Das Protokoll.
Ich Johann Caspar Wendelin, juris vtriusque Candidatus et Notarius publ. Caes. meines Alters zwischen drei und vier und zwanzig Jahr, begab mich am 25 October [88] jeztlaufenden 17 – – Jahres des Morgens um 7 Uhr, auf hohen Befehl des S.T. Hochwohlgebohr. Reichsfreiherrn Herrn Joh. Adolph v.F. Erb-Lehn und Gerichtsherrn auf Schönthal, Güldenau etc. nach dem Hochadlichen Schlosse in Schönthal auf den Weg, und langte um halb 9 Uhr auch wirklich zu Fuße daselbst an, um eine Unterredung nachzuschreiben, die am besagten Tage zwischen S.T. dem Hochwohlgebohr. Herrn Herrn Ehrhardt Rudolph v.N. Erb-Lehn-und Gerichtsherrn auf Kargfeld, Dürrenstein etc. an einer, und dem auch Hochwohlgebohr. Herrn, Herrn C.F.v. Ln. Sr – – wohlbestallten Major beidem löbl. – – – schen Regimente Infanterie, an der andern Seite, vorgehen sollte, und davon man Folgen von großer Wichtigkeit zu besorgen hatte.
Nachdem ich meine Lebensgeister durch ein gutes Frühstück gestärket hatte, ließ man mich in ein Zimmer treten, wo sich erwähnter Herr Major v. Ln., der Herr v.W. und der Herr v.H. befanden, die in einer Unterredung von [89] der jetzigen veränderlichen Witterung und dem herannahenden Winter begriffen waren, die zu meinem Zwecke nicht gehörten und die ich also aufzuzeichnen keinen Befehl hatte.
Damit ich nun die erwartete Unterredung weniger gestöhrt aufzeichnen möchte, ward ich befehliget, in einen großen Schrank zu kriechen, der ausdrücklich zu dieser Absicht war in das Zimmer gebracht worden. Ich hatte die Ehre, daß der Herr v.F. mich eigenhändig darinne verschloß, und den Schlüssel zu sich nahm. Ungeachtet der Herr v.N. wohl mag gewußt haben, was dieser große unschickliche Schrank in einem Zimmer, das mir seidenen Tapeten ausgeschlagen war, zu bedeuten hatte: so sollte es doch lassen, als wenn ohne sein Wissen diese Unterredung nachgeschrieben würde. Ich wurde dahero befehliget, mich ruhig zu halten, weder zu husten noch zu niesen, vielweniger durch das Anziehen oder Fortsetzen eines Fußes mit meinen Stiefeln ein Gepoltere oder Geräusche zu erregen; hingegen aber sollte ich alles, was vorgienge, [90] aufrichtig und redlich nachschreiben, so, daß ich auf Erfordern die Richtigkeit desselben mit meinem großen Notariat-Insiegel bekräftigen könnte.
Beim Eingange in dies enge Behältniß fand ich, daß der obere Boden des Schrankes weggenommen war, damit das Licht hinein fallen, und ich auch leichter vernehmen könnte, was in dem Zimmer gesprochen würde. Zu mehrerer Bequehmlichkeit, war ein Stuhl hineingesetzet worden, nebst einem Schreibepulte, welches mit den nöthigen Werkzeugen der Schreiberei überflüßig versehen war. In der Thür fand ich eine Oeffnung angebracht, von der Größe eines Spundloches, welches von innen mit einem Gork verstopfet war, den ich heraus nehmen konnte, um alle Bewegungen in dem Zimmer, wenn es nöthig wäre, bemerken zu können.
Ohngefehr um 10 Uhr sagte man, daß der Herr v.N. käme und daß er von dem Herrn Magister Lampert Wilibald begleitet würde, der einen langen spanischen Degen [91] an der Seite hatte. Einige Herren lachten hierauf sehr laut, aber was sie sagten, hielt ich mich nicht befehliget aufzuzeichnen. Der Herr v.W. den ich daran kennete, weil er allezeit über laut jähnete, ehe er anfieng zu reden, sagte zu dem Major: bedenken sie, daß der Mann mein Freund ist, thun sie ihm nichts zu leide, wenn sie der meinige seyn wollen.
Der Major, der sich durch eine männliche und gesetzte Stimme von den übrigen unterschied, sagte: machen sie sich keine Sorge, ich werde säuberlich mit ihm fahren, ich stehe für allen Schaden.
Der Herr v.H. welchen ich an seinen Flüchen erkannte, Sapperment! Wollen sie von ihm keine Satisfaction haben? Sie haben ihn ja herausgefordert.
Der Major. Ich werde sie nicht von ihm erzwingen, wenn er sich nicht freywillig dazu verstehet.
Es schien, daß der Herr Baron sich aus dem Zimmer begeben hatte, um den Herrn [92] v.N. zu empfangen. Ich hörte hierauf, daß ein Fenster geöffnet wurde. Sehen sie, sagte der Major, der vermuthlich am Fenster stand, siehet der Herr v.N. in seiner großen weißen Perucke nicht aus, wie der Admiral Byng, da er sollte arquebusiret worden? Alle Herren rückten hierauf mit den Stühlen, um den Herrn v.N. zu empfangen.
Indem zog ich meinen Gork aus der Oeffnung, und sahe durch solchen den Herrn v.N. in das Zimmer treten. Er hatte eine sehr entschlossene Miene, und schien durch solche seinem Gegner eine Furcht einjagen zu wollen. Der Mag. Lampert folgte ihm mit einem langen Stoßdegen bewaffnet, der ihn verhinderte in dem Zimmer viele Bewegungen zu machen. Er stieß von ungefehr, da er ein Kompliment machen wollte, mit solchem an die Thür meines Behältnisses, daß ich darüber in großes Schrecken gerieth. Die Unterredung fing alsdenn folgender maßen an.
[93] Der Hr. v.N. Ihr Diener, meine Herren, ich erfreue mich, sie allerseits wohl zu sehen.
Der Major. Ich bin der ihrige. Haben sie die vergangene Nacht wohl geruhet?
v.N. Nicht gar wohl.
Der Major. Wie befinden sie sich?
v.N. So hin. Was giebts guts neues, hört man nichts vom Frieden?
Der Major. Ganz und gar nichts.
v.N. Wenn doch die großen Herren des Blutvergießens einmal müde würden, zuletzt gewinnt doch keiner nichts.
Der Major. Sie fechten für die Ehre und in diesem Stücke werden wir ihnen heute ähnlich seyn.
v.N. Wir? Keinesweges! Darzu werde ich mich nicht bringen lassen, daß ich mich [94] mit ihnen schlage, ich komme als Freund und nicht als Feind.
Der Major. Wir wollen sehen, ob wir heute Freunde werden können, bis jetzo sind wir es noch nicht. Wir müssen vorhero erst unsere Sachen miteinander ausmachen.
v.N. So wahr ich ein Mann bin, will ich nicht! Was ich geschrieben habe, dabei bleibt es. Ich komme nicht, mich zu schlagen: aber beleidigen laß ich mich nicht. Wenn meine Person angefallen wird, so weiß ich, wie ich mich vertheidigen soll – Alsdenn nehmen sie sich in Acht.
Der Major. Das werde ich gewiß thun, ohne daß sie mich daran erinnern. Haben sie jemanden als einen Secundanten bei sich, so lassen sie ihn herein kommen.
v.N. Niemanden, als diesen ehrlichen Mann, (er wies auf den Magister Lampert.)
Der Magister. Was soll dieser Schulmann hier, soll er secundiren?
[95] v.N. Das wird nicht nöthig seyn, er ist mein Waffenträger.
Hr. Lampert. Ich trage die Waffen meines Gönners zur Vertheidigung, aber nicht zur Beleidigung. Er gehet jederzeit defensive und nie offensive, sie haben also von diesen Waffen nichts zu fürchten, wenn sie solche nicht selbst gegen sich reizen.
v.H. Vor dem Donner! Wozu nützen diese Reden? Macht eure Sache mit einander aus, ihr Herren, wie es braven Cavaliers zustehet, alsdenn könnt ihr schwatzen, so lange ihr wollt, wenn ihr da noch schwatzen könnt. Bald darzu, bald darvon.
