[3] Heinrich Pröhle
Rheinlands schönste Sagen und Geschichten

[3] [5]Vorwort.

Dieses Buch kann als Begleiter auf der Rheinreise von Mainz bis Köln (Worms bis Cleve), soll aber besonders als Jugendschrift dienen.

»Rheinlands schönste Sagen und Geschichten«, so lautet sein Titel. Die Geschichte ist ausgeschlossen, nicht so die »Geschichten.« Dazu gehört die alte, tiefernste aber wenig bekannte Geschichte von Adalbert dem Landmann nach dem rheinischen Antiquarius. Sie klingt an alte Sagen an, welche Dante, dem Dichter der Hölle, bekannt gewesen sein müssen. Auch die Schwänke in Hebels Manier können zu den »schönsten Geschichten« wenigstens wegen ihrer in diesem Buche unerläßlichen sittlichen Reinheit gerechnet werden. An dem einzigen ausführlich erzählten Gebrauche, dem Rochusfeste, wird sich nicht bloß der Goethefreund, sondern auch schon die reifere Jugend erfreuen, während die Kinder für sie mehr passende Sagen und Legenden genug in diesem Buche finden werden. Denn die eigentlichen Sagen sind und bleiben die Hauptsache in demselben.

Daß mein Name im Verlaufe von dreißig Jahren auf dem Gebiete der Märchen- und Sagenlitteratur nicht ganz unbekannt geblieben ist, glaube ich besonders meinen »Harzsagen« zu verdanken. Sie sind in erster Linie eine wissenschaftliche Arbeit, deren neueste Auflage der nach dem Tode Jakob Grimm's von Wilhelm Scherer geltend gemachten Auffassung, der deutschen Mythologie gerecht zu werden, und Mannhardt's Bestreben, die Konzentration der Sagenforschung auf die Wald- und Korndämonen durch eine Hinweisung auf die Walpurgisnacht zu erweitern, daher der Brockensage, eine neue Seite abzugewinnen sucht. Indem ich nun aber die Sagen auf eine eigentümliche Weise zu erzählen mich bemühte, wurde ich auch als Volks- und Jugendschriftsteller betrachtet. Lag mir doch [5] als Schulmann das Gebiet der Jugendschrift nicht fern. So gab ich denn auch den »Märchenstrauß« heraus, der aus der Kinderstube meines Hauses hervorging. Zu ihm steuerte einige gut geschriebene und in der Ausführung auf feiner Beobachtung beruhende Märchen meine Frau bei, die für das vorliegende Buch die Geschichte des guten Gerhards von Köln nach Simrocks 1847 bei Brönner in Frankfurt a.M. erschienener Dichtung in Prosa aufgezeichnet hat. Auch die Sage von dem Dombaumeister Gerhard von Rile ist von ihr, meist nach Weyden, bearbeitet.

Die Sage des Harzes, welcher später als die Rheinlande, wenn auch nicht so spät als das Vaterland der Edden, zum Christentum bekehrt wurde, und dessen Städte nur klein sind, trägt einen bäurischen Charakter. Daß ich ihr denselben zu erhalten suche, rechne ich mir zum Verdienste an. Einige »mündliche« Rheinsagen habe ich während meines einjährigen Aufenthaltes in der Rheinprovinz gesammelt: sie stehen in meinen »Deutschen Sagen« und sind im vorliegenden Buche nicht wiederholt, wohl aber in Trog, »Rheinlands Wunderhorn«, aus welchem ich andere Stücke als Material meinen Bearbeitungen zu Grunde zu legen nicht umhin konnte. Die Ufer des Rheines sind reich an alten und großen Städten: der Charakter der Rheinsage bildet einen Gegensatz zu dem der Harzsage. Ich will nicht mit einer wohlfeilen Redensart sagen: die Rheinsage ist international; aber obgleich ich sie nur bis Worms aufwärts vorführe, so sieht man doch aus diesem Buche, welches großartige Völkerleben in ihr erscheint. Die Geschichte und das Christentum überwiegen, Heldengedicht und Volksbuch suchten sie bereits zu gestalten, und die neueren Dichter schlossen sich unmittelbar an. Die »Rheinsagen« unseres unvergeßlichen Karl Simrock, von denen 1883 bei Julius Flittner in Bonn die neunte Auflage erschien, sind Gedichte Verschiedener, von denen außer Hermann Grieben vielleicht keiner mehr am Leben ist. In einer Jugendschrift ängstlicher zu Werke gehen, als diese Dichter, die als Hauptvertreter der Rheinsage dastehen, war nicht möglich. Wie ich Eginhard und Emma als »Novelle« bezeichnete, so habe ich auch in Genovefa erst die Verbindung zwischen Trier und der Umgegend des Laacher Sees hergestellt.

[6] Unter den neueren Quellen in Prosa, die ich benutzte, fand ich außer bei Goethe (Rochusfest) die vollendetste Darstellung vor in dem Prachtwerke »Der Rhein. Von W.O. von Horn. Dritte Auflage. Wiesbaden, Niedner. 1881.« Andere Schriften, welche ich benutzte, waren Otto Lehmann's Rheinsagen, Hülle's Drachenfels und seine nächsten Umgebungen, dann »Der Drachenfels« (Bonn 1852), Schneegans' Beschreibung Kreuznach's und besonders der rheinische Antiquarius, sowie das sinnige Buch: Kölns Vorzeit von Weyden (1826). Die Legende von der heiligen Ursula erzählte ich nach Schade's Schrift, zu der ich selbst einst einen hier nicht wiederholten Beitrag gegeben hatte.

Alles in dieser Sammlung ist in verschiedener Weise, je nachdem die Quellen sind, aus Büchern bearbeitet. Die wissenschaftliche Sagenkunde dabei bereichert zu haben, behaupte ich nicht. Doch sind meines Wissens die Rheinsagen, die ich aus dem rheinischen Antiquarius unter den Überschriften »Die Hoacht« und »Die Überfahrt nach Remagen« mitteile, in der Sagenlitteratur als neu zu betrachten, ebenso vielleicht die aus den Schriften von Wegeler (1854) und Steinbach (1879 oder 1880) gezogenen Sagen der Gegend von Laach, wenn man dabei von Genovefa und von Schlegels Gedichte absieht. Nach Steinbach's beachtenswerter Bemerkung finden sich dort noch ungedruckte Sagen.

Die einzige im grunde sehr umfassende Sammlung von Rheinsagen, die ganz in Jakob Grimms Geiste veranstaltet ist, findet sich zusammenhangslos in J.W. Wolfs niederländischen, deutschen und hessischen Sagen, wo sie noch dazu jedesmal nicht topographisch, sondern nach mythologischen Gesichtspunkten geordnet und daher fast ganz übersehen sind. Ich schöpfte aus Wolfs niederländischen Sagen die beiden letzten meiner Sammlung, in denen Cleve genannt wird.

Wenn in obiger Aufführung der Quellen ein Schriftstellername übergangen ist, so bitte ich um Entschuldigung: es ist absichtslos geschehen. Ich habe den Umstand nicht unbenutzt gelassen, daß mir in Berlin sehr zahlreiche Druckschriften als Quellen für diese Arbeit zugänglich waren, da einerseits die königliche Bibliothek einen umfassenden Katalog über alle ihre [7] Schriften aus der Rheinprovinz besitzt, andererseits die Universitätsbibliothek die Büchersammlung von Jakob und Wilhelm Grimm erworben hat. Manche Bücher, die auf meinem Arbeitstische lagen, enthielten handschriftliche Bemerkungen meines teuren Lehrers Jakob Grimm. Die Zeit, um diese Schätze für den mir von der Verlagsbuchhandlung gewordenen Auftrag auszubeuten, war allerdings etwas kurz; dafür trat ich aber auch nicht als Neuling an die Sache heran und war seit einem Menschenalter mit der Sagenlitteratur, seit meinem Aufenthalte in der Rheinprovinz mit der Rheinsage wohl bekannt.

Auf den hohen wissenschaftlichen Wert der in Berlin von mir benutzten Bücherquellen wird bei dieser Jugendschrift kein großes Gewicht gelegt werden können, eher aber darauf, daß ich die rheinischen Heldengedichte und Volksbücher ungefähr in der Weise meiner verstorbenen Freunde Ferdinand Bäßler und Karl Barthel bearbeitet und den Inhalt derselben am Rheine sehr zugänglich gemacht habe. Übrigens halte ich die Rheinsage, wie ich sie hier charakterisiert habe, für vorzugsweise geeignet, der deutschen Volkssage und der ganzen volkstümlichen Litteratur mehr und mehr Boden bei der Erziehung und dem Unterrichte der Jugend zu gewinnen und so manches Fremde wieder daraus zu verdrängen. Die Gedanken unserer Mädchen und Knaben bewegen sich gerade jetzt seit der Herstellung des deutschen Reiches weit mehr in dem Ideenkreise Schneewittchens und der Zwerge in den vaterländischen Gebirgen als in dem der Rothäute. Wie die Alten sungen, die bei Richard Wagners Opern dicht gedrängt vor der Bühne sitzen, so zwitschern auch die Jungen – und sie haben in diesem Falle vielleicht noch mehr recht als die Alten. Möge denn für Jung und Alt dies Buch mit den Rittergeschichten und mit den Legenden »Der Drachenfels und die Einführung des Christentums«, so wie mit den Kölnischen Legenden vom Bischof Hildebold und anderen eine willkommene Gabe sein!


Berlin, den 2. Oktober 1886.


Heinrich Pröhle. [8]

[1] Liebfrauenmilch.

Saßen All' auf dem Verdecke,

Fuhren stolz hinab den Rhein!


So singt ein neuerer deutscher Dichter. Bei seinen Worten sehen wir den Vater Rhein seine ganze Herrlichkeit vor uns entfalten. Die schöne Wasserstraße wird bei Worms zum Tummelplatze der größten Helden, von welchen das deutsche Lied singt. In dieser Gegend, wo das Rheingold uns im Strahl der Mittagsonne so schön entgegenblinkt, ist der Nibelungenschatz, der Nibelungenhort, in den Rhein versenkt worden. Wie uns die Reben anlachen von den Ufern des Rheins!

Es ist daher wohl zu glauben, daß hier zu Worms am Rheine einst Kaiser Max fröhlich in der Schar der Fürsten unter Trompetenklange sich am Weine gelabt, und daß dabei der Kurfürst von der Pfalz zu den anderen Fürsten gesprochen habe:


Ihr Herr'n, wer rühmt ein Erbe sein

Gleich mir? von meinen Höh'n ergießt

Aus vollem Borne sich der Wein,

Der Allen heut zur Labe fließt.


Wie herrlich ist's, von diesen Höh'n

Hinunter nach dem alten Rhein

Auf's fruchtgeschwellte Land zu sehn

Bei einem solchen Glase Wein!


Zu diesen Rebengeländen, die sich bei Worms dem Auge des Reisenden darbieten, gehört auch die Stelle, wo die Liebfrauenmilch wächst. Ueber den Namen dieses Weines erzählt die Sage Folgendes:

[1] Ein Ritter lebte zu Worms in Saus und Braus. Er war zuletzt verarmt. In dem alten mittelalterlichen Gebäude, welches er von seinen Vorfahren ererbt hatte, saß er halb trunken und leerte die letzte Kanne Weins aus dem väterlichen Weinkeller. Da erschien gleichfalls in ritterlicher Kleidung ein geheimnisvoller Gast. Der Ritter von Worms bot ihm zu trinken an. Zugleich rühmte er den alten, schon von seinen Vorfahren aufgesparten Wein. Der Fremdling kostete, sagte aber, das sei noch nichts. Fern im Süden habe er weit von Worms einen Wein gefunden, der wie Feuer durch die Adern der Menschen rolle und mit dem sich der Wein in dieser Kanne noch immer nicht vergleichen könne. Da wurde der Ritter von Worms unruhig, denn er liebte den Wein gar sehr.

Als der Fremdling das bemerkte, sagte er, es könne wohl Rat werden, daß der Ritter auch von dem feurigen Weine kosten dürfe. Ja, er wolle ihm bei der Liebfrauenkirche einen ganzen Weinberg mit solchen Wunderreben hinzaubern, wenn er ihm seine Seele dafür verschreiben wolle. Dabei ließ er den Ritter sei nen Pferdefuß sehen, denn der unheimliche Gast war in der That kein Anderer als der leibhaftige Teufel.

Mit Entzücken sah dann der verarmte Ritter auch schon die grünen Rebengelände an einem Berge unweit der Liebfrauenkirche, der bis dahin wüst gelegen hatte. Er war in diesem Augenblicke seiner selbst nicht mächtig und verschrieb ohne Zögern dem Teufel seine Seele.

Kaum war der Satan verschwunden, so eilte der Mann auf seinen Weinberg. Schon standen die Reben in der schönsten Blüte. Der Sommer aber wurde immer goldiger und heißer. Unter fröhlicher Musik konnte der Ritter im Herbst darauf schon die schönsten Trauben keltern. Als er den ersten Becher auf seinem Weinberge leerte, tönte ernst und feierlich das Geläut der Liebfrauenkirche zu ihm herüber. Da beschloß er, den köstlichen Wein, welchen er geerntet hatte, Liebfrauenmilch zu nennen, zu Ehren der Mutter Gottes, an deren Bilde er als Winzer täglich vorüber gegangen war.

Nach einem Jahre erschien der Teufel wieder bei dem Ritter, um seine Seele nun in Empfang zu nehmen. »Folge mir«, sagte er zu ihm, »denn Du hast nun einen schönen Jahrgang von dem Blute [2] der Reben genossen, die ich Dir schenkte. Deine Freunde und Verwandten werden ihn nach Deinem Tode ungestört trinken; über sie habe ich keine Macht mehr, doch soll mir Deine Seele nicht entgehen. Wie nanntest Du den köstlichen Trank, den Du ihnen hinterlässest?« »Liebfrauenmilch«, antwortete der Ritter. Da verschwand der Teufel, denn die Nennung des Namens der heiligen Jungfrau hatte ihm die Macht über des Ritters Seele genommen. Er war gerettet und kelterte und trank bis an sein Ende mit seinen Freunden den lieblichen Wein Liebfrauenmilch.

Woher der Teufel diese Rebe genommen hat, erwähnt die Sage nicht. Nach anderen Geschichten und Sagen aber hat Worms schon in alter Zeit mit mehreren Weinländern, namentlich mit Italien und Palästina, in lebhafter Verbindung gestanden.

[3] Die Nibelungen.

  • Siegfried und Kriemhilde (Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten)
    Siegfried und Kriemhilde

Bei der Sage von den Nibelungen müssen wir längere Zeit verweilen. Man versteht unter den Nibelungen immer diejenigen, welche sich im Besitze des Nibelungenschatzes befinden. Nachdem ihn Siegfried dem Drachen und dem Zwerge Nibelung abgewonnen hat, ist dieser der eigentliche Nibelungenheld. Der höchste Glanz der Schönheit, der Jugend und der Kraft ist ihm eigen und geht sogar dauernd auf seine schon vorher hochgefeierte Gemahlin Kriemhilde über. Brunhilde dagegen hat bis zu ihrer Besiegung durch Siegfried selbst einen geheimnisvollen Anteil an dem Zauber der Nibelungen. Dieser Zauber weicht aber mehr und mehr von ihr, nachdem sie Gunther übergeben ist. Nach Siegfrieds Ermordung verschwindet Brunhilde mehr aus dem Heldengedicht der Nibelungen. Aber auch Kriemhild's Charakter verdunkelt sich allmählig nach Siegfried's Tode. Dagegen heben sich mehr und mehr die Burgunden und besonders Hagen zu großartigen und selbst etwas edleren Gestalten, nachdem sie durch Siegfried's Tod in den Besitz des Schatzes der Nibelungen gekommen sind. Nach Siegfried's Tode heißen sie daher eben so gut die Nibelungen, als Siegfried selbst.

Trotz aller Hoheit, allen Edelmutes und aller Liebenswürdigkeit wird Siegfried wegen eines nur geringen Vergehens, des gegen Brunhilde ausgeübten Betruges, von einem unerbittlichen Geschicke ereilt. Aber wie sehr wir auch Hagen's verruchte Handlung verabscheuen, so müssen wir doch von Anfang an gestehen, daß derselben kein Eigennutz, sondern nur [4] die Königstreue des mittelalterlichen Vasallen zu Grunde liegt, aus welcher auch die erhabensten Handlungen in der Geschichte seiner Zeit hervorgehen. Besonders als er bereits den Tod aller Burgunden und auch seinen eigenen voraus weiß, zwingt er uns im Kampfe mit Kriemhilde und den Hunnen immer lebhaftere Bewunderung ab. Unvergleichlich sind daher die Worte, die er zu Kriemhild spricht:


»Du hast es nach Deinem Willen zu einem Ende gebracht

Und ist auch recht so ergangen als ich mir hatte gedacht.

Nun ist von Burgonden der edle König tot,

Giselher, der junge, und auch Gernot.

Den Schatz weiß nun Niemand außer Gott und ich.

Der sei, Du Teufelinne, allzeit verhohlen für Dich.«


Welch einen Abstand bildet diese Schilderung der Kriemhild am Hofe des Hunnenkönigs Etzel oder Attila mit der Schilderung der lieblichen Jungfrau Kriemhild am Königshofe der Burgonden zu Worms! Da wuchs sie heran als ein holdseliges, schüchternes Mägdelein. In allen Landen war nichts Schöneres als sie. Ohne Maßen herrlich war ihr edler Leib. Drei Könige, edel und reich, pflegten ihrer: Günther, Gernot und Giselher, der junge, denn die Jungfrau war ihre Schwester. Ihnen diente eine stolze Ritterschaft. Eine reiche Königin, Frau Ute, war ihre Mutter.

In ihrer stillen Abgeschiedenheit träumte Kriemhilden einst, sie habe einen wilden Falken gezogen manchen Tag, da wären zwei Adler gekommen und hätten ihn mit ihren Krallen zerdrückt. Sie erzählte den Traum ihrer Mutter Ute. Diese antwortete:


»Der Falke, den Du ziehest, das ist ein edler Mann,

Ihn wolle Gott behüten, daß er nicht mag verloren gah'n.«


Kriemhilde antwortete:

»Was sagt Ihr mir von Manne, vielliebe Mutter mein?

Ohne Recken-Minne will ich immer sein.

So schön will ich bleiben bis an meinen Tod,

Daß ich soll von Manne nimmer gewinnen keine Not.«


»Nun verrede es nicht zu sehre,« sprach ihre Mutter da.

»Sollst auf der Welt Du werden von Herzen fröhlich, ja,

Das geschieht von Mannes Minne. Du wirst ein schönes Weib,

Ob Dir Gott noch gesellet eines guten Ritters Leib.«


[5]

»Die Rede lasset bleiben,« sprach sie, »Fraue mein.

Es ward an manchen Weibern klar wie der Sonne Schein,

Wie Liebe mit Leide zuletzt noch lohnen kann.

So ich sie meide beide, nicht übel wird mir's ergah'n.«


Trotz dieser klugen Rede behielt jener Traum doch seine tiefe Bedeutung für Kriemhilden's ganzes Leben, denn schon war in den Niederlanden zu Santen eines reichen König's Sohn erwachsen, der ihr im Traume als Falke vor Augen stand. Sein Vater hieß Sigemund und seine Mutter Siglinde. Er war schon zum Helden heran gewachsen. Viele Länder hatte er bereits durchzogen. Seine riesenhafte Stärke und selbst seine Unverwundbarkeit war schon erprobt. Zu ihm an den Niederrhein war das Gerücht von Kriemhilden's Schönheit gedrungen. Siegfried wußte auch bereits, daß sie alle Freier abweise. Darum warnte ihn sein Vater Sigemund auch vor dem Gedanken, die stolze Königstochter von Burgund zu erwerben. Die Mutter Sigelinde weinte, als Siegfried sich dennoch zu dem kühnen Brautzuge von Santen nach Worms entschloß.

So zog er denn von dannen, herrlich ausgerüstet mit einem stattlichen Gefolge. Vor der Abreise gab ihm Sigemund ein siebentägiges Fest. Am siebenten Morgen nach dem Aufbruche von Santen ritten sie zu Worms ein. Alle ihre Gewande waren von rotem Golde, ihre Schilde neu, hell und breit. Die hochherzigen Ritter und Knechte an König Gunthers Hofe gingen zu den Herren aus Niederland, empfingen die Gäste und wollten deren Rosse in die Ställe ziehen. Siegfried, der Vielkühne, sprach: »Laßt mir und meinen Mannen die Rosse stehen, aber saget mir, wo ich den König finde, Gunther, den Vielreichen von Burgondenland.« Da sagte ihm Einer: »Suchet Ihr den König, den möget Ihr wohl finden. In jenem weiten Saale sah ich ihn bei seinen Helden stehn. Gehet nur hin, da werdet Ihr noch manchen herrlichen Mann kennen lernen.«

Aber auch dem Könige war es schon angesagt, daß die fremden Ritter gekommen waren, welche Niemand kannte in der Burgonden Land. Den König nahm es Wunder, von wannen die herrlichen Recken gekommen waren in so schöner Kleidung und mit so guten neuen und breiten Schilden. Es war Herr Ortwein von Metz, welcher dem Könige antwortete: »Da wir sie nicht kennen, so sollt Ihr meinen Oheim Hagen herbeirufen lassen. [6] Dem sind kund die Reiche und alle die fremden Lande. Wenn er die Fremdlinge siehet, so wird er uns vielleicht auch über sie Auskunft geben können.«

Hagen war bald zur Stelle und blickte durch ein Fenster auf die fremden Gäste. Er erstaunte über ihre edle Haltung, mußte aber gestehen, daß er sie nicht kenne. Jedoch fügte er hinzu, daß er Siegfried nie gesehen habe und glauben müsse, dieser sei es mit sei nem Gefolge. Nun stimmte er Siegfrieds Loblied an und erzählte seine Geschichte. Dem finsteren Geschlechte der Könige Nibelung und Schildung habe dieser den Nibelungenhort und das Schwert Balmung, dem Zwerge Alberich aber dabei die unsichtbar machende Tarn- oder Nebelkappe abgewonnen. Den Drachen oder Lindwurm, welcher mit dem Zwerge Nibelung den Schatz bewachte, habe er getötet. In dem Blute des Drachen habe er sich gebadet und dadurch eine Hornhaut erhalten, welche seinen Körper unverwundbar mache. Diesen jungen Recken müsse man auf's beste empfangen, um nicht seinen Zorn zu reizen und seinen Haß auf sich zu laden.

So geht denn König Gunther dem Siegfried, welcher sich aufgemacht hatte, ihn zu suchen, gar freundlich entgegen. Auf dem Königshofe werden ritterliche Spiele veranstaltet, bei welchen die hohe Siegfriedsgestalt allgemein bewundert wird. Auch Kriemhilde sieht dabei heimlich von ihrem Gemache aus auf ihn herab. Sie vergißt die kindlichen Gespielinnen ihrer Jugend und denkt nur noch an ihn. Aber die ernste Sitte der Zeit verbietet es ihr sogar, sich am Fenster nur zu zeigen. So vergeht ein Jahr, ohne daß Siegfried die Kriemhild erblickt hat.

Aber da kam eine neue Kunde aus der Fremde in Gunthers Land. Es erschienen Boten von Recken in der Ferne, die den König von Burgund haßten. Es war Liudger von Sachsen und auch König Liudgast von Dänemark. Die Boten sprachen zu Gunther:

»Liudgast und Liudger wollen Euch heimsuchen in Eurem Lande, Ihr habet ihren Zorn gereizet. Ihr sollet gewarnet sein. Viele der Degen werden ihnen helfen auf der Heerfahrt nach Worms am Rhein. Innerhalb zwölf Wochen wird die Reise geschehen. Nun könnet Ihr zeigen, ob Ihr Freunde habet, welche Euer Land und die Burgen zu sichern im Stande sind.«

[7] Wie feind man den Boten auch war, so mußte ihrer doch zu Worms auf das Beste gepflegt werden. Zu König Gunther kamen die Edelsten von denen, so man zu Worms fand. Aber selbst Hagen von Tronje war solchem Uebermute gegenüber verlegen. Nicht so Siegfried, der edle Gast am Hofe, der zuletzt ins Vertrauen gezogen wurde. Die Boten Liudger's begaben sich endlich wieder zu Gunther. Da bot ihnen reiche Gabe der gute König und sicheres Geleit. Er ließ den Sachsen und den Dänen raten, zu Hause zu bleiben. Wenn sie aber auszögen, so sollten sie Arbeit finden. Diese wurde jedoch später von Siegfried fast allein gethan. Er zog mit den Burgonden den Feinden entgegen und nahm Liudgast, den König der Dänen, gefangen. Auch unterwarf er den König von Sachsen und der Krieg war zu Ende.

Es wurden Boten gesandt vom Heere an den Rhein nach Worms. Kriemhilde wollte dieselben ausforschen über die Tapferkeit ihrer Brüder. Als diese Boten aber von selbst besonders Siegfried's Heldenthaten zu erzählen anfingen, wurde ihr Antlitz rosenrot vor Freude und sie schenkte den Boten zehn Mark Goldes, sowie reiche Kleider. Von der Zinne der Burg zu Worms aus sah sie die Heimkehr des siegreichen Heeres. Es wurden aber für Siegfried von den Burgonden zu Pfingsten reiche Festlichkeiten veranstaltet.

Da hieß der reiche König Gunther hundert seiner Mannen mit seiner Schwester gehen, auf daß sie ihr dienen sollten. Von einer Kemenate, d.h. aus einem Gemach oder einer Kammer, sah man sie hervorgehen. Viele Helden drängten sich danach, die edle Magd Kriemhilde fröhlich einherschreiten zu sehen. Minniglich aber trat sie daher wie die Morgenröte aus trüben Wolken. Mancher, der sie so herrlich schreiten sah, vergaß der Not und der Trauer, die er lange im Herzen getragen hatte. Von ihrer Kleidung leuchtete manch edler Stein. Von ihren Wangen glänzte die rosenrote Farbe gar minniglich. Selbst der, dem jeder Wunsch gelungen wäre, hätte nicht sagen können, daß er auf dieser Welt schon etwas Schöneres gesehen habe. Wie der lichte Mond den Sternen voransteht, so stand sie den anderen Frauen voran.

Siegfried war bei ihrem Anblicke im Herzen bald fröhlich und bald traurig. Er hielt es für einen blöden Wahn, daß Kriemhilde jemals die [8] Seine werden könne. Sie aber grüßte ihn, als sie ihn vor sich stehen sah. Da entzündete sich die Farbe seines Gesichtes. Mit sehnsuchtsvollen Blicken sahen sie einander an. Nicht größere Freude hätte er in jenen Maientagen gewinnen können, als da sie ihm an der Hand ging, die er als seine Traute begehrte. Niemals diente ein Recke besser um eine Königstochter. Mannig Weib folgete ihr, da sie zu dem Münster ging, und sie schien manchem Recken zur Augenweide geboren zu sein. Aber kaum vermochte Siegfried so lange zu warten, bis man die Messe sang. Als sie nach der Messe aus dem Münster kam, sah man den kühnen Degen wieder zu der Jungfrau gehen. Ihr Herz war voll Dankes für die Treue, die Siegfried ihren Brüdern bewiesen hatte. War doch der Königssohn aus den Niederlanden wie ein Lehnsmann König Gunthers gegen dessen Feinde ausgezogen.

Endlich beurlaubten sich die meisten Gäste bei Frau Ute und Kriemhilde. Die Herbergen wurden leer und die Ritter zogen von dannen. Auch Siegfried wollte aufbrechen. Aber Giselher, der junge, sprach: »Ich bitte Euch, bleibet bei den Recken, bei König Gunther und seinen Mannen. Hier zu Worms sind viel schöne Frauen, die man Euch sehen lassen soll.« Da sprach der starke Siegfried: »So lasset die Rosse stahn.« Seit dieser Zeit ist es geschehen, daß er täglich die schöne Kriemhilde sah. Aber noch war seine Liebe aussichtslos, denn die Macht König Gunthers war zu groß und Worms stand durch seine höfischen Sitten allen andern Höfen in der Christenheit weit voran. Da kam eine neue Märe auf am Rheine, welche Siegfrieds Lage zu Worms auf's neue veränderte.

Es war eine Königin gesessen über der See, in Island. Keine mehr glich ihr. Sie war über die Maßen schön, und gewaltig war ihre Kraft. Keinem Manne wollte sie ihre Hand als Gattin reichen, der ihr nicht im Speerwerfen, im Steinschleudern und im Springen den Sieg abgewonnen hätte. Wer sie aber zu diesen Wettspielen aufforderte, und sie nicht überwand, dem kostete es das Leben. So war es schon Vielen ergangen. Da sprach Gunther, der Vogt vom Rhein: »Ich will über die See, hin zu Brunhilden.« Siegfried wiederriet das. Seine Heimat lag ja dem Königsitze der Brunhilde etwas näher, als Gunthers Hauptstadt Worms. So war Siegfried über Brunhilde schon mehr unterrichtet, als die Burgonden. [9] Auch kannte er die Wege auf dem Rheine hinab ganz genau, denn dahin lagen die Niederlande, wo sein Vater König war. Selbst der Ocean nordöstlich von den Niederlanden schien ihm nicht unbekannt zu sein. Als daher König Gunther von seinem Plane, die stolze Brunhild als Gemahlin nach Worms heimzuführen, nicht abzubringen war, begleitete ihn Siegfried. Dabei mußte er vor Brunhilde als Lehnsmann König Gunthers gelten. Nur dadurch konnte in Brunhilden's Herzen der Gedanke unterdrückt werden, mit Siegfried zu kämpfen und, nachdem sie sich ihm im Kampfe ergeben haben würde, ihm ihr Reich mit ihrer Hand zu übergeben. Ihr Land aber mag man sich als ein verzaubertes Königreich denken, von welchem freilich später, nachdem der Zauber gleichsam durch ihre Besiegung gelöst ist, fast garnicht mehr gesprochen wird. Damit nun aber von der Erwerbung der Brunhilde für Siegfried unter allen Umständen nicht die Rede sein darf, so verspricht der mächtige König der Burgonden Siglinden's Sohne die Hand seiner Schwester Kriemhilde für den Fall, daß Gunther durch Siegfried die Brunhilde gewinnt. Die Liebe zu Siegfried kann in Brunhilden's Busen nicht erwachen nach dem Geiste jener altertümlichen Zeiten, sobald Siegfried nicht selbst schon durch seine Geburt Ansprüche auf ein königliches Erbe erheben kann. Um so vornehmer erscheint Siegfried in seiner nur scheinbar angenommenen Knechtschaft.

Bei seiner und ihres Bruders Abreise ist Kriemhilde in Thränen ausgebrochen. König Gunther greift selbst zur Ruderstange, weil Siegfried stromabwärts als Wegweiser dienen kann und dadurch, daß er wohl steuert, aber nicht rudert, geehrt werden soll. Nach zwölftägiger Fahrt kamen sie an dem Hoflager der Brunhilde zu Isenstein an. Da ragten am Meeresstrande sechsundachtzig Türme empor in umheimlicher Pracht. Drei Paläste und einen Herrensaal, die alle von grünem Marmor erbaut waren, schlossen sie ein. Weder das Land noch seine stolze Beherrscherin ist Siegfried unbekannt. Aber er selbst stellt sich ihr jetzt als König Gunthers Dienstmann vor. Die Bewerbung desselben wird ihr angekündigt. Als Hagen, der sich gleichfalls in Gunthers Gefolge befindet, die Waffen sieht, deren sich Brunhilde im Wettkampf mit dem Freier bedienen will, ruft er aus, Brunhilde müsse des Teufels Braut sein.

[10] Aber auch hier schafft Siegfried Rat. Schon in Worms hat er Alles wohl überlegt. Er führte die Tarnkappe mit sich, welche er einst dem Zwerge Alberich abgenommen hatte. Sobald er sie aufsetzte, war er nicht allein unsichtbar, sondern hatte auch für sich allein die Stärke von zwölf Männern. Brunhilde, welche die übernatürlichen Kräfte einer Walküre oder Schwanenjungfrau besaß, schleuderte zuerst gegen Gunthers Schild den Spieß, den kaum drei ihrer Mannen hatten herbei tragen können. Gunther zagte. Aber Siegfried stand ihm in der Tarnkappe unsichtbar zur Seite. So nahm Siglindens Sohn den Speer und warf ihn zurück gegen Brunhildens Schild, daß diese von der Erschütterung niederfiel. Da griff sie zu dem Stein, den kaum zwölf der kühnen Helden tragen konnten. Den warf sie jedesmal im Streite mit den Freiern, nachdem sie den Spieß verschossen hatte. Wiederum würde Gunther unterlegen sein, wäre ihm Siegfried nicht unsichtbar zur Hülfe gekommen. Weit schleuderte Brunhilde den Stein hinweg und sprang ihm nach, daß laut ihr Eisengewand ertönte. Allein sowie der Stein niederfiel, ergriff ihn Siegfried und warf ihn über Brunhilde hinweg. Den König Gunther trug er unter den Armen. Mit ihm aber sprang er noch weiter als die streitende Jungfrau gesprungen war. Siegfrieds Anwesenheit war unbemerkt geblieben. König Gunther hatte gesiegt, Brunhilde wurde sein Weib und übergab ihm ihr ganzes Reich.

Siegfried zieht nun nach Worms voraus und verkündigt dort die Verlobung Gunthers und Brunhildens. Auf dieser Reise besucht er auch das Land der Nibelungen wieder. Als Gunther und Brunhilde in Worms ankommen, erinnert Siegfried den König Gunther an das Versprechen, ihm Kriemhilde zu vermählen, welches er ihm vor der Reise nach Island gegeben hat. Gunther redet nun mit Kriemhilde und trotz aller Schamhaftigkeit bekennt sie ihm ihre Liebe zu Siegfried. Beide werden nun gleichfalls miteinander verlobt. Vor all den Helden umarmt und küßt er sie und eine doppelte Hochzeit wird gefeiert.

Aber schon beim Hochzeitsmahle sitzt Brunhilde finster da, und ihre großen Thränen fallen in den vor ihr stehenden Pokal mit dem edlen Saft der burgundischen Rebe. Gunther muß sie ausforschen über ihren Kummer. Da giebt sie vor, daß sie über Kriemhilde weine, weil diese einem eigenen Manne, einem Vasallen Gunthers, vermählt werde. In Wahrheit aber [11] weinte das wilde Weib, weil sie Kriemhilde um Siegfried beneidete. Gunther mußte sie beruhigen, indem er ihr von dem Ansehen und von den Reichtümern Siegfrieds erzählte, der über ein fernes Land gesetzt werde, wenn er allerdings auch nur sein Vasall sei. Das Letztere mußte er der Wahrheit entgegen wiederholen. Die böse Frau hätte ja sonst darüber nachsinnen müssen, weshalb Siegfried vor ihr in ihrem Königreiche erschienen sei, ohne selbst um sie zu werben. Ja, sie wäre noch entschlossen gewesen, sich mit Siegfried zu verbinden, wenn sie seine Abkunft aus königlichem Geblüte erfahren hätte.

Mit solchen bösen Gedanken in Brunhildens Herzen hing es sogar zusammen, daß sie Gunther noch immer nicht als ihren Ehemann anerkannte. In der Nacht nach der Hochzeit band sie ihrem Gatten mit ihrem Gürtel Hände und Füße zusammen und hängte ihn so zum Gespött an einem Nagel in der Kammer auf. Erst auf vieles Bitten wurde er noch während der Nacht aus seiner schlimmen Lage wieder befreit. Da mußte Gunther andern Tages wieder seine Zuflucht zu Siegfrieds bewährter Hülfe nehmen. Derselbe ging in der folgenden Nacht in der Tarnkappe zu ihr. In Gunthers Namen überwand er sie zum zweiten Male und vollständiger als das erste Mal. Ohne daß sie es bemerkte, zog er ihr dabei einen Ring ab und nahm ihr den kostbaren Gürtel. Damit entfernte sich Siegfried in der Tarnkappe. Von dieser Zeit an ergab sich Brunhilde auch dem Gunther und ihre fast noch heidnische Wildheit verlor sich mehr und mehr.

Als alle Hochzeitsgäste den burgondischen Königssohn verlassen hatten, zog auch Siegfried heim mit Kriemhilde in das Nibelungenland.

Ein Sohn, den Kriemhilde bekam, wurde Gunther genannt. Gunthers Sohn von Brunhilde aber hieß Siegfried. Brunhilde aber dachte: »Wie träget doch meine Schwägerin Kriemhilde so hoch ihr Haupt! Siegfried, ihr Gemahl, ist doch unser Lehnsmann, aber er hat uns seither wenig Dienste gethan. Woher mag es kommen, daß er sich um unsern Hof garnicht zu kümmern braucht?« Nun heuchelte sie gegen den König eine Sehnsucht, ihre Schwägerin zu sehen. Anfangs sagte Gunther: »Wie sollten wir sie herbringen in dieses Land? Ich darf ihnen nicht gebieten zu kommen, sie sitzen uns zu fern.« Da antwortete Brunhilde: »Wie vornehm und reich [12] auch der einem Könige eigene Mann wäre, so sollte er doch das nicht unterlassen zu thun, was ihm sein Herr geböte. Darum, mein Gemahl, hilf mir, daß Siegfried und die Schwester Dein hierher zu Lande kommen. Es könnte mir wahrlich nichts Lieberes geschehen.« Da sandte Gunther Recken nach Nibelungenland, sie sollten bitten, daß die Beiden nach Worms an den Rhein kämen.

Nach drei Wochen zogen sie in das Land ein. Sie fanden Siegfried, den edlen Degen, zu Norwegen in seiner Mark. Als Kriemhilde hörte, es seien Ritter kommen, sie trügen solche Kleider, wie man sie im Lande der Burgonden von Alters her zu tragen pflegte, da sprang sie von einem Ruhebette empor, auf welchem sie lag. Da bat sie eine Magd zu einem Fenster zu gehen. Diese erblickte den kühnen Gero, der mit seinen Gesellen auf dem Hofe stand. Im Herzeleid ihres Heimwehs war Kriemhilde darüber hoch erfreut. Sie sprach zu dem Könige Siegfried: »Sehet Ihr die mit dem starken Gero auf dem Hofe schreiten, die uns mein Bruder Gunther den Rhein hinabgesandt hat?« Da sprach Siegfried: »Die sollen uns willkommen sein.« Das Gesinde lief zusammen, wo man sie sah. Gero und seine Mannen wurden geherberget. Sie gingen dahin, wo Siegfried bei Kriemhilde saß. Sie wurden sogleich zum Sitzen genötigt, aber Gero sprach: »Lasset uns wegemüde Gäste so lange stehen, bis wir die Botschaft angebracht haben. Gunther und Brunhilde, Frau Ute und Herr Gernot und Giselher der junge sind in allen Tugenden so recht hochgemut und laden Euch zu einem Feste an den Rhein. Wenn der Winter ein Ende genommen haben wird, so wollen sie Euch vor der Sonnenwende sehen.« Anfänglich machte Siegfried Einwendungen. Aber der Markgraf Gero war ein Verwandter Kriemhildens und sagte, er müsse täglich die Mutter Ute klagen hören, daß ihre Tochter Kriemhilde ihr so ferne sei. Die Reise ward beschlossen. Siegfrieds Hofleute rieten ihm, mit tausend Recken zu reiten am Rheine hinauf zu Burgund. Sein Herr Vater begleitete ihn.

Als die Nachricht nach Worms gelangte, daß die Nibelungen kommen würden, waren die Mannen der drei Könige Gunther, Gernot und Giselher von früh bis spät beschäftigt. Mancher begann sogleich zu reiten, Truchsessen und Schenken richteten die Bänke her, wobei ihnen auch Ortwin von Metz half. Rumold, der Küchenmeister, tummelte da seine [13] Untergebenen. Da fand man manchen Kessel, Hafen und auch Pfannen. So sorgte man, daß es bei Ankunft der erwarteten Gäste an Speise nicht fehlte. Als diese dann kamen, wurden sie von den Posaunen gar kräftig begrüßt. Der Schall der Trommeln und Flöten war so groß, daß das weite Worms davon laut ertönte. Ueberall ritten die hochgemuten Helden zu Rosse. Da erhub sich in dem Lande das hohe Ritterspiel von manchem guten Recken. Die herrlichen Frauen saßen in den Fensternischen und blickten zur Kurzweil auf die Kampfspiele der kühnen Mannen. Da hörten sie alle die Messe, bei welcher der Gesang in jenen Zeiten des Ueberganges vom Heidentume zum Christentume noch etwas wirr ertönte. Denn es liefen bei solchen Gelegenheiten auch wohl die Heiden mit in die Messe, und, wie es im Nibelungenliede heißt: »Christen und Heiden sangen nicht in eins.«

Vor einer Vesper wurde auch ein Ritterspiel gehalten. Da saßen die beiden Königinnen zusammen. Da sprach die schöne Kriemhild: »Fürwahr, ich habe einen Mann, dem alle diese Reiche unterthan sein sollten.« Da entgegnete Frau Brunhilde: »Wie könnte das wohl geschehen? Freilich, wenn Niemand lebte als Ihr Beide! Aber so lange Gunther lebt, kann es doch nicht sein.« Hierauf begann aber Kriemhilde: »Siehst Du, wie er dasteht, und wie er so herrlich vor den Recken herschreitet! Soll mir davon nicht mein Herz fröhlich werden?« »Nun,« warf Brunhilde dagegen ein, »wie stattlich auch Dein Mann sein mag, so sollst Du doch Gunther, dem edlen Bruder Dein, den Rang über ihn und alle Könige zugestehen.« Kriemhilde antwortete: »Mein Mann ist Gunthers Genosse und ihm ebenbürtig.« »Als Gunther meine Minne gewann,« entgegnete Brunhild hierauf, »hat Siegfried bekannt, daß er nur dessen Vasall wäre.« »O«, rief Kriemhilde, »das wäre schlimm für mich, wie würden wohl meine edlen Brüder jemals einem Lehnsmanne mich als Ehefrau übergeben haben? Ich muß Dich freundlich bitten, Brunhilde, daß Du solche Rede unterwegs lässest.« »Ich mag aber auf unsere Lehnsleute nicht verzichten,« schrie Brunhilde. »Siegfrieds Dienste wirst Du doch entbehren müssen,« sprach Kriemhilde. »Mich nimmt es nur Wunder, wenn wir Beide Deine eigenen Leute sind, daß Du so lange keinen Zins von uns bekommen hast. Darum sollst Du noch heute erkennen, daß ich edelfrei bin. Noch heute sollst Du [14] schauen, wie Deine Vasallin zu Hofe gehet mit den Helden in Burgondenland. Höher will ich gelten, als jede andere Königstochter, die hier die Krone trug.« »Willst Du nicht eigen sein,« sprach Frau Brunhilde, »so mußt Du Dich scheiden mit Deinen Frauen von meinem Ingesinde, wenn wir zum Münster schreiten.« »Das soll gewiß geschehen,« sprach Kriemhilde. Zu ihren Jungfrauen sprach sie dann: »So Ihr ein reiches Kleid besitzet, so leget es nun an. Sie soll zurücknehmen, was sie mir heute vorgeworfen hat.« So ging des edlen Siegfrieds Weib mit ihren Frauen dahin. Aber auch die schöne Brunhilde war wohl gezieret. Sie kam mit dreiundvierzig Frauen, welche sie von Island mit an den Rhein gebracht hatte. Die trugen Zeuge von lichtem Scheine aus Arabia.

So kamen die schönen Frauen jede mit ihrem Zuge vor dem Münster an, wo die Männer ihrer freudig harrten. Die Leute nahm es Wunder, daß man sie so geschieden sah. Aber schon hieß Brunhilde die Kriemhilde still stahn, weil niemals eigene Leute vor Königes Weibe hergehen dürften. Da hielt die schöne Kriemhilde zornig der Schwägerin vor, daß sie zweimal von Siegfried überwunden sei. »Wohin waren Deine Sinne gekommen?« sprach sie, »es war ein arger Betrug.« »Wahrlich,« sagte da Brunhilde, »darüber will ich mit Gunther sprechen.« »Sieh«, rief Kriemhilde, »Dein Uebermut hat Dich betrogen. Aber Du hast es zu arg gemacht, da Du in mir nur Deine Vasallin sahst. Zu getreuer Freundschaft mit Dir bin ich nun nicht mehr bereit.«

Da weinte Brunhilde. Kriemhilde aber wartete nicht länger und ging vor des Königes Weibe mit ihrem Ingesinde in das Münster. Es dauerte Brunhilde zu lange, wie man dort Gott dienete und sang. Bevor der Gottesdienst zu Ende war, stellte sie sich mit ihren Frauen vor dem Dome auf, um noch mehr zu erfahren, dessen sich Siegfried unvorsichtigerweise gegen Kriemhild gerühmt hatte. Als Brunhilde aber sie deswegen beim Heraustreten aus dem Münster befragen wollte, sagte diese, sie möge sie nur lieber gehen lassen. Sie zeigte ihr jedoch einen goldenen Ring, welchen Siegfried Brunhilden, als er sie überwand, abgezogen hatte. Er hatte ihn getreulich der Gattin gebracht. Brunhilde rief, der Ring sei ihr geraubt worden. Aber Kriemhilde erbot sich auch mit dem Gürtel, den sie trug, die Wahrheit dessen, was sie gesagt hatte, zu beweisen. Denn auch [15] der Gürtel aus Seide von Ninive, mit welchem Brunhilde einst König Gunther gebunden hatte, war ihr von Siegfried im Ringen abgenommen worden. Brunhilde rief nun nach dem Könige und verklagte seine Schwester bei ihm. Als derselbe mit Siegfried nachher über den Vorfall verhandelte, sagte dieser sehr weise: »Man soll die Frauen so ziehen, daß sie üppige Sprüche unterwegs lassen. Verbiete es Deiner Frau, der meinigen will ich ebenso thun. Wahrlich, ich schäme mich solch redseligen Uebermutes.«

Aber damit konnte er nicht ungeschehen machen, was er selbst gethan und was seine gegen ihn so liebevolle Gattin gesprochen hatte. Brunhilde saß auf ihrem Zimmer und brütete Rache. Weinend fand sie dort Hagen von Tronje. Hagen konnte die Thränen seiner Herrin nicht sehen. Er versprach Siegfried zu ermorden. Der König billigte den Mordplan. Dieser konnte indessen wegen der Stärke Siegfrieds nur mit List von Hagen ausgeführt werden.

Es wurde ein neuer Angriff der Könige von Sachsen und von Dänemark als bevorstehend angekündigt. Siegfried erbot sich auch diesmal, seinen Schwägern beizustehen. Da ging Hagen zu Kriemhild und sprach: »Frau, es heißt, daß Siegfrieds Leib unverletzbar ist außer an einer einzigen Stelle. Welche diese nun aber sei, weiß Niemand. Nun will ich ihm gern im Kampfe zur Seite gehen und reiten und diese Stelle an seinem Leibe mit meinem Schilde decken, wenn ich sie von Euch erfahren kann.« Sie sprach: »Mein Mann ist kühn und stark. Als er den Linddrachen am Berge schlug, badete er sich in dessen Blute. Deshalb kann ihn keine Waffe verwunden. Aber als er sich badete in des Drachen Blut fiel ein Blättchen des Lindenbaums auf seinen Rücken, so daß die Stelle trocken blieb, hier nun ist er verwundbar. An diese Stelle werde ich auf sein Gewand mit seidenen Fäden ein Kreuz nähen. Dort soll dann, o Held, Deine Hand ihn beschützen«. »Das will ich thun, vielliebe Fraue mein,« sprach der falsche Hagen.

Am anderen Morgen zog Herr Siegfried mit tausend seiner Mannen fröhlich in den Krieg. Auf seinem Gewande war ein Kreuz von feiner Seide genäht, dadurch hatte Kriemhild die Stelle bezeichnet, wo ihr Gemahl verwundbar war. Aber alsbald wurde nun die Nachricht verbreitet, daß das Reich der Burgunden ohne Not durch Kriegsnachrichten beunruhigt [16] sei. König Gunther aber gab seinen Rittern, die sich zum Kriege gerüstet hatten, ein Fest. Er lud sie ein zur Jagd im Wasgenwalde. Vor Allen wollte Siegfried an der Jagd teilnehmen. Nur sollte ihm Gunther einen Jäger und einige gute Hunde leihen. »Ich leihe Euch vier,« antwortete Gunther, »denen alle Wege in den Tannen wohlbekannt sind.«

Kriemhilde aber sprach zu Siegfried: »Mir träumte heute Nacht, wie Euch zwei wilde Schweine jagten über die Heide. Da wurden Blumen rot, darum muß ich weinen.« Trotz dieser bösen Ahnung ritten die Helden aber doch von dannen in einen tiefen Wald. Viele der Rosse, die vor ihnen über den Rhein gekommen waren, trugen Fleisch und Fische, Brot und Wein für die Jagdgesellen. Auch Siegfried war gekommen. Ein alter Jäger mit einem Hunde brachte ihn dahin, wo sie viel Wild fanden. Was die Bracke aufjagte, das erschlug Siegfried, der kühne Held von Niederland. Er tötete einen Löwen, einen Wiesent, einen Elch, einen Schelch und vier starke Auerochsen. Ein grimmiger Eber wandte sich gegen Siegfried, aber dieser erschlug ihn mit dem Schwerte. Von Allen machte er die meiste Beute auf der Jagd. Der König ließ die Jäger zum Mahle laden. Da fing Siegfried zur Kurzweil für die Jagdgenossen noch einen lebendigen Bären, band ihn auf den Sattel und nahm ihn mit nach der Sammelstelle.

Siegfried trug ein Kleid von schwarzem Zeuge und einen Hut von Zobelfelle. Seinen Bogen mußte man mit einer Winde aufziehen. Auch führte er Balmung, das schmucke breite Schwert von gewaltiger Schärfe. Sein Köcher war voll Pfeile, golden die Röhre.

So herrlich stieg Siegfried vom Rosse. Er löste das Band dem Bären von Fuß und Maul und der Bär wollte wieder zu Walde laufen. Dabei stieß er die Kessel mit mancher guten Speise vom Feuer. Nur Siegfried von Allen vermochte ihm zu folgen. Er schlug ihn tot und trug ihn zurück zum Feuer. Indeß wie viele Speisen von diesen auch noch gar wurden, so kamen doch die Schenken nicht mit dem Wein. Siegfried aber litt nach so gewaltigen Anstrengungen vor allen Anderen Durst. König Gunther machte Hagen, der den Wein an eine falsche Stelle geschickt hatte, für das Ausbleiben des Weines verantwortlich. Aber Hagen sagte, er wisse hier in der Nähe eine kühle Quelle. Dahin schlug er vor zu gehen. [17] Damit Siegfried noch durstiger würde, erinnerte Hagen daran, wie tüchtig er im Laufen sei. Wie zwei wilde Panther liefen nun Siegfried und König Gunther im Wettlaufe durch den Klee. Doch gelangte der Held mit dem Schwerte Balmung zuerst an die Quelle, dort wartete er, bis auch Gunther herangekommen war und zuerst getrunken hatte. Dann trank auch Siegfried, indem er sich über die Quelle legte. Aber schnell sprang Hagen hinzu und durchstieß den edlen Siegfried an der mit einem Kreuze bezeichneten verwundbaren Stelle seines Leibes. Die lange Gerstange ragte noch zwischen den Schulterblättern hervor. Da schlug er mit dem Schilde, der noch neben ihm lag, während die anderen Waffen schnell von Hagen beseitigt waren, so gewaltig auf diesen los, daß der Wald von Schlägen dröhnte und Hagen zu Boden stürzte. Hätte Siegfried sein Schwert in der Hand gehabt, so wäre es Hagens Tod gewesen. Doch bald wurden des edlen Recken Wangen bleich. Hagen hatte sich wieder erhoben, die Ritter aber liefen zu der Stelle, wo Siegfried sterbend lag. Auch König Gunther trat heran und Siegfried empfahl ihm noch seine Schwester, die Kriemhild. Nun hoben ihn die Recken auf den Schild und überlegten im Angesichte der Leiche, wie sie verhehlen könnten, daß Hagen Siegfried ermordet habe. Sie beschlossen aber zu sagen, als er allein geritten sei im Tann, wäre er von Räubern getötet worden.

So ließ denn Hagen König Siegfrieds Leiche während der Nacht vor die Kemenate tragen, in der sich Kriemhild befand. Als nun am frühen Morgen das Geläute vom Münster ertönte, weckte Kriemhilde wie gewöhnlich ihre Frauen. Sie befahl, ihr ein Licht und ihr Gewand zu bringen. Aber schon fand in diesem Augenblicke einer der Kämmerer die Leiche im Blute auf der Schwelle liegend. Noch wußte er nicht, daß es Siegfried war. Kriemhild war indes mit ihren Frauen zum Kirchgange bereit. »Stehet stille, Herrin,« sprach der Kämmerer, »hier liegt ein Ritter erschlagen.« Ehe sie noch gesehen hatte, daß es ihr Gemahl war, dachte sie schon an Hagens Frage, wo Siegfried verwundbar sei, und rief aus: »Wehe mir, welch' Unheil ist geschehen!« Zu Boden sank die Freudlose. Noch sprach das Ingesinde: »Es ist wohl ein Fremder.« Aber Kriemhilde rief: »Nein, es ist Herr Siegfried! Brunhilde hat es geraten und Hagen hat es gethan!« In diesem Augenblicke beleuchtete der Kämmerer [18] die Leiche mit dem Lichte. Da ließ die Jammerreiche Siegfrieds Mannen wecken. Ihrer Hundert eilten bald zu der Stelle, wo Kriemhilde schrie. Ihr Anführer war Siegfrieds Vater, König Sigmund, der mit Siegfried und Krimhilde aus Nibelungenland gekommen war und die Reise bitter beklagte. Den Tod seines Sohnes wollte er rächen, doch warnte ihn Kriemhilde selbst davor, weil der trotzigen Recken am Rheine zu Viele waren. Da ließ man einen gewaltigen Sarg schmieden von Silber und Gold mit festen Spangen von Stahl. Auch kam Gunther mit Hagen und vielen Rittern, und sprach sein Beileid aus. Aber Kriemhild entgegnete: »Noch oft geschieht ein großes Wunder. Wenn der Mordbefleckte an dem Toten vorüber geht, so bluten die Wunden stärker. Darum gehe Jeder von Euch jetzt vor allen Leuten an Siegfried vorbei, dann werden wir in Kurzem sehen, was an Euren Worten wahr ist.«

Aber als nun Hagen sich dicht bei der Leiche befand, ergoß sich von Neuem ein Blutstrom aus Siegfrieds Wunde. Zwar rief König Gunther: »Hagen war es nicht, Räuber erschlugen ihn!« Aber Kriemhilde sprach: »Mir sind jene Räuber wohl bekannt, König Gunther und Hagen haben es gethan.« Da regte sich die Kampflust in Siegfrieds Recken. Doch wurde der Tote, mit köstlichen Gewändern umwunden, im Sarge nach dem Münster getragen. Dort wurde ihm die Totenmesse gelesen, zu welcher sich viele Menschen drängten. Trotz seiner Feinde war er Vielen lieb. Kriemhilde aber ließ durch ihren Kämmerer rotes Gold austeilen an seine Freunde. Diese drängten sich auch zu den hundert Messen, die noch vor Siegfrieds Begräbnisse vor ihm gesungen wurden. Drei Tage und drei Nächte blieb Kriemhilde bei der Leiche. Auch die Pfaffen und die Mönche bat Kriemhilde zu bleiben. Mancher fastete da um Siegfrieds Willen. Doch ließ Herr Sigmund allen Freunden Siegfrieds, so viele ihrer auch waren, Speise und Trank anbieten. Kriemhilde ließ unter die Armen jetzt Kleider und dreißigtausend Mark Silber verteilen und beschenkte die Klöster. Laut schreiend folgten die Leute, als Siegfried aus dem Münster getragen wurde. Gesungen und gelesen wurde, da man ihn begrub, und guter Pfaffen waren genug bei seiner Bestattung. Kriemhilde ließ den Sarg noch einmal öffnen, und dann mußte sie ohnmächtig hinweggetragen werden.

Gern hätte nun König Sigmund seine Schwiegertochter mit nach den [19] Niederlanden zurück genommen. Aber Kriemhilde wollte bleiben, wo Siegfrieds Liebe zu ihr begonnen und geendet hatte. In den ersten drei Jahren richtete sie kein Wort an Gunther und auf Hagen fiel nicht einmal ihr Blick. Um die Schwester wieder auszusöhnen, ließen ihre Brüder den Nibelungenhort aus dem Nibelungenlande herbeiführen. Auf zwölf Wagen wurden die glänzenden Kleinodien ihr zu Liebe in vier Tagen und vier Nächten aus dem hohlen Berge, wo der Zwerg Alberich sie hütete, zu den Schiffen geführt. Jetzt sprach Kriemhild wieder mit König Gunther, aber nicht mit Hagen. Allein der Fluch, der auf dem Nibelungenschatze ruhte, erzeugte nur neues Unheil. Hatte Kriemhild schon an Siegfrieds Leiche Gold austeilen lassen, so geschah es nun noch mehr. Nicht bloß die Armen beschenkte sie jetzt, sondern auch die Reichen und Niemand konnte es mehr verborgen sein, daß sie nur Ritter zu gewinnen suchte, um Siegfrieds Tod zu rächen. Da bemächtigte sich Hagen des Schlüssels zu dem Nibelungenhorte. Er nahm den Schatz und senkte ihn zu Loche in den Rhein. Alle, die darum wußten, hatten aber vorher einen Eid geschworen, daß er dort verborgen bleiben solle, so lange sie lebten. Einer Sage nach liegt er noch heute dort.

Etwa dreizehn Jahre nach Siegfrieds Tode starb die Königin der Hunnen, König Etzels Weib in Ungarland. König Etzel gab den Auftrag, ihm eine neue Gemahlin zu werben. Da rieten ihm seine Freunde, um eine Wittwe zu freien im Burgondenlande, König Siegfrieds edle Gemahlin. Etzel kannte den Namen des Helden und seinen hohen Ruhm. Da aber die Nibelungen in den Niederlanden und in Burgund Christen waren, Etzel aber die Taufe nicht empfangen hatte, so trug er Bedenken, ob eine solche Ehe ratsam wäre. Jedoch seine Hofleute machten das Verlangen in ihm rege, mit Siegfrieds Weibe nochmals eine Ehe einzugehen. Der Markgraf Rüdiger von Bechelaren, ein Christ, übernahm es, mit fünfhundert Mann nach Worms zu ziehen und für König Etzel um die Hand Kriemhildens anzuhalten. Noch niemals hatte wohl einen Freiwerber ein stattlicheres Gefolge begleitet. Zu Wien wurde für dasselbe die kostbarste Kleidung angefertigt. Zu Bechelaren harrte Rüdigers Gothelinde, seine Gemahlin mit ihrer Tochter Diethelinde. Gothelinde hatte viel Gutes von Kriemhild gehört und glaubte in Etzels Vermählung mit [20] ihr dem ganzen Hunnenlande einen reichen Ersatz für die schöne Helche, König Etzels erste Gemahlin, versprechen zu können. An ihr hatte besonders das Gesinde mit großer Vorliebe gehangen.

Nach siebentägigem Aufenthalte in Bechelaren ritten sie in zwölf Tagen an den Rhein. Zu Worms sah man mit Verwunderung auf die schweren Lasten, welche ihre Saumtiere trugen. »Gott heiße Euch bei uns willkommen, Ihr wackeren Degen!« rief ihnen Hagen zu, welcher Herrn Rüdiger sogleich erkannt hatte. König Gunther fragte, wie es mit Etzel und Helche im Lande der Hunnen stehe. Rüdiger antwortete: »König Etzel lässet Euch bitten, daß Ihr ihm seine Not klagen helfet. Helche, die Vielreiche, meines Herrn Weib, ist gestorben. Nun hat man meinem Herrn gesaget, Siegfried sei tot, und Kriemhilde ohne Mann. Wenn das ist, und Ihr wollet es verstatten, so soll sie Krone tragen vor Etzels kühnen Recken an seiner Seite.« Drei Tage wurde nun beraten am Hofe König Gunthers, ehe der Antrag an Kriemhilde gelangte. Ihre drei Brüder wollten sie gern verheiraten, damit die Traurigkeit von ihr wiche. Aber Hagen warnte vor ihrer Verheiratung. Sogar wenn sie selber dazu willig sein würde, sollte man ihr seiner Meinung nach die zweite Verheiratung mit dem reichen und mächtigen König nicht gestatten. Der staatskluge Held wußte, daß sie ihren Einfluß in dem mächtigen Hunnenreiche nur benutzen würde, um den Tod ihres ersten Gemahles zu rächen.

Auf das Bitten ihrer Brüder Gernot und Giselher erlaubte Kriemhild wenigstens, daß Etzels Bote sie sehen dürfe. Sie erwartete Rüdiger am andern Tage in ihrer Kemenate mit zwölf anderen Rittern. Der hehre Bote sprach: »Wollet erlauben, daß wir stehend Euch verkündigen, weshalb wir nach Worms kommen sind. König Etzel bietet Euch in Treuen große Liebe. Geruhet Ihr zu minnen den edlen Herren, so sollen zwölf reiche Kronen Euer sein. Er verleiht Euch das Land von dreißig Fürsten, welche alle von seiner gewaltigen Hand bezwungen sind.« Sie beschied sie für den anderen Morgen wieder. Unterdessen beriet sie sich mit ihrer Mutter Ute und mit Giselher. Doch faßte Kriemhilde noch immer keinen festen Entschluß. Zur Messe kamen die Könige wieder zusammen und redeten ihrer Schwester abermals zu, König Etzel ihre Hand zu reichen. Sie ließen auch den Markgrafen Rüdiger herbeiholen. Dieser sprach ins [21] Geheim zu ihr: »Stellet nun Euer Weinen ein, und wenn ich im Hunnenlande der einzige wäre, der Euch schätzet, so müßte doch ein Jeder schwer es büßen, welcher Euch ein Leid thäte.« Das mußte er ihr mit allen seinen fünfhundert Mannen beschwören. So beschloß sie denn, ihnen zu folgen. Zwar sprach sie noch ihre Bedenken darüber aus, daß Etzel ein Heide sei. Sie gab sogar zu verstehen, daß sie nur deshalb ihre Hand ihm anfänglich hätte verweigern wollen, was keineswegs der Wahrheit gemäß war. Aber auch dieses Bedenken ließ sie sogleich fallen, als sie von Rüdiger erfuhr, daß Etzel sich ihretwegen vielleicht noch würde taufen lassen.

Kriemhilde willigte also in die Heirat. Für ihre Frauen wurden zur Reise die vielen Reitsättel und sonstiges Reitzeug hervorgesucht, das noch aus König Siegfrieds Tagen dalag, in denen sie voller Freude mit ihnen ausgeritten war. Auch die Truhen wurden geöffnet, in welchen die reichsten Kleider wohlverwahret lagen. Auch sollten hundert Mäuler ihre Schätze herbeitragen, die sie teils verschenken, teils mitnehmen wollte. Aber Hagen verweigerte ihr die Saumrosse selbst für diejenigen Kleinodien, die noch nicht in den Rhein versenkt waren. »Klaget nicht um das rote Gold«, sprach der Markgraf Rüdiger. »König Etzel gibt Euch mehr als Ihr verbrauchen könnt.« Da kam aber ihr Bruder Gernot und ließ die Fremden dreißigtausend Mark oder mehr nehmen, die der Königin Kriemhilde gehörten. Tausend Mark Opfergold, die sie noch besaß, gab sie zum Heile der Seele Siegfrieds dahin. Frau Ute weinte beim Abschiede. Aber ihr Bruder Giselher erbot sich in König Etzels Lande zu reiten, wenn sie jemals dort gefährdet sei. So zog Kriemhilde denn in König Etzels Reich, in welchem die Einen lebten nach der Heiden Art, die Anderen nach der Christen Sitten.

Kriemhilde befliß sich im Hunnen-Lande der Tugend, deren Frau Helche gepflogen hatte. Jeder war ihr hold, wie es Königsrecken gemeiniglich den Fürstenfrauen sind. Oft träumte sie, daß sie mit ihrem Bruder Giselher Hand in Hand ginge. Daß zwölf Könige am Hofe Etzels sich vor ihr beugten, war ihr gleichgültig. Sie sehnte sich nach Rache an Hagen und nach dem Umgange mit ihrem Bruder Giselher.

Endlich bat sie den König Etzel, daß er die kühnen Recken aus Burgondenlande lüde nach Hunnenland. Da beschloß Etzel seine beiden Spielleute Schwemmelein und Werbelein mit vierundzwanzig Recken nach Burgond [22] zu schicken um die Einladung dort zu überbringen. Kriemhilde sprach heimlich mit ihnen und verbot ihnen, zu verraten, daß sie jemals sie traurig gesehen hätten. Der Mutter Ute sollten sie nur von ihrem Glücke im Hunnenlande erzählen. So glaubte sie am besten zu bewirken, daß Niemand Bedenken trüge, die Männer ziehen zu lassen. Besonders aber sollten sie dahin wirken, daß Hagen mitkäme. Deshalb sollten sie daran erinnern, daß Niemand die Wege am Maine und an der Donau über Wien bis nach Ungarland hinein so genau kenne als Hagen.

Als die Boten zu Worms ankamen, wurden sie wiederum nur von Hagen als König Etzels Fiedler erkannt. Gunthers Ingesinde empfing sie aufs beste. Dann gingen sie zu dem Könige und richteten ihre Botschaft aus. Hagen sprach jedoch zu den Burgunden: »Wollet Ihr die Fahrt nach Hunnenland nicht unterlassen, so sendet rings umher und lasset tausend Ritter als Eure Reisegefährten auswählen. Nur dann wird Euch Kriemhilde nicht schaden können.« Da ließ König Gunther die Boten reiten weithin über Land und dreitausend Ritter kamen zu Hofe. Da kam Volker, der Spielmann, mit dreißig seiner Mannen. Viel mehr noch waren ihm unterthan, aber weil er gut fiedeln konnte, wurde er der Spielmann genannt. Hagen wählte selbst aus den dreitausend Rittern die tausend Recken für die Reise aus. Es war keiner darunter, von dem er nicht schon Thaten gesehen hatte. König Etzels Boten verdrossen Hagens Anordnungen sehr, sie wollten täglich abreisen. Aber Hagens Klugheit verhinderte dies, damit sie nicht im Hunnenlande zu früh von den Rüstungen zu Worms erzählen konnten. Erst jetzt wurde ihnen bestellt, daß die Nibelungen kommen würden. Auf Befragen erklärten sie, daß König Etzel für die Festlichkeiten, welche er ihnen geben wolle, die Zeit der Sonnenwende bestimmt habe. König Gunther erlaubte den Boten auch zu Brunhilde zu gehen. Doch diesen Besuch wußte Gernot zu verhindern, weil der erste Gemahl der Königin der Hunnen, Siegfried, von Brunhilde verraten war. Giselher aber führte die Fiedler noch einmal zu seiner Mutter Ute.

