Die Gefahren übergroßer Tugend.

Der Herre von Montcontour war ein kühner Krieger Tourainer Abkunft, der zu Ehren des Sieges, so der Herzog von Anjou, der nachmalige ruhmvolle König, zu Vouvray davontrug, alldorten das gleichnamige Schloß erbaute. Und da er sich selbst damals viele Lorbeeren errungen hatte, so durfte er selbigen Namen dem seinigen beifügen. Dieser nun hatte zween Söhne, deren ältester bei Hofe gar beliebt war. Als aber der Alte während des Waffenstillstandes, der vor der Bartholomäusnacht geschlossen war, in sein Schloß eilte, ward er durch die betrübliche Nachricht überrascht, daß jener Sohn im Zweikampfe gefallen war. Das ging dem Ärmsten um so näher, als er bereits alles eingeleitet hatte, um selbigen mit einem Fräulein aus dem Hause Amboise zu vermählen, und nun die hierdurch erhofften Vorteile zu entschwinden[208] drohten. In gleichermaßen ehrgeizigen Absichten hatte er seinen zweiten Sohn ins Kloster gesteckt, allwo er unter der Leitung eines gar hochheiligen Mannes aufwuchs. Der Alte wollte gern zum mindesten einen machtvollen Kardinal aus ihn machen, und darum wurde des Jünglings Seele in so blitzeblanker Reinheit erhalten, daß auch nicht der Schatten eines sündlichen Gedankens auftauchen konnte: mit seinen neunzehn Jahren kannte er keine andere Liebe, denn die zu Gott, keine Englein, denn die droben im Himmel.

Nunmehro allerdings beschloß der Herre von Moncontour, das Unschuldslamm aus dem Kloster zu holen, damit es sich mit weltlichem Ruhm bedecke und vor allem jenes Mägdelein eheliche, das dem Verstorbenen bestimmt gewesen war; ein gar trefflicher Gedanke, sintemalen das Mönchlein ob seiner Enthaltsamkeit in Saft und Kraft strotzte, und somit sein Ehegesponst sicherlich besser mit ihm fuhr, denn mit dem Älteren, der in den Händen der Hofdamen schon reichlich abgenutzt und zerfleddert war. Der entmönchte Mönch fügte sich geduldig den geheiligten Wünschen seines Vaters und stimmte der Ehe zu, ohne überhaupt zu wissen, was eine Frau, schlimmer noch: was ein Mägdelein sei. Kam dazu, daß seine Reise sich verzögerte, und der unerhörte Tugendbold dadurch erst am Tage vor der Hochzeit auf dem Schlosse eintraf. – Jetzo muß auch über die Braut einiges gesagt werden. Ihre Mutter war seit langem Wittib und lebte bei dem Herren von Braguelongne, dessen [209] Weib hinwiderum zum großen allgemeinen Ärgernis mit dem Herren von Lignières lebte. Immerhin hatte dermalen ein jeglicher so viele Balken in seinem Auge, daß er nicht allzusehr auf die Splitter in den Augen seiner Nächsten achten konnte: der Teufel machte glänzende Geschäfte und Frau Tugend saß schlotternd in irgendeinem Mauseloch und tauchte nur hie und da bei ein paar prüden Damen auf. Im ganzen Hause Amboise gab es nur die uralte Wittib des Herrn von Chaumont als einzige Vertreterin wohlerprobter Tugend und Frömmigkeit. Diese hatte das Jungfräulein, um welches sich unsere Geschichte dreht, seit seinem zehnten Lebensjahre unter ihre Fittiche genommen, und das war der Frau von Amboise keineswegs ungelegen, weil sie hierdurch ungebundener leben konnte. Nur einmal jährlich auf der Durchreise besuchte sie ihr Töchterlein; aber trotz dieser mütterlichen Zurückhaltung wurde sie zur Hochzeit geladen, und mit ihr der Herre von Braguelongne. Denn Moncontour wußte als erfahrener Haudegen, wie's in der Welt ausschaut. Die greise Pflegemutter war schon gar zu klapperich und mußte betrübt daheim bleiben. Ihr Trost blieb, daß die holde Jungfrau in die Hand eines halben Heiligen überging. Und so wurden denn die beiden am Tage nach ihrer Ankunft mit viel Glanz durch den Bischof von Blois zusammengetan, und die Hochzeitsfeier dauerte unter Tanzen und Festgepränge bis zum Morgen.

