Gesegnete Wanderung .
In fernes Licht hinein Schreite ich schon lange , lange ; Um graue Trümmer hängt es An jenem Felsenhange .
Um Sagentore blühn Die abendroten Ranken ; Durch Fensterhöhlen schau 'n Verschollene Gedanken .
Und meine Seele schwebt Durch Tor- und Fensterbogen Ins Land des warmen Lichts , Allmächtig hingezogen .
Ich weiß seit früher Zeit :
Es schwebt ein selig Leben Schon über dieser Welt Und ist uns schon gegeben .
Ich weiß es nun gewiß :
Es klingt Gesang und Reigen Aus einer reinen Welt In jedes tiefe Schweigen. I. Kapitel .
Wie Herr Asmus Semper an ein Perpendikel befestigt war .
Der Volksschullehrer Asmus Semper wußte nicht so recht , ob er ein sehr glücklicher oder ein sehr unglücklicher Mann sei .
In dem Augenblick , da diese Geschichte beginnt , war er jedenfalls ein sehr glücklicher Mann .
Er saß nämlich im blank geputzten Wohnzimmer seiner Dreistubenwohnung und las den fünf Damen , die bei ihm Literaturunterricht nahmen , aus Gottfried August Bürgers Gedichten vor .
Wie liebte er diesen Bürger , der so gar kein Bürger war , wie liebte er ihn um seines tiefen Unglücks Willen !
Wie er alle liebte , auf die der Pharisäer mit dem Finger zeigt .
Wie er schon als Knabe den Esau geliebt hatte und nicht den Gottesgünstling Jakob , wie er Saul geliebt hatte und nicht das Schoßkind Jehovas : David .
Wie einsam er gewesen sein mußte , dieser arme Amtmann von Altengleichen !
Und wie es Asmussen zu diesem Einsamen hin drängte !
Schiller hatte ihn nicht verstanden , wie Goethe den Kleist und den Uhland nicht verstanden hatte ; er hatte seine Kunst mit den Worten und Überzeugungen eines anständigen Mannes verurteilt .
Das war kein Verbrechen ; Asmus liebte den Schiller darum nicht weniger .
Jeder wirkliche Künstler ist ein einziger Gedanke der Natur , den unmöglich jeder begreifen kann , auch nicht jeder Künstler .
Im Paradiesgarten der wahren Kunst ist keine Blume zweimal zu finden .
Aber wenn er den Schiller um seines Irrtums Willen nicht weniger liebte , so liebte er den " zügellosen " Bürger , den die Schulästhetiker in die Besserungsanstalt ihrer Literaturgeschichten steckten , um jener Rezension Willen noch mit einer Extraliebe .
Gewiß , er hatte Molly schon geliebt , als er noch mit Dorten nur verlobt war .
Aber er konnte das Verlöbnis nicht brechen , ohne zugleich ein Herz zu brechen , er , der das schönste Lied an das Herz gesungen hat .
Seine Schuld kam aus der Güte .
Herr Semper las also die " Lenore " und malte mit seiner Stimme ein wundervolles , blühendes , heißherziges Weib , dem der Geliebte mehr galt als Seligkeit und Hölle .
Und als es von ihren Verzweiflungsrufen still war , da war es auch plötzlich ganz still , wie in einer Totenkammer um Mitternacht , und dann hörte man Hufschlag ; aber er klang nicht wie am Tage , und ein Reiter sprang vom Pferd ; aber es war wie hinter tiefen Nächten ; der zog den Pfortenring , aber so , daß man nicht wußte : klang es , oder klang es nicht ? und da - da scholl eine Stimme , wie fernher durch ein tausend Ellen langes unterirdisches Gewölbe :
" Holla , holla !
Tu auf , mein Kind !
Schläfst , Liebchen , oder wachst du ?
Wie bist noch gegen mich gesinnt ?
Und weinest oder lachst du ? "
Und dann kam dieses grausige Liebesgeflüster der Hochzeitsnacht wie klagender Wind in nächtlichen Büschen .
" Sage an , wo ist dein Kämmerlein ?
Wo ?
Wie dein Hochzeitbettchen ? "
- " Weit , weit von hier !
. . . Still , kühl und klein . . . Sechs Bretter und zwei Brettchen ! "
- " Hat_es Raum für mich ? "
- " Für dich und mich !
Komme , schürze , spring und schwinge dich !
Die Hochzeitsgäste hoffen ; Die Kammer steht uns offen . "
" Wohl um den trauten Reiter schlang sie ihre Lilienhände " - da sah er aus der tiefsten Nacht die schmalen , weißen Hände leuchten .
Und nun mußten Anger , Heide und Land vorübersausen , siebentausendmal so schnell wie der wildeste Renner Arabiens , und die Brücken mußten donnern " Rum bumbum , rum bumbum , rum - - - " und der Leichenzug mußte mitgerissen werden , hinein in den Zug , daß die Gewänder pfiffen , und das Galgengesindel mit grinsenden Zähnen mußte hüpfen und hopsen und huiii ! hineingerissen werden in den Zug , daß die Gebeine rasselten , und immer tiefer mußte die Arme ihr Antlitz in des Reiters Mantel bergen , und immer tiefer , immer tiefer mußte seine Stimme ihr ins Herz bohren : " Graut Liebchen auch ?
Der Mond scheint hell - " und siebzigtausendmal schneller als der schnellste Renner im Angesicht des Zieles mußte der Zug dem Friedhofstore entgegenjagen .
" Rasch auf ein eisern Gittertor Ging_es mit verhängtem Zügel ; Mit schwanker Gerte ein Schlag davor Zersprengte Schloß und Riegel . "
Man erzählt , als Bürger seine " Lenore " den Hainbündlern vorgelesen habe , da habe er just eine Reitgerte in der Hand gehalten , habe im Feuer der Rede mit ihr gegen die Tür geschlagen , und einer der Stolperige oder wer sonst sei entsetzt auf die Füße gesprungen .
Eine Reitgerte hatte Asmus bei seinen Vorlesungen nicht zur Hand ; man mußte also mit der Stimme gegen das Gittertor schlagen , daß Schloß und Riegel sprangen .
Und wie es nun hieß : " Des Reiters Koller , Stück für Stück , Fiel ab wie mürber Zunder .
Zum Schädel ohne Zopf und Schopf , Zum nackten Schädel wurde sein Kopf . . . " da mußte man mit der Stimme das Fleisch von den Knochen schälen , daß der weiße Schädel im Mondlicht gleißte .
Und Asmus las den " Wilden Jäger " und die rührend-flehende , rührend-nutzlose Vorstellung " An die kalten Vernünftle " und das ewig herrliche Trochäen-Sonett " An das Herz " , dieses wohllautendste Sonett der deutschen Sprache , diese erschütterndste Klage eines unsterblichen Herzens in allen Literaturen der Welt .
Er las die wild aufflammende Empörung des " Bauern " und erzählte dann wieder gemächlich , wie beim Wein , das Märchen vom " Kaiser und Abt " , und die Pausbacken des Lesenden gingen auf wie ein Vollmond , der lachend über den Horizont blinzelt .
Und dann - ja , es ist nicht zu glauben - dann las er das " Lied vom braven Mann " und las es mit jagendem Herzen .
Dieser komische Kerl las mit stürmendem Blute ein Lied vom braven Mann , und das in einer Zeit , da die Bravheit genau so verachtet war wie früher die Gemeinheit .
Ja , er las es mit all den Strophen , in denen der Dichter seinen eigenen Sang anredet und von sich selber spricht , Strophen , die von solchen Leuten , die klüger als Bürger sind , bekanntlich gestrichen werden ; er entzückte sich an diesen Strophen , weil in ihnen der reine Jubel eines kindlichen Mannesherzens über eine große Tat frohlockt .
" Gottlob , daß ich singen und preisen kann , Unsterblich zu preisen den braven Mann . "
Ja - da begann nun freilich das Unglück des Herrn Asmus Semper : Konnte auch er singen und preisen , was edel , groß und gewaltig war , unsterblich singen und preisen wie der Amtmann von Altengleichen ?
Vorläufig gewiß nicht , und wenn ihm wirklich einmal die Flügel zu solcher Länge und Breite wachsen sollten , so würde das Schicksal schon rechtzeitig mit der großen Gärtnerschere kommen und sie beschneiden .
" Wie ? " würde das Schicksal sagen , " Dichten ?
Zuvörderst hast du Mal dreißig Stunden in deiner Schule zu geben ; da dich das aber noch lange nicht mürbe macht , so gebe ich dir auf , noch achtzehn Privatstunden dazu zu geben .
Für diese 48 Stunden wirst du dich gewissenhaft und gründlich vorbereiten , so gründlich , daß deine Schüler sich freuen , wenn du kommst , und deine ganze Weisheit ihnen wie ein eigenes Erlebnis vorkommt , und da bei deiner bauernrüpelartigen Gesundheit zu befürchten steht , daß dich auch das nicht umbringt , so wirst du noch täglich dreißig Hefte korrigieren , sonntags aber sechzig , mit Aufsätzen !
Was du dann noch dichtest , das wird schon danach werden . "
Ja , wenn er bedachte , daß er gar zu gern den langsamen Satz von Schuberts D-Moll-Quartett oder die Eroica Beethovens in Worten gesungen hätte , daß er gar zu gern erzählt hätte , wie ein schlechter Schulmeister durch sein Kind in einen brauchbaren verwandelt wurde , oder wenn er gar an das Trauerspiel dachte , das er schreiben wollte , das Drama , das die Gewissenstyrannei des Pöbels für immer zerbrechen und " Der Verrat " heißen sollte , und wenn er sich sagte , daß er dazu wohl niemals Zeit und Sammlung finden werde , dann führte er sich schwer unglücklich .
Und wenn er sich dann fragte , für wen er seine schwere Last denn trage , dann war er mit einem Male wieder überglücklich :
denn dann konnte er nicht anders als an die schöne , schlanke Hilde mit den schmalen Händen und Füßen und dem duftenden Wald von kastanienbraunem Haar denken , die eine Adlige ohne " von " war und ihm die flachshaarige Isolde geschenkt hatte und dann den weißrotgoldenen Wolfram und dann die porzellanzierliche Leonarda , und die ihm erst kürzlich mit banger Freude gestanden hatte , daß die Ergänzung dieser Sammlung nur eine Frage der Zeit sei , und an seine alte Mutter mußte er denken , die fast ganz auf ihn angewiesen war und kürzlich das eine der drei Stübchen bezogen hatte .
Er mußte daran denken , wie seine starke , seine Frau ihm diese drei Stübchen zu einem Tempel und Palast erweiterte und vergoldete , vor dem sich der Moskauer Kreml und der Tempel Salomonis verstecken konnten , und wenn er dann daran dachte , daß übermorgen die Quartalsmiete für den Kreml mit 77 Mark 50 Pfennig fällig sei , ohne daß ihm bewußt wäre , woher er sie nehmen solle , dann war es ihm , als ob ein brutaler Kerl ihm plötzlich mit einer Riesenfaust in die Magengrube schlüge und die Verbindung zwischen seinem oberen und seinem unteren Menschen abgeschnitten sei .
Dieser entsetzliche Kerl mit dem furchtbaren Boxerhieb kam immer häufiger , besonders abends vor dem Einschlafen , aber auch am hellen Tage , mitten in einer fröhlichen Schulstunde oder zwischen den Atemzügen eines werdenden Gedichts , und dann war nicht nur die Seele des Asmus wie ein törichter Vogel , der mit dem Kopfe gegen alle dicken Glaswände seines Käfigs rennt ; auch körperlich war es ihm , als habe er einen eiskalten Stein von der Größe einer Faust verschluckt , der sich niemals erwärmen , niemals zergehen wollte und die Atmung unterband .
In solchen Stunden und Tagen war Herr Semper wiederum nicht sehr glücklich , o nein .
II. Kapitel .
Herr Asmus Semper als perpetuum mobile .
Das Leben dieses nun bald dreißigjährigem Mannes nahm in jeder Hinsicht , wie es sich bis jetzt anließ , einen ziemlich regelmäßigen Pendelgang zwischen Glück und Leid , manchmal auch zwischen hohem Glück und tiefem Leid ; aber wie aus Süßem und Bitterem , wenn es sinnlos gemischt wird , kein angenehmer Geschmack entsteht , so entstand auch aus dieser Mischung etwas nicht ganz Erfreuliches : nämlich Unruhe , und der Gedanke , daß sein Herz gewissermaßen das von den Menschen immer vergeblich gesuchte perpetuum mobile darstelle , war ihm ein schwacher Trost .
" Wenn er aber mit diesem Zustand etwa nicht zufrieden ist , " so dachte das Schicksal , " so werde ich ihm für seine bodenlose Unverschämtheit zeigen , was eine Harke ist . "
In der Tat : es ging ihm in vieler Hinsicht ganz vorzüglich .
Um das Wichtigste vorwegzunehmen :
Er und die Seinen waren gesund , noch waren sie gesund .
Das ist neun Zehntel von allem Glück , hat ein Philosoph gesagt .
Es ist vielleicht die banalste , die wahrste und die am meisten mißachtete Wahrheit , die ein Philosoph aussprechen kann .
Man sollte sich diese banalste Wahrheit an alle Wände seiner Wohnung kleben und wenigstens dreimal täglich von einem Grammofon vorsprechen lassen , wodurch dieses Instrument endlich eine ehrenwerte Beschäftigung erhielte .
Sodann : Er hatte es in der neuen Schule , an die er versetzt worden war , glänzend getroffen .
Er hatte die Oberklasse bekommen , und das gab seiner Arbeit einen frischen Antrieb .
War diese Gemeinde auch nicht wie erste Marmelblumen und erstes Starengezwitscher , so konnte man dafür - z. B. in der Weltgeschichte und in den Stunden über deutsches Wort und Wesen - ein fast erwachsenes und herzliches Wort vom Lauf der Welt zu ihr sprechen , konnte zuweilen sein eigenes Herz entlasten und wie zu einem Sohne reden , der ins Leben hinausgeht .
Und - nicht zu vergessen - er hatte in mehreren höheren Klassen den Gesangunterricht übernommen !
Bei den Kleinen war dieser Unterricht wohl auch ein Vergnügen , aber kein musikalisches ; hier oben waren die Stimmen schon geschulter ; hier konnte man zwei- , drei- und vierstimmig singen lassen und das unbegreifliche Glück der Harmonie genießen .
Musik war ihm so nötig wie der Pflanze der Regen , und wie Tau vom Himmel sog er sie ein .
In der Harmonie der Musik hörte er die Gewähr für eine vorbestimmte Harmonie des Weltalls ; eine Welt , in der Bach und Beethoven waren , konnte nicht sinnlos sein .
Wenn er Bach hörte , sah er barfüßige Engel , mit Osterpalmen in den Händen , über sonnenbeglänzte Tempelfliesen schreiten , und in ihren Augen stand ein Wort :
" Vertrauen ! "
Und obendrein hatte er hier ein paar Knaben mit wahren Engelsstimmen gefunden , Stimmen , die unschuldsvoll und rein in die Höhe stiegen wie in die klarste , letzte Seligkeit hinein .
Da geschah es denn wohl manchmal , daß Asmus Semper alle Haltung eines Lehrers verlor , daß ihm dicke Tränen über die Wangen rollten und er nach Beendigung eines Liedes über seine Schüler hinwegstarrte in eine künftige , bessere Welt .
Oder daß er jauchzte und schrie :
" Jungen , ich möchte euch alle miteinander umarmen ! "
- und seltsam :
wenn es sonst immer Kerle gibt , die solche Familiaritäten nicht vertragen - in solchen Augenblicken gingen alle mit ihm , weil die Kunst sie alle , Lehrer und Schüler , zu einem einzigen Körper mit einer einzigen Seele verbunden hatte .
Wenn die öffentliche Schulprüfung herankam und seine Schüler sangen , kamen denn auch sogar die Damen und Herren von den Nachbarschulen herüber , um zuzuhören .
Ja , auch die Kollegen waren ihm hier freundlich gesinnt .
Als er zuerst mit Versen an die Öffentlichkeit getreten war , hatte es bei seinen Berufsgenossen geheißen ( wie immer bei Berufsgenossen ) : " Er will ein Dichter sein " , und manche hatten an benachbarten Biertischen mit Absicht so laut gehöhnt , daß er_es hören mußte .
In diesem Kollegium hieß es :
" Er ist ein Dichter " , und man behandelte ihn um so lieber danach , als es ihm nie in den Sinn kam , eine Sonderstellung zu beanspruchen .
Nein , er hätte nie aus seinem Dichtertum , und wäre es das genialste gewesen , anmaßende Ansprüche an seine Mitmenschen hergeleitet ; denn er hielt das Talent nicht für ein Verdienst , sondern für eine Gnade .
Er kokettierte nicht mit dem " Kuß der Muse auf seiner Stirn " ; er brachte die Rede nie auf sein Dichtertum , brach dergleichen Gespräche vielmehr mit Vorliebe ab , und schon in seinen Anfängen bemerkte die Kritik , daß er seine Erzeugnisse offenbar mit strenger Selbstkritik sichte .
Das aber schloß nicht aus , daß , abgesehen von Zeiten tiefer Verzagtheit , die Grundstimmung seiner Künstlerseele ein wohlabgewogenes Selbstbewußtsein war , und dieses Selbstbewußtsein scheute sich auch nicht , hervorzutreten , wo es ihm notwendig schien .
Er pflegte sehr spöttisch zu lächeln über die " immer Bescheidenen " , die so treuherzig versicherten , sie wüßten ganz gut , daß sie nur kleine Lichter seien usw .
Es lag ihm immer auf der Zunge , zu sagen : " Warum bemüht ihr dann die Öffentlichkeit ?
Mittelmäßiges und Schund gibt es doch bei Gott genug !
Wer vor die Öffentlichkeit hintritt , soll wissen , daß er etwas nicht ganz Gewöhnliches zu bieten habe , sonst ist seine " bescheidene Gabe " eine Unverschämtheit . "
Asmussens Bescheidenheit richtete sich nach einer ganz anderen Seite .
" Fremdes Verdienst hochachten ist eine bessere Demut , als sich selbst geringschätzen " , hatte er einst in sein Tagebuch geschrieben .
Und welch einem prachtvollen Vorgesetzten hatte ihn der Zufall in die Arme geworfen !
Der wohlhabende , wohlbeleibte und piksaubere Herr Wolltresen war immer auf das sorgfältigste und beste gekleidet , und in diesem äußeren Kavalier steckte ein innerer .
Dieser rundliche Rektor wußte sehr genau , wie ein richtiges Hamburger Beefsteak und ein richtiger Rotspon beschaffen sein und genossen werden müssen , und mit demselben Geschmack versah er sein Amt .
Seine vollen , kirschroten Lippen hießen Wohlwollen und Wohlgeschmack ; sein Bauch hieß Würde , und wenn Asmus am Morgen nach einem sündhaft ausgedehnten Festkommerse sagte : " Herr Wolltresen , heute habe ich einen Riesenkater ! " dann wölbten sich jene Lippen zu einer prachtvollen Horace Vernet-Rose und flüsterten :
" Dafür habe ich Verständnis ; schonen Sie sich nur ja ! "
Und so ging es weiter die Stufenleiter der Hierarchie hinauf .
Asmus Semper war bis jetzt in politischen und religiösen Dingen ein rabiat radikaler Mann gewesen und hatte aus seinem Herzen niemals auch nur die kleinste Mördergrube gemacht .
Seine Brüder waren " Lassalleaner " gewesen , sein Vater zum mindesten Demokrat , wenngleich ein milder ; seine Mutter war , wie immer die Frauen , wenn sie politisch werden , höchst radikal .
Die beiden großen R : Republik und Revolution , hatten ihm von früh auf täglich in den Ohren geklungen , und was sein herrlicher Lehrer , Herr Cremer , gegen die beiden vorbrachte , war , so sehr er ihn liebte , ohne Wirkung geblieben .
" Wessen Treue ' und Glauben zieht man denn Am wenigsten in Zweifel ?
Doch der Seinen ?
Doch deren Blut wir sind ?
Doch deren , die Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe Gegeben ?
Die uns nie getäuscht , als wo Getäuscht zu werden uns heilsamer war ? "
Dann hatten Bismarcks Verfolgungsgesetze zwei Brüder aus den Armen der Familie gerissen und übers Weltmeer getrieben .
Und in dieser Familie hatte man fleißig Herwegh gelesen und Freiligrath !
Wenn er selbst , in den Dünsten der Tabakstube , " Die kranke Lise " vorgelesen hatte : " Klänge ' noch die Trommel unserem Ohr Und wäre noch eine Fahne rein :
Der Lappen einer Trikolore , Er sollte deine Windel sein ; Du wärst getauft , ehe seine Schale Ein Pfaffe dir zu Häupten hält - Marsch , Lise , weiter zum Spitale !
Dort kommt das Volk zur Welt . " dann hatte sein Herz geschwungen und geklungen wie eine Sturmglocke ; fast übel war ihm geworden vor Schmerz und Wut , und er hatte sich gelobt , dermaleinst auf einer Barrikade zu sterben , in der Brust die Kugel eines " feilen Schergen der Gewalt " .
Und jetzt hatte er einen Schulrat , der war Theologe und nationalliberal und war einer seiner eifrigsten Leser , und wenn der breitschultrige blonde Hüne ihm begegnete , streckte er schon von weitem die mächtige Hand aus und rief : " Guten Tack , mein lieber Harr Samper , wie Jets !
Was haben Se dann jazzt unter der Feder ? "
Ja , als ihn Semper einmal fragte , ob die Behörde ihm wohl später einmal einen Studienurlaub von drei Monaten gewähren würde , da rief er : " Ja , warum dann nicht ?
Se haben ja eine absolut reine Parsonalakte ! "
Kein Mensch in der Behörde und im Senat dachte daran , dem radikalen Herrn Semper etwas in den Weg zu legen .
Dieser Kleinstaat Hamburg war nämlich in gewisser Hinsicht ein sehr großer Staat .
Also , was fehlte diesem Herrn Semper eigentlich ?
III. Kapitel .
Man erfährt immer noch nicht , was ihm fehlt .
Die öffentliche Kritik verhätschelte ihn .
Natürlich erklangen auch abfällige Stimmen ; aber sie traten an Zahl und Autorität weit zurück hinter schier überschwengliche Lobeserhebungen .
Er war nicht dumm genug , das alles als wohlverdienten Lohn einzustreichen ; er war auch selbständig genug , um sich zu sagen :
Hier werde ich zu viel und hier zu wenig gelobt ; aber jedenfalls mußte er sich nach dem Widerhall seiner Werke sagen , daß er ein Recht habe , zur Öffentlichkeit zu reden .
Und das Publikum ?
Ja , da war zunächst sein erstes und allerbestes Publikum : Hilde Semper , geborene Chavonne .
Wenn ihr etwas nicht übel gefallen hatte , nickte sie freundlich und sagte " Hm " .
Wenn ihr etwas nicht geraten schien , sagte sie :
" Das muß ich noch einmal für mich allein lesen " , und wenn sie dann nicht wieder darauf zurückkam , so war das deutlich .
Als er ihr seine erste Satire vorgelesen hatte , da hatte sie keine Miene verzogen .
Mit deinem Witz ist es also nichts , hatte er sich gesagt .
Erst später hatte er begriffen , daß noch immer eine schwere , lichtlose Jugend auf ihrem Lachen lag und es ganz begrub , daß es erst von seinem Scheintod erwachen und einen schweren Grabstein heben mußte .
Wenn ihr aber ein Werk ins innerste Herz gedrungen war , dann sagte sie gewöhnlich nichts ; sie sah ihn nur mit jauchzenden Augen an .
Ja , sie konnte jauchzen mit ihren Augen .
Und nach Minuten erst sagte sie : Bitte , lies es mir noch einmal vor .
Und endlich mußte er ihr das Manuskript schenken , und sie verschloß es in ein Kästchen , in dem ein paar Locken von ihren Kindern lagen und ein bunter Glasmarmel , in dem man eine Fortuna auf rollender Kugel sah .
Vor vielen , vielen Jahren , als sie noch ein kleines Mädchen war , hatte ihr den ein kleiner Junge geschenkt , der sie nicht kannte und den sie nicht kannte und von dem sie nicht wußte , daß er Asmus Semper hieß .
Immer aber waren es ihre höchsten Feiertage , wenn er ihr , wie ein Junge , der ein Vogelnest entdeckt hat , zuflüsterte :
" Du , ich habe wieder was ! " und ihr hinter allen Bürden und Ängsten des Tages eine Stunde innigsten Vertrauens winkte .
Freilich , das übrige Publikum seiner Bücher übertraf dieses erste und beste Publikum an Zahl nicht allzu erheblich .
Der Verleger rechnete dem Dichter vor , daß seine Werke noch lange nicht eingebracht hätten , was Satz , Druck , Papier und tausend sonstige Dinge gekostet hätten , und dem armen Asmus schwindelte vor diesem Abgrund von Defizit , und als endlich von einem Buche dennoch tausend Stück verkauft waren , erhielt der Verfasser 54 Mark als Anteil am " Reingewinn " .
Gewiß : reiner konnte kein Gewinn sein als dieser ; aber einen schöneren gab es noch .
An einem Weihnachtsabend kam ein prächtiger Blumenkorb mit der Widmung " Dem Dichter Asmus Semper von einer Unbekannten " .
Aha , denkt der moderne Leser : von seiner Frau !
Nein , sie konnte nicht einmal in dieser Weise lügen .
Asmus kam auch gar nicht auf den Gedanken .
Er hatte einst ihren alten Lehrer getroffen , und der hatte ihm erzählt :
Wenn ich wissen wollte , ob eine meiner Schülerinnen log , so brauchte ich nur Hilde Chavonne anzusehen .
Wenn eine andere log , wurde sie feuerrot .
Nein , diese Blumen kamen wirklich von unbekannter Hand .
Das gab ihnen einen eigenen Zauber , einen symbolischen Glanz , einen mehr als irdischen Duft ; sie waren ein Gruß , ein Widerhall aus dem Unbekannten , " aus dem Volke " , " von der Menschheit " , wenn man sie mit der Phantasie eines jungen Autors an die Nase führte .
Freilich hatte die Namenlosigkeit auch etwas Ärgerliches .
Man konnte für eine große Freude nicht danken und hatte doch das Bedürfnis zu danken , so oft man die Blumen ansah .
Indessen : die angenehmen Empfindungen überwogen .
Ein anderes Geschenk war noch schöner .
Ein Mann , der ihn heftig und persönlich angegriffen hatte , schrieb ihm :
" Ich habe Ihre Novellen gelesen und möchte Ihnen die Hand zur Versöhnung bieten .
Können Sie vergessen ? "
Und Asmus konnte nicht so schnell Feder und Tinte finden , wie es in ihm jubelte :
" Natürlich kann ich ! " und mit zwei Zoll langen Buchstaben ( um klein zu schreiben , zitterte die Hand zu sehr , ) rief er mit seiner Feder : " Natürlich kann ich !
Wir wollen Freunde sein ! "
Und sie wurden es .
Hatte Herr Semper denn sonst keine Freunde ?
O , und was für Freunde !
Freilich , Freunde von zweierlei Art .
Einer von ihnen war ein Kunstmäzen , ein millionenschwerer Rentner , der auf einem herrlichen Landschlösschen nur seinen Liebhabereien lebte .
Er war " begeistert " von Semper radikalen Aufsätzen und lud ihn zu Tische .
Als Asmus den Empfangssalon betreten hatte und einem Dutzend unbekannter Gesichter vorgestellt war , vor denen ihm plötzlich sein in den Nähten längst ergrauter Rock und seine ausgebeutelten Hosen zum Bewußtsein kamen , da zeigte der Mäzen triumphierend auf ein Buch , das auf einem kostbaren Tischchen lag : es waren Semper Aufsätze " Mit blanker Waffe " .
Es gab ein herrliches Essen - Zweifingerdicken Spargel im Vorfrühling und einen , wie es hieß , einzigen Rheinwein , den man nirgends mehr kaufen konnte und der Sempern wie ein unangenehmes Chemiekalium schmeckte - und wenn man zum Fenster hinaussah , blickte man in einen schier königlichen Garten und Park .
Wärst du da draußen und allein , dachte Semper ; da hinter den Birken glänzt es wie Glück .
Nach dem Essen trank man in der Veranda den Kaffee , und Asmussen war es plötzlich , als sähen alle auf ihn und warteten auf etwas .
Um Gottes Willen :
sie glaubten doch nicht , daß er nun so etwas sagen würde , wie es in seinen Büchern stand ?
Das konnte er nicht , nicht für das schönste Essen der Welt .
Wenn er allein war mit seiner Feder , dann fiel ihm neben dem , was er schrieb , zehnerlei ein , das er künftig schreiben wolle ; aber sprechen , unvorbereitet sprechen ?
Da schien ihm alles , was er hätte sagen können , nicht gut genug .
Und als die Gesellschaft noch immer wartete - ihm wenigstens kam es so vor - da sagte er zu seinem Wirte :
" Entschuldigen Sie mich ; aber ich muß noch in eine Sitzung . "
" Aah - das ist aber schade , " rief der Mäzen mit sichtlicher Enttäuschung .
" So früh schon ?
Können Sie denn nicht schwänzen ? "
" Nein , das ist leider ganz unmöglich , " versicherte Asmus mit fanatischer Bestimmtheit .
" Na - das tut mir leid , " machte der Wirt .
Asmus machte der Gesellschaft eine unklare Generalverbeugung und schritt schnell hinaus .
Als er auf der Straße war , hatte er das Gefühl eines Zechprellers und lief wie ein Faßbinder .
IV. Kapitel .
Man ahnt etwas , aber nicht das Richtige .
Dem Manne , der soeben ganz alten " Oppenheimer Krötenbrunnen " und allerbesten Pommery getrunken hatte , stand damals gerade wieder das Wasser bis zum Kinn - nein , es lief ihm schon hin und wieder in den Mund , daß er zu ersticken drohte .
Der Hauswirt verlangte die Miete ; der Schneider wollte den abgetragenen Rock und die durchgedrückte Hose bezahlt haben ; der Schuster wollte sein Geld , und der Krämer verlangte Zahlung , und Mutter , Frau und Kinder brauchten Nahrung und Kleidung .
" Wenn ich jetzt fünfhundert Mark hätte - o , wie wäre ich glücklich ! " dachte er .
" Frei wäre ' ich !
Ein König !
Ein Gott ! "
Und jählings schoß ihm eine glänzende Idee durch den Kopf .
Nein , daß er darauf nicht längst verfallen war !
Das war doch die nächstliegende , selbstverständliche Lösung !
Sein reicher Bewunderer würde ja mit Freuden helfen !
Das Ei des Kolumbus !
Wenn er Sempern so sehr " verehrte " , wie er es immer wieder versicherte , so war es doch selbstverständlich , daß er ihm fünfhundert Mark gab , die für den Reichen weniger bedeuteten als fünf Pfennig für den Armen .
Wenn Semper monatlich zehn Mark zurückzahlte , so war die ganze Schuld in etwa vier Jahren getilgt !
Als es aber dann an den Brief ging , da wurde es ihm doch verteufelt schwer .
Sicherlich kamen viele zu dem reichen Manne , und dann waren fünfhundert Mark doch eine große Summe .
Er sprach es aus , daß er sich der Vermessenheit seiner Bitte wohl bewußt sei , daß er aber keinen klaren Gedanken mehr fassen könne vor Sorgen , am wenigsten einen dichterischen , schöpferischen Gedanken .
Und er sagte sich , während er schrieb :
Da der Rentner von meiner literarischen Sendung so tief überzeugt ist , so muß er ja wünschen , daß ich sie vollenden könne .
Und in vollkommener Zuversicht dankte er schon im voraus aus vollem , jubelndem Herzen .
Der Kunstfreund antwortete in vier Zeilen . daß er sich nicht veranlaßt sehe , dem Wünsche des Herrn Semper " näherzutreten " , da er Herrn Semper " noch zu wenig kenne " .
Er war damals noch am selben Tage zu seinem Freunde , dem Dr. Jonathan Rosenberg , gegangen , der auch Schulmeister und Poet dazu war und ein herzwarmes Junggesellenstübchen mit vielen guten , angebräunten Büchern hatte , und hatte ihm die Geschichte mit bitterem Lachen erzählt .
Und je weiter er in seiner Erzählung gekommen war , desto heller waren des Doktors Mienen geworden , und schließlich hatte er gelächelt , aber nicht bitter , sondern vergnügt .
" Sehen Sie ? " hatte er gerufen , " das ist die gerechte Strafe !
Warum sind Sie nicht zu mir gekommen ! "
" Zu Ihnen ? " hatte Asmus gerufen .
" Sie müssen meine Frechheit auch nicht überschätzen .
Ich weiß doch , daß Sie auch nur Ihr Schulmeistergehalt haben . "
" Das heißt : weit mehr , als ich brauche , und überdies habe ich noch hübsche Privatstunden .
Dreihundert Mark können Sie gleich haben , den Rest in vierzehn Tagen . "
Fünfhundert Mark , die man bangend ersehnt hat , machen fünfhundert lachende Gesichter ; aber alle zusammen waren nicht entfernt so schön wie das Lächeln , mit dem sie gegeben wurden .
Asmus hatte das gar nicht unrichtige Gefühl , daß er dem guten Rosenberg eine große Freude bereite .
Dann erschien im Zimmer des Doktors der Buchhändler Globendorf mit fünf verschiedenen Zigarrensorten im Preise von 8 bis 10 Pfennigen , die Asmus als Kenner prüfen mußte , und der Kollege Lohfeld der Feine kam , in der einen Hand eine Reproduktion nach Max Klinger und in der anderen eine geräucherte Makrele .
Er legte beides auf den Tisch und sagte mit verheißungsvollem Lächeln und hoher Tenorstimme :
" Fein , fein ! "
Und dann ließ Rosenberg den Tisch mit feinstem Linnen decken ; seine Wirtin brachte Brot , Butter , Wurst und Bier , und er selbst fügte einen heimatlichen Käse hinzu , von dem Asmus behauptete , daß der freundliche Geber einen Diamanten dazu servieren müsse , mit dem man ihn wenigstens ritzen könne .
Schon beim Essen begann der Streit über Jenseitsglauben und Sozialdemokratie , über Judentum und Germanentum , über alte und neue Kunst ; der enge Raum dehnte sich zur weiten Gedankenwelt , und aus dürftiger Gegenwart und schwärmender Menschheitshoffnung spann sich wieder eines jener unvergleichlichen Freundschaftsfeste der Jugend , die bis in das späteste Alter hinüberleuchten .
Diese Freunde erschienen einst an einem frohen Maitag unter seinem Fenster , als er gerade mit roter Tinte in einem verbrecherischen Schüleraufsatze herumwütete , und sangen von unten herauf :
O sieh , mein Liebe , mein süßes Liebe , Zerflattert sind die Sorgen !
Da steigt die Sonne rot empor , Die sich so lang verborgen .
Was ferne glüht in stiller Pracht Und was so hell in uns erwacht :
Das ist der Maimorgen ! "
Das waren seine Verse ; er eilte ans Fenster und winkte herauf und stürzte dann mit bleichem Gesicht zu Hilden in die Küche .
" Die Freunde kommen zu Besuch , " rief er , " hast du denn was ? "
" Nichts als Brot und Butter , " versetzte sie erschrocken , " und auch nur genug für uns . "
" Nun , " rief er hastig , " laß sie vor allem nichts merken ; sei fröhlich und freundlich ; ich werde Rat schaffen . "
Dann stürzte er an die Treppe , empfing die drei Freunde mit einem in der Eile hergestellten und nicht ganz fertig gewordenen Lächeln und sagte : " Euer vierstimmiger Gesang hat mein Ohr ergötzt .
Seid herzlich willkommen ! "
Als die Gäste Platz genommen hatten , fuhr er fort : " Ich muß wegen einer notwendigen Besorgung auf eine halbe Stunde verschwinden .
Meine Frau wird Euch dafür Gesellschaft leisten .
Eure boshafte Bemerkung , daß Ihr dabei nur gewinnen könntet , nehme ich für genossen .
Ich brauche mich also gar nicht zu entschuldigen .
Also : Auf Wiedersehen ! "
Draußen nahm er Hut und Stock und sprang die Treppe hinunter .
Wohin ?
Zu Freudenthal .
Geld für die Straßenbahn hatte er nicht ; es hieß also laufen .
V. Kapitel .
Herrn Asmus Semper sticht der Hafer .
Salomon Freudenthal war Prokurist einer großen Bankfirma und Dichter .
Er entstammte einem winzigen Dorf an der Nordsee und war in bitterer Armut aufgewachsen .
Als der Vater gestorben war , da war die Familie gerade kurz zuvor zum zweiten Male abgebrannt , und ihr Vermögen bestand in einem Fässchen eingemachter Gurken .
In der Schule hatte der Knabe zwar " de Jude " geheißen und war auch wohl hin und wieder gehänselt worden ; im ganzen aber hatte man sich vorzüglich vertragen , schon deshalb , weil man Salomons im Religionsunterrichte nicht gut entbehren konnte .
Zwar nahm er an diesem Unterrichte natürlich nur als Zuhörer Teil ; aber der Lutherische Katechismus prägte sich auch so seinem schnell fassenden Kopfe ohne Schwierigkeiten ein , und wenn ein friesischer Flachskopf herunterschnurrte :
" Ich glaube an Jesus Christus , Gottes eingeborenen Sohn - " und dann stecken blieb , dann half Freudenthal ihm weiter : " geboren von der Jungfrau Maria - " und so kam der schönste konfessionelle Friede zustande .
Bald nach dem Tode des Vaters hatte ihn ein großes Hamburger Bankhaus in die Lehre genommen , und seit mehr als 25 Jahren hatte er die Millionen seiner Chefs sich mehren sehen - ohne Neid , heiter lächelnd im Besitze sichereren Reichtums .
Bei seinem Jubiläum hatten seine Prinzipale und Kollegen durch einen Zufall erfahren , daß ihr totsicherer Zins- und Diskontrechner seit langem ein Dichter , ein stillbescheidener , feiner Didaktiker von deutschem Rufe sei .
Er wäre gestorben , ehe er es ihnen verraten hätte .
Durch Rosenberg hatte Asmus ihn kennen gelernt , und sie hatten sich als Landsleute schnell und ganz von selbst auf den plattdeutschen Komment geeinigt , d. h. sie sprachen nicht nur in ihren höchsten Momenten plattdeutsch miteinander , sondern sie machten sich auch ihre gelegentlichen Komplimente in der Form von Grobheiten und warmherzigen Schimpfworten .
Schier atemlos hatte sich Asmus auf dem altväterischen Sofa in Freudenthals " bester Stube " niedergelassen .
Ihm war bei seinem Vorhaben gar nicht wohl .
Freundschaft , die Geld verlangt , macht sich immer verdächtig ; das war bei allen solchen Gängen sein Gefühl .
Freudenthal trat ein , ein zartes Männchen mit Kinderhänden und mit der Glatze eines Bankiers , aber mit den Augen eines Schalks , der gern Spinoza liest und Schach spielt .
" Tag , mein Junge , wie geht es dir ? " rief er .
" Habe gerade 'n feines Gedicht von dir gelesen , in der " Gesellschaft " .
So 'n gans lütt beten Talent hest du doch , du Döskopp . "
Asmussen wurde etwas wärmer .
" Dieses Urteil wirst du bereuen , wenn du hörst , daß ich dich um zwanzig Mark anpumpen will . "
Freudenthal kicherte lustig wie ein Backfischchen .
" Jo , denn nehme ich alles torüch ! " rief er .
" Ich gläuv , das war gonnich von di . "
Er schloß ein Schränkchen auf .
" Wollte du hunnert Mark hemm ? "
" Nee nee ! " rief Asmus erschrocken .
" Ich bin bang vor de Zinsen ! "
" Jo , foftig ( fünfzig ) Prozent mutt ich hemm .
Monatlich natürlich . "
" Na , scheuen , denn gib mi dottig ( dreißig ) Mark . " Freudenthal kicherte in den Schrank hinein und kam mit dem Gelde .
" Hier , mein Jung ' , un wenn du mehr bruukst , denn segg man Bescheid . "
Asmus dankte .
" Was macht denn das Drama ? " fragte Freudenthal .
" Darauf bin ich mächtig gespannt . "
" Das ist noch immer so ungeboren wie bisher , " seufzte Asmus in tiefer Niedergeschlagenheit .
" Wird schon kommen , wenn die neun Monate herum sind ! " meinte Freudenthal .
" Das ist ja das Schlimme , " rief Asmus , " die neun Monate sind längst herum !
Es ist ja da - und ist doch nicht da !
Wie soll ich dazu kommen ? "
" Du kommst dazu , " sagte Freudenthal .
" Du kommst noch Mal hoch , davon bin ich felsenfest überzeugt .
Denke an das , was ich seggt hev , du Schopskopp ! "
" Gut , dann komme ich nächstens und hole mir Vorschuß darauf . "
" Jo , das doo man , " kicherte Freudenthal hinter dem Davoneilenden her . -
Asmus kaufte also ein .
Er kaufte auch Lachs , richtigen Lachs , weil Lohfeld der Feine ihn so gern aß .
Gewiß : auch Asmus Semper aß ihn gern ; aber das muß denn doch hier zur genaueren Charakteristik des Herrn Semper ausdrücklich bemerkt werden , daß er unter diesen Umständen für sich selbst keinen Lachs gekauft hätte .
Der Abend verlief wunderschön , auch für Asmus ; denn er durfte sich sagen : für vier bis fünf Tage haben wir wieder zu essen .
So trug er denn auf Wunsch der Freunde mit offener , heiterer Seele " Die Kraniche des Ibykus " vor .
Diese Leutchen , die alles Neue mit froh empfänglichen Sinnen in sich sogen und mit Freuden Liliencron , Ibsen , Zola und Hauptmanns " Weber " lasen , bewahrten in ihrem Herzen unantastbar den Schiller und den Klopstock , den Herder und den Lessing , von Goethe nicht zu reden .
" Sage mir um Gotteswillen ! " rief Rosenberg - er hatte Asmussen inzwischen das " Du " angetragen , und man war dann zur allgemeinen Verbrüderung übergegangen - " sage mir um Gotteswillen , warum gehst du mit deiner Vortragskunst nicht an die Öffentlichkeit ! "
" Du denkst dir das so leicht , " versetzte Asmus .
" Mindestens zwanzig Vereinen habe ich mich schon angeboten - immer vergebens . "
" Nun , in zwei oder drei Vereinen könnte ich vielleicht eine Einladung durchsetzen , in einem gewiß .
Das ist freilich ein jüdischer ; es fragt sich , ob du da lesen willst . "
" Kamel , " sagte Asmus .
" Gut , " sagte Rosenberg , " ich nehme das für einen Ausdruck der Übereinstimmung .
Du wirst lesen , und ich werde darüber einen Bericht ans " Abendblatt " senden , nach der Melodie Karl Moors : » Auf , ihr Klötze . ihr trägen Klumpen « usw . "
In seinem gläubigen Idealismus , seinem rückhaltlosen Menschenvertrauen dachte Rosenberg sich das sehr einfach .
Asmus las auf sein Betreiben in einem und noch einem Verein , und Rosenberg schrieb flammenfeurige Berichte nach der Weise " Habemus papam eloquentiae ! " oder so .
Aber das " Abendblatt " drückte sie nicht , und als Rosenberg in einem leidenschaftlichen Briefe die Redaktion zur Rede stellte , schrieb man ihm : Wir kennen Sie nicht und kennen Herrn Semper nicht .
Lassen Sie Herrn Semper öffentlich sprechen , und wir werden einen Rezensenten schicken .
" Dagegen ist im Grunde nicht das Geringste einzuwenden , " sagte Asmus , " so betrübend es für uns in diesem Falle ist .
Wenn die Zeitungen unabhängig von allen Freundschaften , Vetternschaften , Genossenschaften und Aktiengesellschaften urteilen , so ist es ein köstlich Ding um die Zeitungen . "
" Natürlich , " rief Rosenberg , " wenn !
Also du mußt jetzt selbst einen Vortragsabend veranstalten .
Dann müssen sie kommen , und sie müssen loben . "
Asmus mußte laut auflachen .
" Selbst einen Vortragsabend veranstalten !
O du liebe schnauzbärtige Innocentia !
Und mit dem Defizit Konkurs anmelden ? "
" Ich habe einen sehr großen Bekanntenkreis , " rief Rosenberg , " hundert Karten bringe ich spielend unter .
Damit sind die Kosten gedeckt . "
Asmus starrte ihn an .
" Ja - wenn das wäre - "
Der Abend kam zustande ; Asmus borgte sich einen Frack , der ihm schlecht saß , rezitierte von Shakespeare bis Gottfried Keller und gab auf Verlangen eine eigene Dichtung zu , als der Beifall nicht enden wollte ; Asmus war grenzenlos selig ; Rosenberg war es vielleicht noch mehr und lud Hilden und die Freunde in einen Weinkeller .
Als sie mit dem ersten Glase anstießen , riefen Hildens Augen :
Asmus Semper hoch , hoch , hoch !
Und als Rosenberg zahlen wollte , sagte der Kellner :
" Ist bereits erledigt , " und als Rosenberg sich verwundert im Kreise umsah , drehte ihm Asmus eine Nase .
" Auch noch zahlen !
Das könnte dir passen ! " höhnte er .
Der Überschuß betrug nämlich über hundert Mark oder vierzehn Tage Sorgenfreiheit .
Am folgenden Abend waren die Blätter des Lobes voll .
Erst viel später kam Asmus durch einen Zufall dahinter . daß Rosenberg die meisten Karten aus eigener Tasche verschenkt hatte .
Solcher Freunde hatte Asmus nicht viele ; aber gute Freunde lebten ihm auch sonst noch .
Also welches Recht hatte der Mann eigentlich , sich unglücklich zu fühlen , sehr unglücklich ?
Was wollte der Mann eigentlich ?
" Den sticht der Hafer , " sagte das Schicksal .
VI. Kapitel .
Das Unglück des Herrn Asmus Semper kommt an den Tag und er ins Gebirge .
Mit dieser Bemerkung hatte das Schicksal nicht so ganz Unrecht .
Nur war es nicht Herr Semper , den der Hafer stach , sondern das geflügelte Tier , das ihm im Herzen hauste und wieherte , stampfte , hinten ausschlug und Feuer durch die Nüstern schnaubte , weil es gefangen saß und nicht hinaus konnte .
Der Hippogryph des Herrn Semper hatte seit frühesten Kindheitstagen seines Herrn gegrast auf allen Weiden der Welt , hatte geweidet :
" Bis an den Bauch in goldener Gerste , In goldenem Hafer bis zum Bauch - " war es ein Wunder , daß er seine Kraft und seinen Übermut austoben und in den Himmel steigen wollte ?
Herr Semper war , wie sein allererster Rezensent mit verblüffender Treffsicherheit erkannt hatte , ein Realromantiker , d. h. er brauchte keinen Loreleyfelsen oder Gottfried von Bouillon zu seiner Dichtung ; er sah überall Romantik , sah alle Dinge in einer wundersamen Luft .
Vielleicht war es eine Art Kurzsichtigkeit ; die Kurzsichtigen sehen ja auch um jede Gasflamme einen Glorien- oder Heiligenschein .
War es ein Wunder , daß das Herz dieses Menschen immer nahe am Bersten war ?
Also " Hell wieherte der Hippogryph Und bäumte sich in prächtiger Parade " ; aber das Herz des Semper beherbergte auch zwei Weiber mit harten Gesichtern , die hielten den Renner am Zügel ; sowie er nur den Kopf hob , riß die Sorge erbarmungslos am Zügel , oder es riß die Pflicht , und gewöhnlich rissen beide .
Es war deutlich genug anerkannt , daß Herr Semper ein Dichter sei ; aber wenn er ein wenig Zeit zum Dichten hatte , dann hatte er gewöhnlich nichts zum Leben , und wenn er zu leben hatte , hatte er keine Zeit .
Freilich , freilich : in flüchtigen Minuten konnte er sich notieren , was ihm einfiel und was er später einmal zu blühenden Körpern formen wollte ; aber was das Beste an einer Dichtung ist , kann man nicht notieren ; man kann kein Abendrot notieren und kein Morgenrot , keine Mittagsstille und kein Raunen der Nacht , man kann nicht notieren , wie eine Wolke just am 17. Juni sang .
Gleichwohl zeichnete er vieles auf : ganze Bücher voll Andeutungen und Entwürfe ; aber wenn er sie nach Monaten wieder ansah , dann lagen sie da wie bleiche , starre Kinderleichen , und er blickte auf sie hinab wie ein Vater , der seine eigenen Kinder verhungern lassen mußte , mit einem Schmerz , der schreien möchte und nicht schreien kann .
Sein Weib und seine Kinder durften nicht merken , daß er unglücklich war .
Asmus Semper hatte nämlich diese Auffassung von der Ehe : was sein Weib nicht unfehlbar mitleiden mußte , das sollte ihr nicht nahekommen , und das war das einzige Gefühl , in dem sie verschiedenen Sinnes waren und über das sie zuweilen in zärtlichen Hader gerieten .
Daß sie die großen Leiden des Lebens teilten , verstand sich von selbst ; sie aber wollte alles mit ihm leiden ; das aber hielt er für eine falsche Seelenökonomie , für eine unnütze Verschwendung von Herzkraft .
Oft freilich durchschaute sie seine Maskenfröhlichkeit ; denn sie hatte das richtige " Verstehen " .
Ob sie alles wisse , was er wußte , ob sie dieselben Gleichungen berechnen könne wie er , ob sie jedem seiner Gedankengänge folgen könne , darauf legten beide , so grundgescheit und wissensdurstig sie war , geringeren Wert ; mit feinen und sicheren Organen des anderen Freude und Kummer spüren :
das nannten sie " Verstehen " .
Und wenn er dann sah , daß sie seine Sorge teilte , daß das Bangen um die Notdurft des kommenden Tages ihre Worte , ihr Denken , ihr Lächeln umspann und erstickte , dann war er unglücklich auf den Tod .
In diesen Zeiten sang Asmus ein Schweres und schwarzes Lied von der Sorge .
Willkommen , stiller Mond , im Schlafgemach !
Gieß deine Lichtflut neben mich aufs Kissen Und laß in deine Strahlen mich die bleichen Gedanken meines Grames flechten !
Wohl , Du bist gewohnt , der Liebe sanfte Klagen , Der Wonne Hauch als Opfer zu empfangen , Und Glück , das in verschwiegener Nacht erblüht , Vor dem verwandten Zauber deines Lichtes Erschließt es seufzend seinen Kelch .
Doch ich - Mit der gemeinsten Sorge nah ich dir , Und deine Freundschaft , dein Vertraun erfleh ich In wacher Einsamkeit der stummen Nacht .
Ja , küsse dieses Weib !
Sieh , wie erlöst Ihr edles Haupt ins Kissen hingesunken !
Ist sie nicht schön ?
Die Arme ausgebreitet , Die Lippen warm erschlossen - hingegeben Der Wonne ganz , vom Tag erlöst zu sein .
Befreit von niederer Sorge und nun ganz Ein Engel !
Ja , verweil mit deinem Lichte Auf dieser Stirn , versenke ihr Träumen ganz In deine Silberflut !
Ein hoher Geist Träumt hinter dieser Stirn von lichten Tagen .
Doch ihn erdrückt des Tages harte Last , Und er erstickt im Staube .
" Nahrung - Brot ! "
In diesem Schrei stirbt unser Leben hin .
Vergebens hehl ich ihr die grasse Not ; Verstellung schmilzt so bald im Strahl der Liebe !
Im Strahl der Liebe ?
Will er nicht erblassen ?
In Hungers Knechtschaft ringen sie und ich Mit Arm und Geist , und atemlos geschäftig Gehen wir am Tag einander stumm vorbei .
Kaum noch gekannt lebt einer mit dem anderen , Des Glücks nicht achtend ob der größeren Not , Durch Leid entfremdet nicht , allein durch Sorge .
" Fürs nackte Leben heisch ich Eure Kraft , "
So schreit uns Armut an , " und nicht fürs Lieben .
Was brauchen Bettler denn das Prachtgewand Der Liebe , um ihr Leben dreinzuhüllen .
Das ist mein Fluch , das ist mein rastlos Mühn .
Die Seelen so mit Sorge zu umklammern , Daß sie einander nie gehören können Und müde und stumpf der Liebe sich entwöhnen ! "
Siehst du , o Mond , auf deiner weiten Bahn Noch irgendwo im reichen Erdengarten Aus dunkler Nacht so duftige Rosen blühn Wie diese Kinder ?
Du umschmeichelst selbst Der zarten Glieder weiche Lieblichkeit Mit sanfter Welle .
Sieh , ein Hündchen hascht Im Traum nach Früchten , die der Traum gereift !
Die Lippen lallen Worte eines Spiels - Ein helles Lachen jetzt - und ganz im Schlaf , Im festen , ruhigen , zufriedenen Schlaf !
Sie atmen noch im Ganzen der Natur ; Ihr Leben Traum , und selbst ihr Traum noch Leben .
Ein Engel hütet sie :
sie pflücken Blumen Am Abgrund unseres Elends . . . O verdammt Sei diese ewige Qual und giftige Pein !
Willkommen , Schmerz !
Zerreiße du mein Inneres Und laß mein Blut dahin in Strömen fließen , So will ich sterben und die Erde segnen !
Laß mich auf deinem Schlachtfeld sterben , Erde ; Allein erstick mich nicht durch deinen Schlamm , Durch deinen eklen Kot !
Ist es denn erlaubt - O Narrenspiel der Welt ! - ist es denn erlaubt , Daß diesen wunderbaren Bau des Hirns In tausend Windungen nur ein Gedanke Durchkreist , daß eine einzige Mahnung nur In diesem Herzen klopft und pocht und daß Sich dieses Lebens reicher Quell erschöpft Nur um das Eine : daß wir fressen können ?
O Schmerz , ein Sohn des Himmels bist du sonst ; Erloschene Geister schürst du wieder an Zu hellen Bränden ; aus verdorrten Herzen Lockst du in heißen Wellen rotes Blut ; Die Stirn des schwachen Menschen schmückst du herrlich Mit Götterglanz ; den Weg durch Meer und Wüste Führt ihn fortan des Trotzes Feuersäule .
Doch diese Sorge ums Brot - o pfui - sie ist Ein widerwärtiges , gemeines Weib , Das unverschämt im Haus die Herrin spielt , Auf offenem Markt sich in den Arm uns hängt , Vor Edlen uns erröten macht , zugleich Vor Schurken uns erniedrigt .
Heilig ist Kein Winkel ihr in unserem ganzen Inneren ; Sie höhnt mit schmutzigem Lachen unsere Andacht Und speit auf unseren Stolz .
Ja selbst , wenn Krankheit , Wenn Tod uns und Verrat zu Boden schlugen , So hockt sie triumphierend an den Herd Und sucht mit frechem Grinsen unseren Blick , Wenn er ins Leere starrt . . . . Du schwindest , Mond ; O fliehe nicht ; denn bin ich einsam , raunt Der Tod aus meinen Kissen . . . Nein , ans Fenster !
Ich will dich sehen , bis du ganz versinkst .
Laß mich mit dir durchwandeln diese Nacht !
Laß durch den Nebel , der mein Haupt umwogt , Die Ströme deines weißen Lichtes rinnen - Vielleicht ertastet doch mein müder Geist Nach aller Qual den Weg zur Morgensonne ! -
Eine besondere Verzwicktheit in Semper Schicksal war es , daß ihm auch das Glück zum Unglück werden mußte .
Globendorf lud ihn in zartfühlendster Weise zu einer Harzreise ein .
Er könne nicht allein reisen , wisse keinen , der ihm den Gefallen tue , und auch keinen , mit dem er lieber reisen möchte .
Asmus griff mit taumelnder Freude zu : mit seinen 29 Jahren war er noch nie über die engere Heimat hinausgekommen .
Und ein Wunder winkte ihm ja , ein Offenbarungswunder :
er sollte Berge sehen !
Auf der ganzen Eisenbahnfahrt bis Oker sprach er kaum mehr als ein Dutzend Sätze .
Immer wieder mußte er es denken :
Ich soll Berge sehen .
Und Wunder eines Wunders : die Erfüllung übertraf alle Ahnungen .
Und würdest du hundert Jahre alt und trügst auf deinen Schultern den lebendigsten Kopf der Welt :
du weißt nicht , was Berge sind , wenn du sie nicht gesehen hast .
Schon am zweiten Tage ihrer Reise war es Asmussen , als wandere er seit grauen Tagen durch alle Täler und Höhen der Welt , als liege hinter ihm ein langes Leben voll Staunens und Entzückens .
Aus diesen Bächen und Schluchten klangen Worte , die er nie gehört , die er verstand und die er doch nicht sprechen konnte , so sehr die Lippen sich mühten ; von diesen Wänden blickten Augen , in die er nie geschaut .
Oft war_es ihm wie im Wirbel : diese Felsen standen in seiner Seele ; diese Quellen rannen durch sein Herz ; dies Wälderrauschen kam aus seinem Inneren ; sein Körper hatte seine Grenzen verloren : Felsen und Tannen und Wiesen und Bäche und Asmus Semper waren alles eins geworden :
ein einziger singender Lebensstrom .
O , was für Gedichte sollten das werden !
Er stieg durchs Ilsetal den Brocken hinan , und in seinen Ohren klang es von selber wie Gruß ans Vaterland :
Wohin die Füße schreiten In nimmermüder Lust , Dein Feld und Anger breiten Sich weit in meiner Brust .
Geruhig steht mein Wille Wie dieser Felsen Hang ; Durch meines Herzens Stille Rinnt deiner Ströme Klang - stockenden Schrittes , wie im Traume , die Augen überall , nur nicht auf dem Wege , ging er , nicht selten strauchelnd , von Schierke nach Elend , immer nach drei Schritten stehen bleibend , und während er auf einen moosüberwachsenen Felsenklotz starrte , den vor siebenhunderttausend Jahren Zyklopen mit brüllendem Lachen einander zugeschleudert , flüsterte die Bode - oder kam es aus den Tannen ? - :
Ein Wasser ging im Waldesgrunde - Es weilte still mein Bild darin -
Von Stein zu Stein , von Stunde zu Stunde Mit ewig gleichem Sang dahin .
Und rings zersprengte Felsenmauern In altbemooster Einsamkeit - Auf einem Felsblock sah ich kauern Ergraut und stumm die tote Zeit - - . Fünf Tage lang durften sie den Harz durchwandern - weiter reichte auch Globendorfs Reichtum nicht - aber in diesen fünf Tagen eroberte Asmus Semper ein größeres Reich als Cyrus der Perser und Alexander der Große .
Heimat und Vaterland waren ihm größer und vertrauter geworden : höher ragten sie in den Himmel , tiefer griffen sie in das Herz .
Eine ganze Walpurgisnacht voll ziehender , webender , schwebender , tanzender , wirbelnder , werdender Gestalten im Kopfe , kehrte er heim - und am folgenden Tage begann wieder der Dienst mit neun Stunden und dreißig Korrekturen .
VII. Kapitel .
Die " Rostra " wird gegründet und ein Talent gekränkt .
Spät am Abend war er heimgekehrt , war zu seiner bei behaglichem Lampenlichte nähenden Hilde hingekniet , und sie hatte ihm Haar und Stirn und Wangen und Mund mit Küssen bedeckt .
Und als er das Gesicht erhob , hatte auf dem Tische ein Bild seiner Kinder gestanden , das erste Bild seiner Kinder .
Rosenberg hatte während seiner Abwesenheit seine Kinder weggefangen wie der Marder Macbeth die Küchlein Macduffs und hatte sie photographieren lassen .
Die Juden sind wunderbare Künstler im Freudebereiten ; in langen Jahrhunderten der Not und des Leidens bildeten sie sich untereinander heran zu unübertrefflichen Meistern im Kranz- und Blumenwinden .
Auch ein anderes Glück hatte zwei Gesichter : die neue Wohnung .
Dieser Wohnung gegenüber lag eine weite grüne Weide , hinter deren Büschen am Abend die Sonne versank .
So tief ihn die Berge des Harzes ergriffen hatten - Asmus Semper war ein Sohn der weiten Ebene , der unausmeßbaren Traumfluren und mußte es bleiben bis an sein Ende .
Weiden waren ihm schier das Schönste in aller Natur ; auf Weiden spielte seine Erinnerung , und die " ewige Seligkeit " , von der sein Lehrer gesprochen hatte , war eine sonnenhelle Weide gewesen .
Über die Wiese vor seinem Fenster zogen silberne Wolken und Lieder und riefen :
" Komme , komme , greife uns , fange uns ! " aber er durfte nicht kommen , und Wolken und Lieder zerflossen auf ewig im endlosen Raum .
So wurde ihm alles Glück zum Midas-Glück ; was seine Seele berührte , wurde zu Gold ; aber er durfte es nicht münzen und konnte nicht leben ; seine Seele verkam inmitten des Goldes .
Da fuhr eines Tages plötzlich um eine Ecke ein kräftiger Windstoß und gab den Gedanken Semper vorläufig eine andere Richtung .
Als sich eines Abends zu den fünf Freunden um Rosenbergs runden Tisch - auch Salomon Freudenthal war diesmal dabei - ein gelegentlicher Gast gesellt hatte und man in spöttischen und elegischen Worten über die künstlerische Leblosigkeit des guten " Hamburger Börgers " klagte , da rief jählings dieser Gast die geflügelten Worte : " Laßt uns in den Böhmerwald gehen und eine Räuberbande bilden , d. h. laßt uns in Hamburg einen literarischen Verein gründen ! "
Der nächste Erfolg dieses Vorschlags war ein mehrere Sekunden langes Schweigen der Erstarrung .
Dann ließ Salomon Freudenthal , der liebevoll den Brand seiner Rosa Aromatica betrachtete , sein mädchenhaftes Lachen hören .
" Ja , " meinte er , " das kostet nicht viel Saalmiete ; mehr als wir sind , werden wir doch nicht . "
" Was ?! " rief Asmus , der sofort in hellen Flammen stand : " die Idee ist glänzend ; wir werden im Handumdrehen hundert Mitglieder haben ! "
" Auch , Asmus , du bis jo meschugge ! " rief Freudenthal vergnügt .
" Denkt an das , was ich sagte , " rief Asmus .
" Diese Hamburger sind ein jungfräulicher Boden , kein unfruchtbarer .
Ich stelle mich mit Haut und Haaren zur Verfügung . "
Ein vorberatender Ausschuß wurde gebildet , und man berief Dichter , Schriftsteller , Journalisten , Gelehrte , Kaufleute , Lehrer und Damen hinein .
Denn das war eine der ersten Forderungen Asmussens : kein Ästhetenkonventikel , keine Kathederkavallerie , keine Literatenliteratur : volkstümlich wollte man wirken ; die Konsumenten , die Leser sollten mitreden , an die der Dichter sich wendet .
Der Ausschuß wählte Sempern zum Leiter der Verhandlungen .
Nur der Deutsche verträgt sechsstündige Satzungsberatungen und beraumt dann immer noch eine nächste Sitzung auf morgen an .
Allein die Satzungen wurden gut und fertig , und auf Grund dieser Satzungen wählte man Herrn Semper zum ersten und Dr. Rosenberg zum zweiten Vorsitzenden der " Rostra " - das war der Name der neuen Bildung .
Aber diese Einstimmigkeit war nicht ewig .
Es gab heiße Stunden , heiße Nächte , heiße Köpfe in diesen Zeiten .
Einige wollten die Vorträge der Gesellschaft mit Ibsen oder Tolstoi oder Zola beginnen .
Nein , sagten Asmus und Genossen , den Großen der Fremde alle Ehrerbietung , die ihnen gebührt ; wir werden eines Tages auch auf sie kommen ; aber wir sind eine deutsche Vereinigung , und so weit wir entfernt sind von französischer und englischer Borniertheit , die deutsche Literatur so gut wie gar nicht kennt - bis dahin wollen wir doch die Selbsterniedrigung nicht treiben , daß wir ihnen durch unsere Handlungen recht geben .
Bei gleichem Werte immer zuerst das Vaterland , dann das Ausland .
Und selbst wenn das Einheimische einmal etwas schwächer wäre - hier in Deutschland haben wir Ackerbauerspflichten , nicht in Norwegen .
Mit einem Deutschen müssen wir beginnen .
Einige wollten mit einem großen Alten anfangen , mit Goethe oder Wolfram von Eschenbach .
Ich glaube nicht , meinte Asmus , daß diese Namen einem Menschen ehrwürdiger und heiliger sein können als mir , und ich hoffe , daß wir den Größten unseres Volkes auf unserem Altare manches Opfer bringen werden ; aber noch ringen eine ganze Anzahl Lebendiger vergebens um Anerkennung ; denen wollen wir so schnell wie möglich eine helfende Hand hinstrecken .
Mit einem Lebenden sollten wir beginnen .
Mit Theodor Körner wollte einer eröffnen , weil er gerade hundert Jahre alt sei .
Hut ab vor dem Patrioten und Helden , meinten Asmus und seine Freunde , und nochmals Hut ab vor seinen Kriegsliedern ; aber für eine literarische Vereinigung , die , wie wir hoffen , recht groß werden und recht große Wirkungen zeitigen soll , ist Theodor Körner kein Anfang .
" Na , " machte Dr .
Louis Meckehorn , ein altphilologischer Oberlehrer , " ich kenne moderne Dichter , wo sich freuen könnten , wenn se so viel Talent hätten wie der jute Theodor . "
" Mit dieser Meinung , Herr Doktor , " rief Asmus lachend , " werden Sie sicherlich nirgends aus Widerspruch stoßen .
Ebenso gewiß werden Sie nun auch zugeben , daß es Leute gibt , die mehr können als Theodor Körner . "
Meckehorn schaute mit einem Blick des Einverständnisses zu dem Rechtsanwalt Wichmann hinüber , der ebenfalls der Meinung war : " Na ja - Volksschullehrer ! "
Meckehorn gehörte zu jenen Akademikern , die sich für überlegen halten , weil ihr Vater das viele Geld für sie ausgegeben hat .
Außerdem war er schlechter Laune .
Er hatte kurz vorher einen eigenen Eröffnungsvortrag angeboten :
" Über die Flagellanten " und hatte erleben müssen , daß eine erdrückende Mehrheit sein Anerbieten dankend ablehnte .
Wiederum andere wollten viele Dozenten kommen lassen , die sollten in gelehrten Vorträgen zeigen , wie ein " richtiges " Kunstwerk eigentlich sein müsse und wie ein echter Dichter zu dichten habe .
" Es wird sehr schön sein , " meinte die Fraktion Semper , " wenn wir gelegentlich einen feinen Mann von künstlerischer Seele finden , der uns mit Behutsamkeit und Bescheidenheit ins Herz eines Dichters führt ; aber wenn wir zu viel » über « die Kunst reden , dann wird auch unser Publikum bald nur » über « die Kunst und » über « sie hinweg reden , und es wird sich bald » über « der Kunst wähnen , wo es doch noch nicht einmal in ihr oder auch nur nahe vor ihr gewesen ist .
Nicht destilliertes Wasser wollen wir geben , sondern die trockenen Lippen des Volkes unmittelbar an die Quelle oder die Quelle an seine Lippen führen ; selbst trinken erquickt .
Darum sollte bei uns vor allen Dingen die Dichtung das Wort haben und nicht der Schulmeister .
Und ein paar Unentwegte wollten dem Publikum sogleich mit den krassesten Naturalismen und mit dem Gewagtesten der Erotik vor die Brust springen , um " den Philister zu brüskieren " .
" Ich glaube , " erklärte Asmus , " man entfernt sich am weitesten vom Philister , wenn man nicht nur in die eigene Seele schaut , sondern auch in fremde .
Gerade weil dieses Publikum der neuen Kunst noch fremd gegenübersteht , wollen wir es langsam gewöhnen und gewinnen .
Ein Schlag in die Zähne hat nichts Gewinnendes .
Auch wir sind erst von anderen Gestaden gekommen .
Gewiß wollen wir nur Gutes darbieten ; aber das Gute gedeiht in vielerlei Formen auf vielerlei Äckern , und wir wollen dem Volke zunächst solche Früchte zu kosten geben , die es verdauen kann , um schrittweise zum Schwereren und Schwersten fortzuschreiten .
Bekanntlich bedarf es weit größerer Schläue , die Menschen zum Guten zu überlisten als zum Bösen . "
Asmus drang mit seinen Ansichten durch ; unter peinlichster Beobachtung aller parlamentarischen Formen und Rechte , mit einem demokratischen Gewissen von fast komischer Genauigkeit - denn er war noch ganz Demokrat und Parlamentarier - brachte er seine Anträge zur Annahme .
Aber diplomatisch verfuhr er nicht ; den Namen Semper hätte man ruhig in einem Wörterbuch als geradesten Gegensatz zu dem Worte " Diplomat " anführen können .
Manche der Vorstandsmitglieder gingen schon von Natur mit ihm ; andere überzeugte er ; andere aber stellten sich ihm entgegen , entweder offen und redlich oder mit verstecktem Haß .
Und wenn Asmus auf Widerstände stieß , die sich durch Gründe nicht beseitigen ließen , so sprang ihm das heiße Herz in den Hals ; er wurde ungeduldig , heftig und zuweilen rücksichtslos .
" Es ist nicht leicht , mit Ihnen zu verhandeln , " sagte einmal mit leiser Stimme ein ganz ruhiger , ganz stiller Mann zu ihm .
Asmus sah ihn betroffen an und fühlte beschämt die Wahrheit dieses Wortes .
Aber sein Blut war stärker als er ; Heißsporn Percy war ihm immer ein Lieblingsheld gewesen , Polonius nicht .
Er war auch insofern ein Deutscher , als er die Kunst , sich beliebt zu machen , vermissen ließ und - nicht vermißte .
Er bedachte nicht , daß die Feinde in solchem Falle nicht sagen : " Er will seine Sache durchsetzen , " sondern :
" Er will sich durchsetzen , " und wenn er es bedachte , so verachtete er_es .
Wer für eine gute Sache streitet , muß auch den bösen Schein wagen - das war sein gefährlicher Leichtsinn. VIII. Kapitel .
Schon wieder wird ein Talent gekränkt .
Auf den ersten Klang der Werbetrommel meldeten sich zwölfhundert Hamburger zum Beitritt .
Freilich , in der konstituierenden Versammlung zeigte der neue Verein ein so ernstes Gesicht , daß vierhundert " Begeisterte " , die gleich ihre Gedichte mitgebracht hatten , wieder abfielen ; aber achthundert blieben doch .
" Na , was sagst du jetzt , du Unke ? " fragte Asmus seinen Freund Freudenthal .
" Wart's man ab ! " meinte der .
Da zur ersten Vortragsversammlung jedermann freien Zutritt hatte , erschienen gar zweitausend .
Wenn die deutsche Kunst nichts kostet , kommen sogar die Reichen .
Der Abend verlief wie ein großes Fest und unter stürmischem Beifall , und die Presse verhielt sich wohlwollend .
Für Asmussen bedeutete der junge Verein eine Fülle von Freuden und noch mehr Arbeit .
Alle vierzehn Tage sollte ein neues , eigenartiges und wohlbedachtes Programm da sein .
Und es durfte nicht viel kosten ; denn noch waren die Mittel schwach .
Die Schauspieler zweier Theater versprachen ihm in liebenswürdigster Weise ihre Unterstützung und stellten prächtige Rezitationen in Aussicht ; aber drei Stunden vor Beginn der Vorträge sagten sie gewöhnlich ab , weil die Theater ihren Spielplan oder sie ihren Sinn geändert hatten .
Dann mußte Asmus einspringen und aushelfen .
Bis man ihm hinterbrachte , es gebe Leute , die behaupteten , er habe den Verein gegründet , um vor allen Dingen sich zu Gehör zu bringen - da mußte er es aufgeben .
Es gelang ihm denn auch mit unendlichen Mühen , für fünfzig oder noch mehr Mark andere Kräfte heranzuziehen ; es gab hier und da einen mißglückten Abend - Dichter kamen zum " Vorlesen " , die sich dann auf dem Podium vor 700 Leuten im Dialekt ihrer Heimat mit sich selbst unterhielten - aber die meisten Veranstaltungen schlugen ein , und am Schlusse des ersten Jahres war man sich darin einig : die " Rostra " hat ihre Berechtigung erwiesen , und sie steht fest .
" Na ?! " sagte Asmus .
" Jo , du hest recht hatte , du Schopskopp , " sagte Freudenthal .
" Wollte 'n Geoode Zigarre hemm ? "
Da es eine riesengroße " Upmann " war , so sagte Asmus ja .
Aber nicht alles , was die " Rostra " im Gefolge hatte , roch so gut wie die Upmann .
Ein ehemaliger Referendar z. B. , der mit einem Manuskript zu ihm kam , roch zunächst einmal nach starken Getränken , später nach weit schlimmeren Dingen .
Es war ein hagerer Mann von 25 Jahren , der aber aussah wie ein verwüsteter 35jähriger und dessen Gesicht von Anfang an offenbar nicht gewußt hatte , ob es ein Dichter- oder ein Verbrechergesicht werden solle .
Die Augen waren gut ; aber Mund und Kinn waren sehr böse .
Er gehörte zu den Vielen , deren oberes Gesicht mit dem unteren und deren oberer Mensch mit dem unteren in ewigem Hader liegt .
Dieser Herr Sauerbrand war zunächst einmal der Ansicht , daß alles , was gegenwärtig den Parnaß beherrschte , wertlos und verrucht sei .
Asmus stand damals in der Theorie mit Begeisterung zu den Naturalisten und Jüngsten und hielt sich darum ebenfalls verpflichtet , die Kunst der älteren , erbgesessenen Herren " überlebt " zu finden ; aber Sauerbrand beschimpfte sie mit schäumendem Munde wie Schurken und Verräter , die aus Bosheit und Gemeinheit , besonders aber aus Geldgier , das Heiligtum der Kunst besudelten .
Das vermochte Asmus nicht mitzumachen , weil er nicht vergessen konnte , daß er bei den Freitag , Heyse , Geibel , Storm , Spielhagen usw. schöne , ja auch köstliche , reiche Stunden verlebt hatte .
Dann brachte Sauerbrand sein Manuskript hervor und las es , um zu zeigen , wie heilige Kunst eigentlich sein müsse .
Als Theodor Storm einmal in einer Berliner Gesellschaft die Verse eines schwachen Dichters über sich ergehen lassen mußte und die Dame des Hauses ihn dann erwartungsvoll fragte :
" Nun , Herr Amtsgerichtsrat , wie hat Ihnen das gefallen ? " da sagte der Herr Amtsgerichtsrat scharf und laut : " Das hat mir gar nicht gefallen . "
Dergleichen brachte Asmus nicht über sich ; aber in der Sache konnte auch er nicht lügen .
" Sie sind Pessimist , " sagte Asmus , als Sauerbrand geendet hatte .
" Kann ein denkender Mensch etwas anderes sein !? " fragte Sauerbrand .
" Ich halte Plato , Aristoteles , Giordano Bruno , Leibniz , Goethe , Lessing , Herder , Kant , Hegel u. a. m. für denkende Menschen , " meinte Asmus .
" Sie sind in Ihren Gedichten doch selbst Pessimist ! " rief Sauerbrand .
" Noch gestern las ich eine Kritik , in der man Ihren Versen » tiefgründige Schmerzempfindung « nachsagte .
" Und damit wäre ich Pessimist ?
Es ist nicht zu verwundern , daß ihr die Optimisten verachtet , da ihr sie vorher zu Trotteln macht .
Können Sie sich nicht Optimisten vorstellen , die das Leid der Welt tiefer erkannt und erfühlt haben als Schopenhauer und alle seine Genossen ?
Der Frankfurter Denker hat seinen Pessimismus mangelhaft begründet , aber immerhin erheblich besser als Ihr Held und die meisten modernen » Helden « .
Genau genommen sind sie Weltverächter , weil es ihnen selbst und einigen anderen schlecht geht .
Nur das sehen sie von der Welt und sonst nichts .
Warum sehen sie nicht auch das andere ?
Sie sind doch Fanatiker der Wahrheit !
Sehen Sie , Herr Kollege , in Ihrer Novelle ist immer schlechtes Wetter , immer Novemberhimmel mit schwarzen Wolken und Regen .
Alle Türangeln kreischen bei Ihnen , und alle Rinnsteine riechen .
Die Kneipe ist immer verqualmt , und das Treppenhaus immer voll Küchengeruch .
Sie haben das natürlich mit ehrlichem Glauben an die Häßlichkeit der Welt geschrieben ; was ich jetzt sage , geht nicht auf Sie :
Bei den meisten ist diese Manier eine einfache Verlogenheit .
Sie lügen pessimistisch , weil es bei den Deutschen ein Ansehen gibt , weil man für » ernst « gilt , wenn man sich eine schwarze Locke in die Stirn kämmt . "
Asmus erschrak , als er im selben Augenblicke bemerkte , daß auch Sauerbrand eine lange Stirnlocke trug .
" Und doch unterscheiden sie sich von den Süßholzschreibern nur dadurch , daß sie nicht rot schminken , sondern grau . "
" Sie haben gut reden , " machte Sauerbrand mit einem nicht guten Lächeln seines unteren Gesichtes , " Ihnen geht es gut . "
" Es geht mir in vielen Hinsichten unendlich gut , " rief Asmus warm und mit einem selig aufleuchtenden Lächeln , " weit , weit über Verdienst , und ich kann niemals vergelten , was mir geworden ist .
Und doch geht es mir im tiefsten Grunde der Seele gar nicht gut , Herr Sauerbrand .
Ich darf nicht sein , was ich bin - das ist vielleicht das Schwerste , was einen Menschen treffen kann .
Mein inneres Leben ist ein ewiges Absterben von Dingen , die sich niemals wieder zum Leben erwecken lassen .
Ich glaube , das ist etwas gewichtiger als das Schicksal Ihres Helden .
Der kleidet sich elegant , trinkt sehr viel Spirituosen , verkehrt fleißig mit gefälligen Damen und findet die Welt unerträglich .
Das ist etwas wenig an Leistung .
Er handelt gegen seine Angehörigen herzlos , undankbar und dumm und findet die anderen Menschen gemein .
Das ist seine » Weltanschauung « .
Ich glaube , ich hätte ungefähr 80000 Mal so viel Berechtigung zum Pessimismus wie er .
Wenn ich aber um meiner Leiden Willen die Welt für ein Jammertal halten wollte , so würde ich mir so lächerlich vorkommen wie ein Mann , der etwa behauptete :
» Europa geht einer düsteren Zukunft entgegen , « weil er zum Zahnarzt muß .
Noch viel lächerlicher . "
" Warum hängen Sie dann nicht den Schulmeister an den Nagel wie ich und werden ein freier Künstler ? "
" Ein freier Künstler ?
Verzeihen Sie :
ich verstehe immer » ein freier Künstler « .
Natürlich habe ich auch diese Möglichkeit erwogen .
Und wenn ich mir dann vorstelle , wie jeden Morgen an meinem Bett das graue Weib mit der Neunschwänzchen Katze stünde und grinste :
» Auf , du mußt " dichten " , damit Frau und Kinder zu essen haben ! « dann erstarrte ich vor Grauen zu einem einzigen Eiszapfen .
Nein , lieber Herr Sauerbrand , lieber will ich die Muse im ganzen Jahre einmal empfangen - und dann festlich ! -
als täglich jene graue Teufelin , die ich von Ansehen so genau kenne , daß ich sie malen könnte . "
" Ja , die Tragödie des Lebens muß man eben auf sich nehmen , wenn man Künstler sein will , " sagte Sauerbrand mit dem Bewußtsein der Größe .
" Gewiß , man muß leiden können , " sagte Asmus ; " aber muß man auch sehen können , wie andere leiden , und gar , wie Kinder leiden ?
Und auch leiden soll man nur wollen , wenn es einen Sinn hat .
Diese Tragödie wäre sinnlos .
Denn ich würde vor weißen Blättern sitzen bleiben und Federn zerbrechen .
Ich kann keine zehn Worte schreiben ohne Lust dazu .
Sie sind ja Holsteiner und kennen also das Wort unseres Landsmanns Th. Storm :
" Kein Wort , auch nicht das kleinste , kann ich sagen , Wozu das Herz den vollen Schlag verwehrt . "
Und wenn Sie noch einen Grund hören wollen :
ich bin Schulmeister mit dem Herzen .
Wenn ich vor den Kindern stehe , dann habe ich das Gefühl :
» Das ist eigentlich das Schönste : ewig vor Kinderaugen stehen , dann bleibt man rein .
Und diese Augen trinken sehen , ist reinstes , reichstes Glück . «
Freilich : wenn ich dann ein Lied mit den Kindern singe , oder mir mitten in der Stunde der Höhepunkt eines Dramas einfällt , dann muß ich mich irgendwo Festkrampfen , um nicht zum Fenster hinauszuspringen . "
" Na , Sie springen sicher eines Tages .
Sie werden schon Erfolg haben .
Jetzt , wo Sie die » Rostra « in der Hand haben , kann_es Ihnen doch nicht fehlen . "
" In der Hand haben - wie verstehen Sie das ?
Ich habe eine von den 21 Stimmen des Vorstandes .
Eine Stimme , die man vielleicht mehr beachtet als eine beliebige - das mag sein .
Aber was habe ich davon ?
Solange ich an der Spitze stehe , soll in der » Rostra « von meinen Werken gewiß nicht die Rede sein . "
" Glauben Sie , daß der Vorstand meine Arbeit zum Vortrag annehmen wird ? "
" Welche ?
Diese ? "
" Ja . "
Asmus wurde sehr verlegen .
" Das glaube ich kaum , " sprach er mit ehrlichem Bedauern ; denn er wäre gern gefällig gewesen .
" Ich will die Arbeit natürlich gern vorlegen , wenn Sie es wünschen , aber - "
" Na , wenn Sie sie empfehlen - "
" Ja , Herr Sauerbrand -
( Asmus druckste ) - nach dem , was ich Ihnen gesagt habe , müssen Sie ja selbst einsehen , daß ich das eben nicht kann .
( Ihm kam ein rettender Gedanke : ) Reichen Sie es durch jemand anders ein ; vielleicht kann der dafür eintreten ; ich kann_es nicht . " ( Asmus hätte gar nicht zu sagen brauchen , daß er ' s nicht könne ; aber solch ein Töffel war er . )
" Nein , dann verzichte ich lieber , " sagte Sauerbrand mit einem Lächeln , das in keiner Gattung unterzubringen war , " ich will mich ja nicht aufdrängen .
Adieu . "
Es war Asmussen eigentlich recht angenehm , daß der Gast ohne Händedruck ging .
Er fürchtete sich manchmal vor Händedrücken .
Zuneigung und Abneigung ergriffen ihn im Verkehr mit Menschen instinktiv ; wenn er aber des anderen Hand fühlte , so wurde der Instinkt schier zum Wissen .
Eigentlich begegnete er allen neuen Menschen mit vollem Vertrauen und unbefangenstem Wohlwollen .
Daher fühlte er sich , wenn ein Instinkt ihn warnte , jedesmal erschüttert .
Und dann fürchtete er den Händedruck .
IX. Kapitel .
Herr Semper benimmt sich auch ferner mit unverantwortlichem Leichtsinn .
So also erging es ihm mit Sauerbrand .
Dann kam Aaron Baumblatt der Rezensent .
Aaron Baumblatt sah aus wie das Kreuzungsprodukt eines polnischen Juden und eines Lamas und stammte aus Tarnopol in Galizien .
Er hatte die Überzeugung , sehr bedeutend auszusehen , einen " interessanten Kopf " zu haben ; daher blieb er bei jeder Premiere , in jedem Zwischenakt , das Gesicht ins Auditorium gewendet , so lange auf seinem Parkettplatze stehen , bis alle Anwesenden gesehen hatten : der scharfe Baumblatt ist da mit dem Charakterkopf .
Er aber sprach es durch seine Mienen aus :
" Ihr , der blöde Haufen , mögt euch nach Belieben amüsieren oder langweilen , euch rühren lassen oder lachen - den Wert des neuen Stückes bestimme ich .
Ich bin das Maß der Dinge .
Ich bin das Reichsgericht für Kunstsachen .
Und wenn er dem Autor oder Schauspieler wohlwollte , wenn es vielleicht gar ein Stammesgenosse war , dann schrieb er hernach lauter " feine " Sätze , lauter " Brillanten " wie :
" Löwensteins Dichtung ist keine Kunst ; sie ist mehr , ist ein unendliches Jenseits aller Kunst , eine schneidende Transversale alles Weltgeschehens , projiziert aus den Horizont unseres Nervensystems oder vielmehr eine hochgeschwungene Tangente des Seins , die , die Wirklichkeit nur in einem Punkte mit sensitivster Schamhaftigkeit berührend , in den ewigen Raum verläuft , um von dorther die zermalmenden , zerfleischenden Sensationen transzendenter Urweltgedanken zu holen - " oder so ähnlich , und wenn er den Dichter haßte , so schrieb er solche Sätze wie :
" Das Stück hat drei Akte und Grundsätze .
Die Heldin hat Grundsätze und Pockennarben .
Der Autor wurde dreimal gerufen und erschien viermal - " und so weiter .
Geistsprühend also , durchaus geistsprühend .
Am schlimmsten erging es den armen Dichtern , die deutsches Wesen verrieten .
Er hatte den stillen , fanatischen Haß mancher östlichen Juden gegen alles Deutsche .
Wenn er dergleichen witterte - und darin witterte er scharf - dann fletschte er .
Baumblatt hatte das Theaterreferat am " Patriotischen Anzeiger " und stand mit zahlreichen auswärtigen Vertretern seiner " Branche " in einem festen Vertragsverhältnis .
Sie mußten bei den Theatern ihrer Städte sein Stück " Der Springer " anzubringen suchen , und wenn es gelungen war , einen Direktor dahin zu bringen , daß er zähneknirschend den " Springer " gab , dann war Baumblatt von einer wirklich rührenden Dankbarkeit .
Er ruhte dann nicht eher , als bis er seinen Geschäftsfreund ebenfalls " lanciert " hatte .
So empfahl er denn der " Rostra " dringend , aber schon sehr dringend , einen seiner Schützlinge , " eine große Zukunftshoffnung " , zu einer Vorlesung kommen zu lassen .
Die " Rostra " prüfte die Verse der Zukunftshoffnung und zeigte sich , wie Zuleika , " gänzlich abgeneigt " .
Da Asmus als Vorsitzender das höfliche Ablehnungsschreiben zu unterzeichnen hatte , so fiel ihm auch in erster Linie der Genuß des Odiums zu .
Baumblatt aber war ein anständiger Kritiker ; er quittierte meistens erst nach sechs Wochen .
Da erschien in einer Theaterrezension , mit der die " Rostra " gar nichts zu tun hatte , die Bemerkung , daß die " Rostra " für unsere Stadt ganz etwas anderes bedeuten könnte , wenn sie wirklich künstlerisch und nicht so erschreckend dilettantisch geleitet würde .
" Aha , " sagte sich Asmus .
Dann war eine ganz charmante Begleiterscheinung der " Rostra " Frau Kitty Krüge , die Gattin des Redakteurs Krüge .
Sie war hübsch und zierlich und überfiel Asmussen eines Abends im Foyer des Theaters mit stürmischen Lobsprüchen .
" Also : ich bin einfach weg in Ihre Bücher ! " rief sie ganz nahe vor seinem Gesicht .
" Ich nehme sie jeden Abend mit zu Bett ! " ( Asmussen wurde ganz warm . )
" Darin steckt doch endlich einmal wieder eine Persönlichkeit , ein Mann !
Das sind doch endlich einmal wieder Verse !
Wer kann denn heutzutage noch Verse machen ! "
Und so weiter .
Welcher junge Mann ließe sich nicht gern von einem hübschen Weibe solche Dinge sagen ?
Asmus hatte eben noch wenig Erfahrung in diesen Dingen .
Er wußte noch nicht , daß nach solchen Einleitungen früher oder später immer die verschämte Bemerkung kommt :
" Ich habe mich auch Mal versucht - "
Hier z. B. kam sie .
Frau Kitty überreichte ihm ein schmächtiges Bändchen :
" Brennende Gluten " .
" Nicht wahr , Sie sagen mir Ihre ehrliche , ungeschminkte Meinung , Herr Semper .
Bitte , versprechen Sie mir das ! " bat sie mit großen , flehenden Augen .
" Selbstverständlich , gnädige Frau , " sagte Asmus und schwor ihr in seinem Herzen tiefste Redlichkeit .
" Bitte , tun Sie es ! " flehte sie .
" Ich will keine Lobhudeleien , ich will Wahrheit .
Und ich weiß : Sie sind ein Mann , der offen und rücksichtslos seine Meinung sagt .
Bitte , geben Sie mir Ihre Hand darauf , daß Sie mich nicht schonen werden . "
Asmus gab ergriffen seine Hand und genoß noch am selben Abend eine größere Anzahl " Brennender Gluten " .
Ein ganz kleines Talentchen , sagte er sich .
Wenn es nicht da wäre , wäre die Welt um nichts ärmer .
Aber sie hat gehört , daß man für sehr kühn gilt , wenn man sehr erotisch ist , daß eine möglichst klare , gar nicht mehr mißzuverstehende Darstellung intimster Liebe sogar schon Genie bedeutet , und daß es kühnste Genialität beweist , wenn eine Frau diese Liebe so oft wie möglich schildert .
Ihre eigene Glut ist noch dazu sehr klein , ein kleines bürgerliches Herdfeuer ; sie hat sich einen Blasebalg aus Berlin verschrieben , und damit pustet sie , daß die Verse mit Asthma behaftet scheinen .
Immerhin : ein Gedicht war darunter , das nicht übel geraten war , und darob freute sich Asmus .
So konnte er ihr doch etwas Angenehmes sagen .
" Ein Gedicht hat mir nicht übel gefallen , " sagte er , als er ihr wieder im Theater begegnete .
" Eins ?
I gitt , Sie gräßlicher Mensch ! " rief sie mit scheinbar scherzhaftem Schmollen , und dann fächelte sie sich und ging zu ihrem Manne .
Einige Tage später traf er seinen Freund Globendorf , den Buchhändler , auf der Straße .
" Die Krüge hat dir ihre Gedichte gegeben , was ? " fragte Globendorf .
" Wie sind sie denn ? "
" Eins ist ganz nett , " erwiderte Asmus .
" Das habe ich ihr auch gesagt . "
Globendorf heftete einen starren Blick auf ihn .
" Du bist gegen diese Leute von einer gefährlichen Offenheit , " sprach er mit ahnungsvollem Klange . - X. Kapitel .
Unter dem elektrischen Weihnachtsbaum .
Aber das Diener bei dem steinreichen Verleger Benjamin Hübscher schien doch wirklich eine angenehme Beigabe der " Rostra " zu sein !
Fünfzehn Gänge !
Das war keine Knochenbeilage !
Auch Herr Hübscher war Mitglied der " Rostra " , die natürlich überhaupt wie alles Kunst- und Theaterpublikum zu zwei Dritteln aus Juden bestand , was den Juden zu hoher Ehre gereicht .
Man streiche die Juden aus dem deutschen Kunstpublikum , und die deutsche Kunst ist verloren .
Benjamin Hübscher hatte Sempern eines Tages , als man nach einem Vortragsabend der " Rostra " beim Biere saß , die angenehmsten Dinge über seine Werke gesagt und ihm eine glänzende Zukunft prophezeit .
Natürlich hatte Asmus das nicht ungern , wenn auch mit starken Zweifeln angehört , und als Hübscher gesagt hatte : " Wollen Se einfach bei mir zu Mittag speisen ? " da hatte Asmus mit Vergnügen ja gesagt .
Bei Hübscher aß man sicher nicht schlecht .
Schon als Asmus und Hilde die Treppe zum Empfangsraum des Hübscheschen Palais hinaufstiegen , fühlten sie sich benommen : jeder Quadratzoll dieses Hauses war mit dicksten Teppichen belegt .
