Zweiter Band Dritter Abschnitt Dritter Abschnitt Die Lehrmonate Launisches Spiel des Zufalls ( M. f. f. )
Sehnsucht , heißes Verlangen erfüllt die Brust , aber hat man endlich das gewonnen , nach dem man rang mit tausend Not und Sorgen , so erstarrt jenes Verlangen alsbald zur todkalten Gleichgültigkeit , und man wirft das errungene Gut von sich wie ein abgenutztes Spielzeug .
Und kaum ist dies geschehen , so folgt bittere Reue der raschen Tat , man ringt aufs neue , und das Leben eilt dahin in Verlangen und Abscheu . -
So ist einmal der Katz .
- Richtig bezeichnet dieser Ausdruck mein Geschlecht , zu dem sich auch der hochmütige Löwe zählt , den deshalb auch der berühmte Hornvilla in Tiecks " Oktavian " einen großen Katz nennt . -
Ja , wiederhole ich , so und nicht anders ist einmal der Katz , und das katzliche Herz ein ganz wankelmütiges Ding .
Des ehrlichen Biographen erste Pflicht ist , aufrichtig zu sein und sich beileibe nicht selbst zu schonen .
Ganz aufrichtig , Pfote aufs Herz , will ich daher gestehen , daß trotz des unsäglichen Eifers , mit dem ich mich auf die Künste und Wissenschaften legte , doch oft der Gedanke an die schöne Miesmies plötzlich in mir aufstieg und mein Studium unterbrach ganz und gar .
Es war mir , als hätte ich sie nicht lassen sollen , als hätte ich ein treuliebendes Herz verschmäht , das nur von einem falschen Wahn augenblicklich verblendet .
Ach ! oft , wenn ich mich an dem großen Pythagoras erlaben wollte ( ich studierte zu der Zeit viel Mathematik ) , verschob plötzlich ein zartes schwarzbestrumpftes Pfötchen alle Katheten und Hypotenusen , und vor mir stand sie selbst , die holde Miesmies , ihr kleines allerliebstes Samtkäppchen auf dem Haupt , und aus dem anmutigen Grasgrün der schönsten Augen traf mich der funkelnde Blick des zärtlichsten Vorwurfs .
- Welche niedliche Seitensprünge , welches holdselige Wirbeln und Schlängeln des Schweifs ! - Umpfoten wollte ich sie mit Entzücken neu entflammter Liebe , doch verschwunden war die neckende Truggestalt .
- Nicht fehlen konnte es , daß dergleichen Träumereien aus dem Arkadien der Liebe mich in eine gewisse Schwermut versenkten , die der gewählten Laufbahn als Dichter und Gelehrter schädlich werden mußte , zumal sie bald in eine Trägheit ausartete , der ich nicht zu widerstehen vermochte .
Mit Gewalt wollte ich mich herausreißen aus diesem verdrießlichen Zustande , einen raschen Entschluß fassen , Miesmies wieder aufzusuchen .
Doch , hatte ich schon die Pfote auf die erste Treppenstufe gesetzt , um hinaufzusteigen in die oberen Regionen , wo ich die Holde zu finden hoffen durfte , so wandelte mich Scham und Scheu an , und ich zog die Pfote wieder zurück und begab mich traurig unter den Ofen .
Dieser psychischen Bedrängnisse unerachtet , erfreute ich mich indessen doch eines außerordentlichen körperlichen Wohlseins , ich nahm merklich zu , wo nicht in Wissenschaften , so doch in der Stärke meines Leibes und bemerkte , wenn ich mich im Spiegel anschaute , mit Vergnügen , daß mein rundbackiges Antlitz nächst der jugendlichen Frische etwas Ehrfurchtgebietendes zu erhalten begann .
Selbst der Meister gewahrte meine veränderte Stimmung .
Es ist wahr , sonst knurrte ich und machte lustige Sprünge , wenn er mir schmackhafte Speisung reichte , sonst wälzte ich mich zu seinen Füßen , kaboltzte und sprang wohl auch auf seinen Schoß , wenn er , nachdem er morgens aufgestanden , mir zurief :
" Guten Morgen , Murr ! " -
Jetzt unterließ ich das alles und begnügte mich mit einem freundlichen Miau ! und jener anmutig stolzen Erhebung des Rückens , die dem geneigten Leser unter dem Namen :
Katzenbuckel bekannt sein wird .
Ja , ich verachtete jetzt sogar das mir sonst so liebe Vogelspiel .
- Es möchte für junge Gymnastiker oder Turner meines Geschlechts lehrreich sein zu sagen , worin dieses Spiel bestand .
- Mein Meister band nämlich eine oder ein paar Schreibfedern an einen langen Faden und ließ sie schnell in der Luft auf- und absteigen , ordentlich fliegen .
Im Winkel lauernd und die richtigen Tempos wahrnehmend , sprang ich nun so lange nach den Federn , bis ich sie erwischte und wacker zerzauste .
Dies Spiel riß mich oft ganz hin , ich hielt die Federn wirklich für einen Vogel , ich geriet in Feuer und Flammen , so daß Geist und Körper , zugleich in Anspruch genommen , sich bildeten und stärkten . -
Ja , selbst dies Spiel verachtete ich jetzt und blieb ruhig auf meinem Kissen liegen , der Meister mochte seine Federn fliegen lassen , soviel er wollte .
- " Kater , " sprach der Meister eines Tages zu mir , als ich , wenn die Feder , an meine Nase streifend , selbst auf mein Kissen flog , kaum blinzelnd die Pfote danach ausstreckte , " Kater , du bist gar nicht mehr wie sonst , du wirst mit jedem Tag träger und fauler .
Ich glaube , du frisst , du schläfst zu viel . "
Ein Lichtstrahl fiel bei diesen Worten des Meisters in meine Seele ! -
Nur dem Andenken an Miesmies , an das verscherzte Paradies der Liebe hatte ich meine träge Traurigkeit zugeschrieben , nun erst gewahrte ich aber , wie das irdische Leben mich mit meinen aufwärts strebenden Studien entzweit und seine Ansprüche geltend gemacht hatte .
Es gibt Dinge in der Natur , die es deutlich erkennen lassen , wie die gefesselte Psyche dem Tyrannen , Körper genannt , ihre Freiheit hinopfern muß .
Zu diesen Dingen rechne ich nun ganz vorzüglich den wohlschmeckenden Brei von Mehl , süßer Milch und Butter , sowie ein breites , mit Roßhaaren wohlgepolstertes Kissen .
Jenen süßen Brei wußte die Aufwärterin des Meisters gar herrlich zu bereiten , so daß ich jeden Morgen zum Frühstück zwei tüchtige Teller voll mit dem größten Appetit verzehrte .
Hatte ich aber dermaßen gefrühstückt , dann wollten mir die Wissenschaften gar nicht mehr munden , sie kamen mir vor wie trockene Speise , und nichts half es auch , wenn ich , davon ablassend , mich rasch in die Poesie warf .
Die hochgepriesensten Werke der neuesten Autoren , die gerühmtesten Trauerspiele hochgefeierter Dichter konnten meinen Geist nicht festhalten , ich geriet in ein ausschweifendes Gedankenspiel , unwillkürlich trat die kunstfertige Aufwärterin des Meisters in Konflikt mit dem Autor , und es wollte mir gemuten , als verstehe jene sich viel besser auf die gehörige Gradation und Mischung der Fettigkeit , Süße und Stärke als dieser .
- Unglückliche träumerische Verwechselung des geistigen und leiblichen Genusses ! -
Ja , träumerisch kann ich sie nennen , diese Verwechslung , denn Träume stiegen auf und ließen mich jenes zweite gefährliche Ding , das breite , mit Roßhaaren gepolsterte Kissen suchen , um sanft darauf zu entschlummern .
Dann erschien mir das süße Bild der holden Miesmies ! - Himmel , so stand wohl alles im Zusammenhänge , Milchbrei , Verachtung der Wissenschaften , Melancholie , Polster , unpoetische Natur , Liebesandenken ! -
Der Meister hatte recht , ich fraß , ich schlief zuviel !
- Mit welchem stoischen Ernst nahm ich mir vor , mäßiger zu sein , aber schwach ist des Katers Natur , die besten , herrlichsten Entschlüsse scheiterten an dem süßen Geruch des Milchbreies , an dem einladend aufgeschwellten Polster .
- Eines Tages hörte ich den Meister , da er zum Zimmer herausgetreten , auf dem Flur zu jemanden sagen : " Mag es sein , meinetwegen , vielleicht heitert ihn Gesellschaft auf .
Aber macht ihr mir dumme Streiche , springt ihr mir auf die Tische , schmeißt ihr mir das Tintenfaß um oder sonst was herab , so werfe ich euch alle beide zum Tempel heraus . "
Darauf öffnete der Meister die Türe ein wenig und ließ jemanden herein .
Dieser Jemand war aber kein anderer als Freund Muzius .
Beinahe hätte ich ihn nicht wiedererkannt .
Seine Haare , sonst glatt und glänzend , waren struppig und unscheinbar , die Augen lagen ihm tief im Kopf , und sein sonst zwar etwas rauhes , aber doch ganz leidliches Wesen hatte etwas Übermütiges , Brutales angenommen .
" Na , " prustete er mich an , " na , findet man Euch einmal !
Muß man Euch aufsuchen hinter Euerem verfluchten Ofen ? -
Doch mit Verlaub ! "
Er trat an den Teller und verzehrte die Backfische , die ich mir aufgespart hatte zum Abendbrot .
" Sagt , " sprach er dazwischen , " sagt mir nur ins Teufels Namen , wo Ihr steckt , warum Ihr auf kein Dach mehr kommt , Euch nirgends mehr sehen laßt , wo es munter hergeht ? "
Ich erklärte , daß , nachdem ich die Liebe zur holden Miesmies aufgegeben , mich die Wissenschaften ganz und gar beschäftigt hätten , weshalb denn an Spaziergänge nicht zu denken gewesen wäre .
Nicht im mindesten sehne ich mich nach Gesellschaft , da ich bei dem Meister alles hätte , was mein Herz nur wünschen könne , Milchbrei , Fleisch , Fische , ein weiches Lager u. s.w .
Ein ruhiges sorgenfreies Leben , das sei für einen Kater von meinen Neigungen und Anlagen das ersprießlichste Gut , und um so mehr müßte ich fürchten , daß dies , ginge ich aus , verstört werden könne , da , wie ich leider wahrgenommen , meine Inklination zur kleinen Miesmies noch nicht ganz erloschen und ihr Wiedersehen mich leicht zu Übereilungen hinreißen dürfe , die ich nachher vielleicht sehr schwer zu bereuen haben würde .
" Ihr könnt mir nachher noch einen Backfisch aufwixen ! "
So sprach Muzius , putzte sich mit gekrümmter Pfote nur ganz obenhin Maul , Bart und Ohren und nahm den Platz dicht neben mir auf dem Polster .
" Rechnet , " begann Muzius , nachdem er zum Zeichen seiner Zufriedenheit ein paar Sekunden gesponnen , mit sanfter Stimme und Gebärde , " rechnet es Euch , mein guter Bruder Murr , für ein Glück an , daß ich auf den Einfall geriet , Euch zu besuchen in Eurer Klause , und daß der Meister mich zu Euch ließ ohne Widerrede .
Ihr seid in der größten Gefahr , in die ein tüchtiger junger Kerl von Kater , der Grütze im Kopfe hat und Stärke in den Gliedern , nur geraten kann .
Das heißt , Ihr seid in der Gefahr , ein arger abscheulicher Philister zu werden .
Ihr sagt , daß Ihr den Wissenschaften zu strenge obliegt , um Zeit übrig zu behalten , Euch umzusehen unter Katern .
Verzeiht , Bruder , das ist nicht wahr , Ihr seht , rund , gemästet , spiegelglatt , wie ich Euch finde , gar nicht aus wie ein Bücherwurm , wie ein Lukubrant .
Glaubt mir , das verfluchte bequeme Leben ist es , was Euch faul und träge macht .
Ganz anders wird Euch zumute sein , wenn Ihr Euch wie unsereins abstrapazieren müßtet , bis Ihr einmal ein paar Fischgräten erwischtet oder ein Vöglein finget . "
- " Ich dachte , " unterbrach ich den Freund , " daß Ihre Lage gut und glücklich zu nennen , Sie waren ja sonst - "
" Davon , " fuhr mich Muzius zornig an , " davon ein andermal , aber nennt mich nicht Sie , das verbitt ich mir , sondern Ihr , bis wir Schmolle getrunken haben .
- Doch Ihr seid ein Philister und versteht Euch nicht auf den Komment . "
Nachdem ich mich bei dem erzürnten Freunde zu entschuldigen gesucht , fuhr er sanfter fort :
" Also wie gesagt , Eure Lebensart taugt nichts , Bruder Murr .
Ihr müßt heraus , Ihr müßt heraus in die Welt . "
- " Himmel , " rief ich voll Schreck , " was sprecht Ihr , Bruder Muzius , in die Welt soll ich ? -
Habt Ihr vergessen , was ich Euch vor einigen Monaten im Keller davon erzählte , wie ich einst hinaussprang aus einem englischen Halbwagen in die Welt ?
Welche Gefahren mir von allen Seiten drohten ?
Wie mich endlich der gute Ponto rettete und zurückbrachte zu meinem Meister ? "
Muzius lachte hämisch .
- " Ja , " sprach er dann , " ja , das ist es eben , darin liegt es eben , der gute Ponto ! -
Der stutzerische , superkluge , narrenhafte , stolze Heuchler , der sich Eurer annahm , weil er gerade nichts Besseres zu tun wußte , weil es ihn gerade belustigte , der , suchtet Ihr ihn auf in seinen Assembleen und Koterien , Euch gar nicht wiedererkennen , ja Euch , weil Ihr nicht seinesgleichen seid , herausbeißen würde !
Der gute Ponto , der , statt Euch einzuführen in das wahre Weltleben , Euch unterhielt mit albernen , menschlichen Geschichten ! -
Nein , guter Murr , jenes Ereignis hat Euch eine ganz andere Welt gezeigt , als die ist , in welche Ihr hineingehört !
Glaubt mir aufs Wort , all Euer einsames Studieren hilft Euch ganz und gar nichts und ist Euch vielmehr noch schädlich .
Denn Ihr bleibt dennoch ein Philister , und es gibt auf der ganzen weiten Erde nichts Langweiligeres und Abgeschmackteres als einen gelehrten Philister ! "
Aufrichtig gestand ich dem Freunde Muzius , daß ich den Ausdruck Philister sowie seine eigentliche Meinung nicht ganz fasse .
" O mein Bruder , " erwiderte Muzius , indem er anmutig lächelte , so daß er in dem Augenblick sehr hübsch aussah und wieder ganz der alte propre Muzius schien , "o mein Bruder Murr , ganz vergeblich würde der Versuch sein , Euch dieses alles zu erklären , denn nimmermehr könnt Ihr begreifen , was ein Philister ist , solange Ihr selbst einer seid .
Wollt Ihr indessen zur Zeit mit einigen Grundzügen eines Katsphilisters vorliebnehmen , so kann -
( Mak. Bl. ) - - gar seltsames Schauspiel .
In der Mitte des Zimmers stand Prinzessin Hedwiga ; ihr Antlitz war leichenblaß , todstarr ihr Blick .
Prinz Ignatius trieb sein Spiel mit ihr , wie mit einer Gliederpuppe .
Er hob ihr den Arm in die Höhe , der stehen blieb und sank , wenn er ihn niederbeugte .
Er stieß sie sanft vorwärts , sie ging , er ließ sie stehen , sie stand , er setzte sie in den Sessel , sie saß .
So vertieft war der Prinz in dies Spiel , daß er die Eintretenden gar nicht bemerkte .
" Was machen Sie da , Prinz ! " -
So rief ihm die Fürstin zu , da versicherte er kichernd und fröhlich sich die Hände reibend , daß Schwester Hedwiga jetzt gut und artig geworden und alles tue , was er wünsche , auch ihm gar nicht so widerspreche und ihn ausschelte wie sonst . -
Und damit begann er aufs neue , indem er militärisch kommandierte , die Prinzessin in allerlei Stellungen zu bringen , und jedesmal , wenn sie wie festgezaubert in der Stellung blieb , die er ihr gegeben , lachte er laut und sprang vor Freuden in die Höhe .
" Das ist nicht zu ertragen , " sprach die Fürstin leise mit zitternder Stimme , indem Tränen ihr in den Augen glänzten , doch der Leibarzt trat auf den Prinzen zu und rief mit strengem gebietendem Ton : " Lassen Sie das bleiben , gnädigster Herr ! "
Dann nahm er die Prinzessin in die Arme , ließ sie sanft nieder auf die Ottomane , die im Zimmer befindlich , und zog die Vorhänge zu .
" Es ist , " wandte er sich dann zur Fürstin , " es ist zurzeit der Prinzessin nichts nötiger als die unbedingteste Ruhe , ich bitte , daß der Prinz das Zimmer verlasse . "
Prinz Ignatius stellte sich sehr ungebärdig an und klagte schluchzend , daß jetzt allerlei Leute , die gar keine Prinzen wären und nicht einmal von Adel , sich unterfingen , ihm zu widersprechen .
Er wolle nun bei der Prinzessin Schwester bleiben , die ihm lieber geworden sei als seine schönsten Tassen , und der Herr Leibarzt habe ihm gar nichts zu befehlen .
" Gehen Sie , lieber Prinz , " sprach die Fürstin sanft , " gehen Sie in Ihre Zimmer , die Prinzessin muß jetzt schlafen , und nach der Tafel kommt Fräulein Julia . "
" Fräulein Julia ! " rief der Prinz , indem er kindisch lachte und hüpfte , " Fräulein Julia ! -
Ha , das ist schön , der zeige ich die neuen Kupferstiche , und wie ich abgebildet bin in der Geschichte vom Wasserkönig als Prinz Lachs mit dem großen Orden ! " -
damit küßte er der Fürstin zeremoniös die Hand und reichte die seinige mit stolzem Blick dar dem Leibarzt zum Kuß .
Der faßte aber die Hand des Prinzen und führte ihn zur Türe , die er öffnete , sich höflich verneigend .
Der Prinz ließ es sich gefallen , auf diese Art hinausgewiesen zu werden .
Die Fürstin sank , ganz Schmerz und Erschöpfung , nieder in den Lehnstuhl , stützte den Kopf in die Hand und sprach mit dem Ausdruck des tiefsten Wehs leise vor sich hin :
" Welche Todsünde lastet auf mir , daß mich der Himmel so hart straft .
- Dieser Sohn zu ewiger Unmündigkeit verdammt - und nun - Hedwiga - meine Hedwiga ! "
- Die Fürstin verfiel in trübes düsteres Nachdenken .
Der Leibarzt hatte indessen mit Mühe der Prinzessin ein paar Tropfen irgendeiner heilsamen Arztnei eingeflößt und die Kammerfrauen herbeigerufen , die die Prinzessin , deren automatischer Zustand sich nicht im mindesten änderte , fortbrachten in ihre Zimmer , nachdem sie von dem Leibarzt die Weisung erhalten , bei dem kleinsten Zufall , den die Prinzessin erleiden könne , ihn sogleich herbeizurufen .
" Gnädigste Frau , " wandte sich der Leibarzt zur Fürstin , " so höchst seltsam , so höchst besorglich auch der Zustand der Prinzessin scheinen mag , so glaube ich doch mit Gewißheit versichern zu können , daß er bald aufhören wird , ohne die mindesten gefährlichen Folgen zu hinterlassen .
Die Prinzessin leidet an jener ganz besonderen , wunderbaren Art des Starrkrampfs , die in der ärztlichen Praxis so selten vorkommt , daß mancher hochberühmte Arzt niemals in seinem Leben Gelegenheit fand , dieselbe zu beobachten .
Ich muß mich daher in der Tat glücklich schätzen - "
Der Leibarzt stockte - " Ha , " sprach die Fürstin mit bitterem Ton , " daran erkenne ich den praktischen Arzt , der grenzenloses Leiden nicht achtet , wenn er nur seine Kenntnis bereichert . "
" Noch , " fuhr der Leibarzt fort , ohne den Vorwurf der Fürstin zu beachten , " noch vor ganz kurzer Zeit fand ich in einem wissenschaftlichen Buche das Beispiel eines Zufalls , der ganz dem gleich ist , in den die Prinzessin verfallen .
Eine Dame ( so erzählt mein Autor ) kam von Vesoul nach Besancon , um einen Rechtshandel zu betreiben .
Die Wichtigkeit der Sache , der Gedanke , daß der Verlust des Prozesses die letzte , höchste Stufe der empfindlichsten Widerwärtigkeiten , die sie erduldet , sein und sie in Not und Elend stürzen mußte , erfüllte sie mit der lebhaftesten Unruhe , die bis zu einer Exaltation ihres ganzen Gemüts stieg .
Sie brachte die Nächte schlaflos zu , aß wenig , man sah sie in der Kirche auf ungewöhnliche Weise niederfallen und beten , genug , auf verschiedene Art tat sich der abnorme Zustand kund .
Endlich aber an demselben Tage , da ihr Prozeß entschieden werden sollte , traf sie ein Zufall , den die anwesenden Personen für einen Schlagfluß hielten .
Die herbeigerufenen Ärzte fanden die Dame in einem Lehnstuhle unbeweglich mit gen Himmel gerichteten funkelnden Augen , offenen und unbeweglichen Augenlidern , mit erhobenen Armen und gefalteten Händen .
Ihr vorher trauriges bleiches Gesicht war blühender , heiterer , angenehmer als sonst , ihr Atemzug ungehindert und gleich , der Puls weich , langsam , ziemlich voll , beinahe wie bei einer ruhig schlafenden Person .
Ihre Glieder waren biegsam , leicht und ließen ohne den geringsten Widerstand sich in alle Stellungen bringen .
Aber darin äußerte sich die Krankheit und die Unmöglichkeit irgendeiner Täuschung , daß die Glieder von selbst nicht aus der Stellung kamen , in die sie versetzt worden .
Man drückte ihr Kinn abwärts , der Mund öffnete sich und blieb offen .
Man hob einen Arm , nachher den anderen auf , sie fielen nicht abwärts , man bog sie ihr nach dem Rücken hin , streckte sie hoch in die Höhe , so daß es jedem unmöglich gewesen sein würde , sich lange in dieser Stellung zu behaupten , und doch geschah es .
Man mochte den Körper so sehr herabbeugen , als man wollte , immer blieb er in dem vollkommensten Gleichgewicht .
Sie schien gänzlich ohne Empfindung , man rüttelte , kneipte , quälte sie , stellte ihr die Füße auf ein heißes Kohlenbecken , schrie ihr in die Ohren , sie werde ihren Prozeß gewinnen , alles umsonst , sie gab kein Zeichen des willkürlichen Lebens von sich .
Nach und nach kam sie zu sich selbst , doch führte sie unzusammenhängende Reden - Endlich - "
" Fahren Sie fort , " sprach die Fürstin , als der Leibarzt innehielt , " fahren Sie fort , verschweigen Sie mir nichts , und sei es das Entsetzlichste ! - Nicht wahr ? -
in Wahnsinn verfiel die Dame ! "
" Es genügt , " sprach der Leibarzt weiter , " es genügt , hinzuzufügen , daß ein sehr böser Zustand der Dame nur vier Tage hindurch anhielt , daß sie in Vesoul , wohin sie zurückkehrte , völlig genas und nicht die mindesten schlimmen Folgen ihrer harten ungewöhnlichen Krankheit verspürte . "
- Während die Fürstin aufs neue in trübes Nachdenken versank , verbreitete sich der Leibarzt weitläufig über die ärztlichen Mittel , die er anzuwenden gedenke , um der Prinzessin zu helfen , und verlor sich zuletzt in solche wissenschaftliche Demonstrationen , als spräche er in einer ärztlichen Beratung zu den tief gelehrtesten Doktoren .
" Was , " unterbrach endlich die Fürstin den wortreichen Leibarzt , " was helfen alle Mittel , die die spekulierende Wissenschaft darbietet , wenn das Heil , das Wohl des Geistes gefährdet ? "
Der Leibarzt schwieg einige Augenblicke , dann fuhr er fort : " Gnädigste Frau , das Beispiel von der wunderbaren Starrsucht jener Dame in Besancon zeigt , daß der Grund ihrer Krankheit in einer psychischen Ursache lag .
Man fing , als sie zu einiger Besinnung gekommen , ihre Kur damit an , daß man ihr Mut einsprach und ihr den bösen Prozeß als gewonnen darstellte . -
Einig sind auch die erfahrensten Ärzte darüber , daß eben irgendeine plötzliche starke Gemütsbewegung jenen Zustand am ersten hervorbringt .
Prinzessin Hedwiga ist reizbar bis zum höchsten ungewöhnlichen Grade , ja , ich möchte den Organismus ihres Nervensystems manchmal schon an und für sich selbst abnorm nennen .
Gewiß scheint es , daß irgendeine heftige Erschütterung des Gemüts auch ihren Krankheitszustand erzeugte .
Man muß die Ursache zu erforschen suchen , um psychisch mit Erfolg auf sie wirken zu können ! -
Die schnelle Abreise des Prinzen Hektor - Nun , gnädigste Frau , die Mutter dürfte vielleicht tiefer schauen als jeder Arzt und diesem die besten Mittel an die Hand geben können zur heilsamen Kur . "
Die Fürstin erhob sich und sprach stolz und kalt :
" Selbst die Bürgerfrau bewahrt gern die Geheimnisse des weiblichen Herzens , das Fürstenhaus erschließt sein Inneres nur der Kirche und ihren Dienern , zu denen der Arzt sich nicht zählen darf ! "
" Wie , " rief der Leibarzt lebhaft , " wer vermag das leibliche Wohl so scharf zu trennen von dem geistigen ?
Der Arzt ist der zweite Beichtvater , in die Tiefe des psychischen Seins müssen ihm Blicke vergönnt werden , wenn er nicht jeden Augenblick Gefahr laufen will , zu fehlen .
Denken Sie an die Geschichte jenes kranken Prinzen , gnädigste Frau - "
" Genug ! " unterbrach die Fürstin den Arzt beinahe mit Unwillen , " genug ! -
Nie werde ich mich bewegen lassen , eine Unschicklichkeit zu begehen , ebensowenig als ich glauben kann , daß irgendeine Unschicklichkeit auch nur in Gedanke und Empfindung die Krankheit der Prinzessin veranlaßt haben kann . "
Damit entfernte sich die Fürstin und ließ den Leibarzt stehen .
" Wunderliche , " sprach dieser zu sich selbst , " wunderliche Frau , diese Fürstin !
Gern möchte sie andere , ja sich selbst überreden , daß der Kitt , womit die Natur Seele und Körper zusammenleimt , wenn es darauf ankommt , etwas Fürstliches zu bilden , von ganz besonderer Art sei und keineswegs dem zu vergleichen , den sie bei uns armen Erdensöhnen bürgerlicher Abkunft verbraucht . -
Man soll gar nicht daran den ken , daß die Prinzessin ein Herz hat , so wie jener höfische Spanier , der das Geschenk von seidenen Strümpfen , das gute niederländische Bürger seiner Fürstin machen wollten , deshalb verschmähte , weil es unschicklich sei , daran zu erinnern , daß eine spanische Königin wirklich Füße habe wie andere ehrliche Leute ! -
Und doch : zu wetten ist es , daß in dem Herzen , dem Laboratorio alles weiblichen Wehs , die Ursache des fürchterlichsten aller Nervenübel zu suchen ist , das die Prinzessin befallen . "
- Der Leibarzt dachte an Prinz Hektors schnelle Abreise , an der Prinzessin übermäßige krankhafte Reizbarkeit , an die leidenschaftliche Art , wie sie sich ( so hatte er es vernommen ) gegen den Prinzen betragen haben sollte , und so schien es ihm gewiß , daß irgendein plötzlicher Liebeszwist die Prinzessin bis zu jäher Krankheit verletzt . -
Man wird sehen , ob des Leibarztes Vermutungen Grund hatten oder nicht .
Was die Fürstin betrifft , so mochte sie Ähnliches vermuten und eben deshalb alle Nachfrage , alles Forschen des Arztes für unschicklich halten , da der Hof überhaupt jedes tiefere Gefühl als unstatthaft verwirft und gemein .
- Die Fürstin hatte sonst Gemüt und Herz , aber das seltsam halb lächerliche , halb widrige Ungeheuer , Etikette genannt , hatte sich auf ihre Brust gelegt wie ein bedrohlicher Alp , und keine Seufzer , kein Zeichen des inneren Lebens sollte mehr hinaufsteigen aus dem Herzen .
Gelingen musste es ihr daher , selbst Szenen der Art , wie sie sich eben mit dem Prinz und der Prinzessin begeben , zu verwinden und den stolz abzuweisen , der nichts wollte als helfen .
Während sich dies im Schlosse begab , ereignete sich auch im Park manches , was hier beizubringen ist .
In dem Gebüsch links bei dem Eingange stand der dicke Hofmarschall , zog ein kleines goldenes Döschen aus der Tasche , wischte , nachdem er eine Prise Tabak genommen , mit dem Rockärmel einigemal darüber weg , reichte es dem Leibkammerdiener des Fürsten hin und sprach also :
" Schätzenswerter Freund , ich weiß , Sie lieben dergleichen artige Pretiosen , nehmen Sie gegenwärtiges Döschen als ein geringes Zeichen meines gnädigen Wohlwollens an , auf das Sie stets rechnen können . -
Doch sagen Sie , Liebster , wie kam das mit dem seltsamen ungewöhnlichen Spaziergange ? "
" Mich untertänigst zu bedanken , " erwiderte der Leibkammerdiener , indem er die goldene Dose einsteckte .
Dann räusperte er sich und fuhr fort : " Versichern kann ich , hochgebietende Exzellenz , daß unser gnädigster Herr sehr alarmiert sind seit dem Augenblick , als der gnädigsten Prinzessin Hedwiga , man weiß nicht wie , die fünf Sinne abhanden gekommen .
Heute standen sie am Fenster ganz hoch aufgerichtet wohl eine halbe Stunde und trommelten mit den gnädigsten Fingern der rechten Hand schrecklich auf die Spiegelscheibe , daß es klirrte und krachte .
Aber lauter hübsche Märsche von anmutiger Melodie und frischem Wesen , wie mein seliger Schwager , der Hoftrompeter , zu sagen pflegte .
- Exzellenz wissen , mein seliger Schwager , der Hoftrompeter , war ein geschickter Mann , er brachte sein Flattergrob heraus wie ein Täuschen , seine Grobstimme , seine Faulstimme klang wie Nachtigallschlag , und was das Prinzipalblasen betrifft "
- " Alles , " unterbrach der Hofmarschall den Schwätzer , " alles weiß ich , mein Bester !
Ihr seliger Herr Schwager war ein vortrefflicher Hoftrompeter , aber jetzt , was taten , was sprachen Durchlaucht , als sie die Märsche zu trommeln geruht hatten ? "
" Taten , sprachen ! " fuhr der Leibkammerdiener fort , " hm ! - eben nicht viel .
Durchlaucht wandten sich um , sahen mich starr an mit recht feurigen Augen , zogen die Klingel auf furchtbare Weise und riefen dabei laut : » François - François ! «
- » Durchlaucht , ich bin schon hier « , rief ich .
Da sprachen aber der gnädigste Herr ganz zornig :
» Esel , warum sagt Er das nicht gleich ! «
Und darauf :
» Mein Promenadenkleid ! « -
Ich tat , wie mir geheißen .
Durchlaucht geruhten den grünseidenen Überrock ohne Stern anzulegen und sich nach dem Park zu begehen .
Sie verboten mir , Ihnen zu folgen , aber - hochgebietende Exzellenz , man muß doch wissen , wo sich der gnädigste Herr befinden , wenn etwa ein Unglück - Nun ! -
ich folgte so ganz von weitem und gewahrte , daß der gnädigste Herr sich in das Fischerhäuschen begaben . "
" Zum Meister Abraham ! " -
rief der Hofmarschall ganz verwundert .
" So ist es , " sprach der Leibkammerdiener und schnitt ein sehr wichtiges geheimnisvolles Gesicht .
" Ins Fischerhäuschen , " wiederholte der Hofmarschall , " ins Fischerhäuschen zum Meister Abraham ! -
Nie haben Durchlaucht den Meister aufgesucht im Fischerhäuschen ! "
- Ein ahnungsvolles Stillschweigen folgte , dann sprach der Hofmarschall weiter :
" Und sonst äußerten Durchlaucht gar nichts ? "
- " Gar nichts , " erwiderte der Leibkammerdiener bedeutungsvoll .
" Doch , " fuhr er schlau lächelnd fort , " ein Fenster des Fischerhäuschens geht heraus nach dem dicksten Gebüsch , es ist dort eine Vertiefung , man versteht jedes Wort , was drinnen im Häuschen gesprochen wird - man könnte - "
- " Bester , wenn Sie das tun wollten ! " rief der Hofmarschall entzückt .
- " Ich tue es , " sprach der Kammerdiener und schlich leise fort .
Doch als er aus dem Gebüsch hervortrat , stand der Fürst , der eben nach dem Schloß zurückkehrte , dicht vor ihm , so daß er ihn beinahe berührte .
In scheuer Ehrfurcht prallte er zurück :
" Vous êtes un grand Tölpel ! " donnerte ihn der Fürst an , rief dem Hofmarschall ein kaltes " dormez bien ! " zu und entfernte sich mit dem Leibkammerdiener , der ihm folgte , ins Schloß .
Ganz bestürzt blieb der Hofmarschall stehen , murmelte :
" Fischerhäuschen - Meister Abraham - dormez bien - " und beschloß , sogleich zu dem Kanzler , des Reichs zu fahren , um sich über die außerordentliche Begebenheit zu beraten und womöglich die Konstellation herauszufinden , die am Hofe ob dieses Ereignisses sich erzeugen könne .
- Meister Abraham hatte den Fürsten bis eben an das Gebüsch begleitet , in dem sich der Hofmarschall und der Leibkammerdiener befanden , hier war er umgekehrt auf Geheiß des Fürsten , der nicht wollte , daß man ihn aus den Fenstern des Schlosses in Gesellschaft des Meisters bemerke . -
Der geneigte Leser weiß , wie gut es dem Fürsten gelungen , seinen einsamen geheimen Besuch bei dem Meister Abraham im Fischerhäuschen zu verbergen .
Aber noch eine Person außer dem Kammerdiener hatte den Fürsten , ohne daß er es ahnen konnte , belauscht .
Beinahe war Meister Abraham angelangt in seiner Wohnung , als ihm ganz unvermutet aus den Gängen , die schon zu dunklen begannen , die Rätin Benzon entgegentrat .
" Ha , " rief die Benzon mit bitterem Lachen , " der Fürst hat sich bei Euch Rats erholt , Meister Abraham .
In der Tat , Ihr seid die wahre Stütze des fürstlichen Hauses , dem Vater und dem Sohne laßt Ihr Eure Weisheit und Erfahrung zufließen , und wenn guter Rat teuer oder gar nicht zu haben - "
- " So , " fiel Meister Abraham der Benzon ins Wort , " so gibt es eine Rätin , die eigentlich das glanzvolle Gestirn ist , das hier alles erleuchtet , und unter dessen Einfluß auch nur ein armer alter Orgelbauer bestehen und sein einfaches Leben ungestört durchfristen kann . "
" Scherzt , " sprach die Benzon , " scherzt nicht so bitter , Meister Abraham , ein Gestirn , das glanzvoll geleuchtet , kann , unserem Horizont entfliehend , schnell verbleichen und endlich ganz untergehen .
Die seltsamsten Ereignisse scheinen sich durchkreuzen zu wollen in diesem einsamen Familienkreise , den eine kleine Stadt und ein paar Dutzend Menschen mehr als eben darin wohnen , Hof zu nennen gewohnt sind . -
Die schnelle Abreise des sehnlich erwarteten Bräutigams - Hedwigas bedrohlicher Zustand ! -
In der Tat , tief niederbeugen mußte dies den Fürsten , wäre er nicht ein ganz gefühlloser Mann . "
- " Nicht , " unterbrach der Meister Abraham die Benzon , " nicht immer waren Sie dieser Meinung , Frau Rätin . "
- " Ich verstehe Euch nicht , " sprach die Benzon mit verächtlichem Ton , indem sie dem Meister einen stechenden Blick zuwarf und dann schnell das Gesicht abwandte .
- Fürst Irenäus hatte im Gefühl des Vertrauens , das er dem Meister Abraham schenken , ja der geistigen Übermacht , die er ihm zugestehen mußte , alle fürstliche Bedenklichkeiten beiseite gestellt und im Fischerhäuschen sein ganzes Herz ausgeschüttet , auf alle Äußerungen der Benzon über die verstörenden Ereignisse des Tages aber geschwiegen .
Dies wußte der Meister , und um so weniger durfte ihm die Empfindlichkeit der Rätin auffallen , wiewohl er sich verwunderte , daß , kalt und in sich verschlossen , wie sie war , sie diese Empfindlichkeit nicht besser zu verbergen vermachte .
Wohl mußte es aber die Rätin tief schmerzen , daß sie das Monopol der Vormundschaft über den Fürsten , das sie sich angeeignet , aufs neue und zwar in einem kritischen , verhängnisvollen Augenblick gefährdet sah .
Aus Gründen , die sich vielleicht später klar entwickeln dürften , war die Verbindung der Prinzessin Hedwiga mit dem Prinzen Hektor der Rätin feurigster Wunsch .
Auf dem Spiele stand diese Verbindung , so mußte sie glauben und jede Einmischung eines Dritten in diese Angelegenheit ihr bedrohlich erscheinen .
Überdies sah sie sich zum erstenmal von unerklärlichen Geheimnissen umringt , zum erstenmal schwieg der Fürst ; konnte sie , die gewohnt , das ganze Spiel des phantastischen Hofes zu regieren , tiefer gekränkt werden ?
Meister Abraham wußte , daß einem aufgeregten Weibe nichts besser entgegenzusetzen ist als unüberwindliche Ruhe , er sprach daher kein Wörtchen , sondern schritt schweigend daher neben der Benzon , die sich in tiefen Gedanken nach jener Brücke wandte , die der geneigte Leser schon kennt .
Sich auf das Geländer stützend , schaute die Rätin hinein in die fernen Büsche , denen die sinkende Sonne noch , wie zum Abschiede , goldene leuchtende Blicke zuwarf .
" Ein schöner Abend , " sprach die Rätin , ohne sich umzuwenden .
" Gewiß , " erwiderte Meister Abraham , " gewiß , still , ruhig , heiter wie ein unbefangenes , unverstörtes Gemüt . "
" Sie können , " fuhr die Rätin fort , das vertraulichere Ihr , mit dem sie sonst den Meister anredete , aufgebend , " Sie können , mein lieber Meister , es mir nicht verargen , daß ich mich schmerzhaft berührt fühlen muß , wenn der Fürst plötzlich nur Sie zu seinem Vertrauten macht , nur Sie zu Rate zieht in einer Angelegenheit , über die eigentlich die welterfahrene Frau besser zu raten , zu entscheiden weiß .
Doch vorüber , ganz vorüber ist die kleinliche Empfindlichkeit , die ich nicht zu bergen vermochte .
Ich bin ganz beruhigt , da nur die Form verletzt ist .
Der Fürst selbst hätte mir das alles sagen sollen , was ich nun erfahren habe auf andere Weise , und ich kann in der Tat alles , was Sie , lieber Meister , ihm erwiderten , nur höchlich billigen .
- Selbst will ich gestehen , daß ich etwas tat , was eben nicht lobenswert ist .
Mag es nicht sowohl weibliche Neugierde , als die tiefste Teilnahme an allem , was sich in dieser fürstlichen Familie begibt , entschuldigen .
Erfahren Sie es , Meister , ich habe Sie belauscht , Ihre ganze Unterredung mit dem Fürsten angehört , jedes Wort verstanden - "
Den Meister Abraham erfaßte bei diesen Worten der Benzon ein seltsames , von höhnender Ironie und tiefer Verbitterung gemischtes Gefühl .
Ebensogut wie jener Leibkammerdiener des Fürsten hatte Meister Abraham bemerkt , daß man in der buschigen Vertiefung , dicht vor dem einen Fenster des Fischerhäuschens versteckt , jedes Wort vernehmen konnte , was drinnen gesprochen wurde .
Durch eine geschickte akustische Vorrichtung war ihm indessen gelungen , es zu bewirken , daß jedes Gespräch im Inneren des Häuschens dem draußen Stehenden nur wie ein verwirrtes unverständliches Geräusch klang und es schlechterdings unmöglich blieb , auch nur eine Silbe zu unterscheiden .
- Erbärmlich mußte es daher dem Meister erscheinen , wenn die Benzon zu einer Lüge ihre Zuflucht nahm , um hinter Geheimnisse zu kommen , die sie zwar ahnen machte , aber nicht der Fürst , und die dieser daher auch nicht wohl dem Meister Abraham vertrauen konnte . -
Man wird erfahren , was der Fürst mit dem Meister im Fischerhäuschen verhandelte .
- " O , " rief der Meister , "o meine Gnädigste , es war der rege Geist der lebensweisen unternehmenden Frau selbst , der Sie an das Fischerhäuschen führte .
Wie kann ich armer alter , jedoch unerfahrener Mann mich in allen diesen Dingen zurechtfinden ohne Ihren Beistand ?
Eben wollte ich alles , was mir der Fürst vertraut , weitläufig hererzählen , aber es bedarf keiner ferneren Erläuterungen , da Ihnen schon alles bekannt .
Möchten Sie , Gnädige , mich würdig achten , sich über alles , was vielleicht schlimmer sich darstellen mag , als es wirklich ist , recht von Herzen auszusprechen . "
Meister Abraham traf den Ton der biederen Zutraulichkeit so gut , daß die Benzon , all ihrer Scharfsichtigkeit unerachtet , nicht gleich zu entscheiden wußte , ob es hier auf eine Mystifikation abgesehen sei oder nicht , und die Verlegenheit darüber schnitt ihr jeden Faden ab , den sie erfassen und zur für den Meister verfänglichen Schlinge hätte verknüpfen können .
So geschah es aber , daß sie , vergebens nach Worten ringend , wie festgebannt auf der Brücke stehenblieb und hinabschaute in den See .
Der Meister weidete sich einige Augenblicke an ihrer Pein , dann richteten sich aber seine Gedanken auf die Begebnisse des Tages .
Er wußte wohl , wie Kreisler in dem Mittelpunkt eben dieser Begebnisse gestanden , ein tiefer Schmerz über den Verlust des teuersten Freundes erfaßte ihn , und unwillkürlich entfloh ihm der Ausruf : " Armer Johannes ! "
Da wandte sich die Benzon rasch zu dem Meister und sprach mit losbrechender Heftigkeit :
" Wie , Meister Abraham , Ihr seid doch nicht so töricht , an Kreislers Untergang zu glauben ?
Was kann ein blutiger Hut beweisen ?
- Was sollte ihn auch so plötzlich zu dem schrecklichen Entschluß gebracht haben , sich selbst zu töten - man hätte ihn ja auch gefunden . "
- Nicht wenig erstaunte der Meister , die Benzon von Selbstmord sprechen zu hören , hier , wo ein ganz anderer Verdacht sich zu regen schien ; ehe er indessen antworten konnte , fuhr die Rätin fort : " Wohl uns , wohl uns , daß er fort ist , der Unglückliche , der überall , wo er sich blicken läßt , nur verstörendes Unheil anrichtet .
Sein leidenschaftliches Wesen , seine Verbitterung , nicht anders kann ich seinen hochgepriesenen Humor bezeichnen , steckt jedes reizbare Gemüt an , mit dem er dann sein grausames Spiel treibt .
Zeugt die höhnende Verachtung aller konventionellen Verhältnisse , ja der Trotz gegen alle übliche Formen von Übergewicht des Verstandes , so müssen wir alle unsere Knie beugen vor diesem Kapellmeister , doch soll er uns in Ruhe lassen und sich nicht auflehnen gegen alles , was durch die richtige Ansicht des wirklichen Lebens bedingt und als unsere Zufriedenheit begründend anerkannt wird .
Darum ! - dem Himmel sei gedankt , daß er fort ist , ich hoffe ihn nie wiederzusehen . "
" Und doch , " sprach der Meister sanft , " und doch waren Sie sonst die Freundin meines Johannes , Frau Rätin , und doch nahmen Sie sich seiner an in einer bösen kritischen Zeit und führten ihn selbst auf die Bahn , von der ihn nur eben jene konventionellen Verhältnisse , die Sie so eifrig in Schutz nehmen , wegverlockt hatten ? -
Welch ein Vorwurf trifft jetzt so plötzlich meinen guten Kreisler ? -
Was für Böses hat sich aus seinem Inneren aufgetan ?
Will man ihn darum hassen , weil in den ersten Augenblicken , da der Zufall ihn in eine neue Region geworfen , das Leben feindlich auf ihn zutrat , weil das Verbrechen ihn bedrohte , weil - ein italienischer Bandit ihm nachschlich ? "
- Die Rätin fuhr bei diesen Worten sichtlich zusammen .
" Welch , " sprach sie dann mit zitternder Stimme , " welch einen Gedanken der Hölle hegt Ihr in der Brust , Meister Abraham ? -
Aber wäre es so , wäre Kreisler wirklich gefallen , so wurde in dem Augenblick die Braut gerächt , die er verdorben .
Eine innere Stimme sagt es mir , Kreisler allein ist schuld an dem fürchterlichen Zustande der Prinzessin .
Schonungslos spannte er die zarten Saiten im inneren Gemüt der Kranken , bis sie zersprangen . "
- " So war , " erwiderte Meister Abraham giftig , " so war der italienische Herr ein Mann von raschem Entschluß , der die Rache der Tat vorausschickte .
Sie haben ja , Gnädige , alles angehört , was ich mit dem Fürsten gesprochen im Fischerhäuschen , Sie wissen daher auch , daß Prinzessin Hedwiga in demselben Augenblick , als der Schuß im Walde fiel , zur Leblosigkeit erstarrte . "
" In der Tat , " sprach die Benzon , " man möchte an all das chimärische Zeug glauben , das uns jetzt aufgetischt wird , an psychische Korrespondenzen und dergleichen ! -
Doch ! noch einmal , wohl uns , daß er fort ist , der Zustand der Prinzessin kann und wird sich ändern .
- Das Verhängnis hat den Störer unserer Ruhe vertrieben und - sagt selbst , Meister Abraham , ist nicht unser Freund im Innersten zerrissen auf solche Weise , daß das Leben ihm keinen Frieden mehr zu geben vermag ?
- Gesetzt also wirklich , daß - "
Die Rätin endete nicht , aber Meister Abraham fühlte den Zorn , den er mit Mühe unterdrückt , hoch aufflammen .
" Was , " rief er mit erhöhter Stimme , " was habt ihr alle gegen diesen Johannes , was hat er euch Böses getan , daß ihr ihm keine Freistatt , kein Plätzchen gönnt auf dieser Erde ? -
Wißt ihr es nicht ?
- Nun , so will ich es euch sagen . -
Seht , der Kreisler trägt nicht eure Farben , er versteht nicht eure Redensarten , der Stuhl , den ihr ihm hinstellt , damit er Platz nehme unter euch , ist ihm zu klein , zu enge ; ihr könnt ihn gar nicht für euresgleichen achten , und das ärgert euch .
Er will die Ewigkeit der Verträge , die ihr über die Gestaltung des Lebens geschlossen , nicht anerkennen , ja , er meint , daß ein arger Wahn , von dem ihr befangen , euch gar nicht das eigentliche Leben erschauen lasse , und daß die Feierlichkeit , mit der ihr über ein Reich zu herrschen glaubt , das euch unerforschlich , sich gar spaßhaft ausnehme , und das alles nennt ihr Verbitterung .
Vor allen Dingen liebt er jenen Scherz , der sich aus der tieferen Anschauung des menschlichen Seins erzeugt und der die schönste Gabe der Natur zu nennen , die sie aus der reinsten Quelle ihres Wesens schöpft .
Aber ihr seid vornehme ernste Leute und wollet nicht scherzen - Der Geist der wahren Liebe wohnt in ihm , doch vermag dieser ein Herz zu erwärmen , das auf ewig zum Tode erstarret ist , ja , in dem niemals der Funke war , den jener Geist zur Flamme aushaucht ?
Ihr möget den Kreisler nicht , weil euch das Gefühl des Übergewichts , das ihr ihm einzuräumen gezwungen , unbehaglich ist , weil ihr ihn , der Verkehr treibt mit höheren Dingen , als die gerade in euren engen Kreis passen , fürchtet . "
- " Meister , " sprach die Benzon mit dumpfer Stimme , " Meister Abraham , der Eifer , mit dem du für deinen Freund sprichst , führt dich zu weit .
Du wolltest mich verletzen ? -
Nun wohl , es ist dir gelungen , denn du hast Gedanken in mir geweckt , die lange , lange schlummerten ! -
Todstarr nennst du mein Herz ? -
Weißt du denn , ob jemals der Geist der Liebe freundlich zu ihm gesprochen , ob ich nicht allein in konventionellen Verhältnissen des Lebens , die der überspannte Kreisler verächtlich finden mag , Trost und Ruhe fand ? -
Glaubst du denn nicht überhaupt , alter Mann , der auch wohl so manches Leid erfahren , daß es ein gefährliches Spiel ist , sich über jene Verhältnisse erheben und dem Weltgeist näher treten zu wollen in der Mystifikation des eigenen Seins ?
Ich weiß es , die kälteste regungsloseste Prosa des Lebens selbst hat mich Kreisler gescholten , und es ist sein Urteil , das sich in dem deinigen ausspricht , wenn du mich todstarr nennst , aber habt ihr jemals dieses Eis zu durchblicken vermocht , das meiner Brust schon längst ein schützender Harnisch war ? -
Mag bei den Männern die Liebe nicht das Leben schaffen , sondern es nur auf eine Spitze stellen , von der herab noch sichre Wege führen , unser höchster Lichtpunkt , der unser ganzes Sein erst schafft und gestaltet , ist der Augenblick der ersten Liebe .
Will es das feindliche Geschick , daß dieser Augenblick verfehlt wurde , verfehlt ist das ganze Leben für das schwache Weib , das untergeht in trostloser Unbedeutsamkeit , während das mit stärkerer Geisteskraft begabte sich mit Gewalt emporrafft und eben in den Verhältnissen des gewöhnlichen Lebens eine Gestaltung erringt , die ihm Ruhe und Frieden gibt . -
Laß es dir sagen , alter Mann - hier in der Dunkelheit der Nacht , die das Vertrauen verschleiert , laß es dir sagen ! -
Als jener Moment in mein Leben trat , als ich den erblickte , der alle Glut der innigsten Liebe , deren die weibliche Brust nur fähig , in mir entzündete - da stand ich vor dem Traualtar mit jenem Benzon , der ein guter Ehemann wurde wie kein anderer .
Seine völlige Bedeutungslosigkeit gewährte mir alles , was ich , um ein friedfertiges Leben zu führen , nur wünschen konnte , und nie ist eine Klage , ein Vorwurf meinen Lippen entflohen .
Nur den Kreis des Gewöhnlichen nahm ich in Anspruch , und wenn dann selbst in diesem Kreise sich manches begab , das mich unvermerkt irreleitete , wenn ich manches , das strafbar erscheinen möchte , mit nichts anderem zu entschuldigen weiß als mit dem Drange des augenblicklichen Verhältnisses , so mag das Weib mich zuerst verdammen , die so wie ich den schweren Kampf durchkämpfte , der zu gänzlicher Verzichtung auf alles höhere Glück führt , sollte dies auch nichts anders sein als ein süßer träumerischer Wahn .
- Fürst Irenäus machte meine Bekanntschaft . -
Doch ich schweige von dem , was längst vergangen , nur von der Gegenwart soll noch die Rede sein .
- Ich habe es dir vergönnt , in mein Innerstes zu schauen , Meister Abraham , du weißt nun , warum ich , so wie die Dinge sich hier gestalten , jedes Hineindrängen eines fremdartigen exotischen Prinzips als bedrohlich fürchten muß .
Mein eigenes Geschick in jener verhängnisvollen Stunde grinset mich an wie ein furchtbar warnendes Gespenst .
Retten muß ich die , die mir teuer sind , ich habe meine Pläne gemacht .
- Meister Abraham , seid mir nicht entgegen , oder , wollt Ihr in den Kampf treten mit mir , so seht Euch vor , daß ich Eure besten Taschenspielerkünste nicht zuschanden mache ! "
" Unglückliche Frau , " rief Meister Abraham .
" Unglücklich nennst du mich , " erwiderte die Benzon , " mich , die ich ein feindliches Geschick zu bekämpfen wußte und mir da , wo alles verloren schien , Ruhe und Zufriedenheit gewann ? "
" Unglückliche Frau , " rief Meister Abraham nochmals mit einem Ton , der von seiner inneren Bewegung zeugte , " arme unglückliche Frau !
Ruhe , Zufriedenheit vermeinst du gewonnen zu haben und ahndest nicht , daß es die Verzweiflung war , die , ein Vulkan , alle flammende Gluten aus deinem Inneren hinausströmen ließ , und daß du nun die tote Asche , aus der keine Blüte , keine Blume mehr sproßt , in starrer Betörung für das reiche Feld des Lebens hältst , das dir noch Früchte spenden soll . -
Ein künstliches Gebäude willst du aufführen auf den Grundstein , den ein Blitzstrahl zermalmte , und befürchtest nicht , daß es einstürzen wird in dem Augenblick , da lustig bunte Bänder wehen von der Blumenkrone , die den Sieg des Baumeisters verkünden soll ? - Julia - Hedwiga - ich weiß es , für sie wurden jene Pläne künstlich gewoben ! -
Unglückliche Frau , hüte dich , daß jenes unheilbringende Gefühl , jene eigentliche Verbitterung , die du mit großem Unrecht meinem Johannes vorwirfst , nicht aus deinem eigenen tiefsten Inneren hervortritt , so daß deine weisen Entwürfe weiter nichts sind als das feindliche Auflehnen gegen ein Glück , das du niemals genossest , und das du nun selbst deinen Lieben mißgönnst .
- Ich weiß mehr von deinen Entwürfen , als du es glauben magst , mehr von deinen gerühmten Verhältnissen des Lebens , die dir Ruhe bringen sollen , und die - dich verlockten zu strafbarer Schande ! "
- Ein dumpfer unartikulierter Schrei , den die Benzon bei diesen letzten Worten des Meisters ausstieß , verriet ihre tiefe Erschütterung .
Der Meister hielt inne , da aber die Benzon ebenfalls schwieg , ohne sich von der Stelle zu rühren , fuhr er gelassen fort :
" Zu nichts wenigerem habe ich Lust , als mich in irgendeinen Kampf mit Ihnen zu begeben , Gnädige !
Was aber meine sogenannten Taschenspielerkünste betrifft , so wissen Sie ja recht gut , werteste Frau Rätin , daß seit der Zeit , da mein unsichtbares Mädchen mich verlassen - "
In dem Augenblick erfaßte den Meister der Gedanke an die verlorene Chiara mit einer Gewalt , wie seit langer Zeit nicht mehr , er glaubte ihre Gestalt zu erblicken in der dunklen Ferne , er glaubte ihre süße Stimme zu vernehmen .
- " O Chiara !
- meine Chiara ! "
So rief er in der schmerzlichsten Wehmut .
- " Was ist Euch , " sprach die Benzon , sich schnell nach ihm umwendend , " was ist Euch , Meister Abraham ! - welchen Namen nanntet Ihr ? -
Doch noch einmal , laßt ruhen alles Vergangene , beurteilt mich nicht nach jenen seltsamen Ansichten des Lebens , die Ihr mit Kreislern teilt , versprecht mir das Vertrauen nicht zu mißbrauchen , das Euch Fürst Irenäus geschenkt , versprecht mir nicht entgegen zu sein in meinem Tun und Treiben . "
So ganz vertieft in das schmerzliche Andenken an seine Chiara war Meister Abraham , daß er kaum vernahm , was die Rätin sprach , und nur unverständliche Worte zu erwidern vermochte .
" Weiset , " fuhr die Rätin fort , " weiset mich nicht zurück , Meister Abraham , Ihr seid , wie es scheint , in der Tat mit manchem mehr bekannt , als ich vermuten durfte , doch ist es möglich , daß ich auch noch Geheimnisse bewahre , deren Mitteilung Euch sehr viel wert sein würde , ja , daß ich Euch vielleicht einen Liebesdienst erzeigen könnte , an den Ihr gar nicht denkt .
Laßt uns zusammen diesen kleinen Hof beherrschen , der in der Tat des Gängelbandes bedarf .
- » Chiara « rieft Ihr mit einem Ausdruck des Schmerzes der - "
Ein starkes Geräusch vom Schlosse her unterbrach die Benzon .
Meister Abraham erwachte aus Träumen , das Geräusch - - ( M.f.f. )
"- ich folgendes beibringen .
Ein Katsphilister beginnt , ist er auch noch so durstig , die Schüssel Milch vom Rande rund umher an aufzulecken , damit er sich nicht Schnauze und Bart bemilche und anständig bleibe , denn der Anstand gilt ihm mehr , als der Durst .
Besuchst du einen Katsphilister , so bietet er dir alles nur mögliche an , versichert dich aber , wenn du scheidest , bloß seiner Freundschaft und frißt nachher heimlich und allein die Leckerbissen , die er dir angeboten .
Ein Katsphilister weiß vermöge eines sicheren untrüglichen Takts überall , auf dem Boden , im Keller u. s.w. den besten Platz zu finden , wo er sich so wohlbehaglich und bequem hinstreckt , als es nur geschehen kann .
Er erzählt viel von seinen guten Eigenschaften , und wie er , dem Himmel sei Dank , nicht klagen könne , daß das Schicksal diese guten Eigenschaften übersehen .
Sehr wortreich setzt er dir auseinander , wie er zu dem guten Platz gekommen , den er behaupte , und was er noch alles tun werde , um seine Lage zu verbessern .
Willst du nun aber auch endlich von dir und deinem geringer günstigen Schicksal etwas sagen , so kneift der Katsphilister sofort die Augen zu und drückt die Ohren an , tut auch wohl , als wenn er schliefe , oder spinnt .
Ein Katsphilister leckt sich fleißig den Pelz rein und glänzend und passiert selbst auf der Mausjagd keine nasse Stelle , ohne bei jedem Schritt die Pfoten auszuschütteln , damit er , geht auch das Wild darüber verloren , doch in allen Verhältnissen des Lebens ein feiner , ordentlicher , wohlgekleideter Mann bleibe .
Ein Katsphilister scheut und vermeidet die leiseste Gefahr und bedauert , befindest du dich in solcher und sprichst seine Hilfe an , unter den heiligsten Beteuerungen seiner freundschaftlichen Teilnahme , daß gerade in dem Augenblick es seine Lage , die Rücksichten , die er nehmen müsse , es ihm nicht erlaubten dir beizustehen .
Überhaupt ist alles Tun und Treiben des Katsphilisters bei jeder Gelegenheit abhängig von tausend und tausend Rücksichten .
Selbst z.B. gegen den kleinen Mops , der ihm in den Schwanz gebissen auf empfindliche Weise , bleibt er artig und höflich , um es nicht mit dem Hofhunde zu verderben , dessen Protektion er zu erlangen gewußt , und er nutzt nur den nächtlichen Hinterhalt , um jenem Mops ein Auge auszukratzen .
Tages darauf bedauert er den teuren Mopsfreund gar von Herzen und schmält über die Bosheit arglistiger Feinde .
Übrigens gleichen diese Rücksichten einem wohlangelegten Fuchsbau , der dem Katsphilister Gelegenheit gibt , überall zu entwischen in dem Augenblick , als du ihn zu fassen glaubst .
Ein Katsphilister bleibt am liebsten unter dem heimischen Ofen , wo er sich sicher fühlt , das freie Dach verursacht ihm Schwindel .
- Und seht Ihr nun wohl , Freund Murr , das ist Euer Fall .
Sage ich Euch nun , daß der Katsbursch offen , ehrlich , uneigennützig , herzhaft , stets bereit , dem Freunde zu helfen , ist , daß er keine andere Rücksichten kennt , als die Ehre und redlicher Sinn gebieten , genug , daß der Katsbursch durchaus der Antipode des Katsphilisters ist , so werdet Ihr keinen Anstand nehmen , Euch zu erheben aus dem Philistertum , um ein ordentlicher tüchtiger Katsbursch zu werden . "
- Lebhaft fühlte ich die Wahrheit in Muzius ' Worten .
Ich sah ein , daß ich nur das Wort Philister nicht gekannt , wohl aber den Charakter , da mir schon manche Philister , d.h. schlechte Katskerle vorgekommen waren , die ich herzlich verachtet hatte .
Um so schmerzhafter fühlte ich daher den Irrtum , von dem befangen ich in die Kategorie jener verächtlichen Leute hätte geraten können , und beschloß Muzius ' Rat in allem zu folgen , um so vielleicht noch ein tüchtiger Katsbursche zu werden .
- Ein junger Mensch sprach einst zu meinem Meister von einem treulosen Freunde und bezeichnete diesen mit einem sehr seltsamen , mir unverständlichen Ausdruck .
Er nannte ihn einen pomadigen Kerl .
Nun war es mir , als sei das Beiwort pomadig sehr passend dem Hauptwort Philister hinzuzufügen , und ich befragte Freund Muzius darum .
Kaum hatte ich aber das Wort pomadig ausgesprochen , als Muzius laut jauchzend aufsprang und , mich kräftig umhalsend , rief : " Herzensjunge , nun gewahre ich , daß du mich ganz verstanden hast - ja , pomadiger Philister ! das ist die verächtliche Kreatur , die sich auflegt gegen das edle Burschentum , und die wir überall , wo wir sie finden , tothetzen möchten .
Ja , Freund Murr , du hast jetzt schon dein inneres wahrhaftes Gefühl für alles Edle , Große bewiesen , laß dich nochmals an diese Brust drücken , in der ein treues deutsches Herz schlägt . "
- Damit umhalste mich Freund Muzius aufs neue und erklärte , wie er in der nächstfolgenden Nacht mich einzuführen gedenke in das Burschentum , ich möge mich nur in der Mitternachtsstunde einfinden auf dem Dache , wo er mich abholen werde zu einem Fest , das ein Katssenior veranstaltet , nämlich der Kater Puff .
Der Meister trat ins Zimmer .
Ich sprang wie gewöhnlich ihm entgegen , schmiegte mich , wälzte mich auf dem Boden , um ihm meine Freude zu bezeugen .
Auch Muzius glotzte ihn an mit zufriedenem Blick .
Nachdem der Meister etwas weniges mir Kopf und Hals gekraut , sah er sich um im Zimmer und sprach , da er alles in gehöriger Ordnung fand :
" Nun , das ist recht !
Eure Unterhaltung ist still und friedlich gewesen , wie es anständigen , gut erzogenen Leuten geziemt .
Das verdient belohnt zu werden . "
Der Meister schritt zu der Türe hinaus , die nach der Küche führte , und wir , Muzius und ich , seine gute Absicht erratend , schritten hinter ihm her mit einem fröhlichen Mau - Mau - Mau !
Wirklich öffnete auch der Meister den Küchenschrank und holte die Skelette und Knöchelchen von ein paar jungen Hühnern hervor , deren Fleisch er gestern verzehrt hatte .
Es ist bekannt , daß mein Geschlecht Hühnerskelette zu den allerfeinsten Leckerbissen rechnet , die es geben kann , und daher kam es , daß Muzius Augen in glanzvollem Feuer strahlten , daß er den Schweife in den anmutigsten Windungen schlängelte , daß er laut schnurrte , als der Meister die Schüssel vor uns hinsetzte auf den Boden .
Des pomadigen Philisters wohl eingedenk , schob ich dem Freunde Muzius die besten Bissen hin , die Hälse , die Bäuche , die Steiße , und begnügte mich mit den gröberen Schenkel- und Flügelknochen .
