Johann Karl August Musäus
Grandison der Zweite,
Oder
Geschichte des Herrn v. N***
in Briefen entworfen.



Erster Theil

Vorbericht
Kurze Nachricht
des Herausgebers,
Von den Personen, welche in gegenwärtiger Geschichte vorkommen.

von N. ein alter Edelmann, der von Jugend auf einen Ansatz gehabt hat, ins Wunderbare zu fallen. Sein blasses Gesicht, und eine angenommene Soldatenmine, nebst einem langen und hagern Körper, machen ihn etwas unleidlich. Widersprechen darf ihm keine Seele. In seinem Alter kam er über die Geschichte Sir Carl Grandisons. Es überfiel ihn, diesen Engländer nachzuahmen. Nunmehro kann er nicht geheilet werden.

Fräulein Kunigunde von N. des vorigen Schwester, ein altes Knochengebäude, die weiter kein Leben, als nur noch in der Zunge hat. Sie ist zwar erst 56. Jahr alt; will aber dennoch unverheirathet bleiben, und die Wirthschaft ihres Bruders besorgen.

Baron von F. ein heimlicher Satiricus, und Kunstrichter von dreizehn umliegenden Dörfern. Er hat seinen Scherz mit allen benachbarten Edelleuten: indessen lenkt er manchen von ein paar ausgesuchten Thorheiten ab, und verdienet dadurch den besten Neujahrswunsch seines Herrn Pfarrers.

von S. ein Neveu des Herrn von N. Sonst war er sehr munter. Er soll sich aber in fremden Ländern stark geändert haben. Gegenwärtig ist er in Londen.

Fräulein Amalia von S. des vorigen Schwester. Sie hat alle Tugenden und alle Fehler ihres Bruders, und macht sich mit ihrem Oncle lustig.

Fräulein Juliane von W. die liebenswürdigste und tugendhafteste Person, die ich kenne. Die Ränke ihrer Stiefmutter haben sie etwas gebeugt; sonst würde sie bei jeder Gelegenheit munterer erscheinen.

Herr von W. seiner ersten tugendhaften Gemahlin ihr Tirann, und der zweiten bösen ihr Sclave. Er hat einen vortreflichen Magen und die besten Zähne von der Welt.

Frau von W. des vorigen wilde und mit der ganzen Welt unzufriedene Gattin. Sie hat Muth, und versteht die Kunst, ihre reizende Stieftochter zu martern.

Magister Lampert Wilibald, ordentlicher Lehrer der Hochadlichen Jugend zu Kargfeld. An diesem theuern Rüstzeuge hat die Natur alles gethan, was sie an einem Magister thun konnte, der nicht boshaft widerstrebte. Er ist klein, aber dick, und da ich dieses schreibe, hat er drittehalb geometrische Schuh im Durchmesser. Er versteht die Kunst, einen seltsamen Katzenbuckel zu machen, und damit seinen Gegner, im Disputiren, aus der Fassung zu bringen. Uebrigens leitet er den Geschmack auf dem Hochadlichem Hofe, und schickt sich vollkommen zu seinem Principal.

Magister Wendelin, der Herr Pfarrer zu Kargfeld, ein kreuzbraver Mann. Wenn er das Podagra nicht hat, so ist er ziemlich ausgeräumt, und belustiget sich an

Jungfer Sanchen, seiner Tochter, einem angenehmen und brauchbaren Mädchen. Magister Lampert hat sie zu seiner Clementine ausersehen, und will sie gern in den Roman ziehen; bekömmt aber wider sein Vermuthen – – –.

Lorenz Lobesan, ein stöckischer Schulmeister zu Kargfeld. Er wurde gebohren, wie er sagt, da der Türke vor Wien lag. Sein Großvater starb vermöge des damaligen großen Kometens. Ob gleich unser Lorenz dem erbaren Schneiderhandwerke geweihet wurde; so hatte er dennoch erhabenere Absichten, und ein gut Theil Schelmerei in seinem Kopfe. Er lief seinen Eltern davon, und wurde bei dem Vater des Herrn von N. Laquai; welcher ihn endlich zur Belohnung seiner Dienste zum Schulmeister machte. Er führt einen sehr exemplarischen Lebenswandel und hat von Natur ein casuistisches Gewissen. Der Himmel erhalte unsern Lobesan noch lange!

Jeremias, sonst Peter Wigand genannt, ein alter lustiger Kutscher des Herrn von N. Magister Lampert hat schon verschiedene Jahre an diesem Schlingel gebessert; aber er kann ihn noch nicht recht fassen.

Nicolaus Brumhold, der Barbier zu Kargfeld. Wenn ihn ein Bauer beleidigt, so schiert er den Bösewicht Sonnabends wider den Strich. Er versteht, außer seiner Barbierkunst, die Chirurgie, und thut an Menschen und Vieh trefliche Curen.


Mehr braucht der Leser von keiner Person zu wissen, wenn er den ersten Theil dieser Geschichte lesen will. Magister Lampert würde freilich viele Züge in diesen Schildereien für falsch erklären, und sich als ein anderer Theophrast folgendergestalt darüber heraus lassen:


Sir Ehrhard Rudolph von N. ist die Blume und Zierde aller deutschen Ritter. Sein Gesicht ist männlich, und dabei doch angenehm. Ob er gleich schon viele Jahre auf dem Buckel hat; so wird er dennoch von einem heroischen Feuer belebt, das Helden eigen ist. Er liebt mich, und andere grundgelehrte Männer, von Herzen, und ist, seit einem halben Jahre, gegen das Frauenzimmer nicht unempfindlich.

Lady Kunigunde von N. ist etwas beißig, und macht ihrem Herrn Bruder und mir, mit abgenöthigten Vertheidigungen, viel Mühe. Glaubte ich die Seelenwanderung; so würde ich behaupten, daß Doctor Eckens seine Seele in die alte Kunigunde gefahren wär.

Baron von F. ist ein wenig superklug, ob er gleich weder Griechisch noch Hebräisch kann. Ich habe ihn ein paar mal zwischen den Sporen gehabt; und seitdem hat er sich nicht mehr an mich gewagt. Außerdem sind wir ganz gute Freunde.

von S. dieser junge Baron hat mir viel zu danken. Ich war sein Mentor, und wußte das natürliche Feuer bei ihm durch verschiedene Kunstgriffe zu mäßigen. In Hebräischen und andern morgenländischen Sprachen, habe ich ihm freilich nicht weit bringen können; doch kann er desto mehr lateinisch. Er schreibt manchmal mit vieler Hochachtung an mich.

Fräulein Amalia von S. ein loses, loses Ding! Sie macht so gar mit mir ihren Spaß; aber ich kann nicht böse werden: denn sie ist ein allerliebstes Fräulein; und so war sie schon ehedem, da sie noch meinen Hörsaal besuchte.

Von W. ein guter Mann, und ein guter Christ. Von Sorgen wird er niemals grau werden. Er kann in unserer Grafschaft das meiste essen und trinken, und schläft so lange, bis ihn wieder hungert. Seinen Namen kann er nicht schreiben.

Lady W. eine belebte und muntere Dame. Sie hat ein Maul wie ein Schwerd. Sie erzieht ihre Töchter sehr vernünftig, und ist in allen Dingen so billig und gerecht, wie ein Corpus iuris.

Fräulein Juliane von W. ein stilles gutes Kind: ja, ich würde sie noch mehr loben, wenn sie sich nicht zuweilen ihrer Frau Mama widersetzte. Sie ist noch jung; ein gesetzter und vernünftiger Mann kann bei ihr noch etwas ausrichten.

Magister Wendelin, Pastor Loci. In seinem Amte ist er ganz wohl zu gebrauchen; in schweren Wissenschaften aber giebt er mir den Vorzug. Ich habe indessen meine Ursachen, wenn ich mit ihm nicht disputire: denn

Jungfer Sannchen ist seine Tochter, und meine Clementine. Ha! ha! ha! O Liebe, wie bezauberst du mich! Tange Chloen femel arrogantem! dulce ridentem Lalagen amabo, dulce loquentem.

Lorenz Lobesan, ein serpentischer Schulmeister. Kein Händel ist er zwar nicht; er kann aber zehn andere Kerls überschreien.

Jeremias könnte weit besser seyn, wenn er meinen Lehren nachlebte, und den Kutschern in Großbritannien nachahmte. Mein Commentarius über den Grandison wird meinem Herrn und ihm gute Dienste thun.


So würde Magister Lampert reden, wenn er eine Vorrede schreiben sollte.

Doch, nichts mehr von ihm! In der Geschichte wird er eine Hauptperson spielen, und sich näher zu erkennen geben.

Wir legen der Welt kein Gedichte vor Augen; so erdichtet auch die Geschichte Sir Carls ist. Die hierinne vorkommende Personen leben, und befinden sich wohl. Hat nicht Jedermann das Recht, nach seinen Grundsätzen zu handeln? Meine Freunde haben zeithero die Möglichkeit, Sir Carln nachzuahmen, bestritten.

Sie haben Recht. Niemals aber wird es an Leuten mangeln, welche dem Herrn von N. und Magister Lamperten ähnlich zu werden, fähig sind. Lorenze und Wigande giebt es ohnedem in allen Städten und Dörfern.

Es werden künftig noch mehrere Personen vorkommen, die aber dem Leser zuvor sollen geschildert werden. Am Ende will ich mich mit Namen nennen. Den 9ten Septembr. 1759

1. Brief
[1] I. Brief.
Der Magister Wilibald an den Baron von S.

Kargfeld, den 29. März.


Hochwohlgebohrner Herr,

Gnädiger Herr,


Die Ehre, die ich ehemals gehabt habe, Sie in allerlei guten Wissenschaften zu unterrichten; die Erlaubnis, welche Sie mir vor Ihrer Abreise gaben, oft an Sie zu schreiben, und der ausdrückliche Befehl meiner gnädigen Herrschaft, [1] einen Briefwechsel mit Ihnen zu unterhalten, berechtigen mich zur Erfüllung meines eigenen Wunsches, dem Geiste nach Sie auf Ihren Reisen zu begleiten: ob ich gleich körperlich von Ihnen entfernt bin. Nun sind Sie in Amsterdam, und nun werden Sie beurtheilen können, in wie ferne ich Recht, oder Unrecht hatte, wenn ich diese berühmte Stadt die Königin aller Handelsstädte nennte. Den fürnehmsten Theil der vereinigten Provinzen haben Sie bereits besehen, und machen Anstalt, wie Sie sagen, nach Engelland, dem Vaterlande tiefdenkender Gelehrten; der Heimat großer Geister; der Quelle aller Reichthümer Europens, überzuschiffen. (Hier haben Sie in wenig Worten einen Unterricht von dem, was bey den Britten Ihre Aufmerksamkeit verdienen muß.) Seyn Sie glücklich in allen Ihren Unternehmungen! Auf Befehl meines gnädigen und hohen Patrons soll ich Ihnen von unserm motu ciuico, wie ich es nach dem Horaz nennen könnte; oder von der innerlichen Gährung, welche in unserer kleinen Republik herrschet, eine Nachricht [2] geben. Ich will meine Erzählung von den Eiern der Leda herholen. Sie wissen noch nicht, was für ein guter Geschmack in dem Hause Ihres Herrn Oncle, meines hohen Patrons, sowohl in Ansehung der Wissenschaften; als aller übrigen Dinge anzutreffen ist. Die Scene hat sich seit Ihrer Abreise sehr geändert. Es wird niemand in die Gesellschaft, oder in den Dienst der Herrschaft aufgenommen, der nicht ein Kenner, oder ein Verehrer davon ist. Vom Hofmeister bis auf den Koch muß man nach den Regeln des Geschmacks urtheilen, oder doch darnach urtheilen lernen. Wenn ich aufgeräumt bin, nenne ich deswegen den Hochadelichen Sitz eine Akademie. Vor einigen Jahren, da Sie sich schon auf dem Carolino befanden, bekam ich von der gnädigen Herrschaft den Auftrag, bei den Winterlustbarkeiten, über ein, zu der Zeit mir unbekanntes Buch Vorlesungen zu halten; oder eigentlich zu reden, in der Versammlung des adelichen Hauses die Geschichte Herrn Carl Grandisons, die eben damals in unserer Muttersprache zum erstenmale erschienen [3] war, bei langen Winterabenden vorzulesen. Sie wissen, daß wohlgeschriebene Bücher jederzeit eine der angenehmsten Zeitkürzungen sowohl Ihres Herrn Oncle; als auch seiner Fräulein Schwester gewesen sind. Ich gehorsamste anfangs mit einigem Widerwillen. Ich wußte, wieviel meine Lunge durch das Geräusche der Spinnräder, welches meine Stimme durchdringen mußte, und durch den schädlichen Staub von der Hechel leiden würde: ich wüßte aber noch nicht, wie viel mein Verstand davon gewinnen würde. Kein Schlaf kam den aufmerksamen Zuhörern in die Augen; aber gnug empfindliche Thränen rollten die Wangen herab, wenn ich ihnen diese rührende Geschichte las, und jedes Wort derselben durch den gemäßen Accent ihren Herzen einprägte. Wenn ich meinen Autor hinlegte, befand sich alles in einer entzückten Stille, bis wir unsere Geister wiederum gesammlet hatten: als denn wurde das vorgelesene Pensum nach den Regeln des Geschmacks beurtheilet. Niemand unterstund sich, ein Meisterstück des menschlichen Witzes (davor [4] hielten wir es anfangs alle, bis ich durch Gründe überzeugt wurde, daß es eine wahre Geschichte wäre) dem geringsten Tadel zu unterwerfen, und wenn ja hier und da ein Dubium oder sonst eine Anmerkung gemacht wurde, so geschahe es mehr exercendi ingenii caussa, als in der Meinung, wirkliche Fehler zu entdecken. Ich kann nicht leugnen, daß mich oft der Beifall der ganzen Gesellschaft stolz machte, wenn ich mit einer entscheidenden Mine Streitigkeiten über diese oder jene Stelle schlichtete. Nur einer der allerbösgeartesten Menschen – –. Niemals soll es mir aus den Gedanken kommen – –. Wigand, der lasterhafte Wigand, ehemals ein elender Drescher, hernach Hochadelicher Leibkutscher bey meinem Herrn Principal, durfte es wagen, mir einmal öffentlich zu widersprechen. Vergeben Sie, daß ich hier eine kleine Ausschweifung begehe, und Ihnen eine Begebenheit die zu Grandisons und meiner Ehre ausschlug, bekannt mache.

Wir waren einmal des Abends in der Beurtheilung des 25sten Briefes aus dem [5] ersten Buche begriffen, da Wigand zwischen den Federfässern in der Kajüte hervor in die Versammlung drang, und einen Haufen Scheltworte über den ehrlichen Jeremias, Sir Carl Grandisons Kutscher, aussties, daß er dem Wagen des Ehr und Tugend vergessenen Hargravens ausgewichen wär. Er bestritt nach den Gesetzen der Fuhrleute, daß ein Postillion einem eigenen Kutscher eines großen Herrn ausweichen müßte, und machte Mine, auf Sir Carln selbst loszuziehen, wegen eines unbilligen Befehls, den er seinem Kutscher sollte gegeben haben. Hier lief meinem gnädigen und von dem Character Grandisons ganz bezauberten Herrn die Galle über; er sprang auf, und ich glaubte, er würde Wiganden den Hals brechen; allein er hies ihn nur einen Galgenschwengel, und drohte, ihn sogleich aufhängen zu lassen, wenn er Sir Carln, als die Zierde der Welt nur im geringsten wieder antasten würde. Ich aber versiegelte die ganze sehr nachdrückliche Rede meines Herrn mit den Worten: ne suror vltra crepidam, welche ich ihm in einer [6] Uebersetzung zurufte, und den Buben endlich durch verschiedene Schlüsse zur Ruhe brachte. Ich würde Bedenken getragen haben, mich soweit zu erniedrigen, und mit diesem Unverschämten in einen Wortstreit mich einzulassen, wenn nicht mein glückliches Gedächtnis mir eben zu rechter Zeit aus dem Martial zugerufen hätte: Inter Pygmacos non puder esse breuem.


Damals fieng mein Hochadelicher Herr Principal zugleich mit nur an, große Gedanken von der Geschichte des Grandisons zu hegen, und anstatt daß sich diese bei Endigung des Buches hätten verlieren sollen, so wurden sie bei uns dergestalt erhöhet, daß wir nach einer genauen Ueberlegung den Satz bey uns fest stelleten: es ist unmöglich, daß die Geschichte Herrn Carl Grandisons eine Erdichtung sei; es ist unmöglich, daß diese Geschichte aus der Erfindung eines sinnreichen Kopfes, wie eine andere Minerva aus dem Gehirn des Jupiters, entsprungen sei. Wie gesagt, diese Gedanken wurden von Tag zu Tag reifer, bis wir [7] uns endlich stark genug fühlten, öffentlich damit hervor zu brechen. Ich that es mit Genehmhaltung meines gnädigen Herrn. Wir waren eben insgesammt in Schönthal bei Ihrem Herrn Schwager zu Gaste. Die Aufmerksamkeit der Zuhörer ermüdete nicht, obgleich eine Stunde verlief, ehe ich alle Gründe für die Wahrheit meines Satzes schicklich anbringen und ihnen die logikalische Stärke geben konte. Meine Augen waren nunmehro beschäfftiget, einen gerechten Beifall der hohen Versammlung abzufordern; da Ihr jüngeres Fräulein Schwester mit einem leichtfertigen Gelächter, als wenn sie vergessen hätte, daß ich jemals ihr Lehrmeister gewesen wär, meine Beweise seindselig anzugreifen; ja wo es möglich wär, sie umzustürzen, sich bemühete. In kurzem hatten wir zwo Partheyen an der Tafel, die mehr mit hitzigen als spitzigen Vernunftschlüssen gegen einander zu Felde zogen. Da wir uns nach Hause begaben, rühmte sich jedes des Sieges. Dero Herr Oncle und ich wurden durch die schwachen Einwürfe der Gegenparthei in unserer Hypothese [8] treflich gestärket. Der Streit ist noch nicht beigelegt. Seitdem ich diesen Zankapfel in Ihre Hochadeliche Familie geworfen habe, fehlt es unsern Unterredungen niemals an Materie. Vor einiger Zeit sprangen beinahe alle, bei denen im Anfang meine Gründe Eingang gefunden hatten, von mir ab, und traten auf die Seite Ihres Fräuleins Schwester. Niemand als der gnädige Herr hielt noch bei mir aus. Ich war genöthiget, nach dem Beispiele des Weingottes, da er mit den Himmelsstürmern kämpfte, mich bald in einen grausamen Löwen zu verwandeln; bald eine andere Gestalt anzunehmen, um nicht von der Menge unterdrückt und zu einem schimpflichen und der Wahrheit nach theiligen Stillschweigen gebracht zu werden. Nun haben wir uns wieder einen Anhang gemacht. Hier haben Sie das Verzeichnis von den Anhängern jeder Parthei. Diejenigen, welche unter mir, dem Magister Lampert Wilibald die Geschichte Herrn Carl Grandisons als wahre Begebenheiten annehmen und vertheidigen, sind: Mein gnädiger und hoher Principal, [9] der, wie er sagt, für die Wahrheit der guten Sache sterben will.


Fräulein Kunigunde, Schwester meines gnädigen Herrn. Junker Gangolph von R.., welcher bei hiesigem Förster die Jägerei lernt, seines Alters zwischen 18. und 19. Jahren.


Florian, der Lustgärtner und der ehemals verkehrte, nun aber belehrte Wigand.


Diejenigen, welche unter dem Hochwohlgebohrnen Fräulein Amalia von S.. die Geschichte Herrn Carl Grandisons, als einen Roman annehmen und solches andern bereden wollen, sind:


Der Herr Baron von F ... und dessen Frau Gemahlin gebohrne von S..

Fräulein Fiekgen, Pflegbefohlene meines hohen Gönners.

Unser Herr Pastor, Wendelin, den ich zum Spas manchmal meinen Senior nenne, und andere.


[10] So dringend meine Beweise, und so bündig meine Schlüsse sind, (ich muß an der Spitze meiner Parthey kämpfen;) so wenig habe ich doch dadurch bishero gewonnen. Man hat uns zwar oft Friedensvorschläge gethan: wir können uns aber darauf nicht einlassen. Man verlangt, wir sollen unserer bessern Ueberzeugung entgegen, die mehrbesagte Geschichte für eine witzige Erfindung, und einen nützlichen Roman eines in der gelehrten Welt unbekannten Engelländers erklären. Neulich that ich den Vorschlag, man sollte Ihnen den Auftrag thun, ein Endurtheil in dieser Streitigkeit zu fällen. Ich handelte großmüthig, daß ich den Bruder zum Richter zwischen einer geliebten Schwester und mir anrufte: ich verließ mich aber auf meine gerechte Sache, und auf ihre Zärtlichkeit für die Ehre und Wahrheit. Mein Vorschlag wurde angenommen. Ich bekam Befehl, Ihnen einen kurzen Abriß unsers Processes nebst der Urtheilsfrage zu übersenden. Sehen Sie, gnädiger Herr, das ist der Verlauf der ganzen Sache. Wenn Sie in Londen glücklich angelanget[11] sind: so erkundigen Sie sich unter der Hand, was man von der Geschichte des Grandisons urtheilet; ob das Publicum auf meiner und Ihres Herrn Oncle Seite, oder auf Ihres Fräuleins Schwester Seite ist. Vielleicht sagt man Ihnen, daß die Sache an sich wahr sey, und daß man nur die Namen und gewisse kleine Umstände erdichtet hat, um die Wahrheit in etwas zu verstecken. Wäre dieses, so würden Sie zwar einige Schwürigkeiten zu überwinden haben: diese aber würden Sie nur ämsiger machen, in der aufmerksamen Nachforschung fortzufahren. So bald Sie das geringste Licht in der Sache bekommen, und auf der rechten Spur sind: so ertheilen Sie uns davon Nachricht. Dero Herr Oncle hat dabei die größte Absicht von der Welt; aber es wird noch alles geheim gehalten. Lassen Sie sich nicht in Ihren Bemühungen zur Ehre der Wahrheit abschrecken; wenn Sie Leute in Engelland finden, die von der Geschichte des Herrn Grandisons eben so denken, als Fräulein Amalia, und ihre Parthei. Erinnern Sie sich, daß es vielerlei [12] Arten von Freigeistern gießt. Alle Ihre Anvewandten segnen Sie so, wie


Ihr

unterthäniger Diener M. Lampertus Wilibald.

2. Brief
II. Brief.
Der Herr von S. an den Magister Wilibald.

den 12ten. April.


Hochgeehrtester Herr Magister,


Sie hatten ein Recht, an mich zu schreiben: ja, Ihr Brief würde mir willkommen gewesen seyn, wenn Sie auch nur die Hälfte von den Bewegungsgründen, mich im Geiste zu begleiten, wie Sie sich höchst vortrefflich ausdrücken, angeführtet hätten. Ihre Freundschaft ist mir alle mal schätzbar: ich werde also Ihre Briefe in Amsterdam und Londen mit eben der Aufmerksamkeit lesen, mit welcher ich ehedem Ihre gelehrten [13] Vorlesungen anhörte. Wie würde ich auch sonst im Stande seyn, so viel tiefsinnige Sprüche zu errathen, und so viel strenge Beweise einzusehen, mit welchen Sie die Wahrheit vortragen und befestigen, wenn ich Ihrer Sprache nicht bereits gewohnt wär.

Meine Schwester und der Pfarr werden nicht weiter mit Ihnen disputiren wollen, vielweniger der Kutscher. Sie haben Wiganden ganz gewiß mit einem Sorite zu Boden geschlagen; welches Sie mir aber aus Bescheidenheit in Ihrem Briefe verschweigen. Uebrigens bewundere ich Ihre Herablassung in Ansehung des Verweises. O hätten Sie mir die Uebersetzung davon beigefügt! Ohne fehlbar ist es eine Umschreibung gewesen. Ne sutor vltra crepidam. Welcher vortrefliche Einfall! Sie waren also der Mahler; die Geschichte mit dem Jeremias das Bild, und Wigand der naseweise Schuster. Wie hat sich aber der Bube unterstehen dürfen, einem Manne zu widersprechen, welcher gelehrter ist als Aristoteles und Confucius? Ich wünsche Ihnen unterdessen Glück, daß sie den[14] Heiden bekehrt, und ihm die Rangordnung zwischen einem Kutscher und einem Postknechte beigebracht haben.

Die Nachricht, von dem nunmehro herrschenden Geschmack im Hause meines Oncle, vergnügt mich. Was kann doch ein Mann von Genie thun! Sie müssen mehr als eine Seele haben: wenn ich mich anders so ausdrücken darf. Mein Oncle war ja ehedem kein Liebhaber von Romanen, wenn ich den Don Quixotte ausnehme: daher auch die Heldenthaten, welche er noch als Fähndrich in Italien verrichtet, der beständige Gegenstand unserer Unterredung seyn mußten. Bey den Fräuleins aber war noch eher etwas auszurichten. Sie sind jung, und wie weiches Wachs, welches alle Eindrücke anzunehmen fähig ist. Fahren Sie indessen fort, meine Schwester nach dem Beispiele der Henriette Byron zu bilden. Ich werde Sie noch einmal so sehr lieben, wenn ich Sie einst in einem so vortrefflichen Lichte erblicken kann. Ich denke aber, Charlotte oder die vermählte Gräfin G. wird ihr besser gefallen: denn sie liebt [15] den Scherz, und verliehrt lieber ihren Freund, als einen sinnreichen Gedanken. Der Einfall, daß Sie den alten Pastor Ihren Senior nennen, ist so spashaft nicht, als Sie wohl meinen. Ich habe schon ehedem angemerkt, daß Sie der Tochter dieses ehrlichen Mannes nicht gleichgültig sind. Sie wird von Ihnen erobert werden, ehe Sie es denkt; und wie wird sie einem Liebesantrag widerstehen können, wenn Sie solchen mit Ihrer gewöhnlichen Beredsamkeit thun, und dabei einen Schluß mit dem andern verbinden. Ich küsse Ihnen die Hände, lieber Herr Magister, wenn Sie Ihren ersten Liebesantrag entweder drücken lassen, oder doch wenigstens einen Auszug davon in den gelehrten Zeitungen bekannt machen. Mein Oncle unterstützet Sie als Kirchenpatron bey jedem Versuch, welchen Sie bey dieser Schöne zu machen willens sind: damit doch Dero Verdienste um unser Haus einiger masen vergolten werden.

Sie thun mir viel Ehre an, wenn Sie mich zu einen Schiedsrichter in der Streitigkeit zwischen Ihnen und meiner Schwester [16] erwählen. Die Sache kann nicht seyn; die Erfahrung aber soll den ganzen Handel entscheiden. So bald als ich nach Londen komme, werde ich mich um die Wahrheit der Geschichte Sir Carl Grandisons bekümmern, und Ihnen von jeder gemachten Entdeckung getreue Nachricht geben. Sie sind zum siegen gebohren; und wer wird auch hierbei gerechter triumphiren, als Sie, Herr Magister? Künftige Woche gehe ich von hier ab. Amsterdam würde nur besser gefallen, wenn ich ein Kaufmann wär. Das schöne Geschlecht behauptet hier seinen Vorzug vor dem männlichen. Ich könnte meinen Brief noch mit einer schönen Stelle aus dem Horaz versiegeln, in welcher er uns die Sitten der Holländer schildert, ehe diese Republik errichtet würde: es mag aber unterbleiben. Weit feiner wird sich meine Zuschrift mit der aufrichtigen Versicherung endigen, daß ich zeitlebens sein werde

Dero

ergebenster v.S.

3. Brief
[17] III. Brief.
Fräulein Amalia an ihren Bruder.

Schönthal, den 27. April.


Der Magister Lampert weiß sich sehr viel mit dem Briefe, den er aus Amsterdam von dir erhalten hat. Gestern, da wir eben abgespeiset hatten, kam Jemand in vollem Galopp in den Schloßhof gesprengt. Wir fuhren alle an die Fenster, es war der Magister. Er kam die Treppe herauf. Der Baron, der immer seinen Spas mit ihm hat, fragte, ob der alte Pastor Wendelin gestorben wäre, daß er so aufgeräumet aussähe? Er verbeugte sich und schüttelte mit dem Kopfe. Reden konnte er noch nicht; seine Lunge war zu sehr an ausgedehnet. Er sipste und schnappte eine gute Weile nach Luft, bis die Bedienten abgeräumet hatten. Wir waren begierig, die Ursache seines außerordentlichen Bezeigen zu erfahren. Er merkte es, und zog einen Brief aus der Tasche. Er bath um Erlaubnis, [18] uns ein gnädiges Handschreiben von dem jungen Herrn Baron v.S. vorzulesen, nachdem er sich diese in einer wohlfließenden halbstündigen Rede erbethen hatte. Wir hörten aufmerksam zu. Er las mit einer Art, die mir gefiel. Das Wasser trat ihm für Freuden in die Augen; er lächelte und wischte sie mit einer Hand um die andere, wenn er an Stellen kam, die er für spashaft hielt, oder die ihm angenehme Gedanken erweckten: manchmal aber mummelte er in den Bart, und las so geschwinde, daß Niemand wußte, was er haben wollte. Wie, sagte ich, wie war das? Noch einmal diese Stelle. Er winkte und geboth uns mit der Hand zu schweigen, und las fort. Da er fertig war, und nach seiner Gewohnheit die Augen zudrückte, um sich auf kritische Anmerkungen zu besinnen, nahm ich ihm den Brief aus der Hand. Es sind Stellen darinne befindlich, über die ich Sie nicht darf reflectiren lassen, sagte er. Erlauben Sie, gnädiges Fräulein – – Er wollte mir den Brief wiedernehmen.

[19] Erlauben Sie, daß ich ihn nicht weggebe, bis ich ihn gelesen und darüber reflectiret habe.

Nein, nein, der junge Herr schreibt aufgeweckrund spashaft. Sie dürften an manchen Orten eine Satire finden, wo keine ist; Sie sind lose.

Sie werden ihren Brief, sagte ich, nicht eher wieder bekommen, bis ich ihn ganz gelesen und meine Anmerkungen darüber gemacht habe.

Ich las ihn laut. Da ich ihn wieder zurück gab, sagte ich, der ganze Brief ist eine Satire auf Sie.

Was? Eine Satire? Nichts weniger! Ich kenne den Charakter ihres Herrn Bruders besser.

Mein Schwager winkte mir und zog mich bei Seite. Lassen Sie den guten Mann doch bei seiner Einbildung, wir werden unser Vergnügen dabei finden. Geben Sie ihm in allem, was er saget, Beifall; der Spas wird vollkommen [20] seyn, wenn wir dem Plane folgen, den wir neulich entworfen hatten.

Ich gieng wieder hinein in den Saal. Er fing gewaltig an, über den Brief zu disputiren. Zum Scheine hielt ich ihm in etwas Widerpart; endlich räumte ich ihm alles ein, was er verlangte. Da er weg war, wurde erst die Glocke über ihn gegossen. Schreiben Sie an unserm Bruder, sagte mein Schwager, er sollte den Magister und unsern Oncle nicht in der Einbildung, die sie von dem Grandison hätten, stören. Er sollte die Bitte des Magisters, wie er zu thun geneigt schiene, erfüllen, und entweder uns, oder ihm selbst, von dem Zustand der Personen, die in dem Grandison eine Rolle haben, Nachricht geben, wir würden uns ihm alle für dieses Vergnügen verbunden erkennen. Wir lachten, daß der Baron den Scherz so weit treiben wollte. Ich glaube aber, wir haben manche Lust zu erwarten, wenn du die Bitte unsers Schwagers statt finden lässest.

Den 28ten. Heute Nachmittage legten wir einen Besuch bey unserm Oncle ab. Mein [21] Schwager that es mehr, mit dem Magister seinen Scherz zu treiben, als aus Begierde unsern Oncle zu sehen; den er gleichwohl sehr liebt, so lange er von seinen Feldzügen schweigt.

Mein Oncle las uns den Brief, den er gestern von dir erhalten hat. Wir wünschen unserm geliebtesten Bruder, zu der bevorstehenden Reise nach Engelland, Glück und eine dauerhafte Gesundheit. Herr Lampert sagte: wenn du einmal des Steinkohlendampfes in Londen gewohnt wärest, und in den ersten vier Wochen keinen Ansatz zur Schwindsucht bekämest, so würdest du nicht nur in Engelland beständig gesund bleiben; sondern auch in Deutschland einmal ein alter Mann werden. Er wollte heute an dich schreiben, und den Brief in den meinigen entschließen; er besonn sich aber anders, und ersuchte mich, ihn zu deiner Gewogenheit zu empfehlen, und dich für böser Gesellschaft zu warnen. Um seinetwillen, sagte er, soll der junge Herr keinen Menschen seiner Freundschaft würdigen, den nicht von dem Grandison groß denkt, oder ein Anverwandter von ihm ist. Ich biß mich [22] in die Zunge um das Lachen zu verbergen, und versprach, seinen Auftrag bey dir auszurichten. Gleichwohl konnte ich es nicht unterlassen, einige Spöttereien über unsers Herrn Vetters und seines Orakels des Magisters Grille zu sagen, ob es mir gleich von meinem Schwager sehr nachdrücklich verbothen war. Unser Oncle wurde deswegen so sehr gegen mich aufgebracht, daß wir Mühe hatten, ihn zu besänftigen.

Ich setze mein Leben zum Pfande, fing Herr Lampert unerwartet an, und schlug mit der Hand auf den Tisch, daß die Gläser schütterten, ich setze mein Leben zum Pfande, daß es einen Grandison und eine Henriette Byron giebt. Leugnen sie diese Wahrheit nicht länger, gnädiges Fräulein, wenn Ihnen etwas an der Gewogenheit ihres Herrn Oncles gelegen ist. Unser Oncle warf einen zornigen Blick auf mich, und seine Stirn bekam mehr Falten als ein aufgezogener Vorhang. Mein Schwager bath beide, so lange sich zu beruhigen, bis zuverläßige Nachrichten aus Londen wegen dieser Sache einliefen. Er versprach [23] dem Magister eine Hirschhaut, wenn wir erführen, daß die Geschichte des Grandisons wirkliche Begebenheiten enthielte; er sollte hingegen dem Baron ein paar Wachtelbauer verfertigen, wenn sie als eine Erdichtung befunden würde; Sie gaben einander die Hände darauf. Meine Schwester und ich versprachen ihm jede ein paar genehete Manschetten, wenn er Recht behielte; wenn wir aber den Sieg davon trügen, so verlangte meine Schwester eine Schnappweife, und mir sollte er ein Sonnenschirmgen drehen. Er ging alles ein was wir verlangten, und war seiner Sache so gewiß, daß er sich davon nicht hätte abbringen lassen, wenn man Pferde an ihn gespannet hätte. Jezt war ich im Begriffe zu schließen; aber ein Streich von dem wunderlichen Menschen, der mir eben einfällt, und wenn ich ihn nicht erzählte, mich wie ein Mühlstein auf dem Herzen drücken würde, hält mich noch davon zurück. Er hat sich vorgesetzt, in allen Dingen dem D. Bartlett nachzuahmen, und hofft ihm endlich so ähnlich zu werden, als ein Er dem andern. Neulich [24] hat er den ersten Schritt in dieser wichtigen Unternehmung gewaget, er ist merkwürdig. Der Magister hat das große Werk von einer Perucke, worinnen er sonsten an hohen Festtagen zu stolziren pflegte, plötzlich abgeleget, und trägt sein eignes Haar. Nur Schade, daß es pechschwarz ist! Wenn ich ihm doch riethe, er sollte es schwefeln, oder an der Sonne bleichen, damit des D. Bartletts seinem ähnlicher würde, wer wüßte, was er thäte. Nun muß ich im Ernste schließen, Fräulein Julgen ist unten. Das gute Kind wird mir ihr Herz einmal ausschütten wollen. Ihre Stiefmutter plagt sie recht gottlos. Was kann denn das liebe Mädgen davor, daß sie besser gebildet ist als ihre schielende Stiefschwester. Ich werde gerufen. Unsere Anverwandten empfehlen sich dir und erwarten öftere Nachrichten. Ich bin so lange ich lebe


Deine

Amalia v.S.

4. Brief
[25] IV. Brief.
Der Herr von S. an seine Schwester.

Londen den 24. April.


Liebe Amalia,


Meine Schwester gefällt mir, wenn sie aufgeräumt ist. Sie hat eine vortrefliche Gabe zu scherzen, und ich sehne mich oft nach ihren belebenden Umgang. Der Magister, Lampert, muß, wie ich sehe, noch die nämliche Rolle spielen, die er ehedem hatte: und es ist kein Wunder, wenn seine Thorheiten mit den Jahren zunehmen, da sich Jedermann Mühe giebt, ihn darinnen zu unterhalten; wiewohl die natürliche Leichtglaubigkeit und eine stolze Einbildung von seinen seltenen Verdiensten das meiste dabei thun. Du mußt ihm inliegenden Brief selbst übergeben. Nimm ihm aber zuvor alle schädliche und tödliche Werkzeuge weg, damit, wenn er in eine Raserei verfällt, er sich nicht die Kehle abschneiden möge. Gib mir alsdenn[26] eine getreue Nachricht von dem Ausbruch seiner Freude.

Ich habe hier in Londen eine ganz neue Welt vor mir. Gestern habe ich den König zum erstenmal gesehen. Er ist schon ein Greiß, aber voller Majestät. Empfiehl mich allen meinen Freunden und liebe


Deinen

aufrichtigen Bruder.

5. Brief
V. Brief.
Der Herr von S. an den Magister Wilibald.

Londen den 24. April.


Wie wird mein Hochgeehrtester Herr Magister die Nachricht aufnehmen, welche ich Ihnen geben muß? Bereiten Sie sich zu, meine Sache anzuhören, die Dero sonst gesetztes Herz durchbohren wird, – – Die ganze Geschichte Sir Carl Grandisons ist erdichtet. Verdammter [27] Wind! Wem wird man doch in der Welt glauben dürfen? Niemals hat ein Grandison in Engelland gelebt; niemals eine Henriette Byron. Von der Frau Shirley und der alten Tante Lore will auch Niemand etwas wissen. Es ist ein Roman, lagt man hier; und die Ausländer sind einfältig, wenn sie unsere Erdichtungen für Wahrheiten halten. Armer Herr Magister, welcher Schmerz wird Ihr Herz durchdringen! Die Wette ist verlohren; alle schöne Anstalten, den Grandison nachzuahmen, sind vergebens, und Sie werden Ihr Ansehen sowohl bei dem Gärtner; als auch bei dem Kutscher einbüßen. Nein, das wolle der Himmel nicht! Triumph, Herr Doctor! ich habe Ihre philosophische Standhaftigkeit prüfen wollen. Vergeben Sie mir diesen Scherz! Grandison lebt; seine liebenswürdige Henriette befindet sich wohl. O, wie viel Schönes werde ich Ihnen in kurzen von diesem ädlen Paare sagen können! Damit ich aber ordentlich verfahre; so erlauben Sie, daß ich in meiner Erzählung zurück gehe.

[28] Es war den 21. April, als ich zu Londen ankam. So müde als ich auch war, so wurden meine Lebensgeister dennoch durch den Anblick dieser außerordentlichen Stadt ermuntert und gestärket. Ich ließ mich sogleich zu den Herrn v.B. bringen, dessen Bruder bei der alliirten Armee mein besonderer Freund war. Ich übergab ihm seine Empfehlungsschreiben; und wurde von ihm und seiner Gemahlinn gütig aufgenommen. Mein Wirth ist von ädler Geburt; treibt aber, als der zweite Sohn seines Hauses, aus einem sehr vernünftigen Grundsatze der Britten, die Handelschaft in Großen. Er lebt prächtiger als mancher Graf, und ich habe bei verschiedenen Gelegenheiten die Herrlichkeit seines Hauses gesehen. Ich erkundigte mich also bald nach Sir Carln. »Sir Carl, sagte er, ist mein Freund. Jedermann liebt ihn; Das Bild, das Richardson entworfen, sieht ihm sehr ähnlich: Sie werden ihn aber noch mehr bewundern, wenn Sie ihn persönlich sprechen; in wenig Tagen werde ich nach Grandisonhall gehen; ihre Gesellschaft wird mir angenehm sein.«

[29] Nunmehro, Theurester Herr Magister, wird die Freude bei Ihnen eben so stark, als vorher der Schmerz sein. Setzen Sie sich, wie ein römischer Held auf eine Chaise, lassen Sie alle Ihre Gegner vorher gehen; lassen Sie io triumpfe rufen, und fahren siegprangend, mit Blumen gekrönt, nach Schönthal, um daselbst neue Lorbeern einzusammlen. Mein Brief aber muß auf einem Kissen, wie ein Document, getragen werden. Nunmehro wird Ihre Scharfsinnigkeit von keinem Menschen mehr in Zweifel gezogen werden. Sie können das Wahre von dem Falschen genau unterscheiden; Sie dringen in das Innerste der Sache; und jeder große Geist wird sich eine Ehre daraus machen, wenn er nur mit Ihnen verglichen wird. Leben Sie wohl, verehrenswürdiger Freund! Der Geist der alten Chaldäer und Perser ruhe seiner auf Ihnen. Dieses ist der beständige Wunsch


Ihres

gehorsamen Dieners v.S.

6. Brief
[30] VI. Brief.
Fräulein Amalia an ihren Bruder.

Schönthal den 16. Mai.


Mein Bruder,


Deine Briefe haben uns ein unglaubliches Vergnügen gemacht. Der Baron war vorige Woche in der Stadt und erhielt sie da von der Post. Er setzte sich sogleich zu Pferde, um sie mir zu überbringen. Ich erbrach das Schreiben an mich, worinne ich das an den Magister eingeschlossen fand. Der Jäger mußte den Augenblick hinüber nach Kargfeld, und unsern Oncle nebst seiner Familie und den Magister zu uns einladen. Sie kamen etwas später als Herr Lampert, der sich in der Eile auf das Pferd unsers Jägers geschwungen hatte, und da war, ehe wir daran dachten. Er war ungedultig, den Brief an sich zu erbrechen; ich gab ihm aber diesen nicht eher, bis unser Oncle kam. Wir setzten uns nach den ersten Komplimenten [31] um den Magister herum; er hatte die Stühle in einen halben Zirkel gestellet. Ich will mir einbilden, ich stünde vor dem römischen Senate, sagte er. Hier soll die Geschichte des Grandisons, wie dort das Schicksal der halben bevölkerten Welt, erwogen und beurtheilet werden. Er stund, lösete das Siegel auf, nachdem er die Aufschrift gelesen hatte, und warf einen so hastigen und begierigen Blick in den Brief, um ihn ganz zu übersehen; als wie ein heishungriger Knabe auf eine Buttersemmel schielt, um sie auf einmal zu verschlingen. Er las; aber bey dem ersten Zeilen fing er schon an zu stocken. Kaum hatte er noch so viel Kraft, die Worte herzustammlen: Die ganze Geschichte Sir Carl Grandisons ist erdichter, da fiel ihm der Brief aus der Hand. Er stund wie angenagelt; sein Gesichte war entfärbet, und die Augen gläsern. Auf einmal riß er, mit einem entsetzlichen Geprassel, wie ich glaube, nach einen Gebrauche der Alten, seine Weste auf. Die hölzernen Dorlen aus den Knöpfen flogen uns in die Augen. Unser Oncle [32] war ohne Bewegung. Er hatte sich auf seinen Stock gelehnet; sahe mit den Augen starr vor sich nieder, und schien in dem Augenblicke hinzusterben. Der Magister rung und wund die Hände, und wiederholte oft einen lateinischen Spruch. Der Baron hat ihn gemerket: O vanitas vanitatum, heißt er, etomnia vanitas! Er ergriff darauf seine Halskrause, mir war bange, er würde sie zuziehen und sich erwürgen: er trocknete aber nur seine Thränen damit ab, die ihm in den Augen stunden.

Unterdessen hatte ich den Brief ausgehoben, und sprach dem armen trostlosen Manne einen Muth ein. Sie würden sich vor dem ganzen römischen Senate verächtlich machen, wenn Sie so wenig Standhaftigkeit zeigen wollten. Fangen Sie noch einmal an zu lesen, und lesen Sie den Brief ganz, wer weiß was er für einen Ausgang hat. Ich hatte ein wenig hinein geschielet und noch etwas von von Sir Carln erblicket.

Er setzte mit zitternder Stimme noch einmal an, und hatte so viele Standhaftigkeit, [33] den ersten Absatz, der ihm so schrecklich war, zu lesen. Nun kam er auf den zweiten. Alle seine Gesichtszüge wurden auf einmal verändert. Ein Mann mit zwei Gesichtern in einer Minute, dachte ich, das ist der leibhafte Janus Bifrons aus unserm Orangengarten. Er vergaß sich in seiner Freude. Alle Ausschweifungen zu erzälen, würde mir mehr Mühe kosten, als sie meinen Bruder vergnügen könnten. Viele lange lateinische Sprüche, die sich alle mit Dii immortales! anfingen, mußten wir wie die tiefsinnigen Aussprüche der Orakel hören, ohne sie zu verstehen. Unfehlbar hatte er vergessen, daß mehr Personen als er in den Saale wären. Er lief hastig hin und wieder; ich sorgte für den Spiegel und seinen Kopf. Er las den Brief wiederum mit so vieler Aufmerksamkeit, als wenn er seinen Augen nicht trauen dürfte. Den Namen Grandison drückte er jedesmal mit seinen Lippen. Bei meinem Oncle hatten wir fast gleiche Erscheinungen. Er saß nachdenkend auf dem Lehnstuhle, als wenn er das Gleichgewichte von Europa zu entscheiden hätte; [34] er schüttelte dann und wann den Kopf, und spielte mit seiner Dose zwischen den Fingern. Aller Augen sahen auf ihn und den Magister. Diese Pantomime dauerte eine gute Weile. Mein Schwager brach das Stillschweigen zuerst. Er wollte sich der Gemüthsverfassung, dieser beiden Leute bedienen, sie in ihren Irrthum tiefer einzuwicklen; Er schien eben so sehr in Erstaunen gesetzt zu seyn, als sie. Meine Schwester und ich mußten auch unsre Rolle spielen.

Der Magister foderte hierauf Jedermann, der keinen Grandison glaubte; oder noch einige Zweifel wider die Wahrheit seiner Geschichte vorzubringen hatte, zu einem gelehrten Gefechte heraus. Er sahe uns allen, und besonders mir, steif ins Gesichte.

Wie stehet es denn nun, mein naseweises Bäsgen, sagte der Oncle zu mir, wollen sie hinführo mehr über den Grandison streiten?

Ich schlug die Augen nieder, und gab mir das Ansehen, als wenn ich beschämt wäre, ich zwang mich roth zu werden. Mein [35] Schwager rief den Jäger herein: Anton, hierdurch gebe ich ihm gemessenen Befehl, den ersten jagdbaren Hirsch, der mein Gehäge betritt, vor den Kopf zu schießen, mir den Braten in die Küche, und gegenwärtigem Herrn Magister Wilibald die Haut auf seine Studierstube nach Kargfeld zu liefern, wornach er sich zu achten hat. Meine Schwester ließ das Kammermädchen rufen, dem Magister das Maas zu den Armbindgen, woran die Manschetten kommen sollten, zu nehmen: er verbat es aber, und ersuchte uns, die Manschetten, in Halskrausen zu verwandeln. Er wird in kurzem an dich schreiben, wenn sein Gemüthe etwas ruhiger ist. Niemand hofft begieriger auf die Briefe ihres geliebtesten Bruders, als


Seine

Amalia v.S.

7. Brief
[36] VII. Brief.
Der Herr v. N. an den Herrn v. S . .

Kargfeld den 14. Mai.


Geliebter Neveu,


So ist denn die Geschichte mit Sir Carl Grandisonen wirklich wahr? Ich habe zeithero, als ein kluger Mann, noch immer daran gezweifelt: weil ich niemals gewohnt bin, alles bey der Erde weg zu glauben: allein Ihr letzter Brief an den Magister hat mich völlig convinciret. Dem will ich den verdammten Häls brechen, welcher nunmehro weiter etwas wieder die Gewisheit der Sache einwenden wird. Vor allen Dingen, sehn Sie zu, daß Sie den Mann selber sprechen. Der Kaufmann, bei welchen Sie wohnen, scheint mir nach Ihrem Berichte, ein ehrlicher Pursch zu seyn. Er wird Sie, wie der Engel den Tobias, sicher nach Grandisonhall bringen, und darauf bedacht seyn, daß Sie unterwegs kein Wallfisch frist.

[37] Wenn Sie dort sind; so machen Sie an den Herrn Grandison und an seine Henriette von mir ein dienstfreundliches Kompliment. Merken Sie dabei auf alles, was in seinem Schlosse, an seinen Bedienten, und vornehmlich an seiner Person, anzumerken würdig ist. Ich weiß zwar einen großen Theil aus dem Buche; allein Specialia, mein lieber Vetter, Specialia sind es, die ich wissen will. Verstehen Sie mich wohl? z.E. Hält er viel Jagdhunde? was sind seine Jäger für Kerls? wer spielt die Orgel, wenn Concert ist? was macht die alte Frau Shirley? Ist der Lady G. ihr Meerkätzgen zur Meerkatze geworden? Lebt die alte poßierliche Tante Lore noch. Von allen diesen Dingen dependirt gegenwärtig gar viel: und wenn mein Vorhaben glücklich von Statten gehet; so bin ich zwischen hier und Weinachten ein zweiter Grandison: ja, vielleicht treibe ich die Sache noch höher. Lassen Sie Sich aber gegen Niemanden nichts merken. Verschwiegenheit ist das Wesentliche bei großen Unternehmungen. Der Magister Lampert thut mir hierbei[38] gute Dienste. Er ist selbst von der ganzen Affaire so eingenommen, daß ich mir keinen drolligtern Kerl wünschen könnte, als ihn.

Mein Rath wär, Sie blieben einige Monate zu Grandisonhall –, manchmal können Sie auch nach Shirleymanor geben, wenn Ihnen die Zeit zu lang wird. Hüten Sie Sich aber für dem verdammten Greville: es ist ein Schläger. Fragen Sie doch auch nach den leidigen Vetter Eberhard, ob er vielleicht in seinem Ehestande auch untertaucht? Meinen Gruß an den Herrn Reves und Frau Reves, wie auch an den spaßhaften Oncle Selby. Den Mann möchte ich ein mal hier bei mir haben, ich wollte ihm so zusaufen, daß er den drätschen Himmel nicht erkennen sollte. Adieu, lieber Vetter. Ich bin Ihr guter Freund

v.N.

8. Brief
[39] VIII. Brief.
Von S. an seinen Oncle.

Grandisonhall den 19. Junius.


Sie thun mir viel Ehre an, daß Sie an mich schreiben, und nochmehr, daß Sie mich zu Ihren Gesandten an Sir Carln machen. Ich bewundere und verehre Ihren Einschluß, diesem großen Britten nachzuahmen; und wer ist auch fähiger, auf eine ähnliche Art zu denken und zu handeln, als mein hochgeschätzter Herr Oncle? Sie werden nunmehro Ihrem alten Hause einen neuen Glanz geben, und allen unsern Ahnen eine wahre Ehre machen.

Es war den 3ten dieses, als ich zu Grandisonhall ankam. Das Schloß ist fürstlich, und völlig so, wie es Fräulein Lucia beschreibt.

Sir Carl empfing mich mit einem großen freimüthigen, aber höchst einnehmenden Wesen. [40] Er wußte die Lobeserhebungen, die ich ihm höchst verdienter Weise, als einem berühmten Manne, machte, auf eine sehr bescheidene Art abzulehnen.

Es wurden meinen Begleiter und mir zwei Zimmer im andern Stockwerke angewiesen. Sir Carl verlangt, daß ich etliche Monate bei ihm bleiben soll; ich denke, ich werde nicht ungehorsam seyn.

Den 5ten. Wir sind heute ungemein vergnügt gewesen. Laly G. stattete nebst ihrem Gemahle und ihrer nunmehro 10jährigen Meerkatze, einen Besuch bei Sir Carln ab. Die Tochter ist das wahre Ebenbild von ihrer muntern Mutter. Wär das Meerkätzgen sieben Jahr älter; so –

Sir Carl, wendete sich während der Mahlzeit etliche mal an mich. Ihre Gesundheit wurde in einem großen Deckelglase ausgebracht, und von allen nach getrunken. Wollte der Himmel, sagte mein gütiger Wirth, daß ihr Oncle auf ein halb Jahr herüber kommen könnte! es muß ein vortreflicher Mann seyn, [41] wie ich aus ihrer ganzen Erzählung abnehmen kann. Morgen gehn wir auf die Jagd. Sir Carl wird seinen großen Fresco mitnehmen. Der König wollte ihm ein Gut dafür geben, welches jährlich 600. Pfund einträgt, wenn er ihm diesen seltenen Jagdhund geben würde; allein er schlug es Ihro Majestät ab.

Den 6ten. Das war eine Hauptlust! Es ist was übernatürliches mit dem Fresco. Er fieng ein Schwein, welches 6 Centner wog. Doctor Bartlett, wäre beinahe aus Versehen erschossen worden. Er will nicht wieder auf die Jagd gehen.

Den 7ten war wieder große Gesellschaft hier. Sir Beauchamp und seine Aemilia, erschienen auch. Abends war Bal. Wir tanzten bis vier Uhr. Es waren einige Fräuleins aus der Nachbarschaft da, mit welchen ich tüchtig herumsprang. Von Ihnen wurde etlichemal gesprochen. Lady G. möchte Sie so gerne tanzen sehen.

Den 8ten. Nun bin ich auch in der so berühmten Bildergallerie gewesen. Hier treffe [42] ich das Stücke an, welches Lovelcae gesehen hat. Der Ritter ist im vollen Harnische, und mit aufgehabenen Händen kniend abgemahlt. Die Gemahlin kniet gegen über, und hat sechs Mädchens mit molken haften Gesichtern hinter sich; so wie sich vier dickköpfigte und kurzöhrichte Jungens hinter ihm befinden. Das fromme Paar sieht gen Himmel, an welchem die Worte mit goldenen Buchstaben geschrieben sind: in coelo quics. Vielleicht haben sie manchen ehrlichen Zwist auf Erden gehabt.

Einer von Sir Carls Ahnen siehet Ihnen, geliebter Herr Oncle, sehr gleich. Es ist ein alter Obrister, welcher sich in den Kriegen mit den Schottländern, unter dem König Wilhelm, sehr hervorthat. Sir Grandison war außerordentlich erfreut, als ich ihm die Gleichheit zwischen Ihnen und dem alten Helden meldete. Dieses Bild, sagte er, soll mir nunmehro um desto schätzbarer seyn.

Den 9ten. Heute bin ich in der Kirche gewesen. Doctor Bartlett predigte von den [43] verschiedenen Unglücksfällen, welche den Menschen begegnen könnten. Morgen werden wir insgesammt aufbrechen, und nach Shirleymanor gehen, welchen Rittersitz Sir Carl, nach dem Tode der rechtschaffenen Frau Shirley, geerbet hat. Sie starb den 1 August 1756. Lady Grandison und ihr Gemahl waren bei dem Ende dieser Hochachtungswürdigen Matrone gegenwärtig. Der Liebling ihres Herzens, und Sir Carl empfingen nochmals ihren zärtlichen Segen. Oncle Selby, hat weinend ganz abscheulige Gesichter gemacht, wie mir Lady G. sagte.

Den 17ten. Gestern Abends kamen wir von unserer Lustreise wieder zurück. Ich bin nunmehro mit der ganzen Familie bekannt. Oncle Selby ist noch immer wie sonsten. Er überlacht dreißig andere, und wenn sie auch noch so sehr lachen könnten. Vetter Jacob dient als Cornet unter der schweren Cavallerie; Greville aber ist Obrister unter einem Landregimente. Es soll ihn keiner von allen Officiers im Fluchen aushalten können.

[44] Ormen, die Milchsuppe, habe ich auch gesehen. Er ist noch immer kränklich, und wird wohl schwerlich wieder hergestellt werden. Seine Schwester will ihm zu Gefallen ledig bleiben, und eine zweite Tante Lore werden. Im Vorbeigehen: Tante Lore, ist vor vier Jahren sehr ungern gestorben. Sie brachte ihr Leben auf 70 Jahr, drei Monate und 6 Tage.

Den 19ten. Heute wurde großes Concert im Musiczimmer gehalten. Viele benachbarte Edelleute, fanden sich dabei ein. Ich sehe, daß sich der Brittische Adel ungemein auf die Tonkunst legt. Sir Carl spielte den Generalbaß auf der Orgel. Zuweilen lösete ihn seine Henriette mit dem Flügel ab. Alexanders Gastmahl wurde auch aufgeführt. Sir Carl wunderte sich, daß Sie kein Instrument spielten, da Sie doch außerdem so ein vollkommener Cavalier wären.

So viel, für diesesmal. Ich habe eine bequeme Gelegenheit meinen Brief fort zusenden. [45] Ganz Grandisonhall empfiehlt sich Ihrer Gewohnheit und besonders


Dero

gehorsamster Diener v.S.

9. Brief
IX. Brief.
Fräul. Amalia an ihren Bruder.

Schönthal den 23. Mai.


Lieber Bruder,


Welche Veränderung in unserm Hause! Alles ist metamorphosiret! Kein Bedienter, kein Bauer darf meinen Oncle mehr gnädiger Herr, oder die alte Kunigunde gnädiges Fräulein nennen; sondern Sir und Lady müssen sie sprechen. Viele fragen den Magister um die Bedeutung dieser Titel; und dieser ist allemal bereitwillig, ihnen zu erklären, wie die Wörter a radice haben. Sein Dorf heist nicht mehr Kargfeld, [46] sondern N. hall. Wir hatten am Montage alle Mühe, ihn darzu zu bringen, daß er einen Brief annahm, auf welchen noch a Kargfeld gesetzt war. Wiganden hat er umgetauft und Jeremias genennet. Der feinste Einfall ist die Auszierung eines alten Ganges, welchen er nunmehro mit dem prächtigen Namen einer Bildergallerie beehret hat. Du weißt, daß nur wenige Personen von unsern Ahnen abgemahlt sind, damit aber die gemeldete Gallerie ganz besetzt werden möge, so stehen unter andern zusammengeraften Gemählden, auch der weinende Petrus, Aristoteles mit einem großen Buche, von welchem der Magister berichtet, daß es seine Metaphysic wäre, die heilige Veronica, der Kasten Noä, die Zerstöhrung Jerusalem, und Thomas Münzer mit darunter. Wigand mußte sie aufstellen helffen, und war so boshaft, einige grobe Einwürfe wider diese Ahnen zu machen; allein, mein Grandisonirender Oncle versiegelte seine kurze Antwort mit einer entsetzlichen Maulschelle, daß dem Kutscher die Lust, den Streit weiter zu treiben, vergieng. [47] Hast du Schurke jemals gehört, setzte er hinzu, daß Jeremias mit seinem Herrn so unverschämt sprechen darf? Wenn du Schlingel länger bei mir in Diensten seyn willst; so mußt du weit ehrerbietiger mit mir reden, woferne ich dir nicht deine schelmische Ohren abschneiden soll. Mit einem Worte, die Gallerie wurde fertig, und wir müssen in seiner Gesellschaft oft dahin gehen, und uns von ihm die Thaten dieser ehrwürdigen Ahnen erzählen lassen. Er selbst nimmt in Lebensgröße zu Pferde den ersten Platz ein. Damit aber sein heroisches Wesen recht natürlich gebildet wurde, so bestieg er seinen alten Fuchs, welcher drei Tage zuvor nicht eingespannt, vielmehr reichlich gefünert wurde, paradirte im Hohe herum, und der Mahler mußte die Anlage zum Bilde, unter freien Himmel verfertigen. Lampert wollte bei dieser Gelegenheit sich auch mahlen, und bei Münzern oder bei den Aristoteles stellen lassen; Allein seine Bitte wurde ihm rund abgeschlagen; doch erhielt er den Trost: ich will eine Bronze aus Sie machen lassen, und Sie in meine Bibliotheck stellen. Ich [48] nahm mir die Freiheit, ihn wegen der Unanständigkeit des Orts einige Vorstellungen zu thun; welche auch so kräftig waren, daß er das am Ende der Gallerie befindliche heimliche Gemach, sogleich mit eigener Hand versiegelte. Hier, sprach er, ist das Medaillencabinet von der Olivia befindlich, welches ich nach und nach in eine bequemere Stelle bringen werde.

Das rühmlichste bei seiner Nachahmung ist die Bestimmung einer Stube zur Hauscapelle, worinne Abends Betstunde gehalten wird, und wobei Lampert die Stelle des Dr. Bartletts vertritt. Jedermann erfreuet sich darüber: denn du weißt, daß er sonst niemals von Beten und Singen ein großer Liebhaber gewesen.

Kargfeld, den 25. Mai, früh 7. Uhr. Den Augenblick reiset mein Oncle mit dem Jeremias fort, wir fragten ihn ganz zärtlich: wo er hin wollte; allein wir bekamen keine Antwort als diese: ich habe auf meinen Irrländischen Gütern eine Verbesserung vorzunehmen. [49] Wir thaten während seiner Abwesenheit einen Spaziergang. 11. Uhr. Ums Himmelswillen! da kommt Jeremias mit dem Wagen. Was muß er in aller Welt aufgepackt haben? wir liefen alle an die Fenster, und Fräulein Kunigunde schrie: Wigand, was bringst du hier? Es ist eine Orgel, gnädige Lady.


Tante. Was willst du damit? du führst sie an unrechten Ort.

Wigand. Nein, Mylady, unser gnädiger Herr hat sie der Gemeine zu Daasdorf abgekauft: weil dort eine neue gebauet wird.


Indem kam Grandison der zweite auch; und da er uns insgesammt erblickte: so sagte er: nun, Kinder, soll unser Schloß bald ein Grandisonhall werden. Siehst du wohl, Schwester, daß ich ein Musiczimmer anrichten will? Friedrich, lauf sogleich zum Cantor, und hole ihn anbei, er soll die Pfeiffen vorsichtig abpacken, und die Sache in Ordnung bringen. Sie aber, Herr Magister, welcher [50] eben stand, und in eine große Orgelpfeiffe blies, sagte er, können ihm behülflich seyn, damit ein jedes Stück recht orthodox an seinen Ort gebracht werde.

Es wurden auch sogleich zwei Bauern beordert, welche die Bälge zur Fröhne anbei fahren mußten. Das schlimmste ist, fuhr er fort, daß ich die Orgel nicht spielen kann, sonst wollte ich, wie Sir Carl, zuweilen in das Musiczimmer gehen, und eine Cantate aborgeln.

Den 26ten. Bald wird die sogenannte Kinderstube in ein prächtiges Musiczimmer verwandelt seyn. Die Mägde haben ausziehen und in eine andere Stube wandern müssen. Die Instrumente, womit selbiges ausgezieret ist, sind:


1.) Ein altes Clavier, das ist der Flügel, worauf seine künftige Henriette spielt.
2.) Eine Violine, woran die Quinte fehlt.
3.) Ein Baß, welchen mein Oncle von einen Adjuvanten für zwei Martinsgänse angenommen.
[51] 4.) Eine Trommel, diese gehört aber eigentlich zum Landregimente.

Die Orgel ist noch nicht gesetzt; der Orgelmacher aber ist verschrieben. Auf die künftige Woche soll alles im Stande seyn: da wir denn sämmtliche große Veränderung einweihen werden. Nur der Schulmeister ist mit seiner neuen Stelle, als Hoforganiste, nicht zufrieden. Du wirst seine Zweifel im beiliegenden Briefe lesen. Wir führen bei diesem reißenden Strohme der Thorheiten, welchem sich nunmehro Niemand widersetzen kann, das angenehmste Leben, und wünschen dir ein gleiches.

Amalia v.S.

10. Brief
[52] X. Brief.
Der Schulmeister von Kargfeld an den Herrn v.S.

Kargfeld, den 26. Mai.


Hochwohlgebohrner Herr, Gnädiger Herr,


Eur. Hochwohlgeb. werden verhoffentlich nicht ungnädig aufnehmen, wenn ich als ein unwürdiger Dorfschulmeister an Sie nach Engelland schreibe; wo Sie Sich, nach Aussage des Hr. Magisters, aufhalten sollen. Ich habe sonst viel von diesem Kaiserthume gehöret; und einige haben gar sagen wollen, es läg mitten auf einem großen Wasser. Wie sind Sie doch in die Welt hinüber gekommen, da Sie das Schwimmen sonst bei uns nicht gelernet haben? doch es mag seyn wie es will; wenn [53] Sie nur nicht etwa durch verbotene Künste (dafür Sie Gott bewahre) über die große See gegangen sind. Ich hatte viel zu schreiben; ich habe es aber alles wieder vergessen. Beiläufig – – das Gedächtnis legt mir seit einigen Jahren sehr ab; und ich bin jetzo willens, bei dem Oberconsistorio in einem Schreiben anzuhalten, daß wir eine Parucke zu tragen erlaubt seyn möge. Sonst bin ich noch ziemlich gesund, Gott sey Dank! der letzte Durchmarsch von den Türken hat mich freilich sehr mitgenommen. Da sie kamen, lief ich für Angst in die Kirche, schloß hinter mir zu, und kroch hinter die Pfeiffen in der Orgel; da mir aber salsa fenia einfiel, daß ich meine Gemeine nicht verlassen dürfte; so wollte ich doch wenigstens den Durchmarsch aus dem Thurmloche mit ansehen. Daß dich der Hammer! was waren das für Kerls. Die meisten sahen aus wie die heiligen drei Könige, welche in unserer Kirche abgemahlt sind. Rothe Brustlätze, Hosen bis auf die Schuh, schreckliche Bärte, Gesichter wie die Mohren! Ich schlug ein Creuz nach dem andern vor [54] mir; betete und sprach: Herr stürz sie in die Grube hinein.


Die sie machen den Christen dein.


Zum guten Glück blieben sie nicht im Dorfe, sondern zogen zur Mistgasse hinaus; wohin? weiß ich nicht. Einer war dabei, der saß in einer Kutsche. Niemals habe ich einen so gottlosen Bart gesehen, als der Kerl hatte. Er bedeckte seinen ganzen Leib: und ich glaubte ganz gewiß, daß er wegen diesen schweren Barte müßte gefahren werden. Mein Herr Pfarr sagte mir nachhero, es wären Createn, und keine Türken gewesen; der Schulze aber behaupte, es wären Panduren welches beides ich an seinen Ort gestellt seyn lasse.

Noch ein Punkt, welchen ich gleich Anfangs melden wollte. Unser gnädiger Herr, Ihr Herr Vetter, will auf seinem Schloß eine Orgel bauen lassen, und zwar in das Musiczimmer, wie ers nennt; welche ich denn, wenn er Concert halten würde, spielen sollte. Ich [55] kam freilich aus meiner Gelassenheit, da er mir diesen Antrag that, und diesem meinen Eifer ist auch folgende Antwort beizumessen. Hören Sie, was ich sagte? Gnädiger Herr, die Orgeln haben schon seit der Sündfluth in die Kirchen gehört, und nicht auf die Edelhöfe. Wer nun solche heilige Dinge misbraucht, der thut eine Sünde wider das dritte Gebot, und folglich auch wider alle: wir haben ohnedem eine Landstrafe nach der am der andern; (hier zielete ich unvermerkt auf die garstigen Türken, welche durchs Dorf giengen) wollen wir noch mehrere Sünde thun, und gar bei Gastereien die Orgel schlagen? An Statt, daß er in sich gehen, und von seinem bösen Vorhaben abstehen sollte; so lachte er mich nur aus, und sagte: daß Hr. Grandison in Engelland auch eine Orgel im Hause hätte: was jenem Recht wär, das wär ihm billig, und er müßte eine Orgel im Hause haben, es möchte auch kosten, was es wollte. Was soll ich nun machen, mein lieber und gestrenger Junker? Unser gnädiger Herr ist ganz gewiß ein Heide worden. Haben die Edelleute [56] in Engelland Orgeln, so mögen sie solche für sich haben, wir sollen uns hierinne aber christlicher aufführen. Es sind ohnedem die letzten Zeiten, wie unser Herr Pfarr spricht, da alle Laster im Schwange gehen, und also nothwendig allerlei Landplagen erfolgen müssen; wohin ich auch die garstigen Türken rechne, die durchs Dorf zogen, mir zwei Gänse todtschmissen und mitnahmen, meinem Nachbar sein Schwein ungerechnet: Wenn wir nun die Kirchensachen misbrauchen, und auf den adelichen Höfen in Musiczimmern orgeln wollen; was soll zuletzt daraus entstehen? Ich orgele nicht, und sollte er mir auch meinen grauen Kopf vor die Füße legen lassen. Melden Sie mir doch, gestrenger Junker, was es mit der Orgel des Herrn Grandisons in Ansehung der Register und Bässe für eine Beschaffenheit habe. Der Pfarr hat zwar noch nichts davon auf der Kanzel gesagt, ich glaube aber, er bricht gewiß einmal damit hervor, wenn das Werk zu Stande kommen sollte; oder weiset unsern gnädigen Herrn vom Beichtstuhl ab. Orgeln [57] gehören in die Kirche! damit holla. Eurer Gnaden wünsche viel Glück und Segen, und bin mit aller Zucht und Erbarkeit


Eur. Gestrengen

demüthiger und Ehrendienstwilliger Lorenz Lobesan, p. t. ludimoderator.

11. Brief
XI. Brief.
Der Herr v.N. an den Herr v.S.

N. hall, den 10. Julius.


Lieber Vetter,


Ich habe Ihren letzten Brief richtig empfangen. Ihre Nachrichten haben mich entzückt, so, daß ich wieder jung wie ein Adler werde. Wenn meine Schwester mich nicht mit thränenden Augen gebeten hätte; so wäre ich, statt dieser Anwort, in Person nach Grandisonhall gekommen. Ich war schon reisefertig. Jeremias sollte mich [58] nebst dem Magister begleiten, und ich wollte meine Tour über Hamburg nehmen. Aber, wie gesagt, meine Schwester, der alte Wurm, Lampert, der Pfarr und die ganze Gemeine bekamen von meinem Anschlage Wind: sie vereinigten sich miteinander, und baten mich auf den Knien, keine solche gefährliche Reise in meinen alten Tagen zu unternehmen. Was sollte ich machen? Ich konnte nicht widerstehen; und solchergestalt werde ich nun wohl hier bleiben.

Sir Carl hat mir durch die ausgebrachte Gesundheit viel Ehre erwiesen. Ich habe sie schon zehenmal nachgeholt. Einem solchen Ball möchte ich einmal beiwohnen, wenn die verdammten Englischen Tänze thäten: denn ich tanze weiter nichts, als die Menuet und deutsch. Sie hätten Sir Carln meine Ungeschicklichkeit in der Music nicht entdecken sollen; er wird mich nunmehro verachten. Ich will aber auch her Roth ein Ende machen. Wissen Sie wohl, daß ich die alte Orgel aus der Daasdorfischen Kirche gekauft habe? Ich habe sie für dreißig Gulden erstanden, [59] und in die Kinderstube, oder besser, in mein Musiczimmer setzen lassen. Der alte Schulmeister machte mir zwar anfangs allerlei Hasensprünge, und wollte bei unserm Concert nicht spielen; so, daß ich ihn einmal bald zum Dinge hinaus gepeitscht hätte: er besonn sich aber noch zu seinem Glücke, und orgelte. Die Claves kann ich bereits miteinander. Schicken Sie mir nur Alexanders Gastmahl von Händeln; dieses Stück will ich zuerst lernen.

Ich hätte bei der Jagd vom 6ten Junius seyn mögen! das muß ein verdammter Hund seyn, wenn er Schweine von sechs Centnern halten kann. Wenn Fresco eine Bätze ist: so lassen Sie sich einen jungen Hund geben, wenn er heckt, und bringen ihn mit herüber: damit ich die Race auch bekomme. Was hat aber Doktor Bartlett auf der Jagd zu thun? Er wird ein andermal wegbleiben, denke ich; es wär indessen Mordschade um den alten Kerl gewesen: zumal, da er sich sowohl in Sir Carls Humor schicken, und die Mägde und Knechte fromm machen kann. [60] In diesem Punkte kann ich Lamperten noch nicht recht brauchen: denn er demonstrirt den Mägden ihre Pflicht so undeutlich, und zuweilen gar lateinisch, daß sie kein Wort davon verstehen. Wenn ich aber mit der Peitsche hinter sie komme: so überzeuge ich sie besser, als wenn der Magister zehen Predigten hielt. Im Vertrauen, ich studire, nunmehro auf eine Reise nach Italien, um Clementinen abzuholen, wenn sie anders noch ledig ist, und den verwünschten Belvedere nicht hat nehmen müssen. Unser Barbier soll mit mir gehen und den Jeronimo recht auscuriren: denn Lowther scheint mir nicht so tackt feste zu seyn, als unser Niclas. Clementine wird nachhero meiner Liebe aus Dankbarkeit Gehör geben, daß ich ihrem lendenlahmen Bruder geholfen habe. Die Religion soll mir nicht lange im Wege stehen, ich würde wohl ein Türke, wenn ich Clementinen zur Frau bekommen könnte. Erkundigen Sie Sich doch unter der Hand, wie die Sachen in Italien siehen? ich lese zwar den Courier und den Staatsboten; ich finde aber niemals ein [61] Wort von der Hochzeit der Clementine darinne; folglich muthmase ich, daß sie noch ledig ist. Ich erwarte eine Antwort von Ihnen mit Verlangen, und bitte meine Empfehlung an Sir Carln und seine Henriette zu machen von


Ihrem

getreuen Oncle.

12. Brief
XII. Brief.
Fräulein Amalia an ihren Bruder.

Kargfeld, den 13ten Junius.

Nachmittags um 4 Uhr.


Ich bin sehr neugierig, welchen Ausgang die Thorheiten unsers Oncles nehmen werden? Gegenwärtig erfordert eine Reise nach Italien seine ganze Aufmerksamkeit. Ein Brief von dir wird der Sache den Ausschlag geben. Lebt die Clementine noch unverheirathet; so geht er hin, und nimmt [62] sie dem Graf von Belvedere vor der Nase weg. Ich muß dir eine ganze Unterredung zwischen ihm, seiner Schwester, mir, dem Magister, dem Barbier und seinem Jeremias mittheilen: daraus du seinen Anschlag ganz deutlich erkennen kannst. Ein Glas Wein hatte seine Lebensgeister rege gemacht.


Amalia. Lieber Herr Vetter, warum wollen Sie uns verlassen? wir lieben Sie wie unsern Vater, wir werden uns grämen, wenn Sie so weit weggehen; ja, wir würden für Bekümmernis sterben, wenn Sie unterwegens ein Unglück haben sollten.

v.N. Hören Sie auf zu winseln. Sie machen die Sache dadurch noch nicht anders. Soll ich unverheirathet sterben? nicht wahr, das wäre recht für euch? Nein! daraus wird nichts. Wie, sollte ich ein Unglück nehmen? Ich gehe in meinem Beruf, und das ist das beste.

Amalia. Ich dächte, Sie hätten vielmehr einen Beruf, hier bei den Ihrigen zu [63] bleiben, um eine hieländische Lady glücklich zu machen. Gefällt Ihnen denn kein Frauenzimmer hier?

v.N. Es sind schon Mädchens hier; aber keine Clementine. Sie haben ja ihre Geschichte gelesen: sagen Sie mir einmal, welches Fräulein man mit ihr vergleichen könnte?

Amalia. Sie ist nach meiner Meinung stolz und gar zu abergläubisch. Ich will also keine Vergleichung anstellen.

v.N. Das sind bei einer Clementine keine Fehler: bei euch Jungfern aber würde ich beides nicht leiden können.

Amalia. Nun, das heiß ich erzverliebt – –. Wenn man die Fehler eines Mädgens für Schönheiten hält, blos weil sie eine Ausländerin ist.

v.N. Ja das thu ich, und ich werde mich meiner Liebe niemals schämen. Wer Clementinen liebt, thut sich selbst hervor.

Amalia. Noch eins, Herr Oncle, Clementine ist eifrig römisch katolisch. Sie wird [64] also jeden Protestanten abweisen. Nehmen Sie ein Beispiel an Sir Carln.

v.N. Sir Carl war zu gewissenhaft. Man muß die Sache nicht so genau nehmen. Hätte er Ernst gebraucht: so wär sie damals die Seinige geworden.

Amalia. Sprechen Sie doch lieber wegen diesen Punkte mit Ihrem Pfarr, und hören, was er sagt.

v.N. Nein, das mag ich auch nicht. Er würde freilich Ihrer Meinung seyn; aber mit seiner ganzen Polemic nichts ausrichten. Was soll sich der alte Mann vergeblich bemühen.

Amalia. Sie sind ein sehr entschlossener Mann. Der Himmel verhüte nur, daß nicht etwa der General – –.

v.N. Wer? der General? dem will ich den Kopf schon zurechte rücken. Mir hätte er nicht so naseweis, wie Sir Carln, kommen dürfen; ich hätte ihn garstig abführen wollen. Ich fürchte mich für keinem Feldmarlschall, [65] vielweniger für einem General. Laß ihn nur herwachsen, ich will ihm nicht aus dem Wege gehen. War ich wohl werth, ein Grandison zu heißen, wenn ich mich für einem solchen Bramarbas fürchten sollte?

Amalia. Ich weiß, daß Sie Muth haben; aber die Herzhaftesten können zuweilen unglücklich seyn. Belvedere würde sich ganz gewiß mit ihm vereinigen.

v.N. Belvedere? der Pursch soll bald Reißaus geben. Ich werde ihn nicht wieder mit Complimenten nach Hause schicken, wie Grandison: nein ich will ihn auf den Pelz brennen, daß er zeitlebens daran denken soll.

Magister. So lange noch Vorschläge zur Güte gethan werden können, so lange muß man keine Gewalt brauchen. Ich habe schon zwo lateinische Reden, et quidem stylo Ciceroniano, ausgearbeitet, davon ich eine an den alten Marggrafen, die andere aber an den General halten will. In beiden ist die Sachepro und contra untersucht, [66] und ich denke, wir wollen die ganze Familie gewinnen.

v.N. Bravo, mein alter ehrlicher Magister! Sie werden Sich doch hoffentlich mit dem Pater Marescotti vertragen können?

Magister. Wer? ich? ein zweiter Doktor Bartlett sollte sich mit so einem Mann in Zänkereien einlassen? Wir wollen wie Brüder leben, und alle die Weine kosten, in welchen sich Horaz sonst derb besoffen hat.

v.N. Packen Sie unterdessen ein. Sie brauchen nur ein Kleid, ein schwarzes denke ich.

Magister. Sonst keines. Ich reite den Schimmel.

Amalia. Sie können sich für einen von den preußischen Todtenköpfen ausgeben, und in ganz Welschland ein Aufsehen machen.

Zweiter Auftritt.

Jeremias, Meister Niclas, die vorigen.


Jeremias. Gnädiger Herr, Meister Niclas ist da, soll er herein kommen?

[67] v.N. Ja, laß ihn herein kommen. – – – – Wo bleibst du alter Quacksalber so lange? Habe ich dich nicht bereits vor drei Stunden rufen lassen?

Niclas. Verzeihen Sie, gnädiger Herr, es ist heute Sonnabend, ich habe erstlich die ganze Gemeinde geschoren, und dem Cantor sein Fontenell verbunden.

v.N. Du hast immer viel zu thun. Weißt du was, alter Meister Salpeter, du sollst eine kleine Reise mit mir thun.

Niclas. Ganz gerne, gnädiger Herr, wir kommen doch morgen Abends wieder?

v.N. Das gehört nicht zur Sache. Verstehst du, einen alten Schaden recht aus dem Fundamente zu curiren?

Niclas. Aus dem Fundamente. Ich habe noch letztlich dem Schäfer eine Fistel zugeheilt.

v.N. Ich höre, du bist ein geschickter Kerl. Pack deine Zangen, Sägen, Hacken, Pflaster, Salben und Büchsen zusammen [68] ein; leg deine gute Hosen und etliche Hemden zurechte, daß du alle Stunden aufbrechen kannst. Den Tag kann ich dir noch nicht sagen; aber ich erwarte dieserwegen einen Brief: alsdenn sollst du Nachricht davon bekommen.

Niclas. Ihr Gnaden werden mir doch den Ort sagen, wo Sie hin wollen?

v.N. Nach Bologna, wenn du weißt, wo das liegt.

Niclas. Nein, das weiß ich nicht. Wie viel Stunden liegt der Ort von hier?

v.N. Tummer Teufel! frag lieber, wie viel hundert Meilen. Hast du niemals was von Italien gehört?

Niclas. Bewahr mich Gott für Italien! da wohnt ja der Pabst! Nein, dahin bringt mich kein Mensch.

v.N. Der Pabst wird dich alten Esel nicht fressen. Mach mir nur keine Schwürigkeiten. [69] Du mußt mit, und wenn ich auch in die Türkei gieng.

Niclas. Gnädiger Herr, was würde meine Frau sagen? Ich dürfte ihr nicht wieder unter die Augen, wenn ich so weit weg gieng.

v.N. Hat deine Frau auch ein Votum' bei der Sache? Die kann ganz ruhig seyn, und Statt deiner die Bauren im Dorfe scheeren.

Niclas. Ja, das könnte sie einiger masen: sie schiert aber Niemanden sonst, als mich, und das zwar alles privatim, damit es die andern Barbier nicht erfahren und mich strafen.

v.N. Höre, Wurm, kann deine Frau mit deinem Bart zurecht kommen; so kann sie es mit andern Männern ihren Bärten auch. Mach nur keine Weitläuftigkeiten, du bist mir bei dieser Reise unentberlich; denn du sollst einen vornehmen italienischen Herrn curiren. Ich will dich [70] reichlich bezahlen, und es auch einstens deinen Kindern genießen lassen.

Niclas. Alles gut. Wenn es nur nicht zu weit wär. Ich scheue mich für dem Wasser, als wenn mich ein toller Hund gebissen hätte. Ach! ich glaube, ich wäre des Todes, wenn ich über das rothe Meer fahren sollte.

v.N. Da kömmst du nicht hin. Gesetzt aber, wir wären genöthiget, über ein Wasser zu setzen: so verbinde ich dir die Augen mit einem Schnupftuche, damit du nichts siehst. Weißt du es nicht, wie mans mit den Pferden macht? Ich bin müde, deine Ausflüchte weiter anzuhören. Willst du nicht mitgehn; so sollst du so lange ins Hundeloch kriechen, bis ich wieder zurück komme.

Magister. Geht doch mit, alter wunderlicher Mann. In Italien wächst guter Wein, dort könnt ihr euch wasbene thun.

Niclas. Ehe ich ins Loch krieche, so reise ich freilich mit. Aber ich kann so weit nicht gehen.

[71] v.N. Wer sagt, daß du gehen sollst. Du sollst mein Maulthier reiten. Geh nur hin, bis ich dich wieder rufen lasse. Du, Schwester, wirst indessen meine Wäsche und meine Kleider zurechte legen: damit ich, wenn der Brief aus Engelland kommt, sogleich aufbrechen kann.

Fr. Kunigunda. (mit kläglicher Stimme.) Ich will es thun, aber, wollte der Himmel, daß ich dieser Arbeit überhoben seyn dürfte. Du bist schon bei Jahren, lieber Bruder, und willst noch heirathen, und zwar ein katholisch Mädchen.

v.N. Das hab ich wohl gedacht, daß du deine Klagelieder auch anstimmen würdest. Du wirst doch zeitlebens so eine alte Wehklage bleiben. Ein Wort so gut als zehhen, laß dieses die letzte Erinnerung seyn, die du mir gibst. A propos, meine Sammethosen will ich auch mitnehmen, laß sie rein auskehren, und wo etwa hier oder da ein Wurmstich zu finden wär, so nehe es sein sauber zu.

[72] Amalia. Auf solche Art werden der Herr Oncle recht galant erscheinen?

v.N. Ja, das werde ich auch, ohne Ruhm zu melden, thun. Was soll ich viel Federlesens machen? Ich will dem Mädchen so zusetzen, daß sie bald Chamade schlagen soll.

Amalia. Was werden unsere Freunde in Schönthal sagen, wenn sie Ihre Absicht erfahren?

v.N. Die haben nichts darein zu reden. Ich bin mündig. Jetzo ists noch Zeit zu heirathen, da ich in meinen besten Jahren bin: Warte ich noch länger, so tauge ich hernach gar nichts mehr. Ich denke ohnedem, ich will mir das verdammte Podagra durch den Ehestand vom Halse schaffen.

Magister. Sie haben recht. Wär ich an Ihrer Stelle gewesen: so hätte im achtzehenden Jahr geheirathet.

v.N. Da giengs bei mir noch nicht an; da war ich im Felde und half die Franzosen schlagen.

[73] Amalia. Warum haben aber der Herr Oncle so lange gewartet?

v.N. Ich weiß selbst nicht. Hätte ich Clementinen eher kennen lernen, so wär ich vielleicht schon lange ein Papa. Nun solls aber auch desto schärfer gehn.

Amalia. Wollen denn aber der Herr Oncle Clementinen Ihr wahres Alter sagen? Ich befürchte, sie macht Einwendungen. Denn nach aller Wahrscheinlichkeit ist sie etwa 28. Jahr.

Magister. Hier muß pia fraus gespielt werden. Sie sind munter und gesund; Sie kennen sich immer für einen vier und dreisigjährigen Herrn ausgeben.

v.N. Macht euch beide keinen Kummer. Nach meinem Alter wird Niemand fragen. Zum Ueberfluß aber will ich meine Brille zu Hause lassen.

Magister. Das muß ohnedem geschehen. Wollen Sie nach etwas sehen: so nehmen Sie das Perspectiv. Der Himmel verhüte [74] nur, daß Sie das Podagra in Italien nicht bekommen.

v.N. Es wäre freilich ein alberner Streich: aber ich denke, das Podagra soll kein Narr seyn, und mich mit der Liebe zugleich plagen. Meine Beine werden dort andere Dinge zu thun haben, daß sie also daran nicht denken werden.

Kunigunda. Ach wer weiß, ob ich dich in meinem Leben wieder sehe, wenn du so weit weggehest!

v.N. Sey unbekümmert, alte Tante Lore. Siehst du mich hier nicht wieder: so geschiehet es dort, wenn du nicht par hazard in die Hölle fährest.

Kunigunda. Rede nicht so unchristlich, Bruder! Wenn alle verliebte Leute so sind wie du, so will ich in meinem Leben nicht verliebt werden.

v.N. Ja, es wäre Zeit, wenn du im 56ten Jahr noch verliebt würdest.

[75] Amalia. Plagen Sie doch meine redliche Tante nicht! Sie besitzt das beste Herz. Sie ist um Sie wegen der Reise besorgt.

v.N. Die Sorge kann sie sparen. Komm ich glücklich zurück, so soll sie eine neue Saloppe und ganz neuen Casper kriegen. Alsdenn wirst du aussehen, wie die Marquise von Pompadour.

Kunigunda verneigt sich vor ihrem Bruder.

Amalia. Mich müssen Sie nicht vergessen, Herr Vetter, ich bin eine starke Liebhaberin von welschen Galanterien.

v.N. Ihnen will ich den Jeronimo mitbringen, wenn ihn Niclas recht auscuriren kann. Die Partie wär so uneben nicht: habe ich erstlich Clementinen weg, so läßt sich ihr Bruder vielleicht überreden, und begleitet mich hieher.

Amalia. Ja, das wär vortreflich! Alsdenn wollten wir schon bekannt werden. Allein, ich möchte doch nicht gerne einen Mann, der schon so viel Maitressen gehabt hätte.

[76] v.N. Ihr Mädchens müßt nicht so eckel seyn. Ein Cavallier kann schon einige Maitressen haben, und sich dennoch seiner Gemahlin für einen Junggesellen verkaufen. Ich war in meinen jüngern Jahren auch nicht von Holz.

Amalia. So recht! das sollten der Herr Oncle gar nicht erzählen. Ich habe Sie noch immer für einen reinen Junggesellen gehalten.

v.N. Sie werden auch nicht krank werden, wenn Sie es noch thun. Clementine muß indessen nichts davon wissen. Hab ich sie einmal weg, so mag sie hernach erfahren, was sie will. Wir wollen aber aufhören zu discuriren. Ich will mich heute einmal recht lustig machen. Jeremias! lauf zum Cantor, und sag, daß heute Concert gehalten würde. Er soll um 6. Uhr zu mir kommen und noch ein paar Adjuvanten mitbringen. Reizend, sanft, in Lydischen Thönen, zum Gefühle stiller Lust etc. soll es heute gehen. O du angenehme [77] Dulcinea von Bologna! tausend Ducaten wollt ich darum geben, wenn du heute hier wärest. Pereat Belvedere tief! (zum Jeremias) Stehst du noch hier, wie eine Säule? Geh, und ruf den Cantor, sag ich.

Jeremias. Gleich, gleich, ich wollte nur ihre Rede ganz anhören.

v.N. Das war nicht nöthig. Der erste Theil gehörte nur für dich, Bube.


Hast du also etwas nach Italien zu bestellen, so wird dir unser verliebter Herr Oncle dienen können. Er nennet es seine geheime Expedition; er will sie aber glücklich ausführen. Welch eine Reisegesellschaft! der Magister schickt sich zu ihm, und er zum Magister: Jeremias aber schickt sich zu beiden. Der Oncle ist voller Verlangen, einen Brief von dir zu bekommen. »Hört! was ich sage, spricht er, ihr müßt euch die Sache recht soldatisch vorstellen. Zeithero habt ihr Pulver auf die Pfanne gethan, geladen, und den Ladestock wieder an seinen Ort gebracht. [78] Heute schrie ich: Hoch schlagt an; kommt der Brief aus Londen; so rufe ich weiter nichts, als Feuer! und denn gehts los. Jeremias muß noch einmal mit dem schelmischen Barbier reden, damit der Schlingel nicht erst sich zur Ladung schwenket, wenn ich fort will.

Was fangen wir mit unserm Oncle an? Nichts fehlt, als daß er noch auf solche Abentheuer ausgeht. Ich weiß gewiß, jeder Schritt von hier bis nach Bologna würde mit einer recht besondern Thorheit bezeichnet. Allein das muß nicht geschehen. Wie wird er sich anstellen, wenn du ihm die Vermählung der Clementine schreibest? Ich denke aber, er hat einen neuen Entwurf im Kopfe, der jenem an Schönheit nichts nach gibt.

Abends um 6. Uhr. Die Adjuvanten sind da; der alte Cantor auch, im Mantel, als wenn er zur Hochzeit bitten wollte. Der Magister hat ihm seine Zweifel wegen den Orgeln benommen, oder besser: unser Oncle wollte den alten ehrlichen Mann prügeln.«

[79] Alleweile höre ich, daß er ihm auf dem Saale einen Unterricht wegen des Spielens gibt:

»Höre er, Herr Schulmeister, er muß ein wenig flüchtiger werden auf der Orgel. Die Finger sind so steif, wie die Trommelstöcke. Habt ihr etwa in euren jüngern Jahren die Daumenschrauben bekommen? Ach, Ihr Gnaden, ich bin ein ehrlicher Mann; ich bin niemals auf der Tortur gewesen, wie man sagen möchte.«

»Sie sind ein alter Narr. Was wär daran gelegen, du bist kein Erzbischoff, Herr Schulmeister, nicht wahr? Vernehme er, was ich sage. Führt mir keine Kirchenstücke mehr auf – – denn das schickt sich nicht. Das letzte fieng sich mit einer Fuge an – – mir deucht, ich hätte es an der Kirmse in der Kirche gehört. Gnädiger Herr, ich habe freilich keinen großen Vorrath: allein heute wollen wir ein Trio machen, und alsdenn einige Menuets und Polonoisen zum Tanzen; da wird aber nicht dazu georgelt.

[80] Nein, das versteht sich. Wenn ich Alexanders Gastmahl aus Engelland bekomme: so lassen Sie es Ihren Adjuvanten lernen. Verstehst du mich wohl?« Gerne, gerne. Der Magister hat Hanngen anbei geholt, und also werde ich wohl mit tanzen müssen. Ich will also dieses mal meine Feder niederlegen, dir aber noch sagen, daß ich dich allemal lieben werde.

Amalia v.S.

13. Brief
XIII. Brief.
Fräulein Amalia an ihren Bruder.

Schönthal den 27 Junius.


Ich habe unserm Schwager beinahe einen Gewissenspunkt daraus gemacht, daß er uns alle verleitet hat, unserm Vetter eine Sache vorzuschwatzen, die ihn noch vielen Verdrüßlichkeiten aussetzen kann. Er ist gleichwohl unsrer Mutter Bruder, wir sollten [81] es nicht gethan haben. Mein Schwager hat keine Lust von seinem Vorhaben abzustehen, und glaubt das Recht zu haben, ihm etwas aufzubürden; weil unser Oncle seit vielen Jahren ihm von seinen Heldenthaten Unwahrheiten gesagt hätte. Wenn er in seiner Oekonomie dadurch Schaden litte, will der Baron solchen wieder gut machen. Den Gewissenspunkt bei Seite gesetzt, so ist nicht zu leugnen, daß der Oncle und der Magister uns so viel lächerliche Auftritte, in dem Nachspiele des Grandisons liefern, daß wir uns keinen bessern Zeitvertreib wünschen könnten. Wenn ich diese beiden Leute auf der einen Seite ansehe, so sind sie wirklich gebessert: betrachtet man sie aber von der andern, so scheinet es, daß ihr Bisgen Verstand ganz und gar ausgedunstet ist.


Mein Vetter hatte sonst etwas im Fluchen gethan, man konnte ihn stark darinne nennen. Seine neuerfundenen Schwüre und Flüche, die oft Niemand dafür ansahe, wenn es nicht der Nachdruck seiner Stimme und die Gelegenheiten, [82] bei welchen er sie vorbrachte, zu erkennen gegeben hätte, sind alle auf einen Tag abgeschaffet worden. Der Magister, ein gewaltiger Feind aller unnützen Worte, war nicht damit zufrieden, er bewies aus einem lateinischen Kochbuche, wie ich glaube, daß man die Natur nicht auf einmal zwingen müßte. Der Oncle blieb demohngeachtet bey feinem Vorsatze und bat Herr Lamperten, ihn freundlich zu erinnern, wenn ihm ein Wort entführe, das einem Fluche oder Schwure ähnlich sähe. Er versprach, für diese Bemühung dankbar zu seyn, und dieses versprach er mit einem ihm eigenem Witze. Herr Lampert, sagte er, wenn er so ein garstiges Thier, als ein Fluch oder Schwur ist, bei mir ansichtig wird; so sei er so gut und hasche er mir, es vor dem Munde weg. Er kann es in seiner Schreibtafel, oder in seinem Gedächtnißkasten verwahrlich aufbehalten; wenn wir allein sind, so soll er mir die Ungeheuer nach einander ausliefern, und für jedes einen Dreier baar Geld empfangen. Einige mal, besonders letzthin, da der Hauptmann von Hagebusch in Kargfeld [83] war, und seine Weidesprüche schwadronenweise anrücken ließ, kam der Oncle in die Hitze, und donnerte so gewaltig mit Flüchen und neuen Schwüren, daß der gute Lampert nicht geschwinde genug im Schreiben nachkommen konnte, und ihm manchen Dreier schenken mußte. Den Magister nennt er seinen väterlichen Freund, obgleich unser Oncle um ein Mandel Jahre älter ist. Jetzt muß ich abbrechen. Der Wagen ist angespannt; wir fahren hinüber zu unserm Vetter. Heute Abend wird ein Feuerwerk abgebrannt. Die Ursache davon solltest du wohl nicht errathen. Es geschiehet dem Grandison und seiner Henriette zu Ehre. Es ist heute unsers Wissens weder ihr Namenstag noch ihr Geburtstag; es ist aber gutes Wetter, und es kann doch durch ein solches Festin die Ehrfurcht, welche man hier für den Namen Grandison und Henriette hat, am besten zu Tage geleget werden.


Den 28ten. Gestern, da wir vor dem Edelhofe unsers Vetters Abends um 6 Uhr eintrafen, wurden wir von ihm im Galakleide [84] empfangen und in den Speisesaal geführet, wo wir den Herrn v.W. seine Gemahlin und Fräulein Julgen fanden. Der Pastor Wendelin, dessen Tochter Jungfer Hanngen, in die der Magister aufs äußerste verliebt ist, der junge Wendelin, ein Student, Junker Gangolph, der Förster und die Personen vom Hause waren alle da. Ueber Tische wurde beinahe von nichts als von dem Feuerwerke gesprochen, das der Magister nach morgenländischem Geschmack entworfen haben wollte. Die neidische Frau v.W. schnitt auf ihre fromme Stieftochter bei Tische immer sauere Gesichter. Sie hätte in der That mehr Ursache, stolz auf diese gefällige artig gehorsame Tochter, als neidisch und gebietherisch gegen sie zu seyn.


Bei der zwoten Tracht holte der Magister Grandisons Geschichte, unterdessen da die Bedienten abtrugen, las er einige Blätter; die Stelle handelte von dem Heiratsvergleiche des Grandisons und der Clementine. Mein Oncle brachte die Gesundheit seines Helden[85] aus. Jedermann holte sie nach, bis auf dem Pastor Wendelin.

Ich werde mich nie bereden lassen, die Gesundheit eines Mannes zu trinken, der im Stande ist, seine Kinder, sein eigenes Fleisch und Blut dem Moloch auf opfern zu wollen.

Dem Magister starb der Bissen im Munde. Seine Augen wurden so groß wie Brenngläser. Wie so, mein Herr Pastor, wie so?

Wie so? Was ist das für eine Frage von Ihnen, mein Herr Magister! Haben Sie uns nicht eben jetzo vorgelesen, daß der Engelländer, von dem die Geschichte handelt, sich kein Bedenken machte, wegen einer Weibesperson, die er liebte, seine mit ihr zuerzielenden Töchter katholisch erziehen zu lassen? War das christlich, war das vernünftig, ich will nicht sagen väterlich? Nein, ich kann die Gesundheit eines Ketzers, eines Syncretisten unmöglich nachholen.

Was? Sir Carl ein Ketzer? – Ein Syncretist? Wo denken Sie hin, mein Herr [86] Pastor? Sir Carl macht seiner Religion Ehre. Ich hätte Lust, ihn eine Säule der protestantischen Kirche zu nennen.

Wo nehmen Sie den Muth her, Herr Magister, einem solchen Ketzer, als dieser Engelländer ist, das Wort zureden? Ich will Ihnen nur kurz meine Meinung eröffnen, was ich von Leuten, die Ketzer vertheidigen, halte. Ponamus casum: Es wollte Jemand mein Hanngen hier haben, der einer andern Religion beigethan wäre, mit der Bedingung, daß die Söhne in der Religion des Vaters und die Töchter in der Religion der Mutter erzogen würden, und wenn es ein Graf wäre, so würde ich sie ihm versagen; ja, ich würde sie einem jeden rund abschlagen, von dem ich nur argwohnete, daß ihm der geringste ketzerische Gedanke im Kopfe stärke. Ja ja, das würde ich gewiß thun, bei meiner Ehre. (Er sahe den Magister an.)

Herr Lampert wurde feuerroth. Der Oncle mochte ihm winken, ihn treten und ihm zurufen wie er wollte, er möchte doch den Grandison [87] nicht im Stiche lassen, es half nichts. Er nahm ein Kelchglas und sagte einen seiner weisen Sprüche: Beim Schmausen darf man nicht streiten, so heist er auf deutsch. Er trank Hanngens Gesundheit. Der Streit wurde durch Aufhebung der Tafel geendiget.

Die ganze Gesellschaft begab sich in den Garten, das Feuerwerk zu sehen. Zween Adjuvanten hatten sich mit ihren Waldhörnern an den Eingang des Lusthauses gestellet. In Ermangelung der Paucken schlug Junker Gangolph die Trommel darzu. Der Student hatte die Ehre als ein Fremder die Canonen, welches ein paar alte Flinten mit deutschen Schlössern waren, los zu brennen. Die Bedienten vom Hause mußten laden, dann und wann eine Salve aus dem kleinen Gewehr geben, das waren die Pistolen unsers Oncles. Er war deswegen genöthiget, das Signal mit seiner Kugelbüchse zugeben.

Herr Lampert sagte, mit einer stolzen Mine: Mit ihrer Erlaubniß, allerseits höchstzuverehrende Anwesende, werde ich Ihnen mit [88] einem Lauffeuer von meiner Erfindung aufwarten.

Den Augenblick erschienen ein halb Dutzend derbe Bauerjungen, mit Hüten von Pappe, auf welchen ein langes Stück angefeuchtete Pulvermasse befestiget war, und liefen in einer Entfernung von uns durch einander, in die Runde und in die Quere.

Wir jungen Leute konnten es unmöglich unterlassen, in ein lautes Gelächter bei diesem Anblick auszubrechen. Mein Schwager beredete unsern Oncle, es wäre dieses ein Zeichen unsers außerordentlichen Vergnügens, daß wir über die Erfindung des sinnreichen Magisters empfänden. Er schien damit befriediget zu seyn.

Die zweite Scene bestund in einer Lampenerleuchtung. 48 Oellampen, die hochadlichen und die aus der Pfarre mitgerechnet, welche in dem Dorfe mit Mühe und Zwang waren zusammen geborget worden, erleuchteten die Allee. Am Ende derselben prangete die schwarze Tafel des Magisters. [89] Er verkündigte uns, daß der Name des edelsten Paares unter der Sonne im Feuer brennete. Wir verfügten uns mit vieler Sorgfalt durch die feurige Allee. Wir machten uns so schmeidig als es möglich war, um nicht eine raschgierige Lampe umzustoßen, die uns diese Beschimpfung gewiß durch einen gräßlichen Oelfleck würde vergolten haben. An der Tafel, woran noch einige hebräische Charakters kenntlich waren, fanden wir die Buchstaben


VIVANT


C.G. et H.B.


in saecula saeculorum.


von vergoldetem Pappier ausgeschnitten, angeklebet, und rund herum mit Lampen bespicket.

Nach einigen Freudenschüssen und einem lauten Vivatgeschrei verfügten sich alle Anwesende nach Hause. Ich fürchte mich in der Nacht zu fahren; ich schlief deswegen zu Kargfeld. Tante Kunigunden hatte das [90] Feuerwerk über alle maßen gefallen, vielleicht weil es so wenig kostete und doch einen so vornehmen Namen hatte. Unsern Oncle habe ich nie so munter gesehen als damals. Der Magister hat sich durch seine kluge (thörigte hätte er sagen sollen) Erfindung einen rechten Stein bei mir heute ins Bret geworfen. Herr Lampert, er ist, mein Seele! ein verschlagener Kopf, ohne daß er deswegen braucht die Treppe hinunter zu fallen.


Früh gegen 5 Uhr jagte mich ein unvermutheter Lerm aus dem Bette; ich dachte nicht anders, es wäre Feuer im Hause. Ein Hause Bauerweiber schmissen sich im Edelhofe um ihre Lampen; sie waren verwechselt worden; ungeachtet der kluge Lampert jede mit den Namen der Eigenthümer bezeichnet hatte. Um zehn Uhr Vormittage ließ mich mein Schwager in seinem Wagen abholen, um mit ihm und meiner Schwester nach Wilmershausen zu fahren. Der Herr von W. hat uns gestern zu sich eingeladen. Unsern Oncle finden wir nicht da, er hat sich wegen Kopfschmerzen,[91] die ihn sein gestriger Rausch zugezogen hat, entschuldigen lassen. Es ist Zeit in den Wagen zu steigen, meine Schwester hat schon eine halbe Stunde auf mich gewartet. Erfreue bald durch deine Briefe


Deine

Amalia v.S.

14. Brief
XIV. Brief.
Der Magister Lampert an den Baron v.S.

Kargfeld, den 14. Julius.


Tandem bona caussa triumpfat! Dieses, zwar nicht seltene und rare; aber doch jederzeit wahre Symbolum, welches jener Prinz auf seine Münzen schlagen ließ, ist endlich auch einmal an mir wahr worden. Es giebt einen Grandison, es giebt eine Henriette Byron; es sind keine Feyen Vorstellungen, keine Hirngespinste; wir haben [92] gewonnen! Jedermann war vor kurzem wider mich; jedermann ist nun mit mir einerlei Meinung. Mein gnädiger Patron, der außerordentlich vergnügt ist, daß unsere Wahrscheinlichkeiten unumstößliche Wahrheiten worden sind, beschäftiget sich nebst mir in der Nachahmung eines Mannes, der die Ehre des Zeitpunktes ist, darinne wir leben. Jederzeit hatte er viel Hochachtung für den Namen Grandison, nur die Furcht, einen Schatten, einen Dunst, Einfälle eines müßigen Kopfes zur Regel seiner Handlung zu machen, nöthigten ihn, so lange mit der Nachahmung dieses großen Urbildes anzustehen, bis er erfuhr, dieser große Mann sey wirklich in unsrer Welt anzutreffen. Was Grandison, und was Doctor Bartlett in Engelland sind, das werden der gnädige Herr und ich in Deutschland seyn.


Von den Einrichtungen, die in dem Hochadlichen Hause ihres Herrn Oncles nach Maßgabe der Residenz des Herrn Grandisons gemacht worden sind, haben Sie bereits [93] durch Dero Fräulein Schwester und den gnädigen Herrn selbst Nachricht erhalten. Ich habe noch immer meine Hände voll damit zu thun, und dieses ist die Ursache, daß ich so lange meine Schuldigkeit, Dero gnädiges Handschreiben an mich zu beantworten, habe aussetzen müssen.


Weil der Cantor Loci sich noch immer nicht recht zum Orgelschlagen in dem Musiczimmer des gnädigen Herrn verstehen will; so soll ich dieses Amt übernehmen, und dafür eine Zulage meines jährlichen Gehalts bekommen. Ich sagte bei dem Antrage, den mir der gnädige Herr deswegen that, nichts weiter, als: Doctor Bartlett, Sir, ist Sir Carls Hofprediger, aber nicht sein Organist. Er fand sich getroffen, ergriff meine Hand, drückte sie und sagte: Herr Magister, Sie sind mein väterlicher Freund. Geben Sie mir doch Nachricht, ob der Doctor auch manchmal orgelt. Thut er es, so werde ich mir kein Bedenken machen, seinem Beispiele zu folgen; wo nicht, so spiele ich warlich keine Note, und wenn [94] mir jede mit tausend Thalern sollte bezahlet werden.


Ueber eine Sache kann ich mich nicht gnug wundern, daß nämlich der Doctor Sir Carln auf die Jagd begleitet. Wie geht denn das in aller Welt zu? Setzt er sich in seinem langen schwarzen Mantel zu Pferde? das kann ich nicht glauben. Nähme er ihn unter den Arm, wie wollte er denn das Pferd und die Peitsche regieren? Ließ er ihn fliegen; so wäre es, wenn der Wind ginge, noch beschwerlicher; wollte man sagen, er legete seinen geistlichen Habit zu der Zeit ab, wenn er auf die Jagd gienge; so kann ich das mit einem so ernsthaften frommen Manne auch nicht zusammen reimen. Mit einem Worte, vor einem, der es nicht gesehen hat, ist die Figur, die der Doctor zu Pferde macht, schwer zu errathen. Geben Sie mir doch davon eine umständliche Nachricht. In meinem Herzen wünsche ich oft, daß Bartlett von der Jagd wegbliebe, so dürfte ich auch nicht wie ein Spürhund, den ganzen Tag mit meinem Patrone im Walde [95] herum laufen. Jedoch es heist: qui vult finem, vult etiam media.


Wer sich dereinst so groß, als Bartelett will sehen,
Läßt manchen sauren Wind sich ins Gesichte wehen.

Man muß per aspera ad astra gelangen. Der gute Mann hat es sein Tage sich wohl eben auch lassen sauer werden.

Vor einigen Wochen wurde auf Befehl des gnädigen Herrn, dem Götterpaare in Engelland zu Ehren, ein Feuerwerk von meiner Erfindung in dem Lustgarten abgebrannt. Es dauerte von 9 Uhr des Abends bis gegen 11 Uhr. Sie können es dem Herrn Grandison melden, mein Herr verlangt es ausdrücklich; es muß aber nicht lassen, als wenn sich Ihr Herr Oncle dadurch ein Verdienst bei der Familie der Grandisonen machen wollte. Bei Gelegenheit dieser Feierlichkeit wurden der gnädige Herr und ich, wider Vermuthen, aufgefodert, Zeugnisse von unserer dem Herrn Grandison abgelernten Großmuth abzulegen. [96] Einige Unterthanen meines Patrons mußten zur Illumination einer Allee Lampen hergeben; sie wurden verwechselt. Den Tag nach diesem Feste entstunden des wegen vielerlei Zänkereien, ich legte solche durch mein Ansehen bei. Nachmittage, da ich vor dem Hause Nikolaus Brummholds des Baders vorübergehe, kommt dieser Verwegene mit entblößten Gewehr, durch Anstiften seines Weibes auf mich los. Hier, schrie er, hier soll sein Gottesacker seyn, und setzte mir das blanke Scheermesser an die Kehle. Schaffe Er meiner Frau ihre Lampe wieder Herr Magister, oder ich ermorde Ihn auf der Stelle.

Ich that einen Sprung auf die Seite, um meinen Degen zwischen den Rockfalten hervorzuziehen, ihn zuentblößen. Ich sahe, daß Peter der Badeknecht, seinen Herrn beispringen wollte. Er fragte mich, mit einer trotzigen Mine, und mit dem Scheermesser in der Hand, ob man ehrlichen Leuten so begegnete, und ein Recht hätte ihnen das ihrige zu entwenden.

[97] Der freie Himmel ist sein Schutz, Herr Bader, sonst würden diese Pralereien, wenn Er etwas damit meint, Ihm theuer zustehen kommen.

Ich bin der Beschützer meiner Frau, mein Herr, Sie haben sie beleidiget, Herr.

Habe ich Seine Frau beleidiget, mein Herr? – – Und ich gieng auf ihn zu; aber ich besonn mich noch eben zu rechter Zeit, und bedachte, wo ich mich befände – –. Nehm Er Sich in Acht, mein Herr Bader – –. Aber hier ist Er sicher.

Peter, der gewaltige Bewegungen machte, schwur, daß er seinem Herrn bis auf dem letzten Blutstropfen beistehen wollte. Er stellte sich an eine angreifende Positur, und zog sein Brodmesser halb aus der Scheide.

Will Er Sein Gewehr auf Seinem Kopfe zerbrochen haben, so ziehe Er es ganz

Er that es mit pralenden Geberden. Der Teufel sollte ihn holen, wenn er das litte. Er zog sich zurück und setzte sich in eine vertheidigende Stellung.

[98] Der Bader mit seinem Scheermesser in der Hand, machte elende Grimmassen. Ich glaubte nicht anders, als daß die Männer Mörder wären. Ich schlug Petern mit der Breite meines Degens auf die Finger, entwaffnete ihn, und warf ihn in eben diesem plötzlichen Angriffe zu Boden.

Der Bader, der herum sprang, als wenn er auf Gelegenheit lauerte, einen Schnitt mit seiner eigenen Sicherheit zu thun, verlohr das Scheermesser durch den gewöhnlichen Kunstgriff

Die Frau, welche aus dem Fenster zusahe, und mit Scheltworten in die Ferne kanonirte, lief auf die Gasse.

Ich brachte beide Männer, einen nach den andern, mit der Verachtung, die sie verdieneten, in das Haus, die Frau war schon darinne. Ich schloß die Thüre ab, und gieng ganz gelassen nach Hause.

Ich erzählte dem gnädigen Herrn den ganzen Handel. Er würde in etwas aufgebracht, [99] und wollte die ganze Familie ins Loch werfen und sie 8 Tage lang mit Wasser und Brod speisen lassen. Wir wollen großmüthig handeln, sagte ich, es wird die Zeit kommen, da diese Leute unbestraft ihre Vergehungen mehr bereuen werden; als wenn man hart mit ihnen verführe. Lassen Sie mich morgen mit diesen Leuten in der Sprache Sir Carls reden, was soll es gelten, ich will sie bekehren. Den folgenden Morgen ging ich zu dem Bader in das Haus. Der verlohrne Sohn war da, die großväterliche Erblampe hatte sich gefunden. Ich redete offenherzig mit ihm und seiner Frau, und brachte sie zu Thränen. Sie bezeugten ihre Reue wegen ihres Vergehens und versprachen Besserung.


Frau Sibylle bat mich insonderheit, ein guter Kundmann ihres Mannes zu bleiben, und meinen Bart keinem andern anzuvertrauen. Ich versprach dieses nicht nur; sondern erboth mich auch, den Lohn ihres Mannes, wenn er sich wohl gegen mich aufführen würde, jedes Quartal mit zwei Patzen zu erhöhen:

[100] Die guten Leute wußten nicht, wo sie Worte finden sollten, ihre Dankbarkeit gegen mich auszudrücken.

Bei Abschiede steckte ich dem bußfertigen Bader ein feines Stückgen von gewonnenen Hirschhaut, welches ich noch übrig hatte, in die Hand, um einen Streichriemen daraus zu verfertigen. Jedermann segnete mich dafür. Auch mein gnädiger Patron war so großmüthig, diese Sache, als Gerichtsherr, nicht zu rügen; ob er gleich den Bader um etliche Thaler hätte strafen können. Sit modus in rebus! Wenn ich meinen Brief nicht schlöße, so würde er noch länger. Glauben Sie, daß Sir Carl seinen Beauchamp nicht höher schätzen kann, als Sie geschätzet werden, von


Ihrem

unterthänigen Diener M.L. Wilibald.

15. Brief
[101] XV. Brief.
Der Herr von S. an den Magister Wilibald.

Grandisonhall den 5 August.


Hochgeehrtester Herr Magister,


Ich lobe Ihren Entschluß, den Doctor Bartlett nachzuahmen; Sie sind aber in gewissen Stücken gar zu zärtlich. Ein Staatskluger muß selbst ein Urbild werden und sich fortzupflanzen suchen. Ich kann Ihnen nunmehro die Gewissens fragen, welche Sie an mich thun, um desto leichter beantworten. Sie können, geliebter Freund, ganz wohl auf der Orgel spielen, ohne daß Doctor Bartlett dergleichen thut. Es würde sich aber dieser rechtschaffene Geistliche gar kein Bedenken daraus machen, wenn ihn Sir Carl nur mit einer Mine ersuchte. Sie können auch nach dem Beispiele Bartletts auf die Jagd reiten, und den Magister dabei eben so wenig als jener den Doctor vergessen. Das Mäntelgen, das er umthut, ist sehr kurz, und [102] wie eine Saloppe gemacht, mit welchem er durch alle Hecken rennen kann. Wie konnte ich aber die Sache mit dem Feuerwerke verschweigen? Sir Carl war außerordentlich darüber erfreut, und wird auf künftige Woche, meinem Oncle zu Ehren, ein Hahnengefechte anstellen, zu welchen Schauspiel alle benachtbarte Edelleute bereits eingeladen sind. Sir Carl bewundert vornämlich Ihren in Gefahr unerschrockenen Geist. Zehen andere Magisters wären für dem schelmischen Bader geflohen, zumal, da ihn sein tölpischer Geselle unterstützte; Allein Sie wissen die Rotte nicht nur zu entwaffnen; sondern auch zu besänftigen. Dieser einzigen Begebenheit wegen verdienen Sie unsterblich zu seyn: und wenn mein Oncle Sie nicht nach Verdiensten belohnt, so werde ich mich von ihm lossagen. Wer wird dabei alle Müh mit mehreren Vergnügen anwenden, als

Dero

getreuer Freund. v.S.

16. Brief
[103] XVI. Brief.
Der Herr v.S. an den Herr v.N.

Grandisonhall, den 5 August


Hochgeschätzter Herr Oncle,


Ohngeachtet Sir Carl und seine würdige Gemahlin Sie hier in Engelland zu sehen wünschen; so begreifen Sie die Schwürigkeiten vollkommen, welche mit einer solchen Reise verknüpft sind. Zwei solche ädle Gemüther sind bereits verbunden; ob sie gleich tausend Meilen von einander leben. Vielleicht geht Sir Carl nach Deutschland, um Berlin zu sehen: in diesem Falle würde Ihnen sein Zuspruch gewiß seyn. Sie verlangen in Ihrem letzten Brief einen jungen Hund von dem Fresco und Alexanders Gastmahl. Mit dem letzten warte also gehorsamst auf: Da aber Fresco ein Chapeau und noch darzu castrirt ist: so hat man keine Hoffnung, [104] seine Race zu erhalten. Ihr Anschlag auf Clementinen ist vergeblich. Sie ist verheirathet und hat bereits drei Kinder von dem Graf von Belvedere. Wer weiß aber, was sie gethan hätte, wenn sie von Ihrer ädlen Neigung zeitiger benachrichtiget werden wär. Indessen ist Kätchen Holles noch ledig. Ich sprach das angenehme Kind zu Selbyhaussen, und finde an ihr etwas ungemein sanftes. Besser aber würde sich Fräulein Orme für Sie schicken; wenn der Fall kommt, daß Sie heirathen müssen. Sie sind aber gegenwärtig in einer solchen Ruhe, die Sie im Ehestande nicht haben werden. Ich gehe einige Tage nach Londen, um den Hof und alles merkwürdige in der Stadt zu besehen; nachhero kehre ich wieder nach dem angenehmen Grandisonhall zurück.

Den 9ten. Ein merkwürdiger Umstand: Lady Grandison ist in die Wochen kommen. Ein schönes Fräulein, sagt man.

Den 11ten. Immer eine Kutsche nach der andern. Oncle Selby und seine Dame sind [105] auch da. Der Cornet Jacob hat Urlaub. Ich muß hin und ihm mein Compliment machen. Die Gevattern sind erwählt. Sir Beauchamp, Lady G. und Sie, mein Hochgeehrtester Herr Oncle, wie auch der rechtschaffene Doktor Bartlett. Lesen Sie beikommenden Gevatterbrief von Sir Carln. Ich habe die Uebersetzung dabei gelegt. Da ich das Absehen auf Dero Person zum Voraus merkte; so gieng ich sogleich nach Londons und ließ mir ein prächtiges Kleid machen: damit ich in eben dem Lichte erschiene, in welchem Sie erschienen seyn würden.

Den 12ten. Nunmehro ist alles glücklich vorbei. Ich trank mir in Ihrem Namen einen derben Rausch. Oncle Selby war auch nicht nüchtern. Senden Sie nur ein ansehnliches Patengeschenke: denn man macht sich hier von Ihrem Vermögen eben so große Begriffe, als von Ihrer Freigebigkeit. Der Himmel erhalte Sie gesund und wohl. Mit vieler Ehrerbietung bin ich


Dero

gehorsamster Diener

17. Brief
[106] XVII. Brief.
Amalia an ihren Bruder.

Schönthal, den 30. August.


Lieber Bruder,


Du treibst die Sache zuweit mit unserm Oncle. Ein zweiter Don Quixottes, so wahr ich lebe! Ich will sein ganzes Betragen in einem Lustspiele von einer Handlung und verschiedenen Auftritten vorstellen; damit ich das viele er sagte, und sie sagte vermeide.

Erster Auftritt.

Jeremias und der Magister.


Der Magister. Wo bleibst du so lange, Jeremias? du hast gewiß vor deiner Abreise aus der Stadt alle Bierkannen sondiren müssen?

[107] Jeremias. Ich mußte doch erstlich bei der Wärme einen Labetrunk zu mir nehmen. Hat der gnädige Herr etwa geschmälet?

Der Magister. Nein, nicht sonderlich. Ich vermuthe aber, du wirst die Bastonnade bekommen, wenn du das poculum hilaritatis zu hoch treibst.

Jeremias. Ich will ihn schon besänftigen: denn ich bringe einen Brief von der Post mit; vermuthlich ist er von dem jungen Herrn aus der neuen Welt. Sehen Sie einmal das Petschier an, Herr Meister.

Der Magister. Höre Jeremias, ich habe dir etwas im Vertrauen zu sagen: du sollst mich künftighin nicht mehr Herr Magister; sondern Herr Doctor nennen. Denn wer philosophiae magister ist, der ist auch philosophiae doctor; atqui ich bin philosophiae magister; ergo bin ich auch philosophiae doctor. Verstehst du mich Jeremias?

Jeremias. Nein, nicht sonderlich. Denn ich kann nicht begreifen, wie Sie auf einmal [108] zum Doctor geworden sind? Sie curiren ja nicht, und setzen auch keine Clystire.

Der Magister. Du bist so tumm wie ein Wigand. Gibt es denn sonst keine Doctores, als nur solche, welche Arznei ausgeben? Mit einem Worte, du sollst mich Doctor nennen, ohne daß ich zuvor einen langen Beweis führe. Gib mir indessen den Brief her, ich will ihn dem gnädigen Herrn zustellen; doch da kömmt er selber.

Zweiter Auftritt.

Der Herr von N. Der Magister und Jeremias.


Jeremias. Hier ist ein Brief an Sie, Sir.
Der Magister. Er ist von Ihrem Neven aus Londen, vermuthe ich.

Der Herr von N. bricht ihn auf und ließt:


»Ohngeachtet Sir Carl und seine würdige Gemahlin Sie hier in Engelland zu bedienen wünschen; so sehen, sie doch die [109] Schwürigkeiten vollkommen ein, welche mit einer solchen Reise verknüpft sind.«


Ach was Schwürigkeiten! ich bin der Luft gewohnt, und habe eine Natur wie ein Pferd. Was habe ich nicht sonsten bei meinen Italienischen Feldzuge ausgestanden! ich will aber weiter lesen:


»Zwei solche ädle Gemüther sind bereits verbunden; ob sie gleich tausend Meilen von einander leben. Vielleicht geht Sir Carl nach Deutschland, um Berlin zu sehen: in diesem Fall würde Ihnen sein Besuch gewiß seyn.


Zum Henker! was will er in Berlin machen? da ist nichts zu thun. Der lange Peter hat sonst unter den Preußen gedient; er kann aber wegen der entsetzlichen Prügel, die er unter den Soldaten bekommen, niemals ohne Thränen an Berlin denken.« Er ließt weiter.


»Sie verlangen in Ihrem letzten Brief einen jungen Hund von dem Fresco, und Alexanders [110] Gastmahl. Mit dem letztern warte Ihnen also gehorsamst auf; da aber Fresco ein Chapeau und noch darzu castrirt ist; so hat man keine Hoffnung seine Race zu erhalten.«


Das ist doch ein verwünschter Streich! Solche gute Hunde werden doch selten geschnitten.

Der Magister. O ja, das geschieht oft, damit sie desto hurtiger und muthiger zur Jagd werden.

Herr von N. Das wäre eben, als wenn man einen Magister verschneiden wollte, damit er desto hitziger im disputiren wär. Er liest weiter:


»Ihr Anschlag auf Clementinen (hier hält, er innen, und sagt: Jeremias, schier dich hinaus, ich will mit dem Magister etwas heimliches reden.) fährt fort im lesen:


Ihr Anschlag auf Clementinen ist vergeblich. Wer weiß aber, was sie gethan hätte, wenn sie von Ihrer ädlen Neigung zeitiger benachrichtiget worden wär?


[111] Ja, das glaub ich selber. Ich hätte ihr schon zu Leibe gehen wollen. Solche Mädchens, wie Clementine, wollen frisch angegriffen seyn. Belvedere war eine alte Frau; wenn sie gewartet hätte: so – – doch nichts mehr von der Sache.« Liest weiter:


»Indessen ist Kätchen Holles noch ledig. Ich sprach das angenehme Kind zu Selbyhaussen, und finde an ihr was ungemein sanftes.«


Nein, die mag ich auch nicht. Es scheint mir eine Gaus zu seyn und einfältige Weibsbilder habe ich niemals leiden können. Er liest:


»Besser aber würde sich Fräulein Orme für Sie schicken; wenn der Fall kömmt, daß Sie heirathen müßten.«


Ach die schickt sich wieder nicht. Sie würde ihren milzsüchtigen Bruder mitbringen, und einen solchen Wurm könnte ich nicht um mich herum leiden. Er liest:


[112] »Ich gehe einige Tage nach Londen, um den Hof und alles merkwürdige in der Stadt zu besehen; nachhero kehre ich wieder nach dem angenehmen Grandisonhall zurück. Ein merkwürdiger Umstand: Lady Grandison ist in die Wochen kommen. Ein schönes Fräulein, sagt man«


Herr Magister, rufen Sie meine Schwester und meine Base: damit ich ihnen diese gute Nachricht sogleich hinterbringe.


(Hier sprang Lampert fort; und ich konnte kaum von der Thür wegkommen, wo ich die ganze Zeit zugehört hatte. Wir giengen also beide hinein, da er denn schrie)

Dritter Auftritt.

Schwester, Fräulein Base, Lady Grandison ist in die Wochen kommen. Es ist eine Fräulein. Ja nun, Mädchens sind auch nicht zu verachten; aber ich denke, Sir Carl hätte lieber noch einen Jungen gehabt. Meinen Sie nicht, Fräulein Base?

[113] Amalia. Er hat ja schon einen Junker; und so wird ihm das Mädgen um desto lieber seyn. Er liest fort:


»Immer eine Kutsthe nach der andern. Oncle Selby und seine Dame sind auch, da. Cornet Jacob hat Urlaub. Ich muß hin und ihnen mein Compliment machen.«


Das wär ein Mann für Sie, Base. Wer weiß, was Ihr Bruder anstellt.

Amalia. Lesen Sie nur ruhig fort, ohne zu überlegen, ob sich ein Cornet für mich, oder ich mich für einen Cornet schicke.


»Den 11ten. Die Gevattern sind erwählet. Sir Beauchamp, Lady G. und Sie, mein Hochgeehrtester Herr Oncle. Lesen Sie hier den Gevatterbrief von Sir Carln.«


(Diesen hatte der Magister noch unerbrochen in Händen)


Das ist ja ein entsetzlicher Streich! Mich bittet Sir Carl zu Gevattern? Ich muß doch [114] die Stelle noch einmal lesen. Ja, ja das hat mein Vetter angestört. Warte du Vogel! er liest fort:


»Wie auch der würdige Doctor Bartlett.«


Warum nicht der Superintendent von Londen?


Hier fiengen wir an, ihm Glück zu wünschen, worauf er ganz gleichgültig antwortete: »Es ist wahr, sprach er, mir wiederfährt viel Ehre; aber mein Beutel wird es auch empfinden. Was meint ihr, Kinder, was soll ich Sir Carln einbinden?«


Der Magister. Ich dächte, gnädiger Herr, Sie gäben ihm gar nichts. Sir Carl ist sehr reich; er hat Sie aus Liebe und nicht aus Eigennutz gebeten.

Der Herr von N. Das ist zwar wahr; aber das Geschenke ist auch nicht für den Vater, sondern für das Kind, welches nackend auf die Welt kömmt.

[115] Jeremias, welcher mit uns zugleich hineingieng: Ich dächte, gnädiger Herr, es wären zwei Thaler genug. Lassen Sie einen rechten schönen Kuchen backen, so will ich beides nach Grandisonhall tragen, und mir ein tüchtiges Trankgeld verdienen.

Herr von N. Was meinst du, Schwester, wenn ich mein Portrait von der Gallerie nähm, etliche Diamanten darum setzen ließ, und Jeremiasen damit fortschickte.

Fräulein von N. Sei nicht artig, Sir, wer wird solche große Bilder mit Brillanten garniren. Das wär ein Werk von einer Million.

Herr von N. Du hast Recht; ich will ihm etwas an baaren Gelde schicken; so viel als ich bei diesen schlechten Zeiten entbehren kann. Funfzehn Gulden sind hinlänglich. Ich will ihm diese Summe in hiesigen Münzsorten schicken – – Creutzer sind in Engelland etwas rares – – vielleicht legt sie Sir Carl in Olivien ihr Medaillencabinet.

[116] Amalia. Herr Oncle, funfzehn Gulden sind auch gar zu wenig. Wenn Sie Sir Carln ein Geschenk machen wollen, so müssen es wenigstens hundert Ducaten seyn.

Herr von N. Warum nicht tausend? Wovon sollte ich hernach leben, wenn ich mich zuvor durch ein solches Pathengeschenke zu Grunde richte? Mit einem Worte, es bleibt bei den funfzehn Gulden, damit kann Herr Grandison zufrieden seyn.

Hören Sie, Herr Magister, setzen Sie Sich gleich und schreiben mir eine witzige und galante Antwort auf Sir Carls Gevatterbrief. Gehen Sie aber mit den lateinischen Brocken etwas sparsam um: damit mich der Herr Gevatter für keinen Schulcollegen hält.


(Der Magister geht ab, und er liest, indessen weiter:)


»Lesen Sie beikommenden Gevatterbrief von Sir Carln. Ich habe die Uebersetzung dabei gelegt.«

[117] Wo ist denn der Gevatterbrief? ich habe ja keinen gesehen.
Amalia. Der Magister ist damit fortgelaufen.
Herr von N. Es ist wahr, er soll ihn beantworten.

Darauf fuhr er fort:


»Da ich das Absehen auf Dero Person zum voraus merkte: so gieng ich sogleich nach Londen, und ließ mir ein prächtiges Kleid machen: damit ich in eben dem Lichte erschien, in welchem Sie erschienen seyn würden.«


Da that er ganz recht: denn ich würde mich wie ein Fürst geputzet haben, wenn ich gegenwärtig gewesen wäre.


»Den 12ten. Nunmehro ist alles glücklich vorbei. Ich trank mir in Ihren Nahmen einen derben Rausch. Oncle Selby war auch nicht nüchtern.

[118] Ich denke, es wird Niemand nüchtern gewesen seyn. Sollte Sir Carl an einem solchen Tag nicht ein Räuschgen haben: so sollte es mich sehr wundern. Hätte ich einmal Kindtaufe, ich tränke, so lange ein Darm hielt.

Amalia. Das trau ich Ihnen zu; Sie sollten aber überlegen, daß es Niemand als eine Heldenthat ansehen würde.

Der Herr von N. Nichts? das wär was entsetzliches! Ein Edelmann muß sauffen können. Wie will er sonst bei Hof zurechte kommen? Mein seliger Vater konnte einen Eimer Bier in einem Sitze bezwingen: aber heut zu Tage gewöhnen wir uns zu zärtlich. Ich lobe mir die alten Zeiten. Da war keiner nicht gelitten, der nicht seinen Stiefel tüchtig saufen konnte

Amalia. Wir wollen uns über die Vorzüge der alten Welt für der heutigen nicht zanken. Lesen Sie uns nur den Brief weiter.


[119] »Senden Sie nur ein ansehnliches Pathengeschenke: denn man macht sich hier von Ihrem Vermögen eben so große Begriffe; als von Ihrer Freigebigkeit.«


Das ist ein loser Mann! Sie würden Sich die Begriffe nicht machen, wenn er ihnen keme Gelegenheit dazu gäb. Aber ich kenne Ihren Bruder; es soll bei ihm alles ins Große fallen.

Es bleibt übrigens bei den funfzehn Gulden.

Du wirst diese Erzählung so hinnehmen. Der ehrliche Oncle bleibt, wie er ist. Wir wollen zufrieden seyn, wenn er nur nicht schlimmer wird. Ich befürchte aber, er thut einen Schritt, der uns allen höchst unangenehm ist. So viel für diesesmal von


Deiner

treuen Schwester Amalia von S.

18. Brief
[120] XVIII. Brief.
Der Herr von N. an den Herrn von S.

N. hall, den 30. August.


Lieber Vetter,


Uebersetzen Sie beikommenden Brief sogleich ins Englische. Es ist eine Antwort auf Sir Carls Gevatterbrief. Der Magister hat mir den Aufsatz machen müssen; ich denke, er soll eben so hoch, als gelehrt seyn. Ich habe funfzehn Gulden zu einem Geschenke beigelegt. Mehr kann ich gegenwärtig nicht entbehren! zumal, da wir neulich von den Kroaten so mitgenommen worden sind. Ewig Schade, daß ich nicht in Person habe stehen können. Das ist ein verdammter Streich, daß die Clementine verheirachet ist. Hätte der Pumpernickel nicht warten können? Fräulein Ormen mag ich nicht; es scheint mir eine Wehklage zu seyn, die einen nur die Ohren vollwinselt. Nun [121] ist also weiter nichts zu thun, als daß ich mich an Fräulein Julianen von W. wende. Ich würde sie längstens von meiner Liebe überzeugt haben, wenn ich nicht in Ansehung der Italienischen Gräfin in Ungewisheit gewesen wär. Nunmehro aber soll meine Braut eine einheimische Lady seyn. Hierinnen bin ich also Sir Carln nun mehro auch ähnlich. Juliane weiß noch nichts von meinen Gesinnungen: wie wird aber das gute Kind erstaunen, wenn ich bei ihr ankomme, und mich zu ihren Füßen werfe? Vielleicht seufzt sie bereits in geheim nach mir. Ich will also kommen, schönste Juliane! ich komme gleich. Ihre Schwester ist recht, wie ich sie mir wünsche. Das Mädchen macht mit, und wenn wir auf dem Kopfe tanzen wollten. So ist auch der Magister; wir leben mit einander wie Brüder. Das wird mir einmal ein lustiger Beichtvater werden, wenn der alte Pfarre abgehen sollte. Warum hat aber Sir Carl den Fresco castriren lassen? Ich wollte gleich noch funfzehn Gulden darum geben, wenn ich einen jungen Hund von der Race bekommen [122] könnte. Gestern hat mir der Oberförster von Burgthal einen Hünerhund geschenket; er ist aber noch ziemlich roh; ich denke, der alte Magister soll ihn schon dreßiren. Von unsern übrigen Umständen wird Sie Lampert benachrichtigen. Schließen Sie mich als Ihren treuen Oncle in Ihren Abendsegen ein, wenn Sie anders einen beten, und erwarten von mir ein gleiches. Ich bin


Dero

getreuer Vetter.

19. Brief
XIX. Brief.
Fräulein Amalia an ihren Bruder.

Kargfeld den 4. Sept.


Dein letzter Brief hat meinen Oncle nunmehro ganz und gar gebildet. Sein Rock ist mit Golde besetzt; er geht beständig im Degen, und zwingt sich zu einem süßen Lächeln; bisweilen aber sieht er den [123] Magister mit so einer fürchterlichen Mine an, als wenn er ihn fressen wollte.

Neulich hat er einen Kerl, welcher mit Zimmtwasser und Bezoartinctur durchs Dorf gieng, seinen ganzen Kasten abgekauft. Das ist meine Apotheke, spricht er, woraus ich die Bauern kuriren will, wenn etwa die Viehseuche unter sie kömmt.

Die erste Kur ist indessen nicht wohl abgelaufen; und wenn man nicht noch einen ordentlichen Arzt zu Rathe gezogen hätte; so wär der Elende gestorben. Wir dürfen uns aber nicht unterstehen, nur den geringsten Zweifel in seine Geschicklichkeit zu setzen. Mir wollte er vorgestern mit Gewalt Bergöl eingeben: da ich aber ernstlich aussah, und fortreisen wollte; so ließ er ab, seine Kunst an mir zu versuchen. Das lustigste war ein Ball, den er uns am Mittewochen gab. Die benachtbarten Edelleute wurden durch den Jeremias eingeladen. Einen hieß er Oncle Selby, den andern seinen Beauchamp, seine Schwester Tante Loren, Fräulein Fiekgen [124] seine Aemilia, mich aber, seine Charlotte. Unsere Gäste glaubten anfangs, er wär rasend geworden.

Da ich ihnen aber das Geheimnis entdeckte, so wurde sein Vorhaben bewundert, und er in seiner Thorheit gestärkt. Der Schulmeister sollte mit aller Gewalt Alexanders Gastmahl aufführen: da er nun dieses Singstück nicht einmal den Namen nach kannte: so hieß ihn mein Oncle einen Bärenhäuter, und jagte ihn zur Thür hinaus. Er sieng indessen mit fürchterlicher Stimme an: Reitzend, sanft in Lydischen Thönen etc.

Der Magister trägt das Seinige zu diesen Thorheiten redlich bei. Er will die Person Grandisons in Italien spielen. Des Pfarrers Tochter ist seine Clementine. Er sprach noch heute von ihr mit einer affenmäßigen Entzückung. Kurz darauf wiederhohlte er die Zeilen aus den Milton:


Nie gestand sie die Liebe etc.


Wir hielten darauf folgen des Gespräch.

Amalia. Wissen Sie denn, Herr Magister, daß Hannchen eben die Neigung zu Sie [125] hat, welche Clementine zu Sir Carln hatte? Sie müssen nicht alle Blicke eines Mädchens zu ihrem Vortheile auslegen.

Der Magister. Die Eigenliebe, oder philautia, blendet mich nicht, gnädiges Fräulein; allein, ich denke, daß ich wegen verschiedener persönlichen Eigenschaften ein Mädchen rühren kann.

Amalia. Es ist wahr, sie besitzen Vorzüge, unter welchen derjenige, daß sie Magister sind, der vornehmste ist. Einige Mädchens aber haben einen wunderlichen Geschmack, und eine angenehme Bildung gilt bei ihnen mehr, als alle Gelehrsamkeit, und die dadurch erworbenen Kränze.

Der Magister. Sie bringen mich eben auf den rechten Punkt. Gefällt Ihnen meine Bildung nicht? habe ich nicht eine Habichtsnase wie Cyrus, und eine Warze daran wie Cicero? Mir deucht, dieser Schmuck könnte ein Mädchen bezaubern; zumal wenn sie von der geheimen Bedeutung großer und ansehnlicher Nasen etwas gelesen hat, und ausserdem [126] weiß, welche große Männer Cyrus und Cicero gewesen sind.

Amalia. Sie werden doch jene Leute nicht deswegen hochachten, weil der eine, eine gebogene Nase, und der andere eine Warze daran hatte. Vielleicht ist die Nase bei dem einen, und die Warze bei dem andern, ein Fehler gewesen.

Der Magister. Gut, gnädiges Fräulein, ich sehe dergleichen Nase nicht als ein Essentiale an: aber mir deucht, ich hätte noch mehr Aehnliches mit dem Cyro, vornämlich aber mit dem Cicerone.

Amalia. Wollen Sie eine Vergleichung anstellen; so werden Sie mir eine besondere Gefälligkeit erzeigen.

Der Magister. Cicero war ein Redner; ich auch: ja, ich erhalte hier eben den Beifall, wenn ich den geistlichen Schifsschnabel betrete, welchen Tullius mit seinen Reden zu Rom erhielt. Jener war ein Patriot, und eifriger Vertheidiger der römischen Freiheit;[127] ich bin beides hier auf diesem adlichen Hofe. Wem hat man die Verschönerung dieses Rittersitzes anders zu verdanken, als mir? Habe ich nicht die Wahrheit, daß es einen Grandison gebe, zuerst bekannt gemacht? habe ich ihn nicht zuerst nachgeahmt?

Amalia. Ich fühle die Stärke Ihrer Beweise. Sie so den Recht haben; Hannchen soll Sie lieben, und ich will sie selbst zur Gegenliebe überreden.

Der Magister. Wo eine Conviction ist, da ist die Persuasion unnöthig. Hannchen ist von meinem Werthe überzeugt; sie liebt mich, und würde wie Clementine närrisch werden, wenn ich unempfindlich wär.

Amalia. Da die Sache schon so weit gekommen ist; so wär mein Rath, sie ließen das arme Kind nicht so lange seufzen. Denn sollte das schöne Hannchen in einen Enthusiasmum fallen; so hätten Sie es ewig zu verantworten. Es thun sich hier keine Schwierigkeiten hervor – der General willigt [128] ein – Sie sind auch nicht katholisch, daß die Religion also eine Hindernis seyn könnte. Gehn Sie also immer zum alten Vater, und halten um die Tochter an.

