Heinrich von Kleist
Katechismus der Deutschen
abgefaßt nach dem Spanischen,
zum Gebrauch für Kinder und Alte
In sechzehn Kapiteln

1. Kapitel. Von Deutschland überhaupt

Erstes Kapitel
Von Deutschland überhaupt

Frage. Sprich, Kind, wer bist du?

Antwort. Ich bin ein Deutscher.

Fr. Ein Deutscher? Du scherzest. Du bist in Meißen geboren, und das Land, dem Meißen angehört, heißt Sachsen!

Antw. Ich bin in Meißen geboren und das Land, dem Meißen angehört, heißt Sachsen; aber mein Vaterland, das Land dem Sachsen angehört, ist Deutschland, und dein Sohn, mein Vater, ist ein Deutscher.

Fr. Du träumst! Ich kenne kein Land, dem Sachsen angehört, es müßte denn das rheinische Bundesland sein. Wo find ich es, dies Deutschland, von dem du sprichst, und wo liegt es?

Antw. Hier, mein Vater. – Verwirre mich nicht.

Fr. Wo?

Antw. Auf der Karte.

Fr. Ja, auf der Karte! – Diese Karte ist vom Jahr 1805. – Weißt du nicht, was geschehn ist, im Jahr 1805, da der Friede von Preßburg abgeschlossen war?

Antw. Napoleon, der korsische Kaiser, hat es, nach dem Frieden, durch eine Gewalttat zertrümmert.

Fr. Nun? Und gleichwohl wäre es noch vorhanden?

Antw. Gewiß! – Was fragst du mich doch.

Fr. Seit wann?

Antw. Seit Franz der Zweite, der alte Kaiser der Deutschen, wieder aufgestanden ist, um es herzustellen, und der tapfre Feldherr, den er bestellte, das Volk aufgerufen hat, sich an die Heere, die er anführt, zur Befreiung des Landes, anzuschließen.

[389]

2. Kapitel. Von der Liebe zum Vaterlande

Zweites Kapitel
Von der Liebe zum Vaterlande

Fr. Du liebst dein Vaterland, nicht wahr, mein Sohn?

Antw. Ja, mein Vater; das tu ich.

Fr. Warum liebst du es?

Antw. Weil es mein Vaterland ist.

Fr. Du meinst, weil Gott es gesegnet hat mit vielen Früchten, weil viele schönen Werke der Kunst es schmücken, weil Helden, Staatsmänner und Weise, deren Namen anzuführen kein Ende ist, es verherrlicht haben?

Antw. Nein, mein Vater; du verführst mich.

Fr. Ich verführte dich?

Antw. – Denn Rom und das ägyptische Delta sind, wie du mich gelehrt hast, mit Früchten und schönen Werken der Kunst, und allem, was groß und herrlich sein mag, weit mehr gesegnet, als Deutschland. Gleichwohl, wenn deines Sohnes Schicksal wollte, daß er darin leben sollte, würde er sich traurig fühlen, und es nimmermehr so liebhaben, wie jetzt Deutschland.

Fr. Warum also liebst du Deutschland?

Antw. Mein Vater, ich habe es dir schon gesagt!

Fr. Du hättest es mir schon gesagt?

Antw. Weil es mein Vaterland ist.

3. Kapitel. Von der Zertrümmerung des Vaterlandes

Drittes Kapitel
Von der Zertrümmerung des Vaterlandes

Fr. Was ist deinem Vaterlande jüngsthin widerfahren?

Antw. Napoleon, Kaiser der Franzosen, hat es, mitten im Frieden, zertrümmert, und mehrere Völker, die es bewohnen, unterjocht.

Fr. Warum hat er dies getan?

Antw. Das weiß ich nicht.

Fr. Das weißt du nicht?

Antw. – Weil er ein böser Geist ist.

[390] Fr. Ich will dir sagen, mein Sohn: Napoleon behauptet, er sei von den Deutschen beleidigt worden.

Antw. Nein, mein Vater, das ist er nicht.

Fr. Warum nicht?

Antw. Die Deutschen haben ihn niemals beleidigt.

Fr. Kennst du die ganze Streitfrage, die dem Kriege, der entbrannt ist, zum Grunde liegt?

Antw. Nein, keineswegs.

Fr. Warum nicht?

Antw. Weil sie zu weitläufig und umfassend ist.

Fr. Woraus also schließest du, daß die Sache, die die Deutschen führen, gerecht sei?

Antw. Weil Kaiser Franz von Österreich es versichert hat.