Als wir mit den Hühnern fertig waren , wollte ich den Freund Muzius fragen , ob ihm vielleicht mit einer Tasse süßer Milch gedient sei .
Doch den pomadigen Philister stets vor Augen , unterließ ich es und schob statt dessen die Tasse , welche , wie ich wußte , unter dem Schrank stand , hervor und lud Muzius freundlich ein zuzusaufen , indem ich ihm Bescheid tat . -
Muzius soff die Tasse rein aus , dann drückte er mir die Pfote und sprach , während ihm die hellen Tränen in die Augen traten :
" Freund Murr , Ihr lebt lukullisch , aber Ihr habt mir Euer treues , biederes und edelmütiges Herz kundgetan , und so wird die eitle Lust der Welt Euch nicht verlocken zum schnöden Philistertum !
Habt Dank , habt innigen Dank ! " -
Mit einem biederen deutschen Pfotendruck nach altvörderischer Sitte nahmen wir Abschied .
Muzius war , gewiß um die tiefe Rührung , die ihm Tränen auspreßte , zu verbergen , mit einem halsbrechenden Satze schnell zum offenen Fenster heraus auf das nächst anstoßende Dach . - Selbst mich , den die Natur doch mit vorzüglicher Schwungkraft begabt , setzte dieser gewagte Satz in Erstaunen , und ich fand Gelegenheit , aufs neue mein Geschlecht zu preisen , das aus geborenen Turnern besteht , die keines Springstocks , keiner Kletterstange bedürfen .
Übrigens gab mir Freund Muzius auch den Beweis , wie oft hinter einem rauhen abschreckenden Äußeren sich ein zartes , tief fühlendes Gemüt verbirgt .
- Ich kehrte ins Zimmer zu meinem Meister zurück und legte mich unter den Ofen .
Hier in der Einsamkeit die Gestaltung meines bisherigen Seins bedenkend , meine letzte Stimmung , meine ganze Lebensweise erwägend , erschrak ich bei dem Gedanken , wie nahe ich dem Abgrunde gewesen , und Freund Muzius erschien mir trotz seines struppigen Balgs wie ein schöner rettender Engel .
In eine neue Welt sollte ich treten , die Leere im Inneren sollte ausgefüllt , ein anderer Kater sollte ich werden , mir klopfte das Herz vor banger freudiger Erwartung .
Noch lange war es nicht Mitternacht , als ich den Meister mit der gewöhnlichen Redensart : " Ma - - au " bat , mich hinauszulassen .
" Recht gerne , " erwiderte er , indem er die Türe öffnete , " recht gerne , Murr .
Aus dem ewigen unterm Ofen liegen und schlafen kommt gar nichts heraus .
Gehe - gehe , daß du wieder in die Welt unter Kater kommst .
Vielleicht findest du gemütsverwandte Katerjünglinge , die sich mit dir ergötzen in Ernst und Scherz . "
Ach ! - der Meister ahnte wohl , daß ein neues Leben mir bevorstand ! - Endlich , nachdem ich bis Mitternacht gewartet , stellte sich Freund Muzius ein und führte mich fort über verschiedene Dächer , bis endlich auf einem beinahe ganz platten italienischen Dache uns zehn stattliche , nur ebenso nachlässig und seltsam wie Muzius gekleidete Katerjünglinge mit lautem Jubelgeschrei empfingen .
Muzius stellte mich den Freunden vor , rühmte meine Eigenschaften , meinen treuen biederen Sinn , hob vorzüglich hervor , wie ich ihn mit Backfischen , Hühnerknochen und süßer Milch gastlich bewirtet , und schloß damit , daß ich als tüchtiger Katsbursch aufgenommen sein wolle .
Alle gaben ihre Beistimmung .
Es erfolgten nun gewisse Feierlichkeiten , die ich indessen verschweige , da geneigte Leser meines Geschlechts vielleicht argwöhnen , ich sei in einen verbotenen Orden getreten , und noch jetzt Rede und Antwort darüber von mir verlangen könnten .
Ich versichere aber auf Gewissen , daß von einem Orden und seinen Bedingnissen , als da sind Statuten , geheime Zeichen u.s . , durchaus nicht die Rede war , sondern daß der Verein lediglich auf Gleichheit der Gesinnung beruhte .
Denn es fand sich bald , daß jeder von uns süße Milch lieber zu sich nahm als Wasser , Braten lieber als Brot .
Nachdem die Feierlichkeiten vorüber , empfing ich von allen den brüderlichen Kuß und Pfotendruck , und sie nannten mich : Du ! -
Dann setzten wir uns zu einem einfachen , aber fröhlichen Mal , dem eine wackere Zecherei folgte .
Muzius hatte trefflichen Katspunsch bereitet .
- Sollte ein lüsterner Katerjüngling nach dem Rezept dieses köstlichen Getränks Begierde tragen , so kann ich leider darüber keine genügende Auskunft geben .
So viel ist gewiß , daß die hohe Annehmlichkeit des Geschmacks sowie die siegende Kraft vorzüglich durch eine derbe Zutat von Heringslake hervorgebracht wird .
Mit einer Stimme , die weit über viele Dächer hinwegdonnerte , intonierte nun der Senior Puff das schöne Lied :
" Gaudeamus igitur ! "
- Mit Wonne fühlte ich mich im Inneren und Äußeren ganz trefflicher Juvenis und mochte gar nicht an den tumulus denken , den ein düsteres Verhängnis unserem Geschlecht selten in der stillen friedlichen Erde gönnt .
Es wurden noch verschiedene schöne Lieder gesungen , wie z.B. " Laßt die Politiker nur sprechen " u. s.w. , bis der Senior Puff mit gewichtiger Pfote auf den Tisch schlug und verkündete , daß nun das wahre echte Weiblied , nämlich das " Ecce quam bonum " gesungen werden müsse , und intonierte sofort den Chor : " Ecce etc . etc . "
Noch nie hatte ich dieses Lied gehört , dessen Komposition ebenso tief gedacht , so harmonisch und melodisch richtig , als wunderbar und geheimnisvoll zu nennen .
Der Meister ist , soviel ich weiß , nicht bekannt geworden , doch schreiben viele dieses Lied dem großen Händel zu , andere dagegen behaupten , daß es lange , lange vor Handels Zeit schon existiert habe , da nach der Chronik von Wittenberg es schon gesungen worden , als Prinz Hamlet noch Fuchs gewesen .
Doch gleichviel , wer es gemacht hat , das Werk ist groß und unsterblich und vorzüglich zu bewundern , wie die in den Chor eingeflochtenen Solos den Sängern freien Spielraum lassen zu den anmutigsten unerschöpflichsten Veränderungen .
Einige dieser Veränderungen , die ich in dieser Nacht hörte , habe ich treu im Gedächtnis behalten .
Als der Chor geendet , fiel ein schwarz und weiß gefleckter Jüngling ein : " Gar zu spitzig klafft der Spitz , Gar zu grob der Pudel .
Jenem gönnt den Steiß zum Sitz , Dem die Schnauz zum Hudel . " Chor .
" Ecce quam etc. etc . "
Darauf ein Grauer :
" Höflich zieht die Mütze ' vom Kopf , Kommt Philister gegangen .
Froh gebärdet sich der Tropf , Will vor nichts ihm bangen . " Chor .
" Ecce quam etc. etc . "
Darauf ein Gelber :
" Schwimmen muß der muntere Fisch , Vögelein muß fliegen , Floss und Federn wachsen frisch , Werdet sie nimmer kriegen . " Chor .
" Ecce quam etc. etc . "
Darauf ein Weißer : " Miaut und knurrt und knurrt und miaut .
Nur beileibe nicht kratzen ; Seid galant , daß man euch traut , Schonet eure Tatzen . " Chor .
" Ecce quam etc. etc . "
Darauf Freund Muzius : " Denkt Herr Affe ' nach seinem Maß Alle uns zu messen !
Spitzt das Maul , trägt hoch die Nase , Wird uns doch nicht fressen . " Chor .
" Ecce quam etc. etc . "
Ich saß neben Muzius , an mir war daher jetzt die Reihe , mit einem Solo einzufallen .
Alle Solos , die bis jetzt vorgetragen , wichen so sehr von den Versen ab , die ich sonst gedichtet , daß ich in Unruhe und Angst geriet , den Ton , die Haltung des Ganzen zu verfehlen .
Daher kam es , daß ich , als der Chor geendet , noch schwieg .
Schon erhoben einige die Gläser und riefen :
" pro poena " , als ich mich mit aller Gewalt zusammennahm und sofort sang : " Pfote ' in Pfote und Brust an Brust Soll uns nichts verdüstern .
Katsbursch sein ist unsere Lust , Trotzen Katsphilistern ! " Chor .
" Ecce quam etc. etc . "
Meine Variation fand den lautesten , unerhörtesten Beifall .
Die hochherzigen Jungen stürmten jubelnd auf mich ein , umpfoteten mich , drückten mich an ihre klopfende Brust .
Auch hier erkannte man also den hohen Genius in meinem Inneren .
Es war einer der schönsten Augenblicke meines Lebens . -
Nun wurde noch manchen großen berühmten Katern , vorzüglich solchen , die , ihrer Größe und Berühmtheit unerachtet , sich von aller und jeder Philisterei entfernt gehalten und es bewiesen hatten durch Wort und Tat , ein feuriges Lebehoch ! gebracht , und dann schieden wir auseinander .
Der Punsch war mir doch etwas zu Kopfe gestiegen , die Dächer schienen sich zu drehen , kaum vermochte ich mittels des Schweifes , den ich als Balancierstange benutzte , mich aufrecht zu erhalten .
Der treue Muzius , meinen Zustand bemerkend , nahm sich meiner an und brachte mich glücklich durch die Dachluke nach Hause .
Wüste im Kopfe , wie ich mich noch niemals gefühlt , konnte ich lange nicht -
( Mak. Bl. )
" - - ebenso gut gewußt , als die scharfsinnige Frau Benzon , aber daß ich gerade heute , eben jetzt von dir Nachricht erhalten sollte , du treue Seele , das hat mein Herz nicht geahnt . "
So sprach Meister Abraham , verschloß den Brief , den er erhalten , und in dessen Aufschrift er mit freudiger Überraschung Kreislers Hand erkannt hatte , ohne ihn zu öffnen , in den Schubkasten seines Schreibtisches und ging hinaus in den Park .
- Meister Abraham hatte schon seit vielen Jahren die Gewohnheit , Briefe , die er erhielt , stunden- , ja , oft tagelang uneröffnet liegen zu lassen .
" Ist der Inhalt gleichgültig , " sprach er , " so kommt es auf den Verzug nicht an ; enthält der Brief eine böse Nachricht , so gewinne ich noch einige frohe oder wenigstens ungetrübte Stunden ; steht eine Freudenpost darin , so kann ein gesetzter Mann wohl es abwarten , daß die Freude ihm über den Hals komme . "
Diese Gewohnheit des Meisters ist zu verwerfen , denn einmal ist solch ein Mensch , der Briefe liegen läßt , ganz untauglich zum Kaufmann , zum politischen oder literarischen Zeitungsschreiber , dann leuchtet es aber auch ein , wie manches Unheil sich sonst noch bei Personen , die weder Kaufleute sind noch Zeitungsschreiber , daraus erzeugen kann . -
Was gegenwärtigen Biographen betrifft , so glaubt er ganz und gar nicht an Abrahams stoischen Gleichmut , sondern rechnet jene Gewohnheit vielmehr einer gewissen ängstlichen Scheu zu , das Geheimnis eines verschlossenen Briefes zu entfalten .
- Es ist eine ganz eigene Lust Briefe zu empfangen , und darum sind uns die Personen besonders angenehm , die zunächst uns diese Lust verschaffen , nämlich die Briefträger , wie schon irgendwo ein geistreicher Schriftsteller bemerkt hat .
Dies mag eine anmutige Selbstmystifikation genannt werden .
Der Biograph erinnert sich , daß , als er einst auf der Universität mit dem sehnlichsten Schmerz lange vergebens auf einen Brief von einer geliebten Person gewartet hatte , er den Briefträger mit Tränen im Auge bat , ihm doch recht bald einen Brief aus der Vaterstadt zu bringen , er solle auch dafür ein namhaftes Trinkgeld erhalten .
Der Kerl versprach , was von ihm verlangt wurde , mit pfiffiger Miene , brachte den Brief , der in der Tat nach wenigen Tagen einging , triumphierend , als habe es nur an ihm gelegen Wort zu halten , und strich das versprochene Trinkgeld ein . -
Doch weiß der Biograph , der eben vielleicht selbst gewissen Selbstmystifikationen zu sehr Raum gibt - doch weiß er nicht , ob du , geliebter Leser , mit ihm gleichen Sinnes , mit jener Lust eine seltsame Angst fühlest , die dir , indem du den erhaltenen Brief öffnen willst , Herzklopfen verursacht , selbst wenn es kaum möglich , daß der Brief Wichtiges für dein Leben enthalten sollte . -
Mag es sein , daß dasselbe die Brust beengende Gefühl , mit dem wir in die Nacht der Zukunft schauen , auch hier sich regt und daß eben deshalb , weil ein leichter Druck der Finger hinreicht , das Verborgene zu enthüllen , der Moment auf einer Spitze steht , die uns beunruhigt .
Und ! -
wie viele schöne Hoffnungen zerbrachen schon mit dem verhängnisvollen Siegel , und die lieblichen Traumbilder , die aus unserem eigenen Inneren gestaltet , unsere brünstige Sehnsucht selbst schienen , zerrannen in nichts und das kleine Blättchen war der Zauberfluch , vor dem der Blumengarten , in dem wir zu wandeln gedachten , verdorrte , und das Leben lag vor uns wie eine unwirtbare trostlose Wüstenei ! - Scheint es gut , den Geist zu sammeln , ehe jener leichte Druck der Finger das Verborgene erschließt , so kann dies vielleicht Meister Abrahams sonst verwerfliche Gewohnheit entschuldigen , die übrigens auch gegenwärtigem Biographen anklebt aus einer gewissen verhängnisvollen Zeit , in der beinahe jeder Brief , den er erhielt , der Büchse Pandoras glich , aus der , sowie sie geöffnet , tausend Unheil und Ungemach aufstieg ins Leben . -
Hat aber nun auch Meister Abraham des Kapellmeisters Brief verschlossen in seinen Schreibepult oder Schreibtischkasten , und ist er auch spazieren gegangen in den Park , doch soll der geneigte Leser den Inhalt sogleich buchstäblich erfahren .
- Johannes Kreisler hatte folgendes geschrieben :
" Mein herzlieber Meister !
» La fin couronne les oeuvres ! « hätte ich rufen können , wie Lord Clifford in Shakespeares » Heinrich dem Sechsten « , als ihm der sehr edle Herzog von York eins versetzt hatte zum Tode .
Denn bei Gott , mein Hut stürzte schwer verwundet ins Gebüsch und ich ihm nach , rücklings wie einer , von dem man in der Schlacht zu sagen pflegt , » Er fällt , oder er ist gefallen . «
- Dergleichen Leute stehen aber selten wieder auf , dagegen tat das aber Euer Johannes , mein lieber Meister , und das auf der Stelle .
- Um meinen schwer verwundeten Kameraden , der nicht sowohl an meiner Seite als über oder von meinem Haupte gefallen , konnte ich mich gar nicht bekümmern , da ich genug zu tun hatte , durch einen tüchtigen Seitensatz ( ich nehme das Wort Satz hier weder in philosophischem noch in musikalischem , sondern lediglich in gymnastischem Sinn ) der Mündung einer Pistole auszuweichen , die jemand etwa drei Schritte davon auf mich hielt .
Doch ich tat noch mehr als das , ich ging plötzlich aus der Defensive in die Offensive über , sprang auf den Pistolanten los und stieß ihm ohne weitere Umstände meinen Stockdegen in den Leib . -
Immer habt Ihr mir den Vorwurf gemacht , Meister , daß ich des historischen Stils nicht mächtig und unfähig , etwas zu erzählen ohne unnütze Phrasen und Abschweifungen .
Was sagt Ihr zu der bündigen Darstellung meines italienischen Abenteuers in dem Park zu Sieghartshof , den ein hochsinniger Fürst so mild beherrscht , daß er selbst Banditen toleriert vergnüglicher Abwechslung halber ?
Nehmt , lieber Meister , das bisher Gesagte nur für die vorläufige epitomattische Inhaltsanzeige des historischen Kapitels , das ich , erlaubt es meine Ungeduld und der Herr Prior , statt eines ordinären Briefes für Euch aufschreiben will . -
Wenig nachzuholen ist über das eigentliche Abenteuer im Walde .
- Gewiß war es mir sogleich , daß , als der Schuß fiel , ich davon profitieren sollte , denn im Niederstürzen empfand ich einen brennenden Schmerz an der linken Seite meines Kopfs , den der Konrektor in Göniönesmühl mit Recht einen hartnäckigen nannte .
Hartnäckigen Widerstand hatte der wackere Knochenbau nämlich geleistet dem schnöden Blei , so daß die Streifwunde kaum zu achten . -
Aber sagt mir , lieber Meister , sagt mir auf der Stelle oder heute abend oder wenigstens morgen in aller Frühe , in wessen Leib meine Stockklinge gefahren ?
Sehr lieb würde es mir sein zu vernehmen , daß ich eigentlich gar kein gemeines Menschenblut vergossen , sondern bloß einigen prinzlichen Ichor ; und es will mir ahnen , als wäre dem so . -
Meister !
- so hätte der Zufall mich denn zu der Tat geführt , die der finstere Geist mir verkündete bei Euch im Fischerhäuschen ! -
War vielleicht diese kleine Stockklinge in dem Augenblick , als ich sie brauchte zur Notwehr gegen Mörder , das furchtbare Schwert der Blutschuld rächenden Nemesis ? - Schreibt mir alles , Meister , und vor allen Dingen , was es mit der Waffe , die Ihr mir in die Hand gabt , mit dem kleinen Bilde für eine Bewandtnis hat . -
Doch nein - nein , sagt mir davon nichts .
Laßt mich dieses Medusenbild , vor dessen Anblick der bedrohliche Frevel erstarrt , bewahren , mir selbst ein unerklärliches Geheimnis .
Es ist mir , als würde dieser Talisman seine Kraft verlieren , sobald ich wüßte , was für eine Konstellation ihn gefeit zur Zauberwaffe ! -
Wollt Ihr mir es glauben , Meister , daß ich bis jetzt Euer kleines Bild noch gar nicht einmal recht angeschaut ? -
Ist es an der Zeit , so werdet Ihr mir alles sagen , was mir zu wissen nötig , und dann gebe ich den Talisman zurück in Eure Hände .
Also für jetzt kein Wort weiter davon ! -
Doch fortfahren will ich nun in meinem historischen Kapitel .
Als ich besagtem Jemand , besagtem Pistolanten meinen Stockdegen in den Leib gerannt , so daß er lautlos niederstürzte , sprang ich fort mit der Schnellfüßigkeit eines Ajax , da ich Stimmen im Park zu hören und mich noch in Gefahr glaubte .
Ich gedachte nach Sieghartsweiler zu laufen , aber die Dunkelheit der Nacht ließ mich den Weg verfehlen .
Schneller und schneller rannte ich fort , immer noch hoffend , mich zurechtzufinden .
Ich durchwatete Feldgraben , ich erklimmt eine steile Anhöhe und sank endlich in einem Gebüsch vor Ermattung nieder .
Es war , als blitze es dicht vor meinen Augen , ich fühlte einen stechenden Schmerz am Kopf und erwachte aus tiefem Todesschlaf .
Die Wunde hatte stark geblutet , ich machte mir , das Taschentuch benutzend , einen Verband , der dem geschicktesten Kompagnie-Chirurgus auf dem Schlachtfelde zur Ehre gereicht haben würde , und schaute nun ganz froh und fröhlich umher .
Unfern von mir stiegen die mächtigen Ruinen eines Schlosses empor .
- Ihr merkt es , Meister , ich war zu meiner nicht geringen Verwunderung auf den Geierstein geraten .
Die Wunde schmerzte nicht mehr , ich fühlte mich frisch und leicht , ich trat heraus aus dem Gebüsch , das mir zum Schlafgemach gedient , die Sonne stieg empor und warf blinkende Streiflichter auf Wald und Flur wie fröhliche Morgengrüße .
Die Vögel erwachten in den Gebüschen und badeten sich zwitschernd im kühlen Morgentau und schwangen sich auf in die Lüfte .
Noch in nächtliche Nebel gehüllt lag tief unter mir Sieghartshof , doch bald sanken die Schleier , und im flammenden Gold standen Bäume und Büsche .
Der See des Parks glich einem blendend strahlenden Spiegel :
ich unterschied das Fischerhäuschen wie einen kleinen weißen Punkt - sogar die Brücke glaubte ich deutlich zu schauen .
- Das Gestern trat auf mich ein , aber als sei es eine längst vergangene Zeit , aus der mir nichts geblieben , als die Wehmut der Erinnerung an das ewig Verlorene , die in demselben Augenblick die Brust zerreißt und mit süßer Wonne erfüllt , » Haselant , was willst du denn eigentlich damit sagen , was hast du denn in dem längst vergangenen Gestern auf ewig verloren ? «
So ruft Ihr mich an , Meister , ich höre es . -
Ach Meister , noch einmal stelle ich mich hin auf jene hervorragende Spitze des Geiersteins - noch einmal breite ich die Arme aus wie Adlersflügel , mich dort hinzuschwingen , wo ein süßer Zauber waltete , wo jene Liebe , die nicht in Raum und Zeit bedingt , die ewig ist wie der Weltgeist , mir aufging in den ahnungsvollen Himmelstönen , die die dürstende Sehnsucht selbst sind und das Verlangen !
- Ich weiß es , dicht vor meiner Nase setzt sich ein Teufelskerl von hungrigem Opponenten hin , der nur opponiert des indischen Gerstenbrots halber , und fragt mich höhnisch , ob es möglich sei , daß ein Ton dunkelblaue Augen haben könne .
Ich führe den bündigsten Beweis , daß der Ton eigentlich auch ein Blick sei , der aus einer Lichtwelt durch zerrissene Wolkenschleier hinabstrahle ; der Opponent geht aber weiter und fragt nach Stirn , nach Haar , nach Mund und Lippen , nach Armen , Händen , Füßen und zweifelt durch aus mit hämischem Lächeln , daß ein bloßer purer Ton mit diesem allem begabt sein könne . -
O Gott , ich weiß , was der Schlingel meint , nämlich nichts weiter , als daß , solange ich ein glebae adscriptus sei , wie er und die übrigen , solange wir alle nicht bloß Sonnenstrahlen fräßen und uns manchmal noch auf einen anderen Stuhl setzen müßten als auf den Lehrstuhl , es mit jener ewigen Sehnsucht , die nichts will als sich selbst und von der jeder Narr zu schwatzen weiß -
Meister !
ich wünschte nicht , daß Ihr auf die Seite des hungrigen Opponenten trätet - es würde mir unangenehm sein . -
Und sagt selbst , könnte Euch wohl eine einzige vernünftige Ursache dazu treiben ? - habe ich jemals Hang gezeigt zu trister Sekundanernarrheit ? -
Ja , habe ich , zu reifen Jahren gekommen , mich nicht stets nüchtern zu erhalten gewußt , habe ich etwa jemals gewünscht , ein Handschuh zu sein , bloß um Julias Wange zu küssen , wie Vetter Romeo ? -
Glaubt es nur , Meister , die Leute mögen auch sagen , was sie wollen , im Kopf trage ich nichts als Noten und im Gemüt und Herzen die Klänge dazu , denn , alle Teufel !
wie sollt ich sonst imstande sein , solche manierliche , bündige Kirchenstücke zu setzen , als die Vesper es ist , die da eben vollendet auf dem Pulte liegt . -
Doch - schon wieder war es um die Historie geschehen - ich erzähle weiter .
Aus der Ferne vernahm ich den Gesang einer kräftigen Männerstimme , der sich immer mehr und mehr näherte .
Bald gewahrte ich denn auch einen Benediktiner-Geistlichen , der , auf dem Fußsteig unterwärts fortwandelnd , einen lateinischen Hymnus sang .
Nicht weit von meinem Platze stand er still , hielt inne mit dem Singen und schaute , indem er den breiten Reisehut vom Kopfe nahm und sich mit einem Tuch den Schweiß von der Stirn trocknete , in der Gegend umher , dann verschwand er ins Gebüsch .
Mir kam die Lust an , mich zu ihm zu gesellen , der Mann war mehr als wohlgenährt , die Sonne brannte stärker und stärker , und so konnte ich wohl denken , daß er ein Ruheplätzchen gesucht haben würde im Schatten .
Ich hatte mich nicht geirrt , denn in das Gebüsch tretend , erblickte ich den ehrwürdigen Herrn , der sich auf einen dick bemoosten Stein niedergelassen hatte .
Ein höheres Felsstück dicht daneben diente ihm zum Tisch ; er hatte ein weißes Tuch darüber ausgebreitet und holte eben aus dem Reisesack Brot und gebratenes Geflügel hervor , das er mit vielem Appetit zu bearbeiten begann :
» Sed praeter omnia bibendum quid « , so rief er sich selbst zu und schenkte aus einer Korbflasche Wein ein in einen kleinen silbernen Becher , den er aus der Tasche hervorgezogen .
Eben wollte er trinken , als ich mit einem » Gelobt sei Jesus Christ ! « zu ihm hintrat .
Mit dem Becher an den Lippen schaute er auf , und ich erkannte im Augenblick meinen alten gemütlichen Freund aus der Benediktiner-Abtei zu Kanzheim , den ehrlichen Pater und Präfektus Chori Hilarius .
» In Ewigkeit ! « stammelte Pater Hilarius , indem er mich mit weit aufgerissenen Augen starr anblickte .
Ich dachte sogleich an meinen Kopfputz , der mir vielleicht ein fremdes Ansehen geben mochte , und begann : » O mein sehr geliebter würdiger Freund Hilarius , haltet mich nicht für einen verlaufenen vagabundierenden Hindus , auch nicht für ein auf den Kopf gefallenes Landeskind , da ich doch nun einmal nichts anderes bin und sein will , als Euer Intimus , der Kapellmeister Johannes Kreisler ! «
- » Beim heiligen Benedikt , « rief Pater Hilarius freudig , » ich hatte Euch gleich erkannt , herrlicher Kompositor und angenehmer Freund , aber per diem sagt mir , wo kommt Ihr her , was ist Euch geschehen , Euch , den ich mir in floribus dachte am Hofe des Großherzogs ? «
Ich nahm gar keinen Anstand , dem Pater kürzlich alles zu erzählen , was sich mit mir begeben , und wie ich genötigt gewesen , dem , dem es beliebt , nach mir , wie nach einem aufgestellten Ziel , Probeschüsse zu tun , meinen Stockdegen in den Leib zu stoßen , und wie besagter Zielschießer wahrscheinlich ein italienischer Prinz gewesen , der Hektor geheißen , wie mancher würdige Pirschhund .
- » Was nun beginnen , zurückkehren nach Sieghartsweiler oder - ratet mir , Pater Hilarius ! «
So schloß ich meine Erzählung . -
Pater Hilarius , der manches »- Hm !
- so ! - ei ! - heiliger Benedikt « - dazwischen geworfen , sah jetzt vor sich nieder , murmelte :
» Bibamus ! « und leerte den silbernen Becher auf einen Zug .
Dann rief er lachend :
» In der Tat , Kapellmeister , der beste Rat , den ich Euch fürs erste erteilen kann , ist , daß Ihr Euch fein zu mir hersetzt und mit mir frühstückt .
Ich kann Euch diese Feldhühner empfehlen , erst gestern schoß sie unser ehrwürdiger Bruder Macarius , der , wie Ihr Euch wohl erinnert , alles trifft , nur nicht die Noten in den Responsorien , und wenn Ihr den Kräuteressig vorschmeckt , mit dem sie angefeuchtet , so verdankt Ihr das der Sorgfalt des Bruders Eusebius , der sie selbst gebraten mir zu Liebe .
Was aber den Wein betrifft , so ist er wert , die Zunge eines landflüchtigen Kapellmeisters zu netzen .
Echter Bocksbeutel , carrissime Johannes , echter Bocksbeutel aus dem St. Johannis-Hospital zu Würzburg , den wir , unwürdige Diener des Herrn , erhalten in bester Qualität .
- Ergo bibamus ! «
Damit schenkte er den Becher voll und reichte ihn mir hin . -
Ich ließ mich nicht nötigen , ich trank und aß wie einer , der solcher Stärkung bedarf .
Pater Hilarius hatte den anmutigsten Platz gewählt , um sein Frühstück einzunehmen .
Ein dichtes Birkengebüsch beschattete den blumigen Rasen des Bodens , und der kristallhelle Waldbach , der über hervorragendes Gestein plätscherte , vermehrte noch die erfrischende Kühle .
Die einsiedlerische Heimlichkeit des Orts erfüllte mich mit Wohlbehagen und Ruhe , und während Pater Hilarius mir von allem erzählte , was sich seit der Zeit in der Abtei begeben , wobei er nicht vergaß , seine gewöhnlichen Schwänke und sein hübsches Küchenlatein einzumischen , horchte ich auf die Stimmen des Waldes , der Gewässer , die zu mir sprachen in tröstenden Melodien .
Pater Hilarius mochte mein Schweigen der bitteren Sorge zuschreiben , die mir das Geschehene verursachte .
» Seid « , begann er , indem er mir den aufs neue gefüllten Becher hinreichte , » seid guten Muts , Kapellmeister !
Ihr habt Blut vergossen , das ist wahr , und Blut vergießen ist Sünde , doch distinguendum est inter et inter - Jedem ist sein Leben das liebste , er hat es nur einmal .
Ihr habt das Eurige verteidigt , und das verbietet die Kirche keineswegs , wie sattsam zu erweisen , und weder unser hochwürdiger Herr Abt , noch irgendein anderer Diener des Herrn wird Euch die Absolution versagen , seid Ihr auch unversehens in fürstliche Eingeweide gefahren .
- Ergo bibamus ! -
Vir sapiens non te abhorrebit , Domine ! -
Aber , teuerster Kreisler , kehrt Ihr zurück nach Sieghartsweiler , so wird man Euch garstig befragen über das cur , quomodo , quando , ubi , und wollt Ihr den Prinzen des mörderischen Angriffs zeihen , wird man Euch glauben ?
Ibi jacet lepus in pipere ! -
Aber seht , Kapellmeister , wie - doch , bibendum quid - «
Er leerte den vollgeschenkten Becher und fuhr dann fort : » Ja , seht , Kapellmeister , wie der gute Rat kommt mit dem Bocksbeutel .
- Erfahrt , daß ich mich eben zum Kloster Allerheiligen begeben wollte , um mir von dem dortigen Präfektus Chori Musik zu holen zu den nächsten Festen .
Ich habe die Kasten schon zwei- , dreimal umgekehrt , es ist alles alt und verbraucht , und was die Musik betrifft , die Ihr uns komponiert habt während Eures Aufenthalts in der Abtei , ja , die ist gar schön und neu , aber - nehmt mir es nicht übel , Kapellmeister , so auf kuriose Weise gesetzt , daß man keinen Blick wenden darf von der Partitur .
Will man nur ein bißchen durchs Gitter schielen nach dieser , jener hübschen Dirne unten im Schiff , gleich hat man einen Halt verfehlt oder sonst was und schlägt einen falschen Takt und schmeißt das Ganze um - Pump , da liegt_es , und Di - di - Diedel diedel greift Bruder Jakob in die Orgeltasten ! - ad patibulum cum illis - Ich durfte also - doch bibamus ! «
- Nachdem wir beide getrunken , floß der Strom der Rede also weiter :
» Desunt , die nicht da sind , und die nicht da sind , können nicht gefragt werden , ich dächte daher , Ihr wandertet sogleich mit mir zurück nach der Abtei , die , schlägt man Richtwege ein , kaum zwei Stunden von hier entfernt ist .
In der Abtei seid Ihr gesichert gegen alle Nachstellungen , contra hostium insidias , ich bringe Euch hin als lebendige Musik , und Ihr bleibt da , solange es Euch gefällt , oder solange Ihr es geraten findet .
Der hochwürdige Herr Abt versorgt Euch mit allem Nötigen .
Ihr kleidet Euch in die feinste Wäsche und zieht das Benediktiner-Gewand darüber , das Euch sehr wohl stehen wird .
Aber damit Ihr nicht unterwegs ausseht , wie der Wundgeschlagene auf dem Bilde vom mitleidigen Samariter , so setzt meinen Reisehut auf , ich werde mir den Kapuschon über die Glatze ziehen . -
Bibendum quid , Liebster ! «
Damit leerte er den Becher noch einmal , schwenkte ihn aus im nahen Waldbach , packte alles schnell in seinen Reisesack , drückte mir seinen Hut auf die Stirn und rief ganz fröhlich :
» Kapellmeister , wir dürfen nur ganz langsam und bequem einen Fuß vor den anderen setzen und kommen doch gerade an , wenn sie läuten ad conventum , conventuales , d.h. wenn der hochwürdige Abt sich zu Tische setzt . «
Ihr dürft wohl denken lieber Meister , daß ich gegen den Vorschlag des fröhlichen Paters Hilarius nicht das mindeste einzuwenden hatte , daß es mir vielmehr gar willkommen sein mußte , mich an einen Ort zu begeben , der mir in so mancher Hinsicht ein wohltätiges Asyl werden konnte .
Wir schritten gemächlich fort unter allerlei Gesprächen und langten so , wie Pater Hilarius es gewollt , in der Abtei an , als man gerade die Tischglocke läutete .
Um vor der Hand allen Fragen zuvorzukommen , sagte Pater Hilarius dem Abt , daß , da er zufällig erfahren , wie ich mich in Sieghartsweiler aufhalte , er es vorgezogen , statt der Musik aus dem Kloster Allerheiligen , lieber den Komponisten zu holen , der ja ein ganzes unerschöpfliches Magazin von Musik in sich trage .
Der Abt Chrysostomus ( mich dünkt , ich hätte Euch schon viel von ihm erzählt ) empfing mich mit jener gemütlichen Freude , die nur wahrhaft guter Gesinnung eigen , und lobte den Entschluß des Paters Hilarius ! -
Seht mich nun , Meister Abraham , wie ich , umgeschaffen zum passablen Benediktinermönch , in einem hohen geräumigen Zimmer des Hauptgebäudes der Abtei sitze und emsig Vespern und Hymnen ausarbeite , ja , wie ich schon mitunter Gedanken notiere zu einem feierlichen Hochamt , wie sich die singenden und spielenden Brüder , die Chorknaben versammeln , wie ich emsig Proben halte , wie ich hinter dem Gitter des Chors dirigiere !
In der Tat , so vergraben fühle ich mich in diese Einsamkeit , daß ich mich mit Tartini vergleichen möchte , der , die Rache des Kardinals Cornaro fürchtend , in das Minoritenkloster zu Assisi floh , wo ihn endlich nach Jahren ein Paduaner entdeckte , der sich in der Kirche befand und den verlorenen Freund auf dem Chore erblickte , als ein Windstoß den Vorhang , der das Orchester verhüllte , einige Augenblicke aufhob . -
Es hätte Euch selbst , Meister , so mit mir gehen können wie jenem Paduaner , aber ich mußte Euch ja doch sagen , wo ich geblieben , Ihr könntet sonst Wunder gedacht haben , was aus mir geworden .
- Hat man vielleicht meinen Hut gefunden und sich gewundert , daß ihm der Kopf abhanden gekommen ? -
Meister ! eine besondere wohltätige Ruhe ist in mein Inneres gekommen ; sollte ich vielleicht hier am Ankerplatz gelandet sein ?
Als ich neulich an dem kleinen See , der in der Mitte des weitläufigen Gartens der Abtei liegt , wandelte und mein Bild , neben mir wandelnd , im See erblickte , da sprach ich :
» Der Mensch , der da unten neben mir hergeht , das ist ein ruhiger besonnener Mensch , der , nicht mehr wild umherschwirrend in vagen unbegrenzten Räumen , die gefundene Bahn festhält , und es ist ein Glück für mich , daß der Mensch kein anderer ist als ich selbst . «
- Aus einem anderen See schaute mich einst ein fataler Doppeltgänger an - Doch still - still von dem allen . - Meister , nennt mir keinen Namen - erzählt mir nichts - auch nicht einmal , wen ich gespießt - Aber von Euch selbst schreibt mir viel - Die Brüder kommen zur Probe , ich schließe mein historisches Kapitel und zugleich meinen Brief .
Lebt wohl , mein guter Meister , und gedenkt meiner ! etc. etc. etc. etc. " - In den fernen , wild verwachsenen Gängen des Parks einsam wandelnd , bedachte Meister Abraham das Schicksal des geliebten Freundes , und wie er ihn , kaum wieder gewonnen , aufs neue verloren .
Er sah den Knaben Johannes , sich selbst in Göniönesmühl vor dem Flügel des alten Onkels , der Kleine hämmerte mit stolzem Blick Sebastian Bachs schwerste Sonaten herunter mit beinahe männlicher Faust , er steckte ihm dafür eine Tüte Zuckerwerk heimlich in die Tasche - Es war ihm , als sei dies erst wenige Tage her , und er mußte sich verwundern , daß der Knabe eben kein anderer als der Kreisler , der in ein wunderliches launenhaftes Spiel geheimnisvoller Verhältnisse verflochten schien .
- Aber mit dem Gedanken an jene vergangene Zeit , an die verhängnisvolle Gegenwart stieg das Bild seines eigenen Lebens vor ihm auf .
Sein Vater , ein strenger eigensinniger Mann , hatte ihn beinahe mit Zwang zu der Kunst des Orgelbaues angehalten , die er selbst trieb wie ein gewöhnliches rohes Handwerk .
Er litt nicht , daß irgendein anderer als der Orgelbauer selbst Hand anlege an das Werk , und so mußten die Lehrlinge geübte Tischler , Zinngießer u. s. werden , ehe sie zu der inneren Mechanik gelangten .
- Genauigkeit , Dauerhaftigkeit , gute Spielart des Werks galt dem Alten für alles ; für die Seele , für den Ton hatte er keinen Sinn , und merkwürdig genug sprach sich dies aus in den Orgeln , die er baute , und denen man mit Recht einen harten spitzen Klang vorwarf .
Nächstdem war der Alte den kindischen Künsteleien verjährter Zeit ganz und gar ergeben .
So hatte er an einer Orgel die Könige David und Salomo angebracht , die während des Spiels wie vor Verwunderung die Köpfe drehten ; so fehlte es keinem seiner Werke an paukenden , posaunenden , taktierenden Engeln , mit den Flügeln schlagenden krähenden Hähnen u. s.w. Abraham konnte oft verdienten oder nicht verdienten Schlägen nicht anders entgehen und dem Alten eine Äußerung väterlicher Freude entlocken , als wenn er vermöge eigener Erfindungsgabe irgendeine neue Künstelei , etwa ein schärfer tönendes Kikeriki herausgebracht für den nächsten Orgelhahn .
Mit angstvoller Sehnsucht hatte Abraham die Zeit herbeigewünscht , in der er dem Handwerksgebrauch gemäß auf die Wanderschaft gehen sollte .
Endlich kam diese Zeit heran , und Abraham verließ das väterliche Haus , um nie wieder zurückzukehren .
Auf dieser Wanderung , die er in Gemeinschaft mit anderen Gesellen , meistens wüssten , rohen Burschen , unternahm , sprach er einst ein in der Abtei St. Blasius , die im Schwarzwalde belegen , und hörte dort das berühmte Orgelwerk des alten Johann Andreas Silbermann .
In den vollen herrlichen Tönen dieses Werks ging zum erstenmal der Zauber des Wohllauts auf in seinem Inneren , er fühlte sich in eine andere Welt versetzt , und von dem Augenblick an war er ganz Liebe für eine Kunst , die er sonst mit Widerwillen treiben müssen . -
Nun kam ihm aber auch sein ganzes Leben in der Umgebung , wie er es bis jetzt geführt hatte , so nichtswürdig vor , daß er alle Kraft aufbot , sich herauszureißen aus dem Schlamm , in den er sich versunken glaubte .
- Sein natürlicher Verstand , seine Fassungsgabe ließen ihn in der wissenschaftlichen Bildung Riesenschritte machen , und doch - fühlte er oft die Bleigewichte , die die frühere Erziehung , das Forttreiben in der Gemeinheit ihm angehängt .
- Chiara , die Verbindung mit diesem seltsamen geheimnisvollen Wesen , das war der zweite Lichtpunkt in seinem Leben , und so bildete beides , jenes Erwachen des Wohllauts und Chiaras Liebe , einen Dualismus seines poetischen Seins , der wohltätig hineinwirkte in seine rohe , aber kräftige Natur . -
Kaum den Herbergen , kaum den Schenken , wo im dicken Tabaksqualm Zotenlieder ertönten , entronnen , brachte der Zufall oder vielmehr die Geschicklichkeit in mechanischen Künsteleien , denen er den Anstrich des Geheimnisses zu geben wußte ( wie der geneigte Leser schon erfahren ) , den jungen Abraham in Umgebungen , die ihm eine neue Welt sein mußten , und in denen er , ewig Fremdling bleibend , sich nur dadurch aufrecht erhielt , daß er den festen Ton behauptete , den seine innere Natur ihm angegeben .
Dieser feste Ton wurde mit der Zeit immer fester , und da er keineswegs der eines simplen Grobians , sondern auf klaren gesunden Menschenverstand , richtige Lebensansicht und daraus sich erzeugenden treffenden Spott basiert war , so könnte es nicht fehlen , daß da , wo der Jüngling sich nur aufrecht erhalten und toleriert worden , der Mann als ein zu fürchtendes Prinzip großen Respekt einflößte .
Es ist nichts leichter als gewissen vornehmen Leuten zu imponieren , die immer noch weiter unter dem stehen , wofür man sie etwa halten mochte .
Daran dachte nun Meister Abraham eben in dem Augenblick , als er von seinem Spaziergange wieder an das Fischerhäuschen gekommen , und schlug eine laute herzliche Lache auf , die Luft machte seiner gepreßten Brust .
Zur innigsten Wehmut , die ihm sonst wohl gar nicht eigen , hatte den Meister nämlich das lebhafte Andenken an den Moment in der Kirche der Abtei St. Blasius und an die verlorene Chiara gestimmt .
" Warum , " sprach er zu sich selbst , " warum blutet eben die Wunde jetzt so häufig , die ich längst verharscht glaubte , warum hänge ich jetzt leeren Träumereien nach , da es mir scheint , als müsse ich tätig eingreifen in das Maschinenwerk , das ein böser Geist falsch zu treiben scheint ! "
- Der Meister fühlte sich beängstigt durch den Gedanken , daß er , selbst wußte er nicht wodurch , in seinem eigentümlichsten Tun und Treiben sich gefährdet sah , bis , wie gesagt , er im Ideengange auf die vornehmen Leute kam , über die er lachte und augenblicklich merkliche Linderung verspürte .
Er trat ins Fischerhäuschen , um nun Kreislers Brief zu lesen . -
In dem fürstlichen Schlosse hatte sich Merkwürdiges begeben .
Der Leibarzt sprach :
" Wunderbar ! -
es geht über alle Praxis , über alle Erfahrung hinaus ! "
- Die Fürstin :
" So mußte es kommen , und die Prinzessin ist nicht kompromittiert ! "
Der Fürst : " Hätte ' ich es nicht ausdrücklich verboten , aber die Crapule der dienenden Esel hat keine Ohren - Nun - der Oberforstmeister soll dafür sorgen , daß der Prinz kein Pulver mehr in die Hände bekommt ! "
Die Rätin Benzon : " Dank dem Himmel , sie ist gerettet ! "
- Währenddessen schaute Prinzessin Hedwiga zum Fenster ihres Schlafgemachs heraus , indem sie dann und wann abgebrochene Akkorde anschlug auf derselben Gitarre , die Kreisler im Unmut von sich warf und aus Julias Händen , wie er meinte , geheiligt zurückempfing .
Auf dem Sofa saß Prinz Ignatius und weinte und klagte :
" Es tut weh , es tut weh , " vor ihm aber Julia , die emsig beschäftigt war , in eine kleine silberne Schüssel hinein - rohe Kartoffeln zu schaben .
Alles dieses bezog sich auf ein Ereignis , das der Leibarzt mit vollem Recht wunderbar nannte und über alle Praxis erhaben .
Prinz Ignatius hatte sich , wie der geneigte Leser schon mehrmals erfahren , den unschuldig tändelnden Sinn , die glückliche Unbefangenheit des sechsjährigen Knaben erhalten und spielte daher gern wie dieser .
Unter anderem Spielzeuge besaß er auch eine kleine , aus Metall gegossene Kanone , die ihm zu seinem Lieblingsspiel diente , an dem er sich jedoch höchst selten ergötzen konnte , da manche Dinge dazu gehörten , die nicht gleich zur Hand waren , nämlich einige Körner Pulver , ein tüchtiges Schrotkorn und ein kleiner Vogel .
Hatte er das alles , so ließ er seine Truppen aufmarschieren , hielt Kriegsgericht über den kleinen Vogel , der eine Rebellion angezettelt in des fürstlichen Papas verlorenem Lande , lud die Kanone und schoß den Vogel , den er mit einem schwarzen Herzen auf der Brust an einen Leuchter gebunden , tot , zuweilen aber auch nicht , so daß er mit dem Federmesser nachhelfen mußte , um die gerechte Strafe an dem Hochverräter zu vollstrecken .
Fritz , des Gärtners zehnjähriger Knabe , hatte dem Prinzen einen gar hübschen bunten Hänfling verschafft und dafür , wie gewöhnlich , eine Krone erhalten .
Sogleich war dann aber der Prinz in die Jägerstube geschlichen , gerade wenn die Jäger abwesend , hatte richtig Schrotbeutel und Pulverhorn gefunden und sich daraus mit der nötigen Munition versehen .
Schon wollte er mit der Exekution beginnen , die Beschleunigung zu fordern schien , da der bunte zwitschernde Rebell alle nur möglichen Mittel versuchte zu entwischen , als es ihm einfiel , daß er der Prinzessin Hedwiga , die jetzt so artig geworden , durchaus nicht die Lust versagen dürfe , bei der Hinrichtung des kleinen Hochverräters gegenwärtig zu sein .
Er nahm also den Kasten , worin seine Armee befindlich , unter den einen , die Kanone unter den anderen Arm , den Vogel aber in die hohle Hand und schlich , da es ihm von dem Fürsten untersagt worden , die Prinzessin zu sehen , leise , leise nach Hedwigas Schlafgemach , wo er sie in dem fortdauernden kataleptischen Zustande auf dem Ruhebette angekleidet liegen fand .
Schlimm und , wie man sehen wird , zugleich gut war es , daß die Kammerfrau die Prinzessin eben verlassen .
Ohne weiteres band nun der Prinz den Vogel an einen Leuchter , ließ die Armee in Reihe und Glied treten und lud die Kanone , dann hob er die Prinzessin vom Ruhebette , ließ sie an den Tisch treten und erklärte , daß sie jetzt den kommandierenden General vorstelle , er seinerseits bleibe der regierende Fürst und brenne nebenher die Artillerie ab , welche den Rebellen töte . - Überfluß an Munition hatte den Prinzen verführt und er nicht allein das Geschütz überladen , sondern auch Pulver rund umher auf den Tisch verstreut .
Sowie er das Stück abprotzte , gab es nicht allein einen ungewöhnlichen Knall , sondern das umhergestreute Pulver flog auch auf und verbrannte ihm tüchtig die Hand , so daß er laut aufschrie und gar nicht einmal bemerkte , daß die Prinzessin in dem Augenblick der Explosion hart zu Boden gestürzt war .
Der Schuß hallte durch die Korridors , alles stürzte , Unglück ahnend , herbei , und selbst Fürst und Fürstin drängten sich , alle Etikette im jähen Schreck vergessend , mit der Dienerschaft durch die Türe hinein .
Die Kammerfrauen hoben die Prinzessin von dem Boden und legten sie auf das Ruhebett , während man nach dem Leibarzt , nach dem Chirurg rief .
Der Fürst ersah aus den Anstalten auf dem Tische sehr bald , was geschehen , und sprach zum Prinzen , der entsetzlich schrie und lamentierte , mit zornfunkelnden Augen : " Sieht Er , Ignaz !
das kommt von Seinen dummen kindischen Faxen .
Lass
Er sich Brandsalbe auflegen und heul Er nicht , wie ein Straßenjunge ! -
Mit einem Birkenreis - sollt - Hint - "
Die bebenden Lippen ließen keine Deutlichkeit der Sprache zu , der Fürst wurde unverständlich und verließ gravitätisch das Zimmer .
Tiefes Entsetzen hatte die Dienerschaft erfaßt , denn erst zum drittenmal redete der Fürst den Prinzen an mit Er und Ignaz , und jedesmal bewies er den wildesten , schwer zu sühnenden Zorn .
Als der Leibarzt erklärte , die Krisis sei eingetreten , und er hoffe , daß der bedrohliche Zustand der Prinzessin nun bald vorüber und sie völlig genesen werde , sprach die Fürstin mit weniger Teilnahme , als man wohl denken sollte :
" Dieu soit laue , man gebe mir weitere Nachricht . "
Den weinenden Prinzen schloß sie aber zärtlich in ihre Arme , tröstete ihn mit süßen Worten und folgte dann dem Fürsten .
Indessen war die Benzon , die im Sinn gehabt , mit Julien die unglückliche Hedwiga zu sehen , im Schlosse angekommen .
Kaum hörte sie , was geschehen , als sie hinaufeilte nach dem Zimmer der Prinzessin , zuflog auf das Ruhebette , niederkniete , Hedwigas Hand faßte und ihr starr in die Augen blickte , während Julia heiße Tränen vergoß , wähnend , daß wohl der Todesschlaf über die Herzensfreundin kommen werde .
Da holte Hedwiga tief Atem und sprach mit dumpfer , kaum vernehmlicher Stimme :
" Ist er tot ? "
- Sogleich hielt Prinz Ignatius ein mit Weinen trotz seines Schmerzes und erwiderte in voller Freude über die gelungene Exekution lachend und kichernd : " Ja ja - Prinzessin Schwester , ganz tot , gerade durch das Herz geschossen . "
- " Ja , " sprach die Prinzessin weiter , indem sie die Augen , die sie aufgeschlagen , wieder sinken ließ , " ja , ich weiß es .
Ich sah den Blutstropfen der aus dem Herzen quoll , aber er fiel in meine Brust , und ich erstarrte zu Kristall , und er nur lebte in dem Leichnam ! "
- " Hedwiga , " begann die Rätin leise und zärtlich , " Hedwiga , erwachen Sie aus bösen unglücklichen Träumen , Hedwiga , erkennen Sie mich ? "
Die Prinzessin winkte sanft mit der Hand , als wolle sie verlassen sein .
" Hedwiga , " fuhr die Benzon fort , " Julia ist hier . "
Ein Lächeln schimmerte auf Hedwigas Wangen .
Julia beugte sich über sie hin , drückte einen leisen Kuß auf die erblaßten Lippen der Freundin .
Da lispelte Hedwiga kaum hörbar :
" Es ist nun alles vorüber , in wenigen Minuten bin ich ganz erkräftigt , ich fühle es . "
- Niemand hatte sich bis jetzt um den kleinen Hochverräter bekümmert , der mit zerfleischter Brust auf dem Tisch lag .
Nun fiel er Julien ins Auge , und erst in dem Augenblick wurde sie auch inne , daß Prinz Ignatius wieder das abscheuliche , ihr verhaßte Spiel gespielt .
" Prinz , " sprach sie , indem ihre Wangen sich hoch röteten , " Prinz , was hat Ihnen der arme Vogel getan , daß Sie ihn ohne Erbarmen töten hier im Zimmer ? -
Das ist ein rechtes einfältiges grausames Spiel - Sie haben mir längst versprochen , es zu lassen , und doch nicht Wort gehalten - Aber !
tun Sie es noch einmal , niemals ordne ich mehr Ihre Tassen oder Lehre Ihre Püppchen reden oder erzähle Ihnen die Geschichte vom Wasserkönig ! "
- " Nicht böse sein , " wimmerte der Prinz , " nicht böse sein , Fräulein Julia !
Aber es war ein bunter Erzschelm .
Er hatte allen Soldaten heimlich die Rockschöße abgeschnitten und überdem eine Rebellion angezettelt .
Aber es tut weh - es tut weh ! "
- Die Benzon blickte den Prinzen , dann Julien an mit seltsamem Lächeln , dann rief sie :
" Was das für ein Wehklagen ist über ein paar verbrannte Finger ! -
Aber es ist wahr , der Chirurg wird ewig mit seiner Brandsalbe nicht fertig .
Doch hilft ein gemeines Hausmittel auch wohl ungemeinen Leuten .
Man schaffe rohe Kartoffeln herbei ! "
Sie schritt nach der Türe , aber wie plötzlich von irgendeinem Gedanken erfaßt , blieb sie stehen , kehrte um , schloß Julien in die Arme , küßte sie auf die Stirn und sprach :
" Du bist mein gutes liebes Kind und wirst immer das ganz sein , was du sein sollst ! -
Hüte dich nur vor überspannten wahnsinnigen Toren und verschließe dein Gemüt dem bösen Zauber ihrer verlockenden Reden ! " -
Damit warf sie noch einen forschenden Blick auf die Prinzessin , die sanft und süß zu schlummern schien , und verließ das Zimmer .
Der Chirurg trat hinein mit einem ungeheuren Pflaster in den Händen , unter vielen Beteuerungen versichernd , daß er schon seit geraumer Zeit gewartet in den Zimmern des gnädigsten Prinzen , da er nicht vermuten können , daß er in dem Schlafgemach der gnädigsten Prinzessin - Er wollte mit dem Pflaster los auf den Prinzen , die Kammerfrau , die ein paar stattliche Kartoffeln auf einer silbernen Schüssel herbeigebracht , vertrat ihm aber den Weg und versicherte , daß für Verletzungen durch Brand geschabte Kartoffeln das allerbeste Mittel wären .
" Und ich , " fiel Julia der Kammerfrau ins Wort , indem sie ihr die silberne Schüssel abnahm , " und ich selbst will für Sie , mein Prinzchen , das Pflaster gar fein bereiten . "
" Gnädigster Herr , " sprach der Chirurg erschrocken , " bedenken Sie ! -
ein Hausmittel für verbrannte Finger eines hohen fürstlichen Herrn ! -
Die Kunst - die Kunst soll - muß hier allein helfen ! "
Er wollte von neuem auf den Prinzen los , der prallte aber zurück und rief : " Weg da , weg da !
Fräulein Julia soll mir das Pflaster bereiten , die Kunst soll sich zum Zimmer hinausscheren ! "
Die Kunst empfahl sich samt ihrem wohlpräparierten Pflaster , indem sie giftige Blicke auf die Kammerfrau warf .
Stärker und stärker hörte Julia die Prinzessin atmen , doch wie erstaunte sie , als - ( M. f. f. ) - einschlafen . Hin und her wälzte ich mich auf meinem Lager ; ich versuchte alle nur mögliche Stellungen .
Bald streckte ich mich lang aus , bald wickelte ich mich rund zusammen , ließ den Kopf auf den weichen Pfoten ruhen und ringelte den Schweife zierlich um mich herum , so daß er die Augen bedeckte , bald warf ich mich auf die Seite , ließ die Pfoten wegstarren vom Leibe , den Schweife in lebloser Gleichgültigkeit hinabhängen vom Lager .
Alles - alles vergebens !
- Wirrer und wirrer wurden Vorstellungen , Gedanken , bis ich endlich in jenes Delirium fiel , das kein Schlaf , sondern ein Kampf zwischen Schlafen und Wachen zu nennen , wie Moritz , Davidson , Nudow , Tiedemann , Wienholt , Reil , Schubert , Kluge und andere physiologische Schriftsteller , die über Schlaf und Traum geschrieben und die ich nicht gelesen , mit Recht behaupten .
Die helle Sonne schien in des Meisters Zimmer hinein , als ich aus diesem Delirium , aus diesem Kampf zwischen Schlafen und Wachen , wirklich zum klaren Bewußtsein erwachte .
Aber welch ein Bewußtsein , welch ein Erwachen ! -
O Katerjüngling , der du dieses liest , spitze die Ohren und lies aufmerksam , daß dir die Moral nicht entwische ! -
Nimm dir zu Herzen , was ich über einen Zustand sage , dessen unnennbare Trostlosigkeit ich dir nur mit schwachen Farben schildern kann . -
Nimm dir diesen Zustand , wiederhole ich , zu Herzen und dich selbst möglich in acht , wenn du zum erstenmal in einer Katsburschengesellschaft Katspunsch genießest .
Nippe mäßig und berufe dich , will man das nicht leiden , auf mich und meine Erfahrung , der Kater Murr sei deine Autorität , die jeder , hoffe ich , anerkennen und gelten lassen wird .
Nun also ! -
Was zuvörderst mein physisches Befinden betrifft , so fühlte ich mich nicht allein matt und elend , sondern was mir ganz besondere Qualen schuf , war ein gewisser kecker abnormer Anspruch des Magens , der eben seiner Abnormität halber nicht durchzusetzen war und nur einen unnützen Rumor im Inneren verursachte , an dem sogar die affizierten Ganglien teilnahmen , die in ewigem physischem Wollen und Nichtvermögen krankhaft zitterten und bebten .
- Es war ein heilloser Zustand ! -
Aber beinahe noch empfindlicher war die psychische Affektion .
Mit der bitteren Reue und Zerknirschung eines Gestern halber , das ich doch eigentlich gar nicht für tadelnswert achten konnte , kam eine trostlose Gleichgültigkeit in meine Seele gegen alles irdische Wohl ! -
Ich verachtete alle Güter der Erde , alle Gaben der Natur , Weisheit , Verstand , Witz u. s.w .
Die größten Philosophen , die geistreichsten Dichter galten mir nicht höher als Lumpenpuppen , sogenannte Hansemänner , und was das ärgste war , auf mich selbst dehnte sich jene Verachtung aus , und ich glaubte zu erkennen , daß ich nichts sei als ein ganz gewöhnlicher miserabler Mausekatz ! - Niederschlagenderes gibt es nicht !
Der Gedanke , daß ich in dem größten Jammer befangen , daß die ganze irdische Erde überhaupt ein Jammertal sei , vernichtete mich in namenlosen Schmerz .
- Ich kniff die Augen zu und weinte sehr !
- " Du hast geschwärmt , Murr , und nun ist dir miserabel zumute ? -
Ja , ja , so geht_es ! -
Nun schlafe nur aus , alter Junge , dann wird_es besser werden ! "
- So rief der Meister mir zu , als ich das Frühstück stehen ließ und einige Schmerzenstöne von mir gab .
Der Meister ! - o Gott , er wußte nicht , er kannte nicht meine Leiden ! - er ahnte nicht , wie Burschentum und Katspunsch wirkt auf ein zartfühlendes Gemüt ! -
Es mochte Mittag sein , noch hatte ich mich nicht vom Lager gerührt , als plötzlich , der Himmel weiß , wie er sich hineinzuschleichen gewußt , Bruder Muzius vor mir stand . -
Ich klagte ihm meinen unseligen Zustand , statt aber , wie ich gehofft , mich zu bedauern , mich zu trösten , schlug er eine unmäßige Lache auf und rief : " Hoho , Bruder Murr , es ist weiter nichts als die Krisis , der Übergang von unwürdiger philistriger Knabenschaft zum würdigen Burschentum , die dich glauben läßt , daß du krank bist und elend .
Du bist das edle Kommerschieren noch nicht gewohnt ! -
Aber tu mir den Gefallen und halte das Maul und klage nicht etwa dem Meister dein Leiden .
Unser Geschlecht ist überdem schon verrufen genug dieser Scheinkrankheit halber , und der schmähsüchtige Mensch hat ihr einen Namen gegeben , der sich auf uns bezieht , und den ich nicht wiederholen mag .
Aber raffe dich auf , nimm dich zusammen , komme mit mir , die frische Luft wird dir wohl tun , und dann mußt du vor allen Dingen Haare auflegen .
Komme nur , du wirst schon praktisch erfahren , was das heißt . "
Bruder Muzius übte seit der Zeit , als er mich dem Philistertum entrissen , eine unbedingte Herrschaft über mich aus ; ich mußte tun , was er wollte .
Mühsam stand ich daher auf von meinem Lager , dehnte mich , so gut es bei den erschlafften Gliedern gehen wollte , und folgte dem treuen Bruder aufs Dach .
Wir spazierten einigemal auf und nieder , und in der Tat , mir wurde etwas wohler , frischer zumute .
Dann führte mich Bruder Muzius hinter den Schornstein , und hier mußte ich , wollte ich mich auch dagegen sträuben , zwei , drei Schnäpschen reine Heringslake nehmen .
Dies waren die Haare , die ich , nach Muzius ' Ausdruck , auflegen sollte . -
O , wunderbarer als wunderbar war die drastische Wirkung dieses Mittels !
Was soll ich sagen ? -
Des Magens abnorme Ansprüche schwiegen , der Rumor war gestillt , das Gangliensystem beruhigt , das Leben wieder schön , ich schätzte das irdische Wohl , die Wissenschaft , die Weisheit , den Verstand , den Witz u.s . , ich war mir selbst wiedergegeben , ich war wieder der herrliche , höchst exzellente Kater Murr ! -
O Natur , Natur !
Kann es denn geschehen , daß ein paar Tropfen , die der leichtsinnige Kater genießt in unzähmbarer freier Willkür , Rebellion zu erwecken vermögen gegen dich , gegen das wohltätige Prinzip , das du mit mütterlicher Liebe in seine Brust gepflanzt hast , und nach dem er überzeugt sein muß , daß die Welt mit ihren Freuden , als da sind Bratfische , Hühnerknochen , Milchbrei etc. , die beste sei und er das Allerbeste in dieser Welt , da ihre Freuden nur für ihn und seinethalber geschaffen sind ? -
Aber - ein philosophischer Kater erkennt das , es ist tiefe Weisheit darin - jener trostlose ungeheure Jammer ist nur das Gegengewicht , das die zum Forttreiben in der Bedingung des Seins nötige Reaktion bewirkt , und so ist derselbe ( der Jammer nämlich ) in dem Gedanken des ewigen Weltalls begründet ! -
Legt Haare auf , Katerjünglinge ! und tröstet euch dann mit diesem philosophischen Erfahrungssatz eures gelehrten , scharfsinnigen Standesgenossen .
Es genügt zu sagen , daß ich nun manche Zeit hindurch ein frisches frohes Burschenleben führte auf den Dächern ringsumher , in Kompanie mit Muzius und anderen kreuzbraven , biderben fidelen Jungen , weißen , gelben und bunten .
Ich komme zu einer wichtigeren Begebenheit meines Lebens , die nicht ohne Folgen blieb .
Als ich nämlich einmal bei dem Anbruch der Nacht , im Schimmer des hellen Mondscheins , mit dem Bruder Muzius zu einer Kneiperei , die die Burschen angeordnet , gehen wollte , begegnete mir jener schwarz , grau , gelbe Verräter , der mir meine Miesmies geraubt .
Wohl konnte es sein , daß ich bei dem Anblick des verhaßten Nebenbuhlers , dem ich noch dazu schändlicherweise unterliegen müssen , etwas stutzte .
Er ging indessen hart an mir vorbei , ohne mich zu grüßen , und es wollte mich bedünken , als lächle er mich verhöhnend an , im Gefühl der Übermacht , die er über mich gewonnen .
Ich dachte an die verlorene Miesmies , an die erhaltenen Prügel , das Blut kochte mir in den Adern !
Muzius bemerkte meine Aufwallung , und da ich ihm mitteilte , was ich bemerkt zu haben glaubte , so sprach er :
" Du hast recht , Bruder Murr .
