Johann Gottfried Schnabel
Wunderliche Fata einiger See-Fahrer, absonderlich Alberti Julii, eines geborenen Sachsens, auf der Insel Felsenburg

Erster Theil

Vorrede
Vorrede.
Geneigter Leser!

Es wird dir in folgenden Blättern eine Geschichts-Beschreibung vorgelegt, die, wo du anders kein geschworner Feind von dergleichen Sachen bist, oder dein Gehirne bey Erblickung des Titul-Blates nicht schon mit wiederwärtigen Præjudiciis angefüllet hast, ohnfehlbar zuweilen etwas, ob gleich nicht alles, zu besonderer Gemüths-Ergötzung überlassen, und also die geringe Mühe, so du dir mit Lesen und Durchblättern gemacht, gewisser massen recompensiren kan.

Mein Vorsatz ist zwar nicht, einem oder dem andern dieses Werck als einen vortrefflich begeisterten und in meinen Hoch-Teutschen Stylum eingekleideten Staats Cörper anzuraisoniren; sondern ich will das Urtheil von dessen Werthe, dem es beliebt, überlassen, und da selbiges vor meine Parthie nicht allzu vortheilhafftig klappen solte, weiter nichts sagen, als: Haud curat Hippoclides. Auf Teutsch:


Sprecht, was ihr wolt, von mir und Julio dem Sachsen,
Ich lasse mir darum kein graues Härlein wachsen.

Allein, ich höre leyder! schon manchen, der nur einen Blick darauf schiessen lassen, also raisoniren und fragen: Wie hälts, Landsmann! kan man sich auch darauf verlassen, daß deine Geschichte keine blossen Gedichte, Lucianische Spaas-Streiche, zusammen geraspelte Robinsonaden-Späne und dergleichen sind? Denn es werffen sich immer mehr und mehr Scribenten auf, die einem neu-begierigen Leser an diejenige Nase, so er doch schon selbst am Kopffe hat, noch viele kleine, mittelmäßige und grosse Nasen drehen wollen.

Was gehöret nicht vor ein Baum-starcker Glaube darzu, wenn man des Herrn von Lydio trenchirte Insul als eine Wahrheit in den Back-Ofen seines physicalischen Gewissens schieben will? Wer muß sich nicht vielmehr über den Herrn Geschicht-SchreiberP.L. als über den armen Einsiedler Philipp Quarll selbst verwundern, da sich der erstere gantz besondere Mühe giebt, sein, nur den Mondsüchtigen gläntzendes Mährlein, unter dem Hute des Hrn. Dorrington, mit demüthigst-ergebensten Flatterien, als eine brennende Historische Wahrheits-Fackel aufzustecken? Die Geschicht von Joris oder Georg Pines hat seit ao. 1667 einen ziemlichen Geburths- und Beglaubigungs-Brief erhalten, nachdem aber ein Anonymus dieselbe aus dem Englischen übersetzt haben will, und im Teutschen, als ein Gerichte Sauer-Kraut mit Stachelbeeren vermischt, aufgewärmet hat, ist ein solche Ollebutterie daraus worden, daß man kaum die gantz zu Matsche gekochten Brocken der Wahrheit, noch auf dem Grunde der langen Titsche finden kan. Woher denn kommt, daß ein jeder, der diese Geschicht nicht schon sonsten in andern Büchern gelesen, selbige vor eine lautere Fiction hält, mithin das Kind sa t dem Badewasser ausschüttet. Gedencket man ferner an die fast unzählige Zahl derer Robinsons von fast allen Nationen, so wohl als andere Lebens-Beschreibungen, welche meistentheils die Beywörter: Wahrhafftig, erstaunlich, erschrecklich, noch niemahls entdeckt, unvergleichlich, unerhört, unerdencklich, wunderbar, bewundernswürdig, seltsam und dergleichen, führen, so möchte man nicht selten Herr Ulrichen, als den Vertreiber eckelhaffter Sachen, ruffen, zumahlen wenn sich in solchen Schrifften lahme Satyren, elender Wind, zerkauete Moralia, überzuckerte Laster-Morsellen, und öffters nicht 6. rechtschaffene oder wahre Historische Streiche antreffen lassen. Denn – – –

Halt inne, mein Freund! Was gehet mich dein gerechter oder ungerechter Eiffer an? Meinest du, daß ich dieserwegen eine Vorrede halte? Nein, keines weges. Laß dir aber dienen! Ohnfehlbar must du das von einem Welt-berühmten Manne herstammende Sprichwort: Viel Köpffe, viel Sinne, gehöret oder gelesen haben. Der liebe Niemand allein, kan es allen Leuten recht machen. Was dir nicht gefällt, charmirt vielleicht 10, ja 100. und wohl noch mehr andere Menschen. Alle diejenigen, so du anitzo getadelt hast, haben wohl eine gantz besondere gute Absicht gehabt, die du und ich erstlich errathen müssen. Ich wolte zwar ein vieles zu ihrer Defension anführen, allein, wer weiß, ob mit meiner Treuhertzigkeit Danck zu verdienen sey? Uber dieses, da solche Autores vielleicht klüger und geschickter sind als Du und ich, so werden sie sich, daferne es die Mühe belohnt, schon bey Gelegenheit selbst verantworten.

Aber mit Gunst und Permission zu fragen: Warum soll man denn dieser oder jener, eigensinniger Köpffe wegen, die sonst nichts als lauter Wahrheiten lesen mögen, nur eben lauter solche Geschichte schreiben, die auf das kleineste Jota mit einem cörperlichen Eyde zu bestärcken wären? Warum soll denn eine geschickte Fiction, als ein Lusus Ingenii, so gar verächtlich und verwerfflich seyn? Wo mir recht ist, halten ja die Herren Theologi selbst davor, daß auch in der Heil. Bibel dergleichen Exempel, ja gantze Bücher, anzutreffen sind. Sapienti sat. Ich halte davor, es sei am besten gethan, man lasse solcher Gestalt die Politicos ungehudelt, sie mögen schreiben und lesen was sie wollen, solte es auch gleich dem gemeinen Wesen nicht eben zu gantz besondern Vortheil gereichen, genug, wenn es demselben nur keinen Nachtheil und Schaden verursachet.

Allein, wo gerathe ich hin? Ich solte Dir, geneigter Leser, fast die Gedancken beybringen, als ob gegenwärtige Geschichte auch nichts anders als pur lautere Fictiones wären? Nein! dieses ist meine Meynung durchaus nicht, jedoch soll mich auch durchaus niemand dahin zwingen, einen Eyd über die pur lautere Wahrheit derselben abzulegen. Vergönne, daß ich deine Gedult noch in etwas mißbrauche, so wirst du erfahren, wie diese Fata verschiedener See-Fahrenden mir fato zur Beschreibung in die Hände gekommen sind:

Als ich im Anfange dieses nun fast verlauffenen Jahres in meinen eigenen Verrichtungen eine ziemlich weite Reise auf der Land-Kutsche zu thun genöthiget war, gerieth ich bey solcher Gelegenheit mit einen Literato in Kundschafft, der eine gantz besonders artige Conduite besaß. Er ließ den gantzen Tag über auf den Wagen vortrefflich mit sich reden und umgehen, so bald wir aber des Abends gespeiset, muste man ihm gemeiniglich ein Licht alleine geben, womit er sich von der übrigen Gesellschafft ab- und an einen andern Tisch setzte, solchergestalt beständig diejenigen geschriebenen Sachen laß, welche er in einem zusa en gebundenen Paquet selten von Abhänden kommen ließ. Sein Beutel war vortrefflich gespickt, und meine Person, deren damahliger Zustand eine genaue Wirthschafft erforderte, profitirte ungemein von dessengenerositeé, welche er bey mir, als einem Feinde des Schmarotzens, sehr artig anzubringen wuste. Dannenhero gerieth ich auf die Gedancken, dieser Mensch müsse entweder ein starcker Capitaliste oder gar einAdeptus seyn, indem er so viele güldene Species bey sich führete, auch seine besondere Liebe zur Alchymie öffters in Gesprächen verrieth.

Eines Tages war dieser gute Mensch der erste, der den blasenden Postillon zu Gefallen hurtig auf den Wagen steigen wolte, da mittlerweile ich nebst zweyen Frauenzimmern und so viel Kauffmanns-Dienern in der Thür des Gast-Hofs noch ein Glaß Wein ausleereten. Allein, er war so unglücklich, herunter zu stürtzen, und da die frischen Pferde hierdurch schüchtern gemacht wurden, gingen ihm zwey Räder dermassen schnell über den Leib und Brust, daß er so gleich halb todt zurück in das Gast-Hauß getragen werden muste.

Ich ließ die Post fahren, und blieb bey diesen im grösten Schmertzen liegenden Patienten, welcher, nachdem er sich um Mitternachts-Zeit ein wenig ermuntert hatte, alsofort nach seinem Paquet-Schrifften fragte, und so bald man ihm dieselben gereicht, sprach er zu mir: Mein Herr! nehmet und behaltet dieses Paquet in eurer Verwahrung, vielleicht füget euch der Himmel hierdurch ein Glücke zu, welches ich nicht habe erleben sollen. Hierauf begehrete er, daß man den anwesenden Geistlichen bey ihm allein lassen solte, mit welchen er denn seine Seele wohl berathen, und gegen Morgen das Zeitliche mit dem Ewigen verwechselt hatte.

Meinen Gedancken nach hatte ich nun von diesem andern Jason das güldene Fell ererbet, und vermeinte, ein Besitzer der allersichersten alchimistischen Processe zu seyn. Aber weit gefehlt! Denn kurtz zu sagen, es fand sich sonst nichts darinnen, als Albert Julii Geschichts-Beschreibung, und was Mons. Eberhard Julius, zur Erläuterung derselben, diesem unglücklichen Passagier sonsten beygelegt und zugeschickt hatte.

Ohngeacht aber meine Hoffnung, in kurtzer Zeit ein glücklicher Alchymiste und reicher Mann zu werden, sich gewaltig betrogen sahe, so fielen mir doch, beym Durchlesen dieser Sachen, verschiedene Passagen in die Augen, woran mein Gemüth eine ziemliche Belustigung fand, und da ich vollends des verunglücktenLiterati besonderen Brief-Wechsel, den er theils mitMons. Eberhard Julio selbst, theils mit Herrn G.v.B. in Amsterdam, theils auch mit Herrn H.W.W. in Hamburg dieses Wercks wegen eine Zeit her geführet, dabey antraff, entbrandte sogleich eine Begierde in mir, diese Geschicht selbst vor die Hand zu nehmen, in möglichste Ordnung zu bringen, und hernach dem Drucke zu überlassen, es möchte gleich einem oder den andern viel, wenig oder gar nichts daran gelegen seyn, denn mein Gewissen rieth mir, diese Sachen nicht liederlicher Weise zu vertuschen.

Etliche Wochen hierauf, da mich das Glück unverhofft nach Hamburg führete, gerieth ich gar bald mit dem Herrn W. in Bekandtschafft, eröffnete demselben also die gantze Begebenheit des verunglückten Passagiers, wie nicht weniger, daß mir derselbe vor seinem Ende die und die Schrifften anvertrauet hätte, wurde auch alsobald von diesem ehrlichen Manne durch allerhand Vorstellungen und Persuasoria in meinem Vorhaben gestärckt, anbey der Richtigkeit dieser Geschichte, vermittelst vieler Beweißthümer, vollkommen versichert, und belehret, wie ich mich beyEdirung derselben zu verhalten hätte.

Also siehest du, mein Leser, daß ich zu dieser Arbeit gekommen bin, wie jener zur Maulschelle, und merckest wohl, daß mein Gewissen von keiner Spinnewebe gewürckt ist, indem ich eine Sache, die man mir mit vielen Gründen als wahr und unfabelhafft erwiesen, dennoch niemanden anders, als solchergestalt vorlegen will, daß er darvon glauben kan, wie viel ihm beliebt. Demnach wird hoffentlich jeder mit meiner generositeé zu frieden seyn können.

Von dem übrigen, was sonsten in Vorreden pflegt angeführet zu werden, noch etwas weniges zu melden, so kan nicht läugnen, daß dieses meine erste Arbeit von solcher Art ist, welche ich in meiner Hertz- allerliebsten Deutschen Frau Mutter-Sprache der Presse unterwerffe. Nimm also einem jungen Anfänger nicht übel, wenn er sein erstes Händewerck so frey zur Schaue darstellet, selbiges aber dennoch vor kein untadelhafftes Meister-Stücke ausgiebt.

An vielen Stellen hätte ich den Stylum selbst ziemlich verbessern können und wollen, allein, manforcirte mich, die Herausgabe zu beschleunigen. ZurMundirung des Concepts liessen mir anderweitige wichtige Verrichtungen keine Zeit übrig, selbiges einem Copisten hinzugeben, möchte vielleicht noch mehr Händel gemacht haben. Hier und dort aber viel auszustreichen, einzuflicken, Zeichen zu machen, Zettelgen beyzulegen und dergleichen, schien mir zu gefährlich, denn wie viele Flüche hätte nicht ein ungedultiger Setzer hierbey ausstossen können, die ich mir alle ad animum revociren müssen.

Ich weiß, was mir Mons. Eberhard Julii kunterbunde Schreiberey quoad formam vor Mühe gemacht, ehe die vielerley Geschichten in eine ziemliche Ordnung zu bringen gewesen. Hierbey hat mir nun allbereits ein guter Freund vorgeworffen, als hätte ich dieselben fast gar zu sehr durch einander geflochten, und etwa das Modell von einigen Romainen-Schreibern genommen, allein, es dienet zu wissen, daß Mons. Eberhard Julius selbst das Kleid auf solche Facon zugeschnitten hat, dessen Gutbefinden mich zu widersetzen, und sein Werck ohne Ursach zu hofemeistern, ich ein billiges Bedencken getragen, vielmehr meine Schuldigkeit zu seyn erachtet, dieses von ihm herstammende Werck in seiner Person und Nahmen zudemonstriren. Uber dieses so halte doch darvor, und bleibe darbey, daß die meisten Leser solchergestalt desto besser divertirt werden. Beugen doch die Post-Kutscher auch zuweilen aus, und dennoch moquirt sich kein Passagier drüber, wenn sie nur nicht gar stecken bleiben, oder umwerffen, sondern zu gehöriger Zeit fein wieder in die Gleisen kommen.

Nun solte mich zwar bey dieser Gelegenheit auch besinnen, ob ich als ein Recroute unter den Regimentern der Herrn Geschichts-Beschreiber, dem (s. T.p.) Hochgeöhrten und Wohlnaseweisen HerrnMomo, wie nicht weniger dessen Dutz-Bruder, HerrnZoilo, bey bevorstehender Revüe mit einer Spanischen Zähnfletzschenden grandezze, oder Pohlnischen Sub-Submission entgegen gehen müsse? Allein, weil ich die Zeit und alles, was man dieser Confusionarien halber anwendet, vor schändlich verdorben schätze, will ich kein Wort mehr gegen sie reden, sondern die übrigen in mente behalten.

Solte aber, geneigter Leser! dasjenige, was ich zu diesem Wercke an Mühe und Fleisse beygetragen, von Dir gütig und wohl aufgenommen werden, so sey versichert, daß in meiner geringen Person ein solches Gemüth anzutreffen, welches nur den geringsten Schein einer Erkänntlichkeit mit immerwährenden Dancke zu erwiedern bemühet lebt. Was an der Vollständigkeit desselben annoch ermangelt, soll, so bald als möglich, hinzu gefügt werden, woferne nur der Himmel Leben, Gesundheit, und was sonsten darzu erfordert wird, nicht abkürtzet. Ja ich dürffte mich eher bereden, als meinen Ermel ausreissen lassen, künfftigen Sommer mit einem curieusen Soldaten-Romain heraus zu rutschen, als worzu verschiedene brave Officiers allbereit Materie an die Hand gegeben, auch damit zu continuiren versprochen. Vielleicht trifft mancher darinnen vor sich noch angenehmere Sachen an, als in Gegenwärtigen.

Von den vermuthlich mit einschleichenden Druck-Fehlern wird man mich gütigst absolviren, weil die Druckerey allzuweit von dem Orte, da ich mich aufhalte, entlegen ist, doch hoffe, der sonst sehr delicate Herr Verleger werde sich dieserhalb um so viel desto mehr Mühe geben, solche zu verhüten. Letzlich bitte noch, die in dieser Vorrede mit untergelauffenen Schertz-Worte nicht zu Poltzen zu drehen, denn ich bin etwas lustigen humeurs, aber doch nicht immer. Sonsten weiß vor dieses mahl sonderlich nichts zu erinnern, als daß ich nach Beschaffenheit der Person und Sachen jederzeit sey,


Geneigter Leser,


den 2. Dec.
1730.
Dein

dienstwilliger GISANDER.

Erstes Buch
[1] Erstes Buch.

Ob denenjenigen Kindern, welche um die Zeit gebohren werden, da sich Sonnen- oder Mond-Finsternissen am Firmamente præsentiren, mit Recht besondere Fatalitäten zu prognosticiren seyn? Diese Frage will ich den gelehrten Natur-Kündigern zur Erörterung überlassen, und den Anfang meiner vorgenommenen Geschichts-Beschreibung damit machen: wenn ich dem Geneigten Leser als etwas merckliches vermelde: daß ich Eberhard Julius den 12. May 1706. eben in der Stunde das Licht dieser Welt erblickt, da die bekandte grosse Sonnen-Finsterniß ihren höchsten und fürchterlichsten grad erreicht hatte. Mein Vater, der ein wohlbemittelter Kauffmann war, und mit meiner Mutter noch kein völliges Jahr im Ehestande gelebt, mochte wegen gedoppelter Bestürtzung fast gantz ausser sich selbst gewesen seyn; Jedoch nachdem er bald darauf das Vergnügen [1] hat meine Mutter ziemlich frisch und munter zu sehen, mich aber als seinen erstgebohrnen jungen, gesunden Sohn zu küssen, hat er sich, wie mir erzehlet worden, vor Freuden kaum zu bergen gewust.

Ich trage Bedencken von denenjenigen tändeleyen viel Wesens zu machen, die zwischen meinen Eltern als jungen Eheleuten und mir als ihrer ersten Frucht der Liebe, in den ersten Kinder-Jahren vorgegangen. Genung! ich wurde von ihnen, wiewohl etwas zärtlich, jedoch christlich und ordentlich erzogen, weil sie mich aber von Jugend an dem studiren gewidmet, so muste es keines weges an gelehrten und sonst geschickten Lehr-Meistern ermangeln, deren getreue Unterweisung nebst meinen unermüdeten Fleisse so viel würckte, daß ich auf Einrathen vieler erfahrner Männer, die mich examinirt hatten, in meinem 17den Jahre nehmlich um Ostern 1723. auf die Universität Kiel nebst einem guten Anführer reisen konte. Ich legte mich auf die Jurisprudentz nicht so wohl aus meinem eigenen Antriebe, sondern auf Begehren meiner Mutter, welche eines vornehmen Rechts-Gelehrten Tochter war. Allein ein hartes Verhängnis ließ mich die Früchte ihres über meine guten Progressen geschöpfften Vergnügens nicht lange geniessen, indem ein Jahr hernach die schmertzliche Zeitung bey mir einlieff, daß meine getreue Mutter am 16. Apr. 1724. samt der Frucht in Kindes-Nöthen todes verblichen sey. Mein Vater verlangte mich zwar zu seinem Troste auf einige Wochen nach Hause, weiln, wie er schrieb, weder meine eintzige Schwester, noch andere Anverwandte seinen Schmertzen [2] einige Linderung verschaffen könten. Doch da ich zurücke schrieb: daß um diese Zeit alle Collegia aufs neue angiengen, weßwegen ich nicht allein sehr viel versäumen, sondern über dieses seine und meine Hertzens-Wunde ehe noch weiter aufreissen als heilen würde, erlaubte mir mein Vater, nebst übersendung eines Wechsels von 200. spec. Ducaten noch ein halbes Jahr in Kiel zu bleiben, nach Verfliessung dessen aber solte nach Hause kommen über Winters bey ihm zu verharren, so dann im Früh-Jahre das galante Leipzig zu besuchen, und meine studia daselbst zu absolviren.

Sein Wille war meine Richt-Schnur, dannenhero die noch übrige Zeit in Kiel nicht verabsäumete mich in meinen ergriffenen studio nach möglichkeit zu cultiviren, gegen Martini aber mit den herrlichsten Attestaten meiner Professoren versehen nach Hause reisete. Es war mir zwar eine hertzliche Freude, meinen werthen Vater und liebe Schwester nebst andern Anverwandten und guten Freunden in völligen Glücks-Stande anzutreffen; allein der Verlust der Mutter that derselben ungemeinen Einhalt. Kurtz zu sagen: es war kein einziges divertissement, so mir von meinem Vater, so wohl auch andern Freunden gemacht wurde, vermögend, das einwurtzelende melancholische Wesen aus meinem Gehirne zu vertreiben. Derowegen nahm die Zuflucht zu den Büchern und suchte darinnen mein verlohrnes Vergnügen, welches sich denn nicht selten in selbigen finden ließ.

Mein Vater bezeigte theils Leid, theils Freude über meine douce Aufführung, resolvirte sich aber [3] bald, nach meinen Verlangen mich ohne Aufseher, oder wie es zuweilen heissen muß, Hofmeister, mit 300. fl. und einem Wechsel-Briefe auf 1000. Thl. nach Leipzig zu schaffen, allwo ich den 4. Mart. 1725. glücklich ankam.

Wer die Beschaffenheit dieses in der gantzen Welt berühmten Orts nur einigermassen weiß, wird leichtlich glauben: daß ein junger Pursche, mit so vielem baaren Gelde versehen, daselbst allerhand Arten von vergnügten Zeit-Vertreibe zu suchen Gelegenheit findet. Jedennoch war mein Gemüthe mit beständiger Schwermüthigkeit angefüllet, ausser wenn ich meineCollegia frequentirte und in meinem Museo mit den Todten conversirte.

Ein Lands-Mann von mir, Mons. H. – – – genannt merckte mein malheur bald, weil er ein Mediciner war, der seine Hand allbereit mit gröster raison nach dem Doctor-Hute ausstreckte. Derowegen sagte er einmahls sehr vertraulich: Lieber Herr Lands-Mann, ich weiß gantz gewiß, daß sie nicht die geringste Ursach haben, sich in der Welt über etwas zu chagriniren, ausgenommen den Verlust ihrer seel. Frau Mutter. Als ein vernünfftiger Mensch aber können sie sich dieserwegen so hefftig und langwierig nicht betrüben, erstlich: weil sie deren Seeligkeit vollkommen versichert sind, vors andere: da sie annoch einen solchen Vater haben, von dem sie alles erwarten können, was von ihm und der Mutter zugleich zu hoffen gewesen. Anderer motiven voritzo zu geschweigen. Ich setze aber meinen Kopff zum Pfande, daß ihr niedergeschlagenes Wesen vielmehr von einer übeln Disposition [4] des Geblüts herrühret, weßwegen ihnen aus guten Hertzen den Gebrauch einiger Artzeneyen, hiernächst die Abzapffung etlicher Untzen Geblüts recommendirt haben will. Was gilts? rieff er aus, wir wollen in 14. Tagen aus einem andern Thone mit einander schwatzen.

Dieser gegebene Rath schien mir nicht unvernünfftig zu seyn, derowegen leistete demselben behörige Folge, und fand mich in wenig Tagen weit aufgeräumter und leichtsinniger als sonsten, welches meinen guten Freunden höchst angenehm, und mir selbst am gefälligsten war. Ich wohnete ein- und anderm Schmause bey, richtete selbst einen aus, spatzirte mit auf die Dörffer, kurtz! ich machte alles mit, was honette Pursche ohne prostitution vorzunehmen pflegen. Jedoch kan nicht läugnen, daß dergleichen Vergnüglichkeiten zum öfftern von einem bangen Hertz-Klopffen unterbrochen wurden. Die Ursach dessen solte zwar noch immer einer Vollblütigkeit zugeschrieben werden, allein mein Hertz wolte mich fast im voraus versichern, daß mir ein besonderes Unglück bevorstünde, welches sich auch nach verfluß weniger Tage, und zwar in den ersten Tagen der Meß- Woche, in folgenden Briefe, den ich von meinem Vater empfing, offenbarete:


Mein Sohn,


Erschrecket nicht! sondern ertraget vielmehr mein uñ euer unglückliches Schicksal mit großmüthiger Gelassenheit, da ihr in diesen Zeilen von mir selbst, leider! versichert werdet: daß das falsche Glück mit dreyen[5] fatalen Streichen auf einmal meine Reputation und Wohl-Stand, ja mein alles zu Boden geschlagen. Fraget ihr, wie: und auf was Art: so wisset, daß meinCompagnon einen Banquerott auf 2. Tonnen Goldes gemacht, daß auf meine eigene Kosten ausgerüstete Ost Indische Schiff bey der Retour von den See-Räubern geplündert, und letztlich zu completirung meines Ruins der Verfall der Actien mich allein um 50000. Thl. spec. bringet. Ein mehreres will hiervon nicht schreiben, weil mir im schreiben die Hände erstarren wollen. Lasset euch innliegenden Wechsel-Brief â 2000. Frfl. in Leipzig von Hrn. H. gleich nach Empfang dieses bezahlen Eure Schwester habe mit eben so viel, und ihren besten Sachen, nach Stockholm zu ihrer Baase geschickt, ich aber gehe mit einem wenigen von hier ab, um in Ost- oder West Indien, entweder mein verlohrnes Glück, oder den todt zu finden. In Hamburg bey Hrn W. habt ihr vielleicht mit der Zeit Briefe von meinem Zustande zu finden. Lebet wohl, und bedauert das unglückliche Verhängnis eures treugesinnten Vaters, dessen Redlichkeit aber allzustarcker hazard und Leichtglaubigkeit ihm und seinen frommen Kindern dieses malheur zugezogen. Doch in Hofnung, GOTT werde sich eurer und meiner nicht gäntzlich entziehen, verharre


D.d. 5. Apr. 1725.

Euer

biß ins Grab getreuer Vater

Frantz Martin Julius.


[6] Ich fiel nach Lesung dieses Briefes, als ein vom Blitz gerührter, rückwarts auf mein Bette, und habe länger als 2. Stunden ohne Empfindung gelegen. Selbigen gantzen Tag, und die darauf folgende Nacht, wurde in gröster desperation zugebracht, ohne das geringste von Speise oder Geträncke zu mir zu nehmen, da aber der Tag anbrach, beruhigte sich das ungestüme Meer meiner Gedancken einigermassen. Ich betete mein Morgen-Gebet mit hertzlicher Andacht, sung nach einem Morgen-Liede auch dieses: GOTT der wirds wohl machen etc. schlug hernach die Bibel auf, in welcher mir so gleich der 127. Psalm Davids in die Augen fiel, welcher mich ungemein rührete. Nachdem ich nun meine andächtigen, ungeheuchelten Penseen darüber gehabt, schlug ich die Bibel nochmals auf, und traf ohnverhofft die Worte Prov. 10. der Seegen des HERRN macht reich ohne Mühe etc.

Hierbey traten mir die Thränen in die Augen, mein Mund aber brach in folgende Worte aus: Mein GOTT, ich verlange ja eben nicht reich an zeitlichen Gütern zu seyn, ich gräme mich auch nicht mehr um die verlohrnen, setze mich aber, wo es dir gefällig ist, nur in einen solchen Stand, worinnen ich deine Ehre befördern, meinen Nächsten nützen, mein Gewissen rein erhalten, reputirlich leben, und seelig sterben kan.

Gleich denselben Augenblick kam mir in die Gedancken umzusatteln, und an statt der Jurisprudentz die Theologie zu erwehlen, weßwegen ich meine Gelder eincassiren, zwey theile davon auf [7] Zinsen legen, und mich mit dem übrigen auf die WittenbergischeUniversität begeben wolte. Allein der plötzliche Uberfall eines hitzigen Fiebers, verhinderte mein eilfertiges Vornehmen, denn da ich kaum Zeit gehabt, meinen Wechsel bey Hrn. H. in Empfang zu nehmen, und meine Sachen etwas in Ordnung zu bringen, so sahe mich gezwungen das Bette zu suchen, und einen berühmten Medicum wie auch eine Wart-Frau holen zu lassen. Meine Lands-Leute so etwas im Vermögen hatten, bekümmerten sich, nachdem sie den Zufall meines Vaters vernommen, nicht das geringste um mich, ein armer ehrlicher Studiosus aber, so ebenfalls mein Lands-Mann war, blieb fast Tag und Nacht bey mir, und muß ich ihm zum Ruhme nachsagen, daß ich, in seinen mir damahls geleisteten Diensten mehr Liebe und Treue, als Interesse gespüret. Mein Wunsch ist: ihn dermahleins auszuforschen, und Gelegenheit zu finden, meine Erkänntlichkeit zu zeigen.

Meine Kranckheit daurete inzwischen zu damahligen grossen Verdrusse, und doch noch grössern Glücke, biß in die dritte Woche, worauf ich die freye Lufft wiederum zu vertragen gewohnete, und derowegen mit meinem redlichen Lands-Manne täglich ein paar mahl in das angenehme Rosenthal, doch aber bald wieder nach Hause spatzirete, anbey im Essen und Trincken solche Ordnung hielt, als zu völliger wieder herstellung meiner Gesundheit, vor rathsam hielt. Deñ ich war nicht gesiñet als ein halber oder gantzer Patient nach Wittenberg zu ko en.

Der Himmel aber hatte beschlossen: daß so wohl aus meinen geistl. studiren, als aus der nach [8] Wittenberg vorgenommenen Reise nichts werden solte. Denn als ich etliche Tage nach meinen gehaltenen Kirch-Gange und erster Ausflucht mein Morgen-Gebeth annoch verrichtete; klopffte der Brieff-Träger von der Post an meine Thür, und nach Eröffnung derselben, wurde mir von ihm ein Brieff eingehändiget, welchen ich mit zitterenden Händen erbrach, und also gesetzt befand:


D.d. 21. May 1725.


Monsieur,


Ihnen werden diese Zeilen, so von einer ihrer Familie gantz unbekannten Hand geschrieben sind, ohnfehlbar viele Verwunderung verursachen. Allein als ein Studirender, werden sie vielleicht besser, als andere Ungelehrte, zu begreiffen wissen, wie unbegreifflich zuweilen der Himmel das Schicksal der sterblichen Menschen disponiret. Ich Endes unterschriebener, bin zwar ein Teutscher von Geburth, stehe aber vor itzo als Schiffs-Capitain in Holländischen Diensten, und bin vor wenig Tagen allhier in ihrer Geburths-Stadt angelanget, in Meinung, dero Herrn Vater anzutreffen, dem ich eine der allerprofitablesten Zeitungen von der Welt persönlich überbringen wolte; Allein ich habe zu meinem allergrösten Miß-Vergnügen nicht allein sein gehabtes Unglück, sondern über dieses noch vernehmen müssen: daß er allbereit vor Monats-Frist zu Schiffe nach West-Indien gegangen. Diesem aber ohngeachtet, verbindet mich ein geleisteter cörperlicher Eyd: Ihnen, Mons. Eberhard Julius, als dessen [9] eintzigen Sohne, ein solches Geheimniß anzuvertrauen, krafft dessen sie nicht allein ihres Herrn Vaters erlittenen Schaden mehr als gedoppelt ersetzen, und vielleicht sich und ihre Nachkommen, biß auf späte Jahre hinaus, glücklich machen können.

Ich versichere noch einmahl, Monsieur, daß ich mir ihre allerley Gedancken bey dieser Affaire mehr als zu wohl vorstelle, allein ich bitte sie inständig, alle Hindernisse aus dem Wege zu räumen, und sich in möglichster Geschwindigkeit auf die Reise nach Amsterdam zu machen, damit sie längstens gegen St.Johannis-Tag daselbst eintreffen. Der 27. Jun., wo GOtt will, ist zu meiner Abfahrt nach Ost-Indien angesetzt. Finden sie mich aber nicht mehr, so haben sie eine versiegelte Schrifft, von meiner Hand gestellt, bey dem Banquier, Herrn G.v.B. abzufordern, wornach sie Ihre Messures nehmen können. Doch ich befürchte, daß ihre importanten Affairen weitläufftiger werden, und wohl gar nicht glücklich lauffen möchten, woferne sie verabsäumeten, mich in Amsterdam auf dem Ost-Indischen Hause, allwo ich täglich anzutreffen und bekannt genug bin, persönlich zu sprechen. Schließlich will ihnen die Beschleunigung ihrer Reise zu ihrer zeitlichen Glückseeligkeit nochmahls freundlich recommendiren, sie der guten Hand Gottes empfehlen, und beharren


Monsieur

votre Valet

Leonhard Wolffgang.


[10] P.S.

Damit Monsieur Julius in meine Citation kein Mißtrauen zu setzen Ursach habe, folget hierbey ein Wechselbrief a 150. spec. Ducaten an Herrn S. in Leipzig gestellet, welche zu Reise-Kosten aufzunehmen sind.

Es wird vielleicht wenig Mühe kosten, jemanden zu überreden, daß ich nach Durchlesung dieses Briefes eine gute Zeit nicht anders als ein Träumender auf meinem Stuhle sitzen geblieben. Ja! es ist zu versichern, daß diese neue und vor mich so profitable Zeitung fast eben dergleichen Zerrüttung in meinem Gemüthe stifftete: als die vorige von dem Unglücke meines Vaters. Doch konte mich hierbey etwas eher fassen, und mit meinem Verstande ordentlicher zu Rathe gehen, derwegen der Schluß in wenig Stunden dahinaus fiel: mit ehester Post die Reise nach Amsterdam anzutreten. Hierbey fiel mir so gleich der tröstliche Vers ein: Es sind ja GOtt sehr schlechte Sachen, etc. welcher mich anreitzete, GOtt hertzlich anzuflehen, daß er meine Jugend in dieser bedencklichen Sache doch ja vor des Satans und der bösen Welt gefährlichen Stricken, List und Tücken gnädiglich bewahren, und lieber in gröstes Armuth, als Gefahr der Seelen gerathen lassen wolle.

Nachdem ich mich solchergestalt mit GOtt und meinem Gewissen wohl berathen, blieb es bey dem gefassten Schlusse, nach Amsterdam zu reisen. Fing derowegen an, alles aufs eiligste darzu zu veranstalten. Bey Herrn S. ließ ich mir die 150. Duc. spec. noch selbigen Tages zahlen, packte meine Sachen [11] ein, bezahlete alle diejenigen, so mir Dienste geleistet hatten, nach meinen wenigen Vermögen reichlich, verdung mich mit meiner Equippage auf die Casselische oder Holländische Post, und fuhr in GOttes Nahmen, mit besondern Gemüths-Vergnügen von Leipzig ab.

Auf dieser Reise begegnete mir nichts ausserordentliches, ausser dem daß ich mich resolvirte, theils Mattigkeit, theils Neugierigkeit wegen, die berühmten Seltenheiten in und bey der Land-Gräfl. Hessen-Casselischen Residentz-Stadt Cassel zu betrachten, einen Post-Tag zu verpassen. Nachdem ich aber ziemlich ausgeruhet, und das magnifique Wesen zu admiriren vielfältige Gelegenheit gehabt, verfolgte ich meine vorhabende Reise, und gelangete, noch vor dem mir angesetzten Termine, glücklich in Amsterdam an.

Mein Logis nahm ich auf recommendation desCoffre-Trägers in der Wermuths-Strasse im Wapen von Ober-Yssel, und fand daselbst vor einen ermüdeten Passagier sehr gute Gelegenheit. Dem ohngeacht vergönnete mir das hefftige Verlangen, den Capitain Wolffgang zu sehen, und ausführlich mit ihm zu sprechen, kaum 7. Stunden Zeit zum Schlaffe, weil es an sich selbst kräfftig genug war, alle Mattigkeit aus meinen Gliedern zu vertreiben. Folgendes Tages ließ ich mich von müssigen Purschen vor ein gutes Trinc k-Geld in ein und anderes Schenck-Hauß, wohin gemeiniglich See-Fahrer zu kommen pflegten, begleiten. Ich machte mich mit guter manier bald an diesen und jenen, um einen Vorbericht von des Capitain Wolffgangs [12] Person und gantzen Wesen einzuziehen, doch meine Mühe war überall vergebens. Wir hatten binnen 3. oder 4. Stunden mehr als 12. biß 16. Theé-, Coffeé-, Wein- und Brandteweins-Häuser durchstrichen, mehr als 50. See-Fahrer angeredet, und doch niemand angetroffen, der erwehnten Capitain kennen wolte.

Mein Begleiter fing schon an zu taumeln, weil er von dem Weine, den ich ihm an verschiedenen Orten geben ließ, ziemlich betruncken war, weßwegen vors dienlichste hielt, mit demselben den Rückweg nach meinem Quartiere zu suchen. Er ließ sich solches gefallen, kaum aber waren wir 100. Schritte zurück gegangen, als uns ein alter Boots-Knecht begegnete, welchem er zurieff: Wohlauf, Bruder! Kanst du Nachricht geben von dem Capitain Wolffgang? Hier ist ein Trinck-Geld zu verdienen. Well Bruder, antwortete der Boots-Knecht, was soll Capitain Wolffgang? soll ich nicht kennen? soll ich nicht wissen, wo er logirt? habe ich nicht 2. Fahrten mit ihm gethan? habe ich nicht noch vor 3. Tagen 2. fl. von ihm geschenckt bekommen? Guter Freund! fiel ich ihm in die Rede, ists wahr, daß ihr den Capitain Leonhard Wolffgang kennet, so gebet mir weitere Nachricht, ich will – – –Mar Dübel, replicirte der Grobian, meynet ihr, daß ich euch belügen will? so gehet zum Teuffel, und sucht ihn selber. Diese mit einer verzweiffelt-boßhafftigen und scheelen Mine begleiteten Worte waren kaum ausgesprochen, als er sich gantz negligent von uns abwandte, und in einen Wein-Keller verfügte. Mein Begleiter rieth mir nachzugehen, ihm [13] gute Worte und etliche Stüver an Gelde zu geben, auch etwa ein Glaß Wein zuzutrincken, mit der Versicherung: er würde mir sodann schon aufs neue und viel höfflicher zur Rede stehen. Indem mir nun ein so gar vieles daran gelegen war, überwand ich meinen innerlichen Verdruß, den ich über die grausame Grobheit dieses Menschen geschöpfft hatte, und gehorchte meinem halb betrunckenen Rathgeber.

Paul, so hieß der grobe Boots-Knecht, hatte kaum einen halben Gulden, nebst einer tüchtigen Kanne Wein und die erste Sylbe von einem guten Worte bekommen, als er so gleich der allerhöflichste Klotz von der gantzen Welt zu werden schien. Er küssete meine Hand mit aller Gewalt wohl 50. mahl, hatte wider die Gewohnheit dieser Leute seine Mütze stets in Händen, und wolte, alles meines Bittens ohngeacht, sein Haupt in meiner Gegenwart durchaus nicht bedecken. Mein Begleiter tranck ihm auf meine Gesundheit fleißig zu, Paul that noch fleissiger Bescheid, erzehlete mir aber dabey alles Haarklein, was er von des Capitain Wolffgangs Person, Leben und Wandel in dem innersten seines Hertzens wuste, und diese Erzehlung dauerte über zwey Stunden, worauf er sich erboth, mich so fort in des Capitains Logis zu führen, welches nahe an der Börse gelegen sey.

Allein, ich ließ mich verlauten, daß ich meine Visite bey demselben noch etliche Tage aufschieben, und vorhero erstlich von der Reise recht ausruhen wolte. Hierauf bezahlte noch 6. Kannen Wein, den die beyden nassen Brüder getruncken hatten, verehrete [14] dem treuhertzigen Paul noch einen Gulden, und begab mich allein wieder auf den Weg nach meinem Quartiere, weil mein allzu starck besoffener Wegweiser gar nicht von der Stelle zu bringen war.

Ich ließ mir von dem Wirthe die Mahlzeit auf meiner Cammer vor mich alleine zubereiten, und wiederholte dabey in Gedancken alles, was mir Paul von dem Capitain Wolffgang erzehlet hatte. Hauptsächlich hatte ich angemerckt, daß derselbe ein vortrefflich kluger und tapfferer See-Mann, anbey zuweilen zwar sehr hitzig, doch aber bald wieder gelassen, gütich und freygebig sey, wie er denn zum öffern nicht allein seine Freunde und Boots-Knechte, sondern auch andere gantz frembde mit seinen grösten Schaden und Einbusse aus der Noth gerissen. Dem ohngeacht hätten seine Untergebenen vor wenig Jahren unter Wegs wider diesen ehrlichen Mann rebellirt, demselben bey nächtlicher Weile Hände und Füsse gebunden, und ihn bey einem wüsten Felsen ausgesetzt zurück gelassen. Doch hätte vor einigen Monathen das Glücke den Capitain wieder gesund zurück geführet, und zwar mit vielem Geld und Gütern versehen, auf was vor Art er selbiges aber erworben, wuste Paul nicht zu sagen. Im übrigen sey er ein Mann von mittler Statur, wohl gebildet und gewachsen, Teutscher Nation, etwas über 40. Jahr alt, und Lutherischer Religion.

Wie ich nun mit allem Fleiß dahin gestrebet, bevor ich mich dem Capitain zu erkennen gäbe, erstlich bey frembden Leuten sichere Kundschafft wegen seines Zustandes, Wesens, Gemüths- und Lebens-Art einzuziehen, so konte mir diese Nachricht als [15] ein Confortativ meines ohne dem starcken Vertrauens nicht anders als höchst angenehm seyn. Die Speisen und Buteille Wein schmeckten mir unter diesen Gedancken vortrefflich wohl, ich machte meinem auf der Post ziemlich zerschüttelten Cörper nach der Mahlzeit dennoch eine kleine Motion, hielt aber darauf ein paar Stunden Mittags-Ruhe.

Gegen Abend ließ ich mich von meinem vorigen Begleiter, der seinen Rausch doch auch schon ausgeschlaffen hatte, abermahls ausführen, und zwar in ein berühmtes reputirliches Coffeé-Hauß, wo sich unzählige Personen auf verschiedene Arten divertirten. Ich meines Orts sahe mich nach Niemanden anders als See-Officianten um, war auch so glücklich, einen Tisch anzutreffen, welcher mit 6. Personen von dergleichen Schlage besetzt, unten aber noch Platz genung vor mich vorhanden war.

Ich nahm mir die Freyheit, mich nach gemachten höflichen Compliment mit meinem Coffeé-Potgen zu ihnen zu setzen. Ihre gewöhnliche Freyheit verleitete sie gar bald, mich, wiewohl in gantz leutseeligen terminis, zu fragen: wer, und woher ich wäre? was meine Verrichtungen allhier? Ob ich mich lange in Amsterdam aufzuhalten gedächte? wie es mir allhier gefiele? u.d. gl. Ich beantwortete alle ihre Fragen nach meinem Gutachten, und zwar mit sittsamer Bescheidenheit, keines wegs aber mit einer Sclavischen Submission. Hiernächst drehten sie das Gespräch auf die Beschaffenheit verschiedener Etaaten und Oerter in Teutschland, da ich ihnen denn auf Befragen, nach meinem besten Wissen, hinlängliche Satisfaction gab. Auch fielen sie auf die [16] unterschiedlichen Universitäten und Studenten, worbey ihnen ebenfalls zu sattsamer Nachricht nichts schuldig blieb. Weßwegen der Vornehmste unter ihnen zu mir sprach: Monsieur, ich bekenne, daß ihr mir älter am Verstande als an Jahren vorkommt. Bey GOtt, ich halte viel von dergleichen jungen Leuten.

Ich mochte über diesen unverhofften Spruch etwas roth werden, machte aber ein höflich Compliment, und antwortete: Mein Herr! Sie belieben allzu vortheilhafftig von ihrem Diener zu sprechen, ich kan freylich nicht läugnen: daß ich erstlich vor wenig Wochen in mein 20stes Jahr getreten bin, und ohngeacht mich fast von meiner Kindheit an eiffrig auf die studia gelegt, so weiß ich doch gar zu wohl, daß mir noch allzuviel an Conduite und Wissenschafften mangelt, welches ich aber mit der Zeit durch emsigen Fleiß und den Umgang mit geschickten Leuten zu verbessern trachten werde.

Wo ihr Mittel habt, setzte ein anderer hinzu, wäre es Schade um euch: wenn ihr nicht wenigstens noch 2. oder 3. Jahr auf Universitäten zubrächtet, nach diesen Gelegenheit suchtet, die vornehmsten Länder von Europa durchzureisen. Denn eben durch das Reisen erlernet man die Kunst, seine erlangte Wissenschafften hier und dar glücklich anzubringen. Eben dieses, versetzte ich, ist mein propos, und ob gleich meine eigenen Mittel dabey nicht zulänglich seyn möchten, so habe doch das feste Vertrauen zu GOtt, daß er etwan hier oder dar gute Gönner erwecken werde, die mir mit gutem Rath und That, um meinen Zweck zu erreichen, an die [17] Hand gehen können. Ihr meritirt es sehr wohl, replicirte der erstere, und ich glaube, es wird euch hinführo selten daran mangeln. Hiermit wurde der Discours durch ein auf der Strasse entstandenes Lermen unterbrochen, welches sich jedoch bald wiederum stillete, die Herrn See-Officiers aber blieben eine kleine Weile gantz stille sitzen. Ich tranck meinen Coffeé auch in der Stille, und rauchte eine PfeiffeCanaster-Toback, da aber merckte, daß einer von ihnen mich öffters sehr freundlich ansahe, nahm mir die Kühnheit, ihn zu fragen: Ob sich nicht allhier in Amsterdam ein gewisser Schiffs-Capitain, NahmensLeonhard Wolffgang, aufhielte? Mir ist (antwortete er) dieser Nahme nicht bekandt. Wie? (fiel ihm derjenige, welchen ich vor den vornehmsten hielt, in die Rede) soltet ihr den berühmten Capitain Wolffgang nicht kennen? welches jener so wohl als die andern mit einem Kopff-Schütteln verneineten. Monsieur, (redete er zu mir) ist Wolffgang etwan euer Befreundter oder Bekandter? Mein Herr, (versetzte ich) keins von beyden, sondern ich habe nur unterweges auf der Post mit einem Passagier gesprochen, der sich vor einen Vetter von ihm ausgab, und darbey sehr viel merckwürdiges von seinen Avanturen erzehlete.

Messieurs, (fuhr also der ansehnliche See-Mann in seiner Rede fort) ich kan euch versichern, daß selbiger Capitain ein perfecter See-Officier, u. dabey recht starcker Avanturier ist, welcher aber doch sehr wenig Wesens von sich macht, und gar selten etwas von seinen eigenen Begebenheiten erzehlet, es sey denn, daß er bey ausserordentlich guter Laune anzutreffen. [18] Er ist ein special Freund von mir, ich kan mich aber deßwegen doch nicht rühmen, viel von seinen Geheimnissen ausgeforscht zu haben. Bey was vor Gelegenheit er zu seinem grossen Vermögen gekommen? kan ich nicht sagen, denn ich habe ihn vor etliche 20. Jahren, da er auf dem Schiffe, der Holländische Löwe genandt, annoch die Feder führete, als einen pauvre diable gekennet, nach diesen hat er den Degen ergriffen, und sich durch seine bravoure zu dem Posten eines Capitains geschwungen. Seine Conduite ist dermassen angenehm, daß sich jederman mit ihm in Gesellschafft zu seyn wünschet. Vor kurtzen hat er sich ein vortrefflich neues Schiff, unter dem Nahmen, der getreueParis, ausgerüstet, mit welchen er eine neue Tour auf die Barbarischen Küsten und Ost-Indien zu thun gesonnen, und wie ich glaube, in wenig Tagen abseegeln wird. Hat einer oder der andere Lust, ihn vor seiner Abfahrt kennen zu lernen, der stelle sich morgenden Vormittag auf dem Ost-Indischen Hause ein, allwo ich nothwendiger Affairen halber mit ihm zu sprechen habe, und Abrede nehmen werde, an welchem Orte wir uns Nachmittags divertiren können. Hiermit stund der ansehnliche Herr von seiner Stelle auf, um in sein Logis zu gehen, die andern folgten ihm, ich aber blieb, nachdem ich von ihnen höflichen Abschied genommen, noch eine Stunde sitzen, hatte meine eigenen vergnügten Gedancken über das angehörte Gespräch, und ging hernachmahls mit meinem abermahls ziemlich berauschten Begleiter zurück in mein Logis, allwo mich so gleich niederlegte, und viel sanffter, als sonst gewöhnlich, ruhete.

[19] Folgenden Morgen begab mich in reinlicherer Kleidung in die neue Lutherische Kirche, und nach verrichteter Andacht spatzirte auf das Ost-Indische Hauß zu, da nun im Begriff war, die Kostbarkeiten desselben gantz erstaunend zu betrachten; hörete ich seitwerts an einem etwas erhabenen Orte die Stimme des gestern mir so ansehnlich gewesenen See-Officiers zu einem andern folgendes reden: Mon Frere! sehet dort einen wohl conduisirten jungen Teutschen stehen, welcher nur vor wenig Tagen mit der Post von Leipzig gekommen, und gestrigen Abend in meiner Compagnie nach euch gefragt hat, weil er unterwegs einen eurer Vettern gesprochen: Es wurde gleich hierauf etliche mahl gepistet, so bald nun vermerckte, daß es mich anginge, machte ich gegen die 2. neben einander stehende Herren meinen Reverence, Sie danckten mir sehr höflich, beuhrlaubten sich aber so gleich von einander. Der Unbekandte kam augenblicklich auf mich zu, machte mir ein sehr freundlich Compliment, und sagte: Monsieur, wo ich mich nicht irre, werden sie vielleicht den Capitain Wolffgang suchen? Mon Patron, (antwortete ich) ich weiß nicht anders, und bin dieserhalb von Leipzig nach Amsterdam gereiset. Um Vergebung, (fragte er weiter) wie ist ihr Nahme? (Meine Antwort war) Ich heisse Eberhard Julius. Den Augenblick fiel er mir um den Halß, küssete mich auf die Stirn, und sagte: Mein Sohn, an mir findet ihr denjenigen, so ihr sucht, nemlich den Capitain Leonhard Wolffgang. GOtt sey gelobet, der meinen Brieff und eure Person die rechten Wege geführet hat, doch habt die Güte, eine kleine Stunde hier zu [20] verziehen, biß ich, nachdem ich meine wichtigen Geschäffte besorgt, wieder anhero komme, und euch abruffe. Ich versprach seinem Befehl zu gehorsamen, er aber ging eilends fort, und kam, ehe noch eine Stunde verstrichen, wieder zurück, nahm mich bey der Hand, und sagte: So ko et denn, mein Sohn, und folget mir in mein Logis, allwo ich euch ein solches Geheimniß entdecken werde, welches, je unglaublicher es anfänglich scheinen, desto kostbarer vor euch seyn wird. Die verschiedenen Gemüths-Bewegungen, so bey dieser Zusammenkunfft in mir gantz wunderlich durch einander gingen, hatten meinen Kopff dermassen verwirret, daß fast nicht mehr wuste, was ich antworten, oder wie mich stellen wolte, doch unterwegens, da der Capitain bald mit diesen, bald mit jenen Personen etwas zu schaffen hatte, bekam ich Zeit, mich etwas wieder in Ordnung zu bringen. So bald wir demnach in seinem Logis eingetreten waren, umarmete er mich aufs neue, und sagte: Seyd mir vielmahls willkommen, allerwerthester Freund, und nehmet nicht ungütig, wenn ich euch hinführo, Mein Sohn, nenne, weiln die Zeit lehren soll, daß ich als ein Vater handeln, und euch an einen solchen Ort führen werde, wo ihr den Grund-Stein zu eurer zeitlichen Glückseeligkeit finden könnet, welche, wie ich glaube, durch das Unglück eures Vaters auf schwachen Fuß gesetzt worden. Jedoch, weil ich nicht gesonnen bin, vor eingenommener Mittags-Mahlzeit von unsern importantenAffairen ausführlich mit euch zu sprechen, so werdet ihr euch belieben lassen, selbe bey mir einzunehmen, inzwischen aber, biß die Speisen zubereitet [21] sind, mir eine kurtze Erzehlung von eurem Geschlechte und eigner Auferziehung thun. Ich wegerte mich im geringsten nicht, seinem Verlangen ein Genügen zu leisten, und fassete zwar alles in möglichste Kürtze, brachte aber dennoch länger als eine Stunde darmit zu, war auch eben fertig, da die Speisen aufgetragen wurden.

Nachdem wir beyderseits gesättiget, und aufgestanden waren, befahl der Capitain, Toback und Pfeiffen her zu geben, auch Coffeé zurechte zu machen, er aber langete aus seinem Contoir einen dreymahl versiegelten Brieff, und überreichte mir selben ohne einiges Wortsprechen. Ich sahe nach der Uberschrifft, und fand dieselbe zu meiner grösten Verwunderung also gesetzt:


Dieser im Nahmen der heiligen Dreyfaltigkeit versiegelte Brieff soll von niemand anders gebrochen werden, als einem, der den Geschlechts- Nahmen Julius führet, von dem ao. 1633 unschuldig enthaupteten Stephano Julius NB. erweißlich abstammet, und aus keuschem Ehe- Bette gezeuget worden.


