[171] Die »Umm ed Dschamahl«
Reiseerzählung von Dr. Karl May

1

I.

Es war in Bagdad. Ich saß mit meinem kleinen, wackern Hadschi Halef Omar, dem Scheik der Haddedihn-Araber, den jeder meiner Leser kennt, im Kaffeehause. Draußen gingen die Verkäufer vorüber und riefen ihre verschiedenen Waren aus. Einer von ihnen kam herein; er hatte einen Kasten voll kleiner Thonbüchsen umhängen. An der Thür stehen bleibend, hielt er eine dieser Ilab in die Höhe und rief:

»Ja Letafet, ja Dschamahl, ja Abäd es Sa'ad – oh Anmut, oh Schönheit, oh Unendlichkeit des Glückes! Die Jugend kommt wieder! Bestreiche die Stirn und die Wangen, so fliehen sie alle, alle, alle, und keine bleibt zurück, keine, keine, keine!«

Er bot jedenfalls irgend ein Schönheitsmittel feil, und da ich auf solche Dinge nichts gebe, konnte der Mann mir sehr gleichgültig sein. Ich sah aber, daß sich diese Gleichgültigkeit nicht auch auf die andern Besucher des Kaffeehauses erstreckte; viele von ihnen kauften und steckten die Büchsen ein, um sie für ihr »Harem« mitzunehmen. Der Händler schien, wie ich bemerkte, nicht nur ein bekannter, sondern ein gesuchter Mann zu sein. Auch Halef schenkte ihm zu meiner Verwunderung eine ganz ungewöhnliche Aufmerksamkeit, welche unbedingt einen bestimmten Grund haben mußte. Als der Tutschar 1 auch ihm ein Büchschen anbot, fragte er ihn in hörbar gespanntem Tone:

»Willst Du nur vielleicht sagen, von wem Du dieses Mittel der Schönheit beziehst?«

»Warum sollte ich das nicht wollen?« antwortete der Gefragte. »Ich bin ja stolz darauf, der Einzige zu sein, der es von der berühmten Verfertigerin zum Verkaufe bekommt. Ich darf sie jährlich nur zweimal besuchen; da warten schon alle Harimat 2 auf mich, und so kommt es, daß meine Marham ed Dschamahl 3 sehr schnell alle wird.«

»Du sagtest vorhin, daß keine zurückbleibe, keine, keine. Was meintest Du da?«

»Die Falten, Runzeln und alle Entstellungen und Unschönheiten des Angesichtes. Ich sage Dir: Wenn Du den [171] Stamm besuchst, welchem die Verfertigerin dieser Salbe angehört, so findest Du nur Frauen und Mädchen, auf deren Wangen der Schnee des Gebirges und der liebliche Glanz der Morgenröte wohnt. Dieses wunderbare Mittel ist ein Geheimnis, welches sie durch ihre Urgroßmutter von ihrer Ur-Urgroßmutter geerbt hat; diese hatte wieder eine Urahne, deren Ur-Urahne, eine sehr fromme Frau, es vom Erzengel Dschebraïl 4 bekam, der es ihr als Belohnung für ihre Tugenden direkt aus dem siebenten Himmel des Paradieses brachte, wo es bereitet wird, um den seligen Geistern ewige Jugend zu verleihen.«

»Nun sag' endlich, wie heißt die Frau?«

»Ihren eigentlichen Namen kenne ich nicht; sie wird nicht anders als ›Umm ed Dschamahl‹ 5 genannt.«

»Wo wohnt sie?«

»Sie ist bald da und bald dort; denn es gibt tausende von Harimat, welche sie besuchen muß. Sie ist eine Bachtijarin von der Unterabteilung Idiz, welche sich meist im Norden von Kirmanschah aufhält, aber oft auch weiterzieht.«

»Wenn Du die Frau suchst, wie erfährst Du da, in welcher Gegend sich ihr Tir 6 befindet?«

»Ich gehe zu Mirza Taras in Kirmanschah, welcher Attar 7 ist und die Salbe auch verkauft. Der weiß stets ganz genau, wo die Umm ed Dschamahl sich befindet. Wieviel Büchsen willst Du haben, eine, zwei oder drei?«

»Wieviel kostet eine?«

»Einen Rijal medschidi.« 8

»So kaufe ich keine.«

»Warum?«

»Du bist mir zu teuer.«

Da wich der Händler einige Schritte zurück und fuhr ihn zornig an:

»Zu teuer? Für wen die Schönheit seines Harems so wenig Wert besitzt, der hat selbst auch keinen Wert. Erst fragst Du mich nach allen möglichen Dingen aus, und nachdem ich Dir bereitwillig geantwortet habe, sagst Du, daß Du nichts kaufen willst und belohnst meine Güte mit dem Versuche, durch Schändung meines Preises mein Angesicht schamrot zu machen. Allah verderbe Dich! Er lasse Deinen Bart nimmer wachsen und setze Dir einen fränkischen Cylinderhut auf den Kopf!«

Dieser letztere, sehr eigenartige Wunsch ist eine große Beleidigung für jeden Muhammedaner. Halef nahm die Beschimpfung ganz gegen seinen sonstigen Schnellzorn ruhig hin und sagte, als der Mann sich entfernt hatte, zu mir:

»Selbst wenn die Salbe der Schönheit nur einen Para gekostet hätte, wäre es mir nicht eingefallen, sie von ihm zu kaufen. Hanneh, mein Weib, die unvergleichlichste unter allen Lieblichkeiten der Erde, hat es mir verboten.«

»Hanneh?« fragte ich erstaunt. »Wie konnte sie wissen, daß Du mit diesem Händler zusammentreffen würdest?«

[172] »Das hat sie freilich nicht gewußt, Sihdi; aber – – – aber – – – hm! – – – wirst Du nicht etwa falsch von ihr denken, wenn ich Dir sage, wie es sich verhält?«

»Nein.«

»So sollst Du es wissen. Du bist nicht nur mein bester Freund, sondern auch der Wohlthäter unseres Stammes; Du urteilst nicht nach Äußerlichkeiten, sondern schaust, wie Allah, das Herz der Menschen an. Aber sag' mir vorher einmal ganz aufrichtig: Hat Emmeh, 9 das Weib Deiner Seele, etwa schon Falten oder gar Runzeln im Gesicht?«

Ich wußte, was er wollte; die Orientalinnen altern schnell; seine Hanneh hatte Falten; darum antwortete ich schonend:

»Sie hat noch keine, denn sie ist noch jung; aber wenn sie mich so lange glücklich gemacht hat wie Hanneh Dich, dann wird sie welche haben, und ich werde sie gerade um dieser Falten willen noch mehr lieben als vorher.«

Da fiel er schnell ein:

»Sihdi, Du bist wahrhaftig ein ebenso guter Mensch wie ich! Auch ich liebe meine Hanneh, die schönste unter allen Frauen des Erdreiches, mit doppelter Stärke, seit ihre glatten Wangen angefangen haben, sich allmählich zu zerknittern. Sie hat alles, alles gethan, was möglich war, die Falten zu entfernen, doch vergeblich. Weißt Du, die Runzeln sind das Ungeziefer der Schönheit; wenn man erst eine hat, so vermehrt sie sich ins Ungeheure. Es sollte jede Frau so klug sein, die erste gar nicht aufkommen zu lassen! Aber die Weiber besitzen, wie Du weißt, nicht diejenige Vorsichtigkeit, welche eine hervorragende Eigenschaft von uns Männern ist; Allah bewahre sie uns! Du glaubst gar nicht, wie tief die Falten des Gesichtes in das Herz des Weibes schneiden, zumal wenn keine Salbe Änderung bringt! Hanneh, die herrlichste Rose unter allen Rosenarten, teilte mir schließlich mit, daß ihr nur die berühmte Umm ed Dschamahl Hilfe bringen könne. Dieses Bachtijarenweib ist nämlich wirklich berühmt infolge ihrer Wundersalbe; aber es ist so weit von uns aus bis hinauf jenseits der persischen Grenze. Darum war die holde Gefährtin meines Lebens ganz entzückt, als sie vernahm, daß wir, nämlich Du und ich, nach Persien wollten. Sie gab mir sehr gern die Erlaubnis, Dich zu begleiten, doch unter der Bedingung, ihr so viel von der echten Salbe der Schönheit mitzubringen, wie notwendig ist, die unheilvolle Zerknitterung ihres Angesichtes wieder auszuglätten. Ich versprach es ihr von Herzen gern; denn, wie Du siehst, haben sich trotz meiner Vorsicht auch schon einige Falten über meinen Augenbrauen eingenistet, die ich sehr gern verjagen möchte. Es freut mich darum außerordentlich, von dem Händler vorhin erfahren zu haben, wo man sich nach der Umm ed Dschamahl erkundigen kann. Wir werden schleunigst hinauf nach Kirmanschah reiten.«

»Wir? Soll das etwa heißen, Du und ich?«

»Ja, natürlich! Du wirst mich doch nicht allein fortlassen, um hier zu warten, bis ich wiederkomme!«

»Fällt mir gar nicht ein! Unser Weg geht nach Schiras, nicht nach Kirmanschah, wohin Du gar nicht zu reiten brauchst, da Du die Salbe hier bekommen kannst.«

»Hier? Das ist es ja, was Hanneh, der weibliche Inbegriff meiner irdischen Glückseligkeit, mir verboten hat! Es wäre mir kein Preis zu hoch gewesen; aber die Händler vermehren die Wundersalbe, indem sie sie verfälschen. Um recht viel Geld zu verdienen, machen sie aus einer Büchse hundert; sie rühren Dinge hinein, welche nicht nur unnütz, sondern der Schönheit sogar schädlich sind, und dann kann eine Frau, wenn sie sich damit bestreicht, das Unglück erleben, daß aus elf Falten, die sie hat, gleich zweiundzwanzig werden. Nein! Hanneh will die Salbe echt haben, direkt aus der Hand der Umm ed Dschamahl selbst, und darum müssen wir schleunigst hinauf nach Kirmanschah!«

Der gute Hadschi sagte das in einem so bestimmten, energischen Tone, als ob es sich um etwas für sein Heil Hochwichtiges handle und von mir kein Einspruch von Erfolg sein werde.

»Lieber Halef, ich hätte fast Lust, Deine Worte als Scherz zu nehmen; aber ich höre, daß Du im Ernste sprichst. [173] Weißt Du, wie weit es von Bagdad bis nach Kirmanschah ist? Es vergeht über eine Woche, ehe wir wieder nach Bagdad kommen. Sollen wir diese Zeit wegen einer Salbe opfern, die, wie ich überzeugt bin, keine Wirkung hat?«

»Sihdi, es handelt sich nicht um die Salbe, sondern um die Verjüngung und Verschönerung eines Angesichtes, welches mir das liebste auf der ganzen Erde ist. Und keine Wirkung? Oh, Sihdi, Ihr Franken seid stets bereit, alle Klugheit und Wissenschaft nur für Euch in Anspruch zu nehmen; aber Allah hat uns in seiner Güte hier Gaben verliehen, die Ihr trotz all Eurer Gelehrsamkeit nicht herzustellen vermögt. Du hast ja gehört, daß der Erzengel diese Salbe der Schönheit aus dem siebenten Himmel geholt hat, und da die Franken keinen siebenten Himmel haben, so können sie diese Salbe nicht besitzen; das ist doch klar! Und daß sie wirklich hilft, daß sie von großer, erstaunlicher Wirkung ist, das kannst Du an Millionen von Runzeln sehen, die alle durch sie verschwunden sind! Du weißt, welchen Glauben und welches Vertrauen ich jedem Deiner Worte schenke; aber diese Salbe kenne und verstehe ich besser als Du. Oder bist Du etwa bei der Ur-Urahne jener Ur-Urgroßmutter gewesen, von welcher der Händler vorhin gesprochen hat?«

»Nein!«

»Also! Erkundige Dich in den Harimat der Dschesireh und des ganzen Grenzgebietes; frage auch in Teheran, in Ispahan, in Kerind und Hamadan, so wirst Du erfahren, daß vor der Salbe der Umm ed Dschamahl jede Verunzierung des Gesichts verschwindet. Ich habe dies mehr als hundertmal gehört und bitte Dich ernstlich, mich nicht zu erzürnen!«

Er war wirklich, in Eifer geraten. Ich sah ein, daß keine Belehrung fruchten würde, und versuchte, ihn auf andere Weise von seinem Vorhaben abzubringen, indem ich sagte:

»Höchst wahrscheinlich kommen wir später auf dem Rückwege über Kirmanschah; da ist es wohl auch noch Zeit, uns nach dem Lagerplatze der Idiz zu erkundigen.«

»Nein; so lange kann ich unmöglich warten. Du hast ja gehört, daß die Falten das Ungeziefer der Schönheit sind. Soll ich diesem Ungeziefer Zeit geben, sich indessen auszubreiten, so daß wir später doppelt soviel Salbe brauchen, als jetzt nötig ist? Ich will Hanneh, die Wonne meiner Augen, unzerknittert sehen, wenn ich heimkehre; darum reite ich jetzt nach Kirmanschah und sende ihr das Mittel heim, daß sie es während meiner Abwesenheit in Anwendung bringen kann. Wenn Du mich nicht begleiten willst, so gehe ich allein; aber es würde meiner Seele bitter wehe thun, die Erfahrung machen zu müssen, daß Dir ein solcher Herzenswunsch Deines treuen Halef, der für Dich in den Tod gehen würde, gleichgültig ist!«

Er wendete sich von mir ab und schwieg. Dieser unglückselige Salbenhändler! Warum mußte er in dieses Kaffeehaus kommen und den Hadschi an die »Zerknitterung« seines Harems erinnern! Es war wirklich ein Unsinn, eines kosmetischen Mittels wegen einen solchen unnötigen Ritt zu unternehmen; aber der Orientale hat keinen Sinn für den Wert der Zeit, und so besaß auch Halef kein Verständnis für die Versäumnis, welche er von mir verlangte. Allerdings konnte auch ich von einer Versäumnis im strengen Sinne eigentlich nicht sprechen. Ich hatte diese Reise unternommen, um Eindrücke und Erfahrungen zu sammeln, und da konnte ein Abstecher von einigen Tagen recht wohl unternommen werden; ja, es war gar nicht unmöglich, auf diesem Seitenwege Interessanteres als auf der Hauptroute zu finden. Sodann hatte ich mit den Eigenschaften Halefs zu rechnen. Er liebte seine Hanneh und versäumte gewiß keine Gelegenheit, ihr einen Wunsch zu erfüllen; hier handelte es sich aber um einen sehr großen Wunsch von ihr. Mochte ich von der Salbe denken, was ich wollte; aber durfte ich ihn hindern, zu thun, was ihm und ihr Freude machte? Er hatte oft sein Leben für mich gewagt und war noch jetzt zu jedem Freundesopfer für mich bereit; konnte ich ihm da nicht einige Tage schenken? Zudem fiel mir ein, daß mehrere Tirs der Bachtijaren Ali-Ilahi's sind und also zu einer Sekte gehören, die ich noch nicht kennen gelernt hatte. Vielleicht bot sich mir da oben in der Kirmanschah die Gelegenheit, diese Lücke auszufüllen. Wie ich in meinen Entschlüssen überhaupt nie [174] langsam gewesen bin, so war ich auch jetzt schon fast bereit, auf den Wunsch Halefs einzugehen, zumal es mir höchst gespaßig vorkam, einen wochenlangen und vielleicht nicht ungefährlichen Ritt zu unternehmen, um von einer alten persischen Medicasterin eine »Einreibung« zu holen; doch machte ich noch einen Versuch, den Hadschi von seinem Vorhaben abzubringen:

»Kennst Du den Tir, die Unterabteilung der Bachtijaren, zu welcher die Umm ed Dschamahl gehört Halef?«

»Nein,« antwortete er kurz.

