Von und Mit

dem ungenannten Verfasser der:

»Bemerkungen«

über

des H.O.C.R.u.G.S. Callisen Versuch

den Wert der Aufklärung unsrer Zeit betreffend.

Discite justitiam moniti et non temnere divos.

Von und Mit

Nro. 1

Nro. I

Es sind vor einiger Zeit auf 66 Seiten in klein8vo, ohne Namen des Verfassers und Druckers, herausgekommen: »Bemerkungen über des Herrn Oberkonsistorialrats und Generalsuperintendenten, Johann Leonhard Callisen, Versuch über den Wert der Aufklärung unserer Zeit. Sirach Kap. V. V. 14 und 15. 1795.«

In dieser Schrift kommt p. 32 folgende Stelle vor: »Mein Feind ist nur der, und mein erklärter Feind, der mir auf meinem Wege durchs Leben die Fackel ausblasen will, die mir leuchtet, oder andern den Wink gibt, ich sei ein Mordbrenner*.«

Und darunter steht eine mich betreffende Note, wie folget:


*»Herr Claudius hat neulich in der Hamburger Neuen Zeitung eine Fabel einrücken lassen, die von seiten der Dichtung und des Inhalts, gleich bemerkenswert ist. Sie scheint in einem Anfall von Furcht über das Lektüren unserer Zeit (wie er sich ungemein naiv ausdrückt) entstanden zu sein, und gibt sehr verständliche Winke.

Man hat Herrn Cl. zu scharf beurteilt. Einige meinten, der alte Wandsbecker Bote, müsse, da er seit einiger Zeit ein höchst langweiliger Gesellschafter sei, nun allein wandern und habe selbst Langeweile. Er gebe das Botengehen an, und das sei ein löblicher Entschluß. Aber aus Verdruß wolle er nun, durch einen losgelassenen Bären, die Landstraßen unsicher machen, und das sei nicht fein. –

Aber warum diese Anwendung? Herr Cl. dichtete janur eine Fabel. Das Wahre an der Sache, das Blatt aus der Chronik der Quadrupeden, [370] worauf das Faktum mit historischer Genauigkeit erzählt wird, ist ihm so gut wie mir bekannt.

Einem alten genialischen Pavian, der durch seine Schnurren Hof und Land eine Zeitlang mit ziemlichem Glücke belustiget hatte, tat es wehe zu bemerken, daß sein altes Publikum des erzwungenen Hokuspokus müde, Geschmack an ernsthaften Gegenständen gewinne. Er wollte es auch hierin versuchen; aber sein Ernst war, als er sich zum Disputieren anschickte, noch ungenießbarer, als seine vorherigen Puerilitäten, und das mitleidige Achselzucken des ganzen Tierreichs, zeigte es ihm genugsam an, daß er nun zum Stillschweigen verdammt sei.

Drob ergrimmete der Pavian, und trug nun schamlos in einer Reichszeitung auf einen Zensor Brummelbär an, der dem ungebührlichen Räsonieren Einhalt tun, und seine, des Pavians, Späße wo möglich in Aufnahme bringen möge. Die Sache kam bei Hofe zur Sprache. Ein alter weiser Elefant – sein Name wird noch lange mit Ehrfurcht in unsern Chroniken genannt werden – hatte den edlen Mut, diesem Antrage, der vom ganzen Affengeschlechte – auch die Tiger stimmten dafür – unterstützt wurde, mit Eifer zu widersprechen. Er setzte das Unkluge der vorgefallenen Maßregel mit so vielen und starken Gründen auseinander, daß der Löwe ein für allemal beschloß – er wird sich wohl dabei befinden – die possierlichen Einfälle und die hämischen Winke eines erbitterten Pavians für das zu halten, was sie sind, für verächtliche Possen.«


Über Urbanität habe ich mich nicht zu beschweren.

Es mag wohl sein, daß ich seit einiger Zeit ein langweiliger Gesellschafter bin. Ich bin niemals ein sonderlicher Gesellschafter gewesen, habe auch andre Mängel und Fehler mehr als mir lieb ist. Aber, was geht das den Ungenannten und das Publikum an? Und was kann ihn berechtigen, vor aller Welt, von den Mängeln oder Nichtmängeln eines andern Rede zu führen?

Und nun weiter – bis zum Ende derNote! – – – – –

Ich weiß nicht, diesen Mann beleidigt zu haben. Und so habe ich mich, einer solchen Beleidigung von ihm, nicht erwehren können; muß ihm auch ferner die Freiheit lassen, dergleichen Noten zu schreiben. Und, ich will sie auch, die Wahrheit zu sagen, wenn eins von beiden sein muß, lieber lesen.

In den Bemerkungen selbst wird gezeigt und gesagt: daß der Generalsuperintendent und Oberkonsistorialrat »ohne alle Sachkenntnis zusammengeraffte Rhapsodien, so zum besten gegeben, daß ein Meisterstück gänzlicher Verwirrung aller Begriffe daraus geworden ist«; daß »er eine vollkommene Unwissenheit in den ersten Regeln der deutschen Sprache und eine völlige Unbekanntschaft [371] mit allem was Stil heißt, verrät«; daß sein »Werk eins der ersten Produkte« der »Büchermaschine jenes Laputaners« zu sein scheine (p. 3 und 4); daß er »weder ein geübter noch ungeübter Philosoph« sei, man auch bei ihm »von Scharfsinn keine Spur« antreffe (p. 64); daß ihm »das Recht Bücklinge zu machen und zu kriechen herzlich gerne überlassen bleiben« solle (p. 61); daß er nicht »Schulmeister in einem kleinen Heidedorfe« sei, sondern »Gelehrter, der erste Geistliche einer ganzen Provinz, Examinator der theologischen Jugend« und »Oberkon-sistorialrat« und »entsetzliche Blößen« gebe (p. 24); daß »derjenige sich schämen müsse – der sich nicht entblödet, ein Amt anzunehmen, wovon ihn der Mangel an Denkvermögen und Kenntnis ganz und gar ausschließt« (p. 47); daß »nur engbrüstige Verteidiger des Bisherigen, jeden Schritt vorwärts fürchten, weil es ihnen an Mut und Kraft gebricht nachzueilen«; daß »viele gewiß nur darum ihrem alten Köhlerglauben so zugetan sind, weil sie in ihm ein treffliches Mittel finden, ihre Unwissenheit und ihren gänzlichen Mangel an den gelehrten Kenntnissen zu verbergen, die die gegenwärtige Weise die Theologie zu studieren und zu behandeln, erfordert« (p. 55); daß »er von Vernunft ganz und gar keine Begriffe habe« (p. 56); und so weiter.

Wenn die Gelehrten in der Achtung des Publikums verlieren; so sind sie doch würklich nicht alle unschuldig daran. Was kann das Publikum von den Gelehrten erwarten, wenn sie sich so ungelehrt betragen, und so alle gute Sitte und Weise beiseite setzen.

Ihm, unserm ungenannten Bemerker, gilt alles gleich. Er sieht keine Person an, und mißhandelt denGeistlichen wie den Weltlichen.

Es hat freilich mit solchem Mißhandeln, vornehmlich wenn es in diesem Gusto ist, so gar viel nicht auf sich, und man findet sich endlich darüber zurecht. Aber es ist doch nicht angenehm, so öffentlich im Angesicht des Publici gemißhandelt zu werden.

Etwas, scheint es, ist man seinem guten Namen doch schuldig; und einige Rechte hat die Galle auch in der Welt.

Es ist wohl recht gut, mit dem Schweigen und Vergeben und Vergessen. Das Beste ist und bleibt es, auch in Kleinigkeiten; sonderlich wenn einer es fröhlich tun kann. Denn einen fröhlichen Geber und Vergeber hat Gott lieb.

Nur, wie alles seine Zeit hat; so hat auch alles seinen Ort. Wo der Unfug bis auf einen gewissen Grad gestiegen ist, da hat [372] Schweigen und Vergeben und Vergessen seine Bedeutung verloren. Und, wenn einer auf dem Krautmarkt großmütig sein will; so lachen die andern nur, und bessern sich nicht.

Der Geistliche hat, soviel ich weiß, nicht geantwortet. Das mußte er auch nicht. Das schickt sich besser für den Weltlichen.

From the rude SEA'S enrag'd and foamy mouth did I redeem. Doch der Weltliche, der so schon seit geraumer Zeit seekrank ist und festes Land sucht, würde sich wohl auch am Ende stillschweigend ans Ufer geflüchtet, und Boot und Autorfähnlein den Wellen und Wogen des Gelehrten-Mählstroms und -strudels überlassen haben, wenn's weiter nichts wäre als das.

Aber, der Würkungskreis des Biedermannes hängt von dem öffentlichen Zutrauen ab; wie der Ungenannte (p. 59) sehr schön zu sagen weiß.

Es kann nützlich sein, den Schriftsteller, der sich solche Ungezogenheiten gegen ehrliche Leute erlauben darf, und der sich berufen und tüchtig glaubt, über den »ersten Geistlichen einer ganzen Provinz« so herzufallen, etwas näher kennenzulernen.

Auch kann es nicht schaden, daß er bei dieser Gelegenheit sehe, daß es, auch unter den Ghibellinis, noch Leute gibt, die anderer Meinung sind, und sich ihn und den neuen theologischen Kühreihn nicht sonderlich irren lassen.

Es geschiehet endlich kein Unrecht, wenn Gleiches mit Gleichem vergolten wird; und es ist nicht unbillig, daß jemand, der sich, so ganz und gar nicht, selbst an die Stelle des andern stellen will, von dem andern einmal dahin gestellet werde.


Der Ungenannte wird also erlauben, daß der »alte genialische –«, der ihm nichts getan hatte und der lieber in Ruhe und für sich geblieben wäre, ihm ein weniges Gesellschaft leiste, und (in seiner, des Ungenannten, Mundart gesprochen) noch einmal Hof und Land belustige.

Es könnte wohl sein, daß er ihm, auch diesmal, ein höchst langweiliger Gesellschafter wäre. Aber, das muß er ihm vergeben; wenn nur die Leser keine Langeweile haben.


Ich will zuerst meine eigene Angelegenheiten mit dem Ungenannten abmachen, weil sie die kleinsten sind.

Da meint er nun p. 32: daß ich ihm sein Licht ausblasen will. – Nicht doch! Warum sollte ich ihm sein Licht ausblasen wollen? [373] Das Stümpchen werde ich ihm ja gönnen. Aber, ist es denn so flugs und leicht ausgeblasen? Der Eigner scheint ihm auch fast wenig zu trauen. Eine Weile will sich das Flämmchen wohl halten. Indes, wenn er, der Ungenannte, das Blasen nicht haben will, so muß ich es lassen. Ihm aber soll es unbenommen sein. Er mag blasen, soviel er will. Ich verlasse mich auf mein Licht.


Blow winds, and crack your cheeks; rage blow!
– – – – – – – – – – – – – – –
I tax not you, you elements, with unkindness,
I never gave you kingdom, call'd you children,
You owe me no submission. Then let fall
Your horrible pleasure; here I stand your slave,
A poor, infirm, weak, and despis'd old man!
sagte der König Lear des Nachts im Sturm.

Ebendaselbst (p. 32)*.


*»Herr Claudius hat neulich in der Hamburger Neuen Zeitung eine Fabel (nämlich den Brummelbären) einrücken lassen, die von seiten der Dichtung und des Inhalts, gleich bemerkenswert ist. Sie scheint usw.«


Der Brummelbär! Der Brummelbär! – Der ist an vielem Unglück schuld.


– μυρι' Αχαιοις αλγε' εϑηκε –


Es ist aber auch ein wunderlicher Bär. Er soll in den Honigbaum rücken; und rückt da schamlos in die Hamburger Neue Zeitung ein, und alarmiert das ganze Land, der Maße: daß die junge Mannschaft überall hat auf die Beine kommen und schultern müssen, um die Landstraßen zu decken, und dem Ungeheuer entgegenzugehen – unter Vortretung eines alten weisen Elefanten!

Ich bedaure natürlich den Vorgang gar sehr, und alle die Sorge und Mühe. – Aber, was kann denn ich dazu? – Der Ungenannte sagt ja selbst (p. 34); daß die Fabel eine »verächtliche Posse« sei. – So sind ich und der Bär ja unschuldig, daß sich der Phalanx in Bewegung gesetzt hat. Und mein unmaßgeblicher Rat wäre, daß er wieder abschulterte, und die ausgerückte Mannschaft, mitsamt dem Elefanten, wiedereinrückte.

Aber, das einmal beiseite. Gesetzt: der Brummelbär hätte mehr als eine Posse sein sollen. Gesetzt: ich hätte meine Meinung sagen wollen. Darf ich denn das nicht so gut, als ein [374] andrer? – Es könnte ja gar sein, daß ich auch einige Gründe anzuführen hätte. Doch die Gründe itzo für sich. Der Ungenannte sagt seine Meinung. – Darf ich denn nicht so gut meine Meinung sagen, als er seine Meinung sagt? – Pagina 32 eifert er exemplarisch gegen Wut und fieberhafte Bewegungen, und ist so vernünftig, daß er, mit einer Stelle aus dem Plutarch, ausdrücklich den »Weg breit und offen« bestellt, wenn »jemand anderer Meinung ist«. – Nun bin ich anderer Meinung. Und er gerät in ein so vehementes Bouillonnement, daß »verächtliche Possen«, »hämische Winke«, »Affengeschlechte«, »Puerilitäten«, »Tiger«, »Hokuspokus«, »Pavian«, »Schnurren« und andere Unreinigkeiten aus dem Grunde heraufkochen, und in seinem Vernunft-Kessel oben treiben.

