Theodor Mundt
Die Kunst der deutschen Prosa
Aesthetisch, literargeschichtlich, gesellschaftlich.

Tableau des Inhalts

[5] Tableau des Inhalts.
I. Die Kunst der deutschen Prosa.

1. Deutscher Geist und deutsche Sprache. Ihre umgekehrte Entwickelung. Einheit der Sprache mit der Individualität. Vergebliche Versuche einer allgemeinen Sprache. Auf der Individualität ruht alle Kunst der Darstellung ...

S. 1–16.


2. Verhältniß von Sprache und Ge danke. Wilhelm von Humboldt. Die Poesie der Sprache. Bildliche oder etymologische Bedeutung der Wörter. Graff. Grammatisches Ideal. Die Akademieen. Muhamedanische Sprachgesetzgebung. Leibnitz über die Wirksamkeit der Akademieen. Klopstock's Gelehrten-Republik. Verhältniß des Staats zur Literatur. Wünschenswerther Spielraum akademischer Beaufsichtigung in einigen Fällen. Ein Wort von Böckh. Ideal aller Sprache und Darstellung ist bloß der Ge danke. Philosophie des Stils ...

S. 17–39.


[5] 3. Poesie und Prosa. Ursprünglichkeit der Poesie. Entstehung des Metrums aus dem Satze. Höchste Entwickelung des Satzes in der Prosa. Neigung der neuern Literatur zur Auflösung der Poesie in die Prosa. Verhältniß des poetischen und prosaischen Sprachgebrauchs in den antiken und in den modernen Sprachen. Die geistige Bedeutung des Accents in den modernen Sprachen und deren Vortheile für die Prosa. Ein Wort des Grafen Schlabrendorf. Ob die deutsche Sprache früher das Gesetz der Quantität besessen. Verfall der heutigen deutschen Metrik. Neueste Lyrik nähert sich in Heine u.A. dem Numerus der Prosa an. Aufhebung der Schranke zwischen Poesie und Prosa. Hippel's scherzhafte Theorie von Poesie und Prosa. ...

S. 40–48.


4. Allgemeiner Charakter der deut schen Prosa. Nachtheile ihrer gelehrten und wissenschaftlichen Entstehung. Mangel gesellschaftlicher Anlässe. Schreibsprache des gemeinen Mannes in Deutschland. Das latinisirende Wesen des deutschen Stils. Cicero und Ta citus haben eine literarische Bedeutung für die deutsche Prosa. Der ciceronische Schematismus und sein nachtheiliger Einfluß auf die deutsche Schreibart. Boccaccio als Vermittler der ciceronischen Prosa mit den modernen Literaturen. Stil und Charakter des Tacitus. Ob die tacitische Schreibart eine Stufe des Verfalls bezeichnet. Die dichterischen Elemente seiner Sprache und Schreibart. Einfluß auf deutsche Schriftsteller. Die Diction des Tacitus ein uns verwandter Typus. Ob es ein Muster der Schreibart giebt. Ein Wort Wilhelm von Humboldts über die höchste Vollendung des Periodenbaus im Griechischen ...

S. 49–67.


5. Die Prosa der deutschen Conver sation. Heimischer Gesellschaftszustand. Die Geschichte der deutschen Höflichkeitssprache. Flüchtiger Küchenzettel einer normalen Unterhaltung mit allen ihren grammatischen [6] Formeln. Verschiedenheit des Nationalcharakters von seinen traditionellen Ausdrucksformen. Höflichkeit. Ständeunterschiede in der Unsterblichkeit durch die Comparation von selig. Deutsche Gesellschaft und deutsche Sprache. Gesellschaftlicher Gebrauch der französischen Rede in Deutschland. Hang zur Sprachmengerei in der heutigen deutschen Umgangssprache. Die Werke des Fürsten Pückler im modischen Salonstil. Berliner Conversationston in Rahel's Briefen. Grundprinzip der deutschen Höflichkeit. Gesellschaftlicher Gebrauch der Pronomina und Geschichte desselben. Du bis ins funfzehnte Jahrhundert gebräuchlich. Ihr als vornehmere Anrede. Er im sechszehnten und siebzehnten Jahrh. Uebergang in die dritte Person der Mehrheit: Sie. Bedeutsamkeit der Anrede in der Mehrheit. Rückblick auf die Höflichkeit der Römer. Abstracte Sammelbegriffe: Euer Liebden, Euer Gnaden u.s.w. Briefstil. Beeinträchtigung der Umgangssprache durch den vorherrschend geistigen Charakter der deutschen Sprache. Trennung der intellectuellen Anschauung und der populairen Umgangssprache in Deutschland. Die französische Sprache kennt diesen Unterschied zwischen populairem und ideellen Ausdruck nicht. Verhältniß der deutschen Sprache zum wirklichen Leben, im Widerspruch mit einer Bemerkung von Leibnitz. Ein Wort Karl's V. über die deutsche Sprache. Weltliterarischer Verkehr der deutschen Sprache. Schönere Perspectiven für unsere Gesellschaftssprache. Die verschiedenen Perioden des Conversationstons. Die geistreiche Manier des gegenwärtigen Umgangs. Sociale Einflüsse auf die Sprache, in Deutschland und Frankreich. G. Sand ...

S. 68–103.


6. Satzbildung ist das gestaltete Leben des Gedankens. Lange Perioden. Menschlicher Gehörsumfang. Pausen des Gedankens. Verschiedene Tonarten der Darstellung, langsame und schnelle, epische und drastische. Unterschied der französischen und deutschen [7] Periodenbildung. Eine Bemerkung des Grafen Schlabrendorf. Absolute Constructionen der deutschen Sprache. Wiedereinführung der absoluten Genitive aus dem Altdeutschen, ein Project Radlofs. Die sogenannten homerischen Genitive. Voß, Bürger und Klopstock. – Einheitlichkeit der Scene im Satze. Einschachtelungsmanier. Zwischensätze. Athemabtheilung des Gedankens. Französirender Stil bei einigen neueren Schriftstellern ...

S. 104–115.


7. Schönheit der Prosa. Rhetorischer Charakter der bisherigen Stillehre. Veraltete Klingprosa. Gefallsucht des Stils. Ob die Vollendung des Stils in der Wahrheit oder in der Schönheit beruht? Die Phantasie als Element der Satzbildung. Der Stil die Plastik des Denkens. Der Satz ein vollständiger Lebensorganismus. Situation von Subject und Prädicat. Der Stil ist die Sache. Subjektivität des jean-paul'schen Stils. Verschiedener Tonfall der Schreibart zu verschiedenen Epochen. Numerus der Prosa. Der Rhythmus im Verhältniß zur Dialektik des Gedankens. Arsis und Thesis des Satzes, Hebung und Senkung des Gedankens. Die rhythmische Absichtlichkeit widerstrebt dem geistigen Charakter der Prosa. Nachahmungen des oratorischen Numerus bei Cicero. Wohllaut der Prosa. Eigenthümlichkeit der englischen Satzbetonung. Französische Prüderie des Wohlklangs. Eine Lächerlichkeit von Rousseau. Die rauhen Noten in der deutschen Sprache ...

S. 116–129.


8. Correctheit des Stils. Gleichniß mit der Tugend. Französischer Gartengeschmack. Tadelhaftes Bestreben nach Deutlichkeit der Schreibart. Correctheit der Beiwörter. Katachresen. Ob laute Thränen weinen, eine Katachrese sei? Andere Beispiele: amorous sojourn, aus Shakspeare; ver liebte Grillen; wohlschlafende Nacht; Schiller's vorhabende Spazier fahrt im Geisterseher. [8] Wahl der Beiwörter. Jean Paul über die Poesie der Beiwörter. Die stilistischen Figuren, und ihre Verweisung aus der heutigen Prosa ...

S. 130–137.


9. Verhältniß von Poesie und Prosa in der heutigen modernen Litera tur. Uebergang der Literatur in die Prosa. Ob das Poetische der heutigen Prosa eine Entartung derselben? Wendung der Untersuchung zur Ge schichte der Diction. Verlorengegangene Einfachheit der Schreibart. Einflüsse der Bildung und Richtung jeder Zeit auf den Stil. Schriftsteller der geistreichen Diction. Geistreichheit der Beiwörter. Bürger gegen Klopstock hinsichts der poetischen Behandlung der Sprachformen. Klopstock über prosaische und poetische Wortstellung. Der Inhalt, als Meister des Stils, setzt der Diction allein Gränzen. Der Stil des Inhalts. Der Stil, und der Griffel der Weltgeschichte ...

S. 138–144.

II. Die Geschichte der deutschen Prosa.

1. Die Bibel und die Canzlei als die beiden hauptsächlichsten Lebensquellen deutscher Sprache und Darstellung. Mischung von Canzleiton und Bibelsprache, wichtig für die Gestaltung der ersten Prosa. Verhältniß der deutschen Sprache zur Kirche: ihre erste Bildungsstufe im carolin gisch-fränkischen Zeitalter. Latinisirende Wendungen und Nachahmungen unter Karl dem Großen. Lateinisches Element der christlichen Kirche. Alle Vortheile der antiken Constructionen in der ältesten Gestalt unserer Sprache. Proben der damaligen Diction. Zeitalter der schwä bischen Kaiser. Sprachfrühling der [9] deutschen Nation im Minnesang. Einfluß des Ritterthums auf die Sprache. Die Zeitverhältnisse des Jahrhunderts bilden Grammatik und Sprache. Mittheilung ausgezeichneter Formen. – Geschichtliche Veränderungen des deutschen Lebens. Städtische und bürgerliche Epoche. Bildung der deut schen Canzleisprache, die ersten Anfänge einer prosaischen Gesammtspra che für die Nation. Provinzielle Zersplitterung der Dialekte. Oberdeutsch und Niederdeutsch. Sachsen- und Schwabenspiegel. Das Zeitalter der Prosa regt sich in der Sprache wie in den Zuständen. Veränderungen der Sprache. Erste Gegenüberstellung von Poesie und Prosa. Romantische Prosa der Volksbücher ...

S. 145–164.


2. Einfluß der Mystik auf die Bil dung der Prosa. Johann Tauler, der Minnesänger der Prosa. Erste Anregung des speculativen Wesens der deutschen Sprache. Die Sprache der mystischen Anschauung. Gestaltung der ersten Prosa, die der Poesie ebenbürtig. Geistige Bildung des Publikums zu Tauler's Zeit. Tauler's Sprache. Wörter mit den Endsylben keit und heit. Neue Wortschöpfungen der Mystik. Der doppelte Text der Tauler'schen Predigten. – Die Nonne Maria Ebnerin, und ihr geistliches Liebesverhältniß mit Heinrich von Nörd lingen. – Otto von Passau's güldener Thron. – Philosophische Ausdrucksfähigkeit der damaligen Sprache. Eine theosophische Abhandlung aus dem vierzehnten Jahrh. – ... S. 165–178. Mittheilung aus einer Predigt von Tauler: das Joch Christi ...

S. 179–187.


3. Ausdruck des städtischen und wirklichen Lebens im funfzehnten Jahrhundert. Johann Nothe's thüringische Chronik. Die baierische Chronik Johann Thurmayers, genannt Aventinus. Diebold Schilling's Chronik der burgundischen [10] Kriege. Albrecht von Eybe's Ehestandsbuch. Mittheilungen daraus. – Barocker Mischcharakter des Jahrhunderts, in seiner Schreibart abgeprägt. – Geyler von Kaysersberg. – Welthistorische Elemente des funfzehnten Jahrhunderts. – Bedürfniß einer allgemeinen Schriftsprache. ...

S. 188–203.


4. Bildung der neuhochdeutschen Gesammtsprache. Oberdeutsch und Niederdeutsch. Erste Vermischung der Mundarten in der Canzleisprache des deutschen Reichstags. Luther, Gesetzgeber und Re formator der neuhochdeutschen Gesammtsprache. Anknüpfung seiner Bibelsprache an die sächsische Canzlei. Die deutsche Bibel als Volksbuch. Vergleich ihres Einflusses mit dem homerischen Epos. Einwirkung der deutschen Bibelsprache auf die Sprachvereinigung aller Stämme. Luther's Bibeldiction färbt das deutsche Privatleben. – Das Neuhochdeut sche als der protestantische Dia lekt. Wirkungslosigkeit der katholischen Bibelübersetzungen. Der protestantische Dialekt dringt auch in den Katholizismus ein. Unterschied der Bibelsprache Luther's von seinen katholischen Vorgängern, an einer Gegenüberstellung Luther's und Otmar's gezeigt. – Allmählige Entstehung der Bibelübersetzung Luther's. Seine Sprachbemühungen, sein Zurückgehen auf Ausdrücke des wirklichen Lebens. Das Grammatische in der Sprache Luther's. Frühere Hinneigung bei ihm zum Oberdeutschen. Seine Verwandelung oberdeutscher Laute und Flexionen in sächsische. Luther kennt das Wort Körper noch nicht. Geist in der mystischen Terminologie. Beziehung der Stände in Luther's Bibelsprache. Benennung des weiblichen Geschlechts, Magdthum, Magd, Jung frau, Mägdlein, Dirne, Weibsbild. Vorschlag zur Ausrottung der Frauenzim mer. – Das Dichterische in der luther'schen Bibelsprache. Einheit von Poesie und Prosa, als Grundlage der neuhochdeutschen Gesammtsprache, die aus der Bibelsprache hervorging. [11] Numerus und Tonfall in Luther's Sprache. Verse und Reime in der Bibel. Ueber eine gereimte Stelle in der Genesis. Die Modernisirung der luther'schen Bibelsprache. Bedeutsamkeit ihres rhythmischen Charakters zu bewahren. Conflict der modernen Prüderie mit Luther's argloser Bezeichnung des Natürlichen Luther's Derbheiten und die Katholiken seiner Zeit. – Luther's eigne Schriften, weniger gebildet und gediegen. Probe aus einer Predigt über die letzten Posaunen, und aus einem Brief an Salatin ...

S. 204–239.


5. Die Reformation macht die Ver einheitlichung der deutschen Mundarten zu einer geschichtli chen Thatsache. Literarischer Gesammtdialekt. Die neuhochdeutsche Verschmelzung des Ober- und Niederdeutschen als Grundlage der Prosa. Ueber die literarische Anwendbarkeit der Dialekte. Gebrauch der verschiedenen Mundarten in der griechischen Tragödie, im indischen Drama, italienischen Lustspiel und bei Shakespeare. Deutsche Mundarten auf Volkstheatern und in Volksliedern. Ueber künstliche Versuche zur Wiederbelebung der deutschen Dialekte. Sprachschatz der deutschen Nation in der Sprüchwörtersammlung des Johannes Agricola. – Bildung der philosophischen Diction durch Sebastiang Franke. Proben aus seinen Schriften. Anmerkung über die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Anmuth. – Die Bildung der deutschen Künstlersprache in Albrecht Dürer's Werken. – Johann Fischart und die Sprache des deutschen Volkshumors. Proben seiner Diction. Fischart als Vater des deutschen Hexameters. – Einfluß der Reformation und der theologischen Polemik auf die Sprache, namentlich auf die prosaische Satzbildung ...

S. 240–266.


6. Siebzehntes Jahrhundert. Allgemeine Bemerkung über die Schwankungen der deutschen Culturgeschichte. [12] Rückgängige Bewegungen der deutschen Bildung im 17. Jahrh. Einfluß des dreißigjährigen Krieges auf Sprache und Sitten. Wie Leibnitz die Sprachverwirrung seines Jahrhunderts schildert. Leibnitzens Stellung zur Sprache. Die Trennung der Stände spaltet sich auch in verschiedene Organe der Sprache. Die deutsche Aristokratie drückt sich französisch aus. Das Latein als vornehmes und privilegirtes Organ für die deutsche Wissenschaft. Deutsche Dichter in lateinischen Versen. Jacob Balde's lateinische und deutsche Poesieen. Das Deutsche erhält sich zu dieser Zeit im Munde des Bürger- und Handwerkerstandes und bildet sich hier für das praktische Leben. Barocke Vermischung aller dieser Sprachelemente im Umgangsleben dieses Jahrhunderts. Mittelstellung Leibnitzens in den Verhältnissen dieses Jahrhunderts. Als Weltmann und Gelehrter bedient er sich des Lateinischen und Französischen zugleich, als Patriot sucht er auf die Muttersprache zu wirken. – Nachtheile der Französirung des deutschen Idioms in grammatischer Hinsicht. – Die philosophische Prosa Jacob Böhme's in den Verhältnissen dieser Zeit. – Erste nationale Rückbewegung durch Christian Thomasius, der das Deutsche wieder zum Organ der deutschen Wissenschaft zu erheben sucht. – Einwirkung der Wolfischen Philosophie auf die deutsche Sprache und die Bildung der Prosa. Die faßliche und logische Behandlung der deutschen Schreibart wird durch sie angeregt. – Die productive Literatur dieses Zeitraums. Martin Opitz. Er begründet die Herrschaft der Correctheit in der deutschen Darstellung. Sein Studium der älteren deutschen Sprachquellen. Neue Wortbildungen und Zusammensetzungen in seinen Schriften. Opitzens Verdienste in der Prosa. Sein Aristarchus. Eine Stelle daraus über den Zustand der deutschen Sprache. Der Canon des opitzischen Geschmacks in seiner Abhandlung von der deutschen Poeterei. Bemerkungen daraus über Reinheit [13] und Schönheit der deutschen Darstellung. – Die Sprachgesellschaften des 17. Jahrhunderts. Ihre Wirkungslosigkeit für die deutsche Literatur. Versuch, durch dieselben die Stände wieder anzunähern. Der Satiriker Schuppius über die Bestrebungen dieser Gesellschaften. Grammatische Anregung der deutschen Sprache durch die literarischen Gesellschaften. Lexicalische und grammatische Arbeiten von Schottel und Stieler. Trennung von Poesie und Prosa in diesem Jahrhundert. Die Poesie hat in der Metrik feste Schranken angenommen. Der Prosa fehlt das höhere gesellschaftliche Bedürfniß. Serviler Charakter der damaligen Schreibart. – Die zweite schlesische Dichterschule. Sie trägt dazu bei, die Trennung von Poesie und Prosa aufzuheben. Lohenstein's Roman Ar minius und Thusnelda. Charakter der hoffmanns-waldau-lohensteinischen Diction. – Nachahmer dieser Schule. Ziegler's asiatische Banise. Die Romane des Herzogs Anton Ulrich von Braunschweig. – Romanenliteratur dieses Jahrhunderts, besonders nach ihrer Sprache. – Die Wirklichkeit des siebzehnten Jahrhunderts im Gegensatz zu der phantastischen Romanwelt. Die Wirklichkeit steht verlassen von der Poesie und der Sprache. – Eigenthümliche Erscheinungen, die sich an die heimathliche Wirklichkeit lehnen: Der Roman vom Simplicissi mus. Die orientalische Reisebeschreibung des Adam Olearius. – Eine Mischform aller Elemente dieses Jahrhunderts in Abraham a Sancta Clara. – Die Satire dieser Zeit. Mo scherosch, verglichen mit Pater Abraham. Joh. Balthasar Schuppius ...

S. 267–311.


7. Achtzehntes Jahrhundert. Rationalistische Aufklärungsperiode für den deutschen Stil. Hinstreben der Zeit nach correcten und regelrechten Formen. Die galante und geistlose Partei, Bohse, Hunold und Postel, als Vorgänger Gottscheds. Gottsched [14] und seine Frau Louise Adel gunde Victorie Gottsched. Sein Revolutionstribunal der Correctheit in Leipzig. Gottsched's Zusammenhang mit der wolfischen Philosophie. Die Art, wie Gottsched eine neue Einheit von Poesie und Prosa gründet, indem er Alles prosaisch macht. Gottsched vergreift sich am deutschen Hanswurst. Bedauern über Louise Adelgunde Victorie, daß sie an Gottsched gerathen war. Die Trefflichkeit ihrer eigenen Briefe. – Gottscheds Verdienste um die Reinheit der Diction. Ein Wort Herders über Gottsched. Gottsched's Kenntniß des Altdeutschen. Sein Kampf mit den Schweizern Bod mer und Breitinger. Bodmer studirt die Minnesängersprache. Wirkung seiner Uebersetzung Milton's. Die Persönlichkeit Bodmer's. Breitinger's kritische Dichtkunst. Schwalbenvorboten der schönern Poesie in Haller und Hagedorn. Haller's Romane. Die Satire dieses Jahrhunderts gegen Gottsched. Rost's Epistel des Teufels an Gottsched. Liscov, der größte Satiriker des achtzehnten Jahrhunderts. – Bedürfniß eines productiven Genius, um neue Nationaltypen für Sprache und Geschmack hinzustellen. Klopstock. Er ist das Genie der Sprache in diesem Jahrhundert. Seine Diction ist eine Combination der deutschen Elemente mit den römischen und griechischen Sympathieen der klassischen Bildung. Klopstock's polymetrische Behandlung der deutschen Sprache. Herder's Ansichten darüber in den Fragmenten zur deutschen Literatur. Die Messiade und Gottsched. Klopstock's poetischer Stil. Die Verschlungenheit seiner metrischen Strophen und deren Einfluß auf die prosaische Satzbildung. – Die allgemeine Sprachgährung dieser Zeit. Friedrichs des Großen Verhältniß zur deutschen Sprache. Die Abhandlung de la litérature allemande. Eine Bemerkung von F.A. Wolf. Klopstock über Friedrich den Großen. Friedrichs Vorschläge zur Verbesserung der deutschen Schreibart. Anhängung des A[15] an die Verba auf – en, sagena, für sagen, u.s.w. Eine Bemerkung von Schlei ermacher über Friedrichs sprachliche Bildung. – Schreib- und Gedankenfreiheit unter Friedrich dem Großen als die Grundelemente alles guten Schreibens und Darstellens ...

S. 312–340.


8. Verhältniß der von Klopstock gegründeten Dichtersprache zur Prosa. Die Eigenthümlichkeit der klopstock'schen Prosa. Einfluß der deutschen Wochen- und Monatsschriften auf die Bildung der Prosa. – Lessing als Genie der Prosa. Charakteristik seines Stils. – Plastische Gestaltung des deutschen Stils durch Winkelmann. – Befähigung der deutschen Prosa, der poetischen Anschauung mit aller Freiheit zu dienen. Einheit von Poesie und Prosa und deren erste harmonische Verschmelzung im Werther. – Her der's poetisirende Prosa. – Goethe, nach Sprache und Stil charakterisirt. Das radicale Element im Werther. Die aristokratischen Einflüsse der Gesellschaft im Wilhelm Meister und den Wahlverwandtschaften. – Die übrig blei bende Gränze zwischen Poesie und Prosa ...

S. 341–352.

III. Die literarischen Gattungen der Prosa.

1. Die Bedeutung der Prosa für Leben und Gesinnung. Der Roman, als die vorzugsweise ausgebildete Kunstform der Prosa. Die Verschmelzung der poetischen Formen im Roman. Die Prosa des Romans als das vereinende Gesammtorgan aller Zustände. – Das Märchen als Ideal in seiner mythischen Verhüllung. Märchenstil. Unterschied vom Romanstil. [16] Die Auseinanderlegung der Wirklichkeit im Roman im Verhältniß zum Ideal. – Gellert's schwedische Gräfin, und die Wirklichkeit des deutschen Lebens. – Rabener und die galante Conversationssprache seiner Zeit. – Werther und die bürgerliche Sprache und Einrichtung des Lebens. Ob der Werther hätte in Versen geschrieben werden können. – Wilhelm Meister und die bürgerliche Lebensprosa. Streben dieses Romans nach einer idealen Prosa der Wirklichkeit. – Verhältniß der Novelle zum Roman. Verschiedenartigkeit ihrer Lebensanschauung. Prismatische Zusammendrängung der Novellendarstellung. Die Novellen in neuester Zeit der Mittelpunct für die productive Literatur der Prosa. Der neuere poetische Novellenstil und die jean- paulsche Diction. Tieck, sein Novellenstil, seine Ansicht von der Bedeutung der Novelle, und ihrem Verhältniß zur ethischen Weltordnung. – Jean Paul's Stil. – Leopold Schefer. – Die Anwendung der Prosa im Drama. Gebundenheit des griechischen Drama's an seine Rhythmen. Das jambische Sylbenmaß des Dialogs, eine Annäherung an die Prosa des wirklichen Lebens. Hinneigung des modernen Drama's, die metrische Gebundenheit zu durchbrechen. Wechsel von Prosa und Poesie bei Shakspeare. – Vorwalten des poetischen Numerus in der Recitation auf der deutschen Bühne. – Iffland. Lessing's dramatische Prosa. Der Jambus im Nathan. – Prosa der bürgerlichen Gemälde Iffland's. – Die Prosa in Schil ler's ersten Dramen. Der declamatorische Charakter seiner späteren Form und sein Verhältniß zur deutschen Bühne. – Tieck's Prosa in seinen romantischen Dramen. – Goethe's Schwanken zwischen Poesie und Prosa im Drama. Die Iphigenia. Auseinanderfallen der poetischen und prosaischen Elemente im Egmont. Die coupirte Prosa im Götz von Berlichingen. – Der dramatische Schlagstil bei Lenz. – Anempfehlung der Prosa für die gegenwärtige deutsche Bühne ...

S. 355–371


[17] 2. Verhältniß der Prosa zur Weltbil dung und den gesellschaftlichen Bedürfnissen. Die gesellschaftlichen Mittel zur Bildung der deutschen Sprache. Einwirkung der Frauen. Garçonartiger Charakter der Schreibart bei einigen Schriftstellern. – Einfluß Wieland's und Thümmel's auf weltmännischen Atticismus der deutschen Darstellung. Erste productive Verarbeitung des französischen Elements in der deutschen Bildung durch Wieland. Thümmel's höher gebildete Prosa. Gebildeter Cynismus in deutscher Sprache. – Fürst Pückler. Verglichen mit Thümmel. – Die gesellschaftliche Bildung und Gesinnung in Goethe's Schreibart. Seine Behandlung des Zweideutigen. Parallele zwischen Thümmel, Pückler und Goethe. – Goethes Diction und der Einfluß seines Naturells auf die Schreibart. – Sprachmischung bei Goethe, Thümmel und Pückler. Ueber das Anstößige im Französischen und im Deutschen. – Eine Bemerkung von Leibnitz über die Rechtschaffenheit der deutschen Sprache. – Ob die deutsche Sprache keuscher ist als die übrigen. – Schriftsteller, die Weltbildung und feinen Gesellschaftston ausprägten. Justus Möser. Zimmermann, ein Opfer der Eitelkeit auch im Stil. – Peter Helfrich Sturz. – Varnhagen von Ense. Sein Verhältniß zum Goethe'schen Stil. Selbstbekenntnisse über seine Schreibart, in Bezug auf eine Bemerkung von Gutzkow über Laube. – Eduard Gans. Rumohr. – Gesellige Seite des deutschen Lebens in der Literatur der Brie fe. – Der Dialog. Solger. – Herausbildung des individuellen Nationallebens in der Be redtsamkeit. Die Beredsamkeit der deutschen Kanzel. Eine Bemerkung von Herder gegen die ciceronianische Affectation der deutschen Kanzelredner ...

S. 372–393.


3. Verhältniß der Prosa zur Wissen schaft. [18] Der wissenschaftliche Geist ist ebenfalls einer hohen und ursprünglichen Diction fähig. Begründung der wissenschaftlichen Diction durch Plato und Aristoteles. – Die Prosa der deutschen Gelehrsamkeit. – Phantastischer Charakter der wissenschaftlichen Prosa bei Görres. – Moderne Ableger der platonischen Dialektik in Schlei ermacher's Sprache. – Wissenschaftliche Diction Wilhelm von Humboldt's. – Alexander von Humboldt. – Die Sprache der Wissenschaft ist abhängig von der Speculation. Die Sprache der deutschen Philosophie. Ihre Ermangelung eines nationellen Gepräges. Der Krebsschaden der scholastischen Terminologie. Fichte, Kant, Schelling. Hegel's philosophischer Stil. – Talent für wissenschaftliche Popularität bei Karl Rosenkranz. – Inwieweit der Inhalt der Philosophie zu einer populairen Form ausgebildet werden kann? – Schelling durch seine poetische Natur der philosophischen Popularität am nächsten. – Schillers philosophische Abhandlungen. – F.H. Jacobi. – Ha mann. – Widerstreit eines zu gleicher Zeit poetischen und philosophischen Naturells in Hip pel. – Die Geschichte. Die histori sche Prosa in Deutschland. Der nationelle Takt der antiken Geschichtschreibung. Nachahmungen des Alterthums in Deutschland. Johannes von Müller. Seine Schreibart ein Mischproduct der Alten und der Engländer. Ueber das Verhältniß Müllers zum Tacitus. – Thomas Abbt. – Ranke. – Leo. – Varnhagen von Ense's biographischer Stil. – Die poli tische Prosa. Ermangelung eines Volksbuchs für die moderne Politik. Das preußische Landrecht, als politisches Volksbuch von Friedrich dem Großen beabsichtigt. Verdienste Hardenberg's um eine klare und schöne Gesetzabfassung. Die zähen Traditionen des Canzleistils. – Publizisten. Friedrich von Gentz hebt die Prosa der Kabinette auf eine künstlerische und ideale Höhe. [19] – Einflüsse der politischen Wirren auf die kriti sche Schreibart mehrerer Schriftsteller. – Die ästhetisirend kritische Manier der Schlegel'schen Schule. A.W. Schlegel. Fr. Schlegel. Franz Horn. Praktischere Bewegungen der neuesten Kritik. – Varnhagen von Ense. Karl Rosenkranz. Heinrich Laube. Gutzkow. Kühne. Wienbarg. Wolfgang Menzel. Heine. Börne. – ...

S. 394–415 [20]

1. Die Kunst der deutschen Prosa

1.

Unsere »Haupt- und Heldensprache«, wie Leibnitz die deutsche nennt, hatte außerordentliche Tapferkeit in ihrer Entwickelung zu beweisen viele Gelegenheit. Die umwandelnden Jahrhunderte haben an dem spröden Korn ihres Urgesteins fortwährend gerieben und zerbröckelt, und die seltensten grammatischen Vorzüge ihrer Jugend, wodurch sie mit den antiken Sprachen wetteifern konnte, sind an ihr verblichen. Ein ähnliches Bild grammatischer Zerstörung, die parallel läuft mit dem höchsten Drang geistiger Entfaltung, möchte nicht aufzufinden sein, denn nur die deutsche Sprach- und Culturgeschichte zeigt diesen Contrast einer umgekehrten Entwickelung, wonach die Sprache erst im Greisenalter ihrer Formen dem ausgebildetsten Inhalt dient und von diesem geistige Mittel der Darstellung, innere Plastik des Gedankens, empfängt: eine neue Epoche [3] geistigen Reichthums, nach Untergang der Naturstufe, auf der sie einen grammatischen Reichthum von Wendungen, Gefügen und organischen Eigenschaften besaß, die heut vergeblich zurückgewünscht werden.

Deutscher Geist und deutsche Sprache standen immer in einer seltsamen Gegenwirkung, und haben noch nicht seit lange ein befriedigendes Wechselverhältniß zu einander erreicht. Die deutsche Wissenschaft, die sich lateinisch ausdrückte, das deutsche Gesellschaftsleben, das italienisch und französisch redete, das poetische deutsche Volksherz, das die heimathlichen Laute bald keck hervorquellen ließ, bald auch wieder wie stumm werdend verlernte, dies waren verlegene Zustände einer Nationalbildung, die nur so lange möglich sind, als eine Nation noch nicht eine eigenthümliche Summe origineller Weltanschauung in ihrem Vermögen hat. Ist sie aber einmal zu dieser gelangt, so ist auch eine scharf geprägte Individualität in ihr fertig, welche sich jeder sprachlichen Fremdherrschaft von selbst widersetzt und einen eignen Haushalt und Heimathsheerd ihrer Nationalsprache für alle Lebensbeziehungen [4] verlangt und feststellt. Ob der Deutsche im Fortgang seiner Geschichte an historischer Individualität verloren oder gewonnen habe, davon soll hier die Rede nicht sein. Aber in seiner Weltanschauung hat sich etwas entschieden Deutsches immer reichhaltiger individualisirt, wenn nicht durch historische, doch durch speculative Elemente getragen, und diese in ihre Blüthe getretene innere Persönlichkeit hat eine schon ergraute, in ihren Formen abgeplattete und so oft treulos preisgegebene Sprache wieder zu neuem Lebensgebrauch an sich heraufgerankt. Die anerkannte und erwiesene Nothwendigkeit der deutschen Sprache für den deutschen Geist dauert noch nicht viel länger als ein Jahrhundert. So jung ist das harmonische Bündniß zwischen unserer Stammsprache und Nationalcultur, während noch die Lyriker des siebzehnten Jahrhunderts zur Abwechselung auch als Nachtigallen Latiums sich gebärdeten, und Leibnitz, der von der deutschen Sprache groß dachte und schrieb, doch seine eigensten und innersten Gedanken nur lateinisch oder französisch ausdrückte.

Alle Sprache, alle Fähigkeit der Darstellung, [5] ist auf die Individualität zurückzuführen. Der Ursprung unserer Sprache hat dieselbe Geschichte, wie der Ursprung unserer Gedanken. Beide liegen im Individuum, und das Individuum selbst ist nichts und nichtexistirend ohne sie. Es wäre schwierig zu sagen, was das Individuum noch sei, außer seiner Sprache und seinen Gedanken, die, gegen einander selbst unzertrennlich, zusammen den Bast und das feste Gewebe der Persönlichkeit ausmachen. Bei den Stummen muß eine innere Sprache, die ihnen im Stillen die Seele bewegt, angenommen werden, weil ein menschliches Dasein ohne Sprache undenkbar ist. Die Sprache entsteht aus der Individualität, oder sie ist vielmehr diese selbst, und mit diesem Gesichtspunkt schließt man alle so vielfältig und wunderlich angestellten Untersuchungen über den Ursprung der Sprache. Süßmilch führte im vorigen Jahrhundert den Beweis, daß der Ursprung der menschlichen Sprache göttlich sei, und Herder widerlegte ihn in seiner berühmten Preisschrift, in der, neben vielen sentimentalen und declamatorischen Allgemeinheiten, worin so häufig Herder's Untersuchungen verschwimmen, doch der [6] schlagende Grundgedanke festgehalten ist: daß menschliche Vernunft und menschliche Sprache etwas Identisches und gleichzeitig miteinander Hervorgegangenes. Wird daher bei dem sogenannten göttlichen Ursprung der Sprache Gott wie ein Schullehrer gedacht, der uns die Wörter erfunden und zuerst Fibel und Grammatik verfertigt, so wäre diese Vorstellung, obwohl sonstigem populairen Verhältniß zu Gott analog, doch ebenso unsinnig, als wenn man behauptet hat: die Thiere würden Alles erreichen, was der Mensch ist, wenn sie nur die Sprache besäßen. Das Thier kann eben, weil es kein Mensch ist, die Sprache nicht besitzen, und die Thiersubstanz wird in den eigenthümlichen Lauten, die ihr vergönnt sind, hinlänglich sich und Andern klar, ohne noch etwas in sich zu tragen, was nicht lautbar an ihr werden könnte. Die Stimme der Nachtigall ist die Nachtigall selbst. In den hellen Wirbeln der Frühe verhaucht das Morgengeschöpf, die Lerche, seine ganze Existenz. Sonst wäre es mit der Schöpfung schlecht bestellt, wenn die Thiere nur Thiere wären, weil der Schöpfer sie bei der also [7] mechanisch gedachten Sprachvertheilung willkürlich übergangen.

Der göttliche Ursprung der Sprache hat in einem andern Sinne seine Wahrheit, in welchem er in den Ursprung der menschlichen Individualität sich verliert. Herder würde sich mehrere Umwege erspart haben, wenn er die Sprache sogleich als die Auseinanderlegung der menschlichen Persönlichkeit selbst aufgefaßt hätte. Bei aller zugegebenen Einheit und Unzertrennlichkeit von Vernunft und Sprache, Wort und Gedanke, ist doch die menschliche Sprache etwas Gemischtes, das nur nach der einen Seite in unser rein Vernünftiges und Göttliches, nach der andern aber in unser Seelisches und in das Nervenleben hineinreicht. Dies ist die ächte Mischung des Individuellen, welches Sprache wird, und so gehen Temperament, Blut und Leidenschaften der Völker in ihre Grammatik und Wörterbücher über. Die reine Vernunft, die alle Nationen zu einer gleichen intellectuellen Anschauung führt, würde als Sprachbildnerin eine allgemeine Sprache erzeugt haben, die bisjetzt nur als künstliches Problem erfindenden Köpfen vorgeschwebt hat. [8] Der Ursprung der Sprache als Auslautung und Wortwerdung der Individualität gestaltet die volksthümliche Verschiedenheit der Sprachen. Der verschiedenartige Eindruck, den ein und derselbe Gegenstand auf verschieden erregte und nationell gefärbte Gemüther hervorbringt, giebt derselben Sache die mannichfaltigsten Klangbezeichnungen und Lautfiguren, abhängig von Luft, Himmel, Wasser und Erde.

Wilhelm von Humboldt sagt sehr treffend in der Einleitung zu seinem großen Werk über die Kawi-Sprache 1: »Die Geisteseigenthümlichkeit und die Sprachgestaltung eines Volkes stehen in solcher Innigkeit der Verschmelzung in einander, daß, wenn die eine gegeben wäre, die andere müßte vollständig aus ihr abgeleitet werden können. Denn die Intellectualität und die [9] Sprache gestatten und befördern nur einander gegenseitig zusagende Formen. Die Sprache ist gleichsam die äußerliche Erscheinung des Geistes der Völker; ihre Sprache ist ihr Geist, und ihr Geist ihre Sprache; man kann sich beide nie identisch genug denken. Wie sie in Wahrheit mit einander in einer und ebenderselben, unserem Begreifen unzugänglichen Quelle zusammenkommen, bleibt uns unerklärlich verborgen. Ohne aber über die Priorität der einen oder andern entscheiden zu wollen, müssen wir als das reale Erklärungsprinzip und als den wahren Bestimmungsgrund der Sprachverschiedenheit die geistige Kraft der Nationen ansehen, weil sie allein lebendig selbstständig vor uns steht, die Sprache dagegen nur an ihr haftet. Denn insofern sich auch diese uns in schöpferischer Selbständigkeit offenbart, verliert sie sich über das Gebiet der Erscheinungen hinaus in ein ideales Wesen. Wir haben es historisch nur immer mit dem wirklich sprechenden Menschen zu thun, dürfen aber darum das wahre Verhältniß nicht aus den Augen lassen. Wennwir Intellectualität und Sprache trennen, so existirt eine solche Scheidung [10] in der Wahrheit nicht. Wenn uns die Sprache mit Recht als etwas Höheres erscheint, als daß sie für ein menschliches Werk, gleich andern Geisteserzeugnissen, gelten könnte, so würde sich dies anders verhalten, wenn uns die menschliche Geisteskraft nicht bloß in einzelnen Erscheinungen begegnete, sondern ihr Wesen selbst uns in seiner unergründlichen Tiefe entgegenstrahlte und wir den Zusammenhang der menschlichen Individualität einzusehen vermöchten, da auch die Sprache über die Geschiedenheit der Individuen hinausgeht. Für die praktische Anwendung besonders wichtig ist es nur, bei keinem niedrigeren Erklärungsprinzipe der Sprachen stehen zu bleiben, sondern wirklich bis zu diesem höchsten und letzten hinaufzusteigen, und als den festen Punkt der ganzen geistigen Gestaltung den Satz anzusehen, daß der Bau der Sprachen im Menschengeschlechte darum und insofern verschieden ist, weil und als es die Geisteseigenthümlichkeit der Nationen selbst ist.«

Die Einheit der Sprache mit der Individualität ist heut noch als das stärkste Band des Patriotismus übrig geblieben. Die tiefsten Bedürfnisse [11] meines innern Menschen kann ich nur in meiner Heimathsprache, die mir mit meinen Anschauungen zugleich aufgewachsen, ganz und gar ausklingen. Die kosmopolitischen Gränzaufhebungen, die weltliterarischen Constellationen, sind in unserer Zeit um so weniger als Auflösungssymptome des Individuellen zu fürchten, als vielmehr die Sprachen als individueller Einschlag in das allgemeine Gewebe der Völker-Association übrig bleiben, und dadurch die ganze Macht der Individualität selbst obenauf und gültig erhalten werden. Man kann in einer Sprache nicht dieselben Gedanken haben und ausdrücken, wie in einer andern, und allen antipatriotischen Anwandelungen zum Trotz, macht das tägliche deutsche Gedankenbedürfniß Jeden wieder zum deutschen Menschen, Manchen sogar wider Willen zum deutschen Schriftsteller. Was soll man in fremder Zunge anfangen mit seinen geheimen Herzschlägen, mit seinem metaphysischen Dichten und Trachten, und mit all den skeptischen, ironischen und weltverlachenden Geheimnissen des Gemüths, die zugleich Geheimnisse des Stils werden, aber niemals fertiges Eigenthum der Wörterbücher? [12] Der deutsche Gedanke wird mit dem Heimweh nach dem deutschen Wort geboren, und durch alle von den Umständen irgendwie gegebene Nöthigungen in ein fremdes Kleid bricht, wie Schweizerthränen beim Alphornsruf, die Sehnsucht danach aus ihm hervor. Auch unsere modernen speculativen Anschauungen sind bereits ebenso fest mit der deutschen Sprache als mit unserm täglichen Ideenkreis, dem wir geläufig alle Erscheinungen unterordnen, verwoben. Was sich uns in den Lebensgebilden nach Richtungen von Geist, Seele, Gemüth, Vernunft, Verstand, Herz, abzutheilen und zu gliedern pflegt, ist, seinem ganzen speculativen Fächerwerk nach, so deutschthümlich, daß schon diese Wortunterschiede, geschweige denn die daran haftende bestimmte Gedankenreihe, in keinem fremden Stempel sich nachprägen lassen. Die Emigranten des deutschen Wesens, die im Auslande in fremden Lauten zu stammeln versucht, haben alle das patriotische Heimweh der deutschen Sprache empfunden.

Eine allgemeine Völker-Association, wenn sie wirklich historisches Ziel ist, wird dennoch die Volkssprachen nicht verwischen. Noch weniger wird sie [13] aber die allgemeine Sprache herstellen, die eine Zeitlang ebenfalls als höchstes Ziel und Ideal des Völkerverkehrs angesehen ward. Das bekannte Alphabet der menschlichen Gedanken, mit dem sich Leibnitz in seiner Analysis notionum in Alphabetum (ut appello) cogitationum humanarum beschäftigte, konnte ebenso wenig reale Erfolge haben, als die schon früher entwickelte, obwohl fast gänzlich unbekannt gebliebene Ideographie des Cartesius, die er in seinen Briefen (I. III. ad Mersennum) bei weitem klarer als Leibnitz auseinandersetzte und worauf Radlof (teutschkundliche Forschungen II. 70fg.) zuerst wieder aufmerksam machte. Die Hypothesen beider Philosophen trafen darin zusammen: einmal, daß es der Wissenschaft möglich werden müsse, alle menschlichen Gedanken aufzuzählen und in einer gesetzlichen Ordnung und Reihenfolge, die der Zahlenordnung gleichkäme, darzustellen; und dann, daß eine allgemeine Sprachschrift erfindbar sei, um damit jeden Gedanken gewissermaßen so abzuschreiben, daß er, wie ein Rechenexempel, nicht nur in sich richtig und Ausdruck eines richtig Gedachten sei, sondern auch in dieser Abzeichnung in allen Sprachen [14] ohne Uebersetzung verstanden werden könne. Leibnitz glaubte sogar, daß durch Erfindung eines solchen Organons fortan aller Irrthum im menschlichen Denken zu vermeiden sei. Man nehme dies für nichts Anderes als was es ist, für eine metaphysische Bizarrerie, die mit großen, unlösbaren Problemen zusammenhängt! Wie große Bewegungen auch zu verschiedenen Zeiten für diese Ideen gemacht wurden, alle Ausführungsversuche, darunter die wichtigsten von Wilkins, De Maimieux, Becher und Schmid, brachten nur Unsinn vor, und gelangten höchstens zu einer ganz gemeinen und mechanischen Dechiffrirung der Wörter, statt der Begriffe. Mit der allgemeinen Weltsprache würde man bei seinem nächsten Wandnachbar kein Stück Brot fordern können, und wenn man noch weit mehr damit zu erreichen vermöchte, so würde es immer unnütz und wirkungslos sein. Denn da die einzelnen Gedankenverbindungen ebenso sehr etwas Individuelles und Nationales sind, als die Sprache, so würde mindestens jede Volksindividualität ein anders nüancirtes System der Pasigraphie haben, mithin diese widersinnig und unnöthig [15] sein, da sie die volksthümlichen Trennungen doch nicht zu überwinden vermöchte. Das Problem einer allgemeinen Sprache bewies bei seiner Ausführung immer die nothwendige Individualität der Sprache.

Der Franzose wird daher fortfahren, französisch zu schreiben, der Engländer englisch, der Deutsche deutsch. Die bestimmteste und gebildetste Individualität, die sich mit Freiheit in der Sprache erschließt, wird zugleich die höchsten Erfordernisse in der Kunst der Darstellung von selbst befriedigen. –

Fußnoten

1 Ueber die Kawi-Sprache auf der Insel Java, nebst einer Einleitung über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluß auf die geistige Entwickelung des Menschengeschlechts. Erster Band. 1836, mit einer sehr schön geschriebenen Vorrede des Herausgebers, Alexander von Humboldt.

[16] 2.

Die Sprache, als Offenbarung der ganzen menschlichen Individualität, hat ohne Zweifel auch großen Antheil an unsern Gedanken und deren Bildung. Darüber hat schon Wilhelm von Humboldt in seiner Abhandlung »über das Entstehen der grammatischen Formen und ihren Einfluß auf die Ideenentwickelung« 1 einzelne treffende Andeutungen gegeben, und besonders hervorgehoben, daß der Geist auch von der Sprache empfängt. Die Sprache ist daher ebenso sehr Inhalt wie Mittel, und auf der vollendetsten Einheit und Verschmelzung beider beruht die Vollkommenheit aller Darstellung. Darstellung ist Bildung, und hat, wie diese, einestheils ein überliefertes und lehrbares, anderntheils [17] ein productives Element an sich, deren eigenthümliche Verbindung Sache des Talents ist. Dem im Volksgeist arbeitenden Talent muß überhaupt überlassen bleiben, das Verhältniß von Sprache und Gedanke nach seiner freien Art zu organisiren, denn jede absichtliche und künstliche Ausbildung einer Sprache, abgetrennt von der geistigen Production, ist erfolglos für dieselbe. Der im Allgemeinen richtige Satz Humboldts: »daß nur die grammatisch gebildeten Sprachen vollkommene Angemessenheit zur Ideenentwickelung besitzen« (a.a.O. S. 427.), er leidet die vielfältigste Nüancirung in der Anwendung und der Geschichte der Sprachen. Grammatische Bildung einer Sprache ist überhaupt etwas sehr Relatives und einzeln schwer zu Fassendes, denn man gebe den Eskimo's eine Sprachakademie, welche ihnen die Sprache nach Gesetzen gliederte und ordnete, und man hätte vergeblich zu warten, ob eine Eskimo-Literatur danach entstände, wenn auch das grammatische Kunststück noch so glücklich gelingen sollte.

Die Entwickelung der Sprachen ist vielmehr die, daß sie den grammatischen Naturzustand abstreifen[18] und sich zu vergeistigen trachten. Eine gebildete Sprache heißt am Ende die für den weitesten Gedankeninhalt am meisten aufnahmefähige, und sie kann das Paradies ihrer schönsten leiblichen Formenbildung längst verloren haben. Was wir im vorigen Abschnitt von der deutschen Sprache bemerkten, daß die höchste Stufe ihrer geistigen Entwickelung gerade mit ihrem grammatischen Verfall zusammentrifft, hatJacob Grimm 2 noch allgemeiner zu der Behauptung ausgedehnt: daß die Bildung des menschlichen Geschlechts mit der Vollendung seiner Sprache in einem reinen Gegensatz stehe, und, je mehr von der allgemeinen Cultur des menschlichen Geistes in die Sprache übergehe, die letztere desto mehr an der Größe und Originalität ihrer eigensten grammatischen Natur verliere. Indeß darf man es, glaube ich, mit solchem Verlust nicht allzu genau nehmen, da der Ersatz ihm hinlänglich die Wagschale hält, und es [19] mit dem grammatischen Paradies ohne Zweifel dieselbe Bewandtniß hat, wie mit dem Unschuldszustande der Menschheit. Man beklagt ihn häufig, aber man vermißt ihn selten. Unsere Sprache hat allerdings außerordentliche Vortheile der Flexion, eine ganze volltönende Musik runder und ausgeschriebener Formen, eine ganze Plastik schwellender und von sinnlichem Leben strotzender Wortfiguren eingebüßt, die uns aus dem Gothischen und Althochdeutschen wie Riesen der Vorzeit entgegentreten. Grimm sagt sehr schön: »Man kann die innere Stärke der alten Sprache mit dem scharfen Gesicht, Gehör, Geruch der Wilden, ja unserer Hirten und Jäger, die einfach in der Natur leben, vergleichen. Dafür werden die Verstandesbegriffe der neueren Sprache zunehmend klarer und deutlicher. Die Poesie vergeht, und die Prosa (nicht die gemeine, sondern die geistige) wird uns angemessener.«

Die Poesie der Sprache ist die noch unentfärbte Bildlichkeit, welche auf der Naturstufe an ihr blüht. In dieser Zeit giebt es überhaupt noch keine Prosa, weil jedes Wort schon durch seine Wurzel und Zusammensetzung einen poetischen Eindruck [20] erregt, weil jede Bezeichnung ein Versuch zu dichten ist. Die Sprache wendet sich dann erst den gedankenschwereren und dem bloßen Inhalt dienenden Verknüpfungen der Prosa mit Kunst und Erfolg zu, nachdem die bildliche Bedeutung, die am Worte haftet und dabei verweilen macht, abgeblüht ist. Dann werden die Wörter für sich selbst nicht mehr empfunden, sie stehen mehr oder weniger als wesenlose Zeichen da und haben ihr Leben nur in dem allgemeinen Inhalt des Gedankens, zu dessen Chiffrirung sie zusammengestellt sind. Wer denkt noch bei dem Worte Kind (chint, von der Wurzel chin, keimen) daran, daß er etwas Metaphorisches: das Gekeimte, Erblühte, damit ausspricht? Andere Ausdrücke, die besonders durch ihre Zusammensetzung poetische Metaphern machen, z.B. halsstarrig, widerspänstig, und unzählige ähnliche, sind ebenfalls in dem Sinne prosaisch oder vielmehr vergeistigt geworden, daß sie nur den Gedanken ausdrücken, ihr bildliches Gepräge aber sich gänzlich für uns verwischt hat; während noch Leibnitz das Bildliche solcher Wörter, wie einfließen, ausfließen, abhängen, haften, so lebhaft [21] zu empfinden schien, daß er ihren Gebrauch, als für den philosophischen Stil zu tropisch, selbst in lateinischer Rede den Scholastikern zum Vorwurf machte und für Affectation anrechnete 3. In der neuesten Zeit hat vornehmlich Graff bei Gelegenheit seines Althochdeutschen Sprachschatzes auf das bildliche Element der deutschen Wörter zurückgewiesen, denn bildlich muß man fast immer den Eindruck nennen, den man durch die Auseinanderlegungen der Etymologie empfängt. Aber dieser Sprachforscher, der damit seinem großartigen Werke ohne Zweifel nur eine populaire Seite der Nutzbarkeit nachweisen wollte, hat eine zu starke Wichtigkeit darauf gelegt, daß wir wieder in die ursprüngliche Bedeutung unserer Wörter zurückversetzt würden. Im Grunde werden wir doch für das Leben und die Production wenig damit anzufangen wissen, wenn es uns auch immer gegenwärtig bleibt, daß Kind von der alten Wurzel chin, daß Leichnam, aus lih, Körper, und ham, Bedeckung, [22] Hülle, das fleischliche, leibliche Kleid bedeutet, daß Getraide in seiner alten Form gitragidi lautend, die Wurzel tragan, tragen, hat 4 u.s.w. Das unbestreitbare Interesse hiebei ist das der wissenschaftlichen Forschung selbst, aber den Wörtern kann dadurch nicht, wie Graff begeistert träumt, »ihre Seele wieder zugeführt«, noch »unserer zu einer todten Zeichenmasse erstarrten Sprache die Frische ihrer jugendlichen Lebensfülle, die Kraft des lebendigen Eindrucks« von neuem zurückgegeben werden. Dies beruht vielmehr auf einer unrichtigen oder widergeschichtlichen Ansicht. Die Wörter können auf gebildeter Culturstufe des Geschlechts allerdings nur als Zeichen- und Mimenspiel des Gedankens gelten. Die sinnliche Malerei tritt aus dem einzelnen Wort in die Bedeutung des ganzen Satzes über, der solche Eindrücke, wenn sie in der Intention liegen, darstellbar zu machen hat, und in dieser Periode erst gliedert sich eine Sprache am freiesten in kunstvolle Darstellung, vornehmlich in [23] das dialektische Satzgefüge der Prosa. Wenn die Entwickelungsgeschichte die Quellen der Sprache verschüttet, so muß sie ihren guten Grund dazu haben, und die gelehrten Wiederaufgrabungen müssen, bei allen ruhmwürdigen Erfolgen, doch auf den verzichten, am Leben selbst etwas durch ihre Resultate zu ändern. Ist die Bedeutsamkeit des Wortes untergegangen, so beginnt dafür die Bedeutsamkeit des Satzes. Bei allem etymologischen Gedächtniß, das uns doch am Ende mehr peinigen als begeistern möchte, würde es schlechterdings unmöglich fallen, uns redend und gedankenmittheilend bei der ursprünglichen Bedeutung der Wörter aufzuhalten, sollten auch die sinnreichsten Beziehungen dabei ins Spiel treten können. Niemand verdaut nach einem Handbuch der Physiologie, oder ist, wenn er sie auch noch so genau kennt, der Organe in dem Augenblick sich bewußt, wo er sie zur besten Vollbringung dieses Prozesses anwendet. So wird auch die organische Selbständigkeit der Wörter ignorirt, und kein etymologischer Geisterbeschwörer vermag ihnen die selbsteigne Seele zurückzugeben, [24] die sie an das Allgemeine des Satzes verloren haben. 5

Die Sprache einem grammatischen Ideal zuzuführen, oder, wie es bei uns der Fall wäre, zu ihm zurückzuführen, ist immer ein um so mißlicheres Beginnen, da, wie wir angedeutet haben, der productive geistige Fortgang des Menschengeschlechts [25] dabei in Conflict tritt. Das Institut der Akademieen, das man auch als gesetzgebende Versammlung für die Sprache vielfältig aufzubieten geneigt war, könnte nur dann erst solche Wirksamkeit einigermaßen behaupten, wenn es auch den sich fortbewegenden Inhalt einer Nation zu beherrschen und an bestimmte Gesetze zu binden vermöchte. Der Verlust der sinnlichen Lebensstärke einer Sprache ist aber nichts als die Uebergewalt des Gedankens, der sich seiner ursprünglichen Einheit mit der Sprache insofern wieder bemächtigt, als er dieselbe ganz in den Inhalt aufgehen macht und in die geistigen Combinationen desselben untertaucht. An die Stelle des grammatischen Sprachinteresses tritt das Interesse der Darstellung.

Man hat in neuester Zeit die Frage der Akademieen wieder angeregt, vornehmlich zur Einwirkung auf vollendete prosaische Darstellung, deren zeitgemäße Bedeutsamkeit wenigstens damit ausgesprochen worden ist. Ausgezeichnete Männer in hoher und bevorzugter Stellung sind kürzlich mit Ideen umgegangen, durch welche die laufende deutsche Literatur in dieser Weise einen Mittelpunkt ihrer wichtigsten Interessen finden sollte. Auf die [26] Würdigung solcher Pläne einzugehn, ist noch nicht vergönnt, da sie sich für uns entweder in politische Combinationen verlieren, oder als etwas noch nicht fertig Gedachtes der Zukunft überlassen bleiben müssen. Praktisch angelegen läßt es sich aber schon, wie wir hören, ein Buchhändler in Leipzig sein, der ein »akademisches Wörterbuch der deutschen Sprache« herausgeben will, unter der Redaction einer ziemlich beträchtlichen Anzahl von Gelehrten, die unter sich gewissermaßen eine Akademie vorstellen und über einen festzusetzenden Canon unserer Sprache sich vereinigen sollen.

Die bestimmteste Sprachgesetzgebung ließ Muhamed ausgehen. Er verbot durch ein Landesgesetz, daß sich Niemand erdreisten solle, besser zu schreiben als er, der vom Geiste Gottes getrieben sei, und von dieser Zeit an verblühte und verkam die arabische Sprache. 6 Diesem verderblichen Erfolg muhamedanischer Akademie stehen bei den uns näher angehenden Versuchen wenigstens keine positiven und günstigen Resultate gegenüber, bei allem [27] Eifer, mit dem man sich oft nach Autoritäten und Baumschulen für das wilde Wachsen der deutschen Sprache umgesehen. Leibnitz, der selbst das Einsammeln der Sprache in solchen Arzeneigläsern, wie das Dictionnaire der französischen Akademie, billigte und empfahl, scheint auch für Deutschland an eine Einwirkung der Akademieen auf die Sprache gedacht zu haben, wie aus mehreren Stellen in seinen »Unvorgreifflichen Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache« hervorgeht. 7 Welche Art von Fragen er jedoch besonders solcher akademischen Entscheidung zu unterbreiten scheint, zeigt sich vielleicht in folgender Stelle (a.a.O. S. 48. §. 108.), wo Leibnitz einen »seltsamen Fall« berührt: »Sonst sind wohl einige Zweiffel bei uns vorhanden, darüber gantze Länder von einander unterschieden und Canzeleyen selbst gegen Canzeleyen streiten, als zum Exempel, was für Geschlechts das Wort Urtheil sei? Im Reiche beym Reichs-Hoff-Rath, beym Reichs-Kammer-Gerichte und sonst ist Urtheil [28] weiblichen Geschlechts und saget man die Urtheil; Hingegen in denen Obersächsischen Gerichten spricht man das Urtheil. Die Urtheil hat nicht allein die höchsten Gerichte, sondern auch die größte Zahl vor sich. Das Urtheil aber berufft sich auff den Sprachgrund oder Analogie. Dann weil Theil nicht weiblichen Geschlechtes und ehe gesagt wird das Theil als die Theil (in singulari), so sollte man meynen, es müßte auch ehe das Urtheil als die Urtheil heißen; doch der Gebrauch ist der Meister. Non nostrum inter vos tantas componere lites. Ich überlasse es künfftiger Anstalt mit vielen andern dergleichen Fragen, wel che endlich ohne Gefahr etwas warten und auff die lange Bank geschoben werden können.« – Wie wenig aber Leibnitz selbst von dem Einfluß einer solchen Akademie auf die wirkliche productive Fortbildung der Sprache halten mochte, geht aus einer gleich darauf folgenden Stelle hervor: »Nun wäre noch übrig, vom Glantz und Zierde der Teutschen Sprache zu reden, will mich aber damit anietzo nicht auffhalten, dann wann es weder an bequemen Orten noch tüchtigen Redens-Arten fehlet, kommt es auff den Geist und Verstand des Verfassers an, um die [29] Worte wohl zu wehlen und füglich zu setzen. Und weil dazu viel helffen die Exempel derer, so bereits wohl angeschrieben unddurch einen glücklichen Trieb der Natur den andern das Eiß gebrochen, so würde nicht allein nöthig sein ihre Schrifften hervorzuziehen und zur Nachfolge vorzustellen, sondern auch zu vermehren, die Bücher der alten und auch wohl einiger neuen Haupt-Autoren in gutes Teutsch zu bringen und allerhand schöne und nützliche Materien wohl auszuarbeiten.«

Die abenteuerlichen Sprachgesellschaften, welche sich im siebzehnten Jahrhundert nach Vorbild der italienischen Akademieen bildeten, hatten auf die deutsche Sprache fast gar keinen Einfluß, und bewiesen durch sich ebenfalls, daß nur die lebenzeugende Production im Stande sei, denselben zu gewinnen. Von Deutschlands Akademieen selbst wurde sogar die ausländernde Heimathlosigkeit der deutschen Zunge eher begünstigt als widersprochen, und wie sehr gewiß Leibnitz als Gründer einer Akademie vorzugsweise ein Charakterbild deutscher Wissenschaft vor Augen hatte, so wurde es doch gerade bei der berlinischen Akademie anfängliches Gesetz, die Abhandlungen in französischer Sprache zu [30] schreiben und vorzulesen. Klopstock ließ deshalb in seiner »Gelehrtenrepublik« durch die Aldermänner derselben die »berliner und Mannheimer Akademisten« in Anklagestand versetzen, weil sie nicht in deutscher Sprache schrieben 8, wie er es denn überhaupt in seinem hochherzigen Eifer für die Sprache des Thuiskon, mit welchem er auch in den Grammatischen Gesprächen gegen alle Ausländerei heftige Fehde begann, zum ersten Gesetz der deutschen Gelehrtenrepublik machte: »wer in lateinischer Sprache schreibt oder in einer neuen ausländischen, wird so lange Landes verwiesen, bis er etwas in unserer Sprache herausgiebt« – »selbst Leibnitz, wenn er wieder käme.«

Wenn man die deutsche Literatur und ihre sich selbst überlassene Darstellung aus den Studirstuben, einsamen Poetensteigen, Vetter-Michel-Soiréen und Salonsverabredungen plötzlich aufgerufen und versammelt denkt zu einem Mittelpunkt öffentlicher Repräsentation, so wäre immer noch das Schwierigste übrig, zu bestimmen, wo die beabsichtigte Wirksamkeit anfangen und wieder aufhören solle.

[31] Als Klopstock seine Telyn, die »tönt zu dem Fluge des deutschen Liedes«, singensmüde bei Seite gelegt, glaubte er, mit allem königlichen Purpur jenes altherrlichen deutschen Dichterruhms behangen, nun auch als Gesetzgeber und Verfassungsordner des Parnasses auftreten zu müssen, und die Ankündigungen seiner Gelehrtenrepublik ließen nichts Geringeres erwarten, als die Präliminarien zu einer Art von gesetzmäßigem Verein der deutschen Schriftsteller, zur Wahrung ihrer innern und äußern Interessen, ihrer Sprache und aller ihrer Verhältnisse. Man subscribirte und pränumerirte an allen Orten und Enden des Vaterlandes, und niemals hat vielleicht wieder die deutsche Nationalbegeisterung so viel Geld unterzeichnet, als für Klopstock, der, wie man wußte, es mit eigner Dichterhand einnehmen würde. Da erschien jenes starre und frostige Buch, an dem nur das strengeinfache, scharfgeschnittene und hartgediegene Granitgerölle der Prosa bemerkenswerth, aber Wenigen einleuchtend war, dessen Inhalt jedoch, kaum auf zwanzig Seiten hintereinander ohne Erfrieren lesbar, durch seine abschreckende Pedanterie, durch seine halb ironisch angefärbte Altmeistermiene, Alles zerstörte, was man [32] sich für Gedanken und Hoffnungen von einer deutschen Gelehrtenrepublik gemacht hatte. Das Thema wurde auf längere Zeit anrüchig, man dachte mit Schauder der steifleinenen klopstockschen Aldermänner, so oft wieder die Rede auf akademische Niedersetzung literarischer Commissionen kam, und Klopstock ließ den zweiten Theil der Gelehrtenrepublik, die eine so allgemeine Erkältung gegen ihn hervorgerufen, nicht erscheinen. Niemals hat ein einzelnes Buch einem berühmten Autor mehr geschadet, als dies, das sein wirkungsreichstes hätte werden können.