»Du hast von dem Händler den Namen dieses Tir gehört? er lautet Idiz. Weißt Du, was das heißt?«

»Nein.«

»Es ist ein kurdisches Wort und bedeutet Spitzbube. Du willst also Spitzbuben aufsuchen!«

»Warum soll ich das nicht? Gerade weil sie Spitzbuben sind oder heißen, will ich nun erst recht zu ihnen! Vielleicht erleben wir etwas. Dazu machen wir ja die Reise! Jetzt freue ich mich doppelt auf diesen Ritt. Du wirst es später gewiß sehr bedauern, ihn nicht mitgemacht zu haben!«

»Dieser Fall tritt nicht ein; denn wenn Du bei Deinem Vorsatz bleibst, so bringe ich es natürlich nicht über das Herz, Dich allein fortzulassen.«

Da drehte er sich schnell zu mir herum und fragte strahlenden Angesichtes:

»So reitest Du mit, Sihdi?«

»Ja.«

»Hamdulillah! Ich habe gesiegt, gesiegt über Kara Ben Nemsi Effendi, den noch kein Mensch überwunden hat! Sihdi, ich danke Dir! Wir werden nicht nur die Salbe der Schönheit holen, sondern dabei Heldenthaten verrichten, die wir auf unsere Kinder, Kindeskinder und Urenkelstöchter vererben!«

»Die Salbe?«

»Schweig'! Ich meine natürlich unsere Heldenthaten! Komm, laß uns heimkehren zu unserm Bimbaschi, 10 dem wir sagen müssen, daß wir morgen früh nach Kirmanschah aufbrechen werden! Er wird sich schon im voraus auf die Thaten der Tapferkeit freuen, die wir vollbringen werden, und auf die Werke der Kühnheit und des Sieges, die er nach unserer Rückkehr von uns zu hören bekommt.«

Nun war mein kleiner Halef ja wieder der Alte! Die Ruhmredigkeit gehörte zu seinem Wesen wie das Schmettern zur Trompete, doch konnte man ihm diesen Fehler wegen seiner übrigen guten Eigenschaften gern verzeihen. Was den Bimbaschi betraf, so war er der Gastfreund, bei welchem wir wohnten, und den meine lieben Leser bereits kennen gelernt haben. 11 Wir bezahlten unsern Kaffee und gingen.

Der Bimbaschi wußte, daß wir flußabwärts gewollt hatten, und als er nun hörte, daß unser Ritt zunächst nach Kirmanschah gehe, erkundigte er sich nach dem Grunde. Halef teilte ihm denselben in aller Aufrichtigkeit mit, und da erfuhr ich denn zu meiner Verwunderung, daß ihm der Bimbaschi beistimmte. Auch dieser kannte den Ruf, in welchem die Umm ed Dschamahl stand, und versicherte mir, daß er vollständig begründet sei; er habe unzähligemal gehört, daß das Mittel beinahe Wunder wirke. Auf dieses Zeugnis hin fiel es mir nicht ein, meinem Zweifel auch ihm gegenüber Worte zu verleihen. –

Einige Tage später befanden wir uns schon weit hinter der berühmten Pforte des Zagrosgebirges, und zwar auf der einstigen Heerstraße, auf welcher Alexander der Große im Jahre 330 zur Verfolgung des Darius nach Ekbatana gezogen war. Jetzt hatte dieser unser Weg freilich nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit dem, was man sich unter einer Heerstraße zu denken pflegt.

Wir waren vortrefflich beritten; selbst der Schah in eigener Person hätte sich unserer Pferde nicht zu schämen brauchen. Man kennt meinen unvergleichlichen Araberhengst Rih, welcher mir während einer Verfolgung feindlicher Kurden unter dem Leibe erschossen wurde. Jetzt ritt ich einen gleichwertigen Nachkommen von ihm, Ben Rih 12 genannt, der ein Rapphengst wie sein Vater war. Mein Halef saß auf einem vorzüglichen schwarzen Nedjedihengst, welcher Barkh 13 [175] hieß. Beide Pferde, ihrem Werte nach unverkäuflich, besaßen die hochfeinste arabische Erziehung und verstanden sich auf diejenigen »Geheimnisse«, ohne welche selbst das edelste Pferd nicht den vollständigen Gebrauchswert für den Dschesireh-Beduinen haben würde.

Wir waren in der letzten Nacht in Mijahni Tahk, einem kleinen Dörfchen, geblieben und dann am frühen Morgen durch eine enge Bergschlucht gekommen, welche in das ziemlich breite, sich fast bis nach Kerind hinziehende Gebirgsthal mündete. Auf den letztgenannten Ort war ich aus dem Grunde sehr gespannt, weil man ihn als den Hauptort der Ali-Ilahi's bezeichnet, welche ich gern kennen lernen wollte. Man sagt, daß sie dem Kalifen Ali göttliche Ehren erweisen und den Teufel nicht nur anbeten, sondern ihn sogar für den Schöpfer des Weltalls halten. Die Luren und Bachtijaren, zu denen sie meist gehören, sollen räuberische, gewaltthätige Menschen sein; wir waren in den letzten Tagen überall, wo wir einkehrten, vor ihnen gewarnt worden; man hatte uns überall gesagt, daß es sehr gewagt sei, zu nur zweien über die Berge zu reiten, in deren Schluchten sich rechts und links das Gesindel verberge, um jede Gelegenheit zum Raube zu benutzen; man hatte uns auch die Namen mehrerer Personen genannt, welche in letzter Zeit überfallen und ermordet worden seien; aber wir waren noch durch ganz andere Gegenden gekommen, ohne uns zu fürchten, und hatten also die Schutzbegleitung, welche uns an verschiedenen Orten angeboten worden war, zwar höflich, aber bestimmt abgelehnt. Wir wußten aus Erfahrung, daß diese Sorte von gemieteten Schirmherren ihre einzige Aufgabe darin suchen, ihre Schützlinge auszubeuten, und sich dann beim Nahen einer wirklichen Gefahr schleunigst aus dem Staube machen. So waren wir vollständig unbelästigt bis herauf in die Nähe von Kerind gekommen und hofften, mit demselben Glücke Kirmanschah, unser nächstes Ziel, zu erreichen.

Freilich war uns schon in Chanekihn und dann auch in Serpuhl erzählt worden, daß weiter im Innern des Landes vor kurzem einige Fälle von Babi-Empörung vorgekommen seien; aber wir hatten nichts Genaueres darüber erfahren können und hielten diese Warnung auch nur für einen Versuch, uns eine Sicherheitswache aufzuschwatzen. Was hatten wir, die Fremden, mit der persischen Sekte der Babi zu schaffen, deren Angehörige nicht den mindesten Grund hatten, uns als Feinde zu betrachten?

Der Stifter dieser Sekte war der Hadschi Ali Muhammed aus Schiras; er behauptete, seine Lehre sei der Eingang zur wahren Glückseligkeit und wurde darum Bab 14 genannt; daher der Name Babi. Da die neue Lehre als eine Vollendung des Kuran bezeichnet wurde und »Bab« behauptete, er stehe höher als Muhammed, ging die persische Regierung auf Anstiften der islamitischen Geistlichkeit gegen die Sektierer vor, deren Hauptschar nach langem Widerstande besiegt und dann grausam hingerichtet wurde. Die von diesem Schlage nicht Getroffenen sammelten neue Anhänger und predigten Rache. Es wurde ein Attentat auf den Schah Naßr ed Din versucht, welches aber nicht gelang. Die Schuldigen erlitten unmenschliche Strafen, und jeder, der sich zum Babismus bekannt hatte, mußte entweder flüchten oder seinen Glauben abschwören. Die Regierung glaubte, der Sekte damit den Todesstoß versetzt zu haben; aber das Feuer glimmte heimlich fort. Man wußte, daß es sich in der Verborgenheit immer weiter ausdehnte und bald hier, bald da in einzelnen Funken zu Tage kam. Über ganz Persien verbreitete sich die Ansicht, daß der Schah gewiß nicht eines natürlichen Todes, sondern von der Hand eines Babi sterben werde. Einige von den erwähnten Funken waren es, von denen man uns in Chanekihn und Serpuhl erzählt hatte. Wir achteten nicht darauf; denn, wie gesagt, wir hatten mit dem Rachedurst der Babisten nichts zu thun und fürchteten sie ebensowenig, wie wir uns vor den Bachtijaren und Alli-Ilahi's ängstigten.

Wir ritten also ohne Sorge in den kühlen Märzmorgen hinein und freuten uns, die obenerwähnte, schwer gangbare Schlucht überwunden zu haben. Links von uns schienen sich hohe, nackte Felswände stundenweit hinzuziehen, während zur rechten Hand das Gebirge in sanfteren Bogenlinien abwärts [176] stieg. Leider vermißten wir den Wald, an dem Persien überhaupt nicht reich zu nennen ist. Die Sonne war nicht zu sehen, weil dichte Wolken den Himmel bedeckten. Es spritzte ein feiner Regen herab, welcher nach und nach dichter wurde und schließlich mit einem solchen Eifer niederfiel, daß Halef unwillig ausrief:

»Sihdi, das Wasser dringt mir schon bis auf die Haut; soll es mir etwa noch tiefer kommen? Da drüben steht ein altes Gemäuer. Wollen wir versuchen, dort Schutz zu finden, bis diese übervollen persischen Wolken leer geworden sind?«

Er lenkte, ohne meine Antwort abzuwarten, nach der rechten Seite hinüber, wo die Ruine eines alten Bauwerkes wahrscheinlich früherer Jahrhunderte lag. Es war von einer dichten Süßholzwildnis umgeben, durch welche ein niedergetretener Pfad in das Innere führte. Dies ließ vermuten, daß dieser schon oft als Zufluchtsstätte benutzt worden war. Wir ritten durch das Gestrüpp und kamen in ein oben offenes Mauerviereck, welches keinen Schutz vor dem Regen bot. Aber uns gegenüber führte eine Lücke weiter, durch welche wir in einen zweiten Raum gelangten, dessen Decke noch halb vorhanden war. Da konnten wir trocken sitzen, wenn wir – – die Erlaubnis dazu bekamen.



Es befanden sich nämlich schon zwei Personen hier, ein Mann und ein Knabe, welche, ihrer ärmlichen Kleidung nach zu schließen, Bettler waren. Dieses Handwerk schien hier ein sehr nahrhaftes zu sein; denn der Mann war von fast riesigen Körperformen, und man sah seinen starken Gliedern keine Spur von Hunger an. Der Knabe war sein verkleinertes, aber gar nicht schwaches Ebenbild. Sie zeigten, als sie uns erblickten, keine Spur von Überraschung. Der Riese stand langsam auf und neigte, ohne ein Wort zu sagen, zur Begrüßung den Kopf.

»Ässälam 'aleikum!« grüßte ich.

»Vä 'aleikum ässälam!« antwortete er.

»Bist Du der Besitzer dieses Ortes?«

»Nein. Er gehört jedermann.«

»Erlaubst Du uns, hier vor dem Regen Zuflucht zu suchen?«

[177] »Du bist der Gebieter; wir haben ausgeruht; wir gehen.«

»Bleib'! Es ist Platz für uns alle.«

Er ließ sich aber nicht halten, sondern ging; der Knabe stand nun auch auf und folgte ihm. Sie entfernten sich nicht nach der Seite, von welcher wir gekommen waren, sondern nach der entgegenliegenden, wo die Hälfte der Mauer eingestürzt war und die dadurch entstandene Lücke nicht ganz durch die davorstehenden Holunder verdeckt wurde.

Das Benehmen des Fremden war keineswegs verdachterweckend. Er, der arme Teufel, scheute sich, mit Leuten eng beisammen zu sein, die nach seiner Ansicht hoch über ihm standen. Ich stieg dennoch rasch vom Pferde, um ihm nachzublicken. Sie gingen einem naheliegenden Bidmuschk 15-Dickicht entlang und lenkten dann nach unserm Weg hinüber.

Auch Halef war abgestiegen. Das Dach gab Platz für uns beide und auch für unsere Pferde. Wir machten es uns bequem. Wir lagen eng nebeneinander und plauderten. Die Gewehre steckten der Nässe wegen in ihren Futteralen. Der Regen strömte wie aus umgestürzten Gefäßen hernieder. Das durch ihn verursachte Geräusch war so stark, daß die Annäherung eines Menschen, ja eines Reiters nicht zu hören gewesen wäre. Ich sage dies zu meiner Entschuldigung, aber es ist doch eine desto schwerere Anklage; denn wenn wir uns nicht auf unsere Ohren verlassen konnten, so hätten wir mit den Augen um so aufmerksamer sein sollen.

Ich lag auf meiner rechten, Halef auf seiner linken Seite; ich kehrte den erwähnten Moschusweiden den Rücken zu, während Halef ihnen das Gesicht zuwendete. Mitten in der Unterhaltung sah ich plötzlich seinen Blick und seine Züge starr werden; es war beinahe die Starrheit des Schreckes. Ich drehte mich um, gerade zur rechten Zeit, um eine Schar wild aussehender Männer durch die Weiden brechen und auf uns zustürzen zu sehen. Ich wollte aufspringen und griff mit beiden Händen nach den Revolvern, welche ich des Regens wegen möglichst tief in den Gürtelshawl gesteckt hatte – – es war bereits zu spät. Im nächsten Augenblicke lagen alle [178] diese Menschen schwer auf uns. Ich versuchte, sie abzuwerfen, mich emporzubäumen, vergeblich! Ich bekam trotz meiner Körperkraft nicht einmal die Arme und Hände wieder frei. Es waren der Kerls zu viele. Ja, wenn ich wenigstens Zeit gehabt hätte, aufzuspringen! Durch die Mauer rückenfrei, hätte ich mich gewiß nicht niederringen lassen; da ich aber liegend überrumpelt worden war und ich nicht einmal Platz zu einem kräftigen Stoße fand, blieb mir nichts anderes übrig, als nach einem kurzen Versuche den ganz unnützen Widerstand aufzugeben. Ich wurde mit Baststricken ebenso gebunden, wie Halef, der gar keine Gegenwehr versucht hatte, sofort gefesselt worden war.

Die Menschen, mit denen wir es zu thun hatten, waren alle ohne Ausnahme sehr kräftige Gestalten; ich zählte ihrer mehr als zwanzig. Perser waren sie nicht; das sah ich ihnen gleich an. Wahrscheinlich gehörten sie einem Nomadenstamme an. Zu meinem Ärger befand sich der Bettler unter ihnen, und sein Junge stand an der Mauerecke und lachte uns in einer Weise an, welche ebenso deutlich wie Worte sagte: »Schaut her, Ihr Dummköpfe, was für ein gescheiter Kerl ich gegen Euch bin!« Übrigens hatte ich während des Überfalles und unserer vergeblichen Gegenwehr kein Wort gesagt; ich verhielt mich auch jetzt noch vollständig schweigsam; Halef aber, dem es unmöglich war, seinen Grimm zu bemeistern, schimpfte wie ein Rohrspatz. Dadurch forderte er aber den Zorn des Anführers heraus, welcher ihm unter einigen derben Fußtritten die Verwarnung erteilte:

»Schweig', Hund! Es soll Euch an Euerm Leben nichts geschehen; wenn Ihr uns aber beleidiget, schießen wir Euch nieder, Ihr unnützen Stadtkröten! Wir wollen nur Eure Pferde, Eure Waffen und ein Lösegeld, dessen Höhe wir noch bestimmen werden. Wir haben Euch in Chadschikara entdeckt und sind Euch schnell vorausgeritten, um Euch unweit von hier festzunehmen; Ihr habt es uns aber dadurch, daß Ihr hier einkehrtet, leichter gemacht. Dieser Mann und sein Knabe lagen hier, um Eure Ankunft zu beobachten; er holte uns. Jetzt reiten wir fort. Seid klug und schickt Euch in die Gefangenschaft! Ihr könnt nur durch Erhebung Euer Leben retten.«

Er hatte, als er sprach, sich eines Gemisches von Arabisch, Persisch und Kurdisch bedient, womit er meine Vermutung bestätigte, daß er mit seinen Leuten irgend einem Ihlaut 16 des Grenzgebirges angehöre. Er hielt uns für Stadtleute, weil wir schwarze persische Lammfellmützen trugen, welche wir, um nicht gleich für Ausländer angesehen zu werden, in Bagdad gekauft hatten. Also, der Mann war mit seinem Knaben als Kundschafter hier versteckt gewesen! Sie hatten uns kommen sehen, und das war der Grund meiner Beobachtung, daß sie, als wir in der Ruine erschienen, keine Überraschung zeigten.