Fr. Wo hat er dies versichert?

Antw. In dem, von seinem Bruder, dem Erzherzog Karl, an die Nation erlassenen Aufruf.

Fr. Also wenn zwei Angaben vorhanden sind, die eine von Napoleon, dem Korsenkaiser, die andere von Franz, Kaiser von Österreich: welcher glaubst du?

Antw. Der Angabe Franzens, Kaisers von Österreich.

Fr. Warum?

Antw. Weil er wahrhaftiger ist.

4. Kapitel. Vom Erzfeind

Viertes Kapitel
Vom Erzfeind

Fr. Wer sind deine Feinde, mein Sohn?

Antw. Napoleon, und solange er ihr Kaiser ist, die Franzosen.

Fr. Ist sonst niemand, den du hassest?

Antw. Niemand, auf der ganzen Welt.

Fr. Gleichwohl, als du gestern aus der Schule kamst, hast du dich mit jemand, wenn ich nicht irre, entzweit?

Antw. Ich, mein Vater? – Mit wem?

Fr. Mit deinem Bruder. Du hast es mir selbst erzählt.

[391] Antw. Ja, mit meinem Bruder! Er hatte meinen Vogel nicht, wie ich ihm aufgetragen hatte, gefüttert.

Fr. Also ist dein Bruder, wenn er dies getan hat, dein Feind, nicht Napoleon, der Korse, noch die Franzosen, die er beherrscht?

Antw. Nicht doch, mein Vater! – Was sprichst du da?

Fr. Was ich da spreche?

Antw. Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll.

Fr. Wozu haben die Deutschen, die erwachsen sind, jetzt allein Zeit?

Antw. Das Reich, das zertrümmert ward, wiederherzustellen.

Fr. Und die Kinder?

Antw. Dafür zu beten, daß es ihnen gelingen möge.

Fr. Wenn das Reich wiederhergestellt ist: was magst du dann mit deinem Bruder, der deinen Vogel nicht fütterte, tun?

Antw. Ich werde ihn schelten; wenn ich es nicht vergessen habe.

Fr. Noch besser aber ist es, weil er dein Bruder ist?

Antw. Ihm zu verzeihn.

5. Kapitel. Von der Wiederherstellung Deutschlands

Fünftes Kapitel
Von der Wiederherstellung Deutschlands

Fr. Aber sage mir, wenn ein fremder Eroberer ein Reich zertrümmert, mein Sohn: hat irgend jemand, wer es auch sei, das Recht, es wiederherzustellen?

Antw. Ja, mein Vater; das denk ich.

Fr. Wer hat ein solches Recht, sag an?

Antw. Jedweder, dem Gott zwei Dinge gegeben hat: den guten Willen dazu und die Macht, es zu vollbringen.

Fr. Wahrhaftig? – Kannst du mir das wohl beweisen?

Antw. Nein, mein Vater; das erlaß mir.

Fr. So will ich es dir beweisen.

Antw. Das will ich dir erlassen, mein Vater.

Fr. Warum?

[392] Antw. Weil es sich von selbst versteht.

Fr. Gut! – Wer nun ist es in Deutschland, der die Macht und den guten Willen und mithin auch das Recht hat, das Vaterland wiederherzustellen?

Antw. Franz der Zweite, der alte Kaiser der Deutschen.

6. Kapitel. Von dem Krieg Deutschlands gegen Frankreich

Sechstes Kapitel
Von dem Krieg Deutschlands gegen Frankreich

Fr. Wer hat diesen Krieg angefangen, mein Sohn?

Antw. Franz der Zweite, der alte Kaiser der Deutschen.

Fr. In der Tat? – Warum glaubst du dies?

Antw. Weil er seinen Bruder, den Erzherzog Karl, ins Reich geschickt hat, mit seinen Heeren, und die Franzosen, da sie bei Regensburg standen, angegriffen hat.

Fr. Also, wenn ich mit Gewehr und Waffen neben dir stehe, den Augenblick erlauernd, um dich zu ermorden, und du, ehe ich es vollbracht habe, den Stock ergreifst, um mich zu Boden zu schlagen; so hast du den Streit angefangen?

Antw. Nicht doch, mein Vater; was sprach ich!

Fr. Wer also hat den Krieg angefangen?

Antw. Napoleon, Kaiser der Franzosen.

7. Kapitel. Von der Bewunderung Napoleons

Siebentes Kapitel
Von der Bewunderung Napoleons

Fr. Was hältst du von Napoleon, dem Korsen, dem berühmten Kaiser der Franzosen?