Der Maj. Nehmen sie eine von diesen beiden Pistolen, Herr v.N. Ich handele ehrlich, ich lasse ihnen die Wahl. Dort auf dem Acker, den sie hier vor sich sehen, linker Hand nach dem Gehölze zu, dort wollen wir unsere Sachen ausmachen.
v.N. Seyn sie nicht hitzig, ich rathe es ihnen. Der Acker könnte leichtlich ihr Gottesacker [96] werden. Lassen sie uns frühstücken, bei einer Tasse Koffee wird sich alles geben.
v.H. Sapperment, wie stellen sie sich! Weisen sie diesem Herrn, daß sie Courage haben. Sie reden ja wie eine alte Frau.
v.N. An meiner Courage wird so leicht niemand zweifeln, und ich rede so, wie es meine Grundsätze erfordern.
v.H. Was zum Henker sind das für Grundsätze, die möchte ich sehen! Nach diesen Grundsätzen getraue ich mir nicht, ein Glas Wein mehr mit ihnen zu trinken.
v.N. Das können sie halten, wie sie wollen, ich werde mich dadurch nicht aufbringen lassen. Wenn sie einmal zu mir kommen und eben durstig sind, werden sie froh seyn, wenn ich ihnen nur ein Glas Wein vorsetze.
v.H. Der Henker hole! Ihre Sprache hat sich seit einigen Tagen treflich geändert. Da sie den Ausforderungsbrief von dem [97] Herr Major erhielten, wollten sie alle Bäume ausreißen, sie ließen Spieße und Schwerder zusammen tragen, und thaten, als wenn sie ihn fressen wollten, und nun, da es Ernst werden soll, sind sie verzagt:
v.N. Ich verzagt? Ich dächte sie kennten mich besser. Habe ich ihnen nicht – wie lange wird es nun seyn? vor ungefehr 10 Jahren gewiesen, daß ich Muth habe? Sie werden die Zeichen davon wohl mit in ihr Grab nehmen.
v.H. Dort waren sie ein andrer Mann. Aber ich denke, ich wehrte mich meiner Haut tapfer, und sie bekamen auch etwas, daß sie an mich denken konnten.
v.N. Dieses gehöret jetzo nicht hieher. Wenn wir indessen damals gescheut gewesen wären, so hätten wir nicht nöthig gehabt, uns wie die unsinnigen Menschen herum zu balgen, wir würden unsere Streitigkeit eben so haben beilegen können, wie ich die meinige mit dem Herrn Major jetzo beizulegen gedenke.
[98] Der Maj. Sie haben die Wahl, ob dieses auf den Degen oder Pistolen geschehen soll.
v.N. Weder auf diese noch auf jene Art, und dieses, hoffe ich, wird mich zu dem Titel ihres besten Freundes berechtigen, daß ich es abschlage, mich mit ihnen in einen Zwiekampf einzulassen.
Der Maj. Wie? Sie halten sich zu den Titel meines besten Freundes berechtiget, daß sie mir eine rechtmäßige Satisfaction, die ich wegen einiger Beleidigungen von ihnen verlange, versagen? Ist dieses nicht eine offenbare Verachtung?
v.N. Nein, das ist die stärkste Probe meiner Freundschaft, die ich ihnen geben kann. Ich will sie nicht unglücklich machen: denn es würde ihnen eben nicht besser ergehen, als allen ihren Vorgängern, die ich vor der Klinge gehabt habe.
Der Maj. Ich werde also Ursache haben, mich bei ihnen zu bedanken, daß sie so großmüthig [99] mit mir verfahren, und sie muntern mich auf, ihrem Beispiele zu folgen. Ich werde sie also, wenn sie mir keine Satisfaction geben wollen, mit nächsten beleidigen, um hernach, wenn ich ihnen solche gleichfalls versage, ihnen dadurch einen Beweiß meiner Freundschaft geben zu können.
Hr. Lampert. Was höre ich, welchen Schluß! Beurlauben sie mich gnädiger Herr, wenn sie nicht wollen, daß mir, als einem Meister in der Kunst zu schlüssen, bei dergleichen falschen Schlüssen, wenn ich sie nicht widerlegen darf, eine Ohnmacht zuziehen soll. Ich besorge, es dürfte mir gehen, wie jenem großen Kunstrichter, der für heftigen Entsetzen zu Boden sank, da ein Idiot in seiner Gegenwart einigen Tonkünstlern zurief: Salvete domini Musicantes. (Er wollte sich wegbegeben)
v.N. Bleib er hier, Herr Lampert, er muß sich einmal mir zu Gefallen Gewalt anthun. Ich werde schon die falschen Schlüsse widerlegen. Es geschiehet nicht zu meiner [100] Beschützung, mein Herr, daß ich den Herrn Lampert ersuche, hier zu bleiben, er soll nur von der Richtigkeit meiner Schlüsse, die ich den ihrigen entgegen zu setzen gedenke, urtheilen. Sie stehen in dem Wahne, ich hätte sie beleidiget, und wollte ihnen keine Satisfaction geben. Ich beleidige Niemand; der Grund von unserm Zwiste rühret nur vom Zufalle her. Ich habe auch nie den Vorsatz gehabt, sie zu beleidigen, wenn man Jemanden beleidigen will, so muß man – wie soll ich sagen – so muß man Jemanden etwas zu Leide thun. Nicht wahr Herr Lampert?
Hr. Lampert. Allerdings, so ist es.
v.N. Nun habe ich ihnen nie etwas zu Leide gethan. Wenn es geschehen wäre, so sagen sie, bei welcher Gelegenheit: also habe ich sie auch nie beleidiget. Ist das nicht richtig geschlossen, Herr Lampert?
Hr. Lampert. Der Schluß ist in Forma richtig.
[101] v.N. Was sagen sie dazu, Herr Major?
Der Maj. Sie fangen es sehr fein an, daß sie darauf dringen, die Gelegenheit zu entdecken, bei welcher sie mich beleidiget haben. Sie wissen wohl, daß ich Ursache habe, dieses nicht zu thun; es ist aber auch nicht nöthig. Mit einem Worte, ich halte mich von ihnen für beleidiget, und dieses ist genug, Cavalier Satisfactien za verlangen.
v.N. Das will ich ihnen nicht wehren, aber ob ich verbunden bin, ihnen solche zu geben, das ist eine an dere Frage. Wenn es genug wäre ohne hinlängliche Ursache Händel anzufangen, und wenn man denen die solche suchen, allezeit Satisfaction geben müßte: so hätte man nichts zu thun, als sich immer herum zu hauen und zu schießen, und das ist vor jetzo meine Sache nicht.
v.H. Wo T. muß die plötzliche Veränderung bei dem Manne herkommen! Sie waren ja vor diesem so eisern nicht, und nur noch vor wenig Tagen hatten sie ganz andere Gedanken.
[102] v.N. Ich ließ mich damals von den Ausbrüchen meines Zorns, denen ich immer nicht widerstehen kann, in etwas übereilen, und es war ihr Glück, Herr Major, daß sie mir den Tag nicht in den Wurf kamen. Da ich aber die Sache etwas genauer überlegte, und meinen Sirach, so nenne ich die Geschichte des Herrn Grandisons, zu Rathe zog: so stund ich von dem mörderischen Vorhaben ab, mich mit ihnen herum zu balgen. Wenn sie meinem Rathe gefolget, und diese Geschichte gelesen hätten, so würden sie jetzo meiner Meinung seyn.
Der Maj. Da ich es aber nicht bin, und keine so erleuchteten Einsichten habe: so müssen sie mir als dem schwächsten Theile nachgeben. Ich handele ehrlich, daß ich ihnen die Wahl unter diesen Pistolen lasse. Kommen sie, ohne uns in einen weitern Wortwechsel einzulassen, ich dringe darauf, sie müssen!
v.N. Seyn sie nicht hitzig, wir wollen frühstücken.
v.W. Ich dächte es wäre Zeit, es gehet stark auf den Mittag loß.
[103] v.N. zu dem Major. Nehmen sie eine Buttersemmel, das wird ihnen Zeit geben, gelassen zu werden.
