Hochverehrter Herr Geheimer-Rath
und Staatsminister,
Ew. Excellenz haben bey meiner Anwesenheit in Jena im verwichenen Herbst mich
einer so gnädigen Aufnahme gewürdigt und über mein Interesse an der Farbenlehre
sich auf eine so theilnehmende und für mich so aufmunternde Weise zu äußern geruht,
daß ich mich um so mehr ermuthigt fühle mich Hochdenselben mit einer den ge-
nannten Gegenstand betreffenden Bitte zu nahen, als ich ohnehin weiß daß Sie
von jeher geneigt waren wissenschaftlichen Bestrebungen mit Rath und Beystand
zu Hülfe zu kommen. - Lebhaft überzeugt von der entschiedenen Wichtigkeit der
Verbreitung und Geltendmachung der von Ew. Excellenz aufgestellten und durchge-
führten Ansicht über die Natur der Farben, für die gesammte Erkenntniß der
Natur, ja man darf wohl sagen für das Erkennen überhaupt, habe ich schon
längst den Wunsch gehegt daß Ihre Farbenlehre zum Gegenstand beson-
derer akademischen Vorträge gemacht werden möge. Da nun bey der Ew.
Excellenz hinlänglich bekannten Stimmung der gegenwärtigen Generation un-
serer Physiker, von Seiten der Zunftverwandten für jetzt nicht auf die Erfül-
lung dieses Wunsches zu rechnen seyn dürfte, so habe ich, als unzünftiger[5v]Freund der Natur, nachdem ich bey Ihnen als Freymeister in der Lehre gestanden,
mir das Herz gefaßt für das nächste Sommerhalbejahr öffentliche an der hie-
sigen Universität zu haltende Vorlesungen "über die göthesche Farbenlehre"
anzukündigen und gedenke damit jährlich so lange fortzufahren bis daß
sich ein Würdigerer findet um mich abzulösen. - Die Möglichkeit die Sache
ins Werk zu setzen, verdanke ich unserm verehrten Regierungsbevoll-
mächtigten, Herrn Geheimen-Oberregierungs-Rath Schultz, der, von meinem
Vorhaben unterrichtet, mir sofort seinen ganzen Beystand zugesagt und
bereits die mündliche Genehmigung des Herrn Ministers von Altenstein
zu Einrichtung eines Experimentierzimmers im hiesigen Universitätsgebäude
und zu Anschaffung des erforderlichen Apparats ausgewirkt hat. Letztern
betreffend so habe ich, nach Anleitung der Farbenlehre, mit Zuziehung ei-
nes geschickten hiesigen Mechanikers1 einen diesfalsigen Anschlag ge-
fertigt, wobey indeß einige Punkte zur Sprache gekommen sind, rücksicht-
lich deren nur von Ew. Excellenz genügende Auskunft zu erhalten seyn
dürfte und die ich deshalb Hochdenselben hiermit vorzulegen mir er-
laube. - Erstens fehlt es hier und in der Gegend an farbigen Gläsern
und würden dergleichen, nahmentlich rothe, nach Meinung Sachver-
ständiger nur aus böhmischen Glashütten in möglichster Reinheit zu be-
ziehen seyn; - dasselbe gilt zweytens von den zu Darstellung der
dioptrischen Farben erster Klasse erforderlichen Opalglasscheiben, von ver-
schiedenen Graden der Trübung und von verschiedener Stärke, und drittens
von reinen Glaswürfeln zu Darstellung des Phänomens der Brechung
und Hebung. Auch würden viertens solche Urphänomensgläser der-
gleichen der Herr Geh. Rath Schultz und der Herr Professor Hegel durch
[6r]die Güte Ew. Excellenz besitzen, nicht nur zum Vergnügen, sondern auch zur Ver-
theilung an theilnehmende Freunde der Farbenlehre erwünscht seyn. Bey Ihrer
Bekanntschaft in Böhmen dürften Ew. Excellenz vielleicht im Stande seyn nach-
zuweisen wohin man sich dort wegen der genannten und wegen ähnlicher
Gegenstände zu wenden hätte. Was fünftens den Apparat zu den so interes-
santen entoptischen Farbenerscheinungen anbetrifft, so wäre es gleichfalls
erwünscht zu wissen wo man solche nach Anleitung der im 3ten Heft zur
Naturwissenschaft befindlichen Abhandlung am zuverlässigsten gefertigt er-
halten kann. - Dieß sind die Punkte rücksichtlich deren sich zunächst das Bedürfniß
ergeben hat Ew. Excellenz mit der Bitte um geneigte Auskunft für den Fall
zu belästigen, daß Hochdieselben solche ohne deshalb selbst erst beschwerliche
Nachfrage halten zu müssen, zu ertheilen im Stande seyn sollten.