Der Regen hörte plötzlich und vollständig auf, als ob er als ein Verbündeter der Räuber nur die Aufgabe gehabt habe, uns in dieses alte Gemäuer zu treiben. In einiger Entfernung von diesem hielten die zurückgelassenen Pferde unserer neuen, liebenswürdigen Bekannten. Wir wurden hingeführt. Der Anführer bestieg meinen Ben Rih, und ein anderer schwang sich auf Halefs Hengst. Darüber ergrimmte mein kleiner Hadschi so, daß er augenblicklich das »Geheimnis« anwandte. Dieses bestand aus dem zweimaligen Aussprechen des Wortes »litaht« 17 und einem Pfiff dazwischen. Sobald unsere Rappen dieses Zeichen hörten, gingen sie mit gleichen Beinen in die Luft, und die Reiter flogen herab. Die Abgeworfenen versuchten fluchend wieder aufzusteigen, was ihnen aber nicht gelang; es blieb also nichts anderes übrig, als die Hengste uns beiden zu lassen. Wir stiegen auf und wurden festgebunden. Es bedarf wohl nicht der besondern Erwähnung, daß man uns nicht nur die Waffen abgenommen, sondern auch die Taschen vollständig leer gemacht hatte. Dann ging es fort, indem wir zwischen je zwei Aufpasser genommen wurden. Ich ritt an der Spitze und Halef am Ende des Zuges; wir konnten also nicht miteinander sprechen.

Ich war überzeugt, daß die jetzigen Besitzer unserer Personen nicht auf dem gebahnten Wege bleiben würden; sie [179] wendeten sich auch sehr bald nach einer engen Seitenschlucht, welche linker Hand die hohe Felswand spaltete. Da hinein ging es, und ich fragte mich, ob wir jemals Kirmanschah erreichen und die Umm ed Dschamahl finden würden.

2

II.

Es ist keineswegs angenehm, der Gefangene von halbwilden Ihlauts zu sein, denn es kann sich, alles andere gar nicht gerechnet, leicht um Tod oder Leben handeln; aber ich würde lügen, wenn ich sagen wollte, daß mir dabei bange gewesen sei. Ich befand mich nicht zum erstenmal in der Gewalt derartiger Leute. Wie oft nur war ich von den Indianern Amerikas fortgeschleppt worden, um am Marterpfahle zu sterben, und ihnen doch stets entkommen. Und mit diesen Roten, besonders den Sioux und den Komantschen, meinen Todfeinden, waren diese Ihlauts nicht im entferntesten zu vergleichen! Die Männer, welche sich heute unser bemächtigt hatten, besaßen im Verhältnisse zu den blutdürstigen, unerbittlichen Indsmen ein so biederes Aussehen, daß mir unsere Gefangennahme ungefähr wie ein unterhaltendes Bühnenspiel vorkam, bei dem mir und Halef die leidenden Rollen zugeteilt worden waren – – – wenn der Vorhang niedergegangen ist, applaudiert das Publikum, und es löst sich alles in Wohlgefallen auf.

Um unser Leben war es mir also ganz und gar nicht, um unsere Freiheit ebensowenig. Es handelte sich um unser Eigentum. Man schien es ganz besonders auf unsere Pferde abgesehen gehabt zu haben. Diese hatten die Begierde der Ihlauts erregt, und da die Besitzer so kostbarer Pferde nach den Begriffen dieser Naturmenschen steinreiche Leute sein mußten, so hofften sie, uns ein tüchtiges Lösegeld erpressen zu können.

Wir wurden gar nicht schlecht behandelt. Man suchte uns unsere Lage möglichst zu erleichtern, und als wir kurz nach Mittag in ein großes Zeltdorf kamen, durften wir absteigen und uns bequem nebeneinandersetzen und erhielten ganz dasselbe Essen, welches die Ihlauts auch für sich bereiteten. Das Lager war bedeutend; ich zählte wenigstens hundert schwarze Zelte, in denen mehr als fünfhundert Menschen wohnen mochten. In der Nähe weideten Pferde, unter denen sich kein einziges schlechtes befand, und viele wohlgenährte Rinder, Schafe und Ziegen; sogar Gänse sah ich zwischen den Zelten herumwackeln. Die Männern waren lauter kräftige Gestalten, denen man die Wirkung der gesunden Bergluft ansah, und unter den Frauen und Mädchen, welche völlig unverschleiert gingen, gab es einen größeren Prozentsatz von Schönheiten, als ich sonstwo angetroffen hatte. Da die Orientalinnen nur eine kurze Jugend besitzen, erschien es mir auffällig, daß ich keine sogenannte »alte Frau« entdecken konnte. Ich sah keine Falten. Sie hatten alle die lebhafte, gesunde Karnation der Bergbewohnerinnen, aber dabei eine so reine, zarte Haut, daß man meinte, durch sie das Blut pulsieren zu sehen. Ich mußte unwillkürlich an das Schönheitsmittel der Umm ed Dschamahl denken, und als ich, dadurch aufmerksamer geworden, nun förmlich nach Hautverunzierungen suchte, fand ich keine einzige Art davon. Ich konnte weder ein Mal, einen Leberfleck, Sommersprossen, Pusteln, Finnen noch eine der sonstigen Hautentstellungen entdecken, welche das heimliche Leiden so manches weiblichen Wesens bilden. Als ich Halef darauf aufmerksam machte, sagte er:

»Sihdi, das ist mir auch sofort aufgefallen! Selbst bei meinen Haddedihn, die auf die Unvergleichlichkeit ihrer Frauen und Töchter so stolz sind, gibt es nicht halb so viele Schönheiten wie hier. Ich lasse mir für jeden Dud ed Dschild, 18 den Du hier in einem Gesichte findest, eine ganz gewaltige Ohrfeige von Dir geben und bin der Überzeugung, daß alle diese Töchter der Ihlauts die ›Salbe der Schönheit‹ besitzen, welche ich für meine Hanneh, die herrlichste unter allen Rosen des Blumenreiches, suche. Soll ich fragen?«

»Behüte! Eine solche Frage würde eine unverzeihliche Beleidigung sein.«

»Aber wie soll ich sonst erfahren, auf welche Weise ich den geliebten Inhalt meines Harems ebenso schön machen kann, wie diese Frauen sind?«

[180] »Warte nur! Die Aufklärung über diese höchst wichtige Angelegenheit wird uns wahrscheinlich ganz von selber kommen.«

»Hat Deine Emmeh sehr viele Didahn ed Dschild?« 19

»Keinen einzigen!«

»Ja, da ist es für Dich sehr leicht, so gleichgültig zu sein! Ich aber habe eine ganze Menge dieser Didahn el Wischsch 20 aus den von ihnen angemaßten Wohnungen zu vertreiben und kann also unmöglich so teilnahmlos sein wie Du. Der Mann, für den die Schönheit seines Weibes keinen Wert hat, verdient gar nicht, ein Weib zu besitzen. Merke Dir das, Sihdi!«

Das war auch eine Ohrfeige, welche er mir gab, wenn auch nicht mit der Hand! Er war innerlich nicht davon befriedigt, daß es in »meinem Harem« keinen einzigen Dud ed Dschild gab, während in dem seinigen sehr viele zu finden waren. Übrigens wurde es uns gar nicht schwer, die erwähnten Beobachtungen zu machen, denn wir beide bildeten den Gegenstand der Neugierde des ganzen Lagers, und besonders war es der weibliche Teil der Bewohner desselben, welcher uns seine Aufmerksamkeit widmete. Das geschah aber nicht etwa in aufdringlicher oder uns verletzender Weise, sondern so harmlos und unbefangen, als ob ihnen das Indie-Berge-schleppen fremder Reisender etwas ganz Gewohntes und Selbstverständliches sei. Dabei ließen sie diese oder jene Bemerkung fallen, und so erfuhren wir aus einer gelegentlichen Äußerung, daß die Ihlauts, in deren Hände wir gefallen waren, zu der Unterabteilung der Idiz gehörten. Als Halef dies vernahm, sagte er zu mir:

»Hamdulillah – Allah sei Preis und Dank dafür, daß wir uns glücklicherweise bei den ›Spitzbuben‹ befinden, deren Angehörige die Umm ed Dschamahl ist! Nun darf ich hoffen, die Salbe zu bekommen, ohne daß es notwendig ist, ganz nach Kirmanschah zu reiten.«

Der wackere kleine Mann dachte also nur an die berühmte Salbe, nicht aber daran, daß wir Gefangene waren. In der letzteren Beziehung besaß er genau dieselbe Zuversichtlichkeit wie ich. Bei ihm stand es ebenso fest wie bei mir, daß unsere jetzige Lage eine schnell und glücklich vorübergehende Episode für uns sei.

Als die Idiz gegessen und den Pferden eine Stunde Ruhe gegönnt hatten, ritten wir weiter. Unser Weg führte durch verschiedene Schluchten und Thäler fortwährend bergan. Die Gegend, durch welche wir kamen, war bewaldet und reich an Bächen und Quellen, was man leider nicht mehr von jedem Teile des einst so wohlbewässerten persischen Reiches sagen kann. Dann kamen wir auf eine baumlose Hochebene, über welche ein empfindlich kalter Luftzug strich. Im Osten stieg der lange Para Kuh und hinter ihm der hohe Elwend empor, der erstere nur teilweise, der letztere aber ganz weiß mit Schnee bedeckt.

Wir ritten Galopp. Nach einer Stunde senkte sich das Terrain wieder; wir ritten in einem engen Thale bergab, wo es wieder Wald und Wasser gab. Ich war noch nicht in dieser Gegend gewesen, glaubte aber Grund zu der Vermutung zu haben, daß wir uns in der Nähe des von lauter Ali-Ilahi's bewohnten Ortes Gamara befänden. Wahrscheinlich lag er im Norden von uns, während wir genau nach Osten ritten. Gegen Abend ging es über eine grasige, rings von Bergen eingeschlossene Niederung und dann an einem Walde hin, dessen Rand erst in gerader Linie nach Süden lief und später eine tiefe, breite Wiesenbucht bildete, welche das Ziel unseres Rittes war.

Hier gab es eine ganze Menge von schwarzen Nomadenzelten, welche ich nicht überblicken konnte, weil es schon fast dunkel geworden war. Unter den Bäumen gab es aus Stangenholz errichtete und mit Rasen gedichtete Hütten, welche gegen Kälte, Wind und Wetter mehr Schutz boten als die dünnen Zelte. In ihnen und vor den Zelten brannten schon die Abendfeuer, welche ihren flackernden Schein auf das rege Leben und Treiben des Lagers warfen. Die Bewohner desselben schienen einen bedeutenden Besitz an Weidetieren zu haben. Wir mußten uns zwischen den Herden hindurchwinden, ehe wir den Urd 21 erreichten.

[181] Die Leute liefen, als wir ankamen, nun neugierig zusammen; es wurde ihnen aber keine Zeit gelassen, uns lange zu betrachten. Wir ritten zwischen ihnen hindurch nach einer der erwähnten Hütten, in welche man, nachdem wir abgestiegen waren, uns brachte. Da mußten wir uns auf eine Streu legen und wurden so gefesselt, daß nach der Ansicht dieser Leute an ein Entrinnen gar nicht zu denken war. Der Anführer bedeutete uns, daß jeder Versuch zur Flucht sofort mit dem Tode bestraft werde; was unsere Behandlung von jetzt an betreffe, so werde er die Nezaneh 22 darüber befragen. Hierauf entfernte er sich; aber ein junger, wohlbewaffneter Krieger blieb zu unserer Beaufsichtigung bei uns zurück. Er brannte ein Feuer an und setzte sich an demselben nieder. Als ich versuchte, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen, teilte er mir mit, daß er nicht mit uns sprechen dürfe; uns aber sei das Reden nicht verboten, falls wir uns nicht einer Sprache bedienten, welche er nicht verstehe.

So lagen wir über eine Stunde lang in Erwartung dessen, was nun kommen werde. Es gab hier eine Nezaneh. Wurde der Stamm von einer Frau regiert? Sonderbar! Wir waren natürlich neugierig, zu erfahren, unter welchen Bedingungen man uns die Freiheit wiedergeben wolle. Die Höhe des Lösegeldes war uns sehr gleichgültig, denn wir bezahlten ja doch nichts!



Die Schwierigkeit bestand nur darin, auf welche Weise wir vor der Flucht, die sehr leicht zu bewerkstelligen war, zu unserm Eigentum kommen wollten; denn daß wir auf nichts verzichten würden, das verstand sich ganz von selbst.

Da wurde die aus starkem Flechtwerk bestehende Thür geöffnet, und es trat eine Frau herein. Unser Wächter stand sofort auf, verneigte sich vor ihr und verließ das Innere der Hütte. In seiner jedenfalls nicht vorgeschriebenen, sondern freiwilligen Verbeugung sprach sich eine so wahre, aufrichtige Verehrung aus, daß diese Frau keine gewöhnliche sein konnte. Sie blieb, als er fort war, an der Thür stehen und betrachtete uns prüfenden Blickes. Ihre Haltung war dabei stolz und selbstbewußt, ohne dabei beleidigend zu sein. Ihr Haupt war unbedeckt; aber die langen, starken Zöpfe [182] des sehr vollen, schneeweißen Haares bildeten, hoch emporgewunden, eine Kopfbedeckung, um welche sie gewiß manche junge Europäerin beneidet hätte. Der Farbe dieses Haares nach mußte sie alt sein; aber in ihrem vollen, jetzt noch schönen Angesichte war keine einzige Falte zu bemerken und in ihren kühn, aber doch weiblich mild geschnittenen Zügen lag eine Energie, welche der Mensch nur im jugendlichen Alter zu besitzen pflegt. Auch der Hals war unbedeckt, und kein Bildhauer hätte einen Tadel an ihm finden können. Ein dunkelblaues, langes, mantelähnliches Gewand, in dem die eine Hand verborgen war, bedeckte ihre hohe Gestalt; die andere Hand, welche es in Falten hielt, war voll und weiß, so weiß, daß ich darüber staunte. Ihre dunklen Augen hatten einen eigentümlichen, wie aus der Tiefe kommenden Glanz, und ihre Stimme besaß einen wohlklingenden Alt, als sie nun die Worte an uns richtete:

»Allah hat Euch in unsere Hand gegeben, und ich komme zu fragen, wer Ihr seid. Meine Krieger haben unterlassen, diese Frage zu thun, weil doch ich es bin, die zu entscheiden hat.«

»So bist Du die Nezaneh?« erkundigte sich Halef.

