versteigerung herkam und einen erstandenen Nachttopf aus Silber öffentlich so närrisch vor sich her- und heim trug , daß jede Gasse stutzig wurde , wodurch er ging . --
Ich wollte , er wäre mit hier und besuchte die Seinigen . --
Ich habe eine so besondere Liebhaberei für die Harnische , als meine Namensvettern , daß ich sogar im Leipziger Reichsanzeiger mir ihren Stammbaum und Stammwald bestimmt ausbat ohne Effekt . "
Jzt schied er kurz und höflich und ging auf sein Zimmer , nachdem er bei allem milden Scheine eines Mannes von Welt den ganzen Tag alles getan , was er gewollt .
Er roch ohne Anstand an Fensterblumen vorübergehend ; -- er rückte auf dem Markte einem bettelnden Judenjungen seinen schlechten Bettelstil vor und zeigte ihm öffentlich , wie er anzuhalten habe -- er setzte seinen französischen Paß in keinen deutschen um , bloß deshalb , um unter dem Stadttore die sämtliche Thorschreiberei dadurch in Zank und Buchstabieren zu verflechten , indes er still dabei wartete und sagte , er steife sich auf seinen Paß -- und am ersten Tage machte er den Scherz der Zauberschlägerei , von welcher oben der Wirt dem Kandidaten ins Ohr erzählt hatte .
Er wusste nämlich ganz allein in seinem Zimmer ein solches Kunstgeräusch zu erregen , daß es die vorübergehende Scharwache hörte und schwor , eine Schlägerei zwischen fünf Mann falle im zweiten Stocke vor ; als sie straffertig hinauf eilte und die Türe aufriss , drehte sich Quod deus Vult vor dem Rasierspiegel mit eingeseiftem Gesichte ganz verwundert halb um , und fragte , indem er das Messer hoch hielt , drüslich , ob man etwas suche ; -- ja Nachts repetierte er die akustische Schlägerei , und fuhr die hineinguckende Obrigkeit aus dem Bette schlaftrunken mit den Worten an : wer Henker steht draußen und stört die Menschen im ersten Schlafe ?
Dies alles kam daher , daß er in jeder kleinen Stadt zuerst den Regimentsstab wenig schätzte , dann Obrigkeit und Hof , etwa Bürger aber mehr .
Bei einer solchen in Lustigkeit eingekleideten Verachtung konnte er_es nicht von sich erhalten , sich den Kleinstädtern , die ihn in seinen glänzenden Tagen unter Großstädtern nicht gesehen , in diesen überwölkten als Bauerssohn aus Elterlein zu zeigen ; lieber adelte er sich selber eigenhändig .
Nach Haslau war er nur gekommen , um ein Konzert zu geben , dann nach Elterlein zu laufen , und Eltern und Geschwister inkognito zu sehen , aber durchaus ungesehen .
Unmöglich war_es ihm , daß er nach einem Dezennium Abwesenheit , worin er über so viele europäische Städte wie eine elektrische Korkspinne , ohne zu spinnen und zu fangen , gesprungen war , wieder vor seinen dürftigen Eltern erscheinen sollte , aber nämlich , o Himmel , als was ? --
Als dürftiger Querpfeifer in langer Strumpf Hose , gelbem Studentenkollett und grünem Reisehut , und mit nichts in der Tasche ( wenige Spezies ausgenommen ) als mit einem Spiel gesiegelter Entreekarten für künftige Flötenkonzerte ?
-- " Nein , sagte er , ehe ich das täte , lieber wollte ich täglich Essig aus Kupfer trinken , oder eine Fischotter an meiner Brust groß säugen , oder eine kantianische Messe lesen oder hören , eine Ostermesse . "
Denn wenn er auch zuletzt den phantastischen Vater endlich zu überwältigen hoffen konnte durch einige Musikstunden und durch Erzählungen aus fremderen Ländern :
so blieb doch die unbestechliche Mutter unverändert übrig mit ihren kalten hellen Augen , mit ihren eindringenden Fragen , die seine Vergangenheit samt seiner Zukunft unerbittlich zergliederten .
Aber jetzt seit dem Abend und hundert anderen Stunden hatte sich alles in ihm verändert -- aus dem fremden Zimmer brachte er die ruhige Oberfläche und eine bewegte Tiefe in das seinige hinauf . --
Walts Liebe gegen ihn hatte ihn ordentlich angegriffen -- dessen poetische Morgensonne wollt ' er ganz nahe besehen und drehen und an ihre Achse Erddiameter und an ihre Kraft Licht- und Wärmemesser anlegen -- Kabels Testament gab dem Poeten noch mehr Gewicht -- --
Kurz Vult konnte kaum den künftigen Tag erwarten , um nach Elterlein zu laufen , heimlich Walts Notariatsexamen zu behorchen und alle zu beschauen und am Ende sich dem Bruder zu entdecken , wenn er_es verdiente .
Mit welcher Ungeduld der gegenwärtige Schreiber auf den offiziellen , den Helden endlich aus seinen tiefen Spiegeln hervorziehenden , Bericht des folgenden Kapitels mag gepasst haben , ermesse die Welt aus ihrer Nro. 7. Violenstein .
Kindheitsdörfchen -- der große Mann .
Vult van der Harnisch reiste aus der Haschlauer Vorstadt nach Elterlein aus , als die halbe Sonne noch frisch und waagerecht über die tauige Flurenwelt hinblitzte .
Die Sonne war aus den Zwillingen in den Krebs getreten ; er fand Ähnlichkeiten und dachte , er sei unter den vieren der Zwilling , der am stärksten glühe , desgleichen der zweite Krebs .
In der Tat hatte schon in der Bergstadt Elterlein bei Annaberg seine Sehnsucht nach dem gleichnamigen Geburtsdorf angefangen und zugenommen auf allen Gassen ; schon ein gleichnamiger Mensch , wie vielmehr ein gleichnamiger Ort drängt sich warm ins Herz .
Auf der lebendigen Haschlauer Straße -- die ein verlängerter Markt schien -- nahm er seine Flöte heraus und warf allen Passagiers durch Flötenansätze Konzertansätze entgegen und nach , schnappte aber häufig in guten Koloraturen und in bösen Dissonanzen ab und suchte sein Schnupftuch , oder sah sich ruhig um .
Die Landschaft stieg bald rüstig auf und ab , bald zerlief sie in ein breites ebenes Grasmeer , worin Kornfluren und Raine die Wellen vorstellten und Baumklumpen die Schiffe .
Rechts in Osten lief wie eine hohe Nebelküste , die ferne Bergkette von Pestiz mit , links in Abend flos die Welt eben hinab , gleichsam den Abendröten nach .
Da Vult erst Nachts anzulangen brauchte , so hielt er sich überall auf .
Seine Sanduhr der JuliusTagszeiten waren die gemähten Wiesen , eine Linnäische Blumenuhr ans Gras ; stehendes zeigte auf 4 Uhr Morgens -- liegendes auf 5 bis 7 -- zusammen geharkte Ameisehaufen daraus auf 10 Uhr -- Hügel aus Heu auf 3 -- Berge auf den Abend .
Aber er sah auf dieses Zifferblatt der Arbeitsidylle an diesem Tage zum erstenmal , so sehr hatten bisher die langen Fussreisen das übersättigte Auge blind gemacht .
Eben da der Hügel in dieser Sanduhr am höchsten anlief :
so zogen sich die Kirsch- und Apfelbäume wie die Abendschatten lang dahin -- runde grüne Obstfolgen wurden häufiger -- in einem Tale lief schon als dunkle Linie das Bächlein , das durch Elterlein hüpft -- vor ihm grünte auf einem Hügel von der Abendsonne golden durchschlagen das runde dünne Fichtengehölz , woraus die Bretter seiner Wiege geschnitten waren , und worin man oben gerade in das Dorf hinunter sah .
Er lief ins Gehölz und dessen schwimmendes Sonnengold hinein , für ihn eine Kinderaurora .
Jetzt schlug die wohlbekannte kleinliche Dorfglocke aus , und der Stundenton fuhr so tief in die Zeit und in seine Seele hinunter , daß ihm war , als sei er ein Knabe , und jetzt sei Feierabend ; und noch schöner läuteten ihn die Viehglocken in ein Rosenfest .
Die einzelnen rotweißen Häuser schwankten durch die besonnten Baumstämme .
Endlich sah er draußen das traute Elterlein dem Hügel zu Füßen liegen -- ihm gegen über standen die Glocken des weißen Schieferturms , und die Fahne des Maibaums und das hohe Schloß auf dem runden Wall voll Bäume -- unten liefen die Poststraßen und der Bach breit durchs offene Dorf -- auf beiden Seiten standen die Häuser einzeln , jedes mit seiner Ehrenwache von Fruchtstämmen -- um das Dörfchen schlang sich ein Lustlager von Heuhügeln wie von Zelten und von Wagen und Leuten herum , und über ihn hinaus brannten fettgelbe Rübsenflächen für Bienen und Öl , heiter dem Auge entgegen .
Als er von diesem Grenzhügel des gelobten Kinderlandes , hinunterstieg , hört er hinter den Stauden in einer Wiese eine bekannte Stimme sagen :
" Leute , Leute sponselt doch euer Vieh ; habe ich_es nicht schon so Millionenmal anbefohlen ? --
Bube , sage zu Hause , der Gerichtsmann hat gesagt , morgen wird ungesäumt mit zwei Mann gefront , auf der Klosterwiese . "
Es war ein Vater ; der mattäugige , schmächtige , bleichfarbige Mann ( in dessen Gesicht der warme HeuTag noch einige weiße Farbenkörner mehr gesät ) schritt mit einer leuchtenden Sense auf der Achsel aus den Rainen in die Straße herein .
Vult mußte umblicken , um nicht erblickt zu werden , und ließ den Vater voraus .
Dann fiel er ihm mit einigen klingenden Paradiesen der Flöte , und zwar -- weil er wusste , wie ihm Chorale schmeckten -- mit diesen in den Rücken .
Lukas schritt noch träger fort , um länger zurückzuhören -- und die ganze Welt war hübsch .
Braune Dirnen mit schwarzen Augen und weißen Zähnen setzten die Grassicheln an die Augenbraunen , um den vorbeipfeifend Studenten ungeblendet zu sehen -- die Viehhirtinnen zogen mit ihren Wandelglöckchen auf beiden Seiten mit -- Lukas schnäuzte sich , weil ihn der Choral bewegte , und sah ein ungesponseltes Weidepferd nur ernsthaft an -- aus den Schornsteinen des Schlosses und Pfarrhauses und des väterlichen hoben sich vergoldete Rauchsäulen ins windstille kühle Blau -- Und so kam Vult ins überschattete Elterlein hinab , wo er das närrische verhüllte träumende Ding , das bekannte Leben , den langen Traum , angehoben und wo er im Bette zu diesem Traum , weil er erst ein kurzer Knabe war , sich noch nicht hatte zu krümmen gebraucht .
Im Dorfe war das Alte das Alte .
Das große Haus der Eltern stand jenseits des Bachs unverändert mit der weißen Jahrszahl 1784 auf dem Dachschiefer da . --
Er lehnte sich mit dem Flötenliede : " wer nur den lieben Gott läßt walten " an den glatten Maibaum und blies ins Gebetläuten hinein .
Der Vater ging , sehr langsam unter dem Scheine des Umsehens , über den Bachsteg in sein Haus und henkte die Sense an den hölzernen Pflock an der Treppe .
Die rüstige Mutter trat aus der Türe in einem Manns- Wamse , und schüttete , ohne aufs Flöten zu hören , das abgeblattete Unkraut des Salats aus Flegeljahre I. Bd. 6 einem Scheffel , und beide sagten zu einander -- wie Landgatten pflegen -- nichts .
Vult ging ins nachbarliche Wirtshaus .
Von dem Wirte erfuhr er , daß der Pfalzgraf Knol mit dem jungen Harnisch Felder beschaue , weil die Notariusmacherei erst Abends angehe .
" trefflich , dachte Vult , so wird_es immer dunkler , und ich stelle mich ans Backofenfenster und sehe ihrem Kreieren drinnen zu . "
Der alte Lukas trat jetzt schon gepudert in einer großblumigen Damastweste an die Türe heraus , und wetzte in Hemdärmeln an der Schwelle das Messer für das Souper des Notariusschöpfers ab .
" Aber das Pürschlein soll es auch nicht herausreißen , setzte der Wirt hinzu , der ein Linker war ; der Alte hat mir seine schöne Branntweinsgerechtigkeit verkauft , und der Sohn hat von der Blase studiert .
Aber lieber das Haus sollte er weggeben , und zwar an einen gescheiten Schenkwirt ; sapperment !
Dem würden Biergäste zufliegen , der Bierhahn wäre Hahn im Korbe , aber ganz natürlich .
Denn die Stube hat zweierlei Grenzen , und man könnte darin zuprügeln und kontrebandieren und bliebe doch ein gedeckter Mann . "
-- Vult nahm keinen so spaßhaften Anteil am Wirte als er sonst getan hätte ; er erstaunte ganz , daß er unter der Hand ordentlich in eine heftige Sehnsucht nach Eltern und Bruder , besonders nach der Mutter hineingeraten war , " was doch , sagte er , auf der ganzen Reise gar nicht mein Fall gewesen . "
Es war ihm erwünscht , daß ihn der Wirt beim Ärmel ergriff , um ihm den Pfalzgrafen zu zeigen , der eben in des Schulzen Haus , aber ohne Gottwalt ging ; Vult eilte aus seinem , um drüben alles zu sehen .
Draußen fand er das Dorf so voll Dämmerung , daß ihm war als steck er selber wieder in der helldunklen Kinderzeit , und die ältesten Gefühle flatterten unter den Nachtschmetterlingen .
Hart am Stege watete er durch den alten lieben Bach , worin er sonst breite Steine aufgezogen , um eine Grundel zu greifen .
Er machte einen Bogenumweg durch ferne Bauernhöfe , um hinter den Gärten dem Hause in den Rücken zu kommen .
Endlich kam er ans Backofenfenster und blickte in die breite zweiherrige Grenzstube -- keine Seele war darin , die einer schreienden Grille ausgenommen , Türen und Fenster standen offen ; aber alles war in den Stein der Ewigkeit gehauen ; der rote Tisch , die roten Wandbänke , die runden Löffel in der hölzernen Wandleiste , um den Ofen das Trockengerüste , der tiefe Stubenbalken mit herunterhängenden Kalendern und Heringsköpfen , alles war über das Meer der langen Zeit , gut eingepackt , ganz und wie neu herübergeführt , auch die alte Dürftigkeit .
Er wollte am Fenster länger empfinden , als er über sich Leute hörte , und am Apfelbaum den Lichtschimmer der oberen Stube erblickte .
Er lief auf den Baum , woran der Vater Treppe und Altan gebaut : und sah nun gerade in die Stube hinein , und hatte das ganze Nest .
Darin sah er seine Mutter Veronika , mit einer weißen Küchenschürze stehend , eine starke , etwas breite gesund nachblühend Frau , das stille scharfe , aber höfliche Weiberauge auf den Hoffiskal gelegt -- dieser ruhig sitzend und an seinem breiten Kopfe das Nabelgehenke eines Pfeifenkopfes befestigend -- der Vater gepudert , und im heiligen Abendmahlsrock unruhig laufend , halb aus achtender Angst vor dem großen eingefleischten corpus juris neben ihm , das gegen Fürsten und alle Welt gerade so keck war , als er selber scheu , halb aus sorgender , das corpus nehme es übel , daß Walten noch fehlte .
Am Fenster , das dem Baum und Volten am nächsten war , saß Goldine , eine bildschöne , aber bucklige Jüdin , auf ihr rotes Knäuel niedersehend , woraus sie einen schafwollenen Rotestrumpf strikte ; Veronika ernährte die blutarme , aber fein-geschickte Waise , weil Gottwalt sie ungemein liebte und lobte , und sie einen kleinen Edelstein hieß , der Fassung brauchte , um nicht verloren zu gehen .
" Der Knecht ist nach dem Spitzbuben ausgeschickt , " versetzte Lukas , als der Fiskal unwillig erzählte , Walten habe nicht einmal seine eigenen Felder , geschweige des seel. Van der Kabels seine ihm zu zeigen gewußt , sondern ihm einen Fronbauern Kabels dazu hergeholt , und sei wie ein Grobian weggeblieben .
Vom erfreulichen Testamente , sah Vult , hatte der Fiskal noch kein Wort gesagt .
Auf einmal fuhr Gottwalt in einem Schanzlooper herein , verbeugte sich eckig und eilig vor dem Fiskal und stand stumm da , und helle Freudentränen liefen aus den blauen Augen über sein glühendes Gesicht .
" Was ist Dir ? " fragte die Mutter .
O meine liebe Mutter , ( sagt ' er sanft , ) gar nichts .
Ich kann mich gleich examinieren lassen .
-- " Und dazu heulst du ? " fragte Lukas .
Jetzt stieg sein Auge und sein Ton :
" Vater , ich habe , sagte er , heute einen großen Mann gesehen . "
-- " So ? versetzte Lukas kühn -- Und hast dich vom großen Kerl wamsen lassen und zudecken ?
Gut ! " Ach Gott , rief er ; und wandte sich an die aufmerksame Goldine , um es so dem Examinator mit zu erzählen .
Er hatte nämlich oben im Fichtenwäldern eine haltende Kutsche gefunden , und unweit davon am Waldhügel einen bejahrten Mann mit kranken Augen , der die schöne Gegend im Sonnenuntergange ansah .
Gottwalt erkannte leicht zwischen dem Manne und dem Kupferstiche eines großen deutschen Schriftstellers -- dessen deutscher Name hier bloß griechisch übersetzt werde , in den des Plato -- die Ähnlichkeit .
" Ich tat -- fuhr er feurig fort -- meinen Hut ab , sah ihn still immerfort an , bis ich vor Entzückung und Liebe weinen musste .
Hätte er mich angefahren , so hätte ich doch mit seinem Bedienten über ihn viel gesprochen und gefragt .
Aber er war ganz sanft , und redete mit der süßesten Stimme mich an , ja er fragte nach mir und meinem Leben , ihr Eltern ; ich wollt ' , ich hätte ein längeres gehabt , um es ihm aufzutun .
Aber ich machte es ganz kurz , um ihn mehr zu vernehmen .
Worte , wie süße Bienen , flogen dann von seinen Blumenlippen , sie stachen mein Herz mit Amors Pfeilen wund , sie füllten wieder die Wunden mit Honig aus :
O der Liebliche !
Ich fühlte es ordentlich , wie er Gott liebt und jedes Kind .
Ach ich möchte ' ihn wohl heimlich sehen , wenn er betete , und auch , wenn er selber weinen müsste in einem großen Glück .
-- Ich fahre sogleich fort , " unterbrach sich Walten , weil er vor Rührung nicht fortfahren konnte ; bezwang sie aber etwas leichter , als er umher sah , und gar keine sonderliche Fremde fand .
" Er sagte -- fuhr er fort -- die besten Sachen .
Gott , sagte er , gibt in der Natur wie die Orakel die Antwort , ehe die Frage getan ist -- desgleichen , Goldine : was uns Schwefelregen der Strafe und Hölle deucht , offenbart sich zuletzt , als bloßer gelber Blumenstaub eines zukünftigen Flors .
Und einen sehr guten Ausspruch habe ich ganz vergessen , weil ich meine Augen zu sehr auf seine richtete .
Ja da war die Welt rings umher voll Zauberspiegel gestellt , und überall stand eine Sonne , und auf der Erde gab es für mich keine Schmerzen , als die seiner lieben Augen .
Liebe Goldine , ich machte auf der Stelle , so begeistert war ich , den Polymeter : doppelte Sterne erscheinen am Himmel als einer , aber o Einziger , du zergehest in einen ganzen Himmel voll Sterne .
Dann nahm er meine Hand mit seiner sehr weichen zarten , und ich musste ihm unser Dorf zeigen ; da sagt ' ich kühn den Polymeter : sehet wie sich alles schön verkehrt , die Sonne folgt der Sonneblume .
Da sagte er , das tue nur Gott gegen die Menschen , der sich mehr ihnen zuwende als sie ihm .
Darauf ermunterte er mich zur Poesie , scherzte aber artig über ein gewisses Feuer , was ich mir auch morgen abgewöhne ; Gefühle , sagte er , sind Sterne , die bloß bei hellem Himmel leiten , aber die Vernunft ist eine Magnetnadel , die das Schiff noch ferner führt , wenn jene auch verborgen sind und nicht mehr leuchten .
So mag gewiß der letzte Satz geheißen haben ; denn ich hörte nur den ersten , weil es mich erschreckte , daß er an den Wagen ging und scheiden wollte .
Da sah er mich sehr freundlich an , gleichsam zum Troste , daß mir war als klängen aus den Abendröten Flötentöne .
-- " Ich blies in die Röten hinein " , sagte Vult , war aber etwas bewegt .
" Ja endlich glaubt mir_es , Eltern , drückt er mich an seine Brust und an den lieblichen Mund , und der Wagen rollte mit dem Himmlischen dahin . " -- -- " Und -- fragte der alte Lukas , der bisher , zumal wegen Plato's vornehmen Amtsnamen , jede Minute gewärtig gewesen , daß der Sohn einen beträchtlichen Beutel vorzöge , den ihm der große Mann in die Hand gedrückt -- er ist Wege fahren und hat dir keinen Pfennig geschenkt ? " --
O wie denn das , Vater ? fragte Walten .
" Ihr kennt ja sein weiches Gemüt " , sagte die Mutter .
" Ich kenne diesen Skribenten nicht , sagte der Pfalzgraf ; aber ich dächte , statt solcher leerer Historien , die zu nichts führen , fingen wir einmal das Examen an , das ich anstellen muß , ehe ich jemand zum Notarius kreieren will . "
" Hier stehe ich " , sagte Walten , im Schanzlooper hin , und von Goldenen weg , fahrend , deren Hand er für ihre Teilnahme an seiner Seligkeit öffentlich genommen hatte .
Nro. 8. Koboldblüte .
Das Notariatsexamen .
" Wie heißet Herr Notariand " fing Knol an -- Alles war nämlich so , erstlich daß Knol als ein zusammengewachsenes verknöchertes Revolutionstribunal das Vorhängschloss des Pfeifenkopfes am eigenen hatte und zu allem saß -- ferner , daß Lukas seinen auf zwei Ellenbogen wie auf Karyatiden gestützten Kopf auf den Tisch setzte , jeder Frage nachsinnend , eine Stellung , die seine matten grauen Augen und sein blutloses Gelehrtengesicht , zumal unter dem Leichenpuder auf der gebräunten Haut sehr ins nahe Licht setzte , so wie seinen ewigen regnerischen Feldzug gegen das Geschick -- ferner , daß Veronika dicht neben dem Sohne , mit den Händen auf dem Magen betend , stand und das stille Weiberauge , das in die närrischen Arbeitslogen der Männer dringen will , zwischen Examinator und Examinanden hin und wieder gleiten ließ -- und zuletzt , daß Vult mit seinen leisen Flüchen zwischen den unreifen Pelzäpfeln saß und neben ihm -- da ja alle Leser durch ein Fenster in die Stube sehen -- auf den benachbarten Ästen sämtliche 10 deutsche Reichs- und Lesekreise oder Lesezirkel ; so viele tausend Leser und Seelen von jedem Stande , was in dieser Zusammenstellung auf dem Baume lächerlich genug wird . -- --
Alles ist in der größten Erwartung über den Ablauf des Examens , Knol in der allergrößten , weil er nicht wusste , ob nicht vielleicht manche mögliche Ignoranz den Notariandus nach den geheimen Artikeln des Testaments auf mehrere Monate zurückschöben oder sonst beschädigten .
Wie heißet Hr. Notariand , fing er bekanntlich an .
Peter Gottwalt , versetzte der sonst blöde Walten auffallend frei und laut . --
Der geliebte entflogene Göttermensch hob noch seine Brust ; nach einem solchen Anblicke werden , wie in der ersten Liebe , uns alle Menschen zwar näher und lieber , aber kleiner .
Er dachte mehr an Plato als an Knol und sich , und träumte sich bloß in die Stunde , wo er recht lange darüber mit Goldenen sprechen könnte .
" Peter Gottwalt " hatte er geantwortet :
" " Harnisch " " muß noch bei " sagte sein Vater .
" Dessen selben Eltern und Wohnort ? "
-- fragte Knol -- Walten hatte die besten Antworten bei der Hand .
" Ist Hr. Harnisch ehelich geboren ? " fragte Knol -- Gottwalt konnte schamhaft nicht antworten .
" Das Taufzeugnis ist gelöst " , sagte der Schulz .
" Es ist nur um Ordnung Willen " , sagte Knol , und fragte weiter :
" Wie alt ? "
-- " So alt als mein Bruder Vult , ( sagte Walten ) , vier und zwanzig " -- Jahre nämlich , sagte der Vater .
" Was Religion ?-- Wo studiert ? u. s. w. "
Gute Antworten fehlten nicht .
" Wen hat H. H. von den Kontrakten gelesen ? --
Wie viele Personen sind zu einem Gerichte erforderlich ? --
Wie viel wesentliche Stücke gehören zu einem ordentlichen Prozesse ? "
-- Der Notariand nannte sehr nötige , schlug aber die Ungehorsamsbeschuldigung nicht an .
" Nein , Herr , 13 sind_es schon nach Beiere Volkmanno emendato " , sagte der Pfalzgraf heftig .
" Hat man Kaiser Maximilians Notariats- Ordnung von anno 1512 zu Köln aufgerichtet nicht nur oft , sondern auch recht gelesen ? " fragt er weiter .
" Sauberer und eigenhändiger konnte man_es ihm nicht abschreiben , als ich , H. Hofpfalzgraf ! " sagte der Schulz .