Der Maj. Ueber die verdammte Gelassenheit! Ich denke, ich bin lange genug gelassen gewesen, ich habe noch bei keinem Duell einen solchen Wortwechsel geführet, als bei diesem. Endlich zerreißt mir der Gedultsfaden. Kurz, ich bestehe darauf, sie müssen eine von diesen Pistolen wählen.
v.H. Zeigen sie, daß sie noch Ehre im Leibe haben, sie können es warlich nicht ausschlagen! Nehmen sie eine.
Der Herr v.N. stund von seinem Stuhle auf, und nahm beide von dem Major. Er besahe sie lange, endlich sagte er: Die Wahl hält schwer, sowohl die eine als die andere scheint zum Unglück zubereitet. Ich will nicht an ihnen zum Mörder werden.
Der Maj. Wohlan! So soll der Degen unsern Zwist entscheiden.
[104] v.N. Da es also zugestanden ist, meine Herren, die Pistolen wegzulassen; und da ihr Anblick schon zum Unglück zu reizen scheinet: so werden sie erlauben, daß ich sie losbrenne.
Er öffnete ein Fenster, um sie loszuschiessen, sie versagten aber beide. Nach der Erzählung ist der Schreiber versichert, daß sie nicht geladen waren. Er laß also beständig ganz ruhig in seinem Schranke, weil er wußte, daß kein Unglück vorgehen konnte. Der Major stellte sich, als wenn er es verhindern wollte, daß die Pistolen nicht losgebrennt würden; der Herr v.N. sahe sich also genöthiget, zu Verhütung alles Unglücks, sie zum Fenster hinunter zu werfen. Da nun eine kleine Bewegung entstund, weil jedermann nach dem Fenster gieng, um zu sehen, was der Lerm zu bedeuten hätte, den man gleich darauf im Hofe hörete: so glaubte der Herr v.N. man hätte ein Absehen auf ihn. Er legte mit einer gravitätischen Mine die Hand an den Degen, und sagte ganz gelassen: [105] meine Freunde nehmen sie sich in Acht, daß ich niemanden beschädige, ich werde meinen Degen ziehen, wenn man mich anfällt.
Die Ursache des Lerms im Hofe war diese. Wigand, der Reitknecht des Herrn v.N. hatte sich unter dem Fenster, aus welchem der Herr v.N. die Pistolen herunter warf, gesönnet, es war ihm eine davon auf den Buckel gefallen, worüber er so heftig zu schreien anfieng, daß alles Gesinde zusammen lief. Weil man Pistolen neben ihn liegen sahe, so glaubte man, er hätte einen Schuß bekommen.
Der Major zu dem Herrn v.N. Wollen sie mir auf den Degen Satisfaction geben? Das ist gut, endlich entschließen sie sich doch zu etwas.
v.N. Ich ziehe ihn nur zu meiner Vertheidigung, ich dachte sie wollten sich über mich hermachen, weil ich ihr mörderisches Gewehr zum Fenster hinausgeworfen habe.
Der Major. Ja, das ist eine neue Beleidigung, so verächtlich begegnen sie mir.
[106] v.N. Ich habe es nicht aus Verachtung gethan, sondern zu ihrem Besten. Sie sollen ihr Leben nicht durch meine Hand verlieren, sie können es besser anwenden, wenn sie es dem Vaterlande zum Besten aufopfern; sie haben einen Beruf für solches zu streiten. In einiger Zeit, wenn sie die Sache ruhig überlegen, werden sie es vielmehr billigen, daß ich meine Pistolen ihnen aus den Zähnen gerückt habe, damit sie nicht zu dem Gebrauch könnten angewendet werden, zu dem sie bestimmt waren.
Der Maj. Vereiteln sie mir nicht meine Freude, die sie mir dadurch machten, daß sie die Hand an den Degen legten. Kommen sie hinunter in den Grasgarten, dort wollen wir ein paar herzhafte Gänge thun, und unsere Sache ausfechten.
v.N. Ich habe ihnen schon mehr als einmal gesagt, daß ich nicht als Feind, sondern als Freund hieher kommen bin, um meine gerechte Sache zu vertheidigen.
[107] Der Maj. Mit dem Degen hoffe ich?
v.N. Keinesweges! Mit dem Degen vertheidige ich mich nur gegen Mörder und Feinde, ich ziehe ihn aber nicht gegen meine Freunde. Meinem irrenden Bruder helfe ich durch vernünftige Vorstellungen zu rechte. Dieses ist der beste Weg, den man wählen kann, ihn zu bessern, und ihn zur Erkenntniß seiner Fehler zu bringen.
Der Baron. Das ist bei meiner Ehre edel gesprochen!
Der Maj. Wenn sie immer so gedacht hätten, wie sie jetzo sprechen, so würde ich die Größe ihres Geistes bewundern. Da aber ihre Thaten nicht mit ihren Worten übereinstimmen, so setzen sie sich in den Verdacht, als wenn es ihnen an Muthe fehlte, Es scheint, daß sie ihre Furchtsamkeit in die Larve der Großmuth, die sie ihren Gevattersmanne abgezogen haben, verstecken wollen; aber die Verstellung ist zu sichtbar. Ein großmüthiger Mann beleidiget niemanden, und also hat er auch nicht nöthig, für [108] angethane Beleidigungen eine Genugthuung zu verschaffen. Sie aber haben mich beleidiget und wollen mir keine Satisfaction geben: also schlüße ich daraus, daß sie nicht großmüthig sind, sondern furchtsam.
Hr. Lampert. Heu! quae qualis quanta!
v.N. Stille! (zu dem Major) hören sie, meiner Ehre wird dadurch nichts abgehen, sie mögen von mir glauben was sie wollen. So viel will ich ihnen nur sagen: sie haben ihr Leben meinen Grundsätzen zu danken. Ich bin von Natur hitzig, ich habe auch vielen Stolz; ich habe aber nach dem edlen Beispiele Sir Carls beides unterdruckt, und das ist jetzo ihr Glück. Wenn ich der wäre, der ich ehmals war: so würden ihnen ihre Beschuldigungen theuer zu stehen kommen.
v.W. (welcher bishero sich beschäftiget gehabt, das Frühstück, welches für die ganze Gesellschaft aufgetragen war, alleine zu verzehren, und eben jetzo damit fertig war.) [109] Ich dächte, sie ließen es nicht aufs äußerste ankommen, Herr Major, wenn v. N, seinen tollen Kopf aufsetzt, so ist er ärger als der T. Vertragt euch in der Güte miteinander, ihr Herren, zuletzt behält doch keiner Recht.
Der Maj. Wenn durch einen gütlichen Vertrag meine Ehre wieder hergestellet werden könnte, so wollte ich einem Vergleiche gern die Hand biethen. Da aber meine Ehre, in den Augen der Welt, mehr dabei verlieren als gewinnen würde: so bin ich entschlossen, die Entscheidung unsers Zwistes auf den Degen ankommen zu lassen.
v.N. Ihre Ehre kann nicht wider hergestellet werden, denn sie ist nicht beleidiget worden. Ich wollte mir eher auf deutschen Fuß die kehle abschneiden, oder nach englischer Manier, mich an den nächsten Balken hängen, ehe ich jemanden an seiner Ehre und guten Namen den geringsten Eintrag thun wollte.
[110] Der Baron. Welch ein vortreflicher Gedanke! Wenn sie nicht mit dieser Erklärung zufrieden sind, so weiß ich nicht, was sie weiter verlangen.
v.H. Vor dem Henker! Ich kann aus euch Leuten nicht klug werden. Der eine schwatzt einen Haufen von Beleidigungen, und will mit der Sprache doch nicht heraus, worinne sie bestehen sollen, und der andere will durchaus nicht eingestehen, daß er jenen beleidiget hat. Sie gehen um die Sache herum, wie die Katze um den heissen Brey, ohne daß etwas ausgemacht wird. Mein Rath wäre, ihr Herren vertrügt euch entweder in der Güte miteinander, wie es der Herr v.W. haben will, oder durch den Degen.
Der Major. Gut, bei diesem Ausspruche soll es bleiben, ich erwähle das letztere.
v.N. Ich ergreife das erstere. Sie kennen meine Grundsätze, und bestehen nur auf dem Duell, weil sie wissen, daß ich mich in kein Duell einlassen will.