Der Kerl schnitt solch ein schiefes Gesicht und trat dabei so keck auf : am Ende wollte er dich wirklich tuschieren .
- Nun , das wollen wir bald erfahren .
Irre ich nicht , so hat der bunte Philister hier in der Nähe eine neue Liebschaft angesponnen , er schleicht alle Abende hier auf diesem Dache umher .
Warten wir ein wenig , vielleicht kommt der Monsieur bald zurück , und da kann sich ja wohl das übrige bald finden . "
In der Tat dauerte es nicht lange , so kam der Bunte wieder trotzig zurück und Maß schon von weitem mich mit verächtlichen Blicken .
Ich trat ihm herzhaft und keck entgegen , wir gingen so hart aneinander vorüber , daß unsere Schweife sich unsanft berührten .
Sogleich blieb ich stehen , drehte mich um und sprach mit fester Stimme :
" Mau ! " -
Er blieb ebenfalls stehen , drehte sich um und erwiderte trotzig :
" Mau ! " -
Dann ging ein jeder seinen Weg .
" Das war Tusch , " rief Muzius ganz zornig aus , " ich werde den bunten trotzigen Kerl morgen koramieren . "
Muzius begab sich den anderen Morgen zu ihm hin und fragte ihn in meinem Namen , ob er meinen Schweife berührt .
Er ließ mir erwidern , er hätte meinen Schweife berührt .
Darauf ich , habe er meinen Schweife berührt , so müsse ich das für Tusch nehmen .
Darauf er , ich könne es nehmen , wie ich wollte .
Darauf ich , ich nehme es für Tusch .
Darauf er , ich sei gar nicht imstande zu beurteilen , was Tusch sei .
Darauf ich , ich wisse das sehr gut und besser als er .
Darauf er , ich sei nicht der Mann dazu , daß er mich tuschieren solle .
Darauf ich nochmals , ich nehme es aber für Tusch .
Darauf er , ich sei ein dummer Junge .
Darauf ich , um mich in Avantage zu setzen , wenn ich ein dummer Junge sei , so sei er ein niederträchtiger Spitz ! -
Dann kam die Ausforderung .
( Randglosse des Herausgebers . O Murr , mein Kater !
Entweder hat sich der Ehrenpunkt seit Shakespeares Zeit nicht geändert , oder ich ertappe dich auf einer schriftstellerischen Lüge .
Das heißt , auf einer Lüge , die dazu dienen soll , der Begebenheit , die du erzählst , mehr Glanz und Feuer zu geben !
- Ist die Art , wie es zum Duell mit dem bunten Pensionär kam , nicht die rein ausgesprochene Parodie von Probsteins siebenmal zurückgeschobener Lüge in " Wie es euch gefällt " ?
Finde ich nicht in deinem angeblichen Duellprozeß die ganze Stufenleiter von dem höflichen Bescheid , dem feinen Stich , der groben Erwiderung , der beherzten Abfertigung bis zum trotzigen Widerspruch , und kann es dich wohl einigermaßen retten , daß du anstatt mit der bedingten offenbaren Lüge mit ein paar Schimpfreden schließest ? -
Murr ! mein Kater ! die Rezensenten werden über dich herfallen , aber bewiesen hast du doch wenigstens , daß du den Shakespeare mit Verstand und Nutzen gelesen , und das entschuldigt vieles . )
Aufrichtig gestanden , fuhr es mir doch etwas in die Glieder , als ich die Ausforderung erhielt , die auf den Kratz lautete .
Ich dachte daran , wie übel mich der bunte Verräter zugerichtet hatte , als , von Eifersucht und Rache getrieben , ich ihn angriff , und wünschte wenigstens die Avantage , zu der mir Freund Muzius verholfen , hinweg .
Muzius mochte gewahren , daß ich beim Lesen des blutfordernden Handbilletts erblaßte , und überhaupt meine Seelenstimmung bemerken .
" Bruder Murr , " sprach er , " mir scheint , als ob dir das erste Duell , das du bestehen sollst , etwas in die Glieder führe ? "
- Keinen Anstand nahm ich , dem Freunde mein ganzes Herz zu öffnen , ihm zu sagen , was meinen Mut erschütterte .
" O mein Bruder , " sprach Muzius , " o mein geliebter Bruder Murr !
Du vergisst , daß damals , als der übermütige Frevler dich ausprügelte auf schnöde Weise , du noch ein blutjunger Neuling und kein wackerer , tüchtiger Bursche warst wie jetzt .
Auch war dein Kampf mit dem Bunten kein ordentliches Duell nach Regel und Recht , ja nicht einmal ein Renkontre zu nennen , sondern nichts weiter als eine philistermäßige Balgerei , die unanständig ist für jeden Katsbursch .
Merke dir es , Bruder Murr , daß der auf unsere besondere Gaben neidische Mensch uns die Neigung vorwirft , uns auf ehrwidrige beschimpfende Weise zu prügeln , und fällt unter seinem Geschlecht dergleichen vor , dies mit dem Schimpf- und Spottnamen : Katzbalgerei bezeichnet .
Schon darum wird und muß ein ordentlicher Kater , der Ehre im Leibe hat und auf gute Sitten hält , jedes böse Renkontre der Art vermeiden ; er beschämt den Menschen , der unter gewissen Umständen sehr geneigt ist , zu prügeln und geprügelt zu werden . -
Also , geliebter Bruder , laß alle Furcht und Scheu fahren , bewahre dein tapferes Herz und sei überzeugt , daß du im ordentlichen Duell genugsame Rache für alle erfahrene Unbill nehmen und den bunten Gecken dermaßen zerkratzen kannst , daß er das dumme Liebeln und alberne Daherstolzieren wohl auf einige Zeit lassen wird . -
Doch halte ! -
Eben will mich bedünken , daß nach dem , was zwischen euch vorgefallen , der Zweikampf auf den Kratz keinen genügenden Ausschlag geben kann , daß ihr euch vielmehr auf entscheidendere Weise , nämlich auf den Bis , schlagen müßt .
- Wir wollen die Meinung der Burschen hören ! "
- Muzius trug in einer sehr wohlgesetzten Rede den Fall , der sich mit mir und dem Bunten ereignet , der Burschenversammlung vor .
Alle stimmten dem Redner bei , und ich ließ daher dem Bunten durch Muzius sagen , ich nehme die Ausforderung zwar an , könnte und würde bei der Schwere der erlittenen Beschimpfung mich aber nicht anders schlagen , als auf den Bis .
Der Bunte wollte zwar Einwendungen machen , vorschützen , er habe stumpfe Zähne u. s.w. ; da aber Muzius ihm nach seiner ernsten und festen Weise erklärte , daß hier nur durchaus von dem entscheidenderen Duell auf den Bis die Rede sein könne , und daß , wenn er dies nicht eingehen wolle , er den niederträchtigen Spitz auf sich sitzen lassen müßte , entschloß er sich zu diesem Duell auf den Bis . -
Die Nacht , in der der Zweikampf vor sich gehen sollte , kam heran .
Ich stellte mich auf dem Dache des Hauses , das an der Grenze des Reviers lag , mit Muzius um die bestimmte Stunde ein .
Auch mein Gegner kam bald mit einem stattlichen Kater , der beinahe bunter gefleckt war und noch viel trotzigere , keckere Züge im Antlitz trug als er selbst .
Er war , wie wir vermuten konnten , sein Sekundant ; beide hatten verschiedene Feldzüge als Kameraden zusammen gemacht und befanden sich auch beide bei der Eroberung des Speichers , die dem Bunten den Orden des gebrannten Specks erwarb .
Außerdem hatte sich , wie ich nachher erfuhr , auf des um- und vorsichtigen Muzius Anlaß eine kleine lichtgraue Katze eingefunden , die sich ganz außerordentlich auf Chirurgie verstehen und die schlimmsten , gefährlichsten Wunden zweckmäßig behandeln und in kurzer Zeit heilen sollte .
- Es wurde noch verabredet , daß der Zweikampf in drei Sprüngen stattfinden , und falls bei dem dritten Sprunge noch nichts Entscheidendes geschehen , weiter beschlossen werden sollte , ob das Duell in neuen Sprüngen fortzusetzen , oder die Sache als abgemacht anzusehen .
Die Sekundanten maßen die Schritte aus , und wir setzten uns gegenüber in Positur .
Der Sitte gemäß erhoben die Sekundanten ein Zetergeschrei , und wir sprangen aufeinander los .
Im Augenblick hatte mein Gegner , indem ich ihn fassen wollte , mein rechtes Ohr gepackt , das er dermaßen zerbiß , daß ich wider Willen laut aufschrie .
" Auseinander ! " rief Muzius .
Der Bunte ließ ab , wir gingen in die Position zurück .
Neuer Zeter der Sekundanten , zweiter Sprung .
Nun glaubte ich meinen Gegner besser zu fassen , aber der Verräter duckte sich und bis mir in die linke Pfote , daß das Blut in dicken Tropfen hervorquoll .
- " Auseinander ! " rief Muzius zum zweitenmal .
" Eigentlich , " sprach der Sekundant meines Gegners , sich zu mir wendend , " eigentlich ist nun die Sache ausgemacht , da Sie , mein Bester , durch die bedeutende Wunde an der Pfote hors de combat gesetzt sind . "
Doch Zorn , tiefer Ingrimm ließen mich keinen Schmerz fühlen , und ich entgegnete , daß es sich bei dem dritten Sprunge finden würde , inwiefern es mir an Kraft gebräche und die Sache als abgemacht anzusehen .
" Nun , " sprach der Sekundant mit höhnischem Lachen , " nun , wenn Sie denn durchaus von der Pfote Ihres Ihnen überlegenen Gegners fallen wollen , so geschehe Ihr Wille ! " -
Doch Muzius klopfte mir auf die Schulter und rief : " Brav , brav , mein Bruder Murr , ein echter Bursche achtet solch einen Ritz nicht ! -
Halt dich tapfer ! "
Zum drittenmal Zeter der Sekundanten , dritter Sprung ! - Meiner Wut ungeachtet hatte ich die List meines Gegners gemerkt , der immer etwas seitwärts sprang , weshalb ich ihn fehlte , während er mich mit Sicherheit packte .
- Diesmal nahm ich mich in acht , sprang auch seitwärts , und als er mich zu fassen glaubte , hatte ich ihn schon dermaßen in den Hals gebissen , daß er nicht schreien , nur stöhnen konnte .
" Auseinander ! " rief jetzt der Sekundant meines Gegners .
Ich sprang sogleich zurück , der Bunte sank aber ohnmächtig nieder , indem das Blut reichlich aus der tiefen Wunde hervorquoll .
Die hellgraue Katze eilte sogleich auf ihn zu und bediente sich , um vor dem Verbande das Blut einigermaßen zu stillen , eines Hausmittels , das , wie Muzius versicherte , ihr stets zu Gebote stand , da sie es immer bei sich führte .
Sie goß nämlich sofort eine Flüssigkeit in die Wunde und besprengte überhaupt den Ohnmächtigen ganz und gar damit , die ich ihres scharfen beizenden Geruchs halber für stark und drastisch wirkend halten mußte .
Thedensche Arkebusade war es nicht , auch nicht Eau de Cologne .
- Muzius drückte mich feurig an seine Brust und sprach :
" Bruder Murr , du hast deine Ehrensache ausgefochten wie ein Kater , dem das Herz auf dem rechten Fleck sitzt . -
Murr , du wirst dich erheben zur Krone des Burschentums , du wirst keinen Makel dulden und stets bei der Hand sein , wenn es darauf ankommt , unsere Ehre zu erhalten . "
- Der Sekundant meines Gegners , der so lange dem hellgrauen Chirurg beigestanden , trat nun trotzig auf und behauptete , daß ich im dritten Gange gegen den Komment gefochten .
Da setzte sich aber Bruder Muzius in Positur und erklärte mit funkelnden Augen und hervorgestreckten Krallen , daß der , der solches behaupte , es mit ihm zu tun habe , und daß die Sache gleich auf der Stelle ausgemacht werden könne .
Der Sekundant hielt es für geraten , nichts weiter darauf zu erwidern , sondern packte stillschweigend den wunden Freund , der was weniges zu sich selbst gekommen , auf den Rücken und marschierte mit ihm ab durch die Dachluke . -
Der aschgraue Chirurg fragte an , ob er meiner Wunden halber mich auch etwa mit seinem Hausmittel bedienen solle .
Ich lehnte das aber ab , so sehr mich auch Ohr und Pfote schmerzten , sondern machte mich im Hochgefühl des errungenen Sieges , der gestillten Rache für Miesmies ' Entführung und erhaltene Prügel auf den Weg nach Hause .
Für dich , o Katerjüngling , habe ich mit gutem Bedacht die Geschichte meines ersten Zweikampfs so umständlich aufgeschrieben .
Außerdem daß dich diese merkwürdige Geschichte über den Ehrenpunkt belehrt ganz und gar , so kannst du auch noch manche für das Leben höchst nötige und nützliche Moral daraus schöpfen .
Wie z.B. daß Mut und Tapferkeit gar nichts ausrichten gegen Finten , und daß daher das genaue Studium der Finten unerläßlich ist , um nicht zu Boden getreten zu werden , sondern sich aufrecht zu erhalten .
" Chi no se ajuta , se nega , " sagt Brighella in Gozzis " glücklichem Bettler " , und der Mann hat recht , vollkommen recht . -
Sieh das ein , Katerjüngling , und verachte keineswegs Finten , denn in ihnen liegt , wie im reichen Schacht , die wahre Lebensweisheit verborgen .
- Als ich herabkam , fand ich des Meisters Tür verschlossen und mußte daher mit der Strohmatte , die davor lag , als Nachtlager vorliebnehmen .
Die Wunden hatten mir einen starken Blutverlust verursacht , und mir wurde in der Tat etwas ohnmächtig zumute .
Ich fühlte mich sanft fortgetragen .
Es war mein guter Meister , der ( ich mochte wohl , ohne es zu wissen , etwas gewinselt haben ) mich vor der Tür gehört , aufgemacht und meine Wunden bemerkt hatte .
" Armer Murr , " rief er , " was haben sie mit dir gemacht ?
das hat tüchtige Bisse gegeben - nun , ich hoffe , du wirst deinen Gegnern nichts geschenkt haben ! "
- " Meister , " dachte ich , " wenn du wüßtest ! " und aufs neue fühlte ich mich von dem Gedanken des vollständig erfochtenen Sieges , der Ehre , die ich mir gewonnen , gar mächtig erhoben .
- Der gute Meister legte mich auf mein Lager , holte aus dem Schrank eine kleine Büchse , in der Salbe befindlich , hervor , bereitete zwei Pflaster und legte sie mir auf Ohr und Pfote .
Ruhig und geduldig ließ ich alles geschehen und stieß nur ein kleines leises Mrrr ! aus , als der erste Verband mich etwas schmerzen wollte .
- " Du bist , " sprach der Meister , " ein kluger Kater , Murr !
du verkennst nicht , wie andere knurrige Wildfänge deines Geschlechts , die gute Absicht deines Herrn .
Halt dich nur ruhig , und wenn es Zeit ist , daß du die Wunde an der Pfote heil leckst , so wirst du schon selbst den Verband lösen .
Was aber das wunde Ohr betrifft , so kannst du nichts dafür tun , armer Geselle , und mußt das Pflaster leiden . "
Ich versprach das dem Meister und reichte zum Zeichen meiner Zufriedenheit und Dankbarkeit für seine Hilfe ihm meine gesunde Pfote hin , die er wie gewöhnlich nahm und leise schüttelte , ohne sie im mindesten zu drücken .
- Der Meister verstand mit gebildeten Katern umzugehen .
Bald spürte ich die wohltätige Wirkung der Pflaster und war froh , daß ich des kleinen aschgrauen Chirurg fatales Hausmittel nicht angenommen .
Muzius , der mich besuchte , fand mich heiter und kräftig .
Bald war ich imstande ihm zu folgen zur Burschenkneiperei .
Man kann denken , mit welchem unbeschreiblichen Jubel ich empfangen wurde .
Allen war ich doppelt lieb geworden .
Von nun an führte ich ein köstliches Burschenleben und übersah es gern , daß ich dabei die besten Haare aus dem Pelze verlor . -
Doch gibt es hienieden ein Glück , das von Dauer sein sollte ?
Lauert bei jeder Freude , die man genießt , nicht schon der - ( Mak. Bl. ) - hohen und steilen Hügel , im flachen Lande hätte er für einen Berg gegolten , belegen .
Ein breiter , bequemer , von duftendem Gebüsch eingeschlossener Weg , an dessen beiden Seiten häufig angebrachte steinerne Sitze und Lauben die gastliche Sorge für die wandernden Pilger bewiesen , führte hinauf .
Oben angekommen , gewahrte man erst die Größe und Pracht des Gebäudes , das man in der Ferne nur für eine einzeln dastehende Kirche gehalten .
Wappen , Bischofsmütze , Krummstab und Kreuz , über dem Tor in Stein gehauen , zeigten , daß sonst hier eine bischöfliche Residenz gewesen , und die Inschrift :
" Benedictus , qui venit in nomine domini " lud fromme Gäste ein zum Eintritt .
Aber jeder , der eingetreten , blieb wohl unwillkürlich stehen , überrascht , erfaßt von dem Anblick der Kirche , die mit ihrer prächtigen , im Stil des Palladio erbauten Fassade , mit ihren beiden hohen luftigen Türmen in der Mitte stand als Hauptgebäude , an das sich von beiden Seiten Flügel anschlossen .
In dem Hauptgebäude befanden sich noch die Zimmer des Abts , in den Seitenflügeln dagegen die Wohnungen der Mönche , das Refektorium , andere Versammlungssäle , sowie auch Zimmer zur Aufnahme einkehrender Fremden .
Unfern dem Kloster lagen die Wirtschaftsgebäude , die Meierei , das Haus des Amtmanns ; tiefer im Tal umflocht aber das schöne Dorf Kanzheim den Hügel mit der Abtei wie ein bunter üppiger Kranz .
Dieses Tal breitete sich aus bis an den Fuß des fernen Gebirges .
Zahlreiche Herden weideten in den von spiegelhellen Bächen durchschnittenen Wiesengründen , fröhlich zogen die Landleute aus den Dörfern , die hin und wieder verstreut lagen , durch die reichen Kornfelder , jubelnder Gesang der Vögel scholl aus den anmutigen Gebüschen , sehnsüchtiger Hörnerschall rief herüber aus der fernen dunklen Waldung , beschwingt mit weißen Segeln , glitten schwer beladene Kähne auf dem breiten Fluß , der das Tal durchströmte , schnell vorüber , und man vernahm die frohen Grüße der Schiffer .
Überall üppige Fülle , reichlich gespendeter Segen der Natur , überall reges , ewig forttreibendes Leben .
Die Aussicht in die lachende Landschaft vom Hügel herab , aus den Fenstern der Abtei , erhob das Gemüt und erfüllte es zugleich mit innigem Wohlbehagen .
Mochte es sein , daß man dem inneren Schmuck der Kirche , der edlen , grandiosen Grundanlage unerachtet , bei dem vielen bunten , vergoldeten Schnitzwerk und der kleinlichen Bilderei mit Recht den Vorwurf der Überladung , des mönchischen Ungeschmacks machen könnte , so fiel dafür der reine Stil , in dem die Zimmer des Abts gebaut und verziert waren , desto mehr ins Auge .
Aus dem Chor der Kirche trat man unmittelbar in einen geräumigen Saal , der zur Versammlung der Geistlichen und zugleich zur Aufbewahrung der Instrumente und Musikalien diente .
Aus diesem Saal führte ein langer Korridor , der eine ionische Säulenstellung bildete , in die Gemächer des Abts .
Seidene Tapeten , auserlesene Gemälde der besten Meister aus verschiedenen Schulen , Büsten , Statuen großer Männer der Kirche , Teppiche , zierlich ausgelegte Fußböden , kostbares Gerät , alles deutete hier auf den Reichtum des wohldotierten Klosters .
Dieser Reichtum , der in dem Ganzen herrschte , war aber nicht jener glänzende Prunk , der das Auge blendet , ohne ihm wohlzutun , und der Staunen , aber nicht Wohlbehagen erzeugt .
Alles war an seiner rechten Stelle angebracht , nichts wollte prahlerisch die Aufmerksamkeit für sich allein fesseln und die Wirkung des anderen zerstören , und so dachte man nicht an die Kostbarkeit dieses , jenes einzelnen Schmucks , sondern fühlte sich von dem Ganzen gemütlich angeregt .
Das durchaus Gehörige in der Anordnung brachte diesen gemütlichen Eindruck hervor , und eben das richtig entscheidende Gefühl des Gehörigen möchte wohl das sein , was man guten Geschmack zu nennen pflegt .
Das Bequeme , Wohnliche dieser Gemächer des Abts grenzte an das Üppige , ohne in der Tat üppig zu werden , und so durfte es keinen Anstoß geben , daß ein Geistlicher alles dies selbst angeordnet und herbeigeschafft .
Der Abt Chrysostomus hatte , als er vor wenigen Jahren nach Kanzheim kam , die abteiliche Wohnung einrichten lassen , wie sie sich jetzt fand , und sein ganzer Charakter , seine ganze Art zu sein sprach sich schon lebhaft aus in dieser Einrichtung , ehe man ihn selbst sah und bald die hohe Stufe seiner geistigen Bildung gewahrte .
Noch in den vierziger Jahren , groß , wohlgebaut , geistvollen Ausdruck im männlich schönen Antlitz , Anmut und Würde im ganzen Betragen , flößte der Abt jedem , der sich ihm nahte , die Ehrfurcht ein , die sein Stand forderte .
Eifriger Kämpfer für die Kirche , rastloser Verfechter der Rechte seines Ordens , seines Klosters , schien er doch nachgiebig und duldsam .
Aber eben diese scheinbare Nachgiebigkeit war eine Waffe , die er wohl zu führen und damit jeden Widerstand , selbst den der obersten Gewalt , zu besiegen wußte .
Durfte man denn auch ahnen , daß hinter einfachen salbungsreichen Worten , die aus dem treusten Herzen zu kommen schienen , sich mönchische Schlauheit verberge , so gewahrte man nur die Gewandtheit eines eminenten Geistes , der in die tieferen Verhältnisse der Kirche eingedrungen .
Der Abt war ein Zögling der Propaganda in Rom . - Selbst gar nicht geneigt , den Ansprüchen des Lebens zu entsagen , insofern sie mit geistlicher Sitte und Ordnung verträglich , ließ er seinen zahlreichen Untergebenen alle Freiheit , die sie nur nach ihrem Stande fordern konnten .
So kam es denn , daß , während einige dieser , jener Wissenschaft ergeben , in einsamer Zelle studierten , andere lustig umherschwärmten in dem Park der Abtei und sich erlustigten im heiteren Gespräch , während einige , zu schwärmerischer Andacht geneigt , fasteten und ihre Zeit hinbrachten in stetem Gebet , andere sich es wohl schmecken ließen an der reichbesetzten Tafel und ihre religiösen Übungen auf die Ordensregel beschränkten , während einige die Abtei nicht verlassen mochten , andere sich auf weitere Wege begaben , auch wohl , kam die Zeit heran , das lange Priestergewand vertauschten mit dem kurzen Jägerrock und sich als wackere Weidmänner herumtummelten .
Waren nun aber die Neigungen der Brüder verschieden , und durfte jeder der seinigen nachhängen , wie er wollte , so kamen sie alle in der enthusiastischen Vorliebe für die Musik überein .
Beinahe ein jeder war ausgebildeter Musiker , und es gab Virtuosen unter ihnen , die der besten fürstlichen Kapelle Ehre gemacht haben würden .
Eine reiche Musikaliensammlung , eine Auswahl der vortrefflichsten Instrumente setzte jeden in den Stand , die Kunst zu treiben , wie er wollte , und häufige Aufführungen auserlesener Werke erhielten jeden in praktischer Übung .
Eben diesem musikalischen Treiben gab nun Kreislers Ankunft in der Abtei einen neuen Schwung .
Die Gelehrten schlugen ihre Bücher zu , die Andächtigen kürzten ihre Gebete ab , alle versammelten sich um Kreisler , den sie liebten , und dessen Werke sie hochschätzten wie keine anderen .
Der Abt selbst hing ihm an mit inniger Freundschaft , und er sowie alle übrigen beeiferten sich , ihm ihre Achtung , ihre Liebe darzutun , wie sie es nur vermochten .
War nun die Gegend , in der die Abtei lag , ein Paradies zu nennen , gewährte das Leben im Kloster die bequemste Behaglichkeit , wozu ein Leckrer Tisch und edler Wein , für den der Vater Hilarius sorgte , wohl auch zu rechnen , herrschte unter den Brüdern die gemütliche Heiterkeit , welche von dem Abt selbst ausging , schwamm überdem Kreisler , den die Kunst rastlos beschäftigte , recht in seinem Elemente , so konnte es nicht fehlen , daß sein bewegtes Gemüt ruhig wurde wie seit langer Zeit nicht mehr .
Selbst der Zorn seines Humors dämpfte sich , er wurde sanft und weich wie ein Kind .
Aber noch mehr als das alles , er glaubte an sich selbst , verschwunden war jener gespenstische Doppeltgänger , der emporgekeimt aus den Blutstropfen der zerrissenen Brust .
- Irgendwo 5 heißt es von dem Kapellmeister Johannes Kreisler , daß seine Freunde es nicht dahin hätten bringen können , daß er eine Komposition aufgeschrieben , und sei dies wirklich einmal geschehen , so habe er doch das Werk , soviel Freude er auch über das Gelingen geäußert , gleich nachher ins Feuer geworfen .
- So mag es sich begeben haben in einer sehr verhängnisvollen Zeit , die dem armen Johannes den rettungslosen Untergang drohte , von der gegenwärtiger Biograph bis jetzt aber nicht recht viel weiß .
Jetzt in der Abtei Kanzheim wenigstens hütete sich Kreisler wohl , die Kompositionen zu vernichten , die recht aus seinem Innersten hervorgingen , und seine Stimmung sprach sich in dem Charakter süßer wohltuender Wehmut aus , den seine Werke trugen , statt daß er sonst nur zu oft im mächtigen Zauber aus der Tiefe der Harmonik die gewaltigen Geister hinaufbeschwor , die die Furcht , das Entsetzen , alle Qualen hoffnungsloser Sehnsucht aufregen in der menschlichen Brust . - -
Man hatte eines Abends im Chor der Kirche die letzte Probe eines Hochamts gehalten , mit dem Kreisler fertig worden und das am folgenden Morgen aufgeführt werden sollte .
Die Brüder waren zurückgekehrt in ihre Zellen , Kreisler allein weilte in dem Säulengange und schaute hinaus in die Gegend , die im Schimmer der letzten Strahlen der sinkenden Sonne vor ihm lag .
Da war es ihm , als vernähme er aus weiter Ferne noch einmal sein Werk , das ihm eben lebendig dargestellt von den Brüdern .
Als nun aber das Agnus dei kam , da erfaßte ihn aufs neue und stärker die namenlose Wonne jener Augenblicke , in denen ihm dieses Agnus aufgegangen .
" Nein , " rief er aus , indem glühende Tränen seine Augen füllten ; " nein ! -
ich bin es nicht , du allein !
du mein einziger Gedanke , du mein einziges Sehnen ! "
- Wunderbar war es wohl , auf welche Weise Kreisler diesen Satz , in dem der Abt , die Brüder den Ausdruck der brünstigsten Andacht , der himmlischen Liebe selbst fanden , hervorgebracht hatte .
Ganz erfüllt von dem Hochamt , das er zu setzen begonnen , aber noch lange nicht vollendet hatte , träumte er in einer Nacht , der Heiligentag , für den die Komposition bestimmt , sei da , das Hochamt eingeläutet , er stehe an dem Pult , die fertige Partitur vor sich , der Abt , selbst Messe lesend , intoniere , und sein Kyrie fange an .
- Satz auf Satz folge nun , die Aufführung , gediegen und kraftvoll , überrasche ihn , reiße ihn fort bis zum Agnus dei .
Da gewahre er zu seinem Schreck in der Partitur weiße Blätter , keine Note aufgeschrieben , die Brüder schauten ihn , der plötzlich den Taktstock sinken lassen , an , gewärtig , daß er endlich anfangen , daß die Stockung endlich aufhören werde .
Aber bleischwer drücke ihn Verlegenheit und Angst nieder , und er könne , ungeachtet er das ganze Agnus fertig in seiner Brust bewahre , nur es nicht herausbringen in die Partitur .
Da erschiene aber plötzlich eine holde Engelsgestalt , trete an den Pult , sänge das Agnus mit Tönen des Himmels , und diese Engelsgestalt wäre Julia ! -
Im Entzücken hoher Begeisterung erwachte Kreisler und schrieb das Agnus auf , das im seligen Traum ihm aufgegangen .
- Und diesen Traum träumte Kreisler nun noch einmal , er vernahm Julias Stimme , höher und höher schlugen die Wellen des Gesanges , als nun der Chor einfiel :
" Dona nobis pacem , " er wollte untergehen in dem Meer von tausend seligen Wonnen , das ihn überströmte .
Ein leiser Schlag auf die Schulter weckte Kreisler aus der Ekstase , in die er geraten .
Es war der Abt , der vor ihm stand und ihn mit Wohlgefallen anblickte .
" Nicht wahr , " begann der Abt , " nicht wahr , mein Sohn Johannes , was du tief in deinem Gemüt empfunden , was dir gelang , herrlich und kräftig in das Leben zu rufen , das erfreut jetzt deine ganze Seele ? -
Ich meine , du dachtest an dein Hochamt , das ich zu den besten Werken zähle , die du jemals geschaffen . "
Kreisler starrte den Abt stillschweigend an , noch war er keines Wortes mächtig .
" Nun , nun , " fuhr der Abt lächelnd fort , " steige herab aus der oberen Region , zu der du dich hinaufgeschwungen ! -
Ich glaube gar , du komponierst in Gedanken und lässt so nicht ab von der Arbeit , die dir freilich eine Lust ist , wiewohl eine gefährliche , da sie zuletzt deine Kräfte aufzehrt .
Entschlage dich jetzt aller schaffenden Gedanken , laß uns in diesem kühlen Gange auf und ab wandeln und unbefangen miteinander plaudern . "
Der Abt sprach nun von den Einrichtungen des Klosters , von der Lebensweise der Mönche , rühmte den wahrhaft heiter-frommen Sinn , den alle in sich trügen , und fragte zuletzt den Kapellmeister , ob er ( der Abt ) sich nicht täusche , wenn er bemerkt zu haben glaube , daß Kreisler seit den Monaten , daß er sich in der Abtei befinde , ruhiger , unbefangener , dem tätigen Forttreiben in der hohen Kunst , die den Dienst der Kirche verherrliche , geneigter geworden .
Kreisler konnte nicht anders als dies zugeben und überdies versichern , daß die Abtei sich ihm aufgetan wie ein Asyl , in das er geflüchtet , und daß er sich so heimisch dünke , als sei er wirklich Ordensbruder und werde das Kloster niemals mehr verlassen .
" Lassen Sie , " so endete Kreisler , " lassen Sie mir , ehrwürdiger Herr , die Täuschung , die dies Kleid befördert .
Lassen Sie mich glauben , daß , von bedrohlichem Sturm verschlagen , mich die Gunst des versöhnten Geschicks an einem Eilande stranden ließ , wo ich geborgen , wo nie mehr der schöne Traum zerstört werden kann , der nichts anders ist , als die Begeisterung der Kunst selbst . "
" In der Tat , " erwiderte der Abt , indem eine besondere Freundlichkeit sein Antlitz überstrahlte , " in der Tat , mein Sohn Johannes , das Kleid , das du angelegt , um als unser Bruder zu erscheinen , steht dir wohl , und ich wollte , daß du es nie wieder ablegtest .
Du bist der würdigste Benediktiner , den man nur sehen kann . "
" Doch , " fuhr der Abt nach einem kurzen Stillschweigen fort , indem er Kreislers Hand faßte , " doch , kein Scherz ist hier zu treiben .
Sie wissen , mein Johannes , wie lieb Sie mir gewesen sind seit dem Augenblick , als ich Sie kennen lernte , wie meine innige Freundschaft , sich mit der hohen Achtung für Ihr ausgezeichnetes Talent paarend , immer höher gestiegen ist .
Für den , den man liebt , wird man mit Sorge erfüllt , und eben diese Sorge war es , die mich Sie seit der Zeit Ihres Aufenthalts im Kloster bis zur Ängstlichkeit beobachten ließ .
Das Resultat dieser Beobachtungen brachte mich zu einer Überzeugung , die ich nicht aufgeben darf ! -
Längst wollte ich Ihnen in dieser Hinsicht mein ganzes Herz öffnen , ich wartete auf einen günstigen Augenblick , er ist gekommen ! -
Kreisler !
Entsagen Sie der Welt , treten Sie in unseren Orden ! " -
So sehr sich auch Kreisler in der Abtei gefiel , so willkommen es ihm war , einen Aufenthalt verlängern zu können , der ihm Ruhe und Frieden gab , indem er seine rege künstlerische Tätigkeit in Anspruch nahm , doch überraschte ihn der Antrag des Abts auf beinahe unangenehme Weise , da er an nichts weniger mit wirklichem Ernst gedacht als , seine Freiheit aufgebend , sich unter die Mönche stecken zu lassen auf immer , wiewohl ihm manchmal schon solch eine Grille aufgestiegen und dies vom Abt bemerkt sein mochte .
Ganz verwundert schaute er den Abt an , der ihn aber nicht zum Worte kommen ließ , sondern fortfuhr :
" Hören Sie mich erst ruhig an , Kreisler , ehe Sie mir antworten .
Wohl muß es mir angelegen sein , der Kirche einen tüchtigen Diener zu gewinnen , indessen verwirft die Kirche selbst jede künstliche Überredung und will nur , daß der innere Funke der wahren Erkenntnis angeregt werde , damit er zur hell lodernden Flamme des Glaubens aufleuchte und jede Betörung vernichte .
Und so will ich nur das , was dunkel und verworren vielleicht in Ihrer eigenen Brust liegt , entfalten , Ihnen selbst zur deutlichen Erkenntnis bringen .
Darf ich zu Ihnen , mein Johannes , denn von den aberwitzigen Vorurteilen sprechen , die man in der Welt gegen das Klosterleben hegt ? -
Immer muß den Mönch irgendein ungeheures Schicksal in die Klause getrieben haben , wo er , aller Lust der Welt entsagend , unter beständiger Qual ein trostloses Leben vertrauert .
So wäre das Kloster der finstere Kerker , wo die trostloste Trauer um ewig verlorenes Gut , die Verzweiflung , der Wahnsinn erfinderischer Selbstqual sich eingesperrt , wo abgehärmte bleiche Todesgestalten ein elendes Dasein hinschleppten und ihre herzzermalmende Angst aushauchten in dampfmurmelnden Gebeten ! "
Kreisler konnte sich nicht eines Lächelns erwehren , denn er gedachte , als der Abt von abgehärmten bleichen Todesgestalten sprach , so manches wohlgenährten Benediktiners und vorzüglich des wackeren rotwangigen Hilarius , der keine größere Qual kannte , als Wein zu trinken von schlechtem Gewächs , und nur die Angst , die ihm eine neue Partitur verursachte , welche er nicht gleich verstand .
" Sie belächeln , " sprach der Abt weiter , " Sie belächeln den Kontrast des Bildes , das ich aufstellte , mit dem Klosterleben , wie Sie es hier kennen gelernt , und haben gewiß Ursache dazu . -
Mag es auch sein , daß mancher , zerrissen von irdischem Leid , alles Glück , alles Heil der Welt für immer aufgebend , in das Kloster flieht , wohl ihm dann , daß die Kirche ihn aufnimmt und er in ihrem Schoß einen Frieden findet , der allein ihn über alles erlittene Ungemach trösten und ihn erheben kann über das verderbliche Geschick im weltlichen Treiben .
Aber wie viele gibt es , die der wahre innere Hang zum andächtigen kontemplativen Leben in das Kloster führt , die , ungefügig in der Welt , jeden Augenblick verstört durch das Andringen aller kleinlichen Verhältnisse , wie sie sich nun einmal im Leben erzeugen , nur in selbstgewählter Einsamkeit sich wohl befinden .
Dann gibt es aber andere , die ohne entschiedenen Hang zum klösterlichen Leben doch nirgends anders hingehören als eigentlich ins Kloster . -
Ich meine diejenigen , die Fremdlinge in der Welt sind und bleiben , weil sie einem höheren Sein angehören und die Ansprüche dieses höheren Seins für die Bedingung des Lebens halten , so aber rastlos das verfolgend , was hienieden nicht zu finden , ewig dürstend in nie zu befriedigender Sehnsucht , hin und her schwanken und vergeblich Ruhe suchen und Frieden , deren offene Brust jeder abgeschossene Pfeil trifft , für deren Wunden es keinen Balsam gibt als die bittere Verhöhnung des stets wider sie bewaffneten Feindes .
Nur die Einsamkeit , ein einförmiges Leben ohne feindliche Unterbrechung und vor allem das stete freie Aufschauen zur Lichtwelt , der sie angehören , kann das Gleichgewicht herstellen und sie im Inneren eine überirdische Zufriedenheit fühlen lassen , die in dem wirren Treiben der Welt nicht zu erringen .
- Und Sie - Sie , mein Johannes , gehören zu diesen Menschen , die die ewige Macht im Druck des Irdischen hoch erhebt zum Himmlischen .
Das rege Gefühl des höheren Seins , das Sie ewig mit dem schalen irdischen Treiben entzweien wird , entzweien muß , strahlt mächtig heraus in der Kunst , die einer anderen Welt gehört und die , ein heiliges Geheimnis der himmlischen Liebe , mit Sehnsucht in Ihrer Brust verschlossen ist .
Die glühendste Andacht selbst ist diese Kunst , und , ihr ganz ergeben , haben Sie nichts mehr gemein mit einer buntscheckigen Welttändelei , die Sie von sich werfen mit Verachtung , wie der zum Jüngling gereifte Knabe das abgenutzte Spielzeug .
- Entfliehen Sie für immer den aberwitzigen Neckereien hohnlächelnder Toren , die Sie , mein armer Johannes , oft gequält haben bis aufs Blut ! -
Der Freund breitet die Arme aus , Sie zu empfangen , Sie einzuführen in den sicheren Port , den kein Gewittersturm bedroht ! "
- " Tief , " sprach Johannes , da der Abt schwieg , ernst und düster , " tief fühle ich die Wahrheit Ihrer Worte , mein ehrwürdiger Freund ! tief , daß ich wirklich nicht in eine Welt tauge , die sich mir gestaltet wie ein ewiges rätselhaftes Mißverständnis .
Und doch - ich gestehe es frei , erregt mir der Gedanke Schauer auf Kosten so mancher Überzeugung , die ich mit der Muttermilch eingesogen , dies Kleid zu tragen , wie einen Kerker , aus dem ich nimmer wieder heraus kann .
Es ist mir , als wenn dem Mönch Johannes dieselbe Welt , in der der Kapellmeister Johannes doch so manches hübsche Gärtlein voll duftender Blumen fand , plötzlich eine öde unwirtbare Wüste sein würde , als wenn , einmal in das rege Leben verflochten , die Entsagung - "
" Entsagung , " unterbrach der Abt den Kapellmeister mit erhöhter Stimme , " Entsagung ? -
Gibt es für dich , Johannes , eine Entsagung , wenn der Geist der Kunst immer mächtiger wird in dir , wenn du mit starkem Fittich dich erhebst in die leuchtenden Wolken ? - Welche Lust des Lebens gibt es denn noch , die dich betören könnte ?
Doch " ( so fuhr der Abt mit sanfterer Stimme fort ) " doch wohl hat die ewige Macht ein Gefühl in unsere Brust gelegt , das mit unbesiegbarer Gewalt unser ganzes Wesen erschüttert ; es ist das geheimnisvolle Band , das Geist und Körper verbindet , indem jener nach dem höchsten Ideal einer chimärischen Glückseligkeit zu streben vermeint und doch nur will , was dieser als notwendiges Bedürfnis in Anspruch nimmt , und so eine Wechselwirkung entsteht , die in der Fortexistenz des menschlichen Geschlechts bedingt ist . -
Nicht hinzufügen darf ich , daß , ich von der Geschlechtsliebe spreche , und daß , ich es allerdings für nichts Geringes achte , ihr ganz zu entsagen . -
Doch , Johannes , wenn du entsagst , so rettest du dich vom Verderben ; niemals , niemals kannst du , wirst du des eingebildeten Glücks der irdischen Liebe teilhaftig werden . "
Der Abt sprach die letzten Worte so feierlich , mit solcher Salbung , als läge das Buch des Schicksals offen vor ihm , und er verkündige daraus dem armen Kreisler alles bedrohliche Leid , dem zu entgehen , er sich hineinretten müsse ins Kloster .
Da begann aber auf Kreislers Antlitz jenes seltsame Muskelspiel , das den Geist der Ironie zu verkünden pflegte , der seiner mächtig worden .
" Hoho , " sprach er , " Hoho !
Ew. Hochehrwürden haben Unrecht , haben durchaus Unrecht .
Ew. Hochwürden irren sich in meiner Person , werden konfuse durch das Gewand , das ich angelegt , um en masque einige Zeit hindurch die Leute zu foppen und , selbst unerkannt , ihnen ihre Namen in die Hand zu schreiben , damit sie wissen , woran sie sind ! -
Bin ich denn nicht ein passabler Mensch , noch in den besten Jahren , von leidlich hübschem Ansehn und sattsam gebildet und artig ? -
Kann ich nicht den schönsten schwarzen Frack ausbürsten , ihn anlegen und , was die Unterkleider betrifft , ganz Seide keck hineintreten vor jede rotwangige Professors- , vor jede blau- oder braunäugige Hofratstochter und , alle Süßigkeit des zierlichsten Amoroso in Gebärde , Antlitz und Ton , ohne weiteres fragen :
» Allerschönste , wollen Sie mir Ihre Hand geben und Ihre ganze werte Person dazu , als Attinenz derselben ? «
Und die Professorstochter wurde die Augen niederschlagen und ganz leise lispeln » Sprechen Sie mit Papa ! « oder die Hofratstochter mir gar einen schwärmerischen Blick zuwerfen und dann versichern , wie sie schon lange im stillen die Liebe bemerkt , der ich nun erst Sprache geliehen , und beiläufig vom Besatz des Brautkleides sprechen .
Und , o Gott ! die respektiven Herrn Väter , wie gern würden sie die Tochter losschlagen auf das Gebot einer solchen respektablen Person als es ein großherzoglicher Exkapellmeister ist ! -
Aber ich könnte mich auch versteigen in das höhere Romantische , eine Idylle beginnen und der glauen Pachterstoger mein Herz offerieren und meine Hand , wenn sie eben Ziegenkäse bereitet , oder , ein zweiter Notar Pistofolus , in die Mühle laufen und meine Göttin suchen in den Himmelswolken des Mehlstaubs ! -
Wo würde ein treues ehrliches Herz verkannt werden , das nichts will , nichts verlangt als Hochzeit -
Hochzeit -
Hochzeit !
- Kein Glück in der Liebe ? -
Ew. Hochehrwürden bedenken gar nicht , daß ich eigentlich recht der Mann dazu bin , um in der Liebe ganz horrend glücklich zu sein , deren einfaches Thema weiter nichts ist als : » Willst du mich , so nehme ich dich ! « dessen weitere Variationen nach dem Allegro brillante der Hochzeit dann in der Ehe weiter fortgespielt werden .
Ew. Hochehrwürden wissen ferner nicht , daß ich schon vor mehrerer Zeit sehr ernsthaft daran gedacht , mich zu vermählen .
Ich war damals freilich noch ein junger Mensch von weniger Erfahrung und Ausbildung , nämlich erst sieben Jahr alt , aber das dreiunddreißigjährige Fräulein , das ich zu meiner Braut erkieset , versprach mir doch mit Hand und Mund , keinen anderen Mann zu nehmen als mich , und ich weiß selbst nicht , warum sich die Sache nachher zerschlug .
Bemerken Ew. Hochehrwürden doch nur , daß mir das Glück der Liebe lachte von Kindesbeinen an , und nun - Seidene Strümpfe her - seidene Strümpfe her - Schuhe her , um gleich mit beiden Freiersfüßen hineinzufahren und unmäßig zu rennen nach der , die schon den niedlichsten Zeigefinger ausgestreckt hat , damit er stracks bereift werde . -
Wäre es nicht für einen ehrsamen Benediktiner unanständig , sich in Hasensprüngen zu erlustieren , ich tanzte sogleich hier auf der Stelle vor Ew. Hochehrwürden Augen einen Matelot oder eine Gavotte oder einen Hopswalzer aus purer Freude , die mich ganz übernimmt , wenn ich nur an Braut und Hochzeit denke . -
Hoho ! -
was Liebesglück und Heirat betrifft , da bin ich ein ganzer Kerl ! -
Ich wünschte , Ew. Hochehrwürden möchten das einsehen . "
- " Ich habe , " erwiderte der Abt als Kreisler nun endlich innehielt , " ich habe Sie nicht unterbrechen mögen in Ihren seltsamen Scherzreden , Kapellmeister , die eben das beweisen , was ich behaupte .
- Wohl fühle ich auch den Stachel , der mich verwunden sollte , aber nicht verwundet hat ! -
Wohl mir , daß ich nie an jene chimärische Liebe geglaubt , die körperlos in den Lüften schwebt und nichts gemein haben soll mit dem Bedingnis des menschlichen Prinzips !
- Wie ist es möglich , daß Sie bei dieser krankhaften Spannung des Geistes - Doch genug hiervon ! -
Es ist an der Zeit , dem bedrohlichen Feinde näher zu treten , der Sie verfolgt - Haben Sie während Ihres Aufenthalts in Sieghartshof nicht von dem Schicksal jenes unglücklichen Malers , jenes Leonhard Ettlinger gehört ? "
- Kreislern durchfuhren die Schauer das unheimlichen Grauens , als der Abt diesen Namen nannte .
Weggelöscht vom Antlitz war jede Spur jener bitteren Ironie , die ihn zuvor erfaßt , und er fragte mit dumpfer Stimme :
" Ettlinger ? -
Ettlinger ? was soll mir der ? -
was habe ich mit dem zu schaffen ? -
Nie habe ich ihn gekannt , nur ein Spiel erhitzter Phantasie war es , als ich einmal wähnte , er spräche zu mir herauf aus dem Wasser . "
" Ruhig , " sprach der Abt sanft und milde , indem er Kreislers Hand faßte , " ruhig , mein Sohn Johannes ! - Nichts hast du gemein mit jenem Unglücklichen , den die Verirrung einer zu mächtig gewordenen Leidenschaft in das tiefste Verderben stürzte .
Doch zum warnenden Beispiel mag dir sein entsetzliches Schicksal dienen .
Mein Sohn Johannes ! - auf noch schlüpfrigerem Wege befindest du dich als jener , darum entflieh - entflieh ! -
Hedwiga !
- Johannes ! ein böser Traum hält die Prinzessin fest in Banden , die unauflöslich scheinen , wenn ein freier Geist sie nicht durchschneidet ! -
Und du ? "
- Tausend Gedanken gingen auf in Kreisler bei diesen Worten des Abts .
Er gewahrte , daß der Abt nicht allein mit allen Begebnissen des fürstlichen Hauses zu Sieghartshof , sondern auch mit dem bekannt war , was sich dort während seines Aufenthalts zugetragen .
Klar wurde es ihm , daß die krankhafte Reizbarkeit der Prinzessin wohl in seiner Annäherung eine Gefahr befürchten lassen , an die er gar nicht gedacht , und eben diese Furcht , wer anders konnte sie hegen und darum wünschen , daß er vom Schauplatz ganz abtrete , als die Benzon ? -
Eben diese Benzon mußte mit dem Abt in Verbindung stehen , von seinem ( Kreislers )
Aufenthalt in der Abtei unterrichtet sein , und so war sie die Triebfeder alles Beginnens des ehrwürdigen Herrn .
Lebhaft gedachte er aller Momente , in denen die Prinzessin wirklich , wie von einer im Inneren aufkeimenden Leidenschaft befangen , erschienen , aber , selbst wußte er nicht , warum bei dem Gedanken , daß er selbst der Gegenstand jener Leidenschaft sein könne , es ihn erfaßte wie Gespensterfurcht .
Es war ihm , als wolle eine fremde geistige Macht gewaltsam in sein Inneres dringen und ihm die Freiheit des Gedankens rauben .
Prinzessin Hedwiga stand plötzlich vor ihm , starrte ihn an mit jenem seltsamen Blick , der ihr eigen , aber in dem Augenblick dröhnte ein Pulsschlag ihm durch alle Nerven , wie damals , als er zum erstenmal der Prinzessin Hand berührte .
Doch war ihm auch nun jene unheimliche Angst entnommen , er fühlte eine elektrische Wärme wohltätig sein Inneres durchgleiten , er sprach leise wie im Traum :
" Kleiner schalkischer Raja torpedo , neckst du mich schon wieder und weißt doch , daß du nicht ungestraft verwunden darfst , da ich aus reiner Liebe zu dir Benediktinermönch geworden ? "
Der Abt betrachtete den Kapellmeister mit durchbohrendem Blick , als wollte er sein ganzes Ich durchschauen , und begann dann ernst und feierlich :
" Mit wem redest du , mein Sohn Johannes ? "
Kreisler wurde aber wach aus seinen Träumen ; es fiel ihm ein , daß der Abt , war er von allem , was sich in Sieghartshof zugetragen , unterrichtet , vor allen Dingen den weiteren Verlauf der Katastrophe , die ihn fortgetrieben , wissen mußte , und wohl war ihm daran gelegen , mehr davon zu erfahren .
" Mit , " erwiderte er dem Abt , skurril lächelnd , " mit niemanden anders sprach ich , hochehrwürdiger Herr , als , wie Sie ja vernommen haben , mit einer schalkischen Raja torpedo , die sich ganz unberufenerweise in unser vernünftiges Gespräch mischen und mich noch konfuser machen wollte , als ich es schon wirklich bin . -
Doch aus allem muß ich ja zu meinem großen Leid gewahren , daß diverse Leute mich für ebensolche einen großen Narren halten als den seligen Hofporträtisten Leonardus Ettlinger , der eine erhabene Person , die sich natürlicherweise aus ihm gar nichts machen konnte , nicht bloß malen wollte , sondern auch lieben , und zwar so ganz ordinär wie Hans seine Grete .
O Gott ! habe ich es denn jemals an Respekt fehlen lassen , wenn ich die schönsten Akkorde griff zu schnöder Singefaselei !
- Habe ich jemals unziemliche oder grillenhafte Materien aufs Tapet zu bringen gewagt , von Entzücken und Schmerz , von Liebe und Haß , wenn der kleine fürstliche Eigensinn sich seltsam gebärden in allerlei wunderbaren Gemütsergötzlichkeiten und ehrsame Leute vexieren wollte mit magnetischen Visionen ? - habe ich solches jemals getan ?
Sagt - "
" Doch , " unterbrach ihn der Abt , " doch sprachst du , mein Johannes , einst von der Liebe des Künstlers - " Kreisler starrte den Abt an , dann rief er , indem er die Hände zusammenschlug und den Blick aufwärts richtete : " O Himmel !
Das also ! -
Schätzbare Leute , " sprach er dann weiter , indem jenes skurrile Lächeln auf dem Antlitz wieder die Oberhand gewann und dabei die innere Wehmut die Stimme beinahe erstickte , " schätzbare Leute allzumal , habt ihr denn nicht jemals irgendwo , sei es auch auf ordinären Brettern , den Prinzen Hamlet zu einem ehrlichen Mann , Güldenstern geheißen , sagen gehört :
» Ihr könnt mich zwar verstimmen , aber nicht auf mir spielen ? « -
Wetter !
- das ist ja ganz mein Kasus ! -
Warum belauscht ihr den harmlosen Kreisler , wenn der Wohllaut der Liebe , der in seiner Brust verschlossen , euch nur mißtönt ? -
O Julia ! - "
Der Abt schien , plötzlich von etwas ganz Unerwartetem überrascht , vergebens Worte zu suchen , während Kreisler vor ihm stand und ganz verzückt in das Feuermeer schaute , das im Abend emporgewogt .
Da erhoben sich die Glockentöne von den Türmen der Abtei und zogen , wunderbare Stimmen des Himmels , durch das golden leuchtende Abendgewölk .
" Mit euch , " rief Kreisler , indem er beide Arme weit ausbreitete , " mit euch will ich ziehen , ihr Akkorde !
Von euch getragen , soll sich aller trostlose Schmerz emporrichten zu mir und sich selbst vernichten in meiner eigenen Brust , und eure Stimmen sollen wie himmlische Friedensboten es verkünden , daß der Schmerz untergegangen in der Hoffnung , in der Sehen sucht der ewigen Liebe . "
" Die Abendhora , " sprach der Abt , " wird eingeläutet , ich höre die Brüder kommen .
Morgen , mein lieber Freund , sprechen wir vielleicht weiter von manchen Begebnissen in Sieghartshof . "
- " Ei , " rief Kreisler , dem nun erst wieder einfiel , was er von dem Abt zu wissen verlangt , " ei , hochehrwürdiger Herr , ich will viel erfahren von lustiger Hochzeit und dergleichen ! -
Prinz Hektor wird doch nun nicht zaudern , die Hand zu ergreifen , nach der er schon aus der Ferne gelangt ?
Dem herrlichen Bräutigam ist doch nichts Arges widerfahren ? "
Da verschwand alles Feierliche aus des Abts Antlitz , und er sprach mit dem gemütlichen Humor , der ihm sonst wohl eigen :
" Nichts ist dem herrlichen Bräutigam geschehen , mein ehrlicher Johannes , aber seinen Adjutanten soll im Walde eine Wespe gestochen haben . "
- " Hoho , " erwiderte Kreisler , " Hoho ! eine Wespe , die er mit Feuer und Dampf vertreiben wollte ! "
Die Brüder traten in den Korridor und - ( M. f. f. ) - böse Feind und sucht den guten Bissen einem ehrlichen harmlosen Kater recht vor dem Maule wegzuschnappen ? -
Nicht lange dauerte es nämlich , so erhielt unser gemütliche Verein auf dem Dache einen Stoß , der ihn erschütterte zum gänzlichen Verfall . -
Jener böse , alles katzliche Behagen verstörende Feind erschien uns nämlich in der Gestalt eines gewaltigen wütenden Philisters , namens Achilles .
Mit seinem homerischen Namensvetter war er in weniger Hinsicht zu vergleichen , man müßte denn annehmen , daß des letzteren Heldentum vorzüglich auch in einer gewissen unbehilflichen Tappigkeit und in groben topfhohlen Redensarten bestanden .
Achilles war eigentlich ein gemeiner Fleischerhund , stand aber in Diensten als Hofhund , und der Herr , bei dem er in Dienst getreten , hatte ihn , um sein Attachement an das Haus zu befestigen , anketten lassen , so daß er nur des Nachts frei umherlaufen konnte .
Mancher von uns bedauerte ihn sehr , trotz seines unleidlichen Wesens , er aber ließ sich den Verlust seiner Freiheit gar nicht zu Herzen gehen , da er töricht genug war , zu vermeinen , die schwer lastende Kette gereiche ihm zur Ehre und Zierde .
Achilles fand sich nun zu seinem nicht geringen Verdruß durch unsere Konvivia in der Nacht , wenn er umherlaufen und das Haus beschützen sollte gegen jede Unbill , im Schlafe gestört und drohte uns als Ruhestörern Tod und Verderben .
Da er aber seiner Unbehilflichkeit halber nicht einmal auf den Boden , geschweige denn auf das Dach kommen konnte , so machten wir uns aus seinen Drohungen auch nicht das allermindeste , sondern trieben unser Wesen so nach- wie vorher .
Achilles nahm andere Maßregeln ; er begann den Angriff gegen uns , wie ein guter General manche Schlacht , mit verdeckten Angriffen und dann mit offenbarer Plänkelei .
Verschiedene Spitze , denen Achilles zuweilen die Ehre antat , mit ihnen zu spielen , indem er sie mit seinen ungeschickten Tatzen handhabte , mußten nämlich auf sein Geheiß , sobald wir unseren Gesang begannen , dermaßen bestialisch bellen , daß wir keine vernünftige Note verstehen konnten ! -
Noch mehr ! -
Bis auf den Dachboden drangen einige dieser Philisterknechte und trieben , ohne sich mit uns , wenn wir ihnen die Krallen zeigten , auf irgendeinen offenen ehrlichen Kampf einlassen zu wollen , solch einen fürchterlichen Lärm mit Schreien und Bellen , daß , wurde erst nur der Hofhund in seinem Schlaf gestört , jetzt der Herr des Hauses selbst kein Auge zudrücken konnte und , da der Zeterspektakel gar nicht enden wollte , die Hetzpeitsche ergriff , um die Tumultuanten über seinem Haupte zu vertreiben . -
O Kater , der du dieses liest , ist dir , trägst du wahren männlichen Sinn in der Brust , hellen Verstand im Kopf , hast du keine verwöhnten Ohren , ist dir , sage ich , denn jemals etwas abscheulicher , widriger , verhaßter und dabei erbärmlicher vorgekommen als das kreischende , gellende , durch alle Tonarten dissonierende Gebelle in Harnisch geratener Spitze ? -
Diese kleinen wedelnden , schmatzenden , sich niedlich gebärdenden Kreaturen , nimm dich für sie in acht , Kater ! trau ihnen nicht .
Glaube mir , eines Spitzes Freundlichkeit ist gefährlicher als die hervorgestreckte Kralle des Tigers !
- Schweigen wir von bitteren Erfahrungen , die wir in dieser Hinsicht leider ! nur zu oft gemacht , und kehren wir zurück zu dem ferneren Verlauf unserer Geschichte .
Also wie gesagt , der Herr ergriff die Peitsche , um die Tumultuanten vom Boden zu vertreiben .
Was aber geschah ? die Spitze schwanzwedelten dem erzürnten Herrn entgegen , leckten ihm die Füße und stellten ihm vor , wie aller Zeterlärm nur seiner Ruhe wegen erhoben , unerachtet er eben dadurch aus aller behaglichen Ruhe gekommen .
Gebellt hätten sie bloß , um uns , die wir allerlei unduldsamen Unfug trieben auf dem Dache mit Singen von Liedern in allzu hell klingenden Tonarten u. d. , zu verjagen .
Der Herr ließ sich leider durch der Spitze geschwätzige Beredsamkeit um so mehr dahin bringen , alles zu glauben , als der Hofhund , den er darum zu befragen nicht unterließ , in dem bitteren Haß , den er wider uns im Inneren trug , es bestätigte . Uns traf nun die Verfolgung ! - Überall wurden wir vertrieben , von Hausknechten mit Besenstielen , mit geworfenen Dachziegeln , ja ! überall waren Schlingen und Fuchseisen aufgestellt , in die wir uns verfangen sollten und leider ! wirklich verfingen .
Selbst mein lieber Freund Muzius fiel ins Malheur , das heißt in ein Fuchseisen , welches ihm die rechte Hinterpfote jämmerlich zerquetschte !
So war es um unser fröhliches Zusammenleben geschehen , und ich kehrte zurück unter den Ofen des Meisters , beweinend in tiefer Einsamkeit das Schicksal meiner unglücklichen Freunde . - -
Eines Tages trat Herr Lothario , der Professor der Ästhetik , in meines Herrn Zimmer , und hinter ihm her - sprang Ponto hinein .
Gar nicht zu sagen vermag ich , welch ein unangenehmes unheimliches Gefühl mir Pontos Anblick verursachte .
War er auch geradezu selbst weder Hofhund noch Spitz , so gehörte er doch zu dem Geschlecht , dessen üble feindselige Gesinnung mein Leben in der lustigen Katsburschen-Gesellschaft verstört hatte , und schon deshalb mir mitsamt aller Freundschaft , die er mir erwiesen , dennoch zweideutig .
Übendem schien mir in Pontos Blick , in seinem ganzen Wesen etwas Übermütiges , Verhöhnendes zu liegen , und ich beschloß daher , ihn lieber gar nicht zu sprechen .
Leise , leise schlich ich weg von meinem Kissen und war mit einem Satz im Ofen , dessen Türe gerade offen stand , die ich hinter mir anzog .
Herr Lothario sprach nun mit dem Meister so manches , was meine Teilnahme um so weniger erregte , als ich meine ganze Aufmerksamkeit auf den jungen Ponto gerichtet hatte , der , nachdem er , recht stutzermäßig ein Liedchen trällernd , im Zimmer herumgetänzelt , auf die Fensterbank gesprungen war , zum Fenster hinausschaute und , wie es Fanfarons zu tun pflegen , jeden Augenblick vorübergehenden Bekannten zunickte , auch wohl gar ein wenig blaffte , gewiß um die Blicke vorübergehender Schönen seines Geschlechts auf sich zu ziehen .
- An mich schien der Leichtsinnige gar nicht zu denken , und unerachtet ich , wie gesagt , ihn gar nicht zu sprechen wünschte , so war es mir doch gar nicht recht , daß er nicht nach mir fragte , gar keine Notiz von mir nahm .
Ganz anderer und , wie es mich bedünken wollte , viel artigerer und vernünftigerer Gesinnung war der ästhetische Professor , Herr Lothario , der , nachdem er sich überall im Zimmer nach mir umhergeschaut , zu dem Meister sprach :
" Aber wo ist denn Euer vortrefflicher Monsieur Murr ! " - . Es gibt für einen ehrlichen Katsburschen keine schnödere Benennung als das fatale Wort : Monsieur , indessen muß man von Ästhetikern in der Welt viel leiden , und so verzieh ich dem Professor die Unbill .
Meister Abraham versicherte , daß ich seit einiger Zeit meine eigenen Gänge gehabt und vorzüglich nachts selten zu Hause gewesen , wovon ich denn müde und ermattet geschienen .
Soeben habe ich auf dem Kissen gelegen , und er wisse in der Tat nicht , wohin ich eben jetzt so schnell verschwunden .
" Ich vermute , " sprach der Professor weiter , " ich vermute fast , Meister Abraham , daß euer Murr - Doch ist er auch hier irgendwo versteckt und lauscht ? -
Laßt uns doch einmal ein wenig nachsehen . "
Leise zog ich mich in den Hintergrund des Ofens , aber man kann denken , wie ich die Ohren spitzte , da nun von mir die Rede .
- Der Professor hatte vergebens alle Winkel durchsucht zu nicht geringer Verwunderung des Meisters , der lachend rief :
" In der Tat , Professor , Ihr tut meinem Murr unglaubliche Ehre an ! "
" Hoho , " erwiderte der Professor , " der Verdacht , den ich gegen Euch , Meister , hege wegen des pädagogischen Experiments , vermöge dessen ein Kater zum Dichter und Schriftsteller wurde , kommt mir nicht aus der Seele .
Gedenkt Ihr nicht mehr des Sonetts , der Glosse , die mein Ponto Euerem Murr recht unter den Pfoten weggeraubt ? -
Doch dem sei , wie ihm wolle , ich nutze Murrs Abwesenheit , um Euch eine schlimme Vermutung mitzuteilen und Euch recht dringend zu empfehlen , achtsam zu sein auf Murrs Betragen .
- Sowenig ich mich sonst um Katzen bekümmere , doch ist es mir nicht entgangen , daß manche Kater , die sonst ganz artig und manierlich waren , jetzt plötzlich ein Wesen annehmen , das gegen alle Sitte und Ordnung gröblich anstößt .
Stadt wie sonst sich demütig zu biegen und zu schmiegen , stolzieren sie trotzig daher und scheuen sich gar nicht , durch funkelnde Blicke , durch zorniges Knurren ihre ursprüngliche wilde Natur zu verraten , auch wohl gar die Krallen zu zeigen .
Sowenig sie auf ein bescheidenes stilles Betragen achten , ebenso wenig ist ihnen daran gelegen , was das Äußere betrifft , als gesittete Weltleute zu erscheinen .