Das gab ohne Zweifel ein warmes , wohliges Gefühl , das angenehm den Rücken hinaufrieselte ; aber es hatte auch etwas Unheimliches :
Man hörte nicht , wenn jemand herankam .
Asmus hatte in solchen Salons auch später immer das Gefühl , daß alle Menschen zu Schleichern und Leisetretern würden .
Als sie den Empfangssalon betraten , sahen sie zu ihrem Schrecken , daß sie sich bei diesem " einfachen Essen " unter lauter Fräcken und dekolletierten Kostümen befanden ; aber Hübscher und Frau begrüßten sie mit so viel Auszeichnung und stellten sie den anderen Gästen mit so ersichtlicher Genugtuung vor , daß wenigstens Asmus sein Gleichgewicht einigermaßen wiedergewann ; Frauen werden durch Toilettenfragen immer tiefer erschüttert .
Als die Türen zum Speisesaal sich öffneten , strahlte den Gästen ein riesiger Weihnachtsbaum entgegen .
( Hübscher sagte " Christbaum " . ) Asmussens und Hildens Herzen wollten bei diesem Anblick schon aufjubeln , als sie plötzlich bemerkten , daß die Lichter des Baumes lauter elektrische Glühlämpchen waren. O je , dachten die beiden Semper einstimmig , obwohl sie durch die Tischordnung weit getrennt waren und Asmus die Dame des Hauses am Arme führte .
Die riesige Tafel zu etwa 50 Gedecken war über und über mit den herrlichsten Orchideen bestreut .
" Gott , waschen Luxus ! " rief die brillantenbesäte Frau Konsul Wientapper der Wirtin zu , " das haben Sie nicht unter tausend Mark ! "
" Das weiß ich nicht , " lachte Frau Hübscher , " das überlaße ich meinem Mann .
Mit Wientappers können wir noch lange nicht konkurrieren . "
Frau Wientapper lächelte schamhaft .
Bevor Asmus die erste Auster aß , beobachtete er vorsichtig , wie es die anderen anstellten ; dann machte er es mit gelassener Routine nach .
Er hatte noch nie Austern gegessen .
Mit seiner Weinzunge war es ebenfalls noch schwach bestellt ; aber da ihm der servierende Lakai ins Ohr raunte :
" 1878er Steinberger Kabinett " , so war er überzeugt , einen herrlichen Geschmack zu empfinden .
Auch manche der Speisen kamen ihm eher als wunderliche Einfälle denn als menschliche Nahrungsmittel vor , und bei einigen Gerichten wußte er nicht , was man davon nehmen und was man liegen lassen müsse ; aber das Ganze war doch ein blendendes , ungemein anregendes Erlebnis .
Zwischendurch kam es ihm wie eine persönliche Ruchlosigkeit vor , daß er hier praßte , während sein Vater oft nicht gewußt hatte , woher er das trockene Brot nehmen solle , und nun im Grabe ruhte und ihm keine Freude des Lebens mehr seine Sorgen und Ängste vergelten konnte .
" Sie trinken ja gar nicht , Herr Semper , " sagte Frau Hübscher .
" Kommen Sie , wir wollen Mal auf Ihr nächstes Werk anstoßen . "
" Danke , danke , " stotterte Asmus .
" Was ist es denn ? " fragte Frau Hübscher .
" Es ist noch gar nichts , gnädige Frau , " versetzte Asmus , " es will erst was werden und kann nicht . "
" Warum kann es nicht ? "
" Es soll ein Drama werden , und das erfordert viel Zeit und tiefinnerliche Sammlung .
Und dazu komme ich nicht . "
" Warum nicht ?
Sie müssen zu viel Stunden geben , gelt ? "
" So ist es . "
" Na , da müßte sich doch Rat finden lassen . "
Sie neigte sich vertraulich zu seinem Ohr .
" Ich werde Mal mit meinem Mann sprechen . "
Beim dritten oder vierten Gange erhob sich ein Gast und toastete auf die Wirte .
Er sprach sehr hübsch und witzig .
" Die Rede sollte ich doch kennen ? " sagte der Regierungsbaurat Möller mit boshafter Naivetät .
" Ist es Ihnen nicht auch so , gnädige Frau ? "
Frau Hübscher nickte kaltlächelnd .
" Wieviele Male mag er die wohl so in einem Winter halten ? " meinte der Architekt , während der Redner immer weiter sprach .
" Ich schätze 150 , " sagte Frau Hübscher , " die Saison zu fünf Monaten gerechnet . "
Diese Art setzte Asmus in Verwunderung .
Der Mann , der da redete , erwies seinen Wirten doch eine Freundlichkeit , und hinter seinem Rücken , während er redete , sprach man so über ihn !
Ein Eindruck , den er auch sonst schon empfangen hatte , verstärkte sich hier durch Wiederholung .
Bezaubert von den glatten , freundlichen Sitten der " feinen " Leute , hatte er sonst mit Wehmut in die bessere Welt der " Vornehmen " geblickt und sich tief unter ihr empfunden .
Und mehr und mehr gewahrte er die entsetzliche Kälte , die grausame Gleichgültigkeit gegen den Nächsten , die sich in diese schönen Formen hüllte , weil ihr unverhüllter Anblick tödlich sein müßte wie das Gorgonenhaupt .
Bei einem späteren Gange erhob sich auf einen freundlichen Blick der Hausfrau der berühmte Tenorist Battini und schritt zum Klavier .
Asmus verwunderte sich abermals , daß ein solcher Künstler während eines Essens aufstand und sang und daß man ihm dergleichen zumutete ; erst später erfuhr er , daß das für tausend Mark zu haben sei .
Aber er freute sich auch ; denn er hatte diesen Sänger als Florestan , Tamino , Joseph , Tristan mit Bewunderung gehört und gesehen .
Wie groß war seine Verblüffung , als er denselben Mann singen hörte :
" Es liegt eine Krone im tiefen Rhein " und danach etwas , was noch tief unter dieser Krone lag .
Aber als der Sänger mit einem Fortissimo schloß , von dem die Leuchter auf dem Tische klirrten und Asmus eine dauernde Taubheit befürchtete , da schien alles begeistert zu sein .
Die neuere deutsche Gesangskunst ist eine Art Athletik .
Er konnte nicht mitklatschen .
" Hat er Ihnen nicht gefallen ? " fragte Frau Hübscher .
" Auf der Bühne hat er mir immer gefallen ; aber dies - "
Frau Hübscher wurde glücklicherweise von einer anderen Seite angeredet .
Nach dem Essen wurde Kaffee mit acht verschiedenen Likören angeboten und - Zigarren , herrliche Zigarren .
" Das beste an einem Diener ist die Zigarre hinterher , " pflegte sein Freund Freudenthal zu sagen ; Asmus mußte ihm auch heute recht geben .
Da standen breite Klubsessel , bei deren Anschauen einem schon behaglich wurde ; Asmus ließ sich nieder und sank so tief hinein , daß seine Füße den Boden verloren ; erschrocken rappelte er sich und mit Mühe wieder herauf und setzte sich nun lieber auf die Kannte .
Er hatte keine Ahnung von der Symbolik dieses Vorgangs .
Vor ihm stand Herr Benjamin Hübscher und blinzelte ihn durch seine bläuliche Brille mit entzündeten Äuglein an .
" Was bringen Ihnen denn Ihre Bücher so jährlich ? " fragte er und klimperte in der Hosentasche .
Asmus erhob sich vor dem älteren Manne ; aber dieser stieß ihn zurück .
" Bleiben Se gemütlich !
Bleiben Se gemütlich ! "
" Bis jetzt , " sagte Asmus , " habe ich im ganzen 54 Mark bekommen . "
" Na , das ist doch lächerlich ! " machte Hübscher .
" Das ist doch Stuß ! -
Na , passen Se auf , ich werde Se machen . "
Was wollte Herr Hübscher ?
Ihn " machen ? "
Das verstand er nicht .
Er hatte das Gefühl , daß das nicht mehr nötig sei .
" Wie meinen Sie das , Herr Hübscher ? " fragte er schüchtern .
" Na , wir sprechen uns noch , " brach Hübscher ab , indem er Sempern auf die Schulter klopfte , " sei 'n Se ganz ruhig ; ich mache ' Sie . " XI. Kapitel .
Wie Asmus Semper gemacht werden sollte .
Auf dem Heimwege mußte Asmus immer über dieses merkwürdige Wort nachdenken ; aber er hatte dabei das angenehme Gefühl , daß ein reicher Mann und Verleger sich offenbar für sein Schaffen interessiere .
Es war nur drei Tage später , daß Asmus , über seine Hefte gebückt , plötzlich vom Flur seiner Wohnung her Hundegebell und laute Begrüßungsworte vernahm .
" Guten Tag , guten Tag , gnädige Frau , wie geht_es , wie ist Ihnen der Abend bei uns bekommen , hoffentlich gut , ist Ihr Herr Gemahl zu Hause , kann man ihn sprechen ? "
Alles nach der üblichen Weise der Höflichkeit gesprochen , aber ohne Unterbrechung . weil die Antwort nicht interessierte .
Herein kamen eine riesige deutsche Dogge und der kleine , kugelrunde , kahlköpfig glänzende Herr Hübscher .
Der Hund benahm sich sehr rüpelhaft , bis Hübscher ihn mit Mühe zum Kuschen brachte .
Herr Hübscher hielt es nicht für nötig , sich deswegen zu entschuldigen .
" Also , Herr Semper , wir müssen Mal mit 'nander reden .
Ich sehe ' :
Sie korrigieren Schularbeiten .
Nun , das is doch nix .
Is doch keine Beschäftigung für 'n Mann wie Sie .
Pegasus im Joche .
Sie werden sagen :
ich muß Geld verdienen .
Solln Se auch .
Ich werde Ihnen was sagen .
Ich kann natürlich nicht alles bewältigen , was mir zum Verlage angeboten wird .
Ich brauche Leute von Bildung , Urteil und Geschmack , die für mich lesen und gutachten .
Werden Se Lektor für meinen Verlag ; daß ich anständig zahle , brauche ich Ihnen nicht zu sagen . "
" Ja , das wäre ja wunderschön , " rief Asmus froh erregt .
" Also is gemacht .
Weiter .
Ich zahle Ihnen , sagen wir , auf drei Jahre jährlich 2000 Mark ohne jede Gegenleistung , als daß Sie sich verpflichten , in Zukunft Ihre Werke bei mir erscheinen zu lassen . "
Asmussens Herz zuckte ein wenig .
Sechstausend Mark waren schrecklich viel Geld ; aber - war das nicht so etwas wie Zwang , Fessel , Festlegung für immer ?
Freilich : Hübscheres Verlag war sehr leistungsfähig , machte viel Reklame für seine Dichter , und mancher gute Name gehörte ihm an ; aber - Fesseln - ?
" Das müßte ich mir natürlich noch überlegen , " sagte Asmus schüchtern .
Hübscher machte ein Gesicht wie : Überlegen will er sich es auch noch - überlegen will er sich_es , ob er eintreten will in meinen Verlag ! - sagte aber doch : " Gut , überlegen Se sich_es .
Übrigens brauchen Sie nicht zu glauben , daß Sie bloß der Empfangende sind - ich will auch was von Ihnen , " sagte Hübscher mit jener schönen Diplomatie der Offenheit und Aufrichtigkeit .
" Sie kennen ja meine Rundschau , die » Palästra « . " Asmus nickte .
" Also .
Unsere " Rostra " muß doch so bald wie möglich 'n Organ haben . "
Asmus zuckte die Achseln .
" Muß se ! " entschied Hübscher .
" Na , da kann doch nur die » Palästra « in Frage kommen . "
" Es bewerben sich mehrere Blätter darum , " bemerkte Asmus .
" Was heißt mehrere Blätter ? " rief Hübscher .
" Wir sind doch eine moderne Vereinigung und brauchen ' ne moderne Zeitschrift .
Wo gibt_es denn so was außer der » Palästra « ?
Die moderne Literatur is doch mein Verlag , und mein Verlag is de moderne Literatur ! "
" Nun - das ist doch wohl nur mit Einschränkung richtig ! " lachte Asmus .
" Nun , wissen Se's anders ? " machte Hübscher gekränkt .
" Und dann " , fuhr Asmus fort , " legt unsere Vereinigung ja mehr Wert auf die Güte der Literatur als auf ihre Modernität . "
Hübscher warf die Augen nach oben links und oben rechts und dachte :
" Kammer ! "
" Wir werden ja im Vorstand über alle Angebote verhandeln , und ich werde dafür sorgen , daß Ihrer » Palästra « volle Gerechtigkeit widerfahre - "
" Kunststück ! " meinte Hübscher .
"- aber bevorzugen könnte ich sie um so weniger , als ich ja als Lektor sozusagen ein Angestellter Ihrer Firma wäre - "
" Nun wer weiß denn das ? " rief Hübscher .
" Das bleibt doch unter uns ! "
Hierauf konnte Asmus nichts erwidern .
Er lächelte nur stark verwundert und sagte kühl :
" Sie überschätzen ja auch vollkommen meinen Einfluß im Vorstande - "
" Wenn Sie die Sache empfehlen , is se gemacht , " rief Hübscher .
Asmus wollte widersprechen .
" Reden Se nicht !
So is es .
Is ja auch ganz in der Ordnung so , " rief Hübscher mit einem letzten Appell an die Eitelkeit .
" Ich versichere Ihnen , daß Sie sich irren ! " sagte Asmus jetzt ernst und fest , indem er sich erhob .
" Ich kann nichts durchdrücken , und ich will nichts durchdrücken . "
" Na , " machte Hübscher .
" Komme , Pluto ! "
An der Tür rief er :
" Bitte Empfehlung an die Frau Gemahlin , " machte dabei aber nur eine Viertelwendung zu Asmussen zurück , so daß dieser auch seine Verbeugung sparte .
Der Vorstand lehnte alle Organe ab , und Hübscher ließ nichts wieder merken , weder von sich , noch vom Lektorat , noch vom Dichtergehalt , noch von Diners mit Tenören und Austern .
Abgesehen davon , daß er vorläufig nichts machen konnte , gehörte Hübscher zu den Leuten , die die Rache kalt genießen .
XII. Kapitel .
Eine Bilanz und ein Stein ; drei neue Menschen und eine banale Anmerkung .
Wenn Asmus also die Bilanz seiner Tätigkeit für die " Rostra " gezogen hätte , so wären auf die eine Seite gekommen : Schöne Erfolge , viel Freude und etwas sogenannte Ehre , auf die andere Seite : eine große Arbeitslast , ein schon ganz erklecklicher Neid , ferner Frau Kitty Krüge und die Herren Dr. Meckehorn , Baumblatt , Sauerbrand , Hübscher und eine unbestimmte Anzahl Personen , die bei der Gründung der Rostra gar nicht befragt , also bitter gekränkt worden waren .
Wenn er diese Bilanz gezogen hätte - aber seine Naivetät in solchen Fragen war so grenzenlos , daß ihm eine solche Bilanz auch nicht von weitem in den Sinn kam .
Auch nicht im Traum kam ihm der Gedanke , daß er von irgend jemandem auf der Welt etwas zu befürchten habe - hatte er doch nichts anderes getan als seine Pflicht .
Er wußte ja gut genug , daß die Erde schlimme , neidische , rachsüchtige Menschen trage ; aber er hatte ja keinem etwas getan .
Keinem !
Er verstand auch nicht die symbolische Andeutung für die Zukunft , die ihm in dieser Zeit einmal das Schicksal machte .
Es ging gegen Ostern , und dir Schulen entließen ihre Konfirmanden .
Eines Tages , als Asmus von der Schule nach Hause ging und über einen freien Platz schritt , flog ihm sausend ein großer Stein so nah am Gesicht vorüber , daß er um ein Haar getroffen worden wäre .
Er wandte sich und bemerkte in einem Winkel des Platzes eine Rotte von dreißig bis vierzig Konfirmanden , die sich , da er stehen blieb und sie ansah , langsam in eine Straße zurückzog .
Er kannte keinen dieser Knaben ; sie zu verfolgen , hätte keinen Sinn gehabt , da er keinen erwischt hätte , am wenigsten wahrscheinlich den Täter , und überdies waren die entlassenen Kinder der Schulzucht entzogen .
Ihm als Asmus Semper konnte der Stein nicht gegolten haben ; denn er hatte mit diesen Zöglingen einer anderen Schule nie das Geringste zu tun gehabt .
Der Stein galt dem Lehrer , dem Vertreter der Autorität und Schulgewalt , und das machte den Vorgang so traurig .
Haß , Wut , Rachsucht , zum mindesten ein roher Frevelmut hatte diesen Stein geschleudert .
Er litt noch lange unter diesem Stein , der ihm sein Weltbild zerfetzte ; aber er ahnte nicht , daß es solche Steine auch regnen kann .
Wie hätte er auch allzulange trüben Gedanken nachhängen sollen - gönnte ihm das Leben doch immer noch so viel !
Sein Weib , seine Kinder , seine Freunde beglückten ihn jeden Tag und jede Stunde durch Liebe , durch Frohsinn und Gedeihen , durch Beifall und Teilnahme und Aufmunterung !
Auch eine Schwester seiner Gattin kam seit einiger Zeit öfter ins Haus , Gesa hieß sie , Gesina , und war so hübsch wie ihre Schwester ; aber das war auch so ziemlich alles , was sie miteinander gemein hatten .
Gesina spielte eine Soubrettenrolle im Welttheater ; sie lachte mehr als sie sprach , und ihr Zünglein stand selten still .
" Rappeltasche " hatte sie daheim geheißen ; ihre Rede klang wie eine Staccato-Kadenz von Sarasate oder Burmester oder wie wenn zahllose Glasperlen aus einer Schale auf den Fußboden rieseln ; sie hätte Schillers Glocke in drei Minuten hersagen können .
Und eines Tages brachte sie plötzlich einen riesigen Seebären mit , einen Steuermann mit Namen Jan Blicken , der fortan die Führung dieser flotten Rennjacht übernehmen sollte .
Asmussen wurde immer im Innersten wohl , wenn er liebe Gäste an seinem Tische sah , und es waren warme , gütige Stunden , wenn das goldene Licht der blitzblanken Lampe auf den schneeweißen Tisch fiel , wenn Gesina mit kindlichem Geplauder den Tee einschenkte , wenn Jan bedächtig und schwer von See und Seefahrt erzählte , wenn er nach einer Weile mit verschmitztem Augenzwinkern ins Seemannslatein hinüberdrehte und Asmus mit ebensolchem Zwinkern sagte :
" Das glaube ich Ihnen gern ! "
Den alten Freunden gesellten sich neue zu , und Asmus hielt seine Freunde fest , wie sie ihn festhielten .
Zu den alten gehörte seit langem Dietrich Freiherr von Löwenklau , Hauptmann a. D. und Frontoffizier der Lyrik .
" Semper !
Sempiternus !
Sempervirens , Sempre avanti ! " krähte es auch um diese Zeit wieder einmal vom Vorplatz herein , " wo stecken Sie ?!
Sünde Se to Huus ? "
Asmus riß belustigt die Tür auf , und herein stapfte mit kurzen , adretten Schritten ein kleiner Mann von militärischer Haltung , an dem sogleich die Augen als sein Merkwürdigstes auffielen .
Es waren die wasserhellen , ewig wechselnden Augen der Nixenkinder , wie man sie im meerumschlungenen Schleswig-Holstein auch sonst noch findet .
" Wie geht es Ihnen , mein herrlicher Poet , und Ihrer hochverehrten Gattin - Gott , ist das eine wundervolle Frau !
Und Ihrer lieben alten prächtigen Frau Mama !
Und Ihren entzückenden Kindern -
Herrgott !!! was sind Sie für ein glücklicher Mensch !!!
Asmus Semper , omnia sua secum portans !
Sie ahnen nicht , was das bedeutet !
Hören Sie , lieber Freund , ich komme nur , um Ihnen etwas Unglaublich-Köstliches zu erzählen !
Sie werden lachen , lachen !!!
Denken Sie :
mein neuester Gerichtsvollzieher heißt Unverhofft !
Unverhofft !!!
Stellen Sie sich vor , wie ich gebrüllt habe !
Unverhofft kommt oft !!!
Ist das nicht herrlich ??!!! "
Asmus stimmte herzhaft in das Lachen des Barons ein und wollte ihn zum Sitzen nötigen , kam aber nicht dazu .
" Nagen Mark föftig will de Kerl von mi haben " , krähte Löwenklau schon wieder , " könnt Se mi nee Mark föftig pumpen ? "
Das konnte Asmus zufällig .
" Tausend , tausend Dank , lieber Freund , am Dienstag haben Sie es wieder ! "
Asmus wußte , daß er darauf bauen könne .
" Mein Gott , Semper , welche Schmach für unser Deutschland , daß es uns hungern läßt !
Aber wir müssen kämpfen , kämpfen !!
Die Zähne zusammengebissen und drauf !!
Pfeffer in Euren Schlund und meine Faust !!
Und Sie werden sehen , wir dringen durch !
Wir werden siegen .
Sie , mein Herrlicher , und ich auch !
Wir werden im Golde wühlen , mein Teurer !
Hat man ka Gold , ist man wie a Sau ! "
In diesem Augenblick trat Asmussens Mutter ein .
" Frau Semper , ich sagte soeben Ihrem Sohne : Wir müssen kämpfen ; aber wir werden siegen !
Herrgott , was haben Sie da wieder für ein Gedicht in der » Gesellschaft « gehabt , mein Semper :
" Was ich dann , am Kreuz des Lebens hangend , Schlimmes leide und noch Schlimmeres lerne - Nächtlich her in meiner Seele Schatten Winkt ein stilles Licht aus dunkler Ferne . "
" » Am Kreuz des Lebens hangend ! «
- herrlich , herrlich !
- » Schlimmes leide und noch Schlimmeres lerne !!! «
Wunderbar !!!
Unglaublich schön !!!
Also , mein Semper , mein Titus Sempronius , Sie kommen jetzt mit mir nach Oldensund zu meiner Frau Sievers , die eine ganz vorzügliche Linsensuppe kocht ; hinterher gibt es eine gebratene Ente und einen wundervollen Rotspon .
Zum Nachtisch bekommen Sie eine pechschwarze Yara-Kuba und meine neueste Novelle , die Ihnen » gewidmet « sein soll .
Ein scheußliches Wort : » gewidmet « , mir immer greulich gewesen ; ich werde ' es natürlich nicht brauchen , sondern einfach darüber setzen :
» An den Elite-Menschen Asmus Semper ! «
Apropos » Elite-Mensch « !
Kennen Sie schon Leo Finstermünze ?
Das ist ein Riese , der in die Weltliteratur kommt , passen Sie auf !
Ein kleines Kerlchen ; aber ein Lassalle-Kopf !!
Natürlich Jude und Sozialdemokrat .
Sind Sie Antisemit ? "
" Beinahe das Gegenteil , " rief Asmus .
" Nun , ein ganz klein wenig bin ich es schon , und ich hasse die Sozialdemokratie !!!
Aber das ist mir ganz Wurscht ; für mich entscheidet der Mensch und der Künstler !
Finstermünze wird auch mit von der Linsensuppe sein ; Sie müssen sich kennen lernen , ein Elitemensch den anderen ; es wird köstlich werden ! "
Asmussen war es bei diesen komischen Hyperbeln immer , als würde er unaufhörlich mit Kübeln heißen Wassers überschüttet ; er fühlte , wie eine Schamröte nach der anderen ihn vom Wirbel bis zu den Fußspitzen überlief und wand sich jedesmal wieder vor Verlegenheit wie ein Tertianer in der ersten Tanzstunde ; aber es gab keine Rettung .
Erstens ließ das Temperament dieses lyrischen Heißsporns gar keine Zeit zum Protestieren , und übelnehmen konnte man diesem seltsamen Bezauberer überhaupt nichts .
Das Entscheidende aber war , daß diese ausgiebigen und geräuschvollen Ehrensalven in ihrem Kerne ehrlich empfunden waren .
Dieser Offizier und Freiherr war vor allem anderen darin ein Aristokrat , daß er über fremde Leistungen und fremdes Glück eine fast größere Freude empfand als über eigenen Gewinn , eine schier kindliche Freude , die nie etwas gehört zu haben schien von einem Scheusal mit grüngelbem Gifthauch , das man " den Neid " nennt .
Es gab für ihn kein fremdes Glück und keine fremde Leistung .
Und dann machte es Asmussen Freude , daß seine Mutter diese Lobrede hörte und ohne Abzug glaubte .
Sie hatte so viel Anspruch auf Sonne am Abend .
Eigentlich war sie ja Anarchistin ; aber was ein Baron sagte , das war doch zu beachten .
Sie war überhaupt Loyalanarchistin .
Asmus sah mit dem kriechenden Blick eines Verbrechers nach der Arbeit , die auf seinem Schreibtisch wuchtete ; aber auch er hatte des holden Leichtsinns zuviel , um solchen Lockungen wie Entenbraten und Elitemensch zu widerstehen ; seine Seele setzte mit einem Grätschsprung über den Schreibtisch hinweg und ging mit .
Man verabschiedete sich von Hilden , und Löwenklau nahm Gelegenheit , ihr dreimal auseinanderzusetzen , was für eine Qualität von Mann sie habe .
Und hier muß nun ein ebenso banaler wie wichtiger Passus über den Charakter Hildens eingeschoben werden .
Sie hatte ihre eigene Suppe nahezu fertig und freute sich schon darauf , wie sie ihrem Liebsten munden werde , und doch ließ sie ihn lachenden Auges ziehen .
Ihn erwartete ja ein Vergnügen .
Ja , sie war insofern gar keine " deutsche Hausfrau " , als sie sich nicht einbildete , einen Sklaven gekauft zu haben , dessen Bewegungsfreiheit genau so weit reichte wie ihr Schürzenband .
Sie würde verständnislos den Kopf geschüttelt haben , wenn man ihr gesagt hätte , ein Gatte habe weniger Bewegungsfreiheit als ein Junggeselle .
Sie wußte , wenn er mit dem Baron ging , daß es voraussichtlich spät mit seiner Rückkehr werden würde .
Aber sie wußte viel gewisser , daß dergleichen bei ihm nicht Gewohnheit werden könne , weil er einem stärkeren Herrn gehorchte als solchen Freuden .
Sollte sie gegen ihn sein , wenn er fröhlich war ?
Sie beide wollten nichts gegeneinander ; alles wollten sie miteinander und füreinander. XIII. Kapitel .
Luftschiff und Gaurisankar .
Als Löwenklau ihm das Zentralgenie Leo Finstermünze vorstellte , hatte Asmus wieder seinen Instinkt des Gegensatzes ; aber es war kein physischer und kein moralischer Gegensatz ; dieser Herr Finstermünze machte einen durchaus reinlichen und honorigen Eindruck .
Im übrigen entsprach er stilvoll seinem Namen ; er war auf den Luzifer frisiert ; das ewig zürnende Auge , die unentwegt senkrechte Stirnfalte und das schwarze , dräuend wider Gott gesträubte Stachelhaar markierten den Abfall von Gott aus finsterer Vortrefflichkeit .
Auch Finstermünze las Gedichte vor .
Einiges in diesen Gedichten verstand Asmus überhaupt nicht ; wo er sie verstand , da war ein keineswegs neuer und imponierender , manchmal auch ein vollkommen banaler Gedanke in einen furchtbaren Bombast von tiefsinnig klingenden Worten gewickelt .
Das war nun der geradeste Gegensatz von Asmussens Art .
Wenn ihm je nach dem Vermögen seines Geistes und Herzens ein Gedanke , ein Gefühl aufstieg , so hatte er den unwiderstehlichen Drang , sie so vollkommen , so klar , so überzeugend , so zwingend zum Ausdruck zu bringen , wie er es vermochte .
Das schien ihm Kunst .
Nur der klar gemünzte Gedanke war erobert ; nur das Gefühl , nur die Stimmung schien ihm wirklich gestaltet , die voll und rein im Nachbarherzen widerklang .
Wie man eine Kerze an der anderen entzündet , um vorzudringen ins Dunkel einer Höhle , so mußte ein Gedanke , ein Gefühl am anderen entbrennen , damit wir vordrängen ins Dunkel der Welt .
Dazu aber mußten die Kerzen brennen und nicht Schwellen .
Dieser Herr Finstermünze glich einem Tintenfisch , der das Wasser um sich her durch seine Tinte trübt , um nicht erkannt zu werden .
Der gute Löwenklau war außer sich vor Begeisterung .
Er hatte als Dichter den blind-glücklichen Griff jener genial veranlagten Schauspieler , die den " Hamlet " glänzend darstellen , ohne ihn zu verstehen ; eine vollständige Gedankenkette hatte er nie in seinem Leben abgewickelt , und so bestaunte er alles , was tiefsinnig war oder so aussah , mit der Naivetät eines Bauernkindes , das einem Feuerfresser zuschaut .
" Nun , was habe ich Ihnen gesagt ? " schrie er , " ist er nicht ein Riesenkerl ?
Noch nach Jahrtausenden wird man Sie lesen , mein lieber Finstermünze , noch nach Jahrtausenden !
Was sagen Sie , mein Semper ? "
" Ich habe leider nicht alles verstanden , " suchte Asmus auszuweichen .
Löwenklau stutzte .
Dann lachte er laut heraus :
" ja - verstanden habe ich auch nicht alles ; aber das ist ja ganz gleichgültig , den Künstler , den Künstler müssen wir bewundern ! "
Der Künstler fängt für mich dort an , wo er triumphiert , nicht , wo er versagt , dachte Asmus ; aber er sagte nichts .
" Haben Sie vielleicht Goethe überall verstanden ? " grinste Finstermünze .
" Verzeihung , " sagte Asmus höflich , " das scheint mir etwas anderes .
Wo Goethe » geheimniste « , da spielte er - er machte Architektenscherze , wie man sie an ehrwürdigsten Domen findet - wo er dichtete , da war er immer klar .
So klar wie Shakespeare und Homer . "
In Finstermünzens Zügen las Asmus ganz deutlich das Wort " Kaffer " .
Der Tiefsinnige und der Kaffer paßten auch sonst nicht zueinander .
Wo Asmus nicht noch in den Vorurteilen seiner Kindheit und Jünglingsjahre steckte , wo ihm eine Lebenserscheinung neu entgegentrat , da nahm er sie unbefangen in sich auf .
Wenn er sie dann hassens- und bekämpfenswert fand , so haßte und kämpfte er mit Leidenschaft , ja auch mit Fanatismus ; aber im ganzen war ihm die Welt mit allem , was sie trug , ein täglicher Geburtstagstisch .
Finstermünze lehnte von vornherein die ganze Welt ab ; Finstermünze war gegen alles .
Er schien überzeugt , daß jeder Mensch zu beargwöhnen , jede menschliche Einrichtung zu verwerfen und der einem Denker einzig mögliche Standpunkt gegenüber dieser Welt der der höhnenden Überlegenheit sei .
Nur Löwenclaus Rotspon schien ihm gut zu schmecken .
Der Entenbraten auch .
Als das Gespräch sich zufällig auf Familie und Kinder wandte , berichtete Asmus mit heiterem Gesicht , daß er bald wieder Nachwuchs zu erwarten habe .
" Das scheint Sie zu freuen ? " meinte Finstermünze mit düsterem Grinsen .
" Ja ! " rief Asmus laut und hell .
" Na - da muß man eine recht vergnügliche Vorstellung von der Welt haben , um sich darüber zu freuen . "
" Ja ! " rief Asmus mit kriegslustigem Lachen .
" Na - da fühlen Sie sich offenbar in dieser Welt sehr wohl , " höhnte Finstermünze mit aller Verachtung , die die Höflichkeit eben noch zuließ .
" Sehr wohl , " versetzte Asmus .
" Und sehr übel , je nachdem .
Aber mein eigenes Ergehen scheint mir für diese Frage ganz bedeutungslos , meinen Sie das nicht auch ? "
" Kennen Sie noch ein anderes Ergehen als das Ihre ? " fragte Finstermünze .
" In gewissem Sinne nein , " antwortete Asmus , " es muß ja alles durch mich hindurch , was für mich Bedeutung haben soll .
Es kommt eben darauf an , was durch mich hindurchgeht . "
" Und wie Sie es bewerten . "
" Das hängt weniger von mir ab . "
" Ich dächte , das hinge nur von uns ab . "
" Doch wohl nicht .
Wenn dieser Wein Sie im Hals kratzte und Ihnen die Kehle zusammenzöge , dann käme Ihr Urteil vom Wein und nicht von Ihnen . "
" Und die Welt zieht Ihnen nicht die Kehle zusammen ? "
" O doch !
Manchmal ! sogar ziemlich » manchmal « .
Aber es gibt von diesem Wein auch köstliche Lagen und Jahrgänge , z. B. wenn diese Welt einen Ruck vorwärts macht .
Ich will Ihnen nur gleich meine ganze Schwäche enthüllen :
ich glaube nämlich an den Fortschritt der Welt . "
" Ach so ! " machte Finstermünze , und in seinen Mienen lag jetzt viel mehr als " Kaffer " .
Ein Kaffer braucht ja noch kein Idiot zu sein .
" Haben Sie Beweise für Ihren Fortschritt ? " fragte er aus eisiger Höhe des Montblanc .
" Ich glaube fast , " sagte Asmus .
" Ich weiß nicht , ob Sie wenigstens eine Entwicklung der Welt annehmen ? "
" Und wenn ich es täte ? "
" Nun , eine solche Entwicklung kann sich vorwärts , rückwärts oder im Zirkel bewegen .
Daß sie rückwärts oder im Kreise liefe , hat noch keiner beweisen können .
Warum soll ich so lange nicht annehmen , daß sie vorwärts ginge ?
Wenn die Welt in den Wissenschaften , in der Technik , in der Heilkunst und anderem fortschreitet , warum sollte sie es nicht überhaupt tun ?
Auch von den Rossen des Helios zieht nicht eines nach vorn und ein anderes nach hinten .
Wenn Sie aber den stärksten von meinen Beweisen hören wollen : Ich weiß , daß die Winkel im Dreieck zwei Rechte ausmachen und daß eine andere Summe falsch wäre .
Ich weiß , daß die Ilias mehr wert ist als ein Gassenhauer .
Ich weiß , daß Liebe besser ist als Haß ; das weiß ich sogar körperlich ; denn wenn ich hasse , fühle ich mich krank .
Das Ganze nenne ich Richtungsgefühl .
Wir haben ein Gefühl für die rechte Richtung unserer Entwicklung , ein Gefühl , das schwanken und abirren kann , weit , weit abirren , das aber immer wieder zurückspringt wie die Magnetnadel . "
" Es paßt mir gut , daß Sie von Ilias und Gassenhauer sprechen , " meinte Finstermünze .
" Die Ilias wurde vor dreitausend Jahren geschaffen , und Gassenhauer macht man heute . "
" Ich könnte Ihnen entgegenhalten , " erwiderte Asmus , " daß auch heute hervorragende Kunstwerke entstehen und daß es wahrscheinlich auch zu den Zeiten Homers Gassenhauer gegeben hat .
Aber das ist belanglos .
Ja , wollen Sie denn schon nach dreitausend Jahren einen zweifellosen Fortschritt erkennen ?
Sollen etwa die sechstausend Jahre Geschichte , die wir notdürftig überblicken , Beweiskraft haben für die Welt ?
Nach dritthalb Äonen wollen wir uns wieder sprechen , Herr Doktor . "
" Ach so , Sie haben Geduld ! " tönte es jetzt aus der Höhe des Chimborazo herab .
" Grenzenlose Geduld ! " rief Asmus mit übermütigem Lachen .
" Man muß ja nicht alles selber machen und erleben !
Ich bin stolz , einem Geschäft zu dienen , das weitschichtige Bilanzen hat und in dem man einen Sonnenwagen braucht , um vom Debet ins Kredit zu fahren .
Sehen Sie , ein Mann der Bühne hat mir erzählt :
Wenn wir eine Erstaufführung haben , hat auch der letzte Kulissenschieber das scheußlich-köstliche Premierenfieber ; auch der Vorhangzieher zittert um Gelingen und Mißlingen des Abends ; alle : vom Dichter bis zum Lampenputzer , sind eine einzige freudebangende Seele geworden , und wenn das Spiel gelang , geht auch der letzte Kulissenschieber mit dem Gefühl nach Hause :
wir haben gesiegt .
Oder , wenn Sie ein ernsteres Beispiel wollen :
Auch der letzte Soldat , der einen Napoleon redlich überwinden half , fühlt am Tage des Sieges den ganzen Ruhm , die ganze Kraft und Herrlichkeit seines Volkes , die ganze Befreiung seines Vaterlandes .
Wir müssen nur die Welt als eine gemeinsame Angelegenheit betrachten , dann kommt die fröhliche Geduld von selbst . "
" Diese Weltanschauung ist sehr bequem , " spottete Finstermünze , der jetzt den Gaurisankar erstiegen hatte ; " da die Sache mit dem Fortschritt doch so lange dauert , so kann man ja getrost erst einmal hundert Jahre bummeln . "
" Sicherlich sind Menschen denkbar , die so fühlen , " rief Asmus , " obwohl dergleichen Leute sich gewöhnlich überhaupt nicht so weit in eine Weltanschauung hinein bemühen .
Aber die natürliche Gedankenfolge ist die :
Wenn die Entwicklung der Welt eine so schwere und ernste Aufgabe ist , wenn alle , alle an ihr mitzuwirken berufen sind , dann ist jeder Augenblick und jede Handlung von unberechenbarer Größe , und es gilt , mit allem Guten und Großen so früh wie möglich zu beginnen .
Ich glaube nicht , daß ich den dauernden Weltfrieden erleben werde ; vielleicht ist er noch weit , sehr weit - eben deshalb empfinde ich es als Pflicht , mit allen Kräften für ihn zu wirken . "
" Hahaaaa ! Asmus Semper , Sie Friedenskerl - mit Ihrer Kampfnatur ! " krähte Löwenklau dazwischen .
Asmus quittierte mit einem vergnügten Lachen über die Logik dieses Einwurfs und fuhr fort :
" Dieser Tage wurde gesammelt für ein lenkbares Luftschiff , das ein hoffnungsfroher Erfinder bauen möchte .
Ich glaube felsenfest an das lenkbare Luftschiff , habe immer daran geglaubt ; aber seine Zeit ist vielleicht noch fern .
Eben deshalb habe ich gegeben , was ich vermochte .
Vielleicht gelingt dies Lustschiff so wenig wie alle bisherigen ; wenn ich aber einst den ersten Segler dieser Art durch den Luftraum schweben sehe , dann darf ich aus innerster Seele jauchzen :
da fliegt unser Luftschiff ; wenn ich es ohne Anmaßung meine , darf ich sogar jubeln :
da fliegt mein Luftschiff . "
Da es einen höheren Berg als den Gaurisankar nicht gibt und Asmus überdies mit seinem Luftschiff immer höher zu steigen drohte , so stieg Finstermünze vom Berg herunter , nahm seinen Wodanhut , der so breit war , daß das ganze Männchen wie ein Champignon aussah , und verabschiedete sich von dem Baron mit einem freundschaftlichen Lächeln , das aber immer noch wie geronnenes Schwarzsauer aussah , von Asmussen mit einer flüchtigen Verbeugung und einem Gesicht , das soviel bedeutete wie " hoffnungsloser Fall " .
XIV. Kapitel .
Weiteres vom Freiherrn Dietrich von Löwenklau .
Löwenklau , dessen Anzug mit ersichtlicher Not noch in einem leidlichen Zustande erhalten war - die Hosenränder zeigten einen leisen , leisen Anfang von Fransen - , zog jetzt ein paar hochelegante neue Handschuhe an , stülpte einen kleinen grauen Filz auf den kurzgeschorenen Kopf , ergriff den Spazierstock mit silberner Krücke und rief : " sü so , Semper , nun will ich Se mol mein Heide wiesen ! "
Er wohnte Klopstocks Grabe gegenüber in einer Kammer von ehrfurchterweckender Ärmlichkeit ; drei Schalen und Becher von echter Bronze zeigte er Sempern stolz als seinen einzigen Reichtum .
Aber , ein Grandseigneur der Phantasie , nannte er alles Land , das er liebte , sein Land .
Und hier hatte Asmus den Baron am liebsten :
in seiner holsteinischen Landschaft ; da war es ihm immer , daß dieses Land und dieser Dichter dieselben Augen hätten ; diese Augen gingen zusammen mit der Luft dieses Landes : in beiden war das Meer .
Sie gingen die Flottbeker Chaussee hinunter , diese unvergleichliche Landstraße , die der Strom und die wandernden Schiffe begleiten und die Asmus als armes , glückseliges Kind so oft in stürmender Freude des Spiels oder immer wieder stockenden Schrittes , traumwandelnd zurückgelegt hatte , die er als Jüngling , sinnend und dichtend , so oft auf den regen Schwingen seiner jungen Lieder hinabgeflogen war .
Plötzlich hemmte Löwenklau den munteren Schritt .
" Sehen Sie da , " rief er , " ein toter Mistkäfer .
So , genau so habe ich mein Gedicht empfangen :
» Über einen Toten gebeugt « .
Wenn die Stunde da ist , genügt der kleinste Anlaß , ein Gedicht aufzuwecken .
Es ist eines meiner besten ! "
Das Gespräch kam auf Finstermünze .
" Er hat eine herrliche Frau , " rief Löwenklau , " und vier reizende Kinder ! "
" Was ! " schrie Asmus , " vier Kinder ? " und brach in ein schallendes Gelächter aus .
" Das hätte ich wissen sollen !
Und von welchem philosophischen Standpunkt aus hat er die erzeugt ? "
Löwenklau lachte mit .
" Dazu braucht man keine Philosophie , lieber Semper , das kommt von selbst .
» Beim Unterleib hört der liebe Gott auf « , sagt Nietzsche .
Nietzsche !!!
Haben Sie Nietzsche gelesen ? " schrie er plötzlich wie außer sich , Semper den Weg vertretend .
" Nein , " sagte Asmus .
" Semper , lesen Sie Nietzsche !!
Sie müssen ihn lesen !!
Herrgott , das ist das größte Genie aller Zeiten !!
Ein Jahrtausendmensch !
Ich verstehe natürlich nicht die Bohne von Philosophie , ich armes Schaf , aber - Gott , ist das ein Kerl , ein Künstler !!!
Lesen Sie Nietzsche über die Weiber !!
» Du gehst zum Weibe ?
Vergiß die Peitsche nicht ! «
Ist das nicht kolossal ??! "
Asmussen war es , als habe er einen Keulenschlag vor die Brust bekommen .
" Ja - " stotterte er , " ich kenne ja den Zusammenhäng nicht - so für sich betrachtet , finde ich diese Sentenz sehr niederträchtig . "
" Na ja selbstverständlich , lieber Semper , " rief Löwenklau rasch , " so ist das ja natürlich nicht gemeint !
Sie sollen mich nicht für ein Vieh halten , Sie Lieber .
Wer wird denn - na , ist ja ekelhaft !
Aber die Kühnheit seiner Aussprüche - was dieser Riesenkerl alles sagt - lesen Sie ihn , liebster Semper , lesen Sie ihn !! "
Asmus subtrahierte von Löwenclaus Hyperbeln das gewohnte Quantum , versprach aber , Nietzsche zu lesen .
Nach zwanzig gedankenvollen Schritten stand Löwenklau wieder still , legte Sempern sanft die Hand auf den Arm und hauchte elegisch : " O Semper , die Weiber , die Wei-berrr !
Wie werde ich der Weiber los !!
Aber i mag sie halte gar zu gern ! -
Und sie sind doch das Schönste !!! " rief er plötzlich .
" Ich werde nie das Gegenteil behaupten , " sagte Asmus lächelnd .
Und der kleine Hauptmann erzählte von einer " kleinen Direktrice oder Handschuhmacherin " in St. Georg , die ihn eingenäht hatte .
" Ich bringe sie in mein neuestes Opus hinein - Stanzen , mein Semper , herrliche Stanzen - ich liebe die Stanze !! - und jede Stanze fängt an :
» Und sie hieß Fite « . "
Gleich darauf gingen sie an einem Gemüsegarten vorüber , in dem eine Magd mit weißblonden Zöpfen sich emsig über eine Bohnenstaude bückte .
" Gunn Dag , mein sötte Deern ! " rief Löwenklau .
" Gunn Dag ! " erwiderte die Flachshaarige errötend .
Löwenklau legte die gerundete Hand an den Mund und schrie flüsternd : " Hüte Ende Klock tein ! "
Das Mädchen lachte hell heraus .
Diesem Schelmengesicht nahm sie es offenbar nicht übel .
" Das war natürlich ein Scherz , " fuhr er fort ; " aber mein Urgroßvater befahl die Mädels , die ihm gefielen , noch aufs Schloß .
Und das ist herrlich .
Dem verdanke ich das Bauernblut in meinen Adern ; ich wäre sonst vielleicht ein knickbeiniger Hofmarschall - mtä - mtä - mtä - "
Er stapfte plötzlich auf offener Straße mit überwältigender Drolligkeit daher wie der letzte , verdorrte Sproß eines erlöschenden Adelsgeschlechts .
Hinter Blankenese erreichten sie die vollerblühte Heide .
Und Asmussen kamen dieses lustigen Mannes menschenwehe Worte in den Sinn :
" Tiefeinsamkeit , es schlingt um deine Pforte Die Erika das rote Band .
Von Menschen leer , was braucht es noch der Worte ; Sei mir gegrüßt , du stilles Land . " - - - XV. Kapitel .
Ein furchtbarer Besuch .
Im August gab Hilde einem anscheinend gesunden Mädchen das Leben , das von der lebensfrohen Schwester der Mutter den Namen Gesa empfing .
Man hatte eigentlich - der Abwechslung halber - einen Knaben erwartet ; aber die Freude über das Neugeborene war darum nicht geringer .
Das Herz der Eltern kannte keinen Unterschied zwischen Töchtern und Söhnen .
Graugelb , mit erstickender Schwüle , wälzte der August sich langsam dahin .
Und eines Tages kam die erschreckende Kunde .
Ein Bote der " Rostra " erschien in Geschäften des Vereins und brachte nebenher die Nachricht :
In Hamburg ist die Cholera .
" Die Leichenhalle am Holstentor ist schon überfüllt , " flüsterte der Mann mit jenem gespannten Lächeln eines Menschen , der sich bewußt ist , eine sehr interessante Neuigkeit zu bringen .
" Es wird so schlimm nicht sein , " sagte Asmus zu Hilden , um sie zu beruhigen , " der gute Brinkmann erzählt gern Mordgeschichten . "
Aber es war noch weit schlimmer .
Am folgenden Tage erfuhr man , daß die Dame aus Asien schon seit einer Woche inkognito in Hamburg Weile und täglich größeres Verderben verbreite .
Asmus spazierte in die Stadt und nach dem Holstentor , um sich irgendwie durch den Augenschein zu überzeugen .
Aber die Umgebung der Leichenhalle war in weitem Umkreis abgesperrt ; nur von weitem sah er vor ihrem Eingang patrouillierende Schutzleute , aus- und einhuschende Menschen in unheimlicher Geschäftigkeit .
Von einem Fenster seiner Schule sah Asmus hinab ins Gängeviertel , in die ärmlichsten , schmutzigsten , verfallensten Winkel der alten Stadt .
Da konnte man den ganzen Morgen zuschauen , wie sie aus den Häuserhöhlen hervorgeschleppt wurden :
Tote - Kranke - Kranke - Tote .
Die Eltern schickten ihre Kinder aus Furcht vor der Ansteckung nicht mehr zur Schule , und Asmussens Kohorte schmolz von 50 zusammen auf 30 , auf 20 , auf 10 .
Da wurden alle Schulen geschlossen .
In einer Straße des benachbarten Altenberg stieß Asmus mit Dietrich von Löwenklau zusammen .
" Semper , mein Semper , wie geht es Ihnen , sind Sie gesund , sind Ihre liebe herrliche Frau und Ihre entzückenden Kinder gesund ? -
Nun Gott sei Dank ! -
Es ist fürchterlich !!
mein lieber Dichter .
Denken Sie :
ich wohnte die letzten drei Tage und Nächte in dem schauderhaftesten Seuchenwinkel , dem verrufensten Viertel Hamburgs , unter Dirnen , Zuhältern , Räubern und Mördern , es war un- glaublich interessant !!!
Sieben Tote waren in dem Hause , in dem ich wohnte !!
Und ein ent-zücken- des Mädel !!!
» Mein Hindumädchen « nenne ich sie in meinem Gedicht » Die Pest « !!!
Ich schick es Ihnen .
Da sage ich es gerade heraus , daß die verfluchten Kafseesäcke die Seuche verheimlicht haben , " Daß die Kommerzen nicht darunter litten , " hahaaa , sie werden Feuer spucken , diese Bestien !!
Vielleicht verklagen sie mich sogar - das wäre ja himmlisch !!!
Vielleicht erfahren die Deutschen dann , daß ich lebe !!
Und benennen nach mir die Straße , in der ich die letzten drei Nächte zubrachte !!!
» Die Unsterblichkeit ist ein großer Gedanke , « sagt unser göttlicher Klopstock - den Hut ab , den Hut ab ! "
Er zog tief den Hut .
" Lieben Sie auch den vierten Gesang seines » Messias « so sehr wie ich ? "
Ja , das tat Asmus und noch manche andere Stelle .
" Leben Sie wohl , leben Sie wohl , liebster Freund , Gott erhalte Sie und alle Ihre Lieben in dieser furchtbaren Zeit !!
Sie wissen , wie ehrlich ich das meine !! "
Asmus wußte es ; aber er fühlte es auch an dem heißlebendigen Strome , der durch den Druck der Hand in ihn hinüberrann .
Er befand sich in einem merkwürdigen Zwiespalt .
Die Rücksicht auf die Seinen legte ihm Vorsicht nahe ; der Drang des Dichters , zu schauen , zu erleben , trieb ihn immer wieder in die Stadt , in die Nähe des Entsetzens .
Mitten in der Stadt begegnete ihm eines Morgens Dr. Jonathan Rosenberg mit einer Binde um den Ärmel .
" Nanu , " rief Asmus , " hast du ein Amt ? "
" Ich bin bei der Sanitätskolonne , " rief er fröhlich .
" Ich desinfiziere Krankenstuben , hole Kranke ab , sammle verwaiste Kinder , weise Nahrungsmittel und wollene Decken an , kurz , bin sozusagen eine » Behörde « und strotze von Beamtendünkel . "
" Und fürchtest dich nicht . "
" Warum soll ich mich fürchten , ich bin ja Junggeselle . "
Das war es .
Auch Asmus hatte in diesen Tagen die überraschende Entdeckung gemacht , daß er , der unersättlich Lebenshungrige , den Tod eigentlich nicht fürchte .
Er hatte förmlich in seiner Seele nach Todesfurcht gesucht , hatte sie durch alle erdenklichen Vorstellungen zu erwecken versucht - vergeblich .
Aber die Zurückbleibenden .
Was würde aus ihnen werden , wenn er davonginge !
Wie würde Hilde weinen , wie schrecklich würde sie weinen !
Er wußte ja , wie er um sie weinen würde !
Wenn er daran dachte , dann zerschlug ihn schier das Grauen .
Auch an seinem Hause rollten nun Stunde für Stunde die Wagen vorüber : Krankenwagen , Leichenwagen , die Wagen der Ärzte .
Wer es irgend ermöglichen konnte , war der mörderischen Stadt so weit wie möglich entflohen - die Ärzte blieben auf dem Posten , Juden sowohl wie Christen .
In jedem Lufthauch , in jedem Stäubchen , in jedem Wassertropfen lauerte die Gefahr .
Wehe , wenn nur ein Tropfen ungekochten Wassers die Lippen netzte - nicht einmal auf den Fußboden durfte ungekochtes Wasser kommen ; es konnte der Tod sein .
Die zarte , kaum eines Kindes genesene Hilde arbeitete wie die letzte , derbste Magd , kämpfte , eine stille Heldin , zitternd und dennoch ohne Wanken , für das zarte Leben des Säuglings , für das Leben all ihrer Lieben .
Und langsam wich das Grauen ; die Wut der Würgerin ließ ersättigt nach ; die Stadt tat einen ersten , tiefen Atemzug .
Ein befreundeter Redakteur schrieb aus Berlin : Schreiben Sie uns etwas über die Cholera .
Und Asmus setzte sich hin und schrieb : XVI. Kapitel .
Ein Einschleicher .
" Im Hafen sollen Fälle von Cholera vorgekommen sein . "
" Ei was !
Blinder Lärm .
Sie kommen doch heute Abend in den Klub ? "
" Natürlich . "
Am 22. August war ich mit einem Freunde 96 Stufen hinauf- und herabgeklettert , und es mochten etwa 25 Grad Réaumur sein .
Also ein kühlender Trunk war verdient .
Neben uns saßen acht biergewohnte Bürger bei ihrem Nachmittagstrunke .
Und mitten in der behaglichsten Stimmung fiel es dem einen plötzlich heraus :
" Die Cholera ist wirklich da . "
" Unmöglich " - der eine .
" Also doch " - der andere .
Und während sich die Züge der Besorgnis schleichend auf allen Gesichtern eingruben , versuchte einer die lastende Stimmung durch einen gezwungenen Scherz zu durchschneiden .
" Also kein Bier mehr trinken - Kellner - Glas Grog . "
Als ich nach Hause kam , war ein Bekannter dagewesen .
Im Krankenhause sei schon kein Platz mehr und die Leichenhalle am Holstentor sei überfüllt .
Und am nächsten Morgen kam die Zeitung :
" Leider steht es jetzt außer allem Zweifel , daß in unserer Vaterstadt die asiatische Cholera - "
" Eine Proletarierkrankheit ! " hieß es .
Und der es sprach , ein stattlicher , brutal gesunder Mann , der an unseren Tischen saß , ist nach vierundzwanzig Stunden schon tot und blau .
Am anderen Tage beginnt sich es seltsam zu regen in den Straßen .
Wagen mit Koffern und reisegerüsteten Menschen rasen zum Bahnhof .
" Nur erst fort , erst fort sein , " steht in den Gesichtern .
" Es kommt hinter uns , das Gespenst ; den Atem anhalten . "
In anderen Wagen sitzt immer ein Einzelner , meistens ein junger Mann , dem man sofort den Arzt ansieht .
Ärzte , Ärzte und immer Ärzte .
Sie halten sich nicht lange in den Häusern auf , in die sie selbstvergessen eindringen .
Es muß schnell gehen , und die Diagnose ist heute leicht .
Cholera , Cholera , alles Cholera .
Andere Wagen rollen vorüber .
Man wirft einen Blick hinein .
In den Ecken sitzen , nein liegen , hängen , in wollene Decken gehüllt , arme , elende Menschen mit blauem Gesicht und großen Augen , ein Wärter ihnen gegenüber .
Viele sterben schon im Wagen .
So geht_es von einem Hause zum anderen .
Die Toten holen die Lebendigen ab .
Und andere Wagen kommen ; sie sind geschlossen , man kann nicht hineinsehen .
Aber man weiß , was darin ist . -
Wie viele ?
Nach Hause , nach Hause ; wer weiß , ob du sie noch alle antriffst ?
Wieder die Zeitung .
Diese Zahlen , diese Zahlen !
Zweihundert - dreihundert - vierhundert - !
Wird noch jemand übrig bleiben ?
Der Feind ist entdeckt , der heimtückische , furchtbare , allmächtige Feind : das Wasser .
Aus den Röhren der Leitung tropft das Gift .
Hunderte von Armen , Erwachsene und Kinder , trinken ahnungslos - leichtsinnig - verwegen den Tod .
Die Häuserwände , Zäune , Litfaßsäulen , Bäume bedecken sich mit roten , grünen , blauen , gelben , weißen Plakaten : Warnungen vor diesem , vor jenem , vor allem ! -
Desinfektionshallen -
Notstandskomitees -
Aufrufe - Sanitätswachen .
Indessen steigen die Zahlen - fünfhundert - sechshundert - siebenhundert - achthundert - gerechter Himmel !
Und man weiß : die Zahlen sind falsch ; Gräßlicheres steckt noch dahinter , geheim ; es sind vielleicht doppelt so viel .
Die Männer versuchen der Panik zu widerstehen : Festes , ernstes , eisernes Schweigen .
Ein Warten mit aufeinandergepreßten Zähnen :
" Wie lange willst du noch ? "
Aber eine allgemeine Nervosität des Bauches .
Man tut ihm Abbitte , dem guten Bauche , nachdem man so verächtlich von ihm gesprochen .
Er ist so wichtig , wenn man gern leben möchte .
Man macht die Probe auf das kostbare Problem , ob es sich lohne , zu leben mit dem beständigen Gedanken an den Tod .
Nein , nein , es lohnt sich nicht .
Die stinkenden Makrelen des guten Sir John sind nicht so wegwerfenswert wie solch ein Leben .
Ein Krankenwärter erhängt sich an einem Türpfosten des Lazaretts , weil ihm schwindelt vor Grausen - oder Wahnsinn ?
Es ist eine Angst zu leben , wenn die Leichen umher sich bergehoch häufen .
Man setzt sich zu Tisch und ißt und trinkt .
Mißtrauen würzt jeden Schluck und Bissen , als wäre man ein Despot , auf den der Meuchelmord lauert .
Plötzlich fällt es der Frau ein , daß sie eine Schüssel mit angekochtem Wasser gewaschen hat - Gift !
Gift !
Weg damit vom Tisch ! -
Ach , man hat keine Freude mehr am Leben .
Der peinigendste Gedanke sind die Kinder .
Wie soll man sie hüten , da man sich selbst kaum zu helfen weiß ?
Was blühend und vollwangig und glücklich spielend unser Knie umfaßt , kann nach wenigen Stunden vor uns liegen , starr und gekrümmt , eine schwarze Maße Kot .
Die Kinder , scheint es , sterben vom bloßen Anhauch der Würgerin .
Und anderen Kindern sterben die Eltern weg .
Sie irren umher ; man führt sie nach Hause zurück und findet in den Lumpen des Bettes Tote und Kranke nebeneinander , tote Mütter und lebendige Kinder daneben .
Man erbricht Wohnungen , - denn seit Tagen hat man ihre Bewohner nicht gesehen - und findet Tod , Tod , Tod .
Einsam gestorben - alles , alles .
Einzelne , die ihre Familien überleben , geben sich in der Angst der Einsamkeit , im Wahnsinn des plötzlichen Verlassenseins den Tod .
An der Straßenecke steht einer in Strümpfen und sucht in seinem Stiefel .
" Die Bazillen , die Bazillen !
Sie sind mir in den Stiefel gekrochen . "
Die Gänge und Winkel der Proletarierquartiere sehen den ganzen Tag den Krankenwagen .
Schreiende , zappelnde Kinder werden den Müttern entrissen und in den Wagen gebracht .
Die Transporteure sind betrunken ; sie müssen trinken bei dem grausigen Geschäft .
Der Alkohol ist ein resoluter Kerl ; er packt die schlotternde Menschennatur beim Genick und hält sie steif .
Und der Kognak macht aus der Not ein Vergnügen .
Wer nicht gutwillig hineinwill in den Wagen , wird mit kräftiger Hand und einem kräftigen Wort hineinbugsiert .
" Holl di man ni ob !
Wie hebt kein Tide ! "
Und in der Tat , die Zeit ist knapp .
Denn hinter dem Krankenwagen steht ein Leichenwagen und wartet .
Nie sah man so viel Betrunkene wie jetzt .
Ein Schwerbetrunkener wird in den Krankenwagen gehoben .
Er ermuntert sich und beginnt alsbald zu singen :
" Europa hat Frieden , Europa hat Ruhe . "
Ein Toter stiert ihn aus verglasten Augen an .
Im Büro des Krankenhauses wird am Schalter Auskunft gegeben über die Kranken .
" Wie geht es Nr. 874 ? "
" Nr. 1051 ? "
Ein altes Mütterchen fragt nach Nr. 915 , einem Jüngling , " der ein einziger Sohn war seiner Mutter , und sie war eine Witwe " .
" Ihrem Sohn geht es leider schlechter . "
" Ach - - er war doch gestern in der Besserung ? "
" Ja - ich will noch Mal nachfragen . "
Dem guten Beamten will die Wahrheit nicht über die Zunge ; er braucht einen Aufschub , um sich zu sammeln .
Aber was hilft_es ?
Er kommt zurück .
" Liebe Frau - ich muß Ihnen leider sagen , daß Ihr Sohn tot ist . "
Man muß sich abwenden .
Schlimmer als die verzerrten Züge der Toten ist der Jammer der Lebenden .
In den Krankenhäusern , in den Leichenhallen , in den Möbelwagen liegen sie übereinandergeschichtet , die Toten .
Gräßlich , gräßlich zu sehen .
Männer , die in der Schlacht über klaffende Leiber und durch dampfendes Blut geritten sind , haben so Schreckliches nicht gesehen .
Die blauschwarzen Gesichter , die stierglotzenden Augen ; verkrampfte , verdrehte Glieder ; die Arme erhoben wie zu entsetzter Abwehr , die Finger wie Krallen gekrümmt , eine Versteinerung der zuckenden Qual ; ein Augenblicksbild der Höllenpein - - - - Draußen , auf dem Friedhof , im Garten des Todes , erwacht ein reges Leben .
Wagen auf Wagen hält vor der Pforte bei Tag und Nacht .
Bei Sonnenschein und Fackellicht sinken sie hinab , " ohne ' Nachtmahl , ohne Ölung " , ohne Sarg , in Säcken von grobem Leinen .
Eine Schicht Kalk - eine Schicht Menschen - eine Schicht Kalk - eine Schicht Menschen - eine traurige Litanei , ein frostiger Kehrreim .
Viele dem Namen nach unbekannt .
Was soll der Name noch gelten , wo der Mensch nichts mehr gilt ?
Über siebenhundert in vierundzwanzig Stunden !
Alle in eine " gemeinsame Gruft " !
" So traurig wohl keine wie diese Ist unter des Himmels Luft . - -
Ein ungeheurer Knäuel , Zehntausend oder mehr .
Es zieht sich über den Greuel Ein dünner Rasen her . " - So klein , so nichtig erscheint der Mensch , wenn der Tod ihn spielend zwischen Daumen und Zeigefinger zerreibt !
Und so groß , wenn er lebengewappnet mit ihm um die Beute ringt .
Heiliger Ernst , heiliger Mut , heilige Liebe ringen mit dem Würgengel .
In die Höhlen des Elends steigen sie hinauf und hinab .
Man findet die Menschen in Kammern ohne Licht und Luft , auf Stroh liegend , mit Pappdeckel zugedeckt . - - - Frische , gesunde , starke Leben werden gewagt an halb , an dreiviertel erloschene - an erlöschende .
Aus einer Elbinsel werden zwei Kranke von allen verlassen - gemieden wie die Pest .
Keiner erbarmt sich ihrer .
Aber ein Schulmeister macht sich daran und pflegt sie .
Er allein , ohne Hilfe .
Tage und Nächte hindurch .
Er bricht fast zusammen , schon von der Krankheit erfaßt ; aber er hält sich aufrecht .
Er hat keine Zeit , müde zu sein .
Erst als beide gestorben sind , nimmt er sich die Zeit , sich auch hinzulegen und zu sterben .
- Das Ungeheuer weicht .
Langsam , langsam , wie Nebel aus tiefen Schluchten ; aber es weicht .
Gestern ertappte ich mich darauf , daß ich einen Artikel über das Militärbudget las , bevor ich nach der neuesten Choleraziffer sah .
Und doch sterben noch fünfzig , sechzig , siebzig an einem Tage .
Ein zu lange gedrückter Mensch will aufatmen , allem Unglück zum Trotz ; die Lungen sind da und wollen sich bewegen .
Und es ist ihm schon Erlösung , wenn die den Hals umklammernde Faust sich um die Breite eines Strohhalms weitet .
Sonntag .
Tausende pilgern an die schönen Elbufer von Övelgönne und Nienstedten hinaus , in lachenden Toiletten .
Man tauscht die Erlebnisse der Woche aus .
" Auch der ? "
" Die auch ? "
Links und rechts sind sie gefallen , wie in einer Schlacht .
Im übrigen Trinken , Plaudern , Lachen .
Vor meinem Fenster rast eine lustige Fuhre vorüber .
Es sind Cholerawaisen , die man in der Nähe untergebracht hat .
Sie vergnügen sich mit einem kleinen Wagen und jagen eilends davon .
Rote Backen , glänzende Augen .
Die weite Wiese vor meinem Fenster liegt im lichten Morgennebel .
Einzelne Sonnengoldfäden blitzen auf und verlöschen im bläulichen Schleier .
Eine Riesengestalt , unkenntlich , rätselhaft , stapft durch den Nebel :
Ein einsamer Mäher ; zu seinen Füßen fährt es blinkend hin und her .
Und kleiner und kleiner wird die schattenhafte Gestalt .
Und leise - fern - verrauscht der Ährenschnitt .
- XVII. Kapitel .
Wie der Wikingerkönig Pfannefisch aß .
So seltsam verketten sich der Menschen Schicksale , daß diese Schreckenszeit der Cholera einen großen Segen für Asmus im Gefolge hatte .
Die Schulen wurden nicht eher wieder eröffnet , als die Stadt von Amts wegen für seuchenfrei erklärt war , und Asmus hatte nun Zeit , Zeit , Zeit !
Wie ein gefangener Panther sich mit beiden Pranken auf den fiebernd erlechzten Knochen stürzt , so - fast hätte auch er gebrüllt - warf er sich auf sein Drama .
Und schrieb in sechs Wochen die ersten drei Akte , schrieb in einem Gefühl , als schlügen ihm unaufhörlich Flammen ums Haupt .
Er liebte sonst nicht , über unfertige Dinge zu sprechen ; es schien ihm , daß man dadurch den geheimnisvollen , keuschen Vorgang des Werdens störe ; aber jetzt hielt er sein Werk so fest in der Hand , daß es mußte , wie er wollte , und als er eines Tages mit Harald Danebrog beim Weine saß , da sprang ihm sein Plan über die Zunge .
Harald der Däne mußte tief sein Haupt neigen , wenn er bei den Sempern zu Besuch kam , und wenn er nicht der berühmteste Dichter seines Landes gewesen wäre , so hätte er auch als Riese auf allen Jahrmärkten der Welt sein Glück machen können .
Asmus wenigstens unterhielt sich , wenn er vor ihm stand , immer mit seinem obersten Westenknopf ( und dabei war die Weste noch ziemlich tief ausgeschnitten ! ) und hatte anfänglich immer das possierliche körperliche Gefühl , er stünde als kleiner Abc-Schütze vor dem Herrn Oberlehrer .
Haralds Größe war aber nur ein Bruchteil seiner Schönheit , einer Schönheit , die auch das Herz eines Mannes gewinnen mußte .
So mußten die Wikingerhelden , die alten Nordlandskönige , die über ihre Schiffsschnäbel hinauslugten nach Sizilien , so mußten sie ausgeschaut haben wie dieser Dichter , und da sich Haar und Bart des Riesen in tausend und tausend kleinen Löckchen kräuselten , so hatte Asmus ihm den Namen " König Ringelhaar " gegeben .
Harald Danebrog hatte die komische Erklärung abgegeben , daß er von nun an Hamburg als seinen festen Wohnsitz betrachte , und wohnte seit kurzem mit Asmus im gleichen Hause .
Wer Harald kannte , hatte zu seiner Erklärung sanft , aber andauernd gelächelt ; sein fester Wohnsitz war Rom oder Neuyork oder Moskau oder London oder San Franzisko oder Wien oder Buenos Aires oder Küßnacht oder Kopenhagen oder sonst ein Punkt der gebräuchlichen Landkarten oder - das war noch sein " festester " Wohnsitz - eine Yacht oder ein Boot auf dem Ozean .
Er kannte jeden Fischer und Schiffer seiner Nordseeküste , jede Kutscherkneipe in Rom und jede Absinthbude von Paris .
Und überall dort hatte er " alte Freunde " , " feine , feine Menschen ! " wie er treuherzig versicherte .
Man hatte ihm geraten , seine goldechten Seemannsgeschichten durch Sempern in das Plattdeutsch der Wasserkante übertragen zu lassen ; er hatte den Nachbarn aufgesucht , und die Herzen hatten sogleich zusammengeschlagen , obwohl das eine so viel höher saß als das andere ; der große und der kleine Klaus waren beim ersten Wort und Blick Freunde geworden und blieben es bis ans Ende .
Asmus hatte gerade den dritten Akt vollendet und genoß jenes nach langer Anspannung aller Kräfte eintretende köstliche Verlangen , Nerven , Hirn und Sinne loszulassen , spielen zu lassen , als sich langsam die Tür öffnete und ein Goliath ohne Kopf sichtbar wurde , der einen Spazierstock von der Länge und Dicke eines kleinen Mastbaumes in den Schirmständer stellte .
Dann wurden unter dem oberen Türrahmen auch Kinnbart , Nase , Augen , Stirn und Haupthaar sichtbar , und Harald Danebrog rief mit leisem dänischen Anklang :
" Hurra , Asmus Semper , mein Verleger fließt wieder !
Guten Tag !
Von Seit szu Seit schreibt er mir nämlich : Lieber Freund , wir müssen Mal wieder stoppen ; das Maximum is erreicht ; er is lange Seit sehr trocken szu mir gewesen ; aber nun fließt er wieder ! "
Und er schwang , indem er einen lustigen Pfiff hören ließ , mehrere blaue Scheine in der Luft .
" Kommen Sie mit ! " rief er , " ich habe Konszertkarten ; wir wollen Robert Schumann hören !
Wo ist Ihre Frau Gemahlin , sie muß auch mit ! "
Aber Hilde wollte sich von ihrem jüngsten Kinde nicht trennen .
So ging Asmus allein mit .
Auf der Straße erwartete sie eine sehr schöne und stolze Dame , die Harald mit glücklichem Lächeln als " Die Heldin seines besten Romans " vorstellte .
Man hörte " Das Paradies und die Peri " , und als es zu Ende war , sagte Danebrog :
" Ein bißchen szu viel Szucker !
Kommen Sie , lieber Freund , wir wollen ein herbes Manneswort reden szu einander , " und sie suchten einen charaktervollen Moselwein aus .
Dann nahm er seine Dame , die schöne Astrid , und Asmussen mit in eine Artistengesellschaft von Skandinaviern , die den vergötterten , verhätschelten Landsmann erwartete .
In dem kleinen Separe eines ersten Restaurants war eine bunte , übermütige Gesellschaft versammelt : Chansonetten , Tänzerinnen , ein Impresario , ein Konsul , ein Großkaufmann u. a. m. , und die Unterhaltung ging bald dänisch , bald deutsch , bald englisch , bald französisch ; der Sekt aber war nur französisch .
Es ging ausgelassen zu ohne Schlüpfrigkeit ; daß Harald hie und da eine der Damen küßte und daß die Geküßte stolz auf einen solchen Gunstbeweis war , das verstand sich von selbst .
Harald saß eben als König Ringelhaar an der Tafel , und Asmus saß da wie ein Kandidat der Theologie , was er von allen Dingen der Welt am wenigsten war .
Ihm war diese ungezwungene , losgebundene Lustigkeit schön und ergötzlich ; er bewunderte die Menschen , die diese Leichtigkeit der Bewegung hatten und in fünf Minuten sechsmal den Gegenstand der Unterhaltung wechselten ; er hatte diese Leichtigkeit nicht .
Und nichts schien ihm lächerlicher , als sich etwas gewaltsam zulegen zu wollen , was man von Natur nicht hatte .
Freilich : im vertrauten Kreise konnte er Purzelbaum schlagen vor Übermut ; aber sich im Handumdrehen hineinfinden in eine bis dahin nie betretene Sphäre , dazu war der dreißigjährige Mann noch immer zu langsam , zu ungelenk und - zu schüchtern .
Auf die Dauer bedrückte ihn deshalb diese Umgebung , und obwohl die Damen gelegentlich die liebenswürdigsten Versuche machten , ihn in den Strudel der Unterhaltung mit hineinzuziehen , wofür er ebenso dankbar wie verlegen lächelte , war er es recht zufrieden , als man aufbrach und er allein mit Harald und seiner Herzensdame nach Hause fuhr .
Nach Hause ?
Es war gegen drei Uhr in der Nacht , als sie durch ein Gäßchen der Vorstadt fuhren und Danebrog durch die dichten Läden eines Wirtshauses ein ganz , ganz dünnes , schwächliches Lichtstrählchen schimmern sah .
" Oh - sasa - Wit ! " er stand im Wagen , pfiff , schnalzte mit den Fingern und hob das rechte Bein zum Tanze - " hier wohnt mein Freund ter Muilen ; hier müssen wir aussteigen ; seine Frau macht den schönsten Pfannefisch , den es gibt ! "
Asmus lachte laut heraus .
Schön Astrid aber schien an solche Königslaunen gewöhnt zu sein , und man schritt auf die Tür des Wirtshauses zu .
Harald pochte leise mit seinem Stock an die Tür .
Nichts regte sich .
Er pochte lauter . Umsonst .
" Im Namen des Königs ! " rief Asmus .
Harald begann , die holländische Nationalhymne zu pfeifen .
Das half .
Die Tür zeigte plötzlich einen schmalen Spalt , und als der Wirt den langen Gast erkannte , tat sie sich weit auf wie eine Palasttür .
Es war eine sehr primitive Kneipe mit rohen Holztischen und -stühlen , aber sauber und nett ; alles Metallene blitzte wie neue Dukaten .
An einzelnen Tischen saßen hartnäckige Gäste , die mit trotzigen Mienen den Gesetzen über den rechtzeitigen Schluß des Wirtshausbetriebes Hohn sprachen .
Wirt und Wirtin schienen die Ehre des hohen Besuches voll zu würdigen .
" Das ist mein lieber Freund ter Muilen ! " sagte Harald und legte brüderlich den Arm um dessen Schulter , " Oh , das is ein feiner Mensch ! "
Er spitzte dabei die Lippen wie bei einem ausgesuchten Weine .
" Und das is meine verehrte Freundin , " fuhr Harald fort und küßte der Wirtin die Hand , " sie macht den besten Pfannefisch von der Welt ; können wir noch Pfannefisch haben , liebste Freundin ? "
" Aber gewiß ! " rief die beseligte Frau , " so viel Sie wollen , Herr Danebrog ! "
Man sah es ihr an : für diesen Kavalier hätte sie einen Ozean voll Pfannefisch bereitet .
Als dann ein sehr trinkbarer Rotspon aufgefahren war , rief König Ringelhaar plötzlich :
" Ich habe gehört , Sie schreiben ein Drama .
Was is das ?
Das müssen Sie mir erzählen ! "
Und da Asmus auch die letzten Akte schon im Kopfe fertig hatte und Mosel , Champagner und Bordeaux sich in seinem Haupte zu einer neuen , blühenden Provinz vereinigt hatten , so schoß er los. XVIII. Kapitel .
Das Drama eines " Verräters " .
" Kennen Sie Michael Kohlhaas von Kleist ? "
" Aber natürlich ! " rief Danebrog .
" Ich will einen Michael Kohlhaas der Gewissensfreiheit schreiben , " rief Asmus , " will einen Mann hinstellen , der für das Recht des freien Gewissens kämpft und leidet bis zum Tod .
Sie wissen , es gibt Siebengescheite , die da meinen , Kleist habe einen Dickkopf geschildert , und die nicht ahnen , daß die Welt ohne Kohlhase längst in Trümmer gefallen wäre .
Kleist hat ein Herz geschildert , in dem das Rechtsgefühl mit reinster Flamme brennt , solange es nicht selbst zum Unrecht greift .
Man soll um der Menschheit Willen kein Unrecht dulden , hat ein großer Rechtslehrer gesagt , und das ist auch meine Meinung .
Die sanfte Lehre , daß man der Bosheit und dem Übel nicht widerstreben solle , ist ein schrecklicher Irrtum : der geduldig Leidende überzeugt den Übeltäter nicht ; er bestärkt ihn und nimmt ihm den letzten Rest von Gewissen ab . "
" Un was passiert in Ihrem Stück ? "
" Mein Held ist ein tief religiöser Mann , der jede ehrliche Überzeugung peinlich achtet ; eben deshalb haßt er aufs bitterste den Zwang der Kirche .
Kirche und Staat üben freilich keinen unmittelbaren Zwang mehr .
Wir haben eine Gewissensfreiheit - auf dem Papier .
Staat und Gesellschaft isolieren den Unbotmäßigen ; die gewohnheitsträge Maße , der religiöse Pöbel , der dreimal im Jahr zur Kirche geht , weil es sein muß :
sie machen sich zu Vollstreckern der kirchlichen Tyrannei , sie scheiden aus , stellen kalt , was sich von der Kirche ehrlich trennt .
Mein Held nun liebt die Tochter eines reichen Hauses , wie sie ihn , und lehnt es ab , mit seiner Braut als Heuchler vor den Altar zu treten .
Das ist der Bruch mit den Eltern des Mädchens , die in Wahrheit weder nach Gott noch Teufel fragen , aber eine unkirchliche Ehe als untilgbaren gesellschaftlichen Schandfleck betrachten .
Die Geliebte folgt ihm ohne den metallischen Segen der Eltern ; sie geraten in bittere Not , weil unkirchliche Leute der gebildeten Stände nur schwer Beschäftigung finden ; aber sie halten zusammen .
Da wird ihr Kind krank auf den Tod , und nun fallen sie auseinander .
Nun zeigt sich die Schwäche des Weibes gegenüber den Gewohnheitsmächten .
Sie sieht in der Krankheit des Kindes die Strafe Gottes .
Sie will es taufen lassen .
Als er sich weigert , fallen böse , trennende Worte .
Da läßt er den Geistlichen kommen ; aber der kommt zu spät ; das Kind ist ohne Taufe gestorben .
Nun erkrankt aufs schwerste auch die unglückliche Mutter .
Das gibt ihm den Rest .
Er muß Hilfe suchen bei ihren Eltern und muß Rückkehr zur ordentlichen bürgerlichen Kirchlichkeit geloben , d. h. Trauung durch einen Geistlichen versprechen .
Was er verspricht , hält er natürlich .
Gesund an Leibe kehrt sein Weib zu ihm zurück ; gebrochen in ihrer Seele sind beide .
Er weiß , daß er ein Verräter ist an der heiligen Sache der Gewissensbefreiung , die nur gelingen kann durch die Treuen , ein Verräter , den die ehemaligen Gefährten meiden .
Sie weiß , daß sie seines Elends Ursache ist .
Und doch finden sie noch einmal das Glück , als sie sich erbietet , mit ihm in den Tod zu gehen .
Da man die beiden Leichen findet , ruft der Vater und Schwiegervater fassungslos : » Warum denn ?
Warum denn bloß ?
Warum denn ? « -
Er kapiert nicht . "
" Prachtvoll , prachtvoll ! " rief Harald , " Sie haben gleich die Kritik des Philisters hinzugefügt , den Epilog des Spießbürgers :
» Warum denn bloß ? «
Er versteht es nicht .
Oh - holla - sasa - hwiet ! " -
er pfiff und schnalzte wieder - " das möchte ' ich gleich ins Dänische übersetzen ; aber diese Frage ist bei uns ausdiskutiert ; in Dänemark lassen wir jeden nach seiner Fasson selig werden . "
" Dieses Wort stammt aus Preußen , " versetzte Asmus mit grimmigem Lächeln .
" Übrigens haben Sie mein Stück nicht ganz verstanden , wenn Sie sagen : die Frage ist bei uns ausdiskutiert .
Sie ist nirgends in der Welt ausdiskutiert .
Kehren Sie einmal mein Stück um wie eine Sanduhr , dann stimmt es auch .
Denken Sie sich eine vollkommen unkirchliche Gesellschaft und in dieser Gesellschaft ein paar einsame kirchenfromme Menschen , und das Trauerspiel ist genau dasselbe .
Es ist ja kein Trauerspiel der heutigen Gesellschaft , sondern der menschlichen Gesellschaft , und es wird sich wiederholen , so lange die Menschheit an dem Wahne klebt , daß man eine Seele zwingen könne .
Es ist ja kein Kampf der Überzeugungen , die einander hell ins Auge schauen , " rief Asmus , " der ist ja herrlich und schön .
Ein unsichtbarer Feind ist_es , den wir fürchten . - - - - - - - Das ganz Gemeine ist_es , das ewig Gestrige , Was immer war und immer wiederkehrt Und morgen gilt , weil es heute hat gegolten ! sagt Schiller . "
" Die Deutszen sagen immer : » Sagt Schiller ! « " rief Schön Astrid .
" Stimmt ! " lachte Asmus .
" Sie haben auch guten Grund dazu . "
" Sie müssen nach Kopenhagen kommen und sprechen ! " rief König Ringelhaar , " ich will das arrangieren ! "
" Was soll ich denn in Kopenhagen ? " rief Asmus verwundert .
" Sie sollen so sprechen , wie Sie eben gesprochen haben !
Holla , sasa - Temperament , Temperament , das is , was wir brauchen : Sie sollen sehen , ich bringe Sie nach Dänemark und Norwegen und nach Island !
In Island kennen mich alle Leute , und die tun alle , was ich ihnen sage ; sie sollen Asmus Semper hören - - - - ! "
Es war heller , sehr heller Tag , als die Drei von der äußersten Thule in ihre Wohnungen zurückkehrten .
Da Hilde nach dieser schweren Zeit noch sehr erholungsbedürftig war und keine Schulpflichten ihres Mannes sie vom Lager scheuchten , so erwartete er , alles noch schlafend zu finden .
Er war daher sehr überrascht , als er schon auf dem Vorplatz bemerkte , daß eine eigentümliche Unruhe im Hause herrschte .
Während er noch ablegte , kam ihm schon die kleine Isolde im Nachthemdchen entgegengesprungen und rief mit dem heiteren Interesse kleiner Kinder an allem Ungewöhnlichen :
" Gesa ist krank ! " XIX. Kapitel .
Nächtiges Dunkel mit einer Sternschnuppe .
Er eilte ins Schlafzimmer und fand Hilden in tödlicher Angst über die Wiege des Jüngsten gebeugt .
Das Kind lag in Krämpfen ; der Schaum stand ihm vor dem Munde , und der Blick ging nach oben weg .
Aufs tiefste bestürzt , rannte er zum Arzt ; er lief wie ein Junge die Straßen entlang , mochten die Leute denken , was sie wollten .
Während er dahinjagte , fiel ihm ein : ganz so war er einmal als Zehnjähriger gelaufen ( die Holzpantoffeln in der Hand ! ) als sein Bruder sich die Füße verbrannt hatte , das fliegende Herz immer um tausend Schritt den Füßen voraus .
Dr. Cajus , ein guter Freund von ihm und dazu ein geborener Arzt , " edel , hilfreich und gut " , ging sofort mit ihm .
" Was kann es nur sein ? " fragte Asmus .
" Vielleicht ist es ein starker Bronchialkatarrh , " meinte Cajus .
" Das Kind ist nicht sehr stark , das konnte ich schon bei der Geburt feststellen .
Es muß sehr sorgsam gepflegt werden - nun , daran wird es ja Ihre Frau am wenigsten fehlen lassen . "
Aber Dr. Cajus stellte Schlimmeres fest : eine heftige Lungenentzündung . - - - Also Krankheit !
Die erste schwere Erkrankung in ihrer Ehe .
Bei allen Sorgen war bisher das eine große Glück gewesen : Gesundheit !
Seit diesem bangen Morgen wußten sie ganz , wie gnädig das Geschick gewesen war , wie glücklich sie gewesen waren ; sie sahen alles Sonnenlicht aller vergangenen Tage , als es hinter Wolken verschwunden war .
In solchen Zeiten leidet ein Mann vielleicht mehr als eine Mutter .
Sie leidet furchtbar in ihrem Kinde ; aber der Gatte und alle anderen Menschen treten für sie in den Hintergrund , das ist natürlich und recht .
Der Mann leidet in zwei Wesen ; was er in seinem Kinde leidet , das leidet er in seinem Weibe vollgewogen noch einmal , sofern er sie liebt .
Nein , dieser Schmerz vermindert sich nicht , er verdoppelt sich durch Teilung .
Ein ganzes Mutterherz ist das beste Heilmittel , über das die Natur verfügt .
Hilde wich kaum vom Bettchen des Kindes , und doch versah sie mit geringer Hilfe auch ihre übrigen Pflichten wie zuvor .
Er verstand nicht , wie sie das vermochte ; sie schien sich in drei , in mehr Personen spalten zu können .
Es gibt ein Mutter- und Hausfrauengenie , wie es Künstler- , Feldherren- und Regentengenies gibt .
Die kleine Gesa überwand wohl die Lungenentzündung ; aber sie blieb schwächlich , kümmerlich , verdrießlich , ein Häufchen Unglück und eine nagende Qual im Herzen ihrer Mutter .
Ein Krampfanfall folgte dem anderen ; wenn man das Kind aus seinen Kissen hob , wimmerte es , wenn man es badete , schrie es vor Schmerzen , und mit dem Wasser des Bades einten sich oft und oft die heißen Tränen der Mutter .
Nun lag ein Druck auf ihrer beider Tun und Denken , ein schwerer Druck , den nur die Zeit , die traurige Gewöhnung an das Leid allmählich milderte .
Es kam auch wohl ein Tag , eine Stunde , da das Kleine ruhiger , zufriedener dalag , da es lächelte oder doch zu lächeln schien - vielleicht war es nur ein krampfhaftes Zucken des Mundes - dann rief Hilde ihren Gatten eilig herbei , und sie hofften wieder .
Erst um die Weihnachtszeit vermochte er sein Trauerspiel zu Ende zu schreiben .
Er las es den Freunden vor .
" Ich stehe ja eigentlich auf anderem Standpunkt als dein Held , " sagte Salomon Freudenthal , " aber ich bin ja auch kein Held .
Ich würde mich in solcher Lage trauen und mein Kind taufen lassen .
Aber man hat das tiefste Mitleid mit deinem armen Teufel von Helden , und das entscheidet .
Das Herz ist die Kunstkritik .
Ich wünsche di 'n möglichst komplizierten Schädel- , Hals- und Beinbruch mit interessante Splitterungen , du KamelVor Theateraufführungen wünscht man " Hals- und Beinbruch " wie beim Aufbruch zur Jagd . . Wollte du_ein Zigarre ? "
Da es eine wunderschöne , saftdunkle Einclan war , so sagte Asmus ja .
Und er sandte sein Trauerspiel nach Berlin an ein neues , schönes Theater , das demnächst eröffnet werden sollte .
Berlin entschied alle Bühnenschicksale ; was nicht in Berlin gestempelt und bestätigt war , das galt nichts .
Die übrigen deutschen Theater schienen selbst den Gedanken aufgegeben zu haben , daß eine Auflehnung gegen diese sinnlose und gefährliche Vorherrschaft möglich sei .
Und schon nach acht Tagen hielt Asmus freudezitternd einen Brief in Händen , in dem der Direktor jenes Theaters das Stück mit enthusiastischen Worten annahm .
Das war nun freilich ein kräftiger Sonnenstrahl .
Er hatte ja nicht geglaubt , daß jemand den Mut haben werde , dies Stück anzunehmen , hatte es darum auch nicht erwartet , weil es ein allzu großes Glück war .
Hinter dem Bühnenvorhang hervor waren ja die seligsten und heiligsten Spiele seiner Knaben- und Jünglingsseele gekommen , und die Bühne war ihm ein Altar gewesen , lange bevor er wußte , daß vor der antiken Bühne ein Altar gestanden hatte .
Die Besucher der obersten Galerie waren immer eine Stunde vor Anfang eingelassen worden , und diese Stunde des Hoffens im halbdunklen Hause , vor dem schwach und flackernd beleuchteten Proszenium , vor diesem dunklen Tor zur Welt der Wunder , war besonders köstlich , war manchmal die köstlichste gewesen .
Und nun würde er eines Tages vor dem Vorhange sitzen , und der würde sich heben , und aus jenem Wunderlande her würden seine eigenen Worte tönen , und Menschen würden dort wandeln und sprechen , die er geboren hatte , die vordem nicht gelebt hatten .
Wer ihm das prophezeit hätte , da er als Seminarist auf der letzten Bank des billigsten Platzes saß , den würde er für einen kalten , herzlosen Spötter , für einen bösen Menschen gehalten haben .
Es gelang ihm auch nicht , dies Glück vollkommen durchzuführen und auszudenken ; immer wenn er sich recht darein versenken wollte , ging er nach wenigen Sekunden im Strudel seiner Empfindungen unter ; er war nun einmal ein " Strudelkopf " oder richtiger vielleicht ein Strudelherz .
Es sollte ihm vorläufig auch erspart bleiben , weiter in diese Gefühlswelt hinabzutauchen ; jenes Theater in Berlin hatte mit dem ersten Stück , das es spielte , kein Glück , mit einem zweiten auch nicht , und nach wenigen Monaten schloß es seine Pforten , weil es schon ohne Asmussens Hilfe in Konkurs geraten war .
So begrub denn Asmus seinen Traum ; aber , wie immer , begrub er die Hoffnung nicht mit .
Es gab ja noch so viele Theater in deutschen Landen !
Er versandte sein Stück nach allen Himmelsrichtungen und erhielt entweder eine ablehnende Antwort oder - in den meisten Fällen - gar keine .
Die es gelesen hatten , wagten nicht , es zu spielen ; sie fürchteten das Publikum .
Der staatlich anerkannte Spießbürger fand an seiner Gewissensfreiheit nichts auszusetzen , und die anderen brauchten keine .
XX. Kapitel .
Asmus Semper Freunde wühlen , und er betritt " heißen Boden " .
Daß Asmussens Hoffnung trotzdem nicht untergehe , dafür sorgte zwar zur Genüge schon sein Herz , das um so höher emporsprang , je härter es das Schicksal auf die Erde schleuderte ; aber seine Freunde halfen ihm dabei .
Dietrich von Löwenklau stieg von Hyperbel zu Hyperbel , wenn er von diesem Drama sprach .
" Semper , mein Semper , es ist ja die Tragödie , die immer am schrecklichsten war und ist , so lange die Erde steht ; daß wir untergehen müssen , wenn wir gegen den Konventionalismus angehen !!!
Die » Partei « ist ja dabei so gleichgültig !!
Aber einen Schritt weit vom Herdenviehwege gehen - das ist allemal der Tod .
Das große , große Viehzeug aller Stände - all-llerrr Stände !!! - duldet solche Kerle wie Ihren Helden niemals , niemals unter sich !!
Und die Direktoren sind natürlich so feige wie diese ganze Gesellschaft !!
Aber ich wühle für Sie , ich wühle überall , wo ich kann !
Schierholz in Breslau will alles aufbieten , seinen Direktor zur Annahme zu bewegen .
Und dem Prinzen Schondorf habe ich über Ihr Stück geschrieben - Gott , ist das ein unsagbar feiner und vornehmer Mensch !! - bitte :
es gibt auch vornehme Prinzen , Sie Demokrat !!
Das heißt : eigentlich sind Sie Feudal-Aristokrat , Sie Schäker Sie !
Der Prinz wird Ihr Stück lesen und wird Ihnen schreiben ; er ist ein feiner Poet und ein gren-zen-los gütiger Mensch .
Also Kopf hoch , Sie Mutiger ; wir dringen doch durch !!! "
Asmus wußte vollkommen , wie laut in solchen Ausbrüchen Löwenclaus das Herz mitsprach , lauter als alles andere ; aber eben dieser heiße Hauch eines wilden Herzens tat ihm wohl .
" Semper , Semper !!! " schrie Löwenklau und kam noch einmal zurück .
" Wie kommen Sie dazu , in diesem Trauerspiel das scheußliche Wort » gestatten « zu gebrauchen !!
Ist ja schauderhaft !!
Bei » gestatten « denke ich immer an Zerevis , Kommis voyageurs , en général : Flachköpfe .
» Erlauben « , heißt es , mein Dichter , » errrlau-ben « !!
A rivederci , a rivederci !