Auch unter Wielands Käppchen regten sich einmal die Ideen einer deutschen Akademie. Wenigstens sprach er das Bedürfniß aus, der Verwirrung deutscher Schreibarten durch irgend eine Autorität ein Ziel zu setzen, durch irgend ein »gemeinschaftliches Panier«, wie er es nannte, unter das die Schriftsteller aus ihrem gesetzlosen Zustande, in dem jeder thun könne, was ihm beliebe, zu einer festen und gegenseitig bedingenden Gemeinsamkeit gerufen würden. Näheres darüber hat er nicht aufgestellt. Andere einzelne Pläne, die ebenfalls entweder unentwickelt oder erfolglos geblieben, können [33] wir ohne Erwähnung lassen, um endlich die Frage schärfer anzusehen, welche ausführbare Aufgabe in Sprache und Darstellung irgend einer akademischen Beaufsichtigung der Literatur wirklich übrig bleiben möchte.

Auf der einen Seite handelt es sich dabei um das Verhältniß des Staats zur Literatur, auf der andern um das Verhältniß der Literatur zu sich selbst. Wenn wir das rein Literarische im Auge behalten, so sind alle Formen und Gattungen der Production immer nur durch sich selbst bestimmbar. Die Literaturgeschichte empfängt zwar historische und politische Einflüsse, und gestaltet oder mißgestaltet sich danach, aber sie läßt sich niemals nach bestimmten Absichten verbessern. Dem Geist einer Literatur ist nicht aufzuhelfen, weil der literarische Inhalt nur von sich selbst Nahrung und Werdelust entnehmen kann.

Dann hat man aber noch immer einen großen und wünschenswerthen Spielraum akademischer Beaufsichtigung und Gesetzgebung für das literarische Material übrig gesehen, und mit vielem Recht! Viele streitige und unentschiedene Fälle der deutschen Grammatik, besonders aber die hinundherschwankende [34] Rathlosigkeit unserer Orthographie, schienen längst nach einem obersten Gerichtshof zu verlangen, der ihre Sache durch einen unwiderruflichen Ausspruch abschlösse. Indeß, wenn man es näher ins Auge faßt, würde auch von dieser Seite eine Akademie wenig freie Bewegung haben. Einmal entspricht die Orthographie keiner modernen Sprache ihrem Begriffe, und die deutsche insofern noch am meisten, als sie im Allgemeinen dem Grundsatz einer einfachen Abschreibung der Laute folgt, während z.B. im Französischen und Englischen die Wortschreibung eine von dem Wortlaut völlig verschiedene Figur bildet. Die Barbarei der deutschen Orthographie beruht aber theils in dem unschönen Auswuchs der Consonantenhäufungen, theils auch im Widerspruch mit der etymologischen Geschichte des Wortes. Durch diesen Augiasstall unserer Rechtschreibung, der mehr als dreitausend schmutzige Rinder beherbergt, einen reinigenden Strom zu leiten, möchte keiner akademischen Wasserkunst ohne die größte Gewaltsamkeit möglich werden. Eine überlieferte Orthographie, mit allem ihrem Recht und Unrecht, uns gänzlich umzugestalten, würde uns gewissermaßen von unserer bisherigen [35] Literaturgeschichte abschneiden, wie schon Grimm bemerkt, daß die eingewurzelten Mißbräuche unserer Schreibung bereits einen zu großen Einfluß auf den Reim der Dichter und die wirkliche Aussprache geübt, um nicht jede zu Hülfe kommende Abänderung bedenklich zu finden. (Deutsche Grammatik, 2. Ausg. S. XVIII.) Einzelne Ausführungen, in neuester Zeit namentlich von Radlof, der auch ein neues Interpunctionssystem aufstellte, haben nur zu buntscheckigen Abenteuerlichkeiten geführt.

Wir beschließen unsere Seitenblicke auf die Wirksamkeit der Akademieen vorläufig unter den günstigsten Gesichtspunkten, unter denen sie August Boeckh in seiner trefflichen Rede über Leib nitz und die deutschen Akademieen als »die Gesellschaft der Meister« bezeichnet, und wünschen sie in diesem Sinne nach allen Richtungen hin wahrhaft förderlich: »Wie eine Encyclopädie aller Wissenschaften und wieder jedes besondren Hauptfaches nöthig ist, so bedarf das wissenschaftliche Leben einer umfassenden Gesellschaft der Meister, damit die einzelnen Glieder in lebendigem Zusammenhange bleiben; denn nur wenigen Geistern ist es [36] vergönnt, wie Leibnitz den ganzen Körper des menschlichen Erkennens zu tragen und zu beherrschen. Sodann fördert zwar, wie man täglich hört, auch in der Wissenschaft die Theilung der Arbeit, welche auch Leibnitz beabsichtigte; aber je größer die Theilung wird, (und sie beginnt fast bedenklich groß zu werden), desto nothwendiger ist den einzelnen Arbeitern gemeinsame Berathung und die vielseitigste Berührung, damit sie nicht über ihren Besonderheiten das Allgemeine und Ganze aus den Augen verlieren. In auserwählter Gemeinschaft mißt der Meister sich am Meister; sie hält einen Spiegel der Selbsterkenntniß vor, daß auch der Größte, sich nicht überschätzend, stets das Bewußtsein gegenwärtig habe, sein Wissen sei nur ein beschränkter Theil des gelehrten Volksvermögens. Tiefe Blicke und Erfindungen sind allerdings die Frucht einsam geheimer Empfängniß des Geistes; aber auch die äußersten wissenschaftlichen Verirrungen werden in der Abgeschiedenheit ausgebrütet, und sind niemals von wissenschaftlichen Gesellschaften ausgegangen. Gemeinsamkeit der Studien vermindert und heilt den Irrthum; und in dieser Gemeinsamkeit der Meister liegt gerade das Akademische. [37] Ganz besonders aber sind die Akademieen auf jene Dinge angewiesen, welche, wie Leibnitz sagt, nicht von einem Einzelnen ausgeführt werden können; sei es, daß verschiedene Kenntnisse und Fähigkeiten dazu erfordert werden, oder die Sammlung des Stoffes und die Beschaffung der Hülfsmittel, selbst durch Reisen, wie sie Leibnitz selber auch wieder unternahm, die Kräfte Einzelner übersteigt; oder der Bearbeitung des Gegenstandes die Muße eines Einzigen nicht gewachsen ist: und gerade heutzutage bedürfen große und kostspielige Unternehmungen um so mehr der Unterstützung, jemehr die Literatur in unendlichen Kleinhandeln sich zersplittert.« – –

Man kann es nicht als wahrscheinlich annehmen, daß sich noch einmal eine ähnliche Bewegung und Umwälzung in unserer Sprache hervorbringen ließe, wie sie durch Luthers Bibelübersetzung geschah, in der das Hochdeutsche sich zuerst als ein entschiedenes geschichtliches Moment herausstellte und zum Canon für die weitere Fortbildung der modernen deutschen Sprache wurde. Denkt man sich aber, daß derselbe Sprachfortschritt, den Luther productiv gestaltete und unwiderstehlich ins Leben überführte, immerhin mit gleichumfassender Bedeutsamkeit und [38] noch gelehrterem Bewußtsein in einem akademischen Canon und Dictionnaire der Nation überliefert worden wäre, so muß man behaupten, es würde alsdann diese ganze sprachliche Bewegung eindruckslos und vergeblich geblieben sein. Haben doch auch die besten Handbücher des deutschen Stils, und alle gesetzgebenden Theorieen für die Darstellung, noch niemals einen einzigen guten Stilistiker herangelehrt.

Ideal aller Sprache und Darstellung ist bloß der Gedanke. Von dem richtigen Verhältniß des Gedankens zu seiner Darstellung, wovon zugleich das Maaß aller zu gebrauchenden Kunstvortheile und der Schönheit selbst abhängt, ließe sich am allerersten ein akademischer Canon aufstellen. Wenigstens ist eine Philosophie des Stils denkbar und zu versuchen, welche, der genialen Willkür der Production allen Spielraum übrig lassend, das allgemein Nothwendige, auf dem jede treffende und das Leben erschöpfende Darstellung beruhen muß, zum Bewußtsein brächte. –

Fußnoten

1 in den Abhandlungen der berliner Akademie der Wissenschaften 1822–23.

2 in der Einleitung zur ersten Ausgabe seiner deutschen Grammatik (s. besonders S. XXVII fg.), die leider in den folgenden Auflagen fortgeblieben.

3 in seiner Abhandlung de stilo philosophico p. 51. (Leibnitii Opera, ed. Lud. Dutens, Tom VI.)

4 Graff's Althochdeutscher Sprachschatz, Bd. I. S. III. IV fg.

5 Leibnitz sagt sehr treffend in seinen »Unvorgreifflichen Gedanken« etc. §. 5 u. 6: – »Gleichwie man in großen Handelsstädten, auch im Spiel und sonsten, nicht allezeit Geld zahlet, sondern sich an dessen Statt der Zeddel oder Marken bis zur letzten Abrechnung oder Zahlung bedienet; also thut auch der Verstand mit den Bildnissen der Dinge, zumahl wenn er viel zu dencken hat, daß er nehmlich Zeichen dafür brauchet, damit er nicht nöthig habe, die Sache jedesmahl, so oft sie vorkommt, von neuem zu bedencken. – Und gleichwie ein Rechenmeister, der keine Zahl schreiben wollte, deren Halt er nicht zugleich bedächte, und gleichsam an den Fingern abzählte, wie man die Uhr zählet, nimmer mit der Rechnung fertig werden würde: Also wenn man im Reden und auch selbst im Gedanken kein Wort sprechen wollte, ohne sich ein eigentliches Bildniß von dessen Bedeutung zu machen, würde man überaus langsam sprechen, oder vielmehr verstummen müssen, auch den Lauff der Gedanken nothwendig hemmen, und also im Reden und Dencken nicht weit kommen.«

6 Nach Michaelis; vgl. auch Radlof, teutschkundliche Forschungen II 256.

7 Vgl. besonders S. 19. und am Schluß S. 51. (§. 114.) in der Ausgabe: Leibnitii Opera, ed. Lud. Dutens, (Genev 1768.) Tom III. Pars. II.

8 Die deutsche Gelehrtenrepublik. Frankfurt und Leipzig 1774. S. 366.

[39] 3.

Die erste und natürlichste menschliche Mittheilung war Poesie, unabhängig von aller Literatur, und Urtypus derselben. Auf literarischem Wege bildete sich die Prosa, ein Kind künstlicherer Sitten verständigen und praktischen Lebensformen sich anschließend. Von dem poetischen Zeitalter der Sprache selbst in ihrem frühesten Naturbau haben wir schon früher gesprochen und die beginnende Epoche der Prosa in dem genetischen Leben der Wörter angedeutet. Herder behauptete, die Sprache, in ihrer ersten Schöpfung rein nach Naturlauten und Interjectionen aufgenommen, sei immer eine Art von Gesang gewesen; 1 gewiß aber ist, daß auch die erste Aufzeichnung der Rede bei allen Völkern einen rhythmischen Charakter an sich trug, der sich bald an eigenthümliche Versgebilde fesselte. Das [40] Metrum war zugleich eine natürliche Form für das Gedächtniß, und Alles, was zu dem ersten Bedarf schriftlicher Mittheilung gehörte, Gesetze, moralische Lebens- und Tagesregeln, selbst Recepte, und die ersten wissenschaftlichen Kenntnisse, fügten sich wie von selbst in poetische Gewandung. Denn alle Schreibart war an sich schon poetisch, weil es keine andern Formen der Aufzeichnung gab, geordnete Rede und Metrum aber Dasselbe waren. Die Production jedoch überlieferte sich im eigentlichsten Sinne des Wortes durch den Gesang von Mund zu Mund, und in diesem Naturzustand ihrer Verbreitung war ihr der Vers ebenfalls nothwendiges Gliederwerk, ohne das sie nicht gedacht werden kann. Diesen Charakter poetischer Naturstufe zeigt noch immer alle Versdarstellung zugleich darin auf, daß sie nur der allereinfachsten Satzbildung fähig ist. Die kunstvollere Composition des Satzes gehört der Bildnerei der Prosa an.

Das Metrum ist gleichwohl aus dem Satz entstanden. Der Rhythmus des einfachsten Satzes, dem man den Wellenschlag seiner Hebungen und Senkungen ablauscht, crystallisirt sich durch den [41] Takt, welcher ihn an bestimmte Bewegungen bindet, zum entschiedenen Versbild. Die Prosa, welche die höchste Entwickelung des Satzes ist, schwebt darum ebenfalls in den Gesetzen des Rhythmus, aber ohne vom Metrum abhängig zu werden, indem sie vielmehr die metrischen Formen, in denen auch ihre Vielfachheit und Verschlungenheit sich individualisirt, nach den wandelnden Bewegungen des Gedankens zu bestimmen und zu wechseln vermag. Die Metra der Poesie haben ihre Geschichte, und können daher veralten und aussterben; das metrische Wesen der Prosa ist etwas Geistiges, das den innern Gesetzen der Darstellung folgt, und auf den eigenthümlichen Grundcharakter der Sprachen sich mit Freiheit gründet.

Die modernen Sprachen sind für die Prosa günstiger organisirt, als für die metrische Poesie. Daher die vorwaltende Neigung der neuern Literatur, die Poesie in die Prosa übergehen zu lassen, oder vielmehr der völlige Mangel einer ausgebildeten Verschiedenheit zwischen poetischem und prosaischem Sprachgebrauch, der sich in den alten Sprachen, sowohl grammatisch als literarisch, so [42] scharf und fest sonderte. Eine Grundursache scheint mir darin zu liegen, daß die modernen Sprachen vorwaltend accentuirte sind, während die Sprachen des Alterthums dieQuantität und damit den eigensten Grund und Boden besaßen, auf dem eine entschieden ausgeformte und gußfeste Metrik, die zugleich an diese starke Form einen besondern Sprachgebrauch fesselte, entstehen konnte. Dagegen gewährt die Accentuation der neuern Sprachen, die in der deutschen vornehmlich auf der Wurzel ruht, der metrischen Form keine tiefgreifende Stätte, dem Gedanken aber den allerweitesten und willkürlichsten Spielraum, ja jedes Uebergewicht über die leicht verwischbare Form. Die Betonung der Sylbe, deren Messung gleichgültig wird, steht sofort unter dem Einfluß des Gedankens, der Accent ist der lautwerdende Verstand des Wortes. Graf Schlabrendorf, dessen genialer Betrachtungssinn überall hinreichte, hat in seinen Bemerkungen über die Sprache 2 die innerliche Bedeutsamkeit der accentuirten [43] Sprachen sehr treffend mit folgenden Worten hervorgehoben: »Der Accent, die unendliche Abwechselung der Töne, spricht das Tiefste des Gemüths an; das Sylbengewicht wird dabei nicht überhört, aber zur Nebensache. Ist es somit nicht ein Vorzug der neuern Sprachen, daß in ihnen die Betonung Hauptsache geworden ist? Die alten schmückten hauptsächlich die Vorhalle der Gemüthswelt; die neuern dringen in das Allerheiligste. Hat nicht also auch dieSprache der Menschen jetzt höhere Bedeutung und höhern Charakter angenommen, indem sie sich aus der Sinnenwelt in das Gebiet des Geistigern erhob? Ich möchte fast sagen, das Christenthum wirkte auf das Innere des Sprachwesens ein, und schied auch hier Altes und Neues. – Der durch das Sylbengewicht gewonnene Rhythmus kann der extensive, der durch Betonung entspringende der intensive genannt werden. Jener bezeichnet die Dauer; dieser dieKraft. Alle neuern Völker haben vorzugsweise für den letztern Empfänglichkeit; selbst die Neugriechen haben aus ihrer alten quantitirenden Sprache eine neue accentuirende gemacht.«

[44] Daß jedoch auch die deutsche Sprache ursprünglich das Gesetz der Quantität besessen und erst später eingebüßt habe, ist durch Jacob Grimm wahrscheinlich geworden. Das Streben der Sprachen zur Vergeistigung, das sich nach Verlöschung des sinnlichen Naturlebens der Wörter durch die Accentuation von neuem ein festes Gepräge schafft, muß die Metra der Quantität immer zu Grunde richten; es ist aber auch möglich, daß es einmal in eine Periode ausläuft, in der die Poesie auch das letzte Eigenthum ihrer Formen, worin sie der Prosa noch getrennt gegenübersteht, aufgeben muß, z.B. den Reim. Grimm bemerkt einmal, daß es Zeiten gebe, wo die Kunst des Reimes aussterbe, weil sich die sinnliche Zartheit der wurzelärmeren Sprache verhärte, und neugebildete Zusammensetzungen eine von Natur steifere Bewegung hätten; aber bisjetzt ist noch keine moderne Sprache auf dieser Stufe völliger Verschmelzung von Poesie und Prosa angelangt, obwohl einige, vornehmlich die deutsche, ihr nahe stehen. Auf der einen Seite zeigt sich jetzt eine große Verarmung und Nacktheit der deutschen Metrik, eine Erschlaffung und Monotonie[45] in Formen, die kaum noch für metrisch gelten können, sondern, wie gerade bei den Tonangebern der neuesten Lyrik, dem Numerus der Prosa angenähert werden, während die pointirten, geistreichen und speculativen Stichwörter der Zeitbildung, an denen sich die Sprache vorherrschend weiter entwickelt, immer weniger für den Reim taugen, welcher auch, in diesen Gedichten, fast immer nur auf die unbedeutendsten Endsylben sich wirft. Die antiken Metra, dann die südlichen Maaße, und zuletzt auch orientalische Weisen, sind durch unsere Dichtersprache nacheinander erklungen, alle haben ihr genützt und sogar den Sprachschatz bereichert, obwohl viel thörichtes und vergebliches Bemühn damit verbunden gewesen; aber jetzt weiß man nicht, ob unsere Metrik, nachdem ihr diese schönen fremden Kleider zerrissen und schlotterig geworden, mit einem völligen Bankerott endigen oder irgendwie neue Quellen, sich zu bewässern und zu befruchten, entdecken wird. Auf der andern Seite entfaltet sich dagegen eine höchste und ausgebildetste Form der Prosa, die sich keine Poesie des Inhalts mehr versagt, in ihrem gedankenfreien [46] Lauf den kecksten Wendungen der Rede sich hingiebt, und an rhythmischer Schönheit und Melodie der Verskunst fast nicht mehr nachsteht, sie vielmehr, auf ihrer gegenwärtigen Verfallsstufe, bald an tonvoller Gediegenheit des Numerus übertreffen wird. Die Schranke zwischen Poesie und Prosa ist im Gedanken durchbrochen, sie bezeichnen nicht mehr verschiedene Ideenkreise, und wenn man auch dem Verse seinen poetischen Heiligenschein und die Berechtigung für einen gewissen Inhalt nie wird abläugnen können, so büßt dagegen die Prosa durch dessen Entbehrung keine innerlichen poetischen Vortheile der Darstellung mehr ein. Die dynamische Verschiedenheit hat sich ausgeglichen, und die alten Vorurtheile gegen das Prosaische der Prosa erinnern uns nur noch an Hippel's scherzhafte Theorie von Poesie und Prosa, die er einmal in seinem Buch über die Ehe giebt, und die wir, als eine gute Ironie auf ästhetische Definitionen, hieher setzen wollen: »Ehrsamer Freund, willst Du wissen, ob Dein fähiger Sohn in Prosa oder in Versen Palmen brechen wird? Recipe: ein Glas Medizin, davon alle Stunden sechszig Tropfen in [47] beliebigem Getränk zu nehmen. Laß ihn selbst dieses auspunctirte Maaß messen; tröpfelt er, so ist er ein flügellahmer Prosaist; läßt er laufen und zählt während dieses Platzregens eins, zwei, drei bis sechszig, so ist er ein Poet; kann er mit diesem Löffel, dem er sechszig zugezählt hat, gleich essen, so könnte er, wenn es sein Verleger und er wollten, methodo mathematica schreiben; kann er aber in vierundzwanzig Stunden diesen Löffel nicht sehen, so ist er ein Liederdichter; kann er in sechs Tagen ohne kalten Schauder keinen solchen Löffel brauchen – zieh' ihn danach, und wenn das Glück gut ist, wird er Homer!« –

Fußnoten

1 S. die Preisschrift über den Ursprung der Sprache, S. 95.

2 S. Zschokke's Prometheus. Bd. I. Graf Gustav von Schlabrendorf in Paris über Personen und Ereignisse seiner Zeit. S. 168.

[48] 4.

Die Emancipation der Prosa, wofür man ihre innere Gleichstellung mit der Poesie oder vielmehr ihre bloß dem Gedanken folgende Darstellungsfreiheit ansehen könnte, ist in der deutschen Literatur noch nicht seit lange erreicht, keineswegs aber schon zu einer allgemeineren Durchbildung, selbst bei den Schriftstellern, vorgeschritten. Unter deutscher Prosa hatte man sich sonst ein schwerlöthiges, vierundzwanzigpfündiges Geschütz vom gröbsten Kaliber zu denken, das mit einem Langgespann von sechs Pferden rumpelnd in die Schlacht gezogen wurde; oder einen in tiefen Sandspuren langsam fortkeuchenden, uckermärkischen Frachtwagen, der mit Säcken, Kisten und Fässern aller Art so vollbepackt dahintrollt, daß man den Muth verliert, ihn anzuhalten, [49] und das, was man von ihm haben möchte, aus seiner Ladung herauszukramen. Die deutsche Prosa war in ihrer Entstehung etwas Wissenschaftliches, eine Production der Gelehrsamkeit, eine Abstraction aus den Alten, sie wurde nicht durch die Bedürfnisse des öffentlichen Lebens, noch durch gesellschaftliche Reize und Anlässe, hervorgerufen und gefärbt. Ihre Grundbildung fällt in die Wiederherstellung der Wissenschaften in Deutschland, und diese Elemente eines gelehrten, besonders aber latinisirenden Satzgefüges, das einen durchgängigen wissenschaftlichen Anflug und keinen einzigen gesellschaftlichen hat, sind sehr lange an ihr haften geblieben, auch in die Schreibweise des Privatlebens, in den Stil des Volkes, unbewußt übergegangen. Man kann annehmen, daß die meisten Schreibenden ihren Stil aus dem Schulunterricht in den antiken Sprachen, namentlich aus den Lehrstunden im Cicero, eingesogen haben. Daher ein deutscher Stil, der eigentlich auf den Periodenbau einer fremden Sprache gegründet ist, ohne die vielen hülfreichen Constructionen derselben, die absoluten Sätze, die von schleppenden Artikeln unbeschwerte Flexion, für [50] die Satzbildung nutzen zu können. So ist jenes ins Unendliche sich verlaufende Einschachtelungssystem in unsere Schreibart gekommen, das dem grammatischen Organismus der deutschen Sprache völlig widerstrebt, und nur in den antiken, welche für die Periodisirung so viele Vortheile besitzen, den Zweck einer imposanten Schönheit zu erreichen vermag. Im Allgemeinen ist dem Deutschen sein Stil eine schon fertige Form, ein gemauertes Gefäß, in das er irgend einen Inhalt hineingießt, keine Sinnpflanze, die mit dem Gedanken aufwächst und abblüht. Die Deutschen sind eine schreibende Nation genannt worden, und doch war bei keinem andern Volk die schöne Kunst zu schreiben von so zäher Barbarei so lange zurückgehalten. Eine Sprache, die viel gehört wird, gelangt jedoch weit eher dazu, auch gut geschrieben zu werden, und eine bloß geschriebene, wie die deutsche, welche sich ganz dem Ohr entzieht und der freieren öffentlichen Gelegenheiten entbehrt, fällt von selbst dem Studirstubencharakter, dem Kanzlei- und Predigerstil, dem altfränkischen Menuettschritt steifverschlungener Sätze, anheim. Der Deutsche schreibt [51] nicht, um zu sprechen, sondern man sieht immer, daß er sich eigens dazu an den Tisch setzt, um zu schreiben, wie ein Drechsler an die Hobelbank; man sieht ihn an seinen Sätzen zimmern im Schweiß seines Angesichtes, alles mögliche Bauholz herbeischleppen und ein Perioden-Magazin aufführen, in dem viele Ideen hausen können, das aber selber keine gestaltete Idee ist und wird. Am schlimmsten steht es jedoch mit der Schreibsprache des gemeinen Mannes in Deutschland, dem gänzlich eine öffentliche Norm guter Rede, woran er den Ausdruck seiner Bedürfnisse erheben und veredeln könnte, abgeht, mit Ausnahme etwa der Eindrücke, die er aus der Kirche und von der Kanzel empfängt. Deshalb stimmen auch Leute aus der niedern Volksklasse, wenn sie Briefe schreiben, so häufig einen erbaulichen Ton darin an, und bedienen sich salbungsvoller Redensarten, die ihnen vielleicht im wirklichen Leben völlig fremd sind; aber es scheint ihnen einmal mit dazu zu gehören, wenn sie sich in die absonderliche Positur des Schreibens setzen. Noch häufiger trifft man, daß sie der Gegenstände ihrer Gedanken, mögen sie auch noch so lebhaft [52] davon erfüllt sein, im Schreiben durchaus nicht Herr werden können, weil ihnen die Mittel des Schreibens etwas zu getrennt Liegendes von der Vorstellungswelt sind, und die nationelle Sitte nichts Verbindendes und Gewöhnendes an die Hand giebt, um die Kluft zwischen den Vorstellungen und ihrem geregelten Ausdruck dem Volke überspringen zu helfen. So möchten die Deutschen vielleicht die einzige Nation sein, die einen »Briefsteller für Liebende« nöthig haben, aus dem sie sich sogar die Gefühle ihrer Zärtlichkeit und Zuneigung wechselseitig ab- und zuschreiben, und die häufigen Auflagen, die solche Kleiderverleihanstalten des deutschen Stils erleben, beweisen den praktischen Gebrauch, der davon im Volke gemacht wird. Das Herz, sich ganz so abzuschreiben, wie er ist, besitzt der Deutsche nicht, wenn er auch ein Herz dazu besitzt. In unserer Literatur haben nur wenige große Meister des Stils den Inhalt unmittelbar freigegeben an seine Form, die er von selbst sich erschafft, und die mit aller gesellschaftlichen Grazie der Darstellung auftritt, sobald sie frei und unbefangen sich selber überlassen wird, ohne sie [53] in gelehrte und ausstudirte Falten zu werfen. Dieser höchsten und schönsten Staffel der Bildung wendet sich erst in neuester Zeit das Talent des Schreibens allgemeiner zu. –

Die latinisirenden Sympathieen der deutschen Prosa lassen sich vorzugsweise auf zwei Ideale zurück führen, Cicero und Tacitus, von denen der erstere der deutschen Schreibart nur geschadet, der andere nur genützt hat. Der Einfluß dieser beiden römischen Schriftsteller auf das Wesen des deutschen Stils nimmt in der That für uns eine literarische Bedeutung ein. Börne hat in gewissem Sinne sehr Recht, wenn er einmal meint, man müsse Stilübungen mit der Jugend noch gar nicht vornehmen, denn Stil sei Werk und Ausdruck des Mannes, des hervorgebildeten Charakters. Stilübungen der Schule liefern uns zuerst dem ciceronischen Schematismus in die Hände, und gewöhnen uns, eine Schreibweise zu mechanisiren, die weder freier Erguß des Herzens, noch treue Abprägung unsrer eigenthümlichen Gedankenreihen ist. Cicero, der Talleyrand der alten Beredtsamkeit, mag von den lateinischen Grammatikern mit Recht als [54] Muster des reinsten Schullateins aufgestellt werden, mit Unrecht und zum Schaden wird er es damit zugleich als einziges Vorbild guter und kunstvoller Prosa. Diese Zungendrescherei der langen und athemlosen Perioden, die aufgeblasene Eitelkeit der Rednerbühne, das Marktgeräusch stolzirender und die Zuhörer übertäubender Sätze, können, bei aller Eleganz der Wendungen, bei allem rhythmischen Prunk und Fluß, bei aller meisterhaften Berechnung des Durcheinanderschlingens und Abschließens, niemals für etwas Nachahmenswerthes, für eine allgemeine Norm, betrachtet werden. Ciceros Stil ist der Stil der Gesinnungslosigkeit, der Stil der Ostentation. Das productive Gemüth hat keinen Antheil an Ton und Wandel seiner Sätze, es ist Alles gemacht, nach einem Schema gefertigt und berechnet auf Wirkungen, die der Advocatenmoral angehören. Die landstraßenartige Regelmäßigkeit dieses Stils ist ebenso widerwärtig, als die hinundwieder in rhetorischen Figuren gesuchte Unregelmäßigkeit und Abwechselung den Eindruck eines Marionettentheaters macht. Man befindet sich bei ihm wie an einer wohlbesetzten Tafel, wo der Wirth [55] durch umständliche Berechnung der Kosten, die er bei jeder uns vorgelegten Speise mit precieuser Miene anbringt, uns allen Appetit verdirbt. Entschiedenen Haß gegen den ciceronischen Stil hat besonders Hippel ausgesprochen, und es wäre zu wünschen, daß sich dieser allgemeiner verbreitet hätte, anstatt daß wir nun schon als Muttermilch unserer Prosa diese eitele, weitschweifige, rhetorisch fabrizirte Schreibart einsaugen müssen, in der wir es höchstens zu einem fehlerfreien Schulmeisterstil bringen. Als den ersten Vermittler der ciceronischen Prosa mit den modernen Literaturen kann man den Boccaccio ansehn, der in seinem Decamerone, welcher ein europäisches Lesebuch wurde und sehr früh und sehr häufig auch in Deutschland Uebersetzer fand, zuerst die italienische Prosa nach dem classischen Musterbild des Cicero formte, zu einer Zeit, wo es noch nirgends in Europa eine gebildete moderne Prosa gab. Durch ihn wurde Ciceros Schreibart in einer modernen Production überliefert, und damit das lange bedenkliche Gesicht der von Zwischensätzen überfüllten Periodenbildung, die unter allen neuern Sprachen der langsam und [56] feierlich gemessenen Bewegung der italienischen, und ihren volltönenden und langaushaltenden Wortlauten, noch am meisten eignet. In der deutschen Sprache aber hat sie den Hang zur Weitschweifigkeit bestärkt und gewissermaßen rhetorisch ausgebildet. Das lange Auslaufen der Hülfszeitwörter in unserer Schreibart, das pedantische Austönen von gewesen sein, geworden sein, gehabt haben u. dgl., womit wir uns noch immer mehr als nöthig und billig Umstände machen, verdanken wir den Rückwirkungen des Cicero, dessen große Effecte mit seinem esse videatur und andern rhythmischen Schlußfällen 1 uns unsere Lehrer nicht genugsam preisen konnten.

Schönere und geistigere Eindrücke empfing die deutsche Prosa von dem Stil des Tacitus, welcher einen andern Pol für die Bildung unserer Schreibart bezeichnet. Im Tacitus erzeugt und beherrscht das Gemüth die Periode, und die kurzen, schlagfertigen Reihen derselben sind abgebrochene [57] Laute einer großen Weltanschauung, die sich auf die bestehende Wirklichkeit nicht vollständig anzuwenden, sondern nur zuckend anzudeuten wagt. Es ist das stilldüstre Flackern eines verzehrenden Feuers, verhaltener Zorn und prophetische Wehmuth, was in dem Bau dieser Sätze sprüht und dunkelt, und auch grammatisch in eigenthümlichen Worten und Wendungen ausschlägt. Diese grollende Kürze, diese raschen Schlagschatten des Gedankens und der Ironie, diese vulkanischen Erzitterungen der Rede, gleichen den Symbolen einer Kassandra, die am Rande des Unterganges der alten Welt sinnend stillsteht. Dieser moralisch erhabene Stil, charakterschildernd für eine ganze Zeit, wird von Manchen, besonders von Schulmännern 2, häufig als eine Stufe des Verfalls, des Sprach- und Schreibverderbens angesehen, besonders deshalb, weil in ihm jene Verschmelzung von Poesie und Prosa begonnen, die wir früher aus allgemeinem Gesichtspunct [58] der Literatur und Sprache bezeichnet, und worin die tacitische Schreibart mit unsrer heutigen modernen auf gleichen Elementen der Gesinnung, der Sprachentwickelung und der Zeitverhältnisse beruht. Die poetische Gestaltung der Prosa als eine Entartung der Sprache zu betrachten, ist jedoch eine für die Schule wie für das Leben irrige Ansicht. Nur wenn man die mechanische Schnitzarbeit Cicero's, oder Cäsar's militairische Einfachheit für die einzige Normaldarstellung anerkennt, möchte man den Stil des Tacitus als eine bloß abnorme Manier einer einzelnen Subjectivität, die in dem Verderben ihrer Zeit befangen, beurtheilen dürfen. Die tacitische Schreibart steht über dem Verderben ihrer Zeit, weil sie die Schreibart des bewußten Genius seiner Epoche ist, der zwar alle Farben der allgemeinen Zustände hineinmalt, alle ihre Stimmungen ausklingt, aber nicht Geschöpf, sondern Schöpfer seiner Gemälde ist. Der poetische Stil des Tacitus ist eine Production der eigenthümlichen Gesinnung, die Gesinnung macht ihn poetisch, und diese ist die einzige Bewegerin der Sprache, die allgemeingültige Gesetze aufstellt. Cicero ist die [59] ausgebildete Norm jener Prosa, die sich rein auf dem abgegränzten Gebiet prosaischer Darstellung erhält, in der Sonderung gegen den poetischen Sprachgebrauch möglichst streng verharrend, aber wir haben schon angegeben, wie die Entwickelung der Sprache selbst, die von der Einheit mit der Poesie anhebt, zu gewissen Perioden durch Ineinsbildung von Poesie und Prosa wiederum ein einziges und einheitliches Organ sich zurückzuerstreben scheint. Die Formen aber, die ein gewaltiger Geist seinem Standpunct gemäß und zum Ausdruck seiner Gesinnung nothwendig findet, von einem grammatischen Canon aus als Verfall und Verderben zu bezeichnen, ist eine Schulmeisterlichkeit, wie es über haupt eine Widersinnigkeit ist, an dem geschichtlichen Gang der Sprachen kritisch corrigiren, abändern, einhalten und meistern zu wollen. Die dichterische Schreibart des Tacitus besteht nicht in einzelnen poetischen Streiflichtern und Färbungen, die schon ältern Historikern vor ihm eigen waren, sie verräth sich in der ganzen Productivität des Stils, und in einer eigenthümlichen Grammatik, wodurch diejenige, die man aus Cicero [60] zu schöpfen gewohnt ist, theilweise umgestoßen wird. Alle die Abweichungen des tacitischen Stils, die wechselnde Stellung der Wörter, die Cicero nach der Grammatik, Tacitus nach den Anfoderungen des Gedankens, der Gemüthsstimmungen ordnet; häufige Ellipsen und Verschweigung aus dem Zusammenhang zu ergänzender Wörter, wodurch jenes straffe und plastische Gepräge der Darstellung; an passenden Stellen das Hervorsuchen alterthümlicher Wendungen und Wörter, und zu besonderer Bezeichnung selbst das Allerseltenste aus dem früheren Sprachschatz; dagegen auch, auf Anlaß des Sinnes, schöpferische Bildung neuer Wörter, wozu sich die grammatische Keuschheit Cicero's nie verstanden hätte; ferner die Vermischung des Activums und Passivums in einem und demselben Satze; öftere Auslassung der Partikeln und solcher Wörter wie posse, facere, agere; eine, wenigstens nach Cicero, ungrammatische Folge der Zeiten hinter den Conjunctionen, die aber meist aus feinberechneten Motiven der Gesinnung erwächst; der Gebrauch des Neutrums der Adjectiva für ein Substantivum; diese Eigenthümlichkeiten alle beweisen [61] in ihrer siegenden Schönheit nur die Grundgewalt, die der darstellende Gedanke über Sprache und Stil zu erlangen vermag. Dem verderbten Sprachgemisch seiner Zeit hat sich aber Tacitus auf seiner künstlerischen und ethischen Höhe durchaus entwunden, und wenn er auch in Wortendungen und Constructionen zuweilen gräcisirte, so zeigt er sich doch der Sprachmengerei seiner Zeit, die häufig griechische Wörter der lateinischen Rede einmischte, in aller Reinheit des ursprünglich sich ausdrückenden Genies überlegen 3.

Der tacitische Stil ist für Deutsche vielfach Muster und Lehrmeister der Schreibart geworden. Fichte bildete seine herrliche Darstellung in den Reden an die deutsche Nation durch vorangegangene Studien des Tacitus 4, und vieles Treffliche unserer Geschichtschreibung, sowohl in der Behandlung als in der Auffassung, wird immer auf sein Vorbild zurückgeführt werden müssen. Einige Schriftsteller [62] haben ihn völlig nachgeahmt, andere, die den Geist seiner Darstellung productiv in sich aufgenommen, verdanken ihm noch mehr. Für uns wird die prägnante Periodenbildung und die productive Diction des Tacitus in eben dem Maße, in welchem sie dem Cicero fremd gegenüber steht, als ein Typus gelten können, der den Mitteln unserer Sprache und der Stufe ihrer heutigen Cultur mit der größten Verwandtschaft entspricht, ohne daß damit ein regulatives Muster aufgestellt sein mag.

Es giebt überhaupt kein bestimmt aufzustellendes Muster der Schreibart, da immer nur diejenige die rechte ist, die, frei von jedem Mechanismus, aus dem inneren Leben des Gegenstandes hervorgeht. Es müßte denn die ausgebildetste Harmonie der geistigen und formellen Bestandtheile des Satzes sich in irgend einer Erscheinung so verwirklicht zeigen, wie Wilhelm von Humboldt, in seiner Abhandlung über das Entstehen der grammatischen Formen, es von der griechischen Sprache, die ihm die vollendetste erschien, als ein Ideal bezeichnete, indem er sagt: »In dem künstlichen Periodenbau dieser Sprache bildet die Stellung der [63] grammatischen Formen gegeneinander ein eigenes Ganzes, das die Wirkung der Ideen verstärkt und in sich durch Symmetrie und Eurhythmie erfreut. Es entspringt daraus ein eigener, die Gedanken begleitender, und gleichsam leise umschwebender Reiz, ungefähr ebenso, als in einigen Bildwerken des Alterthums, außer der Anordnung der Gestalten selbst, aus den bloßen Umrissen ihrer Gruppen wohlgefällige Formen hervorgehen. In der Sprache aber ist dies nicht bloß eine flüchtige Befriedigung der Phantasie. Die Schärfe des Denkens gewinnt, wenn den logischen Verhältnissen auch die grammatischen genau entsprechen, und der Geist wird immer stärker zum formalen und mithin reinen Denken hingezogen, wenn ihn die Sprache an scharfe Sonderung der grammatischen Formen gewöhnt.« –

Fußnoten

1 Vgl. Voß, Zeitmessung der deutschen Sprache, S. 250.

2 Vgl. Manso, über das rhetorische Gepräge der römischen Literatur, in seinen Vermischten Abhandlungen, und Aufsätzen (Breslau 1821.) S. 44.

3 Vgl. Bötticher, de vita, scriptis ac stilo Taciti. (Berol. 1834.)

4 S. Fichte's Leben, herausgegeben von seinem Sohn, Thl. I. S. 533.

[64] 5.

Die künstlerischen Gesetze, nach denen die geschriebene Prosa sich bildet, haben auf die Sprache des wirklichen Lebens in Deutschland keine Anwendung. Beide stehen abgerissen von einander und getrennt sich gegenüber, obwohl die bedeutsamste Beziehung zwischen ihnen anzuknüpfen wäre. Bevor wir die Kunst der productiven Prosa erörtern, dürfte es interessant sein, auf die Prosa der deutschen Conversation einen Blick zu werfen, und von unserem Gesellschaftszustand, in seinem Verhältniß zur Sprache, eine Andeutung zu geben. –

Wessels bekannte Parodie: »Liebe ohne Strümpfe« wurde von Scalabrini in Musik gesetzt, ohne daß dieser italienische Componist auch nur ein Wort von dem dänischen Texte verstanden hätte. Eine ähnliche Parodie mit Harmoniezwang wird noch heut alle Abende in unserer Gesellschaftsunterhaltung [65] aufgeführt. Die bodenlose deutsche Höflichkeit gleicht jener Liebe ohne Strümpfe, ihr Text ist eine Travestie, und der Maestro, den man bon ton nennt, hat, um Sinn, Wort- und Menschenverstand ganz unbekümmert, eine Musik daraus gemacht, in dem bekannten Grundsatz: Quand le bon ton parait, le bon sens se retire. Diese Composition, die uns als deutsche Gesellschaftssprache an die Ohren schlägt, ist, wie ich beweisen werde, eine verderbte Grammatik, eine verderbte Logik, ein verderbtes Menschengefühl und eine verderbte Natur; aber sie ist nichtsdestoweniger Musik, und für den gewohnten Umgangsverkehr unsere einzige Lebensmelodie, die einzige anerkannte Tanzregel, nach der man sich nicht nur dreht, sondern auch denkt.

Man hat noch nicht die Geschichte der deutschen Höflichkeitssprache geschrieben. Und doch ist es bei ihrer Betrachtung der größte Trost, daß sie eine Geschichte hat, mithin ebenso gut einer Verbesserung in aufsteigender Linie fähig ist, als sie in absteigender eine Verderbung erlitten. Ich sehe schon das staunende Lächeln eines unserer Nachkommen, [66] die ich mir als so glückliche Menschen träume, daß sie die höchste Cultur zur höchsten Natur in sich zurückgebildet haben! Was werden diese kräftigen Naturmenschen künftiger cultivirter Staaten dazu sagen, wenn sie Nachgrabungen auf unserer verschütteten Zeit anstellen, wie wir heut Mammuthsgerippe aus urweltlichen Erdschichten hervorziehen, und sie dann, vor Schreck den grammatischen und logischen Spaten, mit dem sie uns durchgruben, sinken lassend, etwa folgenden räthselhaften Eselskinnbackenknochen einer vormaligen deutschen Gesellschaftsunterhaltung in die Hände bekommen, eine Fossilie, die heutzutage, mit frischem schönem Fleisch bekleidet, als Symbol und Physiognomie eines wohlerzogenen Gesprächs angesehen werden muß:

Abgehorcht.

(Berlin, 11, ** 183.)


JUNGER HERR. Haben gnädiges Fräulein schon das neueste Werk vom geistreichen Rummelsburg gelesen?
[67]
JUNGE DAME. Ihnen zu dienen.

JUNGER HERR. Gnädiges Fräulein erweisen mir allerdings einen Dienst damit, denn nun werden Sie mich beehren, Ihr Urtheil hören zu dürfen.

JUNGE DAME. Sie verzeihen.

JUNGER HERR. Sie haben Recht und ich glaube Sie zu verstehen. Fräulein meinen, es sei unverzeihlich, über einen solchen Autor zu kritisiren.

JUNGE DAME. Sehr wahr.

JUNGER HERR. Ich möchte aber dennoch um Entschuldigung bitten, und eine Seite an unserm großen Rummelsburg hervorheben, die merkwürdig ist, – wenn Sie erlauben, seine allzumaterielle Behandlung der Liebe.

JUNGE DAME erröthend. Gewiß. – Man dürfte nicht ermangeln, Ihnen hierin beizustimmen – Sie fängt hastig an zu stricken.

[68]
JUNGER HERR mit halber Stimme. Und haben Sie niemals geliebt, Fräulein?
JUNGE DAME. Ich bitte recht sehr. Sie entschuldigen.
JUNGER HERR. Sollte die Liebe hier in Berlin einer Entschuldigung bedürfen?
JUNGE DAME. Verzeihen Sie.
JUNGER HERR. Verzeihen Sie selbst vielmehr, wenn ich zu dreist gewesen – –

JUNGE DAME zu ihrer Nachbarin leise ins Ohr. Ich finde, daß er viel Geist hat. Man kann sich recht gegen ihn aussprechen.

JUNGER HERR zu seinem Nachbar leise ins Ohr. Ich finde, daß sie gar nicht so übel ist. Hinter ihren Redensarten lauert ohne Zweifel viel Geist versteckt. – –


* * *


Dieser flüchtige Küchenzettel einer gewiß ganz[69] normalen Unterhaltung zeigt die meisten und geläufigsten Formeln, auch in grammatischer Hinsicht, auf, in denen sich die deutsche Umgangs- und Höflichkeitssprache auf ihrer gegenwärtigen Stufe bewegt. Sie ist zu dieser abenteuerlichen Pedanterie erst allmählich gelangt, und der Sprachforscher, welcher eine gesellschaftliche Grammatik zusammenstellt, müßte nothgedrungen zum Satiriker werden, wenn er nicht zu bedenken hätte, daß der innere Geist der Nation selbst gesünder und kernhafter ist, als sein äußeres Umgangsleben, das hinter diesen verstauchten Formen einer gemüthlosen Gutmüthigkeit und einer gutmüthigen Gemüthlosigkeit ganz andere Menschen und Herzen verhüllt. Zwar dürfte es immer etwas Verdienstliches sein, die hypochondrische Höflichkeit der deutschen Sprache mit einigen Salzdosen frischen Spottes zu reizen, verdienstlicher gewiß, als einen positiven Beitrag zu ihr zu liefern im Sinne des anstandsvoll lächelnden Freihern von Rumohr, der sich in seiner Schule der Höflichkeit aus vornehmer Ferne mit der deutschen Höflichkeit vornehm herumcomplimentirt und uns unsern Weichselzopf in eine gewisse[70] Kunstform gestriegelt und verfestigt hat. Das Lakaienmäßige der deutschen Umgangssprache bezeichnete schon Herder so 1, der überhaupt schon frühe, mehr als bekannt ist, einer gewissen antinationellen Opposition manche Stichwörter hingeworfen hat, die später auf anderm Grunde aufgenommen und zu einer systematischen Controverse versponnen wurden. Man muß aber vielmehr nie vergessen, daß eine wesentliche Verschiedenheit zwischen unserm Nationalcharakter selbst und seinen traditionellen Ausdrucksformen existirt, denn wäre unsere innere Nationalität ebenso schielend, gedankenlos kriechend und meinungsscheu, als unsere gesellschaftlichen Phrasen, so taugten wir wahrlich nichts bis in die Seele hinein, und jede Mühe wäre unnütz, durch Opposition solchen unterhöhlten Charakteren aufzuhelfen. Und in der That, wenn man die göttliche Gabe der Rede durch den schimmernden Gesellschaftssaal und seine Gruppen und Reihen hintönen hört, [71] und die Worte, wie eine vermummte Maskenschaar, durcheinanderflüstern, um immer Das auszudrücken, was man nicht ist und nicht meint, ein Assecuranzsystem gegenseitig verabredeter Täuschung, so könnte man glauben, in Deutschland gebe es keine Aufrichtigkeit, keine Gedankenfreiheit, keine Freundschaftsbrust, und keinen Nachtigallenschlag der Liebe! Denn welche Nachtigall, nachdem sie herrlich geschlagen, wird sich devot den Schnabel wischen, und sich ganz gehorsamst entschuldigen, daß sie Gedanken und Gefühle hat, sogar um Verzeihung bitten, daß sie überhaupt eine Nachtigall, und kein Wiedehopf, zu sein wagt! Ja selbst den Himmel scheinen sich diese Leute durch ihre Höflichkeit zu verderben, indem sie durch eine unerhörte Steigerung des Wortes seelig, die sich in keiner andern Sprache ähnlich wiedergeben läßt, Ständeunterschiede sogar in der Unsterblichkeit annehmen! Es fehlte nur noch die Höflichkeit jener wilden Völkerschaften, die von Zeit zu Zeit aus Artigkeit gegen einen neuen Herrn alle Wörter und Zeichen ihrer Landessprache gänzlich umändern, sodaß unter dem einen Herrscher Tisch heißt, was unter dem andern [72] ein Stuhl gewesen, unter dem einen Esel, was unter dem andern ein Löwe, unter dem einen Bewegung, was unter dem andern Stillstand u.s.w. Die deutsche Bergmannsnatur aber, die lauter ungehobene Schätze und unabgelagerte Stein- und Metallklumpen in ihren Schachten verbirgt und somit ursprünglich aus Unbeholfenheit, treuherziger Grobheit und Wehmuth zusammengefügt ist, hat sich nur mit Gewaltanthuung hinter die herkömmlichen Höflichkeitsfalten verschleiert, sowie in einem umgekehrten Falle gerade die härtesten Menschen oft von Natur sehr weich sind, nach dem bekannten Wort: »ich bin zu weich, ich kann das Mitleid nicht vertragen!« So ist auch der Deutsche eigentlich zu grob, um die Grobheit vertragen zu können, und deshalb giebt er sich, durch sein allzugroßes Selbstbewußtsein ängstlich und peinlich gemacht, jener glacirten Höflichkeitssprache hin, die aus grammatischer Verdorbenheit und psychologischem Unsinn ein hinlänglich plattes Glatteis crystallisirt hat, um darauf ohne Anstoß und ohne alle Ecken der Meinung hinundherrutschen zu können. Die deutsche Höflichkeit macht in ihren unaufhörlich sich [73] selbst bewachenden und entschuldigenden Wendungen die Capriolen einer Katze, welche nach dem Schatten einer für wirklich gehaltenen Maus schnappt, die ein Knabe durch ein Papierbild an der Mauer hervorgegaukelt. Sie würde nichts erreichen als ihre eigene Beschämung, wenn man sie beim Wort nähme und auf ihren Inhalt zurückführte!

Die Schlechtigkeit unserer Umgangssprache, die alles patriarchalische Herz für menschliches Vernehmen verloren und kein Lachen und kein Weinen der Seele auf ihren überstimmten Claviaturen hat, ist also, wie wir anzudeuten gesucht, durchaus keiner Entsittlichung des Nationalcharakters zuzuschreiben. Diese Sprache ist das Sündenkind der deutschen Gesellschaftlichkeit, welche bekanntlich etwas von den Interessen der Nationalität ganz Abgesondertes, eine für sich bestehende Kalksteinformation unserer gebildeten Stände ist. Die deutsche Gesellschaftlichkeit in ihrem gegenwärtigen Zustande ist die Selbstironisirung des deutschen Gemüths. Die deutsche Sprache aber war von jeher ein so tiefsinniges, Gedankeneinsamkeit liebendes, nachtigallenartiges, [74] deutsches Wesen, daß sie sich in Gesellschaft nie gut befand, und die Salons floh, um in den Wäldern zu träumen oder auf den Dachstuben der Poeten und Weisen sich heimlich zu gestalten, gleich jenem schönen, scheuen, talentvollen Mädchen, das, hinter ihren andern weltlustigen Schwestern zurückgesetzt, immer zu Hause bleibt, aus Liebe zur stillsinnigen Verborgenheit, in der ihre ersten Gedanken knospen. Deutsche Gesellschaft und deutsche Sprache waren sich lange Zeit zwei fremde und widerstrebende Elemente. Zwar durfte sich die deutsche Sprache einer sehr frühen Periode rühmen, wo sie, am Hofe der fränkischen Könige, sogar Hofsprache gewesen, und (seit 486) im ganzen fränkischen Reiche für das vornehmere Organ galt, 2 aber es kam eine Zeit, [75] wo sie nicht nur aus den öffentlichen Verhandlungen, sondern auch aus dem gesellschaftlichen Leben wieder verstoßen wurde. In dem ganzen mittleren Zeitalter Europas eigneten die deutschen Laute nur den niederen Ständen, sowie heutzutage noch in Rußland in der Regel nur mit dem Gesinde und den Leibeigenen russisch gesprochen wird. Die unteren Stände waren es aber auch, welche unsere Nationalsprache wieder zu Ehren brachten und in ihre Lebensrechte einsetzten, denn aus der Mitte der deutschen Aristokratie, die so lange französisch gesprochen und sich gänzlich in die Manieren aus Ludwigs XIV. Zeit eingekleidet hatte, konnte jener neue Umschwung der deutschen Rede nicht hervorgehen, der namentlich unter Friedrich dem Großen und zu einer Epoche sich zeigte, wo die Höfe nicht mehr den alten Einfluß auf die öffentliche Meinung ausübten, und dagegen die Schriftsteller mehr als je auf diese einzuwirken begannen. 3

[76] Man ist jedoch meistentheils viel zu ungerecht bei der Beurtheilung jenes gesellschaftlichen Gebrauchs, den man in Deutschland von der französischen Rede gemacht hat, und die beschränkten Deutscheiferer einer gewissen Zeit haben sich dabei auf dem Steckenpferd ihres kleinlichen Franzosenhasses recht heldenhaft zu tummeln gewußt. Einige Nachzügler galloppiren noch heut darauf herum. Es versteht sich, daß eine Nation nicht für eine civilisirte gelten könnte, welche nicht die ganze Peripherie ihrer geistigen Bedürfnisse mit ihrer Landessprache vollendet zu umschreiben vermöchte; aber es ließe sich die Frage aufwerfen, ob nicht für das moderne gesellschaftliche Leben, so wie es sich heut bei uns gebärdet, die Vermittelung einer fremden Zunge immer von vielfachem Nutzen wäre? Während der Eichenwald der deutschen Production in seinen landschaftsgemäßen Blättern und Blüthenzweigen ausschlüge und unaufhaltsam weiterwüchse, könnte man der deutschen Sprache durch Fernhaltung von den unnatürlichen Denkformen unserer Gesellschaftlichkeit eine urkräftige Aechtheit bewahren. Der gesellschaftliche Verkehr selbst kann aber durch [77] ein fremdes Organ in dem Element, worauf er doch einmal beruht, nur erleichtert und begünstigt werden. Ich verstehe unter der Gesellschaftlichkeit etwas Anderes als die ächte menschliche Geselligkeit, und daher werde ich dem Tadel entgehen, dies sei eine misanthropische Grammatik. Die Geselligkeit ist ein Liebesmal unserer Gedanken, Gefühle und gegenseitigen Eigenthümlichkeiten; die Gesellschaftlichkeit ist eine hermetische Verschließung derselben. Wie die armen Indianer sich schämen, in Gegenwart von Fremden ihre Muttersprache zu reden, so schämen wir uns in unsern deutschen Gesellschaften oft Dessen, was als das Beste und Schönste in uns steckt, womit wir aber alle Institutionen des Salons über den Haufen stürzen würden, wenn wir den in uns redenden Meinungen Worte geben wollten. Als Scheinbilder uns repräsentirend, würden wir oft eine Wohlthat darin finden, uns für die Chiffrirung Dessen, was wir nicht sind, einer fremden Sprache fortdauernd bedienen zu können. In fremder Mundart fühlt man eine größere Berechtigung zur Ostentation, man übt das Sprechen, um zu sprechen, mit leichtsinnigerer Freiheit, und [78] giebt sich mit mehr Beschäftigung den gesellschaftlichen Formen hin, die man auch in jeder andern Sprache kürzer und muthiger ausdrückt, als in der deutschen. Man würde unsern Gesellschaftsumgang dadurch noch entschiedener von dem wahren Leben abzeichnen, und ihm sein Phrasenhaftes als eine Symbolik der üblichen Repräsentation zugestehen, die darum auch in fremder Zunge laut wird. Wenn sich die Deutschen des sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts, bis in das achtzehnte hinein, französischer Umgangssprache bedienten, so war es für die nationale Gesinnung, die dadurch in den Schatten gestellt wurde, eine Schmach und Schande, aber man könnte zugleich behaupten, daß sie damals die geselligen Beziehungen und Umgangsphrasen nicht so naturwidrig und gegen allen Sprachgeist ausdrückten, wie später, als die deutsche Sprache zur Gesellschaftssprache abgerichtet und in die Salons gezogen wurde.

Die natürliche und humane Höflichkeitssprache der Franzosen, mit deren leichtgeschürzten Gewändern die deutsche Geselligkeit so lange ihre beste Toilette bestritten, hat auf den deutschen Geist [79] selbst keine nachhaltige Wirksamkeit ausgeübt. Man könnte sich vielmehr wundern, daß die Höflichkeit unserer Nation, nachdem sie in den französischen Formen sich mit der Unbefangenheit und dem dreisten Selbstvertrauen der großen Welt auszudrücken gelernt, bald darauf mit ihrem landesthümlichen Organ in die gekünsteltste und geschraubteste Pedanterie des Ausdrucks zurückzusinken vermochte, und jenen timiden und bettelhaften Umgangston wieder anstimmte, in dem wir noch heut concertiren. Dabei ist unsere heutige Umgangssprache, trotz aller puristischen Stahl- und Schwefelbäder, doch keinesweges frei von dem Hange, sich wieder mit ausländischen Wörtern und Wendungen zu rekrutiren, und namentlich für piquante Bezeichnungen einer gewissen geistreich vornehmen Anschauungsweise französische Ausdrücke, die allerdings meist unübersetzbar sind, in Cours zu geben. Diese Neigung tritt immer sichtbarer wieder hervor, und hat sich auch literarisch abgezeichnet. Die Werke des Fürsten Pückler haben noch in einem tiefern, als dem gewöhnlichen Sinne, eine gesellschaftliche Bedeutung für unser Jahrhundert, [80] doch spiegeln sie zugleich in ihrer naiven und liebenswürdigen Selbsthingebung eine gewisse Sprachmengerei ab, wodurch sie die heutige gäng und gäbe Ausdrucksweise unserer höheren geistreichen Zirkel entschieden charakterisiren, und um so unmittelbarer, da sie, nur mit individueller Originalität versetzt, aus diesen Elementen frischweg und ungezwungen in die Literatur übersiedelt sind. Wo eine geniale und sinnreich leichtfertige Bewegung gemacht oder ein besonders treffender Einfall markirt werden soll, ist auch sogleich nicht nur ein französisches Bonmot zur Hand, sondern oft ganze Reihen und Sätze in fremder Zunge, die mit graziösem Anstand eingestreut werden; am häufigsten in den Briefen des Verstorbenen, die unter allen Werken dieses Autors der unabsichtlichste Abdruck aller seiner Eigenheiten sind. Diese Sprache, die in Schriften von rein literarischem und künstlerischem Charakter meistentheils ein Gräuel wäre, in jenen Darstellungen aber durch ihre ganze Tonart und Entstehung eine gewisse Berechtigung annimmt, liefert den Beweis, daß die Liebenswürdigkeit französischer Aisancen und Nüancen noch immer eine [81] gewisse Aufforderung zu haben scheint, sich in das gesellschaftliche Leben der Deutschen zu mischen. Dieselbe Erscheinung, nur auf einem geistigeren Grunde ausgeprägt, bemerkt man in den Briefen der an das großartigste Weltleben hingegebenen Rahel, die oft für die Bezeichnung ihrer witzigsten Combinationen, hinundwieder selbst für manche ihrer visionnairen Anschauungen, keine deutschen Wörter hat, sondern nur französische, welche aber dann äußerst treffend sind und mit blitzschneller Kürze schlagen. Aus vielen ihrer Briefe redet auch im ganz unmittelbaren Abdruck die Sprache des Familien- und täglichen Umgangslebens, wie es sich besonders in den berliner Kreisen von höherer Art und Bildung gesprächlich zu äußern pflegt, und auch darin tönt uns eine Mischung von fremden und heimischen Lauten entgegen, zum Beweis, daß dem Purismus in Deutschland nur Palliativkuren gelungen waren. Er hat auch seine zu einer gewissen Zeit so gewaltigen Bestrebungen gerade jetzt, wo er die mehrfachsten Herausforderungen hätte, zurückgezogen; wenigstens zieht er es vor, über das unabläugbare Factum, welches ihm in [82] unsern Tagen die gebräuchliche Gesellschafts- und Umgangssprache wieder entgegenhält, zu schweigen. Dagegen kann der Purismus den Triumph erleben, daß sich in den literarischen und poetischen Kunstwerken der Nation, auch selbst in ihren ephemeren öffentlichen Schriften, die Reinheit der Sprache fortwährend so ächt, als es nur möglich, zu behaupten strebt, wenn sie auch gerade nicht jede witzige und energische Bewegung des Gedankens an einen engherzigen Wörterpatriotismus fesselt.

Die eingeständliche Meinungslosigkeit, aus der unsere gesellschaftlichen Phrasen hervorgegangen, trägt auch davon die Schuld, daß für viele Dinge des Umgangs ein französischer Ausdruck vorgeschoben wird, indem unser Deutsches entweder noch nicht die Keckheit solcher Bezeichnung unter seinen Wörtern ausfündig gemacht, oder auch die Sache dadurch gemildert und schonend verhüllt werden soll, daß wir sie dem Andern nicht gerade mit einem deutschen Wort ins Gesicht sagen. Beruhte unsere Conversationssprache nicht auf solchen Rücksichten und Voraussetzungen, so würden sich für manche gesellschaftliche Leichtfertigkeiten und Umgangsgewohnheiten, [83] die sich französisch sehr geläufig sagen, schon mehr entsprechende deutsche Bezeichnungen von gleicher Leichtigkeit eingefunden haben. Aber aus dieser deutschen Voraussetzung, daß die größte Höflichkeit darin bestehe, dem Andern so wenig als möglich unmittelbar gegenüberzutreten, hat sich unsere Umgangssprache sogar grammatisch gebildet. Dies charakterisirt sich namentlich durch den gesellschaftlichen Gebrauch der Pronomina, der seine bestimmt nachzuweisende Geschichte in unserer Sprache hat, von den Zeiten natürlicher Unbefangenheit und Vertraulichkeit an bis zu dem extremen Zustande, in dem wir uns gegenwärtig mit diesen Anredewörtern (gewissermaßen den Vorposten des Gesprächs) befinden.

Man kann annehmen, daß bis ins funfzehnte Jahrhundert hinein das für alle Verhältnisse des Lebens gebräuchliche Anredewort in dem einfachen Du bestand, der natürlichsten und arglosesten Form, um eine Gegenseitigkeit zweier Personen, die miteinander in Beziehung treten, auszudrücken. 4 Du [84] sagte man nicht nur im vertrauten Umgange, wie wir heutzutage ausschließlich; sondern auch an den Höfen, oder wosonst nur ein Ceremoniell die Verhältnisse hätte erschweren können, hörte man keine andere Anrede. Briefe und andere literarische Ueberlieferungen aus jener Zeit bewahren die Zeugnisse davon auf, obwohl schon im Anfange des funfzehnten Jahrhunderts Veränderungen allmählig sichtbar werden. Bald mußte es für vornehmer gelten, die zweite Person des PluralisIhr als Anrede zu brauchen, Du war namentlich in den höheren Zirkeln nicht mehr fashionable, und nur den Subalternen wurde es noch von ihren Vorgesetzten im Umgange geboten. 5 Die Aristokratie ihrte sich gegenseitig, und die Demokratie wurde von ihr gedutzt. Bei größeren Anregungen des deutschen Lebens von Außen [85] und vielfältigeren Mischungen des Nationalverkehrs wurde jedoch die Höflichkeit, die einmal vom Pfade der Natur zu weichen angefangen, immer mehr verleitet, sich auf Absonderlichkeiten und ausgesuchte Kniffe zu legen. Die Römer waren selbst in ihrer demoralisirtesten Periode, wo in genialen Köpfen Scharfsinn und Wahnwitz wetteiferten, um neue und unerhörte Typen der Schmeichelei für die Kaiser zu erfinden, nicht darauf gefallen, zum Triumph der Höflichkeit die Pronomina ihrer Sprache zu nothzüchtigen. Sie sagten Du selbst zu ihrem Tiberius, Caligula, Nero. Die Deutschen mißbrauchten aus Gutmüthigkeit, Taktlosigkeit und Unsicherheit des Welttons die erstaunliche Biegungsfähigkeit ihrer Sprache zu niedagewesenen Spiegelfechtereien. Die dritte Stadie der im Irrgarten der Pronomina umhertaumelnden Höflichkeit war die dritte Person des Singular: Er, worin das sechszehnte und siebzehnte Jahrhundert hindurch die gebräuchlichste Anrede im geselligen Leben bestand, zu einer Zeit, wo durch Interessen des Handels, der Politik und der erwachenden Wissenschaften die italienische Sprache an den deutschen Höfen und [86] in den gebildeteren Umgangskreisen sehr in Aufnahme gekommen war. 6 Denn diese dritte Person des Pronomens im Singular war ohne Zweifel nur als eine Nachahmung der italienischen Sprachgewohnheit entstanden, obwohl man sich im Italienischen, mit noch weichlicherer Färbung, des Femininums dabei bedient und Jedem, den man anredet, die Galanterie erweist, ihn zum Weibe zu machen. So weit war es jedoch in Deutschland zu dieser Zeit, wenn auch schon Paul Flemming seine Geliebte sein »göttliches Mensch« nannte, nicht mit der chevaleresken Verehrung der Weiblichkeit gediehen, daß man es für höflicher hätte halten sollen, auch dem Manne ein zarteres weibliches Genus in der Anrede beizulegen.

