Erster Teil .
Berlin , 1785 . bei Friedrich Maurer .
Dieser psychologische Roman könnte auch allenfalls eine Biographie genannt werden , weil die Beobachtungen größtenteils aus dem wirklichen Leben genommen sind . --
Wer den Lauf der menschlichen Dinge kennt , und weiß , wie dasjenige oft im Fortgange des Lebens sehr wichtig werden kann , was anfänglich klein und unbedeutend schien , der wird sich an die anscheineude Geringfügigkeit mancher Umstände , die hier erzählt werden , nicht stoßen .
Auch wird man in einem Buche , wel Ges * 2 Ges vorzüglich die innere Geschichte des Menschen schildern soll , keine große Mannigfaltigkeit der Charaktere erwarten :
denn es soll die vorstellende Kraft nicht verteilen , sondern sie zusammendrängen , und den Blick der Seele in sich selber schärfen .
-- Freilich ist dies nun keine so leichte Sache , daß gerade jeder Versuch darin glücken muß --
aber wenigstens wird doch vorzüglich in pädagogischer Rücksicht , das Bestreben nie ganz unnütz sein , die Aufmerksamkeit des Menschen mehr auf den Menschen selbst zu heften , und ihm sein individuelles Dasein wichtiger zu machen .
Endlich In P. , einem Orte , der wegen seines Gesundbrunnens berühmt ist , lebte noch im Jahr 1756 ein Edelmann auf seinem Gute , der das Haupt einer Sekte in Deutschland war , die unter dem Namen der Quietisten oder Separatisten bekannt ist , und deren Lehren vorzüglich in den Schriften der Mad. Geoion , einer bekannten Schwärmerin , enthalten sind , die zu Fenelons Zeiten , mit dem sie auch Umgang hatte , in Frankreich lebte .
Der Hr. v. F. , so hieß dieser Edelmann , wohnte hier von allen übrigen Einwohnern des Orts , und ihrer Religion , Sitten , und Gebräuchen , eben so abgesondert , wie sein Haus von den ihrigen durch eine hohe Mauer geschieden war , die es von allen Seiten umgab .
Dies Haus nun machte für sich eine kleine Republik aus , worin gewiß eine ganz andere Verfassung , als rund umher im ganzen Lande herrschte .
Das ganze Hauswesen bis auf den geringsten Dienstboten bestand aus lauter solchen Personen , deren Bestreben nur dahin ging , A oder zu gehen schien , in ihr Nichts ( wie es die Mad. Geoion nennt ) wieder einzugehen , alle Leidenschaften zu ertöten , und alle Eigenheit auszurotten .
Alle diese Personen mußten sich täglich einmal in einem großen Zimmer des Hauses zu einer Art von Gottesdienst versammeln , den der Herr v. F. selbst eingerichtet hatte , und welcher darin bestand , daß sie sich alle um einen Tisch setzten , und mit zugeschloßenen Augen , den Kopf auf den Tisch gelegt , eine halbe Stunde warteten , ob sie etwa die Stimme Gottes oder das innere Wort , in sich vernehmen würden .
Wer dann etwas vernahm , der machte es den übrigen bekannt .
Der Herr v. F. bestimmte auch die Lektüre seiner Leute , und wer von den Knechten oder Mägden eine müßige Viertelstunde hatte , den sah man nicht anders , als mit einer von der Mad. Geoion Schriften , vom inneren Gebet , oder dergleichen , in der Hand , in einer nachdenkenden Stellung sitzen und lesen .
Alles , bis auf die kleinsten häuslichen Beschäftigungen , hatte in diesem Hause ein ernstes , strenges , und feierliches Ansehen .
In allen Mienen glaubte man Ertötung und Verleugnung , und in allen Handlungen Ausgehen aus sich selbst und Eingehen ins Nichts zu lesen .
Der Herr v. F. hatte sich nach dem Tode seiner ersten Gemahlin nicht wieder verheiratet , sondern lebte mit seiner Schwester , der Fr. v. P. , in dieser Eingezogenheit , um sich dem großen Geschäfte , die Lehren der Mad. Geoion auszubreiten , ganz und ungestört widmen zu können .
Ein Verwalter , Namens H. , und eine Haushälterin mit ihrer Tochter , machten gleichsam den mittleren Stand des Hauses aus , und dann folgte das niedrige Gesinde .
-- Diese Leute schlossen sich wirklich fest aneinander , und alles hatte eine unbegrenzte Ehrfurcht gegen den Hrn. v. F. , der wirklich einen unsträflichen Lebenswandel führte , obgleich die Einwohner des Orts sich mit den ärgerlichsten Geschichten von ihm trugen .
Er stand jede Nacht dreimal zu bestimmten Stunden auf , um zu beten , und bei Tage brachte er seine meiste Zeit damit zu , daß er die Schriften der Mad. Geoion , deren eine große Anzahl von A 2 Bänden ist , aus dem Französischen übersetzte , die er denn auf seine Kosten drucken ließ , und sie umsonst unter seine Anhänger austeilte .
Die Lehren , welche in diesen Schriften enthalten sind , betreffen größtenteils jenes schon erwähnte völlige Ausgehen aus sich selbst , und Eingehen in ein seliges Nichts , jene gänzliche Ertötung aller sogenannten Eigenheit oder Eigenliebe , und eine völlig uninteressierte Liebe zu Gott , worin sich auch kein Fünkchen Selbstliebe mehr mischen darf , wenn sie rein sein soll , woraus denn am Ende eine vollkommene , selige Ruhe entsteht , die das höchste Ziel aller dieser Bestrebungen ist .
Weil nun die Mad. Geoion sich fast ihr ganzes Leben hindurch , mit nichts als mit Bücherschreiben beschäftigt hat , so sind ihrer Schriften eine so erstaunliche Menge , daß selbst Martin Luther schwerlich mehr geschrieben haben kann .
Unter anderen macht allein eine mystische Erklärung der ganzen Bibel wohl an zwanzig Bände aus .
Diese Mad. Geoion mußte viel Verfolgung leiden , und wurde endlich , weil man ihre Lehre Sätze für gefährlich hielt , in die Bastille gesetzt , wo sie nach einer zehnjährigen Gefangenschaft starb .
Als man nach ihrem Tode ihren Kopf öffnete , fand man ihr Gehirn fast wie ausgetrocknet .
Sie wird übrigens noch jetzt von ihren Anhängern , als eine Heilige der ersten Größe , beinahe göttlich verehrt , und ihre Aussprüche werden den Aussprüchen der Bibel gleich geschätzt ; weil man annimmt , daß sie durch gänzliche Ertötung aller Eigenheit , so gewiß mit Gott sei vereinigt worden , daß alle ihre Gedanken auch notwendig göttliche Gedanken werden mußten .
Der Herr v. F. hatte die Schriften der Mad. Geoion auf seinen Reisen in Frankreich kennen gelernt , und die trockene , metaphysische Schwärmerei , welche darin herrscht , hatte für seine Gemütsbeschaffenheit so viel Anziehendes , daß er sich ihr mit eben dem Eifer ergab , womit er sich wahrscheinlich , unter anderen Umständen , dem höchsten Stoizismus würde ergeben haben , womit die Lehren der Mad. Geoion , in Ansehung der gänzlichen Ertötung aller Begierden u. s. w. oft eine auffallende Ähnlichkeit haben. A 3 Er wurde nun auch von seinen Anhängern ebenfalls wie ein Heiliger verehrt , und ihm wirklich zugetrauet , daß er , beim ersten Anblick , das Innerste der Seele eines Menschen durchschauen könne .
Zu seinem Hause geschahen Wallfahrten von allen Seiten , und unter denen , die jährlich , wenigstens einmal , dieses Haus besuchten , war auch Antons Vater .
Dieser , ohne eigentliche Erziehung aufgewachsen , hatte seine erste Frau sehr früh geheiratet , immer ein ziemlich wildes herumirrendes Leben geführt , wohl zuweilen einige fromme Rührungen gehabt , aber nicht viel darauf geachtet .
Bis er nach dem Tode seiner ersten Frau plötzlich in sich geht , auf einmal tiefsinnig , und wie man sagt , ein ganz anderer Mensch wird , und bei seinem Aufenthalt in P. zufälliger Weise erstlich den Verwalter des Hrn. v. F. und nachher durch diesen den Hrn. v. F. selber kennen lernte .
Dieser gibt ihm denn nach und nach die Guionschen Schriften zu lesen , er findet Ge Geschmack daran , und wird bald ein erklärter Anhänger des Hrn. v. F. Demungeachtet fiel es ihm ein , wieder zu heiraten , und er machte mit Antons Mutter Bekanntschaft , welche bald in die Heirat willigte , das sie nie würde getan haben , hätte sie die Hölle von Elend vorausgesehen , die ihr im Ehestande drohte .
Sie versprach sich von ihrem Manne noch mehr Liebe und Achtung , als sie vorher bei ihren Anverwandten genossen hatte , aber wie entsetzlich fand sie sich betrogen .
So sehr die Lehre der Mad. Geoion von der gänzlichen Ertötung und Vernichtung aller , auch der sanften und zärtlichen Leidenschaften , mit der harten und unempfindlichen Seele ihres Mannes übereinstimmten , so wenig war es ihr möglich , sich jemals mit diesen Ideen zu verständigen , wogegen sich ihr Herz auflehnte .
Dies war der erste Keim zu aller nachherigen ehelichen Zwietracht .
Ihr Mann fing an , ihre Einsichten zu verachten , weil sie die hohen Geheimnisse nicht fassen wollte , die die Madam Geoion lehrte . A 4 Diese Verachtung erstreckte sich nachher auch auf ihre übrigen Einsichten , und je mehr sie dies empfand , je stärker mußte notwendig die eheliche Liebe sich vermindern , und das wechselseitige Mißvergnügen aneinander mit jedem Tage zunehmen .
Antons Mutter hatte eine starke Belesenheit in der Bibel , und eine ziemlich deutliche Erkenntnis von ihrem Religionssystem , sie wußte z. E. sehr erbaulich davon zu reden , daß der Glaube ohne Werke tot sei , u. s. w. In der Bibel las sie wirklich zu ganzen Stunden mit innigem Vergnügen , aber sobald ihr Mann es versuchte , ihr aus den Guionschen Schriften vorzulesen , so empfand sie eine Art von Bangigkeit , die vermutlich aus der Vorstellung entstand , sie werde dadurch in dem rechten Glauben irre gemacht werden .
Sie suchte sich alsdann auf alle Weise loszumachen . --
Hierzu kam nun noch , daß sie vieles von der Kälte und dem lieblosen Wesen ihres Mannes auf Rechnung der Guionschen Lehre schrieb , die sie nun in ihrem Herzen immer_mehr zu verwünschen anfing , und bei dem völligen Ausbruch der ehelichen Zwietracht sie laut verwünschte .
So wurde der häusliche Friede und die Ruhe und Wohlfahrt einer Familie Jahre lang durch diese unglücklichen Bücher gestört , die wahrscheinlich einer so wenig , wie der andere verstehen mochte .
Unter diesen Umständen wurde Anton geboren , und von ihm kann man mit Wahrheit sagen , daß er von der Wiege an unterdrückt wurde .
Die ersten Töne , die sein Ohr vernahm , und sein aufdämmernder Verstand begriff , waren wechselseitige Flüche und Verwünschungen des unauflöslich geknüpften Ehebandes .
Ob er gleich Vater und Mutter hatte , so war er doch in seiner frühesten Jugend schon von Vater und Mutter verlassen , denn er wußte nicht , an wen er sich anschließen , an wen er sich halten sollte , da sich beide haßten , und ihm doch einer so nahe wie der andere war .
In seiner frühesten Jugend hat er nie die Liebkosungen zärtlicher Eltern geschmeckt , nie nach einer kleinen Mühe ihr belohnendes Lächeln . A 5 Wenn er in das Haus seiner Eltern trat , so trat er in ein Haus der Unzufriedenheit , des Zorns , der Tränen und der Klagen .
Diese ersten Eindrücke sind nie in seinem Leben aus seiner Seele verwischt worden , und haben sie oft zu einem Sammelplatze schwarzer Gedanken gemacht , die er durch keine Philosophie verdrängen konnte .
Da sein Vater im siebenjährigen Kriege mit zu Felde war , zog seine Mutter zwei Jahre lang mit ihm auf ein kleines Dorf .
Hier hatte er ziemliche Freiheit und einige Entschädigung für die Leiden seiner Kindheit .
Die Vorstellungen von den ersten Wiesen , die er sah , von dem Kornfelde , das sich einen sanften Hügel hinanerstreckte , und oben mit grünem Gebüsch umkränzt war , von dem blauen Berge , und den einzelnen Gebüschen und Bäumen , die am Fuß desselben auf das grüne Gras ihren Schatten warfen , und immer dichter und dichter wurde , je höher man hinaufstieg , mischen sich noch immer unter seine angenehmsten Gedanken , und machen gleichsam die Grundlage aller der täuschenden Bilder aus , die oft seine Phantasie sich vormalt .
Aber wie bald waren diese beiden glücklichen Jahre entflohen !
Es wurde Friede , und Antons Mutter zog mit ihm in die Stadt zu ihrem Manne .
Die lange Trennung von ihm verursachte ein kurzes Blendwerk ehelicher Eintracht , aber bald folgte auf die betrügliche Windstille ein desto schrecklicherer Sturm .
Antons Herz zerfloß in Wehmut , wenn er einem von seinen Eltern Unrecht geben sollte , und doch schien es ihm sehr oft , als wenn sein Vater , den er bloß fürchtete , mehr Recht habe , als seine Mutter , die er liebte .
So schwankte seine junge Seele beständig zwischen Haß und Liebe , zwischen Furcht und Zutrauen , zu seinen Eltern hin und her .
Da er noch nicht acht Jahr alt war , gebar seine Mutter einen zweiten Sohn , auf den nun vollends die wenigen Überreste väterlicher und mütterlicher Liebe fielen , so daß er nun fast ganz vernachlässigt wurde , und sich , so oft man von ihm sprach , mit einer Art von Geringschätzung und Verachtung nennen hörte , die ihm durch die Seele ging .
Woher mochte wohl dies sehnliche Verlangen nach einer liebreichen Behandlung bei ihm entstehen , da er doch derselben nie gewohnt gewesen war , und also kaum einige Begriffe davon haben konnte ?
Am Ende freilich wurde dies Gefühl ziemlich bei ihm abgestumpft ; es war ihm beinahe , als müsse es beständig gescholten sein , und ein freundlicher Blick , den er einmal erhielt , war ihm ganz etwas sonderbares , das nicht recht zu seinen übrigen Vorstellungen passen wollte .
Er fühlte auf das innigste das Bedürfnis der Freundschaft von seines Gleichen : und oft , wenn er einen Knaben von seinem Alter sah , hing seine ganze Seele an ihm , und er hätte alles darum gegeben , sein Freund zu werden ; allein das niederschlagende Gefühl der Verachtung , die er von seinen Eltern erlitten , und die Scham , wegen seiner armseligen , schmutzigen , und zerrißenen Kleidung hielten ihn zurück , daß er es nicht wagte , einen glücklicheren Knaben anzureden .
So ging er fast immer traurig und einsam umher , weil die meisten Knaben in der Nachbarschaft ordentlicher , reinlicher , und besser , wie er , gekleidet waren , und nicht mit ihm umgehen wollten , und die es nicht waren , mit denen mochte er wieder , wegen ihrer Liederlichkeit , und auch vielleicht aus einem gewissen Stolz , keinen Umgang haben .
So hatte er keinen , zu dem er sich gesellen konnte , keinen Gespielen seiner Kindheit , keinen Freund unter Großen noch Kleinen .
Im achten Jahre fing denn doch sein Vater an , ihn selber etwas lesen zu lehren , und kaufte ihm zu dem Ende zwei kleine Bücher , wovon das eine eine Anweisung zum Buchstabieren , und das andere eine Abhandlung gegen das Buchstabieren enthielt .
In dem ersten mußte Anton größtenteils schwere biblische Namen , als : Nebukadnezar , Abednego , u. s. w. , bei denen er auch keinen Schatten einer Vorstellung haben konnte , buchstabieren .
Dies ging daher etwas langsam .
Allein sobald er merkte , daß wirklich vernünftige Ideen durch die zusammengesetzten Buchstaben ausgedrückt waren , so wurde seine Begierde , lesen zu lernen , von Tage zu Tage stärker .
Sein Vater hatte ihm kaum einige Stunden Anweisung gegeben , und er lernte es nun , zur Verwunderung aller seiner Angehörigen , in wenig Wochen von selber .
Mit innigem Vergnügen erinnert er sich noch jetzt an die lebhafte Freude , die er damals genoß , als er zuerst einige Zeilen , bei denen er sich etwas denken konnte , durch vieles Buchstabieren , mit Mühe herausbrachte .
Nun aber konnte er nicht begreifen , wie es möglich sei , daß andere Leute so geschwind lesen konnten , wie sie sprachen ; er verzweifelte damals gänzlich an der Möglichkeit , es je so weit zu bringen .
Um desto größer war nun seine Verwunderung und Freude , da er auch dies nach einigen Wochen konnte .
Auch schien ihn dieses bei seinen Eltern , noch mehr aber bei seinen Anverwandten in einige Achtung zu setzen , welches von ihm zwar nicht unbemerkt blieb , aber doch nie die eigentliche Ursache wurde , die ihn zum Fleiß anspornte .
Seine Begierde zu lesen , war nun unersättlich .
Zum Glücke standen in dem Buchstabierbuche , außer den biblischen Sprüchen , auch einige Erzählungen von frommen Kindern , die mehr wie hundertmal von ihm durchgelesen wurden , ob sie gleich nicht viel Anziehendes hatten .
Die eine handelte von einem sechsjährigen Knaben , der zur Zeit der Verfolgung die christliche Religion nicht verleugnen wollte , sondern sich lieber auf das entsetzlichste peinigen , und nebst seiner Mutter , als ein Märtyrer für die Religion sein Leben ließ ; die andere von einem bösen Buben , der sich im zwanzigsten Jahre seines Lebens bekehrte , und bald darauf starb .
Nun kam auch das andere kleine Buch an die Reihe , worin die Abhandlung gegen das Buchstabieren stand , und er zu seiner großen Verwunderung laß , daß es schädlich , ja seelenverderblich sei , die Kinder durch Buchstabieren lesen zu lehren .
In diesem Buche fand er auch eine Anweisung für Lehrer , die Kinder lesen zu lehren , und eine Abhandlung über die Hervorbringung der einzelnen Laute durch die Sprachwerkzeuge :
so trocken ihm dieses schien , so las er es doch aus Mangel an etwas besseren , mit der größten Standhaftigkeit , nach der Reihe durch .
Durch das Lesen war ihm nun auf einmal eine neue Welt eröffnet , in deren Genuß er sich für alle das Unangenehme in seiner wirklichen Welt einigermaßen entschädigen konnte .
Wenn nun rund um ihn her nichts als Lärmen und Schelten und häusliche Zwietracht herrschte , oder er sich vergeblich nach einem Gespielen umsah , so eilte er hin zu seinem Buche .
So wurde er schon früh aus der natürlichen Kinderwelt in eine unnatürliche idealische Welt verdrängt , wo sein Geist für tausend Freuden des Lebens verstimmt wurde , die andere mit voller Seele genießen können .
Schon im achten Jahre bekam er eine Art von auszehrender Krankheit .
Man gab ihn völlig auf , und er hörte beständig von sich , wie von einem , der schon wie ein Toter beobachtet wird , reden .
Dies war ihm immer lächerlich , oder vielmehr war ihm das Sterben selbst , wie er sich damals vorstellte , mehr etwas Lächerliches , als etwas Ernst Ernsthaftes .
Seine Base , der er doch etwas lieber , wie seinen Eltern zu sein schien , ging endlich mit ihm zu einem Arzt , und eine Kur von einigen Monaten stellte ihn wieder her .
Kaum war er einige Wochen gesund , als ihn gerade bei einem Spaziergange mit seinen Eltern auf das Feld , der ihm sehr etwas seltenes , und eben daher desto reizender war , der linke Fuß an zu schmerzen fing .
Dies war nach überstandener Krankheit sein erster und sollte auf lange Zeit sein letzter Spaziergang sein .
Am dritten Tage war die Geschwulst und Entzündung am Fuße schon so gefährlich geworden , daß man am vierten zur Amputation schreiten wollte .
Antons Mutter saß und weinte , und sein Vater gab ihm zwei Pfennige .
Dies waren die ersten Äußerungen des Mitleids gegen ihn , deren er sich von seinen Eltern erinnert , und die wegen der Seltenheit einen desto stärkeren Eindruck auf ihn machten .
An dem Tage vor der beschloßenen Amputation kam ein mitleidiger Schuster zu Antons Mutter , und brachte ihr eine Salbe , durch deren Gebrauch sich die Geschwulst und Entzün B dung im Fuße , während wenigen Stunden legte .
Zum Fußabnehmen kam es nun nicht , aber der Schaden dauerte demungeachtet vier Jahre lang , ehe er geheilt werden konnte , in welcher Zeit unser Anton wiederum unter oft unsäglichen Schmerzen alle Freuden der Kindheit entbehren mußte .
Bei diesen Schaden konnte er zuweilen ein ganzes Vierteljahr nicht aus dem Hause gehen , nachdem er eine Weile zuheilte , und immer wieder aufbrach .
Oft mußte er ganze Nächte hindurch wimmern und klagen , und die abscheulichsten Schmerzen fast alle Tage beim Verbinden erdulden .
Dies entfernte ihn natürlicher Weise noch mehr aus der Welt und von dem Umgange mit seines Gleichen , und fesselte ihn immer mehr an das Lesen und an die Bücher .
Am häufigsten las er , wenn er seinen jüngern Bruder wiegte , und wann es ihm damals an einem Buche fehlte , so war es , als wenn es ihm jetzt an einem Freunde fehlt :
denn das Buch mußte ihm Freund , und Tröster , und alles sein .
Im neunten Jahre las er alles , was Geschichte in der Bibel ist , vom Anfange bis zu Ende durch ; und wenn einer von den Hauptpersonen , als Moses , Samuel , oder David , gestorben war , so konnte er sich Tage lang darüber betrüben , und es war ihm dabei zu Mute , als sei ihm ein Freund abgestorben , so lieb wurden ihm immer die Personen , die viel in der Welt getan , und sich einen Namen gemacht hatten .
So war Joab sein Held , und es schmerzte ihn , so oft er schlecht von ihm denken mußte .
Insbesondere haben ihn oft die Züge der Großmut in Davids Geschichte , wenn er seines ärgsten Feindes schonte , da er ihn doch in seiner Gewalt hatte , bis zu Tränen gerührt .
Nun fiel ihm das Leben der Altväter in die Hände , welches sein Vater sehr hochschätzte , und diese Altväter bei jeder Gelegenheit als Autoritäten anführte .
So fingen sich gemeiniglich seine moralischen Reden an : die Madam Geoion spricht , oder der heilige Makarius oder Antonius sagt u. s. w. B 2 Die Altväter , so abgeschmackt und abenteuerlich oft ihre Geschichte sein mochte , waren für Anton die würdigsten Muster zur Nachahmung , und er kannte eine Zeitlang keinen höheren Wunsch , als seinem großen Namensgenossen , dem heiligen Antonius , ähnlich zu werden , und wie dieser Vater und Mutter zu verlassen und in eine Wüste zu fliehen , die er nicht weit vom Tore zu finden hoffte , und wohin er einmal wirklich eine Reise antrat , indem er sich über hundert Schritte weit von der Wohnung seiner Eltern entfernte , und vielleicht noch weiter gegangen wäre , wenn die Schmerzen an seinem Fuße ihn nicht genötigt hätten , wieder zurück zu kehren .
Auch fing er wirklich zuweilen an , sich mit Nadeln zu pricken , und sonst zu peinigen , um dadurch den heiligen Altvätern einigermaßen ähnlich zu werden , da es ihm doch ohnedem an Schmerzen nicht fehlte .
Während dieser Lektüre wurde ihm ein kleines Buch geschenkt , dessen eigentlichen Titel er sich nicht erinnert , das aber von einer frühen Gottesfurcht handelte , und Anweisung gab , wie man schon vom sechsten bis zum vierzehnten Jahre in der Frömmigkeit wachsen könne .
Die Abhandlungen in diesem Büchelchen hießen also : für Kinder von sechs Jahren , für Kinder von sieben Jahren u. s. w. Anton las also den Abschnitt für Kinder von neun Jahren , und fand , daß es noch Zeit sei , ein frommer Mensch zu werden , daß er aber schon drei Jahre versäumt habe .
Dies erschütterte seine ganze Seele , und er faßte einen so festen Vorsatz sich zu bekehren , wie ihn wohl selten Erwachsene fassen mögen .
Von der Stunde an befolgte er alles , was von Gebet , Gehorsam , Geduld , Ordnung u. s. w. in dem Buche stand , auf das pünktlichste , und machte sich nun beinahe jeden zu schnellen Schritt zur Sünde .
Wie weit , dachte er , werde ich nun nicht schon in fünf Jahren sein , wenn ich hierbei bleibe .
Denn in dem kleinen Buche war das Fortrücken in der Frömmigkeit gleichsam zu einer Sache des Ehrgeizes gemacht , wie man etwa sich freuet , aus einer Klasse in die andere immer höher gestiegen zu sein . B 3 Wenn er , wie natürlich , sich zuweilen vergaß , und einmal , wenn er Linderung an seinem Fuße fühlte , umher sprang oder lief , so fühlte er darüber die heftigsten Gewissensbisse , und es war ihm immer , als sei er nun schon einige Stufen wieder zurückgekommen .
Dieses kleine Buch hatte lange einen starken Einfluß auf seine Handlungen und Gesinnungen :
denn was er las , das suchte er auch gleich auszuüben .
Daher las er auf jeden Tag in der Woche sehr gewissenhaft den Abend- und Morgensegen , weil im Katechismus stand , man müsse ihn lesen ; auch vergaß er nicht , das Kreuz dabei zu machen , und das walte zu sagen , wie es im Katechismus befohlen war .
Sonst sah er nicht viel von Frömmigkeit , ob er gleich immer viel davon reden hörte , und seine Mutter ihn alle Abend einsegnete , und niemals vergaß , ehe er einschlief , das Zeichen des Kreuzes über ihn zu machen .
Der Herr v. F. hatte unter anderen die geistlichen Lieder der Madam Geoion ins Deutsche übersetzt , und Antons Vater , der musikalisch war , paßte ihnen Melodien an , die größtenteils einen raschen , fröhlichen Gang hatten .
Wenn es sich nun fügte , daß er etwa einmal nach einer langen Trennung wieder zu Hause kam , so ließ sich denn doch die Ehegattin überreden , einige dieser Lieder mitzusingen , wozu er die Zither spielte .
Dies geschah gemeiniglich kurz nach der ersten Freude des Wiedersehens , und diese Stunden mochten wohl noch die glücklichsten in ihrem Ehestande sein .
Anton war dann am frohsten , und stimmte oft so gut er konnte , in diese Lieder ein , die ein Zeichen der so seltenen wechselseitigen Harmonie und Übereinstimmung bei seinen Eltern waren .
Diese Lieder gab ihm nun sein Vater , da er ihn für reif genug zu dieser Lektüre hielt , in die Hände , und ließ sie ihn zum Teil auswendig lernen .
Wirklich hatten diese Gesänge , ungeachtet der steifen Übersetzung , immer noch so viel Seelenschmelzendes , eine so unnachahmliche Zärtlichkeit im Ausdrucke , solch ein sanftes Helldunkel in der Darstellung , und so viel unwiderstehlich Anziehendes für eine weiche Seele , B 4 daß der Eindruck , den sie auf Antons Herz machten , bei ihm unauslöschlich geblieben ist .