Der Magister. Das will ich thun; aber aufrichtig zu reden, so muß ich erstlich meinen schwarzen Rock wenden, und nach der Mode machen lassen: damit die äußerliche Seite der innerlichen die Waage hält. Alsdenn werde ich alle Hindernisse überwinden, meine Liebe gestehen, und Hannchen glücklich machen. Es kann unterdessen nicht schaden, wenn sich einige Schwierigkeiten hervor thun: ja es ist allen Liebhabern angenehm, wenn sie in der Liebe rechte hohe Gebürge übersteigen müssen.

Amalia. Sie reden etwas poetisch, Herr Magister; wünschen Sie Sich aber lieber keine Berge; Sie sind kein Jüngling mehr, und ein einziger Hügel sollte Ihnen schon Arbeit genug machen. Kommt Hannchen ein junger Stutzer in Weg; so fällt der Magister Lampert in die Brüche.

[129] Der Magister. Ach, was Stutzer! Hannchen ist die Tochter eines Geistlichen; ihr ist geistlich Fleisch gewachsen; ergo muß sie wieder an einen Geistlichen verheirathet werden.

Amalia. Das war ein vortreflicher Schluß! Wenn Sie ehedem so geschlossen haben; so sitzen die Leute, welche Sie zum Magister gemacht haben, leibhaftig in der Hölle. Ist denn das Fleisch einer Pfarrstochter an ders beschaffen, als das Fleisch einer Prinzessin? Gesetzt aber, Sie meinten ihre Gemüthsbeschaffenheit; so finde ich eben nichts stilles und heiliges an Ihrem Hannchen, wobei mir das geistliche Fleisch einfallen sollte, Sie ist so munter und lebhaft, wie eine Soldatentochter. Ein junger Fähndrich würde ihr besser anstehen, als ein alter Magister.

Der Magister. Sie machen mir beinahe Angst. Da sich aber die Liebe bei ihr angefangen hat, so kann ich auch auf ihre Beständigkeit schließen.

Amalia. Woher wissen Sie aber, daß Hannchen in Sie verliebt ist? Und wie wollen [130] Sie von der Beständigkeit einer solchen Leidenschaft urtheilen, da wir oft von derselben wider unsern Willen hingerissen werden.

Der Magister. Von dem ersten Punkte überzeugen mich ihre reitzenden Blicke. Einer ist matt, der andere sanfte, der dritte feurig. Die folgenden sind zum theil schmachtend, zum theil aber bemerken sie ein süßes Bewustseyn. Der zweite Punkt aber, patet per se.

Amalia. Was heist das, patet per se?

Der Magister. Das will so viel sagen: wenn ein Mädchen einmal liebt; so kann sie nicht leicht wieder aufhören.

Amalia. Sie haben Recht; sie liebt immer; aber nicht einen und eben denselben Gegenstand: und dieses, glaube ich, wird der wahre Sinn der angeführten Worte seyn.

Der Magister. Machen Sie mich nicht weiter unruhig. Ich will meinen Herrn Principal um seinen Vorspruch bei Hannchen bitten. Sein Ansehen und ich zusammen genommen, [131] wird einen Eindruck sowohl bei dem Vater, als bei der Tochter machen.

Amalia. Es ist wahr, mein Oncle vermag viel bei dem Pfarr; aber Hannchen darf nicht überredet, vielweniger gezwungen werden. Es ist ein angenehmes und munteres Kind, und wir haben einander von Jugend auf geliebt. Suchen Sie ihr zu gefallen, vielleicht geht die Sache nach ihrem Wunsche.

Der Magister. Sie haben Recht. Clementine soll von meiner persönlichen Vortreflichkeit bezaubert und erobert werden. Ich will eine Ode auf sie machen; ich will sie unter ihrem Fenster absingen. Giebt sie meiner Liebe Gehör; so stehe ich hier still; wo nicht; so suche ich andere Kunstgriffe hervor. Ich will sechs Monate blaß wie der Tod aussehen; ich will mich in eine Höhle verstecken, den Bart und die Nägel wachsen lassen; ich will Gras fressen, wie Nebucadnezar: endlich wird sie doch weich, und überwunden werden!

[132] Weil mein Oncle seine Charlotte rufte, so mußten wir unsere Unterredung endigen. Morgen werde ich von hier ab nach Schönthal, und über morgen nach Wilmershaußen zu meiner Juliane gehen. Dieses gute Kind erkundiget sich oft nach dir, und freut sich über alle gute Nachrichten, welche ich aus Engelland erhalte. Sie hat sich zu ihrem Vortheile verändert, und besitzt alle Vorzüge unsers Geschlechts. Schreibe' mir bald und liebe mich ferner.

Amalia v.S.

20. Brief
XX. Brief.
Der Magister Wilibald an den Doctor Bartlett.

Kargfeld, den 16. August.


Hochgeehrtester Herr Doctor,

Vornehmer Gönner,


Wundern Sie Sich nicht, daß ein Unbekannter, aus einem entfernten Lande, das von den geheiligten[133] Gränzen der Britten durch einen Arm des großen Weltmeeres abgesondert ist, sich die Erlaubnis erbittet, Ihre wichtigen Geschäfte durch ein kleines Handschreiben zu unterbrechen. Der Ruhm eines Carl Grandison und mit dem seinigen der Ihrige, hat sich eben sowohl in meinem Vaterlande; als in den übrigen Theilen der gesirteren Welt ausgebreitet. Das Licht, worinne ich Sie bei Durchblätterung der Geschichte des großen Mannes erblickte, hat mich, gleich einem irrenden Wandrer, auf die Spur eines glücklichen Weges geleitet, und ich werde mich bemühen ihn zu verfolgen, bis das Stundenglaß meines Lebens ausgelaufen ist. Möchte ich doch so glücklich seyn, ihre Freundschaft zu verdienen! Vielleicht kann ich auf solche einen eben so gerechten Anspruch machen, als der Pater Marescotti, der doch ein eifriger Papist, und noch dazu ein Ordensmann ist, unsere Grundsätze stimmen viel genauer mit einander, als mit den seinigen überein.

[134] Der Posten, welcher Ihnen von dem Herrn Baronet anvertrauen ist, hat eine genaue Verwandschaft mit denn, welchen ich seit geraumer Zeit in dem Hause meines gnädigen Patrons verwalte, und wie ich hoffe, noch lange verwalten werde, daß ich es nicht habe Umgang nehmen können, mit Ihnen die Maasregeln zu verabreden, wornach wir in unsern wichtigen Aemtern handeln wollen, um in allen Stücken desto einförmiger zu seyn. Mein Patron hat nur insonderheit anbefohlen, Sie zu ersuchen, Ihre Geheimnisse ratione der Unterweisung der Kinder, mir mitzutheilen. Ich denke, es siehet hier kein Brod- und Handwerksneid im Wege, der Sie etwann zurück haltend gegen mich machen könnte. Wir wollen einmal die Propositionem indefinitam affirmantem: Figulus figulum odit, in propositionem particulariter negantem convertiren: Quidam figulus figulum non odit. Ich will Ihnen doch meinen modum, circa puerorum institutionem procedendi, kürzlich entwerfen. Vielleicht kommt er Ihnen etwann auf irgend eine Weise zu statten.

[135] Ob mein Gönner gleich noch unverheirathet ist; so hat es Ihm doch niemals an Kindern gefehlet, er hat deren drei von seinem Bruder, der zeitig starb, erzogen. Nunmehro hat er Lust, sich selbst zu verheirathen und Kinder zu zeugen. Ich soll mich deswegen im Voraus anschicken, diese nach Sir Carls und Ihrem Geschmacke zu erziehen.

Es gehet nun in das zwanzigste Jahr, daß ich denPulverem Scholasticum einschlucke, bei dieser langwierigen Praxi habe ich gefunden, daß es nöthig ist, daß ein Docent, in Gegenwart seiner Untergebenen, eine Amtsmine annehmen müsse, die Furcht und Gehorsam zu erwecken fähig ist. Wenn ich nach der Mithologie ein Bild eines klugen Hofmeisters entwerfen sollte; so würde ich solches von dem Jupiter, Könige der Götter, entlehnen. Wie dieser oft, in düstre Wolken eingehüllt, bald mit seinen Donnerkeilen um sich wirft; bald einen gewaltigen Platzregen auf die durstige Erde fallen läßt, um sie zu Hervorbringung guter Früchte geschickt zu machen; bald [136] durch Sturm und Wirbelwinde, die faulen und ansteckenden Dünste vertreibt: so muß auch ein weiser Mentor, bald durch den Thon seiner donnernden Stimme, dem Muthwillen der Untergebenen zu steuren suchen; will dieses nicht helfen, wohlan! so bläue er ihnen den Rücken, und lasse einen Platzregen seines Backels nach dem andern darauf fallen. Was gilt es, für solchen Stürmen werden Bosheit, Faulheit, Muthwille und das ganze Heer jugendlicher Thorheiten zitternd fliehen, und mithin dem Fleiße nebst allen Tugenden Platz machen. Sehen Sie, Herr Doctor, das ist meine Art mit Untergebenen umzugehen. Ich kann, ohne mich zu rühmen, versichern, daß ich solchergestalt, manchen braven Mann gezogen habe, der Herr Baron von S.. ist davon ein lebendiger Zeuge. Jedoch ich merke, daß Sie auch wissen wollen, was für Lectiones ich mit meinen Discipeln tractire, ich halte mich verbunden Ihnen auch hierinne zu willfahren.

Ehe ich noch die Geschichte Ihres Gönners kannte, begnügte ich mich, meinen Untergebenen [137] das beizubringen, was andere meines gleichen der hochadlichen Jugend lehrten. Lesen und schreiben, ein Bisgen Christentum und das Einmaleins war alles, was ich docirte; so bald ich aber dieses Buch mit Verstande gelesen hatte, entwarf ich ein ganz neues Informationssistem. Vor allen Dingen merkte ich mir die Stellen aus der Geschichte, wo ausdrücklich einer Wissenschaft oder einer Geschicklichkeit, die der große Mann besitzt, gedacht wurde; hernach überlegte ich, was für Wissenschaften, mit den ausdrücklich benenneten, verwandt wären, und ohne welche jene nicht gründlich könnten erlernet werden. Durch Hülfe einer gesunden Vernunftlehre brachte ich folgendes Verzeichnis zu Stande. Haben Sie die Gewogenheit, Herr Doctor, es mit Fleiße durchzugehen, Anmerkungen, wo Sie es für nöthig erachten, hinzuzuthun, auch wo ich etwan sollte geirret haben, welches ich nicht glaube, meinen Aufsatz zu verbessern, ich bin in statu docilitatis.

Verzeichnis derjenigen Wissenschaften und Geschicklichkeiten Herrn Carl Grandison [138] Baronets, zur Nachahmung junger von Adel, aufgezeichnet von einem Verehrer des großen Mannes.

Sir Carl Grandison besitzt:

1) Eine feine Stärke in den Grundsätzen der Religion, einfolglich auch in der Polemik, Kirchenhistorie, Kasuistik und andern damit verknüpften Wissenschaften.

2) Verstehet er sich wohl aus die Rechte seines Vaterlandes: Diese gründen sich ursprünglich auf das natürliche Recht; das natürliche Recht gehört in die Weltweisheit; alle Wissenschaften der Weltweisheit sind miteinander verbunden: folglich ist er ein Logicus, Physicus, Metaphysicus, ein Moralist, und s.w.

3) Ist er ein großer Oeconom. Die Oeconomie ist ein Theil der Philosophie, folglich läßt sich sowohl hieraus, als aus dem vorhergehenden Satze deutlich schließen, daß er ein guter Philosoph ist.

Anmerkung. Eben dieses läßt sich auch aus allen Handlungen seines Lebens ganz natürlich herleiten.

[139] 4) Er hat eine Hausapotheke, daraus folgt daß er ein Medicus ist, mithin verstehet er sich auf die Anatomie, Therapie, Pathologie, Chirurgie, Botanic, u.s.w.

5) Sir Carl spricht außer seiner Muttersprache Französisch und Italienisch, mit diesen sind die Spanische und Portugiesische verwandt, folglich verstehe er auch diese. Er ist in Deutschland gewesen, ergo kann er Deutsch, vermuthlich auch Holländisch, Dänisch, Schwedisch, u.s.w.

6) Er hat eine vortrefliche Bibliothek. Eine Bibliothek kann nicht vortreflich seyn, wenn nicht lateinische, griechische, hebräische, lyrische und arabische Bücher darinnen sind. Da es nun bei Sir Carln unmöglich heißen kann: Salvete libri sine magistro; so folgt, daß er Lateinisch, Griechisch, Hebräisch, Syrisch, Arabisch, vermuthlich auch, Türkisch, Ungrisch, Rußisch, u.s.w. verstehet. Ergo ist er auch ein guter Grammaticus und Criticus.

[140] 7) Er hat verschiedene Veränderungen an seinen Schlössern vornehmen lassen, er ist ein guter Baumeister, ergo auch ein guter Mathematicus.

8) Er ist viel gereiset, folglich verstehet er die Geographie und Historie.

9) Er denket vortreflich und erhaben, ergo ist er ein Redner und Poet.

10) Er ist ein Liebhaber der Antiquitäten, mithin auch der Inscriptionen, der alten Münzen, Bildsäulen, u.s.w.

11) Die Heraldic verstehet er meisterlich, folglich auch die Genealogie und Chronologie.

12) Er ist reich, und hat seinen Pachtern oft die Rechnung selbst abgenommen; ergo ist er ein vortreflicher Rechenmeister.

13) Er tanzt zur Bewunderung der Zuschauer; sitzt vortreflich zu Pferde; ficht zum Erstaunen, ergo ist er ein Tanzmeister, Bereuter und Fechtmeister.

14) Er singt wie ein Castrat und spielt wie der selige Händel das Clavier und die Orgel; [141] er ist also auch ein Musicant. Unfehlbar kann er auch vortreflich trenschiren, zeichnen, zierlich schreiben, drechseln, schnitzen u.s.w.

Urtheilen Sie, Herr Doctor, ob ich nicht ex ungueleonem erkannt und abgemessen habe.

Noch einen Punkt, theurester Kirchenlehrer, ehe ich schließe. Ich wage es, eine kühne Frage an Sie ergehen zu lassen, darf ich mir versprechen, daß ich Vergebung von Ihnen erhalte? Sie sind die Gütigkeit selbsten, meine Offenherzigkeit soll mich Ihrer Verzeihung würdig machen.

Ich empfinde bei mir einen Trieb zum ehelichen Leben, und ich bin Willens nach meiner Freimüthigkeit, Ihnen das Geständnis zu thun, daß mich eine junge Schöne, die einzige Tochter des hochadlichen Herrn Pastor Wendelins allhier gefesselt hat. Ich habe bereits oben gesagt, daß Sie das Vorbild aller meiner Handlungen sind, würden Sie mir wohl Hoffnung machen, sich noch in den Ehestand zu begeben? Sie scheinen noch ein rüstiger Mann zu seyn. Thun Sie es immer. Sir Carl ist ein Freund des Ehestandes, und[142] Sie haben, wie es scheinet, gnugsames Auskommen, eine Frau zu ernähren. Kein Theil der Nachahmung Ihrer verdienstvollen Person würde mir angenehmer und leichter vorkommen als dieser. Sollten Sie aber, wider Vermuthen nicht geneigt seyn, ehelich zu werden; so erzeigen Sie mir wenigstens die Gewogenheit und Ehre, in diesem Stücke der Abweichung von Ihnen, Dero Dispensation mir zu ertheilen. Ich erwarte mit Verlangen Ihre Entscheidung, um die Präliminarartickel meiner künftigen Ehe zu unterzeichnen; oder das ganze Werk vor der Hand abzubrechen. Unter der Wiederholung einer nicht gemeinen Hochachtung gegen Sie, mein werthester Herr Doctor, und das ganze Haus der Grandisonen nennet sich


Dero

demüthiger Verehrer L. Wilibald. Der W.W. Doctor:

21. Brief
[143] XXI. Brief.
D. Bartlett an den Magister Wilibald

Grandisonhall, den 12 Sept.


Hochedler, Hochgelahrter Herr,

Hochgeehrtester Herr Magister,


Ich war schon durch den Herrn von S. zubereitet, Sie zu lieben und zu verehren: Ihr Brief aber hat mich ganz bezaubert. Großbrittannien hat zwar viele große Geister aus seinem Schose hervorgesendet: wenn ich aber gerecht urtheilen soll; so kann man den Herrn M. Lampert Wilibald unserm Neuton getrost an die Seite setzen. Ewig Schade, daß ein solcher Mann, wie Sie, kein Präsident einer großen gelehrten Gesellschaft seyn, und dem menschlichen Geschlecht durch seine Empfindungen den Weg zur Glückseligkeit aufschließen soll! Sie urtheilen von dem Unterricht eines jungen Edelmannes [144] mit einer unnachahmlichen Scharfsinnigkeit; und ich glaube, Sie wären im Stande, das Herz und den Verstand eines Cronprinzen zu bilden, und dennoch einen Aufseher der Lustbarkeiten am Hofe abzugeben, wie die Kunstfeuer anzuordnen. Ich bin nunmehro alt; allein ich habe dennoch die Oberaufsicht über den jungen Grandison, und sehe, daß er von seinem Lehrer gehörig unterrichtet wird. Vielmals aber lege ich selbst mit Hand an, und vornämlich in den höhern Wissenschaften; ja ich hoffe, daß der junge Herr ein würdiger Sohn Sir Carls werden werde. Sie werden leicht muthmasen, daß ich dabei ein geruhiges und höchst angenehmes Leben führe. Diese Ruhe ist mir nunmehro um desto schätzbarer; weil ich mich einen großen Theil meines Lebens außer meinen Vaterlande aufgehalten, und mit Jacob sagen kann: die Zeit meiner Wallfahrt ist 65. Jahr; wenig und böse ist die Zeit meines Lebens, und langet nicht von der Zeit meiner Väter in ihrer Wallfahrt. Wie sollte ich mir nunmehro in meinem Alter eine neue [145] Unruhe über den Hals ziehen, ein Weib nehmen; und wissen Sie, schätzbarer Freund, ich habe niemals einen rechten Trieb zum Ehestande gehabt, und ein englischer Geistlicher, wenn er größere Würden erlangen will, thut wohl, wenn er ein Junggeselle bleibt. Tillotson war der erste Erzbischoff von Canterbury, welcher eine Frau hatte. Sein Beispiel aber findet mehrere Tadler als Nachahmer. Da Sie hingegen in einer ganz anderen Verfassung stehen, und außerdem einen heftigen Trieb zum Beiliegen empfinden, so heirathen Sie: um den Verweisen Pauli zu entgehen. Ihr Freund, der Herr v.S. hat mir ohnedem schon etwas von Ihrer liebe vertrauet, und wenn Sie die Schwürigkeiten heben können, so wird Sie Jungfer Hannchen zum glückseligsten Magister von Deutschland machen. Ihrem Gebet empfiehlet sich hiermit


Dero

gehorsamster Diener u. Verehrer Bartlett.

22. Brief
[146] XXII. Brief.
Der Magister an Herrn Carl Grandison.

Kargfeld, den 17. August.


Hochwohlgebohrner Herr Baronet,

Gnädiger Herr,


Wenn ich Eu. Excellenz ganz und gar unbekannt wäre, so würde es nöthig seyn, meine Unternehmung, Sie mit einem Schreiben zu belästigen zu rechtfertigen: so viel ich aber weiß, hat Ihnen der junge Baron v.S. von meinem Herrn Principal sowohl, als auch von meiner Person, bereits umständliche Nachricht ertheilet. Dieses, und der besondere Auftrag meines gnädigen Herrn, werden mich entschuldigen, daß ich es wage, die Feder anzusetzen, und Eu. Excellenz schriftlich von der außerordentlichen Hochachtung zu versichern, welche sich in den Herzen eines jeden von dem hochadlichen Hause, [147] se, gegen Sie und die Blume der Welt, Dero verehrungswürdigen Frau Gemahlin, veroffenbaret.


Es war vor kurzem Jedermann hier in der äußersten Bestürzung, wegen der betrübten Nachricht, welche wir neulich von dem jungen Herrn Baron aus Londen bekamen, daß Dero hochfreiherrliches Haus durch den tödlichen Hinritt, Dero Frau Großschwieger-Mutter, der alten Frau Shirley, in die tiefste Trauer wäre versetzet worden. Die fromme selige Dame verdiente es, daß unser ganzes Haus in Thränen schwamm, da diese schreckende Zeitung ankam. Der gnädige Herr trug mir sogleich auf, ein Condolenzschreiben, welches, wie ich hoffe, Eu. Excellenz durch den Herrn Baron, wird eingehändiget worden seyn, in seinem Namen aufzusetzen. Ungeachtet dieser hohe Todesfall, sich bereits vor drei Jahren ereignet hat; so glaubte doch weder mein Herr Patron noch ich, daß es zu späte wäre, desfalls eine Condolenz abzulegen. Wir wissen, daß, obgleich die äußerliche [148] Trauer lange aufgehöret hat; Eu. Excellenz und Dero Frau Gemahlin doch niemals aufhören werden, diese vortrefliche Matrone in ihrem Herzen zu betrauren. Mein Herr Principal, der sich nunmehro für einem von den Ihrigen ansiehet, hat es unmöglich von sich erhalten können, diesen Trauerfall mit Stilleschweigen zu übergehen; er hat sich vielmehr aus allen Kräften bemühet, seine innerliche Trauer durch die gewöhnlichen äußerlichen Zeichen zu erkennen zu geben. Allen Unterthanen des gnädigen Herrn wurde auf 14 Tage eine allgemeine Trauer angesaget. Und wenn im Schlosse selbsten eine Leiche gewesen wäre, so hätten nicht so viele Thränen können vergossen werden, als während diesen 14 Tagen, da von 11 bis zwölf Uhr Vormittage, und von 3 bis 4 Uhr Nachmittage das Trauergeläute gehöret wurde. Jedermann wünscht, daß das theure Haus der Grandisonen vor allen dergleichen Trauerfällen, in Zukunft lange bewahret, und bis in die spätesten Zeiten erhalten werde.

[149] Es ist mir bekannt, daß Eu. Excellenz ein großer Kenner der Werke der Gelehrsamkeie sind; ich weiß daß Dero gelehrtes Tagebuch mit den vortreflichstenInscriptionibus, die man bei dem Grutero vergeblich sucht, mit Chronostichis, Chronodistichis, seltenenAnagrammatibus und andern dergleichen schätzbaren Dingen, aus den alten und neuern Zeiten pranget, gleich einem prächtigen Lustgarten, der mit allerley fremden und seltsamen Gewächsen ausgezieret ist. Ich schließe daher sehr sicher, daß Sie ein großer Liebhaber, und ein eben so großer Kenner von dergleichen wichtigen Erfindungen sind. Dadurch wurde ich bewogen, da mir insbesondere der Todesfall Ihrer Frau Großschwiegermutter die beste Gelegenheit darboth, mich in dieses, von mir bishero unbearbeitete Feld der Gelehrsamkeit zu wagen. Kein andrer Bewegungsgrund, als die Hochachtung gegen die verdienstvolle selige Matrone hat mich veranlasset, diejenigen Aufsätze zu verfertigen, welche sich dem scharfsichtigen Auge Eu. Excellenz im Anschlusse darstellen.

[150] Könnte ich mir schmeicheln, daß diese meine Geburten Ihnen nicht misfielen, oder vielleicht gar auf Dero Beifall einen Anspruch machen dürften, so würde dieses zu einem edlen Stolz verleiten


Eu. Excellenz

unterhänigen Diener und nachahmenden Verehrer M.L. Wilibald.

Anschluß.
Erste Numer.

Aufschrift eines Epitaphii, welches der seligen Frau Shirley könnte errichtet werden.

Q.F.F.Q.S.
VIATOR.
QVICVNQVE. ES.
ADSTA.
ET. HOC. MONIMENTO.
MONITVS.
VENERARE. MANES.
[151] MATRONAE. VENERABILIS.
HENRICAE. SHIRLEIAE.
EQVITIS. ANGLICANI.
EIVSDEM. NOMINIS.
VIRI. NON. MINVS. ERVDITI.
QVAM. GENEROSI.
VIDVAE.
OMNES FELICITATIS. GRADVS.
EMENSA.
FELIX. FELICIOR. FELICISSIMA.
FACTA.
VIRTVTIBVS. FELIX.
RELIGIONE. FELICIOR.
INTER. CAELITES. NVNC.
FELICISSIMA.
SI. VITAM. QVAERIS. PAVCA.
CAPE.
NON. FVIT. FVIT. NON. EST.
ERIT.
HAEC. SCIRE. TVA. INTERFVIT.
VIATOR.
SED. SCIRE. TVVM. NIHIL. EST.
NI. SCIAS.
PROGENERVM. DEFVNCTAM.
[152] HABVISSE.
VIRVM. SVI. NOMINIS.
CAROLVM. GRANDISONEM.
IAM. IN. REM. TVAM. ABI.
AC. MANIBVS.
QVIETEM. P.
Zweite Numer.

Ein Chronodistichon, welches unmasgeblich auf eine Gedächtnismedaille, der Wohlseligen zu Ehren, könnte geschlagen werden.


FraV ShIrLeI VVlrD, Der kVrzen Tage satt,
VVIe VVohL genVg betagt, gebraCht In DIese RVhestatt.

Dritte Numer.


Ein Anagramma, welches etwann unter das Bildnis der seligen Frau, oder sonst wohin könnte gesetzet werden.


[153] Frau Henriette Shirlei.
Durch Buchstabenwechsel.
Ja, reis' hin! – Fleuch Retter!
Erklärung.

Ja, ja, reis' hin mein Geist nach jenen frohen Auen,
Hier kannst du Canaan nur von dem Nebo schauen;
Dort aber setzest du den Fuß bald selbst hinein,
Dort wird es besser, als hier in der Wüsten seyn.
Fleuch Arzt du Retter fleuch und kerkre nicht die Seele
Noch länger, durch die Kunst, in dieses Leibes Höhle.
Sie macht sich Banden los; weg mit der Arzenei,
Der Lebenstocht verglimmt, der Faden reißt entzwei!

N.S. Ich war eben im Begriff einige lateinischeChronodisticha und Anagrammata [154] zu verfertigen, um solche zugleich mit an Eu. Excellenz zu übersenden; ich werde aber eben zur Tafel gerufen, und darf meinen Gönner nicht auf mich warten lassen. Ich eile, meinen Brief zu siegeln.

23. Brief
XXIII. Brief.
D. Bartlett an den Magister Wilibald.

Grandisonhall, den 14 Sept.


Hochzuverehrender Herr Magister,


Auf Befehl meines gnädigen Herrn, Sir Carl Grandisons, soll Eur Hoch Ed. für die übersendete Inscription auf das Grabmaal der seligen Frau Shirley den verbundensten Dank abstatten. Sie haben wirklich einen glücklichen Einfall gehabt. Sir Carl ist dadurch ermuntert worden, sogleich einen prächtigen Marmor über der Gruft berührter Dame setzen, und die von Ihnen verfertigte Aufschrift einhauen zu lassen. DasChronodistichon aber und das [155] Anagramma sind Goldeswerth, und werden heilig aufgehoben, und von Kennern für die äußerste Anstrengung des menschlichen Witzes gehalten. Unsere Nation ist in diesen Künsten noch ganz unwissend. Wundern Sie Sich also nicht, gelehrter Freund, wenn Sie die königliche Gesellschaft der Wissenschaften in Londen, zu einem Mitgliede angenommen hat, und Ihnen durch mich das Patent davon übersendet. Sie sind dieser Ehre würdig, und Jedermann wünschet Ihnen Glück. Fahren Sie fort, schätzbarer Freund, die Ehre Deutschlands zu befördern, und der ganzen gelehrten Welt zu dienen. Denken Sie aber auch dabei an


Dero

aufrichtigen Freund,

Bartlett, Doctor.


N.S. Sobald die Stempel zur Gedächtnismedaille auf die selige Frau Shirley, auf welche das wohlausgedachte Chronodistichon, das Sie verfertiget haben, gesetzet werden [156] den soll, gestochen ist; habe ich das Vergnügen, Ihnen die ersten Abdrücke dieser Medaille, als eine geringe Erkenntlichkeit für Dero gelehrte Bemühung, auf Befehl meines Gönners, zu übersenden. In Gold wird sie 10 Ducaten wiegen, an Silber aber wird sie einem Speciesthaler gleich seyn. Sir Carl hat auf seinen Gütern 1000 Klaftern Holz schlagen lassen, um die Kosten dieser Gedächtnismünze davon zu betreiben.

Beilage zum vorigen Brief.

Nachdem Wir, Präsident, Director, und übrige Mitglieder der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften, die seltenen Verdienste in sinnreichen Aufschriften, Buchstabenveränderungen und andern dergleichen Erfindungen, des Hochedlen und Hochgelahrten Herrn, Herrn Lampertus Wilibalds, der Weltweisheit Doctors, erfahren, und einige vortrefliche Proben davon gesehen: So haben wir nach reiflicher Ueberlegung für gut befunden, belobten Herrn Magister Lampert Wilibald, als ein Mitglied unserer Gesellschaft anzunehmen, [157] und ihm darüber gegenwärtiges Patent auszuhändigen:

Es kann also gedachter Herr Lampert Wilibald, künftighin aller Rechte eines Ehrenmitglieds sich bedienen, den Titel eines Membri honorarii führen, und in allen Fällen sich Unsers Schutzes getrösten. Dabei aber wird er von Uns ermuntert, ersucht und gebeten, daß er ins künftige alle Monate etwas sinnreiches ausarbeite und nach Londen an Unseren Secretaire einschicke. Als,

im Januario kann er ein Aenigma, im Februario ein Anagramma, im Martio ein Eteostichon, imApril, ein Acrostichon, im Maio ein Palindromon oder versum cancrinum, im Junio ein Aequidicum, im Junio ein Echo, im Augusto ein Logogriphum, im Septrmber ein Epitaphium, im October einOnomasticum, im November ein Sonet, im December ein Madrigal verfertigen, und eine Belohnung gewärtig seyn.

[158] Urkundlich haben wir dieses Decret eigenhändig unterschrieben und mit Unserm Gesellschaftssiegel bedruckt. Londen den 6 Septemb. 1759

(L. S.)


Horatius Sherbury.

Nathanael Hervey. beständiger Secretair.

24. Brief
XXIV. Brief.
Der Herr v.N. an Sir Carl Grandison.

N. hall, den 1 Septembr.


Hochwohlgebohrner Baronet,

Vornehmer Freund und Gevatter.


Meine Bauren die Schlingel liegen mir heftig an, innliegende Supplik an Sie, mit einer guten Recommendation zu unterstützen. Ich weiß nicht, wer es [159] den Vögeln muß weiß gemacht haben, daß Sie der große Mann sind, der sich eine Freude daraus macht, allen armen Teufeln gutes zu thun. Sie haben das gute Vertrauen zu Ihnen, Sie würden es nicht übel deuten wenn sie den hochgeehrten Herrn Gevatter um eine Gnade ansprächen, und sie hoffen in Ansehung meines gültigen Vorspruchs keine abschlägliche Antwort zu erhalten. Ich will selbst die Gewährung dieser Bitte als das erste Freundschaftsstückgen ansehen. Sie haben mich zwar zu Gevattern gebethen, und das habe ich auch in allem guten vermerkt: wenn Sie aber meinen Unterthanen wiederum zu einer großen Schelle auf den Thurme helfen wollten; so würde ich das lieber sehen, als wenn ich von allen ihren Anverwandten die Reihe herum zu Gevattern gebethen würde.

Was macht den mein Pathgen gutes. Ich habe ein rechtes Verlangen, das kleine Ding zu sehen. Wenn mir Doctor Faust seinen Mantel borgte, so führe ich noch heute auf solchen, [160] nach Engelland zu Ihnen. Seitdem Sie mich zu Gevattern gebethen haben, ist mir eine große Lust angekommen, selbst einmal taufen zu lassen. Ich bin der Jüngsten eben keiner; ich bin aber doch auch kein Hogestolz. Wenn ich eine Henriette finden kann, so werde ich Ihrem Beispiele folgen und mich verheirathen. Ich kann es nicht leugnen, es ist ein hübsches Mädgen in meiner Nachbarschaft, auf die ich ein Auge habe. Es sind tausend Dinge, wonach ich mich erkundigen wollte, und von denen ich genaue Nachricht haben möchte; mein Bartlett, der Magister Lampert, soll deswegen an meinen Neffen schreiben, geben Sie diesem von allen umständliche Nachricht. Machen Sie meine Empfehlung bey Ihrer Frau Liebste, ich lasse ihr zum glücklichen Kirchgange, wie ich hoffe, gratuliren. Ihren Schwestern und Schwägern, dem guten ehrlich Oncle Selby und allen die mich kennen, empfehlen Sie mich. Ich verharre

Meines werthen Herrn Gevatters

gehorsamster Diener v.N.

25. Brief
[161] XXV. Brief.
Die Gemeinde zu Kargfeld an Herrn Carl Grandison.

den 26 August,


Hochwohledelgebohrner, Gestrenger Herr,


Eu. Hochwohledelgebohrne und gestrenge Herrlichkeiten wird wohl aus den öffentlichen Avisen nicht unbekannt seyn, welcher Unglücksfall unsern armen Ort, das Hochadliche Gerichtsdorf Kargfeld am 27 Julius jetztlaufenden Jahres zwischen 11 und 12 Uhr Vormittage betroffen hat. Es hatte nämlich unser gestrenger Herr, der Hochwohlgebohrn. Herr Ehrhard Rudolph v.N. Erd-Lehn und Gerichtsherr auf Kargfeld Dürrenstein et cact. den 19 obbemeldeten Monats eine ehrbare Gemeinde fordern, und da männiglich im hochadlichem Schloßhofe [162] erschien, durch den Herrn Hofmeister, Ehrn M. Lampert Wilibald anzeigen lassen: daß eine gewisse hochadliche Matrone aus der Familie unsres Erbherrn in Engelland Todes verfahren wäre, und dieserwegen christl. Gebrauch nach, das gewöhnliche Trauergeläute 14 Tage lang, jeden Tag zwo Stunden, sollte angeordnet werden. Sämmtliche Gemeinde versprach, nach dem Befehle des gestrengen Junkers sich gebührend zu achten. Der Herr Schulze forderte alle Tage 2 Fröhner zum Geläute. Am 27 Julius, da Adam Riese und Georg Velten zur Fröhne litten, börstete die große Glocke. Die Leute machten allerlei Auslegungen darüber, einige wollten sagen, die beiden Nachbarn, welche damals läuten mußten, hätten die Glocke gestohlen und eine von Topf davor in den Glockenstuhl gehänget. Nachdem sie aber von den Geschwornen ist besichtiget worden, hat es sich gefunden, daß die rechte Glocke zwar noch an Ort und Stelle ist; aber einen gräßlichen Riß bekommen hat. Da nun durch dieses Unglück unsere liebe Kirche ihren Schmuck [163] und der Kirchthurm, seine Baßstimme verlohren hat; unsere Gemeinde aber, seit der Schwedenzeit, wegen vieler Unglücksfälle, die aus dem Kirchenbuch, sub littera A ausgezeichnet, zu ersehen sind, auf das äußerste herunter gekommen ist, daß es nicht in ihren Kräften stehet, wiederum eine tüchtige Glocke gießen zu lassen; das liebe teutsche Vaterland auch durch den schädlichen und landverderblichen Krieg dergestalt mitgenommen ist, daß wir uns keine sonderliche Beisteuer daraus versprechen können: so ergehet unsere demüthige Bitte an Eu. Hochwohledelgebohrne und gestrenge Herrlichkeit, Sie wollen durch Ihr vielgeltendes Vorwort, bei der hohen Obrigkeit Ihres Landes es dahin bringen, daß in ganz Engelland eine Collecte für unsere arme Kirche eingesammlet, und uns solche getreulich übersendet werde. Solche hohe Gnade werden wir icht nur mit geziemenden Danke erkennen; sondern auch dem Glockengießer anbefehlen, Eu. Hochwohledelgebohrnen hohen Namen, oben über unser Gerichtsherrn und des Herrn Pfarrers Namen [164] dankbarlich an die neue Glocke zu setzen. Verharrende

Eu. Hochwohledelgebohrnen und gestrengen Herrlichkeit

Kargfeld,
1759

unterthänige

Hanns Sachs,

Schultheiß.

Lorenz Lobesan,
Ludimagister und
Gemeindeschreiber,
concepit.

Thomas Hebebaum, Gemeinde Vorsteher. Sebastian Kleinmann, Kirchvater.

A.

Auszug des Kirchenbuches zu Kargfeld, was für Unglücksfälle besagten Ort seit der Schwedenzeit betroffen, und wodurch die Gemeinde daselbst gar sehr mitgenommen worden ist.


Anno 1634 den 9 Junius marschirte die schwedische Armee unter dem General Baner durch das Dorf, die Bagage ging hinten weg. Die Reuter haußeten sehr übel. [165] Sie zogen ihre Pferde in die Stuben, und haben Matthesen ein ganz Gebräude Bier ausgesoffen. Im Schlosse lag der Stab.


1637 den 3 August kam der General Pallasch, (dieser Name ist sehr undeutlich geschrieben, der Herr Pfarr sagt, er hieße Gallas,) mit einem Corpo Kaiserlichen bei hiesigem Dorfe an, und lagerten sich auf dem Gänserasen. Die Nachbarn mußten ihnen Essen und Trinken hinaus tragen. Des Nachts hieben sie die Satzweiden um und machten viele Wachtfeuer davon. Der Herr Pfarr behielt nicht einen Korb voll Rüben auf seinen ganzen Acker. Des Morgens fuhr die Herrschaft hinaus ins Lager, welches vielen Leuten nicht gefallen wollte.


1642 des Abends vor Petri Stuhlfeier kam ein Trupp Reuter in das Dorf und quartierte sich ein. Der Herr Pfarrer mußte den Hauptmann einnehmen, der schalt ihn einen Pfaffen und seine Frau noch ärger. Des Morgens wollten sie Schulzens Ilsen [166] mitnehmen, und hatten sie schon auf ein Pferd gesetzt; sie wurde aber wieder losgebeten.


1653 wurde das neue Schloß zu bauen angefangen. Da gieng es an ein Fröhnen, alle neun Tage kam die Reihe herum.


1657 den 11ten December in der Nacht, kam bei der tollen Aenne Feuer aus, welches 9 Häuser mit Scheunen und Ställen verzehrte.


1671 starben viele Leute, das trug mir und dem Herrn Pfarrer etwas ehrliches ein.


1677 wurde Martha, Saufsteffens Wittib, wegen des Verdachts, daß sie eine Hexe wäre, eingezogen. FH hatte immer wegen ihrer rothen Augen kein gutes Vertrauen zu ihr. Ob ich gleich von ihren Kindeskindern kein Schulgeld nahm; so hat sie mir doch, weil ich das eine Mädchen geschlagen, durch ihr giftiges Anhauchen, bei nüchternem Morgen, einen dicken Backen gemacht. Des Herrn Pfarrers [167] Gänse hat sie alle in einer Nacht gesterbet, und ihnen die Köpfe abgebissen, als wenn es das Ratz gethan hätte. Sie konnte sich in eine schwarze Katze mit feurigen Augen verwandeln, und hat mir einmal selbst in dieser Gestalt, da ich aus der Schenke nach Hause gieng, begegnet. Der Böse ist in Menschengestal bei ihr ein und ausgegangen; hat seinen Kuhfuß aber doch nicht recht verstecken können, ob er gleich oftmals Stiefeln angehabt.


1678 wurde diese Unholdin vor dem Dorfe auf dem Anger verbrannt. Sie ist auf die 20 und mehrmal auf dem Blocksberge gewesen, und Steffgen ist alle Jahr 2 mal bei ihr eingefahren, ob er gleich niemals, außer das letzte mal, ist gesehen worden.


Fürm Drachen uns bewahre Gott
Und trage uns aus aller Noth.

1680 zu Ende des Jahres und zu Anfang des folgenden, stund ein großer Comet über unserm Dorfe, und kehrte den Schwanz gerade nach dem Edelhofe zu. Etliche [168] meinten, der alte Herr würde es wohl nicht lange mehr machen.


1683 rückte der Türke vor Wien, vom 29 August dieses Jahres bis zum 14 des Christmonats, da die erste Nachricht in unser Dorf kam, daß die Türken von Wien weggeschlagen wären, mußte ein Mann aus der Gemeinde Tag und Nacht auf dem Thurme wachen, um ein Zeichen zu geben, wenn er Türken sähe, damit sich Jedermann retten könnte.


1687 im Julius wurden durch ein schweres Ungewitter alle Feldfrüchte in unsrer Fluhr verhagelt.


1692 kurz vor der Erndte fiel ein Volk Heuschrecken auf unsere Krautländer, deswegen mußte die ganze Gemeinde durch schreien, schießen, trommeln und allerhand Geräusche sie zu vertreiben suchen; es wollte aber nichts helfen, bis ich selber meine Stimme erhob, und auch so glücklich war, daß ich sie in einer halben Stunde [169] alle aus unsrer Flur wegschrie. Davor bekomme ich jährlich auf Jacobstag 2 Kannen Bier.


1699 in der Nacht vom 13 auf den 14 Hornung brachen die Diebe im Schlosse ein; der Nachtwächter und des gnädigen Herrns Bollenbeißer verjagten sie aber, daß sie nichts wegbringen konnten.


1709 war so ein grimmig kalter Winter, daß die Orgel mit heißen Steinen mußte erwärmet werden, damit der Wind in solcher unter der Music nicht einfrieren und der Generalbaß gehemmet werden möchte.


1713 fiel N.N. der Gemeindevorsteher mit einer Weibsperson von der Bank, und kam deswegen vom Dienste.


1719 wurde Herr Lorenz Lobesan Schuldiener und Küster in Kargfeld.


1722 im August wollte der kleine Samuel von einem Kornfuder herunter springen, und brach ein Bein.


[170] 1728 in diesem Jahre hat das Vieh nicht gedeihen wollen. Es kam ein gewaltiges Sterben unter die Bienen, meine zwei Stöcke giengen auch darauf. Bernd dem Scheerenschleifer ist im Frühjahr ein Schwein ersoffen. Hin und wieder ist auch durch die großen Wasser vieler Schade geschehen.


1735 den 19 October hätte sich der Herr Schulmeister auf einer Kindtaufe, da er einen Braten trenschiren wollte, beynahe den Daumen weggeschnitten.


1744 gieng wieder ein Comet knapp über unsern Dorfe weg, wer oben auf der Spitze des Kirchthurms gewesen wäre, hätte ihn leichtlich mit der Hand erlangen können.


1759 den 20 April marschirten etliche Regimenter Kaiserliche Türken durch das Dorf, welches Jedermann in große Furcht und Schrecken setzte. Mir haben sie 2 Gänse und dem Schulzen ein Schwein mitgenommen. Das waren, barbarische Leute.

il fin.

26. Brief
[171] XXVI. Brief.
Fräulein Amalia an ihren Bruder.

Schönthal, den 9. Sept.


Fräulein Julgen ist eben von mir weg, ich schicke mich dahero an, meinem geliebtesten Bruder von den hiesigen Begebenheiten, meinem Versprechen gemäß, getreue Nachricht zu ertheilen. Ich weiß nicht, ob ich meine Erzählung von dem Fräulein von W. oder von unserm Oncle anfangen soll, beide geben mir sehr viel Materie an die Hand. Nur ein paar Worte von Fräulein Julgen. Die gottlose Stiefmutter will sie durchaus in einen Stift thun, sie kann sie nicht vor Augen sehen. Die böse Frau ist ein rechtes Marterholz für das gute Kind. Diesen Morgen kommt sie in ihr Zimmer: Ich werde Ihnen Glück wünschen müssen, liebes Julgen, der Herr von N. unser guter Freund und Nachbar wird mit ehestem um sie anhalten. [172] Gestehen Sie es nur, Sie sind Ihm nicht gram, ich merkte es wohl, beim Feuerwerke, wie Sie doch so schlau lächeln konnten, wenn er scherzte. Nicht wahr, Sie sind Ihm ein Bisgen gut? Die unverschämte Frau! das liebe Kind mit einem Liebhaber, der Ihr Großvater seyn könnte, zu peinigen, Sie kann es nicht verantworten. Sie spricht, Julgen hätte die Wahl, entweder in den Stift zu gehen, oder den Herrn v.N. zu heirathen. Sie scherzet in der That, der Scherz ist aber so unrecht angebracht, daß das Fräulein sich zu Tode darüber ärgern möchte. Ich weiß daß du meiner Freundinn dein ganzes Mitleiden schenken wirst. Ich will diesen traurigen Affect nicht weiter regen; unser Oncle liefert scherzhaftere Auftritte, durch die Niemand sonderlich beleidiget wird; inzwischen wünschte ich doch, daß wir nicht auf Kosten des Bruders unsrer Mutter lachen dürften. Nun ist die Sache nicht mehr zu ändern, wir würden uns vergebens bemühen, ihm eine Grille, die er sich so feste in den Kopf gesetzt hat, auszureden. Manchmal kommt es mir vor, [173] als wenn er wirklich Vortheil daraus gezogen hätte. Er flucht in der That nicht mehr so grimmig, wenigstens nicht mit so anstößigen Worten als ehedem.

Neulich hat er in seinem Hause wiederum eine Aenderung vorgenommen; der Coffee ist daraus verbannet worden. Frühe Thee, Nachmittags Thee, auf den Abend Thee; es mag kommen wer da will, der muß Thee trinken. Warum? Sir Carl Grandison trinkt vor und Nachmittage Thee, und in Engelland ist es Mode, die Gäste mit Thee zu bedienen. Unser Oncle trinkt alle Tage eine ziemliche Portion davon. Nun, denke ich, hat er sich eher für der Wassersucht, als für der Schwindsucht zu fürchten. Vor einigen Wochen, da er eben anfieng zu grandisoniren, erzählte er mir, daß er vorgestern den Anfang gemacht hätte, seine Leidenschaften zu überwältigen, dieses gab uns zu einer Unterredung von einem seltsamen Innhalte Anlaß, der noch einen seltsamern Erfolg hatte. Ich schrieb sie auf, sobald ich nach Hause kam, um dir solche mitzutheilen. Hier ist sie.

[174] Der Oncle. Das sollen Sie sehen, Fräulein Base, daß ich alle meine Leidenschaften, noch vor Ausgang der Woche, völlig in meiner Gewalt haben will.

Amalia. Das ist ein sehr edler Entschluß, Herr Vetter, der Ihnen wirklich Ehre macht; gesetzt, daß Sie auch mit dieser Unternehmung nicht so schleunig zu Werke gehen könnten, als Sie wohl denken.

Der Oncle. Nein nein, wenn ich mir etwas vornehme, so muß es durchgesetzt werden, es koste auch was es wolle. Das wäre der Teuf – –, das wäre doch viel, sage ich, wenn ein Mann der in Italien mehr als 100 Köpfe commandiret hat, seinen eigenen Schädel nicht könnte zurechte bringen!

Amalia. Erlauben Sie, Herr Vetter, ich halte es viel leichter, andrer Leute Köpfe zu commandiren, als seinen eigenen.

Der Oncle. Was der Donnerstag und das Wetterglas wäre es denn auch für eine Kunst, wenn es keine Schwürigkeiten hätte. [175] Ich weiß wohl, daß sich meine Leidenschaften, die Canallien, wider mich empören werden; aber der Himmel sei ihnen gnädig, wo sie sich regen. Ich habe wohl eher einen Eisenfresser von einem Kerl, der nur so aussahe, als wenn er mit meinem Commando nicht zufrieden wäre, krumm schließen, und unter die Pritsche werfen lassen, sollte ich denn nicht meine närrischen Affecten eben sowohl bezwingen und unter die Bank stecken können?

Amalia. Ich habe das beste Zutrauen zu Ihnen; und wenn ich mir gleich nicht vorstellen kann, daß Sie so geschwinde von sich Meister werden: so hoffe ich doch, daß Sie es, in kurzer Zeit, mit Bezwingung Ihrer Leidenschaften, sehr weit bringen werden.

Der Oncle. Nicht doch, nicht doch! Was ich einmal gesagt habe, dabei bleibt es. Die Hunde, die bösen Leidenschaften, müssen vor Sonnabend Abend alle dort in meiner Schwester Strickbeutel stecken. (ich lachte.) – Sie lachen? – Wollen Sie mir nicht glauben? Wohlan, Sie sollen Wunder und Zeichen sehen. [176] Sie denken, es wäre etwas, das ich mir gar nicht abgewöhnen könnte – – Der Brandewein – Nicht wahr? Sie haben Recht, es wird eine große Ueberwindung kosten. Das, und noch ein paar eingewurzelte Hausflüche sind noch Ueberbleibsel von dem Soldatenleben. Aber bei meiner Ehre, diesen habe ich bereits den Laufzettel gegeben, und mit jenem werde ich kurz Federlesen machen.

Ich war in der That sehr froh, daß er diesen Vorsatz hatte. Wenn es doch sein könnte, dachte ich. Ich muß ihn bei diesen guten Gedanken zu erhalten suchen, ich reizte seine Ehrbegierde.

Amalia. Alles will ich Ihnen gern glauben; aber daß Sie diesen heldenmüthigen Entschluß glücklich ausführen sollten, das traue ich Ihnen nicht zu. Indessen ist Ihr Vorsatz, eine Gewohnheit zu unterlassen, die Ihrer Ehre oft Eintrag gethan hat, so vortrefflich, daß er, wenn er auch gleich nicht zur Wirklichkeit käme, Ihre Ehre doch in meinen Augen wieder herzustellen scheinet. Ich kann [177] nicht leugnen, Leute die dem Trunke ergeben sind, und besonders ein Getränke lieben, darinne sich nur der Pöbel übernimmt, sind mir verächtlich, sie mögen seyn wer sie wollen. Sehen Sie, ich rede offenherzig, Herr Vetter; ich rede so mit Ihnen, wie ich mit dem Sir Grandison reden würde, wenn ich ihn jemals trunken gesehen hätte.

Mein Oncle stieg stillschweigend auf, und gieng aus den Zimmer, ich dachte er wäre böse. Kurz darauf kam er wieder mit der gewöhnlichen Flasche im linken Arme, und einem Römer in der Hand. Er setzte Beides auf den Tisch.

Der Oncle. Nun sollen Sie sehen, daß ich im Stande bin, dasjenige auszuführen, was ich mir einmal vornehme. Hier an diesen Werkzeugen des Teufels, (er wies auf die Flasche und das Glas) will ich eine schreckliche Execution ausüben.

Er eilte damit zum Fenster, ich hielt ihn zurück. Lassen Sie Ihre Rache nicht auf [178] die Unschuldigen fallen. Was hat die arme Flasche gethan, daß Sie so barbarisch mit ihr umgehen wollen? Wenn Sie eine Rache üben wollen, so thun Sie es an ihrem Feinde, denn Getränke, das die Flasche aufbehält, dieses verdienet ihren Unwillen.

Ich nahm die Flasche, und wollte den Brandewein zum Fenster hinaus schütten.

Der Oncle. Leichtfertige Base, was wollen Sie machen, Sie werden doch nicht Gottes Gabe auf die Gasse schütten?

Amalia. Ja, das will ich. Es wird in Absicht auf den Misbrauch, der damit vergehen könnte, ein gutes Werk seyn, wenn ich es wegschütte.

Der Oncle. Nein, ich werde nicht zulassen, daß Sie meinetwegen sündigen. Ich will das Bisgen Couragewasser, das noch in der Flasche ist, austrinken, dieses wird meinen Muth stärken, daß ich in dem Vorsatze beharren kann, dieses schädliche Getränke auf ewig zu verschwören.

[179] Amalia. Mein gutes Zutrauen gegen Sie wird sich wieder verliehren, wenn Sie dieses thun. Haben Sie ohne Ihren Leibtrank nicht Muth genug ihre bösen Leidenschaften zu beherrschen; so werden Sie bei demselbigen noch viel weniger im Stande seyn Ihr Vorhaben ins Werk zu richten.

Der Oncle. Ha, ha! Bäsgen, über ihre Rockenphilosophie lache ich. Meine Ehre setze ich zum Pfande, daß ich meinem Leibtranke heute gute Nacht gebe.

Er schenkte sich in der Geschwindigkeit ein Glas nach dem andern ein, trank auf ein ewiges Lebewohl, auf Nimmerwiedersehen, auf das glückliche Halsbrechen seiner Flasche, und s.w. Da sie leer war, schien er tiefsinnig zu werden, er gieng dreimal die Stube auf und ab, mehr als einmal öffnete sich sein Mund zum Reden, er war aber nicht im Stande ein Wort hervorzubringen. Endlich fieng er plötzlich an: Nichts! Keine Einwürfe! Entferne dich auf ewig du Ungeheuer von einer Leidenschaft. (Er ergriff die Flasche.) Lebe wohl du redliche Gefehrtin meiner Tage. [180] Du mein Labsal hast mich oft ergötzet. Dein Nektar erwärmte mich, da ich über den kalten Alpen stieg, und erquickte mich, wenn mich die Sonnenhitze in Italien entkräftet hatte. Ich beweine dein Schicksal, meine beste Freundinn: aber es ist besser, daß ich dir den Hals breche, als daß du mir eine betrübte Erinnerung, oder wohl gar wiederum ein quälendes Verlangen nach den Wohlthaten erregest, die ich ehedem aus dir genossen habe. O Grandison, Grandison! Wüßtest du meinen heroischen Entschluß, du würdest ihn billigen. Er riß das Fenster auf, und warf die getreue unschuldige Flasche mit dem Römer wider eine unbarmherzige Mauer, daß beide in tausend Stücke sprangen. Ich ließ ihn gehen. Bis hieher ist er seinem Vorsatze getreulich nachgekommen, und hat nicht das geringste Verlangen nach seiner Panacee, wie er es nennte, merken lassen. Dahero trinkt er eine abscheulige Menge Thee und ein gut Glas Wein. Seine Gesundheit hat nichts gelitten. Manchmal komme ich auf die Gedanken, daß wir unserm Vetter ein rechtes Freundschaftsstückgen,[181] durch deine Erfindungen erwiesen haben; manchmal bin ich aber auch auf uns alle böse. Du hattest einmal in einem Briefe den Tod der Frau Shirley berichtet, unser Vetter legte deswegen tiefe Trauer an, wir trauerten nicht, und fuhren nach Kargfeld, um einen Besuch bei ihm abzulegen. Solltest du wohl glauben, daß er uns den Thorweg vor der Nase zumachen ließ? Wir mußten umwenden. Meine Schwester und ich verschworen es, seine Thürschwelle jemals wieder zu betreten. Mein Schwager hat seinen Spaß darüber. Er zog sich den andern Tag schwarz an, als wenn seine Mutter gestorben wäre, wir mußten unsres Protestirens ungeachtet mit ihm fahren. Verwünscht! Ich mußte eine schwarze Florkappe überhengen; meine Schwester auch. Nic habe ich mich so sehr geschämet als damals. Das ist wohl die erste alte Frau aus einem Roman die wirklich ist betrauret worden. Unser Oncle ließ gar läuten; und wenn der Pfarrer wäre zu bewegen gewesen, so hätte die gute Frau eine Gedächtnißpredigt, und [182] eine Parentation bekommen. Ueber diesen Possen ist die Glocke in Kargfeld gesprungen, unser Oncle soll eine neue gießen lassen oder die Bauren wollen ihn verklagen Es gehet die Rede, der Magister hätte der Gemeinde in Kargfeld unter dem Fuß gegeben, sie sollten eine Bittschrift an den Sir Grandison aufsetzen, und um eine Collecte für die Kirche bei ihm anhalten; vielleicht ist es etwan schon geschehen. Der Pastor Wendelin hat am Sonntage vor 8 Tagen, unsern Vetter dergestalt abgekanzelt, weil es eben der Text so mit sich brachte, daß alle Bauren nach dem adlichen Stuhle gesehn haben. Von unsern Familien Umständen weiß ich nichts zu sagen, als daß meine Schwester immer bishero gekränkelt hat. Es kann seyn, daß unser Oncle in einem halben Jahre zweimal Gevatter wird. Nun habe ich mich von Neuigkeiten so ausgeleeret, daß ich nichts mehr zu sagen weiß, als eine alte Wahrheit: daß nie ihren Bruder zu lieben aufhören wird, dessen

aufrichtig ergebene Schwester Amalia v.S.

27. Brief
[183] XXVII. Brief.
(Die zwei folgenden Briefe waren in den vorigen eingeschlossen.)

Schönthal den 6 Septembr.


Lieber Bruder,


Der Magister Sancho ist ganz unruhig. Seine Clementine will noch nicht so recht tiefsinnig werden; und er hat sich doch vorgenommen, ihr nicht eher mit seiner Gegenliebe zu Hülfe zu kommen, als bis sie halb rasend ist.

Wenn er sie in den Pommeranzenwäldgen antrifft, so geht sie, um ihre Glut zu verbergen, in den Griechischen Tempel; oder deutlicher zu reden: sie springt durch die Johannisbeerbüsche in das Gartenhaus. Er verfolgt sie, und sie will wieder ausreißen. Darauf schreiet er: bin ich denn ein getalischer Löwe, oder ein grausamer Tieger, daß [184] Sie so vor mir laufen? Sie seufzet, sie sieht ihn schmachtend an, und spielt ihre Person vollkommen wohl. Dieses verstellte Wesen macht den größten Eindruck in ihn. Er kam gestern mit einer tiefsinnigen Mine zu mir, da ich eben in Kargfeld einen Besuch abstattete, und wir hatten folgende Unterredung.

Der Magister. Ach, gnädiges Fräulein! ich muß Ihnen meine ganze Schwäche entdecken – Hannchen dauert mich, – das gute Kind empfindet die Liebe; sie weiß aber nicht was ihr fehlt. Sie will wie Clementine blaß werden, und sich auszehren.

Amalia. Sie sind doch ein grausamer Mensch, daß Sie mit dem guten Kinde so verfahren. Gehn Sie, und entdecken Sie ihr dasjenige, was Sie empfinden, ehe das arme Mädchen stirbt.

Der Magister. Nein, das kann ich noch nicht. Soll der Roman nach Italienischen Gusto ausgeführet werden; so ist in einem halben Jahre, noch an keine ausdrückliche Liebeserklärung zu denken.

[185] Amalia. Ich dächte aber, da weder die Religion noch der General im Wege ist; so könnte die Sache etwas abgekürzt werden.

Der Magister. Nein, das geht profecto nicht an. Wenn Sie aber Frau Beaumont seyn, und meine Clementine ausforschen wollen; so thun Sie nur eine Gnade.

Amalia. Ich bin schon etliche mal die forschende Frau Beaumont gewesen; Hannchen aber hat nicht die aufrichtige Clementine seyn, und mir das Geheimnis ihres Herzens anvertrauen wollen. So viel aber merke ich: sie ist verliebt.

Der Magister. Gehn Sie nur recht auf den Grund. Sie müssen ihr Herz bis auf die ersten Bestandtheile analisiren, die sich nicht weiter zergliedern lassen. Sie müssen meinen Namen nennen, und sehen, ob sie roth wird; Sie müssen meine Gelehrsamkeit, mein Ansehen in der gelehrten Welt, und die Hoffnung zu großen Ehrenstellen rühmen, und auf alle Blicke dieses schlauen Kindes Achtung [186] geben. Sie wird sich verrathen, ich gebe ihn mein Wort, sie wird sich verrathen.

Amalia. Wissen Sie was, Herr Magister! da Sie die Maximen eines Spions so gut im Kopfe haben; so forschen Sie ihre Clementine selber aus. So viel melde ich Ihnen: daß Sie Hannchen wahrscheinlicher Weise nicht liebt, sondern einen andern.

Der Magister. Wie, sie liebt mich nicht? Beim Jupiter! das thut sie. Ich würde sonst auf Rache bedacht seyn, und meinen Nebenbuhler den Halsbrechen.

Amalia. Heist das dem Grandison nachgeahmt? O wie fein haben Sie Sich gebessert!

Der Magister. Nicht doch! das war meine Meinung auch nicht. Ich will aber auf jeden Liebhaber meiner Clementine eine Satire machen, und die Kerls so ärgern, daß sie für Aergerniß sterben sollen.

Amalia. Machen Sie was Sie wollen. Ich bin eben im Begriffe, einen Besuch bei [187] Hannchen abzustatten. Vielleicht kann ich etwas für sie thun.

Der Magister. Höchst vortrefliche Fräulein, thun Sie es, ich küsse Ihnen den Rock.

Du siehst geliebter Bruder, wo es dem alten Magister fehlt. Er schickt sich gut zum ganzen Lustspiele. Ich will nur gerne sehn, wie er sich anstellt, wenn die Sache mit Hannchen offenbar wird. Lebe wohl

Amalia von S.

28. Brief
XXVIII. Brief.
Jungfer Hannchen an Fräulein Amalia v.S.

Kargfeld den 3. Sept.


Gnädiges Fräulein,


Der Magister wird mir zuletzt unerträglich. Ich würde ihn gestern etwas empfindlicher abgeführt haben, woferne mich der Ort und sein Alter nicht davon [188] abgehalten hätten. Verliebte Tändeleien verdienen bei jungen und feurigen Gemüthern einige Nachsicht; wenn aber ein Magister von 45 Jahren dergleichen Possen treibt, denn muß man ihn für einen – – halten. Setzen Sie, mein liebes Fräulein, ein bequemes Wort an die leere Stelle. Nach diesem Eingange muß ich Ihnen eine Unterredung bekannt machen, die ich auf dem Saale mit ihm hielt. Ich gieng, wie Sie wissen, aus der Gesellschaft, um unserer Magd etwas zu befehlen. Kaum war ich vor der Thür; so sprang der alte Lampert hinter mich her,

Magister. Warum verlassen Sie die Gesellschaft, mein schönes Hannchen, man spührt es gleich, wenn eine angenehme Person fehlt.

Ich. Sie thäten also besser, wenn Sie dabei blieben: Denn Sie werden den Mangel zehen angenehmer Personen reichlich ersetzen.

Magister. Ich will mich eben nicht für unleidlich halten; aber das, was Sie sagen, scheint mir eine Hyperbole zu seyn.

[189] Ich. Was soll das seyn, Hyperbole?

Magister. Das ist eben so viel, als ein großes Lob, welches wir dem andern aus heftiger Liebe geben: ja es könnte auch eine artige Schmeichelei heißen.

Ich. Eine artige Schmeichelei? das geht noch eher an. Allein ich schmeichele keinem Menschen, und wenn es auch ein Fürst wär.

Magister. Loses Kind, wissen Sie nicht, daß Frauenzimmer ihre Liebhaber schmeicheln? Z.E. der Chapeau sagt: meine Göttin; so spricht sie – – nein, das wäre Abgötterei: aber eine andere Caresse: er sagt: mein Lamm, und sie – – nein, das wäre mehr eine Beleidigung: Aber Engel können sie einander vice versa heißen; denn das Wort Engel ist in Deutschen generis communis. Wie Sie auch sonsten von mir in der Schule gehört haben, da ich Ihnen den Milton erklärte.

Ich. Haben Sie mir denn den Milton erklärt? Das ist ja der englische Dichter [190] welchen Sir Carl der Clementine, aber der Herr Magister nicht mir vorgelesen hat.

Magister. Könnte ich nicht Sir Carl, könnte Sie nicht Clementine seyn? von mir will ich jetzo nicht reden; aber Sie übretreffen in meinen Augen eine Göttin: Sie sind also weit vortreflicher als jene junge Italienische Gräfin.

Ich. Woher wissen Sie denn, daß ich schöne bin?

Magister. Das sagen mir meine Augen und meine Empfindung.

Ich. Da sich Ihre Empfindung ohnfehlbar nach den Augen richtet; so wird Ihre Empfindung eben so oft betrogen werden als Ihre Augen: denn ich weiß, daß Sie schon seit etlichen Jahren durch die Brille lesen.

Magister. Es ist wahr, das beständige Nachtstudieren und die häufigen Lucubrationes haben mir das Gesichte ein wenig verderbt, daß ich die kleinen Buchstaben, und [191] zumal im Hebräischen die Punkte, nicht recht mehr erkennen kann. Aber ein Mädchen von achtzehn Jahren ist ja eben so kleine nicht, daß ich erstlich mein Auge bewaffnen müßte, wenn ich sie ansehen wollte.

Ich. Ich habe nichts wider Ihr scharfes Auge in Ansehung achtzehnjähriger Fractur einzuwenden: es kömmt mir aber sehr wunderbar vor, daß der Herr Magister auf mich Achtung giebt. Sie waren mir ja sonst in der Schule nicht gewogen.

Magister. Concedo, mein schönes Hannchen; aber dazumal waren Sie ein loses Mädchen: und außerdem mußte ich auf Respect halten. Nunmehro aber haben sich die Zeiten geändert. Sie und ich sind mannbar. Es kömmt darauf an, daß Sie mich lieben und mir Ihr Herz schenken.

Ich. Bringen Sie das letztere als eine Frage oder als eine Bitte vor?

Magister. Als eine Frage und als eine Bitte zugleich.

[192] Ich. So werde ich auch auf beides mit Nein antworten.

Magister. Wie, Sie lieben mich nicht? Ich sollte mich betrogen haben? Nein, Sie müssen scherzen. Ich merke schon, Sie wollen lieben und schweigen – – Sie wollen mich rathen lassen. Sie wollen erstlich meine Beständigkeit prüfen. Sie – – – –

Ich. Was haben Sie für Einbildungen! (ich mußte wirklich lachen.)

Magister. Lachen Sie nicht, meine Clementine. Geben Sie mir vielmehr die gütige Erlaubnis, Dero Herrn Vater, den Herrn Marggrafen, aufzuwarten, mich zu seinen Füßen zu werfen, und die bewunderswürdige junge Gräfin von seiner Hand anzunehmen. Ich verlange keinen Pfennig von Ihren grossen Vermögen; ich will vielmehr sorgen, daß – – doch dieses wird sich schon schicken. Was meinen Sie wohl, daß der Herr Marggraf sagen würde?

[193] Ich. Er wird vielleicht eben so lachen als wie ich. Wenn er aber hört, daß Sie den Herrn Grandison und ich Clementinen vorstellen soll; denn würde er gar böse werden.

Magister. Sorgen Sie nicht. Ich bin schlau, ich bin ein alter Hofmann, ich will ihn schon fassen, oder ich müßte kein 20jähriger Magister seyn, und mich unter Edelleute so lange durchgefressen haben.

Ich. Ich traue Ihrer Geschicklichkeit sehr viel zu: ich zweifele aber, ob Sie meinen Vater und mich in diesem Punkte bewegen werden.

Magister. Da sehe ich Ihren Herrn Vater über den Hof kommen. Ich will ihm entgegen gehen. Sehen Sie nur, ob er nicht wie ein Erzbischoff einhergehet. O der theure Marggraf!

Hier lief er fort, und ich befahl indessen unserer Magd, mir einen Boten zu bestellen. Ich habe das bewuste Schreiben beantwortet; aber mit zitternder Hand. Wenn ich [194] die gnädige Erlaubnis von Ihnen bekomme, so werde ich Ihnen morgen in Kargfeld aufwarten, etc. Ich bin mit aller Hochachtung


Ew. Hochwohlgeb.

unterthänige Dienerin Johanna Wendelin.

29. Brief
XXIX. Brief.
Fräulein Amalia an ihren Bruder.

Schönthal, den 16 Sept. Abends um 9 Uhr.


Was wirst du denken, mein Bruder, wenn ich dir sage, daß unser Oncle wirkliche Anstalt macht, sich zu verheirathen. An und vor sich, kannst du eben so wenig als wir die Sache misbilligen; die Wahl die er getroffen hat, ist auf seiner Seite vortrefflich; aber wenn die Heirath zu Stande käme, so wäre eine Person unglücklich, eine Person, die uns allen nicht gleichgültig ist.

[195] Du kennest sie, sie ist meine beste und angenehmste Freundinn. Wozu dienen meine Umsch weife, unser Oncle hat die Liebste, die er sich auserlesen hat, in einem seiner Briefe an dich genennet; ich habe diesen Brief gesehen. Stelle Fräulein Julianen von W. einmal in Gedanken neben unsern alten Oncle. Ein wohl übereinstimmendes Paar! Ein Mann, näher bei sechzig als funfzig Jahren, der kein großes Vermögen hat, daß die Wehetage der Frau, durch künftige gute Aussichten versüßen könnte; der noch darzu vor kurzem ein halber Enthusiast worden ist, und durch seine Schwärmerei vielleicht noch um sein übriges Vermögen kommt; und ein Mädchen, ein allerliebstes Mädchen von 21 Jahren, das so sittsam, so tugendhaft, so wohl gebildet ist, daß sie mit gutem Rechte eine Byron vorstellen könnte. Ich gedenke mir nichts grausamers, als eine solche Heirath.


Behüte Gott! Eher hätte ich das Schlachtfeld bei Minden sehen mögen, als daß ich meine Freundinn in den Armen dieses [196] Mannes erblicken sollte. Du wirst glauben, ich stellte die Sache auf einer gar zu schlimmen Seite vor. Wenn Fräulein Julgen an einem alten Manne ihr Vergnügen finden kann, denkst du; wenn sie eine Zuneigung zu ihm haben kann, warum sollte ich sie denn bedauren. Der Regen und die Liebe, fallen so wohl auf Palläste als auf Strohdächer. Es zwingt sie ja Niemand, den Alten zu nehmen. Wenn Ihre Stiefmutter, auf eine unbedachtsame Art manchmal mit ihr scherzet, und ihr mit dem Stifte oder mit unsern Oncle drohet, so muß sie das als Scherz aufnehmen, und mit Scherz erwiedern. Was wollte ich darum geben, wenn dein Urtheil wahr wäre. Die gute Juliane, es kostet mir viele Thränen, wenn ich daran denke. Sie soll, sie muß unserm Oncle ihre Hand geben. Ihre verdammte Stiefmutter –. Ich würde ihr die Augen auskratzen, wenn sie da vor mir stünde, so erbittert bin ich. Sie ist eine von den gemeinen Stiefmüttern, welche sich eine Pflicht und zugleich ein Vergnügen daraus machen, die Kinder erster Ehe zu peinigen. [197] Kein Wort mehr von der verhaßten Frau! Beigelegte sechs Briefe werden dir die ganze Sache aufklären.

Den 13 kam unser Oncle nach Schönthal, und that uns eine förmliche Erklärung, wie er es nennte, daß er Willens wäre, dem Beispiele seines Herrn Gevatters in Engelland zu folgen, und sich zu verheirathen. Meine häuslichen Umstände sind nun in Ordnung gebracht, das Musiczimmer, die Bildergallerie und der meiste Theil meiner Meublen sind nach dem Geschmack meines Freundes in Engelland eingerichtet. An meiner Person selbst, habe ich so eine Reformation vorgenommen, daß ich mich kaum noch kenne, wenn ich vor dem Spiegel stehe. Es fehlet mir nichts mehr als eine Henriette. Die Nachrichten aus Italien, können nun in meinen Entschliessungen keine Aenderung mehr machen, sie mögen ausfallen wie sie wollen. Mag doch der Graf von Belvedere, mit seiner Clementine ruhig leben. Grandison hat ihr durch seine Verheirathung, ein Beispiel gegeben, sie soll mir eins geben, und ich will denenjenigen [198] eins geben, die mir einmal nachahmen werden.

Mein Schwager unterstützte das Vorhaben unsers Vetters, das er für einen Anfall seiner Schwärmerei hielt, die keine sonderliche Folgen haben würde, durch seinen Beifall. Meine Schwester und ich, sind nur Maschinen meines Schwagers, jene aus Liebe, ich aus Freundschaft. Er drohet uns nach seinem Gefallen. Wir mußten uns stellen, als wenn wir eine große Freude darüber hätten, daß unser Oncle, in seinen alten Tagen, noch ein Papa werden wollte. Wer ist denn die glückliche Byron, Herr Vetter, fragte ich, die nach Ihnen seufzet. Doch nicht etwan das Fräulein v.W.

Der Oncle. Ha, ha, ha! Wer anders als Sie. Daß dich der Bli – –, daß dich der Blech! wie das Bäsgen rathen kann! Wenn Sie kein Fräulein wären, so müßten Sie einen Bürgermeister nehmen.

Mein Schwager schien über dieses Geständniß, in etwas betreten zu seyn, er vermuthete [199] nicht, wie er nachgehends sagte, daß Fräulein Julgen eine Rolle in dem Lustspiele unsres Grandisons bekommen sollte; wir schätzen sie alle hoch, und lieben sie; das gute Kind verdient es.

Mein Schwager. Daran thun Sie recht, Herr Vetter, daß Sie Ihren Herrn Gevatter folgen, und sich verheirathen wollen. Ich wünsche Ihnen Glück zu diesem Vorhaben. Aber mich dünkt, wenn Sie das Fräulein v.W. zu Ihrer Byron machen wollen; so wird Ihnen Sir Carl die Abweichung in seiner Nachahmung nicht leicht vergeben können.

Der Oncle. Wie so, Herr Vetter? das sehe ich nicht ein.

Der Schwager. Sir Carl war überzeugt, daß er die einzige Mannsperson wäre, die seine Henriette als ihren Gemahl lieben könnte; er hatte ein Recht auf ihre Liebe; er war der Beschützer und Erretter ihrer Ehre; er hatte die Bewilligung aller Anverwandten, ihr Mädchen zu lieben; Jedermann wünschte, [200] daß die zwo vortrefflichen Personen, ein Paar werden möchten. Bei Ihnen, Herr Vetter, nehmen Sie es nicht ungütig, daß ich nach meiner Ueberzeugung rede, bei Ihnen ist keiner von diesen Umständen anzutreffen; Sie würden also bei dieser Verheiratung, wider Ihren Willen, ein Urbild werden, und das würde Sir Carln verdrüßen, wenn Sie, so zu reden, über ihn weg seyn wollten.


Der Oncle schien über den Einwurf meines Schwagers sehr verlegen zu seyn. Er wollte antworten; er reusperte sich; ruckte auf dem Stuhle hin und her.


Herr Lampert, Herr Lampert, warum so stille? Er siehet aus, als wenn er Flachs säen wollte.


Der Magister stieg von seinem Stuhle auf, er hatte seine Gedanken gesammlet, und sahe so aus, als wenn ihn etwas auf dem Herzen läge. Wir waren aufmerksam auf ihn. Endlich öffnete sich sein Mund:

[201] Nachdem ich dasjenige, was Eu. Gnaden (er bückte sich gegen den Baron) vorzutragen geruhet haben, hin und wieder sonderiret habe; so kann ich nicht in Abrede seyn, besonders, da der bekannte Canon: Minima circumstantia variat rem, auf Ihrer Seite zu stehen scheinet, daß die Zweifel Eu. Gnaden, dem ersten Anscheine nach, einige Stärke haben. Allein, wenn wir die Nuß aus der Schaale nehmen wollen, so werden wir finden, daß alle diese Einwürfe nicht hinreichen, meinen gnädigen Herrn Principal, einer Abweichung in der Nachahmung Herrn Carl Grandisons, schuldig zu machen. Denn was den ersten Satz anlanget: Sir Carl war überzeugt, daß er die einzige Mannsperson wäre, die seine Henriette als ihren Gemahl lieben könnte; so gilt dieses vollkommen von meinem gnädigen Herrn. Er zweifelt im geringsten nicht, daß ihn das Fräulein v.W. als ihren Gemahl lieben und ehren werde. Der zweite Satz: Sir Carl hätte ein Recht auf Fräulein Byrons Liebe, er war der Beschützer und Erretter ihrer Ehre; dieser gilt [202] unter einer kleinen Einschränkung, hier gleichfalls vollkommen. Mein Patron hat ein Recht, auf des Fräuleins v.W. Liebe. Er ist der Beschützer und Erretter ihrer Ehre, nämlich in so ferne diese von Jemand sollte angetastet werden. Sir Carln hatte die Bewilligung aller Anverwandten, ihr Mädchen zu lieben, mein Patron hat diese Bewilligung von den Eltern des Fräuleins v.W. in der Tasche. Jedermann wünschte dort, daß die 2 vortrefflichen Personen sollten ein Paar werden. Jedermann wünscht es auch hier, wenigstens in den Familien von beiden Seiten werden alle hohe und vortreffliche Glieder derselben eine solche vortheilhafte Vermählung wünschen. Aus diesem folgt, daß mein hoher Principal von aller Abweichung, in der Nachahmung Sir Carl Grandisons entfernet ist, und solcher auf keinerlei Weise kann beschuldiget werden, welches zu erweisen war.


Der Oncle. Der Geist des Doctor Bartletts, ruhet zwiefältig auf meinem Magister! [203] So wahr ich lebe, er ist ein ganzer Mann. Ich versichere ihn meines Wohlwollens. (er drückte die Hand des Bösewichts.)


Es war Niemand von uns im Stande, ein Wort vorzubringen, das Schrecken machte uns stumm. Der Oncle nahm unsre Stillschweigung für eine Empfindung einer Freude an. Ich hatte Lust, ihn diesen Irrthum zu benehmen, doch unterließ ich es. Die Einwilligung des thörigten Vaters, eine vollkommene Tochter durch unsern Oncle unglücklich zu machen, setzte uns in viele heimliche Sorge. Unser Vetter zog zween Briefe aus der Tasche: dieses ist mein Anwerbungsschreiben, um das Fräulein v.W., hier ist auch die Antwort darauf. Herr Lampert, lese er doch beide. Wir wußten nicht, ob wir Scherz oder Ernst aus der Sache machen sollten, da der Magister las. Mein Schwager bat sich die Erlaubnis aus, die Briefe nochmals mit Verstande zu lesen, nachdem er unsern Oncle wegen des Innhalts des zweiten, einen langen Glückwunsch gemacht hatte, und sich das [204] Ansehen gab, als wenn ihm seine Wünsche recht von Herzen giengen. Diese Schmeichelei wirkte so viel, daß der Oncle dem Baron beide Briefe aushändigte, er gieng damit in in sein Cabinet und hat sie abgeschrieben. So bald unser Vetter uns verließ, brachte ich diese Unterredung zu Pappiere Wir rathschlagten über eine so unerwartete Begebenheit, bis in die tiefe Nacht. Die Einwilligung – die schriftliche Einwilligung des Vaters von dem Fräulein v.W. wie viel Sorge machte uns die!

Mein Schwager hatte den Vorschlag, wir wollten den Grafen von Belvedere sterben, und unserm Oncle lieber seine Reise nach Italien unternehmen lassen; als daß wir zugeben sollten, daß er der Gemahl von Fräulein Julianen würde. Ich zweifelte, daß diese Erfindung einen guten Erfolg haben würde. Unser Grandison scheint äußerst in seine Byron verliebt zu seyn, und gäbe nun wohl zehen Clementinen hin, um eine Juliane zu erlangen. Wir stehen in äusserster Furcht wegen [205] des guten Fräuleins. Du wirst aus beiliegenden Briefen sehen, daß sie ihm morgen feierlich soll zugesaget werden. Was fangen wir an? – – Ich wollte, ich weiß nicht was, darum geben, wenn der morgende Tag vorüber wäre. Ich war Willens, dieses Paquet nicht eher an dich abzuschicken, bis ich von dem Ausgange der Sachen dir eine Nachricht geben könnte; die Post gehet aber morgen Vormittage ab, und mit dem Frühesten müssen meine Briefe in der Stadt seyn. Wenn du mir versprächest, unsertwegen keine Sorge zu tragen; so wollte ich das Paquet künftigen Posttag fortschicken; du könntest aber denken, meine Schwester, die wiederum vollkommen gesund ist, wäre gar gestorben, wenn ich meine Briefe einige Tage länger zurück behielt. Es ist immer besser eine unvollständige Nachricht, als gar keine. Eine kleine Nebenabsicht treibet mich zugleich mit an, die Absendung dieses Briefes, nebst den Einschlüssen in demselben, nicht länger auszusetzen. Es ist besser, dachte ich, daß wir unsern Bruder in eben der Ungewißheit [206] lassen, in der wir uns selbst befinden; als daß wir ihm den Anfang und das Ende der Heirathsgeschichte unsres Oncles auf einmal berichten. Er mag einige Tage lang eben so, wie wir, zwischen Furcht und Hoffnung schweben, damit er sich bei einem unglücklichen Ausgang der Sache, zu welchem er schon vorbereitet ist, nicht so sehr betrübe, und bei einem glücklichen Ausschlage desto mehr erfreue. Wollte der Himmel, es könnte diese Heirath, die gewiß nicht im Himmel geschlossen ist, hintertrieben werden. Ich beschließe meinen Brief mit einer Bitte von meinen Schwager, er verlangt die Briefe, die wegen der grandisonischen Händel sowohl von dir, als an dich sind geschrieben worden, in Abschrift zurück, um sie in einem Zusammenhange zum Zeitvertreibe zu lesen. Der junge Wendelin, der schon ausstudiret hat, und für langer Weile nichts thut, als daß er im Dorfe herumgehet und Sperlinge schießt, kommt manchmal herüber nach Schönthal, und hat sich erbothen, diese Briefe insgesammt sauber abzuschreiben. Für die baldige Zurücksendung [207] derselben wird insonderheit bei ihren geliebtesten Bruder ihren Dank abstatten

Amalia v.S.

30. Brief
XXX. Brief.
Herr von N. an den Herrn von W. in Wilmershausen.

N. hall, den 12 Sept.


Lieber Herr Vetter,


Du hast vielleicht schon Lunde gerochen, und meine Liebe gegen deine älteste Fräulein Tochter gemerkt: ich muß mich nunmehro über diese wichtige Sache deutlicher erklären, und hierdurch offenbar gestehen, daß ich Fräulein Julgen schon längstens in mein Herz geschlossen habe. Ich war zwar Willens, niemals an eine Frau zu denken; dieser Gedanke aber hat nicht länger, als bis auf die Bekanntschaft mit Sir Carln [208] gedauert. Da ich nun diesem wunderbaren Manne in allem nachfolgen muß, wenn ich anders so glücklich, als er, werden will: so gehört nichts, als eine schöne Henriette zu meiner Vollkommenheit. Es ist also billig, daß ich mich an Dich und an Deine Frau Gemahlin zuerst wende, und Eure liebe Fräulein Tochter von Eurer Hand erwarte. Da man wider meine Person, welche, ohne Ruhm zu melden, nicht unangenehm ist, eben so wenig, als wider mein jährlich Einkommenen, welches nach englischen Gelde reine 500. Pf. einträgt, nichts einwenden wird: so hoffe ich von euch beiden, keine abschlägliche Antwort zu erhalten. Ich weiß zwar, daß sich Julgen ein wenig zieren wird, (das muß sie thun, wenn sie der vortreflichen Henriette ähnlich seyn will,) so hebe Du indessen dem guten Kinde allen Zweifel. Essen und Trinken schmeckt mir noch ganz wohl, und zuweilen fresse ich mehr als zwei Bären; munter und stark bin ich auch: wenn Ihr also Fräulein Julgen, in der Vergleichung mit mir, für zu jung haltet; so betrügt Ihr euch. Ich steh meinen[209] Mann, und bin noch eben so rüstig, als Sir Carl immer seyn kann. Was brauch ich aber so viel für mich anzuführen? Julgen scheint mir nicht ungeneigt zu seyn; und wenn ich alle ihre Reden, zumal bey dem Feuerwerke, recht genau überlege: so ist das kleine Närrchen wohl gar schon verliebt in mich. Ich gäb mein bestes Pferd darum, wenns wahr wär. Denn Henriette Byron liebte Sir Carln lange zuvor, ehe er ihr noch eine Erklärung thun konnte. Meine Freunde werde ich durch eine solche Heirat auch verbinden: denn sie haben zeithero alle meine Anstalten gelobt; und je ähnlicher ich dem Engländern werde, desto mehr gefalle ich ihnen. Die Hochzeit soll als denn bei Euch seyn in Willmermanor – alles nach Grandisons seiner Art – recht prächtig. Wir fahren miteinander in Kutschen nach der Kirche, wir viere in einer, wie leichtlich zu errathen. Aber wieder zur Hauptsache! Nehmt nur das liebe Mädgen vor, und thut ihr einen Antrag: Als denn bestimmt einen Tag zum Verlöbnisse – – die Zeit der Copulation aber soll meiner [210] Juliane ganz und gar überlassen werden. Ich wollte zwar gerne, daß mich der Magister traute; es wird aber wohl nicht angehen, weil er noch kein Pfarrer ist. Ich bin der glücklichste Mann, und zur glücklichsten Frau soll Julgen gemacht werden von


Deinem

aufrichtigen Freund und gehorsamster Diener v.N.

31. Brief
XXXI. Brief.
Der Vater des Fräuleins v.W. an den Herrn v.N.

Wilmershausen, den 13. Septembr.


Hochgeschätzter Herr Bruder,

Vielgeehrter Freund und Nachbar,


Aus dem Schreiben, welches Du vom gestrigen Dato an mich abgelassen, habe ich nebst meiner Frau nicht nur [211] die gute Absicht, welche der vielgeehrte Herr Bruder gegen mein Haus heget, erkannt, und bin deswegen dankbar; sondern ich habe auch bereits meiner Juliane vorläufige Nachricht von dem geschehenen Antrage gegeben, welche zwar Anfangs, wie solche junge Dinger bey dergleichen Gelegenheiten pflegen, heftig darüber zu erschrecken schien: auf mein und ihrer Mutter Zureden aber so viel zu verstehen gab, sie würde ihrem Vater in keinem Stücke ungehorsam seyn. Da nun die Ehen im Himmel geschlossen und auf Erden vollzogen werden; auch weder meine Frau noch ich dem Schlusse des Himmels widerstreben können: so ertheilen wir dem Herrn Bruder unsern älterlichen Consens desto lieber, weil Du jederzeit ein guter nachbarlicher Freund von mir gewesen bist; Deine Umstände uns größtentheils bekannt sind; Du auch überdem die männlichen Jahre lange erreichet, und das flatterhafte Wesen der Jugend, das an so vielem Unglück der Ehen Schuld ist, abgeleget hast. Wir haben anbei die gute Hoffnung, daß unsere Tochter[212] mit Dir ganz wohl fahren soll. Der Himmel beglücke euch beide mit seinem Segen, und führe das angefangene gute Werk glücklich hinaus. Mir wird es angenehm seyn, wenn ich mich werde nennen können


Meines vielgeehrten Herrn Bruders und

zukünftigen Eidams

treuer Freund und Schwiegervater

Hanns Georg v.W.


N.S. Auf kommenden Dienstag, wird seyn der 17.hujus, verfüge Dich zu uns, und bringe Deine werthen Anverwandten mit, da soll die Sache vollends ins reine gebracht werden.

32. Brief
[213] XXXII. Brief.
Fräulein Juliane an Fräulein Amalien.

Wilmershausen den 14 Septembr.


Haben Sie Mitleiden mit mir, liebste Amalia; ich stehe im Begriff, eine sehr unglückliche Person zu werden. Sie wissen es unfehlbar. Was soll ich daraus machen, daß Sie mir keinen Wink davon gegeben haben? Sie müssen es wissen, daß ihr Oncle für sich selbst, bei meinem Vater, um mich geworben hat. Sind Sie so grausam, daß Sie nebst Ihren Freunden in Schönthal sich wider mich verschworen haben? Ist es um deswillen geschehen, daß Sie mir nicht eine Silbe von dem Vorhaben ihres Vetters entdeckt haben, damit man mich desto geschwinder überraschen, und das, was man will, aus mir machen könnte?

Ich will Ihnen noch nichts Schuld geben; vielleicht hat Ihr Oncle Ihnen selbst noch [214] nichts von seinem Vorhaben entdecket; vielleicht haben Sie aus der ganzen Sache eine Kleinigkeit gemacht, die in der That keine ist.

Ihr Herz mag nun bei dieser Gelegenheit entweder für oder wider mich seyn, so kann ich doch Niemanden als Ihnen das meinige entdecken. Ich will einmal meinem Argwohn in meinem Gemüthe Platz geben; ich will mir einbilden, Sie wünschten, daß ich Ihre Tante werden möchte, wollten Sie wohl diesem Wunsche Ihre Freundin aufopfern? Könnten Sie, um Ihrem Oncle gefällig zu seyn, Ihre Freundin in so vielen Verdruß einwickeln? Ich habe viele Mühe, mir dieses zu bereden, und gleichwohl scheinet es, als wenn Sie nebst andern wider mich conspiriret hätten. Doch wie gesagt, ich will Ihnen noch nichts Schuld geben. Ich will lieber glauben, Sie wüßten noch nicht ein Wort von der ganzen Sache, ich will Sie für neugierig halten und Ihnen den Handel eröffnen. Vorgestern des Morgens bekam mein Vater einen Brief von dem Herr von N – – durch seinen Reitknecht. Mein Vater [215] und meine Stiefmutter schienen einige Tage vorher sehr aufgeräumet, und diese insbesondere war so freundlich gegen mich, daß ich die Stiefmutter beinahe darüber vergaß. Mein Vater zog seine Liebste an ein Fenster; ich saß an einen andern, und nähete etwas für mich in dem Rahmen. Sie lasen beide das Schreiben sachte, doch so, daß ich etwas davon verstehen konnte. Ich hörte daß der Innhalt mich angieng; ich merkte, daß es ein Anwerbungeschreiben seyn sollte; wiewohl ich von der Schreibart des Briefes eben nicht so gar vortheilhaft auf den Verfasser schließen konnte. Meine Glieder fiengen an zu zittern, ich erwartete mit Ungeduld das Ende – Da sehen Sie es nun, mein Schatz, sagte meine Mutter, daß es sein Ernst ist, der gute N. ist doch wirklich ein Mann von Parole – Haben Sie es gehört, Julgen, was Ihnen für ein Glücke bevorstehet? Schätzgen, lesen Sie doch den Brief noch einmal, daß ihn Julgen höret. (Sie streichelte meinem Vater die Backen, mich dünkt, ich hätte sie nie so freundlich gesehen.)

[216] Die ganze Stube gieng mit mir herum. Ich dachte, ich müßte vom Stuhle sinken. Schrecken und Verdruß über die alberne Frage meiner boßhaften Siefmutter setzten mich ganz außer mich. Die Furcht, den verhaßten Brief noch einmal zu hören, erhielt mir noch das Vermögen zu reden.

Haben Sie die Gewogenheit gnädiger Papa, sich die Mühe zu ersparen, den Brief mir vorzulesen, ich habe schon so viel daraus verstanden, als ich wissen soll. Ich bin versichert, Sie werden ihn, nebst der gnädigen Mama, als einen Scherz annehmen. Der Herr v. N – – hat seit einiger Zeit viele scherzhafte Ausschweifungen begangen; in diesem Schreiben scheint er sie am weitesten getrieben zu haben.

Nein, nein, meine Tochter, du irrest dich, es ist des Herrn von N. sein wahrer Ernst. Er hat schon neulich bei mir mündlich um dich angehalten; ich trauete ihm aber nicht, und dachte, der verliebte Anfall würde bald wieder überhin gehen. Ich rieth ihm, er sollte [217] bedenken, daß das Heirathen ein schwerer Punkt wäre; er sollte untersuchen, ob er einen rechten Trieb hätte, ehelich zu werden, da er es so lange versparet hätte. In 14 Tagen sollte er mir von seinem Entschlusse wieder Antwort geben. Nun hat er schriftlich um dich nach gesuchet. Er ist von Jugend auf mein guter Freund gewesen, und hat mir manchen Gefallen erwiesen. Es ist einmal Zeit, daß ich auf eine Vergeltung denke. Wenn du nichts erhebliches wider ihn einzuwenden hast, so mag er immer dein Gemahl werden. Behüte Gott! Gnädiger Papa, wenn Sie Ernst aus dem Antrage des Herrn von N. machen, so setzen Sie ihr Kind in die äußerste Betrübnis. Sie werden mich doch nicht an einen Mann verheirathen wollen, der über die Jünglingsjahre lange hinweg war, da ich gebohren wurde; an einen Mann, der seit einiger Zeit eine so wunderbare Aufführung angenommen hat, daß man ihn für einen Romanhelden ansehen sollte! – Ich habe noch keine Neigung zum Ehestande.

[218] Reden Sie nicht so unverständig, Julgen, Sie sind kein Kind mehr. Wenn alle Frauenzimmer so dächten wie Sie, so würde ihr Papa von mir auch einen Korb bekommen haben. Er war kein Jüngling mehr, da ich ihn heirathete; er war noch darzu ein Wittwer, mit einer kleinen Wehklage, und ich nahm ihn doch. Wissen Sie nicht die alte Hausregel: der Mann im Schwade und die Frau im Bade? das ist aber eine Bosheit von Ihnen, daß Sie den Herrn von N. einen Romanhelden nennen; dadurch versündigen Sie Sich an ihrem Papa. Die jenigen, die Romanhelden vorstellen, sind Narren, und wer mit Narren eine Gemeinschaft hat, ist selbst nicht klug. Ihr Papa liebt den Herrn von N., er ist unser guter Freund. Schätzgen, so gehet es, wenn man die Kinder verhätschelt, hernach spotten sie die Aeltern. Pfui, schämen Sie Sich, daß Sie so wenig Achtung gegen ihren Papa bezeigen!

Mädchen?

Gnädiger Papa, das ist nicht auszustehen, (ich wollte seine Hände küssen, ich weinte, [219] er stieß mich von sich. Das hat er noch niemals gethan.) Hören Sie auf mich zu verleumden. Was habe ich Ihnen gethan, daß Sie durch so niedrige Kunstgriffe mir die Gunst meines Vaters entziehen wollen – – Haben Sie Mitleiden mit mir, gnädiger Papa, ich bin ihre Tochter.


Höre, Juliane, mit dem albernen Geplaudere richtest du nichts bei mir aus. Wenn du willst, daß ich dich als meine Tochter ansehen soll; so erkläre dich den Augenblick, ob du den Herrn v.N. nehmen willst oder nicht? (Ich schwieg) Laß mich nicht böse werden – du weißt, wenn ich anfange – –.


Gnädiger Papa (ich konnte vor schluchzen nichts hervorbringe) – – schonen Sie doch – Sie machen es immer ärger. Sie müssen nicht so verstockt seyn, Julgen, seyn Sie gehorsam – Antworten Sie auf ihres Papas Frage.


Die Worte meiner Stiefmutter durchschnitten mir das Herz. Die boshafte Frau! [220] Ich war nicht im Stande, ein Wort zu reden. Du – – – (Ich verschweige aus kindlicher Ehrerbietung die Worte, die der Zorn meinem Vater in diesem Augenblicke eingab, sie waren nicht väterlich.) Willst du nicht reden, was ist das für eine Aufführung? – Den Augenblick gehe mir aus dem Gesichte, und komm mir nie wieder unter die Augen – – Willst du mich mit deinen Starrkopfe unter die Erde bringen?


Die letzten Worte kränkten mich aufs äußerste. Ich fiel meinem Vater in die Arme.


Gnädiger Papa, ich will mich ihrem Gewissen überlassen. Ich verspreche ihnen meinen kindlichen Gehorsam, machen Sie aus mir was Ihnen gefällt.


Willst du es mir angeloben, daß du dich gegen mich in allen Dingen, als eine gehorsame Tochter hinführo aufzuführen gedenkest; so will ich deine jetzige Vergehung noch einmal übersehen. Ich gab ihm meine zitternde [221] Hand, und machte, daß ich aus den Zimmer kam. Ich ging in meine Stube, und warf mich auf das Canapèe. Ich will Ihnen nicht die Gemüthsbewegungen entdecken, die ich empfand, ich bekam ein entsetzliches Kopfwehe, und war nicht im Stande meine Gedanken zusammen zu fassen, um den ganzen Verlauf der Sache Ihnen zu berichten, ob ich es gleich versuchte. Gestern Morgen ging ich hinunter zu meinem Vater, in was für einer Gemüthsverfassung, können Sie Sich leicht vorstellen. Alle meine Glieder zitterten, da ich die Thür aufmachte. Er war ernsthaft; seine Gemahlin munter, keins aber dachte mit einem Worte an die verhaßte Sache. Ich schlich mich bald wieder fort. Was werde ich nun für ein Schicksal zu erwarten haben? verlassen Sie mich nicht, meine liebste Amalia, verlassen Sie mich nicht, meine beste Freundinn; ich weiß zu Niemand anders als zu Ihnen meine Zuflucht zu nehmen. Können Sie so viele Zeit abmüßigen, so beehren Sie mich mit ein paar Zeilen,[222] die mir Ihre Gesinnung gegen mich entdecken. Mein Mädchen soll darauf warten. Sind Sie noch auf meiner Seite, so stehen Sie mir mit Ihrem guten Rathe bei, wie ich mich in diesen verwirrten Umständen zu verhalten habe. Meinem Vater kann und darf ich nicht ungehorsam seyn, und bin ich gehorsam, was für ein Schicksal habe ich da zu erwarten! Ich sehe der Wiederkunft meines Mädchens, mit einem zweifelhaften Verlangen, entgegen, um zu erfahren, ob Sie noch unverändert das sind, was sich von Ihnen verspricht


Dero

aufrichtig und ergebenste Freundin Wilhelmine v.W.

33. Brief
[223] XXXIII. Brief.
Fräulein Amalia an das Fräulein v.W.

Schönthal den 14 Sept.


Wo soll ich anfangen, Ihren Brief zu beantworten? Soll ich mich wegen eines ungegründeten Verdachts vertheidigen, und wegen Ihres garstigen Argwohns auf Sie schmälen? das werde ich nicht thun. Ihr Gemüthe ist nicht in der Verfassung, daß es jetzo Verweise annehmen kann. Ich muß Ihnen aber doch meine Empfindlichkeit darüber bezeigen, daß Sie mich für eine Meineidige halten und mir den strafbaren Eigennutz zutrauen, daß ich das Glück meiner Freundinn auf das Spiel setzen könnte, um eine gute Tante dadurch zu gewinnen. Warten Sie, warten Sie, das kann Ihnen nicht so hingehen. Ihr gekränktes Gemüthe schützet Sie dieses mal für einer kleinen Rache, ich würde sonst in der [224] That ein bisgen böse thun; doch diesmal soll Ihnen alles vergeben seyn. Sie haben einigermaßen Ursache zu dem Verdachte gehabt, mich für ihre Kupplerin, nein, das ist ein gar zu garstiges Wort, für eine Unterhändlerin bei ihrer Freierei anzusehen. Ich lasse Ihnen alle Gerechtigkeit wiederfahren. Meinem Oncle fällt es ein, sich zu verheiraten, nothwendig muß er meinem Schwager und uns Schwestern etwas davon entdecket haben. Vielleicht bat er uns, ihm eine Partie vorzuschlagen. Wir werden nothwendig so eigennützig gehandelt, und ihm eine Person vorgeschlagen haben, mit der wir uns wohl auszukommen getrauten, die wir als unsere Tante lieben und ehren könnten. Kein altes verlebtes Fräulein werden wir nicht erwählet haben; so eine geschleierte Ziege würde eine schlimme Tante abgeben, sie würde zänkisch und geizig seyn, und uns mit bösen, finstern Gesichtern bewillkommen, wenn wir nach Kargfeld kämen. Das Fräulein v.W. kennen wir, sie ist unsre Freundin, die gäbe eine vortreffliche Tante. Ja, ja, es war [225] natürlich, daß wir sie unsern Oncle vorschlugen. Sie mag sehen, wie sie mit dem alten wunderlichen Manne auskommt, sie mag bei ihm für ihre Person unglücklich seyn; wenn wir nur eine gute gesellige Tante an ihr bekommen, die nicht ewig an uns etwas zu bessern und zu tadeln findet. Es blieb dabei, wir schlugen ihm das Fräulein v.W. vor; er verliebte sich, von dem ersten Augenblicke an, in sie, wie der Narciß in seine Gestalt, die er im Wasser erblickte. Die Sache wurde so kartiret, daß das liebe gute Kind nichts davon erfuhr. Die Stiefmutter mußte den Vater stimmen; dieser mußte auf einmal mit seiner väterlichen Gewalt auf die arme verkaufte und verrathene Tochter losstürmen, um sie zu zwingen, den verhaßten Freier anzunehmen.


Nicht wahr, das ist die ganze Fabel, die Sie Sich von Ihren guten Freunden in in Schönthal in den Kopf gesetzet haben? Das sind böse, ungetreue, meineidige Freunde! Aber nun will ich Ihnen die rechte Wahrheit[226] erzählen, hernach werden Sie anders von uns urtheilen. Gestern Nachmittage statte unser Oncle bei uns einen Besuch ab. Er machte uns zum ersten male in seinem Leben bekannt, daß er feste entschlossen wäre, zu heiraten, er nennte uns seinen geliebten Gegenstand. Wir erschracken, daß keins von uns im Stande war zu reden, da er Sie nennte. Ich habe die ganze Unterredung mit unserm Oncle aufgeschrieben, und will sie meinem Briefe beifügen, Sie können daraus unser ganzes Betragen bei dieser wichtigen Angelegenheit erkennen. Die meiste Sorge macht uns der Brief Ihres Herrn Vaters an unserm Oncle. Mein Schwager erhielt die Erlaubnis ihn zu lesen, und hat ihn abgeschrieben. Unfehlbar ist es Ihnen noch nicht bekannt, daß unser Oncle bereits von Ihrem Herrn Vater das Jawort hat, Sie würden mir diesen Umstand nicht verschwiegen haben. Ich übersende Ihnen auch die Abschrift von diesem Briefe. Schicken Sie mir diesen doppelten Einschluß, wenn es möglich ist, bald wiederum zurück. Sie haben eben nicht Ursache[227] so sehr über den voreiligen Consens ihres Herrn Vaters zu erschrecken. Kleinmüthigkeit und Verzweiflung kann der Sache keinem guten Ausgang versprechen, fassen Sie einen Muth, wir arbeiten alle daran, das Werk zu hintertreiben.


Gestern hielten wir bis um Mitternacht großen Rath, und ich war eben im Begriff, Ihnen einen Besuch zu geben, da Ihr Mädchen kam und mir Ihr Schreiben brachte. Um allen Verdacht zu vermeiden, stelle ich meinen Besuch ein; Ihro Frau Stiefmama würde uns auch vermuthlich nicht alleine mit einander reden lassen; ich will Ihnen deswegen das, was zu Ihrem besten beschlossen ist, lieber schriftlich als mündlich sagen. Wenn es in Ihrer Gewalt ist, so nehmen Sie eine Gelassenheit an, die der Unempfindlichkeit gleich kommt. Ihre Stiefmutter mag Ihnen von der verhaßten Sache sagen was sie will, so berufen Sie Sich auf Ihren Herrn Vater, sagen Sie, wie Sie es bereits gethan haben, Sie wollten, Sie wären bereit, Ihm[228] zu gehorsamen. Sollte man in Sie dringen, auf eine verdrüßliche Sache ja, oder nein zu antworten; so sehen Sie zu, daß Sie auf eine schickliche Art ausbeugen. Ich dächte, Sie könnten mit der Versprechung des kindlichen Gehorsams oftmals durchkommen. Künftigen Dienstag haben Sie von unserm Oncle und uns einen Besuch zu erwarten, Sie werden es aus Ihres Herrn Vaters Briefe sehen. Wie es scheint, sollen Sie da Ihr Jawort von sich geben; dieses darf durchaus nicht geschehen. Es ist uns, meine theureste Freundin, nichts nöthiger, als daß wir in etwas Zeit gewinnen, mit einander auf Maasregeln zu sinnen, wie wir diesem plötzlichen Sturme ausweichen wollen. Wir sind alle überraschet worden. Lesen Sie den 6ten Band des Grandisons mit Aufmerksamkeit. Wenden Sie die Gründe, die Henriette braucht, den Hochzeittag zu verspäten, auf den Tag der Verlobung mit unserm Oncle an. Sie wissen, daß er in allen Stücken dem Grandison nachahmen will. Wir müssen uns in seine Schwachheit richten, wenn etwas gutes soll [229] ausgerichtet werden. Wir wollen unsern Oncle zubereiten, Ihnen keine Bitte abzuschlagen. Ersuchen Sie Ihn um eine Frist von 6 Wochen, ehe Sie Ihr Jawort von sich geben könnten, diese setzen Sie hernach, wenn er auf einem kürzern Termine bestehet, auf 4 Wochen herunter. Unter der Zeit getrauen wir uns die Sache so einzufädeln, daß Ihrer Stiefmutter und unserm Oncle das Concept ziemlich soll verrücket werden.


In einem Punkte müssen Sie nur nicht gar zu zärtlich seyn, wenn die Sache einen guten Ausgang haben soll. Es scheinet, Sie wollen Ihrem Herrn Vater, wenn er darauf bestehet, in der That gehorsamen, und sich unsern Oncle zum Gemahle aufdringen lassen. Sie machen sich den Ungehorsam in diesem Stücke zu einem Gewissenspunkte, und dieses aus einem Misverstande. Sie erklären Ihren Catechismus unrecht. Das vierte Gebot will nicht, daß wir den Eltern als Sklaven eine blinde Unterthänigkeit beweisen sollen; es befiehlet uns, Ihnen zu gehorchen [230] in gerechten und billigen Dingen. Wenn aber ein Vater seine Tochter zwingen will, einen alten verlebten Mann zu heiraten, und der noch darzu mehrerer Fehler als das Alter hat; das wäre eben so viel, als wenn er ihr den Befehl gäbe, in ein Wasser zu springen, oder sich die Kehle abzuschneiden. Würden Sie denn einem solchen Befehle gehorsamen? Wenn Sie meinem Rathe folgen, so denke ich, es soll das Ungewitter, daß sich über Ihrem Haupte zusammen gezogen hat, sich wiederum zertheilen. Leben Sie wohl, meine Freundin, machen Sie Sich nicht so vielen unnöthigen Kummer, und seyn Sie versichert, daß nichts in der Welt vermögend ist, diejenige freundschaftliche Gesinnung zu ändern, welche gegen Sie, meine Werthe, bis auf den letzten Tag ihres Lebens beibehalten wird


Dero

aufrichtig und ergebenste Freundin Amalia v.S.

34. Brief
[231] XXXIV. Brief.
Das Fräulein v.W. an Fräulein Amalien.

Wilmershausen den 16 Septembr.


Ich kann Ihnen die zween Anschlüsse Ihres Briefes unmöglich zurück schicken, ohne meinen Dank für die Mittheilung derselben abzustatten, und zugleich Ihnen diejenige Beleidigung abzubitten, wozu mich eine gottlose Leidenschaft, der ich mich ganz und gar nicht fähig glaubte, verleitet hat. In der That, der Argwohn ist so eine schlimme Sache, daß diejenigen, welche damit behaftet sind, so sehr dadurch bestrafet werden, daß man nicht Ursache hat, Ihnen deswegen Vorwürfe zu machen, oder eine andere Gnugthuung für geschehene Beleidigungen zu verlangen: man sollte nur ein gerechtes Mitleiden mit den Unglückseligen haben.

[232] Sie können sich nicht vorstellen, wie sehr mich der Gedanke gequälet hat, Sie wünschten eine Heirath zwischen mir und Ihrem Oncle, und wären bei diesem Geschäfte selbst eine der vornehmsten Triebfedern. Ich markerte mich in meinem Gemüthe, wie ein armer Missethäter, der seinen Tod vor Augen siehet, und noch nicht alle Hoffnung zum Leben aufgegeben hat; ich hatte keinen Grund Sie anzuklagen, ich hatte aber auch keinen, allen Verdacht gegen Sie zu verbannen.


Durch Ihr tröstendes Schreiben ist mein Herz um ein paar Centner leichter; es wird aber dennoch von einer sehr großen Last beschweret. Ihren gütigen Rath werde ich, so viel mir möglich ist, befolgen; was wird es aber helfen, wenn wir eine kleine Galgenfrist erhaschen? Wird nicht dadurch meine Marter vergrößert werden? Glauben Sie, daß ich mehr Ihren Vorschriften folgen werde, um Ihren Verweisen zu entgehen, wenn die Sache einen widrigen Ausschlag für mich bekäme; als daß ich einen günstigen Erfolg [233] davon hoffen sollte. Wie sehr würde es mich kränken, wenn ich Sie einmal sagen hörte: beklagen Sie Sich nicht, warum haben Sie nicht gefolget, so geht es den Leuten die sich nicht wollen rathen noch helfen lassen. Solche Vorwürfe würden tödliche Stiche in mein Herz seyn. Nein, nein, ich will Ihnen folgen, ich will Ihnen gern gehorsam seyn: aber der Gehorsam gegen meinen Vater darf dadurch nichts verlieren. Sollte ich Ihn durch meinen Ungehorsam unter die Erde bringen?


Ach Gott! Jetzt schlägt es 3 Uhr – Wie wird es morgen um diese Zeit aussehen? – Morgen habe ich einen sauern Tag zu überstehen, ich zittere, wenn ich daran gedenke.


Heute frühe, kündigte mir meine Stiefmutter, wie sie sagte, auf Befehl meines Vaters an: daß morgen der feierliche Verlöbnistag zwischen dem Herrn v.N. und mir feste gestellet wäre; sie wollte sich nach meiner Entschließung erkundigen, ob ich noch der Meinung wäre, den Herrn von N. meine [234] Hand zu geben. Ich sagte ihr, daß ich in diesem Stücke keine Entschließung zu fassen hätte, sondern mich gänzlich nach dem Befehle meines Vaters richten würde.


Wenn nun ihr Herr Vater will, Sie sollen den Herrn v.N. für ihren künftigen Gemahl erklären, wollen Sie denn das thun? Diese Frage werde ich Niemand als meinem Vater selbst beantworten, (ich sah ein wenig sauer aus.)


Ich will mit unangenehmen Fragen nicht in Sie dringen; ich will Ihnen nur so viel sagen: ziehen Sie Ihre Klugheit bei Ihrer morgenden Aufführung zu Rathe; damit Ihr Herr Vater nicht bewogen werde, seinen väterlichen Ernst, auf eine nachdrücklichste und beschämende Art, Ihnen zu zeigen. Sie ging, ohne auf meine Antwort zu warten und machte die Thüre ein wenig unsanfte hinter sich zu.


Eine tödliche Traurigkeit überfällt mich; die harte Begegnung meines Vaters, die heimliche [235] Feindschaft meiner Stiefmutter, mein bevorstehendes Schicksal, beunruhiget meine Gedanken auf äußerste. Wodurch habe ich denn alles dieses verdienet? Bin ich jemals ein so gar gottloses Kind gewesen? Bedauren Sie mich, meine Amalia.

Ihrem redlichen Herrn Schwager, und ihrer guten Frau Schwester empfehlen Sie mich bestens. Wenn Sie nicht eine fußfällige Abbitte von mir verlangen; so rücken Sie mir mein Verbrechen gegen Sie ja niemals auf. Ich schließe, die innerliche Bekümmernis sucht durch die Thränen einen Ausbruch bei


Ihrer

Juliane v.W.

35. Brief
XXXV. Brief.
Fräulein Amalia an das Fräulein v.W.

Schönthal, den 16 Sept. Abends um 6 Uhr.


Alleweile ist ein Bedienter von Ihrem Herrn Vater da gewesen, und hat uns auf morgen Mittag eingeladen.[236] Wir werden erscheinen. Mein Schwager ist heute Nachmittage in Kargfeld bey dem Oncle gewesen, und hat ihm einige gute Lehren auf morgen gegeben. Er hat ihn erinnert, die wichtigsten Stellen von der Verheiratung des Herrn Grandisons genau durchzulesen, damit er keine Fehler in der Nachahmung seines großen Musters begehe. Amalia, spricht er, ist manchmal leichtfertig, Herr Vetter, und wird das fehlerhafte in Ihrer Aufführung ihrem Bruder schreiben, wenn dieser es hernach Sir Carln erzehlte; so würden sie dadurch bei ihm verächtlich werden, daß sich ihr Herr Gevatter wohl gar Ihrer schämte. Er bat meinen Schwager, ihm einen Wink zu geben, wenn er etwas in seinem Bezeigen zu tadeln fände.


Der Brief, den Ihr Mädchen vor einer Stunde brachte, hat uns sehr gut gefallen. Wir sind nicht wenig stolz darauf, daß Sie unsern Rath für wichtig gnug halten ihn zu befolgen. Thun Sie es immer, wir versprechen uns davon viel gutes. Machen Sie [237] Sich ja keine Sorge, wenigstens nicht so gar viel. Mein Schwager giebt Ihnen sein Wort, daß Sie morgen den nachdrücklichen und beschämenden Ausbruch des väterlichen Ernstes gar nicht sollen zu befürchten haben; Sie können deswegen alle Furcht und Angst aus Ihrem Herzen verbannen. Wir wünschen, daß der morgende Tag mehr zum Vergnügen, als zu Jemands Verdrusse ausschlagen möge, wenn man aber doch ja verdrüßliche Gesichter erblicken müßte; so versichere ich Sie, daß Jedermann lieber ihrer Frau Stiefmutter, als Ihnen ins Gesichte gucken würde, um die verdrüßlichen Züge darinnen zu entdecken. Schlafen Sie ruhig, mein Julgen, schlafen Sie heute ruhig.


Amalia v.S.

36. Brief
[238] XXXVI. Brief.
Fräulein Amalia an ihren Bruder.

Schönthal, den 18 Septembr.


Geliebter Bruder,


Der gefährliche Tag ist vorüber, und hat uns allen den Schmerz und Verdruß empfinden lassen, den wir fürchteten. Bedaure mit uns die gute Juliane. Alle Bemühungen ihr unglückliches Schicksal aufzuhalten, oder es von ihr abzuwenden, sind fruchtlos gewesen. Unser Kabbale war viel zu unkräftig, das liebe Kind ihrem eifrigen Liebhaber aus der Hand zu spielen. Es ist nicht anders, sie hat ihm gestern ihr feierliches Jawort geben müssen. Wie werde ich im Stande seyn, eine so verdrüßliche Begebenheit zu erwählen? Ich werde mir den größten Zwang anthun müssen, alle die einzelnen kleinen Umstände bei diesem Vorgange, wieder [239] ins Gedächtniß zu rufen. Umsonst werde ich mir es so viele Mühe haben kosten lassen, sie diese Nacht eines Theils zu verschlafen. Jedoch was thue ich nicht eines geliebten Bruders wegen! Mache dich also geschickt, dismal den unangenehmsten meiner Briefe zu lesen, oder überhebe dich dieser Mühe und wirf ihn, ohne weiter zu lesen, ins Feuer – –. Nein nein; das darf bei Leibe nicht geschehen, es ist so böse nicht gemeint. Der Magister Lampert ist nun durch mich an dir gerochen. Verzeihe mir diese kleine Schelmerei, ich habe diese Wendung dir selbst abgeborget, daß man um eine größere Freude zu erwecken, erst vorher die Leute schrecken muß. Der gestrige Tag ist für uns vergnügter gewesen, als wir vermuthen konnten. Ich weiß, daß du eine getreue Erzählung der Begebenheiten dieses Tages erwartest, ich will deine Neubegierde nicht länger aufhalten. Vergieb mir diesen kleinen Possen.

Gestern Vormittags um 9 Uhr, bald hätte ich Lust, von der Nacht meine Erzählung anzufangen, und die schreckhaften Träume [240] auszukramen, womit die beunruhigte Einbildungskraft mich ängstigte. Im Vorbeigehen, einmal sollte ich mich mit dem Magister trauen lassen; Fräulein Juliane war ins Wasser gesprungen; der Herr v.N. wollte mit unserm Oncle Kugeln wechseln. Doch nichts mehr davon. Gestern Vormittags um 9 Uhr fuhren wir nach Kargfeld, um, wie die Abrede genommen war, unsern Oncle abzuholen, und ihn nach Wilmershaußen zu begleiten. Wir glaubten, ihn in voller Gala anzutreffen. Wir stiegen ab, und sahen uns allenthalben nach ihm um: er wollte aber nicht zum Vorscheine kommen, uns zu empfangen. Wir waren eben im Begriff, in den Saal zu gehen; da Fräulein Kunigunde aus der Scheune hervorguckte, und uns einen freundlichen guten Morgen wünschte. Ich kann nicht läugnen, daß es mich heimlich zu verdrüßen anfieng, daß der geschäftige Hausmarschall, Lampert, nicht bei der Hand war. Verwünscht! dachte ich, das thut er aus Stolz. Er ist in seinen Gedanken ein Mitglied der Gesellschaft der Wissenschaften in[241] London, wer weiß, ob er uns nicht hinführo den Rang streitig macht. Inzwischen führte uns Tante Kunigunde in das Wohnzimmer, und ehe wir uns noch nach dem Oncle erkundigten, fragte sie, ob wir ihn nicht mitbrächten. Wir wollen den Herrn Vetter abholen, um diesen Mittag, zusammen in Wilmershaußen zu speisen, sagte der Baron, ist er etwan schon hinüber? Mein Bruder ist diesen Morgen um 2 Uhr, mit dem Herren Lampert und Wiganden, bei stockfinstrer Nacht in dem ärgsten Regenwetter, abgereiset, um, wie er sagte, in Schönthal, noch vor Tages Anbruch, etwas wichtiges mit dem Herrn Baron zu verabreden, und hernach das große Werk auszuführen. Was er darunter verstehet, kann ich eigentlich nicht sagen, (sie weiß noch nichts gewisses von unsres Oncles Liebe,) wenn er nur nicht etwann gar einen Schatz hat graben wollen. Seit etlichen Tagen habe ich gemerket, daß mein Bruder und Herr Lampert bis in die tiefe Nacht gesessen und studiret haben; mein Bruder hat sehr viel auswendig lernen müssen. Gestern hat er [242] den ganzen Nachmittag in tiefen Gedanken gesessen, und immer etwas zwischen den Zähnen gemurmelt, welches ich für Beschwerungsformeln hielt. Gott bewahre! Wenn mein Bruder nicht in Schönthal ist: so weiß ich nicht was ich denken soll. Wir haben ihn mit keinem Auge gesehen, sagte meine erschrockne Schwester. Wo muß der Mann hin seyn? Umsonst wird er doch nicht in der Nacht sich auf den Weg gemacht haben? Es hätte nicht viel gefehlet, so hätten Tante Kunigunde und meine Schwester sich hingesetzt, und mit einander ein Stückgen geheulet. Mir war bei diesem unerwarteten Handel selbst nicht wohl. Der Baron lachte über unsere Bestürzung, und dieses brach unsrer Tante vollends das Herz. Sie ließ einige Thränen fallen, nicht so sehr über ihren Bruder, als vielmehr über ihrem Regenschirm, glaube ich, den Wigand, wie einen Himmel, über seinen Herrn bei seiner Abreise hatte tragen müssen, und dessen Verlust sie sehr beklagte. Sie sahe ziemlich finster dazu, daß mein Schwager bei so betrübten Umständen noch [243] scherzen könnte, und nahm kaltsinnig von uns Abschied. Meine Schwester wollte über die Leichtsinnigkeit ihres Mannes, auch mit ihm ein Bisgen zanken: er beruhigte uns aber, durch eine wahrscheinliche Muthmaßung von unserm Oncle. Wer weiß, sagte er, ist diese nächtliche Kavalkade in die Stadt gegangen. Unfehlbar wird der Herr v.N. daselbst einige Galanterien erhandeln, um seiner Braut damit ein Geschenke zu machen. Es kann seyn, daß er nicht eher als gestern Abend diesen Einfall gehabt hat, und vielleicht treffen wir ihn bereits bei dem Herrn v.W. an.


Wie froh war ich, da wir in Wilmershausen anlangten, und Wigand in den Schloßhofe sein Morgenbrodt verzehrte. Ich hatte mich aber nicht so bald von der Bestürzung über unsern Oncle erholet; da gedachte ich wieder mit Schrecken an die Ursache, die uns dismal nach Wilmershausen brachte. Ich glaube, daß ich mich sehr entfärbte, da ich die Frau v.W. sahe, wenigstens fühlte ich, daß alle meine Glieder zitterten. Sie empfing [244] uns mit dem Herrn v.W., jedoch zu meinem Troste nicht so vergnügt, als ich hätte vermuthen sollen. Man konnte es ihr ansehen, daß ihr etwas im Kopfe lag, so sehr sie es auch zu verbergen suchte. Weder unser Oncle, noch der Magister waren bei dem Empfange gegenwärtig. Ich glaubte, daß diese Peiniger bei dem Fräulein v.W. sich befänden, dieses vermißte ich auch. Der Baron fragte nach ihnen, und erhielt kaltsinnig zur Antwort, daß sie bereits diesen Morgen bei guter Zeit angelanget wären. Was muß das steife Wesen bei der Frau v.W. zu bedeuten haben, dachte ich, es ist ihrem ganzen Character zuwider. Der Baron sahe mich einige mal an, und dadurch wurde ich gewiß, daß er an ihr auch etwas unnatürliches bemerkte, und daß ich mich, in meinen Gedanken von ihr, nicht hintergangen hätte. Weil wir etwas frühzeitig angelanget waren, und noch Niemand von benachbarten Adel, den der Herr v.W. hatte einladen lassen, da war: so wurde uns ein Frühstück von einigem Backwerk ausgetragen. Wir Schwestern setzten uns [245] zur Frau v.W. auf das Kanape. Der Baron gieng mit ihrem Gemahl in die Gewehrkammer. Wir drei Frauenzimmer waren alleine, und ich hielt dieses für die beste Gelegenheit, die Frau v.W. ein wenig auszuforschen, um das räthselhafte in ihrem Betragen zu entwickeln. Unser Oncle, gnädige Frau, sagte ich, hat gewiß jetzo die Ehre, dem Fräulein v.W. aufzuwarten, daß wir ihn noch nicht gesehen haben? Es ist doch etwas wunderbares mit den verliebten Leuten, man kann aus ihnen nicht klug werden. Gestern wurde die Abrede genommen, wir sollten ihn heute abholen, um Ihnen aufzuwarten: und da wir nach Kargfeld kommen, sagt man uns, daß er schon vor Tage weggeritten sei. Ich werde nicht irren, wenn ich von dieser Eilfertigkeit auf die Heftigkeit seiner Liebe gegen das Fräulein v.W. schließe. Sie scheint jetzo sein einziger Gedanke zu seyn, und uns alle hat er darüber vergessen. Wenn er zum Vorschein kömmt, werde ich mich ein wenig mit ihm zanken. Das würde ein artiges Spiegelfechten seyn, sagte die Frau v.W., [246] ich hätte Lust, es mit anzusehen. Ich habe auch noch etwas mit ihrem Herr Oncle auszumachen. Heute frühe fehlte wenig daran, daß wir uns nicht in eine ernstliche Unterredung mit einander eingelassen hätten.


Sie, gnädige Frau, Sie wollen Sich in eine Zwist mit ihrem Herrn Schwiegersohne einlassen, an einem Tage, da er erst dieser Ehre theilhaftig werden soll? Was hat er denn gemacht, daß er ihren Zorn verdienet, wenn es anders ihr Ernst ist?


Sie können noch fragen, liebes Fräulein? zu einer andern Zeit würde ich über diese Frage mit ihnen zürnen müssen. In der That, Sie sind eine kleine boshafte Creatur, nehmen Sie es nicht übel. (Sie wurde feuerroth, aus Unwillen vermuthe ich.) Sie haben den ganzen Possen angestellt, und halten mich noch für blöde genug, daß ich es nicht einmal einsehen soll.


Wie? Was gnädige Frau? – Ich bitte – Was ist Ihnen? (Ich weiß nicht, was [247] ich in der Bestürzung, über eine räthselhafte Beschuldigung, alles vorbrachte. Meine Schwester, die Furchtsame, lief ans Fenster. Meine Bestürzung brachte die Frau v.W. heimlich nur noch mehr auf.)


Wir wollen gute Freunde bleiben, Fräulein Amalgen, (Sie nahm mich bei der Hand: Die Schlange! dachte ich, sie krümmt sich, um desto gefährlicher zu stechen) wir wollen gute Freunde bleiben. Ich habe ihnen bereits alles vergeben. Aber mein! Sagen Sie mir, was ist es doch für ein elendes Vergnügen, die Leute zu Thorheiten zu reizen; seine eignen Anverwandten verächtlich zu machen; die Kinder gegen die Eltern aufzuhetzen, um über seine boshaften Erfindungen hernach lachen zu können. Wenn man auch keine Sünde daran thäte; so sollte doch ein Frauenzimmer seiner eigenen Ehre mehr schonen, denn es giebt mehr boshafte Leute in der Welt, die über anderer ihrer Bosheiten auch wieder lachen. Ich mache nicht gerne Anwendungen, so viel sage ich nur, daß ihr Herr [248] Oncle allezeit in meinen Augen ein rechtschaffener, und in seiner Art vollkommener Cavalier ist, den ich und mein Herr allezeit hoch schätzen, und mit Vergnügen unter unsere Anverwandten zählen werden; so sehr man auch dieses, durch allerhand listige Griffe, zu verhindern bemühet ist. Der einzige Fehler ihres Herrn Oncles ist sein gutes Herz, und bei diesem läßt er sich durch falsche Freunde und thörigte Leute, die um ihn sind, manchmal zu einer kleinen Ausschweifung verleiten; dazu auch der heutige wunderbare Auftritt kann gerechnet werden, der gewiß zu einer sehr boshaften Absicht ausgesonnen war, die aber gewiß fehlschlagen soll.


Ich ließ die böse Frau sagen, was sie wollte, ohne ihr ins Wort zu fallen, ob ich gleich so derbe Pillen einnehmen mußte. Ich war froh, daß sie endlich schwieg. Da ich unter ihrer Harangue Zeit gewann, einen Entschluß, in Ansehung meines Verhaltens gegen sie, zu fassen, so nahm ich mir vor, in ihrer eignen Ehrung mit ihr zu reben, liebste gnädige [249] Frau, sagte ich, und druckte ihre Hand, Sie geben mir überzeugende Beweise von der Aufrichtigkeit ihrer Freundschaft gegen mich, daß Sie mir sagen, was Sie von mir denken. Wenn Sie weniger aufrichtig wären, so würden Sie mir ins Gesichte schmeicheln, und doch übel von mir denken; und auf diese Art würde mir alle Gelegenheit, mich zu rechtfertigen, benommen seyn. Sie halten mich für ein sehr boshaftes Mädchen. Ich bin unglücklich, daß ich nicht den Augenblick von dem Gegentheile Sie überzeugen kann, es wird aber auch nicht nöthig seyn; ich weiß daß ihr jetziges Urtheil von mir, nicht aus einer innren Ueberzeugung, sondern aus einen aufwallenden Geblüte herrühret. Wenigstens bin ich gewiß, daß Sie keine Beweise meiner Bosheit in Händen haben. Vielleicht bin ich morgen das tugendhafteste, das beste Mädchen in ihren Augen. Sie sind sehr wankelmüthig, und dieses macht mir alle Ihre beißenden Vorwürfe so erträglich, daß ich mir keinen geringen Zwang anthun müßte, wenn ich ihnen ein sauer Gesicht machen[250] wollte. Ja, ich würde mich entschließen heute recht aufgeräumt zu seyn, wenn sie mir nur das räthselhafte in ihren Reden aufklären wollten. Was vor einen wunderbaren Auftritt hat ihnen denn heute der Herr v.N. geliefert? Nehmen Sie meine Unwissenheit in der Sache als einen Beweiß meiner Unschuld an. Ich weiß, daß es an sich keiner ist: aber in dem Falle wird es einer seyn, wenn Sie Sich erinnern, daß Sie mir selbsten oftmals zugestanden, ich hätte in der Verstellungskunst am wenigsten etwas gethan.


Schweigen Sie, Falsche, Sie könnten eine Lehrmeisterin darinne abgeben. (Sie schlug mich sanfte mit der Hand, und ihre erste Hitze schien sich etwas gemindert zu haben.) Ich hatte die beste Hoffnung, meine Neubegierde befriediget zu sehen: allein die Auflösung dieses Knotens, der einen Weiberzank veranlasset hatte, war einer andern Person vorbehalten. Der Magister Lampert trat in das Zimmer, die Frau v.W. machte ihm ein schrecklich böses Gesichte: er schien es aber nicht zu [251] bemerken. Wissen Sie, sagte er mit einer durchdringenden Stimme, wissen Sie, meine theuresten Ladys, wo ihr Herr Oncle hingekommen? die Frau v.W. hat sein Gespenst gesehen, und mit ihm fast eine Stunde gesprochen, und darauf ist es wieder verschwunden. Erschrecken sie nicht, meine lieben Kinder. Machen sie sich fertig über die Nachricht, die ich ihnen von seiner Erscheinung, seinen Reden und Verschwindung geben werde, in Erstaunen zu gerathen. Es hat auch der lieben Frau v.W. nicht geträumet, es eräugnete sich diesen Morgen zwischen Nacht und Tag. Die Ankunft des Herrn v.W. und des Barons verhinderte, daß der arme Magister den Ausbruch des Zorns von der Frau v.W. nicht empfand. Sie konnte seine Gegenwart nicht ertragen, und ging mit einer aufgebrachten Mine weg. Ich sahe es gerne, daß wir auch auf einige Augenblicke von ihr befreiet wurden.


Sie haben heute wieder eine Probe ihres sonderbaren Verstandes abgelegt, Herr Lampert, [252] sagte der Baron, der bereits von der Begebenheit unterrichtet war. Wenn sie nicht mit der ersten Post alles an Sir Carln berichten; so sind sie der Freundschaft des ehrlichen Doctor Bartletts unwürdig, und ich werde es selbst über mich nehmen, Sie bei ihren Freunden in Engelland zu verklagen. Der Magister lächelte ganz zufrieden über diesen unerwarteten Lobspruch, und machte einige wunderbare Posituren, das ist, altväterische Reverenze.

Der Herr v.W. Ihr Herren habt heute meiner Frau ein Schrecken eingejaget, das sie noch immer nicht verwinden kann. Ich hätte nimmermehr gedacht, daß der alte N. noch so lustige Streiche, wie ein junger Pursche, vornehmen könnte. Mein Seele! das war ein poßierlicher Einfall: aber Gefahr war dabei. Es war euer großes Glücke, daß meine Pistolen nicht bei der Hand waren; ich hätte warlich einen von euch aufs Fell gebrennt, daß er die Beine hätte sollen in die Höhe kehren. Wir dachten alle nicht anders, es wären Diebe da.

[253] Lampert. Ja, gnädiger Herr, wie sagt der Lateiner? per varios casus, und so weiter, das heißt auf deutsch: Durch manchen Zufall und durch viel Gefährlichkeiten, gelangt man endlich ins Lateinerland mit Freuden. Um Sir Carln in Ansehung einer plötzlichen Erscheinung, bei der Mutter seiner Henriette noch vor ihrer Verbindung, ähnlich zu werden, ließ es sich mein Herr Principal nicht verdrüßen; nachdem er, bereits vor einigen Tagen, mit mir die Sache reiflich erwogen hatte, diesen Morgen um zwei Uhr, bei finsterm Himmel und sehr stürmischen Wetter, von mir und dem getreuen Jeremias begleitet, sich hierher zu begeben; da dem hiesigen hochadlichen Verwalter, bereits das Verständniß war eröffnet und mit solchem die Abrede dahin genommen worden, daß das Pförtgen am Schloßhofe sollte offen gelassen werden. Dieser gute und ehrliche Mann, konnte freilich nicht anders, als mit vieler Mühe dazu beredet werden. Endlich aber, da mein gnädiger Herr ihn selbsten deswegen ersuchte, und ihm aller üble Verdacht war benommen worden: [254] ließ er sich dazu willig finden, und wir gelangten in der Morgendämmerung hier an. Nachdem wir nun, in Begleitung des Verwalters, welcher aus überflüßiger Sorge uns nöthigte, alles tödliche Gewehr abzulegen, vor das Schlafzimmer des gegenwärtigen Herrn v.W. und dessen Frau Gemahlin gebracht worden, pochte der gnädige Herr dreimal stark an die Thür. Wir hörten ein vernehmliches Werda? welches unserm Jeremias eine solche Furcht einjagte, daß er mit einem gräßlichen Geräusche die Flucht nahm, und im dunkeln und vielleicht auch aus schreckensvoller Eilfertigkeit einige Stiegen verfehlte, und als ein schwerer Sack die Treppe hinunter fiel. Ob nun gleich der gnädige Herr über diesen Lermen eine große Unzufriedenheit bezeigte: so suchte ich doch, seine Unmuth sogleich dadurch zu hemmen, indem ich ihm berichtete, daß dieser Fall unserer Erscheinung einen besondern Nachdruck geben würde; weil mehrmals beobachtet worden, daß die Erscheinung der Gespenster, gemeiniglich ein starkes Gerassel von Ketten, ein Gepolter oder ein anderes [255] Geräusche, anzuzeigen und zu begleiten pfleget. Ich will eben nicht in Abrede seyn, daß mein Principal nebst mir in eine kleine Verlegenheit gerieth, da uns, bei wiederholtem Anklopfen, mit Donner und Blitz, oder deutlicher zu sagen, mit einer Kugel vor dem Kopf gedrohet wurde, wenn wir nicht giengen. Der Herr v.N. konnte nicht sogleich eine Entschließung fassen; deswegen war ich genöthiget, in möglichster Geschwindigkeit ihm anzurathen, das vortreffliche Paar in dem Schlafzimmer nicht länger in Zweifel zu lassen, sondern sich eiligst zu erkennen zu geben. Durch diese Gegenwart des Geistes bog ich verschiedenen anscheinenden Gefährlichkeiten vor. Nach einem kleinen Verzuge wurde das Zimmer geöffnet, und mein Herr trat als ein zweiter Grandison mit einer geschickten Stellung, nachdem er den Herrn v.W. zärtlich umarmet, zu dessen Frau Gemahlin, die in dem Lichte der ehrwürdigen Frau Shirley würde erschienen seyn, wenn sie nicht aus einer allzu zarten Empfindung für die Ehre, gleich einer erzürnten Juno, in eine Wolke von Betten [256] sich eingehüllet, und dem forschenden Auge meines gnädigen Herrn sich entzogen hätte. Sie werden verzeihen, gnädige Frau, sagte er, daß ich mich so eindringe; und er brachte noch verschiedene feine Sachen, mit einem recht bescheidenen, recht männlichen Wesen vor. Ihr Charakter und der meinige sind einander so wohl bekannt; daß, ob ich gleich vorher niemals die Ehre gehabt habe, mich ihnen auf diese Art zu nähern, ich mir dennoch ihre Verzeihung wegen dieses Eindringens versprechen darf. Er ließ sich darauf in Lobsprüche auf seine glückliche Freundin heraus. Alsdenn sagte er: Sie sehen einen Mann vor sich, der sich mit der Bekanntschaft des vortrefflichsten Paares in der Welt, des Stolzes von Engelland, viel weiß, und der sogar durch das Band einer geistlichen Verwandschaft, durch die Ehre einer Gevatterschaft, mit ihnen verbunden ist. Sie wissen, daß er in allen seinen Handlungen dem vortrefflichen Herrn Grandison nacheifert, und daß er sich glücklich schätzen wird, wenn er diese Bemühungen, [257] durch eine eben so glückliche Ehe krönen kann.


Man kennet meine Freundschaft gegen das theure Fräulein v.W. sehr wohl. (Sie und das Fräulein müssen mich erst berechtigen, es mit einem noch theurern Namen zu benennen.) Kann es mit ihren Begriffen von der zärtlichen Empfindung für die Ehre, gnädige Frau, wird es mit Dero Herrn Gemahls seinen bestehen, für einen Mann das Wort zu reden, der in solchen Umständen ist? Wenn das Fräulein die Anbietung eines Herzens annehmen kann, welches ihr gewidmet ist; alsdann werden sie, alsdann wird das Fräulein mich auf eine solche Art verbinden, daß ich mich nur bemühen kann, es durch die äußerste Dankbarkeit und Zuneigung zu erwiedern.


Edelmüthigster Mann, wollte die Frau v.W. sagen, als er ihr schon zuvor kam, und den Gevatterbrief Sir Carls aus seiner Tasche hervorzog. Sie werden so gütig seyn, und diesen Brief ihrer Tochter, ihrem Herrn, und wen sie sonst zu der Berathschlagung zu[258] ziehen für rathsam erachten, vorlesen, um daraus zu erkennen, in welcher Hochachtung ich bei meinen Freunden in Engelland stehe. Wenn ich nach Durchlesung desselben kann zugelassen werden, dem Fräulein v.W. meine Aufwartung zu machen, und solches mit derselben und ihren Begriffen von der zärtlichen Empfindung für die Ehre bestehen kann: so werde ich glücklicher seyn, als der glücklichste. (Der arme Oncle, wenn er das alles so gesagt hat wie es der Magister wiederholte, so hat er sein Gedächtniß entsetzlich anstrengen müssen.)


Auf diese Art vermied dieser höchst vortreffliche Mann, da er sich auf diesen Brief bezog, alle Prahlereien, die bei dergleichen Gelegenheiten gemeiniglich Liebhaber von sich vorzubringen pflegen, und als er das gesagt hatte, war er so eilfertig wegzugehen; daß es die Lebensgeister der Frau v.W. ein wenig übereilte, und sie nicht im Stande war, ein Wort vorzubringen.

[259] Und nunmehr, meine liebsten Ladys, wiederhole ich die Frage: wo ist ihr Herr Oncle hingekommen?


Der Baron. Er wird doch nicht aus dem Lande geflohen seyn, denke ich. Da wir seinen Liebling bei uns haben, so kann er so weit nicht seyn.

Lampert. Ihnen die Wahrheit zu gestehen, so hatte ich dem Herrn v.N. in der That angerathen, sogleich nach dieser Erscheinung sich nach Schönthal zu ihnen zu begeben, und daselbst eine Antwort auf seinen Antrag zu erwarten: der Herr v.W. wollte es aber durchaus nicht zulassen, daß wir uns wieder hinweg begäben. Jedoch keine Bitte würde diesen Entschluß haben ändern können, wenn nicht der faule Jeremias die Pferde, gegen die Ordre, welche er hatte, bereits in den Stall gezogen und abgesattelt hätte. Bei so gestalten Sachen glaubte ich, daß der Herr v.N. von einer gänzlichen Verschwindung könnte dispensiret werden; zumal da dieses keine wesentliche Abweichung in der Nachahmung [260] des Herrn Grandisons war, und man bei jeder Sache ohnedem Umstände, Zeit und Ort wohl in Erwägung ziehen muß. Wir nahmen aus dieser Ursache das Anerbieten des Herrn v.W. an, und begaben uns in das angewiesene Zimmer, auf einige Stunden zur Ruhe.


Ich denke es ist Zeit, daß ich einmal selbsten die Ruhe suche, und die Fortsetzung meiner Erzählung bis auf morgen verspare. Du wirst Ursache haben, mein Bruder, dich bei mir zu bedanken, daß ich mir es lasse so sauer werden, deine Neugier zu vergnügen.

37. Brief
XXXVII. Brief.
Fortsetzung des vorigen Briefs.

den 19 Septembr.