Meinen Handkuß Ihrer himmlischen Frau !! "
Eine Auseinandersetzung darüber , warum denn " erlauben " und nicht " gestatten " , war ausgeschlossen , weil er zwischen den einzelnen Sätzen nie eine Zeitlücke ließ , durch die man hätte eindringen können , und er nach dem letzten Satze immer schon weg war wie Ziethen im Busch .
Er hätte auch kaum zu sagen gewußt , warum man nicht " gestatten " brauchen dürfe ; Gefühl war alles ; ihm folgte er blindlings .
Der Prinz von Schonndorf-Karlsreuth , den Löwenklau gemeint hatte , ein konservativer und kirchentreuer Mann , der aber in Zürich noch Gottfried Kinkel und Johannes Scher gehört hatte und sie dankbar verehrte , und der alte herrliche Wanderer , Roman- und Balladendichter Theophil Furnier schrieben Asmussen Briefe , die ihn glücklich machen mußten , und das alles war herzerfreuend und erhebend für Hilden wie für Asmussen und nicht zuletzt für seine Mutter ; aber so viel es erhob , so viel zogen alte , schwere Lasten wieder herab .
Der Zustand der kleinen Gesa änderte sich nicht .
Als wieder einmal Sommerferien gekommen waren , kratzte Asmus alles zusammen , was er an Geldmitteln aufbringen konnte , und zog auf vier Wochen mit den Seinen , mit Betten und Küchengerät , wie die Zigeuner , nach einem zwei Stunden entfernten Dorf am Flußufer .
Von der Luft am Wasser erhofften sie Heilung ihres Kindes .
Vergeblich .
Als sie heimkehren mußten , war das Kleine so krank wie je und Hilde so schwach wie zuvor .
Eine Mutter erholt sich nicht , wenn ihr Kind leidet .
Inzwischen hatten Asmussens Freunde weiter " gewühlt " .
Auf ihr dringendes Zureden hatte eine Hamburger Bühne sich geneigt erklärt , sein Stück herauszubringen .
Er möge nur mit der Direktion in Unterhandlung treten .
Asmus betrat frohbewegten Herzens den altberühmten und ebenso reparaturbedürftigen Musentempel und wurde über eine wackelige Stiege vor den Stellvertreter des Direktors geführt .
Der Mann empfing ihn sehr freundlich und sagte : " Ja , wir haben die Absicht , Ihr Stück zu geben . "
Nun , da war ja die Erfüllung !
Wenn ein anscheinend ehrenwerter Mann dergleichen sagte , so war natürlich kein Zweifel mehr .
Überglücklich stolperte Asmus die finstere Hühnerstiege hinunter ; fast hätte er sich den Fuß gebrochen ; aber was hätte das an einem solchen Tage bedeutet !
Er nahm sogar , leichtsinnig geworden , eine Pferdebahn , um nur seiner Frau und Geliebten so früh wie möglich die Nachricht zu bringen .
Er kannte das Theater noch nicht , der Arme .
Der Baron aber hatte in der Reichshauptstadt die Trommel gerührt .
" Seit vierzehn Tagen bin ich hier in Berlin , " schrieb er , " einer un-er-hört interessanten Stadt !!!
Täglich mache ich hier die unglaublichsten Bekanntschaften unter Dichtern , Malern , Musikern , Journalisten , Schauspielern usw. usw.
Das Ekelhafte hier ist , daß jeder auf den anderen hackt und ihm nicht das Weiße im Auge gönnt ; aber wo wäre das anders !
Ich lache mi ein in stillen un quäl mi dor nicht um .
Überall spreche ich für Sie , überall lese ich Ihre Gedichte vor , und die » Freie Kunstgesellschaft « wird Sie zu einer Vorlesung einladen ; Dr. Breslauer hat es mir versprochen .
Three cheers for Mr .
Semper !!
Yours for ever .
Löwenschwanz . "
Und die Einladung kam .
Mit hochgespanntem Herzen fuhr er in den Lehrter Bahnhof ein .
Berlin !
Also sozusagen das deutsche Paris sollte er sehen , die Stadt , die nicht nur die vollkommenste Ansammlung , sondern auch die höchste Vollendung alles Bedeutenden , Großen , Glänzenden in Politik , Wissenschaft , Kunst und Technik aufweisen - sollte .
Und in der Tat : die Stadt selbst machte Eindruck auf ihn , weniger durch das , was sie war , als durch das , was sie bedeutete .
Am Reichstagsgebäude vorüber , durch die Friedrichstraße , die Linden ging er , sein Köfferchen in der Hand , mit Ehrfurcht und Staunen .
Hier war jeder Fleck historischer Boden ; hier geschah jeden Tag etwas Bedeutendes , Weltbewegendes ; hier wurde Geschichte gemacht .
Etwas Festliches hatte diese ganze Stadt , nichts Behaglich-Ergötzlich-Festliches , nein , etwas Stolz- und Prangend-Festliches wie eine dauernde Parade , wie ein immerwährender Einzug des großen Friedrich oder des alten Wilhelm nach einem siegreichen Kriege .
Mit diesem Eindruck mischte sich das bange Gefühl , daß man sich hier behutsam bewegen müsse , wenn man seine geringe Barschaft nicht im Handumdrehen los werden wolle .
Löwenklau hatte ihm ein kleines Restaurant , das auch Zimmer vermiete , als sauber , ruhig und billig empfohlen ; es sollte in einer schmalen Seiten-Sackgasse der Linden liegen .
Asmus fragte einen jungen Mann nach der Gasse und der wies ihn mit einem unangenehmen Grinsen sehr bereitwillig nach Osten .
Asmus lief mit seinem Koffer die ganzen Linden bis zum Schloß hinunter und fand die Gasse nicht .
Als er wieder fragte , sagte man ihm , daß er im Gegenteil nach Westen gehen müsse .
Jetzt verstand er plötzlich das Grinsen seines ersten Berliner Wegweisers .
Endlich fand er dann sein Hotel .
Vor dem Berliner Publikum hatte man ihm bange gemacht .
Das sei ein sehr heißer Boden für einen Neuling .
Mit heftigem Herzklopfen , mit stockendem Atem saß er am Pult und las fremde und eigene Dichtungen .
Aber er fand für alles ein sehr freundliches Publikum , das ihm lautlos zuhörte und überreichen Beifall spendete .
Schon seit einiger Zeit hatte er sich über gewisse Erscheinungen der zeitgenössischen Literatur geärgert , die anspruchsvolle Plattheit für " naturalistische Dichtung " ausgab , die das Häßliche und Banale suchte und wirklich nichts anderes war als die Photographie des Zufälligen und Bedeutungslos-Alltäglichen .
Er las ein paar Satiren auf diese Zigarrenstummel-Gestalter und erweckte damit das beifälligste Lachen und Lächeln ; aber ein Professor von der Berliner Universität sagte dann beim Bier :
" Sie haben dem Kalb ins Auge geschlagen .
Da saßen ein paar Herren , denen die Schuhe , die Sie hinstellten , wie angegossen paßten .
Zittern Sie !
Diese Leute haben die vollkommenste Pietätlosigkeit auf ihre Fahne geschrieben ; nur vor einem fordern sie unbedingte Pietät : vor sich selbst , vor ihren Dogmen und Künsten . "
Asmus ahnte nicht , daß Feinde auf ihn lauerten und wieviel ihrer wären ; aber auch , wenn er es gewußt hätte , würde er nicht gezögert haben , sich getrosten Mutes noch einige dazu zu machen .
Nach diesem Gespräch mit dem Berliner Professor kam ihm wohl gelegentlich von weitem das Gefühl , daß er sich Feinde erwecken könnte ; aber wenn sie mit anständigen Waffen kämpften - was war dabei ?
Leben ist Kampf , und Kampf ist Leben .
Wenn man mit offener Stirn und ehrlichen Waffen stritt , war es gar ein herrliches Leben !
XXI. Kapitel .
Ein neuer Feind und viele Nachtigallen .
Er setzte denn auch diese Tätigkeit des Feindemachens mit heiterer Unbesorgtheit und glänzendem Erfolge fort .
Eine Berliner Zeitschrift lud ihn ein , Kritik für sie zu schreiben .
Mit Freuden sagte er zu ; denn erstens konnte man auf diesem Wege - so meinte er - Gutes stiften , und zweitens mußte ihm jede Möglichkeit eines anständigen Erwerbs willkommen sein .
Ungeheure Pakete wälzten sich von Berlin heran , und wenn er sie öffnete , war meistens Lyrik darin .
Er griff sein Werk mit ungeheurem Eifer an , las bis tief in die Nächte hinein , wenn die Seinen längst in tiefem Schlafe lagen , und las auch das schwächste und schlechteste Buch bis auf den letzten Buchstaben .
Denn , sagte er sich , wenn es auch nur eine gute Seite , ein gutes Gedicht enthält , so darf das nicht unterschlagen werden .
Seine Gerechtigkeitsliebe ging bis zur Pedanterie ; alles wollte er lieber sein als ungerecht .
Darum hielt er es auch für seine Pflicht , sein Urteil aufs peinlichste zu rechtfertigen und zu belegen ; von seinem Schulmeisterberufe her war er es gewohnt , seine Zeugnisse zu begründen ; er besaß wenigstens nicht den Größenwahn , daß man einer nackten Zensur von ihm Gewicht beilegen müsse .
Und wenn ihm dann ein Buch wirklich hoffnungslos schlecht schien , dann schlug er mit Keulen drein .
Wäre er 20 Jahre älter und im Leben der Kunst erfahrener gewesen , so würde er sich gesagt haben , daß in der Kunst - umgekehrt wie in der Natur - das Leichte von selber sinkt und das Schwere sich oben hält , daß das Falsche immer sich selbst entlarvt , daß man also über Wert und Wirkung der Kritik überhaupt im Zweifel sein kann .
Damals aber glaubte er fest und steif , daß man alles Schlechte und Winzige , das sich breit macht , heftig bekämpfen müsse , und als ihm eines Tages zwei dicke Bände Lyrik von einem Herrn Armin Schwollenthin unter die Hände kamen , die auf 600 Seiten nichts enthielten als schlechtesten , zum siebzehnten Male aufgegossenen Baumbach - Armin Schwollenthin trug unverkennbar statt des Herzens einen Wasserkasten in der Brust , und wenn er den Hahn drehte , floß ein " Gedicht " heraus - da entleerte er über das Haupt des " Dichters " eine volle Schale des grimmigsten Spottes .
" Ich habe gebrüllt vor Lachen , als ich Ihre Kritik las ! " rief Löwenklau , " und haben Sie bemerkt , welch eine wüsste , schamlose Reklame für diesen Schmierefax gemacht wurde ?
Er sollte um jeden Preis » gemacht « werden .
Aber Vorsicht , teuerster Semper , Vorsicht in der Wahl Ihrer Feinde !!!
Greifen Sie kein Pech an ! "
Dabei ist nicht zu übersehen , daß Dr. Meckehorn seinen Vortrag über die Flagellanten in einen Novellen-Zyklus umgewandelt und dem Vorstand der " Rostra " vorgelegt hatte , und daß Asmus sich mit keiner Silbe dazu geäußert hatte .
Da er nicht loben konnte , so schwieg er .
Inzwischen nahm der Spielplan des Hamburger Theaters seinen Lauf , ohne daß Asmussens Trauerspiel " Der Verrat " darinnen aufgetaucht wäre .
Nun , dachte Asmus , es wird schon kommen .
Ich habe ja das Versprechen .
Soweit neben Mühsal , Sorge und Ängsten der Frohsinn aufkommen kann , soweit war an einem Julitage dieser Zeit auch Frohsinn im Hause Semper .
Gesina Chavonne hatte ihrem Seebären Jan Blicken den Trauring durch die Nase gezogen und führte ihn fröhlich daher , und wenig fehlte , so hätte Jan Blicken wirklich getanzt .
Es gab ein warmes Essen am Abend und ein paar Flaschen richtigen Weins , und die Kinder waren glückselig , daß sie dabei sein durften , und erzählten überall im Haus und auf der Gasse :
Bei uns ist Hochzeit .
" Mama , sind wir auch dabei gewesen , als ihr Hochzeit machtet ? " fragte die sechsjährige Isolde ihre Mutter .
" Nein ! " lachte Hilde laut heraus , und dies Lachen war der goldigste Wein , den Asmus an diesem Tage trank .
Ein Lachen war kostbar in diesen Zeiten , und sonderlich ein Lachen Hildes .
Um des kranken Kindes Willen gaben sie ihre sonnenarme Wohnung auf und flohen hinaus an die äußerste Grenze der Stadt , " wo die letzten Häuser stehen " .
Wie in seinen sonnigsten Kindheitsjahren wohnte Asmus wieder zwischen lauter Hecken und Wiesen , dort , wo Fuchs und Hase sich Gutenacht sagen .
" Am Wiesenboren " hieß es dort .
Als sie mit ihrem Einzug fertig waren , trat Asmus allein hinaus in den kleinen , rechtwinkligen Garten , streckte weit die Arme aus , trank mit einem tiefen Zuge den Hauch der Wiesen und Büsche und dachte :
Möchte hier doch kommen , was wir ersehnen .
Eine Nachtigall schmetterte laut aus dem nahen Knick ; eine andere antwortete ; eine dritte fiel ein .
Es war ein Nachtigallenparadies ; die große Frau Natur wohnte gleich nebenan und war nun die nächste und vertrauteste Nachbarin der Semper .
Auf stillen Wegen zog sie den müden Spaziergänger ganz unvermerkt an ihre warme , junge Brust und sprach ihm Trost ein .
Und sonderlich seinem alten Freunde , dem Winter , sah er wieder recht mit Andacht in die hellen , stillen Augen .
Wenn die Weihnacht nahekommt , verkriech ich Tief und stumm mich in mein Innerstes .
Auf der Heimkehr von der Arbeit such ich Stille , kaum betretene Wege dann , Wo die Sonne , müde schon und rot , In umnebelten Gebüschen hängt , Selten nur ein Vogel sich davonhebt Stummen Fluges durch die träge Luft , Daß vom kaum gebogenen Zweig der Schnee Lautlos fällt auf Schnee .
Auf fernem Wege Irgendwo - und kaum noch zu vernehmen , Unter schweren Rädern kreischt der Schnee ; Über einer schwarzen Kate flimmert Hoch und hell mein Stern von Bethlehem .
Dann geschieht_es .
Zwei weiche , warme Hände Kommen leis von hinten und verschließen Mir die Augen .
Süß erschauernd stehe ich , Regungslos gebannt , doch nicht erschrocken .
Dann mich leise wendend , in die Augen , Große dunkle , feuchte Augen blicke ich Eines unergründlich schönen Weibes .
Weich in ihre Arme zieht sie mich , Und mit warmem Hauch an meiner Wange Flüstert sie mir zu in Heimlichkeit : " Mache es in diesem Jahre und in allen So wie ich . "
- Gespannt in allen Fibern , Höre ich , wie in leisen , starken Strömen Neue Kraft die Adern mir erfüllt ; Zitternd stehe ich , dem Kristallgefäß gleich , Das mit rotem Feuerwein gefüllt wird . -
Bis vom nahen Strauch ein Vogel schwebt Stummen Fluges durch die träge Luft , Und vom kaum gebogenen Zweig der Schnee Lautlos fällt auf Schnee . -
Mit leisem Frösteln Fühle ich , daß sie längst gelöst die Arme , Daß ich längst allein am Wege stehe .
Aufgerafft dann , mit gestrafften Sehnen Schreite ich weiter , immer geradeaus blickend ; Geradeaus blickend trete ich in die Türe , Hut und Mantel lege ich ab ; die Kinder Klammern jubelnd sich an mich , und endlich Schüttelt ungeduldig mich das ältste !
" Vater !
Vater !
Was für Augen machst du ! "
Und das nächste ruft mit Händeklatschen :
" Und was hast du heute für rote Backen ! "
Schnurrig werdet ihr die Weisheit finden , Die das Weib mir zugeraunt am Wege , Rätselvoll zum mindesten erscheint euch Jenes kurze Trostwort der Sibylle .
Aber ich verstehe sie vollkommen ; Aus der Heide schon in früher Kindheit Lernte ich ihre Sprüche still begreifen .
Denn dies Weib mit dicken , braunen Zöpfen , Jungen Brüsten und erglühten Wangen , Meine Ur-Ur-Urgroßmutter ist es , Die Natur. XXII. Kapitel .
Schön ist die Jugend und ein Triumph .
Und ein Tag mit roten Backen war noch der Sylvester , der Jonathan Rosenberg , Harald Danebrog und Dietrich von Löwenklau an seinem Tische vereinigte .
Seit dem Weihnachtsfeste schmückte ein kleiner , aber hübscher Teppich das Wohnzimmer ; Frau Hilde hatte so viele Blumen herbeigeschleppt , wie ihre Mittel es erlaubten - so viele Blumen , so viele frohe Augen hat ein Fest - und Asmus wandelte hin und her durch seine Zimmer und konnte nicht mehr arbeiten ; denn er genoß , ein raffiniertester Schlemmer , das stille , einsame , leuchtende Fest der Erwartung .
Er pflegte die Tage des Vergnügens von den Tagen der Arbeit so sauber zu trennen , wie Jehova die Wasser über der Feste von den Wassern unter der Feste , und genoß einen seltenen Tag der Lust vom Rande des Kelches bis zum Grund .
Als seine Gäste einmal um drei Uhr morgens aufbrachen und er erschrocken ausrief :
" Was !
Jetzt wollt ihr schon gehen ?
Diese Gemeinheit ! " da brachen alle in schallendes Gelächter aus , weil seine Entrüstung so ehrlich war .
Als erster erschien Löwenklau mit einer kostbarsten Rose für Frau Hilden , und als er bald darauf , um ein Bild zu betrachten , einen Kneifer hervorzog , schrie er : " Ja , ja , mein Semper , ich brauche jetzt ein Augenglas , ich werde weitsichtig ! "
Und dann tanzte er durch die ganze Länge des Zimmers und sang nach der Weise " Wir halten fest und treu zusammen " mit einem Brigade-Exerzier-Tenor :
" Jetzt kommt das Alter , das Alter , das Alter , hip hip Hurra , hip hip Hurra !!! "
Und als das Mal genossen war - Ogier le Danois hatte einen Riesenaal dazu mitgebracht - las Dietrich von Löwenklau sein jüngstes Gedicht vor .
" Es schildert mein letztes Abenteuer mit einem ent-zük-ken- den kleinen Mädel - " schickte er voraus , und alles lachte ungläubig - " ich nehme in diesem Gedicht Abschied von meiner Jugend - " und alles lachte noch lauter - " jetzt kommt meine " zweite Peri-Ode , von nun an werde ich abstrakt lieben wie A-bä-lard !!!
O Gott , o Gott , meine Freunde !!! " -
und alles lachte noch viel lauter , und dann las er sein Gedicht mit schmetternder Leutnantsstimme wie einen militärischen Tagesbefehl ; aber die letzte Zeile lautete : " Schön ist die Ju-hu-gend ; sie kommt nicht mehr " , und die sang er mit so viel lyrischem Schmalz , daß des Lachens kein Ende war .
Und dann las Asmus eine von Danebrogs Seemannsgeschichten in plattdeutscher Sprache , und Harald der Riese lag in der Sofaecke und glänzte und strahlte bis in das letzte Ringellöckchen seines Bartes hinein und schnippte ab und zu mit den Fingern , schnalzte mit der Zunge und rief voll Vergnügen über sein eigenes Werk :
" Holla - sasa - sehr fein ! "
Auch er war wie Löwenklau von jener wahren Bescheidenheit , die fremdes Können hochachtet und sich darum auch des eigenen freuen darf .
Furchtbare Stunden der Verzweiflung an sich selbst hat ein Künstler dann noch immer genug .
Auch Asmus litt daran keinen Mangel .
" Ein anderes Antlitz , ehe sie geschehen , Ein anderes zeigt die vollbrachte Tat . "
Wenn er ein vollendetes Werk durchlas , dann wurde es ihm mit jedem Lesen blasser , lebloser , überflüssiger .
Seine Zweifel an seinem Erstlingsdrama wuchsen mit jedem Tage , an dem das Hamburger Theater von einer Aufführung - nichts merken ließ .
Eines Tages mußte ja die Nachricht kommen :
Wir beginnen mit den Proben .
Aber sie kam nicht .
Da faßte er sich ein Herz und ging hin , um anzufragen .
Aber seltsam : der Direktor war verreist , der eine der Regisseure auf der Probe und der andere " augenblicklich nicht abkömmlich " .
Er schrieb jetzt einen Brief und erhielt keine Antwort .
Dann ging er noch einmal hin und erfuhr , daß der Mann , der zu ihm gesagt hatte :
" Wir haben die Absicht usw . " nicht mehr bei diesem Theater sei .
" Das ist ja gleichgültig , " meinte Asmus ; " der Herr hat mir doch als Ihr Stellvertreter die Aufführung versprochen ! "
" Versprochen ? " fragte der Herr Direktor .
" Was hat er denn gesagt ? "
" Er hat gesagt :
Wir haben die Absicht , Ihr Stück zu geben . "
" Ja , die Absicht - ! -
Nun , wir werden Ihr Werk prüfen . "
Das war alles , was er erreichte .
Er wußte noch nicht , daß " Wir haben die Absicht " nicht so viel bedeutet wie " Wir sicheren Ihnen die Aufführung zu " , daß eine mündliche Zusicherung noch lange keine schriftliche Zusicherung ist , daß eine schriftliche Zusicherung gar nichts bedeutet , wenn sie keinen Aufführungstermin enthält , daß eine solche schriftliche Zusicherung mit einem Aufführungstermin keinen Pfifferling wert ist , wenn keine Konventionalstrafe darin festgesetzt ist , daß das alles wiederum hinfällig ist , wenn die Direktion wechselt , kurz :
er kannte das Theater nicht und konnte nicht juristisch denken .
Der Trost kam von anderer Seite .
In Berlin war eine " Freie Volksbühne " errichtet worden , und die wollte an vier Sonntagen sein Stück geben und ihm jedesmal 15 Mark zahlen .
Er ließ sich 50 Mark von den 60 vorstrecken und konnte nun zur Ausführung fahren .
Er erschien auf der Generalprobe und konnte nicht begreifen , daß daraus so etwas wie eine Theatervorstellung werden sollte .
Er wohnte wieder in jenem Studentenhotel in der Sackgasse , warf sich nach der Probe mit grimmigen Zahnschmerzen auf das kantenreiche Sofa und hörte , wie jemand im Zimmer darunter unaufhörlich mit einem Finger auf dem Klavier das Lied spielte :
" Siehst_du wohl , da kommt er ; Große Schritte nimmt er - "
Er hatte sich den Vorabend großer Ereignisse anders gedacht .
Ein Gefühl der Hundeverlassenheit , einer Ernüchterung bis ins Mark der Knochen überfiel ihn .
Er lief hinaus , schlenderte stundenlang durch die Straßen und setzte sich endlich ins Kaffee Bauer .
Da traf er einen jungen Schauspieler , den er von Hamburg her kannte ; der führte ihn an eine Anschlagsäule , und im Dunkel der Nacht entzifferten sie : Der Verrat .
Ein Drama in fünf Akten von Asmus Semper . "
Zum ersten Male stand sein Name an einer Anschlagsäule .
Es war doch etwas .
Als er sein an mehreren , nur nicht an den richtigen Stellen " schwellendes " Lager aufgesucht hatte , erlebte er plötzlich etwas höchst Seltsames .
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel überfiel ihn schwerste Krankheit und tiefstes Unglück : das Heimweh .
Er lachte laut auf ; aber das Leiden blieb .
Er sagte sich im stillen : Du bist ein Narr , warum fühlst du Heimweh ; morgen siehst du deine Frau und übermorgen deine Kinder wieder - also - was soll das ?
Das Herz schwoll ihm in den Hals und drohte ihn zu erwürgen .
Er richtete sich im Bette auf und sagte laut :
" Du bist verrückt , mein guter Asmus , du bist kindisch , mache dich nicht lächerlich vor dir selbst und sei kein Waschlappen ! - "
Das Leiden blieb und wuchs .
Es war wie eine Seekrankheit , von der man auch sagt , daß man sie mit Vernunftgründen und Charakteraufwand vergeblich bekämpfe .
Nie in seinem Leben hatte er sich so unglücklich und so krank gefühlt .
Endlich schlief er ein .
Als er erwachte und wieder auf dem festen Boden eines neuen Tages stand , war das Heimweh wie weggeblasen .
Aber es war ein tieferes Heimweh gewesen , als er ahnte .
Mit dem hochklopfenden Herzen eines Frischverlobten holte er Hilden vom Bahnhof .
Mehr als eine Nacht hatte sie sich von der kleinen Gesina nicht trennen wollen .
Er nahm eine Droschke - wer weiß : vielleicht wurde sein Stück jetzt von vielen , vielen Bühnen angenommen ! - und zeigte ihr den Siegesplatz , das Reichstagsgebäude , die Linden , den Tiergarten .
Dann saßen sie im Theater mitten unter dem Publikum .
Bevor der Vorhang sich hob , brachte ihm ein Theaterdiener einen Zettel .
Im Halbdunkel des Zuschauerraums entfaltete ihn Asmus und las : " Mönchlein , Mönchlein , du gehest einen schweren Gang ; aber fürchtet di nicht ; ich , dein Landsmann , bin bei dir . "
Das war Löwenclaus Säbelschrift , und das war Löwenclaus Herz .
Und nun folgte ein allererstes Erlebnis .
Es war eigentlich zum großen Teil verkehrt , oder schwach , oder ganz schlecht , was die sehr verschiedenartigen Kräfte da unten spielten ; aber manches machten sie auch herrlich , und zum ersten Male sah er im Fleische , was bis dahin nur im Geiste gewesen war .
Das war wie ein unbekannter Rausch , war , wie wenn ein Jüngling zum ersten Male Wein trinkt , und zwar starken und süßen Wein .
Er hörte wohl , daß da oft geklatscht wurde und immer wieder geklatscht wurde ; aber es klang wie ganz von weitem , und er drückte immer nur Hildens Hand .
Und als man ihn zum Schluß auf die Bühne holte und er sich immer wieder verneigen mußte - er wußte nicht , wie oft , da erschien ihm das Theater so rund wie ein Karussell , obwohl es vollkommen eckig war .
Und dann fuhren sie mit einem überfüllten Nachtzuge nach Hamburg und konnten die ganze Nacht kein Auge zutun .
Ermattet lehnten sie wohl den Kopf gegen die harte Holzwand des Wagens ; aber Asmus konnte nicht schlafen , weil die stampfenden Räder immer " Triumph - Triumph - Triumph - Triumph " riefen , und Hilde konnte nicht schlafen , weil ihr Herz immer hin- und herflog zwischen dem Sieg zu Berlin und dem kranken Töchterlein daheim. XXIII. Kapitel .
Asmus als Schauspieler und die Meinungen der Samtjoppe .
Die Zeitungen begrüßten das Stück ganz vorwiegend freundlich und zum Teil äußerst freundlich ; nur Armin Schwollenthin schimpfte kannibalisch ; nach ihm war etwas so Schlechtes noch nie über irgend eine Bühne irgend eines Erdteils gegangen .
Er sagte sich :
Wenn meine Lyrik nichts taugt , sollen deine Stücke nichts taugen ; denn er war ein später Nachkomme des vortrefflichen Dr. Bartolo , und dessen Arie : " Süße Rache , o süße Rache , Du gewährest hohe Freuden !
Nur die kleinen Seelen leiden , Dulden , schweigen , wenn man sie kränkt " war der Kern seiner Weltanschauung .
Beim Publikum aber fand " Der Verrat " so großen Anklang , daß der Verein anschwoll und das Stück noch ein fünftes Mal ( noch ein fünftes Mal !! ) gegeben werden mußte und der Dichter nach Abzug der Agentenprovision noch 17 Mark 50 Pfennige ( in Worten : siebzehn Mark auch fünfzig Pfennige ) ausbezahlt erhielt .
Und nun wollte es die " Freie Bühne " in Hamburg auch spielen , aber ohne Honorar .
Und als drei Tage vor der Aufführung ein Hauptdarsteller erkrankte , da sprang Asmus selber ein .
Er hatte erst im 2. Akt aufzutreten , und als er erschien , schlug ihm eine prasselnde Beifallssalve entgegen .
Die Folge war , daß er am ganzen Leibe zu zittern begann und , als er sich im Spiel eine Zigarre anzuzünden hatte , immer wieder mit dem Zündholz danebenfuhr .
Aber dann beruhigte er sich und führte seine Rolle mit Wollust und mit Glück zu Ende .
Er gelobte sich :
Wenn ich wieder einmal zur Welt komme , werde ich Schauspieler .
Als er im letzten Akt eine Weile schweigend auf der Bühne zu stehen hatte , flüsterte ihm die Darstellerin seiner Heldin zu :
" Sehen Sie nur , wie die Leute weinen !
Das ganze Publikum schneuzt sich . "
Und gleich darauf sagte sie :
" Ich habe solches Magendrücken ; ich kann keine Pellkartoffeln vertragen . "
Alle diese Erfolge zusammen waren so viel des süßen Trankes , daß es höchste Zeit für eine bittere Beimischung war .
Und die Bitternis kam reichlich genug .
Gesina Blicken , die bunte , surrende Libelle , die ungleiche Schwester Hildens , hatte bald nach ihrer Vermählung zu kränkeln begonnen , und die Arzte hatten keine Hilfe gewußt .
Wenn ihr Mann auf dem Wege nach Brasilien schwamm , hatte sie sich daheim in Schmerzen gewunden ; wenn er auf kurze Tage bei ihr weilen durfte , hatte sie sich ihre Qualen lachend verbissen ; wenigstens er sollte glücklich sein .
Aber endlich ließ sich es nicht mehr verhehlen ; es mußte auf Tod und Leben operiert werden , und der Tod war wieder einmal schneller als das Leben und ergriff mit Hast die schöne Beute .
Wenige Stunden nach der Operation verschied sie in den Armen ihres Gatten und ihrer Schwester .
Asmus beweinte dieses heitere Gegenbild seines Weibes wie ein Bruder ; sie war ihm immer ein Teil seines Hauses gewesen ; aber weit mehr noch litt er durch die Seele seiner Frau .
Wie sollte sie es tragen , die schon so schwer an ihres Kindes Leiden trug ?
Die Ferien waren nah , und da auch Asmussens Nervenkraft durch die doppelte Last seines doppelten Berufes erschöpft war , so verlangte der Arzt , daß die ganze Familie in ein Seebad reise .
Das war leichter verordnet als bezahlt .
Asmus saß wieder einmal an seinem Schreibtisch , den Kopf in die Hand gestützt , und rechnete mit imaginären Größen , als Harald Danebrog eintrat .
Kaum hatte ihm Asmus wehmütig lächelnd von der Verordnung des Arztes gesprochen , als der Riese aufsprang und , im Zimmer hin und herlaufend , rief :
" Holla - sasa - da weiß ich was !
Sie müssen nach Dänemark , Sie müssen nach Hjerneborg , das is ein famoses kleines Fischerdorf an der Nordsee , ich schreibe noch heute an meinen Freund Thorstad , ein feiner Mensch !
Da leben Sie sehr billig , sehr billig , un da werden Sie gut verflegt un können alle Tage segeln un fischen un baden .
Sowie Sie auf dänischen Boden kommen , rufen Sie den Staßionsvorsteher un sagen :
" Ich soll Sie grüßen von Harald Danebrog ! " denn sorgt er für Sie , das is mein Freund , ein feiner Mensch ! und die Leute in Hjerneborg sind meine Freunde , alle Menschen an der ganßen Küste sind meine Freunde , un sie lieben mich alle , un wenn ich hinkomme , so feiern sie mich wie einen König ! "
Das begriff Asmus vollkommen .
Etwa eine Woche vor Antritt der Reise schlenderte Asmus über den Hamburger Jungfernstieg , als ihn ein Bekannter , ein junger Schriftsteller , anhielt .
" Kommen Sie mit in die » Goldene Traube « " sagte der , " Sie werden eine interessante Gesellschaft kennen lernen . "
" Kann ich denn da so ohne weiteres hineinschneien ? " fragte Asmus .
" Wenn ich nun keinen von der Gesellschaft kenne ? "
" Das schadet nichts , " erklärte der andere , " gesellschaftliche Formeln und Höflichkeiten verachtet man dort . "
Es war ein düsteres , fensterloses Klubzimmer in einem Bierlokal mittleren Ranges , das überall nach fadem Bier und kaltem Tabakrauch duftete .
Am Präsidentenplatze saß ein brutal aussehender Mann in einer Samtjoppe und offenem Hemde , mit zerrauftem Haar , der unaufhörlich und mit großem Nachdruck sprach wie ein Mann , der weiß , daß er nur Gold spricht , und neben ihm saß die einzige Dame des Kreises , ein eigenwillig , aber dürftig und geschmacklos gekleidetes Mädchen mit kurzgeschnittenem , fettigem Haar ; sie schaute in unentwegter Andacht zu ihrem Nachbarn empor und schien religiös überzeugt , daß er nur Diamanten von der Größe des Kohinoor rede .
Dann war da ein Herr mit dichtem Schwarzhaar , dessen verkniffenes , finsteres Gesicht noch dadurch verdüstert wurde , daß es offenbar seit langem nicht gewaschen war , und der in die Reden der Samtjoppe gelegentlich ein bissig beistimmendes Wort warf , ferner ein " Tip top " gekleideter junger Rechtsanwalt mit sorgfältig gepflegten Händen , die er öfters betrachtete , sodann ein tiefgefurchter Schauspieler mit grauer , schminkeverdorbener Haut und herabgezogenen , erstarrten Mundwinkeln , der bisher immer nur Dienerrollen bis zu zwölf Worten gespielt hatte , ein Unterprimaner mit einem Hochmut im Gesicht , der für Homer , Michel Angelo , Beethoven und Goethe zusammen genügt hätte , wenn sie beschlossen hätten , hochmütig zu sein , und noch fünf oder sechs andere Gestalten von geringerer " Bedeutung " .
" Wenn Nietzsche uns nichts anderes gegeben hätte als seinen » Fall Wagner « , " rief der Samtbejoppte , " so verdiente er schon dafür göttliche Verehrung ! "
" Bravo ! " rief der Unterprimaner , und der Redner sandte ihm einen sonnigen Blick .
" Ich war da gestern eine Viertelstunde im Lohengrin - glänzende Besetzung , gar nichts zu sagen - aber man kann , man kann das ja nicht mehr anhören ! "
Er parodierte mit einem Gaumen und Nasentenor :
" Nun sei bedankt , mein liiiieber Schwan - ! " es wird einem ja speiübel dabei - ich bin wie gepeitscht davon gelaufen .
Da lob ich mir den guten Flotow und seine » Martha « , das ist doch wenigstens ein ehrlicher Kitsch , der nichts anderes sein will ! "
" Aber der » Ring « , " wagte ein tollkühner Mensch aus sicherer Entfernung einzuwerfen .
" Der Ring ??? " brüllte das Samtjackett .
Und dann schaute der Gewaltige sich mit mildem Lächeln im Kreise um und wiederholte mit innigem Mitleid :
" » Der Ring « !
Ja , das ist der kreißende Himalaja , der einen Bandwurm gebiert !
Das ist die Impotenz in Permanenz !
Das ist das Löwengebrüll eines Flohs !
Oder die Fondsbörse in Walhall ! "
Der Gymnasiast bestätigte das durch Kopfnicken , und die Augen der Dame feuchteten sich in Anbetung .
In solchem Tone ging es stundenlang fort .
Die großen Toten der Menschheit hatten , soweit man ihrer zu denken geruhte , einen schlechten Tag heute , und den Mitlebenden ging es , von Nietzsche abgesehen , noch schlechter .
Es ging schlimmer zu als im giftigsten Kaffeeklatsch ; nicht nur die Denker und Künstler , auch ganze Weltanschauungen und Weltperioden fielen wie die Fliegen , und die Walstatt war bald mit Kulturleichen übersät .
Als einziger schöner Rest blieb die samtjoppozentrische Weltanschauung .
Asmus hörte schließlich nur noch mit einem Ohr zu .
Da fiel das Wort " Schiller " .
" Na , " sagte der Mann , der Asmussen eingeführt hatte , in einem Sondergespräch mit dem Schauspieler , " Sie müssen doch schließlich zugeben , daß Schiller eine nicht wegzudenkende Potenz in unserer Kultur ist . "
Der Schauspieler schaute um Sukkurs aus nach dem päpstlichen Stuhle .
" Schiller ? " klang es von dorther mit glücklichem Frohsinn .
" Der Moraltrompeter von Säckinnen ?
Ein I-di-ot !!! "
Die Samtjacke hatte ein mächtiges Schallrohr .
Das Wort " Idiot " donnerte wie ein Hundertpfunder durch den Raum , und alles Bier in den Gläsern erzitterte .
Asmus hatte jetzt die Tiefe dieser Modernität genügend ergründet ; er verabschiedete sich , und sein Begleiter mit ihm .
" Die Gesellschaft scheint Ihnen nicht sonderlich zu behagen , " meinte der .
" Nicht zu behagen , ist kein Wort , " versetzte Asmus .
" Mich übermannt der Ekel .
Sehen Sie , ich bin auch für Kritik , für strengste Kritik an allen Weltdingen , und übe sie selbst .
Aber wer niederreißt , muß dafür etwas aufrichten können , muß es wenigstens mit ebenso strengem Eifer versuchen .
Man muß ein Gewissen haben .
Wenn ich dergleichen Gewäsch höre , dann fühle ich mich versucht , zu den orthodoxesten Priestern Roms , zu den reaktionärsten Junkern Hinterpommerns und zu den ältesten Stücken der Birch-Pfeiffer zu flüchten , weil dort sicherlich noch mehr Freiheit und mehr Leistung ist als bei solchem Gelichter .
Alle diese » originalen « Geister sind Parasiten auf den großen Schöpfungen der Vergangenheit ; sie suchen dadurch aufzufallen , daß sie sich recht abstechend anders färben als der Lorbeer , auf dem sie nisten .
Ich habe diese Schimpfereien jahrelang angehört , anfangs staunend , verblüfft , bewundernd , weil ich_es mir nicht anders denken konnte , als daß hinter so viel Kühnheit , ja Frechheit eine große Kraft verborgen sein müsse .
Ich habe von Jahr zu Jahr gehofft auf die große Synthese dieser Zerfetzer , auf die große Fleischwerdung ihres Ideals .
Ich habe begriffen , daß Frechheit nichts anderes ist als der Versuch , Kraft vorzutäuschen , und erwarte nichts mehr .
Und wenn Sie noch einen Grund für meinen Ekel hören wollen :
Es ist mir ein Greuel , wenn Künstler in solcher Weise über Künstler herfallen .
Hier waren_es freilich Impotenz ; aber leider kommt dergleichen auch unter Künstlern vor .
Die Künstler sind das Salz der Erde .
Wenn aber das Salz dumm wird , womit soll man salzen ? "
Der Begleiter schien ähnlicher Meinung zu sein ; aber er war ein vorsichtiger Mann , der nicht gern gegen den Strom der Zeit schwamm. XXIV. Kapitel .
Die Leiden von Hjerneborg und die Einsamkeit von Skallö .
Als Asmus mit seinen sieben Köpfen und drei Koffern die dänische Grenze erreicht hatte , wo Zollrevision und Wagenwechsel vorzunehmen waren , verwandelte sich das Amtsgesicht des Stationsvorstehers auf den Gruß des dänischen Dichters hin sofort in sonnigste Menschlichkeit , und als der Beamte merkte , daß Asmus nach dänischen Vokabeln suchte , sprach er auf der Stelle deutsch .
Überhaupt waren die Menschen freundlich genug , wenn nur die Natur sich gastlicher bewiesen hätte .
Ogier le Danois hatte sein Hjerneborg offenbar nur deshalb ein " famoses " Dorf genannt , weil er täglich 24 Stunden viele Meilen weit davon entfernt auf dem Meere geschaukelt und von dem ganzen Ort nichts in Gebrauch genommen hatte , als gelegentlich ein Bett .
Dieses Dorf roch nämlich täglich 24 Stunden lang vom ersten bis zum letzten Hause und noch einige Seemeilen darüber hinaus nach Schellfisch und Dorsch ; nur das Bauernhaus , in dem die Semperfamilie wohnte , roch außerdem nach Pferden , Kühen , Schweinen , Schafen , Ziegen , Enten , Gänsen , Hühnern , Hunden , Katzen und ihren verschiedenen Hinterlassenschaften .
Auch lag das Dorf nicht an der offenen See , sondern an einer seichten Bucht , die gerade breit genug war , um das eigentliche Meer den Blicken vollständig zu entziehen .
Segelfahrten , wie sie sich Danebrog der Wikinger gedacht hatte , sind ein königliches Vergnügen , aber bei drei zarten Kindern und einem kranken kein passendes Programm .
Zu alledem kam ein drei Wochen langer Regen und ein ebenso langer Weststurm , der den Geruch von frischen und faulenden Fischen munter ins Dorf trieb und ein so überhöflicher Pförtner war , daß er einem die Tür , wenn man sie nur um einen schmalen Spalt zu öffnen versuchte , mit Lakaienschnelle aus der Hand riß und knallend gegen die Mauer schlug .
Auf den rasenden Sturm in der Natur antwortete in Hildens Seele eine furchtbare Stille .
Ihr Herz blutete unaufhörlich um ihrer Schwester Schicksal , und als die gute Bäuerin , bei der sie wohnten , hörte , daß die kleine Gesina schon drei Jahre alt sei , und darüber verwundert die Hände zusammenschlug und rief : " Tre Aar ! " und dann mitleidig den Kopf schüttelte , da riß auch diese Wunde sich auf zum tausendsten Male .
Sie fühlte sich endlich auch körperlich krank und , von seltenen Augenblicken abgesehen , da sie den Ihrigen zuliebe ein Lächeln versuchte , verbrachte sie die Tage in lebensmüder Erstarrung .
Wenn der Sturm das Haus umjohlte und der Regen wie aus Kübeln gegen die Scheiben klatschte , saß sie in einem großen Korbstuhl und las über den Rand eines Buches hinaus in den leeren Augen das Schicksals ; Asmus lag auf dem Sofa und las ohne Erquickung und Erhebung Spinoza , oder er spielte mit den Kindern und ließ hundert- und aber hundertmal Stube auf und Stube ab die kleine Gesina auf seinen Schultern reiten und sang dazu den Jäger aus Kurpfalz ; das war das einzige , womit man dem Kinde ein Lächeln abgewinnen konnte .
Und er war schon glücklich , wenn es öfter und öfter nach diesem Spiel verlangte , wenn es überhaupt nur irgend ein Begehren zeigte .
Wenn aber Sturm und Regen ein wenig nachließen , dann wickelte er alle , damit sie nicht frören , in alle erreichbaren Mäntel , und sie gingen an den Strand , immer noch um jeden Schrittbreit Landes mit dem Winde kämpfend , oder sie gingen landeinwärts nach einem winzigen Haine , der unter der ewig drohenden Faust des Seesturmes ein gedrücktes , nur geduldetes Dasein führte und in dem ein kleines , nie besuchtes Borkenhüttchen stand .
Wenn man in dieser Hütte saß - nur dann - , sah man durch Stämme und Unterholz hindurch eine einzige rote Blume ihr Angesicht zum Himmel richten ; sonst konnte man suchen , soviel man wollte , man fand die Blume nicht .
Wenn er hier mit seinen Kindern saß und wenn er bemerkte , wie sein Söhnchen immer wieder mit träumenden Augen nach der roten Blume sah , dann klangen plötzlich aus dem Boden hervor die Märchen , die aus diesem treuen , stillen , kindlich lächelnden Lande hervorgekommen sind wie Elfen aus Blumenkelchen : die Märchen Hans Christian Andersens .
Und einst an einem heiligen Tage saß er wieder dort und sah , wie sein Sohn nach der Blume starrte ; da brach plötzlich ein Sonnenstrahl durch das jagende Gewölk und fiel geradeswegs auf die rote Blume , und als das kranke Kind auf seinem Schoße hell auflachte , da mußte er die Augen in seiner Hand verbergen , damit die Kinder nicht sähen , daß sie feucht geworden .
Und er mußte an das Märchen vom " Buchweizen " denken und hörte die Sperlinge zum Weidenbaume sagen :
" Weshalb weinest du ?
Hier ist es ja so gesegnet ; sieh , wie die Sonne scheint ; sieh , wie die Wolken ziehen !
Atmest du nicht den Duft von Blumen und Büschen ?
Weshalb weinest du ? "
Er weinte vor Hoffnung .
- Einmal wagten sie es , ihr Jüngstes einen Tag lang der Obhut des Mädchens und ihrer Wirte zu überlassen und mit einem alten Schiffer , der einst auf Hamburger Schiffen um die Welt gefahren war und ihnen zu Ehren ein wunderbares Gemisch von Plattdeutsch und Englisch sprach , nach der unbewohnten Insel Skallö zu segeln .
Der Schiffer blieb bei seinem Boot zurück , und sie machten sich auf , die Insel zu durchwandern .
Nie hatten sie eine so tiefe Einsamkeit empfunden ; wenn sie auf dem Grunde eines Dünentales saßen , so war es , als habe das Herz der Erde aufgehört zu schlagen .
Ein einsamer Wanderer , dachte Asmus , der in diesen Sandgebirgen stürbe , könnte hier liegen , bis seine Gebeine bleichten und zerfielen ; die Sonnen und Sterne eines Jahrhunderts könnten über ihnen auf- und niedergehen , ohne daß jemand sie fände .
Sie schritten weiterhin quer durch die Insel bis an die äußerste Küste , bis ans große , wirkliche und wahrhaftige Meer .
Da saßen sie wiederum nieder im Sande und schauten hinaus , einsam und morgenstill wie die ersten Menschen .
Und aus einer rätselvollen Ferne klang ein langgezogener , tiefer , dunkler Ton .
So regelmäßig klang dies wundersame tiefe Brausen herüber , daß sie glaubten , es sei der Atemzug des Meeres .
Oder war es das Horn eines riesenhaften Tritonen ?
Ja , ja , das war es ; schon sah Asmus den Sohn des Laertes sein Schiff vom Ufer der Kalypso lösen .
Und zehn Jahre lang wanderte Asmus mit ihm über dieses Meer vor seinen Augen und sah am Schnabel seines Schiffes die schwebende Gestalt der schimmernden Leukothea .
Und als die heimatsüßen Lüfte Ithakas ihn umwehten und sein drängendes Herz Penelopen entgegenstrebte , da , eben da legte Hilde ihre Hand auf die seine und sagte : " Du guter Mann ! "
Und als er sie ansah , da lächelte sie und hatte Tränen im Auge .
" Fehlt dir etwas ? " fragte er zärtlich .
Sie schüttelte den Kopf .
" Dir fehlt etwas , " sagte sie .
" Ich bin eine schlechte Frau . "
Da mußte er laut auflachen , aufspringen mußte er und wieder lachen ; so komisch fand er es , daß sie eine schlechte Frau und er ein guter Mann sein sollte .
" Das mußt du näher erklären , sonst versteht man es nicht , " sagte er mit liebevollem Spott .
" Ich spinne dich ganz in meine Trübsal ein und sollte dir doch eine muntere Frau sein . "
" Das wäre noch schöner , " rief Asmus , " daß ein Mensch nicht traurig sein dürfte , wenn er verehelicht ist !
Dies Recht würde ich mir niemals streitig machen lassen .
Ich weiß und fühle alle deine Trauer , mein Herz , und kann dir freilich nicht sagen , wie dankbar ich bin , wenn du lächelst .
Und so schön hast du eben gelächelt ! "
Sie atmete tief und sagte : " Mir ist seit langem nicht so wohl gewesen wie heute . "
An der Größe dieser Meer und Himmelswelt war sie gesundet .
In der Enge des Menschenlebens hatte sie sich verloren ; im Großen findet ein großes Herz sich wieder .
XXV. Kapitel .
Ein schönes Kapitel , weil man es ruhig überschlagen kann .
Er las also Spinozas Theologisch-politischen Traktat und hatte wenig Freude daran .
Freilich war das nicht durchaus die Schuld Spinozas .
Seine Bibelkritik , seine Forderung der Denkfreiheit und der Unterwerfung der Kirche unter den Staat waren veraltet oder waren Selbstverständlichkeiten geworden ; aber im 17. Jahrhundert waren es unerhörte Kühnheiten gewesen , und der Persönlichkeit des Denkers gaben sie , wie sein ganzes Leben , ihre heldenhafte Größe .
Daß er erst den religiösen Dogmatismus zerstörte und ihm dann ( ähnlich wie Kant ) wieder weit entgegenkam , mochte bei so viel Mut und Lauterkeit mehr als verzeihlich sein , und herrlich war gewiß der Gedanke , daß der Staat , der die Denkfreiheit unterdrückt , sich selbst zerstört , daß der Streit der Meinungen ungefährlich ist , so lange er frei ist .
Aber abgestoßen fühlte sich Asmus durch den starren Dogmatismus , mit dem nun wieder der Staat zu einem vollkommenen Götzen , zu einem allgewaltigen Moloch und der Gehorsam gegen Staat und Gott zu einem wahren Kadavergehorsam zurechtspintisiert wurde .
Und als Asmus nun gar zu der " Ethik " überging , da erlebte er eine Enttäuschung , die seine Stimmung noch tiefer herabdrückte .
Er hatte von diesem gewaltigen Grübler eine unendliche Bereicherung seiner Gedankenwelt , ja vielleicht eine vollkommene Umwälzung erwartet ; aber in diesem scholastisch-abstrakten Lehrgebäude erkannte er kein Bild , ja kaum eine Berührung dessen , was " Leben " heißt .
Dieser Gottbegriff war so leer , wie der Begriff " etwas " oder " alles " ; dieses System war ein Schlauch ohne Wein , ein vorzüglicher Schlauch , gewiß , aber ohne Inhalt .
Asmus hing keinem bestimmten Monismus an ; aber sein Denken wurde vom monistischen Triebe , von der urgrundtiefen Sehnsucht nach Einheit regiert wie das Denken aller Menschen .
Dies System sollte und wollte ein Monismus sein und wimmelte von Dualismen , ja von Pluralismen .
Hieß das den furchtbar rätselhaften Dualismus von Bewegung und Denken aufheben , wenn man sie einfach nebeneinander in die leere Schachtel der " Substanz " packte ?
War damit der ewig klaffende Abgrund zwischen Sinnenwelt und Geisteswelt überbrückt ?
Hieß das nicht , zwei ungleichartige Größen addieren ?
War es nicht vollendeter Dualismus , wenn man der ewigen und unwandelbaren Substanz die veränderlichen und vergänglichen Modi anhängte , die Natur in eine wirkende und bewirkte spaltete ?
Die ewige Ordnung der Dinge und die ewige Ordnung der Ideen sollten identisch sein ?
War das nicht eine willkürlich erfundene Fabel ?
Das starre Gestein dieser Lehre hatte rein erdichtete Einsprengungen ( wie z. B. die undenkbare " Liebe Gottes zu sich selbst " ) ; aber es waren Erdichtungen eines Mathematikers , den Hamann mit Recht einen " geometrischen Sittenlehrer " genannt hatte .
Gott liebte sich selbst !
Das war nicht weniger naiv als der biblische Gott , der alles , was er geschaffen hatte , gut fand .
Woher kam auf einmal diese Menschlichkeit in den eisernen Substanzbegriff ?
Wie sollte andererseits das Menschlein , dies unentrinnbar eingeklemmte Gliedlein in der Kausalkette alles Seienden , dazu kommen , den ganzen Kausalverband , das All der Welt , Gott , die Ursache alles Seienden , voll zu erkennen ?
Wie sollte , so hatte Asmus es ein anderesmal formuliert , der kleine Fußsoldat Mensch den Plan kennen , nach dem der " Herr der Heerscharen " die Weltenschlacht zu schlagen beliebt ?
Wo blieb auch die menschliche Freiheit in einem ewig unverrückbaren Kausalnexus ?
Das Ganze des Seins war nichts als Ursache und Wirkung und kannte nach Spinoza keine Zwecke .
Auch das Denken war ihm nur eine wirkende Ursache , ein Mechanismus ohne Zweck .
Aber ist nicht alles Denken ein Werden , ein Fortschreiten vom unangemessenen Gedanken zum angemessenen ?
Und sollen wir nicht nach Spinoza die unwandelbare Natur erkennen lernen , und ist dann nicht die Wahrheit der Zweck des Denkens ?
Eine Lehre , die das Werden und den Zweck leugnet , erschien Asmussen tot ; sie hinterließ ihm nur den steinernen Kerker der Prädestination .
Der Philosoph sprach doch auch in seinem Theologisch-politischen Traktat von einer Erziehung des Menschengeschlechts durch Offenbarung , geschriebenes Gesetz , geschichtliche Ereignisse - ist denn Erziehung nicht ein zweckvolles Werden ?
Und was war es mit dieser vertrackten Zweiheit von Substanz und Modis , von unwandelbarer und wandelbarer Natur ?
Wenn die Welt der Erscheinungen , die Modi , vergänglich sind , ist dann nicht Wechsel und Werden in der Natur ?
Ist Gott , der in allem ist , auch in den Modis ?
Und sollte jener Wechsel der Erscheinungen dann sinnlos sein ?
Woher käme auch plötzlich das Nichtnotwendige in den eisernen Ring des Seins ?
Wie käme der Zufall in Gott ?
Woher kamen und wohin gehörten die " inadäquaten Ideen " unserer Imagination ?
Gehörten sie auch zu Gott , zur ewigen Substanz ?
Oder wohin gehörten sie sonst ?
So wuselten in Asmussens Gehirne die Fragezeichen wild durcheinander .
Und endlich kam er zu dem Ergebnis :
Was Spinoza gab , das war gar nicht Erkenntnis , sondern ein von vornherein fertiges vermeintliches Wissen .
Seine Lehre begann damit , zu sagen , was Gott , was die Substanz , was die Natur sei , und aus dieser vermeintlichen Wahrheit spann er alles andere heraus wie die Spinne den Faden aus ihrem eigenen Sekret .
Kein Wunder , daß er nichts Unerkennbares anerkannte , wenn ihm das Erkenntnis war .
Ohne Zweifel war dies Lehrgebäude der kühnste und genialste Versuch , den die Deduktion jemals unternommen hatte , und in sich war es von imponierender Klarheit und Festigkeit .
Asmus aber war ein leidenschaftlicher Freund der Klarheit nicht im luftleeren , sondern im körpererfüllten Raume .
Diese Lehre gewährte ihm nur das Vergnügen einer Mathematik , nicht den Segen einer Philosophie .
Die Entdeckung eines Bakteriums war ihm - nicht aus Nützlichkeitsgründen , sondern um der reinen Erkenntnis Willen - unendlich viel mehr wert als die ganze Lehre Benedikt Spinozas .
Er war bis in die Wurzel seines Wesens konkret und induktiv ; er wollte zur Erkenntnis emporsteigen , vom festen Boden der Wirklichkeit aus , hinauf freilich bis in die höchsten Höhen einer echten Denkersehnsucht .
Er hätte nie der Metaphysik entraten mögen ; sie war seiner deutschen Seele Bedürfnis ; er wollte auch keinem Menschen verwehren , einen Turm von Babel bis in die höchsten Himmel Gottes zu bauen ; aber daß man diesen Bau mit dem Dach beginnen könne , das wollte ihm noch immer nicht einleuchten .
Rein und vollkommen stimmte Asmus nur mit dem Endziel jener Lehre überein :
Ein selbstloses Leben in der Erkenntnis Gottes , in der Liebe zu ihm und zu den Menschen - und der wunsch- und leidenschaftslos Einsiedler , der diesem Ideal aufstellte , hatte es ja - als Einsiedler - verwirklichen können .
Daß aber jemand durch seine Lehre zu diesem gottseligen Glück gelangen werde , das erschien äußerst zweifelhaft .
Freilich , daß es noch im 19. Jahrhundert wenig verschlug , wenn man die Menschen zur Liebe gegeneinander ermahnte , das war nicht Spinozas Schuld .
Auch Asmus belog sich nicht dahin , daß er die allgemeine Nächstenliebe und die vollkommene Selbstlosigkeit kenne .
Erst mußte etwas anderes unter den Menschen allgemein werden : das Recht .
Wenn die Menschen einander ihr Recht gönnten , dann war Hoffnung , daß auch die Liebe kommen werde , die mehr gibt als das Recht. XXVI. Kapitel .
Ein erwachendes Kind , ein Kinderheiland und lauter Glück .
Nach jenem einzigen lichten Tage in der Einsamkeit von Skallö waren Regen und Sturm zurückgekehrt , und als sie immer und immer nicht weichen wollten und auch Hildens Gemüt sich wieder umdüsterte , da ergriffen die Semper mit Freuden eine Gelegenheit , ihren Mietsvertrag mit Anstand zu lösen , packten in wenigen Stunden ihre Habe zusammen und kehrten fluchtartig in die Heimat zurück , wenig erhoben durch den Gedanken , daß sie " ein Vermögen " in die trübselige Bucht von Hjerneborg versenkt hatten .
Als Asmus sich wenige Tage später zu kurzer Ruhe aufs Sofa gestreckt hatte , machte er eine verblüffende Beobachtung :
Die kleine Gesina , die bei ihm im Zimmer spielte - sie war so still , daß sie keinen Schlaf störte - , kroch zu ihm heran , griff mit einer Hand ins Sofa , dann mit der anderen und - richtete sich auf .
Richtete sich auf !
Das war ein Akrobatenstück , das man nicht im Traum von ihr erhofft hätte .
Und dann rief sie :
" Pappa schudecken ! " und zog ihm die Decke über die Schultern , und dann ahmte sie mit der Hand das Zusammenziehen der Fenstervorhänge nach und machte dazu : " Rrr !
Rrr !
Rrr ! " und dann sagte sie im Tone einer allerechtesten Mutter :
" Schooo , nun Schlaf auch schön , mein Schuckerhertsch ! " und dann fiel sie wieder auf den Boden zurück , weil die Kräfte nicht weiter reichten .
Gebannt , in sprachlosem Entzücken hatte er ihr zugeschaut ; dann war er mit einem Satz auf den Beinen , hob das Kind empor , bedeckte es mit Küssen und rannte zu seiner Frau , um ihr das Wunder zu berichten .
Sie versuchten auf jede Weise , das Kind zu einer Wiederholung seiner Leistung zu locken ; es zeigte indessen keine Lust dazu .
Aber am nächsten Tage wiederholte es sein Spiel und lachte dazu .
Und seine Krämpfe traten immer seltener auf und wichen endlich ganz , und immer häufiger lachte es , und immer lebendiger und lauter wurde sein Spiel , und mit einem Kegel schlug es immer mehr und immer tiefere Scharten in sein Tischchen , und die Eltern schauten diesem Zerstörungswerk mit Lachen und ermunterndem Beifall zu , und als man es am Weihnachtsabend an sein Tischchen mit Geschenken setzte , da rutschte es augenblicks mit Entschlossenheit wieder vom Stuhl , ergriff die Tischkante und lief , an ihr sich haltend , rund um den Tisch und rief : " O schüsche Puppe , schüsche Puppe ! " - lief , lief , lief !
Da stürzten den beiden Eltern im selben Augenblick die Tränen aus den Augen , und glücklichere hatten sie noch nicht geweint .
Das war der Segen von Hjerneborg , das war das Geschenk des Meeres , der großen , furchtbaren , gnadenreichen See .
Eine alte , alte Lehre zogen sich die beiden aus diesem Erlebnis , die man , wie alle alten Lehren , erst an sich selbst erfahren muß , ehe man sie annimmt : als ein trauriger , niederdrückender Fehlgriff war ihnen diese Reise erschienen ; bekümmert hatten sie dem mühsam zusammengescharrten Gelde nachgeschaut , das sie dafür hinausgeworfen hatten , und hatten nun dafür eingetauscht , was mit keinem Golde der Welt zu messen war .
Wie oft sieht Glück wie Unglück aus , Unglück wie Glück !
Mit jauchzender , fliegender Seele stürzte er sich da auf eine Ausgabe , die er glückselig mit beiden Händen ergriffen hatte .
Pestalozzis Geburtstag jährte sich zum 150. Male , und Sempern hatten die Kollegen um einen Prolog gebeten .
Pestalozzi sollte er verherrlichen , seinen früh erwählten Heiligen , den Mann mit den unergründlichen Liebesaugen !
Mit zitternder Seele schrieb er , und wie er_es geschrieben , so sprach er es vor vieltausendköpfiger Versammlung :
Ein fremder Klang fürwahr in unserer Zeit :
Der Name Pestalozzi !
Zwar gehört Hat man ihn oft genug in diesen Tagen ; Herab von tausend Rednerbühnen klang er Und hallte nach von Millionen Lippen ; Doch der herabbeschworen Genius findet Ein anderes Geschlecht , als er ersehnt .
War er nicht schwach im Kleinen , stark im Großen ?
Und also ganz ein Gegenteil von uns ?
War er nicht ungeschickt und unbeholfen In allem , was er trieb ?
War er nicht " praktisch " So ratlos und so hilflos wie ein Kind ?
Ach , nicht einmal den eigenen Vorteil kannte er ; Den anderen konnte er helfen , aber nicht Sich selber .
Hat er jemals wohl verstanden , Zu einer " immer gleich gestellten Uhr "
Die Schule umzuwandeln ( wie man es heiß Erstrebt in unserer Zeit ) , zum Mechanismus , Erstaunlich , wunderbar , von einem Punkt aus Geregelt und bewegt und täglich , stündlich Abschnurrend in vortrefflich ödem Ticktack ?
In diesen Walzen , diesen Rädern freilich Bewegung gibt es viel und viel Geschnarre ; Doch ist das Kunstwerk leider , leider tot .
Was Pestalozzi schuf , war nur ein Garten , Von einem ewig frischen Quell genährt .
Aus seinem Herzen stark und eben floß Der immer gleiche , reine Strom der Liebe , Und hundert welke Blumen hoben rings Die müden Köpfchen , von verschmachtetem Gezweig erglänzte junges Frühlingslächeln , Durch halb erstorbene Wesen ließ er rauschen Des Lebens Atem und des Morgens Kraft - Und diese Kunst verstehen wir leider nicht .
Da schlug ihm eine Sturzwelle bekenntnismutigen Beifalls entgegen , die ihn verwirrte ; nur mit Mühe vermochte er sich wieder zu sammeln .
Er , dessen Bild euch grüßt , war ein Genie , Das heißt , er wurde verachtet und gemieden , Das heißt , er wurde verspottet und gehaßt .
Doch solcher Geister köstlicher Besitz Ist ein geheimes , felsenfestes Wissen .
Er brauchte Kinder nur zu seinem Werk :
Denn alles andere besaß er selbst .
Und alle sollten klug und glücklich werden , Die ärmsten und die schmutzigsten und kränksten - Und solcher Kinder fand er bald und viel .
Sie zog er sanft in seinen Zauberkreis .
Und herrlich klingt sein Wort :
" Sie waren außer Der Welt ; sie waren außer Stanz ; sie waren Bei mir und ich bei ihnen . "
Bebt darin nicht Der stille Jubel eines Siegergeistes ? -
Die Neider kamen und verklagten ihn :
Er weicht von den gewohnten Wegen ab !
Er treibt es anders , als wir es Tag für Tag Und Jahr um Jahr zu treiben längst gewohnt ; Er will ein Anderer , Besserer sein als wir .
Es kann nicht gut und echt sein , was er tut , Denn wir Durchschauens , wir Begreifens nicht .
Und als das Werk des Sonderlings man prüfte : Sieh , da durch Wolken drang zum erstenmal Die Sonne Pestalozzis klar und groß , Da wurde des Ruhmes grünster Lorbeer ihm , Als man gestand :
Er weiß die Kraft zu wecken .
Kein höherer Ruhm ist ihm zu Teil geworden ; Denn höheren gewahrt die Erde nicht .
Der Großen edles Vorrecht war_es von je , Im Morgensonnenlicht das Ziel zu zeigen Und neue Wanderfreude zu erwecken In müden selbst und staubbedeckten Seelen .
Und ob er tausendfältig auch geirrt :
Am fernen Morgenhimmel sah er deutlich Die lichten Berge unserer Hoffnung glänzen .
O , war er ganz lebendig noch in uns , O , trüge er uns aus aller dumpfen Kleinheit Zur Freiheit seiner Größe mit empor !
Nun , da er längst gestorben , längst gekrönt , Nun ist es kein Verdienst , zu tausend Kränzen Noch einen neuen Lorbeer aufzuhängen .
Wohlan denn , Brüder , weitet euer Herz , Im Innersten den Helden zu empfangen !
Seid Söhne Pestalozzis , folgt ihm nach , Groß sei euch groß , und klein sei wieder klein ; Weckt aus geheimstem Seelengrund die Kraft .
Zieht ein Geschlecht heran voll eigenen Lebens - Und alle düsteren Schleier dieser Zeit Zerreißen vor dem Sonnenglanz der Freiheit .
An die Feier schloß sich ein Kommers , und im Verlauf des Kommerses bestieg einer seiner alten Lehrer , der strenge , bissige , immer zum Spott geneigte Grammatiker mit der wunderschönen Römerglatze , das Rednerpult und begann eine Rede .
Und mit immer höher zum Herzen steigendem Bangen bemerkte Asmus , daß eine Lobrede auf ihn daraus wurde .
Er saß " kalt durchgraut " , in immer neuen Frostschauern rieselte es ihm den Rücken hinunter , und seine Augen hafteten unlösbar am Boden .
Als Junge hatte er in Indianerbüchern gelesen , wie die Rothäute Messer und Kriegsbeile scharf neben dem Kopfe des angebundenen " Blaßgesichts " in das Holz des Baumes schleuderten .
So war dies .
Und als dann die Rede in ein brausendes Hoch überging . da brach plötzlich der Schweiß aus allen Poren und rann ihm in dicken Tropfen von der Stirn .
Ihm würde nie der vermessene Gedanke gekommen sein , daß man an einem Abend , da man einen Pestalozzi feierte , auch ihn feiern könne ; aber da das Glück ihn überfiel , so hielt er still und war am Ende doch sehr glücklich. XXVII. Kapitel .
Der verschleierte Prophet .
Aus dem erhabenen Gottesfrieden des Pestalozzischen Herzens trat Asmus wenige Tage darauf in die wüsste Schlägerei der Nietzscheschen Philosopheme ; denn nun ging er daran , den verschleierten Propheten der " Moderne " zu lesen .
Gleich bei den ersten Seiten , die er las , empfand er etwas wie einen Faustschlag in die Gegend seines Herzens und wie ein körperliches Zurücktaumeln .
Was das Gemeinsame aller großen Seelen und Geister war : die offene , fragende , sehnende und forschende Hingabe des Herzens an das Große und Ganze der Welt , das war hier nicht ; hier war ein unaufhörlich und wild gestikulierender Mann , der immer nur das eine Wort schrie :
Ich , ich , ich , ich !
Dieser zweifellos geniale Mann wollte nicht die Welt und die Menschheit sehen ; er wollte überhaupt keine Tatsachen sehen ; er wollte nur etwas Neues , Unerhörtes und Verblutendes aus seinem engen und armen Herzen herausspinnen .
Es gibt Revolutionäre , die nur deshalb rebellieren , weil sie nicht Könige sein können .
Dieser Mann rebellierte gegen alle großen Gedanken und Menschen der Geisterwelt , weil er nicht Geisterkönig sein konnte ; er war ein Luzifer , der aus den Elementen Haß und Neid ein Gegenstück zur Gotteswelt backen wollte und so nur eine " Spottgeburt von Dreck und Feuer " zuwege brachte .
Er wollte alle Werte der Menschenwelt vernichten , damit sie von ihm , dem Antichristen , dem neuen Heiland , dem Überwinder Gottes , einen neuen Wert empfange , und als der Wechsel verfallen war , zahlte er mit Seifenschaum .
Das Bild dieses Mannes gab eine Erklärung für seine Philosophie : ein Paar gutartiger , aber tiefkranker Augen über einem gewaltsamen Schnauzbart .
Sicher hatte er die Welt nicht betrügen wollen ; aber krank war er gewesen von Anbeginn und bis in die Wurzeln seines Wesens .
Wie Asmussen die herzlose Temperaments- und Blutsphilosophie dieses Schriftstellers abstieß , so stieß ihn die skrupellose Wortnebelei seines pompösen , raffinierten Agitatorenstiles ab .
Dieser ursprünglich gewiß ehrliche Denkwille verlor , wenn der Wortrausch ihn umnebelte , die Redlichkeit des Denkergewissens , wie sie deutschen Denkern eigentümlich ist .
Wollte man ihn nur als Dichter nehmen - gut ; ein Dichter hat das Recht , nur anzudeuten ; allzu grelle Klarheit kann sogar zum Mangel an ihm werden ; der Denker aber muß genau das sagen können , was er gedacht hat ; kann er es nicht , so hat er es eben nicht gedacht , und er täuscht nur vor , daß er_es gedacht habe , wie Schopenhauer mit so erquicklicher Strebe ausführt .
" Such Er den redlichen Gewinn :
Sei Er kein schellenlauter Tor !
Es trägt Verstand und rechter Sinn Mit wenig Kunst sich selber vor . "
Dies Goethewort war Asmussen eigentlich immer ein oberstes Gesetz für Dichter und Denker gewesen , sicherlich für Denker .
Auch die Psychologie dieses Denkers , sein bestes Teil , beschränkte sich fast ausschließlich aus Andeutungen ; er leuchtete mit roter , qualmender Fackel in Seelenabgründe hinein ; aber er stieg nicht forschend hinab , und dieser Tiefsinn schien Asmussen für einen so bevorzugten Geist wie Nietzsche zu billig .
Dieser Philosoph verherrlichte den Willen zur Macht und fragte nach keinem Recht als nach dem des Stärkeren .
Da Asmussens Leben und Glauben auf der Heiligkeit des Rechts ruhte , so war der Gegensatz vollkommen .
Er sollte übrigens bald nach dieser Zeit erfahren , daß die " neue " Lehre schon auf die unmündige Jugend übergegriffen habe .
Er gab zwei Primanern des Gymnasiums Unterricht im deutschen Aufsatz , und da sie in der Klasse von Machiavelli gehört hatten , so wählten sie , als er ihnen das Thema freistellte , den Machiavelli .
" Gut , " sagte Asmus , " schreiben Sie über Machiavellis Buch vom Fürsten , " und machte sie auf des großen Friedrich " Antimachiavell " und auf Rankes und Macaulays Verteidigung des Italieners aufmerksam .
Er erwartete von deutschen Jünglingen eine flammende Verurteilung des Machiavellismus und erhielt zu seiner größten Überraschung zwei unbedingte Verherrlichungen des skrupellosen Staatsmannes weit über Ranke und Macaulay hinaus in allerdings wenig ergötzlichem Stil .
Als er ihnen seine Verwunderung aussprach , meinten sie , ja , das sei doch die einzig richtige Politik , nicht nur für das damalige Italien , sondern für alle Zeiten und alle Länder .
Nach Herrschaft strebe doch jeder Mensch und müsse auch jeder Staat streben , besonders Deutschland , und die Wahl der Mittel zur Macht sei ganz belanglos ; das sage doch auch Nietzsche .
" So so , " sagte Asmus , " Sie haben Nietzsche gelesen ? "
" Ja , natürlich , " meinten sie .
" Nun , meine Herren , " sagte Asmus lächelnd , " wenn die Herrschaft Ihr höchstes Ideal ist , dann will ich Ihnen einen Rat geben .
Suchen Sie vor allen Dingen eine möglichst unumschränkte Herrschaft über Ihre Muttersprache zu gewinnen .
Ihre Aufsätze lassen diese Herrschaft leider noch immer vermissen . " XXVIII. Kapitel .
Ein Mann des großen Herzens .
Ein freundlicher Zufall führte Asmussen bald darauf von Pestalozzi über Nietzsche wieder zu einem Manne des großen Herzens zurück .
Eines Mittags , als er von der Schule heimkehrte , fand er eine Karte des Prinzen v. Schonndorf-Karlsreuth vor , der ihn bat , am Nachmittag im Union-Klub sein Tischgast zu sein .
Als Asmus im Eingang des Speisesaals erschien , eilte ihm ein hochgewachsener , stattlicher Mann entgegen und reichte ihm beide Hände .
" Seien Sie mir herzlich willkommen , .
Herr Semper , und entschuldigen Sie gütigst mein etwas Kavalleristtisches Vorgehen .
Es ist eigentlich etwas anmaßend von mir , so sans façon auf Ihre Zeit Beschlag zu legen ; aber ich kann nur wenige Stunden in Hamburg sein und wollte Sie doch endlich gern auch persönlich kennen lernen . "
" Ich habe nichts zu entschuldigen , Durchlaucht , " versetzte Asmus , " vielmehr zu danken für so viel alte und neue Güte . "
Mit seinen merkwürdig großen , kinderfrommen Augen und mit seinem schlicht-bescheidenen Wesen schien der Prinz gleichsam jeden , mit dem er verkehrte , zu bitten : Entschuldige , daß ich solch einen Zierat wie Prinzen- und Durchlauchttitel immer mit mir herumtrage ; aber ihn ablegen , geht auch nicht .
Er wußte , daß sein Geburtsadel eine Fügung des Zufalls sei , aus der er kein Verdienst ableiten könne , wußte , daß Rang und Titel leere Formen sind , die man mit Inhalt zu füllen hat , wenn sie wirklich gelten sollen , und erzählte Asmussen bei späterer Gelegenheit lachend , wie er und einige andere Offiziere einem Regimentskameraden , der auf sein Dutzendfürstentümchen sehr hochnäsig gewesen war , geschrieben hätten :
" Was das Sauzischen unter den Würsten , Das bist du unter den Fürsten . "
Die Verpflichtung , adlig zu sein , nahm er dagegen im höchsten Grade ernst , besaß dafür aber auch die natürliche Hoheit des Gesinnungsaristokraten , die zudringliche Vertraulichkeiten gemeiner Naturen schon an der Grenze zurückzuhalten weiß .
Er unterzeichnete seine Briefe gewöhnlich nur mit " E. Schondorf " ; aber nicht , um zu kokettieren : Schau , wie demokratisch ich sein kann ! sondern weil er tief davon durchdrungen war , daß vor Gott und Menschen nur der Mensch und Dichter Ewald Schondorf in Betracht komme , nicht seine zufällige Stellung in der Gesellschaft .
Es gibt " Aristokraten " , die uns , wenn sie uns leicht mit dem Ellbogen angestoßen haben , " tausendmal um Verzeihung bitten " und dabei fühlen lassen :
" Ich behandle dich so schonend , weil du armes Geschöpf nur bürgerlich bist " ; bei dem Prinzen kam alle Zartheit und Rücksicht aus der Demokratie eines großen Herzens , und wenn ihm der Regimentsmedikus Schiller oder der Generalsschreiber Lessing gegenüber gesessen hätte , so hätte er sich in tiefster Ehrfurcht geneigt und gewußt , daß er mehr als Durchlaucht und Kaiser vor sich habe .
Asmus hinwiederum pflegte im Verkehr mit betitelten Herrschaften korrekt zu sein wie ein Oberhofzeremonienmeister , es sei denn , daß er es mit einem Freunde zu tun hatte , der sich Titulaturen verbat .
Er gab jedem seinen Titel bis aufs Titelchen , und vollends dann , wenn der Betitelte sich zwanglos gab .
Man sollte nicht glauben , daß er jene niedrigste Art der Annäherung suche , die den anderen verkürzt ; man sollte nicht glauben , daß er einen Titel höher achte als sich selbst ; das war sein Geburtsstolz .
Auch in den seligsten und geräuschvollsten Mitternachtsstunden nannte er seinen Freund Löwenklau " Herr Baron " , bis dieser einmal krähte :
" Ach was , » Herr Baron « , Sie alter Dschingiskhan !
Von jetzt ab sagen wir » Semper « und » Löwenklau « und » Du « !
Komme her , gib mir 'n Kuß ! "
Asmus war innig erfreut gewesen und hatte sich gesagt :
" Es ist hübsch von ihm , daß er mir das » Du « anbietet ; ich durfte es ja nicht , weil ich der bei weitem Jüngere bin . "
Die Dichtungen des Prinzen waren durchweg von einem tiefen , männlichen , fast schwerblütigen Ernste durchtränkt ; in seine Unterhaltung mengte er gern eine scherzhafte Wendung , die er mit drolliger Trockenheit und gelassener Grazie vorbrachte .
Man sprach über Weib und Kind , und Asmus mußte die Seinen im Geiste vorstellen .
" Ich habe drei Mädels und drei Jungen , " sagte der Prinz .
" Diese Symmetrie wird allerdings bald gestört werden , da meine Frau mir ein Siebentes schenken will . "
" Durchlaucht vergessen den immerhin möglichen Glücksfall , daß Zwillinge kommen . "
" Barmherziger Himmel ! " rief der Prinz mit heiterem Erschrecken .
" Das war nicht meine Absicht .
Ich finde , man spielt immer eine komische Rolle , wenn man mit Zwillingen aufwartet .
Die Leute stellen sich immer das dumme Gesicht vor , das man gemacht haben muß . "
Bald war man bei der Literatur und bei dem neuesten Stück , einem " symbolistischen " Drama .
" Es hat mich sehr enttäuscht , " sagte der Prinz .
" Wissen Sie , was er eigentlich damit will ? "
" Nein , " versetzte Asmus ehrlich .
" Der Held dieses Stückes " , meinte der Prinz , " prahlt immerfort vom großen Christoffer und hat nicht einmal den kleinen gesehen .
Er kontrahiert eine schwere Schuld auf seine vorgebliche große Künstlerschaft hin , und am Verfalltage zahlt er mit leeren , sinnlosen Worten . "
" Das Stück " , meinte Asmus , " enthält ein paar wunderschöne lyrische Stellen .
Wo es allein auf das Herz ankommt , ist dieser Dichter überhaupt stark .
Aber in der Hirnlade fehlt_es , und zu einem großen Dichter gehört nun einmal auch ein großer Geist .
Um den Eindruck des Tiefsinns zu erwecken , führt er verworrene Reden . "
" Von dieser Literatur haben wir schon mehr , " rief der Prinz .
" Und werden allem Anschein nach noch viel mehr davon bekommen . Uns droht eine Blüte der Tiefstaplerlyrik , von deren Früchten dasselbe gilt wie von den Nüssen :
Je dicker die Schale , desto dürftiger der Kern .
Der gute deutsche Michel wird wieder einmal Mund und Nase aufsperren vor diesem ausländischen Gewächs und wird schließlich doch dahinter kommen , daß immer die Kunst auf Stelzen geht , die platte Füße zu verbergen hat . "
" Da ist unser Löwenklau in seiner soldatischen Ehrlichkeit das leuchtende Gegenbild , " fuhr Asmus fort .
" Eines Tages kam er prustend und schreiend in mein Zimmer gestürzt .
» Denken Sie sich , mein Semper , « rief er , » man hat in meinem Gedicht " Der Kringel " eine tiefsinnige Al-le-go-riiiiie entdeckt !! «
( Das Wort » Allegorie « klang aus wie ein langgezogenes » Kikerikiii « ) .
Und dann fuhr er mit ersterbender Stimme fort : » O Gott , o Gott , ich armes Schaf ; daran habe ich ja gar nicht gedacht « !!! "
Der Prinz lachte , und unter hellem Lachen und in einem warmen Klange trafen sich die Gläser zu einer Gesundheit auf Dietrich v. Löwenklau .
" So ist es , " meinte er , " das wirklich Große gibt sich schlicht , oder , wie es unser Wilhelm Raabe so treffend gesagt hat : » Wahre Kunst ist tief , ohne es zu scheinen « . " - - Nicht lange darauf mußte Asmus mit Weib und Kind nach Havelingen , dem Gute des Prinzen , pilgern :
denn Havelingen war ein Musenhof , dessen Beherrscher mit fürstlicher Gastfreiheit alles zu sich lud , was ihm der näheren Bekanntschaft wert erschien .
Das große , reiche Marschengut lag weitab von der Bahn , und so mußten die Gäste mit Wagen eingeholt werden .
Die wundervollen Rosse liefen aber nur mit mäßigster Geschwindigkeit ; denn der Prinz duldete nicht , daß ein Tier überanstrengt werde .
Man nannte ihn einen holsteinischen Tolstoi wegen seines tiefen Mitleids mit aller lebendigen Kreatur ; wo er auf seinen Spaziergängen ein geplagtes Pferd traf , da steckte er ihm heimlich ein Stück Brot zu , und auf Asmussens Frage , ob er auch die Jagd liebe , antwortete er :
" Nein , meine Mordlust ist längst erloschen . "
Doch galt ihm selbstverständlich der Mensch noch mehr als das Tier , und besonders der arbeitende Mensch war ihm ehrwürdig an sich .
Auf seinen Spaziergängen mit dem Prinzen bemerkte Asmus , daß kaum ein Tagelöhner so bald die Kappe lüpfen , noch weniger eine Bauernmagd so bald den Kopf zum Gruße neigen konnte , wie der Prinz seine Mütze zog .
Hinwiederum war ihm jede falsche Sentimentalität und Zimperlichkeit fremd ; er war imstande , eine verlogene und anmaßende Edeldame mit eleganter Schonungslosigkeit in ihre armselige kleine Menschlichkeit zurückzuweisen .
Der Herrensitz dieses wahrhaft erlauchten Dichters stimmte gut zu seiner Dichtung : es war starkes , treues , mildes , sinnendes und träumendes Holstein , vom Hauch der Elbe und des Meeres mit sanftem Ernste überweht .
Das Herrenhaus so schlicht wie nur denkbar ; davor ein großer , herrlicher Rasen , dahinter - eine Seltenheit in der Marsch ! - ein ausgedehnter , schattenreicher Park .
Von seinem Zimmer im Kavalierhause blickte Asmus in ein heimatschönes Dorfidyll von Kirche , Weiher und Gebüsch .
Gärten , Felder und Weiden ringsumher prangten in reicher Fülle , und mit schweigendem Stolze führte der Prinz seine Gäste durch den gesegneten Frieden seiner Fluren und Ställe .
Inmitten dieses Segens und an der Seite einer rührend anmutigen , bezaubernden Frau führte der Weltmann , dem seine innere Welt die große Außenwelt bis auf wenige Menschen entbehrlich machte , das Leben eines schlichten Landmannes und Hausvaters , der frühmorgens sein Jüngstes auf dem Schoße hielt und ihm mit heiliger Geduld ein Ei hineinfütterte .
In dieser Umgebung überraschte es Sempern , als vor der Hauptmahlzeit der Haushofmeister in der Tür des Salons erschien und flüsterte : " Son Altesse est servie . "
Aber auch dieses bißchen Französisch erklärte sich einfach aus der deutschen Treue , mit der der ehemalige Dragoneroffizier seinen ehemaligen Burschen , einen Elsässer , dem das Deutsche Schwierigkeiten machte , festgehalten und mit der der Diener bei seinem edlen Herrn geblieben war .
Nach dem Essen versammelte man sich gewöhnlich im Musikzimmer ; man las eigene und fremde Dichtungen vor ; man holte aus dem an Kostbarkeiten reichen Familienmuseum wohlerhaltene Rokokokostüme und trieb lustige Mummerei und ließ Sempern Lieder von Haydn und Mozart dazu singen , oder die Herren zogen sich ins Rauchzimmer zurück , und der Prinz plauderte von seinen Reisen in Asien und Afrika und von dem Araberscheich , der dem gesottenen Hammel mit dem Finger das Auge ausbohrte und es als erlesensten Leckerbissen mit den Fingern dem Gaste bot , der es höflichst hinunterwürgen mußte .
Im Rauchzimmer blieb Asmus betrachtend vor einem Lukas Cranach d. Ä . stehen .
" Ja , " sagte der Prinz , " das ist ein Cranach .
Er soll 25000 Mark wert sein ; ich würde keine 500 dafür geben . "
Es ist sehr hohe Aristokratie , nicht einmal in Kunstdingen zu lügen und den Mut des eigenen Urteils zu haben .
Mit Gastgeschenken reichlich bedacht , unter hellen Wiedersehensrufen und langem Tücherschwenken schied Asmus mit den Seinen von diesen halkyonischen Tagen , um aufs neue in den Kampf zu gehen .
Ja , in den Kampf ; noch nicht in die große Schlacht , doch in ein ernstes Gefecht. XXIX. Kapitel .
Von dem großen Tröster und Erwecker , von einer verlorenen Schlacht und von Werthers Lotte in dritter Potenz .
Schon seit acht Jahren hatte er seinen Kollegen gepredigt : Bringt die Kunst in die Schule .
Zunächst wollte er den Menschen und den Kindern der Menschen das große Glück und den Trost der Kunst bringen .
" Den müden und verzagenden Menschen ist eine Verheißung gegeben durch die Kunst :
So werden einst die Wiesen leuchten und die Felder , so werden die Hügel klingen und die Haine , so werden die Seelen strahlen und flammen , wie sie flammen , strahlen und klingen in den Gebilden der Kunst !
Die Kunst ist eine ewige Seligkeit auf Erden .
In der Kunst ist all das Erhabene und Schöne , das Gute und Weise , das ihr ersehnt , zur Wirklichkeit geworden .
Nicht zu einer Wirklichkeit , die ihr abpflücken und in den Mund stecken , die ihr zählen und in die Tasche stecken könnt .
Dann hättet ihr keine Sehnsucht mehr , und das wäre das Ende der Menschheit .
Aber doch ist es eine Wirklichkeit , die ihr im Hirn und im Herzen , in Augen und Ohren , in Nase und Zunge , in Händen und Haarwurzeln , in Blut und allen Nerven und Muskeln eures Leibes mit sinnlicher Gewißheit fühlt !
Ein Trostgeschenk Gottes an die Menschheit ist die Kunst , ein Vorgeschmack unserer Vollendung .
Ein Künstler ist ein Mensch , der selige Sinne hat .
Und sein Auge vermag hunderttausend Augen aufzutun , daß sie wie er die stillgeschäftigen Geister ahnen , die über Berg und Tal die Schleier eines neuen Lichtes weben . - "
" Im Evangelium Johannis spricht Jesus zu seinen Jüngeren von dem Beistand , den er ihnen senden werde , wenn er nicht mehr auf Erden wandle .
Dieser Paraklet , dieser Helfer oder Tröster soll an seine Stelle treten und die Gläubigen in die ganze Wahrheit einführen .
In der Kunst ist uns Menschen ein ewiger Beistand und Tröster , ein vor- und nachchristlicher Paraklet gegeben .
Denn in der Kunst ist uns Kraft von der Kraft des Schöpfers , Geist vom Weltgeiste gegeben .
In der Kunst jubelt die Menschenseele :
" Ich kann schaffen !
Ich kann der Idee einen Körper geben !
Ich kann Werke schaffen , die das geheimnisvolle Gesicht der Natur tragen , kann Geist vom unfaßbaren Geiste fassen und halten , Geist , der die Grenzen der Gestalt an allen Enden überragt und ihr darum durch die Jahrtausende Leben verleiht ; in der Kunst kann ich Seligkeiten , kann ich Paradiese schaffen . "
Darum ist die Kunst ein Geschenk des Weltgeistes an die Menschen , das sie mit Händen fassen können , das der Zweifel nicht zerbrechen kann .
Die Kunst ist ein Leib gewordenes Gotteswort , das bleibend unter uns wohnt . "
So und ähnlich hatte er geschrieben und gesprochen .
Aber er wollte den Kindern und Menschen die Kunst nicht nur als ein Glück und einen Trost geben , sondern auch als eine Kraft .
Er konnte es einfach nicht fassen , daß man bisher von harmonischer Bildung aller menschlichen Anlagen gesprochen und dabei eine Hauptfunktion der menschlichen Seele vergessen hatte : die künstlerische .
Man hatte immer nur den Intellekt und den sittlichen Willen zu bilden versucht und seltsamer Weise nicht gemerkt , daß sie gar nicht wirksam zu bilden sind ohne die künstlerischen , die schaffenden Kräfte im Kinde , daß seine Vorstellungen und Strebungen erst die Fülle und Wärme des Lebens erhalten durch Weckung der selbstschaffenden Kraft .
Nun sollten aus allen deutschen Landen die Volksschullehrer in Hamburg zu Tausenden zusammenkommen , und Asmus sollte , von einer Schar gleichgesinnter und stillbegeisterter Genossen gestützt , für die künstlerische Erziehung den gleichen Rang und die gleiche Liebe fordern , die man der geistigen und sittlichen gewährte .
Er kannte die Widerstände .
Da waren die , denen das Wort " Utopie " immer vorn auf der Lippe sitzt und die nur zu blasen brauchen , daß es herunterfalle ; da waren die , die diese abscheuliche Neuerung herrlich gefunden hätten , wenn sie von ihnen gekommen wäre ; da waren die , die von der Gewalt der neuen Rivalin für den Glauben und für die Sittlichkeit fürchteten , da waren die Banausen , die von irgendwelchem Werte der Kunst überhaupt nichts fühlten ; da war vor allen Dingen die große , die gefährlichste Maße der " maßvollen " Bremser mit ihrem angeborenen " Sachte , sachte ! " in den gnädig lächelnden Zügen , jene Leute , denen die Kunst wohl ein recht angenehmes Sonntagsnachmittagsspielchen ist , aber doch unmöglich eine elementare Erziehungsgewalt , die " das bewährte Alte " in seinen Grundfesten erschüttern könnte !
" Stellen Sie , " rief Asmus , " stellen Sie die Sittlichkeit und die Religion auf den höchsten Gipfel Ihrer Imagination :
wir stellen die Kunst daneben .
Das wird freilich nicht begreifen , wer in der Kunst nur eine feinere Vergnügungsanstalt sieht ; aber begreifen wird es , wer die erziehende Gewalt der Kunst an sich erfahren hat und wer meinen heutigen Worten darin zustimmt , daß die Kunst ein helltönendes und gewichtiges Wort in unserer Weltanschauung spricht , daß sie den Inhalt unseres Denkens unendlich bereichert , unserem Denken selbst eine im höchsten Sinne philosophische Haltung und eine produktive Beweglichkeit gibt , daß sie unsere psychologische Beobachtung wie keine andere Macht vertieft und damit die wirksamste Vorschule der Sittlichkeit gibt , daß sie vermag , dem Sumpfe niederen Vergnügens mit unvergleichlich lockender Gewalt zu entziehen , daß sie uns Mut zum Leben macht , weil sie ein ewiges Denkmal menschlicher Schöpferkraft und also ein Unterpfand unserer Hoffnung auf Vollendung ist , und weil sie unsere Geister und unsere Herzen den Frieden zwischen Geist und Sinnen , zwischen Natur und Gesetz lehrt , weil sie unseren Leib und unsere Seele , unser ganzes Wesen eingewöhnt in das Glück und in die Tugend des Schönen . "
Wie gesagt : Asmus kannte die Widerstände , die wider ihn auf dem Sprunge lagen ; aber er hatte sich ihren Kampf doch anders gedacht .
Zehn Minuten lang hörte die vielköpfige Menge ihn schweigend an ; hier und da rief auch einer " Bravo ! " -
dann fühlte man sich beunruhigt und begann zu murren ; dann ging man zum Lärmen , zu zornigen oder höhnischen Zwischenrufen über ; endlich schrie man , in der Angst , daß doch jemand überzeugt werden könnte :
" Schluß ! Schluß ! " obwohl Asmus überhaupt nur 20 Minuten Redezeit hatte .
Wenn den Menschen gar zu ungewohnte und gar zu unbequeme Gedanken entgegentreten und sie doch ein dunkles Empfinden spüren , daß diese Gedanken einmal siegen könnten , dann springt die Wut in ihnen auf .
Es war ein deutlicher Mißerfolg , und dem kleinen Häuflein der Hamburger blieb nichts übrig , als sich , in geschlossener Ordnung um seine Fahne geschart und mit dem Rufe : Wir kommen wieder ! furchtlos fechtend zurückzuziehen .