Allerdings die Braut war Schlag Mitternacht von den [210] Brautjungfern zu Bette gebracht worden, so wie es dermalen dort Sitte war. Derweile neckten alle den armen Tugendbold, er solle sein Weiblein nur nicht warten lassen; und in seiner Unschuld war er schon drauf und dran, ihr nachzueilen, als sein Erzeuger die Späßlein unterbrach und ihn kurzerhand zu seinen Ehepflichten schickte. So wandelte selbiger zu dem Brautgemache und ward flugs inne, daß sein Gemahl schöner war als alle heiligen Jungfrauen der Welt, mochten sie nun von einem Italiener, Flämen oder sonstwem gemalt worden sein. Hatte er aber vor jenen seine Gebetlein zu sprechen gewußt, so wußte er bei dieser nicht, was anzufangen. Denn der so jählings neugebackene Ehemann hatte aus Schamhaftigkeit nicht gewagt, sich nach seinen Pflichten zu erkundigen, auch bei seinem Vater nicht, der ihm nur kurz gesagt hatte: »Du weißt ja, was du zu tun hast; also frisch drauf los!« Solchermaßen glotzte er das ziere Mägdelein an, das in den zarten Linnen, zur Wand gewendet, aber verteufelt neugierig dalag und mit einem nadelspitzen Blicke hauchte: »Ich muß ihm in allen Dingen fügsam sein!« Worin, das wußte sie nicht und harrte der Absichten ihres etwas klösterlichen Gemahls. Der hinwiederum kratzte sich endlich hinterm Ohr, trat zum Bette und kniete nieder, wie er's gewöhnt war:

»Habet Ihr schon gebetet?« fragte er salbungsvoll.

»Nein, ich vergaß! Wollt Ihr vorbeten?« Und so begann das Pärlein seine Ehe mit einem Gebete, was nie schaden kann. Leider war Gott just mit den verdammten [211] Ketzern beschäftigt, also daß der Teufel die Sache in die Hand nahm.

»Was hat man Euch geheißen?« fragte der Ehemann. »Euch zu lieben,« sprach sie voll holder Unschuld.

»Mich hieß das niemand. Aber ich liebe Euch und mehr denn Gott, das muß ich voll Scham gestehen.« (Sein Eheweib schien keineswegs darob entsetzt!) »Und jetzt, dafern es Euch nicht stört, käme ich gern zu Euch ins Bett.«

»Und ich mach' Euch gern Platz, denn ich soll fügsam sein.«

»So schaut nicht hin: ich ziehe mich flink aus und komme.« Und das Mägdelein drehte sich ob dieser tugendsamen Worte zur Wand und ward voller Erwartung, maßen es doch zum ersten Male im Leben von einem Manne nur durch die Leinen eines Hemdes getrennt sein sollte. Gleich darauf schlüpfte der Tugendbold zu ihr und nun waren sie vereinigt; aber dem Wesentlichen kamen sie darum keinen Schritt näher. Gebet einem Affen aus fernen Zonen zum ersten Male eine Wallnuß! Er wird wohl den süßen Kern unter der bitteren Schale ahnen, wird schnuppern und anstellen, sorglich untersuchen, daran herumdrücken, sie hinundherrollen, wohl gar zornig draufschlagen und oft, wenn's ihm an Einsicht mangelt, sie liegen lassen: so gings dem Tugendspiegel, der am Morgen seinem holden Weiblein gestehen mußte, daß er weder wisse, wie er seinen Pflichten obliegen müsse, noch worin selbige überhaupt beständen, und daß er sich nach[212] Rat und Beistand umschauen und über die Sache angelegentlichst erkundigen wolle.

