Rudolf und Ottokar
1

Im ersiegten Ungarlager
Steht der Böhmen hoher König,
Seines Landes Hort und Säule,
Fürst Przemisl Ottokar.
Hoch empor das Haupt geworfen,
Steht er da im blanken Harnisch,
[100]
Schwarz, vom unbehelmten Scheitel,
Wallt herab sein dunkles Haar.
Und mit aufgespannten Sinnen
Sieht die Flucht er seiner Feinde,
Hört den Jubel er der Seinen,
Fühlt er das Gefühl des Siegs.
Da kommt Rudolf angeschritten,
Der von Habsburg, Schenk des Königs,
Seinen Degen in der Scheide,
Einen zweiten in der Hand.
Und zu seines Königs Füßen
Legt er hin die blanke Waffe,
Sprechend: »nimm dies Siegeszeichen,
Nimm des Ungarkönigs Schwert!
Auf der Flucht hat ers verloren
Und was ihm dies Schwert gewonnen,
Östreich und die Mark von Steier
Ist jetzt dein, wie dieses Schwert.«
Rasch darnach mit beiden Händen
Greift der Fürst und hälts und jubelnd
Ruft er aus: »mein Feind im Staube!
Wem dank ich dies höchste Glück?«
»Wem?« versetzt der Graf von Habsburg,
Hebt die Hand und mit dem Finger,
Noch gepanzert aus dem Treffen,
Zeigt er in die Höh und spricht:
»Ihm, der herrschet ob den Herrschern,
Der gewältigt die Gewaltgen,
Dem das Glück des Böhmenkönigs,
Was des Ungarkönigs Glück.«
Und der stolze Fürst der Böhmen
Schüttert leis in sich zusammen,
Sieht auf ihn jetzt, der gesprochen,
Jetzt aufs Schwert in seiner Hand.
[101]
Und mit einem Blick zum Himmel
Sinkt er nieder auf die Kniee,
Legt das Schwert aus seinen Händen
Und die Hände auf die Brust.
Tief gesenkt das Haupt zur Erde
Kniet er auf dem Siegesfelde,
Nah bei ihm der Graf von Habsburg,
Weiter weg sein ganzes Heer.

2

»Ruhm und Sieg!« rufts durch die Stille,
Und auf schwarz gewaltgem Rosse
Sprengt heran, in wilden Sätzen,
Zawisch, Herr von Rosenberg.
»Ruhm und Sieg!« ruft er noch einmal,
Springt vom Roß und vor dem König,
Der erstanden vom Gebete,
Wirft er tief sich neigend hin.
»Deine Feinde mögen knieen,
Um Erbarmen, Schonung flehend,
Du, o Herr, steh fest und aufrecht,
Fest und aufrecht, wie dein Glück!
Östreich huldigt dir und Steier
Und mit Böhmen und mit Mähren
Eint es sich zum Strahlenkranze
Um die Scheitel deiner Macht.
Wer mag gegen dich bestehen?
Staunend beugt sich dir der Weltteil,
Der seit Karol Magnus Zeiten
Noch kein Reich wie deins gesehn.
Eins nur fehlte deinem Glücke,
Eins, o König, du bist erblos,
Und dein Reich, mit dir geboren,
Sinkt mit dir in eine Gruft.
Doch auch das soll nicht mehr fehlen!
König Bela bietet Friede
[102]
Und, samt Östreichs weitem Erbe,
Seiner schönen Nichte Hand.
Nimm sie an! Statt Margarethens,
Alternd deiner Kraft gesellet,
Stehe blühend Kunigunde,
Frucht versprechend durch ihr Blühn,
Ich sah sie auf meinen Zügen,
Schöneres ward nie gesehen,
Und, wie sie von dir gesprochen –
Herr! beglücke dich und uns!«
Da schilt zornig der von Habsburg:
»Mag es Ungarns König wagen,
Einer Gattin rechtem Gatten
Anzubieten neuen Bund?
Hat den Ruf er nicht vernommen,
Der die Krone nennt der Frauen,
Böhmens Fürstin, Margaretha,
Abbild aller Huld und Zucht?«
»Soll ich, Herr! des Ungarn Boten,
Die so freventlich gesprochen,
Heimwärts senden, schmachbeladen,
Wie ihr Antrag, ihr Empfang?«
Und er schweigt und alle schweigen,
Doch der König, aufgerichtet,
Wendet ab sich ohne Antwort,
Schreitet stumm nach seinem Zelt.
An dem Eingang steht er stille,
Winkt rückblickend mit dem Finger,
Zawisch folgt, dem Wink gehorsam,
Und die Decken fallen zu.
Still wirds um das Zelt; die Menge
Eilt zur Ruhe, nur Herr Rudolf
Liegt am Eingang hingeworfen,
In die Hand das Haupt gestützt.
[103]
Und die Sonne geht zur Rüste,
Abgelegt die Strahlenkrone,
Ruht sie scheidend auf den Bergen,
Sinkt dann tiefer und erlischt.
Da springt auf der Graf von Habsburg,
Blickt noch einmal nach der Sonne,
Dann zurück zum Zelt des Königs
Und geht schweigend durch die Nacht.