»Ja.«

»Wie könnt Ihr Euch unterstehen, uns zu überfallen und auszurauben! Was haben wir Euch gethan? Weißt Du, was der Kuran von den Dieben, Räubern und Mördern sagt? Wir verlangen, sofort freigelassen zu werden!«

Sie machte mit der Hand eine unendlich wegwerfende Bewegung und antwortete:

»Ihr habt es Euerm Schah zu verdanken, Euerm Schah und seinen Dienern, welche nichts als Sklaven sind. Diese haben sich an den Kriegern unseres Stammes vergriffen; auch mein Sohn Kelat und mein Enkel Scherga sind fortgeführt worden nach Kirmanschah, um Soldaten zu sein, solange sie leben; sie dürfen niemals zu mir wiederkehren, und darum ist Feindschaft zwischen mir und ihren Peinigern, zwischen uns und Euch.«

»Uns? Was gehen uns Eure Händel an? Was haben wir mit Deinem Sohne und Deinem Enkel zu schaffen? Wie kannst Du überhaupt schon einen Enkel haben? Du bist dazu noch viel zu jung.«

»Die Jahre meines Lebens sind vor Deinen Augen verborgen. Wisse, daß mein Enkel auch schon einen Sohn besitzt, der also mein Urenkel ist!«

»Maschallah! Es scheint, daß Du die Mutter, Großmutter, Ahne, Muhme und Ur-Urtante Deines ganzen Stammes bist! Wo nimmst Du die Jugend her, die noch in Deinem Angesichte wohnt?«

»Allah hat sie mir gegeben und erhalten. Aber warum sprichst nur Du? Warum schweigt Dein Gefährte? Bist Du der Vornehmere von Euch beiden?«

»Bei uns ist einer so vornehm wie der andere, denn wir sind berühmte Leute. Ich bin der oberste Scheik der Haddedihn vom großen Stamme der Schammar und heiße Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawud al Gossarah.«

»So bist Du kein Adschemi, 23 kein Schiit?«

»Nein.«

»Das verschlimmert Eure Lage, anstatt sie zu verbessern. Ich habe Deinen langen Namen noch nie gehört; aber die Haddedihn sind Feinde mehrerer Kurdenstämme, welche wir Freunde nennen. Ich werde also das Lösegeld, welches Ihr zu zahlen habt, verdoppeln.«

»Deine Lippen fließen über von Freundlichkeit und Güte gegen uns! Wieviel forderst Du?«

»Fünftausend Tuman 24 für Euch beide.«

»Bloß?! Ich hätte nicht geglaubt, daß wir so wenig wert wären.«

»Gut, so zahlt Ihr zehntausend!«

»Auch das ist noch viel zu wenig!«

Da blitzte sie ihn zornig an: »Willst Du Scherz mit mir treiben? Hüte Dich! Ich bemühe mich, über meinen Stamm ein Regiment der Liebe zu führen und auch gegen Fremde mild zu handeln; aber ich kann auch streng, sehr streng sein!«

»Ich spreche im Ernste und will Dir aufrichtig sagen: Wir beide besitzen einen so hohen Wert, daß ihn kein Mensch [183] bezahlen kann, auch wir selbst nicht; darum werdet Ihr nichts, gar nichts bekommen!«

»Ihr bekommt die Freiheit nicht eher wieder, als bis Ihr bezahlt, was ich gefordert habe!«

»So behaltet uns in Allahs Namen! Es gefällt uns ja ganz gut bei Euch.«

»Wenn Ihr nichts zu essen bekommt, sondern hungern müßt, wird es Euch wohl weniger gefallen!«

»Habe da keine Sorge um uns! Wir hungern, solange es uns beliebt, länger aber keinen Augenblick!«

»Du scheinst an Flucht zu denken. Schlage Dir das aus dem Sinn! Wer sich in unsern Händen befindet, der kommt nur mit meiner Erlaubnis wieder los. Wer ist Dein Gefährte?«

»Das ist der in der ganzen Welt berühmte Hadschi und Emir Kara Ben Nemsi Effendi.«

»Auch seinen Namen habe ich noch nie gehört; er kann also nicht so sehr berühmt sein, wie Du sagst. Zu welchem Stamme gehört er?«

»Sein Name Ben Nemsi muß Dir doch sagen, daß seine Heimat in dem fernen Dschermanistan 25 liegt.«

»Wohnt dort das Volk, welches Napulyun Sivum 26 besiegt und vom Throne gestoßen hat?«

»Ja.«

»So ist er doch wohl kein Moslem, sondern ein Christ?«

»Ja.«

»Das ist noch viel schlimmer für Euch, denn ich hasse die Christen. Er schämt sich jedenfalls auch, einer zu sein, denn er wagt es nicht, mit mir zu sprechen!«

Da kam sie aber bei meinem Hadschi an den unrechten Mann. Er duldete nie, daß ich beleidigt wurde, und fiel auch jetzt schnell und zornig ein:

»Höre, Weib, diese Behauptung ist die allerdümmste, die ich in meinem ganzen Leben gehört habe! Dieser Emir Kara Ben Nemsi ist ein unvergleichlicher Fürst des Geistes und des Körpers nicht nur in seinem Vaterlande, sondern in allen Ländern des Erdbodens. Er kennt die Völker aller Weltgegenden und spricht ihre Sprachen; er hat den Löwen getötet und den Elephanten vernichtet; seine Faust streckt alle Feinde siegreich nieder, und alle Kaiser, Könige und sonstigen Herrscher sind froh, wenn sie mit ihm reden dürfen. Wer und was aber bist denn Du? Ein Weib, eine Anführerin von Spitzbuben, eine räuberische Gesindelmutter, welche Geld von uns erpressen will. Wenn er nicht mit Dir spricht, so geschieht das nicht etwa aus Furcht, sondern weil er viel zu stolz ist, einer sollen Landstreicherin seine von Allah gesegnete Stimme hören zu lassen!«

Sie blieb bei dieser Beleidigung äußerlich ruhig, antwortete aber mit erhöhter Stimme: »Zur Strafe für diese Deine Worte werdet Ihr uns nun zwanzigtausend Tuman Lösegeld bezahlen müssen! Du nennst uns Gesindel und Spitzbuben; aber es gibt kein verächtlicheres Gesindel und keine größeren Diebe, als gerade die Christen sind!«

Da richtete ich mich trotz meiner Fesseln in sitzende Stellung auf und sagte: »Da hast Du die größte Lüge Deines Lebens gesagt. Beweise mir die Wahrheit dieser Behauptung!«

Sie trat bei meinem scharfen Tone einen Schritt zurück, dann aber lächelnd zwei wieder vor und antwortete:

»Du bist also doch nicht ganz stumm. Du würdigest mich sogar einer Antwort! Lüge nennst Du es? Ich habe die Wahrheit gesprochen! Sage mir, sind die Russen, die Engländer, die Griechen, die Armenier, die Missionäre, welche Ihr uns sendet, Christen?«

»Sie sind es.«

»So hast Du die Wahrheit meiner Behauptung bereits zugegeben. Wer lauert wie ein Raubtier an der Grenze Persiens, um es zu verschlingen? Der Engländer, der Russe! Wer hat nie an seinem Lande genug, sondern will immer mehr Länder und Völker unter seine Herrschaft bekommen? Der Christ! Wer ist der listigste Gauner, der gewissensloseste Betrüger des Orientes? Der griechische und der armenische Christ! Wer sendet seine sogenannten ›Boten der Liebe‹ aus, um ihnen dann das Schwert, die Kanonen, hundert Krankheiten, den Eigennutz, den Betrug, die Wortbrüchigkeit, den Länderraub nachzuschicken? Der Christ! Was [184] sind die Konsuln, die Gesandten, welche an allen, auch an unsern Herrscherhöfen Heimtücke, Zwietracht und Mißtrauen zu säen haben, um die Früchte dieser Hinterlist dann später heimzusenden? Christen sind sie! Beobachte Eure Missionäre! Ich kenne die verschiedenen Sekten nicht, denen sie angehören; es sind ihrer so viele, daß man sie sich gar nicht merken kann; aber jeder von ihnen behauptet, den Glauben zu verkünden, welcher allein selig macht; darum hassen und verfolgen sie sich; sie verachten einander; sie sprechen, lehren und kämpfen heimlich und öffentlich gegeneinander, und doch verlangen sie Glauben und Vertrauen von uns! Sie fordern Achtung und Ehrfurcht von uns und scheinen gar nicht zu ahnen, daß sie selbst es sind, die alles mögliche thun, sich, um ihre Ehre und um unsere Achtung, unser Vertrauen zu bringen. Sie tragen alle, alle stets das große Wort der Liebe auf der Zunge, zerfleischen aber dabei sich und uns! Es reisen viele Christen durch dieses unser Land, denn der Hauptweg von Bagdad herauf geht hier bei uns vorüber. Ich habe sie gesehen und mit ihnen gesprochen, hier und in den Städten, auch in Teheran und Ispahan; aber ich habe noch keinen einzigen Christen kennen gelernt, noch keinen einzigen, dessen Thaten das gehalten haben, was uns durch seinen Glauben, seine Lehre, seine Worte versprochen worden war! Denn, weißt Du, die wahre, die wirkliche Liebe darf nicht sprechen, sondern sie muß Thaten thun, Thaten, Thaten! Die Sonne soll Licht und Wärme bringen, und wenn sie das nicht thut, so ist sie keine Sonne. So muß die Liebe Segen und Glück verbreiten, und wenn sie das unterläßt, so ist sie keine Liebe! Die Liebe lebt nur durch das Glück und in dem Glücke anderer; was aber hat Eure sogenannte Liebe den Andersgläubigen bisher gebracht? Blut, Blut und immer wieder Blut! Wohin Ihr tretet, verschwinden die Nationen; denn Eure Füße sind die Füße des Verderbens, und in Euren Fußstapfen schleicht der Tod sich hinterher! Ich sagte vorhin, daß ich die Christen hasse; aber ich hasse sie nicht nur, sondern ich verachte sie, denn wessen Thaten das Gegenteil von seinen Worten sind, der verdient es nicht anders, der muß verachtet werden! Denke also ja nicht, daß ich Euch schonen werde! Ich werde vielmehr, gerade weil Du ein Christ bist, streng, sehr streng mit Euch verfahren. Was kannst Du gegen meine Worte sagen? Ich will Antwort haben. Sprich!«

Sie sah mir mit blitzenden Augen erwartungsvoll in das Gesicht. Sie hatte ihre Rede so plötzlich, so ohne eigentliche Veranlassung über mich ausgeschüttet; es mußte sich der Stoff seit langem in ihr angesammelt haben. Was konnte, was sollte ich dagegen sagen? Wie oft schon waren mir dieselben, aber ganz dieselben Vorwürfe gemacht worden! Es ist gar nicht leicht, auf solche Anklagen Auskunft zu erteilen; denn es liegt für den, welcher nur ein Namenschrift ist, so viel Wahrheit in ihnen, daß er, mag er sich winden, wie er will, sich dem häßlichen Gefühle, überwiesen worden zu sein, nicht zu entziehen vermag. Ich wich ihrem Blicke nicht aus und antwortete ruhig: »Ich sage Dir hierauf zwei kurze Worte. Das erste ist: Du bist ein Weib. Das zweite lautet: Du bist unglücklich.«

»Wie meinst Du das? Ich verstehe Dich nicht!«

»So höre mich an! Du hast gemeint, mich durch Deine Rede so niedergeschlagen zu haben, daß ich Dir gar nicht antworten könne; aber Du irrtest Dich. Du ahnst gar nicht, welch einen tiefen Blick in Deine Seele Du mir gestattet hast. Du bist in einem großen Irrtume befangen, in einem Irrtume, welcher sich auf das Leben außer Dir und auf das Leben in Dir selbst bezieht. Zunächst das Leben außer Dir. Du siehst es mit falschen Augen an und verwechselst darum den Glauben mit dem Volke. Die Völker entstehen, entwickeln sich und vergehen genau so, wie der Mensch geboren wird, wächst und wieder stirbt. Treffen zwei Nationen aufeinander, von denen die eine jung und kräftig, die andere aber alt und schwach ist, so wird die alte der jungen weichen müssen; sind sie verschiedenen Glaubens, so ist es nicht die Religion, sondern die Altersschwäche, welche tötet. Eure orientalischen Griechen und Armenier gehören alten, abgelebten Völkerschaften an; daß sie auch moralisch gesunken sind, beweist nur, daß ich Recht habe, denn sie werden untergehen, obgleich sie sich Christen nennen. Es ist Allahs Ratschluß, daß ganze Völker wie einzelne Menschen sterben müssen. Wenn dieses Kismet in Erfüllung geht, so ist es falsch, dem [185] Christentum die Schuld zu geben. Doch muß ich allerdings offen bekennen, daß dem Christentume die Kraft, das Leben innewohnt, welches selbst Nationen vom Untergange zu erretten vermag. Du wirst das nicht zugeben wollen, wirst es aber doch eingestehen müssen, denn Du bist« – – – ich machte eine kurze Pause und fuhr dann mit Nachdruck fort: – – »schon längst keine Islameh 27 mehr.«

»Ich? Keine Islameh mehr?« fragte sie schnell. »Was, was bin ich sonst?«

»Eine Christin.«

»Bi Khatir-i Khudah – um Gottes willen!« rief sie aus, indem sie die Hände zusammenschlug. »Du wagst es, mich eine Christin zu nennen?!«

»Das ist kein Wagnis, sondern die Wahrheit. Ich habe vorhin gesagt, daß Du in einem Irrtume auch in Beziehung auf das Leben in Dir selbst befangen seist. Ich sehe und spreche Dich heute zum erstenmal; ich kenne Dich also nicht; aber ich habe einen Blick in die Tiefen Deiner Seele gethan, in welcher eine große, eine schmerzliche Sehnsucht nach Liebe und Erlösung lebt. Du suchst schon seit langen, langen Jahren nach Gott, nach seinem Himmel und nach seiner Seligkeit, hast aber noch keinen Menschen, noch keinen einzigen, gefunden, welcher Dir den Weg nach oben zeigen konnte – – –.«

»Schweig'!« unterbrach sie mich gebieterisch. Dann trat sie an das Feuer, ließ sich an demselben nieder und legte neue Nahrung in die Flamme. Dabei verwandte sie fast kein Auge von mir; sie schien mich mit ihrem Blicke ganz durchdringen zu wollen. Ich schwieg. Erst nach langer Zeit sagte sie langsam und als ob es ihr schwer werde, sich das Geständnis abzuringen: »Also Kara Ben Nemsi ist Dein Name! Sag', bist Du allwissend?«

»Nein.«

»Warum hast Du in einer Weise zu mir gesprochen, in welcher man nur zu Männern und zwar zu gelehrten Männern zu sprechen pflegt?«

»Du bist keine gewöhnliche Frau, sondern ein gelehrtes Weib; aber Du besitzest nicht die Gelehrsamkeit des Kopfes, sondern die Gelehrigkeit des Herzens, welche nach höhern Gütern trachtet, als diejenigen sind, nach denen der berechnende Verstand die kalten, magern Hände ausstreckt.«

»Emir – – Effendi – – – bist Du etwa der Mann, nach dem ich so lange gesucht habe, ohne ihn zu finden? Kannst Du mir den Weg nach oben zeigen? Ich möchte es fast glauben und glaube es doch nicht, denn Du bist ein – – – ein Christ!«

»Ja, und ich danke Gott für die hohe Gnade, ein Christ sein zu dürfen! Ich gebe mir Mühe, ein Christ nicht nur zu heißen, sondern auch wirklich zu sein. Wenn das alle Christen thäten, würdest Du anders von uns gesprochen haben, als Du gesprochen hast. Sag', hältst Du alle Bekenner des Islam für gute Menschen?«

»Nein; sie sind es leider nicht.«

»Ist der Islam daran schuld?«

»Gewiß nicht!«

»Wie kommt es da, daß Du unsern Glauben darüber anklagst, daß Du Christen kennen gelernt hast, welche keine guten Menschen waren? Ein guter Christ aber ist stets auch ein guter Mensch.«

»So würde ein guter Moslem also auch stets ein guter Mensch sein!«

»Nein; denn der Islam fordert von seinen Bekennern nicht die Liebe, welche der Grundstein und Eckpfeiler der christlichen Lehre ist.«

»Auch der Islam lehrt die Liebe!«

»Nur die Liebe zu und unter seinen Anhängern; unsere heilige Schrift aber gebietet uns, alle Menschen, sogar unsere Feinde wie uns selbst zu lieben.«

»Auch die Feinde?«

»Ja.«

»Bi Tschäschm-i Farzändäm – bei den Augen meines Sohnes, das ist unmöglich! Kein Mensch, überhaupt kein Sterblicher, besitzt die unendliche Selbstüberwindung, welche dazu gehört, seinen Feind zu lieben wie sich selbst! Sag', könntest Du Deinem Todfeinde dieselbe Wohltat erweisen wie Deinem Blutsfreunde?«

[186] »Ja.«

»Du hast Dich versprochen. Du wolltest ›nein‹ sagen?«

»Ich wollte ›ja‹ sagen und sage es noch einmal!«

»Das ist Lüge!«

Sie sprang auf und blitzte mich aus ihren Augen zornig an.

