[64] Das braune Fräulein

Laßt an dem Stock die Lilie,
Laßt Ros' und Holderblüt'
Am Stengel, holde Mädchen,
Und horchet meinem Lied.
Ich sing' zerrissner Treue,
Verlassener Liebe Schmerz;
Euch schmelzen zarte Klagen
Das wehmutsvolle Herz.
Und du, aus tausend Mädchen
Die Frömmste, höre du
Des braunen Fräuleins Klagen
Und ihrem Jammer zu.
Es beb' dein junges Herzchen,
Verborgen jeder List,
Dein junges fühlend Herzchen,
Das ganz nur Unschuld ist.
Wenn durch die bange Saite
Des Fräuleins Seufzer steigt,
Des Fräuleins, das an Treue
Dir holdem Schätzchen gleicht:
O wenn von deinem Auge
Auch nur ein Tränlein fiel',
Gekrönt wär' dann, geheiligt
Wär dann mein Saitenspiel! –
Dort sitz an einer Ecke
Das Fräulein in dem Moos;
Viel helle Tränen rinnen
Herab in ihren Schoß.
Dreimal schickt sie den Knaben
Zur hohen Burg hinan,
Zum Führer blauer Greife,
Dem schönsten Rittersmann.
Die Sonne eilt; sie harret
Lang' unter Glut im Tal:
»Wo bleibst du, holder Ritter,
Du Trost in meiner Qual?«
Doch seht, die Zweige beben,
Es rauschet um den Bach.
»Mein Ritter kommt! Du bist es,
Geliebter Heinrich, ach!«
Geflügelt springt sie, hänget
An seinen Nacken sich,
Küßt froh die braunen Wangen
Und weinet bitterlich.
»Wo bliebst du, meine Ruhe,
Mein bester Trost, so lang'?
Lang' harrt' ich dein im Tale,
Ach, auf der Aue lang.
Denk, unsre stille Liebe
Ist jedermann bekannt!
Mich stoßen meine Freunde
Hinweg mit harter Hand,
Schütz' du mich, holder Ritter,
Mich, die ich elend bin!
Dir gab ich meine Liebe,
Ach, alles gab ich hin« –
[65]
»Sei ruhig«, spricht der Ritter,
»Nur ruhig bis zur Nacht.
Neun Schlösser hat mein Vater,
Betürmt und wohl bewacht.
Reitst mit mir in das schönste,
Vor allem ausgeschmückt,
Sobald vom Sternenhimmel
Die Nacht herunterblickt.« –
»Sollt' ich im Dunkeln fliehen,
O Rittersmann, mit dir?
Im Angesicht der Sonne
Schwurst du einst Treue mir.
O führ' vor allen Augen
Im Hochzeitskranz, beblümt,
Mich aus der Jungfraun Kammer,
Wie's, Liebster, sich geziemt.« –
»Ha, stolzes Fräulein! Glaubst du,
Mit Musik sollt ich dich
Aus deiner Kammer führen
Als eine Braut für mich?
Den Blumenkranz dir flechten
Um das gelockte Haupt?
Dem Mond zur Seit' zu stehen,
Ist Sternen nur erlaubt.
Zwar du bist süß und lieblich
Wie Frühlingssonnenschein;
Doch von dem feinsten Golde
Sieh hier ein Ringelein.
Es funkelt in der Mitte
Ein doppelter Rubin,
Ein Bild der warmen Lippen
Der jungen Raugräfin.
Die mir mit ew'ger Treue
Ihn zum Geschenk heut' gab;
Vom Turme, holdes Fräulein,
Blickt sie nach mir herab.« –
»Was, lieber, holder Ritter?«
Schrie hier das Fräuelein.
»O bei dem hohen Himmel!
Dies kann nicht möglich sein.
Mich, mich willst du verlassen,
Verlassen nun, ach Gott!
Dein armes braunes Fräulein,
Zu aller Menschen Spott?
Nein, nein, es ist nicht möglich,
Daß du mich so betrübst!
Hast doch so oft geschworen,
Daß du mich ewig liebst!
Wirf in die tiefsten Fluten
Den falschen Ring von dir!
Laß, laß mich ihn zerreißen!
Den Ring, den Ring gib mir!«
»Den Ring? Daran denk niemals,
O zartes Fräuelein!
Gleich Zwillingsbrüdern stehen
Zwei Schlösser an dem Rhein.