Nachdem einmal die dritte Pronominalperson in unsere Höflichkeitsterminologie eingewandert war, lag, bei fortdauernder Leidenschaft zur immer größern Steigerung der Höflichkeit, der Uebergang nahe, in der dritten Person der Mehrheit statt Er nunmehrSie zu sagen, auf welcher Stufe [87] wir noch heutzutage stehen geblieben sind. Diese dritte Person des Pluralis zeigt sich als neue Mode des höchsten und elegantesten Welttons schon in deutschen Briefen vom Ende des siebzehnten Jahrhunderts, wovon Günther (a.a.O. S. 267 fg.) aus Martin Zeiller's epistolischer Schatzkammer Beispiele anführt. Wenn jedoch in der genannten Abhandlung behauptet wird, die Wahl des Pluralis in der Anrede sei aus einer Nachahmung des Französischen hervorgegangen, so ist dies nicht wahrscheinlich, da es, nachdem das Du schon früher in die Mehrheit des Ihr sich ehrerbietiger umgesetzt hatte, sich jetzt auf dieselbe Weise wiederholte, statt des fashionable gewesenen Er abermals dieselbe dritte Person der Mehrheit: Sie als höchste Entwickelung der correspondirenden Formel in Mode zu bringen. Denn einmal entspricht diese Verhöhnung aller grammatischen und logischen Gesetze, einen uns Gegenüberstehenden mit der dritten isolirten und ihn gewissermaßen wieder von uns entfernenden Person anzureden, der Gesinnungsart unserer Höflichkeitssprache überhaupt, wonach sie die Tendenz hat: sich immer so fern [88] als möglich zu dem Andern zu stellen, statt der nächsten Gegenseitigkeit des Zweiten, die auch grammatisch die zweite Person sein würde, sich die entferntere Bekanntschaft in der dritten Person zu wünschen, und ihn deshalb in dieser auf Schrittweite gestellten Position sich respectvoll gegenüber bestehen zu lassen. Dann aber ist der Hang, diese dritte Person zuletzt sogar in der Mehrheit: Sie auszudrücken, ebenfalls aus dem allgemeinen Grundsystem der Höflichkeit herzuleiten. Eine einzelne Person gewissermaßen als eine Mehrheit von Personen zu behandeln und anzureden, dürfte die allergrößte Höflichkeit sein, die man nur immer in der Idee des Menschen erschwingen kann, und wenn das Sie eine Narrheit ist, so läßt sich doch, wie bei jeder, auch etwas Weisheit und metaphysische Ironie heraussophistisiren. Obwohl am Ende Niemand mehr sein kann, als »Er selbst allein«, so stecken doch in einem Menschen immer mehrere und sehr verschiedene Personen, die allerdings bei der Anrede und im Umgange zu berücksichtigen sind, besonders da im letzteren oft eine ganz andere Person heraustritt, als im Hintergrunde verhüllt bleibt, und [89] man, für unvorhergesehene Fälle, gut thut, mit einem einzigen höflichen Schlagwort alle in einem Menschen befindlichen Personen zu gleicher Zeit zu becomplimentiren. Dieser Pluralis dient auch zur Bezeichnung von äußerer Macht und Ansehn nachdrücklich, schon bei den Alten. Römischem Consularstolz und Patrizierpomp gehörte das allumfassende nos für das einzelne ego gewissermaßen zur Purpurverbrämung der toga praetexta, doch wurde es zu Cicero's Zeit auch selbst im engeren freundschaftlichen Verkehr gehört. Durch die Anrede in der Mehrheit bezeichnest Du eine Person mit Allem, was an ihr darum und daran hängt, mit Sack und Pack, mit Gut und Geld, mit Orden und Connexionen, mit schöner Frau und einflußreichem Vetter, kurz mit Allem, was Werth und Verdienst an ihm ausmacht, ausmachen könnte oder ausmachen sollte; und so ist es kein Wunder, daß der Pluralis als das vieldeutigste Symbol der Höflichkeit, worunter er alle vergangene, gegenwärtige und zukünftige Aufmerksamkeit in Raum und Zeit, im Aeußern und Innern zusammenfaßt, endlich die Oberhand und Höhe der deutschen Höflichkeitssprache [90] behaupten mußte. Dagegen bemächtigt sich die vertrautere Rede der Liebe, der Religion, des altberechtigten Umgangs, des vergeistigten Gesprächs mit entfernten verehrten Personen, immer ausschließlich der einfachen Zahl. Wer uns in der einfachen Zahl mit Du anredet, geht auf unsere Einfachheit, die Monas in uns, los, er appellirt an den einfachen Kern in uns, den die gesellschaftliche Höflichkeit in die faltenreiche Mehrheit einwickelt, und wir stehen mit ihm, es mag so kurzweilig klingen als es will, auf einem ganz andern Fuß der Hingebung und Mittheilung, weil wir auf dem Fuß des Singularis mit ihm stehn.

Die vielfältige Zahl in der Anrede ging Hand in Hand mit dem Gebrauch gewisser abstracter Sammelbegriffe, wie man die ehrerbietigen Personenumschreibungen: Euer Liebden, Euer Gnaden, u.s.w. nennen könnte, die schon sehr früh aufkamen, und mit denen sich auch jene argen Schönpflästerchen auf dem natürlichen Antlitz unserer Sprache: Dero, Ihro, als Nachahmungen des Italienischen loro, vostro verbanden. Zur Erfindung solcher Abstracta hatte sich zwar die [91] Schmeichelei der Römer unter ihren Kaisern schon verstiegen, aber ohne dabei die Gesetze der Sprache zu fälschen, denn zu der Anrede, Tua majestas gesellte sich noch immer der Singularis, während, aus oben angegebenen Gründen, das Gefühl deutscher Höflichkeit die Mehrheit verlangt. Aus derselben Anschauungsweise entstanden auch die Abstracta des Briefstils: Ew. Hochwohlgeboren, Ew. Wohlgeboren u.s.w., deren Abschaffung sich sogar der Liberalismus einmal zum Gegenstande der Opposition machte, womit es aber ebenso wenig glücken wollte, wie mit jener Revolte, welche in einer kleinen Stadt gegen den Gebrauch des Hutabnehmens ausbrach, die bekanntlich durch den Patriotismus der Hutmacher wieder vereitelt wurde. Jene Formeln sind uns einmal ans Herz gewachsen und entsprechen unserm ganzen gesellschaftlichen Treiben und Denken. Abstract ist diese Höflichkeit, weil sie völlig davon absieht, daß die Person, die sie gewissermaßen nur mit abgewandtem Gesicht sich anzureden getraut, sich ihr in unmittelbarster Nähe und zu allem freien Gebrauch der Gegenseitigkeit gegenüberbefindet. Indeß von Abwesenden [92] entweder in der dritten Person der Mehrheit oder mit der Abstraction zu sagen: »der Herr Geheimerathsind ausgegangen«; »Seine Hochwürden haben gestern den Arzt rufen müssen«, sollte als lediglich bedientenhaft aus dem Sprachkatechismus jedes Gebildeten verschwinden 7. –

Wie die deutsche Höflichkeitssprache mit den wunderlichen Sprüngen eines Tanzbären sich allmählig zu constituiren gesucht, haben wir angedeutet.

[93] Wäre sie den bekannten Worten Yoricks gefolgt, die man offenbar für die beste Geselligkeitstheorie halten muß: life is too short to be long about the forms of it, so hätten wir einen Ausdruck unseres Umgangslebens, der auf eine ganz andere Grammatik und Logik begründet sein müßte. Was aber die Ausbildung unserer Umgangssprache gehindert und von dem eigentlichen Ideengehalt unseres Wesens abgesondert hat, ist zugleich der vorherrschend geistige Charakter unserer Sprache überhaupt, die nicht, wie die französische, die Fähigkeit besitzt, die eigensten Gedanken sogleich in courante Weltmünze, à la portée de tout le monde, umzusetzen. Man höre zu, wenn ein gebildeter und geistreicher Gelehrter, der wenig aus seinen Ideenkreisen herauszutreten geübt, in den Fall kommt, einem gewöhnlichen Bürger oder Handwerker etwas auseinanderzusetzen, was irgendwie einen ideellen Bezug und keine äußerliche Vorstellbarkeit hat; man wird finden, daß er sich bei weitem zu geistig für seinen Zuhörer ausdrückt, zu seiner eigenen Verlegenheit. Diese Trennung der intellectuellen Anschauung und der populairen Umgangssprache liegt [94] bei keinem andern Volke in einem so ungeheuern und beispiellosen Conflict. Deutsche Volksredner, die den populairen Ton zu treffen ein Talent haben, wie es im Durchschnitt bisher unentwickelt unter uns geblieben, würden am besten die Schwierigkeit zu beschreiben wissen, welche ihnen bei augenblicklichen Ideenerörterungen das metaphysische Temperament der deutschen Sprache, ihr tiefsinniger Anflug, ihr Hang zu abstracten Bezeichnungen, entgegenstellen. Die französische Sprache ist dagegen schon als allgemeines Umgangsmittel und Volksorgan gedacht und gemacht; sie kennt gar nicht einen so ausgebildeten Unterschied zwischen populairem und ideellen Ausdruck. Diese Sprache verbindet die Stände bei weitem gleichartiger, als die unsrige, welche sie vielfach trennt. Die öffentliche Debatte hat dort eine Vermittelung zwischen dem tiefsinnigsten Franzosen und seinem ungebildetsten Zeitgenossen geschaffen, die nicht ohne Einfluß auf die Sprache der Dichter und Denker, der Wissenschaft und der Idee, verbleiben konnte. Jede Gedankenäußerung erscheint sogleich mitten hineingestellt in den allgemeinen Verband der Nation, und die Production [95] bringt die Grillen der Einsamkeit und Absonderung, in der sie entstand, wenigstens auf ihrem Antlitz, in ihrer Sprache, nicht mit auf den Markt. Wird dadurch die Wissenschaft oft verflacht, das Gefühl entheiligt, so gewinnt doch auf anderer Seite das Umgangsleben an Geist und Gefühl, oder vielmehr es entsteht eine wohlthätige und für das wirkliche Leben ersprießliche Mischung, ein allgemeineres Verständniß durchzieht und umfaßt das Land, und wenn man einen gemeinen Franzosen über Ansichten und Maximen, über Interessen der Allgemeinheit, mit seinem bewußtvollen Anstand reden hört, vergißt man meistentheils gern, daß er nach den bekannten statistischen Berechnungen vielleicht gerade zu Denen gehört, die weder lesen noch schreiben können. Dafür kann er hören und sprechen.

Das Verhältniß der deutschen Sprache zum wirklichen Leben ist ein noch unausgebildetes, und daher die künstliche Zwittergestalt unserer Umgangssprache, die, wie wir gesehen, für ihre heimathliche Verlegenheit immer neue fremdländische Wendungen und Verstecke aufsuchte. Unsere Sprache [96] fühlt und gebraucht ihre tiefsten Lebenskräfte in der Ausarbeitung unseres ideellen Menschen, sie ist ein Monolog unserer Gefühle, eine Selbstbetrachtung unserer Gedanken, ein Gebet unsers Herzens; aber in alle die äußerlichen Verbindungen unserer Wirklichkeit ist sie uns bisjetzt so verdrossen und nachlässig gefolgt, wie mancher große Mann, der im Bewußtsein seines innern Werthes wenig bekümmert ist, ob ihm in einer Gesellschaft lauter geistreiche oder lauter triviale Reden entschlüpfen, sich am liebsten aber schweigend darin verhält. So befänden wir uns denn in diesem Augenblick mit unserer Sprache auf der umgekehrten Bildungsstufe, als auf welcher Leibnitz zu seiner Zeit in den »Unvorgreifflichen Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache« sie am geeignetsten für das wirkliche und gewerkliche Leben, am ungeeignetsten für den Gedanken und Gemüths-Ausdruck bezeichnete, indem er sagte: 8 »Ich finde, daß die Teutschen ihre Sprache bereits hoch bracht, [97] in allen dem, so mit den fünff Sinnen zu begreiffen, und auch dem gemeinen Manne fürkommt; absonderlich in leiblichen Dingen, auch Kunst- und Handwerkssachen, weil nemlichen die Gelehrten fast allein mit dem Latein beschäfftigt gewesen, und die Muttersprache dem gemeinen Lauff überlassen, welche nichtsdesto weniger auch von den sogenannten Ungelehrten nach Lehre der Natur gar wohl getrieben worden. Und halt' ich dafür, daß keine Sprache in der Welt sei, die (zum Exempel) von Ertz und Bergwerken reichlicher rede, als die Teutsche. Dergleichen kann man von allen andern gemeinen Lebensarten und Professionen sagen, als von Jagt- und Waid-Werk, von der Schifffahrt und dergl.. Wie denn alle die Europäer, so auffem großen Welt-Meer fahren, die Namen der Winde und viel andre Seeworte von den Teutschen, nehmlich von den Sachsen, Normannen, Osterlingen und Niederländern entlehnt. – Es ereignet sich aber einiger Abgang bei unserer Sprache in denen Dingen, so man weder sehen noch fühlen, sondern allein durch Betrachtung erreichen kann; als bey Ausdrückung der Gemüthsbewegungen, auch der[98] Tugenden und Laster, und vieler Beschaffenheiten, so zur Sitten-Lehr und Regierungskunst gehören; dann ferner bei denen noch mehr abgezogenen und abgefeimten Erkänntnissen, so die Liebhaber der Weisheit in ihrer Denk-Kunst, und in der allgemeinen Lehre von den Dingen unter dem Nahmen der Logick und Metaphysick auff die Bahn bringen; welches Alles dem gemeinen Teutschen Mann etwas entlegen, und nicht so üblich, da hingegen der Gelehrte und Hoffmann sich des Lateins oder anderer fremden Sprachen in Dergleichen fast allein und insoweit zu viel beflissen; also daß es denen Teutschen nicht am Vermögen, sondern am Wollen gefehlet, ihre Sprache durchgehends zu erheben. Denn weil alles, was der gemeine Mann treibet, wohl in Teutsch gegeben, so ist kein Zweiffel, daß dasjenige, so vornehmen und gelehrten Leuten mehr fürkommt, von diesen, wenn sie gewolt, auch sehr wohl, wo nicht bester, in reinem Teutsch gegeben werden können.« –

Karl V. sagte, er wolle Spanisch reden mit dem lieben Gott, Französisch mit den Damen, Deutsch mit seinen Pferden. Diese durch die historische [99] Situation seiner Zeit sehr richtig begründeten Sprachunterschiede haben heut keine Geltung mehr. Die deutsche Sprache hat sogar angefangen, mehr als je in geschichtliche Berührungen zu treten, und in dem weltliterarischen Verkehr, den Goethe prophezeiht und in Gestaltung begriffen sah, tönen uns bereits auf den wichtigsten Plätzen Europas ihre eigenthümlichen Laute zurück. Der höhere Weltverkehr, die allgemeineren Nationalbeziehungen, in die sofort die geistige Production unaufhaltsam hineingerissen wird, müssen auch auf die Sprache ihre Rückwirkung ausüben, und namentlich die deutsche wird davon noch neue und nicht unwesentliche Anflüge zu empfangen haben. Die Pedanterieen unserer Gesellschaftssprache, die durch Entschuldigungsformeln persiflirte menschliche Gegenseitigkeit, werden in der nächsten Weltbildungsepoche von selbst ausscheiden, und wenn sich auf dieser Stadie größerer Vereinheitlichung des innern und äußern, nationellen und ideellen Menschen nicht gerade patriarchalische Elemente in den Umgang wieder einfinden, so doch gewiß frischerer Naturausdruck, und, bei allgemein gesunden und geraden Situationen, [100] ungeheuchelte Freigebung des Inhalts an das Wort. Denn die Verrenkung der Umgangssprache entspringt nur aus der Verrenkung der ächten Situation, aus der inneren Unbefriedigung der Gegenseitigkeit, in der Ich und Du sich zu einander verhalten. Die deutsche Umgangssprache hat schon sehr verschiedene Tonarten angenommen, sie wird neue nicht von sich weisen, die aber aus dem socialen Leben von selbst heraustreten müssen. Ihre Conversationsgewandtheit mit Pferden, die Karl V. rühmte, ihre Unentbehrlichkeit im Munde der Handwerker, Schiffer und Bergleute, die Leibnitz hervorhob, ferner die fromme und erbauliche Anfärbung, mit der zu einer gewissen orthodoxen Zeit in Deutschland auch der Ausdruck des täglichen Familienumgangs bezeichnet war, dann die ganz treu abgeprägte bürgerliche Conversation, wie sie aus Ifflands Stücken noch zu uns redet, alle diese Tinten sind heut in einer pointirten Geistreichigkeit aufgegangen, die, mit ästhetischem Anwurf, am meisten unsere gesellschaftliche Mittheilung überfirnißt. Die Geistreichigkeit unsers Zeitalters, die man sich ebenso wahr als wohlfeil zum Stichblatt satirischer [101] Anwandelungen zu nehmen pflegt, ungeachtet Jeder darin befangen, ist ohne Zweifel eine Uebergangsstufe zur Flüssigmachung des geistigen Fonds in der Nation, eine, wenn auch in ihrem Erscheinen widerwärtige Wendung zu derjenigen Periode, wo das Esoterische sich nicht mehr dem wirklichen und populairen Leben, als einer ihm ericht ebenbürtigen Form, gegenübersetzt. Die geistniche Schminke des modischen Umgangs ist daher bei weitem nicht so kränkend, als die damit verbundenen grammatischen Formen, welche wir an uns vorübergehen ließen, abgeschmackt und vernunftwidrig uns dünkten, und doch fordern diese letzteren, so lange sie noch nicht durch das Leben selbst widerlegt sind, eine nicht in allen Fällen zu weigernde Beobachtung. Die socialen Einflüsse werden aber auf die Gesellschaftssprache wie eine klimatische Nothwendigkeit einwirken. Die französische Sprache, obwohl sie das deutsche Mißverhältniß des Umgangsausdrucks zum innern Charakter nicht kennt, ist doch ebenfalls jetzt in denselben Bewegungen begriffen, die in einem Streiten für die unumschränkte Herrschaft des Gedankens über Wortform und grammatische [102] Verbindung eine eigenthümliche Sprachumwälzung vollbringen. Die neuromantische Sprache Victor Hugo's, Alfred de Vigny's und ihrer Genossen ist als Symptom wichtig; noch merkwürdiger erscheint uns, in unserer Beziehung, die Sprache in den Romanen der Marquise Dudevant (G. Sand), worin die sociale Speculation ganz neue Laute und Wendungen der Rede versucht. –

Fußnoten

1 Unter Anderm in einer seiner trefflichen Schulreden, von der Ausbildung der Sprache und Rede in Kindern und Jünglingen.

2 Nach dem Vertrage von Verdún blieb sie im deutschen Reiche herrschend, bis mit Konrad III. das schwäbische Zeitalter begann. Vgl. Grotefend, über Luthers Verdienst um die Ausbildung der hochd. Schriftsp. (in den Schriften der frankfurt. deutsch. Gesellschaft), welcher (S. 30) anführt, daß noch im Jahre 1531 zu Augsburg bei Steyner eine Uebersetzung des Cicero vom Freiherrn von Schwarzenberg erschienen, worauf stehe: »Alles in hoffränkisch teutsch gebracht.«

3 S. Luden's Nemesis, 1818. Bd. 12. über das Verhältniß der deutschen Sprache zur französischen.

4 S. Schriften der kurfürstlichen deutschen Gesellschaft in Mannheim. (Mannh. 1787.) III. Bd. S. 251. fg. »Ueber das Sonderbare der deutschen Höflichkeitssprache im Gebrauche der Fürwörter«; von Professor Günther.

5 Vgl. Günther a.a.O. S. 263.

6 Vgl. Günther a.a.O. S. 279.

7 Wie man jedoch aus Höflichkeit auch zur gänzlichen Auslassung aller Pronomina kommen konnte, bloß der umschreibenden Abstracta sich bedienend, davon führt Günther a.a.O. S. 269 Proben an, indem er bemerkt: »Ganze Briefe (aus dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts) kann man lesen, in welchen kein einziges Fürwort, weder Er noch Sie, vorkommt, z.B. ›des Herrn günstiges Schreiben habe ich erhalten und daraus ersehen, daß der Herr das Büchlein zurückbegehre, welches ich von dem Herrn geleihet habe‹ u.s.f. Um nur nicht Er zu setzen, welches damals schon zu gemein schien, aber auch, um nicht zu viel zu vergeben, und Sie zu gebrauchen, welches nur noch für die fürnehmsten Personen bestimmt war, bequemte man sich lieber einstweilen zum steifsten Unsinn«. – Das abstracte Ceremoniell unseres heutigen Briefstils droht jedoch ebenfalls allem freien Gebrauch der Pronomina den Garaus.

8 S. Leibnitii Opera, ed. Lud. Dutens. (Genev. 1768.) Tom. VI. Pars II. p. 959.

[103] 6.

Die Satzbildung ist das gestaltete Leben des Gedankens, seine Gliederfülle, aber nicht ein Magisterrock mit besponnenen Knöpfen, in den er hineingesteckt und, mit Zubehör von Stiefeln und Stulpen, Rohrstock und Schnupftabakdose, absichtlich eingekleidet und ausstaffirt werden soll. Die deutschen Schriftsteller haben sich mit ihren Perioden viel zu große Mühe in äußerer, und viel zu wenig in innerlicher Beziehung gegeben. Stände ein höheres gesellschaftliches Element in Wechselwirkung mit unserer Schreibart, so hätte sie nie zu klagen gegeben über die meilenlangen Perioden, die man kaum auf dem Papier mit dem Auge, geschweige denn mit dem geistigeren Organ, dem Ohr, übersichtlich auffassen kann. Denn der menschliche Gehörsumfang, auf den bei der Satzbildung Rücksicht genommen werden sollte, ist beschränkt. Das [104] Ohr kann bekanntlich in einer Secunde nicht mehr als neun Töne von einander unterscheiden, und verlangt folglich, daß ihm Das, was es klar aufnehmen und zu geistigen Eindrücken verarbeiten soll, in bestimmt und gedankengemäß abgetheilten Pausen überliefert werde. Dies ist das innerliche Element von Musik, der Musik des Gedankens, worauf jede ächte Satzbildung sich stützen muß. Die Perioden, die Pausen des Gedankens, dürfen diesem musikalischen Gesetz nicht zuwider handeln, ohne auch des Gedankens Harmonie und Wirksamkeit zu zerstören.

Die innere Tonart einer jeden Darstellung, die aus der melodiegebenden Seele des Inhalts entspringt, muß vornehmlich die Satzbildung als das Nothwendige bedingen. Es giebt langsame und schnelle Tonarten des Gedankens. Im erstern Falle finden sich gehaltene, künstlichere und verschlungene Periodenreihen ein, das Epische und Pathetische herrscht vor; im andern kürzere, gedrängte, schlagfertige mit wenigstem Zwischensatz, ein drastischer Effect wird erstrebt. Beiderlei Tonarten werden sich fast in jeder Darstellung neben einander geltend machen, [105] obwohl von der organischen Verschiedenheit der Sprachen abhängig und bedingt. Der gesellschaftliche Charakter der französischen Sprache, ihre praktische Lebendigkeit, haben darin vornehmlich die kürzere, im raschen Moment wirkende Satzbildung begünstigt, weitaussehende Periodenverwickelung duldet der gesprochene Ausdruck der ganzen Darstellung nicht. Die deutsche Sprache, weil sie mehr eine geschriebene ist, neigt schon dadurch zu einer, größeren Verschlungenheit, einer überlegten und planmäßigen Periodisirung hin. Ist der französische Satz ein leichtgebildeter Weltmann, so ist der deutsche Periodenbau ein geistreicher Sonderling, dem auf seinem Gesicht ein einsames und vielfaltiges Brüten steht. In demjenigen Stil aber, der nur vom Gedanken beherrscht wird, kann die allzucomplizirte und gelehrte Periodenlagerung, der auch auf der gegenwärtigen Stufe der deutschen Sprache viel organisch Hinderliches entgegensteht, fortan kein gültiger Schematismus mehr sein, eben weil sie nichts ist als ein Schematismus. Einige Worte des Grafen Schlabrendorf, in seinen Bemerkungen über die Sprache, bezeichnen den allgemeinen Unterschied [106] zwischen französischer und deutscher Satzbildung sehr treffend auf folgende Weise. – »Die Kürze der französischen Perioden hat den Vortheil, daß sie die Aufmerksamkeit des Lesers oder Hörers, ohne ihn lange warten zu lassen, fast ebenso schnell befriedigt als erregt. Der Franzose fordert Klarheit. Da sich ihm ein größeres Ganzes nicht überschaulich darbietet, ein zu mächtiger Bissen seine Ungeduld reizt, hilft ihm die Sprache und giebt ihm die Sache theelöffelweis. Die längern deutschen Perioden fügen sich der Wißbegier des Hörers nicht so gefällig; aber sie haben den Vortheil, indem sie die Aufmerksamkeit festhalten, das Nachdenken zu vergrößern, und im gleichzeitigen Zusammenfall mehrer Gedanken einen Gesammtgedanken zu erzeugen, dessen der Franzose entbehrt. Ich möchte sagen, im Genius der deutschen Sprache waltet, um ein Bild von der Musik zu entlehnen, mehr die Harmonie vorwaltend; im Genius der französischen, die Melodie.«

Die Harmonie, welche in der Musik eine Totalwirkung mehrerer einzelner Reihen von Sätzen und Gegensätzen, eine Combination der Accorde und Intervalle ist, dürfte jedoch, in aller Ausdehnung [107] ihres Begriffs auf die deutsche Periodenbildung angewandt, meistentheils nur ein mißlautendes und verworrenes Concert abgeben. Wie große und imposante Wirkungen auch in manchen Tonarten der Darstellung durch weitumfassende Satzgebilde erreicht werden können, so hat doch unsere Sprache in ihren grammatischen Formen die Fähigkeit eingebüßt, etwas Vollendetes und Kunstgemäßes darin zu leisten. Die absoluten Genitive, die im Altdeutschen entschieden vorhanden waren, sind ein Verlust für unsere heutige Syntax, der nicht genug beklagt werden kann, denn ohne absolute Constructionen läßt sich kein freieres Satzgefüge aus vielverschlungenen Perioden bilden. Radlof schrieb im Jahre 1812 eine »Aufforderung an alle denkende Schriftsteller, die Wiedereinführung der absoluten Genitive aus dem Altdeutschen betreffend«, 1 doch wie soll man eine dem Leben der Sprache entwichene Form durch Verabredung oder [108] Vorsatz wieder bannen? Viele An- und Nachklänge von jenem absoluten Genitiv finden sich noch heut in unserm modernen Sprachgebrauch, z.B. unverrichteter Sache abziehen, stehenden Fußes, stante pede, ein Zeichen, daß es in der Natur unserer Sprache liegt, bei absoluten Constructionen den Genitiv zu wählen, obwohl der urkräftigen Biegungsfülle des Gothischen auch absolute Dative eigen sind. Von Beispielen absoluter Genitive, die Radlof aus älteren Schriften, bis zur Zeit des dreißigjährigen Krieges, und auch noch aus neuern Ueberbleibseln des Kanzleistils, gesammelt hat, mögen hier einige stehen: »Der Sündfluß Noä, da die ganze Welt ersäuft ward, ausgeschlossen Noä mit seinen drei Söhnen«, Luther; »unangesehen desselben Vertrags, unterstund sich der Kunig«, im Wiß Kunig; »abgerechnet der Offiziere und Unter-Offizieren, werden die Gemeinen dem 13. Regiment zugewiesen«, bayerische Verordn. vom Jahre 1805–1806; »unerwogen aller Billigkeit verfahren«, bei Schottel; »daß Christus von einer Jungfrau, unverletzt ihrer Jungfrauschaft, geboren worden«, in [109] hundert alten, besonders katholischen Erbauungsschriften; »unerforscht aller Umständ,« Hans Sachs; »unverschont ihrer aller«, derselbe; »er lässet die Kinder, unwissend der Mutter, aufziehen, Joh. Limberg v. Roden Reisebeschr. Lpzg. 1690. u.m.a.

Obwohl man anstehen könnte, diese angeführten Genitive für eine absolute Construction im Sinne der antiken Sprachen zu halten, eher behauptend, hier sei das Verbum adverbialisch oder wie eine Präposition, die den Genitiv nach sich zieht, gebraucht, so müssen doch solche und ähnliche Wendungen ohne Zweifel für eine schöne Bereicherung und Befähigung unserer Syntax zu prägnanten Satzgefügen gelten. Damit sei aber nicht ausgesprochen, daß ihre absichtliche Zurückführung in die laufende Production der Sprache gelingen könne, zu unternehmen sei, da man einmal an einer Sprache nichts retten kann und soll, was sie nicht selber festhält 2. Aus der Umschreibung und Auflösung [110] aller absoluten Fügungen, mit sobald, nachdem, als, wofern etc, die besonders von Gottsched für eine klare Correctheit des Stils angesehen wurde, stammt aber die Partikel-Pedanterie und das Labyrinth der Zwischensätze, wodurch eine längere Periode in unserer Schreibart zu einem wahren Ungeheuer verzerrt werden kann. Versuche einiger Uebersetzer des Tacitus, namentlich Woltmann's, zur Erreichung tacitischer Kürze die absoluten Sätze auch deutsch mit einer Präposition zu geben, z.B. interfecto Lepido »nach ermordetem Lepidus« zu übersetzen, sind ebenfalls unwirksam [111] geblieben und lächerlich geworden. Dagegen sind die sogenannten homerischen Genitive, »festen Trittes« »hochherzigen Sinnes«, die trotz Adelungs Gegeneiferung sich immer mehr ausbreiteten, ein ursprüngliches Eigenthum der deutschen Sprache und geben der Satzbildung ein schönes Gepräge. Bürger begann in seiner Uebersetzung des Homer deren mehrere zurückzuführen, nach ihm Voß mit noch größerer Festigkeit und Ausdehnung, aber auch Klopstock hatte schon in eigenen Gedichten wirksamen Gebrauch davon gemacht. Man hat öfters den Irrthum begangen, diese Genitive für etwas Griechisches anzusehn, während sie bereits in den Minnesängern, bei Hans Sachs, und bis ins siebzehnte Jahrhundert hinein, in deutschen Druckschriften sich finden, wie schon Radlof, in einem Aufsatz über Vossens Genitivfügungen, bemerkt hat. –

Die zweite Grundbedingung, neben dem eigenthümlichen Organismus der Sprache, ist die Einheit der intellectuellen Anschauung in der Periodenbildung. Man könnte sie auch die Einheitlichkeit der Scene im Satze nennen, unter welchem Namen sie besonders englische Rhetoriker, [112] namentlich Home und Hugo Blair, zu einem Haupterforderniß ihrer Theorie gemacht haben. Es darf inmitten eines und desselben Satzes keine zu verschiedenartige Scenerie vorgehen, sondern es muß sich vielmehr auch im festen Geschiebe der Perioden Scene aus Scene entwickeln und vor die Anschauung des Lesers hintreten. Die geschmacklose Einschachtelungsmanier des Stils ist gewöhnlich auch ein Fehler der Logik, daß verschiedene Gedanken, deren jeder für sich eine besondere Auffassung und Behandlung erfordert, in demselben Satz verbunden und vermischt werden. Ein neuer Gedanke muß immer eine neue Scene des Stils eröffnen, und daraus ergiebt sich von selbst die Nothwendigkeit, bald in längeren, bald in kürzeren Perioden zu schreiben. Mit jeder Periode beginnt ein neuer Athem auch für den Gedanken, und langathmige Perioden werden nur dann Schönheit und Berechtigung für sich haben, wenn sie von der Einheit des Gedankens, der sie gerade umspannt, fest zusammengehalten sind. Oft werden aber Gedanken zu Zwischensätzen gemacht, die einen neuen Athem erfordern, also einen neuen Satz anfangen [113] müßten, und dies ist eine sehr häufige und aller Schönheit nachtheilige Mißformung, von der es bei den besten deutschen Schriftstellern Beispiele in Menge giebt. Bürger bestritt sogar die Lehre von der Einheit der Scene im Satze als etwas Unwesentliches 3. freilich zu einer Zeit, wo die deutsche Prosa nur wenige und spärliche Oasen in ihrer sonstigen Wüstenei aufzuzeigen hatte.

Der Athem des Gedankens ist der Beweger der Perioden, er muß sie abtheilen, gliedern, messen, verbinden, selbst ihren Klang bestimmen. Daher sind die bloß syntaktischen Satztheorieen, wie sie häufig aufgestellt werden, neuerdings besonders von Herling in seiner sonst so verdienstlichen und gründlichen »Syntax der deutschen Sprache«, eigentlich sehr unfruchtbar und zu Wenigem nütze. Auf der andern Seite aber darf die freie Schreibart nach dem Gedanken nicht aller organisch gegliederten Satzbildung sich enthoben meinen, und an das Extrem eines geistreichen Sanscülottenstils sich hingeben. Schriftsteller, wie Heine, Gutzkow, [114] Laube, Wienbarg und einige andere verläugnen in ihren kurzathmigen, rhapsodisch hingestellten Sätzen allzusehr das deutsche Element, und verdünnen unsere Sprachdarstellung ohne Noth zu der unperiodischen Schlagmanier der französischen. Es fehlt mehreren der genannten nur die gebildetere Periodisirung, denn der Gedanke legt sich nicht in assertorischer Aufstellung, sondern im dialektischen Periodengeflecht, auseinander. –

Fußnoten

1 Zuerst im Literarischen Verkündiger, München, 1812. Nr. 49–51. und dann in seinen Teutschkundlichen Forschungen und Erheiterungen, Bd. I. S. 41 fg.

2 Wie es bei Radlof lautet, der die absoluten Genitive ganz in seine eigene Schreibart aufzunehmen versucht hat, kann man z.B. an folgender Stelle (in seinen teutschkundl. Forschungen II. S. 68.) erproben: »Wiedererwachend des Eifers für Schriftenthum und Sprachen der alten, voran der gottbegeisterten Zeit, erwachte auch laut der Schmerz über die allgemeine Zerspaltung der Menschenzunge in so zahllose Sprachen, die, obwohl sie alle nur Eines und eben Dasselbe bezeichnen, dennoch je deneinen Gedanken, z.B. Sonne, durch zahllose, sich ganz entfernte Wortlaute darstellen. Zerrissen der Sprache in Sprachen, des mächtigen allvereinenden Bandes, war auch aller Verkehr der Völker mit Völkern fremder Zungen und Zeiten unermeßlich erschwert worden.« etc.

3 Bürger's Lehrbuch des deutschen Stils, S. 292.

[115] 7.

Man könnte zweifeln, ob die heutige moderne Prosa, die bloß den Gedanken schreibt und durchaus keine rhetorischen Toilettenkünste mehr anwendet, noch um die Schönheit sich zu bekümmern habe? Was in den Handbüchern des deutschen Stils zur Gesetzgebung schöner Schreibart überliefert wird, ist allerdings ein unbrauchbarer Plunder geworden, aber auch von jeher gewesen. Die bisherige Stillehre war immer rhetorisch und oratorisch, und deshalb falsch, und vielmehr die Geschmacklosigkeit als den Geschmack bildend, Schönrednerei erzeugend, aber nicht schöne Darstellung. Unter allen Intentionen des menschlichen Geistes ist die Rhetorik die abgeschmackteste, besonders wenn sie, wie in Deutschland, nur einen [116] schulmeisterlichen Charakter, aber keinen öffentlichen an sich trägt. Die Bildung der Völker befindet sich auf einer Stufe des Bewußtseins, wo man sich nicht mehr durch stilistische Figuren und sogenannte Redekünste bereden, überzeugen und imponiren lassen kann, sondern nur durch die Sache selbst und ihre gedankengemäße Veranschaulichung. Die Redekunst ist heutzutage in die Auffassung übergegangen, und selbst die öffentliche Debatte, wo sie wirksam ist, ficht, statt mit der Rhetorik der Formen, mit der Diplomatik des Gedankens.

Eine solche Klingprosa, wie sie z.B. Engel schrieb, hat lange Zeit für ein Muster bei uns gegolten, und man ließ es sich gefallen, daß durch tönende Stellung der Wörter und kostbare Wendungen der Mangel an Gedanken gewissermaßen übertäubt wurde. Man bedachte nicht, daß ein Bettler, der sich in einen gefundenen Purpur einhüllt, kein Recht zu solchem Aufwand hat, sondern nur um so widerwärtiger an seine Blöße damit erinnert. Nur der Schmuck, den jeder Gedanke mit sich auf die Welt bringt, ist ihm zuständig[117] und seiner würdig, er darf in kein anderes Kostüm, keine andere Rolle sich stecken, um mehr zu gelten als er ist. Eine schöne Frau darf eher gefallsüchtig und absichtlich sein, als der Stil, der durch coquette Wendungen sich mehr erniedrigt als erhebt, sie bei reichem Inhalt nicht nöthig hat oder bei armem nur als Tünche aufträgt.

Es fragt sich daher, ob in der Wahrheit die alleinige Vollendung des Stils beruht, und nicht in derSchönheit? Die rhetorische Schönheit unserer Prosa hat sich überlebt, kein höher begabter Schriftsteller wird mehr danach trachten, kein inhaltreicher Geist kann eine Freude daran haben, sich mit Franzen und Tressen zu behängen. Ohne Schönheit wird darum keine ächte und aus ursprünglichem Leben entquillende Schreibart bleiben, die Schönheit der Wahrheit wird sie mit einem reizenden Duft und Hauch umziehen. Der Gedanke wird von Natur so viel Rosen treiben, als hinreichen, um den Namen seines Gegenstandes auf das Beet der Darstellung zu sticken, nicht zu überpacken. Denn um den Schatz des Gedankens aus seiner dunkeln Tiefe in die Erscheinung zu heben, [118] treten von selbst und auf dem Wege seiner innern Entfaltung Elemente ins Spiel, die ihn mit dem Licht der Schönheit übergießen. Kein Gedanke kann nämlich richtig dargestellt werden ohne die Phantasie.

Hier könnten wir zuerst mit der Philosophie in Widerspruch gerathen, welche die Phantasie als etwas bloß Sinnliches der reinen Gedankenentwickelung gegenüberstellt, statt beide in Verbindung miteinander zu wissen. Diese Trennung der Phantasie vom Gedanken ist jedoch für die fachmäßigen Sonderungen eines Systems ersprießlicher, als sie im concreten menschlichen Geist, wie er leibt und lebt, wirklich begründet ist. Wie die Sprache überhaupt, als ein Licht- und Scheinkörper des Gedankens, aus dem allgemeinen Geistigen durch eine individualisirende Phantasie gestaltet, so ist der Satz, in den ein lebendiger Gedankenzusammenhang sich einordnet, ebenso sehr die sinnliche Gestaltgebung des Gedankens, als auch die einzige geistige Genugthuung desselben. Kein Gedanke ist an sich schon klar, er wird es erst durch den gestalteten Satz. Bild und Begriff, Phantasie und Schön heit, welche [119] die Werkmeister bei der Entstehung der Sprache waren, sind es auch bei der Fügung des Satzes, der vorwaltend für die Anschauung herauszutreten berufen ist. Der Gedanke tritt durch den Satz in das Gebiet der Anschauung, und so wird der Stil die eigentliche Plastik des Denkens, das Schöne des Gedachten, weil dies in ihm erst an die Sonne hinaustritt. Auf der vollendetsten Stufe der Darstellung ist das logische Element der Ordnung, das der Verstand besorgt, zugleich eins geworden mit dem plastischen, das unter den bildenden Händen der Phantasie das Individuelle in Blüthe und Farbe treten läßt.

Der Satz ist ein vollständiger Lebensorganismus, ein bewegliches Charakterbild, das alle Vortheile äußerer und heiterer Erscheinung in sich vereinigen muß. Er soll keine paraphrasirende Umschreibung seines Gegenstandes sein, sondern eine concrete Gestaltung desselben, eine Gestalt, die in allen ihren Theilen sichtbar und beleuchtet wird. Der Satz hat Gebärden, Töne, Farben, er vermag fast die Wirkungen aller Künste zu verbinden, besonders die der Malerei, vor deren allzu absichtlichen Effecten er sich jedoch am besten hütet. Die einfache [120] Situation von Subject und Prädicat stellt uns eine vollständige Lebensfigur vor Augen, das Verbum setzt ihre Schritte in Bewegung und läßt sie handeln, der Zwischensatz mit seinen Wendungen und Constructionen bringt sie in eine pittoreske Gruppirung, die Fülle der Diction umkleidet sie mit einer angemessenen Draperie, mit reizendem Faltenwurf, und ihr Gang, in dem sie dahinwandelt, ist Musik, Zauber des Rhythmus. Diese Zusammenfügung des Satzes macht seinen künstlerischen Charakter aus, der dem Inhalt von selbst entquillen muß, ohne durch rhetorische und stilistische Meißelschläge gefertigt zu werden. Denn es giebt keine andere Kunst, als die Kunst des Inhalts, welche unendlicher Formen des Stils fähig ist. Wie richtig daher auch der berühmte Ausspruch Buffon's: le stile c'est l'homme, so wäre es doch noch richtiger und umfassender, zu sagen: der Stil ist die Sache. In der Sache erhält denn auch der Mensch und alles Individuelle seinen eigensten Ausdruck, und dies ist die beste Theorie des Stils, ihn an die Sache zu verweisen. Manche Schriftsteller sind zu subjectiv und darum zu einfarbig, [121] ihr Stil nimmt sich wie eine Livrée aus, an der man jeden ihnen zugehörigen Gedanken schon immer von weitem erkennt, z.B. Jean Paul, der, sonst ein großer Kenner und Künstler des Stils, doch das eigenthümliche Metall jedes Stoffes sogleich in dem Schmelztiegel der Subjectivität umgießt und einschmilzt.

Ueber die künstlerische Vollendung des Stils giebt es keine Regeln, weil sie mit jedem Gegenstand wechseln, und selbst der äußere Wohllaut und Rhythmus von dem inwendig leitenden Gedanken abhängig gemacht und nüancirt werden müssen. Jeder Stoff bringt einen andern Ton des Stils, eine andere Musik, eine andere Scala, mit sich, ja auch jede Zeit, konnte man in gewissem Sinne sagen, hat ihren besondern Rhythmus und Numerus, der zu dieser oder jener Epoche einen verschiedenen Tonfall der Schreibart hervorrufen wird. Es ist dies das eigenthümlich bewegende Pathos der Seele, das in den freien Rhythmen der Prosa gerade am bedeutungsvollsten walten kann.

Der Numerus der Prosa ist ihr etwas ebenso Nothwendiges nach Außen, als die logische Gliederung[122] nach Innen, und beide ergänzen und verstärken sich oft in ihren verschiedenen Wirkungen. Numerus haben sogar die Pferde in ihrem Trabe, der Wasserfall, der Vögelflug, jede Bewegung in der Natur; wie vielmehr nicht ein guter Stil, worin der Gedanke in der Mitte thronend, gleich dem den Wellenschlag abtheilenden Schwan, seine Harmonieen in Satz und Gegensatz ausführt. Rhythmus ist die Dialektik der Bewegung, und muß sich in seinen Wechselfällen der Dialektik des Gedankens anschließen, dessen innere Musik, dessen Contraste und Pointen er gewissermaßen in Noten setzt. Der Rhythmus der Prosa ist die feinste Tonschöpfung für das Ohr, weil er so ideell ist und bestimmte Versgänge zu vermeiden hat, ohne doch unbedingt und ungefärbt zu sein von Versmaß und Metrum, die über die Fläche der Prosa wie unsichtbare Luftmusik hinfahren. Nur die Folge vieler gleichartiger Metra hintereinander, besonders von Daktylen, stört die gehaltene Bewegung der Prosa. 1 Die eigenthümliche Melodie des Stils besteht in der Tonwandlung der [123] ganzen Periode, in der Arsis und Thesis der Sätze, welche zugleich die Hebung und Senkung des Gedankens ist. Die Kunst einzelner rhythmischer Figuren kann im Verse viele Wirkung thun, und wird selbst in dem einfachsten Naturzustande der Metrik, bei Homer, gebraucht, der in den sogenannten ropalischen Versen kecke und wirkungsreiche Sylbenpyramiden aufführt, aber dem geistigen Charakter der Prosa entspricht die rhythmische Absichtlichkeit nicht, und was dort Kunst ist, wird hier zur mißklingenden Künstelei. Ebenso sehr als der entschiedene Verscharakter, ist jener gesuchte oratorische Numerus zu vermeiden, der den mit Pauken und Trompeten einherfahrenden Perioden des Cicero abgelauscht ist, und bei dem sich noch zweifeln ließe, ob er nicht bloß etwas Imaginaires unserer Philologen und Grammatiker? Denn wenn man davon ausgeht, daß die Elision der Vocale ohne Zweifel auch in der lateinischen Prosa, wie in der heutigen italienischen, stattfand, da sie sonst nicht hätte zum Grundelement der Metrik gemacht werden können, so würden die ciceronianischen Perioden, mit elidirten Vocalen gelesen, in [124] vielen Fällen den Numerus und Tonfall einbüßen oder abändern, der nach ihnen als rhetorischer Prägestock eines recht wohlexercirten Stils nur allzu oft gehandhabt wurde.

Der Sinn für die Melodie des Satzes ist bei den deutschen Schriftstellern selten, zu ängstlich sind sie dagegen um den Wohllaut der Wörter bekümmert. Grimm sagt in der Grammatik (II. 610.) sehr richtig: »Allgemeine Gesetze über Sprachwohllaut sind ein Unding; wie viel ihm im Deutschen verstattet werden darf, sollte ordentlich untersucht werden.« Das wilde Gestrüpp und Buschwerk der deutschen Wörterbildung erlaubt aber darin keine zu feinen Schmeicheleien des Ohrs, sondern fordert zur Gewöhnung an manche Klecksmalerei auf, in der sich freilich auch mehrere macchiatori der deutschen Prosa über alle Gränzen hinaus gehen lassen. Die Engländer, in der scharfkantigen, gebröckelten Einsylbigkeit ihrer Sprache, halten sich am wenigsten zu irgend einer Aufmerksamkeit für den Wohlklang verbunden, ihre besten Stilisten reihen ohne Sorge Wörter und Sylben dicht nebeneinander, die entweder durch Gleichlaut [125] oder durch Wiederholung eine unangenehme Härte herbeiführen, aber keineswegs ihnen empfindlich scheinen. Dies entspringt aus der eigenthümlichen Accentuation der englischen Sprache, worin sich der Charakter dieses Volkes sehr nationalgetreu auslautet. Wilhelm von Humboldt bemerkt (in der Einleitung zu seinem Werke über die Kawi-Sprache S. 176.), daß der Betonungstrieb, oder der Drang, die intellectuelle Stärke des Gedankens weit über das Maaß des bloßen Bedürfnisses zu bezeichnen, im Englischen am allerstärksten vorhanden sei. So scheint die vorherrschende Richtung, durch den Accent im Ganzen eine scharfe und praktische Wirkung hervorzubringen, die Engländer stumpf und gleichgültig zu machen gegen die Beschaffenheit der einzelnen Sylben, ja oft gegen die Quantität derselben. »Nur mit dem höchsten Unrecht« – sagt Humboldt an der angeführten Stelle – »würde man dies einem Mangel an Wohllautsgefühl zuschreiben. Es ist im Gegentheil nur die, mit dem Charakter der Nation zusammenhängende, intellectuelle Energie, bald die rasche Gedanken-Entschlossenheit, bald die ernste [126] Feierlichkeit, welche das durch den Sinn hervorgehobene Element auch in der Aussprache über alle andern überwiegend zu bezeichnen strebt. Aus der Verbindung dieser Eigenthümlichkeit mit den, oft in großer Reinheit und Schärfe aufgefaßten Wohllautsgesetzen entspringt der in Absicht auf Betonung und Aussprache wahrhaft wundervolle englische Wortbau. Wäre das Bedürfniß starker und scharf nüancirter Betonung nicht so tief in dem englischen Charakter gegründet, so würde auch das Bedürfniß der öffentlichen Beredtsamkeit nicht zur Erklärung der großen Aufmerksamkeit hinreichen, welche auf diesen Theil der Sprache in England so sichtbar gewandt wird.«

Sprachsauberer im Einzelnen sind jedoch die Franzosen, die besonders mehrere gleichlautende Sylben neben einander für einen Schmutzfleck auf dem eleganten Rock ihrer Rede halten, den sie selbst dann gern verhüten, wenn es nur mit Beeinträchtigung und knapperer Bezeichnung des Gedankens geschehen kann, wie von Rousseau bekanntlich Madame Necker behauptete, daß er den römischen Senat bloß deßhalbcette assemblée de deux cents rois genannt, [127] um das eigentlich richtige trois, das mit rois schlecht harmonirt hätte, zu vermeiden. 2 Die deutsche Rede scheint darauf angewiesen, eine Mitte zwischen beiden Extremen zu halten, denn bei allem Reichthum von mannigfachem Laub und Zweigen, worin der deutsche Wörterwald ausschlägt, wird man ihn doch nie mit der Scheere so glatt und eben zurechtschneiden können, daß uns nicht immer einige rauhe Auswüchse, Wurzeln und Ruthen den Weg erschwerten. Dazu kommt, daß die französische Sprache leichter fertig wird mit ihren Bezeichnungen, leichtsinniger ihren Gedanken Genüge thut, während der deutsche Gedanke eine gewisse Unersättlichkeit besitzt, sich auszudrücken und sich genug zu thun, für deren immer neu ansetzende Wendungen und Verschlingungen unsere Sprache noch bei weitem nicht genug Wortnüancen ausgebildet hat. Besonders wo es darauf ankommt, den Gedanken für die Anschauung auszuprägen, geräth man leicht in die Verlegenheit, Wörter zu wiederholen, für die man eines nur anders gekleideten Doppelgängers [128] bedürfte, oder man kann bei dem den Wörtervorrath überdrängenden Gehalt nicht Rücksicht nehmen, wenn sich Sylben und Laute zu einem Mißklang berühren. Nur einer Sprache, deren Wörtergewandtheit alle Schwere des Inhalts sogleich zersetzt und umschmilzt, werden reinliche Perlenstickereien in der Wortverbindung gelingen. In dem Gedankenconcept der Deutschen kommt es auf einige rauhe Noten nicht an.

Fußnoten

1 Vgl. hierüber Herling, Syntax der deutschen Sprache (Frankfurt am M. 1830.) S. 129.

2 Vgl. Jean Paul, Aesthetik, II. S. 723.

[129] 8.

Mit der sogenannten Correctheit des Stils geht es wie mit der Tugend. Wo sie allzu absichtlich und bewußtvoll ihr Wesen treibt, wird sie zur Pedanterie und hat ihren Werth verloren, der in etwas Geheimnißvollem und Unverdüfteten beruht. Ein gar zu correcter Stil gleicht dem französischen Gartengeschmack, der glatte Laubwände schneidet, aber keine Natur duldet. Man geht an den nach schönem Maaß gestutzten Bäumen vorüber, die geraden Linien der Wege entlang, und sucht den Wald, aus dem eine Putzstube geworden. Durch diese künstlichen, hochgezogenen Hecken dringt selbst der Sonnenstrahl nur in matten Schlagschatten, bei aller Regelmäßigkeit der Vertheilung ist die Beleuchtung schlecht, und die Perspective dürftig. Freies Gehölz mit bewegten Zweigen, worauf Drossel und Finke schlagen, [130] sind unentbehrlich zum schönen Landschaftsbild, zu einem guten Stil.

Die Correctheit der Schreibart wird vornehmlich in zwei Dingen zum Fehler, einmal, wenn sie das Bestreben nach Deutlichkeit zu offenbar werden läßt, und das andere Mal, wenn sie in der Wahl ihrer Bilder und Beiwörter zu ängstlich mit der Prosa der Wirklichkeit rechnet, sich immer auf das strenge Maaß derselben zurückführend. Was die Deutlichkeit anbelangt, so soll man zwar mit der Absicht schreiben, nicht undeutlich zu sein, aber nicht mit der Absicht, deutlich zu sein, sowie Quinctilian sagt: – non ut intelligere possit, sed ne omnino possit non intelligere curandum; denn der Stil soll kein Interpret und Cicerone des Gedankens sein, sondern dieser selbst, und er darf nicht vorsätzlich noch hellere Lichter aufstecken, als die innere Beleuchtung und Deutlichkeit des Inhalts schon hat. Die Correctheit der Beiwörter, besonders was das bildliche Element daran betrifft, läßt sich schwieriger abfertigen oder bestimmen. Die Beiwörter sind die Farbengebung der Diction, aber zugleich die Blüthensitze für die schaffende [131] Productivität des Stils. Sie sind verwerflich, wenn sie bloß der Verschönerung oder Verzierung wegen dastehen, und nicht durch das Hauptwort nothwendig werden, dem bloßen ästhetischen Müßiggang der Rede angehörend; in welcher Weise freilich viele Schriftsteller sich mit Goldblech und Flittern behängen, und worin die sogenannte poetisirende Prosa, die nicht die wahre poetische ist, ihren Kostenaufwand bestreitet. Die Beiwörter, welche wesentlich die Zustände des Hauptworts malen, gewissermaßen die prismatische Ausstrahlung seines Begriffs, dürfen jedoch allen Farbenschimmer und Bilderglanz, der nur in die Tonart des darzustellenden Gedankens hineinpaßt, alsdann in Anspruch nehmen, und keine Poesie des Gegenstandes mag ihnen, mit dem eigenthümlichen Maaß, worin der Meister des Stils seine feinste Kunst verräth, auszudrücken gewehrt sein. Ihre Correctheit ist in der Richtigkeit der Bilder allerdings wünschenswerth, aber nicht zu übertreiben, da jedes Bild, wenn man es zu genau in seine Bestandtheile und Beziehungen zerlegt, am Ende aufhört richtig zu sein. Für den Verstand werden sich immer auch bei den [132] besten Schriftstellern Katachresen auffinden lassen, doch fragt sich, ob z.B. laute Thränen weinen, als eine Katachrese zu mißbilligen sei? Nach strengster Wirklichkeit giebt es allerdings keine lauten Thränen, da der Tropfe im Auge keinen Ton hat, aber doch ließe sich das Beiwort vollkommen vertheidigen, insofern die ganze Anschauung, in weiterer Ergänzung des Bildes, richtig ist. Hier würde man die freie Beweglichkeit des Stils sehr beeinträchtigen, wollte man ihn zu einer pedantischen Umschreibung statt des prägnant andeutenden Beiworts nöthigen. Mit der grammatischen Correctheit im Gebrauch der Adjectiven sieht es in allen Sprachen schlecht aus, und die Grammatiker müssen sich entschließen, dem productiven Bedürfnisse des Stils allen Spielraum zu lassen. Wenn König Lear von den Fürsten Frankreichs und Burgund sagt (1 Akt, 1. Sc.): Long in our court have made their amorous sojourn, so ist auch im Deutschen ein verliebter Aufenthalt eigentlich eine Katachrese, da der Aufenthalt selbst nie verliebt sein kann, sondern [133] nur aus Verliebtheit gemacht wird; aber diese grammatische Zersetzung würde Niemand für eine preiswürdige Correctheit halten, noch weniger zur Veranschaulichung des Sinnes, die in jenen beiden Wörtern sehr treffend ist, ihrer bedürfen. Aehnliches wäre an häufig vorkommenden Ausdrücken, wie verliebte Grillen, bedrückte Zeiten, u. dgl. m., jeden Augenblick auszusetzen und zu vertheidigen. Berühmt ist die wohlschlafende Nacht, die man sich in manchen Provinzen wünscht, und die zwar grammatisch leicht anzugreifen, aber nichtsdestoweniger dem Sinne nach wohl zu rechtfertigen wäre. Die Nacht ist gewissermaßen der Inbegriff und Sammelpunct aller Schlafenden, die Nacht mit ihrem Ruhegebot und Alles beendigenden, lösenden und einhüllenden Frieden, ist der Schlaf selbst, das Collectivbild des Schlummers, die athmende Vergessenheit der Müden. Eineschlafende Nacht kann man sehr gut sich denken und sagen, und daher auch eine wohlschlafende sich wünschen, die im Dialekt anmuthiger Lippen oft ganz lieblich klingt und wirkt. Dagegen muß wohl die vorhabende [134] Spazierfahrt, die sich Schiller einmal in seinem Geisterseher beikommen ließ, vor der gerechten Mißbilligung der Grammatiker sich zerschlagen.

In der Wahl der Beiwörter sind die bildlichen mehr aufzusuchen, als die abstracten, denn die bilderstürmerische Correctheit der Schreibart hat immer nur graue Regenwolken des Stils und Canzlei- und Compendiensprache erzeugt. Die Beiwörter müssen das schöne feste Fleisch des Satzes, das Blühende und Jugendliche an ihm, sein, aber nicht die fahle Runzel des reflectirten Nachdenkens über sich selbst, der welkmachenden Abstraction. Jean Paul, ein großer Poet der Beiwörter, sagt in seiner Aesthetik sehr bezeichnend: »die Beiwörter, die rechten und sinnlichen, sind Gaben des Genius; nur in dessen Geisterstunde und Geistertage fällt ihre Säe- und Blüthenzeit. Wer ein solches Wort erst sucht, findet es schwerlich. Hier stehen Goethe und Herder voran, auch den Deutschen, nicht nur den Engländern, welche jede Sonne mit einem Umhange von beiwörtlichen Nebensonnen und Sonnenhöfen verstärken. Herder [135] sagt: das dicke Theben – der gebückte Sklave – das dunkle Getümmel ziehender Barbaren etc. Goethe sagt: Die Liebes-Augen der Blumen – der silberprangende Fluß – der Liebe stockende Schmerzen zu Thränen lösen – vom Morgenwind umflügelt etc. Besonders winden die goethischen (auch seine unbildlichen,) gleichsam die tiefste Welt der Gefühle aus dem Herzen empor; z.B. »wie greift's auf einmal durch diese Freuden, durch diese offne Wonne mit entsetzlichen Schmerzen, mit eisernen Händen der Hölle durch.« Wie wird man dadurch dem gemeinen Gepränge brittischer Dicht-Vornlinge noch mehr gram. – So ergrauen auch Geßner's verwässerte Farben gegen die festern, hellern im Frühling von Kleist.« –

Ein schöner und correcter Stil bestand sonst in der sorgfältigsten Beobachtung jener stilistischen Figuren, wie Repetition, Exclamation, Aposiopese, Ellipse, Annomination und vieler anderer, die, meistentheils der Rhetorik der Alten entnommen, in allen Lehrbüchern des deutschen Stils sich aufgezählt finden, und deren Erörterung bei [136] ihrer völlig verloren gegangenen Bedeutung für uns überflüssig ist. Diese Figuren verhalten sich zur heutigen modernen Prosa, der Prosa des darstellenden Gedankens, wie die abgestorbenen Kategorien der formellen Logik zu dem Form und Inhalt ineinsgestaltenden Idealismus. –

[137] 9.

Die bisherigen Bemerkungen über die Kunst der deutschen Prosa suchten vornehmlich ihre zeitgemäße Stellung zu bezeichnen, in der sie von Seiten der Sprache, der Literatur und der Gesinnung eine eigenthümliche Bildungsstufe gegenwärtig darstellt. Diese Eigenthümlichkeit, hauptsächlich in der Durchbrechung der Schranke zwischen Poesie und Prosa nachgewiesen, tritt immer entschiedener heraus, und gestaltet jetzt mit vorwaltender Neigung eine Literatur der Prosa, in welcher der schaffende poetische Geist der Nation am mächtigsten wird, in der die Ideenbewegung der Zeit vorzugsweise ihre Sache führt, der andern literarischen Formen sich entschlagend. Die moderne Prosa beginnt mehr Neuheit in den Melodien und Combinationen ihrer Sätze, mehr Schönheitsreiz in ihren Wendungen [138] und Gliederungen, zu entfalten, als die abgeklungenen metrischen Formen der Poesie noch auf ihrem Tonregister haben. Dagegen ließe sich fragen, ob nicht für diese aller poetischen Freiheit sich bemächtigende Diction der Prosa Gränzen gefunden werden können und müssen? Ferner liegt die Frage nahe: ob das Piquante, Künstliche, Pointirte, Geistvolle, Poetische der heutigen Prosa nicht etwa eine Entartung derselben, ein Verfall unseres Geschmacks, sei, statt für eine Erneuerung und Ausbildung gelten zu können?

Eine genügende Antwort auf beide Fragen, die zugleich Kunst und Werth der modernen Prosa im gerechten Lichte erscheinen lassen muß, sind wir zu geben im Begriff, indem wir im folgenden Abschnitt zu der Entwickelungsgeschichte der deutschen Prosa übergehen, um in historischer Folge die nebeneinanderschreitenden Verhältnisse von Sprache, Literatur und Darstellung vorüberzuführen.

Jede Epoche bringt ihre Uebelstände mit sich, jeder Fortschritt hat seine Rückseite, wonach man ihn immer, vom umgewandten Standpunkt aus, für ein Verderben bezeichnen könnte. Die Einfachheit, [139] mit der Garve, Engel, Knebel schrieben, ist allerdings aus unserer heutigen Prosa gewichen, und wer will, mag den verlorenen Unschuldszustand unserer Schreibart daran beklagen. Jene Einfachheit gemahnt uns heutzutage fast wie Schulaufsätze aus unserer Jugend, wir haben bei verwickelteren Beziehungen des Lebens nicht mehr den harmlosen Sinn dafür. Zwar sind wir unverdorben genug, um das Schöne und sogar Große eines Stils zu empfinden, der bloß Das, was man gerade zu sagen hat, einfach walten läßt, ohne alles Faschingscostüm der Darstellung, aber Das, was wir heut zu sagen haben, ist eben ein Anderes, ein aus vielfarbigeren Richtungen, Gegensätzen und Meinungszerwürfnissen Zusammengesetztes, das nur in complizirteren Lauten, mit größerem Aufwand von Mitteln, mit künstlicheren Schattirungen, sich ausführen läßt. Wir sind auf einen Stil gewiesen, der unserm innersten Gemüth entspricht, die Anforderungen unserer Bildung und Richtung, das Dichten und Trachten unserer Persönlichkeit durch seine Ausdrucksformen befriedigt, und ein so hervorgebrachter Stil ist immer für jede Zeit der richtigste [140] und ächteste, weil der nothwendigste. Der Diction kann nur dann der Vorwurf zu großer poetischer Freiheiten oder zu geistreicher Prätensionen gemacht werden, wenn dieselben einzeln und unvermittelt an ihr dastehen, und wie ein anmaßlicher Flitterprunk für sich selbst mehr bedeuten wollen, als die innere Schwere des Inhalts. In dieser Weise scheinen allerdings jetzt viele Autoren zu entstehen, die bloß Schriftsteller einer geistreichen Diction sind, und die, ohne wirklich eigene Gedanken zu haben, doch mit einem Anstrich des Gedankenvollen schreiben, der an den überlieferten und erwerblichen Reichthümern der deutschen Diction haftet. Dies Geistreiche besteht vornehmlich in den Beiwörtern, die überhaupt schon deshalb eine prägnantere und pointirtere Stellung in der neueren Prosa einzunehmen suchen, weil die Macht der Hauptwörter, durch ihre verloren gegangene Bildlichkeit, unwirksamer geworden und gewissermaßen einer Verstärkung durch die Adjectiva zu bedürfen scheint. Daß die deutsche Diction einmal auf solche Stufe gelangen würde, war schon seit Klopstock vorauszusehen, gegen dessen keckere poetische Behandlung [141] der Sprachformen damals Bürger in seinen akademischen Vorträgen über den Stil heftig eiferte, indem er am meisten auf populaire Faßlichkeit und Volksthümlichkeit der Schreibart drang. Doch steckte der Prosa auch Klopstock enge Gränzen und wollte derselben noch keine poetischen Zugeständnisse machen. In seinen grammatischen Gesprächen tadelte er selbst die poetische Voranstellung des Genitivs vor dem regierenden Worte in der Prosa sehr stark, und gewiß für viele Fälle mit Unrecht, obwohl jetzt diese Wendung, wie aller derartiger Figurenzierrath, in unserer mehr mit der Meinung beschäftigten Prosa wenig oder fast gar nicht gebraucht zu werden pflegt.