»Es ist Wahrheit!« behauptete ich.

»Lüge, Lüge, nichts als Lüge! Ich durchschaue Dich nun auch. Du bist ein kluger Mann und hast die Sehnsucht erkannt, welche in meinem Herzen wohnt; Du willst sie zu Eurem Vorteil benutzen, indem Du Dich bemühst, von mir als der Spender einer großen Gabe betrachtet zu werden. Aber Du betrügst mich nicht. Du bist so unvorsichtig gewesen, mir mit Deiner ganz unmöglichen Feindesliebe die Augen zu öffnen. Dadurch, daß Du Dich für einen Christen aller Christen ausgeben wolltest, hast Du mir bewiesen, daß Du auch nur ein Namenschrift bist, ein selbstsüchtiger, berechnender und – – – schlechter Mensch! Du hast in meine Seele geblickt, mich aber nicht ganz durchschaut. Du hast geglaubt, leichtes Spiel mit mir zu haben, der einfachen und unerfahrenen Nomadenfrau; aber ich bin nicht das, wofür Du mich gehalten hast. Ich lebe nur kurze Zeit des Jahres über hier in den wilden Bergen und befinde mich sonst fast stets auf der Reise und in den Harimat der Großen unseres Reiches. Ich habe da offene Augen und offene Ohren und sammle mir innere Schätze, welche mir kein Mensch mit Gold aufwiegen könnte. Schon der Harem von Muhammed Schah, des Vaters unseres jetzigen Herrschers, hat mir offen gestanden, und vorher war ich die Freundin sämtlicher Frauen von Feth Ali Schah, dem größten der Kadscharen – – –«

»Was – – – wirklich – – –?« unterbrach ich sie erstaunt. »Das ist ja seit über einem Menschenleben her!«

Da ging ein stolzes, selbstbewußtes Lächeln über ihr Gesicht, und sie antwortete: »Ja, hier hört alle Eure fränkische Klugheit auf; hier könnt Ihr nichts als staunen! Wisse, daß mein Alter weit über sechs Jahrzehnte beträgt, und daß ich, wenn ich einst sterbe, noch genau so jung aussehen werde wie am heutigen Tage. Ich habe die Quelle der Jugend in der Hand; denn ich bin die Umm ed Dschamahl, aus deren Händen Tausende den Glanz der Schönheit und die – – –«

Da wurde sie von Halef unterbrochen; denn dieser richtete sich auf, so schnell es ihm unter den Fesseln möglich war, und rief entzückt: »Die Umm ed Dschamahl bist Du? Hamdulillah – Allah sei Lob, Preis, Ehre und tausend Dank gesagt, daß er uns erlaubt hat, Eure Gefangenen zu werden! Wieviel kostet die Büchse Deiner Wundersalbe? Ich kaufe gleich zehn, zwanzig, vielleicht auch fünfzig Stück, wenn sie nicht zu teuer ist!«

»Du?« fragte sie. »Du bekommst nicht eine einzige.«

»Warum nicht?«

»Weil die Haddedihn die Feinde unserer Freunde sind. Es fällt mir nicht ein, die Falten und Runzeln Deines Harems auszugleichen; ich wünsche vielmehr, daß sie so tief wie die Schluchten und Abgründe unserer Berge werden mögen! Wieviel Frauen hast Du?«

»Eine.«

»Wie ist ihr Name?«

»Hanneh. Sie ist die lieblichste und schönste Rose unter allen duftenden Blüten des Blumenreiches.«

»Die lieblichste und schönste? Und doch verlangst Du für sie eine Salbe? Ihr Gesicht wird einer trocknen Hagebutte und ihr Gang dem Wanken eines jungen Kamelkalbes gleichen. In den Harimat der Haddedihn wohnt kein einziges schönes Weib!«

Das war für meinen kleinen, jähzornigen Hadschi wie ein Funke in das Pulverfaß.

»Was höre ich?« schrie er entsetzt. »Meine Hanneh, die Perle und Krone aller Frauen, soll einer Hagebutte, und einem Kalbe des Kameles gleichen! Wäre ich nicht gefesselt, und wärest Du nicht ein Weib, so spukte ich Dich erst an und schlüge Dich dann zu Boden, daß Du nie wieder aufstehen könntest! Wie siehst denn Du aus? Bist Du etwa schön? Bilde Dir nichts ein! Die Haddedihn besitzen die herrlichsten Frauen aller Erdenvölker; Eure Weiber sind gegen sie wie langbeinige Taranteln, welche man mit goldflimmernden Schmetterlingen vergleicht. Die Salbe der Schönheit ist für sie überflüssig; ich mag sie nun gar nicht. Wenn man von ihr nicht schöner wird, als Du bist, so mag [187] ich sie gar nicht sehen; denn sie würde das holde Angesicht des Lieblings meiner Seele nur entstellen und verderben!«

Ein berühmter Psycholog hat den Satz aufgestellt, eine Frau könne alles, selbst die schwerste Beleidigung und Kränkung verzeihen, nur nicht die Behauptung, daß sie häßlich sei. Ob dies richtig oder falsch ist, weiß ich nicht, da ich noch, nie ein weibliches Wesen häßlich genannt habe und auch in dem jetzigen Falle die Wirkung nicht zu bestimmen war, denn die Nezaneh sagte kein Wort; sie richtete einen langen, verachtungsvollen Blick auf ihn und wendete sich dann von uns ab, um sich zu entfernen.

»Habe ich es recht gemacht, Sihdi?« fragte er mich, als sie fort war.

»Nein. Du hättest schweigen sollen.«

»Schweigen? Wenn man Hanneh, das Licht meiner Augen und die Sonne meines Lebens, verleumdet? Eine Hagebutte! Ich wollte, diesem alten Weibe wüchse dafür ein Schnurrbart, so groß wie der eines persischen Sipähsalars! 28 Sie mag die Salbe behalten und ihre Ziegen und Schafe damit einreiben!«

Er mußte im Ergusse seines Herzens abbrechen, denn der Wächter kehrte zurück und teilte uns in strengem Tone mit, die Nezaneh habe befohlen, daß wir kein Essen bekommen und nicht miteinander sprechen dürften; beim ersten Worte würde man uns voneinander trennen. Das war die Folge von Halefs Zungenfertigkeit!

Mir war das Schweigen ganz recht; ihm aber fiel es noch schwerer als das Fasten; das sagte er durch die zwar stummen, aber doch sehr beredten Blicke, wel che er mir von Zeit zu Zeit zuwarf. Das Beste in unserer Lage war, den Versuch zu machen, einzuschlafen. Noch ehe uns das gelang, wurde unser Wächter durch zwei andere ersetzt, welche uns das Verbot des Sprechens noch einmal einschärften. Die Nacht wurde kalt; das Feuer wärmte nicht, und die Fesseln hinderten uns, bequem zu liegen; dennoch schlief ich ziemlich gut und wurde nur durch die Ablösung der Wächter einige Male aufgeweckt.

Als es Tag geworden war, erhob sich draußen ein lautes Geschrei; es klang so gefährlich, als ob das Lager von Feinden überfallen worden sei. Man rannte lebhaft hin und her; wir hörten zornige Flüche; Pferde stampften und wieherten. Ich wurde um die Unsrigen besorgt. Eine der Wachen hatte sich entfernt, um nach der Ursache dieser Aufregung zu sehen; wir aber erfuhren doch nichts, als der Mann wieder kam, denn er machte seine Mitteilung dem Gefährten flüsternd; doch sah man beiden an, daß das, was sich ereignet hatte, etwas ebenso Unangenehmes wie Wichtiges gewesen war.

Wir bekamen auch jetzt weder etwas zu essen noch etwas zu trinken. Wir hätten gern wenigstens einen Schluck Wassers gehabt, doch fiel es uns gar nicht ein, darum zu bitten. Am lästigsten waren uns nicht Hunger oder Durst, sondern die Fesseln. Sie verursachten uns zwar keine Schmerzen, denn sie waren nicht, wie es z.B. bei den Indianern meist zu geschehen pflegt, so fest angezogen, daß sie in das Fleisch schnitten; aber sie ermüdeten uns dadurch sehr, daß sie uns zu einer unbequemen Körperlage zwangen. Übrigens brauchte ich nur zu wollen, um meine Hände frei zu bekommen; denn ich hatte an dem Strick, der sie verband, schon seit gestern gezogen und ihn so ausgespannt, daß ich in jedem beliebigen Augenblicke die Hände herausziehen konnte. Aber damit wäre in Gegenwart der Wächter noch nichts erreicht gewesen, weil uns auch die Füße zusammengebunden waren. Wir hatten also zu warten, bis uns diese einmal freigegeben würden.

Das geschah um die Mittagszeit. Da kamen zwei ältere Krieger herein; einer war der Anführer derer, die uns gefangen genommen hatten. Er machte uns folgende Mitteilung:

»Ihr habt die Nezaneh beleidigt; daher versagt sie Euch die Ehre, wieder zu Euch zu kommen, sondern Ihr werdet jetzt zu ihr geführt, um zu erfahren, was sie nun heute von Euch fordert.«

»Sie hat doch schon gestern ihre Forderung gestellt?« antwortete ich.

»Das ist anders geworden, seit man uns Eure Pferde genommen hat. Dadurch entgeht uns, was sie wert waren, und Ihr habt uns diesen Verlust durch Geld zu ersetzen.«

»Was?« fragte ich erschrocken. »Man hat Euch unsere Pferde genommen?«

[188] »Ja, und noch zwanzig von den Unsrigen dazu!«

»Wer?«

»Es war heute früh eine Dästä-i Sävaräh 29 hier; der Kommandant von Kirmanschah braucht Pferde für seine Truppen, weil der Schah dem Sultan der Türken den Krieg erklären will. Ihr seid fremd und wißt also nicht, daß wir Ihlauts die Pferde dazu hergeben müssen, ohne gefragt zu werden, ob wir wollen oder nicht. Dem Naib-i-Aval 30, welcher die Reiter anführte, gefielen Eure Hengste, und er nahm sie mit.«

»Habt Ihr ihm denn nicht gesagt, daß sie Euch gar nicht gehören?«

»Khuda nä kunäd – Gott bewahre! Es fiel uns nicht ein, so dumm zu sein. Er hätte mit Euch sprechen wollen und dann das Lösegeld, welches Ihr uns zahlen müßt, in seine eigene Tasche gesteckt.«

»So ist er mit unseren Pferden fort?«

»Ja.«

»Wohin?«

»Nach Kirmanschah, nicht nur mit den Eurigen, sondern auch mit den Unsrigen. Der Teufel segne ihn! Jetzt kommt!«

Halef war fast starr vor Schreck darüber, daß sein Barkh und mein Ben Rih entführt worden waren. Um nicht verstanden zu werden, raunte ich ihm mokrebihnarabisch zu:

»Sorge Dich nicht! Wir bekommen sie wieder. Wir reiten ihnen nach. Paß nur auf!«

»Schweigt!« wurde uns befohlen. »Ihr habt nicht miteinander zu sprechen! Vorwärts!«

Wir wurden aus der Hütte geführt, und ich war fest entschlossen, sie nicht wieder zu betreten. – – –

3

III.

Wenn ich sage: »Ich war fest entschlossen, sie nicht wieder zu betreten,« so mag das vermessen oder vielleicht gar lächerlich klingen; aber ich kannte mich und meinen thatkräftigen kleinen Halef, und für einen erfahrenen Prairieläufer waren diese Ihlauts doch nur minderwertige Gesellen. Unsere Pferde mußten wir auf alle Fälle wieder haben, und wenn das nicht auf andere Weise zu erreichen war, so schreckte weder Halef noch ich bei all unserer sonstigen Humanität vor dem Gedanken zurück, nötigenfalls Menschenblut fließen zu lassen.

Man hatte uns, damit wir gehen könnten, die Füße freigeben müssen; ich war also sicher, im Gebrauche meiner Glieder zu sein, sobald es mir beliebte. Da es gestern bei unserer Ankunft schon dunkel gewesen war, hatte man uns nicht genau sehen können; darum standen die Bewohner des Lagers jetzt in dichten Scharen draußen, um uns zu betrachten. Da fielen mir gleich wieder die Frauen und Mädchen auf, welche auch hier alle unverschleiert waren. Es war wirklich auffällig, daß selbst Mütter, deren erwachsene Söhne neben ihnen standen, ein so jugendfrisches Aussehen hatten, als ob sie noch ledig seien. Ich entdeckte, während wir langsam durch die gebildete Doppelreihe geführt wurden, in diesen weiblichen Gesichtern nicht den geringsten Hautfehler, obgleich ich sehr scharfe Augen habe. Freilich hatte ich meine Aufmerksamkeit nicht allein auf diesen an sich ganz interessanten Gegenstand zu richten; ein noch viel größeres Interesse mußte auf die Pferde der Ihlauts gerichtet sein, denn wir brauchten zwei, um so schnell wie möglich nach Kirmanschah zu kommen.

Wir konnten uns die Einrichtung des Lagers gar nicht günstiger wünschen, als sie war. Der Wald bildete wie bereits erwähnt, eine Bucht, welche sich von Norden nach Süden zog. Wir waren gestern von Norden gekommen. Am dortigen Ende der Bucht weideten die Pferde, natürlich ungesattelt, aber alle mit Halfterzeug. Nach dieser Richtung wurden wir geführt, und zwar bis zu einer Hütte, welche so am Waldessaume lag, daß der hintere Teil derselben sich an zwei Baumstämme lehnte, welche ungefähr vier Meter entfernt voneinander standen. Das Unterholz wurde an dieser Stelle von wilden Schneeballsträuchern gebildet.

Erwähnen muß ich, daß wir nur mit Neugierde betrachtet wurden und ich in keinem einzigen Gesichte einen Zug von Haß oder einem ähnlichen Gefühle entdeckte. Wir waren für diese Leute eben nur Lösegeldobjekte, weiter nichts.

[189] Wir blieben vor der erwähnten Hütte halten. Der Anführer ging erst allein hinein und winkte uns dann nach kurzer Zeit, nachzukommen. Ich hatte erwartet, vor eine Versammlung hervorragender Krieger, welche über uns beschlossen hatten, geführt zu werden, und mir also die Flucht viel schwieriger vorgestellt, als sie mir jetzt erschien, da ich die Nezaneh ganz allein in ihrer Hütte sitzen sah.