[111] v.H. Aber warum nicht? Der Herr Major hat sie einmal heraus gefordert, und sie müssen ihm Satisfaction geben.
v.N. Ich kann diese Ausforderung, wenn ich auch sonst keine Gründe für mich anzuführen hätte, aus der Ursache nicht annehmen, weil es ein unchristlicher Gebrauch ist, wegen einer vermeinten, oder auch gegründeten Beleidigung sich den Hals brechen zu lassen, oder ihn seinem Nebenmenschen brechen zu wollen.
Der Major. Das sind Worte eines frommen Schwärmers.
v.N. Die Heiden und Türken verabscheuen eine solche gottlose Gewohnheit, und die alten Römer.
v.H. Was T – – gehen uns die alten Graubärte an! Sie reden, als wenn ihr Magister ihnen die Worte in den Mund geleget hätte.
v.N. Lassen sie mich zum Worte kommen, die alten Römer haben niemals mit einander Kugeln gewechselt.
[112] Der Major. Ja, zu der Zeit war das Pulver noch nicht erfunden, sonst würden sie sich wohl tapfer herumgeschossen haben.
v.N. Das sagen sie nicht. Wie hätten denn die Römer so viele Vestungen einnehmen können, wenn sie kein Pulver gehabt hätten? Aber dieses bei Seite gesetzt, so will es nicht einmal der Papst leiden, daß sich seine Unterthanen duelliren sollen.
Der Maj. Was hat uns der Papst zu befehlen, meine Ehre ist mir wichtiger, als alle päpstliche Bullen.
v.N. Ein alter Kirchenvater, Namens Concilius Tridentinus, gehet noch weiter, er erkläret alle die, welche in einem Zwiekampf umkommen, für Selbstmörder, und schlägt ihnen ein christlich Begräbniß ab.
v.H. Wenn wir die Gesetze der Ehre aus den Kirchenvätern herlangen wollen, so müssen wir uns freilich auf einen ganz andern Fuß setzen. Wir müssen feige Memmen werden, und in der Feigheit eine Ehre suchen; [113] unsere Ahnen aber, die sich durch ritterliche Thaten empor geschwungen haben, müssen wir als Mörder und Straßenräuber verdammen.
v.N. Wir können eher dieses thun, als daß wir in ihre Fußtapfen treten, und es eben so arg machen, wie sie. Die Fehler muß man ausrotten, wo man sie findet.
Der Baron. Der Herr v.N. spricht wie ein Orakel. Ich will heute noch meinen Degen einleimen lassen, damit ich nie wieder in die Versuchung gerathe, ihn gegen jemand zu ziehen.
Der Maj. Es ist wahr, die Gründe des Herrn v.N. haben einigen Schein, und wenn ich ihm weiter zuhörete, so glaube ich, ich dächte eben so wie er. Aber die Vorurtheile der Welt halten mich ab, daß ich ihm nicht beipflichten kann.
v.N. Ist es aber nicht besser, ein Mann von Ehre zu seyn, als daß man in den Augen der Welt dafür angesehen wird, ohne es [114] zu seyn? Um die Vorurtheile der Welt muß man sich nicht bekümmern. Eine wilde und unbändige, ich will nicht sagen unchristliche Gewohnheit als das Duelliren ist, kann gar keinen Beweiß angeben, daß man auf die Erhaltung seiner Ehre bedacht ist. Denn jeder Schurke, der nicht für einen Pfennig Ehre besitzt, kann einen braven Mann heraus fordern, um sich vor der Welt ein Ansehen zu machen.
Der Major. Sie reden, als wenn es gedruckt wäre, und ich wiederhole es nochmals, wenn ich mich überzeugen könnte, daß sie so vortreflich dächten als sie sprechen, so wollte ich mich eher vor ihnen erniedrigen, als vor dem großen Magol auf seinem Throne.
v.N. Sie können es auf mein Wort glauben, daß ich das jederzeit denke, was ich sage, denn wenn man reden will, so muß man denken; aber ich meine es auch so, wie ich rede. Kurz, sie können sich darauf verlassen, ich werde ihnen um meines Gewissens und um meiner Ehre willen keine Satisfaction [115] geben, wenn ich sie auch wirklich beleidiget hätte, welches doch aber nie geschehen ist. Der Gebrauch der Waffen stehet nur Königen und Fürsten zu, ich will den Göttern dieser Erden nicht ins Amt fallen. Privatleute müssen sich in der Güte mit einander vertragen.
Der Baron. Ich bin ganz entzückt über ihre Gesinnungen und ich fange beinahe an überzeugt zu werden, daß alles, was sie gesagt haben, vortreflich und nachahmungswürdig ist.
v.H. Der Meinung bin ich auch. Wie es scheint, Herr Baron, so gehet es ihnen eben so, wie es mir manchmal zu gehen pfleget. Wenn ich aus der Kirche komme, so denke ich, alles was der Pfarr gesagt hat, ist gut, und er hat Recht. Wenn ich aber alles das thun sollte, was er sagt, so müßte ich ganz und gar umgegossen werden, und das hält schwer, ich denke, wie meine Vorfahren sind in Himmel kommen, die alle nicht besser gewesen sind als ich, so getraue [116] ich mir auch hinein zu kommen. Jezt bin ich durch des Herrn v.N. Predigt abermals ganz und gar umgewendet, ich denke, er hat vollkommen Recht; aber wenn ein Cavalier doch gleichwohl soll leben, wie eine alte Frau, das stehet mir nicht an.
Der Major. So geht es mir ebenfalls. Wenn ich bedenke, daß das Duelliren eine so abscheuliche Sache ist, daß man darüber um ein ehrliches Begräbniß kommen kann: so möchte ich es verreden mich jemals wieder in Händel einzulassen. Aber wenn man darüber in Gefahr gerathen sollte, für scheinheilig oder furchtsam ausgeschrieen zu werden, so will ich lieber den Papst und alle Kirchenväter wider mich haben, als das Urtheil der Welt.
Der Baron. Weichen sie diesmal der Uebermacht, und erkennen sie sich überwunden. Sie können eben so wenig dem Winke der Vernunft widerstehen als ich. Wenn man sich über die Vorurtheile des Pöbels hinaussetzen kann, so muß man nothwendig [117] zugestehen, daß es ein thörigter und lächerlicher Gebrauch sey, einem Unheil durch etwas abzuhelfen, woraus ein viel größeres entstehen kann.
Der Major. (Zeigt auf den Herrn v.N.) Dieser Mann wird uns noch alle zu seinen Neubekehrten machen. Aber der T. wenn ich auch einen Heldenmuth beweisen, und meiner Leidenschaft Gewalt anthun wollte, mich nicht wegen der Beleidigungen an ihm zu rächen, so liegt mir noch etwas anders im Wege.
v.N. Ohne Zweifel ist der Mann ein Held, der seine Leidenschaft überwinden, und eine wirkliche Beleidigung, geschweige denn eine eingebildete vergessen kann. Und einem Helden muß nichts im Wege liegen, als was sich für ihm demüthiget, oder was er kaput gemacht hat.
Der Baron. Höchst vortreflich! Können sie noch widerstehen, Herr Major?