Da ist an kein Putzen dies Bartes , an kein Glänzendlecken des Fells , an kein Abbeißen der zu lang gewordenen Krallen zu denken ; zottig und rauh mit struppigem Schweife rennen sie daher , allen gebildeten Katzen ein Greuel und Abscheu .
Was aber vorzüglich tadelnswert erscheint und nicht geduldet werden darf , sind die heimlichen Zusammenkünfte , die sie zur Nachtzeit halten und dabei ein tolles Wesen treiben , welches sie Gesang nennen , unerachtet dabei nichts vernehmbar als ein widersinniges Geschrei , dem es an schicklichem Takt , ordnungsmäßiger Melodie und Harmonie gänzlich mangelt .
Ich fürchte , ich fürchte , Meister Abraham , daß Euer Murr sich auf die schlechte Seite gelegt hat und teilnimmt an jenen unanständigen Belustigungen , die ihm nichts einbringen können als tüchtige Prügel .
- Es sollte mir leid tun , wenn alle Mühe , die Ihr auf den kleinen Grauen verwandt , umsonst wäre und er sich trotz aller Wissenschaft zu dem gewöhnlichen wüssten Treiben gemeiner liederlicher Kater herabließe . "
- Als ich mich , meinen guten Muzius , meine hochherzigen Brüder verkannt sah auf so schnöde Weise , entfloh mir unwillkürlich ein Schmerzenslaut .
" Was war das ? " rief der Professor , " ich glaube gar , Murr sitzt doch versteckt im Zimmer ! -
Ponto !
Allons !
- Suche , such ' ! "
- Mit einem Satz war Ponto herunter von der Fensterbank und schnüffelte im Zimmer umher .
Vor der Ofentüre blieb er stehen , knurrte , bellte , sprang herauf .
- " Er ist im Ofen , das hat keinen Zweifel ! "
So sprach der Meister und öffnete die Türe .
Ich blieb ruhig sitzen und blickte den Meister mit klaren glänzenden Augen an .
" Wahrhaftig , " rief der Meister , " wahrhaftig , da sitzt er ganz hinten im Ofen .
- Nun ? -
bequemt Er sich hervorzukommen ? -
Ob Er heraus will ! "
Sowenig ich auch Lust hatte , meinen Versteck zu verlassen , so mußte ich doch wohl dem Befehl des Meisters gehorchen , wollte ich es nicht auf Gewalt gegen mich ankommen lassen und dabei den kürzeren ziehen .
Langsam kroch ich daher hervor .
Kaum war ich aber an das Tageslicht gekommen , als beide , der Professor und der Kleister , laut riefen :
" Murr ! -
Murr ! wie siehst du aus ! -
Was sind das für Streiche ! "
- Freilich war ich über und über voller Asche , und kam noch hinzu , daß wirklich mein Äußeres seit einiger Zeit merklich gelitten , so daß ich mich in der Schilderung , die der Professor von schismatischen Katern gemacht , wiedererkennen mußte , so konnte ich mir freilich die erbärmliche Figur , in der ich erschien , wohl denken .
Verglich ich nun eben meine erbärmliche Figur mit der meines Freundes Ponto , der in seinem stattlichen , glänzenden , schön gekräuselten Pelz in der Tat ganz hübsch anzusehen , so erfüllte mich tiefe Scham , und ich kroch still und betrübt in den Winkel .
" Ist das , " rief der Professor , " ist das der gescheite sittige Kater Murr ? der elegante Schriftsteller , der geistreiche Dichter , der Sonette schreibt und Glossen ? -
Nein , das ist ein ganz gemeiner Katz , der sich in Küchen auf den Herden herumtreibt und sich auf sonst weiter nichts versteht , als Mäuse zu fangen in Kellern und auf Böden ! -
Hoho ! sage mir doch , mein sittiges Vieh , ob du bald zu promovieren verlangst oder gar das Katheder zu besteigen als Professor der Ästhetik ? -
In der Tat , ein netter Doktorhabit , in den du dich geworfen ! "
- So ging es fort in verhöhnenden Redensarten ; was konnte ich tun , als , wie es bei derlei Fällen , nämlich wenn ich ausgehunzt wurde , meine Sitte war , die Ohren dicht ankneifen an den Kopf .
Beide , der Professor und der Meister , schlugen zuletzt eine helle Lache auf , die mir das Herz durchbohrte .
Beinahe noch empfindlicher war mir aber Pontos Betragen .
Nicht allein daß er durch Mienen und Gebärden den Hohn seines Herrn teilte , so bewies er auch durch allerlei Seitensprünge offenbar seine Scheu , sich mir zu nahen , wahrscheinlich fürchtete er seinen schönen reinen Pelz zu beschmutzen .
Es ist nichts Geringes für einen Kater , der sich solcher Vortrefflichkeit bewußt ist als ich , von einem stutzerhaften Pudel dergleichen Verachtung dulden zu müssen .
Der Professor geriet nun mit dem Meister in ein weitläufiges Gespräch , das sich nicht auf mich und auf mein Geschlecht zu beziehen schien , und von dem ich eigentlich wenig verstand .
Doch so viel vernahm ich wohl , daß davon die Rede war , ob es besser sei , dem oftmals wirren ungezügelten Treiben exaltierter Jugend mit offener Gewalt entgegenzutreten oder es nur einzugrenzen auf geschickte unbemerkbare Weise und Raum zu geben der eigenen Erkenntnis , in der sich jenes Treiben alsbald selbst vernichtet .
Der Professor war für die offene Gewalt , da die Gestaltung der Dinge zum äußeren Wohl es forder , daß jeder Mensch , alles Widerstrebens unerachtet , so zeitig als möglich in die Form gepreßt werde , wie sie durch das Verhältnis aller einzelnen Teile zum Ganzen bedingt werde , da sonst sogleich eine verderbliche Monstrosität entstehe , die allerlei Unheil verursachen könne .
- Der Professor sprach dabei etwas von Pereatbringen und Fenstereinwerfen , welches ich aber durchaus nicht verstand .
- Der Meister meinte dagegen , daß es mit jugendlichen exaltierten Gemütern so gehe wie mit den Partiell-Wahnsinnigen , die der offene Widerstand immer wahnsinniger mache , wogegen die selbst errungene Erkenntnis des Irrtums radikal heile und nie einen Rückfall befürchten lasse .
" Nun , " rief der Professor endlich , indem er aufstand und Stock und Hut ergriff , " nun , Meister , was die offene Gewalt gegen exaltiertes Treiben betrifft , so werdet Ihr mir doch insofern recht geben , daß sie da schonungslos eintreten muß , wenn jenes Treiben verstörend hineingreift in das Leben , und so ist es , um wieder auf Euren Kater Murr zurückzukommen , denn doch recht gut , daß , wie ich höre , tüchtige Spitze die verwünschten Kater auseinandergetrieben haben , die so bestialisch sangen und dabei Wunder sich große Virtuosen dankten . "
" Wie man es nimmt , " erwiderte der Meister , " hätte man sie singen lassen , vielleicht wären sie das geworden , was sie sich irrtümlicherweise schon zu sein dünkten , nämlich in der Tat gute Virtuosen , statt daß sie jetzt vielleicht an der wahren Virtuosität zweifeln ganz und gar . "
Der Professor empfahl sich , Ponto sprang hinterdrein , ohne mich einmal , wie er doch sonst mit vieler Freundlichkeit getan , eines Abschiedsgrußes zu würdigen .
" Ich , " wandte sich nun der Meister zu mir , " ich bin selbst bisher unzufrieden gewesen mit deinem Betragen , Murr , und es ist Zeit , daß du einmal wieder ordentlich und vernünftig wirst , damit du wieder zu besserem Rufe gelangest , als in dem du jetzt zu stehen scheinst .
Wäre es möglich , daß du mich ganz verstündest , so würde ich dir raten , immer still , freundlich zu sein , und alles , was du beginnen magst , ohne alles Geräusch zu vollbringen , denn auf diese Weise erhält man sich den guten Ruf am besten . -
Ja , ich würde dir als Beispiel zwei Leute zeigen , von denen der eine jeden Tag still für sich allein im Winkel sitzt und so lange eine Flasche Wein nach der anderen trinkt , bis er in völlig trunkenen Zustand gerät , den er aber vermöge langer praktischer Übung so gut zu verbergen weiß , daß ihn niemand ahnet .
Der andere trinkt dagegen nur dann und wann in Gesellschaft fröhlicher gemütlicher Freunde ein Glas Wein ; das Getränk macht ihm Herz und Zunge frei , er spricht , indem seine Laune steigt , viel und eifrig , doch ohne Sitte und Anstand zu verletzen , und eben ihn nennt die Welt einen leidenschaftlichen Weintrinker , während jener geheime Trunkenbold für einen stillen mäßigen Mann gilt .
Ach , mein guter Kater Murr !
Kenntest du den Lauf der Welt , so würdest du einsehen , daß ein Philister , der stets die Fühlhörner einzieht , es am besten hat .
Aber wie kannst du wissen , was ein Philister ist , unerachtet es wohl in deinem Geschlecht auch dergleichen genug geben mag . "
Bei diesen Worten des Meisters konnte ich mich im Bewußtsein der vortrefflichen Katerkenntnis , die ich mir durch des wackeren Muzius Belehrungen sowohl als durch eigene Erfahrung erworben , eines lauten freudigen Prustens und Knurrens nicht erwehren .
" Ei , " rief der Meister laut lachend , " ei , Murr , mein Kater !
ich glaube gar , du verstehst mich , und der Professor hat recht , der in dir einen besonderen Verstand entdeckt haben will und dich gar fürchtet als seinen ästhetischen Nebenbuhler ? "
Zur Bestätigung , daß dem wirklich so sei , gab ich ein sehr klares , wohltönendes Miau von mir und sprang ohne weiteres dem Meister auf den Schoß .
Nicht bedacht hatte ich indessen , daß der Meister gerade seinen Staatsschlafrock von gelbem , großgeblümtem , seidenem Zeuge angezogen , den ich notwendigerweise beschmutzen mußte .
Mit einem zornigen :
" Will Er wohl ! " schleuderte der Meister mich so heftig von sich , daß ich überpurzelte und , ganz erschrocken die Ohren unkneifend , die Augen zudrückend , niederduckte auf den Fußboden .
Gepriesen sei aber die Gutmütigkeit meines guten Meisters !
" Nun , " sprach er freundlich , " nun , nun , Murr , mein Kater !
so böse war es nicht gemeint ! -
Ich weiß es , deine Absicht war gut , du wolltest mir deine Zuneigung beweisen , aber das tatst du auf täppische Weise , und geschieht dieses , so fragt man freilich den Henker was nach der Absicht ! -
Nun , komme nur her , kleiner Äschereling , ich muß dich putzen , damit du wieder aussiehst wie ein honetter Kater ! "
Damit warf der Meister den Schlafrock ab , nahm mich in die Arme und ließ es sich nicht verdrießen , mir mit einer weichen Bürste den Pelz rein zu bürsten und dann die Haare mit einem kleinen Kamm glänzend zu kämmen .
Als die Toilette geendet und ich bei dem Spiegel vorüber spazierte , erstaunte ich selbst , wie ich so plötzlich ein ganz anderer Kater worden .
Ich konnte es gar nicht unterlassen , mich selbst behaglich anzuschnurren , so schön kam ich mir vor , und nicht leugnen mag ich , daß in dem Augenblick sich große Zweifel gegen die Anständigkeit und Nützlichkeit des Burschenklubs in mir regten .
Daß ich in den Ofen gekrochen , schien mir ein wahrer Barbarismus , den ich nur einer Art Verwilderung zuschreiben konnte , und nicht einmal nötig war daher die Warnung des Meisters , der mir zurief :
" Daß Er mir nur nicht wieder in den Ofen kriecht ! "
In der folgenden Nacht war es mir , als vernehme ich an der Türe ein leises Kratzen und ein furchtsames Miau ! das mir sehr bekannt vorkam .
Ich schlich heran und fragte , wer da sei . -
Da erwiderte ( ich erkannte ihn sogleich an der Stimme ) der wackere Senior Puff :
" Ich bin es , trauter Bruder Murr , und habe dir eine höchst betrübte Nachricht zu bringen ! " -
O Himmel , was - ( Mak. Bl. )
" - großes Unrecht getan , meine liebe süße Freundin . -
Nein ! mehr bist du mir als das , meine treue Schwester !
Ich habe dich nicht genug geliebt , dir nicht genug vertraut .
Erst jetzt öffnet sich dir meine ganze Brust , erst jetzt , da ich weiß - "
Die Prinzessin stockte , ein Tränenstrom stürzte ihr aus den Augen , aufs neue drückte sie Julien zärtlich an ihr Herz .
" Hedwiga , " sprach Julie sanft , " hast du mich denn nicht sonst mit ganzer Seele geliebt , trugst du denn jemals Geheimnisse in dir , die du mir nicht vertrauen wolltest ? -
Was weißt du , was hast du erst jetzt erfahren ?
Doch nein , nein !
Kein Wort weiter , bis diese Pulse wieder ruhig schlagen , bis diese Augen nicht mehr so düster glühen . "
- " Ich weiß nicht , " erwiderte die Prinzessin , plötzlich zur Empfindlichkeit gereizt , " ich weiß nicht , was ihr alle wollt .
Krank soll ich noch sein , und nie fühlte ich mich kräftiger , gesünder .
Der seltsame Zufall , der mich traf , hat euch erschreckt , und doch mag es sein , daß solche elektrische Schläge , die den ganzen Organismus des Lebens ins Stocken bringen , mir gerade nötig und nützlicher sind als alle Mittel , die eine blöde dürftige Kunst in unglückseliger Selbsttäuschung darbietet .
- Wie er mir fatal ist , dieser Leibarzt , der die menschliche Natur zu handhaben vermeint wie ein Uhrwerk , das man abstäuben , aufziehen muß ! -
Grauenhaft ist er mir mit seinen Tropfen , mit seinen Essenzen .
- Von diesen Dingen soll mein Wohl abhängig sein ? -
So wäre ja das Leben hienieden eine entsetzliche Neckerei des Weltgeistes . "
" Und , " unterbrach Julie die Prinzessin , " und eben diese Überspannung ist der Beweis , daß du noch krank bist , meine Hedwiga , und dich viel mehr schonen solltest , als du es wirklich tust . "
" Auch du willst mir weh tun ! "
So rief die Prinzessin , sprang hastig auf und eilte ans Fenster , das sie öffnete und hinausschaute in den Park .
Julie folgte ihr nach , umschlang sie mit einem Arm und bat mit der zärtlichsten Wehmut , daß sie doch wenigstens den rauhen Herbstwind scheuen und sich die Ruhe gönnen möge , die der Leibarzt für so heilsam geachtet .
Die Prinzessin erwiderte indessen , daß sie sich gerade durch den kalten Luftzug , der zum Fenster hineinströme , erquickt und gestärkt fühle .
Recht aus dem innigsten Gemüt heraus sprach nun Julia von der letztvergangenen Zeit , in der ein finsterer bedrohlicher Geist gewaltet , und wie sie alle innere Kraft aufbieten müssen , um nicht verstört zu werden von so mancher Erscheinung , die ihr ein Gefühl erregt , dem sie kein anderes gleichstellen könne als die wahre tötende Gespensterfurcht .
Dahin rechnete sie vorzüglich den geheimnisvollen Zwiespalt , der sich zwischen dem Prinzen Hektor und Kreisler erhoben , und der das Entsetzlichste ahnen lassen , denn nur zu gewiß sei es , daß der arme Johannes fallen sollen von der Hand des rachsüchtigen Italieners und nur , wie Meister Abraham versichere , durch ein Wunder gerettet worden .
" Und , " so sprach Julia , " und dieser furchtbare Mann , er sollte dein Gemahl werden ? - Nein - nimmermehr !
Dank der ewigen Macht ! du bist gerettet !
Niemals kehrt er zurück .
Nicht wahr , Hedwiga ?
Niemals ! "
" Niemals ! " erwiderte die Prinzessin mit dumpfer , kaum vernehmbarer Stimme .
Dann seufzte sie auf aus tiefer Brust und sprach leise weiter wie im Traume : " Ja , dieses reine Himmelsfeuer soll nur leuchten und wärmen , ohne mit verderblichen Flammen zu vernichten , und aus der Seele des Künstlers leuchtet die zum Leben gestaltete Ahnung - sie selbst - seine Liebe hervor !
So sprachst du hier an dieser Stelle . "
- " Wer , " rief Julia ganz bestürzt , " wer sprach so ? -
An wen dachtest du , Hedwiga ? "
Die Prinzessin fuhr mit der Hand über die Stirn , als müsse sie sich besinnen auf die Gegenwart , der sie entrückt .
Dann wankte sie , von Julien unterstützt , zum Sofa , auf dem sie sich ganz erschöpft niederließ .
Julia , um die Prinzessin besorgt , wollte die Kammerfrauen herbeirufen , Hedwiga zog sie aber sanft nieder auf den Sofa , indem sie leise lispelte :
" Nein , Mädchen !
- Du , du allein sollst bei mir bleiben , glaube ja nicht , daß mich etwa Krankheit erfaßt .
- Nein , es war der Gedanke der höchsten Seligkeit , der zu mächtig wurde , der diese Brust zersprengen Wollte , und dessen Himmelsentzücken sich gestaltete wie tötender Schmerz .
Bleibe bei mir , Mädchen , du weißt es selbst nicht , welch einen wunderbaren Zauber du über mich zu üben vermagst ! -
Laß mich schauen in deine Seele wie in einen klaren reinen Spiegel , damit ich mich selbst nur wiedererkenne ! -
Julia ! oft ist es mir , als käme die Begeisterung des Himmels über dich , und die Worte , die wie Liebeshauch über deine süßen Lippen strömten , wären trostreiche Prophezeiung .
Julia ! -
Mädchen , bleibe bei mir , verlasse mich nie - nie ! "
Damit sank die Prinzessin , indem sie Julias Hände festhielt , mit geschlossenen Augen zurück in den Sofa .
Wohl war Julia an Augenblicke gewöhnt , in denen Hedwiga geistig krankhafter Überspannung erlag , doch fremd , ganz fremd und rätselhaft war ihr der Paroxysmus , wie er sich eben jetzt zeigte .
Sonst war es eine leidenschaftliche Verbitterung , die , erzeugt von dem Mißverhältnis des inneren Gefühls mit der Gestaltung des Lebens , beinahe bis zum Gehässigen sich steigernd , Julias kindliches Gemüt verletzte .
Jetzt schien Hedwiga , wie sonst niemals , ganz aufgelöst in Schmerz und namenloser Wehmut , und dieser trostlose Zustand rührte Julien in eben dem Grade , als ihre Angst stieg um die geliebte Freundin .
" Hedwiga , " rief sie , " meine Hedwiga , ich verlasse dich ja nicht , kein treueres Herz neigt sich zu dir als das meinige , aber sprich , o sprich doch nur , vertraue mir doch nur , welch eine Qual dein Inneres zerreißt ? -
Mit dir will ich klagen , mit dir will ich weinen ! "
Da verbreitete sich ein seltsames Lächeln auf Hedwigas Antlitz , ein sanftes Rot schimmerte auf den Wangen , und ohne die Augen zu öffnen , lispelte sie leise :
" Nicht wahr , Julia , du bist nicht in Liebe ? "
Seltsam fühlte sich Julia von dieser Frage der Prinzessin getroffen , als durchbebe sie ein jäher Schreck .
In welches Mädchens Brust regen sich nicht Ahnungen einer Leidenschaft , die das Hauptbedingnis scheint seiner Existenz , denn nur das liebende Weib ist dies ganz .
Doch ein reiner , kindlicher , frommer Sinn läßt diese Ahnungen ruhen , ohne weiter zu forschen , ohne im lüsternen Vorwitz das süße Geheimnis enthüllen zu wollen , das nur in dem Moment aufgeht , den eine dunkle Sehnsucht verheißen .
So war es mit Julia , die plötzlich ausgesprochen hörte , was sie zu denken nicht gewagt , und geängstigt , als zeihe man sie einer Sünde , der sie selbst nicht klar sich bewußt , ihr eigenes Inneres ganz zu durchschauen sich mühte .
" Julia , " wiederholte die Prinzessin , " du liebst nicht ? - sage es mir ! - sei aufrichtig . "
" Wie sonderbar , " erwiderte Julia , " wie seltsam du mich fragst , was kann , was soll ich dir antworten ? "
" Sprich , o sprich , " flehte die Prinzessin . -
Da wurde es sonnenhell in Julias Seele , und sie fand Worte , das auszusprechen , was sie deutlich erblickte in ihrem eigenen Inneren .
" Was , " so begann Julia sehr ernst und gefaßt , " was geht vor in deinem Gemüt , Hedwiga , indem du mich so fragst ?
Was ist dir die Liebe , von der du sprichst ?
Nicht wahr , man soll sich hingezogen fühlen zu dem Geliebten mit solcher unwiderstehlichen Macht , daß man nur ist , nur lebt in dem Gedanken an ihn , daß man sein ganzes Ich aufgibt um ihn , daß er allein uns alles Sehnen , alles Hoffen , alles Verlangen , die ganze Welt dünkt ?
Und diese Leidenschaft soll die höchste Stufe der Seligkeit gewähren ? - Mich schwindelt es vor dieser Höhe , denn dem Blick herab gähnt der bodenlose Abgrund mit allen Schrecknissen des rettungslosen Verderbens entgegen .
Nein , Hedwiga , diese Liebe , die ebenso entsetzlich ist als sündhaft , hat dies Gemüt nicht erfaßt , und fest will ich halten an dem Glauben , daß es ewig rein , ewig davon frei bleiben wird .
Doch wohl mag es sich begeben , daß ein Mann vor allen übrigen in uns die höchste Achtung , ja , bei der männlich eminenten Kraft seines Geistes wahre Bewunderung erregt .
Doch noch mehr als das , wir fühlen uns in seiner Nähe von einem gewissen gemütlichen Wohlbehagen geheimnisvoll durchströmt , erhoben über uns selbst , es scheint , als wenn unser Geist dann erst recht erwache , als wenn uns das Leben dann erst recht leuchte , und so sind wir froh , wenn er kommt , und traurig , wenn er geht .
- Nennst du dieses Liebe ? -
Nun , warum sollte ich es dir nicht gestehen , daß unser verlorene Kreisler mir dies Gefühl erweckt hat , und daß ich ihn schmerzlich vermisse . "
" Julia , " rief die Prinzessin , plötzlich auffahrend und Julien mit glühendem Blick durchbohrend , " Julia , kannst du ihn dir denken in den Armen einer anderen , ohne zu vergehen in namenloser Qual ? "
Hoch errötete Julia , und mit einem Ton , der erkennen ließ , wie sehr sie sich verletzt fühlte , erwiderte sie :
" Nie habe ich ihn mir gedacht in meinen Armen ! "
- " Ha ! -
du liebst ihn nicht - du liebst ihn nicht ! " -
so schrie die Prinzessin gellendes auf und sank dann wieder zurück in dem Sofa !
" O , " sprach Julie , "o , daß er wiederkehrte ! -
Rein und schuldlos ist das Gefühl , das ich für den teuren Mann hege in dieser Brust , und sehe ich ihn niemals wieder , so wird der Gedanke an ihn , den Unvergeßlichen , in mein Leben hineinleuchten wie ein schöner heller Stern . -
Doch gewiß , er kehrt zurück ! -
Denn wie kann - "
" Niemals , " unterbrach die Prinzessin Julien mit schroffem schneidendem Ton , " niemals kann , darf er wiederkehren , denn wie man vernimmt , befindet er sich in der Abtei Kanzheim und wird , sich der Welt entziehend , in den Orden des heiligen Benedikt treten . "
Julien kamen die hellen Tränen in die Augen , sie stand schweigend auf und begab sich an das Fenster .
" Deine Mutter , " fuhr die Prinzessin fort , " deine Mutter hat recht , ganz recht .
Wohl uns , daß er fort ist , dieser Wahnsinnige , der sich wie ein böser Geist eindrängte in unseres Herzens Rat , der uns in unserem eigenen Inneren zu zerreißen wußte .
- Und die Musik war das Zaubermittel , mit dem er uns umstrickte . -
Nie mag ich ihn wiedersehen . "
- Dolchstiche waren für Julien die Worte der Prinzessin , sie griff nach Hut und Schal .
" Du willst , " rief die Prinzessin , " du willst mich verlassen , meine süße Freundin ? - Bleibe - bleibe - tröste mich , wenn du kannst ! -
Unheimliches Grauen geht durch diese Säle , durch den Park !
denn wisse - "
Damit führte Hedwiga Julien an das Fenster , zeigte nach dem Pavillon hin , in dem der Adjutant des Prinzen Hektor gewohnt hatte , und begann mit dumpfer Stimme : " Schau ' dort hin , Julia , jene Mauern verbergen ein bedrohliches Geheimnis ; der Kastellan , die Gärtner beteuern , daß seit der Abreise des Prinzen niemand dort wohne , daß die Türe fest verschlossen , und doch - O schau nur hin - Schau ' nur hin ! -
siehst du es nicht , am Fenster ? "
In der Tat gewahrte Julia an dem Fenster , das in dem Giebel des Pavillons angebracht war , eine dunkle Gestalt , die in demselben Augenblick wieder schnell verschwand .
Hier dürfe , meinte Julia , indem sie fühlte , wie Hedwigas Hand krampfhaft in der ihrigen bebte , von einem bedrohlichen Geheimnis oder gar von etwas Gespenstischem durchaus nicht die Rede sein , da es nur zu leicht möglich , daß irgend jemand von der Dienerschaft den leeren Pavillon Unbefugteweise benutze .
Der Pavillon könne ja augenblicklich durchsucht und so auf der Stelle aufgeklärt werden , was es mit der Gestalt , die sich am Fenster blicken lasse , für eine Bewandtnis habe ; die Prinzessin versicherte aber dagegen , daß der alte treue Kastellan dies längst auf ihren Wunsch getan und beteuert , daß er in dem ganzen Pavillon auch nicht die Spur eines menschlichen Wesens gefunden .
" Laß es , " sprach die Prinzessin , " laß es dir erzählen , was sich vor drei Nächten begab !
- Du weißt , daß mich oft der Schlaf flieht , und daß ich dann aufzustehen und so lange durch die Zimmer zu wandeln pflege , bis mich eine Müdigkeit überfällt , der ich mich überlasse und es wirklich zum Einschlafen bringe .
So geschah es , daß mich vor drei Nächten Schlaflosigkeit in dies Zimmer trieb .
Plötzlich zitterte der Widerschein eines Lichts an der Wand vorüber , ich schaute durch das Fenster und gewahrte vier Männer , von denen einer eine Blendlaterne trug , und die in der Gegend des Pavillons verschwanden , ohne daß ich bemerken konnte , ob sie wirklich hineingingen in den Pavillon .
Nicht lange dauerte es aber , so wurde eben jenes Fenster hell , und Schatten huschten inwendig hin und her .
Dann wurde es wieder finster , aber durch das Gebüsch strahlte nun bald ein blendender Schimmer , der aus der Türe des geöffneten Pavillons kommen mußte .
Immer mehr näherte sich der Schein , bis endlich aus dem Gebüsch ein Benediktinermönch hinaustrat , der in der linken Hand eine Fackel , in der rechten aber ein Kruzifix trug .
Ihm folgten vier Männer , eine mit schwarzen Tüchern behängte Bahre auf den Schultern .
Nur einige Schritte waren sie gezogen , als ihnen eine in einen weiten Mantel eingehüllte Gestalt entgegentrat .
Sie standen still , setzten die Bahre nieder , die Gestalt zog die Tücher weg , und ein Leichnam wurde sichtbar .
Mir wollten die Sinne vergehen , kaum gewahrte ich noch , daß die Männer die Bahre aufhoben und dem Mönch schnell nacheilten auf dem breiten Seitenwege , der bald zum Park hinausführt auf die Straße nach der Abtei Kanzheim .
Seit dieser Zeit läßt sich jene Gestalt am Fenster sehen , und vielleicht ist es der Spuk eines Ermordeten , der mich ängstigt . "
Julia war geneigt , den ganzen Vorgang , wie ihn Hedwiga erzählte , für einen Traum oder , stand sie in der Tat wach am Fenster , für das täuschende Spiel der aufgeregten Sinne zu halten .
Wer sollte , wer konnte der Tote sein , den man unter solchen geheimnisvollen Umständen aus dem Pavillon forttrug , da niemand vermißt worden , und wer mochte daran glauben , daß dieser unbekannte Tote noch spuken solle in der Behausung , aus der man ihn fortgebracht ?
Julia äußerte dieses alles der Prinzessin und fügte noch hinzu , daß jene Erscheinung am Fenster auch wohl auf optischer Illusion beruhen , auch wohl gar ein Scherz des alten Magikers , Meister Abraham , sein könne , der ja oft sein Wesen treibe mit solchem Spiel und vielleicht dem leeren Pavillon einen gespenstischen Einsassen gegeben habe .
" Wie , " sprach die Prinzessin , die ihre ganze Fassung wieder gewonnen , sanft lächelnd , " wie man doch gleich mit der Erklärung bei der Hand ist , geschieht das Wunderbare , Übernatürliche !
- Was den Toten betrifft , so vergisst du das , was sich in dem Park begab , ehe Kreisler uns verließ . "
- " Um Gott , " rief Julia , " sollte denn wirklich eine gräßliche Tat begangen sein ? -
Wer ? - von wem ? "
" Du weißt , " fuhr Hedwiga fort , " du weißt ja , Mädchen , daß Kreisler lebt . -
Aber auch er lebt , der in Liebe ist zu dir - Sieh mich nicht so erschrocken an !
- Solltest du das nicht längst ahnen , was ich dir sagen muß , damit dir es klar werde , was , länger verborgen , dich verderben könnte ? -
Prinz Hektor liebt dich , dich , Julia , mit all der wilden Leidenschaft , die seiner Nation eigen .
Ich war , ich bin seine Braut , du aber , Julia , bist seine Geliebte . "
Die letzten Worte betonte die Prinzessin auf eine eigene scharfe Weise , ohne übrigens jenen besonderen Akzent hineinzulegen , der dem Gefühl innerer Kränkung eigen .
" O ewige Macht , " rief Julia heftig , indem ihr die Tränen aus den Augen stürzten , " Hedwiga , willst du denn meine Brust zerreißen ? -
Welcher finstere Geist spricht aus dir ! -
Nein , nein , gern will ich es leiden , daß du aller bösen Träume halber , die dich verstörten , an mir Ärmsten Rache nimmst , aber nie werde ich an die Wahrheit dieser bedrohlichen Phantome glauben ! -
Hedwiga !
- besinne dich doch nur , du bist ja nicht mehr die Braut des entsetzlichen Mannes , der uns erschien wie das Verderben selbst !
Nie kehrt er zurück , niemals wirst du sein ! "
" Doch , " erwiderte die Prinzessin , " doch ! -
Fasse dich nur Mädchen ! -
Nur dann , wenn die Kirche mich mit dem Prinzen verbunden , löst sich vielleicht das ungeheure Mißverständnis des Lebens , das mich elend macht !
- Dich rettet des Himmels wunderbare Fügung .
- Wir trennen uns , ich folge dem Gemahl , du bleibst ! "
- Die Prinzessin verstummte vor innerer Bewegung , auch Julia war keines Wortes mächtig , beide fielen sich schweigend , in Tränen zerfließend , an die Brust !
Man meldete , daß der Tee serviert sei .
Julia war aufgeregter , als es ihr besonnenes ruhiges Gemüt zuzulassen schien .
Es war ihr unmöglich , in der Gesellschaft zu bleiben , und die Mutter erlaubte ihr gern , nach Hause zu gehen , da die Prinzessin sich ebenfalls nach Ruhe sehnte .
Fräulein Nannette versicherte auf Befragen der Fürstin , daß die Prinzessin den Nachmittag und Abend sich sehr wohl befunden , indessen mit Julien durchaus allein sein wollen .
Soviel sie im Nebenzimmer beobachten können , hätten beide , die Prinzessin und Julia , sich allerlei Geschichten erzählt , auch Komödie gespielt und bald gelacht , bald geweint .
" Die lieben Mädchen , " sprach der Hofmarschall leise .
" Die aimable Prinzessin , das liebe Mädchen ! " verbesserte der Fürst , indem er den Hofmarschall mit großen Augen anblitzte .
Dieser wollte in der Bestürzung über den entsetzlichen Fehlgriff ein ziemliches Stücklein Zwieback , das er sattsam in Tee getränkt , auf einmal hinunterschlucken .
Das blieb ihm aber in der Kehle stecken , und er brach aus in ein fürchterliches Husten , so daß er schnell den Saal verlassen mußte und nur dadurch gerettet werden konnte vom schnöden Erstickungstode , daß der Hoffourier im Vorsaal mit geübter Faust ein wohlgesetztes Paukensolo ausführte auf seinem Rücken .
Nach zwei Unschicklichkeiten , deren er sich schuldig gemacht , fürchtete indessen der Hofmarschall noch die dritte zu begehen , er wagte es daher nicht zurückzukehren in den Saal , sondern ließ sich bei dem Fürsten mit plötzlich ihm angewandelter Krankheit entschuldigen .
Durch des Hofmarschalls Abwesenheit wurde aber die Whistpartie zerrissen , wie sie der Fürst gewöhnlich zu spielen pflegte .
Als nun die Spieltische geordnet , war alles in gespannter Erwartung , was der Fürst in diesem kritischen Fall tun werde .
Der tat aber nichts , als daß er , da auf seinen Wink die übrigen sich zum Spiel gesetzt hatten , die Hand der Rätin Benzon faßte , sie zum Kanapee führte und Platz nehmen hieß , indem er selbst sich ihr zur Seite hinsetzte .
" Unlieb , " sprach er dann sanft und leise , wie immer zur Benzon , " unlieb wäre es mir doch gewesen , wenn der Hofmarschall erstickt wäre am Zwieback .
Doch schien er Abwesenheiten des Geistes zu haben , wie ich es schon oftmals bemerkt , da er die Prinzessin Hedwiga ein Mädchen nannte , und würde daher im Whist miserabel gewesen sein . - Überhaupt , liebe Benzon , ist es mir heute recht erwünscht und angenehm , statt des Spiels mit Ihnen hier in der Einsamkeit einige Worte vertraulich zu wechseln wie sonst .
Ach - wie sonst !
Nun , Sie kennen mein Attachement für Sie , geliebte Frau !
Nie kann es aufhören , ein fürstliches Herz ist jedesmal ein treues , sobald nicht unabwendbare Verhältnisse ein anderes gebieten . "
Bei diesen Worten küßte der Fürst der Benzon viel zärtlicher die Hand , als es Stand , Alter und Umgebung zu erlauben schienen .
Die Benzon versicherte mit vor Freude funkelnden Augen , daß sie längst den Moment ersehnt , mit dem Fürsten vertraulich zu reden , da sie ihm so manches mitzuteilen habe , was ihm nicht unangenehm sein werde .
" Erfahren Sie , " sprach die Benzon , " erfahren Sie , gnädigster Herr , daß der Geheime Legationsrat aufs neue geschrieben , daß unsere Angelegenheit plötzlich eine günstigere Wendung genommen , daß - "
" Still , " unterbrach sie der Fürst , " still , beste Frau , nichts von Regierungsgeschäften !
Auch der Fürst trägt Schlafröcke und setzt eine Nachtmütze auf , wenn er , beinahe erdrückt von der Last des Regierens , sich zur Ruhe begibt , wovon freilich Friedrich der Große , König von Preußen , eine Ausnahme machte , der , wie es Ihnen als einer belesenen Frau bekannt sein wird , auch im Bette einen Filzhut aufsetzte .
Nun , ich meine , daß auch der Fürst immer zuviel von dem in sich trägt , was - nun !
was eben , wie die Leute sagen , das sogenannte bürgerliche Verhältnis , Ehe , Vaterfreuden u. s.w. begründet , um sich diesen Gefühlen ganz zu entschlagen , und es ist mindestens Pardonnabel , wenn er sich ihnen überläßt in Augenblicken , da der Staat , die Vorsorge für den gehörigen Anstand am Hofe und im Lande nicht sein ganzes Selbst in Anspruch nimmt . -
Gute Benzon ! solche Augenblicke sind die jetzigen ; fertig liegen sieben Unterschriften in meinem Kabinett , und nun lassen Sie mich den Fürsten ganz vergessen , lassen Sie mich hier beim Tee ganz Hausvater sein , der » deutsche Hausvater « vom Freiherrn von Gemmingen .
Lassen Sie mich von meinen - ja von meinen Kindern reden , die mir solchen Kummer verursachen , daß ich oft in eine ganze unschickliche Gemütsunruhe verfalle . "
- " Von Ihren , " sprach die Benzon mit spitzem Ton , " von Ihren Kindern soll die Rede sein , gnädigster Herr ?
Das heißt also von dem Prinzen Ignaz und von der Prinzessin Hedwiga ! - Sprechen Sie , gnädigster Herr , sprechen Sie , vielleicht kann ich Rat und Trost geben wie Meister Abraham . "
- " Ja " , sprach der Fürst weiter , " ja , Rat und Trost , der möchte mir manchmal vonnöten sein . -
Sehen Sie , gute Benzon , was zuerst den Prinzen betrifft , so bedurfte er freilich nicht besonderer Geistesgaben , die die Natur denjenigen zuzuteilen pflegt , die sonst ihres Standes halber obskur und fühllos bleiben würden , aber etwas mehr Esprit wäre ihm doch zu wünschen , er ist und bleibt ein -
Simple !
- Sehen Sie nur , da sitzt er und baumelt mit den Füßen und spielt eine falsche Karte aus nach der anderen und kichert und lacht wie ein Knabe von sieben Jahren ! -
Benzon ! entre nous soit dit , nicht die Kunst des Schreibens , insofern sie ihm nötig , ist ihm beizubringen ; sein fürstlicher Name sieht aus wie eine Eulenkralle .
Ewige Barmherzigkeit , was soll daraus werden !
Neulich wurde ich in meinen Geschäften gestört durch ein abscheuliches Gebelle vor meinem Fenster , ich schaue heraus , um den unangenehmen Spitz fortjagen zu lassen , und was muß ich erblicken !
Sollten Sie es glauben , gute Frau !
Es ist der Prinz , der wie wahnsinnig laut bellend hinter dem Gärtnerburschen herspringt !
- Sie spielen mitsammen Hase und Hund ! -
Ist wohl nur einiger Verstand darin , sind das fürstliche Passionen ? -
Kann der Prinz wohl jemals zu der geringsten Selbständigkeit kommen ? "
" Darum , " erwiderte die Benzon , " darum ist es nötig , daß der Prinz alsbald vermählt werde und eine Gemahlin erhalte , deren Anmut , deren Liebreiz , deren klarer Verstand seine schlafenden Sinne weckt , und die gutmütig genug ist , sich ganz zu ihm hinabzuneigen , um ihn dann allmählich zu sich heraufzuziehen .
Diese Eigenschaften sind dem weiblichen Wesen , das dem Prinzen angehören soll , unerläßlich , um ihn aus einem Seelenzustande zu retten , der , mit Schmerz spreche ich es aus , gnädigster Herr , zuletzt in wirklichen Wahnsinn ausarten kann .
Eben daher dürfen auch nur diese seltenen Eigenschaften entscheiden und der Stand nicht in allzustrengen Betracht kommen . "
" Niemals , " sprach der Fürst , indem er die Stirn runzelte , " niemals gab es Mesalliancen in unserem Hause , lassen Sie ab von einem Gedanken , den ich nicht billigen kann .
Immer war und bin ich noch bereit , sonst Ihre Wünsche zu erfüllen ! "
- " Daß , " erwiderte die Benzon mit scharfem Ton , " daß ich nicht wüßte , gnädigster Herr ! -
Wie oft mußten gerechte Wünsche schweigen chimärischer Rücksichten halber .
Aber es gibt Ansprüche , die aller Verhältnisse spotten . "
- " Laissons cela , " unterbrach der Fürst die Benzon , indem er sich ausräusperte und Tabak nahm .
Nach einigen Augenblicken des Stillschweigens fuhr er fort :
" Noch mehr Kummer als der Prinz macht mir die Prinzessin .
Sagen Sie , Benzon , wie war es möglich , daß uns eine Tochter von dieser seltsamen Gemütsart , noch mehr von dieser absonderlichen Krankhaftigkeit , die selbst den Leibarzt in Verlegenheit setzt , geboren werden konnte ?
Hat sich die Fürstin nicht immer einer blühenden Gesundheit erfreut , hat sie zu mystischen Nervenzufällen inkliniert ?
Bin ich selbst nicht , was Leib und Seele betrifft , ein robuster Fürst gewesen ?
Wie kommen wir zu dem Kinde , das , gestehen muß ich es zu meinem bitteren Leidwesen , mir oft - ganz verrückt erscheint , alles fürstlichen Anstands los und ledig ? "
- " Auch mir , " erwiderte die Benzon , " auch mir ist der Organismus der Prinzessin unbegreiflich .
- Die Mutter ist sich immer klar , verständig , von jeder zu heftigen verderblichen Leidenschaftlichkeit frei gewesen . "
- Die letzten Worte sprach die Benzon dumpf und leise vor sich hin , indem sie den Blick niedersenkte .
" Sie meinen die Fürstin ? " fragte der Fürst mit Akzent , da es ihm nicht anständig schien , daß dem Worte : Mutter nicht das Prädikat : Fürstin hinzugefügt .
" Wen sonst , " erwiderte die Benzon gespannt , " wen sonst sollte ich meinen ? "
" Hat , " sprach der Fürst weiter , " hat mich nicht der letzte fatale Zufall der Prinzessin um den Erfolg meiner Bemühungen und die Freude ihrer baldigen Vermählung , meinen Wünschen gemäß , gebracht ? -
Denn , gute Benzon , entre nous soit dit , der Prinzessin plötzliche Katalepsie , die ich bloß einer starken Erkältung zuschreibe , war wohl lediglich schuld an der plötzlichen Abreise des Prinzen Hektor .
- Er will abbrechen , und - juste ciel ! selbst muß ich es gestehen , ich kann es ihm nicht ganz verdenken , so daß , verböte nicht ohnehin der Anstand jede weitere Annäherung , schon dieses mich , den Fürsten , abhalten müßte , jetzt noch Schritte zu tun zur Erfüllung eines Wunsches , den ich freilich sehr ungern und nur notgedrungen aufgebe .
Recht werden Sie mir nämlich geben , geliebte Frau , daß es immer etwas Ängstliches hat mit einer Gemahlin , die solchen wunderlichen Zufällen unterworfen .
Kann eine solche fürstliche und zugleich kataleptische Gemahlin nicht mitten in der glänzendsten Cour davon erfaßt werden , automatisch dastehen und sämtliche würdige Anwesende zwingen , es ihr nachzutun und regungslos zu bleiben ?
- Freilich kann man wohl auch eine von einer allgemeinen Katalepsie befallene Cour sich als die feierlichste und erhabenste denken , die es in der Welt nur geben mag , da die leiseste Verletzung der nötigen Würde auch dem Leichtsinnigsten unmöglich .
Doch ein Gefühl , das mich eben in solchen hausväterlichen Augenblicken , wie die jetzigen hier beim Spiel , befällt , läßt es mich bemerken , daß ein solcher Zustand der Braut dem fürstlichen Bräutigam einiges fröstelndes Grauen erregen kann , und darum - Benzon !
Sie sind eine liebenswürdige , verständige Frau , fänden Sie vielleicht eine Möglichkeit , die Sache mit dem Prinzen zu redressieren , irgendein Mittel - "
" Es bedarf , " unterbrach die Benzon lebhaft den Fürsten , " es bedarf dessen gar nicht , gnädigster Herr !
Nicht der Prinzessin Krankheit trieb den Prinzen so schnell fort , ein anderes Geheimnis ist hier im Spiele , und in dieses Geheimnis ist der Kapellmeister Kreisler verflochten . "
" Wie , " rief der Fürst voll Erstaunen , " wie , was sagen Sie , Benzon ? der Kapellmeister Kreisler ?
So sollte es doch wahr sein , daß er - "
" Ja , " sprach die Rätin weiter , " ja , gnädigster Herr , ein Zwiespalt zwischen ihm und dem Prinzen Hektor , der vielleicht geschlichtet werden sollte auf zu heroische Weise , war es , der den Prinzen entfernte . "
- " Zwiespalt , " unterbrach der Fürst die Benzon , " Zwiespalt - geschlichtet - heroische Weise ! -
Der Schuß im Park - der blutige Hut ! -
Benzon ! es ist ja unmöglich - der Prinz - der Kapellmeister ! - ein Duell - ein Renkontre , beides ist ja undenkbar ! "
- " So viel , " fuhr die Benzon fort , " so viel , gnädigster Herr , ist gewiß , daß Kreisler auf der Prinzessin Gemüt nur zu mächtig einwirkte , daß jene seltsame Angst , ja , jenes Entsetzen , das sie erst empfand in Kreislers Gegenwart , sich gestalten wollte zur verderblichen Leidenschaft .
Möglich , daß der Prinz scharf genug sah , dies zu gewahren , daß er in Kreisler , der ihm von Anfang an entgegentrat mit feindlicher verhöhnender Ironie , einen Widersacher fand , den er sich vom Halse schaffen zu müssen glaubte , und daß hieraus sich eine Tat erzeugte , die freilich nur dem blutigen Haß des gekränkten Ehrgefühls , der Eifersucht verziehen werden darf , und die , Dank sei der ewigen Macht , nicht gelang .
Ich gestehe , daß dies alles die schnelle Abreise des Prinzen nicht erklärt , und daß , wie gesagt , noch ein dunkles Geheimnis waltet .
Der Prinz floh , wie mir Julia erzählt , entsetzt vor einem Bilde , das Kreisler bei sich trug und ihm vorzeigte . -
Nun , mag dem sein , wie ihm wolle , Kreisler ist fort , und der Prinzessin Krisis ist vorüber ! -
Glauben Sie mir , gnädigster Herr , blieb Kreisler , so flammte die heftigste Leidenschaft für ihn auf in der Prinzessin Brust , und sie wäre lieber gestorben , als daß sie dem Prinzen ihre Hand gegeben hätte .
Alles hat sich jetzt anders gestaltet , bald kehrt Prinz Hektor zurück , und die Vermählung mit der Prinzessin endigt alle Besorgnisse . "
" Sehen Sie , " rief der Fürst zornig , " sehen Sie , Benzon , die Insolenz des schnöden Musikanten !
- In ihn will die Prinzessin sich verlieben , seinetwegen die Hand des liebenswürdigsten Prinzen ausschlagen ! -
Ah le coquin ! -
Nun verstehe ich Euch , Meister Abraham , erst ganz ! -
Ihr sollt mir den fatalen Menschen vom Halse schaffen , daß er niemals wiederkehrt . "
- " Jede , " sprach die Rätin , " jede Maßregel , die der weise Meister Abraham deshalb etwa vorschlagen dürfte , würde überflüssig sein , da das Erforderliche deshalb schon geschehen ist .
Kreisler befindet sich in der Abtei Kanzheim , und wie mir der Abt Chrysostomus schreibt , wird er wahrscheinlich sich entschließen , der Welt zu entsagen und in den Orden zu treten .
Die Prinzessin hat dies schon erfahren von mir zur günstigen Stunde , und daß ich dabei keine sonderliche Gemütsbewegung der Prinzessin gewahrte , bürgt mir dafür , daß die bedrohliche Krisis , wie gesagt , schon vorüber . "
" Herrliche , " nahm der Fürst das Wort , " herrliche , liebenswürdige Frau ! welches Attachement beweisen Sie mir und meinen Kindern !
Wie sorgen Sie für das Wohl , für das Beste meines Hauses ! "
" Wirklich , " sprach die Benzon mit bitterem Ton , " wirklich ? - tue ich das ?
Konnte , durfte ich immer für das Wohl Ihrer Kinder sorgen ? "
Die Benzon legte auf die letzten Worte einen besonderen Nachdruck , der Fürst sah schweigend vor sich nieder und spielte mit den Daumen der zusammengefalteten Hände .
Endlich murmelte er leise :
" Angela ! - noch immer keine Spur ? - ganz verschwunden ? "
" So ist es , " erwiderte die Benzon , " und ich fürchte , daß das unglückliche Kind das Opfer irgendeiner Schändlichkeit geworden ist .
Man wollte sie in Venedig gesehen haben , aber gewiß war dies ein Irrtum .
- Gestehen Sie es , gnädigster Herr , es war grausam - entsetzlich , daß Sie Ihr Kind von der Brust der Mutter reißen ließen , es in ein trostloses Exil verbannten ! -
Diese Wunde , die mir Ihre Strenge schlug , werde ich niemals verschmerzen ! "
" Benzon , " sprach der Fürst , " habe ich Ihnen , dem Kinde nicht ein ansehnliches Jahrgehalt ausgesetzt ? - konnte ich mehr tun ?
Mußte ich nicht , blieb Angela bei uns , jeden Augenblick befürchten , daß unsere foiblesses verraten werden und auf unangenehme Weise die anständige Ruhe unseres Hofes zerstören konnten ?
- Sie kennen die Fürstin , gute Benzon !
Sie wissen , daß sie manchmal besondere Grillen hat . "
- " Also , " nahm die Benzon das Wort , " also Geld , ein Jahrgehalt soll die Mutter entschädigen für allen Schmerz , für alle Trauer , für alle bittere Klage um das verlorene Kind ? -
In der Tat , gnädigster Herr !
es gibt eine andere Art , für sein Kind zu sorgen , die die Mutter besser zufriedenstellt als alles Gold ! " -
Die Benzon sprach diese Worte mit einem Blick , mit einem Ton , der den Fürsten in einige Verlegenheit setzte .
" Vortreffliche Frau , " begann er betreten , " warum diese seltsame Gedanken ! - Glauben Sie denn nicht , daß mir ebenfalls das spurlose Verschwinden unserer lieben Angela sehr unangenehm , sehr fatal ist ?
Es muß ein artiges schönes Mägdlein geworden sein , da es von hübschen charmanten Eltern geboren . "
Aufs neue küßte der Fürst der Benzon sehr zärtlich die Hand , die sie aber schnell wegzog und mit funkelndem durchbohrendem Blick dem Fürsten ins Ohr flüsterte :
" Gestehen Sie es , gnädigster Herr , Sie waren ungerecht , grausam , als Sie darauf bestanden , daß das Kind entfernt werden müsse .
Ist es nicht Ihre Pflicht , den Wunsch nicht zurückzuweisen , dessen Erfüllung ich , gutmütig genug , wirklich für einigen Ersatz all meines Leide_es ansehen will ? "
- " Benzon , " erwiderte der Fürst noch kleinlauter als zuvor , " gute herrliche Benzon , kann denn unsere Angela nicht wiedergefunden werden ?
Ich will Heroisches tun für Ihre Wünsche , teure Frau !
Ich will mich dem Meister Abraham anvertrauen , mich mit ihm beraten .
- Es ist ein vernünftiger erfahrener Mann , vielleicht kann er helfen . "
" O , " unterbrach die Benzon den Fürsten , "o des weisen Meisters Abraham !
Glauben Sie denn , gnädigster Herr , daß Meister Abraham wirklich aufgelegt ist , für Sie etwas zu unternehmen , daß er Ihnen , Ihrem Hause getreulich anhängt ?
Und wie sollte er imstande sein , etwas herauszubringen über Angelas Schicksal , nachdem in Venedig , in Florenz alle Nachforschungen vergeblich geblieben sind und , was das Schlimmste ist , ihm jenes geheimnisvolle Mittel geraubt wurde , dessen er sich sonst bediente , um das Unbekannte zu erforschen . "
" Sie , " sprach der Fürst , " Sie meinen sein Weib , die böse Zauberin Chiara . "
" Sehr , " erwiderte die Benzon , " sehr fraglich möchte es sein , ob die vielleicht nur inspirierte , mit hören wunderbaren Kräften begabte Frau diesen Namen verdient .
Auf jeden Fall war es ungerecht , unmenschlich , dem Meister das geliebte Wesen zu rauben , an dem er hing mit ganzer Seele , ja , die ganz ein Teil seines Ich_es war . "
" Benzon , " rief der Fürst ganz erschrocken , " Benzon , ich verstehe Sie heute nicht !
- Mir schwindelt im Kopfe !
Waren Sie selbst nicht dafür , daß das bedrohliche Geschöpf , vermöge dessen der Meister bald alle unsere Verhältnisse beherrschen konnte , entfernt werden möchte ?
Billigten Sie nicht selbst mein Schreiben an den Großherzog , in dem ich vorstellte , daß , da jede Zauberei im Lande längst verboten , Personen , die in dieser Art beeigenschaftet , ihr Wesen trieben , nicht geduldet werden dürften und sicherheitshalber ein wenig eingesperrt werden müßten ?
Geschah es nicht aus purer Schonung gegen den Meister Abraham , daß der mysteriösen Chiara nicht der offene Prozeß gemacht , sondern daß sie in aller Stille aufgegriffen und fortgeschafft wurde , wohin weiß ich nicht einmal , da ich mich darum nicht weiter bekümmert ? -
Welch ein Vorwurf kann mich hier treffen ? "
" Verzeihung , " erwiderte die Benzon , " Verzeihung , gnädigster Herr , aber es ist doch in der Tat der Vorwurf des wenigstens übereilten Verfahrens , der Sie wohl mit Recht trifft .
- Aber ! - erfahren Sie es , gnädigster Herr !
Meister Abraham ist davon unterrichtet , daß seine Chiara weggeschafft wurde auf Ihren Anlaß .
Er ist still , er ist freundlich , aber glauben Sie nicht , Gnädigster Herr , daß Haß und Rache brütet in seinem Inneren gegen den , der ihm sein Liebstes raubte auf Erden ?
Und diesem Mann wollen Sie vertrauen , wollen ihm Ihr Inneres erschließen ? "
- " Benzon , " sprach der Fürst , indem er sich die Schweißtropfen von der Stirn wegtrocknete , " Benzon !
Sie alterieren mich sehr - ganz unbeschreiblich , möchte ich sagen ! -
Barmherziger ! kann ein Fürst so aus der Kontenance gebracht werden ?
Muß , beim Teufel - Gott , ich glaube gar , ich fluche wie ein Dragoner hier beim Tee ! -
Benzon ! warum sprachen Sie nicht früher ! -
Er weiß schon alles ! -
Im Fischerhäuschen , gerade als ich ganz außer mir war über der Prinzessin Zustand , da floß mir das Herz , der Mund über . -
Ich sprach von Angela , entdeckte ihm - Benzon , schrecklich ist es ! - j'etois un -
Esel ! -
Voilà tout ! "
" Und er erwiderte ? "
So fragte die Benzon gespannt .
" Beinahe , " sprach der Fürst weiter , " beinahe ist es mir so , als habe der Meister Abraham zuerst angefangen , von unserem früheren Attachement zu sprechen , und wie ich ein glücklicher Vater sein können , statt daß ich nun ein Malheuruser sei .
- So viel ist aber richtig , daß , als ich meine Beichte geendet , er lächelnd erklärte , wie er schon längst alles wisse und hoffe , daß sich vielleicht in ganzer kurzer Zeit aufklären werde , wo Angela geblieben .
- Mancher Trug würde dann vernichtet werden , manche Täuschung zerrinnen . "
" Das , " sprach die Benzon mit bebenden Lippen , " das sagte der Meister ? "
" Sur mon honneur , " erwiderte der Fürst , " das sprach er . -
Tausend sapperment - pardonieren Sie , Benzon , aber ich bin im Zorn - wenn der Alte es mir nachtragen sollte ? - Benzon , que faire ? "
Beide , der Fürst und die Benzon , starrten sich sprachlos an .
" Durchlauchtigster Herr , " lispelte leise ein Kammerlakai , indem er dem Fürsten Tee präsentierte .
" Bete ! " schrie aber der Fürst , im hastigen Aufspringen dem Lakai Präsentierteller samt der Tasse aus den Händen schleudernd ; alles fuhr entsetzt von den Spieltischen in die Höhe , das Spiel war geendet , der Fürst , sich mit Macht bezwingend , lächelte ein freundliches " Adieu " den Erschrockenen zu und begab sich mit der Fürstin in die inneren Gemächer .
Auf jedem Gesicht las man aber ganz deutlich :
" Gott , was ist das , was bedeutet das ? -
Der Fürst spielte nicht , sprach so lange , so ungelegentlich mit der Rätin und geriet dann in solch entsetzlichen Zorn ! "
- Unmöglich konnte die Benzon auch nur entfernt ahnen , was sie in ihrer Wohnung , die in einem Seitengebäude dicht neben dem Schlosse belegen , für ein Auftritt erwartete .
- Kaum eingetreten , stürzte ihr nämlich ganz außer sich Julia entgegen und - Doch ! gegenwärtiger Biograph ist sehr zufrieden , daß er diesmal das , was sich mit Julia während des fürstlichen Tees begeben , viel besser und deutlicher zu erzählen vermag als manches andere Faktum der bis jetzt wenigstens etwas verworrenen Geschichte ! -
Also ! -
Wir wissen , daß Julien erlaubt wurde , früher nach Hause zurückzukehren .
Ein Leibjäger leuchtete ihr mit einer Fackel vor .
Kaum waren sie aber einige Schritte von dem Schlosse entfernt , als der Leibjäger plötzlich stillstand und die Fackel hoch emporhob .
" Was gibt es ? " fragte Julia .
" Ei , " erwiderte der Leibjäger , " ei , Fräulein Julia , haben Sie wohl die Gestalt bemerkt , die dort vor uns so schnell forthuschte ?
Ich weiß gar nicht , was ich davon denken soll , seit mehreren Abend schleicht hier ein Mensch umher , der bei seiner Heimlichkeit was Böses im Schilde führen muß .
Wir haben ihm schon nachgestellt auf alle nur mögliche Weise , aber er entwischt uns unter den Händen , ja , er wird vor unseren Augen unsichtbar wie ein Gespenst oder wie der Gottseibeiuns selbst . "
Julia dachte an die Erscheinung im Giebelfenster des Pavillons und fühlte sich von unheimlichen Schauern durchbebt .
" Fort , ach nur schnell fort , " rief sie dem Jäger zu , der meinte aber lachend , das liebe Fräulein möge sich nur nicht fürchten , denn ehe ihr etwas geschehe , müsse ihm erst das Gespenst den Hals umdrehen , überdem habe aber wohl das unbekannte Ding , was sich in der Gegend des Schlosses blicken lasse , Fleisch und Bein wie andere ehrliche Leute und sei ein furchtsamer lichtscheuer Hase .
Julia schickte ihr Mädchen , das über Kopfschmerz und Fieberfrost klagte , zu Bette und legte ohne ihre Beihilfe die Nachtkleider an .
Nun , als sie einsam auf ihrem Zimmer , ging noch einmal alles in ihrer Seele auf , was Hedwiga in einem Zustande zu ihr gesprochen , den sie nur krankhafter Überspannung zuschreiben wollte .
Und doch war es gewiß , daß eben jene krankhafte Überspannung nur eine psychische Ursache haben konnte .
- Mädchen von solch unbefangenem reinem Gemüt , wie Julia , erraten in derlei intrikaten Fällen wohl selten das Richtige .
So glaubte auch Julia , als sie sich alles nochmals in den Sinn gerufen , nichts anderes , als daß Hedwiga von jener entsetzlichen Leidenschaft ergriffen , die sie selbst ihr so furchtbar , als die Ahnung davon in ihrer eigenen Seele lag , geschildert , und daß Prinz Hektor der Mann sei , dem sie ihr eigenes Selbst geopfert .
- Nun , schloß sie ferner , sei , der Himmel wisse wie , der Wahn in Hedwiga aufgestiegen , daß der Prinz in anderer Liebe befangen , und habe sie gequält wie ein fürchterliches , rastlos sie verfolgendes Gespenst , so daß daraus sich die heillose Zerrüttung im Inneren erzeugt .
" Ach , " sprach Julia zu sich selbst , " ach , du gute liebe Hedwiga , kehrte Prinz Hektor zurück , wie bald würdest du dich überzeugen , daß du von deiner Freundin nichts zu befürchten ! " -
Doch in dem Augenblick , als Julia diese Worte sprach , trat der Gedanke , daß der Prinz sie liebe , so aus dem Innersten hervor , daß sie vor seiner Macht und Lebendigkeit erschrak , daß sie sich von unnennbarer Angst erfaßt fühlte , es könne doch wahr , was die Prinzessin glaube , und ihr Verderben gewiß sein .
Jener seltsame fremdartige Eindruck , den des Prinzen Blick , sein ganzes Wesen auf sie gemacht , kam ihr wieder zu Sinn , jenes Entsetzen durchbebte aufs neue ihre Glieder .
Sie gedachte jenes Moments auf der Brücke , als der Prinz , sie umschlingend , den Schwan fütterte , all der verfänglichen Worte , die er damals sprach , und die , so harmlos ihr damals alles vorgekommen , ihr jetzt von tieferer Bedeutung schienen .
Aber auch des verhängnisvollen Traums gedachte sie , als sie sich von eisernen Armen fest umschlungen gefühlt und es der Prinz gewesen , der sie festgehalten , als sie dann erwacht , den Kapellmeister im Garten erblickt und sein ganzes Wesen ihr klar geworden und sie daran geglaubt , daß er sie schützen werde vor dem Prinzen .
" Nein , " rief Julia laut , " nein , es ist nicht so , es kann dem nicht so sein , es ist nicht möglich !
Es ist der böse Geist der Hölle selbst , der diese sündhaften Zweifel in mir Ärmsten aufregt ! -
Nein , er soll nicht Macht haben über mich ! "
- Mit dem Gedanken an den Prinzen , an jene gefahrvollen Augenblicke regte sich in Julias tiefer Brust eine Empfindung , deren Bedrohlichkeit nur daran zu erkennen , daß sie die Scham weckte , die das wallende Blut ihr in die Wangen , heiße Tränen ihr in die Augen trieb .
Wohl der holden frommen Julia , daß sie Kraft genug besaß , den bösen Geist zu beschwören , ihm keinen Raum zu verstatten , in dem er fest fußen können .
Es ist hier noch wiederholt zu bemerken , daß Prinz Hektor der schönste liebenswürdigste Mann war , den man nur sehen konnte , daß seine Kunst zu gefallen auf die tiefe Weiberkenntnis gegründet war , die ihm das Leben voll glücklicher Abenteuer erworben , und daß eben ein junges unbefangenes Mädchen wohl erschrecken machte vor der siegenden Kraft seines Blicks , seines ganzen Wesens .
" O Johannes , " sprach sie sanft , " du guter herrlicher Mann , kann ich denn nicht bei dir den Schutz suchen , den du mir versprochen ?
Kannst du nicht selbst zu mir tröstend reden mit den Himmelstönen , die recht widerhallen in meiner Brust ? " -
Damit öffnete Julia das Pianoforte und begann die Kompositionen Kreislers , die ihr die liebsten waren , zu spielen und zu singen .
In der Tat fühlte sie sich bald getröstet , erheitert , der Gesang trug sie fort in eine andere , es gab keinen Prinzen , ja keine Hedwiga mehr , deren krankhafte Phantome sie verstören durften !
"- Nun noch meine liebste Kanzonetta ! - "
So sprach Julia und begann das von so vielen Komponisten gesetzte : " Mi lagnero tacendo etc . "
In der Tat war Kreislern dieses Lied vor allen übrigen gelungen .
Der süße Schmerz der brünstigsten Liebessehnsucht war darin in einfacher Melodie mit einer Wahrheit , mit einer Stärke ausgedrückt , die jedes fühlende Gemüt unwiderstehlich ergreifen mußte .
Julia hatte geendet , in das Andenken an Kreisler ganz und gar versunken , schlug sie noch einzelne Akkorde an , die ein Echo schienen ihrer inneren Gefühle .