Diese war auch aus Holzstangen und Rasenstücken hergerichtet und besaß keine Fensteröffnungen. Sie bekam das Licht durch die vielen Lücken in den Wänden und durch eine Öffnung im Dache, welche zugleich dem Rauche als Abzug zu dienen hatte. In der einen hinteren Ecke lag der aus Steinen primitiv hergerichtete Feuerherd; in der andern sah ich das aus Laub hoch aufgerichtete Lager, welches mit Fellen bedeckt war und der Besitzerin jetzt als Divan diente; sie saß darauf. Einige mit Decken belegte Kisten bildeten das ganze Meublement. Waffen sah ich nicht, außer den unserigen, welche auf einem kleinen, neben dem Lager ausgebreiteten Teppich lagen, und zwar nicht allein, sondern in Gesellschaft aller Gegenstände, welche sich in unsern Taschen befunden hatten. Es war für mich eine wahre Wonne, das alles so hübsch beisammen zu sehen.

Wir befanden uns mit der Frau und dem Anführer allein. Er stand hinter uns, die Hand an das Messer gelegt. Sie warf einen kurzen, feindseligen Blick auf Halef, betrachtete dann mich etwas weniger gegnerisch und begann in kaltem, erklärendem Tone: »Ihr wißt wahrscheinlich schon, was sich mit Euern Pferden zugetragen hat; sie sind uns verloren gegangen, und Ihr habt sie uns also zu ersetzen. Die Dschemma 31 meiner Krieger hat über alles beschlossen, und ich habe es genehmigt. Eure Waffen können wir nicht gebrauchen, denn wir haben selbst welche und wissen auch von einigen nicht, wie man sie anfassen muß. Die anderen Sachen könnten wir zwar behalten, aber sie haben jedenfalls einen größeren Wert für Euch als für uns, und so sind wir gern bereit, sie an Euch zu verkaufen. Wenn Euch gar nichts fehlt von dem, was Euch gehörte, werdet Ihr um so williger und besser zahlen; so denken wir.«

»Maschallah!« rief da der Hadschi. »Wir sollen unsere eigenen Sachen kaufen und die Pferde ersetzen, welche man uns gestohlen hat! Eine solche Verrücktheit ist – –«

»Schweig'!« unterbrach ihn die Nezaneh. »Du hast hier nichts zu sagen; ich spreche nicht mit Dir, sondern nur mit Kara Ben Nemsi Effendi!«

Und wieder zu mir gewendet, fuhr sie fort:

»Ich habe noch einmal über alles nachgedacht, was wir gestern miteinander gesprochen haben. Deine Worte haben mein Herz berührt wie ein Schlüssel, welcher die Thüre zu einer lichten, schönen Wohnung der Seligen öffnet. Ich wünsche, viele Fragen an Dich zu thun, welche Du mir beantworten wirst. Wir haben ja viel Zeit dazu; denn es wird lange dauern, bis die Boten zurückkehren, welche ich senden werde, um Euer Geld zu holen.«

Das klang so naiv, so selbstverständlich, daß ich mit lustigem Lachen fragte: »Wo sollen sie es holen?«

»Wo Du willst; denn nur Du kannst wissen, woher Du es bekommen wirst. Besäßen wir Eure Pferde noch, so würden wir weniger von Euch fordern. Ich will Dir sagen, daß der Gebieter von Kirmanschah ein Feind unseres Stammes ist, weil er mich haßt. Sein Harem hat mich einst schwer beleidigt und bekommt daher den ›Weg zur Schönheit‹ nicht mehr von mir. Er hat mir aus diesem Grunde Rache geschworen und meinen Sohn Kelat und meinen Enkel Scherga weggefangen und unter die Soldaten gesteckt. Beide sind freie Ihlauts und haben sich geweigert, die Sklavendienste zu thun, zu denen man sie verurteilt hat. Dieser Widerstand hat seinen Grimm erregt. Er ließ durch Zeugen, die er ja bekommen kann, sobald er will, beweisen, daß sie Babis sind und ihm nach dem Leben trachten. Er ist nach Teheran gereist, um dort das Fest Nu Rose 32 zu begehen, und sie sind ihm nachtransportiert worden, weil dieses Fest durch das Schauspiel ihrer Hinrichtung verherrlicht werden soll. Das hat mir der Anführer der Truppen gesagt, welcher auf sei nen Befehl heute zu uns kam, um uns die besten Pferde wegzunehmen. Meine Kinder sind verloren, und ich kann sie [190] nicht retten. Ihr Tod wird ein schrecklicher sein; denn die Babis pflegt man auf die Weise zu töten, daß man ihnen Löcher in den Leib schneidet, in welche brennende Lichter gesteckt werden. Oh Emir, wüßtest Du, was eine Mutter dabei fühlt!«

Sie vergrub das Gesicht in beide Hände und weinte, weinte laut und bitterlich. Dann ließ sie die Hände plötzlich wieder sinken, warf mir einen halb irren Blick durch Thränen zu und fragte in rauhem Tone:

»Was sagst Du als Christ dazu? Ist Euer Gott auch so grausam wie der Gott, den der Islam lehrt?«

»Es gibt nur einen Gott, den Gott der ewigen Liebe und Barmherzigkeit; der Islam aber kennt diese Liebe nicht; ihn klage an, nicht Gott!« antwortete ich.

»Aber Gott gibt es doch zu, daß meine Söhne unschuldig hingemartert werden! Ist das Liebe und Barmherzigkeit von ihm? Ist das Gerechtigkeit?«

»Hadere nicht mit dem Allmächtigen und Allweisen! Er weiß, weshalb er Dir diese Last zu tragen gibt, und wenn es sein Ratschluß will und Du ihn darum bittest, so werden Deine Kinder gerettet werden.«

»Bitten soll ich? Beten?«

»Ja, beten! Auf den Stufen des Gebetes steige himmelan, so kommt Dir Gott auf den Stufen der Erhörung entgegen. Bete also, bete! Schilt nicht auf seine Ungerechtigkeit, solange Du selbst ungerecht gegen andere Menschen bist!«

»Ungerecht? Gegen wen? Ich weiß nichts davon!«

»Nicht? Wirklich nicht? Bist Du es nicht gegen uns? Was haben wir Dir gethan, daß wir hier als Gefangene vor Dir stehen? Womit haben wir das verdient? Handelst Du etwa gerecht an uns?«

Da ging ein eigentümliches Leuchten über ihr Gesicht. Sie stand auf, that einige Schritte auf mich zu und sagte, indem sie mir mit Spannung ins Gesicht sah:

»Jetzt sollst Du Dich als Christ zeigen und Deinen Glauben verteidigen. Sag' also: Warum gibt es Dein Gott der Liebe zu, daß wir diese Ungerechtigkeit gegen Euch begehen?«

»Vielleicht um Deinetwillen. Du sollst ihn durch uns kennen lernen und dann an ihn glauben. Wenn er will und ich ihn darum bitte, so sind wir frei, sobald es uns gefällt!«

»Das glaubst Du wirklich, bist davon überzeugt?«

»Ja, vollständig überzeugt!«

»So beweise es, daß Ihr frei seid, sobald es Euch gefällt! Gib mir diesen Beweis, oh gib mir ihn, damit ich dann an Deinen Gott der Liebe, der Erbarmung glauben kann! Wenn er Dich aus unseren Händen befreit, so kann er auch meine Söhne erretten!«

»Wirst Du das dann glauben?« – »Ja.«

»Und zu ihm beten?« – »Ja.«

»So bitte ich Dich um ein Versprechen!«

»Laß es mich hören!«

»Versprich mir, daß Du, wenn wir gegen Euern Willen aus unserer Gefangenschaft befreit worden sind, aus vollem Herzen um die Errettung Deiner Kinder beten wirst!«

»Ich verspreche es.«

»Du wirst Dein Wort halten?«

»Wie einen Eid! Aber ich brauche es nicht zu halten; denn kein Gott kann Euch erretten, wenn Ihr Euch weigert, uns das Lösegeld zu zahlen!«

»Denke jetzt, was Du willst; aber ich halte Dich beim Wort! Du sollst sofort erfahren, wie Allah Dich zum Beten zwingen wird!«

Ich zog die Hand aus der Schlinge, drehte mich zu dem Anführer um, welcher noch immer hinter uns stand und versetzte ihm einen Fausthieb gegen die Schläfe, daß er zu Boden stürzte und dort besinnungslos liegen blieb. Im nächsten Augenblicke hatte die Frau meine Hände um den Hals, daß sie nicht rufen konnte. Weiter brauchte ich mich nicht an ihr zu vergreifen, denn sie schloß die Augen und sank ohnmächtig an mir nieder; das Unerwartete meiner That hatte sie über ihre Kraft erschreckt. Ein Griff brachte mich in den Besitz meines auf dem Teppich liegenden Messers, mit welchem ich die Fessel des Hadschi durchschnitt. Hierauf wurde zunächst der Anführer schnell gebunden und ihm ein Knebel zwischen die Zähne geschoben. Eigentlich hätten wir das nun auch mit der Nezaneh thun sollen, aber es widerstrebte mir doch, sie in dieser Weise zu behandeln; fort kamen wir doch, auch [191] wenn sie schnell erwachte. Wir nahmen also so rasch wie möglich alles zu uns, was uns gehörte, stießen mit den Gewehrkolben eine Öffnung durch die Hinterwand der Hütte und krochen vorsichtig hinaus, um vor allen Dingen zu erfahren, wie es auf der vorderen Seite stand. Die Zuschauer hatten sich von dort verzogen; es standen nur noch einige da, welche aber nicht nach unserer Richtung blickten. Wir legten uns also nieder und krochen zwischen den Schneeballsträuchern in den Wald hinein, bis wir von der Hütte aus nicht mehr gesehen werden konnten.

Nun befanden wir uns zunächst in Sicherheit und konnten daran gehen, uns beritten zu machen. Wir gingen parallel dem Waldesrande, glücklicherweise ohne jemandem zu begegnen, weiter, bis wir das nördliche Ende des Lagers erreichten und die Pferde vor uns sahen. Da wir beide Kenner waren, bedurfte es nur kurzer Zeit, um zu sehen, wo die beiden besten standen. Kein Mensch befand sich in der Nähe; es war wirklich ganz so, als ob jemand die Flucht für uns vorbereitet und sorgfältig jedes Hindernis vorher entfernt habe. Wir sprangen hin, stiegen auf und ritten davon, ohne uns umzusehen, zunächst nach Norden, um die Verfolger irre zu machen.

Wir hatten uns noch gar nicht weit entfernt, als uns ein junger Ihlaut entgegengeritten kam. Er hielt sein Pferd an und starrte uns im höchsten Grade verwundert entgegen; ich parierte auch das meinige und gebot ihm in befehlendem Tone: »Wenn Du jetzt in das Lager kommst, begibst Du Dich sofort zur Nezaneh und sagst ihr noch einen Abschiedsgruß von uns. Ich lasse sie an den Gott der Liebe erinnern, zu dem sie innig beten soll; dann wird ihr Wunsch gewiß Erhörung finden. Sage ihr das, und nun reite weiter und beeile Dich!«

Er war so verblüfft, daß er augenblicklich gehorchte, ohne ein Wort zu sagen. Wir galoppierten noch eine Strecke in der bisherigen Richtung fort und bogen dann, als wir festen Boden fanden, welcher keine Spur aufnahm, nach rechts hinüber, wo ein nicht sehr steiler, mit Bäumen besetzter Bergeshang zur Höhe führte. Als wir ihn erreicht hatten, befanden wir uns in vollständiger Sicherheit, weil uns die Bäume die gewünschte Deckung gaben. Bis jetzt hatten wir kein Wort miteinander gesprochen; nun aber, da wir der Steigung wegen die Pferde langsamer gehen lassen mußten, ließ Halef ein munteres Lachen erklingen und sagte:

»Das war ein lustiger Streich, Sihdi! Wir sind frei und haben alles, alles wieder! Deine Faust hat immer noch dieselbe kräftige Sprache wie vor Jahren. Was wird die Umm ed Dschamahl für Augen machen, wenn sie erwacht, und auch der Kerl, den Du niedergeschmettert hast! Wie ihm der Kopf brummen wird! Fast möchte ich zurückkehren, um ihm zu sagen, daß er sich ihn von ihr mit der berühmten ›Salbe der Schönheit‹ einreiben lassen möge! Aber wie kommen wir zu unseren Pferden? Wie erreichen wir Kirmanschah? Wir sind noch nie hier gewesen und kennen keinen Weg dorthin!«

»Darüber brauchst Du Dir keine Sorge zu machen. Man braucht, um sich in einer Gegend zurecht zu finden, sie nicht vorher gesehen zu haben. Du weißt, daß ich einen Ortssinn besitze, der sich nur selten irrt, und hier gibt es glücklicherweise keine Urwälder, in denen man die Richtung verfehlt, weil man vor lauter Bäumen weder den Himmel noch etwas anderes sehen kann. Wenn mich nicht alles täuscht, so kommen wir hier hinauf nach einer Hochebene, jenseits welcher es wieder hinab nach einem Nebenflüßchen des Kara-su geht; dann müssen wir quer über eine Hügelkette, hinter der wir auf dieses Wasser selbst kommen. Ihm brauchen wir nur zu folgen, weil Kirmanschah an seinen Ufern liegt.«

»Wann werden wir diese Stadt erreichen?«

»Nicht eher als morgen früh. Wir müssen im Freien Lager machen.«

»Das ist mir gleichgültig, wenn wir nur etwas finden, was wir essen können. Ich habe viel Hunger und noch mehr Durst.«

Der letztere wurde bald gestillt, weil es hier überall fließendes Wasser gab, und später glückte es uns, eine wilde Ziege zu erlegen, von deren Fleisch wir eine ganze Woche hätten leben können. Auch erwies sich meine Vorhersagung in betreff des einzuschlagenden Weges als richtig. Wir erreichten den Kara-su und machten, als es zu dunkeln begann, in seiner Nähe Halt und zündeten ein Feuer an, über welchem die besten Stücke der Ziege gebraten wurden.

[192] Es versteht sich ganz von selbst, daß unsere Pferde das Hauptthema unseres Gespräches bildeten. Halef war besorgter um sie als ich; es gelang mir aber, ihn leidlich zu beruhigen. Dann kam er auf meine letzte Rede mit der Nezaneh.