Der Maj. Nein, ich sehe mich genöthiget, ihnen gewisse Vorschläge zu thun, auf [118] welche ich mich mit ihnen zu vergleichen gedenke. Ich will wenigstens die Ehre haben, eben so großmüthig gegen sie zu verfahren, als sie gegen mich zu seyn glauben. Ich lasse meine Forderung wegen einer Genugthuung für dasjenige, wodurch ich mich von ihnen beleidiget halte, fallen; jedoch unter der Bedingung: daß sie meiner Base, der Gemahlin des Herrn v.W. eine schriftliche Abbitte und Ehrenerklärung thun, wegen der nachtheiligen Reden, die sie von ihr geführet haben, und alsdenn müssen sie mich überzeugen, daß es ihnen keinesweges an Muthe fehlt. Wenn sie richtige Beweise ihres Muthes anführen können, so will ich mich alsdenn beruhigen, und glauben, daß sie nach den Grundsätzen ihres Gevatters handeln.
v.N. Sie wollen ihre Forderungen gegen mich fallen lassen, und machen immer neue Forderungen, in der That haben sie gar keine an mich zu machen. Weil sie indessen auf einem guten Wege sind, so will thun, was ich kann, sie dabei zu erhalten. [119] Ihre zweite Bedingung kann ich ohne Bedenken erfüllen; die erste aber entstehet aus einem Vorurtheile, das leicht zu widerlegen ist. Ich habe die Frau v.W. nicht beleidiget, also ist auch eine Abbitte unnöthig. Was ich von ihr gesagt habe, das sind nur zufällige Gedanken gewesen, die ich nie vor Wahrheiten ausgegeben habe. Wenn sie sich dadurch beleidiget glaubt, so muß man ihr als einem schwachen Werkzeuge ihre Ehre geben, und sie begütigen. Eine Ehrenerklärung aber wird mir nicht schwer fallen, ich halte jede Dame für eine Dame von Ehre, bis ich es anders finde. Die Frau v.W. ist die Gemahlin meines Freundes, ich gestehe ihr alle die Ehre zu, die sie dadurch erhält.
Der Baron. Getrauen sie sich gegen diese Erklärung ein einziges Wort aufzubringen?
Der Major. Nicht ein Wort. Ich bin damit zufrieden, ich sehe daß ein Misverstand unsern ganzen Zwist erreget hat. Ich ärgere mich nur, daß ich gegen diesen vortreflichen [120] Mann, der alles so klug zu wen den weiß, daß er immer gegen mich in Vortheile bleibt, so eine elende Figur mache. Das hätte ich nicht gedacht, daß ich so würde überwunden werden.
v.H. Bei meiner Seele! v.N., sie kommen heute gut weg. Ich dachte, es würde Mord und Todschlag aus dem Handel entstehen, oder sie würden sich doch tapfer herum hauen müssen, wenn sie den Herrn Major satisfaciren sollten. Ich kann gar nicht einsehen, wie sich das Ding so gedrehet hat, daß diese Händel einen gütlichen Vergleiche nahe sind, und jeder bei Ehre bleibt, gleichwohl scheint es, als wenn es gar nicht anders hätte seyn können. Gebt nur einander die Hände, ihr Herren, es wird aus der Schlägerei doch nichts, vertragt euch in der Güte.
Der Major. So weit sind wir noch nicht, (zu dem Hrn. v.N.) Sie müssen meiner zweiten Bedingung noch vorhero Genüge leisten. Sie hatten, wie es scheint, nicht immer die Grundsätze, die sie jetzo haben; sie [121] zeigten ehedem ihren Gegnern ihrer Muth in der That, so wie sie ihn mir heute durch Worte gezeiget haben. So viel ich weiß, sind sie mehrmals vor der Klinge gewesen, und vor Zeiten würden sie sich sehr bedacht haben ihre Händel auf diese Manier wie jetzo beizulegen.
v.N. Beleidigen habe ich mich niemals lassen, wenn mich einer nur über die Achsel ansahe, so schlug ich ihn hinter die Ohren.
Der Baron. Damals hatten sie also nicht die Großmuth, die Gelassenheit, die Standhaftigkeit, die wir jetzo an ihnen bewundern.
v.N. Damals focht ich noch mit dem ersten Schwerdte, jedermann mußte sich vor mir fürchten.
Der Major. Ein Beispiel ihres Muths, Herr v.N.!
v.N. Zehne für ein. Da ich noch unter dem Prinzen Eugen gegen die Franzosen [122] zu Felde lag, wurde ich einmal mit 50 Mann in ein Dorf commandiret, um Fourage beizutreiben. Es wohnte daselbst ein Beamter, der ehedem auch ein Soldat gewesen war. Ungeachtet es in Freundes Land war, so that ich doch aus Gefälligkeit gegen meine Leute, als wenn ich dieses nicht wüßte, und ließ sie auf Discretion leben. Der Beamte beschwerte sich deswegen bei mir, und um mir eine Furcht einzujagen, sagte er, wenn ich diesem Unheil nicht abhelfen wollte, so würde er mich, wenn ich von meinem Commando zurückberufen wäre, herausfordern. Ich, der ich mich nie für einen Menschen fürchte, seitdem ich das Wort Mensch buchstabiren kann, gab ihm zur Antwort, einmal schlagen und ein paar Gläser Wein austrinken, wäre mir einerlei; ich gab ihm zugleich meinen Handschu und verlangte von ihm, eine Zeit und Ort zu bestimmen, wo wir einander finden wollten. Er versprach, dieses zu thun, wenn ich von meinem Commando zurückberufen wäre. Nach einiger Zeit, da wir in den Winterquartieren lagen, schickte er mir ein Carteil, [123] daß ich mich nebst zween Secundanten an einem gewissen Gränzorte, auf den und den Tag einfinden sollte. Ich hielt die Secundanten für überflüßig und nahm nur meinen Reitknecht zu mir. Mein Gegner war sehr unwillig, daß ich keine Secundanten mitgebracht hatte, ich sagte: meine Pistolen und mein Degen sind meine Secundanten. Wie, wenn wir uns nun alle dreie mit ihnen schlagen wollten, sagte er? Dazu bin ich bereit, ich nehme es mit euch drei Kerls auf einmal an, ihr seyd keine Cavaliers. Sie wurden darüber erbittere; ich aber nicht faul, ergriff mit der einen Hand die Pistole und mit der andern den Degen. Sie erstaunten über meine Herzhaftigkeit und machten links um, ich hinter ihn drein wie ein Satan. Einen davon, der kein so flüchtiges Pferd hatte als die andern, holte ich ein. Nehmen sie sich in Acht, sagte ich, jetzt werde ich sie auf den Pelz brennen. Er schrie erbärmlich um Pardon. Gut denn, jagte ich, reiten sie hin mit Frieden, ich will ihnen das Leben schenken. Er bewunderte meine Großmuth, und ich behielt [124] das Feld. Ich habe seit der Zeit kein Wort wieder von ihnen gehöret, und glaube die ersten beiden sind ohne Zweifel in einem großen Fluße umkommen, durch welchen sie setzen mußten, um sich zu retten.
Der Major. Das ist eine ganz außerordentliche Begebenheit, die sich in den neuern Zeiten nur alle hundert Jahre einmal zuträgt.
v.N. Dergleichen Begebenheiten sind mir mehrere begegnet.
Alle Herren baten ihn hierauf noch einige zu erzählen.
v.N. In Italien commandirte ich einmal eine Freicompagnie, die mehrentheils aus Banditen bestund. Ich hielt die Schurken ein bisgen kurz, und sie machten deswegen eine Meutherei gegen mich. Eines Tages hatte ich sie lassen ein wenig voraus marschiren, und ich wollte nachkommen. Sie hatten sich meine Abwesenheit zu Nutze gemacht, [125] und hatten sich zusammen verschworen, mich kalt zu machen, zugleich hatten sie einen Preiß auf meinen Kopf gesetzt, daß derjenige, welcher sich zuerst an mich wagen würde, mein Nachfolger seyn und sie commandiren sollte. Ein Deuscher verrieth mir diesen Anschlag, und gab mir den Rath, mich ja nicht vor den desperaten Kerls blicken zu lassen, wenn ich nicht wollte auf dem Platze niedergemacht seyn. Ich wie der Wind zu Pferde auf und davon – –
v.W. Daran thatest du gescheut, Herr Bruder, daß du Reisaus gabest, ich hätte es selbst so gemacht.
Der Baron. Ich fühle jetzo sehr lebhaft ihre Gefahr und ihre Entrinnung. In der That ihr Heil bestand damals in der Flucht.
Herr Lampert. Schweigen sie meine Herren, der Herr v.N. ist noch nicht fertig, hören sie nur.
v.N. Ich setzte mich also zu Pferde und suchte die Cujons auf. So bald ich sie ansichtig [126] wurde, gab ich meinem Gaul die Sporen, und mitten unter sie hinein.
v.W. Das ist ein anders.
Der Maj. Jezt kommt es erst.