»Das tut nur,« meinte sie, »denn leider weiß ich auch nicht Bescheid.« Und so schliefen die zwei Unschuldslämmer, nachdem sie die verzwicktesten Einfälle gehabt und vergeblich ausprobiert hatten, endlich ein, und beide waren gar betrübt, daß sie diese Ehenuß nicht hatten knacken können. Doch vereinbarten sie klüglich, sich vor allen Fragern hochbeglückt zu stellen. Solchermaßen rühmte sich die junge Frau, die doch immer noch Jungfer war, da niemand ihr Tugendpförtlein gesprengt hatte, am nächsten Tage: wie gar herrlich die Brautnacht gewesen sei, und wie ihr Ehegemahl alle Männer überträfe. Sie prahlte, wie man so zu tun pflegt, wenn man keine Ahnung hat, und darum fand man allgemein, die Knospe sei etwas zu eilig entfaltet; zumal, als eine Nachbarin scherzend fragte: »Wieviel Brote hat Euer Mann aus dem Ofen geholt?« und sie erwiderte: »Vierundzwanzig!« Und wie nun der Ehemann etwas bedrückt daherschlich und sie ihm beklommen nachschaute in der Hoffnung, er würde sich bald eine Stallaterne aufstecken lassen, da bedünkte es den Damen, ihm sei die Nacht etwas zu teuer zu stehen gekommen und sein Weiblein empfände Reue, ihm derart mitgespielt zu haben.

Beim Frühstück hagelte es nur so die üblichen zweideutigen Witzlein: von dem nächtlichen Lärm im Schlosse, von den Dingen, die nunmehro unwiederbringlich verloren gegangen seien, und so hin und her. Keiner der [213] Gäste war ob der Tanzerei ins Bett gekommen, und daher warf Frau von Amboise, welcher die Gedanken an ihrer Tochter Ehefreuden einheizten, dem Herrn von Braguelongne tiefbedeutsame Flammenblicke zu. Der Ärmste aber stellte sich blind, da ihm ihre Liebe reichlich zum Halse hinaushing. Nur weil er Richter und somit Hüter der Sittenstrenge war, vermeinte er sie nicht abhalftern zu dürfen. Aber bereits reisten viele Gäste ab, und so fehlte es nicht mehr an Schlafgemächern. Kaum nahte daher das Nachtessen, so begann Frau von Amboise an den Oberrichter dringliche Worte zu richten, denen er nicht, wie bei Prozessen, durch Vertagungsanträge ausweichen konnte. Auch stund die Dame wiederholendlich auf, um ihn aus der Gesellschaft der Braut fortzulocken. Aber statt des Richters erhob sich plötzlich der junge Ehemann, dem jählings beifiel, seine Schwiegermama lustwandelnderweise über die peinliche Sache auszuholen. Zwar war er anfangs über die Maßen verschämt, und fand beim Auf- und Niederschreiten nicht die rechte Anknüpfung. Und sie hinwiederum schwieg hartnäckig voller Wut über ihres Liebsten vorgebliche Blindheit. Innerlich dachte sie: ›Dieser Waschlappen! Dieser alte, zerzauste Zottelbart, der ein Weib nicht achtet, sich blind und taub stellt: mag ihm die italienische Krankheit in die Knochen fahren und ihn ins Jenseits befördern, damit ich diese Trüffelnase nicht mehr zu sehen brauche! Wie konnte ich mich auch an solchen Schlappschwanz hängen, diesen verrosteten Riegel, der nicht mehr zuschnappen kann.

[214] Der Deubel hol' diesen alten Knickstiebel, diesen fadenscheinigen Fetzen! Ich werde mir einen jungen Heirater suchen, der sich aufs Freien versteht, einen, der mich zu beglücken weiß, oft ... alle Tage; der mich ...‹

Just in diesem Augenblick schwang sich der Tugendbold auf und legte los. Schon bei seinen ersten Worten glimmte sie auf wie alter Zunder auf der Soldatenflinte. Aber es dünkte sie klug, ihn erst ausreden zu lassen, derweile sie dachte: ›Ei, wie wohlig solch Jünglingsbärtlein duftet. Und sein Näslein, wie frisch! Tugendbärtlein, lustiges Schnuppernäslein, Frühlingsbart, welch holder Liebesschlüssel!‹ Und weiter wandelte sie den Parkweg dahin und vereinbarte mit dem Musterknaben, daß er bei Anbruch der Nacht aus seinem Zimmer zu ihr schlüpfen solle, allwo sie ihn kenntnisreicher machen wollte, denn jemals sein Vater gewesen sei. Und der Jüngling dankte ihr hoch beglückt und bat sie nur, ja reinen Mund zu halten.