»Sihdi, Deine Worte sind mir unbegreiflich gewesen,« sagte er. »Es klang geradeso, als wüßtest Du, daß ihr Sohn und ihr Enkel gewiß errettet werden; woher aber könntest Du das wissen?«

»Ich wußte und weiß auch jetzt gar nichts, doch bin ich zuweilen ein ganz eigentümlicher Mensch, lieber Halef. Es ist, als ob mir Worte, die ich eigentlich gar nicht sagen will, in den Mund gelegt würden, als ob ein zweites Wesen in mir wohne, welches zukünftige Dinge voraussieht und mich anleitet, mich danach zu verhalten. Ich habe nicht den geringsten Anhaltspunkt dazu; aber wenn ich jetzt sagen sollte, ob die Kinder der Nezaneh gerettet oder hingerichtet werden, so würde ich nicht nur sagen, sondern sogar behaupten, daß sie frei sein werden, und zwar sehr bald.«

»Du bist ein Liebling Allahs. Vielleicht hat er Dir einen guten Dschimi el Himajet 33 zugesellt, der Dir das alles sagt und Deine Worte und Deine Thaten lenkt. Ich wollte, ich hätte auch einen oder zwei!«

»Dieser Dein Wunsch ist bereits erfüllt; denn jeder gute Mensch, der sich nicht mit Gewalt von Gott entfernen will, steht in der Hand des Herrn der Heerscharen, der seine Boten sendet, ihre Flügel über ihn auszubreiten. Laß uns zu ihm beten, ehe wir schlafen gehen.«

»Wachen wir abwechselnd?«

»Nein. Ich fühle über mir den Schutz des Himmels. Das ist auch so ein unerklärbares Sehen, Hören und Wissen des Herzens, welches vielleicht noch untrüglicher ist als das Sehen und Hören mit den Sinnen des Körpers. Gute Nacht, lieber Halef!«

»Gute Nacht, mein lieber Sihdi! Weißt Du, Du hast Zeiten, wo jedes Wort von Dir eine Predigt ist. Wenn doch alle Menschen Deinen festen, unerschütterlichen Glauben hätten, dann wären sie auch so glücklich wie ich durch ihn geworden bin!«

Wir schliefen ein und schliefen trotz der nächtlichen Kälte fest und ungestört, bis uns der Morgen weckte. Dann aßen wir wieder und ritten hierauf den Fluß hinab nach Kirmanschah, welches wir nach wenig über einer Stunde auf seinen Hügeln vor uns liegen sahen. Diese Stadt ist eine höchst interessante; ich enthalte mich hier trotzdem aller topographischen Bemerkungen, weil ich sie gelegentlich eines anderen Besuches ausführlicher beschreibe, als es hier möglich ist. 34

Es sah nicht bloß im Innern der Stadt, sondern schon vor ihren Mauern, wo Militär exerzierte, sehr kriegerisch aus. Wir erfuhren auch bald die Veranlassung: Der Schah war wieder einmal auf den Gedanken gekommen, von dem Sultan Bagdad zurückzuverlangen, und unterstützte diese aussichtslose Forderung durch militärische Vorbereitungen, welche freilich das Schicksal hatten, eben nur Vorbereitungen zu bleiben. Ich erkundigte mich bei einem Wekilbaschi, 35 wer augenblicklich der Nasir-i-Schähr 36 sei; er nannte mir einen Särtix, 37 eine hohe Charge, die aber nicht viel zu bedeuten hat, und erbot sich, mich für ein Backschisch zu ihm zu führen und auch anzumelden. Da lernte ich gleich einmal persisch-militärische Zustände kennen; hoffentlich sind sie jetzt besser.

Ich zahlte das Trinkgeld voraus. Der Wekilbaschi ging voran, und wir folgten ihm zu Pferde. Erst jetzt dachte Halef an die Schwierigkeiten, welche wir zu überwinden haben würden, um unsere Pferde zu bekommen. Als er eine darauf bezügliche Bemerkung machte, beruhigte ich, ihn:

»Habe keine Angst, Halef! Ich trage in meiner Tasche einen Firman des Schah-in-Schah, welcher in eigener Gegenwart des Herrschers untersiegelt worden ist. Dagegen kann kein Särtix aufkommen.«

[193] »Woher hast Du diesen Firman? Kennt Dich der Schah?«

»Nein, und ich kenne ihn auch nicht; wir stehen uns also in dieser Beziehung vollständig gleich. Du hast doch meine türkischen Legitimationen gesehen; bessere, als ich hatte und noch habe, gibt es nicht, und doch war ich dem Sultan unbekannt. Aber ich habe einen sehr guten und sehr einflußreichen Freund in Stambul; das ist Mustapha Moharram Agha, der Kapudschi 38 der hohen Pforte; der hat mir die Papiere besorgt; kein Fürst kann wirkungsvollere bekommen. Solche einflußreiche Personen gibt es auch anderswo; man muß die Schliche nur kennen. Persische Firmans sind nicht nur in Persien zu bekommen.«

Wir wurden nach der Mitte der Stadt in den von Muhammed Ali Mirza erbauten Pah-i Takht 39 geführt und warteten da in einem Hofe auf den Feldwebel, der uns anmeldete. Er kehrte sehr bald zurück und brachte uns nach dem Innern, wo er uns vor einem Vorhange bedeutete, einzutreten.



Der Raum, der uns nun aufnahm, war kostbar ausgestattet gewesen, hatte jetzt aber ein sehr abgewohntes Aussehen. Auf einem niederen Divan saß rauchend ein Offizier höheren Alters, in dessen Zügen ich vergeblich nach den Spuren geistiger Thätigkeit suchte. Unsere Namen waren ihm genannt worden; er schnauzte uns hochmütig wegen der ihm bereiteten Belästigung an und fragte dann, was wir eigentlich von ihm wollten. Da zog ich meinen Firman aus der Tasche und legte ihn auf den vor ihm stehenden, höchstens drei Fuß hohen Tisch, auf welchem sich Schreibutensilien befanden. Er griff mißmutig danach, faltete ihn aus einander und – – – sprang schnell auf, legte die Legitimation ehrfurchtsvoll auf die Stirn, verbeugte sich dreimal fast bis auf die Erde und sagte: »Allah segne den mächtigsten der Beherrscher mit hunderttausend Gaben; er vernichte alle seine Feinde und erhöhe alle, die in seinem mächtigen Schutze stehen! Ich bin zu Ihren Diensten, meine Freunde!«

[194] Diese Wirkung hatte das von dem Muhrdar 40 in Gegenwart des Schahs eigenhändig aufgedruckte Siegel hervorgebracht. Ich antwortete in möglichst selbstbewußtem Tone:

»Es ist eine kleine Bitte, um deren Erfüllung ich ersuchen muß. Wir waren gestern Gäste der Idiz von dem Tir der Bachtijaren. Während unserer Abwesenheit kam ein Dästä-i Sävaräh von hier mit seinen Reitern und nahm ihnen zwei und zwanzig Pferde, unter denen auch die unserigen waren. Es sollte mir leid thun, wenn ich bei meiner Ankunft dem hohen Jähan pänah 41 sagen müßte, daß ich sie nicht sofort wieder bekommen habe!«

Das war mehr als unverfroren, das war vielleicht schon frech; aber die beabsichtigte Wirkung trat augenblicklich ein: Der Särtix verbeugte sich wieder so tief, wenn auch nur einmal, und teilte mir mit, daß die Pferde, darunter zwei Rapphengste, für Hamadan bestimmt und vor kaum einer Viertelstunde gelegentlich eines Gefangenentransportes dorthin abgegangen seien; unter den Gefangenen befänden sich zufälligerweise zwei Idiz, Vater und Sohn, die in Teheran als verruchte Babis hingerichtet werden sollten. Wenn ich mich beeile, könne ich den Transport binnen einer Stunde einholen und mir die Pferde zurückgeben lassen; er werde mir den dazu nötigen Befehl sofort ausfertigen.

Ich ging natürlich darauf ein. Während er schrieb, kam mir ein Gedanke, ein so ungewöhnlicher oder vielmehr unsinniger Gedanke, daß ich entschlossen war, ihn gerade wegen dieser Unsinnigkeit auszuführen. Der Särtix war kein Pfiffikus, und ich hatte ihm durch Grobheit imponiert, Grund genug für mich zu der Annahme, daß er in die Falle gehen werde. Ich war nämlich überzeugt, daß die beiden Idiz, von denen er sprach, der Sohn und der Enkel der Nezaneh seien.

Als er den Befehl geschrieben und untersiegelt hatte, las ich ihn durch; er war meinen Wünschen entsprechend; dennoch machte ich ein unbefriedigtes Gesicht und sagte:

»Und Kelat und Scherga? Hoffentlich steckt man sie nicht unter die Soldaten; ich brauche sie!«

»Kelat und Scherga?« fragte er. »Wer ist das? Hasreddihn 42 haben diese Namen vorhin nicht mitgenannt.«

»Nicht? Hätte ich so leise gesprochen? Ich meine die Idiz, welche bei den Pferden sind. Ich kann auf meine Diener nicht verzichten!«

»Kheilih khub – sehr wohl! Sollte man auch diese mitgenommen haben? Ich konnte mich nicht darum bekümmern und habe das alles durch Untergebene thun lassen müssen. Wie könnte dem wohl zur Zufriedenheit abgeholfen werden?«

»Durch einige Worte nur. Hier steht der Befehl, die beiden Pferde an uns auszuliefern; es genügt vollständig, hinzuzusetzen: ›und die beiden Idiz Kelat und Scherga.‹«

»Jäm' baschäd – seien Sie unbesorgt; es wird augenblicklich und genau so geschehen!«

Er schrieb die Zeile nicht dazu, sondern einen neuen Befehl, was mir noch lieber war, da der Zusatz leicht Bedenken erregen konnte, und gab ihn mir. Dann legte er den Firman wieder an die Stirn, verbeugte sich dreimal, segnete den Schah, mich und Halef, gab mir das Dokument, bat mich, beim Qiblä-i 'Aläm 43 seiner in Güte zu gedenken, und begleitete uns unter wiederholten Bücklingen bis an den Ausgang des Zimmers. Im Hofe stand der Feldwebel noch. Ich gab ihm vor Freude, so leicht aus der Löwenhöhle entkommen zu sein, noch ein zweites Backschisch; dann machten wir, daß wir Kirmanschah und seine Luftziegelmauer, die es umgibt, schnell hinter uns bekamen. Als wir hinaus und über die hochgewölbte Pflastersteinbrücke hinüber waren, holte Halef tief Atem und rief aus: »Sihdi, was hast Du gewagt! Du weißt, ich fürchte mich nie; aber als Du die beiden Idiz verlangtest, da wurde mir himmelangst!«

»Mir war es selbst auch nicht viel wohler wie Dir; aber das Siegel des Schah-in-Schah blendete den Särtix. Man sollte nicht glauben, daß ein solcher Leichtsinn möglich sei; aber was man von einem persischen Offizier zu halten hat, kannst Du daraus ersehen, daß es hier im Lande zwei Militärschulen gibt, von denen die eine die abgehenden Schüler gleich zu Majors oder Obersten macht, während die andere der Armee noch nicht einen einigen Offizier geliefert hat. Wer reich [195] ist und Geld zahlen kann, avanciert so hoch, wie die Summe reicht, die er dafür gibt, er mag so dumm sein, wie es ihm beliebt!«

»So war dieser Särtix wohl auch so ein Reicher, dem es beliebte, ganz und gar dumm zu sein?«

»Es scheint so. Jetzt aber müssen wir uns sputen, Halef. Wir haben das Spiel noch nicht gewonnen. Es kommt darauf an, was für ein Mann der Offizier ist, welcher den Transport kommandiert.«

»Hoffentlich ein sehr reicher! Aber Sihdi, wenn er sich etwa weigert, die Pferde oder die Idiz auszuliefern, so helfen wir mit den Waffen nach. Nicht?«

»Ja. Was wir angefangen haben, führen wir auf alle Fälle durch. Komm'!«

Wir jagten, Bisitun zu, auf der weiten Ebene hin, an deren nordwestlichem Ende Kirmanschah liegt; der tiefe Staub des Weges flog in Wolken hinter uns auf. Süßholz und Kameldorn rahmte ihn ein. Links lag die Kette des Tak-i Bostan, rechts drüben eine Art von Dorf, an welchem wir vorüberflogen. Nach vielleicht drei Viertelstunden sahen wir eine Linie von Reitern, ledigen Pferden und Fußgängern vor uns, jedenfalls der Trupp, den wir einholen wollten. Wir erreichten ihn, sausten an ihm vorüber und hielten dann an, mitten im Wege Posto fassend.

Ein Naïb 44 ritt voran, schön sauber gekleidet und mit allen möglichen Waffen theatralisch behangen, höchstens achtzehn Jahre alt. Er war der Kommandant! Jedenfalls eines reichen Vaters Goldsöhnchen.

»Halt!« rief ich ihn an, als er vorüber wollte.

Wir, die wir nicht so schön aussahen wie er und nicht einmal Sättel hatten, schienen gar keinen Eindruck auf ihn zu machen; denn er schnauzte uns mit einer noch halb kindlichen Stimme, die zwischen dem hohen Sopran und dem zweiten Baß bald hinauf- und bald hinunterhüpfte, grimmig an: »Macht Euch auf die Seite! Ich bin Offizier des von Allah eingesetzten und erleuchteten Sillullah!« 45

Da zog ich den Firman aus der Tasche und entfaltete ihn dem herrlichen Recken vor das Näschen. Als er das große Siegel mit den zwei bekannten Versen sah, wäre er vor ehrfurchtsvollem Schreck beinahe vom Pferde gefallen; doch wußte er genau, was er zu thun hatte. Er nahm den Firman auch an die Stirn, verneigte sich dreimal bis auf den Kopf seines Pferdes und erkundigte sich sodann nach meinen Befehlen, wobei er mich Ämir 46 und Hazret vala 47 nannte. Ich nahm ihm den Firman wieder aus der Hand, steckte ihn ein und gab ihm den Befehl des Särtix. Ohne abzuwarten, was er dazu sagen werde, wendete ich mich an die Kolonne und fragte mit lauter Stimme, wer Kelat und Scherga, die beiden Idiz seien. Die zwei Personen, welche hierauf antworteten, waren schwer gefesselt; ich ritt hin und befreite sie von den Eisenstangen, an welche ihre Hände mit Riemen festgebunden waren; sie ritten nicht, sondern hatten laufen müssen.

Inzwischen war Halef von mir gewichen; er saß schon auf seinem Rappen, und nun schwang ich mich auch auf den meinigen; sie waren geführt worden, weil sie niemanden im Sattel gelitten hatten. Beide schnaubten und wieherten vor Freude, uns wiederzusehen. Den beiden Idiz gebot ich, die Pferde zu besteigen, die bis jetzt von uns geritten worden waren.

Das alles hatte sich in der Zeit von kaum zwei Minuten abgespielt. Jetzt kam der Lieutenant zu mir her und erkundigte sich, ob noch weitere Befehle in meinem Belieben seien. Da stach mich der Hafer! Wir hatten mehr erreicht, als uns noch vor kaum zwei Stunden als möglich erschienen war, und nun wurde ich gar nach ferneren Wünschen gefragt! Ich zählte über achtzig Pferde mit zwölf Begleitsoldaten. Waren die zwanzig Pferde der Idiz dabei, so konnte ich sie mir ja wünschen; der Jüngling in Waffen hatte nichts dagegen. Ich erkundigte mich bei Kelat und Scherga und erfuhr, daß die Pferde da seien; sie waren am Zeichen der Idiz kenntlich. Sie wurden aus der Kolonne genommen und dann zu Paaren zusammengekoppelt. Hierauf war ich mit dem Lieutenant fertig. Ich reichte ihm herablassend meine Hand, belobte seinen Eifer um das Wohl des persischen Staatswesens und brachte ihm dann in freundlicher Weise die Überzeugung bei, daß ihm im muhammedanischen Buche des Lebens [196] der gute Rat gegeben sei, nun seines Weges wieder fürbaß zu ziehen. Er nahm sich und seinen Transport eng zusammen, widmete mir noch einige Verbeugungen und ritt dann seinem ferneren Kismet getrost entgegen. Wir aber schlugen, da wir uns in Kirmanschah nicht wieder sehen lassen wollten, uns bei der nächstpassenden Örtlichkeit seitwärts in die Berge.

Ich nahm an, daß die zwanzig Pferde uns in dem schwer passierbaren Gebirge sehr in Anspruch neh men würden, überzeugte mich aber bald vom Gegenteile. Diese Tiere waren gelehrig, folgsam und an solche Wege gewöhnt. Natürlich aber kamen wir nicht so rasch vorwärts wie Halef und ich auf dem Ritte nach Kirmanschah. Um das Lager der Idiz zu erreichen, brauchten wir noch drei Stunden, als es Abend wurde; wir mußten die Überraschung also auf morgen vormittag verschieben.