Das ist eine schöne Vernunft! – Und dabei doziert sie immerfort: daß alle Menschen gleiche Rechte haben.


O mulier formosa SUPERNE.


Und diese Stroh-Witwe, die ihrem eignen Hause so schlecht vorsteht, will die Gemeine Gottes versorgen, und dem Generalsuperintendenten über die Theologie, und Hof und Land über den Generalsuperintendenten zurechtweisen.

Nro. 2

Es ist meine Meinung hier nicht, eine Verteidigung des Generalsuperintendenten zu führen. Seine Absicht allein verteidigt ihn, und braucht meiner Verteidigung nicht. Ich habe es bloß mit dem Ungenannten zu tun, und will bloß seine, des Ungenannten, Denkart, Kenntnisse und Einsichten, oder seine Gelehrsamkeit und seine Weisheit vor Gesicht ziehen und offenlegen, damit jedermann dem Ritter unter Helm und Küraß sehen könne. Doch kann der Fall wohl eintreten, daß ich den Generalsuperintendenten verteidigen muß, weil eines ohne das andre nicht geschehen kann; und da werde ich ihn freilich verteidigen, und er wird nicht übelnehmen, daß ich es da eigenmächtig und ohne seine Erlaubnis tue.

Ich mache den Anfang mit der Sprache, die dem Ungenannten ungemein am Herzen liegt.

[375] Mancher würde bei einer Schrift, die nicht eigentlich an ihn noch an das große Publikum sondern nur an einen bestimmten kleineren Zirkel gerichtet ist, die nach Anzeige des Verfassers unter mancherlei Abhaltungen und Geschäften, die endlich nicht zur Parade sondern um der Sache und um einer sehr guten Sache willen geschrieben worden – – mancher würde sich bei einer solchen Schrift über Stil und Sprache und über mehr als das gar hinweggesetzt, oder sich doch auf Lindigkeit und Nachsicht eingelassen haben. Aber auf so etwas läßt sich der Ungenannte nicht ein. Er sieht nichts nach; er ist hart und orthodox, und baut und bessert per fas und nefas, allüberall an Perioden, (pag. 4, 5, 12, 18, 21, 35), auch an einzelnen Worten (pag. 9, 39, 49, 61) ja sogar an einzelnen Buchstaben (p. 31, 35), mit einer Behendigkeit und Agilität, als wenn er von irgendeiner della Crusca dazu erbeten, oder von Obrigkeits wegen eigends dazu bestellt wäre.

Ich will mit ihm so hart und orthodox nicht sein. Ich will ihm seine: alte Aufklärung, statt: Aufklärung (pag. 55); sein: Herr C., statt: Herrn C. (p. 56 unten); sein: eine löblicher Entschluß, statt: ein löblicher Entschluß (pag. 33); sein: ephemirisches Spiel, statt: ephemerisches (pag. 29); sein: Bewußsein, statt: Bewußtsein (pag. 59); sein: mit zween Predigern, statt: zweenen, nach Gottsched, und besser: zwei oder zweien nach Adelung (p. 39); sein: den, statt: denn (p. 37); sein: könnet, statt: könnte (pag. 22); sein:unter der lebt, statt: unter der er lebt (pag. 61); seine: vorgefallene Maßregel, statt: vorgeschlagene Maßregel (p. 34) etc.; auch daß er (pag. 32) in der Hamburger Neuen Zeitung eine Fabel hat einrücken lassen, da man die Fabeln eigentlich in die Hamburger Neue Zeitung einrücken läßt – das alles und mehr dazu will ich ihm als Druckfehler und Nachlässigkeiten, die er besser weiß und wenn er Zeit und Lust gehabt hätte geändert haben würde, hingehen lassen, und darum nicht glauben, und noch viel weniger sagen, daß ich die Sprache mehr verstehe als er.

Und ich denke fast, er hätte ebensogut getan, wenn er es auch so gemacht hätte.

Überhaupt denke ich, er hätte ebensogut getan, wenn er den Mann, der, nach Pagina 9, »als Privatmann sehr nützlich sein und viele Achtung verdienen kann« etc., lieber hätte gehen lassen. Man soll doch das Nützliche nicht stören. Auch ist es eine schöne und freie Kunst, die beleidigte Ehre eines unbescholtenen [376] Nachbars zu retten; und die andre Kunst ist doch nicht so schön und nicht so frei etc.

Wenn indes jemand auf solche Kleinigkeiten nicht sehen kann, und den Gang der Wahrheit im ganzen zu versehen hat; wenn er sich der »gegenwärtigen Generation« annehmen, und gegen die Schriftsteller »die, gleich Kobolden, immer dreister werden je stiller und dunkler es um sie her wird« (p. 8), nun einmal ausrücken und zu Felde ziehen muß;


Zaccaria venne con ducento eletti
Parte asini con fren, parte cavalli.

Nun, so soll er wenigstens den Zeug dazu haben, und nicht unwissender sein, als der den er der Unwissenheit zeihen will.

Wer je einmal in seinem Leben in Ernst an den bewußten Balken Hand gelegt hat, der weiß wohl, daß denn die Lust: an dem Splitter im fremden Auge zu hantieren, ziemlich zu vergehen pflegt, und daß ein solcher den ersten Stein nur langsam aufhebt. Ich will von dem Ungenannten das Beste hoffen; aber mir ahndet, bei seiner großen Behendigkeit und Agilität, nicht viel Gutes.

P. 10. »Man wäre ohne Zweifel berechtigt in diesem Abschnitte« (nämlich über den Wert der philosophischen Aufklärung unsrer Zeit) »eine Prüfung der großen Revolution, die sich seit mehreren Jahren in der Philosophie ereignet, eine Vergleichung des neuern philosophischen Systems mit den älteren, eine Bestimmung des Werts des einen oder der andern zu erwarten. Von allen dem aber nicht ein Wort.«

Wie sollte es nun wohl in diesem Punkt mit dem Ungenannten stehen? –

Ich reite ihm auf seinem eigenen Pferde entgegen.

»Man wäre ohne Zweifel berechtigt in diesen Bemerkungen« (darin der Ungenannte zwar nur hauptsächlich über die Politik Auskunft geben will, aber doch gelegentlich die Theologie mitnimmt, und, in verschiedenen Lektionen, p. 15, 18, 19, 20, 22, 23, 45, 55, 65, 66 den dem Bisherigen noch anhangenden Generalsuperintendenten eines Bessern belehren will) »eine Prüfung der großen Revolution, die sich seit mehreren Jahren in der Theologie ereignet, eine Vergleichung des neuen theologischen Systems mit dem älteren, eine Bestimmung des Werts des einen oder des andern zu erwarten. Von dem allen aber nicht ein Wort.«

Doch nein, das grade nicht. Worte wohl. Aber, obgleich er, [377] der Ungenannte, »nur wenig Allgemeines sagen will« (p. 21), doch auf allen 66 Seiten keine einzige besondre Spur von theologischer Lehre, außer Pagina 56: »daß der gelehrte Eckermann die Distinktion zwischen Lehrform und Lehre bekanntlich recht ins Licht gesetzt hat«.

Im Vorbeigehn muß ich bei dieser einzigen Spur, für den sprachkritischen Ungenannten, bemerken: daß das Wörtlein recht hier zwar nicht eigentlich un-recht, aber doch auch nicht eigentlich recht gesetzt sei; weil es hier, so gesetzt, eine unangenehme Zweideutigkeit erregen und auf die Gedanken bringen kann – entweder: daß andre Theologen die besagte Distinktion un-recht ins Licht gesetzt haben, der Herr Doktor und Professor Eckermann aber recht; oder: daß dieser gelehrte Mann diese Distinktion recht ins Licht, andre Distinktionen aber unrecht hineingesetzt habe, welches der Ungenannte doch gewiß nicht hat sagen wollen.

Weil denn er, der Ungenannte, in dem Felde dertheologischen Gelehrsamkeit nicht anzutreffen gewesen ist; so will ich ihn nun in dem Felde der philosophischen aufsuchen, und hier werde ich ihn vermutlich auch antreffen. Denn, da er selbst, Pagina 8, zwar nicht sehr bescheiden aber doch sehr artig und ominös, zu verstehen gibt, daß »die Stimme der Vernunft sich durch ihn hören läßt«; so wird er doch neugierig gewesen sein zu wissen: durch wen sie sich, vor ihm, hat hören lassen. Er wird, sage ich, doch neugierig gewesen sein, und näher und umständlich verkundschaftet haben: über was die Vernunft sich, in der langen Strecke vom Aristoteles bis an ihn, hauptsächlich und nebensächlich habe hören lassen, und wer, sonst und zu der und jener Zeit, ihr besondrer Freund und Liebling gewesen, und wie und warum er es gewesen, usw.

Er, der Ungenannte, kann freilich seine Ursachen haben, warum er mit einer solchen eingezogenen nähern Kundschaft zurückhält; aber wirklich hält er sehr damit zurück. Sogar hat er auf seinen 66 Seiten sich nichts entgehen lassen, daraus der Leser mit Gewißheit wissen könne, daß er nur den berühmtesten unter den neuen Philosophen, den itzo alle Welt liest, gelesen habe. Er spricht zwar (pag. 58) von »Fortschritten der kritischen Philosophie«, aber nur sehr ins große Blaue. Er spricht zwar (pag. 2, 7, 36, 37) von reiner Philosophie, reinen Begriffen, reinen Grundsätzen; aber an allen den Orten ist gerade die Kantische Reinheit nicht gemeint.

[378] Er nennt allerdings den Kant, und hin und wieder verschiedene alte Philosophen; zählt auch Pagina 51, auf einem Blatte, neun neuere Philosophen auf.

Aber, wie das denn so ist, wenn jemand große Männer nennt. Man hört wohl, daß er sie nennt; aber man weiß darum noch nicht, ob er sie auch kennt. Indes darf und muß man nicht impoli sein. Und in solchen Fällen bleibt nichts übrig um zur Gewißheit zu kommen, als daß man dem Zähler und dem Nenner, bei jedwedem Wort das er vorbringt, auf Augen und Mienen Achtung gebe, sein Portamento di voce zu Rate ziehe, und ihm in allen seinen Bewegungen zur Seite bleibe, wie einst Lord Anson dem spanischen Registerschiffe.

Doch der Ungenannte läßt es zu dergleichen feinen und mühsamen Prozeduren nicht kommen. Er weiß dem Leser das Ding leichter zu machen, und ihn kurz und gut und auf einmal au fait und außer allen Zweifel zu setzen.

Der Generalsuperintendent Callisen sagt in seinem Versuch Pagina CCXXII: »Ob wir moralisch frei sind und werden können ist eine schwere Frage, die ich mir nicht beantworten zu können zutraue.«

Und der Ungenannte fügt (p. 8, 9) über diese Äußerung hinzu: »Herr C. setzt sich gegen alle Verantwortung und Vorwürfe auf eine Art in Sicherheit –die, wir hoffen es zur Ehre der Menschheitselbst diejenigen, die sich in Ansehung seiner übrigen Behauptungen mit ihm in Reihe und Glied stellen, nicht öffentlich zu wählen das Herz haben möchten.«

Si tacuisses, philosophus mansisses.

Es ist nämlich bekannt, und jedweder, der sich in der Philosophie nur einigermaßen umgesehen hat, weiß es: daß die Frage: von der moralischen Freiheit des Menschen, solange die Philosophie in der Welt ist, die große Streitfrage gewesen; daß sie schon zwischen den Stoikern und Epikureern sehr lebhaft betrieben worden, und seitdem nie ganz wieder geruhet hat; daß sie zwar um die mittlere Zeit mit der Philosophie ein wenig eingeschlafen, aber auch mit der Philosophie gleich wieder erwacht und unter den Scholastikern schon wieder in volle Bewegung gekommen, und seitdem in voller Bewegung geblieben ist; daß sie sonderlich, seit der letzten Hälfte des vorigen und in unser Jahrhundert hinein, sehr lebendig und interessant geworden, und zwischen und von Männern, wie Spinoza, Leibniz, Collins, Hobbes, Clarke, Bayle, Hume, verhandelt worden, und ferner und fernerhin[379] zwischen und von einer Schar berühmter Leute, die ich nicht alle kennen und nennen kann, Reimarus, Cruse, Daries, Bonnet, Garve, Hommel, Feder, Tetens, Reinhold und Friedrich Heinrich Jacobi; daß Kirche und Schule daran teilgenommen, der griechische und lateinische Stuhl sich darüber gestritten, und Augustinus und Pelagianer, Thomisten und Scotisten, Remonstranten und Kontra-Remonstranten, Luther und Calvinus damit zusammenhangen; daß die moralische Freiheit nicht grade von schwachen und gemeinen Köpfen angefochten und geleugnet worden; daß sie sogar, im ganzen, stattlicher und siegreicher bestritten als verteidigt worden, und nach der Philosophie auch besser und füglicher bestritten als verteidigt werden kann, weil die Verteidiger das Principium rationis sufficientis, gegen sich haben, und sie, wenn sie dies Principium halten wollen, eigentlich nicht anfangen können, und, wenn sie es fallenlassen, gleich am Ende sind; daß Kant einen neuen Weg gegangen ist, die Dornen dieser Alternative zu umgehen; kurz, daß die Frage: von der moralischen Freiheit des Menschen, die große Frage, und der große schwere und schwierige Knoten ist, daran die Vernunft schon mehrere Jahrtausende gekäut, und die größten und scharfsinnigsten Köpfe aller Zeiten und Völker ihre Kräfte, für und wider, versucht haben. – Und der Ungenannte – will sich totlachen, daß ein bescheidener Mann sich nicht zutraut diese Frage beantworten zu können.

So also sieht es mit der theologischen und philosophischen Gelehrsamkeit des Ungenannten aus.