Der Baron. Wie lief es ab? Ich stehe ihrentwegen in großer Furcht – wenn sie nur nicht – doch was mache ich mir vor gefährliche Vorstellungen, sie stehen ja da frisch und gesund vor mir.
v.N. Hier, Kammeraden bringe ich meinen Kopf selbst, sagte ich, um den Preiß zu verdienen, den ihr darauf gesetzt habt! Wer mir diesen streitig machen will, der trete heraus. Sie erstaunten über meinen Muth, sie stunden wie die Mauren, es regte sich keiner. Pursche, streckt das Gewehr! Rief ich ihnen zu und zog zugleich den Degen. Sie gehorsameten, und ich trieb sie hierauf vor mir weg, wie eine Heerde Schaafe, bis ins Hauptquartier. Das Gewehr befahl ich auf ein paar Wagen zu laden, die ihre Tornister führten.
[127] Der Baron. Nun, was machten sie mit ihren Leuten?
v.N. Hierauf ließ ich ihnen einen kurzen Proceß machen, und sie miteinander aufhängen.
Der Maj. Das war zuarg! Sie verfuhren mit den armen Teufeln zu barbarisch, es ist wohl mancher feine lange Kerl mit darunter gewesen. Sie haben ihrer Heldenthat dadurch einen garstigen Schandfleck gemacht.
v.N. Ja, die Hunde waren nichts bessers werth, sie hatten mit einander den Galgen schon zehnmal verdienet.
Herr Lampert. Ich halte davor, mein Gönner hat den Glanz seiner Heldenthat gar nicht verringert, er hat nichts anders gethan, als daß er dem Beispiele Alexanders des Grossen gefolget ist. Da dieser Tyrus erobert hatte, ließ er die überwundenen Tyrier rund um die Stadt herum aufknüpfen wie die Krammsvögel; oder eigentlich zu reden, er ließ sie nach damaliger Mode kreuzigen. [128] Das Leben der Kriegsgefangenen stehet in der Hand des Siegers.
v.N. Ja ja, so ist es.
Der Major zu dem Hrn. v.N. Was sagte aber ihr General dazu, daß sie ihre ganze Compagnie aufhängen ließen?
v.N. Was der sagte? Hm! der hatte nichts darnach zu fragen, ich war Herr über meine Leute. In acht Tagen hatte ich mir eine andere geworben, die noch einmal so stark war als die erste. Vorzeiten gieng es nicht so ordentlich im Kriege, wie heutiges Tages, dort that ein jeder, was er wollte. Aber die Zeit vergehet.
Er zog seine Uhr, die einem Dreiersbrodte an Größe nichts nachgab, aus der Westentasche. Die Herren baten ihn alle, die Unterredung noch nicht abzubrechen, so sehr es auch der Schreiber wünschte. Er fuhr also fort.
In Italien habe ich mehr als einmal die Ehre der Deutschen gerettet Es ist nicht [129] fein, wenn man immer von sich selber spricht; sie wollen es aber nicht besser haben, und also bin ich gezwungen, ihnen die merkwürdigsten Auftritte meines Lebens bekannt zu machen. Zu der Zeit folgte ich meinen alten Grundsätzen, ich dachte, ich wäre kein Mann von Ehre, wenn ich seine Händel hätte, und wenn mich Niemand beleidigen wollte, so wurde ich der angreifende Theil. Unter andern lag ich einmal zu Padua auf Werbung. Die Studenten machen dort viel Unheil und jedermann fürchtet sich für den jungen Laffen. In der Nacht kann Niemand auf der Straße gehen, ohne zu befürchten, daß man von ihnen angegriffen wird. Ich nahm mir vor, die Buben zu züchtigen und die öffentliche Ruhe wieder herzustellen.
Der Baron. Ein großmüthiger Entschluß!
v.N. Ich stellte mich des Abends unter einen bedeckten Gang. Ein Haufe lüderlicher Brüder sahen mich von ferne, und erklärten mich in ihren Gedanken schon für eine [130] gute Prise. Ich dachte: kommt nur angezogen. Kurz darauf stolperten ein paar von diesen Kerls vor mir vorbei und gaften mir ins Gesichte. Ihr Herren seyd ruhig und geht nach Hause, sagte ich. Schaarwächter, der du bist, erkühnte sich einer zu fragen, hast du uns etwas zu befehlen? Hier lief mir die Galle über, ich that auf den ganzen Haufen einen herzhaften Angriff, und in eben diesem Augenblicke lagen Degen, Hüte, Perucken und Mäntel, alles durch einander auf dem Kampfplatze. Zwei machte ich zu Gefangenen. Mit einem unter diesem Arme und mit dem andern unter diesem, begab ich mich gerade auf die Bürgerwache, wo ich beide verwahren ließ. Den Morgen darauf empfing ich von einigen Abgeordneten im Namen des Raths ein Danksagungskompliment, nebst einem Patent als ein Ehrenmitglied des großen Raths daselbst, weil ich die öffentliche Ruhe der Stadt wieder hergestellet hätte. Seitdem hat man auch nichts wieder von einem nächtlichen Unfuge daselbst gehöret.
[131] Hr. Lampert. Durch die edelmüthige That hätten sie verdienet, daß ihr Konterfei, wie das Bild des Miltiades nach dem Siege bei Marathon, öffentlich in einen solchen bedeckten Gang wäre ausgehänget worden.
v.N. Gewisser maßen habe ich diese Ehre wirklich erhalten. Ein Peruckenmacher, der ein neues Schild brauchte, ließ mich auf solches mit einer erbeuteten Perucke in der Hand abmahlen: die Studenten aber, denen dadurch ihre schimpfliche Flucht gleichsam aufgerucket wurde, brachten es dahin, daß er dieses Schild wieder einziehen mußte.
Der Major. Ich bin ganz bezaubert von ihnen, vortreflicher Mann! Ich sehe, daß es ihnen nie an Muthe gefehlet hat; aber mich dünkt, sie haben ihn an keinem Orte rühmlicher angewendet als hier, da sie das gemeine Beste dabei zum Endzwecke hatten.
v.W. zu dem Hrn. v.N. Ja, wenn deine Worte lauter Evangelien wären, so [132] wollte ich im geringsten nicht daran zweifeln; aber so muß ich es nur glauben, weil du es gesagt hast. Ich will die Sache nicht ganz verwerfen; ich denke aber du erzählest manche Dinge für dich zu vortheilhaft, Herr Bruder.
Der Maj. Ich bin geneigt, alle dem Glauben beizumessen, was der Herr v.N. gesagt hat. Ein Nachfolger Sir Carls kann keine Unwahrheiten sagen. Indessen bin ich versichert, es wird ihnen auch nicht an Beispielen mangeln, wo sie lebendige Zeugen ihres Muthes für sich anführen können.
v.N. Daran soll es auch nicht fehlen. Hat Jemand an dem Herrn Magister Lampert etwas auszusetzen, wenn ich ihn für mich zum Zeugen anführe?
v.W. Ganz und gar nichts.
Der Baron. Sein Zeugniß ist das glaubwürdigste.
Der Maj. Es scheinet ein Mann von Ehre zu seyn.
[133] v.N. Nun so hören sie denn. Ich reiste einmal nach Frankfurth in die Messe, gegenwärtiger Herr Lampert begleitete mich dahin. Wir speisten täglich in einem angesehenen Gasthofe, wo immer eine starke Gesellschaft von Vornehmen und andern Fremden, die es bezahlen konnten, anzutreffen war. Wir setzten uns eines Tages an eine Tafel von mehr als 30 Personen. Nicht wahr Herr Lampert?