Als die Boten nach Hunnenland zurückkamen, war Kriemhilde fröhlich, weil ihre Brüder sie besuchen wollten. Sie fragte aber sogleich, was Hagen zu der Reise gesagt habe. »Er nannte die Fahrt eine Reise in den Tod,« antworteten die Spielleute. Kriemhilde wußte, wie das gemeint [23] war. Aber sie verstellte sich gegen Etzel so, daß dieser bloß glauben konnte, sie erwarte nur ihre Freunde. »Meine Freude,« sprach er, »ist nur Deine Freude und die Freude Deiner Sippe.«

Der König der Burgunden ritt mit mehr als tausend Rittern, welchen aber neuntausend Knechte folgten, zu dem Hochfeste im Hunnenlande. Beim Auszuge wollte Frau Ute sie noch zurückhalten. Sie hatte wieder einen Traum gehabt, nämlich, daß alles Geflügel im Lande tot wäre. Aber Hagen sprach: »Wer sich an Träume kehrt, kann nicht auf dem Pfade der Ehre wandeln. Darum wollen wir reiten in König Etzels Land und Kriemhilds Festlichkeit schauen. Nicht aus Feigheit widerriet ich die Reise und gerne reite ich mit Euch Helden in König Etzels Gebiet.«

So fuhren sie auf den Schiffen über den Rhein. Jenseits desselben erbauten sie Hütten auf dem grünen Felde. Bis dahin hatte Brunhilde den König Gunther begleitet. Da hob sich ein Schall von Flöten und Posaunen und alle Recken trennten sich von ihren Frauen, die ihnen bis zu diesen Gezelten gefolgt waren. Für manchen wackeren Mann standen fertig die Rosse. Sie zogen am Mainstrome aufwärts. Vom Maine aus ritten sie auf die Donau zu, welche sie in zwölf Tagen erreichten. Hagen von Tronje ritt Allen voran und war Allen ein Berater. Da war aber die Donau ausgetreten und keine Fähre vorhanden, um die Helden überzusetzen. Hagen sprach: »Mir ist mein Leben nicht so verhaßt, daß ich in diesem Strome ertrinken möchte. Vorher soll in Etzels Lande noch mancher Mann von meiner Hand fallen. Bleibt hier am Wasser. Ich will den Fährmann selber suchen, der uns übersetzen soll.« Er suchte stromab und stromauf. Da hörte er das Wasser rauschen. Das waren kluge Frauen in einer Quelle. Hagen wollte sich zu ihnen schleichen, aber sie flüchteten. Er nahm ihre Kleider, damit sie ihm Rede stehen müßten. Es sprach das eine Meerweib, Hatburg genannt: »Edler Ritter Hagen, wenn Ihr uns unsere Kleider zurück gebt, so prophezeien wir Euch, wie Eure Reise ins Land der Hunnen ausfallen wird. Kühnlich mögt Ihr reiten in Etzels Land. Ich versichere Euch, daß niemals Helden so große Ehre widerfahren ist, als Euch dort erwartet.« Darüber war Hagen hocherfreut und gab die Kleider zurück. Als sie aber ihre wunderbaren Gewänder angelegt hatten, sprach Sigelinde, die andere Meerfrau: »Ich will [24] Dich warnen, Hagen, ihrem Gewande zu Liebe hat Hatburg Dir nur die halbe Wahrheit gesagt. Hagen, kehre um! Denn welche Ehren man auch dort Euch beim Empfange bereitet, so sollst Du doch dort das Leben verlieren. Noch ist es Zeit! Aber Alle, die in Hunnenland einreiten, reiten in den Tod.« Hagen rief: »Ihr lügt! Wie könnten wir wohl Alle sterben bei König Etzel?« Es sprach wieder eine der Frauen: »Traun, nicht anders wird es geschehen. Nur Einer, der Kaplan des Königs, kehrt gesund zurück in König Gunthers Land.«

In grimmem Mute sprach da Hagen, der kühne Recke: »Meinem Herren das zu verkünden, wäre schmerzlich. Zeige uns den Weg über das Wasser, Du weises Wasserweib.« Sie entgegnete: »Da Du zur Reise fest entschlossen bist, so suche die Herberge oben am Flusse. Darinnen wohnet der Fährmann.« Nun wollte Hagen eilig von dannen ziehen, aber eine der Frauen rief ihm noch nach: »Geht freundlich um mit dem Fährmanne! Er ist ein tapferer Held und dienet seinem Landesfürsten in Treue. Wen er für dessen Feind halten kann, den lässet er nicht hinein. Darum bietet ihm ein reiches Geschenk an und rufet ihm zu, Ihr wäret Amelrich. Denn Amelrich war auch des Landesfürsten Freund. Er mußte vor dessen Feinden entfliehen. Wenn der Fährmann glaubt, daß dieser zurückkehrt, so wird er Euch gerne helfen.«

Da verneigte sich Hagen vor den Frauen. Er ging am Wasser hinauf, bis er am anderen Ufer die Herberge erblickte. Da rief er: »Hol' über!« und bot dem Fährmanne eine Spange rotes Gold. Der Fährmann war aber so reich und hatte so stolze Knechte, daß er selten einen Lohn annahm. Da er nun glaubte, die Feinde des Landes kämen, so ließ er Hagen stehen. Da rief Hagen wieder: »Fährmann, hole den Amelrich hinüber, den Freund des Landesfürsten! Ich bin es, er kehrt zurück!«

Da eilte der Fährmann schnell zu Hagen an's andere Ufer, denn nun glaubte er seinem Lande einen Dienst leisten zu können. Jetzt reizte ihn sogar das rote Gold, denn er hatte sich kürzlich vermählt, und darum war seine Sinnesart auch auf den Erwerb von Reichtümern gerichtet worden. Selbst von seinem Bruder wollte er nun die Stange roten Goldes gern annehmen, denn Amelrich war sein Bruder. Als aber der Fährmann neben Hagen stand und ihm ins Auge sah, erkannte er schnell, daß er betrogen [25] war. Nun weigerte er sich, die Nibelungen überzusetzen. Hagen aber erschlug ihn, und setzte die Burgonden selbst über. Zuerst führte er mehr als tausend Ritter über den Strom, darauf neuntausend Knechte. Den Kaplan jedoch, als er ihn bei seinem Meßgeräte stehend auf dem Schiffe antraf, warf er in die Fluten. Mancher zürnte ihm deshalb, aber selbst die Brüder König Gunthers wagten ihn nur mit einigen Worten zur Rede zu stellen. Der Pfaffe schaute anfänglich im Wasser nach Rettung aus, aber Hagen stieß ihn zornig wieder in den Grund. Dennoch tauchte er wieder auf. Da war das Schiff aber schon entfernter von ihm und kaum hätte ihn von dort aus noch Hülfe erreichen können. Da wandte er seinen Blick zurück zu dem Ufer, welches die Burgonden eben verlassen hatten, und Gott stand ihm bei, daß er es schwimmend wieder erreichte. Hagen sah noch vom jenseitigen Ufer, wie der Kaplan an's Land stieg und seine nassen Kleider ausbreitete. Daran erkannte er, daß es wahr sei, was das wilde Wasserweib ihm prophezeit hatte, und daß nun auch, außer dem Kaplan, keiner von Allen, die ausgezogen waren, wieder nach Worms zurückkommen würde.

Doch es würde uns zu weit von Worms und dem Rhein hinwegführen, wenn wir den Aufenthalt der Burgunder in Hunnenland oder Ungarn ebenso ausführlich schildern wollten als den zu Worms. Es sei daher nur erwähnt, daß sie von Etzel prachtvoll empfangen und daß ihnen große Feste bereitet waren. Allein da ihnen auf Kriemhildens Veranlassung bei ihrer Ankunft sogleich die Waffen zur Aufbewahrung abverlangt wurden, so überzeugte sich Hagen von neuem, daß Kriemhilde den Untergang der Nibelungen oder doch den seinigen beschlossen hatte. Sie lieferten die Waffen nicht ab.

Die Bewirtung der Nibelungen fand nach unserem deutschen Heldengedichte hauptsächlich in einem großen Fürstenhause statt. Der Raum zu ebener Erde wurde in solchen Fürstenhäusern durch in großes Gemach ausgefüllt, in welchem die gesammte Dienerschaft bei Tage aß, trank und tanzte und bei Nacht schlief. Vor diesem Gebäude in Ungarn hielt Hagen bei Nacht Wache mit Volker, dem Spielmann, der seine schönsten Weisen hören ließ. Kriemhilde schickte einen großen Haufen der Hunnen zu Hagen, der sich trotz ihres Befehles nicht getraute, ihn zu ermorden. Sie kam selbst und ward von Hagen verspottet.

[26] Nun wurde den Nibelungen ein großes Fest gegeben. Die Fürsten befanden sich mit Etzel im ersten Stock, zu dem nur eine sogenannte Freitreppe aus der freien Natur emporführte. So bemerkten dann auch Etzel und Gunther zu spät, daß im Saal der Dienerschaft Streit und ein großes Blutvergießen ausgebrochen war. Kriemhildens Mordlust hatte es veranlaßt, aber durch Hagens rücksichtslosen Zorn über ihre Bosheit hatte es die gefährliche Ausdehnung erhalten. Als die Fürsten Frieden geboten, war es zu spät und die Könige von Burgund kämpften zuletzt mit ihrem Gesinde. Alle kamen um. Die letzten Nibelungen oder Burgunder wurden als Gefangene zu Kriemhilde geführt. Diese letzten Nibelungen waren Gunther und Hagen. Kriemhilde läßt ihren Bruder hinrichten und tötet Hagen selbst mit Siegfrieds Schwerte. Hierauf aber tötet der alte Hildebrand, über ihre Blutgier entrüstet, auch noch Kriemhilde, die Königstochter von Worms. Das ist das blutige Ende der Nibelungen.

[27] Die Juden in Worms.

Die alten Deutschen hatten keine Priester und namentlich keine Druiden. Aber sie hatten weise Frauen, welche in weißen leinenen Gewändern sich dem Volke in Krieg und Frieden als Seherinnen voll hoher Begeisterung zeigten. Die berühmteste derselben war Velleda, welche ihr Leben in der Nähe des Rheinstromes zugebracht haben mag. Zu einer in der That für die Römer nicht gefahrlosen Zeit weissagte sie den Untergang des römischen Reiches. Damals brannte nicht allein das Kapitolium ab, sondern es waren auch große Kämpfe gegen die Römer entstanden. Die von ihnen erfochtenen Siege führten so große Umwälzungen herbei, daß eine vollständige Auflösung aller Verhältnisse der alten Geschichte und die Neubildung der mittelalterlichen Zustände unter Anführung der Germanen, der Landsleute jener erhabenen Prophetin, doch zuletzt daraus folgte. Am großartigsten verlief den noch immer siegreichen Römern gegenüber der Kampf um den Tempel zu Jerusalem. Schon loderte er in Flammen, als der nachmalige Kaiser Titus noch das Allerheiligste betrat. Gern hätte er den Tempel gerettet. Einer tapferen Schaar, die sich noch immer auf der Höhe von Zion hielt, ließ er Schonung anbieten. Aber die Juden antworteten, sie hätten geschworen, daß sie sich niemals ergeben wollten. Wolle Titus ihnen freien Abzug gewähren, so würden sie sich mit Weib und Kind nach der Wüste begeben. Dort würden sie das unabhängige Leben erneuern, welches ihre Vorfahren vor der Eroberung des Jordanlandes geführt hätten. Als Titus in Folge dieser Antwort den Angriff [28] gegen sie fortsetzen ließ, hielten sie es für ein großes Glück, zugleich mit dem Tempel zu Jerusalem unterzugehen. Alsbald sah man einige sich in die Schwerter der Römer stürzen. Andere töteten sich gegenseitig oder gaben sich selbst den Tod, manche aber sprangen in's Feuer. Die Sage nun aber erzählt, daß nach der Zerstörung des Tempels zu Jerusalem viele Juden nach Worms gekommen seien. Ja, es wird sogar behauptet, daß dies schon ungefähr sechshundert Jahre vor Christi Geburt und vor der Zerstörung ihres Tempels durch Titus nach der Zerstörung des ersten Tempels der Fall gewesen sei. Später soll dann der Hohepriester zu Jerusalem die Juden in Worms aufgefordert haben, nach Jerusalem zurückzukehren. Die Widerspenstigen bedrohte er sogar mit dem Fluche Jehovah's. Allein die Juden hatten bei ihrem Abzuge aus Jerusalem Erde von den heiligen Stätten daselbst mitgenommen. Diese hatten sie unter die Grundmauer ihrer Synagoge zu Worms vergraben. Sie antworteten daher dem Hohepriester zu Jerusalem, daß für sie in Worms das gelobte Land sei. Noch jetzt zeigen die Juden von Worms die Erde aus Jerusalem auf ihrer Begräbnisstätte, mit deren Grund und Boden ihre Vorfahren das mitgebrachte Erdreich gleichfalls vermischt haben sollen.

[29] Die Gründung von Mainz.

Mainz war ursprünglich ein römisches Kastell. Jedoch befanden sich auf der Stelle am Zusammenflusse des Maines und des Rheines bereits vor den Zeiten der Römer deutsche Ansiedelungen.

Schon 1400 Jahre vor Christi Geburt aber hatte in Trier ein Zauberer Namens Nequam gelebt. Er ärgerte jedermann und war durch seine Streiche eine arge Plage für jede Stadt. Endlich jagten ihn deshalb die Bewohner von Trier zum Thore hinaus. Da rief er aus: »Ich werde eine Stadt in der Nähe bauen, welche Trier an Reichtum und Ehren weit übertreffen soll!« Er verließ nun das Thal der Mosel, in welchem Trier gelegen ist und wanderte am Rheine stromaufwärts bis an die Stelle, wo jetzt Mainz steht. Überrascht über den herrlichen Anblick, den die beiden Ströme hier boten, blieb er stehen. Den Wundern der Natur, die er vor sich sah, entsprach bald eine Stadt, die er selbst hervorzauberte. Nun rief er die Menschen, welche bisher wie Einsiedler in der Umgegend gewohnt hatten, in seine Stadt, um darinnen zu wohnen. Ohne aber die blutigen Kriege führen zu müssen, welche Romulus und Remus ihren Römern nicht ersparen konnten, nachdem sie dieselben auf ähnliche Weise nach Rom gerufen hatten, wurden die Mainzer unermeßlich reich. Deshalb sprach man auch bald in der ganzen Welt von dem »goldenen Mainz«.

[30] Eine andere gelehrte oder nicht gelehrte Sage erzählt folgendes. Nachdem Troja zerstört worden sei, habe nicht bloß der fromme Aeneas sich aus den Flammen gerettet, indem er seinen Vater Anchises auf dem Rücken und die väterlichen Götzenbildchen vor sich getragen habe. Auch ein gewisser Moguntius habe sich aus den Flammen gerettet. Aber so wie die Nachkommen des Aeneas Rom gegründet hätten, so habe Moguntius, der trojanische Held, selbst sich zum Baue einer neuen Stadt den Ort ausersehen, wo der Main in den Rhein mündet. Diese Stadt habe dann von Moguntius den Namen Moguntia erhalten, woraus in der That der Name Mainz entstanden ist.

[31] Der Eichelstein.

Der römische Feldherr Drusus war in Deutschland bis zur Elbe vorgedrungen. Hier stand er einst einsam am Ufer. Da erschien ihm ein riesenhaftes Weib in weißem Gewande, eine jener hochberühmten germanischen Seherinnen, welche auch in der Schlacht auftraten, und ihre Söhne, Verlobten und Ehegatten zur Tapferkeit ermahnten. Sie rief ihm zu: »Wohin strebst Du, unersättlicher Drusus? Du möchtest alle unsere Länder sehen, aber das Schicksal will es nicht! Flieh! Flieh! Du stehst am Ziel Deines Lebens!« Infolge dieser Erscheinung soll Drusus den Rückweg angetreten haben. Dabei stürzte er mit dem Pferde und brach einen Schenkel. Er wurde nach Mainz gebracht, woselbst er starb. Er kann als der Gründer der Stadt Mainz angesehen werden. Bei seinen Legionen war er sehr beliebt. Sie setzten ihm ein Denkmal, dessen Überrest über den neuen Anlagen noch zu sehen ist und der Eichelstein heißt. Er ragt noch 13 Meter aus dem Boden hervor und erscheint als eine schwarzgraue, runde und turmartige Masse. Die äußere Quaderbekleidung und die Verzierungen sind längst verschwunden, Höhe und Form haben viele Veränderungen erlitten, nur der eisenfeste Kern steht noch und zeugt von der höhern Stufe menschlicher Kraft und Kunst, auf welcher die Römer gestanden.

Das Entstehen des Eichelsteines wird aber auch auf folgende Weise erzählt: Zu der Zeit, da sich unter den römischen Soldaten in Mainz schon [32] viele Christen befanden, erbauten sie auf der Höhe des befestigten Lagers eine christliche Kapelle. Oben auf derselben befand sich ein Kreuz. Darüber ergrimmte der Teufel. In einer dunkeln Nacht, da er sich unbemerkt glaubte, zauberte er den festen Eichelstein hervor. Auf ihn wollte er ein heidnisches Götzenbild setzen. Es sollte hoch über das Kreuz hinwegragen und die römischen Soldaten dem Heidentume erhalten. Soeben wollte er das Götzenbild auf den Eichelstein stellen. Da war die dunkele Nacht verschwunden und der Engel der Morgenröte eilte im ersten Frühstrahle bereits einmal am Rheine vorüber. Es war schon hell genug für ihn, um das Vorhaben des Satans zu erkennen; er zeigte es im Himmel an, wohin er vor Sonnenaufgang noch einmal zurückkehrte, und der Herr befahl einer Engelschaar, das greuliche Götzenbild zu zerstören, ehe sich das Tageslicht in seiner vollen Schönheit zeigen werde. Da eilten die himmlischen Heerschaaren nach Mainz an den Rhein, vernichteten das inzwischen von dem Bösen fast vollendete Götzenbild und ließen bloß das Fußgestell desselben, den Eichelstein, stehen.

[33] Kloster Altmünster zu Mainz.

In dem Städtchen Hochheim unweit Mainz lebte der Ritter Iburich zu der Zeit, da Chlodwig das Reich der Franken beherrschte. Mitten im Kriege hatte Iburichs Gattin ein Töchterlein bekommen. Da brachte Iburich vor den heranstürmenden Heiden sein Töchterlein nach dem festen Mainz in Sicherheit. Er selbst aber trank in Hochheim unbesorgt mit seinen Mannen den herrlichen Wein, der dort wächst, obgleich die Kämpfe im Lande sich in die Länge zogen. Das Mägdlein wuchs bei seinen christlichen Verwandten in Mainz zu einer lieblichen und tugendhaften Jungfrau heran. Diese mochten wohl glauben, daß sie schon in Hochheim getauft sei. So wurde sie denn auch in Mainz nicht getauft, wenngleich sie sich in ihren Gedanken nichts lieber ausmalte, als in einem Kloster eine Gottesbraut zu werden und ihr Leben in einer Zelle zu beschließen. Aber als sie sechzehn Jahre alt war, hielt der Herzog von Franken und Thüringen um die Hand des Burgfräuleins an. Gehorsam ihren Eltern vermählte sie sich mit ihm. Er war ein Heide, und sie hoffte ihn noch zum Christentume zu bekehren. Aber durch alle ihre Liebe und Demut erreichte sie dies nicht. So brachte sie ihre Tage voll Kummer und Schmerz hin. Sie, die im goldenen Mainz an christliche Sitten gewöhnt worden war, mußte jetzt alle wilde Grausamkeit eines Heiden ertragen lernen. Endlich verließ sie der Herzog und zog in den Krieg. Da sollte sie mit[34] seinen Vögten und Dienern das Land der Franken und Thüringer regieren. Allein die Räte ihres Mannes waren ebensogut als die anderen Bewohner des Landes noch Heiden. Als nun gar noch die Botschaft vom Tode des Herzogs anlangte, da geriet Alles gegen sie in Aufruhr und sie war ihres Lebens nicht mehr sicher. Endlich ergriff sie die Flucht. Sie begab sich an die Ufer des Maines, welcher durch ihr Land floß. Mit dem Wenigen, was sie bei sich trug, gewann sie eine arme Fischerfamilie für sich. So wurde sie auf einem ärmlichen Fischerkahn nach Mainz geführt. Bei ihren Verwandten in Mainz bekam Bilhilde – so wurde sie genannt – noch einen Sohn. Schon sprachen die Ritter und Knappen in Mainz davon, wie sie ihn noch als Kind in das Land seines Vaters und mit ihm die unglückliche Mutter zurückführen wollten. Dabei gedachten sie dann, die Heiden bis nach Thüringen hin mit dem Schwerte zum Christentume zu bekehren. Die milde Bilhilde aber malte es sich schon als das höchste Glück aus, nur ihr Söhnlein als frommen Christen aufzuziehen; doch nicht einmal dieser Wunsch sollte ihr erfüllt werden. Der Knabe starb schon vor der Taufe, und Bilhilde's aufgeregte Phantasie sah ihn mit anderen ungetauften Kindern in der wilden Jagd hinter dem wilden Jäger und der Tutursel einherziehen. Sie eröffnete jetzt ihrem Oheime, dem Bischof Siegbert von Mainz, daß sie dort das Kloster Altmünster von ihrem Vermögen erbauen und darein als die Äbtissin eintreten wolle. Schon lange Zeit hatte sie dieses heilige Amt versehen. Da träumten einst drei Nonnen, die in drei Zellen neben einander schliefen, während einer und derselben Nacht, ihre Aebtissin sei eine Heidin. Alsdann erwachten alle drei zugleich aus dem Schlafe. Sie rannten wütend aus ihren Zellen und befanden sich in der größten Aufregung. Indem sie sich gegenseitig ihren Traum mitteilten und feststellten, daß derselbe bei allen Dreien genau der nämliche gewesen war, sprachen sie lauter und immer lauter, sodaß zuletzt alle Nonnen erwachten und sich vor den Zellen dieser drei Klosterjungfrauen versammelten. Zuletzt kam die Aebtissin dazu, die zwar etwas entfernter schlief, aber endlich gleichfalls durch den Lärm im Kloster aufgeweckt war. Einige Nonnen wichen scheu vor ihr, wie vor einer Heidin, zurück, doch die Klügste von jenen drei Nonnen, welche den gleichen Traum gehabt hatten, erzählte ihr denselben, wenn [35] auch erst nach einigem Zögern und nicht ohne Verlegenheit. Da eilte Bilhilde zu dem Bischofe und wollte ihm ihre Not klagen. Sie vermutete, daß der Teufel, welcher ihr früher die Herzen ihrer Unterthanen abwendig gemacht hatte, ihr nun auch die Liebe ihrer geistlichen Schwestern entziehen und dieselben zum Ungehorsam gegen sie verleiten wolle. Allein der Bischof hatte zu der nämlichen Zeit denselben Traum gehabt. Nur war ihm deutlich ein Engel erschienen, der ihm klärlich dargelegt hatte, daß während des Kriegsgetümmels Bilhilde's Taufe von seiner Familie vergessen worden sei. Darauf wurde ein großes Tauffest im Kloster Altmünster zu Mainz angestellt. Der Bischof selbst taufte die fromme Bilhilde. Jene drei Nonnen, welche geträumt hatten, daß ihre Aebtissin eine Heidin sei, standen mit den anderen Nonnen des Klosters bei ihr Gevatter. Das war ein ebenso fröhlicher als heiliger Tag für das Kloster und für ganz Mainz. Von dieser Zeit an strömten alle Kranken nach dem Kloster Altmünster, denn es zeigte sich, daß der Aebtissin Bilhilde bei der Taufe die Gabe, Kranke zu heilen und Wunder zu thun, verliehen war.

[36] Eginhard und Emma.

(Ingelheimer Novelle.)


Mehrere Jungfrauen von ausgezeichneter Körperhaltung standen vor einem umgestürzten Baumstamme, über welchen ein Hirsch, von den Jagdhunden verfolgt, soeben hinweggesprungen war. Eins der Mädchen hatte einen Pfeil von ihrem Bogen auf ihn entsendet und lehnte nur ihr Knie an die umgestürzte Eiche. Eine andere hatte bereits den einen Fuß über die Eiche gesetzt und den Jagdspeer erhoben, um ihn nach dem Hirsche zu werfen, der noch einmal vom Boden aufsprang. Dabei strauchelte sie und hätte vielleicht ein Bein brechen können. Doch eine kräftige Mannesgestalt, die neben ihr stand, streckte die Hand nach ihr aus, ergriff sie am Oberarm und hielt sie einen Augenblick fest, sodaß der Fall abgewendet wurde. In dem gefährlichen Augenblicke hatten beide einander scharf in's Auge gesehen. Jetzt trat der Jäger ehrfurchtsvoll einige Schritte von der Jungfrau zurück.

Auf diese Waldlichtung trat soeben aus den Eichen ein Mann, dessen gewaltige Erscheinung in jeder Beziehung über das gewöhnliche menschliche Maß hinaus ragte. Sein Körper war breit und kräftig und sieben Fuß lang. Seine Glieder waren ebenmäßig, nur sein Nacken etwas kurz und dick. Der runde Kopf war bedeckt mit wallendem Haare, welches bereits silberweiß wurde. Groß und gewaltig waren seine Augen. Seine [37] männliche Haltung, sein fester Gang boten einen stattlichen und würdigen Anblick dar. Dieser Mann war König Karl, der im Odenwalde jagte.

Heiter, freundlich und milde war sein Gesicht, auch hätte man nicht anders glauben können, als daß seine Gesundheit unerschütterlich sei.

Seine Beine waren umwunden mit Binden, seine Füße bedeckt mit Schuhen und weil es im Winter war, so wallte ein Seehundspelz als Mantel um seine Brust und Schultern.

An der langen, eisernen, schweren Lanze war Kaiser Karolus kenntlich, welcher mit seinen Töchtern im Odenwalde auf die Jagd gezogen war. Seine Töchter liebte er nach dem Tode der Mutter über Alles. Er verhinderte ihre Vermählung, und selten durften sie ihn in Friedenszeiten verlassen.

Mit einer für einen so gewaltigen Körper etwas zu wenig männlich klingenden, feinen und hellen Stimme rief er die Hunde zurück, die sich noch über den bereits verendenden Hirsch warfen. Alsdann trat er zu einer seiner Töchter – es war die schönste von allen – und forschte, ob ihr Fuß verrenkt sei. Seine Besorgnis war unbegründet.

Während der Untersuchung, die er deshalb angestellt hatte, war der Jäger, der zuerst neben der Jungfrau gestanden hatte, bereits wieder in den dichteren Eichenwald eingetreten. Doch ließ er hier die Jagdgesellschaft an sich vorbeigehen und wartete, bis Emma, die er vor dem Falle bewahrt hatte, ihnen nachkam.

Es zeigte sich, daß sie doch der Gesellschaft nur schwer folgen konnte. Da sich unter diesen Umständen Niemand weiter um die beiden kümmerte, so nahm sie im Weiterschreiten mancherlei Hilfe von ihrem Begleiter – es war Eginhard – mit dankbaren Blicken an.

Man hatte nicht mehr weit, bis man auf die kaiserlichen Diener traf. Der Kaiser empfahl ihnen seine noch immer etwas hinkende Tochter und winkte Eginhard herbei, worauf beide im lebhaften Gespräche mit einander die nur noch kurze Fußwanderung fortsetzten.

Bald traf man auf die kaiserlichen Wagen und Reitpferde. Hier bestieg die Jagdgesellschaft die Rosse. Nur Emma wurde auf einem Wagen nach Ingelheim gefahren, wohin auch der tote Hirsch durch das Gesinde auf einem Fuhrwerke und zuletzt auf einem Kahne gebracht wurde.

[38] Als man in der kaiserlichen Pfalz zu Ingelheim anlangte, fand man daselbst den Abt von Corvei, einen Verwandten des Kaisers. Er war mit seinen Mönchen von den heidnischen Sachsen aus seinem an der Weser gelegenen Kloster vertrieben worden. Wegen des Berichtes, welchen er dem Kaiser abstattete, beschloß dieser einen neuen Feldzug gegen die Sachsen, für welchen jedoch erst eine längere Vorbereitung getroffen werden sollte.

Emma konnte bald wieder mit ihren Schwestern an den Jagden des Kaisers teilnehmen. An den Abenden las Eginhard dem Kaiser und seinen Töchtern die alten Heldenlieder vor, die er zu diesem Zwecke sorgfältig sammelte, denn der fromme Kaiser zeigte sich auch darin groß, daß er für diese weltlichen Lieder ein tiefes Verständnis besaß.

Von allen Andern hörte Eginhard niemand so eifrig zu als Emma.

Einer der Gäste Karls des Großen, die bei diesen Abendgesellschaften zugegen waren, machte manche Einwendungen gegen die alten Heldenlieder, die an manchen Stellen noch recht heidnisch klangen. Es war dies der Vetter des Kaisers, der Abt Adelhord von Corvei, der mit Karl dem Großen erzogen war.

Zu Anfang des Sommers zog der Kaiser in den Krieg gegen die Sachsen. Zum ersten Male seit längerer Zeit begleitete ihn diesmal Eginhard nicht auf seinen Fahrten. Karl übergab ihm die Aufsicht über das Kaiserhaus zu Ingelheim, welches Eginhard selbst gebaut hatte. Dazu empfahl er ihm sein ganzes Hauswesen.

Jedoch blieb auch der Abt von Corvei bei der Familie des Kaisers zurück, welcher ihm ganz besonders die Sorge um seine Töchter empfahl.

Wenn die Gesellschaft in der Kaiserpfalz sich jetzt am Abende versammelte, so war Karl der Große fast der einzige Gegenstand des Gespräches.

Eines Abends sagte Eginhard, welcher später der Geschichtsschreiber des Kaisers wurde: »Ist es nicht seltsam, daß unser König und Herr schon jetzt den Beinamen der Große führt? Sollten nicht andere Helden einen so ruhmvollen Beinamen erst später erhalten haben?« Der Abt lächelte und sprach: »Karl hat den Beinamen der Große schon in der Jugend empfangen. Damals bereits war er gewaltig stark und kühn und [39] tötete zwischen Tongern und Mastricht einen großen und grimmigen Bären. Dabei war unsere Muhme, die heilige Aebtissin Landrada zugegen, diese hat ihn zuerst für diese That den großen Karolus genannt.«

Die Abendunterhaltungen Eginhard's mit dem Abte dienten für jenen dazu, sich über die Kriege des Kaisers mit den Sachsen noch mancherlei Belehrung für seine geschichtlichen Forschungen zu verschaffen.

So erzählte der Abt:

»Schon Karl Martel hatte das Christentum mit Feuer und Schwert unter den Sachsen zu verbreiten gesucht. Pipin war es im Verein mit seinem Bruder sogar schon gelungen, den südlichen, Thüringen benachbarten Teil Sachsens zu unterwerfen. Auch Pipin bekehrte die Heiden mit Gewalt. Kirchen und Klöster ließ er in der Nähe als Pflanzstätten christlichen Glaubens anlegen. Vielleicht hätte er die Unterjochung und Bekehrung der Sachsen zu Ende führen können. Doch nahm Aquitanien während seiner noch übrigen Lebenszeit zu sehr seine Wirksamkeit in Anspruch.«

Hier ergriff Eginhard das Wort und sprach: »Was der Vater ruhmreich begonnen hat, wird der Sohn glücklich zu Ende führen. Alle Kriegszüge, Ueberfälle, Versprechungen und Wortbrüche, welche den Krieg endlos in die Länge zu ziehen scheinen, werden den Sachsen nichts helfen.«

Auf eine Zwischenfrage Emma's, welche sich als Frankin über das Nachbarvolk der Sachsen zu belehren suchte, erwiderte der Abt von Corvei: »Die Sachsen wohnen jetzt vom rechten Ufer des Rheines bis zur Elbe, von der Eider bis zur Werra und Fulda. Sie zerfallen in die Westfalen, Engern und Ostfalen. Ihr Glaube ist roh, die Art ihrer Verteidigung wild, barbarisch ihr Recht. Mit vieler Zähigkeit halten sie an ihrer alten Freiheitfest.«

»Ihre verschiedenen Stämme passen aber wenig zusammen. Es sind freie Gemeinschaften, die erst für den Krieg zusammentreten und sich einen Führer wählen. Ein solcher mag Wittekind sein, der aber nicht als angestammter Häuptling aller Sachsen betrachtet werden kann.«

Und Eginhard sagte:

»Durch räuberische Ueberfälle, durch Mord, Brand, Plünderung und massenhafte Zerstörung unserer Kirchen sind sie uns Franken schon gefährlich [40] gewesen, seit wir das Christentum angenommen haben. Sind die sächsischen Besitzungen von den fränkischen doch nur durch ebene und niedrige Waldgebirge getrennt.«

Mit Wärme sprach dann der Abt:

»Mehrmals hat der Kaiser den Sachsen vertraut. Er glaubte, daß in ihrem Lande alles beruhigt sei. So sandte er denn fränkische und sächsische Truppen gemeinschaftlich aus, um die benachbarten slavischen Sorben für ihre Einfälle nach Thüringen zu bestrafen. Dann kehrte aber Wittekind, der Sachsen hatte verlassen müssen, heimlich zurück und fachte im Rücken dieser Schar einen neuen Aufstand an. Für das Heer des Kaisers erwuchs dadurch eine große Gefahr und der Kaiser mußte zu den schärfsten Maßregeln greifen. Mächtig wuchs die Erbitterung der Sachsen. Es schien ihnen jetzt zu gelingen, sich zu größeren Massen zu vereinigen. Aber Karl schlug sie dennoch und verwüstete ihre Fluren bis zur Saale und Elbe.«

»Die Gesetze, die nun von Karl den Sachsen gegeben wurden, waren blutig«, bemerkte Eginhard. »Fast auf Allem steht der Tod, aber solche Strenge war nun nicht mehr zu vermeiden.«

Hier sagte der Abt:

»Stellt nicht der Kaiser trotzdem die christliche Kirche für die Heiden als eine Versöhnerin hin? Ist nicht der Sachse, welcher sich in unsere heiligen Stätten flüchtet, selbst vor dem fränkischen Rächerarme geschützt? Ist nicht jedem das Leben geschenkt, welcher bußfertig einem christlichen Priester sein Verbrechen bekennt?«

Nun bemerkte Eginhard:

»Der Kaiser ist auch gerecht. Nicht bloß die Sachsen sollen den ungewohnten Zehnten geben, der königliche Schatz entrichtet ihn selbst von den eingelaufenen Buß- und Friedensgeldern.«

»Es ist gewiß«, rief der Abt, »daß die Bestrebungen des Königs die rechten sind. König und Papst, Bischof und Graf müssen Hand in Hand gehen: nur so kann Land und Volk gedeihen!«

Unter solchen und ähnlichen Unterhaltungen vergingen die Abende, bis der Hochsommer kam und man dieselben mehr in den königlichen Gärten zubrachte.

[41] Schon zu dieser Zeit hatten die Bestrebungen Karls für Landwirtschaft, Weinberge und Gartenbau besonders in Ingelheim eine große Bedeutung gehabt. Allerdings war es damals noch nicht möglich, daß die Gärten zu Ingelheim als Muster dienen konnten für ganz Deutschland bis an die Elbe hin. Aber was damals schon von Eginhard und Emma in der Kunst des Gartenbaues geleistet wurde, ist so bald als das Land der Sachsen sich vollständig beruhigt hatte, gerade in Niedersachsen mit immer wachsender Begierde nachgeahmt worden. So kommt es denn, daß der deutsche Bauerngarten noch jetzt bis an die Elbe, ja bis an die Oder und Weichsel hin, dieselben Einrichtungen aufzuweisen hat, wie sie zuerst in Ingelheim getroffen worden sind. Die Küchengewächse, Obstbäume und Blumen, deren Anblick uns jetzt in jedem Bauerngarten erquickt, hatten sich eben damals erst an den rheinischen Boden gewöhnt und wurden auf Befehl des Königs Karl unter der Aufsicht Eginhard's und Emma's sowie des Abtes von Corvei in Ingelheim gebaut.

Einige der Gärten zu Ingelheim, welche am weitesten vom Königshofe ablagen, waren mit Erde umfriedet und mit Felsstücken wie durch eine Mauer gesichert. Diejenigen, die sich unmittelbar an den Hof anschlossen, waren mit dicht in einander verwachsenen Hecken von Haselnüssen umgeben. Aus diesen ragte hier und da ein Vogelbeerbaum hervor, dessen kleine, doldenartig gewachsenen Früchte sich bereits gerötet hatten. Die Zweige des Birnbaumes mit den frischglänzenden Blättern schlossen sich zu runden Wipfeln. Oft unschön waren die Pflaumen- und Apfelbäume gestaltet. Aber die Apfelbäume hatten vorsorglich ihre Aeste ausgebreitet, um ihre runden Bälle dem reifenden Sonnenstrahle entgegenzuhalten. Unter diesen Obstbäumen sah man Eginhard und Emma im Herbst eifrig hin- und hergehen. Dort bestieg Eginhard vermittelst einer Leiter selbst einen Baum, brach die Früchte in einen Korb und ließ ihn zu der gerade unter ihm stehenden Emma herunter.

Aber auch in den Gemüsegärten begleitete Eginhard oft die Geliebte.

Hier rankten sich wie jetzt in jedem Bauerngarten noch im Herbste Bohnen und Gurken an Stangen empor. Auch Kohlarten und Salat, sowie Kerbelkraut und Dill, welche den Speisen die Würze geben sollen, war schon ein gutes Plätzchen gesichert. Die schönsten kleinen Beete, [42] zwischen denen Eginhard und Emma, dicht aneinander gedrängt in nur wenig breiten Gängen einherschritten, waren bereits mit Salbei, Raute, Krausemünze, Schnittlauch oder Buchsbaum eingefaßt. In diesen Beeten an den breiteren Wegen waren im Frühjahr und im Sommer bereits Rosen, Lilien und Tausendschönchen aufgeblüht gewesen. Jetzt aber fehlten bereits nicht einige herbstliche Astern an dieser Stelle. Denn die Blumen im Garten, welche jetzt den Landmann erfreuen, haben in Ingelheim schon der Liebe Eginhards und Emmas zugelächelt und die Nelke, welche jetzt der junge Bauer zum sonntäglichen Strauße für seine Nachbarstochter abschneidet, wurde in Ingelheim schon durch Eginhard für Emma am Sonntage gebrochen.

An einem Tage dieses Herbstes hatten Eginhard und Emma die Gärten verlassen und einen der Weinberge erstiegen. Sie befahlen auch hier bei der Weinlese, welche damals früher stattfand, als jetzt. Doch legten sie auch selbst Hand an, und wer sie so gesehen hätte, würde sie in ihrer haushälterischen Art wohl für ein Paar, das so recht für einander paßte, gehalten haben.

Da plötzlich erblickten sie ein Getümmel auf dem Wege, welcher nach dem Königshofe führte.

Sie erkannten eine kleine Schaar fränkischer Soldaten. Diese kehrten in einem etwas wunderlichen Aufzuge aus dem Kriege heim. Was eigentlich vorging, war von dem Weinberge aus nicht zu erkennen. Umsomehr eilten Eginhard und Emma durch die Gärten wieder auf den Königshof.

Hier sahen sie mehrere schlanke, wilde, heidnische Gestalten stehen. Es waren vornehme sächsische Gefangene, die Karl gemacht und nach Ingelheim gesandt hatte.

Einer ragte über die andern noch durch seine Größe hinaus.

Die fränkischen Soldaten, welche die Gefangenen gebracht hatten, flüsterten dem Hofgesinde zu, dies sei Wittekind.

Es war bereits strenge Bewachung des ganzen Königshofes angeordnet. Die Gefangenen aber wurden auf Befehl König Karls dem Abte von Corvei übergeben. Dieser hatte über sie von ihm zu gleicher Zeit noch besondere Befehle erhalten.

Einer der Gefangenen war noch mit gefesselten Händen angelangt. [43] Sobald der Abt wußte, daß eine Anzahl der Soldaten sich als Wachen in der Nähe des Schlosses verteilt hatten, ließ er auch diesem Gefangenen sogleich die Fesseln abnehmen. Wittekind selbst wurde von dem Abte eingeladen, den Abend im Wohnzimmer mit der kaiserlichen Familie zu verbringen.

Es war dies dasselbe Gemach, wo Eginhard im Winter dem König Karl die von ihm gesammelten alten Heldenlieder nicht bloß vorgelesen, sondern oft auch vorgesungen hatte. Manche Bauernstube in jetziger Zeit ist prächtiger eingerichtet, als dies Wohnzimmer der Familie König Karls eingerichtet war. An den Wänden standen irdene Satten mit saurer Milch umher. Sie waren bedeckt mit goldgelbem Rahm, aus welchem die Töchter des Kaisers selbst am andern Tage Butter bereiten wollten.

In den Fenstern standen dagegen Blumentöpfe mit Goldlack und mit Rosmarinstengeln, welche letztere noch jetzt ebenso in den Bauernhäusern gezogen werden, weil man sie bei Begräbnissen in die Hand nimmt.

Eine lebhafte Unterhaltung, wie sonst, fand an diesem Abend in der königlichen Familie nicht statt. Doch beschäftigte sich der Abt von Corvei lebhaft mit Wittekind.

Der Abt war zwar wie Karl, sein Vetter, von fränkischem Stamme, doch sprach er mit Wittekind in sächsischer Mundart.

Die aufgetragenen Speisen waren nicht alle nach Wittekind's Geschmack. Er war noch an Pferdefleisch gewöhnt, welches die alten Sachsen besonders bei ihren Opfermahlzeiten gern verzehrten.

Mit Unwillen vernahm er, daß nun bald im Sachsenlande jedem Bauern befohlen werden würde, alljährlich ein Martinischwein zu mästen und zu schlachten. Kaum, daß er etwas von dem Schinken genoß, der bald darauf eine Lieblingsspeise der Westfalen wurde. Aber er lobte den Wildbraten, den eine der Kaisertöchter bereitet hatte.

Auch von dem Weine zu trinken, der bei Ingelheim und bei Rüdesheim gebaut war, verschmähte Wittekind. An einem Kruge voll Gerstensaft dagegen erquickte er sich.

Als alle Andern schlafen gingen, blieb der Abt mit Eginhard zurück. Er unterrichtete ihn von den Aufträgen, die König Karl ihm gegeben hatte.

Da der Abt von Corvei durch seine Flucht zu König Karl den [44] neuesten blutigen Krieg mit den Sachsen veranlaßt hatte, so hatte König Karl das Kloster Corvei an der Weser zwar wieder hergestellt, wollte aber nicht dulden, daß sein Vetter und sein bester Jugendfreund dahin zurückkehrte und vielleicht der Rache des Sachsenvolkes ausgesetzt würde.

Nun waren zu jener Zeit zwei Bischöfe von Lüttich rasch nacheinander gestorben. Der Abt sollte daher gleich am anderen Tage dahinreisen, um ihr Nachfolger zu werden.

Mit starker Bedeckung sollte er sich dahin begeben und Wittekind nebst den anderen sächsischen Gefangenen mit sich nehmen.

Sobald als möglich sollte der Bischof sie alle taufen, nötigenfalls dabei auch Gewalt anwenden. Dafür wollte der König sich dem Bischofe dann stets dankbar erweisen, ganz besonders aber, wenn es ihm gelänge, bei Wittekind noch eine Sinnesänderung und eine Abkehr vom Heidentume zu bewirken.

Der Abt schloß mit einer väterlichen Ermahnung an Eginhard, dessen Vertraulichkeit mit Emma nicht unbemerkt geblieben war. Eginhard gestand ihm nicht nur seine Liebe, sondern überzeugte ihn auch, daß König Karl den Untergang seiner Tochter herbeiführen würde, wenn er die beiden Liebenden trennen wolle.

Da faßte der Abt als Verwandter des königlichen Hauses einen ungeheuren Entschluß. Um die beiden Liebenden vor der Sünde zu bewahren, versprach er, sie am andern Morgen vor der Abreise heimlich durch die Trauung mit einander zu verbinden.

Er stellte dabei jedoch die Bedingung, daß ihre Ehe vor jedermann geheim gehalten werden müsse, bis er zum ersten Male von Lüttich aus bei König Karl zum Besuch komme. Alsdann wollte er selbst seinem Vetter Alles offenbaren. Er hoffte dann Wittekind wirklich zum Christentume bekehrt zu haben. In diesem Falle durfte er sich allerdings einen so mächtigen Einfluß auf den König zutrauen, daß er für sich selbst, wie für Eginhard und Emma, dessen Verzeihung hoffen konnte.

Nachdem die Trauung heimlich vollzogen war, reiste der Abt mit starker Bedeckung und den sächsischen Fürsten nach Lüttich ab.

Der Spätherbst kam heran und der siegreiche Karl kehrte nach Ingelheim [45] zurück. Er ging mit Emma durch seine Gärten und befahl den Mägden, das unermeßliche Fallobst in den Baumgärten aufzulesen.

Sodann bestieg er wie ein Winzer mit Eginhard einige Weinberge, lobte die Süßigkeit der letzten noch an den Weinstöcken befindlichen Trauben und erteilte den Arbeitern, die mit dem Keltern des Weines beschäftigt waren, Befehle.

Schon nach einigen Tagen nahm König Karl in Ingelheim auch das Studium der Wissenschaften wieder auf. Er war kein Neuling darin. Wenn er mit Eginhard redete, so bediente er sich der lateinischen Sprache, um sich in deren Gebrauche zu üben.

Nur das Schreiben machte ihm Schwierigkeit wegen seiner schweren Hand. Durch den täglichen Gebrauch des Schwertes und der eisernen Lanze in dem letzten blutigen Sachsenkriege war seine Handschrift wieder viel schwerfälliger und ungelenker geworden.

Nun begab es sich, daß Eginhard eines Nachts das Gesindehaus verließ, um Emma in der für die königliche Familie erbauten Wohnung einen Besuch zu machen. Am anderen Morgen wollte er in das Haus des Gesindes zurückkehren.

Aber nun sahen Beide durch das Fenster, daß während dieser Nacht der erste Schnee gefallen war.

Besonders Emma erschrak heftig darüber. Sie zweifelte nicht, daß ihr Vater durch die Fußtapfen von Eginhard's großen und schweren Schuhen im Schnee schon einige Stunden später von dem nächtlichen Besuche erfahren werde. Weit weniger auffallend war es, wenn der zarte Fuß einer Frau sich in den Schnee eingedrückt hatte. Waren doch unter den Dienerinnen der königlichen Familie mehrere mit solchen Männern, die im Gesindehause wohnten, verheiratet. Sie statteten ihnen dort ungehindert Besuche ab, während den Männern das Umgekehrte nicht erlaubt war.

Genug, Emma entschloß sich, Eginhard auf ihrem Rücken nach dem Gesindehause hinüberzutragen. Wie leicht konnte nicht der Wind die zarte Spur ihres kleinen Fußes bis zum anderen Morgen hin schon ganz verweht und vertilgt haben!

Zum Unglück aber sah König Karl vom Fenster seines Gemaches aus schon, wie Eginhard von Emma durch den Schnee getragen wurde.

[46] Um sich im Schreiben zu üben, war der Kaiser in der Nacht aufgestanden. Dabei hatte er den ersten Schnee dieses Winters auf dem Königshofe gesehen. Er war an's Fenster getreten, um ihn zu betrachten. So war er auch der Augenzeuge von Emma's Aufopferung für Eginhard geworden.

König Karl war von dem, was er gesehen hatte, erschüttert.

Gegen 8 Uhr Morgens pflegte er seine Räte zu versammeln. Auch Eginhard befand sich unter ihnen.

Der König sprach diesmal zuerst von einem unerhörten Ereignisse. Er erzählte, was er beim ersten Morgengrauen gesehen hatte und fragte Eginhard, welche Strafe dem Manne gebühre, der sich ein solches Vergehen zu Schulden kommen lasse. Eginhard fiel ihm zu Füßen und sagte: den Tod.

Aber schon drang Emma in das Gemach, kniete neben ihm nieder und beichtete unter vielen Thränen Alles, was der Bischof gethan und was Eginhard hatte verschweigen wollen.

König Karl atmete tief auf.

»Der Abt von Corvei ist brav«, sprach er, »Gott segne seinen Eintritt in sein Bistum zu Lüttich! Aber wiedersehen will ich ihn nicht!« Es entstand eine beängstigende Pause. Nach dieser fuhr König Karl fort:

»Was Gott zusammenfügt, soll der Mensch nicht scheiden. Darum sollt auch Ihr nicht getrennt werden von einander. Nur von mir habt Ihr Euch selbst geschieden. So soll denn der Rhein hinfort zwischen uns liegen. Im Odenwald, wo wir uns so oft an der Jagd erfreuten, mögt Ihr leben und sterben. Mir aber habt Ihr den Königshof zu Ingelheim verleidet. Bald nach Euch verlasse ich diesen Hof, diese Gärten und diese Weinberge. Zu Aachen will ich mein Leben beschließen.«

Der Kaiser hielt Wort.

Er begann neue mächtige Bauten zu Aachen. Besonders stellte er die herrliche Liebfrauenkirche dort her. Für diesen Bau ließ er aus Italien nicht nur den Marmor, sondern ganze Marmorsäulen kommen. Da sein Ruhm immer mehr wuchs, so wurden sie ihm willig von dem obersten Bischof, dem Papste, gesandt.

Jemehr Kaiser Karl allmählig eine friedliche Wirksamkeit entfalten [47] konnte, umsomehr sehnte er sich aber doch mitunter nach den Gärten und Weinbergen von Ingelheim zurück.

Mehr als in Ingelheim erschienen vor dem Kaiser zu Aachen die prächtigsten Gesandtschaften der vornehmsten Reiche der Erde. Vor ihnen prangte der sonst so schlichte Kaiser im golddurchwirkten Kleide, über welchem goldene Spangen den Purpurmantel zusammenhielten. Das Diadem auf seinem Haupte war reich mit Edelsteinen besetzt.

So stand er auch vor den Gesandten Harun al Raschid's, die ihm aus dem Morgenlande einen Elefanten und eine überaus kostbare Wasseruhr überbrachten.

Aber nachdem das Getümmel vorüber war, das diese Gesandtschaft in Aachen erregt hatte, sehnte er sich wieder mehr als je nach dem stilleren Ingelheim. Er reiste dorthin und ordnete daselbst eine Jagd für den Odenwald an, um durch die Jagd die Absicht, seine Tochter Emma zu sehen, zu verdecken.

Die Mittagsstunde war bereits vorüber. Eginhard und Emma saßen nach der Mahlzeit noch allein an einem eichenen Tische. Eginhard war sehr ernst, doch war sein Herz weich. Er umarmte die Kaisertochter und sprach von den Wundern, welche schon damals von ihrem Vater erzählt wurden. Wie Kaiser Karl seine Tochter Emma verstoßen hatte, so sollte ja auch dessen Vater Pipin einst von seiner Gemahlin getrennt worden sein. In der Mühle, oder wie Andere sagten, in der Felsenkluft hatte er sie wieder gefunden. Er dachte bei sich: »Nicht viel anders würde Kaiser Karl jetzt seine Tochter finden, wenn er hierher käme.«

Indessen war dieser Gedanke doch nicht ganz richtig. Um ihr Haus her blühten die herrlichsten Obstbäume. Emma glich einer noch immer schönen, behaglichen Gärtnersfrau. Eginhard hätte eher für einen wohlhabenden Pächter oder einen Gelehrten gehalten werden können, als für einen Krieger oder Jäger.

In diesem Augenblicke sprang ein schöner Knabe in's Zimmer. »Vater!«, rief er, »wer ist der greise Krieger von der Größe eines Riesen, der sich mit dem eisernen Jagdspieße in der Hand unserm Hause nähert?«

Auch die Eltern sahen ihn jetzt über den Hof schreiten, voller Majestät [48] und Würde. Es war Kaiser Karl. Er war unverändert, noch immer der alte Krieger, wie friedlich auch die Welt geworden war.

Nachdem er die Lanze an die Wand gelehnt hatte, hob er den Knaben auf und behielt ihn lange auf seinem Arm.

Kaiser Karl verweilte mehrere Tage zum Besuche bei Eginhard und Emma. Er erquickte sich an den von Emma bereiteten, wohlschmeckenden Speisen und den von Eginhard gekelterten Weinen. Alsdann zog er nach Aachen zurück, wo er alsbald erkrankte.

Zwei Jahre lang lag der gute Kaiser in der Stadt Aachen krank in seinem Bette. Alle anderen Siechen, welche sich seinem Lager nahen konnten, wurden davon gesund. Nach seinem Tode wollte er begraben sein in der Liebfrauenkirche, die er selbst gestiftet hatte. Zu der Zeit, da er diese Kirche gründete, hatte er ein Gelübde gethan an Gott den Herrn, daß er sie wollte weihen lassen von so viel Bischöfen, als Tage im Jahre wären. Darum kamen nun viele Bischöfe an sein Krankenbette und sie standen auch auf dem ganzen Kaiserhofe herum. Aber als er sie nun zählte, da fand er doch, daß ihrer noch drei zu wenig waren. Das betrübte den guten Kaiser gar sehr.

Nun hatte der Bischof zu Lüttich den Herzog Wittekind wirklich zum Christentume bekehrt. Der Bischof hatte ihn bei sich behalten, bis er starb.

Da der Bischof gestorben war, kam Wittekind treuherzig zu Karl dem Großen nach Aachen und saß den ganzen Tag an seinem Bette.

Als er nun sah, daß Kaiser Karl nicht sterben konnte, von wegen seinem Eid, da sprach Wittekind:

»O Herr, bittet doch Gott, daß er den Bischof zu Lüttich und seine beiden Vorgänger aus dem Grabe auferstehen läßt, damit sie kommen und die Zahl der Bischöfe hier erfüllen und die Liebfrauenkirche einweihen helfen. Wie wird der Bischof, Euer Vetter, in seinem Grabe sich freuen, wenn er hört, daß Ihr ihm vergeben habt, was er für Eginhard und Emma gethan hat und daß Ihr ihn noch einmal sehen wollt! Und gewiß geschieht dann ein Wunder, damit die Liebfrauenkirche eingeweiht werden kann!«

So sprach der einfältige alte Heide, der nun ein frommer Christ geworden war.

[49] Da stand Kaiser Karl aus dem Bette auf und ging nach Lüttich. Hier war der Abt von Corvei, der den Wittekind und viele andere Sachsen getauft hatte, nun auch schon tot und Kaiser Karl ging an sein Grab und betete da inständigst, daß Gott diesen Bischof von Lüttich und die beiden andern Bischöfe, die dort vor ihm gestorben waren, von den Toten auferwecken möge, damit sein Gelübde könne erfüllt werden.

Da standen die drei Bischöfe von Lüttich aus ihren Gräbern auf, traten zu dem Kaiser und folgten ihm, immer Einer hinter dem Anderen gehend, nach Aachen. So viel Bischöfe als Tage im Jahre sind, waren nun versammelt und halfen dem Kaiser die Liebfrauenkirche einweihen, damit sein Gelübde erfüllt würde.

Als das geschehen war, kehrten die drei toten Bischöfe nach Lüttich zurück und legten sich wieder in ihre Gräber.

Kaiser Karl starb endlich nach siebenundvierzigjähriger Regierung als Siebenziger am 28. Januar 814 in der dritten Stunde des Tages.

Auch Eginhard war nun schon alt. Immer mehr war er ein frommer Mann geworden. Der Jagd hatte er schon völlig entsagt, als ihn König Karl noch mit dem eisernen Jagdspieße besuchte. Von den Schätzen, die ihm Karl bei seinem Besuche vermacht hatte, baute er das Kloster zu Seligenstadt im Odenwalde und ist trotz seiner Heirat als Abt dieses Klosters gestorben.

In der Kirche zu Seligenstadt befanden sich noch die Särge, in denen Eginhard und Emma begraben lagen. Diese Särge hat der Großherzog von Hessen-Darmstadt den Grafen von Erbach geschenkt, weil sie von der Nachkommenschaft Eginhard's und Emma's ihr Geschlecht herleiten.

[50] Doktor Faust (Kreuznach).

Johann Georg Salellicus Faust, der Schwarzkünstler genannt, war 1507 Rektor des Gymnasiums zu Kreuznach. Es ist dies fast das einzige, was wir mit Sicherheit von ihm wissen. Man würde ohne diese Nachricht die Sage von Faust zu denjenigen rechnen, denen gar keine geschichtliche Wahrheit zu Grunde liegt. Die Nachricht, daß Faust Rektor in Kreuznach gewesen sei, wird jedoch mit so glaubhaften Einzelheiten erzählt, daß wir nicht daran zweifeln können, er habe wirklich gelebt. Doch darüber später!

Faust war der Sohn von Landleuten, nach einigen aus dem schwäbischen Städtchen Keittlingen, nach andern aus Kneitlingen im Braunschweigischen, wo nach einigen Erzählungen auch Eulenspiegel geboren sein soll. Noch andere berichten, daß er zu Soltwedel oder zu Roda geboren sei. Zu Wittenberg hatte er viele Blutsfreunde. Sein Oheim war dort ein wohlhabender Bürger. Der war ohne Kinder und nahm Faustum zu seinem Erben an. Da hat er denn Theologie studieret, ist aber von diesem gottseligen Fürnehmen abgegangen und hat Gottes Wort gemißbraucht.

Sehr bald war er Magister worden und hat sechzehn Magistern in Fragen und Antworten obgesiegt. Sogar Doktor der Theologie ist er geworden. Gleich wohl ist er in böse Gesellschaft geraten und hat ein ruchloses [51] Leben geführt, wie es denn ein wahres Sprichwort ist: »Was zum Teufel will, das läßt sich nicht aufhalten.« Begab sich dann also gen Krakau in Polen und fand auf dieser Hochschule seinesgleichen, die mit chaldäischen, persischen, arabischen und griechischen Worten, Figuris, characteribus, coniurationibus und incantationibus umgingen oder wie sonst solche Beschwörung und Zauberei genannt werden mag.

Nach dieser Zeit kam er wieder mit bösen Absichten in einen Wald bei Wittenberg, wo er sich überhaupt am meisten aufhielt und in dessen Nähe er endlich auch starb. Da machte er am Abende zwischen 9 und 10 Uhr mit einem Stabe etliche Zirkel und beschwor den Teufel. Der erhob im Wald einen solchen Tumult, als sollte alles zu Grunde gehen. Viele Bäume legten sich auf die Erde, sodann wurde eine Musik von lieblichen Instrumenten gehört. Endlich aber ist der Teufel mit großem Geplärr selbst erschienen.

Der Geist hatte den Namen Mephistopheles. Der hat versprochen, Faust vierundzwanzig Jahre in allem zu Willen zu sein, falls derselbige sich ihm mit seinem eigenen Blute verschreiben würde. Das ging Faust in einem der Gespräche, die er später mit Mephistopheles hatte, ein. Er forderte aber noch, daß der Teufel stets in Gestalt eines Franziskaner-Mönches erscheine, und vorher einige Zeichen geben solle, damit er ihn nicht erschrecke.

Darauf erschien in Doktor Faust's Stube ein Löwe und ein Drache, die stritten miteinander, aber der Löwe wurde von dem Drachen besiegt.

Darauf rannte ein Stier gerade auf Faust's Stirn los, fiel aber vor ihm auf die Kniee und verschwand.

Zuletzt erhob sich ein lieblich Orgelspiel, erst das Positiv, dann die Harfe, Laute, Geige, Posaune, alsdann Krummhörner, Querpfeifen und dergleichen, ein jegliches mit vier Stimmen, also daß Doktor Faustus nicht anders gedachte, denn er wäre im Himmel, da er doch bei dem Teufel war.

Wenn nun Faust einen guten Wein haben wollte, so holte ihm der Teufel solchen aus des Kurfürsten Keller oder vom Bischof von Salzburg. Die warmen Speisen holte er von allen umliegenden Herrschaften. Die Kleider für Faust und seinen Famulus Wagner stahl Mephistopheles bei Nacht in Nürnberg und Augsburg.

[52] Nun wollte Doktor Faust sich verheiraten. Das hintertrieb aber der Teufel, weil der Ehestand ein gottseliger Stand ist. Er versprach, ihn durch viel schnöde Unzucht und Wollust dafür schadlos zu halten, wie er ihm denn kurz vor seinem Ende sogar die Helena aus alter Zeit und aus dem Volke der Griechen herbeizauberte.

In der ersten Zeit kam eines Tages der Teufel ihn zu besuchen. Wiewohl es aber im Sommer war, so ging doch eine so kalte Luft von ihm aus, daß Doktor Faust meinete, er müßte erfrieren.

Diesmal aber nannte der Teufel sich Belial und wollte dem Doktor Faust die höllischen Geister vorstellen, die bereits draußen standen.

Einer nach dem andern mußte nun zu Faust in die Stube hinein, wie er war. Da war auch Lucifer, der war rot wie ein Eichhörnchen und hatte den Schwanz hinter sich emporgereckt, wie die Eichhörnchen pflegen.

Der Geist Asterot kam in Drachengestalt und ging auf dem Schwanze aufrecht hinein.

Anubis hatte einen Hundskopf, sonst war er schwarz und weiß, im schwarzen weiß und im weißen schwarz getüpfelt, hatte Füße und hängende Ohren wie ein Hund und war vier Ellen lang.

Zuletzt verschwanden sie wieder.

Nach einiger Zeit verlangte Faustus in die Hölle geführt zu werden. Da erschien ihm Beelzebub und hatte einen beinernen Sessel auf dem Rücken, der ringsherum geschlossen war. Darauf saß Doktor Faust und fuhr also davon. Wie heftig auch die Hölle brannte, so empfand doch Doktor Faust keine Hitze, sondern nur ein Maienlüftlein. Er sah aber auf dem Grunde der Hölle im Feuer viel stattliche Leute, Kaiser, Könige, Fürsten und Herren. Etliche durften sich auch erlaben, badeten und tranken aus einem kühlen Wasser, das da floß. Zuletzt trug Beelzebub Faustum in seinem Sessel wieder aus der Hölle.

Auch zu dem Himmel und zu den Gestirnen fuhr Faustus einmal auf, denn er war ein Kalendermacher geworden und wollte die Gestirne sehen. Da sah er im Julius hier Gewitter, dort schönes Wetter, hier Hagel, dort Regen.

Einstmals war Kaiser Karolus V. zu Innsbruck. Dahin verfügte sich auch Doktor Faustus.

[53] Er wurde von einem Grafen wohl empfangen und zu Tisch geladen. Da fragte Kaiser Karolus, wer er sei. Da ward ihm angezeigt, es wäre der Doktor Faustus.

Als nun die Tafel aufgehoben war, ließ Kaiser Karolus Faustum in ein Gemach fordern. Hier verlangte er von ihm eine Probe der schwarzen Kunst und verhieß ihm bei seiner kaiserlichen Krone, es solle ihm deswegen nichts widerfahren.

Darnach verlangte der Kaiser den großen Alexander und seine Gemahlin zu sehen, wie sie im Leben gewesen seien.

Nach einiger Zeit that Doktor Faustus die Thür auf. Alsobald ging Kaiser Alexander hinein in aller Gestalt, wie er im Leben gehabt, mit rotem Bart und strengem Angesicht, als ob er Basiliskenaugen hätte. Bald darauf kam ihm sein Gemahl entgegen. Beide verneigten sich vor dem Kaiser.

Der Kaiser aber gedachte: »Ich habe oft gelesen, daß Alexanders Gemahlin eine große Warze im Nacken gehabt.« Er ging hin, um zu sehen und fand die Warze im Nacken der Gemahlin Alexanders.

Nachdem Faustus in der Gegend von Eisleben gewesen war, reiste er wieder etwas mehr südwärts, weil er Geschäfte in Erfurt hatte. Da spazierte er eines Abends mit seinen Freunden vor dem Thore und es begegnete ihnen ein Wagen mit Heu. Da ging aber Faust im Fahrwege und sagte, weil er trunken sei, so müsse ihm der Bauer mit dem Fuder Heu ausweichen.

Als das der Bauer nicht wollte, verblendete er ihn. Diesem erschien aber Doktor Fausti Mundwerk so groß wie ein Zuber. Auch vermeinte er zu sehen, wie Doktor Faust zuerst die Pferde und dann den Wagen mit dem Fuder Heu verschlang.

Der Bauer lief in der Angst zum Bürgermeister. Als der aber ankam, standen Pferde und Wagen da wie gewöhnlich. Ueber den Bauern wurde viel gelacht.

Doktor Faustus fing einen Wucher an, rüstete sich gemästete Schweine zu und verkaufte sie, eins für sechs Gulden, jedoch mit dem Beding, daß der Sautreiber in kein Wasser mit ihnen schwemmen sollte. Darauf zog Doktor Faust wieder heim. Als sich nun die Säue im Kot umwälzten [54] und besudelten, trieb sie der Sautreiber in die Schwemme. Alsbald verschwanden sie und es schwammen lauter Strohwische empor. Der Käufer mußte also mit Schaden abziehen, denn er wußte nicht, wie es zugegangen war, noch wer ihm die Schweine zu Kauf gegeben hatte.

Einst kam Doktor Faust zur Winterszeit an den Hof des Fürsten von Anhalt. Bei Tafel forderte er die Frauenzimmer auf, daß sie sich wünschen sollten, was sie nur möchten. Da antworteten sie, sie wünschten, daß es Herbstzeit wäre und sie Trauben und Obst genug zu essen hätten. Das versprach Faust alles in einer halben Stunde herbeizuschaffen.

Er nahm zwei silberne Schüsseln und setzte sie vor das Fenster hinaus.

Nach einer halben Stunde griff er vor das Fenster und langte die Schüsseln wieder hinein. Darin waren rote und weiße Trauben, desgleichen in der andern Schüssel Äpfel und Birnen, doch von fremder entlegener Landesart.

Sie aßen aber von den Trauben und dem Obste mit Lust und großer Verwunderung.

Der Fürst von Anhalt konnte nicht umhin zu fragen, welche Bewandtnis es mit dem Obst und den Trauben gehabt. Da antwortete Doktor Faustus:

»Gnädiger Herr, Euer Gnaden sollen wissen, daß das Jahr nach den beiden Zirkeln der Welt geteilet ist, und wenn es bei uns Winter, ist es anderswo Sommer. Denn der Himmel ist rund, und wenn die Sonne bei uns so steht, daß wir die kurzen Tage und den Winter haben, so haben sie in Indien Sommer und Obst und Früchte. Darum habe ich meinen fliegenden Geist dahin gesandt, der gar geschwind ist und sich versetzen kann, wohin er will, der hat mir dies Obst und Trauben erobert.« Solchem hörte der Fürst mit großer Verwunderung zu.

Während der Fastnacht war Faust wieder in Wittenberg und trieb sein Wesen mit den Studenten. Am Fastnachtsdienstag bewirtete er vier Magister und zwar mit Hühnern, Fischen und Braten, aber nur schmal. Er sprach:

»Die Ursach, daß ich Euch mit so geringer Speise traktieret und Ihr kaum den Hunger gebüßt habt, ist diese, daß ich drei Flaschen, eine fünf, die andere acht und wieder eine acht Maß haltend, vor zwei Stunden in [55] meinen Hof gesetzt und meinem Geist befohlen habe, ungarischen, italienischen und hispanischen Wein zu holen. Desgleichen habe ich fünfzehn Schüsseln in meinen Garten gesetzt, die bereits mit allerlei Speisen versehen sind, die ich aber erst wieder warm machen muß.« Zugleich befahl er seinem Famulo Wagner, einen Tisch zu decken. Er hatte aber die Speisen von der Potentaten Höfen holen lassen, wel che auch die Fastnacht feierten.

Am Aschermittwoch kamen die Studenten wieder. Da nahm Doktor Faustus eine Stange und reckte sie zum Fenster hinaus. Alsbald kamen allerlei Vögel daher geflogen und die sich auf die Stange setzten, die mußten bleiben. Als er nun ein gut Teil Vögel gefangen hatte, halfen die Studenten ihm würgen und rupfen: Lerchen, Krammetsvögel und vier wilde Enten.

Nach dem Essen zogen sie in den Mummenschanz. Da trugen sie Gewänder wie weiße Hemden, erschienen aber bald ohne Kopf, bald mit Eselsköpfen unter den anderen. Als es dann zu Tische ging, hatten alle ihre menschlichen Köpfe wieder.

Am lustigsten ging es am Fastnachtsdonnerstage zu. Da setzten die Studenten dem Faust einen gebratenen Kalbskopf vor. Als ihn nun einer von ihnen zerlegte, fing der Kalbskopf an zu schreien: »Mordio, o Weh, was zeihst Du mich? was hab' ich gethan?« Da erschraken die Studenten, verzehrten aber doch lachend mit Doktor Faust die Mahlzeit.

An diesem Tage richtete auch Faust einen Schlitten zu in Gestalt eines Drachen. Auf dem Haupte des Drachen saß Doktor Faustus und auf den Rücken setzten sich die Studenten. Auch sah man vier verzauberte Affen auf dem Schwanze, die gaukelten gar lustig. Der eine blies auf der Schalmei und der Schlitten lief von selbst wohin sie wollten. Es schien ihnen aber, als gingen sie in der Luft.

Es waren jedoch nicht bloß die vier Magister, sondern auch viele andere Studenten, darunter etliche Fremde aus Ungarn, Kärnthen, Polen und Oesterreich, die zu Wittenberg mit Doktor Fausto viel umgingen. Diese stellten die Bitte an Faust, als die Leipziger Messe anfing, er möchte mit ihnen dahin ziehen. Etliche unter ihnen hatten auch Vertröstung auf Gelder aus der Heimat daselbst zu empfangen. Als sie nun in Leipzig hin und wieder spazierten, gingen sie auch vor Auerbachs Weinkeller vorbei.

[56] Da waren etliche Schröter, die wollten ein großes Weinfaß von sechzehn bis achtzehn Eimern aus dem Keller schroten, konnten es aber nicht herausbringen.

Da sprach Doktor Faustus: »Wie stellt Ihr Euch so läppisch!«

Herr Auerbach aber sprach zu seinen Gesellen und auch zu Fausto: »Welcher von Euch das Faß allein herausbringen wird, dessen soll es sein.«

Da ging Faustus in den Keller, setzte sich auf das Faß wie auf ein Pferd und ritt es also schnell aus dem Keller, worüber sich jedermann verwunderte.