" Was sind Lytae ? " fragte der Knol .
" Lytae oder litones oder Leute , ( antwortete freudig Walten , und Knol rauchte ruhig zu seiner Vermengung fort ) waren bei den alten Sachsen Knechte , die noch ein Drittel Eigentum besaßen und daher Kontrakte schließen konnten .
-- " Eine Zitation dazu ! " sagte der Pfalzgraf .
" Möser " , versetzte Walten .
" Sehr wohl -- antwortete der Fiskal spät und rückte die Pfeife in die Ecke des formlosen Mundes , der nur einer aufgeschlitzten Wunde glich , die man ihm ins Sibirien des Lebens mit gegeben -- sehr wohl !
Aber lytae sind sehr verschieden von litonibus ; lytae sind die jungen Juristen , die zu Justinianus Zeiten im vierten Jahre ihres Kurses den Rest der Pandekten absolvierten * ) ; und die Antwort war eine Ignoranz . "
Gottwalt antwortete gutmütig : wahrhaftig , das habe ich nicht gewusst .
" So wird man wohl auch nicht wissen , was auf den Strümpfen , die der Kaiser bei der Krönung in Frankfurt anhat , steht ? "
-- Ein Zwickel , Gottwalt , soufflierte hinter ihm Goldine .
" Natürlich , fuhr Knol fort ; H. Tychsen hat es uns folgender Gestalt ins Deutsche übersetzt aus * ) Heinecc. hist. jur. civ. stud. Ritter. L. I. § 393. dem arabischen Texte :
" " ein prächtiges königliches Strumpfband . " " -- Darüber , über den Text und Übersetzer der Strümpfe , fuhr das Mädchen in ein freies Gelächter aus ; aber Vater und Sohn nickten ehrerbietig .
Unmittelbar nachdem Walten aus der durchlöcherten Fischwage des Examens blöde und stumm gestiegen war , ging der Pfalzgraf ans Kreieren .
Er sprach mit der Pfeife und auf dem Sessel Walten den Notariatseide auswendig zum Erstaunen aller vor ; und Walten sagte ihn mit gerührter Stimme nach .
Der Vater nahm die Mütze ab ; Goldine hielt ihre Strumpfwirkerei innen .
Der erste Eid macht den Menschen ernst ; denn der Meineid ist die Sünde gegen den h. Geist , weil er mit der höchsten Besonnenheit und Frechheit ganz dicht vor dem Throne des moralischen Gesetzes begangen wird .
Jetzt wurde der Notarius bis auf das letzte Glied , auf die Fersen gar ausgeschaffen .
Tinte , Feder und Papier wurden ihm von Knollen -- überreicht und dabei gesagt , man investiere ihn hiermit .
Ein goldener Ring wurde seinem Finger angesteckt und sogleich wieder abgezogen .
Endlich brachte der Comes palatinus ein rundes Kapchen ( Barettlein hieß er_es ) aus der Tasche und setzte es dem Notarius mit dem Beifügen auf den Kopf , eben so ohne Falten und rund sollen seine Notarienhände sein .
Goldine rief ihm zu , sich umzudrehen ; er drehte ihr und Volten ein paar große blaue unschuldige Augen zu , eine hochgewölkte Stirn und ein einfaches beseeltes durchsichtiges mehr von der inneren als von der äußeren Welt , ausgebildetes Gesicht mit einem feinen Munde , welches auf einem etwas schiefen Torso stand , der wieder seiner Seits auf eingeklapten Kniewinkeln ruhte ; aber Goldenen kam er lächerlich und dem Bruder wie ein rührendes Lustspiel vor , und im Schanzlooper wie ein Meistersänger aus Nürnberg .
Noch wurde sein Notariatssignet und das in Haslau verfaßte Diplom dieser Würde übergeben ; -- und so hatte Knol in seiner Glashütte mit seiner Pfeife den Notarius fertig und rund geblasen -- oder bloß in einer anderen Metapher , er brachte aus dem Backofen einen ausgebackenen offenen geschworenen Notaris auf der Schaufel heraus .
Hierauf ging dieser zum Vater , und sagte gerührt mit Händdrücken : wahrhaftig , Vater , ihr sollet sehen , welche Wogen auch .....
" Mehr konnte ' er nicht vor Rührung oder Bescheidenheit sagen . "
Konsideriere besonders , Peer , daß du Gott und dem Kaiser geschworen , bei Testamenten " absonderlich derer Hospitäler und anderer Not " dürftiger Personen , desgleichen gemeine Wege " befördern zu helfen . "
-- Du weist , wie schlecht die Wege ums Dorf sind , und unter den notdürftigen Personen bist du die allererste .
"-- Nein ich will die letzte sein , " versetzte der Sohn .
Die Mutter gab dem Vater einen silberhaltigen Papier- Wickel -- denn die Menschen versilbern , so zu sagen , die Pille des rohen Geldes einander durch Papier , erstlich aus feiner Schonung des fremden Eigennutzes , und zweitens um es zu verstecken , wenn es zu wenig sein sollte -- ; der Vater drückt es höflich in die Fiskalische lang gedehnte haarige Hand mit den Worten :
" pro rata , H. HofFiskalis !
Es ist das Schwanzgeld von unserer Kuh und etwas darüber .
-- Vom Kaufschilling des Viehs soll der Notarius auskommen in der Stadt .
-- Morgen reitet Flegeljahre I. Bd. 7 er das Pferd des Fleischers hinein , der sie uns abgekauft .
Es ist blutwenig , aber aller Anfang ist schwer ; beim Aufgehen der Jagd hinken die Hunde noch ; ich habe manchen gelehrten Hungerleider gesehen , der Anfangs von nichts lebte . --
Sei nur besonders vigilant , Peter , denn sobald der Mensch auf der Welt einmal etwas Braves gelernt -- -- " Ein Notarius -- fing heiter Knol , unter dem Geldeinstecken , an , und hielt die Pfeife lange ans Licht , ehe er fortfuhr -- ist zwar nichts Sonderliches , im Reiche sind viel , nämlich Notarii , sagte der Reichsabschied von 1500 Art. XIV , wiewohl ich selber meines Orts nur Notarien machen kann , und doch kein Instrument . "
-- " Wie mancher Pfalzgraf und mancher Vater -- sagte leise Goldine -- keine Gedichte , aber doch einen Dichter . "
-- " Indes ist in Haslau -- fuhr er fort -- so oft bald ein Testament , bald ein Interrogatorium , bald ein Vidimus , zuweilen , aber höchst selten eine donatio inter vivos zu machen ; falls nun der junge Mensch advoziert "
-- " Das muß mein Peter , " sagte Lukas -- "-- Falls er_es aber -- fuhr er fort -- recht macht , anfangs schlechte , zweideutige Prozesse mit Freuden annimmt , weil große Advokaten sie von der Hand weisen , letztere häufig konsultiert , sich windet und bükt und dreht " -- " So kann er ein rechtes Wasser auf desjenigen Mühle werden , der sein Vater ist , ja eine ganze Mühlwelle ; er kann ihm ja nach Gelegenheit von Zeit zu Zeit ein beträchtliches Stück Geld zufertigen " -- sagte der Vater -- " O meine Eltern , wenn ich das einmal könnte ! " sagte leise Walten entzückt .
" O Gott , stehe mir bei , sagte Lukas zornig , wer denn sonst ?
Etwan dein Spitzbube , dein Landläufer und Querpfeifer , der Vult ? --
Dieser schwor auf seinem Baume , vor einem solchen Vater sich ewig zu verkappen .
" Falls nun -- fuhr Knol lauter und unwillig über das Stören fort -- der junge Anfänger kein eingebildeter Narr oder Neuling ist , sondern ein Mensch , der bloß im juristischen Fache lebt und webt , wie hier sein vernünftiger Vater , der vielleicht mehr vom Jus versteht .
. . . . Nun konnte Lukas sich nicht mehr halten : " H. " HofFiskalis !
Peter hat seines Vaters Sinn nicht ; " mich hätte man jura lassen sollen .
Gott ! ich hatte " Gaben und mein Pferdgedächtnis und Sitzfleisch .
"-- Es ist nur ein schlechter Gerichtsmann , der " nicht zugleich ein Zivilist -- ein Kameralist -- ein " Kriminalist -- ein Feudalist -- ein Kanolist -- ein " Publist ist , so weit er kann .
Längst hätte ich " dieses mein Amt niedergelegt -- denn was ziehe ich " weiter davon , als jährlich 3 Scheffel Besoldung " und die Faskanne und viel Versäumnis und Ver- " drüßlichkeit -- wäre im ganzen Dorf ein Mensch " zu haben , des wieder nähme und charmant ver "sähe .
Wo sind denn die vielen Schulzen hier zu " Lande , die vier Schulzenordnungen im Hause ha " ben wie ich , nämlich die alte gothaische , die chur " sächsische , die württembergische und die Haarhaa " resche ? --
Und setz ich nicht jede Bücherlotterie " und verstehe die gescheitesten Sachen , unter an " deren : " Julii Bernhards von Rohr vollständi " " Ges Haushaltungsrecht , in welchem die nütz " " lichsten Rechtslehren , welche sowohl bei den " " Landgütern überhaupt , derselben Kaufung , " " Verkaufung und Verpachtung als insonderheit " " bei dem Ackerbau , etc. etc. und an " " deren ökonomischen Materien vorkommen , der " " gesunden Vernunft , denen römisch- und taut " "schen Gesetzen nach ordentlich abgehandelt wer " " den , allen denjenigen , so Landgüter besitzen , " " oder dieselben zu administrieren haben , höchst " " nützlich und unentbehrlich .
Die andere Auf " " Lage .
Leipzig , 1738 verlegt J. Ch. Martini , " " Buchhändler in der Grimmmischen Straße . " "
" Es macht aber zwei Bände , sehen Sie ! "
Ich habe sie selber , sagte Knol .
-- " Nun wohl !
( Schloß der Vater daraus weiter fort ) .
Muß ein Gerichtsmann nicht wie ein Hufschmied , die Taschen schon im Schurzfell bei der Hand haben , nicht erst in den Hosen ?
O du lieber Gott , H. Fiskalis , wo zu pfänden ist -- zu taxieren -- zu einquartieren -- mündlich und schriftlich Unzähliges anzuzeigen -- wo Kränze und Brunnen zu machen , Zigeuner aus dem Lande zu jagen , auf Straßen und Feuerschau zu schauen -- wo in Dörfern Pesten , Exzesse , Spitzbübereien sind : -- da ist ja ein Gerichtsmann der erste dabei , und zeigt die Sachen an , so wohl bei löblicher Landeshauptmannschaft , als , wenn der Fall , bei der Ritterschaft .
Was Wetter ! da kann er nicht wie eine Kanzeluhr , die Woche nur einmal gehen , Tag für Tag läuft er zum größten Schaden seiner Wirtschaft in alle Löcher -- in alle Felder und Wälder -- in alle Häuser und nachher in die Stadt und rapportiert mündlich , worauf er_es schriftlich aus der Tasche zieht .
Es sollen mir Pferdner und Anspänne oder Hintersättler hertreten und sagen : Lukas , lasse die Flausen !
Du bist auch da und da fahrlässig gewesen !
O solche große Verleumder ! sehen Sie dann nicht , daß ich mich darüber Klaftertief in Schulden stecke , und wäre künftig der Notarius und Tabellio nicht "
. . . . " Höre ' einmal auf , Gerichtsmann , sagte Veronika , und wandte sich an den Fiskal , dessen Schuldner ihr Mann war -- H. Fiskal , er sagt das nur so , um etwas zu sagen .
Begehren Sie nichts ?
-- Und ich habe nachher eine große Frage zu tun . "
Lukas schwieg sehr willig und schon gewohnt , daß in seiner Ehesonatine die linke Hand , die Frau , weit über die rechte herauf griff in die höchsten Töne zum harmonischen Vorteil .
" Er schnapse gern vor dem Essen " ( versetzte Knol zu Walts Erstaunen über ein solches PostillonsZeitwort von einem Stadt- und Hofmann . )
Die Mutter ging , und brachte in der einen Hand das Extrapostblut und Elementarfeuer , aber in der anderen ein dickes Manuskript .
Walten nahm es ihr blutrot weg .
Goldinens Augen schimmerten entzückt .
" Du musst aus dem Liederbuch lesen , sagte die Mutter , der gelehrte Herr sollen sagen , ob es taugt .
H. Kandidat Schonacker will es sehr loben . "
Und ich lob es wirklich , sagte Goldine .
Da tritt der Kandidat selber herein , warf sich bloß vor dem Fiskale krumm , und salutierte mit blizendenAugen .
Er sah aus allen , daß Freuden- Post des Testaments noch nicht in der Stube erschollen war .
" Sehr spät , sagte Lukas , der exzellente Aktus ist ganz vorbei . "
Ausführlich beteuerte der Kandidat , er sei erst gegen Vesperzeit ais der Stadt gekommen ; ich stehe ' auch -- sagte er , und sah gern den Schulzen an , vergnügt , daß er nicht einen so vornehmen und bedenklichen Herrn , wie Knol , beschauen musste -- schon seit einer geraumen Vierteil Stunde unten im Hofe , habe mich aber vor fünf Gänsen , welche vor der Türe Flügel und Schnabel gegen mich aufgemacht , nicht hereingetraut . "
-- " Nein , sechs waren_es , " sagte die satirische Jüdin .
" Oder auch sechs , versetzte er ; genug , eine ist genug , we ich gelesen , um einen Menschen durch einen wütigen Bis ganz toll und wasserscheu zu machen . ' " Ah ça ! wandte er sich zu Walten ( mehr französisch konnte er nicht ) , Ihre Polymeter ! "
-- " Was sind_es ? " fragte Knol trinkend .
" Herr Gray , ( sagte Schomaker , und lies die Pfalz weg ) in der Tat eine neue Erfindung des jungen Kandidaten , meines Schülers , er macht Gedichte nach einem freien Metrum , so nur einen einzigen , aber reimfreien Vers haben , den er nach Belieben verlängert , seiten-bogenlang ; was er den St _ekvers nennt , ich einen Polymeter . "
Vult fluchte aus Ungeduld zwischen den Äpfeln .
Walten stellte sich endlich mit dem Nanoskripte und mit dem Profil seiner Bogenstim und seiner geraden Nase vor das Licht -- blätterte über alle Beschreibung lange und blöde nach dem Fron tispiz seines Musentempels -- der Kandidat tat mit der einen Hand in der Weste , mit der anderen in der Hose drei Streckschritte nach Vults Fenster , um hinaus zu -- spuken .
Stotternd , aber mit schreiender ungebildeter Stimme fing der Dichter an :
Nro. 9. Schwefelblumen . Streckverse .
" Ich weiß nicht , ich finde jetzt kein rechtes Gedicht , ich muß auf Geratewohl ausheben :
Der Widerschein des Vesuvs im Meer .
" Seht , wie fliegen drunten die Flammen unter die Sterne , rote Ströme wälzen sich schwer um den Berg der Tiefe , und fressen die schönen Gärten .
Aber unversehrt gleiten wir über die kühlen Flammen , und unsere Bilder lächeln aus brennender Woge . "
Das sagte der Schiffer erfreut , und blickte besorgt nach dem donnernden Berg ' auf .
Aber ich sagte : siehe , so trägt die Muse leicht im ewigen Spiegel den schweren Jammer der Welt , und die Unglücklichen blicken hinein , aber auch sie erfreuet der Schmerz .
Was weint denn der wunderliche Mensch , da er ja alles selber sich ausgesonnen ? rief Lukas .
" Weil er selig ist , " sagte Goldine , ohne es zu treffen ; es war bloß das Weinen der Bewegung , die weder eine entzückte , noch betrübte , sondern nur eine Bewegung zu sein braucht .
Er las jetzt :
Der Kindersarg in den Armen .
Wie schön , nicht nur das Kind wird leicht in den Armen gewiegt , auch die Wiege .
Die Kinder .
Ihr Kleinen steht nahe bei Gott , die kleinste Erde ist ja der Sonne am nächsten .
Der Tod unter dem Erdbeben .
* )
Der Jüngling stand neben der schlummernden Geliebten im Myrtenhaine , um sie schlief der Himmel und die Erde war leise -- die Vögel schwiegen -- der Zephir schlummerte in den Rosen ihres Haars und rückte kein Löcken .
Aber das Meer stieg lebendig auf , und die Wellen zogen * ) Bekanntlich ist vor dem Erdbeben meist die Luft still , nur das Meer woget . in Herden heran .
Aphrodite , betete der Jüngling , du bist nahe , dein Meer bewegt sich gewaltig , und die Erde ist furchtsam , erhöre mich herrliche Göttin , verbinde den Liebenden ewig mit seiner Geliebten .
Da umflocht ihm mit unsichtbarem Netze den Fuß der heilige Boden , die Myrten bogen sich zu ihm , und die Erde donnerte , und ihre Tore sprangen ihm auf . --
Und drunten im Elysium erwachte die Geliebte , und der selige Jüngling stand bei ihr , denn die Göttin hatte sein Gebet gehört .
Vult fluchte gewaltig im Laube vor lauter Jubel , seine sonst leicht zufallende Seele stand weit den Musen offen : " liebes Gottweltlein !
Du allein sollst mich kennen lernen ; ja bei Gott , das geht an , das muß er mit ausführen --
Himmel ! wie wird der blöde göttliche Narr erstaunen , wenn ich_es ihm vorlege , " sagte er , und hatte einen neugeborenen Plan im Sinne .
Ich sollte meinen , ( sagte Schomaker ) , daß er die Auktoren der Anthologie nicht ohne Nutz unter mir studieret .
Da Knol nicht antwortete , sagte der Vater : lies weiter .
Mit schwächerer Stimme las Walten .
Bei einem brennenden Theatervorhang .
Neue erfreuliche Spiele zeigtest du sonst , stiegst du langsam hinauf .
Jzt verschlingt dich schnell die hungrige Flamme , und verworren , unselig und dampfend erscheint die Bühne der Freude .
Leise steige und falle der Vorhang der Liebe , aber nie sink er als feurige Asche auf immer danieder .
Die nächste Sonne .
Hinter den Sonnen ruhen Sonnen im letzten Blau , ihr fremder Strahl fliegt seit Jahrtausenden auf dem Wege zur kleinen Erde , aber er kommt nicht an .
O du sanfter , naher Gott , kaum tut ja der Menschengeist sein kleines , junges Auge auf , so strahlst du schon hinein , o Sonne der Sonnen und Geister !
Der Tod eines Bettlers .
Einst schlief ein alter Bettler neben einem armen Mann und stöhnte sehr im Schlaf .
Da rief der Arme laut , um den Greis aus einem bösen Traum aufzuwecken , damit den matten Busen nicht die Nacht noch drücke .
Der Bettler wurde nicht wach , aber ein Schimmer flog über das Stroh ; da sah der Arme ihn an , und er war jetzt gestorben ; denn Gott hatte ihn aus einem längeren Traum aufgeweckt .
Die alten Menschen .
Wohl sind sie lange Schatten , und ihre Abendsonne liegt kalt auf der Erde ; aber sie zeigen alle nach Morgen .
Der Schlüssel zum Sarge .
" O schönstes , liebstes Kind , fest hinunter gesperrt ins tiefe dunkle Haus , ewig halte ich den Schlüssel deiner Hütte , und niemals , niemals tut er sie auf ! " --
Da zog vor der jammernden Mutter die Tochter blühend und glänzend die Sterne hinan , und rief herunter : Mutter , wirf den Schlüssel weg , ich bin droben und nicht drunten .
Nro. 10. Stinkholz .
Das Kapaungefecht der Prosaisten .
" O Himmel , wäre_es nur Morgen , Brüderlein !
Es ist verdammt , man sollte nie passen müssen , " sagte Vult .
-- " Ich habe genug , " sagte Knol , der bisher die eine Tabakswolke gerade so groß und so langsam geschaffen hatte , wie die andere .
-- " Ich meines Parts , sagte Lukas , kann mir nichts rechts daraus nehmen , und den Versen fehlt auch der rechte Schwanz , aber gib her . "
-- " Fromme und traurige Sachen stehen wohl darin , sagte die Mutter .
Gottwalt hatte Kopf und Ohren noch in der goldenen Morgenwolke der Dichtkunst , und außen vor der Wolke stehe , kam es ihm vor , der ferne Plato als Sonnenball und durchglühe sie .
Der Kandidat Schomaker sah scharf auf den Pfalzgrafen und passte auf Entscheidungen .
Aus religiöser Freiheit glaubte er , überall zu sündigen , wo er eilen sollte und wagen .
Daher hatte er nicht den chirurgischen Mut , seine Schulkinder ordentlich zu prügeln -- er ängstigte sich vor möglichen Frakturen , Wundfiebern und dergleichen -- sondern er suchte sie von weitem zu züchtigen , indem er in einer Nebenkammer dem Züchtling entsetzliche Zerrgesichter vorschnitt .
" Meine Meinung , -- fing Knol mit Bö sein Niederzug seiner schwarzwaldigen Augenbraunen an -- ist ganz kurz diese : Dergleichen ist wahrlich rechter Zeitverderb .
Ich verachte einen Vers nicht , wenn er lateinisch ist , oder doch gereimt .
Ich machte selber sonst als junger Gelbschnabel dergleichen Possen und -- schmeichle ich mir nicht -- , etwas andere als diese .
Ja als comes palatinus kreier ich ja eigenhändig Poeten , und kann sie also am wenigsten ganz verwerfen .
Kapitalisten oder Rittergutsbesizer , die nichts zu tun und genug zu leben haben , können in der Tat Gedichte machen und lesen , so viele sie wollen ; aber nur kein gesetzter Mensch , der sein gutes solides Fach hat und einen vernünftigen Juristen vorstellen will -- der soll es verachten , besonders Verse ohne allen Reim und Metrum , dergleichen ich 1000 in einer Stunde hecke , wenn es sein muss " -- Vult genoss still den Gedanken , daß er in Haslau schon Zeit und Ort finden werde , dem Pfalzgrafen durch Öl ins Feuer und durch Wasser ins brennende Öl zur Belohnung irgend ein Bad zu bereiten und zu gesegnen . --
Und doch konnte er_es vor Zorn kaum aushalten , wenn er bedachte , daß der Kandidat und der Pfalzgraf so lange da standen , ohne des erfreuenden Testaments zu gedenken .
Hätte er sehen und schreiben können , er hätte einen Stein mit einem Rapport- Wickel als sanfte Taubenpost durchs Fenster fliegen lassen .
" Hörst du ? sagte Lukas .
Sie sind auch eben nicht schön geschrieben , wie ich sehe " und machte blätternd einen Versuch , das Manuskript ins Licht hinein zu halten .
Aber der bisher halbgesenkt in die Flamme blickende Dichter entriss es ihm plötzlich mit greifender Faust .
-- " In den Nebenstunden aber denn doch so etwa ? " fragte Schomaker , für welchen der einzige Titel HofFiskal einen Raprechtszwilling und Doppelhaken in sich faste ; denn schon , wo einem Worte Hof oder Leib zum Vorsprung anhing -- und war_es an einem Hofpauker oder Leibvorreiter -- : da sah er in eine gehelmte Vorrede ( praefatio galeata ) und hatte seine Schauer ; wie vielmehr bei dem Worte Fiskal , das jeden auf Pfähle oder in Türen zu stecken drohte .
" In meinen Nebenstunden , versetzte Knol , las ich alle mögliche auftriebliche Aktenstücke und wurde vielleicht das , was ich bin .
Überspannte Floskeln hingegen greifen zuletzt in dem Geschäftsstil Platz und vergiften ihn ganz ; ein Gericht weiset dergleichen dann zurück als inept .
-- Natürlich denn und verzeihlich daher , ( fing Schomaker als Selbstkrumschließer an ) daß ich aus Unkunde der Rechtskunde , diese mit der Poesie vereinbaren wollen ; aber ganz wahrscheinlich deshalb , daß H. Harnisch , seinem alleinigen Fache heißer sich weihend , nun ganz vom poetischen absteht : nicht gewiß , gewiß H. Notar ? "
Da fuhr und schnaubte der bisher sanfte Mensch -- den Abfall des sonst lobenden Lehrers für eine Hofmännerei ansehend , die gleich einem Balbiermesser sich vor- und rückwärts beugt , obgleich Schomaker bloß nicht fähig war , so auf der Stelle , in der Schnelle , einem Throndiener gegenüber , und bei der Liebe für den Schüler im Herzen sogleich das Jus auszufinden , sondern immer zu leicht fürchtete , unter der Hand gegen seinen Fürsten zu rebellieren , indes er sonst bei dem Flegeljahre I. Bd. 8 Bewußtsein des Rechts jeder Not und Gewalt entgegengezogen wäre -- da schnaubte der sanfte Walten wie ein getroffener Löwe empor , sprang vor den Kandidaten , und ergriff dessen Achseln mit beiden Händen und schrie aus lang gemarterter Brust so heftig auf , daß der Kandidat wie vor nahem Totschlag aufhüpfte :
" Kandidat ! bei Gott , ich werde ein guter Jurist von fleißiger Praxis , meiner armen Eltern wegen .
Aber Kandidat , ein Donnerkeil spalte mein Herz , der Ewige werfe mich dem glühendsten Teufel zu , wenn ich je den Streckvers lasse und die himmlische Dichtkunst . "
Hier sah er wild ausfordernd umher und sagte wichtig :
ich dichte fort -- alle schwiegen erstaunt -- in Schomaker hielt noch halbes Leben -- Knol allein zeigte ein grimmiges eisernes Lächeln -- auch Vult wurde auf seinem Aste wild , schrie : recht , recht und griff blindlings nach unreifen Pelzäpfeln , um eine Handvoll gegen die prosaische Session zu schleudern .