Wäre es ein kriegsgerechter , ritterlicher Kampf mit guten oder schlechten Gründen gewesen , so hätte Asmus sich leicht mit der Hoffnung auf den gewissen künftigen Sieg getröstet .
Aber hier war Unreines in die Wunde gekommen .
Man hatte geschrien , und Schreien war kein Argument .
Zum ersten Male fühlte er wie etwas Physisches die Häßlichkeit der Maße .
Geliebt hatte dieser Demokrat die Maße als solche niemals .
Er hatte in Volksversammlungen zu oft erlebt , wie die Maße den größten Torheiten und den verlogensten Phrasen beifiel , und das Wort jenes griechischen Redners , der , als man ihm Beifall spendete , sich unterbrach und fragte :
" Habe ich denn etwas Falsches gesagt ? " war ihm nur zu verständlich .
Aber sein volksfreundliches und revolutionäres Herz trieb ihn dann wieder , zu fragen .
Können sie für ihre Unwissenheit und Roheit ?
Nein , mußte er antworten .
Soll man sie mit Gewalt unterdrücken ?
Nein und abermals nein .
Das würde sie nur schlimmer machen und alle bösesten Instinkte der Herrschenden begünstigen .
Bleibt also immer nur das Eine :
sie besser machen , sie durch Freiheit für die Freiheit reifen lassen .
Hatte somit die Maße seine Ideen zurückgewiesen , so begegnete er ihnen in der Folgezeit immer öfter bei einzelnen , von denen freilich viele seine Hüte trugen , nachdem sie seinen Namen daraus entfernt hatten .
Einen Druck auf der Brust , wie ihn diese verlorene Schlacht verursachte , konnte er aber eigentlich gar nicht brauchen ; ihn drückte schon genug , und die Last des Doppelberufs , des dreifachen Berufs drohte ihn zu erdrücken .
Seit einiger Zeit lud man ihn auch von auswärts zu Vorträgen und Rezitationen ein ; aber da die Schule unter keinen Umständen leiden durfte , so mußten diese Reisen sozusagen " im Gedränge " und unter Zuhilfenahme nächtlicher Eisenbahnfahrten ( dritter Klasse ) erledigt werden .
Er konnte aber in einem Eisenbahnzuge um alles in der Welt nicht schlafen , um so weniger , als die Erregung solcher Vortragsabende noch tagelang in seinen Nerven nachzitterte .
Wohl war es eine glückliche Erregung , und auch , wenn er nach solcher " verlorenen " Nacht am Morgen vor seiner Klasse stand , hielt die Spannung der Nerven Geist und Körper noch aufrecht ; aber dann , wenn er endlich heimkehrte , kam ein kleiner Zusammenbruch , und er schlich so langsam nach Hause , daß er sich bei seinen jungen Mannesjahren schämte .
Und freilich - wenn er dann in die Küche trat und Hilden sah , wie sie , Gesina auf dem Arm , am Herde hantierte , während Leonarda an ihrem Kleide hing und auf tausend Fragen Antwort wünschte , wie sie zu gleicher Zeit Wolfram aus der Fibel lesen ließ und Isoldes erste Schreibversuche überwachte , wenn er sah , wie sie alles mit lächelnder Liebe lenkte , wenn diese Frau dann ihn , ihren Mann , noch mit glückstrahlenden Augen grüßte und wenn er daran dachte , daß diese Frau ihm vor kurzem wieder zwischen Lächeln und Weinen das Geheimnis einer Hoffnung ins Ohr geflüstert hatte - dann sagte er sich :
Wenn sie das vermag , was mußt du dann können ?!
Froh und stolz hatte Hilde die Pflicht übernommen , ihre Kinder in den ersten Jahren selbst zu unterrichten ; sie glaubte , ihnen kein schöneres Geschenk machen zu können , als wenn sie ihnen mindestens noch zwei Jahre frühen und freien Kinderglücks schenkte .
Als sie noch Lehrerin gewesen war , hatte ihr eines Tages eine gar nicht wohlhabende Mutter in dankbarer Begeisterung einen Taler in die Hand gedrückt und durchaus nicht verstanden , warum das Fräulein die Gabe lachend zurückwies .
Wenn Asmus sah , wie Hilde ihre Kinder lehrte , dann hätte er ihr oft gar zu gern ein Geschenk in die Hand gedrückt ; aber so viele Millionen Taler besaß er leider nicht .
XXX. Kapitel .
Herr Semper hängt wieder am Perpendikel und pendelt zwischen Geburt und Tod .
Als wieder einmal der Sommer gekommen war , konnten die beiden Semper ein doppeltes Geburtsfest feiern , ein lautes und ein leises .
Das laute verdankte man Sigrun , der jüngsten Zierde des Sämperigeschlechts , die rosig und rund ins Leben gesprungen war und mindestens so gut strampelte und schrie wie ein Junge .
Daß sie kein Junge war , wie man , nur der ergötzlichen Abwechslung halber , erwartet hatte , machte den Eltern im übrigen nichts aus .
Sie hatten sich noch immer nicht zu der Auffassung entschließen können , daß ein Knabe etwas Wertvolleres sei als ein Mädchen .
Für das Vaterland und alles Gute und Große der Welt kann das eine kämpfen wie das andere .
Das leise , ganz leise Geburtsfest begab sich einstweilen nur in der Seele Asmussens .
Lust und Gedanke waren in ihr entkeimt , in einem Lustspiel die Befreiung der hoffnungsstarken deutschen Seele von fremdländischer Umklammerung zu zeigen .
Denn seiner eigenen Seele war es des allesbekrittelnden , allesbezweifelnden , allesverneinenden , müden , krankhaften , weltverdrossenen und welteklen Getues im deutschen Geistesleben nun endlich zu viel geworden .
Mit hochwogenden Gefühlen eines neubeglückten Doppelvaters ging er im Zimmer der " hohen Wöchnerin " - jedes Weib ist in solchen Tagen eine Hoheit - ein und aus , bis er eines Mittags , als er sich wieder über das Bett der Geliebten neigte und ihr von seiner Hoffnung erzählen wollte , auf ihren blassen Zügen nur ein kümmerliches Lächeln fand , das schnell erlosch .
" Fehlt dir was ? " fragte er bestürzt .
" Ach , " hauchte sie , " es wird ja nichts sein ; ich habe so dumme Schmerzen hier , " und sie zeigte nach ihrem Herzen .
Und dann schlug sie voll die Augen auf , und aus diesen Augen kam ein langer , trauriger Blick .
" Ich habe zum Arzt geschickt , " flüsterte sie , " es ist dir doch recht ? "
" Du Närrin , " schluckte er , " was ist das für eine Frage ! "
Er mußte seine Bestürzung hinunterschlucken , um ihr nicht unnötige Angst zu machen .
Er wußte : wenn sie sich zu einem Leiden bekannte , dann war es ein schweres Leiden .
Er sah ihre Ermattung , küßte sie mit leisesten Lippen auf Stirn und Augen und schlich hinaus .
Kaum hatte er die Tür lautlos hinter sich zugedrückt , so rannte er zum Arzt , um ihn zur Eile zu spornen .
Der Arzt kam , untersuchte und sagte , als er mit Asmus allein war :
" Ich kann noch nichts sagen .
Es kann Brustfellentzündung sein ; aber ich weiß es noch nicht .
Ich komme heute abend wieder . "
" Halten Sie es für bedenklich ? "
" Auch das läßt sich noch nicht sagen .
Wir wollen hoffen , daß das Fieber nachläßt . "
Am Abend war das Fieber gestiegen .
Die Ruhe und Umsicht , mit der der gute Dr. Cajus untersuchte , fragte und seine Schlüsse zog , waren Asmussens einziger Trost ; er wußte sein Liebstes wenigstens in den treuen , gewissenhaften Händen eines Freundes .
Am zweiten Tage kam Cajus wieder zweimal , am nächsten Tage dreimal .
Das Fieber stieg .
" Ich halte es für eine Embolie , " sagte der Arzt ; " aber ich würde vorschlagen , noch einen Spezialisten zu Rate zu ziehen . "
" Tun Sie , ohne mich zu fragen , alles , was Sie für wünschenswert halten , " erwiderte Asmus .
Am folgenden Tage erschien Cajus in Begleitung des Spezialisten ; sie verweilten lange bei der Kranken und hatten danach eine lange Unterredung im Wohnzimmer .
Der Frauenarzt bestätigte die Diagnose seines Kollegen ; es war eine Embolie , die Brust , Rippen und Zwerchfell entzündet hatte .
Da hing nun Asmus , der in den letzten Wochen wieder freudig-festen Fußes den Erdboden getreten hatte , da hing er plötzlich an einem dünnen Faden mitten zwischen Himmel und Hölle .
Jeden Augenblick konnte der Faden zerreißen ; in jeder Minute , in jeder Sekunde bedrohte ein gottverdammter Blutpfropfen das Leben des Besten , was er auf Erden besaß !
Ach , wohin waren auf einmal alle Poetenpläne , wo waren alle pädagogischen Zukunftsträume !
Seine Tage und Nächte waren ein unablässiges Harren und Hoffen , daß der heimtückische Embolus sich dennoch endlich zur Gutartigkeit bekehren und in dem Strom dieses starken , edlen , kostbaren Blutes zergehen möchte !
Selbst an seine Kinder dachte er nicht ; er überließ sie fast ganz der Pflege des treuen Dienstmädchens und der Wärterin .
Aber aus dieser Stumpfheit sollte er aufgerüttelt werden .
Eines Morgens klagte sein achtjähriges Söhnchen über seinen Hals , und als der gute Cajus kam , stellte er Diphtherie fest .
Nun gab es ein großes Kunststück zu vollführen : wenn ihr Junge nicht mehr an ihrem Bette erschien , dann mußte die Mutter Verdacht schöpfen ; man mußte ihr also sagen , daß er krank sei , ihr aber die wahre Natur der Krankheit verheimlichen .
Man mußte mit möglichst glattem Gesicht " eine harmlose Angina " vorschwindeln und mußte ihr dabei sogar in die angstvollen Augen sehen können , ohne zu zucken .
Und dann gab es ein anstrengendes Pendeln zwischen zwei Krankenzimmern , zwischen Angst und Angst .
In diesen Tagen erhielt Asmus von einer Zeitschrift ein Telegramm , in dem er gebeten wurde , doch recht bald wieder " etwas recht Humorvolles " zu schicken .
Die Zeitschrift pflegte sehr anständig zu zahlen , und das konnte man jetzt brauchen .
Am nächsten Morgen , als in keinem der beiden Krankenzimmer eine unmittelbare Gefahr vorzuliegen schien , begab er sich ans Werk .
Er kam sich vor wie ein armer Komödiant , der mit einem Herzen voll Weh und Angst auf der Bühne den Lustigmacher spielen soll .
Er hätte es trotz allem nicht vermocht , wenn er nicht schon seit einiger Zeit eine ausgereifte Frucht mit sich herumgetragen hätte ; er brauchte eigentlich nur hinzuschreiben , was in seinem Inneren schon Gestalt und Gesicht gewonnen hatte .
Dennoch warf er wieder und wieder die Feder von sich und dachte :
Es ist ein Frevel , was du treibst ! und dachte dann wieder :
Wenn du frevelst , so tust du es für Weib und Kind ; es kann kein Verbrechen sein .
Und mit ächzender Feder und ächzender Brust schrieb er weiter und horchte bald nach rechts und bald nach links und stand von Zeit zu Zeit auf , um seinem Jungen den Umschlag zu erneuern oder seiner Hilde ein Lächeln zu bringen und womöglich eines dafür einzutauschen .
Aber solch ein Lächeln wurde immer seltener ; sie konnte nicht lächeln , nicht weinen , nicht atmen und nicht schlucken ohne die grimmigsten Schmerzen .
Sie schmachtete viele Stunden lang , bis ihr die Zunge am Gaumen klebte , und wagte nicht , die Wärterin um einen Trunk zu bitten , weil sie sich vor dem Schlucken fürchtete .
Und da sie nicht essen und trinken konnte , ermattete sie mehr und mehr , und der hellste Tag schien ihren Augen eine immerwährende Dämmerung .
An einem Sonntag kam Salomon Freudenthal ganz leise zur glockenlosen Haustür herein .
" Du verdammter Kerl , " flüsterte er , " ich höre heute , daß deine liebe Frau krank ist , und du sagst mir kein Wort ?
Ich wollte dir nur sagen : wenn du Hilfe brauchst - du hast doch jedenfalls große Ausgaben - ich stehe natürlich zur Verfügung - "
" Du lieber Kerl , " rief Asmus , und es schoß ihm heiß in die Augen vor Glück , " ich danke dir tausendmal !
Vorläufig geht es noch : wenn ' s nottut , komme ich .
Ich will es meiner Frau sagen , daß du dich nach ihr erkundigst ; sie wird sich freuen . "
Hilde schien ihm besser auszusehen als sonst ; ihre Wangen waren leicht gerötet ; die Augen hatten Glanz .
" Freudenthal ist da und wünscht dir alles Gute , " sagte Asmus .
Sie lächelte dankbar und hauchte an seinem Ohr :
" Wenn du mit ihm spazieren gehen willst , gehe nur ruhig . "
" Wirklich ?
Geht es dir denn besser ? "
"- Ganz gut .
Wie geht_es Wolfram ? "
" Sehr gut ; er darf wieder aufstehen .
Ich will eine Stunde Luft schöpfen , dann bin ich wieder da . "
" Tu das , du Armer , " flüsterte sie .
" Ich arm ? -
So lange du mich liebst , bin ich der reichste Mann der Welt . "
- " Ich habe dir auch 'ne feine » Bock « mitgebracht , " sagte Freudenthal .
Asmus dankte gerührt , und sie spazierten in die Felder hinaus .
Er erzählte dem Freunde seinen Lustspielplan .
" Die Idee ist gut , " meinte Freudenthal , " das kann was werden . "
- Hilde hatte ihren Asmus gehen lassen , obwohl sie das Gefühl hatte , daß sie bald sterben müsse .
Aber ein paar Stunden , dachte sie , werde sie wohl noch leben .
Und wenn er zurückgekommen war , wollte sie mit ihm über die Kinder sprechen , ihm sagen , was er mit ihnen anfangen solle , wenn sie nicht mehr da sei .
Aber als er dann wieder daheim war , ließ sie ihn dennoch nicht rufen .
Sie brachte es nicht übers Herz , ihn zu erschrecken .
Und als dieser Sonntag sich dem Abend zuneigte und sie aus kurzem Schlummer erwacht war , da war es plötzlich viel heller in ihrem Zimmer .
" Wie spät ist es ? " fragte sie die Wärterin .
" Sieben , " sagte die .
" Morgens ? "
" Nein , abends ! " lachte die Wärterin .
Da war am Abend der Morgen gekommen .
Erleichterten Herzens schlief sie ein und schlief die ganze Nacht durch und erwachte am Morgen mit frischeren Sinnen .
Die Wut der Krankheit war gebrochen .
- Einige Tage später , als sie wieder ein wenig plaudern konnte und ihre weiche Stimme wieder klang - " ein köstlich Ding bei Frauen " , sagt der alte Lear - da lächelte sie ihren Gatten schalkhaft an und sagte : " Du kluger Mann ! "
" Wieso ? " fragte Asmus , dessen Gesicht in diesem Augenblick allerdings nicht auf Klugheit schließen ließ .
" Du kluger Mann , der du dir einbildest , ich hätte an die Harmlosigkeit von Wolframs Krankheit geglaubt !
Wenn es so harmlos war , konnte er doch zu mir kommen .
Außerdem kenne ich ja nachgerade meines Mannes Gesichter . "
Auch das hatte sie gelitten - und hatte geschwiegen .
" Du kluge Frau ! " , sagte er ernst , in andächtiger Betrachtung ihrer edlen Züge .
" Es gibt Frauen , die klug und doch mit aller Lieblichkeit und Anmut ihres Geschlechts umkleidet sind .
Solch ein Weib will ich in mein Lustspiel stellen .
Aber sie sind selten .
Kannst du mir nicht ein Modell nachweisen ? "
O selige Tage der Genesung !
Sie errötete und fragte : " Hast du denn schon angefangen ? "
" Ach , wo denkst du hin ! " rief er .
" Ich habe jetzt andere Dinge im Kopf .
Ich muß den Friedenskongreß empfangen . "
Zum ersten Male sollte der Internationale Friedenskongreß auf deutschem Boden Tagen , und zwar in Hamburg , und da Asmus der Hamburgischen Friedensgesellschaft vorstand , so hatte er für einen würdigen Empfang zu sorgen .
Er machte sich also mit einem Vorstandsgenossen auf zum regierenden Bürgermeister Dr. Veldkamp. XXXI. Kapitel .
Der Kämpfer als Friedensapostel .
Als Asmus Sr. Magnifizenz gegenübersaß , fühlte er , daß er kein leichtes Spiel haben werde .
Denn erstens war Veldkamp ein alter Hamburger , also sehr konservativ und zugeknöpft , zweitens war er ein alter Jurist , also für die nicht rechtsgelehrte Menschheit ein hartgesottener Bissen , und drittens schien er nach seinen Zügen magenleidend zu sein .
Durch ein vorangegangenes Schreiben Asmussens kannte er den Zweck dieses Besuches .
Mit einem grämlichen Lächeln begann er :
" Sie erstreben also den ewigen Frieden , meine Herren .
Versprechen Sie sich denn einen Erfolg von Ihren Bemühungen ? "
" Keineswegs einen baldigen , " versetzte Asmus als Sprecher der Deputation .
" Aber man soll ja für Ideale streben , die sich erst nach Jahrhunderten oder Jahrtausenden und vielleicht niemals ganz erfüllen können . "
" Ja , wie wollen Sie es denn überhaupt erreichen ?
Durch Abrüstung ?
Sagen Sie Mal England , daß es seine Flotte abschaffen soll . "
" Ich halte den Gedanken der Abrüstung für ganz wertlos .
Nach welchen Grundsätzen sollte man die militärische Stärke eines Landes fest setzen ?
Sie setzt sich ja aus hundert Faktoren zusammen , nicht zuletzt aus unwägbaren Dingen .
Außerdem braucht z. B. Deutschland eine größere Verteidigungsmacht als gewisse andere Länder .
Ich bin Anhänger der Friedensidee ; aber wenn England uns bekriegt , bin ich dafür , daß wir ihm das Leder gerben .
Die Abrüstung ist also ein unlösbares Rechenexempel .
England würde uns freilich mit einem huldvollen Lächeln belohnen , wenn wir abrüsteten , und würde seine Flotte behalten , um uns frei bestehlen zu können . "
" Na , da sehen Sie_es !
Right or wrong - my country ! -
das hat England groß gemacht . "
" Reich jedenfalls , wenn auch nicht groß .
Der Grundsatz » riecht or wrong - my country « ist nach meinem Empfinden Gaunerpatriotismus .
Gewiß , wenn mein Land den Krieg freventlich verschuldet hat und nun in Gefahr ist , werde ich für seine Rettung kämpfen ; aber ich werde wahrscheinlich schlecht kämpfen ; denn in meinem Herzen kann sich Unrecht niemals in Recht verwandeln .
Und so lange es mir mein Gewissen irgend erlaubt , werde ich meinem Lande , wenn es im Unrecht ist , sein Unrecht vorhalten . "
" Sie sprechen von Recht , Herr Semper .
Macht geht immer vor Recht . "
" Jedenfalls oft , Herr Bürgermeister ; aber das Recht folgt hinterdrein .
Wenn Macht immer vor Recht gegangen wäre , wie wäre dann überhaupt Recht in die Welt gekommen ?
Ew. Magnifizenz werden Kants Schrift » Zum ewigen Frieden « besser kennen als ich .
Er weist darauf hin , wie das Recht immerhin schon so viel Gewalt habe , daß selbst die Verbrecher , die Kriege anzetteln , genötigt sind , ihrer Sache den Mantel des Rechts umzuhängen .
Und , Herr Bürgermeister , verzeihen Sie dies argumentum ad hominem - herrscht in dem Staate , der sich Ihrer Regierung erfreut , nur die Macht oder das Recht ? "
" Sie hätten keinen üblen Anwalt abgegeben , " meinte Veldkamp schon etwas freundlicher .
" Aber bedenken Sie denn nicht , daß eine Regierung nur Recht walten lassen kann , wenn sie die Macht dazu hat ? "
" Also kann auch das Recht im Besitze der Macht sein ! " rief Asmus lebhaft , " und eben das ist unser Bestreben : das Recht immer mehr in den Besitz der Macht zu bringen .
Ich bitte Sie , Herr Bürgermeister , in uns keine Schwarmgeister zu erblicken ; ich wenigstens suche überall den denkbar wirklichsten Boden .
Aus der Güte des Menschenherzens wird der ewige Friede niemals erblühen .
Eher noch kommt er vielleicht aus der Vervollkommnung der Mordwaffen .
Wenn man in Berlin durch einen Druck auf den Knopf Paris in Staub zerblasen kann , wenn man durch Flugmaschinen - ich bin überzeugt , daß wir einmal fliegen werden - ( hier lächelte Se. Magnifizenz väterlich ) aus sicherer Höhe Mord und Brand herabsenden kann , dann wird es mit dem Krieg oder mit der Menschheit zu Ende sein .
Vorläufig aber wollen wir Friedensfreunde es mit dem Recht versuchen .
Das Recht ist in der Welt , wie die Wahrheit in der Welt ist : ohne Zutun und Verdienst der Menschen .
Wie die Wahrheit immer wieder durchscheint , wenn man sie auch mit tausend Lügennetzen umsponnen hat , so steigt das Recht auch aus den tiefsten Gräbern , die ein Krieg ihm graben mag .
Darin erblicke ich die » göttliche Weltordnung « , und das macht mir diese Welt bewohnenswert . "
" Und durch welche Mittel wollen Sie das Recht in den Besitz größerer Macht bringen ? " fragte der Bürgermeister interessiert .
" Ich sagte schon , daß es sich eigentlich selbst durchsetzt durch seine immanente Gewalt .
Aber es ist für uns selbst heilsam , wenn wir ihm zu Hilfe kommen .
Ich denke mir das so .
Heutzutage werden Kriege nur noch selten von Fürsten , öfter schon von ihren Ratgebern , im allgemeinen von Interessentengruppen angestiftet , die vom Kriege Vorteil erhoffen dürfen .
Schlagen muß den Krieg noch immer das Volk .
Kein Volk will aber von Haus aus einen Krieg .
Es muß dazu aufgereizt werden .
Was es aufreizt , kann die Stimme des Rechts sein ; meistens ist es die Stimme des Unrechts .
Für eine schlechte Sache aber kann sich ein Volk nur erbärmlich schlagen ; es muß also belogen werden .
Immer findet sich eine von den Interessenten gekaufte Presse , die das Volk schamlos belügt .
Es ist also unsere Aufgabe , den Völkern immer deutlicher zu machen , daß sie Krieg und Frieden in der eigenen Toga tragen , sie immer mißtrauischer zu machen gegen Zeitungs- und Diplomatenlügen , es immer unwahrscheinlicher zu machen , daß ein Volk für eine schlechte Sache ins Feld ziehe , und für die , die es dazu verleiten , das Spiel immer gefährlicher zu gestalten . "
" Da brauchen Sie eine lange Geduld , Herr Semper . "
" Eine unendliche , Herr Bürgermeister !
Das wissen wir . "
" Ein Volk wie die Franzosen können Sie mit einer Handvoll Phrasen in jeden Krieg hetzen . "
" Dann werden sie es auch büßen müssen wie 1870 , " versetzte Asmus .
" Aber übersehen Sie denn ganz , Herr Semper , " rief Veldkamp abspringend , " daß der Krieg auch etwas Großes und Herrliches sein kann , daß er die besten Eigenschaften eines Volkes zur Entfaltung bringt ?
Denken Sie nur an 1813 ! "
" Die Befreiungskriege waren Kriege der heiligsten und gerechtesten Notwehr und sind und bleiben eine ewig verehrungswürdige Volkserhebung in jedem Sinne .
Welcher Deutsche könnte anders denken !
Und doch , Magnifizenz : können wir darum die Wiederkehr eines solchen Krieges wünschen ?
Dann müssen wir doch auch die Wiederkehr seiner Voraussetzungen , aller Verbrechen und Leiden wünschen , die ihm vorausgingen .
Wer einen Befreiungskrieg will , muß auch einen Napoleon wollen .
Und ist dann die Summe dieser Größen wirklich ein Segen ? "
" Herr Semper , Sie sind ja Schriftsteller , wie ich gehört habe .
Denken Sie an das , was unser Schiller vom Kriege gesagt hat : Alles erhebt er zum Ungemeinen , selber dem Feigen erzeugt er den Mut . "
Asmus war schier gerührt ; Verse im Munde eines alten Hamburger Juristen , das ist so , wie wenn durch die Spalte eines langen , kahlen Bretterzauns eine Blume schaut .
" Schiller " , sagte Asmus , " hat im » Wallenstein « und » Tell « auch anderes gesagt .
Gewiß kann der Krieg heroische Eigenschaften erwecken und die Kraft eines Volkes offenbaren , ja , er kann eine der herrlichsten Tugenden erwecken , den Opfermut .
Aber unterdrückt er nicht auch edelste Kräfte , und erweckt er nicht mindestens in gleichem Maße die scheußlichsten und niedrigsten Triebe und Begierden der Menschen ?
Rafft er nicht die Besten eines Volkes hinweg ?
Ich darf Sie vielleicht an das von Kant zitierte Wort des Griechen erinnern : » Der Krieg ist darin schlimm , daß er mehr böse Leute macht , als er deren wegnimmt « .
Ich denke nicht einmal sentimental vom Kriege .
Von einer Kugel verwundet oder getötet zu werden , ist gewiß nicht die schlimmste Pein dieser Welt ; die Welt des Friedens hat stillere , aber tiefere Qualen als die Welt des Krieges .
Und fürs Vaterland zu sterben ist süß und ehrenvoll .
Nein : der tiefste Schrecken des Krieges ist , daß er die Kanone - nicht nur zum Scharfrichter ; das darf sie sein - sondern zum Richter macht und damit das Fundament nicht nur der Reiche , sondern der ganzen menschlichen Gesellschaft : die Gerechtigkeit , in Trümmer schießt .
Wenn der liebe Gott immer auf der Seite der stärksten Bataillone ist , dann ist er ein Teufel . " XXXII. Kapitel .
Herr Semper ist in Gefahr , von zwei Pferden auseinandergerissen zu werden .
Natürlich hatte Asmus sich nicht geschmeichelt , den alten souveränen Herrn im Armsessel überzeugen zu können ; aber er hatte erwartet , daß Hamburgische Liberalität und Großzügigkeit auch in diesem alten Herrn nicht versagen werde , und darin hatte er sich nicht getäuscht .
Der Senat beschloß auf Veldkamps Antrag , den Kongreß durch einen Abgesandten zu begrüßen und einen Beitrag zu den Kosten zu bewilligen .
Der Kongreß mit seinem bunten Gemenge von Deutschen , Österreichern , Ungarn , Russen , Rumänen , Schweden , Norwegern , Dänen , Engländern , Holländern , Belgiern , Franzosen , Italienern und Amerikanern bot ein ungemein fesselndes Erlebnis , und wenn beim Bankett das Orchester mit Weber , Donizetti , Auber und Glinka abwechselte und der Präsident des Hamburgischen Parlaments in deutscher und französischer Sprache auf die edle Sache der Friedensbestrebung seinen Trinkspruch ausbrachte , so hatte man ein sehnsüchtig-wohliges Gefühl :
Warum kann es nicht immer so sein ?
Aber so kindlich war Asmus nun doch nicht mehr , daß er in diesen Festen und Verhandlungen einen wesentlichen Schritt zum Völkerfrieden erblickt hätte .
Diese Verhandlungen beruhten in der Hauptsache auf der Meinung , daß der ewige Friede von oben , von den Fürsten und Regierungen gemacht werden könne .
Von oben , dachte Asmus , lassen sich viele gute und große Dinge schaffen ; aber der Völkerfriede gehört nicht zu ihnen .
Es kränkte ihn auch , im Gespräch mit ausländischen Delegierten herauszufühlen , daß man von Deutschland am ehesten eine Störung des Friedens befürchtete .
Einen Engländer von dieser Gesinnung erinnerte er an die Fabel vom Wolf , der sich beschwerte , daß das Lämmlein ihm das Wasser trübe , obwohl es unterhalb des Wolfes aus dem Bache trank .
" Der Vergleich " , fügte Asmus hinzu , " hinkt allerdings insofern , als Deutschland kein Lämmlein ist .
Das kann man aber auch von Deutschland , das in der Geschichte nun so oft das geschorene Lamm gewesen ist , nicht gut mehr verlangen .
Vielleicht ist ein anderes Gleichnis treffender .
Unser Land ist durch Jahrhunderte das Spielbrett gewesen , auf dem die Völker ihre Knöchelspiele trieben .
Und daß wir uns dazu nicht mehr hergeben , davon ist man unangenehm berührt . "
Auf diesem Kongreß war auch ein Mann erschienen , der sieben Jahre zuvor die Welt in Erstaunen gesetzt hatte , weil er , ein Oberstleutnant der Husaren , aus dem eisernen Zirkel seines Standes hervorgesprengt und für Freiheit des religiösen Gewissens , für Beseitigung des Dogmenzwanges und Verinnerlichung und Einigung des Christentums eingetreten war .
Nach der krassen Unduldsamkeit jener Zeit hatte er sogleich seinen Abschied nehmen müssen .
So war er für Asmus Semper , der ein Trauerspiel vom Gewissenszwang geschrieben hatte , ein Genosse des Herzens gewesen ; aber ein anderes Gefühl hatte sich noch stärker in ihm geregt .
Der Gedankenbau dieses Mannes erschien ihm als eine einzige Halbheit ; er verlangte Freiheit innerhalb des Christentums , aber nicht über das Christentum hinaus ; Halbheit aber war Sempern von je ein Greuel gewesen .
" Die Halbheit taugt in keinem Stück ; Sie bleibt noch hinterm Nichts zurück " , diesen alten Spruch liebte er .
Und so hatte er gegen den halben Reformator die Feder angesetzt und war mit einem Verteidiger des Oberstleutnants in eine lebhafte Fehde geraten .
Hier trat er nun diesem tapferen Manne gegenüber ; auf einer Lustfahrt die Elbe hinunter hatten sie ein langes Gespräch miteinander , und schon nach wenigen Worten und nach einem Blick in diese Kinder- und Husarenaugen wußte Asmus , daß dieser halbe Denker ein ganzer Mensch war .
Und ein wundervoller Mensch , die himmelsoffene , sonnenreine , furchtlose Seele eines echten deutschen Offiziers , ein Tellheim mit der Statur und Munterkeit Dietrichs von Löwenklau !
Asmus sagte sich : Hätte ich diesen Mann gekannt , so hätte ich wohl auch gegen ihn geschrieben , aber doch wohl in anderer Weise .
Er lernte wieder einmal , was wir alle , alle lernen sollten , was wir immer wieder vergessen : daß die Menschen gerechter gegeneinander sind , wenn sie lebendig voreinander stehen , wenn die Augen des einen dem anderen ins Herz scheinen und über alle Worte ein lebendiges Licht ergießen .
Wenn es sich irgend ermöglichen läßt , so schreibt nicht gegeneinander , sondern redet zueinander !
Die Feder ist spitz ; die Lippe ist rund . -
Da Asmus in dieser Zeit außer solchen Beschäftigungen nach bestimmten Andeutungen und Vorzeichen zu gewärtigen hatte , daß er zu den Ehrenämtern , mit denen ihn seine Kollegen schon betraut hatten , noch ein paar größere und schwerere übernehmen müsse , so hatte er keine Veranlassung , sich zu den Arbeitslosen zu zählen und ein " Recht auf Arbeit " geltend zu machen , ganz im Gegenteil .
Da er an keinem Abend mehr sich selbst und den Seinen gehörte , so machte er vielmehr sein Recht auf Menschsein geltend und warf eine größere Last von Ämtern von den Schultern .
Aber mochte Asmus auch noch so viele Ämter und Pflichten abwälzen , es blieb immer noch eine zu große Bürde übrig , und daß ihm die Schule eine Bürde wurde , das war sein tiefster Schmerz .
Man hätte seinen Zustand falsch bezeichnet , wenn man gesagt hätte :
Sein Herz gehört zur Hälfte der Schule und zur Hälfte der Kunst .
Menschen , die ihr Herz teilen können , finden einen Ausweg : sie tun jedes Ding mit halbem Herzen und können leben .
Es ist nur ein Lemurendasein ; aber sie leben .
Asmussens Herz war ganz erfüllt von der Liebe zur Schule und ganz erfüllt von der Liebe zur Kunst , und davon muß ein Herz zuletzt zerspringen .
Wie schön war es , sich tagelang hineinzuwühlen in die innersten Kammern eines weltgeschichtlichen Vorganges und vor den Kindern die kahlen Knochen der Tatsachen mit blühendem Fleische zu umkleiden und werdendes Leben vor ihnen zu enthüllen ; wie schön war es , ihnen Goethes " Fischer " vorzutragen , so vorzutragen , daß sie den Atem der Flut und ihre " hereinziehende " Gewalt empfanden ; wie schön war es , ein physikalisches Experiment , eine listenreiche mathematische Aufgabe mit behutsamen Fingern vor ihnen zu entwirren und sie auf reinlichsten Gedankenpfaden von Schluß zu Schluß zu führen ; wie schön war es , mit ihnen zu singen :
" Die lieben Waffen glänzen So hell im Morgenrot ; Man träumt von Siegeskränzen , Man denkt auch an den Tod " und mit ihnen zusammen in einem einzigen Schauen das Leuchten einer Zeit zu sehen , die aus Todesmut und Hoffnung gewoben war - und plötzlich stand dann seine jüngste dichterische Idee vor ihm wie ein vergessenes , frierendes , hungerndes Kind und flüsterte :
Warum verrätst du mich ? - und dann hätte er gern alles von sich geschleudert und wäre davongerannt .
Wie schön war es , am Abend daheim in der gestaltenträchtigen Stille seines Zimmers zu atmen , zu sehen , wie immer neue Erscheinungen aus dem Nebel hervortraten , sich formten , Grenzen annahmen , sich zu bewegen begannen , lebendige Gesichter und Augen bekamen , sich neben ihn stellend , den Arm um seinen Hals legten und ihm ins Ohr flüsterten , was er schreiben solle - und plötzlich sah er die hundert Augen seiner Schüler auf sich gerichtet und sah sie fragen :
" Warum verrätst du uns ? "
Ja , er verriet sie ; er gab ihnen nicht sein bestes Wollen und Können mehr ; er fühlte , daß er ein schlechter Mensch wurde , und das machte ihn vollends elend .
Dieser schreckliche Zwist machte ihn reizbar , jähzornig und ungerecht .
Er hatte immer scharf und streng sein können , wenn es ihm nötig schien ; er wußte , daß keine Arbeit möglich ist ohne Disziplin , und seine Schüler wußten - auch wenn sie länger waren als er - daß er sich nicht auf der Nase spielen ließ .
Aber sie hatten ihm dennoch angehangen , weil er gerecht war , sich wenigstens bemühte , es zu sein .
Das war nun auch nicht mehr .
Er fühlte mit tiefster Beschämung , daß er sich immer häufiger von seinen Launen fortreißen lasse , daß er anfange " Stunden zu geben " ohne Lust und Kraft .
Und so vervielfachte und vertiefte sich sein Leiden durch Schuld .
Wie sollte er ihm entrinnen ?
" Niemand kann zweien Herren dienen .
Entweder er wird den einen hassen und den anderen lieben , oder wird dem einen anhängen und den anderen verachten . "
Konnte er seine Schüler hassen ?
Konnte er seine Kunst verachten ?
Eine " Befreiung " bot sich ihm dar .
Er konnte Redakteur einer angesehenen Wochenschrift werden mit hochanständigem Gehalt !
Er konnte seine Einnahmen auf das Vierfache bringen !
Zu essen würden er und die Seinen dann ohne Sorgen in Fülle haben .
Aber dafür mußte er dann auch schreiben , was und soviel man von ihm verlangte ; dafür kam dann seine Muse unter die Räder und Rollen der Schnellpresse , die so manches Talent ins Breite zerwalzte .
Das wäre schlimmer als das Schlimmste , dachte Asmus .
Und noch eine Aussicht winkte ihm :
man wollte ein Volkstheater gründen , und ihn hatte man zum Direktor ausersehen .
Für einen Mann , dem das Theater weit mehr als ein Schein , dem es ein lebendiges Stück der Menschheit war , der die Kunst ins Volk bringen wollte und in ihr eine erziehende Grundgewalt erblickte , fürwahr ein verlockender Ausblick !
Aber auch dieser Posten forderte wie nur einer den ganzen Menschen , und der Theaterdirektor mußte den Dichter genau so ohne Gnade , ja , noch weit schonungsloser erdrosseln als der Schulmeister .
Denn in der Arbeit der Schule gab es doch noch eine Ruhe der Seele ; Ruhe der Seele aber ist dem Theaterdirektor nicht beschieden .
" Asmus , armer Asmus , du Theaterdirektor ? " rief Hilde in mitleidigem Erschrecken , und ihre Augen feuchteten sich schon jetzt .
" Mit deinem Temperament ?
In einem Jahre hätten sie mir dich zerfleischt . "
Sie hatte recht , und so blieb es beim Alten .
" Wer zwischen zwei Gerichten hat die Wahl , Gleich reizenden , gleich fernen , wird vergehen Vor Hunger , ehe er eins anbeißt zum Mal . "
Diese Verse aus Dantes Paradiso kennzeichneten seine Lage .
Oder nein , sie kennzeichneten sie nur halb ; sein Unglück war größer .
Wenn er die Schule wählte , so verhungerte seine Seele nach der Kunst ; wenn er die Kunst wählte , so verhungerte sein Leib und - weit schlimmer - so darbten die Seinen .
Wenn er sich aber wie bisher für keines entschied , so ging er zugrunde am Hunger und am Zwiespalt , dann hatte er zu allem Seelenhunger das beständige Gefühl , von zwei gleich starken Pferden auseinandergerissen zu werden. XXXIII. Kapitel .
Das Glück mit einem Haken .
In dieser Zeit der müden Verzweiflung hörte er , daß die Oberschulbehörde einem seiner Kollegen zum Zweck einer wissenschaftlichen Arbeit einen längeren Urlaub bewilligt habe .
Da schoß es wie ein Lichtstrahl auf ihn herab : Herr im Himmel - sollten sie das auch dir gewähren ?
Aber ihm kamen schwere Bedenken .
Daß man ein wissenschaftliches Bestreben fördern müsse , das leuchtete einer Hamburger Behörde wohl ein , aber ein dichterisches ?
Die regierenden Hamburger Herren waren nicht kleinlich , das wußte er wohl , aber - - - Poesie ??
Würden sie über solche Naivetät nicht doch in ihre grauen Bärte lächeln ?
Er ging zu seinem Herzensgönner , dem Schulrat Murow .
Der hatte ihm ja gesagt , daß einem Studien-Urlaub von drei Monaten nichts im Wege stehen werde .
Und er trug ihm sein Verlangen vor .
" Drei Monate ist nichts , " erklärte Murow energisch , " wann Se was Ordentliches in Ruhe schaffen wollen , da müssen Se 'n volles Jahr vor sich haben .
Wir erwarten von Ihnen 'n jrößeres , abjärundetes Wark , und dazu müssen Se Zeit haben . "
Asmus widersprach nicht im geringsten .
" Ich werde Ihr Jäsuch warmstens empfählen , " schloß der goldene Murow die Audienz .
Wochen voll andauernden Herzklopfens .
Dann kam der Bescheid : Herrn Asmus Semper wird ein einjähriger Urlaub zu Studienzwecken bewilligt .
Er schwankte , ob er das annehmen dürfe .
Aber dann jauchzte alles in ihm auf :
" Ein Jahr lang nicht zur Schule und keine Hefte korrigieren -
mein Gott , so viel Zeit ist ja nicht auszudenken !
Da hat ja der Tag 240 Stunden !
Da kann ich ja nicht nur schaffen , was ich will , da kann ich ja auch Studien treiben , bis in die Nachte hinein , und zwar pädagogische Studien , die der Schule zugute kommen .
Ja , ich kann_es mit ruhigem Gewissen annehmen !
Das tat er denn auch .
Und das Nächste , was er tat , das war , daß er seine Hilde und seine Isolde und seinen Wolfram und seine Leonarda und seine Gesina nacheinander und dann noch einmal zusammen , zu einem jubelnden Klumpen geballt , ans Herz drückte und die kleine Sigrun aus der Wiege riß und abküßte , bis sie schrie , und das dann Folgende war , daß er in seine Felder hinausging , auf einem meilenweiten Spaziergang ; denn so viel Glück hinauszuatmen , so viel Glück hinauszustrahlen , dazu brauchten Herz und Augen ein weites , weites Gefilde .
Dann , als er wieder daheim war , fühlte er , daß sein Glück doch noch einen Haken habe .
Auch er hatte einen Pfropfen im Blut , wie vormals seine Hilde .
Freilich war er anderer Art , aber auch sehr schmerzhaft ; manchmal , wenn er recht tief und befreit aufatmen wollte , gab es ihm einen jähen Stich , und dieser Pfropfen im Blut waren seine Schulden .
Wie in so vielem , war Asmus auch in Geldsachen der Sohn seines Vaters ; er konnte das Geld nicht so ernst nehmen wie ein Hamburger Kaffeemakler oder ein preußischer Rechnungsrat .
Unsinnige Verschwendung lag ihm fern ; aber Knauserei lag ihm noch bedeutend ferner .
Selbst die Sozialdemokraten gestanden dem Künstler ein Anrecht auf einen gewissen Luxus zu ; er verlangte nur ein wenig Schönheit im Dornenkranz seiner Tage , und die Schönheit achtete er nicht für Luxus .
Er und seine Hilde brauchten hin und wieder ein Konzert und ein Schauspiel , ein gutes Buch und an der Wand ein gutes Bild , ein paar Blumen auf dem Tische , und er konnte sein edles Weib und seine lieblichen Kinder wohl in prunklosen , aber nicht in unwürdigen , plumpen Gewändern sehen .
Ihr Tisch war äußerst einfach ; aber was er brachte , mußte aus einwandfreiem Stoffe sein .
Da aber Lehrergehälter langsamer wachsen als Eichen und seine Dichterhonorare überhaupt im Wachstum standhaft stillstanden , so hatte er von Zeit zu Zeit borgen müssen , und endlich drückten seine Schulden wie eine Schuld .
Es war manches Geld darunter aus Freundeshänden , um das er nie gemahnt wurde und das um so schwerer drückte .
Er hatte alles Erdenkliche versucht , um dieses Loch zu stopfen ; er hatte sogar an mehreren Abenden der Woche bei einem reichen Wollhändler und Musikliebhaber gegeigt und gesungen ; aber der Mann war im Grunde seiner Seele ein Wollliebhaber und Musikhändler ; er war einer jener Geschäftsmäzene , die von einem Horaz für drei Mark so etwas erwarten wie :
" Uraltfürstlichen Stamms edler Sproß , Mäzen , Du , vielmögender Hort , köstliche Zierde mir ! " und das hätte Asmus , wenn er selbst ein Horaz gewesen wäre , nicht für ein Landgut zu leisten vermocht .
Er hatte auch einmal der etwas zu jungen Frau eines etwas zu alten Schiffsreeders Literaturgeschichtsstunden gegeben ; aber als sie ihn nach der fünften Stunde bat , doch auf dem ( etwas kleinen ) Sofa Platz zu nehmen , und sich freimütig zu ihm auf dasselbe Sofa setzte und ihm mit Augen zuhörte , die schlechterdings nicht mehr literarisch zu deuten waren , da stellte er sich dumm und kam nicht wieder .
Ja , er hatte einmal sogar in komischer Verzweiflung seine Frau koramiert und gerufen : Hilde , Hilde , warum bist du nicht Frau Lütjohann !
Siehst du , das ist eine Stadtreisende für Gattenruhm , wie sie sein muß !
Die Frau geht zu jedem Journalisten , jedem Vereinsvorstand , jedem Kunsthändler , jedem Galeriedirektor , jedem Photographen , jedem Stadtverordneten , jedem Senator , jedem Pastor , jedem Stadtkommandanten , jedem Hotelwirt , jedem Restaurator und jedem Stationsvorsteher und sagt ihm :
" Mein Mann ist der größte Maler aller Zeiten , handle danach ! "
Und bei den Bankiers sammelt sie Ehrengaben , diese einzige Frau !
Siehst du , das ist ein Talent !
Und du ?
Was bist du ?
Höchstens ein Engel !
Das Weib hat koan Geschäftsgeist ! "
Und Hilde hatte laut herausgelacht , und da hatte er sie mit Nachdruck geküßt ; denn wenn sie laut lachte , hatte er sie besonders gern .
Nein , dies Weib war als Apostel und " Generalagent " ganz unbrauchbar ; wenn die Leute ihn in ihrer Gegenwart lobten , wurde sie rot und verstummte , oder höchstens rief sie Hurra mit den Augen .
Sie war vielleicht stolzer auf ihren Mann , als sein Wert rechtfertigte ; aber sie prunkte so wenig mit ihm wie mit ihren Kindern ; sie hatte überhaupt nicht die Gewohnheit , ihr Besitztum zur Schau zu tragen .
Aber ein anderes Weib kam ihm zu Hilfe .
An einem recht beklommenen Tage kam eine ihm völlig fremde Dame zu ihm und sprach sehr warm und fein von seinen Gedichten .
Und dann fragte sie ihn , ob er ihr Unterricht in der Vortragskunst geben wolle .
" Gern , " sagte Asmus .
Sie wurde ihm eine sonderlich gescheite Schülerin und treue Freundin und ging eines Tages zu einem steinreichen Kaufmann und Kunstfreunde und sagte : " Da ist ein Dichter , den seine Schulden quälen , und da sind seine Bücher , lies sie . "
Der Kaufmann las sie und beschied den Verfasser auf nächsten Sonntag ein Uhr zu sich. XXXIV. Kapitel .
Der Hamburger Mäzen und Asmus als Flieger .
Der Hamburger Kaufmann und der im Dunstkreis des Handels lebende und akklimatisierte Bürger steht künstlerischen und wissenschaftlichen Dingen durchaus nicht mit jener Verständnislosigkeit und Nichtachtung gegenüber , die ihm so gern nachgeschimpft wird .
Er hat im Gegenteil einen ganz ehrlichen Respekt vor dem Geistigen überhaupt und beweist oft eine recht sichere Nase für das " Gediegene " .
Nur gewisse Ausdrucksformen der Kunst " liegen " ihm weniger , z. B. das Pathetische , das Sentimentale , das Romantische - es erscheint ihm leicht " überß-pannt " .
Ihm liegt der Realismus im Blut wie seinem Vetter , dem Holländer .
Im übrigen weiß er sehr wohl , daß es auch andere Dinge geben muß als Kaffee und Guano , und daß es Werte gibt , die sich nicht an der Börse handeln lassen .
Man muß sich nur seiner Ausdrucksweise , seinen Maßstäben mit Humor anpassen .
Man muß ihm einen Künstler wie einen Kommis empfehlen ; man muß sagen : " Herr Dabelß-tein , der X. Y. das is ' n sehr tüchtigen un zuverlässigen Dichter ! "
Dann sagt Herr Dabelß-tein :
" Djä , denn darf der Mann doch keine Not leiden , das es ja selbstverständlich " und zieht ohne Gesichtskrampf das Scheckbuch .
Der königliche Kaufmann , den Asmus jetzt kennen lernen sollte , war aber von noch wesentlich anderer Art .
Er wohnte in der herrlichsten Gegend Hamburgs , nahe der Alster , wo die Leute so reich sind , daß sie ihre rosenüberwucherten Vielen während langer Monate leer stehen lassen , um sich in Taormina oder in der Oase Biskra oder bei der Cheopspyramide aufzuhalten , wohnte in einer Gegend , wo man unwillkürlich das Gefühl hat , daß man überall auf einem zolldicken Teppich von braunen Lappen wandle , und wo man vor jedem Palast oder Landhaus , das daliegt wie ein Traum unter Blumen , sich fragt : " Wieviel Unglück mag darin hausen ? "
Denn das wußte Asmus nun auch schon , obwohl er ein armer Teufel war , daß das Glück der Menschheit nach " oben " hin nicht zunimmt und daß die " Höhen der Menschheit " - mögen es nun Gold- oder Lorbeerhöhen sein - in einem vielfachen Sinne die Tiefen der Menschheit sind .
Als er die Halle des - übrigens sehr einfachen - Hauses betreten hatte , sah er das ganze Treppenhaus angefüllt mit den schönsten Gemälden und Skulpturen , die ein offenbar wählerischer Geschmack gesammelt hatte .
Herr Leipoldt empfing seinen Gast schon auf dem Vorplatze und öffnete die Tür zu seinem Arbeitszimmer .
" Sie sind pünktlich , Herr Semper , " sagte er , " das finde ich hübsch von Ihnen . "
" Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Darlehensucher , " erwiderte Asmus .
" Mein lieber Herr Semper , " sagte Herr Leipoldt mit dem feinmelancholischen Lächeln eines oft Getäuschten , " es gibt Leute , die auch dann nicht pünktlich sind .
Bitte , nach Ihnen . "
Das Zimmer befestigte den Eindruck der Vorhalle : ruhiger , besonnener , geschmackvoller Reichtum , ein ganz anderer Glanz , als er ihn bei manchem Hamburger Geldrüpel gefunden hatte .
" Ich habe Ihre Bücher mit großem Vergnügen gelesen , " begann Herr Leipoldt , " und ich will Ihnen gern helfen ; aber Sie müssen mir eins versprechen . "
" Bitte ? "
" Sie müssen mir wirklich Ihre ganze Schuldenlast nennen .
Die Herrschaften scheuen sich oft , die ganze Summe zu nennen , und dann ist nach einiger Zeit die Misere wieder da .
Wir müssen tabula rasa machen . "
Asmus nickte heftig Zustimmung .
" Also wieviel ist es ? "
" 3217 Mark und 50 , " sagte Asmus deutlich und fest .
Herr Leipoldt zog die Augenbrauen ein wenig hoch , legte den Kopf ein wenig auf die Seite und sagte : " Das ist viel . "
" Ja , " sagte Asmus in derselben Überzeugung ; für ihn war es jedenfalls viel .
" Haben Sie viel Krankheit in Ihrer Familie gehabt ? "
" Das kann ich nicht behaupten , " erklärte Asmus .
" Meine Frau ist wohl einmal schwer krank gewesen , und eines meiner Kinder hat jahrelang gekränkelt ; aber mein Arzt ist mein Freund und hat mir sehr menschenfreundliche Rechnungen geschrieben .
Das hat kein allzu großes Loch gerissen .
Aber wenn man elf Jahre verheiratet ist und fünf Kinder hat - wenn man dann nur die zwei Berufe des Lehrers und Dichters hat - und kein Anachoret ist , der nur von Einsamkeit und Wurzeln lebt - dann kommt es . "
" Ja , das kann ich verstehen , " sagte der Kunstfreund .
" Ich weiß ganz gut , wie einem in solcher Lage zu Mute ist .
Ich weiß nicht , ob Ihnen bekannt ist , daß ich einmal vor dem Ruin stand . "
" Nein , " sagte Asmus überrascht .
" Ja .
Es war nicht meine Schuld ; aber ich mußte meine Zahlungen einstellen .
Nun . ich bin wieder hochgekommen ; aber ich erblicke die Berechtigung zur Ansammlung größerer Vermögen nur darin , daß man nach Kräften Gutes damit stiftet .
Ich werde Ihnen einen Scheck auf meine Bank ausstellen . "
Asmus kniff sich mörderisch ins Bein , um sich zu beherrschen .
" Sie können sich wohl kaum vorstellen , was Sie für mich tun , " sagte er .
" Jetzt bin ich frei ; jetzt kann ich arbeiten . "
" Das ist recht , " sagte Leipoldt , indem er schrieb , " schaffen Sie ein Werk , das uns und Ihnen Freude macht . "
" Wenn es Erfolg hat , soll es mein erstes sein , daß ich Ihnen die Schuld zurückzahle . "
Leipoldt sah ihn groß an .
" Das erwarte ich nicht , " sagte er .
" Das Geld ist Ihr Eigentum .
Aber es soll mich freuen , wenn Sie in die Lage kommen , es zurückgeben zu können . "
Gefühlsausbrüche sind einem Hamburger Kaufmann gegenüber nicht angebracht , das wußte Asmus , auch diesem gegenüber nicht , der so freigebig Dichter unterstützte und noch immer gern seinen Homer oder Horaz in der Ursprache las .
Aber Asmussen war es auch gar nicht nach Gefühlsausbrüchen zumute ; er stand plötzlich auf und stand da wie ein einziger eiserner Entschluß , und so eisern , wie er es vermochte , war auch der Händedruck , mit dem er sagte :
" Wenn ich es einmal habe , werde ich es nicht behalten . "
Und jetzt hätte Leipoldt ihm die größte Wohltat erwiesen , wenn er ihn hätte laufen lassen .
Aber jetzt mußte er erst die ganze Kunstsammlung besichtigen .
Zu anderen Zeiten wäre es ihm ein hohes Fest gewesen , heute war es ihm eine Folter .
Er mußte sich doch austoben !
Ich denke , wir wollen von seinem Kunstsinn nicht allzu gering denken , weil sich in ihm der Eindruck der prächtigsten italienischen , holländischen und deutschen Meister immer wieder zusammenfaßte in das Wort : schuldenfrei ! - schuldenfrei ! - schuldenfrei ! und er bei den kostbarsten Radierungen immer wieder an das graphische Kunstwerk in seiner Brieftasche denken mußte .
Als er endlich entlassen war , da ging es ihm wie damals , als er seine erste Prüfung bestanden hatte :
er lief ohne Beine , d. h. er fühlte sie nicht ; es war jenes traumhafte Fliegen , wie wir es im Schlaf erleben , immer über den Boden hin , ohne ihn je zu berühren , bald höher , bald tiefer , und dazu das Gefühl :
also kann der Mensch fliegen , also kann er doch fliegen !
Und der Kopf flog immer für sich davon ; der war immer schon am Straßenende , wenn der Rumpf noch am Anfang war .
Er hätte jetzt nicht fahren können , nicht umsonst , nicht für einen Lohn !
Den ganzen weiten Weg nach Hause wollte er gehen , um doch wenigstens etwas zu tun ! XXXV. Kapitel .
Gebet vor der Arbeit .
Und ehe er nun zum Werke schritt , fühlte er ein brünstiges Verlangen nach einem langen , langen Gespräch mit der Natur .
Nur für wenige Tage zog er hinaus .
Dort fand er der großen Mutter schönsten , weisesten und gütigsten Sohn , den Wald .
Mitten im Walde stieg er Höhen voll ewigen Schattens hinan und sah von ihrer Kuppe hinab in schattenstille Mulden , wo in weitem Ringe die Helden der deutschen Vorzeit saßen zu ernstem Rat .
Noch immer saßen sie da , noch immer seit tausend , tausend Jahren , und in leisem Winde wehte ihr Bart und tönte ihr Wort .
Er stieg höher und höher , und wenn er nach stundenlangen Schatten hoch oben auf eine Lichtung hinaustrat , riß seine Brust sich dem Lichte aus , und seine Seele war ein einziger stummer Schrei des Glaubens .
Er starrte vom Bergesrande hinab in blaue Wipfelgründe , und wie einst als Knabe an jenem dunkeläugigen Teich seines Heimatdorfes mußte er denken : Unergründlich , unergründlich !
In unergründlicher Tiefe saß die Sage und spann , und ihres Rades Summen klang herauf , wenn man sein Herz still hielt , ganz still .
Durch tausendstämmiges Waldgewirr sah er einen fernen Weg schimmern und sah und hörte lachende Ritter dahinreiten für ihres Volkes und Königs Recht , für edler Frauen Liebe .
Einst waren seine Gedanken solche Ritter gewesen : stark , gesund , glücklich und froh .
Was ich damals glaubte , liebte und ersehnte , war gut , dachte er .
Was gegen Rittertum witzelt , ist Schlangentrug .
Ohne Pfad stieg er hinab ins Gewirr der Tannen .
Hundert Schritte vor ihm hing Gold in den Ästen , einsames , winkendes Gold .
In das webende Dunkel ringsum fiel ein einziges zitterndes Sonnenband .
Da mußte er an seine Geliebte denken .
Vier der Stämme ragen empor , Die sich allein das Licht erkor ; Aber sie flimmern in hellem Glast Wie ein lichter Zauberpalast .
Zwischen den Stämmen in der Schwebe Hängt der Spinne silbern Gewebe ; Käfer im Goldrock , flink und munter , Hasten die Stämme hinauf , hinunter , Und ihr Schwirren und Summen leis Einziger Laut im weiten Kreis ! -
Also fiel auch in unsere Brust Golden das Licht der Liebeslust , Und inmitten der düstern Welt , Die uns mit Sturm und Frost umstellt , Fanden wir strahlende Einsamkeit , Frieden und tiefe Seligkeit .
Eine stille Sommerpracht , Uns im Herzen die Liebe lacht .
Sonne trank nun allen Schmerz .
Ahnend zittern durch unser Herz , Wie das Licht um die hohen Bäume , Einsame Wünsche , schweigende Träume .
- Hier klang ihn die Welt seines Hauses noch an - er mußte tiefer hinein in das heiligende Schweigen .
Und er drang weiter und weiter ins Dickicht der Tannen .
Dickicht der Tannen - verborgenste Werkstatt des Märchens - geheimste Kammer der Welt - verschwiegenster Gedankenwinkel , in dem Gott seine Träume spinnt !
Hier ließ Asmus sich nieder und dachte selig in sich hinein :
" Verirrt - vergessen - ewig , ewig verirrt und vergessen ! - - - " Lange , seltsam lange saß er so .
Einmal hob er den Blick , da sah er Grünes durch das Dunkel leuchten .
Er ging dorthin und sah einen Pfad , der trennte Tannenwald und Laubwald , einen Zweihandbreiten Pfad , der ganz bewachsen war .
Er sah den Pfad hinauf und hinab und dachte :
Hier ist in Ewigkeit niemand gegangen ; hier wird in Ewigkeit niemand gehen .
Nichts ist so einsam wie ein Weg , den niemand geht .
" Verirrt - vergessen - ewig , ewig verirrt und vergessen ! - - - "
Und nach langer Zeit hob er wieder den Kopf und sah plötzlich , was er zuvor nicht gesehen hatte .
Drüben unter einer weitspannenden Buche liegt ein gewaltiger platter Felsblock wie ein Grabmal aus Riesenzeit .
Und dahinter , am Stamm der Buche , gerade aufgerichtet wie eine Säule ein steinern Bild , ein gepanzerter Ritter , den Kopf an den Stamm gelehnt und beide Fäuste um das Kreuz des Schwertes geballt .
Seine Augen sind fast ganz geschlossen ; nur durch einen schmalen Spalt blicken sie auf das Grab seit siebentausend Jahren .
Ein Sonnenstrahl spielt mit dem Schwertknauf .
Und über des Ritters Haupte spreitet sich weit und waagerecht ein junger , lichtgrüner Buchenzweig wie ein Baldachin .
Und wiederum saß Asmus lange und starrte glückselig auf das verwitterte Bild und dachte :
" Verirrt - vergessen - ewig , ewig verirrt und vergessen ! - - - "
Einmal schlich er näher und bückte sich , um von unten her in das unbewegte Auge zu schauen ; aber da sah er , daß alles nur ein Sonnenschein war , der auf den Stamm der Buche fiel .
Aber vorher war es gewiß ein steinerner Ritter gewesen .
Denn von Gestalten und Geistern erfüllt war die ganze weite Runde ringsum .
Er klomm einen steilen , unabsehbaren Waldabhang hinan und sah in einer engen Lichtung zwischen düster ragenden Stämmen ein schlankes Bäumchen , das mit tausend grünen Augen empor in die Sonne lachte .
Er stieg höher hinauf und sah fern hinter hundert Bäumen ein Reh , das hinter einem Stamm hervor zu ihm heräugte .
Und dieses Auge war ihm wie das Auge aller beseelten , aller lebendigen Kreatur . -
Er wanderte weiter , einem fernen Donnern und Brausen zu , und sah bald - seltsam ! - ganz wie einst im Haine des dänischen Küstendorfes durch tiefes Walddunkel eine rote Blume winken .
Er ging ihr entgegen und kam an einen schäumenden und rauschenden Bach , der über wildes Felsengestein daherschoß .
Und ganz allein auf einem gewaltigen , gischtumtanzten Felsblock stand die rote Blume und schaute über und über erglühend ins Himmelslicht .
Da ließ er sich nieder auf einem bemoosten Stein und starrte selig die Blume an .
Und da hörte er aus der donnernden Tiefe Gesang von vielen tausend Männern und dazwischen Orgelbrausen und ernste , raunende Zwiesprache und wieder Gesang und Orgelton .
Und als er das Ohr erhob , hörte er über sich aus den Kronen der Bäume Gesang und ernstes Gespräch und rauschendes Orgellied .
Es war ein einziger Dom über und unter der Erde , und er saß mitteninne , vor dem Altar , von dem die Blume glühte .
Im deutschen Walde wohnen lebendig die Edlen der Vorzeit .
Darum ist die Stille des deutschen Waldes ohne Bangen ; dir ist im deutschen Walde wie unter vielen guten Menschen :
" Fürchte nichts ; wir stehen zu dir . "
Der deutsche Wald ist ein einziges Volk mit einem einzigen Herzen , das deutlich zu dir spricht :
" Fürchte nichts , ich stehe zu dir . "
Wie ein Kind unter dem Schutze hoher Ahnen , so saß Asmus unter den Bäumen .
Ihr Leben schien ihm größer als Menschenleben ; mit größeren Maßen standen sie in Raum und Zeit der Welt ; länger und darum tiefer blickten sie hinein in Werden und Vergehen .
Sie können warten auf die Kunde der Zeiten , besser als das jagende Menschenherz .
Und seine Andacht klang wie ein Hymnus in ihren Gesang : Euch , ihr Bäume , Acht ich des Schöpfers Göttlichste Kinder .
Ihr wart vor uns Lebenden , Und eure Kronen bewahren Vergangenes in rätselvoller Sprache - Ihr werdet nach uns sein , Und euer Inneres Hegt Keime der Zukunft In ernstem Schweigen .
Und unbekümmert Um Vergangenes und Künftiges , Spendet ihr , Wissende , Frucht und Schatten , Duft und Schönheit .
In schweigender Hoheit Wachst ihr empor Über der Menge Geschrei und Gewühl , Und überhebt euch nicht , Neigt euch milde Zu den Menschen Und blickt fromm Zu nächtlichen Sternen .
Menschen , die ihr mich liebt , Pflanzt Bäume mir auf das Grab , Daß ihre Wurzeln meinen Leib umfangen Wie sorgende Arme , Und ihre Häupter , sich neigend , mir singen Von Lenzen , die ich ersehnt Und nicht mehr gesehen . - -
Er kam wieder in Tannen hinein , in kraushaarige , krausstirnige Tannen , vom Höhenwinde wundersam zerschlagen und zerfetzt .
Und sah aus einem Kranze solcher Tannen den grau zerfallenen Turm einer zerfallenen Burg schimmern .
Nie hatte er von dieser Ruine gewußt , nie von ihr gehört .
Er suchte den Eingang , suchte einen Weg zu ihr ; er fand nicht den Eingang , fand keinen Weg und fand trotz allen Suchens keine Ruine mehr ; sie war verschwunden .
- Und wieder schaute er von hoher Felskante hinab in blaue Gründe :
da blinkten die Ströme und wanderten nicht mehr ; da wohnten die Menschen und lärmten nicht mehr .
Dem Einsamen aus der Höhe stehen die Ströme still und werden die Menschen stumm .
Da schloß er die Augen und sank immer tiefer hinab in den Brunnen der Stille .
Verirrt - verirrt und vergessen !
Zurückverirrt in den Urgrund der Dinge , in den Mutterschoß der Natur , in die schweigende Werkstatt Gottes .
Und als er die Augen wieder auftat , da sah er ringsum Wälder und Wälder , ein grünes Meer , und sah die Sonne sich zu ihren Wipfeln neigen .
Da war es , daß auf einmal aus allen Wäldern und Gründen ein einziger ungeheurer Strom emporstieg und ihm brausend in das Herz stürzte : " Gut sein !
Wahrhaftig sein !
Treue sein !
Tapfer sein !
Schaffen , wirken , ringen nach dem Reinsten , Heiligsten und Schönsten und niemals wieder wanken im Glauben an den endlichen Sieg ! "
Und wie ein gefaultes Gewand - er fühlte es fallen ! - fiel von ihm ab , was nie in sein Inneres gedrungen war , aber womit ihn ein Jahrzehnt umwoben und umlogen hatte , fiel in Nichts zurück der Trug , daß das Leben eine einzige sinnlose Pein , die Welt ein einziger Irrgarten , die Menschheit eine einzige Bestie , daß der Mensch für sich allein da sei , daß Lüge , Gewalt und Selbstsucht seine einzigen , seine gerechten Waffen seien gegen Selbstsucht , Lüge und Gewalt .
Wiedergeboren , neu geboren , zehnfach verjüngt , zehnfach erhoben ging er hervor aus dem Schoß der Natur , aus den Armen des Waldes .
Und als er am Abend aus seinen Schatten hervortrat und wieder zu den Menschen kam , da war ihm wie jenem , der dreihundert Jahre im Schoß eines Berges verbracht hatte und meinte , es sei ein Tag gewesen , der eine andere Welt und ein anderes Geschlecht fand , das ihn nicht mehr erkannte. XXXVI. Kapitel .
Asmus und Hilde vertauschen die Rollen .
Als er nun wieder daheim war , konnte er noch lange nicht " Erster Aufzug " auf die vor ihm liegenden Blätter schreiben .
Monatelang noch tobte in ihm die Schlacht zwischen deutschen und fremdgeistigen Gedankenheeren .
Gewiß war der Ausgang des Kampfes nicht mehr zweifelhaft ; aber der Feind wehrte sich verzweifelt , auch in ihm , in seiner Brust , in seinem Hirn .
Er war ein zu echter Deutscher , um dem Feinde nicht gerecht zu werden , um stets von seinem eigenen Recht überzeugt zu sein .
Im letzten Grunde war es ja der ewige Kampf , der den Menschen wie die Menschheit durchtobt : der Zweikampf zwischen dem Geist , der stets verneint , und dem , der stets bejaht .
Und danach sollte seine Komödie auch ihren Namen bekommen :
" Der Zweikampf " sollte sie heißen .
Und in munterem Spiel sollten die beiden großen Lebensmächte ihre Kräfte gegeneinander führen : gegen die Verleumdung der Welt die wissende Lebensfreude , gegen den alles vergiftenden Zweifel die eingeborene Gewißheit des Lichts , gegen das weltmüde Verzagen die ernste Hoffnung , gegen den Größenwahn des Einzelnen die Heiligkeit der Gemeinschaft , gegen die allgemeine Herren- und Gesetzlosigkeit die Zucht und Erziehung , gegen die Vergötzung der brutalen Gewalt die Hoheit des Rechts und der Sitte , gegen die Frechheit die Ehrfurcht , gegen den fälschenden Neid die redliche Sachlichkeit , gegen Mystifikantenschwindel die geradäugige Klarheit , gegen die Kunde vom Niedergang der Menschheit im allgemeinen und der Deutschen im besonderen die jubelnde Zuversicht in den Fortschritt der Menschen , ganz vor allem in den unhemmbaren Aufstieg des deutschen Volkes .
Söhne dieses Volkes sollten sich verstrickt zeigen in jenem Netze feindlicher , blutsfremder Gedanken ; einer aber von ihnen sollte das Netz zerreißen , aus eigener Kraft , durch eine helfende , rettende Brudertat , und helfen sollte ihm , spornen und zurücklocken zum heimischen Blute sollte ihn ein deutsches Mädchen , stark und süß , klug und fest und doch hold und hingebend wie Hilde .
Auch die andere Gefahr der deutschen Seele sollte das Lustspiel zeigen : das Philistertum , und zwar in seiner lockendsten Gestalt , der des Elternhauses , der Familie .
Aber sicher sollte der Held am Ende mitten hindurchschreiten zwischen Philistertum und Gewissenlosigkeit , zwischen dem Famulus Wagner und dem pudelnärrischen Lügengeist .
Als das feindliche Gedankenheer im Abzug war , begannen neue Mühen .
Ein dramatischer Richter darf nicht nur ein Sänger , er muß auch ein Baumeister sein .
Einen sorgfältig bis ins kleinste durchdachten Plan muß er entwerfen ; denn ein Drama ist ein Haus , das überall richtig gestützt , in dem jedes Fenster und jede Tür am rechten Platze , jede Kammer und jeder Flur zugleich zweckmäßig und schön sein soll .
Das ist das Schwerste am Werk des Dramatikers , daß er zugleich kühl und heiß sein soll .
Die Überlegung allein erzeugt kein Bühnenwerk , und die Glut allein genau so wenig .
Außer den intellektuellen und technischen Schwierigkeiten gab es aber noch ein drittes Hindernis , und das war das Sprachrohr .
Von dem Zimmer , in dem er neuerdings arbeitete , führte nämlich ein Sprachrohr in die Küche hinunter , und das war allerdings ein gefährliches Hemmnis .
Wenn ihm nämlich schien , daß er einen besonders glücklichen Einfall gehabt habe , und sein Grundriß mächtig fortschritt , so war ihm das natürlich noch nicht Glückes genug ; unmäßig , wie dergleichen Leute sind , mußte er auf dieses Riesenglück noch ein zweites Riesenglück türmen , und so lief er denn ans Sprachrohr und fragte die da unten , ob sie ihn noch lieb habe .
Das führte dann zu einem längeren und stark ablenkenden Gespräch .
Sie andererseits , wenn sie stundenlang dort unten gewirtschaftet hatte , wurde von begreiflichen Zweifeln geplagt , ob seine Liebe diese Ewigkeit überdauert habe , rief ihn ans Sprachrohr und fragte , ob er sie noch lieb habe .
Seine Versicherungen nahmen wieder viel Zeit in Anspruch ; auch küßten sie sich durch das Rohr wie Pyramus und Thisbe , wenn auch leider nur " imaginär " .
Und wenn dann auch noch ein verheißungsvoller Duft von Kräutern und Brühen durch das Rohr zu seinem Herzen sprach , dann hätte Asmus zwar schändlich lügen müssen , um zu behaupten , dies sei ihm unangenehm ; aber äußerst störend war es doch .
Sie kamen schließlich überein , das Rohr an beiden Enden zu verstopfen und ihre Zweifel an des anderen Liebe bis zum Mittag geduldig zu tragen .
Und wie nun trotzdem der Plan vollendet war und das Gebäude in Mauern und Dachstuhl vor seinem Geiste fertig dastand , da zog er mit der Muse Thalia hinein und baute es mit ihr gemeinsam auf in ununterbrochenen Honigmonden .
Ein unaufhörlich Singen und Klingen war in allen Kammern und Winkeln des neuen Hauses .
Und als der letzte Schlag und Strich getan waren und die Muse von ihm ging , weil sie noch anderes zu tun hatte , als Herrn Asmus Semper zu helfen , da besah er sich sein Werk und bemerkte alsbald , wie jeder , der ein eigen Haus gebaut hat , wie so manches daran doch eigentlich recht viel besser und schöner sein sollte , als es war , wie so manches doch gar nicht das geworden war , was er sich geträumt hatte !
Das entlockte ihm wohl schwere Seufzer ; aber das Ende allen Seufzens und Grübelns war , daß er sich gestand :
Besser kann ich_es vorläufig nicht .
Er las das Stück einem größeren Freundeskreise vor , und die Wirkung war ganz absonderlich .
Als er geendet hatte , blickte er in erstaunte , lächelnde , verlegene Gesichter .
Und die Meinung der meisten ging dahin :
Ja ja , alles recht gut und schön , uns gefällt_es ja ; aber - das große Publikum ?
Ein Lustspiel , das sich um philosophische , um ästhetische , ethische , um Weltanschauungsfragen dreht ?
Welches Theater soll denn das annehmen ?!
Wie kommst du verrückter Kerl zu der Naivität , unseren Theatern ein solches Stück anbieten zu wollen ?
Komisch !
Asmus hohnlächelte ob dieser Schwarzseherei und ging , erleichtert wie eine Frau , die Drillinge geboren hat , mit Globendorf und einem Hamburger Kaufmann auf seine erste Alpenreise .
Als er auf einem Postwagen zum ersten Male in die Gebirgswelt der Alpen hineinfuhr , machte er wohl ein recht dummes Gesicht .
Wenn alle Erwartung , Hoffnung und Aufmerksamkeit vor die Tür getreten ist , dann steht der menschliche Körper leer und macht ein dummes Gesicht , und Asmussens dummes Gesicht dauerte diesmal lange .
Er hatte ja gewußt , daß er in eine wunderschöne Welt eintreten solle ; aber - so schön ?
Hier war ja ewiger Feiertag !
Hier mußten ja alle Menschen glücklich sein !
Hier hatte ja alles Kinderaugen , nicht nur die Dörfer und Berghalden , auch die gewaltigsten Felswände hatten Kinderaugen !
Hier begriff man ja mit einem Male das Wort " neugeboren " !
Man " erblickte das Licht der Welt " und war sich dessen bewußt , war in jeder Faser wieder ein Kind !
Als der Kaufmann nächsten Tages auf das schlechte Wetter schimpfte , begriff Asmus ihn nicht .
War das nicht einerlei ?
Gewiß : freie , klare Berghäupter waren herrlich ; aber waren Berge , die durch Wolkenschleier brachen , waren nebeldampfende Zacken und Schroffen nicht eigentlich noch schöner ?
Wenn solch ein millionenjähriger Riese durch Wolken äugte , daß man nicht wußte , was ist Wolke , was ist Stein - war das nicht zum Grausen schön ?
Mußte nicht gleich aus jenem Wolkenmantel das Gesetz des Herrn hervorbrechen , wie einst aus Nebeln des Horeb ?
Eigentlich wollte Asmus immer nach zwanzig Schritten verweilen und in Abgründe des Staunens und Sinnens versinken ; denn alle zwanzig Schritt war die Welt ja wieder anders , ganz anders , und ein Tag war hier wie tausend Jahre !
Er wollte so wandern , wie er zu lesen pflegte .
Aber da kam er bei seinem kaufmännischen Freunde an den Rechten !
Der war ein Präzisions-Wanderer und Chronometer-Renner ; er mußte sein Pensum erledigen .
So und so hatte er die Reise eingeteilt , und genau so mußte sie abschnurren .
Beim nächsten Viertel Wein leitete Asmus eine Konferenz ein : ob man nicht ganz anders reisen und auf den Reiseplan recht fröhlich pfeifen wolle .
Aah - nicht daran zu denken !
Herr Schleppegrell machte ein Gesicht , als ob man ihn zu einer Wechselfälschung verleiten wolle .
Von nun an blieb Asmus meistens zurück , allein oder mit Globendorf , der eigentlich gern wie Asmus gewandert wäre , aber ein viel zu versöhnlicher Mensch war , um Schleppegrellen zu kränken .
Schleppegrell war immer voraus ; denn er wollte zwanzig Kilo in den Alpen verlieren .
Und wenn Asmus irgendwo eine Andacht von drei Minuten verrichtet hatte , mußte er wieder drei Minuten traben wie der Bote von Marathon .
Schleppegrell war unerbittlich .
" Herr Schleppegrell , " sagte Asmus , " es ist sehr freundlich von Ihnen , daß Sie den Reiseplan so schön ausgearbeitet haben und uns führen ; aber ich bin nun einmal ein Mensch , der nicht gern über sich verfügen läßt .
Ich lasse mich nicht an einem Nasenring durch die Alpenwelt ziehen . "
Da sprach Herr Schleppegrell einundeinhalb Tage lang kein Wort .
Aber er war ein braver Mann und hob nach einundeinhalb Tagen plötzlich wieder an zu reden wie Zacharias , der Vater des Johannes !
Und von nun an bestand ein stillschweigendes Kompromiß zwischen Fortschritt und Beharrung .
Aber das gelobte sich Asmus im stillen :
Mit Schleppegrellen niemals wieder !
Als sie drei Wochen zwischen Bergen gewandert waren , hatte Asmus das Gefühl , daß sich ein Ring um seine Brust gelegt habe , der sich täglich enger zog .
Er wußte nicht , was ihm fehlte : ringsumher war alles so schön , so schön , und doch war ihm nicht gut .
Sie waren im Salzkammergut und kamen an den Atter-See .
Da offenbarte sich_es .
Der Atter-See hat nur an drei Seiten Berge , nach Norden lacht er in die Ebene .
Und wie der Blitz fuhr Asmussens Seele zu diesem Loch hinaus gleich einer gefangenen Nachtigall , die eine Tür offen sieht , und schrie :
" Und frische Nahrung , neues Blut , Saug ich aus freier Welt ! "
Wie war er plötzlich glücklich , wie namenlos glücklich !
Dem Sohn der Ebene , wenn er drei , vier Wochen zwischen Bergen gelebt hatte , legten sich alle Berge ringsum auf die Brust , und selbst der erhabene Felsensaal des Vierwaldstäter Sees wurde ihm endlich zum dichtverschlossenen Zimmerchen .
- Inzwischen war sein Stück gedruckt worden , und er versandte es an die Bühnen , nach Berlin , Wien , Dresden , München , Hamburg u. a. m .
Es ging aufs Haar genau wie bei seinem ersten Drama : keine Antworten oder Ablehnungen .
Zum Teil sehr höfliche , sehr anerkennende Ablehnungen , aber Ablehnungen .
Und Asmus der Sanguiniker und Optimist war nicht einmal so , daß er von allem nur das " Nein " hörte .
Aus einer großen Stadt kam ein sehr ernsthaftes , eingehendes und anerkennendes Schreiben , und er war sehr glücklich darüber ; es gab doch Hoffnung , daß man sein Werk - anderswo nehmen könnte .
Aber dann ging es Herbst und Winter hindurch mit Schweigen und Ablehnung , Ablehnung und Schweigen . -
Nun hatte er ein ganzes Jahr der Freiheit genossen ; nun hatte er vor aller Welt einen - mit Mißgunst betrachteten - langen Urlaub gefordert , hatte von einem hochgesinnten Manne ein reiches Geldgeschenk angenommen - und nichts erreicht .
Nichts konnte er für all diese Wohltat wiedergeben .
Er stand vor sich selber da als ein Wortbrüchiger , als ein Aufschneider , ein Schelm , der Versprechungen gab , die er nicht halten konnte .
Es kam der erste Tag , da er wieder zur Schule mußte .
Als er zu seinem Stockwerk hinaufstieg , standen da am Treppenabsatz zwei Kollegen .
Sie flüsterten sich schnell etwas zu und lachten dann einander an , und sie sahen ihn an und lächelten .
Sie waren keine Virtuosen der Verstellung ; man konnte verstehen , was sie meinten !
Er hatte die alte Doppellast wieder auf die Schultern genommen .
Er schrieb viel für ein Witzblatt und man wünschte immer noch mehr , als er schreiben konnte .
Das brachte Geld ; aber es brachte auch Stunden , da er rief : " Verdammt - her mit einem Witz !
Her mit einem Gedicht !
Her mit einer Geschichte !
Fluch über dieses Hundeleben ! "
Und endlich kam der Zusammenbruch :
Schluß machen mit der Dichterei für immer !
Examen machen , immer mehr Examina und dann Karriere machen !
Die Sterne , die begehrt man nicht ; man strebt nach höheren Gehältern .
Und eines Mittags , als er müde und zerbrochen aus der Schule kam und auf seinem Bücherbrett die sauber und hübsch geschichteten Exemplare seiner " deutschen Komödie " liegen sah , da sagte er zu seiner Frau : " Bitte , schaffe sie fort ; gib sie einem Lumpenhändler oder wirf sie ins Feuer ; es wird doch nichts draus . "
Und da geschah etwas Unerhörtes .
Hilde Semper legte ihm beide Hände auf die Schultern und sagte mit Lachen :
" Du lieber Junge !
Da sei nur ganz getrost : daraus wird doch einmal was . "
Sie , ein Zögling des Kummers , ein Pflegling des Schmerzes , sie , die jede Gunst des Schicksals dankbar erkannte und genoß , aber nie eine Gunst vom Schicksal erwartete , sie erwartete , sie hoffte , sie glaubte !
Er sah sie an , so lange , wie er sie wohl noch niemals angeschaut hatte ; dann nahm er das edle Oval ihres Gesichtes zwischen seine Hände , küßte ihr die Stirn und sah sie an , küßte ihren Mund und sah sie wieder an und küßte ihre beiden Augen und war wieder der alte junge Semper .
Und am Abend schickte er ihr durch die kleine Sigrun ein Blatt , darauf stand geschrieben : Kameraden .
Manchmal aus aller Wirrnis und Plage Hebst du den Blick , Schweigend zu forschen , wie ich sie trage : Sorgen und Mühen - unser Geschick .
Manchmal am dunklen , schleichenden Tage Sucht dich mein Blick , Sucht dich mit stummer , mit bebender Frage :
Wie noch erträgt sie_es , unser Geschick ?
Dann an milderen , lichteren Tagen Mag es geschehen , Daß unsere Augen sich finden im Fragen Und ihr zitterndes Leuchten verstehen , Daß sie sich bannen - und stiller dann leuchten , Stille .
- Und fern , Fern aus den Nächten , die ewig uns dünkten , Wächst ein milder , ein ewiger Stern ! XXXVII. Kapitel .
Die Welt stellt sich auf den Kopf und Asmus auf seinen Dickkopf .
Wenige Tage darauf hatte er einen Brief an Honorius zu schreiben , einen trotz seines lateinischen Namens vollkommen deutschen Mann , der in Dresden eine Zeitschrift herausgab .
Asmus Semper pflegte sonst seinen Kummer ebenso fest in sich zu verschließen , wie er seine Freude frei heraussprudelte ; selbst seiner Hilde verbarg er gern seine größten Sorgen ; er hielt es für seine Aufgabe , für die Seinen eine Sonnenuhr zu sein mit der Aufschrift " Horas non numero nisi serenas , nur die heiteren Stunden zeige ich " .
Aber es gibt Stunden , da man wie auf höheren Willen anders ist , als man eigentlich ist , und er mußte wohl zufällig eine solche Stunde haben ; denn er gestand dem vertrauenswürdigen Manne , daß er ein Stück geschrieben habe und es nirgends anbringen könne .
In Hamburg , so etwa schrieb er , gebe es keine Clique , der man sich anschließen könne , wenn man etwa den Geschmack dazu haben sollte , und die Sonne des Berlinertums scheine nicht bis in den Nordwesten Deutschlands .
Honorius erbat sich das Stück , und es dauerte kaum eine Woche , da erhielt Asmus auf dem Wege zur Schule einen Brief , den er sofort öffnete und las und der ihn gleich darauf vor Freude über einen Kantstein stolpern machte .
Honorius war voll wärmster Anerkennung über das Stück ; er wollte in seiner Zeitschrift die Trommel rühren , mehrere Szenen daraus abdrucken und sogar , was sonst bei Nachdrucken nicht seine Gewohnheit sei , Honorar zahlen .
Asmus gab zunächst eine sehr konfuse Chemiestunde , bei der er sich die Finger mit Phosphorwasserstoff verbrannte , und schlug obendrein , als die Pause gekommen war , dem strengen Verbot " gegen die Verwendung der Schüler zu Privatzwecken " ein Schnippchen , indem er einen seiner Jungen mit dem Brief zu seiner Frau schickte .
Sie sollte es sofort erfahren ; vier Stunden Sonne mehr oder weniger bedeutet viel in einem Menschenleben .
" Siehst du ?
Was habe ich dir gesagt ?! " rief Hilde , als er nach Hause kam .
Ihr Optimismus triumphierte über seinen Pessimismus .
Es war eine ganz verkehrte und verrückte Welt .
Sie sollte aber noch viel verrückter werden .
Honorius rührte die Trommel , und an einem Oktobertage kam wie ein Blitz im Winter ein Telegramm .
Der Empfang mußte feierlich bestätigt werden .
Das Hoftheater in Dresden erbat sich den " Zweikampf " zur Prüfung .
Eine Viertelstunde darauf lag er im Briefkasten .
Schon am folgenden Tage kam ein neues Telegramm .
Ob das Hoftheater die Uraufführung haben könne ?
Könne es haben , depeschierte Asmus .
Ob es sie haben konnte !
Am folgenden Nachmittag , als Asmus sich nach sechs ausgiebigen Unterrichtsstunden hingestreckt hatte , öffnete sich plötzlich die Schiebetür zu einer schmalen Spalte ; sie brauchte nur schmal zu sein ; denn eine schmale weiße Hand langte hindurch und schwang wie ein Fähnlein ein Telegramm .
" Wir nehmen Ihr Stück ; Aufführung Anfang Dezember . "
Siehe , da waren Schlaf und Ruhe dahin .
Wenn er sehr , sehr froh war , konnte er nicht schlafen .
Seine Leiden , Sorgen und Kümmernisse , wenn sie nicht allzu ausgewachsene Bestien waren , hatte er fest an der Kette ; er konnte ihnen " Kusche ! " zurufen , und dann kuschten sie für mehrere Stunden , und er konnte schlafen durch Willenskraft ; aber gegen das Glück war er machtlos ; schon ein kleines Glück war oft stärker als er ; dann lag er halbe , lag er ganze Nächte ohne Schlaf und starrte lächelnd ins Dunkel und bedauerte nicht seine Wachheit .
Nun kamen auch Hamburg , München , Leipzig , Wien und Berlin und nahmen sein Stück , bevor es gegeben war .
Die Freunde wurden immer kleinlauter mit ihren Unkenrufen und machten länglich-glückliche Gesichter ; Löwenklau aber schrie in einem seiner Briefe - denn er schrie auch brieflich - :
" Hurra , mein Semper , jetzt sind Sie durch !!!!!!
Das Stück wird einen kolossalen Erfolg haben , und den danken Sie Ihrem Genie , Sie Kämpfer !
Ich sehe Sie schon als Hoftheaterintendant und Exzelllllllenz mit 97 Orden !!!
Und niemand wird sich inniger über Ihr Glück freuen als Ihr Löwenklau . "
Asmus war so glücklich , daß er ihm nicht einmal das " Genie " übelnahm .
Als er gegen das Ende des November in Dresden angekommen war , ging er des Abends in die Hofoper , wo man " Rigoletto " gab .
Ja , da spürte man es an jedem Ton und an jeder Gebärde , an jeder Kulisse und jedem Statisten : hier war man in besten , sorglichsten Händen .
Vom " Rigoletto " kam er wieder einmal trunken heim , trunken vom Nachtigallenschlag .
Er hatte eine Zeit erlebt , da man sich zu solcher " Leierkastenmusik " nicht bekennen durfte , wenn man sich nicht blamieren wollte .
Die Deutschen hatten wieder einmal ein Genie , das diesmal Richard Wagner hieß , in eine Theorie umgeschustert .
Diese Theorie verbot die Nachtigallen , weil sie keine Musikdramen singen .
Aber es gibt keine Theorien gegen Nachtigallen .
Auf dem Theaterzettel dieser Bühne stand :
" In Vorbereitung : Der Zweikampf .
Eine deutsche Komödie von Asmus Semper . "
Das war schon sehr viel , war schon ein Gipfel , auch wenn das Ende ein Mißerfolg war .
Die Herren von der Bühnenleitung empfingen und behandelten ihn mit ehrenvoller Auszeichnung , und der Generalintendant und sein Stab gaben ihm ein Essen , bei dem Asmus sich sorgenvoll fragte , ob sein Stück mit solchen Rebhühnern und solchem Haut Lafite nicht überzahlt sei .
Tag für Tag gab es dann eine vier- bis fünfstündige Probe .
Und hier zeigte Asmus wieder einmal , daß er von Haus aus ein dickköpfiger Kerl war .
Eine der Hauptrollen nämlich war falsch besetzt .
Und statt nun seelenfroh zu sein , daß sein Stück an einem allerersten Theater gegeben wurde , und zu allem Ja und Amen zu sagen , sagte er gerade heraus , daß der betreffende Schauspieler gar nicht gut sei , sich für die Rolle gar nicht eigene , und sagte es auch in aller Höflichkeit dem Schauspieler selbst .
Der gehörte nun zu jenen Bühnenkünstlern , die den Dichter in allen Darstellungsfragen für den natürlich gegebenen Ignoranten halten , wie man denn überhaupt in Deutschland daraus , daß jemand irgend etwas versteht , zuerst und vor allen Dingen den Schluß zieht , daß er von allem anderen nichts verstehe .
Nun aber hatte Asmus offenbar von irgend einem Vorfahren her einen gewaltigen Einschuß von Theaterblut mitbekommen , und so bestand er auf seiner Meinung , weil er sich im Recht wußte .
Der Schauspieler mochte denken :
Wie kommt dieser unberühmte Neuling dazu , mir , einem ausgezeichneten Darsteller ( der er am richtigen Platze auch war ! ) Vorschriften zu machen ? - und sagte mit einer ungezogenen Gebärde :
" Ich werde die Rolle spielen , wie ich es für richtig halte . "
" Dann sehe ich nicht ein , warum ich hier meine Zeit verlieren sollte , " sagte Asmus , ging in sein Hotel und benutzte den nächsten Probetag dazu , die Sammlungen im " Zwinger " und dem " Großen Garten " zu genießen .
Indessen der Regisseur , ein gebildeter und ernster Mann , stand ganz auf der Seite des Dichters ; er mußte wohl eine Unterredung mit dem Schauspieler gehabt haben ; denn dieser entschuldigte sich und war nun ganz Höflichkeit und Zugänglichkeit .
Er gab auch sein Bestes ; aber das Beste der Rolle konnte er nicht geben .
Er sollte einen eleganten Mann darstellen , der durch seine Ansichten und Handlungen abstieß , durch sein äußeres Wesen aber immer wieder anzog , weil auf dem untersten Grunde seiner Eleganz doch so etwas wie ein Herz lag , wenn auch ein verkümmertes .
Eleganz aber muß angeboren sein wie die Grazie , und Herz kann kein Künstler der Welt spielen , wenn er es nicht hat .
So hatte Asmussens Hoffnung auf den Abend der Erstaufführung einen großen wunden Fleck. XXXVIII. Kapitel .
Eine schlaflose , sonnenhelle Winternacht .
Wie denn überhaupt diese Tage des Wartens ein unaufhörliches Schwanken auf bewegter Fläche waren .
Wenn er auf den Proben die natürlicherweise unfertige , stockende , oft unterbrochene Darstellung seines Werkes ohne Kostüm und Maske sah , so war ihm oft gottserbärmlich zu Mute ; selbst eine höchst ansehnliche Frau macht vor der ersten Morgentoilette nicht immer einen vorteilhaften Eindruck .
Wenn er dann aber sah , wie ein hoher alter Herr , der den Proben gelegentlich beiwohnte , sich bei gewissen Stellen die Augen trocknete , so wurde ihm wieder besser ; ein Lustspiel , bei dem ein vielerfahrener Mann richtig weinen kann , ist selten ganz wertlos .
Indessen : alle diese Stimmungen spielten doch nur auf der Oberfläche seines Wesens , und als sie ihm unbehaglich wurden , schnitt er sie ab " durch den bloßen Vorsatz des Willens " .
Er wollte nicht mehr seekrank sein und war es nicht mehr .
Als er am letzten Tage , einem sommerlich warmen Dezembermittage , seine Hilde wie einst vom Bahnhof holte , war er nur noch Glück und gedachte kaum mit flüchtigen Gedanken der bevorstehenden " Schicksalswende " .