Oft tröstete er sich in einsamen Stunden , wo er sich von aller Welt verlassen glaubte , durch ein solches Lied vom seligen Ausgehen aus sich selber , und der süßen Vernichtung vor dem Urquelle des Daseins .
So gewährten ihm schon damals seine kindischen Vorstellungen oft eine Art von himmlischer Beruhigung .
Einmal waren seine Eltern bei dem Wirt des Hauses , wo sie wohnten , des Abends zu einem kleinen Familienfeste gebeten .
Anton mußte es aus dem Fenster mit ansehen , wie die Kinder der Nachbarn schön geputzt zu diesem Feste kamen , indes er allein auf der Stube zurückbleiben mußte , weil seine Eltern sich seines schlechten Aufzuges schämten .
Es wurde Abend , und ihn fing an zu hungern ; und nicht einmal ein Stückchen Brot hatten ihm seine Eltern zurückgelassen .
Indes er oben einsam saß und weinte , schallte das fröhliche Getümmel von unten zu ihm herauf .
-- Verlassen von allem , fühlte er erst eine Art von bitterer Verachtung gegen sich selbst , die sich aber plötzlich in eine unaussprechliche Wehmut verwandelte , da er zufälliger Weise die Lieder der Madam Geoion aufschlug , und eins fand , das gerade auf seinen Zustand zu passen schien . --
Eine solche Vernichtung , wie er in diesem Augenblick fühlte , mußte nach dem Liede der Mad. Geoion vorhergehen , um sich in dem Abgrunde der ewigen Liebe , wie ein Tropfen im Ozean , zu verlieren . -- -- Allein , da nun der Hunger anfing , ihm unausstehlich zu werden , so wollten auch die Tröstungen der Madam Geoion nichts mehr helfen , und er wagte es , hinunter zu gehen , wo seine Eltern in großer Gesellschaft schmausten , öffnete ein klein wenig die Türe , und bat seine Mutter um den Schlüssel zum Speiseschranke , und um die Erlaubnis , sich ein wenig Brot nehmen zu dürfen , weil ihn sehr hungere .
Dies erweckte erst das Gelächter und nachher das Mitleid der Gesellschaft , nebst einigen Unwillen gegen seine Eltern .
Er wurde mit an den Tisch gezogen , und ihm von dem Besten vorgelegt , welches ihm denn B 5 freilich eine ganz andere Art von Freude , als vorher die Guionschen Trostlieder , gewährte .
Allein auch jene schwermutsvolle Tränenreiche Freude behielt immer etwas Anziehendes für ihn , und er überließ sich ihr , indem er die Guionschen Lieder las , so oft ihm ein Wunsch fehlgeschlagen war , oder ihm etwas trauriges bevorstand , als wenn er z. B. vorher wußte , daß sein Fuß verbunden , und die Wunde mit Höllenstein bestrichen werden sollte .
Das zweite Buch , was ihn sein Vater nebst den Guionschen Liedern lesen ließ , war eine Anweisung zum inneren Gebet von eben dieser Verfasserin .
Hierin wurde gezeigt , wie man nach und nach dahin kommen könne , sich im eigentlichen Verstande mit Gott zu unterreden , und seine Stimme im Herzen , oder das eigentliche innere Wort , deutlich zu vernehmen ; indem man sich nämlich zuerst so viel wie möglich von den Sinnen los zu machen , und sich mit sich selbst und seinen eigenen Gedanken zu beschäftigen suchte , oder meditieren lernte , welches aber auch erst aufhören , und man sich selbst sogar erst vergessen müsse , ehe man fähig sei , die Stimme Gottes in sich zu vernehmen .
Dies wurde von Anton mit dem größten Eifer befolgt , weil er wirklich begierig war , so etwas Wunderbares , als die Stimme Gottes , in sich zu hören .
Er saß daher halbe Stunden lang mit verschloßenen Augen , um sich von der Sinnlichkeit abzuziehen .
Sein Vater tat dieses zum größten Leidwesen seiner Mutter ebenfalls .
Auf Anton aber achtete sie nicht , weil sie ihn zu keiner Absicht fähig hielt , die er dabei haben könne .
Anton kam bald so weit , daß er glaubte , von den Sinnen ziemlich abgezogen zu sein , und nun fing er an , sich wirklich mit Gott zu unterreden , mit dem er bald auf einen ziemlich vertraulichen Fuß umging .
Den ganzen Tag über , bei seinen einsamen Spaziergängen , bei seinen Arbeiten , und sogar bei seinem Spiele sprach er mit Gott , zwar immer mit einer Art von Liebe und Zutrauen , aber doch so , wie man ungefähr mit einem seines Gleichen spricht , mit dem man eben nicht viel Umstände macht , und ihm war es denn wirklich immer , als ob Gott dieses oder jenes antwortete .
Freilich ging es nicht so ab , daß es nicht zuweilen einige Unzufriedenheit sollte gesetzt haben , wenn etwa ein unschuldiges Spielwerk , oder sonst ein Wunsch vereitelt wurde .
Dann hieß es oft : aber mir auch diese Kleinigkeit nicht einmal zu gewähren ! oder , das hättest du doch wohl können geschehen lassen , wenn es irgend möglich gewesen wäre ! und so nahm es sich denn Anton nicht übel , zuweilen ein wenig mit Gott nach seiner Art böse zu tun ; denn obgleich davon nichts in der Madam Geoion Schriften stand , so glaubte er doch , es gehöre mit zum vertraulichen Umgange .
Alle diese Veränderungen gingen mit ihm vom neunten bis zum zehnten Jahre vor .
Während dieser Zeit nahm ihn auch sein Vater , wegen des Schadens am Fuße , mit nach dem Gesundbrunnen in P .
Wie freute er sich nun , den Hrn. v. F. persönlich kennen zu lernen , von dem sein Vater beständig mit solcher Ehrfurcht , wie von einem übermenschlichen Wesen geredet hatte , und wie freute er sich , dort von seinen großen Fortschritten in der inneren Gottseligkeit Rechenschaft ablegen zu können : seine Einbildungskraft malte ihm dort eine Art von Tempel , worin er auch als Priester eingeweiht , und als ein solcher zur Verwunderung aller , die ihn kannten , zurückkehren würde .
Er machte nun mit seinem Vater die erste Reise , und während derselben war dieser auch etwas gütiger gegen ihn , und gab sich mehr mit ihm ab , als zu Hause .
Anton sah hier die Natur in unaussprechlicher Schönheit .
Die Berge rund umher in der Ferne und in der Nähe und die lieblichen Täler entzückten seine Seele , und schmolzen sie in Wehmut , die teils aus der Erwartung der großen Dinge entstand , die hier mit ihm vorgehen sollten .
Der erste Gang mit seinem Vater war in das Haus des Hrn. v. F. , wo dieser den Verwalter , Hrn. H. , zuerst sprach , ihn umarmte und küßte , und auf das freundschaftlichste von ihm bewillkommt wurde .
Ungeachtet der großen Schmerzen , die Anton durch die Reise an seinem Fuße empfand , war er doch beim Eintritt in das Haus des Hrn. v. F. vor Freuden außer sich .
Anton blieb diesen Tag in der Stube des Hrn. H. , mit dem er künftig alle Abend speisen mußte .
Übrigens bekümmerte man sich doch im Hause lange nicht so viel um ihn , wie er erwartet hatte .
Seine Übungen im inneren Gebet setzte er nun sehr fleißig fort ; allein es konnte denn freilich nicht fehlen , daß sie nicht zuweilen eine sehr kindische Wendung nehmen mußten .
Hinter dem Hause , wo sein Vater in P. logierte , war ein großer Baumgarten : hier fand er zufälliger Weise einen Schiebkaren , und machte sich das Vergnügen , damit im ganzen Garten herumzuschieben .
Um dies nun aber zu rechtfertigen , weil er anfing , es für Sünde zu halten , bildete er sich eine ganz sonderbare Grille .
Er hatte nämlich in den Guionschen Schriften und anderwärts viel von dem Jesulein gelesen , von welchem gesagt wurde , daß es allenthalben sei , und man beständig und an allen Orten mit ihm umgehen könne .
Das Diminutivum machte , daß er sich einen Knaben , noch etwas kleiner wie er , darunter vorstellte , und da er nun mit Gott selber schon so vertraut umging , warum nicht noch vielmehr mit diesem seinen Sohne , dem er zutraute , daß er sich nicht weigern werde , mit ihm zu spielen , und also auch nichts dawider haben werde , wenn er ihn ein wenig auf den Schiebkaren herum fahren wollte .
Nun schätzte er es sich aber doch für ein sehr großes Glück , eine so hohe Person auf den Schiebkarren herum fahren zu können , und ihr dadurch ein Vergnügen zu machen ; und da diese Person nun ein Geschöpf seiner Einbildungskraft war , so machte er auch mit ihr , was er wollte , und ließ sie oft kürzer , oft länger an dem Fahren Gefallen finden , sagte auch wohl zuweilen mit der größten Ehrerbietigkeit , wenn er vom Fahren müde war :
so gern ich wollte , ist es mir doch jetzt unmöglich , dich noch länger zu fahren .
So sah er dies am Ende für eine Art von Gottesdienst an , und hielt es nun für keine Sünde mehr , wenn er sich auch halbe Tage mit dem Schiebkarren beschäftigte .
Nun aber bekam er selbst mit Bewilligung des Hrn. v. F. ein Buch in die Hand , daß ihn wieder in eine ganz andere und neue Welt führte .
Es war die Acerra Philologik .
Hier las er nun die Geschichte von Troja , vom Ulysses , von der Circe , vom Tartarus und Elysium , und war sehr bald mit allen Göttern und Göttinnen des Heidentums bekannt .
Bald darauf gab man ihm auch den Telemach , ebenfalls mit Bewilligung des Hrn. v. F. zu lesen , vielleicht weil der Verfasser desselben , Hr. v. Fénelon , mit der Madam Geoion Umgang hatte .
Die Acerra Philologik war ihm zur Lektüre des Telemach eine schöne Vorbereitung gewesen , weil er dadurch mit der Götterlehre ziemlich bekannt geworden war , und sich schon für die meisten Helden interessierte , die er im Telemach wieder fand .
Diese Bücher wurden verschiedene Male nach einander mit der größten Begierde und mit wahrem Entzücken von ihm durchgelesen , insbesondere der Telemach , worin er zum erstenmal die Reize einer schönen zusammenhängenden Erzählung schmeckte .
Noch Die Stelle , welche ihn im ganzen Telemach am lebhaftesten gerührt hat , war die rührende Anrede des alten Mentors an den jungen Telemach , als dieser auf der Insel Zypern die Tugend mit dem Laster zu vertauschen im Begriff war , und ihm nun sein getreuer lange von ihm für verloren gehaltener Mentor plötzlich wieder erschien , dessen trauernder Anblick ihn bis in das innerste seiner Seele erschütterte .
Dies hatte nun freilich für Antons Seele weit mehr Anziehendes , als die biblische Geschichte , und alles , was er vorher in dem Leben der Altväter , oder in den Guionschen Schriften gelesen hatte ; und da ihm nie eigentlich gesagt worden war , daß jenes wahr , und dieses falsch sei , so fand er sich gar nicht ungeneigt , die heidnische Göttergeschichte mit allem , was da hineinschlug , wirklich zu glauben .
Eben so wenig konnte er aber auch , was in der Bibel stand , verwerfen ; um so vielmehr , da dies die ersten Eindrücke auf seine Seele gewesen waren .
Er suchte also , welches ihm allein übrig blieb , die verschiedenen Systeme , so gut C er konnte , in seinem Kopfe zu vereinigen , und auf die Weise die Bibel mit dem Telemach , das Leben der Altväter mit der Acerra Philologik , und die heidnische Welt mit der christlichen zu , sammen zu schmelzen .
Die erste Person in der Gottheit und Jupiter , Calypso und die Madam Geoion , der Himmel und Elysium , die Hölle und der Tartarus , Pluto und der Teufel , machten bei ihm die sonderbarste Ideenkombination , die wohl je in einem menschlichen Gehirn mag existiert haben .
Dies machte einen so starken Eindruck auf sein Gemüt , daß er noch lange nachher eine gewisse Ehrfurcht gegen die heidnischen Gottheiten behalten hat .
Von dem Hause , wo Antons Vater logierte , bis nach dem Gesundbrunnen und der Allee dabei , war ein ziemlich weiter Weg .
Anton schleppte sich demungeachtet mit seinem schmerzenden Fuße , das Buch unterm Arm , hinaus , und setzte sich auf eine Bank in der Allee , wo er im Lesen nach und nach seinen Schmerz vergaß , und bald nicht nur auf der Bank in P. sondern auf irgend einer Insel mit hohen Schlössern und Türmen , oder mitten im wilden Kriegsgetümmel sich befand .
Mit einer Art von wehmütiger Freude laß er nun , wenn Helden fielen , es schmerzte ihn zwar , aber doch dünkte ihm , sie mußten fallen .
Dies mochte auch wohl einen großen Einfluß auf seine kindischen Spiele haben .
Ein Fleck voll hochgewachsener Nesseln oder Disteln waren ihm so viele feindliche Köpfe , unter denen er manchmal grausam wütete , und sie mit seinem Stabe einen nach dem anderen herunter hieb .
Wenn er auf der Wiese ging , so machte er eine Scheidung , und ließ in seinen Gedanken zwei Heere gelber oder weißer Blumen gegeneinander anrücken .
Den größten unter ihnen gab er Namen von seinen Helden , und eine benannte er auch wohl von sich selber .
Dann stellte er eine Art von blinden Fatum vor , und mit zugemachten Augen hieb er mit seinem Stabe , wohin er traf .
Wenn er dann seine Augen wieder eröffnete , so sah er die schreckliche Zerstörung , hier lag ein Held und dort einer auf den Boden hingestreckt , und oft erblickte er mit einer sonderbaren weh C 2 mutigen und doch angenehmen Empfindung sich selbst unter den Gefallenen .
Er betrauerte dann eine Weile seine Helden , und verließ das fürchterliche Schlachtfeld .
Zu Hause , nicht weit von der Wohnung seiner Eltern , war ein Kirchhof , auf welchem er eine ganze Generation von Blumen und Pflanzen mit eisernem Zepter beherrschte , und keinen Tag hingehen ließ , wo er nicht mit ihnen eine Art von Musterung hielt .
Als er von P. wieder nach Hause gereist war , schnitzte er sich alle Helden aus dem Telemach von Papier , bemalte sie nach den Kupferstichen mit Helm und Panzer , und ließ sie einige Tage lang in Schlachtordnung stehen , bis er endlich ihr Schicksal entschied , und mit grausamen Messerhieben unter ihnen wütete , diesem den Helm , jenem den Schädel zerspaltete , und rund um sich her nichts als Tod und Verderben sah .
So liefen alle seine Spiele auch mit Kirsch- und Pflaumkernen auf Verderben und Zerstörung hinaus .
Auch über diese mußte ein blindes Schicksal walten , indem er zwei verschiedene Arten als Heere gegeneinander anrücken , und nun mit zugemachten Augen den eisernen Hammer auf sie herabfallen ließ , und wem es traf , den traf .
Wenn er Fliegen mit der Klappe tot schlug , so tat er dieses mit einer Art von Feierlichkeit , indem er einer jeden mit einem Stücke Messing , das er in der Hand hatte , vorher die Totenglocke läutete .
Das allergrößte Vergnügen machte es ihm , wenn er eine aus kleinen papiernen Häusern erbaute Stadt verbrennen , und dann nachher mit feierlichem Ernst und Wehmut den zurückgebliebenen Aschenhaufen betrachten konnte .
Ja als in der Stadt , wo seine Eltern wohnten , einmal wirklich in der Nacht ein Haus abbrannte , so empfand er bei allem Schreck eine Art von geheimen Wünsche , daß das Feuer nicht sobald gelöscht werden möchte .
Dieser Wunsch hatte nichts weniger als Schadenfreude zum Grunde , sondern entstand aus einer dunklen Ahnung von großen Veränderungen , Auswanderungen und Revolutionen , wo alle Dinge eine ganz andere Gestalt bekom C 3 men , und die bisherige Einförmigkeit aufhören würde .
Selbst der Gedanke an seine eigene Zerstörung war ihm nicht nur angenehm , sondern verursachte ihm sogar eine Art von wollüstiger Empfindung , wenn er oft des Abends , ehe er einschlief , sich die Auflösung und das Auseinanderfallen seines Körpers lebhaft dachte .
Antons dreimonatlicher Aufenthalt in P. war ihm in vieler Rücksicht sehr vorteilhaft , weil er fast immer sich selbst überlassen war , und das Glück hatte , diese kurze Zeit wieder von seinen Eltern entfernt zu sein , indem seine Mutter zu Hause geblieben war , und sein Vater andere Geschäfte in P. hatte , und sich nicht viel um ihn bekümmerte ; doch aber sich hier , wenn er ihn zuweilen sah , weit gütiger , als zu Hause , gegen ihn betrug .
Auch logierte mit Antons Vater in demselben Hause ein Engländer , der gut deutsch sprach , und sich mit Anton mehr abgab , wie irgend einer vor ihm getan hatte , indem er anfing , ihn durch bloßes Sprechen Englisch zu lehren , und sich über seine Progressen freute .
Er untere dete sich mit ihm , ging mit ihm spazieren , und konnte am Ende fast gar nicht mehr ohne ihn sein .
Dies war der erste Freund , den Anton auf Erden fand : mit Wehmut nahm er von ihm Abschied .
Der Engländer drückte ihm bei seiner Abreise ein silbern Schaustück in die Hand , das sollte er ihm zum Andenken aufbewahren , bis er einmal nach England käme , wo ihm sein Haus offen stände : nach fünfzehn Jahren kam Anton wirklich nach England , und hatte noch sein Schaustück bei sich , aber der erste Freund seiner Jugend war tot .
Anton sollte einmal diesen Engländer gegen einen Fremden , der ihn besuchen wollte , verleugnen , und sagen , er sei nicht zu Hause .
Man konnte ihn auf keine Weise dazu bringen , weil er keine Lüge begehen wollte .
Dies wurde ihm damals sehr hoch angerechnet , und war just einer der Fälle , wo er tugendhafter scheinen wollte , als er wirklich war , denn er hatte sich sonst eben aus einer Notlüge nicht so sehr viel gemacht ; aber seinen wahren inneren Kampf , wo er oft seine unschuldigsten Wünsche C 4 einem eingebildeten Mißfallen des göttlichen Wesens aufopferte , bemerkte niemand .
Indes war ihm das liebreiche Betragen , das man in P. gegen ihn bewies , sehr aufmunternd , und erhob seinen niedergedrückten Geist ein wenig .
Wegen seiner Schmerzen am Fuße bezeugte man ihm Mitleid , im v. Fischen Hause begegnete man ihm leutselig , und der Hr. v. F. küßte ihn auf die Stirn , so oft er ihm auf der Straße begegnete .
Dergleichen Begegnungen waren ihm ganz etwas Ungewohntes und Rührendes , das seine Stirn wieder freier , sein Auge offener , und seine Seele heiterer machte .
Er fing nun auch an , sich auf die Poesie zu legen , und besang , was er sah und hörte .
Er hatte zwei Stiefbrüder , die beide in P. das Schneiderhandwerk lernten , und deren Meister ebenfalls Anhänger der Lehre des Hrn. v. F. waren .
Von diesen nahm er in Versen , die er selbst gemacht und auswendig gelernt hatte , sehr rührend Abschied , so wie auch von dem v. Fischen Hause .
Freilich kehrte er nun nicht so wieder von P. zu Hause , wie er erwartet hatte , aber doch war er in dieser kurzen Zeit ein ganz anderer Mensch geworden , und seine Ideenwelt um ein Großes bereichert .
Allein zu Hause wurde durch die erneuerte Zwietracht seiner Eltern , wozu vermutlich die Ankunft seiner beiden Stiefbrüder vieles beitrug , und durch das unaufhörliche Schelten und Toben seiner Mutter , die guten Eindrücke , die er in P. und besonders in dem v. F. .schen Hause erhalten hatte , bald wieder ausgelöscht , und er befand sich aufs neue in seiner vorigen gehässigen Lage , wodurch seine Seele ebenfalls finster und menschenfeindlich gemacht wurde .
Da Antons beide Stiefbrüder bald abreisten , um ihre Wanderschaft anzutreten , so war auch der häusliche Friede eine Zeitlang wieder hergestellt , und Antons Vater las nun zuweilen selber , anstatt aus der Madam Geoion Schriften , etwas aus dem Telemach vor , oder erzählte ein Stück aus der älteren oder neueren Geschichte , worin er wirklich ziemlich bewandert war ( denn neben seiner Musik , worin er es im Praktischen weit gebracht hatte , machte er beständig aus dem Lesen nützlicher Bücher ein eigenes Studium , C 5 bis endlich die Guionschen Schriften alles übrige verdrängten .
Er redete daher auch eine Art von Büchersprache , und Anton erinnert sich noch sehr genau , wie er im siebenten oder achten Jahre oft sehr aufmerksam zuhörte , wann sein Vater sprach , und sich wunderte , daß er von allen den Wörtern , die sich auf heit , und keit , und ung endigten , keine Silbe verstand , da er doch sonst , was gesprochen wurde , verstehen konnte .
Auch war Antons Vater außer dem Hause ein sehr umgänglicher Mann , und konnte sich mit allerlei Leuten über allerlei Materien angenehm unterhalten .
Vielleicht wäre auch alles im Ehestande besser gegangen , wenn Antons Mutter nicht das Unglück gehabt hätte , sich oft für beleidigt , und gern für beleidigt zu halten , auch wo sie es wirklich nicht war , um nur Ursache zu haben , sich zu kränken und zu betrüben , und ein gewisses Mitleid mit sich selber zu empfinden , worin sie eine Art von Vergnügen fand .
Leider scheint sie diese Krankheit auf ihren Sohn fortgeerbt zu haben , der jetzt noch oft vergeblich damit zu kämpfen hat .
Schon als Kind , wenn alle etwas bekamen , und ihm sein Anteil hingelegt wurde , ohne dabei zu sagen , es sei der seinige , so ließ er ihn lieber liegen , ob er gleich wußte , daß er für ihn bestimmt war , um nur die Süßigkeit des Unrechtleidens zu empfinden , und sagen zu können , alle andere haben etwas , und ich nichts bekommen !
Da er eingebildetes Unrecht schon so stark empfand , um so viel stärker mußte er das wirkliche empfinden .
Und gewiß ist wohl bei niemanden die Empfindung des Unrechts stärker , als bei Kindern , und niemanden kann auch leichter Unrecht geschehen ; ein Satz , den alle Pädagogen täglich und stündlich beherzigen sollten .
Oft konnte Anton stundenlang nachdenken , und Gründe gegen Gründe auf das genaueste abwägen , ob eine Züchtigung von seinem Vater recht oder Unrecht sei ?
Jetzt genoß er in seinem elften Jahre zum erstenmal das unaussprechliche Vergnügen verbotener Lektüre .
Sein Vater war ein abgesagter Feind von allen Romanen , und drohte ein solches Buch sogleich mit Feuer zu verbrennen , wenn er es in seinem Hause fände .
Demungeachtet bekam Anton durch seine Base die schöne Banise , die Tausend und eine Nacht , und die Insel Felsenburg in die Hände , die er nun heimlich und verstohlen , obgleich mit Bewußtsein seiner Mutter , in der Kammer laß , und gleichsam mit unersättlicher Begierde verschlang .
Dies waren einige der süßesten Stunden in seinem Leben .
So oft seine Mutter hereintrat , drohte sie ihm bloß mit der Ankunft seines Vaters , ohne ihm selber das Lesen in diesen Büchern zu verbieten , worin sie ehemals ein eben so entzückendes Vergnügen gefunden hatte .
Die Erzählung von der Insel Felsenburg tat auf Anton eine sehr starke Wirkung , denn nun gingen eine Zeitlang seine Ideen auf nichts geringeres , als einmal eine große Rolle in der Welt zu spielen , und erst einen kleinen , denn immer größeren Zirkel von Menschen um sich her zu ziehen , von welchen er der Mittelpunkt wäre : dies erstreckte sich immer weiter , und seine ausschweifende Einbildungskraft ließ ihn endlich sogar Tiere , Pflanzen , und leblose Kreaturen , kurz alles , was ihn umgab , mit in die Sphäre seines Daseins hineinziehen , und alles mußte sich um ihn , als den einzigen Mittelpunkt , umher bewegen , bis ihm schwindelte .
Dieses Spiel seiner Einbildungskraft machte ihm damals oft wonnevollre Stunden , als er je nachher wieder genossen hat .
So machte seine Einbildungskraft die meisten Leiden und Freuden seiner Kindheit .
Wie oft , wenn er an einem trüben Tage bis zum Überdruß und Ekel in der Stube eingesperrt war , und etwa ein Sonnenstrahl durch eine Fensterscheibe fiel , erwachten auf einmal in ihm Vorstellungen vom Paradiese , von Elysium , oder von der Insel der Kalypso , die ihn ganze Stunden lang entzückten .
Aber von seinem zweiten und dritten Jahre an erinnert er sich auch der höllischen Qualen , die ihm die Märchen seiner Mutter und seiner Base im Wachen und im Schlafe machten :
wenn er bald im Traume lauter Bekannte um sich her sah , die ihn plötzlich mit scheußlich verwandelten Gesichtern anbleckten , bald eine hohe düstre Stiege hinaufstieg , und eine grauenvolle Gestalt ihm die Rückkehr verwehrte , oder gar der Teufel bald wie ein fleckiges Huhn , bald wie ein schwarzes Tuch an der Wand ihm erschien .
Als seine Mutter noch mit ihm auf dem Dorfe wohnte , jagte ihm jede alte Frau Furcht und Entsetzen ein , so viel hörte er beständig von Hexen und Zaubereien ; und wenn der Wind oft mit sonderbaren Getöne durch die Hütte Pfiff , so nannte seine Mutter dies im allegorischen Sinn den handlosen Mann , ohne weiter etwas dabei zu denken .
Allein sie würde es nicht getan haben , hätte sie gewußt , wie manche grauenvolle Stunde und wie manche schlaflose Nacht dieser handlose Mann ihrem Sohne noch lange nachher gemacht hat .
Insbesondere waren immer die letzten vier Wochen vor Weihnachten für Anton ein Fegefeuer , wogegen er gerne den mit Wachslichtern besteckten und mit übersilberten Äpfeln und Nüssen behängten Tannenbaum entbehrt hätte .
Da ging kein Tag hin , wo sich nicht ein sonderbares Getöse wie von Glocken , oder ein Scharren vor der Türe , oder eine dumpfe Stimme hätte hören lassen , die den sogenannten Ruprecht oder Vorgänger des heiligen Christs anzeigte , den Anton denn im ganzen Ernst für einen Geist oder ein übermenschliches Wesen hielt , und so ging auch diese ganze Zeit über keine Nacht hin , wo er nicht mit Schrecken und Angstschweiß vor der Stirn aus dem Schlaf erwachte .
Dies währte bis in sein achtes Jahr , wo erst sein Glaube an die Wirklichkeit des Ruprechts sowohl als des heiligen Christs an zu wanken fing .
So teilte ihm seine Mutter auch eine kindische Furcht vor dem Gewitter mit .
Seine einzige Zuflucht war alsdann , daß er , so fest er konnte , die Hände zusammen faltete , und sie nicht wieder auseinander ließ , bis das Gewitter vorüber war ; dies , nebst dem über sich geschlagenen Kreuze , war auch seine Zuflucht , und gleichsam eine feste Stütze , so oft er alleine schlief , weil er dann glaubte , es könne ihm weder Teufel noch Gespenster etwas anhaben .
