Drittes Bänden .
Tübingen , in der J. G. Cotta'schen Buchhandlung .
1804. Nro. 33. Strahlglimmer .
Die Brüder -- Wina .
Selige , heilige Tage , welche auf die Versöhnungsstunde der Menschen folgen !
Die Liebe ist wieder blöde und jungfräulich , der Geliebte neu und verklärt , das Herz feiert seinen Mai und die Auferstandenen vom Schlachtfelde begreifen den vorigen vergessenen Krieg nicht .
Schlachten heiteren den Bezogenen Himmel auf ; beide Brüder standen nach der ihrigen im hellsten Wetter da und sahen sich und alles schön beleuchtet .
Walten , der nichts war als Lieben und Geben , wusste jetzt gar nicht , wie er beides noch zarter , noch wärmer gegen seinen Bruder sein könnte ; denn er trachtete nach dem höchsten Grade ; die Narben der kleinen Gewissensbisse brannten ihn noch ein wenig und die Tränen des sonst dürren Vults hatte er in seiner Seele aufgehoben .
Vult stand selber als ein Mensch mit neuen Melodien aus dem Kanon der Liebe da .
Ob er diese gleich mehr durch Taten als durch Zeichen wirken lies , so war sie doch zu sehen ; sein häufiges Kommen , sein Nachgeben , seine Milde , seine Helfbegierde , und bei dem Abschiede -- wenn er eben schnell genug die Treppe und Unsichtbarkeit erwischen konnte -- oft sein Bruder-Kuß verrieten sein Inneres .
" Niemand , sagte einst Walten zu ihm , kann rührender aussehen als du , wenn du eben die Milde in deine Feueraugen bringst ; so kamen mir immer die Spartaner vor , wenn sie mit ihren Flöten auf das Schlachtfeld zogen . "
-- " Es muß mir freilich lassen , sagte er , als wenn ein Seehund Mama sagt * ) , ja ich möchte es fast einen leisen pianen Sturmwind nennen .
Aber ernsthaft zu sprechen , ich bin jetzt noch bei Konzert-Geld und deswegen ein gutes frohes Lamm ; mein Leben ist ein Buch voll geschlagenen Golds , die Blätter sind so weich und so beweglich , freilich Gold-Blätgen auch , mein Kind ! "
Walten nahm solche Reden gar nicht übel .
Soweit indes auch Vult das Lieben trieb -- da er * )
Nach Bächstein lernt er Worte Papa etc. murmeln . sich für den nächsten und lachenden Thron-Erben des abgegangenen Freund-Grafen ansehen konnte -- so merkte er doch , daß er darin seinen Bruder nur bezahle , nicht beschenke und daß dieser ihm stets um einen warmen Tag voraus war .
Einst hörte Vult von seinem Klingeldraht -- er hieß eine ganze Mädchen-Pension so -- die ganze heftige Schutzrede wieder , womit der sanfte Walten gerade in der Liebes-Pause für ihn gegen seine Antipateticker an Neupeters Tafel aufgetreten war .
Walten hatte ihm nicht ein Wort davon gesagt -- wiewohl aus Liebe , nicht bloß gegen den Bruder , sondern auch gegen alle Welt , so wie er aus doppelter Liebe das Kabelsche Testament , das den Bruder ein wenig beleidigen konnte , zu zeigen verweigerte .
Vult drückte ihm beim Eintritt im Feuer der Liebe beide Achseln und machte solchem dadurch Luft , daß er die Neupeter'schen scherzend handhabte .
Aber er traf die falsche Zeit , wo Walten am Hoppelpoppel schrieb und den Schreib-Arm allen fünf Weltteilen liebend , führend bot und wo er so sehr an den verlorenen Klotar dachte , weil er eben im Buch Freudenfeste findender und gefundener Seelen beging .
Mit eigener wehmütiger Freude schrieb er jetzt daran unter dem Betrauern des abgestorbenen Freundes , so wie sonst mit Schmerzen unter dem Nachjagen nach ihm ; und wunderte sich über den Unterschied .
Der schöne Begeisterungs-Mittag bei Neupeter , auf welchen ihn Vult durch seinen Dank zurückführte , stellte ihm den Grafen zu nahe wieder an die Brust ; er bekannte es dem Bruder ganz offen , wie ihm der Ferne mit seinem ausgeleerten Dasein und mit der verlorenen Wina immer in dem Kopfe liege und so schwer auf der Brust -- wie er ihn einsam in dem zugesperrten Wagen sitzen und zurückdenken sehe -- wie ihn ein solcher aus seinem Himmel in einen Käfig getriebene Adler erbarme und wie darum keine Marter bitterer auf der Erde gefunden werde , als das Bewußtsein , einem edlen Geist irgend eine zugeführt zu haben. O Vult , tröste mich nur recht , wenn du kannst -- sagt er bei dem heftigsten Ausbruch -- Mein unschul diger Wille tröstet mich wenig .
Wenn du zufälligst , ohne böse Absicht , ja in der besten vielmehr , durch einen der Hölle entflogenen Funken ein Krankenhaus , oder ein unschuldiges Schweizerdorf oder ein Haus voll Gefangener angezündet hättest , und du sähest die Flammen und darauf die Gerippe : ach Gott , wer hälfe dir ? "
" Mir die kalte Vernunft und dir ich , ( sagt ' er , aber ohne Groll . )
Denn ich werde mich bei der Mädchenpension hart neben mir an nach den nähern Umständen erkundigen .
Als ich noch im Erblinden stand , saß ich jeden Abend drüben , es ist die schnellste Wiener Klapperpost , die mir noch vorgekommen , da sie manche Sachen schon liefert , indem sie noch geschehen .
-- Der Graf wird nicht wie du durch Zufälle entschuldigt für seine niedrigen Voraussetzungen über das Lesen und Übergeben des Briefs ; er macht ' es ganz nach Art der Großen und der gallischen Tragiker , die , um etwas zu erklären , lieber die größte Sünde als eine kleine annehmen , lieber eine Blutschande als Unkeuschheit . "
Der Notar gestand , Klothars Versündigung erleichtere die Last der seinigen ; blieb aber bei seinem Gefühl .
In der Gesellschaft kann man einen Menschen leichter herabsetzen als hinauf ; bei Walten umgekehrt .
Vult ging und versprach , bald wieder zu kommen .
Eines Nachmittags hüpfte Flette , dessen Tanzsaal die ganze Stadt war , in Walts Stübern .
Er war gewohnt , an jedem Orte so viele und gute alte Bekannte zu zählen als Einwohner darin waren ; daher schlug er den zur Volksmenge gehörigen Notar ohne Umstände zur Freundes-Menge .
Dieser glaubte gern , er komme seinetwegen und wurde durch die Freude und die Angst , einen solchen Weltmann zu beherbergen , etwas außer sich gebracht .
Sein Ich fuhr ängstlich oben in allen vier Gehirnkammern und darauf unten in den beiden Herzkammern wie eine Maus umher , um darin ein schmackhaftes Ideen-Körnen aufzutreiben , das er dem Elsässer zutragen und vorlegen könnte zum Imbiß .
Er fand wenig , was diesem schmeckte , aber der Elsässer hatte auch keinen Hunger und keine Zähne .
Gelehrte Studierstuben-Saßen , welche die ganze Woche , Tag aus Tag ein , im Banquet und Picknick der feinsten , reizendsten Ideen und Gerichte aus allen Weltaltern und Weltteilen schwelgen , bilden sich gar zu leicht ein , daß der Welt- und Geschäftsmann drüslich und trocken bei ihnen werde , wenn sie ihn nicht immer heiß und fett mit Ideen übergießen am Bratenwender des Gesprächs , indes der Geschäftsmann schon zufrieden gestellt wäre , wenn er säße , und der Weltmann , wenn er am Fenster stände , oder vernähme , daß die Markgräfin gestern bei Tafel unmäßig genießet und daß der Baron von Kleinschwager , dessen Namen er gar nie gehört , diesen Morgen bloß durchpassiert , ohne anzuhalten .
Gelehrten kann das schwerlich zu oft vorgestellt werden ; sie ziehen sonst immer einen Proviant-Wagen für die Gesellschaft mit mehreren oder wenigeren Gedanken nach oder gar mit Witz .
Rechte gewöhnliche und doch befriedigende Unterhaltung ist allgemein unter den Menschen die , daß einer das sagt , was der andere schon weiß , worauf dieser aber etwas versetzt , was jener auch weiß , so daß jeder sich zweimal hört , gleichsam ein geistiger Doppeltgänger .
Mit Fletten , der so leer an Realien war , als Gottwalt an Personalien , konnte dieser wenig anfangen .
Indes sprach , sang und tanzte der Elsässer so gut es ging , trat oft ans Fenster , und oft ans Bücherbrett und suchte darüber etwas zu sagen , weil er gern von jedem , mit dem prahlte , was jeder eben war .
Einige Menschen sind Klaviere , die nur einsam zu spielen sind , manche sind Flügel , die in ein Konzert gehören ; Flette konnte nur vor vielen reden ; und blieb im Duett fast zu dumm .
Als endlich der gute Notar an der Langeweile , die er zu machen glaubte , selber eine fand -- denn im Gespräch , wie im Pharao , ist erwiesen der Gewinn ( des Vergnügens wie des Geldes ) nie größer als der Einsatz von beiden :
so studierte er am Elsässer heimlich den Franzosen , ( denn Elsaß , sagte er , ist doch französisch genug ) und goß ihn im Vorbeigehen ab , für den Abgußsaal seines Romans und hob ihn auf .
Unter dem Gießen machte er plötzlich das Fenster zu und eine Verbeugung in den Garten durchs Glas hinaus , weil ihn Raphaela , welche drunten neben Wina der Vespersonne entgegengieng , mit zurückgewandtem Kopfe leicht gegrüßt hatte . --
Da flog Flette herbei .
Raphaela drehte sich , blickte schnell noch einmal um und erkannte nun diesen .
Wina ging langsam und wie schwere Schmerzen tragend daneben , den Kopf nach der Abendsonne gehoben , und das Schnupftuch mehrmals in die Augen drückend .
Raphaela schien heftig zu sprechen und einzudringen und ordentlich an jeder nebligen Lebens- Stelle verborgenen tiefen Tränen-Quellen nachzugraben .
Walten vergaß sich so , daß er laut seufzte .
" Ich glaube nur , setzte er gemässigter hinzu , daß die gute Generals Tochter weint . "
-- " Drunten ? fragte Flette kalt .
So ist_es in Verzweiflung über den eingebüßten Grafen ; denn sie kann seinen Verlust nicht überleben .
Ein andermal ! -- a revoir , ami ! "
So flog er in den Garten hinab .
Walten setzte sich nieder , stützte den Kopf auf die Hand , die seine Augen zudeckte , und hatte einen langen reinen Schmerz .
Er war nicht im Stand , das liebliche Angesicht des schönen Mädchens oder dessen Leiden zu behorchen mit Blicken , wenn sie den Garten herwärts kam .
Er erschrak vor der ersten Stunde , wo er bei ihrem Vater kopieren und ihr aufstoßen könnte .
Die untergehende Sonne wärmte ihn endlich mütterlich aus dem Winterschlafe der bösen Stunde auf .
Der Garten war leer ; er ging hinunter .
Er wußte nicht , was er drunten wollte .
Im Gebüsch flatterte ein halb zerrissenes feines Brief-Papierblatt .
Er nahm es , es war von weiblicher Hand und enthielt eine aus einem fremden Briefe kopierte Stelle , wie er aus den sogenannten Gänsefüssen ersah .
Ein halbes Blatt , ein entzweigeschliztes , eine Kopie eines zweiten Briefes -- einen ersten hätte er nie gelesen -- konnte er wohl ansehen und lesen :
" " -- Blumen entzwei .
Glaub es mir .
O wie leicht und froh verschmerzt man eigenen Schmerz !
Wie so schwer den fremden , den man , wiewohl schuldlos und gezwungen , hergeführt !
Wie kann ein Wesen , das doch auch ein schlagendes Herz hat , ganze Völker weinen lassen , wenn schon der erste Unglückliche , den man machen müssen , so wehe tut ?
Verbirg und verschweige aber meine Klage gewissenhaft , damit sie nicht meinen Vater quäle , der so leicht alles erfährt !
Doch du tust es ohnehin .
Indessen steht mein Entschluß so fest als je ; nur will ich ihn bezahlen durch Schmerzen .
Ich kann jetzt nichts tun als leiden und besser werden , ich gehe häufiger in die Kirche , ich schreibe öfter an meine Mutter , ich bin gefälliger gegen meinen Vater , gegen jede Menschen- Seele .
Denn es gehört sich , daß ich , da mir die Kirche befiehlt , Freuden zu nehmen , es anderswo einbringe , wo sie es erlaubt , einige zu vermehren .
Meine haben längst aufgehört und früher als ich Ihn verloren . --
O sei du glücklich , meine liebe Raphaela ! "
-- Daraus kannst du sehen , Schönste , wie diese Wunde meiner W. mein zu weiches Herz zerdrücken muß .
Lebe wohl !
Das goldene Herz , wenn du es nicht schon beim Schmidt bestellet hast , muß durchaus drei Lot wiegen .
Den Hasenbrecher und das Armband hat meine Mutter bekommen .
Deine Raphaela .
Walten wurde unter dem Lesen aus seinem Fenster namentlich gerufen von Vult mit den freudigsten Minen ; er las es unterwegs gar aus .
" Du kennst , fing jener lustig an , meine eustachische Fama's Trompete ?
-- Nämlich meine kumäische Sybille der Vergangenheit ?
Das heißt meine Mietfackel ? -- Himmel , verstehest du mich noch nicht ?
Ich meine meine historische Oktapla und 8 partes orationis ( denn so viele Mädchen sind_es ) ?
Zum Henker , die Schnapwaise ?
Die Pension nämlich !
Von dieser nun erfahre ' ich eben folgendes aus reinster Quelle , weil der General , der sie zuweilen besucht , ihr , wie alle Neugierige , eben soviel vorerzählt als abhorcht .
Genau genommen ist_es die Dogaressa und Direktrice der Mädchen , die dem General für ein paar Neuigkeiten und Höflichkeiten gerade soviel Töchterseelen opfert , als mir referieren , 8. Es war vorgestern , daß der General sein Wiegenfest beging , und nach seiner Sitte das h. Abendmahl vor seinem Mittagsmahl nahm und darauf der Seelen-Arznei viel nachtrank .
Die Tochter muß allemal mit beichten .
Ich weiß nicht , ob du viel mit ausschweifenden Großen umgegangen , zu welchen Mönche am leichtesten sagen wie zu Hunden : faites la belle , für welche der Ohrenbeicht-Stuhl das Absonderungsgefäss ihres geistigen Übertrunks und Überfrasses ist , und welche , wie der Norden , ihre Bekehrung den Weibern verdanken , willst du anders Ludwigs 14. letzten Stunden glauben .
Kurz der General mag so etwas sein .
An seinem Geburts- und Beicht-Tage liebt er von jeher seine Tochter ganz besonders , weil er eine Art Taufwasser -- um zwei entlegene Sakramente durch Flüssigkeiten zu vereinen -- den ganzen Tag unter der Gehirnschale dem Kopfe aufgießet .
Er hat überhaupt das Gute , daß er aufrichtig gut gegen sie ist ; er sieht ihr sogar nach , daß sie der ihm verhaßten protestantischen Mutter in Leipzig anhängt .
Da er nun so den ganzen Tag mit seiner Beicht- und Vater-Tochter beisammen bleibt :
so trinkt und weint er sehr .
Er forderte jetzt Rechenschaft von ihr , warum sie noch so trauerte , daß sie fast den Grafen mehr zu lieben schiene als ihren Gott und die h. Kirche und ihren Vater .
Sie antwortete heftig :
das sei es am wenigsten ; sogar dem Kirchenrate Glanz , der öfters mit ihr über den heil. Glauben gesprochen , habe sie nur höflich zugehört ; den Grafen aber nicht mehr geliebt als jeden guten Menschen . "
Zablocki fragte erstaunt , warum sie ihn bei ihrer Freiheit der Wahl , doch heiraten wollen ?
" Ich dachte , sagte sie , ich könnte ihn vielleicht zu unserer Religion durch rechtes Aufopfern bringen . "
Walten ! einen Philosophen bekehren !
Tauft und tonsuriert lieber eine Perücke ! --
Der General lächelte und weinte zugleich vor Lust , lief aber immer mehr auf das weiche zarte Wesen Sturm , stieg ins offene Herz und holte sich das zweite Geheimnis .
Sie hoffte nämlich ihrer abgeschiedenen protestantischen Mutter ( und wohl dem verschuldeten Vater ) zu Zeiten ein Kopfkissen aus dem reichen Ehebette zuzuwerfen ; gestand es es aber ohne Metaphern .
Da konnte sich der trunkene Vater nicht enthalten , zu schwören , ihm solle lieber ein Traubenschuß in den Magen fahren , oder sein Warschauer Prozeß verloren gehen , wolle er je einem solchen seelentreuen Kinde etwas abschlagen oder aufdringen .
Und so weiter !
Bist du getröstet ? "
-- Walten schwieg ; Vult bat ihn um das zerrissene Blatt in seiner Hand .
Er las es froh und fand darin seinen Bericht besiegelt , und machte seinen Spaß über Raphaelens weibliche Weise , Herz und Wäsche , größtes und Kleinstes in einander zu stecken .
Aber Walten sagte , eben das , so wie ihr Erzählen , beweise , daß die Weiber mehr episch seien , die Männer hingegen lyrisch .
Ein Läufer Zablockis kam hinein und meldete , er solle morgen um 4 Uhr erscheinen zum bewußten Kopieren .
Er verbarg mühsam den ganzen Abend die Stärke seiner Bewegungen. Nro. 34. Inkrustierte Kletten .
Kopierstunde .
Um 4 Uhr erschien Walten vor dem General , der wie gewöhnlich , lächelnd den Blauäugigen aufnahm .
Vergeblich hatte er vor einer Erinnerung an den Brief oder einer Erscheinung der Verfasserin gezagt .
Zablocki gab ihm die namenlo sein oder nur Taufnamchen Briefe auf dem schön geäderten Sekretär samt Schreibbefehlen und ging davon .
Mit so sehr ausgesuchten End-Lettern oder Final-Schweifen , als nur je aus Paris versandt werden nebst viel schlimmeren Polaritäten , z. B. Robespierrischen Schweifen , Culs de Paris , -- kopierte der Notar und sah sich spät um .
Das schöne Kabinett war von den Tapeten zu einer Blumenlaube gemalt , aber voll Blumendüfte , die aus einer wahren kam und voll grüner Dämmerung .
Die Jalousie-Gitter waren vorgezogen , für ihn ein grüner Schleier eines blendenden Tags ; sogar im Winter grünte ihn dieses Blätter-Skelett der vertrockneten bunten Zeit wie ein Zauber an .
" In dem nahen Wand-Schrank hängt -- sagte er zu sich -- Winas himmelblaues Kleid , denke ich .
Wie auf einer sanftwallenden Wolke saß er , und schrieb oft eine briefliche Wendung ab , die sich für seine Lage sehr gut schickte .
Es wiegt ihn auf und nieder , daß er sich doch mit Ihr , mit derjenigen in Einer Zimmer-Ebene , unter Einem Dache befand , mit welcher er das Trauerband derselben Schmerzen trug und die ihm nach dem Untergang der Freundschaftssonne als stiller Liebes-Hesperus fortschimmerte .
Er kopierte mit gespitzten Ohren , weil er ( nicht ohne alle Hoffnung ) in der Furcht dasaß , daß Wina gar ins Kabinett und an einen oder den anderen Sekretär fliege , den hölzernen oder den lebendigen .
Indes kam nichts .
Er überlegte sehr , ob er nicht in den Wandschrank einbrechen und das himmelblaue Kleid als den blauen Äther der fernen Sonne leicht anrühren sollte mit Hand oder mit Mund -- als der General eintrat , ihn erschreckte und das Kopieren pries und Schloß .
So glücklich ging die Schreibstunde , und die Gefahr , Wina zu sehen , vorüber , und er wankte heim mit einem Kopfe , der sich ein wenig im Herzen vollgetrunken hatte .
Auf den Turmknöpfen und Park-Gipfeln lag noch süßes rotes Sonnenlicht und weckte zugleich das Sehnen und Hoffen der Menschen in und außer Haslau .
Er kopierte den zweiten Tag , stets mit derselben Angst , daß Wina die Türe aufmache .
Flegeljahre III. Bd. 2 Der dritte aber -- wo wieder nichts kam -- machte ihn , wie jeden Krieger die Zeit , so mutig und so zum Mann am vierten , daß er in der Tat sich sehnte nach Gefahr .
Ganze Nächte mußte jetzt das fromme Mädchen vor seiner Seele stehen -- er hatte dabei seinen ewigen Frühling bloß weil er einen Plan nach dem anderen entwarf und verwarf , wie er noch jetzt , um die Folgen des offenen Briefs zu vergüten , etwan durch die Sanfte für den Grafen wirken könnte .
Es wollte ihm aber nie etwas Bedeutendes einfallen .
Am 4. Tage hört ' er unter dem Abschreiben einer schönen erotischen Gestikulation im Briefe , eine weibliche Singstimme , die , obwohl aus dem dritten Zimmer , doch eben so gut aus dem dritten Himmel kommen konnte .
Er kopierte feurig weiter ; aber eine Sonnenstadt nach der anderen erbauten in ihm diese Orpheus-Töne und die Felsen des Lebens tanzten nach ihnen .
Er erinnerte sich noch recht gut , was ihm Vult über Winas Singen geschrieben .
Als er darauf unter dem Heimgehen dieselbe Stimme fortsingend vor sich mit einer Schachtel unter dem Arm auf der Treppe sah und auf jeder Staffel erstaunte und nachdachte :
so machte es ihm das schlechteste Vergnügen von der Welt , diese Stimme auf der Gasse zu einer anderen sagen zu hören , ihre Fräulein -- denn es war die Putzjungfer -- komme erst nächsten Freitag aus Elterlein zurück -- -- er spürte ordentliches Sehnen , einmal in seinem Geburtsörtlein zu sein , und aus der so heißen Stadt herauszukommen .
Himmel , Schloß er indes , wenn schon diese Putzjungfer Karyatide der fernen Göttin so singt , wie muß erst diese glänzen , sowohl im Gesang als sonst !
Er wurde unendlich begierig , einem Widerscheine der heiligen Nachbarschaft Winas ins Gesicht zu sehen , überhaupt einer Person , deren göttlichen Geist der Töne er hinter ihr gehend anbetete , kurz der Soubrette .
Denn er glaubte längst , eine erste Sängerin sei gewiß nicht die letzte Monatsheilige oder eine Sirene ; und eine babylonische Hetäre behalte keine Stimme , gesetzt sie hätte eine besessen ; eine Meinung , die gutmütige Weltleute mehr seiner Unbekanntschaft mit Bühne und Welt zuschreiben sollten als seiner Dummheit .
Er mochte kaum drei schnellere Schritte getan haben , um ihr vorzukommen : als er drei Flüche und ein Kotwort vernahm .
Er drehte sich heftig um , mit der glänzenden Ordenskette in Händen , die er der anscheinenden Ordensschwester der Sklavinnen der Tugend vom Sing-Halse gerissen ; und in einer dunklen Allee der Stadt ließ er Tränen fallen , darüber , daß eine solche rauhe Seele eine Singstimme besitze , und daß sie der heiligen so nahe wohne .
Hoch aber zog Winas Gestalt in ihrem glänzenden Wolkenhimmel weiter ; und ihm war , als könne nur ein Tod ihn , wie zu Gott , so zur Göttin bringen .
Nro. 35. Chrysopras .
Träumen -- Singen -- Beten -- Träumen .
Am Freitage darauf , wo Wina wiederkommen sollte , sprang er , ohne an sie zu denken , so innig-vergnügt aus dem Bette in den Tag , als wäre es ein Brauttag .
Er wußte keinen Grund als daß er die ganze Nacht einen immer zurückflatternderen Traum gesehen , wovon er kein Bild und Wort und nichts behalten , als einige anonyme Seligkeit .
Wie Himmelsblumen werden oft Träume durch die Menschennacht getragen , und am Tageslicht bezeichnet nur ein fremder Frühlingsduft die Spuren der verschwundenen .
Die Sonne blitzte ihm reiner und näher , die Menschen sah er wie durch einen Traum der Trunkenheit schöner und werter gehen , und die Quellen der Nacht hatten seine Brust mit so viel Liebe vollgegossen , daß er nicht wußte , wohin er sie leiten sollte .
Zu Papier suchte er sie anfangs zu bringen , aber kein Streckvers und kein Kapitel gelang .
Er hatte einen Tag wie nach einer vertanzten Nacht , man will nichts machen als höchstens Träume , und auch nichts anderes haben -- alles soll sanft sein , sogar die Freude -- sie soll nicht mit Windstössen an den Flügeln reißen , still sollen die ausgestreckten Schwingen das dünne Blau durchschneiden und durchsinken -- nur Abendlieder will der der Mensch sogar am Morgen , aber kein einziges Kriegslied , und ein Flor , aber ein hellgefärbter , bezieht und dämpft die Trommel des Erden- Tobens .
Walten konnte nichts anders machen -- " nur heute kein Instrument , das gebe Gott ! " wünschte er -- als einen Spaziergang in das Van der Kabelsche Hölzern , das er einst erben kann , und wo er den entfremdeten Grafen zum erstenmal auf der Erde gesehen .
Um ihn flogen , gingen , standen Träume aus tiefen Jahrhunderten -- aus Blüten- und Blumenländern -- aus Knabenzeiten -- ja ein Träumen saß und sang im spannenlangen grünen Weihnachts-Gärten der Kindheit , das sich der kleine Mensch auf vier Rädern am Faden nachzieht .
Siehe da bewegte vom Himmel sich ein Zauberstab über die ganze Landschaft voll Schlösser , Landhäuser und Wäldern , und verwandelte sie in eine blütendicke Provence aus dem Mittelalter .
In der Ferne sah er mehrere Provenzalen aus Olivenwäldern kommen -- sie sangen heitere Lieder in heiterer Luft -- die leichten Jünglinge zogen voll Freude und voll Liebe mit Saitenspielen in die Täler vor hohe goldbedeckte Burgen auf fernen Bergspitzen -- aus den engen Fenstern sahen ritterliche Jungfrauen herunter -- sie wurden herabgelockt , und ließen in den Auen Zelte aufspannen , um mit den Provenzalen ein Wort zu reden ( wie in jenen Zeiten und Ländern , wo die Erde noch ein leichtes Lustlager der Dichtkunst war und der Troubadour , ja der Conteur sich in Damen höchsten Standes verlieben durfte ) -- und ein ewiger Frühling sang auf der Erde und im Himmel , das Leben war ein weicher Tanz in Blumen .
" Süsse Freudentäler hinter den Bergen , sang Walten , ich möchte auch hinüber ziehen in das Morgenrote Leben , wo die Liebe nichts verlangt als eine Jungfrau und einen Dichter -- ich möchte drüben in wehender Frühlingsluft mit einer Laute zwischen den Zelten mitgehen , und die stille Liebe singen und schnell aufhören , wenn Wina vorbeigienge . "
Darauf kehrte Walten in sein Kämmerern zurück , fand aber , mit seiner geographischen und historischen Provence in der Brust , so wenig Platz darin , daß er mit einiger Kühnheit -- denn die Poesie hatte ihn sehr gleich und frei gemacht -- in Neupeters Park hinabspazierte , wo er Floren , mit Früchten wie eine Pomona beschwert , in den Wurf kam und die Hand gab .
Dem Dichter glänzet die ganze Welt , doch aber eine herzogliche , königliche Krone matter als ein schöner weiblicher Kopf unter Krone und Herzogshut , oder als ein anderer , der nichts aufhat als den Himmel über sich ; er ist bescheiden , wenn er einer Fürstin , und aufgerichtet , wenn er einer Hirtin die Hand gibt ; nur zu den Vätern beider lässt er sich oft gar nicht herab .
In einer Laube fand er ein Strumpfband .
Ein italischer Vers -- denn Raphaela verstand welsch , obwohl er nicht -- und ihr Name war darauf gestickt .
Da er an diesem geistigen Morgen merkte , daß er einen provenzalischen Ritter und Poeten zugleich in sich verbinde :
so faßte er den freien Entschluß , das Strumpfband -- denn er hielt für ein Armband -- selber Raphael , die er brieflesend schleichen sah , mit einigen bedeutenden Worten zu überreichen .
Er legte das Band weich vorn auf die flache Hand wie auf einen Präsentierteller und trug es ihr zart mit der Wendung entgegen -- die er aus vielen anderen über weltlichen Arm und Arm aus den Wolken ausgele sein -- : " er sei so glücklich gewesen , ein schönes Band der Liebe zu finden , eine Senne an Amors Bogen , gleichsam den größeren Ring an schöner Hand und er wisse nicht , wer glücklicher sei , der so ihn abzöge oder der ihn anlegte . "
Raphaela errötete beschämend-verschämt , nahm das Band , steckte es schnell ein und ging stumm fort ; Walten dachte : fast ein gar zu zartes Gemüt !
Er brachte noch viel von seiner Morgenfreude an die Wirtstafel : als er zu seinem Erstaunen da erfuhr -- was er schon längst gewußt -- , daß an der Juden-Vigilie , am Freitag , die Katholiken fasteten .
Er legte Messer und Gabel neben den Teller hin .
Keinen Bissen -- und wäre er aus dem Reichs-Ochsen in Frankfurt bei der Kaiserkrönung ausgeschnitten gewesen -- hätte er noch an die Zunge heben können .
" Ich will nicht köstlich schwelgen , dachte er -- betagtes Vakzinefleisch war aufgesetzt -- , in der Stunde , wo eine so wohlwollende Seele wie Wina darben muß . "
-- Wie eine Ehefrau , hatte er bei der Gleichgültigkeit gegen eigene Eß-Entbehrungen ein weinendes Erbarmen über fremde .
Er dachte nach und fand es immer härter , daß die Kirche auch Nonnen fasten ließe , nicht die Mönche allein ; da es vielleicht schon genug wäre , wenn nur Spitzbuben , Spieler , Mörder nichts rechts zu essen hätten .
Er ging in die Kopierstube zum General , nicht nur mit dem völligen Wünsche , das Mädchen zu sehen , das heute -- an seinem romantischen Tage -- eine Märtyrerin gewesen , sondern auch mit der Gewißheit , sie sei von Elterlein zurück und erscheine .