Dieses Faß gab er seinen Wandergesellen zum besten. Die luden sich noch viele gute Freunde aus der Stadt dazu und hatten doch viele Tage lang an dem Weine zu schlemmen. –

Einstmals ritt Doktor Faust auf einem wunderbaren Pferde zwischen Prag und Erfurt hin und her, um an einer Gasterei teilzunehmen. Als er von Prag wieder nach Erfurt zurückgekehrt war, richtete er selbst dort eine Gasterei an.

Die Gäste waren aber schon versammelt, da klopfte er mit dem Messer auf den Tisch, und kam einer zur Stube hereingetreten, als ob er sein Diener wäre, der fragte:

»Herr, was begehrt Ihr?« Doktor Faustus forschte: »Wie behend bist Du?« Er antwortete: »Wie ein Pfeil.«

Faustus sagte: »Geh wieder hin, wo Du hergekommen bist,« schlug nach einer kurzen Weile wieder mit dem Messer auf den Tisch und fragte wieder den Diener, der jetzt kam: »Wie schnell bist Du?« Er antwortete: »Wie der Wind.«

»Du bist auch noch nicht zu gebrauchen,« sagte Faust, schlug wieder auf den Tisch und es kam ein Geist, der war so schnell als die Gedanken des Menschen. »Nun recht,« sprach Faustus, »Du wirst's thun.«

Er stund auf, ging mit ihm hinaus und befahl ihm, welche Speisen er für seine lieben Gäste holen sollte.

Der Geist aber brachte sechsunddreißig Speisen ohne das Obst, Confect und Kuchen.

All Becher aber, Gläser und Kannen wurden ledig auf den Tisch gesetzt.

[57] Jeder brauchte nur zu sagen, was er trinken wollte. Dann setzte Doktor Faustus das Trinkgefäß vor's Fenster und sogleich war es voll desselben Getränkes, so frisch, als wenn's eben aus dem Keller käme. –

Doktor Faustus spazierte einmal zu Köln mit einem seiner guten Bekannten, und wie sie mit einander von Mancherlei schwatzen, begegnet ihnen ein Pfaff, der eilte der Kirche zu und hatte sein Brevier, so fein mit silbernen Buckeln beschlagen war, in der Hand. Fausto gefiel das Büchlein wohl, dachte, du kannst bei einem anderen ein Gratias damit verdienen und sagte zu seinem Gesellen: »Schau, schau den Pfaffen, wie ein geistliches Gebetbuch hat er in der Hand, da Schellen die Responsorien geben.« Dies erhört der Pfaff, sieht auf sein Buch und wird gewahr, daß es ein Kartenspiel ist. Nun hatte der Pfaffe eben gerade diesmal zu Hause gespielt und meinte, er habe in der Eil' die Karten für das Brevier unversehens ergriffen, wirft's deswegen aus Zorn von sich weg und geht brummend seines Weges. Faustus und sein Geselle lachten des Pfaffen, huben das Buch auf und ließen den Pfaffen gehen und ein ander Brevier kaufen. –

Einstmals kam Doktor Faustus in der Fasten gen Frankfurt auf die Messe. Da berichtete ihm sein Geist Mephistopheles, wie in einem Wirtshause vier Zauberer wären, die einander die Köpfe abhieben und zum Barbier schickten sie zu barbieren, um sie dann wie der aufzusetzen.

Faust ging also dahin solches auch anzusehen und fand die Zauberer schon zusammen, um die Köpfe abzuhauen und den Barbier bei ihnen, der sie putzen und waschen sollte.

Auf dem Tisch aber hatten sie ein Glasgefäß mit destilliertem Wasser.

Der vornehmste Zauberer unter ihnen aber zauberte dem ersten eine Lilie ins Glas, die grünte und blühte und er nannte sie Wurzel des Lebens.

Darauf schnitt er dem Ersten den Kopf ab, ließ ihn barbieren und setzte ihn hernach wieder auf. Da verschwand die Lilie und der Mann hatte seinen Kopf wieder.

So geschah es auch mit dem Zweiten und Dritten.

Da kam die Reihe an den vornehmsten der Zauberer. Seine Lilie blühte und grünte auch im Wasser, als man seinen Kopf barbierte und wusch in Fausti Gegenwart.

[58] Da ging Faustus hin, nahm ein Messer, hieb damit nach der Lilie und schlitzte den Blumenstengel von einander, dessen niemand gewahr wurde.

Da konnten die Zauberer ihrem Gesellen den Kopf nicht wieder aufsetzen und dieser mußte in seinen Sünden sterben. Die hochmütigen Zauberer wußten aber nicht, daß es Faust gethan hatte, denn er war klüger als sie. –

Am Christtage im Dezember, da Doktor Faust zu Wittenberg war, kamen viele adelige Frauenzimmer dahin, ihre Brüder, welche dort studirten, zu besuchen.

Die jungen Herrn von Adel hatten gute Kundschaft zu Doktor Faust. Er war etliche male zu ihnen gerufen worden, und wollte dies nun vergelten.

Da lud er sie nebst den Frauenzimmern in seine Behausung zu einer Nachmittagszeche. Es lag aber draußen großer Schnee.

Nun gab es in Doktor Fausti Garten ein lustig und herrlich Spektakel. In demselbigen Garten war nämlich kein Schnee zu sehen, sondern ein schöner Sommer mit allerlei Gewächs, daß auch das Gras mit allerlei schönen Blumen grünte und blühte. Es waren da auch schöne Weinreben mit allerlei Trauben behangen, nicht minder weiße, rote und fleischfarbene Rosen nebst vielen anderen schönen wohlriechenden Blumen, welches eine herrliche Luft zu riechen gab.

In einer fürnehmen Reichsstadt hatte Doktor Faustus viele stattliche Herren zu Tische geladen und doch nicht für sie zugerichtet.

Doktor Faustus wußte aber, daß an diesem Tage bei angesehenen Bürgern eine Hochzeit gefeiert wurde. Da machte er in ihrem Hause einen Sturmwind durch den Schornstein und löschte alle Lichter aus. Wie es nun dunkel geworden war, ließ er von den Geistern die schönsten Braten von dem Bratspieß nehmen und auf seine Tafel bringen. Alsdann machte er sich selbst auf und holte für seine Gäste den besten Wein aus Fuggers Keller.

Damit waren aber die Gäste noch immer nicht zufrieden und begehrten noch eigens ein Gaukelspiel von Doktor Faust, der sich dessen diesmal sehr ärgerte.

Da ließ er vor der Nase eines Jeden auf dem Eßtische eine Traube an einer einzigen Rebe wachsen. Nun mußte jeder seine Traube mit der [59] einen Hand und mit der andern das Messer zum Abschneiden halten. Bei Leibe sollte aber keiner zuschneiden.

Nun ging Faust aus dem Gemache. Da wich allmählig der Zauber von ihnen und sie sahen, daß sie sich einander an den Nasen hielten, auch eben im Begriff waren sich dieselben abzuschneiden. –

Doktor Faustus hat auch einmal in der schwäbischen Stadt Heilbronn gelebt. Auf einen Tag, da er sich einen guten Rausch getrunken hatte mit seinem Freunde und Hauswirte Braeunle, trieb in der Abendzeit der Kuhhirt die Kühe an Braeunle's Wohnung vorüber.

Auch andere Tiere waren noch in der Heerde, denn diese machten nicht nur ein entsetzliches Gebrüll, sondern auch ein Geblöke und ein Geplärr, als ob Kühe, Schafe und Ziegen durcheinander gingen.

Dem Doktor Faustus war das sehr zuwider. Er sprach einige Worte, da verstummten die Tiere und bekamen sogar die Maulsperre, worüber die Viehmägde gewaltig erschraken. –

Einstmals ging Doktor Faustus mit Braeunle und anderen Bürgern von Heilbronn nach Weinsberg. Sie ließen sich dort eine Mahlzeit zurichten und machten sich erst spät auf den Heimweg. Faust blieb in Weinsberg zurück.

Als sie ankamen, wurde in Heilbronn soeben das Thor geschlossen.

Da liefen sie, was sie nur konnten, als sie aber in der Stadt waren, da fragte einer: »Wo trinken wir noch ein Mäßlein Wein?« Ein andrer sagte: »Wenn nur der Faust da wäre, da würde es lustig werden, da ginge ich auch gern mit«. Da kam aber eben der Faust daher, trat wieder zu ihnen, schon war er in der Stadt so gut als die andern und fragte: »Gelt denn, wo trinken wir noch ein Mäßlein Wein?« –

Auch in Wien ist Doktor Faust einst gewesen. Da kam ihm die Lust an auf der Donau zu schiffen. Er ging also hinaus und fragte, ob nicht ein Schiff nach Regensburg abgehen würde. Da bekam er die Antwort: »Am andern Tage«, worauf er heimging und am andern Tage wiederkam.

Da sah er, daß man einen großen Haufen Pferde vor das Schiff spannte. Er fragte, was das bedeuten solle.

Die Schiffer antworteten: »Die Pferde sollen das Schiff hinaufziehen«.

Darauf lachte er sehr und sagte, solcher Torheit bedürfe es nicht. Man könne das Schiff ohne Pferde viel leichter hinaufbringen.

[60] Die Schiffer fragten ganz zornig, wie er das machen wolle.

Faust antwortete, er hätte einen Affen, der solle alles allein hinaufschaffen. Da antwortete der Schiffsherr, er solle sie nicht zum Besten haben, sonst würde es ihm übel ergehen. Faust aber zog fünfzig Thaler aus der Tasche und sagte: »Wer Lust zu wetten hat, der setze ebensoviel Geld dagegen«.

Ein reicher Kaufmann, der mitfahren wollte, sagte zu Faust, ihm müsse es wohl nicht sauer werden, das Geld zu verdienen, sonst nähme er es gewiß besser in Acht.

Faust antwortete: »So er Mut hätte, sollte er doch selbst mit ihm wetten«.

Da sagte der Kaufmann zu den Schiffern: »Ich sehe wohl, diesem Manne wird das Geld zu warm in der Tasche, ich will ihm etwas davon abnehmen«.

Darauf setzte er fünfzig Thaler dagegen. Den Schiffern mußte er sogar noch fünf Thaler bezahlen, damit sie nur ihre Pferde ausspannten.

Da spannte Faust seinen Affen ein, der zog das Schiff so geschwinde stromauf, daß sich alle verwundern mußten.

Am meisten aber verwunderte sich der Kaufmann, weil er seine fünfzig Thaler an Faust verlor.

Es war im 24. Jahre des Bündnisses zwischen Faust und dem Teufel, als seine Freunde, welche meistens Studenten waren, erst von ihm erfuhren, daß er sich dem Teufel verschrieben habe und daß er nur noch einen Tag leben werde. Er hatte sie zu sich berufen, um ihnen dies zu bekennen. Auch wollte er sie noch ermahnen oder doch seine tiefe Reue sehen lassen. Sie sollten aber bei ihm bleiben, bis er tot wäre.

Diese Studenten und guten Herren, als sie Faustum gesegneten, weinten und umfingen einander.

Doktor Faustus aber blieb in der Stube. Und als die Herren sich zur Ruhe begaben, konnte keiner recht schlafen. Es geschah aber zwischen 12 und 1 Uhr in der Nacht, daß gegen das Haus her ein großer ungestümer Wind sich erhob, welcher das Haus von allen Seiten umgab, als ob er es zu Boden reißen wollte.

[61] Die Studenten sprangen aus den Betten, huben an einander zu trösten, wollten aber nicht aus der Kammer, in der sie schliefen.

Endlich hörten sie ein gräuliches Pfeifen und Zischen, als ob das Haus voller Schlangen und Nattern wäre. Indem geht bei Doktor Faust die Stubentür auf.

Er fängt an um Hilfe zu schreien, aber bald wird es still. Am andern Morgen machten sie sich erst in Fausti Stube. Da war alles mit Blut bespritzt, aber der Leib lag draußen auf dem Mist.

Die ganze Sage von Faust haben einige für eine bloße Erdichtung zur Verunglimpfung des Häretikers Faustus Socinus gehalten. Andere hingegen behaupten, die Mönche, welche durch Johann Fausts Erfindung der Buchdruckerkunst ihren Verdienst vom Abschreiben der Bücher gänzlich eingebüßt, hätten die neue Erfindung aus Rache als Teufelswerk verschrieen und dem Namen Faust durch die Erdichtung eines Doktor Faust, der sich dem Satan verschrieben habe, einen Schandfleck anheften wollen.

Gegen dergleichen Einwendungen würde sich nun auch wenig sagen lassen, wenn es eben nicht gewiß wäre, daß der Doktor Faust, welcher sich für einen Zauberer ausgab, in Kreuznach Rektor gewesen ist.

Es schrieb nämlich Tritheim am 20. August 1507 aus Würzburg an einen Freund, Georg Sabellicus Faustus, welcher sich einen Erz-Zauberer zu nennen gewagt habe, sei ein prahlerischer Vagabund, den man durchpeitschen solle, damit er sich künftig hüte, so verruchte kirchenschänderische Dinge öffentlich zu betreiben. Die Titel, die er sich beilege, könnten nur seine Verrücktheit und seinen Wahnsinn beweisen. Tritheim fährt fort: »Sieh da, wie weit die unbesonnene Torheit eines Menschen sich bis zum Wahnsinne versteigen kann, daß er sich der Zauberei rühmt, da er doch, ohne alle rechte Bildung, sich vielmehr für einen albernen Menschen, als für einen Magister hätte ausgeben sollen. Aber ich kenne seine Schlechtigkeit gar wohl. Als ich im vorigen Jahre aus der Mark Brandenburg heimkehrte, traf ich denselben Menschen in Gelnhausen, wo man mir in der Herberge allerlei frivole Streiche, deren er mit vieler Keckheit sich rühmte, erzählte. Sobald er meine Anwesenheit erfuhr, machte er sich aus dem Staube und konnte durch nichts bewogen werden, vor mich zu treten. Einige Priester aus der Stadt überbrachten mir, er habe in Vieler Gegenwart [62] ausgesagt, er besitze eine solche Kenntnis und ein solches Gedächtnis, daß, verschwänden mit einem Male sämmtliche Werke des Aristoteles und Plato mit ihrer Philosophie gänzlich aus der Menschen Gedanken, er sie wieder durch sein Genie, wie ein anderer Esra, und mit größerer Eleganz wiederherstellen wolle. Darauf kam er nach Würzburg und soll daselbst in großer Gesellschaft ebenso gewindbeutelt haben: des Heilands Wunder seien eben nicht so zu bewundern; auch er könne Alles machen, was Christus gethan, so oft und wann er wolle. In diesem Jahre (1507) kam er auch nach Kreuznach, und versprach ruhmredig unerhörte Dinge, indem er sich für den vollkommensten Alchymisten aller Zeiten ausgab, und Alles zu wissen und zu können behauptete, was man nur wolle. Da gerade die Rektorstelle am Gymnasium daselbst vacant war gab man sie ihm auf Empfehlung Franz von Sickingens, eines Mannes, der viel auf Geheimkünste hält. Aber er verübte so schändliche Greuel, daß er bei Nacht und Nebel der wohlverdienten Strafe entfliehen mußte«.

[63] Der Eber von der Ebernburg bei Kreuznach.

  • Graf Rupert auf der Eberjagd. (Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten)
    Graf Rupert auf der Eberjagd.

Auf der Ebernburg im Nahethale, sagte Ulrich von Hutten, seien Streitroß und Waffengewerbe, Müßiggang und Feigheit verachtet, Männer zeigten sich dort als Männer und Gutes und Schlechtes werde nach Gebühr gewogen und behandelt; für die Gottheit sei dort Verehrung, für die Menschen Sorgfalt und Liebe zu Hause. Alle Tugenden fänden dort ihren Lohn, Habsucht werde nicht geduldet; der Ehrgeiz sei dort geächtet, Gemeinheit und Laster seien weit entfernt; Ritter und Knappen, von reiner Freiheitsglut erfüllt, verschmähten das Gold und strebten nur nach großen Thaten; jeder Vertrag werde auf der Ebernburg gehalten, die Treue geehrt, der Glaube gehegt, die Unschuld geschirmt; dort blühe die Redlichkeit und dort sei die Herberge der Gerechtigkeit. Diese Worte sind zugleich eine Verherrlichung Franz von Sickingens, des größten Bewohners der Ebernburg.

Der Eber, welcher in dem Namen der Ebernburg vorkommt, war auch an der Burg abgebildet. Den Namen und das Bild erklären zwei Sagen, die beide nebeneinander erzählt zu werden verdienen. Möge denn der freundliche Leser selbst sich darüber entscheiden, durch welche dieser beiden Ueberlieferungen seiner Meinung nach der Name der Ebernburg am besten erklärt ist.

[64] In alter Zeit war der Gaugraf Rupert von Altenbaumburg auch im Besitze dieser Feste. In seiner Jugend hatte er der Absicht, sich zu vermählen entsagt, doch war er seinem Entschlusse nicht treu geblieben und hatte noch im Alter ein Auge auf ein Edelfräulein geworfen, welches bei der heiligen Hildegard auf dem Rupertsberge bei Bingen erzogen wurde.

Das Edelfräulein, Jutta mit Namen, war vielleicht von ihren Verwandten bestimmt, einst den Schleier zu nehmen und wäre darauf auch wohl eingegangen, wenn sie nicht einen jungen Ritter, Heinrich von Stein, kennen gelernt hätte, mit welchem sie sich verband, um alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen, welche ihrer Ehe nur immer entgegen gesetzt werden konnten.

Als Jutta's Verwandte sahen, daß diese Bedenken trug, den Schleier zu nehmen, ja selbst als Novize eine Probezeit einzugehen, verbanden sie sich mit dem alten Ritter Rupert, um diesem alten Freunde und keinem Andern zu einer Verbindung behilflich zu sein. Die beiden Verlobten aber blieben ihrer Absicht getreu, und mit immer steigender Wut überzeugte sich Rupert, daß er darauf werde verzichten müssen, Jutta heimzuführen.

Anstatt nun aber allmählig sich wieder zu beruhigen, schwur Rupert, daß Heinrich von Stein mit ihm kämpfen solle um Jutta, sobald er ihn in den Waldungen träfe, in denen das große und das kleine Jagdgebiet Ruperts und Heinrichs aneinander grenzten. Alle, die solche Reden hörten, mußten darüber lachen, denn Heinrich war zwar viel ärmer an Besitzungen als Rupert, aber durch seine Kräfte ihm weit überlegen. Dies hinderte indessen nicht, daß der ältere Herr, nachdem er den Jüngling lange vergeblich in den Forsten gesucht hatte, ihn einen Feigling schalt. Wirklich vermied Heinrich von Stein, welcher eine Art von Herausforderung von Rupert erhalten hatte, die Begegnung mit dem älteren Ritter, jedoch nicht aus Feigheit, sondern teils um seinen ehrenwerten Nachbar zu schonen, teils um die Verwandten seiner Braut, welche ihm ohnehin zürnten, nicht noch mehr zu reizen.

Statt seinem jugendlichen Nachbar zu begegnen, stieß Ritter Rupert eines Tages im Walde auf einen ungeheuren Eber. Mit seinem gewaltigen [65] Hauzahne fuhr derselbe in Herrn Ruperts Lanze, daß sie wie ein Strohhalm zersplitterte. Wie es in solchen und ähnlichen Fällen auf der Wildschweinsjagd zu geschehen pflegt, so war nun Herr Rupert in der größten Gefahr, durch den Eber eine tödliche Wunde zu empfangen.

Da wurden die Zweige im Gebüsche dicht neben Herrn Rupert plötzlich auseinandergebogen, und Heinrich von Stein trat hervor. Mit seinem Schwerte trennte er auf einen Hieb den Kopf des Ebers vom Rumpfe. Erstaunt blickte ihn Rupert an, und kaum hatte er seine Gedanken etwas gesammelt, da begrüßte er ihn als seinen Lebensretter und lud ihn ein, mit nach seiner nächsten Burg zu kommen.

Bei der Ankunft befahl Rupert, seinen Gast aufs beste zu bewirten. Er verließ ihn dann auf einige Stunden, schrieb Briefe, sandte Boten aus mit vielen Einladungen für den nächsten Morgen und nahm noch mit Heinrich von Stein die Abendmahlzeit ein. Nach dem Schlaftrunke sagte er seinem neuen Freunde, daß er selbst sehr ermüdet sei und ihn am andern Tage erst spät zum Morgenimbiß werde rufen lassen.

Indessen war Rupert am andern Morgen schon früh bei der Hand, um neue Gäste zu empfangen, die er am Tage vorher eingeladen hatte. Heinrich von Stein dagegen, von den Anstrengungen des vorigen Tages so ermüdet, schlief fest, bis er gegen zehn Uhr, als alle neuen Gäste versammelt waren, zum Frühtrunke gerufen wurde.

Als Heinrich von Stein in den Rittersaal eintrat, erblickte er Jutta und ihre Verwandten nebst anderen Rittern und Edelfrauen. Herr Rupert bat zu Aller Erstaunen bei Jutta's Verwandten um Jutta's Hand, aber nicht für sich, sondern für Heinrich von Stein. Damit Heinrich aber nicht mehr zu arm schiene, um in ihre Familie eintreten zu können, so setzte er ihn zu seinem Erben ein für die Burg, auf welcher man sich befand. Der Burgkaplan konnte bereits eine von ihm aufgesetzte Urkunde über die Schenkung vorlesen. Gern willigten Jutta's Verwandte nun in die Heirat mit Heinrich von Stein, Rupert's Verwandte aber unterschrieben die Schenkung, da sie auch ohne die Ebernburg nach dem Tode des reichen Rupert immer noch eine große Erbschaft zu erwarten hatten. Den Namen aber soll die Burg an diesem Tage gleichfalls empfangen haben wege [66] der lebhaften Schilderung des Kampfes mit dem Eber, die Rupert, froh, mit dem Leben noch einmal davongekommen zu sein, beim Frühtrunke machte.

Noch lustiger ist die andere Erzählung, nach welcher die Ebernburg gleichfalls früher einen anderen Namen gehabt haben muß.

Als die ältere Ebernburg einst belagert wurde, wehrten sich ihre Bewohner so tapfer, daß der Feind nur zum Ziele zu kommen glaubte, wenn er sie vollständig aushungerte. Es dauerte auch gar nicht lange, so waren auf der Ebernburg die wenigen Hühner und Gänse, Tauben und Enten, Kühe und Schafe verzehrt, die sich dort oben auf dem steilen Berge befanden. Mit großer Besorgnis sahen die Burgbewohner auch, wie sich die Früchte, welche sie im vorigen Jahre gesammelt hatten, verminderten; nur der Burgherr, welcher lieber vor Hunger sterben, als die kleine Bergfeste übergeben wollte, verzagte nicht. Er hatte noch ein einziges Schwein im Stalle, einen mächtig grunzenden Eber. Diesen ließ er an jedem Morgen, wenn kaum der Tag graute, von den Knappen auf den Burghof zerren. Dort ergriff ihn einer der Knappen bei den Vorderfüßen, ein anderer bei den Hinterfüßen, ein dritter gar bei dem kurzem Schwanze und so wurde er plötzlich auf die Erde gerissen und auf den Rücken geworfen, als ob er geschlachtet werden sollte. Damit er nun so laut als möglich schriee, hielt es der Burgherr selbst nicht unter seiner Würde, ihm mit seinem Schwerte an der Stelle, wo sonst der Schlächter das Messer hineinsteckt, etwas den Hals zu kitzeln. Wenn das Tier dann ein recht mörderliches Geschrei gemacht hatte, so ließ man es aufstehen und brachte ihm einen Tränkeimer mit Futter, worauf es dann augenblicklich verstummte, als ob es gestorben wäre. Alsdann verging der Vor- und Nachmittag und die Belagerer glaubten, daß die Burgbewohner bis zur Abenddämmerung beschäftigt gewesen wären, um auf ein halbes Jahr Schinken und Würste in den Rauch zu hängen. Doch kaum graute der Tag, so wurde dasselbe Schwein wieder auf den Burghof gezogen, niedergerissen und am Schwanze gezupft, so daß nach dem mörderlichen Geschrei, das sich wieder erhob, der Feind nur glauben konnte, es werde schon wieder ein Schwein geschlachtet.

Nachdem die Bewohner der Ebernburg das Spiel vierzehn Tage lang [67] getrieben hatten, verzweifelte der Feind daran, sie auszuhungern und gab die Belagerung auf. Der Burgherr beschloß nun, ein Fest für seine Leute anzustellen, ließ den Eber wirklich schlachten, verzehrte ihn auch mit denselben an Einem Tage – denn Alle waren sehr hungrig – und gab zum Andenken an die Begebenheit seiner Burg jetzt den Namen der Ebernburg.

[68] Adalbert der Landmann.

Wie die Griechen von dem Zauberschlafe des Epimenedes, Italiener und Deutsche aber von Barbarossa's Bergentrückung erzählen, so berichten auch die griechischen und deutschen Schriftsteller von Männern, welche für tot galten, nach einiger Zeit aber wieder auflebten und von dem, was ihnen in einer andern Welt begegnet war, die lebhaftesten Schilderungen entwarfen. Die Männer, welche diese Berichte abstatteten, soweit sie bisher in neuerer Zeit Beachtung gefunden haben, waren Heiden oder Protestanten. Im Folgenden soll das »Gesicht«, die »Vision« oder der »Entzückungstraum« eines frommen Katholiken, Adalbert des Landmannes, erzählt werden.

Zwischen Rocksheim und Braunweiler liegt der Katharinenhof, welcher früher ein Nonnenkloster war. Dieses Nonnenkloster wurde auf folgende Veranlassung hin gestiftet.

Ein bejahrter Landmann, Adalbert, wurde krank. Man glaubte ihn sterben zu sehen und er lag eine Nacht hindurch als Toter da. Bei Sonnenaufgang, als man ihn eben beerdigen wollte, wurde er wieder lebendig. Die Umstehenden liefen entsetzt davon. Der Auferstandene aber ging in die Kirche und blieb lange auf den Knieen im Gebete liegen. Er sah und hörte nicht, daß sich die Menge um ihn versammelte. Endlich [69] als man ihn anredete, rief er aus: »O Ihr thörichten und gottlosen Menschen, welche Qualen sind Euch doch nach diesem Leben bereitet!«

Adalberts Äußerungen und Ermahnungen beschäftigten alle Menschen ringsumher, am meisten aber den Pfarrherrn von Mandel, den Abt von Sponheim und den Prior Johann. Diese drei Geistlichen begaben sich denn auch alsbald in Adalberts Hütte und ihnen erzählte er, was in der Nacht vorher mit ihm geschehen sei.

Nach seinem Tode – sagte er – hätten mehrere Engel seine Seele in die Luft geführt. Da wären lauter Funken wie Schneeflocken um ihn her geschwirrt. Das wären unzählige Teufel gewesen, die hätten ihn wollen in das ringsum lodernde Feuer stürzen, die guten Engel aber hätten die Teufel von ihm abgewehrt. Den bösen wie den guten Engeln wären alle seine Sünden bekannt gewesen. Ihm selbst aber wären sie noch fürchterlicher erschienen, wiewohl er doch manche davon in seinem früheren Leben nur für sehr unbedeutend gehalten hätte. So sei er einmal nach Kreuznach gegangen, da habe ihn ein Bettler nach dem Wege gefragt. Den habe er ihm zwar gesagt, aber nicht genau genug beschrieben und deshalb habe der Bettler nachher einige Stunden lang im Walde umherirren müssen. Dafür – so berichtete Adalbert der Landmann – sei er auf eine Weise gestraft worden, daß er es gar nicht ausdrücken könne und wenn er hundert Zungen hätte. Wegen eines anderen Fehlers, den er früher kaum für ein Vergehen gehalten habe, hätten die Teufel mit lautem Gelächter brennende Garben auf ihn geworfen und ihn, wie er gemeint hatte, wohl vierhundert Jahre lang auf das jämmerlichste verbrannt.

Darauf sei ihm ein Engel als Führer gegeben und der habe ihn zu dem Orte der ewigen Verdammnis geleitet. Nun sei er doch in Wahrheit nicht vierhundert Jahre, sondern nur eine Nacht im Tode gewesen. Aber während dieser Zeit seien so viele Seelen zur Hölle hinabgestürzt, als seiner Meinung nach kaum in Jahrhunderten könnten gestorben sein.

Viele Bischöfe, Äbte, Priester, Mönche und Nonnen, Christen und Heiden wären darunter gewesen und ein fürchterliches Geheul hätte sich erhoben. Die Seele eines gewissen Bischofs sei mit großem Getöse von den Teufeln in die Hölle geschleppt. Mönche und Nonnen wären wegen ihres Ungehorsams und Murrens fürchterlich gestraft, unzählige Bischöfe und [70] Prälaten hätten wegen Simonie, das heißt wegen Bestechlichkeit und Stellenverkauf, wegen Geiz, Stolz, Prachtliebe, Verachtung der Armen, Vernachlässigung des Amtes und Fleicheslust jämmerlich leiden müssen. Die meisten Landleute seien bestraft worden wegen Betruges unter sich und weil sie selten in der Ohrenbeichte ihre Sünden ganz rein und wahrhaft zu bekennen pflegten.

Mitten in der Erde hatte Adalbert der Landmann einen fürchterlichen und ganz mit Seelen angefüllten Schacht gesehen, aus welchem die Flammen bis zum Himmel aufschlugen. Teufel wirbelten dazwischen herum. Jammer und Wehgeschrei und gräßliches Fluchen scholl aus der Tiefe empor. Der Engel sagte zu Adalbert dem Landmanne: Wer da drinnen sitzt, kommt niemals wieder heraus.

Der Engel zeigte dem Landmanne auch das Fegefeuer. Darauf sah dieser in ein tiefes, tiefes Thal, in demselben strömte ein großer stinkender Fluß und über diesen ging eine dünne schlüpfrige Brücke von einem Berge zum anderen, höher als wenn man den Kirchthurm zu Kreuznach viermal aufeinander setzt. Diese Brücke war nur zwei Fuß breit und ging steil aufwärts bis zur Mitte, dann aber ebenso wieder abwärts. Es waren aber der Seelen, so über diese Brücke wollten, gar viele. Einige fielen im Anfange, andere in der Mitte, noch andere am Ende hinab in den Fluß, den abscheulichen Drachen und ungeheuren Schlangen, welche nach den Herabfallenden die Köpfe aus dem Wasser steckten, geradeswegs in den Rachen. Andere fielen neben den Untieren nieder bis an den Kopf oder den Hals oder auch nur bis ans Knie nach Verdienst ihrer Sünden. Mancher arbeitete sich auch mit der größten Schnelligkeit durch den Fluß hindurch.

Diese, wenn sie das Ufer erreichten, waren viel schöner anzusehen als vorher. Sie wurden da von den Engeln mit Jubel empfangen und in den Palast des Himmelreiches eingeführt.

Aber manche, die mit Golde beladen einhergingen, fielen gleich zu Anfang, und da ihnen die Umkehr unmöglich war, so mußten sie gewaltig arbeiten, um noch an's Ufer zu gelangen. So wälzten sich denn viele manches Jahr hindurch, wie der Landmann wenigstens glaubte, in dem stinkenden Unflate umher, bis sie endlich doch noch auf's höchste entkräftet an's Ufer gelangten.

[71] Eine nackte, aber sehr schöne Seele sah Adalbert rasch und sicher über die Brücke gehen. Das ist der Mönch Theodobert, sagte der Engel, der außer Gott nichts auf der Welt geliebt hat.

Nun faßte der Engel die Hand Adalberts des Landmannes und führte ihn zu dem Wohnsitze der Seligen. Was er da sah, kann keines Menschen Zunge aussprechen. Da war unter anderen der verstorbene Pastor Hildebert aus Sponheim. Der trug einen Stern auf der Brust, welcher funkelte wie die Sonne, weil der Pfarrer schon auf der Erde durch Wissenschaft und Frömmigkeit wie ein Licht geleuchtet hatte.

Die Schar der himmlischen Heerscharen wünschte, daß Adalbert der Landmann bei ihnen bleiben solle. Allein der Engel, der ihn umherführte, sprach: »Er muß zur Erde zurück, damit er seine Sünden bereuen und büßen und nach Jahren glücklicher zu uns zurückkehren kann.«

Darüber entsetzte sich Adalbert der Landmann und weinte bitterlich.

Nachdem er den drei Geistlichen dies Alles berichtet hatte, unterwarf er sich einer strengen Buße. Er baute sich eine Hütte von Holz und Lehm im Walde nahe bei Dahlen und hat da noch sieben Jahre in großer Kreuzigung seines Fleisches gelebt.

Darauf aber stifteten der Propst zu Kreuznach, der Landdechant zu Hilbersheim und der Pfarrer zu Mandel das Kloster Katharinenhof.

[72] Hans Brömser von Rüdesheim.

Als Kaiser Konrad seinen Kreuzzug unternahm, da scharten um ihn sich auch viele edle Herren vom Rhein, so auf Sternfels und Liebenstein, auf Spanheim und Greifenklau wohnten und danach ihre Namen führten. Auch Hans Brömser von Rüdesheim schloß sich ihnen an.

Die meisten dieser Ritter hatten schon in der Heimat bei Turnier und Lanzenstechen sich Ruhm erworben, weshalb sie dann auch auf der Reise sich tapfer durchschlugen und, durch Verräter in den Taurus geführt, selbst von Hunger und Durst nicht überwältigt werden konnten. Endlich standen sie vor Damaskus, und schon der Klang ihres Streithorns soll die Sarazenen zittern gemacht haben.

Dennoch waren die Erfolge dieses Kreuzzuges nicht glänzend. Als die rheinischen Ritter erkannten, daß sie selbst, indem sie ihre Schuldigkeit im höchsten Maße thaten, nicht viel ausrichteten, gaben sie sich nach und nach ihren Träumereien hin, und einige hatten sogar Erscheinungen, welche ihnen zeigten, wie sie auch in der Heimat einen überaus gottseligen Lebenswandel führen könnten, wobei sie natürlich nur an ein Einsiedlerleben und an den Stand der Mönche gedachten. Wirklich vertauschten dann auch mehrere der Ritter nach der Heimkehr das Stahlgewand mit der Mönchskutte und [73] beschlossen ihr Leben in ihrer Art glücklich und zufrieden hie und da in einer stillen Klause am Rhein.

Hans Brömser gehörte nicht zu den Rittern, die sich in eine bemooste Waldzelle am Rheine sehnten, sondern er sehnte sich bloß nach seinem Weinkeller auf dem Brömserhofe zu Rüdesheim. Als er aber auf der Heimreise einst im Nachtrabe dahinritt, wurde er noch von den Sarazenen gefangen genommen und in den Kerker geworfen.

Hans Brömser betete nun inbrünstiglich, daß Gott ihn möge aus dem Kerker befreien; er gelobte ein Kirchlein neben seiner Burg zu bauen, sobald er wieder zu seinem Weibe und seinen Kindern gelangt sein würde.

Als er dieses Gelübde gethan hatte, sah er dicht neben sich in einen Winkel seines Kerkers und erblickte eine scharfe Feile, mit welcher er augenblicklich seine Ketten lösen konnte. Dadurch wurde er frei, denn als er an die Thür des Kerkers ging, fand er, daß sie offen war. Mochte nun aber ein Wunder geschehen sein infolge seines Gebetes und seines Gelübdes oder waltete bloß der Zufall so ungemein zu seinen Gunsten: genug, als er auf den Hof kam, stand auch sein Pferd gesattelt da und seine Damascenerklinge nebst dem Kreuzschilde lag daneben.

Brömser trabte nun rasch davon. Ein Luftzug erfrischte ihn an dem rötlichen Morgen unter den Palmen und der leichtfertige Mann vergaß ein Dankgebet gen Himmel zu senden. Wohl aber gedachte er an die vollen Humpen mit Rüdesheimer Weine, von denen er nach seiner Heimkehr einen nach dem andern leeren wollte.

Als er diesen Gedanken schon etwas länger als billig war nachgehangen hatte, da verschwanden plötzlich die Palmen und bald mußte er in einen dunklen Eichenwald hineinreiten. Bei dem Grauen, das derselbe in ihm erregte, verfinsterten sich zwar seine Gedanken wieder etwas, doch fiel ihm noch immer nicht ein, daß er sein Dankgebet vergessen hatte. Da kam er plötzlich an eine schauerliche Höhle, aus welcher ein scheußlicher Drache hervorsprang. Diesen hätte nun zwar der Ritter mit der trefflichen Klinge, die er in Damaskus gekauft hatte, wohl nicht überwinden können, denn der Drache umzingelte Hans Brömser samt seinem Rosse und der Damaszenerklinge. Doch Hans Brömser stieß ihm endlich seinen Kreuzschild in den geöffneten [74] Rachen, und da lag das Tier wie ein großer zertretener Wurm tot am Wege.

In dem Kampfe mit dem Drachen zeigte sich nun freilich deutlich genug, daß Brömser nicht ohne Wunder und unmittelbare Eingriffe der Gottheit gerettet worden war. Er sandte endlich ein Dankgebet zu Gott und hatte bis zu seiner Heimkehr an den Rhein auf seinem Rößlein kaum einen anderen Gedanken als wie er eine stattliche Kapelle neben seiner Burg erbauen wolle, wo er sich dann vornahm stets recht andächtig in der Predigt und in der Messe zu sein.

So langte denn Brömser auch sehr glücklich in der Heimat an, begrüßte sein schönes Weib und seine lieblichen Kinder, überzeugte sich, daß von seinen Ackerknechten und Winzern nichts versäumt sei, um die Besitzung in gutem Stande zu erhalten, probte besonders die verschiedenen Jahrgänge des Rüdesheimers, der in seiner Abwesenheit gekeltert war, ging auf die Jagd, schoß Eber und Hirsche und vergaß sein Gelübde, neben seiner Burg ein Kirchlein zu erbauen.

Einst zog einer seiner Knechte vom Burghofe aus mit einem Wäglein, vor dem ein einziger Ochse langsamen Schrittes einherging. Da erscholl aus dem Gebüsche eine Stimme, die rief: »Not Gottes!« Der Knecht sah nach der Richtung hin, aus welcher der Ruf herkam, und derselbe wurde während er suchte noch zweimal wiederholt. So gelangte er mit seinem Gespanne vor eine hohle Eiche, worin sich ein Bild befand, welches Christus am Ölberge darstellte, und vor dem der Ochse in die Kniee sank.

Der Knecht nahm das Bild bei seiner Heimkehr mit auf die Burg, schenkte es aber auf dem Schloßhofe Brömsers kleinen Söhnen zum spielen.

Am andern Tage fuhr derselbe Knecht mit dem Ochsen in den Wald. Als er nach der Burg zurückkehrte, hörte er wieder dreimal den Ruf: »Not Gottes.« Er fuhr mit seinem Gespanne wieder dem Rufe nach und gelangte diesmal von einer ganz andern Seite her abermals zu der hohlen Eiche. Das Tier fiel wieder in die Kniee vor dem heiligen Baume. In der Eiche fand der Knecht dasselbe Gemälde Christus am Ölberge, welches die Kinder auf dem Burghofe hatten liegen lassen, von wo es von selbst in die hohle Eiche zurückgekehrt war.

[75] Diesmal trug der Knecht das Bild selbst zu dem Burgherrn. Dieser sahe darin eine Mahnung an sein im Morgenlande gethanes Gelübde und baute die Kapelle neben dem Berge.

Der Name Brömser ist durch Brömsers Hof in Rüdesheim erhalten.

[76] Das Sankt Rochusfest.

Sankt Rochus war aus Montpellier gebürtig, und hieß sein Vater Johann, die Mutter aber Libera, und zwar hatte dieser Johann nicht nur Montpellier, sondern auch noch andere Orte unter seiner Gewalt, war aber ein frommer Mann und hatte lange Zeit ohne Kindersegen gelebt, bis er seinen Rochus von der heiligen Maria erbeten, und brachte das Kind ein rotes Kreuz auf der Brust mit auf die Welt. Wenn seine Eltern fasteten, mußte er auch fasten, und gab ihm seine Mutter an einem solchen Tag nur einmal ihre Brust zu trinken. Im fünften Jahre seines Alters fing er an, sehr wenig zu essen und zu trinken; im zwölften legte er allen Ueberfluß und Eitelkeit ab und wendete sein Taschengeld an die Armen, denen er sonderlich viel Gutes that. Er bezeigte sich auch fleißig im Studieren und erlangte bald großen Ruhm durch seine Geschicklichkeit, wie ihn dann auch noch sein Vater auf seinem Totenbette durch eine bewegliche Rede, die er an ihn hielt, zu allem Guten vermahnte.

Er war noch nicht zwanzig Jahre alt, als seine Eltern starben, da er dann all sein ererbtes Vermögen unter die Armen austeilte, das Regiment über das Land niederlegte, nach Italien reiste und zu einem Hospital kam, darinnen viele ansteckende Kranke lagen, denen er aufwarten wollte; und ob man ihn gleich nicht alsobald hineinließ, sondern ihm die Gefahr vorstellte, so hielt er doch ferner an, und als man ihn zu den Kranken [77] ließ, machte er sie alle durch Berührung mit seiner rechten Hand und Bezeichnung mit dem heiligen Kreuz gesund. Sodann begab er sich ferner nach Rom, befreite auch allda nebst vielen anderen einen Kardinal von der Pest und hielt sich in die drei Jahre bei demselben auf. Als er aber selbst endlich auch von dem schrecklichen Uebel befallen wurde und man ihn in das Pesthaus zu den anderen brachte, wo er wegen grausamer Schmerzen manchmal entsetzlich schreien mußte, ging er aus dem Hospital und setzte sich außen vor die Thüre hin, damit er den anderen durch sein Geschrei nicht beschwerlich fiele; und als die Vorbeigehenden solches sahen, meinten sie, es wäre aus Unachtsamkeit der Pestwärter geschehen; als sie aber hernach das Gegenteil vernahmen, hielt ihn jedermann für thöricht und unsinnig, und so trieben sie ihn zur Stadt hinaus, da er denn, unter Gottes Geleit, durch Hilfe seines Stabes allgemach in den nächsten Wald fortkroch. Als ihn aber der große Schmerz nicht weiter fortkommen ließ, legte er sich unter einen Ahornbaum und ruhete daselbst ein wenig, da denn neben ihm ein Brunnen entsprang, woraus er sich erquickte. Nun lag nicht weit davon ein Landgut, wohin sich viele Vornehme aus der Stadt geflüchtet, darunter einer Namens Gotthardus, welcher viele Knechte und Jagdhunde bei sich hatte. Da ereignet sich aber der sonderbare Umstand, daß ein sonst sehr wohlgezogener Hund ein Brot vom Tische wegschnappt und davonläuft. Obgleich abgestraft, ersieht er seinen Vorteil den zweiten Tag wieder und entflieht glücklich mit der Beute. Da argwöhnt der Graf irgend ein Geheimnis und folgt mit den Dienern. Dort finden sie denn unter dem Baum den sterbenden frommen Pilger, der sie ersucht, sich zu entfernen, ihn zu verlassen, damit sie nicht vom gleichen Uebel angefallen würden. Gotthardus aber nahm sich vor, den Kranken nicht ehe er gesund von sich zu lassen, und versorgte ihn zum besten.

Als nun Rochus wieder ein wenig zu Kräften kam, begab er sich vollends nach Florenz, heilte daselbst viele von der Pest und wurde selbst durch eine Stimme vom Himmel völlig wiederhergestellt. Er beredete auch Gotthardus dahin, daß dieser sich entschloß, mit ihm seine Wohnung in dem Walde aufzuschlagen und Gott ohne Unterlaß zu dienen, welches auch Gotthardus versprach, wenn er nur bei ihm bleiben wollte; da sie sich denn eine geraume Zeit mit einander in einer alten Hütte aufhielten, und [78] nachdem endlich Rochus den Gotthardus zu solchem Eremitenleben genugsam eingeweiht, machte er sich abermals auf den Weg und kam nach einer beschwerlichen Reise glücklich wie der nach Hause und zwar in seine Stadt, die ihm ehemals zugehört und die er seinem Vetter geschenkt hatte. Allda nun wurde er, weil es Kriegszeit war, für einen Kundschafter gehalten und vor den Landesherrn geführt, der ihn wegen der großen Veränderung und armseligen Kleidung nicht mehr kannte, sondern in ein hart Gefängnis setzen ließ. Er aber dankte seinem Gott, daß er ihn allerlei Unglück erfahren ließ und brachte fünf ganze Jahre im Kerker zu; wollte es auch nicht einmal annehmen, wenn man ihm etwas Gekochtes zu essen brachte, sondern kreuzigte noch dazu seinen Leib mit Wachen und Fasten. Als er merkte, daß sein Ende nahe sei, bat er die Bedienten des Kerkermeisters, daß sie ihm einen Priester holen möchten. Nun war es eine sehr finstere Gruft, wo er lag; als aber der Priester kam, wurde es hell, darüber dieser sich höchlich verwunderte, auch, sobald er Rochus ansahe, etwas Göttliches an ihm erblickte und vor Schrecken halbtot zur Erde fiel, auch sich sogleich zum Landesherrn begab und ihm anzeigte, was er erfahren; und wie Gott wäre sehr beleidigt worden, indem man den frömmsten Menschen so lange Zeit in einem so beschwerlichen Gefängnis aufgehalten. Als dieses in der Stadt bekannt geworden, lief jedermann häufig nach dem Turm. St. Rochus aber wurde von einer Schwachheit befallen und gab seinen Geist auf. Jedermann aber sah durch die Spalten der Thür einen hellen Glanz hervordringen; man fand auch bei Eröffnung den Heiligen tot und ausgestreckt auf der Erde liegen und bei seinem Haupt und den Füßen Lampen brennen; darauf man ihn auf des Landesherrn Befehl mit großem Gepränge in der Kirche begrub. Er wurde auch noch an dem roten Kreuz, so er auf der Brust mit auf die Welt gebracht hatte, erkannt, und war ein großes Heulen und Lamentieren darüber entstanden. Solches geschah im Jahre 1327 den 16. August; und ist ihm auch nach der Zeit zu Venedig, allwo nunmehro sein Leib verwahret wird, eine Kirche zu Ehren gebaut worden.

Als nun im Jahre 1414 zu Konstanz ein Konzilium gehalten wurde und die Pest allda entstand, auch nirgends Hülfe vorhanden war, ließ die Pest alsobald nach, sobald man diesen Heiligen anrief und ihm zu Ehren [79] Prozessionen anstellte. Bei Bingen wurde ihm die Rochuskapelle im Jahre 1666 zum Andenken an das Aufhören einer furchtbar wütenden Pest erbaut; sie wurde ein Wallfahrtsort. Aber zu großer Betrübnis der Gegend war dieses Gotteshaus während der Freiheitskriege verwüstet worden, wenn auch nicht aus Willkür und Mutwillen, so doch, weil hier ein Posten die ganze Gegend überschauen und einen Teil derselben beherrschen konnte. So war das Gebäude denn aller gottesdienstlichen Erfordernisse, ja, aller Zierden beraubt, durch Bivuaks angeschmaucht und verunreinigt, ja, durch Pferdestallung geschändet worden.

Deswegen aber war der Glaube an den Heiligen nicht gesunken, welcher auf Gelübde hört und Pest und ansteckende Krankheiten abwendet. Freilich war an Wallfahrten hierher nicht zu denken gewesen, denn vorsichtig und argwöhnisch verbot der Feind alle frommen Auf- und Umzüge als gefährliche Zusammenkünfte. Beförderten sie doch Gemeinsinn und begünstigten Verschwörungen. Von 1789 bis 1813 konnte daher kein Fest bei der St. Rochuskapelle gefeiert werden. Doch wurden benachbarte Gläubige, welche von dem Vorteile örtlicher Wallfahrt sich überzeugt fühlten, durch große Not gedrängt, das Äußerste zu versuchen. Hiervon erzählen die Rüdesheimer folgendes merkwürdige Beispiel. In tiefer Winternacht erblickten sie einen Fackelzug, der sich ganz unerwartet von Bingen aus den Hügel hinauf bewegte, endlich um die Kapelle versammelte und dort, wie man vermuten mußte, seine Andacht verrichtete. Inwiefern die damaligen französischen Behörden dem Drange dieser Gelobenden nachgesehen, da man sich ohne Vergünstigung dergleichen wohl kaum unterfangen hätte, ist niemals bekannt geworden, sondern das Geschehene blieb in tiefster Stille begraben. Alle Rüdesheimer jedoch, die ans Ufer laufend von diesem Schauspiele Zeugen waren, versicherten, seltsamer und schauderhafter in ihrem Leben nichts gesehen zu haben. Am 16. August 1814 sah man an einer Seite der Kapelle des heiligen Rochus noch Rüststangen. Doch wurde die Kapelle des heiligen Rochus gerade damals vom Kriegsverderben wieder hergestellt. Mit allem für die Andacht der Wallfahrer Nötigen ward die Kirche versehen. Ein italienischer Gipsgießer schwenkte schon einen Tag vor dem Feste und in etwas weiterer Entfernung sein wohlbeladenes Brett gar kühnlich im Gleichgewichte. Die darauf schwebenden Figuren waren [80] nicht etwa, wie man sie in Norddeutschland wohl antrifft, farblose Götter- und Helden-Bilder, sondern der frohen Gegend gemäß bunt angemalte Heilige. Die Mutter Gottes thronte über allen. Aus den vierzehn Nothelfern waren die vorzüglichsten auserlesen. Der heilige Rochus in schwarzer Pilgerkleidung stand voran, neben ihm sein brottragendes Hündlein. Die ganze umliegende Gegend war in Bewegung, alte und neue Gelübde dankbar abzutragen. In der Kapelle des heiligen Rochus wollte man seine Sünden bekennen und Vergebung erhalten. Auch sollte der gehinderte, unterbrochene, ja oft aufgehobene Wechselverkehr der beiden Rheinufer, der am besten durch diesen Heiligen unterhalten wurde, glänzend wiederhergestellt werden. Mancher wollte auch nur in der Masse der zu erwartenden Fremden längst vermißten Freunden wieder begegnen.

Eine Gesellschaft aus Wiesbaden, in welcher sich der Dichter Goethe als Kurgast befand, wollte dem Feste gleichfalls beiwohnen. Man hielt die letzte Rast im Gasthofe zur Krone zu Rüdesheim. Er war an einem alten Turme angebaut und ließ aus den vorderen Fenstern rheinabwärts, aus der Rückseite rheinaufwärts blicken. Doch suchten die Gäste bald in's Freie zu kommen. Ein vorspringender Steinbau war der Platz, wo man die Gegend am reinsten überschaute. Flußaufwärts sah man von hier aus die bewachsenen Auen in ihrer ganzen perspektivischen Schönheit; unterwärts am gegenseitigen Ufer Bingen, weiter hinabwärts den Mäuseturm im Flusse.

Von Bingen heraufwärts erstreckt sich nahe am Strome ein Hügel gegen das obere flache Land. An seinem östlichen Ende sieht man die dem heiligen Rochus gewidmete Kapelle.

Die Gesellschaft aus Wiesbaden besuchte an diesem Tage das weit sich erstreckende Rüdesheim hinabgehend das alte römische Kastell, welches sich durch seine treffliche Mauerung dort erhalten hat. Man trat daselbst in einen brunnenartigen Hof. Der Raum ist eng, hohe schwarze Mauern steigen wohlgefügt in die Höhe, rauh anzusehen, denn die Steine sind äußerlich unbehauen, eine kunstlose Rustica. Die steilen Wände sind durch neuangelegte Treppen ersteiglich; in dem Gebäude selbst findet man einen eigenen Kontrast wohleingerichteter Zimmer und großer, wüster, von Wachfeuern und Rauch geschwärzter Gewölbe. Man windet sich stufenweise durch finstere Mauerspalten hindurch und findet zuletzt auf turmartigen Zinnen [81] die herrlichste Aussicht. Nun wandeln wir in der Luft hin und wieder, indessen wir Gartenanlagen, in den alten Schutt gepflanzt, neben uns bewundern. Durch Brücken sind Türme, Mauerhöhen und Flächen zusammengehängt, heitere Gruppen von Blumen und Strauchwerk dazwischen; sie waren diesmal regenbedürftig wie die ganze Gegend.

Als die Gesellschaft am Abend in den Gasthof zurückkehrte, hörte sie ein fortwährendes Kanonieren von der Kapelle her. Dieser kriegerische Klang gab Veranlassung, später an der Wirtstafel dieses hohen Hügelpunktes ganz besonders als eines militärischen Postens zu gedenken. Indessen hatte sich im Gasthofe ein Fremder eingefunden und mit zu Tische gesetzt. Einige Anwesende ergingen sich um so unbefangener zum Lobe des Heiligen, als sie auch den Fremden für einen Wallfahrer hielten. Allein zu großer Verwunderung der Gesellschaft fand sich, daß er, obgleich Katholik, doch gewissermaßen ein Widersacher des Heiligen sei. An einem 16 August, als am Fasttage, da so viele den heiligen Rochus verehrten, brannte ihm das Haus ab. Ein anderes Jahr an demselben Tage wurde sein Sohn blessiert. Den dritten Fall wollte er nicht bekennen.

Ein kluger Gast versetzte darauf: bei einzelnen Fällen komme es hauptsächlich darauf an, daß man sich an den eigentlichen Heiligen wende, in dessen Fach die Angelegenheit gehöre. Der Feuersbrunst zu wehren, sei St. Florian beauftragt; den Wunden verschaffe St. Sebastian Heilung; was den dritten Punkt betreffe, so wisse man nicht ob St. Hubertus vielleicht Hülfe geschafft hätte. Im übrigen sei den Gläubigen genugsamer Spielraum gegeben, da im ganzen vierzehn heilige Nothelfer aufgestellt worden wären. Man ging die Tugenden derselben durch und fand, daß es nicht Nothelfer genug geben könne.

Um dergleichen selbst in heiterer Stimmung immer bedenkliche Betrachtungen loszuwerden, trat man hinaus unter den brennend gestirnten Himmel und verweilte so lange, daß der darauf folgende Schlaf als Null betrachtet werden konnte, da er die Gäste, noch vor Sonnenaufgang verließ. Sie traten sogleich wieder heraus, um nach den grauen Rheinschluchten hinzuschauen. Ein frischer Wind, günstig den Herüber- wie Hinüberfahrenden, blies von dort her ins Angesicht.

Schon jetzt waren die Schiffer sämmtlich rege und beschäftigt. Die [82] Segel wurden bereitet; man feuerte von oben, den Tag anzufangen, wie man ihn abends angekündigt hatte. Schon zeigten sich einzelne sogar gesellig verbundene Figuren als Schattenbilder am klaren Himmel um die Kapelle und auf dem Bergrücken, aber Strom und Ufer waren noch wenig belebt. Jedoch bald darauf waren die Abfahrenden schon in lebhafter Bewegung. Sie strömten massenweise an Bord, und ein überfülltes Schiff nach dem andern stieß vom Ufer. Drüben am Ufer her sah man Scharen ziehen, Wagen fahren; Schiffer aus den oberen Gegenden landeten daselbst, denn bergaufwärts wimmelte es bunt von Menschen, welche bemüht waren, auf mehr oder weniger jähen Fußpfaden bergan zu steigen. Fortwährendes Kanonieren deutete auf eine Folge wallfahrender Ortschaften.

Nun war es Zeit! Auch die Gesellschaft aus der Krone zu Rüdesheim befand sich mitten auf dem Flusse. Segel und Ruder von ihrem Schifflein wetteiferten mit Segel und Ruder von hundert anderen Schiffen. Dann stiegen die Fremden aus. Den steilsten, im Zickzack über Felsen springenden Stieg erklommen sie mit Hundert und aber Hunderten, langsam, öfters rastend und scherzend.

Oben um die Kapelle fand man Drang und Bewegung. Man gelangte selbst mit hinein. Der innere Raum bildete ein beinahe gleiches Viereck, jede Seite von etwa dreißig Fuß, das Chor im Grunde vielleicht zwanzig. Hier stand der Hauptaltar, nicht modern, aber im wohlhäbigen katholischen Kirchengeschmacke. Er stieg hoch in die Höhe, und die Kapelle überhaupt hatte ein recht freies Ansehen. Zwei ähnliche Altäre in den nächsten Ecken des Hauptvierecks waren nicht beschädigt, – alles wie vorzeiten. Die Menge bewegte sich von der Hauptthür gegen den Hochaltar, wandte sich dann links, wo sie einer im Glassarge liegenden Reliquie große Verehrung bezeigte. Sie betastete den Kasten, bestrich ihn, segnete sich und verweilte so lange sie konnte; aber einer verdrängte den andern, und so ward auch die Gesellschaft aus Wiesbaden im Strome vorbei zur Seitenpforte hinausgeschoben.

Diese Gesellschaft wurde von einem in der Gegend sehr angesehenen nassauischen Beamten geführt. Zu demselben traten einige ältere Männer aus Bingen. Sie rühmten ihn als einen guten und hülfreichen Nachbar, ja, als den Mann, der ihnen das damalige Fest mit Anstand zu feiern [83] erst möglich gemacht habe. Bei dieser Gelegenheit erfuhr die Gesellschaft, daß nach Aufhebung des Klosters Eilingen die inneren Kirchenerfordernisse, Altäre, Kanzel, Orgel, Bet-und Beichtstühle an die Gemeinde zu Bingen zu völliger Einrichtung der Rochuskapelle um ein Billiges überlassen worden war. Da man sich nun von protestantischer Seite dergestalt förderlich erwiesen hatte, so hatten sämmtliche Bürger von Bingen gelobt, gedachte Stücke persönlich herüber zu schaffen. Sie waren denn auch nach Eilingen gezogen und hatten alles sorgfältig abgenommen. Der Einzelne hatte sich kleinerer, mehrere der größeren Teile bemächtigt. So hatten sie, Ameisen gleich, Säulen und Gesimse, Bilder und Verzierungen herab an das Wasser getragen. Dort waren sie, gleichfalls dem Gelübde gemäß, von Schiffern eingenommen, übergesetzt, am linken Ufer ausgeschifft und abermals auf frommen Schultern die mannigfaltigen Pfade hinaufgetragen. Da nun das alles zugleich geschah, so hatte man, von der Kapelle herabschauend, über Land und Fluß den wunderbarsten Zug sehen können, indem Geschnitztes und Gemaltes, Vergoldetes und Lackirtes in bunter Reihenfolge sich bewegte; dabei genoß man des angenehmen Gefühls, daß jeder unter seiner Last und bei seiner Bemühung Segen und Erbauung für sein ganzes Leben hoffen durfte. Die Orgel wurde damals noch nicht mit herübergeschafft, sollte aber später auf einer Galerie, dem Hauptaltare gegenüber, Platz finden. Auf diese Weise löste sich erst das Rätsel, wie es möglich war, daß alle diese Zierden schon verjährt und doch wohl erhalten, unbeschädigt und doch nicht neu in einem erst hergestellten Raume sich damals zeigen konnten.

Der damalige Zustand des Gotteshauses war den Reisenden um so erbaulicher, als sie dabei an den besten Willen, wechselseitige Beihülfe, planmäßige Ausführung und glückliche Vollendung erinnert wurden. Denn daß alles mit Ueberlegung geschehen war, erhellte aus folgendem. Der Hauptaltar aus einer weit größeren Kirche sollte hier Platz finden. Die Verehrer des heiligen Rochus entschlossen sich, die Mauern um mehrere Fuß zu erhöhen, wodurch sie einen anständigen, ja reichlich verzierten Raum gewannen. Der ältere Gläubige konnte nun auf dem linken Ufer an demselben Altar knieen, vor welchem er von Jugend an auf dem rechten gebetet hatte.

[84] In jenem Kloster war auch die Verehrung der Gebeine des heiligen Ruprecht üblich gewesen. Diese Überreste des heiligen Ruprechts, die man sonst zu Eilingen gläubig berührt und als hülfreich gepriesen hatte, fand man nun hier wieder. Und so manchen belebte ein freudiges Gefühl, einem längst erprobten Gönner wieder in die Nähe zu treten. Hierbei bemerkte man wohl, daß es sich nicht geziemt hätte, diese Heiligtümer in den Kauf mit einzuschließen oder zu irgend einem Preis anzuschlagen; nein, sie kamen vielmehr durch Schenkung als fromme Zugabe gleichfalls nach St. Rochus.

Bald wurden auch unsere Reisenden vom Gewühl ergriffen; tausend Gestalten stritten sich um ihre Aufmerksamkeit. Diese Völkerschaften waren an Kleidung und Tracht nicht von einander verschieden, aber von der mannigfaltigsten Gesichtsbildung. Das Getümmel jedoch ließ keine Vergleichung aufkommen. Allgemeine Kennzeichen suchte man vergebens in der augenblicklichen Verworrenheit. Man verlor den Faden der Betrachtung, man ließ sich ins Leben hineinziehen.

Eine Reihe von Buden, wie sie ein Kirchweihfest erfordert, stand unfern der Kapelle. Voran geordnet sah man Kerzen, gelbe, weiße, gemalte, dem verschiedenen Vermögen der Weihenden angemessen. Gebetbücher folgten, Officien zu Ehren des Gefeierten. Rosenkränze aller Art fanden sich häufig. Sodann aber war auch für Wecken, Semmeln, Pfeffernüsse und mancherlei Buttergebackenes gesorgt. Durch Galanteriewaaren und Spielsachen sollten Kinder verschiedenen Alters angelockt werden.

Die Prozessionen dauerten fort. Dörfer unterschieden sich von Dörfern. Die Kinder waren schön, die reifere Jugend nicht. Die alten Gesichter erschienen sehr ausgearbeitet; mancher Greis befand sich darunter. Sie zogen mit Angesang und Antwort. Fahnen flatterten, Standarten schwankten, eine gewaltige und mitunter ganz große Kerze erhob sich Zug für Zug. Jede Gemeinde hatte ihre Mutter Gottes, von Kindern und Jungfrauen getragen, neu gekleidet, mit vielen rosenfarbenen, reichlichen, im Winde flatternden Schleifen geziert. Anmutig und einzig war ein Jesuskind, welches ein großes Kreuz hielt und das Marterinstrument freundlich anblickte. »Ach!« rief ein zartfühlender Zuschauer, »ist nicht jedes Kind, das fröhlich in die Welt hineinsieht, in demselben Falle?« Sie hatten es [85] in neuen Goldstoff gekleidet, und es nahm sich als Jugendfürstchen gar hübsch und heiter aus.

Eine große Bewegung aber verkündete, nun komme die Hauptprozession von Bingen herauf. Man eilte den Hügelrücken ihr entgegen, und nun erstaunte man auf einmal über den schönen herrlich veränderten Landschaftsblick in eine ganz neue Scene. Hier die Stadt, an sich wohl gebaut und erhalten, Gärten und Baumgruppen um sie her, am Ende eines wichtigen Thales, wo die Nahe herauskommt! Und dort der Rhein, der Mäuseturm, der Ehrenfels! Im Hintergrunde die ernsten und grauen Felswände, in die sich der mächtige Fluß eindrängt und verbirgt!

Die Prozession kam herauf, gereiht und geordnet wie die übrigen: vorweg die kleinsten Knaben, Jünglinge und Männer hinterdrein. Dazu der heilige Rochus getragen, im schwarzsammetnen Pilgerkleide und einem langen Königsmantel von gleichem Stoff, unter welchem ein kleiner Hund, das Brot zwischen den Zähnen haltend, hervorschaute. Sogleich folgten mittlere Knaben in kurzen schwarzen Pilgerkutten, Muscheln auf Hut und Kragen, Stäbe in den Händen. Dann traten ernste Männer heran, weder für Bauern noch für Bürger zu halten. An ihren ausgearbeiteten Gesichtern erkannte man vielmehr die Schiffer: Menschen, die ein gefährliches, bedenkliches Handwerk, wo jeder Augenblick sinnig beachtet werden muß, ihr ganzes Leben über sorgfältig betreiben.

Ein rotseidener Baldachin wankte herauf. Unter ihm verehrte man das Hochwürdigste, vom Bischof getragen, von würdigen Geistlichen umgeben, von österreichischen Kriegern begleitet, gefolgt von zeitigen Autoritäten. So ward vorgeschritten, um dies Fest zu feiern, welches 1814 eine politisch-religiöse Bedeutung hatte und für ein Symbol gelten sollte des wiedergewonnenen linken Rheinufers, sowie der Glaubensfreiheit an Zeichen und Wunder. Bei diesem wundersamen und heiteren neuen Ereignisse waren die Kinder sämmtlich froh, wohlgemut und behaglich. Die jungen Leute dagegen traten gleichgültig einher. Geboren in böser Zeit wurden sie an nichts erinnert, und wer sich des Guten nicht erinnert, der hofft nicht. Die Alten aber waren alle gerührt wie von einem glücklichen, für sie unnütz zurückkehrenden Zeitalter. Daraus ist zu ersehen, daß des Menschen Leben nur insofern etwas wert ist, als es eine Folge hat.

[86] Nun aber ward von diesem edlen und vielfach würdigen Vorfall der Betrachter in unschicklicher Weise abgezogen durch einen Lärm im Rücken, durch ein wunderliches, heftiges und gemeines Geschrei. Auch hier wiederholte sich die Erfahrung, daß ernste, traurige, ja schreckliche Schicksale oft durch ein unvorhergesehenes abgeschmacktes Ereigniß, ein lächerliches Zwischenspiel, unterbrochen werden.

An dem Hügel rückwärts entstand ein seltsames Rufen. Es waren nicht Töne des Haders, des Schreckens, der Wut, aber doch wild genug. Zwischen Gestein und Busch und Gestrüpp lief eine aufgeregte Menge hin und wieder. Halt! – Hier! – Da! – Dort! – Nun! – Hier! – Nun heran! – so schallte es mit allerlei Tönen. Hunderte beschäftigten sich mit hastigem Ungestüm durch Laufen und Springen, Jagen und Verfolgen. Erst in dem Augenblicke als der Bischof mit dem hochehrwürdigen Zuge die Höhe erreichte, ward das Rätsel gelöst.

Ein flinker derber Bursche lief hervor, einen blutenden Dachs behaglich vorzuweisen. Das arme schuldlose Tier, durch die Bewegung der andringenden fremden Menge aufgeschreckt, abgeschnitten von seinem Bau, wurde am schonungsreichsten Feste von den immer unbarmherzigen Menschen im segensvollsten Augenblicke getötet. Gleichgewicht und Ernst war jedoch alsobald wiederhergestellt und die Aufmerksamkeit auf eine neue, stattlich heranziehende Prozession gelenkt. Denn indem der Bischof nach der Kirche zu wallte, trat die Gemeinde von Lidenheim so zahlreich als anständig heran.

Alles drängte sich nun gegen die Kapelle. Unsere Reisenden, durch die Menge seitwärts geschoben, verweilten im Freien, um an der Rückseite des Hügels die weite Aussicht zu genießen, die sich in das Thal eröffnet, in welchem die Nahe ungesehen heranschleicht. Hier beherrscht ein gesundes Auge die fruchtbare mannigfaltige Gegend bis zu dem Fuße des Donnersberges, dessen mächtiger Rücken den Hintergrund majestätisch abschließt.

An dieser für die Aussicht so günstigen Stelle standen Gezelte, Buden, Bänke und Schirme aller Art aufgereiht. Ein willkommener Geruch gebratenen Fettes drang den Fremden entgegen. Sie fanden eine thätige junge Wirtin, eines Metzgers Tochter, die damit umging, in einem weiten glühenden Aschenhaufen frische Würste zu braten. Durch eigenes Handreichen[87] und die unablässige Bemühung flinker Diener wußte sie einer solchen Masse zuströmender Gäste genug zu thun. Auch die Reisenden aus Wiesbaden, mit fetter dampfender Speise, mit frischem Brote reichlich versehen, bemühten sich, an einem geschirmten langen und schon besetzten Tische Platz zu finden.

Freundliche Leute rückten zusammen, und man erfreute sich einer angenehmen, ja liebenswürdigen Gesellschaft, die von dem Ufer der Nahe zu dem erneuerten Feste gekommen war. Muntere Kinder tranken Wein wie die Alten. Braune Krüglein mit dem weißen Namenszuge des Heiligen machten im Familienkreise die Runde. Auch unsere Reisenden hatten solche Krüglein angeschafft und setzten sie wohlgefüllt vor sich nieder. Da wurde ihnen der große Vorteil solcher Volksversammlungen klar, wodurch bei einem etwas höheren Interesse aus einem großen weitschichtigen Kreise so viele einzelne Strahlen nach einem Mittelpunkte hingezogen werden. Dabei thun sich sogar neue Kenntnisse auf, und man unterrichtet sich selbst von mehreren Provinzen. Durch solche Betrachtungen wurde aber der Genuß des Weines nicht unterbrochen. Die Gesellschaft sandte ihre leeren Gefäße zu dem Schenken, welcher sie ersuchen ließ, Geduld zu haben, bis die vierte Ohm angestochen sei. Die dritte war in der frühen Morgenstunde schon verzapft worden.