Diesen Morgen habe ich dem Baron meinen Brief vorlesen müssen. Wenn ich seiner Kritiken nicht schon gewohnt [261] wäre; so würde meine gestrige Arbeit im Feuer aufgegangen seyn. Wahrhaftig! wenn du so viel an meinen Briefen zu tadeln fändest als unser Schwager; so würde ichs verschwören, wieder eine Feder anzusetzen. Der lose Mann! wie er über mich gespottet hat, daß ich wegen des ehrlichen Lamperts eine kleine Rache an dir geübet habe. Bald war ich Willens, die Zänkerei mit der Frau v.W. wieder auszustreichen. Acht Tage lang würde ich über kemen von seinen Spaßen lachen, wenn ich nicht recht gut wäre. Doch ich bin wie die Frau v.W. ich vergebe den Leuten alles, wodurch sie mich beleidiget haben, aber ich sage ihnen erst die Wahrheit. Der Baron und ich sind wieder gute Freunde. Zur Strafe für seine Spöttereien, hat er mir alle meine Federn schärfen und angeloben müssen, nicht zu verlangen, daß ich ihm die Fortsetzung meines Briefes zeigen sollte. Das ist auch sehr gut für ihn, er würde nur seine eigne Schande darinne finden. Die Herren erschienen bei der Gasterei des Herrn v.W. eben nicht zu ihrem Vortheile; du weißt, daß [262] er seine Gäste gerne bezecht, mehr brauche ich nicht zu sagen. Doch nüchtern betrinkt man sich nicht leicht; ich will deswegen auch in meiner Erzälung die Gäste erst speisen lassen. Um zwei Uhr wurde zur Tafel geblasen. Geblasen? denkst du; in diesem Ausdrucke finde ich eben nichts wichtiges. Es soll auch kein witziger Gedanke seyn, der Herr v.W. ließ wirklich zu Tafel blasen, und zwar mit den Trompeten aus der Kirche. Dem Himmel sey Dank, dachte ich, ohne zu wissen, was dieser kriegerische Schall zu bedeuten hatte, da kommen Soldaten, nun ist Fräulein Julgen der Marter loß; wer wird bei dieser Unruhe auf die Ceremonien einer Eheverbindung denken. Doch zu meinem Verdruße wurde ich meines Irrthums gar zu bald gewahr. Wir traten in den Speisesaal. Ich zählte sechzehn Köpfe in der Geschwindigkeit, die Bedienten nicht mit gerechnet, lauter gute Freunde und Bekannte, außer dem Major von Ln. einen Anverwandten der Frau v.W., den ich noch nicht von Person kannte. Unser Oncle bekam seinen Platz neben dem Fräulein [263] v.W. bei der Tafel, Lampert vertrat die Stelle eines Hoffouriers, und wies jedem seinen Platz an. Hier sitzen Sie, gnädiger Herr, neben dem Fräulein v.W., schrie er, gleich und gleich gesellt sich, und lachte abscheulich. Das vortreffliche gleiche Paar! Fräulein Julgen hatte ihren besten Putz anlegen müssen. Wahrhaftig ein allerliebstes Mädchen! Sie muß nicht meine Tante, sie muß meine Schwester werden. Ich drehete mich, ehe wir uns setzten hin und her, um mit ihr ein Wort alleine reden zu können; es wollte sich aber nicht füglich thun lassen. Wir würden das Reden auch haben entbehren und einander doch verstehen können, wenn sie meine Gedanken so gut als ich die ihrigen errathen hätte. Die Backen glüheten dem guten Kinde vor Angst und Erwartung ihres Schicksals. Sie schlug fast immer die Augen nieder, und wagte es nur dann und wann, auf mich einen furchtsamen Blick zu thun. Ich wurde dadurch so gerühret, daß ich durch nichts anders, als durch eine Kritik über unsern Oncle, mich von einer merklichen Tiefsinnigkeit [264] befreien konnte. Ein seltsamer Mann in der That! Kennst du den Schulmeister in Wilmershaußen? Du würdest unsern Oncle davor angesehen haben, wenn du unvermuthet in das Zimmer getreten wärest. Ueber die Comödie! Er reitet in seinem rothen Galakleide, mit seiner englischen Knotenperucke, von dem Regenschirme seiner Schwester bedeckt, aus Kargfeld. Der Wind ist so unbarmherzig und reißt Wiganden den Schirm aus der Faust, der geputzte Liebhaber wird badennaß. Man bringt ihn, nach seinem lächerlichen Auftritte in Wilmershausen, zu Bette. Ueber die Beschickung im Hause, vergißt man andere Kleider aus Kargfeld holen zu lassen. Er schläft bis gegen Tischzeit, der Magister schnarcht auch bis zu unsrer Ankunft. Da war kein anderer Rath, sollte unser Oncle nicht im bloßen Kopfe erscheinen, oder dem Magister seine Sammtmütze abborgen; so mußte man den Schulmeister ersuchen, seine Stuzperucke, die sehr ins gelbe fiel, herzugeben. Du weist, daß der Herr v.W. und der Pastor ihr eigen[265] Haar tragen. Das kurze schwarze Kleid des Herrn v.W., und die hervorragende rothe Tressenweste, gaben ihm das feinste Ansehen. Das Kleid schien noch die Halbtrauer wegen der Frau Shirley anzuzeigen, vielleicht hatte er es auch um deswillen gewählet, und die rothe Weste sollte unfehlbar seine feurige Liebe gegen Fräulein Julgen abbilden.


Er sprach, so lange ihn der Wein noch nicht erhitzet hatte, wenig; was er aber sagte, das mußte mit einer Redensart aus dem Grandison gewürzet seyn, und wenn er keine fand, die seine Meinung ausdruckte, so sprach er durch Minen. Er lächelte, nickte oder schüttelte mit dem Kopfe, wie es etwan die Gelegenheit erforderte. Ich werde es ihm so bald nicht vergeben können, daß er mich einmal bei Tische roth machte, aus Verdruß wurde ich roth. Er fragte mich lächelnd, wie mir ein blauer Rock mit rothen Aufschlägen gefiel? Konnte ich eine so treuherzige Frage gleichgültig aufnehmen? Was muß der Major von Ln. dabei gedacht haben? Ich ärgerte [266] mich über die seltsame Frage, und noch mehr, da ich fühlte, das mir das Blut ins Gesichte stieg. Sie müssen diese Frage ihrer Aemilie vorlegen, die wird sie eher beantworten können als ich. Fräulein Fiekgen ist nicht da, sagte er, heute sind Sie meine Aemilie.


Der Baron überhob mich einer beschwerlichen Antwort, durch einen von seinen drei Hasen, welchen er lauffen ließ. Das ist eine geheimnißvolle Redensart, du weißt nicht, was ich damit, sagen will. Die Sache ist von Wichtigkeit, sie verdient eine Erklärung. Meine Schwester und ich baten den Baron, ehe wir nach Wilmershaußen fuhren, nochmals inständig, alle seine Kunst anzuwenden, das Fräulein von der gefahrvollen Versuchung zu befreien, die Hand unsres Oncles anzunehmen oder auszuschlagen. Dazu habe ich bereits die nöthigen Maasregeln genommen, sagte er. Ich will es, mit einer kleinen Veränderung, machen, wie Taubmann. Wenn das Fräulein v.W. von ihren Bollenbeißern [267] angefallen wird; wenn ich merke daß es Ernst werden soll; so werde ich einen Hasen lauffen lassen, ich werde die Unterredung auf so etwas lenken, darüber man gerne disputirt. Man wird auf eine kurze Zeit den Liebesantrag des Herrn v.N. vergessen, und nur streiten und trinken. Wenn ich sehe, daß sich die Gemüter wieder anfangen zu besänftigen; so werde ich eine neue Materie auf die Bahn bringen, darüber noch ärger gestritten wird, als über die erste, dabei müssen die Deckelgläßer nicht vergessen werden. So denke ich in zwo Stunden es so weit zu bringen, daß das Frauenzimmer über uns Männer etwas zu lachen bekommt, und an keinen Ehevertrag wird können gedacht werden. Drei Materien habe ich durchstudiret. Wenn Noth vorhanden ist, und ich anfange zu reden; so denken Sie nur,daß ich einen von meinen Hasen loßlasse, denn die ganze Gesellschaft hetzen wird.


Der Baron hielt sein Wort. Er sahe mich nicht sobald in einer kleinen Verlegenheit [268] über dem wunderbaren Betragen des Oncles; sie fiengen an etwas aus den Zeitungen zu erzälen. Er wußte sich hierüber so glücklich auszubreiten, daß wir in fünf Minuten die wichtigsten Anmerkungen über die jetzigen Zeitläufte hörten. Der Geist der Partheilichkeit mischte sich in das Gespräche, die Meinungen waren getheilt und es gab allerhand Streitigkeiten. Die Herren wurden so laut, daß man sein eigen Wort nicht mehr hören konnte. Ich habe mir noch nie die Sprachenverwirrung so deutlich vorgestellt, als bei diesem Geräusche. Alle sprachen zugleich, und suchten einander durch die Stärke der Stimme zu überwältigen, und keiner verstund den andern. Mir wurde ganz schwindelnd davon im Kopfe. Etliche kämpften stehend miteinander, etliche befreieten das rechte Ohr von der Perucke um desto genauer zu hören. Ich weiß nicht, ob dieser Lerm sobald würde seyn geendiget worden, wenn nicht das Geräusche einiger umgestoßenen Weingläßer einen kleinen Waffenstillstand verursachet hätte. Man fieng nun an mit weniger Hitze die Staatsund[269] Landesangelegenheiten zu beurtheilen. Der Schauplatz wurde verändert. Nach der Vorstellung eines hitzigen Kampfes erschien die ehrwürdige politische Versammlung aus dem Kannegießer. Man erforschte die Staatsmaximen der hohen Häupter. Man that Friedensvorschläge. Sie wurden verworfen. Man lieferte wieder Schlachten. Man belagerte Festungen. Wien hätte bald ein heftiges Bombardement von einer englischen Flotte ausstehen müssen. Man setzte Könige ab und ein. Mit einem Worte, man that alles, man entschied das Schicksal von Europa mit einem Thone, aus welchem nur Brehmen oder Götter reden können. Es gieng über diesen politischen Betrachtungen eine gute Zeit hin. Der leichtfertige Einfall des Barons hatte alle die Wirkung, die er sich davon versprochen hatte. Dieses war ihm aber noch nicht genug; er brachte zum Beschluß dieses scherzhaften Auftritts, die Gesundheit der hohen kriegenden Mächte aus. Es war dem Herrn v.W. und unserm Oncle ganz gelegen, daß solches mit dem großen [270] Deckelglase geschahe, so verdrüßlich auch die Frau v.W. darüber schien. Sie ist fein, und dabei sehr argwöhnisch; vermuthlich hatte sie schon einen gegründeten Verdacht auf unsern Schwager geworfen, daß er ihren Absichten hinderlich seyn möchte. Indessen konnte sie es doch nicht verhindern, daß ihr Herr und unser Oncle, da sie bei der Gesundheit der kriegenden Mächte sich ihrer eignen Feldzüge erinnerten, nicht wegen alter Freundschaft den Pokal zweimal ausleereten. Sie suchte deswegen ihre Angelegenheiten eiligst in Richtigkeit zu bringen. Sie druckte eine gnädige Mine nach der andern auf den Magister ab, um ihn zu bewegen, seinen Herrn aufzumuntern, daß er doch sein Wort anbrächte. Der Baron hatte sich aber ein eigen Geschäfte daraus gemacht, dem Magister immer etwas zuthun zu geben, um ihn abzuhalten, seinen Herrn an etwas zu erinnern. Er mußte vorschneiden, und die Regelmäßigkeit jedes Schnittes aus der Trenschierkunst beweisen. Er mußte griechisch reden, Künste machen, die Weingläser mit der Faust umwenden, [271] mit verkehrter Hand trinken und was dergleichen mehr war. Jedermann sahe auf den künstlichen Magister, und dieses verursachte ein allgemeines Stilleschweigen. Bei dieser kleinen Pause war die Frau v.W. so glücklich, ihm durch einen Wink ihre Sehn sucht, nach dem Anwerbungscomplimente unsres Oncles zu verstehen zu geben. Er war so witzig, daß er die Sprache dieser boshaften Frau verstund. Aus einem poßierlichen Gaukler verwandelte er sich, in einem Augenblicke, in einen ehrwürdigen Bartlett. Er griff mit einer sonderbaren Ernsthaftigkeit an seine Sammtmütze, und legte sie unter den Teller, als wenn er die Danksagung nach Tische sprechen wollte. Er sahe den Oncle starr ins Gesichte, und schien einem Entzückten ähnlich, der anfangen will zu prophezeihen. Sein Patron hatte aber mehr zuthun, als auf ihn Achtung zu geben, der Wein fieng schon an, bei ihm seine Wirkung zu thun. Die Sprache Grandisons hatte ihn verlassen. Er machte sich immer etwas mit Fräulein Julgen zu schaffen, er wollte zärtlich und witzig [272] seyn; er wollte sie auf eine feine Art im Gespräch unterhalten; es waren ihm aber alle Redensarten seines Herrn Gevatters entwischt, nur noch eine einzige blieb ihm getreu.


Wenn es mit ihren Begriffen, von der zärtlichen Empfindung für die Ehre bestehen kann, gnädiges Fräulein, so küsse ich Ihnen die Hand. Das möchte noch hingehen; aber wie gefällt dir das folgende Compliment? Wenn es mit ihren Begriffen, von der zärtlichen Empfindung bestehen kann, gnädiges Fräulein, so belieben sie doch etwas zu speisen. Sie sind gewiß zu feste geschnüret, daß gar nichts hinter will, machen Sie Sichs doch ein bisgen commode. Fräulein Julgen mußte, bei aller ihrer Angst und Unruhe, über diese feinen Sachen, die er mit einem recht bescheidenen, recht männlichen Wesen vorbrachte, heimlich lachen. Im übrigen spielte sie eine vollkommene Pantomime, über zwei Worte, die in ja und nein bestanden, habe ich den ganzen Tag nichts von ihr gehöret. Der Major, der, so viel ich weiß, sie noch nicht [273] kannte, muß sie für ein sehr einfältig Mädchen gehalten haben. Es ist wahr, sie schien sich selbst nicht gleich; aber kann man es seyn, wenn man in so kritischen Umständen sich befindet? Ueber die Bewegungen des Magisters verlohr sich bei uns beiden wiederum das Lachen. Sie suchte, durch einen flüchtigen ängstlichen Blick, bei mir Trost und Hülfe, und ich suchte solche selbsten bei unserm Schwager. Dieser hatte sich zum Unglück in eine Unterredung vertieft, bald kehrte er sich zu seiner Nachbarin zur rechten, bald zur linken Hand. Wir hatten eine bunte Reihe gemacht. Ich saß auf Kohlen. Der Baron schien einen kleinen Tummel zu haben, und Lampert wagte es nun, da der Oncle auf seine Minen nicht Achtung gab, Worte zu gebrauchen. Jezt, dachte ich bei mir, wäre es Zeit, daß der Baron wieder einen Hasen vorspringen ließ. Hören Sie, gnädiger Herr, sagte Lampert, gedenken Sie auch daran, was Herr Grandison der Große that, da er bei seiner Henriette –? Der Baron brach hier geschwinde das Gespräch mit seinen Damen [274] ab. Das bitte ich mir aus, Herr Magister, verschonen Sie den Herr Grandison mit dem Titel des Großen; ein Mann der keine Galle hat, ist nicht groß. Ihr Baronet mag ein guter ehrlicher Mann seyn; aber um den Namen eines großen Mannes zu verdienen, muß man die Welt bezwingen, oder doch bezwingen wollen. Alexander war groß, Pompejus war groß, und wie die Weltbezwinger sonst noch heißen mögen. Was rief unser Oncle, wollen Sie meinen Herrn Gevatter schimpfen? Lassen Sie mir das Ding bleiben, Herr Vetter, wenn Sie mein guter Freund seyn wollen, oder –.


Ich habe alle Hochachtung für ihren Herrn Gevatter, ich schätze ihn hoch; daß aber so ein kleiner dicker Schulmeister als ihr Lampert ist, dem Helden ihre Ehre stehlen will, um einem Privatmann damit zu bereichern: das leide ich nicht, und wenn ich darüber auf dem Platze bleiben sollte. Nun gieng das Disputiren von neuen an, der vorige Streit über Krieg und Friede war nur [275] ein Scharmützel, jezt kam es zu einer Schlacht. Baß- Tenor- Diskantstimmen, alles summte durch einander. Die Frau v.W. that alles, um diese Streitigkeiten beizulegen. Ihr Herr war eingeschlafen, und ließ sich durch kein Geräusche ermuntern. Lampert glühete vor Wein und Eifer, er wurde gegen den Baron unhöflich. In diesem hatte der Wein auch endlich über den Verstand die Uebermacht bekommen. Bald wäre dem armen Magister ein Weinglas ins Gesichte geflogen, wenn man solches nicht verhindert hätte. Einige Herrn warfen sich endlich zu Friedensrichter in diesen Zwiste auf. Nach einigen Schwierigkeiten wurden beide Theile besänftiget, und der Friede unter den Bedingungen wieder hergestellt, daß der Magister, wegen seiner Vergehungen, den Baron schriftlich um Verzeihung bitten, und dieser hingegen den Grandison auf der Stelle für einem großen Mann erkennen sollte. Dieser Vertrag wurde mit dem Deckelglase bestätiget. Die Frau v.W. konnte ihren Verdruß nicht verbergen, daß sie ihre Absicht noch nicht erreicht [276] hatte. Sie moralisirte ziemlich nachdrücklich über ihren Herrn Schwiegersohn; er ließ sich aber durch nichts aufbringen, und trank dann und wann ihre Gesundheit; doch einmal sagte er in seiner Begeisterung: Hören Sie auf zu keiffen, alte Frau Shirley. Unvergleichliche Henriette, was machen Sie denn mit einer so bösen Stiefmutter? Wollen Sie mich haben, so will ich Sie von dieser ungeheuren Frau befreien. Das war vortrefflich, es hätte nichts bessers zu Fräulein Julgens Befreiung können erdacht werden. Die Frau v.W. wurde dadurch so aufgebracht, daß sie, wider ihre Neigung, ihm ins Gesichte sagte: ihr Herr und sie, würden das Fräulein keinem irrenden Ritter geben, es möchte nun Ernst oder Scherz bei ihm seyn, so würde sie ihn nicht zum Schwiegersohne annehmen. Mein Herz wurde nun ganz leichte, unser Oncle verschlimmerte seine Sachen noch mehr, daß er über den Zorn der Frau v.W. heftig lachte. Sie sind doch meine Henriette, sagte er zu dem Fräulein, und sie würde einem derben Kusse nicht haben [277] entgehen können, wenn sie nicht dadurch vorgebogen hätte, daß sie ganz freundschaftlich bat, ihrer zärtliche Empfindung für die Ehre zu schonen.


Es war 6 Uhr da wir vom Tische aufstunden. Der Herr v.W. mußte zu Bette gebracht werden, unser Oncle und der Magister verschwanden auch. Die übrigen Herren tranken mit dem Frauenzimmer Coffee. Die Frau v.W. verließ uns keinen Augenblick, sie glaubte vielleicht, daß wir uns, in ihrer Abwesenheit, über sie lustig machen möchten. Der übrige Theil des Tages, wurde auf unsrer Seite sehr vergnügt zugebracht, ich wurde mit in ein Tarock gezogen, wir spielten bis um zehn Uhr. Der Oncle und Lampert kamen da wieder zum Vorschein, sie waren aber ganz unmunter. Den Herrn v.W. bekamen wir nicht wieder zu Gesichte. Wir nöthigten den Oncle mit in unserm Wagen zu steigen, er wollte mit aller Gewalt reiten. Am besten wäre es gewesen, er hätte seinen Rausch in Wilmershaußen ausgeschlafen. Ich wünschte, [278] daß ihn die Frau v.W. bitten sollte, da zu bleiben; doch sie war so verdrüßlich, so mürrisch, daß man es ihr ansehen konnte, daß ihr etwas nicht nach ihrem Sinne gegangen war. Beim Abschiede hatte Fräulein Julgen Gelegenheit, mir mit einem recht muntern, recht freudigen Wesen zu sagen, daß sie mir alles, was sie mir heute nicht mündlich hätte sagen können, bald schriftlich sagen würde. Vor einer Stunde brachte mein Mädchen ein Briefgen von ihr; ich habe es noch nicht gelesen; ich werde es aber meinem Briefe, wenn es etwas merkwürdiges in sich enthält, beifügen. Wir nahmen unsern Rückweg durch Kargfeld, um unsern schlafenden Oncle auszuladen.


Meine zwei Bogen sind nun wieder voll, und meine Hand ist so steif, daß ich sie fast nicht mehr bewegen kann. Ich bin von Herzen froh, daß ich mit meinem Gewäsche fertig bin. Habe ich dir, in der Sprache des Magisters zu reden, die Nuß in der Schaale geliefert, und allerlei überflüßige Dinge in meine Erzählung gemischt; so wirst du dir den [279] Zeitvertreib machen können, solche aufzubeissen, und den Kern heraus zu suchen. Ich bewundere mein glückliches Gedächtnis, daß ich diesen kleinen Roman, wie ich glaube, ziemlich getreu zu Pappiere gebracht habe. Jezt lege ich den fünften Bogen auf, um was sich zwischen hier und Sonnabends noch eräugnen möchte, denn eher werde ich mein Briefpaquet nicht siegeln, dir zu berichten.


Sonnabends den 22 September. Gestern haben wir einen Besuch in Kargfeld abgelegt. Unser Oncle ist krank, er hat einen heftigen Anfall vom Podagra bekommen, das sind die Nachwehen von dem Schmauße bei dem Herrn v.W. Er ist der unleidlichste Mann von der Welt. Da wir uns um sein Bette herumgesetzet hatten, und anfiengen, ihn die Reihe herum zu bedauren; so mußte ich einmal nießen. Er fieng darüber erbärmlich an zu schreien, als wenn ich ihm mit einem Hammer auf das podagrische Bein geschlagen hätte. Was das ärgste ist, so will er es nicht Wort haben, daß sich das Podagra bei ihm [280] einquartieret hat. Er würde sich kein Bedenken machen seine Beine in noch mehrere Küssen einzuhüllen, als er jetzo thut, gesetzt, daß er davon nicht den geringsten Anstoß hätte: wenn man ihn nur überzeugen könnte, daß Herr Grandison davon auch manchmal einige Beschwerung habe. Ich dächte, du ließest ihn mit nächsten an der Krücke der Frau Shirley herum hinken, und rühmtest dabei seine außerordentliche Gedult und seine Diät. Ich bin versichert, daß du unsern Oncle eher kuriren würdest, als alle Doktor und Apotheker in unsrer ganzen Gegend. Der Magister bewies aus verschiedenen Gründen, daß sein Gönner unmöglich das Zipperlein haben könnte, er gab der Unpäßlichkeit unsres Oncles einen verwünschten griechischen Namen, den ich vergessen habe. Der Baron hatte dasmal keine Lust mit ihm zu streiten; er behielt also, zu großer Beruhigung des Patienten, leichtlich Recht. Der schmerzhafte Fuß des Oncles, ließ nicht zu, daß er an seine Henriette denken konnte, und damit waren wir auch sehr wohl zufrieden. Vorgestern [281] hat ihn der Herr v.W. auf ein paar Stunden besucht, es scheint aber nicht, daß sie sich von der Heirath mit einander unterredet haben.


Du wirst einen Haufen Innlagen in meinem Briefe finden. Vorhin brachte Jeremias einen ziemlich dicken Brief, von dem Magister an den Doktor Bartlett. Ich bin so neugierig gewesen, und habe ihn erbrochen, du wirst mich desfalls schon bei dem Herrn Doktor entschuldigen. Unser Oncle ist ein wunderbarer Mann, alles Unglück das er hier anstiftet, soll sein Baronet wieder gut machen. Verschreibe ja nicht etwan den armen Bornseil, unser Oncle würde ihn dir mit Weib und Kindern schicken, der Baron will ihn gelegentlich versorgen. Wenn ich dir doch mündlich sagen könnte, daß du die aufrichtigste Freundin besitzest an


Deiner Schwester

Amalia v.S.

38. Brief
[282] XXXVIII. Brief.

(Folgende sieben Briefe hatte Fräulein Amalie in ihr Paquet eingeschlossen).

Das Fräulein v.W. an Fräulein Amalien. v.S.

Wilmershausen den 19 Septembr.


Schätzbarste Freundin,


Noch nie habe ich Ihnen mit so vieler Aufrichtigkeit diesen schönen Namen beigeleget, als jetzo. Sie haben ihn allemal verdienet, und ich kann es mir selbst nicht vergeben, daß ich einmal an der Stärke Ihrer Freundschaft gegen mich gezweifelt habe; allein nehmen Sie mein offenherziges Geständnis als einen Beweis eines guten Herzens an, wenn ich Ihnen sage, daß ich Sie erst seit zwei Tagen für meine schätzbarste Freundin, ohne Ihnen ein Compliment [283] zu machen, erkenne. Wie werde ich meine Dankbarkeit gegen Sie, wie werde ich das, was mein Herz für Sie empfindet ausdrücken können? Es ist sehr gut, daß Sie keine Lobsprüche von mir erwarten, ich würde mich sehr verleugnen müssen, wenn ich Ihnen alles das Gute entdecken sollte, daß ich von Ihnen denke. Nein nein, das werde ich nicht thun; ich vermeide gar zu gerne allen Verdacht einer Schmeichelei. Es ist genug, wenn ich Ihnen gestehe, daß Sie mehr gethan haben, als ich vermuthen konnte. Ich würde es für ein Glück gehalten haben, wenn man an dem ängstlichen Tage nur nicht ein entscheidendes Ja oder Nein von mir gefordert hätte, das beides mir nicht viel gutes versprach. Ich würde überaus zufrieden gewesen seyn, wenn Ihr erster Plan nach meinem Wunsche wäre ausgeführet worden, wenn ich weiter nichts als einige Tage oder Wochen eine Entschließung in einer so wichtigen Angelegenheit zu fassen erhalten hätte. Doch Sie waren so besorgt für mich gewesen, einen neuen Plan zu meinem besten [284] zu entwerfen, welcher auch so gut ausgeführet wurde, daß ich nicht einmal nöthig hatte, zu einer betrüglichen Bitte meine Zuflucht zu nehmen, um einen Vater und einen Mann, der eine aufrichtige Neigung zu mir hat, zu täuschen. Ich würde mir gewiß viel Gewalt angethan haben, um diesmal anders zu reden als zu denken. Sie sehen hieraus, welche Verbindlichkeit Sie mir gegen Sich aufgeleget haben, daß Sie mich dieser Mühe überhoben. Ihr Herr Schwager hatte schon den größten Theil dieses Plans ausgeführet, ehe ich es inne wurde, wohin seine Unternehmungen abzielten. So sehr mir die Bemühungen des Herrn Barons zustatten kamen, so sehr ich Ursache habe, ihm gleichfalls verbunden zu seyn; so ungern würde ich es doch unternehmen, die Erfindung und die Ausführung dieses Entwurfs, mich aus einer Verdrießlichkeit zuziehen, zu loben. Die beste Absicht, dünkt mich, wurde nicht durch die besten Mittel erreicht. Eine ganze Gesellschaft zu bezechen, um Aeltern abzuhalten, keinen üblen Gebrauch von ihrer Gewalt über [285] Kinder zu machen, sollte sich das wohl rechtfertigen lassen? Sie wissen, daß ich in diesem Stücke etwas zärtlich bin. Das Kopfweh meines Vaters, die Unpäßlichkeit des Herrn v.N. und der Sturz des Rittmeisters von H. mit dem Pferde, alles dieses steht auf meiner Rechnung, und wenn es gleich alles von keinen Folgen zu seyn scheinet; so empfinde ich doch in meinem Gemüthe eine kleine Unruhe darüber. Wenn ich mich doch davon befreien könnte, so würde ich recht ruhig seyn. – – Aber was mache ich doch? Nicht wahr, ich bin ein ungezogenes Mädchen? Ich sollte mich wegen Ihrer Mühe, wegen Ihres Eifers für mein Bestes bei Ihnen bedanken; ich sollte Sie dafür bis in den dritten Himmel erheben: und ich bin so verwegen, und kritisire die Unternehmungen meiner großmüthigen Beschützerin. Wenn Sie mir nun Ihren Beistand versagt hätten, wie würde es um mich aussehen? Würde ich nicht die Ausbrüche des väterlichen Zorns, womit ich bedrohet wurde, empfunden haben, oder mich jetzo in einer Stellung befinden, [286] die mir ein unzufriednes Leben verspräche? Das Ungewitter hat sich noch nicht verzogen, es stehet noch am Horizonte; wer weiß wie bald mich wieder ein unerwarteter Donner erschreckt. Versagen Sie mir Ihren Schutz ja nicht, meine Freundin. Wenns möglich ist, will ich nicht mehr ungezogen seyn.


Soll ich Ihnen sagen, wie mir vorgestern zu Muthe war? Nein, das wissen Sie schon. Sie konnten aus meinen Gesichtszügen lesen, was in meinem Herzen vorging. Ich will Ihnen lieber Nachricht von meinem Zustande geben, seitdem Sie uns verließen. Das sage ich Ihnen zum voraus, daß nichts wichtiges vorgefallen ist. Gestern empfieng mich mein Vater bei dem Morgenbesuche mit den Worten: Guten Morgen, Fräulein Braut. Ich weiß nicht gnädiger Papa, sagte ich, ob ich diese Ehre im eigentlichen Verstande annehmen kann? Der Herr von N. der ohne Zweifel der Mann ist, durch den ich diese Benennung erhalten soll, hat mir, wenn ich nicht ein und andern Scherz dahin ziehen [287] will, seine Neigung gegen mich noch gar nicht entdeckt; und wenn auch dieses wäre, so glaube ich, daß noch eins und das andere müßte berichtiget werden, ehe ich diesen Namen verdiente. Der Papa wurde etwas ungehalten auf mich, daß ich ihm widersprach. Wenn er Kopfweh hat, so ist er ein wenig unleidlich; die Mama begütigte ihn aber durch eine weitläuftige Vorstellung. Wo ich nicht irre, so war dieses das erstemal, daß sie mit mir übereinstimmte. Sie führte einige Gründe an, warum ich nicht Fräulein Braut könnte genennet werden. Einige davon waren nicht vortheilhaft für den Herrn v.N. Wenn ich mit ihrer Gemüthsart weniger bekannt wäre; so würde ich hoffen können, daß meine Verbindung mit ihm noch nicht so gar nahe sey. Ich muß es Ihnen doch im Vertrauen stecken, daß man einen starken Verdacht auf Sie geworfen hat, daß Sie so wohl die unerwartete Ankunft Ihres Herrn Oncles; als auch die wunderbaren Touren bei Tische angegeben hätten; doch findet Ihr Herr Oncle dadurch eben keine Entschuldigung.[288] Daß Sie von der leztern Erfindung die Urheberin sind, und Ihrem Herrn Schwager nur die Ausführung davon überlassen haben, daran zweifle ich nicht mehr; bei der plötzlichen Erscheinung des Herrn v.N. habe ich noch nicht Licht genug, ob ich solche für eine feine List von Ihnen, oder für einen Einfall des Herrn Wilibalds halten soll. Ich bin geneigt, das leztere zu glauben, denn im ersten Fall würden Sie sich in der That an Ihrem Herrn Oncle versündiget haben. Ich ungezognes Mädchen, jezt habe ich Sie schon wieder beleidiget, Sie sind böse auf mich meine Amalie. Ich wollte Sie gern mündlich um Verzeihung bitten, wann ich es wagen dürfte, Ihnen in Schönthal aufzuwarten; ich muß mir aber dieses Vergnügen jetzo versagen, um der Mama keinen widrigen Verdacht zu erwecken. Geben Sie mir einen schriftlichen Verweis, ich habe ihn verdienet; lassen Sie es aber auch darbei bewenden. Danken sie dem Herrn Baron, danken Sie Ihrer Frau Schwester, danken Sie sich selbsten, für Ihre Gesinnungen, [289] für Ihre guten Bemühungen für mich. Ich gehöre ganz für Sie, nennen Sie mich.


Ihre

Juliane v.W.

39. Brief
XXXIX. Brief.
Fräulein Amalia an das Fräulein v.W.

Schönthal, den 20 Sept.


Schätzbarste Freundin,


Jederzeit habe ich Ihnen mit so vieler Aufrichtigkeit diesen schönen Namen beigelegt, als ich es noch jetzo thue. Ich kenne Ihre schwache Seite; ich kenne aber auch Ihr gutes Herz, und dieses macht mir die Vergebung Ihrer Fehler, wenn Sie welche gegen mich begehen können so leicht, daß ich mir ein Vergnügen daraus machen [290] würde, Ihnen, ich weis nicht was, zu vergeben. Haben Sie ein Mistrauen in mich gesetzet, bin ich Ihren Augen ein falsches Mädchen gewesen; so habe ich mich an Ihnen schon genug dadurch gerochen, daß ich Sie von dem Gegentheile so genau zu überzeugen mich bemühet habe, daß sich Ihr garstiger Argwohn hat verstecken müßten. Ich bin nicht wenig stolz darauf, daß Sie inne werden, daß Sie nicht alleine ein gutes Herz haben, und daß Sie mir eben diese Ehre, wenigstens in Absicht auf Sich selbsten, zugestehen müssen: in Absicht auf andere aber scheint es, als wenn Sie mich für sehr muthwillig, wo nicht gar für boshaft hielten. Ich muß mich deswegen bei Ihnen rechtfertigen. Sie sind tungendhaft meine Juliane, Sie haben enges Gewissen, Sie sind gar zu zärtlich. Wenn ich Ihnen nicht suchte Ihren Irrthum zu benehmen, so würden Sie mich für das leichtsinnigste Mädchen von der Welt halten, und nichts wäre mir unleidlicher als dieses. Wer hat Ihnen denn gesagt, daß ich den Plan, wie Sie es nennen, zu [291] Hintertreibung Ihrer Verbindung mit meinem Oncle entworfen habe? In der That, ich habe ihn gut geheißen; aber er war nicht meine Erfindung. Sie haben diese, eben so wohl als die Ausführung desselben, einer Person zu danken. Der Baron ist der Patriot, der den Einfall hatte, die ganze Gesellschaft zu bezechen, und sich selbst dabei nicht zu vergessen, um Sie von dem Verdruße eines unangenehmen Liebesantrags zu befreien. Sie haben nicht Ursache, über den Kopf Ihres Herrn Vaters, und über das podagrische Bein Ihres Anbeters sich, ein Gewissen zu machen. Ich würde selbst einige Unruhe darüber empfinden, wenn ich glaubte, das dieses Unheil, ohne den Antrieb des Barons, wäre vermieden worden; allein urtheilen Sie selbsten, ob es nicht besser war, daß er sich und seinen Freunden einen Rausch trank, um ein Unheil zu vermeiden, als daß eben dieses ein paar Stunden später geschahe, um eine unglückliche Verbindung dadurch zu befestigen. Aus zwei Uebeln muß man doch allemal das Kleinste [292] erwählen. Geben Sie sich zufrieden mein Kind, Sie mußten einmal an diesem Tage eine Gelegenheit seyn, daß man den größern Becher der Frölichkeit, nach der Benennung unsers Magisters ausleerte. Was liegt Ihnen daran, aus welcher Nebenabsicht dieses geschahe. Ich bin in meinen Gemüthe über diesen Punkt ruhig; ich dächte, Sie wären es auch. Ueber einen andern Vorwurf den Sie mir gemacht haben, bin ich nicht so gleichgültig. Ich soll durchaus die Gespensterhistorie des Herr v.N. erfunden und eingefädelt haben. Mit Ihrer Frau Mutter habe ich deswegen schon eine Lanze brechen müssen, das fehlte mir noch, daß ich mit der Fräulein Tochter auch was zu zanken bekäme. Es ist Ihr großes Glück, daß Sie in dieser wichtigen Sache nichts entscheiden. Sie verlangen mehreres Licht darinne zu haben, ehe Sie ein Endurtheil abfassen, und mich freisprechen oder eine Gewissensrüge anstellen wollen. Sie können mich ganz sicher freisprechen. Ich werde für meine Unschuld keinen Beweis führen, [293] nein nein meine Juliane, den verlangen Sie auch nicht. Wenn es die Roth erforderte, und man zu arglistigen Mitteln seine Zuflucht nehmen müßte, um Sie von einer unangenehmen Verbindung zu befreien; so könnte es wohl seyn, daß ich aus Freundschaft für Sie eine kleine Bosheit beginge, aber dismal habe ich in Wahrheit nicht daran gedacht. Sehen Sie diese romanmäßige Unternehmung noch einmal genau an, Sie werden den lächerlichen Magister von Anfang bis zu Ende darinne finden. Suchen Sie diesen ungegründeten Argwohn von mir Ihrer Frau Mutter gleichfalls zu benehmen: kann es aber nicht seyn, so lassen Sie ihr das Vergnügen, ihre Meinung zu behalten. Bitten Sie mich ja nie wieder um Verzeihung Ihrer Offenherzigkeit, wenn Sie mich nicht beleidigen wollen. Wir wollen nie aufhören, einander alles zu sagen, was wir denken, dieses ist der vollkommenste Beweis einer aufrichtigen Freundschaft. Wenn Sie der Aufmerksamkeit Ihrer Mama einmal entwischen können; so kommen Sie hieher nach [294] Schönthal, ich habe große Lust, mit Ihnen mich recht satt zu schwatzen. Der Baron will sich, Ihnen zu gefallen, noch zehnmal einen Rausch trinken. Wir lieben Sie, wir schätzen Sie hoch; in beiden aber gebühret der Vorzug


Ihrer aufrichtigen Freundin

Amaliie v.S.

40. Brief
XL. Brief.
Der Magister Wilibald an den Baron v.F.

Kargfeld den 19 Septembr.


Reichsfreihochwohlgebohr.

Herr, Gnädiger Herr.


Eu. Reichsfreihochwohlgebohr. Gnaden pflegen oftmals diesen sehr weisen Spruch im Munde zu führen: Ein Wort ein Wort, ein Mann ein Mann, und [295] dieser vortreffliche Wahlspruch erinnert mich an ein Versprechen, das ich vorgestrigen Tages Denenselben, in dem Speisesaale des Herrn v.W., in Gegenwart einer hochansehnlichen Gesellschaft gethan habe; und ich erfülle es mit desto größerm Vergnügen, theils um dadurch zu beweisen, daß ich ein Mann von Parole bin, theils um dadurch Gelegenheit zu bekommen, mich in einigen Stücken, die mir sind zur Last geleget worden, zu rechtfertigen. Ob ich gleich so wenig dabei gleichgültig seyn konnte, da Eu. Hochwohlgebohr. gefiel, von dem großen Freunde meines Gönners kein gar zu vortheilhaftes Urtheil zu fällen, daß ich dadurch auf das lebhafteste gerühret wurde: so muß ich es doch herzlich beklagen, daß Sie einige Worte, die ich in guter Meinung wohl bedächtlich vorbrachte, und welche gar nicht dahin abzielten, Eu. Hochwohlgebohr. zu beleidigen, ungnädig empfanden. Ich glaube indessen, daß ich eine vollkommene Vergebung alles dessen, wodurch ich Hochdieselben beleidiget haben soll, erhalte, wenn ich Sie aufrichtig versichere, daß es [296] mir nie in den Sinn gekommen ist, Dero Ehre und Ruhm jemals im geringsten anzutasten. Per me semper honos nomenque Tuum laudesque manebunt. Dieses habe ich nun meines Erachtens in Richtigkeit gebracht. Ich sehe Eu. Gnaden wieder als meinen Mäcenan, ich sage gleichsam zu Ihnen, wie jener große Dichter zu diesem: O et praesidium et dulce decus meum! In diesem Vertrauen gegen Sie, wag ich es, Dero Schutz und Hülfe in einer Sache anzuflehen, die mich sehr beängstiget. Seyn Sie doch, gnädiger Herr, seyn Sie doch, ich bitte Sie, ein großmüthiger Georg, der den Lindwurm, der an meinem Herzen naget, ritterlich besieget. Ich weiß, daß das Fräulein v.S. gewohnt ist, an ihren Herrn Bruder in Engelland alles zu berichten, was in unsrer Gegend sich zuträgt; ich weiß auch, daß der Herr v.S. seine Briefe allen Freunden in Grandisonhall zeiget. Es ahndet mir, daß das Fräulein alles, was bei der Gasterei des Herrn v.W. vorgefallen, vom Anfang bis zu Ende, an den jungen Herr Baron schreiben wird. Sie verstehet die[297] die Kunst, Sachen, die von keiner Wichtigkeit sind, auf einer Seite vorzustellen, daß sie das Ansehen wichtiger Begebenheiten erreichen. Wie leicht könnte es seyn, daß sie aus Mangel richtiger Begriffe, den Becher der Fröhlichkeit, welcher bei der Tafel des Herrn v.W. fleißig herum gieng, mit dem Laster der Trunkenheit verwechselte. Nichts würde mir empfindlicher seyn, als wenn der Doctor Bartlett mich, der ich mir eine Ehre daraus mache, in seine Fußtapfen zu treten, und alle meine Handlungen nach den seinigen einzurichten, für einen Trunkenbold und Weinsäufer ansehen sollte. Was würde dieser redliche Mann denken, wenn er solche Dinge von mir hörte? würde er sich nicht schämen, mir die Ehre eines Mitglieds einer berühmten königlichen Gesellschaft erworben zu haben? Ich will es zwar gerne zugeben, daß ich mich eben so wenig bei der Gasterei des Herrn v.W. in statu integritatis befand, als die übrigen vornehmen Gäste; aber dadurch wird noch keinesweges eingeräumet, daß man sich an diesen frohen Tage bezecht hätte. Indessen [298] höre ich unter der Hand, daß die Frau v.W. einige ihrer Gäste, und mich insbesondere, mit solchen Ehrentiteln überhäuft, die nur für niederträchtige Gemüther und für die Schenke gehören. Ich weiß, daß die Verwechselung der Begriffe von dem Freudentrunke und der Trunkenheit, an diesen falschen Urtheilen Schuld sind. Um nun diesem Uebel in Zukunft vorzubeugen, und meine Ehre und guten Namen dadurch, sowohl in hiesiger Gegend, als auch bei mei nen Gönnern in Engellend, aufrecht zu erhalten; so habe ich es gewagt, angebogne kurze Beantwortung der Frage: Ob bei der Gasterei des Herrn v.W. der Becher der Fröhlichkeit zuweit sey getrieben worden oder nicht, zu entwerfen, und diese Abhandlung Eu. Hochwohlgebohr. unterthänig zuzueignen. Werden Sie die Gnade für mich haben, und aus dieser kleinen Schrift dem Fräulein v.S. für welcher, wenn ich es aufrichtig gesiehen soll, ich mich am meisten fürchte, ingleichen bei Gelegenheit der Frau v.W. deutliche Begriffe von dem himmelweiten Unterschiede [299] zwischen einem Trunkenbolde und einem, der den Becher der Fröhlichkeit kostet, beizubringen sich die Mühe geben. Werde ich dadurch von der Sorge, daß meinem guten Namen ein Klebesieckgen möchte angehangen werden, befreiet: so verspreche ich nicht nur meine Dankbarkeit gegen Eu. Gnaden auf alle nur ersinnliche Art und Weise zu Tage zu legen, sondern ich werde dadurch auch aufgemuntert werden, mehrere dergleichen nützliche Unternehmungen zu wagen. Ich verharre mit vollkommenster Hochachtung,


Eu. Reichsfreihochwohlgebohr. Meines gnädigen Herrn

unterthäniger Diener L. Wilibald Phil. D.

[300]
Einschluß des vorigen Briefs.

Kurze und bescheidene Beantwortung der Frage: Ob bei der Gasterei des Herrn v.W. der Becher der Fröhlichkeit zuweit sey getrieben worden oder nicht?


§. 1.


Was der Becher der Fröhlichkeit sey.


Ein Becher wird im weitläuftigen Verstande jedes Gefäße genennet, woraus man zu trinken pfleget, oder kürzer, ein Becher ist ein Trinkgeschirr. Der Wein ist ein Saft, welcher aus Trauben gepresset und in großen Gefäßen, die man Fässer nennet, in unterirrdischen Gewölbern oder Kellern zum Gebrauche aufbehalten wird. Die Alten hielten es zwar damit anders; sie zogen den Wein auf Flaschen, und verwahrten ihn in dem obern Theile, oder auf dem Boden ihrer Häuser. Die Fröhlichkeit ist eine Beschaffenheit des Gemüths, welche uns eine Zeitlang aller Sorgen vergessen macht, und unsere Gedanken nur mit angenehmen Empfindungen beschäftiget. Der Becher der Fröhlichkeit (poculum [301] hilaritatis) ist also der Genuß des Weins, aus einem Trinkgeschirr, den man so lange fortsetzet, bis man spüret daß das Gemüthe vollkommen aufgeräumet ist, oder bis man eine vollkommene Heiterkeit im Gemüthe empfindet.


Anmerkungen.


Die erste. Weil der Becher der Fröhlichkeit das Gemüthe aufheitert, so werden die, welche ihn trinken,illuminati, das ist, Aufgeheiterte oder Erleuchtete genennet.

Die zweite. Einer, der keinen Wein trinket, heißtAbstemius. Leute von der Art, die sich muthwillig um eine solche Ergötzlichkeit dieses Lebens bringen, als das Weintrinken ist, sind nicht klug, ergo sind die Türken nicht klug.


§. 2.


Wer der Erfinder davon gewesen.


Noah, der zweite Stammvater des menschlichen Geschlechts, hat den Weinbau erfunden. [302] Er trank den Wein aus einer doppelten Absicht, erstlich um der Schwäche seines Magens dadurch zu statten zu kommen, zum andern, um dadurch seine Bekümmerniß, daß er seine guten Freunde hatte sehen im Wasser umkommen, durch Wein zu lindern. Wenn er seinen Becher aus dieser Absicht ansetzte, so trank er daspoculum hilaritatis, und weil dieses Niemand vor ihm that, so war er mithin der erste. Es ist also klar, daß Noah der Erfinder des Bechers der Fröhlichkeit gewesen ist.


§. 3.


Wie vielerlei derselbe sey.


Wir haben ein zweifaches poculum hilaritatis, ein grösseres (majus) und ein kleineres (minus). Dieses letztere bestehet darinne, wenn man ein Glas Wein mehr trinket, als es die Nothdurft erfordert. Der gemeine Mann nennet dieses einen Trunk über den Durst. Jenes kann nur Statt finden, wenn man mit dem Vorsatze trinket, aufgeräumt zu werden, und mithin muß der Genuß des [303] Weins so lange fortgesetzet werden, bis man diesen Entzweck erreichet hat.


§. 4.


Wie man beide den größern und den kleinern Becher brauchen soll.


Des kleinern Bechers der Frölichkeit kann man sich so oft bedienen als man will; aus dem größern aber muß man kein Handwerk machen; sonst wird aus dem Becher der Fröhlichkeit ein Becher der Trunkenheit.(Poculum hilaritatis conuertitur in poculum ebrietatis.)


Anmerkungen.


Die erste. Die Gelehrten, welche mit dem Kopfe arbeiten, und einer Aufmunterung ihrer Lebensgeister öfterer als andre nöthig haben, dürfen den größern Becher der Fröhlichkeit so oft versuchen, als sie es gut befinden ihre Lebensgeister aufzumuntern. Einfolglich gilt bei ihnen eine Ausnahme.

Die zweite. Das poculum hilaritatis majus ist die Hippokrene der Poeten.


§. 5.


Das vorhergehende wird weiter ausgeführt und bestätiget.


[304] Es erhellet aus der Vernunft und Erfahrung, daß man nicht nur Wein trinken könne, um den Durst zu löschen, sondern daß dieses auch geschehe, um sich zu erquicken. Man pflegt im Sprichworte zu sagen:Vinum est lae senum, das ist, Wein thut den Erwachsenen eben die Dienste, als Milch den Säuglingen. Wer sich nun am Weine erquicket, dessen Gemüthe wird munter; wer sein Gemüthe durch den Wein ermuntert, ohne dabei seiner Sorgen zu vergessen, der trinkt den Becher der Frölichkeit, und zwar den kleinern. Alle Moralisten, sowohl Theologi als Philosophi stimmen darinne überein, daß es erlaubt sey, diesen kleinern Becher, wenn und so oft man will, zu versuchen, denn er dienet zur Erhaltung des menschlichen Lebens und der Gesundheit; alleine wegen des größern sind die Gelehrten nicht einerlei Meinung. Einige, und zwar die strengsten Moralisten, verwerfen solche in ihren Schriften ganz; sie thun es aber nur zum Scheine, und machen sich kein Bedenken, ihn dann und wann selbsten auszuleeren. Die gelindern lassen solchen, [305] wiewohl nicht mit offenbaren Worten, (aperte.) jedoch aber stillschweigend (tacite) zu. Es wird nöthig seyn, um dieses zu bestätigen, ein oder anderes Beispiel hiervon aus den Schriften eines großen Kirchenlehrers anzuführen. Dieser ernsthafte Mann, da er bereits in einem wichtigen Amte stund, schreibt an einem Orte, in seinem Tractätlein von der Einbildung folgendes. Ich muß hier, spricht er, Kurzweilitatis gratia erzählen, was sich mit mir zugetragen, als ich zu Königsberg studirte. Nachdem ich mit vornehmen Bürgern bekannt worden, wurde ich zuweilen Erlustirens halber, in ihre Lusthäuser außer der Stadt geführet, und wenn sie ihre Flaschenfutter aufthäten, war dieses allezeit die erste Frage, wie mir der Wein schmeckte? Wenn ich denn den sauern Wein, so halber Krautlache (war) lobte: soffen sie sich so voll als die Bürstenbinder, und wurden von lauterer Opinion voll und toll. Hier muß man wohl bemerken, daß die Redensarten: sich so voll sauffen als die Bürstenbinder, von lautererer Opinion voll und toll werden, in [306] etwas uneigentlichem Verstande müssen genommen werden, wie es auch aus der Natur der Sache schon genugsam erhellet. Denn man weiß, daß sich so arme Leute, als die Bürstenbinder sind, nicht in Wein bis zur Vollheit bezechen können, und von lauterer Opinion wird man sich nicht leicht einen Rausch trinken. Wenn also der gelehrte Mann, der dieses schreibt, jetzo leben sollte, so würde er sagen: und wenn ich den sauren Wein lobte, so gefiel ihnen dieses sowohl, daß sie darüber ganz lustig wurden, und den grössern Becher der Frölichkeit mit einander ausleerten. Ich will doch noch ein Beispiel aus eben diesen Autore von gleichem Schlag anführen, es stehet gleich auf der folgenden Seite des obenangezogenen Tractätleins, die Worte lauten also: Gestern, als ich auf meinem großen Stuhle eingeschlafen (war) träumte mich, ich war ist einem herrlichen Pallast, da hörte ich den Abdanker seine Oration halten, in welcher er den Hochzeitgästen Dank sagte, daß sie sich einstellen und mit ihrer Gegenwart solche (Hochzeit helfen zieren wollen; [307] führte dabei an, sie wollten bedenken, daß anjetzo das Martinsfest wäre, wollten demnach wacker herum trinken, daß kein Tropfen darinne (in dem Fasse oder Becher) blieb. Denn, sagte er, der Sauerkopf Seneca, der, der alle Berge eben tragen wollen, hat selbst zuweilen gesoffen, daß er den Fuchsen geschossen und über eilfe geworfen, (was diese Ausdrücke bedeuten, ist schon oben bei dem Bürstenbinder erkläret,) und das sollte eine vortreffliche Medicin seyn, aller vornehmsten Arzenei Doctorn Meinung nach. Alexander der Große hat nie eine Feldschlacht angetreten, er habe denn zuvor tapfer gesoffen. Wer sollte sich aber dessen schämen, was Seneca, was Alexander M. was Cato gethan? Und solche Vorgänger zu haben, ist nicht allein wohl zu verzeihen, sondern noch wohl lobenswerth. So weit unser Autor. Hieraus leuchtet nun ganz deutlich in die Augen, daß der Becher der Frölichkeit stilleschweigend gebilliget wird, und dieses läßt sich hauptsächlich aus drei Gründen beweisen, I.) Weil der Autor beiden angezogenen Stellen kein ungleiches Urtheil beifüget, [308] und also durch sein Stilleschweigen die Sache billiget, denn qui tacet consentire videtur II.) Weil er es selbst veranlasset hat, daß die Bürger in Königsberg sich besoffen haben wie die Bürstenbinder, oder eigentlich zu reden, daß die Bürger in Königsberg den größern Becher der Frölichkeit versucht haben. III.) Weil er sich kein Bedenken macht, einen Traum zu erzählen, der eine Aufmunterung zum Gebrauche desselben enthält. Er würde diesen Traum gewiß verschwiegen haben, wann er befürchtet hätte, dadurch eine Aergerniß anzurichten, da er aber dieses nicht gethan hat; so ist es außer allem Streit, daß er nichts darwider einzuwenden hatte. Welches zu erweisen war.


Anmerkung.


Wenn es also die Moralisten verstatten, dann und wann so tief in das Glas zu gucken, daß man den Fuchsen schießt und über eilfe wirft; so ist es klar, daß es erlaubt sey, den größern Becher der Frölichkeit zur Ergötzung des Gemüths zu gebrauchen.


[309] §. 6.


Was die Trunkenheit sey, item ein Trunkenbold, Vollzapf etc.


Die Trunkenheit entstehet entweder durch den gar zu öftern Gebrauch des Bechers der Frölichkeit, (§. praeced.) wenn man alle Tage will Martini machen, wie man im gemeinen Leben zu reden pflegt; oder wenn man das poculum hilaritatis zu weit treibt, daß die Heiterkeit des Gemüths sich verlieret, wenn man durch die Weindünste benebelt wird. Ein Trunkenbold, gleichsam der dem Trinkbecher hold ist, oder ein Vollzapf, ist ein Mensch, der eine Fertigkeit besitzt, alle vollen Gläser auszuleeren, und der also mit trinken nicht eher abläßt, bis er schwarz und weiß, Tag und Nacht nicht mehr unterscheiden kann.


§. 7.


Daß die Trunkenheit ein Laster sey, und viel Unglück stifte.


Wer so viel trinkt, daß die Heiterkeit seines Gemüths dadurch unterdrücket wird, der verlieret den Entzweck des Bechers der Freudigkeit, [310] und schwächet dabei seine Gesundheit und sein Vermögen. Es kommt oftmals dahin, daß solchergestalt ein reicher Crassus ein Friedrich mit der leeren Tasche wird, 1 einfolglich beleidigt ein Trunkenbold die Pflichten gegen sich selbst, mithin ist er lasterhaft, und die Trunkenheit selbst ein Laster. Ein Laster kann nichts anders als Unheil anstiften, folglich stiftet die Trunkenheit viel Unheil an. Daß dieser Satz der Wahrheit vollkommen gemäß s.y, solches lehret nicht nur die tägliche Erfahrung, sondern es kann auch durch sehr viele Beispiele bestätiget werden. Auszugsweise will ich davon doch etliche anführen. Zu Bacharach, einem Städtlein in der Pfalz, welches seinen Namen daher erhalten, weil guter Rheinwein daselbst wächst, und es gleichsam Bacchi ara, oder ein Altar des Weingottes ist, wohnte vorzeiten ein grosser Schwelger, der sein einziges Vergnügen in dem Keller nicht anders als ein Fisch im Wasser fand. Einsmals gieng obgedachter Temulent ins Weinhaus, und fing an, die Zeit mir Zechen und andrer Kurzweile zu vertreiben, [311] übte sich auch so fleißig in der Gläserausleerung, daß er einen guten Rausch bekam. Immittelst wurde die Weile seinem schwangern Weibe zu Hause sehr lang, welche sich hin begab, ihren vollen Nabal heimgehen zu heißen; er verehrte sie aber mit etlichen Maulschellen, und warf ihr einen Haufen Flüche und Scheltworte an den Hals. Sie ging hierauf ihres Weges, den gottlosen Mann unter den andern Trunkenbolden lassend. Nach Verlauf etlicher Viertelstunden hat sie ein überaus abscheuliches Monstrum oder Mißgeburt zur Welt gebracht, welches alle Anwesenden in höchstes Schrecken versetzte. Dessen Gestalt war also beschaffen: forne an dem obern Theile des Leibes sahe es einem Menschen ähnlich, hinten hinab aber, und unten, einer Schlange, und hatte einen Schwanz bei drei Ellen lang. Indem man nun nicht weis, was man mit diesem Ungeheuer anfahen soll, kömmt der volle Zapfen nach Hause. Die schreckliche Mißgeburt gab, so bald sie ihn sahe, einen Schlangen ähnlichen Laut von und warf sich mit großer Ungestüm an des [312] Fluchers 'Hals, umhüllete denselben etliche mal mit dem Giftschweife, verwundete ihn auch mit verschiedenen Stichen; daß der gottlose Mensch seinen Geist aufgab, und die tolle und volle Seele dem Teufel in die Wäsche schickte 2. Ein anders. Nicht weit von Jena wohnte vorzeiten ein Trunkenbold, der, wenn er sich besoffen hatte, mit Jedermann zanken und hadern mußte. Einsmals begab sichs, daß er toll und rasend den Wirth in der Schenke mit seinen Gästen fressen wollte. Die Frau heulte und bat, er sollte mit ihr nach Hause gehen, sie wollten zu Hause ein Kännlein Wein mit einander ausstechen. Der volle Narr aber wollte nicht, sondern schlug das Weib gar übel, und lief zum Tische, als wollte er zehn volle Bauern mit einem Streich erschmeißen; es traf ihn aber einer mit einer Kanne dermaßen vor den Kopf, daß er alsbald umfiel und starb, und weil man zuvor die Leuchter ausgelöschet hatte, ist noch nicht erfahren worden, wer diesen thörigten Hund erworfen hat 3. Noch eins zur Zugabe. Zu Meinigen im Hennebergischen [313] war einmal ein Mann, Hanns Vierdümpfel benannt, welcher sich lieber in Bier- und Brandeweinhäusern, als in der Kirche finden lies, dieser hat sich einmal dermaßen mit Brandewein angefüllet, daß ihn derselbe das Herz abgebrannt hat. 4.


§. 8.


Ob bei der Gasterei des Herrn von W. der Becher der Frölichkeit oder der Becher der Trunkenheit Statt gefunden habe? Letzteres wird verneinet.


Nachdem nun das nöthige zur Beantwortung unserer aufgeworfenen Frage vorausgesetzet worden, so wird es leicht seyn, solche gründlich, und zwar verneinend, zu beantworten: Das Maas des Bechers der Frölichkeit ist bei der Gasterei des Herrn v.W. [314] nicht überschritten worden. Dieses beweisen wir so: Nur der macht sich des Lasters der Trunkenheit schuldig, welcher so viel trinket, daß die Heiterkeit des Gemüths dadurch unterdrucket wird, oder welches einerlei ist, daß er Tag und Nacht, schwarz und weiß nicht mehr unterscheiden kann. (per §. 6 & 7.)

Bei der Gasterei des Herrn v.W. hat Niemand so viel getrunken, daß dadurch sein Gemüthe dergestalt wäre benebelt worden, daß er schwarz und weiß, Tag und Nacht, nicht mehr hätte unterscheiden können:(per experient.)

Also hat sich auch Niemand bei der Gasterei des Herrn v.W. des Lasters der Trunkenheit schuldig gemacht. Oder auch so: Wenn wahr ist, daß die Trunkenheit allemal viel Unheil stiftet, wie solches aus dem vorhergehenden §. nicht kann geleugnet werden: so würde folgen, daß aus der Gasterei des Herrn v.W. vielerlei Unglück müßte erwachsen seyn, wenn bei solcher die Trunkenheit geherrschet [315] hätte. Da aber bis jetzo noch kein Ungeheuer dadurch ist ausgebrütet, auch Niemand mit der Kanne dermaßen an den Kopf getroffen worden, daß er davon gestorben wäre; am allerwenigsten aber durch die Vielheit des Getränkes Jemand um Leib und Leben kommen ist: so bleibet es dabei, daß man die Gränzen des Bechers der Frölichkeit nicht überschritten hat. Hat sich nun Niemand des Lasters der Trunkenheit bei der Tafel des Herrn v.W. schuldig gemacht; ist aber gleichwohl ein Glas Wein mehr getrunken worden, als zu des Leibes Nahrung und Nothdurft gehörte; so folgt daraus, daß der größere Becher der Frölichkeit, nicht aber, wie fälschlich vorgegeben wird, der Becher der Trunkenheit von einer hochansehnlichen Gesellschaft zu einer unschuldigen Gemüthsergötzlichkeit ausgeleeret worden. W.z.e.w.


§. 9.


Beschluß.


Solchergestalt wäre also die Ehre der vortrefflichen Gesellschaft in Wilmershausen gerettet, [316] und die hochansehnlichen Glieder derselben von dem Verdachte eines Fehlers befreiet, welchen nur niedrige Gemüther begehen können. Es ist also nichts anders, als eine pure lautere Verläumdung und Unwahrheit, wenn man sich nicht entblödet, zu sagen, daß einige der anwesenden Gäste in Wilmershausen rechte Trunkenbolde und Vollzapfen gewesen wären; ich sage, es ist dieses nichts anders, als eine Verläumdung und Erdichtung, die bei einer genauen Untersuchung der Wahrheit nicht Stich hält, und welcher man sicher widersprechen kann. Denn da zur Gnüge bewiesen worden ist, daß kein Mensch von allen Anwesenden den Becher der Frölichkeit zu weit getrieben habe; so fällt die Beschuldigung der Trunkenbolde für sich selber hin. Wo die Trunkenheit nicht Statt findet, da kann auch kein Trunkenbold seyn, cessante caussa cessat effectus. (Man besehe hiervon Danzii Grammat. hebr. §. 17.caut. 7). Ich weis, daß das ganze erlauchte Publicum, der Wahrheit gemäs, von diesem Vorgange urtheilen, und mehr dieser aufrichtigen [317] Schutzschrift, als einem flüchtigen Gerüchte, aus dem Munde übelgesinnter Personen Beifall geben wird. Es ist mir zwar sehr empfindlich, daß böse Zungen von einer vornehmen Gesellschaft, in welcher ich mich selbst zu befinden die Ehre hatte, nachtheilige Unwahrheiten auszusprengen, sich kein Bedenken machen, und ich denke mehr als einmal an die Worte: Dorn und Disteln siechen sehr, falsche Zungen noch vielmehr, noch wollt ich lieber in Dorn und Disteln baden, als mit falschen Zungen seyn beladen. Inzwischen, da ich es doch nicht dahin bringen werde, allen Leuten das Afterreden zu verbiethen; so will ich zusehen, ob ich wenigstens ihren offenbaren Spöttereien und üblen Nachreden Einhalt thun kann, wenn ich diesen Fluch über sie ausspreche, welchen schon vor mir ein berühmter Schriftsteller 5, wegen seiner Neider und Misgünstigen, jenem gekrönten Haupte abgeborget hat: Honni soit qui mal y pense!

Fußnoten

1 Besiehe hiervon P. Lambec. de biblioth. caes. lib. II. c. 8.

2 M. Janson in Mercur. Gallobelgie.

3 M. Wolfgang Bütner in epit. histor.

4 M. Joh. Seb. Günthers Meining. Chron.

5 Siehe hiervon Zieglers Vorrede zu seiner Asiatischen Banise.

41. Brief
[318] XLI. Brief.

(Diese drei Briefe, welche hier folgen, hatte der Magister in den seinigen an den Doctor Bartlett abschriftlich eingelegt.)

An den Herrn v.N.

Wilmershausen den 18 Sept.

Hochwohlgebohrner Hr. Erb-Lehn- und Gerichtsherr auf Kargfeld und Dürrenstein,

Gnädiger Herr,


Ew. Hochwohlgebohrnen kann ich nicht unverhalten lassen, daß mir die Ergebenheit, mit welcher ich Ew. Gnaden zugethan bin, ein großes Unglück über den Hals gezogen, daß ich die Hände über dem Kopfe zusammenschlagen muß. Ob ich gleich meinem Amte als ein rechtschaffener und treuer Haushalter nun in die 19 Jahre bei dem Herrn v.W. vorgestanden habe; so hat er [319] mich doch heute unvermuthet, und da ich ihm nicht die geringste Ursache darzu gegeben habe, aus seinen Diensten entlassen, und dabei vorgewendet, ich hätte mich von Ihnen bestechen lassen, und zu ungewöhnlicher Zeit Thür und Thor aufgesperret, und dadurch verursachet, daß Sie den Herrn und die gnädige Frau auf den Tod erschrecket hätten. Ich dachte, was für große Fische ich dabei fangen würde, wenn ich gegen Ew. Gnaden so dienstwillig wäre, und mich bereden lies, Ihnen zu willfahren; aber diese Gutwilligkeit hat mich um meine Versorgung gebracht, und wenn mir Ew. Gnaden nicht helfen, so habe ich mich zwischen zwei Stühle niedergesetzt. Die gnädige Frau sagte, da ich sie bat, wegen einer so geringen Ursache mich doch nicht mit Weib und Kindern aus dem Edelhofe zu verstoßen, in welchem ich länger gewohnt habe, als sie selbsten, ich sollte mich nur an Sie halten, Sie brächten mich um mein Stückgen Brodt und müßten mich auch nun ernähren. Ich thue Ihnen also meinen Unglücksfall zu wissen, in Unterthänigkeit[320] bittende, Ew. Gnaden wollen mir armen verlassenem Manne nebst Weib und Kindern den nöthigen Unterhalt verschaffen; weil Sie doch die alleinige Ursache sind, daß mein Amt von mir ist genommen worden, sonst würden wir ach und weh! über Sie schreien müssen. In der Hoffnung, daß Sie mich bald durch eine gute Nachricht werden erfreuen lassen, verharre ich

Ew. Hochwohlgebohrnen

unterthäniger Diener, Peter Bornseil, gewesener Verwalter in Wilmershausen.

42. Brief
XLII. Brief.
Der Magister an den Verwalter Bornseil

Kargfeld den 20 Sept.


Vielgeehrter guter Freund,


Was derselbe in seinem unterthänigen Memorial an meinen gnädigen Sir noch gesuchet; solches haben sich [321] Se. Hochwohlgeb. von mir gestern referiren lassen, und haben befohlen, demselben hierauf freundlich zu benachrichtigen: daß mein Herr Principal an seinem unglücklichen Schicksale vielen Antheil nimmt, und herzlich bedauret, daß derselbe bei seiner Herrschaft in Ungnade gefallen ist, und dadurch sein Stückgen Brod verlohren hat. Er kann sich darauf verlassen, daß mein vortrefflicher Sir bei seiner Herrschaft eine nachdrückliche Vorbitte für ihn einlegen wird, und wenn er etwas beitragen kann, ihm die Gnade des Herrn v.W. wieder zu erlangen, wird er sich daraus ein großes Vergnügen machen. Wenn aber derselbe anverlanget, daß der Herr v.N. ihn nebst seiner Familie versorgen soll, nachdem er seines Amtes, angeblich wegen der Willfährigkeit gegen meinen Patron, entsetzet worden: so dient ihm hierauf in freundlicher Antwort, daß dieses Ansinnen den Herrn v.N. ziemlich befremdet hat; indem noch lange nicht erwiesen ist, daß der gute Wille gegen meinen Gönner seine Dienstentlassung verur, sachet habe. Die Gelehrten unterscheiden [322] sehr wohl das consequens von der consequentia. Lasse er sich diese lateinischen Worte von dem Herrn Pastor in Wilmershausen erklären, so wird er sehen, daß sein Ansuchen unstatthaft ist, und daß der Herr v.N. keinesweges verbunden sey, ihm mit Weib und Kindern, besonders jetzo in diesen schweren Zeiten, zu ernähren. Ob er nun gleich von Rechts wegen nichts von dem Herrn v.N. zu fodern hat; so will dieser doch ein übriges thun, und ihm ein Expectanzdecret zufertigen lassen, im Fall er sich einstweilen gedulden, und sich fein fleißig auf die Musik und den Catechismus legen will, nach dem tödtlichen Hintritt des Herrn Lorenz Lobesans, derzeitigen treufleißigen Schuldieners zu Kargfeld, solche Bedienung ihm unter dem Prädicate eines Cantors gnädig angedeihen zu lassen. Kann er aber nicht so lange von der Schnure zähren, so thut er sehr wohl, wenn er sich nach einer einstweiligen Versorgung umsiehet. Er kann übrigens auf meines Herrn Principals Vorspruch und auf meinen guten Rath allemal [323] Staat machen. Hiermit Gott befohlen. Ich verbleibe

Sein

wohlgeneigter Freund, M.L. Wilibald.

43. Brief
XLIII. Brief.
Der Verwalter an den Magister.

Wilmershausen den 20 Septembr.


Wohlgelahrter

Guter Freund,


Ihr Brief, den ich vor einer Stunde erhalten habe, hätte mir bald das Garaus gemacht. Es wäre kein Wunder, ich thäte mir ein Leids. Sie geben mir einen gar schlechten Trost in Ihrem Briefe, und der Herr v.N. kann es sein Tage nicht verantworten, daß er mich um meine Versorgung [324] gebracht, und es nun nicht einmal Wort haben will. Ich habe immer so ein gutes Vertrauen zu ihm gehabt, daß ich Häuser auf ihn gebauet hätte: aber nun sehe ich, daß man heutiges Tages Niemanden quer über den Weg trauen darf. Ich weiß wohl, daß Ihr Herr so schlimm an sich nicht ist. Wenn ich die deutsche Wahrheit sagen soll, so stecken sie darhinter und verhetzen ihren Herrn gegen mich; denn das weiß Jedermann, daß Sie ihn link und recht machen können: aber Sie werden schon einmal davor Ihren Lohn bekommen. Nehmen Sie es nicht übel, ich bin ein einfältiger Mann und rede, wie es mir vom Herzen gehet. Sie sind ein hochstudirter Mann und wenn Sie anfangen zu disputiren, so muß unser einer freilich fünfe lassen gerade seyn: das sollen Sie mir doch nicht weiß machen, daß der Herr von N. nicht sollte Schuld daran seyn, daß mich der Herr von W. abgeschaffet hat. Die gnädige Frau hat mirs selber unter den Bart gesagt, der glaube ich und kehre mich wenig an Ihre lateinischen Brocken. Will mich der Herr v.N. [325] nicht versorgen, so muß ich desperat werden, und unter die dicksten Soldaten gehen, und das liebe Vaterland mit rujeniren helfen. Ich habe noch dreisig Gülden, dafür will ich meine Frau in den Spittel kaufen, meine Lise kann einem Herrn dienen, und meine zwei kleinen Kinder lasse ich dem Herrn v.N. vor die Thür setzen. Will er sich ihrer annehmen, so ist es gut, wo nicht, so mag er es auch verantworten. Ich bin ein geschlagener Mann; ehe ich mein Brod vor der Thür suche, will ich lieber einem großen Herrn dienen. Auf einen Schulmeister habe ich mein Tage nicht studiret, und nun ist es zu späte, daß ich erst anfangen sollte, nach Noten singen zu lernen, und meine Finger sind auch überdem zum Trillern auf der Orgel schon zu steif. Grüßen Sie Ihren Herrn von meinetwegen, und sagen Sie es ihm nur, daß ich ihm alles mein Unglück auf den Kopf Schuld gebe, er mag es nun worthaben wollen oder nicht. Künftige Woche gehe ich in die Stadt zu den Werbern und lasse mich unterhalten, hernach werde ich nicht mehr nöthig [326] haben, ihm viel gute Worte zu geben. Aber so viel ist richtig, meine zwei Kinder soll ihr Herr ernähren, ich lasse sie ihm vor die Thür setzen, so wahr ich ein ehrlicher Mann bin. Uebrigens verharre ich allstets.


Meines vielgeehrten Herrn Magister

ergebner Diener Peter Bornseil.

44. Brief
XLIV. Brief.
Der Magister an den D. Bartlett.

Kargfeld den 22. Septembr.


Hochwürdiger Hochgeehrtester
Herr Doctor,

Vornehmer Gönner,


Es hat mir gestern das Fräulein v.S. Nachricht gegeben, daß sie heute an ihren Herrn Bruder schreiben würde, und zugleich habe ich die Erlaubnis erhalten,[327] ihren Brief mit einem Einschluß beschweren zu dürfen. Ich bediene mich dieser Erlaubnis gar zu gerne, weil ich dadurch Gelegenheit bekommen, Eu. Hochwürden eher als ich vermuthete, für Dero besondere Gewogenheit gegen mich den verbundensten Dank abstatten zu können. Vortreflicher Mann! Wo werde ich Worte finden, die Größe Ihrer Gewogenheit gegen mich, und meine Dankbarkeit gegen Sie, damit würdig zu bezeichnen? Wodurch werde ich mich der Ehre, die Sie mir verschafft haben, ein Mitglied einer berühmten königlichen Gesellschaft geworden zu seyn, würdig machen können? Wenn ich das Feuer eines Horaz, die Anmuth des Ovids und Pindars Stärke der Gedanken besäß; so wollte ich es wagen, Sie durch ein Lobgedichte zu verewigen. Allein Sie sind bereits über alles Lob erhoben, und es würde eben so viel seyn, als wenn ich einen Mohr bleichen wollte, wenn ich es unternähme, Sie der Nachwelt zu empfehlen; da Sie bereits in der Geschichte eines erlauchten Grandisons in einem so schimmernden [328] Lichte erscheinen, welches die düstern Schatten der entferntesten Zukunft durchdringen, und die Augen der spätesten Nachkommen rühren wird. Hier will ich aufhören, mehreres von Dero Ruhme zu gedenken, so gerne ich mich auch damit beschäftige, damit ich nicht in den Verdacht einer Schmeichelei gerathe. Der Auftrag meines Gönner an Sie verschafft mir noch auf einige Augenblicke das Vergnügen, mich mit Ihnen zu unterreden. Mein Principal weiß, wie gerne sich der Baronet nothleidender Personen annimmt, und wie viel Sie darzu beitragen können, daß er das Maas seiner Wohlthaten gegen dergleichen Leute vergrößert oder verringert. Aus einliegenden drei Briefen werden Sie einen Mann kennen lernen, der des Mitleidens des Herrn Grandisons vor andern würdig ist. Er hat lange Zeit bei dem Herrn v.W. einem Freunde meines Gönners als Verwalter seiner Güter in Bedienung gestanden; vor einigen Tagen aber das Unglück gehabt, seine Dimißion zu erhalten. Dieser gute Mann [329] hegt gegen den Herrn v.N. die ungegründeten Gedanken, als wenn er an seinem Unglücke einige Schuld hätte. Und ob ich gleich die Unschuld meines gnädigen Herrn durch eine bekannte Distinction gnugsam gerettet habe; so will doch dieser einfältige. Mann sich davon gar nicht überzeugen lassen. Vielleicht habe ich Gelegenheit, in kurzem Eu. Hochwürden eine ausführliche Nachricht von den Unternehmungen meines Patrons, die ihm seinem großen Muster ähnlich machen, zu ertheilen, hierdurch werde auch in dieser Sache vollkommenes Licht bekommen. Sie können es indessen auf mein Wort glauben, daß mein Gönner so wenig geneigt ist, Leute unglücklich zu machen als der Ihrige, und daß wann es in seine Macht stünde, Jederdermann glücklich seyn würde. Um hiervon auch den unglücklichen Bornseil zu überführen, mußte ich ihm allerhand feine Vorschläge thun, die er aber doch alle verworfen hat; ia er drohete so gar in der Desperation zwei seiner Kinder meinem Gönner vor die Thür setzen zu lassen. Da nun dieses in Deutschland[330] für etwas schimpfliches gehalten wird, und man allerlei ungleiche Urtheile darüber fällen könnte, wenn mein Patron auf solche Art ein Pflegevater werden sollte; so that ich ihm gestern den Vorschlag, diesen Mann, der allezeit einen ehrlichen und unbescholtenen Lebenswandel geführet hat, Eu. Hochwürden und der Gütigkeit des Herrn Baronets zu empfehlen. Mein Principal fand hierbei nichts einzuwenden. Ich ließ deswegen den trostlosen Bornseil zu mir erfodern, und eröffnete ihm, daß mein gnädiger Herr Willens wäre, ihm eine gute Versorgung zu schaffen, wenn er sich entschließen wollte, außerhalb seines Vaterlandes solche anzunehmen. Er war über diesen unerwarteten Antrag außerordentlich erfreuet, und versicherte mich, daß er bereit wäre, bis ans Ende der Welt nach seiner Versorgung zu gehen, wenn er sich und seine Familie nur ehrlich nähren könnte. Ich stellte hierauf ein kurzes Examen mit ihm an, um zu erfahren, ob er der Recommendation Eu. Hochwürden würdig wäre, und da habe ich denn nach einem genauen Tentamine befunden, [331] daß er zwar in seinem Catechismus eben nicht sonderlich beschlagen gewesen; ob ich gleich nicht kann in Abrede seyn, daß er einige Reimgebetlein noch ganz fertig hersagen konnte. Allein die Regeln der Haushaltungskunst waren ihm desto besser bekannt. Er wußte eine große Menge derselben theils aus dem Becher, theils aus den Colero, in deutschen Reimen verfaßt auf dem Nagel herzusagen. Insbesondere konnte er gleich ex tempore alle Tage, welche im Kalender mit einem rothen Kleeblat bezeichnet sind, nennen. Nicht minder besitzt er auch eine große Erkänntnis öconomischer Erfahrungen, die Witterung zu beurtheilen, und auf viele Wochen Frost und Hitze, Regen und Sonnenschein vorherzusagen. Eben ein so gutes Zeugnis kann ich ihm auch in der Rechenkunst ertheilen, die schwersten Aufgaben wußte er in kurzer Zeit genau und glücklich aufzulösen. Die Regel Detri und welsche Practik verstehet er aus dem Grunde; insbesondere aber hat er etwas in der Regula Falsi gethan. Da nun dieser gute Mann sein [332] Pfund vergraben müßte, wann er sollte gezwungen seyn, dem Kalbfelle nachzuziehen, und da über dieses mein gnädiger Herr es als eine ganz außerordentliche Gefälligkeit ansehen würde, wenn Eu. Hochwürden so viele Achtung für sein Vorbitten haben und diesen unglücklichen Mann, der es nicht durch sein Schuld geworden ist, Ihrem Gönner recommandiren wollten: so habe ich das Vertrauen zu Dero bekannten Menschenliebe, daß Sie mich nicht eine Fehlbitte thun lassen werden, wenn ich mich mit meinen Patron vereinige, und Sie angelegentlichst ersuche, sich über diesen Verlassenen zu erbarmen, und ihm wieder zu einer zureichenden Versorgung behülflich zu seyn. Mein unvorgreiflicher Vorschlag ginge unmaßgeblich dahin, daß dem ehrlichen Bornseil die Verwaltung von einen der Güter des Herrn Baronets in Irrland aufgetragen würde; oder wo dieses nicht seyn könnte, daß Sie ihn doch wenigstens den Herren Commissarien von Neugeorgien und Südcarolina bestens empfehlen wollten, um ihn einen Wohnplaz in Neuebenezer, [333] oder an einem andern schicklichen Orte anzuweisen. Ich erwarte mit nächstem von Ihnen Verhaltungsbefehle, wenn besagter Bornseil mit seiner Familie von hier nach Engelland abreisen soll, und was Sie etwan sonst noch mir befehlen werden. So viel getraue ich mir mit Wahrheit dahin zu behaupten, daß ich den großbrittanischen Staaten einen sehr nützlichen Bürger verschaffen werde. Es will unter der Hand verlauten, daß Ew. Hochwürden in kurzem ein erledigtes Bißthum erhalten würden, ich wünsche Ihnen im voraus Glück dazu. Mein Gönner empfiehlt sich Ihnen nebst mir und ersucht Sie, eben dieses für ihn bei Sr. Hochwohlgebohrn. dem Herrn Baronet und dessen vortrefflichen Frau Gemahlin zu thun. Ich empfinde in meinen Herzen allemal ein rührendes Vergnügen, wenn ich Gelegenheit habe mich zu nennen.


Ew. Hochwürden, Meines Hochgeehrtesten Herrn Doctors

gehorsamsten Diener L. Wilibald, Phil. D.

45. Brief
[334] XLV. Brief.
Der Herr v.S. an seine Fräulein Schwester.

London den 11 Octobr.


Geliebte Schwester,


Wenn mir auch Engelland kein Vergnügen hätte verschaffen können, so würden mir doch Deine Briefe und der Roman unsres Oncles meinen Aufenthalt hier angenehm gemacht haben. Ich weiß nicht, ob ich bei Besichtigung des Palasts S. James, oder bei Durchblätterung der Briefe, die die Grandisonische Händel, wie Du sie nennest, betreffen, vergnügter gewesen bin. Mein Heinrich hat sie alle heften und abschreiben müssen. Das Original schicke ich in beigefügten Paquet nach deinem Verlangen zurück. Die Abschrift werde ich selbst behalten, um diesen Roman zum Zeitvertreibe auf meine Reisen wieder zu lesen. [335] Ich bin einigermaßen verlegen darüber, wie wir es anfangen, daß nach meiner Abreiße von London der Briefwechsel des Magister Lamperts mit der Grandisonischen Familie nicht unterbrochen wird. Ich sehe, daß solcher für unsern Oncle von einigem Nutzen ist. Wenn ich meinen Entschluß nicht noch ändere, so werde ich in einem Monath aufs längste von hier über Holland nach Straßburg gehen, und daselbst überwintern; vorher aber will ich noch einmal schreiben, um zu verhüten, daß ich keinen Brief von dir verfehle, welchen ich bei jezigen Umständen schwerlich erhalten würde, wenn er einmal nach London ginge. Wenn es seyn kann, so bemühe dich, unsern Oncle und seinen Sancho zu überreden, daß sie die Briefe an ihre Freunde in Engeland unter einem Umschlage an mich nach Straßburg schicken, ich will ihnen selbst diesen Vorschlag thun und glaube, daß ich alles von ihnen erhalten kann, wenn ich sage, daß es Herr Grandison gutheißet.

[336] Das Fräulein v.W. verdienet bedauert zu werden, daß sie in diese Händel ist verwickelt worden. Wenn ich sie aus ihren Briefen beurtheilen soll; so muß ich ihr einen vorzüglichen Plaz unter dem Frauenzimmer ihrer Gegend einräumen. Ich werde in die Versuchung gerathen, sie meiner Amalie an die Seite zu setzen, wenn ich mehr von ihr lese, und ich muß es gesiehen, daß sie mir vor drei Jahren, da ich sie das lezte mal sahe, in ihren besten Putze nicht so reizend vorkam, als durch ihre nachläßige und angenehme Schreibart, die ich in den Briefen an ihre Freundin fand. Ich weiß, daß du nicht eifersüchtig bist über das Lob deiner Juliane, du weist also über diese Stelle keine Auslegungen machen. Der Nachricht, daß sich ihr Heirath mit unserm Oncle völlig zerschlagen hat, sehe ich mit Verlangen entgegen. Es ist nichts weniger als der Eigennutz, der mich antreibt, dieses zu wünschen; ich habe sonst keine Absicht dabei, als mir den Verdruß zu ersparen, dieses gute Fräulein misvergnügt zu sehen. Ich gehöre nicht [337] zu ihrem eigentlichen verehrern; doch wenn du mich darunter zählen wilst, so setze mich in die Klasse derer, die ein gutes Herz verehren, wo sie es finden, ohne dabei weiter zu denken. Ich will mich diesmal in keine ordentliche Beantwortung Deiner zween leztern Briefe einlassen, ich finde dabei nichts mehr zu sagen, als daß du deinen Endzweck bei mir vollkommen erreichet hast, der erstere hat mich über acht Tage lang unruhig gemacht, und den Zweiten erbrach ich in Furcht und Hoffnung. Nun glaube ich es selbsten, daß man eben nicht Unrecht hat, wenn man meine Amalie für ein leichtfertiges Frauenzimmer hält. Wodurch hat denn der Magister Lampert die Ehre verdienet, daß du eine Beleidigung, die ich ihm zugefügt haben soll, an mir gerochen hast? Ich kann es zwar eben nicht, eine Beleidigung nennen; ich weiß aber nicht, was man sonst rächen kann. Der Anfang dieses zweiten Briefs setzte mich in Bestürzung; ich empfand alles dabei, was der Magister kann empfunden haben, da ich ihn mit der Nachricht erschreckte, daß ich in [338] Engeland keinen Grandison finden könnte. Es fehlte wenig, so hätte ich wie er mein Kleid zerrissen. Du konntest in der That für diese kleine Leichtfertigkeit unter keiner andern Bedingung eine vollkommene Vergebung hoffen, als durch eine getreue und ausführliche Erzählung aller Umstände, die den 16. September in Wilmershausen merkwürdig machten. Ich erwarte mit Ungeduld den Verfolg dieser Begebenheiten, und hoffe daß sie zum Vergnügen des guten Fräuleins v.W. ausschlagen werden. Uebergieb dem Magister einliegende zwei Briefe, du wirst uns bei Gelegenheit melden, was er und unser Oncle zu dem Innhalte derselben sagen. Ich werde es als ein Zeichen deiner Gewogenheit annehmen, wenn du fortfährest, alles was in die Geschichte unsers Grandisons einschlägt mir zu berichten. Wenn es möglich wäre, meine Liebe gegen dich zu vermehren, so würde Dir diese Gefälligkeit einen Zuwachs davon versprechen. Wie vortheilhaft ist es doch, eine Schwester zu besitzen, wie meine Amalie, die mich durch tausend Proben versichert, [339] daß Sie nie aufhören wird zu lieben.


Ihren

dankbaren Bruder.

46. Brief
XLVI. Brief.
Der Herr v.S. an den Magister.

Grandisonhall den 8 Octobr.


Hochgeehrtester Herr Magister,


Sie sind es, dem ich mehr als meinen leiblichen Aelter zu verdanken habe, nicht nur wegen ihres vortrefflichen Unterrichts, den ich vor diesem von Ihnen genossen habe; sondern auch hauptsächlich, daß sie sich die Mühe genommen, mich auf meinen Reisen zu begleiten. Sie haben mich auch für allerlei Versuchungen und Gefährlichkeiten durch diese Begleitung glücklich bewahret. [340] Sie sind mein weiser Mentor, ich bin Ihr Telemac. Ohne Ihren großmüthigen Schutz würde Engelland für mich die Zauberinsel der Calypso gewesen seyn. Sie empfangen hier für Ihre Bemühungen für mein Glück, da ich ietzo im Begriff stehe Brittanien zu verlassen, den verbindlichsten Dank. Hätten Sie mir nicht Gelegenheit gegeben, nach dem Herrn Grandison zu forschen, hätte ich nicht die Ehre gehabt, mit ihm bekannt zu werden: so würde ich den Endzweck meiner Reise größten Theils verfehlet haben, wenn das wunderbarste und sehenswürdigste von Engelland meiner Aufmerksamkeit entgangen wäre. Diese meine Nachläßigkeit würde noch auf eine härtere Art seyn bestraft worden. Wenn nicht in dem Hause des Herrn Baronets immer von Ausübung der strengsten Tugend geprediget würde, und wenn ich nicht hätte befürchten müssen, das geringste Vergehen gegen solche, mit dem Verlust der schätzbaren Freundschaft dieses großen Mannes zu büssen: so würde ich mancher Versuchung nicht haben widerstehen können; wer [341] weiß, ob ich nicht dann und wann untergetaucht hätte, wie der leidige Vetter Eberhard. Er hat oft an mich gesetzt, um mich zu verführen; aber der Baronet hat mich für ihm gewarnet und mir so gute Lehren gegeben, daß es mir eben nicht schwer ankommt seinen Versuchungen zu widerstehen. Nicht mehr als ein einzigmal ist es ihm gelungen, mir das Seil überzuwerfen. Ich will Ihnen doch die Ausschweifung, wozu er mich verleitet hat, erzählen, und wegen eines Scrupels, der mich wegen dieser Vergehung sehr ängstiget, Ihr philosophisches Bedenken ausbitten. Es wird nun ungefehr ein Monat seyn, da ich von Grandisonhall nach London gereiset war, um das sehenswürdige dieser großen Stadt, die mir noch unbekannt waren in Augenschein zu nehmen. Einmal, da ich dem Herrn Reeves einen Besuch abstatten wollte, begegnete mir Herr Eberhard Grandison auf der großen Brücke über die Themse. Er nöthigte mich in seinen Wagen zu steigen und sagte mir, es hätte ihm geglückt heute seiner Frau zu entwischen, und [342] er wäre so froh darüber, als ein Volgel, der aus dem Bauer käme. Er bat mich, meinen Vorsatz den Herrn Reeves zu besuchen auf zu geben, und mit ihn nach Covengarden zu fahren, um auf einem Koffehause und etwas vom Kriege vorschwatzen zu lassen. Ich ließ mir diesen Vorschlag gefallen. So bald wir in den Saal traten, wurden alle Lombre- und Pharotische rege; es waren in einem Augenblicke mehr als ein Dutzend Brüder um meinen Begleiter herum, die ihn alle umarmten und eine Freude von sich spühren liessen, als wenn er von einer weiten Reise in sein Vaterland zurück gekommen wäre. Ich merkte bald, daß ich mich unter seinen Spielern befand, ich that deswegen so gleich einen Schwur bei mir, daß ich heute nicht spielen wollte. Ich brachte also eine von den Regeln in Uebung, die Sie mir einschärften, da ich noch bei Ihnen in die Schule ging: Wenn man Lust hat etwas zu thun, daraus etwas böses entstehen kann; so soll man auf der Stelle sich hoch und theuer verschwören, daß man es nicht thun will. Ich steckte meine [343] Hand in den Schubsack und hielt meine Börse feste, damit nicht einer von den gefälligen. Herrn, die mich alle umarmten, nachdem mein Gefehrte mich ihnen vorgestellet hatte, meine Taschen sondiren möchte. Man nöthigte uns beide unser Glück zu versuchen, zu meinem Vergnügen sagte Herr Grandison, wir würden uns nicht lange aufhalten, und er wäre heute zu phlegmatisch zum Spiele. Inzwischen sah er doch mit einem begierigen Auge bald nach dem Spieltische, bald nach mir, und schien auf einmal ganz niedergeschlagen zu seyn. Weil er nicht spielen wollte, so wollte auch Niemand mehr mit ihn reden. Ein paar mal gab er mit einer nachdenklichen Mine den Pointeurs einen guten Rath, den sie nicht verlangten, er versicherte sie, daß der Bube, der König u.s.w. diesmal unfehlbar gewinnen würde; allein er hatte den Verdruß, daß die Herren die Blätter so gleich zuruck nahmen, wenn er ein gutes Vertrauen dazu hatte. Dieses kränkte den guten Mann aufs ärgste. Endlich that er, was ich schon lange befürchtet [344] hatte, er zog mich auf die Seite und fragte mich, ob ich ihm zwanzig Guineen vorstrecken könnte. Ich würde wohl einsehen sagte er, daß seine Ehre Gefahr lief, wenn er nicht ein Blatt setzte und die Kerls gegen sich im Respect erhielt, er hätte nicht geglaubt diese Kompanie hier zu finden, deswegen hätte er sich auch nicht mit Gelde versehen, ich sollte diese Kleinigkeit in einer Stunde mit Danke wieder haben. Mir war bei diesen Antrage nicht wohl zu Muthe, weil er seine Lebensart nicht ändern will; so hat Sir Karl es dahin gebracht, daß er von seiner Frauen Vermögen nicht das geringste angreifen darf; sondern er bekommt von ihr nur alle Woche ein gewisses Taschengeld, das sie nach dem Verhältnis seiner Aufführung gegen sie, entweder erhöhet oder vermindert. Der geringste Widerspruch ist im Stande ihn auf eine oder mehrere Wochen seiner Renten zuberauben. Wer ihm also was borget, der muß sein Geld verlohren schätzen, wenn seine Frau nicht für gut befindet, seine Ehre zu retten und für ihn zu bezahlen. Sein Credit ist dadurch [345] so geschwächt, daß ihm Niemand einen Thaler borget; auch so gar seine Spieler wollen ihm kein Conto mehr geben.


Indessen glaubte ich alle Wohlanständigkeit zubeleidigen, wenn ich ihm diese Gefälligkeit versagte, ich zählte ihn die 20 Guineen zu. Er umarmte mich für diese Ritterzehrung einigemal, ich war bei diesen freundschaftlichen Versicherungen ganz kaltsinnig und zweifelte, ob ich mein Geld jemals wieder zu Gesichte bekommen würde: Er trat hierauf mit einer ernsthaften Mine zum Spieltische, holte fünf Guineen aus der Tasche und sezte sich da, ihm Jedermann mit Ehrerbietung Platz machte, auf dem ihm angebothnen Stuhl. Er fing an unter vielen wohlausgesonnen Flüchen sein Glück zu versuchen. Mir wurde in dieser Gesellschaft Zeit und Weile lang. Ich nahm mir vor zum Zeitvertreibe das Koffeehaus, welches ein ansehnliches Gebäude schien, etwas genauer zu besichtigen. Aber hören Sie, wie ich für diese Neugierde büßen mußte. Ich gehe durch [346] den Hof nach einem feinen Hintergebäude, ein wohlgekleideter Bediente kommet mir da von freien Stücken entgegen und führet mich ohnem ein Verlangen in ein wohlaufgepuztes Zimmer. Er vermuthete, sagte er, daß ich die Dame vom Hause sprechen wollte, ich sollte mich nur ein wenig gedulden, sie würde in einen Augenblicke da seyn. Ich sagte, es würde mir eine Ehre seyn, wenn ich der Madame aufwarten könnte. Ich vermuthetenachts; weniger, als daß ich in den bezauberten Pallast einer berühmten Conversations-Dame von London gerathen wäre. Es vergingen kaum zwei Minuten, so erschien ein Frauenzimmer von mehr als gemeiner Schönheit, eine Circe, die im Stande war, wie ich glaube, einen Joseph zu verführen, und ihn in einen zu allen Ausschweifungen geneigten Jüngling zu verwandeln. Sie sagte mir allerhand Höflichkeiten und ich konnte nichts thun, als Reverenze machen. Sie nahm meinen Besuch als etwas bekanntes an, ich hatte also nicht Ursache über eine Entschuldigung, wegen dieses Eindringens bei ihr, verlegen [347] zu seyn. Endlich entdeckte ich ihr doch durch was für einen Zufall ich hieher wäre gebracht worden, daß meine Absicht gewesen wäre, dieses Gebäude zu besehen, ohne mir einzubilden daß ich darinne eine so schöne Bewohnerin antreffen würde. Ich freuete mich, daß ich nach meiner Meinung etwas artiges vorgebracht hätte; allein die Dame übergieng dieses Kompliment mit einem kaltsinnigen Lächeln.


Nach einigen Minuten nahm ich Abschied, und der Bediente, der mich in das Haus gebracht hatte, führte mich wieder mit vieler Höflichkeit bis an die Thür. Hier aber veränderte er auf einmal seine Sprache, er packte mich ziemlich derb bei dem Beine an, da ich eben im Begriff war das Haus zu verlassen, und schlug die Thür vor mir zu. Sir sagte er, eilen sie nicht so geschwinde, hie bezahlt man erst seine Zeche ehe man fortgehet. Was, sagte ich, meine Zeche? Ich habe der Madame von Hause meine Aufwartung gemacht. Es ist doch hier kein [348] Gasthof? Und wenn es auch einer wäre, so habe ich ja nichts verlangt weder Wein noch Coffee, was soll ich denn bezahlen? Der böse Mensch schlug ein hönisch Gelächter auf: Sie müssen hier unfehlbar fremde seyn, daß Sie nicht wissen, welchen Gesetzen Sie Sich unterworfen haben, da Sie in dieses Haus getreten sind. Haben Sie nicht oben in dem Zimmer eine Tafel gesehen, darauf die Gesetze dieses Hauses geschrieben stehen? Ich beantwortete dieses mit nein. Er nöthigte mich hierauf mit Ungestüm wieder mit ihm hinauf in das Zimmer zu gehen, und wieß mir über der Thür desselben eine Tafel, die ich vorhero nicht bemerket hatte. So viel ich mich davon erinnere, war folgendes mit goldenen Buchstaben darauf geschrieben:


1) Wer die Ehre haben will, die Madame zu sehen, bezahlt einen halben Guinee.

2) Das Vergnügen mit ihr zu sprechen, kostet einen Guinee.
3) Jeder witzige Gedanke den sie vorbringet, wird mit einem Guinee bezahlet.

[349] 4) Wein, Coffee, allerhand Erfrischlungen und Confituren bekommt man hier, um den doppelten Preiß.


5) Für die Erlaubniß die Madame das erste mal zu küssen, werden zwei Guineen erlegt, hernach genüßt man dieses Vergnügen unengeltlich.


So viel stund auf der ersten Seite, der Kerl fragte mich, ob er die Tafel umwenden sollte. Auf der andern Seite, sagte er, stehen stärkere Posten; ich verlangte aber nicht, diese zu sehen. Ich gab ihn einen und einen halben Guinee und wollte fortgehen; er war damit nicht zufrieden. Sie haben noch die dritte Post zu bezahlen, sagte er, hernach können Sie hingehen, wohin Sie wollen. Ich schwor, daß mir die Madame ihren Witz nicht gezeiget hätte, und glaubte, damit durch zu kommen; es half aber nichts. Sie sind noch ein sehr unerfahrner junger Herr, wenn Sie nicht wissen, daß alles witzig ist, was ein artig Frauenzimmer über ja und nein sagt. Ich hatte keine Lust mit dem Flegel zu disputiren; [350] ich hohlte noch eine Guinee aus meiner Tasche und begab mich voll Verdruß wieder zu den Spielen. Warlich! dachte ich, ein kleines Vergnügen für zwei Guineen und einen halben. Ich sahe diesen Verlust als eine gerechte Strafe meiner Verwegenheit an, daß ich mich durch den leidigen Eberhard hatte verführen lassen, einen Ort zu besuchen, der in allerlei Absicht der Jugend gefährlich war. Ich that auf der Stelle eine Gelübde, mich hinführo für aller bösen Gesellschaft zu hüten, und alle Gelegenheit zur Verführung zu meiden.

Da ich mich wieder dem Spieltische des Herrn Eberhards nahete, fand ich ihn in vollem Glücke, er hatte einen Haufen Geld vor sich, daß ich dafür erstaunte. Er war mit meinen zwanzig Guineen so glücklich, da man das Spiel aufgab, dreißig gewonnen zu haben. Heute wollen wir uns einmal lustig machen, ihr Herren, sagte er, ihr habt mich gewinnen lassen, ich will euch dafür tractiren. Es war schon des Abends um 10 Uhr da der [351] leidige Eberhard diesen Einfall hatte. Wir hatten auch schon alle etwas von kalter Küche gespeiset, was konnte er also der Gesellschaft zu gute thun, als daß er sie mit einem Glase Wein bewirthete? Die Spieltische wurden mit Bouteillen besäet, die Deckelgläser begegneten einander so oft, daß um die Zeit des zweiten Hahnengeschreies Jedermann einen derben Rausch hatte. Ich will nur meine Sünde offenherzig gestehen, ich hatte auch einen ziemlichen Hieb. Wir brachten die Nacht so zu. Bei Tages Anbruch ließ der Wirth, ohne unser Verlangen, Coffee auftragen, um seine Gäste zu ermuntern. Um 8 Uhr da sich die meisten heimlich weggenommen hatten, befahl Herr Eberhard, (ich will ihn nicht mehr Grandison nennen, er erniedriget diesen schönen Namen,) um 8 Uhr sage ich, befahl Herr Eberhard, einen Wagen kommen zu lassen. Der Wirth machte die Zeche. Der Sir suchte seine Börse; aber stellen Sie Sich sein Schrecken für, da er sie nicht fand. Sie war weg. Einer von den gefälligen Herren, die ihn so oft umarmten, hatte ihm [352] Gewinnst und Capital entführet. Der Wirth fieng an über die Bestürzung meines Verführers große Augen zu machen, er stitzte den Arm trotzig in die Seite, und sahe uns über die Achsel an. Seine Pechmütze, die er vorher bescheiden unter dem Arm trug, klebte den Augenblick auf dem Kopfe, und so viele Höflichkeiten der arme Erberhard ihm erwieß; so wenig konnten diese ihm doch für den Grobheiten dieses ungestümen Mannes schützen. Mit genauer Noth erhielt er es auf vieles Bitten, daß er gegen eine Handschrift weg kam, der Wirth wollte ihn durchaus zum Unterfande für seine Bezahlung bei sich behalten. Unter Weges war er so niedergeschlagen, als wenn er nach dem Tour hätte sollen gebracht werden. Er bereitete sich zu, wie er sagte, zu Hause ein heftiges Ungewitter auszuhalten. Einmal bat er mich inständig, ihm eine Lügen erdenken zu helfen, um dem Zorne seiner Frau auszupariren; ich hatte aber dazu weder Lust noch Geschicklichkeit. Bei meinem Quartiere verließ er mich, und versicherte unter hundert Schwüren daß er nicht lange [353] mein Schuldner bleiben wollte; er ist es aber noch immer. Sehen Sie, werthester Freund, wie leicht die Jugend kann verführet werden in dergleichen Ausschweifungen würde ich ganz oft gefallen seyn, wenn Sie mir nicht in Engelland den Tempel der Tugend, das Haus des vortreflichen Grandisons, zur sichern Zuflucht gegen alle Versuchungen gezeiget hätten. Ich höre nie auf deswegen gegen Sie dankbar zu seyn, und Sie werden meine Dankbegierde außerordentlich vermehren, wenn Sie mir einen Scrupel benehmen, der mich seit der Ausschweifung, wozu mich der leidige Eberhard verleitet hat, heftig ängstiget. ich habe eben den rühmlichen Entschluß gefasset, welchen mein Oncle so glücklich ausführet, Sir Carln nachzuahmen. Wer kann sich dieses Vergnügen versagen, der nicht pöbelhaft denket? Wollte Gott, daß alle Leute diesem großen Muster gleich zu kommen, sich bemüheten! So bald ich diesen Vorsatz gefasset hatte, stellte ich eine genaue Untersuchung meines Lebens an. Ich fand in dem zurückgelegten Theil desselben, dem Himmel [354] sey Dank, nichts, daß ich zu bereuen sonderlich Ursache gefunden hätte. Ich nahm mir vor, von nun an auf den Wegen unsers gemeinschaftlichen Vorbildes und unsers Gönners zu wandeln; allein, welche Abweichung! hätte ich doch nie den unglücklichen Eberhard mit Augen gesehen, wie viele Unruhe würde ich meinem Gemüthe dadurch ersparet haben! Hören Sie nur, wie ich mich selbst anklage. Sir Carl, sage ich zu mir selbsten, hat sich nie einen Rausch getrunken, ich habe mir einen Rausch getrunken: also werde ich nie so vollkommen seyn als mein Urbild. Untersuchen Sie diesen Schluß genau, theurester Freund, Sie haben es weiter in der Vernunftlehre gebracht als ich. Wie sehr wünsche ich, daß ich fasch geschlossen hätte! Ein kleiner Ehrgeiz, den ich bei mir empfinde, macht mich bei meinem Oncle und auf Sie eifersüchtig. Ich weiß, daß Sie es beide in der Nachahmung Sir Carls schon so weit gebracht haben, daß er selbst sein Vergnügen über einen so glücklichen Fortgang nicht verbergen kann, und ich sehe mich nun so weit unter Sie zurückgesetzt. [355] Verlangen Sie nicht, daß ich mich länger bei einer Sache aufhalte, die mich ganz tiefsinnig macht. Wenn Sie mir einen Gefallen erzeigen wollen; so bemühen Sie Sich, einen Fehler in meinem Schlusse aufzusuchen, und überzeugen Sie mich davon aufs eheste.


Sie glauben mir es ohne eine weitläuftige Versicherung auf mein Wort, ich bin davon überzeugt, daß ich den vollkommensten Antheil an Ihrem Ruhme nehme. Wie kann ich es also verschweigen, was man hier zu Ihren Vortheile spricht. Vor einigen Tagen hatte der Herr Baronet eine auserlesene Gesellschaft bei sich, sie wurden dadurch desto merkwürdiger, weil der berühmte Richardson sich darunter befand, der seinen Ruhm, den ihm schon eigne Schriften erworben, durch die Herausgabe der Geschichte des Herrn Grandisons auf den höchsten Gipfel gebracht hat. Man ist immer begierig, außerordentliche Leute von Person kennen zu lernen; ich würde mir ein Vergnügen daraus machen, [356] ihn nach dem Leben zu schildern, und von Fuß bis auf die Scheitel zu beschreiben, wenn er nicht diese Mühe mir zu erspahren die Gütigkeit gehabt hätte. Er versprach, mich mit seinem Portrait zu beschenken. Sobald ich dieses erhalte, will ich es meinem Oncle in seine Bildergallerie verehren, wo Sie es zu sehen bekommen werden. Man sieht es diesem Manne an, daß er einen edlen Ehrgeiz besitzt, unsterblich zu seyn. Es scheint, daß er alles würde unternommen haben, um diesen Zweck zu erreichen, und wenn es ihm mit der Feder nicht geglücket hätte; so hätte, wie es scheint, der Degen ihm ein Andenken stiften müssen. Er thut eben nicht stolz auf seinen Ruhm; aber mich dünkt, er läßt keine Gelegenheit vorbei, solchen immer zu erweitern. Die großen Leute sind vermuthlich wie die Reichen gesinnet, jemehr sie haben, je mehr sie sammlen wollen, das Plus vtra ist der Wahlspruch von beiden. Der Baronet wußte bei der Tafel die Unterredung so artig auf meinen Oncle und auf Sie, theurester Freund, zu lenken, daß es gar nicht schien, als wenn er eine Ehre [357] darinne suchte, es der Gesellschaft bekannt zu machen, daß er in Deutschland glückliche Nachahmer seines großen Charakters gefunden hätte. Er machte dem Herrn Richardson ein artig Compliment dadurch, das ihm allein die Ehre; zuschrieb, daß er der Welt nicht ganz unbekannt geblieben wäre. Doctor Bartlett erklärte hierauf die Meinung seines Gönners etwas deutlicher, und fieng an, durch Ihr und meines Oncles Beispiel, die Nutzbarkeit der Ausgabe der Geschichte des Herrn Grandisons zu beweisen. Mich dünkt, ich sahe Sie vor mir, da ich den ehrlichen Doktor so disputiren hörte. Sein Vortrag stimmt mit dem Ihrigen aufs genauste überein.


Obgleich Niemand unter der ganzen Gesellschaft daran zweifelte, daß Sir Carls Geschichte in mancherlei Absicht für die Welt nutzbar wäre: so häufte doch doch der Doctor dieses zu beweisen, Schluß auf Schluß, und ich wurde überzeuget, daß es allerdings Mühe kostet, Dinge zu beweisen, die keines Beweises [358] bedürfen. Dieser Ehrenmann war so eifrig, daß ihm der Schweiß immer über die Backen lief. Ich dachte mehr als einmal an Sie. Es würde mir viel Mühe kosten, wenn ich nachzählen sollte, wie viel mal Ihr und meines Oncles Name rühmlich genennet wurde; so viel ist gewiß, daß ich mir nichts geringes darauf zu gute that, da ich es der ganzen Gesellschaft offenbaren konnte, daß ich die Ehre Ihres Unterrichts genossen hätte, und ein Anverwandter von dem Herrn v.N. wäre. Herr Richardson machte mir hierbei eine tiefe Verbeugung. Er saß die übrige Zeit bei der Tafel beständig in Gedanken, und grübelte mit der Gabel auf dem Teller. Ich glaubte er sönne auf eine Anlage zu einer neuen Pamela. Beim Thee entdeckte ich endlich die Ursache seiner Tiefsinnigkeit. Er bat mich innständig, ihm die Briefe, die die vortreflichen Unternehmungen meines Herrn Oncles und seines klugen Freundes dem Herrn Grandison nachzueifern, enthielten, mitzutheilen. Ich besaß nicht Herzhaftigkeit genug, diesem berühmten Manne etwas [359] abzuschlagen; ehe ich also die Sache genau überlegen konnte, that ich das übereilte Versprechen, ihm diese Briefe auszuhändigen, wenn ich die Erlaubniß dazu von meinem Oncle erhalten hätte. Ich ärgerte mich abscheulich über mein voreiliges Versprechen, da ich Zeit gewann, diese Sache reiflicher zu überlegen. Herr Richardson schien über meine Gutwilligkeit außerordentlicher vergnügt; er legte sein aristotelisches Gesichte wieder ab, und gab sich das Ansehen eines muntern Hofmannes. Hieraus konnte ich leicht muthmaßen, daß er sich schon mit der angenehmen Hoffnung schmeichelte, seinen Ruhm durch die Bekanntmachung einer Sammlung von Briefen, die der Grandisonischen nichts nachgiebt, noch mehr zusteigern. Dieser Gedanke machte meinen Ehrgeiz rege. Ich bin mir selbst der nächste, dachte ich, Niemand würde etwas von einem Richardson wissen, wenn er sich nicht durch eigene Schriften bekannt und durch fremde berühmt gemacht hätte. Ich will mit einem Hiebe zwei Streiche thun. Einen Roman zu schreiben, das ist meine Sache [360] nicht, ich will die Geschichte meines Oncles ins Französischen übersetzen, ich will sie in Straßburg drucken lassen, und dadurch auf einmal bekannt und berühmt werden. Bitten Sie Ihren Principal, daß er mir zu diesem rühmlichen Vorhaben seine Erlaubnis ertheilet, wenn ich diese erhalte; so werde ich Engelland mit Vergnügen verlassen, und Straßburg als die holde Mutter meines zukünftigen Ruhms betrachten. Mein Brief wird länger, als ich im Anfang dachte. Ich würde hier schließen, wenn ich befürchtete, Sie zu ermüden; allein ich habe Ihnen noch ein Wort zu sagen, darüber Sie vielleicht nicht misvergnügt seyn werden.


Neulich bat mich der Doctor Bartlett nebst dem jungen Grandison und seinem Hofmeister zu sich, der Baronet und seine Gemahlin waren eben nach Schirleimanor verreißt. Seine Wohnung war aufs beste ausgeschmückt, jedermann war darinne geschäftig. Der Doctor ging mit gravitätischen Schritten in seiner mit Spitzen bebrämten [361] Thurmmütze Trepp auf, Trepp nieder, und hatte auf sein geschäftiges Gesinde ein wachsames Auge. Wir speißten in seiner Gaststube. Weil ich glaubte, daß er sich meinetwegen in solche Unkosten gesteckt hätte; so sann ich schon bei dem ersten Gerichte auf ein Entschuldigungscompliment, daß ich ihm wider Vermuthen so viele Ungelegenheit verursachen sollte; allein ich hatte nicht nöthig, dieses anzubringen. Bei dem ersten Becher Wein, der herum gegeben wurde, und der eben so wohl als die übrigen nebst dem Flaschen und Kelchgläsern mit Ephen und Blumenkränzen gezieret war, wurde ich meines Irrthums inne. Der Doctor nahm einen Becher in die Hand, und nachdem er sich von seinem Stuhle erhoben, hielt er diese Anrede an uns: Geliebtesten Freunde, Sie werden sich ohne Zweifel wundern, daß ich heute, da ich mir die Ehre Ihrer Gesellschaft erbethen habe, wider meine Gewohnheit verschwenderisch in Anschaffung der Speise und des Trankes gewesen scheine. Sie sehen diese Tafel mit so vielen Gerichten besetzt, daß solche hinreichend [362] seyn würden, alle Innwohner dieses ganzen Dorfes reichlich davon zu sättigen. Jener Schenktisch zeiget Ihnen einen Vorrath von Weinflaschen, welche von uns kaum in vier Wochen würden können ausgeleeret werden. Tadeln Sie mich nicht wegen einer scheinbaren Ueppigkeit, ehe sie das, was ich zu meiner Rechtfertigung sagen werde, vernommen haben. Der heutige Tag ist in dem neuen Calender mit einem so vortreffli-Namen bezeichnet, daß ich glaubte, ein Recht zu haben, mir denselben zu einem Festtage zu machen. Lampertus, was für ein nachdrückliches, was für ein schätzbares Wort ist dieses mir, das mich an einen gelehrten, an einen vollkommenen Freund erinnert. Der 17 September wird mir hinführo allemal ein Tag der Freude seyn, wie der Geburtstag meines Gönners und seiner vortrefflichen Gemahlin. Rechtfertigen Sie, hochansehnliche Gesellschaft, meinen Eifer, den Namenstag eines verdienstvollen Mannes, mit dem ich durch das Band der Freundschaft aufs engste verbunden bin, feierlich zu begehen. Es ist [363] nicht die Ehre, Sie bei mir zu bedienen, es ist das Vergnügen, einen Tag zu feiern, der mit meinem Freunde einerlei Namen führet, dadurch ich bin angetrieben worden, eine halbjährige Besoldung aufzuopfern, um durch diese äußerlichen Zeichen, welche Sie hier vor sich sehen und genüßen, meine Hochachtung gegen einen berühmten Ausländer an den Tag legen zu können. Lassen Sie uns von dem Guten, das wir hier haben, so viel zu uns nehmen, als zureichen wird, unsern Hunger und Durst zu stillen; alsdenn helfen Sie mir die übrigen Brocken den Armen, die sich vor meiner Thür versammlen werden, austheilen, daß sie dadurch ihr Herz laben und erquicken. Anjetzo aber vereinigen Sie ihren Wunsch mit dem meinigen: Es lebe der Herr Lampertus Wilibald! Wir stießen alle mit den Gläsern zusammen. Ich habe eben vergessen zu melden, daß einige von den Herren Vicinis des Doctors gegenwärtig waren. Die ganze Gesellschaft bestund aus zwölf Köpfen. Da ich meinen Hunger gestillet hatte, bekam ich Zeit, besonders da die Herren Pastores [364] einen armen Ketzer aus dem Alterthume mißhandelten, die artige Einrichtung des Doctors bei der Tafel wahrzunehmen. Im Anfange wunderte ich mich, daß die Tische, woran wir speißten, so gestellet waren, daß sie die Figur eines Winkelhakens bekamen, ohne daß es die Gelegenheit des Zimmers zu erfodern schien; nun aber sahe ich ein, daß wir an einer figurirten Tafel speißten, und daß diese ein lateinisches L vorstellte. Der Doctor hatte auch sogar von dem Conditor des Baronets ein artiges Desert verfertigen lassen; die Vorstellung davon ist mir entfallen. So viel weiß ich, daß ich etwas, das Ihrem Wappen ähnlich sahe, darauf entdeckte. Der Doctor sagte, es wäre dieses Wappen von einem Briefsiegel genommen, daher kam es auch, daß es nicht eben gar zu genau mit dem Original überein stimmte. Der Conditor hatte aus Unverstand die zwei Sphinxe in zwei gekrönte Löwen, und die Schlange, welche in ihren Schwanz beißt, dieses alte hierogliphische Bild der Aegypter in eine Bretzel verwandelt. [365] Da wir nach Tische den Thee getrunken hatten, mußte der Schulmeister anfangen zu läuten, dieses war das Signal, daß sich die Armen vor dem Hause des Doctors nun versammlen sollten. In wenig Minuten wimmelte der Pfarrhof von Leuten. Sie mußten sich auf Befehl des Doctors in drei Reihen stellen, und nachdem er sie Mann für Mann besehen hatte, mußten alle Gäste die Ausspendung der Wohlthaten des Doctors über sich nehmen. Es bekam jedes von diesen Armen ein Groschenbrod, welches mit einem lateinischen L gezeichnet war, ein Stück Braten und einen Becher Wein. Ihre Gesundheit wurde hier unter freiem Himmel über hundertmal von Gichtbrüchigen, Lahmen und Blinden getrunken. Ihr Name wurde also bei dieser Gelegenheit wieder vielen Leuten bekannt gemacht, und zwar auf eine solche Art, die im Stande ist, Ihr Andenken lange in Segen zu erhalten. Leben Sie wohl, berühmter Freund. Ich will hier geschwinde schließen, um Ihnen Zeit zu lassen, über so schöne Aussichten in Ansehung Ihres Ruhms sich zu vergnügen. Für dieses mal leben Sie wohl.

47. Brief
[366] XLVII. Brief.
Der Doctor Bartlett an den Magister.

Grandisonhall den 7 Oct.


Hochgeehrtester Herr Magister,


Wie gerne erfülle ich doch die Befehle meines Gönners, wenn er mir den Auftrag thut, Ihren Herrn Principal sowohl, als Sie selbsten, von seiner Hochachtung und Ergebenheit zu versichern. Er wünschet aufrichtig, mehr als eine schriftliche Versicherung seiner Freundschaft dem Herrn von N. geben zu können: allein jetzo siehet er sich in die verdrüßliche Nothwendigkeit versetzt, solche durch mich nochmals schriftlich wiederholen zu lassen; da alle Hoffnung verlohren ist, solches auf eine nachdrücklichere Art zu thun. Ihr Herr Principal hat vor einiger Zeit die Bittschrift seiner Unterthanen an meinen Gönner mit einem Erzählungsschreiben zu begleiten die Güte gehabt. Sir Carl bezeigte uns sein empfindliches Mitleiden über die unglücklichen Schicksale, [367] welche seit einem Jahrhundert und drüber, das ihm zugehörige Dorf Kargfeld betroffen haben. Er bedauerte hauptsächlich, daß das Absterben der verehrungswürdigen Frau Shirlei zufälliger Weise zu einem neuen Unglücke Gelegen heit gegeben. Wenn ihn nicht schon seine Menschenliebe geneigt gemacht hätte, die Bitte dieser Gemeinde zu erfüllen; so würde doch die Hochachtung gegen seinen Freund, den Herrn v.N., und die Pflicht gegen die fromme Mutter seiner Gemahlin ihn hierzu angetrieben haben. Er bemüthe sich dahero aus allen Kräften, es dahin zu bringen, daß eine Collecte für die Kirche in Kargfeld durch ganz Brittanien möchte ausgeschrieben werden; allein die Sache war zu wichtig, als daß man sie ohne Gutheißung des Parlaments zur Ausführung hätte bringen können. Aus dieser Ursache begab sich der Herr Baronet selbsten nach Londen, und besprach sich von dieser Angelegenheit mit vielen seiner Herren Kollegen, mit vielen Gliedern des Unterhauses. Er war so glücklich, keine geringe Anzahl derselben [368] auf seine Seite zu bringen. Die Sache wurde so gut eingeleitet, daß man an einem glücklichen Erfolg nicht zweifelte. Am 11 Sept. wurde der Bill wegen Einsammlung dieser Collecte durch ganz Brittannien für die Kirche zu Kargfeld, um ersten male gelesen, und paßirte ohne Widerrede. Den 13. Sept. da er zum andern male gelesen wurde, setzte es deswegen heftige Streitigkeiten. Die Gemüther wurden gegen einander erhitzt, und die Sitzung dauerte bis Abends um 9 Uhr. Am 18. da man ihn zum letzenmale las, wurde die, Einsammlung dieser Collecte mit 284 Stimmen gegen 113. verworfen. Herr Grandison war an diesem Tage in dem Unterhause, davon er ein Glied ist, und that alles, die Verwerfung dieses Bills zu hintertreiben; allein diesmal liefen seine Bemühungen fruchtlos ab.


Ich gab ihm hierauf den Rath, auf seine eigene Kosten eine mäßige Glocke gießen zu lassen, und solche der Gemeinde in Kargfeld zu verehren. Er folgte meinem Rathe, und [369] war so eilfertig, dieses gute Werk auszuführen, daß solche schon am 27. September eingeschiffet wurde. Aber wenn Unglück seyn soll; so muß sich alles fügen. Aus Vorsicht war diese Glocke in ein Schlagfaß eingepackt; allein ein vortheilsüchtiger Zollbedienter ließ dieses Schlagfaß mit Gewalt öffnen, und da er eine Glocke darinnen erblickte, erklärte er solche alsbald für Contreband. Sie war verfallen. Ich hatte selbst den Schmerz, sie in Londen in die Stückgießerei bringen zu sehen. Es soll eine sechzehnpfündige Kanone daraus gegossen werden, welche den Namen der Glocke von Kargfeld beibehalten, und vielleicht in der ersten Belagerung einer Vestung sich berühmt machen wird. Sehen Sie, geliebtester Freund, daß es also keinesweges an meinem Gönner lieget, wenn er den Eifer, seinen Freunden in Deutschland Gefälligkeiten zu erzeigen, nicht, wie er wünschet, thätig erweisen kann. Erwarten Sie nebst mir einen günstigern Augenblick, der vielleicht alles das zur Wirklichkeit bringet, was jetzo nur noch bloße Wünsche sind. [370] Sie haben mir in Dero letztern Briefe den unglücklichen Bornseil empfohlen. Wie nahe geht es mir, daß ich auch in Ansehung seiner, nichts anders als gute Wünsche thun kann. Ich wollte, daß er hier wäre, ich wünschte, daß er nur etwas von dem Ueberflusse der Pachter Sir Carls genüßen könnte, und ich bin versichert, daß er vollkommen zufrieden seyn würde. Mit gutem Gewissen kann ich den ehrlichen Mann nicht rathen, eine Reise nach England zu unternehmen. Gesetzt, daß er der stürmischen See und den Kaperschiffen, welche um unsre Insel herum schwärmen, entginge; wie schwer würde es ihm werden, in unsern Häfen sich für größern Gefährlichkeiten zu hüten. Die Matrosenpressung wird jetzo hier mit aller Macht getrieben; wenn dieser gute Mann einem unbarmherzigen Werber in die Hände fiel; so würde er ohne Rettung verlohren seyn. Würde er nicht hernach Ursache haben, mit Rechte so wohl über Sie, als mich, seine Klaglieder anzustimmen? Mein Gönner ist der Meinung, er sollte die Regel des weisen Sittenlehrers [371] beobachten, in seinem Vaterlande bleiben, und sich ehrlich nähren; so würde das alte Schprichwort von ihm erfüllet werden: artem quaevis alit terra. Meine Geschäfte wollen mir das Vergnügen nicht länger erlauben, mich mit ihnen zu unterreden. Ich kann meinem Briefe nichts weiter beifügen, als eine Bitte, meinen Gönner und die Seinigen, wozu ich auch gehöre, dem Herrn von N. bestens zu empfehlen; sich aber selbst zu versichern, daß ich mir jederzeit ein außerordentliches Vergnügen daraus machen werde, mit der vollkommensten Aufrichtigkeit zu seyn,


Meines Hochgeehrtesten Herrn Magisters

ergebenster Diener und Vorbitter, Ambrosius Bartlett. D.

Zweiter Theil

1. Brief
[1] I. Brief.
Der Hr. von N. an den Hrn. v.W.

Kargfeld, den 19 Sept.


Ist der Roman schon zu Ende? Denke das ja nicht, lieber Herr Bruder! ich bin vielmehr bereit, meine Sache entweder als ein Grandison auszuführen, oder zu sterben. Indessen aber fluche ich auf dich, auf deine Frau, auf den Major, auf den Magister, und auf alle, welche bei dem vermeinten Verlöbnisse waren. Wenn mir Lampert die Stelle aus dem Grandison, wo Sir Carl ein Gespenste gewesen, recht ausgelegt hätte; so würde ich gar nicht auf den Einfall gerathen seyn, dich und deine Frau im Schlafe zu stöhren. Ich war aber von der [1] ganzen Sache so eingenommen und verblendet, daß ich bereits in Gedanken über den zu hoffenden glücklichen Erfolg triumphirete. Warum habt ihr aber den armen Bornseil davon gejagt? Der Kerl ist so unschuldig, wie ein Kind in Mutterleibe. Er wollte nicht einwilligen; er wurde aber überredet. Du weißt, daß, wenn der Magister zu demonstriren anfängt, ihm weder Menschen noch Vieh widerstehen können. Setze ihn wieder in sein voriges Amt, damit der arme Teufel nicht betteln gehen, oder mir seine Kinder vor die Thür legen darf. Thut er es, so lasse ich die Bälge ins Wasser werfen. Mit deiner Frau bin ich gar nicht zufrieden: sie versteht keinen Spaß. Wär sie meine Frau; so bekäm sie alle Tage ihre Prügel. Du mußt ein hartes Leder haben, daß du so viel ausstehen kannst; wiewohl, wenn man dir am Tage Essen und Trinken giebt, und des Nachts deine Ruhe läßt; so bist du mit der ganzen Welt zufrieden.

Außerdem merke ich, daß sie der Major sehr wohl leiden kann. Es ist zwar mehrmals [2] davon gesprochen worden; nunmehro wird mir die Sache immer wahrscheinlicher. Sage mir doch bona fide, war ich damals stark besoffen? ich kann es nicht glauben, ohngeacht Lampert dazu schwöret; sollte ja etwas vorgefallen seyn; so ist der Major an allem Schuld gewesen. Wär ich kein Grandison; so wollte ich den Pursch schon finden, Ich schere mich den Henker um ihn: er mag deiner Frau ihr Vetter seyn oder nicht.


Ich habe eine tüchtige Delicatesse für die Ehre – doch was weißt du, was eine Delicatesse in der Ehre ist; da du sie weiter nicht als nur in einer Pastete und in einem Wildpretsbraten zu suchen gewohn bist. Schreib mir also, ob sich der Major in Reden wider mich vergangen hat. Der Wein fiel mir damals für die Ohren, daß ich nicht alles genau vernehmen konnte. Drohen laß ich mir nicht, das sage ihm. Sir Hargrave und Greville waren andere Kerls als der Major; indessen wußte sie Herr Gevatter Grandison [3] doch zu bändigen. Was dieser kann, das kann ich auch. Ich wär längstens wieder zu dir kommen, wenn mich meine alte Mucke nicht überfallen hätte. Das Podagra ist es nicht, wie der Magister sagt; sondern eine ganz andere Krankheit; die aber weniger zu bedeuten hat. Schreib mir ja bald: damit ich sehe, ob du böse bist oder nicht. Auf meiner Seite soll alles vergeben und vergessen seyn. Inliegenden Brief gib deiner Fräulein Tochter. Du kannst leicht muthmaßen, daß verliebte Leute einander immer etwas zu sagen haben. Lebe wohl! der Himmel behüte deine Beine für allem Uebel! Ich bin


Dein

aufrichtiger Freund

v.N.


N.S. Reiß meinen Brief in Stücken: damit der Teufel sein Spiel nicht hat. Ich möchte deine Frau nicht gern böse machen. Adieu!

vt supra.

2. Brief
[4] II. Brief.
Einschluß an Fräulein Julianen von dem Hrn. v.N.

Kargfeld, den 19 Sept.


Hochwohlgebohrnes Fräulein,

Gnädiges Fräulein,


Wenn Ihnen mein letzter Auftritt in Wilmershausen misfällig gewesen ist; so bitte ich dieserwegen hundert Millionen mal um Verzeihung.


Der Henker hole! es war nicht böse gemeint. Ich wollte wie Sir Carl zum ersten male als ein Gespenste erscheinen; aber der Magister und der sappermentische Jeremias verdarben den ganzen Handel. Zum Unglück verstand Ihre Frau Mama keinen Spaß, und so mußte denn freilich alles contrair gehen. Ich höre auch, daß ich damals einen kleinen Rausch soll gehabt haben – – [5] es kann wohl seyn: was ist aber daraus zu machen! der Wein und die Liebe überwältigen oft den bravsten Kerl von der Welt. Ich biethe Ihnen also mein Herz vom neuem an, und bitte demüthig um Ihre Gegenliebe. Schlagen Sie mir diese Bitte nicht ab, schönstes Fräulein! Erlauben Sie, daß ich kommen, und mich in der Cederstube zu Dero Füßen werfen darf. Ich will im blauen Hechte absteigen und mich erst anmelden lassen; ich will der bescheidenste und artigste Mann seyn; ich will nur das poculum hilaritatis minus trinken; ich will Ihnen ein Geschenk machen, das meinem Vermögen gemäß ist; ja ich will Sie Zeitlebens als eine Göttin verehren, und alsdenn sterben als


Dero

getreuester Sclave v.N.

3. Brief
[6] III. Brief.
Der Herr v.W. an den Herrn v.N.

Wilmershausen, den 19 Sept.


Du hast schön Zeug mit deinem Briefe gemacht. Weißt du denn nicht, daß ich nicht schreiben kann, und daß meine Frau alle Briefe erbricht, die an mich einlaufen? Diesen Brief schreibt mir mein neuer Verwalter, sonst würdest du niemals eine Antwort erhalten haben. Meine Frau war, wie du leicht denken kannst, bei Erbrechung deines Briefes außer sich. Sie gab eine ganze Salve von Flüchen; riß in der Bosheit ihr Nachtzeug ab, und warf es in eine Ecke. Niemals werde ich den Auftritt vergessen. Höre was sie sagte: so ein alter verfluchter Bärenhäuter will sich über mich aufhalten! mich prügeln, wenn ich seine Frau wäre! und hat mich noch darzu mit dem Major im Verdachte! die Augen will ich dem [7] Hunde auskratzen. Ich versuchte zwar, dich zu entschuldigen, und sie zu besänftigen; allein nun fieng sie auch mit mir an, warf mir meine Einfalt, Faulheit und noch andere Dinge vor, die ich nicht gerne erzählen will. Den Augenblick, sprach sie, fordern sie den alten Kerl heraus, wenn sie noch für sechs Pfennige Courage im Leibe haben; sie müssen sich mit ihm schlagen, oder ich lasse mich von ihnen scheiden.

Fürchte dich nicht Bruder, ich werde dich nicht heraus fordern. Beiläufig siehest du, daß aus der Heirath mit meiner Juliane nichts werden wird. Meine Frau ist zu sehr aufgebracht. Ich bin müde, weiter zu dictiren. Mache was du willst.

v.W.


N.S. Ich höre, daß meine Frau alleweile einen Boten an den Major absendet. Gott wende alles zum Besten!

4. Brief
[8] IV. Brief.
Fräulein Amalia an ihren Bruder.

Schönthal, den 20 Oct.


Wo werden sich die Thorheiten unsers Oncles endigen? Die Frau v.W. ist ganz rasend. Sie hat den Major aufgehetzt, und dieser ist Willens, sich mit dem alten Ritter zu schlagen. Hier ist der Fehdebrief:


Mein Herr,


Ich würde der Ehre, die Frau von W. meine Base zu nennen, ganz unwürdig seyn, wenn ich sie von Ihnen wollte beschimpfen lassen. Wie haben Sie Sich also unterstehen dürfen, einen so boshaften Brief an ihren Gemahl zu schreiben? Es war nicht genug, daß Sie, als ein zweiter Don Quijotte, die ehrlichen Leuten des Nachts in der Ruhe [9] stöhrten, und öffentlich zu erkennen gaben, daß Sie ein Narr wären; sondern Sie mußten auch nachhero die Ehre dieser Dame durch einen ungegründeten Verdacht beleidigen.


Eine Züchtigung kann Ihnen also nicht schaden. Kommen Sie auf künftigen Donnerstag zu Ihrem und meinem Freunde, den Baron von F. wo wir die Sache mit ein paar Pistolen ins Reine bringen wollen. Adieu.

v. Ln.


Der Oncle fluchte bei dem Empfange dieser Ausforderung wie ein Botsknecht. Endlich kam der Geist Grandisons wieder zu ihm. Lampert that Vorstellungen; Kunigunde weinte. Ich wußte anfangs selbst nicht, ob es Scherz oder Ernst seyn sollte; aber nunmehro sehe ich, daß der Baron v.F. sich einmal satt lachen will. Der junge Wendelin soll als Geschwindschreiber mitgenommen werden. Du sollst also eine sichere und vollständige [10] Nachricht von dem Zweikampfe dieser Männer erhalten. Lampert hat mir ein Paquet an den eingebildeten Dr. Bartlett gegeben; Du kannst es lesen und aufheben. Ich sehne mich recht sehr, dich mündlich zu sprechen, und dir die aufrichtigsten Merkmaale meiner Liebe zu geben. Lebe wohl!

5. Brief
V. Brief.
Magister Lampert an den Doctor Bartlett.

Ich sehe aus einen Schreiben unsers jungen Cavaliers, daß Ew. Hochwürden meinen Namenstag in Grandisonhall feierlich begangen haben.


Theuerer und schätzbarer Gönner, womit verdiene ich eine solche Gewogenheit? Ich bin gerührt, und es fehlet mir an Worten, Ihnen die dankbarsten Empfindungen meines Herzens abzuschildern. Nehmen Sie[11] hier einen Abriß der merkwürdigsten Umstände meines Lebens hochgeneigt an. Sie können es der Königl. Societät der Wissenschaften in meinen Namen überreichen. Ich arbeite gegenwärtig an einem großen Werke. 1 Aus Dankbarkeit will ich es gedachter Gesellschaft dediciren.


Ich komme nunmehro zur Sache selbst, und liefere Ihnen: memoires pour servir a l'histoire de Monsieur Lampert Vilibald, oder Denkwürdigkeiten der Lampertischen Geschichte. Ich Lampert Wilibald bin unter freiem Himmel zwischen Weißenfels und Merseburg auf der sogenannten Michelshöhe den 29 Februarius 1716 gebohren worden.


[12] Scholion I. Meine Aeltern waren eben auf der Reise. Meine Mutter glaubte nicht, daß ihre Niederkunft so nahe sey; sie wurde also übereilt und nachhero auf einem Karn nach Rosbach gebracht, welcher Ort nunmehro in allen Theilen der Welt bekannt worden ist.


Schol. II. Das Jahr 1716 war ein Schaltjahr. Da ich nun eben den 29 Febr. das Licht der Welt erblickte; so kann ich meinen Geburtstag nur alle vier Jahr feiern, welches auch künftiges Jahr 1760 wenn ich anders noch lebe, zu Kargfeld geschehen wird.


§. 2.


Nachdem meine Mutter ihre sechs Wochen zu Rosbach gehalten hatte; so packte sie mich fein säuberlich in einen Korb, und trug mich nach Hause.


§. 3.


Im sechsten Jahre meines Alters führte mich mein Vater in die zu Dürrenstein befindliche [13] Schule, in welcher ich in allen unterrichtet wurde, in quibus puerilis aetas impertiri debet. Nep. in Attic.


Schol. Der Schulmeister war zugleich ein Metzger; sonst aber sang er einen guten Baß durch die Fistel, und schnitt auf Baurenhochzeiten so manierlich vor, als ein Trabizius. Der gute Mann prophezeihte immer, daß ich meiner klugen Reden wegen frühzeitig sterben würde; es ist aber nicht eingetroffen.


§. 4.


Ich hatte indessen eine unüberwindliche Neigung zu den Wissenschaften; ich machte mir heimlich eine Peruque von Werg; ich war allemal der Gerichtsdirector unter den andern Jungen; und wenn sich einer widerspenstig bezeigte, so peitschte ich ihn, daß er hätte Oel geben mögen. Dieses letztere ist mir desto leichter zu vergeben: weil Cyrus in seiner Jugend dergleichen auch gethan. Nunmehro änderten sich die Umstände zu meinem Vortheile, [14] und ich kam von Dürrenstein weg.


Schol. I. Mein Vater war ein wirklicher Polyhistor. Er riß Zähne aus und setzte Zähne ein; stach den Star; verschnitt den Bauern die Haare und mußte dem Schulzen seinen Bart scheeren. Er konnte aus der Tasche spielen, und tanzte meisterlich auf dem Seile.


Schol. II. Dieser mein Vater nun sollte dem Schulmeister einen Zahn ausziehen; er kam aber über den unrechten, welchen der ehrliche Mann noch brauchen wollte. Dieser albere Streich machte den Küster so wütend, daß er meinen Vater in die Haare fiel, und ihm also Gelegenheit gab, den Cantor tüchtig abzuprügeln. Sie giengen in dem Entschlusse auseinander, niemals wieder Freunde zu werden, und ich wurde sogleich aus der Dorfschule genommen und nach G. in das Gymnasium gebracht.


[15] §. 5.


Auf diesem Gymnasio habe ich bis 1736 alle Classen durchritten. Ich gieng in die Currente; wurde famulus communis, fraß täglich drei Pfund schwarz Brodt und bewieß in meiner Abschiedsrede: Daß Johannes in der Wüsten keine Heuschrecken, sondern Krebse gegessen habe.


§. 6.


Nunmehro begab ich mich also nach H. Wer kein Vermögen hat, muß sich hier durchfressen. Dieses that ich auf die feinste Art von der Welt. Außerdem disputirte ich zweimal publice und schlug mich sechsmal privatim; wurde aber nur ein einziges mal von einem M. verwundet. 1740 erlangte ich die Würde eines Magisters, welche ich noch mit Ruhme trage.


Schol. Ich führe noch bis dato von obiger Schlägerei eine ansehnliche Narbe als ein Ehrenzeichen auf dem linken Backen.


[16] §. 7.


In gemeldetem Jahre starb mein Vater. Was sollte ich nun thun? ich begab mich auf die Wanderschaft. Die Haare würden Ihnen, verehrungswürdiger Gönner, zu Berge stehen, wenn ich meine verdrüßlichen Begebenheiten auf dieser Reise erzählen wollte. Hunger und Durst mußte ich ausstehen. Wie viel mal habe ich unter freiem Himmel schlafen müssen! Die Handwerksgenossen waren nicht allemal so höflich, als ich glaubte, daß sie seyn sollten. Für mich war also nichts weiter zu thun, als daß ich 1742 unter die Königl. Preußl. Husaren gieng, und mir einen Bart wachsen ließ. Zum Unglück sahe mein Rittmeister in dem ersten Feldzuge ein, daß ich zu keinem Soldaten gebohren war. Ich bekam meinen Abschied, und gieng voller Verzweifelung nach Dürrenstein. Hier hatte der Himmel für mich gesorgt. Der Hr. von N. brauchte einen Informator, und fand in mir alle Eigenschaften eines solchen Mannes.


[17] §. 8.


Hier habe ich verschiedene Junkers und Fräuleins erzogen. Die benachbarten Edelleute erfuhren meine Geschicklichkeit, und thaten ihre Kinder bei meinem Herrn Principal in die Kost. Ich machte mich also eben so berühmt, als Melanchthon und Trotzendorf ehedem gewesen waren.


§. 9.


An Vermögen fehlt es mir nicht. Die Menschen, welche um mich sind, haben von Natur muntere Seelen. Alles lacht und scherzt. Nur mein gnädiger Patron hat manchmal ernsthaftere Gedanken; Fräulein Kunigunde lacht schon seit 30 Jahren nicht mehr: die andern aber sind desto lustiger. Die beständigen Abwechselungen machen, daß ich mich zeithero nach keiner Pfarrstelle gesehnt habe. Nur eins liegt mir im Kopfe: ich seufze nach Hanchen ihrer Gegenliebe. Der unempfindlichste Stoiker müßte bei dem Anblicke dieses reizenden Mädchens verliebt werden. Vielleicht [18] ändert sich ihre Gesinnung, wenn ich nach den Versprechen meines Principals ihrem Vater im Amte nachfolge. Wo nicht – – doch es muß seyn, es muß seyn.


Von Natur bin ich ein Sanguineo cholericus. Das Geld ist mir gleichgültig; ich ziehe die Lustbarkeiten dem Besitze der ganzen Welt vor.


Hier haben Sie also, theuerster Gönner, eine kurze Nachricht von meinen Lebensumständen. Sollten Sie diese memoires der Königl. Societät vorlesen; so melden Sie mir doch, was für Urtheile darüber gefällt werden. Doch diesen letztern §. den ich blos zu Ihrer Nachricht beygefüget und auf ein besonders Blatt geschrieben habe, werden Sie vorhero schon davon thun. Ich bin stark Willens, eine Academie im kleinen, auf dem Rittersitze meines Hrn. Principals, anzulegen. Die schönen Künste sind ja Kinder des Ueberflusses. An Essen und Trinken mangelt es uns nicht, und ich habe den Hrn. von N. welcher [19] den Witz eines großen Mannes besitzt, bereits darzu aufgemuntert. Es sollen vier Classen geordnet werden. Die erste wird sich mit der Landwirthschaft beschäftigen. Erfahrne Verwalter und Bauern können hierinnen nützliche Mitglieder abgeben: denn diese Männer verstehen von der Oekonomie mehr als die Gelehrten. Die zweite Classe ist der französischen und lateinischen Sprache gewidmet; die dritte aber tractirt Staatssachen. In diesen beiden sollen Pastores, Mamsells und politische Kannengieser angenommen werden. Die vierte heißt die musicalische. Der Grund ist bereits gelegt: denn es wird wöchentlich bei uns Concert gehalten. Vor drei Wochen ließ sich ein reisender Schulmeister auf der Orgel hören. Mein Principal verehrte ihm ein paar lederne Hosen, die ihm sehr nöthig und angenehm waren. Ich denke, es sollen mehrere Virtuosen kommen. Da ich Willens bin, den ersten Präsidenten in der Akademie vorzustellen, so werde Ew. Hochwürden in kurzem nähere Nachricht durch den ordentl. Secretair, [20] von dem Erfolge der Sache, geben lassen; bleibe indessen mit Hochachtung


Dero
gehorsamster Diener
M. Lampert Wilibald.
Fußnoten

1 Es ist eigentlich ein allgemeines historisches Lexicon aller Magister, welche seit der Reformation in Deutschland gelebt, und sich entweder durch Kinderzeugen oder Bücherschreiben, berühmt gemacht haben. Dieses Werk wird ohngefehr 30 Alphabete stark werden, und in Leipzig herauskommen.