Während er mit unsäglichem Vergnügen einen äußerst frechen Brief einer gewissen Libette , wie er nur aus der moralischen Lutetia * ) voll Epikurs-Ställe kommen kann , ins Reine schrieb -- denn er schmeckte in diesen Freudenkelchen nur den Abendmalswein der geistigen Liebe und keinen geschwefelten -- , so drang aus den halbofnen Zimmern kein Laut in sein Kabinett , den er nicht zu einer Ankündigung einer Erscheinung zitternd machte .
Wie in weiten dichten Waldungen ferne lange Töne hier und dort romantisch durchklingen :
so kamen ihm einzelne Akkorde auf dem Fortepiano -- * )
Diesen Namen Kotstadt trug sonst Paris in unbildlicher Beziehung .
Rufe des Generals -- Antworten an Wina vor -- Endlich hörte er wirklich Wina selber im nächsten Zimmer mit ihrem Vater vom Singen sprechen .
Er glühte bis zur Stirn hinauf , und bückte den unruhigen Kopf fast bis an die Feder nieder .
Sie hatte jenen innigsten , herzlichsten , mehr aus der Brust als Kehle heraufgeholten Sprachton , den Weiber und Schweizer viel häufiger angeben , als andere Leute .
Indem der General eintrat und Walten flammend Fortkopieren wollte : hatte er das Unglück , daß das Mädchen Singnoten aus dem Kabinette fliegend wegholte , ohne daß er vor lauter Zartheit etwas gesehen hatte , wenn man nicht die weiße Schleppe zu hoch anschlagen will .
Bald darauf fing im zweiten Zimmer ihre Singstimme an -- " O nein doch , rief der General , durch die offenen Türen , den letzten Wunsch von Reichard meinte ich * ) . "
* ) S. 10. in Reichards Lieder-Sammlung , worin manche das 10te Mal besser klingen , als das erstemal , und Dichter und Komponist meistens ihr gegenseitiges Echo sind .
Sie brach ab , und fing den begehrten Wunsch an .
" Singe , unterbrach er sie wieder , nur die erste und letzte Strophe ohne die ennuyanten . "
Sie hielt innen , mit Fingern über den Tasten schwebend und antwortete : gut , Vater ! "
Die Verse heißen : Wann , o Schicksal , wann wird endlich Mir mein letzter Wunsch gewährt :
Nur ein Hüttchen , klein und ländlich ; Nur ein kleiner eigener Herd ; Und ein Freund , bewährt und weise , Freiheit , Heiterkeit und Ruhe !
Ach und Sie , das seufz ich leise , Zur Gefährtin Sie dazu .
Vieles wünscht ich sonst vergebens ; Jetzt nur zum letztenmal Für den Abend meines Lebens Irgendwo ein Friedens-Tal ; Edle Muß in eigener Wohnung , Und ein Weib voll Zärtlichkeit , Das , der Treue zur Belohnung , Auf mein Grab ein Veilchen streut .
Wina begann , ihre süße Sprache zerschmolz in den noch süßeren Gesang , aus Nachtigallen und Echo's gemacht -- sie wollte ihr liebewarmes Herz in jeden Ton drängen und gießen , gleichsam in einen tönenden Seufzer ; -- den Notar umfing der lang geträumte Seelenklang mit der Herrlichkeit der Gegenwart so , daß ihn das heranrollende Meer , das er von Fernen rollen und wallen sahen , nun mit hohen Fluten nahm und deckte .
Der General sah unter dem Singen die Kopie des frechen letzten Briefes mit einiger witziger Heiterkeit auf dem Gesichte durch und fragte lächelnd : wie gefällt Ihnen die wilde Libette ?
-- " Wie der jetzige Gesang , so wahr , so innig und so tief gefühlt " versetzte Gottwalt .
-- " Das glaube ich auch " sagte Zablocki mit einem ironischen Minen- Glanz , den Walten für Hör-Verklärung nahm .
" Was sind so Ihre vorzüglichsten Notariats- Instrumente bisher gewesen ? " fragte der General .
Walten gab viele kurz und schleunig an , sehr drüslich , daß er sein Ohr -- wie sein Leben -- zwischen Gesang und Prosa Tai lehn sollte .
Ob er gleich sich so weniger Seelenkräfte und Worte dabei bediente als er nur konnte :
so war für Zablocki doch kein Mensch , -- weder aus Wetzlar noch Regensburg oder aus irgend einem schriftstellerischen bureau des longitudes et des longueurs -- zu lang , zu weitschweifig , sondern bloß zu abrupt .
" Ich glaube , fuhr Zablocki fort , Sie machten auch einige Sachen für den Grafen von Klotar ? "
" Keine Zeile " versetzte Walten zu eilfertig ; er war völlig von den schönen Tönen weggespült , und Begriffs nicht , daß der General , der selber diese schönen Laute vorgeschrieben , sie über platte verhören wollte .
" O Gott , wie kann ein Mensch nicht im harmonischen Strome untersinken , sondern daraus noch etwas vorstecken , besonders die Zunge ?
Ist das möglich , zumal wenn es einen so nahe angeht , wie hier den verwaisten General ? " --
Walten glaubte nämlich , der General , der von der Frau und auch von der Jugend geschieden war , habe solche und ähnliche Zeilen wie Jetzt nur zum letztenmal Für den Abend meines Lebens -- --
Und ein Weib voll Zärtlichkeit -- -- bloß als Nachtigallen-Darstellungen eigener Seelen-Klagen singen lassen .
Es konnte ihn weit mehr rühren -- zumal da es auch viel reiner war , -- wenn er Ton-Sprüche auf fremde Leiden und Wünsche , als wenn er sie auf eigene bezog ; und darum war ihm der vergebliche Anteil an Zablocki so unlieb .
Vult aber , dem er alles vortrug , sprach später den Weltmann mit diesen Worten frei : " er ist an Hof-Konzerte gewöhnt , mithin an Taub- Bleiben -- wie Cremen , ist das Weltleben gleich kalt und süß ; -- indes hat der Weltmann oft viel Ohr bei wenig Herz ( wie andere umgekehrt ) und behorcht wenigstens die Form der Tonkunst ganz gut . "
" Keine Zeile " hatte Walten eilfertig gesagt .
-- " Wie so ? versetzte Zablocki .
Mein Gerichtshalter sagte mir gerade das Gegenteil . "
Hier entfuhren Walten die Tränen ; -- er konnte nicht anders , die letzten Sang-Zeilen hatten ihn mit- und weggenommen ; die Scham über die Unwille kürliche Unrichtigkeit trug weniger bei : " wahrhaftig -- versetzt er -- das meinte ich eben ; denn die Schenkungs-Akte wurde unterbrochen . -- die ersten Zeilen schrieb ich natürlich . "
Der General schrieb die Verwirrung des gerührtesten Gesichts nicht der schöneren Stimme zu , sondern seiner eigenen -- brach gutmütig mit den Abschiedsworten ab , daß er auf einige Wochen des Kopieren einstelle , weil er morgen mit seiner Tochter nach Leipzig auf die Messe reise .
Hier hörte das Singen auf ; und Walts kurzes Entzücken. Nro. 36. Kompassmuschel .
Träume aus Träumen .
Auf der hellen Gasse war dem aus dem Zablockischen Hause wankenden Notar , als sei ihm etwas aus den Händen gezogen , etwa ein ganzer brennender Christbaum oder eine Himmelsleiter , die er an die Sonne anlegen wollen .
plötzlich sah er -- ohne zu fassen , wie -- die böse After-Sängerin oder Putzjungfer des Generals und vor ihr Wina gehen , in die katholische Kirche .
Letztere machte er ohne Umstände zur Simultankirche und trat der zarten Nonne nach , um von ihr die Zeile : " wann , o Schicksal , wann wird endlich " Fortsingen zu hören ; denn sein inneres Ohr hörte sie noch ganz deutlich auf der Gasse .
Im Tempel fand er sie kniend und gebogen auf den Stufen des Hochaltars , ihr schmuckloser Kopf senkte sich zum Gebet , ihr weißes Kleid floß die Stufen herab . --
Der Meßpriester in wunderlicher Kleidung und Bedienung machte geheimnisvolle Bewegungen -- die Altarlichter loderten wie Opferfeuer -- ein Weihrauchwolken hing am hohen Fensterbogen -- und die untergehende Sonne blickte noch glühend durch die obersten bunten Scheiben hindurch und erleuchtete das Wölken -- unten im weiten Tempel war es Nacht .
Walten , der Lutheraner , dem ein betendes Mädchen am Altare eine neue himmlische Erscheinung war , zerfloß fast hinter ihrem Rücken in Licht und Feuer , in Andacht und Liebe .
Als wäre die heilige Jungfrau , aus dem beflammten Altarblatte , worauf sie gen Him Flegeljahre III. Bd. 3 Mehl stieg , herabgezogen auf die Stufen , um noch einmal auf der Erde zu beten , so heilig-schön sah er das Mädchen liegen .
Er hielt es für Sünde , fünf Schritte weiter vorzutreten und der Beterin gerade ins fromme Angesicht zu sehen , obgleich diese fünf Schritte ihn fünf goldene Sprossen auf der Himmelsleiter höher gebracht hätten .
Zuletzt zwang ihn sein Gewissen , gar selber -- wiewohl er protestantisch dachte -- hinter den stillen Gebeten einige eigene leichte zu verrichten ; die Hände waren schon längst gehörig gefaltet gewesen , ehe er nur darauf gedacht , etwas dazu zu beten .
Es ist aber zu glauben , daß in der Welt hinter den Sternen , die gewiß ihre eigenen , ganz sonderbaren Begriffe von Andacht hat , schon das unwillkürliche Händefalten selber für ein gutes Gebet gegolten , wie denn mancher hiesige Handdruck und Lippendruck , ja mancher Fluch droben für ein Stos- und Schußgebet kursieren mag ; indes zu gleicher Zeit den größten Kirchenlichtern hienieden die Gebete , die sie für den Druck und Verlag ohne alle Selbst-Rücksichten bloß für fremde Bedürfnisse mit beständiger Hin ficht auf wahre männliche Kanzelberedsamkeit im Manuskripte ausarbeiten , droben als bare Flüche angeschrieben werden .
Wenn nun solche Lichter dort von einem und dem anderen Engel des Lichts ausgeschneuzt werden , wenn solche Konsistorialvögel zu Völligeln Galgenvögeln gerupft im Himmel fliegen :
so dürfen verkannte Galgenvögel dieser Art in ihren theologischen Journalen , falls sie droben welche schreiben , mit Recht darauf aufmerksam machen , daß die zweite Welt wunderliche Heiligen habe , und noch manche Aufklärung brauche , bis sie so weit vorrücke , daß sie Gebete auf dem Theater und Gebete auf dem Schreibepult , nach Einem liturgischen Stylistikum , so zu sagen , abgeflacht , gleich gut aufnehme .
Walten blieb , bis Wina aufstand und vorüber ging , um sie anzusehen .
Er konnte es aber nachher gar nicht begreifen , daß er , als sie in der größten Nähe war , unwillkürlich wie krampfhaft die Augen zugedrückt ; " und was half es mir viel , sagte er , daß ich ihr durch drei Gassen hinter ihr nachguckte ? "
Er schweifte aus der Stadt hinaus .
Es war ihm , als wenn zwei einander entgegen wehende Stürme eine Rose mitten im Himmel schwebend erhielten .
Draußen stand ein langes bergiges Abendrot wie ein Nordschein am Himmel und machte Licht .
Er suchte jetzt seine alte Sitte hervor , große Erregungen -- z.B. wenn er irgend einen Virtuosen gesehen , und wäre es auf dem Tanzseile gewesen -- dadurch zu nähren und zu stillen , daß er sich frei einen Superlativ des Falls austräumte , wo er die Sache noch Millionenmal weiter trieb .
Er wagte dreist den herrlichsten Traum über Wina und sich .
" Wina ist eine Pfarrerstochter aus Elterlein -- fing er an -- zufällig reis ich durch mit Suite ; ich bin etwa ein Markgraf , oder Großherzog , nämlich der Erbprinz davon -- noch jung ( doch ich bin es jetzt auch ) , so bildschön , sehr lang , mit so himmlischen Augen , ich bin vielleicht der schönste Jüngling in meinem Lande , ganz ähnlich dem Grafen -- Sie sah mich vor dem Pfarrhause vorbei sprengen auf meinem Araber ; da wirft ein Gott aus dem Himmel den Unaus lochlichen Brand der Liebe in ihre arme zarte Brust , als er das Zeichen , einen Erbprinzen auf einem Araber , erblickt .
Ich sah sie aber nicht im Galopp .
Ich halte mich indes im schlechten Wirtshaus nicht lange auf , sondern besteige ohne Suite den nahen Himmelsberg , wovon man mich versicherte , daß er die schönsten Aussichten des Dörfgens um sich sammle .
Und ich fand es auch wahr .
Ich komme vor die hinabsteigende Sonne , auf goldenen Bergen der Erde stehen goldene Berge der Wolken ; o nur die glückliche Sonne darf hinter die seligen Gebirge gehen , welche das alte ewig verlangte rosenrote Liebestal des Herzens umschließen -- Und ich sehne mich bitter hinüber , weil ich noch nicht lieben durfte als Prinz und träume mir Szenen .
Da schlägt eine Nachtigall hinter mir so heiß , als zöge sie ihren Ton gewaltsam aus meiner Brust ; sie sitzt auf der linken Schulter der Pfarrtochter , die , ohne von mir zu wissen und mich zu sehen , herauf vor die Abendsonne gegangen war .
Und ihre beiden Augen weinen und sie weiß nicht warum , denn sie schreibt den Tönen ihrer zahm gemachten Philomele zu .
Ein Wesen sehe ich da , wie ich noch nie gesehen , ausgenommen im Konzert -- doch es ist eben Wina -- eine Menschen-Blume sehe ich , die ohne Bewußtsein prangt und deren Blätter nichts öffnet und schließet , als der Himmel .
Abendröte und Sonne möchten ordentlich gern näher zu ihr , das Purpurwolken wünschte herunter , weil sie die Liebe selber ist , und wieder die Liebe selber sucht , sie zieht alles Leben an sich heran .
Eine Turteltaube läuft um ihre Füße und girrt mit zitternden Flügeln .
Die anderen Nachtigallen flattern fast alle aus ihren Büschen und singen um die singende herum .
Hier wendet sich ihr Blau-Auge von der Sonne und fällt aufgeschlagen auf mich ; aber sie zittert .
Auch ich zittere , aber vor Freude , und auch ihretwegen .
Ich gehe zu ihr durch die schlagenden Nachtigallen hin ; wir sind uns in nichts gleich als in der Schönheit , denn meine Liebe ist noch heißer als ihre .
Sie bückt ihr Haupt und weint und bebt , und ich glaube nicht , daß allein mein hoher Stand sie so erschüttert .
Was gehen mich gefürstete Hüte und Stühle mehr an ?
Ich schenke alles dem Gott der Liebe hin ; " wenn du mich auch kennst , Jungfrau , sage ich , so liebe mich doch " : sie redet nicht , aber ihre Nachtigall fliegt auf meine Schulter und singt .
" Sieh ! " sage ich ehrerbietig und mehr nicht ; und nehme ihre rechte Hand und drücke sie mit beiden Händen fest an mein Herz .
Sie will sie aber mit der linken holen und losmachen ; aber ich fasse und drücke nun auch die Linke .
So bleiben wir , ich sehe sie unaufhörlich an , und sie blickt zuweilen auf , ob ich es noch tue .
" Jungfrau , wie ist dein Name ? " sage ich spät .
So leise , daß ich es kaum vernehme , sagt sie : Wina .
Mich durchzittert der Laut wie eine ferne alte Bruder-Stimme .
" Wina bedeutet Siegerin " Antwort ' ich .
Sie drückt , glaube ich , schwach meine Hand ; die Liebe hat sie erhoben , über Pfarrers- und über Prinzenstand .
So blicke ich sie unaufhörlich an , und sie mich zuweilen -- die rufenden Nachte gallen schließen uns ein -- die blühenden Abendwolken gehen unter -- der lächelnde Abendstern geht unter -- der Sternenhimmel zieht sein Silber-Nez um uns -- wir haben die Sterne in der Hand und in der Brust , und schweigen und lieben .
Da fängt eine ferne Flöte hinter dem Himmelsberge an , und sagt alles laut , was uns schmerzt und freuet :
es ist mein guter Bruder , sage ich , und im Dorfe wohnen meine lieben Eltern . "
-- Hier kam Walten zu sich ; er sah umher , im Flusse ( er stand vor einem ) sank sein Fürstenstuhl ein und ein Wind blies ihm die leichte Krone ab .
" Es wäre ' auch zuviel für einen Menschentraum , Sie gar zu küssen " sagte er und ging nach Hause .
Unterwegs prüft er die Rechtmäßigkeit des Traums und hielt ihn so Stück für Stück an den moralischen Probierstein , daß er ihn auf die beste Weise zum zweitenmal hatte .
So hält sich die fromme Seele , welche bange schwimmt , gern an jedem Zweige fest , der auch schwimmt .
So ist die erste Liebe , wiewohl die unverständigste , doch die heiligste ; ihre Binde ist zwar dicker und breiter --
denn sie geht über Augen , Ohren und Mund zugleich -- aber ihre Schwungfedern sind länger und weißer , als irgend einer anderen Liebe .
Vor Neupeters Hause unten sah er lang zu seinem Fenster auf , seine Zelle kam ihm ordentlich fremd vor und er sich , und es war ihm , als müsse der Notar jede Minute oben heraus gucken auf ihn herunter .
plötzlich fing am Fenster eine Flöte an ; er fuhr sehr kurz zusammen , da sein lieber Bruder ihn droben erwartete .
Er brachte ihm das Feuer zu , in welches Wina ihr mildes Öl gegossen .
Vult war ganz liebreich und freundlich ; denn er hatte unterdessen im Doppel-Roman das neue Stück Gartenland besehen und umschritten , das Walten bisher daran fertig gemacht und gemauert , -- und hatte da gefunden , daß die grünen Hängbrücken , die vom Herkules-Tempel der Freundschaft wegführten , sehr schön gut gebogen und angestrichen , die Moos- und Rinden-Einsiedelei der ersten Liebe aber , die sich selber noch für einsam und einherzig hält , vortrefflich , nämlich still und dunkel und romantisch angelegt worden , so daß nun nichts weiter mehr fehlte als die Vogelhäuser , Klingel-Häusern , Satyrs und andere Garten-Götter , die Vult seines Orts und Amts von der Brücke an ausschweifend zu postieren hatte .
Er pries gewaltig , wiewohl heute das Lob den Notar weniger entzückte als erweichte .
" Brüderlein , sagte er , kennt ich dich und die Macht der Kunst nicht so gut , so schwüre ich , du wärest schon auf dem elektrischen Isolier-Schemel der ersten Liebe gestanden , und hättest geblitzt ; so wahr und hübsch steht jeder Funke da . "
Denn Vult hatte bisher , ungeachtet oder vielmehr wegen aller Offenherzigkeit des Bruders , das Vergißmeinnicht der Liebe nicht in ihm bemerkt , weil alles in ihm voll Liebes-Blumen stand , und weil Vult selber jetzt nicht viel aus den Weibern machte .
Sein Schmollgeist , sagte er oft , meide den weiblichen ; man müsse aus einem lackierten Stäben , das nur für die weiblichen Blumen in der Erde steht , eine römische Säule werden , deren Kapital jene Blumen bloß bekränzen .
Sehr erstaunte Walten , -- der im Doppelroman nur der Dichter , nämlich das stille Meer gewesen , das alle Bewegungen , der Seegefechte und des Himmels , abspiegelt , ohne selber in einer zu sein -- als Vult aus dem Buche von weitem schließen wollte , er liebe vielleicht .
Er glaubte dem gereisten Flötenisten aufs Wort ; sagte aber selber keines davon und war heimlich ganz vergnügt , daß er es jetzt gerade so habe , wie er_es hinschreibe .
Stundenlang frappierte ihn eine neue Rolle , worin er etwas zu spielen hatte , was schon Millionenmal auf allen Planeten gespielt worden .
Als nun die Brüder nach ihrer Gewohnheit ihre gegenseitigen Tagsgeschichten gegen einander austauschen wollten :
so ging dem Notar die seinige sehr schwer und klebend von der Zunge ; -- er hielt sich mehr an den General und an dessen Memoires erotiques , um seine eigenen zu decken .
Er lobte die geistige reine Blüte in jenen ; Vult lächelte darüber und sagte :
" Du bist eine verdammte gute Seele ! "
Die Liebe , welche das ganze Herz öffnet , so wie verschenkt , verschließet und behält doch den Winkel , wo sie selber nistet ; und diktiert dem besten Jüngling die erste Lüge , wie der besten Jungfrau die längste .
Walten begleitete -- bei seinen inneren Bewegungen , deren Blutkügelgen wie höhere Kugeln einen freien Himmel zum Bewegen brauchten -- den Bruder nach Hause .
Dieser begleitete erfreut wieder jenen ; Walten wieder diesen , um vor Winas Fenstern auf dem Heimwege vorbeizukommen .
So trieben sie es oft , bis der Notarius siegte .
Einsam unter dem breiten Sternenhimmel konnte er die glühende Seele recht ausdehnen und abkühlen .
" Sollt ' ich denn den romantischen , so oft gedichteten Fall jetzt wirklich in der Wirklichkeit erleben , daß ich liebte ? sagte er .
Nun so will ich -- setzt er dazu , und der bisher winterlich eingepuppte , gefrorene Schmetterling sprengte die Puppen-Hülse weit ab , und fuhr auf und wiegte feuchte Schwingen -- lieben wie niemand und bis zum Tod und Schmerz -- denn ich kann es ja gut , da Sie mich nicht kennt und nicht liebt , und ich ihr nichts schade und sie sehr von Stand ist und jetzt vollends auf I Monat verreiset .
Ja es sei Ihr ganz und voll hingereicht , das unbekannte Herz , und wie unterirdischen Göttern , will ich ihr schweigend opfern .
O ich könnte diese Sterne für Sie pflücken zum blitzenden Juwelen- Strauß und weiche Lilien aus dem Monde darein binden ; und es in Ihrem Schlafe neben Ihr Kissen legen ; wüsste es auch kein Wesen , wer es getan , ich wäre zufrieden .
Er ging die Gasse herab an Zablockis Haus .
Alle Lichter waren ausgelöscht .
Eine kernschwarze Wolke hing sich über das Dach ; er hätte sie gern herabgerissen .
Alles war so still , daß er die Wanduhren gehen hörte .
Der Mond schüttete seinen fremden Tag in die Fenster des dritten Stockwerks .
" O wäre ich ein Stern -- so sang es in ihm und er hörte nur zu -- ich wollte Ihr leuchten ; -- wäre ich eine Rose , ich wollte Ihr blühen ; -- wäre ich ein Ton , ich dränge in Ihr Herz ; -- wäre ich die Liebe , die glücklichste , ich bliebe darin ; -- ja wäre ich nur der Traum , ich wollte in Ihren Schlummer ziehen und der Stern und die Rose und die Liebe und alles sein , und gern verschwinden , wenn sie erwachte . "
Er ging nach Hause zum ernsten Schlaf , und hoffte , daß ihm vielleicht träume , er sei der Traum. Nro. 37 .
Eine auserlesene Kabinettsdrüse .
Neues Testament .
Der September war so schön , der die schönste Rose , Wina , versetzt hatte , daß dem Notar Rock , Stube und Stadt zu enge wurde ; er wollte ein wenig in die weite Welt hinaus .
Er reiste unsäglich gern , besonders in unbekannte Gegenden , weil er unterwegs glaubte , es sei möglich , daß ihm eines der romantischsten lieblichsten Abenteuer zuflattere , von dem er noch je gelesen .
Daher war das erste , was er in einer neuen Stadt machte , kleine Stundenreisen um sie herum .
Hatte er aber lange da gewohnt , so lief er zu Zeiten in eine neue Gasse ein , und machte sich mit besonderem Vergnügen glaublich , er sei eben auf Reisen in einer ganz fremden Stadt , aus der er noch dazu die Freude hatte , in seiner anzulangen , sobald er nur um die Ecke umbog .
Ja sah er nicht treu mend dem Laufe der Chausseen nach , die wie Flüsse die Landschaft schmücken , weil sie , wie diese , ohne wohin und woher unendlich ziehen , und das Leben spiegeln ? --
Und dachte er jetzt nicht , auf einer davon geht das stille Mädchen dahin , und sieht den blauen Himmel und den Vater an und denkt an vieles ? --
Nur war er lange in Zweifel und Skrupel , ob es nicht Sünde sei , das wenige von den Eltern und Instrumenten gewonnene Geld bloß vergnügt zu verreisen , zumal da der Bruder Vult nach seiner Gewohnheit wieder anfing , nicht viel zu haben .
Er las alle moralischen Regeln des reinen Satzes genau durch , um zu erfahren , ob er diese süßtönende Ausweichung oder diese Quinten-Fortschreitung von Lust zu Lust in sein Kirchenstück aufnehmen dürfe ; und noch war er unentschieden ; als Flette alles dadurch entschied , daß er den Stadttürmer , bei welchem er wohnte , zu ihm schickte und sagen ließ , er liege auf dem Sterbebette und wünsche noch diesen Abend sein Testament durch einen Notar zu machen .
Wenn die Welt hinter dem Notar den Turm besteigen soll , wo der Elsässer sich tödlich gebettet , so müssen ihr vorher , ohne lange darüber zu reden , die notwendigsten Treppen hingestellt werden , die zu seinem Lager bringen ; alles war so :
Das Glück ist ein so schlechter Freund , als dessen Günstlinge -- die Natur gibt den Weisen auf die Lebensreise zu wenig Diätengelder mit -- Flette war ein solcher Weiser , und wiewohl er längst die Regel kannte , daß das Ende des Geldes wie das eines Parks geschickt verborgen werden müsse :
so fehlt ' ihm doch der allgemeine nervus rerum gerendarum zu dieser List .
In Städten , wo Flette nur durchflog , vermochte er leichter etwas , und wäre es auch nur dadurch gewesen , daß er sich als seinen eigenen reichen Bedienten ankleidete und sich selber anmeldete , als seinen Herrn , und zum zweitenmal ohne den Kerl wieder kam .
In Haslau tat es ihm einen Monat lang gute Dienste , daß er auf seine Kosten einen Teich abziehen und darin nach einem kostbaren Tafelsteine stochern und wühlen ließ , den er wollte hinein verloren haben .
Aber der Hunger , der eben sowohl als Philipp II , zumal unter des letzteren Regierung , der Mittagsteufel heißen sollte , und noch mehr der Kleiderteufel , und jeder Tag hatten ihm allmählich ein anständiges Gefolge von Lehnlakaien oder Valets de fantaisie , das immer hinter ihm ging unter dem bekannten Namen Gläubiger , in die Dienste geführt und zugewälzt .
Oft schickten diese wahren Kammer-Mohren ihre eigenen Laden- und andere Diener als Mephistophilesse , die , ohne zitiert zu sein , ihn selber zitierten .
Deswegen zog er auf den Glockenturm -- seinen Schuldturm -- , um durch die unzähligen Treppen manche Besuche zu verleiden , oder aus dem Glockenstuhle vorauszusehen .
Unten in der Stadt schwor er stets , er habe es getan , um eine schöne freie Aussicht zu genießen , so sehr er auch die Beschwerden sich vorher habe denken können .
Unter seinen Gläubigern war nun ein junger Arzt , Namens Hut , der sich sehr aufblies und der wenige Patienten hatte , weil er ihnen das Sterbliche auszog und sie verklärte .
Dieser Hut hatte den vier großen Brownischen Kartenkönigin Flegeljahre III. Bd. 4 einen seine vier ganzen Gehirnkammern eingeräumt -- der Sthenie die erste vorn heraus -- der Hypersthenie die zweite -- der Asthenie die dritte -- der Hyperasthenie die vierte als wichtigste , -- so daß die vier großen Ideen ganz bequem allein ohne irgend eine andere dann hausen konnten .
Gleichwohl machte er mit der heiligen Tetraktys von 4 medizinischen syllogistischen Figuren , selber noch keine sonderliche ; der alte Spaß über den Doktorhut des D. Huts wurde stets erneuert .
Der galante Flette tat nun seinem Gläubiger folgenden Antrag : " die Stadt stecke voll Vorurteile -- er selber in leichten Schulden -- gesetzt aber , er stelle sich ein wenig tödlich krank , und mache sein Testament :
so heile erstlich durch einen Betrug sich die Stadt von ihrem Selbstbetrug , wenn H. Dr. Hut ihn öffentlich wieder herstelle , und er selber zweitens , wenn er sein Vermögen dem Hofagent Neupeter vermache , gewinne diesen nach der schon längst gewonnenen Tochter und könne sie heiraten und Herrn Hut leichter bezahlen .
Der Doktor ging weigernd den Antrag ein .
Nach wenigen Tagen erkrankte der Elsässer sehr tödlich -- erbrach sich -- aß und trank nichts mehr ( ausgenommen in seltenen einsamen Augenblicken ) -- nahm das Abendmahl , das er und andere , wie er dachte , ja auch in gesunden Tagen nähmen .
Endlich mußte zum Notar in der Nacht geschickt werden , damit er den letzten Willen aufsetzte .
Walten erschrak ; Flitterns tanzende blühende Jugend hatte er geliebt und ihn dauerte ihre Niederlage .
Schwer , schwül , bewölkt legte er den langen hohen Treppen-Gang zurück .
Die dicke Glocke schlug 11 Uhr , und ihm klang_es , als bewegte der Todesengel den Leichen-Klöppel darin .
Matt und leise und geschminkt ( aber weiß ) lag der Elsässer da , unter sieben Tester-Zeugen , wovon der Frühprediger Flachs auch einer war , der es mit seinem blassen langen Gesicht zu keinem Vesperprediger bringen konnte .
Walten nahm stumm voll Mitleids des Patienten Hand mit der Rechten und zog mit der Linken sein Petschaft und Papier aus der Tasche ; und überzählte mit den Augen kurz die Zeugen .
Er forderte drei Lichter , weil sie das promptuarium juris von ihm forderte zu Nachttestamenten ; war aber mit Einem elenden zufrieden , weil auf dem ganzen Leuchtturm kein zweites zu haben stand , desgleichen kein drittes , und er viel zu mitleidig und zu eilig war , jemand in die Nacht und den Turm herabzuschicken nach Licht .
Der Kranke fing an , das erste Vermächtnis zu diktieren , nach welchem dem Kaufmann Neupeter Flitterns ganze Dividende am längst erwarteten westindischen Schiffe zustarb , desgleichen ein versiegeltes mit auf bezeichnetes Juwelenkästen , das von den Gebrüdern Heiligenbeil in Bremen abzufordern war . --
Es war sichtbar , daß Flette , obwohl halb tot , doch überall auf diktierte gut stilisierte Schreibart ausging .