So konnte es denn nicht fehlen, daß ein Hauptgegenstand des Gespräches der Wein blieb. Da erhob sich denn sogleich ein Streit über den Vorzug der verschiedenen Gewächse. Hier war es erfreulich zu sehen, daß die Magnaten unter den Weinen keinen Rangstreit hatten. Hochheimer, Johannisberger, Rüdesheimer lassen einander gelten. Nur in Bezug auf die Weine geringeren Ranges herrscht Eifersucht und Neid. Hier ist denn besonders der sehr beliebte rote Aßmannshäuser vielen Anfechtungen unterworfen. Ein Weinbesitzer von Ober-Ingelheim behauptete, der ihrige gebe jenem nur wenig nach. Der Eilfer, das heißt der Ober-Ingelheimer Wein von 1811 sei köstlich gewesen, davon sich kein Beweis mehr führen lasse, weil er schon ausgetrunken sei. Dies wurde von den Beisitzenden gar sehr gebilligt, weil man rote Weine gleich in den ersten Jahren genießen müsse.

Nun rühmte dagegen die Gesellschaft von der Nahe einen in ihrer Gegend wachsenden Wein, der Montzinger genannt. Er soll sich leicht [88] und angenehm wegtrinken, aber doch, ehe man sich's versieht, zu Kopfe steigen.

An dem Tische, wo sich die Reisenden befanden, wurde über die Zahl der anwesenden Besucher und Wallfahrer gestritten. Nach Einiger Meinung sollten 10000, nach Anderer mehr und dann noch mehr an jenem Tage auf dem Hügelrücken durcheinander wimmeln. Ein österreichischer Offizier mit militärischem Blicke bekannte sich zu dem höchsten Gebot. Noch mehrere Gespräche kreuzten sich.

Verschiedene Bauernregeln und sprichwörtliche Wetterprophezeiungen, welche im Jahre 1814 eingetroffen sein sollten, verzeichnete Goethe in sein Taschenbuch. Auch hier mögen sie Platz finden, weil sie auf die Landesart am Rhein und auf die wichtigsten Angelegenheiten seiner Bewohner hindeuten: Trockner April ist nicht der Bauern Will. – Wenn die Grasmücke singt, ehe der Weinstock sproßt, so verkündet es ein gutes Jahr. – Viel Sonnenschein im August bringt guten Wein. – Je näher das Christfest dem neuen Monde zufällt, ein desto härteres Jahr soll her nach folgen; so es aber gegen den vollen und abnehmenden Mond kommt, je gelinder es sein soll. – Die Fischer haben von der Hechtsleber dieses Merkmal, welches genau eintreffen soll: wenn dieselbe gegen das Gallenbläschen zu breit, der vordere Teil aber spitz und schmal ist, so bedeutet es einen harten und langen Winter. – Wenn die Milchstraße im Dezember schön weiß und hell scheint, so bedeutet es ein gutes Jahr. – Wenn die Zeit von Weihnachten bis drei König neblig und dunkel ist, sollen das Jahr darauf Krankheiten folgen. – Wenn in der Christnacht die Weine in den Fässern sich bewegen, daß sie übergehen, so hofft man auf ein gutes Weinjahr. – Wenn die Rohrdommel zeitig gehört wird, so hofft man auf eine gute Ernte. – Wenn die Bohnen übermäßig wachsen und die Eichbäume viel Frucht bringen, so giebt es wenig Getreide. – Wenn die Eulen und andere Vögel ungewöhnlich die Wälder verlassen, und häufig den Dörfern und Städten zufliegen, so giebt es ein unfruchtbares Jahr. – Kühler Mai giebt guten Wein und gutes Heu. – Nicht zu kalt und nicht zu naß, füllt die Scheuer und das Faß. – Reife Erdbeeren um Pfingsten bedeuten einen guten Wein. – Wenn es in der Walpurgisnacht regnet, so hofft man auf ein gutes Jahr. –[89] Ist das Brustbein von einer gebratenen Martinsgans braun, so bedeutet es Kälte, ist es weiß, Schnee.

Ein Bergbewohner, welcher diese vielen auf reiche Fruchtbarkeit hinzielenden Sprüche, wo nicht mit Neid, doch mit Ernst vernommen, wurde gefragt, ob auch bei ihnen dergleichen gang und gäbe wäre? Er versetzte darauf: mit so viel Abwechselung könne er nicht dienen, Rätselrede und Sagen sei bei ihnen nur einfach und heiße:


Morgens rund,

Mittags gestampft,

Abends in Scheiben;

Dabei soll's bleiben

Es ist gesund.


Es sollen sich diese Reime auf die allzu häufige Kartoffelnahrung beziehen. Indessen freuten sich die Anderen über diese glückliche Genügsamkeit und manche versicherten, daß es Zeiten bei ihnen gäbe, wo sie zufrieden seien es ebenso zu haben.

Nun stand manche Gesellschaft gleichgültig auf und verließ den fast unübersehbaren Tisch. Andere grüßten und wurden gegrüßt. So verlor sich die Menge nach und nach. Nur die sich besonders liebgewonnen hatten, zauderten. Man verließ sich ungern, ja, man kehrte einigemal gegen einander zurück, das angenehme Weh eines solchen Abschiedes zu genießen, und versprach sich endlich zu einiger Beruhigung ein unmögliches Wiedersehen.

Außer den Zelten und Buden empfand man damals dort in der hohen Sonne sogleich den Mangel an Schatten, welchen jedoch bereits eine große neue Anpflanzung junger Nußbäume auf dem Hügelrücken dem heutzutage lebenden Geschlechte reichlich zusagte.

Eine neue Bewegung deutete auf ein neues Ereignis; man eilte zur Predigt, alles Volk drängte sich nach der Ostseite. Dort war das Gebäude noch nicht vollendet, hier standen noch Rüststangen, schon während des Baues diente man Gott. Ebenso war es, als in Wüsteneien von frommen Einsiedlern mit eigenen Händen Kirchen und Klöster errichtet wurden. Jedes Behauen, jedes Niederlegen eines Steines war Gottesdienst. Kunstfreunde erinnern sich der bedeutenden Bilder von Lesueur, [90] des heiligen Bruno Wandel und Wirkung darstellend. Also wiederholt sich alles Bedeutende im großen Weltgange, der Achtsame bemerkt es überall.

Diejenigen, welche der Predigt zuhörten, schauten zu dem reinen Gewölbe des Himmels hinauf. Das klarste Blau war von leicht hin schwebenden Wolken belebt. Alle standen auf hoher Stelle. Die Aussicht rheinaufwärts war licht, deutlich und frei. Den Prediger hatte die zahlreiche Gemeinde zur Linken über sich. Er sah sie vor sich rheinabwärts. Der Raum für die Zuhörer war eine große unvollendete Terrasse, ungleich und hinterwärts abhängig. Der Redner überschaute von oben eine wundersame stillschwankende Woge von Menschen. Der Platz, wo der Bischof der Predigt zuhörte, war nur durch den hervorragenden Baldachin bezeichnet, er selbst in der Menge verborgen und verschlungen. Die steinerne Kanzel, außen an der Kirchmauer von Kragsteinen getragen, war nur von innen zugänglich.

Der Prediger trat hervor, ein Geistlicher in den besten Jahren. Die Sonne stand hoch, daher ihm ein Knabe den Schirm überhielt. Er sprach mit klarer, verständlicher Stimme einen rein verständigen Vortrag. Seine Rede zeigte einen milden, Thätigkeit fordernden Geist und ist später von dem Dichter Goethe folgendermaßen aufgezeichnet worden:

»Andächtige, geliebte Zuhörer! In großer Anzahl besteigt ihr an dem heutigen Tage diese Höhe, um ein Fest zu feiern, das seit vielen Jahren durch Gottes Schickung unterbrochen worden. Ihr kommt, das vor kurzem noch entehrt und verwüstet liegende Gotteshaus hergestellt, geschmückt und eingeweiht zu finden, dasselbe andächtig zu betreten und die dem Heiligen, der hier besonders verehrt wird, gewidmeten Gelübde dankbar abzutragen. Da mir nun die Pflicht zukommt, an euch bei dieser Gelegenheit ein erbauliches Wort zu sprechen, so möchte wohl nichts besser an der Stelle sein, als wenn wir zusammen beherzigen, wie ein solcher Mann, der zwar von frommen, aber doch sündigen Eltern erzeugt worden, zur Gnade gelangt ist vor Gottes Thron zu stehen und für diejenigen, die sich im Gebet gläubig an ihn wenden, fürbittend Befreiung von schrecklichen, ganze Völkerschaften dahinraffenden Übeln, ja vom Tode selbst, erlangen kann?

Er ist dieser Gnade würdig geworden, so dürfen wir mit Zutrauen [91] erwidern, gleich allen denen, die wir als Heilige verehren, weil er die vorzüglichste Eigenschaft besaß, die alles übrige Gute in sich schließt, eine unbedingte Ergebenheit in Gottes Willen.

Denn obgleich kein sterblicher Mensch sich anmaßen dürfte, Gott gleich, oder demselben auch nur ähnlich zu werden, so bewirkt doch schon eine unbegrenzte Hingebung in seinen heiligen Willen die erste und sicherste Annäherung an das höchste Wesen.

Sehen wir doch ein Beispiel an Vätern und Müttern, die, mit vielen Kindern gesegnet, liebreiche Sorge für alle tragen. Zeichnet sich aber das eine oder das andere darunter durch Folgsamkeit und Gehorsam besonders aus, befolgt ohne Zaudern und Fragen die elterlichen Gebote, vollzieht es die Befehle sofort und beträgt sich dergestalt, als lebte es nur in und für die Erzeuger, so erwirbt es sich große Vorrechte. Auf dessen Bitte und Fürbitte hören die Eltern und lassen oft Zorn und Unmut, durch freundliche Liebkosungen besänftigt, vorübergehen. Also denke man sich, menschlicher Weise, das Verhältnis unseres Heiligen zu Gott, in welches er sich durch unbedingte Ergebung emporgeschwungen. Eine solche Ergebung in den Willen Gottes, so hoch verdienstlich sie auch gepriesen werden kann, wäre jedoch nur unfruchtbar geblieben, wenn der fromme Jüngling nicht seinen Nächsten so wie sich selbst geliebt hätte. Denn ob er gleich, vertrauensvoll auf die Fügungen Gottes, sein Vermögen unter die Armen verteilte, um als frommer Pilger das heilige Land zu erreichen, so ließ er sich doch von diesem preiswürdigen Entschluß unterwegs ablenken. Die große Not, worin er seine Mitchristen findet, legt ihm die unerläßliche Pflicht auf, den gefährlichsten Kranken beizustehen, ohne an sich selbst zu denken. Er folgt seinem Beruf durch mehrere Städte, bis er endlich, selbst vom wütenden Übel ergriffen, seinen Nächsten weiter zu dienen außer Stand gesetzt wird. Durch diese gefahrvolle Thätigkeit nun hat er sich dem göttlichen Wesen abermals genähert; denn wie Gott die Welt in so hohem Grade liebte, daß er zu ihrem Heil seinen einzigen Sohn gab, so opferte St. Rochus sich selbst seinen Mitmenschen.

Aber auch diese wichtige und schwere Handlung wäre von keinen seligen Folgen gewesen, wenn St. Rochus für so große Aufopferungen einen irdischen Lohn erwartet hätte. Solche gottseligen Thaten kann nur [92] Gott belohnen und zwar in Ewigkeit. Die Spanne der Zeit ist zu kurz für grenzenlose Vergeltung. Und so hat auch der Ewige unsern heiligen Mann für alle Zeiten begnadigt und ihm die höchste Seligkeit gewährt, nämlich anderen, wie er schon hienieden im Leben gethan, auch von oben herab für und für hülfreich zu sein.

Wir dürfen ihn daher in jedem Sinne als ein Muster betrachten, an welchem wir die Stufen unseres geistlichen Wachstums abmessen. Habt ihr nun in traurigen Tagen euch an ihn gewendet, und glückliche erlebt durch göttliche Huld, so beseitiget allen Übermut und anmaßliches Hochfahren; aber fragt euch demütig und wolgemut: haben wir denn seine Eigenschaften vor Augen gehabt? haben wir uns beeifert ihm nachzustreben?

Ergaben wir uns zur schrecklichsten Zeit, unter kaum erträglichen Lasten, in den Willen Gottes? Unterdrückten ein aufkeimendes Murren? Lebten wir einer getrosten Hoffnung, um zu verdienen, daß sie uns nun so unerwartet als gnädig gewährt sei? Haben wir in den gräßlichsten Tagen pestartig wütender Krankheiten nicht nur gebetet und um Rettung gefleht? Haben wir den Unserigen näher oder entfernter Verwandten und Bekannten, ja Fremden und Widersachern in dieser Not beigestanden um Gottes und des Heiligen willen unser Leben dran gewagt? Könnt ihr nun diese Fragen im stillen Herzen mit Ja beantworten, wie gewiß die meisten unter euch redlich vermögen, so bringt ihr ein löbliches Zeugnis mit nach Hause.

Dürft ihr sodann, wie ich nicht zweifle, noch hinzufügen: wir haben bei allem diesen an keinen irdischen Vorteil gedacht, sondern wir begnügten uns an der gottgefälligen That selbst, so könnt ihr euch um desto mehr erfreuen, keine Fehlbitte gethan zu haben und dem Fürbittenden ähnlicher geworden zu sein. Wachset und nehmet zu an diesen geistlichen Eigenschaften auch in guten Tagen, damit ihr zu schlimmer Zeit, wie sie oft unversehens hereinbricht, euch zu Gott durch seinen Heiligen mit Gelübde und Gebet wenden dürfet. Und so betrachtet auch künftig die wiederholten Wallfahrten hieher als erneute Erinnerungen, daß ihr dem Höchsten kein größeres Dankopfer darbringen könnt, als ein Herz gebessert und an geistlichen Gaben bereichert.«

[93] Die Aufmerksamkeit auf jedes Wort war groß. Alle einzeln herangekommenen Wallfahrer und alle vereinigten Gemeindeprocessionen standen hier versammelt, nachdem sie vorher ihre Standarten und Fahnen an die Kirche zur linken Hand des Predigers angelehnt hatten zu nicht geringer Zierde des Ortes. Erfreulich war es aber, nebenan in einem kleinen Höfchen sämmtliche herangetragene Bilder auf Gerüsten erhöht zu sehen. Drei Muttergottesbilder von verschiedener Größe standen neu und frisch im Sonnenschein. Die langen rosenfarbenen Schleifenbänder flatterten munter und lustig im lebhaftesten Zugwinde. Das Christuskind im Goldstoffe blieb immer freundlich. Der heilige Rochus schaute seinem eigenen Feste ruhig zu. Er war jetzt mehr als einmal vorhanden, doch stand die Gestalt im schwarzen Sammetkleide wie billig voran.

Die Predigt hatte gewiß für alle heilsam geendigt. Jeder hatte die deutlichen Worte vernommen und jeder die verständigen praktischen Lehren beherzigt. Der Bischof, der bisher im Freien unter seinem Baldachin geweilt hatte, kehrte zur Kirche zurück. Man vernahm aus derselben den Wiederhall des Te Deum. Das Ein- und Ausströmen der Menge war höchst bewegt, das Fest neigte sich zu seiner Auflösung. Die Processionen reihten sich um abzuziehen; die Lidenheimer, welche zuletzt angekommen waren, entfernten sich zuerst. –

Noch jetzt wird das St. Rochusfest gefeiert. Wenn die erste Traube reift, die dann den Altar des Heiligen schmückt, welchen das Volk, wie es heißt, auch als Schutzheiligen der Rebe verehrt, so gewinnt die kahle Höhe ein anderes Ansehen. Eine Stadt von Zelten entsteht, die für des Leibes Bedürfnis reiche Erquickungen darbietet, und die gewerbliche Thätigkeit entfaltet sich schon mehrere Tage vorher, Alles zu ordnen und zu bereiten, was dem müden Wallfahrer Labe gewähren kann. Endlich bricht der Morgen des Festes an. Das harmonische Geläute von Bingen und allen naheliegenden Orten des Rheingaues grüßt ihn, und der köstliche »Resonanzboden des Rheines« trägt die ergreifenden, wundersamen Töne hinauf zu der steilen Höhe, das Gemüt dessen ergreifend und erhebend, der hier steht um die Festzüge und Processionen zu schauen, die mit wehenden Fahnen und Standarten, mit Musik und festlichen Gesängen sich der Kapelle nahen, welche auf des Berges Höhe ihre Thore öffnet.

[94] Der Dichter Goethe zog im Jahre 1814 mit der ruhigen und ernsten Binger Prozession nach Bingen hinab. In dem herrlich gelegenen Bingen angelangt, fand er jedoch daselbst keine Ruhe. Er wünschte vielmehr, wie er sagt, nach so viel wunderbaren, göttlichen und menschlichen Ereignissen sich geschwind in das derbe Naturbad zu stürzen. Ein Kahn führte ihn »die Strömung flußabwärts.« Üeber den Rest des alten Felsendammes, den Zeit und Kunst besiegten, glitt er hinab. Der märchenhafte Turm, auf unverwüstlichen Quarzsteinen gebaut, blieb ihm zur Linken, die Ebernburg rechts. Bald aber kehrte er für diesmal zurück, »das Auge voll von jenen graulichen, abschießenden Gebirgsschluchten, durch welche sich der Rhein seit ewigen Zeiten hindurcharbeitete.« So wie den ganzen Morgen, begleitete ihn auch auf dem Rückwege die hohe Sonne, obgleich aufsteigende vorüberziehende Wolken zu einem ersehnten Regen Hoffnung gaben. Wirklich strömte endlich alles erquickend nieder, sodaß die Gesellschaft aus Wiesbaden auf ihrer Rückreise die ganze Landesgrenze neu belebt fand. So hatte denn, sagt Goethe, der heilige Rochus, wahrscheinlich auf andere Nothelfer einwirkend, seinen Segen auch außer seiner eigentlichen Obliegenheit reichlich erwiesen.

[95] Der Mäuseturm.

Im zehnten Jahrhundert nach Christi Geburt lebte der Erzbischof Hatto von Mainz. Er hatte nicht den Grundsatz »Geben ist seliger denn nehmen«, gehörte im Gegenteil zu jenen vornehmen und reichen geistlichen Herren, von denen man sagte, daß sie Jeden, der bei ihnen eintrat, nur fragten »Was bringen Sie?« weil sie nur an das Eintreiben von Zehnten und Sporteln gewöhnt waren und die Gebote des Herrn, die Gebote der Liebe und Barmherzigkeit, selbst nicht hielten.

Zu den Zeiten dieses Bischofes Hattonis nun geschahe es, daß eine große Hungersnot am Maine und am Rheine ausbrach. Hatto hatte viel Korn in Mainz aufgespeichert, das er als Zehnten von den Feldern weit um Mainz her hatte abholen lassen. Denn auch für ihn wie für die andern Erzbischöfe galt der Spruch: »Von der Huf' ein Wispel, von der Huf' ein Wispel.« Und alle die Wispel hatte er nach Mainz fahren lassen und da lagen sie in seinem Magazine bis die Preise in die Höhe gingen, dann aber »schlug er los«, wie der Geschäftsausdruck lautet, trotz seiner erzbischöflichen Würde immer zu den höchsten Preisen, und mit Korn beladen gingen seine Schiffe rheinauf und rheinab.

Die Hungersnot am Rhein war entstanden wie die Hungersnot gewöhnlich [96] entsteht. Im Frühling hatten lange Zeit die Nachtfröste Schaden gethan, im Sommer aber hatte es fast täglich geregnet, das Getreide hatte sich gelagert und mußte an vielen Stellen wie Gras als Futter für das liebe Vieh abgemäht werden.

Die Obsternte der Mainzer und die Weinernte der Winzer war auch mißraten. Da holten die Kellermeister des Erzbischofs die alten Jahrgänge des Weins hervor, und das Volk hörte auf der Straße, daß es im erzbischöflichen Palaste alle Tage herrlich und in Freuden herging. »Hoch, hoch, Erzbischof Hatto!« hörte man seine Gäste an brechenden Tafeln rufen. Und es war richtig, Erzbischof Hatto war ein vortrefflicher Wirt, nur ein Diener des Herrn nach dem Herzen Jesu war er nicht.

Vergebens versammelten sich die Hungernden um die Burg zu Mainz und schrieen nach Brot. Er ließ sie abweisen und als sie wieder kamen und nur verlangten, daß er das Korn zu einem billigeren Preise verkaufen solle, verweigerte er ihnen auch das. Endlich kam das Volk noch einmal wieder, wollte den vollen Preis entrichten und verlangte nur, daß ihm Teilzahlungen gestattet würden. »Erst Geld, dann Waare!« rief aber der Bischof und dabei blieb er.

Aber das Volk kam immer wieder, selbst als Hatto die Leute durch bewaffnete Knechte hatte vom Schloßhofe treiben lassen.

Da gab der harte Mann einem Verwalter Befehl, die Leute in eine der Scheunen eintreten zu lassen, wo sie mit wahrer Gier etwas Korn auf der Tenne betrachteten. Sie ahnten nichts Schlimmes, als sich die Scheune gleich darauf wieder hinter ihnen schloß. Sie glaubten nur, daß sie etwas warten sollten, um einen günstigen Bescheid von dem Erzbischof zu erhalten oder wenigstens in Unterhandlungen mit demselben eintreten zu dürfen. Allein der Erzbischof hatte beschlossen, sich nun seiner Dränger ein für allemal zu entledigen. Er ließ die Scheune an vier Ecken anzünden.

Als nun die unglücklichen Opfer des Geizes und der Roheit des Bischofs ein Klagegeschrei erhoben, sagte dieser wohlgefällig zu seinen erschrockenen Gästen: »Hört nur, wie die Mäuse in der Scheune piepen!« wie es denn in der That in einer wohlgefüllten Scheune nicht leicht an [97] Mäusen zu fehlen pflegt, so daß das Piepen der Mäuse in einer wohlgefüllten Scheune sonst für den Erntesegen des Jahres wohl das beste Zeugnis ablegt.

Als aber die Scheuer soeben geschlossen worden war, hinkte noch eine alte Frau am Stocke daher, die um etwas Mehl bitten wollte. Sie hörte diese Worte des Bischofs und wünschte ihm dafür, daß die Mäuse all sein Mehl und sein Korn und dann ihn selbst fressen sollten.

Ihre Verwünschung wurde erfüllt. In der Scheune, wo der Bischof die Menschen hatte verbrennen lassen, zeigten sich während der Nacht Scharen von Mäusen, die sich bald über alle Scheunen, Kornspeicher, Mühlen und Mehlkammern verbreiteten. Der Bischof selbst konnte sich ihrer nicht erwehren, denn sie drangen in sein Schlafgemach ein, ließen ihm durch ihr Geknusper in der Nacht keine Ruhe und hüpften bald auch im Speisezimmer auf seiner fürstlichen Tafel umher.

Bischof Hatto erinnerte sich jetzt an die Verwünschung der Alten und es ward ihm bange für sein Leben. Er ließ seinen Baumeister kommen und befahl ihm den Mäuseturm mit mehreren Gemächern und einer Schlafkammer ganz freistehend in die Wellen des Rheins bei Bingen zu bauen, wo der Rhein am wildesten flutet. Durch keinerlei Brücke sollte er mit dem Lande verbunden sein. Wollten die Mäuse ihn dann nach dem Mäuseturme verfolgen, so sollten sie alle im Rheine ertrinken. Mit Vergnügen beobachtete er nun die Mäuse, welche seine Diener in der Mausefalle fingen und in einen Eimer mit Wasser warfen. Eine Zeit lang schwammen sie aufgerichtet wie die Tanzbären im Wasser hin und her, sperrten den Mund auf wie eine Karpfenschnauze und versanken bald darauf tot im Wasser. So sollte es seinen Feinden, den Mäusen, auch im Rheine ergehen, wenn sie ihm nach dem Mäuseturme folgen wollten.

Als der Mäuseturm fertig war, ließ er sich an einem schönen Sommerabende hinüberschaffen. Er schaute bei Sonnenuntergang hinaus auf den Rhein und freute sich über seine Schiffe, die noch mit Korn oder Mehl beladen nach den nächsten Städten vorbeifuhren, damit die Bäcker, die ihm schweres Geld für die Ladung bezahlten, am andern Morgen die Binger mit Gebäck versehen konnten. Zufrieden schaute er auf die großen Wellen, welche den Mäuseturm umspielten und jede Woge kam ihm wie ein Panzer [98] gegen die Mäuse vor. Er dachte einen recht langen und ruhigen Schlaf zu thun. Seine Dienerschaft schickte er fort. Als sie aber am andern Morgen wiederkam, fand sie nur noch das Skelett des Erzbischofs. Das Übrige hatten die Mäuse gefressen. Sie waren ihm durch den Rhein gefolgt.

[99] Ritter Gilgen von Lorch.

Nördlich vom Niederwald und von Asmannshausen mündet auf dem rechten Rheinufer die Wisper. An ihrer Mündung liegt Lorch und noch etwas nördlich davon Lorchhausen. Ehe die Wisper nach Lorch gelangt, bildet sie einen Winkel nach Süden zu. Der östliche Schenkel desselben erreicht den nördlichsten Punkt, zu dem die Wisper überhaupt gelangt. Hier lag die Burg Rheinberg, die aber doch nur wenig oder gar nicht über die Lage von Lorch nach Norden zu hinausreicht, grade Lorch gegenüber. Zwischen den Rittern von Lorch und von Rheinberg, das trotz seines Namens in einiger Entfernung vom Rheine liegt, fand dann auch einst ein Kampf auf Leben und Tod statt. Der Sage nach vermochte nur einer der Ritter aus diesem Kampfe Leben und Seligkeit zu retten.

Durch die Reden des heiligen Bernhard von Clairvaux, dem mancher andere beredte Mund nacheiferte, war auch der Ritter Gilgen von Lorch bewogen worden, sich ein Kreuz auf seinen Mantel heften zu lassen und an dem Kreuzzuge teilzunehmen. Zwar suchte ihn seine Braut, welche mit ihren alten Eltern fast ohne Schutz auf einer dritten Burg im Wisperthale, [100] vielleicht zwischen den beiden mit Namen aufgeführten, wohnte, anfänglich von seinem Vorsatze abzubringen. Allein die Frömmigkeit, welche sie im Herzen trug, erlaubte ihr nicht, ihrem Verlobten gegenüber bei dem Wunsche, daß er das Rheinland und das Wisperthal nicht verlassen möge, lange zu beharren. Ja, sie lobte endlich seinen Entschluß und flehte mit ihren Eltern Gottes Segen herab für seine Reise nach dem gelobten Lande wie für den ganzen Kreuzzug, den der heilige Bernhard von Clairvaux gepredigt hatte. Nun bestieg der Ritter von Lorch sein Schlachtroß und vereinigte sich mit dem Heere der Kreuzfahrer, dessen Geschick er voller Gottergebenheit zu teilen gedachte.

Auch auf seinem väterlichen Schlosse Lorch hatte der Ritter nur seine kraftlosen alten Eltern zurückgelassen. Es war daher niemand mehr im Wisperthale, der zu jener Zeit dort Recht und Ordnung hätte aufrecht erhalten und die Unschuld beschützen können. Die guten Ritter hatten das Land verlassen und nur der verrufene Ritter vom Rheinberge war im Wisperthale geblieben. Auch er hatte sich einst um die Jungfrau beworben, welche nun Gilgens Braut war. Zwar wußte ihr Vater damals noch nicht, daß sie die Liebe zu Gilgen im Herzen trug. Allein es gingen üble Gerüchte im Wisperthale um, als hätte bei Nacht der Ritter von Rheinberg dann und wann den Reisenden aufgelauert, um sie zu berauben. Bald darauf hatte Gilgen um die Hand der Jungfrau angehalten, die ihm auch nicht verweigert worden war.

Als nun der Junker Gilgen das Wisperthal verlassen hatte, legte sich der Ritter von Rheinberg auch bei Tage an den Weg, um die Kaufleute zu berauben. Er trat offen als Schnapphahn auf. Seine Burg aber war zu einem Raubnest wie geschaffen, denn sie lag auf einem steilen Berge, welchen niemand zu erklimmen vermochte, um ihm die Beute wieder abzujagen.

Dem Junker Gilgen war es zwar nicht bekannt, daß seine Braut auch von diesem Raubritter geliebt wurde. Er lag nun mit dem Kreuzheere an der Küste im Lager und wartete mit ihm auf die Abfahrt aus dem nahen Hafen. Da erwachte in ihm eine so lebhafte Sehnsucht nach der verlassenen Braut, daß er dies Verlangen selbst für sündlich hielt. Dennoch widerstand er der Sehnsucht nicht. Er sattelte sein Roß, entfernte [101] sich heimlich bei Nacht aus dem Lager der Kreuzfahrer und kehrte so schnell, als es in jenen Zeiten möglich war, zurück.

In der Heimat war zum Unglück auch noch der Vater des Junkers von Lorch gestorben, an welchem der Vater seiner Braut sonst wohl noch einen Bundesgenossen gegen die ihm und seiner Familie angethane Gewalt gefunden haben würde. Sogleich hatte der Raubritter die Braut nach dem festen Rheinberg entführt. Mit Entsetzen hörte der Junker bei der Heimkehr, was geschehen war. Er ritt längere Zeit am Rheine auf und ab, ehe er auf einigen der Ritterburgen noch ein paar Jugendfreunde fand, welche während des Kreuzzuges zu Haus geblieben waren und mit ihm das gefährliche Wagstück unternehmen wollten, Rheinberg, die Raubveste, zu erklimmen und zu erobern. Höhnisch rief ihm der Raubritter bei der Ankunft unten am Berge zu, er werde seine Braut nicht wieder erhalten, wenn er nicht im Galopp mit seinem Fähnlein den Berg heraufsprengen könne. Der Berg aber war so beschaffen, daß sich damals nicht einmal ein Weg an ihm zeigte. Dennoch wollten die Ritter den Berg hinanjagen. Aber alle glitten von ihm ab. Ritter Gilgen kam dabei noch dazu sehr übel unter sein Pferd zu liegen. Alle kehrten nach ihren Burgen zurück.

Der Ritter Gilgen erkannte zwar, daß Gott ihn strafen wolle, weil er sich von den Kreuzfahrern weggeschlichen habe. Aber sollte er seine Braut in ihrer Höllenangst verlassen, die sie gewiß dort oben bei dem Raubritter ausstand? Lieber wollte er sich selbst dem Teufel verschreiben, damit dieser ihm hülfe, die Burg Rheinberg zu erklimmen. Nachdem er dem Teufel seine Seele verschrieben hatte, vermochte er auf seinem Rosse den Rheinberg hinaufzugaloppiren und den Raubritter zu töten. Die Braut des Ritters von Lorch aber konnte sich des Wiedersehens nicht erfreuen, denn schon war der Teufel zur Stelle und wies die Schrift vor, worin ihr Geliebter ihm seine Seele verschrieben hatte. Aber schnell riß sie ihm die Verschreibung aus der Hand, warf sie auf den Tisch und stellte ein Crucifix darauf. Unter dem Kreuze konnte der Teufel sie nicht hinwegnehmen und dadurch war die Seele des Ritters gerettet. Endlich fuhr er zum Fenster hinaus, nahm das Fenster mit, setzte aber zugleich das [102] ganze Schloß Rheinberg in Flammen, so daß die beiden Liebenden sich nur mit Mühe nach ihren väterlichen Burgen retten konnten. Der Sattel, auf welchem Junker Gilgen den Rheinberg hinaufgeritten, nachdem er das Bündnis mit dem Teufel abgeschlossen hatte, soll in Lorch bis auf den heutigen Tag zu sehen sein.

[103] Sagen und Geschichten von Bacharach.

Bacharach gehört zu den ältesten Städten am Rhein. Es war auch das ganze Mittelalter hindurch einer der berühmtesten Orte. Die Stadt scheint fast der bedeutendste Ort in dem alten Trach- oder Trachirgau, der sich lang und schmal am Rheine hinzog, gewesen zu sein. Die Dörfer Staag, geschützt durch die Burg Stalberg, Mauerbach sowie Oberund und das zu ihm gehörige Rheindiebach bildeten mit Bacharach den kleinen Staat der »vier Thäler«, wobei denn auch Bacharach als »Thal« mit eingerechnet wurde. Dieser Bereich war ein kleiner Staat für sich mit einer eigentümlich freien Verfassung, einer merkwürdigen Selbstregierung und einer mehr oder weniger vollständigen Abgeschlossenheit in sich. Die gesetzliche Regierung bildete der Vier-Thälerrat. Nach der Ordnung der Kurfürsten von der Pfalz von 1356 bestand er aus 24 Männern. Davon lieferte jedes Thal oder wie man es nannte jeder Thal drei und drei die Stadt Bacharach. Einer aus den Dreien, welche die Stadt Bacharach stellte, saß dem Vier-Thälerrate als Bürgermeister vor. Neben dem Rate bestand das Gericht aus 14 Schöffen, welchem der kurkölnische Saalschultheiß und der kurpfälzische Stadtschreiber beiwohnten. Der letztere sollte die Hoheitsrechte des Pfalzgrafen wahren und saß auf einem ihm besonders gesetzten Stuhle. Alle diese gerechnet, wird freilich die Zahl 24 überstiegen. Die eigentlichen Erwählten versahen ihr Amt bis ans Grab. Es galt in [104] dieser Beziehung die Ansicht: Es sind brave Männer und sie wissen einmal die Gänge.

Die Gänge, welche der Vierthälerrat zu machen hatte, bestanden nämlich darin, daß er auch die »Gabelung« auf dem Weinmarkt vorzunehmen hatte. So begaben sich denn je vier Glieder des Vierthälerrates, begleitet von einigen Zechern, in den ihnen »zugewiesenen Thal«, um die Weine des Jahrganges zu probieren. Das geschah um Frühlingsanfang, wenn der Wein von den Hefen abgelassen war. Der bei der Gabelung festgestellte Weinpreis wurde den Käufern mitgeteilt. Der Weinmarkt zu Bacharach wurde bei gutem Wetter am Rheine auf dem freien Raume zwischen der Stadtmauer und dem Erdaufwurfe am Ufer des Stromes abgehalten. Die Verkäufer brachten noch einmal ihre Weinproben mit auf den Markt. Der Vierthälerrat stellte die silbernen Schalen zum Probieren für die Käufer. Unter dem gegabelten Preise durfte nicht verkauft werden, wohl aber darüber. Der Markt wurde ein- und ausgeläutet. Er war ein Volksfest, auf dem besonders die Winzer selbst sich gütlich thaten. Waren die Weine der vier Thäler verkauft, so kamen die »Franzischen« und »Hunischen« an die Reihe. Denn der Bacharacher Weinmarkt war durch Jahrhunderte der Stapelort und der Verkaufsort der sämmtlichen Weine des Rheingaues, bis die bevorzugten »Ebersbacher grauen Mönche« ihr köstliches »Gräfen-« und »Steinberger« Produkt und das des berühmten »Marcobrunn« von ihrem Stapelorte, dem »Reichharthäuser Hofe«, nach Köln selbst hinab zu verschiffen begannen und somit das uralte Herkommen durchbrochen wurde.

Zu den Weinmärkten in Bacharach kamen die Käufer bis von der Weichsel her. Die Bremenser »Weinherren« hielten hier in jedem Jahre eine gute Auslese für ihren Ratskeller. Windtmann hat daher in seiner musikalischen Kurzweil von 1623 die Reime:


»Zu Klingenberg am Main,

Zu Würzburg an dem Stein,

Zu Bacharach am Rhein

Hab' ich in meinen Tagen

Gar oftmals hören sagen,

Soll'n sein die besten Wein'.«


An das Rathaus, in dessen Bürgersaale bei schlechtem Wetter der [105] Weinmarkt abgehalten wurde, knüpft sich die folgende Sage. In dem Hause, welches links an das Rathaus stößt, wohnte ein Mann Namens Minola. Er war unverheiratet und hatte eine mürrische alte Haushälterin. Diese konnte einst in der Nacht nicht schlafen. Da es gerade Neumond war, so meinte sie, es sei schon Tag, sie könne aufstehen und für sich und ihren Herrn ein Zwiebelsüpplein kochen. Es war aber zur Winterszeit und recht kalt. Sie wickelte sich fest in ihre Kleidungsstücke und wollte Feuer anschlagen. Allein die Finger waren ihr zu steif und sie bekam durchaus kein Feuer. Da öffnete sie den Fensterladen und wollte am Markt umherschauen, ob nicht in einem Hause schon Feuer wäre. Aber alle Häuser waren noch dunkel. Nur von dem »Bogen« des Rathauses her fiel ein roter Feuerschein auf den Markt. Da nahm die Alte ihr »Feuerstoofchen« und ging aus dem Hause dem Feuerscheine nach. Als sie vor dem Bogen stand, der noch von dem älteren Rathause herrührt, sah sie einen hohen Kohlenhaufen mitten unter dem Bogen. Ein großer schwarzer Mann saß dabei und neben ihm lag ein großer schwarzer Hund. Es wurde ihr zwar bei dem Anblicke etwas gruselich, sie dachte aber, es wäre einer von den wandernden Spenglern oder Löffelgießern, die aus der Eifel kommen. Wie auch der Hund knurrte, so bot sie doch dem Schwarzen einen guten Morgen und bat um ein paar Kohlen, damit sie Feuer anmachen könne. Der Schwarze winkte nur und blickte auf das Feuer. Da ergriff die Alte das Schüreisen, welches bei dem Feuer lag, legte einige Kohlen in das Feuerstoofchen, dankte und ging rasch davon. Zuhause schüttete sie die Kohlen auf den Herd, aber sie waren völlig erloschen. Die Alte fürchtete sich nun vor dem Hunde und vor dem groben Gesellen, aber dennoch ging sie zum zweiten male zum Feuer am Rathausbogen. Zwar entschuldigte sie sich damit, daß die Kohlen erloschen seien. Aber der Mann aus der Eifel sah sie gräulich an und der Hund knurrte noch lauter als das erste mal. Auch ergriff der vermeinte Spengler jetzt das Wort und drohte der Alten den Hals umzudrehen, wenn sie zum dritten male käme. »Dann behaltet auch jetzt Eure Kohlen und laßt sie Euch einpökeln!« rief die Alte. Sie kannte ja keine Furcht und ihre verstellte Freundlichkeit hatte nur den Zweck gehabt, zu bewirken, daß sie in den Besitz der Kohlen käme. Nachdem diese Hoffnung gescheitert war, entsagte sie der Höflichkeit [106] und ging mit einem derben Schimpfwort davon. Da fuhr der Hund auf sie los, und auch der Schwarze geberdete sich noch grimmiger als zuvor. Die Alte aber sprang mit einer Lebendigkeit, welche man nicht mehr von ihr hätte erwarten sollen, davon. Sie war froh, als sie die Thür ihres Hauses hinter sich verschlossen hatte. Eben schlug es Eins vom Turme, und da die Stunde von Zwölf bis Eins bei Vielen für die Geisterstunde gilt, so merkte sie, daß sie fast dem Satan in die Krallen und beinahe dem Höllenhunde in den Rachen gelaufen sei. Nun schauderte sie denn doch zusammen, als sie wieder unter ihrer Bettdecke lag; auch vermochte sie nicht wieder einzuschlafen. So hörte sie jeden Glockenschlag von 2-6. Um sechs stand sie auf. Es war noch ganz dunkel, aber mit Leichtigkeit konnte sie jetzt Feuer anschlagen. Sie zündete die Ampel an und leuchtete auf den Herd. Da hatten sich die Kohlen in Gold verwandelt. Sie beriet sich mit Herrn Minola, dieser aber zog einen Geistlichen zu, und so wurde von dem Teufelsgolde das Hospital zum heiligen Geiste gestiftet.

[107] Burg Gutenfels bei Kaub.

Graf Philipp von Kaub wohnte im dreizehnten Jahrhundert auf der Burg Falkenstein bei Kaub. Er war noch unvermählt, denn seine schöne Schwester Guta ersetzte ihm die Burgfrau. An vielen Bewerbern, die um ihretwillen nach dem Falkensteine hinaufritten, fehlte es ihr nicht, aber wie reich sie auch zum Teil waren, so konnte doch keiner von ihnen ihr Herz gewinnen, und so war sie gleich ihrem Bruder unverheiratet geblieben.

Einstmals fuhren die beiden Geschwister auf einem schönen Schiffe den Rhein hinab, um in Köln einem Turnier beizuwohnen. Unter den Rittern, welche dort ihr Rößlein tummelten, war auch ein Fremder, der sich durch das prächtige Aussehen seiner Waffen und seiner Rüstung hervorthat. Seine Heimat war England, und wenn ihn auch die Ritter noch nicht kannten, so wurde doch der Erzbischof von Köln, an dessen Hofe das Turnier abgehalten wurde, mit ihm oft in einer vertrauten Unterredung erblickt.

Der Ritter zog bald auch Guta's Blick auf sich und kaum hatte sie ihn mit der Aufmerksamkeit betrachtet, welche seine hohe Erscheinung beanspruchen konnte, so fühlte sie sich zum ersten male im Leben vom Strahle der Liebe getroffen. Auch der fremde Ritter hatte in dem nämlichen Augenblicke die schöne Guta angeschaut, und als diese nun vor Verlegenheit [108] einen ihrer Handschuhe zur Erde fallen ließ, hob der tapfere Held ihn auf und befestigte ihn an seinem Helme. Fast unbeweglich und ungerührt stand er nun vor der Königin des Festes, welche ihm den ersten Siegespreis erteilen mußte: ihr Blick machte während dieser feierlichen Handlung keinen Eindruck auf ihn, da sein Herz an die Dame vergeben war, deren Handschuh er trug.

Erst bei dem Bankett, welches der Verteilung der Kampfpreise folgte, konnte sich der fremde Ritter der Jungfrau, deren Handschuh er aufgehoben hatte, wieder nähern. Mehr als einmal forderte er sie zum Tanze auf, dann aber legten beide einander auch das Geständnis ihrer Liebe ab.

Es war Guta von dem Ritter verboten worden, ihren Bruder von diesem allen in Kenntnis zu setzen. Als dieser aber auf dem Bankett den Ritter wiederholt mit seiner Schwester tanzen sah, näherte er sich ihm selbst, wie es jedenfalls für den Begleiter der schönen Guta schicklich war. Es befremdete den Grafen von Falkenstein, daß der Ritter auch ihm gegenüber trotz mancher neugierigen Anspielungen, zu denen er sich als Bruder durch das Benehmen des Fremden gegen Guta berechtigt glaubte, seinen Stand und Namen verschwieg. Doch machte der Ritter den Eindruck eines Mannes von ebenso hoher Weltbildung als biederer und treuherziger Gesinnung. Besonders freute es den Grafen, daß der andere sich auf das sorgfältigste nach Guta's Familie sowie nach ihrer heimatlichen Burg Falkenstein erkundigte, und so trug er denn auch kein Bedenken, den Ritter auf das freundlichste dahin einzuladen.

Nach einiger Zeit erschien der fremde Ritter mit einem Knappen auf der Burg Falkenstein. Er blieb drei Tage dort oben, und wenn er schon durch das Aufheben des Handschuhes, sowie durch seine Gespräche mit Guta auf dem Bankett sich hinlänglich als deren Anbeter erklärt hatte, so schied er diesmal nicht von ihr, ohne daß sich beide das heilige Versprechen gegeben hatten, mit einander ein Ehebündnis zu schließen. Aber auch diesmal wurde der Jungfrau strenge Verschwiegenheit anempfohlen, und der Name des Ritters blieb ihr unbekannt. Der Graf von Falkenstein nahm an, daß er als Engländer der Fahne Richards von Cornwallis folge, welcher damals die Welt mit dem Rufe seines Reichtums und seiner Tapferkeit erfüllte.

[109] Im deutschen Reiche aber waren damals die traurigen Zeiten der Zwischenherrschaft. Nachdem Konradin der Hohenstaufe in Italien hingerichtet war, wollten nur noch fremde Fürsten die deutsche Kaiserwürde annehmen. In dieser schrecklichen Zeit, da die Raubritter in Deutschland schalteten, wurde auch Richard von Cornwallis zum deutschen Kaiser gewählt. Nach der Wahl ertönte ein Freudenschrei durch manche Gegenden unseres damals so unglücklichen Vaterlandes, besonders aber jubelten die Kölner, die sich manche Vorteile von dieser Wahl versprechen durften. Aber Guta lag in diesen Tagen krank vor Sehnsucht und Kummer auf Burg Falkenstein, denn sie hatte seit der Abreise ihres Bräutigams nichts mehr von ihm vernommen. Da schmetterten die Fanfaren, denn der neuerwählte Kaiser zog mit seiner Schar nach Burg Falkenstein hinauf. Mit geschlossenem Visier ritt er in den Burghof ein und wurde von dem Grafen mit aller Ehrfurcht begrüßt, welche einem deutschen Kaiser gebührte. Der Kaiser fragte den Grafen sogleich nach seiner Schwester. Dabei hätte dieser wohl erkennen sollen, daß die Stimme des Kaisers dieselbe war, welche er auf dem Bankett und dann auf Burg Falkenstein während der Anwesenheit des englischen Ritters gehört hatte. Doch fiel ihm dies nicht auf, da ihm der Accent, mit welchem diese damals am Rheine sehr häufigen Fremdlinge aus Britannien seine deutsche Muttersprache redeten, überhaupt wenig bekannt war, so daß es ihm nicht leicht wurde, diese Männer zu verstehen. Jedoch war auch der Sinn der Worte, die Richard von Cornwallis zu dem Grafen sprach, seltsam und auffallend. Er behauptete, daß unter seinem Gefolge sich ein Ritter befände, welchem die Gräfin Guta ihre Hand versprochen habe und der als Pfand ihrer Zuneigung ihren Handschuh aufbewahre, welchen er auf dem Turnier aufgehoben habe. Er selbst, der Kaiser, wollte nun für diesen Ritter um Guta werben.

Von dem, was der Kaiser zu ihr gesagt hatte, war dem Grafen von Falkenstein zwar bisher durch seine Schwester manches verschwiegen worden; doch da der Graf merkte, daß es sich um den Ritter handelte, der ihn auf seiner Burg besucht hatte und seit dessen Abreise Guta in Trauer versunken war, so wollte er denselben eiligst im Gefolge des Kaisers suchen. Richard von Cornwallis bemerkte diese Absicht, hielt den Grafen zurück und befahl [110] ihm gebieterisch, sogleich die Botschaft an seine Schwester auszurichten und sie herbeizuführen, selbst wenn sie krank sei, weil ja – wie er sagte – die Liebe ein Heilmittel gegen Leid und Krankheit habe.

Obgleich Guta sich nicht einmal bei der Nachricht von der Ankunft des Kaisers von ihrem Krankenlager erhoben hatte, so sprang sie doch wie ein Reh empor, als sie durch ihren Bruder die Bestellung erhielt, welche ihr Richard von Cornwallis machen ließ. Sie fand den Kaiser und sein Gefolge im Rittersaale. Ihr erster Blick überflog das Gefolge des Kaisers, welches auch der Graf, der mit ihr in der Saalthüre stehen blieb, mit dem Auge musterte, ehe er die Schwester zum Kaiser führte. Erst als ihr Auge ebensowenig als das ihres Bruders im Stande war, aus dieser Menge sogleich den älteren Besucher herauszufinden, fiel ihr fragender Blick auch auf den Kaiser, gleichsam als wollte sie ihn nun schon von weitem zum Reden und zu einer näheren Erklärung über seinen Lehnsmann, der um ihre Hand geworben hatte, veranlassen. Als aber Guta aus diesem Grunde zuletzt auch den Kaiser betrachtete, hatte er das Visier des Helmes geöffnet und sie erkannte staunend, daß Richard von Cornwallis und jener Ritter aus England ein- und dieselbe Person waren.

Die Burg Falkenstein bei Kaub erhielt von der Kaiserin Guta zum Andenken an diese Begebenheit den Namen Gutenfels.

Wenn wir auch Richard von Cornwallis nur als einen Fremdling ansehen und keineswegs zu den deutschen Kaisern rechnen, auf welche wir stolz sind, so kann es doch als eine Anerkennung für die guten persönlichen Eigenschaften dieses Gemahles der rheinischen Gräfin Guta durch seine deutschen Zeitgenossen angesehen werden, daß sie trotz seines geringen Ansehens im deutschen Reiche doch nicht vor Richard's Tode Rudolf von Habsburg zu seinem Nachfolger erwählt haben.

[111] Die Lorelei.

  • Lorelei. (Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten)
    Lorelei.

Nördlich von Oberwesel liegt St. Goar und St. Goarshausen. St. Goar ist von Freiligrath in dem Gedichte »ein Flecken am Rhein« beschrieben worden.

Welch ein prächtig Nest! ruft Freiligrath aus; wie schlank ist sein Mauerturm, wie schartig seine Burg und wie seltsam sind seine Thore mit Moos bewachsen. Wenn irgendwo am Rhein, so wohnt hier noch die Romantik im schlichten Nonnenkleide. Zitternd birgt sich die wunderbare Frau in kleinen, morschen Uferfesten. Sie kniet am Altare in den öden Kirchen, den sie in der Erinnerung an eine vergangene frömmere Zeit mit brünstigem Weinen umklammert hat. Durch die düstern Bogen des Kreuzganges schaut ein rankiges und verwildertes Gärtlein. Leise zittern die wolkigen Schatten seiner wilden Gebüsche an dem alten Gemäuer. Stellt sich schon die Stadt St. Goar so poetisch dar, so regt die nahe Lorelei noch seltsamere Träume in uns an.

Den Namen Lorelei oder Lurlei führt zunächst ein Felsen im Süden von Goarshausen.

Er steigt senkrecht aus dem Rheine auf, hat ein berühmtes Echo und ist den Schiffern gefährlich.

Lei heißt eigentlich der Fels.

Die Sage hat diesen aus dem Rheine aufsteigenden Felsen zum [112] Wohnsitze einer schönen Wasserfrau gemacht. Alles andere werden vielleicht die Dichter zu der Sage hinzugefügt haben.

So wird denn auch von der Lorelei wie von den griechischen Sirenen erzählt, daß sie die Vorüberfahrenden durch ihren zauberischen Gesang anlocke, bis sie an dem Felsen scheitern und versinken.

Im 13. Jahrhundert glaubte man, daß bei dem Lorelei-Felsen der Nibelungenhort versenkt sei. Aus dem 16. und 17. Jahrhundert wird berichtet, daß man meinte, er sei von Geistern bewohnt.

Folgendermaßen erzählt Clemens Brentano die Sage von der Lorelei in einem Gedichte:

Es wohnte eine Zauberin zu Bacharach am Rheine. Sie war so schön, daß sie alle Herzen bezauberte.

Viele Männer brachte sie rings umher ins Verderben. Niemals war Rettung aus ihren Liebesbanden.

Der Bischof ließ sie vor sein geistliches Gericht fordern. Aber er war gezwungen sie zu begnadigen, so schön war ihre Gestalt.

Gerührt sprach er zu ihr: »Du arme Lore! Wer hat doch Dich nur zur bösen Zauberin gemacht?«

Sie sagte: »Herr Bischof, laßt mich nur sterben, denn ich bin meines Lebens müde, weil jeder verderben muß, der mir in's Auge blickt.

Meine Augen sind zwei Flammen, und ein Zauberstab ist mein Arm. Darum verurteilt mich zum Tode und laßt mich in's Feuer werfen.«

Der Bischof erwiderte: »Ich kann Dich nicht verdammen, Du müßtest mir denn gestehen, weswegen mein eigenes Herz schon in diesen Flammen brennt.

Nein, nein, Du schöne Lorelei, ich kann Dir den Stab nicht brechen, weil sonst mein eigenes Herz mit zerbrechen würde.«

Lorelei sprach: »Herr Bischof, treibt nicht so bösen Spott mit mir und bittet lieber unsern himmlischen Vater um Erbarmen für mich.

Ich liebe niemand mehr und kann nicht länger leben. Ich bin zu Euch gekommen, um den Tod zu empfangen.

So wisset denn, mein Schatz hat mich betrogen und sich von mir gewandt. Er hat mich verlassen und ist in die Fremde gegangen.

Wollet Ihr aber erfahren, wie es sich mit meiner Zauberei verhält, [113] so wisset denn: Rote Wangen und milde Worte, das ist mein ganzer Zauberkreis.

Ich selbst muß darin untergehen. Mir thut das Herz so wehe. Ich möchte vor Schmerzen sterben, wenn ich mein Bildnis erblicke.

Darum verschaffet mir mein Recht und lasset mich sterben wie eine Christin. Denn es muß alles verschwinden, weil mein Geliebter nicht mehr bei mir ist.«

Da ließ der Bischof drei Ritter herbeikommen und befahl ihnen: »Bringt sie in ein Kloster! Geh, Lore, und befiehl Deine bethörten Sinne dem Herrn im Himmel.

Bereite Dich immerhin zu Deiner Todesreise. Aber am Leben bleibst Du doch, der Weg geht nur in's Kloster, nicht in's Grab, Du sollst nur ein schwarzes und weißes Nönnchen werden.«

Alle die drei Ritter ritten nun zum Kloster und hatten die schöne Lore zwischen sich.

Aber die bat: »O Ritter, laßt mich auf diesen großen Felsen steigen. Ich will nur noch einmal nach meines Geliebten Schlosse hinschauen.

Nur noch einmal will ich blicken in den tiefen Rhein, dann will ich gern in's Kloster gehen, um Gottes Jungfrau zu werden.«

Der Felsen ist so jäh, die Wand so steil, aber doch klomm sie empor, bis sie oben war.

»Da geht ein Schifflein auf dem Rhein,« rief sie aus, »der in dem Schiff steht, der soll mein Liebster werden.

So fröhlich wird mir das Herz, mein Liebster muß er werden!« Mit diesen Worten lehnt sie sich hinab und stürzt in den Rhein. – –

Wunderbar schön ist Heine's Gedicht Lorelei. Sein Inhalt läßt sich nicht erzählen, die Worte verwandeln sich in Musik, nicht allein auf den Lippen des Sängers, sondern auch auf denen des Vorlesers.

So möge das Gedicht, das eine Sage kaum genannt werden kann, hier wörtlich Platz finden:


Ich weiß nicht, was soll das bedeuten, Daß ich so traurig bin. Ein Märchen aus alten Zeiten, Das kommt mir nicht aus dem Sinn.

[114] Die Luft ist kühl und es dunkelt, Und ruhig fließt der Rhein; Der Gipfel des Berges funkelt Im Abendsonnenschein.

Die schönste Jungfrau sitzet Dort oben wunderbar; Ihr goldnes Geschmeide blitzet, Sie kämmt ihr goldenes Haar.

Sie kämmt es mit goldnem Kamme, Und singt ein Lied dabei, Das hat eine wundersame, Gewaltige Melodei.

Den Schiffer im kleinen Schiffe Ergreift es mit wildem Weh; Er schaut nicht die Felsenriffe, Er schaut nur hinauf in die Höh'.

Ich glaube, die Wellen verschlingen Am Ende Schiffer und Kahn; Und das hat mit ihrem Singen Die Lorelei gethan.

[115] Die feindlichen Brüder (Sternberg und Liebenstein).

Es giebt ein schönes Gedicht von Heinrich Heine, das also lautet:

Oben auf der Bergesspitze

Liegt das Schloß in Nacht gehüllt;

Doch im Thale leuchten Blitze;

Helle Schwerter klingen wild.


Das sind Brüder, welche fechten

Grimmen Zweikampf wutentbrannt;

Sprich, warum die Brüder rechten

Mit dem Schwerte in der Hand.


Gräfin Laura's Augenfunken

Zündeten den Brüderstreit;

Beide glühen liebestrunken

Für die adlig holde Maid.


Welchem aber von den beiden

Wendet sich ihr Herze zu?

Kein Ergrübeln kann's entscheiden.

Schwert heraus, entscheide du!


Und sie fechten kühn verwegen,

Hieb auf Hiebe nieder krachts.

Hütet Euch, ihr wilden Degen:

Grausig Blendwerk schleicht des Nachts!


[116]

Wehe, wehe, blut'ge Brüder!

Wehe, wehe, blut'ges Thal!

Beide Kämpfer stürzen nieder –

Einer in des andern Stahl.


Viel Jahrhunderte verwehen,

Viel Geschlechter deckt das Grab;

Traurig von des Berges Höhen

Blickt das öde Schloß herab.


Aber nachts am Thalesgrunde

Wandelt's heimlich, wunderbar!

Wenn da kommt die zwölfte Stunde,

Kämpfet dort das Brüderpaar.


Es ist allgemein bekannt, daß dieses schöne, viel gesungene Gedicht sich bezieht auf die Burgen Sternberg und Liebenstein. Der rheinische Dichter spricht aber nur von einer, nicht von zwei Burgen. Die Sage ist an und für sich etwas ausführlicher, als Heine sie hier erzählt, und wenn auch in der Erzählung, wie wir sie hier folgen lassen, vielleicht nicht Alles echt volkstümlich ist, so ist es doch gewiß, daß der Name »die feindlichen Brüder« den einander gegenüberliegenden beiden Rheinburgen selbst gegeben, und daß daraus die Sage vielleicht erst entstanden ist.

Die bedeutendste Krümmung, welche der Rhein zwischen Bingen und Koblenz überhaupt macht, zeigt sich etwas vor dem Einflusse der Lahn Boppard gegenüber. In dieser Gegend befinden sich, jedoch nicht auf dem linken, sondern auf dem rechten Ufer des Rheines die Burgruinen Sternberg und Liebeneck und etwas südlich davon das Kloster Bornhofen.

Auf der alten Burg Sternberg wohnte ein Ritter, der hatte zwei Söhne von sehr verschiedener Gemütsart. Nach dem Tode seiner Burgfrau pflegte ihn eine Verwandte, zu der seine beiden Söhne ihrer Schönheit wegen von heißer Liebe erfaßt wurden. Zwar hatte es anfänglich geschienen, als würde sie dem ältesten die Hand reichen. Als aber der jüngere heranreifte, kehrte sie sich völlig von dem älteren ab und wandte sich dem jüngeren zu.

Der ältere Bruder war ernst, der jüngere leichtfertig. Jener sah, daß er sich keine Hoffnung auf Gegenliebe machen könne. Darum nahm [117] er das Kreuz und wollte die Burg seiner Väter und das Land verlassen. Aber auch der jüngere Bruder faßte noch den nämlichen Entschluß.

Der alte Vater bat dringend, daß einer der Brüder von seinem Entschlusse, an dem Kreuzzuge teil zu nehmen, abstehen möge. Dem jüngeren Bruder hätte dies wohl um seiner Braut willen zunächst obgelegen. Allein er widerstand allen Bitten und der ältere Bruder blieb endlich als Hüter und Beschützer seines alten Vaters und des Edelfräuleins zurück.

Seine Liebe konnte der ältere Junker nicht überwinden. Aber die Jungfrau hielt ihrem Verlobten eine unverbrüchliche Treue. Den alten Ritter jammerte seines daheim gebliebenen Sohnes. Damit derselbe das liebende Paar, wenn der Bruder aus dem gelobten Lande heimgekehrt wäre, wenigstens nicht täglich in seinem Glücke vor Augen hätte, so baute der Vater in der Nähe der Burg Sternberg die Burg Liebenstein, wo sein jüngerer Sohn dereinst mit seiner Gattin wohnen sollte.

Allein dieser kehrte endlich mit einer schönen Griechin zurück, mit welcher er schon vermählt war. Das Edelfräulein war tief gekränkt, ohne daß ihr Herz sich noch in Liebe dem älteren Bruder zugewandt hätte. Zwischen beiden Brüdern kam es sogar noch zum Zweikampfe. Das Edelfräulein trennte aber die feindlichen Brüder. Dann wurde es eine Nonne im Kloster Marienberg, der ältere Bruder aber ein Mönch im Kloster Bornhofen. Der jüngere Bruder lebte mit seiner Griechin auf der Burg Liebenstein, aber bald hatte sie ihn treulos verlassen.

[118] Der Königsstuhl bei Rhense.

Auf dem linken Ufer des Rheines liegt die uralte Stadt Rhense zwischen Boppard und Koblenz. Wenig südlich von der Lahnmündung auf dem rechten Rheinufer liegt auf dem linken der Königsstuhl zwischen Rhense und Stolzenfels. Gegenüber auf der Burg Lahneck herrschte der Kurfürst von Mainz in voller Pracht. Auf der hohen Burg Stolzenfels thronte der Kurfürst von Trier. Die Burg zu Rhense gehörte dem Erzbischof von Köln. Auf dem rechten Ufer des Rheines südlich Lahnstein und gegenüber den Städten Nassau und Ems befand sich auch noch die Marksburg, welche einem weltlichen Herrn, dem Kurfürsten von der Pfalz, gehörte. So war und blieb es denn ein Recht, welches wohl schon aus älteren Tagen als aus der Kurfürstenzeit herzuleiten sein möchte, daß auf dem Kurfürstenstuhl zu Rhense der deutsche Kaiser gewählt werden mußte.

Man hat sich zu denken, daß jene Wahlfürsten sich auf diesen nahe bei einander gelegenen Schlössern einfanden, wenn ein deutscher Kaiser gestorben war.

Dann gingen Boten hin und her zwischen den vier Schlössern, und schnelle Reiter jagten von jedem Schlosse zu den Fürsten, welche für die Kaiserwahl in Aussicht genommen waren. Wenn dann diese oft schwierigen und nicht selten unerfreulichen Verhandlungen zu Ende waren, so fand der Abschluß der Kaiserwahl zu Rhense statt.

[119] Man befand sich hier unter freiem Himmel. Allzulange Verhandlungen waren daher in der spätern Zeit hier gewiß nicht mehr zu erwarten. Die Hauptsache war wohl die Namensnennung des Kaisers vor dem Volke.

Dies alles war aber erst so Sitte geworden, als die alten Zeiten des deutschen Königstumes schon vorüber waren. Der Königstuhl ist älter als die vier Burgen, die ihn umgaben. Auch mögen die vier Burgen vielleicht früher in den Händen ehrenfester, aber schlichter Ritter gewesen sein, welche auf die Königswahl noch keinen Einfluß hatten. Diesen wurden sie wahrscheinlich in den Zeiten des Verfalles und des Handels mit Privilegien, der vor den Kaiserwahlen stattfand, von jenen Kurfürsten abgekauft. Der Stadt Rhense lag es seit alter Zeit ob, den Königstuhl zu erhalten. Sie genoß dafür bedeutende Freiheiten.

Der Königstuhl war aus rheinischem Tuffstein erbaut. Ein Pfeiler aus Tuffstein stand in der Mitte. Acht andere solche Pfeiler bildeten mit ihm eine Halle und trugen ein Gewölbe. Dieses Gewölbe erhob sich achtzehn rheinische Fuß über dem Boden. Oben im Freien war es platt. Eine einfache Brustwehr schützte den freien Raum.

Innerhalb der Brustwehr und doch unter freiem Himmel waren acht Sitze einfach aufgemauert. Sieben waren für die Wähler des Reiches bestimmt und der achte Sitz für den Kaiser.

Vor der Kaiserwahl wurden alle sieben Kurfürsten nach Rhense geladen. Drei von ihnen waren die Gäste jener vier Burgherren am Rhein. Ihr reiches Gefolge stand um den Königstuhl her. In weitem Kreise erfreute sich das Volk an dem Schauspiele.

Über dem Stuhle eines jeden Kurfürsten befand sich sein Wappenschild. Über dem einfachen Sitze des Kaisers erblickte man das Wappen des Reiches.

Trotz des Alters, welches den Wahlen auf dem Königstuhle zugeschrieben wird, wissen wir im einzelnen nur wenig über dieselben.

Nach dem Tode Heinrichs VII. wollten einige Friedrich von Österreich, andere Ludwig von Baiern wählen. Da bildete sich 1338 der Kurverein zu Rhense. Kaiser Ludwig tagte auch damals mit den Kurfürsten auf dem Königstuhle. Aber die Absicht, daß Ludwig zu Gunsten Karls von Böhmen dem Throne entsagen solle, wurde nicht erreicht.

[120] Da wurden von Böhmen aus die Kurfürsten abermals nach dem Königstuhle berufen. Karl IV. aus dem böhmischen oder luxemburgischen Hause wurde nun wirklich zum Kaiser erwählt. Dann aber wählte der Kurtag in Frankfurt am Main Günther von Schwarzburg.

Nach dessen Tode versammelte man sich wieder auf dem Königstuhl zu Rhense. Aber die eigentliche Wahl des Nachfolgers, des faulen Wenzel, fand in Frankfurt am Main statt. Gekrönt wurde er zu Aachen.

In einer Kapelle bei Lahnstein mußte Wenzel abgesetzt werden. Nach der Absetzung hörten die Kurfürsten eine feierliche Messe an, bestiegen den Königstuhl und wählten Ruprecht von der Pfalz zum deutschen Kaiser.

Sein Nachfolger wurde zu Frankfurt am Main erwählt. Er kam mit den Kurfürsten, welche ihn begleiteten, nach Rhense, bestieg den Königstuhl, leistete dem deutschen Reiche dort den Eid der Treue und begab sich von dort nach Aachen, wo er gekrönt wurde.

Dieser Schwur, welcher damals noch von einem deutschen Kaiser am Rhein gethan ward, ist vom deutschen Volke, von unserer Wacht am Rhein, gehalten worden. Auch haben die Rheinländer wohl noch mitunter den Königstuhl zu Rhense wie ein westfälisches Fehmgericht benutzt, um Recht zu schaffen. Aber die Kaiser waren dabei nicht mehr beteiligt.

Dennoch wußten die Franzosen 1688 sehr wohl, was sie thaten, als sie den Königstuhl zu Rhense von Grund aus zerstörten.

Zum Königstuhl zu Rhense gehörte ein Hof oder eine Burg, welche in alter Zeit von Königen bewohnt gewesen sein soll, in diesem Jahrhundert vom Volk aber nur noch die Wackelburg genannt ward. Sie gehörte in diesem Jahrhundert der Familie von Kügelgen. Aus dieser Familie wurde der Maler Gerhard von Kügelgen, dessen Vater ein Amt zu Bacharach verwaltete, am bekanntesten. Er hatte auch als berühmter Maler noch einige Zeit auf dem Königstuhl zu Rhense oder vielmehr auf der alten Wackelburg gewohnt. Was sein Leben besonders interessant macht und die höchste Teilnahme für ihn erweckt, war jedoch sein schauderhaftes Ende.

Gerhard von Kügelgen nahm später seinen Wohnsitz in Dresden und kaufte endlich von seinem Vermögen einen Weinberg in Loschwitz, den er auf rheinländische Art bewirtschaftete. In der altdeutschen Tracht, in welcher er einherging, war er eine ideale Erscheinung. So trat er eines [121] Abends nach der Arbeit in das Zimmer seines Sohnes Wilhelm, welcher sich unter seiner Leitung zum Maler ausbildete und einen Moses zeichnete. Er wollte seinen Sohn in der Arbeit nicht stören. Dieser aber wollte den Abend in der Singakademie zubringen. Aus diesem Grunde verzichtete Gerhard von Kügelgen für diesmal auf die Begleitung seines Sohnes und ging allein nach Loschwitz, um nach seinem Weinberge zu sehen. In der Singakademie übte Wilhelm von Kügelgen als Dilettant »die sieben Worte« von Haydn mit ein.

Aufs tiefste wurde er aber diesmal von der Stelle ergriffen:


»Wenn wir mit dem Tode ringen

Und aus dem bedrängten Herzen

Heiße Seufzer zu Dir dringen:

Hilf uns, Mutter aller Schmerzen!«


Wilhelm von Kügelgen stellte sich den geliebten Vater, welcher nicht lange vorher katholisch geworden war, bei diesen Worten als mit dem Tode ringend vor. Er eilte in ein Nebenzimmer und brach dort, wie ein Freund bezeugte, in Thränen aus. Es war ihm, als hörte er aus dem Munde seines Vaters die Worte: »Hilf uns, Mutter aller Schmerzen!«

Als er am Abend in Dresden nach Hause kam, hätte er den Vater dort schon wieder vorfinden müssen. Der war indessen nicht anwesend. Wilhelm von Kügelgen lief nun sogleich durch die helle Mondennacht nach dem Weinberg bei Loschwitz. Hier schlief der Winzer bereits. Er sagte, daß Gerhard von Kügelgen zwar dagewesen sei, aber schon vor sieben Uhr den Rückweg angetreten habe.