Antw. Mein Vater, vergib, das hast du mich schon gefragt.

Fr. Das hab ich dich schon gefragt? – Sage es noch einmal, mit den Worten, die ich dich gelehrt habe.

Antw. Für einen verabscheuungswürdigen Menschen; für den Anfang alles Bösen und das Ende alles Guten; für einen Sünder, den anzuklagen, die Sprache der Menschen nicht hinreicht, und den Engeln einst, am Jüngsten Tage, der Odem vergehen wird.

[393] Fr. Sahst du ihn je?

Antw. Niemals, mein Vater.

Fr. Wie sollst du ihn dir vorstellen?

Antw. Als einen, der Hölle entstiegenen, Vatermördergeist, der herumschleicht, in dem Tempel der Natur, und an allen Säulen rüttelt, auf welchen er gebaut ist.

Fr. Wann hast du dies im stillen für dich wiederholt?

Antw. Gestern abend, als ich zu Bette ging, und heute morgen, als ich aufstand.

Fr. Und wann wirst du es wieder wiederholen?

Antw. Heute abend, wenn ich zu Bette gehe, und morgen früh, wenn ich aufstehe.

Fr. Gleichwohl, sagt man, soll er viel Tugenden besitzen. Das Geschäft der Unterjochung der Erde soll er mit List, Gewandtheit und Kühnheit vollziehn, und besonders, an dem Tage der Schlacht, ein großer Feldherr sein.

Antw. Ja, mein Vater; so sagt man.

Fr. Man sagt es nicht bloß; er ist es.

Antw. Auch gut; er ist es.

Fr. Meinst du nicht, daß er, um dieser Eigenschaften willen, Bewunderung und Verehrung verdiene?

Antw. Du scherzest, mein Vater.

Fr. Warum nicht?

Antw. Das wäre ebenso feig, als ob ich die Geschicklichkeit, die einem Menschen im Ringen beiwohnt, in dem Augenblick bewundern wollte, da er mich in den Kot wirft und mein Antlitz mit Füßen tritt.

Fr. Wer also, unter den Deutschen, mag ihn bewundern?

Antw. Die obersten Feldherrn etwa, und die Kenner der Kunst.

Fr. Und auch diese, wann mögen sie es erst tun?

Antw. Wenn er vernichtet ist.

[394]

8. Kapitel. Von der Erziehung der Deutschen

Achtes Kapitel
Von der Erziehung der Deutschen

Fr. Was mag die Vorsehung wohl damit, mein Sohn, daß sie die Deutschen so grimmig durch Napoleon, den Korsen, aus ihrer Ruhe aufgeschreckt hat, bezweckt haben?

Antw. Das weiß ich nicht.

Fr. Das weißt du nicht?

Antw. Nein, mein Vater.

Fr. Ich auch nicht. Ich schieße nur, mit meinem Urteil, ins Blaue hinein. Treffe ich, so ist es gut; wo nicht, so ist an dem Schuß nichts verloren. – Tadelst du dies Unternehmen?

Antw. Keineswegs, mein Vater.

Fr. Vielleicht meinst du, die Deutschen befanden sich schon, wie die Sachen stehn, auf dem Gipfel aller Tugend, alles Heils und alles Ruhms?

Antw. Keineswegs, mein Vater.

Fr. Oder waren wenigstens auf gutem Wege, ihn zu erreichen?

Antw. Nein, mein Vater; das auch nicht.

Fr. Von welcher Unart habe ich dir zuweilen gesprochen?

Antw. Von einer Unart?

Fr. Ja; die dem lebenden Geschlecht anklebt.

Antw. Der Verstand der Deutschen, hast du mir gesagt, habe, durch einige scharfsinnigen Lehrer, einen Überreiz bekommen; sie reflektierten, wo sie empfinden oder handeln sollten, meinten, alles durch ihren Witz bewerkstelligen zu können, und gäben nichts mehr auf die alte, geheimnisvolle Kraft der Herzen.

Fr. Findest du nicht, daß die Unart, die du mir beschreibst, zum Teil auch auf deinem Vater ruht, indem er dich katechisiert?

Antw. Ja, mein lieber Vater.

Fr. Woran hingen sie, mit unmäßiger und unedler Liebe?

Antw. An Geld und Gut, trieben Handel und Wandel[395] damit, daß ihnen der Schweiß, ordentlich des Mitleidens würdig, von der Stirn triefte, und meinten, ein ruhiges, gemächliches und sorgenfreies Leben sei alles, was sich in der Welt erringen ließe.