-- Aber Walten mußte einhalten und einen Löffel Wasser fordern , um einige Tinte aus dem Tintenpulver zu machen , in das er eintunkte .
Als die Tinte fertig war , fand er wieder sehr ungern , daß die neue ganz anders aussehe als die alte , und daß er so das Instrument -- geradezu entgegen allen Notariats- Ordnungen -- mit doppelter Tinte hinschreibe .
Gleichwohl brachte er es nicht über sein höfliches Herz , alles zu zerreißen und von neuem anzuheben .
Darauf testierte der Kranke dem dürftigen Flachs seine silbernen Sporen und seinen mit Seehund Bezogenen leeren Koffer , und die Reitpeitsche .
Dem D. Hut vermacht er alles , was er an Aktiv- Schulden in der Stadt zu fordern hatte .
Er mußte innen halten , um einige Kräfte zu schöpfen .
" Auch vermach ich dem H. Notar Harnisch , hob er mit schwacher Stimme wieder an , für das Vergnügen ihn zu kennen , alles , was sich teils an Barschaft , teils an Wechseln nach meinem Tode bei mir vorfinden mag , und was sich gegenwärtig nicht über 20 Friedrich_d'or belaufen wird , daher ich ihn bitte vorlieb zu nehmen , und meinen goldenen Fingerring noch beifüge . "
Walten konnte kaum die Feder führen ; und wollt ' es auch nicht mehr ; denn er rötete , vor so vielen Zeugen , und von einem sterbenden Menschen , dem er nichts vergelten konnte , so ansehnlich beschenkt zu werden ; er stand auf , drückte stumm vor Mitleiden und Liebe die gebende Hand und sagte : nein , und bat ihn , doch einen Arzt zu wählen .
" Dem Hrn. Stadttürmer Hering " -- wollte Flette fortfahren , sank aber geschwächt durch Sprechen aufs Kissen zurück .
Hering sprang herbei , lockerte die Kissen besser auf und setzte den Patienten ein wenig in die Höhe .
Es schlug 12 Uhr ; und Hering sollte nachschlagen ; aber er wollte in einen solchen Aktus nicht hämmern auf der Glocke , sondern erhielt Stille , damit man den Testierer Fortöre : " ihn also bedenk ich mit meinem feinen weißen Zeuge , desgleichen mit allen meinen Kleidern -- nur die Reitstiefel gehören der Magd -- und alles was noch von einer reichbesetzten Tabatiere in meinem Koffer übrig bleibt , wenn man davon Leichen- und andere Kosten bestritten hat . "
Bald nach einigen Legaten und nach den Formalitäten , die den letzten Willen eines Menschen noch mehr erschweren als den schlimmsten vorher , war alles abgetan .
Noch drang der sichtbar mehr ermattende Elsässer darauf , daß der Notar jetzt alle seine Effekten mit dem Notariatssiegel zu petschiere .
Er tat es , da ihm alle Promptuarien , sowohl von Hommel als Müller , dafür bürgten , daß er_es könne .
Es war ihm bitter , von dem armen lustigen Vogel -- der ihm Feder und goldene Eier zurückließ -- zu scheiden , und ihn schon in den Krallen der rupfenden Todes-Eule um sich schlagen zu sehen .
Hering leuchtete ihm und sämtlichen Zeugen herab .
" Mir will_es schwanen , sagte der Türmer , daß er die Nacht nicht übersteht ; ich habe meine kuriosen Zeichen .
Ich hänge aber morgen früh mein Schnupftuch aus dem Turme , wenn er wirklich abgefahren ist . "
Schauerlich trat man die langen Treppenleitern durch die leeren dumpfen Turm-Geklüfte , worin nichts war , als eine Treppe , herunter .
Der langsame eiserne Perpendikelschlag , gleichsam das Hin- und Hermähen der an die Uhr gehangenen Eisen-Sense der Zeit , -- das äußere Windstossen an den Turm -- das einsame Gepolter der 9 lebendigen Menschen -- die seltsamen Beleuchtungen , die die getragene Laterne durch die oberste Empor hinunter in die Stuhlreihen flattern ließ , in deren jeder ein gelber Toter andächtig sitzen konnte , so wie auf der Kanzel einer stehen , -- und die Erwartung , daß bei jedem Tritte Flette verscheiden und als bleicher Schein durch die Kirche fliegen könne , -- -- das alles jagte wie ein banger Traum den Notar im düstern Lande der Schatten und Schrecken umher , daß er ordentlich von Toten auferstand , als er aus dem schmalen Turme unter den offenen Sternenhimmel hinaustrat , wo droben Auge an Auge , Leben an Leben funkelte und die Welt weiter machte .
-- Flachs , als Geistlicher von den vier letzten Dingen mehr lebend als ergriffen , sagte zu Walten :
" Sie haben Glück bei Testamenten " .
Aber dieser bezog es auf seinen Stil und Stand , er dachte an nichts , als an das närrische hüpfende Lebens- Karnaval , wo der zu ernsthafte Tod am Schlusse den Tänzern nicht nur die Larven abzieht , auch die Gesichter .
Im Bette betete er herzlich für den jetzt kämpfenden Jüngling um einige Abendröte oder Frühlingsstrahlen in der wolkigen Stunde , welche auf jeden Menschen , wie ein unendlicher Wolkenhimmel plötzlich oben herunter fällt und ihn zugehüllt auflöset .
Er drückte dabei fest die Augen zu , um über nichts Zufälliges etwan zusammen zu schaudern .
Nro. 38. Marienglas .
Raphaela .
Als Gottwalt erwachte , hatte er anfangs alles vergessen , und die Abendberge vor seinem Bettfenster standen so rot im Morgenschein , daß sein Wunsch der Reise wieder kam -- darauf der Einwurf der Armut -- endlich der Gedanke , daß er aber ja über 20 Louisd'or gebiete .
Da sah er nach dem Stadtturm , worauf als einem castrum doloris nun der verstorbene Flette liegen konnte , und wollte traurig aufblicken .
Aber sein Gesicht blieb aufgeheitert , so mitleidig er auch die Augen aufzog ; die romantische Reise in solchen blauen Tagen -- in solchen Verhältnissen -- so plötzlich geschenkt -- das war ihm ein Durchgang durch die hellste Glücks Sonne , wo es Licht stäubt und man sich ganz mit Flimmern überlegt .
Ganz drüslich zuletzt darüber , daß er nicht traurig werden wollte , fuhr er ohne Gebet aus den Federn , und hörte sein Herz ab .
Er mochte aber fragen und zanken , so lange er wollte , und dem Herzen den blassen jungen Leichnam auf dem Turme hinhalten , und dessen zugedrückte Augen , die mit keiner Morgensonne mehr aufgiengen :
es half gar nichts , die Reise und mithin die Reisegelder behielten ihren Goldglanz , und das Herz sah sehr gern hinein .
Endlich fragt er aufgebracht , ob es denn , wie er sehe , des Teufels lebendig sei und ob es , wenn es könnte , etwa den armen Testator nicht sogleich und mit Freuden rettete und aufbrächte ?
Man besänftigte ihn ein wenig durch die Antwort : mit Freuden und auf der Stelle .
Hier fiel ihm das Versprechen des Türmers ein , ein weißes Schnupftuch als Trauerflagge am Turme auszustecken , wenn der junge Mensch verschieden wäre .
Da er aber droben keines fand , und doch darüber einige Freude verspürte :
so entließ er das arme verhörte Herz und war ordentlich auf sich ärgerlich , ohne Not dem ehrlichen guten Schelm so zugesetzt zu haben .
Er hätte aber nur diesen Schelm fragen sollen , wie ihn bei zehnmal größerer Erbschaft , z. B. der Tod des Bruders gestimmt haben würde :
so würde er , wenn er gefunden hätte , daß dann die Last viel zu schwer , der Kopf zu gebeugt gewesen wäre , um nur etwas anderes zu sehen , als das Grab und den Verlust , leicht den Schluß gezogen haben , daß nur die Liebe den Schmerz erschaffe , und daß er vergeblich einen zu großen , bei einer zu kleinen für den Elsässer von sich gefordert .
Jetzt sah er ein weißes Schnupftuch , aber nicht am Turm , sondern an Raphael , die im Parke traurig lustwandelte , und welcher die modische Taschenlosigkeit das Glück gewährte , diesen Schmücklappen des Gefühls , diese Flughaut der Phantasie in der Hand zu haben .
Sie sah oft nach dem Turme , einigemal an sein Fenster , Gerüst ihn mitten im Schmerz ; ja als wenn sie ihm winke , hinunter zu kommen , kam es ihm vor , aber nicht glaublich genug , weil er aus englischen Romanen wusste , wie weit weibliche Zartheit gehe .
Indes kam Flora und bat ihn wirklich hinab .
Er ging zur Bewegten als ein Bewegter .
" Ich denke mir leicht , dachte er sich auf der Treppe , wie ihr ist , wenn sie an den Stadtturm sieht , und droben den Einzigen Menschen bald aufgebahrt glauben muß , der nur durch eine herzlichste Liebe , wie eine mütterliche gegen ein misgeschafnes Kind , den Eindruck ihrer Widrigkeit schön überwand . "
-- " Verzeihen Sie meinen Schritt -- fing sie stockend an , und nahm das Schnupftuch , diese Schürze eines trocknen Herzens , von den feuchten Augen weg , -- wenn er Ihnen mit der Delikatesse , die mein Geschlecht gegen Ihres behaupten muß , sollte zu streiten scheinen . "
Schade oder ein Glück war_es , daß sie gerade diese Phrase nicht dem hastigen Quoddeus Vult sagte ; denn da es schwerlich in Europa oder in Paris oder Berlin , einen Mann gab , der es in dem Grade so verfluchte -- und er riet -- als er , wenn eine Frau bestimmt auf ihr Geschlecht und auf das fremde und auf die nötigen Zartheiten zwischen beiden hinwies und es häufig anmerkte , wie da mancher Handkuß sie eine unreine Seele erraten lasse , dort mancher wilde Blick , und wie das zartere Geschlecht sich gar nicht genug decken könne :
so würde der Flötenspieler ohne Umstände geäußert haben : " eine freimütige H -- sei eine kecke Heilige gegen solche Abgründe feiger und eitler Sinnlichkeit zugleich -- er kenne dergleichen Herzen , welche das Schlimme argwohnen , um nur es ungestraft zu denken , die es wörtlich bekriegen , um es länger fest zu halten , -- ja manche sehen sich wohl gar in der Arzneikunde ein wenig um , damit sie im Namen der Wissenschaft ( diese habe kein Geschlecht ) ein unschuldiges Wort reden können -- und lagern sich vor dem Altar und überall wie Friedrich II so schlachtfertig , en ordre de bataille , wie auf dem Sofa . "
-- " Wahrlich , setzt er dazu , sie gehen ins leibliche , oder ins geistige Zergliederungshaus , um die Leichen zu -- sehen .
" Unschuld , nur , wenn du dich nicht kennst , wie die kindliche , dann bist du eine ; aber dein Bewußtsein ist dein Tod . " "
So scheint gleichnisweise , zermalmtes Glas ganz weiß , aber ganzes ist beinahe gar unsichtbar .
So dachte aber nicht Walten :
sondern als Raphaela an ihn die obige Anrede gehalten , gab er die aufrichtige Antwort , daß er nicht einmal bei seinem eigenen Geschlecht , geschweige bei dem heiligsten , das er kenne , irgend einen Schritt anders auslege , als das fremde Herz begehre .
Indes hatte sie ihn weiter nichts zu fragen , als : wie der Sterbende -- dem sie als einem Freunde ihres Vaters wohl gewollt , wie allen Menschen und den sie sehr bedauert -- sich in der Nacht bei seinem letzten Willen ( wovon durch die sieben Zeugen , als durch sieben Tore eben so viele Brote hinlänglicher Nachrichten der Stadt herausgereicht waren ) sich benommen habe , was sie gern zu wissen wünsche , da ein Sterbender ein höheres Wort sei als ein Lebender .
Der Notar antwortete gewissenhaft , das heißt als ein Notar , und sagte , er hoffe , nach dem Schnupftuch zu schließen , er sei noch lebendig .
Sie berichtete , daß der D. Hut , der gerufen worden , ihn zwar angenommen , aber als einen verlorenen Menschen , und sie wünschte dem Doktor , mit ihrem weichen Leumund , keine unglückliche Kur .
" Das ist doch schon was , und die überlebte Nacht dazu " versetzte Walten ganz wohlgemut .
Aber sie versicherte , sie tröste sich leider nicht so leicht und sie sei überhaupt so unglücklich , daß das fremde Leiden , auch das kleinste ihrer Verwandten , sie heftig angreife und sie Tränen koste .
Sie brach in einige aus ; sie wurde von sich so leicht , als von anderen schwer gerührt .
Auch ist das Sprechen von Weinen bei Weibern ein Mittel zum Weinen .
Der Notar war seelenvergnügt über alle die Rührungen die er teils sah , teils teilte .
Liebes Frauen- Weinen war ihm eine so seltene Kost , als langer grüner Ungar , Nierensteine Hammelhoden , Wormser liebe Frauen-Milch oder andere Wei ne , die bei H. Kaufmann Corthum in Zerbst zu haben sind .
Er blickte ihr mit allen Zeichen des teilnehmenden Herzens in ihre Augen voll Wasser-Feuer , und hätte wohl gewünscht , die Delikatesse englischer Romane verstattete ihm , ihre zarte weiße Hand in etwas zu fassen , welche vor ihm stark im besonnten Grüne gaukelte , und in den Tau der Gebüsche fuhr , und darauf ins Haar , um es damit nach der Vorschrift eines Engländers wie andere Gewächse zu stärken .
Beide stellten sich jetzt -- der Pyramide und dem steinernen Großvater auf der Insel gegenüber -- an eine Urne aus Baumrinde .
Raphaela hatte eine Lesetafel mit der Inschrift : " bis daher dauere die Freundschaft " daran gemacht .
Sie schlang den Arm aufwärts um die Urne , so daß er immer Schneeweisser wurde durch Bluts-Verhalt , und versicherte , hier denke sie oft an ihre ferne Wina von Zablocki , die ihr leider jährlich zweimal , durch die Michaelis- und die Ostermesse , nach Leipzig vom Generale entführet werde , seinem Vertrage mit der Mutter zufolge .
Ohne ihr Wissen war ihr Ton durch langes Beschreiben der Schmerzen ganz munter geworden .
Walten lobte sehr ihre Freundschaft und ihre -- Freundin .
Sie erhob die Freundin noch gewaltiger als er .
Da konnte er nicht länger mit dem anschwellenden Herzen bleiben .
Mit Zurückberufung des alten Klagetons und einem Trauerblick gegen den Turm schied sie von dem Jüngling .
In diesem aber wurde ein Flug von Dämmerungsvögeln -- um seine Ideen so zu nennen -- wach und flog ihm 36 Stunden lange dermaßen um seinen Kopf , daß er ihnen nicht anders zu entkommen wusste , als -- zu Fuß , durch eine Reise .
Winas lebendigeres Bild -- die September-Sonne , die aus blauem Äther brannte -- mögliches Reisegeld -- und ein ganzes wünschendes Herz , das alles auf der einen Seite -- und auf der anderen und schlimmen D. Huts lautes Bedauern und Rezeptieren -- Flettes laute Agonien -- Herings peinliches Schnupf- oder Bahrtuch , das jede Minute flattern konnte -- Walts versäumte poetische Sing- Stunden ( denn was war in solcher Krisis zu Flegeljahre III. Bd. 5 dichten ? ) -- viele gesperrte Träume -- und endlich 36 innere Fecht-Stunden dazu -- -- so viel und nicht weniger musste sich in einander hacken , damit Walten , weil es nicht mehr auszuhalten war , keine weitere Umstände machte , sondern zwei nötige Gänge , den ersten zu den Testaments-Vollstreckern , um den dritten langen anzusagen als Notariats-Pause ; und darauf den zweiten zum Flötenspieler , um ihm hundert Anlässe zur Reise , und die Reise zu melden .
Beide Brüder freuten sich wochenlang auf alles , was jeder nun dem anderen Geschichtliches werde zu erzählen haben , wenn er wochenlang weggewesen ; jetzt war Walten der Geber .
Vult hatte sich über viel zu wundern .
Sehr schwer fiel es ihm , die juristische Regel , daß Worte eines Sterbenden Eiden gleich gelten wie die eines Quäkers , auf den prahlenden Flette anzuwenden ; indes blieb ihm die Angel verdeckt , um welche sich die ganze Täuschung drehte .
" Mir ist , sagte er , als hätten die Narren dich zum -- Weisen ; ich weiß aber nicht wo .
Um Gott deswillen , junger Mensch , sei eine Kutsche , ( folge einem älteren ) und habe hinten dein rundes Fenstern , damit kein Dieb dir Geld abschneidet oder Ehre . "
Ich habe leider nichts zu erzählen , sagte Vult .
Aber der Notar konnte zum Glück noch viel Mitteilen .
Er erzählte chronologisch --
denn Vult Gebots , weil jener sonst alles ausließ -- und mit höchster Behutsamkeit -- denn Walten kannte dessen unmetrische Härten gegen Weiber -- Raphaelens Gespräch .
Allein es half wenig ; er haste alles Neupeter'sche und besonders das weibliche .
" Raphaela , sagte er , ist lauter Lug und Trug . "
-- " Und einer so armen Häslichen , versetzte Walten , könnte ich einen vergeben , obgleich weder mir noch einer noch einem Geliebten . "
-- " Sie will nur , das meine ich -- fuhr Vult fort -- sich auf ihre innere Brust brüsten , und während Ein Liebhaber auslöscht , einen Sukzessor im ' trüben Tränenwasser erfischen .
Ein Weib ist ein weiblicher Reim , der sich auf zwei Laute reimt ; ein männlicher auf einen .
Es ist nicht viel besser , Alter , als wenn sie als Falkeniere zu dir Falken sagte , und sich als Taube dir vorwürfe :
rupf ' an , Männen ! "
" Die Möglichkeit solcher Täuschungen -- sagte Walten -- sehe ich wohl auch voraus , und dein Argwohn ist mir oft nichts neues ; aber über die Wirklichkeit in jedem Falle , darüber ist der Skrupel .
Und Liebe kann ja eben so wohl stimmen als Haß verstimmen .
Ist Raphaelens Freude über mein Lob auf ihre Freundin kein schönes Zeichen ? "
-- " Nein , sagte Vult .
Nur eine Schönheit ist an ausschließende Grade des Lobes und Feuers verwöhnt und hasset jede Unvollständigkeit und Teilung der fremden Empfindung ; aber eine untergeordnete Gestalt ist genötigt zur Zufriedenheit mit mittleren Stufen , und vergibt manches , ausgenommen manches . "
Walten hatte nichts weiter zu berichten , als seinen Plan , den reinen Himmel zu atmen auf einigen Tagreisen , wo er auf nichts ausgehe , als auf den Weg .
Vult genehmigte ihn stark .
Jener wollte sehr scheiden ; aber der Flötenspieler , durch Reisen der Abschieds-Abende gewohnt , machte nicht viel Wesens , sondern sagte lustig : fahre dahin , fahre daher , gute Nacht , glückliche Reise . "
Die schönsten Reise-Winke standen am Himmel .
Glänzend-scharf durchschnitt die Mond- Sichel der Abendblumen das Blau ; frische Morgenluft strich schon über dunkelroten Wolken- Beeten am Himmel ; und ein Stern nach dem anderen verhieß einen reinen Tag. Nro. 39. Papiernautilus .
Antritt der Reise .
Am Morgen sah er auf der Schwelle reisefertig noch einmal seine dunkle westliche Stube an , darauf sogar in die Kammer hinein , und flog mit zwei liebreichen Blicken , die einen Abschied bedeuten sollten , und mit einem an den Turm , dem der Tod noch kein Schnupftuch zugeworfen , freudig auf einen leeren Platz am Tore hinaus , wo er sich überall umsehen , und unter den vier Holz-Armen eines Wegzeigers , bei sich festsetzen konnte , wohin er gegenwärtig gedenke , ob nach Westen , Norden , Nordosten , oder Osten ; aus Süden , dem Stadttor , kam er aber her .
Seine Hauptabsicht war , den Namen der Stadt gar nicht zu wissen , der er etwa unter Wegs aufstieß , desgleichen der Dörfer .
Durch eine solche Unwissenheit hofft er ohne alles Ziel unter den geschlängelten Blumenbeeten der Reise umher zu schweifen , und nichts zu begehren so wie zu besehen , als was er eben habe -- in einem fort bei jedem Tritte anzukommen -- sich in jedes goldgrüne Lust-Wäldgen zu betten , und stände es hinter ihm -- in jeder Ortschaft selber den Namen der Ortschaft zu erfragen , und darüber sich ganz heimlich zu ergötzen -- und dabei , bei solchen Maßregeln in einem solchen Strich Landes , der vielleicht mit Landhäusern , Irrgärten , Tharanden , plauischen Gründen vorher , Bergschlössern voll heruntersehender Fräuleins-Augen , Kapellen voll aufgehobener Beter- Augen und überhaupt mit Pilgern , Zufällen und Mädchen ordentlich übersäet sein konnte , in romantische Abenteuer von solcher Zahl und Güte hinein zugeraten , als er freilich nie erwarten wollen .
" Mein guter Unendlicher in deinem blauen Morgenhimmel , betete er in seiner durchdringenden Entzückung , lasse doch die Freude dasmal nichts vorbedeuten . "
Er hatte sich in Acht genommen , an den Wegweiser hinauf zu sehen , der wie ein Affe vier Arme hatte , um nicht etwa an den abgewaschenen Armröhren einer Stelle ansichtig zu werden , von welcher die Zeit , besonders die Regenzeit , den Namen der Post-Stadt noch nicht rein weggerieben hatte .
Am welt- und geistlichen Arm- Paar wäre er diese Gefahr nicht gelaufen , sondern dieses zeiget allgemeiner ins Blaue .
In Norden lag Elterlein ; in Osten standen die Pestizer oder Lindenstädter Gebirge , über welche die Straße nach Leipzig -- auch eine Lindenstadt -- weglief ; zwischen beiden nun nahm der Notar den Weg , um die Höhen , hinter welchen die holdselige Wina jetzt rollte oder ruhte , niemals aus den Augen zu verlieren , welche bald aus Blumenkelchen , bald aus Wolken auf Gebirgen trinken wollten .
-- Ein Glück ist es für den gegenwärtigen Beschreiber der Reise und des Reisenden , daß Walten selber für sein und des Flötenisten Vergnügen ein so umständliches Tage- oder Sekunden-Buch seiner Reise gleichsam als ein Opfer- und Sublimier-Gefäß des Lebens vollgefüllt , daß ein anderer weiter nichts zu tun braucht , als den Deckel diesem Zucker- und Mutterfasse auszuschlagen und alles in sein Tintenfaß einzulassen für jeden , der trinken will .
Der leidende Mensch hat einen Erfreuten nötig -- der Erfreute in der Wirklichkeit einen in der Poesie -- und dieser , wie Walten , verdoppelt sich wieder , wenn er sich beschreibt .
" Fast wollt ' ich hoffen , so fängt Walten das Sekunden- und Terzienbuch an Vult an , daß mein liebes Brüderlein mich nicht auslachen werde , wenn ich meine unbedeutende Reise nicht so wohl in deutsche Meilen als russische Weste Abteile , welche als bloße Viertelstunden freilich sehr kurz sind , aber doch nicht zu kurz , ich mei ne für einen Menschen auf der Erde .
So wie es nicht auszukommen wäre mit dem flüchtigen Leben , wenn man es , statt an Minuten- und Stunden-Uhren , lieber an Achttage- oder gar Säkular-Uhren abmäße , gleichsam einen kurzen Faden an ungeheuren Welt-Rädern :
so möchte man , zumal wenn ein Reich es tut , dem es am wenigsten an Raum fehlt , das russische , dieselbe Entschuldigung haben , wenn man , da der kleine Fuß und der Schuh des Menschen sowohl sein eigenes Maß als das seiner Wege ist , für bloße Fußreisen die Weste zum Wegmesser erwählt .
Die Ewigkeit ist ganz so groß als die Unermesslichkeit ; wir Flüchtlinge in beiden haben daher für beide nur Ein kleines Wort , Bruder , Zeit-Raum . "
Als er seine erste Weste nordöstlich antrat , Winas Gebirge und die Früh-Sonne zur Rechten und mitlaufende Regenbogen in den betauten Wiesen zur Linken :
so schlug er die Hände als Schellen einer morgenländischen Musik gegen einander vor Lust und wurde so leicht und behend von sich selber dahin getragen , daß er kaum aufzutreten brauchte !
Läuferschuhe und Hosensäcke der Ohnehosen geben dem Menschen , wenn er sonst lange Stiefel und kurze Hosen trug , fast Flügel .
Sein Gesicht war voll Morgenluft und ein Orient der Phantasie war in seinen Blicken gemalt .
Sein sämtliches Münzkabinett oder Studentengut hatte er eingesteckt , als Surplus- und Operationskasse , um an dieser Geld- Katze einen Schwimm-Gürtel für alle Höllen- und Paradieses-Flüsse zugleich zu haben .
Er bewegte sich durch das widerstrebende Leben so frei wie der Schmetterling über ihm , der nichts braucht als eine Blume und einen zweiten Schmetterling .
Der Kunststraße , woran er einen ganzen Klumpen Reformatoren und Weg-Frotteurs stampfen und klopfen sah , ging er aus dem Wege , weil er sich nicht damit plagen wollte , entweder Einen Morgengrus lang durch sie hinzuziehen , oder den nämlichen lächerlich immer von neuem zu sagen , und doch wohl falsch abzusetzen .
Hügelauf , Talein lief er in nassen Gras-Blüten und verlor und erhielt abwechselnd die Stadt , von welcher er indes wünschte , daß er sie endlich Einbüste , weil ihm sonst immer nicht recht war , als sei er fort .
Er musste noch zwei starke Weste zurück legen , ehe sie hinter den Obsthügeln unterging .
Noch war ihm nichts besonders unterwegs begegnet , als der Weg selber , als er seinen Gruß einem Menschen , dessen Gesicht ein Schnupftuch zuband , im Fluge zuwerfen konnte .
Er ging so lange fort , bis er glauben durfte , der Mann habe sich umgesehen , und er könne es auch , ohne zusammen zu stoßen .
Aber eben sah jener her .
Er ging wieder weiter und blickte um -- der Bandagist seiner Seits auch .
Als er es zum drittenmal tat , merkte er , daß der Mann trotzig stehen bleibe , und daß ihn die Rücksicht gar Drüse .
Da ließ ihn Walten laufen und stehen .
Er stieß bald -- so wuchsen die Abenteuer -- auf drei alte Frauen und eine blutjunge , welche mit hochaufgetürmten Körben voll Leseholz aus einem Wäldern kamen .
Auf einmal standen sie alle in gerader Linie zugleich hinter einander still , die schweren Körbe auf den schief untergestellten Stecken auflehnend , die sie vorher als Badinen getragen .
Sein Herz machte viel daraus , daß sie , wie Protestanten und Katholiken in Wetzlar , ihre Ferien und Feiertage des Gehens gemeinschaftlich abtaten , um beisammen zu bleiben und fort zu reden .
Nie entwischte seinem Auge die kleinste Handvoll Federn oder Heu , womit sich der Arme die harte Pritsche in der Wachtstube seines Lebens etwas weicher bettet und sich die Marterbank auspolstert .
Ein liebender Geist spüret gern die Freuden der Armen aus , um darüber eine zu haben ; ein hassender aber lieber die Plagen , seltener um sie zu heben , als um über die Reichen zu bellen , die er vielleicht selber vermehrt .
Herzlich gern wollte er den Fracht- und Kreuzträgerinnen einige Groschen Trage-Lohn auszahlen ; er schämte sich aber vor so vielen Zeugen einer warmen Tat .
Darauf schob ein Mann einen Karren voll hoher klappernder Blechwaren daher ; sein Töchtern war als Vorspann vorgelegt ; beide keuchten stark .
Es zwang ihn , sich mit dem Karrenschieber zusammen zu halten und sich auf die eine Waagschale zu stellen , den Kärrner auf die andere .
Da er nun sogleich bemerkte , wie sehr er mit seinen Glückslosen und Zuckerhüten den Kärrner überwiege -- der alten Holzweiber nicht einmal zu gedenken -- ; da er finden mußte , daß sein freies fliegendes Fortkommen gegen das träge Karren- und Stunden-Rad des Mannes gemessen , mehr der freudigen leichten Weise beikomme , wie die Großen reisen :
so wurde ' er rot über seinen Reichtum und Stand -- er sah die Weiber noch halten und lehnen -- er lief zurück mit vier Gaben und eilig davon .
" Bei Gott , schreibt er in sein Tagebuch , um sich ganz zu rechtfertigen -- der armselige flüchtige Sinnen-Kizel einer besseren Nahrung , welchen etwan ein paar geschenkte Groschen bereiten können und überhaupt der Genuß , der kann nie der Anlas werden , daß man die Groschen so freudig hinreicht ; aber die Freude , die man dadurch auf einen ganzen Tag lang in ein ausgehungertes Herz und in seine welken , kalten engen Adern auswärmend hinein gießet , dieser schönste Himmel anderer Menschen ist doch wohl wohlfeil genug damit erkauft , daß man selber einen dabei hat . "
Hier kramt er weitläufig seinen alten Traum von dem Glücke eines reisenden Mylords aus , auf einmal durch eine offene volle Hand ein ganzes Dorf unter Bier und Fleischbrühe zu setzen und in ein Elysium langer Erinnerung .
Mit drei Himmeln im unschuldigen Gesicht -- noch einen mehr hatte er auf den Gesichtern hinter sich gelassen -- glitt er leicht von Tautropfen zu Tautropfen . --
Das Herz wird wie ein Luftschiff durch den Auswurf des schwersten Ballastes , des Geldes , so leicht , so schnell , so hoch .
Indes traf er ziemlich spät in dem nur vier kleine Weste entlegenen Härmlesberg ein .
Denn überall saß und schrieb , oder stand und sah er oder las alles -- jede Inschrift einer Steinbank -- und wollte keine Kleinigkeit übergehen , sie müßte denn Bevölkerung , Stallfütterung , Wiesenwuchs , Lehmboden und dergleichen betroffen haben .
" Drinnen will ich , sagte er zu sich , da ich doch einem großen Herren ähnlich scheinen soll , mein dejeauner d' inatoire einnehmen " und trat in den Krug. Nro. 40. Cedo nulli .
Wirtshäuser -- Reisebelustigungen .