6. Brief
VI. Brief.
Das Fräulein v.W. an das Fräulein v.S.

Wilmershausen, den 26 Sept.


Was werden Sie denken, daß ich eine ganze Woche lang ein tiefes Stillschweigen beobachtet habe? Wenn Sie meine Briefe auch so lange unbeantwortet lassen wollten; so würde ich mich mit tausend argwöhnischen Gedanken schlagen. Ich bin nun einmal so, und ich werde nicht irren, wenn ich mich mit dem Selbstpeiniger aus dem Terenz vergleiche: ich mache mir einen Haufen Sorge und ängstige mich, wo [21] ich es nicht nöthig habe. Sie besitzen einen glücklichen Charakter. Sie lachen mit dem Herrn v.F. über die ganze Welt und machen sich nicht eine ängstigende Vorstellung. Nicht wahr, Sie haben sich nicht einmal über mein Stillschweigen gewundert? Sie dachten wohl nicht daran, daß die Ursache davon eine Unpäßlichkeit seyn könnte; oder daß mir vielleicht gar der Briefwechsel mit Ihnen, wie der Clarisse mit dem Fräulein Howe könnte untersagt seyn. Solche Vorstellungen würde ich furchtsames Mädchen mir nur haben machen können, wenn ich an Ihrer Stelle wäre und Sie Sich an der meinigen befänden; aber davon wissen Sie nichts. Sie haben recht wohl gethan, daß Sie Sich keine so unnöthige Sorge machten, ich befinde mich wohl und habe auch noch nicht den grausamen Befehl erhalten, mit Ihnen keine Briefe mehr zu wechseln. Meine Mutter ist zwar mit Ihnen ganz und gar nicht zufrieden, und wenn der Herr v.N. noch wohl bei ihr angeschrieben stünde; so könnte es seyn, daß sie sich öffentlich gegen Sie erklärete: [22] Doch die glückliche Zwietracht zwischen ihr und dem Herrn Oncle von Ihnen macht sie gegen mich etwas geschmeidiger, sie gestattete es, daß ich unter der Hand einen Briefwechsel mit Ihnen unterhalten darf; ob sie mir gleich bis jetzo noch nicht erlauben will, Ihnen selbst meine Aufwartung zu machen.


Die Ursache meines Stillschweigens ist diese. Ich hatte neulich eben meinen Brief gesiegelt und solchen meinem Mädchen gegeben, um ihn durch Jobsten bestellen zu lassen, da ich zu meinem Vater gerufen wurde. Er gab mir einen entsiegelten Brief der so viele Falten hatte, als wenn er aus Verdruß von jemand wäre zusammengedruckt worden, er war von dem Herrn v.N. Ich las ihn flüchtig durch, und war so bestürzt, daß ich zitterte. Er enthält, so viel ich mich noch davon erinnere, eine feierliche Abbitte wegen deinen Beleidigungen, die er mir dadurch zugefügt zu haben glaubte, daß er sich an einem Tage, an welchem ich die Seinige werden sollte, im Trunke übernommen hätte; er versprach [23] diesen Fehler zu verbessern und bat mich Millionen mal um Verzeihung. Wenn mir recht ist, so gelobte er mir eine ewige Treue. Ehe ich noch den Brief ganz durchgelesen hatte, trat meine Mutter mit einem verdrüßlichen Gesichte in das Zimmer, welches mich muthmaßen ließ, daß es einen kleinen Zwist zwischen meinem Vater und ihr müßte gesetzt haben, der zusammengedruckte Brief sahe dem Zankapfel sehr ähnlich. Das Fräulein hat doch noch, sagte sie, den albernen Misch in die Hände bekommen? Zerreißen Sie ihn den Augenblick in tausend Stücke und werfen Sie den Plunder zum Fenster hinaus. Ich war im Begriff, diesen Befehl meiner Mutter zu erfüllen, Sie wissen, daß Sie von jedermann, dem Sie zu befehlen, ein Recht zu haben glaubt, einen blinden Gehorsam fordert, und ich wünschte, daß mir nie ein Gebot von ihr schwerer zu erfüllen seyn möchte, als dieses. Allein mein Vater befahl mir gerade das Gegentheil. Unterstehe dich – willst du – sagte er, da ich eben das Urtheil meiner Mutter vollstrecken wollte, [24] und erhob sich von seinem Stuhle. Ich werde es nicht zugeben, daß mein Freund von euch Weibesleuten beschimpfet wird, meine Frau hat ihm ohnedem bereits nicht für einen Pfennig Ehre gelassen. Gieb du mir den Brief nur wieder her, ich will ihn aufheben. Meine Mutter winkte mir zwar, ich sollte ihn, ehe ihn mein Vater in die Hände bekam, geschwinde zerreißen: ich gehorsamte aber meinem Vater. Er legte ihn sehr sorgfältig und in einer gewissen Entfernung von seiner Gemahlin zusammen, vielleicht aus Beisorge, daß sie einen Angriff darauf wagen möchte, um sich desselben zu bemächtigen, und schloß ihn in seinen Schrank. Ich kann nicht errathen, aus was für einer Absicht sie nicht gestatten wollte, daß ich diesen Brief zu Gesichte bekäme, wenn es nicht diese ist, mir die Gelegenheit zu benehmen, über sie zu spotten, daß sie mir einen Mann so sehr angepriesen hat, von dem sie jetzo wünscht, daß sie ihn nie möchte veranlasset haben, an mich zu gedenken. Sie will, wie es scheint, alle schriftliche Denkmaale seiner Liebe gegen [25] mich auch aus dieser Ursache vertilgen: damit diese ihr nicht einmal zu Vorwürfen in ihrem Gewissen gereichen. Ich glaubte immer, eine Gelegenheit zu finden, dieses Schreiben wiederum in meine Gewalt zu bekommen, um es ihnen mitzutheilen, weil aber mein Vater mit keinem Worte wiederum daran gedacht hat: so sehe ich nicht, unter was für einem Vorwande ich es von ihm zurück fordern soll. Sie sehen also die Ursache der Verspätung meiner Antwort.


Der Major Ln. ist beinahe jetzo unser täglicher Gast. Gestern ließ ihn meine Mutter durch einen expressen Boten einladen; er ist aber erst heute gekommen. Sie unterredet sich eben jetzo mit ihm, und ich höre, daß ihr Gespräch oft sehr lebhaft wird, ich vermuthe, es betrifft ihre Familienangelegenheiten. Was der Mann lachen kann! Man hört ihn weiter als man ihn sieht. Er ist unten im Saale, und wenn er lacht, so giebt mein Klavier hier neben mir allezeit einen Wiederschall. Es müssen doch wohl keine Dinge [26] von allzugroßer Wichtigkeit auf dem Tapet seyn. Nun werde ich allem Ansehen nach wohl niemals die Ehre haben, mich ihre Tante zu nennen; ich bin aber nicht weniger stolz darauf, wenn ich nur beständig ein Recht habe mich zu nennen


Ihre

aufrichtige Freundin und Dienerin Juliane v.W.

7. Brief
VII. Brief.
Das Fräulein v.S. an das Fräulein v.W.

Schönthal, den 29 Sept.


Glauben Sie es nur, ich bin im höchsten Grade auf Sie eifersüchtig. Ich habe mich immer für das gelehrteste Mädchen in unsrer ganzen Gegend gehalten, Sie wissen, daß ich zu den Füßen [27] eines grundgelehrten Mannes, eines Lamperts gesessen habe, der sich über den großen Haufen gemeiner Lehrmeister, gleichwie unser Kirchthurm hoch über die niedrigen Strohdächer hinausschwinget: allein ich werde künftig nicht mehr Ursache haben, meiner Eitelkeit zu schmeicheln; ich sehe daß Sie auch ein Bisgen gelehrt thun können. Sie vergleichen sich mit dem Selbstpeiniger aus dem Terenz, dieser Vergleich hat ein vielzugelehrtes Ansehen, als daß ich dabey gleichgültig bleiben sollte. Wenn Sie Sich mit dem Menschenfeinde des Moliere verglichen hätten, so würde ich es noch haben hingehen lassen. Doch ich will mich auch nicht deswegen mit Ihnen zanken, weil sie wissen, daß ein Terenz in der Welt gewesen ist. Sie kennen diesen Mann doch nicht anders als aus einer Uebersetzung; ich hingegen, ich kann mich rühmen, unter Anführung meines treflichen Lehrers, ein gutes Stück der Ueberbleibsel dieses Schriftstellers in der Grundsprache gelesen zu haben. Sehen Sie, wie weit ich Sie hinter mir lasse? Aber dem ohngeachtet bin ich fest entschlossen, [28] die erste gelehrte Vergleichung, die Sie wieder machen, mit einem lateinischen Briefe zu bestrafen. Ich kann noch ziemlich gut dekliniren, Ancilla und Scamnum macht mir eben keine Schwürigkeiten. Sie haben nun einmal meinen Trieb rege gemacht, bey aller Gelegenheit etwas gelehrtes auszukramen; schreiben Sie Sich es also selbst zu, daß Sie diesmal einen Brief, nach den Regeln des Lampertischen Geschmacks eingerichtet, von mir erhalten, das ist, in welchen so viele Sprüchwörter und Sentenzen eingestreuet sind, als ich werde aufbringen können. Eine habe ich schon auf der Zunge, ich will Sie damit bestechen, daß Sie meinen Scherz nicht für eine Satire aufnehmen. Ihnen gefällt mein aufgeräumtes Gemüth. Sie nennen es einen glücklichen Charakter, daß ich mich nicht immer mit einem Haufen Sorgen schlage, und ein Vergnügen darinne finde, mich selbst zu beunruhigen: aber Sie irren Sich. Sie haben bei Ihrer furchtsamen und ängstlichen Gemütsart, die Sie Sich zueignen, vor mir gar vieles zum Voraus. [29] Dadurch, daß Sie alles fürchten, werden Sie auf eine genaue Untersuchung aller Umstände geführet, die Ihnen vorkommen; Sie sehen alle unangenehme Folgen von weiten, und werden von keinem Verdrusse unbereitet überraschet; Sie können also mit leichter Mühe vielen Verdrüßlichkeiten ausbeugen, worinn mich meine Leichtsinnigkeit unbemerkt verwickelt. Ihr Mistrauen führet Sie zur Sicherheit. La mésiance est la Mere de la Sûreté, das ist Richelets Ausspruch, eines Mannes, der bei mir sehr viel gilt.


Die Frau v.W. hat nicht gestatten wollen, daß Sie den Brief Ihres Anbeters zu Gesichte bekämen, Sie versuchen es, ihre Absicht dabei zu entdecken; aber mich dünkt, Sie sind hierbei nicht sonderlich glücklich gewesen. Ich will Ihnen das Verständniß eröffnen. Ihre Frau Mutter hasset gegenwärtig meinen Oncle eben so sehr, als sie ihn vor einigen Wochen hoch schätzte, und sie bemühet sich mit eben dem Eifer, die Flammen auszutilgen, mit welchem sie solche entzündet [30] hat. Ist es nicht der Klugheit gemäß, ihm alle Gelegenheit abzuschneiden, sich einen Zugang zu Ihrem Herzen zu verschaffen? Wie leicht könnten Sie nicht, durch einen so zärtlichen Brief, als Ihr Anbeter unfehlbar geschrieben hat, zum Mitleiden gegen ihn bewogen werden? Wenn eine Schöne nur erst einem schmachtenden Liebhaber ihr Mitleiden schenket, habe ich sagen hören, alsdenn hat er gewonnen Spiel. Der Herr v.N. hat auf das Ihrige die gerechtesten Ansprüche. Hat er nicht Ihrentwegen Wind und Wetter auf sich losstürmen lassen? Hat er nicht um Ihrentwillen Leib- und Lebensgefahr ausgestanden? Hat er nicht Ihnen zu Ehren sich tapfer bezeigt, und sind Sie nicht die einzige Ursache, daß er auf seinem Lager unter den Schmerzen seines podagrischen Fußes seufzet? Alle diese Umstände, wenn ihnen der reizende Liebesbrief noch einiges Gewichte gegeben hätte, würden ein so sanftes Herz als das Ihrige nothwendig erweichet haben. Untersuchen Sie ob ich die Absichten der Frau v.W. nicht tiefer eingesehen [31] habe, als Sie selbsten. Ja ja, das war eine Probe ihrer Staatsklugheit, daß sie Ihnen den Brief des Herrn v.N. verheelen wollte, sie dachte an das alte Sprüchwort:petit à petit l'oiseau fait son nid. So ist es! Aus einem kleinen Funken entstehet oft ein großes Feuer.


Aber sagen Sie mir doch, warum Sie immer bereit sind, Ihrer Stiefmutter einen blinden Gehorsam zu leisten, nicht anders, als wenn sie Ihre Priorin wäre, sie kann Sie doch nicht mit der Katze essen lassen, wenn Sie es nicht thun? Sie befiehlt, und Sie erfüllen ihre Befehle pünktlich, auch da, wo es Ihnen viel beschwerlicher wird, ihr Gehorsam zu leisten, als wenn Sie ihr solchen versagen. Meine Stiefmutter dürfte sie nicht seyn. Der blinde Gehorsam, was für ein verhaßtes Wort! Doch vielleicht würde sich meine Gemüthsart besser für sie schicken, als die Ihrige. Nach einem kleinen Hauskriege von vierzehn Tagen würden wir die besten Freunde seyn. Wagen Sie es einmal, [32] und kündigen Sie ihr eine Zeitlang allen Gehorsam auf, Sie werden Wunder sehen. Sie muß in ihrem Elemente angegriffen werden. Wenn sie schnäubt und braußt, so erwiedern Sie gleiches mit gleichem. Wenn sie mit einer angenommenen Freundlichkeit etwas bitteres sagt; so geben Sie ihr alles mit eben dieser freundlichen Mine zurück. Dem Gifte muß durch seinen Gegengift die schädliche Wirkung benommen werden. Hören Sie, wie ein guter Auctor sich über diese Materie ausdruckt:


Oignez vilain il vous poindra,
Poignez vilain il vous oindra.

Ich glaube, er hat Recht. Das ist aber wohl Ihrem sanftmüthigen Charakter entgegen, Sie sind ein gutes frommes Kind, Sie wollen lieber Ihre Gebietherin mit guter Art gewinnen, als mit Sturm überwinden; Sie denken: il faut mieux plier que rompre. In der That, Sie sind auf einem guten Wege, ich billige ihn; für mich aber wäre er zu langweilig. Die Sonne mußte einen Wandrer lange liedkosen, ehe er ihr zu [33] Gefallen seinen Pelz ablegte; da er aber dem Sturmwinde eben diese Gefälligkeit versagte: so warf ihn dieser mit sammt seinem Pelze in einem Graben.

Was hat denn Ihre Frau Mutter mit dem Major v. Ln. für Familienangelegenheiten zu berichtigen? Haben sie etwan miteinander eine reiche Erbschaft gethan; oder wollen sie erst einen alten abgelebten Vetter sterben lassen? Halten Sie mir diese Frage zu gute, ich verlange nicht, daß Sie ihre Geheimnisse ausforschen sollen; ich bringe sie nur aus Bewunderung vor, daß die Frau v.W. und der Major noch gute Freunde sind. Sie eiferte ja sonst immer über ihn, und wünschte sich die Gelegenheit, ihm ihre Meinung einmal unter die Augen sagen zu können. Es scheint, daß Sie über den Major eine kleine Spötterei auslassen wollen. Sie scherzen über etwas, das mit zu seinen Vollkommenheiten gereichet. Ein Soldat, und besonders ein Major muß eine gesunde Lunge haben. Wie er sein Regiment muß überschreien können; so muß er auch alle Gesellschaften [34] überlachen können. Ich rathe es Ihnen, daß Sie ihn nicht zum Gegenstand Ihres Witzes machen; er scheint mit alledem ein feiner Mann zu seyn. Wenn ihn gleich nicht der Hof erzogen hat; so besitzt er doch eine gute Lebensart, wenigstens kann man nicht das Sprüchwort auf ihn anwenden: il est du tems,qu'on se mouchoit sur la manche. Sie werden denken: la belle plume fait le bel oiseau, der blaue Rock mit rothen Aufschlägen – wie mein Oncle sagte. Nein, dieser erweckt bey mir kein Vorurtheil. Ich denke, es ist Zeit, daß ich meinem Gewäsche ein Ende mache; wer weiß ob Sie Sich die Mühe nehmen, es zu lesen. Sie sind nicht gewohnt, die Schönheiten des Lampertischen Geschmacks einzusehen. Ich will es Ihnen gerne vergeben, wenn Sie den größten Theil meines Briefes überschlagen, wenn Sie nur die Versicherung annehmen, daß Sie nie aufhören wird zu lieben


Dero

aufrichtige Freundin und Dienerin Amalia v.S.

8. Brief
[35] VIII. Brief.
Das Fräulein v.W. an das Fräulein v.S.

Den 3 Octob.


Loses Fräulein,


Wie weit können Sie einen kleinen unschuldigen Ausdruck treiben, von dem ich kaum glaubte, daß er Ihrer Aufmerksamkeit würdig wäre. Sie bestrafen mich für eine kleine Pedanterei, darein ich nach Ihrem Urtheile soll verfallen seyn, mit einem Briefe nach Lampertischen Geschmack. Eine gnädige Strafe in der That! die mir sehr vieles Vergnügen verschafft hat, und für welche ich glaube, Ihnen verbunden zu seyn. Um aber Ihren Verweisen in Zukunft zu entgehen: so habe ich mir vorgenommen, mein Pfund ganz und gar zu vergraben. Sie sollen Ihr Tage nichts wieder von mir hören, das, wie Sie [36] sagen, ein gelehrtes Ansehen hat. Das mag es seyn, was ich Ihnen wegen Ihres leichtfertigen Schreibens sagen wollte. Bereiten Sie Sich zu, nun eine Sache von Wichtigkeit zu vernehmen. Erschrecken sie nicht, sagt man, wenn man Jemand recht sehr erschrecken will, ich möchte es bald zu Ihnen sagen. Denken Sie nur, der Herr v.N. hat den Major in einem Briefe an meinen Vater aufs empfindlichste beleidiget. Meine Mutter hat ihn in die Hände bekommen, und nach ihrer Gewohnheit sogleich entsiegelt. Der Herr v. N. soll sie darinne auch nicht geschonet haben, und sie ist darüber so sehr aufgebracht, daß sie den Major heftig anliegt, seine und ihre Ehre zu retten. Das ist die Ursache ihrer geheimen Unterredung gewesen; welcher ich in meinem Briefe gedachte. Ich würde nichts von der ganzen Sache erfahren haben, wenn mir der Major das Geheimniß nicht selbst entdeckt hätte. Meine Mutter war nicht zugegen, und mein Vater schlief auf seinem Sorgestuhle. Was werden Sie davon denken, Fräulein Base, sagte er, wenn [37] ich mit ihrem Verehrer dem Herrn v.N. Händel bekomme, werde ich dadurch ihre Ungnade verdienen? Der Mann hat es zu arg gemacht, er verdient eine kleine Züchtigung, und ich hoffe nicht, daß Sie ungehalten darüber werden, wenn ich ihn ein wenig bessere.


Wie? der Herr v.N. sollte Sie beleidiget haben? das kann ich nicht begreifen, Sie haben ihm, so viel ich weiß nicht die geringste Gelegenheit dazu gegeben. Vielleicht gründet sich ihr Unwille gegen ihn nur auf einen Misverstand, er legt seine Worte nicht eben allezeit auf die Waage. O nein! sagte der Major, ich kann mich in der That von ihm beleidiget halten, wenn ich es thun will. Wie ich sehe, so wissen Sie noch nichts von unserm Zwiste; ich will Ihnen den ganzen Verlauf der Sache erzählen. Er eröffnete mir, was es für eine Bewandtniß mit dem Briefe hätte, den der Herr v.N. an meinem Vater geschrieben hat. Er fügte hinzu, seine Base, die Frau v.W. hätte ihm neulich durch einen expressen Boten [38] einladen lassen, und da er den Tag darauf gekommen wäre, hätte sie sich aufs heftigste über den Herrn v.N. beklaget; sie hätte ihn auch eine Abschrift dieses Briefes gezeiget, und wäre so erbittert auf den Herrn v.N. gewesen, daß sie es gerne würde gesehen haben, wenn er von Stund an sich nach Kargfeld zu dem podagrischen Greise begeben, und sich mit ihm auf dem Bette duelliret hätte. Um die ungestüme Frau nur in etwas zu besänftigen und sie abzuhalten, daß sie ihn nicht einer Feigheit beschuldigen möchte, hätte er in ihrer Gegenwart ein Cartel gegen den Herrn v.N. aufgesetzt; da ihr aber dieses viel zu glimpflich geschienen: so hätte sie ihm selbsten einen verwünschten Brief dictiret, welcher dem guten Manne das Podagra gewiß in den Leib würde getrieben haben, wenn er ihm solchen während dieses schmerzhaften Zufalls zuschicken wollte. Er hätte sich aber ein Gewissen daraus gemacht, die Quaal des Patienten zu vergrößern, und er würde ihm den Fehdebrief nicht eher einhändigen lassen, bis er wieder wohl wäre. [39] Ich sagte, es würde am besten seyn, wennes ganz und gar unterblieb, ich wüßte gewiß, daß der Herr v.N. nicht die Absicht gehabt hätte, ihn in dem Briefe an meinem Vater zu beleidigen, und wenn ja ein und der andere Ausdruck in demselben könnte gemißdeutet werden; so wäre es doch Niemand als meine Mutter, die eine schlimme Auslegung darüber machte, und ihrem Urtheile könnte man nicht trauen, da sie jetzo gegen den Herrn v.N. so sehr aufgebracht wäre. Er würde ganz und gar nichts an seiner Ehre verlieren, wenn er auch gleich diese Beleidigungen an dem Herrn v.N. nicht rächete, und er sollte selbst urtheilen, was man davon denken würde, wenn er den Grund zu seinen Händeln aus einem unterschlagenen Briefe herleiten wollte.


Er erkennte, daß dieses weder für ihn noch für die Frau v.W. sogar vortheilhaft wäre, da er sich aber einmal gegen diese anheischig gemacht hätte, ihr und seine beleidigte Ehre gegen den Herrn v.N. zu vertheidigen: so [40] läge es an weiter nichts, als an meiner Erlaubniß hierzu. Es wäre ihm bekannt, wie sehr ich wünschte, daß jedermann gut von mir urtheilen möchte; es könnte aber leichtlich geschehen, daß der Herr v.N. oder seine Anverwandten auf die Gedanken kommen könnte, ich hätte ihn aus Unwillen gegen diesen verhaßten Anbeter angestiftet, ihn vor die Klinge zu fordern: deswegen wollte er nichts unternehmen, bis ich ihm erst meine Meinung hierüber entdeckt hätte.


Dieser Vorwand schien mir ziemlich gezwungen zu seyn, er wollte etwas sagen, daß das Ansehen hätte, als wenn er wünschte, sich bei mir ein Verdienst zu machen: im Grunde aber wollte er nichts anders thun, als mir ein höfliches Kompliment machen. Ich that mein bestes, eben dieses auch gegen ihn zu beobachten; zugleich versuchte ich es, ihn dahin zu bewegen, aus dieser Kleinigkeit keinen Ernst zu machen. Er lächelte, und antwortete so, daß es schien, als wenn er geneigt wäre, die ganze Sache für einen [41] Scherz aufzunehmen; doch glaube ich, daß er es mehr that aus Gefälligkeit gegen mich, um mir nicht zu widersprechen, als daß es sein rechter Ernst war. Ich hatte mir vorgenommen, seine wahren Gesinnungen auszuforschen; aber die Wiederkunft meiner Mutter unterbrach das Gespräche. Sie kennen den Character derselben, sie wird alles anwenden, das Gemüth des Majors gegen Ihren Oncle zu erhitzen, und ich zweifle nicht daran daß es ihr gelingen wird. Diese Unterredung mit dem Major schion mir zu wichtig zu seyn, als daß ich sie Ihnen verscheigen sollte; Sie werden nebst Ihrem Herrn Schwager, von dieser Nachricht also nach ihrer Klugheit den Gebrauch zu machen wissen, der für ihrem Herrn Oncle der vortheilhafteste ist. Suchen Sie es wenigstens dahin zu bringen, daß der Herr v.N. sich eine Zeitlang ruhig hält, bis die erste Hitze vor über ist, und wo Sie können, so suchen Sie es zu verhüten, daß er nicht etwa meine Mutter vom neuen erbittert. Diese kleinen Beleidigungen könnten für ihn von wichtigen [42] Folgen seyn. Der Herr Baron und der Major v. Ln. sind ja sehr gute Freunde von Alters her, ich dächte, wenn sich Ihr Herr Schwager ins Mittel schlüge; so sollte wohl die ganze Sache so überhin gehen, ohne daß etwas sonderliches daraus gemacht würde. Dieses ist auch der aufrichtige Wunsch


Ihrer

ergebensten Dienerin Juliane v.W.

9. Brief
IX. Brief.
Das Fräulein v.S. an das Fräulein v.W.

Den 5 Oct.


Ich war ganz außer Athem, da ich Ihren Brief gelesen hatte. Wie Sie mich doch erschrecket haben mit Ihrem thrasonischen Major! Ich kann es Ihnen [43] nicht vergeben. Er hat meine Achtung verlohren, weil er einen Eisenfresser vorstellen will. Glauben Sie es nur, der Herr v.N. hat nichts von ihm zu fürchten – Nein ganz und gar nichts! Leute die von ihren Händeln so viel Wesen machen, und immer erzählen, wieviel sie noch erschlagen wollen, die bringen keinen Menschen ums Leben. Stellen Sie Sich mein Schrecken auch nur nicht gar zu außerordentlich vor; ich freue mich vielmehr, und wünsche, daß das Duell zwischen den beiden Männern zu Stande kommen möge, ich habe Lust meinem Oncle einen leichten Sieg in die Hand zu spielen. Er stehet seinen Mann, das weiß ich, und ich darf ihm nur den Rath geben, den Cäsar einsmals seinen Soldaten gab, um seinen Gegner aus der Fassung zu bringen. Wissen Sie, worinnen dieser bestund? Wo wollen Sie das wissen! das sind Dinge, die nur uns gelehrten Mädchens bekannt sind, und davon haben Sie Sich ausgeschlossen. Gut, ich will es Ihnen dann erzählen, sitzen Sie fein stille, und hören Sie zu. Cäsar und [44] Pompejus waren einsmals im Begriffe, einander eine Schlacht zu liefern, um das Schicksal Roms, so wie ihr eigenes, zu entscheiden. Cäsars Heer bestund aus alten versuchten Soldaten, lauter Schnurbärten von dem martialischen Ansehen meines Oncles; zu dem Pompejus hingegen hatte sich der größte Theil des römischen Adels geschlagen, meistens feine süße Herrn, die den ersten Feldzug mit machten, geschickter in dem zärtlichen Rom, als im Felde Eroberungen zu machen. Die Legionen des Cäsars wurden durch die Menge und den hitzigen Angriff der jungen Krieger, in etwas schüchtern gemacht; der General aber hatte ihnen nicht so bald zugerufen: Soldaten, nach der Stirn führt eure Streiche, so kehrten die jungen Römer dem Feinde den Rücken, um eben die Larve wieder nach Rom zu bringen, die sie von da mitgenommen hatten. Was meinen Sie, sollte sich diese Kriegslist nicht hier auch anwenden lassen? Der Major hat von seiner Bildung, wie es scheint, keine geringen Begriffe; aber der Herr v.N. hat sein Gesicht bald [45] um zwanzig Jahre überlebt. Verlassen Sie Sich auf mein Wort, Ihr prahlender Major soll ein Ehrenzeichen bekommen, oder mein Oncle muß auf dem Platze bleiben –.


Nun, das nennen Sie gottloß, frommes Kind! Nicht wahr? Es ist auch ein Bisgen zu arg; wenn ich in dieser Sprache fortreden wollte, so würden Sie mir bald eine nachdrückliche Strafpredigt halten; oder Sie verdammten wohl gar meinen Brief zum Feuer. Thun Sie es ja nicht, es ist so böse nicht gemeinet, ich habe Ihnen nur zeigen wollen, daß Sie nicht unrecht haben, wenn Sie von mir sagen, ich machte mich über die ernsthaftesten Dinge lustig. Es ist wahr, ich habe einen Hang dazu, über das zu scherzen, worüber andere erschrecken, oder sich betrüben; diese muthwilligen Anfälle gehen aber sogleich vorüber, wenn ich Niemand finde, der mit lachen will. Da Sie dieses jetzo gewiß nicht thun werden; so will ich meine Ernsthaftigkeit nun wieder zurück rufen. [46] Es ist andem, Ihr letztes Schreiben hat uns in etwas bestürzt gemacht. Sie dürfen nicht denken, daß ich hier in der Sprache großer. Herren rede, und mich alleine verstehe, der Baron und meine Schwester lesen Ihre Briefe, und ich glaube, Sie gestatten es. Zu einem ernstlichen Duell zwischen meinem Oncle und dem Major will es der Baron durchaus nicht kommen lassen, und wenn er sich selbst mit dem letztern herumschlagen müßte; indessen denkt er nicht, daß es so gefährlich ist. Er ist gestern mit dem Major in Reichenberg in Gesellschaft gewesen; er hat sich aber nicht das geringste von einem Unwillen gegen meinen Oncle merken lassen. Der Baron glaubt, die Frau v.W. müßte ihm ein Stillschweigen auferlegt haben, damit er sich nicht zum Schiedsrichter unter den Partheien aufwerfen möchte. Diesem Vormittag war der Magister hier. Ich machte mich an ihn, um zu erfahren; ob sein Patron auf dem Brief an den Herrn v.W. eine Antwort erhalten hätte. Er verwunderte sich außerordentlich darüber, daß ich wußte, daß der [47] Hr. v.N. an den Herrn v.W. geschrieben hätte, und er konnte gar nicht begreifen, durch was für einen Canal ich dieses erfahren hätte. Aus seiner Verwunderung schloß ich, daß die Sache sehr geheim hatte zugehen sollen. Endlich gestund er, daß sein Gönner von dem Herrn v.W. eine Antwort erhalten hätte, die ihm aber gar nicht gefällig wäre. Der Herr v.W. wäre der rechtschaffenste Cavalier von der Welt; seine Gemahlin aber machte gefährliche molimina, den Herrn v.N. vielen Verdrüßlichkeiten auszusetzen, die er jedoch, so bald er nur wieder einen Fuß regen könnte, nach dem Beispiele Sir Carls durch großmüthige Bewegungen alle zu übersteigen hoffte. Die Frau v.W. würde bald dahin gebracht werden, daß Sie, wie alle Feinde des Baronets, ihre Fehler erkennen und sich derselben schämen würde. Der Magister stellte zugleich zwischen ihr und der Frau Jervois eine weitläuftige Vergleichung an. Sie ließ sich noch so ziemlich hören, nur darinne schien er es nicht getroffen zu haben, daß er den Major einen von ihren auf [48] eine Zeitlang angenommenen Männern nennte. Mich dünkt, wenn Sie doch ja nie Henriette Byron seyn sollen: so würde er eher dem Greville ähnlich seyn; doch wer weiß, wie viele Rollen mein Oncle und der Magister diesem guten Manne aus dem Grandison noch spielen lassen. Ich glaube ganz gewiß, mein Oncle hat einen ungegründeten und recht bösen Verdacht auf den Major geworfen; die Vergleichung des Magisters, bringt mich auf diese Gedanken; er siehet aber die Sache nicht recht ein. Die Gefälligkeiten des Majors gegen die Frau v.W. haben etwas ganz anderes zum Gegenstande. Er hütet sich, die Dame zu beleidigen, damit sie ihm nicht den Zutritt zu ihrer Fräulein Tochter versagen soll. Warum will sich denn der Mann durchaus ein Verdienst bey Ihnen machen? Die täglichen Visiten – die haben etwas mehr als Familienangelegenheiten zu bedeuten, diese würden keine täglichen Conferenzen erfordern; aber der Argwohn meines Oncles ist lächerlich. Geben Sie nur Achtung, mein Kind, ob nicht der Major [49] den Augen meines Oncles bald ein Greville oder gar Sir Hargrave Pollexfen seyn wird. Ich denke, wir werden über diesen Punkt noch oftmals etwas zu lachen bekommen, wenn nur erst der Zwist der beiden Männer in der Güte beigeleget ist. Ich hoffe, der Baron wird alles zum besten kehren, und da Sie bereits Ihre Bemühungen selbst zu dieser Absicht angewendet haben; so kann die Sache keinen andern, als einen guten Ausgang gewinnen. Wir hoffen alle das beste, inzwischen ist dabey am wenigsten besorgt


Ihre

ergebenste Freundin und Dienerin Amalia v.S.

10. Brief
[50] X. Brief.
Fräulein Amalia an das Fräulein v.W.

Kargfeld, den 19 Oct.


Das ist eine schreckliche Verwirrung in dem Hause! Alles läuft wider einander. Zu keiner ungelegnern Zeit hätte ich einen Besuch in Kargfeld abstatten können als heute. Um nicht in dem Getümmel erdruckt oder beschädiget zu werden, habe ich mich in Tante Kunigunden ihre Zelle geflüchtet, und will mich für langweiliger Zeit mit der Beschreibung dieses unerwarteten Zufalls beschäftigen. Haben Sie die Geduld, mir zuzuhören, ich will Ihnen die Sache vom Anfang bis auf den gegenwärtigen Augenblick erzählen. Sie wissen, daß mein Oncle von seiner Unpäßlichkeit vollkommen wieder hergestellet ist. Er ließ uns deswegen auf heute zu sich einladen, um wegen [51] seiner glücklichen Genesung, allerley Lustbarkeiten anzustellen. Meine Schwester und ich haben uns eingefunden. Der Baron hatte sich schon auf heute bei einem Freunde versprochen, und will, wenn er sich von seiner Gesellschaft loßreißen kann, erst gegen Abend kommen. Alles war bei unserm Oncle, wie zur Begehung eines Festes zugeschickt. Der Herr v.H. der nie gesünder gewesen, als seitdem er auf seiner Heimreise von Wilmershausen mit dem Pferde gestürzet hat, war nebst seinen beiden Brüdern auch zugegen. Mein Oncle wollte einen Ball anstellen, um jedermann zu zeigen, daß er wieder wohl zu Fuße sey. Vorhero sollte ein vortrefliches Concert, von der Composition eines Lorenz Lobesans, wozu der Magister Lampert den Text verfertiget hatte, aufgeführet werden. Man entdeckte allenthalben Zeichen der lebhaftesten Freude. Unter einem künstlichen Präludio, wozu der Cantor alle sieben Register der Hausorgel meines Oncles gezogen hatte, wurden bereits die Instrumenten gestimmet; zwölf Adjuvanten strichen schon [52] die langen goldgelben Haare aus dem Gesichte, um die Noten desto besser sehen zu können; zwei davon bemüheten sich, alle vorräthige Luft in dem Musikzimmer einzuathmen, und setzten bereits ihre Waldhörner an, um sie durch lebhafte Töne wieder auszulassen. Jedermann hatte seinen Platz eingenommen, und Lampert, der die Partitur führte, war eben im Begriff, den linken Fuß und die rechte Hand aufzuheben, um durch einen nachdrücklichen Tritt und Schlag das Zeichen zum Anfange einer lermenden Fuge zu geben: da der Jäger des Majors v. Ln. in das Zimmer geführet wurde, der meinem Oncle einen Brief überbrachte, den er mit einer ernsthaften und verächtlichen Mine entsiegelte. Er hatte ihn nicht so bald gelesen; als er seine Cantate voll Verdruß auf den Tisch warf und eiligst nebst dem Magister das Musikzimmer verließ, um mit ihm, wie er sagte, über eine Sache von der äußersten Wichtigkeit zu rathschlagen. Jedermann erwartete ihre Wiederkunft mit einer solchen Begierde, als wenn man hätte wollen Hanns [53] Norden sehen in seinen Krug steigen. Der Cantor ließ dann und wann die große Orgelpfeife brummen, um sie an ihre Rückkehr zu erinnern; allein vergebens. Tante Kunigunde kam nach Verlauf einer halben Stunde zurück, und meldete, daß wegen eines wichtigen Zufalls die Aufführung der Cantate diesmal unterbleiben müßte. Sie sagte dieses mit einer so ängstlichen Stimme, daß der Cantor mit den weisesten seiner Adjuvanten anfing, die Köpfe zusammen zu stecken, und allerlei politische Betrachtungen hierüber anzustellen. Wigand, Jacob, Heinrich liefen unterdessen Trepp auf Trepp nieder, und trugen sich mit Degen und Pistolen. Die unverständigen Musikanten, die die Ursache dieser Bewegungen nicht einsehen konnten, verbreiteten auf einmal das furchtbare Gerüchte, der Feind wäre schon im Anmarsch. Alles gerieth darüber in Aufruhr; jeder wollte der erste bei der Thür seyn, um sich zu retten. Die Angst machte, daß man nur auf seine eigene Sicherheit dachte. Es galt hier kein Ansehen der Person. Ich schätzte mich [54] also glücklich, daß ich noch zu rechter Zeit, durch eine Nebenthür, mich aus dem Gedränge machen konnte.


Sie werden leicht einsehen, was diesen Aufruhr veranlasset hat. Mein Oncle hat den Fehdebrief von dem Major erhalten. Ich bin darüber sehr bestürzt, so wenig Sie es auch an meinem Briefe wahrnehmen können. Den Scherz bei Seite gesetzt, so können Sie glauben, daß diese Aufforderung das ganze Haus meines Oncles in Verwirrung gesetzet hat. Die Aufführung des Concerts wurde dadurch unterbrochen; aus dem Balle wird auch nichts; die Geiger und Pfeifer sind aus dem Hause getrieben; das lermende Vergnügen hat auf einmal mit einer traurigen Stille gewechselt. Mein Oncle befindet sich noch immer nebst dem Herr v.H. und seinen Brüdern in einer tiefen Berathschlagung. Wigand ist die einzige lebendige Creatur, die einiges Geräusche macht. Er sitzt im Hofe und putzt das Gewehr. Alleweile schleift er einen abscheulichen laugen verrosteten Degen. Ich [55] denke noch immer, daß die ganze Sache ein bloßes Spielgefechte seyn soll, und daß sich der Major, nur um Ihrer Frau Mutter gefällig zu seyn, entschlossen hat, meinem Oncle ein Cartel zuzuschicken. Er scheint doch ein Mann zu seyn, der die Geister prüfen kann, und wird also leicht einsehen, daß seine Ehre bei dieser Schlägerei nicht viel gewinnen wird. Wenn er es ernstlich meint, so verdient er deswegen verachtet zu werden, und wir wollen uns beide alsdenn vereinigen, um ihm aus jeder Mine lesen zu lassen, was er für eine kleine Figur in unsern Augen macht. Ich erwarte die Ankunft des Barons mit der größten Ungeduld. Er hat mir sein Wort gegeben, daß aus diesem Handel kein Unglück entstehen soll; ich werde ihn dabei halten. Wenn es in seinem Vermögen stehet, so erfüllt er gewiß sein Versprechen. Sehen Sie, ich bin nicht so schlimm, als Sie denken, ich lasse mir die Verdrüßlichkeit meines Oncles sehr zu Herzen gehen, und ich weiß nicht, was ich drum geben wollte, wenn ich im Stande wäre, sie den Augenblick [56] zu haben: aber ich kann mich des Scherzes so wenig dabei enthalten, als Tante Kunigunde der Thränen; doch diese werden die Sache nicht mehr verbessern, als sie mein Scherz schlimmer macht. Sie würden selber mit lachen, wenn Sie hier wären. Es werden nicht Anstalten zu einem Duell gemacht, sondern zu einem Kriege. Wenn das Faustrecht noch im Schwange gienge, so glaubte ich, der Major hätte meinen Oncle befehdet, mit 30 reißigen Knechten gegen ihn auszuziehen. Es werden alle Schwerdter, Degen und Pistolen, in ganz Kargfeld zusammen gebracht, daß man, im Fall der Noth, eine Rotte Knechte damit bewaffnen könnte. Man sagt mir, daß mein Oncle im Begriff sey, einen Boten an Ihren Herrn Vater abzuschicken. Ich bekomme dadurch eher als ich vermuthete, eine Gelegenheit, Ihnen meinen Brief einhändigen zu lassen. Damit Sie aber doch bey den kritischen Umständen, worinnen sich mein Oncle befindet, nicht ganz ruhig seyn mögen: so will ich Sie nur daran erinnern, daß Sie die erste Gelegenheit [57] gegeben haben, ihn darein zu verwickeln. Ich würde Ihnen nicht diese Erinnerung machen, wenn ich nicht wünschte, daß Sie die Sorge über den bevorstehenden Zweikampf meines Oncles, mit mir theilen sollten. Wenn ich unruhig bin, so sollte die ganze Welt unruhig seyn, wenn es nach meinem Sinne gienge. Vergeben Sie diese kleine Bosheit, wenn es ja eine seyn soll


Ihrer

aufrichtigen Freundin Amalia v.S.

11. Brief
XI. Brief.
Fräulein Amalia an das Fräulein v.W.

Schönthal, den 22 Oct.


Geben Sie Sich zufrieden, mein Kind, und machen Sie Sich wegen der Händel unsrer beiden Anverwandten[58] weiter keine Sorge. Wir haben nichts zu fürchten; wenigstens bin ich seit gestern geneigt, dieses zu glauben. Wissen Sie es schon, daß der Major uns gestern einen Besuch gegeben hat? Eine wunderbare Frage, als wenn es Ihnen etwas unbekanntes wäre, ohnfehlbar haben wir Ihnen diesen freundschaftlichen Besuch zu danken. Doch, wer weiß, Sie hätten mir wohl ein Wort davon gemeldet. Ich will Ihr Stillschweigen so annehmen, als wenn Sie noch nichts davon wüßten, und ich werde den Major aus einem vortheilhaftern Gesichtspunkte betrachten können, wenn ich glaube, daß er aus eigner Bewegung zu uns gekommen ist. Im Vertrauen, der Baron fing es an, übel zu nehmen, daß er schon einen Monath hier ist, ohne ihn einen Besuch gegeben zu haben. Er entschuldigte sich deswegen sogleich bei seiner Ankunft, und seine Entschuldigung fand Beifall, sie war gegründet. Ich bekam eine bessere Meinung von ihm als ich bisher gehabt hatte, und ich fange es an zu bereuen, daß ich ihn einen prahlenden Soldaten [59] genennet habe. Man darf von Ihnen nur so urtheilen, wie Sie es verdienen, um meine Achtung zu erhalten. Glauben Sie es nur, ich ließ meinen Groll gegen den Major sogleich fallen, da er sich für Sie er klärete, und Ihre Parthie gegen Ihre Mutter ergriff. Er ließ sich über Sie in viele Lobsprüche heraus –. Werden Sie nicht ungehalten auf mich, wenn ich jetzo einmal die Person der Fräulein Anna Howe spiele, und Sie frage: ob Ihnen nicht das Herz bei diesen Zeilen stärker schlägt? Ich bin sehr verwegen, strafen Sie mich, wenn ich es verdiene – Ich will nicht weiter in Sie dringen; ich will es Ihnen aber doch ins Ohr sagen, daß Sie einen eifrigen Verehrer an dem Herrn v. Ln. bekommen haben. Bei aller seiner Mühe, seine Leidenschaft zu verstecken, kann man ihm bis auf den Grund des Herzens sehen. Wenn er gegen Ihre Frau Mutter eben so offenherzig ist, als gegen den Baron: so getraue ich mir im voraus zu prophezeien, daß die Freundschaft zwischen beiden am längsten gedauert hat. [60] Er erzählte mit einer lobenswürdigen Freimüthigkeit, daß ihn die Frau v.W. verleitet hätte, unserm Onkle eine Ausforderung zuzuschicken. Er hätte seine Ursachen gehabt sich nicht durch seine Widerspänstigkeit ihr misfällig zu machen. Können Sie diese Ursachen wohl einsehen? Ich kann es –. Es wäre gar nicht seine Absicht, dasjenige, wodurch er sich von dem Herrn v.N. beleidiget halten könnte, zu rächen. Der Mann hat seine Würmer, sagte er, man muß seine Schwachheit übersehen. Wenn ihn auch das nicht bereits einer vollkommenen Verzeihung würdig machte, daß er ein Anverwandter des Barons wäre: so würde ihn doch sein wunderbarer Charakter genugsam für aller Rache schützen. Er wäre auf eine sonderbare Art in das Lustspiel gezogen worden, welches mein Oncle zum Vergnügen seiner Freunde und Nachbarn aufführte: er wünschte nun auch seine Rolle so zu spielen, daß er sie mit Beifall endigte. Unser Oncle schien keine Lust zu haben, sich mit ihm herum zu balgen. Er hätte ihm einen Brief [61] zugeschickt, davon der Magister Lampert schien der Concipient zu seyn. Er suchte, den Zweikampf von sich abzulehnen, und führte allerlei Gründe an, daß man denken sollte, er wäre unter die Herrnhuter gerathen; der Major aber hätte ihm wieder geantwortet, daß es zwischen ihnen beiden nun einmal so weit gekommen sei, daß einer den andern aus dem Sattel heben müßte. Schon in dem ersten Fehdebriefe wäre Schönthal zum Kampfplatze vorgeschlagen worden, obgleich die Frau v.W. dazu eine Gränzscheide ausersehen gehabt hätte. Der 25 October wäre, wie dem Baron schon würde bekannt seyn, zum Termine des Zweikampfs anberaumt. Der Baron möchte der Sache nur so einen Schwung geben, daß die Sache auf eine scherzhafte Art geendiget würde, und daß es so schien, als wenn beide Theile mit Ehren aus dem Handel geschieden wären.


Ich konnte nicht immer gegenwärtig seyn, um zu hören, was der Major mit dem Baron [62] vor einen Entwurf machte. So viel weiß ich, daß heute mit dem frühesten der Baron nach Kargfeld gereiset ist, um alles der Abrede gemäß einzurichten. Sie sind gewiß eben so begierig als ich, den Ausgang dieses Zwistes zu vernehmen, ich werde Ihnen mündlich oder schriftlich davon einen getreuen Bericht abstatten. Das Schreiben meines Oncles an den Major, und die Antwort auf dasselbige, lege ich hier bei. Senden Sie mir beide, nebst ein paar Zeilen von Ihrer Hand zurück; angenehmer wird es mir aber seyn, wenn Sie Sich die Mühe nehmen wollen, solche selbsten zu überbringen


Ihrer

ergebensten Dienerin Amalia v.S.

12. Brief
[63] XII. Brief.
Der Hr. v.N. an den Major v. Ln.

Kargfeld, den 20 Oct.


Mein Herr,


Was gehet Sie mein Brief an, den ich an meinem Freund den Herrn v.W. geschrieben habe, und wer hat Ihnen das Recht gegeben, die Ehre seiner Gemahlin zu vertheidigen? Habe ich Sie beleidiget, so ist ihr Gemahl Mannes genug, diesen Schimpf zu rügen, ohne einen fremden Beistand nöthig zu haben. Wollen Sie Sich für Ihre Muhmen und Vettern schlagen, zumal wenn sie einer Vertheidigung ganz unwürdig sind: so werden Sie viel zu schaffen haben, und doch wenig Ehre dabei erjagen. Daß ich vor einigen Wochen, in Wilmershausen eine kleine Unruhe verursachet habe, darüber haben Sie gar nichts zu [64] sagen: wenn es der Herr v.W. als Wirth leiden konnte, so können Sie als ein Gast auch darzu stille schweigen. Zu dem bin ich für meine Ausschweifung schon gnug bestrafet worden: meine Knochen haben mir einen Monat lang allen Gehorsam aufgekündiget gehabt, und ich muß ihnen noch ziemlich gute Worte geben, wenn sie mich ein paar hundert Schritte fortschleppen sollen. Was ich von Ihnen und der Frau v.W. geschrieben habe, das sind blos meine Gedanken gewesen, und Gedanken sind Zollfrei. Ich habe Ihnen ja nichts Schuld gegeben, und wenn ich es auch gethan hätte, was wäre es denn nun? Wenn Sie ein gut Gewissen haben, so brauchen Sie nichts zu fürchten; sind Sie aber nicht sicher, so thäten Sie besser, Sie schwiegen. Da ich Ihnen nun also nicht gnugsame Ursache gegeben habe, sich für beleidiget zu halten: so achte ich mich auch nicht verbunden, Ihre Ausforderung anzunehmen. An meiner Herzhaftigkeit zweifelt Niemand, und Sie sollten derjenige seyn, der sich am wenigsten an mich wagte, [65] da ich mich noch gar wohl erinnere, daß ich Ihnen bei dem Herrn v.W. erzählte, wie manchen braven Kerl ich das Lebenslicht ausgeblasen habe, und daß ich sogar einen meiner Gegner, der für Schrecken zum Fenster hinaus sprang, zwischen Himmel und Erde, nicht anders als ein Vogel in der Luft, erlegt habe. Ich würde mit Ihnen gewiß auch kurz Federlesen machen, und nicht das geringste Bedenken haben, mich noch einmal herum zu schlagen: wenn ich nicht nach der Zeit verständiger worden wäre, und nunmehro einsähe, daß der Zweikampf eine alte gothische und barbarische Gewohnheit ist, welche man mehr zu unterdrücken als aufrecht zu erhalten verbunden ist. Lesen Sie Herr Gevatter Grandisons Leben; so werden Ihnen die Augen aufgehen, und Sie werden erkennen, daß ein solcher unchristlicher und abentheuerlicher Gebrauch anfängt, aus der Mode zu kommen, seitdem vernünftige Männer einen bessern Weg gefunden haben, ohne Blutvergießen, ihre Händel durch gütliche Vergleiche beizulegen. Mit einem Worte, [66] ich komme nicht nach Schönthal als ein Schläger, wenn ich ja noch komme. Indessen weiche ich Niemand aus, und werde mich meiner Haut tapfer wehren, wo Sie mich anfallen. Mein Rath wäre, daß Sie es nicht versuchten. Ich denke immer, die gerechte Sache wird siegen, und es konnte leicht kommen, daß ich Ihnen den Hals bräche, ehe Sie Sichs versähen. Wie gesagt, beleidigen laß ich mich nicht, wenn Sie also noch einige Ueberlegung haben: so stehen Sie von Ihrem bösen Vorhaben ab, und besuchen Sie mich auf eine freundschaftliche Art, damit ich Sie überzeugen kann, daß ich mir ein Vergnügen daraus mache, zu seyn


Ihr

ergebenster Diener v.N.

13. Brief
[67] XIII. Brief.
Der Major v. Ln. an den Herrn v.N.

Den 21 Octob.


Ihr Brief hat Ihnen ohnfehlbar viel Mühe gemacht. Es scheinet Ihnen leichter, Fehler zu begehen, als Fehler zu entschuldigen. Warum soll ich meiner Base keine Satisfaction verschaffen, da Sie ihre Ehre und die meinige zugleich antasten? Die Art und Weise Sie abzustrafen ist so barbarisch nicht, als Sie denken. Es ist diese Gewohnheit einmal bei Cavaliers hergebracht, daß sie ihre Streitigten mit dem Degen in der Faust beilegen; wir haben solche nicht aufgebracht, wir wollen sie auch nicht wieder abbringen, es mag immer bei dem alten bleiben. Es ist auch nicht nöthig, daß wir erst untersuchen, ob dieser Gebrauch von den Heiden oder Türken entlehnt sey, gnug, der Adel darf keine Beleidigungen auf sich [68] sitzen lassen, und nun ist es mit uns einmal so weit gekommen, daß einer den andern aus dem Sattel heben muß. Ich bin eben kein Feind von der neuen Mode, und wenn das verdammte Schlagen abkäme: so wäre ich es wohl zufrieden; aber ich fange diese Mode nicht zuerst an. Ihr Gevatter mag seyn wer er will, und wenn er auch ein abyßinischer Prinz wäre, so soll er mir keine Gesetze vorschreiben. Mit einem Worte, wir müssen unsere Sache als brave Cavaliers ausmachen, ehe wir wieder gute Freunde werden. Es kann also unser Zwist nicht durch einen gütlichen Vertrag, wie Sie Sich einbilden, beigeleget werden; ich lasse mich auch in keine mündliche Unterredung mit Ihnen ein: vor jetzo kann ich nicht anders als auf Hokippo mit Ihnen reden. Sie wollen mir durch die Anführung einiger Ihrer Heldenthaten eine Furcht einjagen; allein Sie irrensich. Ich lasse sie zwar alle auf ihrem Werth und Unwerth beruhen; aber wenn ich ihnen auch Glauben beimesse, so frischen mich solche nur noch mehr an, mit einem so tapfern [69] tapfern und unüberwindlichen Ritter, ein Speerrennen zu wagen, um zu sehen, wer den letzten begräbt. Ich könnte, nach der langverjährten Mode, wenn ich meine ritterlichen Thaten den Ihrigen entgegen stellen wollte, Ihnen Hohn sprechen: ich will Ihnen aber lieber in der That zeigen, daß ich ein Mann bin, der sein Herz am rechten Orte hat. Finden Sie Sich nur auf den 25sten dieses bei dem Herrn Baron v.F. ein, dort wollen wir einander sprechen, und wenn wir unsere Sache ausgemacht haben, alsdenn will ich es versuchen, ob ich mich jemals werde überwinden können, in der That zu seyn


Ihr

ergebenster Diener v. Ln.

14. Brief
[70] XIV. Brief.
Das Fräulein v.W. an das Fräulein v.S.

Den 23 Oct.


Sie empfangen hier die beiden Einschlüsse Ihres gestrigen Briefes mit vielem Danke zurück. Ich traue es dem Major zu, daß er die ganze Sache als ein Schattenspiel treiben will, um meiner Mutter etwas vorzuspiegeln, dadurch ihre Rache einigermaßen befriediget wird, und dadurch er sich in der guten Meinung befestiget, die sie jetzo von ihm heget. Sie irren Sich sehr, wenn Sie glauben, daß er die Freundschaft mit meiner Mutter meinetwegen zu unterhalten suche, ich muß Ihnen diesen Irrthum benehmen. Ich mache mir schon Sorge, daß ich Ihre Gewogenheit darüber einbüßen könnte, wenn dieser Gedanke einmal bei Ihnen Wurzel gefasset hätte. Der Major stehet bei Ihnen ganz wohl angeschrieben, wie [71] ich merke, ich werde mich also vor Ihrer Eifersucht hüten. Diese werde ich, wie ich hoffe, nicht zu befürchten haben, wenn Sie die Absicht des Majors wissen, warum er die Freundschaft meiner Mutter beizubehalten sucht. Sie hat aus dem Lehngute, welches ihm neulich zugefallen ist, noch ein Capital von 6000 Thalern zu fordern. Sie ist ihm nie recht gut gewesen, weil sie glaubt, daß ihr Oncle, der Vater des Herrn v. Ln., sie und ihre Schwester bei einer Erbschaft sehr verkürzt habe. Sie hat ihm deswegen das Capital schon seit einiger Zeit aufgekündiget, um sich, wegen des alten Verdrusses, einiger maßen an ihm zu reiben. Er hat, wie Sie wissen, vor ein paar Monaten seine Equipage verlohren, und ist deswegen hauptsächlich hieher auf sein Gut gegangen, um sich solche von neuem anzuschaffen. Dieses und die Anforderung meiner Mutter, wenn sie darauf hätte bestehen wollen, würden ihn in Weitläuftigkeiten gesetzet haben; er würde ein starkes Capital haben aufnehmen müssen, um beide Posten davon zu bestreiten. [72] Er dachte deswegen auf Mittel sich aus dieser Verlegenheit zu ziehen, und suchte meine Mutter durch ein höfliches Bezeigen zu gewinnen, daß sie jetzo nicht in ihn dringen möchte, ihr das Capital abzutragen. Einigermaßen hat er sie gewonnen, aber noch nicht völlig; sie verspricht ihm einige Nachsicht zu geben, wenn es ihre Umstände leiden wollten, das Geld noch eine Zeitlang zu missen. Sobald er ihr aber die geringste Gelegenheit zu einem Verdrusse giebt: so wird sie das Geld nicht eine Stunde länger entrathen können. Schreiben Sie also dieser Ursache allein alle seine Beeiferungen zu, sich ihr gefällig zu machen.


Ich muß Ihnen wegen einer kleinen Schmeichelei verbunden seyn, Sie schenken dem Major Ihre Achtung, weil er so von mir urtheilet, wie Sie glauben, daß ich es verdiene. Sie handeln sehr großmüthig; aber ich denke, er hat mir diese Ehre nicht alleine zu verdanken; Die persönlichen Eigenschaften tragen zu dem Urtheile, welches [73] man über die Leute fällt, auch oft etwas bei. In einem Stücke bin ich nicht mit Ihnen zufrieden. Sie haben nicht die besten Begriffe von mir. Sie fragen mich: ob mir das Herz nicht stärker schlägt, wenn ich höre, daß sich Jemand in Lobsprüche über mich heraus läßt, wollen Sie mir dadurch einen Vorwurf meiner allzugroßen Eigenliebe machen? Haben Sie davon Beweise in Händen, daß ich mir etwas darauf habe zu gute gethan, wenn ich bin gelobet worden? Ich denke nicht, seitdem ich aus der Schule bin, hat man mir nie etwas zu meinen Lobe ins Gesichte gesagt, darauf ich hätte können stolz seyn. Dort verdiente ich manchmal von meinem Informator eine kleine Lobrede, wenn ich den langen Psalm ohne Anstoß herbeten konnte. Ich will es Ihnen gedenken, daß Sie mich für ein so ruhmräthiges Mädchen halten. Warum nicht auch für falsch? Die Ruhmrätigen und Falschen stehen sonst immer bei einander. Bald hätte ich Lust, eine Lanze mit Ihnen deswegen zu brechen. Dieser Ausdruck, der Ihnen eigenthümlich [74] zustehet, gefällt mir besser, als das Speerrennen des Majors. Ich muß hier noch ein Wort von den beiden Briefen der Duellanten gedenken. Halten Sie nicht einen für so drolligt wie den andern? Wenn der Major so dächte, wie er hier geschrieben hat, so würden weder Sie noch ich, ihn uns einander zum Anbeter aufdringen wollen. Ich wenigstens würde glauben, Sie durch einen solchen Scherz zu beleidigen. Heute las er meiner Mutter das Original des einen, und die Abschrift des andern Briefes vor. Ich war gegenwärtig; ob mich meine Mutter gleich in ihrem Herzen weg wünschte. Ich stellte mich, als wenn ich etwas ganz neues hörte, und keine Abschrift von diesen Briefen zu Gesichte bekommen hätte. Meine Mutter vergnügte sich so sehr über die Antwort des Majors, daß sie ihn mehr als einmal Herzensmann nennte. Sie ist die rachsichtigste Frau in ganz Deutschland. Ich hätte es nicht gedacht, daß ihr Zorn so lange dauern könnte. Ich wagte es, da der Major das Zimmer verlassen hatte, ihr ein wenig [75] ins Gewissen zu reden. Sie können sich stellen, gnädige Frau, sagte ich, als wenn es ihr rechter Ernst wäre, daß der Herr v. Ln. ihren Zwist mit dem Herrn v.N. ausfechten sollte. So viel ich einsehe, gründet sich ihr Unwille gegen den Herrn v.N. hauptsächlich auf seine Aufführung bei der neulichen Gasterei. Sie wollen seine Vergehungen ahnden, und der Major hat sich erbothen, diese Beleidigenden so anzunehmen, als wenn sie ihn selbst angiengen. Ich kann mir nicht einbilden, daß ihn der Herr v.N. besonders beleidiget hat.


Ja, das hat er gethan! Wenn sie wissen sollten wie er sich vergangen hat, so würden sie erstaunen – den heillosen Brief – Doch was soll ich ihnen die albernen Possen erzählen, es ist auch eben nicht nöthig, daß Sie alles wissen. Genug, er muß bestrafet werden.


Sie müssen ihm eine Schwachheit zu gute halten. Sie kennen ihn ja von vielen Jahren her, und wissen, daß er es nicht so [76] böse meint, wenn er auch gleich seine Worte nicht allemal auf die Waagschaale legt.


Ich glaube, sie nehmen seine Parthie? Denkt doch! läßt das nicht, als wenn Sie in ihn verliebt wären? Nehmen sie ihn! Unter dieser Bedingung will ich mich wieder mit ihm aussöhnen, um der Freundschaft willen werde ich es freilich so genau nicht nehmen dürfen. Als Schwiegermutter will ich ihm verzeihen.


Sie hätte in der That diesen Punkt nicht berühren sollen. Beschämte sie sich nicht dadurch selbsten, daß sie mir einen Mann hatte aufdringen wollen, der ihr selbst unleidlich war? Legte sie nicht dadurch ein Zeugniß wider sich selbst ab, daß sie nur um mich zu peinigen, diese Heirath hatte stiften wollen? Allein das ist ihre Sache nicht, daß sie so weit herum denken sollte.


Sie scherzen, sagte ich, und wenn sie scherzen, so ist ihr Zorn vorbei. Ich habe ohnedem nie recht glauben können, daß es ihr [77] Ernst gewesen ist, wenn Sie dem Herrn v. Ln. aufgemuntert haben, an den Herrn v.N. Händel zu suchen.


Wie? was? Ich sollte den Major aufgemuntert haben, an Ihrem Schatze Händel zu suchen? das ist mir nicht in die Gedanken gekommen. Ich verlange nichts von ihm, als daß er meine Ehre zugleich mit der seinigen vertheidigen soll. Er muß ihm Satisfaction geben, wenn er ein rechtschaffener Cavalier seyn will. Er hat ihn beleidiget.


Aber bedenken sie, daß aus diese Sache ein Unglück entstehen könnte, und daß sie sich ewig ein Gewissen daraus zu machen hätten, wenn – –


Ha ha! Sie predigen, glaube ich gar? Wie lange ist es, daß sie unter die Pietisten gerathen sind? Machen sie sich aber nur nicht zu viel Sorge um ihren Liebsten, es wird keiner von beiden auf dem Platze bleiben. Der Major ist so grimmig nicht, und der furchtsame v.N. wird seinem Gegner [78] auch keine tödtliche Streiche beibringen. Es ist eben nicht auf Leben und Tod angefangen; aber wenn man alle Beleidigungen mit dem Mantel der christlichen Liebe zudecken wollte: so käme es endlich dahin, daß man jedem Unverschämten zum Gespötte diente, das muß nicht seyn.


Das darf auch nicht seyn. Es giebt unterdessen wohl andere Wege, dadurch man dieses Uebel vermeiden kann. Ich dächte, wenn man den Herrn v.N. wollte zu erkennen geben, daß man mit seinem Bezeigen nicht zufrieden wäre, so dürfte man nur seine Gesellschaft vermeiden, und ihn den Zutritt in unser Haus versagen. Aber zwei Personen wegen einer Kleinigkeit, die man übersehen könnte, in Lebensgefahr zu setzen, das heißt, die Sache zu weit treiben. Sie glauben, der Herr v.N. wäre furchtsam, ich will es zugeben; aber die Furchtsamen, wenn sie sich in Gefahr sehen, sind der Verzweifelung nahe. Wie? wenn nun ein Unglück entstünde? [79] Solche Vorstellungen muß man sich nicht machen. Es wird nicht gleich ein Unglück entstehen. Und wenn es auch so wäre, so ist die Sache nicht zu ändern, davor sind sie Cavaliers. Wissen sie nicht, was der Major in seinem Briefe an den Herrn v.N. sagt: es ist ein altes Herkommen, daß der Adel keine Beleidigungen auf sich sitzen lassen darf, wir haben es nicht aufgebracht, wir wollen es auch nicht wieder abbringen.


Ich beruhigte mich hierbei, ohne diese Unterredung weiter fortzusetzen, und schätzte mich außerordentlich glücklich, daß ich derselben war gewürdiget worden. Sie scheint nicht so blutgierig als ich geglaubt hatte. In der That sucht sie nichts, als dem Herrn v.N. eine Furcht einzujagen, um ihn gegen sich in Respect zu erhalten. Wenn es also auch nicht zu einer Schlägerei kommt, und die Sache nur so beigeleget wird, daß dadurch ihre Ehre wieder hergestellet scheinet; so wird sie sich, wie ich hoffe, beruhigen. Mein Vater ist seit einigen Tagen über diese [80] Sache sehr mit ihr zerfallen. Seit dem 19 dieses, da der Herr v.N. einen Boten an ihn abgeschickt hat, welcher mir zugleich Ihren Brief von Kargfeld überbrachte, hat er sich in seine Studierstube verschlossen. Sie werden sich erinnern, daß er seine Werkstatt so nennet, wo er seine Wachtelgarne stricket, und die künstlichen Vogelbauer verfertiget. Er hat nicht einmal mit uns gespeiset, sondern sich das Essen hinauf bringen lassen. Die Verdrüßlichkeiten, worein er auf Antrieb seiner Gemahlin seinen Freund verwickelt siehet, gehen ihm sehr zu Herzen; um aber nicht in einen Hauskrieg verwickelt zu werden, worinnen er gewiß den kürzern ziehen würde, will er sich nicht weiter in diese Händel mischen. Der neue Verwalter, und Jacob, unser Jäger, machen jetzo seine Gesellschaft aus. Seine Gemahlin hat ihn noch nicht in seiner Einsiedelei besucht. Wenn sie ihm etwas zu hinterbringen hat, so braucht sie dazu ihre Tochter; und weil ich die nächste Nachbarin meines Vaters bin, wir wohnen in einen Stockwerke, so läßt er mich meistentheils [81] rufen, wenn er meiner Mutter etwas zu sagen hat. Was ist es doch für eine elende Gemüthsberuhigung für ein paar Eheleute, die gegen einander aufgebracht sind, wenn sie miteinander eine Zeitlang schmollen; da sie doch zum Voraus sehen, daß sie sich gewiß wieder aussöhnen müssen, wenn sie nicht für ihre übrige Lebenszeit unglücklich seyn wollen. Ich bin versichert, daß mein Vater und seine Gemahlin, ihre Aussöhnung wünschen; aber keines will einen Durchbruch machen, und dem andern das erste gute Wort geben. Ich will von diesen verdrüßlichen Dingen nichts mehr gedenken, mein angefüllter Bogen erinnert mich an etwas angenehmers, dieses bestehet darinne: daß ich die Ehre habe mit einer unverletzlichen Freundschaft gegen Sie zu verharren

Dero

ergebenste Dienerin Juliane v.W.

15. Brief
[82] XV. Brief.
Fräulein Amalia an ihren Bruder.

den 26 Octob.


Das Schauspiel hat sich geendiget, der Vorhang ist zugezogen, die Zuschauer, die ein Trauerspiel vermutheten, haben ein Lustspiel gesehen und sind nicht unzufrieden darüber, daß der Cothurn seinen hohen Absatz verlohren hat. Der Zwist unsers Oncles und des Majors ist ohne das Geräusche furchtbarer Waffen beigeleget worden. Alles wurde nach dem Geschmacke Grandisons ausgeführet, und jerdermann, selbst die rachsüchtige Frau v.W. ist beruhiget. Der Baron hat keinen Fleiß gesparet den Hauptpersonen ihre Rolle wohl einzuprägen, damit bey der Ausführung sich kein Fehler einschleichen möchte, der einen komischen Auftritt in einen tragischen hätte verwandeln können. Vorgestern, am 24sten, besuchte er Vormittage [83] unsern Oncle, um seine Gesinnungen auszuforschen. Er blieb dabei, daß er sich nicht in einen Zwiekampf mit seinem Gegner einlassen würde: er wäre aber entschlossen, in Schönthal zu erscheinen, um ihm, nach dem Beispiele seines Freundes, aus vernünftigen Gründen, die Thorheit eines Duells darzuthun, und ihn durch Gelassenheit und Großmuth zu überwinden. Der Baron suchte ihn in diesem Vorhaben zu stärken. Da er gieng, begleitete ihn der Magister Lampert, und sagte ihm ins Ohr: es würde wohl gethan seyn, wenn der Baron zu seiner eigenen Sicherheit bei einer Sache, wo Mord und eine Inquisition auf die Hitze folgen könnte, einen Geschwindschreiber irgends wohin versteckte, der die Unterredung seines Gönners und des Majors nachschreibe. Der Baron hatte diesen Vorsatz schon lange gefaßt, aber nicht aus der Beisorge, daß im Fall ein Unglück entstünde, er den Rücken frei behielt, und seine Unschuld in der Sache dadurch darthun könnte, denn dieses befürchte er eben nicht: sondern er wollte es nur um [84] deswillen thun, damit eine so sonderbare Unterredung nicht möchte verlohren gehen. Unterdessen wollte er dem Magister doch nicht so gleich beipflichten: Was, sagte er, wollen sie mich zu dem lüderlichen Bagenhall machen? Ich halte keine Geheimschreiber, es wird auch Niemand den Verdacht auf mich werfen, daß ich gegen ihren Gönner ein Complot gemacht habe, um ihn in meinen Hause umbringen zu lassen. Es werden schon Zeugen dabei seyn, die ich, wenn ich in Ungelegenheit kommen sollte, aufstellen kann, daß ich an der ganzen Sache keinen Theil genommen habe. Lampert beruhigte sich hierbei nicht, sondern suchte dem Baron die Nothwendigkeit eines solchen Geheimschreibers weitläuftig darzuthun, und dieser stellte sich endlich, als wenn er seinen Gründen weichen müßte, und versprach, alles so einzurichten, wie er es gut befänd. Nachmittags gab uns der Major einen Besuch. Beigelegte Briefe 1 [85] werden dir seinen Charakter ziemlich genau kennen lernen. Ich würde einen Theil derselben bereits meinem letzten Schreiben haben anschließen können, wenn nicht die Eilfertigkeit, in der ich mich damals befand, mich genöthiget hätte, dieses bis zu einer andern Gelegenheit zu versparen. Du wirst daraus sehen, daß der Major nie geneigt gewesen ist, Ernst aus dem Zwist mit unsern Oncle zu machen, und daß er nur, um die Frau v.W. nicht gegen sich aufzubringen und ihre Freundschaft zu verlieren, ihm ein doppeltes Cartell zugeschicket hat. Er ließ sich es gerne gefallen, daß diese Streitigkeit auf eine scherzhafte Art ohne Duell beigeleget würde. Der Baron richtete ihn vollkommen zu seinem Auftritte ab, und der Ausgang hat gewiesen, daß er seine Person gut gespielet hat. Unser Schwager ließ alles auf den folgenden Tag zu einem Schmause veranstalten. Der Major versprach, den Herrn von W. mitzubringen. Der Herr v.H. sollte auch eingeladen werden. Es wurde verabredet, daß sich der Major und die übrige Gesellschaft [86] um 9 Uhr des Morgens einfinden sollte; unser Oncle hatte versprochen erst gegen 10 Uhr da zu seyn. Der Baron ließ den jungen Wendelin von Kargfeld herüber holen, um sich seiner als eines Geschwindschreibers zu bedienen. Ehe ihm dieser wichtige Posten anvertrauet wurde, sollte er erstlich eine Probe seiner Kunst ablegen; er versicherte aber, daß er darinne ein Meister wäre. Er hätte seine Collegia auf Universitäten von Wort zu Wort nachgeschrieben, sagte er, und ohngeachtet einige seiner Docenten sehr geschwind geplaudert hätten: so wäre doch seine Hand so flüchtig gewesen, daß er noch immer einen kleinen Zeitraum übrig behalten hätte, um anzumerken, wenn ein Professor seinen Spaß belacht hätte. Es kostete Mühe, einen Platz ausfündig zu machen, wo der Schreiber alles hören und sehen könnte, was in dem Zimmer vorgieng, und wo er von Niemanden könnte gesehen werden. Ich that den Vorschlag, man sollte ihn unter einen großen Tisch logiren, den man mit einem Teppich verhängen könnte; allein dieser Ort schien [87] zu unbequem, es hätte leichtlich ein Jagdhund unter denselben gerathen können, wodurch der geheime Secretär, eben so, wie dort der Liebhaber der saubern Eswara, hätte können endecket werden. Der Baron sagte, er hätte schon einen schicklichern Ort zur geheimen Canzelei ausersehen: er wollte sich aber noch nicht weiter darüber herauslassen. Er beschäftigte sich den übrigen Theil des Tages, den jungen Wendelin zu unterrichten, damit dieser das Protokoll so führen möchte, wie er es wünschte. Der junge Wendelin hat dem Baron vor einer Stunde eine Abschrift davon gebracht, die ich meinem Briefe beilege, du wirst dir gefallen lassen sie an diesem Orte einzurücken, damit der Verfolg meiner Erzählung nicht unterbrochen wird.

Das Protokoll.

Ich Johann Caspar Wendelin, juris vtriusque Candidatus et Notarius publ. Caes. meines Alters zwischen drei und vier und zwanzig Jahr, begab mich am 25 October [88] jeztlaufenden 17 – – Jahres des Morgens um 7 Uhr, auf hohen Befehl des S.T. Hochwohlgebohr. Reichsfreiherrn Herrn Joh. Adolph v.F. Erb-Lehn und Gerichtsherrn auf Schönthal, Güldenau etc. nach dem Hochadlichen Schlosse in Schönthal auf den Weg, und langte um halb 9 Uhr auch wirklich zu Fuße daselbst an, um eine Unterredung nachzuschreiben, die am besagten Tage zwischen S.T. dem Hochwohlgebohr. Herrn Herrn Ehrhardt Rudolph v.N. Erb-Lehn-und Gerichtsherrn auf Kargfeld, Dürrenstein etc. an einer, und dem auch Hochwohlgebohr. Herrn, Herrn C.F.v. Ln. Sr – – wohlbestallten Major beidem löbl. – – – schen Regimente Infanterie, an der andern Seite, vorgehen sollte, und davon man Folgen von großer Wichtigkeit zu besorgen hatte.


Nachdem ich meine Lebensgeister durch ein gutes Frühstück gestärket hatte, ließ man mich in ein Zimmer treten, wo sich erwähnter Herr Major v. Ln., der Herr v.W. und der Herr v.H. befanden, die in einer Unterredung von [89] der jetzigen veränderlichen Witterung und dem herannahenden Winter begriffen waren, die zu meinem Zwecke nicht gehörten und die ich also aufzuzeichnen keinen Befehl hatte.


Damit ich nun die erwartete Unterredung weniger gestöhrt aufzeichnen möchte, ward ich befehliget, in einen großen Schrank zu kriechen, der ausdrücklich zu dieser Absicht war in das Zimmer gebracht worden. Ich hatte die Ehre, daß der Herr v.F. mich eigenhändig darinne verschloß, und den Schlüssel zu sich nahm. Ungeachtet der Herr v.N. wohl mag gewußt haben, was dieser große unschickliche Schrank in einem Zimmer, das mir seidenen Tapeten ausgeschlagen war, zu bedeuten hatte: so sollte es doch lassen, als wenn ohne sein Wissen diese Unterredung nachgeschrieben würde. Ich wurde dahero befehliget, mich ruhig zu halten, weder zu husten noch zu niesen, vielweniger durch das Anziehen oder Fortsetzen eines Fußes mit meinen Stiefeln ein Gepoltere oder Geräusche zu erregen; hingegen aber sollte ich alles, was vorgienge, [90] aufrichtig und redlich nachschreiben, so, daß ich auf Erfordern die Richtigkeit desselben mit meinem großen Notariat-Insiegel bekräftigen könnte.


Beim Eingange in dies enge Behältniß fand ich, daß der obere Boden des Schrankes weggenommen war, damit das Licht hinein fallen, und ich auch leichter vernehmen könnte, was in dem Zimmer gesprochen würde. Zu mehrerer Bequehmlichkeit, war ein Stuhl hineingesetzet worden, nebst einem Schreibepulte, welches mit den nöthigen Werkzeugen der Schreiberei überflüßig versehen war. In der Thür fand ich eine Oeffnung angebracht, von der Größe eines Spundloches, welches von innen mit einem Gork verstopfet war, den ich heraus nehmen konnte, um alle Bewegungen in dem Zimmer, wenn es nöthig wäre, bemerken zu können.


Ohngefehr um 10 Uhr sagte man, daß der Herr v.N. käme und daß er von dem Herrn Magister Lampert Wilibald begleitet würde, der einen langen spanischen Degen [91] an der Seite hatte. Einige Herren lachten hierauf sehr laut, aber was sie sagten, hielt ich mich nicht befehliget aufzuzeichnen. Der Herr v.W. den ich daran kennete, weil er allezeit über laut jähnete, ehe er anfieng zu reden, sagte zu dem Major: bedenken sie, daß der Mann mein Freund ist, thun sie ihm nichts zu leide, wenn sie der meinige seyn wollen.


Der Major, der sich durch eine männliche und gesetzte Stimme von den übrigen unterschied, sagte: machen sie sich keine Sorge, ich werde säuberlich mit ihm fahren, ich stehe für allen Schaden.


Der Herr v.H. welchen ich an seinen Flüchen erkannte, Sapperment! Wollen sie von ihm keine Satisfaction haben? Sie haben ihn ja herausgefordert.


Der Major. Ich werde sie nicht von ihm erzwingen, wenn er sich nicht freywillig dazu verstehet.


Es schien, daß der Herr Baron sich aus dem Zimmer begeben hatte, um den Herrn [92] v.N. zu empfangen. Ich hörte hierauf, daß ein Fenster geöffnet wurde. Sehen sie, sagte der Major, der vermuthlich am Fenster stand, siehet der Herr v.N. in seiner großen weißen Perucke nicht aus, wie der Admiral Byng, da er sollte arquebusiret worden? Alle Herren rückten hierauf mit den Stühlen, um den Herrn v.N. zu empfangen.


Indem zog ich meinen Gork aus der Oeffnung, und sahe durch solchen den Herrn v.N. in das Zimmer treten. Er hatte eine sehr entschlossene Miene, und schien durch solche seinem Gegner eine Furcht einjagen zu wollen. Der Mag. Lampert folgte ihm mit einem langen Stoßdegen bewaffnet, der ihn verhinderte in dem Zimmer viele Bewegungen zu machen. Er stieß von ungefehr, da er ein Kompliment machen wollte, mit solchem an die Thür meines Behältnisses, daß ich darüber in großes Schrecken gerieth. Die Unterredung fing alsdenn folgender maßen an.

[93] Der Hr. v.N. Ihr Diener, meine Herren, ich erfreue mich, sie allerseits wohl zu sehen.

Der Major. Ich bin der ihrige. Haben sie die vergangene Nacht wohl geruhet?

v.N. Nicht gar wohl.

Der Major. Wie befinden sie sich?

v.N. So hin. Was giebts guts neues, hört man nichts vom Frieden?

Der Major. Ganz und gar nichts.

v.N. Wenn doch die großen Herren des Blutvergießens einmal müde würden, zuletzt gewinnt doch keiner nichts.

Der Major. Sie fechten für die Ehre und in diesem Stücke werden wir ihnen heute ähnlich seyn.

v.N. Wir? Keinesweges! Darzu werde ich mich nicht bringen lassen, daß ich mich [94] mit ihnen schlage, ich komme als Freund und nicht als Feind.

Der Major. Wir wollen sehen, ob wir heute Freunde werden können, bis jetzo sind wir es noch nicht. Wir müssen vorhero erst unsere Sachen miteinander ausmachen.

v.N. So wahr ich ein Mann bin, will ich nicht! Was ich geschrieben habe, dabei bleibt es. Ich komme nicht, mich zu schlagen: aber beleidigen laß ich mich nicht. Wenn meine Person angefallen wird, so weiß ich, wie ich mich vertheidigen soll – Alsdenn nehmen sie sich in Acht.

Der Major. Das werde ich gewiß thun, ohne daß sie mich daran erinnern. Haben sie jemanden als einen Secundanten bei sich, so lassen sie ihn herein kommen.

v.N. Niemanden, als diesen ehrlichen Mann, (er wies auf den Magister Lampert.)

Der Magister. Was soll dieser Schulmann hier, soll er secundiren?

[95] v.N. Das wird nicht nöthig seyn, er ist mein Waffenträger.

Hr. Lampert. Ich trage die Waffen meines Gönners zur Vertheidigung, aber nicht zur Beleidigung. Er gehet jederzeit defensive und nie offensive, sie haben also von diesen Waffen nichts zu fürchten, wenn sie solche nicht selbst gegen sich reizen.

v.H. Vor dem Donner! Wozu nützen diese Reden? Macht eure Sache mit einander aus, ihr Herren, wie es braven Cavaliers zustehet, alsdenn könnt ihr schwatzen, so lange ihr wollt, wenn ihr da noch schwatzen könnt. Bald darzu, bald darvon.

Der Maj. Nehmen sie eine von diesen beiden Pistolen, Herr v.N. Ich handele ehrlich, ich lasse ihnen die Wahl. Dort auf dem Acker, den sie hier vor sich sehen, linker Hand nach dem Gehölze zu, dort wollen wir unsere Sachen ausmachen.

v.N. Seyn sie nicht hitzig, ich rathe es ihnen. Der Acker könnte leichtlich ihr Gottesacker [96] werden. Lassen sie uns frühstücken, bei einer Tasse Koffee wird sich alles geben.

v.H. Sapperment, wie stellen sie sich! Weisen sie diesem Herrn, daß sie Courage haben. Sie reden ja wie eine alte Frau.

v.N. An meiner Courage wird so leicht niemand zweifeln, und ich rede so, wie es meine Grundsätze erfordern.

v.H. Was zum Henker sind das für Grundsätze, die möchte ich sehen! Nach diesen Grundsätzen getraue ich mir nicht, ein Glas Wein mehr mit ihnen zu trinken.

v.N. Das können sie halten, wie sie wollen, ich werde mich dadurch nicht aufbringen lassen. Wenn sie einmal zu mir kommen und eben durstig sind, werden sie froh seyn, wenn ich ihnen nur ein Glas Wein vorsetze.

v.H. Der Henker hole! Ihre Sprache hat sich seit einigen Tagen treflich geändert. Da sie den Ausforderungsbrief von dem [97] Herr Major erhielten, wollten sie alle Bäume ausreißen, sie ließen Spieße und Schwerder zusammen tragen, und thaten, als wenn sie ihn fressen wollten, und nun, da es Ernst werden soll, sind sie verzagt:

v.N. Ich verzagt? Ich dächte sie kennten mich besser. Habe ich ihnen nicht – wie lange wird es nun seyn? vor ungefehr 10 Jahren gewiesen, daß ich Muth habe? Sie werden die Zeichen davon wohl mit in ihr Grab nehmen.

v.H. Dort waren sie ein andrer Mann. Aber ich denke, ich wehrte mich meiner Haut tapfer, und sie bekamen auch etwas, daß sie an mich denken konnten.

v.N. Dieses gehöret jetzo nicht hieher. Wenn wir indessen damals gescheut gewesen wären, so hätten wir nicht nöthig gehabt, uns wie die unsinnigen Menschen herum zu balgen, wir würden unsere Streitigkeit eben so haben beilegen können, wie ich die meinige mit dem Herrn Major jetzo beizulegen gedenke.

[98] Der Maj. Sie haben die Wahl, ob dieses auf den Degen oder Pistolen geschehen soll.

v.N. Weder auf diese noch auf jene Art, und dieses, hoffe ich, wird mich zu dem Titel ihres besten Freundes berechtigen, daß ich es abschlage, mich mit ihnen in einen Zwiekampf einzulassen.

Der Maj. Wie? Sie halten sich zu den Titel meines besten Freundes berechtiget, daß sie mir eine rechtmäßige Satisfaction, die ich wegen einiger Beleidigungen von ihnen verlange, versagen? Ist dieses nicht eine offenbare Verachtung?

v.N. Nein, das ist die stärkste Probe meiner Freundschaft, die ich ihnen geben kann. Ich will sie nicht unglücklich machen: denn es würde ihnen eben nicht besser ergehen, als allen ihren Vorgängern, die ich vor der Klinge gehabt habe.

Der Maj. Ich werde also Ursache haben, mich bei ihnen zu bedanken, daß sie so großmüthig [99] mit mir verfahren, und sie muntern mich auf, ihrem Beispiele zu folgen. Ich werde sie also, wenn sie mir keine Satisfaction geben wollen, mit nächsten beleidigen, um hernach, wenn ich ihnen solche gleichfalls versage, ihnen dadurch einen Beweiß meiner Freundschaft geben zu können.

Hr. Lampert. Was höre ich, welchen Schluß! Beurlauben sie mich gnädiger Herr, wenn sie nicht wollen, daß mir, als einem Meister in der Kunst zu schlüssen, bei dergleichen falschen Schlüssen, wenn ich sie nicht widerlegen darf, eine Ohnmacht zuziehen soll. Ich besorge, es dürfte mir gehen, wie jenem großen Kunstrichter, der für heftigen Entsetzen zu Boden sank, da ein Idiot in seiner Gegenwart einigen Tonkünstlern zurief: Salvete domini Musicantes. (Er wollte sich wegbegeben)

v.N. Bleib er hier, Herr Lampert, er muß sich einmal mir zu Gefallen Gewalt anthun. Ich werde schon die falschen Schlüsse widerlegen. Es geschiehet nicht zu meiner [100] Beschützung, mein Herr, daß ich den Herrn Lampert ersuche, hier zu bleiben, er soll nur von der Richtigkeit meiner Schlüsse, die ich den ihrigen entgegen zu setzen gedenke, urtheilen. Sie stehen in dem Wahne, ich hätte sie beleidiget, und wollte ihnen keine Satisfaction geben. Ich beleidige Niemand; der Grund von unserm Zwiste rühret nur vom Zufalle her. Ich habe auch nie den Vorsatz gehabt, sie zu beleidigen, wenn man Jemanden beleidigen will, so muß man – wie soll ich sagen – so muß man Jemanden etwas zu Leide thun. Nicht wahr Herr Lampert?

Hr. Lampert. Allerdings, so ist es.

v.N. Nun habe ich ihnen nie etwas zu Leide gethan. Wenn es geschehen wäre, so sagen sie, bei welcher Gelegenheit: also habe ich sie auch nie beleidiget. Ist das nicht richtig geschlossen, Herr Lampert?

Hr. Lampert. Der Schluß ist in Forma richtig.

[101] v.N. Was sagen sie dazu, Herr Major?

Der Maj. Sie fangen es sehr fein an, daß sie darauf dringen, die Gelegenheit zu entdecken, bei welcher sie mich beleidiget haben. Sie wissen wohl, daß ich Ursache habe, dieses nicht zu thun; es ist aber auch nicht nöthig. Mit einem Worte, ich halte mich von ihnen für beleidiget, und dieses ist genug, Cavalier Satisfactien za verlangen.

v.N. Das will ich ihnen nicht wehren, aber ob ich verbunden bin, ihnen solche zu geben, das ist eine an dere Frage. Wenn es genug wäre ohne hinlängliche Ursache Händel anzufangen, und wenn man denen die solche suchen, allezeit Satisfaction geben müßte: so hätte man nichts zu thun, als sich immer herum zu hauen und zu schießen, und das ist vor jetzo meine Sache nicht.

v.H. Wo T. muß die plötzliche Veränderung bei dem Manne herkommen! Sie waren ja vor diesem so eisern nicht, und nur noch vor wenig Tagen hatten sie ganz andere Gedanken.

[102] v.N. Ich ließ mich damals von den Ausbrüchen meines Zorns, denen ich immer nicht widerstehen kann, in etwas übereilen, und es war ihr Glück, Herr Major, daß sie mir den Tag nicht in den Wurf kamen. Da ich aber die Sache etwas genauer überlegte, und meinen Sirach, so nenne ich die Geschichte des Herrn Grandisons, zu Rathe zog: so stund ich von dem mörderischen Vorhaben ab, mich mit ihnen herum zu balgen. Wenn sie meinem Rathe gefolget, und diese Geschichte gelesen hätten, so würden sie jetzo meiner Meinung seyn.

Der Maj. Da ich es aber nicht bin, und keine so erleuchteten Einsichten habe: so müssen sie mir als dem schwächsten Theile nachgeben. Ich handele ehrlich, daß ich ihnen die Wahl unter diesen Pistolen lasse. Kommen sie, ohne uns in einen weitern Wortwechsel einzulassen, ich dringe darauf, sie müssen!

v.N. Seyn sie nicht hitzig, wir wollen frühstücken.

v.W. Ich dächte es wäre Zeit, es gehet stark auf den Mittag loß.

[103] v.N. zu dem Major. Nehmen sie eine Buttersemmel, das wird ihnen Zeit geben, gelassen zu werden.

Der Maj. Ueber die verdammte Gelassenheit! Ich denke, ich bin lange genug gelassen gewesen, ich habe noch bei keinem Duell einen solchen Wortwechsel geführet, als bei diesem. Endlich zerreißt mir der Gedultsfaden. Kurz, ich bestehe darauf, sie müssen eine von diesen Pistolen wählen.

v.H. Zeigen sie, daß sie noch Ehre im Leibe haben, sie können es warlich nicht ausschlagen! Nehmen sie eine.

Der Herr v.N. stund von seinem Stuhle auf, und nahm beide von dem Major. Er besahe sie lange, endlich sagte er: Die Wahl hält schwer, sowohl die eine als die andere scheint zum Unglück zubereitet. Ich will nicht an ihnen zum Mörder werden.

Der Maj. Wohlan! So soll der Degen unsern Zwist entscheiden.

[104] v.N. Da es also zugestanden ist, meine Herren, die Pistolen wegzulassen; und da ihr Anblick schon zum Unglück zu reizen scheinet: so werden sie erlauben, daß ich sie losbrenne.


Er öffnete ein Fenster, um sie loszuschiessen, sie versagten aber beide. Nach der Erzählung ist der Schreiber versichert, daß sie nicht geladen waren. Er laß also beständig ganz ruhig in seinem Schranke, weil er wußte, daß kein Unglück vorgehen konnte. Der Major stellte sich, als wenn er es verhindern wollte, daß die Pistolen nicht losgebrennt würden; der Herr v.N. sahe sich also genöthiget, zu Verhütung alles Unglücks, sie zum Fenster hinunter zu werfen. Da nun eine kleine Bewegung entstund, weil jedermann nach dem Fenster gieng, um zu sehen, was der Lerm zu bedeuten hätte, den man gleich darauf im Hofe hörete: so glaubte der Herr v.N. man hätte ein Absehen auf ihn. Er legte mit einer gravitätischen Mine die Hand an den Degen, und sagte ganz gelassen: [105] meine Freunde nehmen sie sich in Acht, daß ich niemanden beschädige, ich werde meinen Degen ziehen, wenn man mich anfällt.

Die Ursache des Lerms im Hofe war diese. Wigand, der Reitknecht des Herrn v.N. hatte sich unter dem Fenster, aus welchem der Herr v.N. die Pistolen herunter warf, gesönnet, es war ihm eine davon auf den Buckel gefallen, worüber er so heftig zu schreien anfieng, daß alles Gesinde zusammen lief. Weil man Pistolen neben ihn liegen sahe, so glaubte man, er hätte einen Schuß bekommen.

Der Major zu dem Herrn v.N. Wollen sie mir auf den Degen Satisfaction geben? Das ist gut, endlich entschließen sie sich doch zu etwas.

v.N. Ich ziehe ihn nur zu meiner Vertheidigung, ich dachte sie wollten sich über mich hermachen, weil ich ihr mörderisches Gewehr zum Fenster hinausgeworfen habe.

Der Major. Ja, das ist eine neue Beleidigung, so verächtlich begegnen sie mir.

[106] v.N. Ich habe es nicht aus Verachtung gethan, sondern zu ihrem Besten. Sie sollen ihr Leben nicht durch meine Hand verlieren, sie können es besser anwenden, wenn sie es dem Vaterlande zum Besten aufopfern; sie haben einen Beruf für solches zu streiten. In einiger Zeit, wenn sie die Sache ruhig überlegen, werden sie es vielmehr billigen, daß ich meine Pistolen ihnen aus den Zähnen gerückt habe, damit sie nicht zu dem Gebrauch könnten angewendet werden, zu dem sie bestimmt waren.

Der Maj. Vereiteln sie mir nicht meine Freude, die sie mir dadurch machten, daß sie die Hand an den Degen legten. Kommen sie hinunter in den Grasgarten, dort wollen wir ein paar herzhafte Gänge thun, und unsere Sache ausfechten.

v.N. Ich habe ihnen schon mehr als einmal gesagt, daß ich nicht als Feind, sondern als Freund hieher kommen bin, um meine gerechte Sache zu vertheidigen.

[107] Der Maj. Mit dem Degen hoffe ich?

v.N. Keinesweges! Mit dem Degen vertheidige ich mich nur gegen Mörder und Feinde, ich ziehe ihn aber nicht gegen meine Freunde. Meinem irrenden Bruder helfe ich durch vernünftige Vorstellungen zu rechte. Dieses ist der beste Weg, den man wählen kann, ihn zu bessern, und ihn zur Erkenntniß seiner Fehler zu bringen.

Der Baron. Das ist bei meiner Ehre edel gesprochen!

Der Maj. Wenn sie immer so gedacht hätten, wie sie jetzo sprechen, so würde ich die Größe ihres Geistes bewundern. Da aber ihre Thaten nicht mit ihren Worten übereinstimmen, so setzen sie sich in den Verdacht, als wenn es ihnen an Muthe fehlte, Es scheint, daß sie ihre Furchtsamkeit in die Larve der Großmuth, die sie ihren Gevattersmanne abgezogen haben, verstecken wollen; aber die Verstellung ist zu sichtbar. Ein großmüthiger Mann beleidiget niemanden, und also hat er auch nicht nöthig, für [108] angethane Beleidigungen eine Genugthuung zu verschaffen. Sie aber haben mich beleidiget und wollen mir keine Satisfaction geben: also schlüße ich daraus, daß sie nicht großmüthig sind, sondern furchtsam.

Hr. Lampert. Heu! quae qualis quanta!

v.N. Stille! (zu dem Major) hören sie, meiner Ehre wird dadurch nichts abgehen, sie mögen von mir glauben was sie wollen. So viel will ich ihnen nur sagen: sie haben ihr Leben meinen Grundsätzen zu danken. Ich bin von Natur hitzig, ich habe auch vielen Stolz; ich habe aber nach dem edlen Beispiele Sir Carls beides unterdruckt, und das ist jetzo ihr Glück. Wenn ich der wäre, der ich ehmals war: so würden ihnen ihre Beschuldigungen theuer zu stehen kommen.

v.W. (welcher bishero sich beschäftiget gehabt, das Frühstück, welches für die ganze Gesellschaft aufgetragen war, alleine zu verzehren, und eben jetzo damit fertig war.) [109] Ich dächte, sie ließen es nicht aufs äußerste ankommen, Herr Major, wenn v. N, seinen tollen Kopf aufsetzt, so ist er ärger als der T. Vertragt euch in der Güte miteinander, ihr Herren, zuletzt behält doch keiner Recht.

Der Maj. Wenn durch einen gütlichen Vertrag meine Ehre wieder hergestellet werden könnte, so wollte ich einem Vergleiche gern die Hand biethen. Da aber meine Ehre, in den Augen der Welt, mehr dabei verlieren als gewinnen würde: so bin ich entschlossen, die Entscheidung unsers Zwistes auf den Degen ankommen zu lassen.

v.N. Ihre Ehre kann nicht wider hergestellet werden, denn sie ist nicht beleidiget worden. Ich wollte mir eher auf deutschen Fuß die kehle abschneiden, oder nach englischer Manier, mich an den nächsten Balken hängen, ehe ich jemanden an seiner Ehre und guten Namen den geringsten Eintrag thun wollte.

[110] Der Baron. Welch ein vortreflicher Gedanke! Wenn sie nicht mit dieser Erklärung zufrieden sind, so weiß ich nicht, was sie weiter verlangen.

v.H. Vor dem Henker! Ich kann aus euch Leuten nicht klug werden. Der eine schwatzt einen Haufen von Beleidigungen, und will mit der Sprache doch nicht heraus, worinne sie bestehen sollen, und der andere will durchaus nicht eingestehen, daß er jenen beleidiget hat. Sie gehen um die Sache herum, wie die Katze um den heissen Brey, ohne daß etwas ausgemacht wird. Mein Rath wäre, ihr Herren vertrügt euch entweder in der Güte miteinander, wie es der Herr v.W. haben will, oder durch den Degen.

Der Major. Gut, bei diesem Ausspruche soll es bleiben, ich erwähle das letztere.

v.N. Ich ergreife das erstere. Sie kennen meine Grundsätze, und bestehen nur auf dem Duell, weil sie wissen, daß ich mich in kein Duell einlassen will.

[111] v.H. Aber warum nicht? Der Herr Major hat sie einmal heraus gefordert, und sie müssen ihm Satisfaction geben.

v.N. Ich kann diese Ausforderung, wenn ich auch sonst keine Gründe für mich anzuführen hätte, aus der Ursache nicht annehmen, weil es ein unchristlicher Gebrauch ist, wegen einer vermeinten, oder auch gegründeten Beleidigung sich den Hals brechen zu lassen, oder ihn seinem Nebenmenschen brechen zu wollen.

Der Major. Das sind Worte eines frommen Schwärmers.

v.N. Die Heiden und Türken verabscheuen eine solche gottlose Gewohnheit, und die alten Römer.

v.H. Was T – – gehen uns die alten Graubärte an! Sie reden, als wenn ihr Magister ihnen die Worte in den Mund geleget hätte.

v.N. Lassen sie mich zum Worte kommen, die alten Römer haben niemals mit einander Kugeln gewechselt.

[112] Der Major. Ja, zu der Zeit war das Pulver noch nicht erfunden, sonst würden sie sich wohl tapfer herumgeschossen haben.

v.N. Das sagen sie nicht. Wie hätten denn die Römer so viele Vestungen einnehmen können, wenn sie kein Pulver gehabt hätten? Aber dieses bei Seite gesetzt, so will es nicht einmal der Papst leiden, daß sich seine Unterthanen duelliren sollen.

Der Maj. Was hat uns der Papst zu befehlen, meine Ehre ist mir wichtiger, als alle päpstliche Bullen.

v.N. Ein alter Kirchenvater, Namens Concilius Tridentinus, gehet noch weiter, er erkläret alle die, welche in einem Zwiekampf umkommen, für Selbstmörder, und schlägt ihnen ein christlich Begräbniß ab.

v.H. Wenn wir die Gesetze der Ehre aus den Kirchenvätern herlangen wollen, so müssen wir uns freilich auf einen ganz andern Fuß setzen. Wir müssen feige Memmen werden, und in der Feigheit eine Ehre suchen; [113] unsere Ahnen aber, die sich durch ritterliche Thaten empor geschwungen haben, müssen wir als Mörder und Straßenräuber verdammen.

v.N. Wir können eher dieses thun, als daß wir in ihre Fußtapfen treten, und es eben so arg machen, wie sie. Die Fehler muß man ausrotten, wo man sie findet.

Der Baron. Der Herr v.N. spricht wie ein Orakel. Ich will heute noch meinen Degen einleimen lassen, damit ich nie wieder in die Versuchung gerathe, ihn gegen jemand zu ziehen.

Der Maj. Es ist wahr, die Gründe des Herrn v.N. haben einigen Schein, und wenn ich ihm weiter zuhörete, so glaube ich, ich dächte eben so wie er. Aber die Vorurtheile der Welt halten mich ab, daß ich ihm nicht beipflichten kann.

v.N. Ist es aber nicht besser, ein Mann von Ehre zu seyn, als daß man in den Augen der Welt dafür angesehen wird, ohne es [114] zu seyn? Um die Vorurtheile der Welt muß man sich nicht bekümmern. Eine wilde und unbändige, ich will nicht sagen unchristliche Gewohnheit als das Duelliren ist, kann gar keinen Beweiß angeben, daß man auf die Erhaltung seiner Ehre bedacht ist. Denn jeder Schurke, der nicht für einen Pfennig Ehre besitzt, kann einen braven Mann heraus fordern, um sich vor der Welt ein Ansehen zu machen.

Der Major. Sie reden, als wenn es gedruckt wäre, und ich wiederhole es nochmals, wenn ich mich überzeugen könnte, daß sie so vortreflich dächten als sie sprechen, so wollte ich mich eher vor ihnen erniedrigen, als vor dem großen Magol auf seinem Throne.

v.N. Sie können es auf mein Wort glauben, daß ich das jederzeit denke, was ich sage, denn wenn man reden will, so muß man denken; aber ich meine es auch so, wie ich rede. Kurz, sie können sich darauf verlassen, ich werde ihnen um meines Gewissens und um meiner Ehre willen keine Satisfaction [115] geben, wenn ich sie auch wirklich beleidiget hätte, welches doch aber nie geschehen ist. Der Gebrauch der Waffen stehet nur Königen und Fürsten zu, ich will den Göttern dieser Erden nicht ins Amt fallen. Privatleute müssen sich in der Güte mit einander vertragen.

Der Baron. Ich bin ganz entzückt über ihre Gesinnungen und ich fange beinahe an überzeugt zu werden, daß alles, was sie gesagt haben, vortreflich und nachahmungswürdig ist.

v.H. Der Meinung bin ich auch. Wie es scheint, Herr Baron, so gehet es ihnen eben so, wie es mir manchmal zu gehen pfleget. Wenn ich aus der Kirche komme, so denke ich, alles was der Pfarr gesagt hat, ist gut, und er hat Recht. Wenn ich aber alles das thun sollte, was er sagt, so müßte ich ganz und gar umgegossen werden, und das hält schwer, ich denke, wie meine Vorfahren sind in Himmel kommen, die alle nicht besser gewesen sind als ich, so getraue [116] ich mir auch hinein zu kommen. Jezt bin ich durch des Herrn v.N. Predigt abermals ganz und gar umgewendet, ich denke, er hat vollkommen Recht; aber wenn ein Cavalier doch gleichwohl soll leben, wie eine alte Frau, das stehet mir nicht an.

Der Major. So geht es mir ebenfalls. Wenn ich bedenke, daß das Duelliren eine so abscheuliche Sache ist, daß man darüber um ein ehrliches Begräbniß kommen kann: so möchte ich es verreden mich jemals wieder in Händel einzulassen. Aber wenn man darüber in Gefahr gerathen sollte, für scheinheilig oder furchtsam ausgeschrieen zu werden, so will ich lieber den Papst und alle Kirchenväter wider mich haben, als das Urtheil der Welt.

Der Baron. Weichen sie diesmal der Uebermacht, und erkennen sie sich überwunden. Sie können eben so wenig dem Winke der Vernunft widerstehen als ich. Wenn man sich über die Vorurtheile des Pöbels hinaussetzen kann, so muß man nothwendig [117] zugestehen, daß es ein thörigter und lächerlicher Gebrauch sey, einem Unheil durch etwas abzuhelfen, woraus ein viel größeres entstehen kann.

Der Major. (Zeigt auf den Herrn v.N.) Dieser Mann wird uns noch alle zu seinen Neubekehrten machen. Aber der T. wenn ich auch einen Heldenmuth beweisen, und meiner Leidenschaft Gewalt anthun wollte, mich nicht wegen der Beleidigungen an ihm zu rächen, so liegt mir noch etwas anders im Wege.

v.N. Ohne Zweifel ist der Mann ein Held, der seine Leidenschaft überwinden, und eine wirkliche Beleidigung, geschweige denn eine eingebildete vergessen kann. Und einem Helden muß nichts im Wege liegen, als was sich für ihm demüthiget, oder was er kaput gemacht hat.

Der Baron. Höchst vortreflich! Können sie noch widerstehen, Herr Major?

Der Maj. Nein, ich sehe mich genöthiget, ihnen gewisse Vorschläge zu thun, auf [118] welche ich mich mit ihnen zu vergleichen gedenke. Ich will wenigstens die Ehre haben, eben so großmüthig gegen sie zu verfahren, als sie gegen mich zu seyn glauben. Ich lasse meine Forderung wegen einer Genugthuung für dasjenige, wodurch ich mich von ihnen beleidiget halte, fallen; jedoch unter der Bedingung: daß sie meiner Base, der Gemahlin des Herrn v.W. eine schriftliche Abbitte und Ehrenerklärung thun, wegen der nachtheiligen Reden, die sie von ihr geführet haben, und alsdenn müssen sie mich überzeugen, daß es ihnen keinesweges an Muthe fehlt. Wenn sie richtige Beweise ihres Muthes anführen können, so will ich mich alsdenn beruhigen, und glauben, daß sie nach den Grundsätzen ihres Gevatters handeln.

v.N. Sie wollen ihre Forderungen gegen mich fallen lassen, und machen immer neue Forderungen, in der That haben sie gar keine an mich zu machen. Weil sie indessen auf einem guten Wege sind, so will thun, was ich kann, sie dabei zu erhalten. [119] Ihre zweite Bedingung kann ich ohne Bedenken erfüllen; die erste aber entstehet aus einem Vorurtheile, das leicht zu widerlegen ist. Ich habe die Frau v.W. nicht beleidiget, also ist auch eine Abbitte unnöthig. Was ich von ihr gesagt habe, das sind nur zufällige Gedanken gewesen, die ich nie vor Wahrheiten ausgegeben habe. Wenn sie sich dadurch beleidiget glaubt, so muß man ihr als einem schwachen Werkzeuge ihre Ehre geben, und sie begütigen. Eine Ehrenerklärung aber wird mir nicht schwer fallen, ich halte jede Dame für eine Dame von Ehre, bis ich es anders finde. Die Frau v.W. ist die Gemahlin meines Freundes, ich gestehe ihr alle die Ehre zu, die sie dadurch erhält.

Der Baron. Getrauen sie sich gegen diese Erklärung ein einziges Wort aufzubringen?

Der Major. Nicht ein Wort. Ich bin damit zufrieden, ich sehe daß ein Misverstand unsern ganzen Zwist erreget hat. Ich ärgere mich nur, daß ich gegen diesen vortreflichen [120] Mann, der alles so klug zu wen den weiß, daß er immer gegen mich in Vortheile bleibt, so eine elende Figur mache. Das hätte ich nicht gedacht, daß ich so würde überwunden werden.

v.H. Bei meiner Seele! v.N., sie kommen heute gut weg. Ich dachte, es würde Mord und Todschlag aus dem Handel entstehen, oder sie würden sich doch tapfer herum hauen müssen, wenn sie den Herrn Major satisfaciren sollten. Ich kann gar nicht einsehen, wie sich das Ding so gedrehet hat, daß diese Händel einen gütlichen Vergleiche nahe sind, und jeder bei Ehre bleibt, gleichwohl scheint es, als wenn es gar nicht anders hätte seyn können. Gebt nur einander die Hände, ihr Herren, es wird aus der Schlägerei doch nichts, vertragt euch in der Güte.

Der Major. So weit sind wir noch nicht, (zu dem Hrn. v.N.) Sie müssen meiner zweiten Bedingung noch vorhero Genüge leisten. Sie hatten, wie es scheint, nicht immer die Grundsätze, die sie jetzo haben; sie [121] zeigten ehedem ihren Gegnern ihrer Muth in der That, so wie sie ihn mir heute durch Worte gezeiget haben. So viel ich weiß, sind sie mehrmals vor der Klinge gewesen, und vor Zeiten würden sie sich sehr bedacht haben ihre Händel auf diese Manier wie jetzo beizulegen.

v.N. Beleidigen habe ich mich niemals lassen, wenn mich einer nur über die Achsel ansahe, so schlug ich ihn hinter die Ohren.

Der Baron. Damals hatten sie also nicht die Großmuth, die Gelassenheit, die Standhaftigkeit, die wir jetzo an ihnen bewundern.

v.N. Damals focht ich noch mit dem ersten Schwerdte, jedermann mußte sich vor mir fürchten.

Der Major. Ein Beispiel ihres Muths, Herr v.N.!

v.N. Zehne für ein. Da ich noch unter dem Prinzen Eugen gegen die Franzosen [122] zu Felde lag, wurde ich einmal mit 50 Mann in ein Dorf commandiret, um Fourage beizutreiben. Es wohnte daselbst ein Beamter, der ehedem auch ein Soldat gewesen war. Ungeachtet es in Freundes Land war, so that ich doch aus Gefälligkeit gegen meine Leute, als wenn ich dieses nicht wüßte, und ließ sie auf Discretion leben. Der Beamte beschwerte sich deswegen bei mir, und um mir eine Furcht einzujagen, sagte er, wenn ich diesem Unheil nicht abhelfen wollte, so würde er mich, wenn ich von meinem Commando zurückberufen wäre, herausfordern. Ich, der ich mich nie für einen Menschen fürchte, seitdem ich das Wort Mensch buchstabiren kann, gab ihm zur Antwort, einmal schlagen und ein paar Gläser Wein austrinken, wäre mir einerlei; ich gab ihm zugleich meinen Handschu und verlangte von ihm, eine Zeit und Ort zu bestimmen, wo wir einander finden wollten. Er versprach, dieses zu thun, wenn ich von meinem Commando zurückberufen wäre. Nach einiger Zeit, da wir in den Winterquartieren lagen, schickte er mir ein Carteil, [123] daß ich mich nebst zween Secundanten an einem gewissen Gränzorte, auf den und den Tag einfinden sollte. Ich hielt die Secundanten für überflüßig und nahm nur meinen Reitknecht zu mir. Mein Gegner war sehr unwillig, daß ich keine Secundanten mitgebracht hatte, ich sagte: meine Pistolen und mein Degen sind meine Secundanten. Wie, wenn wir uns nun alle dreie mit ihnen schlagen wollten, sagte er? Dazu bin ich bereit, ich nehme es mit euch drei Kerls auf einmal an, ihr seyd keine Cavaliers. Sie wurden darüber erbittere; ich aber nicht faul, ergriff mit der einen Hand die Pistole und mit der andern den Degen. Sie erstaunten über meine Herzhaftigkeit und machten links um, ich hinter ihn drein wie ein Satan. Einen davon, der kein so flüchtiges Pferd hatte als die andern, holte ich ein. Nehmen sie sich in Acht, sagte ich, jetzt werde ich sie auf den Pelz brennen. Er schrie erbärmlich um Pardon. Gut denn, jagte ich, reiten sie hin mit Frieden, ich will ihnen das Leben schenken. Er bewunderte meine Großmuth, und ich behielt [124] das Feld. Ich habe seit der Zeit kein Wort wieder von ihnen gehöret, und glaube die ersten beiden sind ohne Zweifel in einem großen Fluße umkommen, durch welchen sie setzen mußten, um sich zu retten.

Der Major. Das ist eine ganz außerordentliche Begebenheit, die sich in den neuern Zeiten nur alle hundert Jahre einmal zuträgt.

v.N. Dergleichen Begebenheiten sind mir mehrere begegnet.

Alle Herren baten ihn hierauf noch einige zu erzählen.

v.N. In Italien commandirte ich einmal eine Freicompagnie, die mehrentheils aus Banditen bestund. Ich hielt die Schurken ein bisgen kurz, und sie machten deswegen eine Meutherei gegen mich. Eines Tages hatte ich sie lassen ein wenig voraus marschiren, und ich wollte nachkommen. Sie hatten sich meine Abwesenheit zu Nutze gemacht, [125] und hatten sich zusammen verschworen, mich kalt zu machen, zugleich hatten sie einen Preiß auf meinen Kopf gesetzt, daß derjenige, welcher sich zuerst an mich wagen würde, mein Nachfolger seyn und sie commandiren sollte. Ein Deuscher verrieth mir diesen Anschlag, und gab mir den Rath, mich ja nicht vor den desperaten Kerls blicken zu lassen, wenn ich nicht wollte auf dem Platze niedergemacht seyn. Ich wie der Wind zu Pferde auf und davon – –

v.W. Daran thatest du gescheut, Herr Bruder, daß du Reisaus gabest, ich hätte es selbst so gemacht.

Der Baron. Ich fühle jetzo sehr lebhaft ihre Gefahr und ihre Entrinnung. In der That ihr Heil bestand damals in der Flucht.

Herr Lampert. Schweigen sie meine Herren, der Herr v.N. ist noch nicht fertig, hören sie nur.

v.N. Ich setzte mich also zu Pferde und suchte die Cujons auf. So bald ich sie ansichtig [126] wurde, gab ich meinem Gaul die Sporen, und mitten unter sie hinein.

v.W. Das ist ein anders.

Der Maj. Jezt kommt es erst.

Der Baron. Wie lief es ab? Ich stehe ihrentwegen in großer Furcht – wenn sie nur nicht – doch was mache ich mir vor gefährliche Vorstellungen, sie stehen ja da frisch und gesund vor mir.

v.N. Hier, Kammeraden bringe ich meinen Kopf selbst, sagte ich, um den Preiß zu verdienen, den ihr darauf gesetzt habt! Wer mir diesen streitig machen will, der trete heraus. Sie erstaunten über meinen Muth, sie stunden wie die Mauren, es regte sich keiner. Pursche, streckt das Gewehr! Rief ich ihnen zu und zog zugleich den Degen. Sie gehorsameten, und ich trieb sie hierauf vor mir weg, wie eine Heerde Schaafe, bis ins Hauptquartier. Das Gewehr befahl ich auf ein paar Wagen zu laden, die ihre Tornister führten.

[127] Der Baron. Nun, was machten sie mit ihren Leuten?

v.N. Hierauf ließ ich ihnen einen kurzen Proceß machen, und sie miteinander aufhängen.

Der Maj. Das war zuarg! Sie verfuhren mit den armen Teufeln zu barbarisch, es ist wohl mancher feine lange Kerl mit darunter gewesen. Sie haben ihrer Heldenthat dadurch einen garstigen Schandfleck gemacht.

v.N. Ja, die Hunde waren nichts bessers werth, sie hatten mit einander den Galgen schon zehnmal verdienet.

Herr Lampert. Ich halte davor, mein Gönner hat den Glanz seiner Heldenthat gar nicht verringert, er hat nichts anders gethan, als daß er dem Beispiele Alexanders des Grossen gefolget ist. Da dieser Tyrus erobert hatte, ließ er die überwundenen Tyrier rund um die Stadt herum aufknüpfen wie die Krammsvögel; oder eigentlich zu reden, er ließ sie nach damaliger Mode kreuzigen. [128] Das Leben der Kriegsgefangenen stehet in der Hand des Siegers.

v.N. Ja ja, so ist es.

Der Major zu dem Hrn. v.N. Was sagte aber ihr General dazu, daß sie ihre ganze Compagnie aufhängen ließen?

v.N. Was der sagte? Hm! der hatte nichts darnach zu fragen, ich war Herr über meine Leute. In acht Tagen hatte ich mir eine andere geworben, die noch einmal so stark war als die erste. Vorzeiten gieng es nicht so ordentlich im Kriege, wie heutiges Tages, dort that ein jeder, was er wollte. Aber die Zeit vergehet.

Er zog seine Uhr, die einem Dreiersbrodte an Größe nichts nachgab, aus der Westentasche. Die Herren baten ihn alle, die Unterredung noch nicht abzubrechen, so sehr es auch der Schreiber wünschte. Er fuhr also fort.

In Italien habe ich mehr als einmal die Ehre der Deutschen gerettet Es ist nicht [129] fein, wenn man immer von sich selber spricht; sie wollen es aber nicht besser haben, und also bin ich gezwungen, ihnen die merkwürdigsten Auftritte meines Lebens bekannt zu machen. Zu der Zeit folgte ich meinen alten Grundsätzen, ich dachte, ich wäre kein Mann von Ehre, wenn ich seine Händel hätte, und wenn mich Niemand beleidigen wollte, so wurde ich der angreifende Theil. Unter andern lag ich einmal zu Padua auf Werbung. Die Studenten machen dort viel Unheil und jedermann fürchtet sich für den jungen Laffen. In der Nacht kann Niemand auf der Straße gehen, ohne zu befürchten, daß man von ihnen angegriffen wird. Ich nahm mir vor, die Buben zu züchtigen und die öffentliche Ruhe wieder herzustellen.

Der Baron. Ein großmüthiger Entschluß!

v.N. Ich stellte mich des Abends unter einen bedeckten Gang. Ein Haufe lüderlicher Brüder sahen mich von ferne, und erklärten mich in ihren Gedanken schon für eine [130] gute Prise. Ich dachte: kommt nur angezogen. Kurz darauf stolperten ein paar von diesen Kerls vor mir vorbei und gaften mir ins Gesichte. Ihr Herren seyd ruhig und geht nach Hause, sagte ich. Schaarwächter, der du bist, erkühnte sich einer zu fragen, hast du uns etwas zu befehlen? Hier lief mir die Galle über, ich that auf den ganzen Haufen einen herzhaften Angriff, und in eben diesem Augenblicke lagen Degen, Hüte, Perucken und Mäntel, alles durch einander auf dem Kampfplatze. Zwei machte ich zu Gefangenen. Mit einem unter diesem Arme und mit dem andern unter diesem, begab ich mich gerade auf die Bürgerwache, wo ich beide verwahren ließ. Den Morgen darauf empfing ich von einigen Abgeordneten im Namen des Raths ein Danksagungskompliment, nebst einem Patent als ein Ehrenmitglied des großen Raths daselbst, weil ich die öffentliche Ruhe der Stadt wieder hergestellet hätte. Seitdem hat man auch nichts wieder von einem nächtlichen Unfuge daselbst gehöret.

[131] Hr. Lampert. Durch die edelmüthige That hätten sie verdienet, daß ihr Konterfei, wie das Bild des Miltiades nach dem Siege bei Marathon, öffentlich in einen solchen bedeckten Gang wäre ausgehänget worden.

v.N. Gewisser maßen habe ich diese Ehre wirklich erhalten. Ein Peruckenmacher, der ein neues Schild brauchte, ließ mich auf solches mit einer erbeuteten Perucke in der Hand abmahlen: die Studenten aber, denen dadurch ihre schimpfliche Flucht gleichsam aufgerucket wurde, brachten es dahin, daß er dieses Schild wieder einziehen mußte.

Der Major. Ich bin ganz bezaubert von ihnen, vortreflicher Mann! Ich sehe, daß es ihnen nie an Muthe gefehlet hat; aber mich dünkt, sie haben ihn an keinem Orte rühmlicher angewendet als hier, da sie das gemeine Beste dabei zum Endzwecke hatten.

v.W. zu dem Hrn. v.N. Ja, wenn deine Worte lauter Evangelien wären, so [132] wollte ich im geringsten nicht daran zweifeln; aber so muß ich es nur glauben, weil du es gesagt hast. Ich will die Sache nicht ganz verwerfen; ich denke aber du erzählest manche Dinge für dich zu vortheilhaft, Herr Bruder.

Der Maj. Ich bin geneigt, alle dem Glauben beizumessen, was der Herr v.N. gesagt hat. Ein Nachfolger Sir Carls kann keine Unwahrheiten sagen. Indessen bin ich versichert, es wird ihnen auch nicht an Beispielen mangeln, wo sie lebendige Zeugen ihres Muthes für sich anführen können.

v.N. Daran soll es auch nicht fehlen. Hat Jemand an dem Herrn Magister Lampert etwas auszusetzen, wenn ich ihn für mich zum Zeugen anführe?

v.W. Ganz und gar nichts.

Der Baron. Sein Zeugniß ist das glaubwürdigste.

Der Maj. Es scheinet ein Mann von Ehre zu seyn.

[133] v.N. Nun so hören sie denn. Ich reiste einmal nach Frankfurth in die Messe, gegenwärtiger Herr Lampert begleitete mich dahin. Wir speisten täglich in einem angesehenen Gasthofe, wo immer eine starke Gesellschaft von Vornehmen und andern Fremden, die es bezahlen konnten, anzutreffen war. Wir setzten uns eines Tages an eine Tafel von mehr als 30 Personen. Nicht wahr Herr Lampert?

Hr. Lampert. Ja! Es schmeckt mir noch immer gut, wenn ich daran gedenke, wir wurden recht wohl bewirthet.

v.N. Nicht lange nach uns kam ein Mann, von dem Ansehen eines Cavaliers, und setzte sich gleichfalls an unsere Tafel. So bald dieser Mann erschien, hörten alle Gespräche auf. Es schien, als wenn durch seine Ankunft der Appetit aller Anwesenden wäre vermehret worden; alle speisten mit der größten Begierde und Eilfertigkeit, und eine Zeit darauf verschwand einer nach dem andern. Ich wunderte mich darüber, und[134] fragte einen Kaufmann, der im Begriff war sich gleichfalls wegzubegeben, um die Ursache dieser Verschwindung. Sehen sie nicht, sagte er mir ins Ohr, dort unten den furchtbaren Mann? Ich rathe es ihnen, schleichen sie sich gleichfalls unvermerkt fort, wenn sie nicht wollen in Unglück kommen. Wenn er sich satt gegessen hat, so fängt er an zu trinken und hört nicht eher auf, bis ihn der Wein erhitzt hat, alsdenn kritisiret er über die Gesellschaft. Wer dieses nicht vertragen kann und sich mit ihm abgiebt, an dem sucht er Händel, und drohet mit Degen und Pistolen. Er ist ein vortreflicher Fechter und ein guter Schütze, und soll schon manchen über den Haufen gesetzet haben. Ich dachte sogleich, daß dieses eine gute Gelegenheit wäre, Ehre zu erwerben und mich bei der ganzen Gesellschaft in Ansehen zu bringen. Ich maß ihn einige mal mit den Augen, und dieses zog bald seine Aufmerksamkeit auf mich. Wir sprachen eine Zeitlang durch Minen mit einander, er getrauete sich nicht ein Wort zu sagen, weil er sahe, daß [135] ich ihn nicht fürchtete. Endlich fing er an, mit seinem Heldenthaten zu prahlen, ich that als wenn ich darauf gar nicht Acht hätte und erzählte, ihm zum Trutze, einige von meinen merkwürdigen Begebenheiten. Er wollte mich überschreien. Hören sie, sagte ich, wenn ich rede, so muß es stille seyn in dem Zimmer. Er unterstund sich hierauf einen Teller nach meinem Kopfe zu werfen, welcher aber fehl gieng, und beinahe den Magister erschlagen hätte. Ich sprang auf in voller Wuth, als wenn ich alles niedermachen wollte und über ihn her. Ist dem nicht also, Herr Lampert?

Hr. Lampert. Allerdings, er kam garstig weg.

v.N. Er fing an zu schimpfen und zu schelten. Willst du dich noch maußig machen? sagte ich, und was dergleichen mehr war. Kann er sichs nicht erinnern, was ich ungefehr noch sagte?

Hr. Lampert. Sie sprachen noch eins und das an dere, zum Exempel: Du hast [136] wohl nie einen Hund aus dem Ofen gelockt und willst dich an mich wagen?

v.N. Ja, ich erinnere mich. Gehe, sagte ich, Eisenfresser, der du seyn willst, du hast wohl nie einen Hund aus dem Ofen gelocket und willst dich an mich wagen, und in eben dem Augenblicke lag er die Länge lang unten vor der Treppe.

Der Major. Stellte er sich denn nicht zur Wehre?

Hr. Lampert. Nicht sonderlich. Er war über den muthigen Angriff erschrocken, daß er kein Leben hatte, er versahe sich dieses ganz und gar nicht.

Der Major lachte sehr laut.

v.N. Worüber lachen sie? Herr Lampert, ists nicht alles so, wie ich es erzählet habe?

Hr. Lampert. Vollkommen so, auf meine Ehre.

Der Major. Ich setze in die Wahrheit ihrer Erzählung gar keinen Zweifel, ich ergötze [137] mich nur an der glücklichen Anwendung des bekannten Sprichworts.

v.N. Ist das zum Sprichwort worden? haben sie es mehrmals gehöret?

Der Major. Sehr oft.

v.N. Das Sprichwort kommt von mir her, ich habe es erfunden. Vor mir hat es, so viel ich weiß, Niemand gebraucht, und ich weiß selbst nicht, wie es mir damals eben zu so gelegner Zeit eingefallen ist. Es stunden ein Haufen Leute um mich, da ich zu meinem Gegner sagte: du hast wohl nie einen Hund aus dem Ofen gelockt, und wie auf Messen alles bald ausgebreitet wird, so ist auch dieses bald unter die Leute gebracht worden.

Der Major. Ey wenn sie ein Mann sind, der Sprichwörter erfinden kann, so muß man billig Hochachtung für sie haben.

Der Baron. Ich denke, der Herr v.N. hat ihren Anforderungen nunmehro Genüge geleistet. Hält sie noch etwas zurück, ihm [138] ihre Hand zu geben, und sich mit ihm zu versöhnen?

Der Major. Bei meiner Ehre, er hat alles erfüllt, was ich verlangen konnte, und das mit so leichter Mühe. Aber auf meiner Seite hält es schwer, ich lebe noch nach den alten Grundsätzen des Herrn v.N. und seine neuen wollen mir gar nicht in Kopf – ich kann mich nicht überwinden.

v.N. Haben sie noch einige Zweifel wegen des Ehrenpunktes, so will ich mich bemühen sie zu heben.

Der Major. Das ist nicht nöthig, erlauben sie nur, daß ich mit diesen Herren einen kleinen Abtritt nehme, um ein oder den andern Punkt nochmals zu überlegen.

v.N. Alles nach ihren Gefallen.

Die Herren begaben sich hierauf in ein Nebengemach bis auf den Herrn v.N. und den Hrn. Lampert, diese besprachen sich in Abwesenheit der übrigen folgender Gestalt.

[139] v.N. Nun, was meint er, Herr Lampert, wie habe ich bestanden? Habe ich heute meinem Gevatter Ehre oder Schande gemacht?

Hr. Lampert. Nichts als Ehre, und der Ausgang weist nunmehro, daß sie dem Wege, den Herr Grandison zuerst betrat, glücklich nachgespüret haben.

v.N. Einen Theil des glücklichen Ausganges dieser kützlichen Sache habe ich ihm zu verdanken. Er hat mich die letzten drei oder vier Tage dreßiret wie ein Schulpferd. Wenn ich nicht wohl wäre gefüttert gewesen, so hätten die Sachen können schief laufen; nun aber denke ich, soll Herr Grandison von diesem Handel so viel Ehre haben, als ich selbsten. Findet er ganz und gar nichts an meiner heutigen Aufführung auszusetzen.

Hr. Lampert. Ganz und gar nichts. Einige Kleinigkeiten wollen nichts sagen. Wenn das Hauptwerk gut ausgeführet wird, so läßt man einige kleine Fehler in [140] Nebendingen durchschleichen, ohne sie zu bemerken. Quandoque bonus dormitat Homerus, wenn dieser große Dichter Götter und Helden reden läßt, wie sie sollen: so vergiebt man ihm eine kleine Ausschweifung, wenn er auch gleich einmal Pferde und Schiffschnäbel mit einander schwatzen läßt.

v.N. Rom ist nicht auf einen Tag gebaut. Wenn ich es noch nicht so weit gebracht habe als Sie Carl, so werde ich es schon mit der Zeit noch so weit bringen. Wenn er etwas auf dem Herzen hat, so sag er es nur heraus, sein Tadel, hoffe ich, soll mich bessern.

Hr. Lampert zuckte die Achsel mit einem Reverenze. Die Sonne erleuchtet den ganzen Horizont, und hat doch ihre Flecken.

v.N. Das weiß ich, sag er nur heraus, was er an mir zu tadeln findet.

Hr. Lampart. Ich muß ihren Befehlen gehorsamen, und dieser wird meine Verwegenheit entschuldigen. Ich hätte wohl gewünscht, [141] daß sie nicht ihre ganze Compagnie, die sie in Italien commandirten, hätten aufknüpfen lassen.

v.N. Was liegt daran, und wenn ich eine ganze Armee hätte aufknüpfen lassen, so wären dadurch nicht weniger Menschen worden. Ich weiß aber der Sache schon abzuhelfen, ich will sagen, meine Compagnie hätte nur aus fünf Mann bestanden, alsdenn wird die Erzählung ganz wahrscheinlich seyn.

Hr. Lampert. Vermeiden sie es lieber, wo sie können, wieder daran zu denken.

v.N. Weiter im Text.

Hr. Lampert. Der Peruckenmacher in Padua hätte die Kosten auch spahren können, sie auf sein Schild mahlen zu lassen. Diese Erzählung schien ihnen mehr nachtheilig als vortheilhaft zu seyn, es können einem allerlei Nebengedanken dabei einfallen.

v.N. Ich würde nicht darauf gefallen seyn, dieses zu erzählen, wenn mich nicht [142] seine verwünschte Vergleichung mit dem Miltiades darauf gebracht hätte. Inzwischen ist doch so etwas eben nicht unmöglich, und wenn ich mir es nicht abstreiten lasse, so müssen sie es glauben. Weiter.

Hr. Lampert. Der Concilius Tridentinus schnitt mir durchs Herz. Habe ich ihnen nicht gestern diese Stelle aus dem Grandison erkläret? Das tridentinische Concilium war eine Kirchenversammlung und kein Kirchenvater.

v.N. Kleinigkeiten! Ich bin gut dafür, daß keiner von den Herren jemals etwas von dem tridentinischen Concilio gehöret hat, außer was ich ihnen davon gesagt habe.


Es schien, daß der Herr Magister Lampert noch viele Anmerkungen im Vorrath hatte, und daß diese nur als Vorläufer von wichtigern anzusehen waren; es wurde dieses Gespräche aber durch die Wiederkunft der übrigen Gesellschaftunterbrochen. Der Herr Baron brachte den Herrn Major bei der Hand in das Zimmer geführet, welcher etwas zu [143] widerstreben schien, inzwischen lies er es doch geschehen, daß seine Hand in die Hand des Herrn v.N. geleget wurde, und die Aussöhnung kam also hierdurch zu Stande.

Der Major. Verflucht! das hätte ich nicht gedacht, daß ich so würde überwunden werden.

Der Baron. Es ist gut, daß es geschehen ist; wir dachten alle nicht, daß sich die Sache auf eine freundschaftliche Art endigen würde.

v.H. Ich kann es auch, bey meiner Seele, noch nicht begreifen, wie dieses zugegangen ist!

v.W. Ob du es eben begreifest oder nicht, daran ist nicht viel gelegen, genug es ist geschehen.

Der Major. Wer kann einem solchen Manne widerstehen, als dieser Herr v.N. ist? das mag ein andrer thun und ich nicht.

[144] v.N. Sie haben sich von mir nicht überwinden lassen, sondern von der gesunden Vernunft.

Der Baron. Wie edel! Wir werden uns aller ihrer Reden und goldenen Lehren, die sie uns gegeben haben, erinnern, wenn sie auch nicht gegenwärtig sind. Dieser Schrank hat sie alle zum Gedächtniß und zu unserer Wiedererinnerung aufbehalten.

v.N. Wie verstehen sie das?

Der Baron. Ich beredete den Herrn Major, zu verstatten, daß ein junger Mensch, auf dessen geschwinde Faust ich mich verlassen konnte, eine aufrichtige Erzählung von alle dem, was vorfiele nachschreiben sollte, und er steckt in diesem Schranke.

v.N. Das ist etwas sonderbares, ich kann mich nicht genug darüber verwundern. Inzwischen da die Sache zu dem Vortheile eines jeden ausgefallen ist, und jeder Theil mit Ehre aus dem Handel scheidet, so dürfen wir kein Protokoll fürchten.

[145] Der Baron. Herr Wendelin, ihre Verrichtung ist zu Ende. Seyn sie so gut und kommen sie heraus aus ihrem Schranke, mit dem, was sie geschrieben haben.


Der Schreiber gehorchte, er hatte sich lange nach seiner Erlösung gesehnet. Der Herr Baron fragte, ob das Protokoll sollte vorgelesen werden; allein man sagte, daß es Zeit wäre zur Tafel zu gehen. Der Herr v.N. wollte durchaus nach Hause, ohngeachtet ihn sehr zu hungern schien, endlich blieb er doch auf vieles Bitten.


Der Schreiber bekam hierauf Befehl, das Protokoll einige mal sauber abzuschreiben, und von dem Herrn Baron v.F. seine Copialien zu erwarten. Zugleich wurde ihm in geheim anbefohlen, in dem Exemplare, das für den Hrn. v.N. bestimmt war, die besondere Unterredung desselben mit dem Herrn Lampert wegzulassen, auch gegen beide zu läugnen, wenn er allenfalls deswegen sollte befraget werden, daß er sie nachgeschrieben habe. Dieses ist also die richtige [146] Abschrift von allem, was vorgegangen ist, welches nach seinem besten Vermögen nachgeschrieben und auf Verlangen Sr. Hochwohlgebohr, dem Herrn Baron v.F. eingehändiget hat.


Dessen

unterthäniger Diener

Joh. Caspar Wendelin.


Ich will nun meine Erzählung da fortsetzen, wo sich des jungen Wendelins seine endiget. Den ganzen Tag über blieb die Gesellschaft bei uns. Man sahe nichts als Freundschaftsbezeigungen von einer und der andern Seite, unsere Herren schienen ein Herz und eine Seele zu seyn. Unser Oncle ließ eine solche Zufriedenheit über sich selbst blicken, daß ich glaube, er hat diesen Tag unter die glückseligsten seines Lebens gezählet. Der Herr v.H. war immer in tiefen Gedanken, der gute einfältige Mann, der den Zusammenhang der Sache nicht einsahe, [147] konnte nicht begreifen, wie ein solcher Zwist friedlich wäre beigeleget worden. Er sagte, es käme ihm alles wie ein Traum vor. Er hat die Ehre, daß er der erste ist, den unser Oncle zu seinem Jünger gemacht hat, und wenn er eine Secte stiftet, so muß der Herr v.H. unter seinen Anhängern oben an stehen. Ehe wir noch speisten, fertigte der Herr v.W. seinen Jäger an seine Gemahlin ab, um ihr zu melden, daß alles glücklich vorbei wäre. Ich hatte mir vorgenommen eine kleine Rache an ihr auszuüben. Ich wollte den Jäger abrichten, daß er sich in Wilmershausen ganz betrübt stellen sollte, als wenn ihm etwas im Gemüthe läge, das er sich nicht getrauete zu sagen. Er sollte sich gegen das Gesinde verlauten lassen, sie würden bald eine schlimme Zeitung hören, dadurch sollte die Frau v.W. auf die Vermuthung gebracht werden, daß in Schönthal auf ihr Anstiften ein großes Unglück entstanden wäre. Ich unterließ es jedoch hernach, weil mir der Kerl zu einfältig schien seine Person wohl zu spielen; ich dachte auch die Frau v.W. würde [148] gegen uns und ins besondere gegen mich nur noch mehr aufgebracht werden, wenn sie erführe, daß man einen Schreckschuß auf sie gethan hätte. Der Baron ist mit dem Major sehr wohl zufrieden, unser Oncle siehet den letztern als seinen Neubekehrten an. Der Major nahm es auf sich, der Frau v.W. eine solche Vorstellung von dem Vorgang der Sache zu machen, die sie völlig zufrieden stellen wird, und wir sehen bereits von seiner Bemühung gute Wirkungen. Das Fräulein v.W. meldet mir, daß ihre Mutter mit dem Hrn. v.N. halb und halb wieder ausgesöhnt zu seyn schiene, und diese Versöhnung wird vollkommen werden, wenn er sie, wie er versprochen hat, schriftlich um Verzeihung bittet. Ob er gleich feste darauf bestehet, daß er nicht beleidiget hat: so will er sich doch vor ihr demüthigen, und durch diesen Beweiß der Großmuth, wie er es nennt, sie gleichfalls bekehren. Das Protokoll wird sie niemals zu sehen bekommen, und wenn ihr Gemahl auch etwas davon gegen sie gedenken sollte, so wird man doch jederzeit eine Entschuldigung [149] finden, um es ihr nicht in die Hände zu geben. Der Herr v.W. hat sich mit ihr ausgesöhnet, wiewohl auch nicht vollkommen; rechte gute Freunde werden sie niemals; aber er verschließt sich doch nicht mehr in seine Studierstube. Es ist Zeit, daß ich mein aufgeschwollenes Paquet siegele und fortschicke, ich lasse es nach Straßburg gehen; ich glaubte nicht, daß es dich noch in London antreffen würde, du wirst es also in Straßburg finden. Unter den eifrigsten Wünschen, nach glücklich vollendeter Reise, bei vollkommenen Wohlseyn diesen Brief zu erbrechen, empfiehlt sich ihrem geliebtesten Bruder.

Amalia v.S.

Fußnoten

1 Dieses sind die vorhergehenden Briefe vom 6ten bis auf den 14ten.

16. Brief
[150] XVI. Brief.
Der Hr. v.N. an den jungen Hrn. Baron v.S.

den 23 Octob.


Warum wollen Sie doch England verlassen? Es treibt Sie ja keine Noth darzu. Sie sind bei meinem Herrn Gevatter dem Baronet wohl aufgehoben; so viel ich aus Ihren Briefen abnehmen kann, hält er Sie wie sein Kind, und er wird es vermuthlich gerne sehen, wenn Sie noch eine Zeitlang bei ihm bleiben. Mein Rath ist nicht dabei, daß Sie vor Ausgang des Jahres abreisen. Inzwischen muß ich Ihnen freilich Ihren freien Willen lassen, und wenn Sie es nicht besser haben wollen, so reißen Sie hin wohin Sie wollen, ich denke, Sie werden wie die Schweizer, das Heimwehe bekommen haben. Thun Sie mir nur den Gefallen, und beschmausen Sie die englischen [151] Freunde noch einmal die Reihe herum, und empfehlen Sie mich einem jeden von denenselben ins besondere. Sie nennen Sich selbst einen Abgesandten von mir an den Herrn Grandison, Sie sollen es auch bei seiner ganzen Familie seyn, thun Sie Sich nur bei der Abschiedsaudienz nur recht bene. Machen Sie dem Herrn Richardson von mir ein groß Kompliment, und bedanken Sie Sich für die Ehre, die er mir erzeigen will, von mir einen Roman zu schreiben, und solchergestalt mich in England bekannt zu machen. Wenn es mir mit meiner Henriette gelingen sollte, so bin ich nicht abgeneigt ihm zu willfahren, er mag alsdenn ein langes und ein breites von mir schreiben; jetzo ist aber die Sache noch nicht reif genug. Das können Sie Sich unterdessen zur Lehre nehmen, daß ich niemanden erlauben werde, von mir zu schreiben, als dem Herrn Richardson.


Das ist ein verzweifelter Streich mit der Glocke! der verwünschte Zolljude, der solche für Contreband erkläret hat, wäre werth, [152] daß er bei den Beinen aufgehangen würde. Hat ihn denn Herr Grandison nicht verklagt? Der Pfarr gehet mir abscheulich zu Leibe, und will mir eine neue Glocke abzwingen: ich werde ihn aber garstig ablaufen lassen, wenn er sich unterstehet, nur wieder mit einem Worte an die verhaßte Sache zu gedenken. Suchen Sie doch den D. Bartlett zu bereden, daß er an ihn schreibt, und ihn zur Geduld verweist. Ich habe jetzo ohnedem meine liebe Noth, ich bin in eine recht böse Sache verwickelt, davon sich nicht viel schreiben läßt. Nur im Vorbeigehen ein Wort davon zu gedenken, ich soll mich schlagen; aber daraus wird nichts, es wird mir rühmlicher seyn, wenn ich die Sache auf Sir Carls Fuß stelle, und sie in der Güte beilege.