Seine Mutter hatte einen sonderbaren Ausdruck , daß einem , der vor einem Gespenste fliehen will , die Fersen lang werden ; dies fühlte er im eigentlichen Verstande , so oft er im Dunklen etwas Gespensterähnliches zu sehen glaubte .
Auch pflegte sie von einem Sterbenden zu sagen , daß ihm der Tod schon auf der Zunge sitze ; dies nahm Anton ebenfalls im eigentlichen Verstande , und als der Mann seiner Base starb , stand er neben dem Bette , und sah ihm sehr scharf in den Mund , um den Tod auf der Zunge desselben , etwa , wie eine kleine schwarze Gestalt , zu entdecken .
Die erste Vorstellung über seinen kindischen Gesichtskreis hinaus bekam er ungefähr im fünften Jahre , als seine Mutter noch mit ihm in dem Dorfe wohnte , und eines Abends mit einer alten Nachbarin , ihm , und seinen Stiefbrüdern allein in der Stube saß .
Das Gespräch fiel auf Antons kleine Schwester , die vor kurzem in ihrem zweiten Jahre gestorben war , und worüber seine Mutter beinahe ein Jahr lang untröstlich blieb .
Wo wohl jetzt Julchen sein mag ? sagte sie nach einer langen Pause , und schwieg wieder .
Anton blickte nach dem Fenster hin , wo durch die düstre Nacht kein Lichtstrahl schimmerte , und fühlte fühlte zum erstenmal die wunderbare Einschränkung , die seine damalige Existenz von der gegenwärtigen beinahe so verschieden machte , wie das Dasein vom Nichtsein .
Wo mag jetzt wohl Julchen sein ? dachte er seiner Mutter nach , und Nähe und Ferne , Enge und Weite , Gegenwart und Zukunft blitzte durch seine Seele .
Seine Empfindung dabei malt kein Federzug ; tausendmal ist sie wieder in seiner Seele , aber nie mit der ersten Stärke , erwacht .
Wie groß ist die Seligkeit der Einschränkung , die wir doch aus allen Kräften zu fliehen suchen !
Sie ist wie ein kleines glückliches Eiland in einem stürmischen Meere : wohl dem , der in ihrem Schoße sicher schlummern kann , ihn weckt keine Gefahr , ihm drohen keine Stürme .
Aber wehe dem , der von unglücklicher Neugier getrieben , sich über dies dämmernde Gebirge hinauswagt , das wohltätig seinen Horizont umschränkt .
Er wird auf einer wilden stürmischen See von Unruhe und Zweifel hin und her getrieben , sucht unbekannte Gegenden in grauer Ferne , und sein kleines Eiland , auf dem er so sicher wohnte , hat alle seine Reize für ihn verloren .
D Eine von Antons seligsten Erinnerungen aus den frühesten Jahren seiner Kindheit ist , als seine Mutter ihn in ihren Mantel eingehüllt , durch Sturm und Regen trug .
Auf dem kleinen Dorfe war die Welt ihm schön , aber hinter dem blauen Berge , nach welchem er immer sehnsuchtsvoll blickte , warteten schon die Leiden auf ihn , die die Jahre seiner Kindheit vergällen sollten .
Da ich einmal in meiner Geschichte zurückgegangen bin , um Antons erste Empfindungen und Vorstellungen von der Welt nachzuholen , so muß ich hier noch zwei seiner frühesten Erinnerungen anführen , die seine Empfindung des Unrechts betreffen .
Er ist sich deutlich bewußt , wie er im zweiten Jahre , da seine Mutter noch nicht mit ihm auf dem Dorfe wohnte , von seinem Hause nach dem gegenüberstehenden , über die Straße hin und wieder lief , und einem wohlgekleideten Manne in den Weg rannte , gegen den er heftig mit den Händen ausschlug , weil er sich selbst und andere zu überreden suchte , daß ihm Unrecht geschehen sei , ob er gleich innerlich fühlte , daß er der beleidigende Teil war .
Diese Erinnerung ist wegen ihrer Seltenheit und Deutlichkeit merkwürdig : auch ist sie echt , weil der Umstand an sich zu geringfügig war , als daß ihm nachher jemand davon hätte erzählen sollen .
Die zweite Erinnerung ist aus dem vierten Jahre , wo seine Mutter ihn wegen einer wirklichen Unart schalt ; indem er sich nun gerade auszog , fügte es sich , daß eines seiner Kleidungsstücke mit einigem Geräusch auf den Stuhl fiel : seine Mutter glaubte , er habe es aus Trotz hingeworfen , und züchtigte ihn hart .
Dies war das erste wirkliche Unrecht , was er tief empfand , und was ihm nie aus dem Sinne gekommen ist ; seit der Zeit hielt er auch seine Mutter für ungerecht , und bei jeder neuen Züchtigung fiel ihm dieser Umstand ein .
Ich habe schon erwähnt , wie ihm der Tod in seiner Kindheit vorgekommen sei .
Dies dauerte bis in sein zehntes Jahr , als einmal eine Nachbarin seine Eltern besuchte , und erzählte , wie ihr Vetter , der ein Bergmann war , D 2 von der Leiter hinunter in die Grube gefallen sei , und sich den Kopf zerschmettert habe .
Anton hörte aufmerksam zu , und bei dieser Kopfzerschmetterung dachte er sich auf einmal ein gänzliches Aufhören von Denken und Empfinden , und eine Art von Vernichtung und Ermangelung seiner selbst , die ihn mit Grauen und Entsetzen erfüllte , so oft er wieder lebhaft daran dachte .
Seit der Zeit hatte er auch eine starke Furcht vor dem Tode , die ihm manche traurige Stunde machte .
Noch muß ich etwas von seinen ersten Vorstellungen , die er sich ebenfalls ungefähr im zehnten Jahre von Gott und der Welt machte , sagen .
Wenn oft der Himmel umwölkt , und der Horizont kleiner war , fühlte er eine Art von Bangigkeit , daß die ganze Welt wiederum mit eben so einer Decke umschlossen sei , wie die Stube , worin er wohnte , und wenn er dann mit seinen Gedanken über diese gewölbte Decke hinausging , so kam ihm diese Welt an sich viel zu klein vor , und es dünkte ihm , als müsse sie wiederum in einer anderen eingeschlossen sein , und das immer so fort .
Eben so ging es ihm mit seiner Vorstellung von Gott , wenn er sich denselben , als das höchste Wesen , denken wollte .
Er saß einmal in der Dämmerung an einem trüben Abend allein vor seiner Haustür , und dachte hierüber nach , indem er oft gen Himmel blickte , und dann wieder die Erde ansah , und bemerkte , wie sie selbst gegen den trüben Himmel so schwarz und dunkel war .
Über den Himmel dachte er sich Gott , aber jeder , auch der höchste Gott , den sich seine Gedanken schufen , war ihm zu klein , und mußte immer wieder noch einen höheren über sich haben , gegen den er ganz verschwand , und das so ins Unendliche fort .
Doch hatte er hierüber nie etwas gelesen noch gehört .
Was am sonderbarsten war , so geriet er durch sein beständiges Nachdenken und in sich gekehrt sein , sogar auf den Egoismus , der ihn beinahe hätte verrückt machen können .
Weil nämlich seine Träume größtenteils sehr lebhaft waren , und beinahe an die Wirklichkeit zu grenzen schienen ; so fiel es ihm ein , daß er auch wohl am hellen Tage träume , und die D 3 Leute um ihn her , nebst allem , was er sah , Geschöpfe seiner Einbildungskraft sein könnten .
Dies war ihm ein erschrecklicher Gedanke , und er fürchtete sich vor sich selber , so oft er ihm einfiel , auch suchte er sich dann wirklich durch Zerstreuung von diesen Gedanken los zu machen .
Nach dieser Ausschweifung wollen wir der Zeitfolge gemäß in Antons Geschichte wieder fortfahren , den wir elf Jahr alt bei der Lektüre der schönen Banise und der Insel Felsenburg verlassen haben .
Er bekam nun auch Fenelons Totengespräche , nebst dessen Erzählungen zu lesen , und sein Schreibmeister fing an , ihn eigene Briefe und Ausarbeitungen machen zu lassen .
Dies war für Anton eine noch nie empfundene Freude .
Er fing nun an , seine Lektüre zu nutzen , und hie und da Nachahmungen von dem Gelesenen anzubringen , wodurch er sich den Beifall und die Achtung seines Lehrers erwarb .
Sein Vater musizierte mit in einem Konzert , wo Rammlers Tod Jesu aufgeführt wurde , und brachte einen gedruckten Text davon mit zu Hause .
Dieser hatte für Anton so viel Anziehendes und übertraf alles Poetische , was er bisher gelesen hatte , so weit , daß er ihn so oft , und mit solchem Entzücken las , bis er ihn beinahe auswendig wußte .
Durch diese einzige so oft wiederholte zufällige Lektüre bekam sein Geschmack in der Poesie eine gewisse Bildung und Festigkeit , die er seit der Zeit nicht wieder verloren hat ; so wie in der Prosa durch den Telemach ; denn er fühlte bei der schönen Banise und Insel Felsenburg , ungeachtet des Vergnügens , das er darin fand , doch sehr lebhaft das Abstechende und Unedlere in der Schreibart .
Von poetischer Prosa fiel ihm Carl v. Mosers Daniel in der Löwengrube in die Hände , den er verschiedenemal durchlas , und woraus auch sein Vater zuweilen vorzulesen pflegte .
Die Brunnenzeit kam wieder heran , und Antons Vater beschloß , ihn wieder mit nach P. zu nehmen , allein diesmal sollte Anton nicht so viel Freude als im vorigen Jahre dort genießen , denn seine Mutter reiste mit .
Ihr unaufhörliches Verbieten von Kleinigkeiten und beständiges Schelten und Strafen zu unrechter Zeit , verleidete ihm alle edleren D 4 Empfindungen , die er hier vor einem Jahre gehabt hatte ; sein Gefühl für Lob und Beifall wurde dadurch so sehr unterdrückt , daß er zuletzt , beinahe seiner Natur zuwider eine Art von Vergnügen darin fand , sich mit den schmutzigsten Gassenbuben abzugeben , und mit ihnen gemeine Sache zu machen , bloß weil er verzweifelte , sich je die Liebe und Achtung in P. wieder zu erwerben , die er durch seine Mutter einmal verloren hatte , welche nicht nur gegen seinen Vater , so oft er zu Hause kam , sondern auch gegen ganz fremde Leute , beständig von nichts , als von seiner schlechten Aufführung sprach , wodurch dieselbe denn wirklick anfing , schlecht zu werden und sein Herz sich zu verschlimmern schien .
Er kam auch nun seltener in das v. Fische Haus , und die Zeit seines diesmaligen Aufenthalts in P. strich für ihn höchst unangenehm und traurig vorüber , so daß er sich oft noch mit Wehmut an die Freuden des vorigen Jahres zurückerinnerte , ob er gleich diesmal nicht so viel Schmerzen an seinem Fuß auszustehen hatte , der nun , nachdem der schadhafte Knochen herausgenommen war , wieder an zu heilen fing .
Bald nach der Zurückkunft seiner Eltern in H... trat Anton in sein zwölftes Jahr , worin ihm wiederum sehr viele Veränderungen bevorstanden :
denn noch in diesem Jahre sollte er von seinen Eltern getrennt werden .
Fürs erste stand ihm eine große Freude bevor .
Antons Vater ließ ihn auf Zureden einiger Bekannten in der öffentlichen Stadtschule eine lateinische Privatstunde besuchen , damit er wenigstens auf alle Fälle , wie es hieß , einen Kasum solle setzen lernen .
In die übrigen Stunden der öffentlichen Schule aber , worin Religionsunterricht die Hauptsache war , wollte ihn sein Vater , zum größten Leidwesen seiner Mutter und Anverwandten , schlechterdings nicht schicken .
Nun war doch einer von Antons eifrigsten Wünschen , einmal in eine öffentliche Stadtschule gehen zu dürfen , zum Teil erfüllt .
Beim ersten Eintritt waren ihm schon die dicken Mauern , dunklen gewölbten Gemächer , hundertjährigen Bänke , und vom Wurm durchlöcherten Katheder , nichts wie Heiligtümer , die seine Seele mit Ehrfurcht erfüllten . D 5 Der Konrektor , ein kleines munteres Männchen , flößte ihm , ungeachtet seiner nicht sehr gravitätischen Miene , dennoch durch seinen schwarzen Rock und Stutzperuque einen tiefen Respekt ein .
Dieser Mann ging auch auf einen ziemlich freundschaftlichen Fuß mit seinen Schülern um : gewöhnlich nannte er zwar einen jeden ihr , aber die vier obersten , welche er auch im Scherz Veteran hieß , wurden vorzugsweise er genannt .
Ob er dabei gleich sehr strenge war , hat doch Anton niemals einen Vorwurf noch weniger einen Schlag von ihm bekommen :
er glaubte daher auch in der Schule immer mehr Gerechtigkeit , als bei seinen Eltern zu finden .
Er mußte nun anfangen , den Donat auswendig zu lernen , allein freilich hatte er einen wunderbaren Akzent , der sich bald zeigte , da er gleich in der zweiten Stunde sein Mensa auswendig hersagen mußte , und indem er Singulariter und Pluraliter sagte , immer den Ton auf die vorletzte Silbe legte , weil er sich beim Auswendiglernen dieses Pensums , wegen der Ähnlichkeit dieser Wörter mit Amoriter , Je busiter , u. s. w. , fest einbildete , die Singulariter wären ein besonderes Volk , das Mensa , und die Pluraliter ein anderes Volk , das Mensä gesagt hätte .
Wie oft mögen ähnliche Mißverständnisse veranlaßt werden , wenn der Lehrer sich mit den ersten Worten des Lehrlings begnügen läßt , ohne in den Begriff desselben einzudringen !
Nun ging es an das Auswendiglernen .
Das amo , amem , amas , ames , wurde bald nach dem Takte hergebetet , und in den ersten sechs Wochen wußte er schon sein oportet auf den Fingern herzusagen ; dabei wurden täglich Vokabeln auswendig gelernt , und weil ihm niemals eine fehlte , so schwang er sich in kurzer Zeit von einer Stufe zur anderen empor und rückte immer näher an die Veteran heran .
Welch eine glückliche Lage , welch eine herrliche Laufbahn für Anton , der nun zum erstenmal in seinem Leben einen Pfad des Ruhms vor sich eröffnet sah , was er so lange vergeblich gewünscht hatte .
Auch zu Hause brachte er diese kurze Zeit ziemlich vergnügt zu , indem er alle Morgen , während daß seine Eltern Kaffee tranken , ihnen aus dem Thomas von Kempis von der Nachfolge Christi vorlesen mußte , welches er sehr gern tat .
Es wurde alsdann darüber gesprochen , und er durfte auch zuweilen sein Wort dazu geben .
Übrigens genoß er das Glück , nicht viel zu Hause zu sein , weil er noch die Stunden seines alten Schreibmeisters zu gleicher Zeit besuchte , den er , ungeachtet mancher Kopfstöße , die er von ihm bekommen hatte , so aufrichtig liebte , daß er alles für ihn aufgeopfert hätte .
Denn dieser Mann unterhielt sich mit ihm und seinen Mitschülern oft in freundschaftlichen und nützlichen Gesprächen , und weil er sonst von Natur ein ziemlich harter Mann zu sein schien , so hatte seine Freundlichkeit und Güte desto mehr Rührendes , das ihm die Herzen gewann .
So war nun Anton einmal auf einige Wochen in einer doppelten Lage glücklich :
aber wie bald wurde diese Glückseligkeit zerstört !
Damit er sich seines Glücks nicht überheben sollte , waren ihm fürs erste schon starke Demütigungen zubereitet .
Denn ob er nun gleich in Gesellschaft gesitteter Kinder unterrichtet wurde , so ließ ihn doch seine Mutter die Dienste der niedrigsten Magd verrichten .
Er mußte Wasser tragen , Butter und Käse aus den Kramläden holen , und wie ein Weib mit dem Korbe im Arm auf den Markt gehen , um Eßwaren einzukaufen .
Wie innig es ihn kränken mußte , wenn alsdann einer seiner glücklicheren Mitschüler hämischlächelnd vor ihm vorbeiging , darf ich nicht erst sagen .
Doch dies verschmerzte er noch gerne gegen das Glück in eine lateinischen Schule gehen zu dürfen , wo er nach zwei Monaten so weit gestiegen war , daß er nun an den Beschäftigungen des obersten Tisches , oder der sogenannten vier Veteran , mit Teil nehmen konnte .
Um diese Zeit führte ihn auch sein Vater zum erstenmal zu einem äußerst merkwürdigen Manne in H. , der schon lange der Gegenstand seiner Gespräche gewesen war .
Dieser Mann hieß Tischer , und war hundert und fünf Jahr alt .
Er hatte Theologie studiert , und war zuletzt Informator bei den Kindern eines reichen Kaufmanns in H. , gewesen , in dessen Hause er noch lebte , und von dem gegenwärtigen Besitzer desselben , der sein Eleve gewesen , und jetzt selber schon beinahe ein Greis geworden war , seinen Unterhalt bekam .
Seit seinem fünfzigsten Jahre war er taub , und wer mit ihm sprechen wollte , mußte beständig Tinte und Feder bei der Hand haben , und ihm seine Gedanken schriftlich aufsetzen , die er denn sehr vernehmlich und deutlich mündlich beantwortete .
Dabei konnte er noch im hundert und fünften Jahre sein kleingedrucktes griechisches Testament ohne Brille lesen , und redete beständig sehr wahr und zusammenhängend , obgleich oft etwas leiser , oder lauter , als nötig war , weil er sich selber nicht hören konnte .
Im Hause war er nicht anders , als unter dem Namen , der alte Mann , bekannt .
Man brachte ihm sein Essen , und sonstige Bequemlichkeiten , übrigens bekümmerte man sich nicht viel um ihn .
Eines Abends also , als Anton gerade bei seinem Donat saß , nahm ihn sein Vater bei der Hand und sagte : komme , jetzt will ich dich zu einem Manne führen , in dem du den heiligen Antonius , den heiligen Paulus , und den Erzvater Abraham wieder erblicken wirst .
Und indem sie hingingen , bereitete ihn sein Vater immer noch auf das , was er nun bald sehen würde , vor .
Sie traten ins Haus .
Antons Herz pochte .
Sie gingen über einen langen Hof hinaus , und stiegen eine kleine Windeltreppe hinauf , die sie in einen langen dunklen Gang führte , worauf sie wieder eine andere Treppe hinauf , und dann wieder einige Stufen hinabstiegen : dies schienen Anton labyrinthische Gänge zu sein .
Endlich öffnete sich linker Hand eine kleine Aussicht , wo das Licht durch einige Fensterscheiben , erst von einem anderen Fenster hineinfiel .
Es war schon im Winter , und die Türe auswendig mit Tuch behangen ; Antons Vater eröffnete sie : es war in der Dämmerung , das Zimmer weitläufig und groß , mit dunklen Tapeten ausgeziert , und in der Mitte an einem Tische , worauf Bücher hin und her zerstreut lagen , saß der Greis auf einem Lehnsessel .
Er kam ihnen mit entblößtem Haupt entgegen .
Das Alter hatte ihn nicht danieder gebückt , er war ein langer Mann , und sein Ansehen war groß und majestätisch .
Die schneeweißen Locken zierten seine Schläfe , und aus seinen Augen blickte eine unnennbare sanfte Freundlichkeit hervor .
Sie setzten sich .
Antons Vater schrieb ihm einiges auf .
Wir wollen beten , fing der Greis nach einer Pause an , und meinen kleinen Freund mit einschließen .
Drauf entblößte er sein Haupt und kniete nieder , Antons Vater neben ihm zur rechten , und Anton zur linken Seite .
Freilich fand dieser nun alles , was ihm sein Vater gesagt hatte , mehr als zu wahr .
Er glaubte wirklich neben einem der Apostel Christi zu knien , und sein Herz erhob sich zu einer hohen Andacht , als der Greis seine Hände ausbreitete , und mit wahrer Inbrunst sein Gebet anhob , das er bald mit lauter , bald mit leiserer Stimme fortsetzte .
Seine Seine Worte waren , wie eines , der schon mit allen seinen Gedanken und Wünschen jenseits des Grabes ist , und den nur noch ein Zufall etwas länger , als er glaubte , diesseits verweilen läßt .
So waren auch alle seine Gedanken aus jenem Leben gleichsam herüber geholt , und so wie er betete , schien sich sein Auge und seine Stirn zu verklären .
Sie standen vom Gebet auf , und Anton betrachtete nun den alten Mann in seinem Herzen beinahe schon wie ein höheres , übermenschliches Wesen .
Und als er den Abend zu Hause kam , wollte er schlechterdings mit einigen seiner Mitschüler sich nicht auf einen kleinen Schlitten im Schnee herumfahren , weil ihm dies nun viel zu unheilig vorkam , und er den Tag dadurch zu entweihen glaubte .
Sein Vater ließ ihn nun öfters zu diesem alten Manne gehen , und er brachte fast die ganze Zeit des Tages bei ihm zu , die er nicht in der Schule war .
E Alsdann bediente er sich dessen Bibliothek , die größtenteils aus mystischen Büchern bestand , und las viele davon von Anfang bis zu Ende durch .
Auch gab er dem alten Manne oft Rechenschaft von seinen Progressen im Lateinischen , und von den Ausarbeitungen bei seinem Schreibmeister .
So brachte Anton ein paar Monate ganz ungewöhnlich glücklich zu .
Aber welch ein Donnerschlag war es für Anton , als ihn beinahe zu gleicher Zeit die schreckliche Ankündigung geschah , daß noch mit diesem Monate seine lateinische Privatstunde aufhören , und er zugleich in eine andere Schreibschule geschickt werden solle .
Tränen und Bitten halfen nichts , der Ausspruch war getan .
Vierzehn Tage wußte es Anton vorher , daß er die lateinische Schule verlassen sollte , und je höher er nun rückte , desto größer wurde sein Schmerz .
Er griff also zu einem Mittel , sich den Abschied aus dieser Schule leichter zu machen , das man einem Knaben von seinem Alter kaum hätte zutrauen sollen .
Anstatt , daß er sich bemühte , weiter heraufzukommen , tat er das Gegenteil , und sagte entweder mit Fleiß nicht , was er doch wußte , oder legte es auf andere Weise darauf an , täglich eine Stufe herunter zu kommen , welches sich der Konrektor und seine Mitschüler nicht erklären konnten , und ihm oft ihre Verwunderung darüber bezeugten .
Anton allein wußte die Ursache davon , und trug seinen geheimen Kummer mit nach Hause und in die Schule .
Jede Stufe , die er auf die Art freiwillig herunterstieg , kostete ihm tausend Tränen , die er heimlich zu Hause vergoß ; aber so bitter diese Arznei war , die er sich selbst verschrieb , so tat sie doch ihre Wirkung .
Er hatte es selber so veranstaltet , daß er gerade am letzten Tage der unterste werden mußte .
Allein dies war ihm zu hart .
Die Tränen standen ihm in den Augen , und er bat , man möchte ihn nur noch heute an seinem Orte sitzen lassen , morgen wolle er gern den untersten Platz einnehmen .
Jeder hatte Mitleiden mit ihm , und man ließ ihn sitzen .
Den anderen Tag war der Monat aus , und er kam nicht wieder . E 2 Wie viel ihm diese freiwillige Aufopferung gekostet habe , läßt sich aus dem Eifer und der Mühe schließen , wodurch er sich jeden höheren Platz zu erwerben gesucht hatte .
Oft , wenn der Konrektor in seinem Schlafrocke aus dem Fenster sah , und er vor ihm vorbeiging , dachte er , o könntest du doch dein Herz gegen diesen Mann ausschütten ; aber dazu schien doch die Entfernung zwischen ihm und seinem Lehrer noch viel zu groß zu sein .
Bald darauf wurde er auch , ungeachtet alles seines Flehens und Bittens , von seinem geliebten Schreibmeister getrennt .
Dieser hatte freilich einige Nachlässigkeit in Antons Schreib- und Rechenbuche passieren lassen , worüber sein Vater aufgebracht war .
Anton nahm mit dem größten Eifer alle Schuld auf sich , und versprach und gelobte , was nur in seinen Kräften stand , aber alles half nichts ; er mußte seinen alten treuen Lehrer verlassen , und zu Ende des Monats anfangen , in der öffentlichen Stadtschule schreiben zu lernen .
Diese beiden Schläge auf einmal waren für Anton zu hart .
Er wollte sich noch an die letzte Stütze halten , und sich von seinen ehemaligen Mitschülern jedes aufgegebene Pensum sagen lassen , um es zu Hause zu lernen , und auf die Weise mit ihnen fortzurücken , als aber auch dies nicht gehen wollte , so erlag seine bisherige Tugend und Frömmigkeit , und er wurde wirklich eine Zeitlang aus einer Art von Mißmut und Verzweiflung , was man einen bösen Buben nennen kann .
Er zog sich mutwilliger Weise in der Schule Schläge zu , und hielt sie alsdann mit Trotz und Standhaftigkeit aus , ohne eine Miene zu verziehen , und dies machte ihm dazu ein Vergnügen , das ihm noch lange in der Erinnerung angenehm war .
Er schlug und balgte sich mit Straßenbuben , versäumte die Lehrstunden in der Schule , und quälte einen Hund , den seine Eltern hatten , wie und wo er nur konnte .
In der Kirche , wo er sonst ein Muster der Andacht gewesen war , plauderte er mit seines Gleichen den ganzen Gottesdienst über .
Oft fiel es ihm ein , daß er auf einem bösen Wege begriffen sei , er erinnerte sich mit Weh E 3 Mut an seine vormaligen Bestrebungen , ein frommer Mensch zu werden , allein so oft er im Begriff war , umzukehren , schlug eine gewisse Verachtung seiner selbst , und ein nagender Mißmut seine besten Vorsätze nieder , und machte , daß er sich wieder in allerlei wilden Zerstreuungen zu vergessen suchte .
Der Gedanke , daß ihm seine liebsten Wünsche und Hoffnungen fehl geschlagen , und die angetretene Laufbahn des Ruhms auf immer verschlossen war , nagte ihn unaufhörlich , ohne daß er sich dessen immer deutlich bewußt war , und trieb ihn zu allen Ausschweifungen .
Er wurde ein Heuchler gegen Gott , gegen andere , und gegen sich selbst .
Sein Morgen- und Abendgebet las er pünktlich wie vormals , aber ohne alle Empfindung .
Wenn er zu dem alten Manne kam , tat er alles , was er sonst mit aufrichtigem Herzen getan hatte , aus Verstellung , und heuchelte in frommen Mienen und aufgeschriebenen Worten , worin er fälschlich einen gewissen Durst und Sehnsucht nach Gott vorgab , um sich bei diesem Manne in Achtung zu erhalten .
Ja zuweilen konnte er heimlich lachen , indes der alte Mann sein Geschriebenes las .
So fing er auch an , seinen Vater zu betrügen .
Dieser ließ sich einmal gegen ihn verlauten : damals vor drei Jahren sei er noch ein ganz anderer Knabe gewesen , als er in P. sich weigerte , eine Notlüge zu tun , indem er den Engländer verleugnen sollte .
Weil sich nun Anton bewußt war , daß gerade dies damals mehr aus einer Art von Affektation , als wirklichem Abscheu gegen die Lüge geschehen sei , so dachte er bei sich selber :
wenn sonst nichts verlangt wird , um mich beliebt zu machen , das soll mir wenig Mühe kosten ; und nun wußte er es in kurzer Zeit durch eine Art von bloßer Heuchelei , die er doch aber vor sich selber als Heuchelei zu verbergen suchte , so weit zu bringen , daß sein Vater über ihn mit dem Hrn. v. F. korrespondierte , und denselben von Antons Seelenzustande Nachricht gab , um seinen Rat darüber einzuholen .