-- Darauf ging der Notar als Sieger hinaus , und Goldine ging ihm mit dem Murmeln nach : es geschieht Euch recht , Ihr Profaner ! --
Wider Vults Erwarten stellte der Notarius sich unter seinen Apfelbaum , und hob nach der Sternenseite des Lebens , nach dem Himmel , das beseelte Antlitz , auf welchem alle seine Gedichte und Träume zu zählen waren .
Beinahe wäre der Flötenspieler auf die verletzte Brust als ein weicher Pfühl herabgefallen ; er hätte gern den nassen guten Sangvogel , dem es wie der Lerche gegangen , die auf das tote Meer , als wäre es blühendes Land , herunterstürzt und darin ersäuft , hoch unter die trocknende Sonne gehalten ; aber Goldinens Ankunft verbot die schöne Erkennung , sie nahm Walts Hand , aber er schaute noch immer mit tauben Augen nach der Höhe , wo nur helle Sterne , keine trübe Erde standen : " H. Gottwalt , sagte sie , denken Sie nicht mehr über die prosaischen Pinsel .
Sie haben sie abgetrumpft .
Dem Juristen streue ich heute noch Pfeffer in den Tabak und dem Kandidaten Tabak in den Pfeffer . "
" Nein liebe Goldine , fing er mit schmerzlich sanfter Stimme an , nein , ich war es heute nicht wert , daß mich der große , Plato küsse .
War es denn möglich ? --
Gott ! es sollte ein froher letzter Abend werden .
-- Teuere Eltern geben schwer erdarbtes Geld zum Notariate her -- der arme Kandidat gibt mir von Kindesbeinen an Lehrstunden fast in allem -- Gott segnet mich mit dem Himmel an Platos Herzen -- -- und ich Satan fahre so höllisch auf !
O Gott , o Gott ! --
Aber mein alter Glaube , Goldine , wie trifft er immer ein : nach jeder rechter inniger Seligkeit des Herzens folgt ein schweres Unglück . "
" Das dachte ich gleich , sagte Goldine zornig , man schlage Sie ans Kreuz , so werden Sie eine festgenagelte Hand vom Querbalken losarbeiten , um damit einem Kriegsknecht seine zu drücken . --
Haben denn Sie oder die Strohköpfe droben den heutigen Weinmonat , ich möchte sagen zum Weinessigmonat , versauert ? "
" Ich kenne , versetzte er , keine andere Ungerechtigkeiten gewiß und genau , als die ich an anderen verübe ; -- die so andere an mir begehen , können mir wegen der Ungewißheit der Gesinnungen nie ganz klar und entschieden sein .
Ach es gibt ja mehr Irrtümer des Hasses als der Liebe .
Wenn nun einmal eine Natur , welche die Antithese und Dissonanz der meinigen ist , existieren sollte , wie von allem die Antithesen :
so könnte sie mir ja leicht begegnen ; und da ich eben so wohl ihre Dissonanz bin , als sie meine , so habe ich nicht mehr über sie zu klagen , als sie über mich . "
Goldine konnte , wie Vult , nichts gegen diese Denkweise einwenden , aber beiden war sie äußerst drüslich .
Da rief sanft die Mutter den Sohn und heftig der Vater : " renne , Peter , renne , wir stehen im Testament , und werden vorbeschieden auf den 13ten hujus . "
Nr. .
II. Fisetholz .
Lust Chaos .
Der Pfalzgraf hatte das Erstarren über Walts Sturmlaufen mit der Bemerkung flüssiger gemacht , daß der " Sansfaçon " es nicht verdiene , in einem wichtigen Testament zu stehen , zu dessen Eröffnung er ihn vorzuladen habe , und dessen Bedingungen sich eben nicht sehr mit der Reimerei vertrügen .
Da war das Anschlagerad und der Dämpfer gerichtlich von des Schulmeisters ton- und wortvoller Seele abgehoben , und er konnte nun alle Glocken läuten -- er wusste und gab die angenehmsten Artikel des Testaments , welche der Fiskal durch die unangenehmen ganz bestätigte .
Der Kandidat handelte solange ungewöhnlich sauft nach einer Beleidigung , bis man ihn ersuchte , sie zu vergeben .
Lukas rief schon im halben Hören Walten wie toll hinein , um nur etwas zu reden .
Von zarter Schamröte durchdrungen erschien dieser -- niemand gab auf ihn Acht -- man steckte im Testamente , ausgenommen Knol .
Dieser hatte gegen den Jüngling seit dessen Vorlesen einen ordentlichen Haß gefaßt -- so wie die Musik zwar Nachtigallen zum Schlagen reizt , aber Hunde zum Heulen -- weil ihm der eine Umstand , daß ein so schlechter poetischer Jurist mehr als er erben sollte , ( was seinen Fiskalischen Kern anfraß ) mehr wehe tat , als der andere süß , daß sein Eigennutz selber keinen Erben hätte auslesen können , der geschickter wäre , die Erbschaft zu verscherzen .
Walten hörte gerührt der Wiederholung und Forterzählung der Erbämter und der Erbstücke zu .
Als um Lukas Ohren jetzt die Worte 11000 Georgd'ors in der Südseehandlung und zwei Fronbauern samt Feldern in Elterlein flatterten , stand sein Gesicht , das der plötzliche warme Süd- Zephir des Glückes umspülte , wie zergangen und verblüht da , und er fragte : den 15ten ? 11000 ? --
Darauf warf er seine Mütze , die er in der Hand hatte , weit über die Stube weg -- sagte : den hujus dieses ? --
Darauf schleuderte er ein Bierglas gegen die Stubentüre über Schomakern weg : Gerichtsmann , rief die Frau , was ist Euch ? --
" Ich habe so mein Gaudium , sagte er .
Nun aber komme mir der erste beste Hund aus der Stadt , ich will ihn lausen , breit trete ich das Vieh .
Und wir werden alle geadelt , wie wir hier sitzen , und ich bleibe der adelige Gerichtsherr -- oder ich werde der Gerichthalter und studiere .
Und auf meine Kabelschen Grundstücke säe ich nichts als Reps . "
" Mein Freund , sagte drüslich der Fiskal , Sein poetischer Sohn hat noch vorher einige Nüsse aufzubeissen , dann ist der der Erbe . "
-- Mit Freudentränen trat der Notar zum enterbten Fiskal , und zog dessen zähe Hände mit der Versicherung an sich : " glauben Sie mir , Freuden- Bote und Evangelist , ich werde alles tun , um die Erbschaft zu erringen , alles was Sie gefordert haben " --
( Was wollt Ihr mit mir , sagte Knol die Hände wegziehend ) denn ich tue es ja für Menschen , ( fuhr Walten fort , alle andere ansehend ) die noch mehr für mich getan , vielleicht für den Bruder , wenn er noch lebt .
Sind denn die Bedingungen nicht so leicht , und die letzte so schön , die vom Pfarrer werden ? --
Der gute Van der Kabel !
Warum ist er denn so gut gegen uns ?
Ich entsinne mich seiner lebhaft , aber ich dachte , er liebte mich nicht .
Doch musst ich ihm meine Streckverse vorlesen .
Kann man denn zu gut von den Menschen denken ?
Vult lachte , und sagte : kaum !
Ganz blöde und schamhaft trat Walten zu Schomaker mit den Worten : vielleicht verdanke ich der Dichtkunst die Erbschaft , -- und gewiß die Dichtkunst dem Lehrer , der mir die vorige Minute vergebe ! "
-- " So sei vergessen , versetzte dieser , daß man mich vorhin nicht einmal mehr Herr genannt , was doch so allgemein .
Wonne herrsche jetzt ! --
Aber Ihr H. Bruder , dessen Sie gedachten , lebt noch und im Flore .
Ein lebhafter H. Van der Harnisch vergewisserte mich dessen , zog mich aber in eine unerlaubte Ausschwatzung Ihres Hauses hinein , für die mir Ihre Verzeihung so wenig entstehe , als Ihnen die meine ! "
Der Notar rief es durch das Zimmer , der Bruder lebe noch .
-- " Im erzgebirgischen Elterlein traf ihn der Herr in der Stadt , " sagte Schomacker .
-- " O Gott , er kommt gewiß heute oder morgen , beste Eltern , rief Walten entzückt . "
-- "' Soll mir lieb sein , sagte der Schulz , ich werde ihm unter der Haustür mit der Habensense die Beine abmähen , und ihn mit einem Holzapfel Erstecken , einen solchen Vagabunden ! "
-- Gottwalt aber trat zu Goldenen , die er weinen sah , und sagte : o ich weiß es worüber , Gute -- und setzte leise hinzu : über das Glück Ihres Freundes . "
-- Ja bei Gott ! antwortete sie , und sah ihn entzückter an .
Die Mutter warf nur die Bemerkung , wie oft ihr Gemüt durch ähnliche Sagen von ihres guten Kindes Wiederkunft betrogen worden , flüchtig unter die Männer , um sich bloß mit dem drüslichen Fiskale abzugeben , welchem sie freundlich alle bösen Klauseln des Testaments deutlich abfragte .
Den Pfalzgrafen aber verdross das von seiner Erbportion bestrittene Freudenfest am Ende dermaßen , daß er hastig aufstand , die Zitationsgebühren im Namen des Ratsdieners forderte , und den männlichen Jubelköpfen die Hoffnung aufsagte , ihn am Abendtische unter sich zu haben , weil er lieber , gab er vor , bei dem Wirte drüben speise , der schon seinem Vater ein Darlehn schuldig sei , wovon er seit so vielen Jahren , so oft er Gericht halte , etwas abesse und abtrinke , um zu dem Seinigen zu kommen .
Als er fort war , stieg Veronika auf ihre weibliche Kanzel , und hielt ihre Brandpredigten und Inspektionsreden an die Männer : sie Mistens haben , wenn der Fiskal ihnen das Kapital aufkündigte ; ihr Frohtun habe ihn als einen ausgeschlossenen Erben ja verschnupfen müssen .
-- " Zieht denn aber Er oder ich die Interessen für jetzt , he ? --
Er ! " sagte Lukas .
-- Schomacker fügte noch den Bericht bei , daß schon der Frühprediger Flachs das Kabelsche ganze Haus in der Hundsgasse durch weniges Weinen erstanden .
Der Schulz fuhr klagend auf und versicherte , das Haus sei seinem Sohne so gut wie gestohlen ; denn weinen könne jeder ; dieser aber sagte , es tröste ihn ordentlich über sein Glück , daß ein anderer armer Erbe auch etwas habe .
Veronika versetzte : " du hast noch nichts .
Ich bin nur eine Frau , aber im ganzen Testamente merke ich eine Partitenmacherei .
Seit vorgestern wurde schon im Dorfe von Erbschaften gemunkelt von fremden Stadtherren , ich sagte aber gern meinem Gerichtsmanne nichts .
Du , Walten , hast gar kein Geschick zu Welthändeln ; und so können leicht 10 Jahre verstreichen , und du hast nichts , und bist doch auch nichts ; wie dann , Gerichtsmann ! "
-- So schlage ich ihn , sagte dieser , tot , wenn er nicht so viel Verstand zeigt , wie ein Vieh ; und von Dir , Vronel , war_es auch keiner , mich nicht zu avertieren .
-- " Ich verpfände mich , sagte Schomacker , für H. Notars Finesse .
Poeten sind durchtriebene Füchse , und haben Wind von allem .
Ein Grotius , der Humanist , war ein Gesandter -- ein Dante , der Dichter , ein Staatsmann , ein Voltaire , der beides , auch beides . "
Vult lachte , nicht über den Schulmann , aber über den gutherzigen Walten , als dieser sanft beifügte : " ich habe vielleicht aus Büchern mehr Weltklugheit geschöpft , als Ihr denkt , liebe Mutter .
-- Aber nun nach 2 Jahren , allgütiger Gott ! --
Wenigstens malen wollen wir uns heute die glänzende Zeit , wo alle hier frei und freudig leben , und ich nichts von allem brauche und wünsche , weil ich zu glücklich auf zwei alten heiligen Höhen wohne , auf der Kanzel und dem Musenberg "
-- " Du sollst dann auch , sagte Lukas , Streckversen den ganzen Tag , weil du doch ein Narr darauf bist , wie dein Vater aufs Jus . "
-- " Jetzt aber werde ich sehr aufmerksam , sagte Walten , das Notarienwesen treiben , besonders da ich es als mein erstes vorgeschriebenes Erbamt versehe ; das Advozieren kann nun wohl wegbleiben . " --
Seht Ihr , rief die Mutter , er will nur wieder recht über seine langen Verse her , denn er hat_es ja vorhin so gotteslästerlich beschworen --
ich habe es nicht vergessen , Walten ! "
" So wollte ich doch , daß Donner und Teufel -- rief Lukas , der rein- froh sein wollte -- muß man denn aus jedem Turmknopf einen Nadelknopf machen wie du ? "
Er wollte gerade das Umgekehrte vorbringen .
Er zog den Ehemanns Vexierzug : schweige !
Sie tat es immer sogleich , wiewohl mit dem Entschluß , etwas später erst recht anzufangen .
Man schritt zur Abendtafel wie man da stand , Walten im Schanzlooper , obgleich in der Heu-Erndte , weil er sein Nanking-Rökgen schonte .
Goldinens Freudenwein war mit vielen Tränen über die Trennung des Morgens gewässert .
Der Notar war unendlich entzückt über die Entzückung des Vaters , welcher allmählich , da er sie ein wenig tauet hatte , nun milder wurde und anfing , mit Tranchiermesser und Gabel der noch fliegenden gebratenen Taube der Erbschaft entgegen zu gehen , und dem Sohne zum erstenmal in seinem Leben zu sagen :
du bist mein Glück .
So lange verharrte Vult auf dem Baume .
Als aber die Mutter nun erst die ausführlichen Berichte Schomackers über den Flötenspieler um ihr warmes Herz versammeln wollte , stieg er , um nichts zu hören , weil ihm der Tadel bitterer war als das Lob süß , vom Baume herunter , schon beglückt genug durch den Bruder , dessen Unschuld und Dichtkunst ihn so liebend- eng umstrickten , daß er gern die Nacht im Abendrot ersäuft hätte , um nur den Tag zu haben , und den Poeten an der Brust. Nro. 12. Unechte Wendeltreppe .
Reiterstück .
Früh am betauten blauen Morgen stand der Notar schon unter der Haustür reit- und reisefertig .
Er hatte statt des Schanzloopers den guten gelbenSommer- und Frühlings- Rocke von Nanking am Leibe , weil er als Universalerbe mehr aufwenden konnte , einen runden weißen braungeflammten Hut auf dem Kopf , die Reit- Gerte in der Hand , und Kindestränen in den Augen .
Der Schulz rief halte , sprang zurück , und sogleich wieder her mit Kaiser Maximilians Notariatsordnung , die er ihm in die Tasche steckte .
Drüben vor dem Wirtshause stand der knappe flinke Student Vult im grünen Reisehut , und der Wirt , welcher der Familien-Antichrist und ein Linker war .
Das Dorf wusste alles und paßte .
Es war des Universalerben erster Ritt in seinem Leben .
Veronika -- die ihm den ganzen Morgen Lebensregeln für Eröffnung und Erfüllung des Testaments vorgezeichnet hatte -- zerrte den Schimmel am langen Zügel aus dem Stall .
Walten sollte hinauf .
Über den Rit und Gaul wurde von der Welt schon viel gesprochen -- mehr als ein Elterleiner versuchte davon ein leidliches Reiterstück zu geben , lieferte aber freilich mehr die rohen Farbhölzer auf die Leinwand als deren feinsten Absud -- auch ist das mein erstes Tierstück , von Belang , das ich in die Gänge dieses Werks aufhänge und festmache -- -- :
ich werde demnach einige Mühe daran wenden , und die größte Wahrheit und Pracht .
In der Apokalypse stand so lang ein alter verschimmelter Schimmel , bis ihn der Fleischer bestieg , und aus ihr in der Zeit herüberritt .
Der poetische Lenz liegt weit hinter dem Gaul , wo er eigenes Fleisch statt des fremden trug , und mit eigenen Haaren den Sattel auspolsterte ; er hat das Leben und den Menschen -- dieses reitende Folterpferd der wunden Natur -- zu lange getragen .
Der aus zitternden Fühlfaden gesponnene Notar , der den Tag vorher im Stalle , um dessen Keilschrift der Zeit , um die Stigmen von Sporen , Sattel und Stangengebiß herum ging , hätte für Geld keinen Finger in die Narben legen können , geschweige am Tage darauf die Knuten- Schneide oder den Sporendolch .
Hätte doch der Himmel dem Konföderations-Tiere des Menschen nur irgend einen Schmerzenslaut beschert , damit der Mensch , dem das Herz nur in den Ohren sitzt , sich seiner erbarmte .
Jeder Tierwärter ist der Plagegeist seines Tiers ; indes er gegen ein anderes , z. B. der Jäger gegen das Pferd , der Fuhrmann gegen den Jagdhund , der Offizier gegen Leute außer dem Soldatenstande , ein wahres weichwolliges Lamm ist .
Dieser Schimmel betrat am Morgen die Bühne .
Der Notar hatte den Tag vorher den Gaul an eine seiner Gehirnwände festgebunden und -- wie die rechte Seite des Konvents und des Rheins -- sich immer die linke vorgestellt , um daran aufzusteigen ; -- in alle Stellungen hatte er in seinen 4 Gehirnkammern das Schulroß gedreht , geschwind es links bestiegen , und so sich selber völlig zugeritten für den Gaul .
Dieser wurde gebracht und gewandt .
Gottwalts Auge blieb fest an den linken Steigbügel gepicht -- aber sein Ich wurde ihm unter den Händen zu groß für sein Ich -- seine Tränen zu dunkel für sein Auge -- er besteige , merkte er , mehr einen Thron als einen Sattel -- die linke Roß- Seite hielt er noch fest ; nur kam jetzt die neue Aufgabe , wie er die eigene linke so damit verknüpfen könnte , daß beide die Gesichter vorwärts kehrten .
-- Wozu die teuflische Qual !
Er probierte , wie ein preußischer Kavallerist , rechts aufzuspringen .
Pfiffen Leute , wie Vult und der Wirt , seine Probe aus , so zeigten sie weiter Flegeljahre I. Bd. 5 nichts , als daß sie nie gesehen hatten , wie emsig preußische Kavalleristen auf dem rechten Bügel aufsitzen lernen , um gesattelt zu sein , falls einmal der linke entzweigeschossen wird .
Auf dem Sattel hatte nun Walten als Selbst- Quartiermeister das Seinige zu tun , alles zu setzen -- sich gerade und sattelfest -- , auszubreiten -- die Finger in die Zügel , die Rockschosse über den Pferderiken -- , einzuschichten -- die Stiefel in die Steigeisen -- ; und anzufangen -- den Abschied und Ausritt .
An letzteren wollte der gesetzte Schimmel nicht gerne gehen .
Walts delikates Rückwärtsschnalzen mit der Gerte war dem Gaule so viel , als wixe man ihn mit einem Pferdhaar .
Ein Paar mütterliche Handschläge auf den Nacken nahm er für Streicheln .
Endlich kehrte der Gerichtsmann eine Heugabel um , und gab ihm mit dem Stiel auf den Hinterbacken einen schwachen Ritterschlag , um damit seinen Sohn , als Reiter aus dem Dorfe in die Welt zu schicken , sowohl in die gelehrte als schöne .
Das war dem Tier ein Wink , bis an den Bach vorzuschreiten ; hier stand es vor dem Bilde des Reiters fest , kredenzte den Spiegel , und als der Notar droben mit unsäglicher Systole und Diastole der Füße und Bügel arbeitete , weil das halbe Dorf lachte , und der Wirt ohnehin , glaubte der Harttraber seinen Irrtum des Stehens einzusehen , und trug Walten von der Tränke wieder vor die Stalltüre hin , stört aber die Rührungen des Reiters bedeutend .
" Wart nur ! " sagte ins Haus laufend der Vater , kam wieder und langte ihm eine Büchsenkugel zu :
" setz ihm die ins Ohr , sagte er , so will ich kavieren , er zieht aus , weil doch das Blei die Bestie kühlen muß , glaube ich . "
Kaum war das Rennpferd , wie ein Geschütz , mit dem Kopf gegen das Tor gerichtet , und das Ohr mit der Schnellkugel geladen :
so fuhr es durchs Tor und davon ; -- und durch das mit Augen bestellte Dorf und vor des Kandidaten Glückwunsch flog der Notarius vorüber , oben sitzend , mit dem Giesbukel des ersten Versuchs , als ein gebogenes Komma .
" Weg ist er ! " sagte Lukas , und ging zu den Heuschobern hinaus .
Still wischte die Mutter mit der Schürze das Auge und fragte den Großknecht , worauf er noch warte und gaffe .
Nur Ein weinendes Auge hatte Goldine mit dem Tuche bedeckt , um mit dem anderen nachzublicken , und sagte : es gehe Ihm gut , und ging langsam in sein leeres Studierstüben hinauf .
Vult eilte dem reitenden Bruder nach .
Als er aber vor dem Maienbaume des Dorfs vorüber ging , und am Fenster die schönäugige Goldine und im Hausgärten die einsame Mutter erblickte , die mit tropfenden Augen , noch im Sitzen gebückt , große Bohnen steckte und Knoblauch band :
so überströmte seines Bruders warmes mildes Blut plötzlich sein Herz , und er lehnte sich an den Baum und blies einen Kirchenchoral , damit beider Augen sich süßer lösten , und ihr Gemüt aufgienge ; denn er hatte an beiden den checken scharfen Seelen-Umriß innigst wert gewonnen .
Es war Schade , daß der Notarius , der samt dem Schimmel auf Wiesenflächen zwischen grünschimmernden Hügeln , im blauen wehenden Tage flog , es nicht wusste , daß hinter ihm sein Bruder sein fernes Dörfchen und gerührte liebe Herzen mit Echos erfülle .
Oben auf einem Berge legte Walten sich auf den Hals des Flugpferds , um aus dem Ohr die Druckkugel zu graben .
Da er sie erwischt hatte :
so trat das Tier wieder gesetzter einher , als ein Mensch hinter einer Leiche ; und nur der Berg schob es herunter , und in der Ebene ging es , wie ein silberner glatter Fluß , unmerklich weiter .
Jetzt genoss der zur Ruhe gesetzte Notarius ganz seine sitzende Lebensart auf dem Sattel , und den weiten singenden Tag .
Sein hoher Aufenthalt auf der Sattelwarte stellte ihm , diesem ewigen Fußgänger , alle Berge und Auen unter ihn , und er regierte die glänzende Gegend .
An einer neuen Anhöhe stieg ein Wagenzug von sieben Fuhrleuten auf , den er gern zu Pferde eingeholt und überritten hätte , um nicht in seinen Träumen durch ihr Umschauen gestört zu werden ; aber am Hügel-Fuße wollte der gerittene Blondin so gut die Natur genießen -- die für ihn in Gras bestand -- als der reitende , und stand sehr fest .
Walten setzte sich zwar anfangs dagegen und stark , wirkte auf viele Seiten des Viehs vor- und rückwärts ; aber da es auf dem Feststehen bestand , lies er_es fressen und setzte sich selber herum auf dem Sattel , um die ausgedehnte Natur hinter sich mit seligen Blicken auszumessen und gelegentlich diese sieben spöttischen Fuhr-Hemden so weit vorauszulassen , daß ihnen nicht mehr unter die Augen nachzureiten war .
Am Ende kommt doch eines , ein Ende -- , der Bereiter wünschte am Hügelfuße , als er sich wieder vorwärts gesetzt , sich herzlich von der Stelle , und etwa hinauf ; denn die sieben Plejaden mussten nun längst untergegangen sein .
Auch sah er den netten Studenten nachkommen , der das Besteigen gesehen .
Aber setzte irgend jemand besonderen Wert auf Ernte-Ferien , so tat es der Schimmel -- , vor solcher Anhöhe vollends stand er im Drachenschwanz , im aufsteigenden Knoten -- die Zäume , die Fussbälle auf der Erde , alle brachten ihn nicht vorwärts .
Da nun der Notar auch die lebendige Quecksilberkugel jetzt nicht wieder mit diesem fixierten weißen Merkur verquicken wollte -- wegen der unglaublichen Mühe , sie aus dem Ohr zu fischen -- :
so saß er lieber ab , und spannte sich seiner eigenen Vorspan vor , indem er sie durch den Flaschenzug des Zügels wirklich hinauf wand .
Oben blühte frische Not ; hinter sich sah er eine lange katholische Wallfahrt nachschleichen , gerade vor sich unten im langen Dorfe die böse Fuhr-Sieben trinken und tränken , die er einholen musste , er mochte wollen oder nicht .
Es grünte ihm auf der anderen Seite Hoffnung , aber fruchtlos ; er hatte Aussichten , durch des Kleppers Allegro ma non troppo den haltenden Fuhrleuten ziemlich vorzusprengen ; er ritt erheitert in starkem Schritt den Berg hinab , ins Dorf hinein ; -- aber da kehrte das Filial-Pferd ohne sonderliches Disputieren ein , es kannte den Wirt , jeder Krug war seine Tochter- , jeder Gasthof seine Mutterkirche : " gut , gut , sagte der Notar , anfangs war_es ja selber mein Gedanke " -- und befahl unbestimmt einem Unbestimmten , dem Gaule etwas zu geben .
Jzt kam auch der flinke Grünhut nach .
Vults Herz wallte auf vor Liebe , da er sah , wie der erhitzte schöne Bruder von der schneeweißen Bogenstirn den Hut lüftete , und wie im Morgenwehen seine Locken das zarte mit Rosenblute durchgossen kindliche Gesicht anflatterten , und wie seine Augen so liebend und anspruchlos auf alle Menschen sanken , sogar auf das Siebengestirn .