Derweile hatte der Alte Braguelongne innerlich dahergewettert: ›Ha, du verdammte alte Schreckschraube, ersticken magst du, die Pest soll dich holen, du ausgetretener Latschen, du lahme Giftspinne, Satansamme, vor der dem Tode das Heulen kommt! Ausgeleierter Orgelbalg, abgetretene Altarschwelle, alter Opferstock, darein alle Welt sein Scherflein abgeladen hat! Meine Seligkeit gäbe ich dran, um dich los zu sein!‹ – Inzwischen gedachte das Bräutlein des schweren Kummers, der auf dem jungen Ehemanne ob jenes so wesentlichen Eheproblems [215] lastete. Und der Schönen bedünkte, es würde jenem viel Scham und Pein ersparen, wenn sie selbst die nötigen Erkundigungen einzöge. Wie würde er freudig erstaunt sein, wenn sie ihm in der künftigen Nacht alles zeigen könnte: »Siehst du wohl, so muß man's machen!« Und da ihre Pflegemutter sie in der Hochachtung vor alten Leuten aufgezogen hatte, so beschloß sie, den zutunlichen betagten Herrn neben ihr bezüglich der fraglichen Geheimnisse gar anmutiglich anzuzapfen. Just in diesem Augenblick riß sich selbiger aus seinen Gedanken mit der ziemlich knappen Frage, ob sie mit ihrem tugendsamen Ehemanne auch glücklich sei.

»O ja!« meinte sie, »er ist die Tugend selbst!«

»Vielleicht gar zu sehr?« fragte jener lächelnd. Und so fädelte sich kurz und gut die Sache so wohl ein, daß der Herr von Braguelongne flugs andere Töne anschlug und der Tochter von Frau von Amboise frohgemut verhieß, er wolle sie aufs beste unterrichten, dafern sie bei Nacht zu dem Zweck zu ihm käme. So kam es, daß nach dem Abendessen besagte Frau von Amboise ihrem Liebsten mordsmäßig auf den Kopf kam: nach einer halben Stunde hatte sie noch kaum ein Viertteil ihres Grolles abgeladen. Und derweile lag das junge Pärchen in seinem Bette und jeder erwog in seinem Sinne, wie er entwischen könne, um künftig dem andern Freude zu bringen. Endlich meinte der Tugendbold, er sei ganz unbegreiflich erregt und wolle etwas frische Luft schnappen. Worob das Jüngferlein ihm einen Blick in die Mondscheinlandschaft [216] anriet. Kurz, beide sputeten sich, aus des Wissens Bronn zu schöpfen, und kamen voll ungeduldiger Hast zu ihren Lehrmeistern. Und die entledigten sich gar trefflich ihrer Pflicht – wie, das kann ich nicht sagen, denn jeder hat seine eigenen Methoden, zumal auf einem so vielseitigen Gebiet. Nie aber gab's auch je gelehrigere Schüler. Und als beide wieder in ihrem Bette lagen und freudestrahlend ihre Kenntnisse auskramten, da meinte die Holde: »Potzblitz, du bist ja noch besser beschlagen als mein Lehrmeister!«

Daher also stammte das eheliche Glück der beiden und ihre Treue, maßen sie gleich von Anbeginn her merkten, daß sie allen anderen über waren, die Lehrmeister inbegriffen, und darum keine Seitensprünge mehr versuchten. Und der Ehemann sagte noch als Greis zu seinen Freunden: »Tut wie ich: jung gehahnreit hat noch niemand gereut.« Worin offenbar ein gar empfehlenswerter Gedanke steckt.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2011). Balzac, Honoré de. Die Gefahren übergroßer Tugend. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1E8A-D