Indes wie Anton sah , daß die Sache so ernsthaft wurde , wurde er auch ernsthafter dabei , und entschloß sich zuweilen , sich nun im Ernst E 4 von seinem bösen Leben zu bekehren , weil er die bisherige Heuchelei nicht länger mehr vor sich selbst verdecken konnte .
Allein nun fielen ihm die Jahre ein , die er von der Zeit seiner vormaligen wirklichen Bekehrung an versäumt hatte , und wie weit er nun schon sein könnte , wenn er das nicht getan hätte .
Dies machte ihn äußerst mißvergnügt und traurig .
Überdem las er bei dem alten Manne ein Buch , worin der Prozeß der ganzen Heilsordnung durch Buße , Glauben , und gottselig Leben , mit allen Zeichen und Symptomen ausführlich beschrieben war .
Bei der Buße mußten Tränen , Reue , Traurigkeit und Mißvergnügen sein : dies alles war bei ihm da .
Bei dem Glauben mußte eine ungewohnte Heiterkeit und Zuversicht zu Gott in der Seele sein : dies kam auch .
Und nun mußte sich drittens das gottselige Leben von selber finden :
aber dies fand sich nicht so leicht .
Anton glaubte , wenn man einmal fromm und gottselig leben wolle , so müsse man es auch beständig , und in jedem Augenblicke , in allen seinen Mienen und Bewegungen , ja sogar in seinen Gedanken sein ; auch müsse man keinen Augenblick lang vergessen , daß man fromm sein wolle .
Nun vergaß er es aber natürlicher Weise sehr oft : seine Miene blieb nicht ernsthaft , sein Gang nicht ehrbar , und seine Gedanken schweiften in irdischen weltlichen Dingen aus .
Nun glaubte er , sei alles vorbei , er habe noch so viel , wie nichts getan , und müsse wieder von vorn anfangen .
So ging es oft verschiedenemal in einer Stunde , und dies war für Anton ein höchst peinlicher und ängstlicher Zustand .
Er überließ sich wieder , aber beständig mit Angst und klopfendem Herzen , seinen vorigen Zerstreuungen .
Dann fing er das Werk seiner Bekehrung einmal von vorn wieder an , und so schwankte er beständig hin und her , und fand nirgends Ruhe und Zufriedenheit , indem er sich vergeblich die E 5 unschuldigsten Freuden seiner Jugend verbitterte , und es doch in dem anderen nie weit brachte .
Dies beständige Hin- und Herschwanken ist zugleich ein Bild von dem ganzen Lebenslaufe seines Vaters , dem es im fünfzigsten Jahre seines Lebens noch nicht besser ging , und der doch immer noch das Rechte zu finden hoffte , wonach er so lange vergeblich gestrebt hatte .
Mit Anton war es anfänglich ziemlich gut gegangen : allein seitdem er kein Latein mehr lernen sollte , litte seine Frömmigkeit einen großen Stoß ; sie war nichts , als ein ängstliches , gezwungenes Wesen , und es wollte nie recht mit ihm fort .
Er las darauf irgendwo , wie unnütz und schädlich das Selbstbessern sei , und daß man sich bloß leidend verhalten , und die göttliche Gnade in sich wirken lassen müsse :
er betete daher oft sehr aufrichtig :
Herr bekehre du mich , so werde ich bekehret !
aber alles war vergeblich .
Sein Vater reiste diesen Sommer wieder nach P. , und Anton schrieb ihm , wie schlecht es mit dem Selbstbessern vorwärts ginge , und daß er sich wohl darin geirrt habe , weil die göttliche Gnade doch alles tun müsse .
Seine Mutter hielt diesen ganzen Brief für Heuchelei , wie er denn wirklich nicht ganz davon frei sein mochte , und schrieb eigenhändig darunter :
Anton führt sich auf , wie alle gottlose Buben .
Nun war er sich doch eines wirklichen Kampfes mit sich selbst bewußt , und es mußte also äußerst kränkend für ihn sein , daß er mit allen gottlosen Buben in eine Klasse geworfen wurde .
Dies schlug ihn so sehr nieder , daß er nun wirklich eine Zeitlang wieder ausschweifte , und sich mutwillig mit wilden Buben abgab ; worin er denn durch das Schelten und sogenannte Predigen seiner Mutter noch immer mehr bestärkt wurde :
denn dies schlug ihn immer noch tiefer nieder , so daß er sich oft am Ende selbst für nichts mehr , als einen gemeinen Gassenbuben hielt , und nun um desto eher wider Gemeinschaft mit ihnen machte .
Dies dauerte , bis sein Vater von P. wieder zurückkam .
Nun eröffneten sich für Anton auf einmal ganz neue Aussichten .
Schon zu Anfange des Jahres war seine Mutter mit Zwillingen niedergekommen , wovon nur der eine leben blieb , zu welchen ein Hutmacher in B. , Namens L. , Gevatter geworden war .
Dieser war einer von den Anhängern des Hrn. v. F. , wodurch ihn Antons Vater schon seit ein paar Jahren kannte .
Da nun Anton doch einmal bei einem Meister sollte untergebracht werden , ( denn seine beiden Stiefbrüder hatten nun schon ausgelernt , und jeder war mit seinem Handwerke unzufrieden , wozu er von seinem Vater mit Gewalt gezwungen war ) und da der Hutmacher L. gerade einen Burschen haben wollte , der ihn fürs erste nur zur Hand wäre : welch eine herrliche Türe eröffnete sich nun , nach seines Vaters Meinung , für Anton , daß er eben so , wie seine beiden Stiefbrüder , bei einem so frommen Manne , der dazu ein eifriger Anhänger des Hrn. v. F. war , schon so früh könne untergebracht , und von demselben zur wahren Gottseligkeit und Frömmigkeit angehalten werden .
Dies mochte schon länger im Werk gewesen sein , und war vermutlich die Ursache , warum Antons Vater ihn aus der lateinischen Schule genommen hatte .
Nun aber hatte Anton , seitdem er Latein gelernt , sich auch das Studieren fest in den Kopf gesetzt ; denn er hatte eine unbegrenzte Ehrfurcht gegen alles , was studiert hatte und einen schwarzen Rock trug , so daß er diese Leute beinahe für eine Art übermenschlicher Wesen hielt .
Was war natürlicher , als daß er nach dem strebte , was ihm auf der Welt das Wünschenswerteste zu sein schien ?
Nun hieß es , der Hutmacher L. in Braunschweig wolle sich Antons , wie ein Freund , annehmen , er solle bei ihm wie ein Kind gehalten sein , und nur leichte und anständige Arbeiten , als etwa Rechnungen schreiben , Bestellungen ausrichten , u. d. gl. übernehmen , alsdann solle er auch noch zwei Jahre in die Schule gehen , bis er konfirmiert wäre , und sich dann zu etwas entschließen könnte .
Dies klang in Antons Ohren äußerst angenehm , insbesondere der letzte Punkt von der Schule ; denn wenn er diesen Zweck nur erst erreicht hätte , glaubte er , würde es ihm nicht fehlen , sich so vorzüglich auszuzeichnen , daß sich ihm zum Studieren von selber schon Mittel und Wege eröffnen müßten .
Er schrieb selber zugleich mit seinem Vater an den Hutmacher L. , den er schon im Voraus innig liebte , und sich auf die herrlichen Tage freute , die er bei ihm zubringen würde .
Und welche Reize hatte die Veränderung des Orts für ihn !
Der Aufenthalt in H. , und der ewige einförmige Anblick eben derselben Straßen und Häuser wurde ihm nun unerträglich : neue Türme , Tore , Wälle und Schlösser stiegen beständig in seiner Seele auf , und ein Bild verdrängte das andere .
Er war unruhig , und zählte Stunden und Minuten bis zu seiner Abreise .
Der erwünschte Tag war endlich da .
Anton nahm von seiner Mutter , und von seinen beiden Brüdern Abschied , wovon der ältere Christian fünf Jahr , und der jüngere Simon , der nach dem Hutmacher L. genannt war , kaum ein Jahr alt sein mochte .
Sein Vater reiste mit ihm , und es ging nun halb zu Fuße , halb zu Wagen , mit einer wohlfeilen Gelegenheit fort .
Anton genoß jetzt zum erstenmal in seinem Leben das Vergnügen zu wandern , welches ihm in der Zukunft mehr wie zu häufig aufgespart war .
Je mehr sie sich Braunschweig näherten , je mehr war Antons Herz voll Erwartung .
Der Andreasthurm ragte mit seiner roten Kuppel majestätisch hervor .
Es war gegen Abend .
Anton sah in der Ferne die Schildwache auf dem hohen Walle hin und her gehen .
Tausend Vorstellungen , wie sein künftiger Wohltäter aussehen , wie sein Alter , sein Gang , seine Mienen sein würden , stiegen in ihm auf und verschwanden wieder .
Er setzte endlich von demselben ein so schönes Bild zusammen , daß er ihn schon im Voraus liebte .
Überhaupt pflegte Anton in seiner Kindheit durch den Klang der eigenen Namen von Personen oder Städten zu sonderbaren Bildern und Vorstellungen von den dadurch bezeichneten Gegenständen veranlaßt zu werden .
Die Höhe oder Tiefe der Vokale in einem solchen Namen trug zur Bestimmung des Bildes das meiste bei .
So klang der Name Hannover beständig prächtig in seinem Ohr , und ehe er es sah , war es ihm ein Ort mit hohen Häusern und Türmen , und von einem hellen und lichten Ansehen .
Braunschweig schien ihm länglich von dunklerem Ansehen und größer zu sein , und Paris stellte er sich , nach eben einem solchen dunklen Gefühle bei dem Namen , vorzüglich voll heller weißlicher Häuser vor .
Es ist dieses auch sehr natürlich :
denn von einem Dinge , wovon man nichts wie den Namen weiß , arbeitet die Seele , sich , auch vermittels der entferntesten Ähnlichkeiten , ein Bild zu entwerfen , und in Ermangelung aller anderen Vergleichungen , muß sie zu dem willkürlichen Namen Namen des Dinges ihre Zuflucht nehmen , wo sie auf die hart oder weich , voll oder schwach , hoch oder tief , dunkel oder hell klingenden Töne merkt , und zwischen denselben und dem sichtbaren Gegenstande eine Art von Vergleichung anstellt , die manchmal zufälliger Weise eintrifft .
Bei dem Namen L. dachte sich Anton ungefähr einen etwas langen Mann , deutsch und bieder , mit einer freien offenen Stirn , u. s. w. Allein diesmal täuschte ihn seine Namendeutung sehr .
Es fing schon an , dunkel zu werden , als Anton mit seinem Vater über die großen Zugbrücken , und durch die gewölbten Tore in die Stadt B. .. einwanderte .
Sie kamen durch viele enge Gassen , vor dem Schlosse vorbei , und endlich über eine lange Brücke in eine etwas dunkle Straße , wo der Hutmacher L. einem langen öffentlichen Gebäude gegenüber wohnte .
Nun standen sie vor dem Hause .
Es hatte eine schwärzliche Außenseite , und eine große schwarze Tür , die mit vielen eingeschlagenen Nägeln versehen war .
F Oben hing ein Schild mit einem Hute heraus , woran der Name L. zu lesen war .
Ein altes Mütterchen , die Ausgeberin vom Hause , eröffnete ihnen die Tür , und führte sie zur rechten Hand in eine große Stube , die mit dunkelbraun angestrichenen Brettern getäfelt war , worauf man noch mit genauer Not eine halb verwischte Schilderung von den fünf Sinnen entdecken konnte .
Hier empfing sie denn der Herr des Hauses .
Ein Mann von mittleren Jahren , mehr klein als groß , mit einem noch ziemlich jugendlichen aber dabei blassen und melancholischen Gesichte , das sich selten in ein anderes , als eine Art von bittersüßen Lächeln verzog , dabei schwarzes Haar , ein ziemlich schwärmerisches Auge , etwas feines und delikates in seinen Reden , Bewegungen , und Manieren , das man sonst bei Handwerksleuten nicht findet , und eine reine aber äußerst langsame , träge und schleppende Sprache , die die Worte , wer weiß wie lang zog , besonders wenn das Gespräch auf andächtige Materien fiel : auch hatte er einen unerträglich intoleranten Blick , wenn sich seine schwarzen Augenbraunen über die Ruchlosigkeit und Bosheit der Menschenkinder , und insbesondere seiner Nachbaren , oder seiner eigenen Leute , zusammenzogen .
Anton erblickte ihn zuerst in einer grünen Pelzmütze , blauem Brusttuch und braunen Kamisol drüber , nebst einer schwarzen Schürze , seiner gewöhnlichen Hauskleidung , und es war ihm beim ersten Blick , als ob er in ihm einen strengen Herrn und Meister , statt eines künftigen Freundes und Wohltäters gefunden hätte .
Seine vorgefaßte innige Liebe verlosch , als wenn Wasser auf einen Funken geschüttet wäre , da ihn die erste kalte , trockene , gebieterische Miene seines vermeinten Wohltäters ahnden ließ , daß er nichts weiter , wie sein Lehrjunge sein werde .
Die wenigen Tage über , daß sein Vater da blieb , wurde noch einige Schonung gegen ihn beobachtet ; allein sobald dieser abgereist war , mußte er eben so , wie der andere Lehrbursch , in der Werkstatt arbeiten .
Er wurde zu den niedrigsten Beschäftigungen gebraucht ; er mußte Holz spalten , Wasser tragen , und die Werkstatt auskehren . F 2 So sehr dies gegen seine Erwartungen abstach , wurde ihm doch das Unangenehme einigermaßen durch den Reiz der Neuheit ersetzt .
Und er fand wirklich eine Art von Vergnügen , selbst beim Auskehren , Holzspalten , und Wassertragen .
Seine Phantasie aber , womit er sich alles dies ausmalte , kam ihm auch sehr dabei zu statt .
-- Oft war ihm die geräumige Werkstatt , mit ihren schwarzen Wänden , und dem schauerlichem Dunkel , das des Abends und Morgens nur durch den Schimmer einiger Lampen erhellt wurde , ein Tempel , worin er diente .
Des Morgens zündete er unter den großen Kesseln das heilige belebende Feuer an , wodurch nun den Tag über alles in Arbeit und Tätigkeit erhalten , und so vieler Hände beschäftiget wurden .
Er betrachtete dann dies Geschäft , wie eine Art von Amt , dem er in seinen Augen eine gewisse Würde erteilte .
Gleich hinter der Werkstatt floß die Oker , auf welcher eine Fülle oder Vorsprung von Brettern zum Wasserschöpfen hinausgebaut war .
Er betrachtete dies alles gewissermaßen als sein Gebiet -- und zuweilen , wenn er die Werkstatt gereinigt , die großen eingemauerten Kessel gefüllt , und das Feuer unter denselben angezündet hatte , konnte er sich ordentlich über sein Werk freuen -- als ob er nun einem jeden sein Recht getan hätte -- seine immer geschäftige Einbildungskraft belebte das Leblose um ihn her , und machte es zu wirklichen Wesen , mit denen er umgieng , und sprach .
Überdem machte ihm der ordentliche Gang der Geschäfte , den er hier bemerkte , eine Art von angenehmer Empfindung , daß er gern ein Rad in dieser Maschine mit war , die sich so ordentlich bewegte :
denn zu Hause hatte er nichts dergleichen gekannt .
Der Hutmacher L. hielt wirklich sehr auf Ordnung in seinem Hause , und alles ging hier auf den Glockenschlag : Arbeiten , Essen , und Schlafen .
Wenn ja eine Ausnahme gemacht wurde , so war es in Ansehung des Schlafs , der freilich ausfallen mußte , wenn des Nachts gearbeitet wurde , welches denn wöchentlich wenigstens einmal geschah . F 3 Sonst war das Mittagsessen immer auf den Schlag zwölf , das Frühstück Morgens , und das Abendbrot Abends um acht Uhr , pünktlich da .
Dies war es denn auch , worauf bei der Arbeit immer gerechnet wurde -- so verfloß damals Antons Leben : des Morgens von sechs Uhr an rechnete er bei seiner Arbeit aufs Frühstück , das er immer schon in der Vorstellung schmeckte , und wenn er es erhielt , mit dem gesündesten Appetit verzehrte , den ein Mensch nur haben kann , ob es gleich in weiter nichts , als dem Bodensatz vom Kaffee , mit etwas Milch , und einem Zweipfennigbrote bestand .
Dann ging es wieder frisch an die Arbeit , und die Hoffnung aufs Mittagsessen brachte wiederum neues Interesse in die Morgenstunden , wenn die Einförmigkeit der Arbeit zu ermüdend wurde .
Des Abends wurde Jahr aus , Jahr ein , eine Kaltschale von starkem Biere gegeben .
Reiz genug , um die Nachmittagsarbeiten zu versüßen .
Und dann vom Abendessen an , bis zum Schlafengehen , war es der Gedanke an die baldbevorstehende sehnlichgewünschte Ruhe , der nun über das Unangenehme und Mühsame der Arbeit , wieder seinen tröstlichen Schimmer verbreitete .
Freilich wußte man , daß den folgenden Tag der Kreislauf des Lebens so von vorn wieder anfing .
Aber auch diese zuletzt ermüdende Einförmigkeit im Leben , wurde durch die Hoffnung auf den Sonntag wieder auf eine angenehme Art unterbrochen .
Wenn der Reiz des Frühstücks , und des Mittags- und Abendessens nicht mehr hinlänglich war , die Lebens- und Arbeitslust zu erhalten , dann zählte man , wie lange es noch bis auf den Sonntag war , wo man einen ganzen Tag von der Arbeit feiern , und einmal aus der dunklen Werkstatt vors Tor hinaus in das freie Feld gehen , und des Anblicks der freien offenen Natur genießen konnte .
O , welche Reize hat der Sonntag für den Handwerksmann , die den höheren Klassen von Menschen unbekannt ist , welche von ihren Geschäften ausruhen können , wenn sie wollen . --
F 4 " Daß deiner Magd Sohn sich erfreue ! "
-- Nur der Handwerksmann kann es ganz fühlen , was für ein großer , herrlicher , menschenfreundlicher Sinn in diesem Gesetze liegt ! --
Wenn man nun auf einen Tag Ruhe von der Arbeit schon sechs Tage lang rechnete , so fand man es wohl der Mühe wert , auf drei oder gar vier Feiertage nach einander , ein Drittteil des Jahres zu rechnen .
Wenn selbst der Gedanke an den Sonntag oft nicht mehr fähig war , den Überdruß an dem Einförmigen zu verhindern , so wurde durch die Nähe von Ostern , Pfingsten , oder Weihnachten der Lebensreiz wieder aufgefrischt .
Und wenn dies alles zu schwach war , so kam die süße Hoffnung an die Vollendung der Lehrjahre , an das Gesellenwerden hinzu , welche alles andere überstieg , und eine neue große Epoche ins Leben brachte .
Weiter ging nun aber auch der Gesichtskreis bei Antons Mitlehrburschen nicht -- und sein Zustand war dadurch gewiß um nichts verschlimmert .
Nach einer allgütigen und weisen Einrichtung der Dinge hat auch das mühevolle , einförmige Leben des Handwerksmannes , seine Einschnitte und Perioden , wodurch ein gewisser Takt und Harmonie hereingebracht wird , welcher macht , daß es unbemerkt abläuft , ohne seinem Besitzer eben Langeweile gemacht zu haben .
Aber Antons Seele war durch seine romanhaften Ideen einmal zu diesem Takt verstimmt .
Dem Hause des Hutmachers gerade gegenüber war eine lateinische Schule , die Anton zu besuchen vergeblich gehofft hatte -- so oft er die Schüler heraus- und hineingehen sah , dachte er mit Wehmut an die lateinische Schule , und an den Konrektor in H. zurück -- und wenn er gar etwa vor der großen Martinsschule vorbeigieng , und die erwachsenen Schüler herauskommen sah , so hätte er alles darum gegeben , dies Heiligtum nur einmal inwendig betrachten zu können .
Einmal eine solche Schule besuchen zu dürfen , hielt er zwar bei seinem jetzigen Zustande beinahe für unmöglich ; demungeachtet aber konnte er sich einen schwachen Schimmer von Hoffnung dazu nicht ganz versagen . F 5 Selbst die Chorschüler schienen ihm Wesen aus einer höheren Sphäre zu sein ; und wenn er sie auf der Straße singen hörte , konnte er sich nicht enthalten , ihnen nachzugehen , sich an ihrem Anblick zu ergötzen , und ihr glänzendes Schicksal zu beneiden .
Wenn er mit seinem Mitlehrburschen in der Werkstatt alleine war , suchte er ihm alle die kleinen Kenntnisse mitzuteilen , welche er sich teils durch eigenes Lesen , und teils durch den Unterricht , den er genossen , erworben hatte .
Er erzählte ihm vom Jupiter und der Juno , und suchte ihm den Unterschied zwischen Adjektiv und Substantivum deutlich zu machen , um ihn zu lehren , wo er einen großen Buchstaben , oder einen kleinen setzen müsse .
Dieser hörte ihm denn aufmerksam zu , und zwischen ihnen wurden oft moralische und religiöse Gegenstände abgehandelt .
Antons Mitlehrbursche war bei diesen Gelegenheiten vorzüglich stark in Erfindung neuer Wörter , wodurch er seine Begriffe bezeichnete .
So nannte er z. B. die Befolgung der göttlichen Befehle , die Erfülligkeit Gottes --
Und indem er vorzüglich die religiösen Ausdrücke des Hrn. L. von Ertötung , u. s. w. nachzuahmen suchte , geriet er oft in ein sonderbares Galimathias .
Mit vorzüglichem Nachdruck wußte er sich einiger Stellen aus den Psalmen Davids , worin eben keine sanftmütigen Gesinnungen gegen die Feinde geäußert werden , zu bedienen , wenn er glaubte , durch die Haushälterin oder jemand anders , angeschwärzt und verleumdet zu sein .
So waren fast alle Hausgenossen mehr oder weniger von den religiösen Schwärmereien des Hrn. L. angesteckt , ausgenommen der Geselle .
Dieser warf ihm , wenn er ihm manchmal zuviel von Ertötung und Vernichtung schwatzte , einen solchen tötenden und vernichtenden Blick zu , daß Hr. L. sich mit Abscheu wegwandte , und still schwieg .
Sonst konnte Hr. L. zuweilen stundenlange Strafpredigten gegen das ganze menschliche Geschlecht halten .
Mit einer sanften Bewegung der rechten Hand teilte er dann Segen und Verdammnis aus .
Seine Miene sollte dabei mitleidsvoll sein , aber die Intoleranz und der Menschen haß hatten sich zwischen seinen schwarzen Augenbraunen gelagert .
Die Nutzanwendung lief denn immer , politisch genug , darauf hinaus , daß er seine Leute zum Eifer und zur Treue -- in seinem Dienste ermahnte , wenn sie nicht ewig im höllischen Feuer brennen wollten .
Seine Leute konnten ihm nie genug arbeiten -- und er machte ein Kreuz über das Brot und die Butter , wenn er ausging .
Dem Anton , der ihm vielleicht nicht genug arbeiten konnte , verbitterte er sein Mittagsessen durch tausend wiederholte Lehren , die er ihm gab , wie er das Messer und die Gabel halten , und die Speise zum Munde führen sollte , daß diesem oft alle Lust zum Essen verging ; bis sich der Geselle einmal nachdrücklich seiner annahm , und Anton doch nun in Frieden essen konnte .
-- Übrigens aber durfte er es auch nicht wagen , nur einen Laut von sich zu geben , denn an allem , was er sagte , an seinen Mienen , an seinen kleinsten Bewegungen , fand L. immer etwas auszusetzen ; nichts konnte ihm Anton zu Danke machen , welcher sich endlich beinahe in seiner Gegenwart zu gehen fürchtete , weil er an jedem Tritt etwas zu tadeln fand .
-- Seine Intoleranz erstreckte sich bis auf jedes Lächeln , und jeden unschuldigen Ausbruch des Vergnügens , der sich in Antons Mienen oder Bewegungen zeigte :
denn hier konnte er sie einmal recht nach Gefallen auslassen , weil er wußte , daß ihm nicht widersprochen werden durfte .
Während der Zeit wurden die ganz verblichenen fünf Sinne an dem schwarzen Getäfel der Wand wieder neu überfirnißt -- die Erinnerung an den Geruch davon , welcher einige Wochen dauerte , war bei Anton nachher beständig mit der Idee von seinem damaligen Zustande vergesellschaftet .
So oft er einen Firnißgeruch empfand , stiegen unwillkürlich alle die unangenehmen Bilder aus jener Zeit in seiner Seele auf ; und umgekehrt , wenn er zuweilen in eine Lage kam , die mit jener einige zufällige Ähnlichkeiten hatte , glaubte er auch , einen Firnißgeruch zu empfinden .
Ein Zufall verbesserte Antons Lage in etwas .
Der Hutmacher L. . . war ein äußerst hypochondrischer Schwärmer ; er glaubte an Ahndun gen und hatte Visionen , die ihm oft Furcht und Grauen erweckten .
Eine alte Frau , die zur Miete im Hause gewohnt hatte , starb , und erschien ihm bei nächtlicher Weile im Traume , daß er oft mit Schaudern und Entsetzen erwachte , und weil er dann wachend noch fortträumte , auch ihren Schatten in irgend einer Ecke seiner Kammer noch zu sehen glaubte .
Anton mußte ihm von nun an zur Gesellschaft sein , und in einem Bette neben ihm schlafen .
Dadurch wurde er ihm gewissermaßen zum Bedürfnis , und er wurde etwas gütiger gegen ihn gesinnt .
-- Er ließ sich oft mit ihm in Unterredungen ein , fragte ihn , wie er in seinem Herzen mit Gott stehe , und lehrte ihn , daß er sich Gott nur ganz hingeben solle ; wenn er dann zu dem Glück der Kinder Gottes auserwählt wäre , so würde Gott selbst das Werk der Bekehrung in ihm anfangen und vollenden , u. s. w. -- Des Abends mußte Anton , ehe er zu Bette ging , für sich stehend , leise beten , und das Gebet durfte auch nicht allzu kurz sein -- sonst fragte L. . . wohl , ob er denn schon fertig sei , und Gott nichts mehr zu sagen habe ? --
Dies war für Anton eine neue Veranlassung zur Heuchelei und Verstellung , die sonst seiner Natur ganz entgegen war . --
Ob er gleich leise betete , so suchte er doch seine Worte so vernehmlich auszusprechen , daß er von L. . . recht gut verstanden werden konnte -- und nun herrschte durch sein ganzes Gebet nicht sowohl der Gedanke an Gott , als vielmehr , wie er sich durch irgend einen Ausdruck von Reue , Zerknirschung , Sehnsucht nach Gott und dergleichen wohl am besten in die Gunst des Hrn. L. . . einschmeicheln könnte .
-- Das war der herrliche Nutzen , den dies erzwungene Gebet auf Antons Herz und Charakter hatte .
Doch aber fand Anton auch zuweilen im einsamen Gebete noch eine Art von heimlichen Vergnügen , wenn er in irgend einem Winkel der Werkstatt kniete , und Gott bat , daß er doch eine einzige von den großen Veränderungen in seiner Seele hervorbringen möchte , wovon er seit seiner Kindheit schon so viel gelesen und gehört hatte .
Und so weit ging die Täuschung seiner Einbildungskraft , daß es ihm zuweilen wirklich war , als ginge etwas ganz besonders im Innersten seiner Seele vor ; und sogleich war auch der Gedanke da , wie er nun diesen seinen Seelenzustand etwa in einem Briefe an seinen Vater oder den Hrn. v. F. einkleiden , oder ihn Hrn. L. . . erzählen wollte .