Solang' an meinem Finger
Der Ring blinkt, sind sie mein;
Drum bitt' ich dich, o Fräulein,
Stell' alles Klagen ein.
Was hilft's, daß ich geschworen!
Dein Weinen kommt zu spät?
Der Wind hat dreingesauset,
Hat alles weggeweht.
Sieh, du bist mir zu Willen,
Du zärtliche Jungfrau,
Sollst blühen und gedeihen
Wie Blumen voller Tau.
Du wohnst in einem Schlößchen,
Schön wie ein Schloß der Lust,
Dein Gast bin ich fein öfters,
Verweil' an deiner Brust.«
Und voller Gram und Jammer
Dreht sich das Fräulein um:
»Du raubst mir meine Ehre,
Mein einzig Eigentum,
Und willst mich nun verstoßen,
Mich, die so schmerzenwund
Dich ewig zärtlich liebet,
Dem Himmel ist es kund.
Hab' ich gleich keinen Vater,
Kein'n Bruder, der die Schmach,
Die du mir gibst, könnt' rächen,
So wird's der Himmel, ach!
»Doch für dich will ich beten,
O Jüngling, höre mich!
Laß von der reichen Gräfin,
Sie liebt dich nicht wie ich.
Ach, wälz' nicht neue Schmerzen
Auf mich, die jammervoll
Die Schmerzen einer Mutter
Ohn' dies bald fühlen soll!«
So schluchzet sie und senket
Sich vor ihm hin aufs Knie.
Es nickt die dunkle Eiche
Und säuselt sanft auf sie.
Durch ihre Locke seufzet
Das Windchen hin und späht
Der Blume nach, die tauig
Von ihren Tränen steht.
[66]
Ach, deine zarten Klagen
Rührt alles, Fräuelein,
Schwellt auf die heischre Quelle,
Erweicht den Kieselstein;
Nur er, der harte Ritter,
Schenkt dir nicht einen Blick.
»O«, ruft sie, »eh' du scheidest,
Sie noch einmal zurück!
Ach, von mir Tiefgekränkten
Geh nicht mit Zorn erfüllt.
O Ritter, wenn du grausam
Mich nicht mehr lieben willt.
Noch einmal diese Stimme,
Die sanft das Herz mir band!
O reich mir noch zum letzten,
Zum letzten mal die Hand!
Dann geh zu deiner reichen,
Geliebten Gräfin hin!
Vielleicht wird dich es reuen,
Wenn ich gestorben bin.«
Du weinest schon, mein Mädchen?
Wisch' nicht das Tränlein ab.
Mehr als die reichste Perle,
Die Indien je gab,
Schmückt sie die warme Wange,
Schmückt sie dein schönes Aug'.
Wie lieb' ich diese Träne
Am seelenvollen Aug'!
Ja, Mitleid, süßes Mitleid,
Vom Himmel stammst du nur,
Vom Angesicht des Schöpfers
Stahl dich einst die Natur.
Des Wilden Herz ist grausam;
Der bessre Mensch allein
Kann tragen fremden Jammer,
Kann fühlen fremde Pein.
Laß, laß die Träne rinnen
Bald stürzet sie hinab;
Lockt tausend goldne Schwestern
In deinen Schoß herab. –
Der wilde Ritter gehet,
Er geht, betrachtet nicht,
Wie nun am Felsen ringend
Des Fräuleins Herz zerbricht.
Stumm sitz sie an der Erde,
Schaut' bang den Himmel an.
»Ach, er geht fort, ich Arme!
Was soll ich fangen an?
Die du an meinem Herzen
So süß und sanfte ruhst,
Du Zeuge meiner Treue,
Daß du mit welken mußt!
Doch besser noch, es decket,
Ach, dein' und meine Schand'
Ein einzigs Grab auf ewig
Im kühlen, weichen Sand.
Einst kämest du, erwachsen:
›Wo, Mutter, ist der Mann,
Den ich soll Vater nennen?
Hab' ich kein'n Vater dann?‹ –
Verstoßen, sagt' ich weinend,
Bist du, o Söhnelein;
Er liegt in andern Armen,
Nennt andre Kinder sein! –
Dann würdest du, durchdrungen
Von Scham und Haß auf mich
Und meinen Wehen fluchen,
Die einst geboren dich.«
So schluchzet sie und stürzet
Voll zärtlichem Gemisch
Von Raserei und Liebe
Ins dunkelste Gebüsch.