Der Inhalt, als einziger Meister, Schöpfer und Alleinherrscher des Stils, vermag auch der Diction allein Gränzen zu setzen, sie zu erweitern oder zu beschränken. Was der Inhalt gebietet, weil es für ihn nöthig ist, muß die Diction leisten, werde auch eine Tonart oder ein Stil daraus, welcher es wolle, und die deutsche Sprache hegt so viel Hülle und Fülle von Production, Witz und Gesinnung schon in ihrem Sprachhaushalt, daß sie [142] unter allen die biegsamste sein möchte für den Stil des Inhalts. Die moderne Literatur der Prosa bewegt vor allen Dingen den Inhalt, und des Inhalts bedarf der prosaische Stil immer, um schön und vollendet zu sein, während in Versen bei weitem leichter auch ein inhaltsloser Gegenstand Interesse und Reiz erhält, worüber auch Goethe einmal, in einem Gespräch mit Eckermann (Thl. I. S. 80.) eine Bemerkung macht, während Tieck in seinen dramaturgischen Blättern den jungen dramatischen Dichtern anrieth, ihre aufgeblasenen Jamben in Prosa zu zerlösen, um sich dadurch von deren Inhaltslosigkeit zu überzeugen. Der Stil des Inhalts wird auch der Schönheit des Einfachen nicht entbehren, wo ein heiterer und beruhigter Himmel der Gedanken über ihm liegt. Von einer Zeit aber, in der Alles auf Instrumenten, bis zum Zerspringen gestimmt, seinen Lebenston abspielt, wo unsere Sitten, unsere Speculation, unsere Existenzfragen mit lauter noch unverarbeiteten Elementen geschwängert und überfüllt sind, da verlange man nicht ländliche Schalmeienklänge und Hirtenpfeifen mit Hintergrund friedlich stiller [143] Abendlandschaften, wie in den einfachen rein contemplativen Literaturepochen. Gäbe es Normen des Stils für alle Zeiten, so gäbe es keinen Tacitus, keinen Jean Paul, keinen Goethe, keinen Hippel, keine Rahel, keinen Sterne, keinen Swift, keinen Victor Hugo, keine Dudevant. Der Stil läßt sich ebenso wenig reguliren, wie die Weltgeschichte; er ist der schreibende Griffel der Klio, der immer neue Striche macht bei neuen Thaten und Bewegungen der Menschen. –

2. Die Geschichte der deutschen Prosa

1.

Die Bibel und die Canzlei sind die beiden hauptsächlichsten Lebensquellen deutscher Sprache und Darstellung, die Ausgangspuncte ihrer Geschichte, die leitenden Sterne, die bei ihrer Geburt geleuchtet haben. Das religiöse Element der deutschen Nation bildete am meisten auch ihre Sprache, und von der Bibelübersetzung des Ulphilas bis zu der Luther's, in welcher sich die verworrene Völkerwanderung deutscher Mundarten zuerst in ein festes und einheitliches Bett ergoß, hat das Christenthum vorzugsweise unsere Sprache und Literatur in Bewegung gesetzt. Die Reichsverhandlungen und die Landesgesetze halfen zuerst die Sprache des wirklichen Lebens heranbilden. So entstand jene Mischung von wichtighuendem, gründlich auseinandersetzenden Canzleiton und körniger, erbaulicher, [147] patriarchalischer Bibelsprache, die so lange der Charakter und Ausdruck des deutschen Lebens war, ebenso wichtig für die Gestaltung der ersten Prosa, worin sich diese Elemente vornehmlich abzeichneten, als für die Entwickelung der Sprache und ihrer Formen überhaupt.

Das Verhältniß der deutschen Sprache zur Kirche, welches ihre erste Bildungsstufe im carolingisch-fränkischen Zeitalter ist, wurde jedoch durch eine mächtige Nebenbuhlerin, die lateinische, theils an einer ganz originellen Entfaltung gehindert, theils mit fremden Stoffen durch sie gefärbt. Die griechische Grazie und Wortschönheit des silbernen Codex, aus dem vierten Jahrhundert, ging, unter Karl dem Großen, in latinisirende Wendungen und Nachahmungen über, und Karl selbst, als er statt des Schwertes die Feder nahm, machte in seinen deutschen Schriften und Uebersetzungen unsere Sprache zur Sclavin lateinischer Constructionen. Alle Eigenheiten derselben, die lateinische Wortfolge, die Partizipien, die Auslassung der Artikel und Hülfswörter, selbst die Flexion der Endungen, wurden mit ängstlicher Beflissenheit [148] nachgebildet. 1 Rom's gebrochene Weltherrschaft bemächtigte sich doch noch mit unabweislichem Einfluß der ersten Keime einer neuen Stammsprache, und impfte sich begierig in die Natur derselben ein, während sie im Dunkel der deutschen Klöster, wo sich die antike Gelehrsamkeit festsetzte, noch gefährlichere Intriguen gegen die Entwickelung der modernen Ursprache spann. Die Geistlichen suchten die deutsche Sprache, die von ihnen nur eine lingua agrestis genannt wurde, in Verachtung zu bringen und zu erhalten, und Karl der Große, der eine deutsche Grammatik schrieb oder schreiben wollte, that doch nichts für die ausschließliche Aufnahme der deutschen Sprache in den öffentlichen Gottesdienst. 2 Das lateinische Element hatte sich aber zu tief in die christliche Kirche eingeätzt [149] und mit dem Aberglauben und der Unwissenheit des Volkes, das seine Andacht in unverstandenen Lauten mystisch und schwül befriedigte, zugleich die Macht der Pfaffen befestigt.

Das lateinische Muster, das unserer Sprache in dieser frühen Periode aufgedrückt wurde, brachte ihr jedoch auch manchen Vortheil, weckte die schlummernden Fähigkeiten ihrer Biegung und Wandelung, und ließ ihre unendliche Elastizität schon damals hervortreten. Jede Sprache nimmt in der Weichheit ihres Kindesalters die Eindrücke einer andern, bereits gebildeten, die zugleich im Zenith der herrschenden Weltanschauung steht, mit offenem Sinne an, und was sie sich auf diesem Wege zueignet und in ihr Fleisch und Blut verwandelt, gehört ihr unbestritten wie ein Theil ihrer selbst. Die ersten Sprachversuche der Völker entbehren aller bestimmten Wortfolge, die Gedanken fügen sich noch mit dem Vertrauen, durch die sinnliche Gebärde ergänzt zu werden, elliptisch und ohne alle grammatische Verknüpfung aneinander. Diejenigen geistigen Elemente, an denen sich dann zuerst das Bewußtsein bildet, bestimmen auch die Grammatik der Sprache, [150] und so tönten aus der Sprache des Ulphilas ebenso deutlich griechische Laute, Wendungen und Wortfügungen wider, als zur Zeit Karls des Großen, wo die Mönchsbildung der herrschende Typus der Cultur wurde, die lateinischen Einflüsse sich verriethen. Diese älteste Gestalt unserer Sprache weist daher alle Vortheile der antiken Constructionen an sich auf, die Wortfolge ist ebenso elastisch und beweglich, als die griechische und römische, das Pronomen kann dem Hauptwort nachgestellt, das Adjectivum vom Substantivum durch Einschiebsel getrennt werden, der Artikel konnte ausbleiben, das Zeitwort stellte sich mit volltönendem und abrundenden Laut meistentheils an das Ende des Satzes, und die nachschleppenden Hülfszeitwörter waren unbekannt: lauter Begünstigungen der Darstellung, welche die folgenden Jahrhunderte der Sprache wieder entrissen. Die Uebersetzung des Isidorischen Tractatsde nativitate Domini, Kero's Verdeutschung der Regel des H. Benedict, Otfried's gereimtes Evangelienbuch, Notker's Uebersetzung der Psalmen, und Willeram's hohes Lied wirkten am bedeutendsten auf die Ausarbeitung dieses frühesten Sprachcharakters. [151] Einige Wörter und Redensarten, namentlich aus dem achten und neunten Jahrhundert, mögen als Farbenspectrum der damaligen Diction dienen: Oblatz uns skuldi unsnero (aus dem allemannischen Vaterunser.) – unlustidet mi, es verdrießt mich. – der piteilta, der beraubt hat. – arbluhitos, du entbranntest. – ci leipu, die übrig bleibenden (leipon, λείπειν) – gimiscemes, laßt uns vermischen. – luitlichun, öffentlich, vor den Leuten. – ni bist pihabet, du wirst nicht ergriffen. –casinde sine, sein Gesinde. – werchmahtigi, Werkmächtigkeit, (wie Notker magnificentia übersetzte). – duruhsuinlih, durchsichtig, (Uebersetzung vonperspicuum est in den S. Blasischen Glossen) –anastantantlih, inständig, (Uebersetzung von instanter, bei Kero.) – daz pimurmilotin (bemurmelten) die eristen, darüber murmelten die ersten (aus der Predigt eines ungenannten Mönchs im zehnten Jahrhundert. –Fater unser, thu in himilon bist, Wih si namo thiner. Biqueme uns thinaz richi. Gi willo thin hiar nidare so ser ist uf an himile, beginnt das Vater unser bei Otfried; bei Notker, ungefähr [152] 150 Jahre später, lautet dieselbe Stelle: Vater unsir du in himile bist. Din Namo werde geheiligot. Din rich chomme. Din wille giskehe in erda also in himile. 3 Die Nachstellung des Pronomens hinter dem Hauptwort möchte sich nur noch im Vater unser bis auf den heutigen Tag im Munde der Deutschen erhalten haben. –

Das poetische Blut und Gemüth unserer Sprache trieb im Zeitalter der schwäbischen Kaiser aus den frühlingsfrischen Wortstämmen einen Blüthenwald hervor, den wir heut nur noch mit staunender Verwunderung aus den Minnesängern herüberrauschen hören. Gegen unsere Zischlaute und Consonantenhärten, unsere abgestutzten Endungen, unsere welken Constructionen und ausgeschliffenen Wortfügungen, muß es uns vorkommen, als hätten unsere glücklicheren Altväter eine Sprache der Götter geredet, als sei ihr ganzes Leben und Denken [153] in einen Jugendglanz, in eine Fülle von Dichtung und Schönheit getaucht, wozu sich unser Menschenalter wie das eiserne verhalte. Beleuchten wir diese grammatische goldene Zeit, diesen abgeblühten Sprachfrühling unserer Nation, an einigen Beispielen! Für die Wortbildung hatten sich in der erwachten Phantasie des Volkes neue Keime geregt, die wie Wunderpflanzen aufschossen. Die ernste, großartige Erhabenheit der Wortlaute, die in der carolingisch-fränkischen Zeit an dem religiösen und priesterlichen Element, an den feierlichen Eidleistungen, den Uebersetzungen und Paraphrasen der Evangelien und Tractaten sich heranbildete, in ihren dunkeln Klängen noch an die heiligen Schatten der Druidenhaine gemahnend, wandelte sich im Minnesang in sanftere, liebliche Flötentöne um. Ein fröhliches Naturleben, Sonnenschein, Wiesengrün, Morgenschmelz der Liebe, singender Frühlingswald, alles das überfiel das Herz der Menschen, erheiterte und klärte die religiöse Richtung, und machte sie weltlich oder vielmehr poetisch. Das Ritterthum, die poetischen Flegeljahre der deutschen Nation, machte die Sprache galant, höflich, keck in [154] ihren Ausdrücken und Wendungen, sangbar, schmeichlerisch für das Ohr, und im höchsten Grade biegsam für Alles, was die bewegte Phantasie in der Rede dichten und ausmalen wollte. Der wachsende Völkerverkehr, die Heereszüge nach Italien, die Wallfahrten, der immer stärker werdende Umsatz von Begriffen und Weltverhältnissen, entwickelten die Beziehung der Sprache auf Mittheilung und Umgang, und gaben ihr geschmeidige, rasche, prägnante, die Grammatik nach dem Sinn und Gefühl meisternde Fügungen und Wendungen. Am genialsten zeigt sich diese Behandlung der Sprache in der Bildung der Zeitwörter, die bald aus Substantiven, bald aus Adjectiven ganz nach dem productiven Bedürfniß geformt werden, und dann wieder mit ebenso großer Leichtigkeit neue Hauptwörter aus sich entstehen lassen, z.B. wie Reimar von Zweeter sagt: diae liute sind gelandet wol, die lant niht wolgeliuhtet, die Leute sind mit Ländern wohlversehen, aber die Länder nicht wohlversehen mit Leuten. (Sammlung von Minnesingern, Zürich 1758. Thl. 2. S. 151.) Rinkenberg nennt Gott sehr schön: der höehsten hoehe überhöher. [155] Aehnlich Marner von der heiligen Maria mit einem Verbum: din schöne git dem trone glast, Also das in din schöne überschönet; so beschönen, schön machen, überwizen, an Weiße übertreffen, überwundern, wie Walter von der Vogelweide von Christus: Swas er noch wunders ie begie Das hat er überwundert hie. In den Beiwörtern machen sich dreiste, dichterische Zusammensetzungen geltend: sin wolkenloses lachen bringet scharpfen snabel (Samml. von Minnes. Thl. I. S. 130.) sturmemueden man, sturmesmüden Mann, im Nibelungen-Liede. 4 Der Artikel kann mit der freiesten Beweglichkeit gesetzt werden, bald nach dem Hauptwort, bald zwischen demselben und dem Beiwort, auch bleibt er gänzlich fort, oder wird zweimal wiederholt, wie es gerade die Energie der Rede verlangt. Der Reichthum an Partikeln, feinen malerischen Nüancen, Vorsatzsylben, die zur Kürze, Sinnlichkeit und Belebung des Ausdrucks unendlich beitrugen, war unerschöpflich.

[156] In Hinsicht der Ellipsen kannte die damalige Sprache kaum eine Gränze, und bediente sich dieser Freiheit mit einer Wirkung, die der griechischen Attraction gleichkommt, wie wenn König Wenzel von Böhmen singt: Swas ie kein man zer werlte wunne enphangen hat Das ist ein niht ich was gewert, was nur je ein Mann in der Welt für Wonne empfangen, es ist ein Nichts (gegen die, deren) ich ward gewährt. Nur im Englischen findet man heutzutage noch eine Auslassung des Pronomens, die damit verglichen werden könnte; die deutsche Sprache hat die Fähigkeit für diese Kürze wieder eingebüßt. –

Die geschichtlichen Veränderungen, welche mit dem deutschen Leben vorgingen, ließen das schwäbische Zeitalter unserer Sprache, und mit ihm ihre poetische Jugend, schnell ablaufen. Die Sprache des Ulphilas war das geheimnißvolle Flüstern unserer Urwälder, die Minnesänger hatten die Wälder gelichtet, mit zierlichen, grünen Pfaden durchbrochen, den heitern blauen Himmel hereingelassen, und eine Harmonie in und mit der Natur, bevölkert von allen Genien der Phantasie, der Liebe, [157] des Traums, geschaffen. Jetzt verblich das Naturleben, als die städtischen Einrichtungen sich immer entschiedener auszubreiten begannen. Mit ihnen bildete sich die deutsche Canzleisprache und gewann eine eigenthümliche Bedeutung für unsere Literatur und Sprache überhaupt. Der Gebrauch der deutschen Sprache in den öffentlichen Verhältnissen erhielt erst mit Rudolf von Habsburg, der sie durch eine bestimmte Vorschrift bei der Canzlei einführte, einen feststehenden Charakter, wenn ihre Anwendung auch schon vor diesem Kaiser in diplomatischen Urkunden nachgewiesen werden kann. Die deutsche Canzleisprache war die erste Einwirkung, eine prosaische Gesammtsprache für die Nation und das bürgerliche und gesellschaftliche Leben hervorzurufen. Dieses Ziel wurde freilich damals noch nicht erreicht. Die provinzielle Zersplitterung der Deutschen verrieth sich schon durch das Chaos ihrer Mundarten, und obwohl das Oberdeutsche bis dahin stets eine geistige Herrschaft ausgeübt hatte über alle Nebendialekte, und auch durch Rudolfs Canzlei zur Sprache des Reichstags und der Landesgesetze erhoben war, so wollten doch damit die Mundarten [158] der Provinz, besonders aber das sehr feinorganisirte Niedersächsische, noch immer nicht aus ihren Rechten weichen. Vielmehr wurde durch die Land- und Stadtrechte die Trennung der Dialekte noch eher verfestigt als ausgeglichen, denn wie allgemein auch das Oberdeutsche als die Norm des gebildeten schriftlichen Ausdrucks anerkannt sein mochte, so konnte es nicht fehlen, daß die Gesetze im nördlichen Deutschland wieder in den Provinzialdialekten umgeschrieben und verbreitet wurden. Der Sachsenspiegel, der schon lange vor Kaiser Rudolfs Regierungsantritt, um das Jahr 1220 durch Eike von Repgow zusammengetragen wurde, zeigte zwar das Bestreben, sogar das sächsische Landrecht an die schwäbische Mundart zu fesseln, aber die Sprache war schwankend, gemischt und fand im nördlichen Deutschland keinen Anklang. Ein ausgebildeteres Denkmal der Prosa, die sich aus diesen ersten Bewegungen des bürgerlichen und städtischen Lebens erhob, war der im letzten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts entstandene Schwabenspiegel. Der schwäbische Dialekt zeigt sich in diesem oberdeutschen Landrecht von einer außerordentlichen [159] Bildsamkeit für die Prosa, die schon Numerus und sinnreiche Satzfügungen annimmt.

Das Zeitalter der Prosa regte sich in der Sprache wie in den Zuständen. An den Deutschen änderte sich um diese Zeit Alles bis auf die Kleider, und steckte sich in die Tracht des bürgerlichen und geschäftlichen Lebens. Nur die Gewerbe und Zünfte blühten, und die poetische Blüthe des Lebens nahm in den Meistersängern einen gewerblichen und zünftigen Charakter an. Nachdem das dichterische Element der Höfe und der Aristokratie geschwunden war, mußte die Poesie in der Mitte der städtischen Verhältnisse sich einbürgern, und wurde ein schönes Handwerk. Der polizeiliche Anstrich, den das ganze Leben nahm, brachte auch in der Dichtkunst jene Tabulaturen der Meistersänger hervor, welche am besten die vorgegangene Umkehrung in der Sprache und Production des deutschen Geistes charakterisiren. Der Landfrieden, das Kammergericht, die Handelsinteressen, die reichsstädtische Behaglichkeit und steife Naivetät, die theologischen und scholastischen Haarspaltereien, die immer zunehmende Vermischung der Stände, die Bedürfnisse des praktischen [160] Verkehrs, färbten vorwaltend die beginnende Epoche der Prosa, und verscheuchten die schwärmende Aventüre weit aus den deutschen Gauen. Unsere Sprache schüttelte nicht mehr die goldnen Locken der Jugend, die sie bis dahin frei hatte fallen lassen. Die schönen sinnlichen Wortschöpfungen der Minnesänger kamen außer Gebrauch, die poetische Bildung der Zeitwörter aus Hauptwörtern und Beiwörtern ging verloren, die Poesie der Sprache in Ausdrücken wie abenden, Abend werden, anhaupten, mit dem Haupt berühren, barten, einen Bart bekommen, guoten, sich bessern, gut werden, louben, Laub gewinnen, und unzähligen anderen, 5 hörte gänzlich auf zu schaffen. Durch die an ihrer Stelle nöthig werdenden Umschreibungen ging die Kürze der Sprache verloren, die Ellipsen hörten auf, der Artikel und das Pronomen nahmen eine bestimmte Stellung vor dem Hauptwort ein und konnten nicht mehr, wie sonst, hinter demselben stehen. Die ganze Grammatik der Sprache rüstete [161] sich durch Wortstellung, Formenabschleifung und Verlöschung der Bildlichkeit, für das ruhige, umschreibende und deutlich demonstrirende Wesen der Prosa, die an den Anforderungen des wirklichen Lebens ihren Maaßstab hatte.

In dieser ersten Gegenüberstellung von Poesie und Prosa konnte eben der feindlichen Sonderung wegen noch keine Blüthe der Prosa, keine innerliche Bedeutsamkeit derselben, entstehen. Die deutsche Canzleisprache war eine gute Bildungsschule der deutschen Prosa, aber es bedurfte eines andern Inhalts, um die deutsche Darstellung zu heben oder nur eine Vereinheitlichung der Dialekte zu Stande zu bringen. Bedeutender hätte die romantische Prosa der Volksbücher, die vorherrschend schwäbischer Mundart war, auf den Geschmack wirken können, aber diese blieben, wie es schien, zu sehr entfernt von einem eigentlich literarischen Einfluß. Die Volksbücher stellen den unmittelbarsten Uebergang der Poesie in die Prosa dar, indem sie die Auflösungen der alten Ritterbücher in populaire Erzählungen sind. Je näher diese Novellen noch ihrer ursprünglichen poetischen Quelle stehn, wie [162] besonders die des vierzehnten Jahrhunderts, desto mehr zeigen sie den Reiz einer Prosa, welche die dichterischen Elemente, aus denen sie entstanden, als Substanz beibehalten, aber mit großer Leichtigkeit in einen einfachen, zierlichen, natürlichen Fluß der Rede hineingeleitet hat. Die kurze Satzbildung der Poesie ist ihnen ebenfalls noch eigenthümlich und verbindet sich mit einem bestimmten Tonfall und Wohllaut, den die Prosa damals nur von der Poesie aufnehmen und auf dem eigenen abgesteckten Gebiet noch nicht entwickeln konnte. Die Novellensammlung der Gesta Romanorum ist hier besonders zu nennen. – Diese Novellenprosa schlängelte sich neben der Hauptstraße der laufenden Literatur wie ein romantischer Seitenpfad hin, ohne in nähere Berührungen mit derselben zu treten. Man kann ihre lieblichen Erzeugnisse, die recht in den Hütten des Volkes und seiner Sympathie mit der poetischen Vergangenheit nisteten, bis in das siebzehnte Jahrhundert hinein verfolgen, wo freilich ihre Spur in den Carikaturbildern der nun entstehenden Romane unterging. Die ganze romantische Unschuld dieser Prosa offenbart sich noch [163] in den Novellen des Buches der Liebe, (im Jahre 1587 in Frankfurt am Main von dem Buchhändler Feyerabend herausgegeben,) welches die reizenden Erzählungen von der schönen Magellone, dem Kaiser Octavianus, Flos und Blancheflos und m.a. enthält. 6

Fußnoten

1 S. L. Meister's Preisschrift über die Hauptepochen der deutschen Sprache seit dem achten Jahrhundert (in den Schriften der mannheimischen deutschen Gesellschaft. Bd. I. S. 271.)

2 Auf der Kirchenversammlung von Tours wurde nur festgestellt: daß die Bischöfe entweder in lateinischer oder in deutscher Sprache predigen sollten.

3 Vgl. Meister a.a.O. S. 266. und W. Petersen's Preisschrift: Welches sind die Veränderungen und Epochen der deutschen Hauptsprache seit Karl dem Großen? S. 42 und 48 fg. (im 3. Band der Schriften der mannheimischen deutschen Gesellschaft.)

4 Vgl. Petersen, über die Veränderungen und Epochen der deutschen Hauptsprache S. 64–87.

5 Vgl. Petersen über die Veränderungen und Epochen der deutschen Hauptsprache S. 100. flgd.

6 Vgl. Gervinus, Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen. Thl. II. S. 229 flgd.

[164] 2.

Was die Minnesänger für die Poesie der Sprache gethan, geschah für die Prosa durch die Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts. Man könnte den genialen Dominicanermönch Johann Tauler den Minnesänger der Prosa nennen. Die Sprache des Waldes, der Liebe, der Träume, der Nachtigallen war mit Conrad von Würzburg in Deutschland verklungen, da erhob sich die Sprache der stillen Zelle, der Andacht, der mystischen Gottinnigkeit. Die christliche Mystik wurde der bewegende Inhalt, der nicht nur die Prosa zu einer höhern Kunst ausbildete, als es die deutsche Canzlei vermochte, sondern auch an der Sprache ganz neue und höchst bedeutsame Elemente entwickelte. Dies war das speculative Wesen der deutschen Sprache, das plötzlich in ihr zu schaffen anhub. Die irdische Schönheit [165] in den Minnesängern, die alle sinnliche Blüthe der Sprache hervorlockte, verging vor den trunkenen Augen der Mystiker in die Anschauung des Unsichtbaren, an das sich die hingebende Seele mit ihrer ganzen innern und äußern Existenz verlor. Für diese überirdischen Abstractionen, dieses Verlorensein der Gefühle in die unmittelbare Einheit mit Gott, mußte erst eine neue Diction geschaffen werden, denn für den Ausdruck des übersinnlichen Lebens, der Gedankenwelt, hatte die deutsche Sprache noch keine Töne, keine Wörter. Sie wurde zum ersten Mal in ihren metaphysischen Grundkeimen angerührt und entfaltete die wunderbarste Fähigkeit für den abstracten Gedanken. Diese Sprache der mystischen Anschauung wurde um so eigenthümlicher, da sie das Uebersinnliche, das sie auszudrücken hatte, doch wieder in das sinnliche Element der Poesie tauchte und die speculative Vorstellung am Ende nur in Bildern am vollständigsten anzudeuten wußte. Denn das Verhältniß zum Göttlichen, zu Christus, zur heiligen Jungfrau, hatte sich ebenfalls zu einem inbrünstigen Minneverhältniß gestaltet. Gott ist in der Sprache [166] der Mystiker der »minnigliche Grund,« in dessen Tiefe nicht nur mit dem Gemüth und der Abstraction hinabgestiegen wird, sondern aus dem auch die träumerische Verzückung alle Wunderblumen der Phantasie heraufsprießen und in allen Düften und Farben das Haupt des Schauenden umspielen läßt. So gestaltete sich die erste Prosa, die der Poesie ebenbürtig war, und doch auf einem ganz neuen und ihr eigenen Grunde ruhte. Das poetische Element dieser Prosa wurde zugleich die wirksamste Polemik gegen die scholastische Verstandesdürre des Jahrhunderts, und durch sie als Gegensatz hervorgerufen.

Das Haupt dieser Polemik war Tauler, der erste Philosoph in deutscher Rede. Er wurde um das Jahr 1294 in Cöln, nach Andern in Straßburg, geboren. Sein Leben ist dunkel, er scheint in Paris, wohin er noch als Dominicanermönch reiste, geistliche und gelehrte Studien in großer Ausdehnung gemacht zu haben. Nur sein Tod zu Straßburg am 17. Mai 1361 wird durch das sein Bildniß tragende Grabmal in jener Stadt verbürgt. 1 [167] Er war ein wundersames Bild der mystischen Begeisterung, die sich ganz auf die innere Welt des Menschen warf, und darin das Göttliche bis zur sinnlichen Gemeinschaft fixirte. Die dunkele Gewalt seiner Predigten zog das Volk in großen Schaaren zu ihm heran, doch begreift man nicht, wie seine metaphysischen Zerlegungen, seine neuplatonischen und cabbalistischen Sätze, einen volksthümlichen Anklang finden konnten, wenn man nicht annimmt, daß auch in der Gemeinde damals das angeregte innere Leben und die Richtung auf das Ueberirdische einen speculativen Sinn für Gedanke und Sprache erschlossen hatte. In seinen späteren Predigten stimmte Tauler freilich einen populaireren Ton an, und schien die feinere wissenschaftliche Argumentation aufgegeben zu haben. Tauler war ohne Zweifel ein großer Kenner des menschlichen Herzens, ein Meister in der Ausmalung der innersten Gemüthsbewegungen, und besaß eine hinreißende [168] Macht der Phantasie, der er selbst fast unterliegen mußte. Einmal verfiel er während des Predigens in ein anhaltendes Weinen, er konnte den Zusammenhang nicht wieder auffinden, mußte die Kanzel verlassen, und soll in diesem Zustande des Außersichseins zwei Jahre verblieben sein. Darauf scheint das Gerücht, daß er an Wahnsinn gelitten, zurückgeführt werden zu müssen. In Tauler finden sich die ersten Unterscheidungen des innern Lebens in die drei Grade der Reinigung, der Erleuchtung und der Vereinigung, und man kann in ihm den reinsten Typus dieser Mystik anerkennen, weil er meistentheils von den trüberen Elementen der Schwärmerei frei blieb, obwohl er sich auch nicht selten einem Uebermaaß süßlicher Spielereien in Gedanken und Ausdrücken hingab.

Tauler's Sprache charakterisirt ihn zunächst als den sinnreichen Wortbildner, der sich mit probuctiver Kühnheit für neue Gedanken neue Bezeichnungen schuf. So schwankend auch seine Grammatik im Einzelnen war, ein so festes und eigenthümliches Gepräge hatte ihr geistiges Wesen, das sich dem mystischen und abstracten Inhalt mit nicht geahnter [169] Fügsamkeit anschmiegte. Besonders waren es die Wörter mit den Endsylben keit und heit, die den mystischen Vorstellungen auf eine neue Art dienten und zu schöpferischen Zusammensetzungen benutzt wurden, in denen Tauler mit großartiger Energie waltete. Solche Ausdrücke wie Befindlichkeit d.h. das Existirende, Alles was sich vorfindet; Liebmüthigkeit, die Neigung gute Werke zu thun, ein Charakter der zu Liebeswerken geneigt ist; Empfänglichkeit, ein zuerst von Tauler gebildetes Wort, welcher sagte, unser Geist sei lauter Empfänglichkeit; Ungeschaffenheit, Alles, was nicht erschaffen ist;Unversüchligkeit, der Zustand, der noch keine Läuterung und Prüfung durch Versuchungen erfahren hat, Gutdunkenheit, Unwandelbarkeit, Wesentlichkeit, Danknemigkeit, Innerheit, Ingossenheit, Abgeschiedenheit, Verborgenheit, Willenlosigkeit, mueterlich Berhaftigkeit (von der Jungfrau Maria) 2 und viele andere, entsprangen der [170] Diction des Tauler wie von selbst als neue Sprachsymbole. Diese geistige Wendung der Sprache wurde allerdings schon vorbereitet durch die Verbreitung der aristotelischen Philosophie in Deutschland, die schon im elften Jahrhundert von Hermannus Contractus, im zwölften von Otto von Freysingen durch einzelne Uebersetzungen aus dem Griechischen und Arabischen eingeführt worden, und zuerst etwas Subtiles und fein Nüancirtes in das Deutsche legte. Aber als productiver Sprachbildner aus dem Gemüth heraus trat zuerst Tauler in dieser Richtung auf. Der Ton, den er angeschlagen, fand bald den vielfältigsten Anklang, und in den Schriften der in seine Fußtapfen tretenden Mystiker, und der Jünger der ewigen Weisheit, förderte sich immer mehr, wenn auch nicht mit gleich reinem Gepräge, eine Sprache zu Tage, die ganz metaphysisch gedacht und gebaut war. Ein damaliger Schriftsteller beschwerte sich sogar wegen des Ueberhandnehmens [171] der termini metaphysicales im Deutschen. 3

Die Sprache Taulers dünkte seinen Zeitgenossen so süß, daß sie ihn den Zuckerprediger nannten. Sie waren daher gewiß gewohnt, seine Rede in der heimischen Mundart von ihm zu vernehmen, und alle Zweifel, die darüber erhoben worden, ob die Sprache in Tauler's Predigten seine eigene und ursprünglich von ihm herrührende, dürfen uns in diesem Besitzthum nicht stören. Der Titel der ältesten Leipziger Quart-Ausgabe von 1498: »Sermon des großgelarten in gnaden erlauchten Doctoris Johannis Thauleri predigerr ordens, weisende auff den nehesten waren wegk, yn geiste tzu wandern durch vberschwebenden syn, unvoracht von geistes ynnigen vorwandelt inDeutsch manchen menschen zu selikeit«, weist allerdings deutlich darauf hin, daß ein doppelter Text der Taulerschen Predigten mußte vorhanden sein. Man muß jedoch annehmen, daß, nach der Sitte seiner Zeit, [172] die auch später noch bei den Theologen üblich war, Tauler seine Predigten zwar lateinisch aufschrieb, auf der Kanzel aber ohne Zweifel deutsch gehalten hat. Viele seiner Vorträge sind in dem deutschen Text, in dem sie verbreitet wurden, von seinen Zuhörern nachgeschrieben, wodurch sich auch die Abweichungen und Verschiedenartigkeiten mehrerer Texte erklären. Auch giebt es ins Niedersächsische übertragene Texte, die unglücklicher Weise einigen Herausgebern deutscher Mustersammlungen als wirkliche Proben der Tauler'schen Originalsprache gedient zu haben scheinen. Der Uebersetzer der lateinischen Concepte des Tauler hatte aber in dessen weitverbreiteten mündlichen Vorträgen den sichersten Anhalt, seine Sprache auch deutsch in originalgetreuer Form wiederzugeben. Daß Tauler allein es war, der den merkwürdigen Umschwung der Sprache im vierzehnten Jahrhundert hervorbrachte, erhellt aus allen übrigen ihm verwandten, und in seinem Geist und Ton abgefaßten Schriften dieser Zeit, worin sich beständig Hinweisungen auf ihn finden. Die schöne und verzückte Nonne zu Maria-Medingen, Maria Ebnerin, und [173] ihr in geistlicher Liebe zu ihr entbrannter Freund, Heinrich von Nördlingen, der ihr eine Schaale sandte, worin sie die süßen Thränen ihrer Andacht und Himmelsberauschung für ihn einsammeln mußte, sind hier als die bedeutendsten Wahlverwandten Taulers in seinem Jahrhundert zu nennen. Sowohl die Selbstbiographie, die diese begeisterte Klosterjungfrau hinterließ (herausgegeben von P. Sebastian Schlettstetter zu Schwäbisch Gemünd 1662), als der mystische Briefwechsel, den Heinrich von Nördlingen mit ihr geführt hat (abgedruckt inHeumanni opuscula, Nürnberg, 1747. S. 351–404.) reden eine der tauler'schen in jeder Hinsicht ähnliche Sprache, und waren die am bedeutsamsten mitwirkenden Elemente, aus denen die Sprachumbildung dieser Epoche hervorging. Nach ihnen kann noch Otto von Passau, der Lesemeister der Barfüßer zu Basel, angeführt werden, der, verstandesnüchterner als Tauler, aber doch in seinem Sinn und von ihm angeregt, das Buch »Die vier und czweinczig Alten oder der guldin Tron« im Jahre 1386 herausgab. Dieser güldene Thron ist das erste Denkmal einer schönen, gediegenen, didaktischen [174] Darstellung in Prosa, die zugleich einen durch Gelehrsamkeit compilirten Inhalt mit übersichtlicher Klarheit verarbeitet. Dem Verfasser ist die aristotelische Philosophie ebenfalls nicht fremd.

Die deutsche Sprache war damals im Zuge, sich eine philosophische Ausdrucksfähigkeit zu schaffen, die ihr theils in einer spätern Zeit wieder verloren ging, theils häufig an ihr bezweifelt wurde. Was Leibnitz in seinen Unvorgreifflichen Gedanken wünschte und vermißte, daß die logischen Kunstwörter völlig deutsch und ohne eine fremde Terminologie gegeben werden könnten, eine noch heutzutage unerreichte Anforderung, das schien sich schon im vierzehnten Jahr hundert in ganz einfacher Weise aus unserer Sprache zu ergeben und als erreichbar zu zeigen. Außerordentlich merkwürdig ist in dieser Beziehung die theosophische Abhandlung eines ungenannten Verfassers, der in dieser Zeit die verwickeltsten und abstractesten Begriffe, für die man sonst nur scholastische Formeln hatte, in einer unvermischten, ächt deutschen Auseinandersetzung und mit einer gewissen Eleganz der Darstellung klar zu [175] machen suchte. 4 Eine Stelle daraus möge hier Platz finden: »Ich sage, daz etwaz sei in der Sel, daz so edel sei, daz sein Wesen sein vernvnftig Wurkhen sei; ich spriche, daz ditz seilich sei von Natur. Daz ist war, daz ein jeslech vernvnftlich Wesen muz seilich sein von Natur; darume heizet es dus, ein wurckende vernvnft. Vraget man nv, seit der Mensche hie inne seilich sei nach sinem höchsten Teil, warvmb er denne alzemal niht seilich sei? So antwortet man alsus darzv, vnd sprichet von einer andern Vernvnft, die heizet ein mvglich Vernvnft, die gemein ist dem Geist in der Weise, alz er zeit berurt in dem Leichname. Mohte nv .... daz die Vernvnft sich ainvaltich mochte keren sonder Mittel zu der wurckenden Vernvnft: so wer der Mensche hie alz seilich, als in dem ewigen Leben, wan daz ist Seilikeit des Menschen, daz er bekennet sin aigen Sein in der Weise der wurckenden [176] Vernvnft. Ditz ist hie niht mvglich der mvglichen Vernvnft, wan ez ist Mvglicheit ein lauter Niht, eller Dinch ze versten. Wan die Vernvnft daz werden mach svnder daz sie niht enist, dar vmb haizet sie ein mvglicher Vernvnft, wan dize ist.. dar vmme ... Ewicheit der Genaden vnd Glorien, ofend irs aigen Sins von dem Wesen der Mvglicheit, vnd mvge enphahen Vberformvnge der wurckenden Vernvnft.« – Bouterwek (Literaturgesch. IX. 487.) vermuthet, daß diese Abhandlung in ihrer Zeit nicht die einzige solcher Art geblieben sein möchte.

Diese Bestrebungen erscheinen zugleich als die bedeutendsten Vorarbeiten zur Entwickelung der neuhochdeutschen Prosa, die in Luther's Bibelübersetzung ihren Canon erhielt. Die besondere Vorliebe, welche Luther und Melanchthon für Tauler's Schriften hegten, ist bekannt. Luther vornehmlich hat den Dominicaner nicht nur oft gelobt und angeführt, sondern auch in seine eigenen Schriften manche Sprüche und Gedanken Tauler's aufgenommen. Die Wichtigkeit dieses Autors, welcher der Repräsentant einer ganzen Epoche ist, [177] veranlaßt uns zu einer ausführlicheren Probemittheilung seiner Sprache, die wir nach dem Text der oben angeführten ältesten Ausgabe seiner Predigten, auf der königlichen Bibliothek zu Berlin befindlich, geben und mit einigen Anmerkungen für die ungeübteren Leser begleiten.

[178]
Das Joch Christi.
Eine Predigt von Johann Tauler.

Die ewig warheit vnßer lieber herre jesus christus hat gesprochen: mein joch das ist suße, vnd mein burde die ist leichte. Diser warheit widersprechen alle naturliche menschen also ferr, als sie die natur tregt, vnd sprechen, das gotes joch bitter sey vnd seine burde schwere. Vnd muß es doch war sein, wan es hat die warheit selber gesprochen! Wan ein Ding, daz do sere druckt, vnd das man schwerlich nach im tzeucht 5, daz heist ein burden. Kinder, bey dem joch nympt man den inwendigen menschen und bey der burden den auswendigen menschen. Der inwendig edel mensch der [179] ist kommen auß dem edelen grunt der gotheit, vnd auch gebildet nach dem edelen lautern got, vnd do wieder eingeladen vnd gerufft, vnd wurt wyder eingetzogen, alßo daz er alles gutes magk teilhafftig werden; das der minniglich grunt 6 hat von natur, das mag die sele erkriegen von gnaden. Nun, kinder, wie der ewig got in dem inwendigen grunt gegrunt hat 7, vnd vorborgen vnd vordeckt leyt, welher mensch daz finden mochte vnd erkennen vnd beschawen, der were onn allen tzweifel selig. Vnd wie das ist 8, daz der mensch seine inwendig gesicht der sele vorkeret vnd irre geet, doch hat sie ein ewiges locken vnd neigen dartzu, vnd kan kein rue finden noch haben, wan 9 alle ding [180] mugen ym nit gnug sein in allen außern dingen, wan das tzeucht yn in das allerinnerst an 10 seine wissen. Wan diß ist ein End. 11 Als alle dingk rasten vnd ruen an yr eigen stat, als der stein auff der erden vnd das fewer in der lufft, also thut die liebe andechtige sele yn got, yrem heil. Wem ist nu diß joch suße vnd leicht, vnd diß tzihen und diß trahen? – niemandt sicherlich, dan den menschen, die yr gemuthe haben gekeret inwendig in den lauteren grunt gotes von allen creaturen! Kinder, die sele ist recht ein mittel zwischen tzeit vnd ewigkeit. Keret sie sich tzu der tzeit, so vorgist sie on tzweifel der ewigkeit, vnd werden yr dann alle dingk ferre, 12 die got tzu gehoren. Also tzu gleicher weiße alle dingk, die man ferre sicht, die scheinen dem menschen klein, vnd was do nahe ist, das scheinet groß. Wan es hat wenigk mittels, [181] als die lauter sonne; wie nun die sonne tzu sechtzigk male grosser sei, dan das gantz ertreich, der aber ein beckenn nympt mit wasser tzu sommerzeit, so sie hoch an dez himel stehet, vnd legt dareinne einen kleinen spigel, dorynne erscheinet die grosse sonne mit einander, vnd scheinet darinne, kaume als ein kleiner bode 13; vnd wie klein das mittel ist, das do tzwyschen dez kleinen spiegel vnd der grossen sonne keme, daz neme dez spigel das bilde der grossen sonne tzuhandt. 14 Also tzu gleycher weiße ist es vmb den lautern menschen, der das mittel gelegt hat. Es sey was es sey, ader wie klein das ymmer gesein mag, das der mensch in dem grunt der warheit nit kan noch mag gesehen, 15 on allen tzweyffel, das mittel, [182] wie kleine es ist, das benympt im daz, daz sich daz groß gut, das do got ist, in dez spiegel seiner sele nicht erbilden kann noch magk. Ja wie edel vnd wie lauter bilde ymmer sein, die machen allesampt mittel dez vnvorbildten bildes, daz do ist got selber. 16 Nu, lieben kinder, wisset, in welcher sele sich der ewige gütige got erspiegeln sal, die muß bloß sein vnd lauter, vnd gefreyet von allen bilden. Vnd wo sich ein einig bild yn dyßem spiegel weiset vnd tzeiget, do wirt die sele des waren bildes vermittelt, 17 das do got lauter ist. Nun alle die menschen, die diser bloßheit in yn nicht warnemen, das sich diser verborgen grunt in yn nit entdecken vnd entbilden mag, inwendig der vornufft der sele, dise menschen sein alle kuchendirne 18 vnd kuchenknechte, vnd denselben menschen ist das joch bitter. Vnd wer nye darin gesach, 19 [183] noch des grundes nie geschmeckt, das ist ein offnes tzeichen, spricht Origenes, das er des – ewiglichen nimer geschmecken noch enbeissen sal. Nun wisset, kinder, welcher mensch tzum minsten ym tage eyns nit einkeret in seinen grundt nach seinem vormugen, der lebet nit on tzweyffel als ein rechter warer christenlicher mensch. Aber, kinder, die menschen, die den grunt reumen 20 vnd sich ym mussigen vnd die bilde ablegen, das sich die sonne in yrem inwendigen grunde der sele ergiessen magk, denselben menschen ist das joch gotes suße vnd vber alle suße. Vnschmecklich vnd bitter vnd widertzeme ist yn alles das, das gote nicht lauter ist, in yn selbs vnd in allen creaturen. Ja in der warheit, alles, das sie ye geschmeckten oder empfunden haben, den sein alle dise werck ein bitter galle. Wan wo diser edeler grunt geschmeckt wird, der tzeucht ßo sere den edelen menschen, er [184] tzeucht das marck auß den beinen vnd das blut auß den oddern. Vnd wist, wo sich diß bilde yn der warheit hat gebildet, do vorleschen alle bilde yn scheidelicher weiße. 21 Nun, kinder, wurumb hindern den menschen die ding, domit er vmbgheet in der tzeit? Daz ist: das du mit den dingen bist vorbildt mit eigenschafft. Werestu des bildes vnd der eygenschafft ledig vnd frey vnd vnbekommert, wysse yn der warheit, hettestu ein konigreich, es schadet dir tzumal nichts. Kinder, seyt on eigenschafft vnd bildeloß vnd ledig vnd frey vnd onbekommert mit allen creaturen, vnd hab, mit verlaub, wes du bedarffts mit eyner notdorfft, die gemischt sey mit demutikeyt yn gotlicher forcht, so gann dir der ewig got wol deiner notdorfft; on tzweifel, hastu seine nicht, ßo getraw dem herren, er sal vnd muß dich wol vorsorgen, vnd sold es durch vnvornufftige creatur gescheen; er vorlest der seinen nicht, als wenig als er die ewykeit lest. Kinder, man findt von einez altuater [185] geschrieben, der was als bildloß vnd ledig vnd frey vnd vnbekommert mit allen creaturen, das ym mit nichte kein bilde bleib in seinez gemute. Nu fuget es sich, daz ein mensch kam, klopffet an seine gemach. Do kam er hervor. Do heischt im der mensch etwas, das er ym auß seinem gemach brengen solt. Do dyßer heilig altuater wider in seine gemach kam, alsbald do was diß bilde hinwegk, das er tzumall darumb nicht entwest, warumb yn dyßer mensch gebeten hatte. Dyßer mensch klopffet aber an, do kam der aluater, vnd sprach: Sune, ghee selber hereyn vnd nym, wes du bedarffest, wan deine bilde kan ich so lange nicht behalden, das ich wysse, was du wollest, alßo ist meyn gemudt bloß aller bilde vnd ledig vnd frey. Kinder, in disen bildlosen menschen, do scheinet die gotliche sonne yn on vnderloß, vnd werden ßo adelichen getzogen auß ynn selber vnd auß allen dingen, vnd haben yren willen geben gefangen dem gotlichen willen yn allen dingen, vnd dartzu lauter vnd bloß sich selber, in allen creaturen, in lieb vnd in leid, yn thun vnd in lassen. Kinder, dise menschen sein ßo gar vorstrickt ynn dem freien gotlichen willen, [186] vnd werden so wunniglich getzogen ynn das joch gotes, das sie dodurch vergessen liebes vnd leides vnd aller dinge, vnd darumb so scheinen in alle dingk klein vnd wenig, wan sie sich in got vorgangen haben. Aber die ewigenn dingk scheinen yn naher vnd groß, wan sie in yn alletzeit inwendig gegenwertig sein von yres adels wegen der tugende. Hirumb ßo vorgessen sie inn der sußen liebe gotes alles leidens, ab man sie liebe oder hasse. Des haben sie steten fride mit allen creaturen, mit feinden ader mit freunden. Disen menschen ist alletzeit suße das joch unsers lieben herren, in lieb vnd yn leid steen sie vnbekommert mit allen creaturen. – –

Fußnoten

1 Vor Spener's Ausgabe von Tauler's Predigten, (Frankf. a.M. und Leipzig 1720. 4) findet es sich abgebildet.

2 Vgl. Petersen über die Veränderungen und Epochen der deutschen Hauptsprache, S. 123 flgd. S. auch F.F. Beck, Disputatio de Jo. Tauleri dictione vernacula ac mystica (Argentor. 1786. 4) und Bouterwek, Geschichte der deutschen Poesie, Thl. I. 489 flgd.

3 Vgl. Petersen a.a.O. S. 126.

4 Diese Abhandlung ist in Docen's Miscellaneen zur Geschichte der deutschen Literatur, Bd. I. S. 140. abgedruckt. Man vergleiche jedoch, was Gervinus in seiner Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen, Thl. II. S. 146, darüber bemerkt.

5 Das man schwer nach sich zieht.

6 Spätere Ausgaben lesen got, was ohne Zweifel nichts als eine erläuternde Paraphrase des mystischen Ausdrucks minniglich grunt ist, weshalb wir der ächten, durch unsere Ausgabe gebotenen Lesart den Vorzug ließen.

7 sich gegründet, sich einen Grund erschaffen hat.

8 S.v.a. obschon.

9 Hier in der Bedeutung von weil, denn, doch kann diese Partikel, die sehr verschiedene Bezeichnungen annimmt, oft auch durch sondern in Nachsätzen übersetzt werden, wie an dieser Stelle gleich das nächste Mal. –

10 an, ane, mittelhochdeutsche Präposition:ohne. –

11 S.v.a. Denn dies ist das Ende aller Dinge.

12 fern, von ihr abgewandt.

13 Boden, d.h. als kleines Grundbild. –

14 Es nähme dem Spiegel alsbald das Bild der großen Sonne hinweg. tzuhandt (auch zehant geschrieben) bedeutet:alsbald, und ist in diesem Sinne von: zur Hand sein, abgeleitet.–

15 D.h. etwas Aeußerliches, das der Mensch nicht aus dem innern Grunde der Wahrheit in sich aufgenommen, und welches daher als ein fremdes Medium (Mittel) den Spiegel seiner Seele trübt. –

16 D.h. wie edel und lauter auch die in unserer Seele aufsteigenden Bilder immer sein mögen, so treten sie doch alle in den Weg (machen mittel) demunerschaffenen Bilde in uns, welches Gott selber ist. –

17 D.h. durch ein Mittel (Medium) getrübt.

18 Küchendirnen. –

19 D.h. nie angeschaut hat – von der mystischen Anschauung zu verstehen. –

20 reumen, auch raumen, bedeutet in der mystischen Sprache so viel als reinigen, säubern. –

21 D.h. Da verlöschen alle Bilder von schädlicher Art. –

[187] 3.

Langsamer und weniger eigenthümlich, als die Sprache der Zelle und der philosophischen Klause, bildete sich die Sprache der Städte, der Wirklichkeit. Aus den Chroniken und moralischen Tractaten des funfzehnten Jahrhunderts ersieht man noch am meisten, welchen Ausdruck das wirkliche Leben um diese Zeit gehabt.Johann Rothe, ein Mönch zu Eisenach, gab in der ersten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts einethüringische Chronik heraus, welche für die früheste Erscheinung eines Geschichtschreibertalents in Deutschland gelten kann. Dieser Mönch, der sich auch als Dichter bekannt gemacht, bewies schon eine Feinheit und Anmuth historischer Darstellung, die besonders in Portraitzeichnungen auf eine merkwürdige Weise glücklich [188] ist. In aller Einfachheit und auch wohl Trockenheit des Chronikenstils entbehrt er doch einer leisen poetischen Anfärbung nicht. Besonders strebt er danach, seinen Gegenstand in einer gewissen malerischen Gruppirung zu behandeln und lebende Bilder zu zeichnen. Seine Prosa ist gedrungen und nervig, zuweilen scheint er sogar nach piquanten Wendungen zu suchen. Von dem thüringischen Landgrafen Ludwig VI. entwirft er folgendes Bild: »Dessir Lantgrafe Lodwig waz gar eyn clarer jungir forsse, eyn liplicher jungeling und eyner zamelichen wanderunge, eynes heiligen lebins. Do her obir syne bluwindin jogunt zcu vornunftigen aldir quam, do waz her zcu male gutlichen wedir eynin iclichin, wan yn eyne luchtin alle toginde, her waz von libe eyn wolgesicketer man, nicht zcu lang noch zcu korit, zcu male mit schonen forstlichin geberdin, in gnediger zcuversicht, sin angesich waz frölich, syn antlizce subirlich. Unde ez waz nymant der en sach, her worde eine gunstig. Her waz schemel mit syme wortin, geczuchtig mit synin geberdin, reynlich unde kusch mit syme libe, warhaftig mit syner rede, getruwe in syner fruntschaft, [189] forstlich mit syme rethe, unde menlich in syme widirsatzce, vorbedachtin in synen globedin, gerecht mit syme gerichte, milde mit syme belonen unde was man toginde gesagin kan, der gebrach eme nicht.« 1

Johann Rothe hatte in seine prosaische Darstellung etwas von der Legendendichtung mit hinübergenommen, in der er sich auch sonst versuchte. Strenger und pragmatischer bildete sich die historische Prosa durch Johann Thurmayer, genannt Aventinus [190] (von seiner Vaterstadt Abensberg), der in einer spätern Zeit des Jahrhunderts lebte und seinebaierische Chronik erst lateinisch, dann deutsch herausgab. Sein gebildeter Chronikenstil verräth eine Kenntniß und durchdachte Musternehmung der antiken Geschichtschreiber, und besonders Tacitus scheint ihm bisweilen vorgeleuchtet zu haben. Neben ihm könnte noch die Chronik der burgundischen Kriege von Diebold Schilling genannt werden, um die historische Anschauungs- und Ausdrucksweise des funfzehnten Jahrhunderts zu umzeichnen.

Die Sprache des bürgerlichen und gesellschaftlichen Lebens in diesem Jahrhundert redet in ihrer ganzen Naivetät, treuherzigen Derbheit und schalkhaften Ehrbarkeit aus dem Ehestandsbuch des Albrecht von Eybe (Ybe) uns an. Dies ist eines der merkwürdigsten und seltensten Denkmäler dieser älteren Prosa. Der Verfasser giebt sich in der Vorrede seines ohne Titel erschienenen Werkes als »in baidế recht doctor, Archidiacon zu Wirczburg vnn Thumherr zu Bamberg vnd Aystet« zu erkennen. Die ältesten Ausgaben sind von Nürnberg, 1472, in welchem Jahre der Verfasser sein [191] Buch mit einer feierlichen Zueignung dem löblichen Magistrat und der Gemeinde der Stadt Nürnberg als Neujahrsgeschenk übersandte. Es ist in drei Theile getheilt und enthält dem Inhaltsverzeichniß nach Folgendes: Tytel diß büchlins des ersten teyls: Ob einem Manne sey tzu nemen ein eelich weyb oder nit. Von lieb und keüscheit der eelewte vnd von vnordentlicher lieb und vnkeüsch. Von der schön vnd vngestalt der Frouwen. So ein eefrow fruchtbar oder unfruchtbar ist. Von lieb vnd sorgen der kindér vnd wie sy erzogen sullen werden vnd so die kinder oder die elter sterben. So die Frow wolredende vnd zornig ist. Von dem Heyratgut vnd von reichtumb vnd armut. – Tytel des andern teyl's: Wie die welt vnd wie die menschen vnd warumb sie erschaffen seind. Die Antwurt das ein weyb tzu nemen sey. Widerwertigkeit in der ee vnd sunst tzu dulden. Das man Frouwen vnd junckfrouwen tzu rechter zeytt mann geben sol. Wie sich ein frow halten sol in abwesen irs mans. Das lob der ee. Das lob der frouwen. – Tytel des dritten teyls. Wie die male und wirtschaft seind tzu halten. Von ellende krancheyt vnd widerwertikeyt [192] der menschlichen natur. Das keyn sunder verzweyfeln sol.

Man sieht, dieser ebenso ehrbare als lustige Archidiaconus hat kein Hauptcapitel aus dem ehelichen Leben und Wandel unberührt gelassen. Seine moralischen Nutzanwendungen verrathen im Allgemeinen strenge Grundsätze, ohne pedantisch und im Einzelnen lästig zu werden. Man hat ihn nicht mit Unrecht den deutschen Montaigne genannt. Hin und wieder laufen seine moralischen Tractate, wenn den Verfasser seine fröhliche Phantasie von dem didaktischen Ton abführt, in kleine Novellen aus, die, in ihrer zierlichen und naiven Behandlung, an Boccaccio erinnern. Zuweilen hat er auch aus demselben entlehnt, wie die Erzählung, mit der er beweisen will, »das man frowen und junkfrowen tzu rechter czeit menner geben soll.« Die vortrefflich gehaltene Erzählung: »wie sich ein frow halten sol in abwesen irs mans« zeigt ihn selbst als Meister im naiven Novellenstil. 2 Manches scheint [193] er wörtlich aus andern Schriftstellern übersetzt zu haben, wie er überhaupt eine vielfältige Belesenheit an den Tag legt. Seine feine Auffassung von Welt- und Lebensverhältnissen ist gerade dazu geeignet, uns das Privatleben seiner Zeit, wie es geredet und für seine eigenthümlichen Zustände Worte gefunden, auseinander zu legen. In seiner Sprache finden sich einzelne Seltsamkeiten, die besonders im Gebrauch des Hülfszeitwortes sein auffällig sind. So sagt er: ward einen Brief schreiben, anstatt schrieb einen Brief; sie ward küssen, anstatt sie küßte; ward ihr wolgefallen, statt gefiel ihr wol; das Herz ward in ihr zittern, statt das Herz zitterte in ihr; ward lieblichen ansehn, statt sah lieblich an, u. dgl. Sonst hat seine Prosa eine gewisse duftige Lieblichkeit und ist die Resonanz einer heitern, gemüthlichen, wohlgestimmten Seele.

Ueber das Freien sagt Albrecht von Eybe folgendes Beherzigenswerthe: »Vgolinus parmensis schreibt, ich hab wohl gesehen das oft ein schicz (Schütz) ablaßt hundert pfeil von dem bogen ee er das zil mag getreffen, so kompt oft ein glik das im ersten schuß der schicz trifft das blatt, also geschicht [194] auch mit den Frouwen sy wöllen hundert mal gebeten und gemüßigt sein, so kompt oft ein glük das die frov in eim Tag gibt und gewert daz sy ein gancz monat hat versagt vnd abgeschlagen. solche wort vnd gedenken sol sich ein vester man nit übergehn vnd nahen lassen. So sullen auch die frouwen den mennern die sy in vnordenliche lieb wöllen füren nit zu vil getrauwen, wann als ouch Vgolinus schreibt, ein frow sol ir gütikeit in dem nit lassen erkennen das sy mit hüpschen vnd gedichten worten vnd den zähern des mannes glauben gebe, vnd sol nit erhören das da vnzimlichen ist tzu bieten vnd tzu geweren, wann herfließende vnd schnelle lieb die gewinnt gemeinklichen ein bösen außgang vnd erkaltet bald, das geschicht mer aus schulden des mannes dann der Frouwen. Ein Frow die ir lyeb im anfangk dem manne nit versprechen will vnd schwerer macht alsbald sye die lieb hatt tzu gesagt vnd in ir Hercz genommen, so ist imbristiger vnd steter die lieb der Frouwen vnd überwindet den man in der lieb, aber der man als da ettlich Menner seind, alsbald er der Frouwen willen hat erlangt so gedenkt er im [195] also, die Frow hat nach meinem willen gancz gelebet vnd wirt es allzeyt tun, du willt auß gyen vogeln vnd wilt besehen ob du ein andere auff den kloben bringen mügest vnd gefahen vnd will es für ein lob haben ye mer er an die czeteln mag bringen oder an die kerben, so die Frouwe gar für schentlicher achtet ir lieb mit merer Mànnen tzu teylen.«

Einige der am meisten charakterisirenden Abschnitte, die hier stehen könnten, müssen wir in Betracht des veränderten modernen Geschmacks unterlassen, da unsere Sitten heut nicht mehr rein genug sind, um alles Natürliche, das unsere Altvordern frisch und fröhlich bei seinem Namen nannten, ohne Anstoß hinzunehmen. Hier empfinden wir erst recht die Corruption, die hinter den prüden Formen sich birgt, wenn wir uns schämen müssen, die unumwundenen Aeußerungen alter, körniger, ächt deutscher Sitte unsern Zuständen wieder nahe zu bringen. Nur das harmlose Lob, das der ehrliche Albrecht von Eye der Ehe spendet, mag hier noch eine Stelle finden: »Die Eee ist ein Mutter vnd Meisterin der Kewscheyt, wann durch die Eee werdent vermitten vnlauter frembd Begird vnd annder [196] schwär sünd der Vnkewschheyt; die Eee ist eyn nucz heilsames Ding, durch die werdent die Land, Stet und Heußer gebauwet, gemeret vnd inn frid behalten. Manig streit, schwär krieg vnd veindschafft hinttergelegt vnd gestillet, gutt freündschafft vnd sipp vnder frembden personen gemachet vnd das gancz menschlich geschlecht geewigt. So ist auch die Eee eyn fröliches, luspers vnd süß Ding, was mag frölicher vnd süßer gesein, dann der nam des vatters, der Mutter vnd der Kinder, so die hangen an den Hälsen der eltern, vnd manigen süßen kuß von in empfangen, vnd so beyde Eeeleut solliche lieb, willen vnd freüntschafft tzu eynander haben, was eynes will das ouch das ander wöll, vnd was eins redt mit dem andern, das es verschwigen ist, als hett es mit im selbst geredt, vnd in beiden gutz vnd übel gemeyn ist, das gut bester fröhlicher, vnd das widerwertig dester leichter.«

Der Geschmack des Jahrhunderts war ein gemischter und erschien wie aus den verschiedenartigsten Gewürzen und Ingredienzien zusammengesetzt. Dies verräth sich in der Darstellungsmanier durch das nahe Aneinanderliegen von Ernst und Scherz, [197] von moralischer und burlesker Tonart. Es lag in der Stellung dieses Jahrhunderts, das ein aufnehmendes, allen möglichen Einwirkungen von außen sich hingebendes war, die verschiedensten Stoffe in buntschillernder Vermengung aufzuhäufen. Der Stil der Schriftsteller war eine scheckige Musterkarte aller der Elemente, welche die Zeit zu verdauen hatte, und trug das Gepräge einer wunderlichen Mosaikarbeit an sich. Albrecht von Eybe geräth, bei seiner einfachen Naivetät, doch oft von dem Hundertsten ins Tausendste, bald fällt er in den Ton einer lustigen Schnurre, wo er die ernsthaftesten Anstalten zu Moralbetrachtungen zu machen scheint, bald richtet er ein wahres Marktgetümmel von Citaten aller heidnischen und christlichen Autoren an. Noch ausgebildeter zeigt sich dieser burleske Mischcharakter des funfzehnten Jahrhunderts in dem Doctor der Theologie, Johann Geyler von Kaysersberg, diesem merkwürdigen Prediger, der seine Texte, statt aus der Bibel, aus dem Narrenschiff seines Freundes Sebastian Brand wählte. Die hundertundzehn Predigten, die er im Jahre 1498 zu Straßburg über [198] das Narrenschiff hielt, sind als Denkmäler der Sprache wie der Zeitgesinnung gleich sehr zu betrachten. Sie sind die originellste Mischung von freimüthiger Opposition, gewaltiger Redekraft, cynischer Ungebundenheit, moralischer Würde und einer Satire, die zwar das Schmutzigste sich nicht zu berühren scheut, aber doch fast immer eine gewisse innere Erhebung verbreitet. Seine heftige Opposition gegen das Mönchswesen ist in diesem Zeitalter, an der Schwelle der Reformation, merkwürdig. Als Sittenprediger schwingt er über die Thorheiten der Welt eine unerbittliche Geißel, die freilich durch die komische Miene und den scurrilen Witz, womit sie gehandhabt wird, für uns wenigstens meistentheils ihren bittern Stachel verliert. Bei Sebastian Brand findet sich folgende Stelle über die Modenarrheiten der Weiber in jenem Zeitalter:


Die Töchtern tragend ouch yezt das,

Was etwan Dirnen schändlich was,

Wyt ausgeschnidten Schuh, Schuben, Röck,

Das man die Milchsäck nit bedeck.