NB.


Der Fluch sehr alter Leute, die da GOtt fürchten, thut gottlosen und betrügerischen Leuten Schaden.


Dergleichen Titul und Uberschrifft eines Briefes war Zeit meines Lebens nicht vor meine Augen kommen, doch weil ich ein gut gewissen hatte, konte mich gar bald in den Handel schicken. Der Capitain Wolffgang sahe mich starr an, ich aber machte eine freudige Mine, und sagte: Mon Pere, es fehlet [22] nichts als Dero gütige Erlaubniß, sonsten hätte ich die Macht und Freyheit, diesen Brieff zu erbrechen. Erbrechet denselben, antwortete er, im Nahmen der heil. Dreyfaltigkeit. Weiln er, versetzte ich, im Nahmen der heil. Dreyfaltigkeit geschrieben und versiegelt worden, und mein Gewissen von allen Betrügereyen rein ist, so will ich, doch nicht anders, als auf Dero Befehl, denselben auch im Nahmen der heil. Dreyfaltigkeit erbrechen. Mit Aussprechung dieser Worte lösete ich die Siegel, und fand den Innhalt also gesetzt:


Mein Enckel.


Anders kan und will ich euch nicht nennen, und wenn ihr gleich der mächtigste Fürst in Europa wäret, deñ es fragte sich, ob mein glückseliger Character dem eurigen nicht vorzuziehen sey, indem ich ein solcherSouverain bin, dessen Unterthanen so viel Liebe als Furcht, und so viel Furcht als Liebe hegen, über dieses an baaren Gelde und Jubelen einen solchen Schatz aufzuweisen habe, als ein grosser Fürst seinenEtaat zu formiren von nöthen hat. Doch was nützet mir das Prahlen, ich lebe vergnügt, und will vergnügt sterben, wenn nur erst das Glück erlebt, einen von denenjenigen, welche meinen Geschlechts-Nahmen führen, gesehen zu haben. Machet euch auf, und kommet zu mir, ihr möget arm oder reich, krum oder lahm, alt oder jung seyn, es gilt mir gleich viel, nur einen Julius von Geschlechte, der Gottesfürchtig und ohne Betrug ist, verlange ich zu umarmen, und ihm den grösten Theil der mir und den [23] Meinigen unnützlichen Schätze zuzuwenden. Dem Herrn Leonhard Wolffgang könnet ihr sicher trauen, weil er seine lincke Hand auf meine alte Brust gelegt, die rechte aber gegen GOtt dem Allmächtigen in die Höhe gereckt, und mir also einen cörperlichen Eyd geschworen, die jenigen Forderungen, so ich an ihn gethan, nach Möglichkeit zu erfüllen. Er wird alles, was ich an euch zu schreiben Bedencken trage, besser mündlich ausrichten, und eine ziemliche Beschreibung von meinem Zustande machen. Folget ihm in allen, was er euch befiehlet, seyd gesund, und kommet mit ihm bald zu mir. Dat. Felsenburg, den 29. Sept. Anno Christi 1724. Meiner Regierung im 78. und meines Alters im 97. Jahre.

(L.S.)


Albertus Julius.


Ich überlaß den Brieff wohl 5. biß 6. mahl, konte mir aber dennoch in meinen Gedancken keinen völligen und richtigen Begriff von der gantzen Sache machen, welches der Capitain Wolffgang leichtlich merckte, und derowegen zu mir sprach: Mein Sohn! alles euer Nachsinnen wird vergebens seyn, ehe ihr die auflösung dieses Rätzels von mir, in Erzählung der wunderbaren Geschicht eures Vettern, Albert Julius, vernehmet, setzet euch demnach nieder und höret mir zu.

Hiermit fing er an, eine, meines Erachtens, der wunderbarsten Begebenheiten von der Welt zu erzehlen, die ich dem geneigten Leser, als die Haupt-Sache[24] dieses Buchs am gehörigen Orthe ordentlicher und vollständiger vorlegen werde. Voritzo aber will nur melden, daß da der Capitain über zwey Stunden damit zugebracht, und mich in erstaunendes Vergnügen gesetzt hatte; ich mich auf eine recht sonderlich verpflichtete Art gegen ihn bedanckte, in allen Stücken seiner gütigen Vorsorge empfahl, anbey allen kindlichen und schuldigen Gehorsam zu leisten versprach.

Nachdem aber fest gestellet war, mit ihm zu Schiffe zu gehen, ließ er meine Sachen aus dem Gasthofe abholen, und behielt mich bey sich in seinem eigenenLogis, er bezeugte eine gantz besondere Freude über einige schrifftl. Documenta und andere Dinge, welche Zeugniß gaben, daß ich und meine Vorfahren, in richtigen graden von dem Stephano Julio herstammeten, weil derselbe meines Großvaters Großvater, Johann Balthasar Julius aber, als meines leiblichen Vaters Großvater, der anno 1630. gebohren, ein leiblicher Bruder des Alberti Julii, und jüngster Sohn des Stephani gewesen.

Unsere Abfarth blieb auf den 27. Jun. fest gestellet, binnen welcher Zeit ich 200. Stück deutsche, 100. Stück Englische Bibeln, 400. Gesang- und Gebeth-nebst vielen andern, so wohl geistl. als weltlichen höchst nützlichen Büchern, alle sauber gebunden, kauffen, und zum mitnehmen einpacken muste, über dieses muste noch vor etliche 1000. Thlr. allerhand so wohl künstliche als gemeine Instrumenta, vielerley Hauß-Rath, etliche Ballen weiß Pappier, Dinten Pulver, Federn, Bleystiffte, nebst mancherley Kleinigkeiten erhandeln, welches [25] alles, worzu es gebraucht worden, am gehörigen Orthe melden will.

Mein werther Capitain Wolffgang merckte, daß ich nicht gerne müßig gieng, überließ mir demnach alle Sorgfalt über diejenigen Puncte, so er nach und nach, wie sie ihm beygefallen waren, auf ein Papier verzeichnet hatte, und zeigte sich die wenigen Stunden, so ihm seine wichtigen Verrichtungen zu Hause zu seyn erlaubten, meines verspürten Fleisses und Ordnung wegen, sehr vergnügt.

Am 24. Jun. gleich am Tage Johannis des Täuffers, ließ sich, da wir eben Mittags zu Tische sassen, ein fremder Mensch bey dem Capitain melden, dieser gieng hinaus denselben abzufertigen, kam aber sogleich wieder zurück ins Zimmer, brachte eine ansehnliche Person in Priester habite an der Hand hinein geführet, und nöthigte denselben sich bey uns zu Tische zu setzen. Kaum hatte ich den frembden Priester recht ins Gesicht gesehen, als ich ihn vor meinen ehemahligen Informator, Herrn Ernst Gottlieb Schmeltzern erkannte, umarmete, und zu verschiedenen mahlen küssete, denn er hatte von meinem zehenten biß ins 14te Jahr, ungemein wohl an mir gethan, und mich hertzlich geliebet.

Als er mich gleichfals völlig erkannt und geküsset, gab er seine Verwunderung, mich allhier anzutreffen, mit Worten zu verstehen. Ich that, ohne ihm zu antworten, einen Blick auf den Capitain, und nahm wahr, daß ihm über unser hertzliches Bewillkommen, die Augen voll Freuden-Thränen stunden. Er sagte: setzet euch, meine lieben, und speiset, denn wir hernach noch Zeit genung haben mit einander zu sprechen.

[26] Dem ohngeacht, konte ich die Zeit nicht erwarten, sondern fragte bald darauff meinen lieben HerrnSchmeltzer, ob er bey denen Lutheranern allhier in Amsterdam seine Beförderung gefunden? Er antwortete mit einigem Lächeln: Nein. Der Capitain aber sagte: Mein Sohn, dieser Herr soll auf dem Schiffe, unser, nach diesem an gehörigem Orthe, auch eurer Vettern und Muhmen, Seelsorger seyn. Ich habe die Hofnung von ihm, daß er nächst Göttl. Hülffe daselbst mehr Wunder thun, und sein Ammt fruchtbarlicher verrichten werde, als sonsten unter 100. Lutherischen Predigern kaum einer. Und in der That hatte ihn der Capitain in ordentliche Bestallung genommen, auf seine Kosten behörig zum Priester weyhen lassen, und in Amsterdam bey uns einzutreffen befohlen, welchem allen er denn auch aufs genauste nachgekommen war.

Indem aber nunmehro fast alles, was der Capitain entworffen, in behörige Ordnung gebracht war, wandte derselbe die 2. letztern Tage weiter sonderlich zu nichts an, als seinen guten Freunden die Abschieds-Visiten zu geben, worbey Herr Schmeltzer und ich ihn mehrentheils begleiteten, am 27ten Jun. 1725. aber, verliessen wir unter dem stärcksten Vertrauen auf den Beystand des Allmächtigen, die Weltberühmte Stadt Amsterdam, und kamen den 30. dito auf dem Texel an, allwo wir 14. Tage verweileten, den 15. Jul. unter Begleitung vieler andern Schiffe unter Seegel giengen, und von einem favorablen Winde nach Wunsche fort getrieben wurden. Nach Mitternacht [27] wurde derselbe etwas stärcker, welches zwar niemand von See-Erfahrnen groß achten wolte, jedoch mir, der ich schon ein paar Stündgen geschlummert hatte, kam es schon als einer der grösten Stürme vor, weßwegen alle meine Courage von mir weichen wolte, jedoch da ich nicht gesonnen, selbige fahren zu lassen, entfuhr mir folgende Tage nach einander, s.v. alles, was in meinen Magen und Gedärmen vorhanden war. Dem HerrnSchmeltzer und vielen andern, so ebenfalls das erste mal auf die See kamen, ging es zwar eben nicht anders, allein mir dennoch am allerübelsten, weil ich nicht eher ausser dem Bette dauren konte, biß wir den Canal völlig passiret waren, dahingegen die andern sich in wenig Tagen wieder gesund und frisch befunden hatten.

Meinem Capitain war im rechten Ernste bange worden, bey meiner so lange anhaltenden Kranckheit, und indem er mir beständig sein hertzliches Mittleyden spüren ließ, durffte es an nichts, was zu meinem Besten gereichte, ermangeln; biß meine Gesundheit wiederum völlig hergestellet war, da ich denn sonsten nichts bedaurete, als daß mich nicht im Stande befunden hatte, von den Frantzösischen und Englischen Küsten, im vorbey fahren etwas in nahen Augenschein zu nehmen.

Nunmehro sahe nichts um mich, als Wasser Himmel und unser Schiff, von den zurück gelegten Ländern aber, nur eine dunckele Schattirung, doch hatte kurtz darauff das besondere Vergnügen: bey schönem hellen Wetter, die Küsten von Portugall der Länge nach, zu betrachten.

[28] Eines Tages, da der Capitain, der Schiff-Lieutenant Horn, Johann Ferdinand Kramer, ein gar geschickter Chirurgus von 28. biß 29. Jahren, Friedrich Litzberg, ein artiger Mensch von etwa 28. Jahren, der sich vor einen Mathematicum ausgab, und ich, an einem bequemlichen Orthe beysammen sassen, und von diesen und jenen discoutirten, sagte derLieutenannt Horn zu dem Capitain: Mein Herr, ich glaube sie könten uns allerseits kein grösseres Vergnügen machen, als wenn sie sich gefallen liessen, einige, ihnen auf dero vielen Reisen gehabte Avanturen zu erzehlen, welche gewiß nicht anders, als sonderbar seyn können, mich wenigstens würden sie damit sehrobligiren, woferne es anders, seiten ihrer, ohne Verdruß geschehen kan.

Der Capitain gab lächelnd zur Antwort: Sie bitten mich um etwas, mein Herr, das ich selbsten an Sie würde gebracht haben, weiln ich gewisser Ursachen wegen schon 2. biß drey Tage darzu disponirt gewesen, will mir also ein geneigtes Gehör von ihnen ausgebethen haben, und meine Erzählung gleich anfangen, so bald Mons. Plager und Harckert unsere Gesellschafft verstärckt haben. Litzberg, welchem so wohl, als mir, Zeit und Weile lang wurde, etwas erzehlen zu hören, lieff stracks fort, beyde zu ruffen, deren der erste ein Uhrmacher etliche 30. Jahr alt, der andere ein Posamentirer von etwa 23. Jahren, und beydes Leute sehr feines Ansehens waren. Kaum hatten sich dieselben eingestellet, da sich der Capitain zwischen uns einsetzte, und die Erzehlung seiner Geschichte folgendermassen anfing.

[29] Ich bin kein Mann aus vornehmen Geschlechte, sondern eines Posamentiers oder Bortenwürckers Sohn, aus einer mittelmäßigen Stadt, in der Marck Brandenburg, mein Vater hatte zu seinem nicht allzu überflüßigen Vermögen, 8. lebendige Kinder, nemlich 3. Töchter und 5. Söhne, unter welchen ich der jüngste, ihm auch, weil er schon ziemlich bey Jahren, der liebste war. Meine 4. Brüder lerneten, nach ihren Belieben, Handwercke, ich aber, weil ich eine besondere Liebe zu den Büchern zeigte, wurde fleißig zur Schule und privat-Information gehalten, und brachte es so weit, daß in meinem 19. Jahre auf die Universität nach Franckfurth an der Oder ziehen konte. Ich wolteJura, muste aber, auf expressen Befehl meines Vaters, Medicinam, studiren, ohne zweiffel, weil nicht mehr als 2. allbereit sehr alte Medici, oder deutlicher zu sagen, privilegirte Liferanten des Todes in unserer Stadt waren, die vielleicht ein mehreres an den Verstorbenen, als glücklich curirten Patienten verdient haben mochten. Einem solchen dachte mich nun etwa mein Vater mit guter manier und zwar per genitivum zu substituiren, weiln er eine eintzige Tochter hatte, welche die allerschönste unter den häßlichsten Jungfern, salvo errore calculi, war, und der die dentes sapientiæ, oder deutsch zu sagen, die letzten Zähne nur allererst schon vor 12. biß 16. Jahren gewachsen waren.

Ich machte gute progressen in meinen studiren, weiln alle Quartale nur 30. Thlr. zu verthun bekam, also wenig debauchen machen durffte, sondern fein zu Hause bleiben und fleißig seyn muste.

[30] Doch mein Zustand auf Universitäten wolte sich zu verbessern mine machen, denn da ich nach anderthalbjährigen Abseyn die Pfingst-Ferien bey meinen Eltern celebrirte, fand ich Gelegenheit, bey meinem, zu hoffen habenden Hrn. Schwieger-Vater mich dermassen zu insinuiren, daß er als ein Mann, der in der Stadt etwas zu sprechen hatte, ein jährliches stipendium von 60. Thlr. vor mich heraus brachte, welche ich nebst meinen Väterlichen 30. Thlr. auf einem Brete bezahlt, in Empfang nahm, und mit viel freudigern Hertzen wieder nach Franckfurth eilete, als vor wenig Wochen davon abgereiset war.

Nunmehro meinete ich keine Noth zu leyden, führete mich demnach auch einmal als ein rechtschaffener Pursch auf, und gab einen Schmauß vor 12. biß 16. meiner besten Freunde, wurde hierauff von ein und andern wieder zum Schmause invitirt, und lernete recht pursicos leben, das ist, fressen, sauffen, speyen, schreyen, wetzen und dergleichen.

Aber! Aber! meine Schmauserey bekam mir wie dem Hunde das Graß, denn als ich einsmals des Nachts ziemlich besoffen nach Hause ging, und zugleich mein Müthlein, mit dem Degen in der Faust, an den unschuldigen Steinen kühlete, kam mir ohnversehens ein eingebildeter Eisenfresser mit den tröstlichen Worten auf den Hals: Bärenheuter steh! Ich weiß nicht was ich nüchterner Weise gethan hätte, wenn ich Gelegenheit gesehen, mit guter manier zu entwischen, so aber hatte ich mit dem vielen getrunckenen Weine doppelte Courage, eingeschlungen, setzte mich also, weil mir der Paß zur [31] Flucht ohnedem verhauen war, in positur, gegen meinen Feind offensive zu agiren, und legte denselben, nach kurtzen chargiren, mit einem fatalen Stosse zu Boden. Er rieff mit schwacher Stimme: Bärenhäuter, du hast dich gehalten als einresoluter Kerl, mir aber kostet es das Leben, GOTT sey meiner armen Seele gnädig.

Im Augenblicke schien ich gantz wieder nüchtern zu seyn, ruffte auch niemanden, der mich nach Hause begleiten solte, sondern schlich viel hurtiger davon, als der Fuchs vom Hüner Hause. Dennoch war es, ich weiß nicht quo fato, heraus gekommen, daß ich der Thäter sey; es wurde auch starck nach mir gefragt und gesucht, doch meine besten Freunde hatten mich, nebst allen meinen Sachen, dermassen künstlich versteckt, daß mich in 8. Tagen niemand finden, vielweniger glauben konte, daß ich noch in loco vorhanden sey. Nach verfluß solcher ängstlichen 8. Tage, wurde ich eben so künstlich zum Thore hinaus practiciret, ein anderer guter Freund kam mit einem Wagen hinter drein, nahm mich unterweges, dem Scheine nach, aus Barmhertzigkeit, zu sich auf den Wagen, und brachte meinen zitterenden Cörper glücklich über die Grentze, an einen solchen Orth, wo ich weiter sonderlich nichts wegen des Nachsetzens zu befürchten hatte. Doch allzu sicher durffte ich eben auch nicht trauen, derowegen practicirte mich durch allerhand Umwege, endlich nach Wunsche, in die an der Ost-See gelegene Königl. Schwed. Unniversität Grypswalda, allwo ich in gantz guter Ruhe hätte leben können, wenn mir nur mein unruhiges Gewissen dieselbe vergönnet [32] hätte, denn ausser dem, daß ich die schwere Blut-Schuld auf der Seele hatte, so kam noch die betrübte Nachricht darzu, daß mein Vater, so bald er diesen Streich erfahren, vom Schlage gerühret worden, und wenig Stunden darauff gestorben sey. Meinen Theil der Erbschafft hatten die Gerichten confiscirt, doch schickten mir meine Geschwister aus commiseration, jedes 10. Thlr. von dem ihrigen, und baten mich um GOTTES willen, so weit in die Welt hinein zu gehen als ich könte, damit sie nicht etwa eine noch betrübtere Zeitung, von Abschlagung meines Kopffs bekommen möchten.

Ich hatte, nach verlauf fast eines halben Jahres, ohnedem keine Lust mehr in Grypswalde zu bleiben, weiln mir nicht so wohl hinlängliche subsidia als eine wahre Gemüths-Ruhe fehleten, entschloß mich demnach selbige auf der unruhigen See zu suchen, und deßfals zu Schiffe zu gehen. Dieses mein Vorhaben entdeckte ich einem Studioso Theologiæ, der mein sehr guter Freund und Sohn eines starcken Handels-Mannes in Lübeck war, selbiger recommendirte mich an seinen Vater, der eben zugegen, und seinen Sohn besuchte, der Kauffmann stellete mich auf die Probe, da er nun merckte, daß ich im schreiben und rechnen sauber und expedit, auch sonsten einen ziemlich verschlagenen Kopff hatte, versprach er mir jährlich 100. Thlr. Silber-Müntze, beständige defrayirung so wohl zu Hause als auf Reisen, und bey gutem Verhalten dann und wann ein extraordinaires ansehnliches Accidens.

[33] Diese schöne Gelegenheit ergriff ich mit beyden Händen, reisete mit ihm nach Hause, und insinuirte mich durch unermüdeten Fleiß dermassen bey ihm, daß er in kurtzer Zeit ein starckes Vertrauen auf meine Conduite setzte, und mich mit den wichtigstenCommissionen in diejenigen See-Städte versendete, wo er seine vornehmsten Verkehr hatte.

Nachdem ich 2. Jahr bey ihm in Diensten gestanden, wurde mir, da ich nach Amsterdam verschickt war, daselbst eine weit profitablere Condition angetragen, ich acceptirte dieselbe, reisete aber erstlich wieder nach Lübeck, forderte von meinem Patron gantz höfflich den Abschied, welcher ungern daran wolte, im Gegentheil mir jährlich mein salarium um 50. Thlr. zu verbessern versprach, allein ich hatte mir einmal die Farth nach Ost-Indien in den Kopff gesetzt, und solche war gar nicht heraus zu bringen. So bald ich demnach meinen ehrlichen Abschied nebst 50. Thlr. Geschencke über den Lohn von meinem Patron erhalten, nahm ich von denselben ein recht zärtliches Valet, wobey er mich bath, ihm bey meiner Retour, ich möchte glücklich oder unglücklich gewesen seyn, wieder zuzusprechen, und reisete in GOTTES Nahmen nach Amsterdam, allwo ich auf dem Schiffe, der Holländische Löwe genannt, meinen Gedancken nach, den kostbarsten Dienst bekam, weiln jährlich auf 600. Holländische Gulden Besoldung sichernEtaat machen konte.

Mein Vermögen, welches ich ohne meines vorigenPatrons Schaden zusammen gescharret, belieff [34] sich auf 800. Holländ. fl. selbiges legte meistens an lauter solche Waaren, womit man sich auf der Reise nach Ost-Indien öffters 10. biß 20. fachen profit machen kan, fing also an ein rechter, wiewohl annoch gantz kleiner, Kauffmann zu werden.

Immittelst führte ich mich so wol auf dem Schiffe, als auch an andern Orten, dermassen sparsam und heimlich auf, daß ein jeder glauben muste: ich hätte nicht 10. fl. in meinem gantzen Leben, an meiner Hertzhafftigkeit und freyen Wesen aber hatte niemand das geringste auszusetzen; weil ich mir von keinem, er mochte seyn wer er wolte, auf dem Munde trommeln ließ. Auf dem Cap de bonne esperence, allwo wir genöthiget waren, etliche Wochen zu verweilen, hatte ich eine verzweiffelte Rencontre, und zwar durch folgende Veranlassung: Ich ging eines Tages von dem Cap zum Zeitvertreib etwas tieffer ins Land hinein, um mit meiner mitgenommenen Flinte ein anständiges stückgen Wildpret zu schiessen, und gerieth von ohngefähr an ein, nach dasiger Arth gantz zierlich erbautes Lust-Hauß, so mit feinen Gärten und Weinbergen umgeben war, es schien mir würdig genung zu seyn, solches von aussen rings herum zu betrachten, gelangete also an eine halb offenstehende kleine Garten-Thür, trat hinnein und sahe ein gewiß recht schön gebildet, und wohl gekleydetes Frauenzimmer, nach dem klange einer kleinen Trommel, die ein anderes Frauenzimmer ziemlich Tact-mäßig spielete, recht zierlich tantzen.

Ich merckte daß sie meiner gewahr wurde, jedennoch ließ sie sich gar nicht stöhren, sondern tantzte[35] noch eine gute Zeit fort, endlich aber, da sie aufgehöret und einer alten Frauen etwas ins Ohr gesagt hatte; kam die letztere auf mich zu, und sagte auf ziemlich gut Holländisch: Wohl mein Herr! ihr habt ohne gebethene Erlaubniß euch die Freyheit genommen, meiner gnädigen Frauen im Tantze zuzusehen, derowegen verlangt sie zu wissen, wer ihr seyd, nächst dem, daß ihr deroselben den Tantz bezahlen sollet. Liebe Mutter, gab ich zur Antwort, vermeldet eurer gnädigen Frauen meinen unterthänigsten Respect, nächst dem, daß ich ein Unter-Officier von dem hier am Cap liegenden Holländischen Schiffen sey, und das Vergnügen, so mir dieselbe mit ihrem zierlichen tantzen erweckt, hertzlich gerne bezahlen will, wenn nur die Forderung mein Vermögen nicht übersteiget.

Die Alte hatte ihren Rapport kaum abgestattet als sie mir, auf Befehl der Täntzerin näher zu kommen, winckte. Ich gehorsamte, und muste mit in eine dick belaubte Hütte von Wein-Reben eintreten, auch sogleich bey der gnädigen Frau Täntzerin Platz nehmen. Der nicht weniger recht wohlgebildete Tambour, so zum Tantze aufgetrummelt hatte, führte sich von selbsten ab, war also niemand bey uns als die alte Frau, in deren Gegenwart mich die gnädige Täntzerin mit der allerfreundlichsten mine auf geradebrecht Holländisch anredete, und bath, ich möchte die Gnade haben und ihr selbsten erzehlen, wer? woher? was ich sey? und wohin ich zu reisen gedächte, ich beantwortete alles, so wie es mir in die Gedancken kam, weil ich wohl wuste, daß ihr ein wahrhafftes Bekänntniß eben so viel gelten [36] konte, als ein erdachtes. Sie redete hierauf etwas weniges mit der Alten, in einer mir unbekandten Sprache, welche etliche mal mit dem Kopffe nickte und zur Hütte hinaus gieng. Kaum hatte selbige uns den Rücken zugekehret, da die Dame mich sogleich bey der Hand nahm und sagte: Mein Herr, die jungen Europäer sind schöne Leute, und ihr sonderlich seyd sehr schön. Madame, gab ich zur Antwort, es Beliebt euch mit euren Sclaven zu schertzen, denn ich weiß daß aus meinen Ansehen nichts sonderliches zu machen ist. Ja ja war ihre Gegenrede, ihr seyd in Wahrheit sehr schön, ich wünschte im Ernste, daß ihr meinSclave wäret, ihr soltet gewiß keine schlimme Sache bey mir haben. Aber fuhr sie fort, sagt mir, wie es kömmt, daß auf diesem Cap lauter alte, übel gebildete, und keine schönen jungen Europäer bleiben? Madame, versetzte ich, wenn nur auf diesem Cap noch mehr so schönes Frauenzimmer wie ihr seyd, anzutreffen wäre, so kan ich euch versichern, daß auch viel junge Europäer hier bleiben würden. Was? fragte sie, saget ihr, daß ich schöne sey, und euch gefalle? Ich müste, war meine Antwort: keine gesunde Augen und Verstand haben, wenn ich nicht gestünde, daß mir eure Schönheit recht im Hertzen wohl gefällt. Wie kan ich dieses glauben? replicirte sie, ihr sagt, daß ich schöne sey, euch im Hertzen wohl gefalle, und küsset mich nicht einmal? da ihr doch alleine bey mir seyd, und euch vor niemand zu fürchten habt. Ihre artige lispelende wiewol unvollko ene Holländis. Sprache kam mir so lieblich, der Innhalt der Rede aber, nebst denen charmanten Minen, dermassen entzückend [37] vor, daß an statt der Antwort mir die Kühnheit nahm, einen feurigen Kuß auf ihre Purpurrothen und zierlich aufgeworffenen Lippen zu drücken, an statt dieses zu verwehren, bezahlete sie meinen Kuß, mit 10. biß 12. andern, weil ich nun nichts schuldig bleiben wolte, wechselten wir eine gute Zeit mit einander ab, biß endlich beyde Mäuler gantz ermüdet auf einander liegen blieben, worbey sie mich so hefftig an ihre Brust drückte, daß mir fast der Athem hätte vergehen mögen. Endlich ließ sie mich loß, und sahe sich um, ob uns etwa die Alte belauschen möchte, da aber niemand vorhanden war, ergriff sie meine Hand, legte dieselbe auf die, wegen des tieff ausgeschnittenen habits, über halb entblösseten Brüste, welche, durch das hefftige auf- und niedersteigen, die Gluth des verliebten Hertzens abzukühlen suchten, deren Flammen sich in den kohlpechschwartzen schönen Augen zeigten. Das Küssen wurde aufs neue wiederholet, und ich glaube, daß ich dieses mal gantz gewiß über daß 6te Gebot hingestürtzt wäre, so aber war es vor diesesmal nur gestolpert, weil sich noch zum guten Glücke die Alte von ferne mit Husten hören ließ, dahero wir uns eiligst von einander trenneten, und so bescheiden da sassen, als ob wir kein Wasser betrübet hätten.

Die Alte brachte in einem Korbe 2. Bouteillen delicaten Wein, eine Bouteille Limonade, und verschiedene Früchte und Confituren, worzu ich mich gar nicht lange nöthigen ließ, sondern so wohl als dieDame, welche mir nun noch 1000. mal schöner vorkam, mit grösten Appetit davon genoß. So lange die Alte zugegen war, redeten wir von gantz [38] indiffirenten Sachen, da sie sich aber nur noch auf ein sehr kurtzes entfernete, um eine gewisse Frucht von der andern Seite des Gartens herzuholen, gab mir die Dame mit untermengten feurigen Küssen zu vernehmen: Ich solte mir Morgen, ohngefähr zwey Stunden früher als ich heute gekommen, ein Gewerbe machen, wiederum an dieser Stelle bey ihr zu erscheinen, da sie mir denn eine gewisse Nacht bestimmen wolte, in welcher wir ohne Furcht gantz alleine beysammen bleiben könten. Weiln mir nun die Alte zu geschwinde auf den Halß kam, muste die Antwort schuldig bleiben, doch da es mich Zeit zu seyn dünckte Abschied zu nehmen, sagte ich noch: Madame, ihr werdet mir das Glück vergönnen, daß Morgen Nachmittags meine Auffwartung noch einmal bey euch machen, und vor das heut genossene gütige Tractament einige geringe Raritäten aus Europa præsentiren darff. Mein Herr, gab sie zur Antwort, eure Visite soll mir lieb seyn, aber dieRaritäten werde nicht anders annehmen, als vor baare Bezahlung. Reiset wohl, GOTT sey mit euch.

Hiermit machte ich ein nochmahliges Compliment, und gieng meiner Wege, die Alte begleitete mich fast auf eine halbe Stunde lang, von welcher ich unter weges erfuhr, daß diese Dame eine gebohrne Princeßin aus der Insul Java wäre. Der auf dem Cap unter dem Holländischen Gouverneur in Diensten stehendeAdjutant, Nahmens Signor Canengo, ein Italiäner von Geburth, hätte sich bereits in ihrem 12ten Jahre in sie verliebt, da ihn ein Sturm gezwungen, in Java die außbesserung seines [39] Schiffs abzuwarten. Er habe die zu ihr tragende hefftige Liebe nicht vergessen können, derowegen Gelegenheit gesucht und gefunden, sie vor 2. Jahren im 17den Jahre ihres Alters, auf gantz listige Arth von den ihrigen zu entführen, und auf das Cap zu bringen. Das Lust-Hauß, worinnen ich sie angetroffen, gehöre, nebst den meisten herum liegenden Weinbergen und Gärten, ihm zu, allwo sie sich die meiste Zeit des Jahres aufhalten müste, weiln er diese seine liebste Maitresse nicht gern von andern Manns-Personen sehen liesse, und selbige sonderlich verborgen hielte, wenn frembde Europäische Schiffe in dem Cap vor Ancker lägen. Er weiß zwar wohl, setzte die Alte letzlich hinzu, daß sie ihm, ohngeachtet er schon ein Herr von 60. Jahren ist, dennoch allein getreu und beständig ist, jedoch, zu allem Uberfluß, hat er mich zur Aufseherin über ihre Ehre bestellet, allein ich habe es heute vor eine Sünde erkannt, wenn man dem armen Kinde allen Umgang mit andern frembden Menschen abschneiden wolte, derowegen habe ich euch, weil ich weiß, daß mein Herr vor Nachts nicht zu Hause kömmt, diesen Mittag zu ihr geführet. Ihr könnet auch morgen um selbige Zeit wieder kommen, aber das sage ich, wo ihr verliebt in sie seyd, so lasset euch nur auf einmal alle Hoffnung vergehen, denn sie ist die Keuschheit selber, und würde eher sterben als sich von einer frembden Manns-Person nur ein eintzig mal küssen lassen, da doch dieses bey andern ein geringes ist. Inzwischen seyd versichert, daß, wo ihr meiner Gebietherin etwas rares aus Europa mitbringen werdet, sie euch den Werth desselben mit [40] baaren Gelde doppelt bezahlen wird, weil sie dessen genung besitzet.

Ich sahe unter währenden Reden der lieben Alten beständig ins Gesichte, da aber gemerckt, daß dieselbe im rechten einfältigen Ernste redete, wird ein jeder muthmassen, was ich dabey gedacht habe, doch meine Antwort war diese: Liebe Mutter, glaubt mir sicherlich, daß sich mein Gemüthe um Liebes-Sachen wenig, oder soll ich recht reden, gar nichts bekümmert, ich habe Respect vor diese Dame, bloß wegen ihres ungemeinen Verstandes und grosser Höfflichkeit, im übrigen verlange ich nichts, als, vor das heutige gütige Tractament, deroselben morgen ein kleines Andencken zu hinterlassen, und zum Abschiede ihre Hand zu küssen, denn ich glaube schwerlich, daß ich sie und euch mein lebtage wieder sehen werde, weil wir vielleicht in wenig Tagen von hier abseegeln werden.

Unter diesen meinen Reden drückte ich der Alten 3. neue Spanische Creutz-Thaler in die Hand, weil sie, wie ich sagte, sich heute meinetwegen so viel Wege gemacht hätte. So verblendet sie aber von dem hellen glantz dieses Silbers stehen blieb, so hurtig machte ich mich nach genommenen Abschiede von dannen, und langete, nach Zurücklegung zweyer kleinen teutschen Meilen, glücklich wieder in meinem Logis an.

Ich muste, nachdem ich mich in mein apartement begeben, über die heute gespielte Comœdie hertzlich lachen, kan aber nicht läugnen, daß ich in die wunderschöne brunette unbändig verliebt war, denn ich traff bey derselben seltene Schönheit, Klugheit, Einfalt [41] und Liebe, in so artiger Vermischung an, dergleichen ich noch von keinem Frauenzimmer auf der Welt erfahren. Derowegen wolten mir alle Stunden zu Jahren werden, ehe ich mich wieder auf den Weg zu ihr machen konte. Folgenden Morgen stund ich sehr früh auf, öffnete meinen Kasten, und nahm allerhand Sachen heraus, als: 2. kleine, und 1. mittelmäßigen Spiegel, von der neusten façon. 1. Sonnen-Fechel mit güldner Quaste. 1. Zinnerne Schnupff-Tobacks Dose, in Gestalt einer Taschen-Uhr. 2. Gesteck saubere Frauenzimmer-Messer. 3erley artige Scheeren, 20. Elen Seyden-Band, von 4erley coleur, allerhand von Helffenbein gedresseltes Frauenzimmer-Geräthe, nebst Spiel- und andern Kinder-Sachen, deren mich voritzo nicht mehr erinnern kan.

Alle diese Waare packte ich ordentlich zusammen, begab mich nach Anweisung meiner Taschen-Uhr, die ich ihr aber zu zeigen nicht willens hatte, 2. Stunden vor dem Mittage auf die Reise, und gelangete ohne Hinderniß bey dem Lust-Hause meiner Prinzeßin an. Die drey Spanischen Thlr. hatten die gute Alte so dienstfertig gemacht: daß sie mir über 100. Schritte vor der Garten-Thür entgegen kam, mich bey der Hand fassete, und sagte: Willkom-mein lieber Herr Landsmann, (sie war aber eine Holländerin, und ich ein Brandenburger) ach eilet doch, meine Gebietherin hat schon über eine halbe Stunde auf euren versprochenen Zuspruch gehoffet, und so gar das Tantzen heute bleiben lassen. Ich schenckte ihr 2. grosse gedruckte Leinwand-Halßtücher, 2. paar Strümpffe, ein Messer, einen Löffel [42] und andere bagatelle, worüber sie vor Freuden fast rasend werden wolte, doch auf mein Zureden, mich eiligst zu ihrer Frau führete.

Dieselbe saß in der Laub-Hütte, und hatte sich nach ihrer Tracht recht propre geputzt, ich muß auch gestehen, daß sie mich in solchen Aufzuge ungemeincharmirte. Die Alte ging fort, ich wolte meine 7. Sachen auspacken, da aber meine Schöne sagte, es hätte hiermit noch etwas Zeit, nahm ich ihre Hand, und küssete dieselbe. Doch dieses schiene ihr zu verdriessen, weßwegen ich sie in meine Arme schloß, und mehr als 100. mahl küssete, wodurch sie wieder völlig aufgeräumt wurde. Ich versuchte dergleichen Kost auch auf ihren, wiewohl harten, jedoch auch zarten Brüsten, da denn nicht viel fehlete, daß sie vor Entzückung in eine würckliche Ohnmacht gesuncken wäre, doch ich merckte es bey Zeiten, und brachte ihre zerstreueten Geister wieder in behörige Ordnung, und zwar kaum vor der Ankunfft unserer Alten, welche noch weit köstlichere Erfrischungen brachte als gestern.

Wir genossen dieselben mit Lust, immittelst legte ich meinen Krahm aus, über dessen Seltenheit meine Prinzeßin fast erstaunete. Sie konte sich kaum satt sehen, und kaum satt erfragen, worzu dieses und jenes dienete; da ich ihr aber eines jeden Nutzen und Gebrauch gewiesen, zehlete sie mir 50. Holländischespec. Ducaten auf den Tisch, welche ich, solte sie anders nicht zornig werden, mit aller Gewalt in meine Tasche stecken muste. Die Alte bekam eine Commission, etwas aus ihren Zimmer zu langen, und war kaum fort, da meine Schöne noch einen [43] Beutel mit 100. Ducaten, nebst einem kostbaren Ringe mit diesen Worten an mich lieferte: Nehmet hin, mein Aug-Apffel, dieses kleine Andencken, und liebet mich, so werdet ihr vor eurer Abreise von mir noch ein weit mehreres erhalten. Ich mochte mich wegern wie ich wolte, es halff nichts, sondern ich muste, ihren Zorn zu vermeiden, das Geschenck in meine Verwahrung nehmen. Sie zeigte sich dieserhalb höchst vergnügt, machte mir alle ersinnliche Caressen, und sprach mit einem verliebten Seuffzer: Saget mir doch, mein Liebster! wo es herkommt, daß eure Person und Liebe in mir ein solches entzückendes Vergnügen erwecket? Ja ich schwere bey dem heiligen Glauben der Christen und der Tommi, daß meine Seele noch keinen solchen Zucker geschmecket. Ich versicherte sie vollkommen, daß es mit mir gleiche Bewandtniß hätte, welches sich denn auch würcklich also befand. Inzwischen weil mir das Wort Tommi in den Ohren hangen geblieben war, fragte ich gantz treuhertzig, was sie darunter verstünde? und erfuhr, daß selbiges eine gewisse Secte sey, worzu sich die Javaner bekenneten, und sich dabey weit höher und heiliger achteten, als andereMahometaner; mit welchen sie doch sonsten, was die Haupt-Sätze der Lehre anbelangete, ziemlich einig wären. Ich stutzte in etwas, da in Betrachtung zog, wie ich allem Ansehen nach mit einer Heydin courtoisirte, doch die hefftige Liebe, so allbereit meine Sinnen bezaubert hatte, konte den kleinen Funcken des Religion-Scrupels gar leicht auslöschen, zumahlen da durch ferneres Forschen erfuhr: daß sie ungemeine Lust zu dem Christlichen [44] Glauben hegte, auch sich hertzlich gern gründlich darinnen unterweisen und tauffen lassen wolte; allein ihr Liebhaber der Signor Canengo verzögerte dieses von einer Zeit zur andern, hätte auch binnen einem Jahre fast gar nicht mehr daran gedacht, ohngeacht es anfänglich sein ernstlicher Vorsatz gewesen, er auch deßfalls viele Mühe angewendet. Nechst diesen klagte sie über ihres Liebhabers wunderliche Conduite, sonderlich aber über seine zwar willigen, doch ohnmächtigen Liebes-Dienste, und wünschte aus einfältigen treuem Hertzen, daß ich bey ihr an seiner Stelle seyn möchte. So bald ich meine Brunette aus diesem Thone reden hörete, war ich gleich bereit, derselben meine so wohl willigen als kräfftigen Bedienungen anzutragen, und vermeynete gleich stante pede meinen erwünschten, wiewohl straffbarn Zweck zu erlangen, jedoch die Heydin war in diesem Stücke noch tugendhaffter als ich, indem sie sich scheute, dergleichen auf eine so liederliche Art, und an einem solchen Orte, wo es fast so gut als unter freyen Himmel war, vorzunehmen, immittelst führeten wir beyderseits starcke Handgreiffliche Discurse, wobey ich vollends so hitzig verliebt wurde, daß bey nahe resolvirt war, nach und nach Gewalt zu brauchen, alleine, die nicht weniger erhitzteBrunette wuste mich dennoch mit so artigen Liebkosungen zu bändigen, daß ich endlich Raison annahm; weil sie mir theuer versprach, morgende Nacht in ihrem Schlaff-Gemache alles dasjenige, was ich jetzo verlangete, auf eine weit angenehmere und sicherere Arth zu vergönnen. Denn, wie sie vernommen, würde ihr Amant selbige Nacht nicht [45] nach Hause kommen, sondern bey dem Gouverneur bleiben, übrigens wüste sie alle Anstalten schon so zu machen, daß unser Vergnügen auf keinerley Weise gestöhret werden solte, ich dürffte mich demnach nur mit andringender Demmerung getrost vor der Thür ihres Lust-Hauses einfinden.

Kaum waren wir mit dieser Verabredung fertig, als uns die Zurückkunfft der Alten eine andere Stellung anzunehmen nöthigte, es wurde auch das Gespräch auf unser Europäisches Frauenzimmer gekehret, deren Manier zu leben, Moden und andere Beschreibungen die Dame mit besonderer Aufmercksamkeit anhörete, zumahlen, da die Alte mit ihren Darzwischen-Reden dieses und jenes bekräfftigte, oder wohl noch vergrösserte. Immittelst hatten wir uns in solchen andächtigen Gesprächen dermassen vertiefft, daß an gar nichts anders gedacht wurde, erschracken also desto hefftiger, als der Signor Canengo gantz unvermuthet zur Laub-Hütte, und zwar mit funckelenden Augen eintrat. Er sagte anfänglich kein Wort, gab aber der armen Alten eine dermassen tüchtige Ohrfeige, daß sie zur Thür hinaus flog, und sich etliche mahl überpurtzelte. Meine schöne Brunette legte sich zu meiner grösten Gemüths-Kränckung vor diesen alten Maul-Esel auf die Erde, und kroch ihm mit niedergeschlagenem Gesichte als ein Hund entgegen. Doch er war so complaisant, sie aufzuheben und zu küssen. Endlich kam die Reyhe an mich, er fragte mit einerimperieusen Mine: Wer mich hieher gebracht, und was ich allhier zu suchen hätte? Signor, gab ich zur Antwort, Niemand anders, als das Glücke hat mich[46] von ohngefehr hieher geführet, indem ich ausgegangen, ein und andere curieuse Europäische Waaren an den Mann zu bringen. Und etwa, setzte er selbst hinzu, andern ihre Maitressen zu verführen? Ich gab ihm mit einer negligenten Mine zur Antwort: daß dieses eben meine Sache nicht sey. Demnach fragte er die Dame, ob sie die auf dem Tische annoch ausgelegten Waaren schon bezahlt hätte? Und da diese mit Nein geantwortet, griff er in seine Tasche, legte mir 6.Ducaten auf den Tisch, und zwar mit diesen Worten: Nehmet diese doppelte Bezahlung, und packet euch zum Teuffel, lasset euch auch nimmermehr bey dieserDame wieder antreffen, wo euch anders euer Leben lieb ist. Signor, replicirte ich, es ist mir wenig an solchen Bagatell-Gelde gelegen, euch zu zeigen, daß ich kein Lumpenhund bin, will ich diese Sachen derDame geschenckt haben, euch aber bitte ich, mich etwas höflicher zu tractiren, wo ich nicht gleiches mit gleichem vergelten soll. Er sahe mich trefflich über die Achsel an, die Koller aber lieff Fingers dicke auf, er legte die Hand an den Degen, und stieß die hefftigsten Schimpff-Worte gegen mich aus. Meine Courage kriegte hierbey die Sporen, wir zohen fast zu gleicher Zeit vom Leder, und tummelten uns vor der Hütte weidlich mit einander herum, doch mit dem Unterschiede, daß ich ihm mit einem kräfftigen Hiebe den rechten Arm lähmete, und deren noch zweye auf dem Schedel versetzte. Ich that einen Blick nach derDame, welche in Ohnmacht gesuncken war, da ich aber vermerckte, daß Canengo sich absentirte, und in Hottentottischer Sprache vielleicht Hülffe schrye,[47] nahm ich meine im Grase verdeckt liegende Flinte, warff noch ein paar Lauff-Kugeln hinein, und eilete durch eine gemachte Oeffnung der Pallisaden, womit der Garten umsetzt war, des Weges nach meinem Quartiere zu.

Anfangs lieff ich ziemlich hurtig, hernachmahls aber that meine ordentlichen Schritte, wurde aber gar bald inne: daß mich 2. Hottentotten, die so geschwinde als Windspiele lauffen konten, verfolgten, der vorderste war kaum so nahe kommen, daß er sich seiner angebohrnen Geschicklichkeit gegen mich gebrauchen konte, als er mit seiner Zagaye, welches ein mit Eisen beschlagener vorn sehr spitziger Wurff-Spieß ist, nach mir schoß, zu grossen Glück aber, indem ich eine hurtige Wendung machte, nur allein meine Rock-Falten durchwarff. Weil der Spieß in meinen Kleidern hangen blieb, mochte er glauben, mich getroffen zu haben, blieb derowegen so wohl als ich stille stehen, und sahe sich nach seinen Cameraden um, welcher mit eben dergleichen Gewehr herzu eilete. Doch da allbereit wuste, wie accurat diese Unfläther treffen können, wolte dessen Annäherung nicht erwarten, sondern gab Feuer, und traff beyde in einer Lienie so glücklich, daß sie zu Boden fielen, und wunderliche Kolleraturen auf dem Erdboden machten. Ich gab meiner Flinte eine frische Ladung und sahe gantz von weiten noch zwey kommen. Ohne Noth Stand zu halten, wäre ein grosser Frevel gewesen, derowegen verfolgte, unter sehr öfftern Zurücksehen, den Weg nach meinem Quartiere, gelangete auch, ohne fernern unglücklichen Zufall, eine Stunde vor Abends [48] daselbst an. Ohne Zweiffel hatten meine zwey letztern Verfolger, bey dem traurigen Verhängnisse ihrer Vorläuffer, einen Eckel geschöpfft, mir weiter nachzueilen.

So bald ich in meinem Quartiere, das ist, in einer derer Hütten, welche nicht weit vom Cap, zur Bequemlichkeit der See-Fahrenden errichtet sind, arriviret war, kleidete ich mich aus, und gieng in meinerCommoditeé spatzieren, setzte mich am Ufer des Caffarischen Meeres zwischen etliche dick-belaubte Sträucher, machte meine heut erworbene Gold-Bourse auf, und hatte mein besonderes Vergnügen, die schönen gelben Pfennige zu betrachten, indem mir aber die Liebe zu meiner charmanten Brunette dabey in die Gedancken kam, sprach ich: Ach du liebes Geld! wie viel schöner wärest du, wenn ich dich nur mit ruhigen Hertzen besässe. Ich machte meinen Beutel, nachdem ich das Geld hinein, den saubern Ring aber an meinen Finger gesteckt hatte, wieder zu, stützte den Kopff mit beyden Händen, und sonne nach: ob ich meiner hefftigen Liebe ferner nachhängen, und Mittel, selbige völlig zu vergnügen, suchen, oder wegen der damit verknüpfften grausamen Gefährlichkeiten gantz und gar davon abstrahiren wolte.

Es wolte schon anfangen Nacht zu werden, da ich mich aus meinen tieffen Gedancken zwar in etwas ermuntert, jedoch deßwegen noch gar keinen richtigen Schluß gefasset hatte, stund aber auf, um in meinemLogis die Ruhe zu suchen. Ich hatte selbiges noch lange nicht einmahl erreicht, da ein Officier mit 6. Mann von der Guarnison gegen mich kamen, [49] und meine Personalität mit Gewalt in die Festung einführeten. Die gantze Nacht hindurch hatte ich eine eigene Schildwacht neben mir sitzen, welche auf meine allergeringsten Movements Achtung gab, und niemanden, weder mit mir zu sprechen, oder an mich zu kommen, erlaubte.

Wer solte nicht vermeinen, daß ich um der mit dem Adjutanten und den Hottentotten gehabten Händel halber in Arrest kommen wäre, ich zum wenigsten hatte mich dessen in meinem Hertzen völlig überredet, jedoch an der Haupt-Ursache weit gefehlet. Denn, kurtz zu sagen, folgenden Morgens, in aller frühe, ließ mich unser Schiffs-Capitain zu sich bringen, und that mir, jedoch ohne jemands Beyseyn, folgende Proposition: Mein lieber Monsieur Wolffgang! Ich weiß, daß ihr ein armer Teuffel seyd, derowegen mag euch die Begierde, reich zu werden, verleitet haben, einen Diebstahl zu begehen. Glaubet mir, daß ich etwas von euch halte, indem ich mehr als zu viel Commiseration und Liebe vor euch hege, allein, seyd nur auch aufrichtig, und stellet mir den Beutel mit den 100.Ducaten, so dem William van Raac verwichene Nacht entwendet worden, mit freymüthiger Bekändtniß, in meine sichern Hände, ich schwöre bey GOtt, die Sache auf eine listige Art zu vermänteln, und euch völlig bey Ehren zu erhalten, weil es Schade um eure Jugend und Geschicklichkeit ist.

Ich hätte wegen hefftiger Alteration über diese Reden den Augenblick in Ohnmacht sincken mögen. Mein Gewissen war rein, indem ich mit [50] Wahrheit sagen kan, daß Zeit Lebens vor keinem Laster mehr Abscheu gehabt, als vor der schändlichen Dieberey, dergleichen Verdacht aber ging meiner Seelen gar zu nahe. So bald mich nun von meiner Verwirrung, die der Capitain vor eine gewisse Marque meines bösen Gewissens hielt, einiger massen erholt hatte, war ich bemühet, denselben meiner Unschuld mit den kräfftigsten Betheurungen zu versichern, wie ich denn auch würcklich nichts davon gehöret oder gesehen hatte, daß dem William van Raac, der ein Kauffmann und unser Reise: Compagnon war, Geld gestohlen sey. Allein der Capitain schiene sich über meine Entschuldigungen zu erzürnen, und sagte: Ich hätte nicht vermeinet, Wolffgang, daß ihr gegen mich so verstockt seyn soltet, da euch doch nicht allein euer gantzes Wesen, sondern auch euer selbst eigener Mund zur Gnüge verrathen hat. Sagt mir, ob ihr läugnen könnet: daß ihr gestern am Meer-Ufer in der Einsamkeit das, dem van Raack gestohlene, Geld überzehlet, und diese nachdencklichen Worte darbey gebraucht habt: Ach du liebes Geld! wie viel schöner wärest du, wenn ich dich nur mit ruhigen Hertzen besitzen könte. Mein Herr, gab ich zur Antwort, ich ruffe nochmahls GOtt und das gantze himmlische Heer zu Zeugen an, daß mir dieser Diebstahl unrechtmäßiger Weise Schuld gegeben wird, dasjenige aber, was ihr mir itzo zuletzt vorgehalten habt, befindet sich also, ich habe einen Beutel mit 150. spec. Ducaten bey mir, und gebe denselben zu eurer sichern Verwahrung, biß meine Unschuld wegen des Diebstahls ans Licht gekommen. [51] Seyd aber so gütig, eine besondere Avanture von mir anzuhören, und mich eures kräfftigen Schutzes geniessen zu lassen.

Hiermit überreichte ich ihm den Beutel mit 150.Ducaten, und erzehlte sodann nach der Länge, was ich, als ein junger Amadis Ritter, seit 3en Tagen vor besondere Zufälle gehabt hatte, welches er alles mit ziemlicher Verwunderung anhörete, und letzlich sagte: Ich muß gestehen, daß dieses ein verwirrter Handel ist, und sonderlich wird mir die Affaire wegen des blessirten Adjutanten und der erschossenen Hottentotten gantz gewiß Verdruß machen, doch verspreche ich euch wegen des letztern meinen Schutz, allein was den William van Raac anbelanget, so braucht dieses eine fernere Untersuchung, weßwegen ich euch so wenig als noch andere deßwegen arrestirte drey Personen in Freyheit setzen kan.

Ich war, und muste auch damit zu frieden seyn, inzwischen verdroß mich die schändliche und so schlecht gegründete Diebstahls-Beschuldigung weit grausamer, als die andere Affaire, jedoch zu meinem grösten Vergnügen lieff gegen Mittag die Zeitung ein, daß William van Raac seinen Beutel mit den 100.Ducaten an einem solchen Orte, wo er ihn in Gedancken selbst hin versteckt hatte, wieder gefunden, und dennoch solches gern verschwiegen hätte, wenn ihn nicht andere dabey ertappt, und sein Gewissen geschärfft hätten. Demnach musten Raac, ich und die 3. andern, Nachmittags bey dem Hauptmann erscheinen, welcher die Sache beylegen wolte, weil die 3. Mitbeschuldigten [52] dem William van Raac den Todt geschworen hatten, es wurde auch glücklich verglichen, denn Raac erboth sich, einem jeden von uns 10. Spanische Thlr. vor den Schimpff zu geben, nächst dem seine Ubereilung kniend abzubitten, welches er auch so gleich in Gegenwart des Capitains bewerckstelligte, doch ich vor meine Person wolte meine Großmuth sehen lassen, und gab ihm seine 10. Thlr. wieder zurück, ließ ihm auch seine Abbitte bey mir nicht kniend, sondern stehend verrichten.

