181. Die Nissen und die Wolterkens

In den nordischen Landen heißen die Wassergeister Nissen, auch Klabautermännchen, auch Nesse, Puge, Puke, Niskepuke, sind aber doch, wie die Kaboutermannekens in Holland, auch zugleich Hausgeister hülfreicher Art, und der Glaube an sie ist allverbreitet. Neben ihnen bestehen auch noch die Wolterkens, ebenfalls Hausgeistchen, Hausknechtchen, was die deutschen Heinzchen, Hütchen, Heimchen sind; der deutsche Name Heimchen findet sich im Nordischen als Chimeken wieder, und sonst haben sie auch noch gar verschiedene Eigennamen, wie guter Johann, Koome u.a. Zum gleichen Geschlecht werden gezählt die Schreckgespenster, der Büsemann, was in Deutschland der Butzemann, [143] Pötz, Pöpel, Hullenpöpel, der Pulterklaes, der Roppert – in Deutschland der Herscheklaes (Nikolaus), Knecht Rupprecht und dgl.

Auf einem Schiff in See klingelte der Kapitän dem Schiffsjungen und befahl eine Flasche Wein und zwei Gläser zu bringen. Verwundert fragend sah der Junge ihn an. Wie er das Verlangte brachte, saß ein Klabautermann am Tisch beim Kapitän, der Geist des Schiffes, sprach mit dem Kapitän und trank dann mit ihm. Ein kluger Kapitän wird stets gut Freund mit dem Klabautermann seines Schiffes sein, denn dann geht alles gut, kein Sturm hat dem Schiff etwas an, kein Brand bricht aus, kein Mangel, keine Krankheit, kein Seeräuber kann es kapern. Findet das Gegenteil statt, wird der Klabautermann ungut behandelt, so gibt es Lärm, Unordnung, Verwirrung, Meuterei, Feuer, Sturm und Untergang und im besten Falle viele viele unsichtbar erteilte Maulschellen und Prügel. – Einst fuhr Doktor Faust über See. Er hatte sich ein gläsern Schiff erbaut; weil er alle Wissenschaft der Erde kannte und studiert hatte, wollte er auch nun das Meer ganz genau ergründen, und da hatte er in seinem gläsernen Schiffskasten einen Niß, der mußte das Schiff lenken, vor Klippen bewahren, mit ihm untertauchen bis zum Grunde, daß Doktor Faust alle Untiefen kennenlernte und alle guten Fahrwasser. Und dazumal hat Doktor Faust die Seekarten erfunden und hat die ersten gezeichnet, denn vor ihm gab es keine. Eines Tages kamen sie an die Fährstelle am Eingange des Flensburger Hafens, da hatte es aber einen Faden – und war eine recht gefährliche Stelle, und das Glasschiff wäre um ein Haar krachen gegangen. Aber Doktor Faust schrie seinem Niß zu: Hol Niß! – da hielt der Niß das Schiff, daß es stand und nicht weiter gegen die Strandklippen fuhr. Von der Zeit an heißt jene Stelle bei den Schiffsleuten Hol-Niß-Fähr.

Die Nissen wohnen in den Häusern in kleinen Balkenlöchern und sonstigen Winkeln; wird ihnen brav Grütze mit Butter, auch Milch und Butterbrot vorgesetzt, so sind sie die hülfreichsten Gäste, wer es mit ihnen nicht gut meint und trifft, dem geht alles die Quer, er verarmt und geht zugrunde.

Zur Sage von den Nissen mischt sich ein Zug, der mit jener vom Alraun und Galgenmännlein tiefinnig zusammenhängt, nämlich der, erkauft zu werden um den billigsten Preis. Wer den Niß nicht mehr loswerden kann vor seinem Tode – denn höher, als man ihn selbst kaufte, ihn weggeben oder wegwerfen, verschenken und dgl. kann und darf man nicht, da kehrt er immer wieder – verfällt dem bösen Feind. Ein solcher Niß ist dann nicht mehr Hausgeist, er ist Alraun,Spiritus familiaris, und wer ihn besitzt, ist Teufelsbündner. Ein solcher Niß wird insgemein in einem Kasten verwahrt und gut gepflegt, gleich dem Alraun. In der Regel trägt er ein rotes Mützchen. Es kommt auch vor, daß Nissen miteinander uneins werden, da sie ohnehin heftiger und jähzorniger Natur sind, und sich prügeln. Ein Niß zu Süderenleben stahl für seinen Bauer in einer Zeit, da es sehr an Heu gebrach, als für seinen Herrn Heu aus der Scheune eines Hufners in Söderup, und dieses Hufners Niß stahl zu gleicher Zeit Heu vom Boden des Süderenlebener Bauers. Unterwegs trafen sie aufeinander und prügelten sich die ganze Nacht hindurch bis zum Tagesanbruch, so daß sie darüber ganze große Haufen von Heu verloren und auf einer Wiese verstreuten, die heißt davon noch heute Pugholm. So ging es auch mit zwei Nissen in Sundewitt, die Hafer gestohlen hatten an verschiedenen Enden, die stießen aufeinander, daß sie über vier Scheffel ausgedroschenen Hafer aus den Hafergarben verloren, welche sie trugen. Der Nissen Hochzeitzüge gingen oft unsichtbar, den Begabten auch sichtbar, durch die Stuben, mit großer Pracht und höchst zahlreich, wie in der deutschen Sage.

Die Wolterkens wohnen vornehmlich in reichen, vorratbegabten Häusern, verrichten Küchendienste, Mägde- und Knechtearbeit, ziehen Wasser, besorgen das Vieh, binden die Besen und lieben es, wenn ein Bauer sein Haus mit den [144] Seinen – oft der Unruhe halber, die er von ihnen hat – verläßt, im Besengestrüpp zu sitzen und sich mit in die neugewählte Wohnung tragen zu lassen und dann neckisch zu rufen: Wir ziehen um!

Will einer all dieses dämonische Gesindlein, wie es heißen mag, Klabautermännchen, Unterirdische, Nissen, Puke, Wolterkens usw., mit aller Gewalt los sein, so gibt es nur ein Mittel: er muß vor jeden Ausgang des Hauses ein Wagenrad stellen und dann das Haus samt allem Geräte, das darinnen ist, bis auf den Grund niederbrennen. Dieses selbige Mittel soll auch das unfehlbar beste zur Vertilgung der Wanzker sein.


Lizenz
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link zur Lizenz

Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2011). Bechstein, Ludwig. 181. Die Nissen und die Wolterkens. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-2664-6