Der Notarius , der unter die Menschen gehörte , welche wohl Jahre lang daheim sparen können , aber nicht unterwegs -- hingegen andere kehren es gerade um -- forderte keck sein Nösel Landwein .
Dabei aß und saß er und beobachtete vergnügt die Wirtsstube , den Tisch , die Bänke und die Leute .
Als einige Handwerksbursche ihren Kaffee bezahlten : bemerkte er sehr wahr , daß die Milchtöpfen in Franken ihren Giessschnabel dem Henkel gegenüber haben , in Sachsen aber links oder gar keinen .
Mit gedachten Burschen ging seine Seele heimlich auf Reisen .
Gibt es etwas schöneres , als solche Wanderjahre in der schönsten Jahrszeit und in der schönsten Lebenszeit , bei solchen Diätengeldern , die man unterwegs bei jedem Meister erhebt , und bei solcher Leichtigkeit , in die größten Städte Deutschlands ohne alle Reisekosten zu gehen , und sobald kaltes nasses Wetter einbricht , sogar auf einem Arbeitsstuhl häuslich zu nisten und zu brüten wie der Kreuzschnabel im Winter ?
-- " Warum , ( schreibt sein Tagebuch Volten , ) müssen die armen Gelehrten nicht wandern , denen das Reisen und das Geld dazu gewiß eben so nötig und dienlich wäre als allen Gesellen ? "
-- " Draußen im Reich " sagte stets Walts Vater , wenn er bei Schneegestöber von seinen Wanderjahren erzählte ; und daher lag dem Sohne das Reich in so romantischem Morgentau blitzend hin als irgend eine Quadratmeile von Morgenland ; in allen Wandergesellen verjüngte sich ihm die väterliche Vergangenheit .
Jetzt fuhr ein Salzkärrner mit Einem Pferde vor , trat ein , wusch sich in einer ganz fremden Stube öffentlich und trocknete sich mit dem an einem Hirschgeweih ' hängenden Handtuch ab , ohne noch für einen Kreuzer verzehrt oder begehrt zu haben .
Walten bewunderte den kräftigen Weltmann , ob er gleich nicht ehig gewesen wäre , sich nur unter vier Augen die seinigen zu waschen .
Dennoch exerzierte er -- da er in etwas getrunken -- einige Wirtshaus-Freiheiten , und ging in der Stube wohlgemut umher , ja auf und ab .
Ob er gleich nicht im Stande war , unter einer fremden Stubendecke den Hut aufzubehalten -- sogar unter seiner sah er ungern bedeckt aus dem Fenster aus Artigkeit -- : so hatte er doch seine Freude daran , daß andere Gäste ihren aufhatten , und sonst überall von den herrlichen akademischen Freiheiten und Independenzakten der Wirtsstuben den besten Gebrauch machten , es sei , daß sie lagen , oder schwiegen , oder sich kratzten .
Ihm schienen die Wirtsstuben ordentlich als hübsche geräumliche , aus abgebrochenen eingeäscherten Reichsstädten unversehrt herausgehobene reichsunmittelbare Diogenes-Fässer vorzukommen , als hübsche aus Marathons-Ebenen ausgestochene Grünplätze , vom Keller grünend gewässert .
Es wurde schon erwähnt , daß er auf und ab ging ; aber er ging weiter und -- denn das Wirtshausschild setzt er als Achilles-Schild vor , den Weinbecher als Minervens Helm auf -- schrieb unter aller Augen ein und das andere Texteswort in seine Schreibtafel , um , wenn er allein wäre Abends im Quartier , darüber zu predigen .
Flegeljahre III. Bd. 6 Auch trug er ein , daß auf dem Schilde des Wirtshäusern ein Schilderhäusern stand .
Der Mut der Menschen wächst leicht , ist er nur herausgekeimt ; -- Kommende grüßten leise , Gehende laut ; der Notarius dankte beiden lauter .
Er war so freudig bei einem Freudenbecher , den nicht einmal sächsischer Landwein hätte wässern können .
Er liebte jeden Hund , und wünschte von jedem Hund geliebt zu sein .
Er knüpfte deswegen mit dem Wirtsspitze -- um nur etwas für das Herz zu haben -- ein so enges Band von Bade-Bekanntschaft und Freundschaft an als ein Stücken Wursthaut bei solchen Wesen sein kann .
Für warmherzige Neulinge sind wohl stets die Hunde die Hundssterne , durch deren Leitung sie zur Wärme der Menschen zu gelangen suchen , sie sind so zu sagen die Saufinder und Trüffelhunde tief versteckter Herzen .
" Spitz , gib die Pfote , rief der Wirt in Härmlesberg .
Spitz , oder der Spitz -- denn der Gattungsname ist , was bei dem Menschen selten , in Deutschland und in Haslau , zugleich der persönliche , ausgenommen in Thüringen , wo die Spitze Fixe heiß sein -- Spitz drückte dem Notar die Hand , so weit er wußte .
" Gebt dem Herrn auch eine Patschhand , Bestien , rief der Wirt , als drei kleine , armlange geputzte Mädchen von einerlei Statur und Physiognomie an der Hand einer jungen schönen , aber schneeblassen Mutter hereintraten aus der Schlafkammer .
" Es sind Drillinge und sollen zu ihrer Frau Patin " sagte der Wirt .
Gottwalt schwört im Tagebuch , daß etwas " Liebsteres herzinniglicheres " es gar nicht gebe , als drei so liebe hübsche , niedliche Mädchen von einerlei Höhe , mit ihren Schürzen , und Hauben und runden Gesichtern sind , wobei nur zu bedauern sei , daß es Drillinge gewesen , und nicht Fünflinge , Sechslinge , Hundertlinge .
Er küßte sie alle vor der ganzen Wirtsstube kurz und wurde rot ; --
es war halb , als habe er die zarte bleiche Mutter mit der Lippe angerührt ; auch sind ja die guten Kinder die schönste Wesen- und Jakobsleiter zur Mutter .
Dabei sind solche winzige Mädchen für Notarien , welche ohne Mut und ohne Elektrisir- und Sprachmaschine für erwache sene Mädchen dazustehen fürchten , ordentlich die schönen Ableiter und Zuleiter , geschenkte Rechenknechte für den Augenblick ; -- man wundert sich fröhlich und heimlich , daß man ein Ding wie ein Mädchen , so dreist umhalset .
Walten wurde der Kleineren später satt , als sie seiner .
Er war ja dem Drilling -- als eigener Zwilling -- viel verwandter , als alle Gäste in der Stube .
Er beschenkte sie geldlich zur höchsten Freude der Mutter .
Dafür bekam er drei Küsse , die er lange zurücklieferte , nur bei sich betrübt , daß ein Tauschhandel solcher Artikel selber so früh dem Tausche der Zeit heimfalle .
" Ei , Herr guter Harnisch ! " sagte der Wirt .
Walten wunderte sich über die Kenntnis seines Namens , aber nicht ohne Vergnügen , ja mit einiger Hoffnung , daß es , nach einem solchen Anfange zu urteilen , wohl noch seltsamere Avantüren zu erleben gebe .
Er wollte daher lieber nicht fragen , wie und wo und wann , aus Furcht , um seine Hoffnung zu kommen .
Mit Wollust sah er zu , wie der Vater sich von den Kindern Äpfel abkaufen ließ , um Walts Geld von ihnen zu haben -- und wie die Mutter dem ersten Drilling Brot zulangte , damit er wieder davon furchtsam eine Ziege unter dem Fenster abknappern ließe -- und wie der zweite herzhaft in einen Apfel einbiß , ihn dem dritten zum Beissen hinhielt , und wie beide ihn wechselnd anbissen und reichten und jedesmal lächelten .
" O wäre ich nur ein wenig allmächtig und unendlich -- dachte Walten -- ich wollte mir ein besonderes Weltkügelgen schaffen und es unter die mildeste Sonne hängen , ein Welten , worauf ich nichts setzte , als lauter dergleichen liebe Kinderlein ; und die niedlichen Dinger ließ ich gar nicht wachsen , sondern ewig spielen .
Ganz gewiß , wenn ein Seraph himmelssatt wäre oder sonst die goldenen Flügel hängen ließe , könnte ich ihn dadurch herstellen , daß ich ihn einen Monat lang auf meine springende jubelnde Kinderwelt herabschickte , und kein Engel könnte , so lange er ihre Unschuld sähe , seine eigene verlieren .
Endlich rückten die Kinder , einander an den Händen zu führen befehligt , mit der Mutter aus , zur Frau Patin .
Ein langer Tiroler mit grünem Hut , von welchem bunte Bänder flatterten . trat singend hinein . --
Walten trank und brach auf .
Schön war draußen die Welt , sogar noch in Härmlesberg .
Im Dorfe wurde Zimmerholz mit lauten Schlägen zugehauen , und , mit der roten Meßschnur angeschnallt , in gerade Formen abgeteilt ; -- alle Kinderßenen unter dem Bauholz seines Vaters kamen mit dem Rosenhonig der Erinnerung aus den Kindheitsrosen beladen zurück .
Bleicherinnen mit großen Hüten begossen , leicht gebückt , die weißen Beete aus Flachs-Lilien .
Aus dem Hut , den ein Mädchen an langen Bändern an der Hand herunter hängen ließ , floh er zu den blauen , gelben Glaskugeln eines Gartens auf , und wiegte sich überall .
Jetzt kam er in die lange Gasse des aus Bergen , wie aus Palästen zusammen gereihten Rosana-Thals hinein -- Edens Gartenschlüssel wurden ihm vorn überreicht , und er sperrte es auf .
" Der völlige Frühling ist da , der Orpheus der Natur , sagte ich ( schreibt er ) denn die Wiesen blühen ja -- die Dotterblumen stehen so dicht -- den Heu-Bergen ziehen kleine Kinder mit großen Rechen kleine Hügel zu -- oben aus den Wäldern der Berge ruft die Waldlerche und die Drosseln herrlich herunter -- schöne Frühlingswinde ziehen durch das lange Tal -- die Schmetterlinge und die Mücken halten ihren Kinderball und der Rosennachfalter oder das Goldvögeln sitzt still auf der Erde -- die Blätter der Kirschbäume glühen rot , wie ihre Früchte , nach , und statt blasser Blüten fallen schön bemalte Blätter -- und im Frühling wie im Herbste zieht die Sonne am Spinnrade der Erde fliegendes Gewebe aus -- -- wahrhaftig es ist ein Frühling , wie ich noch selten einen gesehen . "
Im hohen Äther waren zarte Streifen , Silberblumen gewebt und Meilen-tief darunter zog langsam ein Wolken-Gebürge nach dem anderen hin ; -- zwischen diese aufgebaute Kluft im Blau flog Walten , und wandelte auf dem Himmelswege aus Duft leicht dahin und sah oben noch höher auf .
Doch sah er auch herab ins heimliche Tal -- sah den stillen glatten Fluß darin gleiten -- Wälder bogen sich liebend von einem Bergrücken hinein , am anderen glänzten Trauben und Weinbergshäusern und reife Beete . --
Er fuhr wie der hernieder in sein langes Tal , wie auf einen Eltern-Schoos .
" Wie geht es sich so schön in den Säulenhallen der Natur , auf dem Grün und zwischen dem Grün , in ewiger Begleitung des unendlichen Lebens ! sang er , ohne besondere Metrik , laut hin , und sah sich um , damit niemand seine Singstimme belausche .
-- Wallet nur hin , ihr hübschen Schmetterlinge , und genießet die Honigwoche des kleinen Seins -- ohne Hunger , ohne Durst * ) -- ein schönes Sonnenleben -- ein Liebessein -- und die einzige Kammer des Herzens ist nur eine ewige Brautkammer der Liebe -- beugt die Blumen -- lasst euch wehen -- spielt im Glanz und entzittert nur linde wie Blüten dem Leben . "
Er sah eine Herde stummer Nachtigallen , die sich zum nächtlichen Abzug rüsteten .
" Wo fliegt ihr hin , ihr süßen Frühlings-Klänge ?
Sucht ihr die Myrte zur Liebe , sucht ihr den Lorbeer zum Sange ?
Begehrt ihr ewige Bleu * ) Schmetterlinge haben nur eine Herzkammer und die meisten keinen Magen . then und goldene Sterne ?
So fliegt nur ohne Stürme unter unseren Wolken fort und besingt die schönsten Länder , aber fliegt dann liebsbrünstig in unseren Frühling zurück , und singt dem Herzen in schmachtenden Tönen das Heimweh nach göttlichen Ländern vor . "
" Ihr Bäume und ihr Blumen , ihr neigt euch hin und her , und möchtet noch lebendiger werden und reden und fliegen , ich liebe euch , als wäre ich eine Blume und hätte Zweige ; einstens werdet ihr höher leben . "
Und da bog er einen tief ans Wasser sich neigenden Zweig gar ein wenig in die Wellen hinein .
plötzlich hörte er in tiefer Ferne hinter sich eine Flöte durch das Tal gleichsam auf dem Strom herunter kommen , dem Wehen entgegen .
Die Ferne ist die Folie der Flöte ; und ihm , der mehr ihren Ton als ihren Gang verstand , war keine nahe gute nur halb so lieb .
Die Töne schienen nachzukommen , doch schwächer .
Am Wege stand eine Steinbank , die ihn in dieser Einsamkeit schön an die Menschensorge für andere Menschen erinnerte .
Er setzte sich ein wenig darauf , um gleichsam zu danken .
Aber er legte sich bald ins hohe Ufer-Gras , um der guten Erde , die zugleich der Stuhl , der Tisch und das Bette der Menschen ist , näher zu sein , und regte sich wenig , um die im warmen stillen Uferwinkel spielenden Eintags-Fischen nicht wegzuschrecken .
Er liebte nicht einen und den anderen Lebendigen , sondern das Leben , nicht einmal die Aussichten , sondern alles , die Wolke und den Gros-Wald der goldenen Würmern , und er bog ihn aus einander , um ihren Aufenthalt zu sehen und ihre Brotbäumen und ihre Lustgärten .
Er hielt lieber mit Schreiben und Dichten auf seiner Schreibtafel innen , wenn ein buntes weiches Wesen über die glatte Fläche sich wegarbeitete , als daß er es weggeschnellt oder gar erdrückt hätte .
" Gott , wie könnte man ein Leben töten , das man recht angesehen , z. B. nur eine halbe Minute lang " fragt er .
Er hörte die Flöte , die gleichsam aus dem Herzen der stummen Nachtigallen sprach .
Heisse Freudentropfen sog das dunkle Getöne aus seinem von tausend Reizen überfüllten Auge .
Jetzt schlu gen ein Paar große helle Tropfen aus einer warmen Fluge-Wolke über ihm auf seine flache Hand herab -- er sah sie lange an , wie er es sonst als Kind bei Regentropfen gemacht , weil sie vom hohen fernen heiligen Himmel gekommen .
Die Sonne stach auf die weiße Haut , und wollte sie wegküssen -- er Küste sie auf und sah mit unaussprechlicher Liebe nach dem warmen Himmel auf , wie ein Kind an die Mutter .
Er sang nicht mehr , seitdem er hörte und weinte .
Endlich stand er auf , und setzte seinen Himmelsweg fort , als er einige Schritte in der Nähe einen aus der Hutschnur eines Fuhrmanns entfallenen Zollzettel auf dem Wege gewahr wurde .
In der Hoffnung , daß er dem Mann vielleicht nachkomme und ihn finde , hob er das Blättern auf ; weil ihm nichts Fremdes klein , wie nichts Eigenes wichtig vorkam ; und weil sein poetischer Sturm leichter einen Gipfel bog , als eine Blume .
Wenn die Leidenschaft glut-verworren auffliegt , wie ein brennendes Schiff :
so fliegt die zarte Dichtkunst des Herzens nur auf , wie eine goldene Abendrot-Taube , oder wie ein Chrie Stuss , der gen Himmel geht , weil er eben die Erde nicht vergisst .
Die Flöte floß ihm immer durch das Beete des Tales nach , ohne doch weder näher zu kommen , wenn er stand , oder zurück zu bleiben , wenn er lief .
Jzt schwang sich die Landstraße plötzlich aus dem Tale den Berg hinauf .
-- Die Flöte drunten wurde still , da sich oben die Weltfläche weit und breit vor ihm auftat , und sich mit zahllosen Dörfern und weißen Schlössern anfüllte , und mit wasserziehenden Bergen und mit gebogenen Wäldern umgürtete .
Er ging auf dem Bergrücken wie auf einer langen Bogen-Brücke , über die unten grünende Meeresfläche zu beiden Seiten hin .
Er war ganz allein und vor Ohren sicher , er pfiff frei daher figurierte Chorale , Phantasien , und zuletzt alte Volksmelodien , und hörte nicht einmal auf , wenn er einatmete .
Gegen die Natur aller anderen Blasinstrumente , bleibt diese Mundharmonika wie die andere , romantisch und süß in großer Nähe -- keinen halben Fuß vom Oh re -- und wie bei der Musik im Traum , ist hier der Mensch zugleich der Instrumentenmacher , Komponist und Spieler , ohne im geringsten einen anderen Lehrmeister dazu gehabt zu haben als wieder sich , den Schüler selber .
Immer Betrunkener und glücklicher wurde Walten , als er auf dieser ersten Schäferpfeife , auf diesem ersten Alphorn fort blies , dem Morgenwinde entgegen , der die Töne in die Brust zurück wehte ; und zuletzt wurde ihm , als komme das verwehte Getöne aus weiter Ferne her .
Da er lange so ging und träumte -- da er von dem Bergrücken bald links in die Hirtenstücken der Wiesen hinunter sah und zu den Kirchtürmen von Altengrün -- von Jodiz -- von Talhausen -- von Wilhelmslust -- von Kirchenfelde -- und die Jagd- und Lustschlösser erblickte , deren beide Namen allein , wie romantische Zauberworte , alte Gegenden und Paradiese der Kinderseele erscheinen ließen -- da er bald wieder rechts hinunter schaute auf die zweite Ebene , worin sich der gerade Fluß seines Tales , die Rosana , frei geworden auf einem blumigen Tanzplaz schlän gelte und das Silber-Schild der Sonne trug und immer zeigte -- und da er das Auge auf die Lindenstädter Gebirge warf , wo unter den hohen hellen Laubholzwäldern die dunklen Tannen-Waldungen gleichsam nur als breite Schlagschatten zu stehen schienen -- und da er in den Himmel sah , worin still und leicht die Wolke und die Taube flog -- und da in den Wäldern des Tals die Herbstvögel schrien , und in den Steinbrüchen einzelne Schüsse lang fort hallten :
so schwieg er wie aus Andacht vor Gott , und dachte dem , was er singen wollte nach , als ob der Unendliche nicht auch das Denken höre ; bis er mit leiser Stimme den Streckvers sang und wiederholte , den er schon längst gemacht :
O wie ist der Himmel , wie die Erde so voll freudiger Stimmen !
Viel schöner als dort , wo einstens der Chorus laut jammerte , und nur Niobe schwieg und unter dem Schleier stand mit dem unendlichem Weh , jauchzen die Chöre im Himmel und auf Erden , und nur der Allseelige ist still , und der Äther verschleiert ihn .
Darauf sah er gen Himmel , nannte Gott zweimal du und schwieg lange ; und hielt es für erlaubt , sogleich an Wina zu denken .
plötzlich kam ein altes vertrautes , aber wunderbares Mittagsgeläute aus den Fernen herüber , ein altes Tönen wie aus dem gestirnten Morgen dunkler Kindheit ; siehe Meilen-tief in Westen sah er Elterlein hinter unzähligen Dörfern liegen und glaubte die alte Dorf-Glocke zu erkennen , und Winas weißes Bergschloß , ja sogar das elterliche Haus .
Er dachte voll Sehnen an seine fernen Eltern -- an das Stillleben der Kindheit -- und an die sanfte Wina , die ihm , auch im Stillleben ihrer Kindheit , einst die Aurikeln in die Hand gelegt -- sein Auge hing an den östlichen Gebirgen im stillen Blau , hinter welche er wie hinter Klostermauern Wina als sanfte Nonne in Blumen ihres Kloster-Gartens sinnend gehen ließ .
Glocken aus mehreren Dörfern tönten zusammen -- der Morgenwind rauschte stärker -- der Himmel wurde blauer und reiner -- der bunte ! leichte Teppich des Erdenlebens breitete sich über die Gegend aus , und flatterte an den En den und Walten wohnte , wie ein Traum , nur in der Vergangenheit .
Er sang voll Seligkeit und nannte ihren Namen nicht : " es zieht in schöner Nacht der Sternenhimmel , es zieht das Frühlings-Rot * ) , es schlägt die Nachtigall -- und der Mensch schläft und merkt es nicht ; -- endlich geht sein Auge auf , und die Sonne sieht ihn an. O Lina , Lina , du gingst auch vorüber mit deinen Blumen -- mit den süßen Tönen -- und mit Liebe -- aber mein Auge war blind ; nun ist es aufgetan , allein die Blumen sind verwelkt , die Worte sind vergangen , und du glänzest hoch als Sonne . "
-- Hier kehrte er um vor dem lauten Wehen ; er fand die Welt sonderbar still um sich ; nur das Geläute klang allein und leise , wie Schalmeien der Kindheit , und er wurde sehr bewegt .
Er lief wieder und sang immer heißer : " nasses Auge , armes Herz , siehst du nicht den Himmel und den Lenz und das schöne Leben ?
Warum * )
Die Abendröte in Norden . weinst du ?
Hast du was verloren , ist wer gestorben ?
Ach ich habe nichts verloren , mir ist nichts gestorben ; denn ich habe noch nicht je geliebt , o lasse mich weiter weinen ! "
Zuletzt sang er nur einzelne Füße noch , ohne besonderen Zusammenhäng -- er kam eiliger durch Beete -- durch grüne Täler -- über klare Bäche -- durch Mittagsstille Dörfer -- vor ruhendem Arbeitszeug vorbei -- auf dem Zauberkreis der Höhen stand Zauberrauch -- der Sturmwind war entflohen , und am klaren Himmel blieb das große unendliche Blaue zurück -- Vergangenheit und Zukunft brannten hell und nahe , entzündet vor Gegenwart -- der Blumenkelch des Lebens umschloß ihn bunt-dämmernd , und wiegte ihn leise -- und Pans Stunde ging an -- -- " Jetzt ergriff mich -- schreibt er in seinem Tagebuche -- Pans Stunde , wie allemal auf meinen Reisen .
Ich möchte wohl wissen , woher sie diese Gewalt bekommt .
Nach meiner Meinung dauert sie von 11 und 12 bis 1 Uhr ; daher glauben die Griechen an die Pans- , das Flegeljahre III. Bd. 7 Volk an die Tags-Geisterstunde , auch die Russen * ) .
Die Vögel schweigen um diese Zeit .
Die Menschen schlafen neben ihrem Arbeitszeug .
In der ganzen Natur ist etwas Heimliches , ja Unheimliches , als wenn die Träume der Mittagsschläfer umherschlichen .
In der Nähe ist es leise , in der Ferne an den Himmels-Grenzen schweifet Getöne .
Man erinnert sich nicht sowohl der Vergangenheit , sondern sie erinnert sich an uns und durchzieht uns mit nagender Sehnsucht ; der Strahl des Lebens bricht in seltsamscharfe Farben .
-- Allmählich gegen die Vesper wird das Leben wieder frischer und kräftiger . "
-- Nro. 41. Trödelschnecke .
Der Bettel-Stab .
In Grünbrunn kehrte er ein .
Im Wirtshaus hielt er seine Wachsflügel ans Küchen * ) Wenden und Russen nehmen eine , Glieder raubende , Mittags-Teufelin an .
Lausitz , Monatsschrift 1797 .
12 Stück . Feuer , und schmolz sie ein wenig .
In der Tat braucht der Mensch bei den besten Flügeln für den Äther doch auch ein Paar Stiefel für das Pflaster .
Da der Speisesaal schon voll Hunde und Herren war :
so setzt ' er sich lieber unter eine Vorhalle oder Vordachung zu Tisch , die so breit war als der Tisch .
Es war ihm , als sei er ein Patriarch , da er in einem offenen freien luftigen Halb-Haus am Hause sitzen , und die ganze sich aufblätternde Welt umherhaben konnte .
Er sah hinaus in die ihm fremden Gegenden und Felder , und er fühlte sich einem leichten Troubadour alter Zeiten gleich , nachdem er zusammen gerechnet hatte , daß er jetzt schon in einer Ferne von neunzehn Wersten von seiner Heimat lebe .
Er trug in sein Reisebuch die ökonomische Gewohnheit ein , die er vor sich sah , die Wiesen mit einem Kohl- oder anderen Fruchtbeete zu umrändern , anstatt daß man sonst umgewandt Beet-Felder in Wiesen-Raine einschließet ; und bemerkte gegen einen neben ihm essenden Bauersmann , das sehe sehr niedlich aus .
Man ließ ihn lange in seinem Nachklange des melodischen Vormittags , in jener epischen Stimmung sitzen , worin er das Kommen und das Verschwinden der Sterblichen im Wirtshause ansah , und warten , bevor man ihm sein Tisch-Tuch und seinen Teller Essen auftrug .
Es ist vielleicht der Mühe wert , zu bemerken , daß er nicht aufaß , teils aus Freundlichkeit gegen den Wirt , um ihn nicht um die Nachlese zu bringen , teils weil der Mensch , gleich seinen Unter-Königen , dem Adler und dem Löwen , eine besondere Neigung hat , nie rein aufzuspeisen , wie man an Kindern am ersten wahrnimmt .
Der Notar begriff gar nicht , wie der Bauersmann und andere Gäste im Stande sein konnten , den Teller ordentlich zu scheuern und zu trocknen , und jeden abgeglätteten Knochen noch zu trepanieren und , wie Kanonen und Perlen , zu durchbohren .
Nach dem Essen stellte er sich vor die offene Saaltüre der Tafelstube , um mit dem im Zaubertal gefundenen Zollzettel in der Hand , und mit dessen Übergabe zu warten , bis die speisenden Fuhrleute , die er in corpore anzureden und zu befragen scheute , einzeln heraus kämen .
Da stand ein junges schnippisches dreizehnjähriges Fuhrmännlein in blauem Hemde und dicker weißer Schlafmütze auf , drehte ganz heimlich des Wirts Sand-Uhr um , und wollte dem Mann im eigentlichen Sinne ( denn es war erst ein Drittel Stunden-Sand verlaufen ) die Zeit vertreiben .
Aber der Notar fuhr erbosest hinzu und kehrte die Umkehrung um , viel zu unvermögend , ein hämisches Unrecht , das er gegen sich erdulden konnte , gegen einen anderen zu ertragen .
Diese Hitze setzt ihn in Stand , den Zettel vor der ganzen table d' hotte empor zu heben und auszurufen , ob ihn jemand verloren .
Ich Herr , sagte ein langer herüber gestreckter Arm , und ergriff ihn , und nickte Einmal kurz mit dem Kopfe statt der warmen Danksagung , auf die Walten aufgesehen .
Auf dem Fenster sah er neben der Uhr das Schreibbuch des Wirts-Kindes liegen , dem zu drei Zeilen die drei Worte Gott -- Walten -- Harnisch vorgezeichnet waren .
Er war sehr darüber erstaunt , und fragte den Wirt , ob er etwan Harnisch heiße .
" Korner ist mein Name " sagte dieser .
Walten zeigte ihm das Buch und sagte , er selber heiße wie da stehe .
Der Wirt fragte grob , ob er denn auch wie die vorige Seite heiße : Hammel -- Knorren -- Schwanz -- etc. Jetzt wollte der Notar wieder Flügel anstatt der Pferde nehmen und fort , und vorher bezahlen , als ihn ein Bettelmann dadurch aufhielt und erfreute , daß er sein Almosen in Naturalien eintreiben wollte , und um ein Glas Bier bettelte , wahrscheinlich ein stiller Anhänger des physiokratischen Systems .
Da der Mann unter dem Einkassieren der kleinen Naturalbesoldung seinen Bettelstab in eine Ecke stellte : so gab das dem Notar Gelegenheit , diesen dornigen , schweren Stab in die Hand zu nehmen .
Walten hob und schwang ihn mit dem besonderen Gefühl , daß er nun den Bettelstab , wovon er so oft gehört und gelesen , wirklich in Händen halte .
Zuletzt -- da er sich es immer wärmer auseinander setzte , wie das der letzte und dünnste Mast eines entmasteten Lebens , ein so dürrer Zweig aus keinem goldenen Christbaum , sondern aus der Klag-Eiche sei , eine Speiche aus Jxions Rad -- wurde er erfasset ; er handelte dem Bettelmann , der vom Ernst nicht anders zu überzeugen war , als durch Geld , den Stab ab , die einzige Nippe , die der Mann hatte .
" Dieser Stab -- sagte Walten zu sich -- soll mich wie ein Zauberstab verwandeln , und besser als eine Lorenzo-Dose barmherzig machen , wenn ich je vor dem großen Jammer meiner Mitbrüder einst wollte mit kaltem oder zerstreutem Herzen vorübergehen ; er wird mich erinnern , wie braun und welk und müde die Hand war , die ihn tragen musste .
So sagte er strafend zu sich ; und der weichherzige Mensch warf sich , ungleich den hartherzigen , vor , er sei nicht weichherzig genug , indes jene sich das Gegenteil schuld geben .
Er brauchte dieses Stängeln seiner fruchtbringenden Blumen nicht ; aber da , wo diese Wetterstange selber wächst , auf den Schlachtfeldern , und um die Lustschlösser vierzehnter Ludwige herum , die schon gleich mit Zähnen auf der Welt ankam men * ) , an Orten , wo die geheimen Treppen und Throngerüste aus solchem Marter-Holz gezimmert werden , in Ländern , wo der Bettelstab der allgemeine oder General-Stab ist , vielleicht durch den militärischen selber , da würde es ein erwünschtes Legat sein , wenn jeder Bettler seinen Stab in ein eigenes Staats-Hölzer-Kabinet vermachte ; -- wenigstens ist zu glauben , wenn neben jedem Kommando-Stab und Zepter ein solcher läge , er diente als Balancierstange , und schlüge vielleicht wie ein Moses-Stecken aus manchen harten Thron-Felsen weiches Wasser .
Der Notar verließ sein Quartier mit dem Exulantenstab so froh als es zu erwarten war , da er den Verkäufer desselben in Erstaunen und Freudentränen gesetzt ; und besonders da er über die goldene Ernte von Abenteuern hinsah , die er bloß in einem halben Tage eingeerntet .
" Wahrlich es ist stark , sagte er , in Härmlesberg weiß man meinen Namen schon mündlich -- in Grün * ) Louis XIV. wurde gezähnt geboren . brunn gar schriftlich -- eine wunderbare Flöte geht und steht mit mir -- einen fremden Wander-Stab habe ich desfalls -- Gott , was kann mir nach solchen Zeichen nicht in einem ganzen langen Nachmittag passieren ?