Da ging die Türe auf , sie schaute hin , und ehe sie sich vom Sitz erheben konnte , lag Prinz Hektor ihr zu Füßen und hielt sie fest , beide Hände erfassend .
Laut schrie sie auf vor jähem Schreck , doch der Prinz beschwor sie bei der Jungfrau und allen Heiligen , ruhig zu sein , ihm nur zwei Minuten den Himmel ihres Anblicks , ihres Worts zu gönnen .
Mit Ausdrücken , wie sie nur die Raserei der heftigsten Leidenschaft einzugeben vermag , sagte er ihr dann , daß er nur sie , nur sie anbete , daß der Gedanke der Vermählung mit Hedwiga ihm schrecklich , todbringend sei .
Daß er deshalb fliehen wollen , doch bald , von der Macht einer Leidenschaft , die erst mit seinem Tode enden könne , getrieben , zurückgekehrt sei , nur um Julien zu sehen , zu sprechen , ihr zu sagen , daß nur sie allein sein Leben , sein alles sei !
- " Fort , " rief Julia in trostloser Herzensangst , " fort - Sie töten mich , Prinz ! "
" Nimmermehr , " schrie der Prinz , indem er in Liebeswut Julias Hände an die Lippen drückte , " nimmermehr , der Moment ist da , der Leben über mich bringt oder Tod ! -
Julia !
Kind des Himmels !
Kannst du mich , kannst du den verwerfen , dessen ganzes Sein , dessen Seligkeit du bist ? -
Nein , du liebst mich , Julia , ich weiß es , so sprich es aus , daß du mich liebst , und alle Himmel überschwänglichen Entzückens sind mir geöffnet ! "
Damit umschlang der Prinz die vor Entsetzen und Angst halb ohnmächtige Julia und drückte sie heftig an seine Brust .
" Weh mir , " rief sie mit halberstickter Stimme , " weh mir - erbarmt sich niemand meiner ? "
Da erhellte Fackelglanz die Fenster , und mehrere Stimmen ließen sich vor der Türe hören .
Julia fühlte einen glühenden Kuß auf den Lippen brennen , und schnell war der Prinz entflohen .
Also - ganz außer sich , stürzte , wie gesagt , Julia der eintretenden Mutter entgegen , und mit Entsetzen vernahm diese , was sich begeben .
Sie begann damit , die arme Julia zu trösten , wie sie nur vermochte , ihr zu versichern , daß sie den Prinzen zu seiner Scham aus dem Versteck , in dem er sich befinden müsse , hervorziehen werde .
" O , " sprach Julia , "o , tue das nicht Mutter , ich muß vergehen , wenn der Fürst , wenn Hedwiga erfährt - "
Sie fiel schluchzend an der Mutter Brust , ihr Antlitz verbergend .
" Du hast recht , " erwiderte die Rätin , " du hast recht , mein liebes gutes Kind , niemand darf zurzeit wissen , ahnen , daß der Prinz sich hier befindet , daß er dir nachstellt , du liebe fromme Julia ! -
Die im Komplott sind , müssen schweigen .
Denn daß es deren gibt , die im Bunde sind mit dem Prinzen , hat nicht den mindesten Zweifel , da er sonst ebensowenig unbemerkt hier in Sieghartshof sich hätte aufhalten , als in unsere Wohnung schleichen können .
- Unbegreiflich ist es mir , wie es dem Prinzen möglich wurde , aus dem Hause zu entfliehen , ohne mir und Friedrich , der mir vorleuchtete , zu begegnen !
Den alten Georg fanden wir im tiefen unnatürlichen Schlaf , aber wo ist Nanny ? "
- " Weh mir , " lispelte Julia , " weh mir , daß sie krank war und ich sie fortschicken mußte . "
" Vielleicht , " sprach die Benzon , " vielleicht kann ich ihr Arzt sein " , und stieß rasch die Türe des Nebenzimmers auf .
Da stand die kranke Nanny völlig angekleidet ; sie hatte gelauscht und sank nun vor Schreck und Furcht nieder , der Benzon zu Füßen .
Wenige Fragen der Benzon reichten hin , um zu erfahren , daß der Prinz durch den alten , für so treu gehaltenen Kastellan - ( M. f. f. ) - musste ich erfahren ! - Muzius , mein treuer Freund , mein herziger Bruder war an den Folgen der bösen Verwundung am Hinterbeine Todes verblichen .
- Die Trauerpost traf mich sehr hart , nun erst fühlte ich , was mir Muzius gewesen ! -
In künftiger Nacht sollte , wie mir Puff sagte , in dem Keller desselben Hauses , wo der Meister wohnte , und wo man die Leiche hingeschafft , die Totenfeier gehalten werden .
Ich versprach , mich nicht allein zu gehöriger Zeit einzufinden , sondern auch für Speise und Trank zu sorgen , damit nach alter edler Sitte auch das Trauermal gehalten werden könne .
Ich besorgte dies auch wirklich , indem ich den Tag über nach und nach meinen reichlichen Vorrat an Fischen , Hühnerknochen und Gemüse hinabtrug .
- Für Leser , die alles gern auf das genaueste erklärt haben und daher auch wohl wissen möchten , wie ich es angefangen , das Getränk hinab zu transportieren , bemerke ich , daß ohne weiteres Mühen mir eine freundliche Hausmagd dazu verhalf .
Die Hausmagd , welche ich gar oft im Keller zu treffen und auch wohl in ihrer Küche zu besuchen pflegte , schien meinem Geschlecht und insonderheit mir ganz vorzüglich gewogen , so daß wir uns nie sahen , ohne auf anmutige Weise miteinander zu spielen .
Sie reichte mir manchen Bissen , der eigentlich schlechter war , als wie ich ihn von meinem Meister empfing , den ich aber doch verzehrte und dabei tat , als wenn er mir ganz vorzüglich schmeckte , aus purer Galanterie .
So was rührt wohl das Herz einer Hausmagd , und sie tat , worauf es eigentlich abgesehen war .
Ich sprang ihr nämlich auf den Schoß , und sie kratzte mir so lieblich Kopf und Ohren , daß ich ganz Wonne und Seligkeit war und an die Hand mich gar sehr gewöhnte , die " Wachtags ihren Besen führt und Sonntags denn am besten karessiert ! "
- An diese freundliche Person wandte ich mich nun in dem Augenblick , als sie aus dem Keller , in dem ich mich gerade befand , einen großen Topf voll süßer Milch herauftragen wollte , und äußerte auf ihr verständliche Weise den lebhaften Wunsch , die Milch für mich zu behalten .
" Närrischer Murr , " sprach das Mädchen , die ebensogut wie alle übrigen Leute im Hause , ja wie die ganze Nachbarschaft meinen Namen wußte , " närrischer Murr , du willst gewiß die Milch nicht für dich allein , du willst gewiß traktieren !
Nun , behalte nur die Milch , kleiner Graukittel , ich muß oben schon für andere sorgen ! "
Damit setzte sie den Topf mit Milch auf den Boden nieder , streichelte mir , der ich in den zierlichsten Purzelbäumen meine Freude und meinen Dank zu erkennen gab , noch was weniges den Rücken und stieg denn die Kellertreppe hinauf .
- Merke dir , o Katerjüngling , hierbei , daß die Bekanntschaft , ja ein gewisses Sentimenttell gemütliches Verhältnis mit einer freundlichen Köchin für junge Leute unseres Standes und Geschlechts ebenso angenehm ist als ersprießlich .
Um die Mitternachtsstunde begab ich mich hinab in den Keller .
Trauriger , herzzerreißender Anblick !
Da lag in der Mitte auf einem Katafalk , der freilich , dem einfachen Sinn , den der Verstorbene stets in sich trug , gemäß , nur in einem Bündel Stroh bestand , die Leiche des teuren geliebten Freundes !
- Alle Kater waren schon versammelt , wir drückten uns , keines Wortes mächtig , die Pfoten , setzten uns , heiße Tränen in den Augen , in einen Kreis rings um den Katafalk umher und stimmten einen Klagegesang an , dessen die Brust durchschneidende Töne furchtbar in den Kellergewölben widerhallten .
Es war der trostloseste , entsetzlichste Jammer , der jemals gehört worden , kein menschliches Organ vermag ihn herauszubringen .
Nachdem der Gesang geendet , trat ein sehr hübscher , anständig in Weiß und Schwarz gekleideter Jüngling aus dem Kreise , stellte sich an das Kopfende der Leiche und hielt nachfolgende Standrede , welche er mir , unerachtet er sie aus dem Stegreif gesprochen , schriftlich mitteilte . am Grabe des zu früh verblichenen Katers Muzius , der Phil. und Gesch. Befliss . , gehalten von seinem treuen Freunde und Bruder , dem Kater Hinzmann , der Poes . und Bereds . Befliss .
" Teure in Betrübnis versammelte Brüder !
Wackere hochherzige Bursche !
Was ist der Kater ! -
ein gebrechliches vergängliches Ding , wie alles , was geboren auf Erden ! -
Ist es wahr , was die berühmtesten Ärzte und Physiologen behaupten , daß der Tod , dem alle Kreatur unterworfen , hauptsächlich in dem gänzlichen Aufhören alles Atmens bestehe , o , so ist unser biedere Freund , unser wackere Bruder , dieser treue tapfere Genosse in Freude und Leid , o , so ist unser edle Muzius gewiß tot ! -
Seht , da liegt der Edle auf dem kalten Stroh und hat alle Viere von sich gestreckt ! -
Nicht der leiseste Atemzug stiehlt sich durch die auf ewig geschlossenen Lippen !
Eingefallen sind die Augen , die sonst bald sanftes Liebesfeuer , bald vernichtenden Zorn strahlten in grüngleißendem Gold !
Totenblässe überzieht das Antlitz , schlaff hängen die Ohren , hängt der Schweife herab ! -
O Bruder Muzius , wo sind nun deine lustigen Sprünge , wo ist deine Heiterkeit , deine gute Laune , dein klares fröhliches Miau ! das alle Herzen erfreute , dein Mut , deine Standhaftigkeit , deine Klugheit , dein Witz ? -
Alles , alles hat dir der bittere Tod geraubt , und du weißt vielleicht nun nicht einmal genau , ob du gelebt hast ? -
Und doch warst du die Gesundheit , die Kraft selbst , gerüstet gegen alles körperliche Weh , als solltest du ewig leben !
Kein Rädchen des Uhrwerks , das dein Inneres trieb , war ja auch schadhaft , und der Todesengel hatte sein Schwert nicht über dein Haupt geschwungen , weil das Räderwerk abgelaufen und nicht mehr wieder aufgezogen werden konnte . -
Nein ! ein feindliches Prinzip griff gewaltsam hinein in den Organismus und zerstörte frevelnd , was noch lange hätte bestehen können . -
Ja ! -
Noch oft hätten diese Augen freundlich gestrahlt , noch oft wären lustige Einfälle , fröhliche Lieder diesen Lippen , dieser erstarrten Brust entströmt , noch oft hätte dieser Schweife , frohen Mutes innere Kraft verkündend , sich in Wellenlinien geringelt , noch oft hätten diese Pfoten Stärke und Gewandtheit bewiesen in den mächtigsten gewagtesten Sprüngen - und nun - -
O , kann es die Natur zulassen , daß das , was sie auf lange Dauer mühsam konstruiert hat , vor der Zeit zerstört werde , oder gibt es wirklich einen finsteren Geist , Zufall genannt , der in despotischer frevelnder Willkür hineingreifen darf in die Schwingungen , die alles Sein dem ewigen Naturprinzip gemäß zu bedingen scheinen ? -
O du Toter , könntest du das hier der betrübten , jedoch lebendigen Versammlung sagen ! -
Doch , werte Anwesende , wackere Brüder , laßt uns solchen tiefsinnigen Betrachtungen nicht nachhängen , sondern uns ganz der Klage um den viel zu früh verlorenen Freund Muzius zuwenden .
- Es ist gebräuchlich , daß der Trauerredner den Anwesenden die ganze vollständige Biographie mit lobpreisenden Zusätzen und Anmerkungen vorträgt , und dieser Gebrauch ist sehr gut , da durch einen solchen Vortrag auch in dem betrübtesten Zuhörer der Ekel der Langeweile erregt werden muß , dieser Ekel aber nach der Erfahrung und dem Ausspruch bewährter Psychologen am besten jede Betrübnis zerstört , weshalb denn auf jene Weise der Trauerredner beide Pflichten , die , dem Verewigten die gehörige Ehre zu erweisen , und die , die Hinterlassenen zu trösten , auf einmal erfüllt .
Man hat Beispiele , und sie sind natürlich , daß der Gebeugteste nach solcher Rede ganz vergnügt und munter von hinnen gegangen ist ; über der Freude , erlöst zu sein von der Qual des Vortrags , verschmerzte er den Verlust des Hingeschiedenen .
- Teure , versammelte Brüder !
wie gern folgte auch ich dem löblichen bewährten Gebrauch , wie gern trüge ich euch die ganze ausführliche Biographie des erblaßten Freundes und Bruders vor und setzte euch um aus betrübten Katern in vergnügte , aber es geht nicht , es geht wahrhaftig nicht . -
Seht das ein , teure , geliebte Brüder , wenn ich euch sage , daß ich von dem eigentlichen Leben des Verblichenen , was Geburt , Erziehung , weiteres Fortkommen betrifft , beinahe gar nichts weiß , daß ich daher euch lauter Fabeln auftischen müßte , wozu der Ort hier bei der Leiche des Erblaßten viel zu ernst und unsere Stimmung viel zu feierlich ist . -
Nichts für ungut , Bursche , aber ich will statt alles weiteren langweiligen Sermons nur mit wenigen schlichten Worten sagen , was für ein schmähliches Ende der arme Teufel , der hier starr und tut vor uns liegt , nehmen mußte , und was es für ein wackerer , tüchtiger Kerl im Leben war ! -
Doch , o Himmel !
ich falle aus dem Ton der Beredsamkeit , unerachtet ich derselben beflissen und , will es das Schicksal , Professor poeseos et eloquentiae zu werden hoffe ! " -
( Hinzmann schwieg , putzte sich mit der rechten Pfote Ohren , Stirn , Nase und Bart , betrachtete lange unverwandten Blicks die Leiche , räusperte sich aus , fuhr nochmals mit der Pfote übers Gesicht und sprach dann mit erhöhtem Tone weiter . )
" O bitteres Verhängnis ! - o grauser Tod ! mußtest du auf solch grausame Weise den verewigten Jüngling hinraffen in der Blüte seiner Jahre ? -
Brüder ! ein Redner darf dem Zuhörer nochmals sagen , was dieser schon erfahren bis zum Überdruß , darum wiederhole ich , was ihr schon alle wißt , daß nämlich der dahingeschiedene Bruder fiel als ein Opfer des wütenden Hasses der Spitzphilister .
- Dorthin auf jenes Dach , wo sonst wir uns ergötzten in Friede und Freude , wo fröhliche Lieder schallten , wo Pfote in Pfote und Brust an Brust wir ein Herz , eine Seele waren , wollte er hinaufschleichen , um in stiller Einsamkeit mit dem Senior Puff das Andenken jener schönen Tage , wahrer Tage in Aranjuez , die nun vorüber , zu feiern , da hatten die Spitzphilister , die auf jede Weise , jede Erneuerung unseres frohen Katerbundes hintertreiben wollten , in die dunklen Winkel des Bodens Fuchseisen hingestellt ; in eins derselben geriet der unglückliche Muzius , zerquetschte sich das Hinterbein und - mußte sterben !
- Schmerzhaft und gefährlich sind die Wunden , die Philister schlagen , denn sie bedienen sich jederzeit stumpfer schartiger Waffen , doch stark und kräftig von Natur , hätte der Dahingeschiedene , der bedrohlichen Verletzung unerachtet , wieder aufkommen können , aber der Gram , der tiefe Gram , sich von schnöden Spitzen überwunden , in seiner schönen glanzvollen Laufbahn ganz zerstört zu sehen , der stete Gedanke an die Schmach , die wir alle erlitten , das war es , was an seinem Leben zehrte . -
Er litt keinen gehörigen Verband , nahm keine Arznei - man sagt , er wollte sterben ! " -
( Ich , wir alle konnten uns bei diesen letzten Worten Hinzmanns nicht lassen vor grimmen Schmerz , sondern brachen all in solch ein klägliches Geheul und Jammergeschrei aus , daß ein Felsen hätte erweicht werden können .
Als wir uns nur einigermaßen beruhigt hatten , so daß wir zu hören vermochten , sprach Hinzmann mit Pathos weiter . )
" O Muzius ! o schau herab ! schau die Tränen , die wir um dich vergießen , höre die trostlose Klage , die wir um dich erheben , verewigter Kater ! -
Ja , schau auf uns herab oder hinauf , wie du es nun eben vermagst , sei im Geiste unter uns , wenn du noch überhaupt eines Geistes mächtig und derselbige , der dir innegewohnt , nicht schon anderweitig verbraucht worden ! -
Brüder !
- wie gesagt , ich halte das Maul über die Biographie des Erblaßten , weil ich nichts davon weiß , aber desto lebhafter sind mir die vortrefflichen Eigenschaften des Verewigten im Gedächtnis , und die will ich euch , meine teuersten geliebtesten Freunde , vor die Nase rücken , damit ihr den entsetzlichen Verlust , den ihr durch den Tod des herrlichen Katers erlitten , im ganzen Umfange fühlen möget !
Vernehmet es , o Jünglinge , die ihr geneigt seid , nie abzuweichen von dem Pfade der Tugend , vernehmt es ! -
Muzius war , was wenige im Leben sind , ein würdiges Glied der Katzengesellschaft , ein guter treuer Gatte , ein vortrefflicher liebender Vater , ein eifriger Verfechter der Wahrheit und des Rechts , ein unermüdlicher Wohltäter , eine Stütze der Armen , ein treuer Freund in der Not ! -
Ein würdiges Glied der Katzengesellschaft ?
- Ja !
denn immer äußerte er die besten Gesinnungen und war sogar zu einiger Aufopferung bereit , wenn geschah , was er wollte , feindete auch nur ausschließlich diejenigen an , die ihm widersprachen und seinem Willen sich nicht fügten .
Ein guter treuer Gatte ?
Ja ! -
denn er lief anderen Kätzchen nur dann nach , wenn sie jünger und hübscher waren als sein Gemahl und unwiderstehliche Lust ihn dazu trieb .
Ein vortrefflicher liebender Vater ?
Ja !
denn niemals hat man vernommen , daß er , wie es wohl von rohen lieblosen Vätern unseres Geschlechts zu geschehen pflegt , im Anfall eines besonderen Appetits eines seiner erzielten Kleinen verspeiset ; es war ihm vielmehr ganz recht , wenn die Mutter sie sämtlich forttrug und er von ihrem damaligen Aufenthalt weiter nichts erfuhr .
Ein eifriger Verfechter der Wahrheit und des Rechts ?
Ja ! -
denn sein Leben hätte er gelassen dafür , weshalb er , da man nur einmal lebt , sich um beides nicht viel kümmerte , welches ihm auch nicht zu verargen .
Ein unermüdlicher Wohltäter , eine Stütze der Armen ?
Ja !
denn jahraus jahrein trug er am Neujahrstage ein kleines Heringsschwänzlein oder ein paar subtile Knöchelchen hinab in den Hof für die armen Brüder , die der Speisung bedurften , und konnte wohl , da er auf diese Weise seine Pflicht als würdiger Katzenfreund erfüllte , diejenigen bedürftigen Kater mürrisch anknurren , die außerdem noch etwas von ihm verlangten .
Ein treuer Freund in der Not ? Ja !
denn geriet er in Not , so ließ er nicht ab selbst von denjenigen Freunden , die er sonst ganz vernachlässigt , ganz vergessen hatte . -
Verewigter ! was soll ich noch sagen von deinem Heldenmut , von deinem hohen geläuterten Sinn für alles Schöne und Edle , von deiner Gelehrsamkeit , von deiner Kunstkultur , von all den tausend Tugenden , die sich in dir vereinten !
Was , sage ich , soll ich sagen davon , ohne unseren gerechten Schmerz über dein klägliches Hinscheiden nicht noch um vieles zu vermehren ! - Freunde , gerührte Brüder ! -
denn in der Tat , an einigen unzweideutigen Bewegungen bemerke ich zu meiner nicht geringen Befriedigung , daß es mir gelang , euch zu rühren - Also ! - gerührte Brüder ! -
Laßt uns ein Beispiel nehmen an diesem Verstorbenen , laßt uns alle Mühe anwenden , ganz in seine würdige Fußtapfen zu treten , laßt uns ganz das sein , was der Vollendete war , und auch wir werden im Tode die Ruhe des wahrhaft weisen , des durch Tugenden jeder Art und Gattung geläuterten Katers genießen wie dieser Vollendete ! -
Seht nur selbst , wie er so still daliegt , wie er keine Pfote rührt , wie ihm all mein Lob seiner Vortrefflichkeit auch nicht ein leises Lächeln des Wohlgefallens abgewonnen !
- Glaubt ihr wohl , Traurige ! daß der bitterste Tadel , die gröbsten beleidigendsten Schmähungen ebenso jeden Eindruck auf den Verewigten verfehlt haben würden ?
Glaubt ihr wohl , daß selbst der dämonische Spitzphilister , träte er hinein in diesen Kreis , dem er sonst unmaßgeblich beide Augen ausgekratzt haben würde , jetzt ihn nur im mindesten in Harnisch bringen , seine sanfte süße Ruhe verstören dürfte ?
Über Lob und Tadel , über alle Anfeindungen , alle Foppereien , allen Neckhaften Spott und Hohn , über allen wirren Spuk des Lebens ist unser herrliche Muzius erhaben , er hat kein anmutiges Lächeln , keine feurige Umarmung , keinen biederen Pfotendruck mehr für den Freund , aber auch keine Krallen , keine Zähne mehr für den Feind ! -
Er ist vermöge seiner Tugenden zu der Ruhe gelangt , der er im Leben vergebens nachgestrebt ! -
Zwar will es mich beinahe bedünken , daß wir alle , so wie wir hier zusammen sitzen und heulen um den Freund , zu der Ruhe kommen würden , ohne gerade so ein Ausbund von aller Tugend zu sein als er , und daß es wohl noch ein anderes Motiv geben müsse , tugendhaft zu sein , als gerade die Sehnsucht nach dieser Ruhe , indessen ist das nur solch ein Gedanke , den ich euch zu fernerer Bearbeitung überlasse .
- Soeben wollte ich euch ans Herz legen , euer ganzes Leben vorzüglich dazu anzuwenden , um so schön sterben zu lernen als Freund Muzius , indessen will ich es lieber nicht tun , da ihr mir so manches Bedenkliche entgegensetzen könntet .
Ich meine nämlich , daß ihr mir einwenden dürftet , der Verewigte hätte auch lernen sollen , behutsam zu sein und Fuchseisen zu vermeiden , um nicht zu sterben vor der Zeit .
Dann gedenke ich aber auch , wie ein sehr junger Katerknabe auf gleiche Ermahnung des Lehrers , daß der Kater sein ganzes Leben darauf verwenden müsse , um sterben zu lernen , schnippisch genug erwiderte , es könne doch so gar schwer nicht sein , da es jedem gelinge aufs erste Mal ! -
Laßt uns jetzt , hochbetrübte Jünglinge , einige Augenblicke stiller Betrachtung widmen ! "
- ( Hinzmann schwieg und fuhr sich wiederum mit der rechten Pfote über Ohren und Gesicht , dann schien er in tiefes Nachdenken zu versinken , indem er die Augen fest zudrückte .
Endlich , als es zu lange währte , stieß ihn der Senior Puff an und sprach leise :
" Hinzmann , ich glaube gar , du bist eingeschlafen .
Mache nur , daß du fertig wirst mit deinem Sermon , denn wir verspüren alle einen desperaten Hunger . "
Hinzmann fuhr in die Höhe , setzte sich wieder in die zierliche Rednerstellung und sprach weiter . )
" Teuerste Brüder ! -
ich hoffte noch zu einigen erhabenen Gedanken zu gelangen und gegenwärtige Standrede glänzend zu schließen , es ist mir aber gar nichts eingefallen , ich glaube , der große Schmerz , den ich zu empfinden mich bemüht , hat mich ein wenig stupid gemacht .
Laßt uns daher meine Rede , der ihr den vollkommensten Beifall nicht versagen könnet , für geschlossen annehmen und jetzt das gewöhnliche De oder Ex profundis anstimmen ! " -
So endete der artige Katerjüngling seinen Trauersermon , der mir zwar in rhetorischer Hinsicht wohl geordnet und von guter Wirkung zu sein schien , an dem ich aber doch manches auszusetzen fand .
Mir kam es nämlich vor , daß Hinzmann gesprochen , mehr um ein glänzendes Rednertalent zu zeigen , als den armen Muzius noch zu ehren nach seinem betrübten Hinscheiden .
Alles , was er gesagt , paßte gar nicht recht auf den Freund Muzius , der ein einfacher , schlichter , gerader Kater und , ich hatte es ja wohl recht erfahren , eine treue gutmütige Seele gewesen .
Überdem war auch das Lob , das Hinzmann gespendet , von zweideutiger Art , so daß mir eigentlich die Rede hinterher mißfiel und ich während des Vortrags bloß durch die Anmut des Redners und durch seine in der Tat ausdrucksvolle Deklamation bestochen worden .
Auch der Senior Puff schien meiner Meinung zu sein ; wir wechselten Blicke , die , Hinzmanns Rede betreffend , von unserem Einverständnis zeugten .
Dem Schluß der Rede gemäß stimmten wir ein " De profundis " an , das womöglich noch viel jämmerlicher , viel herzzerschneidender klang als das entsetzliche Grabeslied vor der Rede . -
Es ist bekannt , daß die Sänger von unserem Geschlecht den Ausdruck des tiefsten Wehs , des trostlosesten Jammers , mag nun die Klage wegen zu sehnsüchtiger oder verschmähter Liebe oder um einen geliebten Verstorbenen ertönen , ganz vorzüglich in der Gewalt haben , so daß selbst der kalte gefühllose Mensch von Gesängen solcher Art tief durchdrungen wird und der gepreßten Brust nur Luft zu machen vermag durch seltsames Fluchen .
- Als das " De profundis " geendigt , hoben wir die Leiche des verewigten Bruders auf und senkten sie in ein tiefes , in einer Ecke des Kellers befindliches Grab .
In diesem Augenblick begab sich aber das Unerwartetste und zugleich anmutig Rührendste der ganzen Totenfeier .
Drei Katzenmädchen , schön wie der Tag , hüpften heran und streuten Kartoffel- und Petersilienkraut , das sie im Keller gepflückt , in das offene Grab , während eine ältere ein einfaches herziges Lied dazu sang .
Die Melodie war mir bekannt , irre ich nicht , so fängt der Originaltext des Liedes , dem die Stimme untergeschoben , mit den Worten an : " O Tannenbaum ! o Tannenbaum ! " u. s.w .
Es waren , wie mir der Senior Puff ins Ohr sagte , die Töchter des verstorbenen Muzius , die auf diese Weise des Vaters Trauer fest mit begingen .
Nicht das Auge abwenden konnte ich von der Sängerin ; sie war allerliebst , der Ton ihrer süßen Stimme , selbst das Rührende , tief Empfundene in der Melodie des Trauerliedes riß mich hin ganz und gar ; ich konnte mich der Tränen nicht enthalten .
Doch der Schmerz , der mir sie auspreßte , war von ganz besonderer seltsamer Art , da er mir das süßeste Wohlbehagen erregte .
Daß ich es nur geradezu heraussage ! -
Mein ganzes Herz neigte sich der Sängerin hin , es war mir , als habe ich nie eine Katzenjungfrau erblickt von dieser Anmut , von diesem Adel in Haltung und Blick , von dieser siegenden Schönheit .
- Das Grab wurde mit Mühe von vier rüstigen Katern , die so viel Sand und Erde herankratzten , als nur möglich , gefüllt , die Beerdigung war vorbei , und wir gingen zu Tische .
Muzius' schöne liebliche Töchter wollten sich entfernen , das litten wir jedoch nicht , sie mußten vielmehr teilnehmen am Trauermal , und ich wußte es so geschickt anzufangen , daß ich die Schönste zur Tafel führte und mich dicht neben ihr hinsetzte .
Hatte mir erst ihre Schönheit geglänzt , hatte mich ihre süße Stimme bezaubert , so versetzte mich jetzt ihr heller klarer Verstand , die Innigkeit , die Zartheit ihres Gefühls , das rein weibliche fromme Wesen , das aus ihrem Inneren hervorstrahlte , in den höchsten Himmel des Entzückens .
Alles erhielt in ihrem Munde , in ihren süßen Worten einen ganz eigenen Zauberreiz , ihr Gespräch war ganz liebliche zarte Idylle . -
So sprach sie z.B. mit Wärme von einem Milchbrei , den sie wenige Tage vor des Vaters Tode nicht ohne Appetit genossen , und als ich sagte , daß bei meinem Meister solch ein Brei ganz vorzüglich bereitet würde und zwar mit einer guten Zutat von Butter , da blickte sie mich an mit ihren frommen , grünstrahlenden Taubenaugen und fragte mit einem Ton , der mein ganzes Herz durchbebte : " O gewiß - gewiß , mein Herr ? -
Sie lieben auch den Milchbrei ?
- Mit Butter ! " wiederholte sie dann , wie in schwärmerische Träume versinkend . -
Wer weiß nicht , daß hübschen blühenden Mädchen von sechs bis acht Monaten ( so viele konnte die Schönste zählen ) nichts besser kleidet als ein kleiner Anstrich von Schwärmerei , ja daß sie dann oft ganz unwiderstehlich sind .
So geschah es , daß ich , ganz in Liebe entflammt , die Pfote der Schönsten heftig drückend , laut rief : " Englisches Kind ! frühstücke mit mir Milchbrei , und es gibt keine Seligkeit des Lebens , gegen die ich mein Glück austausche ! "
- Sie schien verlegen , sie schlug errötend die Augen nieder , doch ließ sie ihre Pfote in der meinigen , welches die schönsten Hoffnungen in mir erregte .
Ich hatte nämlich einmal bei meinem Meister einen alten Herrn , der , irre ich nicht , ein Advokat war , sagen gehört , es sei für ein junges Mädchen sehr gefährlich , ihre Hand lange in der Hand eines Mannes zu lassen , weil dieser es mit Recht für eine traditio brevi manu ihrer ganzen Person ansehen und allerlei Ansprüche darauf begründen könne , die dann nur mit Mühe zurückzuweisen .
- Zu solchen Ansprüchen hatte ich nun aber große Lust und wollte eben damit beginnen , als das Gespräch durch eine Libation zu Ehren des Verstorbenen unterbrochen wurde . -
Die drei jüngeren Töchter des hingeschiedenen Muzius hatten indessen eine frohe Laune , eine schalkhafte Naivität entwickelt , über die alle Kater entzückt waren .
Schon durch Speise und Trank merklich dem Gram und Schmerz entnommen , wurde nun die Gesellschaft immer froher und lebendiger .
Man lachte , man scherzte , und als die Tafel aufgehoben , war es der ernste Senior Puff selbst , welcher vorschlug , ein Tänzchen zu machen .
Schnell war alles fortgeräumt ; drei Kater stimmten ihre Kehlen , und bald sprangen und drehten sich Muzius ' aufgeweckte Töchter mit den Jünglingen wacker herum .
Nicht von der Seite wich ich der Schönsten , ich forderte sie auf zum Tanz , sie gab mir die Pfote , wir flogen in die Reihen . -
Ha ! wie ihr Atem an meiner Wange spielte ! wie meine Brust an der ihrigen bebte !
wie ich ihren süßen Leib mit meinen Pfoten umschlangen hielt ! -
O des seligen , himmlisch seligen Augenblicks !
Als wir zwei , auch wohl drei Hopser getanzt , führte ich die Schönste in eine Ecke des Kellers und bediente sie galanter Sitte gemäß mit einigen Erfrischungen , wie sie sich eben vorfinden lassen wollten , da das Fest eigentlich auf einen Ball nicht eingerichtet .
Nun ließ ich meinem inneren Gefühl ganz freien Lauf .
Ein Mal übers andere drückte ich ihre Pfote an meine Lippen und versicherte ihr , daß ich der glücklichste Sterbliche sein werde , wenn sie mich ein bißchen lieben wolle .
" Unglücklicher , " sprach plötzlich eine Stimme dicht hinter mir , " Unglücklicher , was beginnst du ! -
es ist deine Tochter Mina ! "
Ich erbebte , denn wohl erkannte ich die Stimme !
- Es war Miesmies ! - Launisch spielte der Zufall mit mir , daß in dem Augenblick , als ich Miesmies ganz vergessen zu haben geglaubt , ich erfahren , was ich nicht ahnen können , ich in Liebe kommen mußte zu eigenem Kinde ! -
Miesmies war in tiefer Trauer , ich wußte selbst nicht , was ich davon denken sollte .
" Miesmies , " sprach ich sanft , " Miesmies , was führt Sie hierher , warum in Trauer und - o Gott !
- jene Mädchen - Minas Schwestern ? "
- Ich erfuhr das Seltsamste ! -
Mein gehässiger Nebenbuhler , der Schwarzgraugelbe , hatte sich gleich nachher , als er in jenem mörderischen Zweikampf meiner ritterlichen Tapferkeit erlegen , von Miesmies getrennt und war , als nur seine Wunden geheilt , fortgegangen , niemand wußte wohin .
Da warb Muzius um ihre Pfote , die sie ihm willig reichte , und es machte ihm Ehre und bewies sein Zartgefühl , daß er mir dies Verhältnis gänzlich verschwieg .
So waren aber jene muntere naive Kätzchen nur meiner Mina Stiefschwestern !
" O Murr , " sprach Miesmies zärtlich , nachdem sie erzählt , wie sich das alles ergeben , " o Murr !
Ihr schöner Geist hat sich nur in dem Gefühl geirrt , das ihn überströmte .
Es war die Liebe des zärtlichsten Vaters , nicht des verlangenden Liebhabers , die in Ihrer Brust erwachte , als Sie unsere Mina sahen .
Unsere Mina ! o welch ein süßes Wort ! -
Murr ! können Sie dabei unempfindlich bleiben , sollte alle Liebe erloschen sein in Ihrem Inneren gegen die , die Sie so innig liebte - o Himmel , noch so innig liebt , die Ihnen treu geblieben bis in den Tod , wäre nicht ein anderer dazwischengekommen und hätte sie verlockt durch schnöde Verführungskünste ? -
O Schwachheit , dein Name ist Katz !
Das denken Sie , ich weiß es , aber ist es nicht Katertugend , der schwachen Katze zu verzeihen ? -
Murr !
Sie sehen mich gebeugt , trostlos über den Verlust des dritten zärtlichen Gatten , aber in dieser Trostlosigkeit flammt aufs neue die Liebe auf , die sonst mein Glück , mein Stolz , mein Leben war ! -
Murr ! hören Sie mein Geständnis ! - ich liebe Sie noch , und ich dächte , wir hie - " Tränen erstickten ihre Stimme !
Mir war bei dem ganzen Auftritt sehr peinlich zumute .
Mina saß da , bleich und schön wie der erste Schnee , der manchmal im Herbste die letzten Blumen küßt und gleich in bitteres Wasser zerfließen wird ! ( Anmerkung des Herausgebers . Murr ! -
Murr ! schon wieder ein Plagiat ! -
In " Peter Schlemihls wundersamer Geschichte " beschreibt der Held des Buchs seine Geliebte , auch Mina geheißen , mit denselben Worten . )
Schweigend betrachtete ich beide , Mutter und Tochter , die letzte gefiel mir doch unendlich viel besser , und da bei unserem Geschlecht die nächsten verwandtschaftlichen Verhältnisse kein kanonisches Ehehindernis - Vielleicht verriet mich mein Blick , denn Miesmies schien meine innerste Gedanken zu durchschauen .
" Barbar ! " rief sie , indem sie schnell auf Mina lossprang und sie heftig umpfotend an ihre Brust riß , " Barbar ! was willst du beginnen ?
- Wie ?
du kannst dies dich liebende Herz verschmähen und Verbrechen häufen auf Verbrechen ! "
Unerachtet ich nun gar nicht begriff , was für Ansprüche Miesmies geltend machen und welche Verbrechen sie mir vorwerfen konnte , so fand ich es , um den Jubel , in den sich das Trauerfest aufgelöst , nicht zu verstören , doch geratener , gute Miene zu machen zu bösem Spiel .
Ich versicherte daher der ganz aus sich selbst gekommenen Miesmies , daß bloß die unaussprechliche Ähnlichkeit Minas mit ihr mich irregeführt und ich geglaubt habe , dasselbe Gefühl entflamme mein Inneres , das ich für sie , die noch immer schöne Miesmies , in mir trage .
Miesmies trocknete alsbald ihre Tränen , setzte sich dicht zu mir und fing ein so vertrauliches Gespräch mit mir an , als sei nie etwas Böses unter uns vorgefallen .
Hatte nun noch der junge Hinzmann die schöne Mina zum Tanz aufgefordert , so kann man denken , in welcher unangenehmen peinlichen Lage ich mich befand .
Ein Glück für mich war es , daß der Senior Puff endlich Miesmies aufzog zum Kehraus , da sie mir sonst noch allerlei seltsame Propositionen hätte machen können .
Ich schlich leise , leise aus dem Keller herauf und dachte : " Kommt Zeit , kommt Rat ! "
Ich sehe dieses Trauerfest für den Wendepunkt an , in dem sich meine Lehrmonate schlossen und ich eintrat in einen Kreis des Lebens .
( Mak. Bl. ) - Kreisler veranlaßt , sich in aller Frühe in die Gemächer des Abts zu begeben .
Er fand den hochehrwürdigen Herrn , wie er eben , mit Beil und Meißel in der Hand , beschäftigt war , eine große Kiste aufzuschlagen , in welcher der Form nach ein Gemälde eingepackt sein mußte .
" Ha ! " rief der Abt dem eintretenden Kreisler entgegen , " gut , daß Ihr kommt , Kapellmeister !
Ihr könnet mir beistehen in einer schweren mühseligen Arbeit .
Die Kiste ist mit tausend Nägeln zugehämmert , als solle sie verschlossen bleiben in Ewigkeit .
Sie kommt geradewegs aus Neapel , und es ist ein Gemälde darin , das ich vorderhand in meinem Kabinett aufhängen und den Brüdern nicht zeigen will .
Darum rief ich mir keinen zur Hilfe ; aber nun sollt Ihr mir helfen , Kapellmeister . "
Kreisler legte Hand an , und nicht lange dauerte es , so war das große schöne Gemälde , das in einen prächtigen vergoldeten Rahmen gefaßt , aus der Kiste zutage gefördert .
Nicht wenig verwunderte sich Kreisler , als er in dem Kabinett des Abts die Stelle über dem kleinen Altar , wo sonst ein sehr anmutiges Bild von Leonardo da Vinci , die heilige Familie darstellend , aufgehängt war , leer fand .
Der Abt hatte dies Gemälde für eins der besten geachtet , welche die an alten Originalen reiche Sammlung besaß , und doch sollte dieses Meisterstück Platz machen einem Gemälde , dessen große Schönheit , aber auch entschiedene Neuheit Kreisler auf den ersten Blick erkannte . -
Mit großer Mühe hatten beide , der Abt und Kreisler , das Gemälde an der Wand mit Mauerschrauben befestigt , und nun stellte sich der Abt in das rechte Licht und schaute das Bild mit einem solch innigen Wohlbehagen , mit solch sichtlicher Freude an , daß es schien , als sei außer der in der Tat bewundrungswürdigen Malerei noch ein besonderes Interesse hier im Spiele .
- Der Gegenstand des Gemäldes war ein Mirakel .
Von der strahlenden Glorie des Himmels umflossen , erschien die heilige Jungfrau ; in der linken Hand trug sie einen Lilienzweig , mit den beiden Mittelfingern der rechten Hand berührte sie aber die nackte Brust eines Jünglings , und man sah , wie unter den Fingern dickes Blut aus einer offenen Wunde hervortropfte .
Der Jüngling erhob sich halb von dem Lager , auf das er ausgestreckt , er schien aus dem Todesschlafe zu erwachen , noch hatte er nicht die Augen geöffnet , aber das verklärte Lächeln , das auf seinem schönen Antlitz ausgebreitet , zeigte , daß er die Mutter Gottes schaute im seligen Traum , daß ihm der Schmerz der Wunde entnommen , daß der Tod keine Macht mehr hatte über ihn . -
Jeder Kenner mußte die korrekte Zeichnung , die geschickte Anordnung der Gruppe , die richtige Verteilung des Lichts und Schattens , den grandiosen Wurf der Gewänder , die hohe Anmut der Gestalt Marias , vorzüglich auch die lebensvolle Farbe , die den modernen Künstlern meistens nicht zu Gebote steht , höchlich bewundern .
Worin sich aber am meisten und , wie es in der Natur der Sache liegt , auch am entschiedensten der wahre Genius des Künstlers offenbarte , war der unbeschreibliche Ausdruck der Gesichter .
Maria war das schönste , anmutigste Weib , das man nur sehen konnte , und doch lag auf dieser hohen Stirn des Himmels gebietende Majestät , strahlte überirdische Seligkeit in mildem Glanz aus diesen dunklen Augen .
Ebenso war die himmlische Verzückung des zum Leben erwachenden Jünglings mit einer seltenen Kraft des schöpferischen Geistes vom Künstler aufgefaßt und dargestellt .
- Kreisler kannte in der Tat kein einziges Gemälde der neueren Zeit , das er diesem herrlichen Bilde hätte an die Seite stellen können ; er äußerte dies dem Abt , indem er sich über alle einzelne Schönheiten des Werks weitläufig ausließ und dann hinzufügte , daß in der neuesten Zeit wohl kaum Gediegeneres hervorgebracht worden .
" Das , " sprach der Abt lächelnd , " das hat seinen guten Grund , wie Ihr , Kapellmeister , sogleich erfahren sollt . -
Es ist ein eigenes Ding mit unseren jungen Künstlern , sie studieren und studieren , erfinden , zeichnen , machen gewaltige Kartons , und am Ende kommt Totes , Starres hervor , das nicht eindringen kann ins Leben , weil es selbst nicht lebt .
Stadt des alten großen Meisters , den sie sich zum Muster und Vorbild gewählt haben , Werke sorglich zu kopieren und so einzudringen in seinen eigentümlichsten Geist , wollen sie gleich die Meister selbst sein und Similia malen , verfallen aber darüber in eine Nachahmerei der Nebendinge , die sie ebenso kindisch und lächerlich erscheinen läßt als jenen , der , um einem großen Mann gleichzukommen , ebenso zu husten , zu schnarren , etwas gebückt zu gehen sich mühte wie dieser .
- Es fehlt unseren jungen Malern an der wahren Begeisterung , die das Bild in aller Glorie des vollendetsten Lebens aus dem Inneren hervorruft und ihnen vor Augen stellt .
Man sieht , wie sich dieser , jener vergebens abquält , um endlich in jene erhöhte Stimmung des Gemüts zu geraten , ohne die kein Werk der Kunst geschaffen wird .
Was dann aber die Ärmsten für wahre Begeisterung halten , wie sie den heiteren , ruhigen Sinn der alten Maler erhob , ist nur das seltsam gemischte Gefühl von hochmütiger Bewunderung des selbst gefaßten Gedankens und von ängstlicher , quälender Sorge , nun bei der Ausführung es dem alten Vorbilde auch in der kleinsten Kleinigkeit nachzutun .
- So wird denn oft die Gestalt , die , selbst lebendig , ins helle freundliche Leben treten sollte , zur widerlichen Fratze .
Unsere jungen Maler bringen es nicht zur deutlichen Anschauung der im Inneren aufgefaßten Gestalt , und mag es vielleicht nicht lediglich daher kommen , daß sie , gerät ihnen auch sonst alles so ziemlich gut , doch die Färbung verfehlen ? -
Mit einem Wort , sie können höchstens zeichnen , aber durchaus nicht malen .
Unwahr ist es nämlich , daß die Kenntnis der Farben und ihrer Behandlung verloren gegangen sein , daß es den jungen Malern an Fleiß fehlen sollte .
Denn was das erste betrifft , so ist es unmöglich , da die Malerkunst seit der christlichen Zeit , in der sie sich erst als wahrhaftige Kunst gestaltete , nie geruht hat , sondern Meister und Schüler eine ununterbrochene , fortlaufende Reihe bilden und der Wechsel der Dinge , der freilich nach und nach die Abweichungen vom Wahrhaftigen herbeiführte , auf die Übertragung des Mechanischen keinen Einfluß haben konnte .
Anlangend aber den Fleiß der Künstler , so möchte ihnen eher Übermaß als Mangel daran vorzuwerfen sein .
Ich kenne einen jungen Künstler , der ein Gemälde , läßt es sich auch ziemlich gut an , so lange übermalt und übermalt , bis alles in einen stumpfen bleiernen Ton hinschwindet und so vielleicht erst dem inneren Gedanken gleicht , dessen Gestalten nicht in das vollendete , lebendige Leben treten konnten .
- Seht da , Kapellmeister , ein Bild , aus dem wahres herrliches Leben haucht , und das darum , weil es die wahre fromme Begeisterung schuf ! -
Das Mirakel ist Euch deutlich .
Der Jüngling , der sich dort vom Lager erhebt , wurde in gänzlicher Hilflosigkeit von Mördern überfallen und zum Tode getroffen .
Laut rief er , der sonst ein gottloser Frevler gewesen , der die Gebote der Kirche in höllischem Wahn verachtet , die heilige Jungfrau um Hilfe an , und es gefiel der himmlischen Mutter Gottes , ihn aus dem Tode zu erwecken , damit er noch lebe , seine Irrtümer einsehe und sich in frommer Hingebung der Kirche weihe und ihrem Dienst . - Dieser Jüngling , dem die Gottgesandte so viel Gnade angedeihen ließ , ist zugleich der Maler des Bildes . "
- Kreisler bezeugte darüber , was ihm der Abt sagte , seine nicht geringe Verwunderung und schloß damit , daß auf diese Weise das Mirakel ja in der neuesten Zeit sich zugetragen haben müsse .
" Auch Ihr , " sprach der Abt mit sanftem mildem Ton , " auch Ihr , mein lieber Johannes , seid also der törichten Meinung , daß das Gnadentor des Himmels jetzt verschlossen sei , so daß das Mitleiden , die Barmherzigkeit in der Gestalt des Heiligen , den der bedrängte Mensch in der zermalmenden Angst des Verderbens brünstig anflehte , nicht mehr hindurchwandeln , selbst dem Bedürftigen erscheinen und ihm Frieden und Trost bringen könne ?
- Glaubt mir , Johannes nie haben die Wunder aufgehört , aber des Menschen Auge ist erblödet in sündigem Frevel , es kann den überirdischen Glanz des Himmels nicht ertragen und vermag daher nicht die Gnade der ewigen Macht zu erkennen , wenn sie sich kundtut in sichtbarlicher Erscheinung . -
Doch , mein lieber Johannes , die herrlichsten göttlichsten Wunder geschehen in dem innersten Gemüt des Menschen selbst , und diese Wunder soll er laut verkünden , wie er es nur vermag , in Wort , Ton oder Farbe .
So hat jener Mönch , der das Bild malte , das Wunder seiner Bekehrung herrlich verkündet , und so - Johannes , ich muß von Euch reden , es strömt mir aus dem Herzen - und so verkündet Ihr in mächtigen Tönen das herrliche Wunder der Erkenntnis des ewigen klarsten Lichts aus Euerem tiefsten Inneren heraus .
Und daß Ihr das vermöget , ist das nicht auch ein gnadenvolles Wunder , das die ewige Macht geschehen läßt zu Euerem Heil ? "
Kreisler fühlte sich von des Abts Worten gar seltsam erregt ; so wie es selten geschehen , trat der volle Glaube an seine innere schöpferische Kraft lebendig hervor , und ihn durchbebte ein seliges Wohlbehagen .
Nicht den Blick hatte Kreisler indessen abgewandt von dem wunderbaren Gemälde , aber wie es wohl zu geschehen pflegt , daß wir auf Bildern , vorzüglich wenn , wie es hier der Fall , starke Lichteffekte im Vor- oder Mittelgrunde angebracht sind , die in den dunklen Hintergrund gestellten Figuren erst später entdecken , so gewahrte auch jetzt erst Kreisler die Gestalt , die , in einen weiten Mantel gehüllt , den Dolch , auf den nur ein Strahl der Glorie der Himmelskönigin zu fallen schien , so daß er kaum bemerkbar blinkte , in der Hand , durch die Türe entfloh .
Es war offenbar der Mörder ; im Entfliehen blickte er rückwärts , und sein Gesicht trug den furchtbaren Ausdruck der Angst und des Entsetzens .
Wie ein Blitz traf es den Kreisler , als er in dem Antlitz des Mörders die Züge des Prinzen Hektor erkannte , nun war es ihm auch , als habe er den zum Leben erwachenden Jüngling schon irgendwo , wiewohl nur sehr flüchtig , gesehen .
Eine ihm selbst unerklärliche Scheu hielt ihn zurück , diese Bemerkungen dem Abt mitzuteilen , dagegen fragte er den Abt , ob er es nicht für störend und anstößig halte , daß der Maler ganz im Vorgrunde , wiewohl im Schlagschatten , Gegenstände des modernen Anzuges angebracht und , wie er jetzt erst sehe , auch den erwachenden Jüngling , also sich selbst modern gekleidet .
In der Tat war auf dem Bilde und zwar zur Seite des Vorgrundes ein kleiner Tisch und ein dicht daneben stehender Stuhl angebracht , auf dessen Lehne ein türkischer Schal hing , so wie auf dem Tisch ein Offiziershut mit einem Federbusch und ein Säbel lagen .
Der Jüngling trug einen modernen Hemdkragen , eine Weste , die ganz aufgeknöpft , und einen dunklen , ebenfalls ganz aufgeknöpften Überrock , dessen Schnitt aber einen guten Faltenwurf zuließ .
Die Himmelskönigin war gekleidet , wie man sie auf den Bildern der besten alten Maler zu sehen gewohnt ist .
" Mir ist , " erwiderte der Abt auf Kreislers Frage , " mir ist die Staffage im Vorgrunde sowie des Jünglings Überrock nicht allein keineswegs anstößig , sondern ich meine auch , daß der Maler nicht von des Himmels Gnade , sondern von weltlicher Torheit und Eitelkeit hätte durchdrungen sein müssen , wenn er auch nur in dem geringfügigsten Nebenpunkte von der Wahrheit abgewichen wäre .
So wie es sich wirklich begab , getreu nach Ort , Umgebung , Kleidung der Personen u. s.w. mußte er das Mirakel darstellen , so sieht auch jeder auf den ersten Blick , daß sich das Mirakel in unseren Tagen begab , und so wird das Gemälde des frommen Mönchs zur schönen Trophäe der siegenden Kirche in diesen Zeiten des Unglaubens und der Verderbtheit . "
" Und doch , " sprach Kreisler , " und doch ist mir dieser Hut , dieser Säbel , dieser Schal , dieser Tisch , dieser Stuhl - ist mir das alles , sage ich , fatal , und ich wollte , der Maler hätte diese Staffage des Vorgrundes weggelassen und sich selbst ein Gewand umgeworfen statt des Überrocks .
Sagt selbst , hochehrwürdiger Herr , könnt Ihr Euch eine heilige Geschichte denken im modernen Kostüm , einen heiligen Joseph im Flauschrock , einen Heiland im Frack , eine Jungfrau in einer Robe , mit umgeworfenem türkischen Schal ?
Würde Euch das nicht als eine unwürdige , ja abscheuliche Profanation des Erhabensten erscheinen ?
Und doch stellten die alten , vorzüglich die deutschen Maler alle biblischen und heiligen Geschichten in dem Kostüm ihres Zeitalters dar , und ganz falsch möchte die Behauptung sein , daß sich jene Trachten besser zur malerischen Darstellung eigneten als die jetzigen , die freilich , bis auf manche Kleidung der Weiber , albern und unmalerisch genug sind .
Doch bis ins Übertriebene , bis ins Ungeheuere , möchte ich sagen , gingen ja manche Moden der Vorzeit ; man denke an jene ellenhoch aufgekrümmte Schnabelschuhe , an jene bauschige Pluderhosen , an jene verschnittene Wämser und Ärmel u. s.w. , vollends unausstehlich und Antlitz und Wuchs entstellend waren aber manche Weibertrachten , wie man sie auf alten Bildern findet , auf denen das junge blühende , bildschöne Mädchen bloß der Tracht halber das Ansehn hat einer alten grämlichen Matrone .
Und doch sind gewiß jene Bilder niemanden anstößig gewesen . "
" Nun , " erwiderte der Abt , " nun kann ich Euch , mein lieber Johannes , mit wenigen Worten recht den Unterschied der alten frommen und der jetzigen verderbteren Zeit vor Augen bringen .
- Seht , damals waren die heiligen Geschichten so in das Leben der Menschen eingedrungen , ja , ich möchte sagen , so im Leben bedingt , daß jeder glaubte , vor seinen Augen habe sich das Wundervolle begeben , und jeden Tag könne die ewige Allmacht gleiches geschehen lassen .
So ging dem frommen Maler die heilige Geschichte , der er seinen Sinn zugewendet , in der Gegenwart auf ; unter den Menschen , wie sie ihn im Leben umgaben , sah er das Gnadenreiche geschehen , und wie er es lebendig geschaut , brachte er es auf die Tafel .
Heutzutage sind jene Geschichten etwas ganz Entferntes , das als für sich bestehend und in die Gegenwart nicht eintretend , nur in der Erinnerung ein mattes Leben mühsam behauptet , und vergebens ringt der Künstler nach lebendiger Anschauung , da , mag er es sich auch selbst nicht gestehen , sein innerer Sinn durch das weltliche Forttreiben verflacht ist . -
Ebenso fade und lächerlich ist es aber hiernach , wenn man den alten Malern Unkenntnis des Kostüms vorwirft und darin die Ursache findet , warum sie nur die Trachten ihrer Zeit in ihren Gemälden aufstellten , als wenn unsere jungen Maler sich mühen , die abenteuerlichsten geschmackwidrigsten Trachten des Mittelalters in ihren Abbildungen heiliger Geschichten anzubringen , dadurch aber zeigen , daß sie das , was sie abzubilden unternommen , nicht unmittelbar im Leben anschauten , sondern sich mit dem Reflex davon begnügten , wie er ihnen im Gemälde des alten Meisters aufging .
Eben daher , mein lieber Johannes , weil die Gegenwart zu profan , um nicht mit jenen frommen Legenden im häßlichen Widerspruch zu stehen , weil niemand imstande ist , sich jene Wunder als unter uns geschehen vorzustellen , eben daher würde allerdings die Darstellung in unserem modernen Kostüm uns abgeschmackt , fratzenhaft , ja frevelig bedünken .
Ließe es aber die ewige Macht geschehen , daß vor aller unser Augen nun wirklich ein Wunder geschehe , so würde es durchaus unzulässig sein , das Kostüm der Zeit zu ändern , so wie die jungen Maler nun freilich , wollen sie einen Stützpunkt finden , darauf bedacht sein müssen , in alten Begebenheiten das Kostüm des jedesmaligen Zeitalters , so wie es erforschlich , richtig zu beobachten .
- Recht , wiederhole ich noch einmal , recht hatte der Maler dieses Bildes , daß er die Gegenwart andeutete , und eben jene Staffage , die Ihr , lieber Johannes , verwerflich findet , erfüllt mich mit frommen heiligen Schauern , da ich selbst einzutreten wähne in das enge Gemach des Hauses zu Neapel , wo sich erst vor ein paar Jahren das Wunder der Erweckung jenes Jünglings begab . " - Kreisler wurde durch die Worte des Abts zu Betrachtungen mancherlei Art veranlaßt ; er mußte ihm in vielem recht geben , nur meinte er doch , daß , was die höhere Frömmigkeit der alten Zeit und die Verderbtheit der jetzigen betreffe , aus dem Abt gar zu sehr der Mönch spreche , der Zeichen , Wunder , Verzückungen verlange und wirklich schaue , deren ein frommer kindlicher Sinn , dem die krampfhafte Ekstase eines berauschenden Kultus fremd bleibe , nicht bedürfe , um wahrhafte christliche Tugend zu üben ; und eben diese Tugend sei keineswegs von der Erde verschwunden , und könne dies wirklich geschehen , so würde die ewige Macht , die uns aufgegeben und dem finsteren Dämon freie Willkür gegönnt , uns auch durch kein Mirakel zurückbringen wollen auf den rechten Weg .
- Alle diese Betrachtungen behielt indessen Kreisler für sich und betrachtete schweigend noch immer das Bild .
Aber immer mehr traten auch , wie bei näherem und näherem Anschauen , die Züge des Mörders aus dem Hintergrunde hervor , und Kreisler überzeugte sich , daß das lebendige Original der Gestalt niemand anders sein könne als Prinz Hektor .
" Mich dünkt , " begann Kreisler , " mich dünkt , hochehrwürdiger Herr , ich erblicke dort im Hintergrunde einen wackeren Freischützen , der es abgesehen hat auf das edelste Tier , nämlich auf den Menschen , den er pirscht auf mannigfache Weise .
Er hat diesmal , wie ich sehe , ein treffliches wohlgeschliffenes Fangeisen zur Hand genommen und gut getroffen , mit dem Schießgewehr hapert aber merklich , da er vor nicht langer Zeit auf dem Anstand einen munteren Hirsch garstig fehlte .
- In der Tat , mich gelüstet_es gar sehr nach dem Curriculum vitae dieses entschlossenen Weidmanns , sei es auch nur ein epitomattischer Auszug aus demselben , der mir schon zeigen könnte , wo ich eigentlich meine Stelle finde , und ob es nicht geraten , mich nur gleich an die heilige Jungfrau zu wenden wegen eines mir vielleicht nötigen Frei- und Schutzbriefes ! "
- " Laßt , " sprach der Abt , " laßt nur die Zeit hingehen , Kapellmeister !
mich sollte es wundern , wenn Euch nicht in kurzem so manches klar würde , das jetzt noch in trübem Dunkel liegt . -
Es kann sich noch vieles Euren Wünschen , die ich erst jetzt erkannt , gar freudig fügen .
Seltsam - ja , so viel kann ich Euch wohl sagen - seltsam genug scheint es , daß man in Sieghartshof über Euch im gröbsten Irrtum ist .
Meister Abraham mag vielleicht der einzige sein , der Euer Inneres durchschaut . "
" Meister Abraham , " rief Kreisler , " Ihr kennt den Alten , hochehrwürdiger Herr ? "
" Ihr , " erwiderte der Abt lächelnd , " Ihr vergeßt , daß unsere schöne Orgel ihre neue wirkungsvolle Struktur der Geschicklichkeit Meister Abrahams zu verdanken hat ! -
Doch künftig mehr ! -
Wartet nur in Geduld der Dinge , die da kommen werden . "
- Kreisler beurlaubte sich beim Abt ; er wollte hinab in den Park , um so manchen Gedanken nachzuhängen , die ihn durchkreuzten ; doch als er schon die Treppe hinabgestiegen war , hörte er hinter sich herrufen :
" Domine , domine Capellmeistere ! - paucis te volo ! "
- Es war der Pater Hilarius , welcher versicherte , daß er mit höchster Ungeduld auf das Ende der langen Konferenz mit dem Abt gewartet .
Soeben habe er sein Kellermeisteramt verrichtet und den herrlichsten Leistenwein abgezogen , der seit Jahren im Keller gewesen .
Ganz unumgänglich nötig sei es , daß Kreisler sogleich einen Pokal davon leere zum Frühstück , um die Güte des edlen Gewächses zu erkennen und sich zu überzeugen , daß es ein Wein sei , der , feurig , geist- und herzstärkend , für einen tüchtigen Kompositor und echten Musikanten geboren .
Kreisler wußte wohl , daß es vergeblich sein würde , dem begeisterten Pater Hilarius entgehen zu wollen , und es war ihm selbst recht , bei der Stimmung , in die er sich versetzt fühlte , ein Glas guten Wein zu genießen , er folgte daher dem fröhlichen Kellermeister , der ihn in seine Zelle führte , wo er auf einem kleinen , mit einer sauberen Serviette bedeckten Tischchen schon eine Flasche des edlen Getränks sowie frisch gebackenes Weißbrot und Salz und Kümmel vorfand .
- " Ergo bibamus ! " rief Pater Hilar , schenkte die zierlichen grünen Römer voll und stieß mit Kreislern fröhlich an .
" Nicht wahr , " begann er , nachdem die Pokale geleert , " nicht wahr , Kapellmeister , unser hochwürdiger Herr will Euch gern in den langen Rock hinein vexieren ? -
Tut es nicht , Kreisler !
- Mir ist wohl in der Kutte , ich möchte sie um keinen Preis wieder ablegen , aber distinguendum est inter et inter ! -
Für mich ist ein gut Glas Wein und ein tüchtiger Kirchengesang die ganze Welt , aber Ihr - Ihr !
Nun , Ihr seid noch zu ganz anderen Dingen aufgehoben , Euch lacht noch das Leben auf ganz andere Weise , Euch leuchten noch ganz andere Lichter als die Altarskerzen ! -
Nun , Kreisler , kurz von der Sache zu reden - stoßt an ! -
Vivat Euer Mädel , und wenn Ihr Hochzeit macht , so soll Euch der Herr Abt , alles Verdrusses unerachtet , durch mich von dem besten Wein senden , der nur in unserem reichen Keller befindlich ! "
Kreisler fühlte sich durch Hilarius ' Worte berührt auf unangenehme Weise , so wie es uns schmerzt , wenn wir etwas Zartes , Schneereines erfaßt sehen von plumpen ungeschickten Händen .
" Was , " sprach Kreisler , indem er sein Glas zurückzog , " was Ihr nicht alles wißt , nicht alles erfahrt in Euren vier Mauern . "
" Domine , " rief Pater Hilarius , " Domine Kreisler , nichts für ungut , video mysterium , aber ich will das Maul halten !
Wollt Ihr nicht auf Euer - Nun !
Laßt uns frühstücken in Kamera et faciemus bonum cherubim - und bibamus , daß der Herr uns hier in der Abtei die Ruhe und Gemütlichkeit erhalten möge , die bisher geherrscht . "
" Ist , " fragte Kreisler gespannt , " ist denn die jetzt in Gefahr gekommen ? "
- " Domine , " sprach Pater Hilarius leise , indem er Kreislern vertraulich näher rückte , " Domine dilectissime !
Ihr seid lange genug bei uns , um zu wissen , in welcher Eintracht wir leben , wie sich die verschiedensten Neigungen der Brüder in einer gewissen Heiterkeit einigen , die von allem , von unserer Umgebung , von der Milde der Klosterzucht , von der ganzen Lebensweise begünstigt wird .
- Vielleicht hat das am längsten gedauert .
Erfahrt es , Kreisler ! eben ist Pater Cyprianus angekommen , der längst erwartete , der von Rom aus dem Abt auf das dringendste empfohlen wurde .
Es ist noch ein junger Mann , aber auf diesem ausgedörrten starren Antlitz ist auch nicht eine Spur eines heiteren Gemüts zu finden , vielmehr liegt in den finsteren abgestorbenen Zügen eine unerbittliche Strenge , die den bis zur höchsten Selbstqual gesteigerten Asketticker verkündet .
Dabei zeugt sein ganzes Wesen von einer gewissen feindseligen Verachtung alles dessen , was ihn umgibt , die vielleicht wirklich dem Gefühl einer geistlichen Übermacht über uns alle ihren Ursprung verdanken mag .
- Schon erkundigte er sich in abgebrochenen Worten nach der Klosterzucht und schien großes Ärgernis an unserer Lebensweise zu nehmen . -
Gebt acht , Kreisler , dieser Ankömmling wird unsere ganze Ordnung , die uns so wohlgetan , verkehren !
Gebt acht , nunc probo !