Hören Sie, noch eins wollte ich gedenken, ehe ich schließe. Der Magister ist auf den Einfall gerathen, meine Bildergallerien mit den Portraits der Personen, die in der Geschichte des Herrn Grandisons vorkommen, auszuschmücken. Der Einfall ist gut und [153] gefällt mir, er hat dabei allerlei gute und heilsame Absichten. Sehen Sie doch zu, daß Sie diese Portraits beim Leibe bekommen; oder daß Sie mir wenigstens gute Copieen davon verschaffen. Für die leichte Mühe wird ihnen sehr verbunden seyn


Ihr

treuer Vetter v.N.

17. Brief
XVII. Brief.
Der Herr v.S. an das Fräulein Amalia v.S.

London den 6 Novembr.


Geliebte Schwester,


Die letzten Tage meines Aufenthalts allhier, habe ich zu Verfertigung eines Tagebuchs angewendet, welches du mit meinem Briefe empfängst, um es meinem[154] Oncle zuzustellen. Du wirst aus beigelegtem Schreiben, das ich vor einigen Tagen von ihm erhielt, ersehen, daß er mich nochmals zu seinem Abgesandten an das ganze Haus der Grandisonen ernennet hat. Zu einer solchen Gesandtschaft wird viele Zeit erfordert, und da ich diesen Brief erhielt war es zu spät, daß ich wahrscheinlicher Weise diesen Posten noch erst hätte verwalten können; ich habe ihn also beredet, daß ich durch eine glückliche Ahndung seinen Befehl bereits hätte erfüllt gehabt, ehe ich ihn erhalten. Aus der Dicke dieses Briefes wirst du auf die Weitläuftigkeit desselben schlüßen können. Ich habe ihn nicht gesiegelt, damit er in Schönthal kann gelesen werden, wenn es dir oder dem Baron gefällt, sich diese Mühe zu nehmen. Wenn unser Oncle oder der Magister Lampert einige Einwürfe bei einer oder der andern Stelle dieses Tagebuchs machen sollte, so muß man diese zu widerlegen suchen; damit seine Zweifel nicht Wurzel schlagen und das Spiel verderben. Ich habe meiner Einbildungskraft darinne oft den Zügel gelassen, [155] mein Journal verfällt an manchen Orten ins wunderbare; doch glaube ich nicht, daß ich die Sphäre meines Oncles überschritten habe: Wer sich getrauet andern unglaubliche Dinge aufzubürden, der muß auch geneigt seyn, etwas von gleichem Schlage selbst zu glauben.


Der Magister Lampert will die Bildergallerie unseres Oncles mit den Porträits der engländischen Freunde ausschmücken, und der Oncle bittet mich sehr angelegentlich ihm dazu behülflich zu seyn. Ich habe ihm diese Bitte nicht abschlagen wollen, besonders da sich eine gute Gelegenheit zeigte sie leicht zu erfüllen. Vor einigen Tagen war in meiner Nachbarschaft eine Auction von allerlei alten Meubles, ich schickte meinem Heinrich dahin, um einige Portraits zu erstehen, die ich aus dem Verzeichnisse gewählet hatte. Es sind lauter berühmte Leute gewesen; ich habe sie aber umgetauft, und ihnen Namen aus dem Grandison beigeleget, die ich auf die Rückseite der Porträits habe schreiben lassen. [156] Damit man indessen in Schönthal wisse, was für Personen sie eigentlich vorstellen: so will ich das Verzeichniß davon hiehersetzen.

Nr. 1) Thomas Morus ein englischer Canzler, dieser soll wegen seines großen Bartes den Juden Merceda vorstellen.

2) Olivier Cromwell, dieser hat mir wegen seines kleinen aus der Mode gekommenen Zwickbärtgens sehr viel Mühe gemacht, ich wußte nicht, was ich aus ihn machen sollte, endlich glaubte ich, der Knight Sir Roland Meredith könnte noch wohl dadurch vorgestellet werden, denn er wird auch als ein Mann aus der alten Welt beschrieben.

3) Den Herzog v. Marlborugh habe ich wegen seiner langen schwarzen Heldenperucke zum spaßhaften Oncle Selby gemacht.

4) Wilhelm Pen ein berühmter Quäcker mag wegen seiner andächtigen Mine der weinende Herr Orme seyn.

[157] 5) Dieses Portrait stellet einen italiänischen Abt vor, der ein hauptgelehrter Mann soll gewesen seyn. In dem Auctionscatalogus wird er Julius Bartoloccius genennet. Du wirst es sogleich errathen, daß ich den Pater Marescotti daraus gemacht habe. Lampert wird sich freuen, wenn er siehet, daß dieser ehrwürdige Pater eben so ein feister Mann ist als er selbsten. 6) und 7) sind die Schildereien zwoer berühmter königlichen Maitressen aus dem vorigen Jahrhunderte. Die jüngere heißt Sidley und wurde hernach zur Gräfin von Dorchester erhoben, diese siehet eben so aus wie die Signora Olivia beschrieben wird, sie mag es also seyn. Die ältere ist die bekannte Herzogin von Portsmouth, die unter der Regierung Carl des Andern berühmt war. Sie muß gemahlet seyn, da sie bereits die Sünde verlassen hatte, ich finde ganz und gar nichts reizendes an ihr, und bin deswegen genöthiget worden, Tante Loren aus ihr zu machen.

[158] Ich hoffe, der Oncle wird mir wegen Uebersendung dieser Porträits sehr verbunden seyn, wenn er sie für ächt erkläret. Unser Schwager wird mein Schreiben vom 16 October erhalten haben, 1 und sich nach der Anweisung wegen Uebermachung meiner Wechsel richten, ich ersuchte ihn zugleich, keinen Brief noch Empfang meines Schreibens, nach Londen abgehen zu lassen. Den deinigen vom 20 des vorigen Monats habe ich erhalten, und hoffe den nächstfolgenden in Straßburg anzutreffen. Die Händel meines Oncles mit dem Major v. Ln. werden nunmehro sonder Zweifel glücklich und ohne Blut geendiget seyn. Man hätte es so weit gar nicht sollen kommen lassen, wenn inzwischen nur ein Scherz daraus ist gemacht worden, wie du glaubst, daß es nichts weiter seyn werde, so mag es noch hingehen; wenn aber der Herr v. Ln. Ernst daraus gemacht hat, so ist [159] er in der That kein Original zu dem Porträit, das der Baron ehemals von ihm machte. Ich will indessen das beste von ihm glauben, bis auf weitere Nachricht, welche von seiner geliebten Schwester erwartet

v. S

Fußnoten

1 Dieser Brief ist weggelassen worden, weil er nichts, das zu dieser Geschichte gehöret, enthält.

18. Brief
XVIII. Brief.
Der Hr. v.S. an den Hrn. v.N.

Londen den 3. 4. 5. Nov.


Ehe ich noch das Creditiv von Ihnen als Dero Abgesandter an die englischen Freunde erhielt, hatte ich mich bereits, unter der Hoffnung, daß Sie es billigen würden, eigenmächtig dazu aufgeworfen. So bald Sir Carl von Shirleymanor zurück kam, entdeckte ich ihm, daß ich entschlossen wäre, England in kurzem zu verlassen, und bath mir hierzu seine Erlaubniß aus. Er ertheilte mir solche sehr ungern, und versicherte[160] mich, daß er es gerne sehen würde, wenn ich den Winter über bei ihm bleiben wollte. Ich merkte, daß er mir von Tag zu Tage gewogener schiene, vermuthlich Ihrentwegen. Ich mußte ihm versprechen, wenigstens vor Ausgang des Octobers nicht abzureisen, wozu ich auch gerne meine Einwilligung gab. Unterdessen fing ich bereits in der Mitte des abgewichenen Monats an, meine Abschiedsvisiten zugeben, und damit ich im Stande wäre, Ihnen davon einen getreuen Bericht abzustatten; so habe ich darüber ein ordentliches Tagebuch geführet, welches ich Ihnen hier mittheilen will.


Den 16 October kam ich in Selbyhausen an, um mich der kleinen Colonie der Anverwandten von der Lady Grandison, die von Grandisonhall am weitesten entfernt sind, zu empfehlen. Oncle Selby hatte nicht so bald die Ursache meiner Ankunft erfahren, so sagte er zehnmal in einem Othen: Was der Daus! und wollte nichts von meinem Abschiede wissen noch hören, seine Dame und [161] Fräulein Lucia baten mich gleichfalls recht sehr, in England zu überwintern. Fräulein Lucia sagte, sie hätte sich vorgenommen, den Winterlustbarkeiten in Londen beizuwohnen, und hätte geglaubt, ich würde sie in die Komödie und auf die Masqueraden begleiten. Ich schloß daraus, daß sie mir eben nicht abgeneigt wäre. Wenn sie nicht weiter an vierzig als an dreißig wäre, wer wüßte, ob nicht ein Paar aus uns werden könnte; ich möchte dem Herrn Grandison gern etwas näher angehen als die Christenheit. Wäre aber das nicht eine vortrefliche Partie für Sie? Wenn sie meine Tante werden könnte, so wollte ich mein halbes Vermögen unter die Armen austheilen. Ihren Charakter kennen Sie, und an ihrer Person ist nichts auszusetzen. Sie hat sich in allen Briefen an Lady Grandison nach Ihnen erkundiget, und ich mußte ihr Dero Person vom Kopf bis auf die Füße beschreiben. Sie kann sehr künstlich in Wachs poußiren und hat nach meiner Beschreibung einen Abdruck von Ihnen verfertiget, der dem Original ziemlich [162] gleich ist; ja sie hat diesem Bilde sogar einiger maßen ein Leben gegeben; man darf nur an einem Pferdehaar ziehen, so bewegt es Hand und Fuß und verdrehet auch auf eine verliebte Art die Augen. Von mir hat sie zwar auch einen Abdruck gemacht: sie hat aber lange nicht so viel Mühe darauf verwendet, als auf den Ihrigen. Ich habe meine Gedanken darüber gehabt, ohne Zweifel seufzet das gute Kind nach Ihnen. Machen Sie sie glücklich. Sie werden bei ihrem Besitz den Himmel auf Erden haben, und Ihr Ruhm wird in England auf den höchsten Gipfel steigen, wenn Sie dieses unüberwindliche Fräulein, das mehr als ein halb Schock Körbe ausgetheilet hat, besiegen. Sie schickt sich zu Ihren Jahren vollkommen, und ist für Sie weder zu jung noch zu alt. Das Fräulein, welches Sie für Ihre Henriette halten, erscheinet ohnedem nicht in dem Lichte einer Henriette Byron, da hingegen Lucia von der Lady Grandison nicht anders als der Mond von der Sonne so viele Strahlen empfangen hat, daß sie an dem [163] Firmamente der Schönen alle übrige Sterne verdunkelt.


Den 18. Oct. Heute habe im einen Mann kennen lernen, den ich zu sehen so lange vergeblich gewünschet habe. Der Oberste Greville stattete bei dem Herrn Selby einen Besuch ab. Ich entsetzte mich über das furchtbare Ansehen dieses Mannes, er kam zu Pferde. Da er im Hofe abstieg, schütterten die Fenster von dem schrecklichen Gewichte seiner Stiefeln. In dem Saale, wo sich die Gesellschaft befand, ist eine gebrochene Thür. Von ungefehr war nur die eine Hälfte eröffnet, er brach mit solcher Heftigkeit herein, daß er die andere Hälfte der Thür mit sich nahm, und das Schloß beschädigte. Er warf seinen Huth, nachdem er gegen die Gesellschaft ein Kompliment gemacht hatte, mit solcher Heftigkeit auf den Tisch, daß das eiserne Kreuz davon absprang, und fing dergestalt an auf die Franzosen zu fluchen, daß mir Angst und bange dabei wurde. Er liegt schon seit drei Monaten an den Küsten, [164] um eine feindliche Landung zu verwehren, und ärgert sich außerordentlich, daß er seine Tapferkeit noch nicht hat zeigen können. Er sagte, die Rede gienge, sein Regiment sollte mit nach Deutschland übergesetzt werden. Ich mußte ihm deswegen Ihren Namen und Aufenthalt sagen, welches er sogleich in seine Schreibtafel eintrug, um bei seiner Ankunft in Deutschland Ihnen einen Besuch abzustatten. Ich wundere mich nun nicht mehr, daß er eben so wenig als Herr Orme in seiner Stutzperucke und rothen Augen in dem Herzen einer Henriette einen Eingang gefunden hat. Zwischen ihm und dem Herrn Grandison ist kein geringerer Unterschied als zwischen Nacht und Tag. Mit Fräulein Lucien und Kätchen Holles machte er sich immer etwas zu schaffen; aber er scherzte eben nicht auf die feinste Art. Da ich es indessen einmal wagte, über einen seiner Spase, des Frauenzimmers wegen, nicht zu lachen, so gab er mir ein Gesichte, daß ich dachte, er würde den Augenblick von Leder ziehen. Einmal zog er Fräulein Lucien eine Nadel [165] aus dem Strumpfe, und da sie darüber unwillig wurde, nahm er ihr noch darzu den Knaul vom Schoße und ließ es seinem Budel einige mal apportiren. Kätchen Holles mußte auch vieles von ihm ausstehen. Er goß ein ganzes Fläschgen voll Lavendelwasser über sie her, weil sie sich über den Geruch seiner thranigten Stiefeln beschwerte. Hören sie, sagte er zu mir, was denken sie von mir, halten sie mich nicht für den unbescheidentsten Mann in England? Ich machte einen Reverenz und lächelte. Sie haben Recht, fuhr er fort, vielleicht bin ich es jetzo, besonders gegen das sogenannte schöne Geschlecht; vor diesem aber war ich es nicht, die Verzweiflung hat mich dazu gebracht, daß ich dem Frauenzimmer einen unaufhörlichen Krieg angekündiget habe. Bedauren sie mich, daß ich so unglücklich bin, kein Vergnügen in der Welt zu genießen, als dieses einzige, wenn ich das Frauenzimmer gegen mich so aufbringen kann, daß sie drohen, mich mit den Augen todt zu schlagen. Aber glauben sie wohl, daß mir eine den Gefallen erweißt [166] und über mich zornig wird? Nein, das Vergnügen kann ich nicht erleben! So ein unglücklicher Hund bin ich, und so einen abscheulichen Groll hat das Frauenzimmer jederzeit gegen mich gehabt, daß zu der Zeit, da ich wünschte, daß mir die Mädchen günstig wären; mich keine lieben wollte und jetzo, da ich wünschte, daß sie mir alle spinnefeind wären, will mich keine hassen. Fräulein Lucia und Holles lachten in der That über ihn; es schien aber, als wenn sie unter diesem angenommenen Lächeln nur ihren heimlichen Groll gegen ihn verbergen wollten. Oncle Selby, der ihm im Herzen nicht günstig ist, belachte, aus einer furchtsamen Gefälligkeit allen beleidigenden Scherz seines ungestümen Nachbars über laut. Herr Greville kann es noch bis auf diesen Tag nicht verwinden, daß ihm Sir Carl einen Arm ausgerenket hat; er ist dergestalt ausgedehnet worden, daß er eine gute Viertelelle länger ist als der andere. Wenn er aufgerichtet stehet, so kann er wie Artaxerxes Longimanus das Knie erreichen, er ist auch bei der Armee unter [167] dem Namen des Langhändigen bekannt. Wenn ich Lust gehabt hätte, Kriegesdienste anzunehmen, so würde ich unter seinem Landregimente, das in Kriegszeiten allemal beritten gemacht wird, jetzo Cornet seyn. Er both mir seine Dienste an und versprach, mit der Zeit einen braven Mann aus mir zu machen. Er wünschte nichts mehr, sagte er, als Sie kennen zu lernen, er weiß, daß Sie unter einem Eugen gefochten, und glaubt, daß Sie diesem Helden alle seine Kunstgriffe und Kriegeslisten abgelernet haben. Er vermaß sich hoch und theuer, wenn er Ihre Kriegswissenschaft besäße, so wollte er mit seinem Regimente sich nach Amerika überschiffen lassen, diesen Welttheil als ein zweiter Vespuz erobern, ihn umtaufen und nach seinem Namen nennen. Gegen Abend verließ er Selbyhausen, und nach seinem Abschiede war es daselbst so stille, als wenn ein ganzes Regiment Soldaten ausmarschiret wäre. Ich bat Fräulein Lucien, diesen Kriegsmann gleichfalls in Wachs zu poußiren, und mir damit ein Geschenke zu machen; [168] sie will ihn aber dieser Ehre nicht würdigen.


Den 19 thaten wir eine kleine Spazierfahrt nach Shirleymanor, um das prächtige Epitaphium in Augenschein zu nehmen, welches Sir Carl seiner Schwiegermutter, der selgen Frau Shirley, errichten läßt. Viele gelehrte Männer sind der Meinung, daß die vortrefliche Inscription des sinnreichen Herrn M. Lamperts von ungleich größerm Werth sey, als die künstliche Arbeit, welche man hierbei gleichsam verschwendet. Ein italiänischer Baumeister der die Anlage zu diesem ruhmvollen Denkmaale gemacht hat, und noch bis jetzo die Aufsicht über das Werk führet, nahete sich mit vieler Ehrerbietung, vielleicht aus Antrieb des Herrn Selbys zu mir, und ersuchte mich, ihm das Portrait des Herrn Verfassers der Inscription zu verschaffen; er wäre entschlossen, sagte er, die Gestalt eines Engels, der oben an die Verzierung angebracht werden sollte, darnach zu bilden. Ich war über diesen Antrag, die Gestalt [169] meines verdienstvollen Lehrers verewiget zu wissen, so gerührt, daß ich in der ersten frohen Entzückung mich beinahe übereilet, und dem Künstler seine Bitte zugestanden hätte. Da ich aber hernach etwas genauer erwog, daß das Epitaphium aus schwarzen Marmor bestund, und der gemeine Mann leichtlich aus Irrthum diese ehrwürdige Gestalt des Herrn Lamperts mit einem Mohren, oder noch mit etwas schlimmern hätte verwechseln können: so suchte ich eine Entschuldigung diese Bitte abzulehnen.


Nachdem wir in der Cederstube den Thee getrunken hatten, so schnitt der freigebige Oncle Selby einen ziemlichen Span aus der Vertäfelung dieses Zimmers aus, und verehrte mir solchen zu einem Zahnstocher. Diese Ehre wiederfähret auf Befehl Sir Carls allen Fremden, die von einer edlen Neubegierde angetrieben, dieses durch seine Geschichte so berühmt gewordene Haus besuchen, und ich fand, daß bereits ein ganzes Bret weggeschnitten war. Ehe wir wieder [170] auf den Wagen stiegen, um nach Selbyhausen zurück zu kehren, führte mich Herr Selby noch in die kleine Hauskapelle; sie wird itzo nicht gebraucht; indessen ist sie so geräumig, als eine mäßige Dorfkirche in Deutschland. Sie hat eine vortrefliche Orgel, welche Sir Carl vor einem Jahre nach Grandisonhall in sein Musikzimmer bringen, und die seinige davor in diese Capelle wollte setzen lassen; allein der Pastor, dem Shirleymanor als ein Filial zustehet, fing heftig an darwider zu schreien, und drohete, ihn öffentlich für einen Kirchenräuber zu erklären, wo er sein Vorhaben ausführen würde. Sir Carl hat der Schwachheit dieses Mannes nachgegeben, und also ist es unterblieben. Das sehenswürdigste Stück in dieser Kapelle war die Masquenkleidung der Lady Grandison, als einer arkadischen Prinzeßin, worinne sie von Sir Hargrave Pollexfen war entführet worden. Die selge Frau Shirley hat sie zum ewigen Andenken hier aufzuhängen befohlen, damit die Nachkommen bei Erblickung dieser Kleidung an die Gefahr und an die wunderbare Errettung [171] ihrer Henriette erinnert werden möchten, eben so wie man zu gleicher Absicht in Deutschland ehemals die Ordenskleider einiger aus den Klöstern entsprungenen Nonnen in den Kirchen aufbehalten hat.


Der 20 war zum Abschiede bestimmt. Oncle Selby weinte wie ein Kind, da ich anfing, mein weitläuftiges und wie ich hoffe wohl ausstudiertes Abschiedskompliment herzubeten. Er drehete sich mehr als zehnmal unter meiner Harangue auf dem Absatze herum, um seine Thränen zu verbergen, die ihm aber doch immer über die dicken Backen herab rolleten. Im Anfang wollte er zwar noch Scherz machen: verrammelte Thür und Thor, rief zum Fenster hinunter, da ich aufstund Abschied zu nehmen; da er aber hernach sahe, daß es Ernst war, wollte er sich über meine Abreise nicht zufrieden geben. Seine Dame und die Fräuleins beobachteten mehrere Anständigkeit. Ich hatte zum Unglück nur auf ein Kompliment studiret, und konnte für die Fräuleins nicht sogleich ein [172] neues erdenken; ich bewegte also nur gegen sie die Lippen und machte dazu ein Halbdutzend Reverenze. Die Fräuleins beobachteten eben dieses gegen mich und beantworteten jeden Reverenz mit einem ellentiefen Knicks. Hundert Empfehlungen wurden mir von allen und ins besondere von Fräulein Lucien an Sie aufgetragen. Herr Selby schwur, wenn er noch vor seinem Ende Sie bei sich zu bewirthen das Glück haben könnte, so wollte er mehr darauf gehen lassen, als Sir Carls Hochzeit gekostet hätte.

Den 22 ließ ich mich bei dem Lord W. melden, nachdem ich Tages vorher in Londen angelanget war. Er kam mir bis an die Treppe entgegen gefahren. Weil er als ein Erzpodagrist seine Füße nicht wohl brauchen kann: so hat er sich einen Stuhl mit kleinen Rädern verfertigen lassen, der einen Himmel, gleich einem Baldachin hat. Auf diesem Stuhle ruhet er wie ein asiatischer Prinz auf seinem Throne. Zween seiner Bedienten, denen er eine Art von Kutschgeschirre hat machen lassen, müssen ihn im ganzen Hause [173] herum fahren. Diese Erfindung hat mir so wohl gefallen, daß ich Ihnen das Model davon wünschte. Der Lord versicherte, daß er wegen dieser Bequemlichkeit seine podagrische Zufälle gar nicht mehr achtete, und nur wünschte, sich noch zwanzig Jahr dieses Fuhrwerks bedienen zu können. Er prieß sich glücklich, und erhob seinen Neveu, den Baronet, daß er ihm eine Gemahlin verschafft hätte, die ihm den Rest seines Lebens so angenehm machte, als er sich solches vorher selbst unangenehm gemacht hätte, und er gab mir den Rath, wenn ich mich einmal zu verheirathen gedächte, so sollte ich ja keinen andern als Sir Carln zu meinem Freiersmann wählen. Er eröffnete mir, mit einer Zufriedenheit über sich selbst, daß seitdem er angefangen hätte, diesen seinen Neffen als das Vorbild seiner Handlungen zu betrachten, so befänd er sich in einer recht stoischen Gemüthsruhe. Er ersuchte mich zugleich, ihm nur Nachricht zu ertheilen, wie weit es mein Herr Oncle in der Nachahmung dieses grossen Mannes gebracht hätte. Aus dem Lobe, [174] welches ihm Sir Carl oftmals selbst beileget, sagte er, muthmase ich, daß er sehr glücklich darinne ist. Bezeigen sie Ihm deswegen meine Beifreude, und muntern sie ihn auf, in seinem guten Vorhaben fortzufahren. Beim Abschiede begleitete er mich auf eben die Art wie beim Empfange auf seinem podagrischen Staatswagen mit vieler Höflichkeit über den Saal bis an die Treppe zurück.


Den 23 machte ich mich auf den Weg nach Beauchampshire und langte den 24 daselbst an. Sir Beauchamp hatte es sich gar nicht versehen, daß ich noch eine besondere Reise zu ihm thun würde, um von ihm Abschied zu nehmen und er schien darüber ganz außerordentlich vergnügt. Nach den ersten Umarmungen erkundigte er sich sogleich nach Ihnen, und fragte mich, ob Sie den Zwang noch aushalten könnten, den Sie Sich unfehlbar, um in den Wegen Sir Carls zu wandeln, anthun müßten. Ich sagte, Sie wäre vollkommen Herr über sich [175] selbst, und also käme es Ihnen nicht schwerer an, ihr Herz nach dem Herzen Sir Carls zu bilden, als alle ihre äußerlichen Umstände nach dem Geschmack dieses außerordentlichen Mannes einzurichten. Er erstaunte über ihre Standhaftigkeit, und gestund, daß die Deutschen zur Nachahmung geschickter wären als die Britten. Wenn ich, sagte er, nach dem Urtheile Sir Carls mir schmeicheln kann, ihm einigermaßen ähnlich geworden zu seyn: so muß ich zugleich gestehen, daß ich in England der einzige bin, der den Fußtapfen desselben glücklich gefolget hat. Denken Sie nicht, daß ich dieses aus Eitelkeit sage, es kann mir daher in keinerlei Absicht ein Verdienst erwachsen: ich habe nichts gethan, als wozu ich bin verbunden gewesen. Jedermann hat eine Pflicht auf sich, seine innerlichen und äußerlichen Vollkommenheiten nach Möglichkeit zu befördern: aber nur ein Sir Carl ist im Stande, diese Pflicht zu erfüllen. Es haben sich in England mehr als tausend Leute auf dem Pfad der Tugend gemacht, um den Baronet zu folgen; keiner [176] aber hat diese Laufbahn vollendet, ich selbst folge ihm nur von ferne, wie Petrus. Oder wollen sie, daß ich die unbändigen Leidenschaften der Menschen mit einem Strome dergleichen soll, über welchen man schwimmen muß, um an das Gestade der Vollkommenheit zu gelangen; so ist es an dem, daß viele, da sie Sir Carln haben landen sehen, kühn genug gleiches gewaget haben: sie sind aber alle von der Gewalt desselben schnell fortgerissen worden, und ich selbst scheine nur auf einer Sandbank zu ruhen, da hingegen Ihr Herr Oncle mit Riesenschritten diese feindseligen Wogen durchwadet und bereits einen Fuß an das Trockene gesetzet hat – – Wir unterredeten uns noch eine gute Weile über diese Materie, bis wir endlich beide nichts mehr davon zu sagen wußten, und genöthiget wurden, etwas anderes aufs Tapet zu bringen. Ob ich gleich dem Herrn Beauchamp Dero Schloß, die Einrichtung des Musikzimmers, die Bildergalerie und alle dazu gehörigen Stücke sammt und sonders über zehnmal aus den Briefen meiner Schwester [177] und des Herrn Lamperts beschrieben habe, daß ich dächte, er hätte sich längst müde daran gehört, so mußte ich ihm doch alles von neuem wieder erzählen. Er fragte ins besondere nach Ihrer Bibliothek. Ich wurde über diesen Punkt in einige Verlegenheit gesetzt, und fing an mich zu räuspern, damit ich einige Zeit gewinnen möchte, mich auf eine schickliche Antwort bey dieser Frage zu besinnen. Die Geschichte des Herrn Grandisons dient meinem Oncle statt aller Bücher, sagte ich, er hat sich zwölf Exemplare davon binden lassen, und diese erfüllen einige Schränke, er dienet damit jedermann, der dieses Hauptbuch zu lesen verlangt. Sir Beauchamp bedauerte, daß dieses vortreffliche Werk nicht gemeinnütziger gemacht, und auf eine solche Art eingerichtet würde, daß man es dem gemeinen Manne auch in die Hände spielen könnte, damit die Gesinnungen der Großmuth und der Tugend, die den Geringen im Volk kaum dem Namen noch bekannt wären allgemeiner würden, ich gab ihm Beifall. Er hat eine vortrefliche Bibliothek. [178] Die Bronzen des D. Bartletts und des Pater Marescotti geben solcher keine geringe Zierde, sie stehen gegen einander über mit offnem Munde, als wenn sie disputirten, der Pater macht ein schrecklich böses Gesichte. Die Bronze des Doctors ist von einer vortreflichen Composition, ein fehlgeschlagener Prozeß eines Goldmachers hat die Materie dazu geliefert. Sir Beauchamp führte mich aus der Bibliothek in sein Musikzimmer, und hatte die Gefälligkeit für mich, eine vortrefliche Motete abzuorgeln. Da wir aber beide alleine in dem Zimmer waren, so mußte ich mir gefallen lassen, die Stelle eines Calcanten zu vertreten. Bei unsrer Zurückkunft in das Besuchzimmer fanden wir die Lady Beauchamp daselbst, welche eben von einem Besuche, den sie bei einer ihrer Nachbarinnen abgeleget hatte, zurückkommen war. Der kleine Beauchamp mußte mir die Hand küssen. Sein Papa verlangte, ich sollte ihn examiniren, er bestund noch so ziemlich; doch konnte man es merken, daß sein Lehrmeister weder ein Lampert noch ein Bartlett war.[179] Seine Mama mit dem Finger in den Augen suchte ihre Freudenthränen über das geschickte Söhngen zu verbergen.


Den 25. Heute bekam Sir Beauchamp einen unvermutheten Gast an den Lord G. Seine Seele war von einem Wirbelwinde zerrissen, er hatte mit seiner Gemahlin Händel bekommen und war entflohen. Vor dem Richterstuhle Sir Carls darf von diesem unruhigen Paare keine Klage mehr angebracht werden, sie haben deswegen den Herrn Beauchamp zu ihrem Richter erwählet. Die muthwillige Ader Charlottens regt sich noch immer, obgleich bei andern Gelegenheiten als ehedem. Der Lord G. darf jetzo ungestraft in ihr Zimmer dringen, er darf sie auch einmal herzen, ohne eine Spötterei zu befürchten, über diese Dinge hat sie sich lange müde gescherzet; es fehlet ihr aber nicht an neuen Erfindungen, kleine Zankereien mit ihm zu unterhalten, und ihre Leichtfertigkeit ist ihm jetzo desto empfindlicher, weil sie einige Jahre so fromm wie ein Lamm gewesen [180] ist, und nur seit einiger Zeit wieder angefangen hat, ihrem Muthwillen den Zügel zu lassen. Diesmal war die Ursache ihres Zwistes diese: ihr Schoßhündgen war von einer Bremse in ihrem Zimmer erbärmlich gestochen worden, sie stellte sich über dieses Unglück ganz trostloß. Der Lord wollte sie zufrieden stellen; sie gab ihm aber Schuld, er hätte das Fenster mit Fleiß offen gelassen, damit er diesem Ungeziefer einen freien Zugang verschaffte, ihr Hündgen zu peinigen. Er schwur, daß er in Jahr und Tag nicht ein Fenster in ihrem Zimmer geöffnet hätte. Wenn sie in dem Zimmer wäre, sagte er, so sehnte er sich nicht nach dem elenden Zeitvertreib am Fenster zu gucken. Weit gefehlt, daß sie durch dieses schmeichelhafte Kompliment wäre beruhiget worden, so schalt sie ihn einen Arglistigen und einen Boßhaften, der sich ein Vergnügen machte, sie zu tücken, um sie hernach bedauern zu können. Ohngeachtet der Lord wußte, daß sie nur nach ihrer Art scherzte, durch die Länge der Zeit hat er endlich ihren Charakter ausstudiret: [181] so wollte er doch diese Beschuldigung, ob er gleich nur eine scherzhafte Beschuldigung war, nicht auf sich sitzen lassen. Er fing an sich zu rechtfertigen, sie hielt ihm Widerpart wie die Frau aus dem Gellert. Er wurde dadurch so aufgebracht, daß er mit zorniger Eilfertigkeit das Zimmer verließ, seinen Hengst zu satteln befahl und mit verhengtem Zügel nach Beauchampshire rennte, um seine Gebieterin daselbst zu verklagen. Herr Beauchamp fällete darauf das Urtheil, der Lord sollte so lange bei ihm bleiben, bis seine Gemahlin ihren Fehler erkennen und zur Strafe selbst nach Beauchampshire kommen würde, um sich mit ihm auszusöhnen. Dieses geschahe auch schon den Tag darauf am


26 October. So bald man Wind davon bekam, daß Lady G. im Anzuge begriffen wäre, bewaffnete sich der Lord mit einem steifen und ernsthaften Gesichte, er nahm die Gestalt eines erzürnten Ehemannes an, und eine Dame, die weniger Muth besessen hätte, [182] als die Lady G. würde ohne Zweifel bei dieser Amtsmine in Ohnmacht gefallen seyn. Da sie Herr Beauchamp aus dem Wagen hob, nennte sie ihn ihren Asmodi weil er ihrem Tyrannen bei sich Unterschleif gegeben hätte, und ihn mithin in seiner Boßheit verstärkte. So bald sie ihren Herrn ansichtig wurde, warf sie ihm einen solchen leichtfertigen zärtlichen Blick zu, der in einem Augenblicke, gleichsam mit einer Zaubermacht, seine Löwengestalt in einen furchtsamen Hirsch verwandelte. Er eilte hüpfend auf sie zu und druckte ihre Hand mit seinen Lippen. Nur einen Augenblick vorher rühmte er sich, wenn seine Gemahlin käme, wollte er aussehen wie Hercules, da er ausgegangen wäre, die Lernäische Schlange zu erlegen, und da sie kam, war er Hercules bei der Omphale. In dem Putzzimmer der Lady Beauchamp wurde über dieses seltsame Paar ein Ehegericht gehalten, und ich erhielt die Stelle eines Beisitzers. Beide Theile wurden nach einem kurzen Verhör versöhnet, und der Lady G. wurde auferlegt wenigstens in vier Wochen [183] nicht die geringste Leichtfertigkeit gegen ihren Herrn auszuüben, widrigenfalls sollte er befugt seyn, ein Vierteljahr lang sich von ihr von Tisch und Bette zu scheiden. Es wurde hierauf beschlossen, den folgenden Tag in Grandisonhall einen Besuch abzulegen. Weil die Gesellschaft wußte, daß ich dahin gehen würde, um von Sir Carln Abschied zu nehmen: so versprachen sie, mich dahin zu begleiten. Lady G. sagte, ich würde daselbst den Lord L. und seine Gemahlin antreffen, und nicht nöthig haben, ihnen eine besondere Visite zu Kollnebrocke, wo sie sich gemeiniglich aufhalten, abzustatten. Sie versprachen alle, bis zu meiner Abreise nach Londen bei Sir Carln zu bleiben, um diese wenigen Tage noch in meiner Gesellschaft zuzubringen. Das war für mich sehr vortheilhaft gesprochen, und ich sagte dafür das beste Danksagungskompliment, das mir der Magister Lampert jemals gelernet hat.


Den 27 trafen wir in Grandisonhall ein. Wir hatten unsere Ankunft bereits den Tag [184] vorher melden lassen. Ich schrieb einen besondern Brief an Sir Carln, und erbat mir die Erlaubniß, ihm nochmals meine Aufwartung machen zu dürfen, um ihm theils meine Danksagung für die freundschaftliche Bewirthung in seinem Hause mündlich abzustatten; theils aber auch als ein Abgeordneter meines Herrn Oncles denselben zu Fortsetzung seiner Freundschaft zu empfehlen. Ich hatte mich diesem meinen Charakter gemäß equipiret, und noch zwei Miethlaqueien angenommen. Sir Beauchamp borgte mir einige Handpferde mit prächtigen Decken, nebst zween Maulthieren, welche noch von dem Zuge, den er mit aus Italien gebracht hat, übrig sind. Ob sie gleich nur leere Körbe trugen: so machten sie doch meinem Aufzuge durch das vortrefliche Geläute, welches aus lauter silbernen Schellen bestund, und durch ihren hohen Federstutz ein vortrefliches Ansehen. Ich saß ganz alleine in des Herrn Beauchamps Staatswagen, welchen er so sehr schonet, daß er ihn seit seiner Vermählung nicht wieder gebraucht hat. Vor mir [185] befanden sich des Lord G. und des Herrn Beauchamps Kutschen, welche beide Herren die Gewogenheit hatten, nebst ihren Gemahlinnen mein Gefolge zu vergrößern. Die Maulthiere Pack-und Handpferde eröffneten den Zug, so wie eine Anzahl leerer Bagagewaagen, die noch aus dem Feldgeräthe des Urgroßvaters des Herrn Beauchamps abstammten, solchem mit einem starken Geräusche beschlossen. Auf der Gränze des Territorii Sir Carls wurde ich durch einen Ausschuß der angesehensten Unterthanen desselbigen in seinem Namen bewillkommet. Der Bürgermeister eines Fleckens der dem Baronet zugehöret, befand sich an ihrer Spitze und hielt an mich eine wohlgesetzte Rede. Er ist seiner Profeßion nach ein Balbierer und hat zugleich die Aufsicht über Sir Carls Hausapotheke. Ob er mich gleich sehr genau kennete, indem ich über ein Halbjahr sein Kundmann gewesen bin: so machte ihn doch das prächtige Ansehen, worinne er mich jetzo als einen Ambassadeur erblickte so verwirrt, daß er beim Anfang seiner Rede schon zitterte [186] und bebte und in der Mitte gar stecken blieb. Ich wurde dadurch gewarnet, mich seinem Scheermesser nicht wieder anzuvertrauen, er hätte mir aus Ehrfurcht die Kehle abschneiden können. Ich hielt aus meinem Wagen an diese Abgeordneten wieder eine kleine Gegenrede, und versicherte sie der Gnade meines Herrn Principals, und dankte für ihre Bemühung. Sie begleiteten mich hierauf mit entblößten Haupte zu beiden Seiten meines Wagens als eine Leibwache, bis in den Schloßhof zu Grandisonhall. Wir paßirten durch ein paar Dörfer, die der Gerichtsbarkeit des Baronets unterworfen sind, und er hatte befehlen lassen, daß man mir zu Ehren alle Glocken nach englischen Gebrauche läuten mußte. Dieses zog das neugierige Volk häufig herbei, jedermann wollte den Abgesandten sehen, es entstund ein solches Gedränge um meine Kutsche, daß ich einige mal halten ließ, damit nicht etwann ein Kind möchte ins Rad kommen. Unterdessen machten meine Trabanten ziemlich Platz. Einer davon that sich besonders hervor, [187] er hatte einen Reisehut, der mit einem breiten Aufschlage von Pelzwerk versehen war, da er nun aus Respect gegen mich sich nicht bedecken durfte: so brauchte er solchen als ein Gewehr, und schlug die Leute damit auf die Köpfe, wenn sie nicht Platz machten. Er erregte dadurch eine solche Furcht gegen sich, daß alles von einander flohe, so bald er nur seinen Reisehuth über den Kopf schwung, und alle Zuschauer bückten sich, nicht anders als ein Volk furchtsame Rebhüner, wenn der Stoßvogel über ihnen schwebt. Sie können sich mein Vergnügen nicht lebhaft genug vorstellen, welches ich empfand, da jedermanns Auge auf mich gerichtet war, ich war nicht wenig stolz darauf. Wer weiß, ob ein Spanischer Abgesandter, der seinen öffentlichen Einzug in Londen hält, sich so viel darauf zu gute thut, wenn man, um ihn zu sehen, Fenster miethet, als ich bei meinem feierlichen Einzuge in Grandisonhall. So viel ist gewiß, daß der stolze Michel, wenn ihm sein Vorhaben Herzog zu werden gelungen wäre, in seinem Staatswagen sich nicht [188] ärger hätte blähen können als ich es that. Einige Leute haben aus meiner nachdenklichen Mine schlüßen wollen, ich müßte Dinge von der größten Wichtigkeit bei dem Herrn Grandison anzubringen haben, und ein Gastwirth hat meine Leute den Tag darauf, da sie zu Biere gegangen waren, durchaus bezechen wollen, um von ihnen das Geheimniß herauszulocken. Man begnügte sich nicht, mich ans Ende des Dorfs zu begleiten, das Volk folgte meinem Wagen von einem Dorfe bis zum andern, und alle Augenblicke sahe ich die Menge gleich einem fortgewälzten Schneeball vergrößert. Wie eine wilde Fluth, die den Damm durchbricht mit einem furchtbaren Getöse daher rauscht und alles, was ihr vorkommt, mit sich fortreißt: so verschlang auch diese Woge des neugierigen Volks alle Wandrer in sich, die ihr unterweges aufstießen. Halten sie mir diese Ausschweifung zu gute, hier regt sich meine poetische Ader, und meine Gedanken bekommen wider Willen einen Schwung. Es stehet nicht in meiner Macht, solches zu verhindern, [189] die Erinnerung dieses glänzenden Auftritts bringet alle meine Lebensgeister in Bewegung, und in dieser Begeisterung schwingen sich meine Gedanken so kühn wie mein Ausdruck empor. Die Fußtapfen des Volkes gingen alle nach Grandisonhall zu und keine gieng rückwärts eben wie bei der Höle des Löwens in der Fabel. Ich dachte es würde meinem Herrn Principal sehr rühmlich seyn, und mich in den Augen der Unterthanen Sir Carls in einem noch glänzendern Lichte vorstellen, wenn ich den guten Leuten, die meinem Wegen nachzufolgen sich die Mühe nahmen, etwas zum besten gäbe. Mein Heinrich mußte deswegen alle Scheidemünze, die er bei sich hatte, und die sich ungefehr auf zwei Guineen belief, unter das Volk auswerfen; ich gab ihm aber zugleich die Lehre, solches auf eine anständige Art zu thun, und nicht mit einem bäuerischen Wesen Fäuste voll wegzuschmeißen, wie man eine Familie heishungriger Hüner füttert. Er befolgte meinem Befehl genau, und streuete alle funfzig Schritte nur eine Prise davon [190] aus; ich sahe aber mit Verdruß, daß meine Absicht doch nicht völlig erreicht wurde: der Mann mit seinen Reisehute wußte das Geld so künstlich damit aufzufangen, daß nur dann und wann ein Sechser fehl ging und die Erde erreichte. Weil ihn jedermann fürchtete, so wagte es niemand sich zu dem Ausspänder meine Freigebigkeit zu nahen, um etwas zu erhaschen. In dem Schloßhofe zu Grandisonhall paradirte die Kompagnie, welche Sir Carl zum Dienste seines Vaterlandes als ein wahrer Patriot auf seine Kosten angeworben hat. Ich hatte die Ehre mit klingendem Spiel und fliegender Fahne empfangen zu werden, die Officiers salutirten mich mit dem Esponton. Sir Carl empfing mich meinem Charakter gemäß und überhäufte mich Ihrentwegen mit Ehre. Doctor Bartlett vertrat die Stelle eines Ceremonienmeisters. Ich brachte mein Wort, unter der vortreflichsten Versammlung, die man finden kann, bei dem Baronet an, er erkundigte sich, ob Sie noch wohl auf wären, und gab mir die Versicherung, [191] daß er sich ein wahres Vergnügen daraus machen würde, Ihnen bei jeder Gelegenheit Beweise seiner Freundschaft zu geben. Lady Grandison, Lord L. und seine Gemahlin, empfingen mich gleichfalls mit vieler Hochachtung. Wir gingen hierauf zur Tafel; sie war so prächtig, daß man einen König daran hätte bewirthen können. Alexanders Gastmahl wurde dabei in dem Musikzimmer, welches an den Speisesaal stößet, aufgeführet. Sir Carl brachte Ihre Gesundheit unter Trompeten und Pauckenschall aus, dieses war gleichsam ein Intermezzo zu dem Singestücke. Es wurden hierbei einige kleine Canonen dreimal hintereinander abgefeuert und die Militz gab zugleich eine Salve aus dem kleinen Gewehr. So oft Ihre Gesundheit nachgeholet wurde, so oft wurden auch die Salven wiederholet; weiter aber wurde keine ausgebracht. Der Baronet hat als im weiser Mann sich, wie es scheint, eine Regel gemacht, nie etwas zu thun, daraus nicht einiger Nutzen entstehet, nach diesem Gesetze läßt er, wie Sie wissen, [192] seinen Pferden die Schwänze nicht stutzen, und nach eben diesem Gesetze ließ er auch seinen Leuten nicht mehr Salven geben als nöthig war, Ihnen eine Ehre zu erweisen, und sie zu gleicher Zeit im Feuern zu üben. Lady G. wagre es, ihres Bruders Gesundheit zu trinken, und wollte durchaus haben, daß dazu sollte gefeuert werden: der Baronet sagte ihr aber, man wäre aus Liebe gegen das Vaterland verbunden, ohne Noth nichts dazu beizutragen, daß der Preis des Pulvers gesteigert würde, und damit mußte sie sich beruhigen. Mich dünkt, das war von diesem großen Manne sehr vortreflich gedacht. Am Rande dieses Tages, welcher einem so glänzenden Vergnügen gewidmet war, zeigte sich noch eine kleine Wolke, die aber bald vorüber gieng. Nach der Tafel mußte die Militz ihre Manoeuvres machen. Jeder that sein Bestes, den Beifall der Zuschauer zu verdienen. Sie waren ziemlich fertig in den Handgriffen, jedoch da sie das Gewehr verkehrt schuldern sollten, versahe es einer, und schlug seinen Cameraden dergestalt mit [193] der Flintenkolbe vor den Kopf, daß er zu Boden sank. Die Bestürzung über diesen Zufall war allgemein, es fehlte nicht viel, daß Lady Grandison in Ohnmacht gefallen wäre. Wer nur ein Schwammbüchsgen bei sich trug, der holte es heraus und roch daran, um die durch das Schrecken verjagten Lebensgeister, wieder zurück zu rufen. Zum Glück war der Chirurgus noch bei der Hand, welcher sogleich aus Sir Carls Hausapotheke mehr als zehn Büchsen herbeiholete, aus welchen er den Verunglückten so lange salbte, bis er wieder zu sich selber kam. Sir Carl läßt ihn wegen dieses Unfalls, worzu er die Veranlassung glaubt gegeben zu haben, auf seine Lebzeit täglich eine Kanne Bier und eine Zeile Semmeln reichen.


Den 28. Heute hatten wir den artigsten Zeitvertreib, den man erdenken kann. Herr Grandison unterscheidet sich von dem größten Theile des englischen Adels dadurch, daß er keine von den Lustbarkeit, die man in den meisten adelichen Häusern für unentbehrlich [194] hält, in seinem Hause gestattet. Ehedem war er kein Feind von den so genannten unschuldigen Ergötzlichkeiten, man machte in seinem Hause ein Spiel, man sahe dann und wann ein Hahnengefechte, er gestattete auch ein Pferderennen, wiewohl er daran nie einen Gefallen hatte: allein seit einiger Zeit hat er dem ersten ganz und gar entsaget, seine besten Streithähne sind geschlachtet und verzehret, und das Wettrennen hat er schon seit einigen Jahren verschworen. Es darf keine Karte mehr in sein Haus kommen. Der Doctor Bartlett fand ehemals ein großes Vergnügen am Lombre, Sie wissen aus der Geschichte Sir Carls, daß der Doctorn gern spielet; allein er war einmal unglücklich, und verlohr an die Lady G. seine ganze Jahrbesoldung, welche ihm aber den Tag darauf das Geld großmüthig zurück gab. Von dieser Zeit an hat er dem Baronet das Spiel zuwider gemacht, und es wird in ganz Grandisonhall nunmehro für einen Zeitverderb gehalten. Hingegen wird das Tanzen gestattet: weil es zur Ermunterung des Gemüths [195] und zur Bewegung des Leibes dienet. Da der Doctor nicht mehr spielet, so hat er auf Bitte der Lady G. noch in seinen alten Tagen müssen tanzen lernen, er tanzt nur eine Menuet, aber mit einem recht guten Ansehen. Musik hört man in Sir Carls Hause alle Tage; jedoch da diese beiden Ergötzlichkeiten zu wenig sind, eine Gesellschaft zu unterhalten: so hat Sir Carl auch für eine vielfältigere Abwechselung des Vergnügens seiner Gäste gesorgt. Wir brachten dismal den Tag folgendergestalt hin. Vormittage beim Thee wurde die Londener Zeitung zugleich mit herum gegeben, man erzählte daraus die beträchtlichsten Umstände der ganzen Gesellschaft: denn das Frauenzimmer ließ die Zeitungsblätter für sich vorbeigehen. Der Hauptinnhalt unsres Gesprächs betraf ein reichbeladenes englisches Schiff, welches in einem französischen Hafen war aufgebracht worden. Sir Carl erzählte diesen Unglücksfall, und beklagte als ein Patriot den Verlust, den die Eigenthümer des Schiffs und des Vaterlandes dadurch erlitten hätten. Lord [196] L. der dem Baronet in den patriotischen Gesinnungen gleich kommen, wo nicht gar ihn übertreffen will, verwarf diese Nachricht, weil sie etwas nachtheiliges für das Vaterland enthielt, als eine Erdichtung. Lord G. fand in seinem Blatte wenige Zeit hernach aus Deutschland einen Artikel, daß es zwischen den Vortruppen der Alliirten und Franzosen etwas gesetzt habe, daß sich jene in etwas zurücke ziehen müssen, und ein Regiment Bergschotten dabei vieles gelitten hätte. Das ist abermals, sagte der Lord L. eine boßhafte Unwahrheit, man sieht es augenscheinlich, daß dem Zeitungsschreiber von Frankreich aus die Hände sind versilbert worden, man sollte ihm den Prozeß machen. Die Bergschotten sind nicht gewohnt, fügte er hinzu, die Hände in die Tasche zu stecken, wenn sie gegen den Feind geführet werden. Lord G. wollte ihn widerlegen und gab sich viele Mühe ihm begreiflich zu machen, daß, ungeachtet der Tapferkeit seine Landsleute, es doch wohl möglich wäre, daß sie einmal der Menge gewichen wären; er war aber [197] nicht zu bekehren, und wurde so eifrig, daß er den Lord G. der wider seine Neigung in der Hitze die französische Partei nahm, des Hochverraths würde beschuldiget haben, wenn Sir Carl nicht durch sein Ansehen die Sache noch zu rechter Zeit beigeleget hätte. Die Tafel war diesmal auf den ordentlichen Fuß eingerichtet, das ist, Sir Carls Lektor bestieg den kleinen Catheder in dem Speisesaale und las uns einige Stellen aus den kernhaftesten englischen Schriftstellern vor. Er ersetzte also die Stelle der Concertisten, die uns den Tag zuvor mit einer prächtigen Tafelmusik unterhalten hatten. Bei den ersten Gerichten, da die Zuhörer ihre Gedanken auf die Schüssel gerichtet hatten, würde eine trockene moralische Abhandlung keine Aufmerksamkeit verdienet haben, Sir Carl hatte deswegen die Verfügung gemacht, daß zuerst etwas munteres mußte vorgelesen werden, wir bekamen etwas aus Swifts Mährgen von der Tonne zu hören. Nach dem ersten Anbiß schlug Sir Carl mit der Gabel auf den Tisch, sogleich ergriff der Vorleser ein [198] andres Buch, es handelte von den Feldzügen der Engländer in Frankreich und mich dünkt, die damalige Lection begriff den Zeitpunct, welchen das Mädchen von Orleans berühmt machte. Eine vortrefliche Pastete brachte mich um den größten Theil dieser historischen Vorlesung. Bei der letzten Tracht, die meistens in Schaugerichten bestund, wurde, weil der Magen nunmehro befriediget war, für den Verstand am meisten gesorgt. Der Baronet gab wieder ein Zeichen mit der Gabel, und eine von den schönsten Stellen aus dem Milton, welche Herr Grandison selbst zu erläutern und aufzuklären sich die Mühe gab, machte den Beschluß. Das Frauenzimmer verließ hernach nach Englischer Mode die Tafel, um in dem Nebenzimmer den Thee zu trinken, da unterdessen die Tafel für die Herren von neuem mit Bouteillen besetzt wurde. Alle Arten von Weinen aus des Baronets Keller wurden ausgeprobt. Er eröffnete der Gesellschaft, daß er entschlossen wäre, heute die gewöhnlichen Preiße auszutheilen, die er jährlich den fleißigsten seiner [199] Unterthanen, und die sich vor andern besonders hervor thun, zu verehren pfleget, und ersuchte uns auf eine höchst verbindliche Art, ihm hierbei mit an die Hand zu gehen. Wir verfügten uns in den untern großen Saal, welcher mit allerlei Hausgeräthe, Kleidungsstücken und andern Nothwendigkeiten, nicht anders als ein Kaufmannsladen ausgezieret war. Herr Bartlett, des Baronets Secretär, ein Vetter des Doctors, überreichte Sir Carln das Verzeichniß derer Personen, welche sich der Preiße würdig gemacht hatten. Die Austheilung geschahe folgendergestalt:


1.) Thomas Mumford, Doctor Bartletts Schulmeister, erhielt für sich eine Baßgeige, und für seine Frau einen Muff: weil dieses Paar unter allen Unterthanen Sir Carls die Welt am meisten vermehret hatte. Die Frau Schulmeisterin war in Jahresfrist zweimal mit Zwillingen niedergekommen, und alle vier Kinder waren noch am Leben.


[200] 2.) Marmaduck Stephenson, einer von Sir Carls Pachtern, welcher in diesem Jahre die meisten Hamster gegraben, und auch die meisten Maulwürfe erlegt hatte, erhielt eine sauber geschnittene Flasche mit Silber beschlagen, welche mit dem besten Brandeweine gefüllet war.


3.) William Ameß, ein gewissenhafter Schneider, der am wenigsten in die Hölle geworfen, und deswegen die meiste Arbeit bekommen hatte, erhielt ein neues Bügeleisen nebst einem stählernen Fingerhut.


4.) Anna Burdens, eine bejahrte Frau, welche die meisten Eier zu Markte geschickt hatte, wurde dafür mit einer Brille und einer Würzschachtel begabt, und dadurch zur ferneren fleißigen Abwartung ihres Berufs aufgemuntert.

5.) Samuel Sattock, ein Weinschenke, der in Sir Carls Gebiete den meisten Wein ausgeschenket hatte, vielleicht weil er ihn am wenigsten verfälschte, wurde für seine [201] Ehrlichkeit mit einem blechernen Trichter und einem neuen Zählbrete belohnet.


6.) Maria Fischers, die im Rufe war, daß sie ein Geheimniß besäß, in der ganzen Provinz die schmackhafteste Butter zu verfertigen, bekam, ob gleich ihre Butter von ihren Nachbarinnen für Hexenbutter ausgeschrien wurde, ein halb Dutzend Muskatennüsse und ein blechernes Reibeisen.


7) Johann Higgins, ein Töpfer, der auf seine Schüsseln und Telier sehr künstliche Reime zu setzen pfleget, und auf allen Jahrmärkten deswegen großen Abgang seiner Waare hat, wurde von Sir Carln zum Poeten gekrönet, jedoch mit dem ausdrücklichen Vorbehalt: daß er dieser Ehre sogleich wieder sollte verlustig seyn, wo er seine Verse an einem andern Orte, als auf seinen Schüsseln anbrächte. Es wurde ihm zugleich ein grosser Bierkrug mit einem zinnernen Beschläge zu seiner Hippokrene angewiesen und verehret.


[202] 8.) John Huberthorn, einer von des Baronets Forstbedienten, der einen Stahr, eine Amsel und einen Lübich so abgerichtet hatte, daß sie zusammen ein Trio pfeifen, bekam ein künstliches Weidemesser, nebst der Anwartschaft auf eine bessere Bedienung.


9.) Für einen berühmten Kalendermacher in Londen wurde der Globus bestimmt, den der Hauptmann Salmonet und Major Ohara bewundert haben. Es gehöret dieser Mann zwar nicht zu den Unterthanen Sir Carls: dieser glaubt aber, daß er eines Preißes dem ungeachtet würdig sey. Alle Hauswirthe in des Baronets Herrschaften haben nach ihrem einmüthigen Geständniß dieses Jahr den größten Nutzen von diesem Manne gehabt: Sein Wetterprognosticon ist auf ein Haar eingetroffen, und mithin haben sie sich mit ihrer Arbeit vollkommen nach der Vorschrift des Kalenders richten können. Der Lord L. gelobte diesem Ehrenmanne über das Geschenke des Baronets noch ein vortreffliches Sehrohr, welches er [203] besitzt: weil dieser Astronom mit der Sternseherkunst die in unsern Tagen so seltne Wissenschaft eines Astrologen verbindet, und aus der Constellation der Gestirne eine Prophezeihung von Krieg und Frieden an den diesjährigen Kalender hat drucken lassen, die bis auf den heutigen Tag sehr pünktlich eingetroffen ist.


10.) Ein gewisser Mann, der einmal hatte erzählen hören, daß Ludwig der Große an einem Galatage in einem Kleide von Spinnweben erschienen wäre, hatte durch langwierige Versuche es dahin zu bringen sich bemühet, diesem zarten Gewebe eine Festigkeit zu geben, um es wie Seide zu spinnen und zu verarbeiten, zu dem Ende hatte er viele Jahre lang die Wohnungen der Spinnen vergeblich zerstöret, und dieses unglückliche Geschlechte beinahe aus dem Gebiete des Baronets vertrieben. Endlich schien es ihm gelungen zu seyn, seine Absicht einigermaßen zu erreichen; er drang mit einem großen Geräusche durch die Menge von Leuten, [204] welche die Mildthätigkeit des Baronets, theils als Zuschauer, theils als würdige Besitznehmer seiner Wohlthaten, herbeigezogen hatte. Er wurde eingelassen und forderte einen Preis für seine Erfindung; da er zugleich die erste Zaspel seines Gespinnstes überreichte. Sir Grandison war geneigt, ihn solchem nach einer genauen Untersuchung zu ertheilen, er bekam eine ansehnliche Pelzperucke, um seinen Kopf für der Kälte des herannahenden Winters zu schützen, damit er zu mehrern dergleichen nützlichen Erfindungen geschickt bliebe.


Wenn würde ich fertig werden, alle die großmüthigen Geschenke, welche der Baronet allen und jeden machte, die Beweise ihres Fleißes oder ihrer sinnreichen Erfindungen aufstellen konnten, der Länge nach zu erzählen? Ich habe Ihnen hier nur einen kleinen Abriß von dem Eifer desselben gemacht, das Gute und Nützliche auf alle nur ersinnliche Art zu befördern. Die ganze Gesellschaft fand bei der Austheilung dieser Preiße [205] das vollkommenste Vergnügen. Oft setzte es einen kleinen Streit über die Wahl derselben; doch überhaupt muß man gestehen, daß die Belohnungen mit denen Personen, welche sie erhielten, immer ein ziemlich genaues Verhältniß hatten. Lady G. beschäftigte sich nach ihrer Leichtsinnigkeit über alle, die in das Zimmer traten, um einen Preis zu bekommen, Anmerkungen zu machen. Sie betrafen meistens die seltsamen Reverenze, die Lobreden derer auf Sir Carln, welche Preiße erhielten, ihren Gang und ihre Minen. Mir gefielen sie meistens, obgleich Sir Carl die wenigsten, weil sie alle sehr muthwillig waren, belachen wollte. Wenn Niemand ihr zu Gefallen lachte, so sahe sie nur ihren Herrn an, welcher aus einer schmeichelhaften Gefälligkeit sogleich bereit war, durch sein überlautes Gelächter ihren Scherz bei Ehren zu erhalten. Nach gethaner Arbeit, sagte der Baronet, ist gut feiern, wir begaben uns gegen sieben Uhr des Abends wieder in den Speisesaal und hernach wurde bis gegen Mitternacht getanzet. [206] Der Doctor eröffnete den Ball mit Sir Beauchamps Gemahlin, er würde auch ohne Zweifel bis auf den letzten Mann ausgehalten haben, wenn ihn nicht ein kleiner Zufall davon abgehalten hätte. Er wollte zu sehr bewundert seyn, und machte in einer Menuet eine so künstliche Wendung auf einem Fuße, daß er ihn darüber verstauchte. Der Baronet war aber so sorgfältig und ließ durch zween handfeste Bedienten, ungeachtet des Schreiens des guten Mannes, den verstauchten Fuß so lange ziehen bis er glücklich wieder eingerichtet war. Ich denke, der Doctor wird sobald nicht wieder tanzen.


Den 29. Abermal ein neues Vergnügen! Herr Grandison ist in Erfindungen, seine Gäste zu belustigen, unerschöpflich. Es scheint, daß er allen seinen Verstand angewendet hat, um mich noch zu guter letzt auf eine Art zu unterhalten, die fähig ist, von dem Vergnügen in Grandisonhall, mir einen solchen Eindruck zu machen, daß ich abwesend oftmals daran zurück denken soll. Er hat heute seinen Welschen [207] Thurm, der zu einer Sternwarte bestimmt ist, eingeweihet. Das ist ein sehr sehenswürdiges Stück; ob er gleich nicht nach dem ersten Entwurf des Baumeisters ist aufgeführet worden. Dieser Mann hatte den Einfall, ihn in Gestalt eines Sehrohrs aufzuführen, man sollte ihn auch nach Belieben vergrößern und verkleinern können, er wollte zu dem Ende ein Stockwerk in das andere verbergen, nicht anders als ein Perspectiv, das man ausziehen und auch wieder zusammen schieben und ins kleine bringen kann; Sir Carl aber, der nicht alleine künstlich, sondern auch dauerhaft bauen wollte, hat diesen Vorschlag verworfen und es bei dem alten gelassen. Demohngeachtet ist dieses Gebäude prächtig und kunstreich. Der Knopf wurde unter Trompeten und Pauckenschall hinaufgezogen, er ist so groß, daß er zu einer Vorrathskammer könnte gebraucht werden. Der Baronet will mit seinen besten Sachen darauf flüchten, und sich daselbst verstecken, wenn etwann bei jetzigen Kriegszeiten ein feindlicher Einfall geschehen sollte. [208] Er ersuchte mich, den Herrn Magister Lampert zu bitten, nebst einem Verzeichnisse von allerlei Merkwürdigkeiten zu verfertigen, um beides wie gewöhnlich in dem Knopfe dieses Thurms für die Nachkommen aufzubehalten. Sir Carl hatte zwar im Anfang dem Doctor diesen Auftrag gethan: er entschuldigte sich aber und schlug seinen Freund den Magister Lampert dazu vor, welcher Vorschlag auch sogleich gebilliget wurde. Wegen der vortreflichen Aussicht speisten wir dismal auf der Sternwarte. Die Speisen wurden mit einer unglaublichen Geschwindigkeit, vermöge einer besondern Maschine, aus der Küche hinaufgezogen, daß also die Bedienten keine Beschwerung davon haben, wenn es ihrem Herrn beliebt, auf dem Thurme zu speisen. Wir ließen es uns allen auf dem Welschen Thurme recht wohl schmecken; ich glaube daß die reine Luft, welche man oben empfand, vieles dazu beitrug. Weil man nicht so viele Erddünste verschlucken durfte als in den untern Zimmern: so konnte man desto mehr Speise genüßen. Ich konnte mich nicht gnug [209] darüber verwundern, daß alle Gerichte zum Fenster hinein gebracht wurden, und auf eben diese Art trug man sie auch wieder ab, die leeren Buteillen flogen zum Fenster hinaus, und einige Augenblicke hernach erschienen sie wieder gefüllt. Es kam mir nicht anders vor als wenn ich mich in dem Zauberpallaste befänd, von welchen ich ehemals fast eben dergleichen Wunderdinge gelesen habe. Ein irrender Wandrer, erzählt man, lagerte sich, da ihm die Nacht in einem Walde übereilte, unter einen Baum, um den Tag daselbst zu erwarten. Er wunderte sich ungemein, daß er in einer kleinen Entfernung ein vortrefliches Schloß mit hohen Thürmen erblickte, welches er vorhero nicht bemerket hatte. Erfreut über diesen unerwarteten Anblick, nahm er sein abgeladenes Bündel wieder auf den Rücken und seinen Stab in die Hand, und eilte darauf zu, um in solchem eine bequemere Herberge zu finden. Er war nicht so bald an das Thor gelanget, als sich solches öffnete, er ging mit einer demüthigen Stellung hinein, um sich bei den Bewohnern desselben eine [210] Nachtherberge zu erbitten: allein wie erstaunte er nicht, da er keine lebendige Seele darinne antraf. Es lief ihm ein kalter Schauer nach dem andern über die Haut, endlich faßte er doch einen Muth und nahm das beste Zimmer, welches mit den herrlichsten Meubles versehen war, und von einer großen Menge Wachslichtern erleuchtet wurde, für sich ein. Wie glücklich wäre man hier, sagte er zu sich selber, wenn man in einem so prächtigen Pallaste auch eine gute Mahlzeit zu erwarten hätte. Er hatte dieses kaum gesagt, so öffnete sich das Fenster und eine Menge vortreflich zugerichteter Speisen kamen in eben dem Augenblicke durch solches, gleichsam auf den Flügeln des Windes getragen, zu ihm hinein. Er nahm dieses für eine Einladung zum Genuß derselben an, setzte sich an eine Tafel und ließ es sich wohl schmecken. Nachdem er die besten Weine versucht und sich mit dem schmackhaftesten Leckerbißlein gesättiget hatte, erhob sich alles wieder zum Fenster hinaus und verschwand. Ich dachte in der That auf der Sternwarte Sir Carls mehr [211] als einmal an diesen Wandrer und freuete mich, daß ich beinahe ein gleiches Wunderwerk gesehen hatte. Nach der Tafel ließ das Glockenspiel zum ersten male die vollkommenste Uebereinstimmung seiner Silberthöne hören. Bei der Melodie einer italiäschen Arie sang Sir Carl den Text dazu mit einer sehr anmuthigen Stimme und vieler Geschicklichkeit ab. Nachdem Tische und Stühle aus der astronomischen Wohnung waren weggebracht worden, hatte ich die Ehre, Lady Grandison zum Tanze aufzuziehen. Dieses ist das erste mal, daß ich nach dem Klange der Glocken getanzet habe. Um nicht eine Treppe von drei hundert Stufen abzusteigen, fuhr die ganze Gesellschaft eins nach dem andern, vermittelst der Maschine, durch welche die Speisen waren heraufgezogen worden, unter Trompeten und Pauckenschall von dem Thurme herab. Da ich dieses Luftschiff bestieg, gedachte ich an die Wunderkiste mit welcher ein morgenländischer Kauffmann, welcher den Mahomed vorstellen wollte, in den stählernen Pallast schiffte, worinne [212] ein alter argwöhnischer König seine schöne Tochter verschloß. Ich wünschte, daß diese, worinn ich mich befand, eben so beschaffen seyn möchte, ich hätte sie dem Baronet gewiß entführt, und wer weiß, an was für einem guten Orte ich mich jetzo befänd. Dieser Tag endigte sich also mit allgemeinen Vergnügen; ich konnte aber nicht ohne Grauen an den folgenden gedenken, den ich zum Abschiedstage bestimmt hatte. So wie ein armer Päbstler, der sich mitten im Genuß der Güter dieses Lebens zur Abreise in jene Welt anschicken muß, mit Schrecken dem Feuermeere des Fegefeuers entgegen siehet, auf welchem er Jahrhunderte hindurch herumschiffen soll: so sahe ich mit bestürztem Augo dem Tage entgegen, welcher mich des Vergnügens in dem glänzenden Grandisonhall berauben und aus der Gesellschaft tugendhafter Weisen in das Geräusche der Welt zurück bringen sollte – –. Abermals ein poetisches Bild! Der Abschied in Grandisonhall hat einen solchen Eindruck bei mir [213] gemacht, daß mein Gemüthe noch voll Bewegung ist.


Den 30 Octobr. Erwarten Sie nicht von mir, hochgeschätzter Herr Oncle, einen vollständigen Bericht der Begebenheiten dieses merkwürdigen Tages, mein Gemüthe würde nicht stark genug seyn, eine lebhafte Vorstellung der zärtlichen Trennung von so vielen verehrungswürdigen Freunden noch einmal zu ertragen. Gnug, am 30 October verließ ich unsern gemeinschaftlichen Gönner. Meinem Charakter, als einem Abgesandten von Ihnen, gemäß, erhielt ich eine öffentliche Abschiedsaudienz. Die ganze Gesellschaft hatte das Gesichte in weiße Schnupftücher versteckt, welche seit der Trauer um die selige Frau Shirley nicht waren gebraucht worden, um bei meiner beweglichen Abschiedsrede die Thränen damit aufzufangen. Sir Carl und seine würdige Gemahlin befahlen mir an Sie tausend Komplimente, und baten sich sehr angelegentlich die Unterhaltung eines Briefwechsels mit Ihnen aus. Der [214] Doctor Bartlett versicherte, daß ihm nichts angenehmer seyn würde, als wenn er sich mit Ihnen durch den Mund seines Freundes, des weisen Herrn Magister Lamperts, unterreden, und Sie von der Hochachtung seines Gönners schriftlich versichern dürfte. Er brachte zugleich feine Dinge von der nutzbaren Erfindung des Schreibens vor, und rühmte die Vortheile der Neuern, die sie in dieser Kunst über die Alten erlangt hätten. Diese, sagte er, hätten sich mit Baumrinde, Eselshaut und Wachstäfelgen behelfen müssen: da hingegen die edle Schreiberei ein weit besseres Ansehen erhalten hätte, seitdem das Pappier wäre erfunden worden, und die Gänse uns ihre Kielen zu den nöthigsten Werkzeugen dieser Kunst geliehen hätten. Die ganze Grandisonische Familie segnete mich und Sie zugleich in meine Seele. Lady G. warf mir noch, da ich auf den Wagen stieg, einen sanften Kuß zu, um Ihnen solchen zu übersenden; allein solche Kleinigkeiten lassen sich nicht wohl einpacken, ich habe solchen also alleine genossen. Lady Beauchamp sahe [215] aus, als wenn sie den Schnuppen bekommen hätte, so dicke rothe Augen hatte sie sich geweint. Alle Herren umarmten mich, und die Ladys winkten mir Abschiedsküsse zu. Meine Ohren gellen noch von dem Lebewohl, welches mir aus verschiedenen Tönen akordweise nachgerufen wurde. Ich glaubte, mein Gemüthe würde in etwas wieder aufgemuntert werden, wenn sich in den Dörfern, in welchen ich vor wenig Tagen bei meiner Herreise nach Grandisonhall einen solchen Aufstand erreget hatte, wiederum ein Haufen Volk, mich zu sehen, um meinen Wagen versammlen würde; ich hatte zwar jetzo nicht das ansehnliche Gefolge bey mir: ich machte aber doch noch eine ganz ansehnliche Figur. Allein dismal erfuhr ich, daß nichts unbeständiger als der Pöbel. Obgleich in Sir Carls Dörfern mir zu Ehren alle Glocken geläutet wurden, und das Glockenspiel in Grandisonhall die beweglichsten Melodien hinter mir her spielte; ungeachtet ich auch meinen Postillion aus allen Kräften blasen ließ: so wollte doch Niemand zum Vorschein kommen, [216] der mich zu sehen verlangte, einige Bauern ausgenommen, die das Fenster halb aufschoben, und mit ihrem spitzigen abgegriffenen Hüten mir unter das Gesichte guckten, ohne daß einer so höflich gewesen wäre, seinen Deckel abzunehmen, oder seine Tobackspfeife zu verstecken, wenn ich vor seinem Hause vorüber zog.

Den 31. traf ich wieder in Londen in meinem ordentlichen Quartiere ein. Ich machte dem ehrlichen Herrn Nerves meinen Abschiedsbesuch und hernach ließ ich mich auch noch zum Vetter Eberhard bringen. Seine runde dicke gebietherische Frau empfing mich mit einer mittelmäßigen Höflichkeit und er erschien einige Zeit hernach im Schlafrocke. Seine Gebieterin schließt ihm, wie man sagt, oftmals die Kleider ein, und macht ihn auf diese Art zum Arrestanten, damit er ihr nicht unversehens entwischt, und sie ihn hernach auf einem Coffeehause auslösen muß. Er schien sehr bestürzt über meinen unerwarteten Besuch und glaubte vielleicht, ich wäre [217] kommen, meine zwanzig Guineen wieder abzuholen. Es war dieses auch allerdings ein Bewegungsgrund bei mir, ihn zu besuchen. Ich dachte, er sollte sich selbst seiner Schuld erinnern, und mir solche abtragen: an dessen Statt aber fing er an lateinisch zu reden, damit es seine Frau nicht verstehen sollte. So viel ich einsehen konnte, wollte er mich ersuchen, mich nichts gegen sie merken zu lassen, daß er mein Schuldner wäre; er gab mir aber seine Meinung so undeutlich und stammlend zu verstehen, daß ich nur rathen mußte, was er ungefehr haben wollte; das Latein stund ihm gar nicht zu Gebote. Ich versicherte ihn in eben dieser Sprache, daß ich mir eine Ehre daraus machte, ihn in meinem Schuldregister zu finden, er könnte mir das Geld abtragen, wenn es ihm am bequemsten wäre, ich würde ihn disfalls nie bei seiner Liebste verklagen. Die Absicht meines Besuchs wäre auch nicht, ihn an meinen Vorschuß zu erinnern, sondern nur von ihm Abschied zu nehmen, weil ich gesonnen wäre, in wenig Tagen England zu verlassen. Er [218] stellte sich sehr betrübt an, daß er mich, wie er sagte, als seinen besten Freund verlieren sollte: ich konnte es ihm aber ansehen, daß er über meine Abreise sich heimlich sehr erfreute: weil mir dadurch die Gelegenheit abgeschnitten wurde, ihn öfters zu mahnen. Er wollte durchaus noch nicht völlig von mir Abschied nehmen, und versprach noch einmal selbsten in meinem Quartiere mich zu besuchen: seine Frau benahm ihm aber alle Hoffnung, sein Versprechen zu erfüllen. So gesund er auch aussahe, so schützte sie doch eine Unpäßlichkeit vor, sie würde nicht zugeben, sagte sie, daß er sobald an die Luft ginge, damit er nicht wieder ein Recitiv bekäme. Ohne Zweifel hat er etwas großes verbrochen, daß sie ihn mit einen so langen Arreste bestraft. Ich werde nun wohl die zwanzig Guineen aus Bein streichen müssen.


Vorgestern erhielt ich das Schreiben von Ihnen, Hochgeehrtester Herr Oncle, und erfreute mich nicht wenig, daß ich durch eine glückliche Ahndung das bereits erfüllet hatte, [219] was Sie mir auftrugen. Ich schreibe von hieraus noch einmal nach Grandisonhall und werde nach Ihren Befehl den Doktor Bartlett ersuchen, für Sie ein gutes Vorwort bei dem Pastor Wendelin einzulegen. In zwei Tagen gehe ich von hier nach Dowers, um von da nach Holland überzuschiffen. In der Mitte dies Monats hoffe ich zu Straßburg zu seyn, daselbst erwarte ich in Zukunft Ihre Briefe. Da mich die englischen Freunde ihres Briefwechsels würdigen wollen, so werde ich auch die Briefe an Sie empfangen und ich hoffe, Sie gönnen mir auch in Zukunft das Vergnügen, die Ihrigen nach England über Straßburg gehen zu lassen, damit ich sie von da aus gehörigen Orts besorgen kann. Ewig Schade! daß ich dero Schreiben nicht einige Tage früher erhalten habe, um die verlangten Portraits zu sammlen. Damit Sie indessen doch meine Bereitwilligkeit sehen, Ihre Befehle zu erfüllen, so übersende ich Ihnen diejenigen, welche mir von: Herrn Rerves, so bald er Ihren rühmlichen Anschlag erfuhr, sind verehret worden[220] und die er in duplo besitzt. Es sind sieben an der Zahl. Auf der Ruckseite derselben werden Sie finden, welche Personen aus der Grandisonischen Geschichte sie vorstellen. Zu den übrigen ist mir gute Hoffnung gemacht worden, vielleicht habe ich bald das Vergnügen Ihnen auch diese zu übersenden. Diesen Augenblick erhalte ich einen Brief von dem Herrn Richardson, worinne er mich nochmals an mein Versprechen erinnert, ihm die Briefe mitzutheilen, welche Ihre großmüthigen Unternehmungen, dem Herrn Grandison nachzuahmen enthalten, ich werde ihm ihre Meinung über diesen Punkt entdecken und ihm dazu Hoffnung machen. Weil es mein Schicksal nicht erlaubt in der glücklichen Gesellschaft Sir Carls meine Tage zuzubringen: so will ich doch meine Reisen so bald als möglich suchen zu vollenden, um bei Ihnen als seinem würdigen Nachfolger das Vergnügen zu finden, das ich jetzo entbehren muß. Ich sehe der goldnen Zeit mit Verlangen entgegen, welche mich nach Kargfeld als dem zweiten Grandisonhall führen wird, [221] wo die Bewunderung Ihres vortreflichen Charakters eine der angenehmsten Beschäftigungen seyn wird


Dero

gehorsamsten Dieners v.S.

19. Brief
XIX. Brief.
Der Herr v.N. an die Frau v.W.

Den 30 Octobr.


Sie verdienten zwar mit mehrerm Rechte den Titel gestrenge Frau, denn Sie haben ziemlich strenge mit mir verfahren, und es fehlte einmal nicht viel, so hätten Sie mich mit Fäusten geschlagen wie Satans Engel: aber ich will Sie dem ungeachtet gnädige Frau nennen, in der guten Hoffnung, daß Sie in Zukunft sich bessern und mit mir sich wieder versöhnen werden.[222] Sie sind ein weibliches, das ist, ein schwaches Werkzeug, und aus dieser Ursache komme ich Ihnen mit Ehrerbiethung zuvor, und thue Ihnen hierdurch zu wissen, daß ich es alles vergeben und vergessen will, was Sie mir zu Leide gethan haben Ich weiß wohl, daß Niemand anders als Sie selbsten den Major v. Ln. so sehr wider mich in Harnisch gejaget, daß er mich heraus gefordert. Es ist bekannt, wenn Sie anfangen zu griesgramen, so machen Sie es so arg, daß Sie im Stande wären, das ganze heilige römische Reich zusammen zu hetzen, wenn nur Ihr Gemahl ein Prinz wäre. Nehmen Sie es nicht übel, daß ich so alles von der Leber wegsage, es ist nicht böse gemeint. Wenn Sie gut sind, ob es Ihnen gleich selten ankommt, so sind Sie auch wieder recht gut. Wie gesagt, ich will, um unsern guten nachbarlichen Frieden wieder herzustellen, Ihnen alles vergeben. Den Major habe ich bereits durch meine Grundsätze zur Raison gebracht, wir sind wieder gute Freunde, und ich fasse das gute Vertrauen, daß Sie auf [223] Ihrer Seite auch nicht ermangeln werden, sich mit mir zu versöhnen. Sehen Sie nur, wie großmüthig ich handele, ich will nicht nur wegen der vermeintlichen Beleidigung, die ich Ihnen soll zugefüget haben, hierdurch um Verzeihung bitten; sondern ich will auch noch ein übriges thun, und Ihnen, wenn Sie es verlangen, Brief und Siegel ausstellen, daß ich Sie für eine Dame von Ehre halte und nichts anders als gutes von Ihnen denke. Wenn Sie billig sind, so werden Sie nun Ihren Groll gegen mich fahren lassen, ich verspreche mir dieses eben so gewiß, als ich hoffe, daß Sie mir einen Beweiß Ihres versöhnlichen Herzens dadurch geben werden, daß Sie mir bald das Vergnügen verschaffen als meiner Frau Schwiegermutter die Hand zu küssen. Ich lade mich bei Ihnen auf morgen zu einer guten Mahlzeit ein, um persönlich zu erfahren, ob Sie wieder mit mir eins sind. Empfehlen Sie mich heute Ihrem Herrn und meiner unvergleichlichen Henriette. Morgen will ich[224] es selbst thun und mich zugleich bemühen, Sie zu überzeugen, daß ich mit vieler Hochachtung bin

Dero

gehorsamster Diener v.N.

20. Brief
XX. Brief.
Das Fräulein v.W. an das Fräulein v.S.

Wilmershausen, den 30 Octobr.


Ich freue mich recht sehr, daß wir morgen das Vergnügen haben, Sie, nebst dem Hrn. v.F. und seiner Gemahlin, hier zu sehen. Jacob hätte mir keine angenehmere Nachricht geben können, als daß er in einer Stunde nach Schönthal gehet, Sie einzuladen. Wissen Sie wohl, wer dazu Anlaß gegeben hat? Lesen Sie innliegende [225] Abschrift des Schreibens von dem Herrn v.N. an meine Mutter. Dieser Brief ist eben nicht so abgefaßt, wie sie wünschet: sie hat sich aber doch vorgesetzt, den äußerlichen Frieden mit ihm wieder herzustellen. Der Major hat das meiste dazu beigetragen, sie wieder zu besänftigen. Der Hr. v.N. hat zum Beweiß seines Verlangens, sie wieder zur Freundin zu haben, sich auf morgen bei uns zu Gaste gebeten, um von ihr vielleicht eine mündliche Versicherung zu erhalten, daß sie ihm alles vergeben habe. Mich dünkt ich habe bei diesem Besuche nichts sonderliches zu fürchten. Ich befinde mich sehr ruhig, und hoffe, der Hr. v.N. wird sich nicht so viele Freiheiten bei mir heraus nehmen, als das letzte mal, er muß ein wenig schüchtern thun und sich in einer gewissen Entfernung halten, morgen wird er gleichsam als ein Fremder in unserm Hause eingeführet, der erst Bekanntschaft sucht, und dem die kleinen Freiheiten noch nicht verstattet werden, die eine lange Freundschaft erlaubt. Ich wollte, daß Sie ihm dieses könnten zu verstehen geben, [226] so wohl meinet wegen, als um der ganzen Gesellschaft willen. Die Frau v.W. würde, wenn er zu vertraut thun wollte, dieses als eine neue Beleidigung ansehen, und wohl gar wieder einen neuen Streit erregen, der allen verdrüßlich seyn würde. Die Zeile die ich in seinem Briefe unterstrichen habe, versichert mich, daß er noch immer eine gefährlich Absicht auf mich hat. Wenn ich jetzo nicht befürchte, daß er sie erreichen wird: so habe ich doch immer Ursache zu fürchten, daß er eine andere Ausführung gegen mich beobachtet, als ich wünsche. Wenden Sie doch Ihre guten Bemühungen an, ihn dahin zu bringen, daß er morgen gar nicht thut, als wenn ich gegenwärtig wäre. Ein Mann, der dem Grandison nachahmen will, muß ein Philosoph seyn, es wird ihm also nicht viel Mühe kosten, dieses von sich zu erhalten. Doch ich sehe, daß ich mich schon zu weitläuftig über eine Sache heraus gelassen habe, die ich nur mit zwei Worten gedenken wollte. Meine Absicht bei diesem Briefe war allein diese, Ihnen das merkwürdigste [227] zu erzählen, was in unserm Hause seit meinem letzten Schreiben sich begeben hat, und insonderheit Sie von den Gesinnungen meiner Mutter, die sie gegenwärtig von Ihnen hegt, zu unterrichten, damit Sie wissen, was Sie für eine Stellung gegen diese anzunehmen haben. Legen Sie morgen Ihre gewöhnliche Munterkeit nicht ab, und lassen Sie nichts zurückhaltendes an sich blicken. Sie wissen, daß sie jede Mine, die ihr nicht natürlich genug scheinet, wider sich deutet und als eine Beleidigung annimmt. Wenn Ihnen etwas an der Gunst der Frau v.W. gelegen ist, ich sag es Ihnen zum Troste, daß Sie diese ganz wieder besitzen, so erscheinen Sie ja recht heiter. Es ist ein seltner Fall, daß man Sie zur Fröhlichkeit ermuntern muß, Ihr Gemüth ist immer aufgeräumt: aber Sie können dadurch nur selten so viel Gutes, stiften, als ich mir morgen davon verspreche. Der Major hat viel dazu beigetragen, daß sie wieder vortheilhaft von Ihnen urtheilet. Er hat Sie gelobt. So ungern sie es sonst verträgt, daß jemand in ihrer [228] Gegenwart gelobt wird, so willig hat sie ihm doch hierinn Beifall gegeben. Sie wollte Ihnen zwar Schuld geben, Sie hätten eine unüberwindliche Neigung, immer allerlei kleine Leichtfertigkeiten auszuüben; sie wollte Ihnen diese als einen Fehler anrechnen: da sie aber der Major nicht dafür erkannte, so änderte sie dieses Urtheil, und fing an, ihre Leichtfertigkeit zu entschuldigen und bald hernach zu vertheidigen; ja sie munterte ihre kleine Tochter auf, von Ihnen immer etwas zu lernen, um mit der Zeit so artig zu werden wie Sie. Wenn es der Herr v.N. nicht mit ihr verdorben hätte, so will ich eben nicht gut dafür seyn, daß sie so bald wieder Ihre Freundin worden wäre. Der Zwist mit ihm hat, wie es scheint, auch keinen geringen Antheil an der geschwinden Aussöhnung mit Ihnen. Er wird es aber sobald nicht dahin bringen, daß sie ihm vollkommen wieder günstig wird, sie ist indessen ganz wohl zufrieden, daß der Streit mit dem Major sich ohne Zwiekampf geendiget hat. Ich denke, hiervon habe ich Ihnen schon vorläufig [229] Nachricht gegeben, und jetzt kann ich dieses bestätigen. Die Frau v.W. schreibt sich einen vollkommenen Triumph in dieser Sache zu, und glaubt, daß ihre Ehre dergestalt gerettet, und ihr eine Satisfaction wäre verschafft worden, daß es der Herr v.N. so leichtlich nicht wagen würde, sie wieder zu beleidigen. Der Major hat mir eine Beschreibung von dem ganzen Vorgange der Sache in Schönthal gemacht, er hat ihr auch seinen Rapport disfalls schon einige mal wiederholen müssen, der aber von dem, was er mir erzählte, sehr unterschieden war. Mein Vater gab ihm in allem Beifall, ich weiß also nicht, ob er mich oder die Frau v.W. hintergangen hat. Er besitzt die Gabe, alles sehr lebhaft vorzustellen; ich zähle es unter seine Fehler, Sie thun es gewiß auch, ich weiß es, sollten Sie es gutheißen können, daß er die Reden und Stellungen der Personen, von welchen er spricht, boßhaft nachzuahmen sucht? Er ist in dieser Kunst ein Meister, ich gestehe ihm dieses zu: aber er verdient niemals meinen Beifall, wenn er [230] Beweise davon giebt. Der arme Herr v.N., ich bedaure ihn! Doch er würde selbst mit haben lachen müssen, wenn er seine und des Herrn v.H. Person so natürlich hätte spielen sehen. Der böse Mann! Er schonte sogar meinen Vater nicht, ob er gleich gegenwärtig war, ich ärgerte mich im Herzen sehr darüber, doch machte er es noch so, daß es jener nicht merkte, wenn er ihn agirte. Die Frau v.W. war von dieser Scene ganz eingenommen. Da er seine Verdienste gegen sie durch verschiedene kleine Nebenumstände in der Erzählung zu erhöhen wußte: so mußte sie immer eine Danksagung und einen Lobspruch über den andern parat halten, um ihn damit zu belohnen. Mein Vater hat ihr etwas von einem Protokoll gesagt, das in Schönthal über die Händel der beiden Herren soll seyn verfertiget worden. Sie bezeigt ein großes Verlangen, dieses zu sehen, es scheint aber, daß es nicht dazu bestimmt ist, ihr vorgelegt zu werden. Ich bemerkte daß der Herr v. Ln. meinem Vater mit den Augen winkte, da er etwas davon gedachte,[231] und daß dieser sein Wort gern wieder zurück genommen hätte. Ich muß gestehen, daß meine Neugierde dadurch sehr ist rege gemacht worden, bringen Sie es doch mit, wenn ich es sehen darf, oder sagen Sie mir wenigstens, was es damit für eine Bewandtniß hat. Lassen Sie unsern Briefwechsel ja nicht aufhören, wir können keine bessere Gelegenheit finden vertraut mit einander zu sprechen, und Sie können nicht glauben, wie sehr Sie das durch verbinden


Ihre

Juliane v.W.

21. Brief
XXI. Brief.
Das Fräulein v.S. an das Fräulein v.W.

den 1. Novembr.


Sie verlangten gestern Abend bei unserm Weggehen meine kritischen Betrachtungen über unsere Gesellschaft. Ich [232] versprach Ihnen dieses sehr gerne, denn ich hatte in der That einige gemacht und ich bin allemal sehr unzufrieden, wenn ich meine Gedanken bei mir behalten muß, ohne sie an Mann bringen zu können, Sie sehen also hier die Erfüllung meiner Zusage. Ich ließ mich mit Fleiß nicht in ein Spiel ziehn, und setzte mich nur als eine Zuschauerin zum Spieltische, um auf die ganze Gesellschaft desto aufmerksamer zu seyn, und über ein und andere Personen, die sich darinnen besonders ausnahmen, meine Anmerkungen zu machen. Doch dieses war nur eine Beschäftigung, wenn ich sonst nichts zu thun hatte. Ich setzte mir schon zu Hause vor, hauptsächlich zweyerlei zu beobachten, theils mich um die Wiedereroberung der Gunst der Frau v.W. zu bewerben; theils die wahren Gesinnungen des Majors gegen dieselbe so viel möglich auszuforschen. Nun werden Sie mich schon vor eine Kundschafterin halten. Woher habe ich denn einen Beruf, mich um die gute Freundschaft des Majors und der Frau v.W. zu bekümmern? Seyn Sie vor jetzo mit [233] der Antwort zufrieden, daß ich allerdings meine Ursachen dazu hatte. Wenn ich mir nicht selbst zu viel schmeichle, so denke ich, daß ich in meinen Unternehmungen nicht ganz unglücklich gewesen bin. Sie haben es ohne Zweifel bemerket, daß ihre Frau Mutter sich rechte Mühe gab, mich von ihrer Gewogenheit zu überzeugen, sie war so freigebig mit Freundschaftsversicherungen, daß ich nicht beredt genug war, sie alle zu erwiedern. Wir hatten uns ganz außer Athem komplimentiret, und ich fand mich genöthiget die Unterredung auf etwas anders zu lenken, damit ich nicht endlich zum Stillschweigen gebracht würde. Zum Glück fiel mir ihre Katze, die sich unter den Ofen hingestreckt hatte, in die Augen, ich lockte diesen Murner zu mir und fing ihn an zu loben. Hierdurch eröffnete ich ein weites Feld, unsere Unterredung fortzusetzen, und diesen Lobreden schreibe ich auch größten Theils die wiedererlangte Gewogenheit der Frau v.W. zu. Lachen Sie nicht, es ist mein Ernst. Sie erzählte mir die ganze Lebensgeschichte ihres Lieblings mit dem freundlichsten [234] Gesichte, das sie machen kann. Die Tugenden und Künste desselben beschäftigten uns ziemlich lange, und Murner schnurte dazu, als wenn er es verstünde, daß er gelobt würde. Endlich sehnte ich mich wieder nach der Gesellschaft und wollte mir lassen ein Pfötgen geben, um diesem Gespräch ein Ende zu machen und von dem geliebten Vieh freundlich Abschied zu nehmen; aber das garstige Thier war so unbescheiden und häckelte mich mit den scharfen Krallen dergestalt in die Finger, daß ich hätte schreien mögen. Davor bekam die Katze von der Frau v. W eine derbe Maulschelle, und mich bat sie so ängstlich um Vergebung, daß ich ihr würde verziehen habe, wenn sie mich auch selbst so hämisch gekratzt hätte. Es darf mir leicht jemand ein gut Wort geben, so verwandele ich das schlimmste Urtheil, das ich von einer Person fällen kann, in ein sehr gutes. Es sind noch nicht vierzehn Tage, da ich sie für die schlimmste Person aus unserm Geschlecht hielt. Ich las das Leben des Sokrates von neuem, um einen Vergleich zwischen der Frau [235] v.W. und der Gemahlin dieses Weltweisen anzustellen. Diese schien mir in einigen Stücken noch erträglicher, und jetzo wundere ich mich, nie ich nur die geringste Aehnlichkeit zwischen beiden Damen habe finden können, ich bitte es nun der Frau v.W. in meinen Gedanken ab, daß ich sie so beleidiget habe. Sie ist in der That nicht so arg, als Sie und ich denken. Sie hat schlimme Zufälle, das ist nicht zu läugnen: wenn aber ihre gute Stunde kommt, so ist sie leidlich. Die Freundschaft mit dem Major dürfte wohl von keiner allzulangen Dauer seyn, wenn sie inne wird, daß ihn nicht die persönliche Hochachtung, sondern Klugheit und Vortheil reizen sich ihr gefällig zu beweisen. Herr Lampert würde ihn einen schlauen Gast nennen, wenn er ihn genugsam kennte, ich will diesen Ausdruck von ihm entlehnen, um den Charakter des Herrn v. Ln. damit zu bezeichnen. Er hat, wie es mir vorkommt, eben nicht die besten Begriffe von seiner Frau Base; er kennt ihre Fehler und besitzt Herzhaftigkeit genug, ihre diese vorzurücken. In der That giebt [236] er bei ihr einen Sittenlehrer ab, ohne daß sie es merkt, nicht in der Absicht sie zu bessern, sondern sich und andern etwas dadurch zu lachen zu geben. Das war der boshafteste Einfall, den man erdenken kann, daß er sie in der gestalt der bösen westphälischen Wirthin auftreten ließ, von der er einen Haufen erzählte, und darunter niemand anders als die Frau v.W. selbst vorgestellt war. Entsetzten Sie Sich nicht über die Kühnheit des Mannes? Ich wunderte mich nur, daß die Person, die am meisten getroffen war, und die doch sonst ziemlich fein ist, nicht das geringste davon merkte. So geht es, wenn wir einmal glauben, daß jemand vortheilhaft für uns denkt, so darf er sagen was er will, er meint uns niemals und wenn er auch mit dem Finger auf uns deuten sollte. Es ist gut für den Hrn. v. Ln., daß ich nicht an der Stelle der Frau v.W. bin, ich kündigte ihm von Stund an mein Kapital auf, so schlimm wäre ich, und wenn er das Geld bei den Juden borgen sollte. Wer weiß, was noch geschiehet, wenn sie einmal [237] auf ihren Kopf kommt, so wird der Herr v. Ln. für alle Schelmereien büßen müssen. Das Vergnügen möchte ich haben, diese beiden Leute mit einander streiten zu sehen, sie ist eine Meisterin darinne, spitzige und beissende Reden auszutheilen, und er sieht mir so aus, als wenn er mit lachendem Munde alles zwiefach zurück geben könnte. Die Frau v.W. hat doch mit keinem Worte an das Protokoll gedacht, vielleicht hat sie es vergessen. Wenn sie es auch erinnert hätte, so würde der Baron sie auf eine andere Zeit vertröstet haben, und diese Vertröstungen sollen so lange fortgesetzt werden, bis sie sich dabei beruhiget oder das Protokoll mit Ungestüm fordert, alsdenn soll sie eine Abschrift erhalten, die ihrer Neigung gemäß eingerichtet ist, und hierbei wird sie sich schon zufrieden stellen lassen. Wenn Sie das genuine Exemplar, das ich Ihnen gestern heimlich zusteckte durchgelesen haben, so schicken Sie mir es wieder zu. Um mich recht sehr zu verbinden, fügen Sie ihre Anmerkungen darüber zugleich mit bei, ich habe es so oft mit Vergnügen [238] durchlesen, daß ich es beinahe auswendig kann. Gestern machte ich mir ein eigenes Geschäfte daraus, wie ich Ihnen schon gesagt habe, auf die merkwürdigsten Personen aus unsrer Gesellschaft aufmerksam zu seyn, und allerlei Betrachtungen über sie anzustellen, diese will ich Ihnen im Voraus als eine Vergeltung der Ihrigen über das Protokoll mittheilen. Ich suchte einen sonderbaren lustigen Zeitvertreib dadurch, die Verhältnisse und Stellungen der Personen unserer Gesellschaft gegen einander zu beobachten. Damit war ich noch nicht zufrieden, bald beschäftigte sich meine Einbildungskraft, die ganze Gesellschaft sich im großen vorzustellen, und da machte ich lauter Prinzen und Helden daraus; bald ließ ich sie wieder ins Kleine fallen und schuf sie zu Bauern, Schulzen und Gastwirthen um, hierzu gab mir die Erzählung des Majors von der westphälischen Wirthin Anlaß. Ich stellte noch allerlei andere Vergleichungen unter ihnen an, und wenn ich sie auch die seyn ließ, die sie wirklich waren, so verschaffte mir auch [239] dieses mancherlei Vergnügen. Sie wundern sich ohne Zweifel über meine Ausschweifungen: aber was thut man nicht, um in einer Gesellschaft, wo man sich unter einem gewissen Zwange befindet, die Zeit hinzubringen! Doch ich war nicht die einzige Person aus der Gesellschaft, die nicht frei genug war: die meisten andern ließen aus ihren Bezeigen etwas fremdes und ungewöhnliches hervor blicken. Einige schienen zurückhaltend, sie dachten alles, wie der Papogey, der nicht reden konnte, und spielten stumme Personen. Andere, die sprechen wollten, wogen jedes Wort auf der Goldwaage ab, als wann sie Leib und Lebensgefahr davon zu befürchten hätten. Mich befremdete dieses sonderbare eben nicht; ich hatte es schon vermuthet. Nothwendig mußte das neue Bündniß der Freundschaft zweier der vornehmsten Glieder einer geschwornen Gesellschaft als diese war, die durch einen unglücklichen Zwist bald wäre getrennt worden, wunderbare Erscheinungen hervor bringen. Alle nahmen gewissermaßen Theil daran. Ich bemerkte, daß einige ganz [240] geheimnißvoll aussahen, da mein Oncle kam, man zischelte einander ins Ohr, daß die Frau v.W. oder ihr rechtlicher Beistand der Major und der Hr. v.N. neue Händel bekommen würden. Der Hr. v.H. hatte diesen nicht so bald erblickt, da er gleichsam in einer kleinen Begeisterung zu sich selber sagte: ja, ja, das wird eine feine Hetze werden, heute geht der Tanz wieder an. Der Baron, der meinen Oncle abgeholet hatte, mußte diesen so viele Lectionen geben, wie er sich den Tag über verhalten sollte, daß er, um diese Regeln genau zu beobachten, sichs gar zu sehr merken ließ, daß ihm welche waren eingeschärfet worden. Herr Lampert hatte den Befehl erhalten, seinen Mund und Zunge den ganzen Tag über zu nichts anders als zum Essen und Trinken zu gebrauchen und im höchsten Nothfall nicht mehr als ja oder nein zu sagen. Er hat wider seine Gewohnheit dieses Gebot sehr genau befolgt. Der Baron hat viel Mühe gehabt, den Oncle dahin zu bringen, an den Zwist mit der Frau v.W. und dem Major nicht zu gedenken. Er hat mit ihr durchaus eben die Procedur wie [241] mit dem Major vornehmen und sie bekehren wollen, Lampert hat bereits ein dickes Buch geheftet gehabt, um alle Reden der Frau v.W. und seines Gönners nachzuschreiben, und nach seinem Ausdruck mit diesem neuen Kleinod den Werth der glänzenden Tugenden desselben noch mehr zu erhöhen, und die Siege der Großmuth für die Nachwelt schriftlich aufzubehalten. Das Gesichte der Frau v.W. verrieth auch einigen Zwang, es kostete ihr Mühe, den Anblick meines Oncles zu ertragen; es wurde ihr aber alsdann unleidlich, wenn Grandison aus ihm sprach. Sie verdient indessen allerdings ihr Lob, daß sie diesmal vollkommen von sich Meister blieb, und äußerlich alles beobachtete, was man von ihr verlangen konnte. Diese verschiedene Charaktere, welche die vorzüglichsten Personen aus der Gesellschaft an sich nahmen, und die so vielen Zwang und Verstellung verriethen; die Bedachtsamkeit der Uebrigen, nicht etwas vorzubringen, wodurch von neuem Oel ins Feuer könnte gegossen und der Groll der streitenden Mächte wieder erreget werden, [242] breitete über die ganze Versammlung ein gewisses steifes Wesen aus, das mir desto lächerlicher vorkam, je ungewöhnlicher es sonst bei derselben anzutreffen ist. Dieses veranlaßte mich, Ihr Schloß in das Escurial und uns alle in Grands voll Spanien zu verwandeln, ich wünschte nur noch, daß sich die Herren bedecken möchten. Es wurde von nichts als von Ahnen und Stammregistern gesprochen; lauter Dinge, die zu meiner Vorstellung überaus wohl paßten, und sie so lebhaft machten, daß wenig fehlte, daß ich nicht meinen Oncle Ihro Majestät genennt hätte. Doch da er hernach im Begriff war, einen seiner Vorfahren bei der Zerstöhrung Jerusalems Hand anlegen zu lassen, so verschwan den diese schönen Vorstellungen. Der Herr von H. der keinem Oncle einige Zweifel hierüber machte, zog meine Aufmerksamkeit auf sich; doch dieser wußte sie so geschickt aufzulösen, daß ihm der Herr v.H. Recht lassen mußte. Ich weiß selbst nicht, durch was für einen Zufall die Gespräche so geschwind wechselten, daß man von den Archiven der Ahnen in die Vorratskammer kam; [243] man sprach von der Oeconomie; es wurden fette und magere Jahre prophezeiet, die Speicher wurden angefüllt und ausgeleert, beiläufig wurde das Kapitel von Knechten und Mägden auch abgehandelt; alles, was sich von trägem Gesinde sagen läßt, das wurde angebracht. Eine solche Unterredung schickte sich nicht für die Großen eines Reichs, der Schauplatz hatte sich geändert, und es gefiel mir, ihn in die Schenke zu versetzen. Nun stellte ich mir die Herren als lauter ehrbare Männer aus der Gemeinde vor. Weil ich immer bemerkte, daß sie, ungeachtet der gleichgültigen Materie, davon gesprochen wurde, doch die gewöhnliche Vertraulichkeit diesmal bei Seite setzten: so kam mir das nicht anders vor, als wenn ich unsere Gerichtsschöppen und Nachbarn mit einander reden hörte. Diese sprechen nicht mehr vertraut mit einander, seit dem einer, der seinen Witz zur Unzeit über die schwarzen Frohnsemmeln ausgelassen, und von andern ist verrathen worden, hat in den Thurm kriechen müssen. Jeder sieht jetzo seinen Nachbar als [244] seinen Verräther an, wenn er ihm auch gleich eines zutrinket. Es ist Zeit, daß ich meinen Vergleichungen ein Ende mache, um Ihnen noch etwas wichtiges zu sagen das ich bis hieher versparet habe. Wissen Sie, daß mein Oncle auf den Major höchst eifersüchtig ist? Seine guten Grundsätze wollen nicht zulangen, ihn gegen diese Schwachheit zu schützen; ja ich befürchte schon, daß er ihnen eine Zeitlang Abschied geben wir, um den Major heraus zu fordern; jetzt ist die Reihe an ihm. Der Herr v.N. hatte sich eigentlich das Plätzgen auf dem Kanape beim Koffee ausersehen, das für meine Schwester bestimmt war. Er wachte Mine, davon Besitz zu nehmen, da ihm der Major zuvor kam und es hernach an meine Schwester überließ. Ich merkte, daß der alte Liebhaber sehr unzufrieden war, sich von dem jüngern verdrungen zu sehen. Er würde ihn auf eine freimüthige Art darüber zur Rede gesetzt haben, wenn ihn nicht der Baron zurückgehalten hätte. Das war nicht der einzige Verdruß, den er empfand, er wollte dem Major auch nicht die Ehre gönnen, [245] im Spiel mit Ihnen Moitié zu machen. Wenn er nur einiger maßen billig gesinnt wäre, so würde er daraus nichts machen, Sie ließen ihn ja an Ihrem Spiele gewissermaßen auch Antheil nehmen, daß Sie ihm erlaubten, Ihnen den Daumen zu halten. Schenken Sie mir einen Theil des Dankes, den Sie denen willig ertheilen, die es dahin gebracht haben, daß Sie jetzt über einen Freier lachen können, der Ihnen noch vor kurzer Zeit so furchtbar war. Denken Sie aber nicht, daß ich diesen Dank fordere, Sie daran zu erinnern, daß ich mich um Sie verdient gemacht habe, Sie würden sich sehr irren, wenn Sie dieses dächten. Ich verlange keinen andern Dank von Ihnen, als die Fortsetzung Ihrer Freundschaft und Gewogenheit gegen mich, diese giebt mir den schönsten Beweiß, daß Sie mich für die halten, die ich wirklich bin, für


Ihre

ergebenste Freundin und Dienerin A.v.S.

22. Brief
[246] XXII. Brief.

Herr Bornseil,


Er ist ein ehrlicher Mann, das ist außer allem Zweifel, und wenn er es auch nicht wäre, so könnte er dennoch den Gefallen erweisen, darum ich ihn geziemend hierdurch ersuche. Ich weiß, daß er ehedem bei dem Herrn v.W. als Verwalter in Diensten gestanden hat, und ich habe ihn da wohl gekannt, er trug immer einen grünen Rock mit spitzigen silbernen Knöpfen und einen blauen Brustlatz. Ob er nun gleich nicht mehr in Wilmershausen wohnet; so hat er doch noch, wie ich höre, einen freien Zugang auf den Edelhof. Denn er ist nicht wie ein Schelm fortgejaget worden, sondern böse Leute haben ihm eines bei dem gnädigen Herrn versetzt, daß er sein Stückgen Brod verlohren hat. Jetzo hält er sich, sagt man, zu Schönthal auf, und der Herr Baron v. [247] F. giebt ihm seinen nothdürftigen Unterhalt, folglich hat er auch daselbst im Schlosse einen Zutritt. Ich kann mich dahero zu Niemand füglicher wenden als an ihn, um innliegende Briefe sicher an Ort und Stelle zu bringen. Ich hoffe, daß er französisch lesen kann, wo nicht, so gebe er nur den größten Brief an das Fräulein v.W. in Wilmershausen, und den kleinem an das Fräulein v.S. in Schönthal ab. Er wird wohl thun, wenn er sie selbsten bestellt, es ist mir an der richtigen Besorgung dieser Briefe sehr vieles gelegen. Wenn er diese Commißion wohl ausrichtet, kann er auf ein gutes Trankgeld Rechnung machen. Er hat nicht das geringste bei Bestellung der Briefe zu befürchten, vielmehr wird er beiden Fräuleins willkommen seyn, und vielleicht von ihnen eine Vergeltung seiner Mühe erhalten. Ich glaube, daß es nicht undienlich seyn wird, in ein und andern Stücken ihm einigen Unterricht zu ertheilen, damit dieser Auftrag der Absicht desto gemäßer vollbracht werde. Nehm er folgende fünf Regeln deswegen wohl in Acht:


[248] 1.) Wenn er einem Fräulein ihren Brief einhändiget, so lasse er sichs nicht merken, daß er auch an die andere einen zu bestellen hat.


2.) Darf kein Brief einer andern Person in die Hände fallen, als der, an welcher er gerichtet ist, dahero wird er am besten thun, wenn er das Sprichwort beobachtet: selber ist der Mann.


3.) Diesen Punkt merk er sich ja fein, soll er keinen Brief eher weggeben, bis er Gelegenheit findet, eine von den Fräuleins alleine zu sprechen. Wenn sie beide in Schönthal oder in Wilmershausen beisammen sind; oder wenn jemand anders gegenwärtig ist: so laß er sich von seiner Commißion ja nichts merken, sonst würde er um seinen Recompenz kommen, und ich wollte für ein und andere verdrüßlichen Folgen, die leichtlich für ihn daher entstehen könnten, nicht Bürge seyn.


4.) Wenn man etwann fragen sollte, wo und von wem er die Briefe erhalten: so kann [249] er nur sagen, es hätte jemand des Abends an sein Fenster gepocht und sie seiner Tochter hinein gegeben; sich aber sogleich wieder entfernt. Vermuthlich wird er sie auch wirklich auf diese oder eine ähnliche Art erhalten. Er kann noch dazu dichten, er hätte den Ueberbringer derselben nachlaufen wollen, um zu sehen, wer er wäre: da er aber unglücklicherweise über einen Stein gestolpert, so wäre jener entwicht. So viel er bei Mondenschein wahrnehmen können, wäre der Ueberbringer ein langer Mensch gewesen, der das Ansehen eines Jägero gehabt hätte, dieses und noch mehreres von diesem Schlag kann er nach Beschaffenheit der Umstände hinzu fügen, es ist ihm unverwehrt.


5.) Sollte er wieder Briefe von den Fräuleins an jemand zu bestellen kommen, so hüte er sich ja, daß er sie nicht der Person selbsten überbringt, an die solche gerichtet sind. Ich sage ihm dieses zu seinem eigenen Besten. Sobald er einen Brief empfängt, so stecke er solchen in seine Tasche, er darf [250] ihn so wenig von sich legen, als er gewohnt ist, seine Tobacksdose wegzulegen, damit er ihn gleich aushändigen kann, wenn er abgefodert wird. Diejenige Person, die dieses zu thun berechtiget ist, wird ihm einen versiegelten Zeddel geben, in welchen weiter nichts als das einzige Wort Barocco zu lesen ist; keine andere Seele aber darf die Briefe zu sehen bekommen, als diese. Damit er nun die obigen fünf Punkte wohl ins Gedächtnis faßt und genau beobachtet, will ich ihm ein Hülfsmittel bekannt machen, sie desto leichter zu behalten. Er hat an jeder Hand fünf Finger, nehm er also die fünf Finger seiner linken Hand, die rechte braucht er vermuthlich die Briefe zu übereichen, präge er sich bei jedem Finger einen Punkt ins Gedächtniß. Vermäße dieser Methode wird er so leicht nichts vergessen, und wenn er nur genau auf seine Finger Achtung giebt, seine Sache wohl ausrichten. Noch eins habe ich zu erinnern. Es dürfte vielleicht schwer Halten, das Fräulein v.W. alleine zu sprechen, sie muß immer um ihrer Frau Stiefmutter [251] seyn, ihr die Zeit zu kürzen, ich habe auch hier ein gutes Mittel ausfündig gemacht wie er sie besonders sprechen kann. Die Katze der Frau v.W. hat der Fräulein ihr Rothkehlgen gefressen, sie will gern ein anders haben, nehm er also das erste das beste und mache er ihr damit ein Geschenke. Er mag nun versichert seyn, daß es singt oder nicht, so lobe er den vortreflichen Gesang seines Vogels, und unter dem Vorwande, solchen selbst auf ihr Zimmer zu bringen, um ihm da die Flügel zu stutzen, wird er schon einen günstigen Augenblick ablauren, ihr das Briefgen unvermerkt zuzustecken. Ich hoffe nicht, daß er Schwürigkeiten machen wird, der Besorgung der Briefe auf sich zu nehmen. Ich gebe ihm mein Wort, daß ihm daher nicht die geringste Gefahr erwachsen kann, und will er sich dabei nicht beruhigen; so hat er ja wohl so viel Verstand in seinem kleinen Finger, um selbst zu urtheilen, daß man an junge Schönen keine Halsbrechenden Dinge zu schreiben pfleget, und daß der Briefträger also auch nichts zu befürchten hat. Was ich [252] oben gesagt habe, daß er um seines Besten willen bei Bestellung der Briefe alles wohl in Acht nehmen sollte, und wenn er durch seine Unachtsamkeit etwas versehen würde, daß dieses für ihn unangenehme Folgen haben könnte; so ist dieses nicht zu verstehen, als ob man ihn deswegen würde stöcken und pflöcken lassen: sondern er würde sich dadurch um eine sehr gute Belohnung und wohl gar um eine baldige Versorgung bringen. Vielleicht bin ich selbst nicht weit entfernt, wenn er seinem Auftrage Genüge leistet. Er ist eine kluge Mann und kann nun schon errathen, wie viel es geschlagen hat, indessen will ich mich nicht weiter verrathen. Mache er sich keine unnöthige Sorge deswegen, daß ich diesmal meinen Namen unter die gewöhnlichen Buchstaben verstecke.

N.N.

23. Brief
[253] XXIII. Brief.
Das Fräulein v.W. an das Fräulein v.S.

den 2 Novembr.


Ich bitte Sie tausendmal um Vergebung, mein Schatz, ich habe Sie wider meinen Willen schrecklich beleidiget, oder glaube doch, daß Sie es leichtlich als eine Beleidigung ansehen könnten: ich habe einen Brief erbrochen, der Ihnen zugehöret. Verdammen Sie mich aber nicht durch ein übereiltes Urtheil, ich bin unschuldig! die Aufschrift ist an mich. Sehen Sie? Vermuthlich rührt dieses aus einem unglücklichen Versehn des Verfassers her. Doch das ist nicht mein Verbrechen alleine, über so etwas, daran der Zufall Antheil hat, können Sie mit mir nicht zürnen: aber was werden Sie sagen, wenn ich gestehe, daß ich den Brief auch gelesen habe, vom Anfang [254] bis zu Ende? Verfahren Sie billig mit mir, am Ende bin ich erst meinen Fehler inne worden, und da warf ich den Brief voller Bestürzung von mir, aber zu spät. Ich will mich Ihrer Verzeihung durch ein offenherziges Geständniß meines Irrthums würdig machen. Ich könnte mein Versehen dreuste leugnen, ich könnte sagen, daß ich gleich bei den ersten Zeilen wäre inne worden, daß mich der Innhalt des Briefes nicht anginge; ich hätte so viel Gewalt über mich gehabt, den Brief wieder zu siegeln, ohne weiter zu lesen. Was wollten Sie machen? Glauben müßten Sie mir es doch, so wenig Lust dazu Sie auch bezeigen möchten. Ich will sehen, ob ich meinem Fehler noch gar ein Verdienst beilegen kann: ich will Ihnen aus aufrichtigen Herzen zu Ihren neuen Anbeter Glück wünschen. Habe ich es nicht schon oftmals gesagt, daß Sie in den Augen des Majors eben das sind, was ich bin in den Augen des Herrn v.N.? Sehen Sie nur, wie meine Vermuthungen so richtig eingetroffen sind. Wenn ich nicht wüßte, daß Sie sich nur so [255] gestellet haben, als wenn Sie die Absichten des Majors nicht merkten: so würde ich stolz darauf seyn, und mich für ein sehr kluges Mädchen halten, auf die Art könnte ich weiter sehen als Sie. Machen Sie mich nur in Zukunft zur Vertrauten bei Ihrer Liebe, einmal weiß ich doch um Ihr Geheimniß, und wenn Sie mich auch überreden wollten, daß Sie gegen den Major unerbittlich wären; so glaubte ich Ihnen dieses eben so wenig, als Sie es thun würden, wenn ich Ihnen sagte, ich hätte innliegenden Brief nicht ganz gelesen. Brauchen Sie ja nicht ein so geringes Versehen, als das ist mit der Addresse des Briefes, zum Vorwande, gegen mich über den Hrn. v. Ln. sich erzürnt anzustellen, ich werde doch nicht glauben, daß es Ihnen von Herzen geht. Ueberhaupt lege ich diesen Fehler zu seinem Vortheil aus. Ich habe zwar von den Empfindungen der Liebenden sehr undeutliche Begriffe: so viel sehe ich aber doch ein, daß seine Neigung eine der heftigsten seyn muß; seine Gedanken mußten sich ganz in Sie verlohren haben; er [256] befand sich ohne Zweifel in einer Art von Entzückung, da er die Aufschrift auf den ersten Brief an seine Göttin machte. Seyn Sie ja nicht unbarmherzig gegen einen so eifrigen Liebhaber. Hören Sie, was ich sage! Ich will Sie nicht länger von dem Vergnügen abhalten, das zärtliche Briefgen Ihres Verehrers zu lesen, vermuthlich haben Sie mein Schreiben zuerst in die Hand genommen. Wenn Sie in Ihrem Herzen noch ein klein Plätzgen übrig haben und sich Ihr Freund darinne nicht schon gar zu breit macht, so heben sie solches auf für


Ihre

ergebenste Jul. v.W.

24. Brief
[257] XXIV. Brief.
Einschluß des vorigen.
An das Fräulein v.W.

den 1 November.


Gnädiges Fräulein,


Sie mögen es nun billigen oder nicht, so wage ich es doch, Ihnen mein Herz zu entdecken. Einem Soldaten ist eine kleine Freiheit anständig, die ein andres ungestraft sich nicht heraus nehmen darf. Ich verehre Sie. Dieses haben Sie aus meinem Bezeigen gegen Dero vortrefliche Person bereits schließen können: ich fand aber nöthig, Ihnen dieses Geständnis auch einmal deutlicher zu thun. Mündlich würde es mir unendliche Mühe gekostet haben, ich bin in gewissen Fällen sehr zaghaft, wenn ich gleich ein Soldat bin, und ich fand auch hierzu keine günstige Gelegenheit; verschweigen [258] konnte ich es noch weniger, darüber hätte ich mich zu Tode gegrämet. Uebersehen Sie also eine Unternehmung, die an sich nicht strafbar ist, wenn sie sich auch nicht vollkommen rechtfertigen läßt. Ich ergreife die Feder, Ihnen die Empfindungen meines Herzens bekannt zu machen, und meine Zaghaftigkeit verließ mich den Augenblick bey diesem glücklichen Entschlusse. Ich habe zwei Werkzeuge, die ich nie anders als mit dem Vorsatze ergreife, zu siegen oder zu sterben, den Degen gegen die Feinde des Königs und meiner Ehre, und die Feder bei der Liebe. Diese ergreife ich jetzo zum ersten mal in der Absicht, und von ihnen hängt es ab, welches Schicksal ich zu erwarten habe. Der glückliche Tag, den ich, so oft er in Zukunft wieder kommt, als einen Festtag feiern werde, des glückliche Tag, an welchen ich das erste mal Sie zu sehen die Ehre hatte, machte mir alle die Vorzüge sichtbar, in welchen Sie zur Ehre des schönen Geschlechts prangen. Dieser erste Augenblick, der mich gegen Sie in Bewundrung setzte, entzog mir auch meine [259] bisher standhaft vertheidigte Freiheit, und dieser Verlust war mir so reizend, daß ich wünschte, sie nie wieder zu erhalten. Ich sahe diesen Wunsch auch sogleich erfüllt. Nach einer genauen Untersuchung fand ich, daß mein Herz schon an Sie verschenkt wär, ehe ich es selbst inne worden war. Ich kann Ihnen also mein Herz nicht antragen, Sie besitzen es schon und jetzo thue ich in der That nichts anders, als daß ich Ihnen diesen Besitz bekannt mache. Ob Ihnen mit einem so geringen Geschenke etwas gedient ist, mögen Sie selbst beurtheilen, so viel weiß ich, daß mein Herz mir nicht mehr zugehöret, und daß ich das, was ich einmal verschenkt habe, nie wieder pflege zurück zu nehmen. Wenn Sie es auch nicht als Ihr Eigenthum betrachten wollten; so würde es Ihnen doch bis in die Gruft zugehören. Sie sind die einzige Person in der Welt, aus dem schönen Geschlecht, die ich verehre, ich muß dieses Geständniß nochmals wiederholen. Machen Sie mich so glücklich, durch eine Zeile von ihrer schönen Hand mich zu unterrichten, ob [260] Sie Sich dadurch beleidiget finden, und ob ich bey der unverbrüchlichen Ergebenheit, die Ihnen mein Herz geschworen hat, dennoch so unglücklich bin Ihnen zu misfallen; oder ob ich mich mit der Hoffnung schmeicheln darf, durch meine unermüdeten Beeiferungen um Dero schätzbare Gewogenheit, mich derselben würdig zu machen. Schönste Amalia, o wie sehr entzückt mich dieser reizende Name, ich küsse ihn tausend mal! Schönstes Fräulein, Sie können nicht grausam seyn! Mein Schicksal sey indessen, welches es wolle, so werde ich es als eine Gnade von Ihnen ansehen, wenn Sie mein freimüthiges Geständniß als ein Geheimniß bewahren. Ich habe dem Gemahl von Dero Frau Schwester, dem Herrn v.F. den ich als meinen vertrautesten Freund betrachte, nicht das geringste davon entdecken wollen, bis ich erstlich von Ihren Gesinnungen unterrichtet wäre. Wenn ich es jemals sagen darf, daß ich Sie verehre, so gönnen Sie mir das Vergnügen, daß ich davon dem Hrn. v.F. sowohl als Dero Herrn Oncle und dessen [261] Fräulein Braut die erste Eröffnung thun darf. Befreien Sie mich bald von einer ängstlichen Ungewißheit, darinne ich mich befinde, und die mich zweifelhaft macht, ob ich im Genuß des vollkommensten Glücks leben, oder in kurzem ersterben werde als


Dero

unterthäniger Diener und Verehrer v. Ln.

25. Brief
XXV. Brief.
Das Fräulein v.S. an das Fräulein Juliane v.W.

Den 2 November.


Ich bitte Sie tausend mal um Vergebung, mein Schatz, ich habe Sie wider meinen Willen schrecklich beleidiget, oder glaube doch, daß Sie es leichtlich als eine Beleidigung ansehen könnten: ich habe einen Brief erbrochen, der Ihnen zugehöret. [262] Wenn ich aufgeräumt wäre, so schrieb ich ihren ganzen Brief ab, er passet eben so genau auf Sie als auf mich, und ich könnte Ihnen alles das wieder sagen, was Sie mir gesagt haben: aber ich bin so grimmig, daß ich Lust habe, mein Nachtzeug vom Kopfe zu reißen, oder meinem Mädchen zu klingeln, um ihr eine Ohrfeige zu geben, daß ich nur den Zorn auslasse und nicht krank darüber werde. Nehmen Sie erstlich ein rothes Pulver ein, für die Alteration, hernach lesen Sie den Einschluß meines Briefes. Lassen Sie uns eine Allianz schließen, um mit gesammter Hand unsern gemeinschaftlichen Feind zu bekriegen – So eine niederträchtige Gemüthsart hätte ich dem Major nicht zugetrauet, er verräth sehr viel Einfalt und thörigte Liebe dabei. Wie muß der arme Kerl doch von sich eingenommen seyn, daß er durch ein paar romanmäßige Liebesbriefe in einer Stunde zwei Eroberungen machen will! Ich habe Mitleiden mit ihm, daß er von der heutigen Lebensart so eine geringe Känntniß besitzt, und eine gemeine Höflichkeit [263] so vortheilhaft für sich ausleget, daß er sich die stolzen Gedanken einfallen läßt, wir wären beide für ihn eingenommen. Er muß auch ein sehr böses Herz besitzen. In einer Stunde von freien Stücken, und ohne daß man es verlangt, zweien Frauenzimmern eine ewige Treue schwören, das ist der Charakter eines Bösewichts. Er hat uns beide hintergehen wollen, und hat sich selbst hintergangen. Dieses würde auch geschehen seyn, wenn der Zufall seine boßhafte Absicht nicht offenbaret hätte. Ich hätte Ihnen gewiß das Geheimniß, wie er es nennet, entdeckt, und Sie würden mir auch nichts verschwiegen haben, und so wäre alles im kurzen an Tag kommen. Indessen beobachtet er doch eine gewisse Vorsichtigkeit in seinen Briefen, er will, um sein Spiel desto länger mit uns zu treiben, daß keine der andern von seinem thörigten Liebesantrage etwas sagen soll. So viel Verstand besaß er doch noch voraus zu sehen, daß seine Sache sehr übel stehen würde, sobald wir seine Bosheit entdeckten. Unstreitig ist es unser guter Sylphe [264] gewesen, der uns für einen untreuen Liebhaber hat bewahren wollen, und der ihm die Augen zuhielt oder verblendete, daß er einen so wichtigen Irrthum bei Ausfertigung seiner Briefe hat begehen können. Ich wollte aber, daß mein Sylphe mir einen wichtigern Dienst leistete, diesen verdenke ich ihm eben nicht sonderlich; ich wäre schon selbst so klug gewesen, diesem Fallstrick zu entgehen. Nun habe ich schon tausend Erfindungen im Kopfe, um uns wegen dieser unartigen Aufführung zu rächen. Es mag ein Fehler seyn oder nicht, so gestehe ich Ihnen daß ich nicht Großmuth genug besitze, eine solche Beleidigung mit einer weisen Kaltsinnigkeit zu ertragen, ich hoffe, Sie sind auch meiner Meinung. Lassen Sie uns aber, mein Kind, zuvor ein wenig wieder zu uns selbst kommen, jetzo sind unsre Leidenschaften zu sehr rege gemacht, als daß wir einen festen Enschluß fassen könnten. An keinem Briefe habe ich länger geschrieben als an diesem, alle Augenblicke werfe ich die Feder hin, Bald denke ich an die kühne Beleidigung des Majors und ärgere mich darüber, [265] daß ich heule; bald fällt mir wieder ein Mittel ein, Rache an ihm zu üben, und darüber vergnüge ich mich so sehr, daß ich anfange zu lachen. Diese Gedanken wechseln so geschwinde, daß ich oft zu gleicher Zeit lache und weine, alsdann laufe ich zum Spiegel, um zu sehen, was ich für eine wunderbare Figur mache, hernach setze ich mich wieder und schreibe ein paar Zeilen, und so geht es immer fort. Urtheilen Sie hieraus, wie sehr ich aufgebracht bin. Ich wollte Ihnen gerne ein paar von meinen Einfällen, wie wir uns rächen wollen, mittheilen: aber sie sind hierzu noch nicht reif genug. So viel kann ich Ihnen im Voraus sagen, daß es mir wenigstens nicht einfällt, nach dem Beispiele der Frau v.W. einen Ritter aufzusuchen, der unsere Sache ausführen soll, wir wollen schon andere Mittel finden, unsern Beleidiger eins anzubringen. Jetzo kann ich Ihnen keinen bessern Rath ertheilen als diesen, daß Sie Sich ja nichts merken lassen, daß Sie den Brief von dem Major erhalten haben, dadurch[266] könnte das Spiel leichtlich verdorben werden. Morgen werde ich Ihnen vielleicht bestimmter sagen können, was für eine Stellung wir gegen den verliebten Ritter annehmen wollen. Er hat bei mir den alten Bornseil zu seinem Liebesboten gebraucht, und ich zweifle nicht, daß dieser auch den Brief, den Sie mir zugeschickt haben, gebracht hat. Ich habe allerlei lustige Touren im Kopfe, die ich durch diesen einfältigen Mann spielen möchte, der sich in diesem Falle vollkommen wohl zu dem Major schickt: allein ich will mich über diesen Punkt nicht eher heraus lassen, bis sich meine Affecten wieder vollkommen besänftiget haben, und bis ich sie zur Strafe, daß sie mich jetzo beunruhigen, in meinen Strickbeutel, wie mein Oncle einmal sagte, zum Arrest gebracht habe. Ich finde keinen bessern Ausdruck, mein Mißvergnügen über Ihren unartigen Herrn Vettern zu erkennen zu geben, als wenn [267] ich sage, daß ich ihn eben so sehr verachte, als Sie hochgeschätzt werden von


Ihrer

aufrichtigen zärtlichen Freundin A.v.S.

26. Brief
XXVI. Brief.
An das Fräulein v.S.

Den 1 Nov.


Schönstes Fräulein,


Es ist eine besondere Ehre für mich, und ich nehme mir es zu einem besondern vorzüglichen Vergnügen an, daß ich die Erlaubniß habe, mich fast täglich in Dero angenehmen Gesellschaft zu befunden, und manche vergnügte Stunde dadurch zu geniessen. Doch bei alle dem Glück empfinde ich eine gewisse Unruhe, die mir einen Theil desselben wieder entzieht, und die allein daher [268] entstehet, weil mir bisher immer eine bequeme Gelegenheit gemangelt hat, Ihnen das zu sagen, was ich empfinde. Darf ich es wohl, ohne Ihren Zorn zu befürchten, wagen, Ihnen mein Herz zu entdecken, oder welches einerlei ist, ein Herz, das ich Ihnen schon längstens gewidmet habe, zu Dero Füssen zu legen? Uebersehen Sie einen Fehler, den ich vielleicht dadurch begehe, daß ich ohne viele Umschweife meine aufrichtige Neigung so zeitig gestehe, ehe ich noch hierzu durch meine Bemühungen, mich Ihrer schätzbaren Gewogenheit würdig zu machen, einigermaßen berechtiget bin. Schreiben Sie diesen Fehler ja nicht einem Mangel meiner unterthänigen Hochachtung gegen Sie zu: gönnen Sie mir vielmehr hierinnen eine kleine Nachsicht. Die Liebe ist für mich bisher ein ganz unbekanntes Feld gewesen, ich wage mich jetzo zum erstenmale hinein, und glaube, daß ich gegen viele Regeln dieser Kunst verstoße. Doch dieses geschiehet nicht, weil ich sie etwan gering schätze, ich würde sie alle aufs genaueste beobachten, wenn sie mir bekannt [269] wären. Die ich nur einigermaßen kenne, suche ich sehr genau zu befolgen. Es ist mir gesagt worden, daß man sich erstlich der Sprache der Augen bedienen müsse, ehe man Mund und Feder dürfe reden lassen. Ich habe dieses Gesetz getreu erfüllt. Meine Augen haben sich Stunden lang mit den Ihrigen besprochen; ich habe Ihnen mehr als einmal meine Empfindungen dadurch so deutlich entdeckt, als es diese Sprache zuläßt: Sie haben mir aber nie eine Antwort ertheilet, die von aller Zweideutigkeit wäre frei gewesen. Dieses hat mich berechtiget, zu der Feder meine Zuflucht zu nehmen, um Ihnen, wem die Sprache meiner Augen nicht wäre redend gnug gewesen, Ihnen durch die Feder das Geständniß deutlicher zu wiederholen, daß ich Sie anbete. Es stehet in Ihrer Hand, mich zu den glücklichsten Bewohner der Erden zu machen, wenn Sie meine Wünsche nicht ganz unerhört seyn lassen. Doch bin ich nicht zu unbescheiden, mich in Ihre Gewogenheit eindringen zu wollen, ehe ich Ihnen Beweise meiner Aufrichkeit[270] aufgestellet habe? Es ist mir genug, wenn ich nur von Ihnen die Erlaubniß erhalte, die Zahl Ihrer Verehrer vergrößern zu dürfen, alsdenn will ich sehen, ob ich andre in dem Eifer, Dero Gunst zu verdienen, übertreffen kann. Und wie sehr wünschte ich, daß diese durch eine unverletzliche Treue und Beständigkeit könnte erlangt werden: so dürfte ich an der Erfüllung meiner Hoffnung nicht einen Augenblick länger zweifeln. So begierig ich schon der Erklärung von Ihnen, über den Antrag meines Herzens, entgegen sehe: so sehr habe ich Ursache zu wünschen, daß ich diese nicht mündlich erhalte, damit meine Base, die Frau v.W. nichts davon erfahre. Der geringste Wink, den sie von meiner Absicht bekäme, würde mich des angenehmen Umganges mit Ihnen berauben, und den Zutritt zu Ihrem Hause, das durch Sie, vortrefliches Fräulein, für mich zu einem Louvre wird, auf einmal versperren. Ich weiß, daß das Fräulein von S. Ihr ganzes Vertrauen besitzt; allein sollte sie auch wohl verschwiegen genug seyn, daß Sie [271] ihr das Geheimniß, das für mich so wichtig ist, anvertrauen könnten? Doch ich will Ihrer bekannten Klugheit nichts vorschreiben. Sie kennen den Ueberbringer dieses Briefes, und wissen, daß er ein redlicher Mann ist, wollen Sie ihm ein paar Zeilen anvertrauen, die mein Schicksal bestimmen, so werden Sie dadurch unendlich verbinden

Dero

unterthänigen Diener und Verehrer, v. Ln.

27. Brief
XXVII. Brief.
Fräulein Amalie v.S. an das Fräulein v.W.

Den 2 Nov.


Schon wieder ein Brief von Schönthal, werden Sie sagen, und das noch so spät, was hat das zu bedeuten? Eben nichts sonderliches, vielleicht aber auch[272] etwas, das nicht ganz unbeträchtlich ist. Es ist mir allemal sehr angenehm, wenn ich mich mit Ihnen unterreden kann, es sey nun mündlich oder schriftlich. Ich habe verschiedene Entdeckungen gemacht, die ich Ihnen doch in der Geschwindigkeit mittheilen muß, wenn sie auch gleich nicht so gar wichtig sind. Ich bin jetzo ganz ruhig, mein Affekt hat sich geleget. Da ich meinen Brief fortgeschickt hatte, trat ich wieder vor den Spiegel, und that mir allen möglichen Zwang an, um eine philosophische Mine zu machen. Wenn ich nur die äußere Seite einmal in meiner Gewalt habe, und so scheinen kann, wie ich scheinen will; so bringe ich es hernach bald dahin, daß ich auch in der That so seyn kann, wie ich seyn will. Ich bildete wir ein, daß mein Vorhaben ziemlich gelungen wäre, und warf nun einen philosophischen Blick auf den fatalen Brief. Ich nahm mir vor, ihn nochmals mit kaltem Blute zu lesen. Ehe ich mich aber recht daran wagte, fing ich an, um mein Blut nicht wieder in Wallung zu bringen, ihn von außen eine zeitlang zu betrachten. [273] Das Siegel zog zuerst meine Aufmerksamkeit auf sich. Das Wappen war mir unbekannt. Es fielen mir schon vorher einige seltsame Gedanken ein, und ich weiß selbst nicht, wie ich auf den wunderbaren Zweifel gerieth, ob der Herrn v. Ln. auch der Verfasser von diesem Briefe wäre. Um mir alle Gelegenheit zu benehmen, ihn für unschuldig zu erkennen und ihm gegen mich selbst das Wort zu reden, schnitt ich das Siegel von dem Umschlag und ging damit zum Baron. Ich fragte, ob ihm dieses Wappen bekannt wäre, er sagte nein. Ich erkundigte mich, ob er des Herrn v. Ln. Wappen kennete, ich hätte von dem Fräulein v.W. einen Brief bekommen, der dieses Siegel gehabt hätte, und vermuthete, daß Sie es von dem Major entlehnt hätten, weil Sie bei Ihren Briefen sonst ein andres Siegel brauchten. Er versicherte, daß dieses des Herrn v. Ln. Wappen nicht wäre, und hätte auch nicht die geringste Aehnlichkeit damit, jenes wäre ihm sehr genau bekannt. Es befremdete mich dieses in etwas, ich dachte, wenn der Herr [274] v. Ln. kein Bedenken getragen hat, seinen Namen unter die Briefe zu sehen, warum sollte er sein Wappen verleugnen wollen? Doch ich sehe selbsten ein, das hieraus nichts zu machen war, es konnte zufälliger Weise geschehen seyn, daß er ein andres Siegel gebraucht hatte. Wenn man sich aber einmal etwas in den Kopf setzt, so hält es schwer, daß man sich von diesen Gedanken sogleich wieder loßmachen kann; wenn man auch wahrnimmt, daß sie keinen Grund haben. Ich wollte es nun einmal so haben, daß der Major die Briefe nicht geschrieben hätte, und diesen schwankenden Vorstellungen gab das fremde Siegel, so geringe dieser Umstand auch an sich war, eine ziemliche Festigkeit; wenigstens fiel doch mein Verdacht nicht mehr auf den Major alleine, ich theilte ihn schon unter mehrere aus. Nun war meine Neugier so rege gemacht, dieser Sache weiter nachzuforschen, daß geschäftige Generals nicht begieriger seyn können, die geheimsten Anschläge ihrer Feinde zu entdecken. Ich glaubte, Bornseil, der mir den Brief, der Ihnen zugehörte [275] überbrachte, könnte mir in der Sache einiges Licht geben. Ich ließ ihn zu mir rufen, und fragte, von wem er den Brief, den er Vormittage brachte, bekommen hätte. Er schien über diese Frage sehr verwirrt, ein neuer Grund mich in meinen Gedanken zu bestärken. Er wollte nicht mit der Sprache heraus. Da ich dieses merkte, setzte ich desto heftiger mit Fragen an ihn, und er schien oftmals zu zweifeln, ob er sie mit ja oder nein beantworten sollte. Dieses brachte mich auf die Vermuthung, daß ihm eine Rolle war aufgetragen worden, die er aber sehr schlecht spielte. Bald hatte ihm seine Tochter den Brief ins Haus gebracht, bald hatte sie ihm ein Unbekannter gegen Abend zum Fenster hinein gegeben. Bei diesem letzten Geständniß blieb er endlich. Er hat eine sehr schlechte Gabe zum Lügen, und es ist ein Glück für ihn, daß er in dem jetzigen Kriege nicht zu einem Spion ist gebraucht worden, das wäre für ihn der nächste Weg zum Galgen. Wenigstens trieb er dieses Handwerk gewiß nicht so lange als Käsebier. [276] Um mich völlig zu überzeugen, daß er mir die Wahrheit gesagt hätte, brachte er mir einen Brief, in welchen die zwei an uns waren eingeschlossen gewesen. Sie finden das Original selbst in meinem Briefe. Ich las solchen mit großer Aufmerksamkeit; thun Sie es ja auch, und fand in jeder Zeile für den Major eine Vertheidigung. Wozu dienet die große Sorgfalt, dachte ich, um nicht entdeckt zu werden, die er ganz vergebens anwenden würde, da er sich in den Briefen an uns genennet hat? Es könnte seyn, daß es wegen der Frau v.W. geschehen wäre, damit Bornseil nichts ausschwatzen möchte, daß er von dem Major Briefe an uns zu bestellen hätte. Das ließe sich zwar einiger maßen hören: aber im Grunde ist es nichts. Da der Verfasser der Briefe sich schmeichelt, daß wir uns mit ihm in einen Briefwechsel einlassen würden; so konnte es geschehen, daß die Frau v.W. einen Brief auffing. Würde sie nicht, wenn sie den alten Verwalter in ihrem Hause oft hätte ein und ausgehen sehen, auf seine Verrichtungen [277] daselbst aufmerksam worden seyn, und ihn einmal darum befragt haben? der Major hatte uns ja nicht untersagt, die Addresse unserer Antwort an ihn zu machen, und auf die Art erfuhr ja auch Bornseil, wer der Verfasser der Briefe wäre. Hätte der Major dieses nicht voraus sehen und dabei bedenken sollen, daß ein so einfältiger Mann, durch ein gutes Wort von seiner vormaligen Gebietherin oder auch durch eine kleine Bestechung, gesetzt, daß sie auch nur in einem Kruge Bier bestünde, sich leichtlich würde auslocken lassen, was er in Wilmershausen zu verrichten habe? Würde er ihr nicht selbst einen Brief in die Hände geliefert haben? Ueberhaupt schickt sich Bornseil so schlecht zu einem Liebesboten, daß ich mir nicht einbilden kann, daß ihn der Major dazu sollte gewählet haben. Er würde eine sehr geringe Belesenheit in den Romanen verrathen, die er doch oft blicken läßt, wenn er nicht wüßte, daß ein getreuer Bedienter und ein verschmitztes Kammermädcher die geschicktesten Bothschafter in dergleichen Fällen sind, ohne [278] daß der dritte Mann dabei nöthig ist. Das bedenklichste bei dieser Sache scheint dieses, daß uns Bornseil aufbürden soll, die Briefe wären ihm von einem Unbekannten gegeben worden, den er wie des Herrn v. Ln. Jäger beschreiben muß, da sie ihm doch von einem Kerl sind zugesteckt worden, den er für einen reisenden Handwerkspurschen gehalten, und da er ihm die Briefe ausgehändiget, geglaubet hat, er reichte ihm seinen Reisepaß zum Fenster hinein. Alles dieses zusammen genommen, macht mir so wahrscheinlich, daß der Major an dieser Sache keinen Antheil hat, daß ich über diesen Punkt mit mir bereits ziemlich einig bin. Damit Sie mich nicht für partheiisch halten, will ich ihn aber doch noch nicht ganz frei sprechen. Unterdessen habe ich mir schon ein paar Histörgen zusammen gedichtet, um diese Begebenheit daraus zu erklären. Das eine ist dieses. Die Frau d.W. scheinet heimlich sehr unzufrieden, daß der Major sich vorgestern um uns so geschäftig erzeigte. Wir machten in der großen Gesellschaft eine besondere kleine [279] aus, und sie hat geglaubet, bei dem Major etwas mehr als Höflichkeit gegen uns wahrgenommen zu haben; wenigstens befürchtete sie so etwas in Zukunft. Sie wollte also ihre liebe Tochter für aller Versuchung bewahren, und das Feuer gleich in der Asche ersticken. Sie mischte mich mit in den Handel, um Ihnen von dem Herrn v. Ln. eine üble Meinung beizubringen. Ihre Erfindung war eben nicht eine von den besten, sie war auch eben nicht übel ausgesonnen. Vermuthlich trauete sie uns nicht zu, daß wir ihm einen Vorhalt thun würden, daß er uns beide boßhaft hätte hintergehen wollen: dadurch wäre der Betrug offenbar worden. Sie sahe ein, daß wir aus Klugheit schweigen und ihn nur mit einer heimlichen Verachtung strafen würden. Wenn wir unsern Verdruß wollten sichtbar werden lassen, dachte sie, wäre dieses nicht eben so viel, als ein Geständniß, daß jede von unvorhero seine Gunst gewünscht hätte? Ja ja, dieser Einfall sieht ihr vollkommen ähnlich. [280] Doch ich habe auch noch andere Gedanken. Sollte wohl mein Oncle oder sein weiser Rathgeber an dieser Erfindung Theil haben? Lampert ist arglistig genug zu einer solchen Unternehmung, um seinen Gönner einen in seinen Augen gefährlichen Rival wegzuschaffen. Ich habe Ihnen schon gesagt, daß der Major den Herrn v.N. sehr eifersüchtig gemacht hat. Wer weiß, ob uns Lampert nicht umgauckelt, ich will einmal dieses Wort den Dichtern abborgen, es drückt seine Unternehmung sehr wohl aus, und die Frau v.W. unschuldig ist. Mein Oncle hat gewiß an diesem Streiche keinen andern Antheil, als daß er seine Einwilligung zu Ausführung desselben gegeben hat, und vielleicht die Ursache ist, daß er ist ausgelacht worden. Wiewohl, es fällt mir schwer zu glauben, daß er sich aus Kargfeld herschreibt. Nun sehe ich recht deutlich ein, daß die Verwechselung der Briefe nicht dem Zufall zuzuschreiben, sondern daß dieses mit Fleiß so geschehen ist. Um aber niemanden hierüber Unrecht zu thun; so lassen Sie uns jedermann [281] so lange im Verdacht haben, bis wir den Zusammenhang der Sache vollkommen kennen. Was ich Ihnen schon heute gesagt habe, das wiederhole ich hier nochmals: Lassen Sie Ihren Verdruß nicht sichtbar werden, damit die Boshaften nicht frohlocken, daß ihnen ihr Streich gelungen ist. Nur eine kleine Geduld! Wir werden die finstern Gesichter auch noch brauchen. Wenn wir nur erst unsere Feinde kennen, alsdenn wollen wir tapfer gegen sie zu Felde ziehen. Ich werde keine Mühe sparen, sie zu entdecken, und wenn ich darüber zu einer klugen Frau schicken sollte. Glauben Sie das nur ganz sicher


Ihrer

aufrichtigen Freundin A.v.S.

