An Emanuel Geibel

»Wie lieblich fließt durch grüne Tannen

Auf Böhmens Höh'n der Sonnenstrahl!

Durchs Dickicht rauscht das Reh von dannen,

Durch Felsen dringt der Quell ins Tal,

Und fern zu blauen Bergeswarten

Verliert sich träumend Aug' und Sinn,

Du aber wandelst durch den Garten

In stiller Anmut lächelnd hin.«

»Und wie dein Blick mit leiser Frage

Sich freundlich zu dem meinen neigt,

Da muß ich denken jener Tage,

Die mir zuerst dein Herz gezeigt;

Da ich, ein ungestümer Knabe,

Von dunklem Jugenddrang bewegt,

Der ersten Lieder frühe Gabe

Schamrot in deine Hand gelegt.«

»Ach damals –«

Damals! – O mein Alter, rührt
Ein Hauch dich wieder an aus jenen Stunden,
Wo du noch scheu der Muse Gunst gespürt?
Dein »Junius«, dein Sommer ist geschwunden,
Zu deinen Füßen rauscht das rote Laub,
Wie manches Glück ward frühen Winters Raub!
Und doch, was jemals einer Menschenbrust
Ereignis ward, bleibt immer ihr bewußt.
So, da ich heut das schlanke Büchlein fand,
Auf dessen erstes Blatt so wohlbekannt
Mit jenen kräft'gen Zügen, die du liebst,
Du jene seelenvollen Strophen schriebst,
Wie lebte da mir auf die alte Zeit,
Da ich dich fand, noch jung, noch stets bereit,
»Mit Liedern und mit Herzen süß zu spielen«,
Und doch schon zugewandt den ew'gen Zielen!
Ich sah das Haus, das uns so oft empfing,
Das Gärtchen, drin Frau Klara sich erging,
»In stiller Anmut lächelnd«. Wieder fliegen
Wir Arm in Arm hinauf die schmalen Stiegen
Und treten ein ins niedrige Gemach,
Wo es an frohem Willkomm nie gebrach,
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Am Widerhall für jeden Herzensklang,
An alles Gut' und Schönen Überschwang.
Ich seh' dich wieder, wie mit finstrem Blick
Du streichst die braunen Locken dir zurück
Und deinen Kinnbart zausend träumst und sinnst,
Bis tiefen Tons zu lesen du beginnst
Ein neues Lied, das dir der Tag beschert.
Und ringsum lauschen, ernst in sich gekehrt,
Die Frau'n und Jünglinge, des Spiels vergessen
Die Kinder, die am Tische mitgesessen,
Und wenn du schweigst, bleibt's noch ein Weilchen stumm.
Dann schweift die Rede frischen Fluges um;
Der Frauen Lob erklingt, nach Männerart
Wird auch ein kritisch Wörtlein nicht gespart,
Bis Franz die Tasten anschlägt am Klavier
Und hebt mit weichem Baß zu singen an,
Was alle kennen, dein »O komm zu mir –«
Sodann »Du mit den schwarzen Augen –«, dann
Das trübste Lied: »Wenn sich zwei Herzen scheiden –«,
Das freudigste, vom Kaiser, dessen Thron
Du schautest in prophetischem Traume schon.
Und während wir an Wort und Ton uns weiden,
Hältst du Luisen vielgeduldig still,
Die dein Profil ins Hausbuch zeichnen will.
Die Kinder wurden längst zu Bett gebracht,
Zu scheiden mahnt auch uns die Mitternacht.
Doch zwischen Tür und Angel, schon im Gehn,
Bleibst du, ein flüchtig Wort erhaschend, stehn
Und windest aus dem Stegreif eine Kette
Melodischer Oktaven und Sonette,
Elegisch bald, bald humoristisch endend,
Aus deinem Füllhorn unerschöpflich spendend,
Daß der sonoren Verse Klang hinaus
Sich dröhnend schwingt und unten vor dem Haus
Ein später Wandler stehen bleibt und staunt,
Was für ein Spuk da droben rauscht und raunt.
Ja, damals! Nie vergess' ich dir's, wie mich,
Den jungen Fant, du ließest brüderlich
An deiner Hand dies traute Haus betreten:
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»Da bring' ich euch den werdenden Poeten!« –