Gleichwohl konnte Vult den Spott über das Pferd nicht lassen : der Gaul , sagte er mit seinen schwarzen Augen auf den Bruder blitzend und die Mähne streichelnd , geht besser , als er aussieht ; wie ein Musenpferd schwang er sich über das Dorf . --
Ach das arme Tier ! sagte Walten mitleidig , und entwaffnete Volten .
Sämtliche Passagiere tranken im Freien -- die Pilgrime gingen singend durchs Dorf -- alle Tiere auf dem Dorfe und in der Luft wieherten und krähten vor Lust -- der kühlende Nord-Ost durchblätterte den Obstgarten , und rauschte allen gesunden Herzen zu : weiter hinaus ins freie weite Leben !
-- " Ein sehr göttlicher Tag , sagte Vult , verzeihen Sie , mein Herr ! "
Walten sah ihn blöde an , und sagte doch heftig :
" o gewiß mein Herr !
Die ganze Natur stimmt ordentlich ein jubelndes Herzerfrischendes Jagd Lied an , und aus den blauen Höhen tönen doch auch sanfte Alphörner herunter . "
Da hingen die Fuhrleute die Gebisse wieder ein .
Er zahlte schnell , nahm den Überschuss nicht an , und saß im Wirrwarr auf , Willens , allen vorzufliegen .
Es ist ein Grundsatz der Pferde , gleich den Planeten , nur in der Sonnen-Nähe eines Wirtshauses schnell zu gehen ; aber langsam daraus weg ins Aphelium ; der Schimmel heftete seine vier Fuss-Wurzeln als Stifte eines Nürnberger Spielpferdes fest ins lackierte Brett der Erde , und behauptete seinen Ankerplatz .
Der bewegte Zaum war nur sein Ankertau -- fremde leidenschaftliche Bewegung setzt ihn in eigene nicht -- umsonst schnalzte der leichte Reiter in grün-atlassener Weste und mit braunen Hutflammen , er konnte eben so gut den Sattel über einen Bergrücken geschnallt haben und diesen spornen .
Einige der sanftesten Fuhrleute bestrichen die Hinterbeine des Quietisten ; er hob sie , aber aber ohne vordere .
Lange genug hatte nun Walten auf sein Mitleiden gegen das Vieh gehört ; jetzt warf er ohne Weiters dem Trauerpferd den Schusser ins Ohr -- die Kugel konnte die Massa , den Que' er fortstoßen ins grüne Billard .
Walten flog .
Er rauschte schnell dicht hinter der Hühner-Kette von Pilgern , die scheu auseinander spritzte , bis leider auf eine an der Spitze gehende Vorsängerin , die Reiten und Warnen nicht vernahm -- umsonst zupften seine sterbenden Finger voll Todesnot im Ohr , und wollten Kugelzieher sein -- seine fliegende Kniescheibe rannte an ihr Schulterblatt und warf sie um -- sie erstand schleunigst , um frühe genug , unterstützt von allen ihren Konfessions-Verwandten , ihm über alle Beschreibung nachzufluchen .
Weit hinter dem Fluchen brachte er nach langer Ballotage die Glüks- und Unglückskugel zwischen dem Daumen und Zeigefinger heraus , teuer schwörend , nie dieses Oberons Horn mehr anzusetzen .
Wenn freilich jetzt die Bestie wie eine Harmonika traktierte , nämlich langsam -- so daß jeder die größten Schulden auf ihr absitzen konnte , sogar ein Staat , wenn_es anders für diesen einen anderen Schuldturm geben könnte , außer dem Babelthurm -- : -- so wäre es wohl gegangen , hätte er sich nicht umgedreht und gesehen , was hinter seiner Statue equestris und curulis zog ; ein Heer sah er , setz ihm hitzig mit und ohne Wagen nach , Pilger voll Flüche , sieben weiße Weisen voll Spaß , und der Student .
Der menschliche Verstand muß sehr irren , oder an dem , was er nachher tat , hatte die Vermutung aus dem vorigen großen Teil , daß der nachschwimmende Hintergrund nicht nur seinen Durchgang durch ein rotes Meer erzwingen , sondern daß sogar das Meer selber mit ihm gehen würde ; weil er auf seinem lebendigen Laufstuhl niemand zu entrinnen vermochte .
Schon das bloße zurückdenken an den Nachtrab musste wie Lärmtrommeln , in die schönsten leisen Klänge fahren , die er jetzt am blauesten Tage aus den Himmels-Sphären seiner Phantasie leicht herunter hören konnte .
Deshalb ritt er geradezu aus der Landstraße über Wiesen in eine Schäferei hinein , wo er halb gleichgültig gegen lächerlichen Schein , halb mit errötender Ruhmliebe -- für Geld , gute Worte und sanfte Augen -- es sich von der Schäferin erbat , daß dem Schimmel so lange -- denn er verstand nichts von Roß-Diätetik -- Heu vorgesetzt würde , bis etwan die Feinde sich eine Stunde voraus- und ihn mathematisch gewiß gemacht hatten , daß sie nicht zu ereilen wären , gesetzt auch , sie fütterten zwei Stunden .
So neu-selig und erlöset setzt er sich hinter das Haus unter eine schwarzgrüne Linde in den frischen Schatten-Winter , und tauchte sein Auge still in den Glanz der grünen Berge , in die Nacht des tiefen Äthers , und in den Schnee der Silberwolken .
Darauf stieg er nach seiner alten Weise über die Gartenmauer der Zukunft , und schaute in sein Paradies hinein : welche volle rote Blumen , und welches weiße Blütengestöber füllte den Garten ! -- Endlich -- nach einer und der anderen Himmelfahrt -- machte er 3 Streckverse , einen über den Tod , einen über einen Kinderball , und einen über eine Sonnenblume und Nachtviole .
Kaum wollte er , da das Pferd Heu genug hatte , von der kühlen Linde fort ; er entschloss sich heute nicht weiter zu reisen , als nach dem sogenannten Wirtshaus zum Wirtshaus , eine kleine Meile von der Stadt .
Indes eben in diesem Wirtshaus hatten alle seine Feinde um 1 Uhr Halt und Mittag gemacht ; und sein Bruder war da geblieben , um ihn zu erwarten , weil er wusste , daß die Landstraße und der Schimmel und Bruder durch den Hof liefen .
Vult musste lange passen , und seine Gedanken über die nächsten Gegenstände haben z. B. über den Wirt , einen Herrnhuter , der auf sein Schild nichts weiter malen lassen , als wieder ein Wirtshausschild mit einem ähnlichen Schild , auf dem wieder das Gleiche stand ; es ist das die jetzige Philosophie des Witzes , die , wenn der ähnliche Witz der Philosophie das Ich- Subjekt zum Objekt und umgekehrt macht , eben so dessen Ideen subjektiv widerscheinen lässt ; z. B.
Ich bin tiefsinnig und schwer , wenn ich sage : Ich rezensiere die Rezension einer Rezension vom Rezensieren des Rezensierens , oder ich reflektiere auf das Reflektieren auf die Reflexion einer Reflexion über eine Bürste .
Lauter schwere Sätze von einem Widerschein ins Unendliche , und eine Tiefe , die wohl nicht jedermanns Gabe ist ; ja vielleicht darf nur einer , der im Stande ist , denselben Infinitiv von welchem Zeitwort man will , im Genitiv mehrmals hintereinander zu schreiben , zu sich sagen :
ich philosophiere .
Endlich um 6 Uhr hörte Vult , der aus seiner Stube sah , den Wirt oben aus dem Dachfenster rufen : he , Patron , scher er sich droben weg ! --
Will Er ins Guguks Namen wegreiten ? --
Das Wirtshaus stand auf einem Birken- Hügel .
Gottwalt war seitwärts aus dem Wege an den Herrnhutischen Gottesacker hinaufgeritten , aus welchem der Schimmel Schoten aus den Staketen zog , während der Herr das dichterische Auge in den zierlichen Garten voll gesäter Gärtner irren lies .
Wiewohl er den Kalkanten der groben Pedalstimme nicht durch die Birken sehen konnte : so zog er doch -- da den Menschen überhaupt nach einer Grobheit feinstes Empfinden schwer verfolgt -- sogleich den rupfenden Rüssel aus dem Spaliere auf , und gelangte bald mit den Schoten im nassen Gebisse vor der Stall- Tür an .
Er tat an den sehr ernst unter seiner Türe stehenden Wirt von Fernen -- umsonst wollte er gar vor ihn hinreiten -- barhaupt am Stalle die Frage , ob er hier mit seinem Gaul logieren könne .
Ein ganzer heller Sternenhimmel fuhr Volten durch die Brust und brannte nach .
Auch der Wirt wurde sternig und sonnig ; aber wie wäre er -- sonst hätte er höflicher aus dem Dache gesprochen -- darauf gekommen , daß ein Passagier zu Pferde in dieser Nähe der Stadt und Ferne der Nacht ihn mit einem Stilllager beehren werde -- .
Als er wahr nahm , daß der Passagier ein besonderes Vieleck oder Dreieck mit dem rechten Beine über dem Gaule , absitzend beschrieb , und daß er die schweren mit einem organisierten Sattel behangenen Schenkel ins Haus trug , ohne weiter nach dem Tiere oder Stalle zu sehen :
so wusste der Schelm sehr gut , wen er vor sich habe ; und lachte zwar nicht mit den Lippen , aber mit den Augen den Gast aus , ganz verwundert , daß dieser ihn für ehrlich , und es für möglich hielt , er werde den Hafer , den er morgen in die Rechnung eintragen konnte , schon heute dem Schimmel vorsetzen .
" Nun geht , sagte Vult bildlich , der mit Herzklopfen die Treppe hinab dem Bruder entgegen ging , ein ganz neues Kapitel an . "
Unbildlich geschieht_es ohnehin .
Nro. 13. Berliner Marmor mit glänzenden Flecken .
Ver- und Erkennung .
Unten im Korrelationssaal und Simultanzimmer der Gäste forderte der Notar nach Art der Reise-Neulinge schnell einen Trunk , eine einmännige Stube und dergleichen Abendmahlzeit , damit der Wirt nicht denken sollte , er verzehre wenig .
Der lustige Vult trat ein , tat mit Welt-Manier ganz vertraulich , und freute sich sehr des gemeinschaftlichen Übernachtens : wenn -- Ihr Schimmel zu haben ist , sagte er , so habe ich Auftrag ihn für jemand zu einem Schiesspferd zu kaufen , denn ich glaube , daß er steht .
" Es ist nicht der meinige , sagte Walten .
Er frisst aber brav , sagte der Wirt , der ihn bat nachzufolgen in sein Zimmer .
Als er_es aufschloss , war die Abendwand nicht sowohl ganz zerstört -- denn sie lag ein Stockwerk tiefer unten in ziemlichen Stücken -- als wahrhaft verdoppelt --
denn die neue lag als Stein und Kalk unten daneben -- .
" Weiter , fügte der Herrnhuter seelenruhig bei , als der Gast ein wenig erstaunt mit dem großen Auge durch das sieben Schritt breite Luftfenster durchfuhr , weiter habe ich im ganzen Hause nichts leer und jetzt ist_es Sommer . "
-- " Gut , sagte Walten stark und suchte zu befehlen ; aber einen Besen ! "
-- Der Wirt lief demütig und gehorchend hinab .
" Ist unser Wirt nicht ein wahrer Filon ? " sagte Vult .
" Im Grunde , mein Herr -- versetzte jener freudig --
ist das für mich schöner .
Welcher herrliche lange Strom von Feldern und Dörfern , der herein glänzt und das Auge trägt und zieht ; und die Abendsonne und Röte und den Mond hat man ganz vor sich , sogar im Bette die ganze Nacht ! " --
Diese Einstimmung ins Geschick und ins Wirtshaus kam aber nicht Flegeljahre I. Bd. 10 bloß von seiner angeborenen Milde , überall nur die übermalte nicht die leere Seite der Menschen und des Lebens vorzudrehen , sondern auch von jener göttlichen Entzückung und Berauschung her , womit besonders Dichter , die nie auf Reisen waren , einen von Träumen und Gegenden Nachblitzenden Reisetag beschließen ; die prosaischen Felder des Lebens werden ihnen , wie in Italien die wirklichen , von poetischen Myrten umkränzt , und die leeren Pappeln von Trauben erstiegen .
Vult lobte ihn wegen der Gemsenartigkeit , womit er , wie er sehe , von Gipfeln zu Gipfeln setze über Abgründe .
" Der Mensch soll , versetzte Walten , das Leben wie einen hitzigen Falken auf der Hand forttragen , ihn in den Äther auflassen und wieder herunter rufen können , wie es nötig ist , so denke ich . "
-- " Der Mars , der Saturn , der Mond und die Kometen ohne Zahl stören , ( antwortete Vult , ) unsere Erde bekanntlich sehr im Laufe ; -- aber die Erdkugel in uns , sehr gut das Herz genannt , sollte beim Henker sich von keiner fremden laufenden Welt aus der Bahn bringen lassen , wenn_es nicht etwa eine soll che tut , wie die weise Pallas -- oder die reiche Zeres -- und die schöne Venus , die als Hesper und als Luzifer die Erdbewohner schön mit dem lebendigen Merkur verbindet .
-- Und erlauben Sie es , mein Herr , so werfen wir heute unsere Soupe' es zusammen , und ich speise mit hier vor der Breche , wo das Mondsviertel in der Suppe schwimmen , und die Abendröte den Braten übergolden kann . "
Walten sagte heiter Ja .
Auf Reisen macht man Abends lieber romantische Bekanntschaften als Morgens .
Auch trachtete er , wie alle Jünglinge , stark , viele zu machen , besonders vornehme , unter welche er den lustigen Kauz mit seinem grünen Reise-Hute rechnete , diesem Gegenhut eines Bischofs , der einen nur innen grünen und außen schwarzen trägt .
Da kam der _ Wirt und der Besen , um den Bau-Abhub und Bodensatz über die Stube hinaus zu fegen ; in den linken Fingern hing ihm ein breiter in Holz eingerahmter Schiefer .
Er zeigte an , sie müssten ihre Namen darauf setzen , weil es hier zu Lande wie im Geothai schen wäre , wo jeder Dorfwirt den Schiefer am Tage darauf mit den Namen aller derer , die Nachts bei ihm logieret hätten , in die Stadt an die Behörde tragen müsste .
" O man kennt euch Wirte -- sagte Vult , und faste die ganze Tafel -- Ihr seid wohl eben so begierig dahinter her , was euer Gast für ein Vogel ist , als irgend ein regierender Hof in Deutschland , der gleich Abends nach dem Thor- und Nachtzettel aller Einpassanten greift , weil er keinen besseren Index Autorum kennt , als diesen . "
Vult setzte mit einem angeketteten Schiefer- Stift auf den Schiefer mit Schiefer -- so wie unser Fichetisches Ich zugleich Schreiber , Papier , Feder , Tinte , Buchstaben und Leser ist -- seinen Namen so : " Peter Gottwalt Harnisch , K. K. offener geschworener Notarius und Tabellio , geht nach Haslau . "
Darauf nahm ihn Walten , um sich auch als Notarius selber zu verhören , und seinen Namen und Charakter zu Protokoll und zu Papier zu bringen .
Erstaunt sah er sich schon darauf und schaute den Grünhut an , dann den Wirt , welcher wartete , bis Vult den Schiefer nahm , und dem Wirte mit den Worten gab : nachher Freund !
ce n' est qu'un petit tour que je joue à notre hotte " sagte er mit so schneller Aussprache , daß Walten kein Wort verstand , und daher erwiderte : Oui .
Aber durch seinen verwirrten Rauch schlugen die freudigsten Funken ; alles verhieß , glaubte er , eines der schönsten Abenteuer ; denn er war dermaßen mit Erwartungen ganz romantischer Naturspiele des Schicksals , frappanter Meerwunder zu Lande ausgefüllt , daß er es eben nicht über sein Vermuten gefunden hätte -- bei aller Achtung eines Stubengelehrten und Schulzensohns für höhere Stände -- , falls ihm etwa eine Fürstentochter einmal ans Herz gefallen wäre , oder der fürstliche Hut ihres H. Vaters auf den Kopf .
Man weiß so wenig , wie die Menschen wachen , noch weniger , wie sie träumen , nicht ihre größte Furcht , geschweige ihre größte Hoffnung .
Der Schiefer war ihm eine Kometenkarte , die ihm Gott weiß welchen neuen feurigen Bartstern ansagte , der durch seinen einförmigen Lebens-Himmel fahren würde .
H. Wirt , -- sagte Vult freudig , dem seine beherrschende Rolle so wohl tat , wie sein sanfter Bruder ohne Stolz -- servier'
Er hier ein reiches Souper , und trage Er uns ein paar Flaschen vom besten aufrichtigsten Krätzer auf , den er auf dem Lager hält . "
Walten schlug er einen Spaziergang auf den benachbarten Herrnhuter Gottesacker vor , während man fege ; ich ziehe droben , fügte er bei , mein Flauto traverso heraus , und blase ein wenig in die Abend-Sonne und über die toten Herrnhuter hinüber : -- lieben Sie das Flauto ?
" O wie sehr gut sind Sie gegen einen fremden Menschen ! " antwortete Walten mit Augen voll Liebe ; denn das Ganze des Flötenspielers verkündigte bei allem Mutwillen des Blicks und Mundes heimliche Treue , Liebe und Rechtlichkeit .
" Wohl lieb ' ich , fuhr er fort , die Flöte , den Zauberstab , der die innere Welt verwandelt , wenn er sie berührt , eine Wünschelrute , vor der die innere Tiefe aufgeht . "
-- " Die wahre Mondare des inneren Monds , " sagte Vult .
" Ach sie ist mir noch sonst teuer , " sagte Walten , und erzählte nun , wie er durch sie oder an ihr einen geliebten Bruder verloren , -- und welchen Schmerz er und die Eltern bisher getragen , da es ein kleinerer sei , einen Verwandten im Grabe zu haben , als in jeder frohen Stunde sich zu fragen , mit welcher dunklen , kalten , mag jetzt der Flüchtling auf seinem Brett im Weltmeer ringen .
" Da aber Ihr Hr. Bruder ein Mann von musikalischem Gewicht sein soll , so kann er ja eben so gut im Überflusse schwimmen als im Weltmeer " sagte er selber .
" Ich meine , versetzte Walten , sonst dachten wir so traurig , jetzt nicht mehr ; und da war es kein Wunder , wenn man jede Flöte für ein Stummenglocken hielt , das der in Nacht hinaus verlorene Bruder hören lies , weil er nicht zu uns reden konnte . "
Unwillkürlich fuhr Vult nach dessen Hand , gab sie eben so schnell zurück , sagte : " genug !
Mich rühren 100 Sachen zu stark -- Himmel , die ganze Landschaft hängt ja voll Duft und Gold ! "
Aber nun vermochte sein entbranntes Herz keine halbe Stunde länger den Kuß des brüderlichen aufzuschieben ; so sehr hatte die vertrauen de unbefangene Bruderseele heute und gestern in seiner Brust , aus welcher die Winde der Reisen eine Liebes-Kohle nach anderen verweht hatten , ein neues Feuer der Bruderflammen angezündet , welche frei und hoch aufschlugen ohne das kleinste Hindernis .
Stiller gingen jetzt beide im schönen Abend .
Als sie den Gottesacker öffneten , schwamm er flammig im Schmelz und Brand der Abendsonne .
Hätte Vult zehn Meilen umher nach einem schönen Postamente für eine Gruppe zwillings-brüderlicher Erkennung gesucht , ein besseres hätte er schwerlich aufgetrieben als der Herrnhuter Totengarten war mit seinen flachen Beeten , worin Gärtner aus Amerika , Asien und Barby gesät waren , die sich alle auf einander mit dem schönen Lebens-Endreim " heimgegangen " reimten .
Wie schön war hier der Knochenbau des Todes in Jugend-Fleisch gekleidet , und der letzte blasse Schlaf mit Blüten und Blättern zugedeckt !
Um jedes stille Beet mit seinem Saat- Herzen lebten treue Bäume und die ganze lebendige Natur sah mit ihrem jungen Angesicht herein .
Vult , der jetzt noch ernster geworden , freute sich , daß er aller Wahrscheinlichkeit nach vor keinem Kenner zu blasen habe , weil seine Brust , solcher Erschütterungen ungewohnt , heute nicht genug Atem für sein Spiel behielt .
Er stellte sich weg vom Bruder , gegenüber der strahlenlosen Abendsonne an einen Kirschbaum , aus welchem das Brust- und Halsgeschmeide eines blühenden Jelängerjelieber , wie eigene Blüte hing ; und blies statt der schwersten Flöten-Passaten , nur solche einfache Arioso's nebst einigen eingestreuten Echos ab , wovon er glauben durfte , daß sie ins unerzogene Ohr eines juristischen Kandidaten mit dem größten Glanz und Freuden-Gefolge ziehen würden .
Sie taten auch .
Immer langsamer ging Gottwalt , mit einem langen Kirschzweige in der Hand , zwischen der Morgen- und der Abend- Gegend auf und nieder .
Seliger als nie in seinem trocknen Leben war er , als er auf die liebäugelnde Rosen-Sonne losgieng , und über ein breites goldgrünes Land mit Turmspizen in Obstwäldern und in das glatte weiße Mutterdorf der schlafenden stummen Kolonisten im Garten hinein sah , und wenn dann die Zephyre der Melodien die duftige Landschaft wehend aufzublättern und zu bewegen schienen .
Kehrt er sich um , mit gefärbtem Blick , nach dem Osthimmel und sah die Ebene voll grüner auf- und ablaufender Hügel wie Landhäuser und Rotunden stehen und den Schwung der Laubholzwälder auf den fernen Bergen und den Himmel in ihre Windungen eingesenkt :
so lagen und spielten die Töne wieder drüben auf den roten Höhen und zuckten in den vergoldeten Vögeln , die wie Aurores Flocken umher schwammen , und weckten an einer düstern schlafenden Morgenwolke die lebendigen Blicke aufgehender Blitze auf .
Vom Gewitter wandte er sich wieder gegen das vielfarbige Sonnenland -- ein Wehen von Osten trug die Töne -- schwamm mit ihnen an die Sonne -- auf den blühenden Abendwolken sang das kleine Echo , das liebliche Kind , die Spiele leise nach . --
Die Lieder der Lerchen flogen gaukelnd dazwischen und störten nichts . -- --
Jzt brannte und zitterte in zartem Umriss eine Obstallee durchsichtig und riesenhaft in der Abendglut -- schwer und schlummernd schwamm die Sonne auf ihrem Meer -- es zog sie hinunter -- ihr goldener Heiligenschein glühte fort im leeren Blau -- und die Echotöne schwebten und starben auf dem Glanz :
Da kehrte sich jetzt Vult , mit der Flöte am Munde , nach dem Bruder um , und sah es , wie er hinter ihm stand , von den Scharlachflügeln der Abendröte und der gerührten Entzückung überdeckt , und mit blödem stillen Weinen im blauen Auge . --
Die heilige Musik zeigt den Menschen eine Vergangenheit und eine Zukunft , die sie nie erleben .
Auch dem Flötenspieler quoll jetzt die Brust wohl von ungestümer Liebe .
Walten schrieb sie bloß den Tönen zu , drückte aber wild und voll lauterer Liebe die schöpferische Hand .
Vult sah ihn scharf an , wie fragend .
" Auch an meinen Bruder denke ich , sagte Walten ; und wie sollte ich mich jetzt nicht nach ihm sehnen ? "
Nun warf Vult Kopf-schüttelnd die Flöte weg -- ergriff ihn -- hielt ihn von sich , da er ihn umarmen wollte -- sah ihm brennend ins fromme Gesicht und sagte : Gottwalt , kennst du mich nicht mehr ?
" Ich bin ja der Bruder . "
-- " Du ?
O schöner Himmel !
Und du bist mein Bruder Vult ? " schrie Walten und stürzte an ihn .
Sie weinten lange .
Es donnerte sanft im Morgen .
" Höre unseren guten Allgütigen ! " sagte Walten .
Der Bruder antwortete nichts .
Ohne weitere Worte gingen beide langsam Hand in Hand aus dem Gottesacker. Nro. 14. Model eines Hebammenstuhls .
Projekt der Gether-Mühle .
-- Der Zauber-Abend .
Für zwei luftige Komödianten , die den Orest und Pylades sich einander abhören , musste jeder beide halten , der ihnen aus dem Wirtshaus nachsah , wie sie unten in einer abgemähten Wiese sich in Lauf-Zirkeln umtrieben mit langen Zweigen in der Hand , um ihre Vergangenheiten gegen einander auszutauschen .
Aber der Tausche war zu schwer .
Der Flötenspieler versicherte , sein Reiseroman -- so künstlich ge spielt auf dem breiten Europa -- so niedlich durchflochten mit den seltensten Confession -- stets von neuem gehoben durch die Windlade und Hebemaschine der Flaute de travers -- wäre zwar für die Magdeburger Zenturiatoren , wenn sie ihm nachschreibend nachgezogen wären , ein Stoff und Fund gewesen , aber nicht für ihn jetzt , der dem Bruder andere Sachen zu sagen habe , besonders zu fragen , besonders über dessen Leben .
Etwas von dieser Kürze mochte ihm auch der Gedanke diktieren , daß in seiner Geschichte Kapitel vorkämen , welche die herzliche Zuneigung , womit der unschuldige ihn freudig beschauende Jüngling seine erwiderte , in einem so weltunerfahrenen reinen Gemüte eben nicht vermehren könnten ; er merkte an sich -- da man auf Reisen unverschämt ist -- er sei fast zu Hause .