Da also dieser verdrüßliche Handel zu allerseits ziemlichen Vergnügen geschlichtet war, und wir uns in Freyheit von dem Capitain hinweg begeben wolten, nöthigte mich derselbe, noch etwas bey ihm zu bleiben, bat mit den allerhöflichsten Worten um Verzeihung, daß er auf Angeben eines wunderlichen Menschen fast gezwungen worden, mich solchergestalt zu prostituiren, und versprach mir, in Zukunfft desto grössere und stärckere Marquen seines Eftims zu geben, weil er bey dieser Affaire meiner (wie ihm zu reden beliebte) vortrefflichen Conduite erstlich vollkommen überzeugt worden. Er gab mir anbey mit einem freundlichen Lächeln den Beutel, worinnen sich meine 150. Ducaten befanden, wieder zurück, nebst der Nachricht, wie zwar der Gouverneur schon Wissenschafft von einer mit dem Adjutanten vorgefallenen Rencontre erhalten, auch daß die 2. Hottentotten fast tödtlich blessirt wären, der Thäter sey ihm aber annoch unbekandt, und müste man nun erstlich erwarten, was weiter passiren würde. Inzwischen gab er mir den getreuen Rath, alle meine [53] Sachen nach und nach heimlich in sein des Capitains Logis zu schaffen, auch mich selbst bey ihm verborgen aufzuhalten, biß man fernere Mittel erfände, der zu befürchten habenden Gefahr zu entkommen.

Es wurde noch selbigen Tages, des redlichen Capitains Muthmassungen gemäß, nicht ein geringes Lermen wegen dieser Affaire, man hatte mich als den Thäter dermassen accurat beschrieben, daß niemand zweiffelte, Monsieur Wolffgang sey derjenige, welcher den Signor Canengo, als er von ihm bey seinerMaitresse erwischt worden, zu schanden gehauen, zweyen Hottentotten tödtliche Pillen eingegeben, und welchen der Gouverneur zur exemplarischen Bestraffung per force ausgeliefert haben wolte.

Jedoch der redliche Capitain vermittelte die Sache dergestalt glücklich, daß wir einige Tage hernach ohne die geringste Hinderniß von dem Cap abseegeln, und unsere Strasse nach Ost-Indien fortsetzen konten. Ich weiß gantz gewiß, daß er dem Gouverneur meiner Freyheit und Sicherheit wegen ein ansehnliches Præsent gemacht, allein, er hat gegen mich niemahls etwas davon gedacht, vielweniger mir einen Stüver Unkosten abgefordert, im Gegentheil, wie ich ferner erzehlen werde, jederzeit die gröste Consideration vor mich gehabt.

Inzwischen führete mir die auf dem Cap gehabteAvanture zu Gemüthe, was vor Gefährlichkeiten und üble Suiten daraus entstehen können, wenn man sich durch eine geile Liebes-Brunst auf verbotene Wege treiben lässet. Meine bräunlich-schöne [54] Prinzeßin klebte mir zwar noch ziemlich am Hertzen, da ich sie aber auf der andern Seite als eine Heydin und Hure eines alten Adjutanten betrachtete, verging mir, zugleich mit Wiedererlangung meines gesunden Verstandes, auf einmahl der Appetit nach solcher falschen Müntze, doch stund ich noch lange nicht in demgradu der Heiligkeit, daß ich mein bey ihr erworbenes Geld den Armen ausgetheilet hätte, sondern verwahrete es zum Gebrauch, und wünschete ihr davor viel Vergnügen, bedaurete auch zum öfftern der schönen Brunette feine Gestalt, wunderliche fata, und sonderlich das zu mir getragene gute Gemüthe.

William van Raac mochte, nachdem er mich recht kennen lernen, etwas an mir gefunden haben, das ihm gefiele; weßwegen er sich öffters bey mir aufhielt, und seinen Zeitvertreib in ein und andern politischen Gesprächen suchte, auch bey Gelegenheit mit besonders guter Manier allerhand Raritäten verehrte. Ich revangirte mich zwar mit diesen und jenen nicht weniger artigen Sachen, verspürete aber doch, daß er nicht eher ruhete, biß er wieder so viel bey mir angebracht, das den Werth des Meinigen vielfältig überstieg.

Ein gewisser Sergeant auf dem Schiffe, NahmensDavid Böckling, mit welchem William vorhero starcke Freundschafft gehalten, seit meinem Arrest aber sehr mit ihm zerfallen war, sahe unser öffteres Beysammensitzen mit gröstem Verdrusse an, brauchte auch allerhand Räncke, uns zusammen zu hetzen, weil er ein sehr wüster Kopff und eben derjenige war, welcher mich am Meer-Ufer, [55] da ich meine Ducaten gezehlet, und oberwehnte Worte gesprochen, beschlichen und verrathen hatte, wie mir van Raac nunmehro solches alles offenhertzig gestund. Doch alle seine angestiffteten Boßheiten waren nicht vermögend unsere Freundschafft zu trennen, sondern es schien als ob dieselbe hierdurch immer mehr befestiget würde, ich aber hatte mir fest vorgesetzt, dem Sergeanten bey erster bequemer Gelegenheit den Kopff zu waschen, doch ich ward dieser Mühe überhoben, weil er, da wir uns eine Zeitlang in Batavia auf der Insul Java aufhalten musten, daselbst von einem andern erstochen, und ich von dem Capitain an dessen Stelle als Sergeant gesetzt wurde.

Weiln ich solchergestalt doppelte Gage zoge, konte schon Etaat machen, in wenig Jahren ein ziemlichCapital zu sammlen. Nechst dem so marchandirte zwar so fleißig, doch nicht so schelmisch als ein Jude, und erwarb damit binnen 3. Jahren, ein feines Vermögen. Denn so lange waren wir auf dieser meiner ersten Reise unterweges. Sonsten begegnete mir dabey nichts eben sehr ungewöhnliches, weßwegen auch, um Weitläufftigkeit zu vermeiden, davon weiter nichts gedencken will, als daß wir auf dem rückwege, um die Gegend der Canarischen Insuln, von zweyenSaleeischen Raub-Schiffen attaquiret wurden. Das Gefechte war ungemein hitzig, und stunden wir in gröster Gefahr nebst unserer Freyheit, alles Guth, wo nicht gar das Leben zu verlieren. Endlich wendete sich das Blat, nachdem wir den grimmigsten Widerstand gethan, so, daß sie zwar die Flucht, aber dabey unsere reich beladene [56] Barque mitnehmen wolten; Allein da wir ihre Absicht zeitig merckten, und allbereit in Avantage sassen, ward nicht allein ihre Arbeit und Vorhaben zunichte gemacht, sondern das beste Schiff, mit allen dem, was darauff war, erobert.

Wenn mein naturell so beschaffen wäre, daß ich mich selbst gern lobte, oder loben hörete, könte bey dieser Gelegenheit schon etwas vorbringen, das einen oder den andern überreden solte: ich wäre ein gantz besonderer tapfferer Mann, allein ich versichere, daß ich niemals mehr gethan als ein rechtschaffener Soldat, dessen Ehre, Leben und Freyheit, nebst allen bey sich habenden Vermögen, auf der Spitze stehet, bey dergleichen Affairen zu thun schuldig ist.

Jedoch man kan unter dem prætext dieser Schuldigkeit, auch der guten Sache zuweilen zu viel oder zu wenig thun, mein Beyspiel zum wenigsten, kan andern eine vernünfftige Behutsamkeit erwecken; denn als wir uns an dasjenige Raub-Schiff, welches wir auch nach diesen glückl. eroberten angehengt, und bloß noch mit dem Degen in der Faust wider einander agirten, hatte sich ein eintziger Räuber, auf seinem in letzten Zügen liegenden Schiffe, einen eigenen Kampff-Platz erwehlet, indem er, durch etliche gegen-und übereinander gesetzte Kasten, seinen Rücken frey machen lassen, und mit seiner Mord-Sense dergestalt hausete, daß alle von unsern Schiffe überspringenden Leute, entweder todt niederfallen, oder sich starckblessirt reteriren musten.

Ich war unter dem Capitain mit etwa 12. Mann[57] von den Unserigen auf dem vordertheil des feindl. Schiffs beschäfftiget, rechtschaffen Posto zu fassen, merckte aber, daß wir mehr Arbeit fanden, als wir bestreiten konten, indem der eintzige Satan unsern succurs recht übermenschlich abzuhalten schien, derowegen drang als ein Blitz durch die Feinde hindurch nahm meinen Vortheil ohngefehr in Obacht, und vermeynte sogleich meinen Pallasch in seinen Gedärmen umzuwenden; allein der Mord-Bube war überall starck geharrnischt und gepantzert, dahero ich nach abgeglitschten Stosse, mich selbst in der grösten Lebens-Gefahr sahe, doch fassete ihn in dieser Angst von ohngefehr in das weit aufgesperrete Maul, riß die rasende Furie zu Boden, suchte am Unter-Leibe eine öffnung, und stieß derselben meinen Pallasch so tieff in den Rantzen hinein als ich konte.

Kaum war dieses geschehen, als nach einander etliche 20. und immer mehr von den Unserigen in das Feindl. Schiff gesprungen kamen, mich secundirten, und noch vor völlig erhaltenen Siege, Victoria! schryen. Doch es vergieng nicht eine halbe Stunde, so konten wir dieses Freuden-Wort mit Recht, und in vollkommener Sicherheit ausruffen, weil wir überhaupt Meister vom Schiffe, und die annoch lebenden Feinde, unsere Sclaven waren. Ich vor meine Person hatte zur ersten Beute einen ziemlichen Hieb über den Kopff, einen über die lincke Schulter, und einen Piquen-Stich in die rechte Hüffte bekommen, darzu hatte der irraisonable Flegel, dem ich doch aus besondern Staats-Ursachen, ins Maul zu greiffen, die Ehre gethan, mir die [58] vordersten Gelencke zweyer Finger lincker Hand, zum Zeitvertreibe abgebissen, und da dieselben, wie man siehet, noch biß dato fehlen, ich dieselben auch auf der Wahlstatt nirgends finden können; so kan nicht anders glauben, als daß er sie par hazard verschlungen habe.

Ich konte ihm endlich diese theuer genug bezahlte zwey Bissen noch so ziemlich gönnen, und war nur froh, daß an meinen zeithero gesammleten Schätzen nichts fehlete, über dieses wurde ich noch mit dem grösten Ruhm und Ehren fast überhäufft, weiln nicht nur der Capitain, sondern auch die meisten andern Mitarbeiter und Erfechter dieses Sieges, mir, wegen des eintzigen gewagten Streichs, den besten Preiß zu erkandten. Mein Gemüthe wäre der überflüßigen Lobes-Erhebungen gern entübriget gewesen, und hätte an dessen statt viel lieber eine geschwinde Linderung der schmertzenden Leibes-Wunden angenommen, weil ich, als ein auf beyden Seiten blessirter, kaum auf dem Rücken liegend, ein wenig rasten konte, doch ein geschickter Chirurgus, und meine gute Natur brachten es, nächst Göttl. Hülffe, so weit, daß ich in wenig Tagen wiederum auf dem obern Schiffs-Boden herum zu spatzieren vermögend war. Der Capitain, so mir gleich bey meiner ersten Ausflucht entgegen kam, und mich so munter sahe, sagte mit lachen: Monsieur Wolffgang, ich gratulire zum außgange, und versichere, daß nichts als der Degen an eurer Seite fehlet, uns zu überreden, daß ihr kein Patient mehr seyd. Monseigneur, gab ich gleichfalls lächelnd zur Antwort, wenn es nur daran fehlet, so will ich [59] denselben gleich holen? Bemühet euch nicht, versetzte er, ich will davor sorgen. Hiermit gab er seinem Diener Befehl, einen Degen vor mich zu langen, dieser brachte einen propren silbernen Degen, nebst dem Gehencke, und ich muste denselben, meinen Gedancken nach zum Spaß, umgürten. So bald dieses geschehen, befahl er das Schiffs-Volck zusammen zu ruffen, und da selbiges in seiner gehörigen Ordnung war, sagte er: Monsieur Wolffgang! ihr wisset so wohl als alle Gegenwärtigen, daß in letzterer Action unsere beyden Lieutenants geblieben sind, derowegen will euch, en regard eures letzthin erwiesenen Helden-Muths, hiermit als Premieur-Schiffs-Lieutenant vorgestellet haben, jedoch biß auf confirmation unserer Obern, als wovor ich guarantire. Inzwischen weil ich weiß, daß niemand von Gegenwärtigen etwas hierwider einzuwenden haben wird, will auch der erste seyn, der euch zu dieser neuen Charge gratuliret. Hiermit reichte er mir die Hand, ich aber wuste anfänglich nicht wie mir geschahe, doch da ich vermerckte, daß es Ernst war, machte ich das gebräuchliche Gegen-Compliment, und ließ mir immerhin belieben Lieutenant zu seyn.

Kurtz drauff gelangten wir, nebst unserer gemachten Prise, glücklich wieder in Amsterdam an. Ich bekam nicht allein die Confirmation meiner Charge, sondern über dieses einen unverhofften starcken Recompens, ausser meiner zu fordern habenden doppelten Gage, die mir theils die Feder, theils der Degen verschafft hatte. Die, aus meinen mitgebrachten Waaren, gelöseten Gelder, [60] schlug ich darzu, that die helffte davon, als ein Capital, in Banco, die andere helffte aber wandte zu meinem Unterhalt an, nächst diesen, die Equippage auf eine frische Schiffarth anzuschaffen.

Biß hierher war der Capitain Wolffgang damals in seiner Erzehlung kommen, als er, wegen einbrechender Nacht, vor dieses mal abbrach, und versprach, uns bey erster guten Gelegenheit den übrigen Rest seinerAvanturen wissend zu machen. Es suchte derowegen ein jeder von uns seine gewöhnliche Ruhe-Stelle, hatten aber dieselbe kaum 3. Stunden gedrückt, als, wegen eines sich erhebenden Sturmes, alle ermuntert wurden, damit wir uns gegen einen solchen ungestümen Stöhrer unserer Ruhe in behörige positur setzen könten. Wir verliessen uns zwar auf die besondere Stärcke und Festigkeit des getreuen Paridis, als welchen Nahmen unser Schiff führete; da aber das grausame wüten des Windes, und die einmal in Raserey gebrachten Wellen, nachdem sie nunmehro 2. Nacht und 2. Tage ohne einzuhalten getobet, auch noch keinen Stillstand machen wolten, im Gegentheil, mit hereinbrechender 3ten Nacht, ihre Wuth vervielfältigten, liessen wir die Hoffnung zu unserer Lebensrettung gäntzlich sincken, bekümmerten uns fast gar nicht mehr, um welche Gegend wir wären, und erwarteten, theils mit zitterenden, theils mit gelassenen Hertzen, die erschreckliche Zerscheiterung des Schiffs, und das mehrentheils damit sehr genau verknüpffte jämmerliche Ende unseres Lebens. Allein die Erhaltungs-Krafft des Himmels zeigte sich weit kräfftiger, als die Krafft des Windes, und der [61] berstenden Wolcken, denn unser Schiff muste nicht allein ohne besondern Haupt-Schaden bleiben, sondern auch zu unserer grösten Verwunderung wieder auf die rechte Strasse geführet werden, ohngeacht es Wind und Wellen bald hier bald dorthin verschlagen hatten; denn etwa 2. Stunden nach Mitternacht legte sich das grausame Brausen, die dicken Wolcken zertheilten sich, und bey anbrechenden schönen hellen Tage machten die Boots-Leute ein Freuden-Geschrey, aus Ursachen; weil sie den Pico so unverhofft erblickten, und wir uns gantz nahe an der Insul Teneriffa befanden. Vor meine Person wuste nicht, ob ich mehr Freude oder Erstaunung hegte, da mir diese ungeheure Machine in die Augen fiel. Der biß in den Himmel reichende entsetzliche Berg schien oben herum gantz weiß, weiln er Sommers und Winters hindurch mit Schnee bedeckt ist, man konte den aus seinem Gipffel steigenden Dampff gantz eigentlich observiren, und ich konte mich an diesem hochmüthigen Gegenstande meiner Augen die gantze Zeit nicht satt sehen, biß wir gegen Abend an die Insul anfuhren, um so lange daselbst auszuruhen, biß die zerrissenen und beschädigten Sachen unsers Schiffs wieder ausgebessert wären.

Ich fand ein besonderes Vergnügen: die raritäten auf dieser Insul zu betrachten, sonderlich aber denPico, an dessen Fuß eine Arth von Bäumen stund, deren Holtz in keinem Wasser verfaulen soll. Jedoch die Spitze des Berges mit zu erklettern, und dessen Rauch-Loch, so Kaldera genennet wird, in Augen schein zu nehmen, konte mich niemand bereden, [62] ohngeachtet es annoch die schönste Jahrs-Zeit dazu seyn mochte. Entweder war ich nicht so sehr neugierig, alsCajus Plinius Secundus beym Vesuvio gewesen, oder hatte nicht Lust mich dergleichen fatalitäten, wie er gehabt, zu exponiren, oder war nicht Willens eine Historiam naturalem aus eigener Erfahrung zu schreiben. Kurtz, ich war hierbey entweder zu faul, zu furchtsam, oder zu nachläßig.

Hergegen kan ich nicht läugnen, daß ich mir bey dem Capitain den Canari-Sect vortrefflich gut schmecken ließ, welcher mir auch besser bekam, als andern der Schwefel-Dampf auf dem Pico bekommen war, wir nahmen eine gute quantität dieses berühmten Getränckes, nebst vielem Zucker und andern delicatessen von dieser Insul mit, und fuhren den 12. 7br. recht vergnügt auf das Cabo Verde zu.

Es war um selbige Zeit ungemein stille See und schönes Wetter, weßwegen der Capitain Wolffgang auf unser hefftiges Ansuchen sich gefallen ließ, seine Geschichts-Erzehlung folgender massen zu continuiren.

Wo mir recht ist, Messieurs, fieng er an, so habe letztens gemeldet, wie ich mich in Stand gesetzt, eine neue Reise anzutreten, allein weil die Herrn General Etaaten seit kurtzen mit Franckreich und Spanien in würcklichen Krieg verwickelt waren, kriegten alle Sachen eine gantz andere Gestalt, ich hielt mich zwar beständig an meinen Wohlthäter, nemlich an denjenigen Capitain, der mich biß hieher glücklich gemacht hatte, konte aber die Ursache seines [63] Zauderns so wenig, als sein künfftiges Vornehmen errathen. Doch endlich brach er loß, und eröffnete mir, daß er treffliche Pasporte erhalten, gegen alle Feinde der Republique, als ein Frey-Beuter zu agiren, weßwegen er sich auch allbereit, durch Zuschuß anderer Wagehälse, ein extraordinair schönes Schiff mit allem Zubehör angeschafft hätte, so daß ihm nichts fehlete, als genungsame Leute. Wolte ich nun, setzte er hinzu, als sein Premieur-Lieutenant mit reisen, so müste mich Bemühen zum wenigsten 10. biß 12. Freywillige aufzutreiben, wo mir dieses aber unmöglich schiene, oder ich etwa keine Lust zu dergleichen Streichen hätte, als die Frey-Beuter vorzunehmen gemüßiget wären, so wolte er mir zwar bald einen Officiers-Dienst auf einem Kriegs-Schiffe schaffen, allein ob es vor mich eben so profitable seyn möchte, davon wisse er nichts zu sagen. Augenblicklich versicherte ich hierauff denCapitain, allen Fleiß anzuwenden, mein Glück oder Unglück unter und mit ihm zu suchen, auch mit ihm zu leben und zu sterben. Er schien vergnügt über meine Resolution, ich gieng von ihm, und schaffte binnen wenig Tagen an statt der geforderten Zwölffe, drey und zwantzig vollkommen gute freywillige Wagehälse, deren die meisten schöne Gelder bey sich führeten. Mein Capitain küssete mich vor Freuden, da ich ihm dieselben præsentiret hatte, und weil er binnen der Zeit auch nicht müßig gewesen, sondern alles Benöthigte vollends angeschafft, seegelten wir frölich von dannen.

Wir durfften aus Furcht vor den Frantzosen, denCanal nicht passiren, sondern musten unsere Farth[64] um die Brittannischen Insuln herum nehmen, und ob der Capitain schon treffliche Lust hatte den Spaniern auf der Strasse nach America, ein und andern Possen zu spielen, so wolte er doch vorhero erstlich genauere Kundschafft einziehen, allein ehe dieses geschahe, thaten wir einen herrlichen Zug, an einer Frantzösischen nach Irrland abgeschickten Fregatte, auf welcher 16000. Louis d'or nebst andern trefflichen Sachen, und etlichen Etaats-Gefangenen, unsere Beute wurden. Die vornehmsten Gefangenen nebst den Briefschafften, lieferten wir gegen Erlegung einer billigen discretion an einen Engelländer aus, der lange Zeit vergeblich auf diese Fregatte gelauret hatte, besetzten dieselbe, nachdem wir die übrigen Gefangenen vertheilet, mit etlichen von unsern Leuten, worunter auch ich war, also ein Neben-Schiff zu commandiren hatte, und richteten unseren Cours, in dem Mexicanischen Meere zu kreutzen.

Auf der Portugisischen Insul Madera, nahmen wir frisches Wasser ein, und fanden daselbst gleichfalls ein Holländisches, doch von den Spaniern sehr übel zugerichtetes Frey-Beuter-Schiff, dessen Capitain nebst den besten Leuten geblieben waren, unter dem übrigen Lumpen-Gesinde aber war eine solche Verwirrung, daß niemand wuste wer Koch oder Keller seyn wolte. Wir führeten ihnen ihren elenden Zustand, worinnen sie sich befanden, zu Gemüthe, und brachten sie mit guter Art dahin, sich mit uns zu vereinigen, und unter unsers Capitains Commando alles mit zu wagen, halffen also ihr Schiff wieder in vollkommen guten Stand setzen, und seegelten [65] voll grosser Hoffnung auf die Bermudischen Insuln zu. Unterweges bemächtigten wir uns eines Spanischen Jagd-Schiffs, welches die Sicherheit der See ausspüren solte, indem sich die Spanische Silber-Flotte bey der Insul Cuba versammlet, und fast im Begriff war nach Europa zu schiffen. Wir nahmen das Wenige, so nebst den Gefangenen auf dieser Jagd gefunden wurde, auf unsere Schiffe, und bohrten die Jagd zu grunde, weil sie uns nichts nützen konte, eileten aber, uns bey Cuba einzufinden, und wo möglich von der Silber-Flotte etwas abzuzwacken. Es vereinigten sich noch 2. Holländische und ein Englischer Frey-Beuter mit uns, so daß wir damals 6. wohl ausgerüstete Schiffe starck waren, und auf selbigen ingesamt 46.Canonen, nebst 482. wohlbewehrten Leuten aufzeigen konten, hiermit konte man nun schon ein Hertz fassen, etwas wichtiges zu unternehmen, wie wir denn auch in der That die Hände nicht in den Schooß legten; sondern die Cubaner, Hispaniolaner, und andere feindliche Insuln starck allarmirten, und alle Spanische Handels-Schiffe Preiß machten, so daß auch der Geringste unter uns, seine deßfals angewandte Mühe reichlich belohnt schätzte, und niemand von Armuth oder Mangel zu reden Ursach hatte.

Wir erfuhren demnach, daß das Glück den Wage-Hälsen öffters am geneigtesten sey. Denen Herrn Spaniern aber war wegen ihrer Silber-Flotte nicht eben allzuwohl bey der Sache, indem sie sich ohnfehlbar unsere Schiffs-Armade weit stärcker einbilden mochten, rüsteten derowegen, wie [66] wir gar bald in Erfahrung brachten, 10. biß 12. leichte Kriegs-Schiffe aus, um uns, als unangenehme und gefährliche Gäste, entweder, wo nicht Gefänglich einzubringen, doch zu zerstreuen. Der Engels-Mann als unser bißherigerCompagnon, mochte entweder zu wenig Hertze haben, oder aber sich allbereit reich genung schätzen, derowegen treñete er sich mit seinem Schiff und Barque, worauff er ingesamt 120. Mann nebst 12. Canonen hatte, von uns, und war Willens sich zwischenCuba und Hispaniola durch zu practiciren, von dar, aus gewissen Ursachen nach Virginien zu gehen. Allein man hat uns bald hernach versichert, daß ihn die Spanier ertappt, geplündert und schändlicher weise ermordet haben.

Unsere Capitains fanden indessen nicht vor rathsam, einen Angriff von den Spaniern zu erwarten, weil ohnedem unsere Schiffe nicht allein eine baldige Außbesserung vonnöthen hatten, sondern auch viele von unsern Leuten, deren wir doch, seit der abreise aus Amsterdam, nicht mehr als 14. eingebüsset, von denen vielen fatiguen sehr merode waren. Wir stelleten demnach unsere Farth auf die unsern Lands-Leuten zuständige Insul Curacao, oder wie sie einige nennen, Curassau zu, machten aber unterweges noch ein mit Cacao, Banille, Marmelade, Zucker und Toback beladenes Schiff, zu angenehmer Beute. Wenig Tage darauff, favorisirte das Glück noch besser, indem gantz von ohngefehr, und ohne vieles Blutvergiessen 3. Barquen mit Perlen-Austern, in unsere Hände fielen, womit wir denen Herren Spaniern die Mühe erspareten, selbige [67] ausmachen zu lassen, und dieser Arbeit, bey müßigen Stunden, uns gar im geringsten nicht zu schämen willens waren.

Mit allen diesen Reichthümern nun, landeten wir glücklich bey Curacao an, der Gouverneur daselbst empfing uns, nachdem wir ihm unsere Pasporte gezeiget, auch von ein und andern, richtigen rapport abgestattet hatten, mit grossen Freuden, zumahlen da er von uns ein ansehnliches Præsent empfieng. Jedoch nachdem unsere Capitains die damalige Beschaffenheit der Sachen und der Zeit etwas genauer überlegten, befanden wir auf einrathen des Gouverneurs vor nützlicher, die Insul Bonatry zu unserm Ruhe-Platz zu erwehlen, und unsere Schiffe daselbst auszubessern. Es wurde deßwegen aller möglichste Fleiß angewendet, nachhero aber beschlossen, eine rechte Niederlage daselbst aufzurichten, weßwegen wir, mit Hülffe der daselbst wohnenden nicht ungeschickten Indianer, anfiengen, kleine Häuser zu bauen, auch vor den Anlauff eine gar artige Festung anlegten, und dieselbe nach und nach immer zu verbessern willens waren. Die Indianer erzeigten sich ungemein Dienstfertig gegen uns, wir gaben ihnen von dem unserigen, was sie brauchten, und wir entbehren konten, hergegen waren sie wiederum fleißig das Feld zu bauen, und Mahis, James, Palates, auch Guineisch Korn zu zeugẽ, welches uns trefflich wohl zu statten kam, nächst dem legten sie sich auch mehr, als sonsten, auf die ordentliche Haußhaltung und Viehzucht, denn es gab daselbst Ochsen, Kühe, Pferde, Schweine, vor allem andern aber Ziegen im Uberfluß, so daß nicht nur wir [68] zulängliche Nahrungs-Mittel hatten, sondern auch unsere Lands-Leute auf den benachbarten Insuln, mit eingesaltzenen Fleische und andern Sachen besorgen konten. Anbey thaten wir manchen Stich in die See, und bereicherten uns nicht allein mit lauter Spanischen und Frantzösischen Gütern, sondern thaten beyden Nationen allen ersinnlichen Schaden und gebranntes Hertzeleyd an.

Ich vor meine Person, hatte mir einen ziemlichen Schatz an Gold, Silber, Perlen, und andern kostbaren Sachen gesammlet, wovon ich das meiste auf der Insul an unterschiedliche Oerter vergrub, wo ich nicht leicht befürchten durffte, daß es ohne meine Anweisung jemand finden würde. Ubrigens lebten wir ingesamt so vergnügt auf der Insul, daß es, nachdem wir 3. Jahr lang darauff zugebracht, das Ansehen hatte, als sehnete sich kein eintziger wieder nach seinem Vaterlande.

Nach so langer Zeit wurde Kundschafft eingebracht, daß die Spanier abermals mit einer reich beladenen Silber-Flotte zurück nach Europa seegeln wolten, also machten wir einen Anschlag, etwas davon zu erhaschen, giengen mit zwey der Besten und wol ausgerüsteten Schiffe, auch der resolutesten Mannschafft in See, und laureten um die Gegend der Caribischen Insuln auf dieselbe, brauchten anbey alle möglichste Vorsicht, um nicht entdeckt zu werden. Unsere Bemühung war deßfalls so wenig als sonsten vergebens, indem wir eines Morgens sehr frühe, nach vorhero ausgestandenen ziemlichen Sturme, ein von der Flotte verschlagenes Spanisches Schiff mit List erhaschten, mit Gewalt [69] eroberten, und an gediegenen Silber, auch andern Kostbarkeiten mehr darauff antraffen, als wir uns fast hätten einbilden können. Die Flotte hatte aus dem hefftigen Donnern des Geschützes, Unrath vermerckt, und errathen, daß eins von ihren Schiffen inAction begriffen sey, derowegen auch zwey von ihren Schiffen zum Succurs dahin geschickt, allein wir waren mit unserer Prise allbereit zur Richtigkeit gekommen, da wir den succurs noch gantz von ferne erblickten, hielten aber nicht vor rathsam dessen Ankunfft zu erwarten, sondern nahmen die Flucht auf recht verwegene Art, bey Porto Ricco hindurch, und gelangeten mit vielen Vergnügen wieder, bey unserer zurückgelassenen Mannschafft, auf der Insel Bonatry an.

Nunmehro waren wir erstlich eifriger als jemals beflissen, nicht allein unsere Wohnungen, Feld-Bau und Vieh-Zucht, mit Beyhülffe der Indianer, in vollkommen bequeme Form zu bringen, sondern avancirten auch in weniger Zeit mit unsern Vestungs-Bau dermassen, daß wir diese Insul wider alle feindliche Anfälle ungemein sicher machten. Etliche von den Unsern hatten bey Gelegenheit Spanische und Frantzösische ledige Weibes-Personen erwischt, sich mit selbigen verheyrathet, und Kinder gezeuget, dieses erweckte bey vielen andern eben dergleichen Begierde, weßwegen sie unsern Capitain, als selbst erwehlten Gouverneur unserer Insul forcirten, eine Landung auf Hispaniola zu wagen, weil sich daselbst ungemein schönes, so wohl Spanisches als Frantzösisches Frauenzimmer befinden solte.

[70] Ob nun schon der Capitain dieses Unternehmen anfangs vor allzu verwegen und gefährlich erkañte, so sahe er sich doch letzlich fast gezwungen, dem eifrigen Verlangen der verliebten Venus-Brüder ein Genüge zu thun, und zwey Schiffe hierzu auszurüsten, deren eines ich als Unter-Hauptmann commandirte. Wir lieffen aus, und kamen auf Hispaniola, glücklich an Land. Es erreichten auch die Verliebten ihren erwünschten Zweck, indem sie etliche 30. junge Weibs-Personen zu Schiffe brachten, ich aber, der ich hiebey die Arrier-Guarde führete, war so unglücklich, von den nachsetzenden Spaniern einen gefährlichen Schuß in die rechte Seite, und den andern durch die lincke Wade zu bekommen, weßwegen ich, nebst noch zweyen der Unsern, von den Spaniern erhascht, gefangen genommen und zu ihrem Gouverneur gebracht wurde.

Ein grosses Glück war es bey unserm Unglück, daß uns derselbe in der ersten furie nicht gleich auffhencken ließ, weil er ein verzweiffelt hitziger Mann war. Jedoch wurden wir nach völlig erlangter Gesundheit wenig besser, ja fast eben so schlimm als die Türckischen Sclaven tractiret. Am allerschli sten war dieses: daß ich nicht die geringste Gelegenheit finden konte, meinem redlichen Capitain Nachricht von meinem wiewol elenden Leben zu geben, weil ich versichert war, daß er nichts sparen würde, mich zu befreyen. Nachdem ich aber 3. Jahr in solchen jämmerlichen Zustande hingebracht, erhielt Zeitung, daß mein redlicher Capitain nebst meinen besten Freunden die Insul Bonatry (oder Bon Ayres auch Bon air wie sie andere nennen,) verlassen, [71] und zurück nach Holland gegangen wäre, um sich das rechtmäßige Gouvernement, darüber nebst andern Vollmachten auszubitten. Anbey wurde mir der jetzige Zustand auf selbiger Insul dermassen schön beschrieben, daß mein sehnliches Verlangen, auf solche wieder zu kommen, als gantz von neuen erwachte, zumahlen weñ mich meiner daselbst vergrabenen Schätze erinnerte. Jedoch ich konte, ohne meine Person und Vermögen in die gröste Gefahr zu setzen, nicht erdencken, auf was vor Art ich den Gouverneur etwa einen geschickten Vorschlag wegen meiner Ranzion thun wolte. Muste also noch zwey Jahr als ein Pferde-Knecht in des Gouverneurs Diensten bleiben, ehe sich nur der geringstepracticable Einfall in meinem Gehirne entsponn, wie ich mit guter manier meine Freyheit erlangen könte.

Die Noth erwecket zuweilen bey den Menschen eine Gemüths-Neigung, der sie von Natur sonsten sehr wenig ergeben sind. Von mir kan ich mit Warheit sagen, daß ich mich, auch in meinen damaligen allerbesten Jahren, um das Frauenzimmer und die Liebe, fast gantz und gar nichts bekümmerte. War auch nichts weniger, als aus der intention mit nachHispaniola gegangen, um etwa eine Frau vor mich daselbst zu holen, sondern nur bloß meine Hertzhafftigkeit zu zeigen, und etwas Geld zu gewinnen. Allein itzo, da ich in gröster Noth stack, und kein sicheres Mittel zu meiner Freyheit zu gelangen sahe, nahm meine Zuflucht endlich zu der Venus, weil mir dochApollo, Mars und Neptunus, ihre Hülffe gäntzlich zu verwiegern schienen.

[72] Eines Tages da ich des Gouverneurs Tochter, nebst ihren Cammer Mägdgen, auf ein nah gelegenes Land-Gut spatzieren gefahren, und im Garten gantz allein bey der erstern war, setzte sich dieselbe auf eine grüne Banck nieder, und redete mich auf eine freye Art also an: Wolffgang! sagt mir doch, was ihr vor ein Lands Mann seyd, und warum man euch niemals so lustig als andere Stall-Bedienten siehet. Ich stutzte anfänglich über diese Anrede, gab aber bald darauff mit einem tieffgeholten Seuffzer zur Antwort: Gnädiges Fräulein, ich bin ein Teutscher von Geburth, zwar von mittelmäßigen Herkommen, habe mich aber in Holländischen Diensten durch meine Courage, biß zu dem Posten eines Unter-Hauptmanns geschwungen, und letztens auf dieser Insul das Unglück empfunden, gefährlich blessirt und Gefangen zu werden. Hierauff erwiederte sie mit einer niedergeschlagenen und etwas negligent scheinenden mine: Ich hätte euch zum wenigsten wegen eurer guten Visage, Adelichen Herkommens geschätzt. Stund damit auf, und gieng eine gute Zeit in tiefen Gedancken gantz allein vor sich spatzieren. Ich machte allerhand Glossen über ihre Reden, und war mir fast leyd, daß ich von meinem Stande nicht etwas mehr geprahlet hatte, doch vielleicht (gedachte ich,) gehet es in Zukunfft mit gutermanier besser an. Es geschahe auch, denn ehe wir wieder zurück fuhren, nahm sie Gelegenheit, mir mit einer ungemeinen verliebten Mine noch dieses zu sagen: Wolffgang! Wo euch an eurer Freyheit, Glück und Vergnügen etwas gelegen; so scheuet euch nicht, mir von eurem [73] Stande und Wesen nähere Nachricht zu geben, und seyd versichert, daß ich euer Bestes eilig befördern will und kan, absonderlich wo ihr einige Zärtlichkeit und Liebe vor meine Person heget. Sie wurde bey den letztern Worten Feuerroth, sahe sich nach ihren Mägdgen um, und sagte noch zu mir: Ihr habt die Erlaubniß mir in einem Briefe euer gantzes Hertz zu offenbaren, und könnet denselben morgen meinem Mägdgen geben, seyd aber redlich und verschwiegen.

Man wird mich nicht verdencken, daß ich diese schöne Gelegenheit meine Freyheit zu erlangen, mit beyden Händen ergriff. Donna Salome (so hieß das Fräulein,) war eine wohlgebildete Person von 17. biß 18. Jahren, und solte einen, zwar auch noch jungen, aber einäugigen und sonst überaus heßlichen Spanischen wohlhabenden Officier heyrathen, welches ihre eigene Mutter selbst nicht billigen wolte, aber doch von dem eigensinnigen Gouverneur darzu gezwungen wurde. Ich könte diesem nach eine ziemlich weitläufftige Liebes-Geschicht von derselben und mir erzehlen, allein es ist mein Werck nicht. Kurtz! Ich schrieb an die Donna Salome, und machte mich nach ihrem Wunsche selbst zum Edelmanne, entdeckte meine zu ihr tragende hefftige Liebe, und versprach alles, was sie verlangen könte, wo sie mich in meine Freyheit setzen wolte.

Wir wurden in wenig Tagen des gantzen Krahms einig. Ich that ihr einen Eyd, sie an einen sichern Orth, und so bald als möglich, nach Europa zu führen, mich mit ihr ordentlich zu verheyrathen, [74] und sie Zeit Lebens vor meine rechte Ehe-Gemahlin zu ehren und zu lieben. Hergegen versprach sie mir, nebst einem Braut-Schatze von 12000. Ducaten und andern Kostbarkeiten, einen sichern Frantzösischen Schiffer auszumachen, der uns vor gute Bezahlung je ehe je lieber nach der Insul Bon air bringen solte.

Unser Anschlag gieng glücklich von statten, denn so bald wir erlebten, daß der Gouverneur in eigener Person jene Seite der Insul visitirte, packten wir des Nachts unsere Sachen auf leichte, darzu erkauffte Pferde, und jagten von sonst niemand als ihren Mägdgen begleitet, in etlichen Stunden an dasjenige Ufer, allwo der bestellte Frantzösische Schiffer unserer mit einem leichten Jagd-Schiffe wartete, uns einnahm, und mit vollen Seegeln nach Bon air zu eilete. Daselbst landeten wir ohne einig auszustehende Gefahr an, man wolte uns zwar anfänglich das Aussteigen nicht vergönnen, jedoch, so bald ich mich melden ließ, und erkannt wurde, war die Freude bey einigen guten Freunden und Bekandten unbeschreiblich, welche dieselben über mein Leben und glückliche Wiederkunfft bezeigten. Denn man hatte mich nun seit etlichen Jahren längst vor todt gehalten.

Monsieur van der Baar, mein gantz besonderer Freund, und ehemaliger Schiffs-Quartier-Meister, war Vice Gouverneur daselbst, und ließ mir, vor mich und meine Liebste, sogleich ein fein erbautes Hauß einräumen, nach etlichen Tagen aber, so bald wir uns nur ein wenig eingerichtet, muste uns einer von den zwey daselbst befindlichen Holländischen [75] Priestern ehelich zusammen geben. Ich ließ auf mehr als 50. Personen eine, nach dasiger Beschaffenheit, recht kostbare Mahlzeit zurichten, vor alle andern aber, auch so gar vor die Indianischen Familien, weiß Brod, Fleisch, Wein und ander starck Geträncke austheilen, damit sich nebst mir, jederman zu erfreuen einige Ursach haben möchte. Der Vice-Gouverneur ließ mir zu Ehren, beym Gesundheit Trincken, die Stücken auf den Batterien tapffer abfeuren, damit auch andereInsulaner hören möchten, daß in selbiger Gegend etwas Besonderes vorgienge, kurtz, wir lebten etliche Tage, auf meine Kosten rechtschaffen lustig. Meine nunmehrige Ehe-Liebste, die Donna Salome, war so hertzlich vergnügt mit mir, als ich mit ihr, indem ich nun erst in ihren süssen Umarmungen empfand, was rechtschaffene Liebe sey. Es solte mancher vermeinen, ich würde am allerersten nach meinen vergrabenen Schätzen gelauffen seyn, allein ich bin warhafftig so gelassen gewesen, und habe dieselbe erst 8. Tage nach unserer Hochzeit gesucht, auch ohnversehrt glücklich wieder gefunden, und meiner Liebste dieselben in der Stille gezeiget. Sie erstaunete darüber, indem sie mich nimmermehr so reich geschätzt, nunmehro aber merckte, daß sie sich an keinen Bettel-Mann verheyrathet habe, und derowegen vollkommen zufrieden war, ohngeacht ich ihr offenbarete, daß ich kein Edelmann, sondern nur aus Bürgerlichen Stande sey.

Vier Monath nach meiner glücklichen Wiederkunfft, nachdem wir unsere Haußhaltung in vortrefflichen Stand gesetzt, hatte ich die Freude, meinen [76] altenCapitain zu umarmen, welcher eben aus Holland wieder zurück kam, und nicht allein die Confirmation über seine Gouverneur-Charge, sondern auch weit wichtigere Vollmachten, nebst vielen höchst-nöthigen Dingen, in 3. Schiffen mit brachte. Er erzehlete mir, daß, nach der Versicherung meines Todes, er alsofort mein zurückgelassenes Vermögen durch redliche und theils gegenwärtige Personen taxiren lassen, welches sich auf 6. tausend Thlr. werth belauffen, hiervon habe er meinem jüngern Bruder, den er nach Amsterdam zu sich verschrieben, vor ihn und das andere Geschwister 5000. Thlr. gezahlet, ein tausend aber vor sich selbst zur Erbschafft, vor die meinetwegen gehabte Mühe, behalten, welche er mir aber nunmehro, da er die Freude hätte, mich wieder zu finden, gedoppelt bezahlen wolte; Allein, ich hatte eine solche Freude über seine Redlichkeit, daß ich ihn beschwur, hiervon nichts zu gedencken, indem ich, weil ich vergnügt wäre, mich reich genug zu seyn schätze, und wohl wüste, daß ihm selbst ein noch weit mehreres schuldig sey.

Wir lebten nachhero in der schönsten Einträchtigkeit beysammen, Monsieur van der Baar muste mit 50. Mannen, und allerhand ihm zugegebenen nothdürfftigen Sachen, eine andere kleine Insul bevölckern, ich aber wurde an dessen Statt Vice-Gouverneur, und war fast nicht mehr willens, in Zukunfft auf Frey-Beuterey auszugehen, sondern, bey meiner Liebens-würdigen Salome, mein Leben in Ruhe zuzubringen, wie denn dieselbe ihr Verlangen nach Europa gäntzlich fahren ließ, und [77] nichts mehr wünschte, als in meiner beständigen Gegenwart Lebens-lang auf dieser Insul zu bleiben. Allein, o Jammer! mein innigliches Vergnügen währete nicht lange, denn da meine Hertz-allerliebste Ehe-Frau im zehenden Monath nach unserer Copulation durch eine entsetzliche schwere Geburth eine todte Tochter zur Welt gebracht hatte, vermerckte sie bald darauf die Anzeigungen ihres eigenen herran nahenden Todes. Sie hatte sich schon seit etlichen Wochen mit den Predigern, der Religion wegen, fast täglich unterredet, und alle unsere Glaubens-Articul wohl gefasset, nahm derowegen aus hertzlichen Verlangen nach dem heiligen Abendmahle die Protestantische Religion an, und starb folgenden Tages sanfft und seelig.

Ich mag meinen Schmertzen, den ich damahls empfunden, in Gegenwart anderer voritzo nicht erneuern, sondern will nur so viel sagen, daß ich fast nicht zu trösten war, und in beständiger Tieffsinnigkeit nirgends Ruhe zu suchen wuste, als auf dem Grabe meiner Liebsten, welches ich mit einem ziemlich wohl ausgearbeiteten Steine bedeckte und mit eigener Hand folgende Zeilen darauf meisselte:


Hier liegt ein schöner Raub, den mir der Todt geraubt,
Nachdem der Freyheits-Raub den Liebes-Raub erlaubt.
Es ist ein seelig Weib. Wer raubt ihr diesen Orden?
Doch ich, als Wittber, bin ein Raub des Kummers worden.

[78] Unten drunter meisselte ich fernere Nachricht von ihrer und meiner Person, nebst der Jahr-Zahl, ein, um die Curiosität der Nachkommen zu vergnügen, ich hergegen wuste weiter fast nichts mehr von einigen Vergnügen in der Welt, ward dannenhero schlüssig, wieder nach Europa zu gehen, um zu versuchen, ob ich daselbst, als in der alten Welt, einige Gemüths-Ruhe finden, und meine Schmertzen bey der begrabenen geliebten Urheberin derselben in der Neuen Welt zurück lassen könte. Dieses mein Vorhaben entdeckte ich dem Capitain, als unsern Gouverneur, welcher mir nicht allein die hierzu benöthigten freywilligen Leute, sondern auch eins der besten Schiffe, mit allen Zubehör versehen, auszulesen, ohne die allergeringste Schwierigkeit, vielmehr mit rechten Freuden, erlaubte. Jedoch mich inständig bat, bald wieder zu kommen, zumahlen, wenn ich meine Meublen und Baarschafften wohl angelegt hätte.

Ich versprach alles, was er von mir verlangte, und seegelte, nachdem er mich mit vielen wichtigen Commissionen und guten Pasporten versehen, im Nahmen des Himmels von der mir so lieb gewesenen Insel nach Europa zu, und kam, ohne besondere Hinderniß, nach verflossener ordentlicher Zeit glücklich in Amsterdam an.

Binnen 2. Monathen richtete alle mir aufgetrageneCommissionen aus, überließ das Schiff an meines Capitains Compagnons, und gab ihnen zu verstehen, daß erstlich in mein Vaterland reisen, und mich alldaresolviren wolte, ob es weiter [79] mein Werck seyn möchte, wieder in See zu gehen oder nicht. Packte nachhero alles mein Vermögen auf, und ging nach Lübeck zu meinem ehemahligen Patrone, der mich mit grösten Freuden empfing, in sein Hauß auf so lange aufnahm, biß ich einen richtigen Schluß gefasset, wohin mich nunmehro wenden wolte. Da mir aber dieser mein Patron erzehlete, daß sein Sohn, mit dem ich ehemahls in Grypswalde studiret, nunmehro vor ein paar Jahren einen ansehnlichen Dienst in Dantzig bekommen hätte, machte mich auf die Reise, ihn daselbst zu besuchen, nachdem ich vorhero meinem Bruder, der ohne mich der jüngste war, schrifftlich zu wissen gethan, daß er mich in Dantzig antreffen würde.

Derselbe nun hatte sich nicht gesäumet, sondern war noch zwey Tage eher als ich bey dem beschriebenen guten Freunde eingetroffen, indem nun ich aucharrivirte, weiß ich nicht, ob ich bey dem Bruder oder dem Freunde mehr Freude und Liebes-Bezeugungen antraff, wenigstens stelleten sie sich einander gleich. Nachdem wir uns aber etliche Tage rechtschaffen mit einander ergötzt, schickte ich meinen Bruder mit einem ansehnlichen Stück Geldes nach meinem Vaterlande, und überließ ihn die Sorge, durch einen geschickten Juristen, einen Pardon-Brief bey der höchsten Landes-Obrigkeit vor mich auszuwircken, wegen des in Franckfurt erstochenen Studenten. Weil nun mehrentheils auf der Welt das Geld alles ausmachen kan, so war auch ich in diesem Stück nicht unglücklich, sondern erhielt nach Verlauff etlicher [80] Wochen den verlangten Pardon-Brief, und konte nach geno enen zärtlichen Abschiede von meinem Freunde sicher in meine Geburths-Stadt reisen, nachdem ich in Dantzig die Zeit ungemein vergnügt zugebracht, und mit den vornehmsten Kauff- und andern Leuten genaue Kund- und Freundschafft gepflogen hatte.

Meine Geschwister, Bluts- und Muths-Freunde empfingen mich mit gantz ausserordentlichen Vergnügen, konte also in den ersten 4. Wochen wenig thun, als zu Gaste gehen, nachhero ließ mich zwar bereden, daselbst in Ruhe zu bleiben, zu welchem Ende ich ein schönes Gut kauffen, und eine vortheilhafft Mariage treffen solte, allein, weil es vielleicht nicht seyn solte, muste mir eine unverhoffte Verdrüßlichkeit zustossen, die zwar an sich selbst wenig importirte, allein ich ward auf einmahl capricieus, setzte meinen Kopff auf, resolvirte mich, wieder zur See zu gehen, und reisete, nachdem ich mich über ein Jahr zu Hause aufgehalten, meine Verwandten und Freunde auch reichlich beschenckt, ohne fernern Zeit-Verlust wieder nach Amsterdam.

Es hielt daselbst nicht schwer, einen neuen Brief vor mich als Capitain eines Frey-Beuter Schiffs heraus zu kriegen, zumahl da mich selbst equippiren wolte, ich warb Leute an, bekam aber, wie ich nachhero erfahren muste, zu meinem Unglücke den Abschaum aller Schelmen, Diebe, und des allerliederlichsten Gesindels auf meinem Schiff, mit selbigen wolte ich nun eine neue Tour nach West-Indien vornehmen, so bald mich aber nur auf dem [81] grossen Atlantischen Meere befand, änderten sie auf Einrathen eines Ertz-verruchten Bösewichts, der sich Jean le Grand nennete, und den ich wegen seines guten Ansehens und verstellten rechtschaffenen Wesens, zum nächsten Commandeur nach mir gemacht hatte, ihreResolution, und zwungen mich, sie nach Ost-Indien zu führen. Ihr ungestümes Wesen ging mir zwar sehr im Kopffe herum, jedoch ich muste klüglich handeln, und mich in die Zeit schicken, da aber ihre Boßheit überhand nahm, und von einigen die verzweiffeltesten und liederlichsten Streiche gemacht wurden, ließ ich die Rädels-Führer exemplarisch bestraffen, setzte auch hiermit, meines Bedünckens, die übrigen alle in ziemliche Furcht. Immittelst waren wir allbereit dieLinie passiret, als uns ein entsetzlicher Sturm von der Ost-Indischen Strasse ab- im Gegentheil nach demBrasilischen Meere hin-, wo das Mittägliche America liegt, getrieben hatte. Ich brauchte alle meine Beredsamkeit diesen uns von dem Glück gewiesenen Weg zu verfolgen, und versicherte, daß wir in America unser Conto weit besser finden würden, als in Ost-Indien; allein, meine Leute wolten fast alle anfangen zurebelliren, und durchaus meinem Kopffe und Willen nicht folgen, weßwegen ich ihnen auch zum andern mahle nachgab, allein, sie erfuhren es mit Schaden, weil wir in öfftern Stürmen bey nahe das Leben und alles verlohren hätten. Endlich erholeten wir uns auf einer gewissen Insul in etwas, und waren allbereits den Tropicum capricorni passiret, da mir die unruhigsten Köpffe abermahls allerhand verfluchte [82] Händel auf dem Schiffe machten. Ich wolte die ehemalige Schärffe gebrauchen, allein, Jean le Grand trat nunmehro öffentlich auf, und sagte: Es wäre keine Manier, Frey-Beuter also zu tractiren, ich solte mich moderater aufführen, oder man würde mir etwas anders weisen.

Dieses war genung geredet, mich völlig in Harnisch zu jagen, kaum konte mich enthalten, ihm die Fuchtel zwischen die Ohren zu legen, doch ließ ihn durch einige annoch Getreuen in Arrest nehmen, und krumm zusammen schliessen. Hiermit schien es, als ob alle Streitigkeiten beygelegt wären, indem sich kein eintziger mehr regte, allein, es war eine verdammte List, mich, und diejenigen, die es annoch mit mir hielten, recht einzuschläffern. Damit ich es aber nur kurtz mache: Einige Nachte hernach machten dieRebellen den Jean le Grand in der Stille von seinen Ketten loß, erwehleten ihn zu ihrem Capitain, mich aber überfielen sie des Nachts im Schlaffe, banden meine Hände und Füsse mit Stricken, und legten mich auf den untersten Schiffs-Boden, allwo zu meinem Lebens-Unterhalte nichts anders bekam als Wasser und Brod. Die Leichtfertigsten unter ihnen hatten beschlossen gehabt, mich über Boord in die See zu werffen, doch diejenigen, so noch etwa einen halben redlichen Bluts-Tropffen im Leibe gehabt, mochten diesen unmenschlichen Verfahren sich eifferig widersetzt haben, endlich aber nach einem abermahls überstandenen hefftigen Sturme, da das Schiff nahe an einem ungeheuern Felsen auf den Sand getrieben worden, und nach 2. Tagen erstlich [83] wieder Flott werden konte, wurde ich, vermittelst eines kleinen Boots, an dem wüsten Felsen ausgesetzt, und muste mit thränenden Augen die rebellischen Verräther mit meinem Schiffe und Sachen davon seegeln, mich aber von aller menschlichen Gesellschafft und Hülffe an einen gantz wüsten Orte gäntzlich verlassen sehen. Ich ertrug mein unglückliches Verhängniß dennoch mit ziemlicher Gelassenheit, ohngeacht keine Hoffnung zu meiner Erlösung machen konte, zudem auch nicht mehr als etwa auf 3. Tage Proviant von der Barmhertzigkeit meiner unbarmhertzigen Verräther erhalten hatte, stellete mir derowegen nichts gewissers, als einen baldigen Todt, vor Augen. Nunmehro fing es mich freylich an zu gereuen, daß ich nicht auf der Insul Bon air bey dem Grabe meiner liebsten Salome, oder doch im Vaterlande, das Ende meines Lebens erwartet, so hätte doch versichert seyn können, nicht so schmählich zu sterben, und da ich ja gestorben, ehrlich begraben zu werden; allein es halff hier nichts als die liebe Gedult und eine christliche Hertzhafftigkeit, dem Tode getrost entgegen zu gehen, dessen Vorbothen sich in meinem Magen und Gedärme, ja im gantzen Cörper nach aufgezehrten Proviant und bereits 2. tägigem Fasten deutlich genung spüren liessen.