Die Strenggesinnten werden sich leicht an ihn anschließen , und bald wird sich eine Partei wider den Abt bilden , der vielleicht der Sieg nicht entgehen kann , weil es mir gewiß scheint , daß Pater Cyprianus ein Emissar Sr. päpstlichen Heiligkeit ist , dessen Willen sich der Abt beugen muß . -
Kreisler ! was wird aus unserer Musik , aus Eurem gemütlichen Aufenthalt bei uns werden ! -
Ich sprach von unserem wohleingerichteten Chor , und wie wir die Werke der größten Meister recht wacker aus zuführen imstande , da schnitt aber der finstere Asketticker ein entsetzliches Gesicht und meinte , dergleichen Musik sei für die profane Welt , aber nicht für die Kirche , aus der sie der Papst Marcellus der Zweite mit Recht ganz verbannen wollen . -
Per diem , wenn es keinen Chor mehr geben soll und man mir vielleicht auch den Weinkeller verschließt , so - doch vor der Hand bibamus ! -
Man muß sich vor der Zeit keine Gedanken machen , ergo - gluc-gluc . "
Kreisler meinte , daß es sich wohl mit dem neuen Ankömmling , der vielleicht strenger schiene , als er es wirklich sei , besser fügen und er seinerseits nicht glauben könne , daß der Abt bei dem festen Charakter , den er stets bewiesen , so leicht dem Willen eines fremden Mönchs nachgeben werde , zumal es ihm selbst an wichtigen , erfolgreichen Verbindungen in Rom gar nicht fehlte .
In dem Augenblick wurden die Glocken gezogen , ein Zeichen , daß die feierliche Aufnahme des fremden Bruders Cyprianus in den Orden des heiligen Benedikt vor sich gehen solle .
Kreisler begab sich mit dem Pater Hilarius , der mit einem halbängstlichen " bibendum quid " noch die Neige seines Römers schnell hinunterschluckte , auf den Weg nach der Kirche .
Aus den Fenstern des Korridors , den sie durchschritten , konnte man in die Gemächer des Abts hineinschauen .
" Seht , seht ! " rief Pater Hilar , indem er den Kreisler in die Ecke eines Fensters zog .
Kreisler schaute hinüber und gewahrte in dem Gemach des Abts einen Mönch , mit dem der Abt sehr eifrig sprach , indem eine dunkle Röte sein Antlitz überzog .
Endlich kniete der Abt nieder vor dem Mönch , der ihm den Segen gab .
" Hab ' ich recht , " sprach Hilarius leise , " habe ' ich recht , wenn ich in diesem fremden Mönch , der mit einem Mal hinabschneit in unsere Abtei , etwas Besonderes , Seltsames suche und finde ? "
" Gewiß , " erwiderte Kreisler , " gewiß hat es mit diesem Cyprianus eine eigene Bewandtnis , und mich sollte es wundern , wenn nicht gewisse Beziehungen sich sehr bald kundtun sollten . "
Pater Hilarius begab sich zu den Brüdern , um mit ihnen in feierlicher Prozession , das Kreuz vorauf , die Laienbrüder mit angezündeten Kerzen und Fahnen an den Seiten , in die Kirche zu ziehen .
Als nun der Abt mit dem fremden Mönch dicht bei Kreisler vorüberkam , erkannte dieser auf den ersten Blick , daß Bruder Cyprianus eben der Jüngling war , den auf jenem Bilde die heilige Jungfrau aus dem Tode zum Leben erweckte . -
Doch noch eine Ahnung erfaßte Kreislern plötzlich .
Er rannte herauf in sein Zimmer , er holte das kleine Bildnis hervor , das ihm Meister Abraham gegeben ; kein Zweifel !
er erblickte denselben Jüngling , nur jünger , frischer und in Offizieruniform abgebildet .
- Als nun - Vierter Abschnitt Vierter Abschnitt Erspriessliche Folgen höherer Kultur Die reiferen Monate des Mannes ( M.f.f. ) Hinzmanns rührenden Sermon , das Trauermal , die schöne Mina , Miesmies Wiederfinden , der Tanz , alles das hatte in meiner Brust einen Zwiespalt der widersprechendsten Gefühle erregt , so daß ich , wie man im gewöhnlichen Leben gemeinhin sagt , mich eigentlich gar nicht zu lassen wußte und in einer gewissen trostlosen Bangigkeit des Gemüts wünschte , ich läge im Keller in der Grube wie Freund Muzius .
Das war nun freilich sehr arg , und ich wüßte gar nicht , was aus mir geworden wäre , lebte nicht der wahre , hohe Dichtergeist in mir , der sofort mich mit reichlichen Versen versorgte , die ich niederzuschreiben nicht unterließ .
- Die Göttlichkeit der Poesie offenbart sich vorzüglich darin , daß das Versemachen , kostet auch der Reim hin und wieder manchen Schweißtropfen , doch ein wunderbares inneres Wohlbehagen erregt , das jedes irdische Leid überwindet , sowie man denn wissen will , daß es sogar oftmals schon Hunger und Zahnschmerzen besiegt hat .
Jener soll , da der Tod ihm den Vater , die Mutter , die Gattin raubte , zwar bei jedem Todesfall , wie billig , ganz außer sich , aber doch bei dem Gedanken an das herrliche Trauer-Carmen , das er nun im Geist zu empfangen gedachte , niemals untröstlich gewesen sein und bloß noch einmal sich verheiratet haben , um die Hoffnung abermaliger tragischer Begeisterung derselben Art nicht aufzugeben .
- Hier sind die Verse , die meinen Zustand , sowie den Übergang von Leid zur Freude mit poetischer Kraft und Wahrheit schildern .
" Was wandelt , horch ! durch finstere Räume , In öder Keller Einsamkeit ?
Was ruft mir zu :
» Nicht länger säume ! «
Wes Stimme klagt ein herbes Leid ?
Dort liegt der treue Freund begraben , Nach mir verlangt sein irrer Geist .
Mein Trost soll ihn im Tode laben , Ich bin_es , der Leben ihm verheißt !
Doch nein ! -
das ist kein flüchtiger Schatten , Der solche Töne von sich gibt !
Sie seufzen nach dem treuen Gatten , Nach ihm , der noch so heiß geliebt !
In alte Liebesketten fallen , Rinaldo will_es , er kehrt zurück , Doch wie ! - schau ich nicht spitze Krallen ?
Nicht eifersüchtigen Zornes Blick ?
Sie ist es - die Frau ! - wohin entfliehen ! -
Ha ! welch Gefühl bestürmt die Brust .
Im keuschen Schnee der Jugend blühen Sehe ich des Lebens höchste Lust .
Sie springt , sie naht , und immer heller Wird es um mich Hochbeglückten her .
Ein süßer Duft durchweht den Keller , Die Brust wird leicht , das Herz wird schwer .
Der Freund gestorben - sie gefunden - Entzücken ! -
Wonne ! - bitterer Schmerz !
Die Gattin - Tochter - neue Wunden ! -
Ha !
- sollst du brechen , armes Herz ?
Doch kann den Sinn wohl so betören Ein Trauermal , ein lustiger Tanz ?
Nein - diesem Treiben muß ich wehren , Mich blendet nur ein falscher Glanz .
Hinweg , ihr eitlen Truggebilde , Gebt höherem Streben willig Raum !
Gar manches führt die Katz im Schilde , Sie liebt , sie haßt und weiß es kaum .
Kein Ton , kein Blick , senkt eure Augen , O Mina , Miesmies , falsch Geschlecht !
Verderblich Gift , nicht will ich_es saugen , Ich fliehe , und Muzius sei gerächt .
Verklärter ! - ja , bei jedem Braten , Bei jedem Fisch gedenke ' ich dein !
Denke deiner Weisheit , deiner Taten , Denke Kater ganz wie du zu sein .
Gelang es hündischem Frevelwitze Dich zu verderben , edler Freund , So trifft die Schmach bluttgierige Spitze , Es rächet dich , der um dich weint .
So flau , so jammervoll im Busen War mir_es , ich wußte gar nicht wie , Doch hoher Dank den holden Musen , Dem kühnen Flug der Phantasie .
Mir ist jetzt wieder leidlich besser , Spür gar nicht geringen Appetit , Bin Muzius gleich ein wackerer Esser Und ganz in Poesie erglüht .
Ja Kunst ! du Kind aus hohen Sphären , Du Trösterin im tiefsten Leid , O ! -
Verslein laß mich stets gebären Mit genialer Leichtigkeit .
Und : » Murr « , so sprechen edle Frauen , Hochherzige Jünglinge , » o Murr ; Du Dichterherz , ein zart Vertrauen Weckt in der Brust dein süß Gemurre ! « "
Die Wirkung des Versleinmachens war zu wohltätig , ich konnte mich nicht mit diesem Gedicht begnügen , sondern machte mehrere hintereinander mit gleicher Leichtigkeit , mit gleichem Glück .
Die gelungensten würde ich hier dem geneigten Leser mitteilen , hätte ich nicht im Sinn , dieselben nebst mehreren Witzwörtern und Impromptus , die ich in müßigen Stunden angefertigt , und über die ich schon beinahe vor Lachen bersten mögen , unter dem allgemeinen Titel :
" Was ich gebar in Stunden der Begeisterung " herauszugeben .
- Zu meinem nicht geringen Ruhm muß ich es sagen , daß selbst in meinen Jünglingsmonaten , wenn der Sturm der Leidenschaft noch nicht verbraust ist , ein heller Verstand , ein feiner Takt für das Gehörige die Oberhand behielt über jeden abnormen Sinnenrausch .
So gelang es mir auch , die plötzlich aufgewallte Liebe zu der schönen Mina gänzlich zu unterdrücken .
Einmal mußte mir denn doch bei ruhiger Überlegung diese Leidenschaft in meinen Verhältnissen etwas töricht vorkommen ; dann erfuhr ich aber auch , daß Mina , des äußeren Scheins kindlicher Frömmigkeit unerachtet , ein keckes eigensinniges Ding sei , die bei gewissen Anlässen den bescheidensten Katerjünglingen in die blanken Augen fahre .
Um mir aber jeden Rückfall zu ersparen , vermied ich sorglich Mina zu sehen , und da ich Miesmies ' vermeintliche Ansprüche und ihr seltsames überspanntes Wesen noch mehr scheute , so hielt ich mich , um ja keiner von beiden zu begegnen , einsam im Zimmer und besuchte weder den Keller , weder den Boden , noch das Dach .
Der Meister schien dies gern zu sehen ; er erlaubte , daß ich , studierte er am Schreibtisch , mich hinter seinem Rücken auf den Lehnstuhl setzen und mit vorgestrecktem Halse durch den Arm in das Buch gucken durfte , welches er eben las . -
Es waren ganz hübsche Bücher , die wir , ich und mein Meister , auf diese Art zusammen durchstudierten , wie z.B. Arpe , " de prodigiosis naturae et artis operibus , Talismanes et Amuleta dictis , " Beckers " bezauberte Welt " , Francisci Petrarca " Gedenkbuch " u.a.m .
Diese Lektüre zerstreute mich ungemein und gab meinem Geist einen neuen Schwung .
- Der Meister war ausgegangen , die Sonne schien so freundlich , die Frühlingsdüfte wehten so anmutig zum Fenster hinein ; ich vergaß meine Vorsätze und spazierte hinauf auf das Dach .
Kaum war ich aber oben , als ich auch schon Muzius ' Witwe erblickte , die hinter dem Schornstein hervorkam .
- Vor Schreck blieb ich regungslos stehen wie eingewurzelt ; schon hörte ich mich bestürmt mit Vorwürfen und Beteuerungen .
- Weit gefehlt .
- Gleich hinter her folgte der junge Hinzmann , rief die schöne Witwe mit süßen Namen , sie blieb stehen , empfing ihn mit lieblichen Worten , beide begrüßten sich mit dem entschiedenen Ausdruck inniger Zärtlichkeit und gingen dann schnell an mir vorüber , ohne mich zu grüßen oder sonst im mindesten zu beachten .
Der junge Hinzmann schämte sich ganz gewiß vor mir , denn er senkte den Kopf zu Boden und schlug die Augen nieder , die leichtsinnige kokette Witwe warf mir aber einen höhnischen Blick zu .
Der Kater ist , was sein psychisches Wesen betrifft , doch eine gar närrische Kreatur .
- Hätte ich nicht froh sein können , sein müssen , daß Muzius ' Witwe anderweitig mit einem Liebhaber versehen , und doch konnte ich mich eines gewissen inneren Ärgers nicht erwehren , der beinahe das Ansehen hatte von Eifersüchtelei .
- Ich schwor , niemals mehr das Dach zu besuchen , wo ich große Unbill erlebt zu haben glaubte .
Stadt dessen sprang ich nun fleißig auf die Fensterbank , sonnte mich , schaute , um mich zu zerstreuen , auf die Straße hinab , stellte allerlei tiefsinnige Betrachtungen an und verband so das Angenehme mit dem Nützlichen .
Ein Gegenstand dieser Betrachtungen war denn auch , warum es mir noch niemals eingefallen , mich aus eigenem freien Antriebe vor die Haustüre zu setzen oder auf der Straße zu lustwandeln , wie ich es doch viele von meinem Geschlecht tun sah , ohne alle Furcht und Scheu .
Ich stellte mir das als etwas höchst Angenehmes vor und war überzeugt , daß nun , da ich zu reiferen Monaten gekommen und Lebenserfahrung genug gesammelt , von jenen Gefahren , in die ich geriet , als das Schicksal mich , einen unmündigen Jüngling , hinausschleuderte in die Welt , nicht mehr die Rede sein könne .
Getrost wandelte ich daher die Treppe herab und setzte mich fürs erste auf die Türschwelle in den hellsten Sonnenschein .
Daß ich eine Stellung annahm , die jedem auf den ersten Blick den gebildeten , wohlerzogenen Kater verraten mußte , versteht sich von selbst .
Es gefiel mir vor der Haustüre ganz ungemein .
Indem die heißen Sonnenstrahlen meinen Pelz wohltätig auswärmten , putzte ich mit gekrümmter Pfote zierlich Schnauze und Bart , worüber mir ein paar vorübergehende junge Mädchen , die den großen , mit Schlössern versehenen Mappen nach , die sie trugen , aus der Schule kommen mußten , nicht allein ihr großes Vergnügen bezeugten , sondern mir auch ein Stückchen Weißbrot verehrten , welches ich nach gewohnter Galanterie dankbarlichst annahm .
- Ich spielte mehr mit der mir dargebotenen Gabe , als daß ich sie wirklich zu verzehren Anstalt machte , aber wie groß war mein Entsetzen , als plötzlich ein starkes Brummen dicht bei mir dieses Spiel unterbrach und der mächtige Alte , Pontos Oheim , der Pudel Skaramuz , vor mir stand .
Mit einem Satz wollte ich fort aus der Türe , doch Skaramuz rief mir zu : " Sei Er kein Hasenfuß und bleibe Er ruhig sitzen ; glaubt Er , ich werde
Ihn fressen ? "
- Mit der demütigsten Höflichkeit fragte ich , worin ich vielleicht dem Herrn Skaramuz nach meinen geringen Kräften dienen könne , der erwiderte aber barsch :
" In nichts , in gar nichts kann Er mir dienen , Mosje Murr , und wie sollte das auch möglich sein ?
Aber fragen wollte ich Ihn , ob Er vielleicht weiß , wo mein liederlicher Neffe steckt , der junge Ponto .
Er hat sich ja wohl schon einmal mit Ihm herumgetrieben , und ihr scheinet zu meinem nicht geringen Ärger ein Herz und eine Seele .
Nun ? - sage
Er nur an , ob Er weiß , wo der Junge herumschwärmt ; ich habe ihn schon seit mehreren Tagen mit keinem Auge gesehen . "
Verlegen durch des mürrischen Alten stolzes wegwerfendes Betragen , versicherte ich kalt , daß von einer engen Freundschaft zwischen mir und dem jungen Ponto gar nicht die Rede sei und auch niemals die Rede gewesen wäre .
Zumal in der letzten Zeit habe sich Ponto , den ich übrigens gar nicht aufgesucht , ganz von mir zurückgezogen .
" Nun , " brummte der Alte , " nun , das freut mich , das zeigt doch , daß der Junge Ehre im Leibe hat und nicht gleich bei der Hand ist , mit Leuten allerlei Gelichters sein Wesen zu treiben . "
Das war denn doch nicht auszuhalten , der Zorn übermannte mich , das Burschentum regte sich in mir , ich vergaß alle Furcht und prustete dem schnöden Skaramuz ein tüchtiges :
" Alter Grobian ! " ins Gesicht , hob auch die rechte Pfote mit ausgespreizten Krallen in die Höhe und zwar in der Richtung nach des Pudels linkem Auge .
Der Alte wich zwei Schritte zurück und sprach weniger barsch , als vorher :
" Nun , nun , Murr ! nichts für ungut , Ihr seid sonst ein guter Kater , und da will ich Euch denn raten , nehmt Euch in acht vor dem Blitzjungen , dem Ponto !
Er ist , Ihr möget es glauben , eine ehrliche Haut , aber leichtsinnig ! - leichtsinnig ! zu allen tollen Streichen aufgelegt , kein Ernst des Lebens , keine Sitte ! -
Nehmt Euch in acht , sage ich , denn bald wird er Euch verlocken in allerlei Gesellschaften , wo Ihr gar nicht hin gehört und Euch mit unsäglicher Mühe zu einer Art des sozialen Umgangs zwingen müßt , die Euerer innersten Natur zuwider , und über die Eure Individualität , Eure einfache ungeheuchelte Sitte , wie Ihr sie mir eben bewiesen , zugrunde geht . -
Seht , guter Murr , Ihr seid , wie ich schon gesagt , als Kater schätzenswert und habt für gute Lehre ein williges geneigtes Ohr ! -
Seht ! -
soviel tolle , unangenehme , ja zweideutige Streiche auch ein Jüngling verführen mag , zeigt er nur dann und wann jene weichliche , ja oft süßliche Gutmütigkeit , wie sie Leuten von sanguinischem Temperament immer eigen , so heißt es denn gleich mit dem französischen Ausdruck :
» Au fond ist er doch ein guter Kerl « , und das soll denn alles entschuldigen , was er beginnt gegen alle Sitte und Ordnung .
Aber der fond , in dem der Kern des Guten steckt , liegt so tief , und über ihm hat sich so viel Unrat eines ausgelassenen Lebens gesammelt , daß er im Keime ersticken muß . -
Für wahrhaftes Gefühl des Guten wird einem aber oft jene alberne Gutmütigkeit aufgetischt , die der Teufel holen soll , wenn sie nicht vermag , den Geist des Bösen in einer glänzenden Maske zu erkennen .
Traut , o Kater , den Erfahrungen eines alten Pudels , der sich was in der Welt versucht , und laßt Euch nicht durch das verdammte :
» Au fond ist er ein guter Kerl « , betören .
- Seht Ihr etwa meinen liederlichen Neffen , so möget Ihr ihm alles geradezu heraussagen , was ich mit Euch gesprochen , und Euch seine fernere Freundschaft gänzlich verbitten .
- Gott befohlen !
- Ihr freßt das wohl nicht , guter Murr ? "
Damit nahm der alte Pudel Skaramuz das Stückchen Weißbrot , das vor mir lag , hurtig ins Maul und schritt dann gemächlich von dannen , indem er mit gesenktem Haupt die lang behaarten Ohren an der Erde schleppen ließ und ein ganz klein wenig mit dem Schweife wedelte .
- Gedankenvoll schaute ich dem Alten nach , dessen Lebensweisheit mir ganz eingehen wollte .
" Ist er fort , ist er fort ? "
So lispelte es dicht hinter mir , und ich er staunte nicht wenig , als ich den jungen Ponto erblickte , der sich hinter die Türe geschlichen und so lange gewartet hatte , bis der Alte mich verlassen .
Pontos plötzliche Erscheinung setzte mich gewissermaßen in Verlegenheit , da mir des alten Onkels Auftrag , den ich jetzt eigentlich hätte ausrichten müssen , doch etwas bedenklich schien .
Ich dachte an jene entsetzlichen Worte , die Ponto mir einst zugerufen :
" Solltest du es dir etwa beikommen lassen , feindliche Gesinnungen gegen mich zu äußeren , so bin ich dir an Stärke und Gewandtheit überlegen .
Ein Sprung , ein tüchtiger Bis meiner scharfen Zähne würde dir auf der Stelle den Garaus machen . "
Ich fand es sehr ratsam , zu schweigen .
- Diese inneren Bedenklichkeiten mochten mein äußeres Betragen kalt und gezwungen erscheinen lassen , Ponto guckte mich an mit scharfem Blick .
Dann brach er aus in eine helle Lache und rief : " Ich merke ' es schon , Freund Murr !
Mein Alter hat dir allerlei Böses vorgeredet von meinem Treiben , er hat mich liederlich , allen tollen Streichen und Ausschweifungen ergeben geschildert .
Sei nicht so töricht , von dem allem auch nur ein Wörtchen zu glauben .
Fürs erste ! -
Schau mich recht aufmerksam an und sage mir , was du von meiner äußeren Erscheinung hältst ? "
- Den jungen Ponto betrachtend , fand ich , daß er nie so wohlgenährt , so glau ausgesehen , daß nie diese Nettigkeit , diese Eleganz in seinem Anzuge , nie diese wohltuende Übereinstimmung in seinem ganzen Wesen geherrscht .
Ich äußerte ihm dies unverhohlen .
" Nun wohl , " sprach Ponto , " nun wohl , guter Murr , glaubst du wohl , daß ein Pudel , der sich in schlechter Gesellschaft umhertreibt , der niedrigen Ausschweifungen ergeben , der recht systematisch liederlich ist , ohne eigentlichen Geschmack daran zu finden , sondern bloß aus Langeweile , wie es denn nun wirklich bei vielen Pudeln der Fall ist - glaubst du wohl , daß ein solcher Pudel so aussehen kann , wie du mich findest ?
Du rühmst vorzüglich die Harmonie in meinem ganzen Wesen .
Schon das muß dich belehren , wie sehr mein grämlicher Onkel im Irrtum ist ; denke , da du ein literarischer Kater bist , an jenen Lebensweisen , welcher dem , der an einem Lasterhaften vorzüglich das Unharmonische der ganzen Gestaltung rügte , erwiderte :
» Ist es möglich , daß das Laster Einheit haben kann ? «
- Wundere dich , Freund Murr , nicht einen Augenblick über die schwarzen Verleumdungen meines Alten .
Grämlich und geizig , wie denn nun einmal Oheime sind , hat er deshalb seinen ganzen Zorn auf mich geworfen , weil er par honneur einige kleine Spielschulden bezahlen müssen , die ich bei einem Wurstkrämer ausgeborgt hatte , der bei sich verbotenes Spiel duldete und den Spielern oft in Zervelaten , Grützen und Lebern ( zu Würsten aptiert nämlich ) bedeutende Vorschüsse machte .
Dann aber denkt der Alte noch immer an eine gewisse Periode , in der meine Lebensweise eben nicht rühmlich war , die aber längst vorüber und dem herrlichsten Anstande gewichen ist . "
In dem Augenblick kam ein kecker Pinscher des Weges , guckte mich an , als habe er meinesgleichen noch niemals gesehen , schrie mir die gröbsten Insolenzen in die Ohren und schnappte dann nach dem Schweife , den ich lang aus von mir gestreckt , welches ihm zu mißfallen schien .
Sowie ich aber hochaufgerichtet mich zur Wehre setzen wollte , war Ponto auch schon auf den ungesitteten Krakeeler losgesprungen , hatte ihn zu Boden getreten und zwei- , dreimal überrannt , so daß er unter dem jammervollsten Lamento , den Schweife fest eingeklemmt , schnell davonfuhr wie ein abgeschossener Pfeil .
Dieser Beweis , den Ponto mir von seiner guten Gesinnung , von seiner tätigen Freundschaft gab , rührte mich ungemein , und ich dachte , daß hier das : " au fond ist er ein guter Kerl ! " welches der Onkel Skaramuz mir hatte verdächtig machen wollen , doch auf Ponto anzuwenden sei in besserem Sinn und ihn mit mehrerem Grunde entschuldigen könne als manchen anderen .
Überhaupt wollte es mich bedünken , daß der Alte gewiß zu schwarz gesehen und Ponto zwar leichtsinnige , aber nie schlechte Streiche machen könne .
Alles dieses äußerte ich meinem Freunde ganz unverhohlen und dankte ihm dabei dafür , daß er meine Verteidigung übernommen , in den verbindlichsten Ausdrücken .
" Es freut , " erwiderte Ponto , indem er , wie es seine Art war , mit munteren schalkischen Augen umherblickte , " es freut mich , guter Murr , daß der pedantische Alte dich nicht irregemacht hat , sondern daß du mein gutes Herz erkennst .
- Nicht wahr , Murr , ich nahm den übermütigen Jungen tüchtig vor ? -
Er wird daran denken lange Zeit .
Eigentlich habe ich ihm heute schon den ganzen Tag aufgepaßt , der Bengel stahl mir gestern eine Wurst und mußte dafür gezüchtigt werden .
Daß dabei auch nebenher die Unbill gerächt wurde , die du von ihm erfahren , und daß ich in dieser Art dir meine Freundschaft bewähren konnte , ist mir gar nicht unlieb ; ich schlug , wie man im Sprichwort zu sagen pflegt , zwei Fliegen mit einer Klappe . -
Nun aber wiederum auf unser voriges Gespräch zurückzukommen !
- Betrachte mich , guter Katz , noch einmal recht genau und sage mir , ob du denn gar keine merkwürdige Veränderung in meinem Äußeren wahrnimmst ? "
- Ich schaute meinen jungen Freund aufmerksam an und - ach der Tausend !
nun erst fiel mir das silberne , zierlich gearbeitete Halsband ins Auge , das er trug , und auf dem die Worte graviert waren : Baron Alzibiades von Wipp .
Marschallstraße Nr. 46 .
" Wie , " rief ich erstaunt , " wie , Ponto , du hast deinen Herrn verlassen , den ästhetischen Professor , und dich zu einem Baron begeben ? "
" Verlassen , " erwiderte Ponto , " habe ich nun eigentlich den Professor nicht , sondern er hat mich von sich gejagt mit Fußtritten und Prügeln . "
" Wie konnte das geschehen ? " sprach ich , " dein Herr bewies dir ja sonst alle Liebe und Güte wie nur möglich . "
" Ach , " antwortete Ponto , " das ist eine dumme ärgerliche Geschichte , die nur durch das sonderbare Spiel des neckenden Zufalls zu meinem Glück ausschlug .
An der ganzen Sache war bloß meine alberne Gutmütigkeit schuld , der freilich ein wenig eitle Prahlerei beigemischt .
In jeder Minute wollte ich meinem Herrn Aufmerksamkeiten erweisen und ihm dabei mein Geschick , meine Ausbildung zeigen .
Deshalb war ich auch gewohnt , alles , was an Kleinigkeiten am Fußboden lag , dem Herrn ohne weitere Aufforderung zu apportieren .
Nun !
- Du weißt vielleicht , daß der Professor Lothario eine blutjunge und dabei bildhübsche Frau hat , die ihn auf das zärtlichste liebt , woran er gar nicht zweifeln darf , da sie es ihm jeden Augenblick versichert und ihn gerade dann mit Liebkosungen überhäuft , wenn er , in Büchern begraben , sich auf die zu haltende Vorlesung vorbereitet .
Sie ist die Häuslichkeit selbst , da sie das Haus niemals vor zwölf Uhr verläßt , da sie doch schon um halb elf Uhr aufgestanden , und , einfach in ihren Sitten , verschmäht sie nicht , mit der Köchin , mit dem Stubenmädchen die häuslichen Angelegenheiten bis ins tiefste Detail zu beraten und sich , ist das Wochengeld gewisser , nicht etatsmäßiger Ausgaben halber zu früh aus dem Beutel entwischt , und darf der Herr Professor nicht angegangen werden , ihrer Kasse zu bedienen .
Die Zinsen dieser Anlehne trägt sie ab in kaum getragenen Kleidern , sowie diese und auch wohl Federhüte , in die die erstaunte Welt der Mägde Sonntags das Stubenmädchen geputzt sieht , als Lohn für gewisse geheime Gänge und andere Gefälligkeiten gelten dürften .
Bei so vielen Vollkommenheiten mag wohl einer liebenswürdigen Frau die kleine Torheit ( ist es überhaupt Torheit zu nennen ) kaum verargt werden , daß ihr eifrigstes Streben , all ihr Dichten und Trachten dahin geht , stets nach der letzten Mode gekleidet zu gehen , daß ihr das Eleganteste , das Teuerste nicht elegant , nicht teuer genug ist , daß sie , hat sie ein Kleid dreimal , einen Hut viermal getragen , den türkischen Schal einen Monat hindurch umgehängt , eine Idiosynkrasie dagegen empfindet und die kostbarste Garderobe wegwirft um einen Spottpreis oder , wie gesagt , die Mägde sich darin putzen läßt .
Daß die Frau eines Professors der Ästhetik Sinn hat für schöne äußere Gestaltung , ist wohl gar nicht zu verwundern , und nur erfreulich kann es dem Gemahl sein , wenn dieser Sinn sich darin offenbart , daß die Gemahlin mit sichtlichem Wohlgefallen den Blick der feuerblitzenden Augen auf schönen Jünglingen ruhen läßt , diesen auch wohl zuweilen etwas nachläuft .
Manchmal bemerkte ich , daß dieser , jener artige junge Mann , der die Vorlesungen des Professors besuchte , die Türe des Auditoriums verfehlte und statt dieser die Türe , welche zum Zimmer der Professorin führte , leise öffnete und ebenso leise hineintrat .
Beinahe mußte ich glauben , daß diese Verwechslung nicht ganz absichtslos geschah oder wenigstens niemanden gereute , denn keiner eilte , seinen Irrtum zu verbessern , sondern jeder , der hineingetreten , kam erst nach einer guten Zeit heraus und zwar mit solch lächelndem zufriedenem Blick , als ob ihm der Besuch bei der Professorin ebenso angenehm und nützlich gewesen als eine ästhetische Vorlesung des Professors .
Die schöne Lätitia ( so hieß des Professors Frau ) war mir nicht sonderlich gewogen .
Sie litt mich nicht in ihrem Zimmer und mochte recht haben , da freilich der kultivierteste Pudel nicht dort hingehört , wo er bei jedem Schritt Gefahr läuft , Florspitzen zu zerreißen , Kleider zu beschmutzen , die auf allen Stühlen umherliegen .
Doch wollte es der Professorin böser Genius , daß ich einmal bis in ihr Boudoir hineindrang .
- Der Herr Professor hatte eines Tages bei einem Mittagsmahl mehr Wein getrunken als gerade dienlich und war darüber in eine hochbegeisterte Stimmung geraten .
Zu Hause angekommen , ging er , ganz gegen seine Gewohnheit , geradezu in das Kabinett seiner Frau , und ich schlüpfte , selbst wußte ich nicht , was für eine besondere Lust mich dazu antrieb , mit hinein durch die Türe .
Die Professorin war in Hauskleidern , deren Weiße dem frischgefallenen Schnee zu vergleichen , ihr ganzer Anzug zeigte nicht sowohl eine gewisse Sorglosigkeit als die tiefste Kunst der Toilette , die sich hinter dem Einfachen verbirgt und wie ein versteckter Feind desto gewisser siegt .
Die Professorin war in der Tat allerliebst , und stärker als sonst empfand dies der halbberauschte Professor , der , ganz Liebe und Entzücken , die holde Gattin mit den süßesten Namen nannte , mit den zärtlichsten Liebkosungen überhäufte und darüber gar nicht eine gewisse Zerstreuung , ein gewisses unruhiges Mißbehagen bemerkte , das sich in dem ganzen Wesen der Professorin nur zu deutlich aussprach .
Mir war die steigende Zärtlichkeit des begeisterten Ästhetikers unangenehm und lästig .
Ich kam auf meinen alten Zeitvertreib und suchte am Boden umher .
Gerade als der Professor in der höchsten Ekstase laut rief :
» Göttliches , hehres , himmlisches Weib , laß uns - « tänzelte ich auf den Hinterbeinen zu ihm heran und apportierte ihm zierlich und wie bei diesem Akt jedesmal ein wenig mit dem Stutzschweif wedelnd , den feinen pomeranzfarbenen Männerhandschuh , den ich unter dem Sofa der Frau Professorin gefunden .
- Starr blickte der Professor den Handschuh an und rief , wie plötzlich aufgeschreckt aus einem süßen Traum :
» Was ist das ? -
Wem gehört dieser Handschuh ? wie ist er in dies Zimmer gekommen ? « -
Damit nahm er den Handschuh mir aus der Schnauze , besah ihn , hielt ihn an die Nase und rief dann wieder : » Wo kommt dieser Handschuh her ?
Lätitia , sprich , wer ist bei dir gewesen ? «
- » Wie du « , erwiderte die holde treue Lätitia mit dem ungewissen Ton der Verlegenheit , den sie sich vergebens mühte zu unterdrücken » wie du nun auch seltsam bist , lieber Lothar , wem soll , wem wird der Handschuh gehören ?
Die Majorin war hier und konnte bei dem Abschiede den Handschuh nicht finden , den sie auf der Treppe ausgestreut zu haben glaubte . «
- » Die Majorin « , schrie der Professor ganz außer sich , » die Majorin , die kleine zartgebaute Frau , deren ganze Hand hineingeht in diesen Daumen ! -
Hölle und Teufel , welcher Zierbengel war hier ? -
Denn nach parfümierter Seife riecht das verfluchte Ding ! - Unglückliche , wer war hier , welcher verbrecherische Trug der Hölle zerstörte hier meine Ruhe , mein Glück ? - Schändliches , verruchtes Weib ! « -
Die Professorin machte gerade Anstalt , in Ohnmacht zu fallen , als das Stubenmädchen hineintrat und ich , froh , des fatalen Ehestandsauftritts , den ich veranlaßt , entledigt zu werden , schnell hinaussprang .
Den anderen Tag war der Professor ganz stumm und in sich gekehrt ; ein einziger Gedanke schien ihn zu beschäftigen , einer einzigen Idee schien er nachzugrübeln .
Ob er es nur sein mag ! -
Das waren die Worte , die dann und wann den verstummen Lippen unwillkürlich entflohen .
Gegen Abend nahm er Hut und Stock , ich sprang und bellte freudig ; er sah mich lange an , helle Tränen traten ihm in die Augen , er sprach mit dem Ton der tiefsten innigsten Wehmut :
» Mein guter Ponto ! - treue ehrliche Seele ! « -
Dann lief er schnell vors Tor und ich dicht hinter ihm her , fest entschlossen , den armen Mann aufzuheitern mittels aller Künste , die mir nur zu Gebote standen .
Dicht vor dem Tore begegnete uns der Baron Alzibiades von Wipp , einer der zierlichsten Herrn in unserer Stadt , auf einem schönen Engländer .
Sowie der Baron den Professor gewahrte , kurbettierte er zierlich an ihn heran und fragte nach des Professors , dann aber nach der Frau Professorin Wohlbefinden .
Der Professor stotterte in der Verwirrung einige unverständliche Worte hervor .
» In der Tat , sehr heiße Witterung ! « sprach nun der Baron und zog ein seidenes Tuch aus der Rocktasche , schleuderte aber mit demselben Schwunge einen Handschuh heraus , den ich gewohnter Sitte gemäß meinem Herrn apportierte .
Hastig riß mir der Professor den Handschuh fort und rief : » Das ist Ihr Handschuh , Herr Baron ? «
- » Allerdings « , erwiderte dieser , verwundert über des Professors Heftigkeit , » allerdings , ich glaube , ich schleuderte ihn in dem Augenblick aus der Rocktasche , und der dienstfertige Pudel hob ihn auf . «
- » So habe ich « , sprach der Professor mit schneidendem Ton , indem er den Handschuh , den ich unter dem Sofa in der Professorin Zimmer hervorgesucht , ihm hinreichte , » so habe ich das Vergnügen , Ihnen den Zwillingsbruder dieses Handschuhs , den Sie gestern verloren , überreichen zu können . «
Ohne des sichtlich betretenen Barons Antwort abzuwarten , rannte der Professor wild von dannen .
Ich hütete mich wohl , dem Professor in das Zimmer seiner teuren Gattin zu folgen , da ich den Sturm ahnen konnte , der sich bald , bis auf den Flur hinausbrausend , vernehmen ließ .
Aber in einem Winkel des Flurs lauschte ich und gewahrte , wie der Professor , alle Flammen der Wut im rotgleißenden Antlitz , das Stubenmädchen zur Stubentür , dann aber , als sie sich noch unterfing , einige kecke Worte zu sprechen , zum Hause hinauswarf .
Endlich in später Nacht kam der Professor ganz erschöpft auf seinem Zimmer an .
Ich gab ihm meine innige Teilnahme an seinem trüben Malheur durch leises Winseln zu verstehen .
Da umhalste er mich und drückte mich an seine Brust , als sei ich sein bester innigster Freund .
» Guter , ehrlicher Ponto « , so sprach er mit ganz kläglichem Ton , » treues Gemüt , du , du allein hast mich aus dem betörenden Traum geweckt , der mich meine Schande nicht erkennen ließ , du hast mich dahin gebracht , daß ich das Joch abwerfen , in das mich ein alsches Weib gespannt hatte , daß ich wieder ein freier unbefangener Mensch werden kann !
Ponto , wie soll ich dir das danken ! -
Nie - nie sollst du mich verlassen , ich will dich hegen und pflegen wie meinen besten treusten Freund , du allein wirst mich trösten , wenn ich bei dem Gedanken an mein hartes Mißgeschick verzweifeln will . «
Diese rührenden Äußerungen eines edlen dankbaren Gemüts wurden durch die Köchin unterbrochen , welche mit blassem verstörten Gesicht hereinstürzte und dem Professor die entsetzliche Botschaft hinterbrachte , daß die Frau Professorin in den fürchterlichsten Krämpfen liege und den Geist aufgeben wolle .
Der Professor flog hinab ! -
Mehrere Tage hindurch sah ich nun den Professor beinahe gar nicht .
Meine Speisung , für die sonst mein Herr liebreich selbst sorgte , war der Köchin übertragen , die aber , eine mürrische garstige Person , mir mit Widerwillen statt der sonstigen guten Gerichte nur die elendesten , kaum genießbaren Bissen zukommen ließ .
Zuweilen vergaß sie mich auch ganz und gar , so daß ich genötigt wurde , bei guten Bekannten zu schmarotzen , auch wohl auf Beute auszugehen , um nur meinen Hunger zu stillen .
Endlich schenkte mir , als ich eines Tages hungrig und matt mit herabhängenden Ohren im Hause herumschlich , der Professor einige Aufmerksamkeit .
» Ponto « , rief er lächelnd , wie denn überhaupt sein Antlitz ganz Sonnenschein war , » Ponto , mein alter ehrlicher Hund , wo hast du denn gesteckt ? Habe ich dich doch so lange nicht gesehen !
Ich glaube gar , man hat dich ganz gegen meinen Willen vernachlässigt und nicht sorgsam gefüttert ? -
Nun , komme nur , komme , heute sollst du wieder von mir selbst deine Speise erhalten . «
Ich folgte dem gütigen Herrn in das Eßzimmer .
Die Frau Professorin , aufgeblüht wie eine Rose , wie der Herr Gemahl vollen Sonnenglanz im Antlitz , kam ihm entgegen .
Beide taten zärtlicher miteinander als jemals , sie nannte ihn : » englischer Mann « , er sie aber : » mein Mäuschen « , und dabei herzten und küßten sie sich wie ein Turteltaubenpaar .
Es war eine rechte Freude , das anzusehen .
Auch gegen mich war die holde Frau Professorin freundlich wie sonst niemals , und du kannst denken , guter Murr , daß ich mich bei meiner angeborenen Galanterie artig und zierlich zu betragen wußte . -
Wer hätte ahnen können , was über mich verhängt war ! -
Es würde mir selbst schwer fallen , dir ausführlich all diese heimtückischen Streiche zu erzählen , die meine Feinde mir spielten , um mich zu verderben , und noch mehr als das , es würde dich ermüden .
Beschränken will ich mich darauf , nur einiges zu erwähnen , welches dir ein treues Bild meiner unglücklichen Lage geben wird .
- Mein Herr war gewohnt , mir im Speisezimmer , während er selbst aß , die gewöhnlichen Portionen an Suppe , Gemüse und Fleisch in einem Winkel am Ofen zu verabreichen .
Ich aß mit solchem Anstande , mit solcher Reinlichkeit , daß auch nicht das kleinste Fettfleckchen auf dem getäfelten Fußboden sichtbar .
Wie groß war daher mein Entsetzen , als eines Mittags der Napf , kaum hatte ich mich ihm genähert , in hundert Stücke zersprang und die Fettbrühe sich ergoß über den schönen Fußboden .
Zornig fuhr der Professor auf mich los mit argen Scheltworten , und unerachtet die Professorin mich zu entschuldigen suchte , las man doch den bitteren Verdruß in ihrem blassen Gesicht .
Sie meinte , dürfte auch der garstige Flecken nicht wohl fortzubringen sein , so könnte ja doch die Stelle abgehobelt oder eine neue Tafel eingesetzt werden .
Der Professor hegte einen tiefen Abscheu gegen solch Reparaturen , er hörte schon die Tischlerjungen hobeln und hämmern , und so waren es die liebreichen Entschuldigungen der Professorin , die ihn mein vermeintliches Ungeschick erst recht fühlen ließen und mir noch außer jenen Scheltworten ein tüchtiges paar Ohrfeigen einbrachten .
- Ich stand da im Bewußtsein meiner Unschuld , ganz verblüfft , und wußte gar nicht , was ich denken , was ich sagen sollte .
- Erst als mir dasselbe zwei - dreimal geschehen , merkte ich die Tücke ! -
Man hatte mir halb zerbrochene Schüsseln hingestellt , die bei der leisesten Berührung in hundert Stücke zerfallen mußten .
Ich durfte nicht mehr im Zimmer bleiben , draußen erhielt ich Speise von der Köchin , aber so kärglich , daß ich , von nagendem Hunger getrieben , manches Stück Brot , manchen Knochen zu erschnappen suchen mußte .
Darüber entstand denn nun jedesmal ein gewaltiger Lärm , und ich mußte mir eigennützigen Diebstahl da vorwerfen lassen , wo nur von der Befriedigung des dringendsten Naturbedürfnisses die Rede sein konnte .
Es kam noch ärger ! -
Mit großem Geschrei klagte die Köchin , daß ihr eine schöne Hammelkeule aus der Küche verschwunden , und daß ich sie ganz gewiß gestohlen .
Die Sache kam als eine wichtigere häusliche Angelegenheit vor den Professor .
Der meinte , daß er sonst nie den Hang zum Diebstahl an mir bemerkt , und daß auch mein Diebsorgan durchaus nicht ausgebildet sei .
Auch wäre es nicht denkbar , daß ich eine ganze Hammelkeule so verspeiset , daß keine Spur mehr davon vorhanden . -
Man suchte nach und - fand in meinem Lager die Überbleibsel der Keule ! -
Murr ! sieh , mit der Pfote auf der Brust schwöre ich es dir , daß ich völlig unschuldig war , daß es mir nicht in den Sinn gekommen , den Braten zu stehlen , doch , was halfen die Beteuerungen meiner Unschuld , da der Beweis wider mich sprach ! -
Um so ergrimmter war der Professor , als er meine Partie genommen und sich in seiner guten Meinung von mir getäuscht sah .
- Ich erhielt eine tüchtige Tracht Prügel . -
Ließ mich der Professor auch nachher den Widerwillen fühlen , den er gegen mich hegte , so war die Frau Professorin desto freundlicher , streichelte mir , was sie sonst nie getan , den Rücken und gab mir sogar dann und wann einen guten Bissen .
Wie konnte ich ahnen , daß das alles nur gleisnerischer Trug , und doch sollte sich dies bald zeigen .
- Die Türe des Eßzimmers stand offen , mit leerem Magen schaute ich sehnsüchtig hinein und gedachte schmerzvoll jener guten Zeit , als ich , wenn das süße Aroma des Bratens sich verbreitete , nicht vergebens den Professor bittend anschaute und dabei , wie man zu sagen pflegt , ein wenig schnüffelte !
Da rief die Professorin :
» Ponto , Ponto ! « und hielt mir geschickt zwischen dem zarten Daumen und dem niedlichen Zeigefinger ein schönes Stück Braten hin . -
Mag es sein , daß ich im Enthusiasmus des aufgeregten Appetits ein wenig heftiger zuschnappte als gerade nötig , doch gebissen habe ich nicht die zarte Lilienhand , das kannst du mir glauben , guter Murr .
Und doch schrie die Professorin laut auf : » Der böse Hund ! « und fiel wie ohnmächtig zurück in den Sessel , und doch sah ich zu meinem Entsetzen wirklich ein paar Blutstropfen am Daumen .
Der Professor geriet in Wut ; er schlug mich , trat mich mit Füßen , mißhandelte mich so unbarmherzig , daß ich mit dir , mein guter Kater , hier wohl nicht vor der Türe säße im lieben Sonnenschein , hätte ich mich nicht durch die schleunige Flucht zum Hause hinaus gerettet .
An Rückkehr war nicht zu denken .
Ich sah ein , daß gegen die schwarze Kabale , die die Professorin aus reiner Rachgier wegen des freiherrlichen Handschuhs gegen mich angezettelt , nichts auszurichten , und beschloß , mir gleich einen anderen Herrn zu suchen .
Sonst wäre das der schönen Gaben halber , die mir die gütige , mütterliche Natur verliehen , ein leichtes gewesen , Hunger und Gram hatten mich aber so heruntergebracht , daß ich bei meinem miserablen Aussehn in der Tat befürchten mußte , überall abgewiesen zu werden .
Traurig , von drückenden Nahrungssorgen gequält , schlich ich vors Tor .
Ich erblickte den Herrn Baron Alzibiades von Wipp , der vor mir herging , und ich weiß nicht , wie mir der Gedanke kam , ihm meine Dienste anzubieten .
Vielleicht war es ein dunkles Gefühl , daß ich auf diese Weise Gelegenheit erhalten würde , mich an dem undankbaren Professor zu rächen , wie es sich später denn auch wirklich begab . -
Ich tänzelte an den Baron heran , wartete ihm auf und folgte , als er mich mit einigem Wohlgefallen betrachtete , ihm ohne Umstände nach in seine Wohnung .
» Sehen Sie « , so sprach er zu einem jungen Menschen , den er seinen Kammerdiener nannte , unerachtet er sonst keinen anderen Diener hatte , » Sehen Sie , Friedrich , was sich da für ein Pudel zu mir eingefunden hat .
Wäre er nur hübscher ! «
Friedrich rühmte dagegen den Ausdruck meines Antlitzes sowie den zierlichen Wuchs und meinte , ich müsse von meinem Herrn schlecht gehalten sein und habe ihn wahrscheinlich deshalb verlassen .
Setzte er noch hinzu , daß Pudel , die sich so von selbst aus freiem Antriebe einfänden , gewöhnlich treue rechtschaffene Tiere wären , so konnte der Baron nicht umhin , mich zu behalten .
Unerachtet ich nun durch Friedrichs Vorsorge ein recht glaues Ansehn gewann , so schien der Baron doch nicht sonderlich viel auf mich zu halten und litt es nur eben zur Not , daß ich ihn auf seinen Spaziergängen begleitete .
Das sollte anders kommen .
- Wir begegneten auf einem Spaziergange der Professorin .
- Erkenne , guter Murr , das gemütliche Gemüt - ja , so will ich sagen - eines ehrlichen Pudels , wenn ich versichere , daß , unerachtet mir die Frau sehr weh getan , ich doch eine ungeheuchelte Freude empfand , sie wiederzusehen .
- Ich tanzte vor ihr her , bellte lustig und gab ihr meine Freude auf alle nur mögliche Weise zu erkennen .
» Sieh da , Ponto ! « rief sie , streichelte mich und blickte den Baron von Wipp , der stehengeblieben , bedeutend an .
Ich sprang zu meinem Herrn zurück , der mich liebkoste .
Er schien auf besondere Gedanken zu geraten ; mehrmals hintereinander murmelte er in sich hinein :
» Ponto ! -
Ponto , wenn das möglich sein sollte ! «
Wir hatten einen nahegelegenen Lustort erreicht ; die Professorin nahm Platz mit ihrer Gesellschaft , bei der sich jedoch der liebe gutmütige Herr Professor nicht befand .
Unfern davon setzte sich Baron Wipp , so daß er , ohne sonderlich von den anderen bemerkt zu werden , die Professorin beständig im Auge behielt .
Ich stellte mich vor meinen Herrn und guckte ihn an , indem ich leise mit dem Schweife wedelte , als erwarte ich seine Befehle .
» Ponto « , wiederholte er , » Ponto , sollte es möglich sein ! «
- » Nun « , setzte er nach einem kurzen Stillschweigen hinzu , » nun , es kommt auf den Versuch an ! « -
Damit nahm er einen kleinen Papierstreifen aus der Brieftasche , schrieb einige Worte mit Bleistift darauf , rollte ihn zusammen , steckte ihn mir unter das Halsband , wies nach der Professorin und rief leise :
» Ponto - Allons ! «
- Nicht ein solcher kluger , in der Welt gewitzigter Pudel hätte ich sein müssen , als ich es wirklich bin , um nicht sogleich alles zu erraten .
Ich machte mich daher sogleich an den Tisch , wo die Professorin saß , und tat , als verspüre ich großen Appetit nach dem schönen Kuchen , der auf dem Tische stand .
Die Professorin war die Freundlichkeit selbst , sie reichte mir Kuchen mit der einen Hand , während sie mich mit der anderen am Halse kraute .
Ich fühlte , wie sie den Papierstreifen hervorzog .
Bald darauf verließ sie die Gesellschaft und begab sich in einen Nebengang .
Ich folgte ihr .
Ich sah , wie sie des Barons Worte eifrig las , wie sie aus ihrem Strickkästchen einen Bleistift hervorholte , auf denselben Zettel einige Worte schrieb und ihn dann wieder zusammenrollte .
» Ponto « , sprach sie dann , indem sie mich mit schalkischem Blick betrachtete , » Ponto ! du bist ein sehr kluger vernünftiger Pudel , wenn du zu rechter Zeit apportierst ! « -
Damit steckte sie mir das Zettelchen unter das Halsband , und ich unterließ nicht , eiligst hinzuspringen zu meinem Herrn .
Der mutmaßte sogleich , daß ich Antwort brächte , denn er zog alsbald den Zettel unter dem Halsbande hervor .
- Der Professorin Worte mußten sehr tröstlich lauten und angenehm , denn des Barons Augen funkelten vor lauter Freude , und er rief entzückt :
» Ponto - Ponto , du bist ein herrlicher Pudel , mein guter Stern hat mir dich zugeführt . «
Du kannst denken , guter Murr , daß ich nicht weniger erfreut war , da ich einsah , wie ich nach dem , was sich soeben zugetragen , in der Gunst meines Herrn hoch steigen müsse .
In dieser Freude machte ich beinahe unaufgefordert alle nur mögliche Kunststücke .
Ich sprach wie der Hund , starb , lebte wieder auf , verschmähte das Stück Weißbrot vom Juden und verzehrte mit Appetit das vom Christen u. s.w .
» Ein ungemein gelehriger Hund ! «
So rief eine alte Dame , die neben der Professorin saß , herüber .
» Ungemein gelehrig ! « erwiderte der Baron .
» Ungemein gelehrig ! « hallte der Professorin Stimme nach wie ein Echo . -
Ich will dir nur ganz kurz sagen , guter Murr , daß ich den Briefwechsel auf die erwähnte Weise fortwährend besorgte und noch jetzt besorge , da ich zuweilen sogar mit Briefchen in des Professors Haus laufe , wenn er gerade abwesend .
Schleicht aber manchmal in der Abenddämmerung der Herr Baron Alzibiades von Wipp zur holden Lätitia , so bleibe ich vor der Haustüre und mache , läßt sich der Herr Professor nur in der Ferne blicken , solch einen grimmigen Teufelslärm mit Bellen , daß mein Herr ebensogut als ich die Nähe des Feindes wittert und ihm ausweicht . "
- Mir kam es vor , als könne ich Pontos Betragen doch nicht recht billigen , ich dachte an des verewigten Muzius , an meinen eigenen tiefen Abscheu vor jedem Halsbande , und schon dies setzte mich darüber ins klare , daß ein ehrliches Gemüt , so , wie es ein rechtschaffener Kater in sich trägt , dergleichen Liebeskuppeleien verschmähe .
Alles dieses äußerte ich dem jungen Ponto ganz unverhohlen .
Der lachte mir aber ins Gesicht und meinte , ob denn die Moral der Katzen so gar strenge sei , und ob ich selbst nicht schon hin und wieder über die Schnur gehauen , d.h. etwas getan , was für den engen moralischen Schubkasten etwas zu breit sei .
- Ich dachte an Mina und verstummte .
" Fürs erste , " sprach Ponto weiter , " fürs erste , mein guter Murr , ist es ein ganz gemeiner Erfahrungssatz , daß niemand seinem Schicksal entgehen kann , er mag es nun anstellen , wie er auch will ; du kannst als ein Kater von Bildung das Weitere darüber nachlesen in einem sehr belehrenden und ganz angenehm stilisierten Buche , » Jacques le Fataliste « betitelt .
War es nach dem ewigen Ratschluß bestimmt , daß der Professor der Ästhetik , Herr Lothario , ein - Nun , du verstehst mich , guter Katz , aber zudem hat ja der Professor durch die Art , wie er sich bei der merkwürdigen Handschuhgeschichte - sie sollte mehr Zelebrität erhalten , schreibe was darüber , Murr - benommen , seinen ganz entschiedenen , ihm von der Natur eingepflanzten Beruf bewiesen , in jenen großen Orden zu treten , den so viele , viele Männer tragen mit der gebietendsten Würde , mit dem schönsten Anstande , ohne es zu wissen .
Diesen Beruf hätte Herr Lothario erfüllt , gäbe es auch keinen Baron Alzibiades von Wipp , keinen Ponto .
Hatte aber wohl überhaupt Herr Lothario etwas anderes , Besseres um mich verdient , als daß ich gerade seinem Feinde mich in die Arme warf ? -
Dann aber fand auch der Baron gewiß andere Mittel , sich mit der Professorin zu verstehen , und derselbe Schaden kam über den Professor , ohne mir den Nutzen zu bringen , den ich jetzt wirklich von dem angenehmen Verhältnis des Barons mit der holden Lätitia verspüre .
Wir Pudel sind nicht solche überstrenge Moralisten , daß wir in unserem eigenen Fleische wühlen und die im Leben schon sonst knapp genug zugeschnittene gute Bissen verschmähen sollten . "
- Ich fragte den jungen Ponto , ob denn der Nutzen , den ihm sein Dienst bei dem Baron Alzibiades von Wipp verschaffe , in der Tat so groß und wichtig sei , daß er das Unangenehme , das Drückende der damit verbundenen Knechterei aufwiege .
Damit gab ich ihm nicht undeutlich zu verstehen , daß eben diese Knechterei einem Kater , dessen Freiheitssinn in der Brust unauslöschlich , immer widerlich bleiben müsse .
" Du redest , " erwiderte Ponto stolz lächelnd , " du redest guter Murr , wie du es verstehst , oder vielmehr wie es dir deine gänzliche Unerfahrenheit in den höheren Verhältnissen des Lebens erscheinen läßt .
Du weißt nicht , was es heißt , der Liebling eines solchen galanten gebildeten Mannes zu sein , als es der Baron Alzibiades von Wipp wirklich ist .
Denn daß ich seit der Zeit , als ich mich so klug und dienstfertig benommen , sein größter Liebling geworden , darf ich dir , o mein freiheitsliebender Katz , wohl nicht erst sagen .
Eine kurze Schilderung unserer Lebensweise wird dich das Angenehme , das Wohltätige meiner jetzigen Lage sehr lebhaft fühlen lassen .
- Des Morgens stehen wir ( ich und mein Herr nämlich ) nicht zu früh , aber auch nicht zu spät auf ; das heißt , auf den Schlag elf Uhr .
- Ich muß dabei bemerken , daß mein breites weiches Lager unfern dem Bette des Barons aufgeschlagen ist , und daß wir viel zu harmonisch schnarchen , um beim plötzlichen Erwachen zu wissen , wer geschnarcht hat . -
Der Baron zieht an der Glocke , und sogleich erscheint der Kammerdiener , der dem Baron einen Becher rauchender Schokolade , mir aber einen Porzellannapf voll des schönsten süßen Kaffees mit Sahne bringt , den ich mit demselben Appetit leere wie der Baron seinen Becher .
Nach dem Frühstück spielen wir ein halbes Stündchen miteinander , welche Leibesbewegung nicht allein unserer Gesundheit zuträglich ist , sondern auch unseren Geist erheitert .
Ist das Wetter schön , so pflegt der Baron auch wohl zum offenen Fenster hinauszuschauen und die Vorübergehenden mit dem Fernglas zu begucken .
Gehen gerade nicht viele vorüber , so gibt es noch eine andere Belustigung , die der Baron eine Stunde hindurch fortsetzen kann , ohne zu ermüden .
- Unter dem Fenster des Barons ist ein Stein eingepflastert , der sich durch eine besonders rötliche Farbe auszeichnet , in der Mitte dieses Steins befindet sich aber ein kleines eingebröckeltes Loch .
Nun kommt es darauf an , so geschickt herabzuspucken , daß gerade in dieses kleine Loch hineingetroffen wird .
- Durch viele anhaltende Übung hat es der Baron dahin gebracht , daß er auf das dritte Mal Treffen pariert und schon manche Wette gewann .
Nach dieser Belustigung tritt der sehr wichtige Moment des Anziehens ein .
Das geschickte Kämmen und Kräuseln des Haars , vorzüglich aber das kunstmäßige Knüpfen des Halstuchs besorgt der Baron ganz allein ohne Hilfe des Kammerdieners .
Da diese beiden schwierigen Operationen etwas lange dauern , so benutzt Friedrich die Zeit , um mich auch anzukleiden .
D.h. mit einem in lauwarmes Wasser eingeweichten Schwamm wäscht er mir den Pelz , kämmt die langen Haare , die der Friseur an schicklichen Örtern zierlich stehen lassen , mit einem genügsam engen Kam durch und legt mir das schöne silberne Halsband um , das der Baron mir gleich verehrte , als er meine Tugenden entdeckt .
Die folgenden Augenblicke sind der Literatur und den schönen Künsten gewidmet .
Wir gehen nämlich in eine Restauration oder in ein Kaffeehaus , genießen Beefsteak oder Karbonade , trinken ein Gläschen Madeira und gucken etwas weniges in die neuesten Journale , in die neuesten Zeitungen .
Dann beginnen die Vormittags Visiten .
Wir besuchen diese , jene große Schauspielerin , Sängerin , ja auch wohl Tänzerin , um ihr die Neuigkeiten des Tages , hauptsächlich aber den Verlauf irgendeines Debüts von gestern abend , zu hinterbringen .
Es ist merkwürdig , mit welchem Geschick der Baron Alzibiades von Wipp seine Nachrichten einzurichten weiß , um die Damen stets bei guter Laune zu erhalten .
Niemals ist es der Gegnerin oder wenigstens Kombattantin gelungen , sich nur einen Teil des Ruhms anzueignen , der die Gefeierte krönt , die er soeben im Schmollzimmerchen heimsucht .
- Man hat die Arme ausgezischt - ausgelacht - Und ist denn wirklich erhaltener glänzender Beifall nicht wohl zu verschweigen , so weiß der Baron ganz gewiß ein neues skandalöses Geschichtchen von der Dame aufzutischen , das ebenso begierig vernommen als verbreitet wird , damit gehöriges Gift die Blumen des Kranzes vor der Zeit töte . -
Die vornehmeren Visiten bei der Gräfin A. , bei der Baronesse B. , bei der Gesandten C. u. s.w. füllen die Zeit aus bis halb vier Uhr ; und nun hat der Baron seine eigentlichen Geschäfte abgemacht , so daß er um vier Uhr sich beruhigt zu Tische setzen kann .
Dies geschieht gewöhnlich wieder in einer Restauration .
Nach Tische gehen wir zu Kaffee , spielen auch wohl eine Partie Billard und machen denn , erlaubt es die Witterung , eine kleine Promenade ; ich beständig zu Fuß , der Baron aber manchmal zu Pferde .
So ist die Theaterstunde herangekommen , die der Baron niemals versäumt .
Er soll im Theater eine überaus wichtige Rolle spielen , da er das Publikum nicht allein von allen Verhältnissen der Bühne und der auftretenden Künstler in Kenntnis setzen , sondern auch das gehörige Lob , den gehörigen Tadel anordnen , so aber überhaupt den Geschmack im richtigen Geleise erhalten muß .
Er fühlt einen natürlichen Beruf dazu .
Da man den feinsten Leuten meines Geschlechts ungerechterweise den Eingang in das Theater durchaus nicht verstattet , so sind die Stunden während der Vorstellung die einzigen , in denen ich mich von meinem lieben Baron trenne und mich allein auf meine eigene Hand belustige .
Wie dies nun geschieht , und wie ich die Konnexionen mit Windspielen , englischen Wachtelhunden , Möpsen und anderen vornehmen Leuten benutze , das sollst du künftig erfahren , guter Murr ! -
Nach dem Theater speisen wir wieder in einer Restauration , und der Baron überläßt sich in heiterer Gesellschaft ganz seiner frohen Laune .
Das heißt , alle sprechen , alle lachen und finden alles auf Ehre göttlich , und keiner weiß , was er spricht , und worüber er lacht , und was als auf Ehre göttlich gerühmt werden darf .
Darin besteht aber das Sublime der Konversation , das ganze soziale Leben derer , die sich zur eleganten Lehre bekennen , wie mein Herr .
Manchmal fährt aber auch wohl der Baron noch in später Nacht in diese , jene Gesellschaft und soll dort ganz exzellent sein .
Auch davon weiß ich nichts , denn der Baron hat mich noch niemals mitgenommen , wozu er vielleicht seine guten Gründe haben mag . -
Wie ich auf weichem Lager in der Nähe des Barons herrlich schlafe , habe ich dir schon gesagt .
Gestehe aber nun selbst , guter Katz , wie nach der Lebensweise , die ich hier ausführlich beschrieben , mich der alte mürrische Oheim eines wüssten , liederlichen Wandels anklagen kann ? -
Es ist wahr , daß ich , schon habe ich dir es gestanden , vor einiger Zeit gerechten Anlaß gab zu allerlei Vorwürfen .
Ich trieb mich umher in schlechter Gesellschaft und fand eine besondere Lust darin , mich überall , vorzüglich in Vermählungsschmäuse ungebeten einzudrängen und ganz unnützen Skandal anzufangen .
Alles dies geschah aber nicht aus reinem Trieb zu wüster Balgerei , sondern aus bloßem Mangel an höherer Kultur , die ich bei den Verhältnissen , wie sie in dem Hause des Professors bestanden , nicht erhalten konnte .
Jetzt ist das alles anders .
Doch ! - wen erblick ich ? -
Dort geht der Baron Alzibiades von Wipp ! -
Er sieht sich nach mir um - er pfeift ! -
A revoir Bester ! "
- Schnell wie der Blitz sprang Ponto seinem Herrn entgegen .
Das Äußere des Barons entsprach ganz dem Bilde , das ich mir wohl nach dem , was Ponto von ihm gesagt , machen durfte . -
Er war sehr groß und nicht sowohl schlank gewachsen als spindeldürr .
Kleidung , Stellung , Gang , Gebärde , alles konnte für den Prototypus der letzten Mode gelten , die aber , bis ins Phantastische hinaus getrieben , seinem ganzen Wesen etwas Seltsames , Abenteuerliches gab .