Wilhelm von Kügelgen untersuchte nun, ob sein Vater vielleicht wegen Unwohlseins irgendwo eingekehrt sei. Aber weder im Linke'schen Bade noch sonst wo konnte man über ihn Auskunft geben. Er konnte nun nur noch in der Stadt einen Besuch gemacht haben. Aber auch jetzt fand ihn der Sohn noch nicht zu Hause.

Am andern Morgen wurde der Weg nach Loschwitz mit Hunden abgesucht. Auf halbem Wege nach dem Waldschlößchen stand plötzlich einer der Hunde. Da lag Gerhard von Kügelgen mit dem Gesicht in einer Ackerfurche, erschlagen und entkleidet.

Der Mörder war der Artillerist Kalthofen. Dieser stammte aus einer [122] braven ländlichen Arbeiterfamilie. Auch er selbst hatte bis dahin nicht in schlechtem Rufe gestanden. Aber immer mehr hatte er sich seinen Leidenschaften, besonders dem Spiele, hingegeben. So war er in Geldverlegenheit gekommen und im Dunkeln auf die Landstraße gegangen, um mit der größten Kaltblütigkeit den ersten besten Unbekannten mit einem Beile von hinten zu erschlagen.

So hatte er es bereits drei Monate vor der Ermordung Kügelgen's, am 29. Dezember 1819, mit einem armen Handwerksburschen gemacht. Eine Spur von dem Thäter war noch nicht ermittelt. Da machte er es ebenso mit dem trefflichen Kügelgen, welcher ihm gleichfalls unbekannt war. Diesen hatte er dann etwa hundert Schritte seitwärs von der Chaussee in die Ackerfurche geschleppt und ausgeplündert.

Nur den Mantel des Ermordeten, mit einem Gebetbuche in der Tasche, fanden am andern Tage die Knaben in einem Steinhaufen.

An demselben Tage ließ der König von Sachsen eine Belohnung von tausend Thalern auf die Entdeckung des Mörders setzen. Dieser wurde denn auch am 24. April 1820 in Folge Verkaufs von Kleidungsstücken verhaftet und am 11. Juli 1821 hingerichtet.

Die Untersuchung war dadurch zu einer so langwierigen, das Publikum auf's höchste spannenden geworden, daß schon drei Wochen vor der Verhaftung von Kalthofen ein anderer Artillerist, Fischer, für den Verkäufer von Kügelgen's Uhr gehalten und deswegen verhaftet worden war. Zum Unglück war dieser letztere von schwachem Verstande und ängstlicher Gemütsart.

Durch die Verhöre verwirrt und im Gefängnisse sehr gedrängt, sagte Fischer schon am Tage nach seiner Verhaftung, er habe die Uhr gefunden.

Zwar widerrief er es sogleich, aber achtzehn Tage darauf bekannte er den Mord mit allen Einzelheiten. Zwei Tage später widerrief er, zwei Tage darauf gestand er nochmals, blieb dann aber standhaft und unerschütterlich bei dem Widerruf.

Nun mutmaßten aber leider die Juristen, daß der Mörder Kalthofen einen Helfershelfer gehabt habe. Dieser gab daher endlich ganz im Widerspruche mit seinen früheren Aussagen am 15. November 1820 den armen Fischer als Mitschuldigen an.

Leider blieb Kalthofen bei dieser Aussage bis an sein Ende. Nach [123] feierlicher Absolution und Einsegnung durch einen Geistlichen rief er sogar noch vom Schaffot herab: »Meine Herrschaften, Fischer hat dieselbe Strafe verdient, die ich jetzt erleide!«

So war das Ende eines der letzten Eigentümer der alten Wackelburg und des Königstuhles zu Rhense mit Lüge und Mord befleckt.

Ungefähr um dieselbe Zeit, da Kügelgen ermordet wurde, oder etwas später, wurde der alte Königstuhl zu Rhense im rein geschichtlichen Interesse als Denkmal der deutschen Vergangenheit wieder aufgebaut. Mehrere Überbleibsel des wirklichen Königstuhles, die von einigen Bewohnern der Umgegend aufbewahrt waren, konnten dabei noch architektonisch verwendet werden.

[124] Die Tempelherren auf der Burg Lahneck.

Südlich von Koblenz, gegenüber der Burg Stolzenfels, mündet die Lahn in den Rhein. Hier liegt auf dem rechten Ufer des Rheines die kleine Stadt Lahnstein. Neben ihr erhebt sich eine steile Felsenhöhe, auf welcher die Burg Lahneck steht. Man vermutet, daß Stolzenfels und Lahneck von demselben Baumeister zu beiden Seiten des Rheines geschaffen wurden. Wer aber dieser Baumeister auch sei, so hat er es jedenfalls verstanden, die Lage und die Verhältnisse, in denen er seine Burgen erbaute, gut zu benutzen, wodurch er ihnen dann zugleich eine verhältnismäßig nicht unbedeutende Wichtigkeit zu verleihen wußte.

Lahneck war eine mainzische Burg und diente zum Schutze des Rheinzolles. Man glaubt, daß sie aus der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts herrührt. Aus der Zeit kurz darauf stammt denn auch folgende geschichtliche Sage von Lahneck her.

Während der Kreuzzüge hatten sich die Ritterorden im gelobten Lande gebildet. Der Orden der Tempelherren war 1118 entstanden, um christliche Pilger zu pflegen. Er war immer mächtiger geworden, und seine Reichtümer waren beständig gewachsen. Allein nach einem fast zweihundertjährigen Bestehen hatten ihm im Jahre 1307 der Papst Clements V. und der König Philipp der Schöne von Frankreich den Todesstoß versetzt. Üeberall begann auch in Deutschland die Verfolgung der Templer. In [125] der Provinz Sachsen zeigt man zu Schlanstedt die rote Tempelherrnstube: man hatte sich nicht gescheut, zwölf Templer zu einem Gastmahle zu laden und dann in halber Trunkenheit gerade dann zu ermorden, als die nichts ahnende Tochter des verräterischen Burgverwalters, einem Winke ihres Vaters folgend, zu ihnen in's Zimmer trat, um durch ihre Gegenwart die Geselligkeit noch mehr zu beleben. Zu den Würgeengeln, welche sich gegen die Tempelherren erhoben, gehörte auch der damalige Bischof von Mainz Peter Aichspalter, der sich dem Papste dafür dankbar zeigen wollte, daß dieser ihn vom Hausarzt eines luxemburgischen Grafen, was er bis dahin gewesen war, auf den erzbischöflichen Stuhl zu Mainz erhoben hatte.

Peter Aichspalter stellte den Tempelherren die Wahl zwischen Verbannung und Tod, aber hier wie überall war es für die Tempelherren schwer, eine neue Heimat zu finden, weil sie überall ausgewiesen wurden. An allen Orten mußten sie deshalb darauf denken, Schlupfwinkel ausfindig zu machen. Ein solcher Schlupfwinkel hat sich für die Tempelherren in der Altmark auf dem jetzigen kaiserlichen Jagdgute zu Letzlingen in der von Sümpfen umgebenen alten Linderburg gefunden, und auf mainzischem Gebiete wurde die Burg Lahneck als Zufluchtsort der letzten Tempelherren benutzt. Nachdem nämlich einige Tempelherren auf's Gerathewohl in die Verbannung gezogen waren, andere aber ihren Orden abgeschworen hatten, warfen sich die letzten zwölf Tempelherren in die Burg Lahneck und schwuren sich einander zu, daß keiner die Burg lebend wieder verlassen wolle.

Als Peter Aichspalter diese Nachricht erhielt, geriet er in Wut und sandte seine Soldaten ab, um sie alle zwölf niederzuhauen.

Zwar wurde ihnen angeboten sich noch zu ergeben, doch wartete ihrer dann etwas anderes als der Tod durch Henkershand? Es wurde ihnen auch noch immer frei gestellt, ihren Orden abzuschwören, welchen sie ja doch durch ein sittenloses Leben und durch das Streben nach irdischen Reichtümern entweiht hätten. Aber daß sie das Gelübde des Gehorsams gegen ihren Ordensmeister, den sie auf das höchste verehrten, jemals gebrochen hätten, wagte niemand zu behaupten; dafür, daß sie nicht tugendhaft gewesen seien, verlangten sie Beweise; daß sie nach irdischen Schätzen getrachtet [126] hatten und reich an Gütern waren, lag allerdings auf der Hand; aber dies war ja eben der Grund, weswegen man sie überall aus dem Lande jagte oder gar hinrichtete. Kein Wunder daher, daß alle zwölf Tempelherren auch nach dieser Aufforderung ihren Orden zu verlassen, ihm treu blieben.

Gegen einen Heereshaufen wie dieser hätten sich die Tempelherren nun allerdings nicht lange halten können, wenn die Mainzer hätten damit anfangen dürfen, die Burg Lahneck in Brand zu stecken; aber sie hatten im Gegenteile die Weisung empfangen, die Burg so viel als möglich zu schonen. Es blieb daher den Soldaten des Erzbischofs nichts übrig, als mit den zwölf Tempelherren, unter denen sich sogar einige Grauköpfe befanden, so lange zu kämpfen, bis sie ermattet zusammensinken würden.

Als die Nacht hereinbrach, blies ein furchtbarer Sturmwind vom Rheine herauf, welchen der Schlachtruf der Mainzer nicht zu übertönen vermochte. Die Tempelherren aber nickten sich einander zu, und ihr Nicken allein schon enthielt das erneuerte Gelöbnis, zu kämpfen bis in den Tod. So kämpften sie denn auch die ganze Nacht hindurch, und beim hereinbrechenden Morgen schwang nur noch einer von ihnen das Schwert. Der ritterliche Anführer der Mainzer Truppen wandte sich jetzt von neuem an den letzten Tempelherrn und forderte ihn nochmals auf, sich zu ergeben. – Höhnisch verweigerte er die Annahme, weil er nicht glaubte, daß man das halten werde, was man ihm verspräche.

Erbittert durch die Herausforderung des einzelnen Mannes hieben die Mainzer Soldaten mit Macht auf ihn ein. Mit diesem einen Manne wurde noch gekämpft, als auf schaumbedeckten Rosse ein Bote des Erzbischofs heransprengte und verkündigte, der Kaiser selbst habe befohlen allen zwölf Tempelherren das Leben zu schenken.

»Mein Leben ist ein elendes Geschenk für mich, seit meine elf Brüder tot sind!« rief der letzte Tempelherr aus. Von der Burgmauer herunter sprang er mitten unter die Mainzer Soldaten, schlug nach allen Seiten gewaltig um sich und empfing auch sogleich den Todesstoß. Auf dem Burghofe zu Lahneck liegen alle zwölf Tempelherren begraben.

[127] Der Scharfrichter auf der Coblenzer Straße.

Am 12. August 1752 spazierte ein rheinischer Scharfrichter auf der nach Coblenz führenden Straße. Da traf er plötzlich mit einem Trupp Leute zusammen, von denen sich jeder das Gesicht geschwärzt hatte. Sie umringten ihn und warfen ihn zu Boden. Alsdann knieten ihm zwei der Schwarzen auf den Leib und machten Miene, ihm mit einem dicken Tuche die Augen zu verbinden, dagegen er mit Händen und Füßen sich gewehrt und gestrampelt hat.

Endlich sprach ein Dritter: »Fritz, was machst Du für dumme Streiche! Laß uns gewähren, daß wir Dir die Augen verbinden. Dir soll nichts Übles geschehen. Dagegen kannst Du ein gutes Stück Geld verdienen, so Du thust, wie ich Dich heiße.«

Der Scharfrichter kannte nun doch wohl die Stimme dessen, der die Ansprache an ihn gehalten hatte. Das flößte ihm einiges Vertrauen ein, und ohnehin, was sollte er thun? Es waren sechs oder sieben handfeste Kerle, die ihn zu Boden geworfen hatten und umringten. Auch erinnerte er sich recht gut, daß er weit und breit keine Menschenseele außer diesen Burschen gesehen hatte, ehe sie ihn zu Boden warfen – wer sollte ihm also beistehen?

Er ließ sich die Augen verbinden, und so wurde er fortgeschoben und [128] fortgeschleppt. Es schien ihm aber, als kämen sie tief in einen Wald hinein, denn der Weg wurde etwas rauh, und man stolperte hin und wieder über eine Wurzel.

Endlich traf man mit einer Kutsche zusammen.

Der Scharfrichter hörte, wie sie stille hielt, und gleich darauf wurde er hineingeschoben.

Neben ihm nahmen mehrere Männer platz, der Scharfrichter bekam einige Rippenstöße und glaubte sogar zu fühlen, daß er mit Flintenkolben gestoßen würde.

Die Fahrt dauerte sehr lange. Zuweilen wurde auf kurze Zeit angehalten, wobei mehrmals neue Pferde vorgespannt wurden.

Öfters schlief der Scharfrichter vor Erschöpfung ein. Endlich aber wurde er aufgeweckt mit den Worten: »Gott sei Dank, da sind wir! Nun mach Dich auf die Beine, Fritz!«

Dem Scharfrichter wurde die Binde abgenommen. Er glaubte erst wieder aufzuleben, als er den grünen Rasen betrat und die Sonne zwischen den Eichen durchblicken sah.

Am Abende war er auf der Straße nach Coblenz niedergeworfen worden, und als die Nacht hereingebrochen war, mochte die Kutsche herangekommen sein. So war er also die ganze Nacht hindurch gefahren, und nun stand die Morgensonne am Himmel.

Die Pferde wurden ausgespannt, und die Gesellschaft lagerte sich im Kreise zu einem Frühmahle. Der Scharfrichter ließ sich das dargebotene kalte Fleisch vortrefflich schmecken. Ganz besonders aber sprachen alle dem trefflichen Weine zu, welcher ihnen eingeschenkt wurde.

Der Scharfrichter war am meisten zum Trinken genötigt worden, und zu ihm sprach endlich der Anführer der nächtlichen Fahrt, der ihm schon auf dem Wege nach Coblenz zugesprochen hatte: »Fritz, nun will ich Dir auch sagen, weshalb wir Dich hierher geschleppt haben. Du sollst einen Verbrecher vornehmen Standes, welcher nicht gut öffentlich bestraft werden kann, einen Kopf kürzer machen.«

»Was?« rief der Scharfrichter, »ich weiß, was ich thun darf und was ich unterlassen muß. Mit solchen Dingen müßt Ihr mir vom Halse bleiben. Haltet Ihr mich denn für einen Mörder?«

[129] »Keineswegs«, antwortete sein Führer. »Du hörst ja, daß der Üebelthäter Hals und Kopf verwirkt hat.«

Dabei schenkte der Redner dem Scharfrichter von einem Getränke ein, das wie Feuer durch seine Adern rann. Der Scharfrichter trank den Krug noch zweimal leer, dann fuhr der Redner fort: »Es ist ein Galgenstrick, aber er ist für den Galgen zu angesehen. Drum sollst Du hier mit ihm thun, was Deines Amtes ist.«

»Ich habe kein Schwert bei mir«, sagte der Scharfrichter jetzt.

»Siehe hier, für ein Schwert ist gesorgt,« antwortete der Anführer nun.

Einer der Anwesenden sprang an den Wagen und holte ein Strohbündel von der Decke herunter. Er löste einige Stricke und ein Schwert in einer kostbaren Scheide kam zum Vorschein.

Das Schwert wurde dem Scharfrichter gereicht, und dieser, ohne zu wissen was er that, zog es aus der Scheide. Es war ganz leicht und dabei so scharf geschliffen, daß der Scharfrichter sich wohl getraut hätte, damit eine Feder, die in der Luft flog, in zwei Hälften zu teilen.

»Siehe,« sprach sein Verführer, »das soll Dein sein und zehn Konventionsthaler mit der Mutter Gottes auf dem halben Monde dazu. Nun willige ein oder ich schieße Dich nieder.«

Dabei zog der Mann eine Pistole hervor und hielt sie dem Scharfrichter vor die Augen.

»Ja oder Nein will ich hören,« rief der Verführer und zog den Hahn der Pistole auf. »Ja!« sprach der Scharfrichter, und der Andere steckte die Pistole wieder ein.

In diesem Augenblicke hörte man Peitschen knallen. »Da sind sie,« sagte der Eine der Anwesenden. Wirklich bog ein zweiter Wagen um die Waldecke.

Von dem Tritte dieses zweiten Wagens wurde zu erst ein schwerer Klotz abgelöst. Diesen stellte man mitten auf die Wiese und bedeckte ihn mit einem schwarzen Tuche.

Nun wurde der Wagen von außen mit einem Schlüssel aufgeschlossen. Ein hübscher junger Mann von dreißig bis fünfunddreißig Jahren, mit einem seidenen Schlafrocke angethan, wurde herausgehoben. Des Gehens [130] war er nicht mehr mächtig, und so wurde er dem Blocke in der Mitte der Wiese zugeschleift.

»Thut Eure Schuldigkeit, Meister Fritz,« hörte der Scharfrichter nun rufen, und zugleich wurde ein Dutzend Pistolen oder Büchsen auf ihn gerichtet. Mit schlotternden Knieen begab sich der Scharfrichter zu dem armen Sünder. Er zog ihm den Schlafrock aus, nahm ihm die Perrücke vom Kopfe und schlug ihm den Hemdskragen zurück.

Jetzt sprach der arme Sünder zu Fritz: »Nehmt diese Uhr von mir zum Andenken. Ich hoffe nicht, daß Ihr mich fehlen werdet.«

Die Uhr war schwer von Golde.

Nun zog der Scharfrichter seine Mütze ab und betete ein Vaterunser.

Alle Anwesenden, auch der Delinquent, thaten dasselbe.

Der Scharfrichter zögerte noch einen Augenblick, aber schon rief es von allen Seiten: »Vorwärts! Wir haben Eile!«

Schon wieder waren die Mündungen der Pistolen und Büchsen auf Fritz gerichtet.

Dieser untersuchte den Schlafrock nach einem Taschentuche. Er fand es und band dem armen Sünder die Hände damit auf dem Rücken zusammen. Hierauf ließ er ihn vor dem Blocke niederknieen.

Er brauchte ihm nicht zu sagen, daß der Kopf auf den Block gelegt werden solle. Gleichsam als würde derselbe dem vornehmen jungen Herrn zu schwer, ließ dieser das Haupt von selbst auf den Klotz fallen.

Der Scharfrichter zog jetzt wieder das Schwert aus der Scheide, prüfte nochmals die Schneide mit dem Finger und legte die stumpfe Seite der Klinge auf den Hals des Delinquenten, um die Stelle zu suchen, wo der Kopf vom Rumpfe getrennt werden müsse.

Da ertönte der Ruf: »Halt, keiner muckse sich!«

Der Scharfrichter stand wie versteinert und getraute sich nicht, das Schwert vom Halse des Delinquenten wegzuziehen. Es lag wohl eine Viertelstunde so, da schlüpfte endlich ein schwarzer schmächtiger Mann aus dem Wagen hervor, aus welchem früher der Delinquent herausgehoben war. Er winkte dem Scharfrichter, daß er das Schwert einstecken solle. Auch zog er eine Schrift hervor und las sie ab.

In dieser Schrift war von dem Markgrafen von Brandenburg-Onolzburg [131] die Rede, gegen welchen sich ein gewisser Herr von ...dorf vielfältig vergangen haben sollte. Dieser Missethäter – unser Delinquent – sollte verurteilt sein, den Kopf und die rechte Hand zu verlieren. Aus Gnaden, hieß es in der Schrift, habe der Herr Markgraf dieses Urteil jedoch in lebenslängliche Haft auf der Freusburg umgewandelt.

Während der Vorlesung dieses Schriftstückes hatte der zu ewigem Gefängnis Begnadigte den Kopf langsam wieder vom Blocke emporgehoben. Das Aufstehen war ihm jedoch unmöglich. Fritz mußte ihn mit zwei anderen Männern anfassen und nach dem Wagen tragen.

Jetzt wurden dem Scharfrichter die zehn Konventionsthaler gereicht. Auch wurde ihm gesagt, daß er das sauer verdiente Schwert in seinem Wagen finden würde. Zugleich wurde ihm aber angekündigt, daß er sich wieder die Augen verbinden lassen und auf dieselbe Weise, wie er den Hinweg zurückgelegt hatte, nach seiner Heimat zurückkehren müsse.

Der Scharfrichter legte diesmal den ganzen Weg in seinem Wagen zurück. Die Fahrt dauerte vier Stunden. Als er ausgestiegen und seinen Augen die Binde abgenommen war, hatte er nur noch wenige Minuten zu gehen. Jedoch war über den gräßlichen Vorfall der Tag hingegangen. In seinem Wohnorte lag alles in tiefem Schlafe, als er dort wieder einzog. Nur seine eigene Familie war durch die Sorge wegen seines Ausbleibens noch wach erhalten worden.

Das Schwert, welches der Scharfrichter in seinem Wagen gefunden hatte, ist noch vorhanden.

[132] Die Räuber in der Klause des Eremiten.

Mancherlei Staatsumwälzungen, die in den Niederlanden stattfanden, so wie zuletzt die Zustände in Frankreich seit 1789, bewirkten, daß lange Zeit hindurch und noch im Anfange dieses Jahrhunderts manche Gegenden am Rhein durch Räuberbanden beunruhigt wurden, die bald in den Niederlanden ihren Wohnsitz hatten, bald unter der falschen Maske französischer Soldaten ihre Verwüstungen und Plünderungen bis nach Mülheim an der Ruhr hin ausführten.

Einer der merkwürdigsten unter den Räubern war der sogenannte Fetzer oder Zerfetzer, der 1778 geboren war und besonders in der Gegend von Neuwied sein Wesen trieb.

Es war freilich in einer anderen Gegend, wo sich die nachfolgende Geschichte begeben hat. Fetzer machte den Vorschlag, einem Eremiten einen nächtlichen Besuch abzustatten. An einem Freitag vor Pfingsten rückten vier Räuber aus und nahmen in einem Dorfe eine Leiter mit. Leisen Trittes ging es zur Klause.

Dort angekommen, setzten sie die Leiter an, und einer der Räuber stieg aufs Dach bis zum Turme.

Da hing ein Glöcklein, welches der Eremit von innen anzuziehen pflegte, wenn er in irgend einer Art der Hilfe bedürftig war.

[133] Der Räuber schnitt das Seil ab und stieg wieder herunter.

Jetzt warfen sich alle gegen die Thür und sprengten sie mit Gewalt.

Der Eremit war wegen eines Handels mit Zucker und Kaffee, welchen er betrieb, verreist. Doch hielten einige Leute in der Klause für ihn Wache. Die Räuber knebelten diese Leute und ließen sie liegen. Dann wurden Schränke und Kisten von den Dieben erbrochen. Sie fanden wenig bares Geld, aber Zucker und Kaffee in Menge.

Als sie abziehen wollten, kam ein Platzregen mit Sturm und Donner. Die Räuber mußten noch bleiben. Um die Langeweile zu vertreiben, suchten sie etwas zu essen. Sie fanden Wein in Fülle und einen prächtigen Schinken.

Fetzer deckte den Tisch, trug auf, schenkte Wein ein und die Räuber schmausten, jubilierten und lärmten nach Herzenslust.

Der Eremit besaß auch eine kleine Orgel. Fetzer setzte sich vor dieselbe und spielte so gut er konnte. Des Lachens und Spektakelns war kein Ende bis an den hellen Morgen.

Zuletzt zog Fetzer die Kutte des Eremiten an. In dieser Kleidung führte er die mit Zucker, Kaffee, Wein und Schinken beladenen drei Räuber bis nach Crefeld.

Am 19. Februar 1803 wurde er hingerichtet. Er starb als Christ und rief vom Schaffot herunter: »Ihr, die Ihr auf bösem Wege seid, spiegelt Euch an meinem Ende!«

[134] Sagen von Andernach und der Umgegend.

Andernach hat seinen Namen von einem Kastell, welches Drusus zwölf Jahre vor Christo im Auftrage des Kaisers Augustus hier anlegte und Antenakum nannte. In dem wilden Kampfe der Bataver unter Claudius Civilis gegen die römische Herrschaft ist die Stadt gänzlich zerstört, in den nachfolgenden Friedensjahren jedoch wieder aufgebaut worden. In der Mitte des vierten Jahrhunderts wurde Andernach abermals durch die Franken und Allemannen zerstört. Kaiser Julian baute es nach der Schlacht bei Straßburg gegen die Allemannen 357 von neuem auf und befestigte es. In der ersten Hälfte des fünften Jahrhunderts war Andernach der letzte Waffenplatz der Römer am Rheinstrome. 428 nahm der römische Statthalter Aëtius hier seinen Sitz. Siegreich behauptete er ihn mit seinen Legionen gegen den Hunnenkönig Etzel. Als die Römerherrschaft geendet und das Regiment der Merowinger festen Fuß gefaßt hatte, nahmen diese hier ihren Wohnsitz. Andernach und Metz waren die Hauptstädte der merowingischen Herrschaft und sind es geblieben, bis Pipin der Kurze 752 dies Geschlecht stürzte. Am 8. Oktober 876 fand vor den Thoren von Andernach die Schlacht statt, in welcher Ludwig der Jüngere seinen Oheim Karl den Kahlen und 50000 Gallier besiegte. Auch damals stritt man um den Besitz des linken Rheinufers. Es war aber wohl die erste Schlacht, in welcher Deutsche den Franzosen gegenüber standen. Gerade tausend Jahre später, am 8. Oktober 1876, hat [135] Andernach, noch froh der deutschen Siege von 1870 und 1871, im lebhaftesten Fahnenschmucke ein Erinnerungsfest an den Sieg Ludwigs über Karl den Kahlen gefeiert.

Man kann sich nicht wundern, daß Andernach in seiner Pfarrkirche ein in romanischem Stile aufgeführtes Bauwerk von hohem Alter besitzt. Wenigstens der nördliche Chorturm soll ungefähr aus dem Jahre 900 herrühren. Sehenswert ist auch das alte Rheinthor, wo zwei Bäckerjungen verewigt sind, die einst die Stadt vor einem nächtlichen Ueberfalle gerettet haben.

Die Bürger und Ratsherren von Andernach standen nämlich in alten Zeiten in dem Rufe, daß sie einen sehr festen und für die Sicherheit ihrer Stadt gefährlichen Schlaf hätten. Während einer Fehde mit den Bewohnern der Nachbarstadt Linz hatten ihnen diese einmal in den Betten die Köpfe abgeschnitten, weshalb ihre Nachkommen diese »Linzer Kopfabschneider« schelten, aber von ihnen selbst »Andernacher Siebenschläfer« genannt werden. Die beiden Bäckerjungen waren in jener Nacht die Einzigen, die in Andernach wachten. Selbst der Meister mit seinen Gesellen, falls er solche hielt, hatte sich dem Schlafe hingegeben. Zum Glücke lag die Backstube nahe am Thore. So hörten denn die Bäckerjungen ein Waffengeräusch und bemerkten, wie der Feind im Begriff war, die Stadtmauer von Andernach zu erklimmen. Da rannten sie in den Garten, der dicht an der Stadtmauer lag und ergriffen, weil ihnen hier nichts weiter zur Hand war, eine Anzahl Bienenkörbe. Diese schleuderten sie mutig von der Mauer auf den Feind. Die Bienen setzten dem Feinde an der Stadtmauer wacker zu und trieben ihn in die Flucht, wobei sie dann allerdings wohl von dem aus dem Schlafe erwachten Meister mit seinen Gesellen und dessen Nachbaren, ja, später vielleicht sogar von den Bürgern und Ratsherren noch unterstützt sein mögen.

Andernach ist durch die vielen Gewässer in seiner Nähe ein besonders fischreicher Ort. Den schönsten Aal, welcher im Laufe des Jahres gefangen wurde, bewahrten die Andernacher in einem durchlöcherten Fischkasten im Wasser auf. Wenn nun die engen Röhren der Trinkwasserleitung gereinigt werden mußten, so steckten die Ratsherren den Aal mit der Schnauze in die Röhrenöffnung, gossen ihm frisches Wasser [136] auf den Schwanz, worauf er wie ein Pfeil in der Röhre verschwand, sie reinigte und am entgegengesetzten Ende mit dem Kopf zuerst wieder herauskam. Zuletzt wurde der Aal von den Ratsherren verspeist, wobei sie ihm aber kein Wasser, sondern nur Wein nachgegossen haben sollen. Denn die alten Andernacher wußten zu leben. Nicht umsonst hieß es in einer Andernacher Polizeiverordnung vom 29. November 1582: »Item verbeut Rhaidt das überflüssige Fressen und Saufen mit großen Potten und Glaseren Strich voll, in ein Soff aus, off Gesundheiter oder wie solches zugehe, geschehe oder Namen haben mag.«

Auch von Kruft, dem ältesten Dorfe dieser Gegend, ist manches Lustige zu erzählen. Die alten Krufter waren Leibeigene der Abtei Laach und hatten als solche besondere Rechte und Pflichten. Bei einem Aufgebote mußten sie das Kloster mit Wehr und Waffen schützen. Doch berichtet die Chronik bloß, daß sie einmal bei einem Überfalle davon gelaufen sind. Im Volksmunde werden die Krufter Sarazenen genannt. Bei manchen von ihnen will man orientalische Gesichtszüge bemerken. Man leitet die Sage daher, daß ein Graf Siegfried aus einem Kreuzzuge gefangene Sarazenen mitgebracht und hier seßhaft gemacht habe. Zur Erinnerung an die Kreuzzüge wallfahrteten die Bürger von Mayen alljährlich in Harnischen nach Frauenkirchen und stellten die Kreuzfahrer vor. Vor Frauenkirchen harrten ihrer die Krufter als Sarazenen gekleidet. Es entspann sich ein Scheingefecht, in welchem die Kreuzfahrer Sieger blieben. Nach der Schlacht zogen Sieger und Besiegte friedlich zusammen in die Kirche und wohnten dem Gottesdienste bei. Nach dem Gottesdienste aber ging es zum Trunke. Bei demselben aber kam es gewöhnlich noch zur Prügelei, wobei die Sarazenen trotz ihrer in der That nur sehr geringen Tapferkeit doch den Kreuzfahrern die Hiebe, die sie vor dem Kirchgange dem Herkommen gemäß hatten hinnehmen müssen, mit Zinsen zurückzugeben suchten.

[137] Die Rauschemühle und Kloster Laach.

Bei der Station Plaidt unweit Andernach liegt dieRauschemühle wie eine schilfbekränzte Wasserfee von Steinriesen umschlungen. Über tausende von abgesprengten schweren Basaltblöcken tanzt, sprudelt und rauscht bei dieser Mühle die Nette einher. In früherer Zeit, als die ganze Gegend noch ein tiefer Wald war, wohnten in dieser Mühle vier geistliche Brüder. Für ein Kloster besorgten sie hier das Mahlgeschäft. Damals war hier schon wie jetzt in den Mühlen ein Glöcklein zu hören, wenn das Korn abgemahlen war. Es ruhte aber ein besonderer Segen auf diesem Glöcklein, denn jeder Mönch, sowie er auf das von der Glocke gegebene Zeichen frisches Korn aufgeschüttet hatte, verrichtete jedesmal auch ein frommes Gebet. Den Segen dieses Glöckleins verspürte einst der Graf von der Laien, der im nahen Saffig seine Burg hatte. Dieser verirrte sich einst auf der Jagd und geriet immer tiefer in den Wald hinein. Ganz ermattet sank er endlich zu Boden. Da hörte er ganz deutlich den schwachen Ton des Glöckleins in der Rauschemühle. Freudig erregt stand er auf und ging dem Klange nach. Mitunter verstummte es wie jede andere Mühlglocke. Aber so oft er vom Wege abkam, war auch das Korn in der Mühle wieder abgelaufen, die Mönche beteten, und der Graf von der Laien schlug [138] wieder den Weg ein, den ihm der schwache Ton der Glocke in der Rauschenmühle angab. Nach langem, langem Wandern kam er um Mitternacht an die Rauschenmühle. An der Stelle, wo er zuerst den Ton des Glöckleins gehört hatte, war er fünf Stunden von der Rauschenmühle entfernt gewesen. Ein Wunder hatte den Schall der Mühlglocke, bei der die frommen Mönche arbeiteten, verstärkt.

Lange Zeit soll hoch oben im Gebirge der Stein gestanden haben, den der Graf zum Andenken an diese Begebenheit gesetzt hat.


* * *


Der Laacher See bildet einen der bemerkenswertesten Punkte des Rheinlandes. Zwei Stunden nordwestlich von Andernach gelegen, grenzt er einerseits an das fruchtbare Maifeld, andererseits an die ersten Höhen der Eifel und bildet in der Nähe des Rheines den Mittelpunkt eines Kreises, der dem höheren Eifelgebiet an Wichtigkeit in keiner Beziehung nachsteht. Der See hat sich hier in einem Bergkessel gebildet.

Ausgezeichnet ist er durch klares Wasser und einen bedeutenden Reichtum an Fischen. Nach einer alten Angabe vom Jahre 1694, in welchem er fest zugefroren war, hat er eine Länge von 4373 Ellen, eine Breite von 3945 Ellen und eine Tiefe von 107 Ellen oder eine Breite von 789 Werkschuhen gleich einer Länge von 3369 Schritten. Die Größe an gemeinem Landmaß war 1323 Morgen.

An dem südlichen Ufer dieses Sees, auf einer der ersten Spitzen des ihn umgebenden Bergkessels, hatten die alten Pfalzgrafen ein Schloß gegen Rübenich zu. Es beherrschte die reiche Gegend, welche einen Teil ihres Gebietes ausmachte, und noch heutigen Tages nach ihnen die Pellenz genannt wird.

Die Pfalzgrafen wurden auch sonst in der merovingischen Zeit missi dominici, königliche Botschafter, genannt. Dieses Pfalzgrafenamt stammt aber wohl von dem Palatium oder der Pfalz in der Stadt Trier, dem alten Sitze römischer Kaiser, von wo es erst in carolingischer Zeit hinüber nach Aachen gewichen seïn mag.

Einer Sage zufolge lag das Schloß Laach nicht immer auf dem [139] Bergvorsprunge an der südlichen Seite des Seegestades. Dort soll sich vielmehr nur ein Wartturm befunden haben. Das Schloß stand tiefer am Gestade, teilweise sogar im See.

An dieser Stelle stößt in der That noch heute der Pflug auf bedeutende Mauerreste. Auch alte Waffenstücke sind dort in neuerer Zeit noch ausgehoben worden. Besonders merkwürdig ist es, daß man an dieser Stelle eine bedeutende Menge kleiner Hufeisen aus der Erde gepflügt hat. Dies ist sogar als eine Bestätigung der alten Legende betrachtet worden, daß ein Burgherr einst den Mönchen des am Laacher See gelegenen Klosters nach dem Leben getrachtet habe. Dabei soll er über den zugefrorenen See gesprengt und mit Roß und Mann versunken sein.

Von einem im Laacher See versunkenen Schlosse erzählt der Dichter Friedrich Schlegel. Der klare Inhalt seines schönen, aber in seinen Versen schwer verständlichen Gedichtes ist dieser.

Bei Andernach am Rhein befindet sich ein tiefer See. Keiner unter dem Himmel ist stiller als dieser. Früher befand sich in ihm eine Insel und darauf eine Burg, die zuletzt krachend im Wasser versank. Der Schiffer findet in dem See weder Grund noch Boden.

Einst aber schritten zween Wanderer in der Abendstunde daher, da trat ein Ritter zu ihnen und grüßte sie.

Er sprach: »Ich wandere seit Jahren die Lande aus und ein, um die alten wunderbaren Sagen zu hören und zu sammeln. Könnt Ihr mir nicht erzählen, wie hier einst das Schloß im See versank?«

Der Jüngste von den Beiden antwortete schnell: »Als noch die Burgen standen ringsum, lebte hier ein Ritter, des Herz war voller Trauer.

Worüber er solches Leid trug, weiß Keiner zu sagen. Vielleicht hatten eigene Missethaten ihn zu Grunde gerichtet, vielleicht war's auch nur die Schuld der Väter in der rauhen Zeit. Seinen Schmerz und seine Reue strömte er in Liedern aus. Zu seiner Zeit versank die Burg des sündhaften, aber reuigen Ritters und Sängers im See. Es geschah doch wohl zur Sühne für neue oder alte Schuld.«

So sprach der Jüngste von den Beiden. Der Fremdling dankte ihm, als zweifelte er nicht an der Wahrheit dessen, was er gehört hatte. [140] Aber der ältere der beiden Wandersleute sagte: »Mein Sohn, Du sprachest falsch. Alte Lieder loben noch den Ritter und sein Geschlecht. Der Ritter lebte auf Erden in der Zeit des herrlichen Minnegesanges. Sein eigener Gesang ertönte wundervoll und machte die Wassergeister neidisch, welche da unten in der Tiefe auch ihre Lieder singen, wenn die Wogen zusammenschlagen.

Aus Neid haben darum die Wassergeister den Sänger und sein Schloß in die Tiefe gezogen, wie noch jetzt alles Hohe den Neid erregt.«

Jetzt traten alle Drei in den dunkelen Wald ein. Die Erzählungen schienen den Fremden gefreut zu haben, ganz besonders aber die des älteren Wanderers. Doch äußerte er sich nicht über die beiden verschiedenen Erzählungsarten. Der Fremde sprach nur. »Seid Ihr Freunde des Liedes, so soll Euch auch Gesang erfreuen.« Sogleich erhob sich mächtiger Gesang, stärker als die Wogen des Sees und entzückender als Alles, was das Ohr der beiden Reisenden bis dahin vernommen hatte.

Als sie aber aus dem Walde heraustraten, war der Fremdling von ihrer Seite verschwunden. Seine Gestalt neigte sich wie ein Schatten über den ganzen See hin, in welchem sie endlich verschwand.

Es war kein Zweifel: der Fremdling war der Ritter selbst gewesen, ein herrlicher Minnesänger, der hier einst in seinem Schlosse von den neidischen Wassergeistern hinabgezogen war in die Tiefe und der noch viel schöner sang als die Wogen könten!

Zur Erläuterung des schönen Gedichtes kann es noch dienen, daß die zu Grunde liegende Volkssage, im Laacher See sei ein Schloß versunken, sogar auf einer geschichtlichen Thatsache beruht. Pfalzgraf Siegfried hatte nämlich die Pflicht auf sich genommen, ein Kloster am Laacher See zu bauen. Aus Reue darüber, daß er dieser Verpflichtung so lange nicht nachgekommen war, ließ er endlich selbst sein Schloß zerstören. Es war also wie in den See versunken.

Pfalzgraf Siegfried hatte die Verpflichtung das Kloster zu bauen schon durch seine Eltern Heinrich und Adelheid erhalten. Diese waren lange über den Ort, wo es errichtet werden sollte, unschlüssig gewesen. Da wurde ihnen derselbe durch höhere, himmlische Zeichen angedeutet.

Von der Burg herab sahen sie einst des Nachts das ganze waldumkränzte [141] Ufer und den See selbst von Lichtern und Flämmchen erhellt und beleuchtet. Besonders war dies in der Gegend der Fall, wo sich das Ufer westlich eine größere Strecke weit flacher als sonst hinzieht. Hier nun beschlossen sie selbst noch den Grund zu der Klosterkirche zu legen, was denn auch geschah.

[142] Genovefa (Trier und Laach).

Unter die Zahl derjenigen Frauen, welche von ihren Männern unschuldigerweise sind verfolgt worden, gehört auch die tugendreiche heilige Genovefa. Ihr Leben ist so anmutig und ihre Verfolgung so unbillig, daß die Geschichte kaum ohne Mitleid gelesen werden kann.

Sie hat sich zugetragen um das Jahr Christi 750, zu den Zeiten des Trierschen Bischofes Hidulfi. Dazumal war ein vornehmer Graf namens Siegfried in dem Trierschen Lande. Derselbige verheiratete sich mit einem sehr reichen und tugendhaften Fräulein, Genovefa genannt, Tochter des Herzogs von Brabant.

Diese beiden jungen Eheleute lebten nun in einer Liebe und Freundlichkeit beisammen zu Trier, wenn der Herr sie auch nicht sogleich durch einen Leibeserben erfreut hatte.

Zu jener Zeit fiel der König der Mohren, Abderrahman, mit einer großen Macht in Spanien ein.

Nachdem er aber dieses Land verheert hatte, gedachte er auch in Frankreich einzudringen.

Als Martellus, welcher in Franken herrschte, diese große Gefahr vor Augen sah, befahl er allen Fürsten und Grafen, daß sie ihm Hülfe bringen und mit ihm gegen den Mohrenkönig streiten sollten. Mit Karl mußte [143] auch der Pfalzgraf Siegfried zu Felde ziehen, weil das Triersche Land damals zum Reiche der Franken gehörte.

Da sich nun der Graf mit den Seinigen zum Feldzuge fertig gemacht hatte, und nunmehr von seiner lieben Gemahlin Genovefa Abschied nehmen wollte, so war es gar erbärmiglich anzusehen, wie kläglich sich diese so betrübte Frau stellete und mit ihren bitteren Zähren alle Anwesenden zum Mitleid bewegte.

Als ihr der Graf vor der Abreise die Hand reichte, wurde sie von solchem Herzeleid überfallen, daß sie halbtot vor Ohnmacht zu Boden sank. Mit traurigen Worten sprach er zu ihr: »Betrübt Euch nicht zu sehr über unsern Abschied, herzliebste Gemahlin, denn ich hoffe zu Gott, er werde uns mit Freuden wieder zusammenführen. Nächst ihm befehle ich Euch der allerseligsten Jungfrau Maria, welche Euch in meiner Abwesenheit beschützen und in Eurem Leide trösten wird. Ich lasse Euch meinen getreusten Golo, welcher Euch in meinem Namen fleißig dienen und mit allem bestens versorgen wird.«

Als ihr der Graf nun abermals die Hand reichte, fiel sie von neuem in Ohnmacht. Wie höchlich ihr Herr sich hierüber betrübt habe, ist leicht zu erachten. Deswegen wendete er sich um und ritt bitterlich weinend von dannen.

Da er nun mit den Seinigen in dem königlichen Lager angekommen war und alle Fürsten und Herren sich versammelt hatten, so zog Martellus mit einer Armee von 60000 Mann zu Fuß und 12000 Mann zu Pferde gegen das barbarische Lager der Mohren.

Diese waren viermal stärker, und dennoch gab Gott den Franken großes Glück. Ihre Scharen schlugen so herzhaft zu, daß 365000 Mohren auf dem Platze blieben, dahingegen der Christen nicht mehr als 1500 umkamen.

Der König der Mohren begab sich mit den Trümmern seines Heeres in die Stadt Avignon.

In ihr wehrte er sich so tapfer, daß die Belagerung durch die Christen sehr lange währte; so geschah es denn, daß die Heimkehr des Pfalzgrafen Siegfried sich um ein ganzes Jahr verzögerte.

Darüber war die Pfalzgräfin Genovefa hochbetrübt. Auf der ganzen [144] Welt fand sie keinen anderen Trost als in Gott und im Gebet. Alle ihre Untergebenen trieb sie zur Andacht an und gab ihnen ein hohes Beispiel durch ihr frommes und tugendhaftes Leben. Darum wurde sie vom Satan verfolgt, welcher sie bei aller Welt in Schanden zu bringen suchte. Und hierzu mußte ihm Golo, der Hofmeister des Grafen, als Mittel dienen.

Denn siehe, da dieser böse Mann, welcher sich gegen Siegfried immer verstellt hatte, der Genovefa auf Befehl ihres Gemahles täglich aufwarten mußte, so gab ihm der Teufel gar böse Gedanken gegen sie ein. Er wollte sie zur Untreue gegen ihren Gemahl verleiten.

Als er die brave Frau solches merken ließ, sprach sie mit zornigen Worten zu ihm:

»Schämst Du Dich denn nicht, Du leichtsinniger Diener? Ist das die Treue, welche Du dem Pfalzgrafen versprochen hast? Willst Du ihm keinen andern Dank für seine Liebe erweisen? Sei nur nicht so frech und vergiß nicht, daß Du Dich strenger Zucht und Ehrerbietung der Gemahlin Deines Herrn gegenüber zu befleißigen hast. Sonst muß ich selbst Sorge tragen, daß Dir die rechte Strafe für Dein Benehmen von Deinem Herrn zugeteilt wird.«

Da erschrak der gottlose Golo, und, ohne seine Gedanken zu beherrschen, nahm er sich doch vor, sie mehr zu verbergen.

Genovefa aber meinte, ihre Reden hätten den bösen Menschen wirklich gebessert. Nun hatte sie kürzlich für ihren Gemahl ihr Bild malen lassen. Da fragte sie den Golo, ob er meine, daß diesem schönen Stücke noch etwas mangele.

Da antwortete er: »Wiewohl diesem Bilde keine Schönheit mag beikommen, so vermeine ich dennoch, es gehe ihm eins ab: es müßte lebendig sein und mir eigentümlich zugehören.«

Genovefa erbleichte bei diesen Worten. Sie zeigte ihm ein zorniges Antlitz und erteilte ihm einen harten Verweis, so daß er beschämt davonging.

Aber mehr denn je beherrschte ihn der Wunsch, die schöne Gräfin sich geneigt zu machen. Einst spazierte diese im Garten allein nach dem Abendessen. Da machte sich der Hofmeister allgemach näher zu ihr. Der Satan hatte seine Sinne nun ganz und gar gefangen genommen, und so erdreistete [145] er sich, seiner Herrin seine Liebe in gleißenden Worten zu verraten und sie aufzufordern, ihres abwesenden Gemahles nicht mehr zu gedenken.

Da wurde Genovefa so entrüstet, daß sie einen Eid leistete, sie würde es gewiß ihrem Herrn berichten, wofern er noch ein einziges mal in solcher Weise sich ihr zu nahen suche.

Von da an verwandelte sich Golos unlautere Zuneigung zu seiner Herrin in Haß. Er hatte nur noch den einen Gedanken, wie er sich an der Gräfin rächen könnte.

Wie er nun lange Zeit auf ihr Thun und Lassen fleißig Achtung gegeben hatte, so vermerkte er endlich, daß sie dem Koche Dragones, welcher in seiner Einfalt ein sehr frommer und andächtiger Mann war, sehr wohl wollte.

Die Gräfin erzeigte sich dem gottseligen Menschen mehr als anderen bei Hofe gewogen, wie sie denn überhaupt allen frommen Leuten zugethan war.

So oft Dragones vorüberging, sprach sie ihn an. Wo sie ihm einen Gefallen thun oder in einer Widerwärtigkeit trösten konnte, da geschah es.

Aber die Hochachtung oder die ehrbare Liebe, die sie dem kindlichen Dragones so gern bewies, legte der falsche Golo in seinem Sinne aus und hoffte alsbald, deshalb bei dem Grafen eine Anklage gegen die Gräfin vorbringen zu können.

Zuerst sagte er seinen vertrautesten Freunden, daß das Verhalten der Gräfin gegen den Koch verdächtig wäre. Er meinte auch, sie sollten nur aufmerken, wie sie demselben mit Worten gar freundlich begegne, wenn er vorüberginge, so würden sie sich wohl bald klar machen können, was von dieser Vertraulichkeit zu halten sei.

So brachte denn Golo nach und nach die Gräfin bei etlichen ihrer Diener in Verdacht. Sie hatten keine Ahnung von Golos heimlichen Anschlägen gegen des Grafen Gemahlin, und sie bedachten auch nicht, daß gerade die Offenheit all ihres Thuns ihre Lauterkeit und Unschuld bekundete. Da sagte Golo eines Tages dem Koche Dragones heimlich, die Gräfin begehre seiner auf ihrem Zimmer. Als nun der arme Tropf solches glaubte und die Gräfin auch dort einige huldvolle Worte an ihn richtete, so kam [146] ihm der Hofmeister bald nach und that, als hätte er eine Entdeckung gemacht, die der Gräfin zum Vorwurf gereiche.

Er ging ohne ein Wort zu sprechen wieder hinaus. Der Koch aber, weil er vernommen hatte, daß seine Frau ihn nicht hatte rufen lassen, folgete ihm auf dem Fuße nach.

Doch Golo erhub alsbald ein Geschrei, berief seine Vertrauten und erzählte mit großem Zorn, daß er den Koch auf dem Zimmer der Gräfin mit ihr allein gefunden habe.

»Was ratet Ihr dazu, meine lieben Freunde?« sprach Golo nun, »kommen wir dem Übel nicht zuvor, so wird noch ein größeres daraus erwachsen. Wie mögen wir aber dann bei der Rückkehr unseres lieben Herrn bestehen? Gewiß hat der Koch unserer Herrin mit einem Zauber durch die von ihm bereiteten Speisen es angethan. Nun will sie nicht von ihm lassen und wenn es ihr Ehre und Leben kosten sollte. Darum, so vermeine ich, es werde nötig sein, den Koch in ein Gefängnis zu werfen. Was dünket Euch, Ihr meine lieben Freunde, und was erteilet Ihr mir in diesen gefährlichen Angelegenheiten für einen Rat?«

Darauf antworteten sie, weil ihm der Graf die Sorge für die Gräfin aufgetragen habe, so möge er immerhin thun, was ihm selber am ratsamsten erscheine.

Da ließ der Hofmeister den Koch vor sich berufen, fuhr ihn mit rauhen Worten an und warf ihm vor, daß er der Gräfin verzauberte Pulver in die Speisen gethan und sie mit Gewalt sich wohlgeneigt gemacht habe. Darum sei er wert, daß er in Eisen geschmiedet und in den tiefsten Turm geworfen würde.

Darüber war der arme Dragones von Herzen erschrocken und beteuerte bei Himmel und Erde seine und der edlen Gräfin Unschuld.

Der arme Mensch mochte aber sagen, was er wollte, so ward er doch in eiserne Bande geschmiedet und in ein Gefängniß geworfen, in welchem er sein Leben im höchsten Elend verzehren mußte, auch nicht eher wieder herausgekommen ist, bis man ihn tot herausgetragen hat.

Aber mit solcher Tyrannei war der gottlose Golo noch nicht einmal zufrieden, denn er stürmte mit etlichen seiner Gesellen in das Zimmer der Gräfin, sagte, daß er lange genug zugesehen habe, was für verdächtige [147] Gemeinschaft sie mit dem Koch gehalten, daß er aber solches Übel nicht länger dulden könne, woferne er bei seinem Grafen und Herrn bestehen wolle.

Darum solle sie in ein Gefängnis geworfen und nicht eher als auf Befehl ihres Herrn wieder herausgelassen werden.

Nun hoffte aber Genovefa zum ersten Male ein Kindlein zu bekommen, und während sie bisher voller Freude ihres Gemahles Heimkehr entgegengesehen hatte, so wurde sie nun ohne das geringste Vergehen, ja, um ihrer Tugendhaftigkeit willen, von ihrem eigenen Diener gefangen geführt und in den Turm eingeriegelt.

Wie schmerzlich sie da dem lieben Gott ihre Unschuld geklagt hat, das haben die heiligen Engel wohl in Obacht genommen.

In dem Turme aber ging niemand aus und ein als die Amme des Hofmeisters. Dieses alte Weib mußte der Gräfin in ihrer Gefangenschaft tagtäglich eine ganz geringe Nahrung bringen.

Außer ihr besuchte sie noch zum öfteren der Hofmeister, immer noch hoffend, ihr reines Herz zu bethören.

Es half ihm jedoch alles nichts. Die edle Gräfin wollte tausendmal lieber sterben, als von Tugend und Treue lassen.

Endlich mußte auf Anstiften Golo's das schlechte Weib, seine Amme, versuchen, ob sie durch Versprechung besserer Behandlung und Pflege die Gräfin nicht anderen Sinnes machen könne. Allein Genovefa wollte lieber im Kerker verhungern, als Gott erzürnen.

So lebte die treue Gemahlin des Grafen eine Zeit lang. Da kam der Tag, da Gott ihr ein Knäblein schenkte. Die Alte gab ihr nicht einmal eine Windel, um ihr Neugeborenes dareinzuwickeln.

Sie wickelte es deshalb in eine Serviette. Vergebens bat sie, daß das arme Kindlein zur heiligen Taufe getragen würde. Endlich taufte sie es selbst und nannte es mit Namen Schmerzenreich.

Dabei sprach sie: »Billigerweise nenne ich Dich, meinen lieben Sohn, Schmerzenreich, weil Du unter so vielen Schmerzen das Licht der Welt erblickt hast. Mit noch viel größeren Schmerzen werde ich Dich erziehen, mit den allergrößten Schmerzen aber werde ich Dich vielleicht verschmachten sehen, denn wie werde ich Dich als einen Säugling erhalten können, da [148] ich selber kaum habe, davon ich mein Leben fristen mag? Ach armer Schmerzenreich, ach armes unglückliches Kind!«

Golo erhielt nun durch die Alte die Zeitung, daß nunmehro in dem Kerker zwei Gefangene lägen. Wohl wurde er für sie um eine Labe gebeten, damit die edle Frau sich selbst und den neugeborenen Grafen erhalten könne. Allein der heillose Verbrecher hatte kein Erbarmen. Er wollte nur verhindern, daß sie vor Mattigkeit stürbe. Darum befahl er ihr etwas mehr Brot zu geben als vorher, aber außerdem nichts als Wasser, wozu er sie dann noch täglich mit seinen Scheltworten und Schmähreden speisete.

Bis zu dieser Zeit hatte aus Furcht vor dem Hofmeister noch niemand über alle diese Vorfälle dem Grafen etwas berichtet. Nun war die Heimkehr des Grafen aber auch noch dadurch verzögert worden, daß er bei Avignon einen Pfeilschuß erhalten hatte, welcher nur langsam heilte. So schickte denn Golo, da schon das Kind nicht weniger als zwei Monate alt war, einen Boten, welcher dem Grafen die nötigsten Nachrichten brachte.

»Gnädigster Herr,« schrieb Golo, »Euer Gnaden belieben von dem Boten, welchen ich sende, sich mündlich berichten zu lassen, was hier geschah und in seine Erzählungen keinen Zweifel zu setzen. Mir aber, als Eurem getreusten Diener, wollen Euer Gnaden kund thun, wie ich mich in der schweren Sache, über welche nun der mündliche Bericht von dem treuen Boten erfolgen wird, zu verhalten habe.«

Durch solchen Brief geriet Graf Siegfried alsobald in die größte Aufregung, zumal da auch seine Wunde, welche er in Languedoc heilen lassen wollte, immer noch nicht vernarbt war. Als nun gar der von Golo bestochene Bote die schändlichsten Lügen von der Gräfin und dem armen unschuldigen Koch Dragones vorbrachte, auch dabei erzählte, des Grafen treulose Gemahlin habe einen Sohn bekommen, der nun gerade einen Monat alt sei, da kannte des armen Grafen Zorn keine Grenzen mehr.

Alsobald fing er an zu wüten und lästerte den Koch sammt der Gräfin. »Du verfluchtes Weib,« sagte er, »darfst Du die angelobte Treue so schändlich zerbrechen? O Du meineidige Frau, wie hast Du Dich so schändlich bei mir angestellt, als wenn Du gar ehrbar und heilig wärest!«

Nun besann sich der Graf hin und her, wie er die Untreue seiner Gemahlin am besten bestrafen könne. Endlich schickte er den betrüglichen [149] Diener dem teuflischen Golo mit dem Befehle zurück, die Gräfin solle so eng eingeschlossen werden, daß niemand mit ihr reden noch zu ihr gelangen könne. Den schalkhaften Koch aber solle Golo mit solchen Martern hinrichten lassen, wie er wüßte, daß seine Missethat verschuldet hätte.

Mit solchem ungerechten Urteile kehrte der Diener eilends zurück. Bei dem bösen Hofmeister verdiente er großen Dank, denn vortrefflich hatte er seinen Auftrag ausgerichtet. Indessen vertraute Golo seiner bösen Sache so wenig, daß er den armen unschuldigen Koch nicht einmal öffentlich hinrichten lassen wollte. Vielmehr ließ er ihm bloß Gift in seine Speisen mengen, und ihn, da er gestorben war, mitsammt den Ketten und Banden, darinnen er gefangen war, in einen Sumpf werfen und etwas Erde darüber schütten. Die unglückliche Gräfin konnte nicht mehr enger gefangen gesetzt werden, als sie schon vorher eingeschlossen war.

Aber das ärgerte nun eben den schändlichen Golo. Dabei mußte er jedoch fürchten, daß seine böse Falschheit und List noch einmal möchte an den Tag kommen. Freilich hatte der bestochene Diener dem Grafen gesagt, daß alle Hofleute von der Untreue der Gräfin überzeugt wären. Aber dem war schlechterdings nicht also. Da nun gar der fromme Koch vergiftet und die edle Gräfin ihres schweren Gefängnisses nicht erledigt war, so waren ihrer viele bei Hofe, welchen solche Unbill mißfiel und die laute Klagen dagegen führten. Golo fürchtete, daß alle diese schwachen Menschen endlich ihre laute Stimme erheben würden, um die tugendhafte Genovefa aus dem Kerker zu erretten, sobald der Graf Siegfried zurückgekehrt wäre.

In dieser seiner Angst wurde nun dem Hofmeister Golo auch noch berichtet, daß der Graf von Karl Martel einen gnädigen Abschied erhalten habe und schon nach Trier unterwegs wäre. Da brach dem Golo der kalte Schweiß aus und mußte sich kurz besinnen, wie er sich in dieser gefährlichen Sache verhalten sollte.

Er setzte sich also selber eilends auf ein Pferd, jagte seinem Herrn entgegen und gelangte nicht eher zu ihm, als bis der Pfalzgraf schon zu Straßburg eingeritten war. In selbiger Stadt aber wohnete eine alte Hexe, die gab sich mit dem Scheine der Heiligkeit für eine gar gottselige Matrone aus. Dem losen Golo war sie schon seit vielen Jahren bekannt, [150] denn sie war die Schwester von Golos böser Amme. Zu ihr ging der Bösewicht zuerst, erzählte ihr alles und sagte, gegen Abend werde er mit dem Grafen wiederkehren. Dann solle sie ihm ein Gespenst vorspiegeln, damit er glaube, was ihm von Golo fälschlich berichtet worden sei.

Hierauf gab er ihr ein gutes Stück Geld und verfügete sich alsbald dahin, seinen gnädigen Herrn Grafen zu bewillkommnen. Kaum aber hatte er denselben begrüßet, so nahm ihn der Graf bei Seite und verlangte von ihm völligen Bericht alles dessen, was sich in seinem Hause zugetragen habe. Da brach der Bösewicht aus Angst vor Strafe, die er selbst verdienet hatte, in Zähren aus und seine Thränen mußten seinen Lügen einen Schein von Wahrheit geben. Ja, sein Zittern um sein Leben, daß nur von Furcht vor dem wohlverdienten Tode und Gericht herrührte, konnte der Graf nicht anders deuten, als ob der treue Haushalter ganz zerknirscht wäre, weil er gezwungen würde, so unerhörte Dinge von seiner gnädigen Frau zu berichten. Er sagte auch, daß er den Koch Dragones um der Gräfin willen nicht habe vor Gericht gestellet, sondern nur heimlich hinrichten lassen.

Indessen forschte doch der Graf immer peinlicher nach allen Umständen und Beweistümern und Golo mußte endlich befürchten, daß er sich mit seinen eigenen Worten widersprechen und eine Schlinge bereiten werde. Darum sagte er, es sei zu Straßburg eine gar heilige und in aller Offenbarung verborgener Dinge hochberühmte Matrone. Solche wolle der Graf umständlich befragen, so werde er einen völligen Bericht über den völligen Verlauf der Sache empfangen.

Da ging der Graf bei anbrechender Nacht mit Golo zu dieser Hexe und gestand ihr, daß er seine eigene Ehehälfte in einem schlimmen Verdacht habe, worüber er von ihr als einer weisen Frau Auskunft verlange.

Nun führete sie die Zauberin in einen düsteren Keller, darinnen ein grünes Licht brannte, so einen blauen Schein von sich gab. Mit einem Stecken machte sie zween Kreise auf den Boden und stellete in den einen, den Grafen, in den anderen den Golo. Darnach aber warf sie einen Spiegel in ein Geschirr voll Wasser, drehte sich zu dreien malen vor dem Geschirr herum, hauchete dreimal hinein, rührete es mit ihren Händen um und machte wunderliche Zeichen darüber.

[151] Da mußte der Graf in den Spiegel sehen und schaute Genovefa, wie sie gar unschuldig neben dem Koch Dragones stand.

»Ist nichts Unrechtes,« sagte der Pfalzgraf.

»So wollen wir sehen, ob es vielleicht Gott gefällt, ein Mehreres zu zeigen,« sprach die Heuchlerin.

Sie wiederholete nun zu mehreren malen ihre schändlichen Zauberkünste und machte dem edlen Pfalzgrafen endlich ein solches Blendwerk vor, daß er vor Wut schäumte und befahl, Golo solle nach Trier voraus reiten und ehe sein Herr dort seinen Einzug halten würde, Genovefa sammt ihrem Kinde hinrichten lassen.

Da jagte der böse Hofmeister nach Trier, wagte aber wiederum nicht, die Pfalzgräfin öffentlich hinrichten zu lassen. Als er sich mit seiner schändlichen Amme beriet, wie er die edle Genovefa mit ihrem Knäblein vom Leben zum Tode bringen wollte, hörte ihn das kleine Töchterlein dieses bösen Weibes, welches der armen Genovefa mehr ergeben war als der eigenen gottlosen Mutter.

Dieses kleine unschuldige Mägdlein verfügete sich sogleich zu Genovefas Kerker, stellte sich vor das Fenster, dadurch man das Brot und das Wasser hineinreichte und weinete so bitterlich, daß die Gräfin davon erschreckt wurde. Sie fragte das Mädchen, warum es so weine. Da erzählte das Kind alles. Die Gräfin aber wehklagte, und als sie wieder etwas ruhiger geworden war, so ließ sie sich von dem Mägdlein aus ihrem Zimmer etwas Feder, Dinte und Papier bringen. Da schrieb sie einen Brief an ihren Gemahl, berichtete ihm Alles und ließ ihn von dem Kinde wieder heimlich auf ihr Zimmer tragen, wofür sie sich von ihren Kleinodien nehmen sollte, so viel als sie nur möchte.

Die ganze folgende Nacht brachte Genovefa im eifrigen Gebete zu und befahl Gott ihr Leben und ihr Sterben. Des Morgens früh berief Golo zween seiner getreusten Diener, eröffnete ihnen den ernstlichen Befehl seines Herrn und befahl ihnen die Gräfin sammt dem Kindlein in einen Wald hinauszuführen und zu töten und zum Zeichen des vollbrachten Befehles ihre ausgestochenen Augen und Zunge mitzubringen.

Die Diener nahmen den Befehl billiglich an, gingen alsbald zu der Gräfin in das Gefängnis, legten ihr ein schlechtes Kleid an, bedeckten ihr [152] Angesicht, damit man sie nicht erkennen konnte und befahlen ihr mit aller Stille ohne einiges Geräusch hinauszugehen.

Da ging nun die arme Gräfin wie ein unschuldiges Schäflein zur Schlachtbank und that den Mund nicht auf. Das arme unschuldige Lämmlein trug sie auf ihren Armen, drückte dasselbe ohne Unterlaß an ihr Herz und hatte mehr Mitleiden mit demselben als mit ihrem eigenen Tode.

Im Walde angekommen, ergriffen die Diener zuerst das unschuldige Kind, zogen die Messer heraus, und wollten ihm die Gurgel abstechen. Da schrie Genovefa mit beweglicher Stimme: »Haltet ein, o haltet ein, Ihr lieben Leute, und wenn Ihr ja das arme Kind wollt töten, so bringt doch mich zuvor um, damit ich nicht gezwungen werde, doppelt zu sterben.« Da wollten die Diener sie zuerst töten. Nun rief Genovefa: »O Ihr lieben Leute, ich bin zwar bereit zu sterben, aber wenn Ihr mich umbringet, so wird mein unschuldiges Blut über Euch Rache schreien.«

Die Herzen der Diener wurden durch diese Worte so tief ergriffen, daß ihnen unmöglich war, der Gräfin ein Leid anzuthun. Sie sprachen daher: »Gnädige Frau, wir wollten Euch gern das Leben schenken, wofern uns nicht von dem Hofmeister befohlen wäre, bei Todesstrafe Euch hinzurichten. Dennoch aber, wofern Ihr uns versprechen wollet, nimmer an Tag zu kommen, sondern Euch in dieser oder in einer anderen Wildnis aufzuhalten und unser in Eurem Gebete eingedenk zu sein, so wollten wir Euch und das Knäblein am Leben lassen.«

Dann stachen sie einem Windspiel, das mit ihnen gelaufen war, die Augen und Zunge aus und brachten dieselben ihrem Herrn Golo zum Beweise ihrer Mordthat. Golo aber begehrte dieselben nicht anzusehen, sondern befahl, sie den Hunden vorzuwerfen.

Genovefa hatte schwören müssen, in der Einöde zu bleiben. Sie brachte die erste Nacht in großer Angst ohne einigen Schlaf zu. Sie hatte den ganzen vorigen Tag weder gegessen noch getrunken und den anderen Tag war der Hunger bei ihr so groß, daß sie genötigt wurde, rohe Wurzeln auszurupfen und zu essen.

Den dritten Tag ging sie noch weiter in die Wildnis hinein und suchte so lange, bis sie eine steinerne Höhle und nächst dabei ein kleines Wasser fand. Dies nahm sie als einen ihr von Gott bescherten Ort an [153] und wollte ihr übriges Leben in dieser Höhle zubringen. Sie machte sich ein Bett von Laub und Ästen der Bäume. Sonst hatte sie nichts mehr außer den Wurzeln, was zu ihrer Lebensnahrung vonnöten war. Weil sie aber ein so kümmerliches Leben führen mußte, vermochte sie bald ihr liebes Kindlein nicht mehr zu säugen.

Dieses unerträgliche Leid konnte sie nicht länger mehr ansehen. Sie legte das sterbende Lämmlein unter einen Baum. Allda knieete sie nieder mit erhobenen Händen und betete, daß Gott ihr Kindlein erhalten möchte.

Sogleich kam eine Hirschkuh zu ihr, welche sich als ein zahmes Vieh anstellte und freundlich um sie her strich, als wollte sie gleichsam sagen, Gott habe sie dahergesendet, daß sie das Kindlein ernähren solle. Die betrübte Mutter erkannte sogleich die Fürsehung Gottes und ließ das Kind so lange an der Hirschkuh saugen, bis es wieder Kraft bekam. Durch diese himmlische Wohlthat wurde die liebe Genovefa so sehr erfreut, daß sie mit vielen süßen Zähren Gott danksagte und um Fortsetzung dieser Güte demütig anhielt.

Ihr Gebet wurde erhöret und die Hirschkuh kam täglich, so lange sie in der Einöde waren, zweimal das Kind zu säugen. Dies war nun die einzige Nahrung, welche das unschuldige Kind sieben Jahre lang empfing, da währenddem seine gute Mutter nur von Wurzeln und Kräutern lebte. Ihre Kammerjungfrauen hatte sie vertauscht mit den unvernünftigen Tieren, ihr sanftes Ruhebette mit hartem Laub und Reisern.

Im Sommer war zwar ihr Elend einigermaßen erträglich; wenn sie aber im Winter trinken wollte, mußte sie das gefrorene Eis im Munde behalten, bis es schmolz; wenn sie Wurzeln haben wollte, mußte sie den Schnee fortschaffen und gar mühselig mit einem Stücke Holz in die Erde graben; wenn sie sich erwärmen wollte, so mußte sie ihre eiskalten Hände so lange zusammenschlagen, bis sie in etwas erwärmt wurden. Ach Gott, wie müssen dieser verlassenen Gräfin die Winternächte so lang worden sein! Wer will aber leugnen, daß, wenn die Mutter so untröstlich weinete, das arme Kind nicht auch mit ihr getrauert habe? Sie brachte die meiste Zeit im Gebet zu und übte sich je länger je mehr in der Andacht göttlicher Liebe.