Eine in Dresden lebende Freundin seiner Schriften hatte das Paar zum Essen geladen ; er aß mit gänzlich unerschüttertem Appetit die ganze stattliche Speisenfolge herunter und unterhielt sich vortrefflich , und im Hotel schlief er dann , während Hilde mit frommer Andacht Theatertoilette machte , eine ausgereckte Stunde tief und traumlos , wie man es auch sonst von Missetätern vor ihrer Hinrichtung berichten hört .
Das kam daher , daß er äußeren Umständen und Ereignissen nur selten einen tieferen Einfluß auf sein Inneres gestattete .
Die großen Umwälzungen seines Lebens waren immer in seiner Seele und ziemlich unabhängig vom Lauf der Welt vor sich gegangen .
Die Dinge sind das , was wir aus ihnen machen ; das galt bei keinem Menschen mehr als bei Asmus Semper .
Eine Ausnahme machte er : den Menschen , die er liebte , seinem Weib , seinen Kindern , seinen feuer- und wasserechten Freunden durfte nichts Schlimmes geschehen ; was ihn sonst an äußeren Schicksalen traf , vermochte sein Gleichgewicht nicht zu erschüttern .
Daß es dennoch Schicksale gibt , die uns gründlicher umwerfen als selbst das Leid unserer Lieben , daß es Dinge gibt , die nicht wir formen , sondern die uns formen , das sollte er erst später erfahren .
So saß er denn am Beginn der Vorstellung Hand in Hand mit seiner Geliebten ganz hinten im Dunkel einer Loge , wo ihn niemand sah und kannte , saß da , fast so ruhig wie bei einem fremden Stücke .
Das dauerte so etwa fünf Minuten , da ging ein helles Lachen durchs ganze Haus .
Das war Glück , und folgerichtig begann Herr Semper milde zu fiebern .
Er zog seine Hand aus der Hand seiner Nachbarin , damit sich das Fieber nicht übertrage .
Es wurde wieder und wieder gelacht : die Stimmung im Hause wurde immer besser , immer leuchtender , immer wärmer , und am Schlusse des Aktes rauschte stürmischer Beifall zur Bühne hinauf .
Dem zweiten Akt erging es nicht schlechter , eher besser ; gegen seinen Schluß winkte ein Theaterdiener den Verfasser aus der Loge heraus ; der Generalintendant lasse bitten , sich dem Publikum zu zeigen .
Das geschah bei gesteigertem Fieber drei- oder viermal , und dann wurde gleich auf der Bühne , hinter dem Vorhang , ein mündlicher Vertrag geschlossen :
Asmus sollte sein nächstes Stück zuerst dem Dresdener Hoftheater anbieten ; dafür wolle das Hoftheater sich wieder binnen drei Tagen entscheiden .
Im nächsten Akte gab es einen gefahrvollen Augenblick ; in einer sehr ernsten Szene suchte der angestammte Komiker der Bühne einen Lacherfolg für sich herauszuschlagen .
An solchen Augenblicken kann das Schicksal eines Dichters hängen ; denn ein Publikum , das den Bann der Dichtung durchbrochen hat , ist schwer wieder einzufangen .
Aber der Schauspieler hatte diesmal kein Glück ; der Ernst der Zuhörer war stärker als seine Absicht .
Alles ging gut ; den falsch besetzten eleganten Mann nahm das Publikum hin als ein Geschöpf des Dichters , weil es sein wahres Geschöpf nicht kannte , und im übrigen war die Darstellung des Stückes ein vollkommener Genuß .
Als Asmus nach dem Schlusse mit höchstem Fieber auf der Bühne erschien , brach der Beifall wie ein schwerer , warmer , prasselnder Gewitterregen auf ihn nieder ; er sah in lauter helle , lächelnde , freundliche Gesichter , vernahm unaufhörliches Rufen , das er nicht verstand , und begriff nicht , woher auf einmal so viele gütige , sonnige , dem Nächsten holdgesinnte Menschen kämen .
Er wußte ja bei all seinem Menschheitsglauben recht gut , daß die gütigen Menschen dünn gesät seien ; darin mußte sich offenbar etwas geändert haben .
Die nächste Aufgabe war es nun , seiner Mutter , seinen Kindern und seinen Freunden die Siegesbotschaft durch den Draht mitzuteilen .
Wer das für eine leichte Aufgabe halten würde , der würde sich irren .
Zunächst galt es , jede Tasche dreimal nach Papier zu durchstöbern ; denn auf den raffinierten Gedanken , sich dergleichen aus dem ganz nahegelegenen Regiezimmer zu holen , verfiel er nicht .
Als er dann Papier hatte , fiel ihm ein , daß er dem technischen Personal wohl erst ein Geldgeschenk machen müsse , das zu seinem Glück einigermaßen im Verhältnis stehe ; als das geschehen war , mußte wieder in allen Taschen nach einem Bleistift gesucht werden ; dann mußte er erst dem vorübergehenden Inspizienten für seine gewissenhafte Wachsamkeit danken , und als ihm dann der Vorhangzieher barmherziger Weise einen Bleistift geliehen hatte , mußte das hartnäckige Zittern der Hand oder sagen wir lieber des ganzen Körpers überwunden werden .
Wie er nun das Telegramm an seine Mutter schrieb , mußte er immer daran denken , wie seine Kinder springen würden ; bei der Depesche an seine Kinder malte er sich aus , wie seine Mutter triumphieren werde , und als er die Nachricht an die Freunde abfaßte , mußte er bald an seine Mutter , bald an seine Kinder und bald an seine Freunde denken .
Bevor er aber diese Depesche schrieb , mußte er erst den Theaterdiener um ein Glas Wasser bitten ; denn sein Schlund schmerzte ihm vor Trockenheit .
Als dann die drei Schriftstücke fertig waren , machte ihn der Diener darauf aufmerksam , daß auf dem einen die Ortsangabe fehle , auf dem anderen die Adresse überhaupt , und fragte , ob das , was auf der Rückseite des dritten stehe , auch mitgedrahtet werden solle .
" O Gott , nein , nein ! " rief Asmus ; es war nämlich der Entwurf zu einer Abhandlung über den Monolog im Drama , der seinen Kindern nicht telegraphiert zu werden brauchte .
Die Herren der Intendanz , die Regie , die Hauptdarsteller , fremde Bühnenleiter , Agenten , befreundete Schriftsteller u. a. m. hatten sich mit Sempern nach einem besseren Gasthause verabredet , und als das glückliche Paar den Raum betrat , wurde es mit lautem und langem Händeklatschen empfangen .
Und bald war jenes ununterbrochene , bunte , lustige Feuerwerk im Gange , das immer entbrennt , wo Menschen der Bühne am Tische sitzen und die wechselnden Bilder ihres fahrenden Lebens entrollen .
Überall sind sie zu Hause , überall sind sie daheim ; jeder kennt jeden und weiß von ihm ein Stücklein zu erzählen , meistens ein lustiges , oft auch ein boshaftes ; aber auch das boshafte wird mit so viel Kunst und Anmut vorgetragen . daß man ohne Bosheit lachen kann .
Die Schauspieler sorgen besser für die Unterhaltung des Publikums , als das Publikum für ihren Unterhalt .
Einen dreimal destillierten Theatergeschäftsmann fragte Asmus , ob die Aufführung auch nach seinen Begriffen ein Erfolg sei .
" Nein , " sagte der Mann , " nein , Herr Semper , das war nicht ein Erfolg , das waren gleich mehrere ; das war ein Erfolg , aus dem man gut und gern drei machen kann . "
Es war schon nach Mitternacht , als das Paar sich verabschiedete und ins Hotel fuhr zur zweiten , stilleren , höheren und eigentlichen Feier .
Es war fast wie einst , als sie vom Hochzeitsfeste heimfuhren ; nach langem Harren winkte ein wärmeres Leben ; sie schienen sich wie aufs neue vereint zu einem neuen Glück .
" Sie werden aber diese Nacht gut schlafen ! " hatte eine Dame beim Abschied gemeint .
Das war ganz falsch ; sie schliefen fast gar nicht .
Sie glaubten , nun sei der schwerste Kampf ihres Lebens überstanden. XXXIX. Kapitel .
Herr Semper fühlt sich versucht , einen Polizeiherrn zu umarmen .
Und als sie folgenden Tages heimfuhren , glückselig ohne Übermut und darum dritter Klasse , da hatten sie , wie ein Fürstenpaar , von Dresden bis Hamburg einen ganzen Wagen für sich allein und tobten darin wie Schulkinder , wenn der Lehrer nicht da ist .
In der Tat : Magister Schicksal ließ sie einen ganzen Tag ohne Aufsicht ; er schien sie vergessen zu haben , und sie machten es sich zunutze .
Wenn der Schaffner notgedrungen einmal durch den Wagen gehen mußte , so schien sein Gesicht um Entschuldigung zu bitten und zu sagen :
Ich weiß : Hochzeitsreisende ; ich störe sehr ungern ; aber die Pflicht , die Pflicht . . . Asmus machte nie Bestechungsversuche , weil er meinte :
Deutschland muß rein bleiben , wenn es groß bleiben soll .
Auch erwartete er von jedem deutschen Beamten , daß er ihm den dargebotenen Taler vor die Füße werfen werde .
Aber eine nachträgliche Bestechung , beim Aussteigen in Hamburg , hielt er hinwiederum für Ehrenpflicht , weil es ihm nicht in den Sinn wollte , daß so viel Menschenfreundlichkeit und Zartgefühl unbelohnt bleiben sollte .
Der Tanz mit nackten Beinchen , den die Kinder bei der Heimkehr der Eltern in grauer Morgenfrühe aufführten , gefiel den beiden ersichtlich besser als irgend ein " Ballett-Divertissement " aus der " Afrikanerin " oder der " Margarethe " .
Und als Asmus nun die Zeitungen mit den Rezensionen auseinanderfaltete , da wollte er zunächst seinen Augen nicht trauen .
So viel Lob hatte er in seinen kühnsten Träumen nicht erwartet , und er schämte sich förmlich , daß er über Nacht solch ein Mordskerl geworden sei .
Und ein Mann hatte bei Gott den Mut , zu schreiben :
" Der Naturalismus kannte keine ungebrochenen freudigen Menschen ; er kannte nur nervöse , schwächliche , verlogene , verbitterte , in sich erschöpfte Naturen .
Er kannte kein frohes Gelächter , er kannte keine poetische Vergeltung - dergleichen kam ja im Leben , so wie er es verstand . niemals vor !
» Doch ! « ruft das Publikum millionenstimmig , » dergleichen kommt wohl vor !
Wir wollen das sehen ! «
Es wirkte befreiend , daß Patrone , die man als kraftlose Wichtigtuer längst erkannt , die aber die Kunst verstanden hatten , sich einen Klüngel zu bilden und niemanden neben sich aufkommen zu lassen , endlich einmal als das abkonterfeit wurden , was sie wirklich waren .
Diese Komödie könnte den alten Wahlspruch " In tyrannos " tragen . "
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich sein Name und die Kunde von seinem Erfolge durch ganz Deutschland und darüber hinaus .
Man wollte sein Bild abdrucken , obwohl er physiognomisch zu dem belvederischen Apoll keine Beziehungen hatte , wollte den Lesern die Lebensgeschichte dieses Menschen erzählen , von dem man ja bis dahin gar nichts gewußt hatte !
Man schickte ihm Glückwunschdepeschen und Blumen von nah und fern , und Honorius veranschlagte den Tantiemensegen auf etwa 50000 Mark .
Asmus konnte sich in all seiner Freude eines heimlich-bitteren Lächelns nicht erwehren .
Siebzehn Jahre lang hatte er gerungen , freilich unter dem Beifall allerbester Männer und Frauen ; aber in der sogenannten " Öffentlichkeit " hatte kein Hahn nach ihm gekräht , und an der Beschaffung des täglichen Brotes hatte er sich schier zuschanden gerungen .
Jetzt mit einem Male " konnte er was " , war er ein " Faktor " , eine " Potenz " .
Das Buch redet in einsamer Kammer mit stummen Zeichen und durch das kühle Auge zu Einem ; das Drama spricht in festlicher Versammlung mit lebendiger Lippe und Gebärde und durch Auge und Ohr allabendlich zu Tausenden .
Das schafft den schnell sich verbreitenden Erfolg , und dieser plötzliche , überraschend in die Weite wachsende Triumph ist es , der dem Dramatiker den furchtbaren Neid erweckt .
Einstweilen aber blühte die Freude noch weiter .
Er wollte für sein Leben gern nach Wien , um sein Werk an der geweihten Stätte deutscher Bühnenkunst , am Burgtheater , zu sehen und einstudieren zu helfen .
Aber dazu gehörten elf Tage Urlaub , und soviel durfte sein Freund Murow nicht geben ; das konnte nur der Herr Senator Hartmann , sein höchster Vorgesetzter .
Und es kam Asmussen etwas reichlich frech vor , nach so langem Urlaub schon wieder mit der gleichen Bitte zu kommen .
Aber die Versuchung war zu groß , und so kratzte er denn alle Stilkünste , über die er etwa verfügte , zusammen und begründete in einem acht Seiten langen Gesuch ausführlich und zwingend , daß ein deutscher Dramatiker unbedingt zu einer Erstaufführung nach Wien müsse .
Der Herr Senator war ehemals der strenge und schneidige Polizeiherr von Hamburg gewesen , und Asmus versprach sich wenig Erfolg .
Der Souverän - denn ein Hamburger Senator ist souverän wie ein König - beschied ihn zu sich .
Das war schon auffällig ; er konnte ja sein Ja oder Nein aufs Gesuch schreiben und damit basta ; dem Herrn Semper sollte wahrscheinlich mündlich bedeutet werden , daß er reichlich anspruchsvoll sei .
" Na , Herr Semper , Sie wollen nach Wien ?
Bitte , nehmen Sie Platz ! " sagte der Herr Senator .
" Ja - wenn es möglich wäre - " meinte Asmus .
" Ja , warum sollte das nicht möglich sein ?
Wie lange wollten Sie weg ? "
Er blickte in das Gesuch .
" Elf Tage ?
Und darum Räuber und Mörder ?
Die hätte Ihnen doch der Herr Schulrat auch geben können . "
" Der Herr Schulrat meinte , ich solle mich lieber an Sie wenden .
Vielleicht , weil ich erst ein Jahr Urlaub gehabt habe . "
" Na ja , wenn schon .
Das sagt ja nichts .
Wenn Sie Mal wieder 'n Jahr frei sein wollen , um sich ungehindert der Dichtung widmen zu können , dann genieren Sie sich nicht ; da wird nichts im Wege sein . "
Umarmungen aus überquellender Dankbarkeit sind schon einem preußischen Polizeipräsidenten gegenüber nicht am Platze , bei einem Hamburger Senator aber noch tausendmal weniger .
" Innigsten Dank " zu sagen , wäre ebenfalls noch dichterischer , unhanseatischer Überschwang gewesen ; denn es gibt Dinge , für die man noch inniger dankt als für freigebig erteilten Urlaub .
Überhaupt , was heißt " inniger " Dank .
Wenn man in Hamburg dankt , so tut man ' s immer von innen ; also was soll der Pleonasmus ?
Nur " danke " zu sagen , das war Sempern wiederum viel zu kahl .
Und so kam er vor lauter Zweifeln überhaupt nicht zum Reden ; erst als der Senator dem mit weniger geistreich als selig geöffnetem Munde und noch viel geöffneteren Augen Dasitzenden die Hand reichte und rief : " Nun , Herr Semper , dann wünsche ich Ihnen eine angenehme Reise und allen möglichen Erfolg ! " da rief Asmus :
" Vielen , vielen Dank Herr Senator ! " und entlud in seinem Händedruck die aufgestaute Seelen- und Körperwärme .
XL. Kapitel .
Asmus Semper besucht einen Schutzengel .
Bevor wir unseren glücklichen Urlauber nach Wien begleiten , müssen wir eine kurze Nachricht über eine merkwürdige Entwicklung seiner Weltbetrachtung nachholen .
Des Deutschen stärkste Kraft sind Ernst und Gründlichkeit .
Der Ernst und die Gründlichkeit , mit denen er jede Aufgabe anfaßt , sicheren ihm den Erfolg und den Sieg über seine Feinde .
Aber diese Tugend hat wie alle Tugenden ihre Kehrseite : das ist des Deutschen Sauertöpfigkeit .
Er hat noch nicht die Höhe gefunden , auf der sich Ernst und Heiterkeit vereinigen .
" Düstere Bestien " hat daher der Sonnensohn von Frankfurt , der ernste Arbeiter von Weimar seine Deutschen genannt .
Auch Asmus Semper hatte sein dichterisches Schaffen als düstere Bestie begonnen , und so sehr er im Umgang mit seiner Umgebung zu jeder Art von froher Laune geneigt und zu jedem lustigen Übermut bereit war , so fest war er davon überzeugt , daß nur Blut und Tränen die wahre , eigentliche Tinte für einen Dichter ergäben .
" Und Finsternis lag auf der Tiefe . "
Das war für diesen Menschen ein ganz widernatürlicher Zustand ; denn die eigentliche , unterste Tiefe seines Wesens war eitel Licht , war Glaube an die Güte der Welt .
Und von Zeit zu Zeit brach - seltsam genug - ohne daß er es wollte , ein Glanz aus dieser Tiefe durch alle Finsternis nach oben , und nur zögernd , fast widerstrebend ließ er solchen Glanz in seine Feder fließen .
Der fest gewickelte Zopf der deutschen Düsterkeit hing ihm noch hinten .
Aber - das Seltsamste von allem - gerade in seinen trübsten und schwersten Tagen und Jahren brachen immer mehr solcher Strahlen wie freiwillige Hilfstruppen aus verschanzten Lagern seiner Seele hervor und überfluteten das weiße Papier vor ihm mit wachsendem Leuchten .
Und niemand war überraschter als Semper , da man ihn eines Tages als " Humoristen " ansprach .
Er nahm diesen Titel nicht an , weil er jetzt nach berufsmäßiger Heiterkeit klingt - auch die Lustigmacher in den Singspielhallen nennen sich " Humoristen " - aber er ließ ein ganzes Buch von humoristischer Art erscheinen .
Wer aber vor seine Deutschen als Humorist hintritt , der nimmt eine Art von Martyrium auf sich .
Nicht , daß etwa der Deutsche nicht lachen möchte !
Auch Asmussens Buch wurde fleißig gelesen .
Kein Volk und kein Mensch kann des Lachens entbehren , und der Deutsche lacht eher zu leicht als zu schwer .
Aber hinterher schämt er sich des Lachens .
Was froh ist , nimmt er nicht ernst , und wenn er lustig ist , fürchtet er , nicht für voll genommen zu werden .
Und der größte Meister des Humors ist ihm als Künstler immer nur geringeren Ranges .
Ein Ibsen wird ihm - wenn er es auch nicht sagt - immer größer vorkommen als ein Moliere , weil ihm der Humor fehlt .
Ein Freund , der Asmussens Dichtungen vorzutragen pflegte , schrieb ihm eines Tages allen Ernstes , ob er in einem bestimmten Gedicht nicht " Beethoven " statt " Mozart " setzen dürfe , weil Beethoven doch der Tiefere sei .
Asmus nahm ein Blatt und schrieb darauf :
Über Rosenwolken ein geflügelt Schreiten , Gott im Auge , Blumen in der Hand ; Dann ein großes , jähes Flügelweiten In das ewige , das dunkle Land .
Das ist Mozart . " und schickte es seinem Freunde .
Die Deutschen wissen und glauben noch immer nicht , daß Jean Paul ein " Klassiker " ist , und zwar einer ihrer größten .
Darum haben sie so wenig Humoristen , so wenig gute Lustspiele , weil das freie , herzfrohe Lachen des Künstlers in Deutschland niemals Ermutigung gefunden hat .
Selbst im Lande des Nebels und des Spleens weiß man besser , wie ernst das Lachen ist .
Und nun gar in jener Zeit , da - mitten im kalten Winter - Asmussens Humor auftaute , war im ganzen deutschen Reiche das Lachen durch Rezensentengesetze verboten .
Asmus glaubte mit Friedrich Theodor Vischer , daß man in dieser Welt lachen dürfe , weil in dieser Welt der Gott des Guten endlich den Fliegengott , Verderber und Lügner überwindet und Fausten in die Klarheit führt .
In der Tat , wenn diese Welt eine sichere Beute des Bösen wäre , so könnte ein fühlender Mensch niemals , niemals lachen , und sie wäre auch am sonnenhellsten Hochzeitstage ein Abgrund des Grauens .
Und das war das Dogma dieser Zeit : daß der Mensch bis in die Wurzel unheilbar gemein und rettungslos ohnmächtig , daß das Weltgeschäft ein unaufhörlicher Bankrott , der Glaube an Tugend und Glück , die Hoffnung auf einen Weltfortschritt ein täglicher Selbstbetrug , und Lachen und Heiterkeit des Gemüts das nicht beneidenswerte Vorrecht der Trottel sei .
Jede andere Weltanschauung als diese war verboten , das war Asmussen wohl bekannt ; aber von der Wut , die ein helles , lachendes Auge bei einer gefangenen Nachteule erregt , hatte er doch keine Vorstellung .
- In Nichtahnung aller solcher Dinge fuhr er fröhlich gen Wien .
Die Deutschen in Wien haben in manchen Dingen einen anderen Geschmack als die Deutschen im Reiche ; was dort gefällt , braucht nicht auch hier zu gefallen und umgekehrt .
Es ging also auf ein neues Wagen hinaus .
Wie eine fromme Seele vor einem wichtigen Ereignis gern eine geweihte Stätte aufsucht , um sich in Andacht zu erheben und zu stärken , so stieg Asmus gleich am ersten Tage am Franzensring zur Witwe Friedrich Hebbels , zu Christine , hinauf , die ihn zu sich gebeten hatte .
Acht Jahre zuvor , als Friedrich Hebbel in der dreifachen Truhe der Literaturgeschichte noch einen wenig gestörten Schlaf schlief , hatte Asmus ihn für sich entdeckt und hatte alle Ausbrüche dieser Vulkanseele in ununterbrochenen heiligen Erschütterungen durchlebt , und ein Jahr darauf , dreißig Jahre nach des Gewaltigen Tode , hatte er seinen Hamburgern laut verkündet :
Er ist auferstanden ! und hatte versucht , in Zungen einer Pfingstbegeisterung den Geist des Erstandenen über seine Zuhörer auszugießen .
Was er geredet und geschrieben , war vor Christinnen Augen gekommen , und sie hatte ihm das Beglückendste geschrieben , was der Schutzengel Hebbels ihm schreiben konnte .
Er hatte ihr dann den " Zweikampf " geschickt , und sie hatte ihm auch darüber geschrieben .
Christine war nicht Professor der Literaturgeschichte , das wußte er ; sie war überhaupt keine " literarische Instanz " wie Aaron Baumblatt in Hamburg , und vielleicht war ihr Urteil ein vollkommener Irrtum ; aber was aus dem Herzen der Seelengefährtin und Retterin Friedrich Hebbels kam , das konnte seinem Herzen nicht gleichgültig sein .
Als er der hochbetagten Greisin gemeldet war und sie in den Empfangssalon trat , ergriff er die dargebotene Hand und neigte sich tief , um sie ehrfurchtsvoll zu küssen ; aber bevor er es konnte , nahm sie seinen Kopf zwischen beide Hände , sah ihn mit ihren wunderbaren Augen groß an und küßte ihm Stirn und Wange .
Da versank Asmus Semper meilentief in einen Abgrund von Scham und Glück .
Damals , in seinem sechzehnten Jahre , als die hübsche , heißäugige Flora mit ihm " ringen " und ihn küssen wollte , da war er ebenfalls in Scham und Verwirrung versunken ; aber es war eine ängstliche Scham und ein Abgrund voll rosigen Dunkels gewesen ; hier war es eine stolze Scham und ein Abgrund voll reinen Lichtes , voll weißer , seliger Sterne .
Im Äußeren freilich war die Wirkung dieselbe wie damals ; er stand da wie ein blöder Junge und wußte nichts zu sagen .
" Seien Sie mir vielmals willkommen , " sagte sie , und - wunderbar - die Stimme der Greisin klang wie ein herrlicher , ungebrochener Glockenton aus junger Brust .
Sie faßte seine Hand und führte ihn vor die Büste Friedrich Hebbels , die , von Lorbeer bekränzt und umgeben , in einer Ecke des Zimmers stand .
Und als sie hier saßen und mit ihren Gedanken in den Tempel des Dichters traten , da fand auch Asmus die verlorene Rede wieder ; sie sprachen von Judith und Klara , von Agnes und Gyges , und Asmus sang in hellen , heißen Tönen der Nibelungen Lob .
Sie nannte den Inhalt ihres Lebens mit keinem pomphaften , ruhmredigen Worte ; sie sagte " Hebbel " , wenn sie von ihm sprach .
Sie hatte gehört , daß man in Hamburg mit der Absicht umging , der armen Elise Lensing ein würdigeres Grab zu errichten , als es ihr bisher geworden , und legte beim Abschied in Asmussens Hände eine Summe Geldes , die helfen sollte , ihrer unglücklichen Vorgängerin und Nebenbuhlerin , der Mutter von Hebbels frühen Kindern , dem Herdfeuer seiner ärmsten Tage eine späte Ehre zu erweisen .
Und geheiligt und gereinigt wie ein Gläubiger nach gesammelter Andacht verließ Asmus das Haus Christinnen ; mit den Segensküssen dieser Frau auf Stirn und Wange konnte er manchen Stürmen und Fährnissen mit geruhigem Lächeln entgegensehen .
XLI. Kapitel .
Der Zweikampf vor einem Parkett von Königen .
Noch ein ganz anderes , aber auch ein freundliches Omen begrüßte ihn auf der ersten Probe im " Weaner " Burgtheater , als er , auf der Bühne stehend , hinter sich in einem prachtvollen Heldenorgan die ausreichend unwienerischen Worte hörte : " Segen Se mol den Lotgetter , wenn he mi noch mol verkehrt bescheid seggt , denn kriegt he ein an Backbord , dat'e gläuvt , em hat 'n Pferd pett't ! " Wundersam ergriffen - " Mit Schmerzenssehnsucht wird sie dich ergreifen , Wenn sie dir anklingt auf der fremden Erde ! " wandte Asmus sich um und blickte in ein gutmütig lachendes Gesicht , das nach allem anderen eher aussah als nach feindseligen Tätlichkeiten .
" Gun Dag , Herr Semper , " sagte dasselbe Gesicht , " See verstohn jo gottseidank auch 'n Wort Plattdeutsch .
Was mokt Hamborg ? "
Es war Geert Riemer , der Asmussens jungen deutschen Helden spielen sollte , und , beim Himmel , so sah der Mann aus !
Das war deutsche Kraft , deutsche Schönheit , deutsches Licht aus deutschen Augen .
Schallend fiel Asmussens Hand in die Hand eines neuen und treuen Freundes .
Wenn Asmus in seinen frühen Kindheitstagen einen überschwänglichen , unerfüllbaren Wunsch aussprach , so pflegte seine Mutter wohl zu sagen : " Ja ja , wenn_es Schiff von Holland kommt . "
Und dann war er sofort zufrieden ; denn er war tief überzeugt , daß über kurz oder lang dieses frachten- und freudenschwere Schiff in die Elbe bei Oldensund einlaufen werde .
Mit seinen 38 Jahren war er nun freilich zu alt , um noch an dieses Schiff zu glauben ; er erwartete jetzt andere Schiffe aus anderen Ländern , und zum mindesten träumte er gern von solchen Schiffen .
So malte er sich mit Vorliebe aus , welch ein Glück es sein müsse , wenn er sich einmal von allen Bühnen Deutschlands die Schauspieler aussuchen könnte , um seine Stücke zu besetzen .
Für jede Rolle den besten , den passendsten , der zu finden war !
Welch ein Fest !
Auch hier in Wien hatte er Anlaß zu solchem Traume , denn auch hier haperte es mit der Besetzung einer Hauptrolle bedenklich , und obendrein handelte sich es um eine Dame ; man mußte also noch Galanterie üben .
Überhaupt merkte Asmus , der Antidiplomat , daß er sich auf der Bühne schrittweise zum Diplomaten umbilden müsse ; man sollte vielleicht unsere Gesandtschaftsgehilfen zur Vorbildung in eine Bühnenleitung schicken ; das Gleichgewicht einer Schauspielerseele ist empfindlicher als das Gleichgewicht Europas .
Zum Ersatze war hier der elegante Dekadent mit dem verkümmerten Herzen ganz vorzüglich besetzt , und es gelang das schöne Spiel , die Hörer nicht nur lachen , sondern in Rührung lachen zu machen und Mitleid mit einem Überlegentuenden zu erwecken .
Das köstlichste Erlebnis aber war die Generalprobe .
Da erschien im Zuschauerraum alles , was diesem altberühmten Kunstinstitute Angehörte , als zu einer gemeinsamen Angelegenheit , an der wie an jedem neuen Werke nicht nur Ruf und Ehre der Mitwirkenden , sondern der ganzen " Burg " beteiligt war , und der Dichter sah sein Werk gespielt vor einem Parkett von Königen der Bühne .
In den Pausen traten diese Könige mit dem Regisseur , dem Direktor und dem Dichter zusammen , um zu beratschlagen , wo etwa noch zu besseren sei ; das Ganze war ein köstlich erwärmtes , erregtes Konvivium der Kunst unter sich , ohne Publikum und doch wieder mit einem idealen Publikum von Wissenden , ein esoterisches Kollegium , und als Asmus nach der Probe im Hotel zum Bären mit solchen Männern in heiterem Kunstgespräch zusammensaß , da hatte er schon das Beste genossen , was ihm Wien zu bieten hatte , und bei jedem Glase und bei jedem bunt beschwingten Scherzwort klang es heller in ihm :
" es gibt nur a Kaiserstadt , es gibt nur a Wien ! "
Daß er sich in einer Kaiserstadt aufhielt , wurde ihm am übernächsten Tage deutlich , als er sich die erste Wiederholung seines Stückes vom Publikum aus ansah ; während des ersten Aktes entstand in der kaiserlichen Inkognito-Loge ein geheimnisvolles Geräusch : Franz Joseph war erschienen , um sich das neue Stück anzusehen , das einer krankhaften Hirn- und Herzensmode den Krieg erklärte .
Am Abend vorher hatte der " Zweikampf " vor dem schwierigen Wiener Publikum die Prüfung bestanden , und fröhlich-stillen Herzens fuhr Asmus heim zur gewohnten Schularbeit , zum Glück seines Herdes und zu neuem Schaffen .
Zuvor aber kam noch Berlin .
An jenem Tage , als der " Zweikampf " in Dresden das Licht der Öffentlichkeit erblickt hatte , hatte ein hervorragender Berliner Theaterdirektor , ein Mann von großer Intelligenz in engen Bezirken , zu einem seiner Kollegen gesagt .
" Heute wird in Dresden der » Zweikampf « gegeben von Asmus Semper .
Ich habe das Stück abgelehnt .
Vielleicht war ich ein Ochse . "
Und als ihn einer seiner Schauspieler wegen der Ablehnung dieses Stückes zur Rede gestellt , hatte derselbe Mann gesagt :
" Ich hätte es ja vielleicht nehmen sollen ; aber ich konnte doch in meinem Theater kein Stück geben , das gegen alles streitet , was ich in eben diesem Theater immer vertreten habe ! "
Da hatte der Schauspieler geantwortet :
" Gerade deshalb hätten Sie es spielen sollen ! "
Von diesen Gesprächen erfuhr Asmus erst nach Jahren ; hätte er sie jetzt schon gekannt , so hätte er in ihnen vielleicht Wetterzeichen erkannt. XLII. Kapitel .
Kleiner Auszug aus dem Sündenregister des Herrn Semper .
In Berlin waren es nun gar zwei Darsteller , die Asmussen durchaus nicht gefielen , ein Herr und eine Dame .
Und doch machte Asmus mit dem Herrn ein glänzendes Geschäft .
Obwohl er ihm nämlich , der sonst ein vortrefflicher , feingebildeter Künstler war , gesagt hatte , daß er dem Stück den Hals brechen werde , wurde ihm dieser Bühnenkünstler in der Folgezeit ein ehrlicher , treuer Freund , und Asmus tauschte für eine verlorene Rollenwirkung ein großes Menschenherz ein .
Er war eben ein Glückspilz .
Die Dame freilich war fest davon überzeugt , daß Medea die anmutigste Liedersängerin sei , und hatte offensichtlich das Gefühl , daß sie herabsteige und dem Dichter eine Gnade erweise , wenn sie wie Kreusa tue .
Sie tat leider nur so .
Obendrein wurde das Lustspiel viel zu langsam gespielt , und ein Rezensent meinte , das Lustspiel sei gut , aber nicht kurz .
Um die Jahrhundertwende durfte ein Stück , wenn es neu war , nicht länger als zweieinhalb Stunden dauern .
Diese Zeit wurde dem Dichter gnädig bewilligt ; um 10 Uhr mußte er ausgeredet haben .
Denn am selben Abend mußte noch die Kritik geschrieben werden , und der Rezensent wollte danach doch auch zeitig ins Bett oder zum Abendessen .
Man hatte nämlich dem Publikum eingeredet , daß es schon am nächsten Morgen die Meinung des Kritikers hören wolle .
Das Publikum hatte nie dergleichen gewünscht ; aber man sagte ihm , es wünsche es .
Alle Werke unserer großen Dramatiker wären , wenn sie neu gewesen wären , in dieser Zeit an ihrer Ausdehnung zugrunde gegangen ; Don Carlos und Faust wären schon auf ihres Weges Mitte dem Unwillen der Zeitlosen erlegen .
Nur für Richard Wagner hatte man angeblich Geduld .
Da aber die Aufführung im ganzen doch einer ersten Bühne würdig blieb und zum Teil vorzüglich war , so erlitt der " Zweikampf " trotz des schwerfälligen Zeitmaßes dennoch keinen Mißerfolg ; vielmehr fand er beim Publikum großen Beifall .
Auch die Kritik war noch zur Hälfte freundlich oder doch nicht unfreundlich ; zur anderen Hälfte " reagierte " sie bereits " sauer " .
Dieser Herr Semper war ja auch ein Schwerverbrecher .
Denn erstens :
Bis dahin war Berlin das Maß aller dramatischen Dinge gewesen .
Was den Beifall Berlins fand , war " gemacht " , wie der poetische Geschäftsjargon lautete ; was Berlin mißfallen hatte , war ewig verloren .
Der Berliner fand das auch ganz in der Ordnung , weil er doch den besten Geschmack hatte .
Wie die Alpen bekanntlich viel großartiger wären , wenn sie bei Berlin lägen , so ist der Berliner noch heute davon überzeugt , daß Sago mit Berliner Buchdruckerschwärze angemacht der feinste Kaviar sei .
Alles , was außerhalb Berlin lag und geschah , nannte der Berliner nach Pariser Muster " Die Provinz " , um die Vorstellung zu erwecken , daß Berlin alle deutsche Kultur aufgesogen habe wie Paris die französische .
Was " die Provinz " leistete , war nicht einmal des Schimpfens wert ; man sprach gar nicht davon .
Und " die Provinz " hatte sich das gutmütig und auch wohl gläubig gefallen lassen ; sie fand auch , daß der Berliner Kaviar doch eigentlich der feinste sei .
Mit einem Schlage , an einem einzigen Abend war das nun anders geworden .
Ein obskurer Schulmeister , von dem man bis dahin wenig oder nichts gehört hatte , der zu keiner einzigen Berliner Kaffeestammtischclique Beziehungen unterhielt , hatte in der Provinzstadt Dresden ( freilich ohne jede Absicht gegen Berlin ) nicht nur einen " Provinzerfolg " gehabt - darüber hätte man mitleidig lächeln können - nein , er hatte einen deutschen , ja , er hatte einen Welterfolg gehabt ; denn auch im Auslande wollte man jetzt den " Zweikampf " spielen .
Ohne Berlin zu fragen , ohne den vorgeschriebenen Instanzenweg über Berlin innezuhalten , hatte das deutsche Publikum ihm diesen Erfolg bereitet , hatte er gewagt , diesen Erfolg einzustreichen , und den Bann für immer gebrochen .
Das war Widerstand gegen eine vorgesetzte Behörde .
Aber er hatte ja weit Schlimmeres getan .
Denn zweitens :
Er hatte , wie jener beschränkt-intelligente Theaterdirektor ganz richtig gespürt hatte , gegen alles rebelliert , was das typische Berliner Theater und seine Schutzherren bis dahin vertreten hatten .
Er hatte mit seinem Stück eine übermütige Kritik geübt an einer Philosophie und Kunst , die ja gar nicht kritisiert werden durften .
Er hatte wider eine Lehre gestritten , nach der man alles anzweifeln durfte , nur nicht sie ; nach der man über alles spotten durfte , nur nicht über sie ; nach der man alles erbärmlich finden durfte , nur nicht sie ; nach der die ganze Welt anarchisch eingerichtet werden sollte - unter ihrer absoluten Herrschaft .
Ja , schlimmer noch :
er hatte in seiner Komödie deutsches Fühlen bekundet in einer Zeit , da es befohlen war , norwegisch-schwedisch-dänisch-russisch-italienisch-französisch-belgisch zu empfinden ( das Englische machte erst später den Regenbogen vollständig ) ; er hatte sich so maßlos lächerlich gemacht , deutsch sein zu wollen in einer Zeit , da der deutsche Dichter nirgends in der weiten Welt so verlassen war wie in Deutschland .
Wenigstens bis dahin gewesen war .
Das Auge der deutschen Kritik hatte so andauernd über die Grenze gestarrt , daß es für die heimatliche Nähe verblödet war .
Was es erkennen sollte , mußte so aussehen , daß es ebenso gut in Rußland oder Skandinavien oder Frankreich geschrieben sein konnte .
Das Publikum und einige unüberlegte Kritiker hatten nun diesem neuen Manne zugejubelt .
Es drohte also ein Erwachen .
Vollends durch die Literatenliteratur , die Pseudoliteratur ging es wie ein Alarm : Holla , da ist einer , der klare Deklarationen verlangt - merkt ihn euch !
Und man sammelte seine Kräfte für das nächste Stück dieses unangenehmen Ruhestörers .
Mit seinem ersten Erfolg hatte er nun einmal die Welt überrumpelt ; bei einem zweiten Versuch wollte man vorbereitet sein .
Es war ja ein bekanntes , feststehendes Gesetz , daß auf einen großen Bühnenerfolg ein gründlicher Abfall folgte .
Dann wollte man seinen Triumph über den " Antimodernen " feiern .
Asmus war damals der fröhlichen Meinung , daß man solche Feindschaften durch neue Leistungen und ehrliche Arbeit leicht überwinde und auf diesem Wege schließlich auch dem wütendsten Gegner Achtung abnötige Und er fühlte tausend Lust- und Trauerspiele in seiner Brust .
Vor allen Dingen wollte er jetzt einer gottverdammten Hexe an den dürren Leib , die ihm Jahrzehnte , die ihm den Frühling seines Schulmeistertums verbittert hatte , der Bureaukratie , und sein nächstes Lustspiel sollte " Der heilige Bureaukratius " heißen .
Wenn es Aufgabe des Lustspiels war , die Torheiten der Menschheit zu geißeln , so war hier eine ihrer lustigsten , traurigsten , ältesten und hartnäckigsten zu züchtigen .
Er wollte zeigen , daß die im Schematismus erstarrte Schule gar keine Schule mehr sei , sondern nur noch das Gespenst einer Schule , daß in der glatten und blanken Hülle des bureaukratischen Schulapparats kein Blut , kein Fleisch und keine Seele mehr stecke , und daß , was sie vom Lehrer verlangte , auch ein beliebiger Schwindler und Hochstapler leisten könne .
Solch einem Schwindler als Schulleiter wollte er einen Mann unterstellen , der die Kindheit und ihr Recht liebte mit Pestalozzischer Glut und Kraft , der die Arbeit und Erziehung als eine Kunst fühlte , und es sollte - vielleicht zum ersten Male - das Wort fallen :
Der Lehrer soll ein Künstler sein .
Er wußte sehr wohl , daß Konflikte zwischen solchen Künstlern und dem Bureautisch fast immer tragisch verlaufen ; aber er hatte sich längst von dem stupiden Dogma losgemacht , daß die Kunst nur zeigen dürfe , was ist ; sie hatte nach seiner Meinung noch immer das uralt gute Recht , auch zu zeigen , was sein sollte und vielleicht einmal sein wird .
Wenn die Tragödie vom lastenden . den Menschen unterdrückenden Schicksal sprach , so war ihm die Komödie die Kunst des Menschen , der sich gegen die Bosheit des Schicksals und der Menschen auflehnt und sich befreit , die Kunst des Optimisten , die Kunst der Hoffenden .
Und da er einen Mann erlebt hatte , der furchtlos mit dem Recht ging , einerlei , ob es unter ihm oder über ihm vergewaltigt wurde , so wollte er ihn als Richter in diesen Kampf stellen ; er sollte " eine Stimme sein von oben wie der Gestirne helle Schar " , sollte wie eine morgenbringende Sonne die stickigen Schwaden der deutschen Erziehungsbureaukratie durchbrechen .
Ja , mit Hilfe dieses Mannes sollte - schrecklich zu denken - am Ende des Stückes die Tugend siegen , weil es das glühendste Gefühl der Semperischen Seele war , daß das Recht doch nicht umzubringen ist , daß letzten Endes doch das Licht triumphiert , sei es auch nach jahrtausend- , sei es nach äonenlangen Kämpfen .
Er hörte schon das weit überlegene Hohngelächter der Pessimisten über diese Banalität .
Tröstlicherweise war es dieselbe Banalität , auf der der ewige Tempel des " Faust " ruhte . -
Asmus erfreute sich eines guten Gedächtnisses ; aber ganz besonders gut hatte dieses Gedächtnis die Versicherung des Senators Hartmann festgehalten , daß einem erneuerten Urlaub nichts im Wege stehen werde .
Jetzt konnte er diesen Urlaub brauchen ; er schrieb darum , und er hatte ihn .
Es regnete noch immer Freuden .
Und als er eines Abends als Abgeordneter der " Rostra " mit dem Vorstand eines großen und reichen Hamburger Kunst- und Gesellschaftsvereins über eine Kulturfrage zu verhandeln hatte , da sah er sich nach beendigter Beratung urplötzlich zum gemeinsamen Ziele verschiedener Trinksprüche und zum Anlaß einer fabelhaften Maiweinbowle gemacht .
Man " schätze sich glücklich usw. " .
Da schmeckte Asmus doch in dem herrlichen Maitrank so etwas wie ein bitteres Kräutlein .
Zwölf Jahre lang und länger hatte er als Dichter in der Nähe dieser Männer gerungen , und sie hätten ihn wohl bemerken können , wenn sie gewollt hätten .
Aber ihm haftete der furchtbare Makel an , ein Hiesiger zu sein .
Nun hatten sie es von außen her vernommen , und nun glaubten sie_es , daß in Hamburg ein Dichter mit dem Namen Asmus Semper wohne .
Nun war aus dem Hiesigen ein Landsmann , sogar ein " berühmter Landsmann " geworden .
Zum Glück war Asmussens Herzensgedächtnis für dergleichen Dinge ebenso schlecht , wie sein Hirngedächtnis gut war ; ein Unrecht , das aufgehört hatte , war ihm auch verschmerzt ; er stieß lachend und dankend mit den Herren an und machte gute Miene zum bösen Spiel der Vergangenheit .
Zum " bösen Spiel " ?
War es wirklich ein böses Spiel gewesen ?
Ist " Ruhm " - das , was die Menge so " Ruhm " nennt - besser als Verborgenheit ?
War jenes schreckliche , tiefe Heimweh , das ihn damals , am Vorabend seines ersten Berliner Triumphes , befallen hatte , ein ahnendes Gefühl gewesen ?
Er brachte in dieser Zeit dem großherzigen Herrn Leipoldt die 3217 Mark 50 Pfennig wieder .
Herr Leipoldt wurde beinahe unangenehm und sagte : " Was ich gegeben habe , habe ich gegeben und verlange ich nicht zurück . "
Da gab Asmus das Geld mit seinem Segen weiter .
Hatte es ihm Segen gebracht ?
Ob sein Wirken für die Menschheit ein Segen sei , hatte er nicht zu entscheiden .
Und für ihn selbst und die Seinen ?
Die Zukunft mußte es lehren. XLIII. Kapitel .
Die gottverdammte Hexe und der geistliche Herr .
Immerhin war es im Vergleich zur Ruhm- und Maiweinbowle eine reinere Freude , als einige Tage später ein Geistlicher mit einem silberweißen Stachelkopf ihn aufsuchte .
Asmus war nicht wenig erstaunt , als ihm das Dienstmädchen eine Karte brachte , auf der zu lesen stand : Dr. Clemens Röhrig , Pastor an St. Magdalenen .
" Sie werden erstaunt sein , Herr Semper , " begann denn auch der Besucher , ein hoher , breitschultriger Mann mit einer angenehmen , nicht gesalbten Stimme , " daß ein Pastor zu Ihnen kommt ; ich weiß ganz gut , daß Schwarz nicht Ihre Farbe ist - "
" Das kommt ganz auf die Verbindung an , " versetzte Asmus lächelnd und nötigte den alten Herrn in seinen besten Lehnstuhl .
" Und auf die Schattierung vermutlich , " ergänzte der Geistliche , ebenfalls lächelnd .
" Nun , ich bin eigentlich ganz tiefschwarz ; aber darum keine Feindschaft nicht .
Ich wollte eigentlich schon lange Mal zu Ihnen kommen ; aber wie das so geht : man verschiebt von Tag zu Tag ; man will nicht aufdringlich sein - ein Pastor muß sich da besonders hüten - und erst , wenn alle Welt von einem Manne redet , tut man mit einem Male auch den Schnabel auf .
Ich will das nicht verteidigen ; eigentlich ist es Feigheit .
Was mich an Ihren Schriften immer erfreut hat - ich lese sie schon lange und bin ja mit vielem nicht einverstanden , na , ist ja auch nicht nötig - aber was mich immer besonders erfreut hat , das ist , daß Sie so unverwüstlich deutsch sind . "
" Nun , das ist doch selbstverständlich und kein Verdienst .
Wie soll ein Deutscher denn anders sein ? " warf Asmus ein .
" Ganz recht , das ist kein Verdienst und sollte nicht als solches gerechnet werden ; aber wie viele sind denn deutsch ?
Es gibt ja mehr als genug , die ihr Deutschtum immer im Munde führen , die sich Wunder wie deutsch dünken , wenn sie Fußsteig statt Trottoir sagen , und ihr Geist und ihr Herz laufen doch immer in fremden Bahnen jedem Rattenfänger nach .
Ihre Dichtungen und sonstigen Schriften könnten nirgends entstanden sein als nur in Deutschland - glauben Sie das nicht auch ? "
" Darin können Sie recht haben , " sagte Asmus nachdenklich , " und wenn Sie das empfinden , so macht mich das sehr glücklich . "
" Nun , dann tut es mir nur leid , daß ich es Ihnen nicht schon früher gesagt habe .
Ich bin ja gar nicht der Meinung , daß es für keinen Menschen in der Welt etwas Größeres und Schöneres geben dürfe als uns und unser Land ; solche Überhebung ist unchristlich und etwas ganz anderes als Vaterlandsliebe ; aber der liebe Gott hat uns aus deutscher Erde gemacht , und da können wir ihm doch auch so recht von Herzen und redlich nur mit deutschen Kräften dienen .
Ich denke , das muß auch Ihre Meinung sein . "
" Es ist vollkommen meine Meinung , " sagte Asmus .
" Sie werden es vielleicht anders ausdrücken - "
" Ich bin nicht nur für Freiheit der Meinungen , sondern auch für Freiheit ihres Ausdrucks , " bemerkte Asmus .
" Ja - " begann der Pastor wieder , " und dann wollte ich Ihnen noch sagen - jetzt werden Sie lachen - wissen Sie , welches Ihrer Werke mir am besten gefallen hat ? "
" Nun ? "
" Wie ich Ihnen schon sagte , ich bin ein ganz Schwarzer , einer von den schrecklichen » Orthodoxen « - was den Rationalisten immer wie » rechte Ochsen « klingt - ich bin auch in Glaubenssachen für » fix oder nix « - also : am besten hat mir gerade das Stück gefallen , in dem es der Kirche und uns » Pfaffen « ziemlich schlecht ergeht : Ihr » Verrat « ! "
" Ist es möglich ? " rief Asmus .
" Ja .
Denn sehen Sie :
Was Ihr Held will und durch sein Handeln bestätigt : unerschrockenes Bekenntnis zu seiner Überzeugung und Bereitwilligkeit , für sie zu leiden und zu opfern - mit anderen Worten : selbstlose Hingabe an das große Ziel der Menschheit : das ist doch gerade Frömmigkeit .
Einem ehrlichen Geistlichen kann doch nichts entsetzlicher sein als das Maul- und Gewohnheitschristentum des heutigen Geschäftsphilisters , dem das Wort » Opfer « aus dem Chaldäischen zu kommen scheint .
Er kommt freilich Weihnachten und Ostern in die Kirche ; aber mir ist Ihr Held lieber , der aus Gewissensreinlichkeit ausbleibt . "
" Herr Pastor , da fällt mir ein schönes Wort aus dem » Nathan « ein :
» Ihr , guter Bruder , müßt mein Fürsprach sein , Wenn Haß und Gleisnerei sich wider mich Erheben sollten . «
Nachdem Sie mir das gesagt haben , glaube ich fast , daß Sie nicht einmal lachen werden , wenn ich Ihnen sage , daß ich ein sehr frommer Mensch bin . "
" I - den Kuckuck werde ich lachen , " rief der temperamentvolle alte Herr und lachte , aber nicht vor Zweifel , sondern vor Seelenlust .
" Ich bin " , erzählte Asmus , " in einem Hause groß geworden , wo man durchaus radikal gesinnt war und alle Fürsten und Priester in Bausch und Bogen haßte .
Zwar mein Vater war ein gebildeter Mann mit einem milden Herzen ; er machte Unterschiede und hatte nicht das geringste Talent zum Fanatismus ; aber meine Mutter , meine Geschwister und ganz besonders die große Menge der Arbeiter , die ich im Laufe langer Jahre in meines Vaters Hause beobachten konnte , waren meistens ebenso entschieden in ihren Meinungen wie in deren Ausdruck .
Da ich immer eine große Ehrfurcht vor älteren Menschen besessen habe und in jedem Erwachsenen eine Autorität erblickte , so habe ich in jenen Jahren manche schlimme Phrase gläubig in mich aufgenommen und habe hart und lange darum gekämpft , sie wieder los zu werden .
In meinen frühen Schriften findet sich noch manche Spur davon .
Ich war in jeder Hinsicht ein spätreifer Jüngling ; Begeisterung war immer in Fülle vorhanden ; die Kritik erwachte erst spät .
Zu alledem war ein massenhafter , größtenteils erbärmlicher und natürlich zwangsmäßiger Religionsunterricht gekommen . "
" Hm , " machte der Pastor .
" Als ich als junger Seminarist wieder einmal Verse gemacht und sie meinem Bruder Johannes nach Amerika geschickt hatte , da dichtete er mir pegasuswendend zurück :
» Was du auch wirst , es ist mir recht , Sei es Pädagoge oder Dichter .
Nur werde in deinem Leben kein Knecht Von Fürsten- und Pfaffengelichter . «
Sie entschuldigen - "
" O , bitte , bitte ! " lachte der Pastor , " ich fühle mich gar nicht getroffen . "
" Nun , ein solcher Knecht werde ich wohl in meinem Leben nicht werden ; aber Sie ersehen aus jenen Versen die Art der Semperischen Gesinnungen .
Und bei solchen Gesinnungen war ich schon damals ein von Grund aus frommer Mensch .
Sie wissen , daß man sagt :
In der Sixtinischen Kapelle oder bei einer Messe in Sankt Peter wird jeder Mensch zum Katholiken .
Bei mir genügt ein weit geringerer Aufwand .
Nicht nur bei Bachsger Kirchenmusik , auch , wenn ich von einer ungeübten Gemeinde " Befiehl du deine Wege " singen höre , wenn ich nur zwei Töne einer Orgel höre , ja , wenn ich an einem Alltag allein in einer leeren Heidekirche stehe , kann ich fromm sein , wenn auch meine Gedanken von allem Kirchlichen weit entfernt sind .
Ich bin auch fromm , wenn ich die Gräfin in Figaros Hochzeit oder wenn ich den Freischütz höre .
Und schließlich brauche ich , um fromm zu sein , nichts als die Welt .
In jedem Augenblick der Besinnung kniet meine Seele vor dem heiligen Wunder der Welt und ersehnt , erhofft und erstrebt eine selige Lösung dieses Rätsels und Wunders .
Und je älter ich geworden bin , desto mehr ist mein Groll gegen Kirche und Priestertum gewichen , auch - das darf Ihnen nicht unangenehm sein - gegen das katholische Priestertum .
Verstehen Sie mich nicht falsch , Herr Pastor , gegen den einzelnen Priester habe ich nie einen Groll gehegt ; daß er ein vorzüglicher und verehrungswürdiger Mensch sein kann , ist mir nie zweifelhaft gewesen .
Aber auch mit der Priesterschaft und der Kirche als Ganzem habe ich mich versöhnt - unter der Bedingung , daß sie die Menschen und mich in Frieden lassen .
Ich habe für die christliche Dogmatik ein mehr als rationalistisches Verständnis ; ich beherberge sogar ein gutes Quantum Mystik in mir , und je mehr ich mich mit den höchsten Lehren der Kirche befaßt habe , desto mehr habe ich gefunden , daß sie wunderbar tiefe , wunderbar wahre Gedanken sein können , daß sie ergreifend , erschütternd anklingen an die erhabensten Gedanken aller großen Denker der Menschheit , wenn - ja , wenn man ihnen frei ins Angesicht schauen darf .
Aber das eben ist das große Verbrechen aller Kirchen und Hierarchien , daß sie solch ein freies Anschauen nicht erlauben , daß sie unbedingten Glauben an angeblich zweifellose Wahrheiten , daß sie Unterwerfung verlangen und mit Hilfe des Staates und anderer Machtmittel erzwingen .
Und den Zwang der Kirche werde ich allerdings hassen , solange noch ein Rest von Leben in mir ist . "
" Sehen Sie , " rief der Pastor lebhaft , " da sind wir bei dem , was ich noch sagen wollte .
Ich bin nämlich nicht nur gekommen , Ihnen Schmeicheleien zu sagen ; ich wollte Sie auch einmal ordentlich rüffeln , hahahahaha ! "
Das Lachen des alten Herrn klang voll und gut .
" Ich bin auf das Schlimmste gefaßt , " sagte Asmus , schenkte das Glas seines Gastes wieder voll und rückte ihm den Aschenbecher näher. XLIV. Kapitel .
Predigt bei offener Kirchentür !
" Ja , sehen Sie :
Der Held Ihres Trauerspiels macht denselben Fehler , den fast alle seinesgleichen machen :
er setzt voraus , daß alle Menschen so kluge , gebildete , ehrliche und gute Menschen waren wie er .
Davon ist aber doch die große Maße ganz verteu-- ich wollte sagen : verzweifelt weit entfernt !
Wenn Ihr Held in einer Volksversammlung einen naturwissenschaftlichen oder religionswissenschaftlichen Vortrag hält - wieviele verstehen ihn denn ?
Die Hälfte versteht ihn überhaupt nicht , und die andere Hälfte versteht ihn miß .
Die Leute gehen mit halbverstandenen Wahrheiten nach Hause , die schlimmer sind als Unwissenheit . "
" Das glaube ich nicht ; wir nähern uns alle der Wahrheit nur schrittweise ; es gibt auch keine volle Wahrheit und keine ganze Bildung .
Aber ich komme Ihnen weit entgegen .
Gewiß bringen viele von solcher Aufklärung schiefe Vorstellungen und Ansichten heim , die Schlimmes stiften können , und wenn sich zu solchen Halbheiten der Dünkel vollkommener Aufgeklärtheit gesellt , so kann das keinem widerwärtiger sein als mir . "
Der Pastor nickte lebhaft Zustimmung .
" Aber glauben Sie denn , Herr Pastor , daß die Maße Ihrer Pfarrkinder Ihre Dogmen versteht , daß sie die Erlösung , die Dreieinigkeit , die Transsubstantiation usw. verstehen ?
Sie werden mir einwerfen , bei diesen Dingen handle es sich nicht um ein Verstehen , sondern um ein intuitives Erfassen durch die erleuchtende Gnade Gottes .
Und glauben Sie , daß die große Maße , von der Sie sonst nicht sonderlich hoch denken , für diesen sublimen Vorgang der Intuition begabt sei ?
Sie ist es noch weniger als für Kants Kritik der Beweise für das Dasein Gottes .
Die große Menge nimmt Ihre Dogmen unbesehen hin , d. h. » sie plappern wie die Heiden « , und ihre Dogmatik ist so tot wie die Gebetsmühlen der Tibetaner . "
" Da will ich Ihnen wieder bis zu einem gewissen Grade recht geben ! " rief Pastor Röhrig ; " aber es handelt sich noch um etwas anderes .
Wenn Volk und Staat , wenn Welt und Menschheit nicht aus dem Leim gehen sollen , so muß ihnen die Eigenschaft erhalten bleiben , die Ihnen etwas durchaus Natürliches ist : Pietät , Ehrfurcht , der Respekt , von dem Goethe sagt , daß er den Menschen erst zum Menschen mache .
Dieser Respekt muß der Menge erhalten werden durch Zucht und wenn nötig durch Zwang . "
" Nicht durch Zwang , Herr Pastor !
Es ist vielleicht der furchtbarste Irrtum in aller Weltgeschichte , daß man die Seelen zwingen könne .
Millionenfach hat es sich als unmöglich er wiesen , und mit entsetzlicher Verranntheit versucht man es immer wieder .
Man kann Knie , Lippen und Hände zwingen , kaum noch die Augen , niemals die Seele .
Und nun gar Ehrfurcht erzwingen ; Ehrfurcht ist doch die freiwilligste Gabe des Herzens !
Gewiß : wenn Sie eine Kirche haben , so muß eine Zucht in ihr sein .
Machen Sie Ihre Organisation so Strafe , wie Sie wollen ; ich habe nie in die Entrüstung einstimmen können , wenn die Kirche ein Mitglied entfernte , das ihr innerlich fremd geworden war .
Aber öffnen Sie die Tür der Kirche nicht nur zum Hinauswerfen , sondern lassen Sie sie überhaupt offen stehen !
Ich glaube , die Kirche wird besser dabei fahren .
Besonders , wenn Sie Jesus von Nazareth verkünden , seine Lehre und noch mehr sein Leben , und wenn Sie wirklich an ihm festhalten .
Es gibt keinen natürlichen , unbefangenen Menschen , der nicht Jesus von Nazareth liebte .
Auch der redliche Jude und Moslem neigt vor ihm in Ehrfurcht das Haupt .
Er ist , wie Renan gesagt hat , der ewige König der Herzen .
Man soll ihn nur nicht durch Minister ersetzen . "
" Herr Semper " - der alte Herr erhob sich und streckte seinem Wirt die Hand entgegen - " wir stimmen nicht überein , und wir stimmen doch überein .
Wenn ich nicht fürchten müßte , daß Sie in mir einen Proselytenmacher witterten - Ihr Dissidenten seid immer so argwöhnisch ! -
so würde ich sagen : Kommen Sie einmal in meine Predigt - ich setze gleich hinzu : die Tür bleibt offen !
Hahahahahaha . . . . . "
" Ich komme gern , Herr Pastor , " rief Asmus , der die Hand ergriffen hatte und herzlich schüttelte ; " wenn Ihre Amtsbrüder in dieser Zeit bei offener Tür Liebe predigen - wer weiß : vielleicht strömen mehr hinein als heraus ! "
" Das wäre schön , das wäre schön ! " rief Röhrig .
" Leben Sie wohl , lieber Herr Semper , leben Sie wohl .
Schreiben Sie uns recht bald wieder ein kräftiges Stück .
Oder ist gar schon was Neues » sur le chantier « ? "
" Ja , " nickte Asmus vergnügt .
" Was wird_es denn ?
Sie entschuldigen , wir Pfaffen sind immer so 'n bißchen indiskret . "
" Etwas gegen den Schulbureaukratismus , " sagte Asmus .
" Haaaa - Bravo !
Auf ihn !
Auf ihn ! " rief der Pastor vergnügt .
" Dem gönne ich es .
Das ist wahrhaftig an der Zeit .
Gutes Gelingen und alles Glück ! "
- - -
XLV. Kapitel .
Geburt und Taufe des heiligen Bureaukratius .
Ohne Borgen und ohne Sorgen fuhren sieben Semper in den blauen Sommertag hinaus , der blauen Ostsee entgegen , dem blauen Land der Sonnenträume zu .
Immer wieder , wenn er den Blick über seine Schar gleiten ließ , mußte er denken :
Wie gut , daß ich es ihnen gewähren kann ohne Borgen und Sorgen !
Und dann mußte er aufspringen und an den Stangen des Gepäcknetzes irgendeine Turnleistung verüben , so daß sie lachten und über ihn herfielen und ihn erdrücken wollten , und sie lachten , daß er fürchtete , man werde im Nachbarabteil die Notleine ziehen , und wenn sie dann mit roten Backen und mit dem warmen , süßen Hauch ihrer reinen Seelen neben ihm , auf ihm , über ihm schnauften und jauchzten , dann mußte er wieder denken :
Wie gut , daß ich ihnen solch eine Fahrt gewähren kann .
In einem hellen , heiteren , blitzsauberen Hotelzimmer , mit einem Blick durch breite Fenster auf das weite , stahlblaue Meer schrieb er seinen " Heiligen Bureaukratius " , schrieb ihn wie einen einzigen dürstenden Schrei nach der Freiheit der schulmeisterlichen Kunst .
Als ein raffinierter Genüßlich hielt er es mit allen Tagen so , daß er des Morgens arbeitete wie ein Pferd , ein geflügeltes natürlich , und des Nachmittags im Spiel mit Weib und Wellen und Kindern faulenzte .
Wer nicht faulenzen kann , kann auch nicht arbeiten .
Er hielt es in allen Sommerfrischen so : über der Arbeit des Morgens schwebte schon der selige Friede des Nachmittags , und hinter den Dämmerungsrosen des Abends lockte schon heiß die schaffende Sonne des nächsten Morgens .
Die Nächte waren dann freilich nicht allzu ruhevoll ; in seinem Bette verlebte er wieder lange Stunden glückseligen Wachens ; gegen den Morgen hatte er farbige Träume , in denen er vor Bergen und Tälern , Ländern und Seen stand , so schön , wie sie nie ein Mensch auf Erden sieht , und wenn er sich erhob , war er dennoch stark und froh .
Im Schaffen war er ein langsamer Arbeiter , weil er nichts aus der Feder los wurde , was ihm nicht fertig schien ; wenn der Tag ihm hundert Zeilen gewährte , fühlte er sich überreich beschenkt .
Aber er arbeitete nach dem Grundsatz des Apelles :
Kein Tag ohne einen Strich ; mit zwei fertigen Akten kehrte er heim , und ein dritter Monat brachte den dritten und letzten zur Reife .
Als er bald darauf wieder einmal mit den Seinen bei dem Prinzen zu Gaste war , mußte er den " Bureaukratius " vorlesen .
Und als er nun seine Vorlesung beendigt hatte , sagte die Prinzessin :
" Wenn man die Augen schließt , hat man vollkommen die Täuschung , im Theater zu sitzen . "
Vielleicht war es die körperhafte Klarheit , mit der er seine Gebilde vor sich sah , was ihnen ihre Wirksamkeit auf der Bühne verlieh .
Während er schrieb , sah er unaufhörlich das Äußere wie das Innere seiner Gestalten ; er sah in jedem Augenblick , wo sie standen , wie sie sich bewegten , hörte jedes Wort , wie sie es sprachen , und erlebte in sich jede Bewegung ihrer Geister und Herzen .
Noch ehe der heilige Bureaukratius irgendwo gespielt war , hatten ihn schon 60 deutsche Bühnen angenommen , ohne Berlin zu fragen , und auch Berlin war darunter .
Aber zuerst sollte auch dieses Werk in Dresden erscheinen .
Nach einer Probe fiel ein merkwürdiges Wort .
Asmus stand am Künstlereingang des Theaters mit einigen Schauspielern in fröhlichem Geplauder , als der Darsteller seines Helden , ein feiner , liebenswürdiger Mensch , nachdem er ihn eine Weile nachdenklich angeschaut hatte , mit ebenso nachdenklichem Tone sagte : " Sie wird der Neid noch mit Wolfszähnen anfallen . "
Asmus ging mit einem leichten Lachen darüber hinweg .
Er war nicht der Meinung , daß solche Wolfszähne etwas zu Fürchtendes seien .
Die Proben nahmen diesmal einen glatten Verlauf , und sogar der Bühnenaberglaube wurde mehr als voll befriedigt .
Nach der Generalprobe erschien nämlich zu Asmussens größter Überraschung ein Photograph im Theater , um ein Szenenbild aufzunehmen .
So weit war die Lichtbilderwut schon entwickelt .
Als aber nun der eifrige Lichtbildner seine Magnesiumpatrone entzündete , siehe , da krepierte sie mit solcher Gewalt , daß Asmus dachte , das Gewölbe " springe mit jähem Knall " , genau wie beim Glücke von Edenhall .
Die Schauspieler standen einen Augenblick leichenblaß ; dann begann der nervöseste von ihnen furchtbar zu schimpfen ; eine der Damen aber war einer Ohnmacht nahe .
" Großartig , " flüsterte Asmussen ein unbeschäftigter Schauspieler ins Ohr , " ein solcher Krach auf der Generalprobe - das ist ein glänzendes Vorzeichen .
Ich gratuliere . "
Voreilige Gratulanten werden häufig Lügen gestraft ; diesmal geschah es nicht .
Es war bei der Aufführung eine merkwürdige Wärme im Theater ; sie konnte nicht von der Witterung kommen ; denn es schneite und regnete draußen , und sie kam nicht von einer künstlichen Heizung , denn mit dieser Wärme ging ein menschlicher Atem .
Sie schien daher zu kommen , daß den Menschen im Theater wohl ums Herz war .
Sie jubelten wie Kinder , wenn sie Beifall klatschten ; sie unterbrachen immer wieder das Spiel durch ihren Beifall , so daß die Darsteller fast minutenlang schweigen mußten ; über manche Worte des Dialogs lachten sie zweimal zuerst , wenn sie sie obenhin verstanden hatten , und dann noch einmal stärker , wenn sie sie wirklich verstanden hatten .
Woher kam diese Sommerwärme im Schneewetter ?
Vielleicht hatte sie gar nichts mit Vorzügen und Schwächen des Stückes zu tun .
Ein Kritiker glaubte die Ursache gefunden zu haben ; er schrieb :
" Diese Stücke strömen eine Urgesundheit aus , eine ansteckende Fröhlichkeit .
Sie lassen uns wieder an unsere Landsleute glauben ; sie geben uns Hoffnung . "
So kam es denn wohl , daß ein Asmussen unbekannter Bürger der Stadt Dresden nach diesem Abend sagte : " Das war keine Premiere , das war ein Volksfest . " XLVI. Kapitel .
Allerlei Glück und ein ungemein schmeichelhafter Besuch .
Asmus Semper war nicht der Mann , solche Siege mit dem kopflosen Hurrataumel eines armen Schneiders zu genießen , der das große Los gewonnen hat und nun die Welt für eine herrliche Einrichtung hält .
Er wußte , daß in jedem Sieg , selbst in dem ehrlichsten , auch ein Unrecht enthalten ist .
Er wußte , daß nun Freunde und Feinde kommen und ihn urteilslos zu den " Alleweil fidel "-Optimisten werfen würden , und solche Freunde waren ihm noch unerfreulicher als solche Feinde .
Er wußte , wie oft in den Einzeldingen des Weltlaufs und Menschengeschicks der Pessimismus nur allzu berechtigt ist .
Aber er war nun auch wieder nicht der Mann , sich den Trank des Lebens durch solche Gedanken vergällen oder versauern zu lassen .
Viel zu empfindsam , um nicht jede herbe Beimischung menschlichen Triumphes zu schmecken , war er doch viel zu robust , um sie nicht durch den Grundgedanken und Grundwillen seines Lebens zu überwinden .
Er zweifelte nicht an der ausgleichenden Gerechtigkeit des Weltgeschäfts ; er wußte , daß in diesem Geschäft für alles gezahlt werden muß und das Schicksal ihm schon beizeiten nehmen werde , was es ihm zu viel gegeben .
So genoß er denn auch wiederum getrosten Herzens sein Glück .
In vollen Strömen floß ihm dieses Glück , echtes und falsches bunt durcheinander , ins Haus .
Er hatte für sich das Höchste errungen : seinen Beruf und damit die Ruhe seines Wesens im tiefsten gefunden .
Er durfte hoffen , zu einigem Wohlstand zu gelangen und einen sorgenfreien Blick in die Zukunft zu gewinnen .
Über einen gewissen Betrag hinaus ist das Geld ein Teufel ; bis zu diesem Betrage ist es ein Gott , ein Gott , der Anbetung verdient , weil er Freiheit bringt .
Er hatte nie um Geldes oder Vorteils Willen eine Zeile anders schreiben können , als sein Herz sie ihm eingegeben ; aber von nun an durfte er es auch ohne Bangen tun !
O Gott , das furchtbare , fette , kaltfeuchte , zentnerschwere Drachenscheusal der Nahrungssorgen , das ihn nächtens so oft mit tausend Schraubstockarmen umklammert hatte , hatte nun abgelassen von seiner Brust , und er konnte pfeifen !
Pfeifen auf das Übelwollen aller , die ihm grundsätzlich nicht wohlwollten .
Er hatte nie vor einem Lumpen den Hut gezogen ; aber nun brauchte er nicht einmal von weitem mehr zu erwägen , ob er es nicht lieber doch tun solle um Weibes und Kinder Willen .
Ach , um Weib und Kinder tanzte ja lauter Sonnenschein !
Jede Post brachte ihm aus den Orten , wo seine Stücke gegeben wurden , Briefe , Telegramme , Glückwünsche , Danksagungen , Bitten um sein Autogramm , sein Bildnis und ergreifende Gesuche um möglichst baldige Einsendung größerer Geldbeträge .
Er war damals noch so naiv , die ergreifendsten dieser Briefe für die ehrlichsten zu halten .
Aus allen Winkeln des deutschen Landes , ja auch aus dem Auslande kamen Einladungen , er möge kommen und aus seinen Dichtungen vorlesen ; immer neue Vorstandsämter wurden ihm angetragen , und sogar ein Protektorat , ja , man denke , ein Protektorat !
Eines Tages ließ sich Herr Dr .
Kuno Kuntze bei ihm melden , und herein trat mit Zylinder und schwarzen Glacehandschuhen ein schöner Herr , bildschön wie jene aus Wachs gebildeten Gentlemen , die man in Friseurläden zur Ausstellung von Perücken und herrlichen Vollbärten benutzt .
Auch diesen Mann schien der liebe Gott zur Ausstellung einer glänzend gescheitelten Frisur und eines tadellosen Vollbartes gemacht zu haben .
Aber die Augen des Kerls waren böse ; sie sahen aus wie zwei winzige Löcher , die durch graues Löschpapier gestochen sind , und Asmus hatte sofort bei seinem Eintritt das Gefühl :
" Apotheker Heinrich ! "
" Es sei sehr großmütig von Herrn Semper , ihn zu empfangen , " meinte Herr Kuntze .
" Großmütig ? " fragte Asmus lächelnd .
" Nun ja - die törichte Kritik damals - ich habe sie längst bereut - "
" Welche Kritik ? "
Auf Herrn Kuntzes Gesicht stand :
Ich Schafskopf ; er hat sie gar nicht gelesen ; ich hätte gar nichts davon zu sagen brauchen .
" Nun , ich habe seiner Zeit über Ihren » Zweikampf « eine - wie gesagt , ich bedauere das - eine sehr scharfe Kritik veröffentlicht - "
Die mag nett gewesen sein , dachte Asmus , wenn er selbst sie schon " sehr scharf " nennt .
" Aber ich habe mein Unrecht längst eingesehen , " versicherte Herr Dr. Kuntze mit Nachdruck ; " ich sehe Ihre dichterische Persönlichkeit jetzt in einem völlig anderen Lichte . "
" So .
Und was verschafft mir das Vergnügen Ihres Besuches ? "
Nun setzte der Besucher auseinander , er wolle im ganzen deutschen Reiche Lesehallen gründen , jede mit einem einfachen alkoholfreien Restaurant verbunden , und dort solle jedermann aus dem Volke unentgeltlich lesen und Bücher entleihen können , und die Idee sei von ihm ; aber er wolle ohne jedes Gehalt seine ganze Kraft in den Dienst der Sache stellen ; er sei so gestellt , daß er das könne ; aber ihm liege daran , daß nicht ein homo ignotus et obscurus wie er , sondern ein Mann an der Spitze stehe , " dessen Name jetzt in aller Munde sei " usw. usw. Asmus war von so viel Opfersinn für eine gute Sache so gerührt , daß er freudig ja sagte .
Nach vierzehn Tagen erfuhr er von einem Kuntze-Kenner , daß Herr Dr .
Kuno Kuntze bei der Fabrikation eines alkoholfreien Getränkes heftig beteiligt sei und daß er ein lebhaftes Interesse daran habe , von einer neuen Sorte Gesundheitskaffee so viel wie möglich getrunken zu sehen .
Asmus fand , daß dieser tüchtige Idealist gar keinen Protektor nötig habe , und stellte ihn in einem angemessenen Schreiben ganz auf seine eigenen Füße .
Aber er sollte ihm noch wieder begegnen. XLVII. Kapitel .
Herr Ivo Klebmüller .
Auch meldeten sich Bildhauer , die ihn in Büsten und Plaketten modellieren , Maler , die ihn malen oder zeichnen wollten .
Asmus hatte eigentlich verzweifelt wenig Zeit zum Porträtsitzen ; aber als ihm ein junger Mann als äußerst talentvoll und fördernswert empfohlen wurde , willigte er ein und hielt still , hielt eine endlose Reihe von Sitzungen mit der Geduld eines Lammes still .
Dabei war aber das größere Opfer eigentlich auf Seiten des Herrn Ivo Klebmüller , so hieß der junge Künstler ; denn er mußte einen Mann malen , der so ganz andere Ansichten hatte als er .
Er , Klebmüller , war nämlich Individualist und erklärte , daß der geniale Mensch auf niemanden und nichts eine Rücksicht zu nehmen habe .
Für das Genie gebe es überhaupt keine Gesetze , auch in der Kunst nicht ; er wenigstens erkenne keine an ; er wünsche auch von keinem etwas zu lernen ; er wolle er selbst bleiben .
Akademien und Professoren seien ein gottverfluchter Blödsinn und eine Frechheit gegen das Genie .
Er Male , wie er es sehe , und das sei das einzig Richtige .
Das Genie dürfe auch seine Umgebung auspressen wie eine Zitrone , ja , es sei sogar seine Pflicht .
Jedes wirkliche Genie sei brutal .
Brutalität sei überhaupt das Kennzeichen der Herrennatur .
Humanität sei Blech ; Menschlichkeit im Kriege sei Quatsch ; der Krieg müsse so grausam wie möglich sein ; denn der Sinn des Krieges sei ja gerade , daß er die prachtvolle Bestie im Menschen befriedige , sättige .
Da Asmus sich in Dingen der Malerei für keinen Kenner halten konnte , so zeigte er das immer erst halbfertige Bild seinem Freunde Harald Danebrog , der nicht nur ein ausgezeichneter Dichter , sondern auch ein vortrefflicher Maler war .
Danebrog betrachtete es lange und sorgfältig und sagte dann lächelnd :
" Der junge Mann muß noch sehr viel lernen . "
" Aber Talent ist da , was ? "
" O ja , Talent ist schon da . "
Und Asmus saß geduldig weiter und sagte Herrn Klebmüller in hundertfach verdünnter Dosis , was Danebrog gesagt habe .
Er sagte nichts von " sehr viel " und vermied natürlich peinlich das empörende Wort " lernen " .
Da erklärte Ivo Klebmüller , daß Danebrog ein notorischer Idiot sei , dessen dilettantische braune Saucenbilder verdienten , in der Berliner Nationalgalerie zu hängen , und daran schloß sich dann ein rückläufiger Vernichtungszug durch die ganze Geschichte der Malerei , der mit Raphael als dem " fürchterlichsten Kitschier " aller Zeiten abschloß .
Das Wort " Kitsch " liebte Klebmüller überhaupt außerordentlich ; er wandte es mit Bestimmtheit immer dort an , wo ein Künstler Schönheit , Erhabenheit oder Anmut und Erquicklichkeit erreicht hatte .
Asmus sagte sich : der Mann kann trotz aller jugendlichen Torheit ein Talent sein , und ging zu dem Galeriedirektor Leisewitz , um ihn für Klebmüllern zu interessieren .
" Aah ! " rief Leisewitz , " der junge Mann ist uns bekannt .
Den haben wir mit einem hübschen Stipendium nach Rom geschickt , und dieses Stipendium hat er mit Talent und gründlichem Eifer durchgebracht , das ist wahr .
Sonst haben wir keine Spuren irgend einer römischen Tätigkeit zu Gesichte bekommen . "
Nun , dachte Asmus , gelegentliche Faulheit und jugendliche Ausschweifung sind immer noch kein Beweis gegen Talent , und saß geduldig weiter .
Da hörte er eines Tages , daß Klebmüller auch schon einmal in Düsseldorf gewesen sei , daß er dort ungeheure Schulden gemacht habe , die sein armer Vater , ein schwer um das Dasein seiner Familie ringender Arzt , bezahlen mußte , daß er mit seinen Herzbrüdern den Champagner aus Biergläsern getrunken und sich darüber lustig gemacht habe , daß sein Vater ihm die Lüge geglaubt habe , es sei Bier , daß er seinen Eltern nie geschrieben und über ihren ewigen Kummer nur verächtlich gelacht habe .
Da er Immoralist oder Amoralist war - er wußte es selbst nicht genau , jedenfalls eins von beiden - und da er vor allen Dingen ein Genie war , seine Eltern aber alte , rückständige Philister , so war er ja im Recht .
Da schrieb Asmus Herrn Klebmüller , daß er sein Haus nicht wieder betreten möge und daß er das Geld , das er ihm in geometrischer Progression abgepumpt habe , behalten könne .
Nun hörte Asmus jahrelang nichts mehr von dem Genie , bis er eines Tages einen unfrankierten Brief aus Rußland erhielt .
Darin schrieb Klebmüller , daß er in großer Not sei , daß Asmus ihm sofort 500 Mark schicken müsse , die er mit Bestimmtheit erwarte .
Denn zu dieser Hilfe sei Herr Semper einfach verpflichtet , da er ( Herr Semper ) mit seiner bescheidenen Begabung ganz unverhältnismäßige Erfolge erzielt habe , während er ( Herr Klebmüller ) noch immer vergeblich gegen den Stumpfsinn des banausischen Publikums Kämpfe .
Asmus konnte sich dieser Auffassung nicht anschließen. XLVIII. Kapitel .
Von himmlischer und irdischer Liebe und von irdischem Haß .
Er war auch von je der Meinung gewesen , ein Lump kann kein Künstler werden , sollte es wenigstens nicht werden .
Er war in dieser Hinsicht mit seligen Erwartungen in die Literatur eingetreten .
Als er zu hoffen wagen durfte , dermaleinst ein deutscher Dichter und Schriftsteller zu werden , da war ein berauschendes Gefühl einer innerlichsten Standeserhöhung über ihn gekommen , das Gefühl , daß er vielleicht berufen sei , in eine wirkliche Adelsklasse einzutreten .
Der schreibende Stand war ihm der Stand der " Ritter vom Geiste " ; er glaubte an einen hohen Feingehalt dieses Wortes .
Daß Menschen niemals Engel seien und sogar Schiller keiner gewesen sei , wußte er gut genug ; aber er meinte , wer mit der göttlichen Gunst begnadet sei , zu seinen Mitmenschen reden zu können , mit dem unvergleichlichen Glück , den Beruf eines Goethe , Schiller und Lessing teilen zu dürfen , der sei unzweifelhaft und ganz von selbst , bei aller menschlichen Schwäche und auch bei bescheidenster Begabung , im Grunde seines Wesens ein Ritter , ein tapferer , ehrlicher Mensch .
Und da die Männer , die in seiner Kinder- und Jugendzeit den deutschen Parnaß beherrschten : die Keller , Anzengruber , Reuter , Grat , Scheffel , Freitag , Spielhagen , Fontane , Storm , Raabe , Jensen , Heyse , Jordan , Wilbrandt , Hamerling , Geibel und viele andere , solche Ritter waren und die Kritik zu jenen Zeiten das war , was sie immer sein sollte : eine Unterhaltung zwischen gebildeten und anständigen Leuten , so wurde Asmus in seiner hohen Erwartung nur bestärkt .
Als dann die Periode der Schmähkritik anhob und das Schandmaul eine kritische Instanz wurde - und gleich die höchste ! -
da wurde er stutzig ; sein volles Erwachen sollte aber erst kommen , als er Erfolge errungen hatte .
Da wurde er nachhaltig aufgeklärt .
Inzwischen war der " Heilige Bureaukratius " auch in Berlin gegeben worden , und auf einer Probe hatte Asmus ein bezeichnendes Erlebnis gehabt .
In diesem Stück gab es eine Liebesszene , in der ein junger Mann in aller Schüchternheit und Unbeholfenheit eines " reinen Toren " um ein reines Mädchen warb .
Der Darsteller des jungen Mannes aber hatte seine eigene " Auffassung " : er machte sehr kurzen Prozeß und riß das Mädchen an sich wie ein brünstiger Holofernes aus dem Tiergartenviertel , mit der deutlich untergelegten Überzeugung :
" Mir widersteht ja doch keine . "
Das war damals " Weltanschauung " in der Liebe : der Mann brutal und das Weib von solcher Brutalität entzückt .
Das mochte ja auch in manchen Fällen zutreffen ; aber in diesem Falle lag die Sache doch wesentlich anders .
Asmus machte also Regie und Darsteller darauf aufmerksam , daß sein Held kein brünstiger Stier sei ; " dieser junge Mann " , sagte er , " ist natürlich so sinnlich wie jeder gesunde Vollmensch ; aber wenn ein deutscher Jüngling dieser Art um sein Mädchen wirbt , ist er sich seiner Sinnlichkeit kaum bewußt ; irdische und himmlische Liebe mischen sich in ihm zu jenem unnennbaren , berauschenden purpurnen Wirbel , den ein Faust , ein Ferdinand v. Walther , ein Siegfried , Liebe nennen . "
Man sah ihn an wie ein neu entdecktes Tier ; denn als Mann aus der Provinz wagte er , Berliner Kunst zu meistern .
Aber als er ihnen vormachte , wie er sich das denke , da begriffen sie , was er wollte , und spielten es .
Die Aufführung brachte dann an Stelle des nach bekannter Regel zu erwartenden furchtbaren Durchfalls einen ebenso großen Erfolg wie in Dresden .
Und mit diesem Erfolge begann ein großes Kesseltreiben gegen Asmus Semper , der es gewagt hatte , den " Zweikampf " zu schreiben .
Die Rezensionen , die er jetzt von den Erbosten erfuhr , waren nach einem ziemlich feststehenden Schema geschrieben ; er hätte sie vor ihrem Erscheinen aus dem Kopfe fast wortgetreu hersagen können .
Das Muster war etwa so :
" Zu welchen Abgründen der Geschmacklosigkeit die Tantiemengier unserer Bühnenjobber führt , das konnte man am Dienstag an dem sogenannten " Lustspiel " des Herrn Asmus Semper beobachten .
Der ehemalige Hosenspanner aus der Weltstadt Oldensund hat mit seinen früheren Machwerken so viel Geld " verdient " , daß es ihn nach mehr gelüstete .
Das ist begreiflich ; er sollte sich nur nicht einbilden , daß dies Gelüsten mit Kunst irgend etwas zu tun hätte .
Seine grob zurecht gezimmerten , auf die niedrigsten Instinkte des Publikums spekulierenden Reißer und Tendenzschmarren müssen jedes feiner und zarter organisierte Empfinden zurückstoßen .
Die Autoreneitelkeit des Herrn " Dichters " wird den johlenden Beifall der Menge natürlich auf sein eigenes Konto setzen ; er hat sich aber ausschließlich bei den Darstellern zu bedanken , die ihr hervorragendes Können für diesen Kitsch einsetzten .
Herr A. schuf einen prachtvollen , überlebensgroßen Schulrat , Herr B. eine bis ins Feinste hinein durchgearbeitete Charakterstudie als Pastor , Frl. C. einen entzückenden Backfisch von hinreißender Natürlichkeit usw. usw . "
Und alles ohne Apparat .
Nicht Asmus allein genoß den Vorzug solcher Behandlung ; eine gewisse Gruppe von Dichtern wurde ausnahmslos und bündelweise verrissen , wie auch ihre Werke .
Und am Schlusse solcher Besprechungen hieß es mit selten durchbrochener Konsequenz : " Der Autor kann sich für den Erfolg bei den Darstellern bedanken ; ihnen allein galt denn auch der Beifall des Publikums . "
Das konnten diese Kritiker hören .
Ihre Ohren waren so entwickelt , daß sie bis in jeden Winkel des Theaters reichten .
Und wenn die Leute klatschten , so hörten sie genau , wie die Hände immer :
" Darsteller ! Darsteller ! " machten , ganz wie jener Trinker , der zur Enthaltsamkeit verurteilt war und aus dem Geläute des Kölner Domes immer " Aquavit ! Aquavit ! " heraushörte .
Ja , selbst wenn die Zuschauer den Dichter mit Namen riefen , hörten sie deutlich , daß die Darsteller gemeint waren .
In Deutschland gab es plötzlich Bühnengenies wie Futterrüben ; jedes Landstädtchen von 5000 Einwohnern hatte ein Dutzend Devrients , das unaufhörlich Dichter " rettete " .
Asmus verlegte sich aufs Warten .
Er war ja Optimist und dachte : einmal muß es ihnen doch selbst zu dumm werden .
Wenn sie zehn Jahre lang diese Albernheit im Munde gewälzt haben , muß doch selbst ihnen ein fader Geschmack auffallen .
Aber sie stellten an sich selbst keine Ansprüche und hatten Opfermut :
Wenn es eine Nichtswürdigkeit zu verüben galt , so scheuten sie keine Trottelhaftigkeit .
Als Asmus nach einer süddeutschen Erstaufführung am Schreibpult des Telegraphenamtes stand , um seiner Hilde einen Sieg zu melden , da hörte er zwei Männer an den Nebenpulten über den Erfolg des Abends reden .
Sie hatten Sempern offenbar nicht bemerkt .
" Wie war es denn ? " fragte der eine .
" Waren Sie nicht da ? " der andere .
" Nur zwei Akte ; ich hatte keine Zeit mehr . "
" Na - es war Beifall , " erklärte der Gefragte mißvergnügt .
Und der Wackere , nun hinreichend unterrichtet , depeschierte über Semper Erfolg an seine Blätter .
Asmus sah in einer Erstaufführung einen Kritiker mitten im Publikum ein langes Telegramm schreiben , während auf der Bühne gespielt wurde .
Es war seit langem eingerissen , daß Berichterstatter lange vor Schluß Theater und Konzert verließen und über Dinge schrieben , die sie nicht gesehen und gehört hatten , ja , die gar nicht geschehen waren .
Es gab ihrer , die sich rühmten , daß sie keiner Vorstellung bis zum Schlusse beiwohnten , und einer , der ganz redlich war , erklärte in einer großen Zeitung , über die Stücke gewisser Dichter könne man ruhig schon vor der Aufführung schreiben , daß sie durchgefallen seien .
Er traf den Nagel auf den Kopf ; denn cliquenfremde Dichter und ihre Werke wurden eben bündelweise abgetan .
Ein Dichter solcher Art hätte einen Faust , multipliziert mit Hamlet , schreiben können - sein Urteil war lange vor dem Erscheinen seines Werkes gesprochen .
Ein paar Blätter hatten denn auch der Vereinfachung wegen schwerhörige , fast taube Rezensenten , die von dem , was auf der Bühne verlautbarte , nichts mehr hörten und deshalb immer ihre Gattinnen neben sich hatten .
Aber als Musikreferenten wurden sie nicht verwandt .
Unter den Rezensenten , die Asmussens Tantiemen besonders tief verabscheuten , war einer der Mundgewaltigsten Herr Sauerbrand .
Da traf Herrn Sauerbrand eines Tages das Unglück , daß er selbst mit einem skrupellosen Schwank Erfolg hatte und hübsche Tantiemen erhielt .
Asmus erwartete stündlich eine öffentliche Bekanntmachung des Herrn Sauerbrand , daß er den üblichen Judaslohn für Kunstverrat mit Empörung zurückweise und den Theatern wieder zustelle .
Aber Sauerbrand litt an einem Schreibkrampf für Postanweisungen .
So schamlos gehässig die Verreißer und Selbstdichter gegen artfremde Dichter aufzutreten pflegten , so holdselig benahmen sie sich gegen Cliquenbrüder , Lokalkollegen und Berufsschwager und gegen sich selbst .
Ein eigenartiger Zufall wollte , daß Erfolge der Herren Sauerbrand und Genossen niemals " äußere " , sondern " innerliche " waren , daß sie niemals den Darstellern , sondern dem Dichter zu danken waren , daß niemals Pöbel im Theater war , sondern Publikum , und wenn das Publikum in die Hände klatschte , so hörte der kritische Selbstdichter ganz deutlich " Der Dichter !
Der Dichter ! " heraus , genau wie jener Mann , der aus dem Geläute des Kölner Doms immer " Aquavit ! Aquavit ! " heraushörte .
Wenn das Werk eines Günstlings aber sang- und klanglos durchgefallen war , so schrieben sie :
" Das feine , gehaltvolle Werk hinterließ sichtlich einen tiefen Eindruck . "
Die Entschlossensten jedoch machten tatkräftig aus einem Sieg eine Niederlage , aus einer Niederlage einen Sieg .
Nur war ihre Intelligenz nicht so stark gebaut wie ihre " Amoral " :
sie waren nicht konsequent , wie man an ihrem Schema erkennen kann :
Wenn das Stück eines Günstlings gefiel , so war das Stück herrlich , das Publikum gescheit .
Wenn das Stück eines Günstlings durchfiel , so war das Stück herrlich , das Publikum ein Vieh .
Wenn das Stück eines Verhaßten durchfiel , so war das Stück erbärmlich , das Publikum gescheit .
Wenn das Stück eines Verhaßten gefiel , so war das Stück erbärmlich , das Publikum ein Vieh .
Der " Heilige Bureaukratius " wurde nach und nach in alle Kultursprachen der Welt übersetzt ; folgerichtig schmähte man ihn in Deutschland in allen Tonarten der Gasse. XLIX. Kapitel .
Heautontimorumenos und die Philister .
Als Asmus einmal während einer Erstaufführung im Konversationszimmer des Leipziger Stadttheaters saß und vergnüglich mit den Schauspielern plauderte , kam der Direktor herein und rief verwundert :
" Hier sind ich Sie ?
Wollen Sie sich denn Ihr Stück nicht ansehen ? "
" Liebster Herr Direktor , " sagte Asmus , " seien Sie mir um Gottes Willen nicht böse ; aber - ich kann das Stück nicht mehr sehen . "
" Na - ! " rief der Direktor , " so ein Autor ist mir noch nicht vorgekommen . "
Er reiste zu den wichtigsten Aufführungen seiner Stücke , weil er aufpassen mußte , daß man ihm aus seinen schüchternen Liebhabern keine geilen Böcke , aus seinen unerschrockenen Jünglingen keine unerzogenen Rüpel , aus seinen anmutig gedachten Mädchen keine Dragoner mache , und weil er die Psychologie der dramatischen Wirkungen im Publikum verfolgen mußte ; aber dieses wiederholte Durchkäuen seiner eigenen Werke war ein schweres Opfer , das er seinem Berufe brachte , war ihm eine kaum zu ertragende Pein .