28. Brief
[282] XXVIII. Brief.
Das Fräulein v.S. an das Fräulein v.W.

den 5 Novembr.


Das ungezogne Kopfweh! Will es sich denn noch immer nicht legen? Ich bin sehr böse, daß es Sie nun schon drei Tage quälet, und mich eben so lange des Vergnügens beraubet hat, von Ihnen ein Briefgen zu erhalten; oder wie ich hoffte, Sie selbst hier zu sehen. Wenn es doch nur wie der Schnuppen ansteckte, oder sich durch eine Sympathie fortpflanzen ließ; so sollte es gewiß den Urheber der verhaßten Briefe dergestalt ängstigen, daß er es verschwören wurde, seine Feder bei dergleichen ruchlosen Händeln jemals wieder anzusetzen. Ihre Unpäßlichkeit, denke ich, soll mit dem bösen Wetter Abschied nehmen, und morgen haben wir, nach dem Wetterglase und Bornseils untrüglichen Prophezeiungen, einen sehr [283] schönen Tag zu erwarten. Doch ich rede vom Wetter, gerade als wenn ich sonst nichts zu sagen wüßte. Ich habe mir vorgesetzt Ihnen diesmal etwas sehr wichtiges zu melden. Was dächten Sie wohl? Vorläufig kann ich Ihnen die Nachricht geben, daß ich in der Lotterie das Schicksal der mehresten gehabt, und nichts gewonnen habe. Nun werden Sie wohl errathen, daß meine Entdeckung unsere Händel betrifft, ich kann sie wohl so nennen; aber vielleicht bilden Sie Sich nicht ein, daß ich das ganze Geheimniß weiß. Ist das möglich! Auf mein Wort, was ich Ihnen sage! Hören Sie meinen Bericht hiervon.


Noch den Abend, da ich meinen letzten Brief geschrieben hatte, machte ich den Baron zu meinen Vertrauten; ich konnte es ihm unmöglich verschweigen. Nur verdroß mich, daß ich es von freien Stücken heraus sagen mußte, ohne daß er mir es ansehen wollte, daß ich was auf dem Herzen hatte. Doch ich setzte diesmal alles Ceremoniel bei [284] Seite. Da er mir nicht mit Ehrerbietung zuvor kommen und mich fragen wollte, warum ich ein so verdrüßlich Gesichte machte; so sagte ich es ihm recht deutlich, daß ich über einer gewissen Begebenheit, die mir heute zugestoßen, sehr empfindlich wäre. Nun schien es, als wenn er seine Unachtsamkeit wieder einbringen und mir alles auf einmal aus den Augen lesen wollte. Ich wies ihm die Briefe, und erzählte die Unterredung mit dem Verwalter, er erstaunte über meine Geschichte. Ich entdeckte ihm meine Gedanken von der Sache, er hörte mich an, ohne ihnen beizufallen, noch sie zu verwerfen. Er überdachte alle Umstände nochmals reiflich und mit solcher Aufmerksamkeit, daß ich glaubte, den Herrn Pitt vor mir zu sehen, wenn er Krieg und Frieden wägt. Er erklärte den Major gleichsam durch einen Machtspruch für unschuldig, endlich gefiel es ihm, auch seine Gründe dies falls anzuzeigen. Er glaubte, daß eine so niederträchtige Handlung dem Charakter des Herrn v. Ln. zuwider sey; er versicherte zugleich, daß er seine [285] Hand genau kennte, daß aber die Züge des Briefs davon sehr abwichen. Er war über diese Verwegenheit so unwillig, daß ich zu der Zeit nicht wünschte, daß er den Verfasser der Briefe entdecken möchte. Doch wie seine Hitze bald überhingehet; so fing er auch an, diese Sache von der scherzhaften Seite zu betrachten. Sie ist so verwickelt, sagte er, daß sie dem Knoten in einer Komödie nicht unähnlich scheinet. Es ist nichts ungewöhnliches, daß dieser durch eine Tracht Schläge aufgelöset wird, wenn sich die Acteurs nicht anders helfen können. Wir wollen dieses kräftige Mittel auch hier anwenden, und dem Ueberbringer der Briefe seine Mühe dadurch belohnen lassen, der kann sie dem wieder zustellen, der ihm die Briefe gegeben hat, vielleicht bringt der sie wieder an rechten Mann. Bei meiner Schwester und mir fand dieser Vorschlag keinen Beifall, der arme Bornseil wäre dabei am schlimmsten wegkommen; der Schluß fiel deswegen dahin aus, dem Verwalter einzuprägen, denjenigen genau zu betrachten, der [286] ihm ein verschloßnes Briefgen bringen würde, um eine Antwort von ihm abzuholen. Es wurden ihm auch noch andere Regeln auf mancherlei Fälle ertheilet. Nun seyn Sie aufmerksam, jetzt kommt die Entwickelung. Heute frühe wurde der Verwalter in die Stadt geschickt, er läßt sich da kaum auf dem Markte blicken; so ruft ihn ein Weib, die eine ganz bekannte Trödelfrau ist, zu sich, zeigt ihm ein versiegelt Billet, und fragt, ob er an sie etwas abzugeben hätte. Bornseil stellt sich erfreut darüber und beantwortet ihre Frage mit ja, sucht alle seine Taschen durch, endlich, da er nichts findet, thut er sehr bestürzt, und beklagt, daß er früh im Dunkeln einen unrechten Rock ergriffen habe; verspricht aber heimzureuten und ihr noch vor Abends einen Brief zu bringen. Der Baron hatte ihm diese Umstände wohl eingepräget. Er gerieth auf die Vermuthung, daß er leichtlich in der Stadt um die Briefe könnte befraget werden. Er kam mit dieser Nachricht zurück. Wir schickten hierauf den Jäger in die Stadt, welcher sich [287] allerlei Kleinigkeiten bei dieser Frau kaufen sollte, um bei dieser Gelegenheit von ihr auszukundschaften, von wem sie das Billet wohl habe; er kann aber nichts von ihr ausforschen. Unsere Bemühungen wären also beinahe fruchtlos gewesen, wenn nicht zum Glück bei seiner Anwesenheit ein Mann vor die Bude kommen wäre und gefragt hätte, ob der Brief da sey, den er mitnehmen sollte. Sie beantwortet dieses mit nein, und bestellt ihn nach einer Stunde wieder. Der Jäger schleicht diesem Manne nach, der ihm ohnedem nicht unbekannt ist, und bringt ihm im Gasthofe bei einer freien Zeche zu einem vollkommenen Geständniß, doch unter der Bedingung, keiner lebendigen Seele etwas davon zu entdecken, weil es ihm hart verbothen wäre, etwas davon zu sagen. Sehen Sie nur, wie listig der Urheber geheimen Correspondenz an uns sich verborgen hatte. Wenn er nicht durch einen Zufall wäre entdecket worden; so hätte man seine Verwegenheit nicht einmal ahnden können. Et hat sich, wie wir aus dem Erfolg sehen, für [288] unsere Rache sehr gefürchtet, und auf alle mögliche Art sich davor sicher zu stellen gesucht. Gegenwärtig beschäftigt sich mein Gemüth mit keiner andern Vorstellung, als mit der, diesen Frevel bestraft zu sehen, und ich bin so erfindungsreich, daß immer ein Anschlag den andern verdringt, meine Rache auszuführen. Der Baron hat versprochen, mir mit Rath und That an die Hand zu gehn; ich bin aber noch gar nicht mit mir einig, welches Mittel sich am füglichsten wird anwenden lassen, den Verwegenen zu züchtigen. Morgen besuche ich Sie, da wollen wir diese Sache gemeinschaftlich überdenken, wenn uns nicht überflüßige Personen in unsrer Gesellschaft daran verhindern. Doch ich plaudere sehr viel, und jage immer nicht, von wem sich der schlimme Streich herschreibt, und daran ist Ihnen vermutlich am meisten gelegen. Damit ich Ihnen morgen recht sehr willkommen bin; so habe ich mir vorgenommen, den Urheber, davon nicht anders als mündlich zu nennen. Ich lasse Sie in einer völligen Ungewißheit, um mir morgen [289] das Vergnügen zu verschaffen, Sie noch einmal herumrathen zu lassen: ich möchte doch sehen, wen Sie am meisten im Verdacht haben. Wenn Sie eine so unleidliche Neugierde besäßen, als unserm Geschlechte ordentlich zugeschrieben wird, die aber durchaus ein Fehler einzelner Personen ist, worunter ich gehöre; so würde ich mir es zur Sünde anrechnen, Sie so lange schmachten zu lassen. Sie sind aber gewiß hierbei ganz gleichgültig, und übersehen meinen kleinen Eigensinn. Mein Brief ist nun lang genug, Ihnen ihr Kopfweh zu vertreiben, oder es zu vermehren, deswegen will ich kein Wort mehr sagen, als daß ich bin


Ihre

aufrichtige Freundin A.v.S.

29. Brief
[290] XXIX. Brief
Fräulein Amalia an ihren Bruder.

Schönthal, den 12 Nov.


Geliebter Bruder,


Du verlangst, daß ich noch immer auf alles aufmerksam seyn soll, was zur Geschichte unsres Oncles gehöret, in ferne man ihn als Grandisons Jünger betrachten kann, ich bin auch noch immer geneigt, dein Verlangen zu erfüllen. Jetzo sehne ich mich recht nach neuen Auftritten, um die langen Winternächte desto gemächlicher hinzubringen, wenn ich einen Theil davon verschreibe, so wie ich den andern zu verschlafen gedenke. Wenn mir nur die geringste Gelegenheit gegeben wird, so bediene ich mich derselben mit Vergnügen, dir von den Begebenheiten in unserer Gegend Nachricht zu geben: aber eher setze ich auch keine Feder [291] an. Wenn ich weiter nichts sagen kann, als daß wir gesund sind, so schweige ich lieber: das kannst du auch von andern erfahren. Jetzo habe ich einmal wieder etwas erhascht, davon ich so viel zu schreiben gedenke, daß ich wenigstens ein halb Dutzend Federn stumpf machen werde; es betrifft unsern Oncle nur mittelbar und geht hauptsächlich den Herrn Lampert an. Der erste ist ganz ruhig, oder muß es vielmehr seyn, er verhält sich wieder paßive, wie Lampert spricht, das ist, er hat einen kleinen podagrischen Anfall; aber desto lebhafter ist der andere. Es ist, als wenn es diese beiden Leute mit einander abgeredt hätten, daß wenn der eine etwas seltsames geliefert hat: so tritt der andere auf, damit die Schaubühne nicht ledig bleibt. Ich bin gewohnt, nicht nur sehr lange Briefe wegen dieser Händel an dich zu schreiben, sondern ich theile dir auch alle diejenigen in Abschrift mit, die unter uns diesfalls gewechselt werden, und welcher ich nur habhaft werden kann. Gegenwärtig erhälst du ein Stück des Briefwechsels zwischen mir und [292] dem Fräulein v.W. Die ersten davon enthalten an sich eben nichts merkwürdiges, und ich war anfangs zweifelhaft, ob ich sie mit einschließen wollte; doch da ich sie nochmals las, schienen sie mir nicht ganz unbeträchtlich. Sie fassen den merkwürdigen Punkt der Wiederaussöhnung des Herrn v.N. mit der Frau v.W. in sich; sie enthalten auch einige Anekdoten, daraus man die dermaligen Gesinnungen der Personen, die unsere gewöhnliche Gesellschaft ausmachen, erkennen kann. In einem davon wird gedacht, daß der Major unsern Oncle eifersüchtig gemacht hat, und dieses kann als der Grund von der ganzen Geschichte, die ich zu beschreiben gedenke, angesehen werden. Da sich unser Oncle einmal eine Ursache zur Eifersucht in den Kopf gesetzet hatte; so zweifelte er nun, daß das Fräulein v.W. eine Henriette Byron seyn könnte, wenn sie einen andern Mann unserm Oncle in ihrem Herzen vorzöge. Vermuthlich hatte hierüber viele sorgsame Gedanken und Herr Lampert nach seiner gefälligen Art, machte sich anheischig, [293] geschickte Mittel ausfündig zu machen, solches zu verhüten. Er gerieth auf den boshaften Einfall, im Namen des Herrn v. Ln. an das Fräulein v.W. und an mich zu schreiben, uns einen verwünschten Liebesantrag zu thun und diese Briefe mit Fleiß zu verwechseln, um dadurch den Major bei uns beiden verächtlich zu machen. Ich bilde mir ein, daß ihm diese Erfindung einige schlaflose Nächte gemacht hat. Er richtete solche in der That ins Werk, und weil ich seitdem ein kleines altmodisches silbernes Dösgen bei ihm bemerket habe; so glaube ich, der Oncle hat ihn damit für seinen klugen Einfall beschenket. Wenn ich nicht aus verschiedenen Umständen gemuthmaßet hätte, daß diese Briefe erdichtet wären; so hätte ihm sein Vorhaben wenigstens eine Zeitlang gelingen können, ohne daß dadurch sein Gönner das gerinste würde gewonnen haben. Im Anfang fiel aller Verdacht auf die Frau v.W. und Fräulein Julgen hat mir gestanden, daß sie, nachdem ich sie auf diese Spur gebracht, so feste davon wäre überzeugt gewesen, [294] daß sie es nur für Scherz angenommen, da ich ihr gesagt hätte, diese Erfindung schriebe sich vielleicht aus Kargfeld her. Sie wollte dieses mir nicht einmal glauben, da ich zu ihr ging, um ihr den wahren Urheber davon zu nennen. Wie wir ihn entdeckt haben, solches wirst du aus meinem letzten Briefe an das Fräulein v.W. sehen. Ueberhaupt erinnere ich, daß du die Innlagen meines Briefes eher lesen mußt als ihn selbsten, damit dir nichts in meiner Erzählung unverständlich bleibt. So erbittert wir gegen die Frau v.W. gewesen wären, wenn wir unsern Verdacht gegen sie gegründet befunden hätten; so ruhig waren wir nun, da wir den wahren Urheber dieser Kabbale entdeckt hatten. Das Fräulein v.W. war so großmüthig ihm zu verzeihen, ich hingegen war darauf bedacht wenigstens auf eine lustige Art mich zu rächen. Der Baron rieth mir, gegen den Oncle und den kühnen Lampert meinen Unwillen zu verbergen. Er nahm es auf sich, wegen dieser Beleidigung uns vollkommene Genugthuung zu verschaffen.[295] Leute von dem Charakter eines Lamperts, verdienen in meinen Augen Mitleiden, wenn man ihre Vergehungen nach der Strenge bestraft. So boshaft ihre Unternehmungen auch oftmals scheinen; so gehören sie doch zu den unwissendlichen oder wenigstens zu den Schwachheitssünden. Ich bin überzeugt, daß Lampert gewiß nicht den Vorsatz gehabt hat, uns zu beleidigen, er sahe seine Erfindung als eine erlaubte List an, seinen Gönner von einem so großen Uebel als ein Nebenbuhler ist, zu befreien, und dadurch das Lob eines klugen und erfindungsreichen Mannes zu verdienen. Ich bin geneigt eine größere Beleidigung gleichgültiger zu ertragen, wenn sie mir zugefüget wird, ohne daß man dabei die Absicht hat, mich zu beleidigen, als eine geringere, womit diese Absicht verbunden ist. Der Baron hat eben diese Gesinnung. Es wurde dahero in unserm Rathe beschlossen, uns zu stellen, als wenn wir die Briefe gar nicht empfangen hätten, und wo möglich, diese Gedanken unserm Oncle und dem Magister Lampert selbst beizubringen. [296] Wenn wir diesem hätten merken lassen, daß seine verwegne Unternehmung entdeckt wäre; so hätten wir nothwendig sehr böse gegen ihn thun müssen, und wenigstens in Jahrsfrist hätte er uns nicht dürfen ins Gesichte kommen. Doch dadurch wäre der Baron am meisten gestraft, wenn er in Jahr und Tag keinen Spaß mit ihm treiben sollte. Er nahm sich vor, bei Gelegenheit ihm eins anzubringen, und ihm jetzo nur allen Argwohn zu benehmen, daß wir hinter das Geheimniß kommen wären. Bornseil hatte der Unterhändlerin in H. versprochen, ihr den Brief, den er an sie abzugeben hätte, noch denselben Tag einzuhändigen, der Baron nahm sich die Mühe ihm einen in die Feder zu dictiren, den er den folgenden Tag der Frau bringen mußte, er wurde in Bornseils Namen abgefaßt. Weil er nicht allzulang ist, will ich ihn einrücken. Die Aufschrift war an Herrn N.N., welcher Peter Bornseilen einige Briefe hat einhändigen lassen.


[297] Unbekannter guter Freund,


Nebst einem schönen Gruße melde ich dienstlich, daß ich seinen Brief an unsere gnädige Fräulein und den an die Fräulein p.W. wie auch den meinigen wohl erhalten habe, und wenn ich sonst kein Bedenken gehabt hätte; so würden sie auch richtig seyn an Ort und Stelle gebracht worden. Aber nehm er mirs nicht übel, ich muß ihm hierdurch melden, daß ich sie nicht bestellen kann, und wenn ich ein Kaiserthum damit verdienen sollte. Sie sind nicht mehr in meinen Händen. Es hat sie mir zwar niemand genommen, ich habe sie auch nicht verlohren, noch vielweniger bereits richtig bestellt: sondern ich habe mich auf eine sonderbare Manier davon losgemacht. Laß er sichs erzählen, was ich damit vorgenommen habe. Es befremdete mich nicht wenig, daß mir von einem unbekannten Kerl ein Brief zugestellet wurde, darinnen ich zwei andere an die Fräuleins fand, es macht mich ziemlich stutzig, daß sich der Verfasser in dem Briefe an mich [298] nicht genennet hatte. Ich dachte deswegen, ist dir wohl, so bleib davon, daß du nicht kriegest bösen Lohn. Es ist gewiß nicht umsonst geschehen, daß der Verfasser sich nicht genennet hat, das hat seine Ursachen. Wir leben jetzo in gar bedenklichen Zeiten. Briefe zu bestellen, ohne zu wissen, von wannen sie kommen, ist gar gefährlich, es kann einer heutiges Tages in Leib-und Lebensgefahr darügerathen. Was deines Amts nicht ist, laß deinen Fürwitz. Briefe gehören auf die Post; ich bin aber weder ein Postknecht noch ein Postmeister jemals gewesen, sondern meiner Profeßion nach bin ich ein Oeconomus, und wenn ich ihm als ein solcher einen Gefallen kann erweisen, will ich es gern thun; aber zu weiter versteh ich mich nichts. Durch andrer Leute Schaden bin ich klug gemacht. Andräs, der Großknecht auf hiesigem Edelhofe, hat sich neulich von dem Herrn Schulmeister auch einen Brief lassen aufschwatzen, solchen in der Stadt zu bestellen, da er aber damit aus Thor kommt, haben ihn die Soldaten visentiret, den Brief genommen, aufgebrochen [299] und gelesen. Nicht genug hieran, so haben sie den armen Andräs von Pilatus zu Herodes herum geführet, daß er bald ein paar Schuhe darüber zerrissen, und nur noch von Glück zu sagen gehabt, daß sie ihn nicht gar für einen Spijon angesehen. Darum dachte ich: mit solchen Dingen unbeworren! Ich hielt auch sogar gefährlich, die Briefe lange in meinem Hause zu haben. Wenn ich gewußt hätte, wer er wäre, so hätte ich sie ihm noch denselbigen Abend wiehergebracht. Die ganze Nacht hindurch ist mir kein Schlaf in die Augen kommen, und wenn sich nur was regte, so dachte ich, es geschähe Haussuchung, man wollte die Briefe holen, und mich in Ketten und Banden schmieden. Um nun der Marter loß zu werden, nahm ich sie frühe, so bald der Himmel grauete, band sie an ein paar große Steine, und trug sie, wie ein paar junge Katzen, ins Wasser. Ich hätte zwar den kürzesten Weg gehen und sie verbrennen können; aber ich sorgte, dieses möchte mir Verdruß bringen, ich habe gehört, daß der [300] Staupbesen darauf stehet, wenn man die Briefe an andere erbricht, und ein fremdes Siegel verletzt. Da es nun in diesem Falle nicht ohne Verletzung des Siegels abgegangen wäre; so warf ich sie lieber ins Wasser. Nehm er es nicht übel, daß ich so strenge mit den Briefen verfahren bin, es war mir so Angst dabei, daß wenn ich sie länger in meinem Hause behalten hätte, so wäre ich wohl endlich selbsten ins Wasser gesprungen. Ich habe ihm nun als ein ehrlicher Mann gesagt, wo die Briefe hingekommen sind, und kann einen Eid deswegen ablegen. Er kann ja leichtlich ein paar andere schreiben, und sie auch auf eine andere Weise als durch mich bestellen lassen, wenn es nöthig ist. Dieses hat ihm nachrichtlich melden wollen

P.B.


Mit diesem Briefe, den der Baron vollkommen nach Bornseils Schreibart eingerichtet hatte, wurde dieser nach H. geschickt, wo der benennten Frau solchen auch gegeben, [301] die ihn vermuthlich richtig bestellet hat. Nun dachten wir auf nichts anders, als den Magister Lampert seinen Frevel büßen zu lassen, wir machten einen Haufen Anschläge, es fanden sich aber bei jeden Schwürigkeiten. Von ungefehr both sich hierzu eine Gelegenheit dar, die so wunderbar als unerwartet kam. Doch ich will hier in meinem Briefe einen kleinen Abschnitt machen, damit wir beide, du beim Lesen, ich beim Schreiben, ein wenig ausruhen können.

30. Brief
XXX. Brief.
Fortsetzung des vorigen.

Den 13 und 14 Nov.


Es war am Diensttage, da wir Nachricht erhielten, daß einige Esquadrons von der schweren Englischen Cavallerie in unsere Gegend einrücken würden, Sie trafen Mittwoch Abends ein, wir bekamen also Gäste. Zwei Officiers ritten gerade in [302] den Edelhof, der eine war Rittmeister und der andere Cornet. Sie schienen im Anfang ein paar steife Männer zu seyn, der Rittmeister sonderlich hatte eine so nachdenkliche Mine, als wenn er glaubte, daß er an dem glücklichen Feldzuge dieses Jahres keinen geringen Antheil hätte. Wer sollte denken, daß dieser Mann bestimmt gewesen wäre, zwei beleidigte Frauenzimmer zu rächen! Der Baron redete sie französisch an, Sie antwortete kurz und gebrochen. Ich nahm mir vor, nicht lange in ihrer Gesellschaft zu bleiben, doch bei Tische fanden wir an dem Rittmeister einen ganz andern Mann, er wurde aufgeräumt und redete uns plötzlich in unsrer Muttersprache an. Der Baron war eben im Begriff, ihm seine Verwunderung darüber zu entdecken, da er ihm zuvor kam und anfing, sein Leben zu erzählen. Er hat einige mal das Glück gehabt, den König nach Deutschland zu begleiten, und hat sich ausserdem ziemlich lange aufgehalten. Nachmittage stattete der Herr v. Ln. einen Besuch bei uns ab. Der Rittmeister war sein vertrauter [303] Freund. Sie hatten einander lange nicht gesehen, und unterhielten sich eine Zeitlang von den Begebenheiten, die unterdessen dem einen sowohl als dem andern zugestoßen waren. Die Gespräche wurden hierauf, da diese beiden einander nichts mehr zu sagen hatten, so mannigfaltig, daß man fast zu gleicher Zeit vom Kriege, von der Verschiedenheit der Sitten der Deutschen und der Engländer, und von Romänen sprach. Das Capitel von den letztern war das längste. Der Major machte dem Rittmeister ein Compliment dadurch, daß er seinen Landsleuten ihr gehöriges Lob gab, daß sie uns mit verschiedenen artigen Romans beschenket hätten. Die vornehmsten wurden genennt und beurtheilet. Beiläufig wurde auch unserer übermäßigen Verehrer des Grandisons gedacht. Der Rittmeister war hierbei aufmerksam, und nach dem Geschmacke der Britten vergnügte er sich ungemein an dem sonderbaren, das diese Leute von sich blicken ließen. Der Major erzählte ihm mehr davon, als uns Anfangs leib war. Um das [304] Gespräch in etwas zu verändern, gedachte der Baron, daß einer von Grandisons Jüngern zwei Frauenzimmer sehr beleidiget hätte, die deswegen auf Rache bedacht wären, und fragte mich zugleich, warum ich so roth würde, ob ich dadurch meine Rachbegierde verrathen wollte? Hierüber wurde ich in der That roth, diesen abgenutzten Spaß, die Männer auf Kosten des Frauenzimmers einmal lachen zu lassen, wendete der Baron dismal, seiner Gesellschaft zu Ehren, in dieser Absicht an. Ich wollte ihm wieder eins versetzen; doch ehe er mich zum Worte kommen lies, wendete er sich zum Major und sagte, er hätte schon in unserer Gegend einmal die gute Sache des Frauenzimmers mit Ruhme vertheidiget, worzu er sich entschlüssen wollte, wenn er hierzu nochmals aufgefodert würde? Der Herr von Ln. machte seinen besten Reverenz, er wollte gleich seinen Abschied fordern, sagte er, und aufhören, das Vaterland vertheidigen zu helfen, wenn er die Ehre haben sollte, für die Schönen zu fechten. Die Unterredung wurde über diesem [305] Punkt ziemlich munter, der Engelsmann wollte all einem solchen Glück gleichfalls Antheil haben, und sie zankten sich hierüber lange. Da der Rittmeister hörte, daß eine Fräulein Base des Majors mit im Spiel wäre, wollte er sich endlich mit ihm dahin vergleichen, daß sich dieser seiner Fräulein Base annehmen sollte; er hingegen wollte meine Parthie nehmen. Sie waren beide nun nur begierig, den Beleidiger sowohl, als die Beleidigung zu erfahren, jenen nennte der Baron, und diese, sagte er, bestünde darinne, daß Lampert, um eine Wette von unserm Oncle zu gewinnen, welcher behauptet hätte, die Freundschaft zwischen mir und dem Fräulein v.W. wäre unzertrennlich, sich unterstanden hätte, einen Zwist unter uns erregen zu wollen. Alle stimmten damit überein, daß dieser Frevel müßte bestraft werden. Der Baron hatte sogleich eine seltsame Erfindung parat, diesen Vorsatz auszuführen, die von allen belacht wurde; die aber einen so allgemeinen Beyfall erhielt, daß sie der Rittmeister, der dabey hauptsächlich [306] mit eingeflochten war, durchaus in Erfüllung bringen wollte. Es kostete nicht viel Mühe, den Baron dahin zu bringen, seinem Gaste dieses Vergnügen zu verschaffen. Die Herren brachten also den übrigen Theil des Tages damit zu, einander in allem vollkommen zu unterrichten, was den folgenden Tag ihre Lust vollkommen machen könnte. Ich schlich mich weg, um Fräulein Julgen Nachricht zu geben, was der Baron dem Major vorgeschwatzt hatte, damit wir einerlei Sprache führten, wenn der Herr v. Ln. etwas gegen ist davon gedächte. Des folgenden Tages fand sich dieser sehr zeitig bei uns ein, hierauf wurde folgendes Billet nach Kargfeld geschickt:


An Herrn Lampert,


Vernehmen Sie aus meinem Munde die seltsamste Geschichte, mein werther Herr Magister, die sich seit ihrer Promotion zugetragen hat. Ich habe seit vier und zwanzig Stunden einen Mann unter meinem Dache, den wir beide aus der Geschichte Sir [307] Grandisons kennen – Wen meinen Sie wohl? Ich will ihre Seele nicht lang im Zweifel lassen. Sind sie begierig den Hauptmann Salmonet von Person kennen zu lernen; so kommen sie eiligst nach Schönthal, er hat ein großes Verlangen Sie zu sehen, der Major Ohara hat in einigen Briefen sehr vortheilhaft von Ihnen geurtheilet. Lassen Sie noch zur Zeit ihrem Gönner nichts erfahren von dem, was ich ihnen jetzo fub rosa gesagt habe, damit er nicht in die Versuchung fällt, Sie zu begleiten. Es ist heute eine sehr feuchte Luft und ihm zuträglich, daß er sich warm hält, damit ihm das Podagra nicht in Leib schlägt. Kommen Sie bald, Sie werden mit Verlangen erwartet von


Ihrem
geneigten Freunde.
v.F.

Entzückt über diese unerwartete Botschaft, macht sich Lampert nach Empfang dieses [308] Briefgens sogleich reisefertig. Es war so veranstaltet worden, daß er auf diesem kleinen Wege bereits einige Anfechtungen haben sollte. Einige Reuter mußten ihn überfallen und für einen französischen Feldprediger ansehen. Er hat durchaus ein Kriegsgefangener werden sollen. Man hat ihm gesagt, er müßte mit nach Wilmershaußen in das Staabsquartier folgen. Endlich erhält er auf vieles Bitten so viel, daß er einer abgelößten Feldpost ein Wahrzeichen mit an uns nach Schönthal geben darf, damit wir seine Befreiung desto schleuniger auswirken möchten. In der Angst wählte er hierzu seine Sammtmütze, und er hätte nichts kenntlichers wählen können. Der Cüraßier hatte sie auf seinen blanken Pallasch gesteckt, da er in Schönthal einritte, und wem Lampert nicht bald darauf selbst nachkommen wäre, so ahndete mir schon, daß das Gerüchte in der Gemeinde entstehen würde, er wäre niedergemacht worden. Doch der Rittmeister befahl, daß man ihn ungehindert sollte paßiren lassen, und schalt den Reuter daß er die [309] Zierde des Hauptes eines deutschen Magisters so sehr mißhandelt hätte. Lampert erschien hierauf noch ganz betäubt von Schrecken. Der Rittmeister nahm sein steifes Wesen wieder an, die Rolle, die ihm der Major aufgetragen hatte, schien sehr gut mit ihm zu passen. Nach den ersten Komplimenten, die auf Seiten des Magisters mit einer furchtsamen Ehrerbietung gegen den Rittmeister begleitet waren, zog er einen Brief aus der Tasche. Sie haben mir zwar filentium imponirt, gnädiger Herr, sagte er zum Baron, ich habe meinem Gönner nichts von der beglückten Ankunft des Herrn Rittmeister Salmonets entdecken sollen: nehmen Sie es aber nicht ungnädig, ich hielt mich in meinem Gewissen verbunden, ihm einen Wink davon zu geben. Ich habe mir einmal eine Regel gemacht, kein Geheimniß zu besitzen das ich ihm nicht entdecken sollte, ich darf solche nicht überschreiten. Mein Patron bedauert, daß er nicht im Stande ist dem Herrn Rittmeister persönlich seine Aufwartung zu machen, er empfiehlt sich ihm in diesem [310] Schreiben. Er übergab es dem Officier, welcher es erbrach und laß. Ich will es hier einrücken, es veranlaßte eine wichtige Unterredung


Hochgeehrter Herr Rittmeister,


Wenn Sie deutsch verstehen, so ist es gut; wo nicht, so lassen Sie diesen Brief durch Ueberbringern desselben in eine Sprache übersetzen, in welche sie wollen. Ich erfreue mich sehr, daß ein Mann, von dem ich in der Geschichte Sir Carl Grandisons, meines vielgeehrten Herrn Gevatters, so viel gelesen habe, sich in hiesiger Gegend befindet. Ich möchte Sie gern von Person kennen lernen, und würde nicht ermangelt haben, Ihnen in Schönthal aufzuwarten, wenn ich nicht das Bette hüten müßte. Gönnen Sie mir Ihren Besuch, wenn Sie Ihren Posten verlassen können, Sie werden mir sehr willkommen seyn. Inzwischen da man nicht weiß, wie bald Sie etwan Ordre zum Aufbruch erhalten, und mir viel dran gelegen ist Ihr Portrait zu besitzen, weil Sie doch auch [311] mit in die Geschichte Sir Carls gehören; so thun Sie mir doch den Gefallen, und lassen Sie Sich bei Ihrem jetzigen Aufenthalt in Schönthal auf meine Kosten abkonterfeien. Ich habe nur vorgenommen, alle in dieser Geschichte vorkommende Personen abmahlen zu lassen, um meine Bildergalerie damit auszuschmücken, ich habe diesfalls auch bereits nach England geschrieben. Wenn Sie meine Bitte erfüllen, so erzeigen Sie mir dadurch den größten Gefallen von der Welt, und wenn ich im Stande bin, Ihnen Gegengefälligkeiten zu erzeigen; so werde ich mir ein Vergnügen daraus machen. Ich verharre mit aller Hochachtung


Dero
ergebenster Diener
v.N.

Ja ja, sagte der Rittmeister, das ist der Mann, den mir der Major Ohara beschrieben hat. Hören sie einmal, was Aemilie Sir Beauchamps Gemahl von ihm spricht. [312] Lesen. Sie diesen Brief selbst, Herr, sagte er zum Magister, wenn Sie englisch verstehen; doch ich will ihnen lieber die Uebersetzung davon machen. Er schlug das erste Blatt um, und stellte sich, als wenn er auf der andern Seite das fänd, was er suchte. Er las folgendes?


Wagen sie es ja nicht wieder, Sir Carln nachzuahmen, sie müssen wissen, sagte er, daß mich Lady Beauchamp mit diesem Briefe beehret hat. Es ist sehr wohl gethan, daß sie diesen Vorsatz aufgegeben haben, da sie an der glücklichen Ausführung desselben so sehr zweifeln. Dieses würde ihr Gemüth nur in einer beständigen Unruhe unterhalten haben. Mein Herr gestehet selbsten, daß er in vieler Unternehmung nicht vollkommen glücklich gewesen ist, das sage ich zu ihrem Troste. Wenn man nicht so gut ist als man seyn soll, so ist es gnug, wenn man sich bestrebt, so gut zu seyn, als man seyn kann. Kein Britte hat bis jetzo Sir Carln erreichet, vielweniger ein Irrländer. Diese Ehre ist einem Ausländer [313] vorbehalten gewesen. Sie kennen den Mann aus den Briefen des Gemahls meiner Mutter. Der Herr v.N., was für ein ehrwürdiger Name, der dem Namen Grandison gleich kommt! Alle Wetten, die in England sind angestellet worden, daß Sir Carl unnachähmlich wäre, gehen nunmehro verlohren. Zwei Capitalisten in Londen werden dadurch banquerott. Wir bewundern alle den großen Deutschen und Sir Carl ist über ihn vergnügt. Sie wissen, wie oft Herr Richardson mich in der Geschichte meines Vormundes heulen läßt: jetzo vergieße ich in der That mehrere Thränen, als mir jemals sind angedichtet worden, lauter Freudenthränen, daß Sir Carl der Gegenstand einer allgemeinen Bewunderung worden ist, und daß man ihn so glücklich nachahmet.


Wir haben Ursache einander Glück zu wünschen, sagte der Baron, daß wir so vielen Antheil an einem Manne haben, den man in Brittannien eben so hoch schätzt; so sehr man sein Urbild in Deutschland bewundert. [314] Bald bekomme ich selbst Lust, die Secte der Anhänger des Herrn Grandisons zu vergrössern, bis jetzo bin ich noch immer neutral gewesen. Was meinen Sie, Herr Rittmeister, trauen Sie mir wohl zu, daß ich es in der Nachahmung des Baronets weiter bringen sollte als Sie? Wenn ich die Ehre bedenke, die mir daher erwachsen würde, so möchte ich es fast wagen – Aber die Schwürigkeiten, die man dabei zu übersteigen findet – –


Salmonet. (Ich will ihm nur diesen Namen geben, weil er doch seine Person vorstellte.) Ja, die canalljösen Schwürigkeiten! Ich habe auch einmal Grandisons spielen wollen, aber bei meiner Treue! Ich hielt es nicht länger als vier Wochen aus, und weiß am besten, welchen Zwang ich mir dabey angethan habe. Wenn es länger gedauret hätte; so wäre ich über den Possen crepirt. Spiegeln sie sich an meinem Exempel.

Der Baron. Ich erkenne es, bei uns ist es nun zu spät, daß wir erst anfangen [315] wollten, uns in eine neue Form zu gießen, und wenn man uns beide zusammen schmelzt; so würde doch kein Mercur aus uns.

Lampert. Es ist andem, non ex quovis ligno fit Mercurius. Indessen wenn man den edelmüthigen Entschluß gefaßt hat, eine große Unternehmung auszuführen; so muß man sich keine Hinderniß davon abschrecken lassen. Man muß an die Worte des Dichters gedenken: quo bene coepisti, hic pede semper eas. Ich rufe die Sentenz täglich einmal beim Frühstück meinem Gönner zu, gleich jenem Edelknaben, der seinen Monarchen auch täglich an einen gewissen Denkspruch erinnern mußte, und dieses macht meinen Gönner so beherzt, daß er alles, was sich seinem edlen Vorhaben entgegen setzt, glücklich überwindet.

Salmonet. Grandison wäre der Mann nicht, der er wirklich ist, wenn er den Doctor Bartlett nicht auf der Seite gehabt hätte; und ihr Gönner würde auch wohl eine schlechte Figur machen, wenn sie ihn nicht unterstützten.

[316] Lampert. Sie erzeigen mir viel Ehre, mein Herr Rittmeister; aber ich versichere, daß ich weiter nichts als eine caussa occasionalis bin, daß mein Patron dem großen Britten glücklich nachfolget.

Salmonet. Sie sind ein sehr bescheidener Mann; mein Herr, und sie verdienen meine Hochachtung, daß sie das Lob, das ihnen mit Rechte zugehöret, auf eine so gute und gelehrte Art von sich ablehnen. Aber helfen sie mir doch aus dem Traume, was hat es denn mit der Bildergalerie ihres Herrn für eine Bewandniß? Mich dünkt, sie ist der Bildergalerie Sir Carls sehr unähnlich, dort befinden sich nur die Ahnen desselben, und hier will ihr Gönner die Portraits aller der Personen, die in der Geschichte seines Freundes genennet werden, aufstellen.

Lampert. Mein Gönner hat dabei verschiedene rühmliche Absichten. Er hält sich für einen aus der Familie Sir Carls, und also glaubt er ein Recht zu haben, alle verwandten desselben als die Seinigen zu betrachten. [317] Da es nicht wahrscheinlich ist, daß er die Englischen Freunde jemals von Person wird kennen lernen; so will er sich doch wenigstens aus dem Gemählde einen Begriff von ihnen machen. Ferner hat er hat er sich vorgenommen, seinen hochadelichen Sitz zu einer Schule der Tugend und Weisheit zu machen. Diese Bildergalerie wird also den beste Hörsaal derselben abgeben. Man wird Gelegenheit haben, wenn man den Lehrlingen diese Portraits zeiget, auch zugleich den moralischen Charakter der Personen, die dadurch vorgestellt werden, zu entwerfen. Die Tugend wird ihr gehöriges Lob, das Laster seinen Tadel finden.

Salmonet. Der Herr v.N. wird mein Portrait also nicht bekommen. Es ist mir bekannt, daß ihr Herren eben nicht die besten Begriffe von mir habt. Ich glaube, ihr wäret im Stande, mich neben den schelmischen Juden Merceda zu stellen, und jeder, der vorüber ginge, müßte einen Fluch über uns aussprechen. Nein, das wäre mir [318] ungelegen! Ich will lieber unbekannt bleiben, als auf eine solche Art berühmt werden.

Lampert. Sie haben nichts zu fürchten. Es scheinet, daß ihnen Sir Carl Pardon gegeben, und die Beleidigungen, die er von ihnen und dem Herrn Major Ohara erhielt, vergessen hat. Es ist also auch unsere Schuldigkeit, daß wir alles mit dem Mantel der christlichen Liebe zudecken. So bald sie angefangen haben, den Herrn Grandison zu verehren; so bald sind sie aus den Thoren des Lasters zu den Fahnen der Tugend übergangen. Wenn jetzo Herr Richardson die Geschichte des Herrn Grandisons fortsetzen sollte, so würde er sie vermuthlich in einem ganz andern Lichte erscheinen lassen.

Salmonet. Denken sie nicht an den verhaßten Richardson. Er hat mich vor der ganzen Welt beschimpft, und ich hätte ihn gewiß längstens den Hals gebrochen, am sich Sir Carl seiner nicht annähme. Haben sie denn alles geglaubt, was er von dem [319] Major und mir bei den Händeln zu St. James quarre geschrieben hat?

Lampert. Ich hab im geringsten nicht daran gezweifelt, da Sir Carl den ganzen Vorgang der Sache selbsten an den Doctor Bartlett berichtet.

Salmonet. Es ist wahr, Sir Carl hat mit aller Aufrichtigkeit alle Händel beschrieben, ich habe den Brief im Original gesehen; Sir Richardson aber hat geglaubt, daß die getreue Mittheilung desselben seinem Helden nicht gar zu vortheilhaft seyn dürfte, deswegen hat er sich die Erlaubniß genommen, viele Stellen darinne zu verbessern. Er hat aber die Sache, wie jedermann, der nur Menschenverstand hat, leichtlich einsiehet, dergestalt übertrieben, daß seine Erzählung alle Wahrscheinlichkeit verliehet. Sir Carl macht sich selbst oft darüber lustig: er weiß am besten, wie wir ihn damals in die Enge getrieben hatten.

Lampert. Sollte aber Sir Carl darein gewilliget haben, daß man die Welt so [320] hinterginge und ihr Unwahrheiten und Erdichtungen von ihm aufbürden dürfte?

Salmonet. Der Baronet hat hierzu freilich seine Einwilligung nicht gegeben, er hat alles hinter seinem Rücken gethan. Was sollte er aber machen, da es einmal geschehen war? Er mußte es dabey bewenden lassen.

Der Hr. v. L. Sie hätten in der That diesen Schimpf nicht sollen auf sich sitzen lassen. In Deutschland würde kein Officier mit ihnen getrunken haben, bis sie ihre Sache ausgemacht hätten. Wenn ich an ihrer Stelle wäre; so vertheidigte ich mich wenigstens in Schriften, und suchte meine Ehre vor der Welt zu retten. Ich denke, es ist noch immer Zeit.

Salmonet. Bis jetzo habe ich es auf Bitten des Majors unterlassen, dieser glaubte, Sir Carl würde ungehalten darüber wer, den, sie wissen wohl, daß er Ursache hat ihn zum Freunde zu behalten. Der Baronet[321] und Beauchamp sind ein Herz und eine Seele, dieser letztere, der jetzo Aemiliens Vermögen in Händen hat, würde der Gemahlin des Majors den Augenblick die freiwilligen Renten einziehen, wenn ihm Sir Carl nur einen Wink gäbe. Der Major würde also sehr übel dran seyn, wenn er dem Herrn Grandison auf sich unwillig machen wollte. Inzwischen ist sich jeder selbst der Nächste. Die Freundschaft des Baronets ist mir angenehm: aber ich will solche doch lieber vermissen als die Achtung der ganzen Welt. Da die Geschichte des Herrn Grandisons in Deutschland ein so großes Ansehen erlangt hat, und ich für die deutsche Nation sehr viele Achtung habe: so kann ich es unmöglich zugeben, daß man mir unverdienter Weise meine Ehre entzieht. Ich will mich rechtfertigen. Ich will die aufrichtige Relation der Händel mit Sir Carln aufsetzen und drucken lassen. Ich will mich gegen unverschämten Herrn Richardson vertheidigen. Weisen sie mir nur einen Gelehrten zu, der die Sache gut einfädelt: ich bin der deutschen [322] Sprache nicht so mächtig, daß ich mich getrauete, diesen Aufsatz selbsten zu verfertigen.

v. Ln. Einen Gelehrten dürfen sie nicht weit suchen, wenn der Herr Magister Wilibald in der Gesellschaft ist. Er wird sich ein Vergnügen daraus machen, eine Caussa occasionalis zu seyn, ihren Ruhm, der in den Augen der Deutschen Schiffbruch gelitten hat, wieder herzustellen, und er wird, wie ich hoffe, ihre Ehre so tapfer vertheidigen, daß man sie in Zukunft für den herzhaftesten Irrländer halten wird.

Lampert. Ich verbitte diese Ehre gar sehr. Ich werde warlich gegen den Herrn Richardson nie eine Feder ansetzen, das ist geschworen! Gesetzt, aber noch nicht eingestanden, er hätte einiges in den Briefen des Herrn Grandisons an den Doctor Bartlett geändert; so würde ich doch nicht im Stande seyn, das Publicum davon zu überzeugen. [323] v. Ln. Ich sollte meinen, dieses würde sich leicht thun lassen, wenigstens ist es wahrscheinlicher, daß zwei so tapfere Männer, als der Herr Major Ohara und der Herr Rittmeister Salmonet sind, den Herrn Grandison entwaffnet haben, als daß er beide durch seine Fechterstreiche um Hut und Degen bringt. Diese Stelle halte ich für die schwerste in dem Grandison, die einer Aufklärung wohl würdig ist.

Salmonet. Ich werde nicht mit Bitten bei ihnen nachlassen, mein Herr, bis sie sich entschlüßen, mir meinen guten Namen wieder zu verschaffen. Ich will ihnen unter der Mahlzeit den ganzen Verlauf der Sache der Wahrheit gemäß erzählen, bringen sie es hernach zu Pappier, damit ich diese Schutzschrift in die nächste Druckerei schicken und hernach in ganz Deutschland bekannt machen kann. Sie sollen zur Belohnung die Ehre haben, ihren Namen davor setzen zu dürfen.

[324] Lampert entschuldigte sich mit einem Haufen Complimenten, und glaubte damit durchzukommen, daß er vorgab, er würde sich das größte Gewissen machen, seinen Eid zu brechen, den er gethan hätte, nie eine Feder gegen den Herrn Richardson anzusetzen: Der Rittmeister aber drang so heftig in ihn, daß ihm ganz Angst dabei wurde. Bei der Mahlzeit erzählte der Rittmeister ein seines Mährgen, das schon den Tag zuvor war ausgedacht worden, von seiner Schlägerei mit dem Herrn Grandison, und sprach davon für sich so vortheilhaft, daß dem guten Lampert kein Bissen schmeckte. Er wünschte diesmal hundert Meilen von Schönthal und dem martialischen Britten zu seyn dem er nicht, wie er wollte, zu widerlegen sich getrauete. Es war auch in der That gefährlich, diesem Kriegsmanne viel zu widersprechen, der, wenn man ihm nicht alles glauben wollte, die Stirn in tausend Falten legte, und gräßlich schwur, daß alles wahr wäre, was er sagte. Unterdessen nennte er den Magister immer seinen besten Freund, und erwies ihm [325] allerlei Liebkosungen. Beim Koffee wurde der Spaß vollkommen, wo nicht gar übertrieben. Lampert wollte es durchaus nicht unternehmen, den Herrn Salmonet gegen die Erzählung des Herrn Richardsons zu vertheidigen.


Wollen Sie nicht meiner Bitte Platz geben, mein Herr, sagte der Officier; so werde ich, wenn sie sich ferner weigern, nach Kriegsgebrauch mit ihnen verfahren müssen. Corporals, rief er zum Fenster hinunter, haltet ein Dutzend Sättel bereit. Nehmen Sie es nicht ungütig, mein Herr, es thut mir leid, daß ich ihre Schultern mit zwölf Sätteln muß beschweren lassen, wenn Sie meine Ehre gegen die feindseligen Angriffe des Herrn Richardsons nicht vertheidigen wollen. Sie werden sich gefallen lassen, diese Last so lange zu tragen, bis sie sich meinem Absichten gemäß erklären. Auf diese Art habe ich in meinem Vaterlande die Hartnäckigkeit von mehr als hundert Quäckern überwunden, und sie in zwo Stunden glücklich [326] bekehrt. Ich hoffe nicht, daß sie mich in die Nothwendigkeit versetzen werden, ihnen diese kleine Unbequemlichkeit so lange aufzubürden. Versuchen sie es nur so lange es ihnen gefällt. Sobald sie meine Bitte Statt finden lassen; so bald werde ich das Vergnügen haben sie von dieser kleinen Beschwerung zu befreien.


Verlangen sie nicht Unmöglichkeiten von mir, sagte Lampert in einem tragischen Tone, und beleidigen sie nicht das Gastrecht, das bei den Alten heilig war. Ich bin als ein Freund zu ihnen kommen, warum begegnen sie mir als einem Feinde? Sie werden an mir nie einen Vertheidiger, wohl aber einen Ankläger bei der ganzen ehrwürdigen Familie der Grandisonen finden, wenn sie fortfahren, einen Mann zu beleidigen, für den die weisesten der Britten selbst eine Achtung bezeigen, und dessen Bemühungen um die Gelehrsamkeit sie bereits belohnet haben.


[327] Salmonet. Glauben sie nicht, ehrwürdiger Freund, daß ich sie beleidigen will, entfernt von mir sei eine so tadelhafte Absicht! Ich werde sie vielmehr selbst unter der Last der Sättel hoch schätzen. Ich thue nichts, als was die größten Helden der alten und neuern Zeiten vor mir gethan haben, ich verfahre mit ihnen nach raison de guerre. Ein General, der ein Volk in seiner Gewalt hat, läßt sich von solchem alle Unterstützung und Hülfe zu Erhaltung seines Endzwecks, das ist, zu Beförderung seiner Progressen reichen, die er nur aufbringen kann. Er ist berechtiget mit militärischer Execution diese Hülfleistung zu erzwingen, ohne daß er deswegen ein Feind ist, er kann (bei alledem) sogar ein Freund und Bundsgenosse seyn. Was thue ich anders? Sie sind in meiner Gewalt, ich verlange eine kleine Gefälligkeit von ihnen, die sie mir auch leicht erweisen können, sie verweigern mir solche: ich bediene mich also meiner Macht, die mir die Kriegsgesetze erlauben, meinen Endzweck zu erreichen. Ich bin aber keinesweges ihr Feind, [328] Feind, nein, wir sind die besten Freunde, hier haben sie meine Hand. Ich bin äusserst gerühret, daß ich mich genöthiget sehe, ihnen auf eine unangenehme Art zu begenen. Sie werden mich außerordentlich verbinden, wenn sie mich von der Nothwendigkeit befreien, meinem Vortheil der Heiligkeit des Gastrechts vorzuziehen.

Lampert zum Major. Sie bringen alles Unglück über mich, Herr Major! Hätten sie nicht den Vorschlag gethan, daß ich die Ehre des Herrn Rittmeisters gegen die Wahrheit verfechten sollte: so sähe ich mich jetzo nicht in so viele Verdrüßlichkeiten verwickelt. Nun verlasse ich mich auch auf ihren Vorspruch.

Der Major, zuckt die Achseln.

Salmonet. Hier gilt kein Vorspruch, entschließen sie sich, aut, aut. Er stieg auf vom Stuhle.

Lampert. Hören sie, Herr von Salmonet, nur ein Wort!

[329] Salmonet. Was denn?

Lampert. Gönnen sie mir doch wenigstens nur eine kleine Bedenkzeit, um bei einer Sache voll solcher Wichtigkeit eine feste Entschließung zu fassen. Erlauben sie, daß ich einen kleinen Abtritt nehme.

Salmonet. Richten sie alles nach ihren Gefallen ein, bester Freund, ich verstatte ihnen diesen Zeitraum gar gerne, die Sache zu überlegen, bringen sie nur eine mir gefällige Entschlüßung zurück.

Lampert ging hierauf in das Nebenzimmer, wir hörten kurz hernach seine Stimme. Der Baron winkte uns, daß wir stille seyn sollten, er nahm seine Schreibtafel und lehnte sich an die Thür. Hier ist es, was er von dem Selbstgespräche des Magisters aufgeschrieben hat, man konnte nicht alles vernehmen.

Nein! Jedermann würde mich verachten – Welcher Unterschied unter den Menschen! Grandison der Menschenfreund. Ehre genug seinetwegen ein Märtyrer zu seyn! [330] Wer kann wider Gewalt und Unrecht – –! Aber gleichwohl – keine Einwürfe! Ein Abschaum von bösen Menschen kann dich nicht beschimpfen. Getrost Lamperte! Jetzt ist es Zeit, dir ein Verdienst zu machen –, Wohlan, zeige deinen Muth, wie spricht der Dichter:


Justum ettenacem propositi virum,
Non militum ardor, prava jubentium,
Non vultus (cape tibi hoc!)
Non vultus iustantis tyranni,
Mente quatit solida.

Aber freilich vor der übelunterrichteten Welt –. Ei kein aber! In Jahr und Tag ist alles vergessen–. Aber Hannchen wird mir umkehren. Ein schwerer Punkt- in der That, Hic haeret aqua! doch nein, nichts ist im Stande – –

Weiter konnte man nichts verstehen, es trat in dem Augenblick ein Küraßier von dem Ansehen eines Bramarbas in das Zimmer, der einen Paß examiniren ließ, und [331] durch das Geräusch seiner Stiefeln uns um den letzten Theil dieses Selbstgespräches brachte. Der Magister kam einige Augenblicke hernach sehr bestürzt zurück; er glaubte, der Küraßier wäre seinetwegen da, um gegen ihn Gewalt zu gebrauchen. Dieses machte eine plötzliche Aenderung in seinem festen Entschluß. Wozu dienen alle diese Weitläufigkeiten, sagte er, da ich bereit bin, ihre Absichten zu erfüllen. Der Rittmeister umarmte ihn, und der Küraßier nahm seinen Abmarsch. Lampert setzte sich in einem Winkel des Zimmers, und nach einer Stunde überreichte er die verfertigte Schutzschrift, die vollkommen nach dem Willen des Officiers eingerichtet war. Der Major rieth ihm, diesen Aufsatz in die öffentlichen Zeitungen einrücken zu lassen, weil dieses der leichteste Weg wäre, solchen allenthalben bekannt zu machen. Lampert bat den Rittmeister sehr angelegentlich, ihn zu beurlauben und ihn mit einem Passe zu versehen, damit wenn er unterweges einer Patruille wieder in die Hände fiele, man ihn nicht für eine verdächtige [332] Person halten möchte. Der Rittmeister versicherte, daß er nichts zu befürchten hatte, weil er aber doch darauf bestund; so gab er ihm einen Reitknecht zur Bedeckung mit. Er mußte versprechen des folgenden Tages wieder zu kommen, aber er hat sein Wort nicht gehalten. Am Freitage wollte der Rittmeister unser Oncle besuchen.; er wurde aber durch die Ordre zum Aufbruch daran verhindert. Jetzo ist es in unserer Gegend wieder ganz ruhig. Der Magister hat sich, wie der Baron erzählet, der gestern in Kargfeld gewesen ist, zwei Tage und drei Nächte in einem großen Schlagfasse auf dem Boden aufgehalten, und vorgeben lassen, er wäre in Angelegenheiten seines Gönners verreist, damit er dem Herrn Salmonet nicht wieder unter das Gesichte kommen möchte. Unser Oncle ist sehr böse auf ihn, daß er dem Rittmeister Gehorsam geleistet, und eine Schmähschrift gegen den Herrn Grandison, wie er es nennt, aufgesetzt hat. Ich will das Original davon meinem Briefe mit beifügen, du wirst leicht einsehen, welchen [333] Zwang der Magister bei Verfertigung dieses Aufsatzes sich hat anthun müssen. Fräulein Julgen ist mit dieser heimlichen Rache gegen den boshaften Lampert nicht sowohl zufrieden als ich. Sie ist ein liebes frommes Kind, die keine Beleidigung rächen, sondern nur verzeihen will. Meine sechs Federn sind nun eben stumpf, ich will also mein Paquet geschwinde zusammen packen. Wenn es dir in Straßburg nicht so wohl gefällt als in Londen; so verschaffe uns bald das Vergnügen, dich in Schönthal zu sehen, um von mir die mündliche Versicherung zu erhalten, daß ich nie aufhören werde zu seyn


Deine
A.v.S.
[334] Avertissement
An das Publicum.

Es ist nicht ohne die äußerste Befremdung zu vernehmen gewesen, was maßen der Herausgeber der Geschichte Herrn Carl Grandisons, sich die ungeziehmende Freiheit genommen hat, einige Briefe in besagter Geschichte nach seinem Gutdünken zu verändern und zu verfälschen, dergestalt und also, daß er sich nicht entblödet hat, aus solchen einige wichtige Umstände ganz und gar wegzulassen, oder zu verdrehen; nicht minder seine eigenen Erdichtungen und Hirngespinnste an deren Stelle zu setzen, und sie für die reine Wahrheit zu verkaufen. Da nun durch solche arglistige Griffe sowohl das Publicum auf eine schändliche Art ist hintergangen, als auch verschiedene Personen durch diese ungetreue Erzählung an ihrer Ehre und guten Namen heftig sind gekränket[335] worden: so hat man nicht Umgang nehmen wollen, eine abgenöthigte Ehrenrettung, der, von dem Herrn Herausgeber so feindselig angegriffenen Personen, öffentlich an das Licht zu stellen, und dadurch ein unparteiisches Publicum von der Wahrheit der Sache genau zu informiren, die fabelhaften Erdichtungen in ihrer Blöße darzustellen, und ihre Urheber für seine Verwegenheit dadurch einigermaßen büßen zu lassen.


Nie ist wohl die Wahrheit mehr gesparet worden, als bei Erzählung des Duells zwischen Herrn Carl Grandison Baronet an einem, und S.T. Herrn Major Ohara und dem Herrn Hauptmann Salmonet am andern Theile. Ob man gleich genugsam überzeugt ist, daß jedem vernünftigen Leser sogleich bei Erblickung dieser Relation, welche im 3ten Theile der Grandisonischen Geschichte und daselbst im XIII. Briefe aufgezeichnet zu ersehen ist, die handgreiflichsten Unwahrscheinlichkeiten, damit am besagten Orte einige Blätter angefüllet sind, nothwendig in [336] die Augen leuchten müssen, und man also die ganze Sache dem vernünftigen Urtheile des billigen Lesers hätte überlassen können: so hat man doch um der schwachen Brüder willen, die des judicii discretionis sich nicht sonderlich rühmen können, und aus Liebe zur Wahrheit, einige Umstände dieser Erzählung in etwas beleuchten wollen, um solche von den vorsetzlichen Erdichtungen des Verfassers zu säubern, und Licht und Finsterniß, das ist, Wahrheit und Lügen in diesem Chaos von einander abzusondern. Es ist demnach


1.) Ueberhaupt eine strafbare Verwegenheit, wenn dieser ganze Brief, so wie er in bemeldter Geschichte dem Publico vor Augen liegt, dem Herrn Carl Grandison angedichtet wird. Wahr ist es, daß Sir Carl den ganzen Verlauf des Rencontres mit dem Herrn Major Ohara und dem damaligen Titularhauptmann, jetzigen wirklichen Rittmeister in Königl. Großbrittannischen Diensten, Herrn von Salmonet, an Se. Hochwürden, Herrn D. Bartlett, aufrichtig und [337] mit der Wahrheit übereinstimmend berichtet hat. Es ist dieser Brief aber von dem Herrn Herausgeber entweder ganz und gar unterschlagen, oder durch viele erdichtete Zusätze so verunstaltet worden, daß ihn Sir Carl gar nicht mehr für den seinigen erkennt, wie er dieses selbst gegen viele glaubwürdige Personen, die allenfalls alle mit Namen angeführet werden könnten, gestanden hat. So ist auch


2.) Grundfalsch, wenn der Verfasser dieses untergeschobenen Briefes Sir Carln muthmaßen läßt, die beiden Herren wären gemeine Kerls und keine Officiers, die von der Frau Jervois nur wären herausgeputzet worden, da doch mehr belobter Herr Hauptmann Salmonet jetzo in Deutschland unter den englischen Truppen mit vielem Ruhme ein Geschwader Reuter commandiret, und sich vorgenommen hat, die Feinde seines Königes und des Vaterlandes zu überwinden, oder zu sterben. Es konnte auch Sir Carln ganz und gar nicht einfallen, an dem guten [338] Herkommen dieser beiden Herren zu zweifeln, da der Herr Major gleich nach den ersten steifen Complimenten, die beide Theile einander machten, sein Geschlechtregister nebst allen Documenten seines guten irrländischen Adels, welches zusammen im Druck einen ziemlichen Quartanten ausmachen dürfte, dem Baronet in einer Schnupftobacksdose darreichte, von welcher doch der Verfasser ein ganz andres Mährgen erzählet. Man hat nicht Ursache über dieses compendiöse Behältniß eines so weitläuftigen Werkes in Verwunderung zu gerathen, da man ja ungezweifelt weiß, daß in dem Alterthume eine Abschrift der ganzen Ilias des Homers, auf Pergament geschrieben, in einer Nuß ist aufbehalten worden. Was aber das Geschlecht des Herrn Salmonets anlangt, so glaubt man, daß jeder von der Vortrefflichkeit desselben genugsam werde urtheilen können, wenn man sagt, daß der Herr Großvater oftbenannten Herrn Rittmeisters unter Cromwells Heere eine ansehnliche Charge hatte, wenn dieser predigte, so versahe jener [339] die Stelle eines Feldcantors. Aus dem Verhältnisse eines Pastoris und Cantoris mit der Gemeinde, kann man das Verhältniß zwischen dem Protector Cromwell, dem Anherrn des Herrn Salmonets und andern Gliedern des Brittischen Staats vollkommen bestimmen. Gleichwie ein Pastor in keinem Dorfe und dessen Filialen der vornehmste Mann ist, und nach ihm dem Cantori der zweite Platz gehöret: also war auch Cromwell ein Beherrscher dreier Völker; und Herr Eduard Salmonet war nach ihm der größte im Reich. Ferner und zum


3.) Kann man auch unangemerkt hier nicht vorbeilassen, daß der Verfasser oftangezogenen untergeschobenen Briefs einen offenbaren Widerspruch begehet, wenn er erstlich den Herrn Grandison diese beiden Herren für gemeine Kerls halten, und ihn doch kurz hierauf den Degen gegen beide ziehen läßt. Man könnte zwar sagen, es wäre dieses eine Nothwehre gewesen: Sed quod negatur. Warum ließ er es denn [340] so weit kommen? Warum braviert er die Herren so lange, bis sie endlich böse werden und vom Leder ziehen? Wenn er sie für keine Cavaliers hielt, so konnte er ja gleich bei dem ersten Wortwechsel seinem Bedienten klingeln, um diese Männer, nach dem Ausdruck des Verfassers, mit der Verachtung, welche sie verdienten, nach ihrem Wagen bringen zu lassen, ohne sich vorhero erst mit ihnen zu schlagen, und ihnen Cavaliers-Satisfaction zu geben. Man merkt es hier gar zu deutlich, daß sich der Verfasser selbst vergessen hat, die Unwahrheit guckt unter seiner Erzählung allenthalben hervor. Möchte man ihm dahero nicht mit Recht zurufen: Mendacem opportet esse memorem? Nicht weniger ist es


4.) Eine lächerliche Erdichtung, wenn Herr Richardson seinen Helden seine zwei Gegner mit einer ganz unglaublichen und einer Zauberei ähnlichen Geschicklichkeit entwaffnen, und als ein paar Kartenmänner zu Boden strecken läßt. Er begnügt sich [341] nicht an einem Siege, den er seinem Helden so leicht in die Hände spielt: Sir Carl muß sich auch die Mühe nehmen, beide Männer, einen nach dem andern, aus dem Zimmer zu bringen. Wie er das angefangen hat, wird nicht gemeldet, es wäre dieses auch vergeblich gewesen, denn die umständlichste Beschreibung dieses Vorganges würde jedem vernünftigen Leser doch unbegreiflich geblieben seyn. Wenn man nicht Sir Carln für einen Zauberer halten will, der mit bannen und feste machen umgehen kann: so wird man gestehen müssen, daß dieser Auftritt dem Roman so ähnlich siehet, als ein Tropfen Wasser dem andern. Risum teneatis amici! Noch eins! Warum ruft denn Sir Carl noch zuletzt, da die beiden Herrn schon entwaffnet waren, ein halb Dutzend handfeste Kerls zu Hülfe? Waren die beiden Herren so gedultig als sie beschrieben werden; so waren die Bediente unnütze, sie hätten schon selbst ihren Wagen gesucht, da sie bei Sir Carln nichts mehr zu thun hatten. War aber die Gegenwart der Bedienten [342] nöthig; so ist dieses ein untrügliches Zeichen, daß Sir Carl mit ihnen alleine nicht fertig werden konnte. Wer findet hier nicht abermal einen Widerspruch!


Um dem erlauchten Publico nur einiger maßen einen richtigen Begriff von dieser Affaire zu machen: so ist zu wissen, daß Sir Carl den plötzlichen Ausbrüchen des Zorns, denen er von seiner ersten Jugend an unterworfen gewesen, nicht widerstehen konnte, da er in dem unerwarteten Besuche, mehrgedachter beider Herren Officiers, und der Gemahlin des Herrn Majors, etwas beleidigendes fand. Große Männer haben gemeiniglich auch große Fehler, ein Wort gab das andere; und Officiers, die Muth besitzen, lassen sich, wie man weiß, nicht gerne beleidigen. Sie waren also genöthiget, ihre Ehre mit dem Degen zu vertheidigen. Sir Carl hatte nur einen kleinen Pariser an der Seite, seine Herren Gegner aber ihre Commandodegen. Es wäre ihnen mithin ein leichtes gewesen, dem Baronet, der sich [343] bei dem Kamin mit einigen Stühlen verschanzet hatte, eins anzubringen, daß er genug gehabt hätte. Allein, da er offenbar übermannet war, und mit seinen Gegnern nicht einmal gleiche Waffen hatte: so war der Herr Major so großmüthig, ihn ordentlich nach Kriegsgebrauch in seinem Bollwerke aufzufordern. Man begehrte, er sollte das Gewehr strecken, und sich auf Gnade und Ungnade ergeben. Weil er nun dieses zu thun sich weigerte: so machte man Mine, ihn hinter seiner Verschanzung anzugreifen. In diesem Augenblicke aber drang ein Haufe bewaffneter Bedienten in das Zimmer, ihren Herrn zu entsetzen, der eben im Begriff war, Chamade zu schlagen. Man bekam mit einem Haufen Feinden zu kämpfen, die allerlei ungewöhnliche Waffen, als Ofengabeln, Aexte, Feuerschaufeln und dergleichen führten. Hier war nichts anders zu thun, als sich mit Ehren durchzuschlagen. Beide Herren thaten ihr Bestes, der Major Ohara machte sich Platz bis an die Thür des Zimmers, doch hier hatte sich [344] ein verwegener Kopf hinpostiret, der seine Kohlenzange, gleichwie ein Krebs seine Scheere sowohl zu regieren wußte, daß er damit das Ohr des Majors ergriff und ihn dergestalt zwickte, daß er sich ergeben mußte, nachdem er sowohl als der Herr Salmonet durch einige Gabelstiche war verwundet worden. Die Ueberwinder trugen beide Herren im Triumph und mit einem großen Jubelgeschrei in ihren Wagen. So wie nun alle diese Umstände Herr; Richardson mit großer Sorgfalt verschwiegen, und seine romanmäßigen Erdichtungen an deren Stelle gesetzet hat: so schüttet er


5) Seinen Gift und Galle noch zu guter Letzt über diese Herren aus, nachdem er sie mit vielen unwahrscheinlichen Umständen in ihren Wagen gebracht hat. Weil der ganze Handel ziemlich tragisch war, und er doch gern ein Lustspiel daraus machen wollte: so müssen die beiden Herren, mit denen er bereits so übel umgesprungen, daß es einem jammert, um dem Leser etwas zu lachen zu [345] geben, einander nicht anders als ein paar Böcke stutzen. Er läßt ihre Köpfe einander in der Kutschthür begegnen, und sie müssen sich so derbe Kopfnüsse versetzen, daß man die Maalzeichen davon unfehlbar noch an der Stirn des Herrn Rittmeisters entdecken würde, wenn die Sache Grund hätte. Man kann also auch dieser Erdichtung mit allem Rechte widersprechen, und im Gegentheil weiß man vielmehr, aus ganz sichern Nachrichten, daß beide Herren mit einer großmüthigen Standhaftigkeit ihr Schicksal ertragen haben, und nicht einmal den Affront, den sie von den Bedienten des Baronets erlitten, zu rächen suchten; ja sie waren so edelmüthig, daß sie ihre Hüte und Degen von Sir Carls Bedienten wollten einlösen lassen, welche Siegeszeichen er ihnen aber unentgeltlich überschickte.


Dieses ist die authentische Relation, des ganzen Vorganges dieser berüchtigten Sache, die in Europa hin und wieder vieles Aufsehen gemacht hat. Man hofft die [346] gegenseitigen Erdichtungen genugsam widerlegt zu haben, dergestalt, daß ein unpartheiisches Publicum nunmehro keinen Anstand nehmen wird, solche als falsch und ungegründet zu verwerfen, und im Gegentheil die geschmälerte Ehre des Herrn Majors Ohara und Herrn Hauptmann Salmonets wieder herzustellen, und alle ungleiche Urtheile auf den Verfasser obenangezogenen Briefs zurückfallen zu lassen. Wobei man sich schlüßlich zur Gewogenheit eines Publici bestens empfiehlt.

Dritter Theil

1. Brief
[3] I. Brief.
Lampert Wilibald an den Herrn v.F.

Kargfeld, den 16 Nov.


Es hat mir gestern das Fräulein v.S. unversichert, daß Eu. Hochwohlgebohrn. Gnaden heute an den Herrn v.S. ein Schreiben würden abgehen lassen, und ich glaube dadurch eine erwünschte Gelegenheit zu finden, inneliegenden Brief sicher nach England zu bringen; da der junge Herr sich anheischig gemacht, von Straßburg aus den Briefwechsel mit den Brittischen Freunden zu unterhalten. Sie werden also für meinen Gönner die Gewogenheit und für mich die Gnade haben, dieses Schreiben mit einzuschließen; auch beigelegtes Zeugniß [3] zu Rettung meiner Unschuld mit Dero hohen Namen zu bekräftigen. Ich habe nicht Umgang nehmen können, die bekannte Affaire mit dem verwünschten Salmonet, welcher in Wahrheit ein rechter Satan ist, an den Herrn Grandison einzuberichten, damit dieser Verwegene für seine Bosheit gezüchtiget werde, und meine Unschuld in puncto der Schmähschrift, welche ich gegen den Herrn Baronet aufzusetzen bin gezwungen worden, an den Tag komme.


Es ist zwar andem, daß meine Hand ist gemißbraucht worden, aber mein Herz ist unschuldig, und dahero hoffe ich, daß dieser großmüthige Mann desto geneigter seyn wird, mir zu verzeihen, je weniger mein Betragen in dieser gefährlichen Sache nach reiflicher Erwägung der antecedentium, concomitantium et confequentium mir zur Last geleget werden kann. Hat man, nach dem Urtheile vieler Gelehrten, den Menschen von dem Schriftsteller zu unterscheiden, dergestalt, [4] daß die Fehler des einen, dem andern nicht zugerechnet werden; so kann ich mit mehrerem Rechte verlangen, daß man einen Unterschied unter dem Magister und dem Menschen mache. Hat der letztere aus menschlicher Schwachheit, oder genauer zu reden, aus Klugheit ein größeres Uebel, das seiner Ehre eben so sehr als seinen Schultern drohete, abzuwenden, ein kleineres angerichtet, so hat der Magister nichts damit zu schaffen. Urtheilen sie hieraus, ob mein Herr Principal nicht zu weit gehet, wenn er einen ehrvergessenen Mammelucken aus mir machen will, weil ich nach den Regeln der Klugheit einmal anders gehandelt als gedacht habe. Ich hoffe aus England, wohin ich appelliret habe, ein günstiger Urtheil zu erhalten als von meinem Patron, welcher so sehr für die Ehre seines Herrn Gevatters eingenommen ist, daß er mich aus der Zahl der rühmlichen Nachfolger dieses großen Mannes gänzlich ausschließen will, ungeachtet ich nach allen Regeln der Beredsamkeit ihn [5] zu überzeugen gesucht habe, daß ich vorzüglich darunter gehöre. Es ist andem, daß ich an dem unglücklichen Tage, der mich auf einige Stunden zum Sclaven eines Tirannen machte, mich nicht als einen muthigen Achill, aber doch gewissermaßen als einen verschlagenen Ulyß gezeiget habe. Temporibus caute est inserviendum. Wenn ich den ganzen Vorgang der Sache ohne Vorurtheil erwäge, so glaube ich mehreres Lob als Tadel zu verdienen.


Es würde mir indessen zu einer ungemeinen Beruhigung gereichen, wenn Eu. Gnaden sich hierüber expectoriren wollten, ob ich in der Standhaftigkeit den Herrn Grandison zu vertheidigen hätte fortfahren sollen, oder ob ich weislicher gehandelt habe, daß ich der Gewalt nachgegeben. Würden sie die Sache zu meinem Vortheil entscheiden, so hätte ich Hoffnung, wieder an die Tafel meines Patrons aufgenommen zu werden, jetzo werde ich wie ein Aussätziger geachtet;[6] mein Herr will weder mit mir essen noch trinken, so lange er in den Gedanken stehet, ich hätte der Ehre seines Freundes durch mein Verfahren, einigen Eintrag, gethan. Jedoch vermuthlich will er nur dadurch meine philosophische Standhaftigkeit prüfen, und ich werde mich bemühen, zu zeigen, daß ich nicht nur in theoria, sondern auch in praxi eben so wohl ein Philosoph bin, als von


Eu. Gnaden

ein unterthänigster Diener M.L.W.

2. Brief
[7] II. Brief.
An Herrn Grandison Baronet, von Herrn Lampert Wilibald, der freien Künste Magister.

Kargfeld, den 15 Nov.


Daß der Rabe ein Rabe bleibt, wenn man ihm auch gleich alle schwarze Federn ausrupfen wollte, und daß ein lasterhafter Mensch, dem das Laster zur andern Natur geworden ist, ein Bösewicht bleibt, wenn die Tugend auch gleich alle ihre Reizungen anwendet, ihn zu bessern: solches ist eine betrübte aber unumstösliche Wahrheit. Ein unedles Metall läßt sich durch die Kunst in ein edlers verwandeln; aber bei einem bößartigen Gemüth ist alle Kunst verlohren. Lassen Sie, hoher Gönner, zur Erläuterung dieser Wahrheit den Rittmeister Salmonet als ein Beispiel dienen, und erlauben Sie großgünstig, daß ich [8] Ihnen das erschreckliche Bild dieses Mannes mit lebendigen Farben abschildern darf. Sein Character ist Ihnen zwar sattsam bekannt; allein da er gegen Sie niemals seine Boßheit in ihrem ganzen Umfange hat ausüben können: so schlüße ich daraus wahrscheinlich, daß Ihr Begriff von diesem ruchlosen Menschen, wenn ihm dieser letzte Name anders noch zukommt, und er nicht vielmehr ein Ungeheuer oder Meerwolf genennet zu werden verdienet, einigermaßen unvollständig ist.


Es kann Ihnen nicht unbekannt seyn, daß er sich unter den königlichen Truppen in Deutschland befindet. Ein unglückliches Schicksal wollte, daß er mit seinen ihm untergebenen Leuten auf dem Hochadlichen Rittersitze des Herrn Baron v.F. zu Schönthal einige Tage sein Quartier bekam. Er legte den Wolfspelz ein wenig im Anfange bey Seite, und trug Verlangen, die Verehrer Eu. Gnaden, von welchen er durch den Herrn [9] Major Ohara und die Madame Beauchamp einige Nachricht erhalten, persönlich kennen zu lernen. Jedermann drang sich zu ihm, um einen Mann, der zufälliger Weise nichts geringes beygetragen hat, Dero Ruhm in ein helleres Licht zu setzen, gleich einem ausländischen wilden Thiere in Augenschein zu nehmen; doch plötzlich riß sich dieser Panther von der Kette, ersahe unter allen Anwesenden mich zum Raube seiner Grausamkeit, sprang nur auf den Hals und würgete mich wie ein unschuldiges Lamm, das ist, er nöthigte mich unter vielen Drohungen, eine ehrenrührige Schrift wider Eu. Gnaden aufzusetzen, mit dem Vorsatze, solche der Welt durch den Druck öffentlich vor Augen zu legen, und dadurch Dero berühmten und heldenmüthigen Namen ein Klebesleckgen anzuhängen. Ich bin versichert, daß Sie mir als Dero eifrigsten Verehrer kaum werden zutrauen können, daß ich gegen Dero hohe Person die Feder angesetzt haben sollte; ich entsetze mich gegenwärtig vor mir selbsten [10] und schlage mich ins Angesicht, so oft ich daran gedenke. Ich habe die glückliche Gelegenheit, mich um Sie verdient zu machen, aus den Händen gelassen; ich habe mich durch Drohungen erschrecken und eintreiben lassen, meinen, und welches ich ohne eitlen Ruhm sage, Ihren ähnlichen Character zu verläugnen, und doch gleichwohl bin ich, welches paradox scheinet,


integer vitae scelerisque purus.


Es ist wahr, ich habe mich durch diese Affaire nicht, wie ich wünschte, um Sie verdient gemacht, und deswegen bin ich auch nicht gesonnen, mich so weiß zu brennen, daß ich alle menschliche Schwachheit, die ich etwan in dieser Sache gezeiget, von mir removiren wollte: aber ich habe mich auch keines Hochverraths gegen Dieselben, wie mir von einigen will aufgebürdet werden, schuldig gemacht. Vernehmen Sie den ganzen Verlauf der Sache in zwei Worten, und hernach fällen sie mein Urtheil.

[11] Nachdem der Rittmeister Salmonet sich auf dem Schlosse des Herrn v.F. mit mir in eine weitläuftige Unterredung von der Attaque, welche er, nebst dem Major Ohara auf Dero Person in London geführet, eingelassen, und seine ganze Beredsamkeit angewendet hatte, dieser für ihn so nachtheiligen Begebenheit durch allerlei Erdichtungen einen solchen Schwung zu geben, daß sie mehr zu seinem und seines Consorten als zu Dero Vortheil angeblichermaßen sollte ausgefallen seyn; auch hiernächst den Herrn Richardson eines gröblichen Falsi beschuldigte, als hätte er Dero an den Herrn D. Bartlett abgelassenes Handschreiben, worinnen diese Sache erzählet wird, unendlicher Weise verfälschet, viele Umstände herausgelassen, verändert, und die ganze Sache so bemäntelt, daß Dero Ehre zwar gerettet, seine und des Herrn Majors Ehre aber aufs heftigste dadurch wäre angegriffen und gemißhandelt worden, und er denn nicht gemeinet sey, länger in den Augen des ganzen erlauchten europäischen Publici, für [12] einen Poltron gehalten zu werden, da er insbesondere in dem jetzigen Kriege, bei den Feinden seines Königes und der Brittischen Nation, durch seine Tapferkeit und Kriegeserfahrung, sich in eine solche Reputation gesetzt, daß sie ohne Schrecken nicht an ihn gedenken könnten: so ersuchte er mich, wie er sagte, auf Recommendation des Herrn v. Ln. seines Freundes, der ein deutscher Cavalier ist, wegen meiner von diesem ihm angerühmten Geschicklichkeit seine gute Sache vor der ganzen honetten Welt öffentlich zu vertheidigen. Zu dem Ende er suchte er mich im Anfang auf eine freundschaftliche Art, eine mit vielen Erdichtungen und unwahrscheinlichen Umstände ausgeschmückte Nachricht, dem von dem Herrn Richardson Ihrer Geschichte einverleibten Briefe entgegen zu setzen, und mithin gegen den Herrn Richardson oder vielmehr gegen Hochdieselben die gelehrten Waffen zu ergreifen. Wie ich nun dieses höchlich verbat und mich weder durch Verheißungen noch Liebkosungen zu einen Lügenpropheten wollte[13] mißbrauchen lassen: so erschien er plötzlich nach abgelegten Fuchsbalg in der Löwenhaut, und unterstund sich, durch allerhand militarische Zwangsmittel, die mir noch, so oft ich daran gedenke, einen febrilischen Schauer erregen, mich zur Vollstreckung seins Willens zu nöthigen. Ich that, was man von dem Character eines ehrlichen Mannes verlangen kann, und widerstund dem Versucher mascule, wie solches angebogenes Testimonium mit mehrerm bezeiget; jedoch da ich mich in seiner Gewalt befand, und er mit mir umspringen konnte, wie er nur wollte, auch die Gefahr, in welcher ich mich befand, vor Augen sahe, und zugleich überlegte, daß es mehr eine tadelhafte Hartnäckigkeit als eine lobenswürdige Tapferkeit sey, sich einer überlegenen Macht zu widersetzen, und muthwillig den Kopf gegen die Mauer zu stoßen: so erachtete ich der Klugheit gemäß zu seyn, mich dismal weislich in die Zeit zu schicken, und der Gewalt zu weichen. Diesem Entschluß zu Folge verfertigte ich zwar den mit Gewalt [14] von mir erzwungenen Aufsatz, jedoch mit der ausdrücklichen Reservatione mentali, daß ich solchen, wenn er auch unter meinem Namen, um ihn, wie ich vermuthe, in Deutschland mehreres Ansehen zu verschaffen, sollte aus Licht treten, niemals für meine Arbeit erkennen, sondern, sobald er mir unter die Augen treten würde, ihm eine gründliche Beantwortung entgegen stellen wollte.


Ob ich nun gleich nach einer genauen Zusammenhaltung aller Umstände mir in meinem Betragen bey dieser Sache nichts vorzuwerfen habe; so kann ich doch nicht umhin, Eu. Gnaden unterthänig zu entdecken, daß meine philosophische Gemüthsruhe seit dieser Affaire vieles gelitten hat. Ich bin ein rechterHeavtontimorumenos und diese animi pathemata wirken dergestalt auf meinen Körper, daß sie mich beinahe völlig um meinen guten Appetit und Schlaf gebracht haben, und ich dahero in Sorgen stehen muß, eins Auszehrung zu bekommen, wenn Hochdenenselben [15] nicht gefallen wollte, meine Handlung zu rechtfertigen, mich von aller Schuld und Vergehung gegen Dero hohe Person loszusprechen, auch meinem Patron, dem Herrn v.N. nachdrückliche Vorstellung zu thun, damit er nicht aus einem übertriebenen Eifer für Dero Ehre mir täglich so viele beißende Vorwürfe mache. Ich verlasse mich hierinne gänzlich auf Dero angestammte Großmuth, so wie ich Ihre Gerechtigkeit auffordere und Sie hierdurch beschwüren will, sich und mich und die ganze ehrliebende Welt, welche durch die Vorspieglungen des ruchlosen Salmonets hat hintergangen werden sollen, an diesem Auswurf der Natur und der rechtschaffenen irrländischen Nation aufs nachdrücklichste zu rächen, und diese unbeschreibliche Effronterie entweder dem Parlement, oder der hohen Generalität anzuzeigen, auch ohnmaßgeblich dahin anzutragen, daß dieser bösartige Mensch von seinem Commando avociret, gerichtet und verurtheilet werde, daß er wenigstens auf zehen Jahre aus seinem [16] Vaterlande zu den wilden Iroquoisen nach America, wohin er sich eher schickt als in das gesittete Deutschland, welches er mit Uebelthaten erfüllet, verbannet werde.


Glauben Sie indessen nicht, hoher Gönner, daß ich aus einer Privatrache den leidigen Salmonet exemplarisch bestraft zu sehen wünschte, ich würde ihrer Achtung unwürdig seyn, wenn ein so strafbarer Affect in mir herrschte, und zu diesem Wunsche Gelegenheit gegeben hätte. Persönlich habe ich nach Dero Beispiele ihm alles großmüthig verziehen, ich bedaure ihn wie einen armen Sünder, den man an die Gerichtsstätte führen siehet, ich wünschte, daß ich alles mit dem Mantel der christlichen Liebe bedecken könnte. Allein nach dem Triebe der Gerechtigkeit, welcher mir eigen ist, kann ich solche Vergehung mit Stilleschweigen nicht übergehen: denn ich halte dieses Mittel, der Boßheit Einhalt zu thun, nicht zureichend, wenn man sie übersiehet, sondern, wenn man sie [17] an den Tag bringt, daß sie andern zur Warnung bestraft werde. Aus diesem Grunde glaube ich, wenn anders Eu. Gn. nicht durch meine Freimüthigkeit beleidiget werden, daß Dero großmüthige Vergebung und Unterdruckung des strafbaren Attentats, des Majors und des Rittmeisters auf Dero Person, zwar in thesi lobenswürdig ist, in hypothesi aber und mit kritischen Auge betrachtet, scheinet, quod pace tua dixerim, diese Großmuth mehr verschwendet als wohl angewendet gewesen zu seyn. Hätten Sie diese beiden Männer der Gerechtigkeit damals nicht entzogen, so würden sie vielleicht beide dadurch abgehalten worden seyn, neue Uebelthaten zu begehen. Was den Major anlanget, so getraue ich mich nicht zu entscheiden, ob er wirklich durch Ihro Großmuth ist beschämet worden und in sich gegangen ist; oder ob seine gute Aufführung, die er nachher beobachtet hat, nicht eher einer Verstellung als einer wirklichen Lebensbesserung ähnlich siehet, wenigstens ists es gewiß, daß der Rittmeister[18] dadurch nur destomehr ist angefrischet worden, neuemolimina gegen Hochdieselben zu unternehmen, wovon ich auch zugleich ein unglückliches Object gewesen bin. Ich will hiervon nichts weiter gedenken, Sie, hoher Gönner, haben viel zu erleuchtete Einsichten, als daß Sie nicht hierinne mit mir übereinstimmen sollten, daß die Boßheit muß bestraft werden, und daß einfolglich dieser Ruchlose, wenn anders in der Welt noch einige Gerechtigkeit gehandelt wird, den an Ihnen und mir verübten Frevel wird büßen müssen.


Ich habe mich anheischig gemacht, den Charakter dieses Mannes zu schildern, aus dem, was ich bereits gesagt habe, ist er sichtbar genug; doch damit er desto deutlicher in die Augen falle, so erlauben Eu. Gn. daß ich aus der Geschichte einige der berühmtesten Bösewichte aufstelle, und sie mit diesem in eine Vergleichung setze, um zu beurtheilen, ob die Uebelthaten der erstern oder des letztern ein größeres Gewicht haben.

[19] Welch abscheulich Gemählde machen die Liebhaber der Alterthümer von dem Herostrat, der den prächtigen Tempel der Diane zu Ephesus in die Asche geleget! Es ist nicht zu läugnen, er war ein böser Bube, allein was that er anders, als daß er einen heidnischen Tempel und abgöttisches Bild verwüstete? der Rittmeister Salmonet ist ein andrer Mann, er verschwendet seine Bosheit nicht an leblose Geschöpfe; er wütet gegen lebendige Creaturen, gegen vernünftige Bewohner der Erde, gegen Leute von Ehre und Verdienst. Er als ein elender Zwerg steigt gleichsam den Riesen auf die Schultern, und tritt sie mit Füßen, damit er nur von andern möge gesehen werden. Er ist wie eine schelmische Mücke, die sich unterstehet, mit ihren vergifteten Stachel ein edelmüthiges Pferd zu verwunden, das doch im Stande ist, ein solch unedles Insekt mit seinem Othem zu verschlingen.

Brutus und Caßius, die Anführer der Rotte, die dem großen Cäsar den Tod geschworen [20] hatte, brachten diesen Helden auf eine grausame Art um; aber was war ihre Absicht? Die Freiheit des Vaterlandes zu retten, und Rom von der Knechtschaft zu befreien, folglich hatten sie das gemeine Beste zum Augenmerk. Bin ich gleich nicht ein Held, daß ich, aus diesem Gesichtspunkte betrachtet, mit dem Cäsar könnte in Vergleichung gesetzet werden, so war es auch kein Gelehrter, der mit akademischen Ehren pranget, wie ich, und vielleicht bin ich, welches ich doch nicht sage, um eitlen Ruhm zu suchen, ein nützlicheres Mitglied des Staates, als dieser große Römer, wenigstens habe ich in der Welt nicht so vielen Schaden angerichtet, und nicht so viele tausend Menschen meiner Sehnsucht zum Opfer gebracht. Hat er mich gleich nicht auf eine so grobe Art todtgeschlagen, wie Brutus und Caßius den Cäsar; so hat er mich doch auf eine subtile Art todtgeschlagen: denn er hat mir meine Ehre geraubt, weil er meinen Namen gemißbraucht, solchen einer Lästerschrift vorzusetzen, und mich[21] sogar gezwungen, sie zu entwerfen; er hat mich todtgeschlagen, indem er durch eine so tirannische Zundthigung, die mit den schrecklichsten Drohungen begleitet war, mich in solche Gemüthsunruhe versetzet, daß es kein Wunder seyn würde, wenn ich wie jener Prinz in einer Nacht grau worden wäre, wie denn meine Gesundheit ein merkliches dadurch gelitten, und mein Lebensfaden vieles von seiner Länge verlohren hat. Da es also erwiesen ist, daß der Boshafte einen nützlichern Weltbürger todgeschlagen, als Caßius und Brutus, so ist klar, daß die Uebelthaten des erstern grösser sind als des letztern, und mithin auch der nachdrücklichsten Ahndung würdig sind.

Die mehresten Kaiser der ersten Jahrhunderte werden als abscheuliche Unmenschen voll den Schriftstellern abgeschildert, die Herren, welche ein so schreckliches Bild entworfen, haben nie einen Tirannen vor sich gehabt, sie würden sonst gelinder mit ihnen verfahren seyn. Warum muß ein Tiber alle erdenkliche Schmähreden über sich ergehen lassen, [22] weil er einen Bürgermeister hinrichten ließ, der einige Stücke Geld mit des Kaisers Bildnisse bezeichnet, in seinen Beinkleidern mit dahin genommen,


Da, wo man nach der Wand den bloßen Rücken kehrt?


Ein Caligula, weil er die erledigte Oberstelle im römischen Rathe seinem Gaule zugedacht hatte; weil er die Verschwendung so hoch trieb, daß er Rebhüner-Eier, Pfauenzungen, und das Gehirne der Krammetsvögel speiste? Ein Nero, daß er einigen Eseln, die besonders bei ihm in Gnaden stunden, goldne Hufeisen auflegen ließ; daß er mit goldnen Netzen fischte, und die Stadt Rom einmal anzünden ließ, um als ein guter Kritikus, eine Stelle des Homers, die nicht nach der Natur gemahlet schien, zu erläutern? Waren diese Herren lasterhaft, tirannisch und verschwenderisch, so waren sie Kaiser und keine Privatpersonen; sie ließen bei allem Unfug, den sie anrichteten, die Gelehrten in ihren Würden, und wenn ja einmal [23] Nero gegen seinen Lehrmeister grausam ist, so darf dieses Herr Salmonet mit einem Gelehrten, der ihm nie in irgend einer Wissenschaft Unterricht gegeben, nicht gleich nachthun. Ueberdieses waren jene Herren große Monarchen, die ihrer Unterthanen Leben und Vermögen als ihr Eigenthum betrachteten; allein wodurch hat ein verdammter Irrländer dieses Recht herbekommen, gegen einen deutschen Gelehrten einen solchen Despotismum auszuüben? Je weniger sich diese malitiöse Handlung des Verwegenen durch etwas beschönigen läßt, desto größer wird die Sittlichkeit derselben, und es muß, ohne weitern Beweis zu führen, zugegeben werden, daß, da seine Bosheit größer ist, als der ruchlosesten Leute, die jemals der Erdboden getragen hat; er auch würdig wäre, ärger als Damien und andre Ungeheuer der Natur, andern zum Abscheu, wegen dieser Mißhandlung bestraft zu werden. Doch hierinne habe ich der Gerechtigkeit nichts vorzuschreiben. Eu. Gn. werden nach Dero beiwohnenden Klugheit schon wissen,[24] Sorge zu tragen, daß er seiner Strafe nicht entgehet. Ich empfehle Hochdenenselben diese Angelegenheit eben so sehr, als meinen Gönner und die gesammte Anzahl Dero Verehrer in hiesiger Gegend, worunter ich vorzüglich gehöre, und verharre mit lebenswäriger Hochachtung

Eu. etc.

unterthäniger Diener M.L.W.

Beilage.

Daß Vorzeiger dieses, Tib. Plen. Herr Lampert Wilibald, der freien Künste Magister, nicht leichtsinniger Weise oder durch Verheißungen und Geschenke, sondern vielmehr durch militarische Bewegungsgründe und Androhung schwerer Pön ist angetrieben worden, auf Verlangen des Rittmeisters Salmonets, jedoch wider seinen Willen und Neigung, eine der Ehre des hochberühmten Herrn Carl Grandisons Baronets nachtheilige. [25] Schrift abzufassen, solche aber, so bald er es ohne Leibesgefahr thun können, öffentlich wiederrufen und zum Feuer verdammt; auch eine Abschrift davon in optima forma, in meiner und anderer glaubwürdigen Personen Gegenwart, wirklich ins Feuer geworfen und verbrannt hat: solches habe hierdurch bei meinem Ehrenwort nicht nur bezeugen, sondern auf dessen Verlangen, gegenwärtiges schriftliches Testimonium hierüber auszustellen, nicht ermangeln wollen. So geschehen Schönthal, den 16 Nov. 17 – –

v.F.

3. Brief
III. Brief.
Der Herr v.N. an den Baron v.F.

Kargfeld, den 30 Nov.


Werthester Freund,


Sie werden sich verwundern, daß ich an Sie schreibe, da wir uns doch mündlich miteinander besprechen könnten; [26] es ist wahr, ich habe keine Abhaltungen, Sie zu besuchen, ich werde es auch vielleicht heute oder morgen thun, und es kann seyn, daß ich Ihnen meinen Brief selbsten zustelle: aber dem ungeachtet wird er nicht überflüßig seyn. Ich will Sie wegen einer gewissen Sache, die mir am Herzen liegt, zu Rathe ziehen, und bitte mir diesen schriftlich aus. Wenn wir uns mündlich über diese Angelegenheit besprechen wollten, so könnte leichtlich ein Wort das andere geben, Sie kennen meine Gewohnheit, daß ich mir nicht gern widersprechen lasse, zum Disputiren hab ich kein sonderliches Talent empfangen, und unrecht habe ich auch nicht gerne: inzwischen denke ich, einen schriftlichen Widerspruch eher zu verdauen als einen mündlichen. Lassen Sie Sich also die Sache vortragen. Sie wissen wohl, daß ich nach dem Beispiele meines Herrn Gevatters mich habe verheirathen wollen, im Anfang that ich es nur, um meinem Muster ähnlich zu werden, und meine Handlungen mit den seinigen vollkommen übereinstimmend [27] zu machen; Da ich aber endlich einsahe, daß meine häuslichen Umstände es nicht länger leiden wollten, ohne Frau zu leben, und überdieses die Possen mir anfingen zu gefallen: so that ich, wie Sie wissen, mit Ernst zur Sache, und hoffte, damit bald zu Rande zu kommen. Allein ich weiß nicht, wie sich seit dreißig Jahren die Welt verändert hat, was man damals in einem Tage ausrichten konnte, dazu braucht man jetzt ein Jahr, und wenn man alles gethan hat, und sich keine Mühe verdrüßen lässet, und endlich das Ding bei Lichte besiehet, so weiß man nicht, ob man verrathen oder verkauft ist. Mir wenigstens gehet es jetzt so, ich weiß nicht, ob ich eine Braut habe oder nicht. Inzwischen bin ich kein Feind von der Mode, und wenn es so seyn muß, daß man bei der Liebe, wie im Kriege, oft eine ganze Campagne mit dem Feinde harcelliret, ohne daß es zu einer entscheidenden Action kommt, so lasse ich mir es auch gefallen, wenn sich nur der Sieg auf meine Seite lenkt. Aber hier ist der Knoten. [28] Hören Sie ein Wort im Vertrauen! Lampert hat mir wunderliche Dinge von dem Major in den Kopf gesetzt. Er ist ein schlauer Kaper, und macht Jagd auf das Fahrzeug, das für meine Rechnung gehöret, ich denke er hat es schon beim Leibe, und wird es bald für eine gute Prise erklären. Das wäre ein schlimmer Streich, wenn er meine Byron entführte, es stehet Gefahr dabey, ob ich sie wieder erhaschen würde, wie Herr Grandison die seinige. Doch diesem Uebel kann schon vorgebogen werden, nur so, daß ich nicht mit ihm in neue Händel verwickelt werde: das wäre eine Abweichung von Sir Carln, dieser hat nur einen einzigen Zwist mit Sir Hargraven gehabt, und hernach blieben sie gute Freunde. Doch das wird sich schon geben. Was meinen Sie, habe ich die Sache bei meiner Heirath am rechten Orte angegriffen, oder nicht? Ich versprach mir einen guten Fortgang von meinem Vorhaben, ich dachte, Herr Grandison hat alle Mädchens fesseln können, eine ist ihm einige hundert [29] Meilen nachgelaufen, eine andere ist gar über ihn närrisch geworden, und seine Frau hat vor Sehnsucht einen Anfall der Schwindsucht bekommen, daß er nicht so bald als sie: gewünschet, Hochzeit gemacht. Ich habe mein Gedächtnis, meine Leidenschaften, meinen Körper strappaziret wie die Hunde, um ihm so ähnlich zu werden, als mir möglich gewesen; ich habe meine Wirtschaft, und überhaupt alles, was nur einer Veränderung fähig ist, nach dem Geschmack des Herrn Grandisons eingerichtet; von mir bis auf meinem Wigand, den ich Jeremias nenne, ist alles Grandisonisch, und es fehlet mir nichts, als ein Fresko, den ich mir auch noch anzuschaffen gedenke: dem ungeachtet will es bei den Mädchens nicht recht mit mir fort. Ich habe hinüber meine eigene Gedanken, und glaube, unsere Nymphen sind nicht sein genug, die Schönheiten des Verstandes, die bei andern Nationen am ersten in die Augen leuchten, zu empfinden. Herr Grandison ist auch in Deutschland gewesen, aber ich habe [30] in seinem Buche nichts finden können, daß sich ein deutsches Frauenzimmer in ihn vergafft hätte, und es scheinet, daß er sich deswegen auch so bald wieder aus unserm Vaterlande fortgemacht hat, weil er darinne nicht sein Conto gefunden. Indessen ist es doch ein Wunder, daß seine Geschichte bei unserm Frauenzimmer so vielen Beifall gefunden hat, da man weder das Original noch die Kopie nach Würden schätzet. Ich vermuthe daher ganz sicher, daß wenn ich bei dem Fräulein v.W. und ihrer Mutter, meinen Liebesantrag nach deutschem Gout gemacht, und die Gespenstererscheinung und dergleichen Possen weggelassen hätte: so würde ich bei der Mutter und Tochter weit eher zum Zweck kommen seyn, denn was den Vater betrifft, der würde zufrieden gewesen seyn, wann ich auch auf türkische Manier um seine Tochter geworben hätte. Deswegen habe ich den Vorsatz gefaßt, ob gleich Lampert sehr darwider eifert, meinen Kopf einmal aufzusetzen, und wie es Sitte ist in unserm Lande, [31] um das Fräulein v.W. ordentlich werden zu lassen. Sie sollen noch diesen Winter bei mir einen Pelz verdienen, und wenn ich ihn auch sollte aus Siberien holen lassen. Ich habe nicht ein so enges Gewissen, daß ich mir es gleich zu einem Verbrechen anschreiben sollte, wenn ich auf dem Wege, worauf ich bisher Fuß vor Fuß dem Herrn Grandison, nach seinem eignen Geständnisse, gefolget bin, auch dann und wann aussteche, und meine eigne Gleise mache. Mein drolligter Kerl von einem Magister will dieses zwar nicht gut heißen, und drohet sogar, in Grandisonhall mich deswegen zu verklagen: aber wenn ich ihm vorwerfe, daß er sogar ein Pasquill auf den Baronet geschrieben hat, so muß er schweigen. Dieser Vorwurf ist ein eiserner Rinken für diesen Bär, dadurch ich ihn, wenn er anfängt zu brummen, sogleich beruhigen kann. Sagen Sie mir doch, ob Sie für nöthig halten, daß ich einen Deputirten an den Herrn v.W. und seine Frau abschicke um noch einmal für mich um das [32] Fräulein anzuhalten, oder ob ich dieses in eigner Person thun soll; desgleichen, wie man es heut zu Tage anfängt, sich bei den Mädchens einzuschmeicheln, ob es noch Mode ist, das Kammermädchen zu bestechen, Nachtmusiken zu bringen, Bälle anzustellen, und was dergleichen Tändeleien mehr sind. Ich habe bisher alles dieses unterlassen, weil Herr Grandison bei seiner Henriette dergleichen nicht gethan hat. Entdecken Sie mir richtig ihre Gedanken über meine Freierei, auch ihren unvorgreiflichen Rath, wie ich es anfangen soll, daß ich meinen Vogel abschieße, und nicht etwan die Pferde hinter den Wagen spanne. Tadeln und loben Sie meine bisherigen Unternehmungen wie Sie wollen. Widerrathen Sie mir aber ja nicht die Fortsetzung meiner Liebe, wenn Sie mein Vertrauter seyn wollen. Fräulein Amalia hat es gethan, und mir dadurch ein heftiges Podagra erregt, wenn Sie auf ihre Seite treten, so bekomme ich den Schlag. Ich will meinen Willen haben, und eine Frau, wenn ich aber sollte [33] durch die Körbe springen, wie ein Böttger durch die Reife, so sage ich es Ihnen zum Voraus, das es mit mir ärger wird als mit allen Mädchens, die sich in Sir Carln verliebt haben. Machen Sie mir gute Hoffnung, geben Sie mir gute Anschläge, unterstützen Sie meine Desseins; entwerfen Sie einen ganz neuen Operationsplan, wenn der bisherige Ihnen unbrauchbar scheinet, und halten Sie mir ein Bein, daß ich mich völlig in den Sattel schwingen kann. Dadurch will ich sehen, ob Sie die Ergebenheit für mich haben, die Sie mir so oftmals zugeschworen, da Sie an eben der Krankheit lagen. Damals war ich Arzt, und schaffte Ihnen eine Frau, schaffen Sie mir nun auch eine, und leben Sie wohl

v.N.

4. Brief
[34] IV. Brief.
Der Herr v.F. an den Herrn v.N.

Schönthal, den 21 Nov.


Sie verbinden mich unendlich, daß Sie mich in einer Sache zu Ihrem Vertrauten machen, von der ein großer Theil Ihrer Ruhe und Ihres Glückes abhängt, und ich werde meinen Vorwitz und meine Geschicklichkeit, so viel ich davon besitze, aufbiethen, um Sie zu überzeugen, daß Sie Ihr Vertrauen nicht übel angewendet haben. Sie haben mir einen doppelten Auftrag gethan, Ihnen meine Gedanken über Ihre bisherigen Unternehmungen in der Liebe gegen das Fräulein v.W. glücklich zu seyn, zu entdecken, und wie Sie Sich ausdrucken, einen neuen Operationsplan zu entwerfen, um diese Angelegenheit nach Ihrem Wunsche zu Ende zu bringen. Das erste will ich [35] sogleich nach Ihrem Verlangen befolgen, und an dem andern will ich Tag und Nacht arbeiten, um ihn so vollkommen zu machen, daß Sie all einem glücklichen Fortgang nicht zweifeln dürfen. Herr Lampert, den ich als die Triebfeder aller Versuche ansehe, Ihre Liebe glücklich zu machen, verdient Ihre Gewogenheit im höchsten Grad, er hat Ihr Vorhaben auf eine wunderbare und ganz neue Art auszuführen gesucht, und wenn es ihm nicht vollkommen geglückt hat: so liegt die Schuld ganz und gar nicht an dem Plan und dessen Ausführung, sondern vielmehr, wie Sie vortreflich anmerken, an dem verdorbenen Geschmack unserer Schönen, die mehr auf die Person sehen, die Ihre Gunst suchet, als auf die Art mit welcher sie dieses thut. Unser Frauenzimmer ist noch nicht philosophisch genug, die Vorzüge des Geistes über die Vorzüge des Körpers zu setzen. An einen Liebhaber, der ihnen gefällt, ist alles artig, alles sinnreich, und aller Witz gehet verlohren, wem die Person nicht gefällt. Wenn [36] Ihre Absicht einigermaßen fehlgeschlagen ist, da an Ihrer Person nichts auszusetzen ist, so kommt dieses daher, weil Sie gar zu geschwinde Progressen in der Liebe haben machen wollen. Ich habe Ihnen dieses mehr als einmal zu verstehen gegeben. Hätten Sie das Fräulein erstlich zu gewinnen gesucht, und wenn Sie von ihrer Gewogenheit überzeugt gewesen wären, um sie werben lassen: so würden Sie jetzo nicht ungewiß seyn, ob Sie eine Braut haben oder nicht. Sir Carl beobachtete diese Regel genauer, er wendete sich nicht eher all die Freunde seiner Henriette, bis er gewiß war, daß sie ihm für allen Mannespersonen den Vorzug gab. Sie haben, wie ich glaube, nur im Anfang die alte Regel vor Augen gehabt, daß eine günstige Mutter auch eine günstige Tochter machen kann; allein da Sie hernach nicht einmal dieser Vorschrift gefolget sind, sondern die Frau v.W. gegen sich unwillig gemacht haben: so ist es Ihnen desto schwerer worden, Ihre Absicht zu erreichen. Doch diese Regel [37] der Alten ist heutiges Tages ganz aus der Mode kommen, die Töchter sind nicht mehr so fromm oder so einfältig, daß sie ihre Liebe nach den Absichten der Mutter verschenken sollten, sie haben dieses Joch längstens abgeworfen, und seitdem sind sie so widerspenstig worden, daß sie alle diejenigen hassen, welche die Mutter sich zu Schwiegersohnen wünschen, wenigstens lassen sie sich nicht leicht einen Liebhaber anspringen. Sie haben in der That ein böses Spiel in Händen: die Gunst der Mutter ist verlohren, und die Gewogenheit der Tochter haben Sie nie besessen. Sie verstehen mich wohl, daß ich unter der ersten einen großen Grad der Freundschaft, und unter der andern eine wahre Zuneigung meine. Ein Mann, der weniger Herzhaftigkeit besäße als Sie, würde sich verlohren schätzen, und an eine Sache, die so entfernt ist, als der Friede, gar nicht weiter gedenken. Eine Liebe, die sich nur mit Möglichkeiten beschäftiget, gehöret unter die süßen Träume und für die Philosophen. Solche unglückliche [38] Liebhaber sind wie die Goldmacher, die Zeit und Geld verschwenden, das große Geheimniß zu entdecken, und durch den letzten Proceß nicht weiter kommen, als durch den ersten. Doch hierdurch will ich keinesweges ihre Unternehmung tadeln, oder den guten Ausgang derselben in Zweifel ziehen, ich habe vielmehr die beste Hoffnung, daß alles nach Wunsche ausschlagen wird, und lasse es gegenwärtig meine vornehmste Beschäftigung seyn, dieses aufs sicherste und geschwindeste ins Werk zu sehen. Eine Nacht bin ich darüber schon um den Schlaf kommen, ohne das geringste zu erfinden, und diesen Vormittag habe ich auch mit so tiefen Betrachtungen zugebracht, als des Cartes, da er seine Welt erschuf, ob ich gleich noch nicht die rechte Spur entdeckt habe, wie die Sache, Ihre Schöne zu fesseln, am besten anzugreifen ist. So viel habe ich durch mein Nachdenken heraus gebracht, daß das Spiel von neuen muß angefangen werden, wenn Sie etwas dabey gewinnen wollen. Ich will mich mit Ihrer Erlaubniß hinter [39] Ihren Stuhl stellen, damit ich es desto leichter übersehen kann, und wenn Sie meinem Rathe folgen, so denke ich, daß Sie noch den Pot ziehen sollen. Ich verfalle hier auf meine gewöhnliche Anspielung, wir haben hierzu gleiche Fähigkeit, nur daß wir in Ansehung der Gegenstände von einander abweichen. Es ist nichts in der Welt, das Sie nicht mit etwas aus der Kriegskunst vergleichen könnten, und ich finde in allen Dingen etwas ähnliches mit dem Spiele. Erlauben Sie, daß ich meine Vergleichung fortsetze. Wenn Sie einen geschickten Spieler vorstellen wollen, so dürfen Sie nicht erschrecken, wenn Sie auch dann und wann einmal abgetrumpfet werden, die gefährlichsten Spiele gehen oft am besten. Werden Sie auch nicht ungedultig oder verzagen Sie an ihrem Glück, wenn Ihnen nicht gleich alles nach Wunsche gehet, oder wenn Sie nicht vom Anfang gewinnen, gute Spieler sehen dieses niemals gerne. Tarazzoni verlohr vor sechs Jahren, im Anfang des Carnevals [40] zu Venedig zwanzig tausend Ducaten, und hatte beim Schluß achtzig tausend gewonnen. Ich denke Sie sollen nicht ohne Gewinnst aufsteigen, wenn Sie nur nicht zu hitzig anfangen, oder wie Sie bisher gethan haben, zuviel auf einmal hazardiren. Dieses würde geschehen, wenn Sie entweder in Person oder durch einen andern, nochmals um das Fräulein zu voreilig wollten anhalten lassen, ehe Sie gewiß sind, daß Sie derjenige sind, den sie unter allen Mannspersonen am meisten schätzt. Setzen Sie auch nicht zu viel Vertrauen in sich selbsten, ich will Ihnen schon einen Wink geben, wenn die Reihe an Ihnen ist, durch den letzten Trumpf, den Sie bis zuletzt in der Hand behalten müssen, dem Spiel ein Ende zu machen.


Diese allgemeinen Regeln sind zwar an sich gut genug: aber ihre Anwendung ist schwer, wenn man sie in der Liebe brauchen will. Ich bemühe mich jetzt, die Karte so zu [41] mischen, daß ich Ihnen ein leichtes Spiel verschaffe; aber ich verspreche Ihnen dieses nicht gewiß. So viel kann ich Ihnen sicher versprechen, daß ich alles thun will, was mir in dieser Sache zu thun möglich ist. Sie fragen mich, ob die alten Kunstgriffe sich bei den Schönen durch Bälle und andere Lustbarkeiten in Gunst zu setzen, noch eben die Dienste haben, die sie ehedem leisteten, ich getraue mir diese Frage mit ja zu beantworten. Das Frauenzimmer besitzt noch alle die Neigungen, die sie vor dreyßig oder vor hundert Jahren besaßen, das Vergnügen ist ihr Leben, und wer ihnen dieses verschafft, den können sie nicht hassen. Ich rathe Ihnen, keine Gelegenheit vorbei zu lassen, dem Fräulein v.W. alles ersinnliche Vergnügen zu machen, und insonderheit darauf zu sehen, daß es nach dem besten Geschmack eingerichtet ist. Ich würde Ihnen keinen Beifall versprechen, wenn Sie nach dem Beispiele unsrer Ahnen mit einer Cither unter das Fenster Ihrer Gebietherin schleichen, und sie durch [42] eine traurige und mit vielen harmonischen Seufzern untermischte Arie, im Schlafe stöhren wollten. Dieser zärtliche Liebesantrag, der ehedem Wunder gethan, würde jetzt mehr schädlich als nützlich seyn. Man muß die Sache auf eine andere Art angreifen, ich will Ihnen einmal einen Vorschlag thun. Künftigen Freitag ist der Geburtstag des Fräuleins, wie wär es, wenn Sie ihren Hofpoeten, durch ein paar Gläser ermunterten, ein Glückwünschungsgedichte zu verfertigen, um das Fräulein damit anzubinden? Sie dürfen mir leicht ein gut Wort geben, so feiere ich das Geburtsfest hier in Schönthal, und bitte sie alle zu Gaste, aber alsdenn werden Sie Sich auf eine feine Galanterie gefaßt halten, wenn Sie gegenwärtig seyn wollen, die Sie ihrem Glückwunsche beifügen, dadurch sie erkennen kann, wie hoch sie von Ihnen geschätzt wird, und deswegen finde für gut, daß sich das Geschenke am Werthe nicht unter fünfzig Thaler belaufen darf, sonst haben Sie Sich keinen freundlichen Blick zu versprechen. [43] Wollen Sie aber spärlich haushalten, so können Sie eine Staatskrankheit annehmen, und alsdenn ist das Gedichte, das aber mit einem wohlgesetzten Brief muß begleitet seyn, schon alleine zureichend. Ich werde nicht ermangeln, besonders wenn Sie abwesend sind, und ich mich also keiner Schmeichelei verdächtig mache, Sie aufs beste herauszustreichen, und diesen klugen Einfall zu loben; auch Ihnen hernach getreulich zu melden, was zu Ihrem Vortheile gesprochen wird. Ich verspreche mir von diesem Anschlage viel gutes, wenn er gut ausgeführet wird. Prägen Sie dem Herrn Lampert wohl ein, daß er in das Gedichte nichts zum Lobe der Frau v.W. mit einfließen läßt, Sie wissen, daß das Fräulein nicht gut mit ihr stehet. Doch wenn ein unschuldiger lustiger Gedanke über sie, der aber doch nicht sonderlich beleidigen kann, mit darinne angebracht würde, so könnte dieses denselben vielleicht desto mehrern Beifall verschaffen. Noch einen Punkt will ich berühren,[44] ehe ich schließe, Sie haben mich in Ihrem Schreiben darauf geführet. Sehen Sie ja zu, daß Sie Sich das Kammermädchen des Fräuleins günstig machen. Ein solches Mädchen ist eine Person von Wichtigkeit in dergleichen Angelegenheiten. Diese Creaturen besitze, gemeiniglich das Vertrauen ihrer Gebietherin, und ihr Gutachten giebt oft der Sache einen bessern Ausschlag, als das Responsum einer ganzen Juristenfacultät einem Proceß. Sie sind eben das in Liebeshändeln, was die femmes gardées im l'hombre, der Skies und Pakat im Tarock und die Läufer oder Springer im Schachspiel sind. Es würde nicht überflüßig seyn, wenn Sie durch Geschenke das Mädchen des Fräuleins zu gewinnen suchten; allein weil Sie, wie ich weiß, davon nicht viel halten, auch leichtlich ein anderer Sie überbiethen könnte: so habe ich einen Vorschlag, der viel sicherer ist, dieses Mädchen in Ihr Interesse zu ziehen. Der Magister Lampert muß seine Leidenschaft für die Tochter Ihres Pfarrers Dero Vortheil [45] aufopfern, er muß wenigstens eine Zeitlang sich stellen, als wenn er eben die Rolle bei der Kammerjungfer spielen wollte, die Sie bey dem Fräulein haben. Ihm als einem schlauen und gelehrten Manne, der auch seinen Liebesanträgen eine logikalische Stärke geben kann, wird es nicht schwer fallen, seinen Endzweck zu erreichen, und alle Anschläge, die vielleicht von der Gegenparthei auf das Fräulein gemacht werden könnten, zu entdecken, und fruchtlos zu machen. Sollte Herr Lampert Schwürigkeiten machen, wie ich denn vermuthe, daß er eher würde zu bewegen seyn, noch ein Pasquill auf den Herrn Grandison zu verfertigen, als seiner Liebste untreu zu werden: so müßte er auf ähnliche Art, wie er von dem Rittmeister Salmonet genöthiget wurde, seinem Willen Folge zu leisten, dahin angehalten werden, Ihren Vortheil seiner Neigung vorzuziehen. Doch dieses alles ist nur, wie Sie auch ausdrücklich von mir verlanget haben, mein unvorgreiflicher Rath, und es stehet Ihnen frei,[46] in wie fern Sie ihn befolgen wollen oder nicht. Ich werde mir es indessen zu einer ganz besondern Ehre anrechnen, wenn Sie davon Gebrauch machen; doch gebe ich mich zufrieden, wenn Sie andere Maasregeln ergreifen. Gelangen Sie bald zu ihrem Zweck auf einem Wege, der Ihnen am besten gefällt, dieses ist der aufrichtige Wunsch


Ihres

gehorsamen Dieners v.F.

5. Brief
V. Brief.
Der Herr v.N. an den Herrn v.F.

Kargfeld, den 23 Nov.


Ich habe Ihren Brief wohl durchstudiret, und daraus ersehen, daß Sie eben kein schlechtes Geschick haben, eine Sache, der Sie Sich mit Ernste unterziehen, [47] nach Wunsch zu Stande zu bringen. Es ist mir lieb, daß Sie Sich meine Freierei mit Ernst lassen angelegen seyn, und ich kann Ihnen nicht verhalten, daß Sie Sich dadurch bei mir in solchen Credit gesetzt haben, als Sir Beauchamp bei dem Baronet, ich glaube sogar, Sie werden diesen selbst abtreiben, wenn unser Vorhaben gut ausschlägt. Hier und da haben Sie zwar in Ihrem Briefe etwas eingestreuet, dadurch Sie eben keinen Dank verdienen, zum Exempel wenn Sie sagen, daß ich ein schlimmes Spiel in Händen hätte, daß ein andrer sich für verlohren schätzen würde, daß man seinem Mädchen Geschenke machen müsse, die sich auf fünfzig Thaler belaufen. Man findet heutiges Tages das Silbergeld nicht auf den Gassen, wie unter Salomons Regierung. Es sind schwere Zeiten, und das Geld liegt an Ketten. Herr Grandison hat zwar seiner Braut große Geschenke gemacht, aber das war ein anderer Umstand, damals war es Friede und wohlfeile Zeit, und Herr Grandison war [48] auch sicher, daß ihm seine Braut nicht wieder umkehren würde; ich hingegen stehe in Gefahr, Braut und Maalschatz zu verliehren. Wenn ich erstlich das Wort von ihr habe, wohlverstanden, ihr ungezwungenes dürres Jawort, hernach soll sie einen Diamantschmuck bekommen, dessen keine Fürstin sich schämen dürfte; aber auf gerathewohl verdistillire ich keinen Heller an ihr. Glauben Sie nicht, daß mich der Geiz zurück hält, Ihrer Methode zu folgen, und durch Bestechungen den Anfang zu machen, das Herz des Fräuleins zu gewinnen: ich will, wie Herr Grandison, wegen der Person und nicht wegen der Geschenke geliebt seyn, dabei hat es sein Verbleiben. Mit der eigensinnigen Frau v.W. will ich nichts mehr zu thun haben, ich glaubte, wenn ich sie und ihren Schatz auf der Seite hätte, so wären alle Aussenwerke und Defensen der Vestung in einer Gewalt, wenn ich alsdenn hier meine Batterien anlegte; so würde ich dadurch die Citadelle selbst zu commandiren im Stande seyn, um solche zur baldigen [49] Uebergabe zu zwingen. Allein seitdem ich aus ihrer Gunst delogiret bin, so habe ich, wie ich sehe, das ganze occupirte Terrain wieder verlohren, und er als ein baufälliges Hornwerk, das noch allein in meiner Gewalt ist, verspricht mir nicht den geringsten Vortheil, wenn ich von dieser Seite die Attaque wieder formiren wollte. Ich habe die Belagerung deswegen bereits meine Bloquade verwandelt, doch habe ich immer ein wachsames Auge in meinem Lager, und hoffe noch par surprise davon Meister zu werden. Das Spiel ist so schlimm nicht, als Sie vielleicht denken, über lang oder kurz werde ich doch reußiren, besonders wenn Sie ein getreuer Alliirter von mir bleiben.


Sie erweisen mir einen großen Gefallen, daß Sie mich an den Geburtstag des Fräuleins erinnern, ich werde nicht unterlassen, sie durch einen Glückwunsch anzubinden. Lampert hat sich seit gestern in seine Stube eingeriegelt und geschworen, wie die Churfürsten, [50] wenn sie einen neuen Kaiser machen, nicht ehev einen Bissen zu essen, bis er das Werk zu Stande gebracht; doch den Trunk hat er sich erlaubt, und einige Flaschen Wein mit in seine Studierstube verriegelt, denen er vermuthlich fleißig zusprechen wird. Wegen des Geschenkes habe ich mich schon erkläret, und also muß ich, weil Sie es für gut finden, eine Staatskrankheit annehmen, ob ich gleich jetzo so gesund bin als ein Hecht. Das ist eine verdammte Mode, daß man die Mädchen, die man liebt, auf ihren Geburtstag anbinden muß. Werweiß, ob sie nicht gar zuletzt einen heiligen Christ verlangen. Ich möchte Fräulein Julgen nicht in die Messe begleiten, vermuthlich würde es da ohne Unkosten auch nicht abgehen. Nein, ich liebe nach englischen Geschmack, da liebt man gewiß und ohne großen Aufwand: denn was man der Braut schenkt, wenn diese Sache einmal ins Reine gebracht ist, das bekommt man mit der Frau wieder, und ist deswegen für keinen Aufwand zu rechnen.

[51] Lampert will sich durchaus nicht entschliessen, seiner ersten Liebste untreu zu werden, er will lieber meine Gunst verlieren, als sein Mädchen, und hat sich sogar verlauten lassen, daß wenn nochmals mit diesem verwünschten Vorschlag an ihn gesetzt würde, so wollte er bei Nacht und Nebel einmal fortgehen, und niemals wieder zum Vorschein kommen. Ich muß deswegen ein Bisgen laviren, er ist mir gleichwohl unentbehrlich: so einen Hausvogt findet man nicht alle Tage. Indessen will ich mein Heil noch einmal an ihm versuchen, die Gelehrten sind in puncto Sexti nicht eben so gar ehrenveste, und treiben es oftmals ärger als die Edelleute. Ich denke, man kann ja wohl von zwei Bäumen auf einmal Birnen schütteln. Wenn das Kammermädchen nur nicht eben so garstig wäre, als ihre Gebietherin schön ist, so würde der Magister meinen Befehl eher respectiren. Er hat mir indessen versprochen, es auf andere Weise dahin zu bringen, daß sie in mein Horn bläßt, das mag er immer thun, wenn alle Stricke reissen [52] sollten, so bleibt er dennoch das Stichblatt. Sorgen Sie nur dafür, daß der Geburtstag recht hoch gefeiert wird, und geben Sie auf alles genau Achtung, damit Sie auf Erfordern mir einen getreuen Bericht abstatten können. Alleweile kommt der Magister mit dem Briefe, der in meinem Namen an das Fräulein abgefaßt hat, und welcher das Gedichte begleiten soll. Wenn beydes wohl gerathen ist, so soll er den Filialsstock zur Verehrung bekommen, welchen ich ihm längstens zugedacht habe, der vergangenen Sommer dem Metzger ist abgenommen worden, der sein Vieh über meine Wiesen hat treiben lassen. Ich bin einmal wie allemal.


Ihr

gehorsamer Diener v.N.

6. Brief
[53] VI. Brief.
Von ebendemselben an den Herrn v.F.

den 25 Nov.


Sie haben mir gestern wissen lassen, daß Ihre Gäste, die Sie eingeladen haben, heute alle erscheinen würden. Ich bin darüber erfreut. Den Major Ln. hätten Sie nur weglassen sollen, er gehöret ohnedem nicht in unsere geschlossene Gesellschaft. Ueberhaupt dächte ich, er könnte wieder zu seinen: Regiment gehen, ich wollte der schweren Zeit ungeachtet, gern eine Compagnie Franzosen bei nur überwintern lassen, wenn er nur dadurch genöthiget wurde, die hiesige Gegend zu verlassen. Man weiß indessen nicht, wie bald sich das Blättchen wenden kann. Ich halte es zwar allezeit mit den hohen Alliirten, so bald aber mein Vortheil mit ins Spiel kommt, so trete ich zur französischen Partei. Jetzt würde ich es gerne sehen, [54] wenn die ersten einmal verlöhren, damit der verwünschte Major mir nur aus den Augen käme. Wer weiß, ob er es nicht ausspionirt hat, daß heut der Geburtstag des Fräuleins ist, und sich etwan einfallen läßt, sie mit etwas angenehmern als ein paar Bogen Pappier anzubinden. Ich stehe disfalls in grosser Sorge. Das ist sicher, daß er mit der Freundlichkeit und Politesse gegen die Mutter, die Tochter meint. Er hat die Regel, die ich nach Ihrem Urtheil soll übertreten haben, besser in Acht genommen. Wenn er sich auf kein Angebinde gefaßt gemacht hat, so ist es mir gewissermaßen lieb, wenn er siehet, daß ich ihm den Rang abgelaufen habe. Damit die Freude desto unvermutheter kommt und größer wird, so bin ich auf den Einfall gerathen, ein Pastetengehäuse verfertigen zu lassen, worinne der Brief nebst dem Carmen befindlich ist, wie denn der Ueberbringer dieses Briefs solches in seinem Korbe trägt, welches sorgfältig muß herausgenommen und auf der Tafel gerade an den [55] Ort gesetzet werden, wo das Fräulein zu sitzen kommt. Tragen Sie Sorge, daß sich Niemand an diesem Schaugerichte vergreift, sondern das Fräulein ersucht wird, die Pastete vorzulegen, da wird sie die Bescheerung schon finden. Sie denken vielleicht, ich käme mit meinem Angebinde ganz wohlfeil weg, glauben Sie es nicht. Lampert hat mehr als einen halben Eimer Wein darüber ausgezecht, und deswegen auch, wie ich vermuthe, auf allen Seiten sowohl in dem Briefe als in dem Gedichte von Wein gesprochen. Er hat aber demungeachtet seine Sache treflich gemacht, und besonders in dem Briefe so viel rührende Stellen angebracht, die das Fräulein ohne Bewegung nicht hat lesen können. Besonders ist die Auslegung ihres Planeten recht nach meinem Gusto gerathen. Es ist zwar nicht alles so wie in dem Briefe stehet; aber es ist doch alles gut, und kein Umstand unwahrscheinlich. Wenn ich gleich ihren Geburtstag noch nie gefeiert habe, so hätte ich es doch thun können, bekräftigen Sie nur [56] alles recht treuherzig, woran sie etwan zweifelt. Die Liebenden glaubten ehedem einander alles, was sie sich sagten, wenigstens thaten sie so. Ich zweifle nicht daran, daß dieses auch noch jetzt Mode ist. Morgen oder aufs längste übermorgen, erwarte ich ihren schriftlichen oder mündlichen Bericht, wie mein Angebinde ist aufgenommen worden, was man darüber gesagt hat, und was es für eine Wirkung gethan. Mischen Sie aber keine locos communes, wie der Magister Ihre Betrachtungen nennet in den Brief, sie gerathen Ihnen selten zu meinem Vortheil, und mit verdrüßlichen Dingen habe ich nicht gerne etwas zu schaffen. Trinken Sie dem Herrn v.W. einen guten Rausch zu, und versichern Sie beiläufig seine Gemahlin, insonderheit aber das Fräulein von meiner Ergebenheit.

v.N.

7. Brief
[57] VII. Brief.
An das Fräulein v. W von dem Herrn v.N.

den 25 Nov.


Unter den Tagen, welche ich als Festtage in meinem Hause feierlich begehe, stehet Ihr Geburtstag oben an, und Sie können versichert seyn, daß ich ihn heute zum zwanzigsten male, auf eben die Art, wie ich es das erste mal that, feiern werde, ob mich gleich eine kleine Unpäßlichkeit abhält, dieses in ihrer Gegenwart zu thun, wie ich mir vorgenommen hatte. Bisher habe ich ein Geheimniß daraus gemacht, jedermann stund in den Gedanken, ich feierte den 25 November, weil ich vermuthlich an diesem Tage mich einmal in einer gefährlichen Schlacht befunden; oder in Italien bei einer gewissen Begebenheit, durch einen großen Luftsprung aus einem [58] Fenster das Leben gerettet hätte; oder wie andere glauben, weil mir dieser Tag einmal besonders glücklich müßte gewesen seyn. Diese letztern urtheilen nicht unrecht, ob sie gleich niemals haben errathen können, worinne dieses Glück eigentlich bestanden. Es ist Zeit, daß ich die Neubegierde der Welt vergnüge, und öffentlich gestehe, daß die glückliche Begebenheit, deren Andenken ich jährlich an diesem Tage erneure, keine andere ist, als Ihr Geburtsfest. So bald ich nur von Ihrem Herrn Vater das Notificationsschreiben erhielt, daß ihm seine Gemahlin mit einem wohlgestalten Fräulein beschenket, durchdrang mich eine solche lebhafte Freude, die noch größer hätte seyn können, wenn ich selbst ein Papa worden wäre, und wie ich damals meine Feldzüge noch nicht verwunden hatte, und eben an einer Krankheit sehr hart darnieder lag: so faßte ich den Entschluß, durch eine außerordentlichen Handlung, wenn ich ungefehr den Weg alles Fleisches gehen müßte, meinen Namen in guten Andenken zu erhalten, [59] meinen letzten Willen aufzusetzen, und am Tage Ihrer Geburt, Sie zur Erbin meines ganzen Vermögens ernennen. Doch da sich meine Gesundheit bald hierauf merklich besserte, so fand ich gut, diesen Anschlag nicht sogleich ins Werk zu setzen. Ihre Schönheit entwickelte sich hierauf nach und nach, wie eine Rose, die aus einer kleinen Knospe hervorblühet. Man konnte Sie nicht ansehen, ohne Ihnen gut zu seyn. Sie waren das artigste kleine Fräulein, das jemals gewesen ist; ihre verführerischen Augen sprachen schon, ehe Sie den Gebrauch der Zunge kennen lernten. Alle Ihre Minen waren sinnreich und zeugten von einem lebhaften und durchdringenden Geiste. Ich erinnere mich noch mit vielem Entzücken derjenigen Liebkosungen, die Sie mir erwiesen, wenn ich Ihnen eine kleine Spielerei verehrte. Sie hatten mich lieber als ihren Papa. Diese Gewogenheit behielten Sie so lange für mich bei, bis die Jahre kamen, in welchen das Frauenzimmer anfängt sich zu schämen. [60] Sie wurden zurückhaltend, und einen Kuß, den Sie mir sonst würden für einen Apfel gegeben haben, wollten Sie mir nicht mehr schenken, wenn ich Ihnen eine ganze Toilette angebothen hätte. Jedoch erlauben Sie, daß ich Ihnen diese Entdeckung mache, je spröder Sie wurden, desto mehr fing ich an, Ihnen gut zu werden, ich wurde Ihnen so gut, daß ich Sie gar liebte, und auf diesen Fuß stehet es noch mit uns bis auf den heutigen Tag, Sie spielen noch immer die Person einer Spröden, und ich die eines Verliebten. Da ich also in der Stille mir schmeichelte, noch eben den Antheil an Ihrem Herzen zu haben, den Sie mir ehemals in Ihrer Unschuld freiwillig schenkten, und dahero Ihr zurückhaltendes Wesen der zärtlichen Empfindung, für die Ehre zuschrieb: so wollte ich, weil Sie niemals die Versicherungen meiner Ergebenheit annahmen, solche doch durch etwas bezeigen, ohne daß es jemand und Sie auch selbst eine Zeitlang gewahr werden sollten, und verfiel darauf, daß da ich sonsten [61] Ihren Geburtstag zum Spase, mit einem Kuchen celebrirte, darauf ich Sie zu Gaste bat, solchen nunmehro aufs feierlichste, jedoch in der Stille zu begehen. Erlauben Sie, daß ich Ihnen von dieser Feierlichkeit, bei der jetzigen Zurückkehr Ihres Geburtsfestes, eine kleine Beschreibung mache.


So bald dieser glückliche Tag anbricht, kleide ich mich aufs beste an, als wenn ich bei Hofe erscheinen wollte. Beim Frühstück trinke ich Ihre Gesundheit, und wiederhole sie bei der Mittagsmahlzeit und auf den Abend; alles schmeckt und bekommt mir besser an diesem frohen Tage. Ich trinke oft, um mich Ihrer oftmals zu erinnern, und jeder Becher wird mit einem neuen Wunsche für Ihr Wohlergehn begleitet. Eine Begeisterung, die mich bald überrascht, macht mich zum Dichter. Zwanzig Lobgesänge habe ich Ihnen zu Ehren bereits verfertiget, die ich aber als Geheimnisse verwahre. Der ein und zwanzigste wagt es endlich, Ihnen unter Augen [62] zu treten, und wird sich glücklich schätzen und dem Dichter Ehre machen, wenn Sie einen günstigen Blick darauf werfen. Nach dieser angenehmen Beschäftigung pflege ich allerlei Werke der Liebe auszuüben. Eine gewisse Anzahl der dürftigsten meiner Unterthanen, die der Zahl Ihrer Lebensjahre gleich ist, wird in meinem Hause gespeist, und alsdenn jeder mit einem Gedenkgroschen regaliret. Der gewöhnliche Tanz unter der Linde auf das Kirchenfest ist gleichfalls seit einigen Jahren auf diesen Tag verleget worden, und um ihn jedermann so vergnügt zu machen als er mir selbst ist, lasse ich die jungen Bursche nach dem Hammel laufen, der ihnen zu dieser Lustbarkeit verehret wird. Den Beschluß meiner Beschäftigung macht der Kalender. Ich schließe mich in mein Zimmer, und lese mit Bedacht Ihren Planeten. Hier untersuche ich, in wiefern diese Weissagung, die gemeiniglich zutrifft, an Ihnen bereits erfullet ist, oder was für Schicksale noch auf Sie warten. Dismal habe ich meine Neugierde [63] zu befriedigen, diese Untersuchung zu erst angestellet, und weil ich mir vorgenommen habe, alles was ich zu Ihrer Ehre auf Ihren Geburtstag unternehme, zu entdecken: so soll Ihnen die Auslegung Ihres Planeten dismal auch nicht verborgen bleiben.


Ein Töchterlein im Wintermonat gebohren, ist arbeitsam, trifft ein. Sie können mit aller Arbeit, die sich für Ihren Stand schickt, überaus wohl umgehen, man siehet Sie niemals die Hände in den Schooß legen. Sie stricken, Sie nähen und putzen dann und wann Ihren Haubenkopf so schön, als wenn er mit Ihnen zu Gaste gehen sollte. Von gutem Gedächtniß. Wenn dieses so viel heißt, als beatae memoriae, daß Sie bei jedermann in guten Andenken stehen, so trifft es vollkommen ein; wenn aber die Erinnerungskraft dadurch gemeinet ist: so kommt es Ihnen nur gewisser maßen und unter einer Einschränkung zu. Sie behalten das in frischem Gedächtniß, was Sie behalten [64] wollen; aber Sie vergessen auch alles, was Sie vergessen wollen, in einem Augenblick. Wenn ich Ihnen, da Sie noch klein waren, eine Puppe zeigte, und Sie fragte, ob Sie mich auch lieb hätten, und mich auch lieben wollten, wenn Sie einmal groß würden: so bekräftigten Sie dieses mit einem dreusten Ja, jetzt wollen Sie nichts mehr davon wissen. Barmherzig, das sind die Schönen selten, so lang sie schön sind. Seit undenklichen Jahren her sind die Schönen grausam gewesen, und selbst das glückselige Arkadien har in dem goldnen Weltalter spröde Schäferinnen aufzuweisen gehabt. Indessen, wie keine Regel ohne Ausnahme ist, so könnte es seyn, daß Sie zu dieser Ausnahme gehörten, und eine barmherzige Schöne wären. Man sagt, daß einige große Herren die Staatsmaxime gehabt, daß sie, um sich bei ihren Unterthanen eine desto größere Achtung zu erwerben, erstlich dem Volk schwerere Schatzungen auferleget, hernach aber solche vermindert hätten, um ihre Gnade sehen [65] zu lassen. Das Frauenzimmer hat oftmals von dieser Staatsregel Gebrauch gemacht, sie sind grausam, damit sie hernach desto sanftmüthiger seyn können, und ihre Gunstbezeugungen mehrern Eindruck machen. Ich hoffe dieses auch von Ihnen, sonst würde Ihr Planete zum Lügner werden, und das wäre schade, er ist für Sie sehr vortheilhaft. Betet fleißig. Ist richtig. Man findet unter dem Frauenzimmer überhaupt weniger laulichte Personen als unter unserm Geschlecht, sie sind entweder recht andächtig, oder recht heilloß böse, und denn beten sie gar nicht. Zu der letzteren Gattung gehören Sie nicht, dafür bin ich Bürge, folglich sind Sie zu der ersten zu rechnen. Ihre selige Frau Mutter war auch eine fromme Frau, und die hat Ihnen vermuthlich ihre ganze Frömmigkeit vermacht, weil sie wußte, daß Ihnen der Vater nicht viel hinterlassen würde. Und wird gemeiniglich eine gute Haushälterin. Wohlgetroffen! Ob Sie gleich noch nicht Ihren eignen Haushalt führen, und bis jetzo bei Ihrer Frau Stiefmutter[66] Adjudantendienste thun: so bin ich doch gewiß, daß Sie eben sowohl als die Frau v.W. eine Oeconomie en Chef commandiren könnten. Eine gewisse Puissance, die Ihnen nicht unbekannt ist, bewirbt sich um Sie aus allen Kräften, und wenn Sie noch kein Generalcommando haben, so liegt es blos an Ihnen, daß Sie es nicht übernehmen wollen; doch wer weiß, was in diesem Jahre noch geschehen kann. Hält gern mit jedermann Verträglichkeit. Ist richtig, will aber doch auchcum grano salis verstanden seyn. Zu einer mündlichen Zänkerei sind sie wohl so leicht nicht zu bewegen: Sie haben lieber Unrecht, als daß Sie Sich in ein Wortgefechte einlassen sollten. Sie haben auch keine Gelegenheit dazu, wer wollte es wagen Ihnen zu widersprechen? Die Schönen sind im Stande, die zanksüchtigsten Philosophen zum Stillschweigen zu bringen. Ein schöner Mund überzeugt, wenn er spricht. Aber so verträglich Ihr Mund auch ist, so unverträglich sind Ihre Augen, sie drohen, [67] sie gebiethen, sie schelten, sie tadeln, sie kündigen den Krieg an, und machen Friede, und das oft in einer Viertelstunde. Jedoch, da es nicht erlaubt ist, von einem einzelnen Theile aufs Ganze zu schließen; so folgt auch nicht, daß wenn Ihre Augen manchmal unverträglich sind, daß deswegen die ganze Person unverträglich seyn müßte, und bleibt also der Satz überhaupt richtig, daß Sie gern mit jedermann verträglich leben. Wird doch durch heimliche Feinde angefochten. Dieses ist der schwereste Punkt im ganzen Planeten, den ich noch zur Zeit nicht vollkommen habe erklären können. Um sicher in der Sache zu gehen, habe ich verschiedene, verständige Männer darüber zu Rathe gezogen. Mein Pfarrer, den ich Herr Dobson nenne, ließ ein ganzes Schwadron solcher heimlichen Feinde des Menschen aufmarschiren, es waren böse Leidenschaften, Begierden und allerlei von solchem losen Gesindel darunter. Meine Pachter halten die jetzige theure Zeit für einen heimlichen Feind, der sich alle Tage mit zu [68] Tische setzt, und von ihrem Brodte ißt. Ein andrer kluger Mann sagte, daß dadurch mißgünstige Leute verstanden würden, die andere beneiden, und ihnen, weil sie es nicht öffentlich wagen dürfen, durch Arglist allerlei Unheil zu machen suchen. Diese Meinung scheint die vernünftigste, und ob es mir gleich nicht in den Kopf will, daß Ihnen jemand feind seyn könnte: so muß ich es doch glauben, weil es in Ihrem Planeten stehet; doch hoffe ich, daß diese Feinde Ihnen mit allen Schelmereien nicht viel anhaben werden. Sie macht sich durch ihre Tugend und Freundlichkeit bei vielen vornehmen Leuten beliebt. Das trifft auf ein Haar zu! Wer wollte Sie auch hassen können? Ihre schöne Person bezaubert schon, und ihrer Tugend und vortreflichen Gemüthseigenschaften, kann nichts widerstehen. Wollte der Himmel, daß alles Gute, was Ihr Planet enthält, in diesem Lebensjahre erfüllet, und ich hierzu als kein untüchtiges Werkzeug mit gebraucht würde! Ich eile meine Gelübde zu erfüllen, [69] und auf Ihre Gesundheit, die mit Epheu bekränzte Flasche auszuleeren. Allzuglücklich würde ich mich schätzen, wenn ich von Ihnen die Erlaubniß erhielt unverbrüchlich zu verharren


Dero

unterthäniger Verehrer v.N.