In der Politik ist er etwas besser beschlagen, und was in diesem Fach allgemein gäng und gäbe ist, das scheint er zu wissen, und auch zu halten versteht sich; doch läßt er sich, auch ein paarmal, fast noch etwas billiger aus, als man gewohnt ist. Aber von der politischen so wie von der theologischen und philosophischen Weisheit hernach.

Das wäre denn einstweilen etwas weniges von den Mängeln des Ungenannten; zu sagen, von den Mängeln die ihrem Subjekt inhärent sind.

Was nun die kurrenten Fehler anlangt; da hat der Ungenannte eine gedoppelte Methode. Wenn er seinem Widersacher einen gewissen Fehler vorwirft; so hat er selbst diesen Fehler entweder schon gemacht, oder er macht ihn bald nachher. Bisweilen macht er sie auch vorher und nachher, doch das nur selten.

Von allen Gattungen eine Probe.

[380]

Nro. 3

Pagina 61:

»S. 239 zeigt Herr Callisen sich wieder von einer ihm zu oft eigenen, wirklich sehr unangenehmen Seite: d.h. er schimpft unbestimmt, er wirft einen Prügel ins Publikum unbesorgt, wen er trifft.

›Wenn so viele unbesonnene Schriftsteller unserer Tage erst einen Bückling für die Regierung machen, in deren Gewalt sie sich befinden, indem sie viel zu feige sind, ihre Meinung gradeheraus zu bekennen etc.‹

Herr C. nenne diese Schriftsteller.«

Diese letzte Forderung ist etwas unbescheiden von jemand, der sich selbst nicht genannt hat; so wie überhaupt dieser ganze Vorwurf einem solchen Schriftsteller sonderbar kleidet. Denn, wer mit Prügeln umgeht, die nicht sagen wo sie herkommen, der sollte es mit Prügeln, die nicht sagen wo sie hin wollen, doch wohl so genau nicht nehmen. Aber, kurz und gut, der Mann, der sich hier, Pagina 61, so sehr über das Prügelwerfen und unbestimmte Schimpfen beschweret, hatte schon (Pagina 7) die folgende Stelle zu Papier gebracht.

»Es ist nur gar zu wahr, daß vorzüglich seit einiger Zeit, mehrere Herren ihren Lehrstuhl in einem theolo gisch-philosophischen Helldunkel aufschlagen; Menschen, die mit Hülfe einer selbstgeschaffenen Religionsphilosophie, und einer aszetischen Salbaderei, alle reinen Begriffe verwirren, vernünftiges Christentum, christliche Freiheit, christliche Aufklärung stets im Munde führen, und dennoch immer, positive Religion und Vernunft, Christus und Aufklärung (S. IV), neue und alte Wahrheit (S. I) einander entgegenstellen, von Volksbändigen durch positive Religion sprechen (XVII), dem Joche unbilliger christlicher Herren das Wort reden: (S. 260) kurz – denn was heißt das wohl anders? – die gefährlichsten Advokaten der beiden Hauptfeinde der Menschheit, des Despotismus und des Aberglaubens werden.

Diese Skribenten haben ihr eigenes Publikum, wie ein jeder es weiß, der sich nur um den Gang des menschlichen Geistes bekümmert. Ihre Werke werden gelesen, mehrmals aufgelegt, und beweisen schon dadurch, daß ihre Verfasser mit Unrecht über [381] die Fortschritte der neuern Aufklärung so heftige Klage führen. Haben sie überdem, vermöge ihres Standpunktes in der Gesellschaft, einen weitern Wirkungskreis und sichern Einfluß; so weiß man wohl, was blindes Vorurteil, Heuchelei und Hoffnung auf Beförderung vermögen, um ihren Grundsätzen demütige Anhänger zu verschaffen.

Das Häuflein dieser Schriftsteller wird, gleich den Kobolden, immer dreister, je stiller, je finsterer es um sie her wird. Die Stimme der Vernunft muß sich doch zuweilen hören lassen, um sie zu verscheuchen. Wenn sie nichts mehr fürchten, so wagen sie alles. Sie halten etc.«

Der Prügel ist doch lang genug! – Und ich habe noch die untere Spitze, zu einem anderweitigen Gebrauch, abgebrochen.

Doch der Ungenannte möchte vielleicht einwenden und sagen: der Generalsuperintendent sei freilich kein Häuflein Schriftsteller, und dürfe, da die ganze Schrift gegen ihn gerichtet sei, hier freilich nicht eigentlich mitgezählt werden; aber doch habe er, der Ungenannte, ihn hier angeführt, und also könne er doch nicht angesehen werden als ganz und gar unbesorgt wen sein Prügel treffe.

Gut das; ich will dem Ungenannten kein Unrecht tun, und führe also einen andern Prügel an, den er höheren Orts und ohne alle Anführung geworfen hat; indem er, Pagina 20, bei Gelegenheit der Stiftung und Verbreitung religiöser Sekten und Meinungen, versichert: »daß es noch fast nie den Herrschern der Menschen eingefallen, dieselben zum vernünftigen Denken anzuführen, und ihre Geisteskräfte zu entwickeln; daß sie wohl aber oft selbst durch gewaltsame Mittel sich bemüht, sie davon zurückzuhalten, und dem Fortschreiten der menschlichen Erkenntnis Hindernisse in den Weg zu legen.«

Der Ungenannte nenne diese Herrscher. –

Darum, o Mensch, kannst du dich nicht entschuldigen, wer du bist, der da richtet: denn, worinnen du einen andern richtest, verdammest du dich selbst; sintemal du ebendasselbige tust, das du richtest.

Das wäre denn die Probe von der Gattung: schon gemacht.

Für die Gattung: bald nachher, folgendes.

Pagina 45 schuldiget der Ungenannte seinen Widersacher, daß er »Gegenstände der Untersuchung selbst, die Gesinnungen, Überzeugungen und theoretischen Äußerungen eines Staatsbürgers vor sein Forum ziehe und mit Sünde und Schande brandmarke«, [382] und daß »ein jeder, wes Standes und Würden er sein mag, sich dieser Dominikaner-Intoleranz schämen sollte«.

Dies geschieht, wie gesagt, Pagina 45; und zwei Seiten weiter, nämlich P. 47, hat er selbst, der Ungenannte, sein Brandmarksgeräte schon glühend, und dreierlei Delinquenten, die mit »Schande und Sünde« gestempelt werden, vor sich stehen; und vergißt sich in seiner Intoleranz so weit, daß er anfängt, die Frage: ob ein Staatsbürger ein ihm angetragenes Amt annehmen oder nicht annehmen soll, vor sein Forum zu ziehen.

Endlich, die Probe von der dritten Gattung liefert der Ungenannte Pagina 27 etc.

Der Generalsuperintendent tut einmal, was alle Welt tut, und, oft, richtiger getan ist; das heißt, er braucht einmal Uns und Wir, statt mir und ich. Und der Ungenannte Pagina 27:

»So nachsichtig man auch sein mag, so kann man doch nicht umhin, diese Anmaßung zu arg zu finden. Wer sind die Uns und Wir, die sich unterstehen, dem Menschen Gesetze vorzuschreiben?«

Und bei einem ähnlichen Anlaß Pagina 60:

»Sagen Sie doch, ums Himmels willen, wer sind die Uns?

Hiebei fällt mir eine Anekdote ein, die meine Leser mir, in Parenthesi zu erzählen, erlauben werden. – – – Als ich noch in Sekunda war, ließ ich mir auch einmal beigehen, wir und uns, statt ich, in meinen Ausarbeitungen zu gebrauchen. Da schrieb mein seliger Konrektor auf den Rand: Mein Sohn, solange Er noch nicht imstande ist, für eine Person hinreichend zu leisten, so setze Er lieber ich, und füge Er zuweilen ganz bescheidentlich hinzu, meine Wenigkeit.«

Ich bitte meine Leser um Verzeihung, daß ich ihnen solche platte Plattitüden vorsetze. Ich gäbe den Ungenannten freilich lieber mit einem αττικον βλεπος επι του προσωπου wie Aristophanes sagt. Aber ich kann ihn nicht anders geben, als er sich selbst gibt.

Doch zu unsrer Probe. Das Allerwenigste wäre doch wohl gewesen, daß der Ungenannte sich auf seinen paar Blättern, vor und nach solchem Commerage, selbst kein Wir und Uns hätte zuschulden kommen lassen. Aber, wer lügen will, sagt man, muß ein gutes Gedächtnis haben. Pag. 27 steht die erste Rüge deswir und uns, und pag. 8, und also vorher, »hoffen wir schon zur Ehre der Menschheit«; und pag. 43, und also nachher, wir't er schon wieder, und fodert pag. 53 »den Generalsuperintendenten [383] auf, uns einen Sterblichen zu nennen, der so rasend gewesen wäre«. – Und das wäre denn zusammen vorher undnachher, und so an alle drei Gattungen erprobt und ins reine gebracht.

Pagina 10 wirft der Ungenannte dem Generalsuperintendenten Inkonsequenz vor, »daß er auf der einen Seite versichere, daß die Sache Christi nun einmal nicht verlorengehen könne«; und gleich auf der folgenden Seite klage etc. Und er, der Ungenannte, versichert und klagt, hofft und fürchtet für sein Steckenpferdchen, auf einer und derselben Seite, und ineinem Otem. Nämlich pag. 8 »halten die Schriftsteller« (zu sagen: »die Koboldschriftsteller, die immer dreister werden etc.) den Gang des menschlichen Geistes im ganzen nicht auf«; dafür ist ihm, dem Ungenannten, gar nicht bange, und darüber ist er ganz ruhig. Aber, doch könnten von den »Gliedern der gegenwärtigen Generation« wohl einige Not leiden, und ist er ihretwegen doch nicht ganz außer Sorgen, will deswegen auch lieber ein übriges tun, und »ihnen unermüdet laut zurufen etc.« – In Parenthesi und unter uns gesagt, ist dies das dritte Mal, daß ich diese nämliche Stelle produziere. Und eben das ist so angenehm und bequem bei den Stellen dieser Schrift, daß man sie zu allerlei Absicht und immer wieder und wieder brauchen kann.

Ein paar Exempel mehr von der Inkonsequenz des Ungenannten können nicht schaden.

Pag. 3 beschuldiget er, wie schon in No. 1 angeführt worden ist, seinen Widersacher einer »vollkommenen Unwissenheit in den ersten Regeln der deutschen Sprache, und einer völligen Unbekanntschaft mit allem was Stil heißt«, pag. 9 »eines gänzlichen Unvermögens seine Begriffe erträglich auszudrücken«; und p. 21 muß er ihm das Zeugnis geben, daß er den zweiten Abschnitt (von p. LXXXIV bis CCII und also 2/5 des ganzen Buchs) »mit etwas mehrerem Fleiß in Absicht auf die Sprache ausgearbeitet habe«.

Pag. 38 doziert der Ungenannte, »daß ein Geistlicher die strengste Verpflichtung habe, richtige Begriffe über die bürgerlichen Verhältnisse des Menschen, nach seinen besten Einsichten, zu verbreiten«. Und doch wird der Generalsuperintendent, als er diese strengste Verpflichtung erfüllt, von ihm so angefahren. Doch hier ließe sich die Konsequenz des Ungenannten noch wohl zur Not retten. Er konnte nämlich hoffen, die Geistlichen würden seine Meinung zu treffen wissen, und der Generalsuperintendent hatte die Ehre, sie nicht zu treffen. Aber der Ungenannte [384] hatte doch ausdrücklich gesagt: daß die Geistlichen es nach ihren besten Einsichten tun sollen, und nicht nach den Einsichten des Ungenannten.

Auf diese Inkonsequenzen nun noch einige Merkwürdigkeiten, die vielleicht zu den Konsequenzen gerechnet werden könnten.

Der Generalsuperintendent fodert am Ende seines »Versuchs: die holsteinische Geistlichkeit bei itziger Gärung der Meinungen etc. zur Beförderung der wahren Aufklärung eines tätigen Christentums und der Ruhe in unserm Vaterlande zu vereinigen«, die Prediger noch einmal brüderlich auf, und sagt unter andern, sehr brav: »Wir sind überzeugt, daß das keine wahre Aufklärung sei, wenn die Vernunft sich über die Offenbarung erhebt, keine wahre Aufklärung, wenn man die Bibel so verdreht, daß wir nicht mehr eine höhere Belehrung, die göttliche Natur unsers Herrn, und die Wirkung seines Verdienstes und seines Geistes darin finden können; keine wahre Aufklärung, wenn man die Begriffe von Menschenrechten, von Freiheit und Gleichheit so sehr übertreibt, und vor bisherige bürgerliche Einrichtungen keine Achtung mehr haben will. Und das muß zur Sprache gebracht werden, wenn wir nichts mehr können, um uns dem Strome herrschender Vorurteile zu widersetzen, so müssen wir wenigstens warnen, und nicht mit der Schande leben, aus Furcht vor menschlichen Urteilen geschwiegen zu haben.«

Dem Dinge traut der Ungenannte nicht, und wendet sich deswegen, pag. 46 in einer eignen Rede, auch an die Prediger, um sie für die »vernünftigen Einsichten« zu gewinnen, segnet sie auch, weil es doch, nach pag. 23, »für Gott und die Religion in unsern Zeiten nichts mehr zu streiten und zu kämpfen gibt«, vorläufig zum Märtyrertode für diese Einsichten ein. – Und in der Tat mag er zu einem solchen Geschäft nicht ganz unfähig sein. Denn, nach einem pag. 30 über den ferner zu erwartenden Gang der Sache gegebenen ominösen Wink zu urteilen, scheint er würklich so bei seiner Göttin zu stehen, wie weiland bei der Königin Candace der Mann aus Mohrenland, der ein Kämmerer und Gewaltiger und über alle ihre Schatzkammern war.