Ein unaufhörlich Werdender haßt immer sein Gewordenes , weil es ihn festlegt ; das Vergangene kann nicht mehr werden :
das ist seine Qual .
Wenn ihm etwas fern lag , so war es die Affenliebe zu seinen Geisteskindern ; vielmehr : er sah die Fehler und Schwächen seiner eigenen Werke mit den scharfen Augen des Hasses .
Nur wenn er nach vielen Jahren einmal wie zufällig diesen Kindern ins Antlitz sah , fand er wohl hier und da einen Zug , bei dem ihn ein freudiges Gefühl durchfuhr : das ist dir geglückt .
Aber er verwarf ganze Bücher , die er ehemals geschrieben und ließ sie nicht zum zweiten Male drucken .
Wenn er sich mit den Großen seiner Kunst verglich , überfiel ihn immer wieder tiefstes Ungenügen bis zum völligen Verzagen , und mehr als einmal erwog er ernstlich den Gedanken , die Feder für immer hinzuwerfen , weil es keinen Sinn habe , die Literatur der Mittelmäßigkeiten noch zu vermehren .
Dann freilich sagte er sich wieder : Vielleicht hat der Dichter für sein eigenes Erzeugnis nicht den richtigen Gesichtspunkt , und selbst die Größten haben stehen lassen , was sie früher geschrieben und was ihnen später mißfiel .
Es beschlich ihn aber der Argwohn , ob das nicht Vorspiegelungen der Eitelkeit seien .
Jetzt gab es etwas , das ihn aufrichtete .
Wenn er zu den Gipfeln seiner Kunst aufsah , fühlte er sich wie ein Zwerg ; wenn er sich die " Kritik " besah , die seine Schuhe zu verunreinigen trachtete , kam er sich wie ein Riese vor .
Er hatte sich in seinem Leben oft geschämt , wenn man ihn lobte , weil er nicht begriff , daß man in so wenigem schon ein Verdienst sehen könne ; nun durfte er sich mit gleichem Rechte sagen , daß diese Anfeindungen seiner Kraft tief unter seinen Füßen lagen .
Er war ein Mensch ; also vernahm er ein begründetes Lob lieber als einen unbegründeten Tadel ; aber nie fühlte er sich tiefer herabgesetzt als durch wohlfeiles Lob , das dem Stümper so gut und reichlich zufiel wie jedem anderen .
Auch die abfälligste Kritik war ehrenvoller .
Aber diese haßstrotzenden Angriffe waren fast ausnahmslos eine Aneinanderreihung beweisloser Schmähungen , schulmeisterlicher Zensuren :
"4-5 ! "
"5 ! "
"5 mit drei Ausrufungszeichen !!! "
" Ungenügend ! "
" Ganz ungenügend ! "
" Unter allem Luder ! " und kamen von Leuten , denen niemand eine Autorität beigemessen hätte , wenn sie es nicht selbst getan hätten , auf die niemand gehört hätte , wenn sie nicht zufällig eine Druckmaschine neben sich gehabt hätten .
Er suchte sich fast die Augen aus dem Kopfe , um unter all den faulen Eiern und Äpfeln vielleicht doch ein gesundes Korn zu finden , das sein Künstlertum nähren könne ; er fand unter Tausenden kaum einen , der ihn durch einen wohlbegründeten , wertvollen Tadel bereicherte .
Als Verbrechen rechnete man ihm an , daß er gelegentlich sehr gute und sehr böse Menschen darstellte .
Die damalige Kritik schien davon überzeugt , daß es nur halbes Licht und halben Schatten in der Welt gäbe , während Asmus das Gefühl hatte , daß die ganzen Konflikte nur in und zwischen den ganzen Menschen entstehen .
Die damalige Kritik glaubte nicht an Bösewichter , obwohl der gemütvolle Massenmörder Thomas schon gelebt und geendet hatte und obwohl der Oberst Redl schon längst geboren war ; sie glaubten noch viel weniger an Edelmut , obwohl um jene Zeit ein Kellner sieben Menschen nacheinander vom Wassertode rettete und beim achten Versuche ertrank .
In ihrer Wut griffen die Zerstörer , die nicht schaffen konnten , zu dem , worauf wutblinde Menschen immer verfallen .
Der Lüstling , der bei einer keuschen Frau abgefallen ist , verdächtigt ihre Reinheit ; der dunkle Geschäftsmann , dem ein Bestechungsversuch mißglückt ist , zeiht den Unbestechlichen der Unredlichkeit .
So nannten sie Sempern , der die längst erstarrten und spießten Zeitdogmen einer lendenlahmen " Moderne " und die unfehlbaren " Weltanschauungen " beschäftigungsloser Bankiersöhne angezweifelt hatte , einen " Spießbürger " .
Weil sie fühlten , daß hier ein Gegensatz ihres beharrenden Philistertums war , nannten sie denselben Mann einen Philister , den der klassische Antiphilister seiner Zeit als einen Bruder im Geiste begrüßt hatte .
Wenn man Asmus Sempern irgend etwas nicht vorwerfen konnte , so war es das , daß er in seinem Leben die Ruhe gesucht habe .
L. Kapitel .
Ein Denkmal für Hein Suhr und eins für Hilde Semper .
Wie er überhaupt zu diesen Angriffen stand , das sagte er in seiner Dankrede auf einem Bankett , das ihm seine Kollegen bei seinem Abschied von der Schule gaben .
Es war kein Abschied von der Schule ; denn mit der Schule war Asmus bis an sein Lebensende durch das Herz verbunden ; es war nur ein Abschied vom Amt , das er niederlegen mußte , wenn er der Arbeitslast nicht erliegen wollte .
Da versammelten sich in der feierlichen Halle des Ratsweinkellers alle die lieben Freundesgesichter , die ihm seit den ersten Anfängen seines Wirkens , seit den frühesten Tagen seines Ringens und Suchens zugenickt und zugelächelt hatten : " Halt aus ; wir bleiben dir treu . "
Da erschien auch von der Kunst , was ihm freundlich gesinnt war , und der Direktor des " Deutschen Theaters " Baron von Korbach hielt die Festrede auf Sempern , der sich als frühreifer Jubelgreis in seinem blumenbekränzten Sessel wunderlich und unbeholfen genug vorkam .
Da nun der Direktor auch von jenen Anfeindungen gesprochen hatte , sagte Asmus , nachdem er an sein Glas geklopft hatte :
" Als Herakles in den Olymp aufgenommen war , ging er zuerst zu seiner Feindin Hera , um ihr zu danken ; denn sie habe ihn zu dem gemacht , was er sei .
Ich stehe nun so tief unter Herakles wie dieser Keller unter dem Olymp ; ich kann ihm nicht eine seiner Arbeiten nachmachen , kann nicht einmal auf geistigem Gebiet den Stall des Augias reinigen und bin auch beim besten Willen nicht in der Lage , eine gewisse Abart der Kritik mit der Hera zu verwechseln .
Aber das kann ich dem Herakles nachmachen :
in meinen Feinden ein Geschenk des Himmels sehen , das mich stärken und besseren soll .
Wen Gott lieb hat , dem gibt er viele Feinde .
Vielleicht komme ich auch einmal dazu , für dieses Geschenk zu danken ; heute sagt mir ein unbeirrbares natürliches Gefühl , daß ein anderer Dank vorgeht .
Danken ist mir von je eine Wollust gewesen , und die Erde soll mich verschlingen , wenn ich jemals mit Wissen undankbar befunden werde .
Einer aber ist hier im Saale , an den ich mich mit dem Faden meiner Rede anseilen werde , und wenn seine unübertreffliche Bescheidenheit sich auch in Qualen der Schamhaftigkeit winden sollte ; es hilft ihm nichts :
er muß hier vors Brett und heißt Hein Suhr .
Das ist der Mann , der eines Tages zu mir kam und sagte : » Ich will gern deine Turnstunden für dich geben ; mir macht es nichts aus , ob ich ein paar Stunden mehr gebe ; du hast Besseres zu tun . «
Sehen Sie , meine Damen und Herren , in demselben Augenblicke , da er mir das sagte , gelobte ich mir : Wenn du einmal an eine Stelle gelangst , von der dein Wort vernommen wird , dann willst du laut für diesen Mann zeugen und willst rufen : Huldigt meinem Hein Suhr !
Aber ich sehe in seinen Zügen sein Entsetzen über meine Brutalität ; ich will von ihm lassen und kann es um so eher , als er ja nur der typische Vertreter eines Standes ist , des Standes , in dessen Herzen unverlöschlich der Grundsatz seines erhabensten Genossen brennt , der Grundsatz Heinrich Pestalozzis :
» Alles für andere , für sich nichts . «
Ich will keinem Stande zu nahe treten ; aber achtzehn Jahre ernster Beobachtung haben mir bewiesen , daß nirgends ein heiligerer Opfersinn , nirgends eine selbstlosere Hingabe an den Mitmenschen , nirgends ein froherer Verzicht auf eigenen Gewinn , wenn es sich um die große Gemeinschaft der Menschen handelt , zu finden ist , als bei den Lehrern der Volksschule .
Dieser Stand verrichtet Herkulesarbeiten ohne Dank und ohne Lohn , ja , er wird gar mit Geringschätzung angesehen von solchen , die sich über ihm wähnen .
Man hat die Uneigennützigkeit dieses Standes gründlich mißbraucht ; aber das hat ihn nie beirrt .
Die Lehren , daß es keine Wahrheit gebe , keine Tugend , keine Redlichkeit , keine Selbstlosigkeit , daß jeder Mensch nur seinen Vorteil suche und das mit Recht - sie haben in diesen Stand nicht eindringen können ; sie haben kaum seine Oberfläche gestreift .
Und ich kann euch versichern , daß ich den großen Überlieferungen dieses vornehmen Standes treu bleiben will , so weit die Kraft meines schwachen Herzens reicht .
Wir Künstler , Lehrer , Geistlichen und dergleichen , wollen uns den Vorrang bewahren , daß der Nichts- als-Geldmacher in seinem stillsten Inneren doch vor uns den Hut ziehen muß .
Ihr habt , wie ich sehe , in die Blumen , die diesen Sessel schmücken , auch Lorbeer geflochten .
Ich weiß nicht , ob ich je in die Lage kommen werde , einen Lorbeer zu verdienen ; sollt es aber geschehen und sollte es auch nur ein schmächtiges Zweiglein sein :
das kann ich euch versprechen :
es soll kein unsauberes Blatt daran zu finden sein .
Denn ich will des Standes würdig bleiben , dem ich bis heute angehört habe und dem anzugehören ich niemals aufhören kann .
Diesem Stande weihe ich mein Glas . "
Auf diesem Bankett erhob sich auch Claus Heide , der Wortkarge , und feierte in flammenden Worten Hilde Semper , des Asmus Semper Gemahl .
Claus Heide war ein Dithmarscher .
Dithmarscher machen keine Komplimente , auch den Frauen nicht , und einer fremden Frau schon gar nicht .
Aber nach achtzehn Jahren der Freundschaft und des Schweigens steht so ein Dithmarscher Bauernsohn auf und zeigt , daß er sich auf Menschenherzen versteht , und gar auf Frauenherzen , wie ein Plinius auf Edelsteine .
LI. Kapitel .
Michael Kohlhaas .
So ungefähr mußte Samuel Johnson ausgesehen haben , wie der Baron von Korbach aussah .
Ein großer , breiter , dicker , ungeschlachter Mann , sorglos gekleidet , mit einem sinnlichen Gesicht , ein Mann , den man , wenn man ihn nicht kannte , auch für einen besseren Fleischer oder Bierbrauer hätte halten können .
Aber solange ein Mensch nicht gesprochen hat , soll man eben nicht urteilen ; erst das sprechende Fleisch wird lebendig .
Er hatte auch das mit Samuel Johnson gemein , daß er ein lexikographisches Wissen besaß , das überdies in jedem Augenblick zu Diensten stand .
Sein Besonderstes aber waren seine barocken Einfälle , denen oft ein zynischer Pessimismus zugrunde lag .
" Ich denke mir immer , " sagte er eines Tages , " man wird einmal eine Maschine bauen , in die man auf der einen Seite Buchstaben hineinwirft und aus der auf der anderen Sätze herauskommen .
Denken Sie , Herr Semper , was da herauskommen müßte !
Neben einer Unmenge von sinnlosem Zeug die tiefsten , erhabensten , göttlichsten Gedanken , die entscheidendsten Aufschlüsse !
Stellen Sie sich dies Glück für die Menschheit vor !
Sie könnte ihre tiefste Sehnsucht befriedigen und alle natürlichen Genies abschlachten ! "
Wenn er ein Stück mit zwanzig Personen einstudierte , so konnte er alle zwanzig mit Ideen für Stück und Rolle versorgen , oft mit sehr seltsamen Ideen ; aber er behielt jedenfalls noch Ideen genug übrig , um nach der Probe oder Vorstellung , bei Importzigarre und Burgunder , stundenlang damit zu ergötzen .
Auch an diesem Abend , als er mit Asmussen nach beendeter Tafel in einem Winkel zusammen saß , ließ er mit den Wolken seiner Zigarre eine bitterlustige Phantasmagorie steigen .
" Es geht Ihnen wie mir , " sagte er , " Sie können auch den Schulmeister in sich nicht totmachen .
Sie wissen , daß ich Universitätsprofessor war , und ich kann es nicht lassen , bei allem , was ich tue und schreibe , zu denken :
was für Nutzen bringt es den Menschen ?
Ich denke wie jener witzige Mann :
Jede gute Geschichte muß ihre Moral haben , wie jeder anständige Mensch ein Taschentuch hat ; aber es braucht nicht hinten herauszuhängen . "
" Da passen Sie also genau so wenig in diese Zeit wie ich , " versetzte Asmus ; " denn in einer Zeit , da der Glaube an einen Fortschritt , an eine zunehmende Erleuchtung und Besserung der Menschen unbändig verlacht wird , ist natürlich nichts so sehr verachtet wie ein Stück oder ein Buch , aus dem man etwas lernen kann . "
" Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf , " sagte Korbach und drehte wohlgefällig seine große » Garcia « in den Fingern , " dann hören Sie nicht auf das Geheul Ihrer Feinde , sondern gehen Sie unbekümmert Ihren Weg .
Das ist unser Hagelschlag , den wir ertragen müssen wie jeder Landwirt .
Diese Sorte von Theaterkritik ist die umgekehrte Armee : die Offiziere werden von den Gemeinen kritisiert , und mitunter von sehr Gemeinen . "
" Selbstverständlich laß ich mich nicht irremachen , " sagte Asmus , " dazu ist mein Selbstbewußtsein viel zu kräftig gebaut .
Was mich aufbringt , ist etwas ganz anderes .
Ich bin von der Natur mit der unglückseligen Gabe eines - vielleicht überempfindlichen - Rechtsgefühls ausgestattet .
Ich kann kein Unrecht sehen , ganz einerlei , ob es mich oder andere trifft .
Dies Gefühl geht bei mir bis zum Starrsinn ; von allen tragischen Helden ist mir keiner verständlicher als Michael Kohlhaas , und es ist wohl kein Zufall , daß der Held meines ersten Dramas ein Michael Kohlhaas der Gewissensrechte ist . "
" Das Stück gebe ich demnächst ! " rief der Baron , " obwohl ich eigentlich kirchentreuer Katholik bin ! "
" Was ich da sage , " fuhr Asmus fort , " klingt wohl recht pharisäisch , als wenn ich mir einbildete , selbst kein Unrecht begangen zu haben .
Das habe ich gewiß und verlange nichts geschenkt ; vielmehr sehe ich in jedem Übel , das mich trifft , die Strafe für irgendein Unrecht .
Denn das Recht ist mir nun einmal der Grundstein der Welt , ohne den sie für mich in Trümmer zerfällt .
Auch die Liebe kann das Recht nicht ersetzen ; soviel sie verzeihen mag und verzeihen soll - nachher muß sie doch immer das Recht wieder herstellen ; sonst wird aus der Welt ein stinkender Sumpf . "
" Das ist sie schon ! " lachte der Baron , " das ist sie schon , und man muß rechtzeitig für hohe Stiefel sorgen . "
" Nun , so weit kann ich Ihnen nicht folgen , " meinte Asmus .
" Auch unsere Presse ist doch wohl im wesentlichen noch gesund ; wenigstens ist sie doch unbestechlich . "
" Was nennen Sie unbestechlich ? " rief Korbach .
" Ja , wenn Sie zu einem dieser Skandalkritiker sagen :
» Hier hast du hundert Mark - lobe mich ! « dann würde er einen solchen Pakt natürlich mit sittlicher Entrüstung zurückweisen .
Und doch wäre dies noch gewissermaßen die » ehrlichste « Form der Bestechung ; man weiß doch , woran man ist , und der Gekaufte nimmt doch eine Gefahr auf sich .
Aber Sie wissen doch , daß mindestens 75 Prozent unserer Schmähhälse » Selbstdichter « sind , die abgelehnte oder durchgefallene Stücke in der Brusttasche tragen !
Wenn Sie nun » Glück « haben - die Erfolge anderer sind natürlich immer » Glück « - und wenn Sie gar - das Unverzeihlichste ! - mit Ihren Stücken Geld verdienen , dann verreißt Sie das » unglückliche Genie « für das Geld , das er nicht bekommen hat .
Ist das etwa nicht Bestechung ?
Ist es nicht Bestechung , wenn er Sie schmäht , weil Sie der Freund eines Mannes sind , der mit seiner Schwiegermutter verfeindet ist ?
Ist es nicht Bestechung - mir fällt da ein sehr komisches Erlebnis ein :
Ich sitze eines Tages im Restaurant Siechen , hier in Hamburg .
In der Nische neben mir , unsichtbar für mich , wie ich es für sie bin , sitzen drei Personen , die ich nach der Stimme als zwei Herren und eine Dame unterscheide .
Man spricht Literatur . "
" Wann sollst du denn deine erste Kritik schreiben ? " fragt eine männliche Stimme .
" Montag , " antwortet die andere .
" Über was denn ? "
" Sudermann , » Das Glück im Winkel « . "
" Na , da hast du ja gleich die schönste Gelegenheit !
Siehst du , mein Junge , du mußt gleich mit deiner ersten Kritik Sensation erregen !
Alle Welt muß aufhorchen und fragen :
Wer ist das ?
Der ist ja von einer göttlichen Frechheit !
Deine erste Rezension muß einschlagen wie eine Bombe ! "
" Ja , Heimdal , " - Heimdal hieß der Jüngling ! - " du mußt dir sofort eine Position erobern , " bekräftigte die weibliche Stimme .
" Na , da seid nur ganz ruhig , " lachte der also Angefeuerte , " das werden wir schon kriegen ! "
Beim Weggang sah ich mir die Gruppe an ; es waren nach allem Anschein Papa und Mama , die ihrem Söhnchen , einem höchstens neunzehnjährigen Bürschchen , Unterricht im Hühnerstehlen gaben .
Heimdal tat denn auch seine volle Schuldigkeit .
Seine " Kritik " war ein beständiger Scheiterhaufen , an dem er sein Süppchen wärmte .
Ist das etwas Besseres als Bestechung ?
Ist es nicht Bestechung , wenn ein Mann Sie vermöbelt , weil Sie nicht zu seiner Verlagsclique gehören ?
Wenn Benjamin Hübscher - "
" Wie ? " rief Asmus hoch aufhorchend , " Benjamin Hübscher ? "
" Kennen Sie Benjamin Hübscher nicht ? "
" Oh , freilich kenne ich ihn , " lachte Asmus und erzählte seine Hamburger Erfahrungen mit diesem Kunstfreunde .
LII. Kapitel .
Der Kunstmacher .
" Nun also .
Sie wissen , daß Hübscher jetzt einen großen Verlag in Berlin hat , mit Filialen in München und Wien .
Firma : Hübscher & Weber ; aber Benjanim - ich sage immer Benja nimm - ist , mit Erlaubnis zu sagen , die » Seele « des Geschäfts .
Benjanim Hübscher handelt auch mit Seife , das wissen Sie doch ? "
" Ich habe keine Ahnung . " sagte Asmus .
" Also er handelt mit Seife und Literatur .
Es ist eine Seife wie andere ; er nennt sie aber - poetisch , wie er nun einmal ist - » Lyraseife « .
Natürlich geht die Seife unter einer anderen Firma .
Sie werden an allen Ecken der Welt gelesen haben :
» Strohmanns Lyra-Seife ist die beste ! « "
" Allerdings , " sagte Asmus .
" Und das ist Hübscher ? "
" Das ist Hübscher .
Und sehen Sie : nach demselben Prinzip vertreibt er seine Verlagsartikel .
» Hübscheres Literatur ist die beste ! «
Diesen Satz , sagte sich Hübscher , muß ich jedem Deutschen ins Gehirn brennen .
Und da es gesetzliche Beschränkungen der Unlauterkeit wohl im Seifenhandel , aber nicht in der Kunst gibt , so ist Hübscher als Poesiehändler noch viel tatkräftiger denn als Seifenhändler .
Der Seifenhändler darf fremde Seifen nicht verleumden ; der Kunsthändler darf es .
Jede Konkurrenz , die auch etwas erreichen könnte , sagte sich Hübscher , muß mit Nagelschuhen bearbeitet oder von hinten herum mit Gift um die Ecke gebracht werden .
Selbstverständlich wird in dieser Zeit an der Börse Hübscher & Ko. nur Naturalismus gehandelt .
Wenn Sie Hübscher hören , so decken sich Kunst und Naturalismus genau wie zwei Tausendmarkscheine .
Kommt nach diesem eine romantische Periode - und sie muß kommen - und wird Romantik » gefragt « , so wird Benjanim natürlich rasender Romantiker .
O , er ist viel zu gescheit , um nicht borniert zu sein , wenn dabei zu verdienen ist .
Fremde Verdienste gibt es für Hübscher nicht ; er kennt nur einen Verdienst .
Zu diesem Zwecke hat er eine Zeitschrift , die nur eine Literatur kennt : die von Benjanim Hübscher .
Aber das kann einen Geist wie Hübscher nicht » ausfüllen « .
Wir werden es erleben , daß Hübscher Geld in 37 deutschen Zeitungen sitzen hat ; bei dem sogenannten » Hainmayer-Konzern « ist er schon stark beteiligt .
Hübscher wird ferner Geld in 44 deutschen Theatern haben .
Seine intelligenteste Erfindung , den » Lektor « , wird er ausbauen .
Überall in deutschen Landen wird er Lektoren sitzen haben , die er gegen die Konkurrenz als Liktoren verwendet .
Ein Lektor ist für die Welt ein Mann , der für den Verleger Manuskripte liest und prüft und dafür ein Gehalt erhält .
Bei Hübscher wird es sich aber immer so treffen , daß der » Lektor « zugleich Rezensent oder Berichterstatter für so und so viele Zeitungen ist .
Die ganze Maschinerie ist dann furchtbar einfach :
Hübscheres Verlag druckt das , was Hübscheres Theater spielen und was Hübscheres Zeitungen loben .
Hübscheres Zeitungen loben , was Hübscheres Verlag druckt und was Hübscheres Theater spielen .
Und Hübscheres Theater spielen , was Hübscheres Zeitungen loben und was Hübscheres Verlag druckt .
So beißt sich die Schlange in den Schwanz .
Andere Theater und Zeitungen folgen dann dieser » tonangebenden « Kritik von selbst , und mein Spezialkollege vom Katheder Professor Schafkowski wird - darauf halte ich jede Wette - eine » Literaturgeschichte « aus Hübscheres Waschzetteln zusammenkleben .
Ein » Lektor « hat natürlich viel zu viel Gemüt , um über Hübscheres Stücke nicht mit Rosenöl und über die Stücke der Konkurrenz nicht mit Vitriol zu schreiben .
Sollte er aber sich beikommen lassen . sich einen Rest von Redlichkeit aufzuheben und über einen Gegenstand aus Hübscheres Laden nicht begeistert zu depeschieren , dann fliegt er auf der Stelle .
Sie haben hier den Standard Oil-Trust in der Literatur .
Und genial geschäftsmäßig faßt Hübscher die ganze Sache auf .
Er sagte einmal - " hier unterbrach sich der Baron durch ein elementares Gelächter - " er sagte einmal , als ich ihm meine ironische Verwunderung aussprach , daß er so viele kleine Autoren verlege , die doch nicht viel einbrächten : » Aah , was wollen Sie !
Die kleinen Schafe geben auch Mist ! «
Sie haben hier die Grundformel seiner Ästhetik . "
Jetzt war es an Asmussen , sich vor Lachen annähernd auszuschütten .
" Ja , ja , » Lektor « ! " rief er stöhnend .
" Dazu wollte er mich ja auch haben !
Und wissen Sie , was der Mann zu mir sagte ?
» Sie werden sehen :
ich mache ' Sie ! « sagte der Mann .
Ich genoß damals sein Wohlwollen .
Er wollte mich » machen « .
Diesen Anschluß habe ich verpaßt !
Überall , wo Hübscheres Ware gelobt wird , erfolgt automatisch ein Schlammregen auf mich und meine Werke . "
" » Machen « das ist das richtige Wort .
Passen Sie auf : Hübscher wird die deutsche Literatur machen - Oh ! er wird noch viel mehr machen ! " rief der Baron und geriet in eine sarkastische Begeisterung über sein Zukunftsbild .
" Er wird sich demnächst mit einem sinnesverwandten Kunsthändler verbinden ; dann wird er Maler und Bildhauer machen .
Er wird irgendeinen obskuren Maler des 15. Jahrhunderts entdecken , und in einem Jahre wird alle Welt überzeugt sein , daß Rembrandt im Vergleich zu dem ein Stubentüncher sei , und wird unserem Hübscher Millionen zahlen für die Bilder des armen , verkannten Genies , obwohl Benjanim keinen Cornelius von einem Hondekoeter unterscheiden kann .
Hübscher macht auch Schauspieler .
Da war ein unerträglicher Kerl , ein fader Süßling , den die Kritik und das Publikum mit gesundem Instinkt auf das entschiedenste ablehnten .
Aber Hübscher hat einen Riecher ; er sagte sich : das ist einer für Damen .
Und er » interessierte « sich für den Weiblich , und heute ist er der übliche » vergötterte Liebling « , den jedes Theater für die reifere weibliche Jugend braucht .
Was ist Richard Neville Graf von Warwick gegen Hübscher !
Der machte Könige ; aber Hübscher wird die deutsche Kultur machen ! "
" Vergessen Sie nicht , " sagte Asmus , " er hat auch wirkliche Dichter , Dichter von Bedeutung , in seinem Verlag ! "
" Gewiß hat er das , " bemerkte der Baron , " das sind die Lockvögel .
Jedes Warenhaus muß ein paar Artikel führen , die gut und preiswürdig sind .
Oh , Hübscher ist nicht nur schlau , er ist klug .
Er hat auch in jedem Theater und in jeder Zeitung mindestens einen Germanen sitzen . "
" Haha ! " -
Asmus mußte laut herauslachen .
" Sind denn die Germanen immer » gut und preiswürdig « ?
Ich könnte Ihnen da von sehr - aber von sehr anderen Erfahrungen berichten !
Sie sind wohl Antisemit ? "
" Nicht mehr , als wir alle es sind . "
" Nun , ich " , sagte Asmus , " mache auf diese Bezeichnung durchaus keinen Anspruch .
Ich werde es immer für unedel halten , einen Menschen nicht nach seinem persönlichen Wert , sondern nach seiner Abstammung zu behandeln .
Die Juden haben ihre Rassenfehler wie wir , und da sie große Tugenden haben , so besitzen sie auch große Fehler .
Wenn die Fehler sich bemerkbar machen , wenn z. B. Herr Hübscher und seinesgleichen das deutsche Kunstpublikum einzuseifen versuchen , dann sollen wir Germanen einfach nicht so dumm sein , darauf hineinzufallen - das halte ich für die wirksamste Lösung der Judenfrage . "
" Ganz meine Meinung , " sagte der Baron .
" Die Juden befinden sich in einer Verteidigungsstellung , das ist doch nicht zu leugnen .
Staat und Gesellschaft versagen ihnen gewisse Rechte , die andere genießen .
In unserer » Freien Stadt Hamburg « , die doch so reich an großen Zügen ist , finden Sie an den höheren Schulen keinen Juden .
Und gerade ich kenne unter meinen jüdischen Freunden ein paar glänzende , wahrhaft ideale Schulmeister !
Was ist natürlicher , als daß die Juden sich wehren , wie sie können ?
Würden wir nicht dasselbe tun ?
Wer sich wehrt , hat meine Sympathie .
Wenn die Juden sich mit üblen Mitteln wehren , z. B. durch eine niederträchtige Presse - die niederträchtigste handhaben nicht sie ! -
so sollen wir die Augen aufmachen und uns nicht betrügen lassen .
Haben wir doch so viel mehr Augen als sie ! "
- - LIII. Kapitel .
Ein sehr hoher Zuhörer und ein sehr guter Freund .
Zu der Freude dieses Banketts kam bald eine andere :
Der deutsche Kaiser Wilhelm der Zweite kam nach Hamburg und bestimmte für die Festvorstellung im " Deutschen Theater " die Aufführung des Semperischen " Zweikampfs " .
Es war keine kalte höfische Ehrung , die ihm damit zuteil wurde ; es war ein warm beglückendes , menschliches Erlebnis .
Denn dieser Kaiser saß nicht um einer " Repräsentationpflicht " Willen , die wohl oder übel erfüllt werden muß , im Theater ; aus angeborener , innigster Zuneigung zur Kunst pflegte er den Vorgängen auf der Bühne von Anfang bis Ende mit unermüdlicher Teilnahme zu folgen ; bei schlagenden Wendungen des Dialogs blitzte sein wunderbares Auge , und wenn er lachte , so lachte er hell und laut mit der ganzen Unbefangenheit eines kindlich großen Herzens .
Er war für einen Dichter das Ideal eines aufnahmefreudigen Publikums , weil er eine in ihren Wurzeln kunstfrohe Natur war .
Er drückte Asmussen nach der Vorstellung die Hand und sagte :
" Solcher Stücke schreiben Sie mehr ! "
Ein geschäftstüchtiger Photograph hatte in diesen Tagen eine Postkarte in den Handel gebracht , die die Bilder des Kaisers , des Barons von Korbach und des Asmus Semper vereint zeigte .
Da frohlockten die Feinde .
" Seht , " schrieben sie , " er , der früher ein wilder Republikaner war , läßt sich mit dem Kaiser zusammen photographieren , weil er es für die Reklame brauchen kann ! "
Und doch war Asmus an jener Photographie so unschuldig wie an seiner Geburt .
Als Asmus gerade im Anschluß an dieses Erlebnis über menschliche Reinlichkeitsverhältnisse im allgemeinen und über deutsches " Berühmtsein " im besonderen nachdachte , stürzte sein Töchterchen Leonarda bleich und aufgeregt in sein Zimmer und rief : " Vater , da ist ein Mann im Garten , der machten furchtbaren Lärm !
Er haut immer mit_dem Stock auf_dem Tisch und ruft » Wirtschaft ! Wirtschaft ! « " Asmus ging an die Tür zum Garten und sah , wie jemand zwischen den Vorhängen der Glastür hindurchlugte , und hörte dann jemand krähen :
" Einen wundervollen Flügel hat er sich angeschafft ! "
Löwenklau !
Frohbewegt stieß er die Tür auf und rief : " Bis willkommen , du edler Gast ! "
" Buon giorno signore poeta ! " schrie Löwenklau , " hest du noch_ein Lütten in_den Buddel ?
Die » rohe Soldateska « ist da und verlangt zu trinken ! "
Im selben Augenblicke saß auch schon die " rohe Soldateska " am Flügel und spielte Schumann , ihren Liebling .
" Ich habe ja gewußt , daß du Klavier spielst , " sagte Asmus , " aber du spielst ja auch gut ! "
" Ich war doch Klavierlehrer in Neu York bei den Tungusen ! "
Die Silbe " gu " sprach er ganz hoch wie ein aufschreiendes Huhn .
Asmus stieg selbst in den Keller und holte eine Flasche 1875er Mouton Rotschild herauf , die ihm ein wildfremder Mann aus Berlin für seinen " Zweikampf " geschickt hatte .
" Diese sehr gute Flasche habe ich gespart für eine Stunde mit einem sehr guten Freunde , " sagte Asmus .
" Semper ! " schrie Löwenklau , " Herz der Herzen !
Cor cordium !
Drei Worte nenne ich euch , inhaltsschwer :
» Linsensuppe , kalte Ente und Rotspon « ! "
" Ja - , " meinte Asmus , den man nicht glücklicher machen konnte , als wenn man seine Gastfreundschaft anrief , " Linsensuppe kann ich dir jetzt schwerlich verschaffen ; aber kalte Ente ist schnell besorgt - "
" Mache keinen Unsinn ! " rief der kleine Baron , " ich habe nicht lange Zeit .
Ich muß nämlich notwendig nach Hamburg : dor will ich mi mol fix ammisier'n !
Gehst du mit ? "
" Immer , " sagte Asmus .
Darin stimmten sie ganz überein : nach langen Wochen strenger Arbeit mußten sie einmal rasen wie losgelassene Schuljungen .
Während sie den Rotspon bedächtig " auslöffelten " , kam die Rede auch auf die noblen Gewohnheiten einer gewissen Kritik .
" Hahaaa ! " rief Löwenklau , " mache dir nichts draus !
las doch die Hühnergehirnchen !!
Du kannst doch lachen !!!
Alle Jahre einmal laß ich mir vom Verleger den Zoologischen Garten der Kritik kommen und lache - mich - krumm !!!
Je m' en fiche ! "
Da ging Asmus lächelnd an seinen Briefschrank , zog aus dem Fache " L " eine Postkarte hervor und las : " Liebster Semper , wer ist dieses Schwein Heimdal Alving in der » H. Z. « ?
Ich schieße dem Kerl die Kaldaunen ( verzeih die Roheit ) kaputt !
Diese Infamie geht mir denn doch über den Spaß !
Dies Mistvieh , dies ! "
" Ja ! " schrie Löwenklau , " der Kerl griff meine » Moral « an ! "
" Nun ja , das ist eben die neue kritische Methode :
man fühlt , daß man einem Werk auf die Dauer nichts anhaben kann , und greift darum zur menschlichen Verunglimpfung . "
" Na ja , das ist doch selbstverständlich !
» Propter invidiam «
» Der Neid ist das Erblaster der Deutschen « , hat , glaube ich , Grillparzer gesagt .
Wenn wir steigen , sind wir Eule unter den Krähen .
Denke dir , was hat der gute Grillparzer erduldet , was hat ein Goethe , ein Bismarck sich gefallen lassen müssen - "
" Bevor du noch den lieben Gott nennst , höre mich an .
Deine Beispiele sind zermalmend ; aber sie treffen mich nicht .
Durch die Jahrtausende her tönt ein himmlisch klares Wort des Pharisäers Gamaliel .
Er sagte : » Ist das Werk dieser Männer von Menschen , so wird es untergehen ; ist es aber von Gott , so könnet ihr es nicht dämpfen . «
Das heißt , auf meine bescheidenen Verhältnisse übertragen : Ist , was ich schreibe und treibe , Machwerk , so wird es zum Teufel gehen , ob etwas früher oder später , ist gleichgültig ; ist aber etwas vom göttlichen Funken darin , so können es tausend Schmierfinken mit hunderttausend Gallonen Tinte nicht auslöschen .
Das weiß ich alles selbst .
Und was mir das Leben an Glück gegeben hat , ist so viel , daß ich jeden Morgen und jeden Abend an den Beherrscher von Samos denken muß .
Verlangte ich mehr vom Schicksal , ich wäre der undankbarste Esel , den die Erde je getragen .
Aber ich mag nicht in einem Schweinestall leben . "
" Hahaaaa - müssen wir , mein lieber Sempronius , müssen wir - alle !!! "
" Dann will ich mir wenigstens soviel Reinlichkeit schaffen wie möglich .
Man soll kein Unrecht dulden , hat ein großer Rechtslehrer gesagt ; wer es tut , versündigt sich schwerer an der Menschheit als der , der Unrecht tut .
Siehst du : andere Dichter , die zu Vermögen gekommen sind , halten sich einen Rennstall , oder sie bauen sich eine kostspielige Villa nach der anderen , oder sie kaufen sich moderne alte Bilder für schweres Geld usw. usw.
Ich leiste mir den Luxus , daß ich vor keinem Schubjak den Hut ziehe und ihm , wenn es mir nötig scheint , ins Gesicht sage : Du bist ein Schubjak .
Das ist der Ring , den ich ins Meer werfe . "
" Bevor der Fischer ihn zurückbringt , bist du tot , mein lieber Semper . "
" Wenn er ihn jemals zurückbringt ! "
" Na ja , du kannst nicht anders ; das liebe ich ja so an dir :
du bist eine Kampfnatur ! "
" Das bin ich und bin es eigentlich gar nicht , lieber Freund .
Ich bin von Haus aus faul .
Wenn ich was gelernt hätte , würde ich sagen :
ich bin eine stille Gelehrtennatur .
Glaube mir : über meinen Büchern sitzen , zwischen einsamen Feldern spazieren gehen , meine Frau anbeten , mit meinen Kindern spielen und Mozartische Himmelsmusik hören , das zieh ich allen Kämpfen vor .
Ich habe nie einen Frieden gebrochen ; in keinem Kampfe meines Lebens war ich jemals der Anfangende .
Ich fühle mich krank , wenn ich Kämpfe ; aber ich muß es , wenn ich mich nicht verachten will . "
Löwenklau war aufgestanden und hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt .
Er krähte nicht mehr , sondern sprach leise und sanft : " Bonus vir semper tiro .
Aber wenn du einmal so alt bist wie ich jetzt , wirst du genau so denken wie ich .
Ich habe zu tief in das Treiben dieser Welt geblickt .
Gegen Gestank gibt es kein Heldentum .
Und die Maße der Leser glaubt nicht dem Dichter , und wenn er tausend unsterbliche Verdienste hätte ; sie glaubt dem hergelaufensten Schmierfinken und sagt : " Die Kritik hat geschrieben - . "
Höre meinen Vorschlag : Wir beiden wandern aus auf die beiden Monde des Mars .
Da setzen wir uns hin und schreiben , was wir wollen .
Sie heißen Phobos und Deimos - welchen willst du haben ? "
" Phobos und Deimos ? " lachte Asmus .
" Das hieße also Furcht und Schrecken .
Ich denke , da versuchen wir es ebenso gut noch einmal mit dieser Erde ! "
" Recht hast du !
Wir gehen zu Car-la-Pi-per , zu der göttlichen Carla Piper ! "
Jetzt krähte er wieder .
LIV. Kapitel .
Von Carla Piper und französischer Kunst .
Bei Carla Piper durfte man für den Champagner sehr hohe Preise zahlen , genoß dafür aber auch die Gesellschaft vorurteilsfreier Damen von zugänglichem Wesen .
Die Unterhaltung dieser Damen war freilich im allgemeinen nicht eben geistig belebt ; aber das beanspruchte Löwenklau auch an solchen Tagen nicht .
Er hörte teilnehmend auf ihre ungenialsten Eingebungen , sang mit ihnen die uneigenartigsten Gassenhauer , steckte - er , der Schumann-Freund und Prahms-Bewunderer - ein Zehnpfennigstück nach dem anderen in den schauderhaften Musikautomaten , tanzte dazu mit allem , was weiblich war , bis hinunter zum Aufwaschmädchen , und spendierte ihnen alles , was sie wünschten ; sie durften Sekt trinken " à discretion " - und die Kellner durften beste Importen rauchen .
Er hatte das bei Künstlern oft zu beobachtende Bedürfnis , gelegentlich von den Höhen der Kunst hinabzusteigen in die Niederung und sozusagen wie ein richtiger Junge mit einem Fuß in den Schlamm zu treten .
Er tat das schon aus Widerspruch gegen die offizielle Moral , die solche Menschen wie diese Damen verachtete , obwohl sie sie nicht entbehren konnte .
Und es gab auch an solchen Tagen zwei Schönheiten an seinem Gehaben .
Er fühlte den innerlichsten Drang , diesen Stiefkindern der Gesellschaft einen möglichst frohen Tag zu machen , und in dieses Mitgefühl mischte sich nichts von pharisäischer Selbstgerechtigkeit :
er behandelte diese Damen genau so wie andere Damen , wie ein vornehm gesinnter Mann jedes Weib behandelt .
Und das andere war , daß doch ganz von selbst die innere Distanz gewahrt blieb ; sie nannten ihn nicht nur den Herrn Baron , sie empfanden und respektierten ihn auch als den ritterlichen Mann , der in diese Welt nur auf Besuch kam .
Selbst die Matrone dieses Hauses , Carla Piper , deren berühmte Eigenart darin bestand , daß sie nach längerem Sektgenuß " à Diskretion " höchst indiskret wurde und einen smarten Bankdirektor mit " Herr Kravattenmacher " und einen vielseitigen Advokaten als " Herr Rechts- und Linksanwalt " anredete , machte vor Löwenklau halte und würdigte sein Edelmannestum .
" Napoleon betrachtet vom Kreml aus das bren-nen-de Moskau ! " schrie Löwenklau plötzlich , und Asmus fuhr aus seinem Sessel empor .
" Napoleon vor dem brennenden Moskau !!
So hast du eben dagesessen !!
Hahaaaa !!!
Hast du gedichtet ? "
" Nein ! " lachte Asmus , " aber - vielleicht so etwas Ähnliches . "
Er hatte längere Zeit den Lebensgefährten der Frau Carla Piper , sozusagen " Herrn Carla Piper " , betrachtet .
Er stammte nach verbürgten Nachrichten aus sehr guter , ja bester Familie ; man sprach von gräflicher Abkunft , und wenn man seinen Blick recht tief in die Vergangenheit seiner Züge bohrte , sah er wohl heute noch nach dergleichen aus .
Er durfte still im Winkel sitzen und gute Zigarren rauchen , bekam auch gut zu essen und zu trinken ; aber wenn ein Rest seiner aristokratischen Vergangenheit sich in irgend einem Widerspruch geltend machen wollte , dann fuhr ihm Frau Carla mit Nachdruck über den Mund .
" Was wünschen mein neunzackiger Herr Gemahl ? " fragte sie dann liebenswürdig .
Und zur Gesellschaft gewendet , fuhr sie fort : " Das ist nämlich mein Mann .
Er soll mein Herr sein . "
Diesen Mann hatte Asmus sich lange betrachtet und war ihm seinen langen , langen Leidensweg schaudernd nachgegangen .
Er war jetzt aufgesprungen und empfahl einen Lokalwechsel .
Löwenklau war nur einverstanden unter der Bedingung , daß man ins Variete zur Yvette Guilbert gehe .
Man ging also hin .
Frau Yvette Guilbert knotete sich ein dickes rotes Tuch um den Hals , setzte eine Ballonmütze auf und mimte einen Zuhälter und Meuchelmörder , der das Schafott beschreitet und seinen " prachtvollen Kopf " unter das Fallbeil legen muß .
Das Publikum , das zu 95 Prozent natürlich nichts verstand , fand das damals schön und klatschte heftigen Beifall .
Löwenklau das Kind war begeistert .
Er haßte so leidenschaftlich das Herkömmliche , daß er sich verpflichtet fühlte , alles herrlich zu finden , was sich als neu und " modern " gab , und was Asmussen auch hieran immer noch erquickte , das war sein fröhlicher Draufgänger- und Bekennermut .
Asmus war in künstlerischen Dingen ein äußerst duldsamer , gastlicher Mensch ; in seinem Herzen waren viele Wohnungen .
Darin wohnten verträglich nebeneinander Dante Alighieri und Fritz Reuter , Michelangelo und Ludwig Knaus , Johann Sebastian Bach und Jacques Offenbach .
Er versuchte , sich zu überreden , daß an der Leistung der Frau Guilbert etwas wie Schönheit und Kunst sei ; aber außer ihrer Vortragstechnik fand er nichts , was ihn dazu überreden konnte .
Gewiß konnte die Kunst auch von Zuhältern und Mördern handeln , sie mußte es sogar ; aber dann mußten doch wohl Grauen und Mitleid die alles beherrschenden Empfindungen sein ; er konnte sich an dem Kopf eines Pariser Apachen nicht " ästhetisch delektieren " , besonders nicht zwischen Ballett-Divertissements und exzentrischen Clowns ; er mußte sich immer sagen :
Wenn hier ein Zuhälter und Mordbube im Theater sitzt , muß er sich als ein glorreicher Mann vorkommen , und wenn dergleichen gar von einem Weibe dargestellt wurde , so fand er es ausgetiftelt scheußlich .
Was suchte diese Kunst , die im Schmutzigsten und Greulichsten einen raffinierten Kitzel fand , in Deutschland ?
Freilich : im damaligen Deutschland fand die Kunst einer Frau Guilbert das inbrünstigste Lob .
LV. Kapitel .
Baumblatts Aufschwung und des " Patriotischen Anzeigers " Todeskampf .
Wenn das Werk eines Mannes in der Fremde Anerkennung gefunden hat , so ist keineswegs gesagt , daß auch seine Heimat ihm hold wäre ; im Gegenteil : nicht einmal der Prophet gilt etwas im Vaterlande , und für den Spießer bleibt er immer der Mann , der mit ihm denselben Schuster hat und also nicht weit her sein kann ; wenn aber einem Manne und seinem Werk in der Fremde Feinde erstehen , dann erwachen seine heimatlichen Mißgönner alle miteinander an einem Tag und rufen :
" Auf ihn !
Nieder mit ihm !
Er ist ein Stümper !
Wir haben es ja immer gesagt !
Nun hört ihr es auch aus der Fremde !! "
Schneller als griechisches Feuer entzündete sich ein Feindesherz am anderen zu loderndem Mut , und wie einst der Abbe Voisenon mit Bezug auf die Feinde Voltaires geschrieben hatte :
" Zoilos zeugte Mävius ; Mävius aber zeugte Desfontaines ; Desfontaines aber zeugte Freon ; Freon aber zeugte Clement usw. " , so konnte Asmus das Geschlechtsregister aufstellen :
" Zoilos zeugte Mävius ; Mävius aber zeugte Schwollenthin ; Schwollenthin aber zeugte Kuntze ; Kuntze aber zeugte Sauerbrand ; Sauerbrand aber zeugte Baumblatt ; Baumblatt aber zeugte Meckehorn usf. " , und wie Goethes Zoilo-Thersites , so schrie Zoilo-Sauerbrand oder sonst ein grüngelber Mischling :
" Hu !
Hu !
Da komme ich eben recht , Ich schelt euch allzusammen schlecht !
Doch was ich mir zum Ziel ersah , Ist oben Frau Viktoria .
Das Tiefe hoch , das Hohe tief , Das Schiefe gerade , das Grade schief , Das ganz allein macht mich gesund , So will ich_es auf dem Erdenrund . "
Louis Meckehorn hatte jetzt ein Drama geschrieben :
" Die Flagellanten " und wünschte , daß die " Rostra " es im Theater aufführen lasse , da die Theater selbst es abgelehnt hatten .
Während über seinen Antrag beraten wurde , gedachte er , im Zimmer zu bleiben .
" Es ist bei uns Brauch , " sagte Asmus , " daß die Herren , über deren eigenste Erzeugnisse und Angelegenheiten verhandelt wird , für die Dauer der Beratung das Zimmer verlassen . "
" Ach so - ja - natürlich ! " rief Dr .
Meckehorn lächelnd und verschwand .
Draußen stieß er auf ein zu spät kommendes Vorstandsmitglied .
" Na ? " sagte dieses , " gehen Sie schon heim ? "
" Nein , ich bin nur hinausgesetzt worden auf Wunsch des Herrn Semper , dem ich offenbar unbequem bin . "
" So ?? "
" Ja .
Na .- was soll man davon sagen " - hier bohrte sich Herr Meckehorn in der Nase - " der Mann hat ja keine Kinderstube . "
Der Wunsch des Herrn Meckehorn wurde einstimmig abgelehnt , und dies Vorkommnis verbesserte keineswegs seine Stimmung gegen Herrn Semper .
Asmussens Abneigung gegen Vetternschaften und Stümpertum in der " Rostra " schuf ihm immer neue Feinde .
Man nannte ihn den " Literaturpabst von Hamburg " , und was man diesem Literaturpabst an Greueln zutraute , dafür erlebte er just in dieser Zeit ein erschütterndes Beispiel .
Er stand auf dem Hintereplatz einer Straßenbahn , als eine alte , schwächliche Dame auf ihn zutrat und sagte : " Ach , Herr Semper , entschuldigen Sie , daß ich Sie hier anrede ; aber ich wollte Sie bitten : Seien Sie mir nicht mehr böse ; ich mag keine Feinde haben ! "
Es war die Mutter einer Schriftstellerin , die ihn in einem äußerst ungezogenen Briefe beleidigt und ihm eine sehr abfällige Kritik über ihr Buch zugeschrieben hatte , eine Kritik , an der Asmus so unschuldig war wie an der Völkerwanderung .
Sie hatte ihm also auch noch unterstellt , daß er einen falschen Namen vorgeschoben habe .
Asmus hatte ihr in nicht zu höflicher Form den Kopf zurechtgesetzt .
Von der Bitte der alten Frau war er so zwiespältig betroffen , daß er zwischen Lachen und Weinen schwankte .
Er half ihr aus dem Wagen , führte sie zu einer Promenadenbank am Wege und setzte sich zu ihr .
" O sancta simplicitas ! " dachte er , sagte aber :
" Aber liebe gnädige Frau , wie können Sie nur denken , daß ich Ihr » Feind « wäre .
Was befürchten Sie von mir ?
Ihre Tochter hat demnächst , wenn ich nicht irre , eine Erstaufführung an einem hiesigen Theater , nicht wahr ? "
" Ja !
Ja ! " nickte die Alte eifrig .
" Und da fürchten Sie , daß ich ihr schaden könnte , nicht wahr ? "
Die alte Dame senkte verlegen den Blick .
" Gnädige Frau , haben Sie dergleichen schon von mir gehört ? "
" Nein , o nein ! " rief sie ängstlich .
" Unter den Kritikern , die mich unentwegt mit Unrat bewerfen , " fuhr Asmus fort , " ist einer , der sich vom Kunsthändler andauernd mit Bildern beschenken läßt. D. h. er kauft sie ; aber er vergißt ausnahmslos das Bezahlen .
Ein anderer hat einen groben literarischen Diebstahl unter erschwerenden Umständen begangen .
Ein dritter gibt den Schauspielern heimlich Stunden gegen hohes Honorar und lobt sie dafür in der Zeitung .
Ein vierter drängt den Theaterdirektoren , deren Theater er bespricht , seine Stücke auf , und da sie unaufführbar sind , müssen die Direktoren ihm Konventionalstrafen bezahlen .
Ein fünfter dagegen zahlt den Theatern heimlich tausend Mark , damit sie seine Stücke annehmen und vor der Öffentlichkeit den Anschein erwecken , daß sie annehmbar seien .
Ein sechster wurde von einer österreichischen Zeitung entlassen , weil er sie um einen Geldbetrag einfach betrogen hatte usw. usw.
Ich weiß das alles ; ich weiß sehr viel .
An allen diesen Herren und vielen anderen hätte ich mich längst » rächen « können ; aber ich glaube kaum , daß ich es tun werde .
Sie machen ein erstauntes Gesicht und fragen vielleicht , warum ich dergleichen Leute nicht ans Messer liefere .
Ich mag nicht Veranlassung sein zu anderer Leute Unglück .
Ein Mann hat mich um ein kleines Vermögen betrogen , und ich hätte ihn ins Zuchthaus bringen können .
Aber der Gedanke , jemand ins Zuchthaus gebracht zu haben , war mir unerträglich .
Sie sehen , daß Sie nichts zu befürchten haben , " schloß Asmus mit leisem Spott .
" Herr Semper - " machte die Frau mit demütiger Gebärde und schien sich entschuldigen zu wollen .
" Ich habe das Glück , " fuhr Asmus fort , " daß meine Feinde größtenteils seit ihrer Geburt ausgeruhte Köpfe sind .
Aber das Dümmste , worauf sie verfallen können , ist die Bezichtigung der Rachsucht oder Intrige .
Glauben Sie mir , gnädige Frau , daß ich Ihrer Tochter jeden Erfolg gönne , den ihr Stück etwa verdient . "
- Während also Dr. Meckehorn noch immer bei den Flagellanten stand , hatte Aaron Baumblatt sozusagen Karriere gemacht .
Mit der bekannten Vielseitigkeit seines Ahnherrn Schmock übernahm er auch die Kunstkritik des " Patriotischen Anzeigers " , verriß auf das begeistertste alle Maler , die zeichnen und sehen konnten , und ermutigte durch feuriges Lob alle diejenigen , die die Mutter Gottes als ein Trapezoid auffaßten .
Da 24 Stunden aber eine etwas kurze Zeit sind , um sich zum sattelfesten Kunstkenner zu entwickeln , so ging er dazu über , die Rezensionen anderer Kritiker wörtlich abzuschreiben , mit der klugen Abänderung jedoch , daß er , was jene von einem Liebermann geschrieben hatten , von einem Stück sagte , was bei jenen von einem Ude behauptet wurde , bei ihm als Urteil über einen Hodler erschien .
Als er dabei ertappt wurde , erklärte er , er habe ein so fabelhaftes Gedächtnis , daß er alles behalte , was er je gelesen oder gehört habe , was insofern nicht wahrscheinlich war , als er seine Schulkenntnisse offenbar zum größten Teil vergessen hatte .
Als er nun vor dem ganzen Deutschland darauf hingewiesen worden war , daß man eben nicht alles " behalten " dürfe , was einem unter die Finger komme , und als der " Patriotische Anzeiger " ihn wegen Erwischtwordenseins entlassen mußte , da verzagte Baumblatt keineswegs ; denn er sagte sich mit heiterer Gewissensruhe , daß es für Leute von seiner ethischen Muskulatur immer eine letzte und vortreffliche Zuflucht gebe : die Frechheit .
Was tut man , wenn man wegen Langfingerns aus der deutschen Literatur hinausgeworfen worden ist ? fragte er sich .
Man gründet ganz einfach eine Zeitschrift .
Mit ethischen Tendenzen natürlich .
Man verkündet den Deutschen mit Autorität , wie sie sich in künstlerischen und moralischen Dingen eigentlich betragen sollten .
Man gibt ihr den Titel " Das Forum " oder " Der Areopag " , um einzuschärfen , daß hier strenger Gerichtstag gehalten wird über alles Minderwertige .
Daß Baumblatt sogar bei den Vertretern seines Berufs nur die " Blattlaus " hieß , schadete gar nichts ; warum sollte eine Laus nicht in den Talar des Richters schlüpfen ?
Wessen Kraft und Verdienst sich nicht innerhalb der von Baumblatt gesteckten Grenzen hielt , wurde denn auch auf seinem Forum unbarmherzig geschlachtet , und Asmus konnte mit Genugtuung feststellen , daß er zu den am meisten und heftigsten Geschlachteten gehörte .
Eine besondere Abteilung des " Forums " hieß " Das Schafott " ; hier köpfte Baumblatt eigenhändig die Unglücklichen , die seiner katonischen Strenge nicht genügten .
Und man muß es schon zur Kennzeichnung der Zeit sagen :
Der tapfere Baumblatt stand keineswegs allein ; solange sein Geldgeber zahlte , hatte er manchen Beisitzer , und ein besonders Blutdürstiger unter den Richtern Deutschlands nannte sich Drakon , so daß einem das Mark gefrieren konnte .
Er hieß aber eigentlich Dr. A. Kohn .
Man darf sein Herz nicht mit der Angst beschweren , daß der " Patriotische Anzeiger " für Herrn Baumblatt keinen Ersatz gefunden hätte .
Das Angebot in diesem Artikel ist noch stärker als die Nachfrage und der Preis daher niedrig .
Und auf Wohlfeilheit mußte der " Patriotische Anzeiger " Gewicht legen ; denn er war ein sterbendes Blatt .
Der Gründer des Blattes hatte ihm seinen Namen in der genialen Überzeugung gegeben , daß das Inserat die Quelle alles Reichtums und aller Kultur sei und darum die Seele seines Blattes werden müsse .
Und die Jahre des Annoncensegens waren nicht ausgeblieben .
Dann aber war der " Anzeiger " durch den siegreichen Wettbewerb eines großen und anständigen Blattes schrecklich ins Hintertreffen geraten ; Abonnenten- und Inseratenschwund hatten hartnäckig an seinem Körper gezehrt , und da hieß es , sich aufraffen .
Man schwindelte hohe , " noch nie dagewesene " Auflagen vor , und man brachte täglich einige aufregende Nachrichten ; man wurde " interessant und pikant " in der ganz richtigen Berechnung , daß der schlechtere Teil des Publikums nicht Wahrheit will , sondern Sensation .
Ganz besonders wild und stürmisch aber " gedachte man , daß man ein Deutscher sei " .
Es war damals die Blütezeit des Maulpatriotismus ; man stand wie die betenden Pharisäer an den Straßenecken und schrie :
" Ich bin ein Deutscher , ich bin ein Deutscher " , was so sinn- und geschmackvoll ist , wie wenn man durch die Gassen riefe .
" Ich bin kein Muttermörder , ich bin kein Muttermörder ! "
Es war jenes Wesen , das zart charakterisiert wird durch den viel früher geschriebenen Brief des Patrioten Th. Fontane :
" Ich bekam eine Zuschrift aus Dresden , deren Adresse ganz kurz lautete :
» Dem deutschen Dichter Th. Fontane , Berlin . «
Ich erwartete den Anpumpe eines » Kollegen « . . . . , es war aber das Anschreiben eines » Deutschen Lehrers « ( natürlich alles deutsch und immer unterstrichen , ) der mich um eine Gabe » aus meiner Dichtermappe « ersuchte ; die lieben Kleinen , die Herzen » deutscher Jugend « verlangten nach echtem Brot .
Kurzum , er will auf anderer Leute Kosten eine Gedichtsammlung herausgeben .
Unerträgliche Phraseurs . "
Später steigerte sich diese Gesinnung zu " treudeutschem Gruß " mit gelegentlicher Zugabe eines " kerndeutschen Handschlages " usw .
Das " Deutsche " war die Konjunktur , und die schlechten Kerle sind gewöhnlich gute Barometer .
Sie riechen die Richtung des Windes und sangen ihn in ihre Segel , und der Abschaum des Journalismus warf sich mit Mordsgewalt auf das Patriotische .
Was seinem Vorteil abträglich war , was seinen Haß , seinen Neid erweckte , das denunzierte er - wenn irgend möglich , natürlich anonym - als " vaterlandslos " .
Es versteht sich , daß der " Patriotische Anzeiger " die Geschäftslage nicht verkannte und ausschweifend " treudeutsch " wurde , daß er in " nationaler Gesinnung " badete und sich mit ihr den Mund spülte , wie es die römischen Hetären bei Juvenal mit edlem Weine tun .
Der " Anzeiger " verband aber mit dieser heiligen Überzeugung noch eine andere , die ebenso klug war .
Er sagte sich : Nichts macht ein Blatt für den Lesepöbel interessanter als möglichst unverschämte Ausfälle gegen angesehene Personen .
Frechheit fördert den Absatz .
Personen , die große Warenhäuser haben und seitenlang inserieren , greift man natürlich nicht an .
Personen , die mächtigen Behörden angehören , laßt man ungeschoren .
Aber Leute , die einzeln im Leben stehen und nicht inserieren , Künstler , Gelehrte , Galeriedirektoren , Musikdirigenten u. dgl. - warum sollte man die nicht angreifen ?
Die einzige Waffe , die sie haben , ist die Entgegnung an gleicher Stelle , und die schneidet man ihnen ab , oder ihre Leistung , und die schmäht man .
Wenn wir sie zu Worte lassen , so haken wir in jedes ihrer Worte einen neuen Angriff .
Wozu hat man lügen gelernt ?
Da nun Asmus Semper früher einmal radikale Dinge geschrieben hatte , da er sich kräftig gegen die Roheiten eines Mordspatriotismus im Frieden ausgesprochen , ja sogar zu einer großen Goethefeier , die er zu leiten hatte , furchtbarer Weise Sozialdemokraten eingeladen hatte , da er nicht " treudeutsch " , sondern nur ganz einfach deutsch war , da ferner seine Stücke tausendmal mehr gegeben wurden als die Stücke der "Anzeiger"-Redakteure , und sein Name fortgesetzt , wie der wackere Dr. Kuntze sich ausgedrückt hatte , " in aller Munde war " , welches Ziel lag da dem " Patriotischen Anzeiger " näher als dieser Herr Semper ?
Auf ihn !
Und so verging denn kaum eine Woche , ohne daß ein Gentleman des " P. A. " oder seiner Gesinnungsvettern hinter der sicheren Brustwehr der Anonymität hervor , gestützt auf den Alleinbesitz der betreffenden Druckmaschine , einige Niederträchtigkeiten und Lügen gegen ihn abgeschossen hätte .
Asmus war anfangs so naiv , zu erwidern , weil er auch bei dem unanständigsten Gegner immer noch einen letzten Rest von Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe voraussetzte .
Natürlich kam er vom Regen der Unsauberkeiten in die Traufe des Unflats .
Und da diese Gentlemen sich die Menschenwelt nach ihrem eigenen Bilde dachten - je niedriger ein Mensch , desto weniger vermag er sich aus sich selbst herauszuversetzen - und alle diese Häßlichkeiten aus ihrem Innersten kamen , so meinten sie , daß sie dem Gehaßten auch ins Innerste dringen müßten , und ahnten nicht , daß sein Herz gegen ihre Geschosse mit einer siebenfachen Glückskapsel umschlossen war .
LVI. Kapitel .
Über was alles die Semper lachten .
Diese sieben Kapseln waren : seine Familie , seine rein menschlichen Freunde , seine Gesundheit , sein unzerbrechlicher , heiterer Lebensmut , seine unaufhörlich quellende Schaffenskraft , der Widerhall , den er bei Hunderttausenden seines Volkes , und das Verständnis , das er bei den besten Männern seiner Kunst fand .
Seit kurzem hatte er auch eine Burg , die vom Jahresanfang bis Jahresende durch Schneeglöckchen , Krokus , Tulpen , Kirschblüten , Syringen , Rosen , Herbstzeitlosen , Astern und Christrosen , durch Nachtigallen , Drosseln , Meisen , Buchfinken , Fliegenschnepper , Stare , ja durch Zaunkönige gegen feindliche Angriffe geschützt war .
Zwei Stunden Weges von Hamburg hatte er sich ein einfaches Landhaus gekauft .
Sie hatten die Wohnung wechseln wollen , und Asmus hatte in der Zeitung gelesen , daß in Groß-Offendorf eine " Villa " zu mieten oder zu kaufen sei .
Er gedachte eines Feldzuges der Oldensunder Jugend gegen die Ofendorfe , der vor 30 Jahren stattgefunden und bei dem er sich im Vordertreffen ein ungemein blaues Auge geholt hatte .
" Gehe einmal hin und sieh dir es an ! " sagte Asmus , angenehm bewegt , zu Hilden ; denn er war nicht abkömmlich .
" Ach , " sagte sie , " das ist doch wohl zwecklos .
So weit draußen - es wird auch zu teuer für uns sein . "
Aber er bestand darauf , und sie ging hin .
Als sie heimkam , war sie vollständig beschwipst .
Vollständig beschwipst von Blattgrün , Apfelblüte und Drosselschlag .
" Asmus ! " rief sie , " wie ist das herrlich ! " und fiel erschöpft vor Glück in einen Stuhl .
" Ich wäre am liebsten gleich dageblieben ! "
" Ohne mich .
Ja , das könnte dir so passen . "
Dann gingen sie gemeinsam hin .
Der Ort , den Asmus lange nicht aufgesucht hatte , war ein einziger Garten ; die " Villa " war schaudervoll .
Das sah Hilde natürlich auch ; aber sie hatte geglaubt , daß sie sich Besseres nicht wünschen dürfe .
" Und hier wolltest du einziehen ? " rief er .
" Du hast wieder Mal keinen Mut gehabt .
Du hast immer nur Mut für andere .
Komme mit ! "
Sie suchten und fanden zwischen alten , gastlichen Bäumen ein schlichtes Haus , auf dessen Turm ein goldener , zielender Schütze in der Sonne funkelte .
" Entweder , " sagte Asmus , " ist das Eros , oder es ist Krotos , der Sohn des Pan , der den Wohnort der Musen teilte und ein Schütze war .
Beide Genien sind mir willkommen . "
Und sie zogen ein .
Dort hatte er sich niedergelassen , wo er als Knabe seine seligsten Pfingst- und Maigänge gemacht hatte .
Einst auf solchem Gange hatte er durch eine enge Zaunlücke in einen sonnen- und schattenschönen Garten geblickt und hatte schöne Kinder in lichten Kleidern unter den gütigen Augen einer schönen Frau spielen sehen .
Ein Blick durch den Zaun in einen schönen Garten ist immer wie ein Blick ins Paradies .
Er hatte nicht wegfinden können von diesem Platze , und es war ihm erschienen , in einem solchen Garten wohnen zu dürfen , sei das wolkenlose Menschenglück , sei unendlich und rein wie die Seligkeiten des Himmels .
Der Garten war voll Syringen gewesen , und Syringen schienen ihm der höchste Reichtum .
Und Asmus hatte die merkwürdige , die seltsam glückliche Begabung , das Glück eines Gartens nicht nur von außen durch den Zaun zu erkennen , sondern es auch zu sehen , wenn er darinnen war als Herr des Gartens .
In einem Dorf war er geboren , hatte er goldene und traurige Tage der Jugend verlebt ; in einer Großstadt hatte er 16 Jahre des Lernens , des Schaffens und des Kampfes verbracht - nun durfte er in die ländliche Natur zurückkehren , in die Heimat seiner Seele .
Hier hörte er nicht nur an weichen Abenden den Wettstreit liebejauchzender Nachtigallen , hier sah er auch zuweilen den Specht an seinen Bäumen hämmern , sah er über den schmalen Weg hinter seinem Garten einmal ein wunderschlankes Wiesel huschen , sah er eines frühen Morgens auf seinem Rasen einen vertrauensseligen Hasen sitzen , der sich die Nase putzte , und in einer Sonntagsfrühe erschaute er gar auf der Brüstung seines Altans einen verflogenen , schneeweißen Pfau in majestätischer Ruhe thronen , so daß Asmus nun mitten im Märchenlande war .
Was aber vielleicht das Schönste war : Wenn er bis unters Dach seines Hauses stieg , so sah er über grünen Wipfeln die Wimpel der Schiffe schweben , die seine Mutter , seine andere Mutter : die Elbe , auf ihren Armen trug .
Und wenn er abends im Bette lag , so hörte er die Nebelhörner der Schiffe und den eintönigen Gesang der Baggermaschinen und dachte glückselig :
Mutter singt mich in den Schlaf .
Und wenn er sich einmal ganz verlassen fühlte , trotz all seiner Lieben ganz verlassen , so brauchte er nur eine Viertelstunde zu gehen , um diese Mutter zu finden und getröstet den Saum ihres Kleides zu fassen .
Noch immer leuchtete in ihren Augen die Himmelswiese seiner Kindheit .
Er behielt die Großstadt in leicht erreichbarer Nähe , und das schätzte er sich zum Glück .
Denn er hatte Menschen so nötig wie Bäume und Bäume so nötig wie Menschen .
Er pflegte den Tag damit zu beginnen , daß er mit seiner Geliebten durch den Garten ging und eine stille Parade abhielt über alle Nadeln und Läuber , über Zweige und Zweiglein , über Blumen und Früchte , über herrlich erfüllte Erwartungen und leis ergrünende Hoffnungen .
Und überall auf den kiesbestreuten Wegen zwischen den stillen Blumen gab es hüpfende , jauchzende Blumen ; bald tanzten sie ihnen vor den Füßen , bald hallte ihr Lachen aus dem fernsten Versteck des Gartens , bald sprangen sie ihnen von rückwärts an den Hals ; es schienen ihrer hundert zu sein und waren doch nur ihrer fünf , weil die Semper leider nur fünf Kinder hatten .
" Sieh doch , Vater ! " rief eines der Mädchen , " wie wundervoll unsere Fichte gewachsen ist !
Wenn die einginge , das sollte mir schrecklich leid tun ! "
Und in Asmussens Kopfe sang es :
" Vater , sieh doch unsere junge Fichte , Wieder säumt sie hell ihr grünes Kleid .
Und wie ist sie rank und schlank gewachsen !
Welkte sie , mir wäre es ewig leid ! "
Also rief sie , unter Blumen stehend , Selber schlank und lieblich wie der Baum , Ahnungslos in allertiefster Seele , Daß sie schlank und lieblich wie der Baum . Dir , du weltenweiter Sommerhimmel , Streck ich unsichtbare Arme aus : Nimm mit Garbenduft und Wälderklingen Meinen Jubel in dein heilig Haus ! "
Den frischen Hauch von Laub und Blumen in Haar und Kleidern , ging er an die Arbeit .
Als er das Haus gekauft hatte , war es zu klein gewesen ; er hatte sich ein Arbeitszimmer daranbauen lassen , ein recht langes , das er seine Rennbahn nannte ; denn er lief beim Sinnen unaufhörlich auf und ab , und von Norden und Süden blickte die Natur mit immergrünen Bäumen und mit vielem , vielem Licht herein .
Dort arbeitete er gern , " Wo vom Schreibtisch er den Habicht sah Schweben durch des Himmels große Stille . "
Die niedrigen , dichtumbuschten , dichtumrankten Häuschen sehen von außen lieblich aus ; aber in ihrem Inneren kann der Geist nicht ganz aufrecht gehen , und im Gange der Jahre wird er lichtscheu .
Die Semper liebten hohe Räume mit vielen hohen Fenstern ; sie ließen Licht hereinfluten , so viel nur immer wollte , und sie lachten über die kleinen Leute , die ihre Wangen lieber bleichen ließen als ihre Vorhänge , die ihre Teppiche schonten und ihre Seelen verschimmeln ließen .
Wenn er eine neue Arbeit beginnen sollte , fand er vom Garten nur schwer hinein ins Zimmer .
Er wand und krümmte sich vor der neuen Aufgabe wie ein träger , ungezogener Schulbube vor seinem Pensum , oder wie ein verwöhnter Tenor , der hundertmal genötigt sein will ; er hatte keine Lust zum Gebären .
Sobald er aber im Schaffen war , war ihm ums Herz wie der Mutter , der das neue Leben schon im Arme liegt , und er wußte ganz genau , daß es kein Glück gibt über dieses Glück hinaus .
Dann konnte er nicht zurückfinden , dann hätte er gern Zwillinge und Drillinge in die Welt gesetzt , dann bestahl er sich oft um den notwendigsten Spaziergang und sann und schrieb und schrieb und sann , bis ein vielstimmiger und wohlgestimmter Gong mit heiterem Klange durchs Haus schallte .
Das war wohl ein köstlicher Ton ; denn er rief ihn zur Versammlung mit den Seinen um den Mittagstisch .
Am Tische der Semper gab es morgens , mittags und abends - außer festeren Speisen - mit seltenen Ausnahmen immer dasselbe Gericht , und das hieß Frohsinn .
Wenn Asmus bei Tische noch seiner Arbeit nachhängen wollte und schöpferisch in die Erbsensuppe starrte , dann erhoben die Seinen entrüsteten Einspruch , und er gehorchte sofort , weil sie recht hatten .
Die Semper lachten gern , und man lachte in diesem Hause nicht nur - sofern man alt genug dazu war - über Cervantes und Lichtenberg , über Gottfried Keller und Wilhelm Raabe , über Teniers und Spitzweg und über die Barbiere von Sevilla und von Bagdad ; man kannte nicht nur das Lachen , bei dem die Gesichtsmuskeln unbewegt bleiben und nur das Auge warm erglüht , nein , man lachte auch - und das war das Furchtbare - über einen wohlgelungenen Hampelmann , über einen Heidelbeerfleck auf Sigruns Nase , über den Hund , wenn er nach Fliegen schnappte , und über tausend kindische Dinge , die mit der Höherentwicklung des Menschengeschlechts nicht das Geringste zu tun haben .
Die schwer beglückende Weisheit , daß der Mensch nur mit ethischem Hintergrunde lachen dürfe , genau genommen nur mit tragischem , und auch dann nur einmal im Jahr , diese Weisheit und krampfhafte Hoheit war noch nicht in dies beglückte Tal gedrungen .
Die Kinder bestanden auf ihrem Recht zum Fröhlichsein ; sie bestanden auch unerbittlich darauf , ihn jeden Mittag nach dem Essen unter furchtbarem Hallo in sein Arbeitszimmer zu schleifen und dort auf das Sofa zu werfen , auf dem er seine Mittagsruhe hielt .
Wenn er dann mindestens zwölf unmögliche Gesichter - " aber verschiedene ! " verlangte Sigrun - geschnitten und das Gebell von mindestens sieben verschiedenen Hunden nachgeahmt oder ähnliche eines gesetzten Mannes einfach unwürdige Dinge getrieben hatte , dann wurde er endlich in Gnaden in das Land des Schlummers entlassen .
Und wer auf seinen Lippen die Küsse von fünf reinen Kindermäulchen fühlt und durch das klare Fenster in lauter Himmelsblau und Tannengrün hineinblinzelt und bei den wiegenden Wipfeln für alle Hoffnungen des Tages freundlich nickendes Gewähren findet , wie sollte der nicht köstlich schlafen und holde Träume haben ! LVII. Kapitel .
Warum alle Semper sangen .
Und er bedurfte des stärkenden Schlafes ; denn wenn er erwacht war , hieß es eine tägliche Last auf sich nehmen : die Bewältigung des Briefstapels , den jeder Tag ihm brachte .
Da gab es oft genug ein stark vernehmbares Seufzen und Stöhnen ; aber welch ein reiches , wunderlich-buntes Leben quoll doch aus diesen Briefumschlägen hervor !
Da gab es nicht nur die üblichen Bettelbriefe , die selbstverständlichen Manuskripte und Bücher voll Gedichte , Romane und Dramen , die er prüfen , ausflicken und bei Verlegern und Redaktionen unterbringen sollte - nein , da kamen auch recht ungewöhnliche Dinge zum Vorschein .
Da waren Jünglinge und Jungfrauen , die in ehrlicher Gewissensnot von ihm wissen wollten , was von jeder der bestehenden Religionen , von den Sittengesetzen , von den einander widerstreitenden politischen und ästhetischen Anschauungen der Menschen zu halten sei .
Sie wollten von ihm die " einzig richtige Weltanschauung " (- " eine kann doch nur die richtige sein ! "
- ) erfahren , und zwar bis ins einzelne wohl ausgearbeitet und begründet .
Da waren bangende Mütter und Väter , Erzieher und Vormünder , die von ihm wissen wollten , wie sie ein mißratenes oder schwer zu leitendes Kind behandeln sollten , welchen Beruf sie es ergreifen lassen sollten .
Asmus empfand es freilich als Pflicht , für solche Menschen , die er durch seine Bücher , Stücke und Reden an sich gezogen hatte , das , was er gesprochen und geschrieben hatte , zu erläutern , zu ergänzen und zu verbessern ; aber wie unsäglich schwer war es , in die Ferne hinein wildfremden Menschen zu schreiben , was ihnen frommte !
Angeklagte sandten ihm ihre Prozeßakten und wünschten , daß er ihnen beistehe ; Beamten sollte er durch Fürsprache zu einer Beförderung oder zur Versetzung nach dem schönen Hamburg verhelfen ; Insassen von Irrenhäusern setzten ihm in merkwürdig klaren Briefen auseinander , daß sie nur aus Bosheit im Irrenhause festgehalten würden und von ihm die nötigen Schritte zu ihrer Befreiung erhofften - kurzum : wenn er noch keinen Beruf gehabt hätte - hier gab es ihrer mehrere zur Auswahl .
Auch Dinge zum hellen Lachen gab es , z. B. wenn Entrüstete ihm schrieben , daß es mit dem " Idealismus " ( in Gänsefüßchen ) , den er in seinen Werken vertrete , in Wahrheit schlecht stehen müsse , wenn er ihnen nicht einmal die erbetenen lumpigen zwanzigtausend oder fünfzigtausend Mark " leihen " wolle , da er doch mit jedem Stück " Millionen " verdiene .
Und Briefe zum Lachen und Weinen durcheinander gab es .
Aus Honduras und Togo , aus Neuseeland und Japan , aus Kapland und Kalifornien , aus fernsten Winkeln der Welt schrieben ihm einsame Volksgenossen :
In deinen Büchern haben wir die Heimat gefühlt .
Das war Lohn .
Lohn , wie er ihn mit tausend Werken nicht verdienen , den man überhaupt nicht durch Bücher , den man eigentlich nur durch Taten verdienen konnte .
Als kostbarstes Juwel hob er in seiner Schatztruhe den Brief einer halbgelähmten Schweizerin auf , die schon 16 Jahre ihres Lebens im Lehnstuhl verbrachte und nur noch mühsam mit dem Bleistift schreiben konnte und nach und nach doch acht Seiten vollgeschrieben hatte !
Dieser Asmus war ein wenig zu intelligent , um den " Allerweltsmundruhm " , der ihm , wie einst seinem großen Kollegen Byron , über Nacht angeflogen war , nicht binnen vierzehn Tagen bis in seine strohernen Eingeweide hinein zu durchschauen ; aber war es ihm so sehr zu verargen , wenn ihm bei solchen Briefen ein sanfter Größenwahn übers Herz lief und er auf Augenblicke dachte :
" Mein Gott , vielleicht bin ich doch etwas ? "
Unter dem üppigen Postsegen eines Tages fand sich auch ein Brief des Herrn Dr. Kuno Kuntze , der um die Erlaubnis zu einem Besuche bat .
Herr Dr. Kuntze pflegte mit sonnigem Lächeln zu grüßen , wenn er Asmussen auf der Straße traf .
Asmus lachte vergnügt in sich hinein und schrieb , daß er Herrn Dr. K. erwarte .
Kuntze war knapp bei Gelde und wollte " als Dichter " eine Ehrengabe aus einer Stiftung haben , deren Vorstande Asmus Angehörte .
Da nun Herrn Semper Stimme " sicherlich großes Gewicht habe und Herrn Semper strenge Objektivität bekannt sei usw . " .
" Herr Doktor , " sagte Asmus lächelnd , " diesmal weiß ich , daß Sie mich - erst vor kurzem - verrissen haben ! "
Kuntze wurde - das muß zu seiner Ehre gesagt werden - burgunderfarben im Gesicht .
" Nicht wahr , die Kritik in der » Palästra « , in der Sie eine Szene aus meinem » Bureaukratius « als » faustdicke Lüge « bezeichnen , ist doch von Ihnen ? " Kuntze stierte auf den Boden und schien wie Moses zu denken :
" Wie ist das ruchbar geworden ? "
" Nun ja , " fuhr Asmus fort , " es war nicht Ihre Absicht , daß ich diese Beschimpfung , die Sie sicherlich selbst nicht glauben , lesen sollte .
Aber dergleichen geht mir jetzt lückenlos von anonymer Seite zu - mit hübschen Randbemerkungen - so daß ich die Ausgabe für ein Nachrichtenbureau spare .
Herr Doktor , wenn ich Geschmack für Edelmutsattitüden hätte , so würde ich jetzt sagen :
» Ich werde Ihr Gesuch befürworten . «
Aber dann würde ich die Literatur fälschen .
Diese Ehrengaben sind nur für starke Talente , und zu denen gehören Sie meines unmaßgeblichen Erachtens nicht .
Wie das die Regel ist , sollte man nach den Maßstäben , mit denen Sie andere messen , von Ihnen viel mehr erwarten , als Sie leisten .
Also : befürworten kann ich Ihr Gesuch nicht ; aber ich werde es selbstverständlich auch nicht bekämpfen , weil ich ja » Partei « bin . "
Kuntze war schlau ; er fühlte , daß die Situation nur noch auf eine Weise zu retten sei .
Er erhob sich mit einem Ruck und sagte mit Krokodilsaugen : " Herr Semper , Sie sehen mich ehrlich beschämt .
Werden Sie mir glauben , wenn ich Ihnen verspreche , daß Sie in Zukunft mit mir zufrieden sein sollen ? "
Er streckte die Hand aus .
Asmus übersah die Hand und sagte : " Ich werde mich freuen , wenn es so kommt .
Ein Unrecht , das aufgehört hat , habe ich vergessen .
Nur seien Sie um Gottes Willen nicht der Meinung , daß Sie mich jetzt loben müßten .
Bis jetzt lebt auf dem bewohnten Erdkreis kein Mensch , dem ich eine anständige Kritik übelgenommen oder gar nachgetragen hätte . "
Herr Kuntze verbeugte sich und ging rückwärts zur Tür .
" Sie wohnen hier wundervoll ! " sagte er .
" Ja , " sagte Asmus .
- Wenn er dann drei , auch vier Stunden am Schreibtisch gehockt hatte - bei Briefen aus Togo oder Neuseeland sprang er freilich auf und machte entsprechend weite Reisen durchs Zimmer - dann hatte er Verlangen nach Bewegung , und wenn er keinen Spaziergang machte , ging er in das Billardzimmer , das er sich auch hatte anbauen lassen .
Dort pflog er dann mit sich allein dieses edlen Spiels , bei dem das dumme Glück und der grobe Zufall so vollkommen ausgeschaltet sind , das man nur mit sicherem Auge und mit einem empfindlichen Muskelgefühl gewinnt , das den ganzen Leib in mäßiger und wohltätiger Bewegung erhält , die Nerven in eine angenehme Spannung versetzt und bei dem man gleichzeitig noch sorgfältig gezielte Epigramme formen kann .
Aber mochte der Quarteball noch so interessant und noch so schwierig zu berechnen sein und mochte das betreffende Epigramm noch so nahe der Vollendung sein : eines vermochte ihn sofort auf andere Wege zu locken , und das geschah , wenn im anstoßenden Wohnzimmer , zu dem ein paar Stufen hinunterführten , die Tasten des Flügels angeschlagen wurden .
Die Semper hatten keinen prachtvollkalten " Musiksalon " ; dazu war ihr Haus zu klein ; die Musik hauste mit ihnen im Wohnzimmer .
Und wenn er dann merkte , daß es eine Sonate von Beethoven oder Schubert gab , oder die Freischütz-Ouvertüre oder " Die weiße Dame " - die war ihm das lieblichste Meisterstück der Romantik in der Musik - dann schlich er sich mit dem Queue in der Hand an die Tür und horchte .
Und wenn unten jemand zu singen begann , dann lehnte er das Queue leise an die Wand , schob leise die Schiebetür zurück und setzte sich auf die kleine Treppe zu seinem Freunde , dem ehrenfesten Dachshund Manne .
Und dann sang Hilde mit , und dann Isolde , und dann Gesina , und dann er selbst , und zuletzt konnte sich Wolfram nicht mehr halten , obwohl in das mutierende Chaos seiner Stimme erst die ersten Lichtstrahlen eines musikalischen Gehörs herniederzuckten , und die Jüngste lag oben in ihrem Bettchen und hörte zu .
Wie die Semper lachen mußten , so mußten sie auch singen ; sie sangen eigentlich noch mehr , als sie lachten .
Schon in Asmussens Vaterhause hatten alle , alle gesungen , auch in Zeiten , da es ihnen gar nicht sonderlich gut erging .
Singen war ihnen nur eine andere Art des Atmens , ein tieferes , nachdrücklicheres , inbrünstigeres Atmen ; sie mußten Luft hereinholen , wenn es drinnen zu eng war , und sie sangen oft , nicht weil ihr Herz sich frei fühlte , sondern weil es sich frei machen wollte .
So hatte es denn in den winzigen Kammern des Vaterhauses gehallt und geklungen wie in den Käfigen eines Vogelhändlers , und wenn der Vater gesungen hatte :
" Tränen , vom Freunde getrocknet " , dann hatte gleich darauf die Mutter begonnen :
" Nach Sevilla , nach Sevilla , Wo die letzten Häuser stehen - " und sie brauchte nur eine Pause zu machen , so begann Johannes :
" Die Verleumdung , sie ist ein Lüftchen " .
Asmus nun besaß ein leicht fassendes und treues musikalisches Gedächtnis , und so hatte sich in seinem Herzen ein wahres Musikalienlager von Melodien aufgehäuft .
Sie hatten gar keinen Platz mehr da drinnen ; sie drängten hinaus und traten ihm auf die Lippe , auch wenn ihm eigentlich gar nicht nach Singen zumute war .
" Was fällt dir ein ? " riefen sie .
" Maulklemme ? Laß uns hinaus ! "
Und die Weise , die gerade vorn war , sprang zuerst heraus .
Vielleicht hatte ihm gerade jemand einen recht großen Stein ins Seelenfenster geworfen ; dann sang er zehn Minuten später - kaum , daß er_es wußte - : " Der Odem der Liebe Erquicket die Seele , Ist Balsam , so wonnig , So schmeichelnd und weich ! "
Oder er war sich gerade des vollsten und innigsten Besitzes seiner Hilde bewußt geworden , dann sang er in seiner Freude : " Ach , ich habe sie verloren , All mein Glück ist nun dahin , O , wäre ich nie geboren , Weh , daß ich auf Erden bin !
Eurydike !
Eurydike ! - "
Oder ihm lag vielleicht nichts ferner als Kampf und Streit , und er hatte für den Augenblick nichts weiter vor , als sich eine möglichst gute Zigarre aus dem Schranke zu holen ; dann schmetterte es jählings durch seine Zähne .
" Heraus zum Kampfe mit uns allen ! "
Oder es war sein Hochzeitstag - da pflegte er mit seiner Hilde irgendwo am Elbufer zu speisen , er mit ihr ganz allein , ganz allein - und frühmorgens , wenn er sein Sturzbad nahm und sich auf dieses einsame Aug-in-Auge freute , trällerte er :
" Ich unterdessen , Nach alter Weise , Führe mein Liebchen Trotz Sträuben und Ach Ins Seitengemach , Ins Seitengemach !
Blonde , Brünetten , Wollen wir wetten , Zählt mein Register Morgen noch mehr ! "
Er war sozusagen eine vom lieben Gott gebaute Spieluhr , die immer wieder von selbst anhob und sich selbst aufzog .
Und mit allem war er sogleich versöhnt , wenn er es in seinem Hause klingen hörte und er , das Ohr an der Tür , feststellen konnte , daß sein Weib oder eins seiner Kinder sang .
Denn wenn er Musik hörte , dann sah er mit innerem Auge Dinge , die nie in seinem Leben gewesen waren , die keine Erinnerungsbilder waren , die gewiß nicht von außen , durch die Erfahrung in ihn eingedrungen waren und die ihn in seinem Glauben befestigten , daß hinten den Dingen ein Heiliges und Seliges ist , das unser wartet .
Und wenn er so auf den Stufen der Treppe saß oder auf der Ottomane im Winkel lag , wenn er mit den Seinen sang und ihre Züge und Gestalten mit liebkosenden Blicken umzog , dann verströmten alle Dinge des Tages in eine hundertstimmige Abendharmonie , und sein Herz hörte eine Symphonie des Glücks .
Und in diese Symphonie zog er alles hinein , was Auge , Ohr und Herz in solcher Stunde gewahrten , auch den warmen Glanz der schönen Lampe , der auf Leonardas Laute und zarte Finger fiel , auch die schlanke Vase mit den gelben Narzissen , auch den Kopf des " sterbenden Sklaven " , der halb aus dem Dunkel tauchte , auch die tiefrote Tulpe , die durch das blendende Weiß der Gardinen brannte , auch den goldbraunen Glanz , der auf Hildens reichem Haare lag .
Einer seiner Freunde hatte einmal gerufen :
" Nur die Schufte haben Glück in der Welt ; die Edlen müssen leiden ! "
Da hatte Asmus gefragt :
" Haben die Schufte wirklich Glück ?
Ich glaube , der Schuft hat nicht einmal ein Organ für das Glück , hat es so wenig , wie der Taubstumme für Musik .
Das Glück ist eine Musik .
Es ist niemals in den Dingen ; es ist immer über den Dingen .
Es ist der reine Hauch , der aus allen schönen und guten Dingen emporsteigt und über ihnen fühlbar wird als ein seliger Einklang . "
Er hatte ein glückliches Ohr für solche Symphonien des Glücks ; er vernahm sie daheim und draußen , in Kammer , Flur und Feld , und er fühlte in ihnen mit frommer Gewißheit die vorbestimmte Harmonie des Weltalls .
Wenn er den vierten Satz der Eroica hörte oder den Zwiegesang Florestans und Leonorens im Kerker , oder wenn er in einen Syringenstrauch blickte und den Duft einsog , oder die Elbe sah bei ruhigem Sonnenlicht , dann ging es wohl plötzlich wie ein Fieberbeben durch seinen Leib , und aus ihm hervor brach ein wildes , heißes , frohlockendes Bekenntnis .
" Eine Welt , in der das ist , kann kein Betrug sein ! " LVIII. Kapitel .
Der hundertausendläufige Revolver .
Und so ging ihm oft das ganze Leben wie eine Musik ein , und wenn er einer verborgenen Neigung seines Herzens gefolgt wäre , so hätte er sich wohl nach und nach Menschen und Welt in lauter solche Musik umgewandelt Es war eine Neigung zum Wohlleben in ihm , nicht nur insofern , als er sich jetzt zuweilen ein Dutzend Austern und eine Flasche Rheinwein erlaubte , nein , ganz besonders insofern , als er , genau wie andere Menschen , die frohen und friedlichen Stimmungen vor den trüben und ruhelosen bevorzugte .
Ja , so widerspruchsvoll es klingen mag : es war in ihm sogar ein starker Hang zur Faulheit ; dieser Mensch . der in den vierzig Jahren seines Lebens sicherlich mehr gearbeitet hatte als mancher Arbeiter in sechzig Jahren und dem die Arbeit wirklich eine erlösende Göttin war , zog ihr doch bisweilen die Faulheit bei weitem vor und genoß das Leben liebend gern , auf dem Rücken liegend , als ein Adagio auf der Hirtenschalmei .
Allzu reichlicher Musikgenuß nun führt zur Erschlaffung ; dem aber hatte der Meister , der das Uhrwerk dieser Semperseele gebaut hatte , vorgebeugt , indem er , wie in jedes richtige Uhrwerk , eine " Unruhe " hineingesetzt hatte , die den Gang des Lebens - beschleunigend - regulierte .
Diese Unruhe war das schon mehrfach erwähnte Rechtsgefühl des Asmus Semper , das immer wieder auf nachdrückliche Weise aufgerufen werden sollte .
Um diese Zeit hatte ein Musikreferent über einen hervorragenden und gefeierten Kapellmeister geschrieben , er habe die Komposition eines Kollegen aus Mißgunst recht nachlässig und schlecht dirigiert .
Die Komposition war aber infolge einer Programmänderung gar nicht aufgeführt worden , und der " schneidige " Rezensent war also gar nicht zugegen gewesen .
Der Kapellmeister ließ sich es auch nicht gefallen und nagelte den Ehrabschneider öffentlich fest ; der wurde denn auch von seinem Blatte abgesägt und dafür von einem anderen liebevoll aufgenommen .
Mancherlei Hübsches von gleicher Art erlebte Asmus um diese Zeit und hatte er hundertfach erlebt .
Ein großer Erfolg , der von der ganzen Presse einer Großstadt einstimmig festgestellt war , wurde vier Wochen darauf von einem wagemutigen Ritter vom Geiste vollkommen kaltblütig in eine " Ablehnung " umgewandelt , und ein Gentleman , der sich vorsichtigerweise " Prokrustes " nannte , erzählte , daß ein Sempersches Stück schlechte Einnahmen bringe ( das war plötzlich eine Schande geworden ) . und daß in einer gewissen Szene dieses Stückes die Schauspieler sich über diese schlechten Einnahmen lustig machten .