Es waren also dergleichen eingebildete innere Gefühle immer eine süße Nahrung seiner Eitelkeit , und das innige Vergnügen , was er darüber empfand , wurde vorzüglich durch den Gedanken erweckt , daß er doch nun sagen könnte , er habe ein solches göttliches , himmlisches Vergnügen in seiner Seele empfunden -- es schmeichelte ihn immer sehr , wenn erwachsene und bejahrte Leute seinen Seelenzustand für so wichtig hielten , daß sie sich darum bekümmerten .
Das war der Grund , daß er sich so oft einen abwechselnden Seelenzustand zu haben einbildete , um dann etwa dem Hrn. L. . . klagen zu können , daß er sich in einem Zustande der Leere , der Trockenheit befinde , daß er keine rechte Sehnsucht nach Gott bei sich verspüre , u. s. w. , und sich alsdann den Rat des Hrn. L. . . über diesen seinen Seelenzustand ausbitten zu können , der ihm denn auch immer mit vieler für ihn schmeichelhaften Wichtigkeit erteilt wurde .
Ja es kam gar einmal so weit , daß über seinen Seelenzustand mit dem Hrn. v. F. korrespondiert , und ihm eine Stelle in dem Briefe des Hrn. v. F. , die sich auf ihn bezog , gezeigt wurde .
Was Wunder , daß er auf die Weise veranlaßt wurde , sich durch allerlei eingebildete Veränderungen seines Seelenzustandes , in seinen eigenen Augen sowohl , als in den Augen anderer , bei dieser Wichtigkeit zu erhalten , da er als ein Wesen betrachtet wurde , bei dem sich eine ganz eigene besondere Führung Gottes offenbarte .
Er bekam nun auch eine schwarze Schürze , wie der andere Lehrbursche , und anstatt , daß ihn dieser Umstand hätte niederschlagen sollen , trug er vielmehr vieles zu seiner Zufriedenheit bei .
Er betrachtete sich nun als einen Menschen , der schon anfing , einen gewissen Stand zu bekleiden .
Die Schürze brachte ihn gleichsam in Reihe und Glied mit anderen seines Gleichen , da er vorher einzeln und verlassen da stand -- er vergaß über die Schürze eine Zeitlang seinen Hang zum Studieren ; und fing an , auch an den übrigen Handwerksgebräuchen eine Art G von Gefallen zu finden , der ihn nichts eifriger wünschen ließ , als dieselben einmal mitmachen zu können . --
Er freute sich innerlich , so oft er den Gruß eines einwandernden Gesellen hörte , der das gewöhnliche Geschenk zu fordern kam ; und keine größere Glückseligkeit konnte er sich denken , als wenn er auch einmal als Geselle so einwandern , und dann , nach Handwerksgebrauch , den Gruß mit den vorgeschriebenen Worten hersagen würde .
-- So hängt das jugendliche Gemüt immer mehr an den Zeichen , als an der Sache , und es läßt sich von den frühen Äußerungen bei Kindern , in Ansehung der Wahl ihres künftigen Berufes , wenig oder gar nichts schließen .
-- Sobald Anton lesen gelernt hatte , fand er ein unbeschreibliches Vergnügen darin , in die Kirche zu gehen : seine Mutter und seine Base konnten sich nicht genug darüber freuen .
Was ihn aber in die Kirche trieb , war der Triumph , den er allemal genoß , wenn er nach dem schwarzen Brette , wo die Nummern der Gesänge angeschrieben waren , hinsehen , und etwa einen erwachsenen Menschen , der neben ihm stand , sagen konnte , was es für eine Nummer sei : und wenn er denn eben so , und oft noch geschwinder , als die erwachsenen Leute , diese Nummer in seinem Gesangbuche aufschlagen , und nun mitsingen konnte .
-- Die Zuneigung des Hrn. L. . . gegen Anton schien jetzt immer größer zu werden , jemehr dieser nach seiner geistlichen Führung ein Verlangen bezeigte .
-- Er ließ ihn oft bis um Mitternacht an den Gesprächen mit seinen vertrautesten Freunden Teil nehmen , mit denen er sich gemeiniglich über seine und anderer Erscheinungen zu unterhalten pflegte , welche zuweilen so schaudervoll waren , daß Anton mit berganstehendem Haare zuhorchte .
Gemeiniglich wurde erst spät zu Bett gegangen .
Und wenn der Abend mit solchen Gesprächen zugebracht war , so pflegte L. . . am folgenden Morgen beim Aufstehen wohl zu fragen , ob Anton die Nacht nichts vernommen , nichts in der Kammer gehen gehört habe ?
Manchmal unterhielt sich auch L. . . des Abends mit Anton allein , und sie lasen dann zusammen etwa in den Schriften des Taulerus , Johannes vom Kreuz , und ähnlichen Büchern . --
G 2 Es schien , als ob zwischen ihnen eine dauerhafte Freundschaft entstehen würde .
Anton faßte auch wirklich eine Art von Liebe gegen L. . . , aber diese Empfindung war immer mit etwas Herben untermischt , mit einem gewissen Gefühl von Ertötung und Vernichtung , welches durch L. . .s bittersüßes Lächeln erzeugt wurde .
Indes blieb Anton jetzt von harten und niedrigen Arbeiten , mehr wie sonst , verschont .
L. . . ging zuweilen mit ihm spazieren ; ja er nahm ihm sogar einen Klaviermeister an .
-- Anton war entzückt über seinen Zustand , und schrieb einen Brief an seinen Vater , worin er demselben auf das lebhafteste seine Zufriedenheit bezeigte .
Nun hatte aber auch Antons Glück im L. . .schen Hause den höchsten Gipfel erreicht , und sein Fall war nahe .
Alles sah ihn mit neidischen Augen an , seitdem ihm der Klaviermeister gehalten wurde .
Es wurden hier Kabalen , wie an einem kleinen Hofe gespielt ; man verleumdete ihn , man suchte ihn zu stürzen .
So lange L. . . gegen Anton hart und unbillig verfahren war , genoß er des Mitleids und der Freundschaft aller übrigen Hausgenossen ; sobald es aber schien , als ob dieser ihm seine Freundschaft und Vertrauen zuwenden würde , nahm in eben dem Maße ihre Feindschaft und Mißtrauen gegen ihn zu .
Und sobald es ihnen nur gelungen war , ihn wieder zu sich herunter zu bringen , und man es so weit gebracht hatte , daß der Klaviermeister wieder abgedankt war , hatte man auch weiter nichts mehr gegen Anton : man war sein Freund , wie zuvor .
Nun hielt es aber nicht schwer , ihn der Gewogenheit eines so argwöhnischen und mißtrauischen Mannes , wie L. . . war , zu berauben ; man durfte nur einige lebhafte Äußerungen von ihm erzählen ; man durfte Hrn. L. . . nur auf verschiedene wirkliche Fehler der Nachlässigkeit und Unordnung , die Anton an sich hatte , bei jeder Gelegenheit aufmerksam machen , um seinen Gesinnungen bald eine andere Richtung zu geben .
Dies wurde denn von der Haushälterin , und den übrigen Untergebenen sehr gewissenhaft getan .
-- Indes dauerte es doch noch einige Monate , ehe man völlig seinen Zweck erreichte .
Während welcher Zeit L. . . sogar Antons Kla G 3 Viermeister zu bekehren sich Mühe gab , welcher ein sehr rechtschaffener und frommer Mann war , aber Hrn. L Meinung nach , sich Gott noch nicht ganz hingegeben hatte , und sich nicht leidend genug gegen ihn verhielt .
Dieser Mann mußte denn auch oft bei Hrn. L... speisen , verdarb es aber am Ende dadurch , daß er sich zu viel Butter auf das Brot schmierte ; auf diesen Umstand machte die Haushälterin Hrn. L... aufmerksam , um dadurch ihren Zweck zu erreichen , dem Klavierspielen Antons ein Ende zu machen , damit er nicht mehr über die anderen Hausgenossen erhoben wäre .
Anton hatte überdem nicht viel Genie zur Musik , und lernte folglich nicht viel in seinen Stunden .
Ein paar Arien und Choräle waren alles , was er mit vieler Mühe fassen konnte .
Und die Klavierstunde war ihm immer eine sehr unangenehme Stunde .
Auch wurde ihm die Applikatur sehr schwer , und L... fand immer an der Figur seiner weitausgespreiteten Finger etwas auszusetzen .
Indes gelang es ihm doch einmal , wie dem David beim Saul , den bösen Geist des Hrn. L. . . durch die Kraft der Musik zu vertreiben .
Er hatte ein kleines Versehen begangen , und weil die Neigung des Hrn. L. . . gegen ihn schon anfing , sich in Haß zu verwandeln , so hatte dieser ihm des Abends vor dem Schlafengehen eine harte Züchtigung dafür zugedacht .
Anton merkte dies an allem wohl .
Und als die Stunde heranzunahen schien , faßte er den Mut , einen Choral , den ersten den er gelernt hatte , auf dem Klavier zu spielen , und dazu zu singen .
Dies überraschte Hrn. L. . . , er gestand ihm , daß gerade diese Stunde zu einer nachdrückliche Bestrafung bestimmt gewesen wäre , die er ihm nun schenkte .
Anton erdreistete sich nun sogar , ihm einige Vorstellungen wegen der anscheinenden Abnahme seiner Freundschaft und Liebe gegen ihn zu tun , worauf L. . . ihm gestand , daß seine Zuneigung gegen ihn freilich so stark nicht mehr sei , und daß dieses notwendig an Antons verschlimmertem Seelenzustande liegen müsse , wodurch gleichsam eine Scheidewand zwischen ihm und seiner ehemaligen Liebe gezogen wäre .
Er habe die Sache Gott im Gebet vorgetragen , und diesen Aufschluß darüber erhalten . G 4 Dies war nun sehr traurig für Anton , und er fragte , wie er es denn anzufangen habe , um seinen verschlimmerten Seelenzustand wieder zu verbessern ? --
Seinen Weg in Einfalt zu wandeln , und sich ganz Gott zu überlassen , war die Antwort , sei das einzige Mittel , seine Seele zu retten .
-- Weiter wurden keine nähern Anweisungen erteilt .
Hr. L. . . hielt es nicht für gut , Gott gleichsam vorzugreifen , der sich selber von Anton abgezogen zu haben schien .
-- Die nachdrücklich ausgesprochenen Worte aber , seinen Weg in Einfalt zu wandeln , hatten darauf Bezug , daß ihm Anton seit einiger Zeit zu klug zu werden anfing , zu viel sprach und vernünftelte , und überhaupt , wegen der Zufriedenheit mit seinem Zustande , zu lebhaft wurde . --
Diese Lebhaftigkeit war ihm der gerade Weg zu Antons Verderben , der nach dieser Heiterkeit in seinem Gesichte notwendig ein ruchloser , weltlichgesinnter Mensch werden mußte , von dem nichts anders zu vermuten stand , als daß ihn Gott selbst in seinen Sünden dahin geben würde .
-- Hätte Anton seinen Vorteil besser verstanden , so hätte er jetzt durch ein niedergeschlagenes , misanthropisches Wesen , vorgegebene Beängstigungen und Beklemmungen seiner Seele noch alles wieder gut machen können .
Denn nun würde L. . . geglaubt haben , Gott sei im Begriff , die verirrte Seele wieder zu sich zu ziehen . --
Aber weil L. . . den Grunsatz hatte , daß derjenige , welchen Gott bekehren wolle , auch ohne sein Zutun bekehrt werde ; und daß Gott erwählt , welchen er will , und verwirft und verstocket , welchen er will , um seine Herrlichkeit zu offenbaren -- so schien es ihm gleichsam gefährlich , sich in die Sache Gottes zu mischen , wenn es etwa den Anschein hatte , als ob einer wirklich von Gott verworfen wäre .
Mit Anton hatte es nun , seinen lebhaften und weltlich gesinnten Mienen nach , bei dem Herrn L. . . wirklich beinahe diesen Anschein .
-- Die Sache war ihm so wichtig gewesen , daß er darüber mit dem Hrn. v. F. korrespondiert hatte .
-- Und nun zeigte er Anton wiederum in dem Briefe des Hrn. v. F. eine Stelle , die ihn betraf ; und worin der Hr. v. F. versicherte , allen Kennzeichen nach habe der Satan seinen Tempel in Antons Herzen schon so weit aufgebaut , daß G 5 er schwerlich wieder zerstört werden können .
-- Das war wirklich ein Donnerschlag für Antaue -- aber er prüfte sich , und verglich seinen jetzigen Zustand mit dem vorhergehenden , und es war ihm unmöglich , irgend einen Unterschied dazwischen zu entdecken ; er hatte noch eben so oft , eingebildete göttliche Rührungen und Empfindungen , wie sonst ; er konnte sich nicht überzeugen , daß er ganz aus der Gnade gefallen , und von Gott verworfen sein sollte .
Er fing an der Wahrheit des Orakelspruchs von dem Hrn. v. F. an zu zweifeln .
Dadurch verlor sich seine Niedergeschlagenheit wieder , die ihm sonst vielleicht aufs neue den Weg zu der Gunst des Hrn. L. . . würde gebahnt haben , dessen Freundschaft er nun durch seine fortgesetzten vergnügten Mienen vollends verscherzte .
Die erste Folge davon war , daß ihn L. . . aus seiner Kammer entfernte , und er wieder bei dem anderen Lehrburschen schlafen mußte , der nun anfing wieder sein Freund zu werden , weil er ihn nicht mehr beneidete ; die andere , daß er wie der anfangen mußte , mehr wie jemals die schwersten und niedrigsten Arbeiten zu verrichten , wobei er immer in der Werkstatt bleiben mußte , und nur selten zu Hrn. L... in die Stube kommen durfte .
Der Klaviermeister wurde nur noch deswegen beibehalten , weil L... das angefangene Werk der Bekehrung in ihm vollenden , und also statt einer verlorenen Seele Gott wieder eine andere zuführen wollte .
Der Winter kam heran , und jetzt fing Antons Zustand wirklich an , hart zu werden :
er mußte Arbeiten verrichten , die seine Jahre und Kräfte weit überstiegen .
L... schien zu glauben , da nun mit Antons Seele doch weiter nichts anzufangen sei , so müsse man wenigstens von seinem Körper allen möglichen Gebrauch machen .
Er schien ihn jetzt wie ein Werkzeug zu betrachten , daß man wegwirft , wenn man es gebraucht hat .
Bald wurden Antons Hände durch den Frost und die Arbeit zum Klavierspielen gänzlich untauglich gemacht . --
Er mußte fast alle Woche ein paarmal des Nachts mit dem anderen Lehrburschen aufbleiben , um die geschwärzten Hüte aus dem siedenden Färbekessel herauszuholen , und sie dann unmittelbar darauf in der vorbeifließenden Oker zu waschen , wo zu dem Ende erst eine Öffnung in das Eis mußte gehauen werden .
Dieser oft wiederholte Übergang von der Hitze zum Frost , machte , daß Anton beide Hände aufsprangen , und das Blut ihm herausspritzte .
Allein statt daß dieses ihn hätte niederschlagen sollen , erhob es vielmehr seinen Mut .
Er blickte mit einer Art von Stolz auf seine Hände , und betrachtete die blutigen Merkmale daran , als so viel Ehrenzeichen von seiner Arbeit ; und so lange diese harten Arbeiten noch für ihn den Reiz der Neuheit hatten , machten sie ihm ein gewisses Vergnügen , das vorzüglich im Gefühl seiner körperlichen Kräfte bestand ; zugleich gewährten sie ihm eine Art von süßem Freiheitsgefühl , das er bisher noch nicht gekannt hatte .
Es war ihm , als wenn er nun auch sich selbst etwas mehr nachsehen könne , nachdem er eben so wie die anderen gearbeitet , und des Tages Last und Hitze wie sie getragen hatte .
Unter den beschwerlichsten Arbeiten empfand er eine Art von innerer Wertschätzung , die ihm die Anstrengung seiner Kräfte verschaffte ; und oft würde er diesen Zustand kaum gegen die peinliche Lage wieder vertauscht haben , worin er sich beim Genuß der strengen und alle Freiheit vernichtenden Freundschaft L. . .s befand .
Dieser aber fing jetzt an , ihn immer härter zu drücken : oft mußte er in der bittersten Kälte , den ganzen Tag über , in einer ungeheizten Stube Wolle kratzen .
Dies war ein klüglich ausgesonnenes Mittel des Hrn. L. . . , um Antons Arbeitsamkeit zu vermehren :
denn wenn er nicht vor Kälte umkommen wollte , so mußte er sich rühren , so viel nur in seinen Kräften stand , daß ihm Abends oft beide Arme wie gelähmt , und doch Hände und Füße erfroren waren .
Diese Arbeit machte ihm wegen ihrer ewigen Einförmigkeit sein Los am bittersten .
Besonders , wenn manchmal seine Phantasie dabei nicht in Gang kommen wollte ; war diese hingegen durch den schnelleren Umlauf des Bluts einmal in Bewegung geraten , so flossen ihm oft die Stunden des Tages unvermerkt vorüber .
Er verlor sich oft in entzückenden Aussichten .
Zu weilen sang er seine Empfindungen , in Rezitativen , von seiner eigenen Melodie .
Und wenn er sich besonders von der Arbeit ermüdet , seine Kräfte erschöpft , und von seiner Lage gedrückt fühlte , mochte er sich am liebsten in religiösen Schwärmereien , von Aufopferung , gänzlicher Hingebung , u. s. w. verlieren , und der Ausdruck Opfersaltar war ihm vorzüglich rührend , so daß er diesen in alle die kleinen Lieder und Rezitative von seiner Erfindung mit einwebte .
Die Unterhaltungen mit seinem Mitlehrburschen ( dieser hieß August ) fingen nun wieder an , einen neuen Reiz für ihn zu bekommen , und ihre Gespräche wurden vertraulich , da sie nun einander wieder gleich waren .
Die Nächte , welche sie oft zusammen durchwachen mußten , machten ihre Freundschaft noch inniger .
Am vertraulichsten wurden sie aber , wenn sie zusammen in der sogenannten Trockenstube saßen .
Dieses war ein in die Erde gemauertes , oben mit Backsteinen zugewölbtes Loch , worin gerade ein Mensch aufrecht stehen , und ungefähr zwei Menschen sitzen konnten .
In dieses Loch wurde ein großes Kohlenbecken gesetzt , und an den Wänden umher , die mit Scheidenwasser bestrichenen Hasenfelle aufgehangen , deren Haar hier weichgebeizt wurde , um nachher zu den feineren Hüten als Zutat gebraucht zu werden .
Vor diesem Kohlenbecken und in diesem Dunstkreise saßen Anton und August in dem halbunterirdischen Loche , in welches man mehr hineinkriechen als hineingehen mußte , und fühlten sich durch die Enge des Orts , der nur durch die Glut der Kohlen schwach erleuchtet wurde , und durch das Abgesonderte , Stille und Schauerliche dieses dunklen Gewölbes , so fest zusammengeschlossen , daß ihre Herzen oft in wechselseitigen Ergießungen der Freundschaft überströmten .
Hier entdeckten sie sich die innersten Gedanken ihrer Seele ; hier brachten sie die seligsten Stunden zu. L. . . war , wie der Hr. v. F. und alle seine Anhänger , ein Separatist , der sich nicht zu Kirche und Abendmahl hielt .
So lange also die Freundschaft zwischen ihm und Anton gedauert hatte , war dieser fast gar in keine Kirche in B. . . gekommen .
Jetzt nahm ihn August des Sonntags mit in die Küche , und sie gingen immer in andere , weil Anton ein Vergnügen daran fand , die verschiedenen Prediger nach einander zu hören . --
Nun saßen Anton und August einmal um Mitternacht zusammen in der Trockenstube , und sprachen über verschiedene Prediger , die sie gehört hatten , als der letztere dem Anton versprach , ihn künftigen Sonntag mit in die B. . . Kirche zu nehmen , wo er einen Prediger hören würde , der alles überträfe , was er sich denken und vorstellen könnte .
Dieser Prediger hieß P. . . , und August konnte nicht aufhören , zu erzählen , wie er oft durch die Predigten dieses Mannes erschüttert und bewegt sei .
Nichts war für Anton reizender , als der Anblick eines öffentlichen Redners , der das Herz von Tausenden in seiner Hand hat .
Er hörte aufmerksam auf das , was August ihm erzählte .
Er sah schon im Geist den Pastor P . . auf der Kanzel , er hörte ihn schon predigen .
Sein einziger Wunsch war , daß es nur erst möchte Sonntag sein !
Der Sonntag kam heran .
Anton stand früher , wie gewöhnlich , auf , verrichtete seine Geschäfte , und kleidete sich an .
Als geläutet wurde , wurde , hatte er schon eine Art von angenehmen Vorgefühl dessen , was er nun bald hören werde .
Man ging zur Kirche .
Die Straßen , welche nach der B. . . Kirche führten , waren voller Menschen , die stromweise hinzueilten .
-- Der Pastor P. . . war eine Zeitlang krank gewesen , und predigte nun zum erstenmal wieder :
das war auch die Ursache , warum August nicht gleich zuerst mit Anton in diese Kirche gegangen war .
Als sie herein kamen , konnten sie kaum noch ein Plätzchen der Kanzel gegenüber finden .
Alle Bänke , die Gänge und Chöre waren voller Menschen , welche alle einer über den anderen wegzusehen strebten .
Die Kirche war ein altes Gotisches Gebäude mit dicken Pfeilern , die das hohe Gewölbe unterstützten , und ungeheuren langen bogigen Fenstern , deren Scheiben so bemalt waren , daß sie nur ein schwaches Licht durchschimmern ließen .
So war die Kirche schon von Menschen erfüllt , ehe der Gottesdienst noch begann .
Es herrschte eine feierliche Stille .
Auf einmal ertönte die vollstimmige Orgel , und der ausbrechende Lobgesang einer solchen Menge von Men H schen schien das Gewölbe zu erschüttern .
Als der letzte Gesang zu Ende ging , waren aller Augen auf die Kanzel geheftet , und man bezeigte nicht minder Begierde , diesen fast angebeteten Prediger zu sehen , als zu hören .
Endlich trat er hervor , und kniete auf den untersten Stufen der Kanzel , ehe er hinauf stieg .
Dann erhob er sich wieder , und nun stand er da vor dem versammelten Volke .
Ein Mann noch in der vollen Kraft seiner Jahre -- sein Antlitz war bleich , sein Mund schien sich in ein sanftes Lächeln zu verziehen , seine Augen glänzten himmlische Andacht -- er predigte schon , wie er da stand , mit seinen Minen , mit seinen stillgefaltenen Händen .
Und nun , als er anhob , welche Stimme , welch ein Ausdruck ! --
Erst langsam und feierlich , und dann immer schneller und fortströmender :
so wie er inniger in seine Materie eindrang , so fing das Feuer der Beredsamkeit in seinen Augen an zu blitzen , aus seiner Brust an zu atmen , und bis in seine äußersten Fingerspitzen Funken zu sprühen .
Alles war an ihm in Bewegung ; sein Ausdruck durch Minen , Stellung und und Gebärden überschritt alle Regeln der Kunst , und war doch natürlich , schön , und unwiderstehlich mit sich fortreißend .
Da war kein Aufenthalt in dem mächtigen Erguß seiner Empfindungen und Gedanken ; das künftige Wort war immer schon im Begriff hervorzubrechen , ehe das vorhergehende noch völlig ausgesprochen war ; wie eine Welle die andere in der strömenden Flut verschlingt , so verlor sich jede neue Empfindung sogleich in der folgenden , und doch war diese immer nur eine lebhaftere Vergegenwärtigung der vorhergegangenen .
Seine Stimme war ein heller Tenor , der bei seiner Höhe eine ungewöhnliche Fülle hatte ; es war der Klang eines reinen Metalls , welcher durch alle Nerven vibriert .
Er sprach nach Anleitung des Evangeliums gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung , gegen Üppigkeit und Verschwendung ; und im höchsten Feuer der Begeisterung redete er zuletzt die üppige und schwelgerische Stadt , deren Einwohner größtenteils in dieser Kirche versammelt waren , mit Namen an ; deckte ihre Sünden und Verbrechen auf ; erinnerte sie an die Zeiten des Krieges , an die Bei Lage H 2 Lagerung der Stadt , an die allgemeine Gefahr zurück , wo die Not alle gleich machte , und brüderliche Eintracht herrschte ; wo den üppigen Einwohnern , statt ihrer jetzt unter der Last der Schüsseln seufzenden Tische , Hunger und Teuerung , statt ihrer Armbänder und Geschmeide , Fesseln drohten .
-- Anton glaubte einen der Propheten zu hören , der im heiligen Eifer das Volk Israel strafte , und die Stadt Jerusalem wegen ihrer Verbrechen schalt . --
Anton ging aus der Kirche nach Hause , und sagte zu August kein Wort ; aber er dachte von nun an , wo er ging und stand , nichts als den Pastor P. . . Von diesem träumte er des Nachts , und sprach von ihm bei Tage ; sein Bild , seine Mine , und jede seiner Bewegungen hatten sich tief in Antons Seele eingeprägt . --
Beim Wollkratzen in der Werkstatt , und beim Hütewaschen beschäftigte er sich die ganze Woche über mit den entzückenden Gedanken an die Predigt des Pastor P. . . , und wiederholte sich jeden Ausdruck , der ihn erschüttert , oder zu Tränen gerührt hatte , zu unzähligen malen .
Seine Einbildungskraft schuf sich dann die alte maie städtische städtische Kirche , und die lauschende Menge , und die Stimme des Predigers hinzu , welche jetzt in seiner Phantasie noch weit himmlischer klang . --
er zählte Stunden und Minuten bis zum nächsten Sonntage .
Dieser kam ; und ist je ein unauslöschlicher Eindruck auf Antons Seele gemacht worden , so war es die Predigt , die er an dem Tage hörte .-- Die Anzahl von Menschen war womöglich noch größer , als am vorigen Sonntage .
-- Vor der Predigt wurde ein kurzes Lied gesungen , worin die Worte des Psalms vorkommen :
" Herr , wer wird wohnen in deiner Hütte ?
"wer wird bleiben auf deinem heiligen Berge ?
" Wer ohne Wandel einher geht und recht " tut , und redet die Wahrheit von Herzen .
" Wer mit seiner Zungen nicht verleumdet , " und seinem Nächsten kein Arges tut , und sei "nen Nächsten nicht schmähet .
" Wer die Gottlosen nichts achtet , und ehret " die Gottesfürchtigen :
Wer seinem Nächsten " schwöret , und hälts .
" Wer sein Geld nicht auf Wucher gibt , und " nimmt nicht Geschenk über den Unschuldigen .
" Wer das tut , der wird wohl bleiben .
Durch H z Durch dies kurze und erschütternde Lied wurde man gleichsam voll Erwartung dessen , was da kommen sollte .
Das Herz war zu großen und erhabenen Eindrücken vorbereitet , als der Pastor P. . . mit feierlichem Ernst in seiner Miene , wie ganz in sich versenkt , auftrat , und ohne Gebet und Eingang , mit ausgestrecktem Arm , zu reden anhob und sprach :
" Wer nicht Witwen und Waisen drückt ; wer " nicht heimlicher Verbrechen sich bewußt ist ; " wer seinen Nächsten nicht mit Wucher über " vorteilet ; wem kein Meineid die Seele bei " lastet ; der hebe voll Zutrauen seine Hände mit " mit mir zu Gott empor , und bete : Vater unser ! u. s. w. Und nun las er das Sonntagsevangelium von Johannes dem Täufer , wo dieser gefragt wird , ob er Christus sei ? " und er bekannte und leugnete nicht , und er bekannte , ich bin nicht Christus ! -- "
Von diesen Worten nahm er Gelegenheit vom Meineide zu predigen , und nachdem er die Worte des Evangeliums mit einer etwas gedämpften , feierlicheren Stimme gelesen hatte , hob er nach einer Pause an : Weh Weh dir , der du gewissenlos Gott , deinen Herrn verleugnet !