Einstens, als sie bei ihrer Höhe knieend ihre Augen starr gen Himmel gerichtet hatte, sah sie einen Engel von der Höhe zu ihr herabfliegen, welcher [154] ein gar schönes Kreuz in den Händen trug, daran der gekreuzigte Christus aus schneeweißem Elfenbein so künstlich gebildet war, daß man leichtlich erachten konnte, solche Arbeit wäre von Engelshänden gemacht worden. Denn die Gestalt Christi war so beweglich ausgearbeitet, daß sie niemand ohne herzliches Mitleiden anschauen konnte. Dieses himmlische Kreuz reichte ihr der Engel und sprach mit freundlichen Worten zu ihr: »Nehme hin, Genovefa, dies heilige Kreuz, welches Dir Dein Erlöser zu Deinem Troste herabsendet.«

Nachdem der Engel verschwunden war, stellte das Kreuz sich auf einen Altar in ihrer Höhle, welchen die Natur selbst hervorgebracht hatte. Sie fiel oft vor diesem Kreuze demütig nieder. Im Anschaun des Leidens Jesu Christi fand sie ihren Trost. Im Sommer zierte sie das Kreuz mit grünem Laube und feinen Waldblumen, im Winter mit Tannen, Walddisteln und Wachholderstauden.

Es war aber erbärmlich anzusehen, daß das arme Kind meist nackend und barfüßig ging, darum schickte unser lieber Gott einen Wolf dahin, welcher eine Schafshaut im Maule trug und dieselbige vor dem lieben Kinde fallen ließ. Die Mutter nahm das Geschenk dankbar an und wickelte den kleinen Schmerzensreich hinein, so gut als sie konnte.

Es fingen auch die wilden Tiere von der Zeit an, mit ihnen ganz vertraut zu werden, daher sie täglich zu ihnen kamen und dem lieben Kinde manche Kurzweil machten. Es ritt vielmal auf dem Wolfe, der ihm das Schaffell gebracht hatte, und spielete öftermal mit den Hasen und anderen Tieren, so allda herumliefen. Die Vögel flogen ihm auf Haupt und Hände und erfreuten Mutter und Kind mit ihrem lieblichen Gesange. Wenn der Knabe ausging, für die Mutter Kräuter zu suchen, so liefen unterschiedliche Tiere mit ihm und zeigten ihm mit ihren Füßen, welches gute Kräuter waren.

Einstens sagte der liebe Schmerzenreich zu Genovefa: »Mutter, Ihr befehlet mir so oft, ich sollte sagen: Vater unser, der Du bist in dem Himmel. Saget mir doch, wer ist denn mein Vater?«

»Liebes Kind,« sprach die Mutter, »Dein Vater ist Gott droben, da Sonne und Mond scheinet.«

Das Kind sprach: »Kennet mich auch mein Vater?«

[155] »Freilich,« antwortete die Mutter, »kennet er Dich und hat Dich auch herzlich lieb.«

»Wie kommt es,« sagte das Kind, »daß er mir nichts Gutes thut und mich also in der Not lässet?«

»Mein lieber Sohn,« sagte sie, »wir sind hier im Jammerthale und müssen leiden; wenn wir aber in den Himmel kommen, alsdann werden wir alle Freuden haben.«

Der Sohn fragte weiter: »Liebe Mutter, hat mein Vater noch mehr Söhne neben mir? Wo sind sie denn? Ich meinete, wir wären allein in der Welt.«

Sie sagte: »Ob Du schon niemals aus diesem Walde kommen bist, so solltest Du doch wissen, daß außerhalb dessen viel Städte und Länder sein, darinnen allerhand Leute wohnen, deren etliche Gutes thun. Die anderen aber, die Böses thun, kommen in die Hölle, darinnen sie ewig braten werden.«

Der Knabe sprach endlich: »Mutter, warum gehen wir nicht zu den anderen Leuten? Was thun wir in diesem Wald allein?«

Genovefa antwortete: »Wir sind hier, damit wir unserem himmlischen Vater desto besser dienen und desto höher im Himmel kommen mögen.«

Damit sie keine Weltlust in ihm erweckte, sagte sie ihm nicht, von welchem mächtigen Geschlecht er geboren wäre. Erst als sie einmal erkrankte und zu sterben vermeinete, worauf dann Schmerzenreich mit Zittern und Zagen sie bat, daß sie ihn nicht allein in dem Walde zurücklassen möchte, sagte sie ihm, daß zwei Meilen von ihrer Höhle hinter diesem Walde auf der Pfalzgrafenburg bei Trier auch sein irdischer Herr Vater wohne, der ihn mit Lust für seinen Sohn erkennen werde, da er ihm sehr ähnlich sähe.

Darnach glaubte sie augenblicklich zu sterben. Nun aber kamen zwei glänzende Engel in die Höhle, deren einer sie mit der Hand berührend sprach: »Du sollst leben, Genovefa, und jetzt noch nicht sterben; denn also ist der Wille des allerhöchsten Gottes.« Auf welche Worte sie gleich verschwanden und die Gräfin ganz gesund hinterließen.

Nun lebte aber Graf Siegfried schon lange wieder am Hofe zu Trier. Als er von Straßburg dahin zurückgekommen war, hatte er die Vorsicht [156] seines Hofmeisters gelobt, der, wie er vermeinte, Mutter und Kind in der Stille hatte hinrichten lassen. Aber kurze Zeit darauf fing dem Grafen das Gewissen an zu schlagen. Einst sah er im Schlaf, wie ihm ein Drache seine geliebte Gemahlin vor seinen Augen hinweg riß. Aber dieser Traum, welcher auf Golo ging, wurde von diesem arglistigen Manne am andern Morgen selbst so ausgelegt: »Der Drache bedeutet den Koch Dragones, der Euch, gnädigster Herr Pfalzgraf, das Herz der Gräfin entrissen hat.«

Eines Tages kam der Graf in das Zimmer seiner Gemahlin und fand unter anderen Schriften denjenigen Brief, den sie in dem Kerker, ehe sie sollte ausgeführet werden, geschrieben hatte. Als er den Brief gelesen hatte, wurde der Graf gegen Golo so erzürnt, daß er ihn auf der Stelle durchstochen hätte, wenn derselbe gegenwärtig gewesen wäre. Aber der arglistige Golo erfuhr es von anderen Hofbedienten, machte sich einige Tage aus dem Staube und kam nicht eher wieder, als bis er vernahm, daß der erste Zorn des Grafen verraucht wäre. Alsdann sagte er zu seinem Herrn: »Genovefa bezeugt in dem Briefe, sie sei unschuldig. Ei wohl, eine schöne Verantwortung! Wenn das Leugnen genug ist, so sind alle Diebe die unschuldigsten Leute auf der Welt!«

Mit dergleichen Worten besänftigte er den Grafen und brachte sich selbst wieder zu den vorigen Gnaden. Damit der Graf seine traurigen Gedanken möchte in den Wind schlagen, suchte der Golo auf, was er wußte, das den Grafen belustigen konnte. Allerhand Kurzweil richtete er an, als gegenseitiger Besuch der Freunde, Tanzen, Gastereien und Rennen.

Endlich stellte er dem Grafen vor, daß so lange kein großes Jagen in seinen Wäldern abgehalten sei. Der Graf hatte dem Golo immer wieder seine Verleumdung geglaubt, die er gegen die unschuldige Genovefa ausgesprochen hatte, denn wenn er Zweifel in Golos Worte setzte, so mußte er sich selbst große Schuld beimessen an dem vermeinten Tode der Genovefa und ihres Sohnes. Darum fand er noch immer einen Trost darin, wenn er dem verhaßten Golo glaubte und verschmähte es auch nicht, mit diesem Bösewichte den rauschenden Vergnügungen nachzugehen, welche auf seinen Schlössern an der Mosel und dem Rheine niemals heimisch gewesen waren, so lange als Genovefa bei ihm war. So willigte er denn auch ein, daß dieses große Jagen in dem Walde veranstaltet wurde.

[157] Er trennte sich jedoch während desselben gänzlich von Golo, und da dieser bemerkte, wie wenig sein Gebieter sich wieder zu ihm hingezogen fühlte, verfolgete er mit sonderlichem Eifer eine weiße Hirschkuh. Dies war aber dasselbe fromme Tier, welches den armen Schmerzenreich von Anfang an in dem Walde ernähret hatte. Unablässig jagte Golo hinter der Hirschkuh her, bis dieselbe in die Nähe von Genovefas Höhle gelangte, wo sie dann zur Seite abbog und zwischen den Felsen verschwand. Golo und seine Hunde aber waren wie verblendet, indem sie an dieser Höhle vorbei wieder ins Dickicht hineinstoben, ohne den Seitensprung des frommen Tieres zu bemerken oder zu wittern.

Genovefa erschrak sehr, als sie, vor dem Crucifix knieend, das fromme Tier ganz plötzlich so atemlos in der Höhle erblickte. Sie stellte sich an den Eingang der Höhle, und wie klein diese Felsenspalte auch war, so war sie doch groß genug, daß sie das Gesicht des fürchterlichen Golo erkennen konnte, der eben auf das Dickicht an der entgegengesetzten Seite zustürmte.

So schwer es nun auch Genovefa ankam, sich von dem Cruzifix, welches in dieser Höhle befestigt war, zu trennen, so hielt sie doch nach dem schauderhaften Anblick des Hofmeisters Golo und nach der ganzen geräuschvollen Jagd in diesem Walde ihre, sowie ihres Sohnes und der Hirschkuh Sicherheit gefährdet. Sie beschloß also mit Schmerzenreich diese Gegend zu verlassen und eine weiter von Trier entfernte Wildnis aufzusuchen.

Am andern Morgen brachen sie auf. Die liebe Hirschkuh begleitete sie. Aber auch der zahme Wolf ging mit ihnen, mit welchem Schmerzenreich noch immer gern spielte und auf welchem er zu reiten gepflegt hatte, als er noch kleiner gewesen war. Auch die lieben Rotkehlchen und Amseln, welche ihnen bei der Höhle immer so schön gesungen hatten, blieben nicht daheim, sondern flatterten vor ihnen her, als ob sie alle mit einer Karawane in fremdes Land auszögen. Nicht minder wollten auch die Hasen und Kaninchen keineswegs zurückbleiben und wiesen auch auf der Reise dem Schmerzenreichen mit ihren Beinchen die zartesten Wurzeln und Kräuter, welche er dann für seine Mutter als Speise ausgrub.

So zogen sie freilich gar langsam dahin, und wenn der Abend hereinbrach, so ruhten Genovefa und Schmerzenreich neben der Hirschkuh und [158] den anderen vierfüßigen Tieren unter einem Baum. Die Vöglein aber setzten sich über ihnen in die Zweige und weckten am andern Morgen die Reisegesellschaft, indem sie zuerst ihr Morgenlied anstimmten.

So wanderte Genovefa sogar über die Gebirge fort. Sie kam in die Gegend von Laach und Mainfeld, wo Siegfried ererbte Schlösser und Güter besaß. Bei der jetzt sogenannten Genovefaquelle wurde sie von einem furchtbaren Unwetter überrascht. Da erblickte sie gleich daneben einen hohlen Baum. Sie flüchtete mit Schmerzenreich in denselben. Der Baum war aber so groß, daß sie sich darin wohnlich einrichtete wie einst in der Höhle. Indessen hatte Gott beschlossen, daß sie hier nach zwei Jahren vom Pfalzgrafen Siegfried aufgefunden werden sollte.

Nach jener großen Jagd bei der Steinhöhle der Genovefa hatte sich auf dem nur zwei Meilen entfernten Pfalzgrafenschlosse bei Trier folgende schreckliche Geschichte ereignet. Der Graf lag während der Nacht in seinem Schlafzimmer. Da hörte er um Mitternacht ein Gespenst mit starkem Schlage die Thür öffnen, gleich als ob es mit den Füßen schlurfend in sein Zimmer hineinging. Wiewohl nun der Graf nichts sah, so kam ihn gleichwohl eine solche Angst an, daß er nach seinen Dienern rief, welche ihm eilends zu Hülfe kamen und den Geist durch ihre Gegenwart vertrieben. Nachdem aber die Diener hinweg waren und der Graf noch voller Angst im Bette lag, kam der Geist zum andernmale, schlug die Zimmerthür auf, ging in dem Zimmer auf und ab und schleifte an Händen und Füßen eine lange Kette. Dem armen Grafen war so bange, daß ihm der kalte Schweiß ausbrach. Für Ängsten wußte er nicht, was er thun oder lassen sollte.

Da winkte ihm der Geist, und als der Graf nicht sogleich kam, drohte er ihm mit einem Finger. Also mußte der arme Graf voller Ängsten aus dem Bette steigen und mit unglaublichem Schrecken zu dem Geiste kommen.

Der Geist ging voran, winkte, er solle ihm nachfolgen und führte den Grafen an einen abgelegenen sumpfigen Ort. Allda deutete er mit dem Finger auf die Erde und verschwand ohne ein Wort zu sagen.

Der Graf rief nun abermals seine Diener, welche ihn nur mit Mühe wieder aus dem Sumpfe herauszogen. Am andern Morgen ließ er sie hier graben und aufräumen, da fanden sie einen toten Körper, der an Händen und Füßen lange Ketten hatte.

[159] Sie erkannten, daß dies der Koch Dragones war, welchen der Hofmeister Golo vergiftet hatte. Der Graf ließ die Gebeine hinwegnehmen, auf dem geweihten Kirchhofe begraben und für die arme Seele Messen lesen. Der Spuk des Kochs aber vermehrte die Gewissensangst des Grafen, denn es war ein klares Zeichen von der Unschuld des treuen Dieners. Der klarste Beweis von Golos Betruge aber war folgender:

Diejenige Zauberin, welche den Grafen zu Straßburg durch ihr Teufelsblendwerk betrogen hatte, wurde nach einer Reihe von Jahren eingezogen und gerichtlicher Weise als Hexe zum Feuer verdammt. Nachdem sie nun herausgeführt und bereits in ihre Hexenhütte war gestellt worden, bat sie die Richter, sie wollten ihr vergünstigen, vor ihrem Ende nur noch ein einziges Wörtlein zu reden.

Nachdem sie die Erlaubnis dazu erhalten hatte, sprach sie also: »Obschon ich all mein Lebtag sehr viele schwere Sünden begangen habe, dennoch schmerzet mich keine so sehr, als daß ich einstmals den Grafen Siegfried schändlich betrog und seine Gemahlin Genovefa bei ihm verleumdete, welche deswegen mit dem frommen Koch Dragones unschuldigerweise ist hingerichtet worden und mit ihrem Kinde hat sterben müssen. Ich widerrufe meine Worte und bekenne, daß die Gräfin sammt dem Koch unschuldig sind. Ich bitte auch, man wolle dem Grafen berichten und ihn wissen lassen, daß ich auf Anstiftung des Golo gehandelt habe.«

Nachdem nun dieses dem Grafen in aller Eile berichtet worden war, stellete er sich nicht anders an, als wenn er vor Leid verzweifeln wollte. Jetzt erkannte er nun ganz klar, wie ihn der verruchte Golo umgarnt und seine arme Gemahlin sammt seinem einzigen Kinde unschuldig in den Tod gejagt hatte. Die Erinnerung daran that ihm so wehe, daß er vor großem Herzeleid fast wäre von Sinnen gekommen.

Golo war jedoch, als die Nachricht aus Straßburg bei Hofe einlief und schon als das Gespenst des Koches den Grafen erschreckt hatte, bei Hofe nicht anwesend. Durch seine Helfershelfer erfuhr er aber, welche Nachrichten der Graf empfangen habe und wie dieser nun gegen ihn gesonnen sei. Darum hielt er sich zwei Jahre von Hofe entfernt, und der Graf wußte nicht, wie er diesen listigen Fuchs fangen sollte.

Nun stand der Graf damals seiner edlen Gemahlin an Frömmigkeit [160] und Wahrhaftigkeit durchaus noch nicht gleich. Darum scheute er auch keine List, um den Golo wieder in seine Gewalt zu bringen. Nach mehr als einem Jahre schrieb der Graf dem Golo zum Schein einen sehr freundlichen Brief, in welchem er sich gleichsam verwundert anstellte, warum jener ihn verlassen habe, da der Graf ihm doch alle Zeit große Liebe und Ehre erwiesen hätte.

Golo entschuldigte seine Abwesenheit mit unvermeidlichen Geschäften, die er gehabt hätte. Der Graf schrieb ihm zu unterschiedlichen Malen ganz freundlich, verbarg all seinen Widerwillen und gab ihm zu erkennen, wie sehr er nach seiner freundlichen Konversation verlangte.

Dies Briefschreiben und Antworten währte eine geraume Zeit, wodurch der Golo vermeinte, der Graf wäre ihm wieder in Gnaden gewogen. Endlich hörte der böse Mann auch, daß die Freunde des Grafen damit umgingen, ihm eine junge schöne Gemahlin antrauen zu lassen. Da zweifelte der böse Haushofmeister nicht länger, daß sein Herr nun der Genovefa und ihres Söhnleins vergessen habe.

Zu dieser Zeit hielt sich aber der Graf nicht auf der Pfalzgrafenburg bei Trier, sondern auf seinen Schlössern und Gütern bei Laach auf. Die Nachricht, welche Golo erhalten hatte, daß Siegfried sich wieder vermählen wolle, war falsch. Indessen stellte er doch auf einem seiner Schlösser am Rheine ein großes Fest an, wozu er alle Freunde, auch den Golo, einlud, der ihn sogar schon vorher wieder auf die Jagd begleiten sollte.

Der sonst so listige Fuchs war diesmal nicht gescheit genug gewesen, sondern freiwillig in das zubereitete Netz gelaufen. Der Graf hieß ihn freundlich willkommen sein und freute sich gar höchlich seiner Ankunft. Sie führten einige Tage gar freundliche Konversation und erwarteten sämmtliche Gäste.

Damit nun die vielen ankommenden Gäste desto besser traktieret würden, wollte der Graf mit einem ganz vorzüglichen Wildbret die Tafel zieren, ritt derselbe am heiligen Dreikönigstage zum angesagten Jagen hinaus, nahm, wie schon gesagt, neben vielen andern auch den Golo mit sich. Sie rannten in der Wildnis hin und her und befleißigten sich ein jeder, ein Stück Wild aufzutreiben.

[161] Der Graf ersiehet ungefähr eine treffliche Hirschkuh, setzet derselben durch Hecken und Gesträuch nach und verfolget das Wild so lange, bis es endlich zu dem hohlen Baume und der ihr bekannten Genovefa seine Zuflucht nimmt.

So kommt der Graf zu dem hohlen Baume, siehet zu demselben hinein und wird gewahr, daß ein Weib darinnen steht. Ihre alten Kleidungsstücke hatte Genovefa schon zerrissen, um den armen Schmerzenreich damit zu bekleiden, ehe der Wolf ihm das Schaffell brachte. Nach sieben Jahren aber war nicht ein Fetzen mehr von Genovefas Kleidung übrig geblieben, besonders da sie das Leinen, das sie einst auf dem Leibe getragen, schon mit zu den Windeln für den kleinen Schmerzenreich verbraucht hatte. So erschrak dann der Graf von ganzem Herzen, vermeinte, es sei ein Gespenst, bezeichnete sich mit dem heiligen Kreuze und sprach voller Ängsten: »Bist Du von Gott, so komm zu mir heraus und sage mir, wer Du seiest.«

Genovefa, die den Grafen gleich erkennet, von ihm aber nicht erkannt wurde, gab zur Antwort: »Ich bin von Gott, nur meine Kleider sind abgerissen. So Ihr dann wollet, daß ich zu Euch hinauskomme, so werfet mir ein Kleid herein.«

Der Graf warf ihr seinen Mantel hinein, darein wickelte sie sich, so gut sie konnte und ging zu ihm vor den hohlen Baum. Neben ihr stand ganz unerschrocken die Hirschkuh, welche sich von Anfang an nicht in dem hohlen Baume, wie groß er auch war, hatte verbergen können. Der Schmerzenreich war damalen nicht gegenwärtig, sondern hinausgegangen, um Kräuter und Wurzeln zu suchen.

Der Graf verwunderte sich über ihre erbärmliche Gestalt und fragte, wer sie doch sei.

Sie sprach: »Mein Herr, ich bin ein armes Weib aus Brabant gebürtig und lebe aus Not in den Wäldern, weil man mich sammt meinem armen Kinde unschuldigerweise hat umbringen wollen.«

Der Graf sprach: »Wie ist denn das zugegangen? und wie lange ist es her, daß solches geschah?«

Sie sagte: »Ich war verheiratet mit einem gewissen Herrn, dieser setzte auf mich einen Argwohn, als ob ich untreu wäre und befahl seinem [162] Hofmeister, er solle mich mit dem Kinde meines lieben Gemahles umbringen lassen. Die Diener aber schenkten mir aus Mitleiden das Leben, und ich versprach ihnen, daß ich nimmermehr vor meinen Herrn und Gemahl kommen, sondern in den Wäldern Gott dienen wollte, und das sind nun sieben ganzer Jahre.«

Über diese Rede hatte der Graf tausenderlei Gedanken. Er fing an zu argwöhnen, ob dies nicht seine Genovefa sei. Er starrte ihr ins Angesicht, konnte sie aber nicht erkennen, weil sie zu abgezehrt war.

Darum sprach er weiter zu ihr: »Meine liebe Freundin, saget mir doch: wie ist Euer Name und wie ist der Name Eures Eheherrn?«

Sie sprach seufzend: »Ach, mein Eheherr hieß Siegfried. Ich Armselige nenne mich Genovefa.«

Diese wenigen Worte erschreckten den Grafen mehr, als wenn ihn ein Donnerstreich getroffen hätte. Darum fiel er vom Pferde plötzlich zu Boden und lag auf der Erde mit seinem Angesichte, als wenn er ganz ohne Sinnen wäre. Dann richtete er sein Haupt auf und sprach auf den Knieen sitzend: »Genovefa, ach, Genovefa, seid Ihr es?«

Sie sagte: »Lieber Herr Siegfried, ja, ich bin die unglückliche Genovefa.«

Da war nun dem Grafen vor herzlichem Mitleiden nicht möglich die Zähren einzuhalten, noch vor Erstarrung ein Wort zu sprechen. Nach vielem heißen Weinen aber sprach er noch immer knieend: »Ach meine herzliebste Genovefa, wie finde ich Euch in solchem Stande? Ach, daß Gott im Himmel erbarme! Daß ich Euch Elende ansehen muß! Ich bin nicht wert, daß die Erde mich tragen soll! O wehe meiner armen Seele! Wie will ichs bei Gott abbüßen und den erlittenen Schimpf und die Schande wieder einbringen können! Verzeiht mir, o liebe Genovefa! Ich stehe nicht auf vor Euren Füßen, bis ich von Euch Gnade erlanget habe.«

Die gottselige Gräfin war durch die Worte Siegfrieds so bewegt worden, daß sie vor Mitleiden und großem Weinen nicht gleich konnte antworten.

Endlich sprach sie: »Nicht betrübt Euch, mein Herr Siegfried, nicht betrübt Euch so sehr. Es ist nicht aus Eurer Schuld, sondern aus Verordnung Gottes geschehen, daß ich in diese Wüste gekommen bin. Ich verzeihe [163] Euch von Herzen und habe Euch schon von Anfang an verziehen. Der barmherzige Gott wolle uns beiden unsere Sünden vergeben und uns seiner Gnade würdig halten.« Darauf reichte sie dem Grafen die Hand und hob ihn von der Erde auf.

Hier stand nun der betrübte Graf, anschauend das abgemagerte Angesicht, und meinete, sein betrübtes Herz müßte ihm vor Mitleiden zerspringen, weil das holdselige Angesicht, welches vor Zeiten den Engeln geglichen hatte, jetzt so entstellt aussah. Er spürte solche Ehrerbietung gegen Genovefa, als ob er vor einer großen himmlischen Heiligen stände. Wiewohl sie ihm alle Freundlichkeit erzeigte, so konnte er doch vor Ehrfurcht kaum mit ihr reden.

Doch sprach er nach einigen tiefen Seufzern wieder zu ihr: »Wo ist denn das arme Kind hingekommen, das Ihr im Kerker bekommen habt? Ist es denn nicht mehr am Leben?«

Sie antwortete: »Daß es noch lebet, ist ein großes Wunder von Gott. Der gütige Gott hat mir dieses Wild geschicket, welches das Kind täglich zweimal gesäuget und also aufgezogen hat.«

Indem sie dieses redete, kam der liebe Schmerzenreich in seine Schafshaut eingewickelt barfuß daher und hatte seine beiden Hände voll wilder Wurzeln. Als er aber den Grafen bei seiner Mutter sah, wurde er erschrocken und rief: »Mutter, was ist das für ein wilder Mann, der bei Euch stehet? ich fürchte mich vor ihm.«

Die Mutter sprach: »Fürchte Dich nicht, mein Sohn, komm nur geschwind her, der Mann thut Dir nichts.«

Unterdessen sprach der Graf zu Genovefa: »Ist das unser lieber Sohn?«

Sie sprach: »Ach, daß Gott erbarm! Das ist das arme Kind.«

Sollte nun nicht dem Grafen das Herz zersprungen sein, als er seinen einzigen gräflichen Sohn in solchem Elende daherkommen sah? Leid und Freude waren so groß bei ihm, daß er selbst nicht wußte, welche den Vorzug hatte.

Da sprach Genovefa zu Schmerzenreich: »Siehe, das ist Dein Herr Vater! Küsse ihm die Hand.«

Als das Kind dies that, nahm der Graf es auf seine Arme, drückte [164] es an sein Herz, küssete es ganz süßiglich ohne Unterlaß und konnte vor Leid und Freude nichts mehr sagen als: »Ach, mein herzliebster Sohn, ach, mein herzgüldenes Kind!«

Nachdem er nun den Knaben lange umarmt hatte, blies er stark in sein Jägerhorn und berief die Jägerburschen zusammen. Diese kamen eilig und verwunderten sich höchlich, als sie die wilde Frau bei ihrem Herrn und das Kind auf seinen Armen sahen.

Der Graf sprach: »Was dünket Euch um dieses Weib? solltet Ihr sie wohl kennen?«

Sie sagten alle: »Nein!« Aber der Graf sprach weiter: »Kennet Ihr denn Eure Herrin nicht mehr?«

Da überfiel sie eine solche Verwunderung, daß sie nicht wußten, was sie sagen oder denken sollten. Einer nach dem andern aber ging hinzu und hieß sie freundlich willkommen. Alle aber freuten sich von Herzen, daß diejenige noch lebte, deren wegen der ganze Hof schon sieben Jahre lang geseufzt hatte.

Von allen Dienern, welche das Jagdhorn zu dem Grafen berief, war Golo der letzte, denn es dünkte ihn, daß nichts Gutes für ihn geschähe. Darum schickte ihm der Graf Boten entgegen mit dem Befehle, der Haushofmeister solle geschwind kommen, denn sein Herr hätte ein wunderseltsames Tier gefangen.

Als er nun hinzu kam, sprach der Graf zu ihm: »Golo, kennst Du dieses Weib?«

Er wurde ganz erschreckt und sagte: »Nein, ich kenne sie nicht.«

Der Graf sprach: »Du gottloser Bösewicht, kennest Du denn Genovefa nicht, welche Du fälschlich vor mir verklagt und unschuldig in den Tod geschickt hast? Wenn ich Dir alle erdenklichen Martern anthäte, so hättest Du doch noch mehr verschuldet«.

Der Golo lag auf der Erde und bat mit weinenden Augen um Barmherzigkeit. Der erzürnte Graf aber befahl, man solle ihn hart binden und als den größten Übelthäter gefangen nehmen.

Zween Diener waren eilfertig nach Hause geritten und holten eine Sänfte, die ganz ausgemergelte Gräfin darin zu tragen, und Kleider, sie ehrlich damit zu bedecken. Darum bat der Graf nun Genovefa, sie sollte[165] sich gefallen lassen mit ihm der Sänfte entgegen zu spazieren. Bevor sie aufbrachen, dankte Genovefa noch in dem hohlen Baume Gott für alle Wohlthaten, welche sie hier und in der Höhle bei Trier empfangen hatte.

Danach nahm sie der Graf bei der Hand, ein edler Ritter trug den jungen Grafen Schmerzenreich hinten nach und man ging also langsam und gemächlich, bis ihnen die Sänfte entgegen kam. Die lieben Vögel flohen über sie her und gaben mit dem Flattern der Flügel genugsam zu verstehen, wie ungern sie Genovefa sammt dem jungen Grafen von sich ließen.

Die Hirschkuh aber folgte der Gräfin wie ein sanftmütiges Lamm nach und wollte kein paar Schritte von ihr weichen. Eine Strecke Weges waren sie fortgegangen, da kam ihnen die Sänfte entgegen sammt einem großen Haufen aller derer, die im Schlosse wohnten, weil ein jeder dieser allgemeinen Freude beiwohnen und die Gräfin mit Ehren heimbegleiten wollte.

Als man nun nahe zum Schlosse gelangt war, begegneten dem Grafen zween Fischer. Sie verehrten ihm einen Fisch von ungewöhnlicher Größe. Da man ihn eröffnete, fand man Genovefas Trauring, welchen sie einst im Unmut über ihr Geschick in den Laacher See geworfen hatte. Der Graf konnte Gott nicht genug loben, daß er durch dieses Wunder die Wiederherstellung seiner Ehe gleichsam bekräftigt hatte.

Die heilige Genovefa war kaum im Schlosse angekommen, da wollte jeder diese wunderliche Heilige sehen. Sonderlich fanden die Freunde und geladenen Gäste in dem Schlosse größere Ursache zu frohlocken, als sie hatten verhoffen können, indem sie ihre liebe Base gleichsam von den Toten auferstehend antrafen und die wunderliche Weise, durch welche Gott ihre Unschuld offenbaret hatte, vernahmen. Die Festlichkeiten auf dem Schlosse dauerten nun die ganze Woche. Doch hatte sich Genovefa so sehr an ihre Kräuter und Wurzeln gewöhnt, daß sie weder Fisch noch Fleisch, weder Bier noch Wein mehr zu genießen vermochte. Schon im Kerker hatte ihr ja der böse Golo, wie schon früher erzählt ist, nie etwas anderes als Brot und Wasser reichen lassen.

So ließ denn auch diesen Bösewicht mitten unter den Freuden, die [166] während dieser Woche auf dem Schlosse stattfanden, der Graf vor seine Gäste führen. »Sehet, meine Freunde!« rief er, »das ist der, welcher so viel Übles angestellet hat, den frommen Koch Dragones mit Gift umgebracht, meine Liebe samt dem Kinde zu töten befohlen. Nun urteilet Ihr, was für eine Strafe ein solcher Verbrecher verdienet hat.«

Die ganze Freundschaft verurteilte ihn zum allergrausamsten Tode. Der gottlose Bösewicht warf sich aber Genovefa zu Füßen und bat um Christi willen, sie solle ihm verzeihen und für ihn um Gnade bitten. Die barmherzige Dame bat inständig, sie wollten diesem armen Sünder um ihretwillen Gnade erweisen und das Leben schenken. Da ließ der Graf seine und Genovefas Freundschaft entscheiden, weil diese durch Genovefas Beschimpfung zugleich beleidigt wäre. Die Freunde aber wollten durchaus dem Golo keine Gnade bewilligen, damit nicht in künftigen Zeiten möchte gesagt werden: Golo ist unschuldig gewesen, darum hat man ihm das Leben nicht nehmen können.

Sie verurteileten ihn deswegen, daß er in ihrer Aller Gegenwart mit Ochsen sollte zerrissen werden. Da band man an Hände und Füße dieses Sünders Stricke, und diese wurden an vier Ochsen angefesselt, welche nach den vier Teilen der Welt getrieben den boshaften Golo in vier Teile zerrissen.

Gleich darauf wurden auch alle diejenigen, die es mit dem Golo gehalten, von dem Henker mit dem Schwerte hingerichtet und ihre Kinder aus der Grafschaft vertrieben. Das Mädchen aber, das der Gräfin Feder und Tinte gereicht hatte, sowie alle anderen, die ihr treu geblieben waren, wurden reichlich belohnt. Unter diesen war noch einer der Diener, welche ihr das Leben geschenkt hatten. Weil aber der andere verstorben war, so haben seine Kinder dessen Belohnung empfangen.

Genovefa lebte nachher mit dem Grafen in größter Heiligkeit. Der Sinn der Gräfin stand nicht nach dem Hofleben, sondern nur nach dem Himmel.

Eines Tages, als sie im Gebete begriffen war, erschien ihr eine Schar vieler heiligen Frauen und Jungfrauen, unter welchen die Mutter Gottes selber am glorwürdigsten einherging. Eine jede von diesen Heiligen präsentierte ihr eine himmlische Blume. Die Mutter Gottes aber [167] hielt in der Hand eine köstliche, mit Edelgestein besetzte Blume und sprach: »Geliebte Tochter, beschaue diese Krone, welche Du erworben hast durch jene dörnerne Krone, die Du in der Wildnis getragen hast! Empfange sie von meinen Händen, denn nunmehr ist die Zeit, daß sich bei Dir anhebt die Ewigkeit Deiner Freuden.« Mit diesen Worten setzte sie ihr die Krone auf das Haupt und fuhr mit ihrer Gesellschaft wieder gen Himmel.

Nur ein Vierteljahr hatte sie jetzt bei dem Grafen gelebt, da starb sie den 2. April im Jahre des Herrn 750. Da fiel der betrübte Graf samt seinem lieben Sohne über den toten Leib her. Sie führten ein so erbärmliches Klagen und Heulen, daß man befürchtete, sie würden beide vor großem Herzeleid sterben. Es klagten und trauerten auch mit ihnen alle Diener und Kammerjungfrauen so schmerzlich, daß, wer solches Leid hörte, mit ihnen zu weinen bewegt wurde. Es schmerzte sie am meisten, daß sie so eine heilige Frau verloren hatten und ihre süßen Unterhaltungen nicht länger genießen konnten.

Die arme Hirschkuh, welche bis dahin im Schlosse verblieben und von allen war sonderlich geliebt worden, fing beim Tode der Gräfin an zu trauern und sich so betrübt zu stellen, daß es erbärmlich anzusehen war. Da man aber den heiligen Leichnam hinaustrug, ging das Wild ganz traurig mit gesenktem Kopfe der Leiche nach und schrie so erbärmlich und beweglich, daß alle Menschen sich mußten erbarmen. Dieses Schreien und Heulen dauerte fort, bis der heilige Leichnam begraben war. Nach dem Begräbnis aber legte sich das arme Tier aufs Grab, heulte noch viel erbärmlicher und ließ nicht eher ab, bis es endlich vor lauter Trauern auf dem Grabe gestorben ist.

Genovefa aber wurde begraben in Frauenkirchen, eine gute Stunde vom Kloster Laach hinter Niedermendig. Hier befindet sich jetzt die Meierei Frauenkirch mit einer Kapelle nebst dem Grabmale der heiligen Genovefa. Man hatte nach ihrem Tode auf ihrem bloßen Leibe auch noch ein härenes Gewand gefunden.

Die Trauer des Grafen über die Leiden, welche er Genovefa einst hatte bereiten müssen, bewegte Gott ihm einen Engel vom Himmel herab zu schicken, der ihn trösten sollte. Dieser kam zu ihm in eines Pilgers Gestalt, als er sich mit Schmerzenreich nicht mehr in der Nähe des Laacher [168] Sees, sondern wieder auf der Pfalzgrafenburg bei Trier befand. Der Engel hielt um die Nachtherberge an und wurde von dem Grafen aufs freundlichste angenommen. Unter dem Nachtessen aber ermahnte der Engel den Grafen, daß er sich hinfort besser in Geduld schicken möge. Des Morgens, als der Graf weiter mit ihm reden wollte, war er nicht zu finden, hatte aber zum Danke seine Pilgerkleidung in der Kammer zurückgelassen.

Nun begab sich der Graf einst zur Höhle der Genovefa und fand daselbst einen Hirsch, welcher, wiewohl die Hunde gegen ihn bellten, dennoch ohne Furcht stehen blieb. Der Graf hielt dies für ein Wunder und ließ die Hunde einhalten, damit dem Wilde kein Leid geschähe. Er aber ging in die heilige Höhle, begoß dieselbe mit seinen Zähren und beschloß, hier ein einsiedlerisches Leben zu führen, wie seine Genovefa dort fünf Jahre und zwei Jahre in dem hohlen Baume bei Laach gethan hatte. Darauf betete er vor Genovefas Kruzifix. Da löste sich die rechte Hand von dem Kreuze ab und erteilte ihm den Segen.

Als der Pfalzgraf noch einmal auf sein Schloß kam, ordnete er alles an, wie er es nur bei seinem Tode hätte verordnen können. Er berief seinen Herrn Bruder zu sich und sagte ihm, daß dieser hinfort des lieben Schmerzenreich Vater sei und einstweilen regieren solle, bis dieser herangewachsen sei. Da sprach der liebe Schmerzenreich: »Liebster Herr Vater, meinet Ihr denn, daß Ihr den Himmel wollt für Euren Teil erwählen und wollt mir nur ein wenig Erde hinterlassen? Mein Herr Vater, das will ich nicht! Wo Ihr wollt leben, da will ich auch leben und wo Ihr wollt sterben, da will ich auch sterben. Schon sieben Jahre habe ich das Probierjahr ausgestanden, darum bleibe ich bei meiner Resolution, und wir leben und sterben zusammen da, wo ich von meiner heiligen Frau Mutter bin auferzogen worden. Euch, mein Herr Vetter, hinterlasse ich meine Grafschaft, daß Ihr sie frei beherrschen und den Armen Gutes thun sollet.«

Üeber dieses Vorhaben verwunderten sich Vater und Vetter und umfingen beide das Kind mit herzlicher Liebe. Der Vater that die Pilgerkleidung an, welche ihm der Engel auf dem Pfalzgrafenschlosse bei Trier hinterlassen hatte, und ließ dem Schmerzenreich eben das gleiche Kleid anmessen. Darnach nahmen diese beiden ihren Abschied mit großem Trauern [169] und Weinen der ganzen Freundschaft und verfügeten sich in die rauhe Wildnis, allda Gott zu dienen bis an ihr Ende.

Sobald der Schmerzenreich bei der Höhle ankam, erkannten ihn seine vorigen Gespielen, die wilden Tiere. In großer Menge kamen sie dahin und erfreuten sich seiner Ankunft. Allhier in der Wildnis haben Vater und Sohn ihr Leben heilig zugebracht und sind auch daselbst gottselig entschlafen.

[170] Die Hoacht.

Von Kesseling aus führt ein Weg über Weidenbach steil hinan nach Kaltenborn, etwa drei Stunden von der Ahr und dann nach der Burg Hoacht. Diese Burg war der Hauptort einer kleinen Herrschaft, die endlich die Herren von Kaltenborn dem Erzbischof von Köln übergeben mußten, um sie von diesem mächtigen geistlichen Fürsten als gesichertes und wohlbeschütztes Lehen zurücknehmen zu können. Erst in unserem Jahrhundert sind die Ruinen der alten Burg von Kaltenborn verschwunden und zwar durch die Schuld ihres letzten Besitzers, welcher in Köln verstarb und nicht den Namen Hoacht geführt hatte.

Auf der Hoacht hauste in alter Zeit ein wilder Raubgraf. Er entweihte in einer Osternacht das heilige Fest mit seinen Gesellen schnöde durch Tanz, Harfenspiel und Buhlerei. Da verfinsterte sich plötzlich der ganze Himmel, und das Zechgelage wurde gewaltsam gestört. Aus den Wetterwolken zuckten die Blitze, und immer stärker rollte der Donner. Alle auf der Burg wurden vor Schrecken starr und bleich. Ein Wetterstrahl traf die Veste. Da brachen Flammen durch Thüren und Fenster, die Mauern knickten mit furchtbarem Getöse zusammen und begruben die Frevler unter ihrem Schutte.

Nun hatte zwar der Raubgraf ungeheuere Schätze an Gold, Silber [171] und Edelgestein, auch kostbare Geräte von unschätzbarem Werte in den Gemächern der Burg aufgehäuft, doch war mit dem Schlosse selbst jede Spur von diesen Reichtümern verschwunden.

Nur alle hundert Jahre während der Osternacht, so wurde erzählt, in der zwölften Stunde lasse der Schatz sich wieder blicken. Es hieß, er liege im Burgverließe und werde von Geistern und Unholden bewacht.

Es waren aber schon Jahrhunderte seit dem Untergange der Burg dahin, als ein junger Ritter aus den Kreuzzügen heimkehrte. Am heiligen Abende vor Ostern gelangte er an das rechte Ufer des Rheines und ließ sich von dem Schiffer übersetzen.

»Hört Ihr, gestrenger Herr, das nahe und ferne Geläute?« sprach der Schiffer. »Morgen feiern wir das heilige Osterfest.«

Hierauf erzählte der Schiffer die Sage von dem Schatze auf der Hoacht, welcher dem zu teil werde, der ohne Tadel und beherzt sei. Der Schiffer forderte den Junker auf, ihm auf die Burg zu folgen. Es sei eben dies diejenige Osternacht, in welcher alle hundert Jahre einmal der Schatz sich zeige. Sie könnten, wie der Schiffer sagte, wenn sie wollten noch vor Mitternacht dorthin gelangen. Er allein hätte es sich nicht unterstanden, die Burg zu besteigen, aber in der Gesellschaft eines so trefflichen Ritters, der eben von Palästina komme, wolle er das Abenteuer wagen.

So verdoppelten denn die Wanderer, welche sich sogleich auf den Weg gemacht hatten, ihre Schritte und erreichten noch vor Mitternacht den Gipfel der Hoacht.

Kaum dort angelangt, begann der Schiffer in der Erde zu scharren und sich durch das Mauerwerk einen Weg zu bahnen.

Da öffnete sich mit lautem Getöse eine Schlucht. Eine schneeweiß gekleidete Jungfrau erschien. Sie winkte dem Ritter mit der Hand, daß er sich ihr nähern solle und legte eine Lilie langsam auf die Erde, welche er, wenn er aufmerksam gewesen wäre, sogleich hätte aufheben müssen. Er versäumte es. Sodann winkte sie ihm zum zweiten male und deutete mit der Hand auf einen verborgenen Ort hin.

An diesem Orte glaubte der Junker die Schätze der Hoacht, von denen ihm der Schiffer erzählt hatte, zu finden. Deshalb richtete er dorthin seine Schritte und ließ die Lilie noch immer unbeachtet liegen.

[172] Der Schiffer folgte dem Ritter zu den ungeheuren Schätzen, vergaß aber, in das Anschauen derselben vertieft, ebenfalls die Lilie aufzuheben.

Als es ein Uhr schlug, entstand ein gräßliches Lärmen. Der Raubgraf stand vor ihnen, eine Dirne im Arme, gerade so wie er hier in jener Osternacht vor Jahrhunderten sein Wesen getrieben hatte. Seine Gesellen und Zechbrüder umgaben ihn mit silbernen Humpen und streuten Gold umher. Aber ehe der Ritter und der Rheinschiffer von dem Golde etwas nehmen konnten, war Alles verschwunden. Die Lilie, welche die Jungfrau auf die Erde gelegt hatte, verwandelte sich in eine große Schlange.

Ohne von den Schätzen der Burg etwas erlangt zu haben, schlichen der Schiffer und der Ritter davon.

Ein Hohngelächter, das sie anfänglich auf der Burg nur von Ferne gehört hatten, kam von der Burg immer näher und scholl ihnen beim Hinabsteigen noch lange nach.

[173] Die Überfahrt nach Remagen.

So wie nach dem heidnischen Volksglauben der Griechen Charon die Seelen in einem schmalen Boote über den Cocytus fuhr, so glaubten auch einige heidnische Völkerschaften in Deutschland, daß das Reich der Lebenden und Toten durch ein Wasser getrennt werde, über welches die Gestorbenen übergesetzt werden müßten. Britannien wurde für das Totenland gehalten. Dahin, glaubte man, würden die Seelen der Abgeschiedenen gefahren. Am Ufer des festen Landes wohnten unter friesischer Oberhoheit, aber von altersher jeder Abgaben entbunden, Ackersleute und Fischer, denen es oblag, die Seelen überzusetzen. Das Amt ging der Reihe nach um. Mitternachts hörten die Leute an ihrer Thüre pochen und mit dumpfer Stimme rufen. Dann erhoben sie sich, gingen zum Ufer und erblickten dort leere Nachen, fremde, nicht eigene, bestiegen sie, griffen zum Ruder und setzten über. Sie bemerkten, daß der Nachen ganz voll geladen war und kaum fingerbreit über dem Wasser stand. Doch sahen sie Niemand und landeten schon nach einer Stunde, während sie sonst mit ihrem eigenen Fahrzeuge eine Nacht und einen Tag auf Reisen waren. In Britannien angelangt, entlud sich der Nachen alsbald von selbst und wurde so leicht, daß ihn die Flut nur ganz unten berührte. Weder während der Fahrt noch beim Aussteigen sahen die friesischen Bauern irgendwen, [174] hörten aber bei der Ankunft im Lande der Toten eine Stimme einem jeden seinen Namen und den Volksstamm, welchem er angehörte, abfragen.

Von solchen heidnischen Fahrten der Toten kann in christlichen Tagen freilich nicht mehr die Rede sein; doch wird noch folgende Sage von der wunderbaren nächtlichen Überfahrt der Zwerge über den Rhein erzählt, die vielleicht mit jener älteren Überlieferung in Zusammenhang stehen dürfte. Es mag ungefähr zu Anfange des neunzehnten Jahrhunderts gewesen sein, da wurde ein Schiffer zu Erpel am Rheine bei Nacht durch ein Pochen an seiner Thür geweckt und von einem Unsichtbaren aufgefordert, überzufahren. Der Kahn sank immer tiefer ins Wasser, doch sah der Schiffer nicht, daß Jemand einstieg. Als der Kahn endlich nur noch einen Finger breit über dem Wasser hervorragte, wurde ihm befohlen, vom Lande abzustoßen. An dem anderen Rheinufer zu Remagen angelangt, hob sich der Kahn allmählig wieder. Daraus entnahm der Schiffer, daß der Kahn sich wieder entlud. Das waren die Zwerge, die hatten zu Glenberg bei Linz gewohnt und waren dort beleidigt, darum hatten sie ihren alten Wohnsitz aufgegeben und zogen nun fort über den Rhein. Wohin weiß Niemand.

[175] Apollinaris.

Auf dem erzbischöflichen Stuhle zu Köln saß einst Graf Reinald von Dassel. Um sich den Segen des heiligen Vaters zu holen, reiste er nach Rom. Daselbst aber geriet der Graf in Entzücken über die vielen Reliquien, die dort aufgehäuft waren. Er bat den heiligen Vater, daß er ihm einige derselben mit nach Köln gäbe, und dieser beschenkte ihn mit den Überresten der heiligen drei Könige und den Reliquien des heiligen Apollinaris, des heiligen Felix und des heiligen Nabor.

Mit dem teueren Geschenke stieg nun der Erzbischof von Köln über die Alpen. Schon in der Schweiz setzte er sich auf ein rheinisches Fahrzeug. Die Rheinreise war anfänglich mit mancherlei Mühseligkeiten verknüpft. Aber als er nach Koblenz gelangte, war jede Gefahr vorüber.

Dort empfing ihn der Bischof von Trier. Er veranstaltete große Processionen zu den Reliquien, welche der Erzbischof von Köln bei sich führte. Am anderen Tage sollte abermals eine kirchliche Feier wegen der Reliquien stattfinden Allein den Erzbischof ergriff die Sehnsucht nach dem heiligen Köln, welchem er durch die Reliquien, die er dahin führte, erst die eigentliche Weihe zu geben gedachte.

Er bestellte Schiffe, welche ihn in der Nacht stromabwärts nach Köln führen sollten.

[176] Ehe die Schiffer die nächtliche Fahrt antraten, wurden sie in Koblenz aufs beste bewirtet.

Herrlich ging der Mond auf über dem Rhein, und mit dem ganzen Sternenhimmel spiegelte er sich in den goldenen Wellen des Stromes. Kein Hindernis stellte sich der Fahrt in den Weg, und wie ein Pfeil schoß das Schiff in der Flut dahin.

Der Erzbischof stand freundlich auf seinem Schiffe. Vor seinen Blicken tauchte bereits das uralte Remagen und die St. Martinskirche auf.

Plötzlich erhielt der Erzbischof einen Stoß, daß er zur Erde fiel. Der Lauf des Schiffes war plötzlich gehemmt: es schien auf eine Sandbank oder gar auf ein Felsenriff geraten zu sein.

Eine Verletzung hatte der Erzbischof durch seinen Fall nicht erhalten.

Als er sich vom Boden des Schiffes erhoben hatte, bemerkte er, wie auf dem Fahrzeuge alle durcheinander liefen. Man untersuchte, ob das Schiff eine Kenter erhalten hätte. Dies war aber nicht der Fall. Nun fing man an, das Bett des Rheinstromes an dieser Stelle zu untersuchen, und es fand sich, daß das Schiff hoch über dem Rheingrunde frei auf dem Wasser schwebte. Jetzt wurde wieder gerudert, aber das Schiff bewegte sich noch immer nicht von der Stelle und folgte durchaus nicht den strömenden Wellen, welche es von allen Seiten brausend umgaben. Da kniete der Erzbischof nieder und betete, daß Gott selbst ihm seinen Willen an dieser Stelle kund thun solle.

Während dieses Gebetes hatten die Ruder geruht, da die Schiffer an dem Gebete teilnamen. Allein kaum hatte der Erzbischof laut sein Amen gesprochen, da drehte sich der Schnabel des Schiffes dem Berge zu, auf welchem die Martinskirche stand. In demselben Augenblicke fingen die Glocken des Kirchleins oben auf dem Berge von selbst an zu läuten.

In dem Geiste des Erzbischofs war bereits die Vermutung entstanden, daß er die Reliquien eines der Heiligen hier zurücklassen solle. Während des Geläutes der Glocken griff er in den kostbaren Schrein, der die Überreste des heiligen Apollinaris enthielt. In demselben Augenblicke verstummten die Glocken, woraus der Erzbischof ersah, daß er die Gebeine dieses Heiligen hier zurücklassen solle.

Das Schiff legte ohne weitere Lenkung am Ufer an. Der Erzbischof [177] stieg mit den ihn begleitenden Priestern ans Land, und in feierlicher Prozession wurden des Heiligen Gebeine den Berg hinan getragen. Die Bewohner von Remagen, durch das Geläut der Glocken aufmerksam gemacht, begleiteten sie. Auf der Mitte des Weges kam ihnen der Propst der St. Martinskirche mit seinen Kaplänen entgegen. Auch sie waren bereits auf ein wunderbares Ereignis vorbereitet worden. Das Nähere erfuhren sie erst durch den Erzbischof.

Kaum hatte man den Schrein auf dem Altare der St. Martinskirche niedergesetzt, so begannen die Glocken abermals zu läuten. Man hörte zu gleicher Zeit, wie die Glocken von Remagen in dies Geläute einstimmten.

Dies galt dem Erzbischof für ein sicheres Zeichen, daß er des Herrn Willen erfüllt habe, indem er einen Teil der Reliquien für die Kirche des heiligen Martin bestimmte.

Er eilte mit seinen Priestern den Berg hinab. Kaum hatten sie das Schiff wieder betreten, so stieß dieses von selbst wieder vom Lande und begab sich in die Mitte des Stromes. Weder die Ruderknechte noch der Steuermann hatten nötig, sich noch anzustrengen; schneller als je fuhr das Schifflein dahin. Es schien, daß es die Zeit wieder einbringen wolle, welche in Remagen versäumt war, damit das heilige Köln sobald als möglich in den Besitz der Reliquien kommen möchte.

Die Kirche bei Remagen war 1826 dem Einsturz nahe. Da ließ Graf Egon von Fürstenberg-Stammheim unter der Leitung des Kölner Dombaumeisters Zwirner und mit Beihülfe der besten Düsseldorfer Maler die neue Appollinariskirche in gotischem Stile aus führen: ein allgemein bewundertes Kunstwerk inmitten einer herrlichen Landschaft.

[178] Roland.

Daß Roland als Deutscher zu betrachten sei, ist oft behauptet worden. Er soll nicht in dem französischen Angers, sondern in Engers auf dem rechten Rheinufer zwischen Koblenz und Neuwied zu Hause gewesen sein. Am Rheine ist es also nicht bloß Rolandseck, welches zu ihm in Beziehung gesetzt wird. Damit wir hier sein Ende schildern können, halten wir uns am besten an jenes Rolandslied, das 1066 Taillefer hoch zu Rosse den britischen Truppen vor der Schlacht bei Hastings vorgesungen hat, um sie zum Kampfe zu begeistern. Es erzählt Folgendes:

Der Aufbruch des Heeres unter Anführung Karls des Großen nach Osten hin versetzte alle Franken in Aufregung. Unterwegs gedachten die Ritter zwar freudig ihrer Lehen und ihres Erbes, der ungeduldig harrenden Braut und der liebenden Hausfrau. Aber König Karl gab sich trüben Gedanken hin, weil er seinen Neffen Roland in den Engpässen der Pyrenäen zurückgelassen hatte.

Ganelon war zum Verräter geworden, hatte die Geschenke des Heidenkönigs an Gold und Silber, an morgenländischen Stoffen und Pelzen, an Pferden und Maultieren, an Trampeltieren und Löwen empfangen. Dann hatte er König Karl bewogen, den kühnen Roland mit so wenigen Truppen zurückzulassen, daß er die Ungläubigen nicht mit ihnen besiegen konnte.

[179] Der Heidenkönig hatte zu den Waffen Barone und Grafen, Burggrafen und Herzöge gerufen. Binnen vier Tagen hatten sich um ihn 400000 Männer geschart. Zu Saragossa wirbelten die Trommeln, und vom höchsten Turme herab wehte die Fahne des Propheten. Es war keiner unter den Heiden, der nicht mit Ehrfurcht zu ihr aufblickte. Von Kampflust ergriffen, drängten sich die Ungläubigen zwischen den Bergen von Ronceval. Als sie aber das Panier der Franken, den kleinen Nachzug, von Roland und elf andern geführt, erblickten, verlangten sie ungeduldig zu streiten.

Schön ging die Sonne auf, hell leuchtete der Tag, und weithin schimmerten die Rüstungen. Der Anführer der Sarazenen ließ durch tausende von Schalmeien seinen Auszug verkündigen. Die Franken vernahmen den Höllenlärm, und Olivier sprach zu Roland: »Herr Kumpan, mich dünkt, wir könnten wohl zum Schlagen kommen mit den Sarazenen.« Roland erwiderte: »Das wolle Gott uns bescheren. Fest müssen wir hier für unseren König stehen. Ein jeder ist verpflichtet, in seines Herrn Dienste der Hitze, der Kälte und der Gefahr zu trotzen. Wir wollen schwere Hiebe austeilen, auf daß nicht ein Lied uns zum Schimpfe gesungen werde. Auf der Seite der Heiden ist das Unrecht, auf unserer das Recht. Von mir soll nie ein böses Beispiel ausgehen.«

Olivier bestieg einen Hügel und überschaute das Wiesenthal zu seiner Rechten, welches von Heiden wimmelte. Er rief seinem Kumpan Roland zu: »Von Spanien her wälzt sich klirrend ein Schwarm uns entgegen. Ich sehe die weißen Turbane und die blanken Helme. Hart wird es uns Franken ergehen. Das wußte Ganelon nur zu gut, als er uns in des Kaisers Gegenwart diesen Posten anwies.« Roland tadelte diese Rede, weil Ganelon sein Schwiegervater sei. Indem aber Olivier nun von dem Hügel herunterkam, trat er vor die Franken hin und erzählte ihnen allen: »Ich habe die Heiden gesehen, in solcher Anzahl sind sie niemalen einem Christenmenschen vorgekommen. Edle Herren, setzet Eure Zuversicht auf Gott und stehet fest, auf daß Ihr nicht besieget werdet.«

Zu Roland sprach jetzt Olivier: »Kumpan, stoßet in Euer Horn, Kaiser Karl wird den Ruf hören, das Heer wenden und uns bei Zeiten zu Hülfe kommen.«

[180] »Das wäre die Handlung eines Thoren,« erwiderte Roland, »sie würde meinen Ruhm im Frankenlande verderben.« Aber Olivier wiederholte die Bitte: »Kumpan,« sagte er zu Roland, »Kumpan, laßt Euer Elfenbein ertönen. Kaiser Karl wird seinen Ton vernehmen; ich bürge dafür, daß er sogleich mit seinem ganzen Heere zurückkommt.« Roland entgegnete: »Da sei Gott vor, daß irgend jemand auf Erden erzählen könnte, ich hätte der Heiden wegen mein Horn angesetzt.« Aber Olivier hub wieder an: »Seht Ihr sie, wie nah sie uns sind? – ferne ist Kaiser Karl. Fürwahr, wenn er zur Stelle wäre, so brauchten wir uns vor keinem Schaden zu fürchten.«

»Laßt die Thorheiten!« rief Roland dazwischen; »wehe dem, der in seinem Herzen verzagt.«

Roland rief nun von allen Seiten die Franken herbei. Da sprengte auch der Erzbischof Turpin heran, der redete von einer Anhöhe herab also zu den Franken: »Edle Herren, diesen Posten hat uns Kaiser Karl zugeteilt. So seid denn auch bereit, für ihn zu sterben und erzeiget Euch als die Stützen der Christenheit. Die Sarazenen habet Ihr vor Euch, und eine Schlacht steht bevor. Erkennet Eure Sünden, Eure Seelen werde ich lossprechen. Wenn Ihr fallet, so werdet Ihr den heiligen Märtyrern zugezählt, und die besten Plätze im Paradiese erwarten Euch.«

Es wurde abgesessen, und dann knieeten sie nieder. Lächelnd erhebt Roland seinen Speer, aber ergrimmt ist sein Gesicht, als er auf die Sarazenen schaut. Dann wieder mustert er in milder Teilnahme die Franken und spricht: »Edle Herren, geht langsam und ruhig vor! Das ungestüme Andrängen der Heiden läßt nicht erwarten, daß Ihr ein Blutbad unter ihnen anrichten könnet. Niemals haben die Franken einen Herrn gehabt, wie König Karl.«

Da begann der Kampf. Die blutigen und zerbrochenen Lanzen, die zerrissenen Paniere und Fahnen – wer kann sie zählen? Roland und Olivier wüteten schrecklich unter den Sarazenen. Aber auch viele Franken mußten sterben in der Blüte ihrer Jahre, fern von ihren Müttern und Frauen und auch weit ab von ihren Waffenbrüdern, die bei König Karl waren. Die Natur im ganzen Frankenreiche erbebte durch Ungewitter, Regengüsse, Hagel und Sturmwind in ungewöhnlichen Zuckungen. Der Erdboden [181] öffnete sich an mehreren Stellen, strichweise fielen von selbst die Mauern; in vielen Orten zündete der Blitz, und manche sprachen: »Das ist das Ende aller Zeiten!« Aber alle diese Krämpfe der Schöpfung galten nur dem sterbenden Roland.

Viermal hatte das Treffen trotz der Überzahl der Sarazenen eine für die Christen glückliche Wendung genommen. Aber allzusehr fluchte Mahomet den Franken, und das fünfte Mal wurde die Schlacht diesen schrecklich und schwer. Nur sechzig fränkische Ritter hat Gott noch verschont.

»Schöner Ritter!« rief Roland seinen Kumpan Olivier an: »Siehst Du die vielen edlen fränkischen Kämpfer, deren Leiber den Boden bedecken? Wie mögen wir genugsam das schöne, süße Frankenland beklagen! Mein König Karl, mein Freund, warum bist Du nicht hier? Bruder Olivier, was sollen wir beginnen? Wie vermelden wir ihm unsere Lage? Ich will noch in mein Elfenbein stoßen, den Schall wird Karl vernehmen und seine Franken uns zuführen.«

Olivier meinte: »Als ich Euch darum bat, wolltet Ihr nicht blasen. Nun, da Ihr am ganzen Körper blutet, seid Ihr zu schwach dazu. Ich zürne Euch, denn Ihr habt Böses angerichtet, weil Ihr nicht blieset, so lange Ihr noch blasen konntet. Das vergebe ich Euch nicht, wenn Ihr auch der Bräutigam meiner Schwester Alda seid. Bei meinem Barte, sofern ich meine Schwester Alda wiedersehen könnte, nimmermehr solltet Ihr in ihren Armen ruhen.«

»Um Gotteswillen keinen Streit!« rief der Erzbischof Turpin dazwischen, indem er seinem Rosse die goldenen Sporen gab, um schneller bei ihnen zu sein. »Das Beste, was uns noch begegnen könnte, wäre des Königs rasches Eintreffen, damit er nach unserem Tode schnelle Rache an den Ungläubigen nehme. Wölfen, Säuen und Hunden sollen unsere Leiber nicht zur Speise dienen. Wenn die Franken kommen und unsere zerstückten Leichen gewahren, dann werden sie absitzen, die Särge der Gefallenen auf Saumtiere laden und die Leichen innerhalb ihrer herrlichen Kirchen und Dome bestatten.«

»Wohl gesprochen, Herr!« ruft der blutende Roland aus, führt sein Elfenbein zum Munde, hält es fest in der blutigen Hand und bietet alle seine Kräfte auf zum Blasen.

[182] Hoch sind die Berge, weit ist die Entfernung, doch dreißig Stunden weit wird der Schall vernommen, von Karl und allen seinen Gefährten gehört.

»Ach!« spricht der König, »unsere Leute fechten!«

Aber helles Blut war Rolands Munde beim Blasen entströmt, und seine Schläfen hatten zerspringen wollen.

König Karl sprach weiter: »Das ist Rolands Horn, das bläst er niemals, es sei denn im Kampfe.«

Allein der falsche Ganelon sagte: »Auf der Jagd wird Roland wohl in sein Horn tuten um eines Hasen willen. Hat er nicht ganze Städte gegen Euren Willen für Euch erobert? Aber ihm laßt Ihr Alles hingehen. Ihr seid alt, Herr König, und schwatzet da wie ein Kind. Setzet Eure Reise nach der Heimat fort und denkt nicht mehr an Roland.«

Allein nun blutete des Grafen Roland Mund, und jeder Ton, den er noch hervorrief, machte ihm die größten Schmerzen.

Herzog Naimo rief: »Ja, sie fechten! Zu den Waffen! Laßt uns umkehren und dem wackeren Nachtrabe zu Hülfe kommen! Ihr hört ja, wie Roland klagt!«

Der König Karl ließ die Pfeifer aufspielen, es waffneten sich die Franken mit dem Schwerte. Sie entfalteten die weißen, die roten und die blauen Paniere. Alle Barone schwangen sich in den Sattel, rissen ihre Rosse herum, daß die Mäuler nach Westen und die Roßschweife nach Osten standen, und trieben sie rastlos nach dem Thale von Ronceval zu. »Wenn wir nur Herrn Roland finden,« riefen sie aus, »welche Schwertstreiche wollen wir in seiner Gesellschaft austeilen!« Aber es war zu spät, sie hatten durch die Schuld des Verräters Ganelon zu lange gesäumt, auch hatte Roland wohl zu spät geblasen.

Als Roland das ungläubige Volk immer zahlreicher heranströmen sah, schwärzer wie Tinte, weiß allein an den Zähnen, da sprach er: »Jetzt weiß ich, daß wir heute des Todes sein werden. Haut drein, meine lieben Franken, haut zu mit den gut geschmiedeten Schwertern! Verkaufet Euer Leben und Euern Tod nur zum höchsten Preise! Durch uns soll die Ehre des Frankenreiches nicht geschändet werden. Wenn Karolus, mein König und Herr, zu dieser Wahlstatt kömmt, dann mag er das Blutbad schauen, [183] das wir angerichtet haben unter den Sarazenen. Möge er fünfzehn ihrer Toten zählen gegen einen der unseren! Dann wird er unser Andenken segnen, wenn er uns selbst auch nicht mehr findet.«

König Karl aber stürmte unablässig nach Westen. Er erreichte Ronceval und fand keinen Weg, keinen Pfad, keine Stelle, wo nicht Franken oder Heiden aufgeschichtet lagen.

»Wo sind sie geblieben, die ich hier zurückgelassen habe?« rief der König aus. »Wo ist Warin und sein Kumpan Gert? Wo ist Ivo und Iverich, die mir so lieb sind? Was wurde aus Engelhardt von Gascogne und dem Baron von Ansagis? Wo ist der alte Gerhardt von Roussillon, und wo sind die Zwölfe, denen niemand gleichet? O Roland, Roland, mein Freund, ich kehre in mein Reich zurück, und in der Pfalz werden mich die Fremden, selbst wenn sie aus dem Morgenlande zu mir kämen, fragen: Wo ist Roland der Graf, der Feldhauptmann? Dann muß ich antworten: er blieb in Spanien. Ich werde regieren von Trübsal umgeben, und jeder Tag wird meine Thränen um Roland sehen. Freund Roland, schöner, wackerer Neffe, wenn ich zu Aachen um Nachrichten gefragt werde, dann verkünde ich sie wunderbar und schreckhaft. Ich werde erzählen müssen: Mein Neffe, der so viele Siege für mich erfochten hat, ist gefallen. Und dann werden Sachsen, Ungarn, Bulgaren, Böhmen, Apulier, die von Palermo und die von Afrika sich gegen mich empören! Wer soll dann diesen Völkern meine Heere entgegenführen, da er tot ist, welchem sie zu folgen gewöhnet sind? O du Reich der Franken, wie bist du verwaiset!«

Dabei raufte er sich mit beiden Händen den weißen Bart aus, und ringsum flossen die Thränen der Franken wegen Roland.

Dann aber kehrte König Karolus heim nach Aachen, der vornehmsten aller Pfalzen des Reiches. Kaum war er vom Pferde gestiegen, da ging er hinauf in den Rittersaal und vor ihn trat Alda, die edle Jungfrau und fragte: »Wo bleibt Roland, der geschworen hat mich heimzuführen?«

Über diese Frage empfand König Karl tiefen Schmerz. »Liebe Freundin,« hob er an, »Du nennst einen Recken, welcher ebensowenig noch am Leben ist, als Dein Bruder Olivier. Du sollst für Roland einen andern Bräutigam haben, den besten, welchen ich weiß, meinen Sohn Ludwig, er [184] soll nun meine Marken schirmen und wird Dich heimführen.« Alda erwiderte: »Mit solchen Verheißungen mögt Ihr andere trösten! Mich verlangte mit Roland vermählt zu werden, und daß ich diesen überlebe, möge Gott mit seinen Engeln und Heiligen verhüten.«

Da überzog Totenblässe ihr Angesicht, sie sank zu Karls Füßen nieder und starb zur selbigen Stunde. Möge Gott ihrer Seele gnädig sein!

[185] Rolandseck.

Von der Burg Rolandseck werden mehrere Sagen erzählt, die den Namen der Burg erklären sollen.

Nach einer dieser Sagen hatte die Feste sonst einen anderen Namen, und es wohnte auf ihr ein Ritter, der sich früher mit großem Ruhme bedeckt hatte, nunmehr aber alt und schwach geworden war. Er hatte eine sehr schöne Tochter, mit welcher er in einigen Sorgen lebte, weil er sein Kind nicht mehr gegen die bösen Junker am Rheine schützen konnte, denen sie ihre Hand versagt hatte.

Einst saßen Vater und Tochter auf der Burg, da stieß der Türmer ins Horn und meldete, daß eine reisige Schar nach der Burg im Anzuge sei.

Der alte Ritter erschrak, denn er meinte, es seien Feinde, welche seine Tochter, als sie sich um ihre Hand bewarben, beleidigt hatte. Aber das Burgfräulein tröstete ihren Vater. Sie hatte bereits wahrgenommen, daß ein überaus stattlicher Ritter in kostbarer, herrlicher Rüstung mit einigen Knappen zur Burg hinauf ritt. Diese wenigen Männer konnten unmöglich in feindlicher Absicht sich nähern.

Dennoch verlangte die Wache am Thore erst Auskunft über den Ritter, ehe er eingelassen wurde. Dieser aber erklärte, daß er Roland, König Karls Neffe, sei. Nach manchem kühnen Abenteuer zog er mutig am Rheine [186] hinauf und mochte es sich nicht versagen, den Helden aus einer älteren Zeit, dessen König Karl oft selbst noch rühmend gedachte, auf der Burg seiner Väter heimzusuchen und einige Tage lang froh bei ihm und seinem Töchterlein zu verweilen.

Der alte Burgherr war nun voller Freude, und sein Töchterlein ließ es sich angelegen sein, Roland mit dem allerbesten zu bewirten, was sich in der Küche und in der Speisekammer der Burg fand. Als aber an einem der nächsten Tage der alte und der junge Ritter die vollen Humpen mit Rheinwein leerten, blies der Türmer wieder das Signal, daß eine Reiterschar zur Burg hinaufzöge. Diesmal war die Besorgnis des alten Ritters nicht unbegründet: es kamen wirklich die Junker, an welche das Burgfräulein Körbe ausgeteilt hatte, mit hunderten von Knappen in feindlicher Absicht vor das Burgthor geritten.