Er trug ein kleines , sehr dünnes Röhrchen mit einer stählernen Krücke in der Hand , über das er Ponto einigemal springen ließ .
So herabwürdigend mir auch dieses schien , gestehen mußte ich doch , daß Ponto mit der höchsten Geschicklichkeit und Stärke jetzt eine Anmut verband , die ich sonst noch niemals an ihm bemerkt .
Überhaupt , wie nun der Baron mit vorgestreckter Brust , den Leib eingezogen , mit einem sonderbaren ausgespreizten Hahnentritt weiter fortwandelte und Ponto in sehr zierlichen Kurbetten bald vorwärts , bald nebenher sprang und sich nur ganz kurze , zum Teil stolze Begrüßungen vorübergehender Kameraden erlaubte , so sprach sich darin ein gewisses Etwas aus , das , ohne mir deutlich zu werden , dennoch mir imponierte .
- Ich ahnte , was mein Freund Ponto mit der höheren Kultur gemeint , und suchte , soviel möglich , darüber ganz ins klare zu kommen .
Das hielt aber sehr schwer , oder vielmehr , meine Bemühungen blieben ganz vergebens .
- Später habe ich eingesehen , daß an gewissen Dingen alle Probleme , alle Theorien , die sich in dem Geiste bilden mögen , scheitern , und daß nur durch die lebendige Praxis die Erkenntnis zu erringen ; die höhere Kultur , die beide , der Baron Alzibiades von Wipp und der Pudel Ponto , in der feinen Welt erlangt , gehört aber zu diesen gewissen Dingen .
- Der Baron Alzibiades von Wipp lorgnettierte mich im Vorübergehen sehr scharf .
Es schien mir , als läse ich Neugierde und Zorn in seinem Blick .
Sollte er vielleicht Pontos Unterhaltung mit mir gewahrt und ungnädig vermerkt haben ?
Mir wurde etwas ängstlich zumute , ich eilte schnell die Treppe hinauf .
- Ich sollte nun , um alle Pflichten eines tüchtigen Selbstbiographen zu erfüllen , wiederum meinen Seelenzustand beschreiben und könnte das nicht besser tun als mittels einiger sublimer Verse , die ich seit einiger Zeit so recht , wie man zu sagen pflegt , aus dem Pelzärmel schüttle .
Ich will -
( Mak. Bl. )
" - - mit diesem einfältigen armseligen Spielwerk den besten Teil meines Lebens vergeudet .
- Und nun jammerst du , alter Tor , und klagst das Geschick an , dem du vermessen Trotz botest ! -
Was gingen dich die vornehmen Leute , was ging dich die ganze Welt an , die du verhöhntest , weil du sie für närrisch hieltest und selbst am närrischsten warst ! -
Beim Handwerk , beim Handwerk mußtest du bleiben , Orgeln bauen und nicht den Hexenmeister spielen und den Wahrsager .
- Sie hätten sie mir nicht gestohlen , mein Weib wäre bei mir , ein tüchtiger Arbeiter säße ich in der Werkstatt , und rüstige Gesellen klopften und hämmerten um mich her , und wir förderten Werke , die sich hören und sehen ließen wie keine andere weit und breit . -
Und Chiara ! - vielleicht hingen muntere Knaben mir am Halse , vielleicht schaukelte ich ein schmuckes Töchterlein auf den Knien .
- Tausend Teufel , was hält mich ab , daß ich nicht den Augenblick davonrenne und das verlorene Weib suche in der ganzen weiten Welt ! " -
Damit warf Meister Abraham , der dies Selbstgespräch gehalten , das kleine begonnene Automat sowie alles Handwerkszeug unter den Tisch , sprang auf und schritt heftig hin und her . -
Der Gedanke an Chiara , der ihn jetzt beinahe niemals verließ , rief alle schmerzliche Wehmut in seinem Inneren hervor , und wie mit Chiara damals sein höheres Leben begonnen , verließ ihn auch jetzt jener trotzige , dem Gemeinen entsprossene Unwille darüber , daß er über sein Handwerk hinweggeschaut und wirkliche Kunst zu üben sich unterfangen . -
Er schlug Severinos Buch auf und schaute lange die holde Chiara an .
- Wie ein Mondsüchtiger , der , der äußeren Sinne beraubt , nur nach dem inneren Gedanken automatisch handelt , ging Meister Abraham dann zu einem Kasten , der in einem Winkel des Zimmers stand , räumte Bücher und Sachen , womit er bepackt , herunter , öffnete ihn , nahm die Glaskugel , den ganzen Apparat zum geheimnisvollen Experiment mit dem unsichtbaren Mädchen hervor , befestigte die Kugel an einer dünnen seidenen Schnur , die von der Decke herabhing , stellte im Zimmer alles so her , wie es zu dem versteckten Orakel nötig .
Erst als er mit allem fertig geworden , erwachte er aus der träumerischen Betäubung und erstaunte nicht wenig darüber , was er begonnen .
" Ach , " jammerte er dann laut , indem er ganz ermattet , ganz trostlos in den Lehnstuhl sank , " ach , Chiara , arme , verlorene Chiara , niemals werde ich wieder deine süße Stimme verkünden hören , was in des Menschen tiefster Brust verschlossen .
Kein Trost mehr auf Erden , - keine Hoffnung als das Grab ! " -
Da schwankte die Glaskugel hin und her , und ein melodischer Ton ließ sich vernehmen , wie wenn Windeshauch leise hinstreift über die Saiten der Harfe .
Aber bald wurde der Ton zu Worten :
" Noch ist Leben nicht dahin , Trost und Hoffnung nicht verschwunden , Was vermag der frommste Sinn , Hält ihn schwerer Eid gebunden ?
Meister !
Mut ! -
du wirst gesunden , Blicke auf zu der Dulderin , Die da heilt die tiefsten Wunden , Bitterer Schmerz bringt dir Gewinn . "
" O du barmherziger Himmel , " lispelte der Alte mit bebenden Lippen , " sie ist es selbst , die zu mir spricht von dem hohen Himmel herab ; sie wandelt nicht mehr unter den Lebendigen ! " -
Da ließ sich jener melodische Ton abermals vernehmen , und noch leiser , noch entfernter erklangen die Worte :
" Nicht erfaßt der bleiche Tod , Die im Herzen Liebe tragen ; Dem glänzt noch das Abendrot , Der am Morgen wollte verzagen .
Bald kann dir die Stunde schlagen , Die entreißt dich aller Not ; Zu vollbringen magst du wagen , Was die ewige Macht gebot . "
Stärker anschwellend und wieder verhallend , lockten die süßen Töne den Schlaf herbei , der den Alten einhüllte in seinen schwarzen Fittich .
Aber in dem Dunkel ging strahlend wie ein schöner Stern der Traum vergangenen Glücks auf , und Chiara lag wieder an des Meisters Brust , und beide waren wieder jung und selig , und kein finsterer Geist vermochte den Himmel ihrer Liebe zu trüben . - -
Hier hat , wie der Herausgeber es dem geneigten Leser bemerkbar machen muß , der Kater wieder ein paar Makulaturblätter ganz weggerissen , wodurch in dieser Geschichte voller Lücken wiederum eine Lücke entstanden .
Nach der Seitenzahl fehlen aber nur acht Kolumnen , die eben nichts besonders Wichtiges enthalten zu haben scheinen , da das Folgende sich im ganzen noch so ziemlich an das Vorhergegangene reiht .
Also weiter heißt es : - - - nicht erwarten durfte .
Fürst Irenäus war überhaupt ein abgesagter Feind von allen ungewöhnlichen Vorfällen , vorzüglich wenn seine eigene Person in Anspruch genommen wurde , die Sache näher zu untersuchen .
Er nahm daher , wie er es in kritischen Fällen zu tun pflegte , eine Doppeltprise , starrte den Leibjäger an mit dem bekannten niederschmetternden Friedrichsblick und sprach :
" Lebrecht , ich glaube , wir sind ein mondsüchtiger Träumer und sehen Gespenster und machen einen ganz unnötigen Hallas ? "
" Durchlauchtigster Herr , " erwiderte der Leibjäger in sehr ruhiger Fassung , " lassen Sie mich fortjagen wie einen ordinären Schuft , wenn nicht alles buchstäblich wahr ist , wie ich es erzählt habe .
Ich wiederhole es keck und freimütig :
Rupert ist ein ausgemachter Spitzbube . "
" Wie , " rief der Fürst in vollem Zorn , " wie , Rupert , mein alter treuer Kastellan , der fünfzig Jahre dem Fürstenhause gedient , ohne jemals ein Schloß einrosten zu lassen oder im Auf- und Zuschließen zu mankieren , der soll ein Spitzbube sein ?
Lebrecht ! -
Er ist besessen , Er ist rasend !
Himmeltausend Sappe - "
Der Fürst stockte wie immer , wenn er sich auf dem Fluchen ertappte , das allem fürstlichen Anstande entgegen .
Der Leibjäger nutzte diesen Augenblick , um ganz geschwinde einzufallen :
" Durchlauchtigster Herr werden nur gleich so hitzig und fluchen denn so gräßlich , und man darf über so etwas doch nicht schweigen , man kann doch nichts behaupten als die reine Wahrheit . "
- " Wer ist hitzig , " sprach der Fürst gelassener , " wer flucht ? -
Esel fluchen ! -
Ich will , daß Er mir die ganze Sache in gedrängter Kürze wiederhole , damit ich in einer geheimen Sitzung alles meinen Räten vortragen kann zur umständlichen Beratung und Entscheidung über die fernerhin zu ergreifenden Maßregeln .
Ist Rupert wirklich ein Spitzbube , so - Nun , das Weitere wird sich denn finden . "
" Wie gesagt , " begann der Leibjäger , " als ich gestern Fräulein Julien vorleuchtete , schlüpfte derselbe Mensch , der hier schon längst herumschleicht , bei uns vorüber .
» Halt « , dachte ich in meinem Sinn .
» Den Urian wirst du doch ertappen « , und löschte , als ich das liebe Fräulein bis oben heraufgebracht , meine Fackel aus und stellte mich ins Dunkel .
Nicht lange dauerte es , so kam derselbe Mensch aus dem Gebüsch hervor und klopfte leise an das Haus .
Behutsam schlich ich einher .
Da wurde das Haus geöffnet , und ein Mädchen trat heraus , und mit diesem Mädchen schlüpfte der Fremde hinein .
Es war die Nanni , Sie kennen sie doch , durchlauchtigster Herr , der Frau Rätin schöne Nanni ? "
" Coquin , " rief der Fürst , " mit hohen gekrönten Häuptern spricht man nicht von schönen Nannis , doch ! - fahr Er fort , mon fils . "
- " Ja , " sprach der Leibjäger weiter , " ja , die schöne Nanni , ich hätte ihr solchen dummen Verkehr gar nicht zugetraut . -
Also weiter nichts als eine einfältige Liebschaft , dachte ich in meinem Sinn ; aber es wollte mir gar nicht in den Kopf , daß nicht noch was anders dahinterstecken sollte .
Ich blieb am Hause stehen .
Da kam nach einer guten Weile die Frau Rätin zurück , und kaum war sie ins Haus getreten , als oben ein Fenster geöffnet wurde und mit unglaublicher Behendigkeit der fremde Mann hinaussprang , gerade in die schönen Nelken und Levkojenstöcke hinein , die dort vergattert stehen , und die das liebe Fräulein Julia selbst so sorglich wartet .
Der Gärtner lamentiert schrecklich ; er ist mit den zerbrochenen Scherben draußen und wollte bei dem durchlauchtigsten Herrn selbst Klage führen .
Ich habe ihn aber nicht hineingelassen , denn der Schlingel ist angesoffen schon am frühen Morgen . "
- " Lebrecht , " unterbrach der Fürst den Leibjäger , " Lebrecht , das scheint eine Imitation zu sein , denn selbiges kommt schon in der Oper von Herrn Mozart , » Figaros Hochzeit « geheißen , vor , die ich zu Prag geschaut .
Bleibe
Er der Wahrheit getreu , Jäger ! "
- " Auch , " sprach Lebrecht weiter , " auch nicht eine Silbe rede ich anders , als ich es bekräftigen kann mit einem körperlichen Eide .
- Der Kerl war hingestürzt , und ich gedachte ihn nun zu fassen ; doch schnell wie der Blitz raffte der Kerl sich auf und rannte spornstreichs - wohin ? was denken Sie wohl , durchlauchtigster Fürst , wohin er rannte ? "
- " Ich denke nichts , " erwiderte der Fürst feierlich , " turbier ' Er mich nicht mit lästigen Fragen nach Gedanken , Jäger ! sondern erzähle Er ruhig so lange , bis die Geschichte aus ist , dann will ich denken . "
" Gerade , " fuhr der Jäger fort , " gerade nach dem unbewohnten Pavillon rannte der Mensch .
Ja - unbewohnt ! -
Sowie er an die Türe geklopft , wurde es inwendig hell , und wer nun heraustrat , war niemand anders als der saubere ehrliche Herr Rupert , dem der Fremde hineinfolgte ins Haus , das er nun wieder fest verschloß .
Sie sehen , durchlauchtigster Herr , daß Rupert Verkehr treibt mit fremden gefährlichen Gästen , die bei ihrer Schleicherei gewiß Böses im Schilde führen .
Wer weiß , worauf alles abzielt , und es ist ja möglich , daß selbst mein durchlauchtigster Fürst hier in dem stillen ruhigen Sieghartshof von schlechten Menschen bedroht wird . "
Da Fürst Irenäus sich für eine höchst bedeutende fürstliche Person hielt , so konnte es nicht fehlen , daß er manchmal von allerlei höfischen Kabalen und bösen Nachstellungen träumte .
Des Jägers letzte Äußerung fiel ihm deshalb gar schwer aufs Herz , und er versank einige Augenblicke in tiefes Nachsinnen .
" Jäger , " sprach er dann mit weit aufgerissenen Augen , " Jäger !
Er hat recht .
Die Sache mit dem fremden Menschen , der hier herumschleicht , mit dem Licht , das sich zur Nachtzeit im Pavillon sehen läßt , ist bedenklicher , als sie im ersten Augenblick erscheint .
- Mein Leben steht in Gottes Hand !
Aber mich umgeben treue Diener , und sollte einer sich für mich aufopfern , so würde ich ganz gewiß die Familie reichlich bedenken ! - Breit ' Er das unter meinen Leuten , guter Lebrecht ! -
Er weiß , ein fürstliches Herz ist frei von jeder Bangigkeit , von jeder menschlichen Todesfurcht , aber man hat auch Pflichten gegen sein Volk , ihm muß man sich konservieren , zumal wenn der Thronerbe noch unmündig .
Darum will ich das Schloß nicht eher verlassen , bis die Kabale im Pavillon zerstört ist . -
Der Förster soll mit den Revierjägern und allen übrigen Forstbedienten herankommen , alle meine Leute sollen sich bewaffnen .
Der Pavillon soll sogleich umstellt , das Schloß fest verschlossen werden .
Besorge
Er das , guter Lebrecht .
Ich selbst schnalle meinen Hirschfänger um , lade Er meine Doppeltpistolen , aber vergesse Er nicht den Schieber vorzulassen , damit kein Unglück geschieht .
- Und daß man mir Nachricht gibt , wenn etwa die Zimmer des Pavillons erstürmt und so die Verschworenen gezwungen werden sollen , sich zu er geben , damit ich mich zurückziehen kann in die inneren Gemächer .
Und daß man die Gefangenen auf das sorglichste durchsucht , ehe sie vor den Thron gebracht werden , damit keiner etwa in der Verzweiflung - doch , was steht Er , was sieht Er mich an , was lächelt Er , was soll das heißen , Lebrecht ? "
" Ei , " erwiderte der Leibjäger mit pfiffiger Miene , " ei , durchlauchtigster Herr , ich meine nur , daß es gar nicht vonnöten , den Förster mit seinen Leuten herzubeordern . "
" Warum nicht , " fragte der Fürst erzürnt , " warum nicht ? -
Ich glaube gar , Er untersteht sich , mir zu widersprechen ?
- Und in jeder Sekunde steigt die Gefahr !
Tausend Sappe - Lebrecht , werfe Er sich aufs Pferd - der Förster - seine Leute - geladene Büchsen - den Augenblick sollen sie einrücken . "
- " Sie sind , " sprach der Leibjäger , " sie sind aber schon da , durchlauchtigster Herr ! "
" Wie - was ! " -
rief der Fürst , indem er den Mund offen behielt , um dem Erstaunen Luft zu gönnen .
" Schon , " fuhr der Jäger fort , " schon als der Morgen graute , war ich draußen beim Förster .
Schon ist der Pavillon so sorglich umstellt , daß keine Katze herauskann , viel weniger ein Mensch . "
" Er ist , " sprach der Fürst gerührt , " Er ist ein vortrefflicher Jäger , Lebrecht , und ein treuer Diener des fürstlichen Hauses .
Rettet Er mich aus dieser Gefahr , so kann Er sicher auf eine Verdienstmedaille rechnen , die ich selber erfinden und ausprägen lassen werde von Silber oder von Gold , je nachdem bei der Erstürmung des Pavillons weniger oder mehr Menschen geblieben sind . "
" Erlauben , " sprach der Jäger , " erlauben Sie es , durchlauchtigster Herr , so gehen wir nun gleich ans Werk .
Das heißt , wir schlagen die Türe des Pavillons ein , nehmen das Gesindel , das darin hauset , gefangen , und alles ist vorüber .
Ja , ja , den Kerl , der mir so oft entschlüpft , der solch ein verfluchter Springer ist , den verdammten Kerl , der sich dort im Pavillon als ein ungebetener Gast selbst einquartiert hat , den will ich schon fassen , den Spitzbuben den , der Fräulein Julien turbiert hat ! "
- " Welcher Spitzbube , " fragte die Rätin Benzon , in das Zimmer tretend , " welcher Spitzbube hat Julien turbiert ?
Wovon sprecht Ihr , guter Lebrecht ? "
- Der Fürst schritt feierlich , bedeutsam , wie jemand , dem Großes , Ungeheures begegnet , das er mit aller Stärke des Geistes bemüht ist zu tragen , der Benzon entgegen .
Er faßte ihre Hand , drückte sie zärtlich und sprach dann mit sehr weicher Stimme :
" Benzon !
Selbst in der einsamsten , tiefsten Zurückgezogenheit folgt die Gefahr dem fürstlichen Haupt .
- Es ist das Los der Fürsten , daß alle Milde , alle Güte des Herzens sie nicht schützt vor dem feindlichen Dämon , der den Neid , die Herrschsucht entflammt in der Brust verräterischer Vasallen ! - Benzon , die schwärzeste Verräterei hat ihr schlangenhaariges Medusenhaupt erhoben gegen mich , Sie finden mich in der dringendsten Gefahr ! -
Aber bald ist der Augenblick der Katastrophe da , diesem Getreuen verdanke ich vielleicht bald mein Leben , meinen Thron ! -
Und ist es anders beschlossen - nun , so ergebe ich mich in mein Schicksal .
- Ich weiß , Benzon , Sie konservieren Ihre Gesinnungen gegen mich , und so kann ich wie jener König in dem Trauerspiel eines deutschen Dichters , mit dem Prinzessin Hedwiga mir neulich den Tee verdarb , hochsinnig rufen :
» Nichts ist verloren , denn Sie blieben mein ! «
- Küssen Sie mich , gute Benzon ! - Teures Malchen , wir sind und bleiben die Alten ! -
Guter Gott , ich radotiere wohl in der Seelenangst ! - Lassen Sie uns gefaßt sein , meine Liebe , wenn die Verräter gefangen sind , werde ich sie mit einem Blick vernichten .
- Leibjäger , es beginne der Angriff auf den Pavillon . "
- Der Leibjäger wollte schnell fort .
" Halt , " rief die Benzon , " was für ein Angriff ? - auf welchen Pavillon ? "
Der Leibjäger mußte auf Befehl des Fürsten nochmals über den ganzen Vorfall genauen Rapport erstatten .
Immer mehr und mehr schien die Benzon durch des Leibjägers Erzählung gespannt zu werden .
Als er geendet , rief die Benzon lachend :
" Nun , das ist das drolligste Mißverständnis , das es wohl geben mag .
Ich bitte , gnädigster Herr , daß der Förster mit seinen Leuten sogleich nach Hause geschickt werde .
- Es ist von gar keiner Verschwörung die Rede , Sie befinden sich nicht in der mindesten Gefahr , gnädigster Herr ! -
Der unbekannte Bewohner des Pavillons ist schon Ihr Gefangener . "
" Wer , " fragte der Fürst voll Erstaunen , " wer , welcher Unglückselige bewohnt den Pavillon ohne meine Erlaubnis ? "
- " Es ist , " raunte die Benzon dem Fürsten ins Ohr , " es ist Prinz Hektor , der sich im Pavillon verbirgt ! "
Der Fürst prallte einige Schritte zurück , als träfe ihn plötzlich ein Schlag von unsichtbarer Hand , dann rief er :
" Wer ? - wie ? est-il possible ! -
Benzon ! träume ich ? -
Prinz Hektor ? "
Des Fürsten Blicke fielen auf den Leibjäger , der ganz verblüfft den Hut in der Hand zusammenknüllte .
- " Jäger , " schrie der Fürst ihn an , " Jäger !
Scher Er sich herab , der Förster , die Leute , sie sollen fort - fort nach Hause ! kein Mensch soll sich blicken lassen ! - Benzon , " wandte er sich dann zur Rätin , " gute Benzon , können Sie es sich vorstellen , einen Kerl , einen Spitzbuben hat Lebrecht den Prinzen Hektor genannt ! -
Der Unglückliche ! -
Doch es bleibt unter uns , Benzon , es ist ein Staatsgeheimnis . -
Sagen Sie , erklären Sie mir nur , wie es geschehen konnte , daß der Prinz vorgibt abzureisen und sich hier versteckt , als wolle er auf Abenteuer ausgehen ? "
Die Benzon sah sich durch die Beobachtungen des Leibjägers aus großer Verlegenheit gerettet .
Hatte sie sich vollkommen überzeugt , daß es ihrerseits nicht ratsam , dem Fürsten die Gegenwart des Prinzen in Sieghartshof , am wenigsten aber seinen Anschlag auf Julien zu entdecken , so konnte doch auch die Sache nicht in der Lage bleiben , die mit jeder Minute sich für Julien , für das ganze Verhältnis , das sie , die Benzon selbst , mit aller Mühe aufrechterhielt , bedrohlicher gestalten mußte .
Jetzt , da der Leibjäger den Schlupfwinkel des Prinzen erlauscht und dieser Gefahr lief , auf nicht sehr ehrenvolle Weise hervorgezogen zu werden , konnte , durfte sie ihn verraten , ohne Julia preiszugeben .
Sie erklärte also dem Fürsten , daß wahrscheinlich ein Liebeszwist mit der Prinzessin Hedwiga den Prinzen vermocht , eine schnelle Abreise vorzugeben und sich mit seinem treusten Kammerdiener ganz in der Nähe der Geliebten zu verstecken .
Daß dies Beginnen etwas Romanhaftes , Abenteuerliches in sich trage , sei nicht zu leugnen , doch welcher Liebende habe nicht Hang zu dergleichen .
Übrigens sei des Prinzen Kammerdiener ein sehr eifriger Liebhaber ihrer Nanni und durch diese ihr das Geheimnis verraten worden .
" Ha ! " rief der Fürst , " dem Himmel sei es gedankt , so war es der Kammerdiener und nicht der Prinz selbst , der sich zu Ihnen ins Haus stahl und dann durchs Fenster sprang in die Blumentöpfe , wie der Page Cherubin .
- Mir stiegen schon allerlei unangenehme Gedanken auf .
Ein Prinz und durchs Fenster springen , wie könnte sich das wohl in aller Welt reimen ! "
" Ei , " erwiderte die Benzon schalkisch lachend , " ich kenne doch eine fürstliche Person , die den Weg zum Fenster heraus nicht verschmähte , als - "
" Sie , " unterbrach der Fürst die Rätin , " Sie alterieren mich , Benzon , Sie alterieren mich ganz ungemein !
- Schweigen wir von vergangenen Dingen , überlegen wir lieber , was jetzt mit dem Prinzen anzufangen !
Alle Diplomatie , alles Staatsrecht , alles Hofgesetz holt der Teufel in dieser verdammten Lage ! -
Soll ich ihn ignorieren ? - soll ich ihn zufällig finden ? - soll ich - soll ich ?
Alles dreht sich in meinem Kopfe wie ein Wirbel .
Das kommt davon , wenn fürstliche Häupter sich zu wunderlichen Romanstreichen herabwürdigen ! "
Die Benzon wußte in der Tat nicht , wie das weitere Verhältnis mit dem Prinzen zu formen .
Doch auch dieser Verlegenheit wurde abgeholfen .
Noch ehe die Rätin nämlich dem Fürsten antworten konnte , trat der alte Kastellan Rupert hinein und überreichte dem Fürsten ein klein zusammengefaltetes Billett , indem er schelmisch lächelnd versicherte , es käme von einer hohen Person , die er gar nicht weit von hier die Ehre hätte unter Schloß und Riegel zu bewahren .
" Er wußte , " sprach der Fürst sehr gnädig zu dem Alten , " Er wußte also , Rupert , daß ? -
Nun , ich habe Ihn immer für einen ehrlichen treuen Diener meines Hauses gehalten , und Er hat sich auch jetzt als einen solchen bewährt , da Er , wie es Seine Pflicht war , dem Befehl meines erhabenen Eidams gehorchet .
- Ich werde an Seine Belohnung denken . "
Rupert dankte in den demütigsten Ausdrücken und entfernte sich aus dem Zimmer .
Es begibt sich gar oft im Leben , daß einer für besonders ehrlich und tugendhaft gehalten wird gerade in dem Augenblick , wenn er einen Spitzbubenstreich begangen .
Daran dachte die Benzon , die von des Prinzen bösem Anschlage besser unterrichtet und überzeugt war , daß der alte heuchlerische Rupert in das böse Geheimnis eingeweiht .
Der Fürst erbrach das Billett und las : " » Che dolce più , che più giocondo stato Saria , di quel d'un amoroso core ?
Che viver più felice e più beato , Che ritrovarsi in servitu d' Amore Se non fosse l'huom sempre stimulato Da quel sospetto rio , da quel timore , Da quel martir , da quella frenesia , Da quella rabbia , detta gelosia . «
In diesen Versen eines großen Dichters finden Sie , mein Fürst , die Ursache meines geheimnisvollen Beginnens .
Ich glaubte mich nicht geliebt von der , die ich anbete , die mein Leben ist , all mein Sehnen und Hoffen , für die alle brünstige Glut lodert in der entflammten Brust .
Wohl mir ! -
ich habe mich eines besseren überzeugt , ich weiß seit wenigen Stunden , daß ich geliebt bin , und trete aus meinem Schlupfwinkel hervor .
- Liebe und Glück , das sei das Losungswort , das mich ankündigt . - Bald begrüße ich Sie , mein Fürst , mit der Ehrfurcht des Sohnes .
Hektor . " Vielleicht ist es dem geneigten Leser nicht ganz unlieb , wenn der Biograph hier auf zwei Sekunden die Geschichte ruhen läßt und den Versuch einer Übersetzung jener italienischen Verse einschiebt .
- Sie könnten ungefähr also lauten :
" Gäbe_es Süßres noch , gäbe_es höheres Entzücken , Als wenn das Herz entbrannt in brünstiger Liebe ?
Könnte den ein sel' Geres Himmelslos beglücken , Der in des mächtigen Gottes Fesseln bliebe ?
Vermöchte nicht den Menschen zu berücken Der finstere Geist , Verdacht , der Furcht Getriebe , Trostlose Qual , Wahnsinns wuchernder Samen , Der Hölle Furie , Eifersucht ihr Namen ! "
Der Fürst las das Billett zwei- , dreimal sehr aufmerksam durch , und je öfter er es las , desto finsterer zogen sich die Falten auf seiner Stirn zusammen .
" Benzon , " sprach er endlich , " Benzon ! was ist das mit dem Prinzen ?
Verse , italienische Verse an ein fürstliches Haupt , an einen gekrönten Schwiegervater , statt deutlicher , vernünftiger Erklärung ? -
Was soll das ! -
Es ist kein Verstand darin .
Der Prinz scheint überspannt zu sein auf ganz ungebührliche Weise .
Die Verse sprechen , soviel ich davon verstehe , von dem Glück der Liebe und von den Qualen der Eifersucht .
Was will der Prinz mit der Eifersucht , auf wen um tausend Himmels Willen kann er hier eifersüchtig sein ? -
Sagen Sie mir , gute Benzon , finden Sie in diesem Billett des Prinzen auch nur ein Fünkchen gesunden Menschenverstand ? "
Die Benzon entsetzte sich über den tieferen Sinn , der in den Worten des Prinzen lag , und den sie nach dem , was sich gestern in ihrem Hause begeben , leicht erraten konnte .
Zugleich mußte sie aber die feine Wendung bewundern , die der Prinz ersonnen , um ohne weiteren Anstoß aus seinem Versteck hervortreten zu dürfen .
Weit entfernt , sich auch nur leise darüber gegen den Fürsten zu äußeren , mühte sie sich aber , aus der Lage der Dinge soviel Vorteil zu ziehen , als nur möglich .
Kreisler und Meister Abraham , das waren die Personen , von denen sie Verwirrung ihrer geheimen Pläne befürchtete , und gegen diese glaubte sie jede Waffe brauchen zu müssen , die ihr der Zufall in die Hand spielte .
Sie erinnerte den Fürsten daran , was sie ihm über die Leidenschaft gesagt hatte , die in der Prinzessin Brust emporgelodert .
Dem Scharfblick des Prinzen , führte sie ferner an , könne die Stimmung der Prinzessin ebensowenig entgangen sein , als Kreislers seltsames überspanntes Betragen ihm Anlaß genug gegeben haben müsse , irgendein wahnsinniges Verhältnis zwischen beiden zu vermuten .
So sei hinlänglich erklärt , warum der Prinz den Kreisler auf den Tod verfolgt , warum er , da er den Kreisler getötet zu haben geglaubt , dem Schmerz , der Verzweiflung der Prinzessin aus dem Wege gegangen , dann aber , als er von Kreislers Leben unterrichtet , von Liebe und Sehnsucht getrieben , zurückgekehrt sei und die Prinzessin heimlich beobachtet habe .
Niemanden anders als Kreislern habe daher die Eifersucht gegolten , von der die Verse des Prinzen sprächen , und es sei um so nötiger und ratsamer , dem Kreisler forthin keinen Aufenthalt in Sieghartshof zu gestatten , als er mit dem Meister Abraham ein gegen alle Verhältnisse des Hofes gerichtetes Komplott geschmiedet zu haben scheine .
" Benzon , " sprach der Fürst sehr ernsthaft , " Benzon , ich habe darüber nachgedacht , was Sie mir über die unwürdige Neigung der Prinzessin gesagt haben , und glaube jetzt von allem auch nicht ein Wort .
Fürstliches Blut wallt in den Adern der Prinzessin . "
- " Glauben Sie , " fuhr die Benzon heftig auf , indem sie bis unter die Augen errötete , " glauben Sie , gnädigster Herr , daß das fürstliche Weib über den Pulsschlag , über die innere Ader des Lebens gebieten könne wie kein anderes ? "
" Sie sind , " sprach der Fürst verdrießlich , " Sie sind heute in sehr seltsamer Stimmung , Rätin !
- Ich wiederhole es , entstand in dem Herzen der Prinzessin irgendeine abgeschmackte Leidenschaft , so war das nur ein krankhafter Zufall - ein Krampf sozusagen - sie leidet ja an Spasmen - von dem sie sich sehr bald ganz erholt haben würde .
Was aber den Kreisler betrifft , so ist das ein ganz amüsanter Mensch , dem nur gehörige Kultur fehlt .
Ich kann ihm gar nicht solche übermütige Keckheit zutrauen , sich der Prinzessin annähern zu wollen .
Keck ist er , aber auf ganz andere Weise .
Glauben Sie wohl , Benzon , daß nach seiner wunderlichen Art gerade eine Prinzessin bei ihm gar kein Glück machen würde , sollte es denkbar sein , daß eine dergleichen hohe Person sich herablassen könnte , in ihn verliebt zu werden ?
Denn - Benzon , entre nous soit dit , - er macht sich gar nicht sonderlich viel aus uns hohen Häuptern , und das ist eben die lächerliche abgeschmackte Torheit , die ihn unfähig macht , am Hofe zu verweilen .
Mag er daher entfernt bleiben ; kehrt er aber zurück , so sei er mir herzlich willkommen .
Denn nicht genug , daß er denn doch , wie ich vom Meister Abraham - ja , den Meister Abraham , den lassen Sie mir aus dem Spiele , Benzon , die Komplotte , die er geschmiedet , haben immer zum Wohl des fürstlichen Hauses gereicht .
- Wie ich doch sagen wollte !
Ja ! -
Nicht genug , daß der Kapellmeister , wie mir Meister Abraham gesagt , fliehen müssen auf ungebührliche Weise , unerachtet er von mir freundlich aufgenommen , so ist und bleibt er ein ganz gescheiter Mensch , der mich amüsiert trotz seines närrischen Wesens , et cela suffit ! "
Die Rätin erstarrte vor innerer Wut , sich so kalt abgefertigt zu sehen .
Ohne es zu ahnen , war sie , als sie fröhlich den Strom hinabschwimmen wollte , auf eine verborgene Klippe gestoßen .
- Es entstand auf dem Schloßhofe ein großes Geräusch .
Eine lange Reihe Wagen rasselte heran , begleitet von einem starken Kommando großherzoglicher Husaren .
Der Oberhofmarschall , der Präsident , die Räte des Fürsten , mehrere von der vornehmen Welt aus Sieghartsweiler stiegen aus .
Dorthin war die Nachricht gekommen , daß in Sieghartshof eine wider das Leben des Fürsten gerichtete Revolution ausgebrochen , und nun kamen die Getreuen nebst anderen Verehrern des Hofes , sich um die Person des Fürsten zu stellen , und brachten die Verteidiger des Vaterlandes mit , die sie sich vom Gouverneur mit vieler Mühe erbeten .
Vor lauter Beteuerungen der Versammelten , daß sie Leib und Leben für den gnädigsten Herrn zu opfern bereit wären , kam der Fürst gar nicht zu Worte .
Eben wollte er endlich beginnen , als der Offizier , der das Kommando führte , hineintrat und den Fürsten nach dem Operationsplan fragte .
Es liegt in der menschlichen Natur , daß , wenn die Gefahr , die uns Furcht einjagte , sich vor unseren Augen auflöst in einen eitlen nichtigen Popanz , uns dies immer mit großem Unmut erfüllt .
Der Gedanke , der wirklichen Gefahr glücklich entgangen zu sein , nicht , daß gar keine vorhanden , erregt uns Freude .
So geschah es denn auch , daß der Fürst seinen Unmut , seinen Verdruß über den unnötigen Tumult kaum unterdrücken konnte .
Daß der ganze Lärm über ein Stelldichein eines Kammerdieners mit einer Zofe , über die romanhafte Eifersüchtelei eines verliebten Prinzen entstanden , sollte , konnte er das sagen ?
Er sann hin und her ; die ahnungsvolle Stille im Saal , nur unterbrochen von dem mutigen , Sieg versprechenden Wiehern der Husarenpferde , die draußen hielten , drückte ihn bleiern nieder .
Endlich räusperte er sich und begann sehr pathetisch :
" Meine Herren !
Die wunderbare Fügung des Himmels - Was wollen Sie , mon ami ? "
Mit dieser an den Hofmarschall gerichteten Frage unterbrach der Fürst sich selbst .
Wirklich hatte der Hofmarschall sich mehrmals gebückt und durch Blicke zu verstehen gegeben , daß er was Wichtiges zu hinterbringen .
Es kam heraus , daß soeben sich Prinz Hektor melden lassen .
Des Fürsten Gesicht erheiterte sich auf , er sah , daß er über die vermeintliche Gefahr , in der sein Thron geschwebt , sehr kurz sein und die ehrwürdige Versammlung wie mit einem Zauberschlage in eine Bewillkommnungscour umsetzen könne .
Er tat dies ! -
Nicht lange dauerte es , so trat Prinz Hektor hinein , in Galauniform glänzend gekleidet , schön , kräftig , stolz wie der fernhintreffende Götterjüngling .
Der Fürst machte ein paar Schritte vorwärts ihm entgegen , fuhr aber auch gleich zurück , als träfe ihn der Blitz .
Dicht hinter dem Prinzen Hektor her sprang Prinz Ignatius in den Saal .
Der fürstliche Herr wurde leider mit jedem Tage damischer und abgeschmackter .
Die Husaren auf dem Schloßhofe mußten ihm ganz ausnehmend gefallen haben , denn er hatte einen Husaren vermocht , ihm Säbel , Tasche und Tschako zu geben , und sich in diese Herrlichkeiten geputzt . -
So kurbettierte er , als säße er zu Pferde , in kurzen Sprüngen mit dem blanken Säbel in der Faust im Saal umher , indem er die eiserne Scheide tüchtig auf dem Boden nachklirren ließ , und lachte und kicherte dabei ganz ungemein anmutig .
" Partez - decampez ! -
Allez-vous-en - tout de suite . "
So rief der Fürst mit glühenden Augen und donnernder Stimme dem erschrockenen Ignaz entgegen , der sich ganz geschwind davonmachte .
Keiner von den Anwesenden hatte so wenig Takt , den Prinzen Ignaz , die ganze Szene zu bemerken .
- Der Fürst , im vollsten Sonnenglanz der vorigen Milde und Freundlichkeit , sprach nun mit dem Prinzen einige Worte , und dann gingen beide , der Fürst und der Prinz , im Kreise der Versammelten umher und redeten mit diesem , jenem ein paar Worte .
Die Cour war beendigt , d.h. die geistreichen , tiefsinnigen Redensarten , deren man sich bei solcher Gelegenheit zu bedienen pflegt , waren gehörig verspendet , und der Fürst begab sich mit dem Prinzen in die Gemächer der Fürstin , dann aber , da der Prinz darauf bestand , die geliebte Braut zu überraschen , in das Gemach der Prinzessin .
Sie fanden Julia bei ihr . -
Mit der Hast des feurigsten Liebhabers flog der Prinz hin zur Prinzessin , drückte ihre Hand hundert Mal zärtlich an die Lippen , schwor , daß er nur in dem Gedanken an sie gelebt , daß ein unglückliches Mißverständnis ihm die Qualen der Hölle bereitet , daß er die Trennung von der , die er anbete , nicht länger ertragen könne , daß nun ihm alle Seligkeit des Himmels aufgegangen .
- Hedwiga empfing den Prinzen mit unbefangener Heiterkeit , die ihr sonst eben nicht eigen .
Sie begegnete den zärtlichen Liebkosungen des Prinzen geradeso , wie es eine Braut wohl tun mag , ohne sich im voraus zuviel zu vergeben ; ja , sie verschmähte es nicht , den Prinzen mit seinem Versteck ein wenig aufzuziehen und zu versichern , daß sie keine Verwandlung hübscher und anmutiger sich denken könne , als die eines Haubenstocks in einen Prinzenkopf .
Denn für einen Haubenstock habe sie den Kopf gehalten , der sich in dem Giebelfenster des Pavillons blicken lassen .
Dies gab Anlaß zu allerlei artigen Neckereien des glücklichen Paars , die selbst den Fürsten zu ergötzen schienen .
Nun glaubte er den großen Irrtum der Benzon rücksichts des Kreisler erst recht einzusehen , da nach seiner Meinung Hedwigas Liebe zu dem schönsten der Männer sich deutlich genug aussprach .
Geist und Körper der Prinzessin schienen in der seltenen hohen Blüte zu stehen , wie sie glücklichen Bräuten ganz besonders eigen . -
Gerade entgegengesetzt verhielt es sich mit Julien .
Sowie sie den Prinzen erblicke te , bebte sie zusammen , von innerem Schauer erfaßt .
Blaß wie der Tod , stand sie da mit tief zu Boden gesenkten Augen , keiner Bewegung mächtig , kaum fähig , sich aufrecht zu erhalten . -
Nach einer guten Weile wandte sich der Prinz zu Julien mit den Worten :
" Fräulein Benzon , wenn ich nicht irre ? "
" Eine Freundin der Prinzessin von der frühsten Kindheit her , gleichsam ein Schwesternpaar ! "
- Während der Fürst diese Worte sprach , hatte der Prinz Julias Hand gefaßt und ihr leise , leise zugehaucht :
" Nur du bist_es , die ich meine ! " -
Julia schwankte , Tränen der bittersten Angst drängten sich unter den Wimpern hervor ; sie wäre niedergestürzt , hätte die Prinzessin nicht schnell einen Sessel herbeigeschoben .
" Julia , " sprach die Prinzessin leise , indem sie sich über die Ärmste hinüberbeugte , " Julia , fasse dich doch nur ! -
Ahnest du denn nicht den harten Kampf , den ich Kämpfe ? "
- Der Fürst öffnete die Türe und rief nach Eau de Luce .
" Solches , " sprach der ihm entgegentretende Meister Abraham , " solches führe ich nicht bei mir , aber guten Äther .
Ist jemand ohnmächtig geworden ? -
Äther hilft auch ! "
" So kommt , " erwiderte der Fürst , " so kommt schnell hinein , Meister Abraham , und helft Fräulein Julien . "
Doch sowie Meister Abraham in den Saal trat , sollte sich das Unerwartete begeben .
Geisterbleich starrte Prinz Hektor den Meister an , sein Haar schien sich zu sträuben , kalter Angstschweiß ihm auf der Stirn zu stehen .
Einen Schritt vorwärts , den Leib zurückgebogen , die Arme dem Meister entgegengestreckt , war er dem Macbeth zu vergleichen , wenn plötzlich Bankos entsetzliches blutiges Gespenst den leeren Platz der Tafel füllt . -
Ruhig holte der Meister sein Fläschchen hervor und wollte sich Julien nahen .
Da war es , als ermanne sich der Prinz wieder zum Leben .
" Severino , seid Ihr_es selbst ? "
- So rief der Prinz mit dem dumpfen Ton des tiefsten Entsetzens .
" Allerdings , " erwiderte Meister Abraham , ohne im mindesten aus seiner Ruhe zu kommen , oder nur die Miene zu verändern , " allerdings .
Es ist mir lieb , daß Ihr Euch meiner erinnert , gnädigster Herr ; ich hatte die Ehre , Euch vor etlichen Jahren in Neapel einen kleinen Dienst zu erzeigen . "
Der Meister trat noch einen Schritt vorwärts , da faßte ihn der Prinz beim Arm , zog ihn mit Gewalt auf die Seite , und nun erfolgte ein kurzes Gespräch , von dem niemand der im Saal Befindlichen etwas verstand , da es zu schnell und im neapolitanischen Dialekt geführt wurde .
" Severino ! -
Wie kam der Mensch zu dem Bildnis ? "
" Ich gab es ihm zur Schutzwehr gegen Euch . "
" Weiß er ? "
" Nein ! "
" Werdet Ihr schweigen ? "
" Zurzeit - ja ! "
" Severino ! -
Alle Teufel sind mir auf den Hals gehetzt ! -
Was nennt Ihr zurzeit ? "
" Solange Ihr artig seid und den Kreisler in Ruhe laßt und auch jene da ! "
- -
Nun ließ der Prinz den Meister los und trat an ein Fenster . -
Julia hatte sich indessen erholt .
Mit dem unbeschreiblichen Ausdruck herzzerreißender Wehmut den Meister Abraham anschauend , lispelte sie mehr , als daß sie sprach : " O mein guter lieber Meister , Ihr könnt mich wohl retten ! -
Nicht wahr , Ihr gebietet über so manches ?
- Eure Wissenschaft kann noch alles zum Guten lenken ! "
- Der Meister gewahrte in Julias Worten den wunderbarsten Zusammenhäng mit jenem Gespräch , als habe sie in der höheren Erkenntnis des Traums alles verstanden und wisse um das ganze Geheimnis !
" Du bist , " sprach der Meister Julien leise ins Ohr , " du bist ein frommer Engel , und darum hat der finstere Höllengeist der Sünde keine Macht über dich .
Vertraue dich mir ganz ; fürchte nichts und fasse dich mit aller Kraft des Geistes . -
Denke auch an unseren Johannes . "
" Ach , " rief Julia schmerzlich , " ach , Johannes ! - er kehrt zurück , nicht wahr , Meister ? ich werde ihn wiedersehen ! "
" Gewiß , " erwiderte der Meister und legte den Finger auf den Mund ; Julia verstand ihn . -
Der Prinz mühte sich , unbefangen zu scheinen ; er erzählte , daß der Mann , den man hier , wie er vernehme , Meister Abraham nenne , vor mehreren Jahren in Neapel Zeuge einer sehr tragischen Begebenheit gewesen sei , in die er , der Prinz , selbst verflochten , wie er gestehen müsse .
- Die Begebenheit zu erzählen , sei jetzt nicht an der Zeit , doch wolle er künftig damit nicht zurückhalten .
- Der Sturm im Inneren war zu heftig , als daß sein Tosen nicht auf der Oberfläche hätte sichtbar sein sollen , und so stimmte des Prinzen verstörtes Antlitz , dem jeder Blutstropfen entschwunden schien , sehr schlecht überein mit dem gleichgültigen Gespräch , zu dem er sich nun zwang , um nur über den kritischen Moment hinwegzukommen .
Besser als dem Prinzen gelang es der Prinzessin , die Spannung des Augenblicks zu besiegen .
Mit der Ironie , die selbst den Argwohn , die Verbitterung verflüchtigt zum feinsten Hohn , neckte Hedwiga den Prinzen umher in dem Labyrinth seiner eigenen Gedanken .
Er , der gewandteste Weltmann , noch mehr , ausgerüstet mit allen Waffen einer Ruchlosigkeit , die alles Wahrhafte , jede Gestaltung des Lebens vernichtet , vermochte nicht diesem seltsamen Wesen zu widerstehen .
Je lebhafter Hedwiga sprach , je feuriger und zündender die Blitze des geistreichsten Spottes einschlugen , desto verwirrter , beängstigter schien sich der Prinz zu fühlen , bis dies Gefühl zum Unerträglichen stieg und er sich schnell entfernte .
Dem Fürsten geschah das , was ihm bei solchen Anstößen jedesmal zu geschehen pflegte ; er wußte gar nicht , was er von dem allen denken sollte .
Er begnügte sich mit einigen französischen Brocken ohne sonderliche Bedeutung , die er dem Prinzen zuwarf und die dieser mit ebensolchen erwiderte .
Der Prinz war schon zur Türe heraus , als Hedwiga , plötzlich im ganzen Wesen verändert , zum Fußboden niederstarrte und mit einem seltsamen , das Herz durchschneidenden Ton laut rief :
" Ich sehe die blutige Spur des Mörders ! " -
Dann schien sie aus dem Traum zu erwachen , drückte Julien stürmisch an ihre Brust und lispelte ihr zu :
" Kind , mein armes Kind , laß dich nicht betören ! "
" Geheimnisse , " sprach der Fürst verdrießlich , " Geheimnisse , Einbildungen , Albernheiten , Romanestreiche !
Ma foi , ich kenne meinen Hof nicht mehr ! -
Meister Abraham !
Ihr bringt meine Uhren in Ordnung , wenn sie nicht richtig gehen , ich wollte , Ihr könntet hier nachsehen , was für Schaden das Räderwerk genommen , das sonst niemals stockte .
- Doch was ist das mit dem Severino ? "
" Unter diesem Namen , " erwiderte der Meister , " ließ ich in Neapel meine optische und mechanische Kunststücke sehen . "
" So - so , " sprach der Fürst , sah den Meister starr an , als schwebe ihm eine Frage auf den Lippen , drehte sich aber dann schnell um und verließ schweigend das Zimmer . -
Man hatte geglaubt , die Benzon befinde sich bei der Fürstin , dem war aber nicht so , sie hatte sich in ihre in Wohnung begeben .
Julia sehnte sich nach der freien Luft ; der Meister führte sie in den Park und , lustwandelnd durch die halb entlaubten Gänge , sprachen sie von Kreisler und seinem Aufenthalt in der Abtei .
Sie waren an das Fischerhäuschen gekommen .
Julia trat hinein , um sich zu erholen ; Kreislers Brief lag auf dem Tisch , der Meister meinte , es sei gar nichts darin , das Julia Scheu tragen dürfe zu erfahren .
Während Julia den Brief gelesen , hatten sich ihre Wangen höher gefärbt , und sanftes Feuer , Abglanz des erheiterten Gemüts , strahlte aus ihren Augen .
" Siehst du , " sprach der Meister freundlich , " siehst du wohl , mein liebes Kind , wie der gute Geist meines Johannes auch aus der Ferne tröstend zu dir spricht ?
Was hast du von bedrohlichen Anschlägen zu fürchten , wenn Standhaftigkeit , Liebe und Mut dich schützen vor den Bösen , die dir nachstellen ! "
" Barmherziger Himmel , " rief Julia mit emporgerichtetem Blicke , " schütze mich nur vor mir selber ! "
Sie erbebte wie im jähen Schreck über die Worte , die sie willenlos ausgestoßen .
Halb ohnmächtig sank sie in den Sessel und bedeckte mit beiden Händen ihr glühendes Antlitz .
" Ich verstehe , " sprach der Meister , " ich verstehe dich nicht Mädchen , du verstehst dich vielleicht selbst nicht , und darum magst du dein eigenes Inneres recht auf den Grund erforschen und dir nichts etwa verschweigen aus weichlicher Schonung . "
- Der Meister überließ Julien dem tiefen Nachsinnen , in das sie versunken , und schaute mit übereinandergeschlagenen Armen hinauf zu der geheimnisvollen Glaskugel . -
Da schwoll ihm die Brust vor Sehnsucht und wunderbarer Ahnung .
" Dich , " sprach er , " dich muß ich ja fragen , mit dir muß ich mich ja beraten , mit dir , du meines Lebens schönes , herrliches Geheimnis !
Schweige nicht , laß deine Stimme hören !
- Du weißt es ja , niemals war ich ein gemeiner Mensch , unerachtet mich manche dafür hielten .
Denn in mir glühte alle Liebe , die der ewige Weltgeist selbst ist , und der Funke glimmte in meiner Brust , den der Hauch deines Wesens anfachte zur hellen fröhlichen Flamme ! - Glaube nicht , Chiara , daß dies Herz darum , weil es älter worden , vereiset ist und nicht mehr so rasch zu schlagen vermag als damals , da ich dich dem unmenschliche Severino entriß ; glaube nicht , daß ich jetzt weniger deiner wert geworden , als ich es damals war , da du selbst mich aufsuchtest ! -
Ja ! -
laß nur deine Stimme hören , und ich will mit der Hast des Jünglings dem Ton so lange nachrennen , bis ich dich gefunden , und dann wohnen wir wieder zusammen und treiben in zauberischer Gemeinschaft die höhere Magie , welche alle Menschen , selbst die allergemeinsten , notgedrungen erkennen , ohne daran zu glauben .
- Und wandelst du nicht mehr leiblich hier auf Erden , spricht deine Stimme aus der Geisterwelt zu mir herab , so bin ich auch damit zufrieden und werde auch denn wohl noch ein tüchtigerer Kerl , als ich jemals gewesen .
- Doch nein , nein ! -
Wie lauteten die tröstenden Worte , die du zu mir sprachst ?
» Nicht erfaßt der bleiche Tod , Die im Herzen Liebe tragen , Dem glänzt noch das Abendrot , Der am Morgen wollte verzagen ! « "
" Meister , " rief Julia , die sich aus dem Sessel erhoben und dem Alten in tiefem Erstaunen zugehorcht hatte , " Meister ! mit wem redet Ihr ?
was wollt Ihr beginnen ?
- Ihr nanntet den Namen : Severino , gütiger Himmel ! redete der Prinz , als er sich von seinem Entsetzen erholt hatte , Euch nicht selbst an mit diesem Namen ?
Welches furchtbare Geheimnis liegt hier verborgen ? "
Der Alte kam bei diesen Worten Julias augenblicklich aus dem erhöhten Zustande zurück , und auf seinem Gesicht verbreitete sich , wie es schon lange nicht mehr geschehen , jene seltsame , beinahe grinsende Freundlichkeit , die mit seinem übrigens treuherzigen Wesen in dem wunderlichsten Zwiespalt stand und seiner ganzen Erscheinung den Anstrich einer etwas unheimlichen Karikatur gab .
" Mein schönes Fräulein , " sprach er mit dem grellen Ton , in dem aufschneiderische Geheimniskrämer gewöhnlich ihre Wunder anzupreisen pflegen , " mein schönes Fräulein , nur ein wenig Geduld , ich werde bald die Ehre haben , Ihnen hier im Fischerhäuschen die wunderbarsten Dinge zu zeigen .
- Diese tanzenden Männlein , dieser kleine Türke , welcher weiß , wie alt jeder in der Gesellschaft ist , diese Automate , diese Palingenesien , diese deformierten Bilder , diese optischen Spiegel - alles hübsches magisches Spielzeug , aber das beste fehlt mir noch .
Mein unsichtbares Mädchen ist da ! -
Bemerken Sie , dort oben sitzt sie bereits in der Glaskugel .
Sie spricht aber noch nicht , sie ist noch müde von der weiten Reise , denn sie kommt gerades Weges aus dem fernen Indien .
- In einigen Tagen , mein schönes Fräulein , kommt meine Unsichtbare , und dann wollen wir sie befragen wegen des Prinzen Hektor , wegen Severino und anderen Begebnissen der Vergangenheit und Zukunft ! -
Für jetzt nur etwas weniges schlichtes Amüsement . "
Damit sprang der Meister mit der Schnelle und Lebendigkeit eines Jünglings im Zimmer umher , zog die Maschinen an , ordnete die magischen Spiegel .
Und in allen Winkeln wurde es rege und lebendig , die Automaten schritten daher und drehten die Köpfe , und ein künstlicher Hahn schlug mit den Flügeln und krähte , während Papageien gellendes dazwischenkreischten , und Julia selbst und der Meister standen draußen sogut wie im Zimmer .
Julien wollte , unerachtet sie an dergleichen Possen genügsam gewöhnt , dennoch bei der seltsamen Stimmung des Meisters ein Grauen anwandeln .
" Meister , " sprach sie ganz erschrocken , " Meister , was ist Euch widerfahren ? "
" Kind , " erwiderte der Meister in seiner ernsten Manier , " Kind etwas Schönes und Wunderbares , aber es taugt nicht recht , daß du es erfährst .
Doch ! -
Laß die lebendigtoten Dinger hier ihre Faxen ausspielen , während ich dir von manchem soviel vertraue , als dir zu wissen nötig und nützlich . -
Meine liebe Julia , deine eigene Mutter hat dir ihr mütterliches Herz verschlossen , ich will es dir öffnen , daß du hineinzublicken , daß du die Gefahr , in der du schwebst , zu erkennen und dich ihr zu entziehen vermagst .
- Erfahre also fürs erste ohne weitere Umschweife , daß deine Mutter nichts Geringeres fest in ihrem Sinn beschlossen hat , als dich - - " ( M.f.f. ) - es indessen lieber bleiben lassen - Katerjüngling , sei bescheiden wie ich und nicht gleich überall bei der Hand mit deinen Versen , wenn die schlichte ehrliche Prosa hinreicht , deine Gedanken auszuspinnen .
- Verse sollen in dem in Prosa geschriebenen Buche das leisten , was der Speck in der Wurst , nämlich hin und wieder in kleinen Stückchen eingestreut , dem ganzen Gemengsel mehr Glanz der Fettigkeit , mehr süße Anmut des Geschmacks verleihen .
Ich fürchte nicht , daß dichterische Kollegen dies Gleichnis zu gemein und unedel finden werden , da es von unserer Lieblingsspeise entnommen und in der Tat manchmal ein guter Vers einem mittelmäßigen Roman ebenso dienlich sein kann als ein fetter Speck einer mageren Wurst .
Ich sage das als ein Kater von ästhetischer Bildung und Erfahrung . -
So sehr nach meinen bisherigen philosophischen und moralischen Grundsätzen Pontos ganzes Verhältnis , seine Lebensweise , seine Art , sich in der Gunst des Herrn zu erhalten , mir unwürdig , ja ein wenig miserabel vorkommen mochte , doch hatte mich sein ungezwungener Anstand , seine Eleganz , seine anmutige Leichtigkeit im sozialen Umgange gar sehr bestochen .
Mit aller Gewalt wollte ich mich selbst überreden , daß ich bei meiner wissenschaftlichen Bildung , bei meinem Ernst in allem Tun und Treiben auf einer viel höheren Stufe stehe als der unwissende Ponto , der nur hier und da etwas von den Wissenschaften aufgeschnappt .
Ein gewisses gar nicht zu unterdrückendes Gefühl sagte mir aber ganz unverhohlen , daß Ponto überall mich in den Schatten stellen würde ; ich fühlte mich gedrungen , einen vornehmeren Stand anzuerkennen und den Pudel Ponto zu diesem Stande zu rechnen .
- Ein genialer Kopf wie der meinige hat bei jedem Anlaß , bei jeder Lebenserfahrung immer seine besonderen eigentümlichen Gedanken , und so geriet ich auch , meine innere Seelenstimmung , mein ganzes Verhältnis mit Ponto wohl überlegend , in allerlei sehr artige Betrachtungen , die der ferneren Mitteilung wohl wert sind .
- " Wie kommt es , " sprach ich zu mir selbst , indem ich sinnig die Pfote an die Stirn legte , " wie kommt es , daß große Dichter , große Philosophen , sonst geistreich , lebensweise , sich im sozialen Verhältnis mit der sogenannten vornehmeren Welt so unbehilflich zeigen ?
Sie stehen jederzeit da , wo sie eben in dem Augenblick nicht hingehören , sie sprechen , wenn sie gerade schweigen sollten , und schweigen umgekehrt da , wo gerade Worte nötig , sie stoßen in der Form der Gesellschaft , wie sie sich nun eben gestaltet hat , entgegengesetztem Streben überall an und verletzen sich selbst und andere ; genug , sie gleichen dem , der , wenn eben eine ganze Reihe munterer Spaziergänger einträchtig hinauswandelt , sich allein zum Tore hineindrängt und nun , mit Ungestüm seinen Weg verfolgend , diese ganze Reihe verstört .
Man schreibt , ich weiß es , dies dem Mangel gesellschaftlicher Kultur zu , die am Schreibtische nicht zu erlangen , ich meine indessen , daß diese Kultur gar leicht zu erlangen sein , und daß jene unbesiegbare Unbehilflichkeit wohl noch einen anderen Grund haben müsse . -
Der große Dichter oder Philosoph müßte es nicht sein , wenn er seine geistige Überlegenheit nicht fühlen sollte ; aber ebenso müßte er nicht das jedem geistreichen Menschen eigene tiefe Gefühl besitzen , um nicht einzusehen , daß jene Überlegenheit deshalb nicht anerkannt werden darf , weil sie das Gleichgewicht aufhebt , das stets zu erhalten die Haupttendenz der sogenannten vornehmeren Gesellschaft ist .
Jede Stimme darf nur eingreifen in den vollkommenen Akkord des Ganzen , aber des Dichters Ton dissoniert und ist , kann er unter anderen Umständen auch ein sehr guter sein , dennoch in dem Augenblick ein schlechter Ton , weil er nicht zum Ganzen paßt . -
Der gute Ton besteht aber so wie der gute Geschmack in der Unterlassung alles Ungehörigen .
Nun meine ich ferner , daß der Unmut , der sich aus dem widersprechenden Gefühl der Überlegenheit und der ungehörigen Erscheinung bildet , den in dieser sozialen Welt unerfahrenen Dichter oder Philosophen hindert , das Ganze zu erkennen und darüber zu schweben .
Es ist nötig , daß er in dem Augenblick seine innere geistige Überlegenheit nicht zu hoch anschlage , und unterläßt er dies , so wird er auch die sogenannte höhere gesellschaftliche Kultur , die auf nichts anders hinausläuft , als auf das Bemühen , alle Ecken , Spitzen wegzuhobeln , alle Physiognomien zu einer einzigen zu gestalten , die eben deshalb aufhört eine zu sein , nicht zu hoch anschlagen .
Dann wird er , verlassen von jenem Unmut , unbefangen das innerste Wesen dieser Kultur und die armseligen Prämissen , worauf sie beruhet , leicht erkennen und schon durch die Erkenntnis sich einbürgern in die seltsame Welt , welche eben diese Kultur als unerläßlich fordert .
- Auf eigene Weise verhält es sich mit den Künstlern , die , sowie Dichter , Schriftsteller , der Vornehme hie und da in seine Zirkel ladet , um der guten Sitte nach auf eine Art von Mäzenat Anspruch machen zu können .
Diesen Künstlern klebt leider gewöhnlich etwas vom Handwerk an , und deshalb sind sie entweder demütig bis zur Kriecherei oder ungezogen bis zur Bengelhaftigkeit . "
( Anmerk. der Herausgebe . :
- Murr , es tut mir leid , daß du dich so oft mit fremden Federn schmückst .
Du wirst , wie ich mit Recht befürchten muß , dadurch bei den geneigten Lesern merklich verlieren .
- Kommen alle diese Betrachtungen , mit denen du dich so brüstest , nicht geradehin aus dem Munde des Kapellmeisters Johannes Kreisler , und ist es überhaupt möglich , daß du solche Lebensweisheit sammeln konntest , um eines menschlichen Schriftstellers Gemüt , das wunderlichste Ding auf Erden , so tief zu durchschauen ? ) " Warum , " dachte ich ferner , " sollt ' es aber einem geistreichen Kater , ist er auch Dichter , Schriftsteller , Künstler , nicht gelingen können , sich zu jener Erkenntnis der höheren Kultur in ihrer ganzen Bedeutsamkeit hinaufzuschwingen und sie selbst zu üben mit aller Schönheit und Anmut der äußeren Erscheinung ? -
Hat denn die Natur dem Geschlecht der Hunde allein den Vorzug jener Kultur gegönnt ?
Sind wir Kater , was Tracht , Lebensweise , Art und Gewohnheit betrifft , auch etwas von dem stolzen Geschlecht verschieden , so haben wir doch ebensogut Fleisch und Blut , Körper und Geist , und am Ende können es die Hunde auch gar nicht anders anfangen als wir , ihr Leben fortzusetzen .
Auch Hunde müssen essen , trinken , schlafen u. s.w. , und es tut ihnen weh , wenn sie geprügelt werden . "
- Was weiter ! -
ich beschloß , mich dem Unterricht meines jungen vornehmen Freundes , des Pudels Ponto , hinzugeben , und , ganz mit mir einig , begab ich mich zurück in meines Meisters Zimmer ; ein Blick in den Spiegel überzeugte mich , daß der bloße ernste Wille , nach höherer Kultur zu streben , schon vorteilhaft auf meine äußere Haltung gewirkt .
- Ich betrachtete mich mit dem innigsten Wohlgefallen .
- Gibt es einen behaglicheren Zustand , als wenn man mit sich selbst ganz zufrieden ist ? -
Ich spann ! - Anderen Tages begnügte ich mich nicht damit , vor der Türe zu sitzen , ich lustwandelte die Straße herab , da erblickte ich in der Ferne den Herrn Baron Alzibiades von Wipp , und hinter ihm her sprang mein munterer Freund Ponto .
Gelegenes konnte mir nicht kommen ; ich nahm mich soviel wie möglich in Anstand und Würde zusammen und näherte mich dem Freund mit jener unnachahmlichen Grazie , die , unschätzbares Geschick der gütigen Natur , keine Kunst zu lehren vermag .
- Doch ! - entsetzlich !
Was mußte geschehen ! -
Sowie mich der Baron gewahrte , blieb er stehen und betrachtete mich sehr aufmerksam durch die Lorgnette , dann rief er aber :
" Allons - Ponto !
Huß - Huß - Katz !