Walts Lebens-Roman hingegen wäre schnell in einen Universitätsroman zusammen geschrumpft , den er zu Hause auf dem Sessel spielte durch Lesen der Romane , und seine Acta eruditorum in den Gang eingelaufen , den er in den Hörsaal machte und zurück in sein viertes Stockwerk -- wenn nicht das Van der Kabelsche Testament gewesen wäre ; aber durch dieses hob sich der Notar mit seiner Geschichte .
Er wollte den Bruder mit den Notizen davon überraschen ; aber dieser versicherte , er wisse schon alles , sei gestern beim Examen gewesen , und unter dem Zanke auf dem Pelzapfelbaum gesessen .
-- Der Notar glühte schamrot , daß Vult seinen Zorn-Kaskatellen und seinen Versen zugehorcht ; -- " er sei wohl , fragt er verwirrt , schon mit dem H. van der Harnisch angekommen , der mit dem Kandidaten von ihm gesprochen .
" Ja wohl , sagte Vult , denn ich bin jener Edelmann selber . "
Walten musste Fortstaunen und Fortfragen , wer ihm denn dem Adel gegeben .
" Ich an Kaisersstatt , versetzte dieser , gleichsam so als augenblicklicher sächsischer Reichsvikarius des guten Kaisers , es ist freilich nur Vikariats- Adel . "
-- Walten schüttelte moralisch den Kopf .
" Und nicht einmal der , sagte Vult , sondern etwas ganz erlaubtes nach Wiarda * ) , welcher * ) Wiarda über deutsche Vor- und Geschlechtsnamen S. 216. -- 221. sagt , man könne ohne Bedenken ein von entweder vor den Ort oder auch vor den Vater setzen , von welchem man komme ; ich konnte mich nach ihm eben so gut Herr von Elterlein umtaufen als Herr von Harnisch .
Nennt mich einer gnädiger Herr , so weiß ich schon , daß ich einen Wiener höre , der jeden bürgerlichen Gentleman so anspricht und lasse ' ihm gern seine so unschuldige Sitte . "
-- " Aber du konntest es gestern aushalten , sagte Walten , die Eltern zu sehen und den Jammer der Mutter unter dem Essen über dein Schicksal zu hören , ohne herab und hinein an die besorgten Herzen zu stürzen ? "
-- " So lange saß ich nicht auf dem Baume -- -- Walten , sagte er plötzlich vor ihn vorspringend -- Sieh mich an !
Wie Leute gewöhnlich sonst aus ihren Noth- und Ehrenzügen durch Europa , heimkommen , besonders wie morsch , wie zerschabt , wie zerschossen gleich Fahnen , braucht dir wohl niemand bei deiner ausgedehnten Lektüre lange zu sagen ; -- ob es gleich sehr erläutert würde , wenn man dir dazu einen Fahnen träger dieser Art -- dir unbekannt , aber aus einem altgräflichen Hause gebürtig , und dessen Ahnenbildersaal mit sich als Hogarths Schwanzstück und Finalstock beschließend , -- wenn man dir jenen Grafen vorhalten könnte , der eben jetzt vollends in London versiert und einst nie mehr Arbeit vor sich finden wird , als wenn er von den Toten auferstehen will , und sich seine Glieder , wie ein Frühstück in Paris , in der halben alten Welt zusammenklauben muß , die Wirbelhaare auf den Strassendämmen nach Wien -- die Stimme in den Konservatorien zu Rom -- seine erste Nase in Neapel , wo sich mehrere Statuen mit zweiten ergänzen -- seine anus cerebri ( diese Gedächtnis-Sitze nach Hoobocken ) und seine Zirbeldrüse und mehrere Sachen in der Propaganda des Todes mehr als des Lebens -- -- Kurz der Tropf ( er hat mir den Redefaden verworren ) findet nichts auf dem Kirchhof neben sich als das , worein er jetzt , wie andere Leichen auf dem St. Innozenz-Kirchhof in Paris , ganz verwandelt ist , das Fet -- --
Nun aber beschau ' mich , und die Jünglingsrosen -- das Männermark -- die Reisebräune -- die Augenflammen -- das volle Leben :
was fehlt mir ?
Was dir fehlet -- etwas zu leben .
Notar , ich bin nicht sehr bei Geld . "
" Desto besser -- versetzte Walten so gleichgültig , als kenne er das Schöpfrad aller Virtuosen ganz gut , das sich immer zu füllen und zu leeren , eigentlich aber nur durch beides umzuschwingen sucht -- ich habe auch nichts , doch haben wir beide die Erbschaft " . . .
Er wollte noch etwas freigebiges sagen , aber Vult unterfuhr ihn : " ich wollte vorhin nur andeuten , Freund , daß ich mithin in Ewigkeit nie mich in verlorener Sohnes-Gestalt vor die Mutter stelle , -- und vollends vor den Vater ! --
Freilich könnte ich mit einer langen Stange von Gold in die Haustür einschreiten ! -- --
Bei Gott , ich wollte sie oft beschenken -- ich nahm einmal absichtlich Extrapost , um ihnen eine erkleckliche Spiel-Summe ( nicht auf der Flöte , sondern auf der Karte erspielt ) zugleich mit meiner Person schneller zu überreichen ; leider aber zehr ich_es gerade durch die Schnelle selber auf und muß Flegeljahre I. Bd. II. auf halbem Weg leer umwenden .
Glaub es mir , guter Bruder , ob ich_es gleich sage .
So oft ich auch nachher ging und flötete , das Geld ging auch flöten . "
" Immer das Geld -- sagte Walten -- die Eltern geht nur ihr Kind , nicht dessen Gaben an ; könntest du so scheiden und zumal die liebe Mutter , in der langen nagenden Sorge lassen , woraus du mich erlöset ? " --
Gut ? sagte er .
So möge ihnen denn durch irgend einen glaubwürdigen Mann aus Amsterdam oder Haag , etwan durch einen H. von der Harnisch geschrieben werden , ihr schätzbarer Sohn , den er persönlich kenne und schätze , emergiere mehr , habe jetzt Mittel und vor tausenden das Prä und lange künftig an , so wie jetzt aus .
Ach was !
Ich könnte selber nach Elterlein hinaus reiten , Vults Geschichte erzählen und beschwören und falsche Briefe von ihm an mich vorzeigen -- die noch dazu wahre wären -- nämlich dem Vater ; die Mutter , glaube ich , erriete mich oder sie bewegte mich , denn ich liebe sie wohl kindlich ! -- Scheiden , sagtest du ?
Ich bleibe ja bei dir , Bruder ! "
Das überfiel den Notarius wie eine versteckte Musik , die an einem Geburtstage heraus bricht .
Er konnte nicht aufhören , zu jubeln und zu loben .
Vult aber eröffnete , warum er da bleibe , nämlich erstlich und hauptsächlich , um ihm als einem arglosen Singvogel , der besser oben fliegen als unten scharren könne , unter dem adeligen Inkognito gegen die 7 Spitzbuben beizustehen ; denn , wie gesagt , er glaube nicht sonderlich an dessen Sieg .
" Du bist freilich , versetzte Walten betroffen , ein gereister Weltmann , und ich hätte zu wenig gelesen und gesehen , wollte ich das nicht merken ; aber ich hoffe doch , daß ich , wenn ich mir immer meine Eltern vorhalte , wie sie so lange angekettet auf dem dunstigen Ruderschiffe der Schulden ein bitteres Leben befahren , und wenn ich alle meine Kräfte zur Erfüllung der Testaments- Bedingungen zusammen nehme , ich hoffe wohl , daß ich dann die Stunde erzwinge , wo ihnen die Ketten entzwei geschlagen , und sie auf ein grünes Ufer einer Zuckerinsel ausgeschifft sind , und wir uns alle frei unter dem Himmel umar men .
Ja ich hatte bisher gerade die umgekehrte Sorge für die armen Erben selber , an deren Stelle ich mich dachte , wenn ich sie um alles brächte ; und nur die Betrachtung machte mich ruhig , daß sie doch die Erbschaft , schlüge ich sie auch aus , nicht bekämen und daß ja meine Eltern weit ärmer sind und mir näher . "
" Der zweite Grund -- versetzte Vult -- warum ich in Haslau verbleibe , hat mit dem ersten nichts zu tun , sondern alles bloß mit einer göttlichen Windmühle , die der blaue Äther treibt , und auf welcher wir beide Brot -- du erbst indes immer fort -- soviel wir brauchen , malen können .
Ich weiß nicht , ob es sonst nicht noch für uns beide etwas so angenehmes oder nützliches gibt , als eben die Äthermühle , die ich projektieren will ; die Frisiermühlen der Tuchscherer , die Bandmühlen der Berner , die Molae asinariae oder Eselsmühlen der Römer kommen nicht in Betracht gegen meine . "
Walten war in größter Spannung und bat sehr darum .
" Droben bei einem Glas Krätzer , " versetzte der Vult .
Sie eilten den Hügel auf zum Wirtshaus .
Drinnen taten sich schon an einem Tische , der die Marschalls- Pagen- und Lakaientafel war , schnelle Fresszangen auf und zu .
Der Wein wurde auf einen Stuhl gesetzt ins Freie .
Das weiße Tischtuch ihres verschobenen Soupers glänzte schon aus der wandlosen Stube herab .
Vult fing damit an , daß er dem Modelle der künftigen Äthermühle das Lob von Walts gestrigen Streckversen voraus schickte -- daß er sein Erstaunen bezeugte , wie Walten bei sonstigem Überwallen im Leben , doch jene Ruhe im Dichten habe , durch welche ein Dichter es dem Wasser-Rennen der Bayerinnen gleich tut , welche mit einem Scheffel Wasser oder Hippokrene auf dem Kopfe unter der Bedingung wettlaufen , nichts zu verschütten , und daß er fragte , wie er als Jurist zu dieser poetischen Ausbildung gekommen .
Der Notarius trank mit Geschmack den Krätzer , und sagte zweifelnd vor Freude : wenn wirklich etwas poetisches an ihm wäre , auch nur der Flaum einer Dichterschwinge , so käme es freilich von seinem ewigen Bestreben in Leipzig her , in allen vom Jus freigelassenen Stunden an gar nichts zu hängen , an gar nichts Aufzucklettern , als am hohen Olymp der Musen , dem Göttersize des Herzens , wiewohl ihm noch niemand recht gegeben , als Goldine und der Kandidat ; " aber , guter Vult , scherze hier nicht mit mir .
Die Mutter nannte dich schon früh den Spasser .
Ist dein Urteil Ernst ? "
-- " Ich will hier den Hals brechen , Tabellio , versetzte Vult , bewunder ich nicht dich und deine Verse aus voller Kunst-Seele .
Höre erst weiter ! "
-- " Ach warum werde ich denn so überglücklich , ( unterbrach ihn Walten und trank ) ?
Gestern finde ich den Plato , heute dich , gerade zwei Nummern nach meinem Aberglauben .
Du hörtest gestern alle Verse ? "
-- Mitten unter dem heftigen Auf- und Abschreiten suchte er immer das Wirtskind , das im Hofe unter der Baute von Kartoffeln-Samenkapseln furchtsam aufguckte , jedesmal sehr anzulächeln , damit es nicht erschräke .
Vult fing , ohne ihm zu antworten , sein Mühlen-Model folgendermaßen vorzulegen an , sehr unbesorgt , wie jeder Reisende , über ein Zufälliges fünftes Ohr : Andächtiger Mitbruder und Zwilling !
Es gibt Deutsche .
Für sie schreibe dergleichen .
Jene fassen es nicht ganz , sondern rezensieren es , besonders exzellenten Spaß .
Sie wollen der poetischen Schönheitslinie ein Linienblatt unterlegen ; dabei soll der Autor noch nebenher ein Amt haben , was aber so schlimm ist als wenn eine Schwangere die Pocken zugleich hat .
Die Kunst sei ihr Weg und Ziel zugleich .
Durch den jüdischen Tempel durfte man nach Lightfoot nicht gehen , um bloß nach einem anderen Orte zu gelangen ; so ist auch ein bloßer Durchgang durch den Musentempel verboten .
Man darf nicht den Parnas passieren , um in ein fettes Tal zu laufen . --
Verdammt !
Lass mich anders anfangen ! zanke nicht !
Trinke ! --
Jetzt : Walten !
Ich habe nämlich auf meinen Flötenreisen ein satirisches Werk in den Druck gegeben als Manuskripte , die grönländischen Prozesse in zwei Bänden anno 1783 bei Voß und Sohn in Berlin .
( Ich erstaune ganz , sagte Walten verehrend . )
Ich würde dich inzwischen ohne Grund mit Lügen besetzen , wenn ich dir verkündigen wollte , die Bekanntmachung dieser Bände hätte etwan mich oder die Sachen selber im Geringsten bekannt gemacht .
Nimmt man sechs oder sieben Schergen , zugleich Schächer und Schächter aus -- und hier fallen zwei auf die Allg. deutsche Bibliothek , die also wohl einer sind -- so hat leider keine Seele die Scripta getadelt und gekannt .
Es ist hier -- wegen deiner Ungeduld nach der versprochenen Äthermühle -- wohl nicht der Ort , es glücklich auseinander zu setzen warum ; -- habe genug , wenn ich dir schwöre , daß die Rezensenten Sünder sind , aber arme , echte Gurkenmaler , die sich daher Gurken herausnehmen , Grenzgötter ohne Arme und Beine auf den Grenzhügeln der Wissenschaften , und daß wir alle hinauf und hinab florieren würden , gäbe es nur so viele gute Kunstrichter als Zeitungen , für jede einen , so wie es wirklich so viele meisterhafte Schauspieler gibt als -- eine in die andere übergerechnet -- Truppen .
" Es ist eine der verwünschtesten Sachen .
Oft rezensiert die Jugend das Alter , noch öfter das Alter die Jugend , eine Rektors-Schlafhaube kämpfet gegen eine Jünglings-Sturmhaube -- Wie Kochbücher , arbeiten sie für den Geschmack , ohne ihn zu haben -- Solchen Sekanten , Kosekanten , Tangenten , Kottangenten kommt alles exzentrisch vor , besonders das Zentrum ; der Kurzsichtige findet nach Lambert * ) den Kometenschwanz viel länger als der Weitsichtige -- Sie wollen den Schiefskiel des Autors lenken , nämlich den ordentlichen Schreib-Kiel , sie wollen den Autor mit ihrem Richterstabe , wie Minerva mit ihrem Zauberstabe den Ulysses , in einen Bettler und Greis verkehren -- Sie wollen die erbärmlichsten Dinge bei Gott " --
( Des Notars Gesicht zog sich dabei sichtlich ins lange , weil er wie jeder , der nur gelehrte Zeitungen hält , aber nicht macht und kennt , von einer gewissen Achtung für sie , viel * ) Lamberts Beiträge zur Mathematik III. B. v. 236 leicht gar einer hoffenden , nicht frei war . )
" Indes jeder Mensch , fuhr jener fort -- sei billig ; denn ich darf nicht übersehen , daß es mit Büchern ist wie mit Pökelfleisch , von welchem Hurham dartat , daß es zwar durch mäßiges Salz sich lange halte , aber auch durch zu vieles sogleich faule und stinke -- Notarius , ich machte das Buch zu gut , mithin zu schlecht . "
-- " Du wimmelst von Einfällen , ( versetzte Walten ) ; scherzhaft zu reden , hast du so viele Windungen und Köpfe wie die lernäische Schlange . "
" Ich bin nicht ohne Witz -- erwiderte Vult in vergeblicher Absicht , daß der Bruder lache -- aber du reissest mich aus dem Zusammenhäng . --
Was kann ich nun dabei machen ?
Ich allein Nichts ; aber mit dir viel , nämlich ein Werk ; Ein Paar Zwillinge müssen , als ihr eigenes Widerspiel , zusammen einen Einlinge , Ein Buch zeugen , einen trefflichen Doppel-Roman .
Ich lache darin , du weinst dabei oder fliegst doch -- Du bist der Evangelist , ich das Vieh dahinter -- jeder hebt den anderen -- alle Par Thein werden befriedigt , Mann und Weib , Hof und Haus , ich und Du . -- Wirt , mehr Krätzer , aber aufrichtigen ! --
Und was sagst du nun zu diesem Projekt und Mühlengang -- wodurch wir beide herrlich den Mahlgästen Himmelsbrot verschaffen können , und uns Erdenbrot , was sagst du zu dieser Musenros- Mühle ? " --
Aber der Notar konnte nichts sagen , er fuhr bloß mit einer Umhalsung an den Projektmacher .
Nichts erschüttert den Menschen mehr -- zumal den belesenen -- als der erste Gedanke seines Drucks .
Alte tiefe Wünsche der Brust standen auf einmal aufgewachsen in Walten da und blühten voll ; wie in einem südlichen Klima , fuhr in ihm jedes nordische Strauchwerk zum Palmenhain auf ; er sah sich bereichert und berühmt und Wochenlang auf dem poetischen Geburtsstuhl .
Er zweifelte in der Entzückung an nichts als an der Möglichkeit und fragte , wie zwei Menschen schreiben könnten , und woher ein romantischer Plan zu nehmen sei ?
" Geschichten , Walten , habe ich auf meinen Reisen an 1001 erlebt , nicht einmal gehört ; diese werden sämtlich genommen , sehr gut verschnitten und verkleidet .
Wie Zwillinge in ein Dintenfas tunken ?
Beaumont und Fletscher , sich Hundsfremd , nähten an Einem gemeinschaftlichen Schneider-Tische Schauspiele , nach deren Naht und Suturen noch bis heute die Kritiker fühlen und tasten .
Bei den spanischen Dichtern hatte oft ein Kind an neun Väter , nämlich eine Komödie , nämlich Autoren .
Und im 1sten Buch Mosis kannst du es am allerersten lesen , wenn du den Professor Eichhorn dazu liest , der allein in der Sündflut drei Autoren annimmt , außer dem vierten im Himmel .
Es gibt in jedem epischen Werke Kapitel , worüber der Mensch lachen muß , Ausschweifungen , die das Leben des Helden unterbrechen ; diese kann , denke ich , der Bruder machen und liefern , der die Flöte bläst .
Freilich Parität , wie in Reichsstädten , muß sein , die eine Partei muß so viele Zensoren , Büttel , Nachtwächter haben als die andere .
Geschieht nun das mit Verstand , so mag wohl ein Werk zu hecken sein , ein Leda's Ei , das sich sogar vom Wolfschen Homer unterscheidet , an dem so viele Homeriden schreiben und vielleicht Homer selber . "
-- " Genug , genug rief Walten .
Betrachte lieber den himmlischen Abend um uns her ! "
In der Tat blühten Lust und Lebens-Lob in allen Augen .
Mehrere Gäste , die schon abgegessen , tranken ihren Krug im Freien , alle Stände standen untereinander , die Autoren mitten im Tiersetat .
Die Fledermäuse schossen als Tropikvögel eines schönen Morgens um die Köpfe .
An einer Rosen-Staude krochen die Funken der Johanniswürmlein .
Die fernen Dorfglocken riefen wie schöne verhallende Zeiten herüber und ins dunkle Hirtengeschrei auf den Feldern hinein .
Man brauchte so spät auf allen Wegen , nicht einmal in dem Gehölze , Lichter , und man konnte bei dem Schein der Abendröte die hellen Köpfe deutlich durch das hohe Getreide waten sehen .
Die Dämmerung lagerte sich weit und breit nach Westen hinein , mit der scharfen Mond-Krone von Silber auf dem Kopfe ; nur hinter dem Hause schlich sich , aber ungesehen , die große hohle Nacht aus Osten heran .
In Mitternacht glomm es leise wie Apfelblüte an und liebliche Blitze aus Morgen spielten herüber in das junge Rot .
Die nahen Birken dufteten zu den Brüdern hinab , die Heu-Berge unten dufteten hinauf .
Mancher Stern half sich heraus in die Dämmerung und wurde eine Flug-Maschine der Seele .
Vult vergab dem Notar , daß er kaum zu bleiben wusste .
Er hatte so viele Dinge , und unter ihnen den Krätzer im Kopfe ; denn in diesem entsetzlichen Weine , wahrem Weinbergs-Unkraut für Vult , hatte sich der arme Teufel -- dem Wein so hoch klang wie Äther -- immer tiefer in seine Jahre zurückgetrunken , ins 20te , ins 18te und letztlich ins 15te .
Auf Reisen trifft man Leute an , die darauf zurückschwimmen bis ins 1te Jahr , bis an die Quelle .
Vormittags predigen es die Äbte in ihren Visitationspredigten : werdet wie die Kinder !
Und Abends werden sie es samt dem Kloster und beide lallen kindlich .
" Warum siehst du mich so an , geliebter Vult ? " sagte Walten .
-- " Ich denke an die ver gangenen Zeiten , versetzte jener , wo wir uns so oft geprügelt haben ; wie Familienstücke hängen die Bataillenstücke in meiner Brust -- ich ärgerte mich damals , daß ich stärker und zorniger war und Du mich doch durch Deine elastische wütige Schnelle aller Glieder häufig unter bekamst .
Die unschuldigen Kinderfreuden kommen nie wieder , Walten ! "
Aber der Notar hörte und sah nichts als Apollos flammenden Sonnenwagen in sich rollen , worauf schon die Gestalten seines künftigen Doppelromans kolossalisch standen und kamen ; unwillkürlich machte er große Stücke vom Buche fertig , und konnte sie dem verwunderten Bruder zuwerfen .
Dieser wollte endlich davon aufhören , aber der Notar drang noch auf den Titel ihres Buchs .
Vult schlug " Flegeljahre " vor ; der Notar sagte offen heraus , wie ihm ein Titel widerstehe , der teils so auffallend sei , teils so wild .
" Gut , so mag denn die Duplizität der Arbeit schon auf dem ersten Blatte bezeichnet werden , wie es auch ein neuerer beliebter Autor tut , etwan : Hoppelpoppel oder das Herz . "
Bei diesem Titel musste es bleiben .
Beide mengten sich wieder in die Gegenwart ein .
Der Notar nahm ein Glas und drehte sich von der Gesellschaft ab , und sagte mit tropfenden Augen zu Vult : " auf das Glück unserer Eltern und auch der armen Goldine !
Sie sitzen jetzt gewiß ohne Licht in der Stube und reden von uns . "
-- Hierauf zog der Flötenist sein Instrument hervor , und blies der Gesellschaft einige gemeine Schleifer vor .
Der lange Wirt tanzte danach langsam und zerrend mit dem schläfrigen Knaben ; manche Gäste regten den Takt- Schenkel ; der Notarius weinte dazu selig , und sah ins Abendrot .
" Ich möchte wohl , -- sagte er dem Bruder ins Ohr -- die armen Fuhrleute sämtlich in Bier freihalten . "
-- " Wahrscheinlich , sagte Vult , würfen sie dich dann aus point d'honneur den Hügel hinunter .
Himmel ! sie sind ja Krösi gegen uns und sehen herab . "
Vult lies den Wirt plötzlich , statt zu tanzen , servieren ; so ungern der Notarius in seine Entzückung hinein essen und kauen wollte .
" Ich denke roher , sagte Vult , ich respektiere alles was zum Magen gehört , diese Montgolfiere des Menschen-Zentaur , der Realismus ist der Sancho Pansa des Idealismus . --
Aber oft gehe ich weit und mache in mir edle Seelen , z. B. weibliche zum Teil lächerlich , indem ich sie essen und als Selbst-Futterbänke ihre unteren Kinnbacken so bewegen lasse , daß sie dem Tier vorschneiden . "
Walten unterdrückte sein Missfallen an der Rede .
Beglückt aßen sie oben vor der ausgebrochenen Wand ; die Abendröte war das Tafellicht .
Auf einmal rauschte mit verlorenem Donnern eine frische Frühlingswolke auf Laub und Gräser herunter , der helle goldene Abendsaum blickte durch die herabtropfende Nacht , die Natur wurde eine einzige Blume und duftete herein und die erquickte gebadete Nachtigall zog wie einen langen Strahl einen heißen langen Schlag durch die kühle Luft .
" Vermissest du jetzt sonderlich , fragte Vult , die Park-Bäume , den Parukenbaum , den Gerberbaum -- oder hier oben die Bedienten , die Service , den Goldteller mit seinem Flegeljahre I. Bd. 12 Spiegel , damit darauf die Portion mit falschen Farben schwimme ? "
-- " Wahrlich nicht , sagte Walten ; sieh , die schönsten Edelsteine setzt die Natur auf den Ring unseres Bundes , -- und meinte die Blitze .
Die Luftschlösser seiner Zukunft waren golden erleuchtet .
Er wollte wieder vom Doppel-Romane und dem Stoff dazu anfangen -- und sagte , er habe hinter der Schäferei heute drei hineinpassende Streckverse gemacht .
Aber der Flötenist einer und derselben Materie bald überdrüssig und nach Rührungen ordentlich des Spasses bedürftig , fragte ihn : warum er zu Pferde gegangen ?
" Ich und der Vater , sagte Walten ernst , dachten , ehe wir von der Erbschaft wussten , ich würde dadurch der Stadt und den Kunden bekannter , weil man unter dem Tore , wie du weist , nur die Reiter ins Intelligenzblatt setzt . "
Da brachte der Flötenist wieder den alten Reiterscherz auf die Bahn und sagte : " der Schimmel gehe , wie nach Winkelmann die großen Griechen , stets langsam und gesetzt -- er habe nicht den Fehler der Uhren , die immer schneller gehen , je älter sie werden -- ja vielleicht sei er nicht älter als Walten , wiewohl ein Pferd stets etwas jünger sein sollte als der Reiter , so wie die Frau jünger als der Mann -- ein schönes römisches Sta Viator , Stehe ' Weg-Machender , bleibe der Gaul für den , so darauf sitze " . . . . " O Lieber Bruder -- sagte Walten sanft , aber mit der Röte der Empfindlichkeit und Vults Laune noch wenig fassend und belachend -- zieh mich damit nicht mehr auf , was kann ich dafür ? "
-- " Nun , nun , warmer Aschgraukopf -- sagte Vult und fuhr mit der Hand über den Tisch und unter alle seine weiche Locken , streichelnd Haar und Stirn -- lies mir denn deine drei Polymeter vor , die du hinter der Schäferei gelammt . "
Er las folgende Das offene Auge des Toten Blicke mich nicht an , kaltes starres , blindes Auge , du bist ein Toter , ja der Tod. O drücket das Auge zu , ihr Freunde , dann es ist nur Schlummer .