Hundert Wunder !
Denn es schlägt erst halb 2 Uhr . "
So schloß er und sah mit frohlockenden Augen in den blauausgewölbten Himmel hinein .
Nro. 42. Schillerspat .
Das Leben .
Im nächsten Flusse wusch er den Bettelstab und die Hände ab , in welche er ihn vor dem Verkäufer aus Schonung frei genommen .
Der erste Akt der Wohltätigkeit , den er nach dem Kaufe des Stabes verrichtete , war einer mit dem Holze selber an Flös-Holz .
Er konnte es nicht ertragen , daß , während mitten im Strome viele Flöss-Scheite lustig und tanzend hinunter schwammen , eine Menge anderer , die nicht unbedeutender waren , sich in Ufer-Win keln stießen , drängten und elend einkerkerten ; eine solche Zurücksetzung auf die Expektantenbank verdienten die Flöss-Scheite nicht ; er nahm daher seinen Bettelstock und half so vielen hintangesetzten Scheiten durch Schieben wieder in den Zug der Wogen hinein , als neben ihm litten ; denn alle Scheite -- so wie alle Menschen -- zu befördern , steht außer dem Vermögen eines Sterblichen .
Er holte darauf einen kleinen zerlumpten Jungen ein , der barfuß in einem Paar roten Plüschhosen voll unzähliger Glatzen ging , das , von einem Manne abgelegt , eine Pump- und Strumpfhose zugleich an ihm geworden war .
Der Knabe hatte nichts bei sich als ein Gläsern , mit dessen Salbe er sich unaufhörlich die rotkranken Augen bestrich .
Walten fragte ihm sanft seine Leidensgeschichte ab .
Sie bestand nur darin , daß er von seiner Stiefmutter weggelaufen , weil sein Vater , ein Militär , von dieser weggelaufen , und daß er sich zu den Franzosen zu betteln hoffe .
" Kannst du hessische Groschen brauchen ? " fragte Walten , der zu seinem Schrecken zu großes Geld bei sich fand .
Der Knabe sah ihn dumm an , lächelte dann , wie über einen Spaß , und sagte nichts .
Walten wies ihm einen .
" O , sagte er , das kenne er wohl , sein Vater habe ihn oft wechseln lassen . "
Der Notar erfuhr endlich , der Knabe sei ein Hesse -- und gab ihm alle vaterländische Groschen .
Allmählich äußerte jetzt der Bettelstab seine feindselige Kraft , eine Wetterstange zu sein , welche Gewitter zieht .
Walten konnte den Frühling des Vormittags durchaus nicht wieder zurück bringen , sondern mußte den Herbst vor sich stehen sehen , der gerade so episch macht , als der Lenz lyrisch und romantisch .
Er durfte es dem Stock sehr aufbürden , daß er nach den Leipziger Bergen sah und doch ganz vergeblich hinter ihnen auf der anderen Seite in die Leipziger Ebenen herabzufahren suchte bis vor Winas Gartentüre , weil der Stock sich gleichsam unter dem Berg- Schlitten stemmte und stülpte .
Er sah nur das Fliehen und Fliegen des Lebens , die Eile auf der Erde , die Flucht des Wolkenschattens , indes am Himmel die Wolke selber nur langsam zieht , und die Sonne gar wie ein Gott steht und blickt .
Ach in jedem Herbst fallen auch dem Menschen Blätter ab , nur nicht alle .
Er sah eine abgefressene Wiese aber violet von ausgeschlossenen giftigen Herbstblumen .
Auf ihr lärmten Zugvögel , die mit einander den Plan zu ihrer Nachtreise zu bereden schienen .
Auf der Landstraße fuhr ein rasselnder Wagen hin , unter den Hinterrädern Bolle ein Hund .
Am fernen Berg-Abhange schritt eine weibliche weiße Gestalt kaum merkbar hinter ihrem dunkelbraunen Manne , um in irgend einem unbekannten Dörfern ein Glas und eine Tasse zu genießen , und dazu vor- und nachher so viel von schöner Natur , als unterwegs gewöhnlich vorkommt .
In der Nähe trippelten zwei weißgeputzte Mädchen von Stande , mit Blumen und Schnupfäuchern in den Händen durch die grünen Saaten-Furchen , und die gelben Schauls flatterten zurück .
Er ging vor einem bis an die Himmelswagen hinauf getürmten sogenannten Brautwagen vorbei , worauf alle die Wachsflügel , Flügeldecken , Glasfedern , und der Federstaub einer seit , und die Steis- und Schwanzflossen , die Brust- und Rückenflossen , die Danaidengefässe , Wasserstücke , Wasserwagen , Regenmesser und Trockenseile andererseits unter dem Namen Hausgeräte aufgeladen waren , welche der Mensch durchaus hienieden haben muß , um nur einigermaßen halb durch das Leben zu schwimmen , halb darüber zu fliegen .
Der Eigentümer aber schritt voll Empfehlungen der größten Vorsichtsregeln für seine aufgepackten Flügel und Flossen neben dem Wagen her , und versprach sich und anderen Schritt vor Schritt ganz andere blauere Tage in der Zukunft als er in seinem vorigen unbekannten Neste gehabt .
Darauf kam Walten auf ein Filial-Dörfern von fünf oder sechs waschenden , fegenden Häusern und rauchenden Backöfen .
Die Jünglinge hoben mit Stangen und halber Lebensgefahr einen Marienbaum mit roten Bänder-Fahnen in die Höhe , der für ein Dorf wohl nicht weniger ist , als was eine Vogelstange für eine Mittelstadt .
Die Mädchen , welche die Bänder hinauf geschenkt , sahen hochrot dem Aufbäumen zu , und hatten nichts im seligen Kopf und Herzen , als den morgendlichen Kirmes-Tanz um den Baum mit den bedeutendsten Burschen des Orts .
Darauf begegnete der Notar einem schwer ausgeschmückten elfjährigen Mädchen mit einer Krücke -- was ihn unsäglich erbarmte -- und die Frau Patin lief aus dem Örtern ihrem Kirmesgast schon entgegen .
Darauf kam ein an sich selber angeketteter Malefikant zwischen seinen Kerker-Führern ; alle priesen , so weit sie mit Worten noch vermochten , das Bier des vorigen Dorfs ; auch der Malefikant .
Er kam durch das ansehnlichere Dorf , worin das Filiale nur eingepfarrt war .
Da die Mutterkirchen-Thüre gerade offen stand -- aus dem kurzen dicken Turme wurde etwas geblasen , worein wieder der Viehhirt blies -- so ging er ein wenig hinein ; denn unter allen öffentlichen Gebäuden besucht er Kirchen am liebsten , als Eispalläste , an deren leere Wände das Altarlicht seiner frommen Phantasie sich mit Glanz und irrenden Farben am schönsten brach und umher goß .
Es wurde drinnen getauft .
Der Täufer und der Täufling schrien sehr vor dem Taufengel .
Vier oder fünf Menschen waren nach ihrer Art sonntäglich blasoniert , graviert , mit getriebener Arbeit vom Schneider bedeckt ; nur aus den vornehmsten Kirchen-Logen , den adeligen , schauten Mägde , die Arme in blaue Schürzen wie in Unter-Schauls gewickelt , im demineglige des Wochentags heraus .
Wirthschafts- Kleidung in heiliger Stätte war ihm harter Misston .
Der Pate des getauften Urenkels war der Ur-Großvater desselben , der das Schreihälsen kaum halten konnte vor Jahren , und dessen abgepflückte winterliche nackte Gestalt Walten besonders dadurch ins Herz drang , daß der alte Mann fünf oder sechs schneeweiße Haare -- mehr nicht -- zu einem grauen Zöpflein zusammengesammelt und gedreht hatte , um sich zu zeigen .
Daß der alte Mensch dem jungen so nahe war , das Kind des Grabes dem Kind der Wiege , die gelben Stoppeln dem heiteren Maien-Blümgen , das rührte den Notar noch eine Stunde über das Dorf hinaus .
" Spielet doch Kindtaufens " sagte er zu einigen Kindern , die ein Kreuz trugen und Begrabens spielen wollten .
Gerade aus dem Herzen flog ihm in den Kopf der Streckvers : Spielet jauchzend , bunte Kinder !
Wenn ihr einst wieder Kinder werdet , bückt ihr euch lahm und grau ; unter dem weinerlichen Spiele bricht der Spielplatz ein und überdeckt euch .
Wohl auch Abends blüht in Osten und Westen eine Aurora , aber das Gewölk verfinstert sich und keine Sonne kommt .
O hüpfet lustig , ihr Kinder , im Morgenrot , das euch mit Blüten bemalt und flattert eurer Sonne entgegen .
Die Zauberlaterne des Lebens warf jetzt ordentlich spielend bunte laufende Gestalten auf seinen Weg ; und die Abendsonne war das Licht hinter den Gläsern .
Sie wurden gezogen und es mußte vor ihm vorüber laufen unten im Strom ein Meßschiff -- ein niedriger Dorfkirchhof an der Straße , über dessen Rasenmauer ein fetter Schosshund springen konnte -- eine Extrapost mit vier Pferden und vier Bedienten vorne -- der Schatte einer Wolke -- nach ihr ins Licht der Schatte eines Rabenzugs -- zerrissene hohe graue Raub Schlösser -- ganz neue -- eine polternde Mühle -- ein zu Pferde sprengender Geburts-Helfer -- der dürre Dorfbalbier mit Schersack ihm nachschießend -- ein dicker überrockiger Landprediger mit einer geschriebenen Erntepredigt , um für die allgemeine Ernte Gott und für seine den Zuhörern zu danken -- ein Schiebkarren voll Waren und ein Stab Bettler , beide um die Kirmessen zu beziehen -- ein Vor-Dörfern von drei Häusern mit einem Menschen auf der Leiter , um Häuser und Gassen rot zu nummerieren -- ein Kerl auf seinem Kopfe einen weißen Kopf von Gips tragend , der entweder einen alten Kaiser oder Weltweisen vorstellen sollte oder sonst einen Kopf -- ein Gymnasiast spitz auf einem Grenzstein seßhaft , mit einem Leich-Roman vor den Augen , um sich die Welt und Jugend poetisch ausmalen zu lassen -- und endlich oben auf ferner Höhe und doch noch zwischen grünen Bergen ein Vorschimmerendes Städten , worin Gottwalt übernachten konnte , und die helle Abendsonne zog alle Spitzen und Giebel sehr durch Gold ins Blau empor .
" Wir sind laufende Strichregen , und bald Flegeljahre III. Bd. 2 herunter , " sagte er , als er auf einem Hügel bald rük-bald vorwärts sah , um die Kette der auseinander eilenden Gestalten zu knüpfen .
Da stieg ihm ein Bilder-Händler mit seiner auf eine Walze gefädelten flatternden Bilder-Bibel und Bilder-Galerie auf dem Nabel nach und fragte , ob er nichts kaufe .
" Ich weiß gewiß , daß ich nichts kaufe -- sagte Walten und gab ihm zwölf Kreuzer -- aber lassen Sie mich ein wenig dafür darin herumblättern . "
" Wer lieber als ich , " sagte der Mann , und bog seinen Thorax zurück und sein Bilderbuch ihm entgegen .
Hier fand der Notar wieder die stehenden Bilder der laufenden Bilder , das Leben fuhr mit Farben auf dem Papiere durch einander , die halbe Welt- und Regenten-Geschichte , Potentaten und Herkulanische Topf-Bilder , und Hanswurste , und Blumen- und Militair-Uniformen , und alles überlud den Magen des Mannes .
Wie heißt das Städtlein droben ? sagte Walten .
" Altfladungen , mein lieber Herr , und die Berge dort sind eine prächtige Wetterscheide , sonst hätte uns vorgestern das liebe Gewitter alles angezündet " ( versetzte der Bildermann ) " indes habe ich noch schöne aparte Stücke zum Ansehen " und blätterte das bunte Häng-Werk mit beiden Händen auf .
Walts Auge fiel auf eine Quodlibetszeichnung , auf welcher mit Reisblei fast alle seine heutigen Weg-Objekte , wie es schien , wild hingeworfen waren .
Von jeher hielt er ein sogenanntes Quodlibet für ein Anagramm und Epigramm des Lebens , und sah es mehr trübe als heiter an -- jetzt aber vollends ; denn es stand ein Januskopf darauf , der wenig von seinem und Vults Gesichte verschieden war .
Ein Engel flog über das das Ganze .
Unten stand deutsch : was Gott will , ist wohl getan ; dann lateinisch : quod Deus vult , est bene factus .
Er kaufte für seinen Bruder das tolle Blatt .
Der Bildermann verließ den Hügel mit Dank .
Walten heftete das von dem Vorüberzuge unseres malenden und gemalten Lebens gerührte Seelen- Auge , auf den wetterscheidenden Berg , der ganz unter den Rosen der Sonne mit einzelnen Felsen- Schneiden und mit Schafen glühte , und er dachte : " So fest steht er nun ewig da -- früh als noch keine Menschen hier waren , schnitt er auch die schweren Wetterwolken entzwei , und zerbrach ihre Donnerkeile und machte es hell und schön , im Tale ohne Augen -- Und wie tausendmal mag das Abendrot im Frühlingsglanz herrlich ihn vergoldet haben , da noch kein Leben unten stand , das in die Herrlichkeit mit Träumen versank . -- --
Bist du denn nicht , du große Natur , gar zu unendlich und zu groß für die armen Kleinen hier unten , die nicht Jahre lang , geschweige Jahrtausende glänzen können , ohne es zu zeigen --
Und dich , o Gott , hat noch kein Gott gesehen .
Wir sind ganz gewiß klein . "
Je mehr es Abend wurde , desto mehr ging das epische Gefühl in das süße romantische über und hinter den Rosen-Bergen wandelte wieder Wina in Gärten .
Denn der Abend färbet zugleich die optischen und geistigen Schatten bunter an .
Er sehnte sich nach einem fremden Menschenworte ; zuletzt drängte er sich an einen Mann , der einen Schiebekarren voll Wolle ungemein langsam schob , und immer stand und nach der Sonne sah .
" Er sei , sagte dieser sehr bald aufgeregt , sonst nur ein Hutmann gewesen , und habe auf einem gläsernen Horn sein Vieh so in der Stadt zusammen geblasen , daß mancher Hutmann etwas daran gewendet hätte , wenn er_es Blasen halb so hätte lernen können .
Nicht ein jedweder sei es kapabel .
Und er wünschte zu wissen , ob anderen Hirten ihr Vieh so nachgegangen , wenn sie durch die Elbe Vorausgewatete ; ihm sei es wie Soldaten nachgezogen ; und Gott behüte ihn , daß er sich dessen rühmte , aber wahr sei es . "
Der Notar hatte über nichts so viel Freude , als wenn arme Teufel , die niemand lobte , sich selber lobten .
" Ich schiebe noch ganzer fünf Stunden durch -- sagte der Mann , den der Anteil ins Reden setzte -- die frische Nacht habe ich dazu sehr gern " -- Das kann ich mir leicht denken , mein Alter , ( sagte Walten , der den unvergeßlichen dichterischen Mann von Tokenburg vor sich glaubte ) , im zweirädrigen Schäferhäusern , wo er doch meist im Frühling schläft , hatte er ja den ganzen Sternenhimmel vor sich , wenn er aufwachte .
Ihm ist die Nacht gewiß besonders lieb ?
" Ganz natürlich , denke ich , versetzte der Schäfer ; denn sobald frisch wird , und es tapfer taut , so zieht die Wolle die Nässe etwas an sich , und schlägt mehr ins Gewicht , das muß ein rechtschaffener Schäfer wissen , Herr .
Denn zum Zentner will es doch immer etwas sagen , wenn es auch nicht viel ist .
Da ließ ihn Walten mit einer zornigen guten Nacht stehen , und eilte dem rauchenden Bergstädten zu , wo er , nach den heutigen Dörfern zu schließen , im Nachtquartier unter solche Abenteuer zu geraten verhoffte , die vielleicht ein anderer mit Wurzeln und Blüten geradezu ausheben , und in einen Roman verpflanzen könnte .
Nro. 43. Polierter Bernsteinstengel .
Schauspieler -- der Maskenherr -- der Eiertanz -- die Einkäuferin .
Er kehrte im Ludwig 18. ein , weil der Gasthof vor dem Tore lag , vor dessen Fragmaschinen er nie gern vorbeigieng , nämlich stillstand .
Das erste Abenteuer war sogleich , daß ihm der Wirt ein Zimmern abschlug ; " es sei alles von Fränzels Truppe besetzt , sagte der Ludwigs- Wirt , der höhere Posten und Stockwerke nur solchen , die auf den höheren des Wagens und der Pferde kamen , aufschloß , hingegen den Fußboden Fußboten anwies .
Walten sah sich gezwungen den lauten Markt der Gaststube mit der Aussicht zu bewohnen , daß wenigstens sein Schlafkämmerlein einsam sei .
Er setzte sich an den halbrunden Ausschnitt eines Wandtisches hinein , und zog einen Hausknecht , da er nahe genug vorüber kam , gelegentlich an sich , und trug ihm höflich seine Bitte um Trinken vor , die er mit drei guten Gründen unterstützte .
Ohne Gründe hätte er es sechs Minuten früher bekommen .
Am Klapptischen tat er nichts , als in einem fort die Schauspieler und Spielerinnen im Allgemeinen hochachten , die aus- und eingingen , dann noch besonders an ihnen hundert einzelne Sachen -- unter anderen den mit dem Glättzahn aufgestrichenen Manns-Habit -- die entgegengesetzten Schwimmkleider der Weiber -- die allgemeine hohe Selbstschätzung , wodurch je der Akteur leicht der Münzmeister seiner Preismedaillen und sein eigener Chevalier d'honneur war , und jede Aktrice leicht ihre Dekorationsmalerin -- den Bühnen-Mut in der Wirtsstube -- -- das Gefühl , daß der Sockus oder der Kothurn ihre Achilles- Fersen beschütze -- die bunte Nacht ihrer Diktion , die aus so vielen Stücken so gut zugeschnitten war , als die Uniformen , welche sich die Frankreicher aus Bettdecken , Vorhängen und allem , was sie erplünderten , machten -- und den reineren Dialekt , den er so sehr beneidete .
" Darunter ist wohl keine einzige Person , dachte er , die nicht längst und oft auf der Bühne eine rechtschaffene , oder bescheidene , oder gelehrte , oder unschuldige , oder gekrönte gespielt " , und er impfte , wie Jünglinge pflegen , dem Holze der Bühne , wie des Katheders und der Kanzel , den Menschen ein , der darauf nur steht , nicht wächst .
Was ihn betrübte , war , daß alle Gesichter , sogar die jüngsten , die Alten- Rollen spielten , indes auf der Bühne , wie auf dem Olymp , ewige Jugend war , wenn es der Zettel begehrte .
Im Abenddunkel fiel ihm ein Mensch auf , der keine Mine rückte , mit allen sprach , aber hohl , oft , wenn ihn einer fragte , statt der Antwort dicht an den Frager trat , mit dem schwarzen Blicke einmal wetterleuchtete und darauf sich umwandte , ohne ein Wort zu sagen .
Er schien zu Fränzels Frucht-essender Gesellschaft zu gehören ; dennoch schien diese wieder sehr auf ihn zu merken .
Der Mann ließ sich jetzt eine Melone bringen , und eine Tüte Spaniol , zerlegte sie , bestreute sie damit , und aß die Tabaks-Schnitte und bot sie an .
Eben kamen Lichter herein , als er den Teller dem staunenden Notar vorhielt , der vollends sah , daß der Mensch eine Maske , doch keine unförmliche , vorhatte und der bekannten eisernen glich , die so alte Schauder in seine Phantasie geworfen .
Walten bog und schüttelte sich ; es war ihm aber einiges lieb und er trank .
Darauf stieg die Maske -- auch diese Phrase , wenn Ein Wort eine ist , war ihm ein schwarz-bedeckter Wagen , der Tote und Tiger führen konnte -- auf einen Fensterstock , machte das Oberfenster auf , und fragte einige Akteurs , ob sie ein Ei durch das Fenster zu werfen sich getrauten .
" Warum ? " sagte der eine , " Warum nicht ? " der andere .
Die Maske machte aber mit etwas Verstecktem in der Hand einige Linien in die Luft und versetzte kalt : " jetzt vielleicht keiner mehr ! "
Er wolle alle Eier zweifach bezahlen , sobald einer nur eines durchwerfe , sagte er .
Ein Akteur nach dem anderen schleuderte -- alle Eier fuhren schief -- die Maske verdoppelte den Preis der Aufgabe -- es war unmöglich -- Walten , der sonst auf dem Lande so oft in die Schleudertasche gegriffen , tat die Geldtasche auf und bombardierte gleichfalls mit einem Groschen Eier -- eben so gut hätte ' er eine Bombe geworfen ohne Mörser -- Eine ganze Bruttafel und Poularderia von Dottern floß von den Fenstern hernieder .
" Es ist gut , sagte die , Maske ; aber noch bis morgen Abend um diese Zeit bleibt die Eierfeindliche Kraft im Fenster ; dann kann jeder durchwerfen " -- und so ging er hinaus .
Der Wirt lächelte , ohne sonderlich zu bewundern gleichsam als schien ' er mehr zu berechnen , daß er morgen auf seiner Rechentafel aus diesen Eiern die beste Falkonnerie von Raubvögeln ausbrüten könnte , die ihm je in Fängen einen Fange zugetragen .
Da die Maske nicht sogleich wieder kam : so ging der Notar mit den Gedanken :
" Himmel , was erlebt nicht ein Reisender in Zeit von 12 Stunden " auch hinaus -- als sei er nach neuen Wundern hungrig , -- nach seiner Weise die Vorstadt im Zwielicht zu durchschweifen .
Eine Vorstadt zog er der Stadt vor , weil jene diese erst verspricht , weil sie halb auf dem Lande an den Feldern und Bäumen liegt , und weil sie überall so frei und offen ist .
Er ging nicht lange , so traf er unter den hundert Augen , in die er schon geblickt , auf ein Paar blaue , welche tief in seine sahen , und die einem so schönen und so gut gekleideten Mädchen angehörten , daß er den Hut abzog , als sie vorbei war .
Sie ging in ein offenes Kaufgewölbe . --
Da unter den festen Plätzen ein Kaufladen das ist , was unter den beweglichen ein Post wagen , nämlich ein freier , wo der Romanschreiber die unähnlichsten Personen zusammen bringen kann :
so behandelte er sich als sein Selbst- Romanschreiber und schaffte sich unter die Schnittwaren hinein , aus welchen er nichts kaufte als ein Zopfband , um doch einigermaßen ein Band zwischen sich und dem Blau-Auge anzuknüpfen .
Das schöne Mädchen stand im Handel über ein Paar gemslederne Mannshandschuh , stieg im Bieten an einer Kreuzerleiter hinauf und hielt auf jeder Sprosse eine lange Schmährede gegen die gemsledernen Handschuhe .
Der bestürzte Notar blieb mit dem Zopfband zwischen den Fingern so lange vor dem Ladentisch , bis alle Reden geendigt , die Leiter erstiegen und die Handschuhe Kaufs-unlustig dem Kaufmann zurückgeworfen waren .
Walten , der sich sogar scheute , sehr und bedeutend in einen Laden zu blicken , bloß um keine vergeblichen Hoffnungen eines großen Absatzes im Vorbeigehen in der feilstehenden Brust auszusäen , schritt erbittert über die Härte der Sanftäugigen aus dem Gewölbe her aus und ließ ihre Reize , wie sie die Handschuhe , stehen .
Schönheit und Eigennutz oder Geiz waren ihm entgegengesetzte Pole .
Im Einkaufe -- nicht im Verkaufe -- sind die Weiber weniger großmütig und viel kleinlicher als die Männer , weil sie argwöhnischer , besonnener , und furchtsamer sind , und mehr an kleine Ausgaben gewöhnt als an große .
Das Blau-Auge ging vor ihm her , und sah sich nach ihm um ; aber er sah sich nach der Brief-Post um , deren Horn und Pferd ihm nachlärmte .
Am Posthorne wollte seiner Phantasie etwas nicht gefallen , ohne daß er sich es recht zu sagen wusste , bis er endlich herausfühlte , daß ihm das Horn -- sonst das Füllhorn und Fühlhorn seiner Zukunft -- jetzt ohne alle Sehnsucht -- ausgenommen die nach einer -- da stehen lasse und anblase , weil der Klang nichts Male und verspreche , als was er eben habe , fremdes Land .
Auch mag das oft den Menschen kalt gegen Briefpostreiter unterwegs machen , daß er weiß , sie haben nichts an ihn .
Im Ludwig XVIII fand er die Briefpost abgesattelt .
Diese fragte ihn , da er sie sehr ansah , wie er heiße ?
Er fragte warum ?
Sie versetzte , falls er heiße , wie er hieß , so habe sie einen Brief an seinen Namen .
Er war von Vults Hand .
Auf der Adresse stand noch : " man bittet ein löbliches Postamt den Brief , falls H. H. nicht in Altfladungen sich befinden sollte , wieder retour gehen zu lassen , an H. van der Harnisch beim Theaterschneider Purzel . "
Nro. 44. Katzengold aus Sachsen .
Abenteuer .
Der Brief von Vult war dieser :
" Ich komme jetzt erst aus den Federn -- indes deine dich wohl schon Werstenweit getragen , oder du sie , -- und schreibe eilig ohne Strümpfe , damit dich mein Geschriebenes nur heute noch erreitet .
Es ist 10 Uhr , um 101/2 Uhr muß der Traum auf die Post .
Ich habe nämlich einen so seltsamen und prophetischen gehabt , daß ich dir ihn nachschicke , gesetzt auch , du lachst mich einen Monat lang aus .
Deine ganze heutige und morgende Reiseroute habe ich klar geträumt .
Belügt mich der Quintenmacher von Traum und trifft er dich in Altfladungen nicht an , -- worauf ich schwören wollte : -- so läuft er retour an mich , und es ist die Frage , ob ich ihn einem Spott- und Spaßvogel , wie du , dann je vorzeige .
Ich sah im Traum , auf der Landzunge einer Wolke sitzend , die ganze nordöstliche Landschaft mit ihren Blüten-Wiesen und Miststätten ; dazwischen hin eine rennende , schmale , gelbrockige , jubelnde Figur , die den Kopf bald vor sich , bald gen Himmel , bald auf den Boden warf -- und natürlich warst du es . --
Die Figur stand einmal und zog ihr Beutelchen , dann fuhr sie in Härmlesberg in der Krug .
Darauf sah ich sie oben auf meiner Wolkenzinne durch das Rosana Tal ziehen , den Bergrücken hinauf , vor Dörfern vorbei .
-- In Grünbrunn verschwand sie wieder im Krug .
Wahrhaftig dichterisch war es vom Traumgott gedacht , daß er mich allzeit 6 Minuten vorher , ehe du in ei einen Krug eintratest , ein dir ganz ähnliches Wesen vorher hinschlüpfen sehen ließ , nur aber glänzender , viel schöner , mit Flügeln , wovon bald ein dunkelblauer bald ein hellroter Strahl , so wie es sie bewegte , meinen Wolken-Siz ganz durchfärbte ; ich vermute also , daß der Traum damit nicht dich -- denn den langhosigen Gelbrock zeigt er mir zu deutlich -- sondern deinen Genius andeuten wollte . "
-- Vor Bewegung konnte Walten kaum weiter lesen ; denn jetzt fand er das Rätsel fast aufgelöst , wenn nicht verdoppelt -- durch ein größeres -- warum nämlich der Härmlesberger Wirt seinen Namen kannte , warum bei dem Grünbrunner derselbe dem Kinde im Schreibbuche vorgezeichnet war , und warum er bei dem Bildermann das seltsame Quodlibet gefunden .
Ordentlich aus Scheu , nun weiter und tiefer in die aufgedeckte Geisterwelt des Briefs hineinzusehen , erhob er in sich einige Zweifel über die Wahrhaftigkeit desselben , und fragte den trinkenden Postreiter , wann und von wem er den Brief bekommen .
" Das weiß ich nicht , Herr , sagte er spöttisch ; was mir mein Postmeister gibt , das reite ich auf die Station und damit Gott befohlen . "
Allerdings , sagte Walten und las begierig weiter :
" Darauf sah ich dich wieder ziehen , durch viele Orte , endlich in eine Kirche gehen .
Der Genius schlüpfte wieder voraus hinein .
Abends standest du auf einem Hügel , und nahmst im Städten Altfladungen Nachtquartier .
Hier sah ich vor der Wirtshaustüre deine verherrlichte Gestalt , nämlich deinen Genius mit einem dunklen behangenen Wesen kämpfen , dessen Kopf gar kein Gesicht hatte , sondern überall Haare . " -- --
Gott ! rief Walten , das wäre ja der Masken- Mensch !
" Das Wesen ohne Gesicht behauptete die Türe , aber der Genius fuhr als eine Fledermaus in die Dämmerung zu mir hinauf , sprengte dicht an meiner Wolken-Spitze seine Flügel wie Krebsscheren ab und hinab und fiel als Maus Odel Maulwurf in die Erde , ( etwa eine Meile von Altfladungen ) und schien fortzuwühlen ( denn Flegeljahre III. Bd. 9 ich sah es am Wellenbeete ) bis wieder zu dir und warf unweit einer Kegelbahn einen Hügel auf .
Es schlug acht Uhr in den Wolken um mich herum ; da kam das Angesicht zum Hügel und steckte etwas wie eine Maulwurfsfalle hinein .
-- Du aber warst hinterher , zogst sie heraus und fandest , indem du damit bloß den Erd-Gipfel wegstreichest , einige hundert - - - jährige Friedrich_d'or , die der Genius , Gott weiß aus welcher Tiefe und Breite , vielleicht aus Berlin , gerade an die Stelle für dich hergewühlt " . . . . Jetzt kam wirklich die Maske wieder .
Walten sah sie schauernd an ; hinter der Larve steckt gewiß nur ein Hinterkopf , dachte er .
Es schlug drei Viertel auf 8 Uhr .
Der Mann ging unruhig auf und ab , hatte ein rundes schwarzes Papier , das , wie er einem Akteur sagte , an Herzensstatt auf dem Herzen eines arquebusirten Soldaten zum Zielen gehangen , und schnitt ein Gesicht hinein , wovon Walten im Tagebuch schreibt : " es sah entweder mir oder meinem Genius gleich .