Kelat und Scherga hatten selbstverständlich alles erfahren. Ich brauchte da kein Wort zu sprechen; mein kleiner, redseliger Halef sorgte schon dafür, daß ihnen nichts verborgen blieb. Sie waren beim heutigen Aufbruche überzeugt gewesen, dem gewissen, qualvollen Tode entgegengeführt zu werden, und wenn sie nach ihrer schweigsamen Weise auch nicht viele Worte machten, so sagte uns doch jeder Blick von ihnen, wie groß und wie aufrichtig die Dankbarkeit war, die sie für uns im Herzen trugen. Wir konnten sicher sein, durch sie die Freundschaft des ganzen Stammes zu erwerben.

Am andern Morgen regnete es; das war mir wegen der Art und Weise, wie ich unsere Rückkehr gestalten wollte, gar nicht unlieb. Der Regen hielt die Ihlauts in ihren Hütten und Zelten zurück und erleichterte uns die unbemerkte Annäherung an das Lager. Am Rande der Hochebene, wo der Berghang sich hinuntersenkte, mußten die beiden Idiz mit den Pferden halten bleiben, um erst eine Stunde später nachzukommen. Wir stiegen unter Bäumen die Lehne hinab, eilten so rasch wie möglich über das Thal hinüber in den Wald und wendeten uns in seinem Schutze nach Süden. Halef freute sich wie ein Kind auf die Überraschung; der liebe Kerl war schon längst nicht mehr zornig auf die Nezaneh. Als wir das Lager von hinten erreichten, schlichen wir uns der Hütte gegenüber, welche der Umm ed Dschamahl gehörte. Das von uns in die Hinterwand gestoßene Loch war repariert.



Es gab einiges Leben im Lager, aber nicht da, wo wir uns befanden. Wir huschten unter den Bäumen hervor und um die vordere Ecke bis an die Thüre, welche nicht fest zu war. Durch die so entstandene Lücke lugend, konnten wir das Innere überblicken. Die Nezaneh war [197] allein, sie kniete mit gefalteten Händen und emporgerichtetem Gesicht an ihrem Lager; ihre Lippen bewegten sich. Ich schob die Thüre auf und trat ein; der Hadschi folgte mir. Sie hörte das Geräusch, blickte zur Seite, sah uns und fuhr mit einem Schrei in die Höhe.

»Du betest?« fragte ich; »zu meinem Gotte der Liebe oder zu Eurem Allah, der nur den Moslem duldet?«

»Zu Deinem Gotte,« antwortete sie, noch immer bewegungslos vor Staunen.

»So hast Du Wort gehalten; ich danke Dir! Glaubst Du, daß er Dein Gebet erhören wird?«

»Ich habe es geglaubt, weil er Euch aus unserer Hand befreite; so konnte er auch meine Söhne retten. Aber Ihr kommt ja wieder! Warum?«

»Wir wollten Dir nur beweisen, daß die Hilfe oft dann am nächsten ist, wenn man sie nicht mehr erwartet. Wir haben uns entfernt, nicht um zu fliehen, sondern um des Lösegeldes willen, welches Ihr verlangt.«

»Ich – – ich – – – ich begreife Dich nicht!« stotterte sie; dann aber eilte sie an uns vorüber zur Thüre, trat hinaus und ließ einen schrillen Schrei erschallen, welcher das ganze Lager in Alarm brachte. Die Ihlauts kamen herbei; sie sammelten sich, alt und jung, groß und klein, vor der Hütte an und hörten mit Erstaunen, daß wir freiwillig zurückgekommen seien. Einige durften herein, unter ihnen der Anführer, den ich niedergeschlagen hatte. Kaum sah er mich, so sprang er auf mich los, um mich zu packen. Ich nahm ihn bei den Armen fest und sagte:

»Streng' Dich nicht an! Wir thun freiwillig, was Du erzwingen willst. Hier legen wir unsere Sachen wieder her, wo wir sie weggenommen haben. Bindet uns; wir wollen wieder Eure Gefangenen sein, bis das Lösegeld gekommen ist!«

Ich breitete den alten Teppich aus, auf welchen wir die Gewehre und alles andere legten; dann wurden wir gefesselt. Das geschah in einer Weise, als ob die Idiz nicht wüßten, ob sie wachten oder träumten. So etwas war ihnen nicht nur noch niemals vorgekommen, sondern sie hätten es, wenn es ihnen erzählt worden wäre, für eine Lüge, für unmöglich gehalten. Großen, wenn auch heimlichen Spaß machte mir dabei das Gesicht meines Halef. Wie gern wäre er herausgeplatzt, wenn er sich nicht vor meiner Mißbilligung gefürchtet hätte! Er sah aus, als ob er explodieren wolle! Die Nezaneh hatte sich auf ihr Lager gesetzt. Da saß sie nun mit ineinander verschlungenen Händen und sah zu, was [198] vor ihren Augen geschah und doch kaum glaublich war. Als wir wieder gebunden worden waren, fragte sie mich, ihren Augen noch nicht recht trauend:

»Effendi, würde jeder Christ sich so verhalten wie Du?«

»Nein, nicht jeder,« antwortete ich; »denn es hat nicht jeder das Glück, der Lehrer einer solchen Schülerin zu sein, wie Du bist.«

»Wie meinst Du das?«

»Das wirst Du erfahren, wenn meine und auch Deine Zeit gekommen ist. Doch, wir können nicht hier bei Dir bleiben; schafft uns also wieder dorthin, wo wir bewacht worden sind!«

Man erfüllte diesen Wunsch sofort. Draußen standen trotz des Regens die Menschen dicht gedrängt. Unser Weg nach der bekannten Hütte war als eine Art von Triumphzug zu betrachten. Am Ziele angekommen, wurden wir genau wieder so angebunden, wie es am ersten Abend geschehen war; auch ein Wächter setzte sich zu uns. Nun lagen wir lauschend still, bis sich einige laute Rufe hören ließen, denen andere und wieder andere folgten, die sich schließlich in ein allgemeines Frohlocken verwandelten. Dann war es wieder still, worauf wir Schritte hörten, die sich eilig näherten. Die Thüre wurde aufgerissen, und die Nezaneh trat ein, gefolgt von ihren Söhnen, welche uns augenblicklich die Fesseln abnahmen. Die Frau stand, vor freudiger Aufregung rot im Gesicht, schnell atmend und mit leuchtenden Augen vor uns und rief: »Effendi, jetzt hast Du bewiesen, daß Du ein Christ bist, ein wahrer, ein echter Christ! Ich glaube an Dich; ich glaube nun auch an Euern Gott der Liebe und der Barmherzigkeit, der meine Kinder durch Dich vom Tode errettet hat! Wir waren Eure Feinde, und doch hast Du sie befreit und mir zurückgebracht. Ja, es ist wahr, was ich Dir nicht glauben wollte und nicht glauben konnte: Du liebst Deine Feinde ebenso wie Deine Freunde. Das ist eine größere, eine heiligere Liebe als jede andere Liebe; die kommt nicht aus der Menschenbrust, sondern direkt von Gott herab; sie ist keine irdische, sondern eine himmlische Liebe; und nun kenne ich den Weg, der zum ewigen Leben führt: Liebet Gott; liebet alle Menschen, ja, liebet sogar Eure Feinde! Ich werde ihn von jetzt an wandeln und nie wieder von ihm weichen! Du warst mein Lehrer im Gebet; Du bist mein Lehrer auch in der Liebe. Sei der Gast Deiner Schülerin, solange es Dir gefällt; denn Dir gehört alles, alles, was ich habe!«

»So bist Du also zufrieden mit dem Lösegelde, welches ich Dir aus Kirmanschah geholt habe?« fragte ich lächelnd.

»Sprich nicht so, Effendi; sprich nicht so! Du hast uns nicht Gold und Silber gebracht, sondern mehr, viel mehr: das Leben meiner Kinder, den Glauben und die Liebe; Du hast mir Gott gegeben und mich ihm! Und solche Männer schleppten wir in die Gefangenschaft und forderten Geld für ihre Freiheit! Ich werde mich dafür anklagen und verurteilen, solange ein Leben in mir ist! Komm', gib mir Deine Hand! Sie ist die liebste, die ich je mit der meinigen berührte. Laß Dich in meine Hütte führen, wo Du wohnst, bis wir Dir eine würdigere errichtet haben!«

»Thut das nicht! Ihr müßt fort von hier! Ihr dürft nicht eher wieder die Nähe von Kirmanschah aufsuchen, als bis der Sand der Zeit die Spuren des gestrigen und heutigen Tages verweht hat.«

»Du hast Recht. Wir brechen morgen früh das Lager ab und ziehen nach Norden bis in die Gegend des Demirludagh, wo uns kein Spruch aus Kirmanschah erreichen kann; aber Ihr zieht mit, als Gäste unseres Stammes, sonst bleiben wir lieber hier und trotzen der Gefahr!«

»Zwei Wochen wollen wir Euch schenken; mehr haben wir nicht übrig; aber am Ende unserer Reise kehren wir vielleicht für längere Zeit zu Euch zurück.«

Das wurde angenommen. Unser Weg zur Hütte der Nezaneh war räumlich ein sehr kurzer; aber es dauerte lange, ehe wir dort ankamen. Die Ihlauts standen trotz des Regens alle im Freien, um uns die Hände zu drücken und irgend ein Freundschaftswort zu sagen. Wir wurden von einer Gruppe der andern zugeschoben; denn diese braven Menschen, welche der Buchgeograph als Halbwilde bezeichnet, besaßen das, was man beim gebildeten Abendländer so oft vergeblich sucht, ein Herz voll echter Dankbarkeit und wahrer, überquellender Liebe.

[199] Als später der Regen aufhörte und die Sonne ihre warmen Strahlen zu unserer Feier spendete, blieb kein Mensch mehr unter seinem Zelt- oder Hüttendache. Das war ein Gaudium für meinen Hadschi! Er schien allgegenwärtig geworden zu sein, denn er war überall zu sehen und zu hören. Er mußte doch meinen – – als Folie zu seinem – Ruhm nach allen Richtungen hin verkünden und aus der Posaune seines beredten Mundes schmettern! Als es Abend geworden war, kannten die Idiz alle Heldenthaten, die wir verrichtet hatten, und noch viele mehr, die ganz nach Bedürfnis in seinem Kopfe entstanden. Da gab es kein Aufhalten, kein Verhindern; ich mußte ihn ungestört reden lassen, denn ich kannte ihn. Er war von fast beispielloser, überfließender Laune. Daß Hanneh, »die herrlichste Blume unter allen duftenden Blüten des Orients«, in den meisten seiner Erzählungen eine hervorragende Rolle spielte, versteht sich ganz von selbst. Als er eben wieder einmal die Unvergleichlichkeit ihrer Vorzüge mit glühender Begeisterung pries, fiel sein Auge auf die eben herbeitretende Nezaneh; das gab seinen Gedanken eine andere, mehr praktische Wendung; er unterbrach sich selbst und warf ihr die plötzliche und ganz unvorbereitete Frage zu: »Also wieviel kostet die Büchse von Deiner Salbe der Verschönerung?«

»Für Dich kostet sie nichts,« antwortete sie.

»Und zwei Büchsen?« – »Nichts.«

»Und zehn Büchsen?« – »Auch nichts.«

»Aber fünfzig Büchsen?«

»Willst Du denn alle Harimat der Haddedihn verschönern?«

»Nur das meinige; aber es kommt doch wohl darauf an, wie sehr schön man es haben will: je schöner, um so mehr Salbe! Würdest Du mir, oh Umm ed Dschamahl, wohl sagen, welcher Offenbarung Du die Zubereitung dieses Segens zu verdanken hast?«

»Ich weiß es nicht anders, als daß ein berühmter Hekim, 48 der ein Vorfahre von mir war, Scheheresade, den Liebling Harun al Raschids, einst von einer tödlichen Krankheit rettete, wofür sie ihm aus Dankbarkeit das Geheimnis ihrer immerwährenden Jugend und Schönheit mitteilte. Er hat es auf seine Nachkommen vererbt, welche alle sehr alt geworden und doch bis in ihre letzten Tage jung geblieben sind. Ich bin alt und dennoch jung; meine Mutter war noch älter, und deren Mutter zählte der Jahre über hundert.«

»Habt Ihr das Geheimnis stets bewahrt?«

»Stets! Es wurde immer kurz vor dem Tode nur der Tochter überliefert. Ich bin die letzte; selbst hier im Stamme ist es außer mir keiner Seele bekannt. Aber Dir, Effendi, würde ich es gern mitteilen, wenn Du es wissen möchtest.«

Sie richtete diese Worte an mich und fuhr in ihrem Eifer fort: »Was ich von Dir empfangen habe, wiegt mehr, viel mehr, als ich Dir bieten kann; also höre! Nimm zwei Teile Ajesva zu fünf Teilen Setaratsch und Dekka; lege es in einen – – –«

»Halt!« unterbrach ich sie lachend. »Willst Du es nur mir mitteilen oder allen, die sich hier befinden?«

»Dir allein!«

»Wenn Du es in ihrer Gegenwart sagst, erfahren sie es ja auch!«

»Nein. Ich habe nur diese drei Namen genannt, die sie kennen, weil sie diese Pflanzen zuweilen für mich sammeln; das übrige hätte ich Dir dann heimlich gesagt. Soll ich?«

»Der Mensch soll alles lernen, was er lernen kann; ja, ich bitte Dich, es mir mitzuteilen!«

Das war ein sehr unvorsichtiges Wort von mir; denn von diesem Tage an bestürmte mich Halef ohne Ermüden mit der Bitte, ihm nun meinerseits das Geheimnis zu verraten, weil er beabsichtige, es seiner Hanneh zu lehren, damit sie für die Haddedihn und den ganzen Stamm der Schammar die »Salbe der Schönheit« kochen könne.

Der nächste Morgen versprach einen schönen Tag und hielt sein Versprechen. Die Zelte wurden abgebrochen, und dann begann die Wanderung, von der ich einstweilen sagen darf: sie nahm einen so außerordentlichen, unvorhergesehenen Verlauf, daß ich ihn meinen lieben Lesern nicht vorenthalten kann und das nächste Mal von ihm erzählen werde. – –

[200]

[Fußnoten]

1 Handelsmann.

2 Plural von Harem und Frau.

3 Salbe der Schönheit.

4 Gabriel.

5 »Mutter der Schönheit«.

6 Stammesabteilung bei den Bachtijaren.

7 Apotheker.

8 Fast vier Mark.

9 Emma.

10 Major.

11 Siehe »Im Reiche des silbernen Löwen«. Deutscher Hausschatz, Jahrgang 24.

12 Rihs Sohn.

13 Blitz.

14 Das Thor.

15 Persisch: Moschusweide.

16 Nomadenstamm.

17 »Herunter!«

18 Mitesser, »Wurm der Haut«.

19 Didahn = Plural von Dud.

20 »Würmer des Gesichtes«.

21 Lager.

22 Kurdisch: Häuptlingin.

23 Perser.

24 40000 Mark.

25 Deutschland.

26 Napoleon den Dritten.

27 Muhammedanerin.

28 Feldmarschalls.

29 Schwadron Kavallerie.

30 Oberlieutenant.

31 Versammlung.

32 Frühlingssonnenwende.

33 Geist des Schutzes.

34 Siehe Deutscher Hausschatz: »Im Reiche des silbernen Löwen«, v. Karl May.

35 Feldwebel.

36 »Verteidiger der Stadt«.

37 Divisionsoberst.

38 Thürhüter, Portier.

39 Residenz.

40 Großsiegelbewahrer.

41 »Zufluchtsort der Welt« = der Schah.

42 Hoheit.

43 »Mittelpunkt der Welt« = der Schah.

44 Lieutenant.

45 »Schatten Gottes« = der Schah.

46 Fürst.

47 Königliche Hoheit.

48 Arzt.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). May, Karl. Einzelne Erzählungen. Die »Umm ed Dschamahl«. Die »Umm ed Dschamahl«. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-3156-4