Wickelnd vyl Hudeln in die Zöpf,

Groß Hörner machends auf die Köpf,

Als ob es wär ein wilden Stier,

Gahnd grad daher wie wilde Thier,

[199]

Werfend die Ougen hin und her,

Lachen, gaffen alle Winkel an,

Und thut eins umbs ander traben,

Damit verführens die Knaben,

Die sye grüßen vnd gaffen an


Diesen weiberfeindlichen Text hat Geyler von Kaysersberg folgendermaßen in seinen Predigten commentirt: »Die dritte Schell der selzam Narren ist das Haar zieren, geel, krauslicht und lang machen, auch fremdes Haar der Abgestorbenen unter ihres vermischen und dasselbig zum Schauspiel aufmutzen. Es ziehn die Weiber jezund daher wie die Mannen und hencken das Haar dahinden ab bis auf die Hüft, mit aufgesetzten Paretlin und Hütlin gleichwie die Mannen. Die Weiber ziehn in ihren Schleyern daher und haben sie aufgesprinzt neben mit zwo Ekken oder Spizen, gleich einem Ochßenkopf mit den Hörnern.«

Solche Sprache der Kanzel, denn auf dieser wurden Geyler's Predigten über das Narrenschiff wirklich gehalten, tönte originell genug, und war dem Volksgeist durchaus angemessen. Ueber weltliche Gegenstände, ohne eigentlichen Bibeltext, zu predigen, war überhaupt nichts Ungewöhnliches in damaliger [200] Zeit; der burleske Ton Geyler's aber sagte dem gesunden, humoristischen Kern des Volkes zu und hatte eine außerordentliche populaire Wirksamkeit. Die mystische Andacht setzte sich in diese volksthümlichen und weltlichen Töne um, und die Erbauung nahm, unbeschadet der Frömmigkeit, die gewiß sehr ernstlich war im Herzen der Nation, ein fröhliches Wesen an. Von der Ursprünglichkeit der deutschen Prosa Geyler's gilt dasselbe, was von Tauler. Zwar sind doppelte Texte von den Narrenpredigten vorhanden, der lateinische, den Jacob Other, sein Schüler, herausgegeben, und die älteste deutsche Uebersetzung von dem Franziskanermönch Johannes Pauli, die im Jahr 1520 verbreitet wurde. Doch hat sie Geyler auf der Kanzel deutsch gehalten, und die ihm eigenthümliche Diction ist gewiß aus seinem Munde in die Uebersetzung übergegangen. –

Das funfzehnte Jahrhundert war das Jahrhundert der Vorbereitungen. Eine Menge weltlicher Anregungen stürmte unwiderstehlich auf das deutsche Gemüth ein, um eine neue Zeit aus neuen Elementen in ihm hervorzurufen. Diese ungeahneten [201] Hebel der Weltgeschichte waren die Buchdruckerkunst, die Erfindung des Compasses, eine neue transatlantische Welt, die der neuen gegenüber urplötzlich erstanden; ferner das Schießpulver, die erwachenden Naturwissenschaften, und die Besitznahme Konstantinopels durch die Türken, welche gelehrte Griechen nach Italien und Deutschland auswandern machte, um dort die Ueberlieferungen eines vor allen bevorzugten Weltalters, die Geister antiker Kunst und Wissenschaft, sich wieder des Lebens bemächtigen zu lassen. Dies brachte nach allen Seiten eine praktische Regsamkeit, eine Bewegung in allen Verhältnissen, hervor. Während Handels- und Kriegsschiffe die Meere durchschnitten, um Völker und Welttheile zu verbinden, stellte die Presse noch wunderbarere Mächte der geistigen Communication, wirkend mit der Schnelligkeit des Gedankens, ins Feld. Die Drucke des classischen Alterthums, die Uebertragungen griechischer und römischer Schriftsteller, besonders des Aristoteles, Cicero, Sallust und die vorlutherischen Bibelübersetzungen, waren das erste und wichtigste Debüt dieser neuen magischen Kunst. Auch Uebersetzungen des Boccaccio [202] wurden schon im funfzehnten Jahrhundert gedruckt. Die Nation strebte in allen Richtungen nach einer allgemeinen Durchbildung, und versuchte wenigstens, in den Anfängen einer höhern Weltcultur ihr provinzielles Leben, an das sie sonst kleinlich verfallen war, zu überwinden. Unter diesen Anregungen wurde es Zeit und Bedürfniß, daß sich eine allgemeine Schriftsprache gründete, die, um den geistigen Verkehr der Nation ein einheitliches Band schlingend, die noch immer festbestehende landschaftliche Trennung der Dialekte endlich verwischte. Diese allgemeine Sprache der Literatur und der Gebildeten mußte aus der Entwickelung der Prosa hervorgehen, für die sich in diesem Zeitraum die Sprache überhaupt immer entschiedener und realer ausgebildet hatte. So drängte Alles wie von selbst zu der hochdeutschen Gesammtsprache hin, die in Luther's Bibelübersetzung ihren Mittelpunct fand, um von da aus das deutsche Leben zu durchdringen. –

Fußnoten

1 »Dieser Landgraf Ludwig war gar ein klarer, junger Fürst, ein lieblicher Jüngling und einer ziemlichen Wanderung (wahrscheinlich soviel als: eines geziemenden Wandels), eines heiligen Lebens. Da er über seine blühende Jugend zu einem vernünftigen Alter kam, da war er zumal gütlich gegen einen Jeden, denn ihm leuchteten alle Tugenden ein. Er war von Leibe ein wohlgesicherter Mann, nicht zu lang noch zu kurz, zumal mit chönen fürstlichen Gebärden, in gnädiger Zuversicht; sein Ansehen war fröhlich, sein Antlitz säuberlich; und es war Niemand, der ihn sah, er ward ihm günstig. Er war verschämt mit seinen Worten, züchtig mit seinen Gebärden, reinlich und keusch mit seinem Leibe, wahrhaftig mit seiner Rede, getreu in seiner Freundschaft, fürstlich in seinem Rath, und männlich in seiner Widersetzung; vorbedächtig in seinem Geloben, gerecht in seinem Gericht, milde mit seinem Belohnen, und was man Tugenden nennen kann, das gebrach ihm nicht.« Petersen, a.a.O. S. 106. flgd.

2 Diese Erzählung findet sich abgedruckt in L. Meister's Beiträgen zur Geschichte der deutschen Sprache, Bd. I. S. 143–158.

[203] 4.

In dem landschaftlichen Wettstreit der deutschen Mundarten hatte das Oberdeutsche immer an Schönheit, Cultur und Nationalbedeutung den Sieg davongetragen. Das Niederdeutsche war gewissermaßen das Aschenbrödel der andern deutschen Mundarten geworden, vielfältig geschmäht und verachtet, und doch Herrliches und Anerkennenswerthes in sich tragend. 1 Wenigstens wurde das Niederdeutsche mit seinen schönen leichtflüssigen Elementen ein ebenso nothwendiger Einschlag in die neuhochdeutsche Gesammtsprache, die sich im sechszehnten [204] Jahrhundert befestigte, als das Oberdeutsche, dessen unbedingte Alleinherrschaft mit der schwäbischen Epoche abgelaufen war. Diese beiden Hauptmundarten schmolzen in den geläuterten Guß des Neuhochdeutschen zusammen und bildeten den vereinigten Sprachschatz des deutschen Volkes, eine mit feinem Bewußtsein vorgenommene Blumenlese des Besten, was jeder Dialekt Eigenes hatte. Je stärker die nationalen Bewegungen wurden, je mehr hatten sich schon lange vor Luther die Mundarten einer Vermischung zugeneigt, die man mit dem Namen des Hochdeutschen bezeichnete. Die Canzleisprache des deutschen Reichstages wurde die erste anregende Veranlassung, konnte aber keine si chere Grundlage und Einheit dafür abgeben, weil sie selbst durch die politischen Verhältnisse etwas Unstätes und den verschiedensten Einwirkungen ausgesetzt war. Je öfter der deutsche Kaiserstuhl gewechselt wurde und in den verschiedenen Gauen des Vaterlandes umherging, um so mehr hingen sich bald von dieser, bald von jener Landschaft Farben und Einflüsse auch an die deutsche Hof- und Canzleisprache fest. So prägte [205] sich in dieser allmählig eine hochdeutsche Mundart aus, die allen andern als etwas Verschiedenes und Eigenthümliches gegenüberstand, zugleich aber sehr viel Wesentliches von ihnen vereinigte, und damit die Vorbereitung zu ihrer organischen Einheit wurde. So knüpfte denn auch Luther, der nicht der Verfertiger, sondern nur der Reformator und Gesetzgeber der neuhochdeutschen Gesammtsprache ist, seine Bibelsprache an die deutsche Canzlei an, wie er selbst im 69. Capitel seiner Tischreden von sich sagt: »Ich habe keine gewisse, sonderliche, eigene Sprache im Deutschen, sondern brauche der gemeinen deutschen Sprache, daß mich beide, Ober- und Niederländer, verstehen mögen. Ich rede nach der Sächsischen Canzeley, welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland. Alle Reichsstädte, Fürstenhöfe, schreiben nach der Sächsischen Canzeley (oder vielmehr, die sächsische Canzeley schrieb nicht anders, wie alle Reichsstädte und Fürstenhöfe); darum ist's auch die gemeinste deutsche Sprache.« 2

[206] Der Einfluß, der bei den andern modernen Völkern nur von einer tonangebenden Centralhauptstadt auszugehen und durch äußere politische Verhältnisse nöthigend zu wirken pflegt, konnte bei den Deutschen nur durch ein Buch, durch ein geistiges und gemüthliches Ferment, hervorgebracht werden. Nur die Bibel konnte es sein, welche die Einigung in der babylonischen Sprachverwirrung der deutschen Mundarten gründete. Radlof hat nicht mit Unrecht der Einwirkung der luther'schen Bibelübersetzung auf die deutsche Sprachbildung und die Bildung des Volkes überhaupt mit der verglichen, die Homer auf die Gesammtbildung der Griechen hatte. Wie das homerische Epos für alle griechischen Stämme eine Bedeutung gewann, so wurde die Bibel ein Canon für das moderne Leben, dessen sich vorzugsweise die deutsche Nation, als die eigentliche Weltträgerin des Christenthums, zu einem Nationaleigenthum bemächtigen mußte. Die deutsche Bibel mußte ein Volksbuch werden, das [207] mit Sprache, Leben und Sitte in den genauesten und umfassendsten Zusammenhang trat, woran sich die Nation in eine neue Epoche hinüberbildete. So kamen die Deutschen in den Besitz einer eigenthümlichen Bibelsprache, die sonst an keiner modernen Nation in diesem volksthümlichen Charakter sich zeigt. Die deutsche Bibelsprache wirkte aber national durch die Sprachvereinigung aller Stämme, und schuf somit die ersten sichern und allgemeingültigen Typen der Prosa für die Gesellschaft wie für die Literatur. Diese Bibelsprache, deren Bildner und Dichter Luther ist, war zugleich die erste Offenbarung der deutschen Sprache in ihrer ganzen gemüthlichen, religiösen und poetischen Stärke, in Donner, Blitz und lieblichem Gesäusel der Rede. Die dämonische Gewalt der Sprache erhob sich in Luther's Diction zugleich mit ihrer naiven Anmuth und dem Morgenhauch kindlicher, andächtiger, gottergebener Töne. Luther's Bibeldiction gab der Gemüthsseite des deutschen Lebens, den patriarchalischen Sympathieen der deutschen Häuslichkeit, Sprache und Ausdruck. Die [208] Volksbildung und das Umgangsleben erhielten einen biblischen und orthodoxen Anstrich, wie kein ähnliches Phänomen in der Geschichte sich aufweisen läßt. Zugleich tritt das Neuhochdeutsche, aus der Scheidungsepoche zweier Zeitalter geboren, mit aller historischen Berechtigung zur Herrschaft auf. Die Sprache der Reformation, welche der Protestantismus erzeugt, mußte die Sprache des modernen Weltalters werden. Jacob Grimm (Grammatik, I. Ausg. I. XI.) sagt sehr treffend: »Man darf das Neuhochdeutsche als den protestantischen Dialekt bezeichnen, dessen freiheitathmende Natur längst schon, ihnen unbewußt, Dichter und Schriftsteller des katholischen Glaubens überwältigte. Unsere Sprache ist, nach dem unaufhaltbaren Laufe aller Dinge, in Lautverhältnissen und Formen gesunken; – was aber ihren Geist und Leib genährt, verjüngt, was endlich Blüthen neuer Poesie getrieben hat, verdanken wir keinem mehr als Luthern.«

Wie sehr um diese Zeit die deutsche Sprache mit dem Protestantismus identificirt wurde, ersieht [209] man aus der Opposition der in ihren lateinischen Schlupfwinkeln aufgestörten Katholiken, welche das Deutsche als die Ketzersprache, zum Hohn auch »das lutherisch Deutsch« genannt, haßten und sogar mit Pamphlets verfolgten. Denn die katholischen deutschen Bibelübersetzungen hatten nicht mit dem Einfluß ins Volk dringen können, um die deutsche Sprache als ein nothwendiges Element mit dem Glauben und der Andacht zu verschmelzen. Dazu waren sie zu nüchtern, zu gottverlassen, ohne Begeisterung und Macht des Gemüths. Der Protestantismus dagegen, der durch die Bibelübersetzung seine Sache am durchgreifendsten verfocht, überwand jetzt die lateinischen Bestandtheile des kirchlichen Christenthums, indem er die Glaubensfreiheit mit der Nationalsprache als ineinsgeschlungenes Symbol, als siegreiches Banner verknüpfte. Die deutsche Sprache bestieg nun aller Orten die Kanzel und predigte und versah jede Anforderung des Cultus in den heimathlichen, für die Frömmigkeit ganz geschaffenen Lauten. Um nicht gegen die Volkssympathieen zu verstoßen, mußte bald auch die katholische Geistlichkeit ihrerseits anfangen, die Muttersprache [210] zu pflegen und nach den in der Zeit entstandenen Bedürfnissen zu behandeln. So wurde auch der Katholizismus unversehens von dem protestantischen Dialekt mitfortgerissen.

Um zunächst den Unterschied der Bibelsprache Luthers von seinen katholischen Vorgängern zu veranschaulichen, folge hier eine Stelle aus dem Hiob, einmal nach Otmar's Ausgabe vom Jahre 1507 und dann nach Luther's Uebersetzung von 1541, in welchen beiden die Rede Gottes folgendermaßen gegeben ist:


Otmar. 1507.


»Aber der herre antwurt job von dem windtspreuel und sprach. Wer ist der, der da einweltzett die urtayl mit ungelerten worten. Begürte deine lenden als ain mann, ich frage dich und du antwurte mir. Wo warest du, do ich setzet die grundtfeste der erde. Zayge [211] mir, ob du habst die vernunft. Wer satzt ir maßs, ob du es erkantest oder wer strecket über sy die linien, auff die ire grundtfesten seind gesterket. Oder wer leget iren winkelstain. Do mich lobeten die mörgenlichen steren mit einander und jubilierten alle süne gottes. Wer beschloß das möre mit den thüren. do es fürbrache all für geend von dem leybe. Do ich leget die wolken sein gewand und do ich es umwickelet mit der tunklung als mit thüchen der kindheyt. Ich umbgabe es mit meinen enden und satzt den rigel und [212] die thüren und sprach. Du kumpst untz her und du geest nit fürbaß, unnd hie zerbrichest du dein wülend flüß.«


[213] [211]Luther. 1541.


»Und der Herr antwortet Hiob aus einem wetter und sprach. Wer ist der, der so felet in der weisheit und redet so mit unverstand? Gürte deine Lenden wie ein Mann; Ich will dich fragen, lere mich. Wo warestu da ich die Erden gründet? Sage mir's, [211] bist so klug. Weissestu, wer jr das Maß gesetzt hat? Oder wer über sie ein Richtschnur gezogen hat? Oder worauff stehn ire Füsse versencket? Oder wer hat jr einen Eckstein gelegt? Da mich die Morgensterne miteinander lobeten, vnd jauchzeten alle Kinder Gottes. Wer hat das Meer mit seinen Thüren verschlossen, Da es herausbrach wie aus Mutter leibe. Da ichs mit Wolken kleidet, vnd in tunkel einwickelt wie in windeln. Da ich jm den laufft brach mit meinem Tham, vnd setzet jm riegel und thür. Vnd sprach, Bis [212] hieher soltu komen, vnd nicht weiter, Hie sollen sich legen deine stoltzen wellen.«


Luther's Bibelübersetzung ist ebenso sehr eine Hervorbringung des produzirenden Genies, als der mühsamsten und durchdachtesten Sprachforschung. Wie Luther allmählig seinem Ziele entgegenschritt, zeigt die Stufenfolge seiner Uebersetzungen, die vom Jahre 1517 an in einzelnen Stücken der Bibel sich aneinanderreihten und zuerst 1534 zu dem vollständigen Bibelwerk zusammengestellt wurden. Darauf erfolgte die umfassende Revision seiner Arbeit von 1541, und nach ihr eine Reihe von immer vollendeteren Ausgaben bis zu der von 1545, die, von Luther noch selbst besorgt, als die letzte Feststellung und Organisation seiner Sprache anzusehen ist. Man tritt in Luther's Werkstatt, wenn man die Reihenfolge dieser Uebersetzungsversuche durchmustert, und sieht ihm mit Erstaunen zu, wie er sich selbst nie genugthun und befriedigen kann, wie er alle Quellen der Sprache, die aus älterer Zeit wie [213] aus dem Redegebrauch des wirklichen Lebens nur irgend abgeleitet werden konnten, für seine Diction flüssig zu machen sucht, und sein Sinn für Feinheit, Bezeichnung, Wohllaut, Regelmäßigkeit und Poesie des Ausdrucks sich immer mehr und mehr schärft. Wie sehr er sich um eine in allen Einzelnheiten zutreffende Darstellung, um das Detail der Sprache, bemühte, schildert auch Joh. Matthesius in Luther's Leben, in der dreizehnten Predigt: »Der Doctor übersah zuvor die ausgegangene Bibel und studirte bei Juden und fremden Sprachen Kundigen, auch fragte er bei allen Deutschen nach guten Worten, wie er ihm denn etliche Schöps abstechen ließ, damit ihm ein deutscher Fleischer berichtet, wie man ein jedes am Schaf nennt.« Und Luther selbst sagt von sich: »Ich hab mich im Dollmetschen der reinen und klaren, deutschen Sprache beflissen; und hab oft vierzehn Tage, ja drei, vier Wochen ein einiges Wort gesucht und gefragt, und es doch bisweilen nicht finden können.«

Das Grammatische in der Sprache Luther's stellte sich erst allmählig fest. In seinen frühern Schriften stößt man auf viele Härten, die besonders [214] durch eine unangenehme Ausstoßung des e hervorgebracht werden, sowohl bei den Dativendungen, dem Tag, dem Roß, als im Nominativ der einfachen wie der mehrfachen Zahl, der Frid, der Glaub, die Ross, die Tag. Ferner pflegte er die Adjectiven vor den Hauptwörtern meistentheils ganz unverändert zu lassen, und wie Adverbia zu gebrauchen; den Plural auf e statt auf er zu bilden, die Manne, die Weibe; rauhe und ungrammatische Formen, wie er tot für er tödtete, wunsch für wünschte, und ähnliches Schwankende und Mißlautende zu gebrauchen. Auch wies in seinen ersten biblischen Uebersetzungen die neuhochdeutsche Mundart noch keineswegs eine Einheit oder Sicherheit auf, vielmehr machten sich noch viele oberdeutsche Laute und Formen unbedenklich geltend, wie z.B. in folgender Uebersetzung der Schilderung Leviathans, aus dem Jahre 1523: »Wer kann die kinnbacken seines antlitz auffthun? Schröcklich stond seine zeen umbher, Sein leichnam ist wie schilt, vest und eng ineinander, Ains rürt an das ander, das nit ain lüfftlin darzwischen geet, es hanget ainer am andern und halten sich [215] zusamen, das sy nit von einander gethan mügen werden. Sein nyessen ist wie ain glantzends licht. Die schleuderstain seind im wie stupfel, den hamer achtet er wie stupffeln, er spottet der zitterden lantzen« etc. An die Stelle solcher Formen traten allmählig sächsische bei ihm ein, oft nach Wohllaut, Gefühl und Stimmung des auszudrückenden Gedankens fein nüancirt. Obwohl die vollen, austönenden Laute des Oberdeutschen, wieglanzen, offentlich, kurzlich u.a., in mancher Hinsicht erhaltenswerth scheinen, so haben doch die Umlaute, mit denen sie Luther bald in die sächsischen Formen glänzen, öffentlich, kürzlich, verwandelte, den leichteren Fluß der Rede, die geschmeidige Bewegung für die Prosa, für sich. So wurden auch die oberdeutschen Flexionen: ich nimm, ich lies, ich gieb, ich iss, ich sih u.s.f. von Luther ausgeschlossen, und gingen durch ihn in der sächsischen Abwandlung ich nehme, ich lese, ich gebe, ich esse, ich sehe, in die allgemeine Schriftsprache über, 3 da sie in dieser Form ebenfalls für [216] die Prosa leichtfügiger und fließender scheinen. Sachsen hatte um diese Zeit ein blühendes und mannigfaltiges Leben gewonnen, durch die äußere Regsamkeit und Betriebsamkeit, durch Handel, Bergbau und Gewerke war auch die Sprache in diesen Landen ausdrucksfähig und für die Wendungen und Verhältnisse der Wirklichkeit geschickt geworden, und so war es natürlich, daß die beiden sächsischen Mundarten, die Luther gleicherweise benutzte, eine Hauptgrundlage für die Bildung der neuhochdeutschen Prosa abgeben konnten.

Die hervorstechendste Eigenthümlichkeit, die den eigentlichen Geist der luther'schen Sprachschöpfung ausmacht, ist aber die christliche Anschauung und Gesinnung, die seine Sprache so sehr als Lebensathem durchdringt, daß sie sogar wortbildnerisch und grammatisch den größten Einfluß ausübt. Durch gewisse Wörter und Zusammensetzungen glaubte Luther die deutsche Sprache gewissermaßen christianisiren zu müssen, und wir verdanken diesem Bestreben manche schöne Wortfügungen, die uns geblieben sind. Namentlich sind in unserer Sprache die häufigen Zusammensetzungen mit dem [217] Worte selig durch Luther theils in Gebrauch gekommen, theils geschaffen worden. Den Engelsgruß bei Lucas (I. 28.) übersetzt Luther: gegrüßet seystu, holdselige! ein sehr glücklich von ihm gebildetes Wort, auf dessen Zusammensetzung ihn ohne Zweifel nur ein christliches Gemüthsbedürfniß brachte, obwohl gerade dieses Wort von seinen Gegnern sehr heftig angefochten wurde. Das κεχαριτωμένη der Urschrift war in der Vulgata mit plena gratiarum, und von Luther's Vorgängern voller Gnaden übersetzt worden. Die deutsche Sprache hatte überhaupt für Grazie bis dahin kein anderes recht gangbares Wort gehabt alsGnade, und Geyler von Kaysersberg spricht einmal in seinen Predigten über das Narrenschiff von den drei Gnaden, statt den drei Grazien. Luther, der sich über diese Uebersetzung des Engelsgrußes bei Lucas in seinem Sendschreiben vom Dolmetschen §. 14. ausführlicher äußert, machte sich mit der schönsten und bezeichnendsten Wiedergebung dieser Stelle besonders viel zu schaffen. Er nahm zunächst das Worthold, das sich schon in den ältesten Sprachdenkmälern, bei Willeram und Otfrid, findet und [218] zunächst Treue und Angehörigkeit, dann Freundseligkeit und liebreiches Wesen, bezeichnet, sowie unhold (was schon im silbernen Codex den Teufel, unhulto, benannt), das Gegentheil davon, erst ungetreu, und dann feindlich, übelthätig, ausdrückt. Hold schien Luthern jedoch noch nicht genügend, um Das, was der Engel mit seinem Gruße an dem Wesen der Maria bezeichnen will, wiederzugeben. Es dünkt ihm noch ein zu äußerliches Beiwort, nur irdische Liebe und irdische Schönheit andeutend, und er fügte selig daran, welches Wort seiner Abstammung nach (sel, sal, salus) auf das Heil hinzeigt, und in diesem Falle besonders die Heilsbotschaft, welche der Engel der Mutter Gottes bringt, insichschließt. So erhielt unsere Sprache in diesem holdselig eines ihrer schönsten und lieblichsten Wörter, das von der heiligen Jungfrau Maria aus bald auch in den Sprachschatz der irdischen Liebe und Zärtlichkeit überging. Luther selbst aber hatte sich mit diesem Ausdruck eigentlich noch nicht genuggethan; er meinte, der Engel wolle an dieser Stelle vorzüglich sagen: Gott [219] grüße Dich,du liebe Maria, und wenn er deutsch gesprochen hätte, würde er sie mit diesen Worten begrüßt haben, denn, fügt Luther hinzu, »wer Deutsch kann, der weiß wohl, welch ein herzlich fein Wort das ist, die liebe Maria, der liebe Gott, der liebe Kaiser, der liebe Fürst, der liebe Mann, das liebe Kind. Und ich weiß nicht, ob man das Wort liebe auch so herzlich und genugsam in lateinischer oder andern Sprachen reden möge, daß es also dringe und klinge in das Herz, durch alle Sinne, wie es thut in unserer Sprache.« 4

Die christliche Anschauung bildete auch das Wortgottselig, worin Luther das auch auf die heidnischen Götter bezügliche göttlich umsetzte. Andere Wörter, wie unglückselig, glückselig, armselig und ähnliche entstanden ebenfalls in diesem christlichen Sinn, dem keine andere Sprache wie die deutsche mit solcher ideellen Bezeichnungsfähigkeit nachkommen kann. Mit der Armuth [220] und dem Unglück eine Seligkeit zu verbinden, spricht das Grundwesen des Christenthums aus, für das nur die deutsche Sprache sogleich einen eigenen Wörterhaushalt auszufinden vermochte. Bei Luther selbst blickt die Absicht hervor, diesen Charakter seiner Sprache immer entschiedener auszuprägen. In seinen frühesten Bibelübersetzungen stand in der Bergpredigt:benedeyt seid ihr u.s.w., wofür später glückselig und selig mit jener bezeichnenderen Färbung der Bibelsprache an die Stelle kam.

Das Wort hehr ist ebenfalls der biblischen Diction eigenthümlich und durch dieselbe in der deutschen Poesie verbreitet worden. Es ist ein altes deutsches Wort, das besonders der sächsischen Mundart angehörig scheint und von Luther zuerst in den Psalmenübersetzungen, wo die Vulgata terribile hat, gebraucht wurde, wie er selbst sagt: »Das Wort terribile heiße ich auf Deutsch hehr, das man zu Latein metuendum, reverendum nennt, als man ein Bild, Kirche, Fest, Heiligthum oder dergleichen schön undhehr hält.« Offenbar wollte er damit ein aus Schauerlichem und Heiligem gemischtes [221] Gefühl der Ehrfurcht bezeichnen, etwas geheimnißvoll Erhabenes, wofür dieses Wort, das in seiner Abstammung ohne Zweifel mit herrlich, Herr, Ehre, zusammenläuft, sehr charakteristisch ist. Heiland, ein Participium von dem fränkischen Verbum heilan, heilen (heilant), ist durch Luther in der Sprache der christlichen Anschauung eingebürgert worden, womit er namentlich das griechische σωτηρ des neuen Testaments übersetzte, einen umfassenden und der evangelischen Bedeutung durchaus gemäßen Sinn damit ausdrückend. Diese und ähnliche Wörter und Wendungen zeigen, wie Luther bei seiner Arbeit ohne Zweifel die alten Sprachschätze vor Augen hatte und eifrig durchforschte. Schon Otfrid sagt von Jesus: Nu vuizun in ala vuari thaz er ist heilari, nun wissen wir in aller Wahrheit, daß er ein Heiler ist. Luther bediente sich jedoch dieses Wortes auch im alten Testament, z.B. Richter, 3. 9. der Herr erweckt ihnen einen Heiland, oder Nehem. 9. 27. du gabest ihnen Heilande, die ihnen halfen.

Andere Eigenthümlichkeiten der luther'schen Sprache sind zum Nachtheil der heutigen Diction wieder[222] verloren gegangen. Dahin gehört unter Anderem die bei ihm übliche Auslassung gewisser Vorsatzsylben, wodurch sich ihm Doppelwörter bildeten, die in verschiedenen Fällen zur Abwechselung des Ausdruckes, selbst mit Hinsicht auf den Wohllaut, bald in ihrer einfachen, bald in ihrer zusammengesetzten Form, sich gebrauchen ließen; z.B. blößen und entblößen, sich fernen und entfernen, sich fleißigen und befleißigen, kehren und verkehren, kleinern und verkleinern, leichtern und erleichtern, niedrigen und erniedrigen, wintern und überwintern, Fahr und Gefahr, schäftig undgeschäftig, Schmack und Geschmack,schwätzig und geschwätzig, Trügerei und Betrügerei, wendig und abwendig u.v.a. 5 Mehrere solcher Wörter, die besonders durch Luther in Gebrauch gekommen, sind auch heut noch unserer Diction mehr oder weniger zuständig, wie[223] fälschen für verfälschen, fehlen fürverfehlen, fördern für befördern, gleichen für vergleichen (ich gleiche dich, meine Freundin, meinem reisigen Zeuge, im Hohen Liebe),mählich für allmählig, linde für gelinde, neiden für beneiden, u. dgl. Andere sind ganz eingewohntes Eigenthum unserer Sprache,Brauch und Gebrauch, ziemen und geziemen, mehren und vermehren etc. doch verdienten auch die meisten, die zurückgetreten und veraltet sind, für die Bequemlichkeit Mannigfaltigkeit und Ausfüllung unserer Schreibart wieder eingeführt zu werden.

Einige Wörter Luther's, die ganz in seinem Sprachgeist empfangen waren, sind völlig vom Schauplatz verschwunden, auch allmählig in den neuern Ausgaben der Bibel fortgelassen worden, z.B. webern, s.v.a. sich regen, Psalmen. 65. 9. du machest fröhlich was da webert. Der Ausdruck gehört übrigens der oberdeutschen Mundart an, denn noch heutzutage kann man in Süddeutschland hören: es webert, für: es spukt. Anderes Alterthümliche seiner Sprache tilgte Luther noch selbst in der Ausgabe letzter Hand, z.B.ichtes für etwas [224] (woraus mit der Negationnicht, nichts gebildet worden). Manches, was sonst auffällig und eigenthümlich an seiner Bibelsprache erscheint, ist oft nur durch eine wörtliche Uebersetzung der Vulgata entstanden, z.B. der biblische Ausdruck erkennen vom fleischlichen Umgange, der eine unmittelbare Uebertragung des lateinischencognoscere ist, was schon Adelung bemerkt hat. Dagegen kannte Luther, ungeachtet seiner gewandten Aneignung lateinischer Formen, seltsamer Weise das Wort Körper noch nicht, obwohl schon im Lobgesang des heiligen Anno: »der beide ist corpus unte geist« der Gegensatz von Körper und Geist sich ausgedrückt findet. In Luther's Bibel erscheint immer nur das Verhältniß von Leib und Seele mit einer gewissen verächtlichen Färbung des ersteren, der auch öfters, gerade in diesem Gegensatz, nur als Leichnam bezeichnet wird. Die räumliche Bedeutung desKörpers wurde erst durch Descartes als metaphysischer Begriff aufgenommen und aus der Mathematik in den modernen Sprachgebrauch übertragen. Dagegen reinigte Luther das Wort Geist von den sinnlichen Bestandtheilen [225] der mystischen Terminologie, in der es das ausströmende Fluidum bezeichnet, das sich mit dem Fluidum der Gottheit zu einer wirklichen und realen Gemeinschaft zusammenschließt, weshalb es in der Bedeutung von Hauch, Odem vorkommt, ja selbst vom Winde nicht unterschieden wird, eine Vermengung, die sich noch bei Geyler von Kaysersberg findet, der Joh. III. 8. »der Geist der geistet wo er wil, und du hörest seine Stimme« übersetzt, wo Luther hat: »der Wind blaset wo er will, und du hörest sein Sausen wohl.« 6 In der Bezeichnung der menschlichen Verhältnisse, der Stände, der Geschlechter, verräth Luthers Sprache manche glückliche Naivetät der Anschauung, manche zurückzuwünschende Anmuth und Harmlosigkeit des Ausdrucks. In den Anreden zeigt sich noch fast gar keine Unterscheidung der Stände, nur in Herren und Knechte, oder auch in Pöbel und Junckern, wobei jedoch jener nur das Volk ohne alle Nebenbegriffe bezeichnet, legen sich einfach die [226] aristokratischen und demokratischen Elemente auseinander. In der Benennung des weiblichen Geschlechts ist Luther's Wortgebrauch besonders sinnreich. Das schöne Magdthum hat sich leider wieder aus dem heutigen Gebrauch entfernt, und wir haben nur noch das undelicatere Wort Jungfrauschaft an seiner Stelle. Magd und Jungfrau werden von Luther gleichbedeutend und abwechselnd gebraucht, der Begriff des Dienenden ist mit der ersteren noch nicht im niedrigeren Sinne verbunden und streift nur hinundwieder in leiser Schattirung daran. Folgende Physiognomie einer deutschen Magd entwirft Luther selbst einmal: »Es heißt im Deutschen Magd ein solch Weibsbild, das noch jung ist und mit Ehre den Kranz trägt und im Haar geht; ein jung Weibsbild, die nicht nur ihre Jungfrauschaft noch hat, sondern auch Tugend und einen fruchtbaren Leib. Darum heißt solches junge Volk Meide- oder -Maide-Volk, nicht Jungfrauen-Volk.« Aus dieser letztern Andeutung geht wenigstens hervor, daß er in solchen Zusammensetzungen das Wort Jungfrau nicht für üblich und schicklich gehalten, obwohl er demselben[227] sonst nicht gerade einen vornehmeren Anstrich beilegt. Mädchen kam erst später aus dem Niederdeutschen in Aufnahme, und wurde von Luther noch nicht gebraucht, der dafür Mägdlein hat. Dirne kann bei Luther auch eine Verheirathete bezeichnen, solange sie sich in einem gewissen jugendlichen Alter befindet, und drückt noch durchaus keine Geringschätzung mit dieser Benennung aus. Man sieht, die Frauen haben zu Luther's Zeiten eine schöne Mannigfaltigkeit der Bezeichnungen besessen, die ihnen heut fast gänzlich verloren gegangen. Mehrere damals übliche sind jetzt sogar anrüchig und unanständig geworden, und das äußerst zartsinnige und poetisch gebildete Wort Weibsbild, womit Luther das ganze Geschlecht benennt, ließe sich nicht so leicht wieder zu Ehren bringen. Statt des Bildes, unter dem Luther das Frauengeschlecht anschaulich und lieblich zusammenfaßte, hat man jetzt die allgemein gebräuchliche Zusammensetzung mit Zimmer, wodurch die Frauen zu einem bloßen Gemach, zu einemFrauenzimmer entarten, ein Wort, das allmählig durch eine unbegreifliche Ideenassociation für Weibsbild in Aufnahme [228] gekommen. Zu Luther's Zeit kannte man dies Wort, das um jeden Preis wieder außer Umlauf gesetzt werden müßte, nicht anders als in dem Sinne eines wirklichen Frauengemachs, z.B. Buch Esther, 2. 13., wo Luther übersetzt: »Alsdann ging eine Dirne zum Könige; und welche sie wollte, mußte man ihr geben, die mit ihr vom Frauenzimmer zu des Königs Hause ginge«, und so an mehreren Stellen. Dagegen ist das Wort Dirne wenigstens der deutschen Balladenpoesie nicht ganz fremd geworden, obwohl es doch im Ganzen sein edles Gepräge eingebüßt.

Was Luther's Bibelsprache zu ihrer hohen Bedeutung und dem unabweislichen Einfluß auf das Volk gelangen ließ, ist am allermeisten der poetischeSchöpfergeist, das dichtende Gemüth, welches in ihr waltet, und der deutschen Rede mit neuer Zeugungskraft sich bemächtigte. In Luther's Diction zerfielen zuerst die Schranken von Poesie und Prosa oder sie traten als eine in Geist und Formen verschmolzene Einheit auf, von der sich nicht mehr nachweisen läßt, wo die dichterischen und wo die prosaischen Elemente anfangen und aufhören. Nur [229] eine dichterische Uebertragung konnte die Bibel zu einem deutschen Volksbuch machen, da immer nur das Poetische sich am innigsten mit der Nationalität durchdringt. So wurde diese an religiöser Begeisterung entsponnene Einheit von Poesie und Prosa zugleich die Grundlage der neuhochdeutschen Gesammtsprache, die aus der Bibelsprache hervorging; und die ganze moderne Darstellung der nachfolgenden Literatur, auf einen Nationalcanon von so universaler Bedeutung sich zurückführend, läßt keine wesentliche Zerlegung in einen poetischen und prosaischen Sprachgebrauch mehr zu. Luther hatte sich ein sehr entschiedenes Schönheitsideal der Sprachdarstellung vorgezeichnet, dem er nicht nur in der Wortbildung, sondern auch im Numerus und Tonfall seiner Sätze zu genügen strebte. Bei allem hinreißenden Gefühl in seiner poetischen und rhythmischen Behandlung scheint er doch eines sehr feinen und sichern Taktes sich bewußt gewesen, womit er immer ein die Prosa einfriedigendes, gehaltenes Zeitmaaß von dem wirklich metrischen zu unterscheiden verstand. Nur zuweilen hat er darin [230] geschwankt und sich versähnlichen Bewegungen der Sätze, ja selbst Reimen, die nicht für unabsichtlich gelten können, überlassen. Zwar muß man anstehn, die Hexameter, die man in Menge aus Luther's Bibel gesammelt hat, wo die meisten der Art sind, wie der berüchtigte in der Genesis (XXVI. 8.) »daß Isaac schertzet mit seinem Weibe Rebecca« für wirkliche Verse zu halten, oder wann sie es sind, der bestimmten Absicht Luther's beizumessen. Die Hexameter in der Bibelübersetzung hat Luther gewiß unbewußt hervorgebracht, mit Fleiß schon deshalb nicht, weil man zu seiner Zeit noch nicht daran dachte, dieses Versmaaß in deutscher Sprache zu produziren, und erst später Fischart bekanntlich den ersten Hexameter an die Deutschen richtete. Der hexametrische Gang ist jedoch der deutschen Sprache, wie der Tonwandlung der Prosa überhaupt, so angemessen, daß er sich überall ohne Mühe unwillkürlich entdecken läßt, und von jeher hat man, bei alten und modernen Autoren, die Spielerei getrieben, sie auf Hexametern ertappen zu wollen. Daß Luther zuweilen Reime in seine Darstellung aufnahm, läßt sich dagegen nicht läugnen. [231] In dem Bestreben seiner Sprache, auch jeden malerischen und drastischen Effect auf das Gemüth hervorzubringen, ließ er sich dazu verführen, in dieser Weise auch auf das Ohr zu wirken. Es scheint uns eine Geschmacklosigkeit seiner Darstellung, aber man kann annehmen, daß er es zugleich im Sinne der patriarchalischen und altväterlichen Naivetät seiner Gemälde, namentlich im alten Testament, gethan. Das hervorstechendste Beispiel dieser Art befindet sich in der Geschichte der Susanna, wo auf die Aussage des einen Zeugen: »unter einer Linden«, Daniel antwortet: »O recht, der Engel des Herrn wird dich finden«, dem andern Zeugen aber, der aussagt: »unter einer Eichen«, erwiedert: »O recht, der Engel des Herrn wird Dich zeichen«. Die Absichtlichkeit, hier einen Reimklang hervorzurufen, erhellt wenigstens daraus, daß Luther in seiner Uebersetzung zwei andere Bäume gewählt hat, als im Originaltext an dieser Stelle stehn, bloß um darauf reimen zu können. 7 In einigen neueren Ausgaben der [232] Bibel sind aus philologischer Genauigkeit die von Luther fingirten Bäume gefällt und dafür die des Textes wieder eingepflanzt worden, wodurch man denn auch den Reim mit ausrodete. Dies möchte hier hingehen, wenn man nur nicht fortführe, in diesen modernen Ausgaben aus philologischen Rücksichten, durch Einschiebsel und Correcturen aller Art, immer mehr an der eigenthümlichen rhythmischen Bewegung und Schönheit der luther'schen Sprache zu zerstören. Daß sie, in ihrer Ueberlieferung von Jahrhundert zu Jahrhundert, von den sich fortgestaltenden grammatischen Formen moderne Rückwirkungen und Nüancirungen empfing, war nicht zu vermeiden und konnte unbeschadet ihrer noch dauernden Bedeutung als Grundstock der modernen Prosa geschehn. Aber ein universales Volksbuch, das wie eine alle Himmelszeichen durchwandelnde Sonne die Geschichte einer Nation auf ihren verschiedensten Bildungsstufen begleitet, muß mit volksthümlichem und poetischem Takt in seinen äußern Formen von Zeit zu Zeit abgeschliffen, aber nie nach der Mode umgekleidet werden. Der rhythmische Charakter der luther'schen Prosa bedarf [233] aber einer besonders leisen und geschickten Berührung, weil er eine der Haupteigenthümlichkeiten ist, durch welche seine Bibelübersetzung von der klang- und melodielosen Steifheit der ihm vorangehenden sich unterschied. Das tonreiche Gefälle der luther'schen Bibelsprache, das sich an Ohr und Gemüth festheftet, trug ohne Zweifel sehr wesentlich dazu bei, ihr die volksthümliche Wirksamkeit zu verschaffen, deren seine Vorgänger entbehren mußten, weil ihre geleimte und geklebte Sprache von vorn herein jeden Anknüpfungspunct mit dem Herzen des Volkes verfehlte. Dagegen muß man sich wundern, daß die moderne Prüderie und Pietisterei mit Luther's argloser Bezeichnung des Natürlichen und Sinnlichen, die in der Bibel so unumwunden heraustritt, nicht schon in einen förmlichen Bruch gerathen. Die gesunde Züchtigkeit des luther'schen Gemüths war um so unbefangener in aller Benennung des Unzüchtigen, dem er keine grelle Farbe der Ausmalung zu ersparen gesonnen ist, obwohl man nicht sagen kann, daß er sich jemals einem wirklich ekelhaften Bild überläßt. Wie soll aber heutzutage, wo auch das Unanstößigste anstößig [234] wird, seine schonungslose Naturkraft ertragen werden? Niemand möchte es indeß wagen, hier die Gränze oder Norm für eine der Gesinnung, der Stimmung und den Nerven des Jahrhunderts sich anschließende Modernisirung der Bibelsprache anzugeben, weil man sich in diesem Verhältniß lieber den Bruch nicht gesteht, wie er anderwärts zu Tage liegt. Diese Derbheiten der luther'schen Sprache benutzten schon die Katholiken seiner Zeit zum Stichblatt der Opposition. In einer Ausgabe von Emser's Uebersetzung des Neuen Testaments, die nichts als ein etwas umgeschriebener Abdruck der luther'schen war, heißt es in einer Nachschrift, man habe »vm der Jungfrawen vnd vnschuldigen Herzen willen, die frechen vnd ärgerlichen wörter (der sich Luther in seinem Testament viel gebraucht, vnd der Emser zu zeyten, vielleicht aus überheuffung der arbeyt oder belestigung seiner schwachheit vorsehen vnd also stehen lassen hat) in züchtigere wörter verandert vnd zu zeiten vmschrieben.« Diese vermeintliche Reinigung hat sich jedoch nur auf wenige Wörter erstreckt, als: Hurerei, Hure u.s.w., [235] die man in Unkeuschheit, Bulin udgl. verändert findet. 8

In den eigenen Schriften Luther's, besonders in denen, wo ihn die Polemik seines Zeitalters fortriß, mischte sich bei weitem mehr Verletzendes ein, sowohl in der Decenz des Ausdruck's, als auch sonst in sprachlicher Hinsicht. Sie haben nicht das Gediegene, Durchbildete und Abgerundete seiner Bibelsprache, und verrathen oft, im wilden Drang des Augenblicks, die Heftigkeit seines Charakter's auch im Stil, der dann rohen, aus dem Klotz geschlagenen Figuren gleicht. Selbst seinen Predigten fehlt nicht selten aller begeisterte Aufschwung, oder sie entarten in die bigotten Kanzelspielereien, die zu seiner Zeit Mode waren. So heißt es in seiner Predigt über die letzten Posaunen an einer Stelle: »So geht's zu zu Felde in der Heerschlacht. Wenn man die Schlacht anfehet, so bleset man die Posaunen oder Drometen, schlegt die Trommel vnd gehet daher die Taratantara. Man macht ein Feldgeschrey, Her, her, her, [236] her. Der oberste Leutenant oder Heübtmann vermahnet das Kriegsvolk, die Feinde ritterlich anzugreiffen, Hui, Hui, Hui, Hui. Und das Kriegsvolk schreyt zu, Frisch an sie, Frisch an sie, Frisch an sie, Schlag Tod, Schlag Tod, Schlag Tod. – – Als Sodom vnd Gomorrah vnterging, da waren in einem Augenblick alle Einwoner der Stedte, Mann vnd Weib, Kind vnd Kegel tod vnd versenkt in Abgrund der Höllen. Da war nicht Zeit Gelt zu zelen, noch mit der Metze herumb zu springen, sondern in einem Augenblick war alles, was lebet, tod vnd versunken. Das war Gottes Posaune vnd Dromet; da gings: Pummerle pump, Pliz, Plaz, Schmi, Schmir. – Das ist nu vnsers Herrn Gottes Pauken, oder, wie es St. Paulus hie nennet, die Stimme des Erzengels vnd Posaune Gottes. Denn wenn Gott donnert, so lautet's schier wie ein Pauken, Pommerle pump, vnd die Donnerschläge scherzen nicht. – Das wird seyn das Feldgeschrey vnd die Taratantara Gottes, das der ganze Himmel vnd alle Luft wird gehn Kir, Kir, Pummerle pump.«

Feiner und angemessener trifft Luther zuweilen [237] diesen scherzenden und spielenden Ton in seinen Briefen. So schreibt er an Salatin von den vor seinem Fenster versammelten Dolen und Krähen, auf den Reichstag von Augsburg anspielend: »Da ist ein solch zu-und abreut, ein solch Geschrey Tag und Nacht, als wären sie alle trunken, voll und toll; da gekt jung und alt durcheinander, daß mich wundert, wie Stimme und Odem so lang währen können und möchte gerne wissen, ob auch solches Adels und reisigen Zeuchs auch etliche noch bei euch wären. – Ich habe ihren Kayser noch nicht gesehen, aber sonst schweben und schwänzen der Adel und grossen Hansen immer vor unsern Augen, nicht fast köstlich gekleidet, sondern einfältig in einerley Farbe alle gleich schwarz und alle gleich grauaugig, singen alle gleich einen Gesang, doch mit lieblichem Unterschied der alten und der jungen, grossen und kleinen. Sie achten auch nicht der grossen Pallast und Saal, denn ihr Saal ist gewölbet mit dem schönen weiten Himmel. Ihr Boden ist eitel Feld, getäfelt mit hübschen grünen Zweigen. So sind die Wände so [238] weit als der Welt Ende. Sie fragen auch nichts nach Rossen und Harnischen, sie haben gefiederte Räder, damit sie auch den Buchsen entfliehen und ihren Zorn entsitzen können.«

Fußnoten

1 Bürger behauptete sogar (in seinem Lehrbuch des deutschen Stils, herausg. v. K.v. Reinhard, S. 53), die niederdeutsche Mundart sei das Ueberbleibsel einer sehr frühen Cultur, welche über die Gränze unserer bekannten Geschichte hinausgehe.

2 Vgl. G.F. Grotefend, Dr. Martin Luther's Verdienste um die Ausbildung der hochdeutschen Schriftsprache, im ersten Stück der Abhandlungen des frankfurttischen Gelehrtenvereins. (Frankf. a.M. 1818.)

3 Vgl. Radlof, teutschkundliche Forschungen und Erheiterungen II. 223.

4 Vgl. Diederich von Stabe, Erläuter- und Erklärung der vornehmsten deutschen Wörter Luthers (Bremen 1724). S. 317. und Grotefend a.a.O. S. 122 flgd.

5 Vgl. ein ganzes Verzeichniß solcher Wörter bei Teller: Vollständige Darstellung der deutschen Sprache in Luther's Bibelübersetzung, I. S. 10–31.

6 Vgl. Grotefend, Luther's Verdienste um die Ausbildung der hochdeutschen Schriftsprache. S. 129.

7 Vgl. Grotefend, a.a.O. S. 133.

8 Vgl. Grotefend a.a.O. S. 62.

[239] 5.

Die Vereinheitlichung der deutschen Mundarten in Luthers Bibelsprache wurde durch die Reformation, mit der sie sich verknüpfte, zu einer entschiedenen geschichtlichen Thatsache. Ein einzelner Dialekt konnte niemals wieder zur literarischen Oberherrschaft gelangen, und die verschiedenen Entwickelungen, welche nun noch die deutsche Diction erlebte, mußten auf dem Grund und Boden des aus der Reformation hervorgegangenen Gesammtdialekts geschehen. Die neuhochdeutsche Prosa Luther's wurde die eigentlich literarische Sprache, die Mundart der deutschen Literatur. Der bloß schriftliche Charakter unserer Literatur mußte sie eher dazu geneigt machen, sie an ein einheitliches Organ des Ausdrucks hinzugeben, und der nationalen [240] Beweglichkeit der Stämme, die sich in der griechischen in bunter und bedeutsamer Mannichfaltigkeit erhalten konnte, keine Stätte mehr in ihrem Hauptlager zu gewähren. So lange es noch keine deutsche Literatur gab, sondern eine Poesie, die wesentlich im Volksleben wurzelte, konnte entweder ein einziger Dialekt, wie der oberdeutsche, zum allgemeingültigen Typus werden, oder auch bei Gelegenheit in dem Vielerlei der Stämme hier und da zugleich ein dichterisches Blühen sich regen. Die neue Epoche der deutschen Geschichte legte sich vorzugsweise in das norddeutsche Lebenselement hinein, und wie früher das Oberdeutsche das Grundbeet der poetischen Sprache, so wurde das Niederdeutsche, wenn auch nicht in derselben Weise die einzige Grundlage, doch die hauptsächlichste Anknüpfung und Bildungsstätte der literarischen Sprache in Deutschland. In diesem Uebergang ist es eine bemerkenswerthe Erscheinung, daß die neuhochdeutsche Verschmelzung des Ober- und Niederdeutschen zuerst eine Prosa hervorbrachte, die zugleich die dichterischen und prosaischen Elemente der Darstellung in einem verbundenen Guß aufzeigte. Die einzelnen [241] deutschen Stämme aber, wie sehr auch historische und intellectuelle Verschiedenheiten sie an diese Einzelung fesselten, gaben sich in ihrem Verhältniß zur Sprache der Literatur, die fortan als ein allgemeines Band alle umschlingen sollte, fast zu sehr mit ihrem ganzen Naturell auf, und traten sämmtlich, nur mit umgeschmolzenen Bestandtheilen, in diese allgemeine Schriftsprache über. Die charakterthümliche Trennung des deutschen Lebens bedurfte freilich immer dieser geistigen Vermittelung, um durch eine Sprache der Nationalliteratur die provinzielle Existenz in einem Heimathsgefühl zu erhalten, aber es war für gewisse Gattungen des Stils und der Darstellung nicht vortheilhaft, daß alle literarische Anwendbarkeit der Dialekte mehr oder weniger damit verschwand. Anderen Sprachen, obwohl sie eine Hauptmundart gebildet haben, stehen noch die landschaftlichen Dialekte mit außerordentlichem Erfolg für die Production zu Gebot. Der beredte Lautwechsel der Mundarten in der Tragödie der alten Griechen gewinnt auch eine innerliche Bedeutsamkeit, und charakterisirt verschiedene Momente des Gefühls und der tragischen [242] Erhebung. Eine ähnliche Vielgestaltigkeit des Ausdrucks läßt das indische Drama in seinen Nüancen des Sanscrit und Pracrit ertönen. Während die Helden und Hauptpersonen des Stückes das Sanscrit reden, ist für die Frauen der weichere und sanftere Dialekt des Pracrit bestimmt, der so sehr für milde Empfindungen geeignet, daß zuweilen sogar die Klage der Helden in diese Mundart verfällt. In dem Lustspiel der Italiener reden ebenfalls die landschaftlichen Mundarten nicht selten durcheinander. Auch Shakspeare benutzt Dialekte und sprachliche Verschiedenheiten zu originellen Wirkungen. Die deutschen Mundarten haben sich nur noch auf Volkstheatern oder in den Volksliedern, in bestimmter geographischer Vertheilung, lebendig erhalten, aber in der Mitte des neuhochdeutschen Gesammtdialekts selbst haben sie keine individuelle Geltung erlangen können, in der Weise, daß sie als wechselnde Charakterformen des Stils nach Sinn und Gelegenheit einzustreuen wären. Und doch haben einige derselben die bestimmteste Individualität, wie z.B. das Niederdeutsche, das für komische und witzige Darstellungen in einem [243] gewissen Genre äußerst eigenthümliche Farben herzugeben vermag, in welchem Sinne es noch der Satiriker Laurenberg im siebzehnten Jahrhundert schlagend und in ächt volksthümlicher Art benutzte. Solche künstliche Wiederbelebungen der Dialekte sind später noch mehrmals mit Glück aufgetreten, wie in Hebel's allemannischen Gedichten, aber wie sehr durch die Gewöhnung an eine literarische Gesammtsprache die Deutschen den Sinn verloren für die poetische Auffassung der Mundarten, für das Frische, Blühende und Launige der landschaftlichen Eigenthümlichkeit, geht daraus hervor, daß man neuerdings sogar den Schwabenstreich beging, diese allemannischen Gedichte wieder ins Neuhochdeutsche zu übersetzen. Ein durchgreifendes und gewaltsames Bemühen, die Einheit des neuhochdeutschen Dialekts durch landschaftliche Mannigfaltigkeit wieder zu unterbrechen, wie Einige den Plan gehabt, muß jedoch als widersinnig erscheinen, nachdem durch und seit Luther die neuhochdeutsche Combination der Mundarten die übrigbleibenden Bestandtheile der deutschen Dialekte gewissermaßen von dem mitlebenden Antheil [244] an der Nationalcultur ausschloß, und sie in das Einzelleben der Gaue nach Willkür zerstieben ließ. –

An der Gränzscheide dieser Epoche, die durch Lu ther's Sprachschöpfung bezeichnet wird, ist auch noch das Unternehmen des Johannes Agricola, die Sprüchwörter der Deutschen zu sammeln, für diese Betrachtung denkwürdig. Diese Sammlungen, deren erste im Jahre 1528, die zweite 1529 und die dritte 1548 erschienen, sind als ein aus der Mitte des Volkslebens herausgehobener Sprachschatz der deutschen Nation sehr wichtig. Man hat darin den in unmittelbarster Einheit mit der Sprache schaffenden Volksgeist vor sich. Agricola selbst handhabt in den Auslegungen dieser Sprüchwörter eine treffliche und körnige Prosa, und zeigt sich von Begeisterung für seine Absicht, ein Nationaldenkmal deutscher Sprache und Sitte hinzustellen, erfüllt. Seine Zueignung der ersten Sammlung, die er an den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen gerichtet hat, enthält für den damaligen Zustand der deutschen Sprache einige interessante Aeußerungen. Es heißt unter Anderm: »Es bewegen mich (zur Bekanntmachung dieser Sprüchwörter) [245] fürnemlich zwo ursachen: die erste, das, wer diese spruche haben wurde, der wurde die ganze deutsche Sprache haben, welche sprach wir Deutschen so gar für nichts achten, das sie auch fast gefallen ist, vnd niemands, oder gar wenig leut sind, die deütsch reden konnen. Alle Nation haben yhre zungen und sprachen ynn regeln gefasset, auch ynn yhre Cronicken und Handelbücher verzeichnet, wo etwas ehrlichs und mandlichs handelt, oder etwas künstlichs und etwas höfflichs ist geredt worden von yhnen. Alleine wir Deütschen sind Deütsche, haben solchs vergessen, das unser geringe geachtet, wie ehrlich es auch gewesen, und auff anderer Leütt und fremder Nation wesen, sitte und gebehrde gegaffet, gleich als hätten unsere alten nie nichts gehandelt, geredt, gesezt und geordnet, das yhnen ehrlich und ruhmlich nachzusagen were, so doch, wie dise Sprichwortter aufweisen, unsere Forfaren gar erbare, tapfere vnd weise Leütte gewesen sind. – Die andere, syntemal gemeyniglich mit der Sprache auch die Sitten fallen, ist zu besorgen, der Dewtschen trewe vnd glauben, bestand, wahrheit werden auch fallen: denn wir Deütschen [246] tragen nun forthin Welsche, Hispanische vnd Franzosische Kleidung, haben Welsche Cardinal, Franzosische und Spanische krankheiten, auch Welsche praktiken, derhalben hab ich gedacht, die weise Rede vnser alten Deütsch an den tag zu geben, auff das doch etliche vnter vnsern Deutschen gereizt werden, yhrer voreltern Fußstapfen nachzuwandeln.«

Agricola's Vorzüge als Prosaist sind um so höher zu schätzen, da er zum Theil in einem Zeitpunkt schrieb, wo Luther noch nicht mit der höchsten Vollendung seiner Sprache vorleuchtete, sondern erst im Ringen danach begriffen war. Die Poesie der luther'schen Schreibart, die begeisterte Beherrschung der Sprache erreichte freilich der didaktische Agricola nicht, aber seine Hinweisung auf den volksthümlichen Kern der deutschen Sprache und seine Anregung des Nationalsinnes für die Ausbildung derselben waren verdienstlich genug. Das Jahrhundert der Reformation war jedoch zu sehr mit vielen gemischten Elementen versetzt, die aufstrebende Cultur war noch zu vorwaltend durch Philologie und gelehrten Schwerestoff bedingt, als [247] daß schon alle Ausstrahlungen des intellectuellen Lebens eine durchbildete nationale Ausdrucksform hätten finden können. Die gelehrten Sprachen behaupteten immer noch das größte Uebergewicht in allen Culturäußerungen der Deutschen. Agricola selbst, der Lobredner der deutschen Sprache, will sie am Ende keineswegs ausschließlich empfehlen, sondern sie soll Hand in Hand gehen mit dem Lateinischen, Griechischen, Hebräischen, damit die Erlernung der Muttersprachen und der fremden Sprachen sich gegenseitig erleichtern und fördern möchten. So sagt er in der zweiten Sammlung seiner Sprüchwörter: »Es ist ein großer erbermlicher Irrthum yetz und yn alle land kommen, also das man maint, man wölle andere Lewte kennen leren allain durch die Tewtschen sprach, vnd kompt layder darzu, das nyemand der Kunst achtet, dardurch man reden vnd leren lernt, Got hat zu dysen letzten Zeyten Tewtsch geredet und zuvor nie nicht. – Es ist die Bibel, das eddel Buch, auff dem plan vnd raine, Es sind darnebenn vil guter Bücher zu trösten vnd zu leren, von vilen Gotsfreünden geschryben, vnnd ist also vil guts Lichts hie durch zu der [248] Heyligen Schrift kummen, das, wo Augustinus, der doch unter allen Lerern an Mittel der beste ist, yetzund aufstunde, so würde er sagen, Lieben Herren, wie habt yhr ein Licht, Ich will gern weichen, vnd ewrem Licht folgen, Got geb, daß wir seyn wol brauchen! Solches Licht sollt vns nun eine Raytzung sein, die sprachen dester leichtlicher zu lernen, die die wissen müssen, welche andere Leüte leren sollen, denn das alte Testament ist Hebräisch geschryben, vnd das neü Griechisch, die Juden, die der sprachen verstand haben, beckennen selbs, wie die Verdolmetschung des alten Testaments auß dem Hebräischen, yhnen mehr helffe zu Moses vnnd anderer bücher verstand, denn alle yhre Commentarii vnd glosen, Warumch lernt man denn die sprach nicht? Hebrea Lingua est Lingua Theologorum. Wer die schryfft handeln soll vnnd leren, vnd kann sich hie nicht behelfen, der trette ab, vnd befelch es dem ders beßer kann. Das newe Testament ist also wol verdolmetscht, daß es ye nicht beßer sein künde, warumb lernet man denn griechisch nicht? darzu eine solche brayte ban durch tewtsche Verdolmetschung gemacht ist.« u.s.w.

[249] Während die Reformation das erbauliche, gemüthliche, wissenschaftliche und rednerische Element der deutschen Sprache in Bewegung setzte, blieb auch ihr speculativer Charakter nicht unberührt von dieser Zeit. Die merkwürdigen Schriften des Sebastian Franke, aus Donauwörth in Schwaben, über dessen persönlichem Leben ein Dunkel liegt, bildeten die philosophische Diction aus und bereicherten sie mit Manchem, was ihr noch heut für die subtile Gedankenbezeichnung geblieben. Durch seine metaphysische Behandlung des Christenthums, mit dem er neuplatonische Ideen, besonders die Lehre von der Weltseele, zu verschmelzen suchte, verhielt er sich eigentlich in einem feindlichen Gegensatz zu den Reformatoren. Dies Bestreben brachte auch in seine Sprache eigenthümliche Combinationen, obwohl der Geist Tauler's, der unverkennbar auf ihn wirkte, auch darin seinen Einfluß auf ihn geübt hat. Franke war ein gewandter und witziger Kopf, wie er in seinem sehr prägnant geschriebenen Commentar deutscher Sprüchwörter, die auch er gesammelt, bewiesen, und sein feinsinniger Takt bemeisterte sich der deutschen Sprache besonders in [250] der Auffindung neuer Wörter für abstracte Vorstellungen mit großem Glück. Wörter wieaußdruck, gemainnützig, selbsständig, spizfindigkeit, aigenthumb, zeitlos, begirdlos, und viele ähnliche, wurden durch ihn zuerst in Umlauf gesetzt und seitdem durch keine treffenderen Bezeichnungen verdrängt. Auch durch geniale Wendungen des Stils zeichnet sich Sebastian Franke hin und wieder aus. Seine theologischen Abhandlungen, seine Uebersetzungen des Lobes der Narrheit von Erasmus von Rotterdam, der Eitelkeit menschlicher Künste von Corn. Agrippa, sind das Wichtigste, was für uns hieher gehört, doch hat auch seine Weltchronik oder Geschichtbibel, die von Anbeginn der Dinge bis zum Jahre 1591 fortgeführt ist und auch in diesem Jahre zuerst gedruckt erschien, manche Verdienste der Darstellung, und ist schon als die erste in deutscher Sprache geschriebene Universalgeschichte dieser Art merkwürdig. Lessing beschäftigte sich viel mit Frankens Schriften, auch ihres Inhalts wegen, und es wäre zu wünschen, daß neuerdings einige ausführlichere Auszüge in irgend einer Form von ihm gegeben würden. Hier können [251] nur einige Proben seiner Diction Platz finden. In seiner Abhandlung vom Baum deß Wissens Gutz und Böß, die als Anhang hinter seiner Uebersetzung des Erasmus steht, heißt es vom menschlichen Willen: »Hie erwig, was unser will kunst und wissen ist, damit wir so hoch daher fahren und brangen, ja für Gott zu kommen vermainen, so es doch nicht dann der laidig Todt ist, und ain frucht des verbotnen bawms. Wer ist itzt under allen Menschen, der diß wiß, der seinen willen, anmut 1, und witz lerne verleugnen, außziehen, förchten, tödten, verkochen? Ja wol verkochen. Wir hayen und heben diß allein auff, wie fein [252] goldt und das ewig leben, welches doch der ewig Tod ist.«

Von der Verderbtheit der menschlichen Natur sagt Franke: »Nu aus diesem magstu leichtlich schliessen, was des natürlichen menschen witz, frumkait und kunst sei – freilich eittel todt, thorhait, sündt und gotsfeindschaft, weil alles flaisch im gegentail Gotes ligt und mit dem Teuffel laicht, ganz seiner art, wesens, willens und geburt, ja sein blut und flaisch, das sie nicht dann wie sein vatter Gotes feindt ist, nichts götlichs verstehen kan, alles sein wil on got, ja sein selbs got sein und alles sich annimpt, das gotes ist, wie Adam und Lucifer ir Vater. Diß sind eittel frücht des verbotnen baums. Der Christ aber ist aus Gott geboren, eittel gaist und leben, ganz götlicher art und nicht dann ein geschürr und außdruck gottes, ja nichts dann ein sichtbarer leiblicher gott, der mit gott veraint, aller ding seiner art ist, leibgirig, gemainnützig on alles annemen, wie got frei, stark, on aigenthumb« u.s.w.