Ein grüner Neuling, in der Prima noch,
Hatt' ich, mit drei Gefährten treu verbunden,
In deine Klause früh den Weg gefunden
(Am Enkeplatz, du weißt, drei Stiegen hoch).
Du aber wähltest aus der kleinen Schar
Gerade mich, der ich der Jüngste war,
Und ließest mich mit schüchternem Entzücken
In deine Mappen, deine Pläne blicken.
Wie in des Meisters Werkstatt ein Geselle,
Betrat ich lernbegierig deine Schwelle;
Du aber führtest, wenn ich ratlos stand
Vor eignem Werk, ermunternd mir die Hand.
Mit kund'gem Ohr in fremden Ton und Stil
Hinein dich horchend, lehrtest du mich meiden
Jedweden Klang, der aus der Tonart fiel,
Mit strengem Richtmaß das Zuviel beschneiden,
Beständig warnend: »Nicht zu früh hinaus!
Reif' erst zu deiner vollen Kraft dich aus!«
Und guter Lehre mehr, die dankbewegt
In feinem Herzen ich getreulich hegt',
Obwohl ich frühe schon mir ward bewußt,
Daß ich auf andern Wegen wandeln mußt',
Als dich dein Genius führte. Immer doch
In Einem hielt ich mir dein Vorbild hoch:
Im redlich ernsten Sinn, dem reinen Streben,
Sein Bestes stets, sein Eigenstes zu geben,
Nicht rechts noch links nach Volkesgunst zu spähn,
Fromm zu den hohen Alten aufzusehn
Und in der Zeiten wandelvollem Drang
Sich treu zu sein in Leben und Gesang.
So wahrtest du das edle Vätergut,
Die künstlerische Zucht, in treuer Hut,
Dich selbst nie überhebend, nie gebeugt,
Ein Priester, der von seinem Gotte zeugt,
Ein Wächter, der sich auf die Zinne schwang,
Das Tagelied des neuen Reiches sang
Und, ob auch oft gelästert und verkannt,
Doch endlich Neid und Schmähsucht überwand,
Bis nach und nach des schweren Siechtums Nacht
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Die liederfrohe Lippe stumm gemacht.
Da saßest du in deinem stillen Haus
Und horchtest dem verworrnen Lärmen drauß
Und wiegtest wohl dein Haupt, von Zweifeln voll,
Wie's dahin kam und wie's noch enden soll!
Denn mittlerweile kam bei uns in Schwang
Ein seltsam Wesen, ein gespreiztes Spiel
Mit altertümlich krausem Kling und Klang,
Das flachen Halbtalenten wohlgefiel.
Der Freund, der liedesmächtig, stark und zart,
Zur Urständ half dem edlen Ekkehart,
Wohl ahnt' er nicht, daß er heraufbeschwor
Den minn- und meistersingerlichen Chor.
Ein Narr macht mehre, Freund. Doch gib nur acht,
Wie viele Toren erst ein Weiser macht!
Der Maskentrödel, guter alter Zeit
Entlehnt, birgt nun moderne Nichtigkeit.
Da schleift und stelzt ein blöder Mummenschanz,
Ein Landsknechtminnespiel und »Govenanz«,
Mit Hei! und Ha! und Phrasenputz verbrämt,
Der totem Kunstgebrauch sich anbequemt.
O wie den Herrn, die nichts zu sagen hatten,
Die fremde Schnörkelrede kam zu statten,
Und wie der Zeit, die nicht zu eignem Stil
Den Mut erschwang, die Äfferei gefiel!
Zumal zum altertümelnden Gerät,
In Haus und Tracht als höchster Schmuck bewundert,
Die Butzenscheibenlyrik trefflich steht,
Verleugnend unser lichteres Jahrhundert!
Und wo der Dichter sonst begeistert stand
Im Vortrab der Geschichte, Hand in Hand
Mit denen, die am Werk der Zukunft bauten
Und Zeichen deutend nach den Sternen schauten, –
Heut, nicht mehr lauschend in die eigne Brust,
Vergräbt er sich in Raritätenwust
Und girrt dem kindisch leichtbegnügten Schwarm
Sein Spielmannsliedel vor, daß Gott erbarm!
Sich selber dünkend ein gewalt'ger Held,
Wenn er sein Lichtlein auf den Scheffel stellt.