Zum Unglück für den Gentleman war diese Szene von Asmussen lange vor der Ausführung gestrichen und niemals und nirgends gespielt worden .
Er las auch Zitate aus seinen Stücken , die niemals darin gestanden hatten ; er las , daß Sardous " Cyprienne " am Wiener Burgtheater einen glänzenden Erfolg gehabt habe , und las zwei Minuten darauf in einem anderen Blatt , daß eben dieses Stück an eben diesem Theater infolge der elenden Darstellung jämmerlich durchgefallen sei .
Er ging eines Tages mit dem Direktor des Wiener Burgtheaters in eine " Trafik " , um Zigarren zu kaufen ; der Direktor kaufte sich eine Zeitung .
Sie verließen nach drei Minuten den Laden und hatten nichts gesprochen , als was für den Handel nötig war .
Draußen entfaltete der Direktor die Zeitung und zeigte auf ein zwei Spalten langes " Interview " , das der Verfasser bei ihm gehabt haben wollte .
" Ich habe " , sagte der Direktor , " mit dem Manne nicht mehr gesprochen , als jetzt eben in dem Laden da . "
" Ja , wollen Sie denn das so hingehen lassen ? " fragte Asmus empört .
" Natürlich , " versetzte der Direktor .
" Man soll nie erwidern . "
" Da denke ich anders ! " rief Asmus .
In ihm war der Gedanke gereift , daß es für einen Satiriker und Lustspieldichter , der die schlimmsten Gebrechen der menschlichen Gesellschaft verspotten und brandmarken soll , gar keinen köstlicheren , dankbareren Stoff gebe als diesen Lügenjournalismus .
Und er setzte dem Direktor auseinander , daß er solch ein Stück schreiben wolle und im Kopfe schon fertig habe .
" Das kann gewiß ein gutes Stück werden , " sagte der Direktor , " aber man wird es nicht aufkommen lassen . "
" Das glaube ich doch ! " rief Asmus zuversichtlich .
" Ich denke mir so :
Die Presse wird sich sagen :
wir üben täglich und überall Kritik ; da müssen wir auch denen das Wort gestatten , die an uns Kritik üben . "
Da schüttelte der Direktor , der ehedem selbst Journalist gewesen war , langsam das Haupt und sagte mit einem wehmütig-träumerischen Lächeln :
" Nein .
So werden sie nicht denken . "
- - Vier Monate daraus sagte sein Freund Dr. Osman , der Chefredakteur einer großen Zeitung , zu ihm :
" Was uns merkwürdigerweise noch immer fehlt , das ist eine satirische Komödie über die Presse .
Und das ist doch ein unerschöpflicher Stoff !
freitags » Journalisten « sind noch immer ein vorzügliches Lustspiel ; aber mit dem heutigen Journalismus haben sie soviel gemein wie die » Braut von Messina « mit den Kartoffelpreisen .
Das wäre eine Aufgabe für Sie ! "
" Ihr Wunsch " , sagte Asmus mit vergnügtem und verbindlichem Lächeln , " ist mir Befehl .
Wenn ich Sie einladen darf , mir am nächsten Montag zuzuhören , so werde ich Ihnen in einem Kreise vertrauter Freunde meine neue Komödie vorlesen . "
Er hatte seine Komödie des Revolverjournalismus vollendet .
Bis dahin hatte man unter einem Revolverjournalisten einen Mann verstanden , der mutig an sein Opfer herantrat und offen und ehrlich sagte :
" Gib mir Geld , oder ich falle in meinem Blatt über dich her . "
Es war die rohste Form des Preßbanditentums und daher die unschädlichste .
Der eigentliche , moderne Revolverjournalist aber arbeitete knall- und rauchlos .
Er sagte sich :
Mein Revolver ist die Rotationsschnellpresse .
Wenn ich 100000 Leser habe , so hat meine Maschine täglich 100000 Schüsse .
Ich brauche nur anzukündigen , daß ich 100000 Leser habe , dann weiß man :
das sind täglich 100000 Schüsse .
Ich brauche mich nicht zu dekuvrieren ; man weiß ganz genau : wenn man mir nicht zu Willen ist , dann schieß ich .
Wer bei mir nicht hinreichend inseriert , wer mich oder meine Freunde oder meine Verwandten oder meine Partei oder Clique nicht fördert und lobt , wer mit mir konkurriert , wer einer gegnerischen Interessengemeinschaft angehört , kurz , wer mir in irgendeinem Sinne wider den Strich geht , sei es auch nur , daß seine Nase mir nicht gefällt , daß er nicht genügend Angst vor mir hat : auf den schieß ich .
Vorausgesetzt natürlich , daß er wehrlos oder so gut wie wehrlos ist .
Hat er auch eine Maschine mit 100000 oder gar mit 200000 Schüssen , dann ist Vorsicht geboten .
Aber selbst wenn ihm jemand solch eine Maschine zur Verfügung stellen sollte - an meine Maschine kommt er nicht heran ; da pass ich schon auf .
Zu meinen Lesern spricht er nicht , dafür will ich schon sorgen .
Ich schneide ihm Berufs- und Menschenehre ab und mache ihn mundtot .
Dann kriegen die anderen schon das Zittern und zahlen pränumerando , sei es in bar , sei es in Liebesdiensten .
Die Gerichte dienen nur dazu , meine Macht zu befestigen ; denn wenn ich für 100000 anonym abgefeuerte Meuchelmörderschüsse mit 50 Mark Strafe belegt werde , mache ich eine Bombenreklame daraus .
So erweiterte sich Asmussen der Begriff des Revolvertums zu dem des böswilligen und feigen Mißbrauchs der journalistischen Macht .
In den Mittelpunkt seines Stückes stellte er nicht einen jener " klugen " Männer , die " mit den gegebenen Tatsachen rechnen " , die " die Welt nehmen , wie sie ist " und " nicht gegen Windmühlen kämpfen " ( während kluge Menschen sonst selten sind , sind diese Klugen so zahlreich ! ) , sondern einen jungen Künstler von zartem , empfindlichem Ehrgefühl , der von einer verkappten Revolverpresse aus Rachsucht , Gewinnsucht und Neid angefallen wird und sich das unerhörterweise nicht gefallen läßt .
Je entschiedener er sich wehrt , desto dichter hageln natürlich die Gift- und Stinkgeschosse , bis die Gemeinheit seiner Feinde sich so " herrlich offenbart " , daß sogar das Publikum Lunte riecht .
Bei der Erstaufführung eines neuen Werkes bereitet es ihm mit deutlicher Absicht einen ohren- und augenfälligen Triumph .
Auch dies hatte Asmus erlebt .
Als in einer großen Stadt am letzten Abend vor der Erstaufführung seines " Bureaukratius " eine wüsste Schmähung desselben Stückes erschien , rief am folgenden Abend das Publikum so andauernd und stürmisch nach dem Verfasser , daß der Regisseur vortreten und mitteilen mußte , der Dichter sei nicht anwesend .
Und das war der Sinn der Semperischen Komödie :
Das Publikum ist schuld .
Das Publikum hat die Presse , die es verdient .
Sobald es die Schmach des Revolvertums erkennt , wird sie verschwinden .
Das war gewiß eine simple Wahrheit ; aber sie war zu jener Zeit weit davon entfernt , erkannt zu werden .
Giftpflanzen haben gewöhnlich einen üblen Geruch ; darum parfümieren sich die übelsten Blätter ( in einer Art halbbewußter Selbsterkenntnis ) gern mit den schönsten Namen , Wahlsprüchen und Artikelüberschriften .
Asmus gab dem Skandalblatte , das er abmalte , den Titel " Licht und Recht " .
LIX. Kapitel .
Asmus macht wieder ein Zigarrengeschäft und spielt mit hohem Einsatz .
Am folgenden Montag versammelte er etwa ein Dutzend Freunde um sich : die alten , treuen Gefährten aus streitbaren und glücksfrohen Nächten :
Dr. Rosenberg , Globendorf , Dr. Lohfeld , Freudenthal , dann Dr. Osman , jenen Chefredakteur , einen Theaterdirektor , einen Regisseur und außer seiner Frau noch ein paar Damen .
" Ich werde das Stück mit Vergnügen geben , " sagte der Theaterdirektor .
" Natürlich müssen Sie sich darauf gefaßt machen , daß man Sie der Übertreibung bezichtigt und daß man Sie wahnsinnig anfeindet .
Die Kritik verträgt keine Kritik , und die Presse gewährt keine Pressefreiheit . "
" Ich finde , " versetzte der Regisseur in trockenstem Tone , " daß Herr Semper maßlos untertrieben hat . "
" Jedenfalls " , erklärte der Chefredakteur , " kann ich für alles und jedes , was unser Freund Semper dargestellt hat , aus dem Kreise meiner eigenen Erfahrungen und Beobachtungen die Belege vorbringen . "
" Natürlich kann ich das auch , " bemerkte Asmus ; " aber man wird mich nichtsdestoweniger der Übertretung zeihen .
Und zwar werden das nicht nur die Revolverjournalisten tun - das ist ja begreiflich - sondern auch hunderttausend andere .
Die Menschen glauben nämlich jede Lüge eher als die Tatsachen des wirklichen Lebens .
Als unsere Maler anfingen , lebendige Farben zu malen - ich denke nicht an die Farbenschwindler - da schrie alle Welt , das gebe es nicht .
Die erdrückende Mehrzahl der Menschen ist lebensblind .
Sie sieht nicht mit der Seele , was die Sinne aufnehmen .
Noch mehr :
sie vergißt auch sofort , was sie soeben erlebt hat .
An die Affäre Dreyfus hätte nicht nur vorher niemand geglaubt ; es glaubt auch nachher keiner daran , sobald Sie Ort und Namen ändern .
Das wunderbar wahre Wort " Life is stranger than Fiktion " , » das Leben ist befremdlicher als die Dichtung « , begegnet noch immer keinem Verständnis . "
Salomon Freudenthal wiegte nachdenklich und lange seinen feinen Liebermann-Kopf und sagte , indem er seinen Freund liebevoll wie ein Vater anblickte :
" Djunge , Djunge , Djunge !
Du grippst dor oder düchtig rein in das Weepsennest .
Dee wurde di orndli um de Oohrn Susen , de Weepsen !
Dor is Smäuken good gegen - wollte du 'n feine Henry Clay hemm , du Schopskopp ? "
Dieses Geschäft wurde , wie immer , ohne Schwierigkeiten abgeschlossen , und Asmus sagte : " Ooh - so schlimm wurde das wohl nicht warn . "
" Djä , " machte Freudenthal achselzuckend , " ich deeh das nicht .
Ober ich bin jo auch nicht du , un roden lettst du di jo doch nicht . "
" Nee ! " rief Asmus lachend , " rod mi good ; oder rod mi nicht af ! sä de Brut . "
Natürlich hatte Hilde , wie immer , sein Stück sofort nach der Vollendung in einem Privatissimum kennen gelernt .
In Gegenwart anderer äußerte sie sich fast nie über seine Arbeiten , wenn sie nicht dazu aufgefordert wurde , und auch dann blieb sie zurückhaltend bis zu scheinbarer Kalte .
Sie wußte , daß Frauen gegenüber den Leistungen ihrer Gatten für blind gelten , und wußte auch , wie oft sie es sind .
Als sie daheim die Handschuhe von den schmalen , weißen Händen zog , sagte sie nachdenklich :
" Dein Stück hat mir noch viel besser gefallen als neulich , und das ist ein gutes Zeichen .
Aber es wird dir wieder viele Feinde machen , und nützen wird es nichts . "
" Wieso wird es nichts nützen ? " rief Asmus etwas ärgerlich .
" Ach - Asmus !
Kannst du denn zweifeln , daß sie alle über dich herfallen werden ? "
" Was heißt » alle « ?
Natürlich werde ich von den Leuten , denen die Schuhe passen , » erst gespießt , dann gehangen , dann gezwickt mit heißen Zangen « ; aber es gibt doch weiß Gott auch noch an ständige Blätter und Zeitungsmenschen ! "
" Ja , ja ; aber wenn sie auch anständig sind und wenn sie auch wissen , daß du tausendmal recht hast - hören wollen sie es doch nicht . "
" Wenn du dir nur das Schwarzsehen abgewöhnen könntest , " sagte er mit mildem Vorwurf .
" Ihr Pessimisten aus Überzeugung oder Stimmung - du bist ja nur ein Stimmungspessimist - ihr seht immer nur , was ist , und nie , was wird .
Ihr überschaut immer nur Jahrzehnte , und wenn es hoch kommt , Jahrhunderte .
Warum nicht Jahrtausende und mehr ?
Pessimismus ist Mangel an Überblick . "
Er faßte ihr zärtlich unters Kinn und sagte mit scherzendem Hochmut : » Wo solch ein Köpfchen keinen Ausgang sieht , Stellt es sich gleich das Ende vor . «
Du gehörst doch sonst zu den Weibern , die ins Gewitter schauen .
Hast du mir nicht erzählt , daß du mit Wonne in den Blitz starrtest und auf den Donner hörtest , wenn deine Mutter und deine Schwestern im Winkel kauerten und die Schürze über den Kopf schlugen ?
Was schadet_es denn , wenn sie mich zwanzig Jahre lang anfeinden , wenn sie mich bis zu meinem Ende anfeinden und übers Grab hinaus ?
Einmal kommt doch der Tag , da sie sagen :
Er hat recht gehabt und hat recht getan .
Er hat die furchtbarste Pest , die jemals die Menschheit befallen , die Pest der Lügenpresse erkannt und zu beschwören versucht .
Und darauf kommt es doch an !
Sieh , wenn ich nach zwanzig Jahren nur in Einem den Mut erwecke , mein Werk aufzunehmen und fortzusetzen - ist das nicht schon unendlich viel ?
Sieh , wir sind so glücklich , so grenzenlos glücklich ; alles gerät uns jetzt nach Wunsch .
Auf so viel Glück , finde ich , hat man nur ein Recht , wenn man auch bereit ist , ein Stück davon zu opfern , wenn man einen Teil seiner Ruhe und seines Friedens darangibt , schon , weil man sonst im Glück verkommt !
Ja , ich kann mir denken , daß man sein ganzes Glück aufs Spiel setzt , um ein höheres , reineres dafür zu gewinnen . -
Das wird ein Stück , Hilde , paß auf , das wird ein neues Stück ! " schrie er plötzlich .
" » Und setzet ihr nicht das Leben ein , nie wird euch das Leben gewonnen sein ! « -
das ist viel mehr als ein schöner Reiterspruch , das gilt vom ganzen Lebenskrieg ! "
Da lächelte sie wieder .
" Nun halte einmal an , du wilder Reiter , " sprach sie sanft ; denn er war wieder ins Rennen gekommen .
" Komme einmal her und gib mir deine Hand . "
Und sie zog seine rechte Hand an ihre Lippen und küßte sie lange und andächtig .
Das tat sie nur dann , wenn ihr das , was diese Hand geschrieben hatte , absonderlich gefallen hatte . -
LX. Kapitel .
" Es handelt sich um deine Sache , wenn des Nachbars Wand brennt , " sagt Horaz .
Und als das Stück im Druck erschienen war , hatte Asmus auch alsbald vier Briefe in der Hand , vier Briefe von erlesensten Männern des deutschen Parnaß , die ihm zur Seite traten .
Der feurigste natürlich war Löwenklau .
Er schimpfte kräftig über ein paar Einzelheiten und war im übrigen helle Begeisterung .
Als dann das Stück an allen großen und kleineren Bühnen gegeben wurde , da wurde es beifällig , sehr beifällig aufgenommen ; aber eines hörte Asmus aus allem Beifall nicht heraus : die Erkenntnis :
" Hier wird unsere Sache verhandelt . "
Das Publikum lachte und lächelte , entrüstete sich und lachte wieder und klatschte viel in die Hände ; aber es hielt die ganze Handlung für eine Angelegenheit des Helden oder allenfalls des Künstlerstandes - das " Tua rea agitur ! " hörte es nicht heraus .
Es merkte noch nicht , daß es sich bei der Geißelung der Lügenpresse um seine , um seine eigenste Sache handelte , daß es selbst von jenen Schwindelblättern täglich belogen und betrogen werde .
Da aber das bloße Händeklatschen unserem Asmus nur ein mäßiges Vergnügen zu bereiten pflegte , so war er nur halb befriedigt ; nur als ihm vor dem Ausgang eines großen süddeutschen Theaters ein fremdes junges Mädchen urplötzlich an den Hals flog und ihm einen äußerst herzhaften Kuß auf den Mund drückte , hatte er das Gefühl eines vollen Erfolges .
Die schien ihn verstanden zu haben und honorierte pünktlich nach der höchsten Währung .
Einer der allerersten Rezensenten meinte , vor diesem Werke würden wohl auch die Feinde Semper die Waffen strecken müssen .
Das war eine pia anima .
Die Herren , die das Stück ohne Rücksicht auf seinen Gegenstand völlig unbefangen nach seinen Vorzügen und Schwächen würdigten , waren an den Fingern herzuzählen , und man brauchte noch nicht einmal alle zehn dazu .
Die ein Recht hatten , sich getroffen zu fühlen , schäumten und tobten , und die übrigen waren nicht entzückt .
Unter sich sagten sie wohl dasselbe , was das Stück sagte ; aber es sollte nicht öffentlich gesagt werden .
Sie hafteten an dem schweren Irrtum , daß sie durch Verschweigen die Ehre des Standes bewahren könnten .
Die Kritiken der Revolvermänner begannen fast alle damit , daß sie treuherzig versicherten :
Natürlich müsse sich auch die Presse Kritik gefallen lassen ; aber - - !
Die Presse mußte sich Kritik gefallen lassen ; aber sie durfte nicht in Tadel ausarten , oder gar in Wahrheit .
Man durfte ihr den Pelz wohl waschen , aber nicht naß machen .
Man durfte sie wohl abmalen ; aber nicht naturalistisch , obwohl der Naturalismus an der Herrschaft war .
Als die naturalistische Malweise sich auch des Porträts bemächtigte , da wurden unzählige Porträts , namentlich von Damen , mit Entrüstung zurückgewiesen , weil sie nicht " ähnlich " wären .
Auch Madame Presse wollte schön porträtiert sein , wenn sie die Ähnlichkeit anerkennen sollte .
Aber sonst war sie " voll und ganz " für " unentwegten " Naturalismus .
Die schlausten der Herren Revolvermänner erklärten , das Stück sei gar nicht gegen die Lügenpresse , sondern gegen die Presse überhaupt gerichtet .
Was der Verfasser von einem Banditenblatte sage , das meine er von der ganzen Journalistik .
" Auf den Sack schlägt er , und den Esel meint er , " sagte ein Hamburger Referent .
Er fühlte sich getroffen .
Zur Berliner Erstausführung des Stückes erschien hoher , höchster und allerhöchster Besuch von Fürsten und Würdenträgern , an der Spitze der Kaiser und die Kaiserin , und nach der Vorstellung hatte Asmus wieder eine herzlich-lebendige Unterredung mit dem besten Ritter seines Volkes und Vaterlandes .
Des Kaisers Augen , Mienen und Worte sprühten von Leben und guter Laune ; aber auch das hellste Lachen dieses Mannes war das Lachen eines ernsten Menschen .
Wie hell dies Auge auch strahlen und funkeln mochte - sein innerster , tiefster Stern leuchtete ernst und klar .
Und als Asmus mit einem nervigen Händedruck , wie begrüßt , so entlassen war . da wußte er :
Hier war das " tua res agitur " seiner Komödie verstanden worden .
War es denn auch ein Wunder ?
Wie oft waren dieses Mannes Worte und Taten entstellt , verdreht , verlogen dargestellt und gedeutet worden ; aber das war nicht das Schlimmste .
Dabei konnte Irrtum und Verblendung im Spiele sein .
Auch wenn zehnmal festgestellt war , was er in Wahrheit gesagt und getan , hatte die Verleumdung hundert und tausend neue und scheußliche Schlangenhäupter erhoben .
Was finge die Verleumdung mit der Wahrheit an ; sie braucht Lügen , und braucht nicht einmal neue ; im Gegenteil : dieselbe Lüge , oft wiederholt , wirkt endlich wie Wahrheit .
Es war eine seltsame Verschiebung :
Schier alle seine Freunde , darunter mancher Journalist , hatten ihm tausend- und tausendmal versichert , daß er gegen Windmühlen Kämpfe ; die Presse - sie sagten " die Presse " - sei ein Übel , gegen das nichts zu machen sei .
Er dagegen hielt die Presse für durchaus entwicklungsfähig in gutem Sinne und hielt an diesem Glauben unerschütterlich fest .
Er wußte auch , daß die lauteren Elemente der Presse eine Reinigung ersehnten .
Er erkannte nicht nur die Mühseligkeit , Undankbarkeit , Notwendigkeit und Nützlichkeit des journalistischen Berufes ; er wußte auch , daß er reich an schweren Versuchungen ist und daß ein Ehrenmann , der solchen Versuchungen widersteht , doppelt und dreifach verehrungswürdig ist .
Aber seltsam :
er galt für einen " Feind der Presse " ; all jene verzweifelnden Pessimisten galten nicht dafür , weil sie - sehr leise sprachen .
Und in der Tat brauchte Asmus vor der Rache der Revolvermänner nicht zu zittern , ganz abgesehen davon , daß sein Talent zum Zittern überhaupt gering war .
Denn der Optimismus , mit dem er auf den anständigen Teil der Presse gebaut hatte , rechtfertigte sich vollkommen .
Hatte man hier auch zu seiner Attacke gegen die üble Presse sauer gesehen , so trug man ihm doch nichts nach ; man ließ es die Bücher , die er bald darauf erschienen ließ , nicht entgelten , sondern begrüßte sie mit so einmütiger , warmer Anerkennung , daß der eitelste Selbstanbeter hätte zufrieden sein können .
Vor denjenigen seiner Freunde und Bekannten , die von einer guten Presse überhaupt noch nichts gesehen haben wollten , hätte er wohl triumphieren können , wenn rechthaberisches Triumphieren nach seinem Geschmack gewesen wäre .
Er konnte eine Meinung , solange sie bestritten wurde , mit unerschütterlicher Hartnäckigkeit , ja mit Härte verteidigen ; aber wenn die Tatsachen ihm recht gegeben hatten , war auch im gleichen Augenblick seine Härte dahingeschmolzen .
Überhaupt wurde jeglicher Groll , der ob allerlei menschlicher Niederträchteleien in ihm aufsteigen wollte , immer alsbald durch eine Flut von Sonne und Sommerglück überschwemmt , und was er säte und schnitt , gedieh unter warmem Wetter zur Ernte .
Er war so leicht auszurichten !
Nach allen Widerwärtigkeiten brauchte nur ein Sonnenstrahl ins Zimmer zu fallen , und sogleich mußte er denken :
Was ist das alles gegen Sonnenschein ?!
In seliger , von Hilden heilig gehüteter Muße schrieb er seine besten Dinge und schrieb dazwischen ein ganz Altmodisches Lied .
Ich bin ein froher Mann , Der laut verkünden kann , Daß ihm die Liebste treu gesinnt , Und sehe wohl das Greinen Der Schlauen , so da meinen :
" Man sagt es von manchem holden Kind . "
Nun hört : Wenn Zweifelsgram Die Kraft zum Werk mir nahm - Wer gleitet still auf meinen Schoß Und spricht von fernen Dingen , Die mir Genesung bringen , Und macht mich leis der Ketten los ?
Und kam ein düsterer Tag Mit schwerem Wetterschlag - Was ist_es , das mir ins Auge fällt ?
Ein Strauß , ein zarter , neuer , Von Blumen , die mir teuer , Von meiner Liebsten hingestellt .
Wenn Hunde mich gehetzt Und mir das Kleid zerfetzt Und Menschenhaß im Hirne nagt - Was schiebt sich leis ins Zimmer ?
Ein Kind wie Sonnenschimmer Und lallt , was sie ihm vorgesagt .
Doch wurde ein Leid zu schwer , Verhüllt kein Schleier mehr , Und muß es ausgesprochen sein , So blickt sie ohne Beben Mit mir dem argen Leben Gerade ' ins wilde Auge hinein .
Und alles sage ich ihr , Und alles sagt sie mir Und teilt mit Lust mein schwerstes Los .
Ich sah in manchen Nächten Aus allen Schattenmächten Ihr sanftes Auge , klar und groß .
Der Neid zeige , was er kann ; Ich bin der starke Mann , Dem eine Seele treu gesinnt .
Ihr Spötter , laßt mir es gelten , Und wollt ihr Kind mich schelten , So bin ich wohl des Glückes Kind .
LXI. Kapitel .
Asmus der Gunstbuhler .
Er schrieb ein Buch , in dem er sein eigenes Leben erzählte , und schrieb ein anderes , in dem er das Frühlings- und Blumenleben einer Kindesseele in seinen natürlichsten , reinsten und ursprünglichsten Offenbarungen zu entfalten strebte , und konnte bald bemerken , daß er diese Bücher nichtsahnend in viele hunderttausend Herzen geschrieben hatte .
Es ging ihm gut in dieser Zeit , und er hätte wohl verwöhnt werden können , wenn er nicht schon gelernt gehabt hätte , jedes persönliche Glück , jedes Glück , das an Menschen und Zeiten hängt , mit dem Zweifel anzusehen :
Wird es dauern ?
Und wie lange ?
Er wurde nach allen Ecken und Enden Deutschlands gebeten , um seine Dichtungen vorzutragen .
Dabei geriet er zuweilen wohl auch in ein Schilda , wo man seine Vortragskunst " zu natürlich " fand .
Er sprach nicht : " O , eine edle Hiemelsgabä ist N' das Licht des Auges ! " und er brüllte nicht .
Er konnte wohl brüllen ; aber er tat es nicht .
Eine durchgeschmolzene Komödiantin sagte einmal von Centa Bre , sie sei gar keine Künstlerin , weil sie alles natürlich spiele .
So begegnete es wohl auch Asmussen zu seiner Belustigung , daß man seinem Vortrag die Kunst absprach ; oder er bemerkte - und zwar das mit Schrecken - daß man von dem " Humoristen " " donnernde Lachstürme " erwartete ; aber fast immer traf er sonst auf dankbarste Empfänglichkeit .
Man berief ihn zu ernsten Versammlungen , wo die Besten des Landes über die Erziehung des deutschen Volkes berieten ; denn dieses glücklich aufwärts steigende , unaufhörlich erstarkende Volk der Deutschen kannte außer seiner Wehrhaftigkeit keine höhere Aufgabe als seine Erziehung .
Wenigstens die Besten dieses Volkes wollten nicht nur ein Glück durch Markt und Börse , sondern ein Glück durch eigensten Wert und innerste Kraft .
Auf einer gewaltigen Tagung deutscher Lehrer fand er für dieselben Ideen einer künstlerisch befruchteten , lebendigen Schule , die man vor wenigen Jahren verlacht und niedergeschrien hatte , vieltausendstimmigen Beifall ; denn diese Ideen hatten ganz von selbst Lawinenkraft gewonnen , der nicht mehr zu widerstehen war .
Und an Deutschlands heiligster Stätte , in Weimar , durfte er in erlauchter Versammlung über deutsche Kunst und Erziehung sagen , was er auf dem Herzen hatte .
Und da genoß er ein köstlich Erlebnis .
Er hatte auch über Vortragskunst gesprochen und verlangt , daß sie aus dem großen Gefühlsgrund einer Dichtung , nicht aus ihren einzelnen logischen Akzenten geboren werde , und hatte , da man es wünschte , " Die Kraniche des Ibykus " vorgetragen .
Und alsbald trat ein gar ästhetisches Gräflein an ihn heran und meinte , nach diesem Vortrag habe er die Überzeugung gewonnen , daß Schiller doch ein Dichter gewesen sei .
Wenn Schiller doch diese Genugtuung noch erlebt hätte !
" Sonntags ging es nach Belvedere " ; denn die Erbgroßherzogin , eine treue und großherzige Hüterin der Weimarischen Überlieferung , hatte die Häupter der Tagung zum Essen geladen .
Nach der Tafel mußte Asmus der gütigen Wirtin noch ein Weiteres vorlesen .
Und er hatte den Erfolg , daß die hohe Frau bei einem der herzschweren , großäugigen Gedichte seines Landsmannes Claus Grat trotz aller Hofetikette das Tüchlein an die Augen führte .
Niemals hatte Asmus auch nur einen kleinen Finger gerührt , um " höfische Beziehungen " zu gewinnen .
Immer , wenn er mit gekrönten Häuptern oder Staatsmännern in Berührung gekommen war , war es geschehen , weil man ihn gerufen hatte .
Gleichwohl verdächtigten ihn die geübtesten Heimtücker unter seinen Feinden , daß er , der " ehemalige Tyrannenhasser " , vor Fürsten scharwenzle .
Und ein keckes Bürschlein , ein Realschulabiturient von 19 Jahren , der Rezensionen schrieb , ohne mit der deutschen Sprache wie mit der Bildung überhaupt recht fertig geworden zu sein - er las aus der " Knidischen Venus " kaltblütig und andauernd eine " Kindische Venus " heraus - wagte es sogar , ihn in einer Weinstube vor mehreren Zeugen deswegen zu " interpellieren " ; denn die Jugend dieser Zeit und Art hatte mit Verdienst- und Altersunterschieden aufgeräumt .
" Ich habe noch nie um eines Menschen Gunst gebuhlt , " sagte Asmus , " nicht einmal um die Ihre , obwohl Sie für die Mückenburger Nachrichten in mangelhaftem Deutsch Rezensionen über deutsche Dichter schreiben .
Wenn Sie aber , was bei Ihren Jahren lobenswert ist , Ihr Wissen bereichern wollen : jawohl , ich habe in gewissen Dingen meine Meinungen aus dem Fundament geändert .
Ich habe längst erkannt , daß die Bedrücker der Menschheit nicht mehr auf den Thronen sitzen , ja , nicht einmal mehr auf den Kanzeln zu suchen sind , sondern mit Vorliebe auf Geldsäcken hocken .
Fürsten wie unsere deutschen - es mag auch hier die eine oder andere Ausnahme geben - Fürsten , die von der strengsten Auffassung ihres Berufes erfüllt sind und ihn mit heiligstem Willen erfüllen , erscheinen mir vielmehr als die letzten Ritter in einer Zeit der Krämergier und des Profitanarchismus , in der die Frechheit des Geldes immer schamloser triumphiert und in der » das berechtigte Interesse « unersättlicher Milliardengauner die blutigsten Kriege entfesselt .
Jawohl : ich kann Fürstendiener sein , tausendmal , hunderttausendmal eher als Bankiers oder Zeitungsdiener .
Das dürfen Sie weitererzählen . "
Der junge Mann stammelte unter dem Lächeln der Tafelrunde , er habe Herrn Semper natürlich nicht zu nahe treten wollen ; im Gegenteil , er habe gerade gefragt , um - " Jawohl , " sagte Asmus , " so habe ich es auch aufgefaßt .
Nun können Sie ja also allen Blindschleichen klarmachen , was für eine Art von » Gunstbuhler « ich bin . "
Daß er es hingegen noch immer vorzüglich verstand , um die Ungunst gewisser Mitmenschen zu buhlen , das erfuhr er bei seinem nächsten Stück .
Wenn man eine Sache recht von Herzen lieb hat , dann haßt man diejenigen am meisten , die sie täglich im Munde führen und sie in ihrem Herzen täglich verraten .
So schrieb denn Asmus ein Stück von einem verlogenen Freiheitsmann und von verlogener Freisinnigkeit :
" Der radikale Papst " , und mußte selbstverständlich erleben , daß man behauptete , er habe ein Stück gegen die freiheitliche Gesinnung geschrieben .
Man hätte mit derselben Intelligenz sagen können , er habe gegen die Muttermilch geschrieben .
Asmus Semper war kein Satiriker aus Freude am Spott .
Wer die Gebrechen der Menschen und Menschengesellschaft mit eitel Vergnügen betrachtet , der ist ein Pharisäer , der seine eigenen Gebrechen nicht sieht .
Er war ein Satiriker , weil er die Kleinheiten und Schäbigkeiten der Menschenwelt sah und weil ihm unter den Tränen des Zorns und des Kummers doch immer wieder das Lachen aufstieß .
Der Satiriker ist so berechtigt wie der Chirurg , der auch schneiden und wehtun muß , und wenn der Satiriker mit Lachgas operiert , so ist das nur ein Vorzug .
Gleichwohl dehnte sich in Asmussen , wenn er eine Zeitlang seinem Spott die Zügel hatte schießen lassen , immer wieder ein unbezwinglich wachsender Drang und Trieb , von den Üblen der Welt hinweg auf ihre Schönheit und Größe zu schauen und ihre ewige Herrlichkeit zu feiern .
Und so trieb es ihn nun , aus allen Engen heraus in die weite , weite Welt zu reiten und seinen Hippogryphen einmal wieder in fröhlich ausgreifenden Versen traben zu lassen . -
Ob seine Zeit ihm auf diesem Ritt folgen und ihn nicht für eine Narrheit halten werde - diese Erwägung tauchte auch nicht für Sekundendauer in seinem Herzen auf. LXII. Kapitel .
" Liebe , die des Todes Blick bestand . "
Er vermählte ein Märchen mit einer Sage , das Märchen von der unersättlichen Fischersfrau , die immer nur haben und haben und haben will , ein wunderbar ergötzliches Urbild der unbekümmerten Selbstsucht , und die Sage von dem Prinzen , der in einen häßlichen Fisch verwunschen wurde und nur durch die reinste , selbstloseste Güte , nur durch den freiwilligen Kuß einer Menschenjungfrau erlöst werden kann .
Und er betete in dieses Werk hinein , was sich je in ihm bewegt hatte von hoffnungsheller Erden-Werdelust , von glückumschauerter Vollendungssehnsucht des Menschengeschlechts .
In den Bereichen , die über das sichtbare Land der Welt hinausliegen , war Asmus ohne Zweifel durch ererbten Anspruch ein Prinz , und in diesem Betracht war also der Prinz kein anderer als Asmus .
" O Lutz ! " rief der Prinz seinem mitverwünschten Pagen zu : " O Lutz , nun glaube einer noch den Müttern !
Noch heute sehe ich auf der Mutter Antlitz Das rote Licht der Herdesflamme spielen , Höre ich sie aus dem warmen Dunkel raunen : » All ' sieben Jahre steigt aus Meeresfluten Rungholt , die schönste der versunkenen Städte .
Mit immergrünen Gärten , roten Dächern , Mit Silberfenstern und mit goldenen Türmen , Vom Dufte lichtgetränkten Taus umsponnen , Steigt sie empor - gleich einem Märchenkind Mit goldenem Haar , das in der Sonne träumt .
Wer dann vorüberfährt und sie erblickt , Und wer ihn wagt , den raschen Sprung ans Land , Der löst vom tausendjährigen Tod die Stadt Und zieht als König ein zu ihren Toren . «
Seit jener Stunde kannten Sinn und Seele Nur einen Strand der Sehnsucht : Rungholts Strand , Nur eine Rast der Träume :
Rungholts Hafen !
Wir fuhren heimlich fort , wir suchten sie - Wir sahen sie , du und ich , so klar und hell , Zum Greifen nah - wir wagten kühn den Sprung - Und jählings stürzten wir in grause Tiefe , Und Hohngelächter scholl herauf vom Grund . "
Und alles Ahnen und Wissen von künftigem Licht und von Reichen , die kommen werden , war in dem holdseligen Mädchen , das , von seinem herrlichen Gesange gelockt , zum Prinzen hinab ins Meer gesprungen ist und nun erzählt :
" Wir Menschen , wisse , brauchen Sonnenlicht , Und unsere Sehnsucht drängt zu ihm hinauf .
Darum liebt der Mensch nicht , was am Boden kriecht Und was in dunkler Kluft und Höhle schleicht ; Doch eine wundersame Liebe zieht Ihn zu des Vogels freier , froher Anmut , Zu allem , was in leichten Lüften schwebt , Das er beherrscht und das er tief beneidet .
Und weißt du , was ich glaube ?
Sieh , ich glaube , Wie über Meer und Land , den dunklen Reichen , Die dumpf und schwer in ihren Grenzen ruhn , Das lichte , leichte Meer der Luft sich dehnt , So strömen jenseits auch des Luftbereiches Noch immer freiere und hellere Meere , Bis über Sonne und Sterne weit hinaus .
Und weil es den Menschen von der Erde fort Und stets empor und immer aufwärts drängt , So meine ich , muß ihm wohl beschieden sein , Von Reich zu Reich die Flügel einst zu heben , Bis auch die letzte Last in Licht zerfließt ! "
Aber nur , wenn sie dem Prinzen seinen Namen sagen kann , nur , wenn er selbst ihn verrät , darf sie zum Sonnenlicht zurückkehren .
Da hilft des Prinzen Feind ihr auf die Fährte .
Der Prinz nämlich ist einer von jenen Narren , die das Singen nicht lassen können .
" Der Einfaltspinsel leidet , mußt du wissen , An einer närrischen Krankheit :
er muß singen !
Was recht vom Grund ihn freut und was ihn schmerzt , Das kann er schweigend nicht in sich vergraben , Das muß heraus , sonst sprengt es ihm das Herz , Er muß es singen , und er singt es heimlich !
Nun merke : tausend Schritt von hier , nicht ferne Von Rungholt , der verfluchten Stadt , am Rande Der Seegraswiese steigt ein Riff empor , Das übers Meer hinaus die Stirn erhebt .
Auf diesem Felsen sitzt er einsam oft In weißer Mondnacht , und zum Spiel der Harfe Entlädt er singend das gerührte Herz .
Leicht , daß er seinen Namen so verrät ; Denn oft schon rief er klagend ihn hinaus , Und fern ist jede kluge Vorsicht ihm , Wenn dieser Wahnsinn ihn beim Wirbel packt . "
Und wirklich : die Qual seines Herzens sprengt alle Schlösser , und das Mädchen erlauscht seinen Namen , als er singt .
Nun wäre sie frei - wenn sie wollte .
" So hast du einen Dolch in deiner Hand - Stoß zu . - -
Wie grausam bist du , daß du zauderst . "
Sie aber spricht :
" Wer kann den Vogel töten , wenn er singt ?
Und wer , wenn er es könnte , wäre froh ?
Ich wollte wohl - doch kann ich nicht .
Ich höre Ja eure Herzen klopfen , und ich sehe Ja eure dunklen , bangen Augen glühn .
Das fühle ich wohl in dieser Stunde :
Über Zertretene Herzen führt kein Weg zum Glück . "
Überwältigt von ihrem Herzen , gibt der Prinz sie frei , und überwältigt von so viel Glück , küßt sie seinen Mund .
Da ist er entzaubert , und sein Page mit ihm ; da will er sie heimführen in sein Land und sie auf seinen Thron erheben ; da sind sie glückselig und haben doch das tiefste Glück noch nicht gefunden .
Des Mannes Glück wohnt nicht ewig am sicheren Herd , und des Weibes Glück wandert immer mit dem Manne .
Als das Mädchen noch auf dem Meeresgrunde weilte und einst durch die toten Gassen Rungholts wanderte , vernahm es den Sehnsuchtsruf der Stadt nach Erlösung .
Da hat es seltsam zu ihm gesprochen :
" Du hast in der Stimme ' ein selig Klingen , Du hast um Stirn und Wangen Das Licht , nach dem wir bangen ; Aus deinem Herzen strömt ein Hauch , Davon ein toter Rosenstrauch Aufs neu erblühen mag !
O wundersamer Tag , Geheimnisvolle Stunde !
Aus tiefem Todesgrunde Wacht längst gestorbenes Hoffen auf Und langt nach Tag und Licht hinauf - In diesen Gründen schlief ein Wort Viel hundert Jahre - nun klingt es fort : » Liebe , die des Todes Blick bestand , Hebt aus tiefer Flut versunkenes Land « - "
Und als sie nun in ihrem Schifflein heimwärtsfahren wollen , in alle rot und goldene Liebesseligkeit hinein , sieh , da steigt vor ihnen aus den Fluten abermals die verfluchte Stadt , und leuchtender und lockender denn je .
" O bindet mich , " ruft da der Prinz : " O bindet mich mit Stricken an den Mast Wie jenen Mann , dem die Sirenen sangen ! "
Aber die Geliebte kann den Ruf der toten Stadt nicht vergessen .
" So lang ich lebe , wird in meinem Ohr Die Sehnsucht dieser Stimme nicht vergehen .
Willst du ein tausendjährig Elend lösen , So will ich wohl mit dir den Tod bestehen . "
Da wird er wieder ganz er selbst , da wachsen sie kühn empor , ins große , ewige Glück empor .
" Dein Wort ist Gottesatem , Und höheres Leben wird durch ihn der Tod .
Sieh , dürfte ich Rungholts Zauber nicht versuchen , Verwelken müßt ' ich einst am Durst nach ihm ! "
Und seinem Knappen befiehlt er es : " Lenk unser Schiff , wie es ihre Liebe gebietet ; Nie werde ich König oder werde es heute ! "
Und König werden sie und Königin .
Als sie das Land betreten , sieh , da weicht der Boden nicht mehr unter ihren Füßen , da erstrahlt , was einst nur ein Bild gewesen , durch Liebe erlöst , im vollen Glanze der Wirklichkeit , und aus allen Toren und Gassen strömt neuerwachtes Leben und huldigt den Beiden , die König und Königin wurden durch das Herz . -
Das war das Stück , das wie eine Feuergarbe in ihm aufgeschossen war , als er zu Hilden gesagt hatte :
Nur der hat ein Recht auf Glück , der es opfern kann , opfern für ein höheres , edleres Glück .
Die " Urpremiere " dieses Werkes fand in Wernigerode statt , in einem kleinen Hotelzimmer , von dem aus man das Schloß aus wiegenden Wipfeln ragen sah .
Bei einer Flasche Rheinwein las es Asmus seiner Hilde vor , und diesen Tag vergaßen sie nicht ihr Lebelang , weil sie nicht nur den goldenen Wein , sondern auch die goldene Stunde des Verstehens gemeinsam bis auf die Neige tranken .
Das Schicksal dieses Stückes überraschte unseren Semper nicht im geringsten , wenn er seine Dichtung und seine Zeit bei Lichte nebeneinander hielt .
Zwar : an Glückwunschbriefen der vornehmsten Kunstgenossen fehlte es auch diesmal nicht , und als " Rungholt " zum ersten Male gespielt wurde , fand es beim Publikum eine sehr freundliche Ausnahme .
Aber Löwenklau , der einen Vers des Stückes mit glücklichster Hand verbessert hatte , schrie nach der Vorstellung :
" Dein Stück wird über alle Bühnen des Erdkreises gehen ! " und wenn Löwenklau Tatsachen prophezeite , dann stand es schief um ihr Eintreffen .
Er war , wie fast alle Pessimisten , in den Einzeldingen des Lebens gewöhnlich ein ganz besinnungsloser Optimist .
Schon die Theaterdirektoren und Intendanten versagten mit zwei Ausnahmen im ganzen deutschen Reiche , die meisten schon deshalb , weil die Ausstattung des Stückes Geld kostete .
Und die Kritik versagte mit verschwindenden Ausnahmen nicht minder .
Sie alle konnten nicht anders ; denn war das Stück deutsch , war erschlicht , war es hoffnungsfroh , war es nicht sexualerotisch und behauptete es , daß über zertretene Herzen kein Weg zum Glück führe , während im deutschen Theaterpublikum die Meinung spukte , daß " das Individuum seinen rücksichtslosen Willen zur Macht durchsetzen müsse " , eine Meinung , die den Deutschen einmal recht übel ausgelegt werden sollte .
Ein Theaterdirektor sagte dem Stück " Simplizität " nach und traf ins Schwarze ; ein Universitätslehrer hatte schon früher etwas ganz Ähnliches gesagt .
In einer Zeit der Verrenkungen , die Kraft vorstellen , der Geziertheit , die Feinheit bedeuten , und des Schwülstes , der für Tiefsinn gelten wollte , stand der arme Asmus da wie ein Simplizius Simplizissimus .
Er sagte sich das ; aber er stellte diese Betrachtungen bei bester Laune an ; er setzte sich über das Mißgeschick seines Werkes mit einem " Hopla " hinweg und sagte : " Aufgeschoben ist nicht aufgehoben " .
Sein Stück war zehn , vielleicht auch zwanzig Jahre zu früh gekommen ; er konnte aber ganz gut bis nach seinem Tode warten. LXIII. Kapitel .
Gewinn- und Verlustrechnung .
Das Auf und Ab des Lebens hatte er zu oft erfahren , als daß es ihn noch überraschen konnte .
Am Ende war dieses Auf und Ab des Lebens bester , fruchtbarster Reiz , besonders dann , wenn das letzte Ergebnis doch ein Hinauf war .
Wie zur Entschädigung sollte er um diese Zeit zwei köstliche " Hinauf " erleben .
Das erste " Hinauf " war die erste große , erfolgreiche Fahrt des Grafen Zeppelin .
O , wie wurde Asmussen ums Herz , als er auf einem Gange durch Hamburg angeschlagen fand :
Das Luftschiff des Grafen Zeppelin ist über Straßburg !
Da hing ihm der ganze Himmel voller Luftschiffe , da sah er überall , wohin er blickte , die Luftschiffe seiner eigenen Hoffnung selig durch den Äther schweben .
Hatte er doch von je an Luftschiffe jeglicher Art geglaubt !
Und als er bald darauf am Rheine vom Fenster eines Eisenbahnzuges aus mit eigenen Augen ein Schiff durchs Blaue ziehen sah , da wirbelte alles in ihm auf wie Triumph des Glaubens und Rausch der Hoffnung .
Ach Gott , er wußte nur zu genau , daß ein Luftschiff die Menschen nicht besser und glücklicher macht ; aber dieser Aufstieg war doch ein Vorwärts , ein Hinauf , ein Sieg des menschlichen Geistes und Willens ; es war also Wachstum in den Menschen , und das war doch wundersam tröstlich !
" Es gibt kein tröstlicheres Glück als Wachsen " , hatte er einmal geschrieben .
Und wenn der Mensch wachsen konnte , warum sollte nicht langsam , langsam auch sein Herz wachsen ?
O , des alten Francis Bacon " Herrschaft über die Natur " war wohl mehr als Maschinenerfindung !
Und das zweite " Hinauf " war ja schon gleich so etwas wie ein Triumph des Herzens !
Er hatte in der " Rostra " aus den Werken eines Mannes vorgelesen , der zu seinen " Gegnern " zählte und ihn wiederholt " bekämpft " hatte , weil Asmus dieses Mannes Gedichte zwar gelobt , aber nicht ohne Einschränkung gelobt hatte .
Jene Vorlesung nun war ein großer Erfolg für den " Gegner " gewesen , und Asmus erhielt von ihm zu seiner nicht geringen , aber frohen Überraschung einen Brief .
Darin stand , daß er seinen Sinn eigentlich längst geändert habe , daß sie doch das Kriegsbeil begraben möchten und daß er Asmussen ( der sich übrigens keines Beiles bewußt war ) eine dankbare Freundeshand hinüberstrecken möchte .
Asmus griff wie immer in solchen Fällen - es war der vierte oder fünfte dieser Art - mit tausend Freuden zu , und man kann es ihm nicht verübeln , daß er solche Augenblicke zu den glücklichsten seines Lebens zählte .
Freilich : wenn dieser Freundschaftszuwachs eine vorausgezahlte Entschädigung für die nun kommenden Verluste sein sollte , dann hatte sich das Schicksal mehr als karg benommen .
Der Prinz von Schondorf ging dahin !
Immer war seine Gesundheit schwankend gewesen ; jetzt , als Asmus von ernster Erkrankung hörte , lag der Prinz in einer Altenberger Klinik und durfte keinen Besuch mehr empfangen .
Bis zur letzten Möglichkeit hatte er lächelnd einen verschwiegenen Heldenkampf gegen die furchtbarsten Schmerzen gekämpft ; einem Freunde hatte er seine letzten Bestimmungen , auch die über sein Begräbnis , bis ins genaueste anvertraut und den Seinen jedes bange Wort , jede bange Miene erspart , wie jener Spartanerjüngling , der den Fuchs unter seinem Mantel verbarg , auch als er ihm tödlich den Leib zerbiß .
Als Asmus von seinem furchtbaren Leiden hörte , konnte er nichts mehr tun , als ihm Blumen , möglichst viele und schöne , an sein Bett stellen lassen .
Es war der letzte Liebesdienst , den er diesem Sänger und Helden , diesem stillen Apostel der Schönheit und Menschenliebe , diesem wahrhaft erhabenen Freunde erweisen konnte .
Mit ihm schwand eine einzige Erscheinung aus Semper Leben ; ihre Wiederkehr durfte er nicht mehr erhoffen .
- Und Harald Danebrog ging dahin !
Als Asmus an einem strahlenden Frühlingstage in seinem lichterfüllten Arbeitszimmer saß und gerade recht versunken über einem Buche hing , empfand er plötzlich zu seiner Linken einen riesenhaften Schatten .
Er blickte auf und sah vor der Glastür zum Garten einen kolossalen Mann stehen , in blauem Kleide mit goldenen Knöpfen und blauer Mütze mit goldener Kokarde - einen Seemann , wie es schien .
" Holla , sasa , Semper ! " rief er und schnalzte mit Zunge und Fingern - Harald Danebrog !
Jahrelang hatte er sich auf dem Meere umgetrieben , um sein jahrelanges Kopfweh zu verscheuchen ; nun war er sein Kopfweh los , und nun war er wieder lustig !
Es gab ein vergnügtes und gerührtes Wiedersehen , und nach einer Viertelstunde saß man beim Frühstück .
Oger le Danois hob neugierig-lüstern den Deckel von einer Schüssel und pfiff begeistert durch die Zähne .
Es waren herrlich große , von Hildens Künstlerhand ungemein appetitlich angerichtete - Hühnereier .
Denn Harald gehörte zu den echten Feinschmeckern , die es mit den einfachen Gaben Gottes , nicht mit den zusammengesetzten der Menschen halten .
Er machte auch dem Schinken eine schwungvolle Liebeserklärung , hieb gewaltig ein , trank dazu den schwersten , ältesten " Hattenheimer Schützenhäuschen " und verlangte die schwerste und dickste Importzigarre .
" Übrigens " , rief Asmus , " kommen Sie wie gerufen .
Sie kriegen Geld von mir ! "
" Ich kriege Geld ? " rief Danebrog mit komischem Unglauben .
" Jawohl .
Meine Übertragung Ihrer Geschichten hat was eingebracht , und davon gehört Ihnen die Hälfte . "
Asmus ging an einen Schrank und holte ein Büchlein hervor :
" Sie bekommen 163 Mark 40 Pfennig . "
" Er führt Buch ! " schrie Danebrog außer sich , " er führt Buch ! "
" Ein Hamburger Kaufmann würde für meine Buchführung wohl nur eine tief sittliche Entrüstung aufbringen ; aber in dem , was nicht mein ist , muß ich doch wohl Ordnung halten , " meinte Asmus .
Und er zählte dem immer noch lachenden Freunde , der sich über soviel Ordnungssinn gar nicht beruhigen konnte , einen blauen Lappen , drei Goldstücke , drei Silberstücke und vier Nickel auf den Tisch .
Sie verabredeten sich auf 7 Uhr zu einem Abendessen in Schuhmanns Austernstuben ; bis dahin war Harald verhindert durch ein größeres Diener , zu dem er geladen war .
Sie waren dann von sieben bis zwölf Uhr mit dem liebenswürdigen dänischen Konsul fröhlich und guter Dinge , und dann ging Harald zu einer anderen Verabredung , über die er sich nicht näher aussprach .
An diesem Abend hatten sie Brüderschaft getrunken ; es war eine Brüderschaft für die Ewigkeit .
Als der Herbst ins Land kam , da brachte er die Kunde , daß dieser prachtvolle Baumriese im Lustgarten der Menschheit , diese ragende , silbern lachende Nordlandsbirke geknickt und gefallen sei .
" Ich habe zweimal gelebt , " hatte er oft gesagt , und er hatte wirklich zweimal gelebt in Schaffen und Genuß .
So war er also 124 Jahre alt geworden und starb doch viel zu jung .
Was einst Lady Montague über Henry Fielding schrieb , das galt auch von ihm :
" Er war so glücklich für die Freuden des Lebens organisiert , daß man bedauern muß , daß er nicht unsterblich war . "
An äußerster Meeresküste endete Ritter Haralds Pilgerfahrt .
Auf einsamer Düne liegt sein Grab , dort , wo jahraus , jahrein , landaus , landein die Winde wandern und mit ihren streichelnden Händen allen Kopfschmerz heilen. LXIV. Kapitel .
Die Rechnung verschlechtert sich ganz erheblich .
Und dann kam der Tag , da Asmussens Mutter die Augen schloß .
Seit Jahren wohnte sie schon wieder in Oldensund , wo ihr auch Kinder wohnten und wo sie dreißig Jahre eines sorgenreichen Glückes mit Ludwig Semper durchlebt hatte .
Immer hatte sie mit Stolz erzählt , daß ihr Vater beim Dänen " Kommandier-Sergeant " - bitte : nicht ein gewöhnlicher x-beliebiger Sergeant , sondern Kommandier-Sergeant - gewesen sei .
Eigentlich war sie ja gegen alle Autoritäten , und sonderlich gegen militärische ; aber " Kommandier-Sergeant " , das war doch immerhin eine sehr beachtliche Charge .
Von dieser Charge hatte sie ein bißchen geerbt ; sie mußte regieren , mußte ein Kommando , ein eigenes Imperium haben , sei es auch noch so klein , und so baute sie sich in Oldensund aus tausend Erinnerungen , tausend Liederanfängen , tausend Weisheitssprüchen , tausend Spitzen- , Tuch- und Seidenresten , tausend Geranien und Fuchsien und ungefähr ebenso vielen " stärkenden " Tropfen und Salbenfläschchen ein eigenes Reich .
Mit ihren Tropfen und Tränken hatte sie immer auch Hildens Kinder " stärken " wollen , und abwechselnd hatte sie festgestellt daß die kleine Leonarda notwendig Baldriantropfen , der kleine Wolfram unbedingt " Brustpulver " nehmen müsse usw. ; aber in diesen Dingen kannte Frau Hilde keine Nachgiebigkeit .
An allen guten Tagen kam jetzt Frau Rebekka , dreifach eingehüllt und mit einer stattlichen Auswahl von Medizinflaschen versehen , zu ihren Kindern und Enkeln , oder es kamen an guten und schlimmen Tagen Kinder und Enkel zu ihr .
Wenn ihr Asmus dann von einem neuen Glück und Erfolg erzählen konnte - er durchkostete schon tagelang vorher die Freude , die die Nachricht ihr bereiten werde - dann sprach sie etwa , wie wenn die fünf Erdteile sich zu einem einzigen Staatswesen vereinigt und ihrem Sohne die Präsidentschaft - nicht die Königskrone ; gegen Fürsten und Pfaffen war sie noch immer heftig entbrannt - also : die Präsidentschaft angeboten hätten .
Und wenn ihr Sohn irgendwo recht gründlich geschmäht und angepöbelt worden war , dann sprach sie , als wäre er nun dreimal zum Tode und 700 Jahren Ehrverlust verurteilt , und der Kummer , den sie dieser alten Frau verursachten , war der einzige Giftpfeil , mit dem seine Feinde ihn wirklich persönlich trafen .
Und wenn er sich zur Wehre gesetzt und sich mit einem besonders frechen Verleumder tatkräftig angelegt hatte , dann rief sie , indem sie ihm mit den Knöcheln der geballten Faust zärtlich gegen die Stirn pochte :
" Du Dullkopp , bis du all wieder losgohn ?
Du bis das reine Pulverfatt ! "
Und wenn er dann mit einem heimtückischen Lächeln andeutete , daß er diesen " Tollkopf " möglicherweise von einer gewissen Frau geerbt habe , dann war sie von dieser empörenden Unterstellung grenzenlos überrascht .
Aber schon nach einer Minute , wenn sie auf die neueste Politik zu sprechen kam , konnte man ihr Temperament in flagranti ertappen .
Den Regierungsorganen des Deutschen Reiches erging es verwettert schlecht , und da Asmus einmal mit dem Reichskanzler gesprochen und mit ihm Briefe gewechselt , ihn auch wohl einmal schüchtern gegen sie verteidigt hatte , so schloß sie ihre Rede gewöhnlich mit der Conclusio : " Goh mi man af mit dein 'n Reichskanzler ; dee mokt sick Dorn Scheune Politik torecht ! "
Und wir können es als einen Beweis für den pädagogischen Instinkt unseres Schulmeisters ansehen , daß er es nicht versuchte , eine 86jährige Frau zu bekehren und ihr die Notwendigkeiten eines modernen Staatswesens auseinanderzusetzen .
Er lenkte dann auf einen anderen Gegenstand ab , z. B. auf ihre Blumen oder auf ihre Enkel oder auf ihre Krankheiten ; er wußte , daß es ihr großes Vergnügen machte , zu klagen .
Zwar zeigten sich wirklich Gebrechlichkeiten des Alters ; aber sie hinderten sie nicht , immer wieder durch die Stube zu trippeln und zu singen :
" Nach Sevilla , nach Sevilla , Wo die letzten Häuser stehen - " oder : " Fahre mich hinüber , junger Schiffer , Nach dem Rialto fahre mich ! " oder als Lucrezia Borgia :
" Um stets heiter und glücklich zu leben , Will ich , Freunde , die Lehre euch geben : Trinket , küsset , verbannet die Sorgen !
Nur die Gegenwart nehmet in acht ! " oder - und das rührte Asmussen immer ganz seltsam ans Herz , weil er es schon als winziges Bübchen von seinem nun längst dahingegangenen Vater gehört hatte - :
" Ei du kleine Klapperschlange , Du machst mir das Herz so bange ; Du hast mich in deinem Netz Wie die spanische Lola Montez ! "
Oder sie sang " Des Pfarrers Tochter von Taubenhain " , ein Lied , das man in ihrer Kindheit auf Jahrmärkten zur Drehorgel und zu Mordgeschichtsbildern gesungen hatte und in dem Asmussen als kleinem Knaben bei der Stelle :
" Es schleicht ein Flämmchen am Unkenteich , Das flimmert und flammert so traurig .
Da ist ein Plätzchen , da wächst kein Gras ; Das wird von Tau und von Regen nicht naß ; Da wehen die Lüftchen so schaurig " - immer ein Schauder über den Rücken gelaufen war .
So blätterte sie , wenn sie singend hin- und hertrippelte , das Buch seiner Kindheit vor ihm auf , das im großen und ganzen ein Liederbuch gewesen war .
Ihr Körper mußte schier unverwüstlich sein , da er durch alle Tropfen und Tränke , Pulver und Pillen nicht unterzukriegen war , oder es ging Frau Rebecken wie der Türkei : wie die nur noch bestand , weil die europäischen Mächte sich über den Raub nicht einigen konnten , so lebte Frau Rebekka vielleicht nur , weil die tausend Medikamente miteinander um die Beute stritten .
Aber zuletzt wollte es mit dem Gehen nicht mehr gehen , und Asmus und Hilde und ihre Kinder fuhren mit Pferden , die sänftiglich einhergingen , ein letztes Mal mit ihr ins Freie , heiter und bang .
Und dann drohte das Augenlicht zu schwinden .
Da kam eine barmherzige Erkältung und streckte sie auf das letzte Lager , und sie starb " alt und des Lebens satt " wie Isaac , der Erzvater .
Um 19 Jahre hatte sie ihren Lebensgefährten überlebt , trotz allen Glücks und aller Freuden , die eine Mutter erleben kann , ein trauriges Los .
Sie hatte nie an ein Fortleben nach dem Tode geglaubt und hatte sich doch immer danach gesehnt , an ihres Mannes Seite zu ruhen .
Gleich nach seinem Tode hatte sie damit begonnen , von den kargen Groschen ihrer Armut zu sparen , bis sie einen Platz an seiner Seite erwerben konnte .
Liebe ist stärker als alles Denken und Meinen , und was auch des Menschen Gedanken sein mögen , sein Herz und sein Wille langen über alle Gräber hinaus . - -
Und als im Sommer darauf Asmus und die Seinen wieder einmal an der Nordsee die Brust dehnten , auf der Insel Sylt , dort , wo im Westen die Sonne jeden Abend in neuen Lichtoffenbarungen und Feuerpsalmen stirbt und im Osten der Mond das milde Wattenmeer wie ein heimlicher Buhle besucht , da wurde Asmus aus beiden Himmeln gerissen durch eine Depesche seines Freundes Globendorf :
" Heute morgen um 10 Uhr ist Löwenklau gestorben . "
An seinem 65. Geburtstage hatte Asmus ihn zum letztenmal gesehen .
Die Universität seiner Heimat hatte ihn , möglichst spät , zum Ehrendoktor ernannt ; es war gerade noch Zeit gewesen , der Philologen-Fakultät diese Ehre zu sicheren .
Asmus hatte ihm die besten Zigarren gebracht , die er finden konnte , und Löwenklau hatte sich kindlich gefreut .
" Siehst du : dazu freue ich mich ! " hatte er gerufen .
" Du schickst kein Telegramm , du bringst Zigarren !
Und was für Zigarren !
Jeden Abend werde ich mir eine davon anzünden und an dich denken ! "
Und dann waren sie lange in seinem Garten - seinem Garten ; denn auch für ihn waren endlich die Tage der Ernte gekommen , und er stand auf eigenem Grund und Boden - auf- und abgewandelt und hatten in wehmütigem Gespräch das Andenken des Prinzen von Schondorf gefeiert .
Beim Abschied hatte Asmus gesagt :
" Den Siebzigsten feiern wir wieder zusammen .
Dann wirst du » Professor « werden . "
Aber Löwenklau hatte nicht gelacht , sondern nur wenig gelächelt , und es war ein zweiflerisches und zweifelhaftes Lächeln gewesen .
Und dann hatte er einem seit langem gehegten Verlangen gehorcht ; er hatte sich mit den Seinen auf die Reise gemacht und hatte die Schlachtfelder von 1870 und 71 wiedergesehen .
Noch einmal genoß er in einem tiefen Erinnerungstrunke das größte Glück seines Lebens : Soldat zu sein .
Noch einmal stand er dort , wo er , ein wilder Wagehals , ein Draufgänger von Gottes Gnaden , von seinen Soldaten vergöttert . mit Lachen allen vorangestürmt war , wo er mit halbgeheilten Wunden den Ärzten ausgerissen war , um wieder in die Feuerlinie zu kommen ; noch einmal kamen über die weiten Felder Trommeln und Pfeifen gezogen und durchwirbelten sein Herz ; noch einmal vernahm er im Geiste sein Lieblingssignal :
" Daß dir , mein Vaterland , es Gott bewahre , Das Infanterie-Signal zum Avancieren !
Zum Sturm , zum Sturm !
Die Hörner schreien !
Drauf !
Es sprang mein Degen zischend aus dem Gatter .
Und rechte und links , wo nur ein Flintenlauf , Ich riß ihn mit ins feindliche Geknatter .
Lerman , Lerman !
Durch Blut , Gewehrgeschnatter , Durch Schutt und Qualm !
Schon fliehen die Kugelspritzen .
Der Wolf brach ein , und matter wird und matter Der Widerstand , wo seine Zähne blitzen .
Und Siegesband umflattert unsere Fahnenspitzen . "
Aber über die weiten Felder kam auch ein tückischer Gifthauch gezogen und drang bis in seine Lunge .
Eine Lungenentzündung fiel ihn an , und nach acht Tagen schon war Dietrich von Löwenklau vom zeitlichen zum ewigen Leben hinübergeschritten .
Das kam nun auch nicht wieder , das , was dieser Mann gewesen war .
Ein Sonnenherz war jäh erloschen .
Ein preußischer Offizier mit einer mutigen und wissenden Kinderseele , ein Held mit einem singenden Schwert war für immer geschieden .
Dieser Tod war ein bleibender Schmerz , das wußte Asmus .
Es gibt nicht zwei solcher Begegnungen in einem Leben .
LXV. Kapitel .
Ein betriebsamer Geschäftsmann gibt seine Visitenkarte ab , und Asmus geht ins Ausland .
Als der Tod nun Herrn Semper zwei Jahre hindurch umkreist hatte wie der Pudel den Faust : " Siehst du den schwarzen Hund durch Saat und Stoppel streifen ?
- Mir ist , als ob er magisch leise Schlingen Zu künftigem Band um unsere Füße schlingt - Der Kreis wird eng , schon ist er nah ! " da trat er eines Morgens , in einen höflich grinsenden Herrn verwandelt , in Asmussens Arbeitszimmer und präsentierte eine Visitenkarte :
" Nur um eine Verbindung anzubahnen - für etwa vorkommende Fälle - freuen , mit Ihnen ins Geschäft zu kommen - " schnatterte er ; da fühlte Asmus , daß er nicht mehr die Kraft habe , durchs Zimmer zu gehen , und daß er sitzen müsse .
Als der Arzt kam , fand er sogar , daß er liegen müsse , weil das Herz nur noch 42 Schläge in der Minute tat .
Es hatte in den 47 Jahren seines Daseins im ganzen etwas allzu eifrig und unbesonnen gearbeitet ; nun verlangte es ein normales Arbeitsquantum , oder es werde die Arbeit überhaupt niederlegen .
Und Asmus lag drei Wochen lang und dachte gelegentlich wie damals im Cholerajahre : Sterben ?
Nun ja , wenn es sein muß - warum nicht ?
Das Leben ist freilich sehr - sehr schön ; wenn ich vor die Frage gestellt würde , ob ich es , unbewußt des Vergangenen , noch einmal genau so leben möchte , ich würde freudig " Ja ! " sagen .
Und vielleicht stehen mir noch zwanzig , dreißig schöne Jahre bevor - vielleicht aber auch nicht .
Wer weiß , was kommt ?
Der Tod ist Aufhören alles Bewußtseins ; der Tote weiß also gar nicht , was er verloren hat , weiß gar nicht , daß er Asche ist .
Was der Tote nicht weiß , macht ihn nicht heiß .
Zudem : was ich geschaffen habe , wenn es einen Wert hat , wird es auch nach meinem Tode wirken , wenn auch Wort und Name schwinden .
Und was ich noch schaffen würde ?
Die Welt wird sich auch ohne das helfen können .
Und meine Asche - wirklich Asche ; denn Hilde wird mich verbrennen lassen - ist unsterblich .
Und die Welt geht ja weiter ; es leben ja so viele Erben , die das große , blühende Geschäft fortsetzen .
Wer weiß , wie fröhlich mein Staub einst aufersteht , teils in einer Stranddistel , teils in einem Bullenbeißer und teils in einem Kapellmeister !
Nun aber kommt das böse Aber .
Hier sind sechs Menschen , die mich innig lieben , daran ist kein Zweifel .
Wenn ich mir denke , wie sie an meinem Sarge stehen , dann - nur dann - muß ich über meinen eigenen Tod weinen .
Darum will ich leben .
Als er wieder ein wenig lesen durfte und seine Kräfte ausreichten , ein Buch in der Hand zu halten , ließ er sich " Wilhelm Meisters Wanderjahre " bringen .
Die Leute sagten wohl , es sei ein körperloses , blasses , abstraktes Buch ; aber ihm schwamm dieses ganze Werk in einer Verklärung , die nicht mehr bei den Dingen , die über dem Leben , ja , schon jenseits des Lebens wohnte .
Wenn er eine Weile darin gelesen hatte , war es ihm , als wohne er schon unter seligen Schatten , und wenn dann die Sonne durch schneeweiße , schier silberne Gardinen auf seine schneeweißen Kissen fiel , dann dämmerte er langsam in einen Lichttraum und dann in einen sommerhellen Schlummer hinüber , und im Entschlummern schien es ihm , daß das Sterben - ganz für sich betrachtet ! - wunderbar süß sei .
Wenn er dann wieder erwacht war und sein erster Blick in das sorgendunkle Auge seines Weibes fiel und er auf Hand und Stirn und Wange die morgenfrischen Lippen seiner Kindes fühlte , dann wollte er wieder leben , und da der Tod vorläufig nichts dagegen hatte , weil Herr Semper ihn augenblicklich nicht interessierte , so setzte Herr Semper diesmal seinen Willen durch .
Er durfte aufstehen , durfte kleine Spaziergänge machen und kleine Zigarren ohne Nikotin und Vergnügen rauchen .
Mit einem sonderlich warmen und tiefen Heimgefühl pflegte er sich jetzt zu den Seinen ins Wohnzimmer zu setzen .
Er hatte in diesen Wochen überschlagen , wie viele Augen , die auf seinen Lebensweg geleuchtet hatten , nun schon erloschen seien .
Und wenn der Mensch mit dieser Rechnung beginnt , so kommt ihm das Gefühl , daß er mit seinen Lieben zusammenrücken müsse um ein sinkendes Feuer .
Endlich durfte er gar eine Erholungsreise antreten .
Er ging nach Thüringen ; in diesem Lande , in dem das wunderbare Lied " Ach , wie ist_es möglich dann " geboren wurde , beschlich ihn immer so etwas wie ein uraltes Heimatsgefühl .
Sicherlich war irgendein Urahne von ihm aus diesem Boden hervorgewachsen .
Von seiner niedersächsischen Heimat an der Elbe abgesehen , hatte er nirgends ein so tiefes , sicheres und glückseliges Gefühl vom Deutschsein .
Freilich hatte ein Urgroßvater von mütterlicher Seite am Bodensee gehaust , und die väterliche Linie stand , soweit sie zu verfolgen war , standhaft in Schleswig ; aber wie er alles Weltwesen mit weiten Räumen und langen Zeiten Maß , so glaubte er auch an tausendjährige Vererbungen und hielt es keineswegs für unmöglich , daß sich , wenn er von tannenduftiger Höhe in ein thüringisches Waldtal schaute , ein hermundurisches Heimatsgefühl aus taciteischer Zeit in ihm rege .
Sein Heimatsgefühl spielte ihm noch immer bei guter Gelegenheit mit und schlug ihm jäh und unerwartet die Krallen ins Herz , wenn er im Auslande weilte , mochte es auch im " komfortabelsten Hotel der Jetztzeit " sein , ja gerade dann am häufigsten .
Wenn er etwa im " Hotel Bristol " in Wien saß oder im Hotel " Bauer au Lac " in Zürich , dann überfiel ihn immer wieder die Frage , ob nicht jenes schwere Heimweh , das ihn damals in dem kleinen Berliner Hotel gepackt hatte , ein mahnendes , prophetisches Heimweh nach der Stille gewesen sei .
Und er trieb sich in diesen Jahren viel im Auslande umher .
Man rief ihn nach der Schweiz , und er entdeckte hier , wo er bis dahin , als Alpenwanderer , nur - freilich vollkommen redliche und tüchtige - aber kaltnasige Hotelwirte gefunden hatte - sie glaubten damals wohl noch , Deutschland wolle sie fressen - entdeckte hier , sage ich , ein ungemein lebendiges , warmblütiges , begeisterungsfähiges Kunstpublikum .
Dieses in mancher Hinsicht karge Volk war freigebig mit Blumen und Gesang ; sie sangen ihm zum Dank , wenn man nach seiner Vorlesung zwanglos beisammensaß , ihre reizenden Volkslieder in ihrer Mundart vor .
Ja , dieses Volk singt noch , weiß die Worte seiner Lieder und singt sie ohne Vorbereitung mehrstimmig und vortrefflich , ein Brauch und eine Kunst , die das deutsche Volk , der Krösus des Volksliedes , schändlich verkommen läßt .
Er genoß das Glück , in Burgdorf zu lesen , dort , wo der Christus der Pädagogik , wo Heinrich Pestalozzi mit Stumpfsinn , Niedrigkeit , Neid und Verleumdung gerungen und gesiegt hatte , als man gestehen mußte :
er weiß die Kraft zu wecken !
Er war glücklich in den Schauern ehrfürchtigen , liebenden Gedenkens ; der lange Atem , mit dem er das Leben der Welt in sich sog , ließ ihn überall an geweihten Stätten die längst versunkene Vergangenheit wie Gegenwart empfinden .
Er hätte im volkreichsten Rom noch die Fußspuren Cäsars gefunden , ja , zu Bethel in Kanaan noch die Worte Abrahams an Lot gehört .
Was je gelebt hatte , das war ihm lebendig ; sein Gedächtnis kannte keine Vergangenheit , sein Herz keinen Tod .
Man lud ihn nach Holland , wo er vor Professoren und Studenten einer Universität mit innerem Jubel empfand , daß man ihn vorzüglich verstand , weil man unter der Führung eines glänzenden Gelehrten seit langem deutsche Dichtung las und lieben lernte .
Er fuhr mit niederdeutschem Behagen durch dieses wasser- , weide- , frucht- und blumenreiche , ebene Land - ein Gebirgssohn ahnt nicht , wie schön ein ebenes Land sein kann - er liebte seit frühen Tagen dieses Land durch seine Maler wie deutsches Land , ohne daß er jemals Einverleibungsabsichten gehabt hätte .
Und er fand auf seiner Fahrt ein Wunder : ein richtiges altes Gasthaus , das noch nicht zum " Grand Hotel " verhunzt war , wo der Wirt noch ein Käppchen trug , den Gast mit Händedruck und guten Wünschen bewillkommnete und entließ , sich selbst um das Feuer im Kamin bekümmerte , und wo die Wirtstafel nicht " französische Küche " war , sondern aus sieben köstlichen germanischen Hausmannsgerichten bestand , von denen jedes einzelne einen ganzen Mann forderte .
Und Asmus sah Söhne dieses Landes , die keines dieser Gerichte durch Zurücksetzung kränkten .
Er schlug keine üble Klinge ; aber vom dritten Gericht an konnte er nur noch starren und staunen .
Er kam nach Belgien und sah nicht nur den unvergleichlichen Marktplatz in Brüssel , wo sein Lieblingsheld Egmont - der Goethesche natürlich , der den historischen erschlagen hat - gemordet wurde , und stand nicht nur als frommer Mann in der Kathedrale zu Antwerpen ; er fand auch blühende deutsche Schulen unter der Leitung vorzüglicher Männer .
Als er dann unter seinen Landsleuten herumfragte :
" Wie stellen sich denn die Belgier zu euch ? " da hörte er :
" Man respektiert und haßt uns , weil die deutschen Handelshäuser die einheimischen überflügeln . "
Aber als man ihn auf einem Kommers zu Antwerpen mit einer flämischen Ansprache begrüßte und er in einer plattdeutschen Rede antwortete - siehe , da verstand man sich ausgezeichnet. LXVI. Kapitel .
Englands und Rußlands Freiheit .
Er besuchte London und hatte den stärksten Eindruck von den klassischen Stätten des Verbrechens und des Todes : dem Tower und der Westminster-Abtei .
Im großen und ganzen fand er die Stadt weit behaglicher , als er erwartet hatte ; freilich war es philiströse Behaglichkeit .
Und neben der Philistrosität fand er , wie ganz selbstverständlich , die grimmigste Herzlosigkeit gegen das Elend .
In den Nächten saßen die Armen und Obdachlosen , wie die Heringe aneinander gepreßt , auf den Promenadenbänken des Victoria Embankment und schliefen , einer beim anderen Wärme suchend .
Quer über den Fußsteig , auf den bloßen Steinen lagen die Ärmsten , daß man aufmerken mußte , um nicht über sie zu stolpern .
Am Morgen sah man verlumpte Weiber mit zerfressenen Gesichtern , die vor einer Spiegelglasscherbe mit einem zerbrochenen Kamm ihr verfilztes Haar zu schlichten suchten .
Wie ohnmächtig war dieses reichste Volk der Welt , wenn es diese Schande nicht hindern konnte !
Es hatte den falschen Freiheitsbegriff , der den Verbrechern an der Menschheit so herrlich zustatten kommt und die Organisation eines Volkes unmöglich macht .
Und er fuhr durch die end- und trostlosen Ebenen des westlichen Rußlands , die auf die Dauer ein kälteres Grausen erwecken als die finstersten Wände und Klüfte eines Hochgebirges , und las in den Städten der Ostseeprovinzen und in Petersburg .
Er sah diese komisch furchtbare Halbasiatenkultur , die in einer Völlerei von Marmor , Gold und Edelsteinen das Höchste der Kunst zu geben glaubte , und er , der in manchem schlichten Dorfkirchlein Schleswig-Holsteins und in manchem kümmerlichen Waldkapellchen Tirols ganz eigene und ganz wundersame Andachten gefunden hatte , stand in der Isaakskathedrale , der teuersten Kirche der Welt - denn sie hat ( man denke ! ) 23 Millionen Rubel gekostet - so kalt und unbewegt wie in einem Eisenbahnwartesaal .
Er war so ungerührt , daß ihn die Bemerkung des Küsters , in das Allerheiligste dürfe kein Weib hinein , und wenn es selbst die Kaiserin wäre , lebhaft amüsierte .
Diese Kultur ist noch nicht zur Erkenntnis des Weibes gekommen .
Diese Kultur baute über der Stätte , wo Alexander II. durch eine Bombe ermordet worden war , eine Sühnekirche und bewahrte innerhalb der Kirche , von einem Gitter umgeben und einem Baldachin überwölbt , die Stelle des von der Bombe zerrissenen Straßenpflasters wie einen fürchterlichen Knalleffekt , und sie glaubte , daß man Verbrechen durch Frömmigkeit sühnen könne .
Er stand im dichtesten Gedränge der Gläubigen und sah , wie einige den schmutzigen Fußboden küßten - da drängte er eilig hinaus , um Luft zu schöpfen .
Er hörte von Deutschen , wie ein russischer Oberst die Schuldigen an einem Meuchelmord , der auf einem deutschen Gute an der Herrin verübt worden war , dadurch " ermittelte " , daß er gleich dem ersten Gutsangestellten , der nichts wissen wollte , 200 Knutenhiebe diktierte - er sagte mit unbewegtem Gesicht nur dwjesti ( " zweihundert " ) - da bekam er alles heraus ; mit 200 Knutenhieben bekommt man alles heraus .
Er hörte von Deutschen , daß jüdische Knaben , wenn ihre Mitschüler einen Ausflug nach einem anderen Orte machten , nicht teilnehmen durften , weil sie den " Wohnort nicht wechseln " durften , und er begriff an seiner eigenen Empörung , wieviel Haß und Wut sich in solch einer jungen Seele zusammenbrauen muß .
Er hörte die Deutschen in noch lebendigem Schrecken erzählen von den Greueln , die Ästen und Letten im Revolutionsjahre an ihnen verübt und denen die russische Regierung eine hübsche Weile mit verschränkten Armen zugesehen hatte , weil es ihr Zweckmäßig schien , wenn die Deutschen zur Ader gelassen würden .
Und was Asmussen am tiefsten ins Herz schnitt , das war die Beobachtung , die ihm von den Deutschen bestätigt wurde , daß das Volk , auf dem diese " Kultur " lastete , daß diese Russen im Grunde ihrer Seele ein liebenswürdiges , kindlich gutes Volk waren .
Er mußte in Petersburg zweimal lesen und hätte dreimal und viermal vor vollen Häusern lesen können ; so freuen sich die Deutschen in Rußland , wenn ein Bruder aus dem Mutterlande kommt .
Er hatte sein Programm der russischen Polizei vorlegen müssen , und es saß auch ein russischer Überwachungsbeamter vor ihm und merkte mit gespannter Stirnhaut auf , daß Asmus " nichts sage , als was im Buche steht " ; aber er sah dem guten Manne an , daß er keine Silbe verstand , und das wurde Asmussen denn auch bestätigt .
Man führte ihn nach der Vorlesung in ein feines Restaurant , wo an den Wänden gedruckte Plakate hingen :
" Für die zertrümmerten Spiegelscheiben sind die Kellner haftbar " und wo sich in einem Nebenzimmer Offiziere mit der Kunst befaßten , Sekt in ein Klavier zu gießen und dann darauf zu spielen .
Man führte ihn mitten in der Nacht nach dem " Aquarium " hinaus , wo man aber inmitten der Petersburger Lebewelt , unter hübschen sibirischen Offizieren und mit Hilfe sehr schöner Damen nicht Wasser trank , und als er dann in bleich vom Monde erhellter Nacht zurückfuhr , an der Peter-Pauls-Festung und am Michailowpalaste vorbei , wo Paul I. an seiner eigenen Schärpe " starb " , da war ihm , als habe er keinen Tropfen Sekt getrunken und als starre aus all den klotzig-düsteren Palästen dieser Stadt durch irgendein dunkles Fenster das graugläserne Auge des Meuchelmords .
In den Dschungeln Indiens , unter Tigern und Schlangen , dachte er , oder im letzten Verbrecherwinkel von Whitechapel wollte ich wohl ruhiger schlafen als hinter diesen Steinwällen , wenn ich der Zar wäre .
Als er die Eremitage besuchte , hieß es , daß die schönsten Niederländer wegen Neuordnung der Sammlung unter Verschluß und nicht zu sehen seien .
Aber der Direktor ließ sich erweichen , und Asmus sah nun doch alle die van Dycks und Teniers und Ruisdaels - für Jakob van Ruisdael hatte er von je ein Privatkämmerchen in seinem Dichterherzen bereit - die Wouwermans , Daus und - 42 Rembrandts !
In seiner überströmenden Freude drückte er dem Saaldiener , der aufgeschlossen hatte , einen Rubel in die Hand .
Dieser Diener mußte mit einem anderen in elektrischer Verbindung stehen ; denn nach einem unmeßbar kleinen Zeitraum stand dieser andere vor Asmussen und erklärte , daß auch er einen eigentlich verbotenen Saal aufschließen werde .
Asmus lächelte verbindlich und ließ sich einen Saal mit zahlreichen Kostbarkeiten der Juwelierkunst zeigen , obwohl er eigentlich von jeher an einem Marmelblümchen tausendmal mehr Freude gehabt hatte als an dem schwersten Diamantenhalsband der Welt .
Als Asmus den zweiten Rubel entrichtet hatte , stand schon der dritte Diener da , der auch einen verbotenen Saal zu zeigen hatte ; aber nun war er befriedigt .
Das rührendste Erlebnis seiner russischen Reise aber begegnete ihm , als er von Pernau nach Dorpat fuhr .
Der Zug , der die größte Mühe hatte , die vorschriftsmäßige Langsamkeit innezuhalten und die planmäßige Fahrzeit auszufüllen - wenn es ein wenig bergab ging , war es unmöglich - , hielt in der Abenddämmerung wieder einmal bei einem kleinen Neste still , und Asmus stand am Fenster und kaufte von einer Bäuerin ein paar Äpfel .
Da trat eine Frau an den Wagen heran und sagte : " Wir sind gestern vier Stunden gefahren , um zu Ihrer Vorlesung zu kommen .
Und nun wollten wir Sie bitten : kommen Sie doch auch hierher zu uns !
Wir sind 37 Deutsche hier und würden es Ihnen nie vergessen . "
Selten hatte Asmussen eine Bitte ans Herz gegriffen wie diese , und selten war es ihm so schwer geworden , nein zu sagen .
Andere Verpflichtungen geboten es .
Diese Schwestern und Brüder schmachten nach deutschem Wort und Wesen wie Versprengte und Verlassene in der Wüste nach Wasser .
- LXVII. Kapitel .
Der Jubelgreis und seine Anschläge .
Nach Rußland war Asmus auf dem kleinen Umwege über Stuttgart gefahren ; denn dort hatte man das neue Hoftheater eingeweiht , und Asmus war der Einladung des Königs , dieser Feier beizuwohnen , mit ganz besonderer Freude gefolgt .
Er trug das Andenken an den Fürsten dieses Landes in warmem Herzen ; denn als er vor Jahren - Asmus hatte in der württembergischen Residenz eine Satire gegen den Profitpatriotismus aufführen lassen - mit ihm geredet hatte , da war es ihm gleich so wohl ums Herz gewesen , als spräche er mit seinem Vater .
Nun war das neue , schöne Theater mit einer festlichen Menge gefüllt , und in der Hofloge saßen das Königspaar , das die Kunst mit regem Herzen liebte , und der Hof .
Auf der Bühne zog eine Wandeldekoration vorüber , und als nun das Denkmal Eberhards des Rauschebarts erschien und die Musik spielte :
" Eberhard , der mit dem Barte , Württembergs geliebter Herr , Sprache : Mein Land hat kleine Staate , Trägt nicht Berge silberschwer .
Doch ein Kleinod hält es verborgen :
Daß in Wäldern noch so groß Ich mein Haupt kann kühnlich legen Jedem Untertan in Schoß - " da erhob sich die ganze Menge unwillkürlich wie ein einziger Mann und brach , der Königsloge zugewendet , in endlos brausende Jubelgrüße aus .
Denn jedermann fühlte in dieser Stunde : das Lied ist wahr , ist heute wieder wahr .
Niemand hatte die Worte gesungen oder gesprochen ; aber jedermann dachte sie ; jedes Herz sprach sie zur Loge der Königs hinauf .
Und das ergriff Asmussen so wunderbar die Seele , daß ein solcher Zusammenklang der Herzen noch möglich war zwischen einem Volk und seinem Führer . -
Als Asmus Semper aus Rußland heimkehrte , wurde er 50 Jahre alt .
" Es ist eine Gemeinheit , einem zum 60. Geburtstage zu gratulieren ! " hatte Löwenklau einst ausgerufen .
So dachte Asmus nicht , jedenfalls jetzt noch nicht .
Er sträubte sich nicht im mindesten gegen das Alter .
Der Gleichmut seiner Stimmung , soweit sie sein eigenes Schicksal betraf , ruhte auf dem Gefühl :
So schön das Leben ist und so Köstliches es mir geschenkt und so gern ich es noch einmal leben würde - wenn es damit zu Ende geht , schadet_es auch nicht .
Um sich an dieses Leben angstvoll festzuklammern , dazu hatte er doch auch zu viel Bitteres geschmeckt , das nicht auf seine Zunge gekommen war , hatte er doch zu oft auch unter den besten Freuden seiner besten Tage ein Leid gefühlt , das die Menschen uns nicht antun und nicht anmerken .
Übrigens fühlte er auch noch nichts vom Alter ; sein Herz tat wieder seine Arbeit , wenn man es rücksichtsvoll behandelte , und als am Geburtstagsmorgen Mozart und Beethoven aus seinem Garten heraufklangen , da fühlte er sich im Gegenteil wie neugeboren .
Und als er in seiner Mappe mit Entwürfen blätterte , da fand er , daß er an seinem 50. Geburtstage etwas mehr als 50 Entwürfe darin hatte von Dingen , die er noch schaffen wollte , darunter von recht umfänglichen und schwierigen Dingen .
Er fand aber auch , daß diese Dinge noch wesentlich besser werden müßten als seine bisherigen Leistungen , und er hoffte , daß es ihm gelingen werde , sie besser zu machen .
Er war also noch nicht alt , weil er noch nicht mit sich zufrieden war .
" Als Jubilar " , sagte er in seiner Rede beim Festessen , " kann man verschiedene Posen einnehmen .
Man kann sich zum Beispiel allen Ehrungen durch die Flucht entziehen und den Festtag auf der Insel Robinsons oder auf einer Eisscholle des Polarmeeres zubringen :
das macht dann immer einen stoisch-erhabenen Eindruck .
Ein Wiener Zoologe , den seine Hörer aus Anlaß eines Jubiläums mit besonderem Beifall begrüßten , begann seine Vorlesung mit den Worten :
» Das Feiern von Jubiläen , meine Herren , ist eine Sitte , die wir bei den Tieren nicht beobachten . «
" Eine andere Pose ist die , daß man sich alle Ovationen entschieden verbittet , dabei aber zu Hause bleibt .
Das ist indessen gefährlich ; denn es gibt Leute , die solche Ablehnungen ernst nehmen und dann wirklich nichts tun .
Oder man läßt alle erdenklichen Feierlichkeiten über sich ergehen und sagt hinterher öffentlich oder heimlich :
" Dieses Ahngefeiertwerden ist mir entsetzlich . "
Man findet auch dabei mitunter Gläubige ; aber es wirkt schon weniger .
Natürlich gibt es bei solchen Festlichkeiten und Jubelhymnen allerlei Entsetzliches , allerlei falsche und unreine Töne , und ein Mann , der unter dem Honigseim solcher Tage den billigen Sirup nicht herausschmeckte , würde eine komische Figur spielen .
Ich habe Zeit meines Lebens ein nicht ganz unmusikalisches Ohr besessen ; aber ein Narr würde ich mir scheinen , wenn ich über den falschen Tönen die echten und reinen überhören und mich ihrer nicht freuen wollte .
" Wieder eine andere Pose besteht darin , daß der Gefeierte mit tränenerstickter Stimme erklärt , das alles habe er ja nicht verdient oder doch nicht entfernt in solchem Maße verdient , das sei ja viel zu viel , und er müsse es ablehnen usw. usw .
Wenn ich auch diese Pose verschmähe , so soll damit nicht gesagt sein , daß ich alles Liebe und Gute , das man mir erweist , als wohlverdienten Lohn empfände .
An Geburtstagen und Weihnachtsfesten pflegt ein fröhlicher Geber zu verschwenden .
Solch eine Verschwendung ist vielleicht eine Ungerechtigkeit ; aber da das Leben so oft nach der anderen Seite ungerecht ist und dem Menschen , ganz besonders dem Künstler , so gern vorenthält , was ihm gebührt , so ist es ganz in der Ordnung , daß es ausgleichend verfährt und ihm ein anderes Mal einen gehäuften Scheffel zumißt .
Menschen von der Nüchterlingsart jenes Zoologen pflegen zu sagen :
Warum sollte man einen Geburtstag feiern ?
Ist er anders als die anderen Tage ?
Nein , er ist nicht anders ; eben darum soll man ihn anders machen .
Man soll ihn herausheben aus der langen Reihe der Alltäglichkeiten und soll die Kargheit des Lebens verbessern durch liebevolle Verschwendung ; man soll den Gefeierten entschädigen für erlittenen Mangel und ihm einen Vorschuß geben für die Zukunft .
Alle Künstler leben vom Vorschuß , teils vom materiellen , teils vom ideellen .
Was man mir in diesen Tagen gibt , nehme ich nur zum Teil als Nachzahlung für unverschuldete Ausfälle ; zum anderen Teil nehme ich es als Vorschuß , den man mir in der Überzeugung gewährt , daß junge Talente ermutigt werden müssen .
Und meinen Dank für solche Freundschaft zeige ich darin , daß ich ohne Pose , ohne allen falschen Schein sage :
Ich freue mich und will meine Freude zeigen in meinen Werken . "
Zu den umfänglicheren Dingen , die er sich vorgenommen hatte , gehörte die möglichst rückhaltlose Kritik der mit beispielloser Aufdringlichkeit nach Alleinherrschaft strebenden Nietzscheanischen Modephilosophie .
Wer da glaubt , daß schwer oder überhaupt nicht verständliche Philosophen nicht ins Volk drängen , der lebt in einem schweren Irrtume .
Ihre Wahrheiten und Irrtümer werden auf den Universitäten in Sammelbecken aufgestaut , aus denen die Studenten trinken , und wenn diese Studenten Lehrer , Prediger , Schriftsteller , Journalisten u. dgl. geworden sind , geben sie das Getrunkene wieder von sich und besprengen das Land damit wie mit Gießkannen .
Nun war freilich das deutsche Land gottlob noch nicht von dem Halbwahnsinn jener Philosophie durchtränkt ; aber unter jenen Gärtnern des deutschen Gartens waren schon recht viele eifrig dabei , die neue Lehre über das Land zu sprudeln , als wäre sie das wahre Wasser des Lebens .
Diese Lehre hieß : Entthronung des Sittengesetzes und Inthronisierung des individuellen Beliebens .
Nun war für Asmussen das Ich eine Unendlichkeit , wenn es in sich versank , und ein Quark , wenn es sich aufblähte gegen das Weltall .
Er hatte nicht die geringste Begabung zum Moralfexen , Tugendprotzen oder Pharisäer .
" Strenge gegen sich selbst und Milde gegen andere macht den wahrhaft vornehmen Charakter aus " , hat ein Weiser gesagt .