Was trägst du deine Stirn bloß , Die schwarzer Meineid zeichnet ? --
Mit dieser Stirn logst du Gott , Sein heiliger Nahme war dir Spott , Wie tief bist du gefallen !
Weh dir , vor Gottes Angesicht Trittst du -- er kennet deiner nicht -- Unglücklichster von allen , Die einer Mutter Brust gesäugt -- Verzweifle nicht -- vielleicht , vielleicht , Daß einst nach deiner Tränen Menge .
Die Flamme in deinem Busen löscht , Und Reue , mit der Jahre Länge , Die Schuld von deiner Seele wäscht .
Der du die Freveltat begannst , O gib , wenn du noch weinen kannst , Die Hoffnung nicht verloren -- Gott wendet noch sein Angesicht , Er will den Tod des Sünders nicht , Sein Mund hat es geschworen .
-- Diese Worte , mit öfteren Pausen , und dem erhabensten Pathos gesprochen , taten eine unglaubliche Wirkung .
-- Man atmete , da H 4 da sie geendigt waren , tiefer herauf ; man wischte sich den Schweiß von der Stirn .
-- Und nun wurde die Natur des Meineides untersucht , seine Folgen in ein schreckliches und immer schrecklicher Licht gestellt .
Der Donner rollte auf das Haupt des Meineidigen herab , das Verderben nahte sich ihm , wie ein gewappneter Mann , der Sünder erbebte in den innersten Tiefen seiner Seele -- er rief , ihr Berge fallet über mich , und ihr Hügel bedecket mich ! --
Der Meineidige erhielt keine Gnade , er wurde vor dem Zorn des Ewigen vernichtet .
-- Hier schwieg er , wie erschöpft -- ein panisches Schrecken bemächtigte sich aller Zuhörer .
-- Anton rechnete in der Eile die Jahre seines Lebens hindurch , ob er sich nicht etwa eines Meineids schuldig gemacht habe .
Aber nun begann der Zuspruch -- dem Verzweifelnden wurde Gnade und Verzeihung angekündigt -- wenn er zehnfach büßte , was er Witwen und Waisen entrissen ; wenn er sein ganzes Leben hindurch seine Schuld mit Tränen der Reue und guten Werken wieder abzuwaschen suchte .
Die Die Gnade wurde dem Verbrecher nicht so leicht gemacht ; sie mußte durch Gebet und Tränen errungen werden .
Und jetzt war es , als wolle er sie durch sein eigenes Gebet und Tränen vor allem Volke vor Gott erringen , indem er sich selbst an die Stelle des seelenzerknirschten Sünders setzte .
-- Dem Verzweifelnden wurde zugerufen : Knie nieder in Staub und Asche , bis deine Knie wund sind , und sprich :
ich habe gesündigt im Himmel und vor dir -- und so fing sich ein jeder Periode an mit :
ich habe gesündigt im Himmel und vor dir ! und dann folgte nach der Reihe das Bekenntnis : Witwen und Waisen habe ich unterdrückt ; dem Schwachen habe ich seine einzige Stütze , dem Hungrigen sein Brot genommen -- so ging es durch das ganze Register der Freveltaten .
-- Und jeder Periode schloß sich dann -- Herr , ist es möglich , daß ich noch Gnade finde ! --
Alles zerschmolz nun in Wehmut und Tränen -- Der Refrain bei jedem Perioden tat eine unglaubliche Wirkung -- es war , als wenn jedesmal die Empfindung einen neuen elektrischen Schlag erhielt , wodurch sie bis zum höchsten Grade H 5 Grade verstärkt wurde . -- Selbst die zuletzt erfolgende Erschöpfung , die Heiserkeit des Redners ( es war , als schrie er zu Gott für die Sünden des Volks ) trug zu der allgemeinen um sich greifenden Rührung bei , die diese Predigt verursachte ; da war kein Kind , das nicht sympathetisch mitgeseufzt und mitgeweint hätte .
Dritthalb Stunden waren schon , wie Minuten verflossen -- plötzlich hielt er inne , und schloß nach einer Pause mit denselben Versen , womit er begann .
-- Mit erschöpfter gedämpfter Stimme las er nun die öffentliche Beichte , das Sündenbekenntnis , und die darauf erfolgende angekündigte Vergebung ab ; darauf betete er für diejenigen , welche zum Abendmahl gehen wollten , worin er sich mit einschloß , und dann sprach er mit aufgehobenen Händen den Segen .
-- Der Abfall der Stimme bei diesem allen gegen den Ton , welcher in der Predigt herrschte , hatte viel Feierliches und Rührendes .
Anton ging nun nicht aus der Kirche , er mußte erst den Pastor P. . . zum Abendmahl gehen sehen .
-- Alle Schritte desselben waren ihm ihm nun heilig .
Mit einer Art von Ehrfurcht trat er auf den Fleck , wo er wußte , daß der Pastor P. . . gegangen war . --
Was hätte er jetzt darum gegeben , daß er schon zum Abendmahl hätte mitgehen dürfen !
Er sah nun den Pastor P. . . zu Hause gehen , dessen Sohn , ein Knabe von neun Jahren , neben hergieng .
-- Seine ganze Existenz hätte Anton darum gegeben , um dieser glückliche Sohn zu sein . --
Wenn er nun den Pastor P. . . sah , wie er mit der Gemeine , die ihn von allen Seiten umwallte , über die Straße ging , und immer von beiden Seiten , denen , die ihn grüßten , freundlich dankte , so war es , als ob er um sein Haupt einen gewissen Schimmer erblickte , und unter den übrigen Sterblichen ein übermenschliches Wesen dahin wandeln sah , -- sein höchster Wunsch war , durch sein Hutabnehmen , nur einen seiner Blicke auf sich zu ziehen -- und als ihm das gelungen war , eilte er schnell nach Hause , um diesen Blick gleichsam in seinem Herzen zu bewahren .
Den folgenden Sonntag predigte der Pastor P. . . des Mittages von der Liebe gegen die Brühe Brüder , und so Seelenerschütternd seine Predigt wider den Meineid gewesen war , so sanftrührend war diese ; die Worte flossen nun wie Honig von seinen Lippen , jede seiner Bewegungen war anders , sein ganzes Wesen schien sich nach dem Stoff , wovon er predigte , verändert zu haben .
Und doch war hierbei nicht die mindeste Affektation .
Es war ihm natürlich , sich mit allen seinen Gedanken und Empfindungen , die der Stoff seiner Rede veranlaßte , zu verweben .
Diesen Vormittag hatte Anton mit erstaunlich langer Weile dem anderen Prediger dieser Kirche zugehört -- er geriet ein paarmal in eine Art von Wut gegen ihn , da sich alles anließ , als ob er jetzt Amen sagen würde , und er dann von neuem in dem alten Tone wieder anfing .
Jetzt war es mehr wie jemals Antons größte Qual , einer solchen langweiligen Predigt zuzuhören , da er sich nicht enthalten konnte , beständig Vergleichungen anzustellen , nachdem er sich einmal die Predigt des Pastor P... als das höchste Ideal , gedacht hatte , welches ihm von jedem anderen unerreichbar schien .
Als Als die Vormittagspredigt vorbei war , so war die Reihe an den Pastor P... die Einsegnung beim Abendmahl zu verrichten , welche Anton nun zum erstenmal von ihm hörte .
-- Und nun , in welcher ehrwürdigen Gestalt erschien er ihm jetzt !
er stand im Hintergrunde der Kirche vor dem hohen Altare , und sang die Worte : Danket dem Herrn , denn er ist freundlich , und seine Güte währet ewiglich -- mit einer so himmelerhebenden Stimme , und einem so mächtigen Ausdruck , daß Anton sich in dem Augenblick in höhere Regionen verzückt glaubte -- auch war ihm dies alles wie etwas , das hinter einem Vorhange , im Allerheiligsten , geschah , wozu sich sein Fuß nicht nahen durfte -- wie beneidete er einen jeden , der zum Altar hinzutreten und aus den Händen des Pastor P... das Abendmahl empfangen durfte ! --
Ein sehr junges Frauenzimmer , die schwarz gekleidet , mit blassen Wangen , und einer Miene voll himmlischer Andacht zum Altar hinzu trat , machte zuerst auf Antons Herz einen Eindruck , den er bisher noch nicht gekannt hatte .
Er hat dies junge Frauenzimmer nie wieder gesehen , aber ihr Bild ist nie in seiner Seele verloschen .
Nun Nun hatte seine Phantasie ein neues Spiel . --
Die Idee vom Abendmahl war jetzt diejenige , womit er zu Bette ging und aufstand , und womit er sich den ganzen Tag über , wenn er bei seiner Arbeit allein war , beschäftigte ; dabei schwebte ihm immer der Pastor P... im Sinne , mit seiner sanften , schwellenden Stimme , und seinen gen Himmel gehobenem Auge , das von mehr als irdischer Andacht erleuchtet schien .
Zuweilen drängte sich denn auch in seiner Phantasie das Bild des schwarz gekleideten jungen Frauenzimmers , mit der blassen Farbe und andachtsvollen Miene , wieder vor .
Durch dies alles wurde seine Einbildungskraft so begeistert , daß er sich jetzt für den glücklichsten Menschen unter der Sonne würde gehalten haben , wenn er den künftigen Sonntag hätte zum Abendmahl gehen dürfen .
Er versprach sich eine so überirdische himmlische Tröstung beim Genuß des Abendmahls , daß er schon im voraus Freudentränen darüber vergoß ; wobei er zugleich ein gewisses sanftes beruhigendes Mitleid mit sich selber empfand , daß ihm nun alles bittere und unangenehme seiner Lage ver süßte , süßte , wenn er bedachte , daß ihn doch als Hutmacherbursche einmal niemand dieses Trostes würde berauben können .
Alle vierzehn Tage wenigstens nahm er sich dann vor zum Abendmahl zu gehen , wenn er erst so weit wäre -- und dann schlich sich ganz geheim in diesen Wunsch die Hoffnung mit ein , daß durch dies öftere zum Abendmahlgehen der Pastor P. . . ihn vielleicht am Ende bemerken würde : und dieser Gedanke war es wohl vorzüglich , welcher bei ihm die unaussprechliche Süßigkeit in diese Vorstellungen brachte .
So lag auch hier die Eitelkeit im Hinterhalt verborgen , wo sie mancher vielleicht am wenigsten vermutet hätte .
Das war ihm unmöglich zu glauben , daß er immer so , wie jetzt , würde verkannt , und vernachlässigt werden .
Gewissen romanhaften Ideen nach , die er sich in den Kopf gesetzt hatte , mußte es sich etwa einmal fügen , daß ein edler Mann , der auf der Straße ihm begegnete , etwas auffallendes an ihm bemerkte , und sich dann seiner annehme .
-- Eine gewisse schwermütige melancholische Miene , die er zu dem Ende annahm , glaubte er , würde am ersten diese Auf merke merksamkeit erregen .
-- Darum affektierte er sie nun oft noch in höherem Grade , als sie ihm natürlich war . --
Ja oft war er schon beinahe im Begriff , wenn ihm die Physiognomie irgend eines vornehmen Mannes Zutrauen einflößte , ihn geradezu anzureden , und ihm seine Umstände zu entdecken .
-- Der Gedanke schreckte ihn aber immer wieder zurück , daß ihn dieser vornehme Mann vielleicht für närrisch halten möchte .
Zuweilen sang er auch , wenn er auf der Straße ging , mit einer gewissen klagenden Stimme , einige von den Liedern der Mad. Geoion , die er auswendig gelernt hatte , und worin er Anspielungen auf sein Schicksal zu finden glaubte ; und dann dachte er , weil zuweilen in den Romanen , durch ein solches klagendes Lied , das einer singt , Wunderdinge gewirkt werden , würde es auch ihm vielleicht gelingen , dadurch , daß er die Aufmerksamkeit irgend eines Menschenfreundes auf sich zöge , seinem Schicksal eine andere Wendung zu geben .
Für den Pastor P. . . ging seine Ehrfurcht viel zu weit , als daß er es je hätte wagen sollen , ihn ihn anzureden .
-- Wenn er nahe bei ihm stand , so überfiel ihn ein Schauder , als ob er sich in der Nähe eines Engels befände . --
Er konnte es sich entweder gar nicht denken , oder suchte den Gedanken mit Fleiß zu vermeiden , daß dieser Pastor P. . . wie andere Menschen aufstände , und zu Bette ginge , und alle natürliche Handlungen , wie sie , verrichtete .
Sich ihn im Schlafrock und der Nachtmütze vorzustellen , war ihm ganz unmöglich -- oder er floh vielmehr vor diesem Gedanken , als wenn dadurch eine Lücke in seiner Seele wäre hervorgebracht worden .
Besonders war ihm das Bild von der Nachtmütze ganz etwas Unausstehliches , so oft es ihm bei dem Pastor P. . . einfiel ; es war , als ob dadurch eine Disharmonie in alle seine übrigen Vorstellungen käme .
Nun fügte es sich aber einmal , daß Anton gerade in der Kirchtüre stand , als der Pastor P. . . herein trat , und in plattdeutscher Sprache zu dem Küster sagte , daß sie nachher noch ein Kind zu taufen hätten .
Wirkte je ein Kontrast lebhaft auf Antons Seele , so war es diese -- den Mann , welchen er J er sich nie anders , als mit jenem feierlichen Herzerschütternden Tone , zu dem versammelten Volke redend , gedacht hatte , zuerst plattdeutsch , wie der simpelste Handwerksmann mit dem Küster , über eine so feierliche Sache , als die Taufe war , sprechen zu hören ; und das in einem Tone , der nichts weniger als feierlich war , und womit man einem sagen würde , er solle ja nicht vergessen , das Waschbecken zu bringen .
Durch diesen einzigen Vorfall wurde Antons Abgötterei gegen den Pastor P. . . einigermaßen herabgestimmt .
Er betete ihn etwas weniger an , und liebte ihn desto mehr .
Indes hatte er sich sein Ideal von Glückseligkeit völlig von dem Pastor P. . . abstrahiert -- Er konnte sich nichts Erhabenes und Reizenderes denken , als wie der Pastor P. . . , öffentlich vor dem Volke reden zu dürfen , und alsdann , so wie er , manchmal gar die Stadt mit Namen anzureden -- Dies letzte hatte insbebesondre für ihn etwas Großes Pathetisches -- so daß er sich oft ganze Tage über in seinen Gedanken beständig mit dieser Anrede beschäftigte -- und sogar , wann er etwa , um Bier zu holen , über über die Straßen ging , und ein paar Jungen sich balgen sah , nicht unterlassen konnte , im Geiste die Worte des Pastor P... zu wiederholen , und die ruchlose Stadt vor ihrem Verderben zu warnen , wobei er zugleich den Arm drohend in die Höhe hob .
-- Wo er ging und stand , haranguirte er in Gedanken für sich selber , und wenn er dann in recht heftigen Affekt geriet , so hielt er die Predigt gegen den Meineid .
So schwebte er eine Zeitlang in diesen angenehmen Phantasien hin , die ihn das Wollkratzen in der kalten Stube , das Hütewaschen im Eise , und den Mangel des Schlafs , wenn er oft mehrere Nächte hindurch wachen mußte , fast ganz vergessen ließen .
-- Die Stunden entflohen ihm zuweilen während der Arbeit wie Minuten , wenn es ihm gelang , sich in den Charakter eines öffentlichen Redners hinein zu phantasieren .
Allein , sei es nun , daß diese unnatürliche Überspannung seiner Seelenkräfte , oder die für seine Jahre zu große Anstrengung seines Körpers zur Arbeit , ihn zuletzt niederwerfen mußte -- er wurde gefährlich krank .
Seine Pflege war J 2 war nicht die beste .
Er phantasierte im Fieber , und lag oft ganze Tage lang allein , ohne daß sich jemand um ihn bekümmerte .
Endlich arbeitete doch seine gute Natur sich durch : er wurde wieder hergestellt .
-- Eine gewisse Trägheit und Niedergeschlagenheit blieb aber demungeachtet von dieser Krankheit zurück-- und der menschenfreundliche Herr L. . . hätte ihm beinahe durch eine seiner sanften Ermahnungen ein tödliches Rezidiv verursacht .
Es war eines Abends in der Dämmerung , da L. . . in einem dunklen abgelegenen Gemache sich eines warmen Kräuterbades bediente , wobei ihm Anton zur Hand sein mußte .
Da er nun in diesem Bade schwitzte , und große Angst ausstand , so sagte er zu Anton mit einer Stimme , die ihm durch Mark und Beine drang : Anton !
Anton ! hüte dich vor der Hölle ! -- und dabei sah er starr in eine Ecke hin .-- Anton zitterte bei diesen Worten , ein plötzlicher Schauder lief ihm durch den ganzen Körper .
Alle Schrecken des Todes überfielen ihn , -- denn er zweifelte nicht im geringsten , daß L. . . in diesem Augenblick eine Erscheinung gehabt habe habe , wodurch ihm Antons Tod angedeutet sei ; und das habe ihn zu dem fürchterlichen Ausruf : Hüte , ach ! hüte dich vor der Hölle ! bewogen .
L. . . stieg nach diesen Ausruf plötzlich aus dem Bade , und Anton mußte ihn zu seiner Kammer leuchten .
Mit bebenden Knien ging er vor ihm her : und L. . . schien ihm blasser als der Tod auszusehen , da er von ihm wegging .
Ist nun je mit wahrer Andacht und Heftigkeit zu Gott gebetet worden , so geschah es jetzt von Anton , so bald er allein war ; er warf sich in einem Verschlag bei der Werkstätte , nicht auf die Knie , sondern aufs Angesicht nieder , und flehte zu Gott , und bat ihn , wie ein Missetäter über den schon der Stab gebrochen ist , um sein Leben -- nur um eine Frist zur Bekehrung , wenn er ja sterben solle --
denn ihm fiel ein , daß er mehr als zwanzigmal auf der Straße gelaufen , gesprungen , und mutwillig gelacht hatte -- und nun lagen alle die Qualen der Hölle auf ihm , welche er dafür ewig würde erdulden müssen .
-- Hüte , ach , hüte dich vor der Hölle ! gellte noch immer in seinen Ohren , als ob ein Geist aus dem Grabe ihm diese Worte zugeru fen I 3 fen hätte -- und er fuhr fort eine volle Stunde nacheinander zu beten , und würde die ganze Nacht nicht aufgehört haben , wenn er keine Linderung seiner Angst verspürt hätte ; -- aber so wie seine Brust einen ängstlichen Seufzer nach dem anderen ausstieß , und endlich seine Tränen flossen , schien es ihm , als sei ihm von Gott Erhörung seiner Bitte gewährt - der nun lieber , wie dort bei den Niniviten , einen Propheten wolle zu Schanden werden lassen , als daß er eine Seele verderben ließe . --
Anton hatte sein Fieber weggebetet , worin er wahrscheinlich wieder zurückgefallen sein würde , wenn seine empörten Geister nicht diesen Ausweg gefunden hätten .
-- So heilt oft eine Schwärmerei , eine Tollheit die andere -- die Teufel werden ausgetrieben durch Beelzebub .
Anton wurde nach dieser Ermattung durch einen ruhigen Schlaf erquickt , und stand am anderen Morgen wieder gesund auf -- aber der Gedanke an den Tod erwachte wieder mit ihm -- höchstens glaubte er , sei ihm eine kleine Frist zur Bekehrung gegeben , und nun müsse er sehr eilen , wenn er noch seine Seele retten wolle .
Das Das tat er denn auch , so sehr er konnte ; er betete des Tages unzähligemal in einem Winkel auf seinen Knien , und erträumte sich zuletzt dadurch eine feste Überzeugung von der göttlichen Gnade , und eine solche Heiterkeit der Seele , daß er sich oft schon im Himmel glaubte , und sich nun manchmal den Tod wünschte , ehe er wieder von diesem guten Wege abkommen möchte .
Aber es konnte nicht fehlen , daß bei allen diesen Ausschweifungen seiner Phantasie , die Natur ihren Zeitpunkt wahrnahm , wo sie wieder zurückkehrte -- und dann die natürliche Liebe zum Leben , um des Lebens Willen , in Antons Seele wieder erwachte .
-- Dann war ihm freilich der Gedanke an seinen bevorstehenden Tod sehr etwas Trauriges und Unangenehmes , und er betrachtete diese Augenblicke , als solche , wo er wieder aus der göttlichen Gnade gefallen sei , und geriet darüber in neue Angst , weil es ihm nicht möglich war , die Stimme der Natur in sich zu unterdrücken .
Jetzt empfand er doppelt alle die traurigen Folgen des Aberglaubens , der ihm von seiner frühesten Kindheit an , eingeflößt war -- seine Leiden J 4 Leiden konnte man , im eigentlichen Verstande , die Leiden der Einbildungskraft nennen -- sie waren für ihn doch wirkliche Leiden , sie raubten ihm die Freuden seiner Jugend .
-- Von seiner Mutter wußte er , es sei ein sicheres Zeichen des nahen Todes , wenn einem beim Waschen die Hände nicht mehr rauchen -- nun sah er sich sterben , so oft er sich die Hände wusch .
-- Er hatte gehört , wenn ein Hund im Hause mit der Schnauze zur Erde gekehrt , heule , so wittre er den Tod Menschen ; -- nun prophezeite ihm jedes Hundegeheul seinen Tod .
-- Wenn sogar ein Huhn wie ein Hahn krähte , so war das ein untrügliches Zeichen , daß bald jemand im Hause sterben würde -- und nun ging hier gerade ein solches unglückweissagendes Huhn auf dem Hofe herum , welches beständig auf eine unnatürliche Weise wie ein Hahn krähte .
-- Für Anton klang keine Totenglocke so fürchterlich , als dieses Krähen ; und dieses Huhn hat ihm mehr trübe Stunden in seinem Leben gemacht , als irgend eine Widerwärtigkeit , die er sonst erlitten hat .
Oft schöpfte er wieder Trost und Hoffnung zum Leben , wenn das Huhn einige Tage schwieg -- sobald sobald es sich dann wieder hören ließ , waren alle seine schönen Hoffnungen und Entwürfe plötzlich gescheitert .
Da er nun so schon mit lauter Todesgedanken umging , fügte es sich , daß er das erstemal nach seiner Krankheit wieder zu dem Pastor P.. in die Kirche kam .
Dieser stand schon auf der Kanzel , und predigte über -- den Tod .
Das war für Anton ein Donnerschlag ; denn da er nun einmal gelernt hatte , nach dem , was ihm von einer besonderen göttlichen Führung in den Kopf gesetzt war , alles auf sich zu beziehen -- wem anders , als ihm sollte nun wohl die Predigt vom Tode gehalten werden ? --
Mit nicht mehr Herzensangst kann ein Missetäter sein Todesurteil anhören , als Anton diese Predigt -- der Pastor P. . . fügte zwar Trostgründe genug gegen die Schrecken des Todes hinzu , aber was verschlug das alles gegen die natürliche Liebe zum Leben , die , trotz aller Schwärmereien , wovon Anton den Kopf vollgepfropft hatte , dennoch bei ihm die Oberhand behielt .
Niedergeschlagenes und betrübtes Herzens ging er zu Hause , und vierzehn Tage lang machte I 5 machte ihn diese Predigt melancholisch , die der Pastor P. . . , wenn er gewußt hätte , daß sie noch auf zwei Menschen solche Wirkung , wie auf Anton tun würde , wahrscheinlich nicht würde gehalten haben .
So war Anton nun in seinem dreizehnten Jahre , durch die besondere Führung , die ihm die göttliche Gnade , durch ihre auserwählten Werkzeuge hatte angedeihen lassen , ein völliger Hypochondrist geworden , von dem man im eigentlichen Verstande sagen konnte , daß er in jedem Augenblick lebend starb . --
Der um den Genuß seiner Jugend schändlich betrogen wurde -- dem die zuvorkommende Gnade den Kopf verrückte .
-- Aber der Frühling kam wieder heran , und die Natur , die alles heilet , fing auch hier allmählich an , wieder gut zu machen , was die Gnade verdorben hatte .
Anton fühlte neue Lebenskraft in sich ; er wusch sich , und seine Hände rauchten wieder -- es heulten keine Hunde mehr -- das Huhn hörte auf zu krähen -- und der Pastor P. . . hielt keine Todespredigten mehr . --
Anton Anton fing wieder an , des Sonntags für sich allein spazieren zu gehen , und einmal fügte es sich , daß er , ohne es erst selbst zu wissen , gerade an das Tor kam , wo er vor ungefähr anderthalb Jahren mit seinem Vater zuerst von H. . . eingewandert war .
Er konnte sich nicht enthalten , hinaus zu gehen , und die mit Weiden bepflanzte breite Heerstraße zu verfolgen , die er damals gekommen war .
Sonderbare Empfindungen entwickelten sich dabei in seiner Seele .
-- Sein ganzes Leben von jener Zeit an -- da er zuerst die Schildwache auf dem hohen Walle hin und hergehend erblickte , und sich allerlei Vorstellungen machte , wie nun wohl die Stadt inwendig aussehen , und wie das L. . .sche Haus beschaffen sein würde ? -- stand jetzt auf einmal in seiner Erinnerung da . --
Es war ihm , als ob er aus einem Traume erwachte -- und nun wieder auf dem Fleck wäre , wo der Traum anhob ; --
alle die abwechselnden Szenen seines Lebens , die er diese anderthalb Jahre hindurch in B. . . gehabt hatte , drängten sich dicht ineinander , und die einzelnen Bilder schienen sich nach einem größeren Maßstabe , dem seine Seele auf einmal erhielt , zu verkleinern .-- So So mächtig wirkt die Vorstellung des Orts , woran wir alle unsere übrige Vorstellungen knüpfen . --
Die einzelnen Straßen und Häuser , die Anton täglich wieder sah , waren das Bleibende in seinen Vorstellungen , woran sich das immer abwechselnde in seinem Leben anschloß , wodurch es Zusammenhäng und Wahrheit erhielt , wodurch er das Wachen vom Träumen unterschied -- --
In der Kindheit ist es insbesondere nötig , daß alle übrigen Ideen sich an die Ideen des Orts anschließen , weil sie gleichsam in sich noch zu wenig Konsistenz haben , und sich an sich selber noch nicht fest halten können .
Es fällt daher auch wirklich in der Kindheit oft schwer , das Wachen vom Traume zu unterscheiden ; und ich erinnere mich , daß einer unserer größten jetztlebenden Philosophen , mir in dieser Rücksicht eine sehr merkwürdige Beobachtung aus den Jahren seiner Kindheit erzählet hat .
Er war wegen einer gewissen bösen Angewohnheit , die bei Kindern sehr gewöhnlich ist , oft mit der Rute gezüchtigt worden .
Es hatte ihm thn aber , wie es auch gewöhnlich ist , immer sehr lebhaft geträumt , er habe sich an die Wand gestellt , und . . .
Wenn er sich nun manchmal bei Tage zu dem Ende wirklich an die Wand gestellt hatte ; so fiel ihm die harte Züchtigung ein , die er so oft erlitten hatte , -- und er stand oft lange an , ehe er es wagte , einem dringenden Bedürfnis der Natur ein Genüge zu tun , weil er befürchtete , es möchte wieder ein Traum sein , für den er wieder eine scharfe Züchtigung erwarten müßte -- bis er sich erst allenthalben umgesehen , und dann auch in Ansehung der Zeit zurückgerechnet hatte , ehe er sich völlig überzeugen konnte , daß er nicht träume .
Auch pflegt man des Morgens beim Erwachen , oft noch halb zu träumen , und der Übergang zum Wachen wird allmählich dadurch gemacht , daß man erst anfängt , sich zu orientieren , und wenn man denn nur erst einmal den hellen Schein des Fensters gefaßt hat , so ordnet sich nach und nach alles übrige von selber .