Die Hitze der Sonnen vermehrete meine Mattigkeit um ein grosses, weßwegen ich an einen schattigten Ort kroch, allwo ein klares Wasser mit dem grösten Ungestüm aus dem Felsen heraus geschossen kam, hiermit, und dann mit einigen halbverdorreten Kräutern und Wurtzeln, die doch sehr [84] sparsam an dem rings herum gantz steilen Felsen anzutreffen waren, konte ich mich zum Valet-Schmause auf der Welt noch in etwas erquicken. Doch unversehens hörete die starcke Wasser-Fluth auf einmahl auf zu brausen, so, daß in Kurtzen fast kein eintziger Wasser-Troffen mehr gelauffen kam. Ich wuste vor Verwunderung und Schrecken nicht, was ich hierbey gedencken solte, brach aber in folgende wehmüthige Worte aus: So muß denn, armseeliger Wolffgang! da der Himmel einmahl deinen Untergang zu beschleunigen beschlossen hat, auch die Natur den ordentlichen Lauff des Wassers hemmen, welches vielleicht an diesem Orte niemahls geschehen ist, weil die Welt gestanden hat, ach! so bete denn, und stirb. Ich fing also an, mit weinenden Augen, den Himmel um Vergebung meiner Sünden zu bitten, und hatte den festen Vorsatz, in solcher heissen Andacht zu verharren, biß mir der Todt die Augen zudrückte.

Was kan man doch vor ein andächtiger Mensch werden, wenn man erstlich aller menschlichen Hülffe beraubt, und von seinem Gewissen überzeugt ist, daß man der Göttlichen Barmhertzigkeit nicht würdig sey? Ach! da heist es wohl recht: Noth lernet beten. Doch ich bin ein lebendiger Zeuge, daß man die Göttliche Hülffe sodann erstlich rechtschaffen erkennen lerne, wenn uns alle Hoffnung auf die menschliche gäntzlich entnommen worden. Doch weil mich GOtt ohnfehlbar zu einem Werckzeuge ausersehen, verschiedenen Personen zu ihrer zeitlichen, noch mehrern aber zu ihrer geistlichen Wohlfarth behülfflich zu seyn, so hat er mich auch [85] in meiner damahligen allergrösten Lebens-Gefahr, und zwar folgender Gestalt, wunderlich erhalten:

Als ich mich nach Zurückbleibung der Wasser-Fluth in eine Felsen-Klufft hinein geschmieget, und unter beständigen lauten Seuffzen und Bethen mit geschlossenen Augen eine baldige Endigung meiner Quaal wünschte; hörete ich eine Stimme in Teutscher Sprache folgende Worte nahe bey mir sprechen: Guter Freund, wer seyd ihr? und warum gehabt ihr euch so übel? So bald ich nun die Augen aufschlug, und 6. Männer in gantz besonderer Kleidung mit Schieß-und Seiten-Gewehr vor mir stehen sahe, kam mein auf der Reise nach der Ewigkeit begriffener Geist plötzlich wieder zurücke, ich konte aber, ich glaube, theils vor Schrecken, theils vor Freuden kein eintzig Wort antworten, sie redeten mir derowegen weiter zu, erquickten mich mit einem besonders wohlschmeckenden Geträncke und etwas Brodt, worauf ihnen meine gehabten Fatalitäten kürtzlich erzehlete, um alle möglichste Hülffe, gegen bevorstehende Gefahr zu verhungern anhielt, und mich anbey erkundigte, wie es möglich wäre, an diesem wüsten Orthe solche Leute anzutreffen, die meine Mutter-Sprache redeten? Sie bezeugten durch Gebärden ein besonderes Mitleyden wegen meines gehabten Unglücks, sagten aber: Guter Freund, sorget vor nichts, ihr werdet an diesem wüste und unfruchtbar scheinenden Orthe alles finden, was zu eurer Lebens-Fristung nöthig seyn wird, gehet nur mit uns, so soll euch in dem, was ihr zu wissen verlanget, vollkommenes Genügen geleistet werden.

[86] Ich ließ mich nicht zweymahl nöthigen, wurde also von ihnen in den Schlund des Wasser-Falles hinein geführet, allwo wir etliche Stuffen in die Höhe stiegen, hernach als in einem finstern Keller, zuweilen etwas gebückt, immer aufwarts gingen, so, daß mir wegen unterschiedlicher einfallender Gedancken angst und bange werden wolte, indem ich mir die 6. Männer bald als Zauberer, bald als böse, bald als gute Engel vorstellete. Endlich, da sich in diesem düstern Gewölbe das Tages-Licht von ferne in etwas zeigte, fassete ich wieder einen Muth, merckte, daß, je höher wir stiegen, je heller es wurde, und endlich kamen wir an einem solchen Orthe heraus, wo meine Augen eine der allerschönsten Gegenden von der Welt erblickten. An diesem Ausgange waren auf der Seite etliche in Stein gehauene bequeme Sitze, auf deren einen ich mich niederzulassen und zu ruhen genöthiget wurde, wie sich denn meine Führer ebenfals bey mir niederliessen, und fragten: Ob ich furchtsam und müde worden wäre? Ich antwortete: Nicht sonderlich. Hatte aber meine Augen beständig nach der schönen Gegend zugewand, welche mir ein irdisch Paradieß zu seyn schien. Mittlerweile bließ der eine von meinen Begleitern 3. mahl in ein ziemlich grosses Horn, so er an sich hangen hatte, da nun hierauf 6. mahl geantwortet worden, ward ich mit Erstaunen gewahr, daß eine gewaltige starcke Wasser-Fluth in dem leeren Wasser-Graben hergeschossen kam, und sich mit gräßlichen Getöse und grausamer Wuth in diejenige Oeffnung hinein stürtzte, wo wir herauf gekommen waren.

[87] So viel ists, Messieurs, sagte hier der Capitain Wolffgang, als ich euch vor dießmahl von meiner Lebens-Geschicht erzehlet haben will, den übrigen Rest werdet ihr bey bequemerer Gelegenheit ohne Bitten erfahren, geduldet euch nur, biß es erstlich Zeit darvon ist. Hiermit nahm er, weil es allbereit ziemlich spät war, Abschied von den andern, mich aber führete er mit in seine Cammer, und sagte: Mercket ihr nun, mein Sohn, Monsieur Eberhard Julius! daß eben diese Gegend, welche ich itzo als ein irrdisches Paradieß gerühmet, dasjenige Gelobte Land ist, worüber euer Vetter, Albertus Julius, als ein Souverainer Fürst regieret? Ach, betet fleißig, daß uns der Himmel glücklich dahin führet, und wir denselben noch lebendig antreffen, denn den weitesten Theil der Reise haben wir fast zurück gelegt, indem wir in wenig Tagen die Linie passiren werden. Hierauf wurde noch ein und anderes zwischen mir und ihm verabredet, worauf wir uns beyderseits zur Ruhe legten.

Es traff ein, was der Capitain sagte, denn 5. Tage hernach kamen wir unter die Linie, allwo doch vor dieses mahl die sonst gewöhnliche excessive Hitze nicht eben so sonderlich war, indem wir unsere ordentliche Kleidung ertragen, und selbige nicht mit leichten Leinwand-Kitteln verwechseln durfften. Unsere Matrosen hingegen vergassen bey dieser Gelegenheit ihre wunderlichen Gebräuche wegen des Tauffens nicht, sondern machten bey einer lächerlichenMasquerade mit denenjenigen, so die Linie zum ersten mahle passirten, und sich [88] nicht mit Gelde lösen wolten, eine gantz verzweiffelte Wäsche, ich nebst einigen andern blieb ungehudelt, weiln wir jeder einenSpecies Thaler erlegten, und dabey angelobten, Zeit Lebens, so offt wir an diesen Ort kämen, die Ceremonie der Tauffe bey den Neulingen zu beobachten.

Die vortrefflich schöne Witterung damahliger Zeit, verschaffte uns, wegen der ungemeinen Windstille, zwar eine sehr langsame, doch angenehme Fahrt, der gröste Verdruß war dieser, daß das süsse Wasser, so wir auf dem Schiffe führeten, gar stinckend und mit eckeln Würmern angefüllet wurde, welches Ungemach wir so lange erdulden musten, biß uns der Himmel an die Insul St. Helenæ führete. Diese Insul ist von gar guten Leuten, Englischer Nation, bewohnt, und konten wir daselbst nicht allein den Mangel des Wassers, sondern auch vieler andern Nothwendigkeiten ersetzen, welches uns von Hertzen wohlgefiel, ohngeacht wir binnen denen 12. Tagen, so wir daselbst zubrachten, den Geld-Beutel beständig in der Hand haben musten.

Wenn der Capitain den wollüstgen Leuten unsers Schiffs hätte zu gefallen leben wollen, so lägen wir vielleicht annoch bey dieser Insul vor Ancker, indem sich auf derselben gewiß recht artig Frauenzimmer antreffen ließ, allein er befand, ehe sich dieselbenruinirten, vor rathsam, abzuseegeln, da wir denn am 15. Octobr. den Tropicum Capricorni passirten, allwo die Matrosen zwar wieder eine neue Tauffe anstelleten, doch nicht so scharffe Lauge gebrauchten, als unter der Linie.

[89] Wenig Tage hernach fiel ein verdrüßliches Wetter ein, und ob es wohl nicht beständig hintereinander her regnete, so verfinsterte doch ein anhaltender gewaltig-dicker Nebel fast die gantze Lufft, und konten wir um Mittags-Zeit die Sonne sehr selten und trübe durch die Wolcken schimmern sehen. Wenn uns der Wind so ungewogen als das Wetter gewesen wäre, hätten wir uns des übelsten zu befürchten gnugsame Ursach gehabt, doch dessen gewöhnliche Wuth blieb in ziemlichen Schrancken, obgleich der Regen und Nebel biß in die dritte Woche anhielt.

Endlich zertheilte sich zu unsern allerseits grösten Vergnügen so wohl Regen als Nebel, indem sich die Sonne unsern Augen in ihrer schönsten Klarheit, der Himmel aber ohne die geringsten Wolcken als ein blau-gemahltes Gewölbe zeigte. Und gewißlich diese Allmachts-Geschöpffe erweckten in uns desto grössere Verwunderung, weil wir ausser denselben sonst nichts sehen konten als unser Schiff, die offenbare See, und dann und wann einige schwimmenden Kräuter. Wir bekamen zwar einige Tage hernach auch verschiedene Seltsamkeiten, nemlich See-Kühe, See-Kälber und See-Löwen, Delphine, rare Vögel und dergleichen zu Gesichte, aber nichts fiel mir mit mehrern Vergnügen in die Augen, als, da der Capitain Wolffgang eines Tages sehr frühe mit aufgehender Sonne mir sein Perspectiv gab, und sagte: Sehet, mein Sohn! dorten von ferne denjenigen Felsen, worauf nächst GOtt eure zeitliche Wohlfahrt gegründet ist. Ich wuste mich vor Freuden fast nicht zu lassen, als ich[90] diesen vor meine Person so glücklichen Ort nur von ferne erblickte, ohngeacht ich nichts wahrnehmen konte, als einen ungeheuern aufgethürmten Stein-Klumpen, welcher auch, je näher wir demselben kamen, desto fürchterlicher schien, doch weil mir derCapitain in Geheim allbereis eine gar zu schöne Beschreibung darvon gemacht hatte, bedünckten mich alle Stunden Jahre zu werden, ehe wir diesem Trotzer der Winde und stürmenden Meeres-Wellen gegen über Ancker wurffen.

Es war am 12. Novemb. 1725. allbereit nach Untergang der Sonnen, da wir in behöriger Weite vor dem Felsen die Ancker sincken liessen, weil sich derCapitain vor den ihm gantz wohlbekandten Sand-Bäncken hütete. So bald dieses geschehen, ließ er kurtz auf einander 3. Canon-Schüsse thun, und bald hernach 3. Raqueten steigen. Nach Verlauff einer Viertheils Stunde musten abermahls 3. Canonen abgefeuert, und bey jedem 2. Raqueten gezündet werden, da denn alsofort von dem Felsen mit dreyen Canonen-Schüssen geantwortet wurde, worbey zugleich 3. Raqueten gegen unser Schiff zugeflogen kamen, welches bey denen, so keinen Bescheid von der Sache hatten, eine ungemeine Verwunderung verursachte. Der Capitain aber ließ noch 6. Schüsse thun, und biß gegen Mitter-Nacht alle Viertel Stunden eine Raquete steigen, auch Lust-Kugeln und Wasser-Kegel in die See spielen, da denn unsern Raqueten allezeit andere von dem Felsen entgegen kamen, um Mitter-Nacht aber von beyden Seiten mit 3. Canonen-Schüssen beschlossen wurde.

[91] Wir legten uns hierauf mehrentheils zur Ruhe, biß auf einige, welche von des Capitains generositeé überflüßig profitiren wolten, und sich theils bey einem Glase Brandtewein, theils bey einer SchaaleCoffeé oder Canarien-Sect noch tapffer lustig machten, biß der helle Tag anbrach. Demnach hatten wir schon ausgeschlaffen, da diese nassen Brüder noch nicht einmahl müde waren. Capitain Wolffgang ließ, so bald die Sonne aufgegangen war, den Lieutenant Horn nebst allen auf dem Schiffe befindlichen Personen zusammen ruffen, trat auf den Oberlof, und that ohngefähr folgende Rede an die sä tlich Versammleten:

Messieurs und besonders gute Freunde! Es kan euch nicht entfallen seyn, was ich mit einem jeden ins besondere, hernach auch mit allen insgesa t öffentlich verabredet, da ich euch theils in meiner Compagnie zu reisen, theils aber in meine würcklichen Dienste aufgenommen habe. Die meisten unter euch haben mir einen ungezwungenen Eyd über gewisse Puncte, die ich ihnen wohl erkläret habe, geschworen, und ich muß euch allen zum immerwährenden Ruhme nachsagen, daß nicht ein eintziger, nur mit der geringsten Gebärde, darwider gehandelt, sondern einer wie der andere, vom grösten biß zum kleinesten, sich dergestalt gegen mich aufgeführet, wie ich von honetten, rechtschaffenen Leuten gehofft habe. Nunmehro aber, lieben Kinder, ist Zeit und Ort vorhanden, da ich nebst denen, die ich darzu auf- und angenommen, von euch scheiden will. Nehmet es mir nicht übel, denn es ist vorhero so mit euch verabredet worden. Sehet, [92] ich stelle euch hier an meine Statt den Lieutenant Philipp Wilhelm Horn zum Capitain vor, ich kenne seine treffliche Conduite, Erfahrenheit im See-Wesen und andere zu solcher Charge erforderliche Meriten, folget meinem Rathe und seinem Anführen in guter Einträchtigkeit, so habt ihr mit Göttl. Hülffe an glücklicher Außführung eures Vorhabens nicht zu zweiffeln. Ich gehe nun an meinen auserwehlten Ort, allwo ich die übrige Zeit meines Lebens, ob GOTT will, in stiller Ruhe hinzu bringen gedencke. GOTT sey mit euch und mir. Ich wünsche euch allen, und einem jeden ins besondere tausendfaches Glück und Seegen, gedencket meiner allezeit im Besten, und seyd versichert, daß ich eure an mir erwiesene Redlichkeit und Treue, allezeit danckbar zu erkennen suchen werde, denn wir können einander in Zukunfft dem ohngeacht wol weiter dienen. Inzwischen da ich mein Schiff nebst allen dem was ihr zur Ost-Indischen Reise nöthig habt, an den Capitain Horn, vermöge eines redlichen Contracts überlassen habe, wird hoffentlich niemand scheel sehen, wenn ich diejenigen Meublen so vor mich allein mitgenommen, davon abführe, hernachmals freundlichen Abschied nehme, und euch ingesammt Göttl. Schutz empfehle.

Man hätte, nachdem der Capitain Wolffgang diese seine kleine Oration gehalten, nicht meinen sollen, wie niedergeschlagen sich alle und jede, auch die sonst so wilden Boots-Knechte bezeugten. Ein jeder wolte der erste seyn, ihn mit Thränenden Augen zu umarmen, dieser fiel ihm um den Halß, jener küssete ihm die Hände, andere Demüthigten sich [93] noch tieffer, so daß er selbst weinen und mit manier Gelegenheit suchen muste, von allen Liebkosungen loß zu kommen. Er hielt hierauff noch eine kleine Rede an den neuen Capitain, stellete ihm das Behörige zum Uberflusse nochmals vor, ließ allen, die sich auf dem Schiffe befunden, abermals Wein und ander starckes, auch gelinderes und lieblicher Geträncke reichen, aus den Canonen aber tapffer Feuer geben. Währender Zeit wurden unsere Sachen von dem Schiffe auf Boote gepackt, und nach und nach hinüber an den Felsen geschafft, womit wir zwey vollkommene Tage zubrachten, ohngeachtet von Morgen biß in die Nacht aller Fleiß angelegt wurde.

Am allerwundersamsten kam es einen jeden vor, daß der Capitain an einem solchen Felsen bleiben wolte, wo weder Graß, Kraut noch Bäume, vielweniger Menschen zu sehen waren, weßwegen sich auch einige nicht enthalten konten, ihn darum zu befragen. Allein er gab ihnen lächelnd zur Antwort: Sorget nicht, lieben Kinder, vor mich und die ich bey mir habe, denn ich weiß, daß uns GOTT wol erhalten kan und wird. Wer von euch in des Capitain Horns Gesellschafft wieder mit zurück kömmt, soll uns, ob GOTT will, wieder zu sehen und zu sprechen kriegen.

Nachdem also alle Personen und Sachen so am Felsen zurück bleiben solten, hinüber geschafft waren, lichtete der Capitain Horn seine Ancker und nahm mit 4. Canonen-Schüssen von uns Abschied, wir danckten ihm gleichfalls aus 4. Canonen die Herr Capitain Wolffgang mit an den Felsen zu [94] bringen befohlen hatte, dieses aber war am vergnüglichsten, daß die unsichtbaren Einwohner des Felsens auch kein Pulver spareten, und damit anzeigten, daß sie uns Bewillko en, jenen aber Glück auf die Reise wünschen wolten.

Kaum hatte sich das Schiff aus unsern Augen verlohren, als, indem sich die Sonne bereits zum Untergange geneiget, die sämtlich Zurückgebliebenen ihre begierigen Augen auf den Capitain Wolffgang worffen, um solchergestat stillschweigend von ihm zu erfahren, was er nunmehro mit uns anfangen wolte? Es bestunde aber unsere gantze Gesellschafft aus folgenden Personen:


1. Der Capitain Leonhard Wolffgang, 45. Jahr alt.

2. Herr Mag. Gottlieb Schmeltzer, 33. Jahr alt.

3. Friedrich Litzberg ein Literatus, der sich meistens auf die Mathematique legte, etwa 30. Jahr alt.

4. Johann Ferdinand Kramer, ein erfahrner Chirurgus, 33. Jahr alt.

5. Jeremias Heinrich Plager, ein Uhrmacher und sonst sehr künstlicher Arbeiter, in Metall und anderer Arbeit, seines Alters 34. Jahr.

6. Philipp Harckert, ein Posamentirer von 23. Jahren.

7. Andreas Klemann, ein Pappiermacher, von 36. Jahren.

8. Willhelm Herrlich, ein Drechsler, 32. Jahr alt.

[95] 9. Peter Morgenthal, ein Kleinschmied, aber dabey sehr künstlicher Eisen-Arbeiter, 31. Jahr alt.

10. Lorentz Wetterling, ein Tuchmacher, 34. Jahr alt.

11. Philipp Andreas Krätzer, ein Müller, 36. Jahr alt.

12. Jacob Bernhard Lademann, ein Tischler, 35. Jahr.

13. Joh. Melchior Garbe, ein Büttner, von 28. Jahren.

14. Nicolaus Schreiner, ein Töpffer-Geselle, von 22. Jahren.

15. Ich, Eberhard Julius, damals alt, 191/2 Jahr.


Was wir an Geräthschafften, Thieren und andern Sachen mit ausgeschifft hatten, wird gehöriges Orts vorkommen, derowegen erinnere nur nochmals das besondere Verlangen so wir allerseits hegten, nicht allein das Gelobte Land, darinnen wir wohnen solten, sondern auch die berühmten guten Leute zu sehen.Capitain Wolffgang merckte solches mehr als zu wohl, sagte derowegen: wir möchten uns nur diese Nacht noch auf dieser Städte zu bleiben gefallen lassen, weiln es ohnedem schon späte wäre, der morgende Tag aber solte der Tag unsers frölichen Einzugs seyn.

Indem er nun wenig Worte verlieren durffte, uns alle nach seinen Willen zu lencken, setzte sich ein Theil der Unsern bey das angemachte Feuer nieder, dahingegen Herr M. Schmeltzer, ich und noch einige mit dem Capitain am Fusse des Felsens spatzieren[96] giengen und den herabschiessenden Wasser-Fluß betrachteten, welches gewiß in dieser hellen Nacht ein besonderes Vergnügen erweckte. Wir hatten uns aber kaum eine halbe Stunde hieran ergötzt, als unsere zurückgelassenen Leute, nebst dreyen Frembden, die grosse Fackeln in den Händen trugen, zu uns kamen.

Ermeldte Frembde hatten bey den Unserigen, nach dem Capitain Wolffgang gefragt, und waren nicht allein dessen Anwesenheit berichtet, sondern auch aus Neugierigkeit biß zu uns begleitet worden. So bald die Frembden den Capitain erblickten, warffen sie sogleich ihre Fackeln zur Erden, und lieffen hinzu, selbigen alle drey auf einmal zu umarmen.

Der Capitain, so die 3. Angekommenen sehr wol kennete, umarmete und küssete einen nach dem andern, worauf er nach kurtz gefasseten Grusse sogleich fragte: Ob der Altvater annoch gesund lebte? Sie beantworteten dieses mit Ja, und baten, er möchte doch alsofort nebst uns allen zu ihm hinauff steigen. Allein der Capitain versetzte: Meine liebsten Freunde! ich will die bey mir habenden Leute nicht zur Nachts-Zeit in diesen Lust-Garten der Welt führen, sondern erwarten, biß Morgen, so GOtt will, die Sonne zu unsern frohen Einzuge leuchtet, und uns denselben in seiner natürlichen Schönheit zeiget. Erlaubet uns solches, fuhr er fort, und empfanget zuförderst diesen euren Bluts-Freund Eberhard Julium, welchen ich aus Teutschland mit anhero geführet habe.

Kaum hatte er diese Worte gesprochen, als sie [97] vor Freuden in die Höhe sprungen, und einer nach dem andern mich umfiengen und küsseten. Nachdem solchergestalt auch alle unsere Reise-Gefährten bewillkommet waren, bat der Capitain meine frembden Vettern, daß einer von ihnen hinauf steigen, dem Altvater seinen Gehorsam vermelden, anbey Erlaubniß bitten solte, daß er Morgen frühe, mit Aufgang der Sonnen, nebst 14. redlichen Leuten bey ihm einziehen dürffe. Es lief also Augenblicklich einer hurtig davon, um diese Commission auszurichten, die übrigen zwey aber setzten sich nebst uns zum Feuer, ein Glaß Canari-Sect zu trincken, und liessen sich vom Capitain erzehlen, wie es uns auf der Reise ergangen sey.

Ich vor meine Person, da in vergangenen 2. Nächten nicht ein Auge zugethan hatte, konte nunmehro, da ich den Hafen meines Vergnügens erreicht haben solte, unmöglich mehr wachen, sondern schlieff bald ein, ermunterte mich auch nicht eher, biß mich derCapitain beym Aufgange der Sonnen erweckte. Meine Verwunderung war ungemein, da ich etliche 30. ansehnliche Männer in frembder doch recht guter Tracht um uns herum sahe, sie umarmeten und küsseten mich alle ordentlich nach einander, und redeten so feines Hoch-Teutsch, als ob sie gebohrne Sachsen wären. Der Capitain hatte indessen das Früh-Stück besorgt, welches in Coffeé, Frantz-Brandtewein, Zucker-Brod und andern Confituren bestund. So bald dieses verzehret war, blieben etwa 12. Mann bey unsern Sachen, die übrigen aber giengen mit uns nach der Gegend des Flusses, bey welchen wir gestern Abend gewesen [98] waren. Ich ersahe mit gröster Verwunderung, daß derselbe gantz trocken war, besonn mich aber bald auf des Capitains vormahlige Erzehlung, mitlerweile stiegen wir, aber ohne fernern Umschweiff, die von dem klaren Wasser gewaschenen Felsen-Stuffen hinauff, und marchirten in einer langen, jedoch mit vielen Fackeln erleuchteten, Felsen-Höle immer aufwärts, biß wir endlich ingesammt als aus einem tieffen Keller, an das helle Tages-Licht herauff kamen.

Nunmehro waren wir einigermassen überzeugt, daß uns der Capitain Wolffgang keine Unwahrheiten vorgeschwatzt hatte, denn man sahe allhier, in einem kleinen Bezierck, das schönste Lust-Revier der Welt, so, daß unsere Augen eine gute Zeit recht starr offen stehen, der Mund aber, vor Verwunderung des Gemüths, geschlossen bleiben muste.

Unsern Seel-Sorger, Herr M. Schmeltzern, traten vor Freuden die Thränen in die Augen, er fiel nieder auf die Knie, um dem Allerhöchsten gebührenden Danck abzustatten, und zwar vor die besondere Gnade, daß uns derselbe ohne den geringsten Schaden und Unfall gesund anhero geführet hatte. Da er aber sahe daß wir gleiches Sinnes mit ihm waren, nahm er seine Bibel, verlaß den 65. und 84. Psalm Davids, welche beyden Psalmen sich ungemein schön hieher schickten, Betete hierauf einige kräfftige Gebete, und schloß mit dem Liede: Nun dancket alle GOTT etc. Unsere Begleiter konten so gut mit singen und beten als wir, woraus sogleich zu muthmassen war, daß sie im Christenthum nicht unerfahren seyn müsten. So bald [99] wir aber dem Allmächtigen unser erstes Opffer auf dieser Insul gebracht, setzten wir die Füsse weiter, nach dem, auf einem grünen Hügel, fast mitten in der Insul liegenden Hause zu, worinnen Albertus Julius, als Stamm-Vater und Oberhaupt aller Einwohner, so zu sagen, residirte.

Es ist unmöglich dem Geneigten Leser auf einmal alles ausführlich zu beschreiben, was vor Annehmlichkeiten uns um und um in die Augen fielen, derowegen habe einen kleinen Grund-Riß der Insul beyfügen wollen, welchen diejenigen, so die Geometrie und Reiß-Kunst besser als ich verstehen, passiren zu lassen, gebeten werden, denn ich ihn nicht gemacht habe, etwa eine eingebildete Geschicklichkeit zu zeigen, sondern nur dem curieusen Leser eine desto bessereIdee von der gantzen Landschafft zu machen. Jedoch ich wende mich ohne weitläufftige Entschuldigungen zu meiner Geschichts-Erzählung, und gebe dem Geneigten Leser zu vernehmen: daß wir fast eine Meilwegs lang zwischen einer Alleé, von den ansehnlichsten und fruchtbarsten Bäumen, die recht nach der Schnur gesetzt waren, fortgiengen, welche sich unten an dem ziemlich hoch erhabenen Hügel endigte, worauf des Alberti Schloß stund. Doch etwa 30. Schritte lang vor dem Ausgange der Alleé, waren die Bäume mit Fleiß dermassen zusammen gezogen, daß sie oben ein rechtes Europäisches Kirchen-Gewölbe formirten, und an statt der schönsten Sommer-Laube dieneten. Unter dieses ungemein propre und natürlich kostbare Verdeck hatte sich der alte Greiß, Albertus Julius, von seiner ordentlichen Behausung [100] herab, uns entgegen bringen lassen, denn er konte damals wegen eines geschwollenen Fusses nicht gut fortkommen. Ich erstaunete über sein Ehrwürdiges Ansehen, und venerablen weissen Bart, der ihm fast biß auf dem Gürtel herab reichte, zu seinen beyden Seiten waren noch 5. ebenfalls sehr alt scheinende Greisse, nebst etlichen andern, die zwar etwas jünger, doch auch 50. biß 60. Jahr alt aussahen. Ausser der Sommer-Laube aber, auf einem schönen grünen und mit lauter Palmen- und Latan-Bäumen umsetzten Platze, war eine ziemliche Anzahl erwachsener Personen und Kinder, alle rechtreputirlich gekleidet, versammlet.

Ich wüste nicht Worte genung zu ersinnen, wenn ich die zärtliche Bewillkommung, und das innige Vergnügen des Albert Julii und der Seinigen vorstellen solte. Mich drückte der ehrliche Alte aus getreuem Hertzen dermassen fest an seine Brust, daß ich die Regungen des aufrichtigen Geblüts sattsam spürte, und eine lange Weile in seinen Armen eingeschlossen bleiben muste. Hierauff stellete er mich als ein Kind zwischen seinen Schooß, und ließ alle Gegenwärtigen, so wol klein als groß herzu ruffen, welche mit Freuden kamen und den Bewillkommungs-Kuß auf meinen Mund und Hand drückten. Alle andern Neuangekommenen wurden mit nicht weniger Freude und Aufrichtigkeit empfangen, so daß die ersten Höfflichkeits-Bezeugungen biß auf den hohen Mittag daureten, worauff wir Einkömmlinge mit dem Albert Julio, und denen 5. Alten, in dem auf dem Hügel liegenden Hause, die Mittags-Mahlzeit einnahmen. Wir wurden[101] zwar nicht Fürstlich, doch in der That auch nicht schlecht tractiret, weiln nebst den 4. recht schmackhafften Gerichten, die in Fleisch, Fischen, gebratenen Vögeln, und einem raren Zugemüse bestunden, die delicatesten Weine, so auf dieser Insul gewachsen waren, aufgetragen wurden. Bey Tische wurde sehr wenig geredet, mein alter Vetter Albert Julius aber, dem ich zur Seite sitzen muste, legte mir stets die allerbesten Bissen vor, und konte, wie er sagte, vor übermäßiger Freude, itzo nicht den vierdten Theil so viel, als gewöhnlich essen. Es war bey diesen Leuten nicht Mode lange zu Tische zu sitzen, derowegen stunden wir nach ordentlicher Ersättigung auf, der Altvater betete nach seiner Gewohnheit, so wol nach als vor Tische selbst, ich küssete ihm als ein Kind die Hand, er mich aber auf den Mund, nach diesen spatziereten wir um das von festen Steinen erbauete Hauß, auf dem Hügel herum, allwo wir bey nahe das gantze innere Theil der Insul übersehen konten, und des Merckwürdigsten auf derselben belehret wurden. Von dar ließ sich Albert Julius auf einem Trag-Sessel in seinen angelegten grossen Garten tragen, wohin wir ingesammt nachfolgeten, und uns über dessen annehmliche, nützliche und künstliche Anlegung nicht wenig verwunderten. Denn diesen Garten, der ohngefehr eine Viertheils Teutsche Meile lang, auch eben so breit war, hatte er durch einen Creutz-Weg in 4. gleiche Theile abgetheilet, in dem ersten quartier nach Osten zu, waren die auserlesensten Fruchtbaren Bäume, von mehr als hundert Sorten, das 2te quartier gegen Süden, hegte vielerley schöne Weinstöcke, welche [102] theils rothe, grüne, blaue, weisse und anders gefärbte extraordinair grosse Trauben und Beeren trugen. Das 3te quartier, nach Norden zu, zeigte unzehlige Sorten von Blumen-Gewächsen, und in dem 4tenquartire, dessen Ecke auf Westen stieß, waren die allernützlichsten und delicatesten Küchen-Kräuter und Wurtzeln zu finden.

Wie brachten in diesem kleinen Paradiese, die Nachmittags-Stunden ungemein vergnügt zu, und kehreten etwa eine Stunde vor Untergang der Sonnen zurück auf die Albertus-Burg, speiseten nach der Mittäglichen Art, und setzten uns hernachmals vor dem Hause auf artig gemachte grüne Rasen Bäncke nieder, allwo Capitain Wolffgang dem Altvater von unserer letzten Reise ein und anderes erzehlte, biß uns die hereinbrechende Nacht erinnerte: Beth-Stunde zu halten, und die Ruhe zu suchen.

Ich muste in einer schönen Kammer, neben des Alberti Zimmer schlaffen, welche ungemein saubermeublirt war, und gestehen, daß Zeit meines Lebens noch nicht besser geruhet hatte, als auf dieser Stelle.

Folgenden Morgen wurden durch einen Canonen-Schuß alle Einwohner der Insul zum Gottesdienst beruffen, da denn Herr M. Schmelzer eine ziemliche lange Predigt über den 122. Psalm hielte, die übrigen Kirchen-Gebräuche aber alle auf Lutherische Art ordentlich in Acht nahm. Den Albert Julium sahe man die gantze Predigt über weinen, und zwar vor grossen Freuden, weiln ihm der Höchste die Gnade verliehen, noch vor seinem [103] Ende einem Prediger von seiner Religion zuzuhören, ja so gar denselben in seiner Bestallung zu haben. Die übrigen versammleten waren dermassen andächtig, daß ich mich nicht erinnern kan, dergleichen jemals in Europa gesehen zu haben.

Nach vollbrachten Gottesdienste, da die Auswärtigen sich alle auf den Weg nach ihren Behausungen gemacht, und wir die Mittags-Mahlzeit eingenommen hatten, behielt Albertus Herrn M. Schmeltzern allein bey sich, um mit demselben wegen künfftiger Kirchen-Ordnung, und anderer die Religion betreffenden höchstnöthigen Anstalten, Unterredung zu pflegen.Monsieur Wolffgang, der itzo durchaus nicht mehrCapitain heissen wolte, ich, und die andern Neuangekommenen, wolten nunmehro bemühet seyn, unsere Packen und übrigen Sachen auf die Insul herauff zu schaffen, welches uns allerdings als ein sehr Beschwerlich Stück Arbeit fürkam, allein, zu unserer grösten Verwunderung und Freude, fanden wir alle unsere Güter in derjenigen grossen Sommer-Laube besammen stehen, wo uns Albertus zuerst bewillkommet hatte. Wir hatten schon gezweiffelt, daß wir binnen 4. biß 5. Tagen alle Sachen herauff zu bringen vermögend seyn würden, und sonderlich stelleten wir uns das Aufreissen der grossen Packe und Schlag-Fässer sehr mühsam vor, wusten aber nicht, daß die Einwohner der Insul, an einem verborgenen Orthe der hohen Felsen, zwey vortrefflich-starcke Winden hatten, durch deren force wohl ein gantzer Fracht-Wagen auf einmal hätte hinauff gezogen werden können.Mons. Litzberg hatte [104] sich binnen der Zeit die Mühe genommen, unser mitgebrachtes Vieh zu besorgen, so aus 4. jungen Pferden, 6. jungen Stücken Rind-Vieh, 6. Schweinen, 6. Schaafen, 2. Böcken, 4. Eseln, 4. Welschen Hünern, 2. Welschen Hähnen, 18. gemeinen Hünern, 3. Hähnen, 6. Gänsen, 6. Endten, 6. Paar Tauben, 4. Hunden, 4. Katzen, 3. Paar Caninichen, und vielerley Gattungen von Canari- und andern artigen Vögeln bestund. Er war damit in die nächste Wohnstädte, Alberts-Raum genannt, gezogen, und hatte bereits die daselbst wohnenden Leute völlig benachrichtiget, was diesem und jenen vor Futter gegeben werden müste. Selbige verrichteten auch in Warheit diese in Europa so verächtliche Arbeit mit gantz besondern Vergnügen, weiln ihnen dergleichen Thiere Zeit ihres Lebens nicht vor die Augen kommen waren.

Andere, da sie merckten, daß wir unsere Sachen gern vollends hinauff in des Alberti Wohnhaus geschafft haben möchten; brachten so fort gantz bequeme Rollwagen herbey, luden auf, was wir zeigten, spanneten zahmgemachte Affen und Hirsche vor, diese zohen es mit Lust den Hügel hinauff, liessen auch nicht eher ab, biß alles unter des Alberti Dach gebracht war.

Immittelst hatte Mons. Wolffgang noch vor der Abend-Mahlzeit das Schlag-Faß, worinnen die Bibeln und andere Bücher waren, aufgemacht, und præsentirte dem alten Alberto eine in schwartzen Sammet eingebundene Bibel, welche aller Orten starck mit Silber beschlagen, und auf dem Schnitt verguldet war.Albertus Küssete dieselbe, [105] drückte sie an seine Brust und vergoß häuffige Freuden-Thränen, da er zumal sahe, daß wir noch einen so starcken Vorrath an dergleichen und andern geistl. Büchern hatten, auch hörete, daß wir dieselben bey ersterer Zusammenkunfft unter die 9. Julischen Familien, (welche dem G. Leser zur Erläuterung dieser Historie, auf besondere, zu Ende dieses Buchs angehefftete Tabellen gebracht worden,) austheilen wolten. Nächst diesem wurden dem Alberto, und denen Alten, noch viele andere köstliche Sachen eingehändiget, die so wol zur Zierde als besonderer Bequemlichkeit gereichten, worüber alle insgesamt eine Verwunderungs- volle Dancksagung abstatteten. Folgenden Tages als an einem Sonnabend, muste ich, auf Mons. Wolffgangs Ersuchen, in einer bequemen Kammer einen vollkommenen Krahm, so wohl von allerhand nützlichen Sachen, als Kindereyen und Spielwerck auslegen, weiln er selbiges unter die Einwohner der Insul vom Grösten biß zum Kleinsten auszutheilen willens war. Mons. Wolffgang aber, ließ indessen die übrigen Dinge, alsVictualien, Instrumenta, Tücher, Leinwand, Kleyder-Geräthe und dergleichen, an solche Orte verschaffen, wo ein jedes vor der Verderbung sicher seyn konte.

Der hierauff einbrechende 25. Sonntag post Trin. wurde früh Morgens bey Aufgang der Sonnen, denenInsulanern zur Andächtigen Sabbats-Feyer, durch 2.Canonen-Schüsse angekündiget. Da sich nun dieselben 2. Stunden hernach ingesammt unter der Albertus-Burg, auf dem mit Bäumen umsetzten grünen Platze versammlet hatten, [106] fieng Herr M. Schmeltzer den Gottesdienst unter freyen Himmel an, und Predigte über das ordentliche Sonntags Evangelium, vom Greuel der Verwüstung, fast über 2. Stunden lang, ohne sich und seine Zuhörer zu ermüden, als welche Letztere alles andere zu vergessen, und nur ihn noch länger zuzuhören begierig schienen. Er hatte gantz ungemeine meditationes über die wunderbaren Wege GOTTES, Kirchen zu bauen, und selbige wiederum zu verwüsten, brachte anbey die application auf den gegenwärtigen Zustand der sämbtlichen Einwohner dieser Insul dermassen beweglich vor, daß, wenn auch die Helffte von den Zuhörern die gröbsten Atheisten gewesen wären, dennoch keiner davon ungerührt bleiben können.

Jedwedes von außwärtigen Zuhörern hatte sich, nach vollendeten Gottesdienste, mit benöthigten Speisen versorgt, wem es aber ja fehlete, der durffte sich nur bey dem Altvater auf der Burg melden, als welcher alle nach Nothdurfft sättigen ließ. Nachmittags wurde abermals ordentlicher Gottesdienst und Catechismus-Examen gehalten, welches über 4. Stunden lang währete, und hätten, nebst Herrn M. Schmeltzern, wir Einkömmlinge nimmermehr vermeynet dieses Orts Menschen anzutreffen, welche in den Glaubens-Articuln so trefflich wohl unterrichtet wären, wie sich doch zu unseren grösten Vergnügen so wol Junge als Alte finden liessen. Da nun auch dieses vorüber war, beredete sich Albertus mit den Aeltesten und Vorstehern der 9. Stämme, und zeigten ihnen den Platz, wo er gesonnen wäre eine Kirche aufbauen zu lassen. Derselbe [107] wurde nun unten an Fusse des Hügels von Mons. Litzbergen, Lademannen und andern Bau-Verständigen ordentlich abgesteckt, worauff Albertus sogleich mit eigenen Händen ein Loch in die Erde grub, und den ersten Grund-Stein an denjenigen Orth legte, wo der Altar solte zu stehen kommen. Die Aeltesten und Vorsteher gelobten hierbey an, gleich morgenden Tag Anstalten zu machen, daß die benöthigten Bau-Materialien eiligst herbey geschafft würden, und an fleißigen Arbeitern kein Mangel seyn möchte. Worauff sich bey herannahenden Abende jedes nach seiner Wohnstätte begab. Albertus, der sich wegen so viel erlebten Vergnügens gantz zu verjüngern schiene, war diesen Abend absonderlich wohl aufgeräumt, und ließ sich aus dem Freuden-Becher unsern mitgebrachten Canari-Sect hertzlich wohl schmecken, doch so bald er dessen Kräffte nur in etwas zu spüren begunte, brach er so wohl als wir ab, und sagte: Meine Kinder, nunmehro hat mich der Höchste bey nahe alles erleben lassen, was ich auf dieser Welt in zeitlichen Dingen gewünschet, da aber mercke, daß ich noch bey ziemlichen Kräfften bin, habe mir vorgenommen die übrige Zeit meines Lebens mit solchen Verrichtungen hin zu bringen, die meinen Nachkommen zum zeitlichen und ewigen Besten gereichen, diese Insul aber in den beglücktesten Zustand setzen können.

Demnach bin ich gesonnen, in diesem meinem kleinen Reiche eine General-Visitation zu halten, und, so GOTT will, morgenden Tag damit den Anfang zu machen, Monsieur Wolffgang wird, [108] nebst allen neu angekommenen, mir die Gefälligkeit erzeigen und mit reisen. Wir wollen alle Tage eine Wohnstatt von meinen Abstammlingen vornehmen, und ihren jetzigen Zustand wol erwegen, ein jeder mag sein Bedencken von Verbesserung dieser und jener Sachen aufzeichnen, und hernach auf mein Bitten an mich liefern, damit wir ingesammt darüber rathschlagen können. Wir werden in 9. aufs längste in 14. Tagen damit fertig seyn, und hernach mit desto bessern Verstande die Hände an das Werck unserer geistlichen und leiblichen Wohlfahrt legen. Nach unserer Zurückkunfft aber, will ich alle Abend nach der Mahlzeit ein Stück von meiner Lebens-Geschicht zu erzehlen Zeit anwenden, hierauff Beth-Stunde halten, und mich zur Ruhe legen.

Monsieur Wolffgang nahm diesen Vorschlag so wol als wir mit grösten Vergnügen an, wie denn auch gleich folgenden Morgen mit aufgehender Sonne, nach gehaltener Morgen-Gebets-Stunde, Anstalt zum Reisen gemacht wurde. Albertus, Herr M. Schmeltzer, Mons. Wolffgang und ich, sassen beysammen auf einem artigen Wagen, welcher von 4. Zahm gemachten Hirschen gezogen wurde, unsere übrige Gesellschafft aber folgte mit Lust zu Fusse nach. Der erste und nächste Ort den wir besuchten, war die Wohnstatt, Alberts-Raum genannt, es lag gleich unter derAlberts-Burg nach Norden zu, gerade zwischen den zweyen gepflantzten Alleen, und bestund aus 21. Feuerstätten, wohlgebaueten Scheunen, Ställen und Gärten, doch hatten die guten Leute ausser einer wunderbaren [109] Art von Böcken, Ziegen und Zahmgemachten Hirschen, weiter kein ander Vieh. Wir traffen daselbst alles in der schönsten Haußhaltungs-Ordnung an, indem die Alten ihre Arbeit auf dem Felde verrichteten, die jungen Kinder aber von den Mittlern gehütet und verpfleget wurden. Nachdem wir die Wohnungen in Augenschein genommen, trieb uns die Neugierigkeit an, das Feld, und die darauff Arbeiteten, zu besehen, und fanden das Erstere trefflich bestellt, die Letzten aber immer noch fleißiger daran bauen. Um Mittags-Zeit aber wurden wir von ihnen umringet, in ihre Wohnstatt geführet, gespeiset, getränckt, und von dem grösten Hauffen nach Hause begleitet. MonsieurWolffgang schenckte dieser Albertinischen Linie 10. Bibeln, 20. Gesang- und Gebeth-Bücher, ausser den verschiedene nützlichen, auch Spiel-Sachen vor die Kinder, und befahl, daß diejenigen so etwa leer ausgiengen, selbsten zu ihm kommen, und das Ihrige abholen möchten.

Nachdem wir nun von diesen Begleitern mit freudigem Dancke verlassen worden, und bey Alberto die Abend-Mahlzeit eingenommen hatten, ließ dieser Alt-Vater sonst niemand, als Herr Mag. Schmeltzern, Mons. Wolffgangen und mich, in seiner Stube bleiben, und machte den Anfang zu seiner Geschichts-Erzehlung folgendermassen.

Ich Albertus Julius, bin anno 1628. den 8. Januar. von meiner Mutter Maria Elisabetha Schlüterin zur Welt gebohren worden. Mein Vater, Stephanus Julius, war der Unglückseeligste Etaats-Bediente [110] eines gewissen Printzen in Teutschland, indem er in damaliger heftiger Kriegs-Unruhe seines Herren Feinden in die Hände fiel, und weil er seinem Fürsten, vielweniger aber seinem GOTT ungetreu werden wolte, so wurde ihm unter dem Vorwande, als ob er, in seinen Briefen an den Fürsten, den respect gegen andere Potentaten beyseit gesetzt, der Kopf gantz heimlicher und desto mehr unschuldiger Weise vor die Füsse gelegt, mithin meine Mutter zu einer armen Wittbe, 2. Kinder aber zu elenden Wäysen gemacht. Ich gieng dazumal in mein sechstes, mein Bruder Johann Balthasar aber, in sein vierdtes Jahr, weiln wir aber unsern Vater, der beständig bey dem Printzen in Campagne gewesen, ohnedem sehr wenig zu Hause gesehen hatten, so war unser Leydwesen, damaliger Kindheit nach, nicht also beschaffen, als es der jämmerlich starcke Verlust, den wir nachhero erstlich empfinden lerneten, erforderte, ob schon unsere Mutter ihre Wangen Tag und Nacht mit Thränen benetzte.

Meines Vaters Principal, welcher wol wuste, daß mein Vater ein schlechtes Vermögen würde hinterlassen haben, schickte zwar an meine Mutter 800 Thlr. rückständige Besoldung, nebst der Versicherung seiner beständigen Gnade, allein das Kriegs-Feuer gerieth in volle Flammen, der Wohlthätige Fürst wurde weit von uns getrieben, der Todt raubte die Mutter, der Feind das übrige blutwenige Vermögen, alle Freunde waren zerstreuet, also wusten ich und mein Bruder sonst kein ander Mittel, als den Bettel-Stab zu ergreiffen.

[111] Wir musten also bey nahe anderthalb Jahr, das Brod vor den Thüren suchen, von einem Dorffe und Stadt zur andern wandern, und letztlich fast gantz ohne Kleider einher gehen, biß wir ohnweit Naumburg auf ein Dorff kamen, allwo sich die Priester-Frau über uns erbarmete, ihren Kindern die alten Kleider vom Leibe zog, und uns damit bekleidete, ehe sie noch gefragt, woher, und weß Standes wir wären. Der Priester kam darzu, lobte seiner Frauen Mitleyden und redliche Wohlthaten, erhielt aber, auf sein Befragen von mir, zulänglichen Bericht wegen unsers Herkommens, weil ich dazumal schon 10. Jahr alt war, und die betrübte Historie von meinen Eltern ziemlich gut zu erzehlen wuste.

Der redliche Geistliche, welcher vielleicht nunmehro schon seit vielen Jahren unter den Seeligen, als des Himmels-Glantz leuchtet, mochte vielleicht von den damaligen Läufften, und sonderlich von meines Vaters Begebenheiten, mehrere Nachricht haben als wir selbst, schlug derowegen seine Hände und Augen gen Himmel, führete uns arme Wäysen in sein Hauß, und hielt uns nebst seinen 3. Kindern so wol, als ob wir ihnen gleich wären. Wir waren 2. Jahr bey ihm gewesen, und hatten binnen der Zeit im Christenthum, Lesen, Schreiben und andern studien, unserm Alter nach, ein ziemliches profitiret, worüber er nebst seiner Liebsten eine sonderliche Freude bezeigte, und ausdrücklich sagte: daß er sich unsere Aufnahme niemals gereuen lassen wolte, weiln er augenscheinlich gespüret, daß ihn GOTT seit der Zeit, an zeitlichen Gütern [112] weit mehr als sonsten gesegnet hätte; doch da wenig Wochen hernach sein Befreundter, ein Amtmann aus dem Braunschweigischen, diesen meinen bißherigen Pflege-Vater besuchte, an meinem stillen Wesen einen Gefallen hatte, meine 12. jährige Person von seinem Vetter ausbat, und versicherte, mich, nebst seinen Söhnen, studiren zu lassen, mithin den Mitleidigen Priesters-Leuten die halbe Last vom Halse nehmen wolte; liessen sich diese bereden, und ich muste unter Vergiessung häuffiger Thränen von ihnen und meinem lieben Bruder Abschied nehmen, mit dem Amtmanne aber ins Braunschweigische reisen. Daselbst nun hatte ich die ersten 2. Jahre gute Zeit, und war des Amtmanns Söhnen, die doch alle beyde älter als ich, auch im Studiren weit voraus waren, wo nicht vor- doch gantz gleich gekommen. Dem ohngeacht vertrugen sich dieselben sehr wohl mit mir, da aber ihre Mutter starb, und statt derselben eine junge Stieff-Mutter ins Hauß kam, zog zugleich der Uneinigkeits-Teuffel mit ein. Denn diese Bestie mochte nicht einmahl ihre Stieff-Kinder, vielweniger mich, den sie nur den Bastard und Fündling nennete, gern um sich sehen, stifftete derowegen immerfort Zanck und Streit unter uns, worbey ich jederzeit das meiste leiden muste, ohngeacht ich mich so wohl gegen sie als andere auf alle ersinnliche Art demüthigte. Der Informator, welcher es so hertzlich wohl mit mir meinete, muste fort, an dessen Stelle aber schaffte die regierende Domina einen ihr besser anständigen Studenten herbey. Dieser gute Mensch war kaum zwey [113] Wochen da, als wir Schüler merckten, daß er im Lateinischen, Griechischen, Historischen, Geographischen und andern Wissenschafften nicht um ein Haar besser beschlagen war, als die, so von ihm lernen solten, derowegen klappte der Respect, welchen er doch im höchsten Grade verlangte, gar schlecht. Ohngeacht aber der gute Herr Præceptor uns keinenAutorem vor-exponiren konte; so mochte er doch der Frau Amtmännin des Ovidii Libr. de arte amandi desto besser zu erklären wissen, indem beyde die Privat-Stunden dermassen öffentlich zu halten pflegten, daß ihre freye Aufführung dem Amtmanne endlich selbst Verdacht erwecken muste.

Der gute Mann erwehlete demnach mich zu seinem Vertrauten, nahm eine verstellete Reise vor, kam aber in der Nacht wieder zurück unter das Kammer-Fenster, wo der Informator nebst seinen Schülern zu schlaffen pflegte. Dieser verliebte Venus-Professor stund nach Mitternacht auf, der Frau Amtmännin eine Visite zu geben. Ich, der, ihn zu belauschen, noch kein Auge zugethan hatte, war der verbothenen Zusammenkunfft kaum versichert, als ich dem, unter dem Fenster stehenden Amtmanne das abgeredete Zeichen mit Husten und Hinunterwerffung meiner Schlaff-Mütze gab, welcher hierauf nicht gefackelt, sondern sich in aller Stille ins Hauß herein practiciret, Licht angeschlagen, und die beyden verliebten Seelen, ich weiß nicht in was vor positur, ertappet hatte.

Es war ein erbärmlich Geschrey in der Frauen Cammer, so, daß fast alles Hauß-Gesinde herzu [114] gelauffen kam, doch da meine Mit-Schüler, wie die Ratzen, schlieffen, wolte ich mich auch nicht melden, konte aber doch nicht unterlassen, durch das Schlüssel-Loch zu gucken, da ich denn gar bald mit Erstaunen sahe, wie die Bedienten dem Herrn Præceptor halb todt aus der nächtlichen Privat-Schule heraus schleppten. Hierauf wurde alles stille, der Amtmann ging in seine Schreibe-Stube, hergegen zeigte sich die Frau Amtmännin mit blutigen Gesichte, verwirrten Haaren, hinckenden Füssen, ein groß Messer in der Hand haltend auf dem Saale, und schrye: Wo ist der Schlüssel? Albert muß sterben, dem verfluchten Albert will ich dieses Messer in die Kaldaunen stossen.