An einem andern Orte entwickelt Franke den metaphysischen Begriff der Natur: »Die Natur ist [253] nichts dann die eingepflanzt kraft aines jeden dings von Gott, beide zu wirken und zu leiden. Als die Natur des Feurs ist warm machen oder hitzen. Nun sintemal dise kräft von Gott eingeben sindt, sindt sie gantz Göttliches Willens. Welchs vrsach von vns vnbewißt sindt, wie wol sie groß, weyß vnd gerecht sindt. Nun in ainem yeden ding ist sein Natur ins Werk gesezt. Es hat der Himmel sein Natur. Er ist ein außgoßen krafft über den ganzen Erdboden. Es hat alle ding sein Gesätz, also, daß auch im gemainem das aigen oder aigenthumb würt behalten, wie vnder denen, so in ainem schiff werden geführet. Dann dieß hat auch allen die Natur eingeben, das nichts aigens mag lang bestehen oder glücksälig bleiben. Wie ain Maister ain werk, Müll oder Vr zuricht, das sie selbs gehet vnd jren befelch außricht, also hat Gott die Natur zügericht, die alle ding treibt, lait, wie das Gewicht ain Stünd, allain ist dieß die Vnderschaidt, das der Werkmaister von seinem Werk ablaßt vnnd abweicht, aber Gott nimmer, so wenig als der Schein von der Sonnen.«

Diese Sprache des philosophischen Gedankens [254] war so bestimmt, ausdrucksvoll und fast elegant, daß die deutsche Speculation auf dieser Grundlage einer heimathlichen Terminologie mit Leichtigkeit hätte fortbauen können. Es schien, als strebe der Gedanke in diesem Jahrhundert, das deutsche Wort zu finden, das sich ihm später wieder hinter fremden und barbarischen Formen verhüllen sollte. So sind auch aus dieser Zeit die Bestrebungen Goswin Wasser leiter's merkwürdig, der sich bemühte, in seinerLogica oder Vernunftkunst, die im Jahr 1590 in Erfurt, erschien, die Bezeichnung logischer und abstracter Begriffe durchgängig mit deutschen Wörtern zu geben. Schon früher hatte Albrecht Dürer in seinen mathematisch kunsttheoretischen Schriften strenge wissenschaftliche Vorstellungen in einem gediegenen, reinen und klaren Deutsch behandelt, und eine eigenthümliche Diction deutscher Künstlersprache geschaffen, für die auch die erste Uebersetzung des Vitruv von Styff nicht unerheblich mitwirkte.

Eine sehr wichtige und originelle Sprachquelle des sechszehnten Jahrhunderts ist aber noch zu erwähnen übrig. Dies ist jener echt deutsche Schimpf [255] und Scherz, jene burleske Gemüthlichkeit und possenhafte Altklugheit, jener goldene Muthwillen einer sich Alles erlaubenden Laune, die in diesem Jahrhundert lebendig aus dem Herzen des deutschen Volkes sprudelten, und, bei sonstiger Sitte und Zucht eines strengeingefriedigten Familienlebens, arglos auch an die äußersten Einfälle in Rede und Schrift sich hingaben. Hier grub der Stachel des Humors erst das fruchtbarste und eigenste Erdreich der deutschen Sprache auf. Die ganze Stimmung der Reformationszeit, welche namentlich das Mönchswesen an die Satire auslieferte, mochte die geeignete Atmosphäre sein, um auch den buntscheckigsten Uebermuth der deutschen Diction entsprießen zu lassen. Einen patriarchalischen Cynismus könnte man die humoristische Richtung dieses Jahrhunderts am besten nennen, denn selbst die spielerischen Unflätigkeiten, welche die Sprache dabei ausgebrütet hat, bleiben immer noch durch ein gewisses anmuthiges Band an die altväterische Treuherzigkeit gefesselt. Der wahre Volkstribun und Repräsentant dieses altdeutschen Spaßes ist Johann [256] Fischart, der Mentzer genannt, der unter verschiedenen Namen die zahlreichen Geschöpfe seines zügellosen Genius in die Welt schickte. 2 Die bunte Narrentracht, in welche er die deutsche Sprache steckte, war zugleich die sinnreichste Narrenweisheit, die jemals in ihren Tönen laut geworden. An Keckheit und productiver Laune, die selbst mit der Grammatik der Sprache groteske, aber bewundernswürdige Sprünge vornahm, giebt es keine ähnliche Erscheinung vor und nach Fischart in der deutschen Literatur. Bei aller gränzenlosen Ausgelassenheit seines Humors, der ihn mänadenhaft fortreißen konnte, scheint er doch ein feines und schöpferisches Bewußtsein gehabt zu haben über die Sprache, in der er seine burleske Laune ergoß. Seine Diction gleicht einer Redoute, auf der er seine Gedanken in zahllosen Wörtercostümen, in den verwegensten und frechsten Masken des Ausdrucks, in allen nur [257] erdenklichen Bizarrerieen der Sprache, zum Tanze führt. Mit tobendem Geschrei schlingen und wirren sich diese Gruppen durcheinander, sie erschöpfen sich in kühnen Wendungen und Ausgeburten der wilden Phantasie, alle Instrumente werden aufgeboten zu einem unerhörten Lärmen, gesichterschneidende Frazzen und Larven steigen gespensterhaft aus der Erde, Hexenflämmchen und Irrlichter leuchten höhnend auf. Aber der Meister dieses tollen Faschings scheint besonnen geblieben, oder er erlustigt sich selbst dabei wie ein Kind, das harmlos und unwissend mit den Nachtkobolden tändelt.

Fischart war ohne Zweifel ein großer Sprachkünstler, der bedeutendste und productivste neben und nach Luther, der die deutsche Prosa, welche dieser auf den reformirten Dialekten auferbaut hatte, in das tausendfarbig erschimmernde Gewand des Nationalhumors kleidete. Sein Reichthum an Wörtern und Wendungen, an geistreichen Zusammensetzungen und neugebildeten Bezeichnungen, an Ausdrücken, die er sich nach der Phantasie geschaffen und aus dem Urquell einer originellen Anschauung heraufgeschöpft hat, wäre noch bei weitem höher [258] und gewinnbringender anzuschlagen, als der luther'sche Sprachschatz, wenn nicht meistentheils das Gepräge Fischart's zu subjectiv oder mit zu vielem Unflat des Zeitgeschmackes behangen erschiene, um in den allgemeinen Umlauf der Diction überzugehen. Den höchsten Taumel seiner phantastischen, witzsprühenden, cynisch muthwilligen, gemüthlich frohherzigen, in Harlekinaden philosophirenden, mit feiner Menschenkenntniß spottenden, wie Trompetenjubel schmetternden Sprache, kann man in seiner Uebersetzung oder vielmehr freien Nachphantasirung des ihm wahlverwandten Rabelais belauschen. Wir lassen den Titel derselben, der fast auf allen Ausgaben verschieden lautet, nach der vom Jahre 1617, die hier vor uns liegt und mit mehreren wunderlichen Holzschnitten verziert ist, folgen: »Affentheurliche Naupengeheurliche Geschichtklitterung: von Thaten und Rahten der vor kurtzen, langen und jeweilen vollen, wol beschreyten Helden und Herrn: Grandgoschier, Gorgellantua und des Eyteldürstlichen, Durchdurstleuchtigen Fürsten Pantagruel von Durstwelten, Königen in Utopien, jeder Welt Nullatenenten und Nienen [259] Reich, Soldan der neuen Kannarien, Fäumlappen, Diopsoder, Durstling und Oudißen Insuln: auch Großfürsten im Finsterstall und Nubel Niebel Nebelland: Erbvogt auf Nichilburg, und Niederherren zu Nullibingen, Nullenstein und Nirgendheim. Etwan von M. Frantz Rabelais frantzösisch entworffen: Nun aber überschröcklich lustig in einen Teutschen Model vergoßen, und ungefehrlich obenhin, wie man den Grindigen laußt, in unser Mutterlallen über oder drunder gesetzt. Auch zu diesen Truck wieder auf den Amboß gebracht, und dermaßen mit Pantadurstigen Mythologien oder Geheimnußdeutungen verpoßelt, verschmidt und verdängelt, daß nichts ohn das Eisen Nisi dran mangelt. Durch Huldrich Elloposcleron.« Darunter: Si laxes, erepit: Si premas, erumpit. Zu Luck entkrichts: Eim Truck entziechts.« Unter der Holzschnitt-Vignette: »Im Fischen, gilt's Mischen. Gedruckt zu Grenflug im Gänsereich. 1617.«

Eine Stelle aus diesem Buche hier auszuwählen, ist eine eigenthümliche Verlegenheit, nicht für mich, sondern für die heutigen Leser. Ganz unverändert kann kaum eine Seite daraus an diesem [260] Ort wiederabgedruckt werden, weshalb nur eine möglichst decente Blumenlese aus dem fünften Capitel, das von Grandgoschier's Verheirathung handelt, und von Fischart selbständig herrührt, die Diction dieses deutschen Aristophanes charakterisiren mag: – »warum solt anders das holdselig weibliche Geschlecht also anmuthig, zuthätig, kützlich, armfähig, brustlindig, anbiegig, sanftliegig, mundsüßig, liebäuglich, einschwätzig, mild, nett, glat wie Marmelstein, schön und zart erschaffen sein, wo nit wären, die sich darinn erlustigten? Was solt der Rosengeruch, wo nit wären, die sie zur Quickung abbrechen? Was solt der gute Wein, wenn keine wären, die ihn zechten? Was wär der Thurnierring, wenn nit die Hofleut darnach stechen? – Derhalben führe mein Grandgauch hiher ein Haußschwalm heim, die ihm eine Gesellin sei in der Noth, seines Hertzens ein Seßel, seim Leib ein Küßen und Ellenbogensteuerin, seines Unmuths ein Geig, sein Ofenstütz, das ander Bein am Stul – die sein Sparhäflin sei, sein Feuer im Winter, das mit gesotens und gebratens umgeben ist, sein Schatten im Sommer, seine Mitzecherin [261] – – Ist er grimmig, ist sie külsinnig, ist er ungestümmig, ist sie stillstimmig, ist er stillgrimmig, ist sie troststimmig, ist er wütig, so ist sie gütig: Er ist die Sonn, sie ist der Mon; sie ist die Nacht, er hat Tags Macht – wenn der Unwillen im Hafen zu viel will sieden, brüteln und grollen, so hebt sie den Deckel ab, schaft ihm Luft, giebt ihm ein lindes Erbsen-Brülein ein – Er wird ihr Abgott sein, das Bett ihr Altar, dabei man die Schuh stellt, darauf alle Versühnung geschicht. – Als wenn der lieben Ehgespiel etwan einmal ihr nachtspeisiger Haußtrost, Haußsonn, Haußhahn, Ehegespan aus den Augen kommt, und über Feld ziehet, o wie sorgfeltig geleitet ihn die Andromache für die Thür, als sollt ihr Hector mit dem Achille einen Kampf antreten. Komt er alsdann wieder, da ist Freud in allen Gassen, da darf sie sich wohl verköstigen, und wie die Nörnbergischen Weiber ein Creutzer zum Botenbrodt verschenken, und für einen Plappert Zwibelfisch kaufen zu dreien Trachten, da ruffet sie den Nachbauern, freuet euch mit mir, dann mein Groschen ist gefunden, meine Sau ist wiederkommen, [262] da rüst man, da verdüst man, da streut man dem Palmesel Zweig under, da macht man die Thor weit, daß der Hauß König einreit, lauft ihm mit zugethanen Armen entgegen, die Töchterlin sitzen ihm auf dem Arm, wie die Meerkätzlin, die Söhnlin henken am Rock, wie die Aefflein, und ruffen alle Brodt, Brodt.« – –

Dies war ein ächt nationaler Humor, dem Fischarts Genie Sprache gegeben. An solcher Satire erlustigten sich unsere Altvordern, so tändelten, lachten, scherzten und wortspielten sie. In der Fülle und sinnreichen Gefügigkeit der Wortspiele, wie sie bei Fischart sich finden, möchte keine andre Sprache mit der deutschen einen Wettstreit unternehmen können, wie abenteuerlich und kindisch auch oft Fischarts Laune mit seinen tausendfach durcheinandergehetzten Wörtern davonläuft. Nur gewisse humoristische Figuren Shakespear's haben einen ähnlichen Fluß unerschöpflicher Stichwörter im Munde, zu deren deutscher Wiedergebung man schon frühe in Fischarts Diction eine Grundlage gehabt hätte. Wie absichtlich aber Fischart für den Ruhm und die Fortbildung der deutschen Sprache [263] bemüht war, geht auch aus seinem Versuch hervor, deutsche Hexameter und Pentameter einzuführen, wie er deren in seinem Rabelais, zu Ende des zweiten Capitels, eingestreut hat, und zwar in gereimten Distichen. Wie er selbst sagt, so hat er deshalb diese Sylbenmaaße versucht: »dieweil daraus die Künstlichkeit der teutschen Sprache in allerhand Carmina bescheint; und wie sie nun nach Anstellung des Hexametri, oder sechsmäßiger Sylbenstimmung, und siebenmäßigen Sechsschlag, weder den Griechen noch Latinen (die das Muoß allein essen wollten) forthin weiche.« »Wenn sie schon nicht, fährt er fort, die Prosodie oder Stimmmäßigung also abergläubig wie bey ihnen halten, so ist es erst billig, denn wie sie ihr Sprach nicht erst von andern haben, also wollen sie auch nit nach anderen traben: eine jede Sprach hat ihre sondere angeartete Tönung, und soll auch bleiben bey derselben Angewöhnung.« –

Die Sprache des Reformations-Zeitalters stellt die Entwickelung der deutschen Prosa in Luther, Sebastian Franke und Fischart nach drei verschiedenen wichtigen Richtungen dar. Durch die [264] Reformation hatte die Sprache eine neue Beziehung zum Nationalleben gewonnen. Die Skepsis, welche das ganze Dasein umspann, und alle Gegenstände des Meinens und Glaubens in Frage stellte, mußte auch in Ausdruck und Darstellung eine besondere Subtilität und Feinheit der Nüancirung erwecken. Die Glaubensstreitigkeiten, die theologische Polemik, die Gegenüberstellung der verschiedenen Lehrsätze schärften die Fähigkeit, den Gedanken zu entwickeln und in der Sprache hinundherzuwenden. Auf den Ausdruck kam mehr als jemals an, und die möglichst prägnante Feststellung der Meinung bedurfte aller feinsinnigen Motive der prosaischen Satzbildung. Die Sprache zeigte sich von zwei Seiten geschäftig, diese leichte, bestimmte und schlagende Bewegung der Prosa, eindringlich für das wirkliche Leben, hervorzubringen, einmal durch die Zusammensetzung und Wörterdoppelung, wodurch paraphrasirende Umschreibungen durch ein einziges schöngebildetes Wort erspart werden, z.B. großherzig, Halsherrscher (für Tyrann), anäugeln, anseufzen, erwuchern, erjagen, Springinsfeld, Streugütlein (für Verschwender) u. dgl.; und dann[265] durch Abschleifung und Verschmelzung aller rauhen und provinziellen Laute, um die gewonnene Einheit der Dialekte auch zur Schönheit werden zu lassen. Das Bewußtsein über die Sprache, das erst im Zeitalter der Prosa beginnt, zeigte sich auch in ihrer grammatischen und lexicalischen Behandlung, die ihr in diesem Jahrhundert durch Laurentius Albertus, Albrecht Oelinger, Fabian Frangk, Georg Henisch und einige Andere zu Theil wurde. Die prosaische Tonart des Zeitalters, in der die deutsche Sprache ihre Wiedergeburt ausdrückte, haftete auch den Gebilden der Metrik an. Rudolf Weckherlin zählte nur die Sylben in seinen Alexandrinern, er gab dem Verse den geistigen Accent der Prosa, und bekümmerte sich nicht um die Anforderungen der Quantität. –

Fußnoten

1 Dies Wort ist an dieser Stelle in seiner ursprünglichen Bedeutung gebraucht, die es heut völlig abgeworfen hat. Anmuth heißt hier so viel wie Neigung, Alles, was Einem anmuthet, wozu man Muth und Lust verspürt, in welchem Sinne besonders das Adjectivum anmuthig früher allgemein gebraucht wurde. Vgl. Petersen, die Veränderungen und Epochen der deutschen Hauptsprache, S. 159., welcher bei dieser Gelegenheit die Abstammung des Wortes Anmuth von Muth gegen die widersinnige Behauptung Adelung's, Anmuth sei ungeschickt nach dem Lateinischen amoenitas gebildet, vertheidigt hat.

2 Vgl. Flügel, Geschichte der komischen Literatur, Bd III. S. 330. fg. wo auch die ersten vollständigen Nachrichten über Fischart's Schriften und Zusammenstellungen über seine unsichern Lebensumstände gegeben werden.

[266] 6.

Die Cultur hat in Deutschland immer die merkwürdigsten Schwankungen erlebt. Wenn sie sich bis zu einem gewissen Punkt entfaltet, von wo sie beglückend und vollkommen machend das ganze Volksleben durchdringen könnte, hält sie entweder inne, wie von jener augenblicklich hervorbrechenden Trägheit des Nationaltemperaments gebannt, oder sie bricht auf längere Zeit ab, und gerade in einem Moment, der die Ernte vorangegangener heißer Bestrebungen zu versprechen schien. Andere fremde Einflüsse treten verkümmernd und vernichtend zwischen das Ideal und die Erfüllung. Dieses periodische Auf- und Niedersteigen zwischen Erhebung und Verfall bezeichnet keines Volkes Geschichte so sehr, als die deutsche. Nach großen Grundsteinlegungen steht sie zaudernd halbe Jahrhunderte still, und scheint ihre Entwürfe wieder [267] verwittern, ihre Baustätten mit Unkraut überwuchern zu lassen. Dann aber, wo man ein anderes Volk längst als untergegangen in das Geschichtsbuch eingetragen hätte, streckt der Deutsche plötzlich wieder aus demoralisirten Zuständen eine lebendig gestaltende Hand heraus. Er ergreift sein Leben mit erneuter Kraft und Hoffnung, schüttelt die großen Keime der Vergangenheit durcheinander, arbeitet, combinirt und rechnet von neuem mit seinem Schicksal, und sieht aus wie Einer, der entschlossen ist zu ernten.

Das siebzehnte Jahrhundert trat den im vorigen angesetzten Kern der deutschen Bildung wieder zurück, und verschüttete namentlich in Sprache und Darstellung die Spuren der großen Geister, die darin epochemachend vorangingen. Die unglücklichen Verhältnisse und Ereignisse dieses Zeitalters brachten eine barocke Mischung von Lebenselementen hervor, die oft der Barbarei gleichkam und als solche verheerend wirkte. Das wüste Völkergetümmel des dreißigjährigen Krieges überdeckte den deutschen Boden mit einer babylonischen Verwirrung fremder Sprachen und Sitten, die den Nationalsinn [268] der Deutschen zu verwirren und auszusaugen suchten. Die heimathliche Rede verstummte wieder in den höher gebildeten Lebenskreisen, und auch als Organ der Wissenschaft und Speculation, die in einzelnen Köpfen weiterarbeitete, wurde sie verstoßen. Nur einige Lieblinge der deutschen Muse im grünen Schlesien pflanzten stillsingend den Heimathlaut weiter und trugen ihn in ihren Liedern zu besseren Zeiten hinüber. Deutschland im Ganzen aber war zerbrochen, entvölkert, an fremde Bestandtheile preisgegeben, und darum mußte ihm auch die Einheit seines Nationalausdrucks wieder verloren gehen. »Im Jahrhundert der Reformation – sagt Leibnitz in seinen Unvorgreifflichen Gedanken – redete man ziemlich rein Deutsch; außer weniger italienischer, zum Theil auch spanischer Worte, so vermittelst des kaiserlichen Hofes und einiger fremden Bedienten zuletzt eingeschlichen. Allein wie der dreißigjährige Krieg überhand genohmen, da ist Deutschland von fremden und einheimischen Völkern wie mit einer Wasserfluth überschwemmt worden und nicht weniger unsere Sprache als unser Gut in die Rappuse gegangen; und [269] sieht man, wie die Reichsacta solcher Zeit mit Worten angefüllt sind, deren sich freilich unsere Vorfahren geschämt haben würden. Nach dem Münsterschen und Pyrenäischen Frieden hat sowol die Französische Macht als Sprache bey uns überhand genohmen. Man hat Frankreich gleichsam zum Muster aller Zierlichkeit aufgeworffen, und unsere junge Leute, auch wohl junge Herren selbst, so ihre eigene Heimat nicht gekennet, und deswegen alles bei den Franzosen bewundert, haben ihr Vaterland nicht nur bei den Fremden in Verachtung gesetzet, sondern auch selbst verachten helffen, und einen Eckel der deutschen Sprach- und Sitten aus Ohnerfahrenheit angenommen, der auch an ihnen bei zuwachsenden Jahren und Verstand behenken blieben; und weil die meisten dieser jungen Leute hernach, wo nicht durch gute Gaben, so bey einigen nicht gefehlet, doch wegen ihrer Herkunft und Reichthums oder durch andere Gelegenheiten zu Ansehen und fürnehmen Aemtern gelangt, haben solch Franz-Gesinnte viele Jahre über Deutschland regieret und solches fast, wo nicht der französischen Herrschaft, doch der französischen Mode und Sprache [270] unterwürffig gemacht.« – »Anjezo scheinet es, daß bei uns übel ärger worden, und hat der Mischmasch abscheulich überhand genommen, also daß die Prediger auff der Canzel, der Sachwalter auff der Canzley, der Bürgersmann im Schreiben und Reden, mit erbärmlichem Frantzösischen sein Deutsches verderbt; mithin es fast das Ansehn gewinnen will, wann man so fortfahret und nichts dagegen thut, es werde Deutsch in Deutschland selbst nicht weniger verlohren gehen, als das Engelsächsische in Engeland.« –

Ein solches Gemälde der Sprachverwirrung seiner Zeit entwarf Leibnitz, das größte Genie dieses Jahrhunderts. Er selbst stand freilich mitten in diesen Einflüssen, ohne sie zu bezwingen, oder sein Talent für die Behandlung der deutschen Sprache, die er in seinen Unvorgreifflichen Gedanken mit so bedeutender Kraft und Energie handhabte, in seinen eigensten Geisteswerken auszuüben. Denn seine Klagen, daß die deutsche Diction der metaphysischen Bezeichnung entbehre, muß man für ungegründet halten, sowohl der großen Beispiele wegen, die uns in den früheren Abschnitten vorgekommen, [271] als wegen der eigenen Gewandtheit, die Leibnitz in seiner Abhandlung über die Verbesserung der deutschen Sprache an den Tag legte, philosophische Kunstausdrücke deutsch zu geben. Die Ursachen, welche die Nationalität der Sprache untergruben, lagen in der Zeit, und nicht in der Sprache, und waren nöthigend genug, um selbst die Offenbarungen der Ideenwelt, die aus dem ächt deutschthümlichen Genius eines Leibnitz hervorgingen, in fremdes Gewand zu hüllen. Die schroffe Trennung der Stände ließ kein gemeinsames geistiges Band, auch nicht das der Sprache, in Deutschland mehr zu. Die Sprache wurde gewissermaßen etwas Zünftiges. Wie jeder Stand seine Vorrechte, seine Privilegien hatte, so schien er auch ein besonderes Organ des Ausdrucks für sich in Anspruch zu nehmen, das ihm vor den übrigen eigenthümlich war. Die Aristokratie sprach französisch, vornehmlich seit dem westphälischen Frieden, und das weltgebildete Idiom der Franzosen durchdrang, von den Höfen und Cabinetten kommend, immer ausschließender die höheren Klassen der deutschen Gesellschaft. Dagegen ertönte aus[272] den Studirstuben und Werkstellen der Gelehrten die altklassische Latinität, deren die wissenschaftliche Grandezza zu ihrem vollständigen Costüm, und um ihre Würde zu bewahren, nicht mehr entbehren durfte. Das Latein war ebenso ein vornehmes und privilegirtes Organ für die Wissenschaft, als das Französische für die Gesellschaft. Selbst bei einigen deutschen Dichtern, wie Jacob Balde, verschwisterte sich die heimathliche Poesie mit der Sprache der Gelehrsamkeit zu einem wahren Seelenbunde, und wenn man die Begeisterung und den Gedankenschwung sieht, womit dieser geniale Jesuit seine lateinischen Poesieen dichtete, so muß man erstaunen über die Nüchternheit und lächerliche Armseligkeit, der er sich in seinen deutschen Gedichten, z.B. in dem aus lateinischen und deutschen Versen gemischten de vanitate mundi, überlassen konnte. Fragt man, in welchen Winkel des Nationallebens zu dieser Zeit das Deutsche zurückgedrängt war, so hört man es in dem ehrsamen Munde des Bürger- und Handwerkerstandes treuherzig weiterreden. In dieser praktischen Region blieb der Kern der deutschen Sprache einstweilen [273] aufbewahrt, und bildete sich tüchtig für die Anschauung des bürgerlichen und gewerblichen Lebens, welche Eigenschaften ihr bekanntlich Leibnitz am meisten nachzurühmen wußte. So verharrten freilich die deutschen Stände auf drei unterschiedenen Bildungsstufen einander gegenüber, und schon durch das Mittel der Sprache war der eine verhindert, von dem andern zu gewinnen, oder mit dem Eigensten, was er auf seinem Boden erzeugte, in das Allgemeine einzulaufen. Diese isolirte Stellung brachte auf der andern Seite auch wieder bizarre Vermischungen hervor. Im Umgangsleben schlugen die verschiedenen Sprachlaute eines und desselben Volkes oft höchst abenteuerlich aneinander. Der ganz einlatinisirte Gelehrte des siebzehnten Jahrhunderts, wenn er die Folianten auf seinem Pult verließ und in das gewöhnliche Leben hinaustrat, konnte nicht leicht drei Worte hintereinander reden, ohne ein lateinisches darunterzumengen, und da er selten Weltmann genug war, um des Französischen mächtig zu sein, so brachte er in seinem Kreise ein verdorbenes latinisirtes Deutsch in Umlauf, das selbst die Frauen in den deutschen Gelehrtenfamilien [274] ansteckte, und so auch den geselligen weiblichen Einfluß auf die Muttersprache auf dieser Seite verdarb. Dagegen war der Bürger, wenn er über seinen Stand hinaus gebildet und vornehm erscheinen wollte, thöricht genug, sich in seiner Umgangssprache mit französischen Brocken zu schmücken, die er sich lappenweise, wie er sie gerade erhascht hatte, anheftete. So kam von dieser Seite ein französirtes Deutsch in den Redeverkehr, das die Geschmacklosigkeit des Zeitalters ebenso widerwärtig abspiegelte. Die Sprache des Adels gewann daher schon durch ihr einheitliches und bestimmtes Element den Anschein höherer Bildung und edleren Geschmacks für sich, und wie es in diesem Stande der Fall ist, daß die Befriedigung in der Form das Interesse des Inhalts an Wichtigkeit überbietet, so that man sich mit der erborgten Gewandtheit und Eleganz des Ausdrucks ein Genüge, ohne die innere Nationalzersplitterung dabei zu empfinden. Hervorragend und einzig ist die Mittelstellung Leibnitzens in den Verhältnissen dieses Jahrhunderts. Als Weltmann war er der Sprache der höheren Stände mächtig, als Gelehrter beherrschte er die klassischen [275] Formen, als Patriot schrieb er für die heimathliche Pflege und Ausbildung der Muttersprache. Er gab der Wissenschaft zuerst eine Stellung zur großen Welt, zum Adel und den Höfen, indem er die Werke seiner Philosophie und Forschung nicht bloß lateinisch reden ließ, sondern auch durch die französische Sprache jenen Kreisen der Gesellschaft annäherte. So zeigt er sich, wie jedes Genie, beherrscht und beherrschend, befangen und vermittelnd zugleich in den Einflüssen seiner Zeit, und stellt eben dadurch die ganze Eigenheit ihrer Richtungen unter dem höchsten Gesichtspunkt an sich dar.

Die Sprachmengerei führte der deutschen Sprache zwar manche neue und prägnante Wortgebilde zu, deren sie noch heut sich nicht entschlagen kann, aber das Verderben, welches namentlich die Französirung unseres Idioms anrichtete, ist größer anzuschlagen, als die Bereicherung, die ihm dabei widerfuhr. Die deutschen Endungen, statt kräftiger und gewichtiger um die Wurzel herum auszuschlagen, schwemmten sich unter diesen Einflüssen immer mehr ab, und verhallten in die stumme Auslautung der französischen Sylben. Das deutsche [276] Wort wurde erstickt unter dem französischen Schwall obligater Redensarten, und selbst der Periodenbau stutzte sich mit gallischer Spitzzüngigkeit zu. Wie aber diese Sprachmengerei selbst die Noten zu einer mystischen Speculation abgeben konnte, zeigt die philosophische Prosa Jacob Böhme's, des wunderlichen Philosophus teutonicus, der noch zum Theil in das sechzehnte Jahrhundert fällt, aber auch die Kennzeichen des siebzehnten, in das er hineinlebte, an sich trägt. Daß Jacob Böhme ein Schuster war, erscheint ebenso einflußreich für seine Philosophie und deren Sprache, als für Leibnitz, daß er ein Weltmann war. Als Schuster schrieb Jacob Böhme Deutsch, die Sprache der Demokratie, aber er konnte sich zugleich nicht enthalten, in seinen Gedankenoffenbarungen nach der Sprache der Gelehrten und Weltleute da draußen zu hören. Was ihm von ihren fremden Ausdrücken in die Ohren tönte, oder aus Büchern an ihm haften blieb, gestaltete sich in seinem nach Form ringenden Geiste zu einer eigenen Bedeutsamkeit. Fremdländische, besonders lateinische Wörter, die er nicht verstand oder sich nicht zu zerlegen wußte, wurden [277] ihm zu geheimnißvollen Symbolen, in die er die Wunder und Visionen seiner Begriffe kleidete. Manche Ausdrücke bildete er sich durch eine besondere mystische Etymologie, die nur in seinem Kopf Wirklichkeit hatte, zu einer eigenthümlichen Bezeichnung aus, oder er veränderte sie für die Zwecke seiner Speculation durch irgend eine umgestellte oder angefügte Sylbe, worin er bloß den Eingebungen seines schauenden Geistes folgte. So wurde in der That die Sprachmischung und Sprachverdrehung, die in andern Schriften dieser Zeit als Barbarei erscheint, bei Jacob Böhme als Mystik ausgebildet, und alle diese abenteuerlichen Zeichen und Wortgefüge setzten die Hieroglyphenschrift einer absonderlichen Speculation, die auch ihre eigene Grammatik haben mußte, zusammen. Die Sprache Jacob Böhme's gehört eigentlich nicht in unsere fortlaufende Geschichte der deutschen Diction hinein. Sie ist, wenn auch oft wunderbare Geister und Engel sich durch ihre verworrenen Accorde wühlen, und aus den offenstehenden Himmeln liebliche Sphärenmusik hereinklingt, doch zu sehr eine individuelle Phantasmagorie, um anders denn als [278] ein einzeln stehendes Meteor, das keine Gesetze mit andern Erscheinungen gemein hat, betrachtet zu werden.

Die erste durchgreifende Rückbewegung, die deutsche Sprache wieder zum Organ der deutschen Wissenschaft zu erheben, machte Christian Thomasius, der große Bekämpfer des mittelalterlichen Aberglaubens. Es war schon etwas gewonnen, daß durch ihn die Sprache des Katheders wieder national zu werden anfing und die Bildung der Jugend dadurch wieder an ein heimathliches Band geknüpft wurde. Freilich war die deutsche Schreibart des Thomasius, deren er sich in seinen Schriften häufig bediente, der Uebel noch nicht ledig, welche einmal die Sprache dieses Jahrhunderts schwer belasteten. Er sprach und schrieb die buntlappige Mischprosa, welche das deutsche Gewand mit allerlei-französischen und lateinischen Fetzen verbrämte. Aber die Gelehrsamkeit gewann doch wieder ein mehr volksthümliches Gepräge durch seine Ueberlieferung. Größere Einwirkung auf die Sprache selbst hatte die wolsische Philosophie, welche durch die klare und populaire Bündigkeit ihrer Begriffsunterschiede [279] der deutschen Prosa Schärfe und Bestimmtheit gab. Die philosophischen Lehrbücher, die Wolf in deutscher Sprache herausgab, setzten das durch Thomasius begonnene Reinigungswerk der Universitäten, den Kampf gegen die scholastischen und fremdredenden Hexen und Gespenster, erfolgreich fort. Die wolfische Philosophie konnte die Nationalsprache wieder zum Bewußtsein und zu Verstande bringen, und die faßliche und logische Behandlung der deutschen Schreibart anregen, aber sie war kein Boden, um Geist und Schönheit der heimathlichen Darstellung neu emporzutreiben. Eine Philosophie, welche den Schönheitssinn in das niedere Seelenvermögen des Menschen verlegte, und aus dieser Annahme heraus das erste System einer Aesthetik aufbaute, konnte in der Darstellung, in der sie sich verbreitete, nichts Anderes als eine splitternackte Verstandesdemonstration bieten. Die deutsche Prosa zumVerstande zu bringen, war jedoch an dieser Philosophie so lange löblich und dienlich, als sie noch nicht in Gottsched einen Ritter von der traurigen Gestalt ausgesandt hatte, der mit Feuer und Schwert, oder vielmehr durch Wasser [280] und Dürre Alles vertilgte, was sich in Poesie oder Prosa, seien es Beiwörter, Metaphern oder irgend ein Blüthenschauer der Sprache, der Herrschaft des Verstandes nicht fügte.

Sieht man sich nach der productiven Literatur dieses Zeitraums um, so ist sie in einigen einzelnen Erscheinungen bedeutender, als man nach der ganzen verworrenen Physiognomie des Jahrhunderts erwarten sollte, obwohl das Innere der Nation nicht davon durchdrungen und erwärmt wurde. Man kann sich wundern, woher die erste schlesische Dichterschule den Muth und Geist empfangen, mitten im Getöse des damaligen Deutschlands so hell und lieblich zu singen! Martin Opitz ist zwar mit Unrecht der Vater der neueren Dichtkunst genannt worden, aber er war ein feiner Geist, der die deutsche Literatur in die Schule nahm und ihr eine neue Erziehung widerfahren ließ. Die Correctheit, zu der er die deutsche Darstellung zügelte, ist eine anmuthige Holländerei, eine Reinlichkeit und Sauberkeit in Worten und Gedanken, der sich sein Naturell offenbar durch seinen Aufenthalt in den Niederlanden zuerst anbequemte. Zweierlei [281] Richtungen machen die Gestalt Opitzens bedeutsam für das neue Werden der Literatur. Einmal, daß er als Weltmann vielfältigen Menschenverkehr genossen und auf Reisen, an Höfen und inmitten der höheren Gesellschaft sich freie Lebens- und Ausdrucksformen zueigengemacht hatte. Dann, daß er auf die Quellen der deutschen Sprache wieder zurückging, eifrige Nachgrabungen nach den versunkenen Schätzen der früheren Zeit anstellte und überhaupt mit klugem Blick Alles beherrschte, was nur im Bereich des Studiums lag. So arbeitete er einen geschmackvollen und tadellosen Typus in sich aus, der durch seine Sicherheit und Geschmeidigkeit wohl eine formelle Grundlage für die neuere Dichtersprache abgeben konnte, aber keine eigentliche innere Macht des Genius ausübte. In der poetischen Begabung übertrafen vielmehr seine Nachfolger und Schüler, besonders die naive Gemüthsherrlichkeit eines Flemming, den vernünftelnden, raisonnirenden und abgemessenen Opitz weit. Aber schon das Ansehen, welches sich dieser, das Scepter der Correctheit in der Hand, über seine Zeit erworben hatte, war etwas werth, und war nicht nur [282] durch seine Gedichte, sondern auch durch seine kritischen Abhandlungen und Gesetzgebungen begründet. Die Prosa, welche Martin Opitz schrieb, ist bemerkenswerth durch eine gewandte Handhabung des Periodenbau's, Verschlingung der Zwischensätze und eine elastische Gliederung der Satztheile, die in dieser Zeit der Sprödigkeit der deutschen Darstellung beim ersten Blick auffällt. Auch das Detail seiner Wortbildung ist sehr zu beachten; in Zusammensetzungen, wie Strafamt, Sturmwind, Lehngeld, Hauszucht, Kirchhof, Vogelfang, Nothwehr, Dichtart, Spielart, Bilderwerk, Spottrede (Ironie), Denkzeit, Denkzettel, Wortmeister (Criticus), Donnerwort, Flickwort, ist seine Diction ebenso kühn als neu. Andere neue Ableitungen, wie Schalkheit, Weltling, Zärtling, Neidling, Klügling, Fündling, Freßling, Armsal, Jammersal, Irrsal, Scheusal, Bleibniß (Wohnung), Anhängniß, Begebniß, Begegniß, Fahrniß, Baarschaft, Endschaft, Gespielschaft, Kindschaft, Sippschaft, Abstrafung, Begnadung, und viele ähnliche finden sich bei [283] ihm in überraschender Fülle und Wirkung. 1 Im Jahre 1618 schrieb Opitz in lateinischer Sprache seinen Aristarchus sive de contemptu linguae teutonicae, worin er für die Reinheit und Aechtheit des Deutschen nach drücklich kämpfte, die Ausländerei und Sprachmengerei brandmarkte, und zugleich das Studium der alten classischen Literatur empfahl. Von dem Zustande der deutschen Sprache sagt er an einer Stelle: »Diese bisher so reine und von fremdem Schlamm befreite Sprache beginnt nun zu sinken und artet in die seltsamsten Redeformeln aus. Es entstehen Ungeheuer von Wörtern und Wortfügungen. Unsere Sprache gleicht einem ekelhaften Behältniß, wo gleichsam der Unrath aller andern zusammenfließt. Fast nirgends eine Periode ohne ausländisches Beiwerk. Und so glücklich ist doch das Genie unsrer Sprache, daß sie weder an Majestät der spanischen, noch an Anstand der italienischen, noch an Zierlichkeit der französischen weichen [284] darf. Zum Beweis hievon dürfen wir uns nur auf den verdeutschten Amadis berufen.« – Der eigentliche Canon dieses neuen und geregelten Geschmacks, der die literarische Oberherrschaft Opitzens bezeichnete, ist seine berühmte Abhandlungvon der deutschen Poeterey, später auch Prosodia germanica von ihm betitelt, die zuerst 1624 herauskam und bis zum Jahre 1668 in zehn Auflagen durch Deutschland vertrieben wurde. Im sechsten Capitel macht Opitz über Reinheit und Schönheit der deutschen Darstellung folgende Bemerkungen: »Damit man reine reden möge, soll man sich befleissen, Dem, welches wir hochdeutsch nennen, besten Vermögens nachzukommen und nicht derer Oerter Sprache, wo falsch geredet wird, in unsere Schriften vermischen, als da sind: Es geschach, für, es geschahe; er sach, für, er sahe; sie han, für, sie haben u.s.w. So steht es auch zum heftigsten unsauber, wenn allerlei lateinische, französische, spanische und welsche Wörter in den Text unserer Rede geflickt werden. Was die eigentlichen Namen betrift, dürfen wir nach Art der Lateiner und Griechen ihre Casus nicht in Acht [285] nehmen; sondern sollen sie soviel möglich auf unsere Endung bringen. Neue Wörter, welches gemeiniglich Epitheta und von anderen Wörtern zusammengesetzt sind, zu erdenken, ist Poeten nicht allein erlaubt, sondern macht auch den Gedichten, wenn es mäßig geschieht, eine sonderliche Anmuthigkeit. – Ein übel Aussehen haben bei uns die Epitheta, wenn sie hinter ihr Substantivum gesetzt werden. – So bringen auch die Franzosen neue Verba hervor, welche, wenn sie mit Bescheidenheit gesetzt werden, nicht unartig sind. – Der Pleonasmus, da etwas übriges (d.i. überflüssiges) gesagt wird, verstellet auch die Rede zuweilen nicht wenig. Sowie Pansa sagte, das Kind wäre von der Mutter zehn Monate im Leibe getragen worden, fragte Cicero: Ob andere Weiber die Kinder im Rocke trügen? Doch hilft bisweilen Das, was übrig hinzugesetzt wird, auch zu Aufmuzung der Rede. – Die Anastrophe oder Verkehrung der Worte steht bei uns sehr garstig; sie ist eine gewisse Anzeigung, daß die Worte in den Vers gezwungen seyen. – Das Ansehn und die Dignität der poetischen Rede anlangend, besteht dieselbe in [286] den tropis und schematibus. – Dieser Figuren Abtheilung allhier zu beschreiben, achte ich darum für unvonnöthen, weil wir im Deutschen hiervon mehr nicht, als wie die Lateiner zu merken haben, und also genugsamen Unterricht hievon neben den Exempeln aus Scaliger's und anderer gelehrten Leute Büchern nehmen können. Dessen will ich nur erinnern, daß vor allen Dingen nöthig sei, höchste Möglichkeit zu versuchen, wie man die Epitheta, an denen bisher bei uns großer Mangel gewesen, sonderlich von den Griechen und Lateinern absehen und uns zu Nutze machen möge. Lezlich haben wir in unserer Sprache auch dieses zu merken, daß wir nicht vier oder fünf Epitheta zu einem Worte sezen, wie die Italiener thun.« – –

Die Sprachgesellschaften, welche in diesem Zeitraum zum Theil nach Vorbild der italienischen Akademieen entstanden, hatten fast gar keine nennenswerthen Erfolge für guten Geschmack und Darstellung, und verwirrten und verdarben eher daran, als daß sie reformirten. Sie bewiesen, wie wenig Sinn der Deutsche für gesellschaftliches Zusammenwirken hat oder daß immer etwas Anderes [287] dabei herauskommt, als ursprünglich der Zweck der Association gewesen. Der deutsche Ernst, mit dem jeder Einzelne in seinem Hause seine Bestrebungen angreift, geht in unserm gesellschaftlichen Zusammenthun wieder auseinander, und zerrinnt durch unsere Gemüthseligkeit, durch Anbequemung des Einen an den Andern und durch eine Menge von philisterhaften Sympathieen, die sich in der Gemeinsamkeit pflegen, in läppische Spielerei. Spielerei und gemüthliche Albernheiten wurden der Charakter der deutschen Gesellschaften des siebzehnten Jahrhunderts. Sie hätten für die Nationalliteratur denselben Mittelpunkt abgeben können, als die Universitäten für die wissenschaftliche Bildung, aber solche Concentrationen oder Vertretungen hat die deutsche Literatur jederzeit vergebens angestrebt. Die deutschen Gesellschaften waren in allen Schwächen ihres Zeitalters mitten befangen und verzierten dieselben noch mit allerhand phantastischem Aufputz und Gaukeleien, mit denen sie ihre Statuten behingen. Diejenigen, welche gegen die Verkehrtheiten des Geschmacks und namentlich gegen die Sprachmengerei des Jahrhunderts ankämpften, wie [288] die »deutschgesinnte Genossenschaft« des Philipp von Zesen in Hamburg, geriethen wieder in das entgegengesetzte Extrem der Pedanterie, und legten den Grund zu jenem abenteuerlichen Purismus in Deutschland, der den ganzen Bildungsgang unserer Sprache verkennt und Gespenster sieht bei Wörtern, deren Verbot das Deutsche seiner eigenthümlichsten Aneignungsfähigkeit und Ausbreitung berauben würde. Bedeutsamer in jeder Hinsicht war die »fruchtbringende Gesellschaft«, die bei allen tändelnden Bizarrerieen, welche ihre Verhandlungen charakterisiren, in dem Bemühen für die Reinheit und Ausbildung der deutschen Sprache weniger ausschweifend zu Werke ging, obwohl sie in keinem Stück den Geschmack ihrer Zeit thatsächlich besiegte. 2 Einzelne gute Köpfe, wie der gelehrte [289] und gereiste Harsdörfer, welcher den Orden der Pegnitzschäfer in Nürnberg stiftete, hätten vielleicht [290] ohne die phantastische Symbolik dieser Gesellschaftskreise für sich selbst einfacher und förderlicher gewirkt. Sprache und Darstellung in diesem Zeitalter konnten am meisten durch eine Annäherung der Stände gewinnen, weil deren Trennung und Gegenübersetzung die Verworrenheit des deutschen Ausdrucks zuwegegebracht. Aber obwohl eine Vermischung des Adels mit den Gelehrten der Nation durch mehrere dieser Gesellschaften, durch die fruchtbringende namentlich, bewirkt wurde, so durchdrangen[291] sich diese Elemente doch sehr wenig zum Gewinn für die Formen des Lebens, und am allerwenigsten wollte sich die verlorengegangene Einheit der Sprachformen daraus neugestalten. Die Aristokratie, oder was durch Bildung und Eleganz zu ihr gehören wollte, hatte einmal in ihrer Sprache die Mode über die Nationalität erhoben, und die Puristen dieses Jahrhunderts hatten schon deshalb ein schwieriges Werk, weil der reindeutsche Patriotismus mit seinen nackten und abgeschälten Wortstrünken einen zu demokratischen oder plebejischen Eindruck machen mußte.

Die Anregung, welche die literarischen Ordensgesellschaften im Allgemeinen gaben, sich mit der deutschen Sprache und ihren Fähigkeiten und Verbesserungen zu beschäftigen, ist indessen nicht allzu gering anzuschlagen. Das grammatische Bewußtsein über die Sprache erwachte nach mehreren Seiten, Sprachlehren und Wörterbücher wurden ausgearbeitet, und legten, zugleich mit den bedeutenden etymologischen Forschungen und Sammlungen von Leibnitz, die erste Grundlage zu einer neuen Wissenschaft in Deutschland. Als verdienstlich und [292] bemerkenswerth sind besonders die Arbeiten von J.G. Schottel und Kaspar Stieler zu nennen. Schottel hob in seiner ausführlichen Arbeit von der deutschen Hauptsprache vornehmlich die Bedeutsamkeit der deutschen Doppelwörter heraus, und entdeckte die poetische Schönheit und philosophische Bezeichnungsfähigkeit, welche in denselben verborgen liegt. Sein Nachfolger Stieler, der unter dem Namen Spaten schrieb, gab im Jahre 1691 in seinem Werke: »der deutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs oder deutscher Sprachschatz« die Resultate tiefsinniger Untersuchungen auf lexicalischem und grammatischem Felde zugleich, und machte darin zuerst auf die Einsylbigkeit der deutschen Stammwörter aufmerksam. Ueber Wortfügung, Zusammensetzung und Accent der Sprache stellt er treffliche Beobachtungen an. Was er in seiner Vorrede gegen die Ausländerei und Sprachmischung sagt, liefert noch interessante Farben zu unserm Sprachgemälde dieses Jahrhunderts: »Man sollte erst den deutschen Busch wohl ausklopfen und die Brunnquellen prüfen, ehe man verspielt giebt und [293] vor fremden Thüren Brod sucht. Und eben um der Ursachen willen hat man zuweilen in diesem Buche etwas weit in das Alterthum greifen und die verlegenen Worte, als da sind: Agh, Ee, Gay, Ild, Kam u.s.w., wieder hervorsuchen müssen, damit man den Grund derer zwey- und mehrgliederichter Wörter anzeigen könne. Denn dieß ist gewiß und unzweifelich zu glauben, daß kein zwey- oder mehrgliederich Wort eine deutsche Wurzel sei, sondern die Stammwörter allzumal nur in einem einzigen Gliede bestehn. – Und ist hierum billig die deutsche Sprache vor die vornehmste Hauptsprache zu beehren, als welche einfach, selbsteigen, lauter und rein ist, und nicht allein Alles, was die Welt begreift, ohne Beyhülfe einer andern Sprache, deutlich nennen, sondern auch denjenigen Dingen, so noch täglich anderer Orten er funden, oder erdacht werden, solch einen bequemen Namen geben kann, der so bald von den geringsten Menschen, Weibern und Kindern, wenn sie denselben nur einmal hören, verstanden werden mag. Die Römer, ob sie gleich den halben Theil ihrer Sprache denen Griechen, die andere Helfte aber uns [294] Deutschen zu dancken haben, hätten dennoch sich eher in einen Finger gebißen, als in einer öffentlichen Kunstrede oder bey ansehnlicher Versammlung ein griechisch Wort eingelappet, und, da die Griechen schon von den Römern bezwungen worden, haben sie dennoch kein lateinisches Wort unter ihre Schriften gemengt. Der Franzos nimmet wol deutsche Soldaten an, er nimmt aber keine deutsche Wörter mehr an, ist auch denenselben dergestalt feind, daß er die in seiner Sprache von Altersher gebrauchte deutsche und celtische Wörter immer nach und nach ausmustert. Man hat schon eine geraume Zeit hier wider solche Neugierigkeit der Deutschen gesungen und gesagt: Aber da hilft weder wahrnen noch weisen, da muß employeren, engagiren, incaminiren, charge, parole u.s.w. mitunter partirt werden, es gerathe oder verderbe. Ja es hat das Ansehn, ob wolle sogar noch das Uebele ärger werden, nachdem man bei fürstlichen Höfen französische Trachten, französische Gebehrden, französische Diener sieht, und lieber französisch als deutsch reden hört. Wo es nur nicht ein Vorspuck des französischen Joches sein möchte!« – [295] In dieser Epoche der deutschen Literatur standen sich Poesie und Prosa am getrenntesten gegenüber. Die Poesie hatte in der Metrik feste Schranken angenommen, innerhalb deren sie sich tummelte, und was nicht diese turnierfähige Rüstung trug, durfte nicht darauf rechnen, für Dichtkunst gehalten zu werden. Die Prosa ihrerseits, die in die Sprachverwirrung des Jahrhunderts tief vergraben lag, hatte keinen Anlaß in ihren Stoffen, sich zu einem Wetteifer mit der Poesie zu erheben, und ihre Durchdringung mit dichterischen Elementen, die sie schon durch Luther erfahren, war ihr an das steife und hartgelenke Leben dieses Jahrhunderts verlorengegangen. Nur auf der Grundlage einer geebneten gesellschaftlichen Bildung entsteht ein höheres Bedürfniß der Prosa. Die des siebzehnten Jahrhunderts war von geschmacklosen und schwerfälligen Lebensformen abhängig, und der harte Unterschied der Stände prägte sich ab in dem ceremonievollen Canzleistil, welcher den Grundton der herrschenden Prosa darstellte. Die weitschweifigen Kratzfüße der Unterwürfigkeit scharrten in den unendlich langgedehnten Perioden aufundnieder, [296] und eine unübersehbare Pedanterie von Wendungen erschöpfte sich in dem pflichtschuldigen Eifer ausführlichster Auseinandersetzung. Diese Prosa nimmt sich aus, als stände sie immer, mit dem Hut unter dem Arm, einem vornehmen Gönner in unablässiger Verbeugung gegenüber, und weil zu rasch und bestimmt zu einem Schlußpunkt zu eilen, unhöflich erscheinen könnte, häuft sie in athemloser Interpunction Komma auf Komma. Neben diesem servilen Charakter der Prosa läuft in mehr gemüthlicher Färbung ein frommes und biblisches Element in dieser Zeit her. Der Stil entlehnte auch von der Phraseologie der Bibel ein hochzeitliches und feierliches Kleid, aber nicht den poetischen Geist. Dagegen konnte sich die Poesie mit Recht in ihre freieren und schöneren Regionen abschließen, und für ihre Eingebungen eine bestimmte Form sich vorbehalten, wie einfach auch und ohne Kunst gebildet diese in der damaligen Metrik vorhanden sein mochte. Das Reich der Poesie war ein geschlossenes auch für den Geist der Sprache, der nur in der dichterischen Diction sich lebendig forterzeugte.

[297] Die Poesie der deutschen Diction erreichte in diesem Jahrhundert durch die zweite schlesische Dichterschule ihren höchsten Gipfel und drang jetzt auch in die prosaische Darstellung über. Hoffmannswaldau und Lohenstein wurden die ersten Urheber der piquanten und hypergenialen Schreibart in Deutschland, aber sie hatten mehr wahres Talent und Verdienste, als gewöhnlich in der Literaturgeschichte, namentlich von Bouterwek, anerkannt wird. Die üppig wuchernde Phantasie dieser Schule, die Alles, was sie behandelte, in ihren blitzenden Bilderstrom untertauchte, konnte auch die Trennung von Poesie und Prosa, in welcher die, wahre Philisterhaftigkeit des Jahrhunderts sich charakterisirte, nicht fortbestehen lassen. In Lohenstein's Prosa, die seinen Gedichten bei weitem vorzuziehen, zeigte sich zum ersten Mal wieder eine Vereinigung von rednerischen und dichterischen Mitteln auf eine effectvolle Weise. Sein großer Roman Arminius undThusnelda, der zuerst im Jahre 1689 erschien, hat ausgezeichnete Seiten der Darstellung, die sich an mehreren Stellen zu einer großartigen Energie erhebt, oft gedankenvolle und kunstreiche [298] Wendungen einschlägt, zuweilen sogar der einfachen Würde eines Geschichtschreibers in den historischen Partieen nachstrebt. Die poetischen Farben dieser Prosa sind noch nicht fein genug verarbeitet, um eine klardurchbildete Malerei des Stils zu gewähren, sie liegen oft zu dick und unvermittelt obenauf, ohne gehörige Vertheilung von Licht und Schatten, aber doch ist bestimmter Charakter genug vorhanden, um die Darstellung kräftig zusammenzuhalten. Dieser Roman, zu seiner Zeit vom Lesepublikum verschlungen, für uns wegen seiner Weitbauschigkeit und des unerträglichen Stoffes halber ungenießbar, ist das werthvollste Document dieser zweiten schlesischen Schule, in der die Phantasie sich gänzlich aller Zügel der Sprache und Darstellung bemächtigte. Hoffmannswaldau selbst, ein Mann von großer, bewundernswürdiger, und doch verdorbener Einbildungskraft, hatte durch seine schöpferischen und excentrischen Poesieen die erste Grundlage zu dieser Diction gelegt, die bald den Geschmack ihrer Zeit beherrschte, doch schmeichelte sich Lohenstein, namentlich durch seine Prosa, noch tiefer in die Sympathieen des Zeitalters ein, und [299] die ganzen Strebungen dieser Schule, die sich besonders in mehreren Romanen fortsetzten, wurden von den Gegnern vorzugsweise mit dem Parteinamen des »lohenstein'schen Schwulsts« belegt. Diese Schule verläugnete jedoch bei allen phantastischen Ausschweifungen der Diction keineswegs die Correctheit, die durch Opitz an die literarische Tagesordnung gekommen war, sie ließ sich in der Technik ihrer Erzeugnisse die Fortschritte nicht entgehn, die dieser ihr Vorgänger in der deutschen Poesie bewirkt hatte, und arbeitete außerdem erfolgreich der Sprachmengerei entgegen, eine Reinheit des deutschen Ausdrucks erzielend, die besonders den Roman des Lohenstein auszeichnet. Der bizarre Charakter dieser Schule hob sich jedoch bald noch stärker heraus durch den schreienden Gegensatz, in den sich die fortgehende Literatur selbst zu ihr stellte, die kurz darauf von der schwindelnden Höhe dieser Diction wieder auf den nüchternsten und plattesten Boden hinabstürzte. So bildet diese hoffmannswaldau-lohenstein'sche Diction ein merkwürdiges Intermezzo in der Geschmacksgeschichte der Deutschen. Sie gleicht, umgeben von dürrer Prosa [300] und seichter Correctheit der Zeit, auf den ersten Anblick einer prangenden Oase, die aus vollen Blüthenhainen stechende Gewürze ausduftet, aber den auf diesen üppigen Moosen sich Verweilenden umraucht bald eine ungesunde Gluth, unter der bunten Vegetation der Bilder lauern Giftblumen, Pilze und Schlangen versteckt, Geschmacklosigkeit ruft in der höchsten Extase am Ende die Gemeinheit zur Hülfe, und mit Ermüdung und Ekel wendet man sich von dem ab, was Schönheit war oder werden konnte. Aber die besten Köpfe des Zeitalters standen unter dem magischen Zauber dieser Erscheinung. 3

Dieser deutsche Gongorismus überbot sich noch in den Nachahmern, unter denen Heinrich Anselm [301] von Ziegler und Kliphausen obenan stand. Seine Asiatische Banise oderblutiges und doch muthiges Pegu (1690.) veranlaßte zu seiner Zeit eine ganze Banisen-Literatur von Seiten- und Gegenstücken. Ziegler war ein phantasiereicher und feuriger Kopf, aber seine verwilderte Einbildungskraft ging mit ihm durch, und jagte sich in ungeheuern und beispiellosen Erfindungen umher. Seine phantastische Prosa, die noch einen Beigeschmack von Sentimentalität annahm, steht der Würde und Gemessenheit der lohenstein'schen weit nach, auch ermangelt er der Sprachreinheit seiner Schule. Nicht geradezu einen Nachahmer dieser Manier kann man den Herzog Anton Ulrich von Braunschweig nennen, der durch seinedurchlauchtigste Syrerin Aramena und seine römische Octavia, das eine in fünf, das andere in sechs Bänden, das leselustige Publicum gewaltig electrisirte. Er hatte sich allerdings nach Hoffmannswaldau gebildet, aber die Sprache seiner Romane ist einfacher, naiver, gehaltener, seine Darstellung verirrt sich weniger weder in barocke Ausgeburten, noch in [302] unsittliche Anspielungen. Natur und gesunde Wirklichkeit ist auch in seinen Erfindungen nicht zu suchen, doch haben die genannten Romane eine moralische Bedeutung für ihre Zeit gehabt. Sie machten Mustertendenzen anschaulich, predigten Menschenkenntniß und Weltklugheit, und trugen zur Vermittelung der Gesellschaftskreise bei, indem sie Bilder des Hoflebens in die Interessen der deutschen Lesewelt brachten, wie auch dadurch, daß ihr Verfasser ein deutscher Fürst war, der sich eifrig mit den literarischen Dingen zu schaffen machte.

Die Romanenliteratur der damaligen Zeit ruhte in Erfindung und Behandlung vornehmlich auf dem französischen Geschmack von Scudéry und Calprenéde. Der Geschichte der Romane muß es vorbehalten bleiben, die einzelnen hiehergehörigen Erscheinungen näher zu schildern. Der Wirkung des Romans auf den geselligen Ton und Lebensverkehr stand hier die allzu fremdartige Verkünstelung und Unnatur der Sprache entgegen, und es ist interessant zu hören, was ein scharfkritisirender Zeitgenosse, Gotthard Heidegger, in der Vorrede zu seiner Mythoscopia romantica, worin er [303] von den Romanen handelte 4, über die Schreibart dieser Productionen bemerkt: »Wenn aber die vielfeltige Gottlosigkeit, so sich in den wollüstigen Romanen befindt, unsre heutige Esprits Forts nicht hindert, so nimmt mich nur Wunder, wie sie es machen, daß sie die schulerische, weibische Alamoderey der Worten und Styli, so durchgehends in den Romanen zischet und rauschet, übertragen und verdawen können. Ob sie so thöricht sein können, daß sie vermeinen, die Rede habe andre Zieraten als verständliche Flüßigkeit. Was könnte abscheulicher lauten als theils deutsche Romanen, da z.E. »Einer unter den dichten Fichten die Ruhe lächzenden Glieder ausdehnt«; item »da man die Kleider arm und die Bethe reich macht« (wenn man schlafen geht); item »da die klare Darthuung zu Tag steht«, (wenn eine Sache offenbar ist); item, »da gar zu viel vorlustige Bezeigung auf eine Fehllust hinauslauft«, und dergleichen halb zauberisch lautende Redensarten mehr. Dahin gehören die abenteuerlichen neuen Wörter, [304] damit sie unsere Sprache bereichern. Mein Temperament ist auf sauber deutsch meine Mengart; das Fenster ein Tagleuchter; ein Rival ein Sammthoffer; ein Steuerruder ein Schiffzaum; der Wein verfault Wasser in Rebholz u.s.w.« –

Der phantastischen Welt der Romane, in der die durchlauchtigste-Syrerin, das Fräulein Valiska, und Herkules und Herkuladisla so wunderbar hausten, stand die Wirklichkeit wie verlassen von der Poesie gegenüber. Der eigentliche Reiz dieser Romane war das Unmögliche, das gar nicht Existirende, sowohl in Gestalten wie in Ereignissen, und die Deutschen des siebzehnten Jahrhunderts hatten ihr Vergnügen daran, diese Abenteuer eines in die blaue Luft hineinsegelnden Lebens mitzuträumen. Das Wirkliche in diesem Jahrhundert war das Wüste und Unbehagliche, ein Getümmel von feindlichen Bildern, dem man zu entfliehen suchte, und so setzte man sich diese wesenlosen Gestalten einer romanhaften Weltordnung zusammen und bevölkerte magisch die fernen Räume hinter den Bergen. Dies verworrene Jahrhundert war gänzlich ohne Ideale. Sein Zerfallensein mit der [305] Wirklichkeit führte es nicht auf eine ideale Welt, sondern auf eine phantastische hin, zu neuer Verwirrung der Lebensanschauung. Statt der Ideale, welche doch wieder nur eine Wirklichkeit erzielen, geriethen die Deutschen auf Phantasmagorieen, mit denen sie sich in bändereichen Romanen ihre Sehnsucht nach den bessern Zuständen hintäuschten. Dabei konnte sich die Sprache der Wirklichkeit, die schöne Prosa der Gegenwart, nicht bilden, sondern verzerren, und indem sie Lebensbildern diente, die niemals vorhanden waren, wurde sie selbst zu einer gaukelnden Phantasmagorie. Unter solchen Umständen sind einige Erscheinungen höchst merkwürdig, welche sich an die heimathliche Wirklichkeit dieses Jahrhunderts zu lehnen suchten. Der berühmte Roman vom Simplicissimus, den ein Musketier des dreißigjährigen Krieges, Samuel Greifensohn von Hirschberg, mit frischem Soldatensinn verfaßte (Mömpelgart, 1669.), behauptet in diesem Sinne seinen eigenthümlichsten Werth. Hier erhob sich ein keckes Sittengemälde auf dem nächsten Grund und Boden der Gegenwart, und trat der erträumten und fremdartigen Romanenwelt mit einheimischen [306] Elementen gegenüber. Die Phantasie wurde in diesem Roman mitten in die Geschichte des Tages versetzt, der Held ist ein Abenteurer, der nicht mit Luftgebilden, sondern mit den Formen der Wirklichkeit sich herumschlägt, und wenn es auch bizarr und seltsam hergeht, so soll damit gerade das Leben und die Zeit, wie sie sind, geschildert werden. Demgemäß näherte sich auch die Sprache dieses Simplicissimus dem wirklichen Leben an, und war, bei aller ihrer schalkhaften und possirlichen Färbung, unvergleichlich vernünftiger, als die Sprache der phantastischen Romane. Das kurzweilige Buch bürgerte sich auf lange Zeit bei der deutschen Lesewelt ein und pflanzte sich in unzähligen Nachbildungen und Fortsetzungen fort. – Auf einem andern Gebiete ist der gelehrte und weltkundige Adam Olearius zu nennen, der in seiner orientalischen Reisebeschreibung die prosaische Darstellung für die Anschauung des Wirklichen bildete. Er schrieb die Geschichte der bekannten Reise nach Persien, die er mit der holsteinischen Gesandtschaft unternahm, und der auch der Dichter Flemming folgte. Seine Darstellung hält sich auf [307] eine merkwürdige Weise frei und rein von aller Manier seiner Zeit, sie hat einen natürlichen Fluß, männlichen Ton und Bestimmtheit, ohne weder der Genialthuerei auf der einen, noch der Pedanterie auf der andern Seite zu verfallen. Später übersetzte er auch das Gulistan des persischen Dichters Saadi und Lokmans Fabeln, und verpflanzte dadurch zuerst einige Blüthen der morgenländischen Diction in die deutsche Sprache. Jene Seite aber, das Interesse am Reiseleben, das er durch seine damals vielverbreitete Darstellung in der Zeit erregte, setzte sich erst zu Anfang des folgenden Jahrhunderts in den zahllosen Robinsonaden fort, die seit Defoe's Robinson Crusoe auch Deutschland in allen Gestalten überschwemmten, und worin sich wieder abenteuerliche Wirklichkeit mit dem Phantastischen mischte!