Daher war es sehr natürlich , daß Anton , nachdem er schon einige Wochen in B. . . im L. . .schen Hause war , des Morgens noch immer glaubte , glaubte , er träume , wenn er schon wirklich wachte , weil der Stift , woran er sonst , immer des Morgens , beim Erwachen , die Ideen vom vorigen Tage sowohl als von seinem vorigen Leben anknüpfte , und wodurch sie erst Zusammenhäng und Wahrheit erhielten , nun gleichsam verrückt war ; weil die Idee des Ortes nicht mehr dieselbe war .
Ist es also wohl zu verwundern , wenn die Veränderung des Orts oft so vieles beiträgt , uns dasjenige , was wir uns nicht gern als wirklich denken , wie einen Traum vergessen zu machen ?
In späteren Jahren , und insbesondere , wenn man viel gereist ist , verliert sich dies Anschließen der Ideen an den Ort in etwas .
Wo man hinkommt , sieht man entweder Dächer , Fenster , Türen , Steinpflaster , Kirchen und Türme , oder man sieht Wiese , Wald , Acker , oder Heide . --
Die auffallenden Unterschiede verschwinden ; die Erde wird sich überall gleich .
-- Wenn Anton in B. . . auf der Straße ging , so war es ihm besonders des Abends im Anfange der Dämmerung , manchmal plötzlich wie im Traume . --
Auch pflegte sich dies bei ihm zu er eig eigenen , wenn er in irgend eine Straße ging , die ihm eine entfernte Ähnlichkeit mit einer Straße in H. . . zu haben schien . --
Dann dünkte ihm einige Augenblicke sein Zustand in H. . . wieder gegenwärtig ; die Szenen seines Lebens verwirrten sich untereinander .
Bei seinen Spaziergängen fand er nun immer einen besonderen Reiz darin , Gegenden in der Stadt aufzusuchen , wo er noch gar nicht gewesen war .
Seine Seele erweiterte sich dann immer , es war ihm , als ob er aus dem engen Kreise seines Daseins einen Sprung gewagt hätte ; die alltäglichen Ideen verloren sich , und große angenehme Aussichten , Labyrinthe der Zukunft eröffneten sich vor ihm .
Allein es war ihm noch nie gelungen , sein ganzes Leben in B. . . mit allen seinen mannigfaltigen Veränderungen in einen einzigen vollen Blick zusammen zu fassen .
Der Ort , wo er sich jedesmal befand , erinnerte ihn immer zu stark an irgend einen einzelnen Teil desselben , als daß noch für das Ganze in seiner Denkkraft Platz gewesen wäre ; er drehte sich mit seinen Vorstellungen immer in einem engen Zirkel seines Daseins herum .
Um Um von dem Ganzen seines hiesigen Lebens ein anschauliches Bild zu haben , war es nötig , daß gleichsam alle die Fäden abgeschnitten wurden , die seine Aufmerksamkeit immer an das Momentane , Alltägliche und Zerstückte desselben hefteten ; und daß er zugleich in den Standpunkt wieder versetzt wurde , aus welchem er sein Leben in B... betrachtete , ehe er es anfing , da es noch wie eine dämmernde Zukunft vor ihm lag .
In diesen Standpunkt wurde er nun gerade versetzt , da er zufälligerweise aus dem Tore ging , durch welches er vor ungefähr anderthalb Jahren , auf der breiten mit Weiden bepflanzten Heerstraße herein gekommen war , und die Schildwache auf dem hohen Walle hatte hin und her gehen sehen .
Dieser Ort mußte es gerade sein , der ihn durch die plötzliche Erinnerung an tausend Kleinigkeiten gerade in den Zustand wieder zu versetzen schien , worin er sich unmittelbar vor dem Anfange seines hiesigen Lebens befand .
-- Alles , was dazwischen lag , mußte sich nun in seiner Einbildungskraft zusammendrängen , wie Schatten ineinander gehen , einem Traum ähnlich werden . werden .
Denn sein jetziges Dastehen auf der Brücke , und den hohen Wall hinaufsehen , wo die Schildwache stand , schloß sich dicht an sein Dastehen und den hohen Wall hinauf sehen vor anderthalb Jahren an .
Die Vergangenheit , alle die Szenen des Lebens , das Anton in B. . . geführt hatte , stellte er sich jetzt wieder vor , wie er sie sich damals vor anderthalb Jahren noch als zukünftig gedacht hatte , und die zu lebhafte Vorstellung und Wiedererinnerung des Orts , machte , daß die Erinnerung an den Zwischenraum der Zeit , welche unterdes verflossen war , verlosch , oder schwächer wurde -- -- anders wenigstens läßt sich wohl schwerlich das Phänomen jener sonderbaren Empfindung erklären , die Anton damals hatte , und die ein jeder wenigstens einigemal in seinem Leben gehabt zu haben sich erinnern wird .
Mehr als zehnmal stand Anton auf dem Punkte , nicht wieder in die Stadt zurückzukehren , sondern gerade den Weg vor sich hin , wieder nach H. . . zu gehen , wenn ihn nicht der Gedanke an Hunger und Kälte wieder zurückgeschreckt hätte .
Aber K Aber von dem Tage an , blieb der Vorsatz fest bei ihm , im L. . .schen Hause nicht länger mehr zu bleiben , es koste auch , was es wolle .
Er wurde daher auch gegen alles gleichgültiger , weil er sich vorstellte , daß es nun nicht lange mehr so dauern würde .
L. . . selbst fing nun an , seiner so überdrüssig zu werden , daß er endlich nach H. . . an Antons Vater schrieb , dieser möchte seinen Sohn , mit dem nichts anzufangen wäre , nur immer wieder abholen .
Nichts hätte für Anton erwünschter sein können , als die Nachricht , daß sein Vater ihn nun mit nächsten wieder zu Hause holen würde . --
In eine Schule , schloß er , müsse er doch in H. . . auf alle Fälle geschickt werden , ehe er zum Abendmahl zugelassen würde , und dann wollte er sich schon so auszeichnen , daß man aufmerksam auf ihn werden solle .
-- So sehr er vorher nach B. . . zu kommen gestrebt hatte , so sehr verlangte ihn jetzt nach H.. wieder zurück , und er wiegte sich nun aufs neue in angenehmen Träumen von der Zukunft ein .
Ungeachtet seiner harten Lage aber waren ihm dennoch viele Dinge in B. . . sehr lieb ge wor worden , so daß sich in seine angenehmen Hoffnungen oft eine Wehmut mischte , die ihn in eine sanfte Melancholie versetzte . --
Oft stand er einsam an der Oder , und sah irgend einem vorbeifahrenden kleinem Kahne nach , so weit er ihn mit den Augen verfolgen konnte -- dann war es ihm oft plötzlich , als habe er einen Blick in die dunkle Zukunft getan , aber wenn er eben das angenehme Blendwerk fest zu halten glaubte , so war es auf einmal verschwunden .
Er suchte sich nun an allen Gegenden der Stadt , die er bisher auf seinen Spaziergängen des Sonntags besucht hatte , gleichsam noch einmal zu letzen , und nahm von einer nach der anderen wehmütig Abschied , so wie er sie nie wieder zu sehen hoffte .
Er hörte von dem Pastor P. . . noch verschiedene Predigten , worin manche einzelne Stellen nie aus seinem Gedächtnis gekommen sind . --
Ganz außerordentlich rührte ihn in einer Predigt vom Leiden Jesu , der immersteigende Affekt , womit der Pastor P. . . die Worte sagte : mitleidsvoll sieht er auf seine Mörder herab , und K 2 und betet , und betet , und betet -- Vater , vergib ihnen , denn sie wissen nicht , was sie tun !
Und in einer Predigt über die Beichte , welche über das Evangelium vom Aussätzigen gehalten wurde , der sich dem Priester zeigen sollte , die Anrede an die Heuchler , die alle äußere Gebräuche der Religion gewissenhaft beobachten , und doch ein feindseliges Herz im Busen tragen , und wo sich jeder Periode anfing , mit :
ihr kommt in den Beichtstuhl , ihr zeiget euch dem Priester , aber er kann in euer Herz nicht schauen , u. s. w. -- Dann wurde in dieser Predigt auch oft ein Ausdruck wiederholt , der für Anton außerordentlich rührend war , dieser klang ihm , als :
ihr kommt in den Heben . --
Das letzte Wort nämlich , was immer verschlungen wurde , so daß er es nicht recht verstehen konnte , klang ihm wie Heben , und dies Wort oder dieser Laut rührte ihn bis zu Tränen , so oft er wieder daran dachte .
Eben so reizend klang ihm der Ausdruck , der sehr oft in den Predigten des Pastor P. . . vorkam .
Die Höhen der Vernunft -- dies hatte aber seine besonderen Ursachen , deren Entwicklung nicht unnütz sein wird .
Das Chor in der der Kirche , wo die Orgel war , und die Schüler sangen , schien ihm immer etwas für ihn unerreichbares zu sein ; sehnsuchtsvoll blickte er oft dahin auf , und wünschte sich keine größere Glückseligkeit , als nur einmal den wunderbaren Bau der Orgel , und was sonst da war , in der Nähe betrachten zu können , da er dies alles jetzt nur in der Ferne anstaunen durfte .
-- Diese Phantasie war mit einer anderen verwandt , die er noch aus H. . . mitgebracht hatte -- schon dort war ein gewisser Turm für ihn immer ein äußerst reizender Gegenstand gewesen ; er betrachtete ihn mit Entzücken und beneidete oft die Stadtmusikanten , die oben auf der Galerie standen , um des Morgens und Abends hinunter zu blasen .
Stundenlang konnte er diese Galerie betrachten , die ihm von unten so klein schien , daß sie ihm nicht bis an die Knie reichen würde , und über welche doch kaum die Köpfe der blasenden Stadtmusikanten hervorragten ; und vollends das Zifferblatt , welches nach der Versicherung verschiedener Leute , die oben gewesen waren , so groß sein sollte , wie ein Wagenrad , und ihm doch K 3 doch unten nicht größer , als irgend ein Rad in einem Schiebkarren vorkam . --
Dies alles erregte seine Neugierde im höchsten Grade , so daß er oft ganze Tage lang mit nichts , als dem Gedanken und dem Wunsch umging , diese Galerie und dies Zifferblatt einmal in der Nähe betrachten zu können .
Nun konnte man auf dem Turme in H. . . durch die Schallöcher , welche über der Galerie offen standen , auch die Glocken treten sehen ; und Anton verschlang beinahe mit seinen Augen dieses ihm ganz neue Schauspiel , da er die große metallene Maschine , die den alles erschütternden Klang verursachte , unter den Füßen der ganz klein scheinenden Leute , die in dieser Höhe standen und auf die Balken traten , wechselsweise in die Höhe steigen sah .
Es war ihm , als habe er in das innerste Eingeweide des Turms geblickt , und als habe sich ihm das geheimnisvolle Triebwerk , des wunderbaren Schalles , den er so oft mit Rührung vernommen hatte , nun in der Ferne enthüllt -- Allein seine Neugierde wurde hierdurch nur noch mehr erregt , statt befriedigt zu werden -- er hatte hatte nur die eine Hälfte der Glocke , die sich mit ihrer ungeheuren Wölbung empor hob , und nicht ihren ganzen Umfang gesehen -- von der Größe dieser Glocke hatte er von Kindheit an gehört , und seine Einbildungskraft vergrößerte das Bild in seiner Seele noch zu Unzähligenmalen , so daß er sich davon die romanhaftesten und ausschweifendsten Ideen machte .
Bei seinen Schmerzen nun , die er am Fuße erduldete ; bei aller Bedrückung von seinen Eltern , worunter er seufzte ; was war sein Trost ?
was war der angenehmste Traum seiner Kindheit ? was sein sehnlichster Wunsch , über den er oft alles vergaß ? --
-- Was anders , als die nahe Beschauung des Zifferblatts und der Galerie am neustädtischen Turme in H. . . , und der Glocken , die darin hingen .
Länger als ein Jahr hindurch versüßte ihm dies Spiel seiner Phantasie die trübsten Stunden seines Lebens -- aber ach , er mußte H... verlassen , ohne seines sehnlichsten Wunsches gewährt zu werden . -- --
Doch das Bild vom neustädtischen Turme wich nie aus seinen Gedanken , es verfolgte ihn nach B. . . , und schwebte K 4 schwebte ihm dort oft in nächtlichen Träumen auf hohen Treppen in tausend labyrinthischen Krümmungen vor , wo er den Turm hinauf stieg , auf der Galerie stand , und mit unaussprechlichem Vergnügen das Zifferblatt am Turme betastete , und dann inwendig nicht nur die große Glocke , sondern noch unzählige andere kleinere , nebst mehr wunderbaren Dingen dicht vor Augen sah , bis er etwa mit dem Kopfe an den unübersehbaren Rand der großen Glocke stieß , und erwachte .
So oft nun der Pastor P. . . von den Höhen der Vernunft sprach , so dachte Anton mit Entzücken an die Höhen seines geliebten Turms , an die Glocke darin und an das Zifferblatt , -- und und dann auch an das hohe Chor , worauf die Orgel in der B. .. . Kirche stand -- dann erwachte auf einmal alle seine Sehnsucht wieder und der Ausdruck : die Höhen der Vernunft , preßte ihm Tränen der Wehmut aus den Augen .
Der eigentliche abhandelnde Teil von den Predigten des Pastor P. . . , wo derselbe mit erstaunlicher Geschwindigkeit sprach , war für Anton Anton freilich verloren , weil er ihm mit seinen Gedanken unmöglich folgen konnte .
In der Hoffnung aber auf den ermahnenden Teil hörte er ihn dennoch mit Vergnügen an -- es war ihm dann , als wenn sich nun erst die Wolken zusammen zögen , die bald in ein wohltätiges Gewitter oder einen sanften Regen ausbrechen würden .
Nun ging er aber einmal mit dem Gedanken in die Kirche , die Predigt des Pastor P. . . zu Hause aufzuschreiben , und auf einmal war es , als ob es , indem er zuhörte , in seiner Seele Licht wurde , seine Aufmerksamkeit hatte eine neue Richtung erhalten -- vorher hatte er mit dem Herzen zugehört , jetzt hörte er zum erstenmal mit dem Verstande zu -- er wollte nicht nur durch einzelne Stellen erschüttert werden , sondern das Ganze der Predigt fassen , und nun fing er an , den abhandelnden Teil eben so interessant als den ermahnenden Teil zu_finden .
-- Die Predigt handelte von der Nächsten-Liebe , wie glücklich die Menschen sein würden , wenn jeder das Wohl aller übrigen , und alle übrige das Wohl jedes einzelnen zu befördern suchten . --
Nie ist ihm diese Predigt mit allen ihren K 5 ihren Abteilungen und Unterabteilungen aus dem Gedächtnis gekommen , die er mit dem Vorsatz hörte , um sie aufzuschreiben , welches er tat , sobald er zu Hause kam , und den August , dem er es nun vorlas , sehr dadurch in Verwunderung setzte .
Das Aufschreiben dieser Predigt hatte gleichsam eine neue Entwicklung seiner Verstandeskräfte bewirkt .
-- Denn von der Zeit fingen seine Ideen an sich allmählich untereinander zu ordnen -- er lernte selbst für sich über einen Gegenstand nachdenken -- er suchte die Reihe seiner Gedanken wieder außer sich darzustellen , und weil er sie niemanden sagen konnte , so machte er schriftliche Aufsätze , die denn freifreilich oft sonderbar genug waren .-- Denn hatte er vorher mit Gott mündlich gesprochen , so fing er nun an , mit ihm zu korrespondieren , und schrieb lange Gebete an ihn , worin er ihm seinen Zustand schilderte .
Er fühlte sich jetzt um so mehr zu schriftlichen Aufsätzen gedrungen , weil es ihm gänzlich an aller Lektüre fehlte -- denn L. . . hatte ihm schon lange kein Buch mehr in die Hände gege ben , ben , ausgenommen Engelbrechts , eines Tuchmachergesellen zu Winsen an der Allee Beschreibung von dem Himmel und der Hölle , welches er ihm geschenkt hatte . --
Einen ärgern Aufschneider kann es nun wohl in der Welt nicht mehr geben , als dieser Engelbrecht gewesen sein muß , von dem man geglaubt hatte , daß er wirklich tot wäre , und der nun , nachdem er sich wieder erholt hatte , seiner alten Großmutter weiß machte , er sei wirklich im Himmel und in der Hölle gewesen ; diese hatte es dann weiter erzählt , und so war dies köstliche Buch entstanden .
Der Kerl entblödete sich nicht zu behaupten , er sei mit Christo und den Engeln Gottes bis dicht unter dem Himmel geschwebt , und habe da die Sonne in die eine , und den Mond in die andere Hand genommen , und am Himmel die Sterne gezählt .
Demungeachtet waren seine Vergleichungen zuweilen ziemlich naiv , -- so verglich er z. B. den Himmel mit einer köstlichen Weinsuppe , wovon man auf Erden nur wenige Tropfen gekostet hat , und die man alsdann mit Löffeln essen essen könne -- und die himmlische Musik war eben so weit über die irdische Musik erhaben , als ein schönes Konzert über das Geleier eines Dudelsacks , oder über das Tüten eines Nachtwächterhorns .
Und was ihm für Ehre im Himmel widerfahren war , davon konnte er nicht genug rühmen .
In Ermangelung besserer Nahrung mußte sich nun Antons Seele mit dieser losen Speise begnügen , und wenigstens wurde doch seine Einbildungskraft dadurch beschäftigt , -- sein Verstand blieb gleichsam neutral dabei -- er glaubte es weder , noch zweifelte er daran ; er stellte sich das alles bloß lebhaft vor .
Indes ging jetzt L. . .s Unwillen und Haß gegen ihn häufig bis zu Scheltworten und Schlägen ; er verbitterte ihm sein Leben auf die grausamste Weise ; er ließ ihn die niedrigsten und demütigendsten Arbeiten tun . -- Nichts aber war für Anton kränkender , als wie er zum erstenmal in seinem Leben , eine Last auf dem Rücken , und zwar einen Tragkorb mit Hüten bepackt , über die öffentliche Straße tragen mußte , in indem L. . . vor ihm herging -- es war ihm , als ob alle Menschen auf der Straße ihn ansähen .
Jede Last , die er vor sich , oder unter dem Arme , oder an den Händen tragen konnte , schien ihm vielmehr ehrenvoll zu sein , als das er glaubte , sie mache ihm Schande . --
Nur daß er jetzt gebückt gehen , seinen Nacken unter das Joch beugen mußte , wie ein Lasttier , indes sein stolzer Gebieter vor ihm herging , das beugte zugleich seinen ganzen Mut danieder , und erschwerte ihm die Last tausendmal .
Er glaubte sowohl vor Müdigkeit als vor Scham in die Erde sinken zu müssen , ehe er mit seiner Bürde an den bestimmten Ort kam .
Dieser bestimmte Ort , war das Zeughaus , wo die Hüte , welche Kommisarbeit waren , abgeliefert wurden .
-- Nicht sehnlicher hatte sich Anton gewünscht , die Glocken und das Zifferblatt auf dem neustädtischen Turm in H. . . , als dies Zeughaus , inwendig zu sehen , vor welchem er so oft , ohne seinen Wunsch befriedigen zu können , vorbei gegangen war .
Aber wie sehr wurde ihm jetzt dies Vergnügen versalzen , da er es in solchem Zustande zu sehen bekam .
Dies Dies Tragen auf dem Rücken schwächte seinen Mut mehr , als irgend eine Demütigung , die er noch erlitten hatte , und mehr als L Scheltworte und Schläge .
Es war ihm , als ob er nun nicht tiefer sinken könne ; er betrachtete sich beinahe selbst , als ein verächtliches , weggeworfenes Geschöpf :
Es war dies eine der grausamsten Situationen in seinem ganzen Leben , an die er sich nachher , so oft er ein Zeughaus sah , lebhaft wieder erinnerte , und deren Bild wieder in ihm aufstieg , so oft er das Wort Unterjochung hörte .
Wenn ihm so etwas begegnet war , so suchte er sich vor allen Menschen zu verbergen ; jeder Laut der Freude war ihm zuwider ; er eilte auf das Plätzchen hinter dem Hause an die Oker hin , und blickte oft Stundenlang sehnsuchtsvoll in die Flut hinab .
-- Verfolgte ihn dann selbst da irgend eine menschliche Stimme , aus einem der benachbarten Häuser , oder hörte er singen , lachen , oder sprechen , so dünkte es ihm , als treibe die Welt ihr Hohngelächter über ihn , so verachtet , so vernichtet glaubte er sich , seitdem er seinen Nacken unter das Joch eines Tragkorbes gebeugt hatte .
Es Es war ihm denn eine Art von Wonne selbst in das Hohngelächter mit einzustimmen , daß er seiner schwarzen Phantasie nach über sich erschallen hörte -- in einer dieser fürchterlichen Stunden , wo er über sich selbst in ein verzweiflungsvolles Hohngelächter ausbrach , war der Lebensüberdruß bei ihm zu mächtig , er fing auf dem schwachen Brette , worauf er stand , an zu zittern und zu wanken .
-- Seine Knie hielten ihn nicht mehr empor ; er stürzte in die Flut -- August war sein Schutzengel ; er hatte schon eine Weile unbemerkt hinter ihm gestanden , und zog ihn beim Arm wieder heraus -- es waren demungeachtet mehr Leute dazu gekommen -- das ganze Haus lief zusammen , und Anton wurde von dem Augenblick an , als ein gefährlicher Mensch betrachtet , den man , so bald , wie möglich , aus dem Hause fortschaffen müsse . -- L. . . schrieb den Vorfall sogleich an Antons Vater , und dieser kam vierzehn Tage darauf mit unmutsvoller Seele , nach B. . . , um seinen mißratenen Sohn , in dessen Herzen sich , nach dem Urteil des Hrn. v. F. . . , der Satan einen unzerstörbaren Tempel aufgebaut Er nach H. . . wieder abzuholen .
Er Er hielt sich noch ein paar Tage bei dem Hutmacher L. . . auf , während welcher Zeit Anton noch mit verdoppeltem Eifer , in Gegenwart seines Vaters , alle seine Geschäfte verrichtete , und eine Beruhigung darin suchte , noch zuletzt alles zu tun , was in seinen Kräften stand .
Von der Werkstatt , von der Trockenstube , vom Holzboden , und von B. . . Kirche nahm er nun in Gedanken Abschied -- und seine angenehmste Vorstellung , wenn er wieder nach H. . . kommen würde , war , daß er dann seiner Mutter von dem Pastor P. . . würde erzählen können .
Je näher die Abschiedsstunde herannahte , desto leichter wurde ihm ums Herz . --
Er sollte nun bald aus seiner engen drückenden Lage herauskommen . -- --
Die weite Welt eröffnete sich wieder vor ihm .
Von August war der Abschied zärtlich , von L. . . kalt wie Eis -- es war an einem Sonntag Nachmittage , bei trübem Himmel , da Anton mit seinem Vater wieder aus dem L. . .schen Hause ging , -- er blickte die schwarze Türe mit den großen eingeschlagenen Nägeln noch einmal an , an , und wandte ihr getrost den Rücken , um wieder aus dem Tore zu wandern , vor welchem er vor kurzem noch einen so interessanten Spaziergang gemacht hatte . --
Die hohen Wälle der Stadt , und der Andreas-Thurm waren bald aus seinem Gesicht verschwunden , und er sah nur noch den Brocken in der Ferne mit Schnee bedeckt , in trüber Dämmerung sich in den dicht aufliegenden Wolken verlieren .
Das Herz seines Vaters war gegen ihn kalt und verschlossen ; denn dieser betrachtete ihn völlig mit den Augen des Hutmacher L... , und des Hrn. von F.. , als einen in dessen Herzen der Satan einmal seinen Tempel errichtet habe -- es wurde unterwegs wenig gesprochen , sondern sie wanderten immer stillschweigend fort , und Anton bemerkte kaum die Länge des Weges , auf eine so angenehme Art unterhielt er sich mit seinen Gedanken , -- wenn er nun seine Mutter und seine Brüder wieder sehen , und ihnen seine Schicksale würde erzählen können .
Die vier schönen Türme von H.. ragten endlich wieder hervor -- und wie einen Freund , den man nach langer Trennung wieder sieht , bei trag L trachtete Anton den neustädtischen Turm , und seine Glockenliebe erwachte auf einmal wieder .
-- Er sah sich nun wieder in den Mauern von H. . . und alles war ihm neu -- seine Eltern hatten eine andere kleinere und dunklere Wohnung auf einer abgelegenen Straße bezogen -- das war ihm alles so fremd , indem er die Treppen hinaufstieg , als ob er da unmöglich zu Hause gehören könne .
-- Allein so kalt und abschreckend das Betragen seines Vaters gegen ihn gewesen war , so laut und ausbrechend war jetzt die Freude , womit ihm seine Mutter und Brüder entgegen eilten , die seine von Frost aufgesprungen Hände besahen , und von denen er nun zum erstenmal wieder bedauert wurde .
Als er am anderen Tage ausging , besuchte er alle die bekannten Plätze , wo er sonst gespielt hatte -- es war ihm , als sei er während der Zeit alt geworden , und als wollte er sich nun an die Jahre seiner Tugend zurück erinnern -- ihm begegnete ein Trupp seiner ehemaligen Mitschüler und Spielkameraden , die ihm alle die Hände drückten , und sich über seine Wiederkunft freuten .
Und so bald er nur mit seiner Mutter allein war , was konnte er wohl anders tun als ihr von dem Pastor P. . . erzählen ? --
Sie hatte ohnedem eine unbegrenzte Ehrfurcht gegen alles Priesterliche , und konnte mit Anton recht gut in seinen Gefühlen für den Pastor P. . . sympathisieren . --
O ! welche selige Stunden waren das , da Anton so sein Herz ausschütten , und Stundenlang von dem Manne sprechen konnte , gegen den er , unter allen Menschen auf Erden , die meiste Liebe und Achtung hatte .
Er hörte nun die H...schen Prediger , aber welch ein Abstand !
unter allen fand er keinen P. . . , einen ausgenommen Namens N... , der wenn er im heftigen Affekt sprach , einige Ähnlichkeit mit ihm hatte .
-- Kein Prediger konnte bei Anton Beifall finden , wenn er nicht wenigstens so geschwind , wie der Pastor P. . . sprach , -- und ich weiß nicht , wenn der Prediger als Redner betrachtet wird , ob er denn so ganz Unrecht hatte ? -- der Lehrer muß langsam , der Redner muß geschwind sprechen .
-- Der Lehrer soll allmählich den Verstand erleuchten , der Redner unwiderstehlich in das Herz L 2 Herz eindringen -- mit dem Verstande muß man langsam , mit dem Herzen schnell zu Werke gehen , wenn man seines Zweckes nicht verfehlen will -- freilich wird der immer ein schlechter Lehrer sein , der nicht zuweilen Redner wird , und der ein schlechter Redner , der nicht zuweilen Lehrer wird -- aber wenn Fox im Englischen Parlamente spricht , so geschieht es mit einer Geschwindigkeit , die ihres Gleichen nicht hat , und in diesem brausenden Strome reißt er alles mit sich fort , und erschüttert die Seelen seiner Zuhörer , wie es der Pastor P. . . durch seine Meineidspredigt tat .
Einen Prediger , Namens M. . . an der G. . . Kirche in H. . . hörte Anton eines Sonntags mit dem größten Widerwillen predigen , weil derselbe auch nicht die mindeste Ähnlichkeit mit dem Pastor P. . . , hatte , sondern in Ansehung seiner etwas langsamen und bequemen Sprache fast gerade das Gegenteil von ihm war .