Ode.
Du, der du im Falerner Weine
Dich oft mit Lust bezechet hast,
Und nicht wie Dichter blos zum Scheine
Mit deinem Becher hast gespaßt;
Du, dem bei Chloen es gelungen
Und niemals fehlgeschlagen ist,
Daß wenn du ihren Reiz besungen,
Sie dich auch wirklich hat geküßt.
Horaz, aus einem Deckelglase
Trink ich jetzt auf Dein Wohlergehn:
Gib mir dafür in reichem Maaße
[70]
Das seltne Kunststück zu verstehn,
Wie man mit zauberischen Tönen
Sich in das Herz der Schönen schleicht;
So daß der Eigensinn der Schönen
Die aufgeblaßnen Seegel streicht.
Schon fühl ich mich ganz dichtrisch Feuer,
In altem Rheinwein aufgelößt,
Macht sich mein Geist vom Körper freier,
Gedanken sind ihm eingeflößt.
Anakreon, elender Schwätzer,
Im Lieben nur ein Idiot,
Warum treibst du, verdammter Ketzer
Mit dieser Kunst nur deinen Spott?
Mir soll ein besser Lied gelingen,
Wenn ich in reinem Kammerton
Von Iris Reizen werde singen,
Dir Meistersänger dir zum Hohn!
Dann wird sich meine Brust befiedern,
Verwandelt schwing ich mich als Schwan,
Durch Iris Lob, in meinen Liedern,
Zum glänzenden Olymp hinan.
[71]
Sie ist das Meisterstück der Götter,
Der Götter Meisterstück m Sie,
Ja, Momus selbst, der Gott der Spötter
Fand an Ihr keinen Tadel nie
Zeos, der auf seinem Adler reitet,
Wenn er den Blitz aus seiner Hand
Auf dick belaubte Eichen leitet,
Hat Ihren Vorzug selbst erkannt.
Um Sie noch schöner auszuschmücken
Hat er den Strahl, der uns verletzt,
Vereiniget mit Ihren Blicken,
Und in Ihr schönes Aug versetzt.
Vom Silbertönenden Metalle,
Das an Apollens Harfe glänzt,
Hat dieser Gott mit schönrem Schalle
Der Stimme Treflichkeit ergänzt.
Die Göttin, die auf wilden Meeren
Ein kleines Muschelschiff geschützt,
Cythere nur kann nichts verehren,
Das Iris nicht bereits besitzt;
Doch hat sie ihrem kleinen Dicken
Den Liebesgotte, wie man sagt,
[72]
Den Pfeil befohlen abzudrücken,
Wenn man sich ihr zu nahe wagt.
Vom Schilde, das Medusens Zähne
Aus schlangbehaartem Haupte bläckt,
Ist die vom Witz beseelte Schöne
Selbst durch Minervens Arm bedeckt.
Nie darf, zu einem sichern Zeichen,
Daß sie der Göttin ganz gehört,
Der Pallasvogel von ihr weichen,
Die Eule, die Athen verehrt.
Er glänzt vom Horizont herunter,
Er glänzt, der stolze Tag, der Sie
Der Welt zu ihrem achten Wunder
Und auch zur zehnten Muse lieh,
Noch achtmal zehnmal kehr er wieder,
Eh von Planeten selbst umringt,
Sie dort bei dem Gestirn der Brüder
Beim Castor und beim Pollux blinkt.
8. Brief
[73] VIII. Brief.
Fräulein Amalia an das Fräulein v.M.

den 26 Nov.


Da sehen Sie es nun, daß es nur ein Spaß ist. Wie gesagt, Sie sind in das Lustspiel eingeflochten worden, und müssen Ihre Rolle spielen. Sie mögen nun wollen oder nicht. Sie sind aber doch in gute Hände gefallen, da der Baron das Complot unter seinem Commando hat. Mein Oncle hätte nicht schlimmer wählen, und für Sie hätte diese Wahl nicht besser ausfallen können. Nun sind Sie sicher. Der Baron hat Ihren Liebhaber Ihnen nicht einmal unter die Augen geführet, weil er glaubte, daß seine Gegenwart Sie beunruhigen könnte, und er wird dieses allezeit thun, wenn er es in seiner Gewalt hat. Ich fange jetzo an, wirklich Mitleiden mit meinem Oncle zu haben, und wenn Sie es nicht wären, so wüßte [74] ich nicht was ich thäte, um ihn glücklich zu machen. Sie sollen unterdessen nach meinem Wunsche einen Freier bekommen, der Ihnen besser anstehet, aber eben so aufrichtig liebt als dieser, und daran zweifle ich auch nicht: ihr Planete verspricht Ihnen dieses. Auf mein Wort, ich glaube vollkommen, daß die Planeten eintreffen; der Ihrige paßt so gut auf Sie, als wenn er Ihretwegen wäre gemacht worden. Sehen Sie nur, was Lampert für ein sinnreicher Kopf ist! Auch im Calender findet er etwas artiges, das ein Liebhaber seiner Schönen sagen kann. Ich muß doch sehen, ob sich mein Planet auch so vortheilhaft erklären läßt, als der Ihrige. Ich bin im April gebohren, gut, ich will mir selbst die beste Auslegung darüber machen – –. Verwünscht! Bald will ich den April wieder auskratzen, und einen andern Monat dafür in den Brief setzen. Hätte ich doch nie die Begierde gehabt meinen Planeten zu lesen. Der Kerl, der den Calender schreibt, hat, wie ich glaube, mir zum Possen [75] diese schlimme Prophezeiung erdacht, oder eine grundböse Frau gehabt, die mit mir in einem Monat gebohren worden, und dieses hat ihn bewogen, die böse Gemüthsart seiner Frau dem Gestirn zuzuschreiben, das in dem Monat ihrer Geburt regieret hat. Suchen Sie ja meinen Planeten nicht auf, sonst lasse ich mich nicht wieder vor Ihnen sehen. Das ist entsetzlich, daß ich gerade in einem Monat gebohren bin, der den Mädchens so fatal ist! Ich werde künftig meinen Geburtstag verlegen, wie mein Oncle den Tanz unter der Linde. Ich hatte mir vorgesetzt, wenigstens ein Dutzend Körbe anzubringen, ehe ich mich der Herrschaft eines Ehetirannen unterwerfen wollte: aber mein Stolz ist gedemüthiget, ich werde nicht einen loß werden. Einen lachenden Freier, das ist nach meiner Erklärung, der nicht einmal rechten Ernst braucht, darf ich nicht abweisen, wenn ich nicht befürchten will, daß gar keiner wieder komme. Das schlimmste aus den Planeten, darüber ich mich fast ärgere, will ich mit Stillschweigen übergehen.

[76] Nicht wahr, wir waren gestern sehr vergnügt? Ich war es insonderheit, daß Sie den Spaß so wohl aufnahmen. Ha! Ha! Ich muß herzlich lachen, ein Glückwunsch in einer Pastete, das ist der lustigste Einfall, den man erdenken kann. Sie wurden über und über roth bei dem Fund, den Sie thaten. Ich merkte es, sobald Sie den Deckel aufhoben, ich vermuthete mir aber etwas ganz anders. Ich dachte der Major hätte den Spaß gemacht. Ihnen die Wahrheit zu gestehen, habe ich ganz und gar nichts davon gewußt, selbst meine Schwester nicht. Sie hat vermuthet, daß ihr Mann, um der Tafel ein besser Ansehen zu geben, die Pastete aus der Stadt hätte holen lassen. Ich bekümmere mich nicht um die Küche, und wurde nicht eher aufmerksam darauf, bis man Sie nöthigte vorzulegen. Sie sahe auch so ehrlich aus, daß ich ihr keine Schelmerei zutraute. Lampert hat doch manchmal einen Einfall, der werth ist, belacht zu werden. Der Mann macht gleichwohl seinen Vers, der nicht zu [77] verachten ist. Der Baron hat ihm unter den Fuß gegeben gehabt, einen lustigen Gedanken über die Frau v.W. mit einzumischen. Er hat es gethan; aber zum Glück hat er seinen satirischen Einfall so versteckt, daß er von wenigen bemerkt wurde. Ob ich mich gleich nicht für sonderlich scharfsinnig halte: so konnte ich doch leicht errathen, was die Eule, die Athen verehrt, zu bedeuten hatte. Die Auslegung, die der Baron über diesen dunkeln Ausdruck machte, die fernern Untersuchungen des Majors zu unterbrechen, war sehr weit hergeholt, und wollte an keinem Orte recht passen. Er sahe wohl den wahren Verstand ein: aber es war nicht rathsam, diesen Text gar zu genau zu erklären.


Aber hören Sie doch, mein liebes Fräulein, warum suchen Sie den Major immer gegen mich in Harnisch zu bringen? Sie müssen einen großen Wohlgefallen daran haben, mich einmal mit ihm zanken zu sehen, daß Sie uns immer zusammen hetzen. Nun kann [78] ich Sie doch auch einmal einer Leichtfertigkeit beschuldigen. Warten Sie, das laß ich Ihnen nicht so hingehen. Es kam mir, ich weiß nicht was für eine Lust an, Ihnen was ins Ohr zu fliestern, es war eine Kleinigkeit, die ich vergessen habe. Warum beschuldigen Sie mich denn, ich hätte von dem Major gesprochen, da ich doch nicht an ihn gedacht hatte? Wollten Sie ihn für seine Neugierde strafen, daß er unsere Heimlichkeit zu wissen verlangte? Das war vermuthlich Ihre Absicht, aber dadurch wurde ich mehr für meine Verwegenheit gezüchtiget, daß sich mein Mund Ihrem Ohr genähert hatte, als er für seinen Vorwitz. Was wird er denken, wenn er sich einbildet, ich hätte mich in seiner Gegenwart über ihn aufgehalten? Ich glaube nicht, daß er mich gnugsam kennet, um mir eine solche Unanständigkeit nicht zuzutrauen. Was mögen Sie ihm doch für ein Mährgen aufgeschwatzt haben? Ich zweifle nicht, daß er Sie wieder darum befragt hat, weil Sie nicht geschwinde genug [79] eine Unwahrheit erdenken konnten, die Sie ihm vorschwatzten, da er Sie in meiner Gegenwart befragte, was ich von ihm gesagt hätte. Sie werden nun Mühe haben meine Unschuld zu retten, und ihm die Gedanken zu benehmen, worinne er stehet, daß ich mich über ihn aufgehalten hätte, so unschuldig ich auch bin. Thun Sie ja Ihr bestes all ihm, diese Meinung zu benehmen, oder wenn Sie es nicht thun, so geben Sie Achtung. Sie werden schon auch einmal in seiner Gegenwart mit nur heimlich reden, oder ich finde auch wohl eine andere Gelegenheit, Sie so bat ihn anzugießen, daß Sie mich verwünschen sollen. Ich will Ihnen nun die Absicht meines Briefs entdecken, ich hatte mir vorgenommen, dieses in den ersten Zeilen zu thun, und er ist mir unter der Hand gewachsen, wie das Werk eines Gelehrten, ohne daß ich daran gedacht habe. Mein Oncle hat dem Baron aufgetragen, einen getreuen Bericht von der Aufnahme seiner Glückwünsche abzustatten, was für Urtheile darüber gefället [80] worden, und ob sie bei Ihnen einen für ihn vortheilhaften Eindruck gemacht hätten. Ich übersende Ihnen den Entwurf davon zur Durchsicht, verbessern und ändern Sie solchen nach Ihrem Gefallen, schicken Sie ihn aber bald zurück, damit mein Oncle, der sehr begierig ist, das Schicksal seiner Glückwünsche zu erfahren, befriediget wird. Ich umarme Sie.

9. Brief
IX. Brief.
An den Herrn v.N. von dem Herrn v.F.

den 26 Nov.


Recht gut so! Ich wünsche Ihnen Glück zu dem guten Anfang Ihres Spiels oder des Feldzuges, wie Sie Ihre Liebe nennen wollen. Sie haben sich wohl gehalten, und werden nun bald mehrere Progressen thun. Weil ich Ihnen einen Bericht abzustatten habe, der Ihnen nicht misfallen [81] kann: so hoffe ich, daß Sie mir diesmal alle Locos communes, die mir etwan entwischen möchten, gern verzeihen werden, doch werde ich mich dafür, so sehr ich kann, in Acht nehmen. Ich will mich eben nicht so genau an Ihre Vorschrift binden, um Ihnen nach der Ordnung zu melden, wie Ihre Prose und Verse sind aufgenommen worden, was man darüber gesagt hat, und was die verliebte Mine, die Sie haben anstiegen lassen, für Wirkung gethan: ich will Ihnen aber doch auch keinen Umstand, der Ihnen nur einiger maßen vortheilhaft ist, verschweigen. Der Einfall durch eine Pastete einen Liebesantrag zu thun, ist der vortreflichste von der Welt, Sie hätten Ihrer Geliebten solchen nicht artiger in die Hände spielen können. Das Fräulein schien ganz entzückt, da sie eine so vortrefliche Nahrung für den Geist in einem Behältnis entdeckte, das nur einige leckerhafte Bissen für den Mund einzuschließen schien. Das feindselige Messer hätte zwar beinahe ein großes Unglück angerichtet, und [82] den ganzen Planeten von Ihrem Briefe weggeschnitten: doch der getreue Sylphe des Fräuleins wollte sie nicht um das Vergnügen bringen, dieses Meisterstück des Witzes und einer gesunden Auslegungskunst zu lesen; der Brief und das Gedichte kam mit einer kleinen Verwundung, die einem Ehrenzeichen gliech, davon. Die Neugierde aller Anwesenden war so groß, daß die wichtigsten Gespräche dadurch unterbrochen wurden, und einige Minuten ein tiefes Stillschweigen über die Gesellschaft ausgebreitet war, bis sich solches in ein lautes Gelächter und frohlockendes Händeklatschen verwandelte, das einen allgemeinen Beifall anzuzeigen schien. Man konnte sich lange nicht vergleichen, wer die Ehre haben sollte, beides das Gedichte sowohl als das Schreiben öffentlich vorzulesen. Daß es geschehen sollte, darüber war man einig, obgleich das Fräulein Einwendungen dagegen machte. Endlich fielen die meisten Stimmen für den Major aus, welcher beschämt schien, daß er eine so schöne [83] Gelegenheit als der Geburtstag des Fräuleins war, aus den Händen gelassen, ihr seine Hochachtung wodurch zu bezeigen, da Sie Sich derselben so vortreflich zu bedienen gewußt hatten. Zu seiner Bestrafung mußte er ein Herold Ihres Witzes werden, er mußte lesen, so gern er diese Ehre verbethen hätte. Zu Ihrem Troste kann ich es sagen, daß das Fräulein, so lange er las, kein Auge von ihm verwendete, und daraus machte ich den Schluß, daß ihr alles sehr wohl gefiel. Die ganze Gesellschaft sprach von Ihnen sehr vortheilhaft, und selbst der Major mußte Ihnen Gerechtigkeit wiederfahren lassen. Das Fräulein sagte zwar nichts zu Ihrem Lobe: sie dachte aber desto mehr. Die Frau v.W. gestund, daß sie niemals die Gabe der Dichtkunst bei Ihnen vermuthet hätte, daß sie aber Sie um desto höher schätzte. Sie wünschte zugleich das Vergnügen zu haben, sich mit Ihnen in einen neuen Zwist verwickelt zu sehen, damit sie die Ehre hätte, eine poetische Abbitte und Ehrenerklärung zu erhalten. [84] Ihr Gemahl machte die Lobsprüche, die man Ihnen ertheilte, dadurch desto ansehnlicher, daß er Ihre Gesundheit ausbrachte, die rund um die Tafel fleißig nachgeholet wurde. Ungeachtet ich alle Mühe angewendet habe, das Herz des Fräuleins auszukundschaften, um zu erfahren, was Ihr Angebinde auf solches eigentlich für eine Wirkung gethan: so bin ich doch nicht vollkommen glücklich hierinne gewesen. Wenn ich von den, äußerlichen urtheilen wollte, so könnte ich Ihnen viel versprechen; allein die Schönen sind Meisterinnen in der Verstellungskunst. Sie wurde roth, da sie den Glückwunsch auf ihren Geburtstag fand, und lachte, da sie unter dem Schreiben Dero Namen erblickte. Sie gab auf alles genau Achtung, da der Major las, und da er hernach beide Stücke ihr wieder auf einem Teller überreichte, so nahm sie solchen mit einer freundlichen Mine zurück. Alles dieses läßt sich so vortheilhaft für Sie erklären, als der Planet für das Fräulein. Noch mehr, sie trunk Ihre Gesundheit, sie [85] lobte Ihre Aufmerksamkeit, dieses war zugleich ein Vorwurf für den Major wegen seiner Nachläßigkeit, daß er, der sie beständig begleitet wie ein Trabante seinen Planeten, nicht einmal ihrem Geburtstage nachgespüret hatte. So eine gute Gelegenheit kommt nicht alle Tage, sein Wort auf eine gute Art anzubringen. Sie hat Fräulein Amalien gefragt, wie Sie Sich befänden, ob Ihre Krankheit von Folgen zu seyn schien. Man könnte glauben, daß sie diese Frage aus Eigennutz gethan hätte, um die Erbschaft, die Sie ihr zugedacht haben, bald hoffen zu können, ja man könnte hierinne dadurch bestärket werden, daß sie sich auch unter der Hand erkundiget, ob Sie seit ihrem ersten Geburtstage, nicht wieder an Ihren letzten Willen gedacht hätten; allein solche hypochondrische Gedanken müssen einen Verliebten nicht einfallen, man kann auch von diesen Worten eine vorteilhafte Auslegung machen. Ueberhaupt läßt sich von dem vortreflichen Charakter des Fräuleins nicht vermuthen, [86] daß sie wünschen sollte bald Ihre Erbin zu werden. Alle diese Spuren sind mir aber noch nicht hinreichend, einen sichern Schluß daraus herzuleiten, daß Sie schon ihre Gewogenheit besitzen, ich will lieber nichts daraus schlüßen, als Gefahr laufen, falsch zu urtheilen. Wenn Ihnen das Glück günstig ist, so wird es uns schon andere Proben liefern, daraus wir die Zuneigung des Fräuleins vollkommener und sicherer schlüßen können. Wenn Sie meinem Rathe folgen wollen, so verhalten Sie Sich eine Zeitlang nur ruhig, und wenn Sie auch in ihrer Gesellschaft sind, so beobachten Sie ein gleichgültiges Wesen: man stürmet nicht immer bei einer Belagerung, man sitzt auch wieder eine Zeitlang stille, um neue Kräfte zu sammlen, und hernach einen unvermutheten und desto kräftigern Angriff zu thun. Die Frau v.W. ist Ihnen, so viel ich ihr habe abmerken können, noch immer nicht recht gut, es liegt nichts daran, ihre Gunst verspricht Ihnen ohnehin keinen sonderlichen Vortheil. [87] Sie thun indessen wohl, wenn Sie, als ein Politikus, eine Staatsfreundschaft mit ihr unterhalten. Wenn Sie bei dem Herrn v.W. einen Besuch abstatten, so will ich Sie mit Ihrer Erlaubniß begleiten, damit ich jede Mine und jede Bewegung des Fräuleins ausstudiren kann, um eine Gewißheit dadurch zu erhalten, was für Gesinnungen sie von Ihnen hegt.


Fräulein Amalia bringt mir jetzt eine schlimme Nachricht, sie hat eben einen Brief von dem Fräulein v.N. erhalten, darinnen ihr diese berichtet, daß sie heute früh aus ihrem Tische ein zusammengerolltes Pappier angetroffen, und bei Eröffnung desselben, ein vortrefliches französisches Sonnet nebst ein paar demantnen Ohrenringen gefunden hat. Sie sind abgestochen; Ihr Rival hat einen höhern Trumpf eingesetzt. Das Fräulein hat eine sehr große Freude über das Geschenke. Ihr Lobgedichte, das sie sehr heilig in ihrem Putzschrank aufzuheben versprach, fallt nun gewiß [88] in das unterste Fach, wenn es noch drinnen bleibt. Wo sollten die Ohrengehänge anders herkommen als von dem Major? Ja ja, er hat die rechten Schliche inne, wie man die Schönen bezaubern kann. Er verstehet das Spiel aus dem Grunde, jetzt sitzt er im Vortheile und wird sich schwerlich daraus vertreiben lassen. Doch das Spiel ist noch nicht verlohren, Sie sitzen nur hinter der Hand, und an Ihnen ist nunmehro die Reihe, ihn wieder abzutrumpfen. Wir wollen die Sache schon wieder ins Gleiß bringen, wenn Sie nur Standhaftigkeit gnug besitzen, die widrigen Zufälle, die in dergleichen Umständen sich oft begeben, zu ertragen, ohne an Ihrem Glück zu verzweifeln. Ich bin immer unglücklich im Vergleichen, so viel Geschmack ich auch daran finde. Ich habe Ihre Liebe, in so ferne sie thätig ist, mit dem Spiel verglichen: jetzt, da Sie Sich nach meinem Entwurf etwas leidend verhalten müssen, kommt sie mir vor wie das Podagra. Gedult und ein wenig Schreien sind hierbei [89] die besten Arzeneien. Ich rathe Ihnen beides, das erste, um der Sache gelassen zuzusehen, bis das Schicksal Ihren Rival aus der hiesigen Gränze entfernet, und das andere, um ihre Schöne, wenn sie über Ihre Unempfindlichkeit und Härte klagen, dadurch zum Mitleiden zu bewegen. Unterdessen daß Sie in einer gewissen Unthätigkeit sich befinden, will ich desto geschwinder seyn im Kabinet, und wie die Minister, wenn die Generals in Winterquartieren schmaußen, den Plan entwerfen, den Sie hernach ausführen sollen. So bald Sie Ihre Staatskrankheit Abschied nehmen lassen, so besuchen Sie mich, und bringen Sie Ihren Favoriten den Herrn Lampert mit, damit wir alles gemeinschaftlich überlegen, und wegen Ihren Angelegenheiten ordentlichen Rath halten. Ich verspreche Ihnen, allen Fleiß und alle Aufmerksamkeit anzuwenden, ihre Wünsche[90] zu vergnügen, um Sie dadurch zu überzeugen, daß ich kein blos Compliment mache, wenn ich mich nenne


Dero

gehorsamsten Diener v.F.

10. Brief
X. Brief.
Das Fraülein v.W. an das Fräulein v.S.

den 26 Nov.


Was werden Sie noch aus mir machen, loses Fräulein! Sie, und der Herr Baron, spielen Comödien, daß man Bücher davon schreiben könnte. Ich glaube, Sie haben sich beide vorgenommen, Ihre Nachbarschaft rund um sich her in Verwirrung zu setzen, und Niemand zu schonen, wenn Sie nur etwas zu lachen bekommen. Wenn [91] ich nur eine sträfliche Mine annehmen könnte, so hätte ich Lust, Ihnen einmal den Text recht zu lesen. Der Brief mit dem Einschluß, welchen Sie mir heute zugeschickt haben, hat wunderliche Erscheinungen bei mir hervorgebracht, ich habe über beide gelacht, den Kopf geschüttelt, ich bin halb erzürnt bei einigen Stellen gewesen, ich bin wieder gut worden; ich habe sie noch einmal gelesen, und habe mich niedergesetzt, Ihnen darauf zu antworten; ich bin aber jedesmal zweifelhaft aufgestanden, ohne zu wissen, was ich über die Innlage für ein Urtheil fällen sollte. Mehr als einmal hab ich einige Stellen darinnen verbessern wollen, ich hatte bereits die Feder angesetzt, um ganze Seiten auszustreichen, und sie zu verändern: aber ich habe es immer wieder unterlassen, weil ich nicht wußte, womit ich den leeren Raum füllen sollte. Nun es mag alles bleiben, ich will Ihnen aber meine Kritik darüber machen, eben so wie über Ihren Brief, und dadurch werde ich diesen zugleich beantwortet haben. Ich [92] sehe wohl, daß es mit der Liebe Ihres Herrn Oncles nur Spaß ist, oder daß Sie und der Herr Baron einen Spaß daraus machen wollen, da Sie diese Sache nun unter den Händen haben, ich bin darüber erfreuet: aber vorher war es in der That kein Spaß. Es sind noch nicht gar acht Wochen, da Sie über dieses Capitel mir ein so zweifelhaftes Gesicht machten, daß ich es Ihnen ansehen konnte, wie sehr Sie meinetwegen besorgt waren. Wenn Sie und der Herr v.F. nicht alle Kräfte und Ihre ganze Kunst der Intrigue aufgebothen hätten, mich zu befreien, so würde ich jetzt sonder Zweifel Frau v.N. Für eine so gute Bemühung muß ich Ihnen ja wohl etwas zu lachen geben, und wider meinen Willen eine Rolle, die Sie mir in dem Lustspiele auftragen, übernehmen. Ich verspreche diese so gut zu spielen als mir möglich ist, nur daß es immer ein Spiel bleibt, und nicht etwan wieder Ernst daraus wird. Ich bedaure es, wenn Sie meinetwegen den Herrn von N. ein so schweres Gebot auferleget [93] haben, von der Gesellschaft zu bleiben, dieses wird ihm vermuthlich sehr beschwerlich gewesen seyn. Ich verlange nicht, daß er so eingeschränket werde, sonst stehet er Ihnen gewiß nicht lange zu Gebothe. Seine Gegenwart ist mir niemals beschwerlich, so lange ich nichts davon zu befürchten habe, welches ich jetzt nicht vermuthe. Wir werden nächstens einen Besuch in Kargfeld ablegen, ich werde mitgehen, um dem Herrn v.N. eine unschuldige Freude zu machen. Prägen Sie ihm nur ein feines, steifes, zurückhaltendes Wesen ein, und versichern Sie ihn, daß dieses das beste Mittel sey, von mir recht viel freundliche Gesichter zu bekommen.


Sie suchen doch auch alle Gelegenheit auf, sich lustig zu machen, und wenn Ihnen aller Stoff zu fehlen scheinet, so sind Sie es über sich selbst, das ist in der That ein artiger Charakter, der mir gefällt. Das Schicksal entferne uns nie von einander: wenn ich jemals Ihren Umgang vermissen sollte, so würde [94] ich das allerschätzbarste, das ich besitze, verlieren. Weil einmal die Planeten unter uns einiger lustigen Aufmerksamkeit sind gewürdiget worden, so will ich mir die Freiheit nehmen, über eine Stelle des Ihrigen, eine Anmerkung zu machen, doch in einen gelehrten Streit lasse ich mich durchaus nicht ein, wenn ich auch einen Preiß von einer Akademie der Wissenschaften dadurch zu verdienen wüßte. Was machen Sie Sich für einen seltsamen Begriff von einem lachenden Freier! Sie verstehen darunter einen halbigten Liebhaber, der keinen Ernst braucht? Unglückliche Deutung! Gehen Sie zum Herrn Lampert, und lassen Sie Sich die Sache erklären, er wird es Ihnen ganz anders sagen. Sie sind lustig, aufgeräumt, Sie lachen gerne: gleich und gleich sucht sich. Der Mann, den Sie einmal glücklich machen sollen, wird in seinem Charakter Ihnen ähnlich seyn. Sie bekommen einen muntern, aufgeräumten, lachenden Freier, er Ihnen das Leben so angenehm macht, als Sie es allen, die Ihren [95] Umgang genießen, zu machen wissen. Wollen Sie nun weiter mit dem ehrwürdigen Sterndeuter zanken, der Ihnen so viel gutes geweissaget hat? Es hat mir nicht an Neugierde gefehlet, Ihren Planeten ganz zu lesen, und die bösen Schicksale, die nach Ihrem Urtheile darinne sollen enthalten seyn, zu erfahren, oder ihnen mit einer guten Auslegung zu statten zu kommen; aber da ich eine sehr schlechte und mangelhafte Edition von einem Calender habe, darinne diese unbetrüglichen Weissagungen fehlen: so muß ich wider Willen dem Befehle nachleben, Ihren Planeten nicht zu lesen.


Thun Sie nur nicht so böse, daß ich dem Major etwas von Ihnen vorgeschwatzt habe. Sie urtheilen recht, daß ich ihn dadurch für seinen Vorwitz habe bestrafen wollen; aber ich bin darinne nicht mit Ihnen einerlei Meinung, daß ich daran Unrecht gethan habe. Ich glaube vielmehr allen Verdacht dadurch von Ihnen entfernt zu haben. Er konnte [96] denken, wir hätten von Ihm gesprochen, da wir heimlich mir einander redeten; er konnte dieses aber nicht mehr denken, da ich es ihm öffentlich sagte, daß wir es gethan hätten. Wenn es wahr gewesen wäre, so würde ich es ihm gewiß verschwiegen haben. Vermuthlich sahe er es ein, daß ich ihn für seine Neugierde, dadurch habe wollen ein wenig büßen lassen; sollte es aber nickt geschehen seyn, so will ich, wenn er mich wieder fragt, was wir von ihm gesprochen hätten, meinen Fehler wieder gut zu machen, etwas recht schönes erdenken, das Sie zu seinem Vortheile sollen gesagt haben. Aber warum dringen Sie denn so sehr darauf, daß ich Ihre Unschuld retten soll? Fräulein, Fräulein! wenn Sie mir etwas verheimlichen, so vergebe ich es Ihnen nicht.


Dem Herrn Baron machen Sie mein bestes Compliment. Sagen Sie ihm, daß ich seine guten Bemühungen mir vielem Danke erkenne; aber ich bin wenig mit den Maaßregeln [97] zufrieden, die er anwendet, seine gute Absicht zu erreichen. Warum braucht er so zweideutige Ausdrücke, die den Herrn v.N. entweder gegen mich oder den Major aufbringen können? Wer weiß, ob er nicht dadurch in die Versuchung geräth, seinem eignen Kopfe zu folgen, und wenn er sich nicht mehr in der Irre herum führen läßt, die rechte Spuhr wieder zu suchen, wodurch es ihm an, ersten gelingen könnte, sein Vorhaben auszuführen, oder doch wenigstens mir Angst zu machen. Ich merke wohl, daß der Herr Baron durch die Verzögerung ihn ermüden will. Es ist dieses ein sehr guter Einfall, aber wann dem Herrn v.N. etwas in den Kopf gesetzt wird, das ihn aufbringen kann, so verläßt ihn seine Gedult ganz sicher, und er wird hernach alles anwenden, sein Schicksal entschieden zu sehen, welches auf der einen oder der andern Seite Verdruß erwecken könnte, und diesen vermeide ich gerne. Doch das ist noch nicht alles, was mir am wenigsten gefällt, ist dieses, daß ich so [98] abgeschildert werde, als wenn der Major in besonderm Ansehen bei mir stünde. Ich bin in diesem Stück etwas zärtlich, wenn Sie über so etwas mit mir scherzen, so kann ich gleiches mit gleichem erwiedern, und das bleibt unter uns; wenn aber mehrere Personen an diesem unschuldigen Scherz Antheil nehmen, so entstehet daraus ein Gerüchte, und das wünsche ich eben nicht. Die Auslegung über die unschuldige Frage, wie sich Ihr Herr Oncle befände, ist höchstleichtfertig. Ich lasse mir diesen Scherz desto leichter gefallen, da ein solcher Verdacht, daß ich nach einer Erbschaft sollte begierig seyn, nicht leichtlich im Ernste von mir wird gefaßt werden, es kann auch dieser Einfall, in der Absicht, in welcher er ist angewendet worden, vielleicht von einigem Nutzen seyn. Aber ich weiß nicht, was ich mit den Ohrenringen anfangen soll, ich kann die Absicht, warum der Herr v.F. mich damit hat beschenken lassen, nicht errathen. Sollte es deswegen geschehen, damit Ihr Herr Oncle [99] aufgemuntert würde, mir in der That ein Geschenke zu machen, so würde ich dadurch in die äußerste Verlegenheit gesetzet werden, ich könnte es nicht annehmen, und auch nicht ohne Beleidigung zurück geben, ich würde also auf die eine und auf die andere Art anstoßen. Ueber dieses, wenn der Herr von N. gegen die Frau v.W. etwas davon gedächte, so würde ich ein scharfes Examen von ihr auszustehen haben, sie würde es nicht glauben, daß es nur ein Mährgen ist. Sie wissen, was man für Mühe anzuwenden hat, ihr etwas auszureden, das sie sich zu glauben oder einzubilden, einmal vorgenommen hat. Wenn Sie nicht versichert sind, daß ich davon nichts zu befürchten habe, so streichen Sie diese Stelle ganz aus. Ich ersehe am Ende des Schreibens an den Herrn v.N. daß er nur eine Staatskrankheit angenommen hat. Nun bedaure ich ihn desto mehr, und wenn es nicht meine eigne Person beträfe, so wollte ich eben das thun, wozu Sie Sich anheischig gemacht haben, und alles beitragen, [100] seine Wünsche zu erfüllen. Den Augenblick erfahre ich etwas ganz neues, der Major bat Befehl erhalten, wieder zu seinem Regimente zurückzukehren. Er ist nur vor einer Stunde hier gewesen, und hat es meinem Vater gesagt. Ich bin am Ende meiner Gedanken und meines Briefs, und kann in der Eil keinen bessern Ausdruck finden, solchen dadurch zu schlüßen, als die Versicherung, daß ich Sie mit der aufrichtigsten Zärtlichkeit liebe


J.v.W.

11. Brief
XI. Brief.
Das Fräulein v.S. an das Fräulein v.W.

den 30 Nov.


Das ist zum Todlachen! Keinen lustigern Auftritt könnte mein Oncle liefern, als den er im Begriff ist uns sehen [101] zu lassen. Vernehmen Sie die große Begebenheit, die sich in wenig Tagen ereignen wird. Ich zweifle nicht daran, daß das Vorhaben wirklich ausgeführt wird. Es kommt nur auf Sie an, und Sie haben Sich einmal anheischig gemacht, das Spiel nicht zu verderben ich halte Sie nun bei Ihrem Worte. Seyn Sie stolz auf die Ehre, die Ihnen zubereitet wird, mein Oncle beschäftiget sich gegenwärtig Ihren Namen unsterblich zu machen. So einer edlen Bemühung werden Sie nicht widerstehen können, ja er wird dadurch Ihr Herz gewiß erobern. Damit ich Sie nicht, nach meiner Gewohnheit, mit einem langen Geplaudere aufhalte, und Ihre Neugierde, die ich schon genug gereizt zu haben glaube, lange quäle; so will ich es Ihnen mit einem Worte sagen, daß der Herr v.N. entschlossen ist, eine Akademie der Wissenschaften in Kargfeld zu errichten, die nach Ihrem Namen die Julianen Akademie genennet werden soll. Wenn es nicht ein so gar artiger Spaß wäre, so würde ich nicht zugeben, daß [102] Ihr Name gemißbraucht wird; doch der Einfall ist zu lustig, daß ich mich bemühen sollte, dir Ausführung davon zu hintertreiben. Lehnen Sie dem Baron und mir einmal Ihren Namen, um einen Scherz vollkommen zu machen. Damit Sie an der Sache vollkommenes Licht erhalten, so hören Sie jetzt meine Erzählung, und hernach lesen Sie die Innlagen meines Briefs. Es sind deren viere, ein Brief des Herrn Lampers an den Baron, eine Nachricht von der Einrichtung der Julianen Akademie, ein Verzeichniß der Mitglieder, die sogleich bei Eröffnung derselben sollen aufgenommen werden, und die Antwort des Barons. Ich darf Sie nicht erinnern, daß ich mir die Einschlüsse bald wieder ausbitte, Sie wissen dieses schon. Lassen Sie Sich es nun erzählen, wie mein Oncle sich diese Gedanken hat einfallen lassen, und warum er so feste darauf beharret, sein Vorhaben auszuführen. Der Baron fand gut, Ihrer Kritik ungeachtet, das Schreiben an meinen Oncle so zu lassen, wie er es entworfen[103] hatte, ohne darinne das geringste zu ändern. Sie sind gar zu zärtlich, und machen sich über Umstände, die ich nicht einmal wahrnehme, einen Hausen Bedenklichkeiten. Wir sind in Schönthal nicht so gesinnet. Der Baron blieb bei seinem Entschluß, und schickte meinen Oncle den Brief so, wie Sie ihn gesehen haben. Den Tag darauf machte er ihm in Person einen Besuch, um zu sehen, wie er mit dieser Nachricht zufrieden wäre. Er nahm sich zugleich vor, diese Erzählung zu vermehren und zu vorbessern, wenn er es rathsam finden würde. Der Herr v.N. ist mit der Art, wie Sie seine Glückwünsche sollen aufgenommen haben, überaus vergnügt gewesen. Er hat zwar allerlei Betrachtungen angestellet, ob die vergnügten Bucke, die der Baron Ihnen, bei der Vorlesung der Glückwünsche angerichtet, mehr diesen oder dem Leser zugeeignet werden könnten: doch Herr Lampert, der alles gern zu einem Vortheile ausleget, hat das erstere so geschickt behauptet, daß alle Zweifel [104] verschwunden sind. Sein Vergnügen würde vollkommen gewesen seyn, wenn ihm nicht der Punct von dem Französischen Sonnet und den demantenen Ohrenringen die Freude sehr gemäßiget hätten. Ich hätte mich mit dem Baron zanken mögen, daß er durch diese Erdichtung das unschuldige Vergnügen meines Oncles unterbrochen hat. Doch eben dieses hat zu einer neuen komischen Handlung Gelegenheit gegeben. Der Herr v N. hat den Baron ersucht, ihm einen Rath zu erteilen, wie er diesen tödtlichen Streich, den sein Gegner durch ein so glänzendes Geschenke seiner Liebe versetzt zu haben glaubte, fruchtlos machen könnte. Der Baron hat die Verwegenheit gehabt, ihm das anzurathen, was Sie so sehr fürchten, daß er Ihnen ein Geschenke machen sollte, das noch zweimal größer wäre, als das Sie von seinem Rival erhalten hätten, oder nach seiner Sprache mich auszudrücken, er sollte einen höhern Matador einsetzen. Fürchten Sie nichts, dieser Vorschlag ist sogleich verworfen worden. [105] Sie kennen meinen Oncle nicht, wenn Sie glauben, daß er in die Versuchung gerathen dürfte, bei seiner Liebe großen Aufwand zu machen. Sie werden nicht leicht durch ein wichtiges Geschenke von ihm in Verlegenheit gesetzet werden. Er ist gewohnt seine Anschläge, die alle ins Große fallen müssen, um wenigen Kosten auszuführen. Herr Lampert, der unerschöpflich ist an witzigen Erfindungen, und alle Absichten meines Oncles gern mit den seinigen verbindet, um sie desto leichter auszuführen, hat seit einiger Zeit, ich weiß nicht was für wunderliche Träume gehabt, Kargfeld in einen Sitz der Künste und Wissenschaften zu verwandeln. Ich wünschte, daß er so reich an Mitteln als an Anschlägen wäre, so würde er aus diesen Ort gewiß ein Versailles oder Paris machen. Sie wissen, wenn mein Oncle geheimen Rath hält, daß er darinne Sitz und Stimme hat. Seine Einbildungskraft giebt ihm also bei der Unentschlossenheit, worinne er den Baron siehet, den Herrn v.N. durch gute Rathschläge[106] zu unterstützen über seinen Gegner die Oberhand zu gewinnen, sogleich ein Mittel an die Hand, seinen Gönner aus der Verlegenheit zu ziehen, und dadurch sein Vorhaben, das schon einige mal von uns auf eine spöttische Art ist herumgenommen worden, zugleich mit auszuführen. Er wagt es bei einer so günstigen Gelegenheit noch einmal, den Vorschlag von Errichtung einer Gesellschaft der Wissenschaften en Mignature, zu erneuern, und solche die Julianen Akademie zu nennen. Der Baron, dem die geschickte Wendung des Magisters, sein Vorhaben auszuführen, und überhaupt das seltsame in diesem Anschlage gefällt, ergreift die Parthei des Herrn Lamperts mit einem angenommene, Eifer, und stellet dem Herrn v.N. die Sache aus einem so vorteilhaften Gesichtspuncte vor, daß dieser ihm mit Vergnügen beifällt, und die glückliche Stunde mit Sehnsucht erwartet, in welcher sie zur Ehre seiner Göttin ausgeführet werden soll. Lampert hat zu dieser Absicht die Aufsätze [107] verfertiget, welche ich Ihnen hierdurch mittheile.


Es ist auch in der That nichts geringes, und ich beneide Sie bald selbsten, daß Ihnen zu Ehren eine Akademie errichtet wird. Wenn Sie nicht ganz und gar stoisch gesinnt sind, so muß eine solche Ehre den lebhaftesten Eindruck in ihr Herz machen. Der Entschluß meines Oncles ist höchstgroßmüthig; er als der Stifter einer Akademie, hätte das Recht, solche mit seinem Namen zu belegen: aber wie vortreflich! er thut darauf Verzicht, um sie einem Frauenzimmer zu widmen, das er liebt. Es ist dieses ein so augenscheinlicher Beweis von seiner Leidenschaft für Sie, daß demantne Ohrengehänge und ich weiß nicht was für Kostbarkeiten, damit in gar keine Vergleichung können gesetzet werden. Wenigstens sind dieses die Gedanken meines Oncles und des Herrn Lamperts, die Sie ihnen auch selbst nicht würden abstreiten können. Sie dürfen sich nicht daran stoßen, daß [108] diese gelehrte Gesellschaft aus ganz verschiedenen Gliedern bestehet; die ansehnlichsten sind in keinem Theile der Welt anzutreffen, außer nur in einem Romane. Doch wenn diese ehrlichen Leute wirklich wären, so würden sie sich sehr wundern, daß unsere Schulmeister und Verwalter von ihnen Collegen sind. Ich habe dieses schon dem Baron vorgeworfen, der auch ein Ehrenmitglied dieser Gesellschaft abgeben wird, er hat mir aber versichert, daß im Reiche der Gelehrten, in so fern sie nur als Gelehrte betrachtet werden, kein Rang beobachtet würde, sondern daß diese Herren auf einen Fuß mit einander lebten, wie die alten Lacedämonier oder die Brüdergemeine zu Herrenhuth, daher käme es, daß der Geringste in der gelehrten Republick, den angesehensten auf einen gelehrten Zwiekampf herausfordern dürfte, welches sich oft zutrüge; die gelehrten Cavaliers bleiben einander mit der Feder so wenig schuldig als die Adlichen mit dem Degen. In so ferne er sich als einen Gelehrten betrachtete, [109] so sey es keine Schande einen Schulmeister auf der gelehrten Bank neben sich zu haben. Was das schlimmste ist, so gehören die meisten Glieder dieser Akademie nur in sehr uneigentlichem Verstande zu den Gelehrten. Doch, wie gesagt, dieses alles macht nichts aus, weil unter den Gelehrten kein Rang beobachtet wird, Lampert aber ein grundgelehrter Mann, alle Mitglieder für gelehrt erkläret hat: so ist diese Akademie so gut, als wenn sie aus Staatsministern in Ordensbändern, Prälaten und Superintendenten bestünde, und Sie erhalten also dadurch alle Ehre, die Ihnen eine kaiserliche Akademie ertheilen könnte, wenn sie von Ihnen den Namen entlehnet hätte. Ich verspreche mir vortrefliche Werke von dieser Gesellschaft, und mache mir Hoffnung, nicht lange darauf warten zu dürfen, wenn Sie bey dem Entschluß bleiben, meinen Oncle zu besuchen. Ich könnte meinen Brief noch ziemlich verlängern, wenn ich heute Lust zu plaudern hätte, oder mich in eine ordentliche [110] Beantwortung Ihres Schreibens einlassen wollte: ich will aber beides auf eine mündliche Unterredung spahren. Wenn Sie eben so vielen Geschmack als ich an dem Witze des Herrn Lamperts fänden, so würden die Innlagen dieses Briefs Ihnen zu einem artigen Zeitvertreibe dienen. Ich liebe Sie von Herzen. – – Das sollte eigentlich der Schluß von meinem Briefe seyn, aber ich erinnere mich eben jetzt noch an einen wichtigen Punkt, den ich nicht mit Stilleschweigen übergehen kann. Sie sagen mir ja auf eine recht ängstliche Art, daß der Major wieder zu seinem Regiment gerufen ist. Das hat etwas zu bedeuten. Ich hatte Lust ihn zu einem Mitgliede der gelehrten Akademie meines Oncles aufnehmen zu lassen, und dachte das Vergnügen, zu haben, ihn sehr schöne Reden halten zu sehen, nun komme ich auf einmal um diese Freude. Ich verliere ihn nicht gerne aus der hiesigen Gegend, ich gestehe es. Er ist ein lustiger Mann, der alles aus sich machen läßt, und um uns etwas zu lachen zu geben, [111] gewiß ein gelehrtes Mitglied der Akademie worden wäre. Sie lassen ihn auch nicht gleichgültig abreisen, das ist außer Zweifel. Die Art, womit Sie mir seinen Abzug verkündigen, verräth einige Unruhe. Warten Sie, ich habe ein artiges Liedgen gehabt, wenn ich es finden kann, so sollen Sie es bekommen, ich will es gleich suchen. – – – Da ist es! Wahrhaftig, es schickt sich vortreflich auf die Abreise des Majors; es paßt aber auch auf Sie wie der Planete. Sie haben den Namen Iris von ihrem Anbeter erhalten, recht als wenn sie es mir einander abgeredet hätten, das ist lustig! Eine Abschrift davon will ich behalten, es sind Virtuosen in der Akademie, ich will einem ein gut Wort geben, oder ich will mich in einer Bittschrift an das ganze Corpus wenden, damit es collegialisch componiret wird. Die Melodie soll so rührend ausfallen, daß es einem jammern soll, der es hört. Dichten Sie Sich unterdessen selbst eine Melo die, wenn ich Sie besuche, wollen wir dieses kleine Concert [112] aufführen. Sie spielen und ich singe, dabei bleibt es.

CHANSONNETTE
Iris il faut partir!
Mon coeur rempli de larmes
En quittant tous Vos charmes
Ne sait que devenir:
Iris il faut partir.
Je m'en vais à l'Armée,
Ne soyez pas affligée;
Du bruit de nos combats
Ne Vous effrayez pas.
Nous saurons nous defendre,
Avant que de nous rendre,
A de braves François
Ennemis de la paix.
Mon cher Damon allez
Ou l'honeur Vous appelle,
Ne soyez moins fidelle,
Tant que Vous vivrez:
Mon cher Damon allez.
[113]
Ayez soin d'une vie,
Qui n'est pas moins cherie,
Et que mon tendre coeur
Aime avec tant d'ardeur.
Complez sur ma constance,
Et ayez l'esperance
Qu'un si parfait amour
Est payé de retour.
12. Brief
XII. Brief
Vom Herrn Lampert Wilibald an den Herrn v.F.

den 29 Nov.


Wenn es ein Glück zu nennen ist, zu einer Zeit zu leben, die an großen und merkwürdigen Begebenheiten fruchtbar ist: so sind die jetzigen Bewohner der Erde allerdings glücklich zu preisen, daß sie in einem Jahrhunderte leben, das einen Ueberfluß an Begebenheiten aufzuweisen hat [114] die die Geschichte dereinst verewigen wird. Ich will nicht an die Helden gedenken, die die Kriegskunst auf den höchsten Gipfel der Vollkommenheit gebracht haben; ich will jene großen Männer, die sich am Ruder des Staates einen unvergeßlichen Namen gemacht haben, in keine Betrachtung ziehen: ich will nur einen Blick auf die gelehrte Welt thun, und den Flor der Wissenschaften beschauen, um darzuthun, daß unsre Zeiten nicht schlimmer werden, wie alle verlebte Leute aus Vorurtheil glauben, sondern daß wir in den besten und glückseligsten Zeiten leben.


Die Ausbreitung der Wissenschaften gehöret ohne Zweifel mit zu den merkwürdigsten Dingen, die unserm Zeitraume ein so glänzendes Ansehen geben. Wie viele große Männer könnte ich nennen, wenn es hier der Ort wäre, die durch ihre ausgebreitete Erkenntniß in allen Theilen der Wissenschaften, und besonders durch die Erfindung wichtiger [115] und neuer Wahrheiten sich ein so ehrwürdiges Ansehen verschafft haben, daß sie den berühmtesten Gelehrten aus den berühmtesten Völkern und in den berühmtesten Zeiten die Woge halten, wo sie solche nicht gar übertreffen. Anstatt aller Beweise darf ich nur die Königin der Wissenschaften, wie sie von einigen Gelehrten mit Recht ist genennet worden, oder die Seele aller Künste die herrliche Metaphysik anführen. Wie diese verehrungswürdige Disciplin den Grund aller menschlichen Erkenntniß erhält, zu einer jeden wichtigen Handlung aber die mit Vorsatz ausgeführet wird, ein großer Grad der Erkenntniß gehöret; so kann sie auch als der Grund aller großen Begebenheiten, die unsern Zeitraum merkwürdig machen, angesehen werden. Sie ist es, durch welche die Fürsten weislich regieren, die Generale Schlachten gewinnen, Städte in so viel Tagen einnehmen, als man ehedem Jahre dazu brauchte. Sie ist es, wodurch das Recht der Völker und einzelner Personen entschieden wird. [116] Wie könnte das Recht gehandhabet werden, seitdem die Sophisten unsrer Zeiten die Sachwalter und Advokaten auferstanden sind, und der Gerechtigkeit eine wächserne Nase angesetzet haben, wenn die Metaphysik nebst ihrer getreuen Gespielin der Vernunftlehre die Menschen nicht unterwiesen hätte, das Wahre von dem Falschen, und das Licht von dem Schatten zu unterscheiden.


Doch die Wissenschaften würden noch lange nicht in dem Glänze stehen, worinne sie sich befinden, wenn nicht gewisse gelehrte Gesellschaften wären errichtet worden, die mit zusammengesetztem Eifer das Reich der Wahrheiten zu erweitern sich bemühet hätten. Diese verdienen eine besondere Stelle unter den Vorzügen, womit unser Zeitraum für andern Zeiten glänzet. Ich habe nur jederzeit bedauert, daß solche gelehrte Gesellschaften bisher meistens in den Residenzen großer Fürsten ihren Sitz gehabt, und nicht auch wie die Musen auf dem Helikon unter den um sie [117] herumirrenden Schäfern sich niedergelassen haben. Hierdurch würde ihre Nutzbarkeit viel angenehmer worden seyn, wenn sie sich auch bemühet hätten, die Geringen im Volke und selbst die Erkenntniß; der Landleute zu erweitern, welche doch unstreitig den größten Theil der Erdbewohner ausmachen. Eine geringe Anzahl der Sterblichen weiß alles, und der größere Theil befindet sind in der größten Unwissenheit. Diesem Uebel abzuhelfen, sollte billig die hohe Landesobrigkeit darauf bedacht seyn, die Schütze der Wissenschaften, welche die Gelehrten sorgfältig gesammlet haben, gleich wie das Geld in Umlauf zu bringen, und allen und jeden davon mitzutheilen. Ich habe mir die Intendanz des gemeinen Mannes jederzeit zu Herzen gehen lassen, und mich darüber betrübt, auch auf Mittel gedacht, diesem Uebel abzuhelfen. Schön seit einigen Jahren habe ich die Gedanken gefaßt, einem großen Herrn den Vorschlag zu thun, Schulen für Erwachsene, die sich den Wissenschaften nicht eigentlich [118] gewidmet haben, anzulegen, darinne junge Leute so lange unterwiesen werden könnten, bis sie heirathen. Insonderheit sollte man sich des schönen Geschlechts besser annehmen, an jedem Orte sollte für erwachsene Mädchen eine besondere Schule angeleget werden, darinnen diese edlen Creaturen so lange einen Unterricht genössen, bis die Umstände sie nöthigten, einen eignen Haushalt zu führen. Sie sollten in der Haushaltungskunst, in der Weltweisheit, Historie, Poesie und andern dahin einschlagenden und dem weiblichen Geschlecht anständigen Künsten und Wissenschaften, theoretisch und praktisch geübt werden, damit der Aberglaube, der diesem Geschlechte unsern erleuchteten Zeiten zur Schande noch so sehr anhänget, ausgerottet würde, und sie von ihren Pflichten, davon diese Hälfte des menschlichen Geschlechts noch so seichte und unvollständige Begriffe hat, eine vollkommenere Känntniß erhielte. Ich wollte mich selbst einer so nützlichen Bemühung gern unterziehen, und mit Vergnügen als einen Lehrer [119] Lebenslang gebrauchen lassen. Doch wie der jetzige landverderbliche Krieg viele vortrefliche Projekte vereitelt hat, so ist es auch diesem ergangen. Es wird dieser herrliche Entwurf noch eine Zeitlang inter pia desideria gehören, bis er einmal in einem ruhigern Zeitpunkte, nach dem Wunsche vieler redlicher Männer, ausgeführet wird. Inzwischen gereicht es mir zu keiner geringen Freude, daß mitten unter dem Geräusche der Waffen, unter dem Schutz meines vortreflichen Gönners, die Musen, die allenthalben verscheucht werden, in unsern glücklichen Gegenden ihre Wohnung aufzuschlagen scheinen: unser Kargfeld nimmt an dem Flor der Wissenschaften und an dem Gluck unsrer Zeiten, rühmlichen Antheil. In Zukunft werden nicht allein die Residenzen der Könige mit gelehrten Gesellschaften prangen, auch unsre Gegend wird eine aufzuweisen haben. Erlauben Sie, gnädiger Herr, daß ich Ihnen an Namen der ganzen gelehrten Republick, für die Sorgfalt Dank abstatte, mit welcher Sie [120] meinen Anschlag, eine Akademie der Wissenschaften im kleinen hier aufzurichten, unterstützet haben, dergestalt, daß das, was bisher in meinen Gedanken nur als einecaussa exemplaris existiret hat, nun die Wirklichkeit erhält. Wo finde ich Worte, meine Freude über diesen großmüthigen und Grandisons Nachfolgern würdigen Entschluß auszudrücken? Fast möchte ich in die Versuchung gesetzt werden, mit einem Jüngling aus dem Terenz auszurufen: Ah Jupiter! C'est presentement que je mourrois volontiers de peur qu'une plus longue vie ne corrompe cette joye par quelque chagrin. Mein Gönner ist von diesem Vorhaben jetzt so eingenommen, daß er es je eher je lieber ausgeführt zu sehen wünschet. Seitdem Sie uns gestern verlassen haben, ist dieses sein und mein einziger Gedanke gewesen, wiewohl wenn ich dem wahren Grunde seiner Absichten nachspühre, so sind diese nicht so sehr auf die Ausbreitung der Wissenschaften gerichtet, als vornehmlich nur Dero Vorschlag auszuführen, [121] und dem Fräulein v.W. zu schmeicheln, wenn diese neue Akademie nach Ihr wird benennet werden. Dieses thut jedoch der guten Sache keinen Eintrag, und kann als ein Adiaphoron angesehen werden. Wenn Sie es erlauben meine Ahndung zu entdecken, so sehe ich aus dieser Knospe für unser werthes Vaterland sehr viel gutes hervorkeimen. Jedermann, auch die geringsten Landleute die weder lesen noch schreiben können, gleichwohl aber in manche Theile der Wissenschaften, die sie ex Praxi erlernen, ein tieferes Einsehen haben, als spekulativisch Gelehrte, werden dadurch aufgemuntert, ihr Pfund aus dem Schweißtuch hervor zu langen, ihre besondere Kenntniß in dieser und jener Sache zu offenbaren, und folglich das gemeine Beste zu befördern. Eine glückliche Aemulation wird alle Innwohner dieser Gegend antreiben, wenn sie einige aus ihrem Mittel durch besondere Ehrenzeichen belohnet sehen, die sie durch neue Entdeckungen in allerlei nützlichen Künsten und Wissenschaften sich erworben [122] haben, gleichfalls etwas neues und besonderes zu erfinden, damit sie gleicher Ehre theilhaftig werden. Die Innwohner dieser glücklichen Gegend werden also in einer Zeit von wenig Jahren klüger seyn als an irgend einem Orte, dadurch werden andere Provinzen aufmerksam gemacht, und in weniger als einem halben Jahrhunderte wird kein Canton, kein Amt, sein Rittergut, auch wohl sein Dorf anzutreffen seyn, wo nicht eine Akademie der Wissenschaften gefunden wird. Hierdurch wird eine doppelte Absicht erreicht, die unsern Zeiten Ehre macht. Die Wissenschaften gewinnen, wenn durch eine unendliche Menge voll neuen Erfahrungen, besonders in der Naturlehre und Haushaltungskunst, welche diese gelehrte Gesellschaften auf dem Lande am ersten anzustellen geschickt sind, die Lehrsätze derselben genauer und richtiger bestimmt werden; der größere Haufen der Menschen wird dadurch gewinnen, wenn durch eine Menge von gelehrten Gesellschaften die Gelehrsamkeit selbst bekannter und beliebter wird, [123] wenn mehrere dadurch gereizet werden die Wissenschaften kennen zu lernen, und sich also das Glück unsrer Zeiten zu Nutze zu machen. Doch ich lasse diese angenehmen Vorstellungen noch eine Zeitlang ruhen, mit mehrerer Begierde sehe ich den Urtheilen der Tirannen in der gelehrten Welt, der gelehrten Zeitungsverfasser, die sie von unsrer Akademie fällen werden, entgegen. Diese Leute, die nebst dem Ansehen der Censoren die Macht der Tribunen besitzen, und das gelehrte Rom in ihrer Gewalt haben, die zugleich allen Neuerungen höchst feind sind, und nach dem Beispiele der Schöppenstühle auf Akademien ihre Urtheile nach den Aussprüchen ihrer Väter abfassen, werden große Augen machen, kann sie die Nachrichten, die ich von unsrer Societät jährlich in Druck zu geben gedenke, zu Gesichte bekommen werden. Doch in fine videbitur cujus toni, fangen sie nach ihrer löblichen Gewohnheit an zu bellen, und ihre Beurtheilungen wider uns abzufassen, so sollen sie durch die That widerleget werden, [124] wenn sie diese Akademie in ihrem Flor erblicken werden: ist ihr Urtheil aber für uns, so verdienen sie die Mitglieder von uns zu seyn, und diese Ehre soll ihnen auch wiederfahren. Wenden Sie alles an, vortreflicher Mäcen, daß ein so wichtiges Project ab dieses ist, bald und glücklich zu Stande kommt. Sie haben den Sachen der ersten Schwung gegeben, bringen sie auch solche nun zur Vollkommenheit. Mein unmasgeblicher Rath dabei wäre dieser, daß noch zur Zeit ein Geheimniß daraus gemacht würde, damit ein so ehrwürdiges und ansehnliches Gestifte, besonders für den Spöttereien des Fräuleins v.S. und dem Gifte der Frau v.W. gesichert bliebe, und überhaupt weder ein tadelsüchtiger Momus noch ein verläumderischer Zoilus sein Müthgen daran kühlen könnte. Die Ausführung dieses Anschlags gleicht jetzo einer zarten Pflanze, die der geringste rauhe Wind ersticken kann, die aber wenn sie einmal beklieben ist, auch die härtesten Stürme verachtet. Eu. Gnaden übersende ich hierdurch [125] den vorläufigen Plan der zu errichtenden Societät, nebst dem Verzeichniß der hierzu erwählten Mitglieder, welche beiden Stücke ich meinem Gönner vorzulegen die Ehre haben werde, so bald sie von denenselben sind gut geheißen worden. Gedrungen durch eine Menge von Geschäften, die durch dieses neue Departement der Akademie bei nur vermehret werden, muß ich hier meinem Schreiben ein Ziel setzen, wenn ich vorher mir die Erlaubniß genommen Eu. Gnaden zu versichern, daß ich nie aufhören werde zu seyn


Dero
unterthäniger Diener
M.L.W.

* * *

Entwurf einer auf dem Hochadlichen Rittersitze Kargfeld zu errichtenden kleinen Sorbonne, oder einer gelehrten Gesellschaft, welche den Namen der Julianen-Akademie führen wird.


[126] Obwohl das Geschlecht der Gelehrten sich heutiges Tages so vermehret hat, daß diese Republick, wenn sie nicht durch innerliche Krankheiten und Spaltungen wie das persische Reich immer getrennet und geschwächt würde, allen Potentaten höchst fruchtbar seyn würde, und dahero aus Staatsabsichten die Gränzen des gelehrten Reichs mehr eingeschränkt als ausgebreitet werden sollten: so wird man doch gewahr, daß es vielmehr noch täglich zunimmt und zahlreicher wird, indem sich immer mehr und mehr Beförderer der Gelehrsamkeit in unserm gelehrten Jahrhunderte finden, die wie die Herren Commissarien von Pensylvanien unter fremden und den Musen bisher unbekannten Himmelsstrichen neue Colonien von Gelehrten errichten, und den Altären der Pallas mehrere Verehrer verschaffen. Unter diesen Freunden der Gelehrten gehöret billig ein vorzüglicher Platz für Se. Gnaden den Herrn v.N. Erb-Lehn- und Gerichtsherrn auf Kargfeld und Dürrenstein etc. Welcher nach reiflicher [127] und genauer Ueberlegung der Sache, und nach eingeholtem Gutachten vieler verständigen Leute entschlossen ist, erstbenennten seinen Rittersitz den Musen als ein Eigenthum zu widmen, und eine Akademie der Wissenschaften im Kleinen daselbst anzulegen. Da Hochderselbe nun im Begriff ist, solche eröffnen zu lassen: so hat man nicht ermangeln wollen, solches hierdurch öffentlich bekannt zu machen, damit auswärtige Gelehrte, die Lust haben zu Mitgliedern davon aufgenommen zu werden, solche kennen lernen, und sich in Zeiten durch eine gelehrte Abhandlung, die sie an innenbenannten beständigen Secretair derselben einschicken, und dadurch zur Ehre eines Mitglieds sich melden, worauf sie nach genauer und unpartheiischer Prüfung ihrer Arbeit sich der Aufnahme gewärtigen können. Die Einrichtung dieser gelehrten Societät ist folgende.


1.) Es werden darinne keine andre als Mannspersonen zu Mitgliedern aufgenommen. [128] Denn ob man wohl anfänglich entschlossen war, auch das schöne Geschlecht an diesem Instituto Antheil nehmen zu lassen; besonders da das Frauenzimmer zu allen Künsten und Wissenschaften vorzüglich geschickt ist; auch zum Theil die Schönen in der Gelehrsamkeit bei schlechtem Unterricht es sehr weit bringen, dergestalt, daß wenn auf sie eben die Sorgfalt gewendet würde als auf unser Geschlecht, die bärtigten Gelehrten gegen die gelehrten Schönen nur arme Schächer seyn würden: so hat man doch das Frauenzimmer von dieser Ehre, in so fern gänzlich ausgeschlossen, daß sie niemals in der Akademie, wegen besorglicher Zänkereien, auch neuen Ketzereien in den Wissenschaften, wozu sie ein ganz besonderes Talent haben, wie dieses aus den Verzeichnissen ketzerischer und schwärmerischer Weiber zu ersehen, Sitz und Stimme erlangen sollen. Jedoch wird dem jedesmaligen Präsidenten und übrigen einheimischen Mitgliedern freigelassen, gelehrte und durch gemeinnützige Schriften bekannte[129] Frauenzimmer, zu Ehrenmitglieder zu erklären.


2.) Es giebt zweierlei Arten von Gelehrten, einige treiben die Wissenschaften als ein Handwerk, und nähren sich davon, welche der gemeine Mann Studirte nennt, sie selbst geben sich den Namen literati; andere erlangen eine deutliche Erkenntniß nützlicher Dinge durch die Uebung oder durch eignen Fleiß. Diese letztern werden Avtodidacti genennt, weil sie nicht zünftig sind und von den gelehrten Meistern für Pfuscher und Bönhasen angesehen werden. Ob nun gleich zugegeben wird, daß diese ehrlichen Leute in der gelehrten Republik unter die Hintersiedler gehören, so ist doch kein Grund vorhanden sie aus solcher ganz und gar zu verstoßen, und mithin wird man auch keinen angeben können, ihnen den Zutritt zu unsrer neuen Akademie zu versperren. Aus dieser Ursache werden auch Unstudirte, wenn sie nur eine gute Erkenntniß nützlicher Dinge besitzen, als nützliche Mitglieder in derselben ihren Platz finden.

[130] 3.) Die zu errichtende Akademie ist nicht einer Wissenschaft allein gewidmet, folglich ist sie keine Akademie der Bildhauer, der Mahler, der Wundärzte oder der Naturlehrer: sie wird sich mit allen Wissenschaften und allen Theilen derselben beschäftigen, damit dieses aber alles in seiner Ordnung und Maße geschehe, so soll


4.) dieselbe in drei Classen abgetheilet werden. Die erste ist der höhern Philosophie gewidmet, wohin alle abgezogene Wahrheiten gehören, sie mögen in einer Wissenschaft ihren Sitz haben in welcher sie wollen. Hier sollen auch insonderheit die wichtigsten philosophischen Streitigkeiten untersucht und entschieden werden, z.B. Der zureichende Grund, die beste Welt, die vorhergeordnete Uebereinstimmung der Seele und des Leibes, die wahre Gestalt der Monaden, und des mathematischen Punctes u.s.w. Lauter Dinge, die die menschliche Glückseligkeit in der Welt auf den höchsten Gipfel zu setzen fähig [131] sind. Die zweite Classe beschäftiget sich mit der praktischen Philosophie, hauptsächlich mit der Naturlehre und Haushaltungskunst. Die dritte gehöret für die sogenannten schönen Wissenschaften. Hier werden Sprachen, Antiquitäten, Historie, Zeitrechnungen, die Wappenkunst, Geschlechtsregister, die Tonkunst und dergleichen untersucht, erörtert und in ein helleres Licht gesetzt, auch hauptsächlich die Redekunst und Dichtkunst getrieben.


5.) Nach der hergebrachten Gewohnheit gelehrter Societäten werden die Mitglieder dieser Gesellschaft in ordentliche und Ehrenmitglieder abgetheilet.


6.) Die ordentlichen Mitglieder sind verbunden zu gewissen Zeiten etwas auszuarbeiten. Diejenigen, welche nicht über drei Stunden von der akademischen Versammlung sich aufhalten, müssen, wann sie nicht Ehehaften haben, jedesmal Mittewochs um zwei Uhr Nachmittage in Person, und zwar um allen unnöthigen Auswand zu vermeiden, [132] zu Fuße erscheinen; die aber weiter von hier wohnen, sind nicht verbunden bei den ordentlichen wöchentlichen Versammlungen gegenwärtig zu seyn; jedoch müssen sie jährlich auf ihren Namens- oder Geburtstag einen schriftlichen Aufsatz einsenden, und dafür werden sie, wenn ihre Arbeit Beifall findet, eine Belohnung erhalten. Die Ehrenmitglieder werden mit aller Arbeit verschonet, jedoch damit sie für diese Freiheit auch wiederum einOnus haben, so sind sie gehalten, realiter etwas zur Ausbreitung dieser Societät und folglich des ganzen Reichs der Gelahrheit beyzutragen. Man wird ihnen unter den Fuß geben, oder gleichsam ein stillschweigendes Gesetz auferlegen, in ihren letzten Willen diese Gesellschaft reichlich zu bedenken. Dafür haben sie aber nach ihrem Tode zuverläßig eine Lobrede zu erwarten, auch wird man, nach Beschaffenheit ihrer guten Gesinnungen, sich entschließen, ihr rühmliches Andenken jährlich zu erneuern.


[133] 7.) Nach dem vortreflichen Beispiele des Herrn Carl Grandisons Baronets, welcher in dem glücklichen Brittannien alle Bewohner seiner Herrschaften gleichsam zu Akademisten gemacht hat, indem er eine Art von einer Societät errichtet hat, worinnen anstatt magerer theoretischer Untersuchungen, practische Redner auftreten, die durch wirkliche Beweise ihres Fleißes in Erfindung und Verbesserung nützlicher Dinge, einer Belohnung sich würdig machen, hat der vortrefliche Stifter dieser neuen Akademie der Wissenschaften gleichfalls beschlossen, die Mitglieder, welche sich durch vorzügliche Proben ihrer Geschicklichkeit hervorthun, auch durch gewisse ausgesetzte Preiße oder Ehrenzeichen von andern zu unterscheiden. Es ist zwar für jetzo nicht rathsam erachtet worden, nach dem Beispiele der Neuern durch goldene und silberne Schaupfennige Preißschriften zu krönen, vielmehr wird man hierinne die Alten sich zum Muster vorstellen. Wie man bei den Olympischen Spielen die Sieger nur mit einem [134] Kranze beschenkete, der von ihnen höher als ein goldener Berg geschätzet wurde, so daß große Prinzen nach dieser Ehre strebten: so sollen auch die Belohnungen dieser neuen Akademie auf diesen Fuß gesetzet werden, dergestalt daß z.B. die Dichter mit frischen Kränzen von Eichenlaube gekrönet werden, die Redner welche sich wohl gehalten haben, sollen ein paar Handschuhe oder Perucken bekommen, die, welche in der Wirthschaft etwas besonders leisten, werden einen Kranz von Fruchtähren und Feldblumen nach ländlicher Weise erhalten, dergleichen die Schnitter nach der Erndte verfertigen. Denenjenigen, welche sich in der Composition musikalischer Stücke, überhaupt in der Tonkunst oder der Beurtheilung derselben hervor thun, soll aus einem besonders dazu gewidmeten Gesellschaftsbecher der Ehrenwein gereichet werden, u.s.w.


8.) Damit es endlich dieser Akademie auch nicht an einem Namen fehle, so soll sie aus [135] besondern und wichtigen Ursachen die Julianen Akademie benennet, auch sollen jährlich, wenn bei jetzigen schweren Zeitläuften ein Verleger zu finden ist, die Schriften und Progressen derselben durch den Druck bekannt gemacht werden. Verfertiget auf dem hochadlichen Rittersitze Kargfeld, den 29 Nov. 17 – –


L. Wilibald,

Lib. artium


* * *


Verzeichniß der großmüthigen Gönner, Musageten und Gelehrten, welche bei Eröffnung der Julianen Akademie zu Mitgliedern derselben sind aufgenommen worden.


Herr Ehrhard Rudolph v.N. Erb- Lehn- und Gerichtsherr auf Kargfeld und Dürrenstein etc. Stifter und zukünftiger Protector der Akademie.


[136] Herr Hanns George v.W. ist wegen seiner beiwohnenden Gelehrsamkeit und hohen Meriten zum Präsidenten und Obervorsteher derselben ernennet worden.


Herr L. Wilibald wird die Stelle eines Oberältesten und Erzschreinhalters oder beständigen Secretärs versehen.


Vornehme Mitglieder.


Herr Carl Grandison Baronet, Lord L. Lord G. Herr Richard Beauchamp Baronet, Herr Reeves Esq. D. Bartlett, Herr Dobson, Pfarrer in Grandisonhall, allesammt in England. Herr Baron v.F. Herr Rittmeister v.H. nebst dessen zween Herren Brüder, allesammt in Deutschland, Herr v.S. gegenwärtig in Straßburg.


Ordentliche Mitglieder.


Die Classe der höhern Philosophie vacat. Die Classe der Naturlehre und Haushaltungskunst. Herr Peter Bornseil, ehemaliger hochadlicher Verwalter. Michael Obentraut, [137] jetziger Verwalter in Wilmershaußen. Herr Martin Schießlink, hochadlicher Förster, Herr Nicolaus Brunnhold, hochadlicher Bader, Hanns Sachs, wohlmeritirter Schultheiß zu Kargfeld.


Nota. Herr Pastor Wendelin hat die Ehre eines ordentlichen Mitgliedes verbethen, und die ganze Confraternität aufrührisch gemacht. Vermuthlich ist ein kleiner Rangstreit die Ursache hiervon: es scheinet, daß sie dem Oberältesten nicht gern nachstehen wollen, doch dieses wird sich mit der Zeit schon geben.


Die Classe der schönen Wissenschaften. Herr Wendelin, hochadlicher Gerichtsactuarius, Herr Lorenz Lobesan, Ludimagister und Schulobrister zu Kargfeld, Herr Fittich, Cantor zu Schönthal, nebst dem Cantor zu Wilmershaußen und dem Schulmeister zu Dürrenstein.

13. Brief
[138] XIII. Brief.
An Herrn Lampert Wilibald von dem Herrn v.F.

den 30 Nov.


Sie haben meine Erwartung nicht getäuschet. Ihr Entwurf einer Akademie ist vortreflich, ich habe ihn nicht so bald gesehen, als ich ihn auch sogleich gebilliget habe. Vergönnen Sie, werther Freund, daß ich bei allem Hasse gegen die Vorurtheile ein einziges für Sie beibehalte. Ich bin von Ihnen ganz eingenommen, doch bin ich es nicht allein, jedermann hat für Sie in unsrer ganzen Gegend ein günstiges Vorurtheil, und daher kommt es, wie ich glaube, daß alles was Sie unternehmen Beifall findet. Sie erzeigen mir viel Ehre, daß Sie Ihren Entwurf der zu errichtenden gelehrten Gesellschaft, nebst einen Verzeichnis der Mitglieder meiner Censur überlassen. [139] Wenn Sie dabey die Absicht gehabt haben, mich zum ersten Bewunderer Ihrer Unternehmungen zu machen, so habe ich Ursache Ihnen verbunden zu seyn: Wenn Sie aber von mir Verbesserungen Ihrer Einrichtung erwartet haben, so haben Sie es nicht getroffen. Ich muß Ihnen das Geständniß nochmals wiederholen, daß alles was Sie unternehmen, meinen Beifall hat. Ich würde überdieses meine Sphäre übersteigen, wenn ich Ihren Entwurf als die Arbeit eines vortreflichen Meisters der sieben freien Künste verbessern wollte, ich, der ich nicht in einer freien Kunst Meister bin. Jedoch wenn Sie durchaus mein Urtheil verlangen, so kann ich versichern, daß ich nie etwas schöneres weder aus den alten noch neuern Zeiten zu Gesichte bekommen habe. Die Einrichtung Ihrer Akademie ist vortreflich, und ich verspreche mir davon nicht nur so viel gutes als Sie Sich ahnden lassen: meine Einbildungskraft scheinet noch lebhafter zu seyn als die Ihrige. In meinen Gedanken ist [140] es so gut als ausgemacht, daß Sie in kurzer Zeit als ein zweiter Melanchthon communis doctor germaniae seyn werden. Ja ich sehe in meiner angenehmen Vorstellung Kargfeld schon in ein Athen verwandelt. Ich gehe Stundenlang in meinem Zimmer mit einer lächelnden Mine auf und nieder, wenn ich in diesen Enthusiasmus gerathe, und alsdenn wirkt meine Einbildungskraft so lebhaft, daß ich weder höre, sehe, schmecke, fühle, noch rieche, und wenn mir wie den Ritter Marino eine glühende Kohle auf dem Fuß fiele, so würde ich es eben so wenig als dieser empfinden. Ich verwandele das Schloß des Herrn v.N. in ein prächtiges Athenäum, die Versammlung der Gemeinde unter der Linde wird ein ehrwürdiger Areopagus, der Kirchthurm eine Sternwarte, das Wirthshaus eine Realschule, und es fehlet mir nichts als der Zauberstab der Circe, um allen diesen schönen Vorstellungen die Wirklichkeit zu geben. Sie haben meinen Ehrgeiz nicht wenig geschmeichelt, daß Sie mir unter dieser [141] gelehrten Gesellschaft auch einen Platz angewiesen haben. Ob ich gleich unter so vielen großen berühmten und gelehrten Männern keine bessere Figur spielen werde als der leidige Vetter Eberhard unter den Grandisonen: so werde ich mich doch aufs äußerste bestreben, weil ich der Akademie nicht durch einen berühmten und gelehrten Namen ein Ansehen machen kann, auf eine andere Art etwas zu ihrer Verherrlichung beizutragen. Sie können es glauben, daß es mir ziemlich schwer angekommen ist, bei gesunden Tagen mein Testament zu machen. Dieses stillschweigende Gesetz, das Sie den Mitgliedern der neuen Akademie auferleget haben, hat mir viele Ueberwindung gekostet, ehe ich mich stark genug fühlte es zu erfüllen. Ich will Ihnen nur meine Schwachheit gestehen, ich nahm mir mehr als einmal vor lieber diese Ehre zu entbehren, als mich mit den fürchterlichen Gedanken von Errichtung meines Testamentes zu quälen. Sie wissen, daß es gemeiniglich für ein böses Anzeichen gehalten [142] wird, wenn man seinen letzten Willen aufsetzt, und daß es vielmals eingetroffen hat, daß solche ehrliche Leute bald darauf gestorben sind. Ich habe nicht Lust mich zur Reise in die andere Welt schon fertig zu halten, und hieraus können Sie schlüßen, daß ich nichts weniger wünsche, als daß der Akademie zum Besten mein letzter Wille bald erfüllet werde. Ich habe Lust den Ausgang des Krieges zu erleben, nicht aus Verlangen ein Greiß zu werden, sondern um zu sehen, ob die gerechte Sache triumphiret. Allein verlassen Sie Sich darauf, mein Testament ist gemacht, die Akademie ist reichlich bedacht, und ich habe die Ehre dieses stillschweigende Gesetz zuerst erfüllt zu haben. Jedoch damit Niemand Anlaß bekomme sich an mir zu versündigen und auf meinen Tod zu hoffen: so will ich Ihnen nicht verhalten, daß ich ausdrücklich verordnet habe, daß alles das Gute, welches ich der Akademie zugedacht, ihr nur alsdenn zu statten kommen soll, wenn ich nach Einweihung derselben noch volle [143] dreißig Jahre, das Jahr zu zwölf Monaten, den Monat zu dreißig und ein und dreißig Tagen, den Tag zu vier und zwanzig Stunden gerechnet, werde gelebet haben. Sollte mir aber unter der Zeit etwas menschliches widerfahren, so mag die Gesellschaft sich daran begnügen, an mir einen großen Verehres ihrer Einrichtung gehabt zu haben, ohne eine Beisteuer zu erwarten.


Es hat Ihnen gefallen mir ein geheimnißvolles Stillschweigen aufzulegen, und mir zu verbiethen, jemanden etwas von dem Anschlage, das unwissende Kargfeld zu einem Sitze der Wissenschaften zu machen, das geringste zu entdecken, verzeihen Sie, werther Freund, daß ich dieses Gesetz übertreten habe. Sie haben eine Gelübde gethan, wie Sie sagen, Ihrem Gönner alle Ihre Geheimnisse anzuvertrauen, ich habe seit meiner Heirath mir gleiches auferleget, in Ansehung mein Frau. Jetzt gäbe ich den besten Gaul aus meinem Stalle darum, wenn ich diese voreilige Gelübde [144] wieder zurück nehmen könnte. Ich habe Ursache mich für den glücklichsten Ehemann zu halten, das will ich niemals leugnen: aber wenn mein Glück allein auf der Verschwiegenheit meiner Frau beruhete, so würde es sehr mäßig seyn. Ihnen muß ich es zum Lobe nachsagen, daß sie durch Ihren höchstvortrefflichen Unterricht, dafür ich Ihnen noch unendlich verbunden bin, ein sehr vollkommenes Frauenzimmer werden ist; allein die Natur der Frauenzimmer ist unveränderlich, sie sind alle, ohne Ausnahme, eben so begierig Heimlichkeiten zu erfahren, als geneigt sie auszuplaudern. Um meinem Gelübde ein Genüge zu leisten hatte ich meiner Frau Ihren Anschlag nicht so bald entdeckt, als Fräulein Amalia von allem aufs genaueste unterrichtet war. Sie wissen wie die beyden Schwestern einander lieben. Hätten Sie kein Geheimniß daraus gemacht, so würde ich ohne Schwierigkeiten die Sache haben verschweigen können. Doch machen Sie Sich keine Sorge, ich habe schon vorgebauet, [145] das Fräulein hat überdieses so viele Hochachtung für ihren ehemaligen Lehrer, daß sie ihrer muthwilligen Ader ungeachtet, die sich bei ihr mehr als bei Charlotten zu regen scheinet, alles in ihrem Herzen billiget, was sich von diesem herschreibt. Wenn sie auch gleich Ihre Entwürfe manchmal aus einem lächerlichen Gesichtspunkte betrachtet, so ist sie doch weit entfernt, sich Ihnen in der That zu widersetzen. Ich will Ihnen nach meiner Aufrichtigkeit, das merkwürdigste von ihren Urtheilen hierüber entdecken. Sie ist höchstunzufrieden, daß das schöne Geschlecht von der Ehre ausgeschlossen ist, unter die Mitglieder der Akademie aufgenommen zu werden, sie sagte, daß sie dieses von der Hochachtung, die Sie jederzeit gegen die Schönen hätten blicken lassen, ganz gewiß erwartet hätte, daß Sie aber nun gegen Sie sehr aufgebracht wäre, und alles anwenden wollte, um im Namen aller Frauenzimmer sich an Ihnen aufs nachdrücklichste zu rächen. Sie hat einen bösen Anschlag, Ihre Liebste, die Tochter des [146] Pastor Wendelins, Ihnen abspänstig zu machen, und sie meinem Gerichtshalter zuzuschanzen. Ich traue Ihr zwar diese Leichtfertigkeit nicht zu, doch sagte sie dieses mit einem so ernsthaften Ansehen, daß ich Sie warnen will auf Ihrer Huth zu seyn, damit Ihnen unser Ihren gelehrten Zerstreuungen Ihre Beute nicht entführet wird. Sie hat noch hundert andere Anschläge im Kopfe Sie zu kränken. Dächten Sie es wohl, daß sie sich hat einfallen lassen, nach Ihrem Beispiele eine Frauenzimmerakademie zu stiften? In der ersten Hitze erklärte sie zwar nach Gewohnheit der Leute, die in das innere der Wissenschaften keine Einsicht haben, die ganze Einrichtung Ihrer gelehrten Gesellschaft für pedantisch: aber hernach wurde sie anderes Sinnes und nahm sich vor, Ihnen nachzuahmen. Diese Frauenzimmerakademie soll unterdessen auf einen ganz andern Fuß gesetzt seyn, es werden keine gewisse Classen darinne Statt finden, sie glaubt, daß diese aus den Schulen oder Lotterien entlehnet sind [147] und beiden ist sie gram, den erstern, weil sie nicht ohne Entsetzen an die sträflichen Gesichter gedenken kann, die Sie ihr ehemals sollen gemacht haben, und nun die Schulen für das Element der Pedanten hält; die letztern hasset sie, weil sie jederzeit verliehrt, ob sie gleich die artigsten Devisen wählt. Den Entwurf hat sie um weniger Mühe zu der Frauenzimmerakademie verfertiget als Sie den ihrigen, und das ist auch ganz leicht zu begreifen: eine Kopie ist leichter zu verfertigen als ein Original. Sie soll nur den schönen Wissenschaften gewidmet seyn, das Fräulein will aber weder Zeitrechnung noch Kritik darunter rechnen, sondern nur solche Künste, die in den Augen der Frauenzimmer schön sind, das sind die Wissenschaften neue Moden zu erdenken, neue Brühen zu verfertigen, neue Lustbarkeiten für das Frauenzimmer zu erfinden, folglich werden in dieser Akademie Putzmacherinnen, Rätherinnen, Köchinnen und alles was sich auf innen endiget, zu Mitgliedern aufgenommen werden, [148] selbst die Zigeunerinnen, die aus der Koffeetasse prophezeihen oder aus der Hand und der Stirn gut Glück prophezeien, nicht ausgeschlossen. Ich habe ihr angerathen diese Gesellschaft eher das Rathhaus der Weiber zu nennen als eine Akademie, damit unsere Gegend, die durchaus dem gelehrten Rom ähnlich werden soll, auch darinne demselben nicht ungleich sey. Das männliche Geschlecht soll zwar nie Sitz und Stimme darinnen haben, doch sollen diejenigen von unserm Geschlecht, welche zum besten der Frauenzimmer arbeiten und in ihrer Kunst etwas besonderes leisten, zu Ehrenmitgliedern aufgenommen werden. Süße Herren, Paruckenmacher, Schneider, Schuster und alle, die durch weisen Rath oder durch die That etwas beitragen den Reiz der Schönen zu erhöhen, werden das Diploma erhalten. Ich habe mich bemühet ihr zu beweisen, daß eine solche Geschaft nicht unter die gelehrten Societäten, wie Sie eine zu errichten im Begriffe sind, gehörte, wir hielten eine scharfe Disputation [149] miteinander. Sie verlangte einen Beweis, warum diese ehrlichen Leute, für welche sie eine Akademie anlegen will, nicht eben sowohl unter die Gelehrten zu rechnen wären, als der Bader Nikolaus und der Schulmeister zu Kargfeld. Ich verschwendete alle möglichen Distinctionen, um ihr diesen Irrthum zu benehmen und ihr den Unterschied unter einem Koch, Peruckenmacher und einem Bader oder Schulmeister recht deutlich zu machen; allein ich konnte nichts ausrichten. Ich wollte lieber dreimal Doktor werden, als wieder mit einem Frauenzimmer disputiren. Ihnen ist es vermuthlich vorbehalten, das Fräulein zu überzeugen, ich habe deswegen den Streit unentschieden gelassen, um in ihrem Amte keinen Eingriff zu thun. Ich sehe dieser Entscheidung mit eben so vielen Vergnügen als der Eröffnung Ihrer Akademie entgegen. Wenn es Ihnen mit dieser so wohl gelingt als mit den Versen bei Fräulein Julgen, so sind Sie nicht mit Gelde zu [150] bezahlen. Leben Sie wohl, vortreflicher Barde, ich bin


Ihr

werther Freund v.F.

14. Brief
XIV. Brief.
Das Fräulein v.W. an das Fräulein v.S.

den 1 Dec.


Gestern Abend ist hier einschrecklicher Diebstahl verübet worden – – –. Das ist nichts neues, werden Sie denken bei Erblickung dieser Zeilen, es sind heute Steckbriefe hier gewesen. Ein Knecht stiehlt einem Alten sein Geld und ein Pferd, um mit seinem Raube desto geschwinder fortzueilen, das wird der Innhalt eines weitläuftigen Briefes meiner Freundin an mich.[151] Ich glaube, das Mädchen wird mir noch Mordgeschichte erzählen. Das wäre mir recht, daß ich mich an solchen nichtswürdigen Dingen blind lesen sollte. Ich wette, das sind Ihre Gedanken gewesen bei Eröffnung meines Briefes. Ich habe großes Mitleiden mit dem armen Manne, der vergangene Nacht einen Theil seines Vermögens verlohren hat; allein Sie haben sich geirret, es war weder meine Absicht Ihnen eine unglückliche Begebenheit, die Sie vermuthlich schon wissen, zu widerholen, noch weise Betrachtungen darüber anzustellen. Diese darf ich nur anbringen, wenn ich wünsche, daß meine Briefe sollen ungelesen bleiben. Es können sich an einen Orte und zu gleicher Zeit Begebenheiten von einerlei Art zutragen, dieses ist wirklich hier geschehen. Es ist gestern ein doppelter Diebstahl hier verübet worden, aber nicht von einer Person, noch in einem Hause. Von dem geringern spricht jedermann, es ist darüber ein Unglück in dem Orte, als wenn eine Million aus einem königlichen [152] Schatz wäre entwendet worden; der größere ist nicht einmal bei den Gerichten angezeiget worden, der Dieb ist noch hier und hat die Verwegenheit mit seinem gestohlnen Gute sich groß zu machen. Denken Sie nur über die Begebenheit! Ich erhielt gestern Ihren Brief nebst den verschiedenen eingeschlossenen Schriften etwas späte. Ich war begierig diese zu lesen und nahm mir vor das beigelegte Liedgen bis zuletzt zu versparen, nicht als einen leckerhaften Bissen, den man verzehret, wenn man schon satt ist, sondern weil ich den Innhalt bereits aus Ihrem Briefe errieth. Ich war noch nicht ganz fertig mit Lesen, da ich gerufen wurde und sorgte dafür alles in Sicherheit zu bringen, ehe ich das Zimmer verließ; aber das Liedgen, das ich in das Clavier geleget hatte, vergaß ich unglücklicher Weise. Ich war nicht gerade in das Speisezimmer gegangen, sondern ich hatte noch eins und das andere im Hause zu besorgen. Diese Verzögerung macht, daß der Major, welcher gegen Abend wieder zu uns[153] kommen war, selbst auf meine Stube gehet, um mich herunter zu führen, und wie er mich nicht findet und mein Clavier offen stehet, so spielt er etwan ein Stückgen und findet das Liedgen. Der Innhalt hat ihn vermuthlich bewogen, es zu sich zu nehmen, ich habe den Verlust auch nicht eher gemerket als heute früh, da ich es lesen wollte. Ich bin in einer entsetzlichen Verlegenheit deswegen und weil ich den Innhalt davon aus Ihrem Schreiben schlüßen kann: so werde ich mich heute nicht für den Major können sehen lassen ohne roth zu werden. Ich wollte lieber einen Dieb, den ich mit Steckbriefen könnte verfolgen lassen, in meinem Zimmer gesehen haben als einen, dem ich nicht einmal seinen Diebstahl Schuld geben, oder ihn der Obrigkeit zur Bestrafung in die Hände liefern darf. Erweisen Sie mir doch, mein liebes Fräulein, einen zwiefachen Gefallen, ich bitte Sie, geben Sie mir wegen meiner Unachtsamkeit einen derben Verweis, und schicken Sie mir aufs eiligste eine andere Abschrift des Liedgens, [154] damit ich daraus sehe, ob ich meine Unruhe zu vermehren oder zu vermindern Ursache habe. Gewissermaßen wäre ich berechtiget mit Ihnen zu schmälen, daß Sie mir durch Ihre Leichtfertigkeit ein solches Unheil zugezogen haben. Wenn ich es thun wollte oder Herzhaftigkeit genug besäße, so hätte ich keine unrechte Erfindung im Kopfe mich ein wenig an Ihnen disfalls zu rächen. Ich dürfte den Major über seinen Raub nur zur Rede setzen; ich könnte ihm sagen, ich wäre im Begriff gewesen, Ihnen seine Abreise zu melden, und weil ich glaubte, daß Sie Sich darüber betrüben würden, so hätte ich Ihnen zum Trost das Liedgen mitschicken wollen, das er in meinem Clavier gefunden. Wahrhaftig, ich muß Ihnen diesen Streich spielen, um mich aus dem Handel zu ziehen. Er dürfte, wenn ich ein gänzliches Stillschweigen beobachtete, auf die Gedanken gerathen, als wenn mir seine Abreise so nahe gieng, daß ich ihm zu Ehren ein Abschiedsliedgen hervorgesuchet hätte. Es ist am besten, daß ich ihm [155] diese ungegründeten Gedanken benehme, und die Sache für einen Scherz ausgebe, den ich mit Ihnen habe treiben wollen.


Sie bedauren, daß Sie durch die Abreise des Majors um das Vergnügen kommen ihn zu einem Mitgliede in der Akademie des Herrn v.N. aufnehmen zu lassen, um sich an den schönen Reden, die Sie ihn haben wollen halten lassen, zu erbauen: Sie können diese Freude noch haben; er wird sich noch einen ganzen Monat hier aufhalten. Allein wenn Sie ihn auch zu einem Mitgliede ernennen ließen, so würden Sie doch keine Reden von ihm hören: er würde vermuthlich ein Ehrenmitglied werden. Soviel ich aus dem Aufsatze des Herrn Lamperts ersehen habe, gehören nur Pachter und Schulmeister unter die ordentlichen Mitglieder der neuen Akademie. Ich habe mich über diesen Entwurf, und über die Art, wie er soll ausgeführet werden, überaus vergnügt. Weil ich mich eben so gar sehr darein vertieft hatte, ging es mir [156] wie es den tiefsinnigen Leuten zu gehen pfleget, da ich dachte, ich hätte alles aufs beste gemacht, hatte ich das vornehmste vergessen und mich nicht darauf besonnen das Pappier mit dem Liedgen in meinen Schrank zu schliessen. Ich will Ihnen Ihre Lust nicht verderben, und es beruhet nur auf Ihnen, weint Sie die Akademie wollen eröffnen lassen, Sie dürfen mich nebst meinen Eltern nur einladen. Weil der Herr Baron selbsten eine Stelle unter den Mitgliedern einnehmen will, so habe ich nichts darwider einzuwenden, daß Sie meinem Vater die Präsidentenstelle zugedacht haben. Ich errathe Ihren sehr leichtfertigen Bewegungsgrund hierzu, und Sie thun sich vermuthlich auf diesen Einfall viel zu gute; mir als einer Tochter würde es aber sehr übel anstehen, wenn ich mit Ihnen zugleich lachen wollte, diese Ernsthaftigkeit werden Sie mir aber gewiß vergeben. Der Herr F. hat in seinem Schreiben all den Herrn Lampert eine sehr lebhafte Satyre angebracht, über die seltsamen Anschläge desselben. Der [157] Entwurf einer Frauenzimmerakademie, der Ihnen angedichtet wird, macht den seinigen sehr lächerlich, und wenn er dieses nicht einsiehet, so hat er nicht Ursache sich für scharfsinnig zu halten: wenn er es aber merkt, daß er Ihnen nur zum Spiele dienen muß, woran ich nicht zweifele: so wird alles dadurch rückgängig werden, und Sie kommen um alle die schönen Reden, die Sie erwarten.


Jetzt hat mich eben der hiesige Cantor verlassen, der mich, wie Sie wissen, im Clavier unterrichtet, ich bin dadurch an der Vollendung meines Briefes gehindert worden, und nun mag er auch eine Stelle darinne einnehmen. Er entdeckte mir als ein großes Geheimniß und mit einer Freude, der keine gleich ist, daß er mich am längsten wurde unterrichtet haben; er hätte einen anderweitigen Ruf zu einem großen Ehrenamte. Ich glaubte, daß ihm eine andere Gemeinde zum Schulmeister verlangte und wünschte ihm hierzu Glück: er eröffnete mir aber, daß er, so viel [158] er einsehen könnte, Professor auf der neuen Akademie werden sollte, die der Herr v.N. in Kargfeld errichten würde. Ob er gleich in der Schule nur bis in die vierte Classe kommen wäre und das Latein niemals hätte vertragen können: so hätte er doch Lust ein vornehmer und gelehrter Mann zu heißen. Er zweifelte auch nicht, daß er seinem neuen Amte mit Segen vorstehen könnte, weil der Herr Magister Lampert ihn versichert hätte, daß er mit Recht unter die Gelehrten zu zählen sey. Hierbei gab er mir zu verstehen, daß ich mich zeitig nach einem andern Lehrmeister umsehen könnte, indem es wider seinen Respect laufen würde, als ein Professor auf dem Clavier zu informiren wie ein elender Schulmeister. Ueber dieses mangelte ihm hierzu auch die Zeit: er müßte künftige Woche seine gelehrte Probe thun und eine Lobrede auf einen Virtuosen halten, der Händel geheißen hätte. Ich verwunderte mich über sein Glück ungemein, und fragte, was er denn zum Lobe dieses Virtuosen sagen wollte, ob ihm seine Lebensumstände [159] bekannt gewesen wären, oder ob er etwas von seiner Composition gesehen hätte. Er verneinte beides und gestund, daß weil es ihm jetzt noch an guten Büchern fehlte, sein Amt im Anfang ihm sauer ankommen würde, er ersuchte mich deswegen, weil er sähe, daß ich immer in Büchern läse, ihm einige zu lehnen, die er bei seiner Arbeit zu Rathe ziehen könnte. Es war mir unmöglich das Lachen hierbei zu verbergen; doch um dem ehrlichen Manne seine eingebildete Freude nicht zu stöhren, die nach Ihren Grundsätzen, unter allen Gütern, die wir besitzen, das vorzüglichste ist, ließ ich ihn in seinem süßen Irrthume, und machte ihm nur eine Erklärung von seiner neuen Würde, daß er ohne Abbruch derselben hier wohnen, Schulmeister bleiben, auch mich ferner informiren könnte; wegen des verlangten Buches aber verwies ich ihn zum Pfarrer. Allein er beschwerte sich sehr über diesen, daß er ihn wegen seines Glücks beneidete, ihm auch den Gebrauch seiner Bücher zu dieser Absicht abgeschlagen, [160] und scharf verbothen hätte, die neue Ehre anzunehmen, vermuthlich, wie er hinzu fügte, weil der Herr Pfarr nicht auch zum Professor wäre nichtig befunden worden, und ihn also gleichfalls von dieser Würde wollte ausgeschlossen sehen. Weil er mir nun heftig anlag, ihm eilt Buch zu lehnen, und ich kein anderes besitze, das ein gelehrter Ansehen hat als mein französisch deutsches Wörterbuch, worinne auch griechische und hebräische Worte mit vorkommen: so packte ich ihm dieses auf, und er versicherte mich, daß dieses eben das rechte Buch wäre, das er verlangt hätte. Nun bin ich eben so begierig als Sie, die gelehrte Akademie eröffnet zu sehen. Ich übersende Ihnen hier zugleich den Brief des Herrn Lamperts an den hiesigen Cantor, wodurch dieser in die irrige Meinung gerathen ist, daß er sollte Professor werden.


Ich höre, daß wir diesen Nachmittag einen Besuch in Schönthal ablegen werden; das hätte ich sollen zwo Stunden eher wissen, um [161] mir die Mühe zu erspahren einen langen Brief zu schreiben. Doch damit ich nicht etwas vergebliches unternommen habe, bin ich entschlossen, Ihnen nichts mündlich von dem, was ich geschrieben habe, zu entdecken, vielleicht schickt es sich auch nicht, daß wir aus der Gesellschaft gehen, um allein miteinander zu sprechen. Wenn ich Ihnen meinen Brief in eigner Person bringe, so werde ich dadurch Gelegenheit bekommen, Ihnen mündlich zu versichern, daß ich bin


Ihre

aufrichtigste Freundin J.v.W.

15. Brief
[162] XV. Brief.
Lampertus Wilibald, der freien Künste Magister, entbiethet seinen Gruß Herrn Theobald Ecken, wohlverdientem Schul- und Singemeister zu Wilmershaußen.

Ehrengeachteter guter Freund,


Gleichwie die hohen Cedern auf dem Libanon und die weitausgebreiteten Eichen in den Wäldern, nicht allein in das Regnum vegetabile gehören, sondern auch den Isop auf der Mauer und den verachteten Wacholderstrauch für ihre Mitbrüder und Reichsgenossen erkennen müssen: also gehören auch nicht allein große und berühmte Lehrer hoher Schulen und in großen Städten, sondern auch geringe und verachtete Schulmeister auf dem Lande zu der Republick der Gelehrten. Ja ich behaupte mit [163] Bestande der Wahrheit, daß diese Dii minorum gentium mehrern Nutzen stiften, wenn sie der um sie her versammleten Jugend von einem niedrigen Drehstuhle lehren, wie viel neun mal neun ausmachet, als jene stolzen Männer, die von einem erhabenen Catheder das x = y + z herabschreien, und weil diese hottentottische Sprache niemand als sie selbst verstehet, sich eine mehrere Unfehlbarkeit als der römische Pabst zueignen wollen. Weil es nun so gut als bewiesen ist, daß er und seine Herren Collegen sammt und sonders, welche ihrem Amte mit Treue und Eifer vorstehen, zu den Gelehrten gehören: so folgt daraus, daß er und seine Herren Amtsbilder, an allen Ehren und Lorbeerkränzen, welche die Gelehrten erhalten, ihren billigen Antheil haben. Es ist zwar nicht zu läugnen, daß bisher der Neid der Gelehrten, welche in hohen Aemtern sitzen, keinen von den geringern gelehrten Mitbürgern zu den Altären der Pallas hat hinzunahen lassen, um für sein Opfer den Cranz [164] zu erhalten. Allein, Dank sey es unsern erleuchteten Zeiten, daß diese Tirannen aus der gelehrten Republick verjaget worden sind, und das gelehrte Bürgerrecht jedem die Vorzüge verspricht, die bisher nur wenige, die sich über andere hinweggedrungen, sich zugeeignet haben. Ich habe es unternommen, eine Reformation in der gelehrten Welt vorzunehmen, und die öffentliche Freiheit wieder herzustellen. Damit ich ihm, werther Freund, viel mit wenigen Worten sage, so soll er es wissen, daß mein vortreflicher Principal entschlossen ist, nach dem Beispiele anderer grossen Herren, und ins besondere seines Herrn Gevatters, eines Großbrittannischen Baronets, wenn er weiß, was das für ein Mann ist, auf seinem hochadlichen Rittersitze eine Akademie zu errichten, in welche nicht allein große und vornehme Herren, als Grafen, Edelleute, Räthe, Professors, Doctores und Magistri, sondern auch Pastores, Schulmeister, ja selbst gelehrte Bauern zu Mitgliedern ausgenommen werden. Nach reiflicher Ueberlegung [165] hat man für gut befunden, auch ihm eine Stelle in dieser neuen Akademie anzuweisen. Obgleich keine öffentliche Proben seiner Gelehrsamkeit und tiefen Einsicht in die Wissenschaften der Welt vor Augen liegen: so hat man doch, wegen seines in der gelehrten Welt berühmten Namens, ihm dieser Ehre theilhaftig machen wollen; denn einer von seinen Anherren, der es wenigstens dem Namen nach ist, war vor Zeiten ein gewaltiger Disputator, daß er sich auch unterstanden hat, mit dem Doctor Luthern anzubinden. Damit er auch wisse, was es eigentlich heist, ein Mitglied einer gelehrten Gesellschaft zu seyn: so soll er freundlich wissen, daß er, so bald ihm die Akademie diese Ehre ertheilet hat, gleichsam ein Professor worden ist; denn er hat die Macht, in dieser gelehrten Versammlung wöchentlich einmal zu erscheinen, und wenn die Reihe an ihm ist, solche mit einer gelehrten Abhandlung zu unterhalten, da denn alle Anwesende seine Zuhörer sind, und ihn als den Lehrer betrachten. Es ist dieses keine [166] geringe Ehre, das kann er glauben, dem Herrn Pfarr ist solche nicht ertheilet worden, und wenn er es genau suchen wollte, so müßte ihn dieser, außer auf den Amtwegen, zur rechten Hand gehen lassen, künftige Mittwoche kann er sich in seinem schwarzen Mantel hier einfinden. Es versteht sich von selbst, daß er sich so schön anputzen muß als wenn er zur Hochzeit bitten wollte. Damit ihm auch sogleich, beim Eintritt in die Akademie, eine Ehre widerfähret, so habe ich den Auftrag, ihm hierdurch anzukündigen, daß er auf diesen Tag eine Vorlesung halten soll, und zwar, weil man sich wegen seines gelehrten Namens viel von ihm verspricht, so wird ihm aufgegeben, eine Lobrede auf den selgen Herrn Händel, königlich-großbrittannischen Hof- und Leibmusikus, welcher vor einiger Zeit ad Patres gegangen ist, zu halten, worinne er zugleich erweisen kann, daß die Natur, und nicht die Kunst, einen Virtuosen bildet. Er wird sich hoffentlich befleißigen, diese Rede so auszuarbeiten, daß sie allenfalls dein Drucke [167] übergeben werden kann. Eine weitere Nachricht, besonders von den auszutheilenden Prämien bin ich mündlich zu ertheilen so bereit als willig. Lebe er wohl.


* * *

Zu der Eröffnung

Der auf dem hochadlichen Rittersitze zu N. hall errichteten Julianenakademie, ladet alle vortrefliche Mitglieder, Beförderer und Liebhaber der Wissenschaften hierdurch geziemend ein; und handelt beiläufig von der Tirannei der Mode, untersucht und beantwortet auch zugleich hierbei die Frage: Ob die Welt allezeit barbarisch gewesen, wenn die Gelehrten Bärte getragen haben

M.L.W.


Wer da läugnen wollte, daß die Mode nicht einer grausamen Sirene ähnlich [168] sey, welche durch ihre äußerliche Gestalt die Menschen an sich lockt, und gleich einem Ungeheuer, wenn sie sich hinzunahen, um es genau zu betrachten, sie verschlingt: der würde dadurch zu erkennen geben, daß er unter die Abc schützen aller menschlichen Erkenntniß gehöre. Es ist eine bekannte und von allen Vernünftigen erkannte Wahrheit, daß die Mode es eben so zu machen pflegt, wie die Tirannen der griechischen und römischen Republiken. Diese schmeichelten sich erst bei dem Volke durch allerlei glatte Worte und Versprechungen ein, und wenn sie die Herrschaft erhielten, als denn war es um die Freiheit gethan. Eben die Bewandniß hat es mit der Mode, wenn sie durch ihr gefälliges Ansehen die Menschen bezaubert hat: so herrscht sie despotisch und gebiethet über den Verstand und Willen. Alles muß sich ihr unterwerfen, und selbst die Beherrscher der Völker dürfen es nicht wagen sie ungestraft zu beleidigen. Ja, da sie über den Verstand zu herrschen sich unterwindet: Was Wunder! daß sich auch die [169] Sitten ihr unterwerfen müssen, dergestalt, daß sie solche nach ihrer Fantasie bald sanfter bald wilder macht, und ihnen mir einer der Zauberkraft der Circe ähnlichen Macht, bald diese bald jene Gestalt zu geben weiß.

Die gelehrte Republick, die durchaus keinen Oberherrn vertragen kann, muß gleichwohl die Gesetze derselben eben so wohl als das schöne Geschlecht verehren, und je weniger die Gelehrten Gesetze erkennen wollen, desto nachdrücklicher verlangt sie die Befolgung derselben. Ein Mädchen das sich wider die Mode auflehnet, wird belacht; ein Gelehrter, der ihre Gesetze verachtet, hat Leib- und Lebensgefahr deswegen zu besorgen. Wenn Doris in dem Nachtzeuge ihrer Aeltermutter erscheinen wollte, so würden sie höchstens nur die Kinder auf der Gasse auszischen; wenn aber ein Gelehrter die aus der Mode gekommenen Lehrsätze der alten Ketzer oder der Platonischen Philosophen wieder wollte aufleben lassen, und in Activität setzen, so würde man ihn steinigen.

[170] Um diese wunderbaren Erscheinungen zu erklären, muß man wissen, daß alles, womit sich die Mode beschäftiget, das äußerliche oder das innerliche des Menschen betrifft. Zu der ersten Gattung gehöret die Kleidertracht, allerlei Gebräuche und Gewohnheiten, die zum Nutzen oder zum Vergnügen und der Verschönerung des Körpers erfunden werden. Zu der zweiten Gattung aber wird alles das gerechnet, was die Seele und ihre Eigenschaften, als Verstand, Willen und Gedächtniß betrifft. Giebt die Mode ein Gesetz von der ersten Gattung, so werden diejenigen, die darwider handeln, gelinder bestraft; wenn sie aber etwas feste setzt, daß den zweiten Punkt betrifft, so straft sie die Uebertreter ihrer Gesetze aufs strengste. Gesetzt sie will, daß der Verstand etwas als wahr oder falsch erkennen soll, daß der Wille etwas verlangen oder verabscheuen, oder das Gedächtniß etwas behalten oder vertrigen soll; so muß dieses aufs genaueste befolgt werden, oder sie übt die strengste Rache an den Ungehorsamen. [171] Wir wollen dieses durch ein paar Beispiele deutlich machen. Da die Mode wollte, daß man sich die Erde so rund als einen Teller vorstellen sollte, wurde ein ehrlicher Bischoff, der sie so rund als eine Kugel machte, und aus dieser Ursache Gegenfüßer statuiere, verbrannt. Da es einmal Hexen geben sollte, würde der, welcher sie geläugnet hätte, als ein Bösewicht ihnen auf den Scheiterhaufen haben Gesellschaft leisten müssen. Heut zu Tage, da sie aufgehöret hat, die alten Mütter zu verfolgen, darf Niemand Hexen glauben, oder diese und jene Unholdin der Obrigkeit anzeigen, wenn er gleich versichert ist, daß sie bös Wetter macht, und Menschen und Vieh bezaubert, widrigenfalls stehet er in Gefahr, als ein unverschämter Diffamator, in Ketten und Banden geschlossen, oder wohl gar als ein Injuriant an den Pranger gestellet zu werden. Ein Professor würde vom Dienste gesetzt werden, wenn er untersuchen wollte, wie viel Engel auf der Spitze einer Nähnadel tanzen könnten, ehemals da [172] die Mode eine solche Untersuchung billigte, würde ein Gelehrter dadurch eine Professur nebst dem Titul eines Doctoris seraphici erhalten haben. Die neuesten Zeitungen melden, daß ein Student ist entleibet worden, weil er keine Harmoniam praestabilitam hat glauben wollen; der Baron von Wolf mußte Landflüchtig werden, weil er sie lehrte.


Wenn die Mode im äußerlichen etwas befiehlt, so verfährt sie mit den Uebertretern ihrer Gesetze nicht so gar strenge, ob es gleich nicht an Beispielen fehlet, da sie auch das rauhe herausgekehret hat; doch gemeiniglich werden sie dadurch gezüchtiget, daß man sie verlacht, oder auszischt. An und für sich selbst betrachtet, liegt zwar des heiligen römischen Reichs Wohlfahrt nicht daran, ob man zwei oder drei Zipfel in die Perucken knüpft, ob man den Hut auf dem Kopfe oder unter dem Arm trägt; ob man den Bart wachsen oder abnehmen läßt: allein die Mode will [173] ihr Recht haben, und man muß es so machen, wie sie es befiehlt, wenn man nicht in Schimpf und Schande bestehen will.


Jedermann wird leicht begreifen, daß wenn die Mode, in der Art zu denken, etwas verändert, wenn sie neue Lehrsätze oder neue Rechte auf die Bahn bringt, solche Neuerungen in die Sitten der Menschen großen Einfluß haben. Ein neuer Grundsatz, oder ein einziges Gesetz kann die Menschen wild und grausam oder auch sanft und wohlgesittet machen: die Gelehrten sind aber nicht einerlei Meinung, ob eine kleine Veränderung der Mode im äußerlichen, auch einen Einfluß auf die Sitten habe. Was liegt daran, ob das schöne Geschlecht, Sonne, Mond und Sterne im Gesichte trägt, ob sich die Schönen rothe, blaue oder grüne Backen machen, ob die großen Perucken, oder die krausen Haare unsrer süßen Herren besser gefallen; ob wir allein das Recht haben, zu Pferde zu sitzen, oder ob die Schönen auch reiten dürfen: hierauf[174] aber wird mit Recht geantwortet, daß diese Dinge keine solche Kleinigkeiten sind, als man gemeiniglich glaubt, daß man allerdings hieraus das Genie der Menschen, und folglich auch ihre Sitten, beurtheilen könne; ja daß die Kleidertracht, die Sitten vielleicht eher als Lehrsätze zu reformiren, und sie sanfter oder wilder zu machen, vermögend sey.


Allein wenn auch alle Gelehrten einerlei Meinung wären, daß von dem äußerlichen in der Mode ein gewisser Schluß könnte gemacht werden: so würde aus Mangel der hierzu erforderlichen Regeln, die noch nicht gnugsam entwickelt sind, doch ein großer Streit entstehen, ob aus dieser oder jener Gewohnheit eines Volkes, für die Sitten etwas gutes oder nachtheiliges könne geschlossen werden. Eben deswegen sind die gelehrten Untersuchungen erfunden worden, die entscheiden sollen, wo bei zweifelhaften und schweren Materien, sich die meisten Gründe der Wahrscheinlichkeit hinlenken. Denn ob es mit Untersuchung [175] der gelehrten Streitfragen eben die Bewandniß hat, als mit den unzähligen Disputationen, die jährlich auf Akademien gehalten werden, die mehr ein gelehrtes Spiegelfechten, als ein ängstlicher Kampf für die Ehre der Wahrheit genennet zu werden verdienen: so sind sie doch nicht ohne allen Nutzen; denn einmal werden diejenigen, welche solche Untersuchungen anstellen, in ihrer Meinung, sie mag nun für oder wider die Wahrheit seyn, treflich bestärket, daß sie sich dasjenige, was sie auf dem gelehrten Kampfplatz oder in Schriften vertheidiget haben, sich hernach nicht abstreiten lassen, und wenn sie den Kopf darüber verlieren sollten. Zum zweiten zeigen solche Schriften von dem Fleiße und der Scharfsinnigkeit ihrer Verfasser, und verschaffen ihnen oftmals kein geringes Ansehen.


Solcher Streitfragen giebt es unter den Gelehrten mehr als Sterne in der Milchstraße befindlich sind, und die im vorhergehenden Satz angeführte Bewegungsgründe haben [176] uns gleichfalls angetrieben, nur die wichtigsten zu untersuchen. Es ist bekannt, und zum Theil schon oben angeführet, daß die Mode nicht nur mit den Lehrsätzen der Gelehrten, sondern auch mit dem äußerlichen Ansehen derselben, oft wunderlich gespielet hat, besonders hat sie sich belustiget, das Haupt dieser ehrwürdigen Leute, worinne sie den köstlichen Schatz der Gelehrsamkeit bewahren, bald auf diese bald auf jene Art zu schmücken, daß es auch einem Protheus schwer fallen sollte, diese verschiedenen Gestalten alle nachzumachen. Jedes Jahrhundert hat die Gelehrten in einer andern, ja wohl gar in verschiedenen Gestalten gesehen. Einmal sind sie in langen Bärten und herabhangenden, ungekämmten Haaren erschienen, ein ander mal sind beide abgestutzt worden, wieder zu einer andern Zeit hat man Scheitel und Kinn beschoren. Bald haben sie durch Zipfelperucken und Schnurrbärte sich ein Ansehen gegeben; bald hat sie ein kleines Zwickbärtgen geschmückt; ein andermal haben sie den [177] Bart abnehmen lassen und das Haar gekräuselt, und hernach das Haupt sich bescheeren lassen und den Bart in Locken gelegt. Es fehlet so viel, daß aus diesen Veränderungen nicht sollte ein sicherer Schluß auf die Beschaffenheit der Gelehrsamkeit und der Sitten gemacht werden können, daß solche vielmehr hierzu die vollkommenste Anleitung geben.


Wir finden verschiedene Epochen, seitdem die Welt bevölkert ist, in welchen die Menschen gesitteter als zu andern Zeiten gewesen sind, und wir finden auch im Gegentheil verschiedene schlimme Zeitläufte, in welchen die Welt in ihre vorige Barberei zurückgefallen ist. Viele Gelehrte sind der Meinung, die guten Sitten und die Gelehrsamkeit hätten allezeit ihr Haupt empor gehoben gehabt, wenn das äußerliche Ansehen der Menschen sanfter und zärtlicher gewesen; sie wären aber aus der menschlichen Gesellschaft verdrungen gewesen, wenn man sich ein wildes und furchtbares Ansehen gegeben. Da sich [178] noch die Menschen in Thierhäute kleideten und in Wäldern und Hölen wohnten, waren die Gelehrten nicht gewohnt in barbara und celerent zu schlüßen. Man wußte zu der Zeit noch nichts von der Kunst die Haare zu kräuseln oder den Bart zu scheeren. Mit der Zärtlichkeit der Sitten entstund auch eine gewisse Zärtlichkeit in der Tracht. Man war nicht mit dem Ansehen zufrieden, das die Natur den Menschen ertheilet, man nahm die Kunst allenthalben zu Hülfe. Die natürliche Erkenntniß war nicht mehr zureichend, sie mußte durch die Kunst erweitert werden, und die natürlichen Sitten, worinne Einfalt und Aufrichtigkeit herrschte, bekamen durch den Anstrich der Kunst eine freiere aber gefährlichere Gestalt. Wenn die Menschen anfangen zu künsteln so künsteln sie in allem, und dieses erstreckt sich folglich auch auf die Gestalt.


Hieraus folgt, daß man von der äußerlichen Seite des Menschen richtig auf das innerliche [179] schlüßen kann. Es fragt sich nun hierbei, ob wir unser jetziges äußerliches Ansehen oder unsere Tracht zum Muster nehmen dürfen, wenn wir die Sitten der Vorwelt beurtheilen wollen? Ueberhaupt wird diese Frage verneinet, die Kleidertracht ist bei uns so vielen Veränderungen unterworfen und oft so wunderbar, daß man uns, wenn man überhaupt einen Schluß davon machen wollte, einen Monat für gesittete Völker halten, und den andern für Tartarn und Kalmucken erkennen würde, und in eben diesen Fehler würden wir auch verfallen, wenn wir andere eben so beurtheilen wollten. Wenn aber die Frage so bestimmt wird: ob wir in der äußerlichen Tracht nicht etwas als ein Principium cognoscendi annehmen können, den Zustand der Sitten und Gelehrsamkeit daraus zu beurtheilen: so wird dieses allerdings von verschiedenen Gelehrten behauptet, und haben den Bart der Männer als den Erkenntnißgrund des Zustandes der Sitten und Gelehrsamkeit angenommen, weil dieser nie eine Veränderung [180] erlitten als bis diese letztere gleichfalls eine Veränderung erlitten haben. Viele neuere Gelehrte sind der Meinung, daß ein geschornes Kinn allezeit den Wissenschaften und Sitten vortheilhaft gewesen, daß hingegen der Bart jederzeit ein Zeugniß von der Barbarei der Menschen abgeleget habe, wie sie denn das Wort Barbarus von Barba herzuleiten kein Bedenken getragen haben. Da nun die Gelehrten diejenigen sind, welche in den Zustand der Sitten und der Gelehrsamkeit den größten Einfluß haben, und man von den Veränderungen in der Mode, denen sie selbst unterworfen gewesen, auf jene am sichersten schlüßen kann: so hat man die Streitfrage aufgeworfen: ob die Welt barbarisch gewesen, wenn die Gelehrten Bärte getragen, und man hat dieses gemeiniglich bejahet. Ich will jetzo mit Erlaubniß dieser Herren das Gegentheil darthun, und solches verneinen.


Um der guten Ordnung keinen Eintrag zu thun, wollen wir erstlich einen kurzen Auszug [181] von den merkwürdigsten Veränderungen, der Bärte der Gelehrten von Erschaffung der Welt bis auf unsere Zeiten beibringen, und mit solchen den Zustand der Sitten und Gelehrsamkeit vergleichen. Wir finden so wenig Ursache uns dieser Unternehmung zu schämen, daß wir keinen schicklichern Gegenstand zu dieser Einladungsschrift haben antreffen können. Sollte inzwischen der Zoilus und Momus ihr ungezäumtes Maul darüber rümpfen: so wollen wir ihnen ins Ohr sagen, daß ein Gelehrter sogar einen Tractat von den Schuhen der Alten geschrieben hat, welche doch vermuthlich dem Barte den Rang nicht werden streitig machen. Ja was noch mehr! Haben wir nicht einen gelehrten Vorgänger aufzuweisen, der ein eignes Buch von dem Barte an das Licht gestellet hat?


Wir wollen die Untersuchung, ob Adam im Paradiese einen Bart getragen hat, zu einer eignen Untersuchung verspahren und [182] nur anmerken, daß die alten Väter alle in Bärten abgemahlet werden. Es war in den alten Zeiten ein großer Schimpf, wenn ein Mann seines Bartes beraubet wurde oder wenn er gar keinen hatte, und kommt mir daher sehr glaublich vor, daß die, welchen die Natur diesen Schmuck versaget, sich künstliche Bärte ansetzen ließen, und sich damit schmückten, wie wir heut zu Tage mit den Perucken zu thun pflegen. Man hielt dieses Vorrecht der Männer für dem schönen Geschlecht in solchen Ehren, daß man den Bart mit Salben bestrich, oder wenn er im Alter grau wurde, solchen färbte. Die alten Philosophen suchten sich dadurch in besonderes Ansehen zu setzen. Wer den größten Bart unter ihnen besaß und den schlechtesten Mantel trug, bekam die meisten Zuhörer, eben so wie zu unsern Zeiten die Hörsäle am meisten angefüllet sind, wo die größte Perucke auf dem Catheder stolziret. Die alten Römer ließen den Bart stehen und eben so lange stund auch ihre Freiheit und die guten [183] Sitten, da jene abnahmen, fingen auch diese an in Abnahme zu kommen, bis sie endlich eben so wie der Bart plötzlich verschwanden. Der Kaiser Hadrian stellte zwar diesen Schmuck der römischen Bürger aber nicht ihre Freiheit wieder her. Die Kirchenväter trugen Bärte und dieser Schmuck wurde hernach durch viele Jahrhunderte beibehalten, bis endlich die Mode nach ihrer Caprice sie bald uns Exilium schickte, bald wieder zurück berief: sie blieben aber doch im Pesseß ihrer Rechte bis in die Mitte des vergangenen Jahrhunderts, da man anfing mit grausamer Tirannei bald hier bald da etwas davon abzuzwacken, bis sie zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts ganz aus der gelehrten Republick sind verwiesen worden. Die Schweizer, die das Lob haben, daß sie nicht leicht eine neue Mode aufkommen, aber auch keine alte gern in Verfall gerathen lassen, hielten ehemals ihre Bärte in solchen Ehren wie ihre Freiheit, daß auch selbst das schöne Geschlecht ganz davon eingenommen war. Lesenswürdig [184] ist es, was ich bei einem glaubwürdigen Autor hiervon gefunden. Ein Französischer Abgesandter, der an einem Schweizer einen außerordentlich langen Bart bemerkte, wollte ihm solchen, als eine Rarität, abkaufen, dieser aber hielt ihn für ein Gliedmaß seines Leibes, und folglich war er ihm unschätzbar. Doch nach einer langen Disputation, mit dem Abgesandten, worinne dieser mit einem Argument von hundert Louis d'ors bewieß, daß der Bart kein Glied des Leibes wäre, ließ der Schweizer sich überwinden, und verhandelte seinen Bart, welcher noch, wie glaubwürdige Personen berichten, in der königlichen Kunstkammer zu Paris zu sehen ist. Allein da der arme Schweizer vergnügt, über den guten Handel, nach Hause kam, so that seine Frau das mit seinem Scheitel, was der Abgesandte mit seinem Kinn hatte vornehmen lassen, sie fiel ihm in die Haare und in kurzer Zeit war sein Kopf so kahl als sein Gesicht, ja sie ließ sich von Tisch und Bette so lang von ihm scheiden, bis ihm Haar und Bart wieder gewachsen war.


[185] Aus dem angeführten erhellet, daß die Bärte mehrentheils im Gebrauch gewesen, und daß man auch ihnen oft große Hochachtung erwiesen hat. Lasset uns nun sehen wie die Sitten und die Gelehrsamkeit beschaffen gewesen, wenn die Welt bärtig gewesen. In Griechenland blüheten ehemals die Wissenschaften und die Gelehrten trugen Bärte, wenigstens gilt dieses von den Philosophen, die damals den größten Theil von der gelehrten Welt ausmachten. Die Sitten der Griechen waren so fein, ihre Gesetze so vollkommen, daß Griechenland eine hohe Schule der Ausländer wurde, und man allenthalben die Gesetze dieses Landes einführte. Ein Beweis, daß gute Sitten und Bärte sich wohl mit einander vertragen können.


Rom war lang ein gesitteter Staat und die Wissenschaften hatten sich längst um das Capitol gelagert, ehe man anfing den Männern ihren Schmuck zu rauben und die Bärte zu verheeren. Zwar könnte man den Einwurf [186] machen, daß eben zu der Zeit, da Rom anfing auf den Gipfel seiner Größe zu steigen, die Bärte abgeschafft wurden, und daß besonders diese Mode in das güldne Zeitalter der gelehrten Sprache fällt, ja daß eben dieses auch von unsrer Zeit eintrifft. Jetzt da die Sitten und die Gelehrsamkeit wiederum empor gestiegen, herrscht das tirannische Scheermesser abermal über unser Kinn; allein nichts ist leichter als diesen Einwurf zu widerlegen. Erstlich bemerken wir überhaupt, daß er gar nicht wider unsern Hauptsatz gerichtet ist: denn da wir weiter nichts beweisen wollen, als daß der Satz falsch sey, wenn vorgegeben wird, daß die Welt allezeit barbarisch gewesen wäre, wenn die Gelehrten Bärte getragen hätten, so können wir es zugeben, daß es Zeiten gegeben hat, da die Welt gelehrt und gesittet gewesen, wenn die Bärte in der gelehrten Republick nicht sind gedultet worden. Aber wir wollen es nur gestehen, daß wir wirklich die Meinung hegen, daß bärtige Gelehrte für die Sitten und Gelehrsamkeit [187] jederzeit ein gutes Zeichen gewesen, daß hingegen ihr plattes Kinn beiden nichts gutes verkündiget habe. Wir geben zu, daß zu der Zeit, wenn die Gelehrten keinen Bart getragen haben, dann und wann die Welt gesittet und gelehrt geschienen hat; aber eine andre Frage ist es, ob sie es auch wirklich gewesen ist, ich, meines Ortes, behaupte das Gegentheil. Nie hat es in den Wissenschaften so viele Stümper gegeben, und nie ist Falschheit, Betrug, Verstellung und Bosheit mehr im Schwang gewesen, als wenn das männliche Geschlecht sich ein weibliches Ansehen gegeben hat. Eben dieses gilt auch von Rom, da man den Bart ablegte. Es ist wahr, Horaz, Virgil, Cicero, Cäsar lieferten der Welt Muster der Dichtkunst, Beredsamkeit und Historie; aber keine Regel ist ohne Ausnahme. Neben, ihnen lebte eine unendliche Menge Meistersänger, elender Schwätzer und Zeitungsschreiber, und die Sitten waren zu der Zeit in einem solchen Vorfalle, daß Cicero selbst Mörder, Rebellen und Diebe [188] vertheidigte, Cäsar solche schöne Thaten beging und Flaccus die verbuhltesten Liedergen von seiner Leier hören ließ.


Schade ist es, daß wir diese schöne Materie jetzt nicht weiter verfolgen können. Unterdessen bleibt unser patriotischer Wunsch dahin gerichtet, daß die Gelehrten einmal das Joch der Mode, die ihnen ihren ehrwürdigsten Schmuck geraubet, hat abwerfen, die Bärte wieder aufleben lassen, und dadurch einen neuen Beweis geben, daß die Welt nicht barbarisch ist, wenn die Gelehrten Bärte tragen.


Ich schreite nun mit Vergnügen zum Zweck meiner Abhandlung, welcher dieser ist, die Eröffnung der gelehrten Gesellschaft, welche Seine Gnaden, Herr Ehrhard Rudolph v.N., Erb-Lehn und Gerichtsherr auf Kargfeld und Dürrenstein, unter dem Namen der Julianen Akademie auf erstbemeldetem seinem Rittersitze aufzurichten, und mit seiner hohen Protection zu beehren entschlossen ist, anzukündigen. [189] Eine so patriotische Gesinnung als diese, ist zwar über alles Lob erhoben, und ich würde eine Thorheit begehen, wenn ich mich bemühen wollte, diesen edelmüthigen Entschluß, der sein eigner Lobspruch ist, nach den Regeln der Redekunst herauszustreichen. Vielmehr will ich den aufrichtigsten Wunsch thun, daß diese gelehrte Gesellschaft, welche seit Erschaffung der Welt die erste, die in hiesiger Gegend durch eine genauere Verbindung mit der Erweiterung der menschlichen Erkenntniß sich beschäftiget, gleiche Schicksale mit der römischen Republick haben möge. In ihrer Entstehung sind beide einander ähnlich, Romulus zog einen Haufen Leute an sich, die nirgend eine Heimath hatten und in den holen Wegen die Reisenden um ein Allmosen bathen, daß diese ihnen nicht verweigern durften. Es waren Leute, die wegen ihrer Profeßion von den alten Innwohnern des Lateinerlandes verachtet wurden, mit welchen Romulus seinen Staat bevölkerte. Mein Patron hat es fast auf gleiche Weise [190] gemacht: die gelehrte Gesellschaft bestehet aus Gliedern, die, einige wenige ausgenommen, das gelehrte Bürgerrecht nicht erhalten haben, und also bisher in der gelehrten Republick auch keine Heimath hatten. Er richtet, als ein zweiter Romulus, eine neue Colonie von Gelehrten an, die jetzo noch von den alten Gelehrten verachtet werden. Doch wie Rom immer größer wurde und endlich die Herrschaft über die Welt erhielt: so wird, wenn mich meine Ahndung nicht täuschet, auch diese kleine Republick der Gelehrten ihr Ansehen so ausbreiten, daß sie sich nach und nach auf den höchsten Gipfel ihrer Hoheit empor schwingen wird.


Morgen ist der merkwürdige Tag, an welchem obenbemeldter Rittersitz des Herrn v.N. zu einem Heiligthume der Wissenschaften soll eingeweihet werden, und bei dieser Gelegenheit werden sich zween geschickte und beredte Männer hören lassen, nämlich: Tit. plen. Herr Balthasar Eccius, wohlmeritirter [191] Cantor zu Wilmershaußen, wird in einer Lobrede auf den verstorbenen Herrn Händel erweisen, daß die Natur, und nicht die Kunst, einen Virtuosen bildet. Wenn dieser den Rednerstuhl verlassen hat, so wird Herr Valentin Striegel, wohlverdienter Schulmeister in Dürrenstein etwas von den Alterthümern dieses Orts auf die Bahn bringen. Den Beschluß dieser Feierlichkeit wird M.L. Wilibald dadurch machen, daß er die Statuten der neuen Akademie und die Mitglieder derselben bekannt machen wird.


Alle vornehme Gönner, Mäcenaten und Musenfreunde, denen diese Einladungsschrift zu Gesichte kommt, werden demnach geziemend eingeladen, diese Feierlichkeit durch ihre zahlreiche Gegenwart zu vermehren, und zwar diejenigen, die ein Exemplar in Goldpappier eingebunden erhalten, haben die Freiheit, zu Pferde oder vermittelst eines Fuhrwerks hier zu erscheinen; die aber nur ein schlechtes bekommen, können sich dieses zur [192] Rachricht dienen lassen, daß man sie, um allem unnöthigen Aufwande vorzubeugen, zu Fuße erwartet. Alle aber werden gebethen sich aufs späteste um zwei Uhr Nachmittags allhier einzufinden. Oeffentlich bekannt gemacht, den dritten December.

16. Brief
XVI. Brief.
Fräulein Amalia v.S. an den Herrn v.S. ihren Bruder.

den 6 Dec.


Ich bin eine Zeitlang mit meiner Correspondenz ziemlich faul gewesen, und will mich bei einem Bruder, wegen meiner Nachläßigkeit, nicht rechtfertigen, den ich geneigter finde sie zu verzeihen, wenn ich meinen Fehler gestehe, als wenn ich mich durch eine Schutzschrift zu rechtfertigen suchte. Wir sind einander um hundert Meilen näher, und meine Briefe kommen sparsamer, da du [193] weiter entfernt warest, schieb ich fleißiger. Ich weiß selbst nicht was ich für Abhaltungen gehabt habe, dir so lange einen Brief schuldig zu bleiben, wenn dieses nicht eine gewesen ist, daß ich nach meiner Gewohnheit sehr viel auf einmal habe schreiben wollen, und nie gnug Materie gehabt habe. Nicht als wenn es an Auftritten gefehlet hätte, die würdig gewesen deine Aufmerksamkeit zu verdienen, sondern, weil ich eine ziemlichvollständige Sammlung von Briefen in Händen habe, die alles, was hier vorgegangen ist, so ausführlich enthalten, daß mir kein Stoff zu einer besondern Erzählung übrig geblieben ist, und ich hatte doch auch Lust etwas zu erzahlen. Jetzt habe ich einmal Langeweile, sonst würdest du noch keinen Brief von mir erhalten. Ich will, um mir die Zeit zu kürzen, meine Erzählung da anfangen, wo das beigeschlossene Paquet aufhöret. Es sind darinnen fünfzehn Briefe nebst andern Aufsätzen, die in unsern Roman gehören, enthalten, du wirst hieraus leicht den Schluß machen können, [194] daß du diese eher lesen mußt, als meinen Brief, sonst würdest du sehr herumrathen müssen, wenn dir nicht ein großer Theil desselben sollte unverständlich bleiben. Aus dieser Absicht will ich einen neuen Abschnitt machen, der alles in sich enthält, was zur Vollständigkeit der in dem Paquet enthaltenen Nachrichten gehöret.