Die unabsehliche Winternacht der Geister , wo die Sphinxen und Masken liegen und gehen , und nicht einmal sich selber erblicken , schien mit der Larve herausgetreten zu sein ins Sommerlicht des Lebens . "
Da es acht Uhr schlug , ging die Larve hinaus -- Walten ging zitternd-kühn ihr nach -- im Garten des Wirtshauses war ein Kegelschub und der Notar sah ( wobei er mäßig zu erstarren anfing ) wirklich die Larve einen Stab in einen Maulwurfshügel stecken .
Kaum war sie zurück und weg , so nahm er den Stab als ein Streichholz und rahmte so zu sagen den Hügel wie Milch ab -- --
Die Sahne einiger verrosteten Friedrich_d'or konnte er wirklich einschöpfen mit dem Löffel .
Die wenigen haltbaren Gründe , warum der Notar nicht auf die Stelle fiel , und in Ohnmacht , bringt er selber bei im Tagebuch , wo man sie weitläufiger nachlesen kann ; obgleich zwei schon viel erklären ; -- nämlich der , daß er ein Strom war , der gegen die stärkste Gegenwart heftig anschlug , indes ihn bloß der auflösende Luft-Himmel der Zukunft dünn und ver fliegend in die Höhe zog , wie er nur wollte .
Jetzt aber nach dieser Menschwerdung des Geisterwesens stand Walten neben seines Gleichen .
Der zweite Grund , warum er stehen blieb , war , weil er im Briefe weiter lesen und sehen wollte , was er morgen erfahren , und welchen Weg er nehmen werde .
" Es war wahrhaftig das erstemal in meinem Leben , schreibt er , daß ich mich der seltsamen Empfindung nahte , ordentlich so hell wie über eine Gegenwart hinweg in eine Zukunft hinein zu sehen , und künftige Stunden zweimal zu haben , jetzt und einst . "
In der Gaststube war die Maske nicht mehr .
Er las herzklopfend die Marsch- und Lebensroute des Morgens :
" Darauf wurde der Traum wieder etwas menschlicher .
Ich sah , wie am Morgen darauf dein Genius , und das Un-Gesicht dir auf zwei verschiedenen Wegen vorflogen , um dich zu locken ; du folgtest aber dem Genius und giengest statt nach St. Lüne lieber nach Rosenhof .
Darüber fiel das Un-Gesicht in Stücken herab , einen Totenkopf und einige Knochen sah ich deut lich von der Wolke .
Der Genius wurde in der Ferne eine helle Wolke ; ich glaube ' aber mehr , daß er sie nur um sich geschlagen .
Du trabtest singend aus deinem Mittagsquartier , Namens Jodiz , durch eine Landschaft voll Lustschlösser bis an die Rosana , die dich so lange aufhielt , bis dich die Fähr-Anstalt hinübergefahren hatte in die passable Stadt Rosenhof .
Mir kam es vor , so weit ich die tief in den Horizont hinunter liegende Stadt erkennen konnte , als habe sich über ihr der Genius in ein großes blendendes Gewölk auseinander gezogen , und dich und die Stadt zuletzt darin aufgefasst , bis die Wolkenstrecke unter immer stärkerem Leuchten und Auswerfen von Sternen und Rosen und Gras zugleich mit meinem Traume aus einander ging .
Und damit wollte er , denke ich , nur bedeuten , daß du dich im Städtlein recht divertieren , und darauf auf den Heimweg machen würdest .
Wie eine solche Träumerei in meinen Kopf gekommen , lässt sich nur dadurch begreiflich machen , daß ich seit gestern immer deinen eigenen mit seiner Romantik darin gehabt .
Ich wollte , dein Name wäre so berühmt , daß der Brief dich fände , wenn bloß darauf stünde : an H. H. , auf der Erde ; wie man z. B. an den Mann im Monde recht gut so adressieren kann .
Die schönste Adresse hat jener allein , an den man bloß die Aufschrift zu machen braucht : an Den im Universum .
Reise klug , wie eine Schlange , Bruder . Habe viele Weltkenntnis und glaube nicht -- wie du dir einmal merken lassen , -- es sei tunlich , daß sich auf , der Briefpost blinde Passagiere aufsetzen könnten oder auch sehende , und lasse ' ähnliche Fehlschüsse .
Sei verdammt selig und lebe von den alten Friedrichsdoren , die der Maulwurf aufgeworfen , in einigem Saus und Braus .
Erkies , o Freund , nur kein Trauerpferd zu einem Steckenpferd ; da ohnehin jedes Kreuz , vom Ordenskreuze an bis zum Eselskreuz herab entweder genug trägt oder genug drückt .
Meide die große Welt möglichst ; ihre Hopstänze sind aus F mol gesetzt .
Das Schicksal nimmt oft das dicke Süssholz , an welchem die Leute kauen , als einen guten Prügel vor und prügelt sie sehr -- Ich wünschte doch nicht , daß du gerade auf der ersten Stufe des Throns gleich neben dem Fürstenstuhlbein ständest , wenn ihn der neue Regent zur Krönung besteigt , und daß er dich dann zu etwas erhöbe , in den Adelstand , zu einem Kammer- oder Jagdjunker oder so ; -- wie ein solcher Regent wohl pflegt , weil er in seiner neuen Regierung gerade nichts früher macht als das edelste , nämlich Menschen , d. h. Kammer-Herrn , Edelleute u. s. w. und erst später den Staat und dessen Glück , so wie die alten Theologen * ) behaupten , daß Gott die Engel vor der Erde und zwar darum erschaffen , damit sie ihn nachher bei deren Schöpfung lobten -- Ich wünscht es nicht , sage ich , daß du dem jungen neugebackenen und neubackenden Fürsten die gedachte Ehre antätest , und eine annähmest ; -- wahrlich ein Thron wird , wie der * ) Bibliotheque universelle T. IX. p. 83. Vesuv , gerade höher durch Auswerfen von Höhen und Hohen um ihn her -- und mein Grund ist dieser : weil du , gesetzt dir würde irgend eine bedeutende männliche oder weibliche Hof-Ja Regierungs-Charge zu Teil , doch nicht eher ein ruhiges Leben und eine starke Pension bekämest , als nach einem tapferen verflucht großen Fehltritt oder bei gänzlicher Untauglichkeit zu irgend etwas , worauf der Hof-Mensch Abschied und Pension begehrt und nimmt , gleich dem verurteilten Sokrates , der sich eine ähnliche Strafe vor Gericht diktierte , nämlich lebenslänglichen Freitisch als Prytane ; wie untüchtig aber du zu rechter Untüchtigkeit bist , das weist du am besten -- Kannst du wählen auf deiner Spannen- Reise , so besuche lieber den größten europäischen Hof als die kleinsten deutschen , welche jenen in nichts übertreffen ( in den Vorzügen am wenigsten ) als in den Nachteilen , wie man denn wahrgenommen , daß auch die Seekrankheit ( was sie gibt und nimmt , kennst du ) viel ärger würgt auf Seen als auf Meeren -- Suche dein Heil an Höfen mehr in groben Taten als in groben Worten ; diese werden schwerer verziehen .
-- Ein Hofmann vergibt zwar leicht , aber mit Gift -- Auf diesen schlüpfrigen Abhängen des Throns betrage dich überhaupt ganz trefflich und bedenke , daß man da wie die Griechen zu Homers * ) Zeiten , die Verwünschungen nur leise zu tun habe , weil die lauten auf den Urheber zurückspringen -- Sage Fürsten , Markgrafen , Erzherzog , Königen zwar die Wahrheit , aber nicht gröber als jedem ihrer Bedienten , um dich von republikanischen Autoren zu unterscheiden , die sich lieber vor Verlegern als vor Potentaten bücken -- Gegen Malteser-Damen , Konsulesse , Hof- und andere Damen vom höchsten Rang sei kein Pariser Bisam-Schwein , d. h. keine parfümierte Bestie , kein verbindlicher Grobian , der auf die manierlichste Weise von der Welt des Teufels gegen sie ist . --
Sei der schönste , lang gewachsenste , schlankste Mann von 30 Jahren , der mir noch vorgekommen -- Kurz , bleibe ein wahres Musterbild , bitte ich dich als Bruder !
Überhaupt , sei passabel !
* ) Hermanns Mytholog. I.
Ich schließe den längsten ernsthaften Brief , den ich seit zehn Jahren geschrieben ; denn es schlägt 101/2 Uhr , und er soll durchaus noch fort .
Himmel aber !
wo magst du jetzt sein ?
Vielleicht schon mehr als Wersten- weit von unserem Haslau , und erfährst nun an dir selber , wie leicht es großen Reisen wird , den Menschen auszubälgen und umzustülpen wie einen Polypen , und was es auf sich habe , wenn Häfen und Märkte und Völker vor uns vorübergehen , oder wir , was dasselbe ist , vor ihnen -- und wie es einem ziemlich schwer ankommt , nicht zu verächtlich auf Stubenhocker herab zu sehen , die vielleicht noch nie über 10 Meilen weit von ihrem Sparofen weggekrochen und für welche ein Urteil über ein Paar Reisende , wie wir , eine Unmöglichkeit ist .
Solche Menschen sollten , Freund , nur einmal an ihrer eigenen Haut erfahren , wie schwer das britische Gesetz , daß Leute , die aus der Stadt kommen , denen ausweichen sollen , die in selbige reisen * ) , manchem Weltmann moralisch zu hal * )
Hume es vermischte Schriften , 3. Bd. ten falle : sie sähen uns beide anders an .
-- Fahre wohl !
Folgt mir , noli nolle ! v. d. h. Postscr .
Hebe diesen Brief , im Falle du ihn bekommst -- sonst nicht -- auf , es sind Gedanken darin für unseren Hoppelpoppel. Nro. 45. Katzenauge .
Eß- und Trink-Wette -- das Mädchen .
Es mag nun hinter dem Traum ein Geist oder ein Mensch stecken , dachte Walten , eines der größten Abenteuer bleibt er immer .
Das schwang ihn über die ganze Stube voll Gäste weg ; er fuhr auf den romantischen Schwanzstern über die Erden hinaus , die wir kennen .
Die Friedrichsdore , von denen er viel vertun wollte , waren die goldenen Flügeldecken seiner Flügel , und er konnte ohne Eingriffe in den väterlichen Beutel sich ein Nösel Wein ausbitten , gesetzt auch , der Elsässer Testator komme wieder auf .
So froh gestimmt und leicht gemacht bahnte er sich durch das theatralische Gewimmel der Stube seinen beständigen Hin- und Herweg , wie durch ein Kornfeld , streifte oft an Chemisen vorbei , stand vor manchen Gruppen still , und lächelte kühn genug in fremdes Gespräch hinein .
Jetzt trat die Blauäugige , welche keine Mannshandschuhe gekauft , ins Zimmer .
Der Direkteur der Truppe schnaubte öffentlich Weinen ( so verkürzt ' er Jako-bine ) hart an , weil sie ihm zu teure Handschuhe mitgebracht .
Mit Vergnügen entschuldigte Walten innerlich ihren Handelsgeist mit der alten Theater-Einrichtung solcher Truppen , daß sie nichts übrig haben , und daß aller Goldstaub nur Geigenharzpulver ist , das man in ihr Feuer wirft .
Das Mädchen heftete , während der rohe Direkteur um sie donnerte , die heitersten Blicke auf den Notarius , und sagte endlich , der Herr da möge doch den Ausspruch tun und zeugen .
Er tat es und zeugte stark .
Aber der Donnerer wurde wenig erschüttert .
Da trat die Maske wieder ein .
Walten scheute seinen bösen Genius .
Sie schien ihn wenig zu bemerken , aber desto mehr den geizigen Prinzipal .
Endlich brachte sie es durch leises Disputieren da hin , daß zu einer Wette der Regisseur 10 Taler in Silber auf den Tisch legte und jene eben so viel in Gold .
Eine Flasche Wein wurde gebracht , eine Schüssel , ein Löffel und eine neugebakne Zweipfennig-Semmel .
Es wurde nun vor dem ganzen Stuben-Publikum die Wette publiziert , daß der Masken-Herr in kürzerer Zeit eine Flasche Wein mit dem Löffel aufzuessen verspreche , als der Direkteur seine Semmel hinunterbringe ; und daß dieser , wie gewöhnlich bei Wetten , gerade auf das Umgekehrte wette .
Da die Wette gar zu ungleich schien :
so beneideten die meisten Hintersassen des Theater-Lehnsherrn ihrem Vorgesetzten das ungeheure Glück , so leicht -- bloß durch ein Semmel-Essen -- zwei preußische Goldstücke , die nicht einmal aus dem Lande ausgeführt werden dürfen , in seines einzuführen .
Alles hob an , der Larvenherr hielt die Weinschüssel waagerecht an Kinn , und fing das schnellste Schöpfen an .
Der Gros- und Brotherr der Truppe tat einen der unerhörtesten Bisse in die Semmel , so daß er wohl die Halb- oder Drittels-Kugel sich ausschnitt .
Jetzt aß er unbeschreiblich -- er hatte eine halbe Weltkugel auf dem Zungenbein zu bewegen , zu zerstücken , zu mazerieren , also auf trockenem und nassem Weg zugleich zu scheiden -- was er von Dienst-Muskeln in der Wett-Höhle besaß , mußte aufstehen und sich regen , er spannte und schirrte den Beiß- und den Schläfe-Muskel an , die bekanntlich immer zusammen ziehen , -- ferner den inneren Flügelmuskel , den äußeren und den Zweibäuchigen -- die Muskeln drückten nebenher die nötigsten Speicheldrüsen , um Menstrua und Alkahest zu erpressen , der Zweibäuchige die Kieferdrüse , der Beißmuskel die Ohrdrüse , und so jeder jede .
Aber wie in einem Ballhause wurde der Magenball im Munde hin und hergeschlagen ; die Kugel , womit er alle zehn Taler wie Kegel in den Magen schieben wollte , wollte durchaus die Schlundbahn nicht ganz passieren , sondern halb und in kleinen Divisionen , wie ein Armee-Kern .
Auf diese Weise indessen verlor der theatralische Kommandeur , der den Larvenherrn unaufhörlich und ungehindert schöpfen sehen muß te , eine unschäzbare Zeit , und indem er den Teufels-Abbiss mühsam , Cahiersweise , oder in Rationen ablieferte und schluckte , hatte der Wett- Herr schon seine zwei Drittel mit dem Löffel leicht aufgetrunken .
Außer sich wirkte Fränzel in alle seine Muskeln hinein -- mit den Ceratoglossis , und den Genioglossis plattiert er die Zunge , mit den Styloglossis exkaviert er sie -- darauf hob er Zungenbein und den Kahlkopf empor und stieß die Unglücks-Kugel wie mit Ladstöcken hinab .
An anatomischen Schling-Regeln fehlt es ihm gar nicht .
Noch lag eine ganze Drittels-Semmel vor ihm , und der Larvenherr inkorporierte schon zusehends das vierte Viertel , sein Arm schien ein Pumpenstiefel oder sein Löffel .
Der Unglückliche schnappte nach der zweiten Hemisphäre der Höllenkugel -- in Betracht der Zeit hatte er ein entsetzliches Divisionsexempel vor sich oder in sich , eine lange Analyse des Unendlichen -- er schaute käuend die Zuschauer an , aber nur dumm und dachte sich nichts bei ihnen , son deren schwitzte und malmte drüslich vor sich -- die zwanzig Taler auf dem Tische sah er grimmig an , und wechselnd den Löffel-Säufer -- zu reden war keine Zeit und das Publikum war ihm nichts -- die elende Pechkugel vom Drachen konnte er nicht einmal zu Brei zersetzen ( es floß ihm nicht ) -- ans Schlucken durfte er gar nicht denken , indes er sah , wie der Maskenherr den Wein nur noch zusammenfischte -- --
Das fühlte er wohl , sein Heil und Heiland wäre man gewesen , hätte man ihn auf der Stelle in eine Schlange verkehrt , die alles ganz einschlukt , oder in einen Hamster , der in die Backentaschen versteckt , oder ihm den Thyreopalatinus ausgerissen , der die Eßwaren hindert , in die Nase zu steigen .
Endlich schüttete der Maskenherr die Schüssel in den Löffel aus -- und Fränzel stieß und worfelte den Semmel " globe de Compression " noch hin und her , so nahe am erweiterten Schlundkopfe , aber ohne das geringste Vermögen , die Semmel durch das so offene Höllentor zu treiben , so gut er auch aus den anatomischen Hörsälen wußte , daß er in seinem Maule über eine Muskel-Hebekraft von 200 Pfund zu befehlen habe .
Der Larvenherr war fertig , zeigte endlich dem Publikum die leere Schüssel und die vollen Backen des Direkteurs und strich das Wettgeld mit der Rechten in die Linke , unter der Bitte , Hr. Fränzel solle , wenn er etwas dawider und die Semmel schon hinunter habe , bloß das Maul aufmachen .
Fränzel tat es auch , aber bloß um den teuflischen Fangeball durch das größere Tor davon zu schaffen .
Der Maskenherr schien froh zu sein , und bot dieselbe Wette wieder aus , bei welcher er glänzende Erleichterungen vorschlug , z. B. statt einer Semmel bloß einen ganzen kleinen Kuhoder Ziegenkäse , kaum Knie- oder Semmel-Scheiben groß , auf einmal in den Mund zu nehmen und hinabzuessen , während er trinke ut supra ; aber man dachte sehr verdächtig von ihm und niemand wagte .
Den Notar hätte der Direkteur zu sehr gedauert , wenn er vorhin die schöne Blondine sanfter angefahren hätte .
Diese saß und nähte , und hob , so oft sie mit der Nadel aufzog , die großen 0 blauen Augen schalkhaft zu Walten auf , bis er sich neben sie setzte , scharf auf die Naht blickte und auf nichts dachte , als auf eine schickliche Vorrede und Anfuhrt .
Er konnte leicht einen Gesprächs- Faden lang und fein verspinnen , aber das erste Flocken an die Spindel legen konnte er schwer .
Während er neben ihr so vor seiner eigenen Seele und Gehirnkammer antichambrierte , schnellte sie leicht die kleinen Schuhe von ihren Füßchen ab , und rief einen Herrn her , um sie an den Trockenofen zu lehnen .
Mit Vergnügen wäre er selber aufgesprungen ; aber er wurde zu rot ; ein weiblicher Schuh ( denn er gab fast dessen Fuß darum ) war ihm so heilig , so niedlich , so bezeichnend , wie der weibliche Hut , so wie es am Manne ( sein Schuh ist nichts ) nur der Überrock ist , und an den Kindern jedes Kleidungsstück .
" Ich dächte , Sie sagten endlich etwas " , sagte Jacobine zu Walten , an dem sie statt der Zunge den Rest mobil machte , indem sie ihr Knäuel fallen ließ , und es am Faden halten wollte .
Er lief der Glückskugel nach , strikte und drehte sich aber in den Faden dermaßen ein , daß Jakobine aufstehen und diesen von seinem Beine , wie von einer Spindel abwaifen mußte .
Da sie sich nun bückte , und er sich bückte , und ihre Postpapierhaut sich davon rot beschlug -- denn ihr schlechter Gesundheitspaß wurde außer und auf der Bühne mit roter Tinte korrigiert -- und er die Röte mit Glut erwiderte ; und da beide sich einander so nahe kamen und in den unordentlichsten Zwiespalt der Rede :
so war durch diese tätige Gruppierung mehr abgetan und getan für Bekanntschaft , als wenn er drei Monate lang gesessen und auf ein Präludium und Antrittsprogramm gesonnen hätte . --
Er war am Ariadne Faden des Knäuls durch das Labyrinth des Rede-Introitus schon durch , so daß er im Hellen fragen konnte :
was sind Ihre Hauptrollen ? "
-- " Ich spiele die unschuldigen und naiven sämtlich " , versetzte sie , und der Augenschein schien das Spielen zu bestätigen .
Um ihr rechte Freude zu machen , ging er , so tief er konnte , ins Rollen-Wesen ein , und sprach der stummen Näherin feurig vor .
" Sie reden ja so langweilig , wie der Theaterdichter -- sagte sie -- oder Sie sind wohl einer .
Deren wer then Namen ? " --
Er sagte ihn .
" Ich heiße Jakobine Pamsen ; Hr. Fränzel ist mein Stiefvater .
Wo gedenken Sie denn eigentlich , H. Harnisch ? "
Er versetzte : " wahrscheinlich nach Rosenhof . "
-- " Hübsch , sagte sie .
Da spielen wir morgen Abends . "
Nun malte sie die göttliche Gegend der Stadt , und sagte : " die Gegend ist ganz superb . "
" Nun ? " fragte Walten , und versprach sich eine kleine Muster- und Produkten- Karte der Landschaft , ein dünnes Blätterskelett dasigen Baumschlags und so weiter .
" Aber --
Was denn ? sagte die Pamsen , die Gegend , sage ich , ist die göttlichste , so man schauen kann .
Schauen Sie selber nach . "
Da trat der Larvenherr unbefangen hin und sagte entscheidend : " bei Berchtolsgaden im Salzburgischen ist eine ähnliche und in der Schweiz fand ich schönere .
Aber künstliche Zahnstocher schnitzen die Berchtolsgadner " und zog einen aus der Weste , dessen Griff sauber zu einem Spizhund ausgearbeitet war .
" Wer Lustreisen machen kann , fuhr er fort , mein Herr , findet seine Rechnung vielleicht besser im Badort St. Lüne , wo gegenwärtig drei Höfe versieren , der ganze Flachsenfingische , dem_es gehört , danach der Schneerauer und der Pestizer und ein wahrer Zufluß von Kurgästen .
Ich reise morgen selber dahin . "
Der Notar machte eine matte Verbeugung ; denn das Geschick hatte ihn auf diesen ganzen Abend verurteilt , zu erstaunen .
" Allmächtiger Gott , dachte er bei sich , ist denn das nicht wörtlich , so wie in des Bruders Briefe ? "
Er stand auf -- ( Jakobine war aus Hasse gegen den um 10 fl. reicheren Larvenherrn längst weggelaufen mit dem Nähzeug in den Händen ) -- und sah am Lichte diese Brief-Stelle nach : " ich sah , wie am Morgen dein Genius und das Angesicht dir auf zwei verschiedenen Wegen vorflogen , um dich zu locken ; du folgtest aber dem Genius und giengest statt nach St. Lüne lieber nach Rosenhof " -- Er sah nun zu gewiß , die Maske sei sein böser Genius , Jakobine Pamsen aber , nach manchem zu urteilen , sein bester , und er wünschte sehr , sie wäre nicht aus der Stube gegangen .
Hatte er schon vorher den Entschluß gefasst , lieber dem Briefe und Traume zu folgen nach Rosenhof , weil er aus Homer und Herodot und ganz Griechenland eine heilige Furcht gelernt , höheren Winken , dem Zeigefinger aus der Wolke mit frecher Willkür zu widerstehen und gegen ihn die Menschen-Hand aufzuheben :
so wurde sein Entschluß des Gehorsams jetzt durch die Zudringlichkeit der Maske und die Einwirkung Jakobinens und durch das Netz neu verstärkt , worin Menschen und Vögel sich der Farbe wegen fangen , weil es mit der allgemeinen der Erde und Hoffnung angestrichen ist , nämlich der grünen .
Jakobienen sah er nicht mehr , als bloß auf ihrer Türschwelle mit einem Lichte , da er über die seines Kämmerleins trat .
Er überdacht es darin lange , ob er nicht gegen die Menschheit durch Argwohn verstoße , wenn er den Nachtriegel vorschiebe .
Aber die Maske fiel ihm ein und er stieß ihn vor .
Im Traume war es ihm , als werde er leise bei dem Namen gerufen .
" Wer da ? " schrie er auf .
Niemand sprach .
Nur der hellste Mond lag auf dem Bett-Kissen .
Seine Träume wurden verworren , und Jakobine setzt ' ihn immer wieder in das rosenfarbene Meer ein , so oft ihn auch die Maske an einer Angel auf einen heißen Schwefel-Boden geschleudert .
Nro. 46. Edler Granat .
Der frische Tag .
Am frühen Morgen brach die Truppe , wie Truppen , die Zelte lärmend ab und aus dem Lager auf .
Die Fuhrleute stäubten das Nachtstroh von sich .
Die Rosse wieherten oder scharrten .
Die Frische des Lebens und Morgens sprengte brennenden Morgentau über alle Felder der Zukunft , und man hielt es sehr der Mühe wert , solchen zuzureisen .
Das Getöse und Streben belebte romantisch das Herz , und es war , als reite und fahre man gerade aus dem Prosa-Land ins Dichter-Land , und komme noch an um 7 Uhr , wenn es die Sonne vergolde .
Als vor Walten die über alles blasse Jakobine wie ein bleicher Geist einsaß , sah er in den Traum und Abend hinein , wo er diesen weißen Geist wieder finden , auch über die Blässe fragen konnte ; denn er ver riet fast leichter Seelen-Schminke , als Wangen- Schminke , diese rote Herbstfarbe fallender Blätter , statt der Frühlingsröte jungfräulicher Blüte .
Weiße Schminke erraten Gelehrte noch schwerer oder gar nicht , weil sie nicht absehen können , sagen sie , wo sie nur anfange .
Die Maske saß auf , und sprengte seit ab nach St. Lüne zu .
Gottwalt wußte , daß , wenn er den Weg nach Jodiz einschlüge , der weissagende Traum , daß er da Mittags essen werde , schon halb in Erfüllung gehe ; --
er nahm also diesen Weg .
Es sei , daß der zweite Reisetag an der Natur den blendenden Glanz abwischet , oder daß sein unruhiger Blick in das geweissagte Rosenhof und dessen Gaben , das leise Grün der Natur , das wie ein Gemälde nur in ein stilles Auge kommt , verscheuchte : genug , statt des gestrigen beschaulichen Morgens hatte ' er jetzt einen strebenden tätigen .
Er saß selten nieder , er flog , er stand und ging als Befehlshaber an der Spitze seiner Tage .
Wäre ihm Don Quixote's Rosinante auf einer Wiese grasend begegnet , er hätte sich frei auf die nackte geschwungen , ( er wäre sein eigener Sattel gewesen : ) um in die romantische Welt hinein zu reiten bis vor die Haustür einer Dulzinee von Toboso .
Er sah vorübergehend in eine hackende Oelmühle , und trat hinein ; die Riesenmaschinen kamen ihm lebendig vor , die hauenden Rüssel , die unaufhaltbaren Stampf-Mächte und Klötze wurden von seltsamen Kräften und Geistern geregt und aufgehoben .
Durch den rein-blauen Himmel brauste ein unaufhörlicher Sturm -- der seine eigene Windharfe war ; -- aber nichts weht weiter in Zauber- und Zukunfts-Länder , als eine solche unsichtbare tönende Gewalt .
Geister flogen im Sturm ; die Wälder und Berge der Erden wurden von Überirdischen geschüttelt und gerückt ; -- die äußere Welt schien so beweglich zu werden , wie es die innere ist .
Überall lagen auf den Felsen Ritter-Schlösser -- in den Gärten Lustschlösser -- an den kleinen Reben-Bergen weiße Häusern -- zuweilen da eine rotglänzende Ziegelhütte , dort das Schieferdach einer Korn- oder Papiermühle . -- --
Unter allen diesen Dächern konnten die seltensten Väter und Töchter und Begebenheiten wohnen und heraus treten , und auf den Notar zugehen ; er versah sich dessen ohne Furcht .
Als eine zweite Straße seine zu einem Kreuzwege , diesem Andreaskreuze der Zauberinnen , durchschnitt :
so wehten ihn tiefe Sagen schauerlich aus der Kindheit an ; im Brennpunkte der vier Welt-Ecken stand er , das fernste Treiben der Erde , das Durcheinanderlaufen des Lebens umspannt er auf der wehenden Stelle .
Da erblickte er Jodiz , wo er Vults Traume nach essen sollte .
Es kam ihm aber vor , er habe es schon längst gesehen , der Strom um das Dorf , der Bach durch dasselbe , der am Flusse steil auffahrende Wald-Berg , die Birken-Einfassung und alles war ihm eine Heimat alter Bilder .
Vielleicht hatte einmal der Traumgott vor ihm ein ähnliches Dörfern aus Luft auf den Schlaf hingebaut und es ihn durchschweben lassen * ) .
* )
Es gibt zwar ein zweites Jodiz mit gleicher Gegend , -- das Kindheitsdorf des gegenwärtigen Er dachte nicht daran , sondern an Abenteuer und an die Natur , die gern mit Ähnlichkeiten auf Steinen , und in Wolken und mit Zwillingen spielet .
Im Jodizer Wirtshaus wurde er wieder überrascht durch Mangel an allem Überraschenden .
Nur die Wirtin war zu Hause und er der erste Gast .
Erst später kam mehr Leben an , ein Böheimer mit vier Verkaufschweinen , und dem Hunde ; aber da dieser sehr lamentierte , daß er lieber vier Herden treiben und absetzen wollte als allemal die letzten Äser , mit denen es nie ein Ende nehme :
so ließ sich Walten seine Sonnenseite nicht länger zur Winterseite umdrehen , sondern zog mit einer Portativ-Mahlzeit davon .
Er gelangte in einen felsigen stillen Wald und glitt vom Weg ab , und lief so lange einer immer enger ablaufenden Schlucht nach , bis er an die sogenannte stille Stelle kam , die er im Tagebuche so beschreibt :
* ) * ) Verfassers -- es liegt aber nicht in Haslau , sondern in Vogtland , wohin gewiß nicht der Notar gekommen .
" Die Felsen drängen sich einander entgegen , und wollen sich mit den Gipfeln berühren und die Bäume darauf langen wirklich einander die Arme zu .
Keine Farbe ist da als Grün und oben etwas Blau .
Der Vogel singt und nistet und hüpft , nie gestört auf dem Boden , außer von mir .
Kühle und Quellen wehen hier , kein Lüften kann herein .
Ein ewiger dunkler Morgen ist da , jede Waldblume ist feucht , und der Morgentau lebt bis zum Abendtau .
So heimlich eingebaut , so sicher eingefasst ist das grüne Stillleben hier , und ohne Band mit der Schöpfung als durch einige Sonnenstrahlen , die Mittags die stille Stelle an den allgewaltigen Himmel knüpfen .
Sonderbar , daß gerade die Tiefe so einsam ist , wie die Höhe .
Auf dem Montblanc fand Saussure nichts als einen Tag- und einen Nachtschmetterling , was mich sehr erfreute . --
Am Ende wurde ich selber so still , als die Stelle , und schlief ein .
Ein Zaubertraum nach dem anderen legte mir Flügel an , die bald wieder zu großen Blumenblättern wurden , auf denen ich lag und schwankte .
Endlich war mir , als rufe mich eine Flöte beim Namen und mein Bruder stehe dicht an meinem Bette .