Anton konnte sich nicht enthalten , da er zu Hause kam , gegen seine Mutter eine Art von Haß zu äußeren , den er auf diesen Prediger geworfen hatte -- aber wie erstaunte er , als diese ihm sagte , daß er bei eben eben diesen Prediger würde zum Religionsunterricht , und Beichte und Abendmahl gehen müssen , weil er ihr Beichtvater wäre , und sie zu seiner Gemeine gehörte .
Wem hätte es Anton geglaubt , daß er diesen Mann , gegen den er damals eine unwiderstehliche Abneigung empfand , einmal würde lieben können , daß dieser einmal sein Freund , sein Wohltäter werden würde ?
Indes ereignete sich ein Vorfall , der Antons Seele , die schon zur Schwermut geneigt war , in eine noch traurigere Stimmung versetzte : seine Mutter wurde tödlich krank , und schwebte vierzehn Tage lang in Lebensgefahr .
-- Was Anton dabei empfand , läßt sich nicht beschreiben .
-- Es war ihm , als ob er in seiner Mutter sich selbst absterben würde , so innig war sein Dasein mit dem ihrigen verwebt . --
Ganze Nächte durch weinte er oft , wenn er gehört hatte , daß der Arzt die Hoffnung zur Genesung aufgab .
-- Es war ihm , als sei es schlechterdings nicht möglich , daß er den Verlust seiner Mutter würde ertragen können .
-- Was war natürlicher , da er von aller Welt verlassen war , und L 3 und sich nur noch in ihrer Liebe und in ihrem Zutrauen wieder fand .
Der Pastor M. . . kam , und reichte Antons Mutter das Abendmahl -- nun glaubte er , sei keine Hoffnung mehr , und war untröstlich -- er flehte zu Gott um das Leben seiner Mutter , und ihm fiel der König Hiskias ein , der ein Zeichen von Gott erhielt , daß seine Bitte erhört , und ihm sein Leben gefristet sei .
Nach einem solchen Zeichen sah sich jetzt auch Anton um , ob nicht etwa der Schatten an der Mauer im Garten zurückgehen wollte ? -- und der Schatten schien ihm endlich zurückzugehen --
denn eine dünne Wolke hatte sich vor der Sonne hingezogen -- oder seine Phantasie hatte diesen Schatten zurückgedrängt -- aber von dem Augenblick an faßte er neue Hoffnung ; und seine Mutter fing wirklich wieder an , zu genesen .
Er lebte nun auch von neuem wieder auf -- und tat alles , um sich bei seinen Eltern beliebt zu machen .
Allein bei seinem Vater gelang es ihm nicht ; dieser hatte , seitdem er ihn aus B... wieder abgeholt , einen bitteren , unversöhnlichen Haß auf ihn geworfen , den er ihn bei jeder Ge legen legenheit empfinden ließ -- jede Mahlzeit wurde ihm zugezählt , und Anton mußte oft im eigentlichen Verstande sein Brot mit Tränen essen .
Sein einziger Trost in dieser Lage waren seine einsamen Spaziergänge mit seinen beiden kleineren Brüdern , mit denen er ordentliche Wanderungen auf den Wällen der Stadt anstellte , indem er sich immer ein Ziel setzte , nach welchem er mit ihnen gleichsam eine Reise tat . --
Dies war seine liebste Beschäftigung von seiner frühesten Kindheit an , und als er noch kaum gehen konnte , setzte er sich schon ein solches Ziel an einer Ecke der Straße , wo seine Eltern wohnten , welches die Grenze seiner kleinen Wanderungen war .
Er schuf sich nun den Wall , welchen er hinauf stieg in einen Berg , das Gesträuch , durch welches er sich durcharbeite in einen Wald , und einen kleinen Erdhügel im Stadtgraben , in eine Insel um ; und so stellte er mit seinen Brüdern in einem Bezirk von wenigen hundert Schritten , oft viele meilenweite Reisen an -- er verlor sich und verirrte sich mit ihnen in Wäll deren , L 4 deren , erstieg hohe Klippen , und kam auf unbewohnte Inseln , -- kurz , er realisierte sich mit ihnen , seine ganze idealische Romanenwelt , so gut er konnte .
-- Zu Hause stellte er allerlei Spiele mit ihnen an , wobei es oft scharf zuging -- er belagerte Städte , eroberte Festungen von den Büchern der Mad. Geoion zusammengebaut , mit wilden Kastanien , die er wie Bomben darauf abschoß .-- Zuweilen predigte er auch , und seine Brüder mußten ihm zuhören .
-- Das erstemal hatte er sich denn eine Kanzel von Stühlen zusammengebaut , und seine Brüder saßen vor ihm auf Fußschemeln ; er geriet in heftigen Affekt -- die Kanzel stürzte ein , er fiel herunter , und zerschlug mit dem Stuhle , worauf er stand , seinen Brüdern die Köpfe .
-- Das Geschrei und die Verwirrung war allgemein -- indem trat sein Vater herein , und fing an , ihn für die gehaltene Predigt ziemlich derbe zu belohnen .
-- Antons Mutter kam dazu , und wollte ihn den Händen seines Vaters entreißen ; da sie das nicht konnte , so nahm ihr Zorn eine ganz entgegengesetzte Richtung , und sie fing nun auch auch aus allen Kräften an , auf Anton zuzuschlagen , dem alle sein Flehen und Bitten nichts half . --
Nie ist wohl eine Predigt unglücklicher abgelaufen , als diese erste Predigt , welche Anton in seinem Leben hielt . --
Das Andenken an diesen Vorfall hat ihn oft noch im Traume erschreckt .
Indes wurde er dadurch nicht abgeschreckt , noch öfter wieder seine Kanzel zu besteigen , und ganze Geschriebene Predigten mit Evangelium , Thema und Einteilung abzulesen .
-- Denn seitdem er angefangen hatte , zum erstenmal die Predigt des Pastor P... nachzuschreiben , war es ihm auch leichter , seine Gedanken zu ordnen , und sie in eine Art von Verbindung mit einander zu bringen .
Kein Sonntag ging hin , wo er jetzt nicht eine Predigt nachschrieb , und er bekam dadurch bald eine solche Fertigkeit , daß er das Fehlende dazwischen durch sein Gedächtnis ergänzen , und eine Predigt , die er gehört , und die Hauptsachen nachgeschrieben hatte , zu Hause beinahe vollständig wieder zu Papier bringen konnte .
Anton L 5 Anton war nun über vierzehn Jahr alt ; und es war nötig , daß er , um konfirmiert oder in den Schoß der christlichen Kirche aufgenommen zu werden , einige Zeit vorher in irgend eine Schule gehen mußte , wo Religionsunterricht erteilt wurde .
Nun war in H. . . ein Institut , in welchem junge Leute zu künftigen Dorfschulmeistern gebildet wurden , und womit zugleich eine Freischule verknüpft war , welche den angehenden Lehrern znr Übung im Unterricht diente .
Diese Schule war also eigentlich mehr der Lehrer wegen , als daß die Lehrer gerade dieser Schule wegen da gewesen wären , -- weil aber die Schüler nichts bezahlen durften , so war diese Anstalt eine Zuflucht für die Armen , welche dort ihre Kinder ganz unentgeltlich konnten unterrichten lassen ; und weil Antons Vater eben nicht gesonnen war , viel an seinen so ganz aus der Art geschlagenen , und aus der göttlichen Gnade gefallenen Sohn zu wenden , so brachte er ihn denn endlich in diese Schule , wo derselbe nun auf einmal wieder eine ganz neue Laufbahn vor sich eröffnet sah .
Es Es war für Anton ein feierlicher Anblick , da er gleich in der ersten Stunde des Morgens , alle die künftigen Lehrer mit den Schülern und Schülerinnen in einer Klasse versammelt sah . --
Der Inspektor dieser Anstalt , der ein Geistlicher war , hielt alle Morgen mit den Schülern eine Katechisation , welche den Lehrern zum Muster dienen sollte .
-- Diese saßen alle an Tischen , um die Fragen und Antworten nachzuschreiben , während daß der Inspektor auf und nieder ging und fragte .
In einer Nachmittagsstunde mußte denn irgend einer von den Lehrern , in Gegenwart des Inspektors , die Katechisation mit den Schülern wiederholen , welche derselbe am Morgen gehalten hatte .
Nun war das Nachschreiben für Anton schon eine sehr leichte Sache geworden , und als der Lehrer den Nachmittag die Vormittagslektion wiederholte , so hatte sie Anton weit besser als der Lehrer stehend , in seiner Schreibtafel nachgeschrieben , und konnte also freilich mehr antworten , als jener fragte , welches bei dem Inspektor einige Aufmerksamkeit zu erregen schien , die äußerst schmeichelhaft für ihn war .
Allein Allein damit er sich nun nicht seines Glücks überheben sollte , stand ihm am anderen Tage eine Demütigung bevor , die beinahe jene in B... noch übertraf , da er zum erstenmal mit dem Tragkorbe auf dem Rücken gehen mußte .
Es wurde nämlich in der zweiten Stunde den folgenden Morgen eine Buchstabirübung angestellt , wo einer der Knaben immer eine Silbe erst allein buchstabieren und vorschreien , und dann die anderen alle , wie aus einem Munde , nachschreien mußten . --
Dies Geschrei , wovon einem die Ohren gellten , und diese ganze Übung kam Anton wie toll und rasend vor , und er schämte sich nicht wenig , da er sich schmeichelte , schon mit Ausdruck lesen zu können , daß er hier erst wieder anfangen sollte , buchstabieren zu lernen , -- aber die Reihe vorzuschreien , kam bald an ihn , denn dies ging , wie ein Lauffeuer herum ; und nun saß er und stockte , und die ganze schöne Musik geriet auf einmal aus dem Takt .
-- " Nun fort ! sagte der Inspektor , und als es nicht ging , sah er ihn mit einem Blick der äußersten Verachtung an , und sagte : " dummer Knabe ! " und ließ den folgenden weiter Buch buchstabieren -- Anton glaubte in dem Augenblick vernichtet zu sein , da er sich plötzlich in der Meinung eines Menschen auf dessen Beifall er schon so viel gerechnet hatte , so tief herabgesunken sah , daß dieser ihm nicht einmal mehr zutraute , daß er buchstabieren könne .
War ehemals in B. . . sein Körper , durch die Bürde , die er trug , unterjocht worden , so so wurde es jetzt noch weit mehr sein Geist , der unter der Last erlag , mit welcher die Worte : dummer Knabe ! von dem Inspektor auf ihn fielen .
Allein , diesmal galt bei ihm , was vom Themistokles erzählt wird , da dieser auch einmal in seiner Jugend einen öffentlichen Schimpf erlitt : non fregit eum , sed erexit -- Er strengte sich seit dem Tage , an welchem er diese Demütigung erlitt , noch zehnmal mehr , als vorher , an , sich bei seinen Lehrern in Achtung zu setzen , um den Inspektor , der ihn so verkannt hatte , gleichsam einst zu beschämen , und ihm über das Unrecht , das er von ihm erlitten hatte , Reue zu erwecken .
Der Der Inspektor trug alle Morgen in den Frühstunden den Lehrbegriff der lutherischen Kirche , ganz dogmatisch , mit allen Widerlegungen der Papisten sowohl , als der Reformierten , vor , und legte Gesenii Auslegung von Luthers kleinem Katechismus dabei zum Grunde -- Antons Kopf wurde dadurch freilich mit vielem unnützem Zeuge angefüllt , aber er lernte doch Hauptabteilungen und Unterabteilungen machen , er lernte systematisch zu Werke gehen .
Seine nachgeschriebenen Hefte wuchsen immer stärker an , und in weniger als einem Jahre besaß er eine vollständige Dogmatik mit allen Beweisstellen aus der Bibel , und einer vollständigen Polemik gegen Heiden , Türken , Juden , Griechen , Papisten und Reformierten , verknüpft -- er wußte von der Transsubstantiation im Abendmahl , von den fünf Stufen der Erhöhung und Erniedrigung Christi , von den Hauptlehren des Alkorans , und den vorzüglichsten Beweisen der Existenz Gottes , gegen die Freigeister , wie ein Buch zu reden .
Und er redete nun auch wirklich , wie ein Buch von allen diesen Sachen .
Er hatte nun reichen reichen Stoff zu predigen , und seine Brüder bekamen alle die nachgeschriebenen Hefte , von der halsbrechenden Kanzel in der Stube wieder von ihm zu hören .
Zuweilen wurde er des Sonntags zu einem Vetter eingeladen , bei welchem eine Versammlung , von Handwerksburschen war , hier mußte er sich vor den Tisch stellen , und in dieser Versammlung eine förmliche Predigt , mit Text , Thema und Einteilung halten , wo er denn gemeiniglich die Lehre der Papisten von der Transsubstantiation , oder die Gottesleugner widerlegte , mit vielem Pathos die Beweise für das Dasein Gottes nach einander aufzählte , und die Lehre vom Ungefähr in ihrer ganzen Blöße darstellte .
Nun war die Einrichtung in dem Institut , wo Anton unterrichtet wurde , daß die erwachsenen Leute , welche zu Schulmeistern gebildet wurden , sich des Sonntags in alle Kirchen verteilen , und die Predigten nachschreiben mußten , die sie dann dem Inspektor zur Durchsicht brachten . --
Anton fand also jetzt noch einmal so viel Vergnügen am Prediger nachschreiben , da er er sah , daß er auf die Art mit seinen Lehrern einerlei Beschäftigung trieb , und diese , denen er nun die Predigten zeigte , bewiesen ihm immer mehr Achtung , und begegneten ihm beinahe , wie ihres Gleichen .
Er bekam am Ende einen dicken Band nachgeschriebener Predigten zusammen , die er nun als einen großen Schatz betrachtete , und worunter ihm insbesondere zwei wahre Kleinodien zu sein schienen :
die eine war von dem Pastor U. . . , der mit dem Pastor P. . . wegen der Geschwindigkeit im Sprechen die meiste Ähnlichkeit hatte , in der A.. Kirche gehalten , und handelte vom jüngsten Gericht . --
Mit wahrem Entzücken haranguirte Anton diese Predigt oft seiner Mutter wieder vor , worin die Zerstörung der Elemente , das Krachen des Weltbaues , das Zittern und Zagen des Sünders , das fröhliche Erwachen der Frommen , in einem Kontrast dargestellt wurde , der die Phantasie bis auf den höchsten Grad erhitzte -- und dies war eben Antons Sache .
Er liebte die kalten Vernunftpredigten nicht .
Die zweite Predigt , welche er unter allen vorzüglich schätzte , war eine Abschieds Predigt Predigt des Pastor L. . . , die er in der C. . . Kirche hielt , und worin derselbe fast vom Anfange bis zu Ende durch Tränen und Schluchzen unterbrochen wurde , so beliebt war er bei seiner Gemeine .
Das rührende Pathos , womit diese Rede wirklich gehalten wurde , machte auf Antons Herz einen unauslöschlichen Eindruck , und er wünschte sich keine größere Glückseligkeit , als einmal auch vor einer solchen Menge von Menschen , die alle mit ihm weinten , eine solche Abschiedsrede halten zu können .
Bei so etwas war er in seinem Elemente , und fand ein unaussprechliches Vergnügen an der wehmütigen Empfindung , worin er dadurch versetzt wurde .
Niemand hat wohl mehr die Wonne der Tränen ( the Jeu of Griff ) empfunden , als er bei solchen Gelegenheiten .
Eine solche Erschütterung der Seele durch eine solche Predigt war ihm mehr wert , als aller andere Lebensgenuß , er hätte Schlaf und Nahrung darum gegeben .
Auch das Gefühl für die Freundschaft erhielt jetzt bei ihm neue Nahrung .
Er liebte einige von seinen Lehrern , im eigentlichen Verstande , und M und empfand eine Sehnsucht nach ihrem Umgange -- insbesondere äußerte sich seine Freundschaft gegen einen derselben Namens R. . . , der dem äußeren Anschein nach , ein sehr harter und rauher Mann war , in der Tat aber das edelste Herz besaß , was nur bei einem künftigen Dorfschulmeister gefunden werden kann .
Bei diesem hatte doch Anton eine Privatstunde im Rechnen und Schreiben , welche sein Vater für ihn bezahlte -- denn Rechnen und Schreiben war noch das einzige , welches dieser für Anton zu lernen der Mühe wert hielt . -- R. . . ließ ihn denn bald , weil er schon orthographisch schrieb , eigene Ausarbeitungen machen , die seinen Beifall erhielten , welcher für Anton so schmeichelhaft war , daß er sich endlich erkühnte , diesem Lehrer sein Herz zu entdecken , und so offenherzig und freimütig mit ihm zu sprechen , wie er lange mit niemanden hatte sprechen dürfen .
Er entdeckte ihm also seine unüberwindliche Neigung zum Studieren , und die Härte seines Vaters , der ihn davon abhielte , und der ihn nichts , nichts , als ein Handwerk wolle lernen lassen .
Der rauhe R. . . schien über dies Zutrauen gerührt zu sein , und sprach Anton Mut ein , sich dem Inspektor zu entdecken , der ihm vielleicht noch eher zu seinem Endzweck würde behilflich sein können .
Das war nun eben der Inspektor , welcher zu Anton , da er beim Buchstabieren nicht vorschreien wollte , mit der verächtlichsten Miene ; " dummer Knabe ! " gesagt hatte , welches er noch nicht vergessen konnte , und also noch lange Bedenken trug , einem solchen Manne seine Neigung zum Studieren zu entdecken , der gezweifelt hatte , ob er auch buchstabieren könne .
Indes nahm die Achtung , worin sich Anton in dieser Schule setzte , von Tage zu Tage zu , und er erreichte seinen Wunsch , hier der erste zu sein , und die meiste Aufmerksamkeit auf sich gerichtet zu sehen .
Dies war freilich eine solche Nahrung für seine Eitelkeit , daß er sich oft schon im Geist als Prediger erblickte , insbesondere , wenn er schwarze Unterkleider trug -- dann trat er mit einem gravitätischen Schritt , und ernsthafter , als sonst einher . --
Am M 2 Am Ende der Woche des Sonnabends wurde immer , nachdem vorher das Lied :
Bis hierher hat mich Gott gebracht , gesungen war , von einem der Schüler ein langes Gebet gelesen , -- wenn dies an Anton kam , so war das ein wahres Fest für ihn -- er dachte sich auf der Kanzel , wo er noch während der letzten Verse des Gesanges seine Gedanken sammelte , und nun auf einmal , wie der Pastor P. . . mit aller Fülle der Beredsamkeit , in ein brünstiges Gebet ausbrach .
-- Seine Deklamation bekam also für einen Schulknaben freilich zu viel Pathos , als daß dieses nicht hätte auffallend sein sollen .
Der Lehrer ließ ihn also nur selten das Gebet lesen .
-- Ja es entstand zuletzt sogar eine Art von Neid gegen ihn bei den Lehrern . --
Einer derselben stellte eine Übung an , wo eine von Hübners biblischen Historien von den Schülern mit eigenen Worten mußte wieder erzählt werden .
Anton schmückte diese Historie , mit aller seiner Phantasie , auf eine poetische Art aus , und trug sie mit einer Art von rednerischem Schmuck wieder vor -- das bei beleidigte den Lehrer , der am Ende die Bemerkung machte , Anton solle kürzer erzählen .
Das künftigemal faßte er also die ganze Erzählung in ein paar Worte zusammen , und war in zwei Minuten damit fertig .
-- Das war dem Lehrer wieder zu kurz , und brachte ihn aufs neue auf -- endlich ließ er ihn gar keine Historien mit eigenen Worten mehr erzählen .
-- Des Nachmittags fürchteten sich die Lehrer , welche die Katechisation wiederholten , ihn zu fragen , weil er immer mehr als sie nachgeschrieben hatte , -- er konnte also gar nicht einmal mehr dazu kommen , seine Fähigkeiten zu zeigen , welches doch sein höchster Wunsch war , um Aufmerksamkeit auf sich zu erregen .
Voller Unwillen darüber , daß er immer ungefragt und stumm da sitzen mußte , ging er endlich einmal mit tränenden Augen zum Inspektor , der ihn in den Morgenstunden nun auch öfter gefragt hatte , und sein Urteil über ihn geändert zu haben schien , -- dieser fragte ihn , was ihm fehle , ob ihm etwa von einem seiner Mitschüler Unrecht geschehen sei , und Anton antwortete : nicht von seinen M 3 seinen Mitschülern , sondern von seinen Lehrern sei ihm Unrecht geschehen , diese vernachlässigten ihn , und niemand fragte ihn mehr , wenn er gleich die Sache besser , als andere wüßte .
Hierin möchte man ihm doch Recht verschaffen !
Der Inspektor suchte ihm das auszureden , und entschuldigte die Lehrer mit der Menge der Schüler , von der Zeit an aber fing er an , selbst aufmerksamer auf ihn zu werden , und fragte ihn des Morgens in der Frühstunde öfter , als sonst .
In einer Stunde wöchentlich wurde eine Übung mit den Psalmen angestellt , wo ein jeder der Schüler sich Lehren herausziehn mußte ; diese wurden auf ein Blatt Papier oder eine Rechentafel geschrieben , und dann abgelesen , wobei mancher stark zu schwitzen pflegte .
-- Der Inspektor war dabei .
Anton schrieb nichts auf .
Als aber die Reihe an ihn kam , ging er den ganzen Psalm durch , und hielt eine ordentliche Abhandlung oder Predigt darüber , die fast eine halbe Stunde dauerte , so daß der Inspektor selbst am Ende sagte :
es sei nun genug ; --
er solle den Psalm nicht eigent eigentlich erklären , sondern nur einige moralische Lehren herausziehen .
Auf die Weise ging beinahe ein Jahr hin , wo Anton so außerordentliche Fortschritte in seinem Fleiß tat , und sich so untadelhaft betrug , daß er seinen Zweck , Aufmerksamkeit auf sich zu erregen , im höchsten Grade erreichte , indem er sich sogar den Neid seiner Lehrer zuzog .
Nun stand er aber auch auf dem entscheidenden Punkte , wo er irgend eine Lebensart wählen sollte , und die Härte seines Vaters , der nun daran arbeitete , ihn bald los zu werden , nahm von Tage zu Tage gegen ihn zu , so daß die Schule gleichsam ein sicherer Zufluchtsort für ihn , vor der Bedrückung und Verfolgung zu Hause war .
Sein geliebter Lehrer R. . . wurde indes zu einem Dorfschulmeister befördert , und nun hatte er keinen eigentlichen Freund mehr unter seinen Lehrern .
-- Dieser riet ihm bei seinem Abschiede noch einmal , sich geradezu an den Inspektor zu wenden -- und weil es nun ohnedem die höchste Zeit war , irgend einen Entschluß zu fassen , so wagte M 4 wagte er es eines Tages mit klopfendem Herzen den Inspektor um Gehör zu bitten , weil er ihm etwas wichtiges zu sagen habe . --
Dieser nahm ihn mit auf seine Stube , und hier wurde Anton freimütiger , erzählte ihm seine Schicksale , und entdeckte ihm sein ganzes Herz -- der Inspektor schilderte ihm die Schwierigkeiten , die Kosten des Studierens , benahm ihm aber demungeachtet nicht alle Hoffnung , sondern versprach sich , wo möglich , für ihn zu verwenden , daß er unentgeltlich eine lateinische Schule besuchen könnte -- indes war das alles sehr weit aussehend , weil von seinen Eltern zu seiner Unterstützung gar nichts , nicht einmal Wohnung und Nahrung hoffen durfte , indem sein Vater noch sechs Meilen hinter H... eine kleine Bedienung erhalten hatte , und also in kurzem ganz aus H.. wegziehen mußte .
Indessen hatte der Inspektor dem Konsistorialrat G... , unter dessen Direktion das Schulmeisterinstitut stand , Antons wegen geredet , und dieser ließ ihn zu sich kommen .
-- Der Anblick dieses ehrwürdigen Greises schlug zuerst Antons Mut Mut danieder , und seine Knie bebten , da er vor ihm stand -- als ihn aber der Greis leutselig bei der Hand faßte , und mit sanfter Stimme anredete , fing er an , freimütig zu sprechen , und seine Neigung zum Studieren zu entdecken .
-- Der K. G. ließ ihn darauf eine von Gellerts geistlichen Oden laut lesen , um zu hören , wie seine Ausrede und Stimme beschaffen sei , wenn er sich dereinst dem Predigtamt widmen wollte -- Darauf versprach er , ihm freien Unterricht zu verschaffen , und ihn mit Büchern zu unterstützen ; das sei aber auch alles , was er für ihn tun könne .-- Anton war so voller Freuden über dieses Anerbieten , daß seine Dankbarkeit gar keine Grenzen hatte , und er nun alle Berge auf einmal überstiegen zu haben glaubte .
Denn daß er außer freiem Unterricht und Büchern auch noch Nahrung , Wohnung und Kleider brauche , fiel ihm gar nicht ein .
Triumphierend eilte er nach Hause , und verkündigte seinen Eltern sein Glück -- aber wie sehr wurde seine Frende niedergeschlagen , da sein Vater M 5 Vater ihm ganz kaltblütig sagte :
er dürfe , wenn er studieren wolle , auf keinen Heller von ihm rechnen -- wenn er sich also selbst Brot und Kleider zu verschaffen im Stande sei , so habe er gegen sein Studieren weiter nichts einzuwenden .
-- In einigen Wochen würde er von H... wegreisen , und wenn Anton alsdann noch bei keinem Meister wäre , so möchte er sehen , wo er unter käme , und nach Gefallen abwarten , ob einer von den Leuten , die ihm das Studieren so eifrig anrieten , auch für seinen Lebensunterhalt sorgen würde .
Traurig und tiefsinnig ging Anton jetzt umher und dachte seinem Schicksal nach -- der Gedanke zu studieren war fest in seiner Seele , und sollten sich ihm auch noch weit mehr Schwierigkeiten in den Weg setzen -- mancherlei Projekte durchkreuzten sich in seinem Kopfe.-- Er erinnerte sich , gelesen zu haben , daß es einst in Griechenland einen lehrbegierigen Jüngling gab , der für seinen Unterhalt Holz haute und Wasser trug , um die Zeit , die ihm noch übrig blieb , dem Studieren widmen zu können . -- Diesem Beispiele wollte er folgen , folgen , und war oft schon Willens , sich als Tagelöhner auf gewisse Stunden zu verdingen , um die übrige Zeit zu seinem freien Gebrauch zu haben -- dann konnte er aber wieder die Schulstunden nicht ordentlich abwarten , -- so machte ihn alle sein Nachdenken und Überlegung immer nur noch tiefsinniger und unentschloßener .
Indes rückte der entscheidende Zeitpunkt immer näher heran , wo er einen Entschluß fassen mußte . --
Er sollte nun die Schule , die er bisher besucht hatte , verlassen , um noch eine Zeitlang in die Garnisonschule zu gehen , weil er von dem Garnisonprediger M. . . konfirmiert werden sollte , dessen Vorbereitungs- und Katechisationsstunden er jetzt schon zu besuchen anfing , und der wegen seiner Antworten aufmerksam auf ihn geworden war .
Allein er würde es von selbst nie gewagt haben , diesen Mann , zu welchem er zuerst gar kein Zutrauen fassen konnte , den Kummer seiner Seele zu entdecken .
Da sich nun für Anton keine solide Aussicht zum Studieren eröffnen wollte , so würde er doch am Ende wahrscheinlich den Entschluß haben fas sein sein müssen , irgend ein Handwerk zu lernen , wenn nicht , wieder Vermuten , ein sehr geringfügigscheinender Umstand seinem Schicksal in seinem ganzen künftigen Leben eine andere Wendung gegeben hätte .
--
CC-BY

Rechtsinhaber*in
Bildungsroman Projekt

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Korpus. Anton Reiser: Teil 1. Anton Reiser: Teil 1. Bildungsromankorpus. Bildungsroman Projekt. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0p7.0