Hr. Lampert. Ja! Es schmeckt mir noch immer gut, wenn ich daran gedenke, wir wurden recht wohl bewirthet.
v.N. Nicht lange nach uns kam ein Mann, von dem Ansehen eines Cavaliers, und setzte sich gleichfalls an unsere Tafel. So bald dieser Mann erschien, hörten alle Gespräche auf. Es schien, als wenn durch seine Ankunft der Appetit aller Anwesenden wäre vermehret worden; alle speisten mit der größten Begierde und Eilfertigkeit, und eine Zeit darauf verschwand einer nach dem andern. Ich wunderte mich darüber, und[134] fragte einen Kaufmann, der im Begriff war sich gleichfalls wegzubegeben, um die Ursache dieser Verschwindung. Sehen sie nicht, sagte er mir ins Ohr, dort unten den furchtbaren Mann? Ich rathe es ihnen, schleichen sie sich gleichfalls unvermerkt fort, wenn sie nicht wollen in Unglück kommen. Wenn er sich satt gegessen hat, so fängt er an zu trinken und hört nicht eher auf, bis ihn der Wein erhitzt hat, alsdenn kritisiret er über die Gesellschaft. Wer dieses nicht vertragen kann und sich mit ihm abgiebt, an dem sucht er Händel, und drohet mit Degen und Pistolen. Er ist ein vortreflicher Fechter und ein guter Schütze, und soll schon manchen über den Haufen gesetzet haben. Ich dachte sogleich, daß dieses eine gute Gelegenheit wäre, Ehre zu erwerben und mich bei der ganzen Gesellschaft in Ansehen zu bringen. Ich maß ihn einige mal mit den Augen, und dieses zog bald seine Aufmerksamkeit auf mich. Wir sprachen eine Zeitlang durch Minen mit einander, er getrauete sich nicht ein Wort zu sagen, weil er sahe, daß [135] ich ihn nicht fürchtete. Endlich fing er an, mit seinem Heldenthaten zu prahlen, ich that als wenn ich darauf gar nicht Acht hätte und erzählte, ihm zum Trutze, einige von meinen merkwürdigen Begebenheiten. Er wollte mich überschreien. Hören sie, sagte ich, wenn ich rede, so muß es stille seyn in dem Zimmer. Er unterstund sich hierauf einen Teller nach meinem Kopfe zu werfen, welcher aber fehl gieng, und beinahe den Magister erschlagen hätte. Ich sprang auf in voller Wuth, als wenn ich alles niedermachen wollte und über ihn her. Ist dem nicht also, Herr Lampert?
Hr. Lampert. Allerdings, er kam garstig weg.
v.N. Er fing an zu schimpfen und zu schelten. Willst du dich noch maußig machen? sagte ich, und was dergleichen mehr war. Kann er sichs nicht erinnern, was ich ungefehr noch sagte?
Hr. Lampert. Sie sprachen noch eins und das an dere, zum Exempel: Du hast [136] wohl nie einen Hund aus dem Ofen gelockt und willst dich an mich wagen?
v.N. Ja, ich erinnere mich. Gehe, sagte ich, Eisenfresser, der du seyn willst, du hast wohl nie einen Hund aus dem Ofen gelocket und willst dich an mich wagen, und in eben dem Augenblicke lag er die Länge lang unten vor der Treppe.
Der Major. Stellte er sich denn nicht zur Wehre?
Hr. Lampert. Nicht sonderlich. Er war über den muthigen Angriff erschrocken, daß er kein Leben hatte, er versahe sich dieses ganz und gar nicht.
Der Major lachte sehr laut.
v.N. Worüber lachen sie? Herr Lampert, ists nicht alles so, wie ich es erzählet habe?
Hr. Lampert. Vollkommen so, auf meine Ehre.
Der Major. Ich setze in die Wahrheit ihrer Erzählung gar keinen Zweifel, ich ergötze [137] mich nur an der glücklichen Anwendung des bekannten Sprichworts.
v.N. Ist das zum Sprichwort worden? haben sie es mehrmals gehöret?
Der Major. Sehr oft.
v.N. Das Sprichwort kommt von mir her, ich habe es erfunden. Vor mir hat es, so viel ich weiß, Niemand gebraucht, und ich weiß selbst nicht, wie es mir damals eben zu so gelegner Zeit eingefallen ist. Es stunden ein Haufen Leute um mich, da ich zu meinem Gegner sagte: du hast wohl nie einen Hund aus dem Ofen gelockt, und wie auf Messen alles bald ausgebreitet wird, so ist auch dieses bald unter die Leute gebracht worden.
Der Major. Ey wenn sie ein Mann sind, der Sprichwörter erfinden kann, so muß man billig Hochachtung für sie haben.
Der Baron. Ich denke, der Herr v.N. hat ihren Anforderungen nunmehro Genüge geleistet. Hält sie noch etwas zurück, ihm [138] ihre Hand zu geben, und sich mit ihm zu versöhnen?
Der Major. Bei meiner Ehre, er hat alles erfüllt, was ich verlangen konnte, und das mit so leichter Mühe. Aber auf meiner Seite hält es schwer, ich lebe noch nach den alten Grundsätzen des Herrn v.N. und seine neuen wollen mir gar nicht in Kopf – ich kann mich nicht überwinden.
v.N. Haben sie noch einige Zweifel wegen des Ehrenpunktes, so will ich mich bemühen sie zu heben.
Der Major. Das ist nicht nöthig, erlauben sie nur, daß ich mit diesen Herren einen kleinen Abtritt nehme, um ein oder den andern Punkt nochmals zu überlegen.
v.N. Alles nach ihren Gefallen.
Die Herren begaben sich hierauf in ein Nebengemach bis auf den Herrn v.N. und den Hrn. Lampert, diese besprachen sich in Abwesenheit der übrigen folgender Gestalt.
[139] v.N. Nun, was meint er, Herr Lampert, wie habe ich bestanden? Habe ich heute meinem Gevatter Ehre oder Schande gemacht?
Hr. Lampert. Nichts als Ehre, und der Ausgang weist nunmehro, daß sie dem Wege, den Herr Grandison zuerst betrat, glücklich nachgespüret haben.
v.N. Einen Theil des glücklichen Ausganges dieser kützlichen Sache habe ich ihm zu verdanken. Er hat mich die letzten drei oder vier Tage dreßiret wie ein Schulpferd. Wenn ich nicht wohl wäre gefüttert gewesen, so hätten die Sachen können schief laufen; nun aber denke ich, soll Herr Grandison von diesem Handel so viel Ehre haben, als ich selbsten. Findet er ganz und gar nichts an meiner heutigen Aufführung auszusetzen.
Hr. Lampert. Ganz und gar nichts. Einige Kleinigkeiten wollen nichts sagen. Wenn das Hauptwerk gut ausgeführet wird, so läßt man einige kleine Fehler in [140] Nebendingen durchschleichen, ohne sie zu bemerken. Quandoque bonus dormitat Homerus, wenn dieser große Dichter Götter und Helden reden läßt, wie sie sollen: so vergiebt man ihm eine kleine Ausschweifung, wenn er auch gleich einmal Pferde und Schiffschnäbel mit einander schwatzen läßt.
v.N. Rom ist nicht auf einen Tag gebaut. Wenn ich es noch nicht so weit gebracht habe als Sie Carl, so werde ich es schon mit der Zeit noch so weit bringen. Wenn er etwas auf dem Herzen hat, so sag er es nur heraus, sein Tadel, hoffe ich, soll mich bessern.
Hr. Lampert zuckte die Achsel mit einem Reverenze. Die Sonne erleuchtet den ganzen Horizont, und hat doch ihre Flecken.
v.N. Das weiß ich, sag er nur heraus, was er an mir zu tadeln findet.
Hr. Lampart. Ich muß ihren Befehlen gehorsamen, und dieser wird meine Verwegenheit entschuldigen. Ich hätte wohl gewünscht, [141] daß sie nicht ihre ganze Compagnie, die sie in Italien commandirten, hätten aufknüpfen lassen.
v.N. Was liegt daran, und wenn ich eine ganze Armee hätte aufknüpfen lassen, so wären dadurch nicht weniger Menschen worden. Ich weiß aber der Sache schon abzuhelfen, ich will sagen, meine Compagnie hätte nur aus fünf Mann bestanden, alsdenn wird die Erzählung ganz wahrscheinlich seyn.
Hr. Lampert. Vermeiden sie es lieber, wo sie können, wieder daran zu denken.
v.N. Weiter im Text.
Hr. Lampert. Der Peruckenmacher in Padua hätte die Kosten auch spahren können, sie auf sein Schild mahlen zu lassen. Diese Erzählung schien ihnen mehr nachtheilig als vortheilhaft zu seyn, es können einem allerlei Nebengedanken dabei einfallen.
v.N. Ich würde nicht darauf gefallen seyn, dieses zu erzählen, wenn mich nicht [142] seine verwünschte Vergleichung mit dem Miltiades darauf gebracht hätte. Inzwischen ist doch so etwas eben nicht unmöglich, und wenn ich mir es nicht abstreiten lasse, so müssen sie es glauben. Weiter.