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Du aber, Muse, die uns einst gelehrt,
Nur reiner Seelenklang sei liedeswert,
Betäubt vom Schall der Glöcklein und der Zinken,
Ach, lässest trauernd du die Stirne sinken?
Wie lange noch wird dieser dürft'ge Wahn
Sinn und Gedanken des Geschlechts umfahn?
Wann wird, die wieder schlafend liegt im Hag,
Die deutsche Lyrik ihren Meister finden,
Der aus des Mittelalters Dämmergründen
Dornröschen rettet an den lichten Tag?
Da, während sinnend ich bei mir erwog,
Warum so manches Hoffen uns betrog,
Warum, da groß die neue Zeit erstand,
Der Vorzeit sich so mancher zugewandt,
In falscher Andacht nur Verlebtes preist
Und stammelt: Selig sind, die arm an Geist! –
Da wird ein Büchlein mir ins Haus gebracht,
Des Anblick mich auf einmal fröhlich macht:
Dein Liederbuch, o Freund! nicht ganz so schmal,
Wie, da zuerst du hingabst scheuen Bebens
Die Erstlinge der Ernte deines Lebens,
Und sieh – vom Titel grüßt die Hundertzahl!
Mein alter Geibel lebt noch! rief ich aus;
Noch duftet frisch sein erster Blütenstrauß,
Von dem er selbst nicht allzusehr erbaut,
Seit ernstern Blicks er in die Welt geschaut.
Nun denn, so ist's nicht hoffnungslos bestellt,
Trotz allen Bänkelsangs, um diese Welt;
So lebt noch eine Jugend, nicht allein
Bedacht zu tändeln, Maskenspiel zu treiben,
Wie fahrend Volk zu zechen und juchhein:
Noch will sie treu dem edlen Sänger bleiben,
Dem hell hervor aus eignem Busen drang
Auf alles Groß' und Schöne ein Gesang.
Dir aber, Freund, in deine Krankenzelle
Schickt diesen Gruß dein treuer Altgeselle
Und wünscht, aufblühen mög' in Geist und Blut
Noch einmal dir ein frischer Lebensmut,
Daß du das Saitenspiel zu Handen nimmst,
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Noch einmal das so lang verklungne stimmst,
Und während sanft der Abendröte Glanz
Umpurpurt deines Hauptes grünen Kranz,
Anhebst ein Lied, wie dir's so oft gelungen,
Ein Trost den Alten, eine Lust den Jungen,
Bis vor der Saiten wundersamem Ton
Der Spuk der Afterkunst hinweggeflohn.
Wir aber, wenn der letzte Klang verweht,
Wir sehn empor zu jenem klaren Sterne,
Der lieblich funkelnd dir zu Häupter steht
Und leuchten wird in späte Zeitenferne.
So schrieb ich dir, so sollte dich mein Gruß
Erfreun im stillen Haus am Travefluß.
Doch eh' auf diese Zeilen fiel dein Blick,
Vollendet ward dein irdisches Geschick:
Stumm in die stillste Wohnung zogst du ein,
Kein Wort der Liebe dringt zu dir hinein.
Nie schwingt sich mehr ein Lied aus deiner Brust,
»Der Alten Trost, den Jungen eine Lust«!
Ach, da ich noch zu hoffen scheu gewagt,
Hat schon der letzte Morgen dir getagt,
Und tiefbewegt der Kunde denk' ich nach,
Daß dieses leidumflorte Auge brach.
Nun hebt alsbald um den vielteuren Mann
Die Totenklage tausendstimmig an;
Nur ich, der mehr als einer ihn verlor,
Ich wäre wohl verstummt im lauten Chor,
Denn langsam reift mir das Gefühl zum Wort.
Nun trag' ein Lufthauch diese Blätter fort,
Und zu den Kränzen, welche taubeträuft
Das Volk auf seines Dichters Hügel häuft,
Innigster Trauer, echten Ruhms Symbol –
Geselle sich des Freundes Fahrewohl!

7. April 1884

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Heyse, Paul. Gedichte. Gedichte. An Personen. An Emanuel Geibel. An Emanuel Geibel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-66B4-B