Pag. 12 spricht er von einem Galimathias seines Widersachers, und liefert pag. 22 eins von seiner eignen Arbeit, das gar nicht übel geraten ist.

Pag. 46 und 47 kommt gar eine Prophezeiung vor: »von einem rächenden Genius der wahrhaftig bald kommen wird.« Sie steht im 2. Teil der Einsegnungsrede, nachdem im 1. Teil dieser Rede [385] die Güte versucht ist – ut quae amore flecti non posset hominum audacia terrore sisteretur.

Ich setze die eignen Worte der Prophezeiung her, welches bei solchen Sachen immer das sicherste und beste ist.

»Aber, meine Herren, würden Sie wirklich aus Trägheit, Feigheit oder Eigennutz verstummen, welches Sie nicht werden; wäre es möglich, daß Sie selbst Freude an der Dämmerung fänden, die Sie aufzuklären berufen sind, oder daß Sie gar vorsätzlich die Finsternis eindringen ließen; so sein Sie überzeugt, es kommt wahrhaftig bald ein rächender Genius – fürchten Sie seine Ankunft –! der mit verheerender Fackel die Finsternis erleuchten wird, die Sie so schön mit dem Lichte der Vernunft hätten aufhellen können. Dann ist es zu spät. In welchen Winkel wollten Sie auswandern? Der Genius beleuchtet dann über den ganzen Erdkreis Ihren Verrat an der Menschheit, Ihre Schande und Ihre Verzweiflung.«

Höchstwahrscheinlich wird dieser Genius, wenn er kommt, sich nicht bloß auf die Prediger einschränken, sondern wird ganz gewiß auch die Laien beleuchten. Ich mache ihm deswegen beizeiten mein Kompliment, mit dem Ersuchen: wenn er mit den Herren Predigern fertig ist und die Reihe nun an die Laien kommt, so viel sich will tun lassen, säuberlich mit uns zu fahren, und über unsern Verrat und unsre Schande gefälligst ein Auge zuzudrücken etc.

Aber der Kurzweil möchte am Ende langweilig werden, und die Galle fängt auch an mir auszugehen. Ich will mich denn für noch einige andre Merkwürdigkeiten kurz fassen.

Der Ungenannte:


  • – »kann und wird den Generalsuperintendenten nicht schonen« ... p. 25
  • – »sieht sich genötigt die alte Aufklärung einmal förmlich anzugreifen« ... p. 54
  • – nimmt sich heraus über Dichtung zu urteilen ... p. 32
  • – statuiert: »daß ein Geistlicher zum Räsonieren bestimmt ist« ... p. 38
  • – »hätte einen Folianten schreiben müssen« ... p. 10
  • – »sollte fast die Lust verlieren mit einem Manne vernünftig zu sprechen« ... p. 56
  • – ist »vor einiger Zeit mit zween Predigern in einer Gesellschaft gewesen« ... p. 39
  • – »kann sich etwas nicht versagen« ... p. 10
  • [386] – »will mit Ihnen aufrichtig sein« ... P. 64
  • – »glaubt, ja« ... P. 6
  • – und »denkt, nein« ... p. 7
  • – »weiß nicht was er – denken soll« usw .... p. 13

Aber, wird der Leser sagen, der Ungenannte treibt ja vieles auf seinen 66 Seiten.

Ja wohl treibt er vieles.

Wenn nun aber gefragt wird: warum, wie, und wozu er das alles treibt, so sind die Meinungen darüber verschieden, nämlich seine, des Ungenannten, eigene Meinungen.

P. 9 scheint er es auf die Prediger und Kandidaten, die Generalsuperintendenten werden wollen, angesehen zu haben; p. 10 ist es ihm wieder um eine gewisse Überzeugung bei dem Leser zu tun. Aber p. 24 kommt der Fuchs allererst recht zum Loche heraus, wie folget:

»Ich werde nicht umsonst zuweilen so warm mit Ihnen« (nämlich mit dem Generalsuperintendenten) »es ist die Ehre unserer Regierung, die Ehre eines ganzen venerabeln Standes, die Ehre des Vaterlandes, die mein Blut in Wallung bringt.«

»Es ist die Ehre eines ganzen venerabeln Standes!« – Der Ungenannte will also dem Generalsuperintendenten die Ehre nehmen um den Predigern Ehre zu geben. Ist es doch der leibhafte Schuster, der das Leder stiehlt um die Schuhe zu verschenken. Die Herren Prediger werden sich einer solchen Generosität wohl höflich bedanken, und dem Ungenannten seine Ehre und Schuhe zurückgeben.

»Es ist die Ehre unserer Regierung« – die nämlich den Generalsuperintendenten gesetzt hat. –

Noch nicht alles. »Es ist die Ehre des Vaterlandes!« – Das heiß ich einen holsteinischen Patrioten, der sich gewaschen hat, und gewaschen ist.


Demptus per vim mentis gratissimus error.


Und nun zu ernsthafteren Dingen.
[387]

Nro. 4

Bekanntlich ist die Religion immer und überall als höherer Abkunft angesehen worden. Bei allen alten Völkern, von denen wir Nachrichten haben, selbst die amerikanischen die vielleicht mehrere Jahrtausende von der übrigen Welt getrennt gewesen sind nicht ausgenommen, waren die ersten Stifter der Religion Götter, Halbgötter, Söhne der Sonne, Götter die Menschen oder Menschen die Götter geworden waren etc. Und, wenn bisweilen in der Geschichte eines Volks ein Zeitgenosse in bekannter Gestalt als Religionsschöpfer dasteht, wie z.E. Konfuzius bei den Chinesern, oder Zoroaster bei den Persern; so ist der nurHersteller, und es ist schon ein Fohi und Hom gewesen. Der Ursprung ist immer höher hinauf, und verhüllt; und in der Religion selbst ist, im Grunde, unter mancherlei und verschiedenen Namen, mehr oder minder verstellt – Unus in orbe vultus.

Überall: ein erstes gutes Wesen; überall: ein böses Wesen, bei den Indianern Ruthren, bei den Persern Ahriman, bei den Ägyptern Typhon, bei den Kelten, Goten etc. Surtur, Skrymer etc.; überall: Theophanie, Opfer, Sühnung, Reinigung; überall: Leben, Tod und neues Leben, oder Herstellung; überall: Unsterblichkeit, übermenschliche Kraft und Weisheit etc.; auch, außer dem Gott Schöpfer, noch ein Gott Helfer, Mittler und Pfleger, in Indien Wischnu, in Persien Ormuzd, auf Ceylon Bobou, bei den alten nordischen Völkern Thor etc.

Bolingbroke erklärt dies letztere, und den, überall sichtbaren, Tritheisme, wie er's nennt, sehr künstlich; aber der Unus in orbe vultus scheint viel natürlicher auf eine und die nämliche erste Quelle hinzudeuten; und, was Lukan von den Römern sagt:


Nos in templa tuam Romana accepimus Isim –
et quem tu plangens hominem testaris Osirim

mag so ziemlich allgemein der Fall gewesen sein, woraus sich denn zugleich der varius in orbe vultus, und daß er im Absteigen immer mehr varius angetroffen wird, sehr wohl begreifen ließe, usw.

Über dies merkwürdige historische Faktum spricht der Generalsuperintendent weitläuftig, und sucht es, natürlich, zum Vorteil der Existenz einer geoffenbarten Religion zu benutzen; kann es aber dem Ungenannten gar nicht recht machen. Mag er sich [388] hin und wieder zu nachlässig auslassen, und mißverstanden und gemißdeutet werden können; die Hauptsache ist und bleibt wahr, und läßt sich nicht wegexklamieren. Pag. 13 ruft der Ungenannte dem Generalsuperintendenten zu: »das ist ein Bekenntnis aber kein Beweis.« Aber darum liefert er selbst nicht viel Beweis und wenig Bekenntnis, sondern umgekehrt wenig Beweis und viel Bekenntnis und Exklamation. Zum Exempel, der Generalsuperintendent sagt: »So wie ein Volk sich einigermaßen über die Wildheit erhebt, so finden wir bei demselben Stimmen der Gottheit, heilige Örter, Opfer, Wunder, Weissagungen, heilige Bücher, überall außerordentliche Gesandte, überall Bemühungen, Vorschriften, Gott zu versöhnen. Fast jede Religion hat ihren Messias.« Und der Ungenannte exklamiert (p. 17): »Ist es möglich, daß das ein christlicher Geistlicher geschrieben haben kann? und noch dazu ein Mann, den eine aufgeklärte Regierung, aus der gesamten Geistlichkeit einer ganzen Provinz auswählte, und zum Vorgesetzten der übrigen machte?«

Was soll man dazu sagen? – Was anders, als der Ungenannte hat die Intercetta etc. die Halde, dieKämpfer, die Hyde etc. die Zendavestas, die Baghatgetas, die Eddas usw. nicht gelesen.

Weiter meint der Generalsuperintendent: weil Moses und Mahomed etc. wenn sie im Namen des Herrn redeten und von Gottes wegen Befehle brachten, immer mehr Eindruck gemacht haben als die bloße Spekulation und die Sonne in aller ihrer Pracht; weil eine bloße Vernunftreligion nirgends, und geoffenbarte, wahr oder falsch, überall angetroffen wird etc.; so sei positive Religion ein Bedürfnis des menschlichen Geschlechts usw.

Das ist wieder nicht getroffen; das Ding muß anders erklärt werden, und »der Generalsuperintendent (p. 19) könnte etwa sagen: Das durch das Anschauen der Natur und der Schöpfung in dem Menschen natürlich erregte Verlangen nach der Erkenntnis der Ursache derselben, könne ihn sehr leicht irreführen; es habe, wie die Erfahrung lehre, nie an Intriganten und Bösewichtern gefehlt, die sich seiner Schwachheit zunutze gemacht, und es sei selbst oft groben und unwissenden Betrügern geglückt, die noch unwissendere Menge, durch Vorspiegelungen und Erfindungen zu täuschen, und zu ihren ehrsüchtigen oder fanatischen Absichten zu mißbrauchen. Er könnte zeigen, wie ihnen ihr Betrug sehr erleichtert sei, wenn sie frech genug gewesen, das höchste Wesen selbst mit ins Spiel zu ziehen« (wie zum Exempel der Ungenannte den rächenden Genius mit hineingezogen hat) [389] »und das Volk glauben zu machen, daß dieses sie unmittelbarer Unterredungen würdige. – Am allerwenigsten müßte er in dieser anscheinenden Geneigtheit sich hintergehen zu lassen, einen geheimen Wink der Natur sehen, die Menschen immer in der Finsternis zu erhalten; ja ihnen wohl gar gradezu die Fähigkeit absprechen, je durch das Licht der Vernunft erleuchtet werden zu können, und sie auf ewige Zeiten der Führung des Aberglaubens der Bosheit und der Unvernunft übergeben.«

Diese Art sich auszudrücken, und, ohne weiteres, zu erklären, ist etwas stark, in einem Lande, wo eine geoffenbarte Religion besteht und obrigkeitlich geschützt und gehandhabt wird. Übrigens kann man dem Ungenannten sein Bekenntnis von Betrug und Täuschung gerne zugeben.

Es ist leider mehr als zu wahr, daß die gutmütige Unwissenheit oft betrogen, und gemißbraucht worden ist. Aber, was beweisen alle diese Betrügereien und eine Welt voll Betrüger gegen die Existenz eines ehrlichen Mannes? Sie beweisen vielmehr für ihn, und daß, weil diese Religion-Mongers das höchste Wesenfälschlich hineingezogen, sich unmittelbarer Unterredungen fälschlich gerühmt haben, und die falsche Münze die echte voraussetzt; daß, sage ich, denn einmal einer oder mehrere gewesen, die solcher Unterredungen in Wahrheit gewürdiget worden und das höchste Wesen in Wahrheit hineingezogen haben.

Pag. 22 läßt sich der Ungenannte in eine Art von Räsonnement ein, und scheint seiner Sache sehr gewiß zu sein, wenigstens sich siegreich zu dünken, wie folget: »Ich bin nur ein Laie, indes will ich's versuchen den Herrn Generalsuperintendent C. über diese Gegenstände zu beruhigen. Lieber Herr Generalsuperintendent, glauben Sie mir, es ist hier nichts zu besorgen. Ist die Bibel würklich von Gott, und liegt es in seinem ewigen Plan, die Menschen durch dieses Buch zu seiner Erkenntnis und ihrer Glückseligkeit zu führen; so ist durchaus keine menschliche Macht imstande ihr etwas anzuhaben, keine menschliche Geschicklichkeit oder Bosheit vermögend, auch nur einen Gedanken darin zu verändern. Das Wesen, welches sie, Ihrer Überzeugung nach, dem menschlichen Geschlechte durch eine Reihe von Wundern mitteilte, wird auch, wenn es nötig sein sollte, durch ähnliche Wunder, sie für alle künftige Generationen, in der nämlichen Gestalt, wie sie zuerst aus seiner Hand ging, zu erhalten wissen: und diese seine Vorsorge wird sich selbst über die Abschreiber und Setzer in den Offizinen erstrecken. Kein Exeget, von welcher[390] Sekte er sei, wird imstande sein, einen andern Sinn hineinzuerklären etc. etc.«

Ich fahre ohne weitere Umstände fort. »Ist das Auge würklich von Gott, und liegt es in seinem ewigen Plan, daß der Mensch mit diesem Organ sehen soll; so ist durchaus keine menschliche Macht imstande ihm etwas anzuhaben, keine menschliche Geschicklichkeit oder Bosheit vermögend, auch nureinen humorem darin zu verändern. Das Wesen, welches dem Menschen das Auge mitteilte, wird es auch zu erhalten wissen; und diese seine Vorsorge wird sich selbst über grobes und kleines Geschütz, über Hammer und Nägel und Nagel und alle spitze und scharfe Sachen in der Welt erstrecken, und kein Mensch, von welcher Sekte und Nation er sei, wird imstande sein, ein Auge auszuschießen, oder auszuhämmern, auszukratzen oder auszustechen, auszusengen oder auszubrennen« usw.