Mir wurde grün und gelb vor den Augen, da ich diese höllische Furie also reden hörete, jedoch der Amtmann kam, einen tüchtigen Prügel in der rechten, einen blossen Degen aber in der lincken Hand haltend, und jagte das verteuffelte Weib zurück in ihre Cammer. Dem ohngeacht schrye sie doch ohn Unterlaß: Albert muß sterben, ja der Bastard Albert muß sterben, ich will ihn entweder selbst ermorden, oder demjenigen hundert Thaler geben, wer dem Hunde Gifft eingiebt.

Ich meines Orts gedachte: Sapienti sat! kleidete mich so hurtig an, als Zeit meines Lebens noch nicht geschehen war, und schlich in aller Stille zum Hause hinaus.

Das Glücke führete mich blindlings auf eine grosse Heer-Strasse, meine Füsse aber hielten sich so hurtig, daß ich folgenden Morgen um 8. Uhr die Stadt Braunschweig vor mir liegen sahe. Hunger [115] und Durst plagten mich, wegen der gethanen starcken Reise, gantz ungemein, doch da ich nunmehro auf keinem Dorffe, sondern in Braunschweig einzukehren gesonnen war, tröstete ich meinen Magen immer mit demjenigen 24. Marien-Groschen-Stücke, welches mir der Amtmann vor 2. Tagen geschenckt, als ich mit ihm aus Braunschweig gefahren, und dieses vor mich so fatale Spiel verabredet hatte.

Allein, wie erschrack ich nicht, da mir das helle Tages-Licht zeigte, daß ich in der Angst unrechte Hosen und anstatt der Meinigen des Herrn Præceptoris seine ergriffen. Wiewohl, es war mir eben nicht um die Hosen, sondern nur um mein schön Stücke Geld zu thun, doch ich fand keine Ursache, den unvorsichtigen Tausch zu bereuen, weil ich in des Præceptors Hosen bey nahe 6. Thlr. Silber-Geld, und über dieses einen Beutel mit 30. spec. Ducaten fand. Demnach klagte ich bey meiner plötzlichen Flucht weiter nichts, als daß mir nicht erlaubt gewesen, von dem ehrlichen Amtmanne, der an mir als ein treuer Vater gehandelt, mündlich danckbarn Abschied zu nehmen. Doch ich that es schrifftlich desto nachdrücklicher, entschuldigte mein Versehen wegen der vertauschten Hosen aufs beste, kauffte mir in Braunschweig die nöthigsten Sachen ein, dung mich auf die geschwinde Post, und fuhr nach Bremen, allwo ich von der beschwerlichen und ungewöhnlich weiten Reise sattsam auszuruhen willens hatte.

Warum ich nach Bremen gereiset war? wuste ich mir selbst nicht zu sagen. Ausser dem, daß es die[116] erste fortgehende Post war, die mir in Braunschweig aufstieß, und die ich nur deßwegen nahm, um weit genung hinweg zu kommen, es mochte auch seyn wo es hin wolte. Ich schätzte mich in meinen Gedancken weit reicher als den grossen Mogol, ließ derowegen meinem Leibe an guten Speisen und Geträncke nichts mangeln, schaffte mir ein ziemlich wohl conditionirtes Kleid, nebst guter Wäsche und andern Zubehör an, behielt aber doch noch etliche 40. Thlr. Zehrungs-Geld im Sacke, wovon ich mir so lange zu zehren getrauete, biß mir das Glück wieder eine Gelegenheit zur Ruhe zeigte, denn ich wuste mich selbst nicht zuresolviren, was ich in Zukunfft vor eine Profession oder Lebens-Art erwehlen wolte, da wegen der annoch lichterloh brennenden Krieges-Flamme eine verdrüßliche Zeit in der Welt war, zumahlen vor einen, von allen Menschen verlassenen, jungen Purschen, der erstlich in sein 17des Jahr ging, und am Soldaten-Leben den greulichsten Eckel hatte.

Eines Tages ging ich zum Zeitvertreibe vor die Stadt spatzieren, und gerieth unter 4. ansehnliche junge Leute, welche, vermuthlich in Betracht meiner guten Kleidung, zierlicher Krausen und Hosen-Bänder, auch wohl des an der Seite tragenden Degens, sehr viel Achtbarkeit vor meine Person zeigten, und nach langen Herumgehen, mich zu sich in ein Wein-Hauß nöthigten. Ich schätzte mir vor eine besondere Ehre, mit rechtschaffenen Kerlen ein Glaß Wein zu trincken, ging derowegen mit, und that ihnen redlich Bescheid. So bald aber der Wein die Geister in meinem Gehirne etwas rege [117] gemacht hatte, mochte ich nicht allein mehr von meinem Thun und Wesen reden, als nützlich war, sondern beging auch die grausame Thorheit, alles mein Geld, so ich im Leben hatte, heraus zu weisen. Einer von den 4. redlichen Leuten gab sich hierauf vor den Sohn eines reichen Kauffmanns aus, und versprach mir, unter dem Vorwande einer besondern auf mich geworffenen Liebe, die besteCondition von der Welt bey einem seiner Anverwandten zu verschaffen, weiln derselbe einen Sohn hätte, dem ich meine Wissenschafften vollends beybringen, und hernach mit ihm auf die Universität nach Leyden reisen solte, allwo wir beyde zugleich, ohne daß es mich einen Heller kosten würde, die gelehrtesten Leute werden könten. Er tranck mir hier auf Brüderschafft zu, und mahlete meinen vom Wein-Geist benebelten Augen vortreffliche Lufft-Schlösser vor, biß ich mich dermassen aus dem Zirckel gesoffen hatte, daß mein elender Cörper der Länge lang zu Boden fiel.

Der hierauf folgende Morgen brachte sodann meine Vernunfft in etwas wieder zurücke, indem ich mich gantz allein, auf einer Streu liegend, vermerckte. Nachdem ich aufgestanden, und mich einiger massen wieder in Ordnung gebracht hatte, meine Taschen aber alle ausgeleeret befand, wurde mir verzweiffelt bange. Ich ruffte den Wirth, fragte nach meinem Gelde und andern bey mir gehabten Sachen, allein er wolte von nichts wissen, und kurtz zu sagen: Es lieff nach genauer Untersuchung dahinaus, daß ich unter 4. Spitzbuben gerathen, welche zwar gestern Abend die Zeche bezahlt, [118] und wiederzukommen versprochen, doch biß itzo ihr Wort nicht gehalten, und allem Ansehen nach mich beschneutzet hätten.

Also war derjenige Schatz, den ich unverhofft gefunden, auch unverhofft wieder verschwunden, indem ich ausser den angeschafften Sachen, die in meinem Quartiere lagen, nicht einen blutigen Heller mehr im Beutel hatte. Ich blieb zwar noch einige Stunden bey dem Weinschencken sitzen, und hoffte auf der Herrn Sauff-Brüder fröliche Wiederkunfft, allein, mein Warten war vergebens, und da der Wirth gehöret, daß ich kein Geld mehr zu versauffen hatte, gab er mir noch darzu scheele Gesichter, weßwegen ich mich eben zum Hinweggehen bereiten wolte, als ein ansehnlicher Cavalier in die Stube trat, und ein Glaß Wein forderte. Er sagte mit einer freundlichen Mine, doch schlecht deutschen Worten zu mir: Mein Freund, gehet meinetwegen nicht hinweg, denn ich sitze nicht gern allein, sondern spreche lieber mit Leuten. Mein Herr! gab ich zur Antwort, ich werde an diesem mir unglückseligen Orte nicht länger bleiben können, denn man hat mich gestern Abend allhier verführet, einen Rausch zu trincken, nachdem ich nun darüber eingeschlaffen, ist mir alles mein Geld, so ich bey mir gehabt, gestohlen worden. Bleibet hier wiederredete er, ich will vor euch bezahlen, doch erweiset mir den Gefallen, und erzehlet umständlicher, was euch begegnet ist. Weiln ich nun einen starcken Durst verspürete, ließ ich mich nicht zweymahl nöthigen, sondern blieb da, und erzehlete dem Cavalier meine gantze Lebens-Geschicht von [119] Jugend an, biß auf selbige Stunde. Er bezeigte sich ungemein vergnügt dabey, und belachte nichts mehr als des Præceptors Liebes-Avantüre, nebst dem wohlgetroffenen Hosen-Tausche. Wein und Confect ließ er genung bringen, da er aber merckte, daß ich nicht viel trincken wolte, weiln in dem gestrigen Rausche eine Haare gefunden, welche mir alle die andern auf dem Kopffe verwirret, ja mein gantzes Gemüthe in tieffe Trauer gesetzt hatte, sprach er: Mein Freund! habt ihr Lust in meine Dienste zu treten, so will ich euch jährlich 30. Ducaten Geld, gute Kleidung, auch Essen und Trincken zur Gnüge geben, nebst der Versicherung, daß, wo ihr Holländisch und Englisch reden und schreiben lernet, eure Dienste in weiter nichts als Schreiben bestehen sollen.

Ich hatte allbereit so viel Höflichkeit und Verstand gefasset, daß ich ihm augenblicklich die Hand küssete, und mich mit Vergnügen zu seinem Knechte anboth, wenn er nur die Gnade haben, und mich ehrlich besorgen wolte, damit ich nicht dürffte betteln gehen. Hierauf nahm er mich sogleich mit in sein Quartier, ließ meine Sachen aus dem Gast-Hofe holen, und behielt mich in seinen Diensten, ohne daß ich das geringste thun durffte, als mit ihm herum zu spatziren, weiln er ausser mir noch 4. Bedienten hatte.

Ich konte nicht erfahren, wer mein Herr seyn möchte, biß wir von Bremen ab und in Antwerpen angelanget waren, da ich denn spürete, daß er eines reichen Edelmanns jüngster Sohn sey, der sich bereits etliche Jahr in Engelland aufgehalten [120] hätte. Meine Verrichtungen bey ihm, bestunden anfänglich fast in nichts, als im guten Essen und Trincken, da ich aber binnen 6. Monathen recht gut Engell- und Holländisch reden und schreiben gelernet, muste ich diejenigen Briefe abfassen und schreiben, welche mein Herr in seines Herrn Vaters Affairen öffters selbst schreiben solte. Er warff wegen meiner Fähigkeit und besondern Dienst-Geflissenheit eine ungemeine Liebe auf mich, erwehlete auch, da er gleich im Anfange des Jahrs 1646. abermahls nach Engelland reisen muste, sonsten niemanden als mich zu seinem Reise-Gefährten. Was aber das nachdencklichste war, so muste ich, ehe wir auf dem Engelländischen Erdreich anlangeten, in Weibes-Kleider kriechen, und mich stellen, als ob ich meines Herrn Ehe-Frau wäre. Wir gingen nach Londen, und logirten daselbst in einem Gast-Hofe, der das Castell von Antwerpen genannt war, ich durffte wenig aus dem Hause kommen, hergegen brachte mein Herr fast täglich fremde Mannes-Personen mit sich in sein Logis, worbey ich meine Person dermassen wohl zu spielen wuste, daß jedermann nicht an ders vermeynte, als, ich sey meines Herrn junges Ehe-Weib. Zu seiner und meiner Aufwartung aber, hatte er zwey Englische Mägdgen und 4. Laqueyen angenommen, welche uns beyde nach Hertzens Lust bedieneten.

Nachdem ich nun binnen etlichen Wochen aus dem Grunde gelernet hatte, die Person eines Frauenzimmers zu spielen, sagte mein Herr eines Tages zu mir: Liebster Julius, ich werde euch morgenden [121] Nachmittag, unter dem Titul meines Eheweibes, in eine gewisse Gesellschafft führen, ich bitte euch sehr,studiret mit allem Fleiß darauf, wie ihr mir alle behörige Liebkosungen machen wollet, denn mein gantzes Glück beruhet auf der Comœdie, die ich itzo zu spielen genöthiget bin, nehmet einmahl die Gestalt eurer Amtmanns-Frau an, und caressiret mich also, wie jene ihren Mann vor den Leuten, den Præceptor aber mit verstohlenen Blicken caressiret hat. Seyd nochmahls versichert, daß an dieser lächerlich-scheinenden Sache mein gantzes Glücke und Vergnügen hafftet, welches alles ich euch redlich mit geniessen lassen will, so bald nur unsere Sachen zu Stande gebracht sind. Ich wolte euch zwar von Hertzen gern das gantze Geheimniß offenbaren, allein verzeihet mir, daß es biß auf eine andere Zeit verspare, weil mein Kopff itzo gar zu unruhig ist. Machet aber eure Dinge zu unserer beyder Vergnügen morgendes Tages nur gut.

Ich brachte die gantze hierauf folgende Nacht mit lauter Gedancken zu, um zu errathen, was doch immermehr mein Herr mit dergleichen Possen ausrichten wolte; doch weil ich den Endzweck zu ersinnen, unvermögend war, ihm aber versprochen hatte, allen möglichsten Fleiß anzuwenden, nach seinem Gefallen zu leben, machte sich mein Gemüthe endlich den geringsten Kummer aus der Sache, und ich schlieff gantz geruhig ein.

Folgendes Tages, nachdem ich fast den gantzen Vormittag unter den Händen zweyer alter Weiber, die mich recht auf Engelländische Art ankleideten, [122] zugebracht hatte, wurden mein Herr und ich auf einen neu-modischen Wagen abgeholet, und 3. Meilen von der Stadt in ein propres Garten-Hauß gefahren. Daselbst war eine vortreffliche Gesellschafft vorhanden, welche nichts beklagte, als daß des Wohlthäters Tochter, Jungfer Concordia Plürs, von dem schmertzlichen Kopff-Weh bey uns zu seyn verhindert würde. Hergegen war ihr Vater, als unser Wirth, nebst seiner Frauen, 3. übrigen Töchtern und 2. Söhnen zugegen, und machten sich das gröste Vergnügen, die ankommenden Gäste zu bewirthen. Ich will diejenigen Lustbarkeiten, welche uns diesen und den folgenden Tag gemacht wurden, nicht weitläufftig erwehnen, sondern nur so viel sagen, daß wir mit allerley Speisen und Geträncke, Tantzen, Springen, Spat ziren-gehen und Fahren, auch noch andern Zeitvertreibungen, allerley Abwechselung machten. Ich merckte, daß die 3. anwesenden schönen Töchter unseres Wohlthäters von vielen Liebhabern umgeben waren, mein Herr aber bekümmerte sich um keine, sondern hatte mich als seine Schein-Frau mehrentheils an der Seite, liebkoseten einander auch dermassen, daß ein jeder glauben muste, wir hielten einander als rechte Ehe-Leute von Hertzen werth. Einsmahls aber, da mich mein Herr im Tantze vor allen Zuschauern recht hertzlich geküsset, und nach vollführten Tantze an ein Fenster geführet hatte, kam ein junger artiger Kauffmann herzu, und sagte zu meinem Liebsten: Mein Herr van Leuven, ich verspüre nunmehro, daß ihr mir die Concordia Plürs mit [123] gutem Recht gönnen könnet, weil ihr an dieser eurer Gemahlin einen solchen Schatz gefunden, den euch vielleicht viele andere Manns-Personen mißgönnen werden. Mein liebster Freund, antwortete mein Heer, ich kan nicht läugnen, daß ich eure Liebste, die Concordiam, von Grund der Seelen geliebet habe, und sie nur noch vor weniger Zeit ungemein gern zur Gemahlin gehabt hätte, weiln aber unsere beyden Väter, und vielleicht der Himmel selbst nicht in unsere Vermählung einwilligen wolten; so habe nur vor etliche Monathen meinen Sinn geändert, und mich mit dieser Dame verheyrathet, bey welcher ich alle diejenigen Tugenden gefunden habe, wel che ihr als Bräutigam vielleicht in wenig Tagen bey der Concordia finden werdet. Ich vor meine Person wünsche zu eurer Vermählung tausendfaches Vergnügen, und zwar so, wie ich dasselbe mit dieser meiner Liebsten beständig geniesse, beklage aber nichts mehr, als daß mich meine Angelegenheiten so eilig wiederum nach Hause treiben, mithin verhindern, eurer Hochzeit, als ein fröhlicher Gast, beyzuwohnen.

Der junge Kauffmann stutzte, und wolte nicht glauben, daß der Herr von Leuven so bald nach Antwerpen zurück kehren müsse, da er aber den Ernst vermerckte, und seinen vermeinten Schwieger-VaterPlürs, unsern Wohlthäter, herzu ruffte, ging es an ein gewaltiges Nöthigen, jedoch der Herr von Leuven blieb nach vielen dargethanen Entschuldigungen bey seinem Vorsatze, morgenden Mittag abzureisen, und nahm schon im Voraus von der gantzen Gesellschafft Abschied.

[124] Es war die gantze Land-Lust auf 8. Tage lang angestellet, da aber wir nur den 3ten Tag abgewartet hatten, und fort wolten, erbothen sich die meisten uns das Geleite zu geben, allein der Herr von Leuven nebst denen Hoffnungs- vollen Schwieger-Söhnen des Herrn Plürs brachten es durch vieles Bitten dahin, daß wir des folgenden Tages bey Zeiten abreisen durfften, ohne von jemand begleitet zu werden, dahero die gantze Gesellschafft ohngestöhrt beysammen blieb.

So bald wir wiederum in Londen in unsern Quartier angelanget waren, ließ mein Herr einen schnellen Post-Wagen holen, unsere Sachen in aller Eil aufpacken, und Tag und Nacht auf Douvres zu jagen, allwo wir des andern Abends eintraffen, unsere Sachen auf ein parat liegendes Schiff schafften, und mit guten Winde nach Calais abfuhren.

Vor selbigen Hafen wartete allbereit ein ander Schiff, weßwegen wir uns nebst allen unsern Sachen dahinein begaben, das vorige Schiff zurück gehen liessen, und den Weg nach Ost-Indien erwehleten. Es war allbereit Nacht, da ich in das neue Schiff einstieg, allwo mich der Herr von Leuven bey der Hand fassete, und in eine Cammer führete, worinnen eine ungemein schöne Weibs-Person bey einer jungen 24. jährigen Manns Person saß. Mein liebster Albert Julius! sagte der Herr von Leuven zu mir, nunmehro ist der Haupt-Actus von unserer gespielten Comœdie zum Ende, sehet, dieses ist Concordia Plürs, das schönste Frauenzimmer, welches ihr gestern [125] vielmahls habt erwehnen hören. Kurtz, es ist mein liebster Schatz, dieser bey ihr sitzende Herr ist ihr Bruder, wir reisen nach Ceylon, und hoffen daselbst unser vollkommenes Vergnügen zu finden, ihr aber, mein lieber Julius, werdet euch gefallen lassen, an allen unsern Glücks-und Unglücks-Fällen gleichen Theil zu nehmen, denn wir wollen euch nicht verlassen, sondern, so GOtt will, in Ost-Indien reich und glücklich machen.

Ich küssete dem Herrn von Leuven die Hand, grüssete die nunmehro bekandten Frembden, wünschte Glück zu ihren Vorhaben, und versprach als ein treuer Diener von ihnen zu leben und zu sterben.

Wenige Tage hierauf ließ sich der Herr van Leuven mit mir in grössere Vertraulichkeit ein, da ich denn aus seinen Erzehlungen umständlich erfuhr, daß seine Sachen folgende Beschaffenheit hatten: Der alte Herrvan Leuven war unter den Kriegs-Völckern der vereinigten Niederländer, seit vielen Jahren, als ein hoherOfficier in Diensten gewesen, und hatte in einer blutigen Action den rechten Arm eingebüsset, weßwegen er das Soldaten-Handwerck niedergelegt, und in Antwerpen ein geruhiges Leben zu führen getrachtet; weil er ein Mann, der grosse Mittel besaß. Seine 3. ältesten Söhne suchten dem ohngeacht ihr Glück unter den Kriegs-Fahnen und auf den Kriegs-Schiffen der vereinigten Niederländer, der jüngste aber, als mein gütiger Herr, Carl Franz van Leuven, blieb bey dem Vater, solte ein Staats-Mann werden, und wurde deßwegen in seinen besten Jahren hinüber [126] nach Engelland geschickt, allwo er nicht allein in allen Adelichen Wissenschafften vortrefflich zunahm, sondern auch seines Vaters Engelländisches Negotium mit ungemeiner Klugheit führete. Hierbey aber verliebt er sich gantz ausserordentlich in die Tochter eines Englischen Kauffmanns, Plürs genannt, erweckt durch sein angenehmes Wesen bey derselben eine gleichmäßige Liebe. Kurtz zu sagen, sie werden vollkommen unter sich eins, schweren einander ewige Treue zu, undMons. van Leuven zweiffelt gar nicht im geringsten, so wohl seinen als der Concordiæ Vater dahin zu bereden, daß beyde ihren Willen zur baldigen Ehe-Verbindung geben möchten. Allein, so leicht sie sich anfangs die Sachen auf beyden Seiten einbilden, so schwer und sauer wird ihnen nachhero der Fortgang gemacht, denn der alte Herr van Leuven hatte schon ein reiches Adeliches Fräulein vor seinen jüngsten Sohn ausersehen, wolte denselben auch durchaus nicht aus dem Ritter-Stande heyrathen lassen, und der Kauffmann Plürs entschuldigte seine abschlägige Antwort damit, weil er seine jüngste Tochter, Concordiam, allbereit in der Wiege an eines reichen Wechslers Sohn versprochen hätte. Da aber dennochMons. van Leuven von der hertzlich geliebten Concordia nicht ablassen will, wird er von seinem Herrn Vater zurück nach Antwerpen beruffen. Er gehorsamet zwar, nimmt aber vorhero richtigen Verlaß mit der Concordia, wie sie ihre Sachen in Zukunfft anstellen, und einander öfftere schrifftliche Nachricht von beyderseits Zustande geben wollen.

[127] So bald er seinem Herrn Vater die Hand geküsset, wird ihm von selbigem ein starcker Verweiß, wegen seiner niederträchtigen Liebe, gegeben, mit der Versicherung, daß er ihn nimmermehr vor seinen Sohn erkennen wolle, wenn sich sein Hertze nicht der gemeinen Kauffmanns-Tochter entschlüge, im Gegentheil das vorgeschlagene Adeliche Fräulein erwehlete.Mons. van Leuven will seinen Vater mit allzu starcker Hartnäckigkeit nicht betrüben, bequemet sich also zum Scheine, in allen Stücken nach dessen Willen, im Hertzen aber thut er einen Schwur, von derConcordia nimmermehr abzulassen.

Inzwischen wird der alte Vater treuhertzig gemacht, setzet in des Sohnes verstellten Gehorsam ein völliges Vertrauen, committirt ihn in wichtigen Verrichtungen einige Reisen an verschiedene Oerter in Teutschland, wobey es denn eben zutraff, daß er mich in Bremen zu sich, von dar aber mit zurück nach Antwerpen nahm. Einige Zeit nach seiner Zurückkunfft muste sich der gute Monsieur van Leuven mit dem wiederwärtigen Fräulein, welche zwar sehr reich, aber von Gesichte und Leibes-Gestalt sehr heßlich war, versprechen, die Vollziehung aber dieses ehelichen Verbindnisses konte nicht sogleich geschehen, weil sich der Vater gemüssiget sahe, den jungen Herrn von Leuven vorhero nochmahls in wichtigen Verrichtungen nach Engelland zu schicken. Er hatte ihm die ernstlichsten Vermahnungen gegeben, sich von der Concordia nicht etwa wieder aufs neue fangen zu lassen, auch den Umgang mit ihren Anverwandten möglichstens[128] zu vermeiden, allein Mons. van Leuven konte der hefftigen Liebe ohnmöglich widerstehen, sondern war Vorhabens, seine Concordiam heimlich zu entführen. Jedoch in Engelland deßfals niemanden Verdacht zu erwecken, muste ich mich als ein Frauenzimmer ankleiden, und unschuldiger Weise seine Gemahlin heissen.

So bald wir in Londen angelanget waren, begab er sich zu seinen getreuen Freunden, in deren Behausung er die Concordiam öffters, doch sehr heimlich, sprechen konte. Mit ihrem mittelsten Bruder hatte Mons. Leuven eine dermassen feste Freundschafft gemacht, daß es schiene, als wären sie beyde ein Hertz und eine Seele, und eben dieser Bruder hatte geschworen, allen möglichsten Fleiß anzuwenden, daß kein anderer Mann, als Carl Franz van Leuven, seine SchwesterConcordiam ins Ehe-Bette haben solte. Wie er denn aus eigenem Triebe sich bemühet, einen Priester zu gewinnen, welcher ohne den geringsten Scrupel die beyden Verliebten, eines gewissen Abends, nehmlich am 9. Mart. ao. 1646. ordentlich und ehelich zusammen giebt, und zwar in ihrer Baasen Hause, in Beyseyn etlicher Zeugen, wie dieses Priesters eigenhändiges Attestat und beyder Verliebten Ehe-Contract, den ich, von 6. Zeugen unterschrieben, annoch in meiner Verwahrung habe, klar beweiset. Sie halten hierauf in eben dieser ihrer Baasen Hause ordentlich Beylager, machen sich in allen Stücken zu einer baldigen Flucht bereit, und warten auf nichts, als eine hierzu bequeme Gelegenheit. Der alte Plürs wuste von dieser geheimen Vermählung [129] so wenig als meines Herrn eigener Vater und ich, da ich mich doch, sein vertrautester Bedienter zu seyn, rühmen konte.

I ittelst hatte sich zwar Monsieur van Leuven gantz nicht heimlich in London aufgehalten, sondern so wohl auf der Bourse als andern öffentlichen Orten fast täglich sehen lassen, jedoch alle Gelegenheit vermieden, mit dem Kauffmanne Plürs ins Gespräche zu kommen.

Demnach beginnet es diesem eigensinnigem Kopffe nahe zu gehen, daß ihm ein so guter Bekandter, von dessen Vater er so manchen Vortheil gezogen, gäntzlich aus dem Garne gehen solte. Gehet ihm derowegen einsmahls gantz hurtig zu Leibe, und redet ihn also an: Mein Herr von Leuven! Ich bin unglücklich, daß auf so unvermuthete Art an euch einen meiner besten Herrn und Freunde verlieren müssen, aber bedencket doch selbst: meine Tochter hatte ich allbereit versprochen, da ihr um sie anhieltet, da ich nun allezeit lieber sterben, als mein Wort brechen will, so saget mir doch nur, wie ich euch, meiner Tochter und mir hätte helffen sollen? Zumahlen, da euer Herr Vater selbsten nicht in solche Heyrath willigen wollen. Lasset doch das vergangene vergessen seyn, und verbleibet mein wahrer Freund, der Himmel wird euch schon mit einer weit schönern und reichern Gemahlin zu versorgen wissen. Mons. Leuven hatte hierauf zur Antwort gegeben: Mein werthester Herr Plürs, gedencket an nichts von allen vergangenen, ich bin ein getreuer Freund und Diener von euch, vor eure Tochter, die schöne Concordia, habe ich zwar annoch [130] die gröste Achtbarkeit, allein nichts von der auf eine Ehe abzielenden hefftigen Liebe mehr, weil ich von dem Glücke allbereits mit einer andern, nicht weniger annehmlichen Gemahlin versorgt bin, die ich auch itzo bey mir in London habe.

Plürs hatte vor Verwirrung fast nicht reden können, da er aber von Mons. Leuven einer guten Freundschafft, und daß er im puren Ernste redete, nochmahlige Versicherung empfieng, umarmete er denselben vor grossen Freuden, und bath, seinem Hause die Ehre zu gönnen, nebst seiner Gemahlin bey ihm zulogiren, allein van Leuven danckte vor das gütige Erbieten, mit dem Bedeuten: daß er sich nicht lange in London aufhalten, mithin sein Logis nicht erstlich verändern könne, doch wolte er dem Herrn Plürs ehester Tages, so bald seine Sachen erstlich ein wenig expediret, in Gesellschafft seiner Gemahlin, die itzo etwas Unpaß wäre, eine Visite geben.

Hierbey bleibt es, Plürs aber, der sich bey des vonLeuven guten Freunden weiter erkundiget, vernimmt die Bekräfftigung dessen, was er von ihm selbst vernommen, mit grösten Vergnügen, machet Anstalt uns aufs beste zu bewirthen, da mitlerweile Mons. vonLeuven, seine Liebste, und ihr Bruder Anton Plürs, auch die beste Anstalt zur schleunigen Flucht, und mit einem Ost-Indien-Fahrer das Gedinge machten, der sie auf die Insul Ceylon verschaffen solte. IndemMons. von Leuvens Vaters Bruder, ein Gouverneur oder Consul [131] auf selbiger Insul war, und er sich bey demselben alles kräfftigen Schutzes getröstete.

Der 25. May war endlich derjenige gewünschte Tag an welchem Mons. de Leuven nebst mir, seiner Schein-Gemahlin, auf des Herrn Plürs Vorwerg 3. Meilen von London gelegen, abfuhren, und allda 8. Tage zu Gaste bleiben solten. Und eben selbigen Abend wolten auch Anton Plürs, und Concordia, über Douvres nach Calais passiren. Denn Concordia hatte, diese Land Lust zu vermeiden, nicht allein hefftige Kopf-Schmertzen vorgeschützt, sondern auch ihren Eltern ins Gesicht gesagt: Sie könne den van Leuven unmöglich vor Augen sehen, sondern bäte, man möchte sich nur, binnen der Zeit, um sie unbekümmert lassen, weil sie, so lange die Lust währete, bey ihrer Baase in der Stille verbleiben wolte, welches ihr denn endlich zugestanden wurde.

Wie wir hingegen auf dem Vorwerge unsere Zeit hingebracht, ingleichen wie wir allen Leuten unsere Verbündniß glaubend gemacht, auch daß ich mit meinem Herrn, welcher alle seine Dinge schon vorhero in Ordnung gebracht, ohne allen Verdacht abreisete, und beyde glücklich bey dem vor Calais wartenden Ost-Indien-Fahrer anlangeten, dieses habe allbereit erwehnet; derowegen will nur noch mit wenigen melden, daß Mons. Anton Plürs, gleich Abends am 25. May, seine Schwester Concordiam, mit guten Vorbewust ihrer Baase und anderer 4. Befreundten, entführet und in Manns-Kleidern glücklich aus dem Lande gebracht hatte. Die guten Freunde stunden zwar in den Gedancken, als [132] solte Concordia nach Antwerpen geführet werden, allein es befand sich gantz anders, deñ van Leuven, Anton und Concordia, hatten eine weit genauere Abrede mit einander genommen. Was man nach der Zeit in London und Antwerpen von uns gedacht und geredet hat, kan ich zwar wol Muthmassen, aber nicht eigentlich erzehlen. Jedoch da wir bey denCanarischen Insuln, und den Insuln des grünen Vor-Gebürges glücklich vorbey passiret waren, also keine so hefftige Furcht mehr vor den Spanischen Krieges-Schiffen hegen durfften, bekümmerten sich unsere erfreuten Hertzen weiter um nichts, waren Lustig und guter Dinge, und hofften in Ceylon den Haafen unseres völligen Vergnügens zu finden.

Allein, meine Lieben! sagte hier Albertus Julius, es ist nunmehro Zeit auf dieses mal abzubrechen, derowegen wollen wir beten, zu Bette gehen, und so GOTT will, Morgen die Einwohner in Davids-Raum besuchen. Nach diesem werde in der Erzehlung meiner Lebens-Geschicht, und der damit verknüpfften Umbstände fortfahren. Wir danckten unserm lieben Alt-Vater vor seine Bemühung, folgten dessen Befehle, und waren, nach wohlgehaltener Ruhe, des folgenden Morgens mit Aufgang der Sonnen wiederum beysammen. Nachdem die Morgen-Gebeths-Stunde und ein gutes Früh-Stück eingenommen war, reiseten wir auf gestrige Art den allerlustigsten Weg in einer Allee biß nach Davids-Raum, dieses war eine von den mittelmäßigen Pflantz-Städten, indem wir 12. Wohnhäuser darinnen antraffen, welche alle ziemlich [133] geraumlich gebauet, auch mit schönen Gärten, Scheuern und Ställen versehen waren. Alle Winckel zeugten, daß die Einwohner keine Müßiggänger seyn müsten, wie wir denn selbige mehrentheils auf dem wohlbestellten Felde fanden. Doch muß ich allhier nicht vergessen, daß wir allda besondere Schuster in der Arbeit antraffen, welche vor die anderen Insulaner gemeine Schue von den Häuten der Meer-Thiere, und dann auch Staats-Schue von Hirsch- und Reh-Leder machten, und dieselben gegen andere Sachen, die ihnen zu weit entlegen schienen, vertauschten. In dasigem Felde befand sich ein vortreffliches Kalck-Thon- und Leimen-Gebürge, worüber unser mitgebrachter Töpffer, Nicolaus Schreiner, eine besondere Freude bezeigte, und so gleich um Erlaubniß bath: morgendes Tages den Anfang zu seiner Werckstadt zu machen. Die Gräntze selbiger Einwohner setzte der Fluß, der sich, gegen Westen zu, durch den Felsen hindurch ins Meer stürtzte. Sonsten hatten sie ihre Waldung mit ihren Nachbarn zu Alberts-Raum fast in gleichen Theile, anbey aber musten sie auch mit diesen ihren Gräntz-Nachbarn die Last tragen, die Küste und Bucht nach Norden hin, zu bewahren. Dieserwegen war unten am Felsen ein bequemliches Wacht-Hauß erbauet, worinnen sie im Winter Feuer halten und schlafen konten.Mons. Wolffgang, ich und noch einige andere, waren so curieux, den schmalen Stieg zum Felsen hinauf zu klettern, und fanden auf der Höhe 4. metallene mittelmäßige Stücken gepflantzt, und dabey ein artiges Schilder-Häußgen auf ein paar [134] Personen in den Felsen gehauen, da man ebenfalls Feuer halten, und gantz wol auch im Winter darinnen bleiben konte. Nächst diesen eine ordentliche Zug-Brücke nach der verborgenen Treppe zu, von welcher man herab nach der Sand-Banck und See steigen konte, und selbiger zur Seiten zwey vortreffliche Kloben und Winden, vermittelst welcher man in einem Tage mehr als 1000. Centner Waaren auf- und nieder lassen konte. Der angenehme prospect auf die Sand-Banck, in die offenbare See, und dann lincker Hand in die schöne Bucht, welche aber einen sehr gefährlichen Eingang hatte, war gantz ungemein, ausser dem, daß man allhier auch die gantze Insul, als unser kleines Paradieß, völlig übersehen konte.


Nachdem wir über eine gute Stunde auf solcher Höhe verweilet, und glücklich wieder herunter kommen waren, ließ sich unser Altvater, nebst Herr M. Schmeltzern, bey einer Kreissenden Frau antreffen, selbige kam bald darauff mit einer jungen Tochter nieder, und verrichtete Herr Mag. Schmeltzer allhier so gleich seinen ersten Tauff Actum, worbey Mons. Wolffgang, ich und die nechste Nachbarin Tauff-Pathen abgaben, (selbiges junge Töchterlein, welches das erste Kind war, so auf dieser Insul durch Priesters Hand getaufft worden, und die Nahmen Eberhardina Maria empfieng, ist auf der untersten Linie der IX.Genealogischen Tabelle mit NB. * * * bezeichnet.) Wir wurden hierauff von dem Kindtauffen-Vater mit Wein, weissem Brodte, und wohlschmeckenden Früchten tractiret, [135] reiseten also gegen die Zeit des Untergangs der Sonnen vergnügt zurück auf Alberts Burg.

Herr Mag. Schmeltzer war sehr erfreuet, daß er selbiges Tages ein Stück heilige Arbeit gefunden hatte, der Altvater vergnügte sich hertzlich über diese besondere Gnade GOTTES. Mons. Wolffgang aber schickte vor mich und sich, noch selbigen Abend unserer kleinen Pathe zum Geschencke 12. Elen feine Leinewand, 4. Elen Cattun, ein vollgestopfftes Küssen von Gänse-Federn, nebst verschiedenen kräfftigen Hertzstärckungen und andern dienlichen Sachen vor die Wöchnerin, wie denn auch vor die gantze Gemeine das deputirte Geschenck an 10. Bibeln und 20. Gesang- und Gebeth-Büchern ausgegeben wurde. Nachdem wir aber nunmehro unsere Tages-Arbeit verrichtet, und die Abend-Mahlzeit eingenommen hatten, setzte unser Alt-Vater die Erzehlung seiner Lebens-Geschicht also fort:

Wir hielten eine dermassen glückliche Farth, dergleichen sich wenig See-Fahrer zur selben Zeit, gethan zu haben, rühmten. Indem das Vor-Gebürge der guten Hofnung sich allbereit von ferne erblicken ließ, ehe wir noch das allergeringste von Regen, Sturm, und Ungewitter erfahren hatten. Der Capitain des Schiffs machte uns Hoffnung, daß wir aufs Längste in 3. oder 4. Tagen daselbst anländen, und etliche Tage auf dem Lande ausruhen würden; Allein die Rechnung war ohne den Wirth gemacht, und das Verhängniß hatte gantz ein anderes über uns beschlossen, denn folgenden Mittag umzohe sich der Himmel überall mit schwartzen [136] Wolcken, die Lufft wurde dick und finster, endlich schoß der Regen nicht etwa Tropffen, sondern Strohm-Weise auf uns herab, und hielt biß um Mitternacht ohne allen Unterlaß an. Da aber die sehr tieff herab hangenden Wolcken ihrer wichtigsten Last kaum in etwas entledigt uñ besänftigt zu seyn schienen, erhub sich dargegen ein dermassen gewaltiger Sturm-Wind, daß man auch vor dessen entsetzlichen Brausen, wie ich glaube, den Knall einer Canone nicht würde gehört haben. Diese unsichtbare Gewalt muste, meines Erachtens, unser Schiff zuweilen in einer Stunde sehr viel Meilen fortführen, zuweilen aber schiene selbes auf einer Stelle zu bleiben, und wurde als ein Kreusel in der See herum gedrehet, hernachmals von den Erstaunens-würdigen Wellen bald biß an die Wolcken hinan, augenblicklich aber auch herunter in den aufgerissenen Rachen der Tiefe geworffen. Ein frischer, und noch viel heftigerer Regen als der Vorige, vereinigte sich noch, zu unserm desto grössern Elende, mit dem Sturm-Winden, und kurtz zu sagen, es hatte das Ansehen, als ob alle Feinde und Verfolger der See-Fahrenden unsern Untergang auf die erschrecklichste Arth zu befördern beschlossen hätten.

Man sagt sonst: Je länger das Unglück und widerwärtige Schicksal anhalte, je besser man sich darein schicken lerne, jedoch daß dieses damals bey uns eingetroffen, kan ich mich nicht im geringsten erinnern. Im Gegentheil muß bekennen, daß unsere Hertzhafftigkeit, nachdem wir 2. Nachte und dritthalben Tag in solcher Angst zugebracht, vollends [137] gäntzlich zerfloß, weil die mit Donner und Blitz abermals herein brechende Nacht, schlechten Trost und Hoffnung versprach. Concordia und ich waren vermuthlich die allerelendesten unter allen, indem wir währenden Sturms nicht allein keinen Augenblick geschlaffen hatten, sondern auch dermassen matt und taumelnd gemacht waren, daß wir den Kopf gantz und gar nicht mehr in die Höhe halten konten, und fast das Eingeweyde aus dem Leibe brechen musten. Mons. de Leuven und Anton Plürs konten von der höchst sauren, und letzlich doch vergeblichen Arbeit auf dem Schiffe, kaum so viel abbrechen, daß sie uns zuweilen auf eine Minute besuchten, wiewol auch ohnedem nichts vermögend war, uns einige Linderung zu verschaffen, als etliche Stunden Ruhe. Wir höreten auf dem Schiffe, so offt der Sturm nur ein wenig inne hielt, ein grausames Lermen, kehreten uns aber an nichts mehr, weil sich unsere Sinnen schon bereitet hatten, das jämmerliche Ende unseres Lebens mit Gedult abzuwarten. Da aber die erbärmlichen Worte ausgeruffen wurden: GOTT sey uns gnädig, nun sind wir alle des Todes, vergieng so wol mir als der Concordia der Verstand solchergestalt, daß wir als Ohnmächtige da lagen. Doch habe ich in meiner Schwachheit noch so viel verspüret, daß das Schiff vermuthlich an einen harten Felsen zerscheiterte, indem es ein grausames Krachen und Prasseln verursachte, das Hintertheil aber, worinnen wir lagen, mochte sehr tieff unter Wasser gekommen seyn, weil selbiges unsere Kammer über die Helffte anfüllete, jedoch alsobald wieder zurück lief, [138] worauff alles in gantz verkehrten Zustande blieb, indem der Fuß-Boden zu einer Seiten-Wand geworden, und wir beyden Krancken uns in den Winckel der Kammer geworffen, befanden. Weiter weiß ich nicht, wie mir geschehen ist, indem mich entweder eine Ohnmacht oder allzustarcker Schlaf überfiel, aus welchem ich mich nicht eher als des andern Tages ermuntern konte, da sich mein schwacher Cörper auf einer Sand-Banck an der Sonne liegend befand.

Es kam mir als etwas recht ungewöhnliches vor, da ich die Sonne am aufgeklärten Himmel erblickte, und von deren erwärmenden Strahlen die allerangenehmste Erquickung in meinen Gliedern empfieng. Ich richtete mich auf, sahe mich um, und entsetzte mich gewaltig, da ich sonst keinen Menschen, als die Concordia, Mons. van Leuven, und den Schiffs-Capitain Lemelie, ohnfern von mir schlaffend, hinterwärts einen grausamen Felsen, seitwärts das Hintertheil vom zerscheiterten Schiffe, sonsten aber nichts als Sand-Bäncke, Wasser und Himmel sahe. Da aber die Seite, auf welcher ich gelegen, nebst den Kleidern, an noch sehr kalt und naß war, drehete ich selbige gegen die Sonne um, und verfiel aufs neue in einen tieffen Schlaf, aus welchem mich, gegen Untergang der Sonnen, Mons. van Leuven erweckte. Er gab mir einen mäßigen Topf mit Weine, und eine gute Hand vollConfect, welches ich noch halb schläferig annahm, und mit grosser Begierde in den Magen schickte, massen nunmehro fast in 4. Tagen weder gegessen noch getruncken hatte. Hierauff empfieng ich noch [139] einen halben Topf Wein, nebst einem Stück Zwieback, mit der Erinnerung, daß ich mich damit biß Morgen behelffen müste, weiln ein mehreres meiner Gesundheit schädlich seyn möchte.

Nachdem ich auch dieses verzehret, und mich durchaus erwärmt, auch meine Kleider gantz trucken befand, kam ich auf einmal wieder zu Verstande, und bedünckte mich so starck als ein Löwe zu seyn. Meine erste Frage war nach unsern übrigen Reise-Gefährten, weil ich, außer uns vier vorerwehnten, noch niemand mehr sahe. Muste aber mit grösten Leydwesen anhören, daß sie vermuthlich ingesammt würden ertruncken seyn, wenn sie GOtt nicht auf so wunderbare Art als uns, errettet hätte. Denn vor Menschlichen Augen war es vergeblich, an eines eintzigen Rettung zu gedencken, weiln die Zerscheiterung des Schiffs noch vor Mitternacht geschehen, der Sturm sich erstlich 2. Stunden vor Aufgang der Sonnen ge legt hatte, das Hintertheil des Schiffs aber, worauff wir 4. Personen allein geblieben, mit aller Gewalt auf diese Sand-Banck getrieben war. Ich beklagte sonderlich den ehrlichen Mons. Anton Plürs, der sich bey uns nicht sicher zu seyn geschätzt, sondern nebst allzuvielen andern Menschen, einen leichten Nachen erwehlt, doch mit allen diesen sein Begräbniß in der Tiefe gefunden. Sonsten berichtete Mons. van Leuven, daß er so wol mich, als die Concordiam, mit gröster Müh auf die Sand-Banck getragen, weil ihm der eigensinnige und Verzweiffelungs-volle Capitain nicht die geringste Handreichung thun wollen.

[140] Dieser wunderliche Capitain Lemelie saß dorten von ferne, mit unterstützten Haupte, und an statt, daß er dem Allmächtigen vor die Fristung seines Lebens dancken solte, fuhren lauter schändliche gottlose Flüche wider das ihm so feindseelige Verhängniß aus seinem ruchlosen Munde, wolte sich auch mit nichts trösten lassen, weiln er nunmehro, so wol seine Ehre, als gantzes Vermögen verlohren zu haben, vorgab. Mons. de Leuven und ich verliessen den närrischen Kopf, wünschten daß er sich eines Bessern besinnen möchte, und giengen zur Concordia, welche ihr Ehe-Mann in viele von der Sonne erwärmte Tücher und Kleider eingehüllt hatte. Allein wir fanden sie dem ohngeacht, in sehr schlechten Zustande, weil sie sich biß diese Stunde noch nicht erwärmen, auch weder Speise noch Geträncke bey sich behalten konte, sondern vom starcken Froste beständig mit den Zähnen klapperte. Ich zog meine Kleider aus, badete durch das Wasser biß an das zerbrochene Schiff, und langete von selbigem etliche stücken Holtz ab, welche ich mit einem darauff gefundenen breiten Degen zersplitterte, und auf dem Kopffe hinüber trug, um auf unserer Sand-Banck ein Feuer anzumachen, wobey sich Concordia erwärmen könte. Allein zum Unglück hatte weder der Capitain Lemelie, noch Mons. Leuvens ein Feuerzeug bey sich. Ich fragte den Capitain, auf was vor Art wir etwa Feuer bekommen könten? allein er gab zur Antwort: Was Feuer? ihr habt Ehre genug, wenn ihr alle Drey mit mir crepiret. Mein Herr, gab ich zur Antwort, ich bin vor meine Person so hochmüthig nicht. Besann mich aber [141] bald, daß ich in unserer Cajŭte ehemals eine Rolle Schwefel hengen sehen, badete derowegen nochmals hinüber in das Schiff, und fand nicht allein diese, sondern auch ein paar wol eingewickelte Pistolen, welche mir nebst dem Schwefel zum schönsten Feuerzeuge dieneten, an statt des Strohes aber brauchte ich meinen schönen Baumwollenen, in lauter Streiffen zerrissenen Brust-Latz, machte Feuer an, und bließ so lange, biß das ziemlich klein gesplitterte Holtz in volle Flamme gerieth.

Mons. van Leuven war hertzlich erfreuet über meinen glücklichen Einfall, und badete noch zwey mal mit mir hinüber, um so viel Holtz aus dem Schiffs-Stücke zu brechen, wobey wir uns die gantze Nacht hindurch gemächlich wärmen könten. Die Witterung war zwar die gantze Nacht hindurch, dermassen angenehm, als es in Sachsen die besten Sommer-Nächte hindurch zu seyn pfleget, allein es war uns nur um unsere frostige Patientin zu thun, welche wir der Länge lang gegen das Feuer legten, und aufs allerbeste besorgten. Der tolle Capitain kam endlich auch zu uns, eine Pfeiffe Toback anzustecken, da ich ihn aber mit seinen Tobackrauchen schraubte, indem er ja zucrepiren willens wäre, gieng er stillschweigend mit einer scheelen mine zurück an seinen vorigen Ort.

Concordia war indessen in einen tieffen Schlaf gefallen und forderte, nachdem sie gegen Morgen erwacht war, einen Trunck frisch Wasser, allein weil ihr solches zu verschaffen unmöglich, beredete Mons. van Leuven dieselbe, ein wenig Wein zu trincken, sie nahm denselben, weil er sehr Frisch war, [142] begierig zu sich, befand sich aber in kurtzen sehr übel drauff, massen sie wie eine Kohle glüete, und ihr, ihrem sagen nach, der Wein das Hertze abbrennen wolte. Ihr Ehe-Herr machte ihr die grösten Liebkosungen, allein sie schien sich wenig darum zu bekümmern, und fieng unverhofft also zu reden an: Carl Frantz gehet mir aus den Augen, damit ich ruhig sterben kan, die übermäßige Liebe zu euch hat mich angetrieben das 4te Gebot zu übertreten, und meine Eltern biß in den tod zu betrüben, es ist eine gerechte Strafe des Himmels, daß ich, auf dieser elenden Stelle, mit meinen Leben davor büssen muß. GOTT sey meiner und eurer Seele gnädig.

Kein Donnerschlag hätte Mons. van Leuven erschrecklicher in die Ohren schmettern können, als diese Centner schweren Worte. Er konte nichts darauff antworten, stund aber in vollkommener Verzweiffelung auf, lieff nach dem Meere zu, und hätte sich gantz gewiß ersäufft, wenn ich ihm nicht nachgelauffen, und durch die kräfftigsten Reden die mir GOTTES Geist eingab, damals sein Leib und Seele gerettet hätte.

So bald er wieder zurück auf die trockene Sand-Banck gebracht war, legte ich ihm nur diese Frage vor: Ob er denn sein Leben, welches ihm GOTT unter so vielen wunderbarer Weise erhalten, nunmehro aus Ubereilung dem Teufel, samt seiner Seele hingeben wolte? Hierzu setzte ich noch, daß Concordia wegen übermäßiger Hitze nicht alle Worte so geschickt, wie sonsten, vorbringen könte, auch vielleicht in wenig Stunden gantz anders reden [143] würde, u.s.w. Worauff er sich denn auch eines andern besonn, und mir hoch und theur zuschwur, sich mit christl. Gedult in alles zu geben, was der Himmel über ihn verhängen wolle. Er bat mich anbey, alleine zur Concordia zu gehen, und dieselbe mit Gelegenheit auf andere Gedancken zu bringen. Ich bat ihn noch einmal, seine Seele, Himmel und Hölle zu bedencken, und begab mich zur Concordia, welche mich bat: Ich möchte doch aus jenem Mantel etwas Regen-Wasser ausdrücken, und ihr solches zu trincken geben. Ich versicherte ihr solches zu thun, und begehrete nur etwas Gedult von ihr, weil diese Arbeit nicht so hurtig zugehen möchte. Sie versprach, wiewohl in würcklicher Phantasie, eine halbe Stunde zu warten; Aber mein GOTT! da war weder Mantel noch nichts, woraus ein eintziger Tropffen Wassers zu drücken gewesen wäre. Derowegen lieff ich ohn ausgezogen durch die See nach dem Schiffe zu, und fand, zu meinen selbst eigenen grösten Freuden, ein zugepichtes Faß mit süssen Wasser, worvon ich ein erträgliches Lägel füllete, aus unsererCajŭte etwas Thee, Zucker und Zimmet zu mir nahm, und so hurtig als möglich wieder zurück eilete. Ohngeacht ich aber kaum eine halbe Stunde ausgeblieben war, sagte doch Concordia, indem ich ihr einen Becher mit frischen Wasser reichte: Ihr hättet binnen 5. Stunden keine Tonne Wasser außdrücken dürffen, wenn ihr mich nur mit einem Löffel voll hättet erquicken wollen; aber ihr wollet mir nur das Hertze mit Weine brechen, GOTT vergebe es euch. Doch da sie den Becher mit frischen Wasser ausgetruncken [144] hatte, sagte ihr lechzender Mund: Habet Danck mein lieber Albert Julius vor eure Mühe, nun bin ich vollkommen erquickt, deckt mich zu, und lasset mich schlafen. Ich Gehorsamete ihrem Begehren, machte hinter ihren Rücken ein gelindes Feuer an, welches nicht eher ausgehen durffte, biß die Sonne mit ihren kräfftigen Strahlen hoch genung zu stehen kam.

Immittelst da sie wiederum in einen ordentlichen Schlaf verfallen war, ruffte ich ihren Ehe-Herrn, der sich wol 300. Schritt darvon gesetzt hatte, herzu, tröstete denselben, und versicherte, daß mich seiner Liebsten Zustand gäntzlich überredete, sie würde nachdem sie nochmals erwacht, sich ungemein Besser befinden.

Damals war ich ein unschuldiger, aber doch in der Wahrheit recht glücklicher Prophete. Denn 2. Stunden nach dem Mittage wachte Concordia von sich selbst auf, forderte ein klein wenig Wein, und fragte zugleich, wo ihr Carl Frantz wäre? Selbiger trat Augenblicklich hervor, und Küssete dieselbe kniend mit thränenden Augen. Sie trocknete seine Thränen mit ihrem Halß-Tuche ab, und sprach mit frischer Stimme: Weinet nicht mein Schatz, denn ich befinde mich itzo weit Besser, GOTT wird weiter helffen.

Ich hatte, binnen der Zeit, in zweyen Töpffen Thee gekocht, weiln aber keine Schaalen vorhanden waren, reichte ich ihr selbigen Tranck, an statt des gefoderten Weins, in dem Wein-Becher hin. Ihr lechzendes Hertze fand ein besonderes Labsal daran, Mons. van Leuven aber, und ich, schmauseten [145] aus dem einen irrdenen Topffe auch mit, und wusten fast vor Freuden nicht was wir thun solten, da wir die halb tod gewesene Concordia nunmehro wiederum ausser Gefahr halten, und bey vollkommenen Verstande sehen konten.

