[348] Der Abend
Pf. CLXI, 2.

Mein Gebeth müsse vor Dir rügen, wie ein Rauch- Opfer; meiner Hände Aufheben, wie ein Abend- Opfer.

Die schwühle Mittags-Luft ward allgemählig kühl,
Weil der fast brennende beflammte Sonnen-Strahl
Schon Seiten-wärts, und nicht wie vor, von oben fiel.
Im lichten Schatten lag bereits das nied're Thal;
Das flache Feld war, nebst den grünen Höhen,
Durch einen güld'nen Glantz, der, wie ein' helle Fluth,
Auf dem beblühmten Grase ruht,
Noch eins so herrlich anzusehen.
Die, durch das nied're Licht, gezeugten langen Schatten,
Die hie und da, wie ungemess'ne Riesen,
Von allen Höhen sich schon ausgestrecket hatten,
Verdoppelten den Glantz der hell-bestrahlten Wiesen
Durch ihren Gegen-Satz; Der Sonne holder Brand
Bestrahlete noch hie und da das Land,
Zusamt dem glatten Vieh,
Das Heerden-weis', im Klee, bis an das Knie
Mit regen Kiefern geht,
Und mit der scharfen Zung' sein Futter selber mäht.
Der Glantz der rothen Haut, worauf ein Schlag-Licht lag,
Ward, durch den dunckeln Schatten-Schlag,
Den es im Grase macht', noch eins so schön.
Von Häusern, die entfernet stehn,
Worauf der Ziegel Roth, recht wie Zinnober, gläntzet,
Strahlt durch ein dick Gebüsch, das ihren Fuß bekräntzet,
[349]
Aus ihrer Fenster Meng', der Sonne güld'ner Blick
So heiter wiederum zurück,
Und blitzt mit solcher glimmen Pracht,
Aus dem so angenehm bestrahl'ten Grünen,
In reger rother Gluht, wie zitternde Rubinen,
Daß jedem, der es sieht, das Hertz vor Freude lacht.
Recht wie von eckigten geschliff'nen Steinen
Gebroch'ne Strahlen spielend scheinen;
So schienen diese Fenster hier.
Durch dieß Gesicht, wie halb entzücket,
Fieng Belisander an,
Sein Abend-Opfer Gott zu bringen,
Und Dessen Wercke zu besingen.

Aria.

Wer, wie die grün-beblühmte Wiese,
Gleich einem hellen Paradiese,
In holder Anmuth gläntzt und glüht,
Am heitern Frühlings-Abend sieht,
Und nicht sein Hertz zu Gott erhebet,
Und nicht, mit tausend Lust, erkennt
Die Lust, die ihm der Schöpfer gönnt;
Hat auf der Welt nicht, wie ein Mensch, gelebet.
Was man am Himmel sieht, sind keine Farben nicht.
Ein Leib-farb-silbernes, ja ein Rubinen-Licht
Sieht man an purprichter gebrochner Wolcken Grentzen
Im grünlich blauen Feur des Firmamentes gläntzen.
Man siehet an verschied'nen Stellen
Ein lieblich Feuer-Meer voll kleiner güld'ner Wellen.
Ein klar und zärtlich Blau wird öfters Wunder-schön
[350]
Am heitern Firmament erblicket,
Das es, so weit die Augen gehn,
In einer hellen Klarheit schmücket;
In diesen sieht man ohne Grentzen
Ein gleichsam geistig Grün
Nicht minder lieblich gläntzen,
Und dieß verliehret sich in einem weissen Schein,
In dieses mischet sich ein güld'ner Schimmer ein,
Das Gold wird Rosen-farb und endlich wie Rubin.
Inzwischen schien
Die Sonne selbst, der himmlische Rubin,
Des all-erwärm'nden Lichts, der Lebens-Gluht
Entflammter Mittel-Punct, sich niederwärts zu lencken,
Und sich zur Rechten in die Fluth,
Mit stiller Majestät, zu sencken.
Der rothe Wunder-Glantz der Strahlen-reichen Scheiben
Fällt meinem Kiel unmöglich zu beschreiben.
Wenn man zerschmoltz'nes Gold, recht da es blicket, sieht,
Und es, das holde Roth, das auf den Rosen glüht,
Mit jenem möglich wär' zusammen zu vereinen:
Würd' es bey dresem Glantz, wie falbe Schatten, scheinen.
Weshalben ich, hiezu von Geist und Worten leer,
Mich bloß zu den von ihr gewirckten Wundern kehr'.
Zur Lincken stieg die Herrscherinn der Nacht,
Der volle Mond, in Silber-weisser Pracht
Aus einem grauen Purpur-Duft
Allmählig in die blaue Luft.
Kein Schau-Spiel ist, auf dieser Welt, so schön,
Als Sonn' und Mond zugleich in solchem Licht zu sehn;
Weil hier so dann das gantze Firmament
In silbernen, und dort in güld'nen Flammen, brennt.
[351] Aria.
1.
Die ihr aus dunckeln Grüften
Den eitlen Mammon grab't,
Seh't, was ihr hier in Lüften
Für reiche Schätze hab't!
Sprecht nicht: Es ist nur Farb' und Schein;
Man zählt und schliesst es nicht im Kasten ein.

2.
Des feinsten Goldes Schimmer,
Des reinsten Silbers Pracht,
Ersättiget euch nimmer:
Wer aber dieß betracht't
In Ehrfurcht und Gelassenheit;
Den krön't dereinst das Gold der Seeligkeit.
Dort scheint die glatte zwar, doch etwas krause, Fluth
In einer Rosen-farb'nen Gluht,
Die güld'ne Funcken sprüht, zu stehen;
Hier deckt das Feld, im schon gefall'nen Thau,
Ein grun-gemischtes Silber-Grau.
Man sieht der Farben Rest, die mit der Sonne Strahlen,
Als ihrem Ursprung', untergehen;
In sanfter Harmonie, die Welt zuletzt noch malen.
Wodurch des Himmels Blau, der Erde grüne Pracht,
Der Sonnen Gold, des Mondes Silber-Glantz,
Zur Abend-Zeit vereint, ein unvergleichlichs Gantz
Im ungewissen Lichte macht.
[352] Arioso.

So herrlich gläntzt sodann, und in so schöner Gluth
Stehn Himmel, Wolcken, Erd' und Fluth,
Daß, wenn so angenehmes Scheinen
Sich mit der Sonne nicht verlöhr';
Der Mensch fast Ursach' hätt', zu meynen,
Daß er annoch im Paradise wär'.
Aria.

Brunn des ewig-hellen Lichts,
Das unendlich, unverbrennlich,
Undurchdringlich, unzertrennlich,
Aller Sonnen Ursprungs-Quelle:
Schönheits-, Lichts- und Liebes-Meer,
GOTT! daß alles itzt so helle,
Kommt von Dir nur einzig her.
Ach wie herrlich muß der Schein
Deines Göttlichen Gesichts
Dem, der Dich einst siehet, seyn!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Brockes, Barthold Heinrich. Gedichte. Irdisches Vergnügen in Gott. Der Abend. Der Abend. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-44AF-E