" Warst du so trübe gestimmt an einem so schönen Tage . " fragte Vult .
" Selig war ich wie jetzt " sagte Walten .
Da drückte ihm Vult die Hand und sagte bedeutend : " dann gefällt mir , das ist der Dichter .
Weiter ! "
Der Kinderball .
Wie lächelt , wie hüpfet ihr blumige Genien , kaum von der Wolke gestiegen ! der Kunst-Tanz und der Wahn schleppt euch nicht und ihr hüpfet über die Regel hinweg .
-- Wie es tritt die Zeit herein und berührt sie ?
Große Männer und Frauen stehen da ?
Der kleine Tanz ist erstarrt , sie heben sich zum Gang und schauen einander ernst ins schwere Gesicht ?
Nein , nein , spielet ihr Kinder , gaukelt nur fort in eurem Traum , es war nur einer von mir .
Die Sonnenblume und die Nachtviole .
Am Tage sprach die volle Sonnenblume :
Apollo strahlt und ich breite mich aus , er wandelt über die Welt und ich folge ihm nach .
In der Nacht sagte die Viole : niedrig stehe ich und verborgen -- und blühe in kurzer Nacht ; zuweilen schimmert Phöbus milde Schwester auf mich , da werde ich gesehen und gebrochen , und sterbe an der Brust .
" Die Nachtviole bleibe die letzte Blume im heutigen Kranz ! " sagte Vult gerührt , weil die Kunst gerade so leicht ihm spielen konnte , als er mit der Natur , und er schied mit einer Umarmung .
In Walts Nacht wurden lange Violenbeete gesät -- an das Kopfkissen kamen durch die offene Wand die Düfte der erquickten Landschaft heran , und die hellen Morgentöne der Lerche -- so oft er das Auge auftat , fiel es in den blauen vollgestirnten Westen , an welchem die späten Sternbilder nach einander hinunterzogen als Vorläufer des schönen Morgens. Nro. 15. Riesenmuschel .
Die Stadt -- chambre garnie -- Walten stand mit einem Kopfe voll Morgenrot auf und suchte den brüderlichen , als er seinen Vater , der sich schon um 1 Uhr auf seine langen Beine gemacht , mit weiten Schritten und Reisebleich durch den Hof laufen sah .
Er hielt ihn an .
Er musste lange gegen den Strafprediger seine Gegenwart durch die ausgebrochene Mauer herunter verteidigen .
Darauf bat er den müden Vater , zu reiten , indes er zu Fuße neben ihm laufe .
Lukas nahm es ohne Dank an .
Sehnsüchtig nach dem Bruder , der sich nicht zeigen durfte , verlies Walten die Bühne eines so holden Spielabends .
Auf dem wagrechten Wege , der keinen Wassertropfen rollen lies , bewegte sich das Pferd ohne Tadel und hielt Schritt mit dem tauben Sohne , dem der Vater von der Sattel-Kanzel -- unzählige Rechts- und Lebensregeln herab warf .
Was konnte Gottwalt hören ?
Er sah nur in- und außer sich , glänzende Morgenwiesen des Jugendlebens , ferner die Landschaft auf beiden Seiten der Chaussée , ferner die dunklen Blumengärten der Liebe , den hohen hellen Musenberg und endlich die Türme und Rauchsäulen der ausgebreiteten Stadt .
Jetzt saß der Vater mit dem Befehle an den Notarius ab , durchs Tor zum Fleischer zu reiten , in sein Logis , und um 10 Uhr in den weichen Krebs zu gehen , wo man auf ihn warten wolle , um mit ihm gehörig vor dem Magistrate zu erscheinen .
Walten saß auf und flog wie ein Cherub durch den Himmel .
Die Zeit war so anmutig ; an den Häuser-Reihen glänzte weißer Tag ; in den grünen tauigen Gärten bunter Morgen , selber sein Vieh wurde poetisch und trabte ungeheißen , weil es seinem Stall nahe und aus dem Herrnhutischen hungrig kam .
-- Der Notarius sang laut im Fluge des Schimmels .
Im ganzen Fürstentum stand kein Ich auf einem so hohen Gehirnhügel als sein eigenes , welches daran herab wie von einem Ätna in ein so weites Leben voll morganischer Feen hineinsah , daß die blitzenden Säulen , die umgekehrten Städte und Schiffe den ganzen Tag hängen blieben in der Spiegelluft .
Unter dem Tore befragte man ihn , woher .
" Von Haslau " versetzte er entzückt , bis er den lächerlichen Irrtum eilig umbesserte und sagte : nach Haslau .
Das Pferd regierte wie ein Weiser sich selber und brachte ihn leicht durch die bevölkerten Gassen an den Stall , wo er mit Dank und in Eile abstieg , um so fort seine " chambre garnie " zu beziehen .
Auf den hellen Gassen voll Feldgeschrei , gleichsam Kompagniegassen eines Lustlagers , sah er_es gern , daß er seinen Hausherrn , den Hofagent Neupeter kaum finden konnte .
Er gewann damit die Zeit , die verschüttete Gottes-Stadt der Kindheit auszuscharren und den Schutt weg zu fahren , so daß zuletzt völlig dieselben Gassen ans Sonnenlicht kamen , eben so prächtig , so breit , und voll Paläste und Damen , wie die waren , durch welche er einmal als Kind gegangen .
Ganz wie zum erstenmal , faste ihn die Pracht des ewigen Getöses , die schnellen Wagen , die hohen Häuser mit ihren Statuen darauf und die flittern Opern- und Galakleider mancher Person .
Er konnte kaum annehmen , daß es in einer Stadt einen Mittwoch , einen Sonnabend und andere platte Bauerntage gebe , und nicht jede Woche ein hohes Fest von sieben Feiertagen .
Auch sehr sauer wurde es ihm zu glauben -- sehen musst er_es freilich , -- daß so gemeine Leute wie Schuhflicker , Schneidermeister , Schmiede und andere Ackerpferde des Staats , die auf die Dörfer gehörten , mitten unter den feinsten Leuten wohnten und gingen .
Er erstaunte über jeden Werkeltagshabit weil er selber mitten in der Woche den Sonntag anhabend -- den Nanking -- gekommen war ; alle große Häuser füllte er mit geputzten Gästen , und sehr artigen Herren und Damen an , die jene liebe- winkend bewirteten , und er sah nach ihnen an alle Balkons und Erker hinauf .
Er warf helle Augen auf jeden vorübergehenden lackierten Wagen , und auf jeden roten Schaul , auf jeden Friseur , der sogar Werkeltags arbeitete und tafelfähig machte und auf den Kopfsalat , der im Springbrunnen schon Vormittags gewaschen wurde , anstatt in Elterlein nur Sonntagsabends .
Endlich stieß er auf die lackierte Türe mit dem goldgelben Titelblatt : Material- Handlung von Peter Neupeter et Compagnie und ging durch die Ladentüre ein .
Im Gewölbe wartete er es ab , bis die hin- und herspringenden Ladenschürzen alle Welt abgefertigt hätten .
Zuletzt , da endlich nach der Anciennete der Mahlgäste auch seine Reihe kam , fragte ihn ein freundliches Pürschen , was ihm beliebe :
" Nichts -- versetzte er so sanft als es seine Stiem me nur vermochte -- ich bekomme hier eine chambre garnie , und wünsche dem Hrn. Hofagenten mich zu zeigen . "
-- Man wies ihn an die Glastüre der Schreibstube .
Der Agent -- mehr Seide im Schlafrock tragend als die Gerichtsmännin im Sonntagsputz -- schrieb den Brief-Perioden gar aus und empfing mit einem Apfel-Roten und runden Gesichte den Mietsmann .
Der Notarius gedachte wahrscheinlich , mit seinem Rossgeruch und seiner Spiessgerte zu imponieren als Reiter , aber für den Agenten -- den wöchentlichen Lieferanten der größten Leute und den jährlichen Gläubiger derselben -- war ein Schock berittener Notarien von keiner sonderlichen Importanz .
Er rief ganz kurz einem Laden-Pagen herrisch zu , den Herrn anzuweisen .
Der Page rief wieder auf der ersten Treppe ein bildschönes nettes , sehr drüsliches Mädchen heraus , damit sie den Herrn mit der Spiessgerte bis zur vierten brächte .
Die Treppen waren breit und glänzend , die Geländer figurierte Eisen-Guirlanden , alles froh erhellt , die Tür-Schlösser und Leisten schienen vergoldet , an den Schwellen lagen lange bunte Teppiche .
Unterwegs suchte er die Stumme dadurch zu erfreuen und zu belohnen , daß er sanft ihren Namen zu wissen wünschte .
Flora heißt der Name , womit das schöne mürrische Ding auf die Nachwelt übergeht .
Die Chambre garnie ging auf . --
Freilich nicht für jeden wäre sie gewesen , ausgenommen als chambre ardente ; mancher , der im roten Hause zu Frankfurt oder im Egalitäts- Palaste geschlafen , hätte an diesem langen Menschen-Koben voll Ururur-Möbeln , die man vor dem glänzenden Hause hier zu verstecken suchte , vieles freimütig ausgesetzt .
Aber ein Polymetriker im Göttermonat der Jugend , ein ewig entzückter Mensch , der das harte Leben stets , wie Kenner die harten Kartons von Raphael , bloß im ( poetischen ) Spiegel beschauet und mildert -- der an einer Fischer-Hunds- und jeder Hütte ein Fenster aufmacht und ruft :
ist das nicht prächtig draußen ? -- der überall , er sei im Eskurial , das wie ein Rost , oder in Karlsruhe , das wie ein Fächer , oder in Meinungen , das wie eine Harfe , oder in einem Seewurm-Gehäuse , das wie eine Pfeife gebaut ist , die Sommerseite findet und dem Roste Feuerung abgewinnet , dem Fächer Kühlung , der Harfen Töne , der See- Pfeife desfalls --
Ich meine überhaupt , ein Mensch , wie der Notarius , der mit einem solchen Kopfe voll Aussichten über die weite Bienenflora seiner Zukunft hin in den Bienenkorb einfliegt und einen flüchtigen Überschlag des Honigs macht , den er darin aus tausend Blumen tragen wird , ein solcher Mensch darf uns weiter nicht sehr in Verwunderung setzen , wenn er sogleich ans Abend-Fenster schreitet , es aufreisset und vor Floren entzückt ausruft : " göttliche Aussicht !
Da unten der Park -- ein Abschnitt Marktplatz -- dort die zwei Kirchtürme -- drüben die Berge -- Wahrlich sehr schön ! " --
Denn dem Mädchen wollte er auch eine kleine Freude zuwenden durch die Zeichen der seinigen .
Er warf jetzt sein gelbes Röcken ab , um als Selbstquartiermeister in Hemdärmeln alles so zu ordnen , daß , wenn er von der verdrüßli chen Erscheinung vor dem Stadtrate nach Hause käme , er sogleich ganz wie zu Hause sein könnte , und nichts zu machen brauchte als die Fortsetzung seines Himmels und seinen Streckvers und etwas von dem abgekarteten Doppelroman .
Den Abhub der Zeit , den Bodensatz der Mode , den der Agent im Zimmer fallen lassen , nahm er für schöne Handelszeichen , womit der Handelsmann eine besondere Sorgfalt für ihn offenbaren wollen .
Mit Freuden trug er von 12 grünen in Tuch und Kuhhaar gekleideten Sesseln die Hälfte -- man konnte sonst vor Sitzen nicht stehen -- ins Schlafgemach zu einem lackierten Regenschirm von Wachstuch und einem Ofenschirm mit einem Frauen-Schattenriss .
Aus einer Kommode -- einem Häusern im Haus -- zog er mit beiden Händen ein Stockwerk nach dem anderen aus , um seine nachgefahrene fahrende Habe darein zu schaffen .
Auf einem Thetischen von Zinn konnte alles Kalte und das Heiße getrunken werden , da es beides so kühlte .
Er erstaunte über den Überfluß , worin er künftig schwimmen sollte .
Denn es war noch eine Paphose da , ( er wusste gar nicht was es war ) -- ein Bücherschrank mit Glastüren , deren Rahmen und Schlösser ihm , weil die Gläser fehlten , ganz unbegreiflich waren , und worein er oben die Bücher schickte , unten die Notariats-Händel -- ein blau angestrichener Tisch mit Schubfach , worauf ausgeschnittene bunte Bilder , Jagd- Blumen- und andere Stücke zerstreuet aufgepappt waren , und auf welchem er dichten konnte , wenn er_es nicht lieber auf einem Arbeitstischen mit Rehfüssen und einem Einsatz von lackiertem Blech tun wollte -- endlich ein Kammerdiener oder eine Servante , die er als Sekretär an den Schreibtisch drehte , um auf ihre Scheiben Papier , eine feine Feder zur Poesie , eine grobe zum Jus zu legen .
Das sind vielleicht die wichtigeren Pertinenzstücke seiner Stube , wobei man Lappalien , leere Markenkästen , ein Nähpult , einen schwarzen basaltenen Kaligula , der aus Brust- Mangel nicht mehr stehen konnte , ein Wandschränklein u. s. w. nicht anschlagen wollte .
Nachdem er noch einmal seine Stiftshütte und deren Ordnung vergnügt überschauet , und sich zum Fenster hinaus gelegt , und unten die weißen Kiesgänge und dunklen volllaubigen Bäume besehen hatte : machte er sich auf den Weg zum Vater und freute sich auf den Treppen , daß er in einem so kostbaren Hause ein elendes Wohn-Nest besitze .
Auf der Treppe wurde er von einem hellblauen Couvert an die Hofagentin fest gehalten .
Es roch wie ein Garten , so daß er bald auf der Duft-Wolke mitten in die niedlichsten Schreibzimmer der schönsten Königinnen und Herzoginnen und Landgräfinnen hinein schwamm : indes hielt er_es für Pflicht , durch das Ladengewölbe zu gehen , und das Couvert redlich mit den Worten abzugeben : hier sei etwas an Madam .
Hinter seinem Rücken lachte sämtliche Handels Pagerie ungewöhnlich .
Er traf seinen Vater in historischer Arbeit und Freude an .
Dieser stellte ihn als Universalerben sämtlichen Gästen vor .
Er schämte sich als eine Merkwürdigkeit dieser Art lange dem Beschauen bloß zustehen , und beschleunigte die Erscheinung vor dem Stadtrat .
Verschämt und bange trat er in die Ratsstube , wo er ge gen seine Natur als ein hoher Saitensteg da stehen sollte , auf welchen andere Menschen wie Saiten gespannt waren ; er schlug die Augen vor den Akzessit-Erben nieder , die gekommen waren , ihren Brotdieb abzuwägen .
Bloß der stolze Neupeter fehlte samt dem Kirchenrat Glanz , der ein viel zu berühmter Prediger auf dem Kanzel- und dem Schreibpulte war , um zur Schau eines ungedruckten Menschen nur drei Schritte zu tun , von dem er die größte Begierde forderte , vielmehr Glanze aufzusuchen .
Der regierende Burgermeister und Exekutor Kuhnold wurde mit Einem Blick der heimliche Freund des Jünglings , der mit so errötendem Schmerz sich allein , vor den Augen stehender gefräßiger Zuschauer an die gedeckte Glückstafel setzte .
Lukas aber besichtigte jeden sehr scharf .
Das Testament wurde verlesen .
Nach dem Ende der 3ten Klausel zeigte Kuhnold auf den Frühprediger Flachs , als den redlichen Finder und Gewinner des Kabelschen Hauses ; und Walten warf schnell die Augen auf ihn und sie standen voll Glückwünsche und Gönnen .
Als er in der 4ten Klausel sich anreden hörte vom toten Wohltäter :
so wäre er den Tränen , deren er sich in der Ratsstube schämte , zu nahe gekommen , wenn er nicht über Lob und Tadel wechselnd hätte erröten müssen .
Der Lorbeerkranz , und die Zärtlichkeit , womit Kabel ihm jenen aufsetzte , begeisterte ihn mit einer ganz anderen heißeren Liebe als das Füllhorn , das er über seine Zukunft ausschüttete .
-- Die darauf folgenden Stellen , welche für den Vorteil der 7 Erben allerlei aussprachen , versetzten dem Schultheiss den Atem , indem sie dem Sohne einen Freiern gaben .
Nur bei der 14ten Klausel , die seiner unbefleckten Schwanenbrust den Schandfleck einer weiblichen Verführung zutraute oder verbot , wurde sein Gesicht eine rote Flamme ; wie konnte , dachte er , ein sterbender Menschenfreund so oft so unzart schreiben ?
Nach der Ablesung des Testaments begehrte Knoll nach der 11ten Klausel " Harnisch muß " einen Eid von ihm , nichts auf das Testament zu entlehnen .
Kuhnold sagte , er sei nur " an Eides statt " es zu geloben schuldig .
" Ich Flegeljahre. I. Bd. 13 kann ja zweierlei tun ; denn es ist ja einerlei , Eid und an Eidesstatt und jedes bloße Wort " sagte Walten ; aber der biedere Kuhnold ließ es nicht zu .
Es wurde protokolliert , daß Walten den Notarius zum ersten Erbamt auswähle -- Der Vater erbat sich Testaments-Kopie , um davon eine für den Sohn zu nehmen , welche dieser täglich als sein altes und neues Testament lesen und befolgen sollte .
-- Der Buchhändler Passvogel besah und studierte den Gesamt-Erben nicht ohne Vergnügen und verbarg ihm seine Sehnsucht nach den Gedichten nicht , deren das Testament , sagte er , flüchtig erwähne --
Der Polizeiinspektor Harprecht nahm ihn bei der Hand und sagte :
" Wir müssen uns öfters suchen , Sie werden kein Erb-Feind von mir sein und ich bin ein Erbfreund ; man gewöhnt sich zusammen und kann sich dann so wenig entbehren , wie einen alten Pfahl vor seinem Fenster , den man , wie Le Vayer sagt , nie ohne Empfindung ausreissen sieht .
Wir wollen einander dann wechselseitig mit Worten verkleinern ; denn die Liebe spricht gern mit Verkleinerung Wörtern . "
Walten sah ihm arglos ins Auge , aber Harprecht hielt es lange aus .
Ohne Umstände schied Lukas vom gerührten Sohne , um die Kabelschen Erbstücke , den Garten und das Wäldern vor dem Tore und das verlorene Haus in der Hundsgasse so lange zu besehen , bis der Ratsschreiber den letzten Willen mochte abgeschrieben haben .
Gottwalt schöpfte wieder Frühlings-Atem , als er die Ratsstube wie ein enges dumpfiges Winterhaus voll finsterer Blumen aus Eis verlassen hatte ; so vieles hatte ihn bedrängt ; er hatte der unreinen Mimik des Hunds- und Heisshungers gemeiner Welt-Herzen zuschauen -- und sich verhasst und verworren sehen müssen -- die Erbschaft hatte , wie ein Berg , die bisher von der Ferne und der Phantasie versteckten und gefüllten Gräben und Täler jetzt in der Nähe aufgedeckt und sich selber weiter hinausgerückt -- der Bruder und der Doppelroman hatten unaufhörlich ihm in die enge Welt hinein , die Zeichen einer unendlichen gegeben und ihn gelockt , wie den Gefangenen blühende Zweige und Schmet terlinge , die sich außen vor seinen Gittern bewegen .
Der liebliche Jesuiterrausch , den jeder den ganzen ersten Tag in einer neuen großen Stadt im Kopfe hat , war in der Ratsstube meistens verraucht .
An der Wirtstafel , an der er sich einmietete , kam unter der rauhen ehelosen Zivil-Kaserne von Sachwaltern und Kanzellisten über seine Zunge , außer etwas weniges von einer geräucherten , nichts , kein warmer Bruder-Laut , den er hätte aussprechen oder erwidern können .
Den Bruder Vult Wust er nicht zu finden ; und am schönsten Tage blieb er daheim , damit ihn dieser nicht fehl ginge .
In der Einsamkeit setzte er ein kleines Inserat für den Haschlauer Kriegs- und Friedens-Boten auf , worin er als Notarius anzeigte , wer und wo er sei ; ferner einen kurzen anomymen Streckvers für den Poeten- Winkel des Blattes -- Poet Corner -- überschrieben der Fremde . ___ Gemein und dunkel wird oft die Seele verhüllt , die so rein und offen ist ; so deckt graue Rinde das Eis , das zerschlagen , innen Licht und hell und blau wie Äther erscheint .
Bleibe euch stets die Hülle fremd , bleibe es euch nur der Verhüllte nicht .
Schwerlich werden einem Haschlauer Ohr von einiger Zärte die Härten dieses Verses -- z. B. der Proceleusmatikus : kehl wird oft die -- der zweite Päon : die Hülle fremd -- der Molossus :
bleibe ' euch stets -- entwischen ; durfte aber nicht der Dichter seine Ideen-Kürze durch einige metrische Rauhheit erkaufen ? --
Ich bemerke bei dieser Gelegenheit , daß es dem Dichter keinen Vorteil schafft , daß man seine Strek- und Einverse nicht als Eine Zeile drucken lasten kann ; und es wäre zu wünschen , es gäbe dem Werke keinen lächerlichen Anstrich , wenn man aus demselben arm lange Papierwickel wie Flughäute flattern ließe , die herausgeschlagen dem Kinde etwan wie ein Segelwerk von Wickelbändern Sees sein ; aber ich glaube nicht , daß es Glück machte .
Darauf kaufte sich der Notar im Laden drei unbedeutende Visitenkarten , weil er glaubte , er müsse auf ihnen an die beiden Töchter und die Frau des Hauses seinen Namen abgeben ; und gab sie ab .
Als er eilig seine Inserate in der nahen Zeitungsdruckerei ablieferte : fiel sein Auge erschreckend auf das neueste Wochenblatt , worin noch mit nassen Buchstaben stand :
" Das Flötenkonzert muß ich noch immer verschieben , weil ein schnell wachsendes Augen- Übel mir verbietet , Noten anzusehen .
J. van der Harnisch .
Welch einen schweren Kummer trug er aus der Druckerei in sein Stübern zurück !
Auf den ganzen Frühling seiner Zukunft war tiefer Schnee gefallen , so bald sein freudiger Bruder die freudigen Augen verloren , die er an seiner Seite darauf werfen sollte .
Er lief müßig im Zimmer auf und ab , und dachte nur an ihn .
Die Sonne stand schon gerade auf den Abendbergen und füllte das Zimmer mit Goldstaub ; noch war der Geliebte unsichtbar , den er gestern von derselben Sonnenzeit erst wieder bekommen .
Zuletzt fing er wie ein Kind zu weinen an , aus stürmischem Heimwehe nach ihm , zumal da er nicht einmal am Morgen hatte sagen können : guten Morgen und lebe wohl Vult ! --
Da ging die Türe auf und der festlich gekleidete Flötenist herein .
O mein Bruder ! rief Walten schmerzlich freudig .
" Donner ! leise , fluchte Vult leise , es geht hinter mir -- nenne mich Sie ! " --
Flora kam nach .
" Morgen Vormittags demnach , H. Notarius , fuhr Vult fort , wünsche ich , daß sie den Mietkontrakt zu Papier brächten .
Tu parles françois , Monsieur ? "
-- Miserablement , versetzte Walten , ou non .
" Darum , Monsieur , komme ich so spät , erwiderte Vult , weil ich erstlich meine eigene Wohnung suchte und bezog und zweitens in einer und der anderen fremden einsprach ; denn wer in einer Stadt viele Bekanntschaften machen will , der tue es in den ersten Tagen , wo er einpassiert ; da sucht man noch die seinige , um ihn nur überhaupt zu sehen ; später , wenn man ihn hundertmal gesehen , ist man ein alter Hering , der zu lange in der aufgeschlagenen Tonne auf dem Markte bloß gestanden . "
" Gut , sagte Walten , aber mein ganzer Himmel fiel mir aus dem Herzen heraus , da ich vorhin in dem Wochenblatte die Augenkrankheit las " -- und zog leise die Türe des Schlafkämmergens zu , worin Flora betete .
" Die Sache bleibt wohl die -- fing Vult an und stieß Kopfschüttelnd die Pforte wieder auf -- " pudoris gratia factum est atque formositatis * ) , erwiderte Walten auf das Schütteln -- bleibt wohl die , sage ich , was Sie auch mögen hier eingewendet haben , die daß das deutsche Kunstpublikum sich in nichts inniger verbeisset als in Wunden oder in Metastasen .
Ich meine aber weiter nichts als soviel : daß das Publikum z. B. einen Maler sehr gut bezahlt und rekommandiert , der aber etwan mit dem linken Fuße pinselte -- oder einen Hornisten , der aber mit der Nase bliese -- desgleichen einen Harfeniere , * )
" Es geschah der Schamhaftigkeit und Wohlgestalt zu Liebe . " der mit beiden Zahnreihen griffe , -- auch einen Poeten , der Verse machte , aber im Schlafe -- und so demnach auch in etwas einen Flantotraversisten , der sonst gut pfiffe , aber doch den zweiten Vorzug Dülons hätte , stockblind zu sein . --
Ich sagte noch Metastasen , nämlich musikalische .