Allein Graf Roland tröstete den alten Herrn, und obgleich der alte Ritter nur wenig Knechte besaß und in Rolands Begleitung nur zwei waren, so verteidigte des Königs Neffe doch mit dieser geringen Mannschaft das Burgthor auf das beste. Da griffen die Belagerer zur List, bestürmten das Burgthor nur noch zum Schein und erstiegen zu dreißigen heimlich in der Nacht die Burgmauer an einer Stelle, welche Roland mit seiner geringen Mannschaft nicht hatte besetzen können. Diese List war allerdings gelungen, aber Roland tötete alle die Ritter und Knappen, welche von der Burgmauer auf den Burghof heruntergesprungen waren, und jagte dadurch denen, die sich noch vor dem Burgthore befanden, einen solchen Schrecken ein, daß sie die Belagerung aufgaben und noch während dieser Mordnacht davon zogen. Zum Andenken an diese Begebenheit soll dann die Burg den Namen Rolandseck erhalten haben. Auch soll Roland das Fräulein geheiratet haben.

Eine andere Sage erzählt, Roland habe die Burg Rolandseck erbaut, aber nur um einem Edelfräulein nahe zu sein, welches er liebte. Sie hieß Hildegard und hatte in dem Kloster, das auf der Insel Nonnenwerth zu den Füßen von Rolandseck liegt, den Schleier genommen. Von Rolandseck soll Roland beständig zu ihr hinabgeschaut haben und auf Rolandseck gestorben sein, sobald sie ihm im Tode vorangegangen war.

[187] Der Drachenfels und die Einführung des Christentums.

  • Die Jungfrau vom Drachenfels. (Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten)
    Die Jungfrau vom Drachenfels.

Der letzte Glanzpunkt der von so vielen Fremden aus weiter Ferne besuchten Rheinlandschaft ist die dunkle Felsenmasse des himmelanstrebenden Siebengebirges bei Bonn. Von diesem ragt der Drachenfels wie ein gigantischer Wächter fast senkrecht aus den Fluten des Rheines empor. Zunächst den Eingang des freundlichen Honnefer Thales beschirmend, erregt er zuerst die Aufmerksamkeit in höherem Grade, wenn man von Köln aus rheinaufwärts fährt.

Wenn schon jedes altertümliche verfallene Türmchen die Gedanken des Beschauers unwillkürlich ins Mittelalter, in die Zeiten des Lehnsrechtes und der offenen Fehden zurückversetzt: so ist dies noch mehr der Fall bei den Ruinen wirklicher alter Burgen, wie die des Drachenfels. Sind solche Ruinen doch die Beweise beharrlicher Anhänglichkeit an jene sonderbaren, aber immerhin kräftigen Einrichtungen, die endlich freilich doch einer neuern Gesittung haben weichen müssen, an kraftvolle Geschlechter, die ihre kühnen Thaten vollbracht haben, ohne ängstlich das Recht zu prüfen, und deshalb zum Teil doch früher den Schauplatz der Geschichte haben verlassen müssen, als es bei dem ganz gewöhnlichen Verlaufe der Dinge würde der Fall gewesen sein. Dies gilt jedoch vom Drachenfels nicht vollständig, da es vor fünfzig Jahren und vielleicht noch jetzt in der Ferne ein Geschlecht gab, das vom Drachenfels am Rheine den Namen herleitet.

[188] Die Burg des Drachenfelsens, sowie die Wolkenburg, Löwenburg und Rolandseck sollen auf den Trümmern römischer Wachttürme aus der Zeit Julians oder Valentinians erbaut sein.

In einer Urkunde vom Jahre 1206 wird der Drachenfels als Drachenhöhle oder Drachenloch erwähnt. Im Jahre 1303 führte Graf Heinrich in seinem Wappenschilde einen Drachen und nannte sich Burggraf von Drachenfels. Der Drache in seinem Wappen aber war silbern geflügelt, er hauchte goldene Flammen aus, sein Schweif im roten Felde war aufwärts gewunden und den Kopf wandte er nach dem linken Schildrande zu. Der Drache erschien auf dem Helme silbern bis zum Unterleibe, und dabei hatte er rote Flügel. Die Helmdecke war silbern und dabei rot unterlegt.

Noch jetzt wird unter dem Namen des Drachenloches auf der Südseite des Felsens eine Höhle gezeigt. Dort hauste in alter Zeit ein riesiger Drache, welchem die Bewohner der Gegend eine abgöttische Verehrung erwiesen; selbst Menschenopfer wurden ihm dargebracht. Diese waren allerdings bei den Galliern mehr als bei den Germanen gebräuchlich; doch mögen, als jene der Mehrzahl nach schon Christen waren, gerade hierhin aus Gallien vertriebene Druiden sich geflüchtet und in ihrer Art die bei den Germanen früher seltener gewesenen Menschenopfer vermehrt haben.

So wurde denn der Drachenfels und seine Umgebung ein Bollwerk für das nur langsam am Rheine weichende Heidentum.

Von hier aus unternahmen sogar mehrere fürstliche Familien, vielleicht von celtischen Druiden aufgestachelt, Raubzüge in Gegenden, die bereits dem Christentume angehörten. Von einem solchen kehrten sie einst zurück mit einer Christin aus einem gleichfalls sehr vornehmen Hause, die sie als Beute und als Gefangene heimführten.

Den herrschenden Geschlechtern gehörten zwei Jünglinge an, die an dem Raubzuge noch keinen Teil genommen hatten, aber sich mehr und mehr zu Helden entwickelten, wie sie an Jahren zunahmen. Diese faßten eine unaussprechliche Zuneigung zu der christlichen Jungfrau, die immer schöner und herrlicher unter den Heiden erblühte. Ein richtiges und tiefes, reines Gefühl sagte ihnen, wenn sie den Ausdruck der Frömmigkeit in den Augen der Jungfrau wahrnahmen, daß der Glaube eines [189] so edlen und hohen Frauenbildes über die blutige heidnische Religion weit erhaben sein müsse. Jeder von den beiden Jünglingen wäre daher wohl bereit gewesen, um dieser Jungfrau willen das Christentum anzunehmen.

Doch die mildere Gesinnung wich aus den Herzen der beiden Männer, als sie sich immer deutlicher beide als Nebenbuhler erkannten. Je mehr ein jeder wünschte, die Christin zu besitzen, um so mehr regte sich in ihnen auch der Stolz auf die eingebildeten Vorzüge, durch welche jeder glaubte, dem Nebenbuhler voranstehen zu müssen. Ihre Gesinnung, welche kaum angefangen hatte sich zu veredeln, wurde wieder eine ganz heidnische, und der Gedanke, der Christin die doch immerhin nur beschränkte Wahl zwischen zwei Bewerbern zu gestatten, konnte nicht aufkommen, weil sie in ihr immer wieder die Gefangene, eine Sklavin, sahen.

Ein unglücklicher Zufall wollte es, daß die Jünglinge, in denen die Bewohner der Gegend schon längst die Zierde und die Hoffnung des Stammes erblickt hatten, nun auch fast zu gleicher Zeit ihre Väter verloren und dadurch plötzlich eine bei beiden fast gleiche Macht unter dem Volke erhielten. Mit grenzenloser Unbesonnenheit traten sie einander sogleich feindselig entgegen, indem jeder die Ansprüche, die er an die Hand der Christin machte, mit Drohungen und Ankündigung von Gewaltmaßregeln verstärkte.

Da traten die Ältesten der Landschaft mit den Druiden zusammen und berieten, was zu thun sei.

Die hergelaufenen Druiden verlangten sogleich, daß die Christin, welche die Herzen der heidnischen Anführer verzaubert habe, dem Drachen vorgeworfen werden müsse. Die Ältesten aus dem Volke stimmten ihnen bei, weil nur hierdurch noch der Zwist der beiden viel gerühmten jungen Anführer im Keime erstickt werden konnte.

Es legte also die Christin ein weißes Gewand an, und das herabfallende Haar dieses Opfers schmückten die Heiden mit Blumen.

So führte man die Jungfrau den Berg hinan. In der Nähe der Drachenhöhle band man sie an einen Baum. Neben demselben lag ein großer Stein, der als Altar diente.

In einiger Entfernung hatte sich viel Volk aufgestellt, um zu sehen, wie das Ungeheuer aus seiner Höhle kommen und sich auf seinen Raub [190] werfen würde. Nur wenige unter den Anwesenden waren schon so weit von dem Heidentume abgewandt, daß sie einiges Mitleid mit der unglücklichen Christin fühlten.

Die Jungfrau aber blickte ruhig und gottergeben zum Himmel auf. Eben kam die Morgensonne hinter dem Siebengebirge hervor und warf einige Strahlen auf den Eingang der blutigen Höhle des Drachen. Da kam das geflügelte Ungeheuer heraus und eilte zu dem Altare, wo ihm heute keineswegs das erste Opfer bereitet war. Es schoß flammende Blitze auf die arme Christin. Aber diese blieb selbst im Angesichte des Todes unerschrocken.

Sie trug ein kleines goldenes Kruzifix im Busen, und da sie in unerschütterlichem Glauben an ihren Erlöser beharrte, so zog sie es in ihrem Sterbestündlein hervor, gerade als der gierige Drache auf sie lossprang.

Sowie der Drache das Kruzifix erblickte, stürzte er sich mit furchtbarem Zischen in den nächsten Waldesgrund.

Die Jungfrau dankte inbrünstiglich ihrem Erlöser. Aber alles Volk wurde durch dies Wunder von dem Heidentume abgezogen und zum Christentume bekehrt. Alle erkannten in dem Kreuze den mächtigen Talisman, der von Tod und Sünde freimachen könne.

Der Christin näherten sie sich nun wie einer Heiligen. Sie lösten ihre Bande und ließen sich das unscheinbare kleine Kreuz vorweisen und predigen.

Die vom Tode befreite Jungfrau predigte ihnen das Kreuz mit solcher Beredsamkeit, daß zuletzt das ganze Volk auf den Knieen lag. Zwar waren die Anführer, welche um ihre Hand geworben hatten, nicht zugegen. Aber da die Christin in ihre Heimat zu ihren Eltern zurückzukehren wünschte, um dem Volke von dort her einen Priester zu senden, durch den jedermann sich könne taufen lassen, so wagten sie nicht, die Geliebte zurückzuhalten. Der Priester aber, welchen die Jungfrau schickte, taufte zuerst das Volk, dann die beiden Häuptlinge und zuletzt selbst die in diese Gegend verschlagenen Druiden.

Wo der Stein gestanden hatte, auf welchem dem Drachen geopfert worden war, erhob sich alsbald eine christliche Kapelle.

[191] Siegfried auf dem Drachenfelsen.

Bei dem Heldengedichte von den Nibelungen kann nicht gut an den Drachenfelsen gedacht werden; es müßte denn sein, daß man den Kampf mit dem Drachen, durch dessen Blut Siegfried die Hornhaut erhält, nach dem Drachenfelsen verlegen wollte, was nicht recht passend ist. Von dem Heldengedichte: die Nibelungen, dessen Inhalt zu Anfang dieses Buches erzählt ist, weicht jedoch das Volksbuch »der gehörnte Siegfried« wesentlich ab. Die Haupthandlung in diesem Volksbuche nach dem Drachenfelsen zu verlegen, liegt ziemlich nahe, und so möge für diejenigen, welche gewohnt sind, bei dem Drachenfelsen auch an Siegfried zu denken, der Inhalt des Volksbuches, wenn auch kürzer, hier gleichfalls erzählt werden Jedenfalls geht auch der gehörnte Siegfried wohl vom Rheine aus. Die Art aber, wie er seine Florigunde gewinnt, ist eine ganz andere als diejenige, wie der Siegfried des Heldengedichtes seine Kriemhilde heimführt.

Siegfried, auch im Volksbuche bereits mit der Hornhaut versehen, aber hier noch zu jung für den Ritterschlag, begibt sich an den Hof des weltberühmten Königs Gilbald, welcher zu Worms am Rheine Hof hält. Dieser hatte eine wunderschöne Tochter mit Namen Florigunde. Als sie einst an einem heißen Mittage am Fenster stand, nahte sich ihr ein ungeheurer Drache. Er verbreitete einen solchen Feuerschein, daß die ganze [192] Königsburg wie in Flammen dastand. Er nahm die Jungfrau in die Luft mit sich, wobei er auf den Bergen einen Schatten warf, der eine halbe Stunde lang war. Er trug die Jungfrau auf den Drachenfels oder, wie es in dem Volksbuche heißt, auf den Drachenstein.

Der König und die Königin zu Worms sandten Boten aus, um Nachrichten einzuziehen, wohin der Drache die Prinzessin Florigunde getragen habe. Diese kehrten endlich mit der Nachricht zurück, daß sie sich auf dem Drachenstein befinde. Auch brachten sie einen Spruch von frommen Leuten heim, welche der Zukunft kundig waren. Es ging daraus hervor, daß nur ein einziger Held und auch dieser nur unter ganz außerordentlichen Gefahren die Jungfrau auf dem Drachensteine erlösen könne. Dies wurde sogleich auf Siegfried bezogen, der freilich noch immer etwas jung war, aber aus königlichem Geschlechte stammte.

Nachdem die Jungfrau drei bis vier Jahre auf dem Drachensteine geschmachtet hatte, versammelten sich gar viele Könige am Königshofe zu Worms, um Florigundens Vater zu trösten, zugleich aber ihm ihre Hülfe zu ihrer Befreiung anzubieten. Da wurde ein großes Turnier angestellt, um die Kraft und die Gewandtheit der Helden zu prüfen; aber Siegfried trug den ersten Preis davon. Er wurde nun zum Ritter geschlagen und von allen mit der Befreiung der Jungfrau beauftragt. Doch konnte er nicht sogleich ausziehen zum Kampf mit dem Drachen, denn noch immer war die Lage des Drachensteins nicht bekannt, und Siegfried überlegte hin und her mit Florigundens Eltern, wie er wohl dahin gelangen könne. Da, als er einst auf der Jagd sich befand, lief plötzlich sein Spürhund in ein Dickicht. Siegfried bemerkte sogleich, daß er eine ganz ungeheuerliche Spur aufgefunden haben müsse, und folgte ihm mit Begier. Vier Tage lang ritt er immer hinter dem Hunde her, ohne zu essen und zu trinken. Da mußte er sein Pferd ein wenig grasen lassen, aber schlafen konnte er nicht während der Zeit, denn es kam ein Löwe, den er nach kurzem Kampfe erschlug.

Nun zäumte er wieder sein Roß auf und folgte dem Spürhunde. Da erschien alsbald ein gewappneter Ritter, der rannte ihn freventlich an, und Siegfried tötete ihn. Sterbend fragte der Ritter ihn nach seinem Namen. Nachdem er ihn erfahren, sprach er: »Dann bin ich ja von eines [193] berühmten Recken Hand gefallen. Darum vermache ich Dir meinen Harnisch und meinen Schild. Beide wirst Du hier gebrauchen können. In diesem Walde wohnt nämlich der Riese Wolfgrambär. Der hat auch mich besiegt, einen kühnen Ritter, welcher aus Sizilien auszog, um Abenteuer zu suchen. Ihm sollte ich fünf Ritter unterwerfen, um frei zu werden, und zu denen solltest Du gehören, darum fiel ich Dich an.«

Siegfried verfolgte dann weiter die Spur im Walde. Da kam der Zwergkönig Egwaldus in köstlichen Kleidern auf einem kohlschwarzen Pferde dahergeritten. Er hatte tausend wohlgeputzte und wohlbewaffnete Zwerge bei sich. Siegfrieden rief er sogleich bei Namen und nannte auch dessen Vater und Mutter. Da dachte Siegfried, der muß auch wissen, wo der Drachenstein liegt und fragte nach dem Wege. Darüber erschrak aber der Zwergkönig Egwaldus und verweigerte die Antwort, weil auf dem Drachensteine ein so entsetzlicher Drache wohne, daß niemand die Jungfrau Florigunde von ihm erlösen könne. Allein Siegfried teilte die Furcht nicht, die der Zwergkönig vor dem Abenteuer mit dem Drachen hatte. Dieser wollte sogar von Siegfrieds Seite entfliehen. Da ergriff Siegfried den Kleinen bei den Haaren. Er schleuderte ihn gegen eine Felswand, daß die Krone auf seinem Haupte in Stücken zerbrach. Nun sagte der Zwergkönig: »Der Riese Wolfgrambär wohnt hier ganz nahe. Ihm gehört die ganze Gegend und tausend Mannen müssen ihm dienen. Derselbige hat den Schlüssel zum Drachenstein.«

Da bedrohte Siegfried den Zwergkönig Egwaldus von neuem mit dem Tode, wenn er ihm nicht den Weg zum Riesen Wolfgrambär zeigen wolle. Zitternd wies der Zwergkönig auf einen Berg, wo der Riese wohnte. Hier klopfte Siegfried an das Felsenschloß und begehrte, daß der Riese die schöne Jungfrau Florigunde herausgebe, die er nun schon vier Jahre lang auf dem Drachensteine eingeschlossen habe.

Da schlug der Riese mit einer großen eisernen Stange nach Siegfried. Aber dieser sprang behende zur Seite und wurde nicht von der Eisenstange getroffen; nur die Äste der Bäume knisterten, die von dem ungeschlachten Riesen aus Versehen abgeschlagen waren. Plötzlich brachte Siegfried dem Riesen eine tiefe Wunde bei. Allein dieser floh in eine steinerne Wand, wo er seine Wunden so gut als möglich zu verbinden suchte. Dann [194] sprang er wieder hervor, und sie kämpften weiter. Endlich kam der Zwergkönig Egwaldus und setzte Siegfried seine Nebelkappe auf. Dadurch rettete er ihn in einem gefährlichen Augenblicke. Aber als Siegfried sich erholt hatte, wurde der Kampf doch fortgesetzt. Zuletzt mußte der Riese das Felsenloch aufschließen, worinnen sich Florigunde befand, und Siegfried steckte den Schlüssel zu sich.

Darauf schenkte der Riese Wolfgrambär Siegfried noch eine überaus schöne Klinge. Mit dieser allein, sagte er, könne der Drache überwunden werden. Da nun aber Siegfried schnell nach diesem Schwerte griff, so versetzte der Riese Siegfried eine tiefe Wunde. Doch Siegfried riß dem Riesen seine Wunden auf. Dadurch wurde derselbe so schwach, daß Siegfried ihn in die Felsenkluft hinabwerfen und dadurch zerschmettern konnte, worüber Florigunde in ein lautes Freudengeschrei ausbrach.

Erst jetzt erinnerte sich Siegfried, daß er seit vier Tagen und vier Nächten weder gegessen noch getrunken hatte. Darüber erschrak die Jungfrau nicht wenig. Der Zwergkönig Egwaldus bot sogleich seine Zwerge auf, um ihm und auch Florigunden mit Speise und Trank aufzuwarten. Aber kaum saßen sie bei Tische, da kam der ungeheure Drache mit neun jungen Drachen über die Berge hergeflogen. Ihr Flug erschütterte das Gebirge, als ob es zusammenbrechen wollte. Der Jungfrau rann der kalte Angstschweiß über das Gesicht, und die Zwerge, welche bei Tische bedienen sollten, liefen davon.

Dem Drachen flog das Feuer voraus, so weit als drei brennende Riesenspieße lang sind. Der Drache war aber ein schmucker Jüngling gewesen, den eine Hexe verwünscht hatte. Mit Leib und Seele diente er nun dem Teufel. Nach fünf Jahren hatte er wieder ein Mensch werden sollen, und diese Zeit war jetzt bald um. Dann hätte er Florigunde heiraten können. Sie hatte ihn schon am Osterfeste, an welchem er sich verwandeln durfte, in seiner menschlichen Gestalt gesehen, aber dennoch graute ihr vor ihm.

Siegfried nahm das Schwert, welches ihm der Riese auf dem Drachensteine geschenkt hatte und stieg damit den Felsen hinan. Die Zwerge liefen vor Angst in die Wälder und versteckten den Schatz des Königs Egwaldus in Felsen. Der Zwergkönig selbst aber war schon längst davon gelaufen. [195] Der Schatz desselben wurde von Siegfried gefunden, welcher glaubte, daß er dem Drachen oder dem Riesen gehöre und ihn später aufzunehmen beschloß.

Inzwischen meldete Florigunde dem geliebten Siegfried, daß Egwaldus wieder zu ihr gekommen war, um ihr die Schreckensbotschaft zu bringen, der Drache habe noch sechzig junge Drachen an sich gezogen. Als nun Siegfried wieder an dem Drachenstein emporgeklommen war und mit jenem Schwerte den Angriff machte, da flogen die jungen Drachen davon. Der alte Drache blieb allein zurück. Er spie blaue und rote Flammen auf Siegfried hinab, von welchen dieser mehrmals zu Boden gerissen wurde. Auch umzingelte er den Ritter mehrmals mit seinem Schweife und versuchte ihn vom Drachenstein hinabzuschleudern. Siegfried aber sprang aus dieser Schlinge wieder heraus und dachte darauf, wie er dem Drachen seinen Schwanz abhauen könne. Dies gelang auch. Der Drache geriet dadurch in fürchterlichen Zorn und hauchte eine Glut aus, als ob ein ganzes Fuder Kohlen auf dem ohnehin schon heißen Steine abgeladen würde.

Jedoch wußte Siegfried jetzt, daß das Schwert, welches ihm Wolfgrambär gewiesen hatte, wirklich im Stande sei in dem Leibe des Drachen zu haften. Darum faßte er sich ein Herz und führte einen so gewaltigen Streich, daß er den Drachen mitten von einander in zwei Stücke teilte. In demselben Augenblicke fiel die eine Hälfte vom Steine hinab. Die andere Hälfte ergriff Siegfried und warf sie mit Händen und Füßen gleichfalls hinunter.

Siegfried war nun aber aufs höchste erschöpft. So fand ihn Florigunde, seine Braut, welche in der Drachenhöhle geweilt und aus dem fürchterlichen Getöse beim Falle des Drachen geschlossen hatte, daß Siegfried gesiegt haben müsse. Als sie ihn beinahe leblos daliegen sah und den Zwerg Egwaldus rufen wollte, sank sie gleichfalls in Ohnmacht.

Siegfried erholte sich zuerst wieder. Während er noch um Florigunde klagte, kam zum Glücke der Zwerg Egwaldus gelaufen. Er brachte eine Wurzel mit, die gab er Siegfrieden, auf daß er sie der Jungfrau in den Mund steckte. Dieser that wie ihm geheißen, und sogleich erholte sich Florigunde, schlug die Augen auf, richtete sich empor und umarmte mit bräutlichen Geberden ihren Erretter. Der Zwergkönig Egwaldus erzählte nun, daß der böse Riese Wolfgrambär die Zwerge, deren in diesem Berge [196] über tausend gewesen waren, bezwungen hatte. Sie mußten ihm ihr eigenes Land verzinsen. Aus Dankbarkeit, weil Siegfried außer Florigunde auch die Zwerge befreit hatte, wollten sie das Brautpaar bis nach Worms begleiten, zumal sie der Wege sehr kundig waren.

Zunächst bat der Zwergkönig den Helden, sich mit Florigunde in dem Palaste der Zwerge innerhalb des Berges nun endlich an Speise und Trank zu laben. Die Zwerge trugen das köstlichste auf, was sie so schnell herbeischaffen konnten. Recht lustig war auch die Tafelmusik, die Egwaldus von Zwergen machen ließ. Zuletzt wurde Backwerk in vergoldeten Schüsseln aufgetragen. Die Zwerge tranken nippend die Gesundheit des Brautpaares und führten einen Tanz auf. Florigunde zog einen schönen Ring mit köstlichen Diamanten von der Hand und steckte ihn an den Goldfinger des Ritters. Siegfried nahm eine goldene Kette, welche er als ersten Preis bei dem Turnier zu Worms erhalten hatte, und hängte sie Florigunden als Brautgeschenk um.

Am andern Morgen bat der Zwergkönig seine Gäste freundlich, doch noch länger bei ihm zu verweilen. Aber Siegfried begehrte Urlaub und hatte keine Ruhe mehr. Da ließ der Zwergkönig das Frühstück auftragen. Nachdem es genossen war, nahm das Brautpaar Abschied von dem Zwergkönig Egwaldus und seinen Brüdern. Die ihm schon vorher angetragene Begleitung der Zwerge nahm Siegfried nicht an, außer daß Egwaldus allein ihn begleiten durfte. Der Zwergkönig setzte sich auf ein prächtiges Pferd und ritt dem Brautpaare voran. Nach kurzer Zeit indessen nötigte Siegfried auch ihn zur Rückkehr in seinen Berg.

Erst jetzt erinnerte sich Siegfried seines Schatzes, den er für seine Beute nach den Kämpfen am Drachensteine hielt, und kehrte mit Florigunde um, ihn zu holen. Er legte diesen Schatz vor sich hin auf sein Pferd. Alsdann führte er Florigunde gen Worms auf dem Wege, auf welchem er am Tage vorher gekommen war.

Als sie wieder an die Stelle kamen, wo Siegfried mit dem sizilianischen Ritter zusammengetroffen war, sahen sie das Pferd desselben dort auf der Weide umhergehen. Siegfried band das seinige an einen Baum, damit es ebenfalls grasen konnte. Währenddessen fing er das andere Pferd ein und belud es mit dem Schatze aus dem Berge.

[197] Als sie dann bei Fortsetzung ihrer Reise aus einem mehr gelichteten Walde in ein Dickicht gekommen waren, wurden sie plötzlich durch eine Rotte von Räubern und Mördern umringt. Es waren ihrer nicht weniger als dreizehn, doch sprach Siegfried: »Die werden uns auch nicht beißen.« »Wir wollen ihnen den Schatz geben,« sagte Florigunde.

»Ich achte des Schatzes nur wenig,« antwortete Siegfried, »aber für Räuber und Mörder ist er mir doch zu gut.«

Jedoch schon hatten sechs Räuber Siegfried und sechs andere Florigunde umringt. Der dreizehnte ergriff das Roß des Sizilianers, welches den Reisenden als beladenes Saumtier diente und wollte sich mit dem Schatze davon machen.

Als Siegfried dies sah, tötete er teils die Räuber, teils schlug er sie in die Flucht. Jetzt verfolgte er den Räuber, welcher das Pferd mit dem Schatze entführt hatte. Mit seinem guten Pferde holte er ihn bald wieder ein, hieb ihn nieder und wollte mit dem Schatze zu Florigunden zurückkehren. Allein diese hatten diejenigen Räuber, welche zuletzt flüchtig geworden waren, mit sich genommen.

Um nun schneller wieder zu Florigunde zu kommen, ließ Siegfried das Handpferd mit dem Schatze laufen, wohin es wollte, und erjagte dann die Räuber, von denen Florigunde gefangen war. Er machte sie alle nieder bis auf einen einzigen, welcher in einen Sumpf gelaufen war. Diesem schenkte er das Leben. »Siehst Du einen Wanderer,« sagte er dabei, »so kannst Du ihm sagen, daß Du den gehörnten Siegfried gesehen hast«.

So setzten sie dann ihre Reise fort und gelangten nach Worms, wo der König und die Königin eine große Hochzeit für sie anstellten. Weil aber Siegfried von allen der tapferste war und so große Dinge vollbracht hatte, so wurde die Hochzeit desto lustiger gefeiert.

Auch nach dem Volksbuche kommt Siegfried endlich durch seinen Schwager um, und wie das Heldengedicht, so endet auch dieses mit einem großen Kriege.

[198] Die heilige Ursula und die elftausend Jungfrauen.

In christlicher Zeit, da bereits die Enden der Erde sich zu Gott bekehret hatten, lebte in Britannia ein König, der hieß Deonotus; der erfüllte getreulich jeden Brauch des katholischen Glaubens und regierete seine Unterthanen also, daß er alle Zeit gedachte, wie er selber wieder Gott unterthan sein müsse.

Deonotus hatte eine Gemahlin, die war ihm gleich an Adel und Glanz der Tugenden. Diese beiden Eheleute warteten mit Sehnsucht eines Sohnes, doch schenkte ihnen Gott eine Tochter.

Diese Tochter sollte einst wie David einen Bären,ursum, erschlagen, nämlich den Teufel: darum hat Gott es gefügt, daß sie schon bei der Taufe Ursula genannt wurde.

Ursula ward in königlichen Ehren erzogen, doch däuchte ihr die Welt nur geringe, und sie sann dem Gesetze des Herren nach Tag und Nacht. Darum schien es schon damals, als würde der himmlische Vater diesen Edelstein schleifen zu einem herrlichen Schmucke der Kirche, und als hätte er ihr schon damals verkündiget: »Höre, Tochter, und neige Dein Ohr zu mir, denn ich habe Deine Schöne lieb gewonnen.«

Es war aber nicht bloß ihre Seele schön, sondern auch ihr Leib gar [199] anmutig. Der Ruf ihrer Lieblichkeit drang weit umher, und so vernahm von ihren Reizen und ihren Tugenden auch ein wilder Fürst der Heiden; der gedachte alsbald, wie er sie wohl mit seinem Sohne vermählen könnte. So sandte er denn Boten an den Vater der Jungfrau mit reichen Geschenken und noch reicheren Versprechungen nach Britannia, aber auch mit Drohungen für den Fall, daß seine Bitte um die Hand der Ursula für seinen Sohn nicht erfüllt werden sollte.

Die Abgesandten des Fürsten der Heiden trugen ihr Anliegen dem Könige Deonotus vor. Ihm aber schien es unwürdig, seine Tochter, welche dem himmlischen Bräutigam verlobt war, aus dessen Armen zu reißen und einer nicht nur irdischen, sondern sogar heidnischen Ehe unterwürfig zu machen. Doch war er nicht mächtig genug, den Heiden zu trotzen. Deshalb sah er im Geiste schon voraus sein Land verwüstet, die Tempel entweihet, seine Krieger niedergemetzelt und die gläubigen Frauen und Jungfrauen in der Gefangenschaft der Ungläubigen.

Ursulen ging das Leid des frommen Königes ihres Herrn Vaters sehr zu Herzen. Wie einst die heilige Judith und Esther, so lag auch sie für die Befreiung ihres Vaterlandes in Fasten und Beten auf den Knieen, auf daß sie die Worte ihres himmlischen Bräutigams vernähme, mit welchem sie schon längst eine einzige Seele geworden war.

Endlich sank sie ermattet in einen Schlummer. Da erleuchtete sie Gott durch ein Gesicht, zeigte ihr im voraus den ferneren Gang ihres Lebens, die Palme des Märtyrertodes und die Zahl ihrer Genossen, was Alles durch den endlichen Ausgang zuletzt bestätigt ist.

Zuletzt dämmerte der Morgen. Da kam sie zu ihrem trauernden Herrn Vater mit Freude strahlendem Antlitze und sprach: »Wirf Dein Anliegen auf den Herrn, er wird es wohl machen. Er wird Dich versorgen und wird den Gerechten nicht ewiglich in Unruhe lassen. Achte meine Worte für weiser als meine Jahre. Denn der Herr hat durch ein Gesicht mir kund gethan, daß Du im Einvernehmen mit dem Jünglinge, der mein begehrt, zehn Jungfrauen, durch Adel und Schönheit ausgezeichnet, erlesest und einer jeglichen und mir je tausend, elf Schiffe rüstest und drei Jahre Zeit gönnest, nach deren Verlaufe geschehe, was des Herren Wille ist.«

Darüber war der König hoch erfreut. Er ließ die Boten herbeikommen [200] und verkündigte ihnen, was die Jungfrau forderte. Er setzte die Frist bis zur Hochzeit fest, auf daß der Königssohn Zeit hätte durch Unterricht und durch das Bad der Taufe des katholischen Glaubens teilhaft zu werden.

Die Boten gingen fröhlich heim zu ihrem Herrn und verkündigten dem Könige der Heiden und seinem Sohne die Antwort des christlichen Fürsten und der christlichen Jungfrau. Da war große Freude bei Hofe und im ganzen Lande.

Die Mägdlein wurden zu Hofe geführet und herrlich geschmücket. Auch wurden die Schiffe gezieret und bereitet, und viele geschäftige Hände gerieten in Bewegung.

Bald waren die Fahrzeuge fertig, und die Jungfrauen waren versammelt.

Pinnosa hieß die edelste unter den edeln, und diese zog den geschmückten Mägdlein voran zur Königin, der Gemahlin des Deonotus.

Da trat die heilige Ursula unter das Heer der elftausend Jungfrauen, dankte und lobete Gott und ermahnte die Kampfgenossinnen zur Liebe des Herrn und zum Gehorsam gegen Gottes Gebote.

Die Jungfrauen lauschten solcher Rede, erhoben die Herzen zu Gott, schwuren gleichsam ihren Fahneneid und gelobten die Treue gegen Christus und seine heilige Lehre.

Das Meer war nahe, und auf ein Zeichen flogen sie zu den Schiffen, gingen in See und begannen ihre Übung bald zusammen, bald geteilt, und bald wie Angriff, bald wie Flucht.

Also thaten sie Tag für Tag. Der fromme König und die Großen des Reiches aber stunden während solcher Übungen dabei, und das neugierige Volk jubelte den jungfräulichen Spielen zu.

Mit diesem Vorspiele der heiligen Marter waren drei Jahre hingebracht, da erschien der angelobte Hochzeitstag.

Nun ward Ursulen bange. Sie bat ihre Genossinnen, daß sie stärker klopfen sollten an die Thüre der göttlichen Barmherzigkeit. Ursula ermahnte ihre Freundinnen, nicht das Rüstzeug der Keuschheit zu verlieren, mit welchem sie drei Jahre lang dem himmlischen Könige ohne Tadel gedienet hätten. Die elftausend Jungfrauen aber hinwiederum riefen weinend gen Himmel, daß ihre Königin nicht zu grunde gehen möchte.

[201] Gott erhörte ihr Flehen. Er sandte einen Wind, der wehte einen Tag und eine Nacht. Er entführte die Schiffe aus der Gegend der heidnischen Lande und brachte sie glücklich und wohlbehalten nach Köln. Daselbst war Ursula bereits sicher vor der erzwungenen Hochzeit. Errettet wie einst die Juden vor Pharaos Heere stimmten die elftausend Jungfrauen das himmlische Brautlied an. Jubelnd stieg es zum Himmel und zu den Ohren Zebaoths auf.

Allein noch weiter sollten sie entfliehen von den Grenzen der Lande, da ein heidnisches Volk die Ursula als Gemahlin für den Königssohn begehrte. In der Nacht aber, da sie zu Köln schliefen, da erschien der Ursula ein Mann im Traume mit englischer Klarheit. Dessen erschrak sie, aber der Mann tröstete sie und sprach: »Wisse, meine Tochter, Du sollst mit Deinem Heere gen Rom ziehen, allda beten und wieder nach Köln kommen in Frieden. Euer keiner soll vorher umkommen. Denn in Köln ist Euch Ruhe bestimmt in Ewigkeit. Ihr habet einen guten Kampf gekämpfet, darum sollet Ihr zu Köln ablegen die Last Euerer Leiber und mit der Glorie der himmlischen Märtyrer eingehen in das himmlische Brautgemach.«

So sprach der Mann und verschwand. Im Morgengrauen berief die heilige Ursula die elftausend Jungfrauen zur Versammlung und erzählte ihnen Alles. Sie aber jubelten, daß sie gewürdigt seien, für Christi Namen Schmach zu leiden, opferten Dankopfer, zogen stromauf nach Basel, banden ihre Schiffe daselbst an und kletterten zu Fuße über die Alpenpässe hinweg als Pilgerinnen nach Rom.

Daselbst besuchten sie alle Tempel der Heiligen und durchwachten in ihnen betend die Nächte. Darauf zogen sie nach Basel zurück auf derselben Straße, bestiegen ihre Schiffe von neuem und kamen glücklich wieder bis Köln.

Vor dieser Stadt aber lagen gerade jetzt die Hunnen. Dem Heidenkönige im Norden war Ursula entflohen, nun sollte sie dem großen Könige der Heiden im Süden in die Hände fallen.

Den Jungfrauen war die Milde der Bewohner von Köln schon vorher kund geworden. Arglos stiegen sie aus und wollten zur Stadt gehen. Da fiel plötzlich das Volk der Hunnen über sie her, wie Wölfe in Schafhürden einbrechen, und vertilgten eine unabsehbare Menge mit unmenschlicher [202] Grausamkeit, kaum daß eine oder mehrere wie Kordula sich wieder auf ein Schiff zurückzogen und dort noch einen Tag verborgen hielten.

Zuletzt kamen die Würger am ersten Tage auch zur heiligen Ursula. Da war Attila, ihr Fürst, vom Zauber ihrer Schönheit gerührt; wie vom Blitze getroffen, bequemte er sich zu schmeicheln und trug ihr an, den Besieger von Europa zum Gemahl zu nehmen. Solchen Bräutigam aber wies die Gott geweihte Jungfrau ab, als ob es der Fürst der Finsternis wäre.

Da ergrimmte der Heide Attila und befahl, sie zu töten. Vom Pfeile durchbohrt, sank sie zu der herrlichen Schar ihrer Genossinnen nieder, als ein himmlischer Edelstein, und abermals getauft in der Bluttaufe zog sie gekrönt mit der Märtyrerkrone nebst den singenden Scharen der elftausend Jungfrauen zur himmlischen Burg.

Welch eine Freude ward an diesem Tage im Himmel den Aposteln und Märtyrern und allen himmlischen Bürgern zu teil! Köln aber, die selige, noch seliger durch den unvergleichlichen Schatz der Reliquien, die ihr durch den Tod der heiligen Ursula bestimmt waren, sollte durch die Befreiung der elftausend Jungfrauen von allen Erdennöten erfahren, wie der Tod der Heiligen wert gehalten wird vor dem Herrn. Den Hunnen nämlich erschienen so viele Reihen Bewaffneter, als sie Jungfrauen gemordet hatten. Von solchen Reihen der Bewaffneten wurden die Feinde verfolgt. Diese aber konnten ihnen nicht widerstehen und liefen in wilder Flucht davon.

Erst jetzt vermochten die Kölner aus den Thoren zu gehen, wo sie dann die Leichen der Jungfrauen fanden, die ihnen schon von ehedem bekannt waren. Sie suchen die zerstreuten Glieder zusammen, sie bedecken dieselbigen, sie graben diese ein, legen jene in Särge, und bald, wie es noch heute zu sehen ist, ruhen die Überreste der heiligsten Jungfrauen zum ewigen Ruhme Kölns im Frieden.

Niemand wagte seit der Zeit im Umkreise der jungfräulichen Grabstätte einen Leichnam zu beerdigen. Später aber kam ein gottseliger Mann mit Namen Clementius, durch göttliche Gesichter ermahnt, wie ein Gesandter der heiligen Jungfrau aus dem fernen Osten, der erbaute eine Kirche der elftausend Jungfrauen.

Es war aber unter dem heiligen Heere eine Jungfrau mit Namen [203] Kordula, diese hatte sich an jenem Tage allein in einem Schiffe verborgen, am anderen Tage freiwillig mit männlichem Mute gestellet. Also war sie mit gleichem Rechte der triumphierenden Schar der Märtyrer gefolget.

Lange Zeit nachher erschien diese heilige Kordula der frommen Helentrut, über menschliche Kunst wunderbar gekleidet, einen Kranz von Lilien mit Rosen durchwebt auf dem Haupte. »Ich bin eine jener heiligen Kölnischen Jungfrauen«, so sprach sie, »die den Tag des Triumphes überlebten und am folgenden Tage sich freiwillig dem Henker gestellt haben. In Christo sterbend, habe ich weder die Genossinen verlassen noch meine Märtyrerkrone verloren. Doch wird meines Namens nicht gedacht. Darum bin ich hier, daß man sich meiner am folgenden Tage erinnere.«

Als Helentrut nach ihrem Namen gefragt, hat die Heilige erwidert, sie solle ihr nach der Stirne schauen, da stände er eingeschrieben. Sie sah und las genau den Namen Kordula.

Darum jauchze, Jerusalem in der Höhe, das die Märtyrer empfangen! es jauchze Britannia, das sie geboren hat! es jauchze Germania, das die erwählten Blumen des Ozeans aufgenommen hat! Es jauchze Rom, das sie zurückgesendet! Es jauchze Köln, daß es solchen Schatz bei sich birgt!

[204] Der heilige Reinold in Köln.

Herr Heymon hatte geschworen, alle Kinder, die er von seiner Gemahlin Aya bekommen würde, umzubringen. Darum verheimlichte sie ihm die Geburt der vier Heymonskinder, bis er ernstlich beklagte, daß er kinderlos sei. Da ließ sie ihn einen Eid thun, daß er der vier Heymonskinder schonen wolle und führte ihn in einen Saal, wo sie bei einander waren wie vier schöne Blumen.

Als Heymon vor das Gemach der Knaben oder Jünglinge kam, blieb er ein wenig an der Thür stehen und hörte wie sein Sohn Reinold sprach: »Ich sage dem Hofmeister keinen Dank, der uns allhier zu essen und zu trinken bringt; denn alle Gerichte, die er uns schafft, sind als Brosamen auf eines andern Herrn Tische übrig geblieben; dazu giebt er uns schlechten Wein; hätte ich den Speisemeister dahier, ihn wollt ich so zurichten, daß er vor meinen Füßen liegen bleiben sollte.«

Heymon sprach voll Freuden: »Das ist gewiß mein Sohn! Aber von den andern weiß ich's noch nicht. Will sie einmal versuchen.« Deshalb stieß Heymon mit dem Fuße an die Thür, daß sie zersprang. Da sprach Reinold: »Was lärmst Du denn hier so, Du alter Graukopf? Wärst Du eher gekommen, so hättest Du mit uns essen sollen so gut wir's selbst nur hatten. Nun haben wir nichts mehr; sei ruhig!« Damit warf er ihn zu [205] Boden, und die andern drei Heymonskinder kamen herbei, um ihrem Bruder beizustehen. Da rief Heymon: »O Ihr jungen Helden, schlagt mich nicht; ich bin Heymon, Euer lieber Vater, und will Euch auf den Abend alle vier zu Rittern machen.« Aber nun ergriff Reinold wieder zuerst das Wort und sagte: »O Gott, seid Ihr mein Vater, so wäre es mir von Herzen leid, wenn ich Euch geschlagen hätte.«

Reinold hieß seinen Vater aufstehen. Der aber drückte ihn so freundlich an Brust und Wangen, daß ihm die Nase blutete. Da rief Reinold wieder: »So wahr mir Gott helfe, wenn Ihr mein Vater nicht wäret, ich wollte Euch dermaßen schlagen, daß Ihr möchtet liegen bleiben.«

Darauf versicherte ihn Heymon, wie sehr er sich seiner Erhaltung freue. Da sprach die Mutter, Frau Aya: »Gnädiger Herr, was unsere Söhne zum ritterlichen Stande bedürfen, als Kleider, Wehr und Waffen, das habe ich alles machen lassen, Ihr könnet sogleich mit den jungen Herzögen an den Königshof reiten.«

So lebte Reinold als ein Held. Endlich aber gedachte er, hinfüro sein Leben in freiwilliger Armut hinzubringen und sein Brot im Schweiße seines Angesichtes zu genießen. Inmittelst hörte er, daß Köln die heiligste und vortrefflichste Stadt in Deutschland sei wegen der Reliquien und der heiligen Leiber, die da ihr Blut um des christlichen Glaubens willen vergossen hätten. Dies bewog ihn, dorthin zu ziehen. Allda lebte er heilig und war Tag und Nacht emsig in seinem Gebete. Gott gab ihm Macht, daß er die Lahmen und Krüppel gerade, die Tauben hörend und die Blinden sehend machen konnte. Auf Reinolds Gebet nahm Gott einst die Strafe der Pestilenz von Köln, wofür alle Bewohner von Köln Gott auf den Knieen dankten. Bei alledem hielt er sich so verborgen als es möglich war, weilte aber schon meistens beim Peterskloster.

Es lebte zu dieser Zeit noch ein anderer Heiliger zu Köln, der Bischof Agilolphus; der war ein kluger und verständiger Mann, führte ein eingezogenes reines Leben und gab Andern ein gutes Exempel. Der fing an, die Sankt Peterskirche beim Sankt Peterskloster zu bauen, und ließ in allen umliegenden Ländern Zimmerleute, Steinmetzen und andere Arbeiter mehr anrufen. Also kam eine große Menge Volks nach Köln. Auch Reinold bot sich an und ward zum Oberaufseher aller Werkleute gesetzt. [206] Er mußte die Andern zur Arbeit antreiben, that aber selbst mehr als vier oder fünf von ihnen. Gingen seine Kameraden zu Bette, so blieb er auf den Steinen liegen. Der Werkmeister fragte, wie er hieße. Das wollte er nicht sagen, blieb also verschwiegen und that allein seine Arbeit. Da nannten sie ihn Sankt Peters Werkmann, weil er bei dem Bau der Peterskirche es allen im Fleiße zuvorthat.

Das verdroß die andern Arbeiter, welchen er oft als Muster aufgestellt wurde. Nun wußten sie, daß der heilige Reinold in der Nacht noch oftmals von seinen Steinen aufstand und eine der Kirchen Kölns nach der andern besuchte, um darinnen zu beten und Almosen zu geben. Da wurden sie einig, daß sie an der Stelle, wo später St. Reinoldskapelle erbaut ward, auf ihn warten und ihn umbringen wollten. Sie zerschmetterten seinen Schädel, steckten Reinolds Leichnam in einen Sack, den sie obendrein mit Steinen anfüllten, und warfen ihn so in den Rhein.

Allein Gott gab Gnade, daß der Sack wieder empor kam und auf dem Ufer liegen blieb, obgleich der Rhein gar stark ging. Da ward die Seele des heiligen Märtyrers Reinold mit großem Lobgesange von den Engeln vor Gottes Thron geführt.

Um diese Zeit wurde auch die Stadt Dortmund zum Christentume bekehrt. Die Bürger schickten Boten nach Köln und begehreten demütiglich, der Bischof Agilolphus wolle ihnen von den Heiligtümern, die sich in der frommen Stadt befanden, doch etwas mitteilen.

Da versammelte der Bischof Agilolphus die ganze Klerisei und beriet mit ihr, welcher Heilige den Dortmundern am nützlichsten werden könnte. Gott selbst bezeichnete ihnen dabei den Leichnam des heiligen Reinold.

Derselbige wurde auf einen Wagen gesetzt. Aber noch waren keine Pferde vorgespannt, da bewegte sich der Wagen schon von selbst von der Stelle.

Wo Reinold erschlagen war, hielt der Wagen von selbst an. Da versammelten sich der Bischof und die Geistlichkeit und beschlossen, hier die Kirche des heiligen Reinold zu bauen.

Sobald sie diesen Entschluß gefaßt hatten, fing der Wagen ohne Pferde an zu laufen und lief bis Dortmund; der Bischof und die andern Priester hatten beschlossen, ihn in Prozession zu begleiten, vermochten ihm [207] aber mit dem Allerheiligsten kaum zu folgen. Wie weise der Bischof Agilolphus beraten war, als er den Dortmundern den Leichnam des heiligen Reinold schickte, sollte sich klärlich zeigen, denn in einer großen Gefahr dieser Stadt hat man gesehen, wie der heilige Reinold als Ritter auf der Stadtmauer stand und Dortmund allein verteidigte und rettete.

[208] Bischof Hildebold von Köln.

Bischof Rikolphus von Köln war gestorben, da entstand ein großer Streit unter der Geistlichkeit über die Wahl seines Nachfolgers. Als das Kaiser Karl der Große hörte, wie er von der Jagd kam, setzte er sich sogleich wieder auf sein Pferd und ritt die ganze Nacht durch gen Köln.

Da er schon nahe bei dieser Stadt war, hörte er in einem Kirchlein zur Messe läuten, stieg vom Pferde und band es an einen Baum, denn er wollte erst die Frühmesse hören, ehe er nach Köln hineinritt.

Der Priester, welcher Messe las, gefiel ihm. Karolus hatte aber noch einen Hornfässer umhängen, wie die Jäger zu haben pflegen. So trat er an den Altar und opferte einen Gulden.

Der Meßpriester hielt den Kaiser für einen gewöhnlichen Jäger. Nachdem er Messe gelesen hatte, nahm er den Gulden und sprach zu Karl:

»Guter Freund, nehmet Euren Gulden zurück, man opfert hier nicht mit Gulden.«

»Herr, behaltet den Gulden nur, ich gebe ihn Euch gern,« antwortete Karl.

Der Priester meinte jetzt: »Ich sehe wohl, Ihr seid ein Jäger. Nun bedarf mein Meßbuch eines Umzuges. Darum bitte ich Euch, schicket mir doch die Haut von dem ersten Reh, welches Ihr erjaget, damit mein Meßbuch wieder gut eingebunden werden kann. Den Gulden aber behaltet nur für Euch.«

[209] Da wandte sich der Kaiser an die andern, so da Messe gehört hatten, fragte sie nach der Lebensweise des Priesters und erfuhr, daß er ein frommer und rechtschaffener Mann sei.

Hierauf ritt Kaiser Karolus in Köln ein und trat unter die vornehmen Geistlichen, die kannten ihn alle, ob er auch in schlichter Jägerkleidung kam, aber sie konnten sich doch über die Wahl des neuen Bischofs noch nicht sogleich einigen, wie sehr auch Karl sie zum Frieden ermahnte.

Da sprach Kaiser Karl endlich: »So will ich denn einen Bischof für Euch wählen.«

Er ließ den Priester in die Stadt holen, welcher den Gulden zurückgegeben und um das Rehfell gebeten hatte, und setzte ihnen den als Bischof. Solches geschah im Jahre des Herrn 784. Er hieß Hildebold, krönte Karls Sohn Ludwig zum Kaiser, regierte in Köln bis 818 und ward in Sankt Gereon zur rechten Hand neben dem ersten Altare begraben.

[210] Albertus Magnus.

Albertus Magnus war zu Lanningen 1193 geboren und ging nach Köln in das Kloster des Predigerordens. Er war aber ein dummer Tölpel. Endlich auf sein inbrünstig Gebet um Erleuchtung erschien eines Tages die Mutter Gottes und fragte ihn, ob er ein Licht in der Gottesgelahrtheit oder in der Weltweisheit werden wolle.

Albertus erkor die Weltweisheit, welche ihm auch die Mutter Maria zugestand; aber zur Strafe, weil er nicht die Gottesgelahrtheit gewählt hatte, bestimmte sie, daß er drei Jahre vor seinem Tode wieder ganz dumm werden solle.

Nun verstand sich Albertus auf Medizin, Mathematik und Architektur, daher er auch viele Maschinen erfand und wie einige vermeinen, sogar das Schießgewehr.

Im Winter des Jahres 1248 kam der zwanzigjährige römische Kaiser, Wilhelm II. von Holland, mit einem stattlichen Geleite nach Köln. Es war eine schreckliche Kälte, und der Rheinstrom war gefroren bis auf den Grund.

Kaum hatten sich der Kaiser und seine Begleiter von dem weiten Ritte etwas erholt, da begehrten sie auch schon den weltberühmten Magnum zu sehen, und luden ihn ein, den Abend mit ihnen zu verbringen. Beim [211] Abendessen forderte der Kaiser Albertum Magnum auf, doch mit einigen seiner Künste sich sehen zu lassen. Albertus nahm, ohne sich lange zu besinnen, einen Humpen des schönen Rheinweines, der auf der Tafel stand. Er sprach einige unverständliche Worte, und im Augenblicke züngelten blaue Flammen aus dem Humpen empor. Als er darauf den Wein hoch hinan zur Decke goß, wurde aus jedem Tropfen ein buntes Vögelein, welches umherflatternd gar lieblich sang. Alle ergötzten sich daran, doch verwandelte sich dies bald bei des Kaisers Gefolge in eitel Verdruß. Als die Herren weiter trinken wollten, schlug ihnen nämlich die helle Flamme aus dem Humpen entgegen. Der Kaiser hatte seinen größten Spaß daran.

Darauf umschritt Albertus einige male feierlich die Tafel, und gleich darnach sah man anstatt der dürftigen Speisen des kalten Winters die lieblichsten Gerichte des Sommers vor sich in reicher Fülle ausgebreitet. Nicht gewarnt durch den ersten Spuk, griffen alle voll Eifers zu. Im Augenblick verschwand Albertus und mit ihm alle Herrlichkeiten der Tafel. Statt dessen gab's einen lustigen Anblick, als nun die Ritter sich gegenseitig ansahen. Der eine hatte des anderen Nase gepackt, der andere kaute an des nächsten Fingern, und einige hatten sich sogar an die Zipfel der Mäntel gemacht. Am schlimmsten war aber des Kaisers Narr beraten. Er kauerte unter der Tafel und hatte eines Hundes Schweif im Munde stecken. Wie ärgerlich Jedem sein Irrtum auch war, so mußten doch endlich alle lachen über den Streich, der ihnen wiederum gespielt war.

Anderen Tages besuchte der Kaiser mit sämmtlichen Herren Albertum im Kloster. Nachdem man sich dort alles angesehen hatte, erbot sich der Gelehrte, ihnen auch noch seinen Blumengarten zu zeigen. Es war so kalt, daß alles vor Frost zitterte; so konnten die Herren denn nicht anders, als mit lautem Spott diesen Vorschlag aufnehmen. Aber eine Pforte that sich auf, und durch sie gelangten Alle in den lieblichsten Blumengarten. Von süßem Dufte umgeben, flatterten seltsame Vögel lustig in den grünen Zweigen und sangen auf's schönste. Auch Springbrunnen gab's da, aus denen Wasserstrahlen hoch emporschossen und sich im reichen Sonnenscheine wiederspiegelten. Voll Freude und Staunen über alles, was sie erblickten, gingen einige der Herren auch näher heran und pflückten sich die schönsten Blumen ab. Am fröhlichsten war des Kaisers Narr. Er hatte seine [212] Schellenkappe im Übermut hoch empor geworfen und stieg lustig auf einen Baum, um sie sich dort wieder zu holen. Aber, als sie in den Anblick all des Schönen versunken dastanden, verschwand plötzlich alles und sie sahen die Wände des Refektoriums um sich. Die lieblichen Blumen, die Einige mitzunehmen gedacht hatten, zeigten sich als gelbe Rüben, dürre Reiser und dergleichen. Zu gleicher Zeit ertönte hoch oben im Gitterwerke eines Fensters des Narren klägliche Stimme. Er war dort eingeklemmt und konnte sich nicht regen.

So waren sie wiederum von Albertus getäuscht und konnten doch darüber nur lachen. Hiernach aber verabschiedete sich der Kaiser mit seinem Gefolge von dem gelehrten Herrn.

Einmal verstummte Albertus Magnus plötzlich in einer Predigt und wußte kein Wort mehr zu sagen. Er kam noch einmal zu Verstande, wurde aber wirklich drei Jahre vor seinem Tode wieder ganz dumm. So war er zweimal in seinem Leben ein dummer Esel, wenn er auch zweimal aus einem Esel in einen Weltweisen verwandelt wurde.

[213] Meister Gerhard von Rile, des Kölner Domes Baumeister.

In einem alten Gedichte, »Lobgesang auf den heiligen Anno«, wird unter anderem erzählt:

»Trier war eine alte Burg, sie zierte der Römer Gewalt, von dannen man unter der Erde den Wein sandte ferne mit steinen Rinnen den Herren zu liebe, die zu Köln waren seßhaft, gar mächtig war da ihre Kraft.«

Mit dieser Sage steht folgende Sage vom Kölner Dombau in Verbindung.

In deutschen wie in welschen Landen gab es um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts keinen, der dem Meister Gerhard von Rile glich in der Kunst des Bauens. Keinen gab es aber auch, der ihm an Hochmut und Vermessenheit gleich kam. Mit vielem Fleiß hatte er dem Bau des Kölner Domes sich hingegeben. Das Chor stand schon stattlich in schöner Vollendung da, als der Meister eines Tages oben vom hohen Krahne herab voll Freude sein Werk betrachtete. Mit einemmale hatte sich ein Fremder zu ihm gesellt. Ein feuerfarbener Mantel umgab ihn, und eine rote Hahnenfeder schwankte auf seinem schwarzen Barett. Er grüßte den Meister Gerhard, und auf dessen Befragen erklärte er ihm, daß er ein Baumeister aus welschem Lande sei, an dessen Kunstfertigkeit wohl die eines anderen nicht heranreichen werde. »Oho,« meinte Meister[214] Gerhard, »so rühmt sich mancher Pfuscher, deren es ja in allen Landen und in allen Künsten giebt.« Des werde er ihn bald anders belehren, entgegnete der Fremde voll Zorns. Er wolle, wenn's ihm genehm sei, darauf wetten, daß er ein unterirdisch Bächlein von Trier nach Köln über Berg und Thal leiten werde, ehe der Meister Gerhard seinen Bau vollendet habe. »Um welchen Preis?« fragte dieser voll guten Mutes. »Ich werde Deine Seele holen, wenn ich in Gestalt einer Ente auf dem Bächlein zu Dir geschwommen komme,« sagte der Fremde, und hohnlachend verschwand er im Nu.

Meister Gerhard war von dieser Stunde an immer traurig, wenn er auch emsiger als vorher noch auf die Förderung seines stolzen Baues sich bedacht zeigte. Seine Hausfrau forschte lange vergeblich dem Grunde seiner stillen Betrübnis nach, bis er endlich doch ihren Fragen nicht mehr widerstehen konnte. Als beide an einem stillen Abende nach des Tages Arbeit beisammen saßen, erzählte der Meister seiner Frau alles. Zugleich vertraute er ihr aber dabei an, daß er gar nicht bange zu sein brauche, weil unmöglich in dem Bächlein Wasser fließen könne, wenn nicht alle Viertelstunde ein Luftloch gelassen würde, und das würde dem Fremden wohl entgehen.

Nun währte es nicht lange, so erschien in Meister Gerhards Hause ein gar stattlicher Mann, ein fahrender Magister, wie er sich selbst nannte. Seine Besuche wurden immer häufiger, galten aber besonders der Hausfrau. Er richtete öfters Fragen über dieses und jenes an sie. So fragte der Magister denn auch eines Tages, als er die Frau allein traf, was wohl der Grund von ihres Ehegemahls Traurigkeit sein möge. Arglos erzählte sie dem Fremden alles und unterließ dabei auch nicht zu erwähnen, was ihr Mann von der Wichtigkeit der Luftlöcher gesagt hatte.

Nach diesem Berichte war mit einemmale der Magister von der Seite der Frau verschwunden, aber ein fürchterlicher Gestank verbreitete sich, und ihr war, als vernähme sie ein hämisches Gelächter.

Da stand wieder eines Tages Meister Gerhard auf dem hohen Krahne seines Dombaues. Rastlos trieb er seine Werkleute zur Arbeit an. Plötzlich hörte er das laute Geschnatter einer Ente! Ohne sich zu besinnen, warf er sein Werkzeug zur Erde und stürzte sich von der Höhe des Baues [215] herab in die Tiefe. Doch im Augenblicke fuhr der Teufel in eines zottigen Pudelhundes Gestalt ihm nach, erwischte ihn und führte seine arme Seele der Hölle zu. An dem hohen Krahne des Domes soll noch heute diese Begebenheit in Stein ausgehauen zu sehen sein.

Kein Meister fand sich, der geschickt genug war, den Bau weiter zu führen. Meister Gerhards arme ruhelose Seele schwebt dort herum. Viele Werkleute sind seitdem schon dort herab gestürzt, denn Meister Gerhard treibt dort seinen Spuk und will es nicht leiden, daß ein Unberufener sich an sein angefangenes Werk wagt. Allnächtlich macht sein Geist die Runde um den Bau, der nun und nimmermehr vollendet werden wird.

So die Sage. Friedrich Wilhelm IV. aber förderte mit hohem Eifer die Vollendung dieses Meisterwerkes der Baukunst, und unter Kaiser Wilhelm I. ward der stolze Bau des Kölner Domes glücklich zu Ende geführt. Weihrauchdüfte und heilige Gesänge steigen längst dort zu Gott empor und die mächtigen Glocken verkündigen laut den Ruhm seiner Allmacht, seiner Barmherzigkeit.

[216] Der gute Gerhard von Köln.

  • Der gute Gerhard von Köln. (Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten)
    Der gute Gerhard von Köln.

Im Dome zu Magdeburg klangen laut die Glocken. Kaiser Otto der Große, Heinrich des Finklers mächtigerer Sohn, hatte dies herrliche Kunstwerk am Elbstrome erbaut. Heute sollte es eingeweiht werden. Nicht Opfer wollte der Kaiser an diesem Tage darbringen, wie sonst wohl noch die Sitte war. Nein, mit Stolz, als erwartete er selber Dank von Gott, ging heute Otto zur Kirche.

»Herr mein Gott«, sprach er, »nun haben wir Dir Opfer genug dargebracht. Schon mein Vater kämpfte gegen die heidnischen Wenden. Ich habe die Bistümer gestiftet in ihrem Lande, wo Dein Lob gesungen wird vor allen Altären. Auch die Ungarn habe ich besiegt am Lech, daß sie hinfort das Reich müssen meiden, in welches sie so viele räuberische Einfälle gemacht hatten. Bis in ihr Land habe ich sie von meinen Heeren verfolgen lassen. Die Schätze, welche sie zuvor aus Deutschland hinweg getragen hatten, wurden in Ungarland hinter Wällen und Erdringen geborgen gefunden. Meine Diener brachten sie zurück und legten mir viele Tonnen Goldes zu Füßen. Davon, o Herr, habe ich Dir noch diesen Dom im Sachsenlande erbaut. Zu ihm sollen die Wenden über die Elbe herüber kommen, um hier die Messe zu hören. Der Erzbischof von Magdeburg ist über viele Fürsten gestellt. Manches Fürstenkind sitzt als Chorherr zu [217] seinen Füßen. Sein Wort soll ins Gewicht fallen, wenn man nach mir einen Kaiser erwählt. Das alles, o Herr, habe ich zu Deinen Ehren so eingerichtet. Solches hat kein König für Dich gethan, der jetzt auf der Erde lebet. Nun aber laß mich auch heute wissen, wie Du mich belohnen willst.«

Das war das Gebet, das der Kaiser am Tage der Einweihung des Domes zu Magdeburg vor allem Volke hielt, und das mit den Weihrauchwolken zum Himmel drang.

Da vernahm der Kaiser vor dem Altare die zürnende Stimme eines Engels, den Gott zu ihm sandte. Dieser sprach:

»Als Gott Dir die höchste Würde auf Erden verlieh, da hat er große Mängel an Dir übersehen. Wenn er Dich nun immer in völliger Reinheit des Herzens gefunden hätte, so würde wohl auch fernerhin ein Stuhl in seiner Nähe für Dich bereit gestanden haben. Allein nun hast Du mit Deinem stolzen Rühmen Dich selbst bezahlt gemacht. Du hast Deinen Lohn dahin. Deine Verdienste sind vor Gott nicht so groß, als Du selber sie schätzest. Es könnte Dir sehr lieb sein, wenn Dein Ruhm vor Gott nach der Schätzung der Engel nur dem eines gewissen jetzt lebenden Kaufmanns gleich wäre.«

Betroffen sprach der Kaiser: »Der Weg zu Gott stände einem Kaufmanne offen, und mir wäre er verschlossen? So bitte ich Gott, daß mir der Name dieses Kaufmannes genannt werde, damit ich von ihm erfahren kann, welcher Weg zu Gott führt.«

Der Engel sprach: »Er wird der gute Gerhard genannt und führet Lot und Elle wohl zu Köln am Rheine.«

»Herr, mein Gott,« sprach der Kaiser, »was kann ein solcher Mann nur Großes vollbracht haben, daß er jetzt so hoch in Deiner Gunst steht? Ich werde Boten zu ihm senden, daß sie mir Kunde davon bringen.«

»O laß die Boten,« vernahm er wieder des Engels Stimme, »und wenn Du Dich selbst aufmachtest und kämest zu ihm, den alle Welt als den Guten preist, Du würdest nichts von seinen Thaten vernehmen. Wohl wäre er lieber tot, als daß er eigenen Ruhm Dir erzählte, der doch so groß ist, daß Dein Verdienst ihm gegenüber Dir nur als eitler Wahn erscheinen würde.«

[218] Der Kaiser schlich in tiefes Sinnen versunken von dannen. Ihm ließ des schlichten Kaufmanns Ruhm nicht Ruhe mehr bei Tag und Nacht. Er machte sich mit einigem Geleite auf zur Fahrt nach der alten Stadt Köln am Rhein. Auf sein Geheiß lud der Bischof alle Bürger der Stadt ein, sich bei ihm zu versammeln. Sie kamen alle, jung und alt, in feierlicher Tracht einhergeschritten. Und nachdem der Kaiser sie gnädiglich begrüßt, stellten sie sich in weitem Bogen vor ihm auf. Des Kaisers Auge durchlief spähend ihre Reihen. Er wollte nur den Einen herausfinden, den Gottes Stimme so hoch gepriesen hatte. Da fiel sein Blick auf eine Gestalt, die, obgleich des Alters Zeichen an sich tragend, doch in erhabener Schöne und Kraft alle anderen überragte. Mit reichen Gewändern geschmückt, erblickte er den Mann vor sich. Er sah, wie er frei um sich blickte, wie die anderen ehrfurchtsvoll bemüht waren, ihm einen eigenen Platz einzuräumen. Der Kaiser wußte es wohl, noch ehe der Bischof ihm auf Befragen es gesagt hatte, es sei der reiche Kaufmann, den alle Welt weit und breit kenne, der gute Gerhard, wie des Volkes Mund ihn bezeichne. Als er darauf den versammelten Bürgern verkündete, daß er gekommen sei, um guten Rat zu hören, daß er Einen aus ihrer Mitte wählen möchte, um sich von ihm denselben geben zu lassen, und daß er den Gerhard sich dazu ausersehen hätte, riefen alle einstimmig, die Wahl sei gut, er sei der Würdigste von Allen.

Der Kaiser zog den Gerhard mit sich in sein Gemach. Nun endlich war sein Sehnen erfüllt, den Hochgepriesenen vor sich zu sehen, und er wollte nicht ruhen, bis er von ihm selbst erfahren, was ihm so hohe Gunst eingebracht habe.

Der Kaiser lud Gerhard ein, auf sammtnem Ruhebette neben ihm zu sitzen, und wie jener sich auch sträubte, er mußte den Ehrenplatz einnehmen. Nun begann des Kaisers Fragen. »Wie kam es nur, daß Dir solch' Name wurde? Sie nennen Dich den frommen, den guten Gerhard. Was hast Du nur so Großes Gott zu Liebe gethan? Um Dich allein kam ich so weit daher. Du darfst mir nichts verhehlen.«

Umsonst war des guten Gerhards Bitte, von diesem Verlangen abzustehen. Er suchte seinen Beinamen von ganz geringfügigen Ursachen herzuleiten. Es half ihm alles nichts. Der Kaiser drang immer ungestümer[219] mit seinem Forschen auf ihn ein. Endlich, als all sein Bitten und Flehen unbeachtet blieb, wandte sich der gute Gerhard im heißen Gebet zu Gott. »Du, mein Herr Gott,« sprach er, »wollest mir vergeben, wenn ich nun, wie zum eitlen Ruhme mir, mein Thun hier ausbreite. Du, Herr Gott, kennst mich, Du prüfest mich und weißt, daß ich's zu eignem Leide nur jetzt unternehme.«

Darauf zog ihn der Kaiser wieder zu sich auf den sammtenen Ruhesitz und der gute Gerhard begann also zu erzählen:

»Mein Vater ließ mir bei seinem Tode als seinem einzigen Sohne ein nicht unbedeutendes Erbe zurück. Als Kaufmann gedachte ich dasselbe noch zu vermehren. Mein Sohn sollte einst, wie alle seine Vorfahren, der reiche Gerhard genannt werden. So ließ ich denn noch Reichtümer genug zurück, als ich mich eines Tages mit fünfzigtausend Mark zu Schiffe begab, um drei Jahre in ferneren Ländern zu reisen und dort Handel und Wandel zu treiben. Wohlerfahrene Schiffer begleiteten mich und ein treu Ergebener diente mir als Schreiber und Kaplan zugleich.

Nach Lievland und dem bernsteinreichen Strande Preußens ging's. Wir wandten uns dann dem Lande der Reußen zu, wo wir die feinen Zobelfelle in Fülle fanden. Dann lenkten wir unsere Fahrt der Levante zu, wohin Damaskus und Ninive ihre schönen Zeuge sandten. Aller Orten war mir der Handel wohl gelungen. Der weichen Felle hatte ich besonders viele eingekauft und dachte, daß ich wohl dreifachen Gewinn daran haben würde. Frohen Herzens beschloß ich nun heimzukehren und befahl den Schiffern, die Fahrt zurück zu lenken. Ich hoffte, in kurzer Zeit wieder bei den Meinen zu sein. Da aber begann mein Leid.