Dies nun nennt der Ungenannte, wie gesagt: den Generalsuperintendenten über »seine Besorgnis für das der Bibel und Christusreligion drohende Schicksal beruhigen«; und es fällt in die Augen, daß, wenn diese Methode probat ist, niemand weiter um Beruhigung verlegen sein dürfe.

Die Leser sehen aus diesen Proben, was es mit den philosophischen und theologischen Einsichten des Ungenannten für eine Bewandtnis habe. Das wenige, was er vorbringt, will einen bedünken, hätte man schon gelesen, aber stärker und besser gesagt.

Nur gleich eine Kleinigkeit p. 42: »Ich mag diese Benennung« (Prediger) »lieber als Geistliche, die man a potiori doch ebensogut Körperliche nennen könnte.«

Wie anders sagt Tindal das? – tho' our Divines now very well know how to distinguish between a bodily Spirit and a spirituel Body.

Es geht dem Ungenannten, wie es allen geht, die ihr Terrain nicht kennen. Sie fürchten zu viel zu tun, und tun zu wenig; und fürchten zu wenig zu tun, und tun zu viel. Ich will sehen, ob ich ihm etwas zurecht helfen kann.

So ehrt er p. 64 zwar, wie er sagt, die christliche Religion, ist aber doch skrupulös, wie die Leser aus dem in No. 3 angeführten langen Probestück gesehen haben, positive Religion ohne Vernunft, Christus ohne Aufklärung, zu lassen; will immer der Philosophie und den »Philosophen des Altertums« das Wort reden; den Religionsbegriffen (p. 15) der Ägypter, Griechen und Römer nichts vergeben usw. Das nun hat er aber grade [391] nicht nötig, und braucht so ängstlich nicht zu sein. Denn Morgan sagt gradezu: »He (Christus) did not, like the Heathen Philosophers, content himself with speculations and dry Reasonings about Virtue and true Religion – And here I dare put the Authority of Christ – against Moses, Confucius, Zoroaster, Mahomet, or any other Prophet or great Man etc.« Und dieser Morgan ist ein Autor, den unsre antireligiosen Fragmentisten sehr wohl kennen und gekannt haben, und aus dem der Ungenannte, wenn er gegen die Religion zu Felde ziehen will, sich anders equipieren kann als er equipiert ist.

So glaubt er ferner, die Mystik und die Mystiker immer bitter anfeinden und verachten zu müssen. Ich habe nun zwar das Vertrauen zu ihm, daß er in Zukunft eine Art jovialischer Mystiker, die er bei dieser Gelegenheit kennengelernt hat, ausnehmen werde. Aber, er braucht es sich überhaupt gegen Mystik und asketische Salbaderei, wie er sich ausdrückt, so nahe nicht zu nehmen. Denn die Helden und Heerführer unter den Vernunftreligiosen anfeinden und verachten sie nicht, und waren zum Teil selbst Mystiker und Asketen. Mylord Shaftesbury z.E. mochte Mystik wohl, und er anerkennt im Menschen die defects of passion, die meannesses and imperfections, which as good Men, we endeavour all we can to be superior to, and which, we find, we every day conquer as we grow better. Tindal führt unter andern aus dem Doktor Scott folgende Stelle an: »The best thing we can receive from God is himself, and himself we do receive in our strict compliance with the eternal Laws of goodness; which Laws being transcrib'd from the nature of God from his eternal righteousness and Goodness, we do, by obeying them, derive God's Nature into our own etc.« und setzt hinzu: »which, certainly, must make us necessarily happy«, und nennt den Doktor Scott an excellent author. Und Morgan erlaubt sich sogar ein langes brünstiges Gebet um Weisheit, und sagt dazu: »But a student in this Philosophy ought to abstract his Thoughts, as much as he can, from the deceiving Colourings, and outward gaudy Appearances of Wealth and Power, Lust and Appetite, Ambition and Sensuality; he must withdraw himself, upon all proper Occasions, from the Noise, Hurry, and Bustle of the World about him, and retire into the silent Solitude of his own Mind etc.«

Und so weiter.

Pag. 24 frägt der Ungenannte: »Was soll das Ausland von der [392] holsteinischen Geistlichkeit urteilen, wenn das Haupt etc.« Als ob die holsteinische Geistlichkeit für das Ausland da wäre. Ich dächte, sie hat es mit dem Inlande zu tun, und könne, wenn sie das gehörig besorgt, um das Ausland sehr unbekümmert sein.

Auf der letzten Seite, pag. 66, will er sich von »höhern unsichtbaren Kräften« nicht abhängig glauben, und, wer sich davon abhängig glaubt, der soll zu Dr. Willis schicken. – Erstlich, sind wir von höhern unsichtbaren Kräften doch wohl abhängig, wir mögen es glauben oder nicht. Und so viel sieht der Ungenannte bis weiter auch ein: daß es viel besser und honetter ist, sich von höhern unsichtbaren Kräften abhängig zu glauben und abhängig zu sein, als von niedrigen sichtbaren.

Aber es ist noch mehr wahr, als das. Der Menschist nicht allein von höhern unsichtbaren Kräften physisch abhängig, sondern er soll auch moralisch von ihnen abhängig sein und von ihnen allein; und hier liegt beides der Maßstab und das Wahrzeichen seiner Größe, seiner Freiheit, und seines wahrhaftigen Glücks. Kant sagt, in der »Kritik der reinen Vernunft«: der Philosoph habe sich bisher um die Gegen stände der Philosophie gedreht; und er versuche, wie Kopernikus, ein anders, und lasse die Gegenstände sich um den Philosophen drehen. Es gibt eine noch schönere Art ein anders zu versuchen, und das ist das, wovon hier die Rede ist.

Der Mensch, seiner eigentlichen Natur nach, kann sich mit Ehren um nichts als um höhere unsichtbare Kräfte drehen, und alles übrige muß sich um ihn drehen, d.i. mit andern Worten: muß von ihm abhängig sein. Sonst ist er unter sich selbst, und ist krank.

Nro. 5

Welchem ihr euch begebet zu Knechten in Gehorsam des Knechte seid ihr, sagt Paulus; Ουδεις ελευϑερος έαυτου μη κρατων, sagt Pythagoras beim Stobäus. Usw.

Dieser fremde Einfluß auf den Willen des Menschen von Dingen die tief unter ihm und sein nicht wert sind, dies »radikale Böse in der menschlichen Natur«, diese Abhängigkeit und Knechtschaft, dieserMechanismus in einem Wesen das die Freiheit von fern reucht und zur Herrschaft wiehert, dieser Flecken [393] in der Sonne, diese Kette um die Flügel des Engels – ist die große Angelegenheit des ganzen Geschlechts, und das Crève-cœur jedes rechtlichen Mannes. Und: die Aussicht und Hoffnung, dieser schmählichen Kette los; das Mittel, recht frei zu werden – ist das Größte und Höchste unter dem Himmel das in des Menschen Verstand, ist das Fröhlichste und Seligste das in sein Herz kommen kann, nach welcher Seligkeit auch gesuchet und geforschet haben die Propheten und alle wahre Weisen von der Welt her.

Und dies Mittel ist das ursprüngliche und eigentliche Geheimnis der Religion. – Nicht Zweckvorstellung – nicht Gottesverehrung, die findet sich dann von selbst und will nicht ausbleiben.

Von diesem Geheimnis nun weiß die bloße Vernunft nicht, und kann es nicht begreifen.

»Die Religion innerhalb den Grenzen der bloßen Vernunft, vorgestellt von Immanuel Kant.« S. 49. »Wie es nun möglich sei, daß ein natürlicherweise böser Mensch sich selbst zum guten Menschen mache, das übersteigt alle unsre Begriffe«.

S. 7. »Der erste subjektive Grund der Annehmung moralischer Maximen ist unerforschlich.«

S. 61. »Die Tiefe des Herzens (der subjektive erste Grund seiner Maximen) ist ihm selbst unerforschlich.«

»Kritik der Praktischen Vernunft etc.« S. 128. »Wie ein Gesetz für sich und unmittelbar Bestimmungsgrund des Willens sein könne, das ist ein für die menschliche Vernunft unauflösliches Problem, und mit dem einerlei, wie ein freier Wille möglich sei.« Usw.

Was die menschliche Vernunft hier selbst von sich und ihrer Unzulänglichkeit und Unwissenheit gesteht, das bestätigt und beweist sie auch durch die Art und Weise, wie sie Besserung bewürken will, und durch die Mittel die sie dazu vorschlägt, als die zwar, an sich, sehr respektabel und nützlich, und, in Ermangelung eines Bessern, sehr annehmlich und dankenswert, aber nur Palliative sind, und kein Rat.

Wenn Kant. Z.E., der vor andern mit Scharfsinn feiner Gewandtheit und oft Erhabenheit über die moralische Angelegenheiten spricht, wenn der den Leser (Pr. V. 154) »mit der Pflicht, die nichts Beliebtes, was Einschmeichelung bei sich führt, in sich faßt, sondern Unterwerfung verlangt und bloß ein Gesetz aufstellt – vor dem alle Neigungen verstummen, wenn sie [394] gleich im geheim ihm entgegenwürken«, und mit der »Heiligkeit, Größe und Majestät des moralischen Gesetzes«, bekannt gemacht; wenn er ihn (R. 38) vom »Herausbringen des faulen Flecks unserer Gattung, der den Keim des Guten hindert, sich, wie er sonst wohl tun würde, zu entwickeln«, und davon (Pr. V. 144 etc.) daß »der Mensch sich ohne alles Interesse bloß durchs Gesetz«, »nicht allein dem Gesetz gemäß sondern um des Gesetzes willen«, »bestimme etc.«, unterhalten und belehrt hat, und der warm und auf Rat und Weg und Mittel zu so großen herrlichen Dingen lüstern gewordene Leser nun Herz und Ohren offenhält; so ist die Rede: von »Maximen« und »Aufnehmen des moralischen Gesetzes in seine Maximen«; von »Umkehren des obersten Grundes böser Maximen durch eine einzige unwandelbare Entschließung« (R. 54 etc.); von »Regemachen des Gefühls der Erhabenheit seiner moralischen Bestimmung« (59); von »Darstellung der Menschheit in ihrer moralischen Vollkommenheit, als Beispiel der Nachfolge für jedermann« (112) usw. So »gibt es« (R. 115) »schlechterdings kein Heil für die Menschen als in innigster Aufnehmung echter sittlicher Grundsätze in ihre Gesinnung«; so ist (P.V. 139) »Achtung fürs moralische Gesetz die einzige und zugleich unbezweifelte moralische Triebfeder« etc. Summa: du sollst keine andre Götter haben neben dem moralischen Gesetz; sollst das moralische Gesetz über alle Dinge fürchten lieben und vertrauen.

Ja, das wußten wir lange. Das hat uns Moses schon vor drei- bis viertausend Jahren gesagt. Aber:


Vom Fleisch will nicht heraus der Geist,
Vom G'setz erfodert allermeist.

Was den Maximen unmöglich ist, sintemal sie durch das Fleisch geschwächt werden, das war's was wir wissen wollten, und das ist's was die bloße Vernunft uns nicht sagt, und nicht sagen kann, weil sie es nicht weiß.

Wenn's hoch kommt, so sieht sie, nach der Bibel, noch wohl ein, wovon eigentlich die Rede ist und was dazu erfodert wird; so weiß sie noch: daß (R. 53) »Tugend nach und nach und durch allmähliche Reformen seines Verhaltens erworben werden könne«; daß aber das (R. 54) »daß jemand nicht bloß ein gesetzlich, sondern ein moralisch guter Mensch werde, welcher, wenn er etwas als Pflicht erkennt, keiner andern Triebfeder weiter bedarf als dieser Vorstellung der Pflicht selbst«: daß das »nicht durch allmähliche Reform, solange die Grundlage der Maximen [395] unlauter bleibt, bewürkt werden kann, sondern durch eine Revolution in der Gesinnung im Menschen (einen Übergang zur Maxime der Heiligkeit derselben) bewürkt werden« muß, und daß »er ein neuer Mensch nur durch eine Art von Wiedergeburt, gleich als durch eine neue Schöpfung und Änderung des Herzens werden kann«.

Das ist aber auch das letzte was sie weiß, und gleichsam der Grenzhügel, von dem sie, wie Moses, ins Gelobte Land hineinsieht. Aber selbst kann sie nicht hinein.

Statt nun, daß sie hier demütig stehenbleiben, und ihre Stirn auf die Erde legen sollte, fängt sie an zu klügeln und allerhand Bedenklichkeiten, Einwendungen und Zweifel zu machen, und meint am Ende, da sie nicht hinein kann, daß gar kein Weg hineingehe.

There was never yet fair woman but she made mouths in a glass.

Das sollte sie aber nicht tun, ihrer eignen Ehre wegen. Denn, wenn sie einmal selbst gestanden hat, daß sie, von der Möglichkeit eines freien Willens und dem Wege dazu, nichts verstehe und sagen könne, so sollte sie auch davon nichts verstehen und sagen wollen. Auch ist es gar zu klar, was es mit diesen Zweifeln und Einwendungen auf sich haben könne, und wie gleichgültig es für die Religion und für denGlauben an sie sei, ob sie gemacht oder nicht gemacht, beantwortet oder nicht beantwortet werden.