Ich gab einmal einem Fagottisten , und einem Bratschisten , dir zusammen reisten , den Rat , ihr Glück dadurch zu machen , daß der Fagottist sich auf dem Zettel anheischig machte , auf dem Fagott etwas Bratschen-Gleiches zu geben , und der andere , auf der Bratsche so etwas vom Fagott .
Ihr macht es nur so , sagte ich , daß ihr euch ein finsteres Zimmer wie die Mund- Harmoniker oder Lolli bedingt ; da spiele denn jeder sein Instrument und gebe es für das fremde , so wie jener ein Pferd , das er mit dem Schwanze an die Krippe gebunden , als eine besondere Merkwürdigkeit sehen lies , die den Kopf hinten trage . --
Ich weiß aber nicht , ob sie es getan . "
Flora ging ; und Vult fragte ihn , was er mit der Türschliesserei und dem Latein gewollt .
Gottwalt umarmte ihn erst recht als Bruder , und sagte dann , er sei nun so , daß er sich schäme und quäle , wenn er eine Schönheit wie Flora in die knechtischen Verhältnisse der Arbeit gestürzt und vergraben sehe ; eine niedrig Handtierende Schönheit sei ihm eine welsche Madonna mitten auf einem niederländischen Gemälde .-- " Oder jener Correggio , den man in Schweden an die königlichen Stallfenster annagelte als Stall-Gardine * ) -- sagte Vult -- aber erzähle das Testament ! "
Walten tat es und vergaß etwan ein Drittel : " seit die poetischen Äthermühlflügel , die du Mühlenbaumeister angegeben , sich vor mir auf ihren Höhen regen , ist mir die Testaments-Sache schon sehr unscheinbar geworden " setzte er dazu .
-- " Das ist mir gar nicht recht " versetzte Vult .
Ich habe den ganzen heutigen Nachmittag auf eine ennuyante Weiß lange schwere Dollonds und Reflektors gehalten , um die H. Akzessit-Erben von weitem zu sehen -- so die meisten davon ver * ) Winkelmann von der Nachahmung etc. dienen den Galgenstrang als Nabelschnur der zweiten Welt .
Du bekommst wahrlich schwere Aufgaben durch sie . " -- Walten sah sehr ernsthaft aus .
-- " Denn , fuhr jener lustiger fort , erwägt man dein liebliches Nein und Adio , als Flora vorhin nach Befehlen fragte und ihr belvedere d. h. ihre belle-vue von schönem Gesicht und dazu das enterbte Diebs- und Siebengestirn , das dir vielleicht bloß wegen der Klausel , die dich um ein Sechstel puncto Sexti zu strafen droht , eine Flora so nahe mag hergesetzt haben , die zu deflorieren " -- -- -- " Bruder -- unterbrach ihn der zorn- und Schamrote Jüngling und hoffte , eine ironische Frage zu tun -- ist das die Sprache eines Weltmanns wie du ? "
-- " Auch wollte ich effleurer sagen statt deflorer , sagte Vult .
O , reiner starker Freund , die Poesie ist ja doch ein paar Schlittschuh , womit man auf dem glatten reinen kristallenen Boden des Ideals leicht fliegt , aber miserabel forthumpelt auf gemeiner Gasse . "
Er brach ab und fragte nach der Ursache , warum er ihn vorhin so trauernd gefunden .
Walten , jetzt zu verschämt , sein Sehnen zu bekennen , sagte bloß , wie es gestern so schön gewesen und wie immer , so wie in andere Feste Krankheiten * ) fallen , so in die heiligsten der Menschen Schmerzen , und wie ihm das Augen- Übel in der Zeitung wehe getan , das er noch nicht recht verstehe .
Vult entdeckt ihm den Plan , daß er nämlich vorhabe , so gesund auch sein Auge sei , es jeden Markttag ein Wochenblatt für kränker und zuletzt für stockblind auszurufen , und als ein blinder Mann ein Flötenkonzert zu geben , das eben so viele Zuschauer als Zuhörer anziehe .
" Ich sehe , sagte Vult , du willst jetzt auf die Kanzeltreppe hinauf ; aber predige nicht ; die Menschen verdienen Betrug -- Gegen dich hingegen bin ich rein und offen , und deine Liebe gegen den Menschen liebe ich etwas mehr als den Menschen selber .
-- " O wie darf denn ein Mensch so stolz sein und sich für den einzigen halten , dem allein die volle Wahrheit zufließe ? " fragte Walten -- * )
Weil die meisten Feste in große Wetter-Krisen treffen .
" Einen Menschen , versetzte Vult , muß jeder , der auf den Rest Dampf und Nebel loslässt , besitzen , einen Auserwählten , vor dem er Panzer und Brust aufmacht und sagt :
guck ' hinein .
Der Glückliche bist nun du ; bloß weil du -- so viel du auch , merke ich , Welt hast , -- doch im Ganzen ein frommer , fester Geselle bist , ein reiner Dichter und dabei mein Bruder , ja Zwilling und -- so lasse ' es dabei ! " --
Walten wusste sich in keine Stelle so leicht und gut zu setzen als in die fremde ; er sah der schönen Gestalt des Geliebten diese Sommersprossen und Hetzblattern des Reiselebens nach und glaubte , ein Schattenleben wie seines hätte Volten diese vielfarbige moralische Nesselsucht gewiß erspart .
Bis tief in die Nacht , brachten beide sie mit friedlichen Entwürfen und Gränzrezessen ihres Doppelromans zu und das ganze historische erste Viertel ihrer romantischen Himmelskugel stieg so hell am Horizonte empor , daß Walten den anderen Tag weiter nichts brauchte , als Stuhl und Tinte und Papier und anzufangen .
Froh sah er dem morgenden Sonntag ent gegen ; der Flötenist aber jenem Abend , wo er , wie er sagte , wie ein Finke geblendet pfeife .
Nro.16. Bergguhr .
Sonntag eines Dichters .
Walten setzte sich schon im Bette auf , als die Spitzen der Abendberge und der Türme dunkelrot vor der frühen July-Sonne standen , und verrichtete sein Morgengebet , worin er Gott für seine Zukunft dankte .
Die Welt war noch leise , an den Gebirgen verlief das Nachtmeer still , ferne Entzückungen oder Paradiesvögel flogen stumm auf den Sonntag zu .
Walten hätte sich gefürchtet , seine namenlose Wonne laut zu machen , wenn es nicht vor Gott gewesen wäre .
Er begann nun den Doppelroman .
Es ist bekannt genug , daß unter allen Kapiteln keine seliger geschrieben werden ( auch oft gelesen ) als das erste und dann das letzte , gleichsam auch ein Sonntag und ein Sonnabend .
Besonders erfrischt es ihn , daß er nun einmal ohne allen juristischen Gewissens- bis auf dem Parnas spazieren gehen durfte , und oben mit einer Muse spielen ; indem er , hofft er , gestern im juristischen Fache das Seinige gearbeitet , nämlich das Testament vernommen und erwogen .
Da den Abend vorher war ausgemacht worden , daß der Held des Doppelromans einen langen Band hindurch sich nach nichts sehnen sollte , als bloß nach einem Freunde , nicht nach einer Heldin :
so ließ er ihn es zwei Stunden , oder im Buche selber so viele Jahre lang , wirklich tun ; er selber aber sehnte sich auch mit und über die Massen .
Das Schmachten nach Freundschaft , dieser Doppelflöte des Lebens , holte er ganz aus eigener Brust ; denn der geliebte Bruder konnte ihm so wenig wie der geliebte Vater , einen Freund ersparen .
Oft sprang er auf , beschaute den duftigen goldhellen Morgen , öffnete das Fenster und segnete die ganze frohe Welt , vom Mädchen am Springbrunnen an bis zur lustigen Schwalbe im blauen Himmel .
So rügt die Bergluft der eigenen Dichtung alle Wesen näher an das Herz des Dichters und ihm , erhoben über das Leben , näh Herrn die Lebendigen sich mehr und das größte in seiner Brust befreundet ihn mit dem Kleinsten in der fremden .
Fremde Dichtungen hingegen erheben den Leser allein , aber den Boden und die Nachbarschaft nicht mit .
Allmählich ließ ihn der Sonntag mit seinem Schwalbengeschrei , Kirchengeläute , seinen Ladendiener-Klopfwerken und Nach-Walkmühlen an Sonntagsröcken in allen Korridoren schwer mehr sitzen ; er sehnte sich nach einem und dem anderen leibhaften Strahl der Morgensonne , von welcher ihm in seinem Abendstübchen nichts zu Gesichte kam als der Tag .
Nachdem lange der Schreibtisch und die sonnenhelle Natur ihre magnetischen Stäbe an ihn gehalten und er sich vergeblich zwei Ich_es gewünscht , um mit dem einen spazieren zu gehen , während das andere mit der Feder saß :
so verkehrte er dieses in jenes und trug die Brust voll Himmelsluft und den Kopf voll Landschaften ( Aurores Gold-Wölkgen spielten ihm auf der Gasse noch um die Augen ) über den frohen lauten Markt , und zog mit dem Viertels-Flügel der Fürstlichen Kriegsmacht fort , welcher blies und trommelte , und der Nikolaithurm warf dazu seine Blasemusik in die unters hinein , die mit ihr im verbotenen Grade der Sekunde verwandt wurde .
draußen vor dem Tore hörte er , daß das magische wie von Fernen kommende Freudengeschrei in seinem Inneren von einem schwarzen fliegenden Korps oder Chor Kurrentschüler ausgesprochen wurde , das in der Vorstadt fugierte und schrie .
Herrlich wiegte sich in bunter Fülle der van der Kabelsche Garten vor ihm , den er einmal erben konnte , wenn er_es recht anfing und recht ausmachte ; er ging aber verschämt nicht hinein , weil Menschen darin saßen , sondern erstieg das nahe Kabelsche Wäldern auf dem Hügel .
Darin saß er denn entzückt auf Glanz und Tau , und sah gen Himmel und über die Erde .
Allmählich sank er ins Vorträumen hinein -- was so verschieden vom engeren Nachträumen ist , da die Wirklichkeit dieses einzäunt , indes der Spielplatz der Möglichkeit jenem frei liegt .
Auf diesem heiteren Spielplatze beschloss er das große Götterbild eines Freundes aufzurichten und Flegeljahre I. Bd. 14 solches ganz so zu meißeln -- was er im Romane nicht gedurft -- wie er_es für sich brauchte .
" Mein ewig teurer Freund , den ich einmal gewiß bekomme -- sagte er zu sich -- ist göttlich , ein schöner Jüngling und dabei von Stande , etwa ein Erbprinz oder Graf ; -- und eben dadurch so zart ausgebildet für das Zarte .
Im Gesicht hat er viel Römisches und Griechisches , eine klassische Nase aus deutscher Erde gegraben ; aber er ist doch die mildeste Seele , nicht bloß die feurigste , die ich je gefunden , weil er in der Eisen-Brust zur Wehre , ein Wachs-Herz zur Liebe trägt .
So treuen , unbefleckten , starken Gemüts , mit großen Felsen-Kräften , gleich einer Bergreihe , nur gerade gehend -- ein wahres philosophisches Genie oder auch ein militärisches oder ein diplomatisches -- daher setzt er mich und viele eben in ein wahres Staunen , daß ihn Gedichte und Tonkunst entzücken bis zu Tränen .
Anfangs scheute ich ordentlich den gerüsteten Kriegsgott ; aber endlich einmal in einem Garten in der Frühlings- Dämmerung oder weil er ein Gedicht über die Freundschaft der zurückgetretenen Zeiten hörte , über den griechischen Phalanx , der bis in den Tod kämpfte und liebte , über das deutsche Schuz- und Trutzbündnis befreundeter Männer ; da greift ihm das Verlangen nach der Freundschaft wie ein Schmerz nach dem Herzen und er träumt sich seufzend eine Seele , die sich sehnet wie er .
Wenn diese Seele -- das Schicksal will , daß ich_es sei -- endlich neben seinen schönen Augen voll Tränen steht , alles recht gut errät , ihm offen entgegenkommt , ihn ihre Liebe , ihre Wünsche , ihren guten Willen , wie klare Quellen durchschauen lässt , gleichsam als wollte sie fragen , ist dir weniges genug :
so könnte es wohl ein zweites gutes Schicksal fügen , daß der Graf , gleich Gott alle Seelen liebend , auch wie ein Gott sich meine zum Sohne des Herzens erwählte , der dem Gotte dann gleich werden kann -- daß dann wir beide in der hellsten Lebensstunde einen Bund ewiger , starker , unverfälschter Liebe beschwüren " . . . . .
Den Traum durchriß ein schöner langer Jüngling , der in roter Uniform auf einem Engländer unten auf der Heerstraße vorüberflog , dem Stadttore zu .
Ein gut gekleideter Bettler lief mit dem offenen Hute ihm entgegen -- dann ihm nach , dann voraus -- der Jüngling kehrte das Roß um -- der Bettler sich -- und jetzt hielt jener in den Taschen suchend , den stolzen Waffentanz des schönen Rosses so lange auf , daß Walten ziemlich leicht die Melancholie auf dem prangenden Gesicht , wie Mondschein auf einem Frühling , bemerken konnte , so wie einen solchen Stolz der Nase und der Augen , als könne er die Siegszeichen des Lebens verschenken .
Der Jüngling warf dem Manne seine Uhr in den Hut , welche dieser lang an der Kette trug , indem er mit dem Danke dem Galoppe nachzukommen suchte .
Jzt war der Notarius nicht mehr im Stande , eine Minute aus der Stadt zu bleiben , wohin der Reiter geflogen war , der ihm fast als der Freund , nämlich als der Gott vorkam , den er vorher im Traume mit den Abzeichen aller übrigen Götter ( signis Pantheis ) geputzt hatte .
Befreunden -- sagte er zu sich , in seinem romantischen durch das Testament noch gestärkten Mute , und auf sein liebe-quellendes Herz vertrauend -- wollten wir uns leicht , falls wir uns erst hätten . "
-- Er wäre gern zu seinem Bruder gegangen , um sowohl das dürstende Herz an dessen Brust zu kühlen , als ihn über den schönen Jüngling auszufragen ; aber Vult hatte ihn gebeten , der Spionen wegen und besonders vor dem Blinden- Konzert den Besuch viel lieber anzunehmen als abzustatten .
Mitten aus dem heiligen Opferfeuer rief ihn der Hofagent Neupeter in seine dunkle Schreib- Stube hinein , damit er darin vor dem Essen einige Wechsel protestierte .
Wie an einem Käfer , der erst vom Fluge gekommen , hingen an ihm die Flügel noch lang unter den Flügeldecken heraus ; aber er protestierte doch mit wahrer Lust , es war sein erster Notariats- Aktus ; und -- was ihm noch mehr galt -- seine erste Dankhandlung gegen den Agenten .
Nichts wurde ihm länger und lästiger als das erste Vierteljahr , worin ein Mensch ihn beherbergte , oder bediente , oder beköstigte , bloß weil ihm der Mensch so viele Dienste und Mühen vorschoss , ohne von ihm noch das Geringste zu ziehen .
Er protestierte gut und sehr , musste sich aber vom lächelnden Kaufmann den Monatstag ausbitten , und war überhaupt kaum bei sich ; denn immerhin komme ein Mensch mit der poetischen Luftkugel , die er durch Adler in alle helle Ätherräume hat reißen lassen , plötzlich unten auf der Erde an , so hängt er doch noch entzückt unter dem Glaube und sieht verblüfft umher .
Das war der Sonntags-Vormittag .
Der Nachmittag schien sich anders anzufangen .
Walten war von der hellen Wirtstafel -- wo er mit seinem Puder und Nanking zwischen Atlas , Manchester , Lockzöpfen , Degen , Batist , Ringen und Federbüschen wettgeeifert und gespeist hatte -- in seine Schattenstube im völligen Sonntagsputz zurückgegangen , den er nicht ausziehen konnte , weil eben der Putz in nichts als in einigem Puder bestand , womit er sich sonntäglich besäte .
Sah er so weiß aus , so schmeckt er freilich so gut als der Fürst , was sowohl Sonntage heißen als Putz .
Sogar dem Bettler bleibt stets der Himmel des Putzwerkes offen ; denn das Glück weht ihm irgend einen Lappen zu , womit er sein größtes Loch zuflickt ; dann schauet er neugeboren und aufgeblasen umher und bietet es still schlechtem porösen Bettel-Volk .
Nur aber war der frohe Vorsatz , den ganzen Nachmittag seinem Kopfe und seinem Romane dichtend zu leben , jetzt über seine Kräfte , bloß wegen des Sonntags-Schmucks ; ein gepuderter Kopf arbeitet schwer .
So müsste zum Beispiel gegenwärtiger Verfasser -- steckte man ihn in dieser Minute zur Probe in Königsmäntel , in Krönungsstrümpfe , in Sporenstiefel , unter Kurhüte -- auf solche Weise verziert , die Feder weglegen und verstopft aufstehen , ohne den Nachmittag zu Ende gemalt zu haben ; denn es geht gar nicht im herrlichsten Anzug ; -- ausgenommen allein bei dem verstorbenen Buffon , von welchem Madame Necker berichtet , daß er zuerst sich wie zur Gala und darauf erst seine Bemerkungen eingekleidet , um welche er als ein geputzter und putzender Kammerdiener herum ging , indem er ihnen Vormittags die Nennwörter anzog , und Nachmittags die Beiwörter .
Den Notar störte außer dem Puder noch das Herz .
Die Nachmittags-Sonne glitt jetzt herein und ihre Blicke sogen und zogen hinaus in die helle Welt , ins Freie ; er bekam das Sonntags-Heimweh , was fast armen Teufeln mehr bekannt und beschwerlich ist , als reichen .
Wie oft trug er in Leipzig an schönen Sonntagen die Vesper-Wehmut durch die entvölkerten Alleen um die Stadt !
Nur erst Abends , wenn die Sonne und die Lust-Gäste heimgiengen , wurde ihm wieder besser .
Ich habe geplagte Kammerjungfern gekannt , welche im Stande waren , wöchentlich siebenthalbe Tage zu lachen und zu springen , nur aber Sonntags nach dem Essen unmöglich ; das Herz und das Leben wurde ihnen Nachmittags zu schwer , sie strichen so lange in ihrer unbekannten kleinen Vergangenheit herum , bis sie darin auf irgend ein dunkles Plätzen stießen , etwan auf ein altes niedriges Grab , worauf sie sich setzten , um sich auszuweinen , bis die Herrschaft wieder kam .
Gräfin , Baronesse , Fürstin , Mulattin , Holländerin , oder Freiin , oie du nach weiblicher Weise immer noch herrischer gegen die Sklavin bist als gegen den Sklaven -- sei das doch Sonntags nach dem Essen nicht !
Die Leute in deinem Dienste sind arme Landteufel , für welche der Sonntag , der in großen Städten , in der großen Welt und auf großen Reisen gar nicht zu haben ist , sonst ein Ruhe-Tag war , als sie noch glücklicher waren , nämlich noch Kinder .
Gern werden sie , ohne etwas zu wünschen , leer und trocken bei deinen Hoffesten , Hochzeit- und Leichenfesten stehen , und die Teller und die Kleider halten ; aber an dem Sonntage , dem Volks- und Menschenfest , auf das alle Wochen-Hoffnungen zielen , glauben die Armen , daß ihnen irgend eine Freude der Erde gebühre , da ihnen zumal die Kinderzeit einfallen muß , wo sie an diesem Bundes- Feste der Lust wirklich etwas hatten , keine Schulstunde -- schöne Kleider -- spaßhafte Eltern -- Spielkinder -- Abendbraten -- grünende Wiesen und einen Spaziergang , wo gesellige Freiheit dem frischen Herzen die frische Welt ausschmückte .
Liebe Freiin !
wenn dann am Sonntage , wo gedachte Person weniger in der Arbeit , der Lethe des Lebens , watet , das jetzige dumpfe Leben sie erstickend umfängt , und ihr über die Unfruchtbarkeit der tauben Gegenwart die helle Kinderzeit , die ja allen Menschen einerlei Eden verheißt , mit süßen Klängen wie neu herüber kommt :
dann strafe die armen Tränen nicht , sondern entlasse die Sehnsüchtige etwan bis Sonnen-Untergang aus deinem Schlosse !
-- Als der Notar sich noch sehnte , stürmte lustig Vult herein , den Mittagswein im Kopf , ein schwarzes Seidenband um Ein Auge , mit offenem Hals und losem Haar und fragte , warum er noch zu Hause sitze , und wie viel er Vormittags geschrieben ?
Walten gab es ihm .
Als er_es durch hatte , sagte er :
" Du bist ja des Teufels , Göttern , und ein Engel im Schreiben .
So fahre fort ! --
Ich habe auch , ( fuhr er mit kälterer Stimme fort und zog das Manuskript aus der Tasche ) diesen Morgen in unseren Hoppelpoppel oder das Herz gearbeitet , und darin ausgeschweift , so viel als nötig für ein erstes Kapitel .
Ich will dir den Schwanzstern ( so nenne ' ich jede Digression ) halb vorsagen -- wenn du mich nur , o Gott , mehr zu goutieren wüßtest !
-- nicht vorlesen , denn eben darum !
Ich fahre im Schwanzstern besonders wild auf die jungen Schreiber los , die von dir abweichen und in ihren Romanen die arme Freundschaft nur als Thür- und Degengriff der Liebe vorne an diese so unnütz anbringen , wie den Kalender und das genealogische Verzeichnis der regierenden Häupter vorne an die Blumenlesen .
Der Spitzbube , der Kränkling von Schwächling von Helden will nämlich auf den ersten Paar Bogen sich stellen , als seufz er ziemlich nach einem Freunde als klaffe auf sein Herz nach einer Unendlichkeit -- schreibt sogar das Sehnen nach einem Freund , wenn_es Werk in Briefen ist , an einen , denn er schon hat zum Epistolieren -- ja er verrät noch Schmachtungen nach der zweiten Welt und Kunst ; -- kaum aber ersieht und erwischt die Bestie ihr Mädchen ( der Operngucker sieht immer nach dem Freunde hin ) so hat sie satt und das Ihrige ; wiewohl der Freund noch elendiglich mehrere Bogen nebenher mitstapeln muß bis zu dem Bogen Ix , auf welchem dem geliebten Freunde wegen einer Treulosigkeit des Mädchens frei gesagt wird , es gebe auf der Erde kein Herz , keine Tugend und gar nichts .
Hier spei ich , Bruder , auf das schreibende Publikum Feuer ; Spitzbube , so rede ich im Schwanzstern an , Walten , Spitzbube , sei wenigstens ehrlich und tue dann , was du willst ; da doch dein Unterschied zwischen einem Freund und einem Liebhaber nur der zwischen einem Sau- und einem Hunds-Igel ist . "
Hier sah Vult lange das Papier , dann Walten an .
" Der ist aber ? " fragte dieser .
-- " So fragt auch mein Schwanzstern , sagte jener .
Keiner nämlich -- Denn es gibt eben keine Schwein-Igel nach Bächstein * ) , sondern , was man dafür nahm , waren Weibchen oder Jungen .
Mit den Schweins-Dachsen ist_es eben so .
Was hilft_es , ihr romantischen Autoren , ( las Vult weiter und sah immer vom Papier weg , um das Komische mehr zu sagen als , weil er_es wenig konnte , vorzulesen ) daß ihr eure unterirdische Blattseite gegen den Himmel aufstülpet ?
* )
Dessen Naturgeschichte Deutschlands I. B. 2te Auflage .
Sie dreht sich wieder um ; wie an Glastafeln , wird nur eure , der Erde zugekehrte Seite betauet ; wie an elektrischen Katzen , müsset ihr vorher aus eurem Bürzel einen Funken locken , bevor ihr einen aus dem Kopfe wieder bekommt und vice versa .
Seid des Teufels lebendig ; aber nur offen ; liebt entsetzlich , denn das kann jedes Tier und jedes Mädchen , das sich deshalb für eine Edle , eine Dichterin und einen Welt- Solitäre ansieht -- aber befreundet euch nicht , was ja an liebendem Vieh so selten ist wie bei euch .
Denn ihr habt nie aus Johann Müllers Briefen oder aus dem alten Testament oder aus den Alten gelernt , was heilige Freundschaft ist und ihr hoher Unterschied von Liebe , und daß es das Trachten -- nicht eines Halbgeistes nach einer ehelichen oder sonstigen Hälfte sondern -- eines Ganzen nach einem Ganzen , eines Bruders nach einem Bruder , eines Gottes nach einem Universum ist , mehr um zu schaffen und dann zu lieben , als um zu lieben und dann zu schaffen .
... .
Und so geht denn der Schwanzstern weiter " beschloß Vult , der sich nicht erwehren konnte , ein wenig die Hand des Bruders zu drücken , dessen voriges Freundschafts- Kapitel ordentlich wie helles warmes angeborenes Blut in sein Herz gelaufen war .
Walten schien davon entzückt zu sein , fragte aber , ob nicht auch oft die Freundschaft nach der Liebe und Ehe komme oft sogar für dieselbe Person -- ob nicht der treueste Liebhaber eben darum der treueste Freund sei -- ob nicht die Liebe mehr romantische Poesie habe als die Freundschaft -- ob jene am Ende nicht in die gegen Kinder übergehe -- ob er nicht fast hart mit seinen Bildern sei ; -- und noch mehr wollte Gottwalt lindern und schlichten .