Fr. Warum also mag das Elend wohl, das in der Zeit ist, über sie gekommen, ihre Hütten zerstört und ihre Felder verheert worden sein?

Antw. Um ihnen diese Güter völlig verächtlich zu machen, und sie anzuregen, nach den höheren und höchsten, die Gott den Menschen beschert hat, hinanzustreben.

Fr. Und welches sind die höchsten Güter der Men schen?

Antw. Gott, Vaterland, Kaiser, Freiheit, Liebe und Treue, Schönheit, Wissenschaft und Kunst.

9. Kapitel. Eine Nebenfrage

Neuntes Kapitel
Eine Nebenfrage

Fr. Sage mir, mein Sohn, wohin kommt der, welcher liebt? In den Himmel oder in die Hölle?
Antw. In den Himmel.
Fr. Und der, welcher haßt?
Antw. In die Hölle.
Fr. Aber derjenige, welcher weder liebt noch haßt: wohin kommt der?
Antw. Welcher weder liebt noch haßt?
Fr. Ja! – Hast du die schöne Fabel vergessen?
Antw. Nein, mein Vater.
Fr. Nun? Wohin kommt er?
Antw. Der kommt in die siebente, tiefste und unterste Hölle.

10. Kapitel. Von der Verfassung der Deutschen

Zehntes Kapitel
Von der Verfassung der Deutschen

Fr. Wer ist der Herr der Deutschen?

Antw. Die Deutschen, hast du mich gelehrt, haben keinen Herrn.

[396] Fr. Die Deutschen hätten keinen Herrn? Da hast du mich falsch verstanden. Dein eigner Herr, z.B., ist der König von Sachsen.

Antw. Der König von Sachsen?

Fr. Ja; der König von Sachsen!

Antw. Das war dieser edle Herr, mein Vater, als er noch dem Vaterlande diente. Er wird es auch wieder werden, so gewiß als er zu seiner Pflicht, die ihm befiehlt, sich dem Vaterlande zu weihen, zurückkehrt. Doch jetzt, da er sich, durch schlechte und bestochene Ratgeber verführt, den Feinden des Reichs verbunden hat, jetzt ist er es, für die Wackeren unter den Sachsen, nicht mehr, und dein Sohn, so weh es ihm tut, ist ihm keinen Gehorsam schuldig.

Fr. So sind die Sachsen ein unglückliches Volk. – Sind sie die einzigen, oder gibt es noch mehrere Völker in Deutschland, die keinen Herrn haben?

Antw. Noch viele, mein lieber Vater.


[Hier fehlen der Schluß des zehnten Kapitels, das elfte Kapitel und der Anfang des zwölften Kapitels.]

[12. Kapitel]

– – wo sie sie immer treffen mögen, erschlagen.

Fr. Hat er dies allen oder den einzelnen befohlen?

Antw. Allen und den einzelnen.

Fr. Aber der einzelne, wenn er zu den Waffen griffe, würde oftmals nur in sein Verderben laufen?

Antw. Allerdings, mein Vater; das wird er.

Fr. Er muß also lieber warten, bis ein Haufen zusammengelaufen ist, um sich an diesen anzuschließen?

Antw. Nein, mein Vater.

Fr. Warum nicht?

Antw. Du scherzest, wenn du so fragst.

Fr. So rede!

Antw. Weil, wenn jedweder so dächte, gar kein Haufen zusammenlaufen würde, an den man sich anschließen könnte.

Fr. Mithin – was ist die Pflicht jedes einzelnen?

[397] Antw. Unmittelbar, auf das Gebot des Kaisers, zu den Waffen zu greifen, den anderen, wie die hochherzigen Tiroler, ein Beispiel zu geben, und die Franzosen, wo sie angetroffen werden mögen, zu erschlagen.

13. Kapitel. Von den freiwilligen Beiträgen

Dreizehntes Kapitel
Von den freiwilligen Beiträgen

Fr. Wen Gott mit Gütern gesegnet hat, was muß der noch außerdem, für den Fortgang des Kriegs, der geführt wird, tun?

Antw. Er muß, was er entbehren kann, zur Bestreitung seiner Kosten hergeben.

Fr. Was kann der Mensch entbehren?

Antw. Alles, bis auf Wasser und Brot, das ihn ernährt, und ein Gewand, das ihn deckt.

Fr. Wieviel Gründe kannst du anführen, um die Menschen, freiwillige Beiträge einzuliefern, zu bewegen.