Die merkwürdigste Mischform des ganzen Jahrhunderts ist Abraham a Sancta Clara, in dem sich alle Elemente des Wirklichen und Phantastischen seiner Zeit zu einer originellen und halbwahnsinnigen Gestalt verkörperten. Geyler von Kaisersberg und Fischart schienen in diesem wiener [308] Hofprediger wieder auferstanden. Seine Predigten und Possen sind noch so wenig in Vergessenheit gerathen, daß man heut nur seinen Namen zu nennen braucht, um ein allbekanntes Charakterbild damit auszudrücken. Er kannte die Welt, die Verhältnisse, das Volk, die Großen, und seine Darstellung legt mit ihren tausendfältigen Anspielungen, Gleichnissen und Beobachtungen das merkwürdigste Zeugniß davon ab, aber er kleidete Alles zu abenteuerlich in die Hanswursttracht ein und setzte ihm die Schellenkappe auf, wodurch oft seine schönsten Gedanken wieder in eine burleske Phantasmagorie zerrinnen. Seine Sprache ist der Tummelplatz aller Elemente dieser Zeit, ein wirres Schneeflockengewühl von Wörtern und Bildern, ein tumultuarisches Lager mit wüstem Soldatenlärm, romantischen Waldhornsklängen, Kapuzinerweisheit und Marketenderwitzen, und hinter allem durcheinanderschmetternden Getöse oft ein zartes und liebliches Gemüth verborgen. Der satirische Genius dieses Jahrhunderts brauchte so starkes Nießwurz, um das apathisch gewordene Volks- und Familienleben gewaltsam aufzuschütteln. Die Satire mußte in dieser [309] ganzen Zeit mehr einen fanatischen Besserungseifer als einen humoristischen Ton zeigen, weil die Stoffe, die sich ihr aus dem Charakter des Tages entgegenboten, zu roh, unbändig und gemein waren, um durch ein feineres satirisches Gift, mit Kunst und Grazie, auf sie wirken zu können. So stimmte auch der träumende Spötter Moscherosch, in seinen wunderlichen und wahrhaften Gesichten Philander's von Sittewald (Straßburg 1650), die er nach den Sueños des Quevedo originell bearbeitete, mehr eine strafende und ernstgrollende Satire an, als daß er auf die Lachlust damit gewirkt hätte. Sein Buch ist für die Sittengeschichte in den Jahren des dreißigjährigen Krieges, für die Schilderung der Soldatengräuel des damaligen Deutschlands, in manchen Partieen von culturhistorischer Wichtigkeit. Sonst traf dieses Mitglied der fruchtbringenden Gesellschaft im Ganzen mehr den Ton der gebildeteren und eleganteren Lebenskreise, als der Pater Abraham, und zeichnete diese in ihren Thorheiten mit seiner scharfen Beobachtung und Menschenkenntniß ab. Seine Prosa ist reich an körnigen Ausdrücken und piquanten [310] Antithesen, aber eigentliche Bildung und Charakter des Stils gebrechen ihm. Er verliert sich in gelehrte Witzeleien und Wortspiele, und Manches an seiner Schreibart würde man heutzutage für Pedanterie halten, wo er selbst der Pedanterie spottet. Ihm verwandt ist der Satiriker Joh. Balthasar Schuppius, der in seinen »Lehrreichen Schriften« (Frankf. a.M. 1684. 8. 1462 Seiten) besonders manche magisterhafte Richtungen der Zeit und der damaligen Gelehrsamkeit lustig, und in einer zwar nachlässigen, aber doch frischgefärbten Schreibart, verhöhnte. 5 Seine ernsthaften Schriften sind pedantisch genug, um seinem eigenen Spott anheimfallen zu können. –

Fußnoten

1 Vgl. ein Verzeichniß der in dieser Zeit neuaufgekommenen Wörter aus Schottel und Opitz in Heyse's deutscher Grammatik, fünfte Auflage, S. 68.

2 Man höre, was ein Zeitgenosse, der Satiriker Johann Balthasar Schuppius, in seinem »deutschen Lehrmeister, oder Discurs von Erlehrnung und Fortpflanzung der freyen Künste und Wissenschaften in teutscher Sprache« über diese Bestrebungen der deutschen Gesellschaften sagt: »Die hochlöbliche fruchtbringende Gesellschaft laße ich nach Standesgebühr salutiren, und sagen, daß ich dafür hatte, daß die Intention der hochlöblichen Stiftern dieser Gesellschaft gut gewesen sei; allein sie sollen selbst erwegen, ob die Mittel, die sie bisher gebraucht haben, die deutsche Sprache zu befördern, allenthalben dienlich seyn. Der dapfere Kriegsheld, der von N., hat seinen Esprit genugsam an Tag gegeben in Versezung des verfolgten David's und andern Schriften. Allein, daß er alle fremde Wörter, welche die Bauern nicht mehr für fremd halten, hat wollen deutsch geben, darüber hab' ich oftmals unter dem Lesen den Kopf geschüttelt. Unter Anderm nennet er sich an einem Orte Obergebietiger in Rostock. Wenn ich damahls alle Bauern in Mechlenburg gefragt hätte: wer ist Obergebietiger in Rostock? so würde es mir ergangen sein, wie jenem Superintendenten, der einen einfältigen Schulmeister fragte: wer der Kinder Noah Vater gewesen? – Ich versichere meinen hochgeehrten Herrn, daß darinn die Zierlichkeit der deutschen Sprache nicht bestehe, und wenn sie auch schon darinn bestünde, so frage ich die hochlöbliche fruchtbringende Gesellschaft, was mit diesen grammaticalischen Dingen, sonderlich mit der deutschen Orthographia, damit sich etliche Leute wollen groß machen, dem römischen Reich und der deutschen Nation gedient sey? Ich frage, wie die alten Deutschen geredet haben zu der Zeit, als Kayser Carol der Große das Schwerdt in Händen geführet und die Sachsen bezwungen hat? Im Hessenland ist ein Procurator gewesen, genannt der dicke Lorenz, welcher sich der Zierlichkeit im deutschen Reden sonderlich hat befleißigen wollen. Einsmals hatte er zu seinem Jungen sagen wollen: Jung, hole mir mein Messer. Damit er nun kund mache, daß ein Unterschied sei zwischen ihm und einem gemeinen Hessischen Bauren, hatte er gesagt: Page, bringe mir mein Brodschneidendes Instrument. Einsmals hatte er zu seiner Frauen sagen wollen: Frau, es hat neun geschlagen, gehe zu Bethe, ich habe noch etwas zu thun. Damit nun die Frau wiße, daß er ein Hessischer Cicero sei, hatte er gesagt: Du Helffte meiner Seele, du mein ander Ich, meine Gehülfin, meine Augenlust, das gegoßne Erz hat den neunten Ton von sich gegeben, erhebe Dich auf die Säulen Deines Cörpers und verfüge Dich in das mit Federn gefüllte Eingeweyde.«

3 Selbst der einfache Canitz singt:

»Durch Opitz stillen Bach gehn wir mit trocknen Füßen.

Wo sieht man Hofmanns Brunn und Lohn steins Ströme fließen?

Und nehm' ich Bessern aus, wem ist wohl mehr vergönnt,

Daß er den wahren Quell der Hippokrene kennt?« –

4 Zürich, 1698.

5 S. Auszüge aus diesem wenig gekannten Schriftsteller in L. Meister's Beiträgen zur Geschichte der teutschen Sprache und National-Literatur, Thl. I. S. 344 fgde; vgl. Flögel's Geschichte der komischen Literatur, Thl. III. S. 419.

[311] 7.

Das achtzehnte Jahrhundert begann mit einer rationalistischen Aufklärungsperiode für den deutschen Stil. Es war Frieden im Lande, die Gespenster des Kriegs- und Soldatenlebens waren von den deutschen Fluren gewichen und man begann das erschütterte Dasein einen Moment lang wieder einzurenken in regelrechte Formen. Die Verwilderung und Ordnungslosigkeit aller Zustände des abgelaufenen Jahrhunderts suchte nun den Gegensatz einer correcten und musterhaften Existenz in allen Dingen zu erreichen. Mit der Wohlhabenheit des Friedens erwachte wieder die Bequemlichkeit, der Genuß, und der Antheil an den Musen, soweit derselbe nicht etwa zu einem unbequem fallenden Pathos oder in die höheren Regionen führte. [312] In dieser Zeit kam das Sprüchwort in Deutschland auf, daß Ruhe die erste Bürgerpflicht sei. Die Cabinete gruppirten sich in den Constellationen des politischen Gleichgewichtssystems, in der Kirche schwiegen einen Augenblick die katholischen und protestantischen Antipathien, und die allgemeine Weltanschauung war durch die wolfische Philosophie nicht minder zu einer ersprießlichen Schwebe, zu einer gesunden Diät des menschlichen Geistes angeführt. Ordnung, System, Verstandesklarheit, wurden die höchsten Begriffe und Potenzen des Lebens, Alles was man fühlte und dachte mußte fortan Methode haben, und dann war man sicher vor den Gefahren und Abgründen, denen die regellose Willkür des Genies zutaumelt. Es schien, als hätte die Furcht vor dem Geist der Unordnung, dem das siebzehnte Jahrhundert erlegen war, um den Anfang des achtzehnten diese Epoche der Correctheit in den Gemüthern heraufgebracht. In der Literatur war auf die kommende Erscheinung Gottsched's schon durch die Männer der sogenannten galanten und geistlosen Partei, die ihr Wesen vornehmlich in Hamburg und Niedersachsen [313] trieben, wie prophetisch hingewiesen worden. August Bohse und Hunold, die unter dem Namen Talander und Menantes schrieben, der Licentiat Postel und einige Andere, waren die ersten seichten Aufklärer der deutschen Diction, indem sie rückgängige Bewegungen aus der Hoffmannswaldau-lohensteinschen Manier in die nüchternste, aber galant sein sollende Correctheit unternahmen. Diese Schriftsteller, die eine Unzahl von Romanen, Gedichten und Theaterstücken zu Tage förderten, waren die ersten Typen industriöser Vielschreiberei in Deutschland. Sie kamen aus der Hoffmannswaldauschen Schule her, bekannten sich auch noch als Anhänder derselben, und legten für ihren Meister, in dem lächerlichen Federkrieg mit dem Epigrammatisten Wernike, eifrigst ihre Lanze ein, aber sie rühmten es sich zugleich nach, die Ueppigkeiten des Hoffmannswaldau-Lohensteinianismus auf das vernünftige Maaß der opitzischen Correctheit wieder zurückgeführt zu haben. Im Grunde aber war es die abgestandene Neige dieser Manier, die sie auf sorgfältig gepfropfte Flaschen zogen und als unschädlich gemachte Essenzen zur Blutreinigung feilboten.

[314] Als der größte Reiniger erschien aber bald nach ihnen der vielverspottete Gottsched, mit seiner ebenso correcten als tugendhaften Frau, Louise Adelgunde Victorie Gottsched. Dieses literarische Ehepaar und die deutsche Gesellschaft in Leipzig bezeichneten eine neue Epoche des Geschmacks, die nur durch die Gegenbewegungen, welche sie erregte, bedeutend und folgereich wurde. Gottsched ließ sich nicht erst mit wohlmeinenden Verbesserungen des Gongorismus seiner Zeit ein, sondern eröffnete sich seine Bahn durch eine nachdrückliche Polemik gegen die hoffmannswaldausche Manier, womit er in seinen Vorlesungen zu Leipzig debütirte. Die Pleißestadt wurde nun der Mittelpunct der correcten Literatur, mit der es Gottscheden ein bitterer Ernst war. Man kann ihm eine gewisse Größe der Persönlichkeit nicht abläugnen, wenn man bedenkt, welche Ausdauer, Charakterfestigkeit, Consequenz und Gelehrsamkeit er an die Aufgabe setzte, das ganze poetische Herz und Gemüth der Deutschen zu einer fehlerfreien Rechenmaschine abzurichten. Seiner Pedanterie, muß man sagen, fehlte es nicht an Begeisterung und Heroismus, um unerschrocken, [315] unter tausend Anfechtungen des beleidigten Nationalgefühls, das vorgenommene Werk durchzuführen. Das Revolutionstribunal der Correctheit, das er in Leipzig aufgeschlagen hatte, wirkte durch den Terrorismus der Richtigkeit gewaltig genug in die Nähe und Ferne. Unter Allen, die in seiner Manier geschrieben haben, war er selbst unstreitig der Genialste, und malte hübschausgeschnittene Frostblumen an den Fenstern des Kerkers, hinter dem er die deutsche Poesie gefangen hielt. Mit Schaudern überblickt man die Verheerungen, welche hier der gesunde Menschenverstand anrichtete, indem er durch sich allein zu schaffen wähnte. Gottsched war ein Wolfianer, und hatte aus dieser Schule die kategorische Behandlung der Sprache, die besonders auf die reine, deutliche und logisch bestimmte Fassung der deutschen Prosa von Einfluß gewesen war, in die Literatur mitgebracht. Sein Irrthum bestand nur darin, daß er diese Prosa, in der eine formalistische Philosophie ihr abstractes und körperloses Leben abprägte, für das Ideal ansah, nach dem auch die Poesie Deutschlands geregelt werden müsse. So gründete Gottsched gewissermaßen [316] eine neue Einheit von Poesie und Prosa, indem er Alles prosaisch machte, was bisher in der deutschen Sprache poetisch gewesen war, und jede Eigenmächtigkeit der dichterischen Diction, der Wortstellung, Inversionen und Machtwörter mit Todesstrafe belegte. Alle Bäume und Gesträuche, oder was den ernsten Mann sonst durch Laubschatten, Blüthenduft und romantisches Gesäusel geniren konnte, hieb er nieder, und machte aus dem Dichterwald eine Landstraße, auf welcher der breitspurige Postwagen der gottschedischen Muse sicher einhertrabte, seine bestimmt abgemessenen Stationen einhielt, und zur richtigen Stunde an seinem Ziel anlangte. Nachdem er dies undankbare Werk, Alles zu ebenen und richtig zu machen, vollendet, vergriff er sich aus Correctheit auch am Hanswurst, den er auf dem deutschen Theater nicht länger leiden mochte, und die Truppe der Madame Neuber in Leipzig half damals seine Pläne verwirklichen, nur correcte und hanswurstlose Stücke, wie sie Gottsched und seine Gattin meistentheils nach dem Französischen in ehelicher Gemeinschaft verfertigten, aufzuführen. Es war wahrlich schade um Louise Adelgunde Victorie, [317] daß sie an Gottsched gerathen war! In ihr schlummerte mehr Poesie, als Gottsched an seiner Seite vertragen konnte, wie ihre nach ihrem Tode erschienenen Briefe beweisen, welche ein liebenswürdiges, feines, kluges, wißbegieriges Gemüth abspiegeln, und als Briefton aus damaliger Zeit trefflich genannt zu werden verdienen 1. Aber Gottsched, der sie in Danzig kennen gelernt hatte, als sie noch kaum sechszehn Jahre zählte, leitete sie früh zur Correctheit an, er nahm ihren für damalige weibliche Bildung ungewöhnlich regsamen Geist in seine Schule, und zog, nachdem er sie geheirathet, die erste Gottschedianerin aus ihr. Sie wetteiferten nun Beide in einer musterhaften aber unfruchtbaren Ehe mit einander in der Correctheit, wie sehr auch gerade die Correctheit sie hindern mochte, sich herzinnig zu lieben.

Aber auch Gottsched's Verdienste, namentlich die Reinheit seiner Diction, mit der er sich der Sprachmengerei gegenüberstellte, dürfen nicht übergangen[318] bleiben. Herder, in den Fragmenten zur deutschen Literatur, nannte ihn in dieser Beziehung einen ruhmwürdigen Goldfinder (nach der Bedeutung dieses Wortes im Englischen), der den Stall des Augias mit herkulischer Hand durchwässert und gereinigt habe. Seine bedeutende Kenntniß der altdeutschen Literatur muß jedoch Gottscheden eher zur Schmach, als zum Ruhme gereichen, wenn man bedenkt, daß er, im Besitz dieser alten Schätze, wie ein blödsinniger Geizhals lieber Hunger dabei litt, als sie für den Gebrauch des Lebens nutzbar und flüssig zu machen. Hierin ließ er gerade seinen Gegnern, den verdienstvollen Schweizern Bodmer und Breitinger, eine Waffe in den Händen, mit der sie den Sieg über ihn davontrugen.

Diese Schweizer führten den Kampf gegen das gottschedische Geschmacksverderben mit ebenso viel Patriotismus, als geistiger Ueberlegenheit der Kriegführung. Von den ältern deutschen Sprachdenkmälern, von denen Gottsched nur Sammlungen, aber im gottschedischen Sinne veranstaltet, machten sie den wirksamsten Gebrauch gegen Gottsched [319] selbst.Bodmer studirte eifrig und mit Lust die alte, herrliche Sprache der Minnesänger, und stärkte das ermattete Nervenleben der deutschen Diction an diesen Urquellen des schwäbischen Zeitalters. Dazu fügte er die hochtönende Dichtersprache Miltons, und übersetzte das verlorene Paradies, um die Hülfstruppen der englischen Poesie gegen die französische und gottschedische Correctheit ins Feld zu stellen. Gottsched fragte freilich auch nach Milton nichts, und erklärte ihn von Leipzig aus in den Bann, sowie er sich auch über das Wunderbare in der Poesie, worüber Bodmer zur Rechtfertigung Miltons geschrieben, gravitätisch lustig machte. Er wollte auch die Teufel und Dämonen austreiben aus der deutschen Darstellung. In diesem Streite der beiden Parteien, der nun in helle Flammen ausbrach, glaubte Gottsched, auf seinen Professor Schwabe und seinen Doctor Triller gestützt, der ganzen Welt trotzen zu können. Aber Bodmer war ein heiterer und zugleich stahlgewappneter Mentor seiner Zeit, der sich, ungeachtet der Blößen, die seine eigenen Mängel darboten, nicht aus der Fassung bringen ließ, und mit klarem und scharfem Auge [320] das nothwendige Erneuerungswerk der deutschen Poesie erkannt hatte. Er steht vor der Sonnenwende dieser neuen Periode, wenn auch nicht als ein Kriegsgott, doch als eine anregsame polemische Gestalt da, die wetterleuchtend die neuzubetretende Bahn bezeichnete. Ihn unterstützte sein Freund und Mitarbeiter Breitinger durch ästhetische und philosophische Untersuchungen, besonders in seiner kritischen Dichtkunst, auf eine bedeutende Weise. Breitinger war ein scharfsinniger, gelehrter und gemüthlicher Mann, der nicht die joviale Keckheit der Bodmerischen Polemik an den Tag legte, aber dafür gründliche und geläuterte Beobachtungen anstellte, in einer Sprache, die meistentheils reiner und gediegener ist, als die Prosa Bodmer's, der sich in seinem Eifer oft nicht Zeit ließ, gut zu schreiben. Breitinger machte in seiner Poetik treffliche Bemerkungen über Sprache und Stil, namentlich über den Gebrauch der Kraft- und Machtwörter, die durch die Pedanterie der Gottschedianer, mit Ausnahme etwa der für ihre Polemik brauchbaren Kraft- und Schimpfwörter, fast gänzlich aus der deutschen Diction vertrieben waren. [321] Die ersten Schwalbenvorboten der schönern Poesie ließen sich auch schon in Haller und Hagedorn vernehmen. Die charaktervolle Sprache des ernsthaften Haller tönte für sich allein, unbekümmert um die Manieren und Parteien ihrer Zeit, und erhob in ihrer harten aber gedankenkräftigen Weise die Gemüther zur Anschauung der moralischen Weltordnung, die sich freilich auch oft mit juvenalischer Bitterkeit bei ihm ausmalte. Seine eigenthümliche, energische Behandlung der deutschen Diction belebt auch die Prosa in seinen drei politischen Romanen, Usong, Alfred und Fabius und Cato, welche, wenn auch nicht Schönheit, doch Reinheit und feste, gediegene Haltung verräth. Was in Haller das gesunde und wohlthätige Element inmitten der Verschrobenheiten seines Zeitalters ausmacht, ist einmal die Naturanschauung, die, wenn auch mit moralischen und didaktischen Tinten versetzt, doch mit frischen Lebensfarben bei ihm heraustritt, und dann ein edler kernhafter Menschensinn, erhellt durch großartiges Wissen und Denken. Leichter bewegte sich der elegante Hagedorn, in seinen Liedern den Lebensgenuß singend. Er wirkte durch seine epikuräische [322] Grazie verfeinernd auf den Geschmack, und erweckte den Sinn für Anmuth und Scherz, soweit es zu einer Zeit, die einen Gottsched hatte hervorbringen können, nur irgend möglich war. Indeß nicht bloß diese zarten Vogelstimmen der Lyrik deuteten auf die kommende bessere Zeit, auch die Satire nahm ihr altes Recht wahr, die Pedanterie zu geißeln, und durch die Carikatur auf das Ideal hinzudeuten. Der übermüthige Poet Rost schien vom Schicksal dazu ausersehen, Gottscheden das Leben sauer zu machen, sowohl durch die Epistel des Teufels an Gottsched, die durch eine getroffene Veranstaltung dem Letztern auf einer Reise bei jeder Station, wo er verweilte, überreicht wurde, als durch die satirische Epopöe das Vorspiel, die zu dem Witzigsten gehört, was in dieser Gattung die deutsche Literatur hervorgebracht. 2 Auch Liscov, der größte Satiriker des achtzehnten Jahrhunderts, der seinen ätzenden ironischen Genius in einer vortrefflichen Prosa leuchten ließ, kehrte [323] seine gefährlichen Waffen gegen den schlechten Geschmack. Niemals hat Gott für elende Schriftsteller eine größere Plage geschaffen, als diesen unerbittlichen Geist, der sich seine Opfer nur in der Literatur suchte und so grausam war, einen »gründlichen Erweis der Nothwendigkeit und Vortrefflichkeit der elenden Scribenten« zu schreiben. Mit hohnlachendem Jubel schwingt er das Panier seines Spottes und saugt sich wie ein Vampyr an das bloße Fleisch seiner Gegner an. Dann ruht er nicht eher, als bis er die Leiche vor sich liegen sieht, und verläßt sie mit einem unangenehmen Lächeln. Dabei schrieb er selbst so vortrefflich, in einem kurzen, correcten, nachdrücklichen Stil, daß ihm Niemand etwas anhaben, noch sich darin mit ihm messen konnte. Hätte er das ganze Feuer seines Witzes, das er gegen einen Magister Sievers und Professor Philippi abbrannte, concentrirt, um einem Gottsched, dieser seltenen Gestalt der Satire, eine ewige Beleuchtung für die Nachwelt zu geben, so würde er sich damit ein dauerndes Kunstverdienst erworben haben, statt daß seine pamphletartigen Schriften bald die Vergessenheit überdeckte. [324] Doch zucken auch viele Anflüge feiner und ächter Ironie um seinen Mund, merkwürdig in einer Periode, wo Sulzer in seiner Theorie der schönen Wissenschaften für das Wort Ironie noch keine eigenthümliche Bezeichnung kannte, sondern bloß Spott dafür setzte. –

Alle diese durcheinanderflackernden Lichter und Streifen am Literaturhimmel waren Zeichen, aber sie konnten noch nichts erfüllen. Der productive Genius, der sich jetzt des günstigen Zeitpuncts bemächtigen mußte, um neue Nationaltypen für Sprache und Geschmack hinzustellen, erschien in Klopstock, welcher der eigentliche Eroberer und Schöpfer der modernen Dichtersprache in Deutschland wurde, Eroberer, weil er die engen Gränzen erweiterte, welche ihm die Sprache seiner Zeit vorhielt. Was Opitz als verständiger Reformer begonnen hatte, vollendete Klopstock als umwälzendes Genie, auf einer tiefern und umfassendern Grundlage. Er ist das Genie der Sprache in diesem Jahrhundert, und wirkte nicht so sehr durch das Innere seiner Poesie, als durch die Formen derselben, mit durchgreifender Schöpfermacht. Klopstock [325] tränkte seine Diction zuerst an den altdeutschen Quellen, besonders auch an Luther, und vermittelte dann durch eine etwas mühsame, aber feinsinnige und geistvolle Combination die deutschen Elemente mit den römischen und griechischen Sympathieen unserer klassischen Bildung. Diese aus modernen und antiken Vortheilen und Schönheiten combinirte Diction brachte er in einen kunstvoll berechneten Guß, und machte sie flüssig mit einer originellen Begeisterung, der an Ursprünglichkeit des Lebens und der Anschauung nichts fehlte. Aber wenn man das Wirken der andern Geister, die bald gleichmächtig neben ihm aufstanden, mit dem seinigen vergleicht, so ist es immer nur die Sprache seiner Zeit, die Klopstock vorzugsweise beherrschte, während Andern die Aufgabe zufiel, die Gesinnung, die Weltbildung, die Humanität und das Urtheil ihres Jahrhunderts neuzugestalten. Klopstock hatte herrliche Gefühle, ein reiches Dichterherz für Liebe und Freunde, schöne große Gedanken über Natur und Gott, doch brachte er es mit Allem diesen nur zu einem musikalischen Effect, zu einem tönenden Meisterstück der Sprache. Die Thränen, [326] welche Schmerz, Liebe und Andacht bei ihm ausströmen, erstarren ihm unter den Händen zu Crystallen und Perlen, aus denen sich funkelnde Kränze zusammensetzen, und mitten in der hingerissenen Bewegung fängt man an, mit diesen schönen Steinen seines Gefühls zu spielen, oder sie wie kostbare Schmucksachen zu behandeln.

Aber die Wirksamkeit dieser Sprache war gewaltig und beispiellos, und zeugte neues Leben in der ganzen Literatur. Die correcte Literatur hatte seit Opitz in der Trittmühle des Alexandriners am sichersten und regelrechtesten gearbeitet. Klopstock schlug durch seine polymetrische Behandlung der deutschen Sprache den Weg zu ihrer Umwandelung ein. Die Anwendbarkeit unserer Sprache auf den polymetrischen Numerus der griechischen und römischen keck voraussetzend, ließ er die deutsche Natur voll Begeisterung in diesen fremden Bewegungen walten. Zwar war er in der kunstreichen Bildung des Hexameters, durch den er die Alexandriner verdrängte, nicht um Vieles glücklicher, als seine übrigen Zeitgenossen, die darin mit den Quantitätsfähigkeiten der deutschen Sprache dilettirten, [327] denn das antike Gesetz der Quantität spielte auch in Klopstocks Hexametern eine schlechte Rolle. Aber das Neue waren hier weniger die Formen, als vielmehr die Diction, welche eigenthümlich an diesen Formen entstand, sowohl unter der Bedingung des Hexameters, als durch die hochfliegenden Sylbenmaaße der Oden, deren er zum Theil eigen erfundene, aber im antiken Sinne schuf. Herder bekämpfte zwar in seinen Fragmenten zur deutschen Literatur die Meinung, als eigene der polymetrische Charakter jener alten Sprachen der Deutschen natürlich, aber er erklärte sich zugleich gegen die Literaturbriefe, welche mehrere selbstgebildete Sylbenmaaße Klopstock's nur für »künstliche Prosa« gelten lassen wollten. Herder verglich diese klopstock'schen Erfindungen mit dem Numerus der Hebräer, und wollte sie eher die »natürlichste und ursprünglichste Poesie« genannt sehen. Es mochten freilich im damaligen Publikum, eben wie im jetzigen, die Leute zu zählen sein, welche ein Odenmaaß, wie:


–– –– –– –– ∪ –– ∪ ∪ –– ∪

Weht sanft, auf ihren Grüften, ihr Winde!

∪ –– ∪ ∪ –– ∪ ∪ ––

Und hat ein unwissender Arm

[328]

∪ – ∪ – ∪ –– ∪ –– ∪ –– ∪

Der Patrioten Staub wo ausgegraben,

∪ –– ∪ ––

Verweht ihn nicht!


anders denn als Prosa zu lesen verständen, da mehrere der lang angenommenen Sylben ebenso gut kurz gebraucht werden könnten, und umgekehrt. Auch hatte Gottsched seinerseits den Unterschied des Hexameters von der Prosa nicht einsehen können, was denn von dem Patriarchen der leipziger Correctheit nicht zu verlangen war, der sich schon deshalb mit der Messiade nicht einlassen konnte, weil auch Klopstock zu den Füßen Bodmer's gesessen hatte. Unter Denen aber, welche für Klopstock Partei ergriffen, befanden sich auch die Wolfianer, und der bekannte wolfische Vielschreiber G.F. Meier in Halle schrieb eine Beurtheilung der Messiade, die er einzeln erscheinen ließ. Denn obwohl Gottsched an der wolfischen Philosophie seinen Geist und seine Absichten genährt, so hatte diese Schule sich doch keineswegs mit ihm verschworen, und selbst seine Gegner, wie Breitinger, standen ihm mit wolfischen Ideen, die Kritik der Poesie darauf begründend, gegenüber. Gottsched konnte sich nicht mehr retten, noch half es ihm, seine Ohren zuzuhalten, [329] denn rings um ihn her summte und brauste es bald allgemein von antiken Versmaaßen und hochpoetischen Redensarten. Junge Prediger und Candidaten der Theologie hielten hier und da ihre Predigten sogar in Hexametern ab, und brachten Klopstock's Pathos und Odenschwung mit auf die Kanzel. Es war eine Bewegung entstanden, die national genannt werden mußte. –

Klopstock's poetischer Stil ist eine kunstvolle Vereinigung aller sinnlichen und geistigen Elemente der Sprache. Sein großer Takt, Bild und Gedanke in ein gleichberechtigtes Verhältniß zu einander zu stellen, brachte die feinsten und originellsten Nüancen der Diction hervor, schuf Wörter und Zusammensetzungen, in denen die Grammatik nach der ideellen Anschauung sich merkwürdig formen mußte, und wirkte selbst im Kleinen und Einzelnen durch überraschende Handgriffe der Sprache, durch die Kunst der Uebergänge, durch Partikeln, namentlich aber durch die Vorsatzsylben, mit denen er seine Zeitwörter bildete. So werden durch Wörter, wie niederdonnern,herunterhallen, zujauchzen und unzählige andere, die mit antikem Anflug geformt sind, ganze Begriffe [330] plastisch vor die Anschauung geführt. Noch eigenthümlicher läßt er die Poesie in der Diction walten, indem er das Concrete für das Abstracte, und an andern Stellen auch wieder den abstracten Ausdruck für den concreten zu setzen versteht. Ferner ist seine Behandlung des ganzen Periodenbau's bedeutsam für die Sprache sowohl, wie für die Elastizität der deutschen Darstellung. Die Verschlungenheit seiner metrischen Strophen brachte ihn zu einer Verkettung der Redesätze, wie sie in dieser Freiheit und Kunstsinnigkeit bisher noch nicht geübt war, Zwischensätze, Participialconstructionen, Weglassung der Hülfszeitwörter und Pronomina, Abkürzungen und frappante Verbindungen wurden dabei ebenso kühn als wirksam benutzt, und auch die Wortstellung im Einzelnen gewann dadurch oft einen originellen Charakter. So sehr hier das Vorbild der antiken Sprachen mitwirkte, so wurde doch die Productionslust der deutschen Sprache dadurch in ihrem eigensten Grundwesen aufgeregt, und auch für ihre neue Befähigung zur Kunst der Prosa empfing sie durch diese keckpoetische Periodisirung bildende Eindrücke.

[331] Es entstand eine allgemeine Sprachgährung, unter deren bedeutungsvollen Wehen sich ein Genie nach dem andern zur Erfüllung der neuen Epoche erhob. Wieland, Lessing, Herder, Winkelmann, Goethe traten auf verschiedenen Bahnen die Mission ihres Genius an. Das Bewußtsein, in eine die ganze Nation durchdringende Bildungsepoche der Sprache mit der Productionskraft der Ideen einzutreten, erleichterte das individuelle Schaffen und deren Erfolge. Herder beschäftigte sich in seinen Fragmenten zur deutschen Literatur, die 1767 erschienen, vorzugsweise mit Bildung und Ideal der Sprache, und ruft im dritten Fragmente aus: »Unsere Sprache ist in der Zeit der Bildung! und das Wort Bildung der Sprache ist beinahe als ein Losungswort anzusehen, das heutzutage Jedem auf der Zunge ist, Schriftstellern, Kunstrichtern, Uebersetzern, Weltweisen. Jeder will sie auf seine Art bilden; und Einer ist oft dem Andern im Wege!« Wieland schlug in seiner Abhandlung über die Frage: »Was ist Hochdeutsch?« – (Werke, Supplementb. 6. S. 326.) vor: die älteren Dialekte als Gemeingut und Eigenthum der ächten deutschen Sprache [332] anzusehn und als eine Art von Fundgrube, aus der man den Bedürfnissen der allgemeinen Schriftsprache zu Hülfe kommen könnte. Ein Gedränge von neuen ausdrucksvollen Formen und Wendungen war allgemein zu sehen, selbst in den unbedeutendern Schriften. Man mußte erstaunen über Alles, was die Sprache aus ihren innersten Eingeweiden nun plötzlich herauskehrte, und was ihr doch ganz natürlich und eigen war. So hebt Petersen in seiner Preisschrift eine Fähigkeit der deutschen Sprache hervor, die in dieser Zeit besonders an ihr gepflegt und bemerkt wurde, nämlich die Erreichung eines Zwecks oder die Wirkung einer Handlung durch das bloße Verbum mit einer Präposition so stark und kurz auszudrücken, wie es im ähnlichen Fall keine andere Sprache vermöchte, z.B. Caffarelli hat sich zum Herzog gesungen, wo man fast in jeder andern Sprache umschreiben müßte: Caffarelli hat sich durch sein Singen ein Herzogthum erworben; oder, der Höfling hat sich zum Minister getanzt; der Schalk hat sich aus dem Gefängniß gelogen u.a. Diese poetische und sinnliche Stärke des Verbums, die abstracter Umschreibungen überhebt, weist auf verborgene [333] Kräfte und Mittel der deutschen Sprache hin, die ihr eine unendlich auszudehnende Gewalt der Darstellung sichern. Was unsere Sprache allein durch die Mannigfaltigkeit der Accentuation zu erreichen vermag, zeigen ganz triviale Sätze, wie sie in den Rhetoriken gewöhnlich aufgeführt werden, z.B. den Ring hat er mir gegeben, u.s.w., wo der Ton, so oft er ein anderes dieser sechs Wörter trifft, jedesmal eine völlig veränderte Gedankenreihe und Vorstellung bezeichnet.

Ueberblickt man diese Bewegungen des Jahrhunderts, so muß man mit einem seltsamen Gefühl auchFriedrichs des Großen gedenken, der noch im Jahre 1780, als er seine merkwürdige Abhandlungde la litérature allemande schrieb, sich nur von einer halb barbarischen Sprache umgeben sehen wollte, und das sprühende geistige Leben, in derselben nirgend gewahr wurde. Auf einer skeptischen Weltbildung fußend, für die der einheimische Zustand der Sprache und Literatur allerdings ungenügend und ohne Nahrung war, mühte sich der große Monarch noch am Ende seiner Tage auf eine fast rührende Weise ab, Verbesserungsvorschläge [334] für das Emporkommen seiner vaterländischen Literatur zu thun. Den ersten Anstoß nahm er an der Sprache, ihrer Rauhigkeit, und ihrer Trennung in verschiedene Mundarten, sodaß, was man in Schwaben schreibe, unverständlich in Hamburg sei u. dgl. Dabei konnte er jedoch den französischen Maaßstab keinen Augenblick fallen lassen. Er wünschte eine Art von akademischem Dictionnaire, um in einer Sammlung von ausgewählten Wörtern und Redensarten etwas Allgemeingültiges für die deutsche Sprache festzustellen. Er wußte nicht, daß die productiven Umwälzungen, welche das Deutsche allein gestalten und zu einem nationalen Canon hinführen können, bereits tiefe Wurzel im Volke gefaßt hatten. Diese Selbsttäuschung des großen Königs wurde mehr mit Schweigen als mit Klagen hingenommen, aber F.A. Wolf, der eine vortreffliche Schrift »über ein Wort Friedrichs des Großen von deutscher Verskunst« geschrieben, behauptet irrig, daß die Klagen über Friedrichs unpatriotische Sprachvernachlässigung erst dann lauter wurden, als man gelernt habe, in vernehmlicherem Deutsch zu klagen, [335] und sich nicht mehr schämen durfte, über Verachtung einheimischer Barbarei in barbarischen Tönen zu murren. Schon viele Jahre vor Erscheinen der Schrift über die deutsche Literatur hatte auch Klopstock seine Ode: Kaiser Heinrich (1764.) gesungen, und darin in seiner hochtönenden Weise fast zu hart beklagt, daß Friedrich nur


»um Gallius Pindus irrte.«


Friedrich der Große schlug in seiner Abhandlungde la litérature allemande vor, die deutsche Rede durch Uebersetzungen der Alten gedrungener und energischer zu machen. Er tadelte mit Recht die weitschweifige Schreibart der deutschen Schriftsteller und ihre Sucht, durch Häufung von Einschiebseln die Sätze in die Länge zu ziehn; am Ende einer langen Seite finde man oft erst das Verbum, auf dem der Sinn des ganzen Redesatzes beruhe; sie seien, anstatt reichhaltig und mannigfach zu sein, so gedehnt, daß man eher das Räthsel der Sphinx als ihre Gedanken errathen könne. Durch Uebersetzung des Thucydides und Xenophon, des Demosthenes, Marc-Aurel, Cäsar,[336] Sallust, Tacitus, und von den Franzosen des Rochefoucault, der persianischen Briefe, des Geistes der Gesetze, würde die Sprache genöthigt werden, alle müßigen Ausdrücke und unnützen Worte zu vermeiden; unsere Scribenten würden dann allen ihren Scharfsinn zur Zusammendrängung der Gedanken aufwenden müssen, um in der Uebersetzung die an der Urschrift bewunderte Kraft zu zeigen. Um aber die harten Laute in der Sprache selbst zu sänftigen und wohltönender zu machen, kam Friedrich auf ein gewaltsameres Auskunftsmittel, nämlich allen Zeitwörtern mit den unendlich monotonen Endungen auf – en ein A hinten anzusetzen, Sagena für Sagen u.s.w., wodurch das Deutsche allerdings zu italienischen Melodieen sich heranschmeicheln könnte. 3 Ihn wandelte freilich dabei sogleich die richtige Besorgniß an, daß, wenn auch der Kaiser selbst mit seinen acht Kurfürsten auf einem feierlichen Reichstag diese Aussprache durch ein Gesetz einführen wolle, es doch [337] aller Orten heißen möchte: Caesar non est super Grammaticos, und das Volk bei seiner hergebrachten Mundart verharren würde. Bei solchen Vorurtheilen und solchen Conflicten, in denen sein fremdgebildeter Geist zu der einheimischen Nationalsprache stand, muß man Friedrich des Großen Individualität darin erkennen, daß er nicht in deutschen Lauten seine geistigen Bedürfnisse befriedigte. Schleiermacher sagt einmal sehr treffend über die sprachliche Bildung Friedrichs: »Unserm großen König waren alle feineren und höheren Gedanken durch eine fremde Sprache gekommen, und diese hatte er sich für dieses Gebiet auf das innigste angeeignet. Was er französisch philosophirte und dichtete, war [338] er unfähig deutsch zu philosophiren und zu dichten. Wir müssen es bedauern, daß die große Vorliebe für England, die in einem Theil der Familie herrschte, nicht die Richtung nehmen konnte, ihm von Kindheit an die englische Sprache, deren letztes goldenes Zeitalter damals blühte, und die der deutschen um so Vieles näher ist, anzueignen. Aber wir dürfen hoffen, daß, wenn er eine streng gelehrte Erziehung genossen hätte, er lieber würde lateinisch philosophirt und gedichtet haben, als französisch.« 4 Das Urtheil, welches Friedrich in der Abhandlung de la litérature allemande, bei Gelegenheit des Götz von Verlichingen, über Shakespeare fällte, beweist freilich kaum die Möglichkeit einer wahlverwandten Hinneigung für das Englische. Dagegen gewährte Friedrich, wenn er auch in seinen Landen nichts für die Kunst deutsch zu schreiben that, doch Schreib- und Gedankenfreiheit, diese ersten Grundelemente alles guten Schreibens und Darstellens, und man [339] kann sagen, daß er dadurch mehr und ruhmwürdiger für das Emporkommen der deutschen Literatur gewirkt, als wenn er selbst deutsch geschrieben oder seine Besserungsprojecte mit der litérature allemande in Ausführung gebracht hätte.

Fußnoten

1 Dresden, 1771. 3 Thle. Herausgegeben von ihrer Freundin Dorothea Henriette von Runkel.

2 S. eine ausführlichere Notiz darüber in Flögel's Geschichte der komischen Literatur, Bd. 3. S. 512.

3 Oeuvres de Frédéric II. publiées du vivant de l'auteur T. 2. p. 87. (de la litérature allemande): »Il sera difficile d'adoucir les sons durs dont la plupart des mots de notre langue abndent. Les voyelles plaisent aux oreilles; trop de consonnes rapprochées les choquent, parcequ'elles coûtent à prononcer, et n'ont rien de sonore: nous avons de plus quantité de verbes auxiliaires et actifs dont les dernières syllabes sont sourdes et désagréables, comme sagen, geben, nehmen: mettez un a au bout de ces terminaisons et faites – en sagena, gebena, nehmena, et ces sons flatteront l'oreille.«

4 S. Schleiermacher's Abhandlung über die verschiedenen Methoden des Uebersetzens (in den Abhandl. der berl. Akademie 1812–13.) S. 165.

[340] 8.

Die neue Dichtersprache, welche Klopstock gegründet, suchte sich noch entschieden von dem Sprachgebrauch der Prosa zu trennen. Klopstock wollte der Prosa, die er besonders in den Grammatischen Gesprächen so originell handhabte, keine eigentlich poetischen Freiheiten weder in der Diction, noch in der Wortstellung einräumen, und schrieb mit steinernem Griffel hartkantige, aber festausgebildete Sätze. Sein prosaischer Stil hat die rauhe Größe der Wahrheit, und sieht es auf den Effect der Ueberzeugung, nicht auf den Eindruck der Schönheit ab. Diese treffliche Prosa erstarrt jedoch bald in Monotonie und Einseitigkeit, da sich der Schreibende kein subjectives Genüge, keine Befriedigung von Phantasie und Gemüth, nach Herzenslust darin verstattet. Es fehlt ihr Licht und Schatten, Luft [341] und Wärme, und man sieht zuweilen die mühsamen Wendungen, mit denen der Stilist dem Dichter aus dem Wege geht. Inzwischen bildete sich die Prosa auf populairem Wege wenn auch kunstloser, doch zu natürlicher Leichtigkeit in dieser Zeit aus. Die literarischen Bedürfnisse waren im deutschen Publikum unerwartet rasch gestiegen, und ein gleichmäßigeres geistiges Interesse verbreitete sich mehr als jemals durch alle Klassen der Gesellschaft. Die Journalistik, die um diese Zeit ihre lehrreichen und kurzweiligen Wochenvisiten in Deutschland begann, trug Vieles zu einer harmonischen Vertheilung von Sprache und Bildung bei, wie pedantisch auch sonst noch der Zuschnitt sein mochte, in dem sie auftrat. Diese Wochen- und Monatsschriften, die bald als »Jünglinge«, bald als »Greise«, bald als »Aufseher« und »Zuschauer«, »Freigeister« und »Aerzte« das Publikum fesselten, brachten eine gewisse Geschmeidigkeit in den Ausdruck des wirklichen Lebens, und machten die Sprache der deutschen Prosa flüssig. Eines eigenen Genie's der Prosa aber bedurfte es, um in ihr einen höheren Charakter zu schaffen, der [342] sie an innerer Berechtigung nicht mehr hinter der Poesie zurückstehen ließ. Ein solches zeigte sich in Lessing.

Dieser sonnenhelle Kopf gewann seinen eigenthümlichen Einfluß auf die deutsche Literatur besonders durch den Geist der Prosa, der ihn durchdrang und in Bewegung setzte. Das scharfgeschliffene und zersetzende Wesen seines Genius, diese stillangeglühte Begeisterung des Verstandes, dies heimliche Dichten der Combination, diese leuchtende klare Ruhe in immerbewegter Gedankendialektik, waren schon als ein höheres Element von Prosa charaktergemäß in ihm vorhanden. Eben als prosaisches Genie wurde er der nothwendige Einschlag in die Bewegungen des Geschmacks und der Geistesbildung seines Zeitalters. Diese Gleichmäßigkeit der poetischen und prosaischen Bedürfnisse seines Naturells stellt in ihm einen helldurchleuchteten Charakter der Prosa dar, in dessen gestählter und von innen her erwärmter Gesinnung alle Vorurtheile gegen das Prosaische verschmolzen. Lessing nahm alle diese Elemente seines Wesens in seine Darstellung auf, ohne die Prosa poetisch, oder die [343] Poesie prosaisch zu machen, aber eine fein nüancirte Mittelgestaltung ging daraus bei ihm hervor, die als Eigenthum einer besonderen Individualität zu betrachten ist. Als den poetischen Höhepunct seiner Prosa kann man die Sprache der Dramen, namentlich der Emilia Galotti, bezeichnen. Bei allen dichterischen Anlässen der Situation, die ihn auf das hohe Meer des Pathos und der Leidenschaft hinausweisen, behält doch die Diction stets ein gewisses prosaisches Maß, und zügelt die Bewegungen der Phantasie durch kluge Berechnung. Dagegen ist das Poetische oft in die innere epigrammatische Gedankenwendung verlegt, und steigt hervor aus lakonischen Wortblitzen und tiefgedachten Antithesen. Kühne Inversionen erschüttern zuweilen den ebenen Strom dieser Diction, leise Andeutungen sind auf eine umfassende Wirkung berechnet. In den kritischen, polemischen und didaktischen Schriften Lessings kehrt sich mehr die ätzende Kraft, die scharfe perspectivische Gedankenbeleuchtung in seiner Prosa, heraus, ohne selbst bei strengerer Wissenschaftlichkeit an der Genialität der Behandlung zu verlieren. In diesem Genre der [344] Darstellung vertritt bei ihm das Witzige die Stelle des Poetischen, und die kurze und einfach pointirte Satzbildung bringt Effecte hervor, die das Gemüth stärker fesseln, als die blendendste dichterische Diction. Die Klugheit gilt oft statt der Schönheit, aber sie befängt und beherrscht uns ebenso anmuthig, wie diese. Ein gewisser Uebermuth spielt mit seinen eigenen Gedanken, sieht eine Zeitlang ruhig und kaltherzig ihren Verwickelungen zu, weidet sich sichtlich und mit bedeutsamem Lächeln an dem Schein der grausamsten Consequenzen, und faßt dann mit raschem Griff alle ausgeworfenen Fäden zu einer Totalwirkung zusammen. Die Oekonomie und Lichtervertheilung in Lessings Stil ist ebenso bewundernswürdig, als die geistige Spannkraft in Worten und Wendungen, die Bestimmtheit bei aller Leichtigkeit, die ironische Grazie, welche die eigentliche Seele seiner Darstellung ist. Daß sich Lessing in manchen Stücken nach Diderot's Schreibart gebildet, hat Karl Rosenkranz in einem Aufsatz über Diderot nicht mit Unrecht hervorgehoben. Seine Diction stärkte und bereicherte Lessing aber besonders aus den Fundgruben unserer älteren Sprache, [345] aus denen er viel Gold und Erz der deutschen Rede hervorzog und auf sinnreiche Weise in neuen Umlauf brachte. Auch in grammatischer Hinsicht wußte Lessing Rath, größeren Klang, Harmonie und Festigkeit in den deutschen Satz zu bringen, indem er besonders der oft unbequemen Hilfszeitwörter, namentlich in Zwischensätzen, sich zu entledigen wußte. Die eigenthümliche Prägnanz seiner Satzbildung zeigte sich vorzugsweise tauglich in der dialogischen Behandlung der Sprache, die ihm meisterhaft gelang, und auch auf die gesellschaftliche Bildung zurückwirkte. –

Die mehr kritische Schönheit und Vollendung, welche die deutsche Prosa durch Lessing erhielt, erhöhte sich zu einer plastischen und poetisch durchhauchten in den Kunstdarstellungen Johann Winkelmanns. Seine Sprache empfing von den Gegenständen, mit denen sie sich beschäftigte, die schönsten Eindrücke, und verräth die an den Kunstwerken eines glücklichen Menschenalters genährte und erheiterte Anschauung. Winkelmann gestaltete den deutschen Stil zu einem beweglichen Lebensgebilde, das, vor uns hintretend, einen [346] bestimmten Endzweck auf das Gemüth zu erreichen strebt. Was er geschaut und in seine trunkene Vorstellung aufgenommen, will er so hinstellen, daß es nicht bloß ideell beschrieben, sondern auch sinnlich heraustreten und empfunden werden soll. Seine Schilderungen der Statuen sind in diesem Sinne Meisterstücke deutscher Schreibart, ein fach, naturvoll und doch erhaben, durchwärmt von Begeisterung und umschwebt von einer unnachahmlichen Heiterkeit. Winkelmann brachte in die Prosa das Element der Phantasie, aber umgränzt von künstlerischer Hand, und gehütet im richtigen Ebenmaaß ihrer Bilder. Er schrieb, kann man sagen, seine Ideen für das Auge, und ein schönes, schauendes Auge blickt uns klar aus seinen Darstellungen an. Daß er in Italien, umgeben von ganz andern Einflüssen der Bildung und des Himmelstrichs, seine Geschichte der alten Kunst dennoch in vaterländischer Sprache geschrieben, verdient seinem patriotischen Sinn für die deutsche Literatur hochangerechnet zu werden, um so mehr, da er sich der deutschen Kunstsprache erst neuschaffend dazu bemächtigen mußte. Die Kürze und Bündigkeit seines [347] Stils erinnert auch in grammatischer Hinsicht an antike Maaßhaltung, und meidet alles Ueberflüssige und Schnörkelhafte, worunter die Einheit des Bildes beeinträchtigt werden könnte, mit feiner Würde. 1

Auf dieser Stufe künstlerischer Ausbildung war die deutsche Prosa zum ersten Mal fähig gemacht, der poetischen Anschauung mit aller Freiheit zu dienen. Der Unterschied von Poesie und Prosa, der sich sonst im Inhalt ebenso sehr wie in der Form festgesetzt hatte, wich der Macht des Inhalts, welcher jetzt in allen Formen der Literatur sich gleichmäßig zu regen begann. Die deutsche Production arbeitete nunmehr auf die Einheit von Poesie und Prosa hin, und erreichte ihre vollkommenste harmonische Verschmelzung zuerst im Werther, diesem ursprünglichsten Naturerguß der modernen skeptischen [348] Alles zersetzenden und assimilirenden Gemüthsstimmung. In diesem Product erscheinen zuerst die Schranken zwischen Poesie und Prosa völlig durchbrochen, und alles Pathos der Dichtung, alle Schmerzen und Herrlichkeiten der Gefühle, sind in das Uferbett der Prosa übergeströmt. Zwar hatte schon Herder, selbst in seinen wissenschaftlichen Untersuchungen, eine gewisse poetische und poetisirende Prosa geführt, die jedoch mehr in einer träumerischen und phantasirenden Manier bestand, mit der sein unruhiger und unbefriedigter Geist überall Blüthen herauszuschlagen suchte, sogar aus gelehrter Forschung. Aber Herder war kein Meister der prosaischen Darstellung, und mit Ausnahme seiner vortrefflichen Schulreden und mehrerer Partieen in den Ideen zur Philosophie der Geschichte, schrieb er einen zerlassenen, verschwommenen, bald mit zu dicken, bald mit zu verwaschenen Farben getünchten Stil. Goethe bildete sein Naturell frei und ungezwungen in die deutsche Darstellung hinein, und gab seiner Sprache überall das productive Gepräge seiner Persönlichkeit. Sein großer Welt- und Lebenssinn drückte sich in seiner [349] Schreibart ebenso originell für die idealen Anschauungen wie für die Bezüge des wirklichen Lebens aus, und selbst im Werther ist neben aller poetischen und speculativen Extase auch der wohlgetroffene Ton deutscher Familienhäuslichkeit und Alltäglichkeit zu hören. Im Götz von Berlichingen und Egmont sind die volksthümlichen Laute und Kräfte der deutschen Sprache mit genialer Freiheit aufgeboten, und der energische Stil erscheint mit allen Kernausdrücken der Nation, bis auf jenen berüchtigten in der ersten Ausgabe des Götz, gewaffnet. Der gewöhnlichen Wirklichkeit ferner stehend, auf idealen Sonnenhöhen, wandelt die sanftgezügelte Sprache des Tasso und der Iphigenia dahin, während feinausgebildet, mit allen Rücksichten der Gesellschaft, die Wirklichkeit ihren angemessenen Stil im Wilhelm Meister und den Wahlverwandtschaften sich erschafft. Der Roman ist diejenige Kunstform, in welcher die Einheit von Poesie und Prosa schon durch die Idee des Kunstwerkes selbst geboten wird, indem die realen und gegebenen Lebensverhältnisse sich darin mit den höheren und allgemeinen Anforderungen der Weltansicht [350] durchdringen. Die dichterische Prosa des Werther setzte sich aber in den beiden andern Romanen Goethe's auf ein geklärteres und ruhigeres Maaß der Diction zurück und fesselte die poetischen Ausschweifungen durch den geselligen Ton und Anstand der Darstellung, der eine bedeutsame Heranbildung auch des deutschen Privatlebens bezeichnet. Das radicale Element im Werther, das auch im Stil allen frei umherschwärmenden Natur- und Frühlingstrieben der Subjectivität folgt, ordnet sich im Wilhelm Meister und den Wahlverwandtschaften mit Grazie den Bedingungen der Gesellschaft unter, die mit aristokratischen Einflüssen die feingeschliffene Schreibart behaucht. Doch nimmt die Prosa auch hier nach Maßgabe des Inhalts einen größeren oder geringeren Schwung, und versagt sich bei einer Erhebung ihres Gegenstandes keine Blüthen und Farben der Sprache, obwohl stets innerhalb einer leisen Nüancirung gehalten. Diese Nüance zu treffen, ist die eigentliche Kunst derjenigen Prosa, welche zur Form für das poetische Kunstwerk geworden ist, aber diese übrig bleibende Gränze zwischen Poesie und Prosa ist nicht anders bestimmbar, [351] als nach den Gesetzen der Individualität und des von ihr behandelten Gegenstandes, aus denen jedesmal der richtige Darstellungston hervorgeht. Die höchste Periode der Ausbildung für die Prosa beginnt aber dann erst, wann, wie jetzt, die dynamische Verschiedenheit der poetischen und prosaischen Formen sich aufgehoben hat. Die Prosa dringt nun in alle Gattungen der productiven Literatur ein, und wird jedes Inhalts in eigenthümlicher Weise mächtig, indem sie selbst, nach diesem Inhalt sich mannigfach wandelnd, unter den verschiedensten Aufgaben den größten Reichthum in Wendungen, Sprachtönen und Harmonie der Darstellung offenbart. Goethe aber belebte seine Prosa auch durch viele poetische Freiheiten der Grammatik, und die Kritiker jener früheren Periode klagten ihn namentlich wegen des zu häufigen Gebrauchs von affectirten Ellipsen an. –

Fußnoten

1 Vgl. Goethe's Schrift: Winkelmann und sein Jahrhundert, S. 427 und 464; doch gehört die letztere Stelle einem eingelegten Aufsatz an, der, wenn wir nicht irren, von F.A. Wolf herrührt. Um die Würdigung der Schreibart Winkelmanns hat sich Joh. Schulze, der Mitherausgeber seiner Werke, verdient gemacht.

3. Die literarischen Gattungen der Prosa

1.

Wilhelm von Humboldt sagt in der Einleitung zu seiner Schrift über die Kawi-Sprache: »Die Poesie kann nur einzelnen Momenten des Lebens und einzelnen Stimmungen des Geistes angehören, die Prosa begleitet den Menschen beständig und in allen Aeußerungen seiner geistigen Thätigkeit. Sie schmiegt sich jedem Gedanken und jeder Empfindung an; und wenn sie sich in einer Sprache durch Bestimmtheit, helle Klarheit, geschmeidige Lebendigkeit, Wohllaut und Zusammenklang zu der Fähigkeit, sich von jedem Puncte aus zu dem freiesten Streben aufzuschwingen, aber zugleich zu dem feinen Tact ausgebildet hat, wo und wie weit ihr diese Erhebung in jedem einzelnen Falle zusteht, so verräth und befördert sie einen ebenso freien, leichten, immer gleich behutsam fortstrebenden [355] Gang des Geistes. Es ist dies der höchste Gipfel, den die Sprache in der Ausbildung ihres Charakters zu erreichen vermag, und der daher, von den ersten Keimen ihrer äußeren Form an, der breitesten und sichersten Grundlagen bedarf.« – Sobald wir in unserer bisherigen Darstellung die deutsche Sprache und Literatur auf diesem Punct haben anlangen sehen, begegneten wir auch einer vorzugsweise dazu ausgebildeten Kunstform der Prosa, wel che dann vorwaltend auftritt, und in der die Aufnahmefähigkeit der prosaischen Sprache für das wirkliche und gesellschaftliche Leben sich als poetische Gattung gestaltet. Dies ist der Roman, der eine so umfassende und elastische Formengebung hat, daß man zugleich die verschiedenen Elemente der Poesie, namentlich das Lyrische und Dramatische, darin verschmelzen sieht. So erstrebt er ein Totalbild der menschlichen Richtungen in jeder Ausdehnung, und die Prosa erscheint in ihm als das vereinende Gesammtorgan aller Zustände, sie mögen poetisch oder prosaisch sein. Die poetischen Elemente, welche den Roman hierhin und dorthin bewegen, muß die Darstellung an eine Einheit der [356] Form zu fesseln suchen, die den eigentlich künstlerischen Charakter der Prosa ausmacht. Das Ideal in seiner mythischen Verhüllung ist das Märchen, welches der Aufzeichnung durch die Prosa von Natur kaum angehört, und aus so poetischer Anschauung erwachsen ist, daß man annehmen kann, die meisten Märchen seien ursprünglich in metrischer Form vorhanden gewesen, wenn sie nicht etwa bei ihrer schriftlichen Ueberlieferung absichtlich aus Poesie in Prosa umgeschrieben sind. Den schillernden lyrischen Farben des Märchenstils gegenüber muß der Romanstil seine stärkere reale Haltung zu behaupten suchen. Der Roman stößt in seiner Auseinanderlegung der Wirklichkeit auch auf das Ideal, bald tragisch, bald ironisch, aber er spielt nicht damit in lyrischer Trunkenheit, wie das kindische Märchen, der Roman bezeichnet das Mannesalter, welches von Bewußtsein erfüllt und mit bedachten Fortschritten auf das Höhere und Allgemeine, das vor ihm in der Ferne liegt, losgeht. Es wurde früher erwähnt, wie in den Romanen zu Ende des siebzehnten Jahrhundertsdas Phantastische die Stelle des Idealen wunderlich genug [357] vertrat. Gellert bezeichnete in seiner langweilligen »schwedischen Gräfin« gewissermaßen die nüchterne Restauration dieser phantastischen Romanwelt, ohne zu einer idealen Behandlung gelangen zu können, da er nichts als das Muster eines eleganten und correcten Romanstils darin aufstellen wollte. Die Wirklichkeit des deutschen Lebens behielt lange ihr steifes und sprödes Zopfthum an sich, ehe sie in Goethe's Romandarstellungen der freiere Geist der Geselligkeit durchdrang.Rabener, dieser Satiriker im altfränkischen Menuettschritt, giebt die galante Conversationssprache seiner Zeit noch in aller Breite wieder, obwohl sonst sein prosaischer Stil wegen Schönheit und Regelmäßigkeit damals sehr beliebt war und nur einige tadelhafte Einflüsse des gottschedischen Geschmacks an sich trug. Welcher Abstand von dieser wohlgefälligen Sättigung in umständlichen Lebensformen zeigt sich aber plötzlich in den idealen Zerwürfnissen des Werther, dem alle bürgerliche Sprache und Einrichtung des Lebens zuwider ist! Der unklar begriffene Zwiespalt zwischen Ideal und Wirklichkeit malt sich hier in der höchsten poetischen [358] Steigerung der Prosa ganz nach subjectivem Genüge aus. Der Werther hätte, ungeachtet seiner hohen poetischen Grundlage, nicht in Versen geschrieben werden können, das Element der Prosa, das seine Stellung zur bürgerlichen Wirklichkeit des Jahrhunderts festhält, ist ein nothwendiges in ihm. Die lyrischen Fluctuationen dieser Prosa bezeichnen aber ebenso treffend den gebrochenen Zustand, in dem sich Individualität und Wirklichkeit damit gegen einander abzeichnen. Der Wilhelm Meister, dem Novalis mit Unrecht das Prosaische als einen Mangel an Poesie zum Vorwurf gereichen ließ, tritt aus der Mitte bürgerlicher Lebensprosa hervor, und die Darstellung bewegt sich darum in ruhiger Gleichmäßigkeit dieses Elements vorwärts. Aber ein höheres soll zugleich in diesem Roman erstrebt werden, gewissermaßen eine ideale Prosa der Wirklichkeit, nämlich die schönste Stufe menschlicher und gesellschaftlicher Bildung. Im Roman wird immer etwas gesucht, was noch nicht da ist, Wilhelm Meister sucht sich selbst sogar erst, d.h. er will ein Höchstes seines Charakters hervorbringen. Er strebt sich von der Prosa seines [359] Herkommens und seiner Umgebungen los, und daß auf der Seite der idealen Prosa, die dafür gewonnen werden soll, ein aristokratisches Element mit seiner bevorzugten Lebensgrazie sich hinstellt, bezeichnet die Constellationen des Jahrhunderts, dem der Roman angehört.