Man sollte doch fast denken, daß etwas, das der Philosoph nicht weiß, darum noch gewußt werden könne. »Every reader«, sagt Hume, »may not trust so far to his own penetration as to conclude, because an argument escapes his enquiry, that therefore it does not really exist.« Und hier ist der Fall noch etwas anders, als zwischen reader und reader.

Die Vernunft kann über die Neben- und Außenwerke der Religion, über religiöse After- und Truggemächte etc. urteilen, recht oder unrecht; sie kann Menschen, die es nicht besser wissen, durch Einwendungen und Zweifel und, durch ein Schattenspiel der Religion an ihrer Wand, irremachen; aber die Religion selbst, ihr Wesen und Geheimnis kann sie nicht treffen.

Das liegt ja nicht innerhalb den Grenzen der bloßen Vernunft, und bleibt, bei allem was diese sagen und tun kann, unverletzt und unbewegt liegen wie Myrons Kuh, oder, besser, wie die Sonne hinter der Wolke, die durch die gegen sie abgeschossene [396] Pfeile nicht beleidigt wird, und großmütig fortfährt auf den Schützen zu scheinen.

O du großmütige Sonne hinter der Wolke – duscheinest im Verborgenen. Der Mensch siehet dich nicht, und kennet dich nicht. Aber die Sage von dir ist je und je unter den Menschen gewesen; und aller Menschen Herz begehret dein, und sehnet sich nach dir. –

»Der Instinkt«, sagt Kant (R. 20), »ist ein gefühltes Bedürfnis etwas zu tun oder zu genießen, wovon man noch keinen Begriff hat.« – Der Instinkt ist denn selbst zugleich ein Beweis, daß es einen solchen Genuß gibt. Es muß also doch wohl für den Instinkt der besseren Natur, für den alleredelsten Instinkt, auch einen Genuß geben, gesetzt auch daß nicht alle Menschen einen Begriff davon hätten, oder zu einem Begriff darüber kämen. –

Die sichtbare Welt ist der Spiegel, darin wir die unsichtbare Welt sehen sollen. Nun finden und sehen wir, daß Gott für alle Keime der körperlichen Natur gesorgt, und zu ihrer Entwickelung Veranstaltungen gemacht hat. – Und er hätte den Keim, der ihm vor allen der liebste, der ihm nahe verwandt und seines Geschlechts ist, den Keim zum Guten der in des Menschen Brust wohnt, vergessen und Waise gelassen? –

Ist eine neue Schöpfung unmöglicher als die erste, die wir doch nicht leugnen können? –

Wohl ist diese »neue Schöpfung«, diese »Herzensänderung«, diese »Revolution in den Gesinnungen im Menschen«, dieser »Übergang zur Heiligkeit derselben«, diese »Wiedergeburt«, diese Auferstehung eines neuen Lebens aus dem Tode – etwas Übergroßes, ϑαυμαστον τι Aber:


περι ϑεων μηδεν ϑαυμαστον απιστει μηδε περι
ϑειων δογματων

sagten die Pythagoreer.

»Wenn von den Göttern und göttlicher Lehre die Rede ist, soll dir, wie übergroß es auch laute, nichts zu groß und unglaublich dünken.«

Denn, wie der Himmel über die Erde, sind ihre Gedanken, und ihre Fülle ist wie die Fülle des Meers. Tritt ans Ufer und siehe hin auf seine Höhe – Das Wasser wird ihm nicht fehlen, wenn deine Rosse trinken.

Es ist zugleich hieraus klar, wie wenig die Leute ihre Sache und ihren Vorteil kennen, die ihre Religion von allem Geheimnisvollen [397] freien und reinigen wollen. Freilich »alles, auch das Erhabenste, verkleinert sich unter den Händen der Menschen«, und so wollte das Geheimnis der Religion unter ihren Händen auch wohl verkleinert und vergrößert, verstümmelt, verstellt und verkannt, und der Herkules viel oft an Händen und Füßen gelähmt und untüchtig gemacht werden, Schlangen zu erdrücken und bis ans Ende der Welt zu gehen. Indes ist die Wahrheit immer gerne verdeckt und im Dunkel gewesen – ac si, wie Baco sagt, divina Majestas innoxio illo et benevolo puerorum ludo delectaretur, qui ideo se abscondunt ut inveniantur – und, wenn in einer Religion überhauptWahrheit wohnt; so wohnt sie in ihren verhüllten Punkten und Rätseln. Wenn also die Menschen ohne Unterschied aufräumen, applanieren oder über Bord werfen, anstatt daß sie suchen sollten, durch innerliche Tätigkeit durch Hungern und Dürsten nach derWahrheit und durch Geduld in guten Werken und Gesinnungen, aufzulösen; so handeln sie nicht klug, und wider sich selbst.

Ebenso unklug ist es auch, wenn einige Künstler ihre Religion verbessern wollen. Die Wahrheit bedarf keiner Verbesserung.

Wie gesagt, die Neben- und Außenwerke oder wenn es Religionen gibt die nur Außenwerk sind, das kann die Vernunft wohl verbessern; aber weiter nicht. Wie soll sie verbessern, wovon sie nicht weiß und was sie nicht begreift? Religion ist nicht Ideenkrämerei, sondern Sache, eine Kraft Gottes selig zu machen die sie ergreifen können. Moral führt freilich zur Religion, aber kurz und gut, wie Armut und Bedürfnis vor die Tür des reichen Mannes führt. – Sokrates sagt beim Plato: es sei nicht leicht zu erklären, wie die Menschen gut würden. Doch vermute er: daß die guten Menschen auf ebendie Art würden, wie die göttlichen Seher, nämlich ουτεω φυσει ουτε τεχνη αλλ' επιπνοια εκ των ϑεων. Man könnte dies auch umkehren, und sagen: die Menschen würden Seher, auf ebendie Art, wie sie gut werden. Die verschiedenen Kräfte, in einem Wesen wie ein Geist ist, hangen zusammen und machen Eins, und keine kann berührt und verändert werden ohne die andre. Wie influiert nicht schon der Wille des Menschen, nach den kleinen alltäglichen Verschiedenheiten und Nuancen, auf seinen Verstand? Es ist also abzusehen, daß eine Revolution in den Gesinnungen der Menschen nicht möglich sei, ohne eine Revolution in seinen denkenden Kräften, und daß, wenn jene zur Heiligkeit übergehen, diese [398] nicht zurückbleiben können. Von einer solchen etwanigen Veränderung scheint zu einigen alten Philosophen ein halbes Wort gekommen zu sein. Sie sprechen von einer trockenen Seele, von einem trockenen Licht, das nämlich von dem feuchten Nebel und den Dünsten des heterogenen Einflusses befreiet und gereinigt worden, und sprechen von dieser Verbesserung in einem solchen Ton, daß niemand die Logik und derlei Mittel in Verdacht haben kann, als ob die daran schuld gewesen wären oder jemals sein könnten.

Kurz, die Wahrheit verbessert. Und wer sie hat, des ganzes Geschäft ist, sie zu nutzen, und sie heiligzuhalten und für ihre Erhaltung zu sorgen.

So machte es auch Äneas. Als die Trojaner ihre eigne Mauern eingerissen, und selbst die Griechen hereingeführt hatten, und die ganze Stadt in Flammen stand, sagte er zum Anchises:


Tu genitor, cape SACRA manu, patriosque PENATES.

Me, bello e tanto digressum et caede recenti,

Attrectare nefas; donec me flumine vivo

Abluero.

Und trug so die Heiligtümer in den Händen des Vaters auf dem Rücken aus dem Feuer heraus nach dem alten Tempel und Zypressenbaum vor der Stadt, dahin er seine Genossen beschieden hatte.

Nro. 6

Nro. 6.

Ich komme zurück zu dem Ungenannten, und der versichert denn pag. 8 seine Leser: »daß das Reich der Mystik, des Aberglaubens und des theologischen Machiavellism in seinen Grundfesten erschüttert sei«.

Es ist nicht unsre Schuld, daß er, über das Reichder Mystik und was er des Aberglaubens nennt, nicht besser unterrichtet ist.

Das Reich der Mystik ist nicht so leicht erschüttert, als er meint. Und wenn es würklich erschüttert wäre; so sollte es nicht erschüttert sein, weil die Mystik ohne Geräusch zu allen Zeiten viel Gutes gewürkt hat, nicht allein in ihrem Reich sondern auch außer demselben.

Planck, den der Ungenannte immer als einen billigen und kompetenten Richter in diesen Sachen kann gelten lassen, wenn [399] er gleich kein Mystiker ist, äußert sich darüber so, in seiner bekannten Geschichte der Entstehung des protestantischen Lehrbegriffs S. 22 in der Anmerkung:

»Das wieder aufgehende Licht der Wissenschaften, welches in Deutschland Religionsverbeßrer weckte, bildete in Italien Deisten. Niemals lebten dort so viel schändliche Männer beisammen, als seit der Eroberung Konstantinopels bis zu dem Anbruch der Reformation, und hätte nicht die platonische Philosophie und daher entspringende Mystik den Strom ein wenig gehemmt, so würde in diesem Zeitalter der Pomponaze und der Aretine, der gröbste Sittenverfall Folge der wissenschaftlichen Aufklärung geworden sein.«

Und Spittler in seiner Kirchengeschichte, so wenig er auch sonst für mystische Begriffe ist, legt gleichwohl S. 327 das folgende Zeugnis über die Mystik ab: »Doch fand sich gerad in dem Zeitalter, wo das Verderben in Theologie und Religion aufs Höchste gestiegen zu sein schien, fast noch reichlicher als vorher manches Gute das demselben entgegenwürkte. DieMystik bekam große Schriftsteller – hie und da stunden Eiferer für das praktische Christentum auf, die, selbst wenn sie auch so viele Fehler begingen als Hieronymus Savonarola, doch in der Sphäre, in der sie sich befanden, viel Gutes wirkten.« Er sagt gleichwohl, S. 389, daß »wie die Mystik in den finstern scholastischen Perioden des mittlern Zeitalters zuletzt noch einziges Labsal einer nach Religion durstenden Seele wurde, so nun« (nämlich in den Zeiten der Konkordien–Formel) »der ähnliche Fall bei ähnlichen Zeiten sei«, und »daß Arndts Schriften noch gegenwärtig mit vielem Segen gelesen werden«.

Über eines solchen Reichs Erschütterung sollte der Ungenannte doch wohl eigentlich nicht so jubeln, wenn sie würklich geschehen wäre. Aber es hat damit, wie gesagt, gute Wege. Und auch darüber mag der Doktor Planck ihn zurechtweisen, wie folget:

»Zwar bildete sie (nämlich die mystische Theologie) sich immer, wie jede Wahrheit, nach der individuellen Vorstellungsart ihrer Anhänger, wurde von einigen weitergetrieben und von anderen gemildert, litt jetzt Abfälle und erhielt zu einer andern Zeit Zusätze; aber ihre wesentlichen Grundsätze blieben immer einerlei, und hatten auch auf den Geist ihrer Anhänger immer die nämliche Wirkung. Sie schien sie zwar äußerlich meistens in dem Zustand einer untätigen, stillen, ganz in sich gekehrten Betrachtung zu erhalten, in welchem sich ihre Seelenkräfte, die auf [400] einen einzigen Punkt gerichtet wurden, ohne Zweck abzunutzen schienen: aber sie beschäftigte innerlich ihre ganze Tätigkeit unter dem unaufhörlichsten und schwersten Kampf gegen Versuchungen, welche sie vielleicht selbst veranlaßte, oder mit denen sie, welches ebendie Wirkung hatte, ihre Einbildungskraft schreckte; sie unterhielt immer ein Feuer in ihrer Seele, das freilich Schwärmerei war, aber sie nährte zu gleicher Zeit ihren Geist mit Vorstellungen, welche seine höchste Erwartungen rege machten; sie erhöhte und veredelte alle ihre Empfindungen; und gab ihnen die Stärke, welche sie nicht nur überhaupt fähig machte, die schwersten Tugenden auszuüben, sondern, was noch mehr war, sie auch fähig machte, unbeachtet von einem menschlichen Auge, und ungesehen von einem Zeugen, diese Tugenden auszuüben.

Diese Theologie, hatte sich Jahrhunderte hindurch, beinahe ganz unverändert erhalten, in den Klöstern, welche in Deutschlands nördlichsten Gegenden lagen, wie unter Afrikas heißem Himmel in den ersten Einsiedlerwohnungen Ägyptens, zum unwidersprechlichsten Beweis, daß sie nicht systematische Dogmatik, sondern in einem gewissen bestimmten Zustand der menschlichen Seele, der sich unter jedem Himmelsstrich und in jedem Jahrhundert gleichbleibt, gleichsam natürlich war.«

Dieser »gewisse bestimmte Zustand der menschlichen Seele, darin die mystische Theologie gleichsam natürlich war, und der sich unter jedem Himmelsstrich und in jedem Jahrhundert gleichbleibt« ist nun keinesweges zufällig oder imaginär, sondern der menschlichen Seele wesentlich und natürlich wenn sie anfängt des Mißverhältnisses zwischen ihrer innerlichen Würdigkeit und ihrer äußerlichen Verfassung innezuwerden, wenn ihr über die Leidigkeit ihrer ersten Tröster die Augen offen gehen und es ihr um ihre Veredelung und Genesung Ernst wird. Und ebendarum bleibt sich dieser Zustand der menschlichen Seele unter jedem Himmelsstrich und in jedem Jahrhundert gleich, wie sich die ersten Bewegungen der vegetabilischen Entwickelung immer und allenthalben gleich bleiben, und ein Weib, das gebären soll, in jedem Jahrhundert und unter jedem Himmelsstrich, sich krümmt

und nach Hülfe ruft.