Ich schlug die Augen auf , allein ich hörte fast gewiß noch eine Flöte .
Ich Wust aber durchaus nicht , wo ich war ; ich sah die Baum-Gipfel mit Gluth- Rot durchflossen ; ich entsann mich endlich mühsam der Abreise aus Jodiz und erschrak , daß ich eine ganze Nacht und den prophezeiten Abend in Rosenhof , hier verschlafen hätte ; denn ich hielt die Röte für Morgenröte .
Ich drängte mich durch den tauenden Wald hindurch und auf meine Straße hinaus -- ein prächtiges Morgen-Land faltete vor mir die glühenden Flügel auf , und riß mein Herz in das heiterste Reich .
Weite Fichtenwälder waren an den Spitzen gelbrot besäumt , freilich nur durch mordende Fichtenraupen .
Die liebe Sonne stand so , daß es der Jahreszeit nach 53/4 Uhr am Morgen sein mochte , es war aber , die Wahrheit zu sagen , 61/4 Uhr Abends .
Indes sah ich die Lindenstädter Gebirge rot von der entgegenstehenden Sonne übergossen , die eigentlich der östlichen Lage nach über Ihnen stehen musste .
Ich blieb im Wirrwarr , obgleich die Sonne vielmehr fiel als stieg , bis ein junger hagerer Maler mit scharfen und schönen Gesichts-Knochen und langen Beinen und Schritten und einem der größten Preussischen Hüte vor mir dahin vorüber wollte , mit einer Maler-Tasche in der Hand .
" Guten Morgen , Freund , sagte ich , ist das die Straße nach Rosenhof , und wie lange ? "
Dort hinter den Hügeln liegt es gleich , Sie können in einer Viertel-Stunde noch vor Sonnenuntergang ankommen , wenn die Fähre eben da ist . "
Er entlief mit seinen gedachten Schritten und ich sagte : Dank , gute Nacht .
Es war mir aber gewaltsam , als wenn sich die Welt rückwärts drehte , und als wenn ein großer Schatte über das Sonnen-Feuer des Lebens käme , da ich den Morgen zum Abend machen musste . "
So weit seine Worte .
Jzt stand der Notar still , drehte sich um , eine lange Ebene hinter ihm schlossen unbekannte Berge zu ; vor ihm standen sie wie Sturmbalken der Gewitter , gehörnt und gespalten hinter den Hügeln gen Himmel und die Berg-Riesen tru gen die hohen Tannen nur spielend .
Der fliegende Landschaftsmaler , sah er , setzte sich auf die Hügel und schien , nach seiner Richtung zu schließen , die verdeckte Stadt Rosenhof auf sein Zeichenpapier heraufzutragen .
Gott , dachte Walten , nun begreif ich es einigermaßen , wie die Stadt liegen mag , wie göttlich und himmlisch , wenn der Landschafts-Maler von Bedeutung sich davor setzt , und nur sie abreisset , indes er hinter seinem Rücken eine Landschaft weiß , die einen Fremdling , der jene nicht kennt , ordentlich mit Abend-Glanz und Ansicht überhäuft .
Als er oben vor die Aussicht kam , stand er neben dem Stand- und Sitzpunkte des Malers still , und rief nach dem ersten Blick auf die Landschaft aus : " Ja , das ist des Malenswert . "
" Ich zeichne bloß " sagte der gebückte Maler , ohne aufzublicken .
Walten blieb stehen , und sein Auge schweifte von dem breiten Rosana- Strome zu seinen Füßen , aufwärts zur Stadt am Ufer und Gebirge , und stieg auf die waldigen zwei Felsen-Gipfel über der Stadt , und fiel auf die Fähre , die voll Menschen und War gen zwischen Seilen , zu seinem Ufer , voll neuer Passagiere , herüber glitt , und sein Auge flog endlich den Strom hinab , der , lang von der Abendsonne beglänzt , sich durch fünf grüne helle Inseln brennend drängte .
Die Fähre war gelandet , neues Schiffsvolk und Fuhrwerk eingestiegen , sie wartete aber noch und , wie es ihm vorkam , auf ihn .
Er lief hinab und sprang auf das Fahrzeug .
Allein es wartete auf schwerere Befrachtung .
Er schaute auf drei hier einlaufende Straßen hinauf .
Endlich bemerkte er , daß im Abendglanze ein zierlicher Reisewagen mit vier Pferden , lange Staubwolken nachschleppend , daher rollte .
Darüber musste der Notar frohlocken , weil schon ein Fuhrmanns-Karren mit Pferden auf der Fähre stand und der Reisewagen mit den seinigen sie noch viel gedrängter und bunter machte , als sie es schon durch den Kongreß von Bettlern , Boten , Spaziergängern , Hunden , Kindern , Wandergesellen und Grumt-Weibern war , wozu noch der Tiroler , der Geburtshelfer und der Bettelmann kam , die ihm unterwegs begegnet wa Ren .
Die Fähre war ihm ein zusammengepresster Marktplatz , der schwamm , ein stolzes Linien- Schiff zwischen zwei Linien-Seilen , ein Bucentauro , aus welchem seine Seele zwei Vermählungsringe auswarf , einen in den Seestrom , einen in den glänzenden Abend-Himmel .
Er wünschte halb und halb , die Überfahrt wollte sich durch einige Gefahr , die anderen nichts schadete , noch trefflicher beleben .
Ein schöner stattlicher Mann stieg vorher aus dem angekommenen Wagen aus , ehe dieser auf das enge Fahrzeug getrieben , und da gehörig eingeschichtet wurde ; " er traue seinen Pferden nicht " sagte der Herr .
Walten fuhr ihm fast ohne ausgezeichnete Höflichkeit entgegen vor Jubel , denn er sah den General Zablocki vor sich .
Dieser durch Reisen häufiger an solche Erkennungen gewöhnt , bezeugte ein ruhiges Vergnügen , seinen erotischen Sekretär hier anzutreffen .
Der lange Postzug stolperte endlich in die Fähre mit dem Wagen herein , und aufzitternd sah Walten , daß Zablocki's schöne Tochter darin saß , die Augen auf die fünf Inseln heftend , welche der Flegeljahre III. Bd. II Sonnenglanz mit Rosenfeuer überschwemmte .
Sein Herz brannte sanft in seinem Himmel , wie die Sonne in ihrem , und ging selig auf , und selig unter .
Schon der leere Bekannte wäre ihm auf unbekanntem Boden , wie ein Bruder erschienen ; aber nun die still geliebte Gestalt -- sie gab ihm einen Seelen-Augenblick , den kein Traum der Phantasie weissagt .
Er stand an der Morgenseite des Kutschenschlags und durfte allda ohne Bedenken , da auf der Fähre alle Welt fest stehen muß , verharren , und in einem fort hinein sehen , ( er hatte sich gegen den Wagen umgekehrt ) er schlug aber die Augen oft nieder , aus Furcht , daß sie ihre herum wende und von seinen gestört werde , ob er gleich wußte , daß sie , geblendet von der Sonne , anfangs so viel sähe als nichts .
Er vergaß , daß sie ihn wahrscheinlich gar nie angesehen .
Nach der herrlichen Pracht-Sonne und nach den 5 Rosen-Inseln , sah er nicht hin , sondern genoß und erschöpfte sie ganz dadurch , daß er der stillen Jungfrau und dem stummen Abendtraume , womit sie auf den goldenen Inseln ruhte , mit tausend Wünschen zusah , es möge ihr doch noch besser ergehen , und himmlisch , und darauf noch herrlicher .
Von weitem war es ihm , als wenn die Rosana flösse und die Fähre schifte , und die Wellen rauschten , und als wenn die waagerecht einströmende Abend-Sonne Hunde und Menschen mit Jugendfarben überzöge , und jeden Bettler und Bettelstab vergoldete , desgleichen das Silber der Jahre und Haare .
Aber er gab nicht besonders Acht darauf .
Denn die Sonne schmückte Wina mit betenden Entzückungen und die Rosen der Wangen mit den Rosen des Himmels ; -- und die Fähre war ihm ein auf Tönen sich wiegender Sangboden des Lebens , ein durch Abendlicht schiffendes Morgenland , ein Charons-Nachen , der das Elysium trug zum Tartarus des Ufers .
Walten sah unkenntlich aus , fremd , überirdisch , denn Winas Verklärung warf den Widerschein auf ihn .
Ein Krüppel wollte ihm in der Nähe etwas von seiner Not vorlegen , aber er faste nicht , sondern hasste es , wenn ein Mensch an einem solchen Abend nicht selig war , wo sich die bisher betrübte Jungfrau erheiterte , und sich die Sonne gleichsam wie eine liebe warme Schwester- Hand an das Herz drückte , das bisher oft in mancher kalten dunklen Stunde schwer geschlagen .
" Hätte ' er nur kein Ende , der Abend , wünschte Walten , und keine Breite , die Rosana , -- oder man beschiffte wenigstens ihre Länge , fort und fort , bis man mit ihr ins Meer verschwämme , und darin unterginge mit der Sonne . "
Eben war die Sonne über dem Strome untergegangen .
Langsam wandte Wina das Auge ab und nach der Erde , es fiel zufällig auf den Notar .
Er wollte einen Gruß voll Verehrungen spät in den Wagen werfen , aber die Fähre schoß heftig vom Ufer zurück , und zerstieß das wenige , was er zusammen gebaut .
Der Wagen fuhr bedächtig ans Land .
Walten gab an 4 Groschen Fährgeld : " für wen noch ? " fragten die Fährleute .
" Für wer will " versetzte Walten ; darauf sprangen , ohne zu fragen und zu zahlen , mehr zu viele ans Land .
Der General wollte zu Fuß in die schöne Garten- Stadt , Walten blieb neben ihm .
Jener fragte , ob ihm gestern keine Komödianten begegnet .
Er berichtete , daß sie diesen Abend in Rosenhof spielten .
" Gut ! sagte Zablocki -- so essen Sie Abends bei mir im Granatapfel -- Sie übernachten doch -- und Morgens sieht man in Sozietät die ganz splendide Felsen-Gruppe , die Sie droben über der Stadt bemerken . "
Die Entzückung über diese Gabe des Geschicks spricht Walten in seinem Tagebuch kurz so aus : " wie ich vor ihm darüber meine Freude aussprach , lieber Bruder , das kannst du dir vielleicht besser denken als ich jetzt . "
Nr. 47. Titanium .
Kartause der Phantasie --
Bonmots --
Es gibt schwerlich etwas Erquicklicheres als Abends mit dem General Zablocki hinter dem Wagen seiner Tochter zwischen den Gärten voll Rosenstrauche in die schöne Stadt Rosenhof ein zugehen -- ohne alle Sorge und voll Ausmahlungen des Abendessens zu sein -- und den schönen Eß-Rauch über der Stadt ordentlich für die Zauber-Wolke zu halten , womit der gute Genius in Vults Briefe sie überzogen -- und von den wirtlichen reinen breiten Gassen und den leichten vergänglichen Spielen und Zwecken des Lebens immer gerade zu den draußen über der Vorstadt stehenden finsteren Gebirgshäuptern aufzusehen , die so nahe aus ihrer kalten Höhe auf die Häuser und die Türme herunter schauen .
Besonders nahm den Notar die grünende Gasse ein , wo der Granatapfel logierte : " mir ist ordentlich , sagte er begeistert und redselig zum General , als gieng' ich in Chalcis in Euböa * ) oder auch einer anderen griechischen Stadt , wo so viele Bäume in den Gassen standen , daß man die Stadt kaum sah .
Gibt es eine schönere Vermischung von Stadt und Land als hier , Exzellenz ?
-- Und ist Ihnen nicht auch der Gedanke süß , daß hier zu einer gewissen Zeit , so * ) Pausan. in Att. wie in Montpellier , alles in Rosen und von Rosen lebt , wenn man auch gleich jetzt nichts davon sieht als die Dornen , Herr General ? "
Dieser , der nicht daraus gehorcht hatte , rief seinem Kutscher einen derben Fluch zu , weil er mit seinem Wagen fast an dem Fränzelschen geentert hätte .
Walten sagte , das seien die Akteurs ; und forderte vom Wirt ein vortreffliches Zimmer , das man ihm leicht zugestand , weil man ihn für einen Sekretär Zablocki's ansah , was noch dazu richtig war in Rücksicht der erotischen Memoiren .
Da er darein geführt wurde , erstaunte er schon vorläufig über den Prunk des Prunkzimmers und wurde gerührt von seinem Glücksschwung , was zunahm , als er den Bettelstab , dem er seinen Hut aufsetzte , an den Spiegeltisch stellte .
Da er aber in höchster Bequemlichkeit und Seelen-Ruhe auf- und ab ging , die Papiertapeten statt des ihm gewöhnlicheren Tapetenpapiers -- die drei Spiegel -- die Kommode-Beschläge mit Messing-Masken -- die Fenster-Rouleaux -- und vollends die Bedientenklingel ausfand :
so läutete er diese zum erstenmal in seinem Leben , um sogleich ein Herr zu sein und , wenn er eine Flasche Wein sich bringen lassen , nun die süßquellende Gegenwart gehend auszuschlürfen , und überhaupt einen Abend zu erleben , wie irgend ein Troubadour ihn genossen .
Troubadours , sagte er sich , indem er trank , übernachteten oft in sehr vergoldeten Zimmern der Höfe , -- den Tag vorher vielleicht in einer Moos- und Strohhütte -- wie Töne durchdrangen sie hohe und dicke Mauern -- und dann pflegten sie sich darin noch die schönste Dame von Stand zu aufrichtiger Liebe auszulesen und , gleich Petrarca , solche in ewiger Dichtung und Treue gar nie selber zu begehren " -- setzt er dazu und sah an die Wand des -- Generals .
Zablocki's Zimmer war seinem durch eine zweimal verriegelte Wand- und Transito-Thüre versperrt und verknüpft .
Er konnte gehend --
denn stehend zuzuhören , hielt er für Unrecht -- auspacken und jedes heftige Wort des Vaters an Bediente , und den süßen Ton , worein Wina sie , wie eine Äolsharfe den Sturmwind , auf der Stelle übersetzte , leicht vernehmen .
Ob er gleich hoffte , unten in der breiten Gaststube Jakobienen wieder und viel bekannter anzutreffen :
so hielt er es doch für seliger , neben der nahen Nonne Wina als Wandnachbar auf- und ab zuspazieren , und sie unaufhörlich sich vorzustellen , besonders das große beschattete Auge und die Freundlichkeit und Stimme und das Abendessen neben ihr .
Er hörte endlich , daß der General sagte , er gehe ins Schauspiel , und daß Wina bat , zurück bleiben zu dürfen , und daß sie darauf ihrer Kammerdienerin -- der gottlosen Sängerin Luzie -- die Erlaubnis gab , sich im Städten umzusehen .
Alsdann wurde alles still .
Er sah zum Fenster hinaus an ihres .
Winas beide Fenster-Flügel ( sie schlugen sich nach der Gasse auf ) waren offen , und ein Licht im Zimmer und am Wirtshausschild ein Schattenriß , der sich regte .
Da er aber nichts weiter sah , so kehrte er wieder mit dem Kopf in seine Stube zurück , worin er -- so gehend , trinkend , dichtend , -- ein aus Rosenzucker gebackenes Zuckerbrot , ja Zucker-Eiland nach dem anderen aus dem Backofen auf der Schaufel behutsam heraus holte :
-- " O ich bin so glücklich ! " dachte er und sah nach , ob man keine Armenbüchse an die Papiertapeten geschraubt , weil er in keinem Wirtshause vergaß , in diese Stimm-Rize unbekannter Klagstimmen , so viel er konnte , zu legen ; aber das Zimmer war zu nett zu Wohltaten .
Es wurde sehr dunkel .
Der frühe Herbstmond stand schon als ein halbes Silber-Diadem auf einem Gebirgshaupt .
Der Kellner kam mit Licht , Walten sagte :
ich brauche keines , ich esse bei dem Hr. General .
Er wollte das Stubenlange Mondlicht behalten .
An der Fensterwand wurde ihm endlich dadurch eine und die andere Reise-Sentenz von früheren Passagieren erleuchtet .
Er laß die ganze Wand durch , nicht ohne Zufriedenheit mit den jugendlichen Sentenzen , welche sämtlich Liebe und Freundschaft und Erden-Verachtung mit der Bleifeder anpriesen .
-- " Ich weiß so gut als jemand -- schreibt er im Tagebuch -- daß es fast lächerlich , wenn nicht gar unbillig ist , sich an fremde Zimmer Wand anzuschreiben ; dennoch ergötzet den Nachfahrer ein Vorgänger sehr dadurch , daß er auch da gewesen , und die leichte Spur eines Unbekannten einem Unbekannten nachgelassen .
Freilich schreiben einige nur den Namen und Jahrszahl an ; aber einem wohlwollenden Menschen ist auch ein leerer Name lieb , ohne welchen eine entrückte verreiste Gestalt doch mehr ein Begriff bliebe als ein Begriffenes , weniger ein Mensch als eine luftige , auch wohl ätherische Menschheit .
Und warum soll man denn einen leeren Gedanken lieber haben und vergeben , als einen leeren Namen ? --
Ich nehme es gar nicht übel , daß einer bloshin anschrieb I. P. F. R.
Wonsidel : Martii anno 1793 -- oder ein anderer Vivat die A. etc. , die B. etc. , die C. etc. , die I. etc. -- oder das Französische , Griechische , Lateinische , auch Hebräische .
-- Und es stehen ja oft kostbare Sentenzen daran wie folgende : " im physischen Himmel glauben wir stets in der Mitte zu sein ; aber in Rücksicht des innerlichen glauben wir immer am Horizont zu stehen ; im östlichen , wenn wir frohlocken , im Weste Lichen , wenn wir jammern . "
Er wagte zuletzt selber Winas und Walts Namen samt Datum ans Stammbuch so zu schreiben .
W -- W. Sept. 179 -- Er schaute wieder auf die Mondhelle Gasse hinaus nach Weinen , und erblickte drei herausgelegte Finger , und ein wenig weiße Hutspize ; dabei und davon ließ sich leben und träumen .
Er schwebte und spielte , wie ein Sonnenstäuben , in den langen Mondstrahlen der Stube , er ergänzte sich das stille Mädchen aus den drei Fingern ; er schöpfte aus der nie versiegenden Zukunft , die beim Abendessen als Gegenwart erschien .
Freuden flogen ihm als purpurne Schmetterlinge nach und die beleuchteten Stubenbretter wurden Beete von Papillionsblumen -- -- drei Viertelstunden lang wünscht er herzlich , so einige Monate auf- und nieder zu gehen , um sich Wina zu denken und das Essen .
Aber der Mensch dürstet am größten Freudenbecher nach einem größeren und zuletzt nach Fässern ; Walten fing an , auf den Gedanken zu kommen , er könne nach der väterlichen Einladung ohne Übelstand sich jetzt gar selber Einstele lehn bei der einsamen Wina .
Er erschrak genug -- wurde scham- und freudenrot -- ging leiser auf- und ab -- hörte jetzt Wina auch auf und niedergehen -- der Vorsatz trieb immer mehr Wurzeln , und Blüten zugleich -- nach einer Stunde Streit und Glut war das Wagstück seiner Erscheinung und alle zartesten Entschuldigungen derselben fest beschlossen und abgemacht : als er den General kommen und sich rufen hörte .
Er riegelte mit dem Hut-Stock in der Hand , seine Wandtüre auf , " diese ist zu , Freund ! " rief der General , und er ging , den Mißgriff nachfühlend , erst aus seiner durch die fremde ein .
Blühend von Träumen trat er ins helle Zimmer ; halb geblendet sah er die weiße schlanke Wina mit dem leichten weißen Hute , wie eine Blumengöttin neben dem schönen Bacchus stehen .
Der letztere hatte ein heiteres Feuer in jeder Mine .
Die Tochter sah ihn unaufhörlich vor Freude über die seinige an .
Bediente mussten ihm auf Flügeln das Essen bringen .
Der Notar wog auf den seinigen , verschwebt in den Glanz dieses magischen Kabinetts , nicht viel über das Gewicht von fünf Schmetterlingen , so leicht und ätherisch flatterte ihm Gegenwart und Leben vor .
Er setzte sich mit weit mehr Welt und Leichtigkeit an das Eß-Täfelgen , als er selber gedacht hatte .
Der General , der ein unaufhörliches Sprechen und Unterhalten begehrte , sann Walten an , etwas zu erzählen , etwas Aufgewecktes .
Mit etwas Rührendem wäre er leichter bei der Hand gewesen ; so aber sagte er :
er wolle nachsinnen .
Es fiel ihm nichts bei .
Schwerer ist wohl nichts als das improvisieren der Erinnerung .
Viel leichter improvisiert der Scharf- und Tiefsinn , die Phantasie , als die Erinnerung , zumal wenn auf allen Gehirn-Hügeln die freudigsten Feuer brennen .
Dreitausend fatale Bonmots hatte der Notar allemal schon gelesen gehabt , sobald er sie von einem anderen erzählen hörte ; aber er selber kam nie zuerst darauf und er schämte sich nachher vor dem Korreferenten .
Sehr hätte er das Schämen nicht nötig , da solche Referendaren des fremden Witzes und solche Postschiffe der Gesellschaft meist platte Gehirne tragen , auf deren Tenne nie die Blumen wachsen , die sie da aufspeichern und auftrocknen .
" Ich sinne noch nach " versetzte Walten , geängstigt , einem Blicke Zablocki's , und flehte Gott um einigen Spaß an ; denn noch sah er , daß er eigentlich nur über das Sinnen sinne , und dessen Wichtigkeit .
Die Tochter reichte dem Vater die Flasche , die nur er -- seine Briefe aber sie -- aufsiegelte .
" Trinken Sie dies Gewächs für 48ger oder 83ger ? " sagte der General , als man Walten das Glas bot .
Er trank mit der Seele auf der Zunge und suchte forschend an die Decke zu blicken .
" Er mag wohl , versetzt er , um die Hälfte älter sein , als mein voriger Wein , den ich eher für jungen 48ger halte ; -- ja , ( setzt ' er fest dazu , und blickte ins Glas , ) er ist gewiß herrliche 83 Jahre alt . "
Zablocki lächelte , weil er eine Anekdote , statt zu hören , erlebte , die er schön weiter geben konnte .
Der General wollte ihn aus dem stillen innerlichen Schnappen nach Bonmots herausfra gen durch die Rede : wie er nach Rosenhof komme ?
Walten wusste keine rechte ostensible Ursachen -- wiewohl diese ihm gegenüber saß im weißen Hute -- anzugeben , ausgenommen Natur und Reiselust .
Da aber diese keine Geschäfte waren :
so begriff ihn Zablocki nicht , sondern glaubte , er halte hinter irgend einem Berge , und wollte durchaus hinter ihm kommen .
Walten schüttelte von seinen poetischen Schwingen die köstlichen Berge und Täler und Bäume auf das Tischtuch , die er auf dem seligen Wege mehr aufgeladen , als durchflogen hatte .
Zablocki sagte nach Walts langer Ausspende von Bildern : " beim Teufel ! nimm oder ich fresse nicht ! " Wina -- denn diese hatte er in jenem Liebes-Zorn angeredet , den weniger die Väter gegen ihre Töchter als die Männer gegen ihre Weiber haben -- nahm erschrocken ein großes Stück vom Schnepfen , dem Schoos-Kinde des väterlichen Gaumens , und reichte , höflicher als Zablocki , den Teller dem betretenen Notar hinüber , um ein Paar hundert Verlegenheiten zu ersparen .
Walten konnte auf keine Weise fassen , wie bei so mündlicher lebendiger Darstellung der lebendigen beinahe mündlichen Natur als seine war , ein Schnepfe mit allem seinem Album graecum noch einige Sensation zu machen im Stande sei .
Poetische Naturen , wie Walten , sind in Nordländern -- denn ein Hof oder die große Welt ist der geborene Norden des Geistes , so wie der geborene Gleicher des Körpers -- nichts weiter als Elephantenzähne in Sibirien , die unbegreiflich an einem Orte abgeworfen worden , wo der Elefant erfriert .
Mit einschmeichelnder Stimme fragt ihn wieder Zablocki , ob ihm noch nichts eingefallen ; und Wina sah ihn unter dem Abendrote des rottaftenen Hutfutters so lieblich Augennickend und bittend an , daß er sehr gelitten hätte , wenn ihm nicht die drei Bonmots , auf die er sich gewöhnlich besann , endlich zugekommen wären , und daß er wieder nahe daran war , ein gelieferter Mann zu werden , und alles zu vergessen , weil das kindlich bitthafte Auge zu viel Platz -- nämlich allen -- in seiner Phantasie , Memorie und Seele wegnahm .
Flegeljahre III. Bd. _ " Ein harthöriger Minister -- fing er an -- hörte an einer fürstlichen Tafel " . . . . " Wie heißt er und wo ? " fragte Zablocki .
Das Wust er nicht .
Allein da der Notar den wenigen Historien , die ihm zufielen , keinen Boden , Geburtstag und Geburtsschein zuzuwenden wusste -- vorfabeln wollte er nie : -- so braucht es Sozietäten nicht erst bewiesen zu werden , wie farbenlos er als Historienmaler auftrat , und wie sehr eigentlich als ein luftiger historischer Improvisator .
" Ein harthöriger Minister hörte an einer fürstlichen Tafel die Fürstin eine komische Anekdote erzählen , und lachte darüber mit dem ganzen Zirkel unbeschreiblich mit , ob er gleich kein Wort davon vernommen .
Jetzt versprach er eine eben so komische zu erzählen .
Da trug er , zum allgemeinen Erstaunen , die eben erzählte wieder als eine neue vor . "
Der General glaubte , so schnapp es nicht ab ; da er aber hörte , es sei aus :
so sagt ' er spät :
" Deliziös ! " lachte indes erst zwei Minuten später hell auf , weil er gerade so viele brauchte , um sich heimlich die Anekdote noch einmal , aber ausführlicher , vorzutragen .
Der Mensch will nicht , daß man ihm die spitze , blanke Pointe zu hitzig auf der Schwelle auf das Zwerchfell setze .
Eine gemeine Anekdote ergreift ihn mit ihrem Ausgang froh , sobald er nur vorher durch viel Langeweile dahin getrieben wurde .
Geschichten wollen Länge , Meinungen Kürze .
Walten trieb die zweite anonyme Geschichte von einem Holländer , auf und vor , welcher gern ein Landhaus , wegen der herrlichen Aussicht auf die See , besessen hätte , wie alle Welt um ihn , allein nicht das Geld dazu hatte .
Der Mann aber liebte Aussichten dermaßen , daß er alle Schwierigkeiten dadurch zu besiegen suchte , daß er sich auf einem Hügel , den er gegen die See hatte , eine kurze Wandmauer , und darein ein Fenster brechen ließ , in welches er sich nur zu legen brauchte , um die offene See zu genießen und vor sich zu haben , so gut als irgend ein Nachbar in seinem Gartenhaus .
Sogar Wina lächelte glänzend unter dem roten Taft-Schatten hervor .
Mit noch mehr Anmut als bisher teilte Walten die dritte Anekdote mit .
Ein Frühprediger , dessen Kehlkopf mehr zur Kanzel-Prosa als zur Altar-Poesie gestimmt war , rückte zu einer Stelle hinauf , die ihn zwang , vor dem Altare das " Gott in der Höhe sei Ehre ' " zu singen .
Er nahm viele Singstunden ; endlich nach vierzehn Singtagen schmeichelte er sich , den Vers in der Gewalt und Kehle zu haben .
Die halbe Stadt ging früher in die Kirche , um der Anstrengung zuzuhören .
Ganz mutig trat er aus der Sakristei , ( denn er hatte sich darin vom Singmeister noch einmal leise überhören lassen , ) und stieg gefast auf den Altar .
Alle Erzähler der Anekdote stimmen überein , daß er trefflich angehoben , und sich anständig genug in den Choral hineingesungen hatte : als zu seinem Ruin ein blasender Postillon draußen vor der Kirche vorbei ritt , und mit dem Posthorn ins Kirchenlied einfiel ; -- das Horn hob den Prediger aus dem alten Sing-Geleise in ein neues hinein , und er sah sich gezwungen , das ernste Lied mitten vor dem Altare nach dem vorbeireitenden Trompeterstücken , auf die lustigste Weise hinauszusingen .
Der General lobte sehr den Notar , und ging heiter aus dem Zimmer ; aber er kam nicht wieder .
Nr. 48. Strahlkies .
Die Rosenhöfer-Nacht .
Weder Jakobine noch der General machten je ein Geheimnis daraus -- nämlich aus ihrem wechselseitigen ; -- es kann also die Anverwandten von beiden auf keine Weise zu etwas Juristischem gegen den Verfasser der Flegeljahre berechtigen , wenn er im Strahlkies bloß kalt erzählet , daß Zablocki ein wenig in den nächsten Garten spazieren gegangen , und die Aktrize Jakobine zufällig nicht so wohl , als in der guten Absicht , von ihrer Rolle der Johanna von Montfaucon im Freien zu verschnaufen .
Noch viel weniger als schreibende Verfasser , sind von hohen Anverwandten allgemeine Sätze anzugreifen , wie z. B. dieser : daß sehr leicht der weibliche theatralische Lorbeer sich rückwärts in eine Daphne verwandle -- und der Satz , daß ei ne Schauspielerin nach einer schweren tragischen Tugend-Rolle am besten ihr eigenes Theater aux Italiens und ihre eigene Parodie werde -- am wenigsten dieser , daß das Militär , es sei auf Kriegs- oder Friedensfuß , den griechischen Möbeln gleiche , die meistens auf Satyrfüssen standen -- und endlich der , daß wohl nichts einander mehr sucht , und ähnlich findet ( daher schon die Worte Kriegstheater und Theaterkrieg , Aktion und Staatsaktion , Truppen , ) als eben Theatertruppen die Kriegstruppen , und vice versa .
Ich fahre also , nachdem ich berichtet , daß beide spazieren gegangen , gleich ihnen ruhig und ungestört , hoffe ich , fort .
Walts Gesicht wurde eine Rose unter dem Ausbleiben des Vaters .
Wina heftete die Augen , die sich wie süße Früchte unter das breite Laub der Augenlider versteckten , unter dem Hute auf ihr Strickzeug nieder , das einen langen Kinderhandschuh vollendete .
Über den Notar kam nun wieder die Furcht , daß sie ihn als den Auslieferer ihres Briefes zu verabscheuen anfange .
Er sah sie nicht oft an , aus Scheu vor dem zufälligen Augen-Aufschlag .
Beide schwiegen .
Weibliches Schweigen bedeutet -- ohnehin als das gewöhnlichere -- viel weniger als männliches .