Dem Roman mit seiner Ausdehnung in die Breite und Ferne des Lebens steht die Novelle mikrokosmisch gegenüber. Die Wahlverwandtschaften mit ihren sittlichen Conflicten, die sich in die Gruppirung der Verhältnisse verstecken, tragen dem Stoffe nach mehr einen novellistischen Charakter an sich, aber die epische Behandlung läßt das Gepräge des Romans hervortreten. Die Novelle, die wesentlich aus den Verhältnissen sich erzeugt, wie der Roman aus dem Charakter des Individuums, ist eine prismatische Zusammendrängung der Wirklichkeit, mit Absicht eines bestimmten und schlagartig hervorzubringenden Effects. Die Lebensanschauung der Novelle ist nicht so universal und allseitig, wie im Roman, der deshalb einer gemessenen und ausführlichen Auseinanderlegung seiner Formen bedarf; die Novelle fängt ihre Verhältnisse [360] in dem Brennspiegel einer charakteristischen Absicht, einer Zeittendenz, einer auf die Tagesbewegung berechneten Reflexion auf, und ist nach ihren Gegenständen der verschiedenartigsten Behandlung, der Vermischung des entgegengesetztesten Stils fähig. Diese Gattung kann alle Töne von Poesie und Prosa mit genialer Willkür vereinigen, und ist deshalb in neuester Zeit der eigentliche Mittelpunct für die productive Literatur der Prosa, oder für die Poesie überhaupt, welche sich mit der Prosa identisch gemacht hat, geworden. Die bürgerliche Lebensprosa des Romans hatte schon Jean Paul an der unaufhörlich wogenden Dichterbrust seiner Subjectivität so voll mit Poesie genährt und getränkt, daß Alles, sobald er es darstellte, schon durch seine Diction in einer poetischen Illumination der Wirklichkeit sich zeigte. Die Romane von Jean Paul haben den neueren poetischen Novellenstil in Deutschland vorbereitet, der sich von der jeanpaul'schen Diction nur durch eine piquantere Auslautung wirklicher Lebens- und Zeittöne unterscheidet, und darum in vieler Hinsicht straffer, materieller, und weniger in der Luft schwebend genannt werden kann. Tieck, [361] der die romantische Diction seiner ersten Periode in die Novelle übertrug und mit rhetorischer Reflexion versetzte, gab den Ausschlag, die Novellengattung als eine Concentration aller poetischen Formen in der Prosa bestimmt zu gestalten. Das gesellschaftliche Leben der Zeit wurde darin nach allen Seiten hin aufgegriffen, nicht sowohl wie es war in seiner unmittelbaren und realen Erscheinung, als vielmehr wie es schien, unter dem Reflex individueller Meinungen und Combinationen. Das Unbefriedigende der Tieck'schen Novelle beruht aber darin, daß seine Lebensanschauung auf kein bestimmtes Ziel hinweist, sondern beständig in illusorischen und sophistischen Bewegungen schweben bleibt. Das Wesentliche in der Entscheidung seiner Novellen liegt entweder in der Beleuchtung, die ein grelles, wunderliches Licht erzweckt, oder im Zufall, in dessen Launen Tieck den eigenthümlichsten Abschluß für die Novellendarstellung sieht. Diese Grundansicht, die Wirklichkeit in der Novelle zu behandeln, erstreckt sich bei Tieck bis auf die sittlichen Verwickelungen, die er jedem poetischen Ungefähr preisgiebt, und worin, seinem eigenen Geständniß [362] zufolge, das besonders Charakteristische der Novellenform beruht. In der Einleitung zum elften Bande seiner gesammelten Schriften hat sich Tieck umständlicher über das Wesen der Novelle erklärt, und dabei besonders Folgendes bemerkt: »Strebt die Tragödie durch Mitleid, Furcht, Leidenschaft und Begeisterung uns in himmlischer Trunkenheit auf den Gipfel des Olymp zu heben, um von klarer Höhe das Treiben der Menschen und den Irrgang ihres Schicksals mit erhabenem Mitleid zu sehn und zu verstehn; führt uns der Roman der Wahlverwandtschaften in die Labyrinthe des Herzens, als Tragödie des Familienlebens und der neuesten Zeit; so kann die Novelle zuweilen auf ihrem Standpunct die Widersprüche des Lebens lösen, die Launen des Schicksals erklären, den Wahnsinn der Leidenschaft verspotten, und manche Räthsel des Herzens, der Menschenthorheit in ihre künstlichen Gewebe hineinbilden, daß der lichter gewordene Blick auch hier im Lachen oder in Wehmuth das Menschliche und im Verwerflichen eine höhere ausgleichende Wahrheit erkennt. Darum ist es dieser Form der Novelle auch vergönnt, [363] über das gesetzliche Maaß hinweg zu schreiten, und Seltsamkeiten unparteiisch und ohne Bitterkeit darzustellen, die nicht mit dem moralischen Sinn, mit Convenienz oder Sitte unmittelbar in Harmonie stehn. Es läßt sich ohne Zweifel das Meiste und Beste im Boccaz nicht nur entschuldigen, sondern auch rechtfertigen, was Niemand wohl mit den spätern italienischen Novellisten versuchen möchte.« 1 – Dies Verhältniß der Novelle zur ethischen Weltordnung bleibt auf der einen Seite problematisch genug, um so mehr da Tieck selbst in seinen neuesten Erzeugnissen bewiesen hat, daß er Moralprobleme der Gegenwart keineswegs ohne Bitterkeit und Parteilichkeit in dem Novellenspiegel aufzufassen versteht; [364] anderntheils legt die Novelle allerdings da, wo ihr diese Aufgabe zulässig ist, dasPoetische ihrer Natur dadurch an den Tag.

Tiecks Novellenstil ist im Einzelnen oft sehr vernachlässigt und ungleich, im Ganzen ist er poetisch durchhaucht, und besonders in den rednerischen und dialogischen Elementen eigenthümlich ausgearbeitet. Müllner machte sich den Spaß, ihm märkische Provinzialismen in seiner Schreibart vorzuwerfen. Die Phantasie erscheint in Tiecks Prosa durch Reflexion gezügelt, und reißt nicht in dem Maaße die Alleinherrschaft über das Prosaische an sich, wie bei Jean Paul, der die griechische Einfachheit der goethe'schen Romanprosa in eine festlich gekleidete, absichtsvoll sich bewegende und mit orientalischen Perlen behangene Schöne verwandelte. Jean Paul bildete freilich das Plastische und Musikalische des Stils mehr als irgend ein anderer deutscher Schriftsteller aus, aber seine stilistischen Intentionen erscheinen dabei oft zu gemacht. In Jean Paul's Geist und Gedankentracht, obwohl aus eigner Seelenquelle schöpfend, bewegt sich sein Wahlverwandter Leopold Schefer, der sonst, [365] was seine hastig durcheinandertaumelnde Schreibart betrifft, zu denjenigen Schriftstellern gehört, die den Stil bloß für ein nothwendiges Uebel anzusehen scheinen, der da sein muß, um die Gedanken schreiben zu können. Gedanke und Form leben bei ihm in einer wilden Ehe, der natürliche Bund zwischen Inhalt und Darstellung ist nicht geschlossen. –

Findet die Prosa im Roman und in der Novelle ihren eigensten poetischen Wirkungskreis, so schwankt dagegen das Drama in ihrer Anwendung, sowohl auf dem Kothurn des Trauerspiels, wie auf dem Soccus der Komödie. Das griechische Drama war gebunden an seine Rhythmen, es hatte an bestimmten Stellen seine angewiesenen Formen, die den Inhalt systematisch umspannten, und die Sprache der Prosa nirgends einließen. Nur das jambische Sylbenmaaß des Dialogs hebt die vorgehende Handlung gewissermaßen aus den lyrischen Grundbestandtheilen der Dichtung so heraus, daß eine Annäherung an die Prosa des wirklichen Lebens dadurch hervorgebracht wird. 2 Diesen Eindruck [366] der prosaischen Rede bewirkt der fünffüßige Jambus des modernen Dramas noch entschiedener als der antike Trimeter. Die moderne dramatische Dichtkunst hat überhaupt mehr oder weniger das Bestreben gezeigt, die metrische Gebundenheit zu durchbrechen. Shakspeare wechselte noch nach einer sehr bestimmten Methode Prosa und Poesie seiner Darstellung, und hatte entschiedene Absichten bei dieser Trennung, indem, selbst im Lustspiel, das höhere ideale und poetische Element bei ihm des Verses bedarf. Für die deutsche Bühne ist die Frage, ob in der Recitation der prosaische oder der metrische Numerus vorwalten soll, nicht entschieden worden. In der Blüthenzeit der Schauspielkunst herrschte der prosaische Accent vor, nur ging Iffland darin vielleicht zu weit, daß er ohne alle Nüancirung die Verse völlig wie Prosa sprach. Engel sagte sogar damals (Mimik II. 112.): »In Deutschland hat man das versifizirte Trauerspiel längst begraben; wenn es noch hier und da, und gemeiniglich auf Befehl, gegeben wird, hat es nur wenig Zuschauer mehr; man ist Feind jener Declamationen und Tiraden, welche die Versification[367] so natürlich mit sich führte, Feind jenes gespannten, stutzenden, übertriebenen Spiels, welches wiederum eine Folge von beiden, von Versification und rednerischer Ausbildung war.« – Lessing's dramatische Prosa war freilich eine bessere Bildungsschule für die Schauspieler, als sie das abgekartete Tonmaaß des französischen Alexandriners gewähren konnte. Diese Prosa war nicht auf die Declamation, sondern auf prägnante Charakterdarstellung berechnet, und nahm, um mit allen Schlaglichtern ihrer raschzusammengedrängten Diction richtig wiedergegeben zu werden, das ächte Talent und die denkende Auffassung in Anspruch. Nur im Nathan, der ohne Zweifel weniger Poesie hat, als die Emilia Galotti, fand sich Lessing zum Jambus veranlaßt, gewiß in dem Gefühl, das didaktische Element der Dichtung dadurch theils in eine mehr poetische Sphäre zu erheben, theils auch, es durch den Vers eindringlicher und feierlicher in seiner Haltung zu machen. Iffland's Gemälde der bürgerlichen Wahrheit ruhten aber auf der Prosa als auf ihrem innersten Lebensgrunde, und konnten diesen daher auch in der Form nie verlassen. [368] Schiller ließ in der colossalen Kraftprosa seiner ersten Dramen, namentlich der Räuber, nicht bloß den ungestümen Naturtrieb des jugendlichen Genies sich entfesseln, sondern er bildete und bereicherte sie auch aus den älteren Sprachquellen, besonders aus Luther's Bibelübersetzung, aus der er viele Kernausdrücke, auch von dem weniger decenten Gepräge, sich aneignete. Später nahm er den jambischen Vers mit dem Bewußtsein auf, daß er der prosaischen Rede am natürlichsten entspreche und gleichkomme, doch verfiel er darin in das Rhetorische und Prunkrednerische, das er zum Glück seiner Poesie vermieden hätte, wenn er in der Prosaform seiner ersten Dramen, nur mit geläuterter Durchbildung und Ausschmelzung, fortgefahren wäre. Schiller begründete auf diese Weise durch seine metrischen Dramen wieder die declamatorische Unnatur der neuesten deutschen Schaubühne, der Lessing in der früheren Zeit durch seine dramatische Prosa kräftig zu wehren gesucht hatte. Und doch konnte die ganze Blüthenrhetorik der schiller'schen Diction selten bei der Bühnendarstellung bestritten werden; die Schauspieler und Regisseurs sahen sich [369] oft genöthigt, sie auf ein gewisses prosaisches Maaß zurückzuführen, um sie mehr dem Raum der scenischen Aufführung einzuordnen. Tieck streute in seine romantischen und mährchenhaften Dramen, die er zu Spielarten aller poetischen Formen und Maaße machte, nach Willkür auch die Prosa ein, doch traf er den Ton derselben oft vortrefflich, namentlich in dem kunstvoll durchgearbeiteten Blaubart. Goethe schwankte bekanntlich bei mehreren seiner Dramen, ob er sie in Prosa dichten solle. Die Iphigenia arbeitete er, ihrem hochpoetischen idealen Ton gemäß, aus früherem prosaischen Entwurf in Verse um, und stellte in ihr eine herrliche, gußfeste Einheit der Form dar, während im Egmont in mehreren Partieen die poetischen und prosaischen Elemente völlig auseinanderfallen und durch die nicht gelungene Verarbeitung beider unangenehme Fluctuationen des Tons entstanden sind. Dagegen war die coupirte Prosa im Götz von Berlichingen von außerordentlicher Kraftwirkung, und bewegt sich, ungeachtet ihres abgebrochenen und scheinbar nachlässigen Tons, in einer festen Charaktereinheit des Stils. In diesem dramatischen Schlagstil war [370] auch Lenz eigenthümlicher Meister, die Prosa seiner Schauspiele ist körnig und voll Energie, und überstürzt sich nur zuweilen in nachdrücklichen Effecten. Gegenwärtig wäre der deutschen Bühne wieder nichts mehr anzurathen, als die Prosa, die bei der Schwierigkeit, sie gut zu sprechen, die Schauspieler zu einem Charakterstudium nöthigen würde, dessen die neuerdings noch ärger gewordene Verschlammung durch Raupach's Declamationshelden überhebt. –

Fußnoten

1 In der Vorrede zu seiner Novelle: der junge Tischlermeister sagt Tieck ebenfalls: »er halte die Form der Novelle dazu geeignet, manches in conventioneller, oder ächter Sitte und Moral Hergebrachte überschreiten zu dürfen, wodurch sie auch von dem Roman und dem Drama sich bestimmt unterscheide.« – Vgl. über den Unterschied von Roman und Novelle auch Karl Rosenkranz, in seinen »poetischen und ästhetischen Mittheilungen« (Magdeburg, 1827.) S. 11 fg.

2 Vgl. W. von Humboldt über die Kawi-Sprache, Einleitung, S. CCXLVIII.

[371] 2.

Der Ineinsbildung von Poesie und Prosa in der productiven Literatur ist an Bedeutsamkeit gleichzusetzen das Verhältniß, welches die Prosa oder die Sprache des wirklichen Lebens zur Weltbildung und den gesellschaftlichen Bedürfnissen aufzeigt. Nur wenigen Schriftstellern verdankt die deutsche Darstellung eine höhere Entwickelung des Welttons, eine weltmännische Freiheit und Feinheit der Bewegung, die schon deshalb eine seltene oder künstlich hervorgebrachte Erscheinung unter uns ist, weil nur Schriftsteller literarisch, aber keine andern Einflüsse darauf zu wirken vermögen. Die gesellschaftlichen Mittel, unsere Sprache zu bilden und geschickt zu machen, sind bei uns gering anzuschlagen. Unsere Frauen haben nie einen Einfluß auf die deutsche Sprache gehabt, was sehr zu beklagen ist, [372] wenn man sich denkt, was aus den Unterhaltungen mit einer Aspasia gebildete Griechen ihrer Zeit für Vortheile auch in dieser Hinsicht gezogen. Die höher gebildeten deutschen Frauen zeichnen sich meistentheils mehr in der Fertigkeit aus, irgend eine fremde Sprache zu erlernen und geläufig zu sprechen, als die deutsche Sprache auch nur richtig zu handhaben, vielweniger das weibliche Naturell in ihr abzuprägen. Die Schriftsteller hingegen gerathen da, wo sie eine gesellschaftliche Leichtigkeit und Ungezwungenheit der Darstellung erstreben, bei weitem eher in ein burschikoses Element hinein, und zeigen einen garçonartigen Charakter der Schreibart, einen ungebundenen Junggesellenstil mit offenem Hals und herausflatterndem Hemdkragen. –

Der Einfluß Wieland's und Thümmel's auf einen gewissen weltmännischen Atticismus der deutschen Darstellung ist in unserer Literatur zuerst zu nennen. Das französische Element, das sonst nur immer eine Trennung unserer Sprache und Culturzustände bewirkt hatte, erhielt seine erste productive Verarbeitung in der deutschen Bildung durch Wieland, der, nachdem er eine ziemlich schwerfällige [373] und moralisch correcte Jugendperiode seiner Schriftstellerei überstanden, plötzlich den Weg der Grazien und der freieren spielenden Weltweisheit betrat. Wieland schrieb freilich meistens eine schlechte, weitschweifige und schwerverdauliche Prosa, die nicht einmal rein von französischen Wörtern war, aber sein stilistisches Verdienst ist hier nicht sowohl gemeint, als vielmehr der freibeweglichere Charakter und Schwung, den die deutsche Darstellung überhaupt durch ihn gewann. Viel höher und origineller in der Schreibart stehtThümmel da, dies wahrhafte Lebensgenie, dessen farbenstrotzender Pinsel sinnliche Lebendigkeit, gesellige Anmuth und einen feindurchbildeten Weltton in die Darstellung brachte. Thümmels Prosa hat meisterhafte Züge, voll poetischer Leidenschaft behält die Diction doch ihr harmonisches Maaß, und die Sprache schafft oft die treffendsten Bezeichnungen und Wendungen für neue Verhältnisse. Natur- und Reiseanschauungen fließen mit frischen Farben in seinen Stil über. Durch diese beiden Schriftsteller lernte die deutsche Sprache Vieles sagen, was ihr sonst fremd gewesen war, auch das Leichtfertige und Frivole, nicht [374] in Fischart's Manier, sondern mit dem feinen, lächelnden Anstand des Weltmanns. Diese Art des gebildeten Cynismus, wie sie in Thümmel sich äußerte, trat zum erstenmal in deutscher Sprache auf, in einem modernen Gewande sind wir ihm neuerdings wieder in der Gestalt des Verfassers der Briefe eines Verstorbenen begegnet. Fürst Pückler läßt sich in vieler Hinsicht mit Thümmel vergleichen, obwohl der Verstorbene ein höher entwickelter Typus des Reisenden im mittäglichen Frankreich ist, sowohl was die breitere Grundlage der Zeitbeziehungen als der Gesellschaftsverhältnisse betrifft. Der vornehme Cynismus des Verstorbenen redet die Sprache einer bestimmten sociellen Sphäre, die sich darin abdrückt, die Sprache der exclusiven Gesellschaft, wie sie in ihrer bevorzugten Nonchalance sorglos und doch mit einer gewissen gemessenen Haltung sich gebärdet. Als Prosaist ist Thümmel vorzuziehen, er hat eine gewähltere Sprache, poetische Kraft der Schilderungen, feine Motive und Melodie des Stils, aber Pückler zeigt eine größere Individualität in seiner im Einzelnen vernachlässigteren Schreibart. An Unschuld und Durchtriebenheit, Ironie [375] und Zartgefühl hält sich der Genius beider Schriftsteller vielleicht die Wagschaale, aber Pückler stellt charakteristischer und an bestimmten Gesellschaftszuständen dar, was Thümmel allgemeiner in den Regionen der Phantasie schweben läßt. Der Weltmann in Thümmel ist mehr Dichter als in Pückler, der Roué in Pückler ist auf geistvollerem Raisonnement gegründet als in Thümmel. Zwischen beiden Charakteren liegt die gesellschaftliche Bildung und Gesinnung, welche Goethe's Schreibart nach dieser Seite hin repräsentirt, mitteninne auf einer leise bewachten Gränzlinie. Thümmel und Pückler bewahren den Anstand in ihren Ausdrucksformen oder corrigiren seine innere Verletzung durch die äußere Grazie. Goethe behandelt das Zweideutige, wenigstens in seinen Romanen, lieber in Andeutungen mit unnachahmlicher Geschicklichkeit, als daß er seine Phantasie in Einzelausführungen glänzen ließe. Thümmel will oft glänzen, Pückler durch stimulirende Mittel reizen, Goethe will gefallen. Jene möchten die gesellschaftlichen Rücksichten ebenso gern durchbrechen im nämlichen Moment, wo sie ihnen schmeicheln, Goethe sucht sich immer in [376] einen lösenden Einklang damit zu setzen und das Widerstrebende an den Normen seiner Individualität auszugleichen. Das Normale in Goethe's Stil und Gesinnung giebt ihm eine größere Gleichförmigkeit, und haucht seiner Prosa zuweilen etwas von feiner Canzlei über, wo die andern regelloser mit ihren Sätzen umherschweifen. Goethe's Naturell kehrt in der Geselligkeit am meisten das Behagliche und Behäbige heraus, und schafft sich auf diesem Grunde auch manche charakteristische Sprachformen, die ihm eigenthümlich sind. Das Wort behäbig selbst, die häufige Verbindung der Adjectiva mitgar, Formen wie hüben und drüben und viele ähnliche, die eine bequeme Beschaulichkeit ausdrücken, sind durch ihn beliebt geworden. Auch fremde Wörter verschmäht Goethe in seiner Diction nicht, wo sie ihm in das gesellschaftliche Behagen des leichten Redeflusses hineinpassen. Die gesellschaftliche Schreibart der Deutschen leidet überall an Sprachmengerei, und wird, aller absichtlichen Mühe ungeachtet, viele ihr nöthigen Bezeichnungen sobald nicht darüber hinausbringen. Thümmel hat es in der Reinheit des geselligen Stils am weitesten [377] gebracht, und wo er französische Ausdrücke einstreut, thut er es weniger aus Angewohnheit und Bequemlichkeit als im Fluge des Uebermuths, der nach den piquantesten Bezeichnungen hascht. Pückler dagegen überläßt sich in aller Naivetät dem Extrem einer Sprachmischung, die zuweilen barbarisch aussieht, doch verräth er auch oft einen feinen Takt dabei, daß er gerade die zweideutigen Partieen vorzugsweise mit französischen Wörtern färbt, und dadurch gefälliger und anständiger über das Anstößige weggleitet, wobei Einem mitunter eine Bemerkung von Leibnitz einfällt, der in seinen »Unvorgreifflichen Gedanken« (§. 71.) sagt: »ich habe es zu Zeiten unsrer ansehnlichen Haupt-Sprache zum Lobe angezogen, daß sie nichts als rechtschaffene Dinge sage, und ungegründete Grillen nicht einmal nenne (inepta ignorat.) Daher ich bei denen Italiänern und Frantzosen zu rühmen gepflegt: Wir Teutschen hätten einen sonderbaren Probierstein der Gedanken, der andern unbekandt; und wann sie denn begierig gewesen etwas davon zu wissen, so habe ich ihnen bedeutet, daß es unsre Sprache selbst sey, denn was sich darinn [378] ohne entlehnte und ungebräuchliche Worte vernehmlich sagen lasse, das sey wirklich was Rechtschaffenes.« – In der französischen Sprache ist es jedoch vornehmlich die Fähigkeit, die Dinge leicht zu bemänteln, welche sie zur Sprache der Frivolität und Zweideutigkeit geschickter macht als die deutsche; an sich selbst kann man gewiß nicht behaupten, daß die deutsche Sprache keuscher sei und weniger aufgelegt zum Cynismus, als die der übrigen neueren Völker. Die derbe Schmiede deutscher Ausdrücke in dieser Sphäre macht vielmehr die Vermittelung des französischen Leichtsinns, der nur zu spielen scheint, wo das deutsche Wort schreckenerregend ist, wünschenswerth, und Leibnitz selbst bemerkt zu seiner Zeit, in der von ihm angeführten Schrift (§. 112.): – »daß einige Sinn-reiche Teutsche Scribenten, und unter ihnen der sonst Lob-würdige Herr Weise selbst, diesen merklichen Fehler noch nicht abgeschafft (den auch etliche Italiener behalten), daß sie etwas schmutzig zu reden kein Bedenken tragen, in welchem Punct ich hingegen die Frantzosen höchlich loben muß, daß sie in öffentlichen Schriften nicht nur solche [379] Wort und Reden, sondern auch solchen Verstand vermeiden, und daher auch in den Lust- und Possenspielen selbst nicht leicht etwas Zweideutiges leiden, so man anders, als sich gebühret, gemeynet zu sein vermercken könne. Welchem löblichen Exempel billich mehr als bisher geschehen, zu folgen, und zumahl heßliche Worte, ohne sonderbare Nothdurfft, nicht zu dulden. Es ist freilich in der Sitten-Lehre mit Sauberkeit der Worte nichts ausgerichtet, es ist doch aber auch solche kein geringes.« –

Unter den Schriftstellern des achtzehnten Jahrhunderts, welche Weltbildung und feinen Gesellschaftston in ihren Werken ausprägten, ragte auch Justus Möser hervor, der Verfasser der osnabrückischen Geschichte und der patriotischen Phantasieen. Möser war zugleich Staats- und Geschäftsmann, und übertrug zuerst die Eindrücke eines ausgebreiteten Welt-und Menschenverkehrs, politischer und bürgerlicher Berührungen, in die deutsche Darstellung. Mit populairer Treuherzigkeit verbindet er die feinsinnigsten Motive, phantasiereiche Ausführung, witzige Beleuchtung, und ironische [380] Ueberlegenheit, die sich einen sorglosen Anstrich zu geben weiß. Der gelegenheitliche Charakter seiner Schriften, die er meistentheils bei städtischen und amtlichen Anlässen verfaßte, macht sie um so anziehender, indem sie dadurch dem Leben und den geselligen Verhältnissen näher stehen. Möser war ein heller und umfassender Kopf, mit scharfer Beobachtung durchdringt er die vaterländischen Zustände, wie die geheimen Winkel der menschlichen Herzen, und stellt seine lichtvollen Einsichten in einem sehr gehaltenen und graziös bewegten Stil dar. Seine Schreibart ist ebenso gebildet und besonnen wie seine Auffassung, rein und correct in ihren Formen, es ist die Schreibart ächt weltmännischer Bonhommie, die erste Verklärung des officiellen und diplomatischen deutschen Stils. In dieser Reihe kann auch Zimmermann, der über den Nationalstolz, über die Einsamkeit und über Friedrich den Großen geschrieben, genannt werden, obwohl der vornehme Weltton, dem er in seinen Schriften nachstrebte, mehr in einer krankhaften Ausartung bei ihm er scheint. Zimmermann steht als ein Opfer der Eitelkeit auch in [381] seinem Stil da. Es giebt Schriftsteller, welche ihre Subjectivität auch in der Schreibart mit einer prickelnden und äffischen Selbstgefälligkeit und Selbstbespiegelung zur Schau tragen, und Zimmermann's krankes Gemüth, das sich vor eigener Ueberschätzung nicht zu lassen wußte, zeigt den ausgebildetsten Typus einer solchen Erscheinung.

Bedeutsamer in jeder Hinsicht für die hier angeknüpfte Betrachtung ist Peter Helfrich Sturz, der zu seiner Zeit einen großen Ruhm der eleganten und feinen Schreibart besessen, und diesen noch heut in einem eigenthümlichen Grade behaupten kann. Sturz war ein Mann der guten Gesellschaft, der in der großen Welt und auf Reisen sich vielfältig gebildet hatte, wie besonders seine Briefe aus Frankreich und England, die er im Jahre 1768 geschrieben, beweisen. Seiner sehr absichtsvollen Schreibart merkt man die fremde und namentlich in französischen Einflüssen gewiegte Bildung an, durch die er sich seinen deutschen Gesichtskreis erweitert hatte, in glänzenden Antithesen reihen sich seine Gedanken aneinander, Effecte, ein piquantes Colorit, hinreißende Wendungen, auffallender [382] Ausdruck der Meinungen, werden erstrebt, aber alle diese Elemente sind mit außerordentlichem Takt und harmonischer Abrundung ineinandergearbeitet. Ein sicherer Weltblick, mit Wärme des Herzens und erregbarer Phantasie verbunden, schaut klug und umsichtig aus seinen Darstellungen hervor, am glücklichsten aber baute er in seiner Biographie des Grafen von Bernstorf ein bis dahin noch kaum betretenes Gebiet der Darstellung an. Man muß sich wundern, daß Friedrich der Große diesem Schriftsteller, dessen freigebildete Weltmanier ihm zusagen mußte, bei seiner Revüe der deutschen Literatur gar keine Aufmerksamkeit schenkte, was er jedoch, wenn er ihn gekannt, ohne Zweifel gethan haben würde. 1

In der hier verfolgten Richtung tritt Varnhagen [383] von Ense mit höherer und bewußterer Kunstvollendung ein, getragen von den reicheren Elementen, welche die moderne Anschauung und Zeitbildung einem solchen Alles verarbeitenden Geist zuführen mußte. Varnhagen schreibt nicht nur schön, seine Conception und Anschauung ist zugleich immer ein Meisterstück der Berechnung und ordnet als der innere Werkmeister die Sätze wie zu einer taktischen Demonstration. Möser und Sturz sind in dieser Sphäre einer verklärten officiellen Darstellung die wahlverwandten Vorgänger Varnhagen von Ense's, aber er übertrifft sie an künstlerischer Einfalt der Behandlung und an universeller Weltansicht. Den Einflüssen des Staats- und Weltmanns auf die Darstellung hat sich bei ihm ein goethe'sches Element zugesellt, das, auf dem Grunde seines eigenen Naturells charakteristisch durchbildet, seinen Stil in der Mitte erhält zwischen poetischer und diplomatischer Wirkung. Diese Mischung ist so originell und fügt sich so sehr zu einer entschiedenen Individualität zusammen, daß man Varnhagen's Stil nur mit Unrecht unter die Nachahmungen des goethe'schen reihen kann, obwohl ihm[384] das öfters geschieht. Auch im Einzelnen ist mancher Unterschied in der Schreibart, wie viele Vortheile auch Varnhagen darin Goethen abgesehen, doch folgt Varnhagen in der reinlichen Sculpturarbeit seines Stils bis auf leise Wortschnitzereien seinen eigenen Motiven, die er nach dem Gegenstande und der damit beabsichtigten Wirkung abmißt. In diesem Schriftsteller sind Elemente gegeben, um eine ganz neue Seite der deutschen Literatur hervorzubilden. Ueber die Schule seines Stils hat er selbst, in einem Privatbriefe aus Ems (vom 6. August 1836.), einige merkwürdige Bekenntnisse gethan, bei Gelegenheit einer Aeußerung Gutzkow's, der, in seinen Bemerkungen über den deutschen Stil, die neueste HinneigungLaube's zu dem vornehmen und goethisirenden Stil heraushebt, und diesen tadelt, daß er Goethen durch die dritte Hand d.h. erst durch Nachahmungen Varnhagen's, nachahme. Varnhagen von Ense sagt dagegen unter Andern Folgendes, das wir zugleich aus Interesse der allgemeinen Bildungselemente des modernen Stils, die dabei zur Sprache kommen, hersetzen: – »Welcher Art mein [385] Stil sei, wüßte ich schwer anzugeben, ich bediene mich seiner, wie er sich gerade bietet, und wenn ich beim Schreiben den Ausdruck besonders wählen und bisweilen suchen mag, so geschieht es gewiß nur, um der Sache gemäß richtig und klar zu sprechen, nicht aber des Schmuckes wegen. Daß aus Standpuncten und Gesinnungen, welche sich zu Goethe bekennen, auch dessen Schreibart einigermaßen hervorgehen könne, ist nicht zu verwundern, und welcher Deutsche hat nicht auf diese Weise mehr oder minder von Goethe gelernt und angenommen? Wenn aber, unter solcher Bedingung, auch mir sein Stil hat wohl gelingen können, und sogar bis zur Täuschung – wie denn einer seiner letzten kritischen Aufsätze, worin niemand eine zweite Hand unterschieden hat, zu einem starken Drittheil von mir ist 2 – so dünkt [386] mich doch gar nicht, daß mein Stil überhaupt dem Goethe'schen sich anschließe. Absichtlich gebildet hat er sich nach ihm am wenigsten, und schon in frühester Zeit war nach ganz andern Mustern seine Richtung bestimmt. Denn, nachdem ich lateinische Prosa und deutsche metrische Versuche vielfach durchgeübt, waren zunächstKlopstock, Lessing und Voß meine Vorbilder, darauf eine Zeitlang – nicht eben zum Gewinn – Schleiermacher, endlich aber in einigem Betracht Fichte, in anderm Friedrich Schlegel, Gentz, und insbesondere nochVoltaire, Diderot und Montesquieu, denen, wie den Franzosen überhaupt, in solchem Betreff ich ungemein viel schuldig zu sein bekenne. DaßGoethe hiebei nicht ausgeschlossen sein konnte, ist schon zugestanden, allein zur bloßen Form ließ sein Wesen nicht füglich abgesondert sich verbrauchen; was ich ihm, und ebenso Rahel'n, auch in Hinsicht des Stils Belehrendes zu verdanken habe, gründet sich auf Nachahmung beider am wenigsten.« –

Unter den Erscheinungen der neuesten Zeit, welche hieher gehören, ist auch die gesellschaftliche [387] Virtuosität in mehreren Darstellungen von Eduard Gans, namentlich in seinen »Rückblicken auf Personen und Zustände«, hier zu nennen. Gans hat in diesen Skizzen einen ächten humanen Salonton getroffen, der mit anziehender Leichtigkeit Menschen und Verhältnisse behandelt, übersichtlich und fertig Alles gruppirt, was sich der Beobachtung darbietet und in treffender Kürze, ohne nach der einen Seite zu tief, oder nach der andern zu weit zu gehen, die Gestalten zusammenfaßt und abfertigt. Die Einfachheit und Unbefangenheit seiner Schreibart ist kunstvoller, als sie in ihrem leichten Hinwurf für den ersten Augenblick erscheint. Der Charakter der ganzen Mittheilung hält sich in der Tonart des Gesprächs, man sieht den sprechenden, nicht den schreibenden Autor. Mit mehr koketten Manieren erstrebt Rumohr in seiner Darstellung den Saloncharakter, aber er erreicht die vielseitige Beweglichkeit und Harmlosigkeit von Gans nicht. Rumohr hat den vornehmen Stil einseitig cultivirt, und das goethe'sche Behagen, das er dazu genommen, sitzt ihm etwas steif und ist nicht recht verarbeitet. –

[388] Eine gesellige Seite des deutschen Lebens, die sich in der Literatur am reichsten erschlossen hat, stellt sich in den Briefen dar, in deren vielfältigen Sammlungen in der letzten Zeit ein wahrer Nationalschatz zu Tage gefördert worden. Seitdem Gellert als Reformator des deutschen Briefstils aufgetreten und ihn durch die Annäherung an das wirkliche und gesellige Leben von der Pedanterie des Ceremoniells möglichst zu emancipiren gesucht, begann die deutsche Subjectivität sich freier an dieser Form zu entfalten. Durch die Musterbeispiele, die Gellert aufstellte, würde freilich die Briefschreibekunst nie eine höhere Grundlage gewonnen haben, wenn es nicht in der nationellen Natur gelegen, mit mehr Ausführlichkeit und Behagen ihr Innerstes und Persönliches in Briefen zu ergießen, als es ihr im mündlichen Gespräch und Verkehr bequem ist. Die einzelne Gehaltlosigkeit vieler Briefsammlungen, deren Hervortreten unserer Zeit aufbehalten gewesen, kann im Allgemeinen die große Bedeutung nicht schmälern, welche diese Literatur der Briefe als Ueberlieferungen zu unserer Culturgeschichte, als Familiennachrichten aus dem innern[389] Hauswesen unserer Nationalliteratur, zu behaupten berechtigt ist. Man hat mit Recht bemerkt, daß die Briefe der Deutschen die Stelle der Memoiren bei ihnen vertreten, doch wird, bei immer mehr entwickeltem Sinn für öffentliches und weltthümliches Bewegen, auch die Form, in der wir über uns selbst zu sprechen fähig sind, sich erweitern und plastischer ausbilden. Denn soviel ist gewiß, daß unsere Nachkommen wenigstens von der heutigen Generation keine solche Briefsammlungen überliefert erhalten werden, in der sich alle unsere Lebensbezüge und jeder kleine Winkel unserer Stuben- und Herzensverhältnisse ebenso abschilderten, als in jenen zumeist aus dem vorigen Jahrhundert datirenden Briefen mit so behäbiger Ausführlichkeit und Redseligkeit der Mittheilung geschieht. Die Sitten ändern sich hierin, und es scheint, daß wir heutzutage weder Zeit noch Laune und Stimmung mehr dazu haben, so viele und lange Briefe über uns und das Unsrige zu schreiben, als man sonst in Deutschland gethan. Die einsame Stille der Briefsituation im gesprächlichen Ergehen mit einem abwesenden Gegenstande sagte aber der ganzen [390] Anschauungsweise des vorigen Jahrhunderts zu. Der unmittelbare und lebendige Dialog konnte dagegen nie eine recht eigenthümliche, natürliche Form gewinnen, am allerwenigsten, wo er mit künstlicher Nachbildung Plato's zum Relief wissenschaftlicher Untersuchungen dienen sollte. Solger hat in seinem Erwin ebensowohl wie in den philosophischen Gesprächen, was die Form anlangt, nur todtes Maschinenwerk geliefert. –

Eine andere Herausbildung des individuellen Nationallebens in der Darstellung geschieht durch dieBeredtsamkeit, welche Wilhelm von Humboldt 3 sehr treffend eine Verknüpfung der Prosa mit dem Volksleben nennt. Doch steht das moderne Leben nach dieser Seite abgeschnitten da, wo im Alterthum große Zusammenhänge stattfanden. Die antike Beredtsamkeit war allerdings mit dem Nationalleben so eng durchdrungen, daß man, wie in der Volkspoesie, gewissermaßen eine mythische Periode derselben annehmen kann, wo es keine literarische Verbreitung der Redekunst gab, sondern [391] dieselbe rein inmitten der Bedürfnisse der Gesellschaft verbraucht und entwickelt wurde. Unter den modernen deutschen Zuständen ist es fast nur die Kanzel, welche dies Talent weiterträgt und mit dem Volksleben in einer bestimmten Verbindung erhält. Die Beredtsamkeit der deutschen Kanzel ist aber für die Bildung der Sprache und Darstellung selten von gutem Einfluß gewesen, und hat oft dazu beigetragen, den deutschen Stil zu verderben, namentlich durch eine unnatürliche und unabsehbare Periodenverwickelung. Schon Herder eiferte in seinen Fragmenten zur deutschen Literatur (dritte Sammlung S. 359 fg.) gegen die ciceronianische Affectation der deutschen Kanzelredner. »Wo – ruft er aus – schleppt sich die Sprache mehr als auf den Kanzeln? Hier, wo man das Verständliche des Vortrages so oft darein setzt, mit einem Schwall von Worten nichts zu sagen, den Perioden in seine fürchterlichen Glieder zu ordnen, um einen panischen Schauder einzujagen. Wie oft hört man einen Gedanken nach diesem Zuschnitt: ›Wenn wir uns umherschauen – wenn wir – wenn wir weil es – so werden wir gewahr, daß die [392] Menschen Sünder sind‹ –; dies ist die gewöhnliche homiletische Schlachtordnung, die Bindewörter und Beiwörter und Hülfswörter und Synonymen und periodische Theile in Ueberfluß hat, um den Mangel an Gedanken zu verbergen; die das Ohr übertäubt, um nicht die Leere des Verstandes zu zeigen; dies ist der fließende Vortrag, der vor dem Essen heilsamen Appetit und nach dem Essen einen sanften Schlaf machet. Aber nicht bloß bei diesen seichten Homileten, sondern selbst bei glücklichen Rednern muß man es oft beklagen, daß ihr Stil gleich von seiner zarten Jugend an sich nach dem Latein gebildet, daß der periodische Ceremonieenzwang, der in Schulen von lateinischen zu deutschen Chrien steiget, noch manchmal bei den besten Gedanken durchblickt.« –

Fußnoten

1 Vgl. indeß einen interessanten Brief über Sturz, imdeutschen Museum, St. X. 1781. den der Staatsminister von Hertzberg auf Veranlassung einer Anfrage, warum Sturz in der Schrift sur la litérature allemande gar nicht erwähnt worden, geschrieben; wieder abgedruckt bei L. Meister, Friedrichs des Großen wohlthätige Rücksichten auch auf Verbesserung teutscher Sprache und Literatur (Zürich, 1787.) S. 85. fg.

2 Wir glauben nicht fehlzugehen, wenn wir hier, als Cicerone interpretirend, die Recension Goethe's über die Monatsschrift des böhmischen Museums nennen, die zuerst in den Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik abgedruckt stand, und nachher auch in der letzten Ausgabe von Goethe's Werken aufgenommen wurde. Th. M.

3 Ueber die Kawi-Sprache, Einleitung, S. CCLX.

[393] 3.

Das Verhältniß der Prosa zur Wissenschaft ist noch zu bezeichnen übrig. Die Form der Wissenschaft steht ebenfalls in einem tiefen und eigenthümlichen Zusammenhang mit dem Geist der Sprache, und wenn sie sich demselben entfremdet und an zünftige Formeln und gelehrte Abstractionen verfällt, so ist es ihre Schuld. Der wissenschaftliche Geist ist auf seinem Gebiete einer ebenso hohen und ursprünglichen Diction fähig, als der poetische auf dem seinigen, nur gemäßigt nach den verschiedenen Elementen, auf denen beide ruhen. Plato und Aristoteles können die Begründer der wissenschaftlichen Diction genannt werden, obwohl sie Beide auf entgegengesetzten Polen die zwei [394] Gipfel derselben bezeichnen. 1 Das poetische Gestalten der Erkenntniß und Forschung bei Plato tritt zu entschieden als Leistung des Talents und der Individualität auf, um als eine Norm wissenschaftlicher Behandlung im Allgemeinen zu wirken, doch ist das dialektische Wesen der Untersuchung in den platonischen Dialogen bestimmt ausgebildet worden und hat die Darstellung der Wissenschaft seitdem beständig bewegt. Aristoteles dagegen stempelt in seiner strengen Aneinanderreihung des Thatsächlichen und Gedankenmäßigen die eigentlich wissenschaftliche Epoche, in welche die Schönheit des griechischen Lebens auslief, und worin selbst die Grazien der frei umherwandelnden Speculation, die sonst in Griechenland in Gärten und Hainen ihren Gedanken nachgehangen, methodisch gefangen und in einen begriffsmäßigen Zusammenhang eingeordnet wurden. In Aristoteles begründete sich die strenge Sprache der Wissenschaft, die in deren Fortentwickelung als wesentliches und leitendes Element [395] überging, und den Einfluß der aristotelischen Philosophie durch alle Jahrhunderte hindurch bis in die Formen der modernen Geistesbildung verbreitete. Die Reinheit und Ursprünglichkeit dieser wissenschaftlichen Diction des Aristoteles, die in spröder Gemessenheit ihrem Gegenstande anliegt, ist aber in der Geschichte der modernen Wissenschaft, namentlich der deutschen, selten getroffen worden. Bestandtheile aller Art haben sich der wissenschaftlichen Darstellung angehängt, und oft gleichsam einen Abzugscanal aller schlechten Formen und Stoffe der Sprache oder auch einen Tummelplatz mystischer und phantastischer Ausschweifungen aus ihr gemacht. Die Prosa der deutschen Gelehrsamkeit hat auf der einen Seite Extreme der Geistverlassenheit dargeboten, die man unter einer gebildeten Nation nicht für möglich halten sollte, auf der andern Seite hat die höher sich gestaltende Wissenschaft, von der Bahn der gegenständlichen Einfachheit abirrend, sich ganz in Poesie zurückgestürzt und den Kreis der auf sich beruhenden Forschung schwärmerisch durchbrochen. So könnte zu der wissenschaftlichen Abgränzung der aristotelischen Diction [396] kein größerer Gegensatz in moderner Darstellung gefunden werden, als die Prosa von Görres, in der die Wissenschaft wie in eine brennende Zauberwüste voll magischer Lichter und Schatten versetzt steht. Die Erkenntniß malt sich hier in einer Fata Morgana von Erscheinungen aus, die durch ein wunderbares, wenn auch auf dem Kopf stehendes Luftbild hinreißt, wo sie nicht überzeugen kann. Diese trunkene Mischung der Poesie mit der Wissenschaft ist verwirrend für dieselbe, weil sie nicht, wie in Plato, zu einer plastischen Gestaltung und Durchdringung kommt, sondern gewissermaßen auf der Stufe subjectiver Verzückung bleibt. Einen modernen Ableger der platonischen Dialektik stellt dagegen die Sprache Schleiermacher's dar, in ihren rein wissenschaftlichen Darstellungen häufig peinlich und ohne den idealen Schmelz, den Plato's höhere poetische Natur selten verliert, aber in der Weihnachtsfeier, den Monologen und vielen Predigten, besonders den frühern, oft meisterlich und voll innerer Springkraft. Unabhängiger von bestimmten antiken Einflüssen, aber von dem Geist des Alterthums und dem erhabenen Sinn seiner [397] Darstellungskunst durchdrungen, ist die Prosa Wilhelm von Humboldts vielleicht die gediegenste und großartigste, zu der es die deutsche wissenschaftliche Diction bisher hat bringen können, und die selbst auf dem trockenen Felde grammatischer Untersuchungen eine immer rege Geistesbewegung verbreitet. Die Schreibart dieses tiefsinnigen Forschers ist ebenso würdevoll als natürlich und einfach, und weiß mit Leichtigkeit das Einzelnste in die höhere Verbindung mit dem Allgemeinen zu rücken. Als eigenthümlicher Meister, mit noch mehr poetischen und modernen Stoffen der Darstellung gefärbt, ist neben ihm sein Bruder Alexander von Humboldt zu nennen, der zugleich die Gewandtheit und den Faltenwurf des Weltmanns mit wissenschaftlicher Behandlungsart verbindet. Sein Stil besitzt viel originelle Grazie, doch hat er auch manche französische Einflüsse in sich aufgenommen. Eine wahrhaft poetische Bedeutung aber erreicht er in seinen Naturschilderungen, die oft wie mit neuen Sprachorganen reden. –

Die ächte Sprache der Wissenschaft wird sich nicht leicht unabhängig von der philosophischen [398] Speculation eines Volkes zu etwas Großem bilden können. Der Sprache der deutschen Philosophie fehlte aber meistentheils das nationelle Gepräge, sie steht als eine künstliche Maschine da, deren Bewegungen nur der im Besitz des Geheimnisses Befindliche verstehen mag. Unsere Speculation hat den Krebsschaden der scholastischen Terminologie, der sich in ihr innerstes Leben eingefressen, niemals ganz verwinden können. Leibnitz 2 bemerkte, daß bei den Engländern und Franzosen die scholastische Methode zu philosophiren darum abgekommen sei, weil diese Nationen schon früh in ihrer eigenen Muttersprache philosophirt hätten, wodurch dem Volke und sogar den Frauen Zugang zu solchen Dingen eröffnet worden sei. Die strengere wissenschaftliche Speculation in Deutschland hat freilich die Stufe der freien Darstellungskunst, zu der sie Leibnitz hinüberführen wollte, nur in wenigen Ausnahmen erreichen können. Wilhelm von Humboldt sagt in seiner Einleitung zur Kawi-Sprache [399] über die philosophische Diction: »Die wahrhaft tiefe und abgezogene Philosophie hat auch ihre eigenen Wege, zu einem Gipfel großer Diction zu gelangen. Die Gediegenheit und selbst die Abgeschlossenheit der Begriffe giebt, wo die Lehre aus ächt schöpferischem Geiste hervorgeht, auch der Sprache eine mit der inneren Tiefe zusammenpassende Erhabenheit. Eine Gestaltung des philosophischen Stils von ganz eigenthümlicher Schönheit findet sich auch bei uns in der Verfolgung abgezogener Begriffe in Fichte's und Schelling's Schriften, und, wenn auch nur einzeln, aber dann wahrhaft ergreifend, in Kant. Die Resultate factisch wissenschaftlicher Untersuchungen sind vorzugsweise nicht allein einer ausgearbeiteten und sich aus tiefer und allgemeiner Ansicht des Ganzen der Natur von selbst hervorbildenden großartigen Prosa fähig, sondern eine solche befördert die wissenschaftliche Untersuchung selbst, indem sie den Geist entzündet, der allein in ihr zu großen Entdeckungen führen kann.« Diese Durchdringung des allgemeinen productiven Geistes mit dem philosophischen und wissenschaftlichen Stil kann allerdings als der [400] Gipfelpunct desselben bezeichnet werden. Aber wo in der Geschichte der modernen Philosophie der Gipfel der philosophischen Methode erscheint, bei Hegel, sind die scholastischen Bestandtheile der Diction, wenn auch neu und originell verschmolzen, wieder vorherrschend. Wenn der rednerische Fichte als der Rhetoriker, und Schelling mit seiner genialen Schreibart als der Dichter unter den Philosophen erscheint, so sucht der aristotelische Hegel dagegen die strengste philosophisch gelehrte Behandlung auch im Stil zu behaupten. Dennoch erreicht er in seiner eigenthümlichen Manier auch eine großartige und erhabene Darstellung, namentlich in der Phänomenologie, und in der Logik, wo die festgeschlossene und geharnischte Sprache in markigen Gebilden auftritt. Andere Partieen seiner Philosophie sind schlotterichter ausgearbeitet, und am allerwenigsten gelingt es ihm, wo er versucht, populaire Anschaulichkeit für die Vorstellung zu geben, wie an vielen Stellen seiner Vorlesungen. Unter seinen Nachfolgern, welche sich die Mission haben angelegen sein lassen, seine Philosophie zu verarbeiten, hat Karl Rosenkranz ein bedeutendes [401] Talent für wissenschaftliche Popularität gezeigt und trägt in seinen encyclopädisch umsichtigen Schriften und Aufsätzen viel dazu bei, die Interessen der Wissenschaft und der Idee mit den fortlaufenden Zeitinteressen im Niveau zu erhalten.

Inwieweit die philosophische Darstellungskunst zu einer populairen Form für den Inhalt der Philosophie ausgebildet werden kann, stellt sich als die wichtigste Frage bei der Schreibart der Speculation dar. Die bedeutsamsten philosophischen Ideen sind am Ende geläufige Thatsachen des Bewußtseins geworden und haben sich in die currente Anschauungsweise unwillkürlich umgesetzt. Der Begriff durchbricht die Formeln des Systems, und verbreitet sich, auf die Fortbewegungslinie der Geschichte tretend, in die Vorstellungen des Lebens. Die ächte Popularität wird in der productiven Flüssigmachung des philosophischen Inhalts bestehen und auf diese Weise dürften wohl die abgezogensten Begriffe im Genius eines großen Philosophen eine populaire Form gewinnen können.Schelling war durch seine poetische Natur dieser philosophischen Popularität am nächsten gekommen, aber seine sinnlich lebensvollen [402] Auseinanderlegungen der Begriffe umflorten sich wieder auf der andern Seite mit Nebelschleiern der Phantasie, die auch den Gedanken selbst überschatteten. Die dunkelstammenden poetischen Blitze, mit denen Schiller in seinen philosophischen Abhandlungen die Sandsteppen der kantischen Kategorieen durchschoß, boten zwar oft ein prachtvolles, wenn auch schwer zu übersehendes Schauspiel, aber es war nicht die richtige Begegnung des productiven Geistes mit der Philosophie, um dieser die höchstvollendete Darstellung zu erringen. F.H. Jacobi war auf dem Wege, der Philosophie eine treffliche, ächt deutsche Prosa zu gewinnen, und in seinen klaren Gedankenentwickelungen bebten leise die geheimen Saiten seines poetischen Herzens durch, aber was ihm fehlte, war die wissenschaftliche Großartigkeit, deren der philosophische Stil nicht ermangeln darf, für die aber Jacobi ein zu weibliches Naturell hatte. Eine merkwürdige Mischung poetischer und philosophischer Natur stellt der sibyllinische Hamann dar, der alle Geheimnisse und Zauberkünste der deutschen Sprache kennt, aber sie mit allerlei fremdartigen und magischen Zuthaten [403] behängen muß, um seinen wahrsagerischen Gedankenspielen ein Genüge zu thun. In Hamann erscheint die philosophische Sprache auf der Stufe der Prophetie, und hat die Extase sowohl wie die spielende Dunkelheit derselben an sich, und nur sein Witz erleuchtet zuweilen mit räthselhaftem Kometenfeuer die Nacht seiner Darstellung. Hamann ist der auf tieferer wissenschaftlicher Grundlage ruhende Jacob Böhme auch hinsichtlich der Schreibart, mit Ausnahme des Humors, von dem der philosophische Schuster noch keinen Anflug hatte. Auf einem Gebiet, das mehr der Poesie als der Philosophie angehört, zeigt Hippel den Widerstreit eines zu gleicher Zeit poetischen und philosophischen Naturells, welcher sich in beständiger Fluctuation nach diesen zwei Seiten hin durch seine Darstellungen bewegt. Seine poetischen Schilderungen gerathen ihm oft zu philosophisch, der Gedanke hängt seiner Phantasie einen Schwerestoff an, und seine philosophischen Betrachtungen schlagen gern in die Region der Träume über; ein Conflict, der auch Herder's wissenschaftliche Sprache so schwankend machte. –

[404] Die am Eigentlichsten populaire Form der Speculation ist die Geschichte, in der das Ideelle als Thatsächliches erscheint. Die Darstellung der reinen Ideen wird immer mit formalistischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, ehe sie zu einem productiven Guß und zu einer Einheit sich verschmilzt. Die Darstellung der gegebenen Thatsachen aber steht von vorn herein in einer freieren und heitern Sphäre und läßt dem individuellen Talent der Behandlung einen größeren Spielraum. Die historische Prosa hat sich in Deutschland nur selten der höchsten Vollendung angenähert, und es fehlt ihr der sichere nationelle Takt der antiken Geschichtschreibung, der nur aus einem großen und in sich beschlossenen Volksbewußtsein hervorgeht. Dieser charakteristische historische Ton durchzieht bei den Alten selbst ihre Compendien der Geschichte mit Lebensbedeutung. Für die Deutschen ist es schwer, überhaupt einen eigenthümlichen Ton in der Geschichtschreibung zu treffen, und wenn sie der strengpragmatischen Langenweile oder der politisch kannegießernden Manier aus dem Wege gegangen sind, haben sie sich mit unnützen Raisonnements das [405] historische Feld verrückt, oder zur Nachahmung der alten Historiker ihre Zuflucht genommen. Unsere Literatur hat kaum eine bedeutende Geschichtsdarstellung aufzuweisen, die ganz ohne Vorbild und Anflug des Alterthums entstanden wäre, besonders haben Tacitus, Thucydides und auch Xenophon einen großen Einfluß fast überall geübt. Eine kritisch zusammengelesene Mosaik von Darstellungstönen offenbart sich bei den meisten unserer Geschichtschreiber, namentlich bei Johannes von Müller, der in der historischen Behandlung für Viele den Ton angegeben. Müller bildete seine Schreibart mit außerordentlichem Studium und sehr genauem Bewußtsein, und man kann sie ein Mischproduct der Alten und der Engländer nennen, zu einer originellen Manier verbunden durch seine hinzutretende geistige Eigenthümlichkeit, doch hat auch die französische Sprache, in der er erzogen worden, einen wichtigen Einfluß auf seinen Stil gehabt, vorzüglich in der Satzbildung. Welche Mühe sich Johannes von Müller in der Bildung seiner Darstellung gegeben, ist interessant aus seinen Briefen, wo er sich mehrfach darüber äußert, zu ersehn. An[406] seinem Schweizerischen Geschichtswerk arbeitend, schrieb er (unter dem 10. Juni 1777.) an seine Eltern: »Ich muß euch sagen, daß ich meinem Werke seit meinem letzten Briefe noch eine andere Vollkommenheit zu geben gesucht habe. Die deutsche Sprache, die in den meisten Schriftstellern etwas schwerklingend ist, hab' ich durch geschickte Wahl und Stellung der Worte so melodisch und sanft zu machen gesucht, als die italienische Sprache; und soweit ist meine Sorgfalt gegangen, daß ich an den meisten Orten den übelklingenden Zusammenstoß solcher Consonanten, welche einander verschlucken, der v und f, der d und t, der ch und ck, vermieden habe.« – Den Stil des Johannes von Müller lediglich auf den Tacitus zurückzuführen, ist ein ziemlich verbreiteter Irrthum, dessen er sich selbst häufig zu erwehren gesucht hat. Im Jahre 1781 schrieb er über seinen Stil Folgendes an seinen Bruder: »Seit mehr als fünf Jahren hab' ich Tacitum nicht gelesen; gleichwohl hat einer neulich gesagt, ich wäre Tacito Tacitior. Ich halte dafür, daß die Kürze meiner Schreibart von der Gewohnheit herkommt, Alles [407] in Auszüge zu bringen, und von der Begierde, viel zusammenzudrängen, um keine Langeweile zu erregen.« – Merkwürdig ist auch folgende Aeußerung in seinem Aufsatz über Studium und Uebersetzungen des Tacitus 3, in dem er Cäsar und Macchiavell für die größten Muster der Geschichtschreibung erklärt: »Die großen Muster der alten Geschichtschreibung deutsch zu liefern, ist ein wahrlich ungemeines Verdienst, eine Erneuerung dessen, welches sich Luther durch die Bibelübersetzung um die Sprache erwarb. Erst dann wird man erkennen, wie viel in ihr liegt, was sie auch hierin vermag. Nur würde ich vielleicht nicht mit Tacitus anfangen; er ist aus den Zeiten des von der ersten Einfalt schon ins Gekünstelte sinkenden Geschmacks. Ich fürchte, wir würden uns bald zu viel zieren, oder vielmehr Concetti in Bande pressen, bei denen dem Leser nie ganz wohl ist. Beginnen wir lieber mit Julius Cäsar's majestätischer Eleganz, mit Xenophon's goldreinem Honig, mit Herodot's Grazie; [408] ja Thucydides in der Erzählung ist höchst würdig und kraftvoll klar; in Reden unvergleichlich vor andern, und Sallust ihm der nächste. Nicht bewahre Gott, als mißkennte ich die stoische Größe der Seele des Tacitus, oder seinen Reichthum, seine Gluth, aber es kommt viel darauf an, daß die ersten Muster die vollkommensten, und von den herrschenden Fehlern die entferntesten seien.« –

Indeß scheint Johannes von Müller doch, unbewußt oder geflissentlich, übersehen zu haben, was er dem Tacitus verdankt und worin dessen eigentliche Größe und ewige Bedeutung für die Geschichtschreibung beruht. Wenn es auch bei Müller nicht jene Anwandlung von Eifersucht war, in der man wohl öfter die Copie gegen ihr Original sich auflehnen sieht, so konnte ihn doch der Aerger über häufige und unverständige Vorwürfe der Nachahmung leicht bewegen, sich der tacitischen Schreibart gegenüber für eigenthümlicher zu halten als er war. Thomas Abbt hatte in seinem Fragment der portugiesischen Geschichte und einigen andern Aufsätzen dem Tacitus am genialsten nachgeahmt, und mit einer größeren Wahlverwandtschaft des Naturells, [409] als sie dem Johannes Müller zustand. In neuester Zeit hat Ranke in demselben Genre vortreffliche Töne angeschlagen, jenen coupirten Stil eigenthümlich und geistvoll handhabend, ohne im höheren Grade originell zu sein. Seine rasche pointirte Sprache ist für die historische Portraitmalerei geschickt, zu spröde aber für den Fluß und Zusammenhang der Begebenheiten. Mit genialem Raisonnement durchdringt und verbindet Leo die Thatsachen und stellt sie unter eine scharfe, aus dem Gedanken hervorgehende Beleuchtung, ohne sich im Einzelnen des Stils Mühe mit seiner Darstellung zu machen. Seine Schreibart hat zuweilen etwas Burschikoses und überläßt sich einem geistreichen Cynismus, dem man freilich oft die allertreffendsten Bezeichnungen nicht abläugnen kann, doch finden sich auch, namentlich in seiner italienischen Geschichte, objective Darstellungen von wahrhaft historischer Kraft und Würde. Zur Einfachheit und Ruhe der Alten, an Xenophon erinnernd, ist Varnhagen von Ense in seinen Biographieen und historischen Skizzen zurückgekehrt, dem Gegenständlichen sich anschmiegend, ohne in sauberster Ausmalung [410] des Einzelnen und Individuellen den allgemeinen Geschichtssinn zu verläugnen. –

Die politische Prosa konnte in Deutschland noch bei weitem weniger dahin zielen, sich einen Nationaltypus zu erschaffen, als die historische, denn was in dieser noch durch wissenschaftliches Bestreben erreicht und nachgeahmt zu werden vermag, muß für jene aus dem unmittelbaren Leben entspringen, wenn es überhaupt wirksam und charakteristisch sein soll. Die römische Prosa bildete sich am meisten zum Ausdruck eines politischen Volkscharakters. Die politische Prosa der Alten hat ihren nationellen Hintergrund an der öffentlichen Beredtsamkeit, die moderne müßte dagegen durch die Debatte gepflegt werden. Für die moderne Politik fehlt ein Volksbuch, wie sie für die Religion in der Bibel gegeben ist, wo sie zugleich in der modernen Sprachschöpfung, die sich durch Luther an sie knüpfte, die bedeutsamsten Ausdrücke des Nationallebens gründete. Friedrich der Große beabsichtigte auch im preußischen Landrecht ein politisches Volksbuch, das nach dieser Seite eine nationale Grundlage gewähren sollte. Eine immer [411] höhere Ausbildung dieses Gedankens führt in der Abfassung der Gesetze zu einem wahrhaft volksthümlichen Stil. Die Verdienste Hardenberg's um eine schöne, klare und deutliche Gesetzabfassung wären bei einer umfassenderen Berührung dieses Gegenstandes vorzüglich herauszuheben. Die Klippen, an denen die Sprache der Gesetze noch immer scheitert, sind aber der Canzleistil, der so viel zähe Traditionen in sich hat, daß es ihm schwer wird, sich vernünftig reformiren zu lassen. 4 Was jedoch die deutschen publizistischen Schriftsteller anlangt, so sind ihre Reihen dünn und ihre Gestalten meistens dürftig, und ich weiß keinen zweiten zu nennen, der so wie Friedrich von Gentz hervorragte, durch welchen die Prosa der Kabinette eine künstlerische und ideale Höhe erstieg. Auch in [412] seiner »authentischen Darstellung des Verhältnisses zwischen England und Spanien« (Petersburg 1816.) ist ein seltener, merkwürdiger Stil, der mit aller Keckheit und Freimüthigkeit der Bezeichnung zugleich eine speculative Entwickelung verbindet, in der er sich ebenso natürlich bewegt. Man lese, was Varnhagen von Ense (in der Galerie von Bildnissen aus Rahels Umgang I. 194.) über Gentzens Schreibart bemerkt, und was Gentz selbst in späterer Zeit, wo ihm eines seiner früheren Bücher wieder vor Augen gekommen, im Bewußtsein seines Talents (I. 248.) an Rahel darüber schreibt. –

Die Einflüsse der politischen Verhältnisse und Wirren auf den Stil haben sich in der letzten Zeit vornehmlich in der kritischen Schreibart mehrerer Schriftsteller auf eine bemerkenswerthe Weise gezeigt. – Die ästhetisirend kritische Manier, welche durch die Schlegel'sche Schule begründet worden, genügt heutzutage dem Geist nicht mehr, der sich an der Kritik einen Ausdruck zu geben sucht. Der gleißende ästhetische Firniß, mit dem A.W. Schlegel seine Schreibart überwarf, ist jetzt unwirksam [413] für die praktischer gewordenen Bewegungen der Kritik, die sich mit den bloßen Formen weniger zu thun machen. Inhaltvoller und kernhafter in seiner Schreibart istFriedrich Schlegel, der oft erhabene Großbauten des Periodenstils unternimmt und die seltene Länge und Fülle seiner Satzbildung doch zur Harmonie zu meistern versteht. In der ästhetisirenden Manier der Schlegel'schen Schule fuhr Franz Horn fort, ein sentimental humoristisches Naturell und jean-paul'sche Anflüge hinzufügend, auch in seinem Stil, der oft eine vortreffliche Durchbildung hat, mehr für ein Frauenpublikum der Kritik geeignet. – Die neueste Kritik befand sich meistentheils immer nur auf dem qui vive? und nahm dadurch einen unruhigen, die literarischen Zwecke überschreitenden Charakter an. Dagegen ist die feine Gränzlinie in Varnhagen von Ense's kritischer Behandlung als Studium zu empfehlen, dessen Einwirkung sich bei Heinrich Laube zeigt, der in seinen »modernen Charakteristiken« einen anziehenden, gesellschaftlich conversirenden Ton getroffen. Mehr didaktisch conversirend, ein moderner Peripatetiker, geht Karl Rosenkranz [414] in seinen kritischen Abhandlungen zu Werke. Dagegen strebt Gutzkow, nur zu sehr aller Einflüsse der Phantasie und des Gemüths auf den Stil sich enthaltend, Lessing'schen Kraftwirkungen nach, und sucht namentlich in seinem Buch »Goethe im Wendepunct zweier Jahrhunderte« (gedruckt in Berlin 1836.) eine stählerne Festigkeit der Darstellung zu erreichen, der es bloß an Melodie gebricht. Eine elegante Mitte zwischen poetischer und kritischer Behandlung hält F.G. Kühne, die Eigenthümlichkeit seines Gegenstandes tief ergreifend und die Tonart der Darstellung danach abmessend. An rednerischem und durchdringendem Feuer halten sich Wienbarg, Gutzkow und Wolfgang Menzel das Gleichgewicht. Productiver ist die kritische Schreibart von H. Heine, oft weniger im Einzelnen der Diction, als in der Behandlung und Auffassung. Am meisten künstlerisch ausgearbeitet aber zeigt sichBörne's Stil, ursprünglich von jean-paul'scher Diction herkommend, die er merkwürdig mit einem skeptischen Naturell verschmolz, später aber sich vernachlässigend. –

Fußnoten

1 S.W.v. Humboldt, über die Kawi-Sprache. Einleitung S. CCL.

2 in seiner Abhandlung de stilo philosophico Nizolii (Opera, ed. Dutens, Tom. IV. p. 48.)

3 Joh. v. Müller's sämmtliche Werke, 8. Thl. S. 412.

4 Lesenswerth ist eine kleine, sehr gut geschriebene Schrift, die hier vor mir liegt, unter dem Titel: »Woher kommt es, daß der alte, dem Fürsten und Volke gleich schädliche Kanzleistil, welchen Friedrich der Einzige verwünschte, und Joseph der Einzige verbot, noch an vielen Orten herrscht, und wie ist er auszurotten? Von F.C. Chr. Link. (Nürnberg 1794.)


Notizen
Erstdruck: Berlin (Veit und Comp) 1837.
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Mundt, Theodor. Die Kunst der deutschen Prosa. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5C83-6