»Ich will dir viel Schmerzen schaffen wenn du schwanger bist; du sollst mit Schmerzen Kinder gebären« etc.

Es wäre bequem, wenn sie den armen Weibern eine Methode, das Kind leicht und lustig zu gebären oder von andern für sich gebären zu lassen, erfinden könnten.

[401] Aber, sie haben sich bisher vergebens geschmeichelt. Und verständige Leute sind immer der Meinung gewesen, daß man sich dem Gange der Natur schlecht und recht unterwerfen müsse, wenn man nicht Fausse–Couches machen will.

Die Leute, die sich und andere so flugs weise lesen und schreiben können und so gar leicht zur Aufklärung zu kommen wissen, die haben von Glück zu sagen. Plato, ob ihn gleich der Ungenannte mehrmals als seinen Mitphilosophen nennt, war dieser Meinung ganz und gar nicht. Er läßt den Sokrates oft von Schwierigkeiten auf dem Wege zur Weisheit sprechen, und er selbst sagt unter andern in seinen Briefen, nach Schlossers Übersetzung:

»Diejenigen, die nicht mit ganzer Seele von der Philosophie durchglühet sind, sondern welchen nur einige Ideen die Oberfläche gefärbt haben, wie die Sonne die Körper bräunt die ihr ausgesetzt sind, wenn die hören, wieviel sie zu lernen haben, wie viele Arbeit ihnen bevorsteht, wie sehr sie, um auf dem Weg, den sie wandeln wollen, fortzukommen, jeden körperlichen Genuß beschränken müssen, die fühlen denn bald, daß ihnen das viel zu schwer ist, und ziehen die Hand zurück von einer Last, die ihre Kräfte so weit übersteigt.«

Und Luther, dessen Reformation der Ungenannte, pag. 31, in Schutz nimmt, ist auch zu seiner Aufklärung nicht so leicht gekommen. Es wird dem Ungenannten vielleicht interessant sein, etwas umständlicher zu erfahren, was Luther, den er einen Verteidiger der Wahrheit nennt, nach Aussage der Beikommenden hauptsächlich verteidigt habe, und wie er sich dazu genommen. Er hatte den Aristoteles und die berühmtesten Scholastiker fleißig studiert, konnte aber, was er suchte, in ihnen nicht finden, und ging ins Kloster. »Es war«, erzählt Planck weiter, »weder Säure einer strengen Gemütsart, noch jugendliche Schwärmerei einer erhitzten Phantasie, welche Luthern zu dem Entschluß bewogen hatte, sich in dem Augustinerkloster zu Erfurt aufnehmen zu lassen. – Aber in dieser Seele war tiefes Gefühl für Religion, und zarte Empfindung ihres Werts und ihrer Notwendigkeit so fest eingewurzelt, daß sie selbst durch das Studium der Scholastik nicht abgestumpft werden konnte. Es war schon dem Jüngling über alles wichtig, in der Sache seiner Seligkeit gewiß zu sein, und dies war der Beweggrund, welcher ihn von jeher aufforderte, Wahrheit überall zu suchen, wo er sie nur vermuten [402] konnte, aber dies war auch der Grund, der ihm jede Wahrheit, welche er gefunden zu haben glaubte, so teuer, der ihm jede Überzeugung so wert, und ihn selbst fähig machte, alles daranzuwagen und zu dulden, denn jede Wahrheit war für ihn nicht ein eingebildeter Gewinn, wie sie es sonst für den Forscher ist, der nur Befriedigung seiner Wißbegierde oder irgendeinen andern kleinen Beweggrund zum Zweck hat. Man sahe es an dem feierlichen Ernst, mit dem er immer von Glaubenslehren sprach, daß es ihm unmöglich war, sie bloß als Gegenstände einer müßigen gelehrten Untersuchung oder einer gelehrten Streitigkeit zu betrachten, sondern daß er sie immer nach ihrer Beziehung auf das praktische Christentum zu betrachten, und nach ihrem Einfluß auf das Herz und die Beruhigung des Menschen zu schätzen gewohnt war. – Da er (Staupitz), als Generalvicarius des Augustinerordens in Deutschland nach Erfurt kam, um den Zustand des Klosters daselbst zu untersuchen, so war es nicht möglich, daß Luther seiner Aufmerksamkeit lange entgehen konnte, da er so viel Besonderes an sich hatte, das ihn von den übrigen unterschied. Ein niedergeschlagenes Auge, ein trauriger Gang, ein Blick, der dem erfahrnen Beobachter eine von innerem Kampf zerrissene, aber immer noch zum Widerstand entschlossene Seele unverkennbar verriet, feierlicher und trüber Ernst im ganzen Anstand zeichneten den jungen Mönch vor allen andern aus, und Staupitz, der aus Erfahrung wußte, was diese Zeichen an einem Menschen von Luthers Bildung und Fähigkeiten zu bedeuten hatten, konnte leicht daraus den Schluß machen, was im Innersten seiner Seele vorgehen müsse. – Luther hatte ihm die Ursache seines Ernstes und seiner Traurigkeit entdeckt, die vorzüglich durch geistliche Anfechtungen, und beständig anhaltende Versuchungen zu Gedanken, vor denen sein Herz zurückbebte, und durch die schreckenvollen Vorstellungen veranlaßt wurde, mit denen sich seine rege Einbildungskraft immer beschäftigte; und Staupitz freute sich, in der zarten Empfindung dieser edlen Seele, welche selbst vor dem Schatten des Bösen erschrak, in der Bereitwilligkeit, mit der sie sich dem schwersten aller Kämpfe dem Kampf gegen sich selbst unterzog, in der Treue, mit der sie selbst eine noch nicht aufgeklärte Überzeugung unter den erschwerendsten Umständen bewahrte, und in dem brennenden Durst, mit dem sie nach Aufklärung und Beruhigung schmachtete, itzt im voraus den künftigen Eifer des befestigten Mannes für die Wahrheit, welche ihn über kurz oder lang gewiß beruhigen [403] mußte, die feste Entschlossenheit, mit welcher er denn alles ihr aufopfern, und die Märtyrerstandhaftigkeit, mit welcher er sie einst bekennen würde, zu erblicken. Er sprach mit ihm in dem Ton eines Vaters, der es ganz aus eigner Erfahrung weiß, was er dem jungern Sohn raten muß; er zeigte ihm die Versuchungen und die Kämpfe, unter denen seine Seele beinahe erlag, von einer Seite, von welcher sie ihm höchst aufmunternd und höchst wohltätig erscheinen mußten: er lehrte ihn den großen Grundsatz, daß diese innere Bewegungen der Seele nicht nur ihre Fähigkeiten immer in Übung erhalten, sondern sie eben dadurch erhöhen etc. Man weiß zwar nicht eigentlich, worin die Zweifel und die Anfechtungen bestanden haben, welche Luthern so schwere Kämpfe kosteten, aber – ohne Zweifel hatte sich jene durch das Verlangen, seiner Seligkeit gewiß zu sein, verursachte Unruhe seines Geistes, welche Luthern in ein Kloster trieb, nach seinem Eintritt darin nicht so bald gestillt, als er vielleicht gehofft haben mochte. Sie verfolgte ihn selbst in die einsame Stille seiner Zelle, und wurde noch lästiger unter dem äußern Druck einer strengen Klosterzucht, und bei dem Gebrauch aller jener harten Mittel, durch welche sie seiner Erwartung nach hätte gehoben werden sollen. Er empfand zu lebhaft, als daß er es vor sich selbst hätte verbergen können, daß die unbarmherzigsten Büßungen, daß die pünktlichste äußere Beobachtung aller Regeln seines Ordens, daß die treueste Übung in demjenigen was man damals gute Werke nannte, ihn im Grunde nicht besser, also auch der Gnade Gottes nicht würdiger machen, ihm wenigstens diese Gnade nicht so gewiß versichern könne, daß er sich mit beruhigender Zuversicht darauf verlassen dürfte. Es ahndete seine Seele, daß es einen andern Grund unsrer Beruhigung geben müsse, als das Selbstbewußtsein eigener Güte und eigener Gerechtigkeit – aber bis er diesen andern Grund fand, bis sich die trübe Vorstellung seines Geistes davon nach und nach aufhellte, mußte er unaufhörlich von Zweifeln verfolgt werden, welche alle Kräfte seiner Seele zu erschöpfen drohten. – Daß er lange die ganze Bitterkeit dieses Zustandes empfinden mußte, erhellt vorzüglich aus der ungestümen Freude, mit der sich sein Geist, von den Fesseln der Vorurteile befreit, dem Licht entgegendrängte, das in der Folge ihm aufging, der Überzeugung entgegendrängte, daß freie Gnade Gottes und nicht unsre Werke, daß Christi Verdienst und nicht das unsrige, der Grund unserer Seligkeit und unsrer Beruhigung sei, aus dem dankbaren Enthusiasmus, mit [404] welchem er diese große Wahrheit ergriff, und ihr nicht nur Aufklärung aller seiner Begriffe, nicht nur Auflösung aller seiner Zweifel, sondern die ganze Ruhe seines gegenwärtigen Lebens, und alle Freuden des künftigen schuldig zu sein bekannte, etc.«

Es ist merkwürdig, daß zu dieser unsrer Zeit grade das Gegenteil verteidigt wird und Aufklärung und Wahrheit heißt, und daß itzo alles schier umgekehrt ist. Bei Luthern ging die Vernunft von sich selbst aus, um etwas Höheres zu haben; itzo wirft sie das Höhere weg, um zu sich selbst zu kommen. Damals war die Religion über die Vernunft, itzo ist die Vernunft über die Religion, und kann gar selbst Religion schaffen.

Daß die Vernunft auf dergleichen Vermutungen geraten kann, ist wohl zu begreifen und zu erklären. Sie ist sich nämlich ihres Adels bewußt, sieht auch vor Augen, was sie in ihrem Gebiete getan hat und tun kann, und hat denn grade nicht Zeit und Lust an sich zu verzweifeln. Der Adler, dem die Flügel gebunden sind, kann zwar eigentlich nur an der Erde hin flattern; aber er fühlt doch in sich die Kraft und den Beruf, durch alle Himmel zu fliegen.

Daß aber diese Vermutung sollte wahr gemacht werden, daß die bloße Vernunft sich und andre sollte frei machen, oder Religion schaffen können; das ist nicht wohl zu erklären und zu begreifen.

Mag die Vernunft hin und wieder ein neues Licht aufgesteckt haben; der Grund muß da sehr dunkel sein, wo dergleichen Lichter so viel Aufsehen machen und so sehr in die Augen fallen. Mag sie Vorschritte gemacht und Feld gewonnen haben, so viel sie will; alle ihre Schritte und selbst ihre schönsten Siege und Eroberungen sind grade Beweise der Unwissenheit und Abhängigkeit chez soi, und machen, wie Blitze, die Finsternis sichtbar, darin sie sich eigentlich befindet.

– The observation of human blindness and weakness is the result of all philosophy, sagt Hume.

Zu deutsch: »Das Gewahrwerden der menschlichen Blindheit und Schwachheit ist das Resultat aller Philosophie.« Dies Resultat nun kann doch, selbst, dieReligion nicht wohl sein, von der sie reden. Und schwerlich kann sie auch bloß daraus oder damit gemacht werden.

Wer die Vernunft kennt, verachtet sie nicht. Sie ist ein Strahl Gottes, und nur das radikale Böse hat ihr die himmelblauen Augen verderbt. Aber, es schwebt noch um den blinden Tiresias [405] etwas Großes und Ahndungsvolles; und sie hat, wie der König Lear, auch wenn sie irreredet, noch die Königsmiene und einen Glanz an der Stirne.

Wir sind vom königlichen Geschlecht, und wir können und sollen Könige werden. Nur, sie wollen uns weismachen, wir wären schon was wir sein sollen, und wären es durch Talisman' und Formeln geworden. Und das ist lächerlich, und nicht wahr, und nicht ehrlich.

Was soll uns leidiger Trost und Großtun, wenn man darbt und vor Hunger nicht schlafen kann.


– of comfort no man speak:
Let's talk of graves, of worms, and epitaphs –
For heav'ns sake let us sit upon the ground,
And tell sad stories of the death of kings: –
Cover your heads, and mock not flesh and blood
With solemn rev'rence: throw away respect,
Tradition, form, and ceremonious duty,
For you have but mistook me all this while:
I live on bread like you, feel want like you,
Taste grief, need friends, like you: subjected thus,
How can you say to me, I am a KING?

Das einzige, was übrigbleibt, ist Herstellung durch eine höhere Hand. Die, oder gar keine. Denn die bloße Vernunft ist die bloße Vernunft. Sie weiß nicht mehr als sie weiß, und kann nicht mehr als sie kann; und sie soll sich mehr wissen machen als sie weiß, und soll sich mehr können machen als sie kann. Die Blindheit soll Gesicht und die Schwäche Stärke machen, und das ist gleich so närrisch und unmöglich, als daß einer sich selbst soll über den Kopf springen können.

Voilà, sagt der alte naive und verständige Skeptiker Montaigne zu dem Spruch des Seneca: »daß, nämlich, der Mensch eine res contempta sei nisi supra humana se erexerit«.