Lemelie hatte sich binnen der Zeit durch das Wasser auf das zerbrochene Schiff gemacht, wir hofften zwar er würde vor Abends wiederum zurück kommen, sahen und höreten aber nichts von ihm, weßwegenMons. van Leuven Willens war hin zu baden, nach demselben zu sehen, und etwas Holtz mit zu bringen, da aber ich versicherte, daß wir auf diese Nacht noch Holtz zur Gnüge hätten, ließ ers bleiben, und wartete seine Concordia mit den trefflichsten Liebkosungen ab, biß sie abermals einschlieff, worauff wir uns beredeten, wechsels-weise bey derselben zu wachen.

Selbige Nacht wurde schon weit vergnügter als die vorige hingebracht, mit aufgehender Sonne aber wurde ich gewahr, daß die See allerhand Packen und Küsten auf die nah gelegenen Sand-Bäncke, und an das grosse Felsen-Ufer, auch an unsere Sand-Banck ebenfalls, nebst verschiedenen Waaren, einen mittelmäßigen Nachen gespielet hatte. Dieses kleine Fahr-Zeug hieß wol recht ein vom Himmel zugeschicktes Glücks Schiff, denn mit selbigen konten wir doch, wie ich so gleich bedachte, an den nah gelegenen Felsen fahren, aus welchen wir einen gantzen Strohm des schönsten klaren Wassers schiessen sahen.

So bald demnach Mons. van Leuven aufgewacht, zeigte ich ihme die Merckmahle der wunderbaren[146] Vorsehung GOTTES, worüber er so wol als ich, die allergröste Freude bezeigte. Wir danckten GOTT bey unsern Morgen-Gebete auf den Knien davor, und so bald Concordia erwacht, auch nach befundenen guten Zustande, mit etwas Wein und Confect gestärckt war, machten wir uns an den Ort, wo das kleine Fahrzeug gantz auf den Sand geschoben lag. Mons. de Leuven erkannte an gewissen Zeichen, daß es eben dasselbe sey, mit welchem sein Schwager Anton Plŭrs untergangen sey, konte sich nebst mir hierüber des Weinens nicht enthalten; Allein wir musten uns über dessen gehabtes Unglück gezwungener Weise trösten, und die Hand an das Werck unserer eigenen Errettung ferner legen, weiln wir zur Zeit eines Sturms, auf dieser niedrigen Sand-Banck, bey weiten nicht so viel Sicherheit als am Felsen, hoffen durfften.

Es kostete nicht wenig Mühe, den so tieff im Sande steckenden Nachen heraus ins Wasser zu bringen, da es aber doch endlich angegangen war, banden wir selbiges an eine tieff in den Sand gesteckte Stange, machten aus Bretern ein paar Ruder, fuhren, da alles wol eingerichtet war, nach dem Stücke des zerscheiterten Schiffs, und fanden den Lemelie, der sich dermassen voll Wein gesoffen, daß er alles was er im Magen gehabt, wieder von sich speyen müssen, im tieffsten Schlafe liegen.

Mons. van Leuven wolte ihn nicht aufwecken, sondern suchte nebst mir alles, was wir von Victualien finden konten, zusammen, packten so viel, als der Nachen tragen mochte, auf, und thaten die erste Reise gantz hurtig und glücklich nach dem Ufer des [147] Felsens zu, fanden auch, daß allhier weit bequemlicher und sicherer zu verbleiben wäre, als auf der seichten Sand-Banck. So bald der Nachen ausgepackt war, fuhren wir eilig wieder zurück, um unsere kostbareste Waare, nemlich die Concordia dahin zu führen, wiewol vor rathsam befunden wurde, zugleich noch eine Last von den nothdürfftigsten Sachen aus dem Schiffe mit zu nehmen. Diese andere Farth gieng nicht weniger glücklich von statten, derowegen wurde am Felsen eine bequme Klufft ausgesucht, darinnen auch zur Zeit des Regens wol 6. Personen oberwarts bedeckt, gantz geräumlich sitzen konten. Allhier muste Concordia bey einem kleinen Feuer sitzen bleiben, wir aber thaten noch 2. Fahrten, und holeten immer so viel, als auf dem Nachen fortzubringen war, herüber. Bey der 5ten Ladung aber, welche gantz gegen Abend gethan wurde, ermunterte sich Lemelie erstlich, und machte grosse Augen, da er viele Sachen und sonderlich die Victualien mangeln, uns aber annoch in völliger Arbeit, auszuräumen sahe. Er fragte was das bedeuten solte? warum wir uns solcher Sachen bemächtigten, die doch nicht allein unser wären, und ob wir etwa als See-Räuber agiren wolten? Befahl auch diese Verwegenheit einzustellen, oder er wolle uns etwas anders weisen. Monsieur Lemelie, vorsatztevan Leuven hierauf, ich kan nicht anders glauben, als daß ihr euren Verstand verlohren haben müsset, weil ihr euch weder unseres guten Raths noch würcklicher Hülffe bedienen wollet. Allein ich bitte euch sehr, höret auf zu brutalisiren, denn die Zeiten haben sich leyder! verändert, euer Commando [148] ist zum Ende, es gilt unter uns dreyen einer so viel als der andere, die meisten Stimmen gelten, die Victualien und andern Sachen sind gemeinschafftlich, will der 3te nicht was 2. haben wollen, so mag er elendiglich crepiren. Schweiget mir auch ja von See-Räubern stille, sonsten werde mich genöthiget sehen zu zeigen, daß ich ein Cavalier bin, der das Hertze hat euch das Maul zu wischen. Lemelie wolte über diese Reden rasend werden, und Augenblicklich vom Leder ziehen, doch van Leuven ließ ihn hierzu nicht kommen, sondern riß den Großprahler als ein Kind zu Boden, und ließ ihm mit der vollen Faust, auf Nase und Maule ziemlich starck zur Ader. Nunmehro hatte es das Ansehen, als ob es dem Lemelie bloß hieran gefehlet hätte, weil er in wenig Minuten wieder zu seinem völligen Verstande kam, sich mit uns, dem Scheine nach, recht Brüderlich vertrug, und seine Hände mit an die Arbeit legte; so daß wir noch vor Nachts wohlbeladen bey Concordien in der neuen Felsen-Wohnung anlangeten. Wir bereiteten vor uns ingesammt eine gute Abend-Mahlzeit, und rechneten aus, daß wenigstens auf 14. TageProviant vor 4. Personen vorhanden sey, binnen welcher Zeit uns die Hoffnung trösten muste, daß der Himmel doch ein Schiff in diese Gegend, uns in ein gut Land zu führen, senden würde.

Concordia hatte sich diesen gantzen Tag, wie auch die darauff folgende Nacht sehr wol befunden, folgenden Tag aber, wurde sie abermals vom starcken Frost, und darauff folgender Hitze überfallen, worbey sie starck phanthasirte, doch gegen Abend [149] ward es wieder gut, also schlossen wir daraus, daß ihre gantze Kranckheit in einem gewöhnlichen kalten Fieber bestünde, welche Muthmassungen auch in so weit zutraffen, da sie selbiges Fieber wol noch 3. mal, allezeit über den 3ten Tag hatte, und sich nachhero mit 48. Stündigen Fasten selbsten curirete. Immittelst schien Lemelie ein aufrichtiges Mitleyden mit dieserPatientin zu haben, suchte auch bey allen Gelegenheiten sich uns und ihr, aus dermassen gefällig und dienstfertig zu erzeigen. An denen Tagen, da Concordia wol auf war, fuhren wir 3. Manns-Personen wech sels-weise an die Sand-Bäncke, und langeten die daselbst angeländeten Packen und Fässer von dar ab, und schafften selbige vor unsere Felsen-Herberge. Wir wolten auch das zerstückte Schiff, nach und nach vollends außladen, jedoch ein nächtlicher mäßiger Sturm war so gütig, uns solcher Mühe zu überheben, massen er selbiges gantze Stück nebst noch vielen andern Waaren, gantz nahe zu unserer Wohnung auf die Sand-Banck geschoben hatte. Demnach brauchten wir voritzo unsern Nachen so nöthig nicht mehr, führeten also denselben in eine Bucht, allwo er vor den Winden und Wellen sicher liegen konte.

Vierzehen Tage und Nächte verstrichen also, doch wolte sich zur Zeit bey uns noch kein Rettungs-Schiff einfinden, ohngeacht wir alle Tage fleißig Schildwache hielten, über dieses ein grosses weisses Tuch an einer hoch aufgerichteten Stange angemacht hatten.Concordia war völlig wieder gesund, doch fand sich nun nicht mehr, als noch etwa auf 3. oder 4. TageProviant, weßwegen wir alle [150] Fässer, Packen und Küsten ausräumten und durchsuchten, allein, ob sich schon ungemein kostbare Sachen darinnen fanden, so war doch sehr wenig dabey, welches die bevorstehende Hungers-Noth zu vertreiben vermögend war.

Wir armen Menschen sind so wunderlich geartet, daß wir zuweilen aus blossen Muthwillen solche Sachen vornehmen, von welchen wir doch im voraus wissen, daß dieselben mit tausendfachen Gefährlichkeiten verknüpfft sind; Im Gegentheil weñ unser Gemüthe zu anderer Zeit nur eine einfache Gefahr vermerckt, die doch eben so wol noch nicht einmal gegenwärtig ist, stellē wir uns an, als ob wir schon lange Zeit darinnen gesteckt hätten. Ich will zwar nicht sagen, daß alle Menschen von dergleichen Schlage wären, bey uns 4en aber braucht es keines Zweiffels, denn wir hatten, wiewol nicht alles aus der Erfahrung, jedoch vom hören und lesen, daß man auf der Schiffarth nach Ost-Indien, die Gefährlichkeiten von Donner, Blitz, Sturmwind, Regen, Hitze, Frost, Sclaverey, Schiffbruch, Hunger, Durst, Kranckheit und Tod zu befürchten habe; doch deren keine einzige konte den Vorsatz nach Ost-Indien zu reisen unterbrechen, nunmehro aber, da wir doch schon ein vieles überstanden, noch nicht den geringsten Hunger gelitten, und nur diesen eintzigen Feind, binnen etlichen Tagen, zu befürchten hatten, konten wir uns allerseits im voraus schon dermassen vor dem Hunger fürchten, daß auch nur das blosse dran dencken unsere Cörper auszuhungern vermögend war.

Lemelie that nichts als essen und trincken, Toback[151] rauchen, und dann und wann am Felsen herum spatzieren, worbey er sich mehrentheils auf eine recht närrische Art mit Pfeiffen und Singen hören ließ, vor seine künfftige Lebens-Erhaltung aber, trug er nicht die geringste Sorge. Mons. van Leuven machte bey seiner Liebsten lauter tieffsinnige Calender, und wenn es nur auf sein speculiren ankommen wäre, hätten wir, glaube ich, in einem Tage mehr Brod, Fleisch, Wein und andere Victualien bekommen, als 100. Mann in einem Jahre kaum aufessen können, oder es solte uns ohnfehlbar, entweder ein Lufft- oder See-Schiff in einem Augenblicke nach Ceylon geführet haben. Ich merckte zwar wol, daß die guten Leute mit dergleichen Lebens-Art der bevorstehenden Hungers-Noth kein Quee vorlegen würden, doch weil ich der jüngste unter ihnen, und auch selbst nicht den geringsten guten Rath zu ersinnen wuste; unterstund ich mich zwar, nicht die Lebens-Art älterer Leute zu tadeln, wolte aber doch auch nicht so verdüstert bey ihnen sitzen bleiben, kletterte derowegen an den Felsen herum so hoch ich kommen konte, in beständiger Hoffnung etwas neues und guts anzutreffen. Und eben diese meine Hoffnung Betrog mich nicht: Denn da ich eine ziemlich hohe Klippe, worauff ich mich ziemlich weit umsehen konte, erklettert hatte, erblickte ich jenseit des Flusses der sich Westwärts aus dem Felsen ins Meer ergoß, auf dem Sande viele Thiere, welche halb einem Hunde und halb einem Fische ähnlich sahen. Ich säumte mich nicht, die Klippe eiligst wieder herunter zu klettern, lief zu Mons. van Leuven, und sagte: Monsieur, wenn [152] wir nicht eckel seyn wollen, werden wir allhier auch nicht verhungern dürffen, denn ich habe eine grosse Menge Meer-Thiere entdeckt, welche mit Lust zu schiessen, so bald wir nur mit unsern Nachen über den Fluß gesetzt sind. Mons. Leuven sprang hurtig auf, nahm 2. wohlgeladene Flinten vor mich und sich, und eilete nebst mir zum Nachen, welchen wir loß machten, um die Klippe herum fuhren, und gerade zu, queer durch den Fluß hindurch setzen wolten; allein, hier hätte das gemeine Sprichwort: Eilen thut kein gut, besser beobachtet werden sollen; denn als wir mitten in den Strohm kamen, und ausser zweyen kleinen Rudern nichts hatten, womit wir uns helffen konten, führete die Schnelligkeit desselben den Nachen mit unserer grösten Lebens-Gefahr dermassen weit in die offenbare See hinein, daß alle Hoffnung verschwand, den geliebten Felsen jemahls wiederum zu erreichen.

Jedoch die Barmhertzigkeit des Himmels hielt alle Kräffte des Windes und der Wellen gäntzlich zurücke, dahero wir endlich nach eingebrochener Nacht jenseit des Flusses an demjenigen Orte anländeten, wo ich die Meer-Thiere gesehen hatte. Wiewohl nun itzo nichts mehr daselbst zu sehen, so waren wir doch froh genung, daß wir unser Leben gerettet hatten, setzten uns bey hellen Mondscheine auf eine kleine Klippe, und berathschlagten, auf was vor Art wiederum zu den Unserigen zu gelangen wäre. Doch weil kein an derer Weg als durch den Fluß, oder durch den vorigen Umschweiff zu erfinden, wurde die Wahl biß auf den morgenden Tag verschoben.

[153] Immittelst, da unsere Augen beständig nach der See zu gerichtet waren, merckten wir etwa um Mitternachts-Zeit, daß etwas lebendiges aus dem Wasser kam, und auf dem Sande herum wühlete, wie uns denn auch ein offt wiederholtes Blöcken versicherte, daß es eine Art von Meer-Thieren seyn müsse. Wir begaben uns demnach von der Klippe herab, und gingen ihnen biß auf etwa 30. Schritt entgegen, sahen aber, daß sie nicht verweigerten, Stand zu halten, weßwegen wir, um sie desto gewisser zu fassen, ihnen noch näher auf den Leib gingen, zu gleicher Zeit Feuer gaben, und 2. darvon glücklich erlegten, worauf die übrigen groß und kleine gantz langsam wieder in See gingen.

Früh Morgens besahen wir mit anbrechenden Tage unser Wildpret, und fanden selbiges ungemein niedlich, trugen beyde Stück in den Nachen, getraueten aber doch nicht, ohne stärckere Bäume und bessere Ruder abzufahren, doch Mons. van Leuvens Liebe zu seiner Concordia überwand alle Schwürigkeiten, und da wir ohne dem alle Stunden, die allhier vorbey strichen, vor verlohren schätzten, befahlen wir uns der Barmhertzigkeit des Allmächtigen, setzten behertzt in den Strom, traffen aber doch dieses mahl das Gelencke etwas besser, und kamen nach Verlauff dreyer Stunden ohnbeschädiget vor der Felsen Herberge an, weil der heutige Umschweiff nicht so weit als der gestrige, genommen war.

Concordia hatte die gestrigen Stunden in der grösten Bekümmerniß zugebracht, nachdem sie [154] wahrgenommen, daß uns die strenge Fluth so weit in die See getrieben, doch war sie um Mitternachts-Zeit durch den Knall unserer 2. Flinten, der sehr vernehmlich gewesen, ziemlich wieder getröstet worden, und hatte die gantze Nacht mit eiffrigen Gebeth, um unsere glückliche Zurückkunfft, zugebracht, welches denn auch nebst dem unserigen von dem Himmel nach Wunsche erhöret worden.

Lemelie erkandte das mitgebrachte Wildpret sogleich vor ein paar See-Kälber, und versicherte, daß deren Fleisch besonders wohlschmeckend wäre, wie wir denn solches, nachdem wir die besten Stücken ausgeschnitten, gebraten, gekocht und gekostet hatten, als eine Wahrheit bekräfftigen musten.

Dieser bißhero sehr faul gewesene Mensch ließ sich nunmehro auch in die Gedancken kommen, vor Lebens-Mittel zu sorgen, indem er aus etlichen aus Bretern geschnitzten Stäbigen 2. Angel-Ruthen verfertigte, eine darvon der Concordia schenckte, und derselben zur Lust und Zeit-Vertreibe bey der Bucht das Fischen lernete. Mons. van Leuven und ich machten uns auch dergleichen, da ich aber sahe, daß Concordia allein geschickt war, nur in einem Tage so viel Fische zu fangen, als wir in etlichen Tagen nicht verzehren konten, ließ ich diese vergebliche Arbeit bleiben, kletterte hergegen mit der Flinte an den Klippen herum, und schoß etliche Vögel mit ungewöhnlich-grossen Kröpffen herunter, welche zwar Fleisch genug an sich hatten, jedoch, da wir sie zugerichtet, sehr übel zu essen waren. Hergegen fand ich Abends beym Mondschein auf dem Sande etliche Schild-Kröten, vor deren erstaunlicher [155] Grösse ich mich anfänglich scheuete, derowegen Mons. van Leuven und Lemelie herbey rieff, welcher letztere sogleich ausrieff: Abermahls ein schönes Wildpret gefunden! Monsieur Albert, ihr seyd recht glücklich.

Wir hatten fast alle drey genung zu thun, ehe wir, auf des Lemelie Anweisung, dergleichen wunderbare Creatur umwenden und auf den Rücken legen konten. Mit anbrechenden Morgen wurde eine mittelmäßige geschlachtet, Lemelie richtete dieselbe seiner Erfahrung nach appetitlich zu, und wir fanden hieran eine ausserordentlich angenehme Speise, an welcher sich sonderlich Concordia fast nicht satt essen konte. Doch da dieselbe nachhero besondere Lust verspüren ließ, ein Feder-Wildpret zu essen, welches besser als die Kropff-Vögel schmeckte, gaben wir uns alle drey die gröste Müh, auf andere Arten von Vögeln zu lauern, und selbige zu schiessen.

Im Klettern war mir leichtlich Niemand überlegen, weil ich von Natur gar nicht zum Schwindel geneigt bin, als nun vermerckte, daß sich oben auf den höchsten Spitzen der Felsen, andere Gattunge Vögel hören und sehen liessen; war meine Verwegenheit so groß, daß ich durch allerhand Umwege immer höher von einer Spitze zur andern kletterte, und nicht eher nachließ, biß ich auf den allerhöchsten Gipffel gelangt war, allwo alle meine Sinnen auf einmahl mit dem allergrösten Vergnügen von der Welt erfüllet wurden. Denn es fiel mir durch einen eintzigen Blick das gantze Lust-Revier dieser Felsen-Insul in die Augen, welches rings herum von der Natur mit dergleichen starcken [156] Pfeilern und Mauren umgeben, und so zu sagen, verborgen gehalten wird. Ich weiß gewiß, daß ich länger als eine Stunde in der grösten Entzückung gestanden habe, denn es kam mir nicht anders vor, als wenn ich die schönsten blühenden Bäume, das herum spatzirende Wild, und andere Annehmlichkeiten dieser Gegend, nur im blossen Traume sähe. Doch endlich, wie ich mich vergewissert hatte, daß meine Augen und Gedancken nicht betrogen würden, suchte und fand ich einen ziemlich bequemen Weg, herab in dieses angenehme Thal zu steigen, ausgenommen, daß ich an einem eintzigen Orte, von einem Felsen zum andern springen muste, zwischen welchen beyden ein entsetzlicher Riß und grausam tieffer Abgrund war. Ich erstaunete, so bald ich mich mitten in diesem Paradiese befand, noch mehr, da ich das Wildpret, als Hirsche, Rehe, Affen, Ziegen und andere mir unbekandte Thiere, weit zahmer befand, als bey uns in Europa fast das andere Vieh zu seyn pfleget. Ich sahe zwey- oder dreyerley Arten von Geflügel, welches unsern Rebhünern gleichte, nebst andern etwas grössern Feder-Vieh, welches ich damahls zwar nicht kannte, nachhero aber erfuhr, daß es Birck-Hüner wären, weiln aber der letztern wenig waren, schonte dieselben, und gab unter die Rebhüner Feuer, wovon 5. auf dem Platz liegen blieben. Nach gethanem Schusse stutzten alle lebendigen Creaturen gewaltig, gingen und flohen, jedoch ziemlich bedachtsam fort, und verbargen sich in die Wälder, weßwegen es mich fast gereuen wolte, daß mich dieser angenehmen Gesellschafft [157] beraubt hatte. Zwar fiel ich auf die Gedancken, es würden sich an deren Statt Menschen bey mir einfinden, allein, da ich binnen 6. Stunden die gantze Gegend ziemlich durchstreifft, und sehr wenige und zweiffelhaffte Merckmahle gefunden hatte, daß Menschen allhier anzutreffen, oder sonst da gewesen wären, verging mir diese Hoffnung, als woran mir, wenn ich die rechte Wahrheit bekennen soll, fast gar nicht viel gelegen war. Im Gegentheil hatte allerhand, theils blühende, theils schon Frucht-tragende Bäume, Weinstöcke, Garten-Gewächse von vielerley Sorten und andere zur Nahrung wohl dienliche Sachen angemerckt, ob mir schon die meisten gantz frembd und unbekandt vorkamen.

Mittlerweile war mir der Tag unter den Händen verschwunden, indem ich wegen allzu vieler Gedancken und Verwunderung, den Stand der Sonnen gar nicht in acht genommen, biß mich der alles bedeckende Schatten versicherte, daß selbige untergegangen seyn müsse. Da aber nicht vor rathsam hielt, gegen die Nacht zu, die gefährlichen Wege hinunterzuklettern, entschloß ich mich, in diesem irdischen Paradiese die Nacht über zu verbleiben, und suchte mir zu dem Ende auf einen mit dicken Sträuchern bewachsenen Hügel eine bequeme Lager-Statt aus, langete aus meinen Taschen etliche kleine Stücklein Zwieback, pflückte von einem Baume etliche ziemlich reife Früchte, welche rötlich aussahen, und im Geschmacke denen Morellen gleichkamen, hielt damit meine Abend-Mahlzeit, tranck aus dem vorbey rauschenden[158] klaren Bächlein einen süssen Trunck Wasser darzu, befahl mich hierauf GOtt, und schlieff in dessen Nahmen gar hurtig ein, weil mich durch das hohe Klettern und viele Herumschweiffen selbigen Tag ungemein müde gemacht hatte.

Hierbey mag vor dieses mahl (sagte der Alt-Vater nunmehro, da es ziemlich späte war) meine Erzehlung ihren Aufhalt haben. Morgen, geliebt es GOtt, wollen wir, wo es euch gefällig, die Einwohner in Stephans-Raum besuchen, und Abends wieder da anfangen, wo ich itzo aufgehöret habe. Hiermit legten wir uns allerseits nach gehaltener Beth-Stunde zur Ruhe, folgenden Morgen aber ging die Reise abgeredter massen auf Stephans-Raum zu.

Hieselbst waren 15. Wohnhäuser nebst guten Scheuern und Ställen auferbauet, aber zur Zeit nur 11. bewohnt. Durch die Pflantz Stadt, welche mit den schönsten Gärten umgeben war, lieff ein schöner klarer Bach, der aus der grossen See, wie auch aus dem Ertz-Gebürge seinen Ursprung hatte, und in welchem zu gewissen Zeiten eine grosse Menge Gold-Körner gesammlet werden konten, wie uns denn die Einwohner fast mit einem gantzen Hute voll dergleichen, deren die grösten in der Form eines Weitzen-Korns waren, beschenckten, weil sie es als eine artige und gefällige Materie zwar einzusa len pflegten, doch lange nicht so viel Wercks draus machten, als wir Neuangeko enen. Mons. Plager, der einige Tage hernach die Probe auf allerhand Art damit machte, versicherte, daß es so fein, ja fast noch feiner wäre, als in Europa das [159] Ungarische Gold. Gegen Westen zu stiegen wir auf die Klippen, allwo uns der Altvater den Ort zeigete, wo vor diesen auf beyden Seiten des Flusses ein ordentlicher und bequemer Eingang zur Insul gewesen, doch hätte nunmehro vor langen Jahren ein unbändig grosses Felsen-Stück denselben verschüttet, nachdem es zerborsten, und plötzlich herab geschossen wäre, wie er uns denn in den Verfolg seiner Geschichts-Erzehlung deßfals nähere Nachricht zu ertheilen versprach. Immittelst war zu verwundern, und lustig anzusehen, wie, dem ohngeacht, der starcke Arm des Flusses seinen Ausfall allhier behalten, indem das Wasser mit gröster Gewalt, und an vielen Orten etliche Ellen hoch, zwischen dem Gesteine heraus stürtzte. Ohnfern vom Flusse betrachteten wir das vortreffliche und so höchst-nutzbare Saltz-Gebürge, in dessen gemachten Gruben das schönste Sal gemmæ oder Stein-Saltz war, und etwa 100. Schritt von demselben zeigte man uns 4. Lachen oder Pfützen, worinnen sich die schärffste Sole zum Saltz-Sieden befand, welche diejenigen Einwohner, so schön Saltz verlangten, in Gefässen an die Sonne setzten, das Wasser abrauchen liessen, und hernach das schönste, reinste Saltz aus dem Gefässe heraus schabten, gewöhnlicher Weise aber brauchten alle nur das feinste vom Stein-Saltze. Sonsten fand sich in dasigen Feldern ein Wein-Gebürge von sehr guter Art, wie sie uns denn, nebst allerhand guten Speisen, eine starcke Probe davon vortrugen, durch den Wald war eine breite Strasse gehauen, allwo man von der Alberts-Burg her, auf das unten [160] am Berge stehende Wacht-Hauß, gegen Westen sehen konte. Wie denn auch oben in die Felsen-Ecke ein Schilder-Hauß gehauen war, weil aber der Weg hinauf gar zu unbequem, stiegen wir dieses mahl nicht hinauf, zumahlen auch sonsten nichts gegen Westen zu sehen, als ein steiler biß in die offenbahre See hinunter steigender Felsen.

Nachdem wir nun solchermassen zwey Drittel des Tages hingebracht, und bey guter Zeit zurück gekehret waren, besichtigten wir die Arbeit am Kirchen-Bau, und befanden daselbst die Zeichen solcher eifferiger Anstalten, dergleichen wir zwar von ihren Willen hoffen, von ihren Kräfften aber nimmermehr glauben können. Denn es war nicht allein schon eine ziemliche Quantität Steine, Kalck und Leimen herbey geschafft, sondern auch der Grund allbereits sehr weit ausgegraben. Unter unsern sonderbaren Freudens-Bezeugungen über solchen angenehmen Fortgang, rückte die Zeit zur Abend-Mahlzeit herbey, nach deren Genuß der Altvater in seinem Erzehlen folgender massen fortfuhr:

Ich hatte mich, wie ich gestern Abend gesagt, auf dieser meiner Insul zur Ruhe gelegt, und zwar auf einem kleinen Hügel, der zwischen Alberts- und Davids-Raum befindlich ist, itzo aber ein gantz ander Ansehen hat. Indem die Einwohner nicht allein die Sträucher darauf abgehauen, sondern auch den mehresten Theil davon abgearbeitet haben. Meine Ruhe war dermassen vergnügt, daß ich mich nicht eher als des andern Morgens, etwa zwey Stunden nach Aufgang der Sonnen, ermuntern [161] konte. Ich schämete mich vor mir selbst, so lange geschlaffen zu haben, stund aber hurtig auf, nahm meine 5. gestern geschossene Rebhüner, schoß unter Wegs noch ein junges Reh, und eilete dem Wege zu, welcher mich zu meiner verlassenen Gesellschafft führen solte.

Mein Rückweg fand sich durch unverdrossenes Suchen weit leichter und sicherer als der gestrige, den ich mit Leib und Lebens-Gefahr hinauf gestiegen war, derowegen machte ich mir bey jeder Umkehrung ein gewisses Zeichen, um denselben desto eher wieder zu finden, weil die vielen Absätze der Felsen von Natur einen würcklichen Irrgang vorstelleten. Mein junges Reh wurde ziemlich bestäubt, indem ich selbiges wegen seiner Schwere immer hinter mir drein schleppte, die Rebhüner aber hatte mit einem Bande an meinen Halß gehenckt, weil ich die Flinte statt eines Wander-Staabs gebrauchte. Endlich kam ich ohn allen Schaden herunter, und traff meine zurück gelassene Gesellschafft, eben bey der Mittags-Mahlzeit vor der Felsen-Herberge an. Mons. van Leuven und Concordia sprangen, so bald sie mich nur von ferne erblickten, gleich auf, und kamen mir entgegen gelauffen. Der erste umarmte und küssete mich, sagte auch: Monsieur Albert, der erste Bissen, den wir seit eurer Abwesenheit gegessen haben, steckt noch in unsern Munde, weil ich und meine Liebste die Zeit eurer Abwesenheit mit Fasten und gröster Betrübniß zugebracht haben. Fraget sie selbst, ob sie nicht seit Mitternachts-Zeit viele Thränen eurentwegen vergossen hat? Madame, gab ich lachend [162] zur Antwort, ich will eure kostbaren Thränen, in Abschlag mit 5. delicaten Rebhünern und einem jungen Reh bezahlen, aber,Monsieur van Leuven, wisset ihr auch, daß ich das schöne Paradieß entdeckt habe, woraus vermuthlich Adam und Eva durch den Cherub verjagt worden?Monsieur Albert, schrye van Leuven, habt ihr etwa das Fieber bekommen? oder phantasirt ihr auf andere Art? Nein, Monsieur, wiederredete ich, bey mir ist weder Fieber noch einige andere Phantasie, sondern lasset mich nur eine gute Mahlzeit nebst einem Glase Wein finden, so werdet ihr keine Phantasie, sondern eine wahrhafftige Erzehlung von allen dem, was mir GOtt und das Glücke gewiesen hat, aus meinem Munde hören können.

Sie ergriffen beyde meine Arme, und führeten mich zu dem sich kranck zeigenden Lemelie, welcher aber doch ziemlich wohl von der zugerichteten Schild-Kröte und See-Kalbe essen konte, auch dem Wein-Becher keinen Zug schuldig blieb. Ich meines Theils ersättigte mich nach Nothdurfft, stattete hernachmahls den sämtlichen Anwesenden von meiner gethanen Reise den umständlichen Bericht ab, und dieser setzte meine Gefährten in so grosse Freude als Verwunderung. Mons. van Leuven wolte gleich mit, und das schöne Paradieß in meiner Gesellschafft besehen, allein, meine Müdigkeit, Concordiens gute Worte und des Lemelie Faulheit, fruchteten so viel, daß wir solches biß Morgenanbrechenden Tag aufschoben, immittelst aber desto sehnlicher auf ein vorbey seeglendes Schiff Achtung gaben, welches zwar immer in unsern [163] Gedancken, auf der See aber desto weniger zum Vorscheine kommen wolte.

So bald demnach das angenehme Sonnen-Licht abermahls aus der See empor gestiegen kam, steckte ein jeder an Lebens-Mitteln, Pulver, Bley und andern Nothdürfftigkeiten so viel in seine Säcke, als er sich fortzubringen getrauete. Concordia durffte auch nicht ledig gehen, sondern muste vor allen andern in der Hand eine scharffe Radehaue mitschleppen. Ich führete nebst meiner Flinte und Rantzen eine Holtz-Axt, und suchte noch lange Zeit nach einem kleinen Hand-Beile, womit man dann und wann die verhinderlichen dünnen Sträucher abhauen könte, weil aber die Hand-Beile, ich weiß nicht wohin, verlegt waren, und meine 3. Gefährten über den langen Verzug ungedultig werden wolten, beschenckte mich Lemelie, um nur desto eher fortzukommen, mit einem artigen, 2. Finger breiten, zweyschneidigen und wohlgeschliffenen Stillet, welches man gantz wohl statt eines Hand-Beils gebrauchen, und hernachmahls zur Gegenwehr wider die wilden Thiere, mit dem Griffe in die Mündung des Flinten-Lauffs stecken konte. Ich hatte eine besondere Freude über das artige Instrument, danckte dem Lemelie fleißig davor, er aber wuste nicht, daß er hiermit ein solches kaltes Eisen von sich gab, welches ihm in wenig Wochen den Lebens-Faden abkürtzen würde, wie ihr in dem Verfolg dieser Geschichte gar bald vernehmen werdet. Doch da wir uns nunmehro völlig ausgerüstet, die Reise nach dem eingebildeten Paradiese anzutreten, ging ich als Wegweiser [164] voraus,Lemelie folgte mir, Concordia ihm, und van Leuven schloß den gantzen Zug. Sie konten sich allerseits nicht gnugsam über meinen klugen Einfall verwundern, daß ich die Absätze der Felsen, welche uns auf die ungefährlichsten Stege führeten, so wohl gezeichnet hatte, denn sonsten hätte man wohl 8. Tage suchen, wo nicht gar Halß und Beine brechen sollen. Es ging zwar immer, je höher wir kamen, je beschwerlicher, sonderlich weil uns Concordiens Furchtsamkeit und Schwindel sehr viel zu schaffen machte, indem wir ihrentwegen hier und dar Stuffen einhauen musten. Doch erreichten wir endlich die alleroberste Höhe glücklich, allein, da es an den Sprung über die Felsen-Klufft gehen solte, war aufs neue Noth vorhanden, denn Concordia konte sich aus Furcht, zu kurtz zu springen und hinunter zu stürtzen, unmöglich darzu entschliessen, ohngeacht der Platz breit genug zum Ausholen war, derowegen musten wir dieselbe sitzen lassen, und unten im nächsten Holtze einige junge Bäume abhauen, welche wir mit gröster Mühe den Felsen wieder hinauf schleppten, Queer-Höltzer darauf nagelten und bunden, also eine ordentliche Brücke über diesen Abgrund schlugen, auf welcher nachhero Concordia, wiewohl dennoch mit Furcht und Zittern, sich herüber führen ließ.

Ich will die ungemeinen Freudens-Bezeugungen meiner Gefährten, welche dieselben, da sie alles weit angenehmer auf dieser Gegend fanden, als ich ihnen die Beschreibung gemacht, mit Stillschweigen übergehen, und ohne unnöthige Weitläufftigkeit [165] ferner erzehlen, daß wir nunmehro ingesamt anfingen das gantze Land zu durchstreichen, wobey Mons. van Leuven glücklicher als ich war, gewisse Merckmahle zu finden, woraus zu schliessen, daß sich ohnfehlbar vernünfftige Menschen allhier aufgehalten hätten, wo selbige ja nicht noch vorhanden wären. Denn es fand sich jenseit des etwa 12. biß 16. Schritt breiten Flusses an dem Orte, wo itzo Christians-Raum angebauet ist, ein mit zugespitzten Pfälen umsetzter Garten-Platz, in welchen sich annoch die schönsten Garten-Gewächse, wiewohl mit vielen Unkraut verwachsen, zeigten, wie nicht weniger schöne rare Blumen und etliche Stauden von Hülsen-Früchten, Weitzen, Reiß und andern Getrayde. Weiter hinwarts lagen einige Scherben von zerbrochenen Gefässen im Grase, und Sudwerts auf dem Wein-Gebürge, welches itzo zuChristophs- und Roberts-Raum gehöret, fanden sich einige an Pfähle fest gebundene Wein-Reben, doch war dabey zu muthmassen, daß das Anbinden schon vor etlichen Jahren müsse geschehen seyn. Hierauf besahen wir die See, aus welcher der sich in 2. Arme theilende Fluß entspringet, bemerckten, daß selbige nebst dem Flusse recht voll Fischen wimmelte, kehreten aber, weil die Sonne untergehen wolte, und Concordia sehr ermüdet war, zurück auf vorerwehntes erhabene Wein-Gebürge, und beschlossen, weil es eine angenehme Witterung war, daselbst über Nacht auszuruhen. Nachdem wir zu Abends gespeiset hatten, und das schönste Wild häuffig auf der Ebene herum spatziren sahen, beurtheilten wir alles, was uns heutiges [166] Tages zu Gesicht kommen war, und befunden uns darinnen einig, daß schwerlich ein schöner Revier in der Welt anzutreffen wäre. Nur wurde beklagt, daß nicht noch einige Familien zugegen seyn, und nebst uns diese fruchtbare Insul besetzen solten. Lemelie sagte hierbey: Ich schwere bey allen Heiligen, daß ich Zeit Lebens allhier in Ruhe zu bleiben die gröste Lust empfinde, es fehlen also nichts als zwey Weiber, vor mich und Mons. Albert, jedoch Monsieur, (sagte er zu Mons. van Leuven) was solte es wohl hindern, wenn wir uns bey dergleichen Umständen alle 3. mit einer Frau behülffen, fleißig Kinder zeugten und dieselbe sodann auch mit einander verheyratheten. Mons. van Leuven schüttelte den Kopff, weßwegen Lemelie sagte: ha Monsieur, man muß in solchen Fällen die Eyfersucht, den Eigensinn und den Eckel bey Seite setzen, denn weil wir hiesiges Orts keiner weltlichen Obrigkeit unterworffen sind, auch leichtlich von Niemand beunruhiget zu werden fürchten dürffen, so können wir uns Gesetze nach eigenem Gefallen machen, dem Himmel aber wird kein Verdruß erwecket, weil wir ihm zur Danckbarkeit, darvor, daß er uns von allen Menschen abgesondert hat, eine gantz neueColonie erzeugen.

Monsieur van Leuven schüttelte den Kopff noch weit stärcker als vorhero, und gab zur Antwort:Mons. Lemelie, ihr erzürnet den Himmel mit dergleichen sündlichen Reden. Gesetzt aber auch, daß dieses, was ihr vorgebracht, vor Göttlichen und weltlichen Rechten wohl erlaubt wäre, so kan ich euch doch versichern, daß ich, so lange noch Adelich [167] Blut in meinen Adern rinnet, meine Concordia mit keinem Menschen auf der Welt theilen werde, weil sie mir und ich ihr allein auf Lebens-Zeit beständige Treue und Liebe zugeschworen.

Concordia vergoß mittlerzeit die bittersten Thränen, schlug die Hände über den Kopffe zusammen, und schrye: Ach grausames Verhängniß, so hast du mich denn aus dem halb überstandenen Tode an solchen Ort geführet, wo mich die Leute an statt einer allgemeinen Hure gebrauchen wollen? O Himmel, erbarme dich! Ich vor meine Person hätte vor Jammer bald mit geweinet, legte mich aber vor sie auf die Knie, und sagte: Madame, ich bitte euch um GOttes willen, redet nicht von allen, da ihr euch nur über eine Person zu beschweren Ursach habt, denn ich ruffe GOtt und alle heiligen Engel zu Zeugen an, daß mir niemahls dergleichen frevelhaffte und höchst-sündliche Gedancken ins Hertz oder Haupt kommen sind, ja ich schwere noch auf itzo und folgende Zeit, daß ich eher dieses Stillet selbst in meinen Leib stossen, als euch den allergeringsten Verdruß erwecken wolte. Verzeihet mir, guter Albert, war ihre Antwort, daß ich unbesonnener Weise mehr als einen Menschen angeklagt habe. GOtt weiß, daß ich euch vor redlich, keusch und tugendhafft halte, aber der Himmel wird alle geilen Frevler straffen, das weiß ich gewiß. Worauf sich aus ihren schönen Augen ein neuer Thränen-Strohm ergoß, der den Lemelie dahin bewegte, daß er sich voller Trug und List, doch mit verstellter Aufrichtigkeit, auch zu ihren Füssen warff, und folgende Worte vorbrachte: Madame, [168] lasset euch um aller Heiligen willen erbitten, euer Betrübniß und Thränen zu hemmen, und glaubet mir sicherlich, alle meine Reden sind ein blosser Schertz gewesen, vor mir sollet ihr eure Ehre unbefleckt erhalten, und wenn wir auch 100. Jahr auf dieser Insul allein beysa en bleiben müsten. Monsieur van Leuven, euer Gemahl, wird die Güte haben, mich wiederum bey euch auszusöhnen, denn ich bin von Natur etwas frey im Reden, und hätte nimmermehr vermeinet, euch so gar sehr empfindlich zu sehen. Er entschuldigte seinen übel gerathenen Schertz also auch bey Mons. van Leuven, und nach einigen Wort-Wechselungen wurde unter uns allen ein vollkommener Friede gestifftet, wiewohlConcordia ihre besondere Schwermuth in vielen nachfolgenden Tagen noch nicht ablegen konte.

Wir brachten die auf selbigen streitigen Abend eingebrochne Nacht in süsser Ruhe hin, und spatzirten nach eingenommenen Frühstück gegen Süden um die See herum, traffen abermahls die schönsten Weinberge und Metall in sich haltende Steine an, wie nicht weniger die Saltz-Lachen und Berge, welche ihr heute nebst mir in dem Stephans-Raumer Felde besichtigt habt. Allhier konte man nicht durch den Arm des Flusses kommen, indem derselbe zwar eben nicht breiter, doch viel tieffer war als der andere, durch welchen wir vorigen Tages gantz gemächlich hindurch waden können. Demnach musten wir unsern Weg wieder zurück, um die See herum, nach demjenigen Ruhe-Platze nehmen, wo es sich verwichene Nacht so sanfft geschlaffen hatte. Weil es aber annoch hoch Tag war, beliebten wir [169] etwas weiter zu gehen, setzten also an einem seichten Orte durch den Fluß, und gelangeten auf gegenwärtigem Hügel, der itzo meine so genannte Alberts-Burg und unsere Personen trägt.

Dieser mitten in der Insul liegende Hügel war damals mit dem allerdicksten, wiewol nicht gar hohem, Gepüsche bewachsen, indem wir nun bemühet waren, eine bequeme Ruhe-Städte daselbst auszusuchen, geriethen Mons. van Leuven, und Concordia von ohngefähr auf einen schmalen durch das Gesträuche gehauenen Weg, welcher dieselben in eine der angenehmsten Sommer-Läuben führete. Sie rieffen uns beyde zurückgebliebenen dahin, um dieses angenehme Wunderwerck nebst dessen Bequemlichkeit mit uns zu theilen, da wir denn sogleich einstimmig bekennen musten, daß dieses kein von der Natur, sondern von Menschen Händen gemachtes Werck seyn müsse, denn die Zacken waren oben allzukünstlich, als ein Gewölbe zusammen geflochten, so daß, wegen des sehr dick auf einander liegenden Laubwercks, kein Tropffen Wasser durchdringen konte, über dieses gab der Augenschein, daß der Baumeister vor diesen an 3en Seiten rechte Fenster-Löcher gelassen, welche aber nunmehro gantz wild verwachsen waren, zu beyden seiten des Eingangs hingegen, stunden 2. oben abgesägte Bäume, deren im Bogen geschlungene Zweige ein ordentliches Thür-Gewölbe formirten.

Es war in diesem grünen Lust-Gewölbe mehr Platz, als 4. Personen zur Noth bedurfften, weßwegenMons. van Leuven vorschlug, daß wir sämtlich darinnen schlaffen wolten, allein Lemelie [170] war von solcher unerwarteten Höfflichkeit, daß er so gleich heraus brach: Mons. van Leuven, der Himmel hat euch beyden Verliebten aus besondern vorbedacht zuerst in dieses angenehme Quartier geführet, derowegen brauchet eure Bequemlichkeit alleine darinnen, Mons. Albert wird euch so wenig als ich darinnen zu stöhren willens seyn, hergegen sich, nebst mir, eine andere gute Schlaf-Stelle suchen. Wie sehr sich nun auchMons. van Leuven und seine Gemahlin darwider zu setzen schienen, so musten sie doch endlich uns nachgeben und bewilligen, daß dieses artige Quartier des Nachts vor sie allein, am Tage aber, zu unser aller Bequemlichkeit dienen solte.

Also liessen wir die beyden alleine, und baueten, etwa 30. Schritte von dieser, in der Geschwindigkeit eine andere ziemlich bequeme Schlaf-Hütte vor Lemelie und mich, brachten aber selbige in folgenden Tagen erstlich recht zum Stande. Von nun an waren wir eifrigst bemühet, unsere nöthigsten Sachen von der Sand-Banck über das Felsen-Gebürge herüber auf die Insul zu schaffen, doch diese Arbeit kostete manchen Schweiß-Tropffen, indem wir erstlich viele Stuffen einarbeiten musten, um, mit der tragenden Last recht fussen und fortkommen zu können. Da aber dergleichen Vornehmen wenig förderte, und die Felsen, in einem Tage, nicht wol mehr als 2. mal zu besteigen waren, fiel uns eine etwas leichtere Art ein, worbey zugleich auch ein weit mehreres hinauff gebracht werden konte. Denn wir machten die annoch beybehaltenen Tauen und Stricke von dem Schiffs-Stücke [171] vollends loß, bunden die Sachen in mäßige Packe, legten von einem Absatze zum andern Stangen an, und zohen also die Ballen mit leichter Mühe hinauf, wobey Lemelie seinen Fleiß gantz besonders zeigte. Mittlerweile war Concordia gantz allein auf der Insul, übte sich fleißig im Schiessen, denn wir hatten eine gute quantität unverdorbenes Pulver im Vorrath, fieng anbey so viel Fische als wir essen konten, und ließ uns also an gekochten und gebratenen Speisen niemals Mangel leyden, obschon unser Zwieback gäntzlich verzehret war, welchen Mangel wir aber mit der Zeit schon zu ersetzen verhofften, weil wir die wenigen Waitzen und andern Geträyde-Aehren, wol umzäunt, und vor dem Wilde verwahrt hatten, deren Körner im Fall der Noth zu Saamen aufzuheben, und selbige zu vervielfältigen, unser hauptsächliches Absehen war.

Der erste Sonntag, den wir, laut Anzeigung der bey uns führenden Calender, auf dieser Insul erlebten, war uns ein höchst angenehmer erfreulicher Ruhe-Tag, an welchen wir alle gewöhnliche Wochen-Arbeit liegen liessen, und den gantzen Tag mit beten, singen und Bibel-lesen zubrachten, denn Concordia hatte eine Englische, und ich eine Hochteutsche Bibel, nebst einem Gesang und Gebet-Buche, mit gerettet, welches beydes ich auch noch biß auf diesen Tag, GOTT lob, als ein besonderes Heiligthum aufbehalten habe. Die Englischen Bücher aber sollen euch ehester Tages inRoberts-Raum gezeiget werden.

Immittelst ist es etwas nachdenckliches, daß dazumal auf dieser Insul unter uns 4. Personen, die [172] 3. Haupt-Secten des christlichen Glaubens anzutreffen waren, weil Mons. van Leuven, und seine Frau derReformirten, ich Albert Julius, als ein gebohrner Sachse, der damals so genannten Lutherischen, undLemelie, als ein Frantzose, der Römischen Religion des Pabsts beypflichteten. Die beyden Ehe-Leute und ich konten uns im beten und singen gantz schön vereinigen, indem sie beyde ziemlich gut teutsch verstunden und redeten; Lemelie aber, der doch fast alle Sprachen, ausser den Gelehrten Haupt-Sprachen, verstehen und ziemlich wol reden konte, hielt seinen Gottesdienst von uns abgesondert, in selbst erwehlter Einsamkeit, worinnen derselbe bestanden, weiß ich nicht, denn so lange wir mit ihm umgegangen, hat er wenig Gottgefälliges an sich mercken lassen.

Am gedachten Sonntage gegen Abend gieng ich unten an der Seite des Hügels nach dem grossen See zu, etwas lustwandeln herum, schurrte von ohngefähr auf dem glatten Grase, und fiel in einen mit dünnen Sträuchern verdeckten Graben über 4. Ellen tieff hinunter, worüber ich anfänglich hefftig erschrack, und in einem Abgrund zu seyn glaubte, doch da ich mich wieder besonnen, und nicht den geringsten Schaden an meinem Leibe vermerckt, rafften sich meine zittrenden Glieder eilig auf. Im Umkehren aber wurden meine Augen einer finstern Höle gewahr, welche mit allem Fleisse in den Hügel hinein gearbeitet zu seyn schiene.

Ich gieng biß zum Eintritt derselben getrost hin, da aber nichts als eine dicke Finsterniß zu sehen war, über dieses eine übelriechende Dunst mir einen besondern [173] Eckel verursachte, fieng meine Haut an zu schauern, und die Haare begonten Berg auf zu stehen, weßwegen ich eiligst umwandte, und mit fliegenden Schritten den Rückweg suchte, auch gar bald wiederum bey Mons. van Leuven und Concordien ankam. Beyde hatten sogleich meine blasse Farbe und hefftige Veränderung angemerckt, weßwegen ich auf ihr Befragen alles erzehlte, was mir begegnet war. DochMons. van Leuven sagte: Mein Freund, ihr seyd zuweilen ein wenig allzu neugierig, wir haben nun mehro, GOtt sey Lob, genung gefunden, unser Leben so lange zu erhalten, biß uns der Himmel Gelegenheit zuschickt an unsern erwehlten Ort zu kommen, derowegen lasset das unnütze Forschen unterwegen, denn wer weiß ob sich nicht in dieser Höle die gifftigen Thiere aufhalten, welche euch augenblicklich ums Leben bringen könten. Ihr habt recht, mein Herr gab ich zur Antwort, doch dieses mal ist mein Vorwitz nicht so viel schuld, als das unverhoffte Hinunterfallen, damit auch dergleichen hinführo niemanden mehr begegnen möge, will ich die Sträucher rund herum abhauen, und alltäglich eine gute Menge Erde abarbeiten, biß diese eckle Grufft vollkommen zugefüllet ist.Mons. van Leuven versprach zu helffen, Concordia reichte mir ein Gläßlein von dem noch sehr wenigem Vorrathe des Weins, nebst 2. Stücklein Hertzstärckenden Confects, welches beydes mich gar bald wiederum erquickte, so daß ich selbigen Abend noch eine starcke Mahlzeit halten, und nach verrichteten Abend-Gebet, mich gantz [174] aufgeräumt neben den Lemelie schlafen legen konte.

Allein, ich habe Zeit meines Lebens keine ängstlichere Nacht als diese gehabt. Denn etwa um Mitternacht, da ich selbst nicht wuste ob ich schlieff oder wachte, erschien mir ein langer Mann, dessen weisser Bart fast biß auf die Knie reichte, mit einem langen Kleide von rauchen Thier-Häuten angethan, der auch dergleichen Mütze auf dem Haupte, in der Hand aber eine grosse Lampe mit 4. Dachten hatte, dergleichen zuweilen in den Schiffs-Laternen zu brennen pflegen. Dieses Schreckens-Bild trat gleich unten zu meinen Füssen, und hielt mir folgenden Sermon, von welchen ich noch biß diese Stunde, wie ich glaube, kein Wort vergessen habe: Verwegner Jüngling! was wilstu dich unterstehen diejenige Wohnung zu verschütten, woran ich viele Jahre gearbeitet, ehe sie zu meiner Bequemlichkeit gut genung war. Meinestu etwa das Verhängniß habe dich von ohngefähr in den Graben gestossen, und vor die Thür meiner Höle geführet? Nein keines wegs! Denn weil ich mit meinen Händen 8. Personen auf dieser Insul aus christlicher Liebe begraben habe, so bistu auserkohren meinem vermoderten Cörper eben dergleichen Liebes-Dienst zu erweisen. Schreite derowegen ohne alle Bekümmerniß gleich morgenden Tages zur Sache, und durchsuche diejenige Höle ohne Scheu, welche du gestern mit Grausen verlassen hast, woferne dir anders deine zeitliche Glückseligkeit lieb ist. Wisse auch, daß der Himmel etwas besonderes mit dir vor hat. Deine Glückseeligkeit aber wird sich nicht [175] eher anheben, biß du zwey besondere Unglücks-Fälle erlitten, und diesem deinen Schlaf-Gesellen, zur bestimmten Zeit den Lohn seiner Sünden gegeben hast. Mercke wohl was ich dir gesagt habe, erfülle mein Begehren, und empfange dieses Zeichen, um zu wissen, daß du nicht geträumet hast.

Mit Endigung dieser letzten Worte drückte er mich, der ich im grösten Schweisse lag, dermassen mit einem seiner Finger oben auf meine rechte Hand, daß ich laut an zu schreyen fieng, worbey auch zugleich Licht und alles verschwand, so, daß ich nun weiter nichts mehr, als den ziemlich hellen Himmel durch die Laub-Hütte blicken sahe.

Lemelie, der über mein Geschrey auffuhr, war übel zufrieden, daß ich ihm Unruh verursachte, da ich aber aus seinen Reden vermerckt, daß er weder etwas gesehen noch gehöret hätte, ließ ich ihn bey den Gedancken, daß ich einen schweren Traum gehabt, und stellete mich an, als ob ich wieder schlaffen wolte, wiewol ich nachfolgende Zeit biß an hellen Morgen ohne Ruh, mit Uberlegung dessen, was mir begegnet war, zubrachte, an meiner Hand aber einen starck mit Blut unterlauffenen Fleck sahe.