Katz ! "
- Und Ponto , der falsche Freund , sprang in voller Furie auf mich los ! -
Entsetzt , aus aller Fassung gebracht durch den schändlichen Verrat , war ich keines Widerstandes fähig , sondern duckte mich so tief nieder , als ich konnte , um Pontos scharfen Zähnen zu entgehen , die er mir knurrend zeigte .
Ponto sprang aber mehrmals über mich hinweg , ohne mich zu fassen , und flüsterte mir in die Ohren : " Murr !
Sei doch kein Tor und fürchte dich etwa ! -
du siehst ja , daß es kein Ernst ist , ich tue das nur meinem Herrn zu Gefallen ! "
Nun wiederholte Ponto seine Sprünge und tat sogar , als packe er mich bei den Ohren , ohne mir indessen im mindesten wehe zu tun .
" Jetzt , " raunte mir Ponto endlich zu " jetzt trolle dich ab , Freund Murr !
dort hinein ins Kellerloch ! "
- Ich ließ mir das nicht zweimal sagen , sondern fuhr schnell davon , wie der Blitz .
- Unerachtet der Versicherung Pontos , mir keinen Schaden zuzufügen , war mir doch nicht wenig bange , denn wissen kann man in solchen kritischen Fällen immer nicht recht , ob die Freundschaft stark genug sein wird , das angeborene Naturell zu besiegen .
- Als ich hineingehuscht war in den Keller , spielte Ponto die Komödie , die er seinem Herrn zu Ehren begonnen , weiter fort .
Er knurrte und bellte nämlich vor dem Kellerfenster , steckte die Schnauze durch das Gitter , tat , als sei er ganz außer sich darüber , daß ich ihm entwischt sei und er mich nun nicht verfolgen könne .
" Siehst du , " sprach aber Ponto zu mir in den Keller hinein , " siehst du , erkennst du nun aufs neue die ersprießlichen Folgen der höheren Kultur ? -
In dem Augenblick habe ich mich gegen meinen Herrn artig , folgsam bewiesen , ohne mir deine Feindschaft zuzuziehen , guter Murr .
So macht es der wahre Weltmann , den das Schicksal bestimmt hat , Werkzeug in der Hand eines Mächtigeren zu sein .
Angehetzt muß er losfahren , aber dabei so viel Geschick beweisen , daß er nur dann wirklich beißt , wenn es gerade auch in seinen eigenen Kram taugt . "
- In aller Schnelle eröffnete ich meinem jungen Freunde Ponto , wie ich gesonnen sei , etwas von seiner höheren Kultur zu profitieren , und fragte , ob und auf welche Weise er mich vielleicht in die Lehre nehmen könne .
- Ponto sann einige Minuten nach und meinte denn , am besten sei es , wenn mir gleich anfangs ein lebendiges deutliches Bild der höheren Welt aufgehe , in der er jetzt zu leben das Vergnügen habe , und dies könne nicht besser geschehen , als wenn ich ihn heute abend zur niedlichen Badine begleite , die gerade während der Theaterzeit Gesellschaft bei sich sähe . -
Badine war aber Windspiel in Diensten der fürstlichen Oberhofmeisterin .
- Ich putzte mich heraus , so gut ich es vermochte , las noch etwas im Knigge und durchlief auch ein paar ganz neue Lustspiele von Picard , um nötigenfalls auch mich im Französischen geübt zu zeigen , und ging dann hinab vor die Türe .
Ponto ließ nicht lange auf sich warten .
Wir wandelten einträchtig die Straße hinab und gelangten bald in Badinen hell erleuchtetet Zimmer , wo ich eine bunte Versammlung von Pudeln , Spitzen , Möpsen , Bolognesern , Windspielen vorfand , teils im Kreise sitzend , teils gruppenweise in die Winkel verteilt .
- Das Herz klopfte mir nicht wenig in dieser fremdartigen Gesellschaft mir feindlicher Naturen .
Mancher Pudel blickte mich an mit einer gewissen verächtlichen Verwunderung , als wolle er sagen : " Was will ein gemeiner Kater unter uns sublimen Leuten ? " Hin und wieder fletschte auch wohl ein eleganter Spitz die Zähne , so daß ich merken konnte , wie gern er mir in die Haare gefahren wäre , hätte der Anstand , die Würde , die sittige Bildung der Gäste nicht jede Prügelei als unschicklich verboten . -
Ponto riß mich aus der Verlegenheit , indem er mich der schönen Wirtin vorstellte , die mit anmutiger Herablassung versicherte , wie sehr sie sich freue einen Kater von meinem Ruf bei sich zu sehen . -
Nun erst , als Badine einige Worte mit mir gesprochen , schenkte mir dieser , jener mit wahrhaft hündischer Bonhomie mehr Aufmerksamkeit , redete mich auch wohl an und gedachte meiner Schriftstellerei , meiner Werke , die ihm zuweilen ordentlichen Spaß gemacht .
Das schmeichelte meiner Eitelkeit , und ich gewahrte kaum , daß man mich fragte , ohne meine Antworten zu beachten , daß man mein Talent lobte , ohne es zu kennen , daß man meine Werke pries , ohne sie zu verstehen .
- Ein natürlicher Instinkt lehrte mich antworten , wie ich gefragt wurde , nämlich ohne Rücksicht auf diese Frage überall kurz absprechen in solch allgemeinen Ausdrücken , daß sie auf alles nur Mögliche bezogen werden konnten , durchaus keiner Meinung sein und nie das Gespräch von der glatten Oberfläche hinunterziehen wollen in die Tiefe . -
Ponto versicherte mir im Vorbeistreifen , daß ein alter Spitz ihm versichert , wie ich für einen Kater amüsant genug sei und Anlagen zur guten Konversation zeige . -
So etwas erfreut auch den Mißmutigen ! - - Jean Jacques Rousseau gesteht , als er in seinen " Bekenntnissen " auf die Geschichte von dem Bande kommt , das er stahl , und ein armes unschuldiges Mädchen für den Diebstahl züchtigen sah , den er begangen , ohne die Wahrheit zu gestehen , wie schwer es ihm werde , über diese Untiefe seines Gemüts hinwegzukommen .
- Ich befinde mich eben jetzt in gleichem Fall mit jenem verehrten Selbstbiographen .
- Habe ich auch kein Verbrechen zu gestehen , so darf ich doch , will ich wahrhaft bleiben , die große Torheit nicht verschweigen , die ich an demselben Abende beging , und die lange Zeit hindurch mich verstörte , ja meinen Verstand in Gefahr setzte .
- Ist es aber nicht ebenso schwer , ja oft noch schwerer , eine Torheit zu gestehen als ein Verbrechen ? - Nicht lange dauerte es , so überfiel mich solch eine Unbehaglichkeit , solch ein Unmut , daß ich mich weit fort wünschte unter den Ofen des Meisters .
Es war die gräßlichste Langeweile , die mich zu Boden drückte , und die endlich mich alle Rücksichten vergessen ließ .
Ganz still schlich ich mich in eine entfernte Ecke , um dem Schlummer nachzugeben , zu dem mich das Gespräch rundumher einlud .
Dasselbe Gespräch nämlich , das ich erst in meinem Unmut vielleicht gar irrtümlich für das geistloseste , fadeste Geschwätz gehalten , kam mir nun vor wie das eintönige Geklapper einer Mühle , bei dem man sehr leicht in ein ganz angenehmes gedankenloses Hinbrüten gerät , dem dann der wirkliche Schlaf bald folgt . -
Eben in diesem gedankenlosen Hinbrüten , in diesem sanften Delirieren war es mir , als funkle plötzlich ein helles Licht vor den geschlossenen Augen .
Ich blickte auf , und dicht vor mir stand ein anmutiges schneeweißes Windspielfräulein , Badine schöne Nichte , Minona geheißen , wie ich später erfuhr .
" Mein Herr , " sprach Minona mit jenem süßlispelnden Ton , der nur zu sehr widerklingt in des feurigen Jünglings erregbarer Brust , " mein Herr , Sie sitzen hier so einsam , Sie scheinen sich zu ennuyieren ? -
Das tut mir leid ! -
Aber freilich , ein großer tiefer Dichter wie Sie , mein Herr , muß , in höheren Sphären schwebend , das Treiben des gewöhnlichen sozialen Lebens schal und oberflächlich finden . "
Ich erhob mich etwas bestürzt , und es tat mir weh , daß mein Naturell , stärker als alle Theorien des gebildeten Anstands , mich zwang , wider meinen Willen den Rücken hoch zu erheben , einen sogenannten Katzenbuckel zu machen , worüber Minona zu lächeln schien .
Gleich mich zur besseren Sitte erholend , faßte ich aber Minonas Pfote , drückte sie leise an meine Lippen und sprach von begeisterten Augenblicken , denen der Dichter oft erliege .
Minona hörte mich an mit solchen entscheidenden Zeichen der innigsten Teilnahme , mit solcher Andacht , daß ich mich selbst immer höher steigerte zur ungemeinen Poesie und zuletzt mich selbst nicht recht verstand .
- Minona mochte mich ebensowenig verstehen , aber sie geriet ins höchste Entzücken und versicherte , wie oft es schon ihr inniger Wunsch gewesen , den genialen Murr kennen zu lernen , und daß einer der glücklichsten , herrlichsten Momente ihres Lebens der gegenwärtige sei . -
Was soll ich sagen ! -
Bald fand sich_es , daß Minona meine Werke , meine sublimsten Gedichte gelesen - nein ! nicht nur gelesen , sondern in der höchsten Bedeutung aufgefaßt hatte !
Mehreres davon wußte sie auswendig und sagte es her mit einer Begeisterung , mit einer Anmut , die mich in einen ganzen Himmel voll Poesie versetzte , vorzüglich , da es meine Verse waren , die die Holdeste ihres Geschlechts mir anzuhören gab .
" Mein bestes , " rief ich ganz hingerissen , " mein bestes , holdestes Fräulein , Sie haben dies Gemüt verstanden !
Sie haben meine Verse auswendig gelernt ; o all ihr Himmel ! gibt es eine höhere Seligkeit für den aufwärtsstrebenden Dichter ? "
" Murr , " lispelte Minona , " genialer Kater , können Sie glauben , daß ein fühlendes Herz , ein poetisch gemütliches Gemüt Ihnen entfremdet bleiben kann ? "
- Minona seufzte nach diesen Worten aus tiefer Brust , und dieser Seufzer gab mir den Rest .
- Was anders ? -
Ich verliebte mich in das schöne Windspielfräulein dermaßen , daß ich , ganz toll und verblendet , nicht bemerkte , wie sie mitten in der Begeisterung plötzlich abbrach , um mit einem kleinen Zierbengel von Mops gänzlich fades Zeug zu schwatzen , wie sie mir den ganzen Abend auswich , wie sie mich auf eine Art behandelte , die mich hätte deutlich erkennen lassen sollen , wie sie mit jenem Lobe , mit jenem Enthusiasmus niemand anders gemeint , als sich selbst .
- Genug , ich war und blieb ein verblendeter Tor , lief der schönen Minona nach , wie und wo ich nur konnte , besang sie in den schönsten Versen , machte sie zur Heldin mancher anmutig verrückten Geschichte , drängte mich in Gesellschaften ein , wo ich nicht hingehörte , und erntete dafür so manchen bitteren Verdruß , so manche Verhöhnung , so manches kränkende Ungemach .
Oft in kühlen Stunden trat mir selbst die Albernheit meines Beginnens vor Augen ; dann kam mir aber wieder närrischerweise der Tasso und mancher neuere Dichter von ritterlicher Gesinnung ein , dem es an einer hohen Herrin liegt , der seine Lieder gelten , und die er aus der Ferne anbetet wie der Manchaner seine Dulzinea , und da wollte ich denn wieder nicht schlechter und unpoetischer sein als dieser und schwor dem Gaukelbilde meiner Liebesträume , dem anmutigen weißen Windspielfräulein , unverbrüchliche Treue und Ritterdienst bis in den Tod .
Einmal von diesem seltsamen Wahnsinn erfaßt , fiel ich aus einer Torheit in die andere , und selbst mein Freund Ponto fand für nötig , sich , nachdem er mich ernstlich vor den heillosen Mystifikationen gewarnt , in die man mich überall zu verstricken suchte , von mir zurückzuziehen .
Wer weiß , was noch aus mir geworden wäre , wenn nicht ein guter Stern über mich gewaltet ! -
Dieser gute Stern ließ es nämlich geschehen , daß ich einst am späten Abend zur schönen Badine hinschlich , nur um die geliebte Minona zu sehen .
Ich fand indessen alle Türen verschlossen , und alles Warten , alles Hoffen , bei irgendeiner Gelegenheit hineinzuschlüpfen , blieb ganz vergebens .
Das Herz voll Liebe und Sehnsucht , wollte ich der Holden wenigstens meine Nähe kundtun und begann unter dem Fenster eine der zärtlichsten spanischen Weisen , die jemals empfunden und gedichtet worden sind .
Es muß gar lamentabel anzuhören gewesen sein !
Ich hörte Badine bellen , auch Minonas süße Stimme knurrte etwas dazwischen .
Ehe ich aber mir_es versah , wurde das Fenster rasch geöffnet und ein ganzer Eimer eiskaltes Wasser über mich ausgeleert .
Man kann denken , mit welcher Schnelle ich abfuhr in meine Heimat .
Die volle Glut im Inneren und Eiswasser auf den Pelz harmoniert aber so schlecht miteinander , daß unmöglich jemals Gutes und wenigstens ein Fieber daraus entstehen kann .
So ging es mir .
Im Hause meines Meisters angekommen , schüttelte mich der Fieberfrost tüchtig .
Der Meister mochte aus der Blässe meines Antlitzes , aus dem erloschenen Feuer meiner Augen , aus der brennenden Glut der Stirn , an meinem unregelmäßigen Puls meine Krankheit ahnen .
Er gab mir warme Milch , die ich da mir die Zunge am Gaumen klebte vor Durst , eifrig verzehrte ; dann wickelte ich mich ein in die Decke meines Lagers und gab ganz der Krankheit nach , die mich erfaßt .
Erst verfiel ich in allerlei Fieberphantasien von vornehmer Kultur , Windspielen u. s.w. , nachher wurde mein Schlaf ruhiger und endlich so tief , daß ich ohne Übertreibung glauben muß , ich habe drei Tage und drei Nächte hintereinander fort geschlafen .
Als ich endlich erwachte , fühlte ich mich frei und leicht , ich war von meinem Fieber und - wie wundervoll ! auch von meiner törichten Liebe ganz genesen !
Ganz klar wurde mir die Narrheit , zu der mich der Pudel Ponto verleitet , ich sah ein , wie albern es war , mich als einen geborenen Kater unter Hunde zu mischen , die mich verhöhnten , weil sie nicht meinen Geist zu erkennen vermochten , und die sich bei der Bedeutungslosigkeit ihres Wesens an die Form halten mußten , mir also nichts darbieten konnten als eine Schale ohne Kern . -
Die Liebe zur Kunst und Wissenschaft erwachte in mir mit neuer Stärke , und meines Meisters Häuslichkeit zog mich mehr an als jemals .
Die reiferen Monate des Mannes kamen , und weder Katsbursch noch kultivierter Elegant , fühlte ich lebhaft , daß man beides nicht sein dürfe , um sich gerade so zu gestalten , wie es die tieferen und besseren Ansprüche des Lebens erfordern .
Mein Meister mußte verreisen und fand es für gut , mich auf die Zeit seinem Freunde , dem Kapellmeister Johannes Kreisler , in die Kost zu geben .
Da mit dieser Veränderung meines Aufenthalts eine neue Periode meines Lebens anfängt , so schließe ich die jetzige , aus der du , o Katerjüngling ! so manche gute Lehre für deine Zukunft entnommen haben wirst . -
( Mak. Bl. ) - - als schlügen entfernte dumpfe Töne an sein Ohr , und er höre die Mönche durch die Gänge schreiten .
Als Kreisler sich völlig aus dem Schlaf emporraffte , gewahrte er denn auch aus seinem Fenster , daß die Kirche erleuchtet , und vernahm den murmelnden Gesang des Chors .
Die Mitternachtshora war vorüber , es mußte daher irgend etwas Ungewöhnliches sich ereignet haben , und Kreisler durfte mit Recht vermuten , daß vielleicht ein schneller unvermuteter Tod einen der alten Mönche dahingerafft , den man jetzt der Klostersitte gemäß in die Kirche getragen .
Rasch warf der Kapellmeister sich in die Kleider und begab sich nach der Kirche . -
Auf dem Gange begegnete er dem Pater Hilarius , der laut gähnend und ganz schlaftrunken hin und her wankte , keines festen Schrittes mächtig , und die angezündete Kerze , statt aufrecht , abwärts zu Boden hielt , daß das Wachs prasselnd herabtropfte und jeden Augenblick drohte , das Licht zu verlöschen .
" Hochehrwürdiger Herr , " stammelte Hilarius , als Kreisler ihn anrief , " hochehrwürdiger Herr Abt , das ist gegen alle bisherige Ordnung .
Exequien in der Nacht ! -
zu dieser Stunde - Und bloß weil Bruder Cyprianus darauf besteht ! - Domine - libera nos de hoc monacho ! "
- - Es gelang endlich dem Kapellmeister , den halbträumenden Hilarius zu überzeugen , daß er nicht der Abt , sondern Kreisler sei , und nun erfuhr er von ihm mit Mühe , daß man in der Nacht , von woher , wisse er nicht , den Leichnam eines Fremden nach dem Kloster gebracht , den Bruder Cyprianus allein zu kennen schiene , und der kein gemeiner Mann gewesen sein müßte , da sich der Abt auf Cyprianus ' dringendes Gesuch dazu verstanden , die Exequien auf der Stelle zu halten , damit morgen nach der ersten Hora die Exportation erfolgen könne .
Kreisler folgte dem Pater in die Kirche , die , nur sparsam beleuchtet , einen seltsamen schauerlichen Anblick gewährte .
Man hatte nur die Kerzen des großen metallenen Kronleuchters , der vor dem Hochaltar von der hohen Decke herabhing , angezündet , so daß der flackernde Schein kaum das Schiff der Kirche vollkommen erhellte , in die Seitengänge aber nur geheimnisvolle Streiflichter warf , in denen die Statuen der Heiligen , zum gespenstischen Leben erwacht , sich zu bewegen und Dacherzuschreiten schienen .
Unter dem Kronleuchter in der hellsten Beleuchtung stand der offene Sarg , in dem der Leichnam lag , und die Mönche , die ihn umringten , schienen , bleich und regungslos , selbst Tote , in der Geisterstunde den Gräbern entstiegen .
Mit dumpfer heiserer Stimme sangen sie die eintönigen Strophen des Requiems , und wenn sie dazwischen schwiegen , vernahm man nur von außen her das ahnungsvolle Rauschen des Nachtwindes , und die hohen Fenster der Kirche knisterten seltsam , als klopften die Geister der Verstorbenen an das Haus , in dem sie die fromme Totenklage vernahmen .
Kreisler nahte sich bis an die Reihe der Mönche und erkannte in dem Toten den Adjutanten des Prinzen Hektor .
- Da regten sich die finsteren Geister , die so oft Macht hatten über ihn , und griffen schonungslos mit scharfen Krallen in seine wunde Brust .
- " Neckender Spuk , " sprach er zu sich selbst , " treibst du mich her , damit jener erstarrte Jüngling bluten soll , weil man sagt , daß der Leichnam blute , wenn der Mörder sich nahe ? -
Hoho ! weiß ich denn nicht , daß er all sein Blut wegbluten mußte in den schlimmen Tagen , als er seine Sünden abbüßte auf dem Siechbette ? -
Er hat keinen bösen Tropfen mehr übrig , mit dem er seinen Mörder vergiften könnte , käme er ihm auch in die Nähe , den Johannes Kreisler aber am wenigsten , denn der hat mit der Natter nichts zu schaffen , die er zu Boden trat , als sie schon die spitze Zunge ausgestreckt zur Todeswunde !
- Schlage die Augen auf , Toter , damit ich dir fest ins Antlitz blicke , damit du gewahrst , daß die Sünde keinen Teil hat an mir ! -
aber du vermagst es nicht ! -
Wer hieß dich das Leben einsetzen gegen das Leben ?
Warum spieltest du trügerisches Spiel mit dem Morde und warst nicht gefaßt , es zu verlieren ? -
Aber deine Züge sind sanft und gut , du stiller blasser Jüngling , der Todesschmerz hat jede Spur verruchter Sünde weggelöscht von deinem schönen Antlitz , und ich könnte sagen , der Himmel hätte dir sein Gnadentor geöffnet , weil die Liebe in deiner Brust gewesen , wenn sich das jetzt ziemte . -
Doch wie ! -
wenn ich mich in dir geirrt ? -
Wenn nicht du , kein böser Dämon , nein , wenn mein guter Stern deinen Arm gegen mich erhoben , um mich dem entsetzlichsten Verhängnis zu entreißen , das im schwarzen Hintergrunde auf mich lauert ? -
Nun magst du die Augen aufschlagen , blasser Jüngling , nun magst du mit einem Blick der Versöhnung alles , alles entdecken , und sollte ich untergehen in Wehmut um dich oder aus entsetzlicher furchtbarer Angst , daß der schwarze Schatten , der hinter mir schleicht , mich nun gleich erfassen wird . -
Ja ! schaue mich an , - doch ! nein , nein , du könntest mich anblicken wie Leonhard Ettlinger , ich könnte glauben , du seist er selbst , und da müßtest du mit mir hinab in die Tiefe , aus der ich oft seine hohle Geisterstimme vernehme .
- Doch wie , du lächelst ?
- deine Wangen , deine Lippen färben sich ?
Trifft dich nicht die Waffe des Todes ? -
Nein , nicht noch einmal will ich mit dir ringen , aber - " Kreisler , der während dieses Selbstgesprächs unbewußt auf einem Knie gelegen , beide Ellbogen auf das andere gestützt und die Hände unter das Knie gestemmt hatte , fuhr hastig auf und würde gewiß Seltsames , Wildes begonnen haben ; doch in demselben Augenblick schwiegen die Mönche , und die Knaben auf dem Chor intonierten mit sanfter Begleitung der Orgel das " Salve regina " .
Der Sarg wurde verschlossen , und die Mönche schritten feierlich von dannen . -
Da ließen die finsteren Geister ab von dem armen Johannes , und ganz aufgelöst in Wehmut und Schmerz folgte er mit gebeugtem Haupt den Mönchen .
Eben wollte er hinausschreiten zur Türe , als sich in einem finsteren Winkel eine Gestalt erhob und hastig auf ihn losschritt .
Die Mönche standen still , und der volle Schein ihrer Lichter fiel auf einen großen stämmigen Burschen , der etwa achtzehn bis zwanzig Jahre alt sein mochte .
Sein Antlitz , nichts weniger als häßlich zu nennen , trug den Ausdruck des wildesten Trotzes ; die schwarzen Haare hingen ihm struppig um den Kopf , das zerrissene Wams von buntgestreifter Leinwand bedeckte kaum seine Blöße , und ebensolche Schifferhosen gingen nur bis an die bloßen Waden , so daß der herkulische Bau seines Körpers völlig sichtbar .
" Du Verdammter , wer hieß dich meinen Bruder ermorden ? "
So schrie der Bursche wild auf , daß es in der Kirche widerhallte , sprang wie ein Tiger auf Kreisler los und packte ihn mit einem mörderischen Handgriff bei der Kehle .
Doch ehe Kreisler , ganz entsetzt über den unerwarteten Angriff , an Gegenwehr denken konnte , stand schon Pater Cyprianus bei ihm und sprach mit starker gebietender Stimme :
" Giuseppo , verruchter sündhafter Mensch ! was machst du hier ?
Wo hast du die Altmutter gelassen ? -
Packe dich augenblicklich fort ! -
Hochehrwürdiger Herr Abt , laßt die Klosterknechte herbeirufen , sie sollen den mörderischen Buben zum Kloster hinauswerfen ! "
Der Bursche hatte , sowie Cyprianus vor ihm stand , sogleich von Kreisler abgelassen .
" Nun , nun , " rief er mürrisch , " macht nur nicht gleich ein solches tolles Wesen davon , wenn man sein Recht behaupten will , Herr Heiliger !
- Ich gehe ja schon von selbst , Ihr dürft keine Klosterknechte auf mich loshetzen . "
- Damit sprang der Bursche schnell davon durch eine Pforte , die man zu verschließen vergessen , und durch die er wahrscheinlich sich in die Kirche geschlichen hatte .
Die Klosterknechte kamen , man fand aber keinen Anlaß , den Verwegenen in tiefer Nacht weiter zu verfolgen .
Es lag in Kreislers Natur , daß gerade die Spannung des Außerordentlichen , des Geheimnisvollen wohltätig auf sein Gemüt wirkte , sobald er den Sturm des Augenblicks , der ihn zu vernichten drohte , siegreich bekämpft .
So geschah es , daß dem Abt die Ruhe wunderbar und befremdlich vorkommen mußte , mit der Kreisler anderen Tages vor ihm stand und von dem erschütternden Eindruck sprach , den unter solchen seltsamen Umständen der Anblick des Leichnams dessen auf ihn gemacht , der ihn ermorden wollen , und den er in gerechter Notwehr erschlagen .
" Weder , " sprach der Abt , " weder die Kirche noch das weltliche Gesetz kann Euch , lieber Johannes , irgendeine strafbare Schuld an dem Tode jenes sündhaften Menschen beimessen .
Doch werdet Ihr aber lange nicht die Vorwürfe einer inneren Stimme verwinden können , die Euch sagt , es sei besser gewesen , selbst zu fallen als den Gegner zu töten , und dies beweiset , daß der ewigen Macht das Opfer des eigenen Lebens wohlgefälliger ist als seine Erhaltung , kann diese nur durch eine rasche blutige Tat geschehen . -
Doch laßt uns zurzeit davon abbrechen , da ich anderes , Näherliegendes mit Euch zu reden .
Welcher sterbliche Mensch ermißt , wie der kommende Augenblick die Gestaltung der Dinge ändern kann . -
Nicht lange ist es her , als ich fest überzeugt war , daß dem Heil Eurer Seele nichts zuträglicher sein könne , als der Welt zu entsagen und in unseren Orden zu treten .
- Ich bin jetzt anderer Meinung und würde Euch raten , so lieb und wert Ihr mir auch geworden , die Abtei recht bald zu verlassen .
- Werdet nicht irre an mir , lieber Johannes !
Fragt mich nicht , warum ich meiner Gesinnung entgegen dem Willen eines anderen , der alles umzustoßen droht , was ich mit Mühe geschaffen , mich unterwerfe .
- Tief müßtet ihr in die Geheimnisse der Kirche eingeweiht sein , um mich zu verstehen , wollte ich auch mit Euch über die Motive meiner Handlungsweise reden . -
Doch freier kann ich wohl mit Euch sprechen als mit jedem anderen .
Vernehmt also , daß in kurzer Zeit der Aufenthalt in der Abtei Euch nicht mehr die wohltätige Ruhe gewähren wie bisher , ja , daß Euer innerstes Streben einen tödlichen Stoß erhalten und das Kloster Euch ein öder , trostloser Kerker dünken wird .
Die ganze Klosterordnung ändert sich , die mit frommer Sitte vereinbare Freiheit hört auf , und der finstere Geist fanatischer Möncherei herrscht bald mit unerbittlicher Strenge in diesen Mauern . -
O mein Johannes , Eure herrlichen Gesänge werden nicht mehr unseren Geist erheben zur höchsten Andacht , der Chor wird abgeschafft , und bald hört man nichts als die eintönigen Responsorien , von den ältesten Brüdern mühsam gelallt mit heiserer unreiner Stimme . "
- " Und , " fragte Kreisler , " und alles dieses geschieht auf Anlaß des fremden Mönchs Cyprianus ? "
" Es ist , " erwiderte der Abt beinahe wehmütig , indem er die Augen niederschlug , " es ist dem so , guter Johannes , und daß es nicht anders sein kann , daran bin ich nicht schuld . -
Doch , " setzte der Abt nach kurzem Stillschweigen mit erhöhter feierlicher Stimme hinzu , " doch alles , wodurch der feste Bau , der Glanz der Kirche befördert werden kann , muß geschehen , und kein Opfer ist zu groß ! "
- " Wer ist , " sprach Kreisler unmutig , " wer ist denn der hohe mächtige Heilige , der über Euch gebietet , der imstande war , durch das bloße Wort mir jenen mörderischen Burschen vom Leibe zu schaffen ? "
" Ihr seid , " erwiderte der Abt , " Ihr seid , lieber Johannes , in ein Geheimnis verflochten , ohne es zurzeit ganz zu kennen .
Doch bald erfahrt ihr mehr , vielleicht mehr , als ich selbst davon weiß , und zwar durch den Meister Abraham .
- Cyprianus , den wir noch jetzt unseren Bruder nennen , ist einer der Erkorenen .
Er wurde gewürdigt , mit den ewigen Mächten des Himmels in unmittelbare Berührung zu treten , und wir müssen schon jetzt in ihm den Heiligen verehren .
- Was jenen verwogenen Burschen betrifft , der sich während der Exequien in die Kirche geschlichen hatte und Euch mörderisch anpackte , so ist er ein verlaufener , halb wahnsinniger Zigeunerbube , den unser Vogt schon einige Mal hat derb auspeitschen lassen , weil er den Leuten im Dorfe die fetten Hühner aus den Ställen gestohlen .
Um den zu vertreiben , bedurfte es eben nicht eines besonderen Mirakels . " -
Indem der Abt die letzten Worte sprach , zuckte ein leises ironisches Lächeln in den Mundwinkeln und verschwand ebenso schnell .
Kreisler erfüllte der tiefste bitterste Unmut ; er sah ein , daß der Abt bei allen Vorzügen seines Geistes , seines Verstandes lügnerische Gaukelei trieb , und daß alle Gründe , die er damals anführte , um ihn zum Eintritt ins Kloster zu bewegen , ebenso nur einer versteckten Absicht zum Vorwand dienen sollten als diejenigen , die er nun für das Gegenteil aufstellte .
- Kreisler beschloß , die Abtei zu verlassen und sich aller bedrohlichen Geheimnisse , die ihn bei längerem Bleiben noch verstricken konnten in ein Gewebe , dem nicht mehr zu entrinnen , völlig zu entschlagen .
Als er aber nun gedachte , wie er ja gleich zurückkehren könne nach Sieghartshof zum Meister Abraham , wie er sie ja wiedersehen , wieder hören könne , sie , seinen einzigen Gedanken , da fühlte er in der Brust jene süße Beklemmung , in der sich die glühendste Liebessehnsucht kundtut .
- Ganz vertieft wandelte Kreisler den Hauptgang des Parks hinab , als ihn der Pater Hilarius ereilte und sogleich begann :
" Ihr wart beim Abt , Kreisler , er sagte Euch alles ! -
Nun , hatte ich recht ? -
Wir sind alle verloren ! -
Dieser geistliche Komödiant - es ist heraus , das Wort , wir sind unter uns ! -
Als er - Ihr wißt , wen ich meine - in der Kutte nach Rom kam , ließ ihn die päpstliche Heiligkeit sogleich zur Audienz .
Er fiel nieder auf die Knie und küßte den Pantoffel .
Ohne einen Wink aufzustehen , ließ ihn aber die päpstliche Heiligkeit eine ganze Stunde lang liegen .
» Das sei deine erste kirchliche Strafe , « fuhr die Heiligkeit ihn an , als er sich endlich erheben durfte , und hielt nun eine lange Predigt über die sündlichen Irrtümer , in die Cyprianus verfallen .
- Nachher erhielt er langen Unterricht in gewissen geheimen Gemächern und zog denn aus ! -
Es hat lange keinen Heiligen gegeben ! -
Das Mirakel - nun , Ihr habt das Bild gesehen , Kreisler - das Mirakel , sage ich , hat erst in Rom seine wahre Gestalt erhalten .
- Ich bin nichts als ein ehrlicher Benediktiner-Mönch , ein tüchtiger praefectus chori , wie Ihr mir einräumen werdet , und trinke der alleinseligmachenden Kirche zu Ehren gern ein Gläschen Nierensteine oder Bocksbeutel , aber ! -
Mein Trost ist , daß er nicht lange hier bleiben wird . -
Herumziehen muß er .
Monachus in claustro non valet ova duo : sed quando est extra , bene valet triginta . -
Er wird denn auch wohl Wunder tun - Seht , Kreisler , seht , da kommt er den Gang herauf -
Er hat uns erblickt und weiß , wie er sich gebärden muß . " - Kreisler erblickte den Mönch Cyprianus , der langsam feierlichen Schrittes , den stieren Blick zum Himmel gerichtet , die Hände gefaltet , wie in einer frommen Ekstase begriffen , den Laubgang hinaufkam .
Hilarius entfernte sich schnell , Kreisler blieb aber verloren in den Anblick des Mönchs , der in seinem Antlitz , in seinem Wesen etwas Seltsames , Fremdartiges trug , das ihn unter allen übrigen Menschen auszuzeichnen schien .
Ein großes ungewöhnliches Verhängnis läßt lesbare Spuren zurück , und so mochte es auch sein , daß ein wunderbares Geschick des Mönchs äußere Erscheinung gestaltet hatte , wie sie sich nun eben zeigte .
Der Mönch wollte vorüberschreiten , ohne in seiner Verzückung Kreislern zu bemerken , der fühlte sich aber aufgelegt , dem strengen Abgesandten des Oberhaupts der Kirche , dem feindlichen Verfolger der herrlichsten Kunst in den Weg zu treten .
Er tat es mit den Worten :
" Erlaubt , ehrwürdiger Herr , daß ich Euch meinen Dank abstatte .
Ihr befreitet mich durch Euer kräftiges Wort zur rechten Zeit aus den Händen des groben Lümmels von Zigeunerbuben , er hätte mich erwürgt wie ein gestohlenes Huhn ! "
- Der Mönch schien aus einem Traume zu erwachen , er fuhr mit der Hand über die Stirn und blickte Kreislern lange starr an , als müsse er sich auf ihn besinnen .
Dann verzog sich aber sein Antlitz zum furchtbaren durchbohrenden Ernst , und , Flammen des Zorns in den Augen , rief er mit starker Stimme :
" Verwegener frevelhafter Mensch , Ihr hättet verdient , daß ich Euch hinfahren ließ in Euren Sünden !
Seid Ihr nicht der , der den heiligen Kultus der Kirche , die vornehmste Stütze der Religion , profaniert durch weltlichen Klingklang ?
Seid Ihr es nicht , der hier durch eitle Kunststücke die frommsten Gemüter betörte , daß sie sich abwandten von dem Heiligen und weltlicher Luft frönten in üppigen Liedern ? "
Kreisler fühlte sich durch diese wahnsinnigen Vorwürfe ebenso verletzt als erhoben durch den albernen Hochmut des fanatischen Mönchs , der mit so leichten Waffen zu bekämpfen .
" Ist es , " sprach Kreisler sehr ruhig und dem Mönch fest ins Auge blickend , " ist es sündhaft , die ewige Macht zu preisen in der Sprache , die sie uns selbst gab , damit das Himmelsgeschenk die Begeisterung der brünstigsten Andacht , ja die Erkenntnis des Jenseits in unserer Brust erwecke , ist es sündhaft , sich auf den Seraphsfittichen des Gesanges hinwegzuschwingen über alles Irdische und in frommer Sehnsucht und Liebe hinaufzustreben nach dem Höchsten , so habt Ihr recht , ehrwürdiger Herr , so bin ich ein arger Sünder .
Erlaubt aber , daß ich der entgegengesetzten Meinung bin und fest glaube , daß dem Kultus der Kirche die wahrhafte Glorie der heiligsten Begeisterung fehlen würde , wenn der Gesang schweigen sollte . "
" So flehet , " erwiderte der Mönch strenge und kalt , " so flehet zur heiligen Jungfrau , daß sie die Decke von Euren Augen nehmen und Euch den verdammenden Irrtum erkennen lassen möge . "
" Ein Komponist 6 " , sprach Kreisler sanft lächelnd , " wurde von jemanden gefragt , wie er es denn anfange , daß seine geistlichen Kompositionen durchaus andächtige Begeisterung atmeten .
» Wenn es « , erwiderte darauf der fromme kindliche Meister , » mit dem Komponieren nicht so recht fort will , so bete ich , im Zimmer auf und ab gehend , einige Ave , und dann kommen mir die Ideen wieder . «
Derselbe Meister sagte von einem anderen großen geistlichen Werk 7 : » Erst als ich zur Hälfte in meiner Komposition vorgerückt war , merkte ich , daß sie geraten wäre ; ich war auch nie so fromm als während der Zeit , da ich daran arbeitete ; täglich fiel ich auf meine Knie nieder und bat Gott , daß er mir Kraft zur glücklichen Ausführung dieses Werkes verleihen möge . « - Mich will bedünken , ehrwürdiger Herr , als wenn weder dieser Meister noch der alte Palestrina sich um Sündhaftes bemüht , und daß nur ein in asketischer Verstocktheit erkaltetes Herz nicht zu der höchsten Frömmigkeit des Gesanges entflammt werden kann . "
" Menschlein , " fuhr der Mönch zornig auf , " wer bist du denn , daß ich mit dir , der du dich hinwerfen müßtest in den Staub , rechten soll ? -
Fort aus der Abtei , damit du nicht länger das Heilige verstörst ! " -
Tief empört über des Mönchs gebieterischen Ton , rief Kreisler heftig :
" Und wer bist du denn , wahnsinniger Mönch , daß du dich erheben willst über alles , was menschlich ? -
Bist du frei geboren von der Sünde ? -
Hast du nie über Gedanken der Hölle gebrütet ?
Bist du nie ausgewichen auf dem schlüpfrigen Pfad , den du wandeltest ?
Und wenn die heilige Jungfrau dich wirklich gnadenvoll dem Tode entriß , den du vielleicht irgendeiner grauenvollen Tat verdanktest , so geschah es , daß du , in Demut deine Sünde erkennen und sie büßen , nicht aber mit freveliger Prahlerei dich der Gnade des Himmels , ja der heiligen Krone rühmen solltest , die du niemals erwerben wirst . "
Der Mönch stierte Kreislern an mit Tod und Verderben sprühenden Blicken , indem er unverständliche Worte lallte .
" Und , " fuhr Kreisler fort mit steigendem Affekt , " und , stolzer Mönch , als du noch diesen Rock trugst - "
Damit hielt Kreisler das Bild , das er vom Meister Abraham erhalten , dem Mönch vor Augen ; doch sowie dieser es erblickte , schlug er sich wie in wilder Verzweiflung mit beiden Fäusten vor die Stirn und stieß einen herzzermalmenden Schmerzenslaut aus , als träfe ihn ein Todesstreich - " Fort mit dir , " rief nun Kreisler , " fort mit dir aus der Abtei , du verbrecherischer Mönch ! - Hoho , mein Heiliger , wenn du vielleicht auf den Hühnerdieb stoßest , mit dem du in Gemeinschaft , so sage ihm , du könntest und wolltest ein andermal mich nicht wieder schützen , doch solle er sich in acht nehmen und von meiner Kehle wegbleiben , sonst würde ich ihn spießen wie eine Lerche oder wie seinen Bruder , denn aufs Spießen - " Kreisler entsetzte sich in diesem Augenblick vor sich selber ; der Mönch stand vor ihm starr , regungslos , noch immer beide Fäuste vor die Stirn gedrückt , keines Wortes , keines Lautes mächtig , es war Kreislern , als rausche es im nahen Gebüsch , als werde gleich der wilde Giuseppo auf ihn losstürzen .
Er rannte von dannen ; die Mönche sangen eben im Chor die Abendhora , und Kreisler begab sich in die Kirche , weil er hoffte , dort sein tief aufgeregtes , tief verletztes Gemüt zu beruhigen .
Die Hora war geendet , die Mönche verließen den Chor , die Lichter verloschen .
Kreislers Sinn hatte sich zu den alten frommen Meistern gewendet , deren er in dem Streit mit dem Mönch Cyprianus gedacht . - Musik - fromme Musik war aufgegangen in ihm , Julia hatte gesungen , und nicht mehr brauste der Sturm in seinem Inneren .
Er wollte fort durch eine Seitenkapelle , deren Türe in den langen Gang ging , welcher zu einer Treppe und hinauf in sein Zimmer führte .
Als Kreisler in die Kapelle trat , erhob sich ein Mönch mühsam vom Boden , auf dem er ausgestreckt vor dem wundertätigen Marienbilde gelegen hatte , das dort aufgestellt war .
In dem Schein der ewigen Lampe erkannte Kreisler den Mönch Cyprianus , aber matt und elend schien er eben aus einer Ohnmacht zu sich selbst gekommen .
Kreisler leistete ihm hilfreiche Hand ; da sprach der Mönch mit leiser wimmernder Stimme :
" Ich erkenne Euch - Ihr seid Kreisler !
Habt Barmherzigkeit , verlaßt mich nicht , helft mir zu jenen Stufen , ich will mich dort niederlassen , aber setzt Euch zu mir , dicht zu mir , nur die Gebenedeite darf uns hören . - übt Mitleiden , " fuhr nun der Mönch fort , als beide auf den Stufen des Altars saßen , " übt Mit leiden , Gnade , vertraut mir , ob Ihr nicht das verhängnisvolle Bildnis von dem alten Severino erhieltet , ob Ihr um alles , um das ganze furchtbare Geheimnis wisset ? "
Frei und offen versicherte Kreisler , daß er das Bildnis vom Meister Abraham Liscov erhalten , und erzählte ohne Scheu alles , was sich in Sieghartshof begeben , und wie er nur aus mancherlei Kombinationen auf irgendeine Greueltat schließe , deren lebhafte Erinnerung sowie die Furcht des Verrats das Bildnis wecke .
Der Mönch , der bei einigen Momenten in Kreislers Erzählung tief erschüttert geschienen , schwieg jetzt einige Augenblicke .
Dann begann er ermutigt mit festerer Stimme :
" Ihr wißt zuviel , Kreisler , um nicht alles erfahren zu müssen .
Vernehmt , Kreisler , jener Prinz Hektor , der Euch auf den Tod verfolgte , es ist mein jüngerer Bruder .
Wir sind Söhne eines fürstlichen Vaters , dessen Thron ich geerbt haben würde , hätte ihn nicht der Sturm der Zeit umgeworfen .
Wir nahmen , da eben der Krieg ausgebrochen , beide Dienste , und der Dienst war es , der zuerst mich und dann auch meinen Bruder nach Neapel brachte .
- Ich hatte mich damals aller bösen Lust der Welt hingegeben , und vorzüglich die wilde Leidenschaft zu den Weibern riß mich ganz und gar hin .
Eine Tänzerin , ebenso schön als verrucht , war meine Geliebte , und überdem lief ich den liederlichen Dirnen nach , wo ich sie fand .
So geschah es , daß ich eines Tages , als es schon zu dunklen begann , auf dem Molo ein paar Geschöpfe dieser Art verfolgte .
Beinahe hatte ich sie erreicht , als dicht neben mir eine Stimme gellendes rief :
» Was das Prinzchen doch für ein allerliebster Taugenichts ist ! -
Da läuft er gemeinen Dirnen nach und könnte in den Armen der schönsten Prinzessin liegen ! «
- Mein Blick fiel auf ein altes abgelumptes Zigeunerweib , die ich vor wenigen Tagen in der Straße Toledo von den Sbirren wegführen gesehen , weil sie einen Wasserverkäufer , so kräftig er schien , im Zank mit ihrer Krücke zu Boden geschlagen .
» Was willst du von mir , alte Hexe ? «
So rief ich das Weib an , die mich aber in dem Augenblick mit einem Strom der abscheulichsten niedrigsten Schimpfreden überschüttete , so daß das müßige Volk bald sich um uns versammelte und über meine Verlegenheit ausbrach in ein tolles Gelächter .
- Ich wollte fort , da hielt mich aber das Weib beim Kleide fest , ohne vom Boden aufzustehen , und sprach , plötzlich mit den Schimpfreden einhaltend , leise , indem sich ihr abscheuliches Antlitz zum grinsenden Lächeln verzog : » Ei , mein süßes Prinzlein , willst du denn nicht bei mir bleiben ?
Willst du nichts hören von dem schönsten Engelskinde , das in dich vernarrt ist ? « -
Damit erhob sich das Weib mühsam , indem sie sich an meinen Armen festklammerte , und zischelte mir von einem jungen Mädchen in die Ohren , das schön und anmutig wie der Tag und noch unschuldig sei .
- Ich hielt das Weib für eine gemeine Kupplerin und wollte mich , da gerade mein Sinn nicht dahin stand , ein neues Abenteuer anzuknüpfen , mit ein paar Dukaten von ihr losmachen .
Sie nahm aber das Geld nicht und rief , als ich mich entfernte , mir laut lachend nach : » Geht nur , geht , mein feiner Herr , Ihr werdet mich bald aufsuchen mit großem Kummer und Weh im Herzen ! «
- Einige Zeit war vergangen , ich hatte nicht mehr an das Zigeunerweib gedacht , als eines Tages auf dem Spaziergange , Villa reale genannt , eine Dame vor mir herging , die mir in ihrem Wesen so wunderbar anmutig schien , wie ich noch keine gesehen .
Ich eilte ihr voraus , und als ich ihr Antlitz erblickte , war es mir , als öffne sich der leuchtende Himmel aller Schönheit . -
So dachte ich nämlich damals als ein sündiger Mensch , und daß ich den frevelhaften Gedanken wiederhole , mag Euch statt aller Beschreibung des Liebreizes , mit dem die ewige Macht die holde Angela geschmückt hatte , um so mehr dienen , als mir jetzt nicht geziemen und auch wohl nicht gelingen würde , viel zu reden über irdische Schönheit .
Zur Seite der Dame ging oder hinkte vielmehr an einem Stabe eine sehr alte , ehrbar gekleidete Frau , die nur durch ihre ganz ungewöhnliche Größe und seltsame Unbehilflichkeit auffiel .
Trotz des völlig veränderten Anzuges , trotz der tiefen Haube , die einen Teil des Antlitzes verhüllte , erkannte ich in der alten Frau doch augenblicklich das Zigeunerweib vom Molo .
Das fratzenhafte Lächeln der Alten , ihr leises Kopfnicken bewies mir , daß ich mich nicht irre . -
Ich konnte den Blick nicht abwenden von dem anmutigen Wunder ; die Holde schlug die Augen nieder , der Fächer entfiel ihrer Hand .
Schnell hob ich ihn auf ; indem sie ihn nahm , berührte ich ihre Finger ; sie zitterten ; da loderte das Feuer meiner verdammenden Leidenschaft in mir auf , und ich ahnte nicht , daß die erste Minute der schrecklichen Prüfung gekommen , die mir der Himmel auferlegt .
Ganz betäubt , ganz im Sinn verwirrt , stand ich da und bemerkte kaum , daß die Dame mit ihrer alten Begleiterin in eine Kutsche stieg , die am Ende der Allee gehalten hatte .
Erst als der Wagen fortrollte , kam ich zur Besinnung und stürzte nach wie ein Rasender .
Ich kam noch zu rechter Zeit , um zu sehen , daß der Wagen vor einem Hause in der engen kurzen Straße hielt , die nach dem großen Platz Largo delle Piane führt .
Beide , die Dame und ihre Begleiterin , stiegen aus , und da der Wagen sogleich fortfuhr , als sie in das Haus getreten , konnte ich mit Recht vermuten , daß dort ihre Wohnung .
Auf dem Platz Largo delle Piane wohnte mein Bankier , Signore Alessandro Spezi , und selbst weiß ich nicht , wie ich auf den Einfall geriet , diesen Mann jetzt gerade heimzusuchen .
Er glaubte , ich käme Geschäfte halber , und begann sehr weitläufig über mein Verhältnis zu reden .
Mein ganzer Kopf war aber erfüllt von der Dame , ich dachte , ich hörte nichts anders , und so kam es , daß ich dem Signor Spezi statt aller Antwort das anmutige Abenteuer des Augenblicks erzählte .
Signor Spezi wußte mir mehr von meiner Schönen zu sagen , als ich hatte ahnen können .
Er war es , der jedes halbe Jahr von einem Handelshause in Augsburg eine ansehnliche Rimesse für eben jene Dame erhielt .
Sie wurde Angela Benzoni genannt , die Alte aber mit dem Namen Frau Magdala Sigrun bezeichnet .
Signor Spezi mußte dagegen dem Augsburger Handlungshause über das ganze Leben des Mädchens die genaueste Nachricht geben , so daß er , da es ihm auch früher obgelegen , ihre ganze Erziehung , sowie jetzt ihren Haushalt zu leiten , in gewisser Art als ihr Vormund anzusehen .
Der Bankier hielt das Mädchen für die Frucht eines verbotenen Verhältnisses unter Personen des vornehmsten Standes .
- Ich bezeigte dem Signor Spezi meine Verwunderung darüber , daß man ein solches Kleinod einem so zweideutigen Weibe anvertraue , als die Alte sei , die sich in schmutzigen zerlumpten Zigeunerkleidern auf den Straßen herumtreibe und vielleicht gar die Kupplerin spielen wollte .
Der Bankier versicherte dagegen , daß es keine treuere , sorgsamere Pflegerin gebe als die Alte , die mit dem Mädchen hergekommen , als es erst zwei Jahre alt gewesen .
Daß die Alte sich zuweilen als Zigeunerin vermumme , sei eine wunderliche Grille , die man ihr wohl in diesem Lande der Maskenfreiheit nachsehen könne .
- Ich darf , ich muß kurz sein ! -
Die Alte suchte mich bald auf in ihrem Zigeunerhabit und führte mich selbst zu Angela , die mir , in holder jungfräulicher Scham hocherrötend , ihre Liebe gestand .
Noch immer hatte ich in meinem verirrten Wesen geglaubt , die Alte sei eine ruchlose Nährerin der Sünde , aber bald wurde ich des Gegenteils überführt .
Angela war keusch und rein wie Schnee , und da , wo ich sündhaft zu schwelgen gedachte , lernte ich an eine Tugend glauben , die ich freilich jetzt für ein höllisches Blendwerk des Teufels erkennen muß .
In ebendem Grade , als meine Leidenschaft höher und höher stieg , neigte ich mich auch mehr und mehr der Alten hin , die mir unaufhörlich in die Ohren raunte , daß ich mich mit Angela vermählen solle .
Müßte dies auch zur Zeit heimlich geschehen , so komme doch wohl der Tag , an dem ich öffentlich der Gemahlin das fürstliche Diadem auf die Stirn drücken werde .
- Angelas Geburt sei der meinigen gleich . - -
Wir wurden in einer Kapelle der Kirche San Filippo getraut .
- Ich glaubte den Himmel gefunden zu haben , ich entzog mich allen Verbindungen , ich gab den Dienst auf , man sah mich nicht mehr in jenen Kreisen , in denen ich sonst frevelnd allen Lüsten gefrönt . -
Eben diese veränderte Lebensweise verriet mich .
Jene Tänzerin , von der ich mich losgesagt , forschte aus , wohin ich mich jeden Abend begab , und ahnend , daß daraus sich vielleicht der Keim ihrer Rache entwickeln könne , entdeckte sie meinem Bruder das Geheimnis meiner Liebe .
- Mein Bruder schlich mir nach , überraschte mich in Angelas Armen . -
Mit einer scherzhaften Wendung entschuldigte Hektor seine Zudringlichkeit und machte mir Vorwürfe , daß ich , gar zu selbstsüchtig , ihm nicht einmal das Vertrauen eines aufrichtigen Freundes geschenkt ; doch ich merkte nur zu deutlich , wie betroffen er war über Angelas hohe Schönheit .
Der Funke war gefallen , die Flamme der wütendsten Leidenschaft angefacht in seinem Inneren .
- Er kam oft , wiewohl nur in den Stunden , wenn er mich zu finden wußte .
- Ich glaubte zu bemerken , daß Hektors wahnsinnige Liebe erwidert wurde , und alle Furien der Eifersucht zerfleischten meine Brust . -
Da war ich dem Graus der Hölle verfallen ! -
Einst , als ich eintrat in Angelas Gemach , glaubte ich Hektors Stimme im Nebenzimmer zu vernehmen .
- Den Tod im Herzen , blieb ich eingewurzelt stehen .
Doch plötzlich stürzte Hektor aus dem Nebengemach hinein mit glutrotem Antlitz und wildrollenden Augen wie ein Rasender .
» Verdammter , du sollst mir fernerhin nicht in den Weg treten ! «
So rief er schäumend vor Wut und stieß mir den Dolch , den er schnell hervorgezogen , in die Brust bis an das Heft . -
Der herbeigerufene Chirurg fand , daß der Stoß durch das Herz gegangen .
- Die Hochgebenedeite hat mich gewürdigt , mir das Leben wieder zu schenken durch ein Mirakel . "
- Die letzten Worte sprach der Mönch mit leiser , zitternder Stimme und schien dann in trübes Sinnen verloren .
" Und , " fragte Kreisler , " und was wurde aus Angela ? "
" Als , " erwiderte der Mönch mit hohler geisterartiger Stimme , " als der Mörder die Früchte seiner Greueltat genießen wollte , da erfaßte die Geliebte der Todeskrampf , und sie verschied in seinen Armen . - Gift - "
Dies Wort gesprochen , fiel der Mönch nieder aufs Gesicht und röchelte wie ein Sterbender .
- Kreisler setzte durch die Glocke , die er anzog , das Kloster in Bewegung .
Man eilte herbei und schaffte den ohnmächtigen Cyprianus in den Krankensaal .
- Kreisler fand am anderen Morgen den Abt in ganz besonders heiterer Laune .
"- Ha ha , " rief er ihm entgegen , " ha ha , mein Johannes , Ihr wollt an kein Mirakel der neuesten Zeit glauben , und Ihr habt gestern in der Kirche selbst das Wunderbarste Mirakel bewirkt , das es nur geben mag . - Sagt , was habt Ihr mit unserem stolzen Heiligen gemacht , der daliegt wie ein reuiger zerknirschter Sünder und uns alle in kindischer Todesangst höchlich um Verzeihung gebeten hat , daß er sich über uns erheben wollen ! -
Habt Ihr ihn , der von Euch nun Beichte verlangte , vielleicht selbst beichten lassen ? "
- Kreisler fand gar keine Ursache , auch nur das mindeste von dem zu verschweigen , was sich mit ihm und dem Mönch Cyprianus begeben .
Er erzählte daher umständlich alles , von der freimütigen Strafpredigt an , die er dem einbildischen Mönch gehalten , als er die heilige Tonkunst herabgewürdigt , bis auf den schrecklichen Zustand , in den er verfallen , als er das Wort : " Gift ! " ausgesprochen .
Dann erklärte Kreisler , daß er eigentlich doch noch immer nicht wisse , warum das Bild , habe sich auch Prinz Hektor davor entsetzt , gleiche Wirkung auf den Mönch Cyprianus hervorgebracht .
Ebenso sei er darüber noch ganz im Dunklen geblieben , auf welche Weise Meister Abraham in jene grauenvolle Begebenheit verflochten .
" In der Tat , " sprach der Abt anmutig lächelnd , " in der Tat , mein lieber Sohn Johannes , wir stehen jetzt ganz anders gegenüber als noch vor wenigen Stunden .
Ein standhaftes Gemüt , ein fester Sinn , vorzüglich aber wohl ein tiefes richtiges Gefühl , das wie eine wunderbar wahrsagende Erkenntnis in unserer Brust verborgen , richtet vereint mehr aus als der schärfste Verstand , der geübteste , alles scheidende Blick .
Du hast es bewiesen , mein Johannes , indem du die Waffe , die man dir in die Hand gab , ohne dich ganz über ihre Wirkung zu belehren , so geschickt in dem richtigen Moment zu gebrauchen wußtest , daß du auf der Stelle den Feind zu Boden schlugst , den vielleicht der durchdachteste Plan nicht so leicht aus dem Felde getrieben haben würde .
Ohne es zu wissen , hast du mir , dem Kloster , vielleicht auch der Kirche überhaupt einen Dienst erwiesen , dessen ersprießliche Folgen nicht zu übersehen sind . -
Ich will , ich darf jetzt gegen dich ganz aufrichtig sein , ich wende mich ab von denen , die mir Falsches vorspiegeln wollten zu deinem Nachteil , du kannst auf mich rechnen , Johannes ! -
Daß der schönste Wunsch , der in deiner Brust ruht , erfüllt werde , dafür laß mich sorgen .
Deine Cecilia , du weißt , welches holde Wesen ich meine - doch still jetzt davon ! -
Das , was du noch von jener entsetzlichen Begebenheit in Neapel zu wissen verlangst , ist mit wenigen Worten gesagt . -
Fürs erste hat es unserem würdigen Bruder Cyprianus beliebt , in seiner Erzählung einen kleinen Umstand zu übergehen .
- Angela starb an dem Gift , das er ihr beigebracht in dem höllischen Wahnsinn der Eifersucht .
- Meister Abraham befand sich damals in Neapel unter dem Namen Severino .
Er glaubte Spuren seiner verlorenen Chiara zu finden und fand sie wirklich , da ihm jene alte Zigeunerin in den Weg kam , Magdala Sigrun geheißen , die du schon kennst .
An den Meister wandte sich die Alte , als das Schrecklichste geschehen , und ihm vertraute sie , ehe sie Neapel verließ , jenes Bildnis , dessen Geheimnisse du noch nicht kennst .
Drücke den stählernen Knopf an dem Rande , dann springt Antonios Bildnis , das nur einer Kapsel zum Deckel dient , auf , und du erblickst nicht allein Angelas Bildnis , sondern dir fallen auch noch ein paar Blättchen in die Hände , die von der äußersten Wichtigkeit sind , da sie dir den Beweis des doppelten Mordes liefern .
- Du siehst nun , warum dein Talisman so kraftvoll wirkt . -
Meister Abraham soll noch mit dem Bruderpaar in mancherlei Berührung gekommen sein , doch davon wird er dir selbst noch besser erzählen können als ich . -
Laß uns jetzt hören , Johannes , wie es mit dem kranken Bruder Cyprianus steht ! "
- " Und das Mirakel ? "
So fragte Kreisler , indem er den Blick auf die Stelle der Wand über dem kleinen Altar warf , wo er selbst mit dem Abt das Bild , dessen sich der geneigte Leser wohl noch erinnert , befestigt hatte .
Nicht wenig verwunderte er sich aber , als er statt dieses Bildes wieder Leonardo da Vincis heilige Familie erblickte , die ihren alten Platz eingenommen .
- " Und das Mirakel ? "
- fragte Kreisler zum zweitenmal .
" Ihr meint , " erwiderte der Abt mit seltsamem Blick , " Ihr meint das schöne Bild , welches sonst hier aufgehängt war ? -
Ich habe es unterdessen in den Krankensaal aufstellen lassen .
Vielleicht stärkt der Anblick unseren armen Bruder Cyprianus , vielleicht hilft ihm die Hochgebenedeite zum zweitenmal . "
- Kreisler fand auf seinem Zimmer ein Schreiben des Meisters Abraham des Inhalts :
" Mein Johannes !
Auf ! - auf ! -
verlaßt die Abtei , eilt her , so schnell Ihr könnt ! -
Der Teufel hat hier zu seiner Lust eine ganz besondere Hetzjagd angestellt ! -
Mündlich mehr , das Schreiben wird mir blutsauer , denn es steckt mir alles im Halse und droht mich zu ersticken .
Von mir , von dem Hoffnungsstern , der mir aufgegangen , nicht ein Wort .
Nur so viel in aller Eil .
- Die Rätin Benzon findet Ihr nicht mehr , wohl aber die Reichsgräfin von Eschenau .
Das Diplom aus Wien ist angekommen und die künftige Heirat Julias mit dem würdigen Prinzen Ignaz so gut wie erklärt .
Fürst Irenäus beschäftigt sich mit der Idee des neuen Throns , auf dem er sitzen wird als regierender Herr .
Die Benzon oder vielmehr die Gräfin von Eschenau hat ihm das versprochen .
Prinz Hektor hat indessen Versteckens gespielt , bis er nun wirklich fortmußte zur Armee . -
Bald kehrt er wieder , und dann soll eine Doppelthochzeit gefeiert werden . -
Es wird lustig sein . -
Die Trompeter spülen sich schon die Gurgeln aus , die Fiedler schmieren die Bogen , die Lichtzieher in Sieghartsweiler gießen die Fackeln - aber ! - - Nächstens ist der Namenstag der Fürstin , da unternehme ich Großes , aber Ihr müßt hier sein .
Kommt nur lieber gleich auf der Stelle , wenn Ihr dies gelesen habt !
Läuft , was Ihr könnt .
Bald sehe ich Euch . -
Apropos ! -
Nehmt Euch doch vor den Pfaffen in acht , aber den Abt liebe ich sehr . -
Adieu ! "
So kurz und so inhaltsreich war dies Brieflein des alten Meisters , daß - Nachschrift des Herausgebers Nachschrift des Herausgebers 8 Am Schluß des zweiten Bandes ist der Herausgeber genötigt , den geneigten Lesern eine sehr betrübte Nachricht mitzuteilen .
- Den klugen , wohlunterrichteten philosophischen , dichterischen Kater Murr hat der bittere Tod dahin gerafft mitten in seiner schönen Laufbahn .
Er schied in der Nacht vom neunundzwanzigsten bis zum dreißigsten November nach kurzen , aber schweren Leiden mit der Ruhe und Fassung eines Weisen dahin . -
So gibt es wieder einen Beweis , daß es mit den frühreifen Genies immer nicht recht fort will ; entweder sie steigen in einem Antiklimax hinab zur charakter- und geistlosen Gleichgültigkeit und verlieren sich in der Maße , oder sie bringen es in Jahren nicht hoch . -
Armer Murr ! der Tod deines Freundes Muzius war der Vorbote deines eigenen , und sollt ich dir den Trauersermon halten , er würde mir ganz anders aus dem Herzen kommen als dem teilnahmelosen Hinzmann ; denn ich habe dich lieb gehabt und lieber als manchen - Nun ! -
schlafe wohl ! -
Friede deiner Asche ! -
Schlimm ist es , daß der Verblichene seine Lebensansichten nicht geendet hat , die also Fragment bleiben müssen .
Dagegen haben sich in den nachgelassenen Papieren des verewigten Katers noch so manche Reflexionen und Bemerkungen gefunden , die er in der Zeit aufgeschrieben zu haben scheint , als er sich bei dem Kapellmeister Kreisler befand .
Ferner war aber auch noch ein guter Teil des von dem Kater zerrissenen Buchs vorhanden , welches Kreislers Biographie enthält .
Der Herausgeber findet es daher der Sache nicht unangemessen , wenn er in einem dritten Bande , der zur Ostermesse erscheinen soll , dies von Kreislers Biographie noch Vorgefundene den geneigten Lesern mitteilt und nur hin und wieder an schicklichen Stellen das einschiebt , was von jenen Bemerkungen und Reflexionen des Katers der weiteren Mitteilung wert erscheint .
Fußnoten 1 E. T. A. Hoffmanns. 2 Taschenbuch zum geselligen Vergnügen bei Gleditsch , 1820 . 3 Der Abt Gattoni zu Mailand ließ von einem Turme zum anderen fünfzehn eiserne Saiten ausspannen und dergestalt stimmen , daß sie die diatonische Tonleiter angaben .
Bei jeder Veränderung in der Atmosphäre erklangen diese Saiten stärker oder schwacher , nach dem Maß jener Veränderung .
Man nannte diese Äolsharfe im großen Riesen- oder Wetterharfe. 4 Der Kater meint Shakespeares " Wie es euch gefällt " , dritter Aufzug , zweite Szene .
A. d. H. 5 " Fantasiestücke in Callots Manier . "
Neue Ausgabe .
Teil 1. S. 32. 6 Joseph Haydn .
7 " Die Schöpfung . "
8 E. T. A. Hoffmanns .
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CC-BY
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Hoffmann, E. T. A.. Lebensansichten des Katers Murr: Teil 2. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0pp.0