Antw. Zwei; einen, der nicht viel einbringen wird, und einen, der die Führer des Kriegs reich machen muß, falls die Menschen nicht mit Blindheit geschlagen sind.

Fr. Welcher ist der, der nicht viel einbringen wird?

Antw. Weil Geld und Gut, gegen das was damit errungen werden soll, nichtswürdig sind.

Fr. Und welcher ist der, der die Führer des Krieges reich machen muß, falls die Menschen nicht mit Blindheit geschlagen sind?

Antw. Weil es die Franzosen doch wegnehmen.

14. Kapitel. Von den obersten Staatsbeamten

Vierzehntes Kapitel
Von den obersten Staatsbeamten

Fr. Die Staatsbeamten, die dem Kaiser von Österreich, und den echten, deutschen Fürsten, treu dienen, findest du nicht, mein Sohn, daß sie einen gefährlichen Stand haben?

Antw. Allerdings, mein Vater.

Fr. Warum?

[398] Antw. Weil, wenn der korsische Kaiser ins Land käme, er sie, um dieser Treue willen, bitter bestrafen würde.

Fr. Also ist es, für jeden, der auf einer wichtigen Landesstelle steht, der Klugheit gemäß, sich zurückzuhalten, und sich nicht, mit Eifer, auf heftige Maßregeln, wenn sie ihm auch von der Regierung anbefohlen sein sollten, einzulassen.

Antw. Pfui doch, mein Vater; was sprichst du da!

Fr. Was! – Nicht?

Antw. Das wäre schändlich und niederträchtig.

Fr. Warum?

Antw. Weil ein solcher nicht mehr Staatsdiener seines Fürsten, sondern schon, als ob er in seinem Sold stünde, Staatsdiener des Korsenkaisers ist, und für seine Zwecke arbeitet.

15. Kapitel. Vom Hochverrate

Funfzehntes Kapitel
Vom Hochverrate

Fr. Was begeht derjenige, mein Sohn, der dem Aufgebot, das der Erzherzog Karl an die Nation erlassen hat, nicht gehorcht, oder wohl gar, durch Wort und Tat, zu widerstreben wagt?

Antw. Einen Hochverrat, mein Vater.

Fr. Warum?

Antw. Weil er dem Volk, zu dem er gehört verderblich ist.

Fr. Was hat derjenige zu tun, den das Unglück unter die verräterischen Fahnen geführt hat, die, den Franzosen, verbunden, der Unterjochung des Vaterlandes wehen?

Antw. Er muß seine Waffen schamrot wegwerfen, und zu den Fahnen der Österreicher übergehen.

Fr. Wenn er dies nicht tut, und mit den Waffen in der Hand ergriffen wird: was hat er verdient?

Antw. Den Tod, mein Vater.

Fr. Und was kann ihn einzig davor schützen?

Antw. Die Gnade Franzens, Kaisers von Österreich, des Vormunds, Retters und Wiederherstellers der Deutschen.

[399]

16. Kapitel. Schluß

Sechzehntes Kapitel
Schluß

Fr. Aber sage mir, mein Sohn, wenn es dem hochherzigen Kaiser von Österreich, der für die Freiheit Deutschlands die Waffen ergriff, nicht gelänge, das Vaterland zu befreien: würde er nicht den Fluch der Welt auf sich laden, den Kampf überhaupt unternommen zu haben?

Antw. Nein, mein Vater.

Fr. Warum nicht?

Antw. Weil Gott der oberste Herr der Heerscharen ist, und nicht der Kaiser, und es weder in seiner, noch in seines Bruders, des Erzherzog Karls Macht steht, die Schlachten so, wie sie es wohl wünschen mögen, zu gewinnen.

EI. Gleichwohl ist, wenn der Zweck des Kriegs nicht erreicht wird, das Blut vieler tausend Menschen nutzlos geflossen, die Städte verwüstet und das Land verheert worden.

Antw. Wenn gleich, mein Vater.

Fr. Was; wenn gleich! – Also auch, wenn alles unterginge, und kein Mensch, Weiber und Kinder mit eingerechnet, am Leben bliebe, würdest du den Kampf noch billigen?

Antw. Allerdings, mein Vater.

Fr. Warum?

Antw. Weil es Gott lieb ist, wenn Menschen, ihrer Freiheit wegen, sterben.

Fr. Was aber ist ihm ein Greuel?

Antw. Wenn Sklaven leben.

[400]

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TextGrid Repository (2012). Kleist, Heinrich von. Ästhetische, philosophische und politische Schriften. Katechismus der Deutschen. Katechismus der Deutschen. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0003-B1AD-6