Wie eine trübe Quelle
Durch Klippenmoos und bang
Zum schwarzen Tale flüchtet
Im schwermutsvollen Drang;
Wo sie nur irret, fühlet's
Des Schäfers horchend Ohr
Am seufzenden Gemurmel
Vom Weidenbusch hervor:
So fliehet sie drei Tage,
Am vierten steht sie still.
»Hier ist es, wo ich ruhen
Und wo ich sterben will.
Hier unter dieser Buche,
Wo oft bei der Natur,
Beim Himmel selbst, der Falsche
Mir Lieb' und Treu' beschwur.
Einst kommt er mit der Liebsten,
Die er nun zärtlich küßt,
Vielleicht zu meinem Grabe
Und fraget, wem es ist.
Weht, Lüftchen, weht's gelinde,
Daß es das meine sei,
Das Grab des braunen Fräuleins,
Die für ihn starb aus Treu.«
Sie schweigt. Da fällt vom Hügel
Ein heller Glockenschall,
Ein frohes Lärmen hallet
Zurück durchs ganze Tal.
[67]
Von hohen Türmen flosse
Der Harfen Silberklang
Zum Hochzeitsfest der Gräfin
Und ihrem Brautgesang.
Auch rühmten die Trommeten
Des Heinrich's stolze Zier,
Der siegreich sich bezeiget
Im adlichen Turnier.
Der Lilie gleich, die stürmisch
Ein Regen niederschlägt,
Sitzt hinter dunkeln Aesten
Das Fräulein unbewegt.
»Gott, dieses war sein Name,
Dies seiner Stimme Ton!
Du freust dich, holder Ritter,
Und ach, ich sterbe schon.
Ach, ach, dein Mädchen sinket!
Vielleicht denkst ihrer nie!
Vielleicht, daß du sie suchest,
Und nimmer findst du sie!«
So seufzet sie und blicket
Zur hohen Burg und schweigt.
Ihr braunes Auge dämmert,
Ihr Rosenmund erbleicht.
Viel goldne Tränen blinken
Herab in ihren Schoß,
Noch einmal seufzt sie: »Heinrich!«
Und sinkt ins weiche Moos.
Du fällst, o braunes Fräulein
Ein Opfer deiner Treu'.
Schleicht, zärtlichste der Winde,
Vom Blumental herbei.
Faßt auf das letzte Tränlein,
Das ihr im Auge blinkt.
Und tragt's zum Stern der Liebe,
Der tief in Trauer sinkt!
Ihr aber, Mädchen, höret
Das schreckliche Gericht!
Lang' weilt des Himmels Rache,
Doch ewig weilt sie nicht.
Der wilde Ritter sitzet
Am hochzeitlichen Mahl,
Zwar Freuden in den Augen,
Im Herzen Angst und Qual.
»Ach«, denkt er, »die Verstoßne,
Wo mag sie jetzo sein,
Ihr Äuglein Tränen gießen,
Wo jammert sie allein?
Ach! Hab sie doch betrogen.«
Ihn peinigt Angst und Qual;
Zerreißt die Hochzeitkränze
Und flieht hinab ins Tal.
Umsonst der Freunde Flehen,
Der Gräfin banger Blick,
Sein Fräulein sieht er liegen
Und schreit und schlägt zurück.
Ist's tot, das sanfte Händlein,
Das freundlich mich umschlang?
Ha! Tot das zarte Herzlein,
Das dann vor Freude sprang!
»Ha! Freunde, seht ihr's, Freunde?
Mein erstes Weib liegt dort
Erblasset! Wenn ihr's höret,
Ich, ich hab' sie ermord't!
Was soll ich länger schweigen,
Zerreißt mich innrer Schmerz?
Ihr brach ich Lieb' und Treue,
Und dieses brach ihr Herz.
Vollend's nun Höll' und Teufel!«
Er knieet auf die Erd',
Zieht wild und voller Feuer
Sein scharfgeschliffnes Schwert!
»Zerschmettre falsche Herzen
Und Untreu, Donnerkeil!
Hinweg aus meinen Augen,
Die Hölle bleibt mein Teil!
»Ja, süßes, sanftes Mädchen,
Aus Treue starbst du, ach!
Muß grausam dir nun folgen,
Dein Geist, der winket nach ...«

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TextGrid Repository (2012). Müller, Friedrich (Maler Müller). Gedichte. Gedichte. Das braune Fräulein. Das braune Fräulein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-51BA-4