3

In der Kammer sitzt die Fürstin,
Bei den Zofen, Margaretha,
Spinnend, sie, die Kinderlose
Garn, zum Kleid für arme Kinder.
Und sie schafft und spinnet emsig,
Als wär vieles zu gewinnen,
Mehr als Wohltuns stille Freude,
Waisendank und Gotteslohn.
»Fördert euch«, mahnt sie die Mägde,
»Daß wir unser Werk vollenden,
Kehrt mein Herr von seinem Zuge,
Gibt es anderlei zu tun.«
»Kommt er bald?« die Mägde fragen.
»Briefe hab ich nicht«, versetzt sie,
»Krieg gönnt Weile nicht zu schreiben,
Doch ich rechnete mirs aus:
Sieben Tage bis zur Grenze,
Dort steht Bela mit dem Heere,
Dann – ich weiß es wohl, der Rasche
Kriegt nicht lang und trifft mit Macht.
Doch geh eine auf die Gassen,
Mancher hat im Volk wohl Kunde
Von dem Kriege, von dem Heere,
Sichres hören wir vielleicht.
Eben jetzt, horch! tönen Stimmen,
Laute Stimmen vor den Pforten.
[104]
Ach! er naht wohl schon, der König!
Schnell hinab und sagt mirs an!«
Hin zur Türe eilt die Zofe;
Da eröffnen sich die Flügel
Und herein mit Stab und Inful
Tritt der Bischof Adalbert.
»Naht mein Gatte?« ruft die Fürstin.
»Ja, er naht, allein vorerst noch«,
Spricht der Hirte, »harrt ein wenig,
Hört sein Wort aus meinem Mund.
Nicht mehr duldets sein Gewissen,
Daß mit Euch, so die Gelübde
Einst getan im Trierkloster,
Er verharr im Eheband;
Drum zur Macht der heilgen Kirche,
Die da bindet und da löset,
Ob das Ärgernis sie sühne,
Hat er flehend sich gewandt.
Und die Kirche hat gelöset,
Was mit Sünde war gebunden,
Gibt Euch wieder dem Gelübde,
Ihm die Freiheit neuer Wahl.
Und schon naht er, ihm zur Seite
Kunigunde, Belas Nichte,
Des erlauchten Ungarkönigs,
Weicht in Frieden, denn Ihr müßt!«
Längst geendet hat der Redner,
Und die Fürstin steht und horcht noch.
Jetzt neigt sie das Haupt und schweigend
Geht sie leis der Türe zu.
Nach der Klinke sucht sie lange;
Um zu öffnen eilt die Zofe,
Da, ins Aug der Herrin blickend,
Sieht sie es in Tränen schwimmen.

[105] 4

Horch, Trommeten, Trommeln schallen.
»Hoch der König! Heil dem Sieger!
Heil der Braut, der Ungarntochter!
Kunigunde, Ottokar!«
Und durch Pragas weite Gassen
Wälzt sich schallend das Gepränge,
Ottokarn, den Herrn, umgebend
Hoch zu Roß mit seiner Braut.
Auf tun sich des Schlosses Pforten,
Auf die Säle, die Gemächer.
In der Väter alte Hallen
Tritt der Sohn – der alte nicht!
Freude glühend blickt er um sich.
Auf dem Thron, der ihm bereitet,
Sitzt er neben Kunigunden,
Freude glühend so wie er.
Still ist es nun erst geworden,
Und der Fürst steht auf zu reden;
Da Trommetenklang von neuem,
Pferdgestampf in lautem Hof.
Östreichs Ständ und die von Steier
Sind gezogen durch die Pforten,
Bringend ihres Landes Huldgung
Ihres Landes neuem Herrn.
Auf des Schlosses breiten Stiegen
Schallen nahend ihre Tritte;
Jetzt, gelangt vors Aug des Königs,
Kniet ihr Führer und beginnt;
Doch zum Spruch kann er nicht kommen,
Denn betäubend rufts von außen:
»Heil dem König, Böhmens König!
Heil dem Kaiser Ottokar!«
Kaiser? Alles steht und lauschet,
Klar wird bald des Rätsels Deutung,
[106]
Denn von Deutschlands Wahlvereine
Treten Abgesandte ein.
Und – Des heilgen römschen Reiches,
Deutschen Volks, gemeine Fürsten
Rufen, lautet ihre Botschaft,
Böhmens Herrn auf Deutschlands Thron.
Da faßt Jubel alle Böhmen:
»Heil dem König! Heil dem Kaiser!«
Doch der Fürst springt auf vom Sitze
Und steht da und schaut und sinnt.
Tiefes Schweigen herrscht im Saale,
Endlich spricht der Wahlgesandte:
»Welche Antwort mag ich bringen
Denen, die mich hergesandt?«
Und gewandt zu seinem Kanzler
Spricht der Fürst: »Bedeutet diese,
Daß sie harren, bis uns gut dünkt
Zu entscheiden ihr Gesuch.
Deutschland war uns oft entgegen,
Auch so groß sind unsre Reiche,
Fast zu groß für einen Lenker;
Doch vielleicht – er harre nur.«

Notizen
Entstanden 1818.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Grillparzer, Franz. Rudolf und Ottokar. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-EFAC-B