Voilà, sagt er, un bon mot, et un util désir: mais pareillement absurde. Car de faire la poignée plus grande que le poing, la brassée plus grande que le bras, et d'espérer enjamber plus que de l'estendue de nos jambes; cela est impossible et monstrueux: ny que l'homme se monte au dessus de soy et de l'humanité: car il ne peut voir que de ses yeux, ny saisir que de ses prises. Il s'eslevera si Dieu luy preste extraordinairement la main: Il s'eslevera abandonnant et renonçant à ses propres moyens, et se laissant hausser et souslever par les moyens purement [406] célestes. C'est à nostre foy Chrestienne, non à sa Vertu Stoique, de prétendre à cette divine et miraculeuse métamorphose.

Diese »moyens purement célestes«, die dem Tugendhaften in dem schwersten und edelsten Kampfe unsichtbar zur Seite stehen, und ihm, wenn er treu kämpft, in der letzten heißesten Stunde erscheinen und lohnen wollen, sind, an und in sich, so etwas Erhabenes, Heiliges und Teures, daß man denken sollte: die bloße Sage davon würde, wie ein in der Nacht aufgehendes erfreulich Gestirn, alle gutgesinnte Menschen erregen und sammlen, sich, unter seinem Schein, einander die Hände zu geben und sich einan der Mut zu machen. Streben nach der Herrschaft des Geistes, Verleugnung, Kampf gegen sich selbst, Tugend etc. ist doch zu allen Zeiten und bei allen Völkern als die wahrhaftige Größe des Menschen angesehen und geachtet worden. – Und sie, in ihrer Unwissenheit und Unsicherheit, trüben und dunkeln dies milde wohltätige Gestirn, das allein vielleicht manchen edlen Kämpfer nur noch unverzagt und aufrecht erhalten konnte, durch ihre blöden Zweifel, und sind so vielleicht schuld, daß er, nahe am Ziel, umwendet, und die Hände sinken läßt. Aber, wer des schuld ist, er sei wer er wolle und heiße Heinz oder Kunz, der soll wissen, daß er nicht wohlgetan, und sich an der Seele seines Bruders vergriffen habe.

Es schickt sich schlecht für vernünftige Leute, in Dingen von solchem Einfluß und Belang leichtsinnig zu fahren, und es wäre wohl gescheuter, daß man, anstatt über die »moyens purement célestes« mit eiteln Meinungen zu faseln, daß man statt dessen, durch Ernst und Ausdauern im Kampf gegen das Böse außer und in uns, über ihre Existenz oder Nichtexistenz zur Gewißheit zu kommen suchte.

Zum Beschluß noch von den politischen Einsichten des Ungenannten.

Er ist bekanntlich ein Freund und Anhänger derneuen politischen Lehre. Und warum sollte er das nicht sein, wenn er nur die Gabe hätte die Geister zu unterscheiden. Was in der neuen Politik wahr und für den Menschen nützlich ist, wer wollte dem nicht anhängen? Und wer – hat dem nicht lange angehangen; denn, wahrlich, manchem älteren Schriftsteller, unter andern nur dem Verfasser des bekannten Schulbuchs »Télémaque« würde und müßte, wenn er itziger Zeit noch lebte, einfallen zu sagen, was Erasmus seinerzeit von Luthers neuer Lehre sagte: mihi videor omnia docuisse quae Lutherus, sed non tam atrociter.

[407] Es ist schon oben von dem Ungenannten gesagt, daß er in der Politik sich ein paarmal billiger ausdrücke als man durchgängig gewohnt ist. Es kann vielleicht sein, daß er selbst mehrmal billiger wäre, und daß die Welle, Schein und Neuheit ihn nur hinreißen, nicht recht zu bedenken was er saget und was er setzet. Aber bedacht hat er es oft nicht recht, und außerhalb einer wüsten Insel möchte seine Politik nicht wohl dienen. Ein paar Proben mögen die Leser selbst urteilen lassen.

Pag. 45. »Kennst du ein Individuum, welches sich gegen die Gesetze des Landes auflehnt, d.h. unruhig ist; gib es bei der Obrigkeit an, es muß gestraft werden.«

Ja, ja, Herr Amtmann, ja. Recht so!

»Kennst du jemand, der die Regierungsform und die Gesetze des Landes freimütig beurteilt, und dennoch überall ein gehorsamer Untertan des Gesetzes ist, weil seine Überzeugung ihm heißt, sich nie gegen die Majorität aufzulehnen, ehre diesen und lerne von ihm Bescheidenheit.«

Nein, nein, nicht recht so!

Denn erstlich, wenn auch von dem freimütigen Beurteiler selbst würklich Bescheidenheit zu lernen wäre; so möchte sie von allen denen, die seine freimütige Beurteilung der Regierungsform und der Gesetze des Landes lesen und hören, nicht zu lernen sein. Auch da, zweitens, was einem recht allen recht, und was einem frei allen frei sein müßte; und da ein jedweder Untertan, so viel ihrer sind, seine eigne Art die Dinge anzusehen hat; so möchte es mit den freimütigen Beurteilungen der Regierungsform und der Gesetze des Landes am Ende etwas bunt werden, und möchte niemand übrigbleiben, der von den schönen Exempeln der Bescheidenheit lernen und profitieren könnte.

Etwas unerwartet ist es ferner an sich schon, daß, wenn der »Beurteiler die Regierungsform und die Gesetze des Landes freimütig beurteilt hat und dennoch überall ein gehorsamer Untertan des Gesetzes ist«, daß ihm das so hoch und als eine Bescheidenheit angerechnet wird. Aber vollends weiß man sich in diese Bescheidenheit und in die ganze Sache nicht zu finden, wenn man den Grund hört, warum der Beurteiler ein gehorsamer Untertan ist, nämlich »weil seine Überzeugung ihm heißt, sich nie gegen die Majorität aufzulehnen«. Wie edel! Wie schön! Wenn also die Majorität die Gesetze knickt oder umstößt; was denn? – – Es möchte doch wohl für den Staat kein rechter Verlaß auf solche Bescheidenheit und Gehorsam sein, und es möchte [408] doch, besser und sicherer, beim alten bleiben, daß nämlich der Untertan kurz und gut gehorsam sei, weil er Untertan ist und Gehorsam schuldig ist.

Überhaupt sind die Gesetze da, befolgt und nicht, beurteilt zu werden; und der Sinn zu gehorchen ist, ceteris paribus, ein weit weiserer und edlerer Sinn als der Sinn zu waagschalen, wenn einer auch Recht dazu hat. Es mag wohl Regierungen gegeben haben oder noch geben, wo Mißtrauen am Ende nicht unnatürlich ist. Wenn aber eine Regierung das Gute will, und davon Beweise gibt und gegeben hat; so ist nichts so natürlich als Dankbarkeit, Vertrauen und Liebe. Und, wenn du würklich einen guten Rat zu geben weißt; so ist der Weg offen. Und wem es nur um die Sache zu tun ist, der geht den kürzesten Weg, und, ohne Not, nicht den längern, sonderlich wenn der längere, außer dem daß er der längere ist, noch andre Unbequemlichkeiten hat.

Wie nicht alles was gesagt wird wahr ist, so kann nicht alles was wahr ist gesagt werden.

Quaedam inter se tatentur Theologi quae non vulgo expediat efferri.

Sokrates dünkte sich unwissend, und war weise. Wer sich, im Kleinen wie im Großen, lässet dünken, er wisse etwas, der weiß noch nicht wie er wissen soll.

Wären alle Schriftsteller gute Bäume, da wollten wir laufen ihre Früchte zu sammlen; und sie schütteln, wenn sie keine abgeworfen hätten; aber –

Wenn es nur halb wahr ist, was S. 29 für eine »große Wahrheit!« ausgegeben wird: que c'est la plume qui gouverne les états; so kann denen die gouverniert werden sollen, nicht wohl zumut sein, wenn sie an alle Hände denken, die eine plume halten können, und diesen Szepter zwischen ihren Fingern wissen.

S. 43. »Wie will Herr Callisen würklich allen dänischen Bürgern glauben machen, daß es Sünde sei, in Dänemark von den Vorzügen einer republikanischen Verfassung innerlich überzeugt zu sein?«

S. 63. »Man kann ein großer dänischer Patriot sein, und doch den Bestand der französischen Republik hoffen und wünschen etc.«

Man mag innerlich überzeugt sein, wovon; man mag hoffen und wünschen, was man will; dawider hat kein Mensch etwas, und soll kein Mensch etwas haben. Nur, wie sie in Frankreich keine Dachprediger und keine Dachpredigten vom Königtum wollen, weil sie keinen König wollen; so wollen wir in Dänemark[409] keine Dachprediger und keine Dachpredigten vom Republikanismus, weil wir keine Republique wollen, und uns das »Märchen: vom ewigen Frieden und den gebratenen Tauben« noch zur Zeit nicht einleuchten will.

S. 35 usf. setzt der Ungenannte, was ein Geistlicher eigentlich alles zu tun hat. »Er soll sich nicht allein nicht wider die schöne Sache der Freiheit und Aufklärung, nein er soll sich auch offen für sie erklären.« »Er ist berufen, die Dämmerung aufzuklären etc. Er soll die Finsternis schön mit dem Lichte der Vernunft aufhellen etc.« – S. 38. »Zuerst freilich soll er die moralische Freiheit und Aufklärung befördern – dann aber hat er allerdings auch die strenge Verpflichtung, richtige Begriffe über die bürgerlichen Verhältnisse des Menschen zu verbreiten. Der Geistliche ist kein Soldat der nicht räsonieren darf; grade dazu ist er bestimmt.«

Ei ja freilich, warum sollte ein Geistlicher, wenn er grade nichts Besseres zu tun hat, nicht einmal über die verschiedene Regierungsformen sprechen können? Er kann auch wohl einmal, wenn er's versteht, über die verschiedene Bauart der Bürger- und Bauerhäuser sprechen. Den so großen gewaltigen Nutzen sieht man freilich nicht ein. Wenn er auf der einen Seite einzelnen Bürgern und Bauern, die sich ein neues Haus bauen können und wollen, dadurch nützlich werden kann; so kann er dagegen vielen, die das nicht können, ihr Haus verleiden. Die Hauptsache ist doch, daß der Bürger und der Bauer, in dem Hause das er hat, vergnügt und glücklich sei, und das kann er in seinem Hause sehr sein, ohne zu wissen, ob, und ohne daß es nach dieser oder jener Art gebaut ist. Mit der Doktrin über die verschiedene Regierungsformen hat es gleiche Bewandtnis, nur daß hier der Geistliche bloß verleiden kann, denn gewiß wird er auf keine neue Bauten denken sollen.

Wie gesagt, der Geistliche kann gern einmal räsonieren über die Dinge dieser Welt; aber bestimmt ist er nicht dazu. Dazu ist der Philosoph bestimmt, und der Geistliche hat ganz und gar ein anderes Geschäft.

Alle Gesetze sind für Kranke; sie können nicht gut machen, sondern nur das Böse im Zaum halten; und alle Regierungsformen und überhaupt alle Formen sind Einschränkungen des Lebens. Der Philosoph hat es bloß mit den Gesetzen und Einschränkungen zu tun, und wo das Leben anfängt da hat seine Kunst ein Ende, denn seine ganze Kunst besteht im Zergliedern und Wiederzusammensetzen, und das Leben läßt sich nicht [410] zergliedern und zusammensetzen; der Geistliche fängt beim Leben an, und hat es nicht mit den Gesetzen, sondern mit der Ursache der Gesetze oder mit der Krankheit, zu tun. Der Philosoph sinnt, den Menschen die Gesetze und Einschränkungen füglich anzufügen, um dem Ausbruch des Bösen zu wehren und ein künstliches äußerliches Gute zuwege zu bringen; der Geistliche soll durch ein innerliches Gute dem Bösen ein Ende und alle Gesetze und Einschränkungen unnötig und überflüssig machen. Der Philosoph braucht Tod und Mechanismus, sein Α und Ω um, wenn er kann, daraus das Leben zu demonstrieren und zu erklären; der Geistliche soll das Leben brauchen, um über den Mechanismus zu triumphieren und den Tod abzuschütteln. Er soll dem Menschen sagen und predigen, daß es Gesetze und Formen, Oben und Unten, Herr und Knecht, Regent und Untertan, geben muß, und daß es ihm gebühre alle Gerechtigkeit zu erfüllen; daß aber er, der Mensch, Herr oder Knecht, Untertan oder König, einen Geist in sich habe, der nicht für äußre Form und vergänglich Ding gemacht ist, und daß er größer sein könne, als alles was ihn umgibt, und es dazu Mittel und Weg gebe, die aber für eitle Neugierde und Eigenwillen nicht feil sind.

Dazu ist der Geistliche eigentlich bestimmt; das soll er verstehen und treiben; und nichts Kleines an sich kommen lassen, noch Menschen zu Gefallen reden.

Wenn also der Geistliche seinen Beruf kennt; so wird er zwar nicht anstehen, dem andern mit Ehrerbietigkeit zuvorzukommen, und die Philosophen für das halten und achten was sie sind; aber er wird sich auch nichts vergeben, und, zur Steuer der Wahrheit, mit aller Demut und Bescheidenheit wissen und sagen, daß zwischen den Philosophen und Christus kein Vergleich stattfinde, und daß die größten und berühmtesten unter ihnen nicht wert sind seinem Vorläufer, dem Wasser-Mann Johannes, die Schuhriemen aufzulösen.


Daran mag es denn Von und Mit dem Ungenannten genug sein, und ich scheide nun in Friede von ihm. Ich habe ihm für seine Unart, neben dem was geschehen mußte, das Beste was ich weiß gesagt, und die »Überzeugung, sich nie gegen die Majorität aufzulehnen« hat mich nicht dazu getrieben. Er mag darüber nachdenken, und sehen, da er die Wahrheit doch nicht hat umstoßen können, ob er sie vielleicht nützen kann.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Claudius, Matthias. Anhang zum fünften Teil: Von und Mit. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-52EA-6