So bald zu muthmassen, daß Mons. van Leuven aufgestanden, verließ ich gantz sachte meine Lagerstatt, verfügte mich zu ihm, und erzehlete, nachdem ich ihn etwas ferne von der Hütte geführet, alles aufrichtig, wie mir es in vergangener Nacht ergangen. Er umarmete mich freundlich, und sagte: Mons. Albert, ich lerne immer mehr und mehr erkennen, daß ihr zwar das Glück, selbiges aber euch noch weit mehr suchet, derowegen biete ich mich zu euren Bruder [176] an, und hoffe ihr werdet mich nicht verschmähen, wir wollen gleich itzo ein gut præservativ vor die bösen Dünste einnehmen, und die Höle in GOttes Nahmen durchsuchen, denn das Zeichen auf eurer Hand hat mich erstaunend und glaubend gemacht, daß der Verzug nunmehro schädlich sey. Aber Lemelie! Lemelie sagte er weiter, macht mir das Hertze schwer, so offt ich an seine übeln Gemüths-Regungen gedencke, wir haben gewiß nicht Ursach uns seiner Gesellschafft zu erfreuen, GOTT steure seiner Boßheit, wir wollen ihn zwar mit zu diesem Wercke ziehen; Allein mein Bruder! verschweiget ihm ja euer nächtliches Gesichte, und saget: ihr hättet einen schweren Traum gehabt, welcher euch schon wieder entfallen sey.

Dieser genommenen Abrede kamen wir in allem genau nach, beredeten Concordien, an den Fluß fischen zu gehen, eröffneten dem Lemelie von unserm Vorhaben, so viel als er wissen solte, und giengen alle 3. gerades Wegs nach der unterirrdischen Höle zu, nachdem ich in eine, mit ausgelassenen Seeckalbs-Fett, angefüllte eiserne Pfanne, etliche angebrannte Tochte gelegt, und dieselbe an statt einer Fackel mitgenommen hatte.

Ich gieng voran, Lemelie folgte mir, und Mons. van Leuven ihm nach, so bald wir demnach in die fürchterliche Höle, welche von meiner starck brennenden Lampe überall erleuchtet wurde, eingetreten waren, erschien ein starcker Vorrath allerhand Haußgeräths von Kupffer, Zinn und Eisenwerck, nebst vielen Pack-Fässern, und zusammen gebundenen Ballen, welches alles aber ich nur oben hin betrachtete, [177] und mich rechter Hand nach einer halb offenstehenden Seiten-Thür wandte. Nachdem aber selbige völlig eröffnet hatte, und gerade vor mich hingieng, that der mir folgende Lemelie einen lauten Schrey und sanck ohnversehens in Ohnmacht nieder zur Erden. Wolte GOTT, seine lasterhaffte Seele hätte damals den schändlichen Cörper gäntzlich verlassen! so aber riß ihn van Leuven gleich zurück an die frische Lufft, rieb ihm die Nase und das Gesicht so lange, biß er sich etwas wieder ermunterte, worauff wir ihn allda liegen liessen, und das Gewölbe rechter Hand aufs neue betraten. Hier kam uns nun dasjenige, wovor sich Lemelie so grausam entsetzt hatte, gar bald zu Gesichte. Denn in dem Winckel lincker Hand saß ein solcher Mann, dergleichen mir vergangene Nacht erschienen, auf einem in Stein gehauenen Sessel, als ob er schlieffe, indem er sein Haupt mit dem einen Arme auf den darbey befindlichen Tisch gestützt, die andere Hand aber auf dem Tische ausgestreckt liegen hatte. Uber dem Tische an der Wand hieng eine 4. eckigte Lampe, und auf demselben waren, nebst etlichen Speise- und Trinck-Geschirren, 2. grosse, und eine etwas kleinere Tafel mit Schrifften befindlich, welche 3. letztern Stücke wir heraus ans Licht trugen, und in der ersten Tafel, die dem Ansehen nach aus einem Zinnern Teller geschlagen, und sauber abgeschabt war, folgende Lateinische Zeilen eingegraben sehen, und sehr deutlich lesen konten.

Mit diesen Worten stund unser Altvater Albertus Julius auf, und langete aus einem Kasten verschiedene [178] Brieffschafften, ingleichen die erwehnten 3. Zinnern Tafeln, welche er biß dahero fleißig aufgehoben hatte, überreichte eine grosse, nebst der kleinen, an Herr M. Schmeltzern, und sagte: Mein Herr! ihr werdet allhier das Original selbst ansehen, und uns selbiges vorlesen. Dieser machte sich aus solcher Antiquität eine besondere Freude, und laß uns folgendes ab:


Advena!

quisquis es

si mira fata te in meum mirum domicilium

forsitan mirum in modum ducent,

sceleto meo præter opinionem conspecto,

nimium ne obstupesce,

sed cogita,

te, noxa primorum parentum admissa, iisdem

fatis

eidemque mortalitati esse obnoxium.

Quod reliqvum est,

reliqvias mei corporis ne sine insepultas

relinqui;

Mortuus enim me mortuum ipse sepelire

non potui.

Christianum, si Christianus vel ad minimum

homo es, decet

honesta exsequiarum justa solvere Christiano,

qui totam per vitam laboravi,

ut in Christum crederem, Christo viverem,

Christo denique morerer.

Pro tuo labore parvo, magnum feres præmium.

[179] Nimirum

Si tibi fortuna, mihi multos per annos negata,

contingit,

ut ad dissociatam hominum societatem

iterum consocieris,

pretiosissimum operæ pretium ex hac spelunca

sperare & in spem longæ felicitatis tecum

auferre poteris;

Sin vero mecum cogeris

In solitudine solus morti obviam ire

nonnulla memoratu dignissima scripta

quæ in mea sella, saxo incisa, jacent

recondita,

Tibi fortasse erunt & gaudio & usui.

En!

grato illa accipe animo,

Aura secunda tuæ navis vaga vela secundet!

sis me felicior.

quamvis me nunquam adeo infelicem dixerim!

Vale, Advena, vale,

manda rogatus me terræ

Et crede, Deum, qvem colui, daturum,

ut bene valeas.


Auf dem kleinen Täfflein aber, welches, unsers Altvaters Aussage nach, halb unter des Verstorbenen rechter Hand verdeckt gelegen, waren diese Zeilen zu lesen.


Natus sum d. IX. Aug. CIƆ CCCC LXXV.
Hanc Insulam attigi d. XIV. Nov. CIƆ IƆ XIIII.
Sentio, me, ætate confectum, brevi moriturum
esse, licet nullo morbo, nullisque doloribus
[180] opprimar. Scriptum id est d. XXVII. Jun. CIƆ IƆC VI.
Vivo quidem, sed morti proximus, d. XXVIII. XXIX. & XXX. Junii.
Adhuc d. I. Jul. II. III. IV.

Nachdem wir über diese sonderbare Antiquität und die sinnreiche Schrifft, welche gewiß aus keinem ungelehrten Kopffe geflossen war, noch ein und anderes Gespräch gehalten hatten, gab mir der Altvater Albertus die drey Zinnern Tafeln, (wovon die eine eben dasselbe in Spanischer Sprache zu vernehmen gab, was wir auf der grossen Lateinisch gelesen,) nebst den übrigen schrifftlichen Urkunden in Verwahrung, mit dem Befehle: Daß ich alles, was Lateinisch wäre, bey künfftigen müßigen Stunden ins Hoch-Teutsche übersetzen solte, welches ich auch mit ehesten zu liefern versprach. Worauff er uns nach verrichteten Abend-Gebeth beurlaubte, und sich zur Ruhe legte.

Ich Eberhard Julius hingegen war nebst Hn. M. Schmeltzern viel zu neugierig, um zu wissen, was die alten Brieffschafften in sich hielten, da wir denn in Lateinischer Sprache eine Lebens-Beschreibung des Spanischen Edelmanns Don Cyrillo de Valaro darunter fanden, (welches eben der 131. jährige Greiß war, dessen Cörper damals in der Höle unter dem Alberts-Hügel gefunden worden,) und biß zu Mitternacht ein Theil derselben, mit gröstem Vergnügen, durchlasen. Ich habe dieselbe nachhero so zierlich, als es mir damals möglich, ins Hoch-Teutsche übersetzt, allein um den geneigten Leser [181] in den Geschichten keine allzugrosse Verwirrung zu verursachen, vor besser gehalten, dieselbe zu Ende des Wercks, als einen Anhang beyzufügen, weil sie doch hauptsächlich zu der Historie von dieser Felsen-Insul mit gehöret. Inzwischen habe einiger, im Lateinischen vielleicht nicht allzu wohl erfahrner Leser wegen, die auf den Zinnern Tafeln eingegrabene Schrifft, teutsch anhero zu setzen, vor billig und nöthig erachtet. Es ist mir aber solche Verdollmetschung, dem Wort-Verstande nach, folglich gerathen:


Ankommender Freund!

wer du auch bist

Wenn dich vielleicht das wunderliche Schicksal in

diese wunderbare Behausung wunderbarer

Weise führen wird,

so erstaune nicht allzusehr über die unvermuthete

Erblickung meines Gerippes,

sondern gedencke,

daß du nach dem Fall der ersten Eltern eben dem

Schicksal, und eben der Sterblichkeit

unterworffen bist.

Im übrigen

laß das Uberbleibsel meines Leibes nicht unbegraben liegen,

Denn weil ich gestorben bin, habe ich mich

Verstorbenen nicht selbst begraben können.

Einen Christen

wo du anders ein Christ, oder zum wenigsten ein

Mensch bist,

stehet zu

einen Christen ehrlich zur Erde zu bestatten,

[182] Da ich mich in meinem gantzen Leben bestrebt,

daß ich an Christum gläubte, Christo lebte,

und endlich Christo stürbe.

Du wirst vor deine geringe Arbeit eine grosse

Belohnung erhalten.

Denn wenn dir das Glücke, dasjenige, was es mir

seit vielen Jahren her verweigert hat,

wiederfahren lässet,

nemlich, daß du dich wieder zu der abgesonderten

Gesellschafft der Menschen gesellen könnest;

So wirstu dir eine kostbare Belohnung zu

versprechen, und dieselbe aus dieser Höle

mit hinweg zu nehmen haben;

Wenn du aber so, wie ich, gezwungen bist,

In dieser Einsamkeit als ein Einsiedler dem Tode

entgegen zu gehen;

So werden doch einige merckwürdige

Schrifften,

die in meinem in Stein gehauenen Sessel

verborgen liegen,

dir vielleicht erfreulich und nützlich seyn.

Wohlan!

Nimm dieselben mit danckbaren Hertzen an,

der gütige Himmel mache dich beglückt,

und zwar glücklicher als mich,

wiewohl ich mich niemals vor recht unglücklich

geschätzt habe.

Lebe wohl ankommender Freud! Lebe wohl,

höre meine Bitte, begrabe mich,

Und glaube, daß GOTT, welchem ich gedienet,

geben wird:

Daß du wohl lebest.


[183] Die Zeilen auf der kleinen Tafel, bedeuten in teutscher Sprache so viel:

Ich bin gebohren den 9. Aug. 1475.

Auf diese Insul gekommen, den 14. Nov. 1514.

Ich empfinde, daß ich Alters halber in kurtzer Zeit sterben werde, ohngeacht ich weder Kranckheit, noch einige Schmertzen empfinde. Dieses habe ich geschrieben am 27. Jun. 1606.

Ich lebe zwar noch, bin aber dem Tode sehr nahe, d. 28. 29. und 30. Jun. und noch d. 1. Jul. 2. 3. 4.


Jedoch ich fahre nunmehro in unsern eigenen Geschichten fort, und berichte dem geliebten Leser, daß wir mit Anbruch folgendes Donnerstags, d. 22. 9br. uns nebst dem Altvater Albert Julio aufmachten, und die Pflantz-Städte Jacobs-Raum besuchten, welche aus 9. Wohn-Häusern, die mit allem Zubehör wol versehen waren, bestund.

Wiewol nun dieses die kleineste Pflantz-Stadt und schwächste Gemeine war, so befand sich doch bey ihnen alles in der schönsten Haußhaltungs-Ordnung, und hatten wir an der Einrichtung und besondern Fleisse, ihrem Verstande nach, nicht das geringste auszusetzen. Sie waren beschäfftiget, die Gärten, Saat, Felder, und sonderlich die vortrefflichen Weinstöcke, welche auf dem dasigen Gebürge in grosser Menge gepflantzt stunden, wol zu warten, indem es selbiger Zeit etwa 9. oder 10. Wochen vor der gewöhnlichen Wein-Erndte, bey den Feld-Früchten aber fast Erndte-Zeit war. Mons. Litzberg und Plager, untersuchten das Eingeweyde des [184] dasigen Gebürges, und fanden verschiedene Arten Steine, welche sehr reichhaltig von Kupffer und Silber-Ertz zu seyn schienen, die sie auch nachhero in der Probe unvergleichlich kostbar befanden. Nachdem wir aber auf der Rückkehr von den Einwohnern mit dem herrlichsten Weine, verschiedenen guten Speisen und Früchten, aufs bestetractirt waren, ihnen, gleich wie allen vorhero besuchten Gemeinen, 10. Bibeln, 20. Gesang- und Gebet-Bücher, auch allerhand andere feine nützliche Sachen, so wol vor Alte als Junge verehret hatten, kamen wir bey guter Zeit wiederum in der Alberts-Burg an, besuchten die Arbeiter am Kirchen-Bau auf eine Stunde, nahmen die Abend-Mahlzeit ein, worauff unser Altvater, nachdem er das Tisch-Gebeth gethan, unsere Begierde alsofort gemerckt, sich lächelnd in seinen Stuhl setzte, und die gestern abgebrochene Erzählung also fortsetzte:

Ich bin, wo mir recht ist, gestern Abend dabey geblieben: Da wir die Zinnernen Tafeln an das Tages-Licht trugen, und die eingegrabenen Schrifften ausstudirten. Mons. van Leuven und ich, konten das Latein,Lemelie aber, der sich von seinem gehabten Schrecken kaum in etwas wieder erholet, das Spanische, welches beydes doch einerley Bedeutung hatte, gantz wol verstehen. Ich aber kan mit Warheit sagen, daß so bald ich nur des letzten Willens, des VerstorbenenDon Cyrillo de Valaro, hieraus völlig versichert war, bey mir im Augenblicke alle annoch übrige Furcht verschwand. Meine Herren! sagte ich zu meinen Gefährten, wir sind schuldig dasjenige zu erfüllen, was dieser ohnfehlbar [185] seelig verstorbene Christ so sehnlich begehret hat, da wir ausser dem uns eine stattliche Belohnung zu versprechen haben. Mons. van Leuven war so gleich bereit, Lemelie aber sagte: Ich glaube nicht, daß die Belohnung so sonderlich seyn wird, denn die Spanier sind gewohnt, wo es möglich ist, auch noch nach ihrem Tode rodomontaden vorzumachen. Derowegen versichere, daß mich eher und lieber mit zwey See-Räubern herum schlagen, als mit dergleichen Leiche zu thun haben wolte; Jedoch euch als meinen Gefährten zu Gefallen, will ich mich auch bey dieser häßlichen Arbeit nicht ausschlüssen.

Hierauf lieff ich fort, langete ein grosses Stück alt Seegel-Tuch, nebst einer Hacke und Schauffel, welche 2. letztern Stück ich vor der Höle liegen ließ, mit dem Tuche aber begaben wir uns abermahls in die unter-irrdische Höle. Mons. van Leuven wolten den Cörper bey den Schultern, ich aber dessen Schenckel anfassen; allein, kaum hatten wir denselben etwas angeregt, da er auf einmahl mit ziemlichen Geprassele in einen Klumpen zerfiel, worüber Lemelie aufs neue dermassen erschrack, daß er seinen Kopff zwischen die Ohren nahm, und so weit darvon lieff, als er lauffen konte. Mons. van Leuven und ich erschracken zwar anfänglich auch in etwas, da wir aber überlegten, daß dieses natürlicher Weise nicht anders zugehen, und weder von unserm Versehen noch andern übernatürlichen Ursachen herrühren könte; Lasen und strichen wir die Gebeine und Asche des seeligen Mit-Bruders zusammen auf das ausgebreitete Seegel-Tuch, [186] trugen selbiges auf einen schönen grünen Platz in die Ecke, wo sich der aus dem grossen See entspringende Fluß in zwey Arme theilet, machten daselbst ein feines Grab, legten alles ordentlich zusammen gebunden hinein, und beschlossen, ihm, nach erlangten fernern Urkunden, mit ehesten eine Gedächtniß-Säule zu setzen. Ob nun schon der gute van Leuven durch seinen frühzeitigen und bejammerens-würdigen Tod dieses Vorhaben mit auszuführen verhindert wurde, so ist es doch nachhero von mir ins Werck gerichtet worden, indem ich nicht allein dem Don Cyrillo de Valaro, sondern auch dem ehrlichenvan Leuven und meiner seel. Ehe-Frau der Concordia, jedem eine besondere Ehren- dem gottlosen Lemelie aber eine Schand-Säule zum Gedächtniß über die Gräber aufgerichtet habe.

Diese Säulen nebst den Grabschrifften, sagte hierAlbertus, sollen euch, meine Freunde, ehester Tages zu Gesichte kommen, so bald wir auf dem Wege nach Christophs-Raum begriffen seyn werden. Jedoch ich wende mich wieder zur damahligen Geschicht.

Nachdem wir, wie bereits gedacht, dem Don Cyrillo nach seinem Begehren den letzten Liebes-Dienst erwiesen, seine Gebeine wohl verscharret, und einen kleinen Hügel darüber gemacht hatten, kehreten wir gantz ermüdet zur Concordia, welche uns eine gute Mittags-Mahlzeit bereitet hatte. Lemelie kam auch gar bald herzu, und entschuldigte seine Flucht damit, daß er unmöglich mit verfauleten Cörpern umgehen könne. Wir lächelten [187] hierzu, da aber Concordia gleichfals wissen wolte, was wir heute vor eine besondere Arbeit verrichtet hätten, erzehlten wir derselben alles umständlich. Sie bezeugte gleich nach der Mahlzeit besondere Lust mit in die Höle zu gehen, da aberMons. van Leuven, wegen des annoch darinnen befindlichen übeln Geruchs, ihr davon abrieth, und ihre Begierde biß auf ein paar Tage zu hemmen bat; gab sie sich gar bald zu frieden, ging wieder aus aufs Jagen und Fischen, wir 3. Manns Personen aber in die Höle, weil unsere grosse Lampe annoch darinnen brandte.

Nunmehro war, nachdem wir, den moderigen Geruch zu vertreiben, etliche mahl ein wenig Pulver angezündet hatten, unsere erste Bemühung, die alten Urkunden, welche in den steinernen Sessel verwahrt liegen solten, zu suchen. Demnach entdeckten wir im Sitze ein viereckigtes Loch, in welches ein wohlgearbeiteter Deckel eingepasset war, so bald nun derselbe ausgehoben, fanden sich oben auf die in Wachs eingefütterten geschriebenen Sachen, die ich euch, mein Vetter und Sohn, gestern Abend eingehändiget habe, unter denselbigen ein güldener Becher mit unschätzbaren Kleinodien angefüllet, welcher in den schönsten güldenen Müntzen vielerley Gepräges und Forme vergraben stund. Wir gaben uns die Mühe, dieses geraumliche Loch, oder den verborgenen Schatz-Kasten, gantz auszuräumen, weil wir aber weiter weder Brieffschafften noch etwas anders fanden, schütteten wir 18. Hüte voll Gold-Müntze wieder hinein, nahmen den Gold-Becher nebst den Brieffschafften [188] zu uns, und gingen, um die letztern recht durch zustudiren, hinauf in Mons. van Leuvens grüne Hütte, allwo wir den übrigen Theil des Tages biß in die späte Nacht mit Lesen und Verteutschen zubrachten, und allerhand höchst-angenehme Nachrichten fanden, die uns und den künfftigen Bewohnern der Insul gantz vortreffliche Vortheile versprechen konten.

Es war allbereit an dem, daß der Tag anbrechen wolte, da van Leuven und ich, wiewohl noch nicht vom Lesen ermüdet, sondern morgender Arbeit wegen die Ruhe zu suchen vor dienlich hielten; indem Concordia schon schlieff, der faule Lemelie aber seit etlichen Stunden von uns zu seiner Schlaf-Stätte gegangen war. Ich nahm derowegen meinen Weg auch dahin, fand aber den Lemelie unter Weges, wohl 10. Schritt von unserer Hütte, krum zusammen gezogen liegen, und als einen Wurm winseln. Auf Befragen, was er da mache? fing er entsetzlich zu fluchen, und endlich zu sagen an: Vermaledeyet ist der verdammte Cörper, den ihr diesen Tag begraben habt, denn das verfluchte Scheusal, über welches man ohnfehlbar keine Seelmessen gehalten hat, ist mir vor etlichen Stunden erschienen, und hat meinen Leib erbärmlich zugerichtet. Ich gedachte gleich in meinen Hertzen, daß dieses seiner Sünden Schuld sey, indem ich von Jugend auf gehöret, daß man mit verstorbenen Leuten kein Gespötte treiben solle; wolte ihn auch aufrichten, und in unsere Hütte führen, doch weil er dahin durchaus nicht wolte, brachte ich den elenden Menschen endlich mit grosser Mühe [189] in Mons. van Leuvens Hütte. Wiewohl ich nicht vergessen hatte, ihn zu bitten, um der Concordia willen, nichts von dem, was ihm begegnet wäre, zu sagen, sondern eine andere Unpäßlichkeit vorzuwenden. Er gehorchte mir in diesem Stücke, und wir schlieffen also, ohne die Concordia zu erwecken, diese Nacht in ihrer Hütte.

Lemelie befand sich folgenden Tages todtkranck, und ich selber habe noch selbigen Tag fast überall seinen Leib braun und blau, mit Blute unterlauffen, gesehen, doch weil es ihm leyd zu seyn schien, daß er mir sein ausgestandenes entdeckt, versicherte ich ihm, selbiges so wohl vor Mons. van Leuven als dessen Gemahlin geheim zu halten, allein, ich sagte es doch gleich bey erster Gelegenheit meinem besten Freunde.

Wir musten ihn also diesen und viele folgende Tage unter der Concordia Verpflegung liegen lassen, gingen aber beyde zusammen wiederum in die unterirrdische Höle, und fanden, beschehener Anweisung nach, in einem verborgenen Gewölbe über 3. Scheffel der auserlesensten und kostbarsten Perlen, nächst diesen einen solchen Schatz an gediegenen Gold- und Silber-Klumpen, edlen Steinen und andern Kostbarkeiten, worüber wir gantz erstaunend, ja fast versteinert stehen blieben. Uber dieses eine grosse Menge von allerhand vor unsere Personen höchst-nöthigen Stücken, wenn wir ja allenfalls dem Verhängnisse auf dieser Insul Stand halten, und nicht wieder zu anderer menschlicher Gesellschafft gelangen solten.

[190] Jedoch, was will ich hiervon viel reden, die Kostbarkeiten kan ich euch, meine Freunde, ja noch alle unverletzt zeigen. Worzu aber die übrigen nützlichen Sachen angewendet worden, davon kan meine und meiner Kinder Haußhaltung und nicht vergeblich gethane Arbeit ein sattsames Zeugniß abstatten. Ich muß demnach nur eilen, euch, meinen Lieben! den fernern Verlauff der damahligen Zeiten noch kürtzlich zu erzehlen, ehe ich auf meine einseitige Geschicht, und die anfänglich betrübte, nachhero aber unter GOttes Fügung wohl ausgeschlagene Haußhaltung komme.

Mittlerweile, da Lemelie kranck lage, räumetenMons. van Leuven und ich alle Sachen aus dem unterirrdischen Gewölbe herauf ans Tages-Licht und an die Lufft, damit wir sehen möchten, was annoch zu gebrauchen wäre oder nicht; Nach diesen reinigten wir die unterirrdische Höle, die ausser der kleinen Schatz-Kammer aus 3. geraumlichen Kammern bestund, von aller Unsauberkeit. Ermeldte Schatz-Kammer aber, die wir dem Lemelie nicht wolten wissen lassen, wurde von unsern Händen wohl vermauret, auswendig mit Leimen beschlagen, und so zugerichtet, daß niemand vermuthen konte, als ob etwas verborgenes darhinter steckte. Mons. van Leuven erwehlete das Vorgemach derselben, worinnen auch der verstorbeneDon Cyrillo sein Lebens-Ziel erwartet, zu seinem Schlaff-Gemach, ich nahm vor mich die Kammer dar neben, und vor Lemelie wurde die dritte zugerichtet, alle aber mit Pulver und Schiff-Pech etliche Tage nach einander wohl ausgeräuchert, [191] ja so zu sagen, gar ausgebrandt, denn dieser gantze Hügel bestehet aus einem vortrefflichen Sand-Steine.

So bald wir demnach alles in recht gute Ordnung gebracht hatten, wurde Concordia hinein geführet, welche sich ungemein darüber erfreuete, und so gleich ohne die geringste Furcht darinnen Hauß zu halten versprach. Wolte also der wunderliche Lemelie nicht oben alleine schlaffen, muste er sich halb gezwungener Weise nach uns richten.

Indessen, da er noch immer kranck war, schafftenMons. van Leuven und ich alltäglich noch sehr viele auf der Sand-Banck liegende nützliche Sachen auf die Insul, und kamen öffters nicht eher als mit sinckenden Tage nach Hause. Da immittelst Lemelie sich kräncker stellet als er ist, doch aber soviel Kräffte hat, derConcordia einmahl über das andere so viel vorzuschwatzen, um sie dahin zu bewegen, seiner Wollust ein Genüge zu leisten, und an ihrem Ehe-Manne untreu zu werden.

Concordia weiset ihn anfänglich mit GOttes Wort und andern tugendhafften Regeln zurücke, da er aber eins so wenig als das andere annehmen, und fast gar Gewalt brauchen will, sie auch kaum Gelegenheit, sich seiner zu erwehren, gefunden, und in grösten Eiffer gesagt, daß sie ehe ihren Ehrenschänder oder sich selbst ermorden, als an ihren Manne untreu werden, und so lange dieser lebte, sich mit einem andern vermischen wolte; wirfft er sich zu ihren Füssen, und bittet seiner hefftigen Liebe wegen um Verzeihung, verspricht auch, ihr dergleichen nimmermehr wieder zuzumuthen, woferne [192] sie nur die eintzige Gnade vor ihn haben, und ihrem Manne nichts davon entdecken wolte. Concordia stellet sich besänfftiget an, giebt ihm einen nochmahligen scharffen Verweiß, und verspricht zwar, ihrem Manne nichts darvon zu sagen, allein, ich selbst muste noch selbigen Abend ein Zeuge ihrer Ehrlichkeit seyn, indem sie bey guter Gelegenheit uns beyden alles, was vorgegangen war, erzehlete, und einen Schwur that, viel lieber mit an die allergefährlichste Arbeit zu gehen, als eine Minute bey dem Lemelie hinführo alleine zu verbleiben.Mons. van Leuven betrübte sich nicht wenig über die grausame Unart unsers dritten Mannes, und sagte, daß er von Grund des Hertzens gern seinen Antheil von dem gefundenen Schatze missen wolte, wenn er nur mit solchen den Gottes-vergessenen Menschen von der Insul hinweg kauffen könte. Doch wir beschlossen, ihn ins künfftige besser in acht zu nehmen, und bey der Concordia niemahls alleine zu lassen.

Immittelst konte doch Mons. van Leuven seinen deßhalb geschöpfften Verdruß, wie sehr er sich auch solches angelegen seyn ließ, unmöglich gäntzlich verbergen, weßwegen Lemelie bald vermerckte, daßConcordia ihrem Manne die Treue besser, als ihm ihr Wort zu halten geartet, jedoch er suchte seinen begangenen Fehler aufs neue zu verbessern, denn da er wenig Tage hierauf sich völlig genesen zeigte, war von da an niemand fleißiger, dienstfertiger und höflicher als eben der Lemelie.

Wir hatten aber in des Don Cyrillo schrifftlichen Nachrichten unter andern gefunden, daß durch [193] den Ausfall des Flusses gegen Mitternacht zu, unter dem Felsen hindurch, ein gantz bequemer Ausgang von der Insul nach der Sand-Banck und dem Meere zu, anzutreffen sey. Wenn man vorhero erstlich in den heissen Monaten, da der Fluß am schwächsten lieffe, einen Damm gemacht, und dessen Wasser durch denCanal, welchen Cyrillo nebst seinen Gefährten vor nunmehro 125. Jahren gegraben, in die kleine See zum Ausflusse führete. Dieses nun in Erfahrung zu bringen, sahen wir gegenwärtige Zeit am allerbequemsten, weil uns der seichte Fluß einen Damm hinein zu machen Erlaubniß zu geben schien. Demnach fälleten wir etliche Bäume, zersägten dieselben, und rammelten ziemlich grosse Plöcke um die Gegend in den Fluß, wo wir die Wahrzeichen des Dammes unserer Vorfahren mit grossen Freuden wahrgenommen hatten. Vor die mit allergröster Müh eingera leten Plöcke wurden lange Bäume über einander gelegt, von solcher Dicke, als wir dieselbe fortzuschleppen vermögend waren, und diese musten die vorgesetzten Rasen-Stücke nebst dem vorgeschütteten fettem Erdreiche aufhalten. Mit solcher Arbeit brachten wir biß in die 4te Woche zu, binnen welcher Zeit der Damm seine nöthige Höhe erreichte, so, daß fast kein Tropffen Wasser hindurch konte, hergegen alles durch denCanal sich in die kleine See ergoß. Lemelie hatte sich bey dieser sauren Arbeit dermassen fleißig, in übriger Aufführung aber so wohl gehalten, daß wir ingesa t glaubten, sein voriges übeles Leben müsse ihm gereuet, und er von da an einen bessern Vorsatz gefasset haben.

[194] Nunmehro war es an dem, daß wir die grosse Lampe anzündeten, und uns in eine abermahlige Felsen-Höle wagen wolten, welches auch des nächsten Tages früh Morgens geschahe. Concordia wolte allhier nicht alleine zurücke bleiben, sondern sich unsers Glücks und Unglücks durchaus theilhafftig machen, derowegen traten wir unsern Weg in GOttes Nahmen an, fanden denselben ziemlich bequem zu gehen, ob gleich hie und da etliche hohe Stuffen befindlich, welchen doch gar mit leichter Müh nachzuhelffen war. Aber, o Himmel! wie groß war unsere Freude, da wir ohne die geringste Gefahr das Ende erreichten, Himmel und See vor uns sehen, und am Ufer des Felsens bey unsern annoch rückständigen Sachen herum spatziren, auch mit vielweniger Müh und Gefahr zurück auf unsere Insul kommen konten.

Ihr seyd, meine lieben Kinder, fuhr unser Alt-Vater Albertus in seiner Erzehlung fort, selbsten durch diesen Gang in die Insul kommen, derowegen könnet ihr am besten von dessen Bequemlichkeit und Nutzen urtheilen, wenn ihr zumahlen die gefährlichen und beschwerlichen Wege über die Klippen dargegen betrachtet. Uns war dieser gefundene Gang zu damahligen Zeiten wenigstens ungemein tröstlich, da wir in wenig Tagen alles, was annoch auf der Sand-Banck lag, herauf brachten, das Hintertheil des zerscheiterten Schiffs zerschlugen, und nicht den kleinesten Nagel oder Splitter davon zurück liessen, so, daß wir weiter ausserhalb des Felsens nichts mehr zu suchen wusten, als unsern Nachen oder kleines Boot, und [195] dann und wann einige Schild-Kröten, See-Kälber, nebst andern Meer-Thieren, wovon wir doch weiter fast nichts als die Häute und das Fett zu gebrauchen pflegten.

Solchergestalt wandten wir die fernern Tage auf nichts anders, als, nach und nach immer eine bessere Ordnung in unserer Haußhaltung zu stifften, sammleten von allerley nutzbarn Gewächsen die Saam-Körner ein, pflegten die Wein-Stöcke und Obst-Bäume aufs beste, als worinnen ich bey meinen lieben Pflege-Vätern, dem Dorff-Priester und dem Amtmanne, ziemliche Kunstgriffe und Vortheile abgemerckt. Lebten im übrigen in der Hoffnung künfftiger noch besserer Zeiten gantz geruhig und wohl beysammen. Allein, in der Nacht zwischen den 8ten und 9ten Novembr. überfiel uns ein entsetzliches Schrecken. Denn es geschahe ohngefähr um Mitternachts-Zeit, da wir ingesa t im süssesten Schlaffe lagen, ein dermassen grosser Knall in unserer unter-irrdischen Wohnung, als ob das allerstärckste Stück Geschützes loßgebrannt würde, so, daß man die Empfindung hatte, als ob der gantze Hügel erschütterte. Ich sprang von meinem Lager auf, und wolte nach der beyden Ehe-Leute Kammer zu eilen, selbige aber kamen mir so gleich im Dunckeln gantz erschrocken entgegen, und eileten, ohne ein Wort zu sprechen, zur Höle hinaus, da der Schein des Monden fast alles so helle als am Tage machte.

Ich kan nicht läugnen, daß Mons. van Leuven, Concordia und ich vor Furcht, Schrecken und Zittern, kein Glied stille halten konten, unsere [196] Furcht aber wurde noch um ein grosses vermehrt, da sich, gegen Süden zu, eine weisse lichte Flamme sehen ließ, welche immer gantz sachte fort zohe, und endlich um die Gegend, wo wir des Don Cyrillo Cörper begraben hatten, verschwand.

Die Haare stunden uns hierüber zu Berge, doch, nachdem wir uns binnen einer Stunde in etwas erholet hatten, brach Mons. van Leuven endlich das lange Stillschweigen, indem er sagte: Mein Schatz undMons. Albert! ich weiß, daß ihr euch über dieses Nacht-Schrecken so wohl als ich unterschiedene Gedancken werdet gemacht haben; allein ich glaube, daß der sonst unerhörte Knall von einem Erdbeben herrühret, wobey unser Sand-Stein-Hügel ohnfehlbar einen starcken Riß bekommen. Die weisse Flamme aber, so wir gesehen, halte ich vor eine Schwefel-Dunst, welche sich nach dem Wasser hingezogen hat.Monsieur van Leuven bekam in diesen Meinungen Seiten meiner starcken Beyfall, allein Concordia gab dieses darauf: Mein Schatz, der Himmel gebe nur, daß dieses nicht eine Vorbedeutung eines besondern Unglücks ist, denn ich war kurtze Zeit vor dem grausamen Knalle durch einen schweren Traum, den ich im Schrecken vergessen habe, ermuntert worden, und lag mit wachenden offenen Augen an eurer Seite, als eben dergleichen lichte Flamme unsere Kammer mit einer gantz ausserordentlichen Helligkeit erleuchtete, und die sonst alle Nacht hindurch brennende grosse Lampe auslöschte, worauf sogleich der grausame Knall und die hefftige Erschütterung zu empfinden war.

[197] Uber diesen Bericht nun hatte ein jedes seine besondere Gedancken, Mons. van Leuven aber unterbrach dieselben, indem er sich um den Lemelie bekümmerte, und gern wissen mochte, wo sich dieser aufhielte. Meine Muthmassungen waren, daß er vielleicht noch vor uns, durch den Schrecken, aus der Höle gejagt worden, und sich etwa hier oder da auf der Insul befände; Allein, nachdem wir den übrigen Theil der Nacht ohne fernern Schlaff hingebracht, und nunmehro das Sonnen-Licht mit Freuden wieder empor kommen sahen, kam auch Lemelie unverhofft aus der Höle heraus gegangen.

Dieser bekannte auf unser Befragen so gleich, daß er weder etwas gesehen, noch vielweniger gehöret habe, und verwunderte sich ziemlich, da wir ihm von allen Begebenheiten voriger Nacht ausführliche Nachricht gaben. Wir hielten ihn also vor glücklicher als uns, stunden aber auf, und besichtigten nicht allein die Höle, sondern auch den gantzen Hügel, fanden jedoch nicht das geringste Versehr, Ritze oder Spalte, sondern alles in unveränderten guten Stande. Lemelie sagte derowegen: Glaubet mir sicher, meine Freunde! es ist alles ein pures Gauckel-Spiel, der im Fegefeuer sitzenden Seele des Don Cyrillo de Valaro. Ach, wie gern wolte ich einem Römisch-Catholischen Priester 100. Creutz-Thaler Seel-Meß-Gelder zahlen, um dieselbe daraus zu erlösen, wenn er nur gegenwärtig wäre, und uns in vollkommene Ruhe setzen könte.

Van Leuven und ich hielten nicht vor rathsam, diesem einfältigen Tropffen zu widersprechen, liessen[198] ihn derowegen bey seinen 5. Augen, beschlossen aber dennoch, etliche Nacht in unsern grünen Hütten zu schlaffen, biß man sähe, was sich ferner wegen des vermeintlichen Erdbebens zeigen, und die deßfalls bey uns entstandene Furcht nach und nach verschwunden seyn würde, welches auch dem Lemelie gantz vernünfftig vorkam.

Allein der ehrliche van Leuven schlieff nur noch 2. Nachte bey seiner liebsten Ehe-Frauen in der Lauber-Hütte. Denn am 11. Novembr. ging er, etwa 2. Stunden, nachdem die Sonne aufgegangen war, mit einer Flinte fort, um ein oder zwey grosse wohlschmeckende Vogel, welche sich gemeiniglich auf den obersten Klippen sehen liessen, herunter zu schiessen, die wir selbigen Abend an statt der Martins-Gänse braten und verzehren wolten. Lemelie war etwa eine Stunde vorher ebenfalls darauf ausgegangen, ich aber blieb bey der Concordia, um ihr beym Kochen mit Holtz-Spalten und andern Handreichungen die Arbeit zu erleichtern.

Zwey Stunden über Mittag kam Lemelie mit zwey schönen grossen Vogeln zurücke, über welche wir uns sogleich hermachten, und dieselben reinigten. Mittlerweile fragte Lemelie Concordien, wo ihr Mann hingegangen? und erhielt von selbiger zur Antwort, daß er gleichergestalt auf solch Wildpret ausgegangen sey, worbey sie sich erkundigte, ob sie einander nicht an getroffen. Lemelie antwortet mit Nein. Doch habe er auf jener Seite des Gebürges einen Schuß verno en, woraus er gemuthmasset, daß sich gewiß einer von uns daselbst aufhalten würde.

[199] Concordia machte noch einen Spaaß hierbey, indem sie sagte: Wenn nun mein Carl Franz kömmt, mag er seine geschossene Martins Gänse biß auf Morgen aufheben. Allein, da die Sonne bereits unterging, und unsere beyden Braten zum Speisen tüchtig waren, stellete sich dem ohngeacht unser guter van Leuven noch nicht ein, wir warteten noch ein paar Stunden, da er aber nicht kam, verzehreten wir den einen Vogel mit guten Appetit, und spareten den andern vor ihn und Concordien. Allein, die Nacht brach endlich auch ein, und van Leuven blieb immer aussen. Concordien begunte das Hertze schwer zu werden, indem sie genug zu thun hatte, die Thränen zurück zu halten, ich aber tröstete sie, so gut ich konte, und meinete, weil es heller Monden-Schein, würde ihr Ehe-Schatz schon noch zurücke kommen. Sie aber versetzte: Ach, es ist ja wider alle seine gewöhnliche Art, was wird ihm der Monden-Schein helffen? Und wie kan er zurücke kommen, wenn er vielleicht Unglück genommen hat? Ja, ja, fuhr sie fort, mein Hertze sagt es mir, mein Liebster ist entweder todt, oder dem Tode sehr nahe, denn itzo fällt mir mein Traum auf einmahl wieder in die Gedancken, den ich in der Schreckens- Nacht, seit dem aber gäntzlich vergessen gehabt. Diese ihre Worte wurden mit einer gewaltsamen Thränen Fluth begleitet, Lemelie aber trat auf, und sagte: Madame! verfallet doch nicht so gleich auf die ärgsten Gedancken, es kan ihn ja vielleicht eine besonders glückliche Begebenheit, oder Neugierigkeit, etwa hier oder dar aufhalten. Stehet auf, wir wollen ihm alle drey [200] entgegen gehen, und zwar um die Gegend, wo ich heute von ferne feinen Schuß gehöret, wir wollen schreyen, ruffen und schiessen, was gilts? er wird sich bald melden, und uns zum wenigsten mit einem Schuß oder Laut antworten. Concordia weinete dem ohngeacht immer noch hefftiger, und sagte: Ach, wie kan er schiessen oder antworten, wenn er todt ist? Doch da wir beyde, ihr ferner zuzureden, nicht unterliessen, stund sie endlich auf, und folgte nebst mir dem Lemelie, wo er uns hinführete.

Es wurde die gantze Nacht hindurch an fleißigem Suchen, Schreyen und Schiessen nichts gesparet, die Soñe ging zwar darüber auf, doch van Leuven wolte mit selbiger dennoch nicht zum Vorscheine kommen. Wir kehreten zurück in unsere Lauber-Hütten und unter-irrdische Wohnung, fanden aber nicht die geringste Spur, daß er Zeit seines Hinwegseyns wiederum da gewesen. Nunmehro begunte mir auch das Hertz-Blat zu schiessen, Concordia wolte gantz verzweiffeln, und Lemelie selbst sagte: Es könne unmöglich richtig zugehen, sondern Mons. van Leuven müste ohnfehlbar etwa ein Unglück genommen haben. Derohalben fingen wir ingesa t gantz von neuen an, ihn zu suchen, und daß ich es nur kurtz mache, am dritten Tage nach seinem letzten Ausgange entdeckten wir mit grausamsten Schrecken seinen entseelten Cörper, gegen Süden zu, ausserhalb an dem Absatze einer jähen Stein-Klippe liegen, als von welcher er unserm damahligen Vermuthen nach herab gefallen war. Ich fing vor übermäßiger Betrübniß bey diesem jämmerlichen Anblicke überlaut zu schreyen und zu heulen an, [201] und rauffte mir als ein unsinniger Mensch gantze Hände voll Haare aus dem Kopffe, Concordia, die meine Geberden nur von ferne sahe, weil sie die hohen Felsen nicht so, wie ich, besteigen konte, sanck augenblicklich in Ohnmacht hin, Lemelie lieff geschwind nach frischen Wasser, ich aber blieb als ein halb-verzweiffelter Mensch gantz sinnloß bey ihr sitzen.

Endlich halff doch des Lemelie oft wiederholtes Wasser giessen und sprengen so viel: daß Concordia sich wieder in etwas ermunterte. Allein meine Freunde, (so unterbrach allhier der Alt-Vater Albertus seine Erzehlung in etwas,) ich befinde mich biß diese Zeit noch nicht im Stande, ohne selbst eigene hefftige Gemüths-Bewegungen, der Concordia schmertzliches Klagen, und mit wenig Worten zu sagen: Ihre fast gäntzliche Verzweiffelung auszudrücken, wiewol solches ohnedem besser mit dem Verstande zu fassen, als mit Worten auszusprechen ist. Doch ich setzte bey ihrem übermäßigen Jammer, mein eigenes dabey geschöpfftes Betrübniß in etwas bey Seite, und suchte sie nur erstlich dahin zu bereden, daß sie sich von uns nach der Laub-Hütte führen liesse. Wiewol nun in dem ersten Auflauff ihrer Gemüths-Bewegungen nichts von ihr zu erhalten war, indem sie mit aller Gewalt ihren Carl Frantz sehen, oder sich selbsten den Kopf an einem Felsen einstossen wolte; so ließ sie sich doch endlich durch Vorstellung einiger Biblischen Sprüche und anderer Vernunfft-Lehren, dahin bewegen, daß ich und Lemelie, welcher vor verstellter Betrübniß kein Wort reden, doch auch kein Auge naß machen konte [202] oder wolte, sie mit sinckenden Tage in die Laubhütte führen durfften. Nachdem ich auf ihr sehnliches Bitten versprochen: alle Mühe und Kunst anzuwenden, den verunglückten Cörper ihres werthen Schatzes herauff zu schaffen.

Ohngeacht aber Concordia und ich in vergangenen Nachten fast wenig oder nichts geschlaffen hatten, so konten wir doch auch diese Nacht, wegen des allzu grossen Jammers, noch keinen Schlaf in unsere Augen kriegen, sondern ich nahm die Bibel und laß der Concordia hieraus die kräfftigsten Trost-Psalmen und Capitel vor, wodurch ihr vorheriges unruhiges, und zur Verzweiffelung geneigtes Gemüthe, in merckliche Ruhe gesetzt wurde. Indem sie, obschon das Weinen und Klagen nicht unterließ, dennoch so viel zu vernehmen gab, daß sie allen Fleiß anwenden wolte, sich mit Gedult in ihr klägliches Verhängniß zu schicken, indem freylich gewiß wäre, daß uns ohne GOttes Willen kein Unglück begegnen könne. Ihre damaligen reformirten Glaubens-Gründe, trugen gewisser massen ein vieles zu der von mir gewünschten Beruhigung bey, doch nachhero hat sie diese verdächtigen Hülffs-Mittel besser erkennen, und sich, durch mein Zureden, aus GOTTES Wort kräfftiger trösten lernen.

Gegen Morgen schlief die biß in den Tod betrübteCordia etwa ein paar Stunden, ich that dergleichen,Lemelie aber, der die gantze Nacht hindurch als ein Ratz geschlaffen hatte, stund auf, wünschte der Concordia zum guten Morgen: Daß sie sich bey einer Sache, die nunmehro unmöglich zu ändern [203] stünde, bald vollkommen trösten, und in ruhigern Zustand setzen möchte, wolte hiermit seine Flinte nehmen und spatzieren gehen, doch ich hielt ihn auf, und bat: er möchte doch der Concordia die Gefälligkeit erzeigen, und den Cörper ihres Liebsten mir herauff bringen helffen, damit wir ihn ehrlich zur Erden bestatten könten; Allein er entschuldigte sich, und gab zu vernehmen, wie er zwar uns in allen Stücken Gefälligkeit und Hülffe zu leisten schuldig wäre; doch damit möchte man ihn verschonen, weiln uns ja zum voraus bewust, daß er einen ungewöhnlichen natürlichen Abscheu vor todten Menschen hätte, auch ohngeacht er schon lange Zeit zu Schiffe gedienet, niemals im Stande gewesen, einen frischen Todten in die See zu werffen, vielweniger einen solchen anzugreiffen, der schon etliche Tage an der Sonne gelegen. Hiermit gieng er seine Wege, Concordia aber hub von neuen an, sich aufs allerkläglichste zu gebährden, da ich ihr aber zugeredet, sich zu mäßigen, und mich nur allein machen zu lassen, weil ich weder Gefahr noch Mühe scheuen, sondern ihr, unter GOttes Schutz, den Cörper ihres Liebsten in ihre Hände liefern wolte; muste sie mir erstlich zuschweren, sich Zeit meines Abseyns selbst kein Leyd zuzufügen, sondern gedultig und stille zu sitzen, auch vor mich, wegen bevorstehender Gefahr, fleißig zu beten. Worauff so viel Seile und Stricke als zu ertragen waren, nebst einem stücke Seegel-Tuch nahm, und nebst Concordien, die eine Holtz-Axt nebst etwas Speise vor uns beyde trug, nach den Felsen hin eilete. Daselbst ließ ich sie unten an einem sichern Orte sitzen, und kletterte nach [204] und nach zur Höhe hinauff, zohe auch die Axt, etliche spitz gemachte Pfähle, und die übrigen Sachen, von einem Absatz zum andern, hinter mir her. An der auswendigen Seite muste ich mich aber viel grösserer Gefahr unterwerffen, weil daselbst die Felsen weit steiler, und an vielen Orten gar nicht zu beklettern waren, weßwegen ich an drey Orten in die Felsen-Ritzen Pfähle einschlagen, ein langes Seil dran binden und mich 3. mal 8. 10. biß 12. Elen tief, an selbigen herunter lassen muste. Solchergestalt gelangete ich endlich zu meines lieben Herrn van Leuvens jämmerlich zerschmetterten Cörper, der, weil ihm das Gesicht sehr mit Blut unterlauffen war, seine vorige Gestalt gäntzlich verlohren hatte, und allbereit wegen der grossen Hitze, einen üblen Geruch von sich gab, jedoch ich hielt mich nicht lange dabey auf, sondern wickelte ihn eiligst in das bey mir habende Tuch, bewunde dasselbe mit Stricken, band ein Seil daran, und zohe diese Last nach und nach hinauff. Zu meinem Glücke hatte ich in die vom Felsen herab hangenden Seile, verschiedener Weite nach, Knoten gebunden, sonst wäre fast unmöglich gewesen wieder hinauff zu kommen, doch der Himmel bewahrete mich in dieser besondern Gefahr vor allem Unfall, und ich gelangte nach etwa 6. oder 7. Stunden verlauff, ohnbeschadet, doch sehr schwer beladen und ermüdet, wiederum bey Concordien an. Durch vielles Bitten und vernünfftige Vorstellungen, erhielt ich endlich so viel von selbiger, daß sie sonst nichts als ihres seel. Ehe-Mannes Gesichte und die Hand, woran er annoch seinen Siegel-Ring stecken hatte, zu sehen begehrte. [205] Sie wusch beydes mehr mit Thränen, als mit Wasser aus dem vorbey rinnenden Bächlein ab, und küssete ihn ohngeacht des übeln Aussehens und Geruchs vielfältige mal, zohe den Ring von seinem Finger, und ließ endlich unter hefftigen Jammer-Klagen geschehen, daß ich den Cörper wieder einwickelte, und auf vorige Art umwunde.

Sie halff mir denselben biß in unsere unterirrdische Höle tragen, woselbst er, weil ich nicht allein sehr ermüdet, sondern es auch allbereit ziemlich spät war, liegen blieb, und von uns beyden bewacht wurde. Mit anbrechenden Tage machte ich ein Grab neben desDon Cyrillo seinem, worein wir diesen lieben verunglückten Freund, unter vergiessung häuffiger Thränen, begruben.

Lemelie, der unserer Arbeit von ferne zugesehen hatte, kam erstlich des folgenden Tages wieder zu uns, und Bemühete sich mit Erzehlung allerhand lustiger Geschichte, der Concordia Kummer zu vertreiben. Doch dieselbe sagte ihm ins Gesicht: Daß sie lieber mit dergleichen Zeitvertreibe verschonet bleiben möchte, indem ihr Gemüthe nicht so leichtsinnig geartet, dergleichen höchst empfindlichen Verlust solchergestalt zu verschmertzen. Derowegen führete er zwar nachhero etwas vernünfftigere Reden, dochConcordia, die bißhero fast so wenig als nichts geruhet, verfiel darüber in einen tieffen Schlaf, weßwegenLemelie und ich uns gleichfalls in einer andern Ecke der Höle, zur Ruhe legten. Jedoch es schien, als ob dieser Mensch gantz besondere Anfechtungen hätte, indem er so wol diese, als viele folgende Nachte, fast keine Stunde nach einander [206] ruhig liegen konte. Er fuhr sehr öffters mit ängstlichen Geschrey aus dem schlafe auf, und wenn ich ihn deßwegen befragte, klagte er über sonst nichts, als schwere Träume, wiewol man ihn nach und nach sehr abgemattet, und fast an allen Gliedern ein starckes Zittern verspürete, jedoch binnen 2. oder 3. Wochen erholete er sich ziemlich, so, daß er nebst mir, unserer künfftigen Nahrung wegen, sehr fleißig arbeiten konte.

Bey dem allen aber, lebten wir 3. von gantz unterschiedenen Gemüths-Regungen eingenommene Personen, in einer vollkommenen Verwirrung, da es zumal das gäntzliche Ansehen hatte, als ob alle unsere vorige Gedult, ja unser völliges Vergnügen, mit dem van Leuven begraben wäre. Wir sassen öffters etliche Stunden beysammen, ohne ein Wort mit einander zu sprechen, doch schien es als ob immer eines des andern Gedancken aus den Augen lesen wolte, und dennoch hatte niemand das Hertze, der andern und dritten Person Hertzens-Meynung auszufragen. Endlich aber da nach des van Leuvens Beerdigung etwa 4. Wochen verlauffen waren, hatte sich Lemelie bey ersehener Gelegenheit die Freyheit genommen, der Concordia in Geheim folgende Erklärung zu thun: Madame! sagt er ohngefähr: Ihr und ich haben bißhero das unglückliche Verhängniß eures seel. Ehe-Mannes zur gnüge betrauret. Was ist nunmehro zu thun? Wir sehen kein ander Mittel, als vielleicht noch lange Zeit unserm Schicksal auf dieser Insul Gehorsam zu leisten. Ihr seyd eine Wittbe und darzu hoch schwanger, zu euren Eltern zurück zu kehren, ist so unmöglich [207] als schändlich, einen Mann müsset ihr haben, der euch bey Ehren erhält, niemand ist sonsten vor euch da als ich und Albert, doch weil ich nicht zweiffele, daß ihr mich, als einen Edelmann, diesem jungen Lecker, der zumal nur eine privat-Person ist, vorziehen werdet; So bitte ich um eures eigenen Bestens willen, mir zu erlauben, daß ich die erledigte Stelle eines Gemahls bey euch ersetzen darff, so werden wir nicht allein allhier unser Schicksal mit Gedult ertragen, sondern in Zukunfft höchst vergnügt leben können, wenn wir das Glück haben, daß uns vielleicht ein Schiff von hier ab, und zu mehrerer menschlicher Gesellschafft führen wird. Albert, sagt er ferner, wird sich nicht einmal die hochmüthigen Gedancken einkommen lassen, unserer beyder Verbindung zu widerstreben, derowegen bedencket euer Bestes in der Kürtze, weil ich binnen 3. Nachten als Ehe-Mann mit euch zu Bette zu gehen entschlossen, und zugleich eure tragende Leibes-Frucht, so gut als die Meinige zu achten, entschlossen bin.