Am vierten dieses hatte der Baron die Freude, das lächerlichste Stück in der Comödie unsers Oncles, aufgeführte zu sehen. Der Entwurf der Akademie hat ihn seit acht Tagen auf eine so lustige Art beschäftiget, daß er so munter aussiehet als an seiner Hochzeit. Wir fuhren in bester Galla nach Kargfeld, um einem großen Schmause, wodurch unser Oncle die Einweihung seiner Akademie feierlicher machen wollte, beizuwohnen. Von der gewöhnlichen Gesellschaft fehlte Niemand. Aus einem Hasse, den der Herr v.N. gegen den Herrn v. Ln. aus bekannten Ursachen heget, war dieser nicht gebethen [195] worden: er erschien aber doch zu Pferde, ob er gleich kein Programma in Goldpappier eingebunden erhalten hatte. Unser Oncle bewirthete seine Gäste diesmal sehr gut. Ich bedauerte nur Fräulein Kunigunden, die wegen vieler Anstalten, die sie machen mußte, wie sie sagte, in fünf Tagen kein Auge zugethan hatte. Das Fräulein v.W. fand an diesem Tage ihren Liebhaber wie sie ihn wünschte. Es war als Wirth und als Stifter einer Akademie so sehr beschäftiget, daß ihm keine Zeit übrig blieb, an etwas, das dem Fräulein hätte verdrüßlich seyn können, zu gedenken. Vielleicht war er auch um deswillen ein wenig artiger, weil der Major gegenwärtig war, den er für seinen Rival hält und mit welchem er in neuen Zwist zu gerathen, aufs äußerste zu vermeiden suchet. Die ganze Gesellschaft war dismal artig, selbst die Frau v.W., der ich es nicht zugetrauet hatte, daß sie ihren Herrn zum Präsidenten einer gelehrten Gesellschaft würde machen lassen. Doch sie hatte sich vorgenommen, uns dismal [196] mit ihrem Gemahl auf Discretion verfahren zu lassen, ordentlich pflegt sie dieses Vorrecht nur für sich zu behalten und aus ihm zu machen was sie will. Die den Spaß einsahen, waren bemühet ihn nicht zu verderben, und die alles im Ernste aufnahmen, fingen an große Gedanken von unserm Oncle zu bekommen. Der Herr v.H. konnte sich nicht genug wundern, daß sein Freund noch einen Geschmack an Wissenschaften fand, die er vor Zeiten aufs äußerste gehasset hatte. Er hörte die Reden mit einer Aufmerksamkeit an, die ich nie, auch selbst in der Kirche nicht an ihm bemerket habe. Die Alterthümer von Dürrenstein erhielten bei ihm so vielen Beifall, daß er dadurch aufgemuntert wurde, alle Seltenheiten seines Rittersitzes der Länge nach zu erzählen. Nur das einzige war ihm räthselhaft, warum der Herr v.W. zum Präsidenten einer gelehrten Gesellschaft wäre erwählet worden, der doch seinen Namen nicht zu schreiben wüßte, da ihn aber unser Oncle sagte, daß es mit einem [197] Präsidenten einer gelehrten Akademie eben die Bewandniß hätte, wie mit einem General im Kriege, dieser könnte Vestungen einnehmen, ohne daß er wüßte, was ein Horn- oder Cronenwerk wäre, ob die Batterien oder die Laufgraben zuerst müssen angeleget werden, dieses gehörte für die Ingenieurs, so wie die Gelehrsamkeit für hie Mitglieder einer Akademie; so beruhigte er sich, ohne disfalls weiter zu streiten. Nach der Tafel wurde in dem Saale, auf Anordnung des Magister Lamperts, ein kleines Gerüste erbauet, das der akademische Lehrstuhl hieß. Der Herr v.W. müßte das erste Bret, das dazu sollte gebraucht werden, entzwei sägen, und unser Oncle that den ersten Hieb mit dem Beile in ein Stück Holz woraus die Stützen dieses kleinen Gebäudes verfertiget wurden. Hierauf brachten ein paar Tischer das Werk in kurzer Zeit zu Stande. Sobald der Lehrstuhl fertig war, sollte der Saal von den Spähnen wieder gesäubert werden; doch Herr Lampert untersagte dieses, und wollte [198] durchaus haben, daß jedes von der Gesellschaft sich einen Spahn zum Andenken der feierlichen Eröffnung der Julianenakademie, auflesen und behalten sollte. Weil aber niemand nach dieser Seltenheit ein Verlangen bezeigte: so wurden sie ihm insgesammt verehret, um sie als eine Rarität aufzuheben, oder sie dem Apoll als ein Opfer anzuzünden, damit dieser den Lehrstuhl der Akademie in Schutz nähme, auf daß alle, die sich davon hören ließen, den Beifall der Zuhörer sich versprechen könnten. Eine solche Zauberei wäre sehr nöthig, denn alle Mitglieder werden natürlicher Weise ihre Zuhörer niemals rühren. Nach dieser Ceremonie wurde eine andere vollbracht. Ein Cranz von Buchsbaum, in Ermangelung frischer Eichenblätter, welche im Winter nicht wohl zu haben sind, wurde in das Zimmer gebracht an welchen Fräulein Julgen und ich einige Bänder knüpfen sollten, und welcher hernach über den Lehrstuhl, gerade über dem Haupte der Redner, sollte aufgehangen werden. Allein ob [199] ich gleich kein Mitglied dieser berühmten Akademie bin, so protestirte ich doch darwider aus allen Kräften. Der Kranz von Buchsbaum verbreitete eine Art von Todtengeruch in dem Saale, daß mir darüber eine Ohnmacht anwandelte. Dieses bewog den Baron, meinen Oncle zu bereden, diesen garstigen Kranz fortzuschaffen. Er ließ sich auch mit dem Magister in einen Streit hierüber ein, und behauptete, daß der Buchsbaum heutiges Tages eben das sey, was die Myrthen oder Cypressen bei den Alten gewesen, und daß man diesen also nur bei traurigen Begebenheiten brauchen dürfte. Im Gegentheil verträten die Tannen oder Fichten die Stelle des Epheus der Alten, und könnten bei frohen Gelegenheiten gebraucht werden. Die Weinschenken pflegten Kränze von Tannenzweigen auszuhängen, da nun das Zeichen des Weins jederzeit das Zeichen der Fröhlichkeit gewesen wäre, auch der Wein, oder in Ermangelung desselben, die bloße Vorstellung davon den Rednern und Dichtern große Dienste leistete: [200] so schlug er vor, man sollte einen Kranz von Tannenzweigen über den Rednerstuhl aufhängen. Dieser Vorschlag wurde angenommen, und in kurzer Zeit sahe man ein Weinzeichen, das Fräulein Julgen und ich mit verschiedenen Bändern ausgeputzt hatten, an einer seidenen Schnur über dem Lehrstuhle prangen. Herr Lampert, der die Ehre haben wollte den Cranz an die Schnure zu bevestigen, hatte aber dabei das Unglück, da er wieder vom Stuhle steigen wollte, daß er aus dem Gleichgewichte kam, und einen so gräßlichen Fall in die Stube that, daß ich glaube, man hat die Erschütterung, die dadurch verursacht wurde, auf eine Meile weit verspühret. Man machte, wie bei merkwürdigen Begebenheiten alles ominös scheinet, über diesen Zufall verschiedene Auslegungen, der Baron meinte, die Akademie würde, wenn sie auf den höchsten Gipfel ihrer Vollkommenheit gestiegen zu seyn glaubte, plötzlich in Verfall gerathen und zu Boden liegen. Andere glaubten, weil am Tage ihrer feierlichen Einweihung, [201] die Grundsäule, worauf das ganze Gebäude ruhete, umgefallen wäre: so würde es damit keinen Bestand haben, sondern sie würde in kurzem so zerstöhret werden, daß keine Rudera mehr von einer Julianenakademie würden vorhanden seyn. Herr Lampert machte, ob er gleich gewaltig hinkte, dennoch von seinem unglücklichen Falle eine vortheilhafte Auslegung für die Akademie, er sagte: weil er eben gefallen wäre, da er sich zum Besten derselben beschäftiget hätte, so ließe sich hiervon keine andere Auslegung machen als diese, daß er, wegen der Akademie, in Zunkunft vieles leiden würde. Er würde fallen unter böse Zungen: diejenigen Gelehrten welche nicht unter die Zahl der Mitglieder wären aufgenommen worden, und sich doch in der hiesigen Gegend befänden, würden ihren Gift über ihn ausschütten und eben so viele Schmähreden auf ihn erdenken als ehemals die Bücherabschreiber auf Doctor Fausten erdacht hätten, weil dieser die Buchdruckerei sollte erfunden haben. Er würde [202] ferner fallen unter den Spott der gelehrten Zeitungeschrieben wenn sie erfahren würden daß ein Magister eben das unternommen und ausgeführet hätte, was Kaisern und Königen schweer worden wärs: so würden sie, aus Neid, ihn dergestalt zwischen die satirischen Sporen fassen, daß er alle seine philosophische Gelassenheit würde aufbiethen müssen, um bei diesen Anfällen gleichgültig zu seyn. Doch wie er ohne sonderlichen Schaden und ohne jemands Hülfe wieder aufgestanden wäre: so würde seine Ehre und guter Name bei dem Wachsthum der Akademie auch wieder empor steigen und über alle Neider und Misgünstige triumphiren. Uebrigens fügte er hinzu, wollte er nicht viel Geld nehmen und diesen Fall nicht gethan haben: die Alten hätten sich allezeit gewünscht, daß bei einem außerordentlichen Glücke sie auch ein kleines Unglück beträfe, und wenn ihnen dieses nicht von freien Stücken zugestoßen wäre, so hätten sie sich selbst einen Verdruß oder Schaden verursachet, um die Götter dadurch abzuhalten [203] mit einem großen Glück auch ein großes Unglück zu vereinigen. Crösus hätte einen Ring von großen Werth ins Meer geworfen, um den Lauf seines Glücks in etwas zu hemmen. Er hielt sich für glücklicher als Crösus, daß er sein Vorhaben, Kargfeld in einen Sitz der Musen zu verwandeln, nunmehro ausgeführet sähe, und ob er gleich nicht die alten Heiden zum Vorbild seiner Handlungen wählen wollte: so wäre doch gewiß, daß ein großes Glück mit einem grossen Unglück, wie aus der Erfahrung bekannt sey, vergesellschaftet wäre, er glaubte daher, daß er durch dieses kleine Unglück eine Versicherung von dem Flor der Julianenakademie, bei welchem er sich glücklicher schätzte, erhalten hätte. Weil der Pastor Wendelin nicht gegenwärtig war, der ihn wegen seiner heidnischen Grundsätze würde verketzert haben: so wurde seine Meinung gebilliget, und der Major wünschte, daß alles Unglück, das die gelehrte Gesellschaft etwas bedrohen könnte, den Magister treffen möchte, damit ihm [204] die Ehre, ein Märtirer derselben zu heißen, niemand streitig machen könnte. Nachdem nun der Speisesaal ein gelehrtes Ansehen erhalten hatte, so verfügte sich das Frauenzimmer, und alle die nicht zu der gelehrten Versammlung gehörten, in das Nebenzimmer doch sollte die Thür offen bleiben, damit wir sehen könnten was vorging. Es wurden zu beiden Seiten des Rednerstuhls Stühle gesetzt, zur rechten Hand für die Ehrenmitglieder, welches die vornehme Seite hies, und zur linken für die ordentlichen, welches der Magister die gelehrte nennete. Alle in dem Verzeichnisse benannte innländischr Mitglieder waren gegenwärtig, und weil die gelehrte Bank meistens aus Schulmeistern bestehet, so führten diese erstlich eine trefliche Motette auf, wobei die beiden Redner ihre Stimme singend hören ließen. Hierauf verließ der Cantor Eck seinen Baß mit einem tiefen Reverenze und betrat den Rednerstuhl. Der Herr v.W., als Präsident der Akademie, war schon unter der Musik eingeschlafen, und[205] schnarchte so stark, daß man nichts verstehen konnte, besonders da der Redner über seine gelehrten Zuhören so bestürzt schien, daß er, ungeachtet seiner Brille, nicht eine Zeile ohne Stammlen lesen konnte. Diese Rede erhielt unterlessen den Beifall des Herrn Lamperts und folglich der ganzen Akademie. Der junge Wendelin hat mir solche, nebst zween Briefen, die sich darauf beziehen, und wegen ihres Innhalts merkwürdig sind, verschafft, diese Stücke sind, nebst der Abhandlung von den Alterthümern in Dürrenstein, in dem Packt in einem besondern Bogen eingeschlossen welcher den Titul führet: Etwas zur Zugabe nach Lesung des Briefes zu eröffnen. Der Schulmeister zu Dürrenstein hat sich lange nicht wollen bereden lassen nach dem Cantor von Schönthal aufzutreten, weil er einige Jahre früher als jener ins Amt kommen ist, jener aber hat den Vortritt verlangt, weil er sich Cantor nennen läßt. Diese Leute, welche viele Jahre in der vertrautesten Freundschaft gelebet haben, sind über diesen [206] Rangstreit in solche Uneinigkeit gerathen, daß sie einander aufs äußerste hassen. Herr Lampert soll alle Mühe gehabt haben sie zu vergleichen, welches endlich durch das Loos geschehen ist, wodurch der Cantor den Vorgang erhalten hat. Nachdem die erste Session der Akademie geendiget war, verwandelte sich die Scene, und die gelehrten Akademisten wurden Musikanten, wir hielten einen kleinen Ball. Doch die Uneinigkeit unsrer Bande verursachte manchen Uebellaut in der Musik. Der Schulmeister von Dürenstein wollte sich durchaus nicht bereden lassen, ein musikalisches Instrument anzugreifen, wenn der Cantor von Schönthal die erste Violine strich, aber der Befehl unsers Oncles der mit verschiedenen Drohungen vergesellschaftet war, brachte ihn bald zu einer andern Entschließung. Der Oncle eröffnete den Ball mit dem Fräulein v.W. und beobachtete die Anständigkeit gegen sie, die er den ganzen Tag hatte blicken lassen. Doch so viel Macht hatte er nicht, daß er alle fürchterlichen [207] Blicke gegen seinen Rival hätte zurückhalten können, er sahe ihn oftmals so finster an, daß ich dachte, er würde neue Händel bekommen, doch hielt er seine Zunge im Zaum und gab ihm, mit der verdrüßlichsten Mine, die besten Worte von der Welt. Ich will dismal meinen Brief nicht weiter ausdehnen, er ist lang genug dich um die Zeit zu bringen, die du vermuthlich ohne denselben vergnügter würdest zugebracht haben. Wenn ich nicht schon sehr müde wäre, so würde ich dir noch das Verlangen schildern, welches wir haben, dich hier zu sehen. Es stehet bei dir, unsere Wünsche zu erfüllen, und insonderheit die meinigen, und dadurch werde ich einen Beweiß erhalten, daß du mich so liebest als du geliebet wirst, von deiner Schwester

A.v.S.

17. Brief
[208] XVII. Brief.
Herr Lorenz Lobesan, Cantor zu Kargfeld an Herrn Balthasar Ecken, wohlverdienten Cantor und Schulmeister zu Wilmershaußen.
Hochgelahrter Hoch- und Wohlfürsichtiger,

Hoch- und Kunsterfahrner Herr Collega,


Derselbe wird im Besten vermerken, daß ich ihm mein Anliegen offenbare und mir seinen guten Rath über eine Sache ausbitte, die mich weder ruhen noch rasten läßt. Es ist ihm bewußt, daß ich in acht Tagen eine Predigt nach dem Fuße halten soll, wie er und der Herr Schulmeister gestern in dem Saale unsers gestrengen Junkers ablegten. Ich habe mir bisher zwar[209] ein Gewissen gemacht, dem Herrn Pfarr ins Amt zu fallen und einen Hofprediger, auf dem Schlosse unsers Junkers, abzugeben; aber weil sich andere kein Gewissen daraus machen, auch überdem diese Predigten ganz anders beschaffen sind, als die man in der Kirche hält, und die Kanzel eine ganz andere Figur hat: so glaube ich, daß mir eben das erlaubt ist, was andere meines gleichen thun dürfen. Zu dem Ende habe ich mich niedergesetzt und habe hin und her gesonnen, um eine solche Predigt, wie die seinige war, zu entwerfen, und den Text, den mir der Herr Magister vorgeschrieben, zu erklären. Es wird ihm, sonder Zweifel, noch erinnerlich seyn, daß mir der Herr Magister gestern Abend beim Weggehen sagte, ich sollte untersuchen, ob das ut re mi fa sol la oder das c d e f g zur Benennung der Töne in der Musik bequemer sey. Ich weiß in meinem Leibe keinen Rath, was ich in dieser kützlichen Materie anfangen soll. Der Herr Magister ist mir sein Tage nicht recht gut gewesen, darum [210] läßt er mich über den schwersten Text predigen. Gleichwohl will ich nicht gerne mit Schimpfe bestehen, und ein paar parfumirte Handschuhe, wie er bekommen hat, wären mir auch willkommen. Es ist aber nicht recht, daß der Herr Magister mir, als einem alten Manne, so schweere Dinge aufbürdet, daß mir ganz schwindelt wird vor den Augen, und ein kalter Schweiß vor die Stirn tritt, wenn ich an diese Arbeit gedenke. Ich habe überdem noch bei meinem Alter ein gewisses Malheur an mir, daß mir oftmals die Gedanken vergehen, besonders wenn ich etwas aus dem Kopfe entwerfen will. Neulich hatte ich einmal vergessen, daß es Sonntag war, ohngeachtet ich den Tag vorher das Kirchenstück probiret hatte, und wenn mich der Herr Pfarr nicht an das Läuten hätte erinnern lassen, denn meine Frau hatte es auch vergessen, so wäre keine Kirche gehalten worden. Einmal mochte ich in der Kirche ein Bißgen eingeschlummert seyn, es war vergangenen Sommer in der Erndte, und da ich erwachte, [211] hatte ich vergessen, daß der Herr Pfarr auf der Canzel stund, fing dahero mitten unter der Predigt mir lauter Stimme an den Choral zu singen, bis ich meinen Irrthum, mit großer Bestürzung, inne wurde, und hernach, wegen dieses Naturfehlers vieles ausstehen mußte. Das paßiret mir oftmals, wenn ich gar nicht mit dem Kopfe arbeite, geschweige wenn ich Briefe schreiben oder etwas anders aus dem Kopfe machen soll, wenn ich drei oder vier Zeilen zusammen gesetzt habe, so bin ich so müde, als wenn ich zur Frohne hätte dreschen müssen. Die gemeinen Leute wollen es nicht glauben, daß unser einer auch sein Pfund auf sich hat, und nicht spazieren gehet. Der Kirchvater Kleinmann war neulich bei mir, da sprachen wir eins und das andere, von ungefähr kamen wir auch auf die Schuldiener zu reden. Herr Cantor, sagte der Tölpel, er hat ja wohl seine gute Sache, wenn unser einer auf der Straße liegen und auf der Kriegsvorspanne sich von den Soldaten muß Rippenstöße geben lassen, [212] so sitzt er zu Hause auf seinen Drehstuhle wie ein vornehmer Herr, schwatzt den Kindern was vor, und dafür muß ihn die Gemeinde ernähren. Hört, guter Freund, sagte ich, ihr redt wie ihrs versteht, wenn ihr einen Tag auf meinem Stuhle sitzen und mit dem Kopfe arbeiten solltet, so würdet ihr anders schwatzen, Kopfarbeit ist gar eine schwere Arbeit. Unter uns, ich glaube daß ein Schulmeister ein viel schweerer Amt hat als ein Pfarrer, der predigt ein paar mal in der Woche, und damit gut. Wir müssen sechs Tage Schule halten, und den Sonntag müssen wie singen daß wir schwarz werden möchten. Ja, was das meiste, die Herren Pfarrer haben viele lateinische und gelehrte Bücher, da können sie leicht etwas daraus herschwatzen, wir haben aufs höchste den Catechismus und müssen alles aus den Kopfe machen, dazu kommt die Musik, das Hochzeitbitten und dergleichen, daß einem das Stückgen Brod sauer genug wird, und doch soll unser einer keine Arbeit haben. Aber daß ich wieder zur Sache [213] komme, Herr Cantor, wo hat er doch die wunderschöne Rede hergenommen, die er gestern hielt? Er kann wohl noch gar Pfarrer werden, die vornehmen Leute hatten an ihm ihre einzige Freude, so schön hat er es gemacht. Sey er doch so gut und stecke er mir es im Vertrauen, wie er es angefangen hat, diese schöne Rede zu Stande zu bringen. Es bleibet unter uns, er kann sich darauf verlassen, daß ich es keinem Menschen mehr sagen will, das Geheimniß soll mit mir sterben. Wenn er etwan ein Buch hat, worinne dergleichen Reden stehen, so leihe er mir es ein paar Tage, ich will es ihm ohne Schaden wieder zustellen, und verspreche nicht mehr daraus zu nehmen, als zu einer Rede nöthig ist. Will er mir aber den Liebesdienst thun, und mir die ganze Rede machen, so will ich es mit Danke erkennen, und ihm dafür den Telemannischen Jahrgang, darum er mich so [214] oft gebethen, zur Abschrift mittheilen. In Erwartung gefälliger Antwort, verharre


Des Herrn

dienstwilliger L. Lobesan.

18. Brief
XVIII. Brief.
Antwort auf den vorigen Brief.
Ehrengeachteter Hochgelahrter

Günstiger guter Freund,


Ich hätte wohl Ursache, ihm die Gefälligkeit, warum er mich ersuchet, abzuschlagen; er weiß es am besten, wie er mich gemartert hat, da ich ehemals an seine Stelle kommen sollte, weil er bei dem Herrn v.N. in Ungnade gefallen war, und von seinem Dienste sollte abgesetzt werden. Er biß damals um sich wie ein wilder Kater, und [215] spielte mir noch dazu den schlimmen Streich, daß er, da ich die Probe thun mußte, das Clavier an der Orgel mit Terpentin oder Vogelleim, was es war, beschmieret hatte, daß mir die Finger darauf kleben blieben, und ich glücklich umwarf. Wegen der telemannischen Kirchenstücke habe ich, da der erste Groll vorbei war und er bei seinem Dienste blieb, wie ich bei dem meinigen, mir Salvo nore, die Beine bald abgelaufen, ich habe ihm himmelhoch gebethen, mir solche, gegen ein gutes Gratial, zukommen zu lassen, weil unsere Herrschaft mit meiner Composition niemals recht ist zufrieden gewesen: aber da half weder bitten noch flehen, es war als wenn ich zu einem Stein redte. Wenn er politisch gewesen wäre, so hätte er denken sollen, eine Hand wäscht die andere, wer weiß, wo ich den ehrlichen Mann auch einmal wieder brauche, ich will ihm aus dieser Noth helfen, wer weiß hilft er mir aus einer andern. Wenn ich gleiches mit gleichem vergelten wollte, so würde er mit einer abschläglichen Antwort müssen [216] zufrieden seyn, ich bin aber nicht so gesinne, und habe ihn schon lange alles vergeben, welches er unter andern auch daraus abnehmen kann, daß ich ihm alle Jahr zur Kirmse habe bitten lassen, ob er gleich wegen der alten Pike noch nicht über meine Schwelle kommen ist. Um ihn zu überzeugen, daß ich es gut mit ihm meine, will ich ihm alles getreulich entdecken, wie ich es mit meiner Rede angefangen habe. Ich höre zwar, daß es unter den Gelehrten Mode ist, daß sie ihre besten Fechterstreiche gern für sich behalten, und sie niemanden leichtlich offenbaren: doch weil er mir versprochen hat, verschwiegen zu seyn und das Geheimniß bei sich zu behalten, so will ich ihm kürzlich melden, wie ich es mit meiner Rede, die der Herr Magister gelobt hat, gemacht habe. Es ging mir im Anfang eben so wie ihm, ich wußte nicht, wo ich es angreifen sollte, den Text, den mir der Herr Magister vorgeschrieben hatte, zu erklären. Ich ging zum Herrn Pfarrer, um mich bei ihm Raths zu erholen, und ihn um ein Buch[217] zu bitten, das ich bei meiner Arbeit, brauchen könnte; allein dieser war böse, daß er nicht auch ein Mitglied worden war, und wollte mir durchaus kein Buch leihen, ob er deren gleich über ein Halbschock besitzt, und manche in Jahr und Tag nicht braucht. Hierauf verfügte ich mich zu unsern Fräulein und bat sie um das Buch, das sie braucht, wenn sie Briefe schreibt und ihr nichts einfallen will, sie gab mir dieses ohne Schwürigkeit. Ich übersende es ihm im Vertrauen, er muß es aber ja wohl bewahren, daß es nicht schmutzig wird und ein Dinten- oder Oehlfleck hinein kommt. In diesem Buche sind alle Wörter enthalten, die zu einer Rede gehören, es ist dahero ein vortrefliches Werk, welches alle Arbeit leichte macht. Man darf nur die Worte aufschlagen, wie sie einen von ungefehr in die Augen fallen, und diese hernach mit einander verbinden, so ist die Rede fertig. Da ich gehört habe, daß man sich bei einer Rede, vor allen Dingen, um ein Thema bekümmern muß, eben so wie in der Musik, [218] welches man hernach ausführet: so suchte ich erst in dem Buche mein Thema zusammen, das waren die einzelnen Worte die ich von ungefehr aufschlug. Diese schrieb ich fein ordentlich, wie sie mir das Glück bescheret hatte, auf ein Pappier, und studirte hieraus meine Rede zusammen. Es kostete freilich hin und wieder viel Kopfbrechens, weil manche Worte sich weder zusammen schicken noch reimen wollten, doch da ich mir vorgenommen hatte, nichts in dem Thema zu ändern, so künstelte ich so lange bis alles zusammen paßte. Damit ihm alles deutlich wird, so habe ich meine Rede abgeschrieben und derselben das Thema beigefügt, woraus ihm alles verständlich werden muß. Künftige Mittewoche, wenn ich aus der Akademie komme, will ich bei ihm einsprechen, und die Kirchenstücke abholen, welche er, sobald sie abgeschrieben sind, ohne Schaden wieder haben soll. Unser Herr Pastor hat einen gewaltigen Groll auf mich geworfen, daß ich mit in der Akademie bin und er nicht. Wie [219] ist denn der seinige diesfalls gegen ihn gesinnet? Ich habe vier Groschen aus der Kirche für den Weg prätendiret, den ich nun wöchentlich von hier nach Kargfeld thun muß, aber der Herr Pastor will es durchaus nicht in der Kirchrechnung paßiren lassen, keine Frohndienste laß ich mir warlich nicht aufbürden. Legt sich der Herr Pfarr mit mir nicht bald zum Zweck, so will ich ihn schon kriegen, ich habe ihn sein Amt müssen führen lernen, und nun will er über mich herrschen. Die Welt wird doch immer schlimmer. Nebst einem schönen Gruß von meiner Frau bin ich


Des Herrn
dienstwilliger
B.E.

[220] * * *

Daß die Natur und nicht die Kunst einen Virtuosen bildet, erweist in einer Rede Balthasar Eck, treufleißiger Cantor und Schuldiener in Schönthal.


Hokuspokus.
Affenspiel.
Advocat.
Kalendermacher.
Aufblehen.
Untervogt.
Austrinken.
Saitenspiel.
Halskaufe.
Stempel.
Unterminiren.
Altfränkisch.
Zipperlein.
Bratenwender.
Heufuder.
Goldschmidt.
Holzhacker.

Die edle Musika ist eine von den freien Künsten und keinesweges ein verächtliches Handwerk oder eine Brodtlose Kunst, dergleichen es welche giebt, die Leute ums Geld zu bringen oder sie zu vexiren. Von diesem Schlage sind die Kartenspiele, die Kartenkünste worauf etliche Leute sich so viel [221] wissen, und was dergleichen Gaukeleien mehr sind, womit die Hokuspokusmacher umzugehen wissen; allein sie verdienen nicht einmal den Namen der Künste, sondern sollten vielmehr Aeffereien oder Affenspiele genennet werden. Ein Musikus ist ein ehrbarer Mann, der seine Kunst gelernet hat, nicht allein den Leuten die Zeit zu vertreiben, sondern auch vielerlei Gutes zu stiften: denn man kann, vermöge der Musik, Krankheiten heilen, die Zauberei vertreiben, gute Gedanken einflößen, und dergleichen mehr, das ein andrer wohl muß unterwegen lassen. Aber nicht jeder, der etwas auf einem Instrumente herstümpern kann, ist im Stande dieses zu thun, sondern nur große Musikverständige, die man Virtuosen nennet, können solche herrliche Dinge ausrichten. Dergleichen Leute werden nun, wie die Erfahrung lehret, nicht durch die Kunst hervorgebracht, sondern sie müssen von Natur ein gutes Geschick haben, wenn was rechtes aus ihnen werden soll. Dahero hat die Musik vor andern Künsten [222] etwas zum Voraus, wem die Natur nicht ein Geschick zur Musik verliehen hat, der bleibe immer davon oder erwähle ein anderes Metier. Aus dieser Ursache schickt sich auch nicht jeder zur Musik, es kann einer eher ein Doctor und Professor werden auf einer Universität, als ein tüchtiger Cantor. Bei jenen kommt es auf Geld und gute Worte oder auf gute Patronen an, hierdurch kann einer unter den Gelehrten alles werden was er nur will, aber du magst spendiren wie du willst, du magst den Schulzen und Kirchpatron zum Pathen haben, wenn dir die Natur keine gute Stimme in die Kehle und keine Hurtigkeit in die Hände und Füße gegeben hat, daß du nicht laut genug vorsingen, kein Trillo schlagen und keine tüchtige Fuge auf der Orgel herrasseln kannst: so nehmen dich die Bauern nicht zum Cantor, und wenn du könntest die Kieselsteine in Gold verwandeln. Wo die Kunst alles thut, da ist die Natur überflüßig, und wo die Natur alles wirket, da braucht es keine große Kunst. Ein Advocat, zum [223] Exempel, ist ein arte factum, er mag eine natürliche Gabe zum Plaudern und Zanken haben, oder von Natur so sanftmüthig seyn wie ein Lamm, wenn er in seiner Kunst ausgelernet hat, so gewinnt er die schlimmsten Processe. Woher kommt das? Aus keiner andern Ursache, als weil er durch die Kunst aus weiß hat lernen schwarz machen, und ihm, gleich wie einem Staar, die Zunge gelöset ist, daß er reden kann was er will. Allein laßt ihn einmal einen Triller schlagen, so werdet ihr sehen, daß er dieses zu thun nicht im Stande ist, wenn die Natur seine Kehle nicht dazu aptiret hat. Es hat mit einem Musikus eben die Bewandniß wie mit einem Kalendermacher, dieser mag rechnen können wie er will, er mag den Himmel durch sieben und siebenzig Ferngläser beschauen, dem ungeachtet wird das Wetterprognosticon nicht zutreffen, oder die Prophezeihung von Krieg und Frieden in Erfüllung gehen, wenn ihn nicht die Natur zu einen Kalenderschreiber gebildet und ihm die Gabe, zukünftige Dinge vorherzusagen, [224] verliehen hat. Hieraus erhellet, was ein Musikus in eigentlichem Verstande, welchen man gemeiniglich einen Virtuosen nennet, für ein Mann ist, und daß solche Leute billig in Ehren zu halten sind, auch ihnen ein reichlich Auskommen muß verschaffet werden, denn sie wachsen nicht so zahlreich wie die Schwämme, und können auch nicht durch die Kunst hervorgebracht werden wie die Orgelpfeifen, sondern die gütige Natur bringt sie nur dann und wann hervor, wenn sie ihr Spiel haben, will wie die Weidenrosen, oder die Kornstengel mit hundert Aehren. Das wissen diese Herren auch gar wohl, darum blehen sie sich nicht selten auf wie die Untervögte, und haben ihre Mucken wie die Pferde, die den Sonnenschuß bekommen. Ich könnte von ihrem Eigensinne manches artige Stückgen anführen, wenn ich mich nicht der Kürze befleißigen wollte. Nur einger im Vorbeigehen zu gedenken, so sind einige Virtuosen so eigensinnig, daß sie sich durchaus nicht wollen hören lassen, so lange sie ein volles [225] Glas im Gesichte haben. Ich kenne einen Schulmeister, der mein Freund ist, der diesen Wurm auch hat und allen Gläsern erst auf den Boden siehet, ehe er seine Violine stimmt, welches denen, die von seiner Kunst etwas hören wollen, oftmals theuer genug zu stehen kommt, weil er auf einen Sitz mehr austrinken kann als zehen Schnitter in der Erndte. Andere lassen sich nicht anders als durch Schläge bewegen, ihr Saitenspiel anzurühren, und thun das gezwungen, was man weder durch gute Worte noch durch Verheissungen von ihnen erhalten kann. Einige haben die wunderliche Gewohnheit an sich, daß sie sogleich aufhören zu spielen, wenn sie gelobt werden, und hingegen fortfahren, wenn man sie für Stümper und Hümpeler hält. Ich habe auch von einem Virtuosen sagen hören, daß er sich allezeit, wenn er ganz besonders durch seine Geschicklichkeit sich hätte hervor thun wollen, in den größten Gesellschaften entkleidet habe, als wenn er zu Bette gehen wollte. Ein loser Vogel hätte [226] ihm aber einmal, da er von seiner Kunst ganz bezaubert gewesen, die Kleider versteckt, daß er im kalten Winter halb nackend hätte nach Hause gehen müssen, und über diesen Spaß seine künstlichen Finger erfrohren hätte. Einmal da sich ein Virtuos in hiesiger Gegend einfand, habe ich es mit meinen Augen gesehen, daß er seine Perucke an die Erde warf, die Halskrause abriß, den Rock auszog und die Weste aufknöpfte, wenn er ein Stück spielte, das sich besonders ausnehmen sollte. Hierauf ging er in Stube auf und nieder, trat seine Perucke und Kleider mit Füssen, und konnte es durchaus nicht vertragen, wenn sie jemand aus dem Wege räumen wollte. Es ist gewiß, daß jedermann, der kein Virtuos ist, für unsinnig würde gehalten werden, wenn er solche Virtuosenstreiche machen wollte, ohne einer zu seyn, aber bei diesen gehört es mit zu ihrem Wesen, daß sie dann und wann etwas seltsames von sich blicken lassen, und man muß es mehr unter ihre Tugenden als Fehler rechnen, große und berühmte [227] Leute dürfen sich auch immer etwas mehr herausnehmen als andere, und ihre Fehler sind wie die Narben, die manche Gesichter mehr verschönern als verstellen. Unsre Zeiten sind nicht arm an Virtuosen, und unser Vaterland hat davon auch eine große Anzahl aufzuweisen. Viele davon kenne ich von Person, viele dem Namen nach, einige aus ihren Werken, einige sind mir auch ganz und gar unbekannt. Wenn sie freilich alle mit einem Stempel gezeichnet wären, wie die Geleitszeddel, so würde man es jedem ansehen, wer ein Virtuose ist, oder dafür will gehalten seyn. Ich könnte viele mit Namen nennen und sie dadurch in hiesiger Gegend bekannt machen, doch weil ich sie nicht alle kenne, so will ich, damit es keinem verdrüßt, alle, außer einem einzigen, auf den ich eine Lobrede halten soll, mit Stilleschweigen übergehen. Er heist Herr Händel, und soll, wenn anders den Zeitungen zu trauen ist, nicht mehr am Leben seyn. Ich habe ihn nie mit Augen gesehen, ob ich gleich in meinem Leben [228] viel Leute gesehen habe; aber seit einiger Zeit habe ich von ihm reden hören, er soll ein Gastmahl des großen Alexander Magnus so künstlich in Musik gesetzt haben, daß einen alsbald zu hungern anfängt, wenn man dieses Stück spielen hört. Man erzählet überhaupt von ihm, daß er durch die Harmonie der Saiten die Gemüthsneigungen der Menschen dergestalt hätte unterminiren können, daß jedermann nach seiner Pfeife habe tanzen müssen, und deswegen ist es ihm auch etwas leichtes gewesen, die Gunst der großen Herren zu erhalten. Er durfte nur das Clavier unter seine Finger und das Pedal unter seine Füße bekommen, so konnte er mit seinen Zuhörern machen, was er wollte, spielte er ein trauriges Stück, so klang dieses erbärmlich, daß jedermann anfing zu weinen, spielte er lustiges, so hüpften seine Zuhörer wieder wie die Aelstern, wollte er haben, daß sie sich sollten bei den Köpfen kriegen, so spiele er einen Marsch, und durch eine Aria war er im Stande sie wieder vollkommen zu besänftigen. Ob er [229] ein Freund von neuen Moden gewesen, läßt sich nicht gewiß bestimmen, weil er aber am Hofe gelebt hat, so scheint es, daß er sich auch eben nicht ein altfränkisches Ansehen gegeben. Obgleich einige vorgeben wollen, er wäre mit dem Zipperlein behaftet gewesen: so kommt mir dieses doch ganz unglaublich vor, weil ich noch nie einen Menschen gekennet habe, der davon einigen Anstoß erlitten, wenn er das Pedal fleißig getreten hat. Dieses mag für dismal genug seyn von diesem Ehrenmanne, der unter die ansehnlichen Mitglieder dieser Akademie gewiß würde seyn aufgenommen worden, wenn er nicht zu frühzeitig aus der Welt hätte wandern müssen. Aus dem angeführten ist unschwer zu ermessen, daß ein Musikus nichts kleines ist, sondern daß man ihn vielmehr als ein Wunder der Natur betrachten und in Ehren halten muß. Es ist zu bedauren, daß nicht alle Leute dieses erkennen, sonst würden sie nicht gegen einen Musikverständigen so stolz thun. Mancher, der nicht im Stande ist einen Braten am [230] Spiese herum zu wenden, bildet sich so viel ein, daß es Roth thäte, ein Heufuder wich ihm aus, und gleichwohl nehmen sich solche Leute immer am ersten die Freiheit, Virtuosen zu beurtheilen, sie auszulachen, uns über sie zu kritisiren. Es ist aber am besten gethan, wenn man sich von diesen Leuten nicht anfechten läßt, und dabei denkt wie Goldschmidts Junge. Das Reden kann man den Leuten nicht verwehren, auch der geringste Holzhacker redet oftmals nach seinem Holzhackerverstande, von den wichtigsten Staatsaffairen, dem ungeachtet verliehren diese dadurch nichts von ihrer Wichtigkeit.


* * *


Die Alterthümer in und um Dürrenstein aufgesucht und beschrieben, von Valentin Striegeln, Schulmeister daselbst.


Das Alter soll man ehren, dieses ist, hochansehnliche Versammlung, wie ihnen [231] wohl wird bekannt seyn, eine alte Regel und auch eine löbliche und herrliche Gewohnheit, die aber, leider, nicht allezeit beobachtet, sondern vielmehr von der muthwilligen Jugend aus den Augen gesetzt und verachtet wird. Leute die es besser verstehen, haben diese Vorschrift beständig vor Augen, sie ehren nicht nur die Alten, sondern auch alles was alt ist, oder doch von den lieben Alten herstammt. Meine selige Großmutter hatte noch eine Patrontasche aus dem dreißigjährigen Kriege, die ein Soldat, der bei ihr im Quartier gelegen, vergessen hatte, diese hielt sie in solchen Ehren, daß sie keinem andern Behältniß als dieser ihr altes Geld anvertrauen wollte, und in der Erbschaft ist darüber ein solcher Streit entstanden, daß der Proceß viele Jahre gedauert hat, nachdem aber Richter und Advocaten sich in das alte Geld, das in solcher gewesen, ganz friedlich getheilet, ist die leere Patrontasche bei der Familie geblieben, wie denn solche noch bei mir als eine Seltenheit zu sehen ist. Das Alter ist klüger als die [232] Jugend, es ist ehrwürdiger, ja es ist überhaupt vollkommener, als das, was noch jung ist, oder doch noch nicht lange gedauret hat, aus dieser Ursache muß es also billig höher geschätzt werden, als die Jugend. Man siehet unter andern dieses auch an dem alten Gelde, solches stehet in viel größerm Werth als das neue; der alte Wein wird jederzeit dem jungen vorgezogen; die alte Liebe rostet nicht, nach dem bekannten Sprichworte, das ist, sie verlöscht niemals ganz und gar, sondern glimmet immer fort wie das Feuer unter der Asche. Weil nun das Alter so ehrwürdig ist, so darf es niemanden verdacht werden, wenn man diejenigen Dinge, welche alt sind, und von unsern Vorfahren herstammen, besonders hochschätzt, sie oft betrachtet, und ihr Andenken zu erhalten suchet. Da nun das hochadliche Gerichtsdorf Dürrenstein, einen besondern reichen Schatz von alten Ueberbleibseln und merkwürdigen Dingen aufzuweisen hat: so habe ich mir keine Mühe verdrüßen lassen, von allen diesen Dingen genaue Erkundigung [233] einzuziehen, um mich um diesen Ort, wo ich gebohren bin, und woselbst meine Vorfahren, seit der allgemeinen Völkerwanderung, gewohnet haben, einiger maßen verdient zu machen.


Billig sollte ich meine Untersuchung von der Kirche anfangen, da aber diese bei Menschengedenken, durch eine Feuersbrunst ist verzehret worden, und noch bis jetzo keine neue hat können erbauet werden, so ist von derselben nichts merkwürdiges übrig ge blieben, das unter die Antiquitäten könnte gezählet werden, als das Kirchenbuch, welches, dem äusserlichen Ansehen nach, sehr alt ist, doch läßt sich das Jahr, in welchem solches in die Kirche ist gebracht worden, nicht bestimmen, denn die ersten Blätter sind herausgerissen, und die darauf folgenden sind, weil meine Vorfahren die Herren Schulmeister, vermuthlich oft zum Zeitvertreibe darinne studiret haben, dergestalt makuliret, daß man nur mit großer Mühe ein und das andere Wort noch lesen kann. [234] Uebrigens siehet man daraus, daß Kargfeld schon ehemals gelehrte Schulmeister gehabt; denn einer, der ungefehr vor hundert und mehr Jahren mag gelebt haben, hat alles, was sich in dem Dorfe merkwürdiges begeben, nicht nur fleißig eingetragen, sondern auch gelehrte Anmerkungen, Randglößlein und Verse hinzugesetzt, wie aus folgenden Beispiel zu ersehen. Den 20. Nov. das Jahr ist nicht hinzugefügt, wurde der grobe Flegel, Steffen der Schmidt, mit einer Leichenpredigt beerdiget. Hierbei sind folgende Verse am Rande zu lesen:


Hier liegt der Schmidt zu meiner Freud,
In dieser kleinen Grube.
Macht mir so manches Herzeleid,
Der arge böse Bube.
Thät einst mit einem eisern Stab
Viel Streiche auf mich führen.
Nun da er lieget in den Grab
Kann er kein Glied mehr rühren.

[235] Ein anders. Den 12 August ließ Hanns Höniger, sonst vermuthlich Waldesel genannt, sein Söhnlein Hännsgen taufen, hatte ein loses Maul, daß ich dem großen Herrn die Kirche nicht gleich eröffnet, wie er es haben wollen. Am Rande ist folgendes Glößlein zu lesen. Damit nicht jemand denkt, ich hätte diesem Manne obigen Namen aus Feindschaft aufgebürdet, so will ich beweisen, daß seine Vorfahren so geheißen haben. Sein Vater ist Thorschreiber gewesen, sein Großvater ein Advocat, sein Urgroßvater ein Arzt, er stammt also aus einer gelehrten Familie. Da es nun sonst gebräuchlich gewesen, daß diese sich lateinische Namen gegeben, so haben es die Vorfahren dieses Mannes vermuthlich auch so gemacht, sie hießen Waldesel und nennten sich lateinisch Onager, welches in der geschwinden Aussprache onger gleichsam oniger geklungen hat, hierzu ist mit der Zeit noch ein H gesetzt, und das o Wohlklangshalber, in ö verwandelt worden, da habt ihr Höniger aus Onager ohne Schwürigkeit. [236] Ich wende mich von diesem Buche zur Schulwohnung, welche nicht mit abgebrannt, und das älteste Haus im Dorfe ist, so voller Antiquitäten steckt daß das ganze Gebäude als ein Ueberbleibsel aus dem Alterthum angesehen werden kann, besonders da seit Menschengedenken nichts daran ist gebauet und gebessert worden, daß zu besorgen ist, es werde einmal unversehens über Haufen fallen, und die Hoffnungsvolle liebe Schuljugend, nebst allen übrigen Menschen und Vieh, so darinne sind, lebendig begraben. In diesem Schulhause ist noch bei Lebzeiten meines Vaters eine gebrochene Thür gewesen, welche die Eigenschaft an sich gehabt, daß sich an solcher eine Art von Gespenstern frühe am Neujahrstage, wenn zum erstenmal in die Kirche geläutet worden, in Gestalt der Personen, welche das Jahr über gestorben sind, haben blicken lassen, welche über die untere Hälfte der Thür hinein in das Haus gesehen haben, und alsbald darauf verschwunden sind. Hieraus haben die Schulmeister sogleich, einen [237] Ueberschlag machen können, ob das Jahr fett oder mager an Accidenzien seyn werde. Doch seitdem diese Thür Anno Neune durch einen gewaltigen Sturmwind eingeworfen worden, und eine neue an deren Stelle kommen ist, will sich heut zu Tage Niemand mehr daran sehen lassen. An dem alten Kirchthurm soll ein Schallloch gewesen seyn, wo man, wenn man den Kopf hindurch gesteckt, alles hören können, was im ganzen Dorfe ist gesprochen worden, wenn die Leute auch gleich heimlich mit einander geredet haben, aber dieses Schallloch ist eben so wohl als der Thurm mit verbrannt. Der Wetterhahn auf den Thurme ist so künstlich zugerichtet gewesen, daß er allezeit gekrähet hat, wenn der Schulmeister oder Schulze habe sterben wollen, oder wenn ein andres großes Unglück den Ort bevorgestanden hat. In der Nacht vorher, ehe das Feuer ausgebrochen, hat er auch dreimal laut gekrähet, daß er von vielen Leuten ist gehöret worden. Vor dem Dorfe auf dem Wege nach Kargfeld, rechter Hand [238] stehen drei steinerne Kreuze, und man ist nicht einig, was sie eigentlich bedeuten sollen, einige sagen, es wäre im dreißigjährigen Kriege eine Schlacht bei Dürrenstein gehalten werden, in welcher drei große Generals geblieben, die an dem Orte wo die Creuze stünden, wären beerdiget worden, andere sagen, diese Creuze wären in einer Nacht einmal aus der Erde gewachsen, wie die Schwämme, worauf der dreißigjährige Krieg alsdenn entstanden wäre. Einige schreiben denenselben allerlei Kräfte zu. Wer zu dreimal dreienmalen um solche herumlaufen kann, und zwar in einem Othen, der soll einen großen Schatz heben, der, wie man sagt, darunter verbogen liegt. Wer zornig ist und über den größten von diesen Steinen zwölf mal wegspringt, dem soll die Bosheit vergehen, etliche Innwohner probiren dieses auch mit ihren bösen Frauen, und nöthigen sie darüber zu springen, so oft sie vorbei gehen, wovon sie unvergleichlich fromm werden sollen. Zwischen Dürenstein und Schönthal auf halben Wege stehet [239] der sogenannte Wunderbaum, welcher von einem unglücklichen Prinzen, der seine Liebste, die eine verwünschte Prinzeßin gewesen, hier wieder angetroffen hat, und zum Andenken von ihm hieher soll seyn gepflanzet worden. Die Rede gehet, daß er, anstatt der Birnen, einmal Aepfel tragen würde, und alsdenn würden die Weiber in der ganzen Welt einen gräßlichen Aufstand erregen, um sich die Männer unterthänig zu machen. Bei diesem Baume würde eine große Schlacht gehalten werden, und obgleich die Weiber unterliegen würden, so sollten sie doch die Herrschaft erhalten. Einige sagen, die Prophezeihung wäre schon erfüllt, andere, sonderlich Weiber, hoffen noch darauf, und meinen, die Prophezeihung müßte nun bald eintreffen, weil der Baum, wegen großen Alters, nicht lange mehr stehen könnte. Baldrion, der Wagner hat eine seltsame Antiquität in seinem Hause, die er vorzeigt, wenn man ihm ein gut Wort giebt oder etwas zum Brandeweine spendiret. Es ist solches ein Nagel, womit sein Großvater [240] die Pest, welche damals in sichtbarer Gestalt als ein blauer Dunst im Dorfe herumgegangen, in einer Kammer seines Hauses in einen kleinen Spalt eingenagelt hat, daß sie nicht wieder herauskann. Der Nagel steckt noch in der Wand, und habe ich solchen oftmals gesehen. Desgleichen wird in der Gemeinenlade noch ein Pfefferkuchen gewiesen, der von dem Mehle gebacken ist, dergleichen es vorzeiten einmal hier geregnet hat. Da sich auch einen als sehr viele Wölfe in hiesiger Gegend haben sehen lassen, welche in den Schäfereien großen Schaden gethan, sonderlich auch den jungen Mädchens nachgeschlichen, solche geherzt und gedrückt, aber ihnen sonst kein Leid zugefüget: so hat ein Mädchen aus unserm Dorfe einem solchen Wolfe einsmals ein Ohr abgeschnitten, welches sich hernach in ein Menschenohr verwandelt hat, wie diese Geschichte in der Gemeindestube abgemahlt noch auf den heutigen Tag zu sehen ist. Eben daselbst in der Gemeinenlade finden sich auch einige Steine, mit welchen der Kobold, [241] der in dem Gemeinde-Brauhause seine Wohnung vor Zeiten aufgeschlagen gehabt, nach den vorübergehenden Leuten geworfen, auch den dasigen Schulmeister, welcher mit Segensprechen ihn hat vertreiben wollen, eine solche Kopfnuß versetzet, daß er in einem Backtroge hat müssen nach Hause getragen werden. Auch könnte man mit unter die Alterthümer zählen den üblen Geruch, der in der großen Stube in Peter Langhansens Hause anzutreffen ist. Die Ursache davon ist diese: es waren einmal in dieser Stube in der Osternacht ein Haufen junger Leute, die früh morgens wollten die Sonne tanzen sehen. Um Mitternacht kam der Böse mit seinem Pferdefuße und langen Schwanze unter sie getreten, und fragte, was sie da machten, als sie sich nun fürchteten, und über diesen häßlichen Anblick sich kreuzigten und segneten, ist er zwar bald wieder verschwunden, hat aber einen solchen Gestank hinterlassen, der noch immer nicht aus der Stube kann vertrieben werden, ob man schon mehr als [242] einen Malter Wacholdern darüber verräuchert hat. Die Reisenden und Antiquarii pflegen sich aus Curiosität allezeit dahin zu verfügen, um von der Gewißheit dieser Sache Erkundigung einzuziehen, und bezeugen einmüthig, daß sich alles in der That so befinde, und diese Historie keinesweges unter die Mährgen gehöret. Wenn ich weitläuftig seyn wollte, so könnte ich nun zu den lebendigen Antiquitäten schreiten, und die alten Greiße beiderlei Geschlechts, welche in unserm Orte ziemlich zahlreich anzutreffen sind, nach einander beschreiben. Weil dieses aber auch zu einer andern Zeit geschehen kann, so will ich es jetzo unterlassen, und nur überhaupt anmerken, daß manche große Stadt nicht so viele alte Leute aufzuweisen hat, als unser Dorf. Deswegen stehet auch eine ehrbare Gemeinde in dem Rufe der Klugheit, wie denn andere Oerter, die grösser und ansehnlicher sind, wenn schwere und wichtige Händel vorfallen, bei uns sich Raths zu erholen pflegen. Auch verstehen sich unsere[243] Leute meisterlich aufs Wetter, weil wir so viel hundertjährige Calender aufzuweisen haben. Unser Dürrenstein hat seit undenklichen Jahren, in Ansehung der Gerichtsbarkeit, zu der Familie unsers gestrengen Junkers des Herrn von N. gehört, und sich dabei ziemlich wohl befunden. Wir wünschen dahero nichts mehr, als eine rechtmäßige Vermehrung und Fortpflanzung dieser adlichen Familie, von welcher unser gestrenger Junker der letzte Zweig ist. Deswegen wünschen wir ihm nicht nur eine junge Gemahlin, sondern hoffen auch, bei unsern Lebzeiten in diesem ehelichen Lustgarten so viele Sprößlein zu erblicken, als unser Dorf Alterthümer aufzuweisen hat.

19. Brief
XIX. Brief.
Herr Lampert Wilibald an den Pastor Loci.

Vom Hause, den 8 Dec.


[244] Hochgeehrtester Herr Pastor,


Es ist eine Sache von äußerster Wichtigkeit, die mich nöthiget, die Feder zu ergreifen, und Ihnen das schriftlich zu entdecken, was meine Bescheidenheit mündlich zu thun verbiethet. Der Buchstabe wird nicht schamroth, nach dem Ausdrucke des Fürstens der Redner und Briefsteller aus dem Alterthume, ich aber würde es werden, wenn ich Ihnen das mündlich, sagen sollte, was Sie schon lange wissen. Die verborgene Flamme, welche bisher nur unter der Asche geglimmet, und die Sie selbst weislich unterhalten haben, fängt nun an lichterloh zu brennen, und da ich in Gefahr stehe, davon verzehret zu werden, so rufe ich Sie um Hülfe an; denn Sie alleine sind im Stande, mich von dem Untergang zu befreien, der mich zu bedrohen scheinet. Ihnen ist die Neigung, die ich jederzeit gegen Dero wohlgezogene Jungfer Tochter gespühret habe, zur Gnüge bekannt. Es ist Ihnen nicht [245] unangenehm gewesen, wenn ich Ihnen verblümt habe zu verstehen gegeben, daß ich wünschte in Ihnen einen Papa zu verehren. Jetzt ist es einmal Zeit, daß ich dieses Geständniß, daß ich Jungfer Hannchen liebe, und keine andere, als sie, jemals für meine Gattin erkennen werde, mit klaren dürren Worten thue, die keiner Verdrehung unterworfen sind. Ich würde mit dieser Erklärung noch eine Zeitlang hinter dem Berge gehalten haben, wenn eine gewisse Figur eines Rechtsgelehrten, der immer um die Pfarre herum schwärmet, mir nicht einige Unruhe machte, daß ich mich also genöthiget sehe, Ihnen diese cathegorische Erklärung zu thun, daß ich Ihre Jungfer Tochter liebe, und mir hierauf eine cathegorische Antwort ausbitte. Ich sage Ihnen nichts neues, ehemals, da Jungfer Hannchen noch bey mir in die Schule ging, unterredeten wir uns bereits davon. Sie nahmen meinen Antrag zwar nur als einen Scherz an, und dachten nicht, daß ich als ein Philosoph in die Zukunft [246] einen Blick werfen, und darinne mein Schicksal lesen könnte. Ich wendete allen möglichen Fleis bei diesem schönen Kinde an, um ihr die Grundsätze, welche man von einer tugendhaften Frau verlanget, wohl einzuprägen, damit ich dereinst durch ihren Besitz mich für den glücklichsten Mann auf der Erden schätzen könnte. Aus dieser Ursache wollte ich auch nie einiges Lehrgeld von Ihnen annehmen, weil ich mir feste vorgenommen hatte, diese Rahel Ihnen selbst abzuverdienen. Da Jungfer Hannchen die Jahre erreicht hatte, die sie meinem Unterrichte entzogen, unterließ ich nicht, meine Dienstleistungen gegen Sie zu verdoppeln. Wenn Ihre podagrischen Zufälle Sie abhielten, Ihr Amt zu verrichten: so war ich immer bereit, Sie zu unterstützen, und seitdem Sie diese Bereitwilligkeit bei mir bemerkten, wurden Sie das Podagra fast niemals los. Endlich glaubte ich berechtiget zu seyn, mir wenigstens einige Hoffnung für meine Bemühungen machen zu dürfen, und nahm mir [247] die Freiheit, Ihnen den Vorschlag zu thun, mich bey Ihrem herannahenden Alter zu Ihrem Amtsgehülfen annehmen zu lassen. Weil Sie mir aber sagten, daß es damit noch Zeit hätte, und daß Ihnen der bloße Name eines Substituten unerträglicher ins Gehör fiele, als der ärgste Fluch, weil Sie eine solche Antipathie gegen diese Art Leute bey sich verspürten, daß Sie allezeit einen podagrischen Anfall bekämen, wenn sich einer von dieser Gattung Leute vor Ihnen blicken ließ; so gedachte ich von diesem Vorhaben gegen Sie weiter nichts, und begnügte mich an Ihrer bloßen Freundschaft und an dem Zutritte, den Sie mir in Ihr Haus verstatteten. Seitdem aber mein Principal auf meine geschehene Vorstellung gut befunden, so wohl an seiner Person als auch in seinem Hause verschiedene Veränderungen vorzunehmen, so haben Sie diese für lauter Ketzereien gehalten, und ein besonderes mürrisches Betragen gegen mich beobachtet, daß ich glaube, wenn Sie ein Ketzerlexicon schrieben, so würde ich [248] darinnen gewiß einen Platz bekommen. Doch weil ich Ihren wunderlichen Sinn mehr dem Alter als einem Hasse gegen meine Person beymaß, so ertrug ich alles mit einer mehr als stoischen Gelassenheit, denn Sie gaben mir doch dann und wann wieder einen freundlichen Blick, wenn ich Ihnen Ihr Amt erleichtern half. Unterdessen habe ich seit einiger Zeit wahrgenommen, daß Jungfer Hannschen, wenn ich Sie besuche, so bald Sie ihr nur einen Wink mit den Augen geben, sich aus der Gesellschaft schleicht, oder wenn sie auch da bleibt, so präsentiret sie mir nicht mehr einen Fidibus, zum Zeichen, daß ich die Erlaubniß habe, in ihrer Gegenwart eine Pfeife Toback anzustecken; ja was das meiste, so hat sie seit einiger Zeit die Gewohnheit, unter meinen Predigten einzuschlafen, oder gar nicht in die Kirche zu kommen. Sie will auch keinen Spaß mehr von mir vertragen, und meine lustigen Einfälle, die ich dann und wann habe, wenn ich auf guter Laune bin, werden von ihr nicht mehr belacht, oder [249] wenn sie ihnen den Beifall nicht versagen kann, so nimmt sie eine so gezwungene lächelnde Mine an, daß ich daraus deutlich abnehmen kann, daß ihre Gesinnungen gegen mich die sind, die sie ehmals waren. Aus allen diesen Umständen kann ich für mich eben nichts vortheilhaftes schließen, und diese Dinge befremden mich um so mehr, je weniger ich mir etwas vorzuwerfen habe, dadurch ich eine Kaltsinnigkeit verdienet hätte. Da Sie mir nun niemals verbothen haben, Ihre Jungfer Tochter zu lieben, so mache ich daraus den sichern Schluß, daß ich hierzu Ihre Einwilligung erhalten habe, denn qui tacet, consentire videtur, ja Sie haben mich einmal öffentlich auf dem Schlosse allhier, da Sie den Wein mit ausproben halfen, den die fremden Truppen bei ihrer Retirade im Stiche gelassen, mit dem Namen eines Sohnes beehret. Sie werden sich noch zu erinnern belieben, daß Sie einmal sagten: Herr Sohn, wir thun des guten zu viel, ein andermal ein mehreres; ich habe zur Gnüge, lieber [250] Herr Sohn. Solche günstige Adspecten, verliehre ich nicht gern aus dem Gesichte, und trug dahero dieses schmeichelhafte Compliment sogleich in mein Diarium ein. Nun hoffe ich zwar nicht, daß Sie Ihre Neigung von mir abgewendet haben, allein da mir seit einiger Zeit eines und das andere zu Ohren kommen ist, daß ich mich weder in Sie noch Dero Jungfer Tochter zu finden weiß; so habe ich nöthig gefunden alles, was in dieser Sache unter uns vorgegangen, durch eine kurze Wiederholung Ihnen wieder ins Gedächtnis zu bringen, damit, wenn mißgünstige Leute Sie bereden wollten, auf die Hinterbeine zu treten, wie man zu sagen pflegt, Sie sich eines bessern besinnen, und mir Ihr Wort halten, widrigenfalls würden Sie einen schweren und langwierigen Proceß mit mir bekommen, welchem Sie doch grämer sind als einem Substituten. Aus dieser Absicht, und damit ich weiß, wie ich meine Maaßregeln einzurichten habe, will ich hierdurch in optima forma um Ihre Jungfer [251] Tochter nochmals anhalten, und versehe mich bald einer schriftlichen oder mündlichen Antwort, die, wie ich hoffe, mein Gemüth, das durch allerlei Gerüchte aus dem Gleichgewichte ist gebracht worden, wiederum beruhigen werde. Ich thue Ihnen zugleich nochmals den Vorschlag, mich zu Ihren Amtsgehülfen anzunehmen, und damit Sie sehen, daß mich nicht der Eigennutz hierzu antreibt, so will ich hiermit Verzicht auf alle Pfarreinkünfte thun, so lange Sie am Leben sind, welches der Himmel noch lange bewahren wolle. Mein Principal ist entschlossen, mir die Function, worinnen ich gegenwärtig stehe, zu lassen, folglich kann ich mich wohl ernähren. Hannchen wird als meine Frau Ihnen nicht einen Heller mehr Aufwand machen, als jetzo, da sie Ihre Jungfer Tochter ist, sie bleibet an Ihrem Brode und führet Ihr Hauswesen. Wegen der zu hoffenden Posterität dürfen Sie sich keine Sorge machen, ehe es so weit kommt, kann sich vieles ändern, findet sich indessen das Häsgen, so findet [252] sich auch das Gräsgen. Ich getraue mir übrigens die Pflichten eines Amtsgehülfen von Ihnen, eines Haushofmeisters und eines Hausvaters ganz commod, und ohne daß eine der andern Eintrag thut, zu erfüllen. Daß die von den beyden ersten Gattungen sich wohl mit einander vereinigen lassen, davon habe ich Ihnen schon gnug Beweise gegeben, und mit der letztern hat es ohnedem keine Schwürigkeit. Machen Sie mich durch eine Antwort nach meinem Wunsche so vergnügt, als ich Ihre Jungfer Tochter für die übrige Zeit ihres Lebens vergnügt zu machen gedenke, und geben Sie mir die Erlaubniß, daß ich mich in der That nennen darf


Ihren

gehorsamen Sohn M.L.W.

20. Brief
[253] XX. Brief.
Herr Wendelin der Aeltere an Herrn L. Wilibald M.

Vom Hause den 8 Dec.


Als einsmals der große Alexander mit dem Darius, Könige in Persien, Krieg führte, schickte der letztere dem ersten einen Beutel mit Mohnsaamen, und ließ ihm sagen: Siehe, so viel streitbare Männer kann ich gegen dich ins Feld führen, als du hier Mohnkörnlein vor dir siehst. Alexander nahm eine Handvoll in den Mund, und indem er sie verzehrte, sagte er: Die Anzahl ist groß, aber die Kraft ist geringe. Hierauf schickte er dem Darius einen Beutel voll Pfefferkörner zur Vergeltung seines Geschenkes, und ließ ihm sagen: Versuche diese, die Anzahl ist geringe, aber die Kraft ist desto größer. Sie kommen mir vor, wie der Darius, Sie schütten einen ganzen Sack [254] voll Dienstleistungen und Gefälligkeiten vor mir aus, die Sie mir wollen erwiesen haben. Ich kann nicht in Abrede seyn, daß nach Ihrer Rechnung eine große Anzahl herauskommt, doch die Erheblichkeit davon ist nicht größer als die Kraft des Mohnsaamens. Wenn ich mit Ihnen eine Abrechnung halten wollte, so könnte ich die Gefälligkeiten, die ich Ihnen erwiesen habe, von vielen Jahren her erzählen, und Ihren kleinen Dienstleistungen, die Sie mir wollen erwiesen haben, entgegen stellen. Sind jene an der Zahl nicht so groß, so sind sie es in Ansehung der Wichtigkeit, daß ich sie wohl mit den Pfefferkörnern des Alexanders vergleichen kann. Legen Sie einige Proben meiner Gewogenheit auf die Zunge einer gesunden Prüfung, um ihnen einen Geschmack abzugewinnen, so werden Sie finden, daß sie kräftiger und vortrefflicher sind, als alle Ihre kleinen Bemühungen für mich, die Sie größtentheils freiwillig übernommen haben, und dafür ich Ihnen nur aus Höflichkeit bin verbunden gewesen. [255] Ich sehe dahero gar nicht ein, aus was für einem Grunde Sie eine Belohnung verlangen, wie der Erzvater Jacob; Sie haben mir meine Rahel noch lange nicht abverdienet und werden sie auch ihr Tage nicht verdienen. Nehmen Sie nicht übel, daß ich dieses rund heraus sage, ich bin nicht fähig mich zu verstellen, ich rede so wie ich es meine. Zwar kann ich nicht umhin, die christliche Absicht die Sie gegen meine Tochter hegen, mit Danke zu erkennen, und ich wollte wünschen, daß ich mich im Stande sähe, Ihnen zu willfahren; allein da Sie jetzt noch keine Versorgung haben, denn was Ihren Vorschlag betrifft, sich mir substituiren zu lassen, so heißt es damit, wie gebethen, abgeschlagen; da auch über dieses meine Tochter zu Ihnen keine besondere Neigung spühret, ob sie Sie gleich übrigens in Ihren Würden läßt; hiernächst sehr gefährlich scheinet, wenn ich einem Menschen mein Kind anvertrauen wollte, der die gefährlichsten und irrigsten Grundsätze heget, wodurch ein schwaches [256] Werkzeug leichtlich kann verführet werden: so können Sie leicht selbst den Schluß machen, daß wir wohl nie genauer werden vereiniget werden, als durch das Band der Freundschaft, wenn dieses noch bey Ihren Grundsätzen länger bestehen kann. Mein unmaßgeblicher Rath wäre also dieser, sie sähen sich nach einer andern Parthie um, oder verbanneten noch so lange die Heirathsgedanken aus Ihrem Gemuthe, bis Sie eine Frau ernähren könnten.


Einigermaßen finde ich mich von Ihnen beleidiget, daß Sie mir meine Tochter abdringen wollen, wenn Sie mir unter die Augen sagen, daß Sie bereits meinen väterlichen Consens, sie zu heirathen, stillschweigend erhalten hätten. Sie mißdeuten ein unschuldiges Wort, das Sie einmal von mir aufgefangen haben, und ziehen daraus einen höchstirrigen Schluß. Ich will nicht in Abrede seyn, daß ich Ihnen einmal den Namen eines Sohnes beigelegt habe, wiewohl ich mich [257] dessen nicht erinnere: Ich habe es aber nicht in der Absicht gethan, wie Sie sich einbilden. Habe ich Sie so genennet, so ist dieses in Ansehung meines Alters geschehen, das mich berechtiget, Sie, der Sie jünger sind als ich, eher einen Sohn als Bruder zu nennen, und dadurch habe ich Ihnen nur meine Freundschaft bezeigen wollen. Damit Sie sehen, daß aus diesem Worte gar nichts zu machen ist, so will ich Ihnen nur das rechte Verständniß eröffnen. Wenn ich Sie meinen Sohn nenne, so betrachte ich Sie allezeit als meinen Beichtsohn, und in diesem Verstande nenne ich auch den Schäfer und den Nachtwächter meinen Sohn. Gesetzt, aber nicht zugegeben, daß ich einmal nicht abgeneigt gewesen wäre, Sie zu meinem Eidam anzunehmen, so waren Sie damals noch nicht von dem schädlichen und gefährlichen Gifte der Irrthümer, die Sie jetzt öffentlich verteidigen, angesteckt, wenigstens brauchten Sie mehrere Vorsichtigkeit, Ihre gefährlichen Meinungen zu verbergen. Weil ich Ihnen [258] nichts böses zutraute, so verstattete ich Ihnen dann und wann, zu Ihrer eignen Uebung eine Predigt abzulegen, und diese Gefälligkeit, die ich Ihnen hierinne erwies, rücken Sie mir nun mit Unrecht als eine große Dienstleistung auf. Wenn ich gewußt hätte, was in Ihrem Herzen verborgen war, so hätte ich Sie niemals die Canzel betreten lassen, noch vielweniger würde ich die theuren Pfänder meiner Ehe Ihrem Unterrichte anvertrauet haben. Meinen Sohn haben Sie völlig verdorben, er disputirt mit mir oftmals von Dingen, die gar nicht in seinen Kram gehören, und wenn ich ihn frage, wo er die verdammten ketzerischen Argumente her hat, die er mir vorleget, so giebt er zwar vor, daß er diese schönen Sächelgen auf der Universität gelernet habe: aber ich weiß es besser, von Ihnen kommt dieser Unrath. Unsere Universitäten sind, Gott Lob, noch nicht so verderbt, wie es ehemals die hohe Schule zu Paris war, wo der Satan in eigener Person soll gelehret haben. Wenigstens kann ich mir nicht einbilden, daß [259] heutiges Tages solche Dinge auf hohen Schulen gelehret werden, wie Ihnen im Kopfe stecken. Halten Sie mir diesen Eifer zu gute, es ist ein gerechter Amtseifer. Meinem Mädchen haben Sie auch, wie ich jetzt inne werde, verschiedene seltsame Dinge in den Kopf gesetzt, daß ich das Unkraut, das Sie gesäet haben, nun mit vieler Mühe wieder ausrotten muß. Sie hat sich noch niemals unterstanden sich mir zu opponiren, aber jetzt thut sie es auch wie ihr Bruder. Da ich neulich das gottlose Buch, wodurch unser Herr Kirchpatron eben so wie Sie in viele gefährliche Irrthümer ist gestürzet worden, bei ihr gewahr wurde und mit Recht vermuthete, daß sie leichtlich mit dem pestilenzialischen Gifte der Neuerungen und Thorheiten, wozu dieses Buch verführet, könnte angestecket werden, so wollte ich ihr solches nehmen und in den Ofen schmeißen. Sie unterstund sich aber, nicht nur mich davon abzuhalten und sich meinem Vorhaben zu widersetzen, sondern hatte auch die Verwegenheit, die Lehrsätze [260] und den Innhalt desselben zu vertheidigen, ja mir sogar zuzumuthen, ich sollte die Skarteque, die so vieles Unglück in hiesigem Orte und besonders auf dem Edelhofe angerichtet hat, selbst lesen. Ich bezeigte ihr aber über diese Zumuthung einen solchen Eifer und erklärte ihr das vierte Gebot so scharf, daß sie sich seitdem nicht unterstanden hat, wieder einen Blick in das leichtfertige Buch zu thun. Urtheilen Sie hieraus selbst, ob ich Ihnen so großen Dank schuldig bin als Sie glauben, und ob Sie eine solche Belohnung, welche Sie von mir verlangen, verdienet haben oder jemals verdienen können. Meine Kinder haben Sie mit Irrthümern angefüllet, und ich bin froh, daß ich zu rechter Zeit hinter Ihre Schliche gekommen bin, damit Sie nicht noch die ganze Gemeinde verführen. Nach Ihrem bisherigen Betragen, wenn Sie auch entschlossen wären Ihre Aufführung zu ändern, werde ich Ihnen nie auf eine andere Art den Namen eines Sohnes ertheilen können, als wie Sie ihn bereits erhalten haben. [261] Meine Tochter ist nicht für Sie und Sie nicht für meine Tochter, ich wiederhole dieses nochmals. Mit dieser Antwort beruhigen Sie Sich, ohne weiter in mich zu dringen, ich sage es Ihnen zum Voraus, daß alle Ihre weitern Bemühungen werden, fruchtloß seyn. Gedenken Sie indessen eine Anforderung an mich zu haben, die gerecht und billig ist, so kommen Sie zu mir, wir wollen unsere Rechnungen gegen einander machen und zusehen, wer dem andern herausgeben muß.


Weil ich doch einmal die Feder ergriffen habe, so will ich dieser Gelegenheit mich bedienen, Ihnen im Vertrauen zu entdecken, daß Sie Sich und Ihrem Patron keine Ehre durch die Neuerungen machen, die Sie seit einiger Zeit hier angefangen haben. Sie dienen jedermann zum Gelächter, und die Leute weisen mit Fingern auf Sie. Neulich kamen ein paar Reisende zu mir, die mit Fleiß durch hiesigen Ort ihren Weg genommen hatten, um, wie sie sagten, den seltsamen Magister [262] zu sehen, der sich durch allerlei lächerliche Possen so hervor thäte, daß man von ihm in der ganzen Gegend spräche. Ein guter Freund von mir, der sich auf der Akademie aufhält, wo sie promoviret haben, berichtete mir neulich, daß die philosophische Facultät Ihnen den Gradum nebst dem Magisterringe, den Sie mit so vielen Stolze am Finger führen, wieder abzufordern im Begriff wäre. Ich kann Ihnen nicht verhalten, daß Sie diese Beschimpfung wohl verdienten. Gewissenswegen rufe ich Ihnen zu: Lassen Sie ab von den Neuerungen, die nur Schaden anrichten und unsere Gemeinde verwirren. Sie haben bisher viel böse Thaten ausgeführt: unsern Kirchthurm haben Sie um eine Glocke gebracht; den Schulmeister bei Ihrem Patron so eingeschwärzt, daß der arme Mann bald einmal Prügel bekommen hätte, welches er mir mit Thränen geklagt. Der Gemeinde haben Sie viele neue Fröhnen aufgebürdet, der Bader hat Ihretwegen ins Loch kriechen sollen, [263] jetzt martern Sie die armen Schuldiener in der Nachbarschaft, daß sie wöchentlich einen beschwerlichen Weg thun müssen, dabei bilden Sie ihnen wunderliche Dinge und einen seltsamen Stolz ein, daß sie sich gegen ihre Pfarrherren auflehnen und nicht mehr Gehorsam leisten wollen. Mit einem Worte, Sie fangen so viel Unheil an, und ich muß täglich so viel Klagen über Sie hören, daß, wenn dem Unwesen nicht bald gesteuret wird, der gänzliche Ruin unsrer Gemeinde dadurch zu befürchten stehet. Ich will zwar von Ihnen nach der christlichen Liebe das beste hoffen, und zweifle noch nicht an Ihrer Besserung; aber ich kann nicht umhin, Ihnen die Gedanken zu eröffnen, worinne ich stehe, daß Sie vielleicht gar unter dem Scheine, einige unwissende Leute gelehrt zu machen, eine alte Ketzerei, wovon Sie, wie es scheinet, vollstecken, unter diesen einfältigen Leuten aufwärmen wollen. Ich warne Sie als ein guter Freund, von diesem bösen Vorhaben abzustehen, oder ich kann Ihnen nicht [264] gut dafür seyn, daß Sie sich durch solche gefährliche und weitaussehende Dinge viel Verdruß und Unheil zuziehen werden. Der ich übrigens, wenn Sie angeloben, sich zu bessern, verharre


Ihr

aufrichtiger Freund Wendelin P.L.

21. Brief
XXI. Brief.
L. Wilibald an Jungfer Hannchen.

den 10 Dec.


Meine Schöne,


Ob ich gleich noch nicht so glücklich bin, Sie zu besitzen, so nenne ich Sie doch, in guter Hoffnung, die meinige. Ich zweifle nicht, daß Sie für Ihren demüthigen Verehrer noch immer die Gewogenheit haben, die Sie jederzeit gegen mich haben spüren [265] lassen, wenn gleich ein grausames Schicksal, welches mich verfolgt, Sie mir zu entziehen drohet. Ich habe es Ihnen mehr als einmal zu verstehen gegeben, daß ich Sie allen möglichen und allen wirklichen Frauenzimmern auf der ganzen Welt vorziehe, und ob Sie gleich, nach Ihrer Schamhaftigkeit sich immer gestellet haben, als wenn Sie meine Sprache nicht verstünden: so bin ich doch jederzeit scharfsinnig gnug gewesen, einzusehen, daß Ihre liebenswürdige Unwissenheit, die Sie annahmen, nichts anders als eine Verstellung war. Wäre ich Ihnen mißfällig gewesen, so hätten Sie gewiß nicht Stand gehalten, wenn ich Ihnen unter dieser oder jener Einkleidung meine Neigung zu verstehen gab. Sowohl das Stilleschweigen Ihres Herrn Vaters als Ihr eigenes, gab mir zu verstehen, daß ich solches zu meinem Vortheil auszulegen hätte, ich habe dieses nach den Regeln einer gesunden Erklärungskunst gethan, und habe mich nicht getäuschet. Ich erwarte nur einen günstigen podagrischen Anfall [266] Ihres Herrn Vaters, der ihn, nach meiner Vermuthung, zu der Entschließung bringen würde, mich zu seinen Substituten und zu Ihrem ehelichen Gehülfen anzunehmen; allein da dieser gewünschte Zufall sich nicht nach Wunsche hat ereignen wollen, so scheint mein Unstern das Glück, welches ich in kurzer Zeit zu besitzen hoffte, mir aus den Händen winden zu wollen. Ich habe in Erfahrung gebracht, daß der Hochadliche Gerichtshalter zu Schönthal, nicht nur lange ein Auge auf Sie gehabt, sondern auch dieses ohnlängst Ihrem Herrn Vater zu verstehen gegeben hat. Im Anfang, da mir diese Nachricht zu Ohren kam, lachte ich nur darüber, ich sagte bei mir selbsten: von diesem habe ich nichts zu fürchten, Herr Wendelin ist ein verständiger Mann, und Jungfer Hannchen so klug als schöne, der gute Advocate wird alle seine Fechterstreiche vergebens anwenden, und als ein Jurist mir, der ich zur theologischen Facultät gehöre, den Vorzug lassen müssen. Diese Monade von einem Rechtsgelehrten schien [267] mir zu klein, daß ich mir seinetwegen den geringsten sorgsamen Gedanken hätte sollen einfallen lassen. Aber wider mein Vermuthen wurde ich gewahr, daß, seitdem er anfing bei Ihnen anzubauen, ich in Ihrem Hause nicht mehr so wohl als vorher gelitten war. Ich schob dieses zwar auf das wunderliche Alter Ihres Herrn Vaters und auf seinen übertriebenen Eifer, mit welchem er die guten Anstalten, welche ich seit einiger Zeit auf dem Edelhofe gemacht habe, anzutasten pfleget, endlich, dachte ich, wird die gute Sache doch siegen und den Herrn Pastor Wendelin überzeugen, daß man ein guter ehrlicher Mann, und dabey ein starker Zelot für das Vorurtheil seyn kann; doch da mir gesteckt wurde, daß die Kaltsinnigkeit aus einem andern Grunde herrührete: so dachte ich, hier liegt die Schlange im Grase, es ist Zeit, daß ich aufwache und mein Recht behaupte. Von Ihnen, schönes Hannchen, bin ich völlig überzeugt, daß Sie mir jetzt gewogener sind, als da Sie bei mir in die Schule giengen, und daß Sie die Treue, [268] die mir Ihre schönen Augen geschworen haben, nicht brechen, noch vielweniger als die Tochter eines Geistlichen diesen Stand so sehr verachten werden, daß Sie ihr Herz einen Mitgliede desselben entziehen und es an einen Rechtsgelehrten schenken sollten. Ich weiß aber, welchen gefährlichen Nachstellungen junge Frauenzimmer unterworfen sind, und wie leicht sie in ihren Entschließungen können wankend gemacht werden. Erlauben Sie dahero, daß ich Ihnen, da Sie doch lauter gelehrte Liebhaber haben, alle Gattungen derselben mit wenig Worten schildere, damit Sie hieraus beurtheilen können, welche Parthei Sie zu erwählen haben, und welcher Stand sich für Sie am besten schickt. Ich habe Ihnen mehr als einmal gesagt, da Sie noch meinem Unterrichte anvertrauet waren, daß es, nach den Sprichwort, verschiedene Arten von Krebsen giebt, und so ist es auch mit den Gelehrten, es giebt unter ihnen verschiedene Gattungen, welches Sie auch daher schlüßen können, wenn Sie nur einige [269] Gelehrte in ihren Verrichtungen gegen einander halten. Zum Exempel, Ihr Herr Vater ist ein Gelehrter und kann keine Processe vertragen, der Gerichtshalter ist ein Gelehrter und nährt sich von Processen, kann aber nicht predigen. Ich bin ein Gelehrter und kann nur, vermöge meiner Wissenschaft, den Verstand bessern, aber nicht die Gesundheit des Körpers, der Herr Doctor aus H. kann die Gesundheit des Körpers verbessern, aber nicht den Verstand, und ist doch gleichwohl auch ein Gelehrter. Sie sollen demnach wissen, daß es viererlei Gattungen von Gelehrten giebt, die vornehmsten sind die Theologen, oder die Geistlichen, gegen diese habe ich Ihnen jederzeit Hochachtung eingepräget. Sie geben auf Akademien oben an, wie denn auch auf dem Lande der Pfarrer der vornehmste Mann im Dorfe ist, wenn kein Edelmann oder ein Amtmann daselbst wohnet. Die Geistlichen sind weise, verständige, gelehrte Männer, die sich zu der Wissenschaft schicken, der sie sich widmen. Sie thun Niemand etwas [270] zuwider, sondern haben mit jedermann Friede und bücken sich vor dem ärmsten eben so tief als vor Reichen und Vornehmen. Gegen das Frauenzimmer sind sie selten unempfindlich, sie verehren das schöne Geschlecht vielmehr aufs äußerste. Wenn sie sich verheirathen, so haben ihre Gebietherinnen bei ihnen die beste Zeit, ob sie gleich allen Mannspersonen bei der Trauung die Erlaubniß geben, über ihre Weiber zu herrschen, so begeben sie sich dieses Vorrechtes gemeiniglich freiwillig, und beobachten gegen sie einen genauen Gehorsam. Daher kommt es, daß die Weiber der Geistlichen, weil es ihnen so wohl gehet, allezeit hübsch bleiben und niemals vor der Zeit alt werden. Die Ehen der Geistlichen sind auch ordentlich sehr gesegnet und dauren gemeiniglich lange. Ueberhaupt ist es eine allgemeine Anmerkung, daß man ein Frauenzimmer, das einen Geistlichen geheirathet hat, niemals hat klagen hören. Die Rechtsgelehrten sind von ganz anderm Schlage. Anstatt daß alle übrigen Wissenschaften [271] sich mit Aufsuchung der Wahrheit beschäftigen, so bemühen sich diese die Wahrheit zu unterdrucken, sie sind derselben so gram wie die Fischer den hellen und klaren Wassern, diese machen solche mit Fleiß trübe und jene suchen mit Fleiß die Wahrheit zu verstecken. Alle übrigen Wissenschaften beschäftigen sich ferner mit dem Besten der menschlichen Gesellschaft, um solche zu erhalten und zu befestigen; die Advocaten und Sachwalter lernen ihre Künste nur, um Zank und Streitigkeiten unter den Menschen anzuspinnen, oder die entstandenen Irrungen zu vermehren und zu vergrößern. Wenn die Menschen es mit einander abredeten, nur ein einziges Jahr in Ruh und Friede zu leben, so würde die ganze juristische Facultät noch vor Ablauf desselbigen durch den Hunger erloschen seyn, und man würde auf den Gassen nicht mehr mir so großer Behutsamkeit gehen müssen, um nicht Gefahr zu laufen, an einen Advocaten, Gerichtshalter, Sachwalter und dergleichen schädliche Leute anzustoßen. Ein Proceß [272] würde alsdenn nicht länger als eine Stunde dauren, da ihn jetzt die Rechtsgelehrten viele Jahre gangbar zu erhalten wissen. Weil diesen Leuten die Wahrheit so verhaßt ist, so darf man sich nicht wundern, wenn sie solche meiden und sich wohl hüten ein wahres Wort aus ihrem Munde gehen zu lassen, das nicht mit Unwahrheit wohl durchwürzt ist. Durch die lange Uebung werden sie wahrhafte Sceptici, die da zweifeln, ob etwas wahres in der Welt anzutreffen ist. Man kann ihren Worten folglich nicht trauen, sie sind wie der Alte in der Fabel, der in seine Hand blies, um sie zu erwärmen, und eben das that, um seine Suppe kalt zu machen, sie vertheidigen mit eben dem Munde heute eine Sache, die sie morgen aus allen Kräften bestreiten, was morgen Recht ist, muß heute Unrecht seyn, und was heute gleich ist, das ist morgen krumm. Das Frauenzimmer hat von diesen Leuten alles zu befürchten, weil sie eine Gabe haben, durch ihre Beredsamkeit die Wahrheit zu unterdrücken und die Unwahrheit auf ihren [273] Thron zu setzen, so ist es ihnen leicht, die Begriffe von Ehre und Tugend nach ihren Gutdünken einzurichten, folglich ist die Reputation eines Frauenzimmers allezeit in Gefahr, wenn sie einem Rechtsgelehrten anvertrauet wird. Ihre Treue und ihre Eidschwüre sind wie die Lufterscheinungen, die der geringste Wind verjaget. Sie lieben indessen das schöne Geschlecht, wie die Schmetterlinge die Blumen, diese setzen sich in einem Garten bald auf dieses bald auf jenes Blümchen, verlassen solches aber hierauf wieder und kehren niemals zu eben demselben zurück. Die Frau eines Rechtsgelehrten ist eine unglückliche Creatur, in den ersten Monat der Ehe muß sie alle Advocatenstreiche wissen und ausüben können, wenn sie nicht eine sehr armselige Figur machen will. Sie muß lügen, sie mag wollen oder nicht. Ihr Mann darf niemals zu Hause seyn, wenn der Client mit leerer Hand erscheinet; er muß beschäftiget seyn, wenn der Cliente ein Lamm kneipt, daß es schreien muß; läßt er aber einen Ochsen brummen, so ist der [274] Herr zu Hause, der Client hat die gerechteste Sache von der Welt, und die Frau setzt ihre Ehre zum Pfande, daß der Proceß gewonnen wird. Die dritte Gattung der Gelehrten sind die Aerzte, das sind diejenigen Leute, die Sie so sehr fürchten, und in der That sind sie allen lebendigen Geschöpfen furchtbar, wo nicht auch den leblosen. Ihre Kunst bestehet darinne, die Gesunden krank, die Kranken todt oder gesund zu machen. Wer gesund unter ihre Hände fällt, der muß so lange schröpfen, aderlassen und purgiren bis er krank wird, und ein Kranker muß sich ihren Gesetzen so lange unterwerfen, bis er gesund oder todt ist. Man hat seit langen Jahren nicht gehöret, daß die Aerzte einen Patienten verlassen haben, um die Schande zu vermeiden, daß sie die Krankheit nicht heben könnten, kuriren sie ihre Patienten, wenn sie nicht wollen gesund werden, gar zu Tode. Denn alsdenn kann man ihnen nicht vorwerfen, daß die Krankheit noch fortdauern sollte, und mithin ist sie gehoben. Nebst dieser [275] Neigung zum kuriren besitzen sie auch noch die, alles auswendig und innwendig zu begucken, von der Mücke bis zum Elephanten ist alles ihrem anatomischen Messer unterworfen. Alles was Leben und Othem hat und in die Gewalt eines nachforschenden Medici fällt, muß seiner unersättlichen Neugierde zum Opfer dienen, und ist dem Schicksal unterworfen, das die Fliegen haben, wenn sie sich in eine Spinnewebe verwickeln, nur mit dem Unterschiede, daß die Spinnen nicht so erfindungsreich an Martern sind, ihre Feinde umzubringen, als die Aerzte, allerlei Thiere hinzurichten. Was sollte sich nun wohl ein Frauenzimmer zu einem Manne zu versehen haben, der sich ein Vergnügen daraus macht, Menschen und Vieh zu martern? In der That, es gehöret eine große Entschließung dazu, einen Arzt zu lieben, nicht zu gedenken, daß er bei dem geringsten Zwist, oder wenn er es nur sonst rathsam findet, durch ein kleines requiescat in pace sich von seiner Gattin losmachen kann; wenn es ihm nur behebet, [276] so hat die Frau eines Arztes zehnerlei Verrichtungen mehr auf sich als eine andere. Sie muß Pulver reiben, Wurzeln schneiden, Schachteln und Gläser verpetschiren, Pillen vergolden, Tropfen distilliren und doch dabei alle Pflichten einer ehelichen Gehülfin erfüllen. Hierzu kommt noch die strenge Diät, die sie beobachten muß. Alle Leckerbisgen, die dem Manne überaus wohl bekommen, sind der Frau schädlich. Er trinkt Coffee, sie bekommt Kräuterthee. Er trinkt Wein und für sie bereitet er einen Habertrank. Er läßt für sich sieden und braten, sie verzehret eine Wassersuppe und Salat.


Die vierte Classe der Gelehrten bestehet aus Philosophen. Diese werden zwar unter den Gelehrten für die Geringsten, dem Range nach, gehalten, aber in Ansehung der Verdienste, sollten sie neben den Theologen stehen, und so war es auch ehedem bei den Alten, da waren die Philosophen freie Leute, die Aerzte aber Knechte, die Rechtsgelehrten waren [277] damals unter den Gelehrten noch nicht zünftig, und hatten also keinen Rang. Seitdem aber diese beiden Gattungen der Gelehrten ihr Haupt mit vielem Stolz empor gehoben haben, so ist es den guten Weltweisen ergangen, wie den hölzernen Wegweisen an den Straßen, diese zeigen jedermann den rechten Weg und kommen selbst niemals von der Stelle. Unterdessen obgleich die Philosophen keinen großen Rang haben, so sind sie doch angesehene Leute und es stehet beinahe das ganze Reich der Gelehrsamkeit ihnen zu Gebothe. Ihre Wissenschaft ist einer Zauberei ähnlich, sie kennen die Leidenschaften der Menschen aufs genaueste, es ist ihnen also leicht, bald diesen bald jenen Affect zu erregen. Dahero sind sie auch gemeiniglich in der Liebe glücklich; alle Wege, sich in das Herz der Schönen einzuschleichen, sind ihnen bekannt, sie wissen durch ihren Verstand und Witz das schöne Geschlecht zu bezaubern, daß ihnen ein Mädchen selten aus dem Garne gehet, wenn sie auf Eroberungen ausgehen. [278] Diese Leute sind um deswillen auch bey dem Frauenzimmer wohl gelitten, weil sie eben so schwatzhaft sind als die Schönen, und sich dahero vollkommen zu ihnen schicken, über dieses verehren sie das schöne Geschlecht aufs äußerste. Wenn alle Frauen Sklavinnen ihrer Männer sind, so sind die Frauen der Philosophen Königinnen. Sie dürfen es wagen die philosophische Gelassenheit ihrer Männer zu prüfen, ohne daher nachtheilige Folgen zu erwarten. Sokrates, einer der vortrefflichsten Weltweisen aus dem Alterthume, hatte eine solche Ehetirannin, die ihr Andenken durch ihre Bosheiten gegen ihren Herrn bis auf unsre Zeiten erhalten hat. Da sie einsmals diesen Weltweisen durch eine Ladung von Schmähreden zwang, sein Haus zu verlassen, und ihm noch darzu ein Geschirr voll unreines Wasser über den Hals goß, ließ dieser Weltweise hierüber keine andere Empfindlichkeit spühren, als daß er zu seinen Freunden sagte: ich dachte wohl, daß auf dieses Ungewitter ein Platzregen folgen würde. [279] Sehen Sie, schönes Hannchen, das ist ein kurzer Abriß aller Gattungen der Gelehrten und ihres Betragens gegen die Schönen. Ich bin versichert, daß Sie aus allen vier Facultäten Anbether haben: denn der Medikus, welcher ihren Herrn Vater dann und wann in der Kur hat, thut noch allen Gründen der Wahrscheinlichkeit nicht so oft einen Weg von drei Meilen, seinem Patienten, sondern vielmehr Ihnen einen Besuch abzustatten. Ich bin aber versichert, daß weder die Profeßion eines Rechtsgelehrten noch eines Arztes Ihnen gefallen kann, die beiden andern Facultäten gefallen Ihnen ohne Zweifel besser. Da ich nun zu beiden gehöre, so hoffe ich nicht, daß Sie, an einen Mann der zu einer andern Facultät gehöret, Ihr Herz, das ohnedem nicht mehr Ihr Eigenthum ist verschenken werden. Indessen hat mir, ob ich Ihnen gleich alles Gute zutraue, eine kleine Kaltsinnigkeit, die Sie seit einiger Zeit gegen mich haben spühren lassen, einige Unruhe verursachet. Wenn Ihre Absicht dabei gewesen [280] ist meine Liebe nur destomehr anzufeuern, so will ich Ihnen gestehen, daß Sie diese vollkommen erreicht haben, ich verehre Sie jetzo mehr als jemals, es ist also Zeit, daß Sie meine Marter endigen. Das Nadelbüchsgen, das ich Ihnen vor einiger Zeit verehret habe, rufet Ihnen durch seine Devise, so oft Sie solches in Ihre schönen Hände nehmen, in meinem Namen zu


Finissez mon martyre,
Vous voyez que j'expire!

Jedoch vielleicht hat Ihnen auch der Gehorsam gegen Ihren Herrn Vater, der einige Zeit daher nicht mit mir zufrieden scheinet, diese kleine Vorstellung, worüber ich mich so sehr beklage, abgenöthiget. Wollte der Himmel, daß ich Ihre kaltsinnige Mine für einen Beweis annehmen dürfte, daß Ihr Herz desto feuriger liebt! Ich sehe den zureichenden Grund Ihres Betragens nicht vollkommen ein, und daher laufe ich immer Gefahr, falsche Schlüsse zu machen und mich in meinem [281] Urtheilen zu hintergehen. Um diesem Uebel vorzubeugen, beschwöre ich Sie bei der Hochachtung, die ich Ihnen gewidmet habe, mir insgeheim in dieser Sache einige Erläuterungen zu geben, ich hoffe dadurch vollkommen wieder beruhiget zu werden. Kann ich Ihre holden Blicke verdienen, wenn ich mich bei Ihren Herrn Vater wieder in Gunst setze: so gebe ich Ihnen die Versicherung, daß ich meine schönsten Anschläge daran spendiren und eher die Ehre verliehren will eine gelehrte Gesellschaft gestiftet zu haben, als mich der Gefahr blos zu stellen, Ihre Gunst einzubüßen. In der Erwartung einer günstigen Antwort, verharre ich in der unveränderlichen Hochachtung Ihrer schönen Person


Dero

getreuester Verehrer M.L.W.

22. Brief
[282] XXII. Brief.
Lampert Wilibald an den Herrn v.F.

den 14 Dec.


Die Neigung zur Billigkeit und Gerechtigkeit ist in Dero Hochadlichem Hause eine so bekannte Tugend, daß auch Ihre vortrefflichen Ahnen davon verschiedene Zunahmen erhalten haben. Einer Ihrer löblichen Vorfahren hieß Justus v.F. oder der Gerechte, ein anderer nennt sich in einem Vertrage, den er mit den Vorfahren meines Patrons errichtet hat, Aeques, welches ohne Zweifel Aequs, oder der Billige, heißen soll, und keinesweges, wie einige glauben, eine fehlerhafte Schreibart des Wortes Eques seyn mag, wodurch man diesen Herrn einer groben Unwissenheit beschuldigen würde. Sie haben sich auch jederzeit, beflissen, die Gerechtigkeit in den Ihrer Gerichtsbarkeit unterworfenen Orten aufs genaueste [283] und sorgfältigste auszuüben, und dadurch bewiesen, daß Sie auf eine rühmliche Art in die Fußstapfen Ihrer vortrefflichen Anherren getreten sind. Der Geringste Ihrer Unterthanen kann sich rühmen, daß ihm nie der Weg zur Gerechtigkeit versperret ist, und der angesehenste derselben darf sich nicht erkühnen, eine Ungerechtigkeit zu begehen, wenn er nicht die nachdrücklichste Ahndung davon besorgen will. Die Gewogenheit, womit Sie mich jederzeit beehret haben, läßt mich hoffen, daß ich von Ihnen eben das erwarten kann, was Sie dem geringsten Ihrer Unterthanen nicht versagen, und darinne bestehet, daß man ihre Gerechtigkeit anflehen darf, wenn man von bösen Leuten angetastet wird, und schleuniger Hülfe vonnöthen hat.


Ich sehe mich genöthiget, gegen Ihren Gerichtshalter eine gerechte Klage zu erheben, welcher kein Bedenken trägt, das an mir im Großen selbst auszuüben, was er täglich an andern mit so vielem Eifer im Kleinen bestraft. [284] Wenn sich jemand erkühnet, einige Rüben von dem Acker seines Nachbars sich zuzueignen, so pflegt er dieses aufs härteste zu bestrafen, wenn er aber selbst das Eigenthum eines andern sich zueignet, so macht er hierüber nach seinem weitläuftigen juristischen Gewissen sich nicht den geringsten Kummer. Ew. Gnaden kann so wenig als jemanden in der hiesigen ganzen Gegend unbekannt seyn, daß ich schon seit einigen Jahren ein ehrliches Absehen auf die Jungfer Tochter des Herrn Pfarr Wendelins allhier gehabt habe, sie zu ehlichen, und mich ihrem Vater als einen Substituten beifügen zu lassen. Er hat mir auch so viele gute Vertröstungen diesfalls gegeben, daß ich nicht mehr an der Erfüllung meines Wunsches zweifelte. Ich glaube nicht, daß ich tadelhaft bin, mich eher um die Quarre als um die Pfarre beworben zu haben, denn außerdem daß dieses jetzt die allgemeine Mode ist, und allezeit von hundert meiner Herren Collegen neun und neunzig seyn werden, die sich ein Bisgen [285] verplämpert haben, ehe sie zu einer Bedienung gelangen, so kan auch Niemand einsehen, was daher für großes Unheil erwachsen sollte. Es ist vielmehr ganz löblich, daß man sich in Zeiten um eine Liebste bewirbt, denn wenn man einmal ins Amt kommt, und die Geschäfte und Sorgen sich mehren, so hat man nicht Zeit, ans heirathen zu denken, und ehe man sichs versiehet, hat man sich ins Hagestolzenrecht geschworen. Genug, ich hatte mir Jungfer Hannchen zu meiner zukünftigen Gattin ausersehen, allein verschieden gute Anstalten, womit ich mich einige Zeit zum Besten meines Patrons und des Publici beschäftigte, setzten das Ziel meiner Wünsche etwas weiter hinaus, als ich im Anfang dachte. Inzwischen da ich mir schmeichelte, daß mein Glück gewiß genug wäre, sahe ich diese Verzögerung ganz gleichgültig an: weil ich voraus sahe, daß vielerlei nützliche Projecte, deren Ausführung Mühe und Sorgfalt erforderte, unterbleiben würden, wenn ich einmal verglichet wäre, [286] und im Amte stünde; doch wider mein Vermuthen fand ich mich in dieser süßen Hoffnung getäuschet. Ich brachte nicht nur in sichere Erfahrung, daß Dero Gerichtshalter, ungeachtet es ihm zuverläßig bekannt war, daß ich Jungfer Hannchen als mein Eigenthum betrachtete, sich die Freiheit genommen, sie insgeheim zu verehren, sondern es hat auch derselbe sich erkühnet, durch einen Abgeordneten sein Wort gestern bei ihrem Vater anbringen zu lassen, und will mir also wider meinen Dank diesen Bissen vor dem Maule hinwegnehmen. Es heißt zwar nach dem Sprüchworte: inter arma silent leges, und er scheinet die Absicht zu haben, von diesem alten Canon Vortheil zu ziehen: allein wenn dem also ist, so wird er selbst bekennen müssen, daß er jetzo auch unter die unnützen Meublen gehöret, und er kann seine Gerichtsstube nur immer zuschlüßen. Da ich nun seit vielen Jahren auf dieses Frauenzimmer eheliche Absicht geheget habe, und zwar ehe er noch an sie hat denken können; [287] sie auch wegen meines getreuen Unterrichtes, den ich ihr gratis ertheilet, mir mehr als ihrem leiblichen Vater schuldig ist, weil man nach dem Ausspruche des großen Alexanders denen Eltern nichts als das liebe Leben, denen Lehrmeistern aber, daß man wohl lebet, zu verdanken hat: so habe ich gleichsam ein jus quaesitum auf sie erlanget, und werde mich von meinem Rechte durch einen andern nicht abtreiben lassen. Zu der Gerechtigkeitsliebe Ew. Gnaden habe ich das gute Vertrauen, daß Sie ihre Autorität in dieser Sache zu interponiren, und diesen Verwegenen von seinem bösen Vorhaben abzuhalten Sorge tragen werden. Aus dieser Ursache ersuche ich Hoch dieselben unterthänig, nachdrückliche Dehortatoria an meinen Rival entweder mündlich oder schriftlich ergehen zu lassen, damit ein solches unerhörtes Factum der Gerechtigkeit zur Schande nicht von einer Person, die zur Aufrechthaltung derselben bestimmt ist, vollbracht, und mir dadurch ein unersetzlicher Verlust verursachet werde. Eine [288] solche Gnade will ich mit goldenen Buchstaben in das Buch der Unvergeßlichkeit eintragen, und verharre mit der vollkommensten Hochachtung


Ew. Gnaden

unterthäniger Diener M.L.W.

23. Brief
XXIII. Brief.
Beantwortung des Vorigen von dem Herrn v.F.

den 15 Dec.


Werther Freund,


Ich gerieth durch Ihren Brief in große Bestürzung, da ich wahrnahm, daß mein Gerichtshalter sich sollte haben einfallen lassen, Ihnen Ihre Liebste abspänstig zu machen, und dadurch einem Manne, den ich sehr hochschätze, Gelegenheit zu geben, sich entweder zu Tode zu grämen, oder doch in Verzweiflung zu gerathen. Weil Sie mir die Ehre anthaten und bei mir Hülfe suchten, auch mir und allen meinen Vorfahren einen sonderbaren Trieb zur Gerechtigkeit beilegten, wodurch meiner Eigenliebe nicht wenig geschmeichelt [289] wurde: so nahm ich mir von Stund an vor, Sie zu überzeugen, daß ich nicht aus der Art geschlagen bin, sondern meinen Vorfahren in der Liebe zur Gerechtigkeit nichts nachgebe, oder wohl gar in dieser Tugend sie noch übertreffe. Ich ließ meinen Gerichtshalter in dem Augenblicke, da ich Ihren Brief gelesen hatte, zu mir kommen, um ihn wegen seines bösen Vorhabens Sie zu einen unglücklichen Liebhaber zu machen, zur Rede zu setzen, und da ich von ihrer gerechten Sache beinahe überzeugt war, so nahm ich mir vor, ihn alsbald aus meinen Diensten zu entlassen, wenn er nicht in sich gehen, und von seinem Anschlage in continenti abstehen wollte. Hören Sie nur, was ich für eine Procedur mit ihm vornahm. Herr Gerichtshalter, sagte ich mit einem sehr sträflichen Gesichte, habe ich sie nicht in meinem District zum Richter gesetzt, um die Gerechtigkeit aufs genaueste auszuüben. Er antwortete ja. Ist es wohl erlaubt, fuhr ich fort, daß der, der über Recht und Gerechtigkeit halten soll, selbst ungerecht handeln darf? Antwort nein. Warum haben sie dem Herrn Magister Lampert seine Liebste abgespannet, und dadurch seine Liebe und alle seine süßen Hoffnungen krebsgängig gemacht? Ich ärgere [290] mich wenn ich vernehme, daß jemand in meinem Gerichtsbezirk einen Strohhalm sich zueignet, der ihm nicht gehöret, und sie wollen sich das Herz eines Frauenzimmers zueignen das der Herr Magister gebildet hat, und darauf er bereits ein jus quaesitum zu haben glaubt? Anstatt über diesen Vortrag zu erschrecken fing er an abscheulich zu lachen, wodurch ich noch mehr entrüstet wurde, aber er ließ es hierbei nicht bewenden, er fing an sich so geschickt zu vertheidigen und den statum controversiae dergestalt zu formiren, daß ich den Leviten im Sinne behalten mußte, den ich ihm zu lesen gedachte, und nur froh war, daß er nicht von mir verlangte alles was er gethan hatte, gut zu heißen. Patron, sagte er, der Herr Lampert muß in der Liebe und in der Kenntniß des menschlichen Herzens, sehr unerfahren seyn, so gelehrt er auch aussiehet, wenn er glaubt daß ihn Hannchen jemals mit ihrer Gunst beehret hat. Sie ist ihm schon gram gewesen da sie noch bei ihm in die Schule gegangen ist, und nachher da er angefangen hat ihr dann und wann etwas verbündliches nach seiner Art zu sagen, ist er ihr ganz unerträglich worden. Sie hat ihm mehr als einmal mit dürren klaren Worten gesagt, daß sie lieber den Nachtwächter als [291] ihn lieben wollte; allein nach seiner Erklärungskunst hat er auch aus diesen Worten etwas vortheilhaftes für sich erzwingen wollen, oder hat sich wenigstens eingebildet, daß sie sich nur verstellte. Ich will zwar nicht leugnen, daß der Herr Magister dieses Frauenzimmer eher geliebt als ich, daran aber liegt ganz und gar nichts, man muß sehen was auf ihrer Seite geschehen ist. Sie hat mir mehr als einmal gestanden, daß Herr Lampert jederzeit das Unglück gehabt hätte, ihr als ein Liebhaber zu misfallen, ob sie ihm gleich übrigens in seinen Würden ließ, auch nicht in Abrede seyn wollte, daß sie sich manchmal an ihm belustigte weil er so witzig wäre, daß kein königlicher lustiger Rath drolligtere Einfälle haben könnte. Da nun also, fuhr er fort, ihr Herz res nullius war, so hieß es nach der juristischen Regel cedit prius occupanti, ich suchte es zu erobern und war hierinne nicht unglücklich. Gegenwärtig gehört es mir zu; Jungfer Hannchen und ich haben einander eine ewige Treue gelobet, ich habe vor einigen Tagen ordentlich durch einen guten Freund bei ihrem Vater um sie anhalten lassen, worauf ich von dem Herrn Pastor Wendelin die Antwort erhalten, daß heirathen ein schweres Werk sey, er wollte mit seiner Tochter die Sache überlegen und erstlich [292] beten, in acht Tagen sollte ich darauf selbst nach Karafeld kommen und das Jawort in eigener Person abholen. Der Herr Pastor sicher schon im prophetischen Geiste voraus daß unsre Heirath im Himmel gemacht ist, deswegen weiß er bereits die Wirkung seines Gebetes und hat mir schon einen Termin beschieden, die Sache ins reine zu bringen. Ich gestehe Ihnen, werther Freund, daß ich über diese Dinge, welche mein Gerichtshalter vorbrachte noch bestürzter war als über Ihren Brief, vorhero hatte ich Ihnen vollkommen Recht gegeben und war auf ihrer Seite, nun schien es, daß Ihr Rival ein besseres und gegründeter Recht als sie zu dem strittigen Frauenzimmer hätte. Inzwischen wollte ich Ihre Parthie nicht sogleich verlassen, und ersuchte ihn mir den Gefallen zu erweisen, von dieser Heirath abzustehen und Ihnen die Beute zu überlassen: er beschwor, mich aber bei dem Triebe zur Gerechtigkeit, den ich von meinen Ahnen ererbet hätte, keine solche Ungerechtigkeit gegen ihn zu begehen und meine Vorfahren dadurch in der Erde zu beschimpfen. Ich würde, wenn ich unpartheiisch dächte, selbst erkennen, daß er seine Braut mit dem besten Recht besäße, und drang so heftig auf den angeführten juristischen Canon, daß ich nicht ein Wort gegen ihn aufbringen konnte. Ich fand [293] mich von seiner gerechten Sache vollkommen überzeugt, und verschwieg ihm dieses nur aus Freundschaft gegen Sie. Indessen zweifle ich nicht, daß Sie nach Ihrer Scharfsinnigkeit im Disputiren im Stande wären, neue Zweifel bei mir zu erregen und dem Gerichtshalter sein Recht von neuem abzudisputiren, ich thue Ihnen dahero den Vorschlag einen gelehrten Kampf mit Ihrem Rival hier anzustellen und die Mitglieder der Julianenakademie, oder in so fern diese Ihrem Gegner partheiisch scheinen möchten, andere gelehrte Männer zu Schiedsrichtern zu erwählen, die ich auf einen Tag, der Ihnen beliebt, zu mir will bitten lassen, alsdenn sollen Sie mit ihrem Contrepart ihre Händel durch einen gelehrten Zweikampf schlichten, wer den andern die Braut abdisputiret, mag sie heimführen. Sie sehen, daß ich für Sie nichts weiter thun kann, die gute Sache wird ganz gewiß nach Ihrem Wahlspruch siegen, ich werde mit Vergnügen sehen, wenn Sie ihren Gegner so eintreiben, daß er nicht ein Wort mehr gegen Sie aufbringen kann: sollte ihnen aber dieses widerfahren, so können Sie versichert seyn, daß ich Sie aufrichtig bedaure, und alsdenn wird dieses mein Trost seyn, daß ich eine vortreffliche Satyre von Ihnen zu Gesichte bekomme, die Sie auf denjenigen zu verfertigen sich entschlossen [294] haben, der bei Hannchen glücklicher seyn würde als Sie. Gelingt Ihnen hierdurch Ihr Vorhaben, daß Ihr Nebenbuhler sich darüber zu Tode ärgert, so dürfen Sie das Spiel nur da wieder anfangen wo Sie es jetzo gelassen haben, und alsdenn werden Sie doch auf die eine oder andere Weise in Ihrer Liebe glücklich seyn. Beim Schlusse meines Briefes fällt mir noch ein sehr gutes Mittel ein, wie Sie sich um Ihre Schöne verdient machen und Ihren Rival für seine Verwegenheit züchtigen können, Sie haben ja noch den Säbel, den Sie als Husar ehemals geführet haben, glücklicher Weise hat es sich gefügt daß mein Gerichtshalter auch einige Jahre unter den Husaren gedienet hat, wie wäre es, wenn Sie, anstatt sich mit ihm in einen Gelehrten Weltstreit einzulassen, auf gut husarisch auf den Hieb eins mit Ihm wagten? Es wird mir ein besonderes Vergnügen seyn diesen Scharmützel beizuwohnen. Wenn Sie in meinem Gebiethe ihre Sache ausmachen wollen, so verspreche ich Ihnen, im Fall Sie Ihren Gegner aus den Sattel heben, frei und sicher Geleit: sollte Ihnen dieses aber selbst begegnen, so mache ich mich anheischig, ohngeachtet der Aussprüche des tridentinischen Concilii, Ihnen ein ehrliches Begräbniß zu verschaffen, wenigstens würde man auf diese Weise am ersten sehen, [295] wer das vollkommenste Recht zu dem Frauenzimmer hat. Ich überlasse Ihnen die Wahl von diesen Vorschlägen Gebrauch zu machen oder nicht, und erwarte Ihre Antwort. Uebrigens verharre ich


Dero

geneigter Freund v.F.

24. Brief
XXIV. Brief.
An Herrn Lampert Wilibald vom Herrn G.

Schönthal den 16 Dec.


Mein Herr,


Ich müßte niemals ein Soldat gewesen seyn, oder diesem Stande eben so wenig Ehre als Sie gemacht haben, wenn ich die beleidigende Art, womit Sie mir begegnen, mit Stilleschweigen übersehen wollte. Es ist Ihnen nicht genug meine Braut mir abspänstig machen zu wollen; Sie haben sich auch vorgenommen, es bei meinem Principal dahin zu bringen, daß er mich aus seinem Dienst entlassen soll. Es hat bald das Ansehen, daß Sie mit mir eben so umspringen wollen, als mit dem Verwalter [296] Bornseil, der so lange er lebet, über Sie seufzet: aber hören Sie, nehmen Sie sich vor mir in acht, an mir finden Sie Ihren Mann, der Krug geht so lange zum Wasser, bis er zerbricht. Der geringste Anschein einer Bosheit, die Sie gegen mich im Sinne haben, bricht Ihnen zuverläßig den Hals. Ich habe meine Canäle, durch welche ich alles, was Sie gegen mich schmieden, gewiß entdecke, und damit Sie überführet werden, daß dieses keine leeren Worte sind, so will ich Ihnen davon Beweise vor Augen legen. Ich weiß, daß Sie einen sehr langen Brief, der mit den verkehrtesten Einfällen angefüllet ist, an den Herrn Pfarr Wendelin geschrieben, und in solchem um meine Braut gleichfalls Anwerbung gethan haben; ich weiß auch, daß Sie noch an eben demselben Tage eine abschlägliche Antwort erhielten. Es ist mir nicht unbekannt, daß Sie hierauf, um Ihren Korb in bester Form Rechtens zu erhalten, selbst an Jungfer Hannchen geschrieben, und in diesem Briefe mich und meine Herren Amtsbrüder abscheulich herum genommen haben, daß wenn ichs genau suchen wollte, Sie als ein Pasquillant mir eine kniende Abbitte thun sollten; aber ich denke von Ihnen: heu quantum distas ab ego! Ich [297] will mich mit Ihnen in keine Weitläuftigkeiten einlassen, und meine ganze Rache, die ich diesfalls an Ihnen suche, soll darinne bestehen, daß ich Ihnen melde, daß Jungfer Hannchen den Brief nicht einmal erbrochen, noch viel weniger gelesen hat, dahero werden Sie auch vergeblich auf eine Antwort warten müssen. Wenn Sie nicht eben sowohl ein Gelehrter wären, als ich, so würde ich Sie bereits nach Verdiensten gezüchtiget haben: da wir aber in Ansehung des Standes einander gleich sind, so will ich Ihnen alle Rechte eines gelehrten Ritters zugestehen, und verspreche Ihnen als ein rechtschaffener Mann, wenn Sie etwas an mir zu suchen, Satisfaction zu geben. Doch weil ich mich nicht lange mit Ihnen auf zuhalten gedenke, so müssen unsere Händel binnen hier und 24. Stunden ausgemacht seyn. Wenn Sie in dieser Zeit sich nicht hier in Schönthal nach dem Vorschlage, den Ihnen der Herr von F. bereits gethan hat, auf dem Kampfplatze einfinden, so nehme ich dieses so an, als wenn Sie von allen vermeintlichen Anforderungen an Jungfer Hannchen abgestanden wären. Regen Sie sich hernach, so geht es Ihnen übel, und Sie können in angeschlossenem Reglement, das ich zu Ihrem Besten entworfen [298] habe, ersehen, was Sie bei dem geringsten neuen Angriff, den Sie wagen, zu erwarten haben. Wollen Sie sich aber mit mir in einen Kampf einlassen, so haben Sie die Wahl des Gewehres, welches wir brauchen wollen, Sie können den Säbel oder die Zunge wählen. Der Herr von F. hat sich erbothen, bei unserm Streit aufs gleiche zu sehen, und dem Theile, welcher überwindet, die Beute zuzusprechen. Machen Sie sich aber ja keine Hoffnung, den Sieg über mich davon zu tragen, ich verlasse mich auf beides, auf meine gerechte Sache und auf meine Kunst. Wenn Sie es nicht bereits wissen, so will ich es Ihnen hierdurch bekannt machen, daß ich die Zunge mit eben der Geschicklichkeit als die Feder oder den Degen zu regieren weiß. Ich erwarte Ihre Entschliessung, die entscheiden wird, ob ich mich ihren Freund oder Feind nennen kann.

H.

Anschluß.

Zweimal drei nützliche Regeln für den Herrn Lampert Wilibald, welche er in Puncto seines Betragens gegen mich und ein junges Frauenzimmer, die meine Freundin ist, zu beobachten, oder [299] widrigenfalls die darauf gesetzte Bestrafung ohnfehlbar zu gewarten hat.


* * *


1. Soll er weder directe noch indirecte Jungfer Hannchen mit seiner Liebe ferner behelligen, bei Verlust seines rechten Ohres.

2. Er soll mir weder bei dieser Schönen noch bei ihrem Vater, am allerwenigsten aber bei meinem hochgebietenden Herrn v.F. einen bösen Leumund machen, widrigenfalls wird man ihn nöthigen, ein Dutzend Tassen siedendheißen Koffee zu trinken, wodurch seine verleumderische Zunge dergestalt wird verbrannt werden, daß er sie niemals wieder wird mißbrauchen können.

3. Er soll sich nicht gelüsten lassen, in der Kirche immer die Augen aus sie gerichtet zu haben, und sich kühnlich unterfangen, sie durch das Fernglas zu betrachten, oder man wird ihn auf den rechten Auge blenden lassen.

4. Wenn ich, als der einzige rechtmäßige Verehrer dieses Frauenzimmers, derselben oder ihren Herrn Vater, meinem insonders hochgeehrten zukünftigen Herrn Schwiegerpapa einen Besuch abstatte, so soll er sich nicht erkühnen, heimlich unter das Fenster sich zu schleichen, um zu hören, was gesprochen wird, widrigenfalls hat er zu erwarten, daß man ihn durch ein paar handfeste Drescher wird greifen, und ohne Barmherzigkeit zu dienlicher Abkühlung seiner verliebten Hitze, mit Haut und Haar in die öffentliche Schwämme hinein werfen lassen.

[300] 5. Weil er schon ehemals soll gedrohet haben, gegen denjenigen, welcher außer ihm Jungfer Hannchen lieben würde, eine so beißende Satyre abzufassen, daß der unglückliche Liebhaber sich darüber zu Tode ärgern müßte, und nun unter der Hand verlauten will, daß er dieses gefährliche Werk wirklich unter der Feder habe, welches seinen Rival, so bald er es zu Gesichte bekäme, gleich einem schädlichen Basilisken ums Leben bringen könne: so wird ihm wohlmeinend angerathen, von dieser bösen Arbeit abzustehen, auch sogleich nach Verlesung dieses, dasjenige, was er bereits daran ausgearbeitet hat, zu zerreißen und ins Feuer zu werfen, oder man wird ihn zu zwingen wissen, diese Schrift öffentlich zu widerrufen, sich ins Angesicht zu schlagen, und solche zu verschlingen.

6. Wird ihm auferlegt, das Pfarrhaus nicht nur gänzlich zu vermeiden, sondern auch keine Briefe, weder an den Herrn Pfarr Wendelin, noch dessen Tochter abgehen zu lassen. Im Uebertretungsfall sollen ihm zweimal zwey und funfzig Streiche nach türkischer Manier auf die Fußsohlen, durch meinen Zahlmeister richtig zugezählet werden. Wornach er sich zu achten und für Schaden und Nachtheil zu hüten hat.

25. Brief
XXV. Brief.
Der Herr v.N. an den Herrn v.F.

den 18 Dec.


[301] Werther Freund,


Sie machen mir die Zeit ziemlich lang, ehe Sie mir einmal wieder Lection geben, wie ich in meiner Liebe gute Progressen machen soll. Ich habe Ihnen, denke ich, Zeit genug gelassen Mittel und Wege ausfündig zu machen, wie ich am füglichsten zu meinem Zwecke gelangen kann, wenn Sie noch nichts erfunden haben so rühmen Sie sich nicht, daß Sie sinnreich sind. Ich glaubte nicht, daß ich das alte Jahr als ein Junggeselle beschlüssen würde, und war meiner Sache so gewiß, daß ich nicht mehr daran zweifelte. Sie wissen, daß ich meine Unternehmungen gern bald zu Stande bringe, bald dazu und späte davon das ist mein Wahlspruch. Sie haben eine große Gabe zu zaudern, es gehet mit ihren Rathschlägen und Unternehmungen so langsam als auf dem Reichstage zu. Es wäre kein Wunder, wenn ich alt und grau über meiner Freierer würde. Machen Sie, daß die Sache zu Stande kommt, oder ich thue zweierlei, Sie verliehren an mir einen Mündel, der sich Ihrer Sorgfalt in der wichtigsten Angelegenheit seines Lebens anvertrauet, und ich wende mich an den Baronet und nehme Ihn zum Führer an. Er soll mir eine Vorschrift schicken, wie ich meinen Angriff auf das Mädchen [302] das ich liebe, veranstalten soll. Ich traue ihm zwar bei unsern vaterländischen Schönen nicht viel Erfahrung oder Glücke zu: ich weiß aber doch gewiß, daß ich bei seinem Rache besser fahren werde als bei dem Ihrigen. Nach dem Sprichwort heißt es zwar, Arzt hilf dir selber, es wäre wohl am besten, daß ich bei mir selbst Rath nähme, denn zu den Magister Lampert habe ich, seitdem ihn die Tochter meines Pfarrers hat durch den Korb fallen lassen, nicht das geringste Vertrauen mehr: allein ich fürchte, daß ich auch nicht die rechte Methode treffen möchte, mich bei dem Mädchen einzuschmeicheln. Wenn Sie mir versprechen wollen, künftig eifriger Hand an das Werk zu legen, so will ich Ihr Kundmann bleiben und Ihrem Rath so genau befolgen, als wenn ich ihn von den sieben Weisen aus Griechenland bekommen hätte.

Ist es denn wahr, was mir neulich Fräulein Amalia sagte, daß der Major Fräulein Julgen eine prächtige Kutsche geschenket hat? Eine Windkutsche wird es wohl seyn, oder wenn etwas daran ist, so wird es wohl nicht viel mehr als eine alte Karrethe seyn, die er einen Marquetender abgekauft hat: Die Officiers sind sonst nicht gewohnt so gar viel zu verschenken, demantne Ohrengehänge und ein Staatswagen [303] sind schon Geschenke die etwas sagen wollen, ich weiß nicht was ich davon glauben soll. Fräulein Amalia, das lose Mädchen, schlug mir vor, ich sollte Julgen ein paar Pferde vor die Kutsche verehren, diese würden solche hinziehen wohin ich sie haben wollte, ein feiner Rath! Jetzt sind die Zeiten darnach, daß man ein Gespanne Pferde verschenken kann, das ist kein Fürst zu thun im Stande. Sie mag sehen, wo sie Pferde bekommt, von mir hat sie keine zu hoffen. Wir haben hier einen sehr künstlichen Korbmacher, der sagte mir vor einigen Tagen, er wollte so natürlich eine Portechaise flechten, wie man sich in der Stadt zu haben pflegt, was meinen Sie, wenn ich eine machen ließ, ich wollte sie hübsch mahlen und vergulden auch sein ausschlagen, und sie dem Mädchen nebst ein paar Dreschern, die eher zu haben sind als ein paar Pferde, auf Weinachten bescheren lassen. Sonntags, da diese Kerls ohnedem das Brodt nicht verdienen, das sie verzehren, sollen sie allezeit nach Wilmershaußen gehen und Fräulein Julgen in die Kirche und auch spatzieren tragen, alsdenn gehen sie Montags wieder bei mir in die Arbeit. Wenn dieser Vorschlag Ihren Beifall findet, so soll er bald ausgeführet werden.

Sagen Sie mir doch was ich mit meinem Pfarrer anfange, er ist ein grundböser Mann. [304] Wenn er mich in den Bann thun könnte, so machte er sich kein Gewissen daraus. Lampert hat ihn bei mir immer die Stange gehalten und mich besänftiget, wenn ich ihm eins habe versetzen wollen: aber jetzt da er ihn nicht mehr vertritt, bin ich mehr als jemals gegen ihn aufgebracht. Einige wollen sagen, er hätte, weil er mir nichts anhaben kann, und doch gleichwohl an mir reiben will, eiserne Nägel in die Absätze schlagen lassen, und marschirte beständig über den Grabstein eines meiner Ahnen, der in der Kirche liegt, mit so nachdrücklichen Schritten hinweg, daß dadurch das Gesicht dieses meines Vorfahren, der, wie Sie wissen, in Stein ausgehauen ist, sehr wäre beschädiget worden. Ich habe, um hinter die Wahrheit zu kommen, ihm heute einen Schuh abfordern lassen, solchen in Augenschein zu nehmen: er hat mir aber diesen verweigert. Ich kann daraus nichts anders schlüßen, als daß er sich nicht sicher weiß, und das corpus delicti nicht aushändigen will, weil dadurch die Bosheit an den Tag kommen würde. Er soll mir aber den Possen nicht umsonst gespielet haben, ich will ihn verklagen und ihn so hetzen, daß er bald zu Kreuze kriechen soll. Lampert meint, er käme darüber vom Dienste und das wäre ihm auch gar recht. Lampert, der arme Teufel [305] ist ganz melancholisch, daß ihm seine Liebste aus dem Garne gegangen ist, unterdessen will er es mit Ihrem Gerichtshalter weder auf den Hieb noch auf eine Disputation angehen, um ihm seine Beute strittig zu machen. Sein Unglück hat ihn seit etlichen Tagen so schmeidig gemacht, daß man ihn wie einen Polzen durch ein Blasrohr schießen könnte, da er vorhero in keinem Schlote Raum gehabt hätte. Wenn Sie Ihren Gerichtshalter dahin bringen könnten, daß er ihn sein Mädchen wieder abträte, so wollte ich den alten Wendelin verzeihen. Ich erwarte auf diesen Brief von Ihnen bald eine Antwort und bin


Ihr

aufrichtiger Freund v.N.

26. Brief
XVI. Brief.
Der Herrn v.F. an den Herrn von N.

den 18 Dec.


Sie sind noch ziemlich ungedultig für einen Liebhaber nach der heutigen Welt. Wenn ich einige Tage ein tiefes Stillschweigen beobachtet und Ihren Auftrag, Sie bei Ihrer Liebe mit gutem Rathe zu unterstützen,[306] gleichsam vergessen habe, so dürfen Sie deswegen nicht glauben, daß ich diese Zeit über ganz und gar müßig gewesen bin: ich habe vielmehr für Sie sehr vieles gethan, und will Ihnen jetzo davon Rechenschaft ablegen. Mein Stillschweigen hat keine andere Absicht gehabt, als Ihre Gedult zu prüfen, und Sie hätten nur noch einige Tage aushalten sollen, so würden Sie Ihre Probe gut gemacht haben. Dem ungeachtet verdienen Sie vieles Lob, daß Sie über 14. Tage lang sich haben patientiren können, ohne einen Angriff auf Ihre Schöne zu thun, und ich werde Ihnen bald verstatten, einen neuen Versuch zu wagen. Das Fest scheinet hierzu keine unrechte Gelegenheit an die Hand zu geben, und ein Geschenk zum heilgen Christ dürfte Ihnen bei dem Fräulein gute Dienste leisten. Ich will mich hierüber hernach weitlauftiger erklären, und mich jetzo nur wegen meines Stillschweigens rechtfertigen, auch zugleich Ihnen einige neue Anmerkungen, die ich diese Zeit über gemacht habe, mittheilen, welche Ihnen bei Ihrem Vorhaben vermuthlich sehr nützlich seyn werden. Um nach dem jetzigen Geschmack ein vollkommener Liebhaber zu seyn, muß man im Anfang der Liebe einen Schüler des Pythagoras vorstellen, dieser Weltweise ließ seine Nachfolger[307] einige Jahr lang ein tiefes Stillschweigen beobachten, sie mußten ihren Lehrmeister nur bewundern, und das glauben, was er sagte, ohne ihm zu widersprechen. Heutiges Tages machen es die Anbether einer Schönen eben so, sie reden, wenn ihr Herz schon in der vollen Flamme stehet, noch nicht ein Wort von der Liebe, oder thun dieses doch weder mündlich noch schriftlich, sondern bedienen sich blos der Sprache der Augen, die ziemlich zweideutig ist, und so vielerlei Auslegungen verstattet, als die Gesetze des Justinians. Dieses Stillschweigen dauret so lange, bis sie der Gunst ihrer Gebieterin ganz gewiß versichert sind, alsdenn erklären sie sich etwas deutlicher, sie bedienen sich einer Sprache, die nicht aus Worten bestehet, die aber gleichwohl die deutlichste, nachdrücklichste und beliebteste Sprache ist, die gefunden wird, das sind die Geschenke. Ist die Schöne geneigt, den Antrag ihres Verehrers anzuhören, so nimmt sie solche an, sie macht ihm auch wohl ein Gegenkompliment mit einem kleinen Geschenke, zum Exempel für einen Diamantschmuck schenkt sie einen Blumenstrauß, der an ihren Busen halb verwelkt ist, für eine andere Galanterie, als Ohrengehänge, Dosen, Sonnenfächer, Lavendelfläschgen und dergl. giebt sie zur Wiedervergeltung ein Bandschleifgen, [308] ein Schminkpflästergen, oder eine andre Kleinigkeit, die aber doch jederzeit von dem Liebhaber höher als alle Schätze des Kaisers von Abyßinien müssen geschätzet werden. Nachdem man diese Sprache genug gebrauchet hat, so bedienet man sich erstlich der Zunge oder der Feder, man wiederholt das, was man schon zehnmal gesagt hat, und man erhält die Antwort, die man auch bereits schon einige mal erhalten hat. Sie stehen, wo ich mich nicht irre, noch in dem ersten Grade der Liebe, und ich halte noch nicht für rathsam, daß Sie Ihr Wort, das Sie schon einigemal zur Unzeit mündlich angebracht haben, so frühzeitig auf diese Art erneuern, sie würden sich davon nicht die geringste gute Folge zu versprechen haben. Ich erlaube Ihnen unterdessen, da Sie mit dem Munde noch eine Zeitlang das genaueste Stillschweigen beobachten, der Sprache der Augen sich mit Vortheil zu bedienen, und wenn dem Fräulein nicht gefällt, auf diese Art sich mit Ihnen zu besprechen, die Beredsamkeit der Geschenke anzuwenden. Obgleich das Fräulein sehr stoische Gesinnungen zu haben scheinet, so ist sie doch ein Frauenzimmer, und dieses macht mir Hoffnung, daß sie endlich hierdurch sich wird überwinden lassen. Sehen Sie, das sind die Regeln, welchen ich in einem Zeitraume [309] von mehr als vierzehn Tagen, die ich wie Achilles bei der Belagerung von Troja in einer völligen Unthätigkeit zugebracht zu haben scheine, ausstudiret habe. Es sind derselben wenig aber sie sind wichtig und für einen Liebhaber sicher, ich habe die ganze Geschichte des Herrn Grandisons mit diesen Regeln zusammen gehalten, und habe befunden, daß Herr Grandison in seiner Liebe bei allen Mädchens glücklich gewesen ist, weil er sie aufs genaueste beobachtete, daß es hingegen den andern Anbetern des Fräuleins Byron nicht geglückt hat, weil sie solche übertreten oder verachtet haben. Was fehlte dem tapfern Greeville, daß ihn Henriette nicht glücklich machte? Nichts anders, als daß er einen Sprung that in der Liebe, er hatte nicht schweigen gelernet, er sagte jedermann, daß er sie liebte, und gab ihr dieses selbst mündlich zu verstehen, da er noch kaum die Augen durfte reden lassen. Der weinende Herr Orene war schon etwas glücklicher, das Fräulein schenkte diesem Liebhaber schon ihr Mitleiden, und dieses ist der erste Schritt zur Erhörung eines Liebhabers. Er wußte zu schweigen wie ein Pythagoräer, aber weil er seine Augen, die immer voll Thränen stunden, und von dem Salze derselben wund waren, nicht wohl brauchen konnte, um durch diese den [310] ersten Liebesantrag thun zu lassen, so mußte er unverrichteter Sache wieder abziehen. Sir Hargrave war gewiß ein Mann, dem die Mädchen nicht lange Widerstand leisten konnten; allein er machte es zu arg, er führte die Sprache des Mundes und der Augen zugleich, er redete auch dann und wann andere Sprachen, die nur in Häusern gebraucht werden, die in keinem guten Rufe stehen; mit einem Worte, Augen, Mund und Hände waren an ihm redend, und dieses verdarb sein Spiel. Er wollte wie Cäsar auf einmal kommen, sehen und überwinden, und dieses gehet nicht bey allen Schönen an. Mit einem Worte, alle Liebhaber von Henrietten übertraten diese Regeln, Herr Grandison, der bei der Kunst zu lieben ein glückliches Genie hatte, und bei allen seinen Unternehmungen regelhaft verfuhr, hatte auch davon einen guten Fortgang zu erwarten. Er hatte sich vorgenommen, der Clementine einen Liebesantrag zu thun, und erklärete ihr den Milton, durch dieses Mittel, da er ihr erzählte, wie die ersten Eltern das Paradies verlohren hatten, bekam er Gelegenheit, das Paradies zu erobern, oder durch den angenehmen Umgang mit diesem vortrefflichen jungen Frauenzimmer sich in ihr Herz einzuschleichen. Er sagte ihr kein Wort von seiner Liebe, aber er [311] schielte dann und wann über das Buch weg, und ließ seine Augen den ihrigen begegnen, sie lernten einander verstehen, und Herr Grandison erklärte ihr zweierlei auf einmal, den Milton und seine Liebe. Er hatte schon ein gewonnen Spiel in Händen, da er seinen Autor weglegte, und ihr mündlich und schriftlich gestund, daß er sie liebte. Mit der Henriette Byron verfuhr er nicht anders, Sie haben dieses in einem ihrer Briefe selbst angemerket, daß er in seiner Liebe sehr langsame und bedenkliche Schritte gethan, und den schwindsüchtigen Anfall der Fräulein Byron keiner andern Ursache beigemessen, als weil Sir Carl nicht so geschwind, als sie es gewünschet, Hochzeit gehalten hätte, daraus sehen Sie selbst, wie genau er die Regeln, die ich Ihnen mittheile, befolget hat. Ich bin durch meine eigne Erfahrung von der Richtigkeit derselben vollkommen überzeugt worden, ich habe sie erfüllet, ohne daß ich sie damals noch kannte. Ich entdeckte meiner Frau alle meine Gesinnungen, ohne ein Wort mit ihr davon zu reden; wenn wir vom Wetter sprachen, so betheuerte ihr der Accent der Worte, und die Art, mit welchen ich sie vorbrachte, durch tausend Eidschwüre, daß ich sie liebte, und wenn sie in meiner Gegenwart eine Nadel abstrickte, so war jede Schmasche beredt: [312] ich sahe aus der geschwindern oder langsamern Bewegung ihrer Finger, wie ihr mein Antrag gefiel. Da ich genugsame Gründe vor mir hatte, ihre Minen für mich günstig zu erklären, so wendete ich die andere Art der Beredsamkeit bei ihr an, um sie vollkommen zu über winden, ich wagte es, ihr verschiedene kleine Geschenke zu machen, und da sie diese nicht ausschlug, ließ ich sie immer höher steigen, bis ich ihr einen Ring an den Finger practicirte, der mir so hoch zu stehen kam, daß ich in der Messe damals meine Zeche im Gasthofe schuldig bleiben mußte. Sie beschenkte mich davor mit einem vierblättrichten Kleeblat, das sie eben im Garten gefunden hatte. Da ich dieses erhielt, zweifelte ich nicht mehr an meinem Glücke, ich schickte, wie Sie wissen, meinen Abgeordneten ab, um das Fräulein zu werben, und war des guten Ausganges meiner Sache so gewiß, daß ich diesfalls allezeit tausend Thaler gegen einen Groschen hätte setzen wollen.

Nun sind Sie hoffentlich überzeugt, daß ich meine Zeit nicht müßig zugebracht, sondern mich vielmehr zu ihrem Vortheile beschäftiget habe. Nach vielem Kopfbrechen ist es mir endlich gelungen, diese Regeln, die ich Ihnen hier mittheile, zu erfinden. Ich billige Ihr Vorhaben, dem Fräulein etwas zum heilgen[313] Christ beschehren zu lassen: nehmem Sie sich aber wohl in acht, ihr eine Korb Portechaise zu verehren, Sie dürften vielleicht der erste seyn, der die Ehre hätte, darinne getragen zu werden. Alle Korbmacherarbeit ist den Liebenden fatal, und wird von ihnen eben sowohl für ein böses Anzeichen gehalten, als die unglücklichen Vögel bey den Römern, wenn sie zu Felde zogen. Ich war bei meiner Liebe so abergläubisch, daß wenn mir jemand mit einem Korbe begegnete, wenn ich ihr aufwarten wollte, so kehrte ich stehendes Fußes wieder um, und versparte meinen Besuch bis auf eine glücklichere Zeit. Sie wissen, daß der Unglaube eher mein Fehler ist, als der Aberglaube. Wenn Sie mir ehemals von Ihren Feldzügen eine Erzehlung machten, so erregte ich Ihnen so viele Zweifel, daß Sie oftmals eben so ungewiß waren, als ich, ob sich das wirklich zugetragen hätte, was Sie erzählten. Man giebt mir also mit Recht den Namen des Ungläubigen, aber bei der Liebe und beim Spiel verdiene ich ihn nicht, ich bin in beiden sehr abergläubisch. Der Pabst Sixt der fünfte, ob er gleich Pabst war, hatte doch den Aberglauben, alle glückliche Begebenheiten seines Lebens ereigneten sich an einer Mittwoche, und ich habe angemerkt, daß mir das Glück [314] im Spiel zwar alle Tage hold ist, aber nicht alle Stunden. Die Mitternachtsstunde ist mir für den übrigen 23. Stunden des Tages besonders günstig, wenn ich das Spiel so weit dehnen kann, so bin ich Meister, und alsdenn gehe ich ohne Gewinst nicht von der Stelle. Aus dieser Ursache spiele ich niemals am Tage, sondern jederzeit des Abends nach der Mahlzeit. Behalten Sie dieses Geheimniß ja bei sich, wenn meine Spieler dahinter kämen, würden Sie niemals meine Glücksstunde wieder abwarten wollen. Sie sehen hieraus, daß ich in gewissen Fällen sehr abergläubisch bin, und mein Aberglaube ist dran Schuld, daß ich Ihnen widerrathe, dem Fräulein von W. eine Korb Portechaise zu schenken, ich zittere schon wegen dieses Einfalls für Sie, und nehme solchen für ominös an. Ich will Ihnen aber einen andern Vorschlag thun, weil Sie wegen der jetzigen schweren Zeit, wie Sie sagen, keinen großen Aufwand machen wollen, und Ihre Geschenke, die gleichwohl in die Augen fallen sollen, gern mit wenig Kosten bestreiten, so nehmen Sie in der Holländischen Lotterie einige Loose und schenken solche dem Fräulein, Sie können für 100 thl. fünfe bekommen, sie kann sich aber auch mit einem begnügen, wenn Sie sehr sparsam seyn [315] wollen. Gewinnt das Loos, so ist es beinahe so gut, als wenn Sie ihr eine Summe, die dem Gewinnste gleich ist, geschenket hätten; verlieret es, so haben Sie weiter nichts als eine Hand voll Geld verlohren. Mich dünkt, dieser Rath ist nicht zu verwerfen. Wollen Sie aber das gewisse fürs ungewisse nehmen, so kaufen Sie ihr eine Galanterie, und bezaubern Sie die Schöne zur Vergeltung wieder, die Sie bezaubert hat, wenn Sie sich einer goldnen Uhr oder einer Sache von gleichem Werth hierzu bedienen, so ist dieses kräftiger als alle verliebte Blicke, die vor sich eben so wenig Kraft haben, als die Stäubgen, womit die Sonne spielt, die aber alle zu abgedrückten Pfeilen werden, welche das Herz eines Frauenzimmers durchdringen, wenn Ihnen ein ansehnliches Geschenke Gewicht und Nachdruck ertheilet.

Ich denke, daß ich Sie nun in Ansehung Ihrer Liebe befriediget habe, ich will Ihnen nur noch ein Wort von Ihrem Pfarrer sagen. So wenig dieser ehrwürdige Mann zu dem Innhalt meines Briefes sich zu schicken scheinet, so muß ich ihn doch eine Stelle in solchem einräumen. Ich bedaure ihn aufrichtig, daß er Ihre Gunst verlohren hat, ich weiß, daß dadurch seiner Küche mancher Braten entgehet; [316] allein ich glaube, daß man ihn verleumdet hat, und getraue mir, ihn ganz und gar von dem Verbrechen freizusprechen, das man ihm beimißt. Wer wollte diesem Ehrenmann eine solche Bosheit zutrauen, daß er das Bild einer Ihrer Ahnen sollte verunstaltet haben, den er nie gekannt hat, und der ihn folglich nie beleidiget hat? Sollte er mit Ihnen nicht allerdings zufrieden seyn, so muß man dieses seiner Schwachheit und seiner geringen Kenntniß der großen Welt zu gute halten. Sie bleiben doch Kirchpatron, wenn er Sie auch manchmal auf eine verblümte Art öffentlich tadelt, oder nach der Sprache des gemeinen Mannes von der Kanzel wirft, ich muß mir dieses sowohl als Sie gefallen lassen, und befinde mich auf einen solchen Fall allezeit sehr wohl. Ich kann mir nicht einbilden, daß er seinen Amtseifer gegen Sie an Ihren Vorfahren ausüben sollte; zudem scheinet sein Fuß nicht mehr rüstig genug, gegen eine steinerne Bildsäule dergestalt zu wüten, daß sie davon merklich könnte beschädiget werden, wenn er sich auch Hufeisen hätte auflegen lassen. Ich habe meine besondern Gedanken über diese Sache, Herr Lampert ist zur Intrigue gemacht, wer weiß, ob er das nicht selbst gethan hat, was er dem Herrn Wendelin aufbürdet. [317] Diese Vermuthung ist nicht unwahrscheinlich, er ist in seiner Liebe bei der Jungfer Wendelin unglücklich gewesen, den größten Philosophen verläst seine Philosophie, wenn er ein unglücklicher Liebhaber wird, er denkt auf Rache, wenn er auch übrigens so zahm ist wie ein Lamm. Das Schwerd meines Gerichtshalters hält das seinige in der Scheide, daß er sich öffentlich weder an ihn, noch an seine Braut wagen darf; er ist also vermuthlich darauf bedacht gewesen, auf eine verborgene Art sich zu rächen und dem Pfarrer eine Grube zu graben. Vielleicht hat er sich einmal in die Küche schließen lassen, und das Monument selbst beschädiget, welches er nun auf die Rechnung des Pfarrers schreibt. Glauben Sie nur, Herr Wendelin ist ein ehrlicher Mann, der für Leid in die Grube fahren würde, wenn er die boshafte Beschuldigung wüßte. Lassen Sie sich, wenn Sie meinem Rathe folgen wollen, gegen ihn nichts merken und übergehen sie die ganze Sache, die ohnedem eine Kleinigkeit ist, mit Stillschweigen. So gern ich wünschte, Ihr Verlangen zu erfüllen, und meinen Gerichtshalter zu überreden, seiner Rechte auf Hannchen, die bereits seine Braut ist, zum Vortheil des Herrn Lamperts sich zu begeben; so wenig bin ich im Stande, dieses [318] ins Werk zu richten. Mein Gerichtshalter will eher das Leben verlieren, als seine Braut. Er ist, wie Sie wissen, ein Mann, der Herzhaftigkeit besitzt und ein gewaltiger Disputator, daß ihr Herr Lampert gewiß gegen ihn den kürzern ziehen würde, wenn er sich mündlich oder schriftlich, auf den Hieb oder Schuß mit ihm einlassen wollte. Ueber dieses glaube ich, daß mein Gerichtshalter dieses artige Mädchen wohl verdient; er hat alle Regeln eines Liebhabers, der in seinem Vorhaben glücklich seyn will, aufs genaueste beobachtet. Er hat zu rechter Zeit geschwiegen, und zu rechter Zeit seine Beredsamkeit angewendet; und das ist es alles, was man von einem rechtschaffenen Verehrer eines Frauenzimmers verlangt. Sein Mitbuhler, der diese Regeln übertreten hat, muß sich sein unglückliches Schicksal selbst zuschreiben, und ich hätte ihm dieses prophezeien wollen. Gedult und ein wenig philosophische Gelassenheit, die schon so viele unglückliche Liebhaber beruhiget und sie von den gefährlichsten Gedanken abgehalten haben, sich selbst zu ermorden, sind die einzigen Hülfsmittel, zu welchen er seine Zuflucht nehmen kann, um sein Unglück sich erträglich zu machen. Ich [319] habe Ihnen nun alles gesagt, was ich mir vorgenommen hatte, Ihnen zu sagen, es ist mir dahero nichts mehr übrig, als Sie zu versichern, daß ich mit vieler Hochachtung bin


Dero

gehorsamster Diener v.F.


Notes
Erstdruck: Eisenach (Griesbach) 1760–1762, anonym. Später erschien eine kritische Umarbeitung unter dem Titel »Der deutsche Grandison, auch eine Familiengeschichte«. Eisenach, 1781/82.
License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Musäus, Johann Karl August. Grandison der Zweite oder Geschichte des Herrn von N.. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-5DB6-A