Mit der Strenge gegen sich selbst haperte es bei ihm zuweilen recht bedenklich ; aber Milde gegen die Fehler seiner Mitmenschen konnte ihm in der Praxis des Lebens niemand absprechen .
Eines indessen stand ihm unverrückbar fest :
nur durch das Sittengesetz ist die Menschheit im Urgrunde der Welt sicher verankert .
Reißt dieser Anker los , so ist das Schiff verloren .
Die äußerste Spitze dieses Ankers ist der Eid .
Unvergeßlich durchs ganze Leben blieb ihm der Schauder , mit dem sein alter Lehrer , der herrliche Herr Cremer , vom Meineid gesprochen , und der Schauder , mit dem er dessen Worte in sich aufgenommen hatte .
Der Meineid , hatte er gesagt , ist das furchtbarste Verbrechen eines Menschen ; der Meineidige verrät die ganze Menschheit .
Jedes andere Verbrechen kann eher verziehen werden ; den Fluch , der den Meineidigen trifft , wäscht keine Zeit ab ; nur Gott kann ihn von ihm nehmen .
In einem Theater hatte Asmus bald darauf einen Schauspieler gesehen , von dem man wußte , daß er einen Meineid geschworen habe .
Wenn der Mann ein Mörder gewesen wäre , so hätte es der kunsthungrige , dankbar empfängliche Knabe vergessen können ; über den Meineid konnte er nicht hinweg , und er starrte auf den Mann mit einem gar nicht nachlassenden Mitleid und Grauen und sah und hörte nichts von seinem Spiel .
Anker und Sittengesetz wirken aber nicht nur durch ihre Spitze , sondern auch durch ihre ganze Schwere und Hebelkraft ; der Eid ist nur das stärkste Symbol der Treue , die wir Menschen einander , die der Mensch der Menschheit bewahren soll .
Und Asmus hielt es für unabweisbare Gewissenspflicht , die ihn quälte , so lange sie nicht erfüllt war : nach seinen Kräften aufzutreten gegen eine Lehre , die nicht aus Bosheit , aber aus Größenwahnwitz des Individuums einen Sturm zu entfesseln suchte , der den Anker losreißen und den sichersten , letzten Glauben der Menschheit entwurzeln mußte .
Im Laufe der Jahrhunderte oder Jahrtausende mag das einzelne Sittengesetz sich wandeln ; aber ewig , solange die Menschheit besteht , muß der Satz bestehen , daß der Mensch der Menschheit verpachtet ist .
Seiner raffinierten Gewohnheit gemäß die Erholung durch Arbeit würzend , pendelte er am Gardasee zwischen philosophischer Kritik und den See- und Sonnenwundern Gardones , San Vigilios und der " Grotte des Catull " , als seine Hilde ihm eines Tages aus der Zeitung vorlas , der deutsche Kaiser habe für die diesjährigen Festspiele Webers " Oberon " und " Freischütz " , Raimunds " Verschwender " und den " Heiligen Bureaukratius " von Asmus Semper befohlen .
Das war eine Nachbarschaft , in der ihm ganz absonderlich wohl wurde .
" Rezia ist auf ewig dein ! " diese Musik war wie silberner Mond über dunkler Wolkenwand durch früheste Tage seiner Kindheit gezogen .
" Und ob die Wolke sie verhülle , Die Sonne bleibt am Himmelszelt " , Pljdas war ihm noch immer nach Sinn und Weise das frommste Gebet aus einer Menschenbrust .
Und die ganze Wolfsschlucht hatte er ja schon als fünfjähriger Junge ganz allein gespielt , mit allen Schrecken und Gespenstern , mit nichts bewaffnet als mit seines Vaters Spazierstock , der die Büchse Maxens , Caspars und Samiels zugleich war .
Und zum größten Ergötzen seiner Eltern und Geschwister hatte er die Sache blutig ernst genommen .
Mit teuflischer Härte hatte er gerufen :
" Es sei !
Bei den Pforten der Hölle : Morgen er oder du !
Rrrrrrrrr ! "
PljDieses Rrrrr ! war der Donner , unter dem der wilde Jäger verschwand , und dann hatte der Vater den furchtbaren Höllenfürsten auf den Schoß genommen und geküßt .
Und den " Verschwender " hatte er ja als zehnjähriger Bube in einem kümmerlichen Vorstadttheater mit großen Augen und großem Herzen gesehen .
Die Verschwendung schien ihm ein so schönes Laster , daß es schon fast gar kein Laster mehr war .
Auch Timon von Athen war ihm unter Shakespeares Helden der liebens- und beklagenswerteste .
Und für alle Zeiten hatten seine Augen das Bild eingesogen , wie der arme , arme Verschwender mit seiner Geliebten nach Amerika flüchtete und seinem Schiff in Nacht und Sturm auf schmalem Boot der gespenstische Bettler folgte , hatten seine Ohren für immer das Lied eingesogen , das der Bettler sang : " O laßt mich nicht vergebens klagen , Seid nicht so stolz auf eure Pracht , Ich sprach wie ihr in goldenen Tagen , Darum straft mich jetzt des Kummers Nacht . "
Und ein goldenerer Kerl als dieser Tischler Valentin war ihm noch seiner Lebtage nicht über den Weg gelaufen ; da hätte man ja im Theater laut aufschreien mögen vor Herzerlösung !
Als Erwachsener fand er dann wohl , daß das Stück zuweilen ein wenig reichlich kindlich sei ; aber es war kindlich , und das war schon sehr viel zu Jesu Zeiten , sonderlich aber in diesen .
- LXVIII. Kapitel .
Wilhelm der Zweite , Deutschland als Kleinstadt und Mariannens Einladung .
Das Hoftheater war so reich und so natürlich-schön mit den herrlichsten Blumen geschmückt , daß es wie ein riesiges Garten-Lusthaus dreinschaute , und im Parkett und in den Logen und Rängen strahlte und funkelte an goldenen und diamantenen Ketten und Diademen , an Tressen und Ordenssternen , was der Kaiserhof eines großen und blühenden Reiches aufzubieten vermag .
Das Zeichen des Hofmarschalls ertönte ; alles erhob sich ; der Kaiser betrat seine Loge und grüßte freundlich nach allen Seiten ; das Haus verdunkelte sich langsam , und durch den feierstillen Raum klang Hüons Zauberhorn .
Der Kaiser , der des Morgens einem großen , mehrere Tage währenden Sängerstreite zuzuhören pflegte und den außer dem gewohnten , sicherlich ausreichenden Arbeitspensum in diesen Tagen ernste Fragen der Balkanpolitik beschäftigten , folgte allen Ausführungen vom ersten bis zum letzten Wort und Ton mit nie erlahmender Lebendigkeit und unterhielt sich in den Pausen , frischer und stattlicher denn je , mit dem Feuer eines Jünglings .
Nach dem zweiten Akte des " Bureaukratius " stellte ein Kammerherr sich Asmussen vor und lud ihn ein , zum Kaiser zu kommen , der ihm wie einem alten Bekannten die Hand entgegenstreckte und ihn zu seinem Werk auf das wärmste beglückwünschte .
Natürlich sprang das Gespräch alsbald auf Schule , Erziehung und Lehrer , und der Herrscher sprach als ein schlichter , fühlender Mensch , den die Zeit seines Lernens und Werdens in der Schule beglückt und bedrückt hat .
Er sprach von seinem Bedürfnis und vom Bedürfnis der kindlichen Seele nach Anschauung und erzählte , wie er sich selbst die griechische Helden- und Götterwelt durch Spiel und Zeichnung verkörpert habe ; man sprach von Dispositionen zu Horazischen Oden , die den becherfrohen Venusiner , wenn er sie zu Gesichte bekommen hätte , sicherlich bass erstaunt hätten , von realistischer und humanistischer Bildung , von des Kaisers Wirken und Streben für die Schulreform , vom Geschichtsunterricht und anderen Dingen .
Und das köstliche Ergebnis dieser Unterredung für Asmus waren zwei Beobachtungen , die sich ihm mit unmittelbarer Offenbarung aufdrängten :
Dieses große Herz lag vollkommen offen da vor seinem Gott und vor aller Welt und schaute seinem Gott und aller Welt hell ins Gesicht .
Dies Herz war nie eine " Mördergrube " gewesen und konnte nie eine werden , und wenn es hundert Jahre schlagen sollte .
Wie begreiflich , daß es von allen denen verkannt wurde , die aus guten Gründen auf Socken gehen und die ganze Welt im eigentlichsten Sinne des Wortes zur Mördergrube machen , zur Mördergrube , in der alles gerade Denken , alles gerade Wollen erwürgt wird !
Wie begreiflich , daß jedes unbekümmerte Bekenntnis dieses Herzens von Lauernden , Böswilligen auf den Markt gezerrt , entstellt , mißdeutet , vergröbert , verfraßt und ausgebeutet wurde !
Die zweite Beobachtung Asmussens war die :
Was dieser Mann auch denken und fühlen mochte , es bezog sich immer zuerst und vor allem auf sein Vaterland , sein Amt , seine Pflicht , sein Werk .
Der erste und der letzte Pulsschlag dieses Mannes hieß Deutschland .
Nie war das friederizianische Wort , daß der Fürst des Staates erster Diener sei , ehrlicher gemeint gewesen als in diesem Kaiser .
Das Herz des Vaterlandes und das Herz dieses Fürsten verband derselbe Blutstrom ; das Schicksal des Vaterlandes war sein Schicksal , wie das Schicksal der Mutter auch das Schicksal des Kindes unter ihrem Herzen ist .
Hatte einst ein Dichter einem Feldherrn zugerufen :
" In deinem Lager ist Österreich ! " so hatte Asmus nach dieser Unterredung das Gefühl :
In diesem Herzen ist Deutschland .
Er dachte dabei mehr an das Deutschland der Zukunft als an das der Gegenwart .
Bei allen wunderbaren Zeugungskräften , die in diesem gesunden Lande wohnten und für die Zukunft das Größte voraussagten , hingen ihm noch immer die Kennzeichen einer vielhundertjährigen Zersplitterung und Kleinheit an .
Es war in mancherlei Hinsicht noch immer eine Kleinstadt mit 65 Millionen Einwohnern .
In einer Kleinstadt kann man es bekanntlich auf den Tod nicht vertragen , wenn ein " Mitbürger " sich " entfernt von anderer Menschen Weise " .
Und so zerfleischten die Parteien in diesem Lande einander noch immer wie hungrige Bestien , gaben den Feinden Deutschlands ein hochwillkommenes Schauspiel und lieferten ihnen Wasser auf ihre Mühlen .
Nicht daß die Deutschen so viele verschiedene Meinungen hatten , sondern daß sie sich ihre Meinungen gegenseitig als Verbrechen anrechneten , das war das Fürchterliche .
Was aber im großen und ganzen sich zeigte , das zeigte sich natürlich erst recht im kleinen und einzelnen , und was in Politik und Religion Brauch und Sitte war , das hatte längst auf Kunst und Wissenschaft übergegriffen .
So geschah es denn , daß Asmus Semper , als er mit seiner Kritik des Modephilosophen hervortrat , aus allen Winkeln der deutschen Kleinstadt mit orkanartiger Wut angeblasen wurde .
Ein großer deutscher Gelehrter und Philosoph , dem er seine Arbeit zu lesen gegeben hatte , hatte ihm geschrieben :
" Sie werden bei den Gelehrten einen besseren Stand haben als bei den Literaten , " und dies Wort war prophetisch .
Kundige und Wissende , Gelehrte und Denker , die ein Recht zum Urteil hatten , zollten ihm wärmsten Beifall oder widersprachen ihm , wo sie anderer Meinung waren , mit Achtung und Würde ; die große Herde der Schmöke und Schmieranten , die den armen Nietzsche zu ihrem Schutzheiligen gemacht hatten , obwohl er sie bei seinen Lebzeiten als Ungeziefer behandelt hatte , sie rasten .
Baumblatt überschlug sich im Wirbel der Wut und behauptete , er lache ; alle Baumblätter im deutschen Papierwald raschelten rasend , und alle treudeutschen Schwollenthine platzten vor Empörung über einen Mann , der das Dunkel lichten wollte , in dem es sich so herrlich munkelte und meuchelte .
Und da sie weder den Nietzsche noch seine Kritiker begriffen und wie immer nichts wußten und nichts dachten , so griffen sie zur prima ratio et ultima ihrer Kunst :
sie logen , logen mit dem verzweifelten Mute der Ignoranz , logen , daß in ganz Mitteleuropa das Barometer sank .
Es ist eine alte Beobachtung , daß derselbe Mob , der alles Neue und Unerwartete auf das erbittertste bekämpft , die abgestempelte Größe , sonderlich die Modegröße , mit zähnefletschendem Fanatismus verteidigt .
Die Ursache beider Bemühungen ist dieselbe :
es ist die Faulheit , die nicht umlernen , die überhaupt nicht lernen will .
Die Steine , die auf Asmussen herabregneten , waren die hundertfache Vermehrung jenes Steines , den einst jene Schar von unreifen Buben in sinnlosem Haß nach ihm geschleudert hatte .
Der rechte Kleinstädter und Spießer will " seine Ruhe haben " .
Überhaupt - diese Anmerkung des Verfassers sei hier gestattet - gibt es nichts Häßlicheres und Entmutigenderes als Popularität .
Wen der Mob einmal zu seinem Liebling erkoren hat , dem rechnet er auch ein Schielauge zur Schönheit an , und wenn Phöbus Apollon daneben stünde , er hätte für ihn nicht Auge noch Ohr .
Aus der Stufenleiter , die die Feinde erfolgreicher deutscher Dichter nach und nach hinauf- ( oder hinabsteigen , indem sie zunächst das Werk der Dichter unter Schmähungen begraben , dann ihre Erfolge wegschminken , hierauf die Lauterkeit ihrer künstlerischen Absichten verdächtigen und endlich ihre menschliche Ehre antasten , hatten Asmussens Feinde inzwischen die höchste ( oder tiefste ) Sprosse erreicht .
Keine Kloake ist so tief , daß der Neid nicht hinabstiege .
Sozusagen in regelmäßigen Zwischenräumen bespritzte ihn irgend ein Abschaum der Literatur mit dem Makel der Rachsucht oder der Gewinnsucht oder mit irgend einer über alles Erdenken niederträchtigen Unterstellung .
Und folgenden Tages stand es in hundert Blättern .
Dafür hatten sie immer " Raum " , damit hatten sie immer Eile .
Ja , wohin kämen diese Blätter , wenn sie sich nach der Wahrheit erkundigen sollten ?
Wie viele Ehren sollten sie da im Monat abschneiden ?
Sie müßten ja im halben Umfang erscheinen .
Er ging einmal einer Verleumdung nach und traf schließlich auf einen Mann in hoch angesehener Stellung , der sie verbreitet hatte .
In seiner Bestürzung rief der Mann händeringend :
" Liegt denn nicht vielleicht irgend ein Anlaß zu diesem Gerücht vor ? "
Die Komik dieser Situation war für Asmus unwiderstehlich ; er lachte .
Und als der würdige Herr mit gefalteten Händen " herzlich um Verzeihung " bat , verzieh ihm Asmus .
Er konnte oft vor Ekel nicht weiterkämpfen .
Er war die denkbar innigste Mischung aus Vater und Mutter .
Wenn das Blut seiner Mutter ihn getrieben hatte , hineinzustürmen in den Kampf für sein Recht , so stieg oft mitten im Kampfe das weißumflatterte Angesicht seines Vaters in ihm auf und lächelte wehmütig :
" Es lohnt sich nicht . "
Und er mußte an ein tödlich bitteres Wort Dietrich von Löwenclaus denken : " Ja , ja , die Menschen ver-ach-ten den Verleumder ; aber sie glauben ihm . "
Emile Zola ist es , der gesagt hat , ein schaffender Mensch müsse sich darauf gefaßt machen , jeden Morgen eine Kröte zu verschlucken .
Mit der Zeit gewöhne man sich an dieses Frühstück , und endlich fehle einem etwas , wenn sie nicht da sei .
Ein besonderes Merkmal seines jüngsten Kampfes war eine starke Häufung der anonymen Schmähungen , die ihm in Briefen und Postkarten zuzugehen pflegten und die ihm mit besonderer Vorliebe seine Herkunft aus dem einfachen Schulmeisterstande vorrückten .
Er pflegte solche Sendungen in einem besonderen Fache aufzuheben , das er mit drei Kreuzen +++ bezeichnet hatte , wie es die Apotheker mit den Behältern für Gifte zu tun pflegen .
Er hielt die Leute , die Leid und Unheil zu verbreiten suchen und sich dabei hinter dem Schutzwall der Namenlosigkeit verbergen , wohl nicht mit Unrecht für den Bodensatz der Menschheit .
Darum , wenn er in seinem Glauben an den Fortschritt der Welt allzu hoffnungsselig werden wollte , holte er dieses Fach hervor und führte es sich zu Gemüte , etwa wie ein ernster Mann , der allzu tief in Welt- und Daseinsliebe zu versinken fürchtet , von Zeit zu Zeit sein Totenhemd hervorholt und anzieht .
Wenn er so die Dokumente menschlicher Niedrigkeit durch die Finger gehen ließ , dann mußte er wohl lächeln über Hildens und seiner Freunde Meinung , daß sein Weltvertrauen sich auf Überschätzung der Menschen gründe .
Wäre seine Hoffnung aus diesem Grunde gebaut gewesen , so wäre sie schon tausendmal in Trümmer zerfallen .
Übrigens hatte seine Gewohnheit auch den großen Vorteil , daß er sich nach und nach an das Gift gewöhnte wie die Arsenikesser , die das Arsenik in immer steigenden Mengen zu sich nehmen , dabei auffallend wachsen , blühen und gedeihen und ein hohes Alter erreichen .
Das Schicksal machte ein witziges Epigramm , als es ihn , unmittelbar nachdem man in seinem Vaterlande mit Tintenfässern und Dachziegeln nach ihm geworfen hatte , nach Frankreich rief .
Eine große Gesellschaft zur Verbreitung fremder Sprachen und Literaturen in Frankreich hatte ihn gebeten , nach Paris zu kommen und dort über sein Lebenswerk zu sprechen und aus ihm vorzutragen .
Wir dürfen ruhig sagen , daß Asmussen von allen Einladungen solcher Art noch keine so glühwarm durchs Herz gefahren war wie diese .
Warum ?
Nicht darum , teurer Leser , der du freilich , so nahe dem Ende dieser Geschichte , einen solchen Verdacht schwerlich noch hegen wirst , nicht darum , weil es ihn gekitzelt hätte , von Ausländern gerufen zu werden und vermutlich der erste deutsche Dichter zu sein , der von Parisern nach Paris gebeten wurde .
Seine Feinde nannten seinen Stolz gelegentlich wohl Hochmut und taten Unrecht daran ; aber wenn es die Wahrung deutscher Kulturehre gegen Geringschätzung galt , dann konnte er wirklich stolz bis zum Hochmut sein .
Es galt ihm für verdammte Pflicht und Schuldigkeit der Engländer und Franzosen , die deutsche Kultur mit völlig demselben Respekt zu salutieren , wie ihre Kulturen in Deutschland salutiert wurden ; nicht der kleinste Salutschuß weniger gebührte dem deutschen Geiste als dem Geiste Englands und Frankreichs .
Eifersüchtig wie ein Geizhals über seinen Schatz , wie ein Türke über sein Liebchen hatte er über die Ehre deutscher Kunst gewacht , soviel an seinem Teile war , hatte erregt für sie gewirkt und gestritten , wenn man ihr in Schrift oder Rede zu nahe trat , und als eigenste brennende Schande hatte er_es von je gefühlt , daß der deutsche Geist noch immer fremdem Werk und Wesen nachlief , ohne nach ihrem Werte zu fragen .
Und darum sagte er sich mit glücklichem Stolz , daß die Franzosen wohl einen besseren Vertreter deutscher Literatur hätten finden können als ihn , sicherlich aber keine bessere Literatur .
Nein , das war bei dieser Einladung der Jubel in seinem Herzen , daß in ihm der erste leise Schimmer einer Hoffnung erwachte , es könne doch einmal Ernst werden mit der Annäherung der beiden Nationen , die einander mehr zu geben hatten als irgend zwei andere Völker der Erde , die , wenn sie ihre Reichtümer zusammenwarfen , fast allein ein Inventarium der Menschheit aufstellen konnten .
Daß die Franzosen seit 1870 fleißig Deutsch getrieben hatten , das wußte er längst .
Aber daß sie nun , wie es schien , auch die Kunst dieser Sprache kennen lernen , daß sie ins Herz dieser Sprache hineinhorchen wollten , daß sie , wie doch zu hoffen war , nun immer mehr deutsche Dichter und Künstler hinüberholen würden , das schien ihm ein verheißungsvoller Anfang , schien seinem leicht bewegten Blute ein deutscher Triumph .
Je mehr er sich von einer Vereinigung Michels und Mariannens versprach , je sicherer er sie erwartete , desto wilder hatte er sich immer geärgert , wenn Michel zärtlich um die Spröde warb .
Diese hübsche Frau war maßlos eitel , und eitle Frauen gewinnt man nie durch Werbung. LXIX. Kapitel .
Die Gärten der Lebendigen und Asmussens Blütenträume .
Gar nicht seltsamer Weise begegnete er dabei fremder Art und Kunst mit dankbarster Empfänglichkeit und liebender Gerechtigkeit .
Sicherlich war es einer der schönsten , frommsten Tage seines Lebens , als er an einem unvergleichlichen Frühlings-Sonntagmorgen ganz einsam und allein die Friedhöfe des Montmartre und des Père la Chaise durchwanderte und Sonnenlicht und Vogellied aus allen Bäumen floß .
Auch auf dem Grabe Theophile Gautiers sang ein Vöglein , ganz wie er_es ersehnt :
" L' oiseau s' en va , la feuille tombe , L'amour s' etaint , car c'est l'hiver ; Petit oiseau , viens sur ma tombe Chanter quand l'arbre sera vert . "
Wie in einem viele Stunden langen Traume wanderte er durch diesen hohen , licht- und liederfüllten Ahnensaal eines gottbegnadeten Volkes und wurde nicht müde , die Namen derer zu lesen , die aus der Seele dieses Volkes geboren wurden oder in seiner Seele Gastfreundschaft gefunden hatten .
Ein anmutvoll verschlungener Reigen von Gesängen und Sonnenstrahlen , von Gedanken und Vogelzwitschern , von Bildern und Blumenduft , von Heldentaten und Zypressenschatten durchwirbelte sein Herz .
Im ganzen lauten , lärmenden Paris war nicht so viel Leben wie auf diesen Friedhöfen , wenigstens nicht für einen Menschen der Erinnerung , dem alles Große und Schöne der Vergangenheit lebendig war .
Freilich : die Größten dieses Volkes ruhten im " Pantheon " ; in diesen schweigend beredten Gärten aber las er : Berlioz und Murger , Jules Simon und Dumas fils , Zola und Vernet , Daudet und Tiers , Béranger und Renan , Musset und Massena , Balzac und Ney , Beaumarchais und Delacroix , Gautier und Rossini , Chopin und Talma , Marschall Lannes und Cherubini usw. usw.
Mit einem dankbaren Lächeln aus fernen , fernen Tagen stand er am Grabe Aubers , der " Maurer und Schlosser " geschrieben hatte , die erste Oper , die er als sechsjähriger Knabe gehört , und " Die Stumme von Portici " und " Fra Diavolo " und " Des Teufels Anteil " und wie die klingenden Köstlichkeiten alle hießen , und ganz eingesponnen in Frohsinn und Wehmut , Dankbarkeit und Zauberklang , stand er im Musiker- und Dichterwinkel ( mit dem raffiniert verwahrlosten Grabe Delilles ) vor dem Grabstein Boieldieus .
Hier also ruhte der Staub des Mannes , aus dessen Haupte " Die weiße Dame " entsprungen war , diese Musik , die wie Millionen klingender Maiglöckchen durch manchen Sonnentag seiner Kindheit gerieselt war .
Wenn er solche Musik im Ohr hatte oder am Grabe Adams das Lied des " Postillons " hörte , dann sagte er sich als ehrlicher Deutscher :
Das machen wir ihnen nicht nach .
Warum denn auch ?
Sie machen uns andere , größere Dinge nicht nach .
Eine Nation kann so wenig alles machen , wie ein Mensch alles machen kann .
Wenn die Menschheit nicht so entsetzlich verblendet wäre , würde sie daraus schließen , daß nach dem Willen der Natur die Völker sich ergänzen , nicht aber einander zerfleischen sollen .
Die Franzosen konnten uns auch den Heinrich Heine nicht nachmachen , der hier unter den Großen des Montmartre ruhte , konnten es nicht , obwohl sie ihn halbwegs als einen der ihrigen beanspruchen .
Es ist eine schöne Sitte geworden , daß man am Grabe des Atta Troll- und Bimini-Sängers seine Visitenkarte niederlegt .
Auch Asmus legte eine Karte nieder und wußte . daß sein Besuch angenommen werde .
Denn er verstand die Seele dieses Dichters besser als mancher andere und hatte redlich versucht , ihn aus einem wüssten Getümmel von Torheiten und Gehässigkeiten herauszuhauen .
Dieser Heine hatte schon 1840 die Franzosen eindringlich gewarnt , die schlummernde Riesenkraft Deutschlands zu unterschätzen , und hatte eine Auferstehung der deutschen Volksseele prophezeit .
In den Zeiten tiefster nationaler Trübsal das deutsche Wesen mit so sicherem Blick und mit so froher Hoffnung erkennen , dazu gehörte mehr deutsches Herz als zu einem patriotischen Trinkspruch nach 1870 .
Und wer einen beginnenden Hebbel verstand und von einem Hebbel verstanden wurde , wer sich so gründlich in die Herzen Franz Schuberts und Robert Schuhmanns hineinsingen konnte , der mußte deutsch und ein Mensch und - ein verteufelt guter Musikant gewesen sein .
Auch vor den Skulpturen des Luxembourg-Museums sagte sich Asmus :
In allem , was Zartheit , Delikatesse , Anmut , Grazie in Heiterkeit und Ernst verlangt , sind sie unerreichbar , wenigstens unübertrefflich .
Wie solch ein französischer Bildhauer zwei Geschwister Wange an Wange schmiegt , wie die Muse des André Chenier das abgeschlagene Haupt des Dichters in ihre Locken hüllt und es küßt , wie ein Roden den " Gedanken " aus der formlosen Maße heraus sich formen läßt , daß man , wie lange man auch davor stehen mag , immer ein Werden , immer ein Werden sieht und das Gesetz , daß die bildende Kunst nur ein Beharrendes darstellen könne , aufgehoben erscheint , das alles ist von einer Feinheit , die uns Deutschen bitter schwer wird , wenn wir sie überhaupt jemals erreichen .
Aber was tut's ?
Dafür machen sie uns unseren Bismarck nicht nach , weder den von Fleisch und Bein , noch den steinernen von Lederer .
Er hielt aber auch Augen und Ohren weit genug offen , um die mannigfachen Beweise greulicher Unkultur in dieser " Stadt des Lichts " wahrzunehmen , z. B. die weit verbreitete Unsauberkeit , die millimeterdicke Bemalung der Damenangesichter , die einem Deutschen von Geschmack ganz unbegreiflich ist , die widerwärtigen Anpreisungen der Ärzte in den Anstandsorten , die einem deutschen Arzte auf der Stelle seine berufliche und gesellschaftliche Stellung kosten würden , den entsetzlichen Boulevard-Radau , von dem Asmus nicht verstehen konnte , daß ein gebildetes Volk sich ihn gefallen ließ .
Dieser Höllenlärm bestand vor allem in dem tierischen Gebrüll der Zeitungsverkäufer , die offenbar eine Ehre darein setzen , sich nie zu waschen , und bei denen Asmus grundsätzlich nicht wechselte , weil er eine Heidenangst davor hatte , Geld aus ihren Händen entgegenzunehmen .
Einer von diesen " Kamelotts " aber versöhnte ihn fast mit den anderen .
Es war ein junger Bursche mit einer Fripon-Visage , und er schrie mit dem spitzbübischsten Lächeln von der Welt in einem fort :
" L' Intransigeant !
La Presse !
Vive le Roi !
Vive la Reine !
Vive la République ! "
In jenen Tagen nämlich waren das englische Königspaar und englische Diplomaten in Paris zum Besuch - vielleicht wurde eben in jenen Tagen das Schlußsiegel unter das schändlichste Bubenstück der Weltgeschichte gesetzt - und der muntere Junge mit dem jugendlichen Voltairregesicht verspottete mit seinem beißenden Epigramm diese " Republik " , die ihre eigenen Fürsten entthront hatte , um sich von fremden Königen und Russenkaisern regieren zu lassen .
" Vive la Reine ! " rief auch ein eleganter Pariser , als König , Königin , Herr Poincare und die sie umschwärmenden Kürassiere längst vorübergejagt waren und eine unzweifelhafte Kokotte , majestätisch in den Wagen zurückgelehnt , gefahren kam .
" Vive la Reine ! " rief der Symbolik und lachte , und die Gefeierte lachte , und die Menge lachte .
Man nahm auch das auswärtige Königtum nicht pathetisch .
Man nahm auch die Kammerwahlen nicht pathetisch , die gerade in jener Zeit stattfanden .
Zwar stand auf einigen Plakaten zu lesen , daß Bismarck gedroht habe , Frankreich in einem abermaligen Kriege zum Weißbluten zu bringen , und daß man deshalb natürlich einen Mann der Militärpartei wählen müsse ; aber obwohl Asmus , der Prussien , sich immer wieder unter die Lesenden mischte , um die Wirkung festzustellen , bemerkte er nie ein Zeichen der Erregung .
Auch am Tage der Wahl benahm sich das Paris der Boulevards nicht anders als sonst , und wenn die Zeitungsverkäufer , je nach ihrer " Überzeugung " , riefen : " Monsieur Cailleau elu ! " oder " Monsieur Cailleau battu ! " , so lachte man oder nahm keine Notiz davon .
Überhaupt stellte Asmus fest , daß dieses temperamentvolle Volk sich unerhört ruhig benahm ; vor einem Café in der Rue Royale sitzend , ließ er stundenlang die Bevölkerung von Paris , die die festliche Illumination besichtigte , sechs Mann tief an sich vorüberziehen , einen unabsehbaren Menschenstrom , und nirgends bemerkte er einen Lärm oder eine Ungebühr ; überhaupt zeigten diese Pariser bei Ansammlungen außerordentlich viel Erziehung .
Sie haben Zivilisation , fabelhaft viel Zivilisation ; aber das Naturell ist ganz anders .
Im Theater machte er eine seltsame Beobachtung .
Die lieblichsten Schauspielerinnen , die die Verse Molieres und Corneilles wirklich mit berückender Süße hervorflöteten und in Erscheinung und Spiel wahrhaft wie Engel waren - sobald sie den Zorn darstellten , waren sie sogleich , ohne allen Übergang , Megären !
Was zwischen Engelsruhe und Furienwut liegt , schien ihnen unbekannt .
Es fiel Asmussen ein , daß sie den Zorn colère nennen und daß das vom griechischen Kohle oder Cholos. d. h. " Galle " , kommt .
Gallisch ist gallig .
Den edlen Zorn , den Herzzorn , der noch der Gerechtigkeit fähig bleibt , kennen sie nicht .
Wer Marianne mißfällt , dem springt sie mit langen Nägeln in die Augen .
Das gute Kind ist jahrhundertelang gründlich verzogen worden , weil es so hübsch und so begabt war .
Im Kloster hat sie dann ein gesittetes Betragen angenommen , und in Gesellschaft weiß sie sich charmant und fein zu bewegen ; aber wenn etwas nicht nach ihrem Kopfe geht , ist sie eben doch noch die alte , ungebärdige Range .
Manchmal bedarf es harter Schicksalsschläge , bis in solchen Mädchen das Herz geweckt wird . -
Im Amphitheatre Descartes der Sorbonne hielt Asmus seine beiden Vorträge .
Es ging hochfeierlich her : ein Membre de l' Institut führte ihn auf das liebenswürdigste ein , und die deutsche Botschaft und das deutsche Konsulat hatten ihre Vertreter gesandt .
Wohl sah Asmus einigen Gesichtern an , daß ihre Träger das Deutsche für zu leicht gehalten hatten und nicht folgen konnten ; aber die überwältigende Mehrheit verstand ihn offenbar vorzüglich ; man mußte wirklich im Deutschen sehr fleißig gewesen sein .
Die Versammlung setzte sich aus Professoren , Studenten , Schulen , Pensionaten , Mitgliedern der deutschen Kolonie und anderen zusammen .
Als er auf seine Gedanken und Bestrebungen zur Frage des internationalen Friedens zu sprechen kam , sagte er :
" Ich bin noch immer der Meinung , daß die Völker von sich aus nicht daran denken , einander zu hassen und zu überfallen , daß der Nationalitätenhaß , wo er sich zeigt , immer das Erzeugnis interessierter Hetzer ist " - da brauste ein Sturm der Zustimmung durch den Saal , daß er minutenlang nicht weiterreden konnte , und Asmus Semper war tief , tief glücklich .
Es konnte ihn in seinem Glauben an die langsame und endliche Aussöhnung der Völker auch nicht beirren , daß er , als er das Grab Napoleons im Invalidendom besuchte , ebendort am Sarkophag des Marschalls Turenne einen jüngst " von der Schuljugend " aufgehängten Kranz mit einem Ausspruch des Marschalls fand , der also lautete :
" Kein Krieger Frankreichs darf in Ruhe bleiben , solange es noch einen Deutschen im Elsaß gibt . "
Er mußte lächeln über die echt französische Naivetät , einen solchen Spruch von dem ersten Verwüster der Pfalz gerade in der Grabkirche desjenigen Franzosen aufzuhängen , der mit der Gewissenlosigkeit des Eroberers grenzenloses Elend und tiefste Erniedrigung über Deutschland gebracht hatte .
Die Behauptung , daß das die Gesinnung " der Schuljugend Frankreichs " sei , nahm er für die großsprecherische Lüge einer hetzenden Minderheit , die nicht mehr die Oberhand gewinnen werde .
Er wurde in diesem Gefühl noch bestärkt bei seiner zweiten Vorlesung .
Wenn nämlich der Saal bei seiner ersten Vorlesung voll gewesen war , so war er bei seiner zweiten Vorlesung sozusagen zweimal voll , weil die Menschen schier aufeinander saßen und in allen Winkeln standen , und Asmus sah über dem Köpfegewimmel ein großes Völkererwachen gleich einem jungen Morgenrot heraufsteigen .
Und im Herbst sollte er nach Amerika hinüberkommen , sollte den nach dort verschlagenen deutschen Brüdern deutsche Art und Dichtung ins Herz zurückrufen und im Lande des Dollars dazu helfen , daß auch übers Weltmeer hinaus die Seelen der Völker sich fanden !
War es keine Lust , in solcher Zeit zu leben ?
War es nicht mehr als Lust , war es nicht Glück , Seligkeit , Triumph des Menschengeschlechts ? -
Nach Asmussens Vorträgen hatte ein Franzose zu einem Deutschen gesagt :
" Wenn dieser Herr Semper in Toulouse geboren wäre , so wäre er bei uns ein Jaures geworden . "
Jean Jaures war ein Mann , der über die Grenzen Frankreichs hinaussah , der das Recht liebte und Deutschland kannte und Frieden mit Deutschland wollte .
Jean Jaures aber wurde zwei Monate darauf von einem Meuchelmörder erschossen , weil er den Meuchelmördern im Wege war. LXX. und letztes Kapitel .
Die große Erneuerung .
An einem sonnenreichen Sommersonntage kehrte Asmus mit Globendorf , Rosenberg und noch vier anderen Freunden von einer gesegneten Fußwanderung zurück .
Sie waren durch Wald und Heide gestreift und wollten nun in einem Altenberger Gasthause ihrem fröhlichen Hunger und seligen Durste Genüge tun , als ihre Blicke plötzlich durch einen Anschlag an der Tür des Gasthauses festgehalten wurden .
Der österreichische Thronfolger und seine Gattin waren in Sarajewo von Serben ermordet worden .
Aus dem klassischen Ländlein des Schmutzes , des Mordes und der Frechheit , das von einer Mörderdynastie " regiert " wurde , war wieder einmal eine Bombe ins europäische Konzert geflogen .
Jedermann in Europa wußte , daß diese Bombe ein Schlag auf der großen Trommel war , die Rußland spielte ; jedermann wußte , daß die Pflanze der serbischen Frechheit nur deshalb so üppig gediehen war , weil Väterchen sie begoß und besonnte , und jedermann sagte sich , daß dieses scheußliche Verbrechen ein folgenschweres Ereignis sei ; aber keine deutsche Seele ahnte , daß es für das Vaterland den Krieg bedeuten könne .
Seit mehr als zwanzig Jahren hatte Asmus sein Vaterland nach allen Richtungen und bis in die fernsten Winkel durchreist , war er mit breiten Schichten des Volkes wie auch mit seinen geistigen Führern in lebendigste Berührung getreten , und vor jedem höchsten Richter konnte er bekennen und beschwören , daß er nie und nirgends etwas wie eine feindselige kriegerische Stimmung gegen irgendein Land und Volk der Erde bemerkt hatte .
Wohl wußte man , daß die Regierungen in Frankreich und Rußland dem Deutschen Reiche nicht wohlwollten ; es hätte eine einzige Blindenanstalt sein müssen , wenn es das nicht bemerkt hätte ; man traute auch England nicht immer , obschon weit mehr als jenen beiden , und man wußte , daß man gut gerüstet sein müsse ; im übrigen aber wollte man in Ruhe und Behagen Schätze des Geistes und der Börse sammeln und genießen wie bisher ; ja , man liebte das ungestörte Behagen und die Schätze der Börse eher zu viel als zu wenig .
Und gewiß : wie es in jedem Lande Irrsinnige gibt , so gab es auch in Deutschland ein Häuflein , das " die Welt erobern und beherrschen " und das zweifelhafte Glück und unzweifelhafte Unglück des " Imperiums " über sich und die Welt bringen wollte ; aber sie hatten bei dem rechtlichen Sinne der Deutschen , ihrer Fürsten und Staatsmänner niemals Gehör gefunden , am wenigsten - wenn es überhaupt einen Unterschied gab - bei dem obersten Herrn dieses Volkes , den sein angeborener Seelenadel vor dem Verbrechen eines Napoleon unfehlbar bewahrte .
Es kam das österreichische Ultimatum an Serbien , kam die österreichische Kriegserklärung , kam die Kunde von des guten russischen Nikolaus heimtückischer Mobilmachung , ja es kam der Tag , da die deutsche Mobilmachung befohlen wurde , und noch immer glaubte und wünschte jedermann im deutschen Volke , daß der Friede erhalten bleibe ; jedermann sagte sich tröstend :
Mobilmachung ist noch nicht Krieg .
Ein schlummerndes Kind kann durch einen Kanonenschuß nicht jäher aus dem Schlaf gerüttelt werden als dann Deutschland durch das Erkennen : der Krieg ist unvermeidlich , der Krieg nach zwei Fronten zugleich .
Dann kam das Schlimmere :
England erklärte den Krieg .
Nicht das Schlimmere , weil es die Gefahr vermehrte , o nein !
Bis dahin hatten Schmerz , Trauer und Grauen Asmussens Herz umklammert ; nun kam Schrecklicheres : der Ekel .
Es war der furchtbarste Ekel , den er je in seinem Leben empfunden hatte .
Dieser Schauder preßte sein Herz in einen Schraubstock , entsetzlicher , schmerzhafter , als je eine Sorge , ein Kummer , eine Angst , eine Trauer es beklemmt hatte .
Hier war die gemeinste Tat , das furchtbarste , langarmigste Verbrechen eines Volkes , einer Regierung , eines Menschen seit Anbeginn der Welt .
Die Lüge , daß England um das Recht eines anderen Volkes Willen die Waffen ergreife , konnte nicht einmal in England geglaubt werden .
Also hatte es den Krieg gewollt , hatte es selbst ihn angezettelt !
Eduard der Siebente , der den deutschen Kaiser geküßt und verraten hatte , hob seinen Kopf aus dem Sarge und grinste .
Wieder einmal wollte England stehlen , und wieder , wie immer , zeigte es auf einen anderen und rief :
Der will stehlen !
Asmus erfuhr die englische Kriegserklärung erst am folgenden Morgen ; Hilde brachte ihm die Kunde ins Schlafzimmer .
Sie gingen hinunter und schmückten den Geburtstagstisch für Gesina .
" Mein armes Mäuschen , " sagte Asmus , " du hast diesmal keinen allzu frohen Geburtstag . "
Da stürzten die zurückgedrängten Tränen aus den guten , goldenen Augen des Kindes , und es warf sich schluchzend an den Hals des Vaters .
Er küßte ihr die Augen und sagte : " Laß gut sein .
Die Engländer haben für jedes ihrer Verbrechen einen Bibelspruch bereit .
Ich weiß auch einen Bibelspruch :
» Die in Tränen säen , werden in Freuden ernten . «
Komme an deinen Tisch und freue dich . "
Seitdem Hans Thanatos jene Visitenkarte bei ihm abgegeben hatte , fühlte sich Asmus Semper nicht mehr in der Lage , den Helm aufzusetzen , den Säbel umzuschnallen , Tornister und Mantel aufzupacken , die Flinte auf die Schulter zu nehmen , 200 Patronen einzustecken , zehn Pfund Stiefel anzuziehen und dann Sturm zu laufen .
Nie zuvor hatte er das Älterwerden tragisch genommen ; nun zum ersten Male wünschte er bitterlich :
O wärst du jung !
Er hatte sonst die Kunst des Lebens darin gesucht , die Dinge , die das Schicksal ihm brachte , nach seinem Wunsch und Willen zu formen , und manchmal war es ihm wohl gelungen - hier war ein Ding , das ihn formte .
Formte ?
Nein , ihn vernichtete , zerrieb und zerblies .
Er kam sich vollends nutzlos , wertlos , wie ein unnützer Ballast der Menschheit vor .
Was ist in solcher Zeit der Tat ein Mann , der schreibt !!
Erst als er Briefe aus dem Felde erhielt , Briefe von völlig Unbekannten , die ihm von der Wirkung seiner Bücher schrieben , kehrte ihm langsam so viel Selbstgefühl zurück , wie man braucht , um leben zu können ; er atmete ein wenig freier und dachte : Gott sei Dank !
Also doch nicht ganz nutzlos , nicht ganz wertlos !
Und wenigstens in einem Menschen war er auch jetzt noch jung und stark : sein Wolfram war zum Studenten und Offizier herangewachsen .
Als er zu kurzem Abschied von der Universität in die Heimat stehenden Fußes heraufgefahren war -
denn einen Sitzplatz hatte es nicht mehr gegeben - und mit der schönen Leistungsfähigkeit der Jugend stehenden Fußes " ganz gut " geschlafen hatte , da zeigte sich , daß er für den großen Augenblick den vollen Ernst und den vollen Humor hatte .
Als seine Mutter ihm den Koffer packte und erwog , ob auch Schnupftücher genug darin seien , da sagte er - und auf den Zügen des Schlingels erschien gespenstisch deutlich das Lachen seines Großvaters Ludwig Semper - : " Ach was , Mutter , darum sorge dich nur nicht .
Wenn sie nicht reichen , nehme ich ' ne englische Fahne . "
Und brachte seine Mutter in weher Stunde zum Lachen , wie es sich für einen Semper gehörte .
" Was wird nun aus unserer schönen Reise nach Sylt ? " rief der Junge lachend .
" Ich muß ja in eine ganz andere Richtung ! "
Da nahm Asmus ein Buch , das er seinem Jungen auf die Reise mitgeben wollte , und schrieb hinein :
" Freuden , die sich dir heute verschließen , Morgen wirst du sie doppelt genießen .
Bald blickst du lächelnd auf heute zurück :
Alles wird einst Erinnerungsglück . "
Als dann der Abschied kam und sie das letzte Winken des Scheidenden sahen und er sie nicht mehr sehen konnte , da weinten die Schwestern und weinte die Mutter , und als er sie weinen sah , brach Asmussen eine einzige Träne aus dem Augenwinkel .
In seinen Jahren und nach seinen Erfahrungen weint ein Mann nur noch schwer , weil er fühlt , daß man sich härten muß , wenn man das Leben durchhalten will .
Aber eine Träne in diesen Jahren brennt so gut wie tausend Jünglingstränen .
Und als er folgenden Tages einen Trupp junger Mannschaften mit Gesang zum Bahnhof ziehen sah , da entblößte er sein Haupt vor diesem heiligen Lenz , und auf seine Lippen drängte sich - obwohl er an einen Schöpfer glaubte , der die Welt vollkommen geschaffen und nicht nötig hatte , bessernd in ihr Schicksal einzugreifen - auf seine Lippen drängte es sich unbezwinglich :
" Gott schütze euch ! "
Und eine Träne trat ihm ins Auge , so gut wie die um seinen Sohn .
Er ging ins Parkhotel zurück , wo er mit den Seinen ein paar goldene Wochen am Herzen der Elbe zu verbringen gehofft hatte , setzte sich auf den Balkon und schaute stundenlang auf die Wellen , die nicht ein einziges Schiff mehr trugen .
Die große Mutter hatte alle ihre Kinder verloren .
Was tut eine Mutter , die alle ihre Kinder verloren hat ?
Sie starrt seelenlos , regungslos ins Leere , und niemand weiß , ob sie tot ist oder lebt ; sie selber weiß nicht , ob sie tot ist oder lebt .
Die Augen seiner großen Mutter starrten verglast - war es wirklicher Tod ? war es Scheintod ? -
Asmus ging mit den Seinen zu einem Konzert in der großen Michaeliskirche zu Hamburg und hörte Luthers " Feste Burg " in Johann Sebastian Bachs königlicher Bearbeitung .
Da schwoll der Sturm der Zeit zusammen mit dem Sturmswehen ewiger Geister und sang : " Und wenn die Welt voll Teufel wäre
Und wollte uns gar verschlingen , So fürchten wir uns nicht so sehr , Es soll uns doch gelingen ! "
Und Asmussens Herz wuchs und wuchs in seiner Brust , und er dachte bei sich :
Was weinst du , Herz ?
Du darfst Großes fühlen und ahnen , und Größe ist Glück .
Es gibt kein tröstlicheres Glück als Wachsen . - - - Sehr schnell kam dann der Tag , da Asmus am Bahnhof vor einem Anschlag stand und mit weit aufgerissenen Augen drei Minuten lang zwei Worte las : " Lüttich gefallen . "
Er dachte so heftig über dieses Ereignis nach , daß er erst durch einen sanften Puff bewogen werden mußte , den neu Herzudrängend Platz zu machen .
Und gar nicht lange dauerte es , bis es in holder Morgenfrühe leise ans Schlafzimmer klopfte und auf das halbwache " Herein " das freundliche Näschen Leonardas hereinschaute wie ein guter Morgentraum und sagte : " Die Deutschen sind in Brüssel . "
Tags zuvor hatte auch die jüngste Semperin ein eigenartiges Geburtstagsgeschenk bekommen :
Der japanische Kaiser und Edelmann hatte erklärt , daß er in Abwesenheit des beschäftigten deutschen Hausherrn sich leider veranlaßt sehe , bei ihm einzubrechen , wenn er nicht vorziehe , sich einer Erpressung zu fügen .
Aber jetzt erweckten Kriegserklärungen in Deutschland nur noch ein grimmiges Lachen , und die deutsche Regierung antwortete dem gelben Geschäftsträger des östlichen Insulargauners mit einem lässigen Fußtritt .
Nein , es zeigte sich jetzt viel Schlimmeres als Kriegserklärungen , und Schmutzigeres , noch tausendfach Ekelhafteres als die englische Kriegserklärung , stieg immer sichtbarer , immer schreckenerregender aus dem Abgrund .
Deutschland mußte erkennen , daß es seit vielen Jahrzehnten bekriegt wurde , ohne je eine Kriegserklärung empfangen , ohne eine Ahnung von seinem schleichenden Feinde zu haben .
Wie es Asmus Semper in seinem Einzelleben erfahren und erkannt hatte , daß man ihm den Hauch seines Mundes von der Lippe wegstahl und mit stinkender Lüge vertauschte , so erkannte es jetzt Deutschland , erkannte er selbst es in ungeheurer Vergrößerung , daß man der deutschen Seele , sobald sie die deutsche Grenze überflog , den Hauch vom Munde stahl und in stinkende Lüge verkehrte .
England schnitt Deutschland alle Kabel ab , damit seine Stimme nicht zu anderen Völkern reden könne ; aber das war nur ein kleiner Bubenstreich ; längst , längst hatte die Verleumdung das deutsche Volk von allen Seiten eingekreist , und aus allen Winkeln der Welt spie der Haß gegen das deutsche Land .
Aus allen Winkeln der Welt schrie die furchtbare Lehre :
" An die Stelle der Tat ist der Bericht getreten .
Die Tat ist nichts mehr ; der Bericht ist alles . Euch hilft kein hochgesinnter , ritterlicher Kaiser und Fürst , euch hilft kein kluger und gewissenhafter Staatsmann , euch hilft kein genialer Feldmarschall , euch hilft kein starkes , todesmutiges Heer , euch hilft kein treues , opferfreudiges Volk , euch hilft keine Lauterkeit und Tüchtigkeit , euch hilft keine Kultur , euch helfen keine Helden des Geistes , keine Großtaten der Wissenschaft und Kunst , so lange in der Schreibstube irgendeines Blattes oder irgendeiner Telegraphenagentur ein beliebiger Schurke sitzen , über all eure Taten und all eure Helden einen dicken Strich machen und an ihre Stelle den Dreck seiner Seele setzen darf .
Ihr habt eine unvergängliche Dichtung , die heißt " Faust " , und an ihrem Ende wird die Tat als das Beste des Menschen , als die Befreiung des Menschen verherrlicht .
Aber das ist längst nicht mehr wahr : die Tat ist nichts mehr ; der Bericht ist alles .
Sei mehr als Cäsar und Alexander , sei mehr als Beethoven und Goethe , sei mehr als Kopernikus und Galilei und türme Taten des Schwertes und des Geistes aufeinander wie den Ossa auf den Pilion - es nützt dir nichts , wenn du den kleinen Halunken nicht bezahlen kannst oder willst , der an der Druckmaschine und am Morsetelegraphen sitzt .
Er knetet die Welt , und wehe dir , wenn du ihn störst , er verschüttet dich unter Strömen von Geifer und Gift .
Kannst du aber zahlen , dann darfst du der Lump aller Lumpen sein :
er macht schon einen Heiland aus dir .
Ihr habt dergleichen Brunnenvergiftung genannt ; aber das ist ein lächerlich-kraftloser Vergleich .
Ein vergifteter Brunnen kann eine Ortschaft töten , dieses Gift mordet die Welt .
Du hast das gelegentlich wohl gemerkt oder geahnt , meine liebe Menschheit , aber du läßt dich immer wieder belügen und immer wieder belügen ; denn du glaubst , was gedruckt ist .
Wenn du den Mann kenntest , der solche Dinge in die Welt telegraphiert und schreibt , so würdest du ihn des Anspeiens nicht für wert befinden ; aber was er drucken läßt , das glaubst du .
Du erwiderst mir freilich :
Lügen haben kurze Beine .
Gewiß haben sie das ; aber wenn eine Armee von Lügen sich tot gelaufen hat , ist schon eine neue wieder nachgeschoben ; diese Rekrutierung nimmt nie ein Ende ; diese Reserven sind unerschöpflicher als alle Hilfsquellen des Russenreiches , und wenn die alten Lügen tot sind , glaubst du die neuen .
Und wenn du auch tief überzeugt sein darfst , daß eine wirkliche Tat , ein wirkliches Werk und ein wirklicher Held nicht für ewige Zeiten auszulöschen sind - das ist ja das größte Wunder der Welt ! -
bis sie ihre Auferstehung erleben , verrinnen Wochen , Monde , Jahre , Jahrhunderte , und inzwischen ist ungeheures , nicht wieder gut zu machendes Unheil geschehen .
Fass es endlich in Auge und Herz , o Menschheit : die furchtbarste Umwälzung in deiner Kultur , die tiefste Vergiftung der Menschenwelt ist vor sich gegangen : an die Stelle der Tat ist der Bericht getreten , und das wird dein bestes , echtestes Teil ermorden : die Tat .
Denn sieh :
Es bedarf ja keiner Tat und keiner Leistung mehr ; nur eins ist Not : Geld , um den Schein der Tat , den Schein der Kraft , den Schein der Tugend zu erkaufen . "
Alle Völker vereinigten sich im Haß gegen Deutschland , selbst die kleinsten und erbärmlichsten , mit wenigen , um so ruhmreicheren Ausnahmen .
Wohl die zermalmendste Stelle in Bachs Matthäuspassion ist die , wo Pilatus die Menge fragt , ob er Jesus losgeben solle oder Barrabas , den Straßenräuber .
Und Chor und Orgel und Orchester brüllen - nicht hundert , nicht tausend , nein millionenstimmig , so schien es Asmussen , heulen sie : " Baaa-rrrra-bam !!!! " , und jedesmal , wenn er das hörte , wollten ihm die Augen schier verbrennen und das Herz zu Stein gefrieren .
Wieder hatte die Passion der Welt diese Stelle erreicht : " Baaa-rrrra-bam !!! " heulte es aus allen Abgründen der Menschheit .
Woher kam dieser Haß ?
Die Deutschen hatten Fehler und Mängel , selbstverständlich .
Warum sollten sie auch makellos sein wie die Briten ?
Niemand kennt die Fehler des Deutschen besser als der Deutsche ; denn niemand ist ja kritischer gegen sein Volk als er .
Asmus Semper hatte die Fehler seines Volkes am eigenen Leibe deutlich genug gespürt und konnte solcher Fehler genug an sich selber entdecken , wenn er die Augen aufmachte .
Aber des deutschen Volkes größtes Verbrechen war seine Kraft und sein Glück .
Daß Englands Faust auf der Welt lastete , das war kein " Imperialismus " ; sein Marinismus war kein " Militarismus " ; das alles nahmen die kläffenden Völker hin mit Hundedemut .
Warum ?
Weil sie es seit Hunderten von Jahren nicht anders kannten .
Der große deutsche Dichter , der Gedankengewaltige , kannte sie :
" Das Jahr übt eine heiligende Kraft ; Was grau vor Alter ist , das ist ihm göttlich .
Sei im Besitze , und du wohnst im Recht , Und heilig wird es die Menge dir bewahren . "
Das war_es .
Deutschlands Glück und Ruhm aber zahlte erst nach Jahrzehnten .
Es war ein Emporkömmling , und keiner wird mehr gehaßt als der Emporkömmling , dessen Armut und Kleinheit die Lebenden noch gesehen , mag er auch durch nichts emporgekommen sein als durch ehrlichste Kraft .
Die noch über ihm stehen , sehen ihn mit neidischem Grauen näherkommen ; die anderen knirschen , weil ihnen nicht gelungen ist , was ihm gelang .
Und noch eine dritte Eigenschaft machte Deutschland verhaßt außer seiner Kraft und seinem Glück : seine Gastlichkeit .
Es war gegen jedermann gastfreundlich , allzu gastfreundlich ; es schlug nicht aller Welt mit der Boxerfaust ins Gesicht wie John Bull ; es imponierte also nicht .
Asmus sagte das einem belgischen Dichter , der in einem gereimten Machwerk der Welt erzählt hatte , daß die deutschen Soldaten , sonderlich die Ulanen , mordeten , sengten und brennten , unschuldige Greise erschössen , Seidenzeug und Schmucksachen stählen , Jungfrauen und Mütter schändeten und ihnen die Brüste abschnitten , abgehackte Kinderfüßchen bei sich trügen und überhaupt Sadisten wären .
Er schrieb ihm offen vor aller Welt :
" Ich möchte Ihnen bemerken , daß die Heimat des Sadismus Frankreich heißt , daß das Scheusal de Sade ein Franzose war und also der Kulturnation Angehörte , der entartete Germanen wie Sie ihr Herz schenken .
Sie tun gut , für die Erzählung , daß deutsche Soldaten gestohlen und Weiber und Kinder verstümmelt , harmlose Greise hingemordet hätten , als Zeugen die Sonne anzugeben ; denn Sie dürfen ja sicher sein , daß dieser Zeuge auf die Vorladung einer internationalen Untersuchungskommission nicht erscheinen und Ihnen das Brandmal der Lüge auf die Stirn brennen wird .
Jedes Volk weist vereinzelte Bestien auf , und wenn eine solche Bestie sich unbeobachtet weiß , warum sollte es unmöglich sein , daß sie Greuel beginge ?
Dergleichen Scheußlichkeiten sind ja kein ausschließliches Vorrecht Ihrer Franktireurs und Ihrer kosakischen Freunde .
Aber daß die deutsche Heeresdisziplin dergleichen Dinge vollkommen ausschließt , das wissen Sie so genau wie ich !
Ich nehme an , daß Sie zunächst der Belogene waren .
Aber das entschuldigt Sie nicht , entschuldigt Ihre Herren Gesinnungsgenossen in anderen Ländern nicht .
Sie und alle diese Gentlemen kannten deutsche Art und deutsche Bildung hinreichend gut ( auch Sie genossen ja deutsche Gastfreundschaft , lasen Ihre französischen Gedichte vor und fanden Beifall ) ; Sie alle kannten die Ehrfurcht des Deutschen vor Frauen und Kindern gut genug , um beim Anhören solcher Tatarennachrichten zu stutzen und sich tausendmal zu vergewissern , ob sie auch wahr seien , bevor Sie sie zu " Gedichten " einmachten oder zu Protesten verarbeiteten .
Sie und die genannten Herren gehören ja nicht zu den zehn Prozent Analphabeten der belgischen Kulturnation .
Sie zweifelten nicht an jenen gemeinen Lügen , weil Sie nicht zweifeln wollten , und Sie wollten nicht zweifeln , weil Sie uns im verstecktesten Winkel Ihres Herzens hassen .
Und warum hassen Sie uns ?
Um unserer vielfach überlegenen Kraft Willen .
Aber nicht um deswillen allein .
Sie hassen uns mit solcher Verbissenheit , weil wir zur Kraft die Gutmütigkeit fügen .
Zeigten wir Ihnen die Kraft der Knute , wie der Russe , so würden Sie vor uns auf dem Bauche rutschen ; vereinigten wir mit unserer Kraft den Größenwahn des Galliers oder die Dummdreistigkeit des Briten , so würden Sie uns umwerben ; aber weil wir stark und freundlich , mächtig und gastlich zugleich sind , deshalb gewinnen Sie uns gegenüber immer wieder die Frechheit , uns zu beschimpfen , deshalb glauben Sie , uns den schuldigen Dank in Nasenstübern bezahlen zu können , in der leider begründeten Meinung :
Der deutsche Tölpel läßt sich alles gefallen , was vom Auslande kommt .
Und so nahmen Sie willig die Lüge für Wahrheit .
Ich aber sage Ihnen :
Wer Frauen und Kinder verstümmelt , ist ein furchtbarer Verbrecher ; ein gefährlicherer Verbrecher aber ist der leichtfertige Verbreiter ruchloser Lügen , die die Gemüter der Nationen bis in den Grund vergiften . "
Woher aber kam der meiste Schmutz geflogen ?
Aus dem züchtigen England .
Und gegen wen wurde er am reichlichsten geschleudert ?
Der Dumme haßt am wildesten den Geist , der Schurke die Lauterkeit .
Der Niedrigste schießt mit grinsender Wollust nach dem Höchsten .
Und so versprühte England seine geilste Wut gegen den Mann , der Deutschland aufs Meer gewiesen und dort mit prophetischem Blick seine Zukunft gesehen hatte , gegen Wilhelm den Seefahrer .
Aufs Meer hast du gewiesen , Mit Stürmen ging dein Geist .
Nun wirst du des gepriesen , Da rings der Nebel reißt .
Nun bricht in Gischt und Wogen Der Grimm der Feinde los ; Gelästert und umlogen Ist altes Heldenlos .
Sie mögen dich umgeifern In wahnverwirrter Wut ; Umsonst ist all ihr Eifern , Dein Deutschland kennt dich gut .
Es weiß : Dein Herz und Eisen Sind aller Falschheit rein .
Wohl wird sich es bald erweisen , Und du wirst Sieger sein .
Des Herzens reiner Wille , Der ist das Allerbest ' ; Er führt durch Sturm und Stille Das Ruder frei und fest .
Nicht Not ist , daß wir leben , Seefahren , das ist Not .
Neuland ahoi !
Wir streben Mit dir ins Morgenrot .
In den ersten Tagen des Krieges hatte Asmus nicht essen und nicht trinken mögen , nicht schlafen und kaum atmen können , so schwer hatte das ungeheure Schicksal auf seiner wie auf aller Brust gelastet .
" Wer kann gegen so viele Feinde ?! " -
was war begreiflicher als dieses allgemeine Bangen ?
Aber als er sah , daß Deutschland und sein wackerer Verbündeter dennoch " konnten " , daß nicht nur das alte Pfund noch da war , sondern daß Deutschland mit ihm gewuchert und vierundvierzig Jahre hindurch Zins und Zinseszins und Zins vom Zins der Zinsen gesammelt hatte , da wurde seine Hoffnung fest wie Eisen .
" Liebe , die des Todes Blick bestand , Hebt aus tiefer Flut versunkenes Land " hatte er einst gesungen , und diesen Krieg der Deutschen erfüllte , wie Blut den Leib , bis in die kleinste Tat und Regung eine riesengewaltige Liebe zum Vaterlande , und diese Liebe hob märchenschöne , nie gesehene Seelenreiche aus den Fluten der Vergessenheit .
Dies Volk war ein unsterblicher Gott , was immer auch sein nächstes Schicksal sein mochte , und er schrieb , als man einen Osterspruch zum Jahre 1915 von ihm verlangte :
" Wieder kreischen wilde Pöbelhorden : Deutschland wollen sie am Kreuze morden .
Kann dies Deutschland blutend je vergehen , Dritten Tages wird es auferstehn ! "
Als aber Italien die Bosheit aller Zeiten krönte , da hatte er seine gute Laune längst zurückgewonnen , und wie Hebbels " Meister Anton " rief er :
" Bravo , Lump ! "
Nun mußten Mit- und Nachwelt die Augen aufgehen .
Wenn einer gegen einen kämpft und man nicht weiß , warum , so mag man zweifeln , auf welcher Seite das Recht sei .
Wenn aber zehn über einen herfallen , so weiß man_es , ohne ihren Handel zu kennen :
Mit so pluralisch-feiger Wut werden nur Unschuld und Verdienst gehaßt .
Als er aber erleben mußte , daß allen Siegelwundern zum Trotz Kleinmut und Zagen und deutsche Nörgel- und Mäkelsucht dennoch wieder hervorkrochen , da packte ihn grimmige Lust zu grimmiger Rede , und er rief : " Ihr Kämpfer dort an der Yser und an der Aisne - beeilt euch , vorwärts , vorwärts ; Herr Gutbier wartet auf den endgültigen Sieg !
" Ihr Streiter im Osten , tummelt euch , stürmt , stürmt ; Herr Gutbier wünscht größere Leistungen zu sehen und möchte binnen drei Tagen Warschau , oder noch besser :
Moskau besetzt sehen .
" Herr Gutbier ist nicht waffenfähig , aber dort , wo die Kugeln nicht hintreffen , ein ungemein kluger und eifriger Mann .
" Wenn 100000 Feinde gefangen genommen , hundert Geschütze erbeutet und drei Kreuzer in den Grund gebohrt wurden , dann kann er auf Stunden hinaus sehr wohlwollend gegen Heer und Marine sein , besonders wenn alles an einem Tage geschehen ist .
" Aber wenn es am folgenden Tage nicht 200000 Gefangene , 200 Kanonen ( schweren Kalibers ) und sechs Panzerkreuzer sind , dann kann er auch sehr ungemütlich werden .
Denn er ist ein zwar wohlwollender , aber auch strenger Kritiker .
» Sie werden sehen , « sagt dann Herr Gutbier , » was ich geahnt habe : der Krieg versumpft .
Das Schlimmste , was uns passieren kann !
Was nützt alle Tapferkeit und Begeisterung . wenn die Führung versagt .
Der klug hätte ja schon längst - na ja , ich will nichts weiter sagen .
Den General X. haben sie schon absägen müssen , weil er nichts gekonnt hat .
Na ja , ich meine , das hätte man droben etwas früher merken sollen . «
" Ich glaube , man kennt Herrn Gutbier .
Ich brauche ihn nicht weiter vorzustellen .
Seinesgleichen hat es immer gegeben und wird es auch weiter geben .
" Aber es ist nötig zu fragen :
Haben wir es hier nicht mit einem deutschen Typus zu tun ?
Vereinzelte Erscheinungen solcher Art könnte man verlachen und verachten ; aber sind ihrer nicht recht , recht viele ?
" Ja , ja , leider handelt es sich um einen deutschen Typus : den nie zu befriedigenden Nörgler , den unentwegten Besserwisser und Besserkönner , den Mann mit den unerreichbaren Maßstäben , dessen » scharfe Kritik « sich nur von einem Dinge » wirklich voll und ganz « befriedigt zeigt : von sich selbst .
" Diese Nörgelsucht ist ja vielleicht besser als ihr Gegenteil , als die kindliche Illusionsfähigkeit der Franzosen , die aus einem in Feindesland requirierten Huhn einen feindlichen Flieger macht ; sie ist sicherlich noch erträglicher als das erbärmliche Maulheldentum der Fallstaffsöhne Kitchener , Churchill , Asquith , Curzon und wie die Gentlemen sonst heißen mögen , die sich Trophäen verfertigen aus den Kastanien , die fremde Truppen für sie aus dem Feuer geholt haben .
" Diese Laster sind vielleicht gefährlicher als das deutsche ; aber gefährlich , höchst gefährlich ist auch deine Nörgel- und Krittel- und Verkleinerungssucht , mein gutes deutsches Volk .
" O ja , mein gutes , deutsches Volk , du hast mit dieser Sucht schon manch genialem Plane , mancher kühnen Hoffnung . manchem himmelstürmenden Wollen und Wagen die Flügel geknickt und gebrochen ; das laß dir gesagt sein .
Es hat nicht an deiner Ermutigung gelegen , wenn der Graf Zeppelin durchhielt und triumphierte ; Herr Gutbier hielt nichts von dem » Schwindel « .
" Du warst in den Tagen der Kriegserklärungen und der Mobilmachung sicherlich tief und ehrlich begeistert ; aber schon bald hernach duldetest du Flaumacher und ihre Reden und hörtest ihnen teilnehmend zu .
" Der Deutsche nimmt seine erste Begeisterung immer schnell zurück ; er läßt sich auf den Tausendmarkschein der Begeisterung 900 Mark herausgeben .
Auch 950 .
Er erinnert in dieser Hinsicht an einen Geizhals , der in einer großen Wallung sagt :
» Ich zeichne hundert Mark - oder doch fünfzig - oder sagen wir : zehn . «
" Wenn wir Daheimgebliebenen vorläufig nichts anderes tun können , als von den ungeheuren Taten unserer Brüder und Söhne lesen , dann sollen wir es wenigstens mit grenzenloser Bescheidenheit , mit unerschöpflicher Dankbarkeit , mit siegessicherem Vertrauen , mit unerschütterlicher Geduld und mit nie erlahmender Hilfsfreudigkeit tun .
Ja mit unbezwingbarer Freudigkeit überhaupt .
Die Schlimmsten sind die vorzeitigen Heulmeier , die sich Wunder wie ernst und gefühlvoll dünken , wenn sie Tag für Tag von unseren Verlusten reden und flennen .
Unbegrenzte Ehrfurcht vor den stillen Tränen derer , die einen teuren Gatten , Vater , Sohn oder Bruder beweinen !
Aber die Heulmeier sind gewöhnlich unbeteiligt an den Opfern des Krieges .
Wir wollen jetzt nichts - man wird mich keinen Augenblick mißverstehen - wir wollen nichts wissen von der Zahl unserer Verluste ; wir kennen immer und immer nur eins : Drauf und drauf und vorwärts und vorwärts , bis die Niedertracht Englands in ihrem eigenen Blute erstickt ist .
Mag die Welt in Wettern beben , Bis sie Deutschland fürchten lernte !
Heldentod ist ewiges Leben , Heldensaat ist ewige Ernte .
" Einst , wenn der Feind für immer am Boden liegt , wenn die Früchte des Sieges in die Scheuer gebracht sind und der Tag der tiefsten und innersten deutschen Sammlung gekommen ist , dann , ja dann wollen wir weinen um unsere gefallenen Helden .
Auch der Heldenjüngling von Gadebusch verlangte nichts Besseres , als er sang : » Doch stehst du dann , mein Volk , bekränzt vom Glücke , In deiner Vorzeit heiligem Siegerglanz : Vergiß die treuen Toten nicht und schmücke Auch unsere Urne mit dem Eichenkranz ! «
" Ja , wir wollen an den Urnen unserer Tapferen weinen aus Herzensgrund und -kraft , und wenn wir uns sattgeweint haben , wollen wir wieder jauchzen und jubeln , daß der Schoß unserer heiligen Mutter Germania eine solche Fülle herrlichster Helden geboren hat und künftig gebären wird in unabsehbarer Zeit .
Und dieses Weinen und Jauchzen wird furchtbar sein in den Ohren derer , die künftig unseren Frieden stören wollen ; wenn wir jetzt wimmern und klagen , so ist es unseren Feinden zur Ohrenweide .
" Aus allen Nachrichten , die von der Front kommen , klingt es heraus : unsere Kämpfer mit ihren Führern sind voll siegesgewisser Zuversicht .
" Schämt ihr euch nicht , die ihr hinterm Ofen sitzt , schämt ihr euch nicht unsäglich eurer Ungeduld , wenn sie , die das Schwerste tragen , voll festen Vertrauens und eiserner Geduld sind ?
Vergeßt nicht , daß unser Volk nur ein einziges Herz hat , daß die Adern der draußen Ringenden und eure Adern verbundene Röhren sind , in denen das Blut im gleichen Augenblicke steigt und fällt .
Wenn unsere Helden den Blick zurückwenden nach der Heimat , wollen sie eure Augen lachen sehen , auch wenn Tränen darin stehen sollten - das ist vorab ihr einziger , ihr schönster und ihr verdienter Lohn .
Ihr habt mitzukämpfen ; wenn ihr die Waffen nicht tragen könnt , dann mit allen Fasern eures Hirnes und Herzens , mit jeder guten Kraft eurer Seele .
Es ist ein heiliger Sinn in der Geschichte von Moses , dessen Volk siegte , so lange er die Arme betend erhob , und zurückweichen mußte , sobald er sie sinken ließ .
Betet , was ihr wollt und zu wem ihr wollt ; aber hebt gläubig und sehnsuchtsvoll eure Hände empor zum Höchsten , das ihr kennt , und stützt sie einer dem anderen , wenn sie sinken wollen :
das ist das Geringste , was ihr tun könnt , das ist eure selbstverständlichste Pflicht und ist das Recht derer , die sterben , damit wir leben können . "
Hätte Asmus auch nur ein Fünkchen Talent zur Schadenfreude und Rechthaberei besessen , so hätte er in diesen Zeiten manchem guten Landmann ins Gesicht lachen können , der einst seine Warnungen und Mahnungen verhöhnt und verlacht hatte .
Hundertmal hatte er hingewiesen auf diese eingefleischte Tadel- und Verkleinerungssucht , diesen echt philiströsen Unglauben an das Ungewöhnliche , diese lieblose Herabsetzung des Volksgenossen , die jedes deutsche Verdienst zum Martyrium machte und sich so jämmerlich ausnahm neben der kindischen Bewunderung alles Ausländischen .
Mit rücksichtsloser Deutlichkeit hatte er vor den Deutschen abgemalt : Wurzeln , Stamm , Geäst , Blattwerk , Blüte und Frucht der Lügenpresse .
Nun war der Krieg da : der Sohn des Goldhungers und der Preßlüge .
Jahrzehnte lang hatte er gewarnt vor einer Philosophie , die das Ausland jetzt den Deutschen mit triumphierendem Hohne entgegenhielt als ihre Philosophie .
Sie war nie die Philosophie des deutschen Volkes , sie war nur die von Schreibern und Schreiern gewesen ; sie war eine Gefahr geblieben und war kein Unglück , keine Volkskrankheit geworden ; wäre sie aber die Weisheit der Deutschen geworden , so hätte England fett und fest im Rechte gesessen .
In jenen idyllischen Zeiten , da die Schriftsteller und Journalisten Berlins den belgischen Dichter Maeterlinck mit Festmahl und Jubelreden feierten , hatte dieser Dichter in seinem Antworttrinkspruch erklärt , Frankreich sei gewissermaßen das ästhetische , Deutschland das moralische Gewissen der Kulturwelt .
Derselbe Dichter wollte zwar im Jahre 1914 die Deutschen als eine Mordbrennernation bis auf die letzte Seele auslöschen ; aber als Berlin ihn feierte , fand er , daß Deutschland das moralische Gewissen der Welt sei .
Und Georg Brandes hatte einmal in einem Trinkspruch , bei dem Asmus sein Tischnachbar war , gemeint , die Deutschen seien so " furchtbar moralisch " .
Das war nun freilich insofern ein Tadel , als er meinte , die Deutschen übertrieben die Moralität oder sie brächten sie an Stellen , wo sie nichts zu suchen habe ; aber keineswegs sollte das heißen , daß diese Moralität ein unehrlicher Schein und eine Vorspiegelung sei .
Diesen beiden Ausländern war als das hervorstechendste Merkmal des Deutschen sein moralischer Sinn und Instinkt aufgefallen , und damit hatten beide einen klaren Blick bewiesen .
Nicht umsonst hatten die Deutschen ihren Immanuel Kant zum philosophischen König gekrönt .
Allein mit den letzten zwei oder drei Jahrzehnten war in diesem Punkte eine Wandlung eingetreten .
Gerade von Deutschland aus war jene seltsame Lehre durch die Lande gegangen , daß Moralität eine Borniertheit sei , daß der wahrhaft starke , große und überlegene Mensch amoralisch oder immoralisch sein müsse .
Man erklärte , daß jeder Einzelne das Maß aller Dinge in sich trage und deshalb sein eigener Gesetzgeber sei ; mit anderen Worten : die neue Moral , d. h. Nichtmoral , floß aus dem schrankenlosen Individualismus .
Die Gesamtheit oder Gemeinschaft , mochte sie nun Gemeinde , Volk , Staat , Partei , Gesellschaft oder Menschheit heißen , sei nichts , der einzelne sei alles , so hieß es .
Edel und gut , treu , brav , friedliebend , barmherzig , pflichtbewußt , gewissenhaft , redlich , wahrhaftig sein sei spießbürgerliche Beschränktheit ; der Stärkste sein und alle anderen beherrschen , darauf allein komme es an .
" Philister " und " Spießbürger " waren die beliebtesten Rufnamen für die " Zurückgebliebenen " gewesen ; aber sie waren noch milde ; es hatte auch " Moralidioten " und " Tugendtrottel " geregnet .
Ein dummstolzer Graf hatte einst von jenen niederländischen Edelleuten , die sich gegen die Tyrannei des zweiten Philipp empörten , behauptet : " Ce n' est qu' un tas de gueux " , " Das ist nur ein Haufen Bettler " .
Was taten die Edelleute ?
Sie machten diesen Schimpf zum Ehrennamen und nannten sich hinfort " Geusen " oder " Bettler " .
Es ist die beste Art , einen Schimpf zu parieren .
Asmus konnte sich gut denken , daß man sich aus dem Namen " Spießbürger " einen Ehrentitel mache , und trug sich mit dem Gedanken , eine Zeitschrift zu gründen und sie " Der Gotephilister " zu nennen , ganz wie die Deutschen jetzt anfingen , sich mit vergnügtem Schmunzeln " Barbaren " zu nennen .
Er unterschied nämlich zwei Arten von Spießbürgern .
Die einen gingen als Stadtnachtwächter mit Spießen einher , weil sie von der Erfindung des Schießpulvers noch nichts gehört hatten , auch nichts hören wollten ; denn sie haßten jede ruhestörende Neuerung .
Die anderen legten keinen Wert auf den Spieß ; es konnte auch ein 42 cm-Mörser oder eine Stahlfeder sein ; das Kennzeichnende war , daß sie - " Soldat und brav " - mit Unerschrockenheit , Wachsamkeit und Waffengewalt Familie , Stamm , Volk und Land und ihre Kultur gegen offene und versteckte Feinde , gegen Sturmböcke und Minenleger freudig verteidigten .
Auch sie waren Individuen und wollten es in immer höherem , immer feinerem Sinne werden ; aber sie dachten nicht nur an sich ; sie hatten ein Pflichtgefühl für die gemeinsame Sache ihres Volkes , ihres Staates und ihrer Menschenbrüder ; sie hatten ein Gewissen gegenüber dem Bestehenden , gegenüber den kostbaren Gütern , die die Menschheit schon errungen hat und die sie festhalten muß und die diese Spießbürger nicht unbekümmerten Herzens ausliefern wollten an plan- und sinn- und hirnlose Neuerer oder gar an übersättigte Gecken , die , weil sie gar nichts mehr mit sich anzufangen wußten , zu ihrer Unterhaltung mit Sprengstoffen spielten .
Den Blasierten und Gecken und den Gimpeln , die ihnen nachflogen , war Prinzipienlosigkeit die edelste Blüte überlegenster Intelligenz ; denn mit dem schrankenlosen Individualismus eng verschwistert erschien die schrankenlose Skepsis .
Dieselbe Geistesart , die am Wert und an den Rechten des Individuums keinen Augenblick zweifelte , zweifelte sonst an allem ohne Ausnahme , und wer sich damals den Ruf eines gehirnbegabten Menschen erhalten wollte , der durfte um alles in der Welt keine Entscheidungen treffen .
Da kam der Krieg .
Da hieß es , sich entscheiden , und - o Wunder !
- das deutsche Volk hatte die Kraft der Entschließung nicht verloren ; das ganze deutsche Volk traf mit Blitzesschnelle eine einzige Entscheidung .
Nicht nur die Gewappneten erfaßten mit einem einzigen Griff die Waffe ; auch das Blut der Unbewaffneten rann im Nun zu einem einzigen Strome zusammen ; mit einem Male gab es im ganzen Deutschland keinen Zweifel mehr ; jedermann bis hinauf und hinab zum Greis und zum Kinde wußte mit göttlicher Gewißheit , was er zu denken , was er zu tun habe .
Und - o zweites Wunder ! - mit einem Male wußte man auch , daß es die sittlichen Kräfte sind , die ein Volk in seiner größten und schwersten Stunde retten und bewahren .
Mit einem Male wußte man , daß ein Volk tapfer , treu , gewissenhaft , pflichtbewußt , opfermutig , selbstlos , enthaltsam , ritterlich , edel , hilfreich und gut sein muß , wenn es siegen will .
Siehe da , mit dem ersten Wort des kaiserlichen Rufs zu den Waffen waren " Amoralismus " , " Immoralismus " , " schrankenloser Individualismus " , " konsequenter Egoismus " und " unbegrenzte Skepsis " in alle Winde zerblasen .
Und zu Ehren kamen die Philister im Waffenrock , die genialen Pedanten der Pflicht , die des Dienstes immer gleich gestellte Uhr 44 Jahre lang im Gang erhalten hatten ; zu Ehren kamen die Spießbürger höherer Ordnung , die mit ihren Spießen die Wacht am Rhein , an Elbe und Weichsel gehalten und 44 Jahre lang die Augen nicht geschlossen hatten .
Das deutsche Gewissen war aufgestanden .
Aber das deutsche Gewissen erkannte nicht nur , daß zum erfolgreichen Kampfe sittliche Kräfte nötig sind , es wußte auch , daß es einen Krieg nur aus gerechten Gründen führen dürfe .
Nicht lange vorher hatte jener Modephilosoph verkündet :
" Ihr sagt , die gute Sache sei es , die sogar den Krieg heilige ?
Ich sage euch :
Der gute Krieg ist es , der jede Sache heiligt . " und manch ein widerstandsschwacher Geist war der Lehre beigefallen , daß es nur ein Recht gebe : das Recht des Stärkeren .
Nun aber waren die 67 Millionen Deutschen eben darum in einem einzigen Gefühl und Gedanken entflammt , weil das Recht ihrer guten Sache so klar wie die Sonne erstrahlte ; die frevelhafte Leichtfertigkeit der französischen , die rohe Machtgier der russischen , die schmutzige Scheel- und Gewinnsucht der englischen Regierungen und Machthaber lagen so offen vor aller Augen da , und das deutsche Volk war sich der lauteren Friedensliebe seiner Fürsten und Staatsmänner so klar und so redlich bewußt , daß eben aus diesem reinen Gewissen , aus dieser fleckenlosen politischen Moral die heilige Gewißheit erwuchs :
wir müssen siegen , wenn das Wort von der sittlichen Weltordnung mehr als eine schöne Phrase ist .
Sie wußten es alle :
wir können nur siegen , wenn unsere Sache rein ist , und wir werden siegen , weil unsere Sache rein ist .
Ehe noch Deutschlands Waffen den ersten Erfolg erstritten hatten , hatte in der deutschen Seele die sittliche Weltanschauung den vollkommensten , alles entscheidenden Sieg davongetragen .
Und das war es , was Asmussen in dieser zermalmenden Zeit ganz und aufrecht erhielt wie eine steinerne Säule : das Bewußtsein , daß diese ungeheure Krisis der Kulturmenschheit ein ungeheurer Gesundungsprozeß sei .
Er hatte in dieser Zeit wieder manchen friedlichen Kampf mit seiner Hilde .
" Asmus ! " rief sie eines Tages , " glaubst du noch daran , daß die Welt fortschreitet und die Menschen besser werden ? "
" Ja , " versetzte er mit kräftigem Kopfnicken .
" Aber dieser Krieg ist doch entsetzlicher als alles , was die Geschichte an Kriegen kennt ! " rief sie .
" Vielleicht , " antwortete er .
" Die Erde trägt mehr Menschen als im Altertum ; darum hat sie auch größere Heere .
Aber die Zahl macht den Mord nur schauriger , nicht schlechter .
Dasselbe gilt von den Mordwaffen .
Wenn eine Bombe auf 1000 Meter im Umkreis alles Lebendige vernichtet , so ist das nicht böser , als wenn ein Römer einem Karthager das Schwert in den Leib stieß .
Ja , wenn die Bomben den Krieg abkürzen , sind sie vielleicht » sittlicher « als das Schwert .
Du weißt , daß ich mit der unaufhörlichen Vervollkommnung der Mordwaffen immer gerechnet , ja daß ich sie erhofft habe , daß ich gesagt habe :
Man kann den Krieg nicht abschaffen ; aber er wird sterben , sterben vielleicht an seinen eigenen Waffen .
Wer weiß also , ob Bomben und Unterseeboote nicht wirklich ein Fortschritt sind ?
Und glaubst du , daß man zu den Zeiten , da Achilles - der nebenbei bemerkt für mein Gefühl immer ein roher Schlachtergeselle gewesen ist - den toten Hektor um die Stadt schleifte , glaubst du , daß im Dreißigjährigen Kriege gefangene , tote und verwundete Feinde so behandelt wurden wie jetzt ? "
" Nein - das ist wohl wahr , " meinte Hilde .
" Aber das Blutvergießen ist ja gar nicht das Furchtbarste an diesem Kriege , " fügte sie mit sichtbarem körperlichen Schauder hinzu .
" Siehst du ! " rief er , " da begegnen wir uns in einem Gedanken !
Das Entsetzlichste an diesem Kriege ist nicht Tod und Verwundung , das ist diese grauenvolle Wirrnis von Bosheit und Lüge , die ihn erzeugt hat und nährt . "
" Nun , " rief Hilde , " kann es damit jemals schlimmer gewesen sein als jetzt ? "
" Ich weiß es nicht , " sagte Asmus .
" Vielleicht muß auch die Lüge erst ihre furchtbarsten Mordwaffen erfunden haben , bevor sie ein Absurdum wird .
Ein kranker Körper treibt , wie du weißt , einer Krisis zu und muß oft erst schlimmer werden , ehe er besser wird .
Ich jedenfalls hege die felsenfeste Überzeugung , daß dieser großen Krankheit eine nicht minder große Genesung , diesem ungeheuren Wahn ein gewaltiges Erkennen folgen wird und daß die Kulturmenschheit nach diesem Kriege mit weit offenen Augen in die Welt schauen wird wie ein Erwachender an einem neuen Morgen . "
" Ach , Asmus , die Menschen werden nicht besser und nicht klüger sein als zuvor . "
" Vielleicht ein ganz klein wenig besser , vielleicht ein ganz klein wenig klüger , Hilde ; gib nur ein Gränchen zu ; gib nur so viel zu wie dies Weiße an deinem schmalen Nagel , Hilde , " bettelte er lächelnd .
" Die Menschen , die jetzt schon an aller Kultur verzweifeln , kommen mir immer vor wie Peter in der Fremde , der beim ersten Kreuzweg und beim ersten Unwetter zur Mutter heimverlangt ; auch der große Jean Jacques kommt mir so vor , und auch du bist solch ein Peter .
Sieh einmal in deinem Kästchen nach , in dem du meine Gedichte aufhebst ; es muß sich eins darunter befinden , in dem es heißt :
O Menschen , habt Geduld , und tut es nicht Den Kindlein gleich , die in den Boden kaum Den Samen senkten und nach Blumen schon Und reifen Früchten spähn !
Taucht die Gedanken Ins märchengraue Alter dieser Welt Und steigt empor dann und erkennt , daß gestern Der Mörder Kain seinen Bruder schlug .
Du bist ja eine Sternseherin , Hilde , und weißt am gestirnten Himmel besser Bescheid als in deiner Vaterstadt .
Nimm deine Fahrt nach den Sternen , wie es die Schiffer tun .
Du weißt , ich glaube auch , daß wir noch einmal durch Signale mit dem Mars verkehren werden .
Gestehe mir wenigstens den Mars zu , Hilde ; es ist ja so wenig ! "
Da lachte sie und drückte ihm die Hand .
" Freilich , " rief er , " wenn diese Zeit uns fruchten soll , dann müssen wir sie gründlich erkennen und unsere Erkenntnis gründlich in Handlung umsetzen .
Tausend und tausendmal , liebes Herz , hast du mir gesagt :
Laß doch die Lügner lügen !
Verachte doch ihr Geschwätz !
Wenn du sie links liegen läßt , hören sie von selbst auf !
Nun , unser Vaterland hat auch nach diesem Grundsatz gehandelt .
Es hat jahrzehntelang geschwiegen zu den Verleumdungen seiner Feinde , hat sie meistens wohl gar nicht erfahren .
Du siehst die Folge : Deutschland ist umstrickt von einem schier unzerreißbaren Lügennetz .
Nein , nein , es heißt stündlich auf der Wacht liegen .
» Ein Leben in Wacht und in Waffen wider die Großmächte der Finsternis ist eines Erdenpilgers tiefste Ruhe . «
Über Kleinigkeiten mag man hinwegsehen , gut , habe ich auch getan .
Und vor dem Hintergrunde dieser Zeit schrumpft ja alles Einzelleben zu Winzigkeiten zusammen .
Aber man darf auch das Kleinste mit dem Größten vergleichen , wenn sie gleichen Wesens sind .
In meinem winzigen Einzelleben habe ich alle sittlichen , alle seelischen Erfahrungen dieses Weltkrieges vorgekostet , und so hat mich , den » Schönseher « , an dieser schreckenvollen Zeit eigentlich nichts überrascht , am wenigsten die Macht der Lüge .
Ich habe sie längst erkannt und gekennzeichnet . "
Wahrhaftig , oft in dieser Zeit der Gewitter an allen Horizonten mußte er fröhlich lachen , wenn er gewahrte , wie die Zeit ihm recht gab , lachen , nicht weil er das Rechte , nein , weil er das Rechte getroffen hatte .
Zum triumphierenden , zum schadenfrohen , zum überheblichen und prahlenden Lachen war er schon um deswillen nicht aufgelegt , weil er im Angesichte jedes großen Tages fühlte , wie oft in seinem Leben er klein gewesen , wie oft er irregegangen , wie oft er ohne klare Erkenntnis der Dinge geurteilt , wie oft auch er gedankenlos nachgesprochen hatte , was viele sagten , wie lange er so manchen verjährten Wahn mit sich herumgeschleppt hatte .
Nie in seinem Leben hatte er sich so bis in den Grund seiner Seele geschämt wie in dieser Zeit .
Aber er schämte sich nicht , seine Scham zu bekennen .
In dieser Zeit des Anderssehens , Andersbegreifens und Andersfühlens schlug er an seine Brust und rief es hinein in sein Herz : Wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms , den wir vor dem Gottesangesichte dieser Zeit haben sollten .
Hätte er sich dessen geschämt , er wäre des unaussprechlichen Glückes nicht wert gewesen , das mit dieser Zeit gekommen war .
Welch größeres Glück konnte ihn , den Werdefrohen und Werdegläubigen , welch größeres Glück konnte sein Volk treffen als noch einen Frühling erleben dürfen , noch einmal jung sein , noch einmal lernen , kämpfen , hoffen und alles besseren dürfen , was man schlimm gemacht ?
Was gab es Seligeres als das Glück dieser großen Erneuerung ?
Welch reichere Gunst konnte das Schicksal erweisen , als wenn es auch dem Kleinsten Gelegenheit gab , größer zu werden , groß zu sein in einem großen Vaterlande ?
Denn dieses Landes Größe war nun seit dem ersten Tage des Krieges ohne Beispiel in der Geschichte der Welt .
Sie dachten es nicht , die gierigen Feinde , die ihre Beute schon auf der Zunge schmeckten , sie ahnten es nicht , daß der Stachelzaun , mit dem sie Deutschland umgitterten , über Nacht sich in einen Lorbeerwald wandeln würde , der nicht mehr welken kann , solange die Erde steht .
Nie war ein Land gehaßt , gefürchtet - und geehrt wie dies Land der Lieder und des Schwerts .
" O mein Deutschland , wie sie dich ehren ! " jauchzte Asmus .
" O , mein Deutschland , wie sie dich ehren !
Sieben Völker mit ihren Heeren Fielen tapfer über dich her ; Denn für Sechs wäre es zu schwer .
O , mein Deutschland , wie mußt du stark sein , Wie gesund bis ins innerste Mark sein , Daß sich_es keiner allein getraut , Daß er nach Sechsen um Hilfe schaut !
Deutschland , wie mußt du von Herzen echt sein , O wie strahlend hell muß dein Recht sein , Daß der mächtigste Heuchler dich haßt , Daß der Brite vor Wut erblaßt !
Wäre es zu denken , könnte es sich fügen , Deutschland , könntest du unterliegen - Wer einer Welt von Feinden sich stellt , Ist auch im Sturze der siegende Held .
Aber du wirst sie zermalmen zu Staube , Die dich umschlichen zu nächtlichem Raube .
Fege die Welt vom Truge rein , Laß die Unschuld geborgen sein !
Stürz dich ins siebenfache Gewimmel , Morde den Teufel und hole dir vom Himmel Sieben Kränze des Menschentums , Sieben Sonnen unsterblichen Ruhms ! "
Und als Asmus erkannt hatte , daß Deutschland endlich und wirklich einig war , eins war bis ins Tiefste der Herzen , daß unter Deutschlands Sonne kein gesunder und ehrenhafter Mensch lebte , der nicht bereit war , für seines Volkes Recht zu leiden und zu sterben , da ergriff er seines Weibes Haupt mit beiden Händen und rief : " Hilde , es geht aufwärts mit den Deutschen , es geht aufwärts !
Hilde , Hilde , alles Leben geht aufwärts , glaube es , Hilde , alles Leben geht aufwärts ! "
- Holder of rights
- Bildungsroman Projekt
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Korpus. Semper der Mann. Semper der Mann. Bildungsromankorpus. Bildungsroman Projekt. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0n1.0