Die befeuernde Wirkung , welche der Wein hätte auf den Notar tun können , war durch seine Anstrengung , den feinsten Gesellschafter zu spielen , niedergehalten worden .
Indes wäre ihm die Lage nicht unangenehm gewesen , wenn er nur nicht jede Minute hätte fürchten müssen , daß sie -- vorbei sei .
Endlich sah er sehr scharf und lange auf den Strick-Handschuh und wurde so glücklich , sich einen Faden der Rede daraus zu ziehen ; er schöpfte nämlich die Bemerkung aus dem Handschuh , daß er oft Stundenlang das Stricken besehen , und doch nie begriffen .
" Es ist doch sehr leicht , Hr. Harnisch " versetzte Wina , nicht spöttisch , sondern unbefangen , ohne aufzublicken .
Die Anrede : " Herr Harnisch " jagte den Empfänger derselben wieder in die Denk- und Schweig-Kartause zurück .-- " Wie kommt es -- sagte er , spät heraustretend , und den Strick- Faden wieder aufnehmend -- daß nichts so rührend ist , als die Kleidungsstücke der lieben Kinder , z.B. dieses -- so ihre Hütchen -- Schuhen ? -- --
Das heißt freilich am Ende , warum lieben wir sie selber so sehr ? "
-- " Es wird vielleicht auch darum sein -- versetzte Wina und hob die ruhigen vollen Augen zum Notar empor , der vor ihr stand -- weil sie unschuldige Engel auf der Erde sind , und doch schon viele Schmerzen leiden . "
" Wahrhaftig , so ist es -- ( beteuerte Walten , indem Wina , wie eine schöne stille Flamme glänzend vor ihm aufstand , um ihr Mädchen herzuklingeln ) --
Und wie dürfen Erwachsene klagen ? --
Ich will wahrlich das Sterben eines Kindes ( setzt ' er hinzu , und folgte ihr einige Schritte nach ) ertragen , aber nicht sein Jammern ; denn in jenem ist etwas so heilig-schauerliches . "
Wina kehrte sich um und nickte .
Luzie kam ; Wina fragte , ob der General ihr nichts aufgetragen .
Luzie wusste von nichts , als daß sie ihn in den nahen Garten hinein spa zieren sehen .
Rasch trat Wina ans mondhelle Fenster , atmete Einmal recht seufzend ein , und sagte schnell : " den Schleier , Luzie !
Und du weist es gewiß , liebes Mädchen , und auch den Garten ? " --
Mit einer leisen Stimme , wie nur eine mährische Schwester anstimmen kann , versetzte Luzie : " ja , Gnädigste ! "
Wina warf den Schleier über den Hut und redete , hinter diesem gewebten Nebel , und fliegenden Sommer unbeschreiblich blühend und liebreizend , den Notarius mit sanftem Stocken an : " lieber H. Notar -- Sie lieben ja auch , wie ich hörte , die Natur -- und mein guter Vater " -- --
Er war schon nach dem Hut-Stock geflogen , und stand bewaffnet und reisefertig da -- und ging hinter beiden mit hinaus .
Denn ein fremdes Zimmer zu verlassen , fühlte er sich ganz berechtigt .
Indes aber solches geschlossen wurde , kam er wieder voraus zu stehen , nahe an der Treppe ; -- und in ihm fing ein kurzes Treffen und Scharmützel an über die Frage , ob er mit entweder dürfe oder solle -- oder weder eines noch das andere .
Wina konnte ihn nicht zurück rufen -- und so kam er innen fechtend auf die Treppe , und trug das stille Handgemenge bis zur Haustür hinaus .
Da ging er ohne weiteres mit und setzte den Hut von seinem Stock auf den Kopf ; aber er zitterte , nicht so wohl vor Furcht oder vor Freude , sondern vor einer Erwartung , die beide vereinigt .
O es ist eine lächerliche und reine Zeit im frühen Jünglingsalter , wo im Jüngling die alte französische Ritterschaft mit ihrer heiligen Scheu erneuert , und wo der Kühnste gerade der Blödeste ist , weil er seine Jungfrau , für ihn eine von dem Himmel geflogene , eine nach dem Himmel fliegende Gestalt , so ehret wie einen großen Mann , dessen Nachbarschaft ihm der heilige Kreis einer höheren Welt ist , und dessen berührte Hand ihm eine Gabe wird .
Unselig , schuldvoll ist der Jüngling , der niemals vor der Schönheit blöde war .
Die drei Menschen gingen durch eine waldige Gasse dem Garten zu .
Der Mond zeichnete die wankende Gipfel-Kette auf den lichten Fußsteig hin , mit jedem zitternden Zweig .
Luzie erzählte , wie schön der Garten , und besonders eine ganz blaue Laube darin sei , aus lauter blauen Blumen gewebt .
Blauer Enzian -- blaue Sternblumen -- blauer Ehrenpreis -- blaue Waldreben vergitterten sich zu einem kleinen Himmel , worin gerade im Herbst keine Wolke , d. h. keine Knospe war , sondern offene Ätherkelche .
" Da die Blumen leben und schlafen , sagte Walten bei diesem Anlaß , so träumen sie gewiß auch , so gut wie Kinder und Tiere .
Alle Wesen müssen am Ende träumen . "
-- " Auch die Heiligen und die h. Engel ? " fragte Wina .
" Ich wollte wohl sagen Ja -- sagte Walten -- insofern alle Wesen steigen , und sich also etwas Höheres träumen können . "
-- Ein Wesen ist aber auszunehmen , sagte Wina .
-- " Gewiß !
Gott träumet nicht .
Aber wenn ich nun die Blumen wieder betrachte , so mag wohl in ihren zarten Hüllen der dunkle Traum von einem leichtern Traume blühen .
Ihre duftende Seele ist Nachts zugehüllt , nicht durch bloße Blätter , sondern wahrhaft organisch , wie denn unsere auch nicht durch bloße Augenlider zugeschlossen wird .
Sobald nun einmal die farbigen Wesen am Tage Licht und Kraft verspüren :
so können sie ja auch Nachts einen träumerischen Widerschein des Tages genießen .
Der Allsehende droben wird den Traum einer Rose und den Traum einer Lilie kennen und scheiden .
Eine Rose könnte wohl von Bienen träumen , eine Lilie von Schmetterlingen -- in dieser Minute kommt es mir ordentlich fast gewisser vor -- das Vergißmeinnicht von einem Sonnenstrahl -- die Tulpe von einer Biene -- manche Blume von einem Zephir -- Denn wo könnte denn Gottes oder der Geister Reich aufhören ?
Für ihn mag wohl ein Blumenkelch auch ein Herz sein , und umgekehrt manches Herz ein Blumen- Kelch . "
-- Jetzt traten sie in den Zauber-Garten ein , dessen weiße Gänge und finstere Blättergruppen einander wechselnd färbten .
Die Berge waren , wie Nachtgötter , hoch aufgestanden , und hoben ihr dunkles Erdenhaupt kühn unter die himmlischen Sterne hinein .
Der Notar sah den bisher auseinander liegenden Farbentau der Dichtung an Winas Hand sich als einen Regenbogen aufrichten , und im Himmel stehen als der erste glänzende Halbzirkel des Lebens- Kreises .
Er wurde -- so wie Wina immer einsilbiger -- immer vielsilbiger und betrank sich im Taufwasser seiner Worte , das er über jeden Berg und Stern goß , der ihnen vorkam .
Es gab wenige Schönheiten , die er nicht , wenn er vorbeigieng , abschilderte .
Es war ihm so wohl und so wohlig , als sei die ganze schimmernde Halbkugel um ihn nur unter seiner Hirnschale von einem Traume aufgebaut , und er könne alles rücken und rauben , und die Sterne nehmen und wie weiße Blüten herunterschlagen auf Winas Hut und Hand .
Je weniger sie ihn unterbrach und abkühlte : um so größer machte er seine Ideen , und tat zuletzt die größte , jene ungeheure auf , worin die Welt zerschmilzt und blüht , so daß Luzie , die bisher weltliche Lieder murmelnd gesungen , damit aufhörte , aus Scheu vor Gottes Wort .
Eben wurde das Completorium geläutet , als Wina vor einer überlaubten kleinen Kapelle vorbei ging .
Sie ging wie verlegen langsam , stand , und sagte Luzien etwas ins Ohr .
Walten war ihrer Seele zu nahe , um nicht in sie zu schauen ; er ging schnell voraus , um sie beten zu lassen , und sie heimlich nachzuahmen .
Luzie hatte leise Weinen gesagt , seitwärts oben die schwarze Laube sei die blaue .
In dieser wollte er die Beterin erwarten .
Als er näher trat , flog aus der Laube Jakobine lustig heraus , und warf ihm scherzend einen Schal über den Kopf und entführte ihn am Arme , um an seiner grünen Seite , sagte sie , die kostbare Nacht zu genießen .
Ob er gleich nicht von weitem ahnte , mit welcher frechen Parodie der Morpheus des Zufalls den Menschen oft mit seinem Geschicke paare und entzweie :
so widerstand doch der Spaß , und die Freiheit und der Kontrast dem ganzen Zuge seiner höheren Bewegungen .
Er setzt ihr eiligst auseinander , woher , und womit er komme und sah bedeutend nach der Kapelle , als werde er von dort aus stark erwartet .
Jacobine scherzte schmeichelnd über Walts Damen-Glück und verschloß ihm den Mund durch das Überfüllen seines Herzens .
Indes er nun äußerlich scherzend focht -- und innen es auf allen Seiten überschlug , wie er ohne wahre Grobheit Jakobinens Arm von seinem schütteln könne : -- so sah er , wie vom Eingange des Gartens her , den General auf die Tochter loskommen , sehr freudig ihre Hand in seinen Arm einpacken , und mit dem Engel der Sterne davon und nach Hause laufen .
" Ach wie schnell gehen die schönen Sterne des Menschen unter ! "
-- dachte Walten , und sah nach den Bergen , wo morgen ein Paar Bilder davon wieder aufgehen konnten ; und war nicht im Stande , Jakobienen zu fragen , ob sie die Reize der schönen Nacht empfinde ?
Diese flog kalt vor dem Notar ins Haus und verschwand auf der Treppe .
Er brauchte diesen Abend nichts weiter als ein Kopfkissen für seine wachen Träume und ein Stück Mondschein im Bette .
Aber in der Nachmitternacht -- so lange träumte er -- fuhr wieder auf der Gasse eine Nachtmusik auf , welche Zablocki's Leute abbliesen .
Nachdem Walten die Gasse wie ein Lorettohäusgen , in die schönste welsche Stadt getragen und niedergesetzt , -- nachdem er die herrlichen Blitze des Klanges , die an den Saiten wie an Metalldraht herabfuhren , auf sich einschlagen lassen -- und nachdem er die Sterne und den Mond nach der irdischen Sphärenmusik in Tanz gesetzt -- und nachdem die Lust halb aus war :
so flatterte Jakobine , deren Flüstern er vorher fast im Nebenzimmer zu hören geglaubt , zur Türe hinein und ans Fenster , vor brennender Ungeduld , die Töne zu hören , nicht aber den Notar .
Walten wusste nicht sogleich , wo er war oder bleiben sollte .
Er schlich sich heimlich und leise aus den Kissen in die Kleider , und hinter die Hörerin ; wie angezündeter Flachs , war er in höhere Regionen aufgeflogen , ohne einen Weg zu wissen .
Nicht daß er von ihr oder von sich etwas besorgte ; aber nur die Welt kannte er , und ihre Parterres-Pfeifen gegen jedes kühne Mädchen , ein Unglück , wogegen er lieber sich von der zweiten Fama-Trompete jagdgerecht anblasen ließe , um nur das Weib zu retten ; -- -- und er wusste kaum , ob er nicht aus der Stube so lange unvermerkt entflüchten sollte , bis die Aktrize in ihre heimgegangen .
Sie hörte drei Seufzer -- fuhr um -- er stand da -- sie entschuldigte sich sehr , ( zu seiner Lust , da er gefürchtet , er habe sein eigenes Dasein zu exkusiren ) daß sie in ein besetztes Zimmer gekommen , das ihr , da es ohne Nachtriegel gewesen , frei geschienen . --
Er schwor , niemand habe weniger dawider als er ; -- aber Jakobinens Reinheit glaubte sich damit noch nicht rein gewaschen , sie fuhr fort , und stellte ihm unter dem musikalischen Getöse , so laut sie konnte , vor , wie sie denke , wie ihr Nachtmusik in Mark und Bein fahre , an Fast- und Freitagen ganz besonders , weil da vielleicht ihr Nervensystem viel rührbarer sei , und wie dergleichen sie nie unter dem Bette lasse , sondern wie sie die erste beste Wasch-Serviette ( sie hatte eine 3 um ) über den Hals schlage , um nur ans Fenster zu kommen und zu hören .
Unter dieser Rede hatte eine fremde Flöte so närrisch mit feindlichen Tönen durch die Nachtmusik gegriffen und geschrien , daß diese es für angenehmer hielt , überhaupt aufzuhören .
Jakobine sprach laut , ohne es zu merken , weiter : " man überkommt dann Gefühle , die niemand gibt , weder Freundin noch Freund : "
" Etwas leiser , Vortreffliche , ums Himmelswillen leiser -- sagte Walten , als sie den letzten Satz nach der Musik gesagt -- der General schläft gerade neben an und wacht .
Wohl , wohl ist meistens für ein weibliches Herz eine Freundin zu unmännlich und ein Freund zu unweiblich . "
-- Sie sprach so leise als er es haben wollte , und faste ihn an der Hand mit beiden Händen an , wodurch die dicke plumpe Serviette , die sie bisher mit den Fingern wie mit Nadeln zugehalten , aus einander fiel .
Er erfuhr , was Höllenangst ist ; denn das leisere Sprechen und Beisammenstehen , Wust er , konnte ihn ja jede Minute , wenn die Türe aufging , bei der Welt in den Ruf eines Libertins , eines frechen Mädgen-Wolfs setzen , der nicht einmal die Unschuld schonet , wofür er Jakobine hielt , weil sie sanfte blaue Augen hatte .
" Aber Sie wagen beim Himmel zu kühn ! " sagte er .
" Schwerlich , so bald nur Sie nicht wagen " versetzte Sie .
Er deutete , was sie von seinen Anfällen sagte , irrig auf seinen unbefleckten Ruf , und wusste nicht , wie er ihr mit Zärte die Rücksicht auf seinen ohne Eigennutz -- denn ihr Ruf war ja noch wichtiger -- in der größten Eile und Kürze ( wegen des Generals und der Türe ) auseinander setzen sollte .
Und doch war er von so guten ehrlichen Eltern , von so unbescholtenem Wandel -- und trug den Brautkranz jungfräulicher Sittsamkeit so lange vor dem Bruder und jedem mit Ehren , -- -- er hatte den Henker davon , wenn der verfluchte Schein und Ruf hereingriff und ihm den gedachten Kranz vom Kopfe zog , gesetzt auch , es wuchs ihm nachher eine frische Martyrerkrone nach .
Ihm wurde ganz warm , das Gesicht rot , der Blick irre , der Anstand wild : " gute Jako bine , sagte er bittend , Sie erraten -- es ist so spät und still -- mich und meinen Wunsch gewiß . "
-- " Nein , sagte sie , halten Sie mich für keine Eulalia , H. v. Meinau .
Schauen Sie lieber die reine keusche Luna an ! " --
sagte sie , und verdoppelte seinen Irrtum .
-- " Sie geht -- versetzte er und verdoppelte ihren -- in einem hohen Blau , das kein Erden-Wurf durchreicht .
So will ich wenigstens meine Tür zuriegeln , damit wir sicher sind . "
" Nein , nein , " sagte sie leise , ließ ihn aber mit einem Handdruck los , um ihre Serviette zurechte zu falten .
Er kehrte sich jetzt um , und wollte dem Nachtriegel zufliegen , als etwas auf den Boden hinflog -- ein Menschen-Gesicht .
Jakobine schrie auf und rannte davon .
Er nahm das Gesicht , es war die Maske des Larvenherrn , den er für den bösen Genius gehalten .
Im Mondschein durchkreuzten sich seine Phantasien so sehr , daß es ihm am Ende vorkam , Jakobine habe selber die Maske fallen lassen und ihm und seinem armen Rufe nachgestellt .
Er litt viel ; -- es richtete ihn nicht auf , daß er sich der besten Behauptungen seines Bruders erinnerte , daß z. B. solche Befleckungen des Rufs heute zu Tage , gleich den Flecken von wohlriechenden Wassern , aus den Schnupftüchern und der weißen Wäsche von selber heraus gehen , ohne alle Prinzessen-Waschwasser und Fleckausmacher -- es tröstete ihn nicht , daß Vult ihn einmal gefragt , ob denn die jetzigen Fürsten noch wie die alten gewisse moralische Devisen und Symbola hätten , dergleichen gewesen " praesis ut prosis " und andere spielende , und daß der Flötenist selber , geantwortet , dergleichen habe jetzt nicht einmal ein tiefer Stand , und es könne überhaupt , wenn schon in Tasso's und Milton's christliche Heldengedichte die heidnische Götterlehre habe eindringen dürfen , auch in unserem Christentum so viel Götterlehre ( wenigstens in Betreff der schönsten Abgöttin ) Platz greifen , als wir gerade bedürfen und begehren . "
Darauf dachte Walten wieder an die Möglichkeit , daß irgend jemand das arme unschuldige Mädchen gesehen , und daß er ihren unbescholtenen Ruf anschmiße , der -- schloß er -- unbeschreiblich rein und fest sein musste , da sie so viel gegen die Weiblichkeit sich herausnehmen durfte -- Dann fiel ihm die 9te Testaments-Klausel " Ritt der Teufel " ein , die Ehebruch und ähnliche Sünden an ihm besonders bestraft --
Dann der General mit seiner heiligen Briefsammlung von erotischen Platonikerinnen -- Dann Wina und ihr Auge aus dem Himmel -- --
Der Notar brachte ' eine der dümmsten und elendesten Nächte zu , die je ein Mensch durchgelegen , der unter dem Rückgrat keine Eiderdunen gehabt , welche freilich noch stärker einheizen .
Nro. 49. Blätter-Erz. Beschluß der Reise .
Heiliger Morgen !
Dein Tau heilet die Blumen und den Menschen !
Dein Stern ist der Polstern unserer dahingetriebenen Phantasien und seine kühlen Strahlen bringen und führen das verwirrte erhitzte Auge zurecht , das seinen eigenen Funken nachsah und nachlief ! --
Als noch viele Sterne in die Dämmerung schienen , rief der General den Notarius mit der frohsten Stimme aus dem Bette zur Berg-Partie ; und dann nahm er ihn so liebreich auf -- bis an die Stirnhaare lächelte er empor -- , daß Walten sehr beruhigt war und beseligt ; der General , dachte er , würde ganz anders mit mir reden , wenn er etwas wüsste .
Winas Angesicht blühte voll zarter Morgenrosen ; im Paradies am Schöpfungs-Morgen blühten keine volleren .
Sie gingen zu Fuße dem zerspaltenen Gebirge zu .
Die Stadt war tief still , nur in den Gärten rüstete schon einer und der andere Beete und Rosenhecken für den Frühling zu und die Rauchsäulen des Morgenbrots bogen sich über die Dächer .
Draußen flatterte schon Leben auf , die Singdrossel wurde in den nahen Tannen wach , unten an der Fähre klang das Posthorn herüber , und aus dem Gebirge donnerte der ewige Wasserfall heraus .
Die drei Menschen sprachen , wie man am Morgen pflegt , gleich der grauen Natur um sie her , nur einzelne Laute .
Sie sahen gen Osten , woran das Gewölk zu einem roten Vorgebürge des Tages anfing aufzublühen , und es wehte schon leise , als atme der Morgen vor der Sonne her .
Wina ging an der einen Hand des Vaters , der in der anderen einen sogenannten schwarzen Spiegel hatte , um daraus die Natur zum zweitenmal als ein Luftschloß , als einen Abgußsaal einzuschöpfen .
Die Frühe -- Winas Morgenkleidung -- das Träumerische , das der Morgenstern auflösend im Herzen so unterhält , als stehe er am Abendhorizonte -- und Walts Bewegungen von der Nacht her , so wie seine Hinsichten auf die nahe Scheide-Sekunde ; das zusammen machte ihn sprachlos , leise , sinnend , bewegt , voll wunderbarer Liebe gegen das nähere Jungfrauenherz , welche so weich und vielknospig war , daß er sich auf Unterwegs freute , um in der blühenden Seligkeit recht ruhig zu blättern .
Mit süßer Stimme aber tat an ihn Wina die Bitte um Verzeihung des gestrigen Auseinanderkommens .
Da er die Bitte nicht zurück geben konnte :
so schwieg er .
Darauf bat sie ihn , Raphaela zu grüßen , und ihr als Ursache ihres brieflichen Schweigens den Umweg über Rosenhof nach Leipzig zu sagen .
Der General , der so freimütig mit der Tochter vor dem Notarius sprach , als laufe dieser als ein tauber Schattenmann oder als ein stummer verschwiegener Affe mit , machte Weinen geradezu Vorwürfe über ihre vielseitigen Sorgen und Schreibereien und über die ewigen Opfer ihres Ich_es .
Sie versetzte bloß : " wollte Gott , sie verdiente den Tadel ! "
Als sie ins Gebirge traten , kroch die Nacht in die Schluchten zurück , und unter die Thal- Nebel unter , und der Tag stand mit der Glanz- Stirn schon in den Höhen des Äthers .
plötzlich lenkte der General das Paar in eine Felsen- Spalte hinein , worin sie hoch oben das eine höchste Berghorn schon vom Morgen-Purpur umwickelt sahen , das andere tiefere vom Nachtschleier umwunden , zwischen beiden schimmerte der Morgenstern -- die Jungfrau und der Jüngling riefen mit einander : o Gott !
" Nicht wahr ? sagte der General und sah den Himmel im schwarzen Spiegel nach -- das ist einmal für meine Schwärmerin ? " --
Lang sam und ein wenig nickte sie mit dem Kopfe , und mehrmals mit dem Augenliede , weil sie vom gestirnten Himmel nicht wegsehen wollte ; führte aber die väterliche Hand an den betenden Mund , um ihm stiller zu danken .
Darauf zankt er ein wenig , daß sie so stark empfinde , und die Gefühle so gern aufnehme , die er ihr zuleite .
Schnell führte er Beide durch einen künstlichen Weg vor das stäubende Grab , worein sich der Wasserfall , wie ein Selbstmörder , stürzte , und woraus er als ein langer verklärter Strom auferstand und in die Länder griff .
Der Strom stürzte -- ohne daß man sehen konnte , aus welcher Höhe -- weit über eine alte Ruinen-Mauer hinüber und hinab .
Zablocki sagte darauf schreiend , wenn beide nicht scheuten , sich auf Gefahr eines schwachen Dampf-Regens mit ihm hart an der Mauer hin- und durch deren niedrige von lauter grünen Zweigen zugewebt Pforte durch zu drängen :
so könnten sie auch etwas von der ebenen Landschaft sehen .
Er ging voraus , mit langem Arme sich Weinen nachziehend .
Als sie durch das halb versunkene Tor durch waren , sahen sie in Westen eine Ebene voll Klöster und Dörfer mit einem dunklen Strom in seinem Tal , und in Osten die Gebirge , die wieder auf Gebirgen wohnten und , wie die Zybele , mit roten Städten aus Eis , wie mit Goldkronen , im hohen Himmel standen .
Die Menschen erwarteten das Durchbrennen der Sonne , welche den Schnee des Erden- Alters schon sanft mit ihren warmen Rosen füllte .
Der Donner des Wassers zog noch allein durch den Morgenhimmel .
-- Jetzt blickte Gottwalt von Osten weg und in die Höhe , denn ein seltsamer Goldschein überflog das nasse Grün -- da sah er über seinem Haupte den fest schwebenden Wasserfall vor der Morgensonne brennen als eine fliegende Flammenbrücke , über welche der Sonnenwagen mit seinen Rossen entzündend rollte .
-- Er warf sich auf die Knie , und den Hut ab , und die Hände empor , schaute auf und rief laut :
O die Herrlichkeit Gottes , Wina !
Da erschien ein Augenblick , -- niemand wusste wie oder wenn , -- wo der Jüngling auf die Jungfrau blickte und sah , daß sie ihn wunderbar , neu und sehr bewegt anschaue .
Seine Augen öffneten ihr sein ganzes Herz ; Wina zitterte , er zitterte .
Sie schaute auf zum Rosen- und Feuerregen , der die hohen grünen Tannen mit Goldfunken und Morgenrot bespritzte ; und wie verklärt schien sie vom Boden aufzuschweben , und der rotbrennende Regenbogen leuchtete schön auf ihre Gestalt herunter .
Dann sah sie ihn wieder an , schnell ging ihr Auge unter , und schnell auf , wie eine Sonne am Pol -- das herzerhebende Donnern und das Wetterleuchten des Stroms umrauschte , überdeckte beide mit himmlischen goldenen Flügeln gegen die Welt -- der Jüngling streckte die Arme nicht mehr nach dem Himmel allein aus , sondern nach dem Schönsten , was die Erde hat -- --
Er vergaß beinahe alles , und war nahe daran , in Gegenwart des Vaters die Hand des Wesens zu ergreifen , das über sein ganzes Leben diesen Sonnenblick der Zauberei geworfen .
Wina drückte schnell die Hand über ihre beiden Augen , um sie zu verdecken .
Der Vater hatte bisher den Wasserfall im schwarzen Spiegel beobachtet und sah nun auf .
Alles wurde geendigt .
Sie kehrten zurück .
Der General wünschte , daß man heftiger und deutlicher lobte .
Das Paar konnte es nicht .
" Jzt , sagte er , nach solcher Freude sehnet man sich nach einem rechten Janitscharen-Marsch ! " -- Gottwalt erwiderte : " O wohl , nämlich nach solchen Stellen daraus , die piano und aus Mol zugleich gehen , wodurch vielleicht die Entzückung fürchterlich stark hereinspricht , wie aus einem Geisterreich . "
-- " Es regnet heute noch , versetzte Zablocki , die Morgenröte zieht sich närrisch über den ganzen Horizont , so ganz besonders ; aber der schöne Morgen war doch wenigstens des Sehen_es wert , Wina ?
Sie gab kein Ja .
Schweigend kam man nach Rosenhof .
Zablocki's Wagen , Pferde und Bedienten standen schon reisefertig da .
Darauf flog alles auseinander , und davon .
Die Liebenden gaben sich kein Zeichen der vorigen Minute , und der Wagen rollte davon , wie eine Jugend und eine heilige Stunde .
Walten ging im Granatapfel noch einige nachblitzend Minuten in seiner Stube auf und ab , dann in die des Generals .
In dieser fand er ein vergessenes beschriebenes Blatt von Wina , das er ungelesen , aber nicht ungeküsst , einsteckte , samt einem Flakon .
Borstwisch und Sprenggefäß , die Vorarbeiter neuer Gäste , trieben ihn in sein Zimmer zurück .
Er steckte die sonderbare Maske zu sich .
Darauf machte er -- gleich unvermögend , länger zu bleiben und länger zu reisen -- sich trunken auf den Weg nach Haslau zurück .
Er sehnte sich mit seinem Folioband voll Abenteuer unter dem Arm in die Stube Vults .
Sein Herz hatte genug , und brauchte keinen Himmel weiter als den blauen .
Jakobine warf ihm von der Treppe , die sie hinauf ging und er herunter , das Versprechen nach , im Winter in Haslau zu spielen .
-- draußen verwelkte der rosenrote Himmel immer grauer und bis zu Regenwolken .
An der Fähre musst ' er lange warten .
Es fing endlich an zu regnen .
Aber da der Vorhang vor dem Singspiele der Liebe aufgegangen war :
so Wust er , mit Augen und Ohren unter ihren Gesängen und Lichtern wohnend , wenig oder nicht , ob es auf das Dach des Opernhauses regne oder schneie .
Da das Schicksal gern nach dem Feste der süßesten Brote dem Menschen verschimmeltes , wurmvolles aus dem Brotschrank vorschneidet :
so ließ es den Notar hinter Jodiz auf Irrwege -- auf physische -- laufen , was dem Verhängnis leicht wurde , da er ohnehin nichts Örtliches behielt , nicht den Riß eines Parks , in welchem er einen ganzen Sommer lang spazieren gegangen .
Dann musst er die gebogene weiße Hutfeder , welche ohne Kopf von einem Kavalleristen aus einem Hohlweg vorstach , für die Schwanzfeder eines laufenden Hahns ansehen , und nachher den Irrtum dem Militär gutmeinend entdecken , der ihn sehr anschnauzte .
In einem Kirmesdorf wurde ihm aus den Fenstern eines betrunkenen Wirtshauses ein wenig nachgelacht .
Das Rosanathal lief voll Wasser .
In einem schönen Gartenhaus spielte der Regen wind auf der Windharfe einen misstönigen Läufer und Kadenzen voll Schreitöne , da er vorüberlief .
Selig flog er seinen Weg --
denn er hatte Flügel am Kopf , am Herzen , an den Füßen , und saß als geflügelter Merkur noch auf dem Flügelpferd -- und ohne es kaum zu merken , kam er durch die vorigen Dörfer .
Gleich dem Blitze lief sein Geist nur an den Vergoldungen des Welt-Gebäudes hin .
Nur Wina und ihre Augen füllten sein Herz ; an Zukunft , Folgen , Möglichkeiten dachte er nicht ; er dankte Gott , daß es noch einige Gegenwart auf der Erde gab .
Eine Freude kleinerer Art genoß er hinter Grünbrunn , wo ihm der Böheimische Schweintreiber , dessen Klagen er in Jodiz gehört , mit einem Pilger-Liede aufstieß , und nichts von seinem Plagevieh mehr bei sich hatte , als den Hund .
So trug ihn die rollende Erde ohne Erdstösse wiegend um die bedeckte Sonne .
Gegen Abend sah er schon Haslau , die Meilen waren ihm Wersten geworden .
In Härmlesberg begegnete er noch einer alten Diebin , die man daraus bis an den Markstein mit dem Staubbesen gekehrt hatte .
Aus Haslau kamen ihm Feuerspritzen entgegen , welche glücklich hatten löschen helfen .
Als er im nassen knappen Badegewand mit fortleuchtenden Entzückungen durch das Haschlauer Tor getreten : sah er an den Kirchthum , wo Flette und Hering wohnten ; und nahm freudig wahr , daß der Testator Flette , so hergestellt und gesund wie ein Fisch im Wasser , aus dem Schallloch guckte .
Ende des dritten Bändgens .
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Paul, Jean. Flegeljahre: Teil 3. Bildungsromankorpus. https://hdl.handle.net/21.11113/4c0s8.0