Mit lebhaftem Interesse sieht der kleine Kreis der hiesigen Freunde der Far-
benlehre jener supplementaren Abhandlung entgegen deren ersten Bogen
ich bereits im vorigen Herbst bey Ew. Excellenz gedruckt gefunden ha-
be. Unsre gelehrten Physiker werden sich dadurch freylich eben so wenig
belehren lassen als dies durch das Hauptwerk selbst, über dessen Inhalt der
Professor Kries sich in der neusten Auflage seiner Physik ganz neuerlich
sehr naiv dahin geäußert hat, daß er für den mathematischen Gebrauch ganz
untauglich sey (als ob die Natur nur dazu da wäre um von den Mathe-
matikern verbraucht zu werden); allein es ist auf jeden Fall höchst
erfreulich und dankenswerth daß Ew. Excellenz sich die Mühe nicht ver-
drießen lassen vor der Mit- und Nachwelt Zeugniß davon zu ge-
ben wie es mit der Einsicht und viel gerühmten Wissenschaftlichkeit
jener wissenschaftlichen Gilde sich verhält.- Übrigens hat es den Anschein als
würde auch in diesem Fall bey dem Hervortreten der Wahrheit in einer[6v]neuen und höhern Gestalt dasselbe sich begeben, was sich schon früher in ähnlichen
Fällen begeben hat, dieses nämlich daß die Widersacher endlich durch die
Gewalt der Wahrheit, trotz ihres Bestrebens sich ihr zu entziehen und un-
geachtet ihres Sprödethuns gegen deren Quelle und Princip, sich gleich-
wohl am Ende unvermerkterweise werden genöthigt sehen in der neu-
en Weise mitzusprechen. Der Anfang dazu ist, wenn ich nicht sehr irre,
bereits durch das in Deutschland und Frankreich von vielen Seiten her
ertönende Gerede von der vermeintlichen Polarität des Lichts gemacht.
Offenbar wird den Physikern bey der cruden newtonschen Vorstellung
von einer Zusammengesetztheit des Lichts, doch nach und nach unheimlich
und da erscheint ihnen denn die leicht zu handhabende Polaritätsformel als
ein bequemes Mittel um ihre Blöße zu bedecken und auch ferner
noch mit Anstand vor der Welt zu bestehen. Sie mögen's indeß trei-
ben wie sie wollen und sich auf gut jesuitisch auch noch so geschmei-
dig und selbst aufgeklärt stellen, uns die wir durch Ew. Excellenz
erweckt einmal das Licht in seiner Reinheit begrüßt haben, sollen
sie nicht wieder umnebeln und in die alte Finsterniß zurückführen.
Die Polarität ist ohne Zweifel eine große Grundform der Natur; in so
fern indeß darunter ein Scheiden des in sich Einigen verstanden wird,
so kann davon als einem erst durch bestimmte Veranstaltungen zu Be-
wirkenden wohl nicht die Rede seyn, denn das Licht ist ja von Ewig-
keit her, d. h. seinem Begriff gemäß geschieden von der Finster-
niß und das Ineinssetzen beyder, unbeschadet ihrer Trennung durch
ein Drittes und Mittleres, ist eben die Farbe. - Obschon ich noch Vieles
im Allgemeinen, wie im Einzelnen über die Farbenlehre auf dem Her-
zen habe, so wage ich es doch nicht Ew. Excellenz, ohne besondre Erlaub-
niß, um die ich hiermit bitte, damit für jetzt zu belästigen. -
Ew. Excellenz
ganz gehorsamster
Letzte Straße Nr: 53.
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- Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek
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- TextGrid Repository (2022). Goethes Farbenlehre in Berlin. Repositorium. 19. Januar 1822. von Henning an Goethe. Z_1822-01-19_k.xml. Wirkungsgeschichte von Goethes Werk „Zur Farbenlehre“ in Berlin 1810-1832. Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek. https://hdl.handle.net/21.11113/0000-000F-5422-C