Die Sonne verdunkelte sich plötzlich. Schwarze Wolken zogen am Himmel herauf, und ein Sturm erhob sich, daß wir meinten, unser Schiff werde im Kampfe mit den ungestümen Wellen in tausend Splitter gehen. Zwölf Tage und Nächte wurden wir so umher geworfen. Zwölf Tage und Nächte schwankten wir zwischen Himmel und tiefster Tiefe. Schon trieben Trümmer von Bugspriet und Raaen auf dem Wasser umher, die Gefahr war auf's Höchste gestiegen. Da beruhigte sich der Sturm, da blickte aus zerrissenen Wolken der Himmel blau und klar hervor. Aber Niemand wußte zu sagen, wo wir uns befanden. Zwar sahen wir am hohen Ufer [220] ein felsig Land vor uns liegen, doch Niemand antwortete unserm Rufen. Unser Schiff hatte Schutz in einer Bucht gefunden. Da hieß ich Einen das Felsenriff erklettern, um von dort aus in's weite Land zu schauen, ob etwa eine Stadt zu erblicken sei, wohin wir unser Schiff lenken könnten.«

Da schaute der Späher vom hohen Felsenriff herab auf ein reiches wohlbebautes Land. Mit hohen Zinnen lag eine Stadt am Meer, wohl befestigt mit tiefen schiffbaren Gräben. Reiche Frachten standen an den Pforten, und noch immer sah man des Handelsgutes viel vom Meer herein bringen. O wie viel Zoll mußte dies dem Burgvogt verschaffen! Es war das Land Marocco, wohin wir geraten waren, und Castelgunt hieß die Stadt am Meeresufer. Wir fuhren ungesäumt dem Hafen zu und landeten bei der Stadt und fanden sie groß und prächtig. Die Bürger waren Heiden, doch begrüßten sie mich freundlich, als der Burgvogt gefahren kam, um die Waren zu besichtigen. Sein Äußeres flößte mir Vertrauen ein, und so machte ich mir rasch durch's Gedränge Bahn zu ihm. »Warum bist Du gekommen?« redete mich der Burgvogt an; »kamst Du des Marktes wegen? Selten wagen sich Christenleute her zu mir, doch freut mich's, daß Du hier bist.« Ich hatte eigentlich nur die Absicht gehabt, mein Schiff zu bessern und frisches Wasser einzunehmen, doch antwortete ich rasch: »Um zu gewinnen, muß man auch Gefahr nicht scheuen, doch wird's Euch nicht leid werden, laßt Ihr mich ungehindert weiter fahren.« »O sei nur gutes Mutes,« entgegnete er, »es soll Dir keiner hier ein Haar krümmen. Auch magst Du hier Handel treiben, ohne mir Zoll zu geben. Mir liegt daran, den Handel an diesem Port zu mehren, und auch Christenleute sind mir willkommen dazu. Der Kaiser hat mich hierhergesetzt, die Fremden zu schützen samt ihrem Gut. Sucht Euch die beste Herberge hier aus. Ihr sollt mein Gast sein die ganze Marktzeit hindurch, weil Ihr der erste Christ seid, der hier zum Handel her kam.«

Alsbald führten mich seine Schergen der besten Herberge zu. Ich fragte, wie der Mann heiße, der mir so gnädiglich hier begegnete. »Stranmur heißt er,« riefen sie; »er ist Landgraf dieses Landes und Burgvogt dieser Stadt. Das Recht über den Strand hat er vom Kaiser als Lehn empfangen.« Nun dankte ich Gott, der mir im Heidenlande so gute [221] Aufnahme beschert hatte. Stranmur von Castelgunt erwies mir alle Ehre und zeigte immer deutlicher, daß er mir wohl wollte. Wir wurden täglich vertrauter mit einander. Da bat er mich eines Tages, ihm meine Schätze, die Waren, die ich im Schiffe führte, zu zeigen.

Er sah voll Erstaunen die schöne Ladung, die das Schiff barg. »Gerhard,« sagte er, »Deine Schätze sind so kostbar, wer könnte sie Dir bezahlen, wenn ich es nicht könnte? Ich will Dir auch meinen Schatz zeigen, und, behagt er Dir, so biete ich ihn Dir zum Tausch an. Es ist ein eigen Ding mit diesem Schatze. Hier zu Lande gilt er nichts, doch dort bei Euch im Christenlande gäb' es wohl kaum etwas, womit er bezahlt werden könnte. Mir ist der Schatz ein lästig Gut, doch Du magst wohl den zwanzigfachen Preis mit ihm gewinnen.«

»Gewinn zu suchen,« sprach ich, »ist jedes Kaufmanns Pflicht.« Zeig' mir Deinen Schatz, vielleicht einen wir uns, wie wir einander vertrauen lernten. Ich vermutete, den Reichtum aller Juden dort zu finden, edle Spezereien, Gold, Perlen und kostbare Steine. Wie bestürzt war ich aber, als mein Wirt mich in ein entferntes Gemach führte, und ich statt Ballen reichen Gutes den Anblick größten Elendes vor mir fand. Zwölf junge Ritter lagen in schweren Banden hier gefesselt. Zwei und zwei an einander geschlossen zog die Last der Ketten fast zur Erde nieder. Sie waren so jung, daß kaum der erste Bart ihnen sproßte, doch sah man die edle Abkunft deutlich auf ihren Gesichtern ausgeprägt. Erschrocken, gepeinigt stand ich solchem Jammer gegenüber. Noch heute wird mir weh zu Mut, wenn ich daran denke. Ich wandte meinen Blick hinweg. Da zog der Burgvogt mich hinaus aus diesem Gemach und meinte, noch größeren Kaufschatz werde er mir zeigen. Als er eine andere Thür öffnete, wuchs mein Entsetzen noch. Fast derselbe Anblick ward mir hier. Aber nicht Jugend und Schönheit zeigten sich mir, sondern gramentstellte Greise fand ich im feuchten, kalten Gemach eingekerkert: zwölf edle Gestalten, alle Anzeichen fürstlicher Geburt an sich tragend, von Elend mehr noch als von den Jahren gebeugt, je zwei und zwei an einander gekettet. Stranmur sah das Grausen, was mich bei diesem Anblick erfaßte, und verließ mit mir den schauerlichen Ort.

Wankenden Schrittes, das Herz voll Erbarmen, folgte ich ihm zu [222] einer dritten Thür, die seinen reichsten Schatz barg, wie er meinte. Kein Erstaunen kommt dem gleich, welches mich beim Betreten dieses Gemaches erfaßte. Ja, der Schatz, den wir hier fanden, war wohl des höchsten Preises wert. Wohl kein Gewinn konnte mit ihm verglichen werden. O, er vermochte Sorgen zu zerstreuen, Mannesmut zu stählen und Herzen zu erfreuen. Fünfzehn Frauen in holder Schöne saßen im Kreise dort. Die Krone der Jugend und edlen Sittsamkeit zierte ihre Häupter. Wie viel Treue und Güte, Bescheidenheit und Huld leuchtete mir aus ihren Augen entgegen, wenn auch trüber Kummer ihren Glanz verschleierte! Vor allen aber trug eine der Schönheit Preis an sich. Voll stiller Hoheit erschien sie mir wie der Mond unter Sternen. Man sah es wohl, daß sie die geborene Fürstin war. Die Frauen trugen keine Ketten, auch zeigten sie viel Ergebung und Geduld, doch erfüllte mich ihr Anblick mit tiefstem Mitleid.

Stranmur führte mich hinweg. »Sahst Du Dir alles an,« sagte er, »und bist Du bereit, zu tauschen?« »Womit soll ich tauschen?« entgegnete ich, »ich sah nur, was mir voll Erbarmen das Herz zerschnitt.« »Jene alle, die ich Dir eben als meine Gefangenen zeigte, will ich in Deine Hände geben, so Du mir dafür Deine Schätze eintauschst«, sprach hierauf Stranmur, der harte Mann; »mir ist ihr Heimatsland zu weit gelegen, nimm Du sie mit Dir. Hohes Lösegeld wird man Dir gern für sie geben. Mit Gold und edlem Gestein wird man sie Dir aufwiegen zu Köln am Rheine. Du siehst wohl, es ist ein guter Kauf.«

»Wie aber kam's, fragte ich, daß diese Fremdlinge in Deine Gewalt fielen?«

»Kennst Du Engelland?« sagte er; »dort sind die werten Ritter alle geboren. Daß sie so weit hierher verschlagen wurden, ging folgendermaßen zu. Sie begleiteten den reichen König Wilhelm nach Bergen im norwegischen Reiche, wo dieser König Reinmunds Tochter zum Weibe empfing. Du sahst sie sitzen, die schöne Frau inmitten ihrer vierzehn Begleiterinnen. Der Sturm warf sie auf ihrer Fahrt an diesen Strand mit vier und zwanzig Rittern, den besten Engellands. Dieser Strand und dieser Hafen ist mir zu eigen gegeben. So wurden sie meine Gefangenen nach Landes Brauch. Ich kann mit ihnen schalten nach eigenem Willen. Willst Du sie [223] eintauschen für die Schätze, die Du mit Dir führst? Lebt König Wilhelm noch, so wird er sie gern einlösen von Dir, und der nordische König Reinmund wird keinen Preis zu hoch finden, um sein Kind wieder zu sehen. Giebt Dir die Hoffnung auf Gewinn nicht Lust zum Tausch? Doch wie Du willst, ich dränge ihn Dir nicht auf, und ob Du auch nicht einwilligst, wird doch mein Schutz Dir sicher sein wie zuvor.«

Der Gedanke an das reiche Gut, was ich hier zurücklassen sollte, machte mich in meinem Entschlusse wankend. Ich bat mir eine Nacht Bedenkzeit aus. In dieser Nacht stritten Verstand und Herz um die Oberhand in mir. Das Herz sagte: befreie die Armen! Der Verstand warnte: gieb nicht so reiches Gut um einen Wahn aus den Händen. Endlich schlief ich ein. Da erschien mir ein Engel mit lichten Zügen im Traum.

Erwache, Gerhard! rief er zürnend mir zu. Hast Du vergessen das Wort Deines Heilandes: was Ihr den Ärmsten thut, das habt Ihr mir gethan? Ist des Herzens Mahnen bei Dir so ganz umsonst? Und wird Gott nicht hier wie dort Dir Dein Erbarmen lohnen? Alsbald verschwand mir der Engel. Voll Scham über mein langes Zweifeln wachte ich auf und dankte Gott, daß er mich davon befreite. Mein Entschluß war rasch gefaßt, und als der Schreiber kam, um mir die Messe zu lesen, sprach er den Segen zu meinem Vorhaben. Getröstet ging ich aus. Da kam mir der Burgvogt schon entgegen. »Nun, hast Du's bedacht?« fragte er. »Ja, Herr«, war meine Antwort, »laß die Gefangenen ohne Fesseln vor mir erscheinen; willigen sie dann ein, mit mir zu gehen, so sind die Schätze meines Schiffes Euer Eigentum.« »Ich vertraue Dir, wie sonst keinem«, entgegnete er, »so mag es drum sein, daß ihre Fesseln schon jetzt gelöst werden.«

O, jetzt hättet Ihr die Freude sehen sollen, als die Armen nach mehr als einem Jahre ohne Fesseln frei einander wiedersahen! Heiße Thränen entrannen stromweis ihren Augen. Sie lagen einander in den Armen und dankten Gott, der einen Christen zu ihrer Rettung in dies ferne Land gesandt hatte. Als sie hörten, um welchen Preis ich ihnen Errettung brachte, fielen sie mir zu Füßen und gelobten laut, mir alles reichlich zu bezahlen, wenn sie die Heimat wiedersähen. Mehr noch als alles dies ging mir der Anblick der jungen schönen Königin Irene, so hieß sie, zu Herzen. [224] Sie konnte vor Schluchzen kaum sprechen, als ich sie fragte, ob auch sie mit ihren Frauen bereit sei, mir zu folgen. Sie blickte mich mit ihren süßen thränenerfüllten Augen an und erwiderte: Wenn der König von Engelland, mein Gemahl, noch lebt und nicht auch gleich uns in öder Ferne schmachtet, so wird er Dir reichen Ersatz bieten, und wenn sie alle gestorben wären, denen ich angehöre, so wird doch Gott Dir Dein Erbarmen lohnen.

Als ich darauf den Burgvogt am Thore traf, empfing er mich sogleich mit der Frage, wie es nun stände mit dem Tausch, ob er mir behage. »Wenn Du den Armen, die ich mit mir nehmen soll, zurückgiebst, was sie mitbrachten an diesen Ort, wenn Du ihr Schiff gut ausrüstest zur Fahrt: dann gebe ich Dir alles Gut in meinen Ballen und fordere nichts weiter«, antwortete ich ihm. »Hältst Du mich für einen Betrüger?« rief Stranmur aus. »Nicht ein Härchen werde ich zurück behalten von dem, was diese mir hierher brachten.«

Wir gaben uns die Hand, und so war der Handel geschlossen.

Stranmur hielt Wort. Mein Schiff war zwar anstatt mit reichem Kaufmannsgut nur noch mit Sand und Quadern als Ballast angefüllt, aber beide Schiffe, das meinige und das der hier Gestrandeten wurden von ihm zur Reise aufs beste ausgerüstet und mit allem Nötigen versehen. Es währte nicht lange, so fuhren unsere Schiffe mit gutem Winde der fernen Heimat zu.

Als wir dort angekommen waren, wo unsere Wege sich scheiden mußten, und der Weg für Jene nach Engelland, der meine auf Utrecht zu ging, erfuhr ich, daß zwei der Jungfrauen, die die junge Königin umgaben, mit ihr aus Norwegen gekommen waren, die andern zwölf edlen Mägdelein aber aus Engelland stammten. Da nahm ich die Königin mit ihren zwei Gefährtinnen aus ihrer Heimat zu mir aufs Schiff. Wenn Wilhelm von Engelland noch lebte oder König Reinmund sein Kind aufsuchte, so sollten sie die edle Königin Irene unversehrt und gesund bei mir wiederfinden.

»Fahrt Ihr getrost nach Engelland, edle Ritter, nehmt die edlen Jungfrauen in Eure Ohhut und führet sie der Heimat zu. Geht es Euch gut, dann mögt Ihr mein gedenken«, sprach ich. Wohl boten sie mir an, bei mir zu bleiben, bis man das Lösegeld für sie gezahlt hätte, ja einige [225] drangen sogar eifrig in mich, sie nicht eher zu entlassen, als bis man mir Ersatz für meine kostbare Ladung geschafft hätte. Ich nahm es nicht an. »Geht getrost heim zu Euren Eltern und Kindern«, sprach ich, »lebt Euer König noch, so thut ihm alles kund, auch mögt Ihr König Reinmund Kunde geben. Ich werde Euch Boten senden, wollet Ihr dann meines Dienstes bei Euch gedenken, so wird es mir willkommen sein.«

Sie überhäuften mich mit Dankesworten. Das Scheiden kam uns bitter an. Dann fuhren jene mit ihrem Schiffe dem Themsestrome zu, das meine nahm dem Rheine entgegen seinen Lauf.

Nicht lange währte es, so erblickte ich die gute Stadt Köln am Rheine. Ich sandte Boten voraus an mein Gemahl. Sie mußten ihr berichten, daß ich froh heimkehre und reichen Kaufschatz wie noch nie mitbringe.

Sie kam mir entgegen mit meinem Sohne, und Scharen von Bürgern, jung und alt, begleiteten sie. So ward ich wie auch die holde Königin wohl empfangen. Aber wie klein wurde aller Freude, als sie das Schiff bestiegen, um mein erhandeltes Gut zu sehen, und nichts als Stein und Sand aus Afrika zu erblicken war. Das teuere Gut, was ich für meine Schätze erhandelt hatte, führte ich an der Hand hinweg.

»Wo blieb das reiche Gut, Gerhard?« fragte mein Weib. »Statt reich gefüllter Truhen sind hier nur Sand und Quadern zu schauen.«

»Hadre nicht mit mir, lieb Ehgemahl«, sprach ich, »sieh hier, aller Frauen Krone tauschte ich dafür ein.« Mein Weib aber stand und rang die Hände: »Bist Du von Sinnen, Gerhard«, rief sie, »daß Du Dir heimbrachtest solche Teufelsbraut?«

Die junge Königin weinte mit ihr, als sie solchen Empfang von meinem Gemahl bekam.

»O weh mir«, schluchzte sie, »wär' ich doch in der Gefangenschaft geblieben! Viel lieber wollte ich trübe Tage ferner erdulden, als Dir, Deinem Weibe und Kinde solchen Gram schaffen! Ich tadle Dein Weib nicht, daß sie um das verlorene Gut sich härmt. Wer weiß denn, ob ihr je Ersatz wird? Mein süßer Bräutigam kann gestorben, vielleicht auch mein Vater vor Gram umgekommen sein. Obgleich ich einst nur Gold- und Seidenmaschen zu wirken gewöhnet war, so will ich doch jetzt Euch gern die niedrigsten Dienste thun.«

[226] »O sänftigt Euren Kummer, edle Königin«, entgegnete ich, »Ihr kennt nicht meines lieben Gemahles Gemüt. Sie hatte wohl Recht, mich voll Thorheit zu wähnen, da ich mich sogar zuerst unterfing, mit Necken ihr zu begegnen. Klär' ich nur erst das Rätsel auf, so werdet Ihr sehen, ihr Herz verzichtet gern auf bessern Kauf, und sie wird unserm Gaste eine frohe Wirtin sein.«

Mein Weib sprach: »Ich vertraue Dir, es ist genug, daß ich gesund Dich wiedersehe. So sei mir auch hoch willkommen dies edle Königskind.« »Laß sie uns nicht mehr zürnen«, bat nun auch mein Sohn Gerhard; »ich will ihr gerne dienen so viel ich kann, nie soll ein lieberer Gast uns erschienen sein, als diese holde Frau, die Du aus Heidenbanden erlöstest.«

So führten wir die Fürstin samt ihren Jungfrauen unter unser Dach. Wir räumten ihr schöne Gemächer ein und führten ihr manche edle Maid aus der Stadt als Gespielin zu. Alle nahmen sich die holde Frau zum Vorbild. Diese aber unterwies die anderen in allerlei schöner Arbeit. Mit Borten fein, mit Perlen und Gesteinen ward mancher Seidenkragen schön gestickt. So lebte die junge Königin unter uns, und wer sie ansah in ihrer Lieblichkeit und Schöne, dem wurde das Herz froh.

So war länger als ein Jahr vergangen und keine Kunde war uns gebracht worden, ob König Wilhelm, ob König Reinmund noch am Leben seien. Obgleich die junge Königin ihren Kummer zu verbergen suchte, sahen wir wohl, wie sehr sie sich im Stillen grämte. Hörte sie den Namen Wilhelm, so rannen heiße Thränen aus ihren Augen. Sie werden längst gestorben sein, nach denen sie so sehr sich sehnt, so dachte ich, wie sollte es sonst kommen, daß kein Bote sich hier blicken läßt? Auch von den Freunden in Engelland hörten wir nichts.

So stiegen endlich bange Zweifel um das Wohl der Königin in mir auf. So lange ich lebte, wollte ich ihr schützend und als treuer Berater zur Seite stehen, das gelobte ich mir. Aber was sollte einst aus ihr werden, wenn vielleicht gar zu ihrem Leid noch Not und Armut sich gesellten? Dieser Gedanke ließ mir keine Ruhe mehr.

So ging ich denn eines Tages zu der Fürstin. Ich bat sie, mich in Geduld anzuhören, und mir nicht zu zürnen, sollte auch meine Rede ihren Unmut erregen.

[227] »Edle Frau,« sprach ich zu ihr, »der Sorgen mancherlei beschweren mein Herz bei Tag und oft sogar bei Nacht, doch am meisten bedrückt mich der Gedanke, was aus Euch werden soll, wenn ich einst nicht mehr bin. Euch lebt kein Bräutigam und kein Vater mehr. Längst wohl hätten sie sonst Euch Kunde von sich gegeben. Nun hört den Rat, der Euch vom Freunde kommt. Wie sehr Ihr auch gefaßt seid auf alles, so wißt Ihr doch nicht, welch schwere Last, auch unverschuldet, die Armut ist. So wollet denn mit Vernunft handeln. Verschmähet nicht den Gatten, den Eures Pflegers Haus Euch bietet. Verschmähet die Zunft der Kaufmannschaft nicht. Sie schafft Ehre und reichen Lohn, das habt Ihr wohl an mir und meinem Sohne erfahren. Ihn biet' ich Euch zum Gemahl an. Weiset ihn nicht von Euch. Kein Tag bringt Euch zurück, was einst Ihr besaßet. Bemühet Euch zu vergessen, was ein böses Geschick Euch raubte.«

»Lieber Vater«, antwortete die edle Fürstin, »Ihr seid mein bester Berater auf dieser Welt. Ich werde thun, was Euch am besten scheint. Auch weiß ich keinen, der mir so gut, so treu und so des besten Glückes wert erscheint als Euer Sohn. Doch habe ich eine Bitte noch, und Du wirst sie, lieber Vater, mir nicht versagen. Laß mich ein Jahr noch warten, laß mich noch hoffen, ob er nicht doch noch wiederkehrt, den ich so lang' ersehnte, mein Glück, mein Lebensheil. Ich weiß, er lebt, o vielleicht seh' ich ihn noch dieses Jahr. Wo nicht, so will ich gern in Deinen Willen mich ergeben.«

Ich willigte ein, lag doch das Glück der holden Königin mir einzig im Sinne.

Das Jahr war bald verschwunden. Keine Kunde hatte es gebracht weder von Norwegen noch von Engelland. Die Königin sollte nun eines Kaufmanns Weib werden. Sie verbarg unter fröhlichen Gebärden ihre Traurigkeit. Als ich jedoch sah, daß sie entschlossen war, meines Sohnes ehelich Gemahl zu werden, dachte ich, kein Glück auf Erden könne dem unsern gleichen. Ich ließ mit großer Pracht alles zur Hochzeit herrichten. Mein Reichtum sollte Niemandem verborgen bleiben. Ich ging auch zu dem Erzbischofe, dem Fürsten von Köln, erzählte ihm alles, was sich mit mir begeben und pries ihm laut meines Sohnes Ehre und Glück. Mag's auch der Neider viele geben, rühmte ich mich, ich frage nicht danach. Ja,[228] Herr, ich gelüste sie noch zu mehren, indem ich mich unterfange, zum Hochzeitstag Euch, hoher Fürst, in mein Haus zu laden. Euer huldreich Kommen würde erst mein Glück vollkommen machen.

»Dein Sohn, der stolze Knecht«, erwiderte hierauf der Bischof, »ist wie selten Einer aller Ehren wert. Drum werde ich ihm zu Pfingsten Dienstmanns Recht gewähren und an seinem Hochzeitstage mit dem Ritterschlage ihm die höchste Würde verleihen. Ich werde an dem Tage auch Dein Gast sein und mit viel teuren Genossen bei Dir einkehren.« Da schied ich denn voll Dank von meinem Herrn, und lud darnach die Edlen, die Ritter und Grafen und viele reiche Bürger in mein Haus. In meinem Hofe ließ ich einen weiten Kreis, ringsum mit hohen Sitzen umgeben, herrichten. Hier sollte man zuschauen, wie die Ritter einander im Kampfe maßen.

Nun war der Heiligabend vor Pfingsten da. Mein Sohn ritt vor die Stadt hinaus, um die von fern herkommenden Gäste zu empfangen. Auch der Fürst Bischof kam mit großer Pracht geritten. Die edlen Herren waren uns so wohl gewogen, daß sie einstimmig meinen Sohn Gerhard für würdig erklärten, morgen aus des Bischofs Hand das Schwert des Ritters zu empfangen.

Da führte ich die junge Königin zu meinem Herrn hin, und sie wurde meinem Sohne zur Ehe verlobt. Sie ließ sich willig vom Haupt die Krone nehmen.

Nun ritten die Ritter in den Kreis, um sich in muth'gem Kampf schöner Frauen Gunst zu erwerben. Mein Herr führte Irenen zu ihrem Sitze und nahm an ihrer Rechten Platz. Oft ließ mein Sohn vom Fechten ab, um zu der holden Maid hinzureiten und mit süßen Blicken sie anzuschauen. Oft auch sandte er vom Rosse herab viel Grüße zu ihr hin.

Da begann der Tag zu sinken. Die heilige Nacht zog herab. Wohl sehnte sich mein Sohn danach, bei der wunderschönen Frau zu sein, doch mußte er sich's versagen, bis er am nächsten Tage mit Ritterspflichten auch Rittersrechte empfing.

Am anderen Morgen erklangen laut vom nahen Dome die Glocken. In königlichem Schmucke kam die Braut zum Gottesamt gegangen. Viel schöne Frauen und Mägdlein, mit glänzendem Geschmeide angethan, folgten [229] ihr nach. Nach ritterlichem Brauch trug auch mein Sohn ein Kleid von teuerem Sammete bei diesem Gottesamt. Elf junge Edelinge, die mit ihm zugleich heute den Ritterschlag empfangen sollten, knieten in der Halle neben ihm. Als die Messe verklungen war, beugten sie alle ihre Kniee vor dem Bischof, der ihre Schwerter segnete. Fröhlich sprangen dann die jungen Ritter – erst noch Knappen – hinaus und zerbrachen ihre Schäfte.

Was stand nun noch dem Glücke meines Sohnes im Wege? Kaum werdet Ihr ahnen, was jetzt sich ereignete.

Schon saß Gerhard beim Hochzeitmahl der Braut zur Seite, da sah ich plötzlich etwas entfernt einen Fremdling stehen. Die hellen Thränen rannen ihm über das bleiche Antlitz, so sehr er auch sich ihrer zu erwehren bemüht war. Wankend hielt er sich an einer Säule fest, und ich sah wie sein Blick nur nach Irenen gerichtet war. Ich trat ihm näher. Zerrissen war sein Gewand, und sein Anblick rief tiefes Erbarmen in mir wach. Doch sah ich bald trotz der Fetzen, in denen sein Kleid herab hing, trotz des Staubes, der Wang' und roten Mund ihm schwärzte, daß es ein schöner, junger, hochgewachsener Mann war, der vor mir stand. Blaue Adern durchzogen seine weiße Haut. Ich hielt ihn für einen Angelsachsen. Herr Gott, dachte ich, was führt den Fremdling heute her? Was ist's, daß er nur nach der schönen Braut hinblickt?

Ich ging zu ihm und fragte ihn um sein Leid. Lange wollte er mir die Antwort weigern. Da führte ich ihn abseits und ließ nicht ab, in ihn zu dringen. »Wie kommt's«, forschte ich, »daß ich so elend Euch vor mir sehe, wie kommt's, daß Euch Irenens Anblick so großen Schmerz bereitet? Ich sah es wohl, wie Ihr die Hände wandet. Wie ist Euer Name? Wer je nur trauernd zu mir kam, wurde gern von mir erfreut.«

»Ich lebe«, sprach der Fremde, »in so großer Pein, daß nichts mir willkommener wäre als der Tod. Wohlan denn, ich heiße Wilhelm, Wilhelm von Engelland. Meine Ahnen beherrschten dies Land, und auch mir ward die Krone, als mein Vater starb. Mit achtzehn Jahren fuhr ich um eine Braut über's Meer gen Norwegen. Von stattlichem Gefolge umgeben, mit vierundzwanzig Grafen und zwölf Jungfrauen kam ich zu König Reinmunds Hofe. Seine liebliche Tochter, den hehrsten Engeln gleich, bot mir der König zum Gemahl, doch sollt' ich schwören ihrer zu entsagen, bis ich das Ritterschwert [230] empfangen hätte. Ich schwur den Eid. Da übergab mir König Reinmund Irenen mit zweien ihrer Jungfrauen, doch mußte sie umgeben von meinen Rittern die Fahrt nach Engelland antreten, während ich mit Reinmunds Heer ein anderes Schiff bestieg. So nah dem süßen Ziele, sollte ich es doch nimmermehr erreichen. Furchtbare Stürme überfielen uns auf der Fahrt und trennten beide Schiffe weit von einander. Endlich strandete unser Schiff und versank. Während ich selbst noch an meines Schiffes Mast mich festgeklammert hielt, sah ich die Getreuen in den Wellen untergehen. Nachdem ich lang umhergetrieben war, kam ich ans Land. Wo das Schiff, das mein theueres Gemahl mit sich führte, geblieben war, war mir gänzlich unbekannt. Und nun finde ich, die ich seit Jahren gramerfüllt, verzweifelnd gesucht, als eines Anderen Braut wieder! Noch einmal durfte ich sie sehen, der ich zu eigen einst gehörte, die schönste aller Frauen. Nun, Leben, fahre hin!«

Da ich voll Kummers den fremden Gast so klagen hörte, forderte ich ihn auf, sich mir auszuweisen als Wilhelm, König von Engelland. Er entgegnete: »Wohl hat der Gram mich lange Zeit umher getrieben in der Fremde, und mein Gewand deutet nicht auf königliche Würde, doch käme sie mir nahe und sähe dies Ringelein, sie würde mich wohl erkennen. Nun aber möge Euer edler Sohn an ihrer Seite lange und glücklich leben. Ich will mir nichts erstreiten, sondern wieder still von dannen gehn.«

»Gott hat ein großes Wunder an Euch gethan,« sprach ich hierauf zu dem betrübten Gast; »er kann Euch auch leicht wieder zu Ehre und vollem Glücke bringen. Harret hier mein! Ich kehre bald zu Euch zurück.«

Ich ging hinweg und ließ dem Fremdling ein köstlich Bad bereiten. Linde Hände mußten ihm Haar und Bart scheren. Dann ließ ich ihm prächtige Kleider bringen. Und so stand er mit einemmale in voller Schöne, wie neugeboren, vor meinen Knappen da.

Darauf begab ich mich zu dem Bischof, der noch beim Mahle saß, zog ihn beiseite und erzählte ihm die Wundermähr. »Herr,« sprach ich, »bei diesem allen empfinde ich so Glück als Leid. Mein Gerhard war so wohl beraten mit diesem Königskind, und nun soll er weichen?« Und doch hat Gott so großes Wunder an diesem Herrn gethan, daß es Christenpflicht ist, meinen Sohn verzichten zu lassen. Helft mir, Herr, ihn dazu zu bewegen. [231] »Wenn's auch mir mehr zu Leide als zu Liebe geschieht,« antwortete der Bischof, »so will ich doch gern Euren Sohn ermahnen, daß er zurücksteht vor dem Fremdling. Doch kenne ich Euren Gerhard wohl, er wird nimmermehr sein Gewissen mit fremdem Raub beschweren wollen.«

Ich rief meinen Sohn von der Seite seiner Braut hinweg. Voll Bestürzung vernahm er meinen Bericht, wie Gott den Herrn der Angeln so wunderbar gesandt hätte zum Hochzeitsmahle, und daß er jenem nun sein teueres Ehegemahl nicht verweigern dürfe.

Mein armer Sohn stand stumm da, kein Wort kam über seine Lippen. »Gerhard,« drang der Bischof in ihn, »Gerhard! willst Du scheiden, was Gott verbunden hat? Willst Du einst als Ehebrecher vor Gottes Thron erscheinen? O bedenke, daß Gott zur rechten Stunde der holden Königin den trauten Gemahl, wie vom Tode auferstanden, wieder zugeführt hat. Willst Du diejenigen trennen, welche die Minne fest verbunden hat, so daß sie ein Herz und ein Leib sind? Willst Du Gottes Fluch auf Dein und Deines Vaters Haupt laden?«

Da endlich hub mein Sohn an zu reden: »Soll ich mir alles nehmen lassen, meinen Frieden, mein Glück und meine Ruhe?« »Gieb hin, mein Sohn!« ermutigte ihn der Bischof, »Gott wird Dir seinen Frieden schenken, hier schon auf Erden und noch mehr einst in jenem Leben.«

»Gottes Hand liegt schwer auf mir!« klagte mein armes Kind; »die ich so lieb hatte, die fordert er von mir.« »Hast Du sie wirklich lieb, die edle Königin,« erwiderte der Bischof, »wohlan, so zeige es ihr, indem Du ihrem Glücke das schwerste Opfer bringst.«

»Mein Vater,« hub endlich sich ermannend mein Gerhard an, »wohl, es sei. Zeigt mir ihn, der um meine Liebe freit.« Nun ward ich froh und zog mein Kind an meine Brust, und beide weinten wir vor Liebe und Leid.

Jetzt riefen wir den König von Engelland. Da kam er und stand vor uns im lichten Glanze der Schönheit: blond, hoch gewachsen und minniglich.

Der Bischof war inzwischen wieder zum Mahl gegangen und saß dort an der Seite der jungen Königin.

Ich ließ dem König von Engelland ein Pferd bringen, und so ritten mein Sohn und ich mit ihm zum Staunen der versammelten Menge zur [232] Hochzeitstafel hin. Der Bischof empfing uns dort. Er hieß den fremden Gast sich neben die Braut setzen. »Sagt mir, lieber Vater«, sprach jene alsbald, »wer ist der fremde Ritter?« »Kennt Ihr ihn nicht?« ward Ihr zur Antwort; »ist es nicht Wilhelm, Euer Gemahl?« »O habt Erbarmen!« bat sie weinend; »was soll Eurem armen Kinde doch der Spott?«

»Herzliebes Leben«, vernahm sie darauf ihres Liebsten Stimme, »kennst Du dies Ringelein nicht? Du gabst es mir bei einem bitteren Scheiden, wie Du das gleiche von mir empfingst.« Sie sah ihn an mit Thränen, dann rief sie aus: »Herzliebster! sei willkommen! o willkommen tausendmal!«

Dann sank sie erbleichend hin. Des jungen Königs Arme umfingen sie. Mit Küssen weckte er sie auf zum seligen Lebensrausche. Nicht sahen sie mehr den Schwarm der Gäste. Sie hielten sich umschlungen, als wollten sie nimmer mehr von einander lassen. Sie sahen sich an und konnten sich nicht satt sehen. Verschwunden schien vor ihnen die ganze weite Welt umher.

Da faßte mich ein Freudenrausch. Ich dankte Gott, daß er mir damals im Traume so süßen Rat gegeben hatte. Nicht dünkte mich mehr das Opfer zu groß, das ich an Gold und Silber hatte bringen müssen.

Da blickte ich auf den jungen König und sah, welche Spuren das überstandene Elend auf seinem schönen Gesichte zurückgelassen hatte. Er hatte jetzt über all seinem Glück das Essen und Trinken ganz vergessen. Ich mahnte Irenen daran, da legte sie selbst ihm Speise vor und weinte Freudenthränen in den Wein, den sie ihm kredenzte.

»Da Euch nun noch immer ein Eid den Weg zum vollen Glücke sperrt,« wandte ich mich an den König, »so verschmähet nicht – weiß ich mich gleich der Ehre nicht wert – bei mir das Schwert und den Ritterschlag zu nehmen.«

»Vater«, erwiderte hierauf der edle Gast, »gern folge ich Deinem Rate und, gefällt Dir's wohl, so sei schon morgen der Tag. Du weißt am besten, was mir frommt. Hast Du doch die Meinen von großem Leid errettet, dazu auch noch mein süß Gemahl.«

Hätte nicht die Liebe ihn dazu getrieben, wohl nie hätte König Wilhelm von Engelland darein gewilligt, bei mir, der doch solcher Würde viel zu fern stand, Ritter zu werden.

Nun aber ließ ich ihm mit königlicher Pracht ein Fest bereiten. König [233] Wilhelm wurde Ritter, wie Tags zuvor mein Sohn, und nach dem Harme einer langen Trennung durfte ihm die holde Königin nun ganz angehören. Es war ein freudenreicher Tag.

Die Feste waren verklungen, die Hochzeitsgäste hatten sich zerstreut, da trat eines Morgens der junge Fürst zu mir ein. »Vater«, sprach er, »Du wirst mir Rat geben in meinen Sorgen. Mein süß Gemahl hast Du mir wieder gegeben, aber noch immer bin ich meines Landes beraubt. Die Großen meines Volkes wähnen mich längst gestorben. Einige wollen mich verstoßen, wenn ich auch wiederkäme, um sich selbst zu erhöhen. Zwar weiß ich die Besten mir getreu, doch sind viele Plätze schon in meiner Feinde Hand. Nur Du, Vater, kannst helfen, wenn Du mir Mittel und Wege giebst, mein Land wieder zu erreichen.« »Ich habe das alles wohl bedacht«, entgegnete ich ihm. »Ein Schiff liegt schon am Strande, und ich selbst will Euch begleiten. Solltet Ihr aber Streit bekommen, so stehen viele tapfere Ritter zur Wehr bereit für Euch.«

Mit Weinen sah mein Weib die junge Königin, die ihr so lieb geworden war, von sich scheiden. Wir fuhren mit gutem Winde hinab den breiten Rhein. Dann nahm das offene Meer uns auf. Der Himmel war unsrer Fahrt günstig, und so währte es nicht lange, bis wir die Themse hinauf der Hauptstadt Wilhelms zuflogen. Was für ein Getreibe fanden wir da, die Werft, den Strom entlang! Der Sicherheit wegen begab ich mich vorerst nur mit zweien meiner Knappen in die Stadt, während die übrigen verborgen im Hafen zurückblieben.

Als ich am Thore der Stadt anlangte, konnte ich im Gewühl der Menge des Volkes, welches auf und ab wogte, kein deutlich Wort vernehmen. Da mußte ich mich entschließen Nachtherberge zu nehmen. Der Wirt, den ich antraf, schien mir ein gefälliger Mann zu sein, und so fragte ich ihn, ob etwa ein Turnier so viele Gäste herbeigelockt habe. »Ihr müßt weither gekommen sein«, war seine Antwort, »daß Ihr nicht wißt, was für ein Tag hier bevorsteht. So hört denn! Der junge König dieses Landes ist gestorben. Es ist schon längere Zeit her, und noch hat sich kein neuer Fürst, der unser Herr wäre, gefunden, die Verwirrung wuchs von Tag zu Tag, und keine Einigung kam bisher zu Stande.

[234] Die einen wollten diesen, die anderen jenen zum Herrscher haben. So ersah endlich das Volk, des ewigen Streitens müde, sich vierundzwanzig Edle aus, die es übernehmen sollten, den neuen König zu wählen. Dieselben tagen nun heute im hohen Saale mit drei Erzbischöfen, welche ihnen beigegeben sind.«

Als ich dies vernahm, machte ich mich rasch auf, um den Eintritt zu dem Saale zu suchen. Die reichen Kleider, die ich trug, halfen mir bald an's Ziel. Keiner der Thürhüter verwehrte mir den Eingang. Ja, im Saale angelangt, wurde mir sogar ein Stuhl angeboten. Ihr könnt Euch meine Freude und mein Erstaunen denken, als ich die vierundzwanzig edlen Ritter vor mir erblickte, die ich im Heidenlande aus so großer Qual errettet hatte. Doch keiner von allen erkannte mich sogleich. Ich trat zu ihnen heran mit den Worten: »Edle Herren, habt Ihr nun einen gefunden, der hoch genug geboren wäre, um hier dem Reich ein König zu sein? Habt Ihr ihn nicht gefunden, so könnte vielleicht mein schlichter Rat Euch frommen.« Sie sprachen: »Wer hier so weise ist, uns raten zu können, der möge frank und frei hier seine Meinung aussprechen.«

»Wohl kann ich«, wandte ich mich hierauf zu den Versammelten, »Euch einen König nachweisen, dem die Krone Englands ziemte, wie keinem andern. Er ist von hochedler Geburt und hoher Tugenden voll.«

»Wie nennt Ihr Euch?« riefen da einige, »haltet Ihr nur halb, was Euer Mund uns eben verhieß, so soll der Tag, der Euch geboren, gepriesen sein!«

Da nannte ich ihnen meinen Namen. Als sie den Namen hörten, Gerhard von Köln, sprangen sie empor. Sie lagen mir am Halse, sie stürzten mir zu Füßen, sie nannten mich Vater, Bruder!

»Gott sandte Dich hierher!« riefen sie, »Du sollst die Krone tragen, keinem Herrlicheren gebührt sie.« Wie ich mich auch bemühte, mich ihnen verständlich zu machen, ihnen zu erzählen ihres jungen Königs Los, ihr lauter Jubel ließ mich nicht zu Worte kommen. Die Thür wurde aus den Angeln gerückt, ich selbst empor gehoben auf einen Schild und auf den Markt getragen. In der Mitte desselben stand ein Stuhl, und trotz allen Sträubens wurde mir die Krone auf das Haupt gesetzt. Laut riefen sie mich zum König von Engelland aus, und alles Volk stimmte jauchzend [235] ein. Dann wollten sie mir huldigen, wollten mir den Eid schwören. Kein Weigern wollte helfen, bis ich endlich mit drohenden Worten mir Gehör erzwang.

»Ihr Herren«, hub ich an, »habt Ihr mich nun zu Euerem königlichen Herrn ernannt und habt die Krone mir auf's Haupt gesetzt, so werdet Ihr nun auch erlauben, daß ich abdanke. An meiner Statt, der ich nur eines Kaufmanns Sohn bin, werde ich Euch den Mann bringen, hochgeboren und aus königlichem Blute stammend, der die Krone mit Würde tragen wird. Ich habe ihn gefunden.«

»Nein«, ertönte es von aller Lippen, »mein Vater, wir wollen gern für unser Reich auf den fürstlichen Herrn verzichten. Du gabst uns Leben und Freiheit wieder, Du allein sollst über uns herrschen.«

»Habe ich Euch je was zu lieb gethan«, sagte ich, »so that ich, was mein Herz erfreute, und reich bin ich dafür nun belohnt worden. Ihr habt mir eine Krone und ein Land dafür gegeben! Das alles biete ich nun aber mit Freuden dem rechten Erben, dem Königssohn, Wilhelm von Engelland dar.«

»Wilhelm von Engelland!« sprachen sie mit traurigen Geberden. »Ja, lebte er noch! – Aber wehe uns, er ist ja tot!«

»Nein, freut Euch! er lebt!« rief ich, »und Irene, sein traut Gemahl, dieselbe, die Ihr einst mir anvertrautet, ist bei ihm! Sie sind Euch ganz nahe. Auf, kommt mit mir zum Hafen, da sollt Ihr sie selbst schauen.«

O, da begann ein Sturm! Sie sprangen auf, sie riefen nach Rossen nach Panier, nach ihren Knappen. Bald sah man die edlen Ritter alle in goldener Kleider Pracht, auf reichgeschirrten Rossen dem Hafen zueilen.

Schon hatte ich meinen Knappen zu König Wilhelm mit der Botschaft voraus gesandt.

So ritt König Wilhelm ihnen, mit reichem Hermelin geschmückt, entgegen. An seiner Seite ritt Irene, die wunderschöne Frau, und ein stattliches Geleit begleitete sie.

Da gab's ein herrlich Grüßen! Mit Freudenthränen umarmte der König die Getreuen. Da stand auch die Königin bereit, sich küssen zu lassen, sie hatte mit ihnen das bittere Leid erdulden müssen.

Im langen stolzen Zuge ging's nun nach der Stadt hin. Mit frohem Sang und Klang kam auch der Erzbischof gefahren. Bürgerscharen gesellten [236] sich dazu. Endlich war das edle Königspaar im hohen Saale angelangt und empfing dort die Königskrone. Nun wurde Recht und Gerechtigkeit gesprochen, die Verräter wurden bestraft, und dem ganzen Lande der Frieden zugeschworen. Boten wurden mit der frohen Kunde nach aller Herren Ländern ausgesandt. Könige kamen herbei, und auch König Reinmund kam angefahren mit tausend Rittern und manchen holden Frauen. Ich darf Euch nicht die Wonne schildern, welche die junge Königin hierbei empfand. Zu lange würde es Euch auch währen, wollte ich Euch den Glanz, die Pracht schildern, welche sich entfaltete.

König Wilhelm beriet nun mit seinen Getreuen, was man mir doch zum Lohn geben könnte, ehe ich schied. Und nichts anderes als Kent, das Herzogtum, hatte man mir ausersehen. Als all die hohen Gäste nun im Kreise rings um ihn herum saßen, hieß der König alles schweigen und begann auf mich zeigend also zu reden:

»Hier sitzt, der mich und meine Genossen errettete, der neues Leben in meine Brust flößte, als ich, ein Kranker an Seele und Leib, bei ihm einkehrte. Er gab mir Gesundheit wieder, und ein Weib, welches er dem eigenen Sohne nahm. Auch büßte er der reichen Schätze viele ein, und gab uns Leben, Ehre und Habe wieder. Wir werden stets seine Schuldner bleiben; doch zum Zeichen, daß wir erkenntlich sein möchten, bieten wir ihm das Herzogtum Kent zum Fahnenlehen an.«

»Herr, glaubt mir«, erwiderte ich, »ich bin Euch dankbar für das Geschenk, das Ihr mir zugedacht habt. Glaubt mir, ich werde es Euch in Treuen nimmer vergessen; aber dennoch kann ich die hohe Ehre, die mir jetzt zu Teil werden soll, nicht annehmen. Ich bin zu hoch, zu niedrig für Euren Lohn: zu hoch, weil man die Königswürde schon einmal auf meine Schultern legte; zu niedrig, weil ich doch immer nur ein schlichter Kaufmann bin. Indessen könnt Ihr mich beglücken, edler Herr, wenn Ihr mir gebt, was ich selbst von Euch erbitte. Schwört mir, Herr, denen die Schuld zu erlassen, die sich an Euch, an dem Reiche vergingen. Laßt allen Groll verschwinden, auf daß sie, die irrten in böser Zeit, wieder Rechte und Anteil an Euch haben. Gewährt mir dies, o Herr, das sei mein Fahnenlehn!«

»Wohlan, es sei«, sprach da mein königlicher Herr. »Wer sich je an mir verging, dem sei die Sühne erlassen, ich will ihm meine Huld wieder [237] schenken. Doch nun nimm, wenn Du selbst es nicht willst, für Deinen Sohn dies Lehen an. Nimm an die Stadt London und eine Grafenkrone für ihn!«

»Nein, Herr«, erwiderte ich, »es geht nicht an. Ein Kaufmann hat wohl mit Kronen zu schaffen, doch sind's dann nur gemünzte.«

»Edle Herren«, sprach da mein Sohn, »verschont uns mit Kronen und mit Waffen, laßt meinen Vater und mich zurückkehren, es wird das Beste für uns sein.«

Doch Irenen's süßer Mund ließ nicht ab mit Bitten, ich mußte ihr versprechen, doch wenigstens zur Abschiedsstunde ein Kleinod von ihr anzunehmen.

Nun kamen die Ritter, denen der König auf mein Bitten die Sühne ihrer Vergehen erlassen hatte. Sie küßten den Saum meines Mantels und begleiteten mich im Triumphe durch die Straßen, wo die jauchzende Menge mich empfing.

Der Tag des Abschieds kam, und alle weinten, wie ich selber mit weinte. Dann erschien die holde Königin Irene, brachte mir gar viel des kostbarsten Geschmeides und sprach: »Lieber Vater, nimm dies für dich und meine gute Mutter, die mich so lange pflegte, zum Angedenken mit.« Da nahm ich, um sie nicht zu kränken, eine Spange und dies Brustgeschmeide. Mein Weib erfreute die Spange unsäglich, die sie stets trägt, und das Geschmeide hege ich als Kleinod an meiner Brust.

Trübe sahen sie mich scheiden und blieben am Gestade, bis wir einander entschwanden.

»Als ich nun heimkehrte, ward dem Volke vieles vorgerühmt von meinen Thaten, ausgeschmückt, überblümt! Da gab es mir denn – ohne Grund – den Namen des Guten. Ihr wißt wohl, hoher Herr, daß ich dazu nicht gut genug bin. Ich habe Euch ja erzählt, wie ich erst so langsam zum guten Entschlusse kam, wie erst der Engel im Traum mich heftig dazu antreiben mußte. Dazu trat ich nun heute als meines eigenen Lobes Verkünder Euch entgegen. Ach, glaubt nur, um recht hoch bei Euch zu steigen, verhehlte ich Euch Manches, was Euch, wüßtet Ihr's, wohl Fehler auf Fehler meines Herzens zeigen würde.«

Als der gute Gerhard ausgesprochen, konnte der Kaiser, der ihm [238] lautlos zugehört hatte, das stürmische Pochen seines Herzens nicht mehr bezwingen. Thränen auf Thränen rannen ihm in den Bart. Und das war ein Segen für ihn, den Gott ihm schickte. Tiefe Scham und Reue über seinen Übermut erfüllte sein Herz. Der Demut duft'ge Blume war darin aufgeblüht. Er fühlte tief, wie so falsch doch sein eitler Ruhm gewesen sei.

»Gerhard«, sprach der Kaiser, »du viel werter Mann, denke nicht, daß du dich versündigtest, als du mir dein Herz aufschlossest. Deine Rede hat mich himmelwärts gewiesen. Es war gut, daß du mir nichts verschwiegest. Ich will dir's klagen: mein Herz krankte an falschem Ruhme. Das Gute wurde weit von Stolz und Selbstvermessenheit überragt. Daß ich dem Herrn ein Haus erbaute, ein großes Stift, das war's, worauf ich pochte, es hatte mich ganz mit dem Gifte des Hochmuts erfüllt. Ich wähnte, mir damit ein Recht auf's ew'ge Leben erworben zu haben.

Nun büße ich's mit Thränen. Gott selbst war es, der mich zu dir wies, damit ich von Dir Demut lerne. Wie klein erscheinen mir meine Thaten nun gegen das, was Du gethan! Reichlich ist mir gelohnt, daß ich so weit zu Dir geritten bin. Erflehe Du nun dem Kaiser, dem eitlen Rühmer, bei Gott das ewige Heil!«

[239] Lohengrin.

  • Lohengrin. (Heinrich Pröhle: Rheinlands schönste Sagen und Geschichten)
    Lohengrin.

In Brabant und in Limburg lebte vor vielen hundert Jahren ein Herzog, der hatte eine schöne Tochter, die hieß Elsa.

Der Herzog endete aber zu früh für seine Tochter und war auf seinem Sterbebette in Sorgen wegen ihrer Zukunft. Wie er nun so dalag in seiner Todesnot, da erinnerte er sich, daß er einen sehr tapferen Ritter in seinem Lande hatte, der hatte in Stockholm einen Drachen getötet. Er hieß Friedrich von Telramonde, und der Herzog von Limburg und Brabant empfahl sterbend seine Tochter in den Schutz dieses berühmten Helden, welcher sein Lehnsmann war.

Friedrich von Telramonde gelobte auch, der Jungfrau in allem hold und gewärtig zu sein und ihr zu dienen, wie er ihrem Vater gedient hatte; aber bald vergaß er seines Eides, wollte sich zum Herrn von Flandern und Brabant machen und verlangte die Hand der schönen Elsa.

Da ihm Elsa das Jawort nicht geben wollte, so verklagte er sie bei dem König Heinrich dem Vogelsteller, welcher damals in Deutschland und auch in Flandern und Brabant regierte. Dabei behauptete er, daß ihm Elsa anfänglich Hoffnungen gemacht und ihn auf die Zeit vertröstet habe, in welcher sie die Trauerkleidung um ihren Vater abgelegt haben würde. Alsdann habe sie versprochen, sich öffentlich für seine Braut zu erklären.

Allein dies bestritt die schöne Elsa mit Fug und Recht. König Heinrich [240] der Vogelsteller wußte nicht, wem er glauben könnte und bestimmte, daß ein Gottesurteil die Wahrheit an den Tag bringen solle.

So sollte denn die schöne Elsa einen Kämpfer stellen, aber dieselbige lag während dieser Zeit von früh bis spät auf den Knieen und erwartete ihre Hülfe allein von Gott. –

Da läuteten plötzlich zu Monsalvat bei dem heiligen Gral von selbst die Glocken, wie immer geschah, wenn die Unschuld in Not war. Lohengrin, der Sohn Parzivals, ward zu ihrem Retter bestimmt. Schon stand sein Roß gesattelt auf dem Hofe, schon saß er im Sattel – da sah er auf dem Wasser einen Schwan, der zog ein Schifflein nach sich.

Lohengrin stieg vom Pferde und ließ es von dem Knappen wieder in den Stall führen. Er trat in das Schifflein und ergab sich so sehr der Führung des Schwans, daß er selbst nicht einmal für Speise und Trank sorgte.

Nachdem der Schwan das Schifflein fünf Tage hinter sich hergezogen hatte, steckte derselbige seinen Schnabel ins Wasser, zog ein Fischlein hervor und bot die Hälfte davon Lohengrin als Speise, die andere Hälfte verzehrte er selbst. –

Es versammelten sich aber um Elsa zuletzt ihre getreuen Lehnsleute, wenn auch keiner von ihnen es wagen konnte, mit Friedrich von Telramonde zu kämpfen, der den Drachen getötet hatte.

Mit ihren Lehnsleuten und mit ihren Edelfräulein spazierte nun die schöne Elsa am Wasser. Da kam der Schwan mit dem Schifflein die Schelde heraufgeschwommen, Lohengrin stieg aus und ging auf die Gesellschaft dieser Herren und Damen zu, der Schwan aber drehte sich sogleich um und fuhr mit seinem Schifflein davon. Man konnte kaum noch Helm, Schwert und Schild herausnehmen und dem Ritter nachtragen.

Lohengrin befragte die Herzogin, worüber sie bekümmert sei, denn er konnte nicht daran zweifeln, daß sie die bedrängte Unschuld war, um derenwillen man das Läuten der Glocke beim heiligen Grale vernommen hatte.

Die schöne Elsa erzählte ihm, wie abscheulich sich Friedrich von Telramonde gegen sie benommen, und wie der König Heinrich der Finkler, welcher damals zu Frankfurt am Main Hof hielt, deshalb ein Gottesurteil ausgeschrieben hätte, welches zu Mainz ausgekämpft werden solle.

[241] »Ich werde für Euch kämpfen,« sprach Lohengrin.

Da wurden alle Verwandten und Dienstleute der schönen Elsa nach Saarbrücken bestellt, und von da aus zogen sie zusammen nach Mainz, wo an dem vorher bestimmten Tage auch der König Heinrich sich einfand. Vor ihm, der mit der Krone und mit Scepter und Reichsapfel dasaß, beteuerte die schöne Elsa nochmals ihre Unschuld. Aber Friedrich von Telramonde beschwor, daß sie ihm anfänglich ein Eheversprechen geleistet hätte.

Da gebot König Heinrich der Vogelsteller, daß die beiden Ritter sogleich mit einander kämpfen sollten. Allein Lohengrin, den der heilige Gral ausgesandt hatte, blieb Sieger. Als Friedrich von Telramonde im Sande lag, gestand er, daß er falsch geschworen hatte, und auf Befehl des Kaisers wurde er nach der Sitte jener Zeiten durch Henkershand mit dem Beile vom Leben zum Tode gebracht.

Die schöne Elsa wurde die Gemahlin Lohengrins; dieser aber verlangte von ihr, daß sie ihn niemals fragen solle, woher er stamme. Lohengrin, der von dem heiligen Grale gekommen war, herrschte nun gar fromm und gerecht über Limburg und Brabant. Gern erfüllte die schöne Elsa sein Gebot, ihren Eheherrn in keiner Weise nach seinem Herkommen zu fragen.

Nach einer Reihe von Jahren aber geschah es, daß Lohengrin auf einem Turniere mit dem Herzoge von Cleve eine Lanze brach und ihm dabei den Arm verletzte. Da ergrimmte die Herzogin von Cleve und sagte, es sei kein Wunder, daß der Gemahl der schönen Elsa seinem Gegner im Turniere habe gefährlich werden müssen, wisse doch niemand woher der Herzog von Brabant und Limburg gekommen sei, als er zu der schönen Elsa ans Land geschwommen wäre.

Dadurch fühlte sich die schöne Elsa aufs tiefste gekränkt. Das verbarg sie nicht vor dem Herzoge, als sie allein waren. Da sprach Lohengrin: »Mein liebes Gemahl, worüber trauert Ihr?« »Herr«, sprach sie, »weil Ihr den Herzog von Cleve beim Turnier verletzt habt, so hat mich die Herzogin beleidigt und Euch geschmäht.«

Da that Lohengrin, als hätte er ihre Rede nicht gehört, und begann, gar freundlich von anderen Dingen mit seiner Gemahlin zu reden.

[242] Allein am anderen Tage ließ ihn die schöne Elsa wieder ihren Kummer merken.

Da fragte der Herzog abermals: »Mein liebes Gemahl, worüber trauert Ihr?«

Da sprach sich die schöne Elsa schon deutlicher aus und sagte: »O mein lieber Herr, wie sollte ich nicht trauern? Hat doch die Herzogin von Cleve gesagt, es wisse niemand, woher Ihr kommen wäret, als Ihr von dem Schifflein stieget, das der Schwan hinter sich herzog.«

Allein Lohengrin that abermals, als hätte er ihre Worte nicht vernommen und redete freundlich von allerlei anderen Dingen, als suchte er seine Gemahlin von ihren Gedanken abzubringen.

Indessen das gelang ihm nicht, und als die schöne Elsa am dritten Tage mit ihm allein war, zeigte sie sich wieder so betrübt, daß Lohengrin fragen mußte: »Mein liebes Gemahl, worüber trauert Ihr?«

»Mein hoher Herr«, antwortete die schöne Elsa jetzt, »Ihr seid so mannhaft und stark! Den Ritter Friedrich von Telramonde, der den Drachen in Schweden erschlagen hat, habt Ihr vor den Augen des Kaisers überwunden! Als Ihr aus Eurem Schifflein ans Land stieget, da seid Ihr allen meinen Mannen sogleich wie ein geborener Fürst erschienen, und sie standen alle um Euch her, als wären sie zu Euren Dienern bestellt. So saget mir denn nun auch, von wannen Ihr kommen seid und wer Euer Vater ist, denn es kann kein Zweifel sein, daß Ihr von einem sehr hohen Geschlechte abstammet.«

Da wandte sich Lohengrin stillschweigend ab, denn sobald er ihr auf diese Fragen eine Antwort erteilt hatte, mußte er Frau und Kinder verlassen. Aber am andern Morgen stand er frühe auf, kleidete sich an, weckte auch seine beiden Kinder und sprach zu seiner Gemahlin: »O Du mein liebes Weib, mich hat Gott selbst zu Dir gesendet! Vom heiligen Grale bin ich zu Dir kommen und mein Vater ist Herr Parcival. Diese Antwort gebe ich Dir auf Deine Fragen, damit Du allen stolz unter die Augen treten kannst, die unser Glück beneidet und Dich in diese Unruhe versetzet haben. Ich ermahne auch meine beiden Kinder, daß sie nicht hoffärtig sein sollen weder in dem hohen Gedanken an Deine noch an meine Vorfahren. Aber damit sie sich der Hoheit und des Ansehens ihres Vaters einst desto [243] besser erinnern können, so hinterlasse ich ihnen mein herrliches Schwert und dieses Horn, auf welchem ein wunderbarer Zauber ruht. Mögen sie sich dieser Geschenke zu meinen Ehren einst mit Weisheit bedienen!« Damit umarmte und küßte er die beiden Kinder und die Herzogin. Dieselbige sank in eine Ohnmacht, doch Lohengrin durfte nicht bleiben, bis sie wieder zu sich gekommen war.

Er eilte ans Wasser, wo ihn der Schwan mit dem Schifflein schon erwartete. Der Schwan zog das Schifflein jetzt die Schelde hinab und war bald aus den Augen der Zuschauer verschwunden. Niemals gelang es der Herzogin und ihren Kindern, von Lohengrin wieder eine Nachricht zu erhalten.

Lohengrin aber kam in das Land Lyzaboria und heiratete allda die schöne Belaye. Auch diese wußte nicht, wie er hieß und von wannen er kam. Sie liebte ihn aber ganz über die Maßen und hütete sich bis ans Ende ihn um das zu fragen, was er ihr zu fragen verboten hatte.

Wenn Lohengrin auf die Jagd ging, so war sie sehr traurig, sprach kein Wort, antwortete keiner ihrer Freundinnen und saß zu Hause, als ob nur ihr Leib dasäße und ihre Seele sie verlassen hätte.

Eine Kammerfrau, welche diesen traurigen Zustand ihrer Herrin oft mit angesehen hatte, riet ihr, ihrem Gemahle im Schlafe ein Stück Fleisch aus der Seite zu schneiden und dieses zu essen. Dadurch würde, wie sie sagte, Lohengrin so an sie gefesselt werden, daß er sie niemals mehr auch nur auf einen Augenblick verlassen könne.

Allein darüber ergrimmte Belaye und verwies die Kammerfrau aus ihrer Nähe. Diese aber beschloß sich sowohl an Belaye als an Lohengrin zu rächen.

Sie verklatschte Lohengrin im ganzen Lande, weil er fortwährend umherschweife und Belaye in großen Schmerzen zu Hause sitzen lasse. Es gäbe, sagte sie, zwar ein Mittel, um den Lohengrin zur ehelichen Treue zu zwingen. Seine Gemahlin brauche nur ein Stück Fleisch aus seiner Seite zu verzehren, aber das könne sie ihm nicht herausschneiden. Belaye aber wurde von den Rittern und vom Volke sehr geliebt. Deshalb kamen ihrer wohl tausende vor den Palast und wollten dem Lohengrin das Stück Fleisch aus der Seite schneiden, damit Belaye es essen könne.

[244] Da fuhr Lohengrin aus dem Schlafe auf, denn er hatte einen bösen Traum gehabt und blickte sie so furchtbar an, daß anfänglich niemand Hand an ihn zu legen wagte. Dann aber schlug er so mächtig auf sie ein, daß ihrer wohl hundert tot lagen.

Nun aber wurde auch das Volk zornig und brachte Lohengrin eine tödliche Wunde bei. Da starb Belaye sogleich vor Schrecken, weil ihr Gemahl fälschlich wegen Untreue verleumdet und dann vom Volke getötet war. Man begrub die beiden Liebenden in einem einzigen Sarge und baute ein Kloster über ihre Gruft.

Das Land Lyzaboria erhielt nach der Ansicht des Volkes zum Andenken an Lohengrin den Namen Lothringen.

[245] Der Schwanenritter.

Der Herzog Gottfried von Brabant hinterließ bei seinem Tode außer seiner Gemahlin auch ein Töchterlein, aber keinen männlichen Erben. Nun hatte der Herzog, als er sich schon auf seinem letzten Krankenlager wälzte, noch allerlei Urkunden ausgestellt und an Freund und Feind Briefe geschrieben des Inhalts, daß nach seinem Tode seine Gemahlin und seine Tochter in der Regierung nicht angegriffen, sondern vielmehr unterstützt werden sollten. Dafür hatte er über Alle, die seine Bitte erfüllen würden, den Segen des Himmels herabgefleht. Aber kaum hatte Gottfried die Augen geschlossen, so nahm sein eigener Bruder, der mächtige Herzog von Sachsen, trotz alledem Brabant in Besitz.

Als nun bald darauf der Kaiser von Deutschland, zu dessen Reich auch Brabant gehörte, einen Reichstag am Rheine hielt, auf welchem der Herzog von Sachsen erscheinen mußte, begab sich auch die Herzogin von Brabant mit ihrer Tochter dahin, um ihren Schwager bei dem Kaiser zu verklagen.

Als alle auf dem Reichstage versammelt waren und eben die Klage der Herzogin gehört werden sollte, da begab es sich, daß der Kaiser einen Augenblick auf den Rhein schaute.

Da sah er einen Schwan, der schwamm den Rhein hinauf. Er hatte eine silberne Kette um den Hals, die erglänzte gar hell und daran zog er ein Schifflein hinter sich her. In dem Schifflein aber war ein Ritter, [246] der hatte sich niedergelegt zum Schlafen. Dabei hatte er seinen Kopf auf seinen rechten Arm gelegt, die Rechte selbst aber ruhte auf seinem Schilde.

Der Schwan steuerte rheinauf wie ein erfahrener Seemann und brachte sein Schifflein glücklich an's Ufer, worob der Kaiser und sein ganzer Hofstaat sich höchlichst verwunderten.

Darüber hatte nun jedermann die Klage der beiden Frauen von Brabant vergessen, und alle liefen dem Rheine zu. Da erwachte der Ritter und stieg aus dem Schifflein. Zu dem Schwane sprach er:

»Fliege deinen Weg wohl, du lieber Schwan! Wenn ich deiner wieder bedarf, so will ich dich rufen.«

Da gab sich der Schwan einen Schwung im Wasser, wie wohl Schwäne thun und fuhr mit seinem Schifflein davon, man wußte nicht, ob er schwamm oder flog, so schnell war er mit seinem Fahrzeuge aus den Augen der Zuschauer verschwunden.

Der Kaiser aber empfing den Schwanenritter auf's beste, ergriff seine Hand und führte ihn selbst auf die Burg.

Als nun alle in den Kaisersaal eingetreten waren, so ließ der Kaiser die Hand des Schwanenritters los, und dieser verlor sich in der Menge der anwesenden Fürsten und Herren. Der Kaiser aber setzte sich auf den Thron und hörte jetzt die Klagen der Herzogin von Brabant und ihrer Tochter an.

Darauf behauptete der Herzog von Sachsen, daß seine Schwägerin und seine Nichte Brabant nach altem Rechte nicht von seinem Bruder erben dürften. Es war aber zweifelhaft, wie die Vorfahren bei der Nachfolge in der Herrschaft über Brabant es früher gehalten hatten. Darum verlangte der Herzog von Sachsen zuletzt, daß die beiden Frauen entweder auf die Erbschaft verzichten oder ihm einen Kämpfer stellen sollten, welcher ihre vorgeblichen Rechte auf Brabant ihm gegenüber mit dem Schwerte zu verfechten gewillt sei. Der Ausgang dieses Zweikampfes sollte dann über die Erbschaft von Brabant entscheiden.

Da waren die beiden Frauen sehr betroffen, denn sie standen seit dem Tode des Herzogs von Brabant vereinsamt da; auch hatte der Herzog von Sachsen so oft beim Turniere den Sieg davongetragen, daß er wegen seiner Tapferkeit und Stärke allgemein gefürchtet wurde.

[247] Der Kaiser mußte den Vorschlag des Herzogs von Sachsen annehmen. Vergebens ließ die Herzogin von Brabant ihre fragenden Blicke über die Herren und Ritter im Saale dahinschweifen. Niemand erbot sich zum Schutze ihrer Rechte, und die Prinzessin weinte.

Da erhob sich der Schwanenritter zum Schutze der beiden Frauen von Brabant. Er kämpfte mit dem Herzoge von Sachsen und überwand ihn. Der Tod des Herzogs erfolgte auf der Stelle, und nun sprach auch der Kaiser den beiden Damen, von denen die eine eine Wittwe und die andere eine Waise war, sogleich Brabant zu. Jetzt wünschte der Kaiser selbst, daß ein so starker Held, wie der Überwinder des Sachsenherzogs, sich mit der Prinzessin vermähle, und mit Freuden trug ihm die Herzogin die Hand ihres lieblichen Töchterchens an. Gern willigte auch der Ritter in das Verlöbnis. Jedoch stellte er dabei die Bedingung, daß seine Gemahlin ihn niemals fragen dürfe, von wannen er kommen sei, weil sie ihn sonsten sogleich verlieren müsse.

Das versprach ihm die Prinzessin auch und hat es gehalten, bis sie zwei Kinder von ihm bekommen hatte und beide Ehegatten darüber in größter Glückseligkeit waren. Da fragte sie ihn gleichsam um seiner Nachkommen willen nach seinem Geschlechte und seiner Herkunft. Da sagte er ihr, daß sie nun ihr gemeinschaftliches Glück zerstört habe, und daß sie ihn nur wenige Augenblicke noch sehen werde.

Da bereute die Herzogin das Wort, das sie gesprochen hatte, und alle fielen ihm zu Füßen und baten ihn zu bleiben. Er aber rüstete sich und rief nach seinem Schwane, der kam sogleich mit dem Schifflein geschwommen.

Er segnete noch das ganze Volk, dann trat er in das Schiff und der Schwan fuhr mit ihm auf Nimmerwiedersehen davon.

Von den Kindern des Schwanenritters stammen viele edle Geschlechter ab, die alle den Schwan im Wappen führen. Darunter sind auch die Herzöge von Kleve, deren Land zuletzt in den Besitz der Hohenzollern gekommen ist.

[248]

Notes
Erstdruck: Berlin (Verlag von Herm. J. Meidinger) 1886.
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TextGrid Repository (2012). Pröhle, Heinrich. Rheinlands schönste Sagen und Geschichten. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-890F-5