Aber Vult fuhr auf sowohl aus voriger Rührung als aus Erwartung eines viel weniger bedingten Lobes , hielt sich die Ohren vor Rechtfertigungen der Menschen zu und klagte :
er sehe nun gar zu gut voraus , wie ihm künftig Walten eine Erbosung nach der anderen versalzen werde durch sein Überzuckern ; beifügend , in ihrem " Hoppelpoppel oder das Herz " gewännen ja eben die süßen Darstellungen am meisten durch die schärfsten , und gerade hinter dem scharfen Fingernagel liege das weich sie empfindsamste Fleisch ; " aber , fuhr er fort , von etwas angenehmerem , von den 7 Erb-Dieben , wobei ich mir wieder deinetwegen Mühe gegeben !
Ich muß etwas bei dir sitzen . "
" Noch etwas angenehmes vorher " versetzte Walten und schilderte ihm den roten götterschönen Jüngling , und daß solcher wie ein Donnergott auf einem Sturmvogel , zwischen Aurora und Iris gezogen , und unter dem blauen Himmel wie durch eine Ehrenpforte geritten wäre .
" Ach nur seine Hand , endigte er , wenn ich sie je anrühren könnte , dachte ich heute zumal nach dem Freundschaftskapitel .
O kennst du ihn ? "
" Kenne ' ihn so nicht , deinen Donner- und Wetter -- -- Gott ( sagte Vult kühl und nahm Stock und Hut ) .
Verschimmle nur nicht in deinem Storchnest -- Lauf hinaus ins Rosenthal wie ich , wo du alle Haschlauer beau monde's-Rudel mit Einem Sau-Garn überziehen und fangen kannst , und ihn mit .
Vielleicht jage ich darunter den gedachten Donnergott auf -- -- möglich ist_es der Graf Klotar -- Nein Freund , ich gehe absichtlich ohne dich ; auch tue überhaupt nicht draußen , als ob du mich sonderlich kenntest , falls ich etwa zu nahe vor dir vorüber gehen sollte vor Augen-Schwäche ; denn nach gerade muß ich mich blind machen , ich meine die Leute .
Adio ! "
Nro. 17. Rosenholz .
Rosenthal .
In drei Minuten stand der Notar , dem Vults Verstimmung entgangen war , freudig auf dem grünen Wege nach dem Haschlauer Rosentale , das sich vom schönen Leipziger besonders dadurch unterscheidet , daß es so wohl Rosen hat als auch ein Tal und daher mehr der Fantaisie bei Bayreuth ähnlich ist , die bloß die Zuckerbäcker-Arabesken und Phantasie- Blumen und Prunk-Pfähle vor ihm voraus hat .
Aus der Stadt zog er eigentlich kaum , denn er fand die halbe unterwegs ; und alle seine Seelen-Winkel wurden voll Sonnenlicht bei dem Gedanken , so mit zu gehen unter Leuten , die mitgehen , mitfahren , mitreiten .
Rechts und links standen die Wiesen , die wallenden Felder und der Sommer .
Aus der Stadt lief das Nachmittags-Geläute der Kirche in die grüne warme Welt heraus , und er dachte sich hinein , wie jetzt die Kirchengänger sich heraus denken und ihn und das freie luftige Leben göttlich finden würden in den schmalen , kalten , steinernen Kirchen auf langen leeren Bänken einzeln schreiend , mit schönen breiten Sonnenstreifen auf den Schenkeln und mit der Hoffnung , nach der Kirche nachzumarschieren so schnell als möglich .
Die Zugheerings-Heerde von Menschen legte sich in die Bucht des Rosenthals an .
Die Laubbäume taten sich auf und zeigten ihm die glänzende offene Tafel des Juli Sonntags , die aus einbeinigen Täfeln unter Bäumen bestand -- " köstlich , sagte der Notar zu sich , ist doch wahrlich das allgemeine Sesselholen , Zeltaufschlagen , Rennen grüner Lauferschürzen , Weglegen der Schauls und Stöcke , Ausziehen der Korke , und Wählen eines Tischgens , die stolzen Federhüte zwischen durch , die Kinder im Grase , die Musikanten hinten , die gewiß gleich anfan Flegeljahre I. Bd. 15 gen , die warmblühenden Mädchen-Stirnen , die durchschimmernde Gartenrosen unter den weißen Schleiern , die Arbeitsbeutel , die Goldanker und Kreuze und andere Gehenke auf ihren Hälsen , und die Pracht und die Hoffnung und daß noch immer mehr Leute nachströmen -- --
O ihr lieben Menschen , macht euch nur recht viel Lust , wünsche ich ! " --
Er selber setzte sich an ein einsames Tischchen , um kein geselliges zu stören .
Vom Zuckerguss seines stillen Vergnügtseins fest überlegt saß er daran , sich erfreuend , daß jetzt fast in ganz Europa Sonn- und Lusttag sei , und nichts begehrend als neue Köpfe , weil er jeden zwischen die Augen nahm , um auszufüllen , ob er dem roten Jüngling angehöre , wonach seiner Seele alle ihre Blütenblätter standen .
Ein Geistlicher spazierte vorüber , vor dem er sitzend den Hut abnahm , weil er glaubte , daß Priester , gewohnt durch ihre Rockfarbe jeden Hut zu bewegen auf dem Lande , jedesmal Schmerzen in der Stadt empfinden müssten , wenn ein ganz fester vorbei ginge .
Der Geistliche sah ihn scharf an , fand aber , daß er ihn nicht kenne .
Jzt trabten zwei Reiter heran , von welchen der eine wenig zu leben hatte , der andere aber nichts , Vult und Flette .
Der Elsässer tanzte reichgekleidet und lustig -- obgleich seine te deum laudamus in laus deo bestanden -- nach seinem eigenen Gesang vom Steigbügel unter seine Bekanntschaften , d. h. sämtliche Anwesende hinein ; geliebt von jedem , dem er nichts schuldig war .
Er überstand lustig eine kurze Aufmerksamkeit auf sich als den Menschen , der die Kabelsche Erbportion eingebüßt , welche er schon als Faustpfand so oft wie den Reliquienkopf eines Heiligen vervielfacht unter seine Gläubiger verteilt hatte , weil das marseillische Schiff , worauf er eine große eben so oft verpfändete Dividende hatte , jedem zu lange ausblieb .
Walten wunderte und freute sich , daß der singende Tänzer , der alle Weiber grüßte , der kühn ihre Fächer und Sonnenschirme und Armbands-Medaillons handhabte und kühner die Häng-Medaillen und Häng-Uhren von jeder weißen Brust mit den Fingern ans Auge erhob , sich gerade vor den Tisch der drei häßlichsten postierte , denen er Wasser und Aufwärter holte , sogar schöne Gespielinnen .
Es waren die 3 Neupeterischen Damen , bei welchen Gottwalt gestern drei Visiten-Karten abgegeben .
Der Elsässer machte in kurzem umherlaufend das ganze Rosenthal mit dem dort sitzenden Nanking bekannt , der den alten Kabel beerbte ; aber Walten , zu aufmerksam auf andere und zu wenig sich voraussetzend , entging durch sein menschenfreundliches Träumen dem Missvergnügen , das allgemeine Schielen zu sehen .
-- Zuletzt trat Flette gar zu ihm , und verriet durch einen Gruß ihn der Kaufmannschaft .
Unter allen 7 Erben schien der lustige Bettler gerade am wenigsten erbittert auf Walten zu sein ; auch dieser gewann ihn herzlich lieb , da er zuerst den Spielteller der Musikanten nahm , belegte und herum trug , und gern hätte er ihm ein großes Stück der Erbportion oder des Testaments zum Lohne mit darauf geworfen .
Der Notar war besonders auf die feinste Lebensart seines Bruders neugierig .
Diese bei stand aber darin , daß er sich um nichts bekümmerte , sondern auswärts tat , als sitz er warm zu Hause , und es gebe keine Fremden auf der Welt .
Sollte es nicht einige Verachtung oder Härte anzeigen , dachte Walten , durchaus keine fremde erste Stunde anzuerkennen , sondern nur eine vertraute zweite , zehnte etc. ? -- Dabei machte Vult das ruhigste Gesicht von der Welt vor je dem schönsten , trat sehr nahe an dieses , klagte , sein Auge komme täglich mehr herunter und blickte ( als Schein-Myops ) unbeschreiblich kalt an , und weg , als sitze die Physiognomie verblasen zu einem gestaltlosen Nebel an einer Bergspize hängend vor ihm da .
Sehr fiel dem Notarius -- welcher glaubte , auch gesehen zu haben in Leipzig in Rudolphs Garten , was feinste Sitten und Menschen sind , und mit welchen forcierten Märschen junge männliche Kaufmannschaft weibliche bedient und bezaubert , gleichsam willige Kartesianische Taucherlein , die der Damenfinger auf und nieder springen lässt -- sehr fiel ihm Vults männliche Ruhe auf , bis er zuletzt gar seine Definition des Anstands änderte und sich folgende für den " Hoppelpoppel " aus dem weltgewandten Bruder abzog : " Körperlicher Anstand ist kleinste Bewegung ; nämlich ein halber Schritt oder schwacher ausbuk statt eines Gemsensprunges -- ein mäßiger Bogen des Ellenbogens statt einer ausgereckten spitzen Fechter- Tangente , das ist die Manier , woran ich den Weltmann erprobe . "
-- Zuletzt wurde der Notar auch keck , und voll Welt und Lebensart und stand auf mit dem Vorsatz , wacker hin und her zu spazieren .
Er konnte so zuweilen ein Wort seines Bruders von der Seite wegschnappen ; und besonders irgendwo den roten Liebling des Morgens auffischen .
Die Musik , welche die Dienste des Vogelgesangs tat eben durch Unbedeutsamkeit , schwemmte ihn über manche Klippe hinüber .
Aber welche Flora von Honorazioren !
Er genoß jetzt das stille Glück , das er oft gewünscht , den Hut abzuziehen vor mehr als einem Bekannten , vor Neupeter et Compagnie , die ihm kaum dankten ; und er konnte sich nicht enthalten , manche frohe Vergleichungen seiner jetzigen lachenden Lage im Hase lauer Rosenthal mit seiner sonstigen anonymen im Leipziger anzustellen , wo ihn außer den wenigen , die er nicht richtig bezahlen konnte , fast keine Katze kannte .
Wie oft war er in jener unbekannten Zeit versucht , öffentlich auf Einem Beine zu tanzen , oder auch mit zwei zinnernen Kaffeekannen in der Hand , oder gerade zu eine Flammen-Rede über Himmel und Erde zu halten , um nur Seelen-Bekannte sich ans Herz zu holen ! --
So sehr setzt der Mensch -- der älter kaum bedeutenden Menschen und Büchern zuläuft -- jünger schon bloß neuen Leuten und Werken feurig nach .
Mit Freuden bemerkt er im Gehen , wie Vult in seine Ruhe und Würde so viel insinuante Verbindlichkeit , und in sein Gespräch so viele selber an Ort und Stelle geerntete Kenntnisse von Europas Bilderkabinetten , Künstlern , berühmten Leuten und öffentlichen Plätzen zu legen wusste , daß er wirklich bezauberte ; worin ihn freilich seine Verbindung mit seinen schwarzen Augen ( darin bestand besonders seine schwarze Kunst bei Weibern ) und wieder die Kälte , welche impo Niet ( Wasser gefriert sich immer erhoben ) sichtbar unterstützte .
Eine alte Hofdame des regierenden Häusgens von Haslau wollte schwer von ihm weg ; und bedeutende Herrn befragten ihn . --
Aber er hatte den Fehler , nichts so sehr zu lieben -- das Bezaubern ausgenommen -- als Entzaubern darauf , und besonders die Sucht .
Weiber , wie ein elektrisierter Körper leichte Sachen , anzuziehen , um sie abzustoßen .
Walten musste über Vults Einfälle über Weiber bei Weibern selber erstaunen ; denn er konnte in Vorübergehen recht gut vernehmen , daß Vilt sagte : sie kehrten stets im Leben und sonst , vie an ihren Fächern , gerade die reichste bemohlte Fläche anderen zu und behielten die leere -- und mehr dergleichen , als z. B. : sie machten , wie man die Cœurs auf Karten zu Gesichtern mit malerischer Spielerei umgewandelt , wieder leicht aus ihrem und einem fremden Gesicht ein Coeur -- oder auch : die rechte poetische , aber spitzbübische Art der Männer , sie zu interessieren , sei , ihnen immer die geistige Vergangenheit , ihre Lieblingin , vortönen zu lassen , als z. B. welche Träume vergangen , und wie sich sonst das Herz gesehnt u. s. w. , das sei die kleine Sourdine , die man in die Weite des Waldhorns stecke , dessen nahes Blasen dann wie fernes Echo klinge .
" Sie pfeifen auf der Flöte ? " sagte die Hofagentin Neupeter .
Er zog die Ansätze und Mittelstücke aus der Tasche und wies alles vor .
Ihre beiden häslichen Töchter , und fremde schöne baten um einige Stücke und Griffe .
Er steckte aber die Ansätze kalt ein und verwies bittend auf sein Konzert .
" Sie geben wohl Stunden ? " fragte die Agentin .
" Nur schriftliche " versetzt er , da ich bald da bald dort bin .
Denn längst lies ich in den Reichs-Anzeiger folgendes setzen :
" Endes Unterschriebener kündigt an , daß er in portofreien Briefen -- die ausgenommen die er selber schreibt -- allen , die sich darin an ihn wenden , Unterricht auf der herrlichen Flüte traversiere ( sie hier zu loben , ist wohl unnötig ) zu geben verspricht .
Wie die Finger zu setzen , die Löcher zu greifen , die Noten zu lesen , die Töne zu halten , will er brieflich posttäglich mitteilen .
Fehler , die man ihm schreibt , wird er im nächsten Briefe verbessern . "
" Unten stand mein Name .
Gleicher Weise kegle ich auch in Briefen mit einem sehr eingezogenen Bischof ( ich wollt ' , ich könnte ihn nennen ) ; wir schreiben uns , redlicher vielleicht als Forstbeamte , wie viel Holz jeder gemacht ; der andere stellt und legt seine Kegel genau nach dem Briefe und schiebt dann seiner Seits . "
Die Haschlauer mussten lachen , ob sie gleich ihm glaubten ; aber die Agentin strich sich mit innerer Hand so rot als einen Postwagen , dessen Stöße Hr. Peter Neupeter am besten kannte , an und fragte die Töchter nach Tee .
Das Kirwanenthee-Kästgen war vergessen .
Flette war froh , sagte , er sitze auf nach dem Kästen , hoffe es in fünf Minuten aus der Stadt herzureiten und sollte sein Gaul fallen -- d. h. der geborgte , denn sein Zutritt in allen Häusern war auch einer in allen Ställen -- und er denke sogar noch dem H. van der Harnisch eine bewährte Starbrille mit zubringen .
Vult behandelte , glaubte Walten , das Anerbieten und das Männen etwas zu stolz .
Wirklich kam Flette nach 7 Minuten zurückgesprengt , ohne Starbrille -- denn er hatte sie nur versprochen -- aber mit dem Neupeterischen Thee-Kästgen von Mahagonny , dessen Deckel einen Spiegel mit der Thee-Doublette aufschlug .
plötzlich fuhr Vult , als aus dem sogenannten Poetengange des Rosenthals , eine reiche rote Uniform mit rundem Hut heraustrat , auf den spazierenden Notarius los -- tat kurzsichtig , als glaube er ihn zu kennen -- fragte ihn unter vielen Komplimenten leise , ob jener rote Bediente des Grafen von Klotar der bewusste sei -- entschuldigte sich nach dem Kopfschütteln des bestürzten Notars laut mit seinem Kurzblicke der jetzt Bekannte und Unbekannte durch einander werfe und setzte hinzu : " verzeihen Sie einem Halbblinden , ich hielt Sie für den Herrn Waldheeren Pamsen aus Hamburg , meinen Intimen -- und lies ihn in Bewußtsein einer Verlegenheit , deren Quelle der redliche Notar nicht in seiner Wahrhaftigkeit suchte , sondern in seinem Mangel an Reisen , die immer das Hölzerne aus den Menschen nehmen , wie die Versetzungen das Holzige aus den Kohlrüben .
Jetzt trat nach dem dinarischen Abendrote der Aurora , hinter welcher der Notar seine Lebens - Sonne finden wollte , wirklich der Reiter des Morgens im blauen Überrock , aber mit Federbusch und Ordensstern aus dem dichten Laubholze heraus samt Gesprächen mit einem fremden Herrn .
Der Flötenspieler brauchte bloß auf einen brennenden Blick des Notars seinen kalten zu werfen , um fest zu wissen , daß der Morgen- Mann dem Feuer-Herzen des Bruders wieder erschiene , den er nur aus Ironie mit der Verwechslung des roten Bedienten mit dem blauen Herrn geneckt .
Walten ging ihm entgegen ; in der Nähe erschien diesem der Musengott seiner Gefühle noch länger , blühender , edler .
Unwillkürlich nahm er den Hut ab ; der vornehme Jüngling dankte stumm fragend und setzte sich ans erste beste Tischchen , ohne durch den Sprungfertigen Roth-Rock etwas zu fordern .
Der Notar ging auf und ab , um , wie er hoffte , vielleicht unter das Füllhorn der Reden zu kommen , das der schöne Jüngling über den Begleiter goß .
Wenn auch . . . . ( fing der Jüngling an , und der Wind wehte das Hauptwort Bücher weg , ) nicht gut oder schlecht machen , besser oder schlechter machen sie doch . "
Wie rührend und nur aus dem Innersten in das Innerste dringend , klang ihm diese Stimme , welche des schönen wehmütigen Flors um das Angesicht würdig wäre ! --
Darauf versetzte der andere Herr : die Dichtkunst führt ihre Inhaber zu keinem bestimmten menschlichen Charakter ; wie Kunstpferde machen sie Küssen und Totstellen und Komplimentieren und andere fremde Künste nach ; sind aber nicht die dauerhaftesten Pferde zum Marsch " -- Das Gespräch war offenbar im Poetengange aufgewachsen .
" Ich bin gar nicht in Abrede -- versetzte der blaue Jüngling ruhig ohne alle Gestus und Gottwalt ging immer schneller und öfter vorüber , um ihn zu hören -- sondern vielmehr in der Meinung , daß jede , auch willkürliche Wissenschaft , dergleichen Theologie , Jurisprudenz , Wappenkunde und andere sind , eine ganz neue aber feste Seite an den Menschen oder der Menschheit nicht nur zeige , auch wirklich hervor bringe .
Aber desto besser !
Der Staat macht den Menschen nur einseitig und folglich einförmig .
Der Dichter sollte also , wenn er könnte , alle Wissenschaften d. h. alle Einseitigkeiten in sich senden ; alle sind dann Vielseitigkeit ; denn er allein ist ja der einzige im Staat , der die Einseitigkeiten unter Einen Gesichtspunkt zu fassen Ruf und Kräfte hat , und sie höher verknüpfen und durch loses Schweben alles überblicken kann . "
" Ganz evident , sagte der Fremde , ist mir das nicht . "
-- " Ich will ein Beispiel geben , versetzte der Graf Klotar .
Im ganzen mineralogischen , atomistischen oder toten Reiche der Kristallisation herrschet nur die gerade Linie , der scharfe Winkel , das Eck ; hingegen im dynamischen Reiche von den Pflanzen bis zu den Menschen regiert der Zirkel , die Kugel , die Walze , die Schönheitswelle !
Der Staat , Sir , und die positive Wissenschaft wollen nur , daß sein Arsenik , seine Salze , sein Diamant , sein Uranmetall in platten Tafeln , Prismen , lang rauten Parallelepipede u. s. w. anschießen , um leichter eingemauert zu werden .
Hingegen die organisierende Kraft , eben darum die isolierende , will das nicht , das ganze Wesen will kein Stück sein ; es lebt von sich und von der ganzen Welt .
So ist die Kunst ; sie sucht die beweglichste und vollste Form und ist , wie sonst Gott , nur wie ein Zirkel oder ein Augapfel abzubilden . "
Aber der Notar zwang ihn aufzuhören . --
Er hatte sich darüber Skrupel gemacht , daß er so im Auf- und Abschleichen die obwohl lauten Meinungen des edlen Jünglings heimlich weghorche ; daher lehnt er sich aus Gewissen an einen Baum , und sah unter dem Hören dem Blaurock deutlich ins Gesicht , um ihm anzuzeigen , daß er aufpasse .
Aber den Jüngling verdroß es und er verlies den Tisch .
Herzlich wünschte der nachgehende Notar den Flötenisten herbei , um durch ihn mehr hinter den Donnergott zu kommen .
Zum Glücke teilte und durchschritt der Graf einen bunten Menschen-Klumpen , der sich um ein Kunstwerk ansetzte .
Es war ein Knabenhohes und langes Kauffartheischiff , womit ein armer Kerl auf der Achse zu Lande ging , um mit diesem Weberschiffen die Fäden seines hungrigen Lebens zu durchschießen und zusammen zu halten .
Als der Notar sah , daß der Jüngling sich ans Fahrzeug und Notruder des Menschen stellte , drang er ihm nach , um dicht neben ihm zu halten .
Der Schiffspatron sang sein altes Lied von den Schiffsteilen , den Masten , Stegen , Ren , Segeln " und Touw-Werk " ab .
" Das muß ihm Hundslangweilig werden , es täglich wiederholen " sagte der Herr zum Grafen .
" Es folgen sich , versetzte dieser mit einigem Lehrtone , in jeder Sache , die man täglich treibt , drei Perioden , in der ersten ist sie neu , in der nächsten alt und langweilig , in der dritten keines von beiden , sondern gewohnt . "
Hier kam Vult .
Der Notar gab ihm durch Winke die entbehrliche Nachricht des Funds .
Aber , Patron , sagte der Graf zum Schiffsherrn , die Brassen der Fock-Ree müssen ja mitten von dem großen Stag an nach den Schin kehl Blocken laufen , dann sieben oder sechs Fuß tiefer nach dem großen Stag durch die Blocke und so weiter nach dem Verdeck .
Und wo habt Ihr denn den Vor-Teckel , die Schoten des Vor- Mars-Segels , die Cy-Touwen des Bezaans- Segels und das Fall von dem Sein ? " --
Hier ließ der Graf verachtend den Schiffer , der seinen Mangel durch Bewunderung fremder Kenntnis verkleistern wollte in einer zweiten aufrichtigeren über eine Geld-Fracht stehen , dergleichen ihm sein Proviantschiff und Brotwagen noch nie aus den beiden Indien des Adels- und des Bürgerstandes zugefahren .
Walten auch in einem süßen Erstaunen über die nautischen Einsichten bei so viel philosophischen -- lies den blauen stolzen Jüngling schwer durchpassieren und sich von ihm statt an die Brust doch recht an die Seite so lange drücken , daß der Blaurock ziemlich ernsthaft ihn ansah .
Vult war verschwunden .
Der Jüngling flog bald mit seinem Bedienten auf schönen Pferden davon .
Aber der Notarius blieb als ein Seliger in die Flegeljahre I. Bd. 6 sein Josaphats-Thal zurück , ein geheimer stiller Bacchant des Herzens .
" Das ist ja gerade der Mensch , sagte er heftig , den du feurig wolltest , so jung , so blühend , so edel , so stolz -- höchst wahrscheinlich ein Engländer , weil er Philosophie und Schiffsbau und Poesie wie drei Kronen trägt .
Lieber Jüngling , wie kannst du nicht geliebt werden , wenn du es verstattest ! "
Jetzt verschüttete die Abendsonne unter ihre Rosen das Tal .
Die Musikanten schwiegen , von dem Spielteller das Silber speisend , der umgelaufen war .
Die Menschen zogen nach Hause .
Der Notarius ging noch eilig um vier leere Tische , woran holde Mädchen gesessen , bloß um die Freude einer solchen Tischnachbarschaft mitzunehmen .
Er wurde nun im langsamen Strome ein Tropfen , aber ein rosenroter heller , der ein Abendrot und eine Sonne auffasste und trug .
" Bald , sagte er sich , als er die drei Stadttürme sah , an welchen das Abendgold herunter schmolz , erfahr ich von meinem Vult , wer er ist und wo -- und dann wird mir ihn Gott wohl schenken . "
Wie liebt er alle Jünglinge auf dem Wege , bloß des blauen wegen !
" Warum liebt man , sagte er zu sich , nur Kinder , nicht Jünglinge , gleichsam als wären diese nicht eben so unschuldig ? "
-- Ungemein gefiel ihm der Sonntag , worin jeder sich schon durch den Anzug poetisch fühlte .
Die erhitzten Herren trugen Hüte in Händen und sprachen laut .
Die Hunde liefen lustig und ohne scharfe Befehle .
Ein Postzug Kinder hatte sich vor eine volle Kinderkutsche gespannt und Pferde und Passagiere waren sehr gut angezogen .
Ein Soldat mit dem Gewehr auf der Achsel führte sein Söhnen nach Hause .
Einer führte seinen Hund an seinem rotseidenen Halstuch .
Viele Menschen gingen Hand in Hand und Walten begriff nicht , wie manche Fußgänger solche Finger-Paare und Liebes-Ketten trennen konnten , um nur gerade zu gehen ; denn er ging gern herum .
Sehr erfreuet es ihn , daß sogar gemeine Mägde etwas vom Jahrhundert hatten und ihre Schürzen soweit und griechisch in die Höhe banden , daß ein geringer Unterschied zwischen ihnen und den vornehmsten Herrschaften verblieb .
Nahe um die Stadt unter dem ersten Tore raste die Schuljugend , ja ein gedachtes Mädchen gab der herrischen Schildwache einen Blumenstrauß keck neben das Gewehr -- und so schien dem Notar die ganze Welt so tief in die Abendröte geworfen , daß die Rosenwolken herrlich wie Blumen und Wogen in die Welt hineinschlugen .
Ende des ersten Bändgens .

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Paul, Jean. Flegeljahre: Teil 1. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0m7.0