Hr. Lampert. Der Concilius Tridentinus schnitt mir durchs Herz. Habe ich ihnen nicht gestern diese Stelle aus dem Grandison erkläret? Das tridentinische Concilium war eine Kirchenversammlung und kein Kirchenvater.
v.N. Kleinigkeiten! Ich bin gut dafür, daß keiner von den Herren jemals etwas von dem tridentinischen Concilio gehöret hat, außer was ich ihnen davon gesagt habe.
Es schien, daß der Herr Magister Lampert noch viele Anmerkungen im Vorrath hatte, und daß diese nur als Vorläufer von wichtigern anzusehen waren; es wurde dieses Gespräche aber durch die Wiederkunft der übrigen Gesellschaftunterbrochen. Der Herr Baron brachte den Herrn Major bei der Hand in das Zimmer geführet, welcher etwas zu [143] widerstreben schien, inzwischen lies er es doch geschehen, daß seine Hand in die Hand des Herrn v.N. geleget wurde, und die Aussöhnung kam also hierdurch zu Stande.
Der Major. Verflucht! das hätte ich nicht gedacht, daß ich so würde überwunden werden.
Der Baron. Es ist gut, daß es geschehen ist; wir dachten alle nicht, daß sich die Sache auf eine freundschaftliche Art endigen würde.
v.H. Ich kann es auch, bey meiner Seele, noch nicht begreifen, wie dieses zugegangen ist!
v.W. Ob du es eben begreifest oder nicht, daran ist nicht viel gelegen, genug es ist geschehen.
Der Major. Wer kann einem solchen Manne widerstehen, als dieser Herr v.N. ist? das mag ein andrer thun und ich nicht.
[144] v.N. Sie haben sich von mir nicht überwinden lassen, sondern von der gesunden Vernunft.
Der Baron. Wie edel! Wir werden uns aller ihrer Reden und goldenen Lehren, die sie uns gegeben haben, erinnern, wenn sie auch nicht gegenwärtig sind. Dieser Schrank hat sie alle zum Gedächtniß und zu unserer Wiedererinnerung aufbehalten.
v.N. Wie verstehen sie das?
Der Baron. Ich beredete den Herrn Major, zu verstatten, daß ein junger Mensch, auf dessen geschwinde Faust ich mich verlassen konnte, eine aufrichtige Erzählung von alle dem, was vorfiele nachschreiben sollte, und er steckt in diesem Schranke.
v.N. Das ist etwas sonderbares, ich kann mich nicht genug darüber verwundern. Inzwischen da die Sache zu dem Vortheile eines jeden ausgefallen ist, und jeder Theil mit Ehre aus dem Handel scheidet, so dürfen wir kein Protokoll fürchten.
[145] Der Baron. Herr Wendelin, ihre Verrichtung ist zu Ende. Seyn sie so gut und kommen sie heraus aus ihrem Schranke, mit dem, was sie geschrieben haben.
Der Schreiber gehorchte, er hatte sich lange nach seiner Erlösung gesehnet. Der Herr Baron fragte, ob das Protokoll sollte vorgelesen werden; allein man sagte, daß es Zeit wäre zur Tafel zu gehen. Der Herr v.N. wollte durchaus nach Hause, ohngeachtet ihn sehr zu hungern schien, endlich blieb er doch auf vieles Bitten.
Der Schreiber bekam hierauf Befehl, das Protokoll einige mal sauber abzuschreiben, und von dem Herrn Baron v.F. seine Copialien zu erwarten. Zugleich wurde ihm in geheim anbefohlen, in dem Exemplare, das für den Hrn. v.N. bestimmt war, die besondere Unterredung desselben mit dem Herrn Lampert wegzulassen, auch gegen beide zu läugnen, wenn er allenfalls deswegen sollte befraget werden, daß er sie nachgeschrieben habe. Dieses ist also die richtige [146] Abschrift von allem, was vorgegangen ist, welches nach seinem besten Vermögen nachgeschrieben und auf Verlangen Sr. Hochwohlgebohr, dem Herrn Baron v.F. eingehändiget hat.
Dessen
unterthäniger Diener
Joh. Caspar Wendelin.
Ich will nun meine Erzählung da fortsetzen, wo sich des jungen Wendelins seine endiget. Den ganzen Tag über blieb die Gesellschaft bei uns. Man sahe nichts als Freundschaftsbezeigungen von einer und der andern Seite, unsere Herren schienen ein Herz und eine Seele zu seyn. Unser Oncle ließ eine solche Zufriedenheit über sich selbst blicken, daß ich glaube, er hat diesen Tag unter die glückseligsten seines Lebens gezählet. Der Herr v.H. war immer in tiefen Gedanken, der gute einfältige Mann, der den Zusammenhang der Sache nicht einsahe, [147] konnte nicht begreifen, wie ein solcher Zwist friedlich wäre beigeleget worden. Er sagte, es käme ihm alles wie ein Traum vor. Er hat die Ehre, daß er der erste ist, den unser Oncle zu seinem Jünger gemacht hat, und wenn er eine Secte stiftet, so muß der Herr v.H. unter seinen Anhängern oben an stehen. Ehe wir noch speisten, fertigte der Herr v.W. seinen Jäger an seine Gemahlin ab, um ihr zu melden, daß alles glücklich vorbei wäre. Ich hatte mir vorgenommen eine kleine Rache an ihr auszuüben. Ich wollte den Jäger abrichten, daß er sich in Wilmershausen ganz betrübt stellen sollte, als wenn ihm etwas im Gemüthe läge, das er sich nicht getrauete zu sagen. Er sollte sich gegen das Gesinde verlauten lassen, sie würden bald eine schlimme Zeitung hören, dadurch sollte die Frau v.W. auf die Vermuthung gebracht werden, daß in Schönthal auf ihr Anstiften ein großes Unglück entstanden wäre. Ich unterließ es jedoch hernach, weil mir der Kerl zu einfältig schien seine Person wohl zu spielen; ich dachte auch die Frau v.W. würde [148] gegen uns und ins besondere gegen mich nur noch mehr aufgebracht werden, wenn sie erführe, daß man einen Schreckschuß auf sie gethan hätte. Der Baron ist mit dem Major sehr wohl zufrieden, unser Oncle siehet den letztern als seinen Neubekehrten an. Der Major nahm es auf sich, der Frau v.W. eine solche Vorstellung von dem Vorgang der Sache zu machen, die sie völlig zufrieden stellen wird, und wir sehen bereits von seiner Bemühung gute Wirkungen. Das Fräulein v.W. meldet mir, daß ihre Mutter mit dem Hrn. v.N. halb und halb wieder ausgesöhnt zu seyn schiene, und diese Versöhnung wird vollkommen werden, wenn er sie, wie er versprochen hat, schriftlich um Verzeihung bittet. Ob er gleich feste darauf bestehet, daß er nicht beleidiget hat: so will er sich doch vor ihr demüthigen, und durch diesen Beweiß der Großmuth, wie er es nennt, sie gleichfalls bekehren. Das Protokoll wird sie niemals zu sehen bekommen, und wenn ihr Gemahl auch etwas davon gegen sie gedenken sollte, so wird man doch jederzeit eine Entschuldigung [149] finden, um es ihr nicht in die Hände zu geben. Der Herr v.W. hat sich mit ihr ausgesöhnet, wiewohl auch nicht vollkommen; rechte gute Freunde werden sie niemals; aber er verschließt sich doch nicht mehr in seine Studierstube. Es ist Zeit, daß ich mein aufgeschwollenes Paquet siegele und fortschicke, ich lasse es nach Straßburg gehen; ich glaubte nicht, daß es dich noch in London antreffen würde, du wirst es also in Straßburg finden. Unter den eifrigsten Wünschen, nach glücklich vollendeter Reise, bei vollkommenen Wohlseyn diesen Brief zu erbrechen, empfiehlt sich ihrem geliebtesten Bruder.
Amalia v.S.