Concordia, die sich aus seinen feurigen Augen, und erhitzten Gemüths-Bewegungen, nichts guts propheceyet, bittet ihn um GOTTES Barmhertzigkeit willen, ihr wenigstens eine halbjährige Frist zur Trauer- und Bedenck-Zeit zu verstatten, allein der erhitzte Liebhaber will hiervon nichts wissen, sondern spricht vielmehr mit gröster Vermessenheit: Er habe ihre Schönheit ohne würcklichen Genuß lange genug vergebens vor Augen gehabt, nunmehro aber, da ihn nichts als der elende Albert daran verhinderlich seyn könte; wäre er nicht gesonnen sich länger Gewalt anzuthun, und kurtz! wolte sie haben, [208] daß er ihr selbst nicht Gewalt anthun solte, müste sie sich entschliessen, ihn ehe noch 3. Nächte verlieffen, als seine Ehe-Frau beyzuwohnen. Anbey thut er die vorsichtige Warnung, daß Concordia mir hiervon ja nichts in voraus offenbaren möchte, widrigenfalls er meine Person bald aus dem Wege räumen wolle. Jedoch die Angst-volle Concordia stellet sich zwar, als ob sie seinen Drohungen ziemlich nachgäbe, so bald er aber etwas entfernet war, erfuhr ich das gantze Geheimniß. Meine Erstaunung hierüber war unsäglich, doch, ich glaube eine besondere Krafft des Himmels, stärckte mich augenblicklich dermassen, daß ich ihr den Rath gab, allen seinen Anfällen aufs äuserste zu widerstreben, im übrigen sich auf meinen Beystand gäntzlich zu verlassen; weiln ich von nun an fleißig auf sie Acht haben, und ehe mich um mein Leben, als sie um ihre Ehre bringen lassen wolte.

Immittelst war Lemelie drey Tage nach einander lustig und guter Dinge, und ich richtete mich dermassen nach ihm, daß er in meine Person gar kein böses Vertrauen setzen konte. Da aber die fatale Nacht herein brach, in welcher er sein gottloses Vorhaben vollbringen wolte; Befahl er mir auf eine recht Herrschafftliche Art, mich nun zur Ruhe zu legen, weiln er nebst mir auf morgenden Tag eine recht schwere Arbeit vorzunehmen gesonnen sey. Ich erzeigte ihm einen verstellten Knechtischen Gehorsam, wodurch er ziemlich sicher gemacht wurde, sich gegen Mitternacht mit Gewalt in der Concordia Kammer eindrange, und mit Gewalt auf ihrem Lager Platz suchen wolte.

[209] Kaum hatten meine aufmerckenden Ohren dieses gehöret, als ich sogleich in aller Stille aufstund, und unter beyden einen langen Wort-Streit anhörete, da aber Lemelie endlich allzu brünstig wurde, und weder der unschuldigen Frucht, noch der kläglich winselenden Mutter schonen, sondern die Letztere mit Gewalt nothzüchtigen wolte; stieß ich, nachdem dieselbige abgeredter massen, GOTT und Menschen um Hülffe anrieff, die Thür ein, und suchte den ruchlosen Bösewicht mit vernünfftigen Vorstellungen auf bessere Gedancken zu bringen. Doch der eingefleischte Teufel sprang auf, ergriff einen Säbel, und versetzte mir einen solchen Hieb über den Kopf, daß mir Augenblicklich das Blut über das Gesichte herunter lieff. Ich eilete zurücke in meine Kammer, weil er mich aber biß dahin verfolgen, und seinem Vorsatze nach gäntzlich ertödten wolte, ergriff ich in der Angst meine Flinte mit dem aufgesteckten Stillet, hielt dieselbe ausgestreckt vor mich, und mein Mörder, der mir inzwischen noch einen Hieb in die lincke Schulter angebracht hatte, rannte sich im finstern selbst dergestalt hinein, daß er das Stillet in seinem Leibe steckend behielt, und darmit zu Boden stürtzte.

Auf sein erschreckliches Brüllen, kam die zitterndeConcordia aus ihrer Kammer mit dem Lichte gegangen, da wir denn gleich wahr namen, wie ihm das Stillet vorne unter der Brust hinein, und hinten zum Rücken wieder heraus gegangen war. Dem ohngeacht, suchte er, nachdem er solches selbst heraus gezogen, und in der lincken Hand behalten hatte, mit seinem Säbel, entweder der Concordia, [210] oder mir einen tödtlichen Streich beyzubringen. Jedoch ich nam die Gelegenheit in acht, machte, indem ich ihm den einen Fuß auf die Kähle setzte, seine verfluchten Hände wehrloß, und dieselben, nebst den Füssen, mit Stricken fest zusammen, und ließ das Aas solchergestalt eine gute Zeitlang zappeln, nicht zweiffelnd, daß er sich bald eines andern besinnen würde. Allein es hatte fast das Ansehen, als ob er in eine würcklich Raserey verfallen wäre, denn als mir Concordia meine Wunden so gut sie konte, verbunden, und das hefftige Bluten ziemlich gestillet hatte, stieß er aus seinem verfluchten Rachen die entsetzlichsten Gotteslästerungen, und gegen uns beyde die heßlichsten Schand-Reden aus, ruffte anbey unzehlige mal den Satan um Hülffe an, verschwur sich denselben auf ewig mit Leib und Seele zum Eigenthume, woferne nur derselbe ihm die Freude machen, und seinen Tod an uns rächen wolte.

Ich hielt ihm hierauff eine ziemlich lange Predigt, mahlete sein verruchtes Leben mit lebendigen Farben ab, und stellete ihn sein unglückseeliges Verhängniß vor Augen, indem er, da er mich zu ermorden getrachtet, sein selbst eigener Mörder worden, ich aber von GOTTES Hand erhalten wäre. Concordia that das ihrige auch mit grösten Eifer darbey, verwiese ihn aber letzlich auf wahre Busse und Erkäntniß seiner Sünden, vielleicht, sagte sie, liesse sich die Barmhertzigkeit GOTTES noch in seiner letzten Todes-Stunde erweichen, ihm Gnade und Vergebung wiederfahren zu lassen; Doch dieser Bösewicht drückte die Augen feste zu, knirschete [211] mit den Zähnen, und kriegte die hefftigsten Anfälle von der schweren Noth, so daß ihm ein greßlicher Schaum vor dem Maule stund, worauff er biß zu anbrechenden Tage stille liegen blieb, nachhero aber mit schwacher Stimme etwas zu trincken foderte. Ich gab ihm einen Trunck von unsern besten Geträncke, welches der aus den Palm-Bäumen gelauffene Safft war. Er schluckte denselben begierig hinein, und hub mit matter Stimme zu sagen an: Was habt ihr vor Vergnügen Mons. Albert, mich ferner zu quälen, da ich nicht die allergeringste Macht habe euch fernern Schaden zu thun, erzeiget mir derowegen die Barmhertzigkeit, meine Hände und Füsse von den schmertzlichen Banden zu erlösen, ich will euch so dann ein offenhertziges Bekänntniß meiner abscheulichen Missethaten thun, nach diesem aber werdet ihr mich meiner Bitte gewähren, und mir mit einem tödtlichem Stosse den wohlverdienten Lohn der Boßheit geben, mithin meiner Leibes- und Gewissens-Quaal ein Ende machen, denn ihr seyd dessen, eurer Rache wegen wol berechtiget, ich aber will solches annoch vor eine besondere Gnade der Menschen erkennen, weil ich doch bey GOTT keine Gnade und Barmhertzigkeit zu hoffen habe, sondern gewiß weiß, daß ich in dem Reiche des Teuffels, welchem ich mich schon seit vielen Jahren ergeben, auf ewig verbleiben werde.

Es stunden uns bey diesen seinen letzten Worten die Haare zu Berge, doch nachdem ich alle, mir verdächtig vorkommende Sachen, auf die Seite geschafft und versteckt hatte, wurden seine Hände und [212] Füsse der beschwerlichen Bande entlediget, und der tödtlich verwundete Cörper auf eine Matratze gelegt. Er empfand einige Linderung der Schmertzen, wolte aber seine empfangene Wunde weder anrühren noch besichtigen lassen, hielt im gegentheil an die Concordia und mich ohngefehr folgende Rede.

Wisset sagte er, daß ich aus einem der allervornehmsten Geschlechte in Franckreich entsprossen bin, welches ich, indem es mich als einen rechten Greuel der Tugenden erzeuget, nicht einmal nahmhafft machen will. Ich habe in meinem 18den Jahre meine leibliche Schwester genothzüchtiget, und nachhero, da es ihr gefiel, in die 3. Jahr Blut-Schande mit derselben getrieben. Zwey Huren-Kinder, die binnen der Zeit von ihr kamen, habe ich ermordet, und in Schmeltz-Tiegeln als eine besondere kostbare Massam zu Asche verbrannt. Mein Vater und Mutter entdeckten mit der Zeit unsere abscheuliche Blutschande, liessen sich auch angelegen seyn, eine fernere Untersuchung unsers Lebens anzustellen, doch weil ich alles bey Zeiten erfuhr, wurden sie beyde in einer Nacht durch beygebrachtes Gifft in die andere Welt geschickt. Hierauff wolten meine Schwester und ich als Ehe-Leute, unter verwechselten Nahmen, nach Spanien oder Engelland gehen, allein eine andere wollüstige Hure zohe meine gestilleten Begierden vollends von der Schwester ab, und auf sich, weßwegen meine um Ehre, Gut und Gewissen betrogene Schwester, sich nebst ihrer dritten von mir tragenden Leibes-Frucht selbst ermordete, denen Gerichten aber ein [213] offenhertziges Bekänntniß, meiner und ihrer Schand und Mordthaten, schrifftlich hinterließ, ich aber hatte kaum Zeit, mich, nebst meiner neu erwehlten Hure, und etlichen kostbaren Sachen, unter verstellter Kleidung und Nahmen, aus dem Lande zu machen. – – Hier wolte dem Bösewicht auch seine eigene schändliche Zunge den Dienst versagen, weßwegen ich, selbige zu stärcken, ihm noch einen Becher Palmen-Safft reichen muste, worauff er seine Rede also fortsetzte:

Ich weiß und mercke sagte er, daß ich nicht eher sterben kan, biß ich auch den sterblichen Menschen den meisten Theil meiner schändlichen Lebens-Geschicht offenbaret habe, wisset demnach, daß ich in Engelland, als wohin ich mit meiner Hure geflüchtet war, nicht allein diese, wegen ihrer Untreue, sondern nebst derselben 19. Seelen allein durch Gifft hingerichtet habe.

Indessen aber hatte mich doch am Englischen Hofe, auf eine ziemliche Stuffe der Glückseligkeit gebracht, allein mein Ehrgeitz und ausschweiffende Wollust stürtzten den auf üblen Grunde ruhenden Bau, meiner zeitlichen Wohlfarth gar bald darnieder, so daß ich unter abermals verwechselten Nahmen und in verstelleter Kleidung, als ein Boots-Knecht, sehr arm und elend aus Engelland abseegeln muste.

Ein gantz besonderes Glücke führete mich endlich auf ein Holländisches Caper-Schiff, und machte nach und nach aus mir einen ziemlich erfahrnen See-Mann, allein wie ich mich durch Gifft-mischen, Meuchel-Mord, Verrätherey und andere [214] Rancke mit der Zeit biß zu dem Posten eines Capitains erhoben, ist wegen der kurtzen Frist, die ich noch zu leben habe, unmöglich zu erzehlen. Der letztere Sturm, dergleichen ich noch niemals, ihr aber nebst mir ausgestanden, hätte mich bey nahe zur Erkäntniß meiner Sünden gebracht, allein der Satan, dem ich mich bereits vor etlichen Jahren mit Leib und Seele verschrieben, hat mich durchaus nicht dahin gelangen lassen, im Gegentheil mein Hertze mit immerwährenden Boßheiten angefüllet. – – Er forderte hierbey nochmals einen Trunck Palmen-Safft, tranck, sahe hierauff die Concordia mit starren Augen an, und sagte: Bejammerns-würdigeConcordia! Nehmet den Himmel zu einem Artzte an, indem ich eure noch nicht einmal verblutete Hertzens-Wunde von neuen aufreisse, und bekenne: daß ich gleich in der ersten Minute, da eure Schönheit mir in die Augen gefallen, die verzweiffeltesten Anschläge gefasset, eurer Person und Liebe theilhafftig zu werden. Mehr als 8. mal habe ich noch auf dem Schiffe Gelegenheit gesucht, euren seeligen Gemahl mit Giffte hinzurichten: doch da er ohne eure Gesellschafft selten gegessen oder getruncken hat, euer Leben aber, mir allzukostbar war, sind meine Anstalten jederzeit vergeblich gewesen. Oeffentlich habe niemals mit ihm anzubinden getrauet, weil ich wol gemerckt, daß er mir an Hertzhafftigkeit überlegen, und ihn hinterlistiger Weise zu ermorden, wolte auch lange Zeit nicht angehen, da ich befürchten muste, daß ihr deßwegen einen tödtlichen Haß auf mich werffen möchtet. Endlich aber gab mir der Teuffel und meine verfluchte [215] Begierde, bey ersehener Gelegenheit die Gedancken ein, euren seeligen Mann von der Klippe herunter zu stürtzen. – – – Concordia wolte bey Anhörung dieser Beichte ohnmächtig werden, jedoch der wenige Rest einer bey sich habenden,balsamischen Artzeney, stärckte sie, nebst meinem zwar ängstlichen doch kräfftigen Zureden, dermassen, daß sie das Ende dieser jämmerlichen und erschrecklichen Geschicht, mit ziemlicher Gelassenheit vollends abwarten konte.

Lemelie fuhr demnach im reden also fort: Euer Ehe-Mann, Concordia! kam, indem er ein schönes Morgen-Lied sang, die Klippe hinauff gestiegen, und erblickte mich Seitwarts mit der Flinte im Anschlage liegen. Er erschrack hefftig, ohngeacht ich nicht auf ihn, sondern nach einem gegen mir über sitzenden Vogel zielete, dem er mit seiner Ankunfft verjagte. Wiewohl mir nun der Teuffel gleich in die Ohren bließ, diese schöne Gelegenheit, ihn umzubringen, nicht vorbey streichen zu lassen, so war doch ich noch listiger, als hitzig, warff meine Flinte zur Erden, eilete und umarmete den van Leuven, und sagte: Mein edler Freund, ich spüre daß ihr vielleicht einen bösen Verdacht habt, als ob ich nach eurem Leben stünde; Allein entweder lasset selbigen fahren, oder erschiesset mich auf der Stelle, denn was ist mir mein verdrießliches Leben ohne eure Freundschafft auf dieser einsamen Insul sonsten nütze. Van Leuven umarmete und küssete mich hierauff gleichfalls, versicherte mich seiner aufrichtigen und getreuen Freundschafft, setzte auch viele gute Vermahnungen hinzu, vermöge deren ich mich in Zukunfft [216] tugendhaffter und Gottesfürchtiger aufführen möchte. Ich schwur ihm alles zu, was er vermuthlich gern von mir hören und haben wolte, weßwegen wir dem äuserlichen Ansehen nach, auf einmal die allerbesten Freunde wurden, unter den vertraulichsten Gesprächen aber lockte ich ihn unvermerckt auf den obersten Gipffel des Felsens, und zwar unter dem Vorwande, als ob ich ein von ferne kommendes Schiff wahrnähme, da nun der höchsterfreutevan Leuven, um selbiges zu sehen, auf die von mir angemerckte gefährlichste Stelle kam, stürtzte ich ihn mit einem eintzigen stosse, und zwar an einem solchen Orthe hinab, wo ich wuste, daß er augenblicklich zerschmettern muste. Nachdem ich seines Todes völlig versichert war, gieng ich mit zittern zurücke, weil mir die Worte seines gesungenen Morgen Liedes:


Nimmstu mich, GOTT in deine Hände,
So muß gewiß mein Lebens Ende
Den Meinen auch zum Trost gedeyhn,
Es mag gleich schnell und kläglich seyn.

gar nicht aus den Gedancken fallen wolten, biß der Teuffel und meine unzüchtigen Begierden mir von neuen einen Muth und, wegen meines künfftigen Verhaltens, ferner Lehren einbliesen. Jedoch, sprach er mit seufftzender und heiserer Stimme: mein Gottes-und Ehrvergessenes Aufführen kan euch alles dessen nachdrücklicher und besser überzeugen, als mein beschwerliches Reden. Und Mons. Albert, euch war der Todt ebenfalls schon vorlangst geschworen, insoweit ihr euch als einen Verhinderer meines Vergnügens angeben, und mir nicht als einem [217] Befehlshaber gehorchen würdet, jedoch das Verhängniß hat ein anders beschlossen, indem ihr mich wiewol wieder euren willen tödtlich verwundet habt. Ach machet derowegen meiner zeitlichen Marter ein Ende, rächet eure Freunde und euch selbst, und verschaffet mich durch den letzten Todes-Stich nur bald in das vor meine arme Seele bestimmte Quartier zu allen Teuffeln, denn bey GOTT ist vor dergleichen Sünder, wie ich bin, weder Gnade noch Barmhertzigkeit zu hoffen.

Hiermit blieb er stille liegen. Concordia aber und ich setzten allen unseren anderweitigen Jammer bey Seite, und suchten des Lemelie Seele durch die trostreichsten Sprüche aus des Teufels Rachen zu reissen. Allein, seine Ohren waren verstopfft, und ehe wir uns dessen versahen, stach er sich, mit einem bey sich annoch verborgen gehaltenen Messer, in etlichen Stichen das Hertze selbst vollends ab, und bließ unter gräßlichen Brüllen seine ohnfehlbar ewig verdammte Seele aus. Concordia und ich wusten vor Furcht, Schrecken und überhäuffter Betrübniß nicht, was wir anfänglich reden oder thun solten, doch, nachdem wir ein paar Stunden vorbey streichen lassen, und unsere Sinnen wieder in einige Ordnung gebracht hatten, schleppte ich den schändlichen Cörper bey den Beinen an seinen Ort, und begrub ihn als ein Vieh, weil er sich im Leben noch viel ärger als ein Vieh aufgeführet hatte.

Das war also eine zwar kurtze, doch mehr als Erstaunens-würdige Nachricht von dem schändlichen Leben, Tode und Begräbniß eines solchen [218] Menschen, der der Erden eine verfluchte unnütze Last, dem Teuffel aber eine desto nützlichere Creatur gewesen. Welcher Mensch, der nur ein Füncklein Tugend in seiner Seelen heget, wird nicht über dergleichen Abschaum aller Laster erstaunen, und dessen durchteuffeltes Gemüthe verfluchen? Ich vor meine Person hatte recht vom Glücke zu sagen, daß ich seinen Mord-Streichen, noch so zu sagen, mit blauen Augen entkommen war, wiewohl ich an meinen empfangenen Wunden, die, wegen der sauren Arbeit bey dem Begräbnisse dieses Höllenbrandes, starck erhitzt wurden, nachhero Angst und Schmertzen genung auszustehen hatte.

Meine annoch eintzige Unglücks-Gefährtin, nehmlich die Concordia, traff ich bey meiner Zurückkunfft sich fast in Thränen badend an, weil ich nun der eintzige Zeuge ihres Jammers war, und desselben Ursprung nur allzu wohl wuste, wegen ihrer besondern Gottesfurcht und anderer Tugenden aber in meiner Seelen ein hefftiges Mitleyden über ihre unglückliches Verhängniß hegte, und mein selbst eigenes Theil ziemlich dabey hatte, so war mir um so viel desto leichter, ihr im klagen und weinen Gesellschafft zu leisten, also vertiefften wir uns dermassen in unserer Betrübniß, daß wir den gantzen Tag biß zu einbrechender Nacht ohne Essen und Trincken bloß mit seuffzen, weinen und klagen hinbrachten. Endlich da mir die vernünfftigen Gedancken wiederum einfielen, daß wir mit allzu übermäßiger Betrübniß unser Schicksal weder verbessern noch verschlimmern, die höchste Macht aber dadurch nur noch mehr zum Zorne reitzen [219] könten, suchte ich die Concordia so wohl als mich selbst zur Gedult zu bewegen, und dieses gelunge mir auch in so weit, daß wir einander zusagten: alles unser Bekümmerniß dem Himmel anzubefehlen, und mit täglichen fleißigen Gebet und wahrer GOTT-Gelassenheit zu erwarten, was derselbe ferner über uns verhängen würde.

Demnach wischeten wir die Thränen aus den Augen, stelleten uns recht hertzhafftig an, nahmen Speise und Tranck, und suchten, nachdem wir mit einander andächtig gebetet und gesungen, ein jedes seine besondere Ruhe-Stelle, und zwar beyde in einer Kammer. Concordia verfiel in einen süssen Schlaff, ich aber konte wegen meiner hefftig schmertzenden Wunden, die in Ermangelung guter Pflaster und Salben nur bloß mit Leinwand bedeckt und umwunden waren, fast kein Auge zuthun, doch da ich fast gegen Morgen etwa eine Stunde geschlummert haben mochte, fing Concordia erbärmlich zu winseln und zu wehklagen an, da ich nun vermeinete, daß sie solches wegen eines schweren Traumes etwa im Schlaffe thäte, und, sie sanffte zu ermuntern, aufstund, richtete sich dieselbe auf einmahl in die Höhe, und sagte, indem ihr die grösten Thränen-Tropffen von den Wangen herunter rolleten: Ach, Monsieur Albert! Ach, nunmehro befinde ich mich auf der höchsten Staffel meines Elendes! Ach Himmel, erbarme dich meines Jammers! Du weist ja, daß ich die Unzucht und Unkeuschheit Zeit Lebens von Grund der Seelen gehasset, und die Keuschheit vor mein bestes Kleinod geschätzet. Zwar habe mich durch übermäßige [220] Liebe von meinen seel. Ehe-Mann verleiten lassen, mit ihm aus dem Hause meiner Eltern zu entfliehen, doch du hast mich ja dieserwegen auch hart genug gestrafft. Wiewohl, gerechter Himmel, zürne nicht über meine unbesonnenen Worte, ists noch nicht genung? Nun so straffe mich ferner hier zeitlich, aber nur, nur, nur nicht ewig.

Hierauf rang sie die Hände aufs hefftigste, der Angst-Schweiß lieff ihr über das gantze Gesichte, ja sie winselte, schrye, und wunde sich auf ihren Lager als ein armer Wurm.

Ich wuste vor Angst, Schrecken und Zittern nicht, was ich reden, oder wie ich mich gebärden solte, weil nicht anders gedencken konte, als daß Concordia vielleicht noch vor Tages Anbruch das Zeitliche gesegnen, mithin mich als den allerelendesten Menschen auf dieser Insul allein, ohne andere, als der Thiere Gesellschafft, verlassen würde. Diese kläglichen Vorstellungen, nebst ihren schmertzhafften Bezeigen, rühreten mich dermassen hefftig, daß ich auf Knie und Angesicht zur Erden fiel, und dermassen eiffrig zu GOtt schrye, daß es fast das Ansehen hatte, als ob ich den Allmächtigen mit Gewalt zwingen wolte, sich der Concordia und meiner zu erbarmen.

Immittelst war dieselbe gantz stille worden, weßwegen ich voller Furcht und Hoffnung zu GOtt aufstund, und besorgte, sie entweder in einer Ohnmacht oder wohl gar todt anzutreffen. Jedoch zu meinem grösten Troste, lag sie in ziemlicher Linderung, wiewohl sehr ermattet, da, nahm und drückte meine Hand, legte selbige auf ihre Brust, und sagte [221] unter hefftigem Hertz-Klopffen: Es ist an dem, Mons. Albert, daß eure und meine Tugend von der Göttlichen Fürsehung auf eine harte Probe gesetzt wird. Wisset demnach, mein eintziger Freund und Beystand auf dieser Welt, daß ich in Kindes-Nöthen liege. Auf euer hertzliches Gebet hat mir der Höchste Linderung verschaffet, ich glaube, daß ich bloß um eurent willen noch nicht sterben werde. Allein, ich bitte euch um GOttes Barmhertzigkeit willen, lasset eure Keuschheit, Gottesfurcht und andere Tugenden, bey meinem itzigen Zustande über alle Fleisches-Lust, unkeusche Gedancken, ja über alle Bemühungen, die ich euch zu machen, von der Noth gezwungen bin, triumphiren. Denn ich bin versichert, daß alle äusserliche Versuchungen, unsern keuschen Seelen keinen Schaden zufügen können, so fern dieselben nur an sich selbst rein von Lastern sind.

Hierauf legte ich meine lincke Hand auf ihre bekleidete Brust, meine rechte aber reckte ich in die Höhe, und sprach: Liebste Concordia, ich schwere hiermit einen würcklichen Eyd, daß ich zwar eure schöne Person unter allen Weibs-Personen auf der gantzen Welt aufs allerwertheste achte und liebe, auch dieselbe jederzeit hoch zu achten und zu lieben gedencke, wenn ich gleich, mit GOttes Hülffe, wieder unter 1000. und mehr andere Weibs- und Manns-Personen kommen solte; Allein wisset, daß ich euch nicht im geringsten aus einer wollüstigen Absicht, sondern bloß eurer Tugenden wegen liebe, auch alle geile Brunst, dergleichen Lemelie verspüren lassen, aufs hefftigste verfluche. Im Gegentheil [222] verspreche, so lange wir beysammen zu leben gezwungen sind, aus guten Hertzen, euch in allen treulich beyzustehen, und solte ja wider Vermuthen in Zukunfft bey mir etwa eine Lust entstehen, mit eurer Person verehligt zu seyn, so will ich doch dieselbe, um euch nicht verdrüßlich zu fallen, beständig unterdrücken, hingegen allen Fleiß anwenden, euch mit der Helffte derjenigen Schätze, die wir in Verwahrung haben, dahin zu verschaffen, wo es euch belieben wird, weiln ich lieber Zeit-Lebens unvergnügt und Ehe-loß leben, als eurer Ehre und Tugend die geringste Gewalt anthun, mir aber in meinem Gewissen nur den kleinesten Vorwurff verursachen wolte. Verlasset euch derowegen sicher auf mein Versprechen, worüber ich GOtt und alle heiligen Engel zu Zeugen anruffe, fasset einen frischen Muth, und fröliches Hertze. GOtt verleihe euch eine glückliche Entbindung, trauet nechst dem auf meinen getreuen Beystand, thut eurer Gesundheit mit unnöthiger und vielleicht gefährlicher Schamhafftigkeit keinen Schaden, sondern verlasset euch auf euer und meine tugendhaffte Keuschheit, welche in dieser äusersten Noth unverletzt bleiben soll. Ich habe das feste Vertrauen, der Himmel werde auch diese höchste Staffel unseres Elendes glücklich übersteigen helffen, und euch mir zum Trost und Beystande gesund und vergnügt beym Leben erhalten. Befehlet mir derowegen nur ohne Scheu, was ich zu eurem Nutzen etwa thun und herbey schaffen soll, GOtt wird uns, in dieser schweren Sache gantz unerfahrnen Leuten, am besten zu rathen wissen.

[223] Diesemnach küssete die keusche Frau aus reiner Freundschafft meine Hand, versicherte mich, daß sie auf meine Redlichkeit ein vollkommenes Vertrauen setzte, und bat, daß ich aussen vor der Kammer ein Feuer anmachen, anbey so wohl kaltes als warmes Wasser bereit halten möchte, weil sie nechst Göttlicher Hülffe sich einer baldigen Entbindung vermuthete. Ich eilete, so viel mir menschlich und möglich, ihrem Verlangen ein Genügen zu leisten, so bald aber alles in völliger Bereitschafft, und ich wiederum nach meiner Kreissenden sehen wolte, fand ich dieselbe in gantz anderer Verfassung, indem sie allen Vorrath von ihren Betten in der Kammer herum gestreuet, sich mitten in der Kammer auf ein Unter-Bette gesetzt, die grosse Lampe darneben gestellet, und ihr neugebohrnes Töchterlein, in zwey Küssen eingehüllet, vor sich liegen hatte, welches seine jämmerliche Ankunfft mit ziemlichen Schreyen zu verstehen gab. Ich wurde vor Verwunderung und Freude gantz bestürtzt, muste aber auf Concordiens sehnliches Bitten allhier zum ersten mahle das Amt einer Bade-Mutter verrichten, welches mir auch sehr glücklich von der Hand gegangen war, indem ich die kleine, wohlgebildete Creatur ihrer Mutter gantz rein und schön zurück lieferte.

Mittlerweile war der Tag völlig angebrochen, weßwegen ich, nachdem Concordia auf ihr ordentliches Lager gebracht, und sich noch ziemlich bey Kräfften befand, ausgehen, ein Stücke Wild schiessen, und etliche gute Kräuter zum Zugemüse eintragen wolte, indem unser Speise-Vorrath [224] fast gäntzlich aufgezehret war. Doch selbige bat mich, noch eine Stunde zu verziehen, und erstlich das allernöthigste, nehmlich die heilige Tauffe ihres jungen Töchterleins zu besorgen, inmassen man nicht wüste, wie bald dergleichen zarte Creatur vom Tode übereilet werden könte. Ich konte diese ihre Sorge selbst nicht anders als vor höchst wichtig erkennen, nachdem wir uns also wegen dieser heiligen und christlichen Handlung hinlänglich unterredet, vertrat ich die Stelle eines Priesters, tauffte das Kindlein nach Anweisung der heiligen Schrifft, und legte ihm ihrer Mutter Nahmen Concordia bey.


Hierauf ging ich mit meiner Flinte, wiewohl sehr taumelend, matt und krafftloß, aus, und da mir gleich über unsern gemachten Damme ein ziemlich starck und feister Hirsch begegnete, setzte ich vor dieses mahl meine sonst gewöhnliche Barmhertzigkeit bey seite, gab Feuer, und traff denselben so glücklich in die Brust hinein, daß er so gleich auf der Stelle liegen blieb. Allein, dieses grosse Thier trieb mir einen ziemlichen Schweiß aus, ehe ich selbiges an Ort und Stelle bringen konte. Jedoch da meine Wöchnerin und ich selbst gute Krafft-Suppen und andere gesunde Kräuter-Speisen höchst von nöthen hatte, muste mir alle Arbeit leicht werden, und weil ich also kein langes Federlesen machte, sondern alles aufs hurtigste, wiewohl nicht nach den Regeln der Sparsamkeit, einrichtete, war in der Mittags-Stunde schon eine gute stärckende Mahlzeit fertig, welche Concordia [225] und ich mit wunderwürdigen und ungewöhnlichen Appetite einnahmen.

Jedoch, meine Freunde! sagte hier der Alt-Vater Albertus, ich mercke, daß ich mich diesen Abend etwas länger in Erzählung, als sonsten, aufgehalten habe, indem sich meine müden Augen nach dem Schlafe sehnen. Also brach er ab, mit dem Versprechen, morgendes Tages nach unserer Zurückkunfft von Johannis-Raum fortzufahren, und diesemnach legten wir uns, auf gehaltene Abend-Andacht, ingesa t, wie er, zur Ruhe.

Die abermahls aufgehende und alles erfreuende Sonne gab selbigen Morgen einem jeden das gewöhnliche Zeichen aufzustehen. So bald wir uns nun versammlet, das Morgen-Gebet verrichtet, und das Früh-Stück eingenommen hatten, ging die Reise in gewöhnlicher Suite durch den grossen Garten über die Brücke des Westlichen Flusses, auf Johannis-Raum zu. Selbige Pflantz-Städte bestunde aus 10. Häusern, in welchen allen man wahrnehmen konte, daß die Eigenthums-Herrn denen andern, so wir bißhero besucht, an guter Wirthschafft nicht das geringste nachgaben. Sie hatten ein besseres Feld, als die in Jacobs-Raum, jedoch nicht so häuffigen Weinwachs, hergegen wegen des naheliegenden grossen Sees, den vortrefflichsten Fischfang, herrliche Waldung, Wildpret und Ziegen in starcker Menge. Die Bäche daselbst führeten ebenfalls häuffige Gold-Körner, worvon uns eine starcke Quantität geschenckt wurde. Wir machten uns allhier das Vergnügen, in wohl ausgearbeiteten Kähnen auf der grossen [226] See herum zu fahren, und zugleich mit Angeln, auch artigen Netzen, die vom Bast gewisser Bäume gestrickt waren, zu fischen, durchstrichen hierauf den Wald, bestiegen die oberste Höhe des Felsens, und traffen daselbst bey einem wohlgebaueten Wach-Hause 2. Stücken Geschützes an. Etliche Schritt hiervon ersahen wir ein in den Felsen gehauenes grosses Creutze, worein eine zinnerne Platte gefügt war, die folgende Zeilen zu lesen gab:


† † †

Auf dieser unglückseeligen Stelle

ist im Jahre Christi 1646.

am 11. Novembr.

der fromme Carl Franz van Leuven,

von dem gottlosen Schand-Buben Lemelie

meuchelmörderischer Weise

zum Felsen hinab gestürtzt und

elendiglich zerschmettert worden.

Doch seine Seele

wird ohne Zweiffel bey GOtt

in Gnaden seyn.

† † †


Unser guter Alt-Vater Albertus hatte sich mit grosser Mühe auch an diesen Ort bringen lassen, und zeigete uns die Stelle, wo er nunmehro vor 79. Jahren und etlichen Tagen den Cörper seines Vorwirths, zerschmettert liegend, angetroffen. Wir musten erstaunen, da wir die Gefahr betrachteten, [227] in welche er sich gesetzt, denselben in die Höhe zu bringen. Voritzo aber war daselbst ein zwar sehr enger, doch bequemer Weg biß an die See gemacht, welchen wir hinunter stiegen, und in der Bucht, Sud-Westwärts, ein ziemlich starckes Fahrzeug antraffen, womit die Unserigen öffters nach einer kleinern Insul zu fahren pflegten, indem dieselbe nur etwa 2. Meilen von der Felsen-Insul entlegen war, in Umfange aber nicht vielmehr als 5. oder 6tehalb deutsche Meilen haben mochte.

Es wurde beschlossen, daß wir nächstens das Fahrzeug ausbessern, und eine Spatzier-Fahrt nach besagter kleinen Insul, welche Albertus klein Felsen-Burg benennet hatte, vornehmen wolten. Vor dießmal aber nahmen wir unsern Rückweg durch Johannis-Raum, reichten den Einwohnern die gewöhnlichen Geschencke, wurden dagegen von ihnen mit einer vollkommenen guten Mahlzeit bewirthet, die uns, weil die Mittags-Mahlzeit nicht ordentlich gehalten worden, trefflich zu statten kam, nahmen hierauff danckbarlichen Abschied, und kamen diesen Abend etwas später als sonsten auf der Albertus-Burg an.

Dem ohngeacht, und da zumalen niemand weiter etwas zu speisen verlangete, sondern wir uns mit etlichen Schaalen Coffeé, nebst einer Pfeiffe Toback zu behelffen beredet, setzte bey solcher Gelegenheit unser Altvater seine Geschichts-Erzehlung dergestalt fort:

Ich habe gestern gemeldet, wie wir damahligen beyden Patienten die Mahlzeit mit guten Appetit verzehret, jedoch Concordia befand sich sehr übel[228] drauff, indem sie gegen Abend ein würckliches Fieber bekam, da denn der abwechselende Frost und Hitze die gantze Nacht hindurch währete, weßwegen mir von Hertzen angst und bange wurde, so daß ich meine eigenen Schmertzen noch lange nicht so hefftig, als der Concordiæ Zufall empfand.

Von Artzeneyen war zwar annoch ein sehr weniges vorhanden, allein wie konte ich wagen ihr selbiges einzugeben? da ich nicht den geringsten Verstand oder Nachricht hatte, ob ich meiner Patientin damit helffen oder schaden könte. Gewiß es war ein starckes Versehen von Mons. van Leuven gewesen, daß er sich nicht mit einem bessern Vorrath von Artzeneyen versorgt hatte, doch es kan auch seyn, daß selbige mit verdorben waren, genung, ich wuste die gantze Nacht nichts zu thun, als auf den Knien bey der Concordia zu sitzen, ihr den kalten Schweiß von Gesicht und Händen zu wischen, dann und wañ kühlende Blätter auf ihre Stirn und Arme zu binden, nächst dem den allerhöchsten Artzt um unmittelbare kräfftige Hülffe anzuflehen. Gegen Morgen hatte sie zwar, so wol als ich, etwa 3. Stunden schlaff, allein die vorige Hitze stellete sich Vormittags desto hefftiger wieder ein. Die arme kleine Concordia fieng nunmehro auch, wie ich glaube, vor Hunger und Durst, erbärmlich an zu schreyen, verdoppelte also unser Hertzeleyd auf jämmerliche Art, indem sie von ihrer Mutter nicht einen Tropffen Nahrungs-Safft erhalten konte. Es war mir allbereit in die Gedancken kommen, ein paar melckende Ziegen einzufangen, allein auch diese Thiere waren durch das öfftere schiessen dermassen wild[229] worden, daß sie sich allezeit auf 20. biß 50. Schritt von mir entfernt hielten, also meine 3. stündige Mühe vergeblich machten, also traf ich meine beyden Concordien, bey meiner Zurückkunfft, in noch weit elendern Zustande an, indem sie vor Mattigkeit kaum noch lechzen konten. Solchergestallt wuste ich kein ander Mittel, als allen beyden etwas von dem mit reinen Wasser vermischten Palm-Saffte einzuflössen, indem sie sich nun damit ein wenig erquickten, gab mir der Himmel einen noch glücklichern Einfall. Denn ich lieff alsobald wieder fort, und trug ein Körblein voll von der den Europäischen Apricosen oder Morellen gleichförmigen, doch weit grössern Frucht ein, schlug die harten Kernen entzwey, und bereitete aus den inwendigen, welche an Annehmlich-und Süßigkeit die süssen Mandeln bey weiten übertreffen, auch noch viel gesünder seyn, eine unvergleichlich schöne Milch, so wol auch ein herrliches Gemüse, mit welchen beyden ich das kleine Würmlein ungemein kräfftig stärcken und ernehren konte.

Concordia vergoß theils vor Schmertzen und Jammer, theils vor Freuden, daß sich einige Nahrung vor ihr Kind gefunden, die heissesten Thränen. Sie kostete auf mein Zureden die schöne Milch, und labete sich selbst recht hertzlich daran, ich aber, so bald ich dieses merckte: setzte alle unwichtige Arbeit bey seite, und that weiter fast nichts anders als dergleichen Früchte in grosser Menge einzutragen, und Kernen aufzuschlagen, jedoch durffte nicht mehr als auf einen Tag und Nacht Milch zubereiten, weil die Übernächtige ihre schmackhaffte Krafft allezeit verlohr.

[230] Solchergestalt befand sich nun nicht allein das Kind vollkommen befriediget, sondern die Mutter konte 4. Tage hernach selbiges, zu aller Freude, aus ihrer Brust stillen, und am 6ten Tage frisch und gesund das Bette verlassen, auch, wiewol wider meinen Rath, allerhand Arbeit mit verrichten. Wir danckten dem Allmächtigen hertzlich mit beten und singen vor dessen augenscheinliche Hülffe, und meineten nunmehro in so weit ausser aller Gefahr zu seyn; Allein die Reihe des kranckliegens war nun an mir, denn weil ich meine Haupt-Wunde nicht so wohl als die auf der Schulter warten können, gerieth dieselbe erstlich nach 12. Tagen dermassen schlimm, daß mir der Kopf hefftig auffschwoll, und die innerliche grosse Hitze den gantzen Cörper aufs grausamste überfiel.

War mein Bezeugen bey Concordiens Unpäßlichkeit ängstlich und sorgfältig gewesen, so muß ich im gegentheil bekennen, daß ihre Bekümmerniß die meinige zu übertreffen schien, indem sie mich besser als sich und ihr Kind selbst pflegte und wartete. Meine Wunden wurden mit ihrer Milch ausgewaschen, und mit darein getauchten Tüchleins bedeckt, mein gantzes Gesichte, Hande und Füsse aber belegte sie mit dergleichen Blättern, welche ihr so gute Dienste gethan hatten, suchte mich anbey mit den kräfftigsten Speisen und Geträncke, so nur zu erfinden war, zu erquicken. Allein es wolte binnen 10. Tagen nicht das geringste anschlagen, sondern meine Kranckheit schien immer mehr zu, als ab zu nehmen, welchesConcordia, ohngeacht ich mich stärcker stellete, als ich in der That war, dennoch merckte, [231] und derowegen vor Hertzeleyd fast vergehen wolte. Ich bat sie instandig, ihr Betrübniß zu mäßigen, weil ich das feste Vertrauen zu GOTT hätte, und fast gantz gewiß versichert wäre, daß er mich nicht so früh würde sterben lassen; Allein sie konte ihrem Klagen, Seufzen u. Thränen, durchaus keinen Einhalt thun, wolte ich also haben, daß sie des Nachts nur etwas ruhen solte, so muste mich zwingen, stille zu liegen, und thun als ob ich feste schlieffe, obgleich offters der grossen Schmertzen wegen in 2. mal 24. Stunden kein rechter Schlaf in meine Augen kam. Da ich aber einsmals gegen Morgen sehr sanfft eingeschlummert war, träumte mich, als ob Don Cyrillo de Valaro vor meinem Bette sässe, mich mit freundlichen Gebärden bey der rechten Hand anfassete und spräche: Ehrlicher Albert! sage mir doch, warum du meine hinterlassenen Schrifften zu deinem eigenen Wohlseyn nicht besser untersuchest. Gebrauche doch den Safft von diesem Kraut und Wurtzel, welches ich dir hiermit im Traume zeige, und welches häuffig vor dem Außgange der Höle wächset, glaube dabey sicher, daß dich GOtt erhalten und deine Wunden heilen wird, im übrigen aber erwege meine Schrifften in Zukunfft etwas genauer, weil sie dir und deinen Nachkommen ein herrliches Licht geben.

Ich fuhr vor grossen Freuden im Schlafe auf, und streckte meine Hand nach der Pflantze aus, welche mir, meinen Gedancken nach, von Don Cyrillo vorgehalten wurde, merckte aber sogleich, daß es ein Traum gewesen. Concordia fragte mit weinenden Augen nach meinem Zustande. Ich bat, sie [232] solte einen frischen Muth fassen, weil mir GOTT bald helffen würde, nahm mir auch kein Bedencken, ihr meinen nachdencklichen Traum völlig zu erzehlen. Hierauff wischete sie augenblicklich ihre Thränen ab, und sagte: Mein Freund, dieses ist gewiß kein blosser Traum, sondern ohnfehlbar ein Göttliches Gesichte, hier habt ihr des Don Cyrillo Schriften, durchsuchet dieselben aufs fleißigste, ich will inzwischen hingehen und vielerley Kräuter abpflücken, findet ihr dasjenige darunter, welches ihr im schlafe gesehen zu haben euch erinnern könnet, so wollen wir solches in GOTTES Nahmen zu euerer Artzeney gebrauchen.

Mein Zustand war ziemlich erleidlich, nachdem sie mir also des Don Cyrillo Schrifften, nebst einer brennenden Lampe vor mein Lager gebracht, und eilig fortgegangen war, fand ich ohne mühsames suchen diejenigen Blätter, welche van Leuven und ich wenig geachtet, in Lateinischer Sprache unter folgenden Titul: »Verzeichniß, wie, und womit ich die, mir in meinen mühseeligen Leben gar öffters zugestossenen Leibes-Gebrechen und Schäden geheilet habe.« Ich lief dasselbe so hurtig durch, als es meine nicht allzuvollkommene Wissenschafft der Lateinischen Sprache zuließ, und fand die Gestalt, Tugend und Nutzbarkeit eines gewissen Wund-Krauts, so wol bey der Gelegenheit, da dem Don Cyrillo ein Stück Holtz auf dem Kopf gefallen war, als auch da er sich mit dem Beile eine gefährliche Wunde ins Bein versetzt, nicht weniger bey andern Beschädigungen, dermassen eigentlich und ausführlich beschrieben, daß fast nicht zweiffeln konte, [233] es müste eben selbiges Kraut und Wurtzel seyn, welches er mir im Traume vorgehalten. Unter diesem meinen Nachsinnen, kam Cordia mit einer gantzen Schürtze voll Kräuter von verschiedenen Arten und Gestallten herbey, ich erblickte hierunter nach wenigen herum werffen gar bald dasjenige, was mir Don Cyrillo so wol schrifftlich bezeichnet, als im Traume vorgehalten hatte. Derowegen richteten wir selbiges nebst der Wurtzel nach seiner Vorschrifft zu, machten anbey von etwas Wachs, Schiff-Pech und Hirsch-Unschlit ein Pflaster, verbanden damit meine Wunden, und legten das zerquetschte Kraut und Wurtzel nicht allein auf mein Gesicht, sondern fast über den gantzen Leib, worvon sich die schlimmen Zufälle binnen 4. oder 5. Tagen gäntzlich verlohren, und ich nach Verlauff zweyer Wochen vollkommen heil und gesund wurde.

Nunmehro hatte so wol ich als Concordia recht erkennen lernen, was es vor ein edles thun um die Gesundheit sey. Als wir derowegen unser Te Deum laudamus abgesungen und gebetet hatten, wurde Rath gehalten, was wir in Zukunfft täglich vor Arbeit vornehmen müsten, um unsere kleine Wirthschafft in guten Stand zu setzen, damit wir im fall der Noth sogleich alles, was wir brauchten, bey der Hand haben könten. Tag und Nacht in der unterirrdischen, ob zwar sehr bequemen Höle zu wohnen, wolte Concordien durchaus nicht gefallen, derowegen fieng ich an, oben auf dem Hügel, neben der schönen Lauber-Hütte, ein bequemes Häußlein nebst einer kleinen Küche zu bauen, auch [234] einen kleinen Keller zu graben, in welchen letztern wir unser Geträncke, so wol als das frische Fleisch und andere Sachen, vor der grossen Hitze verbergen könten. Hiernechst machte ich vor die kleine Tochter zum Feyerabende, an einem abgelegenen Orte, eine bequeme, wiewol nicht eben allzu zierliche Wiege, worüber meine Haußwirthin, da ich ihr dieselbe unverhofft brachte, eine ungemeine Freude bezeigte, und dieselbe um den allergrösten Gold-Klumpen nicht vertauscht hätte, denn das Wiegen gefiel den kleinen Mägdelein dermassen wohl, daß wir selbst unsere eintzige Freude daran sahen.

Unser gantzer Geträyde-Vorrath, welchen wir auf dieser Insul unter den wilden Gewächsen aufgesammlet hatten, bestund etwa in drey Hütten voll Europäischen Korns, 1. Hut voll Weitzen, 4. Hütten Gerste, und zwey ziemlich grossen Säcken voll Reiß, als von welchem letztern wir Mehl stampften, solches durchsiebeten und das Kind damit nehreten, einen Sack Reiß aber, nebst dem andern Geträyde, zur Außsaat spareten. Uber dieses alles, fanden sich auch bey nahe 2. Hüte voll Erbsen, sonsten aber nichts von bekandten Früchten, desto mehr aber von unbekandten, deren wir uns zwar nach und nach zur Leibes-Nahrung, in Ermangelung des Brodtes gebrauchen lerneten, doch ihre Nahmen als Plantains, James, Patates, Bananes und dergleichen mehr, nebst deren bessern und angenehmern Nutzung, erfuhren wir erstlich in vielen Jahren hernach von Robert Hŭlter, der kleinen Concordia nachherigem Ehe-Manne.

[235] Inzwischen wandte ich damaliger Zeit, jedes Morgens frühe 3. Stunden, und gegen Abend eben so viel, zu Bestellung meiner Aecker an, und zwar in der Gegend wo voritzo der grosse Garten ist, weil ich selbigen Platz, wegen seiner Nähe und Sicherheit vor dem Wilde, am geschicktesten darzu hielt. Die übrigen Tages-Stunden aber, ausser den Mittags-Stunden, in der grösten Hitze, welche ich zum Lesen und aufschreiben aller Dinge die uns begegneten, anwandte, machte ich mir andern Zeitvertreib, indem ich einige kleine Plätze starck verzäunete, und die auf listige Art gefangenen Ziegen, nebst andern jungen Wildpret hinein sperrete welches alles Concordia täglich mit gröster Lust speisete und tränckte, die Milchtragenden Ziegen aber, nach und nach, so zahm machte, daß sie sich ihre Milch gutwillig nehmen liessen, die wir nicht allein an sich selbst zur Speise vor klein und grosse gebrauchen, sondern auch bald einen ziemlichen Vorrath von Butter uñ Käse bereiten konten, indem ich biñen Monats-Frist etliche 20. Stück melckende, halb so viel andere, und 9. Stück jung Wildpret eingefangen hatte.

Wir ergötzten uns gantz besonders, wenn wir an unsere zukünfftige Saat und Erndte gedachten, weil der Appetit nach ordentlichen Brodte gantz ungemein war, gebrauchten aber mittlerweile an dessen statt öffters die gekochten Wildprets-Lebern, als worzu wir unsere Käse und Butter vortrefflich geniessen konten.

Solchergestalt wurden die heissesten Sommer-Monate ziemlich vergnügt hingebracht, ausgenommen, wenn uns die erlittenen Trauer-Fälle ein betrübtes [236] Zurückdencken erweckten, welches wir aber immer eines dem andern zu gefallen, so viel möglich, verbargen, um unsere in etwas verharrschten Hertzens-Wunden nicht von neuen aufzureissen, mithin das ohne dem einsame Leben zu verbittern, oder solche Leute zu heissen, die wider das Verhängniß und Straff-Gerichte GOttes murren wolten.

Der gütige Himmel schenckte uns mittler Zeit einen angenehmen Zeit-Vertreib mit der Wein-Erndte, indem wir ohne die Trauben, deren wir täglich viel verzehreten, wider alles Vermuthen ohngefähr 200. Kannen Most ausdrücken, und 2. ziemlich grosse Säcke voll aufgetrocknete Trauben sa len konten, welches gewiß eine herrliche Sache zu unserer Wirthschafft war. Unsere Unterthanen, die Affen, schienen hierüber sehr verdrüßlich zu seyn, indem sie vielleicht selbst grosse Liebhaber dieser edlen Frucht waren, hatten auch aus Leichtfertigkeit viel zu Schanden gemacht, doch, da ich mit der Flinte etliche mahl blind Feuer gegeben, geriethen sie in ziemlichen Gehorsam und Furcht.

Ich weiß nicht, wie es kommen war, daß Concordia eines Tages einen mittelmäßigen Affen, unter einem Baum liegend, angetroffen, welcher das rechte Hinterbein zerbrochen, und sich jämmerlich geberdet hatte. Ihr gewöhnliches weichhertziges Gemüth treibt sie so weit, daß, ohngeacht dergleichen Thiere ihre Gnade sonsten eben nicht sonderlich hatten, sie diesen verunglückten allerhand Liebkosungen machet, sein zerbrochenes Bein mit einem Tuche umwindet, ja so gar den armen Patienten [237] in ihren Schooß nimmt, und so lange sitzen bleibt, biß ich darzu kam, und die gantze Begebenheit vernahm. Wir trugen also denselben in unser Wohn-Hauß, verbunden sein Bein mit Pflastern, Schindeln und Binden, und legten ihn hin auf ein bequemes Lager, deckten auch eins von unsern Haupt-Küssen über seinen Cörper, und gingen wieder an unsere Arbeit. Gegen Mittag aber, da wir zurück kamen, erschrack ich anfänglich einiger massen, da sich 2. alte Affen, welche ohne Zweiffel des Patienten Eltern seyn mochten, bey demselben aufhielten. Ich wuste anfänglich nicht, ob ich trauen durffte oder nicht? Doch da sie sich ungemein betrübt und demüthig stelleten, nahete ich mich hinzu, strich den Patienten sanfft auf das Haupt, sahe nach seinem Beine, und befand, daß er unverrückt liegen geblieben war, weßwegen er noch ferner von mir gestreichelt und mit etlichen guten Früchten gespeiset wurde. Die 2. Alten so wohl als der Patient selbst, liessen mich hierauf ihre Danckbarkeit mit Leckung meiner Hände spüren, streichelten auch mit ihren Vorder-Pfoten meine Kleider und Füsse sehr sanffte, und bezeugten sich im übrigen dermassen unterthänig und klug, daß ich fast nichts als den Mangel der Sprache bey ihnen auszusetzen hatte. Concordia kam auch darzu, und hatte nunmehro ein besonderes Vergnügen an der Treuhertzigkeit dieser unvernünfftigen Thiere, der Krancke streckte seine Pfote gegen dieselbe aus, so, daß es das Ansehen hatte, als ob er sie willkommen heissen wolte, und da sie sich zu ihm nahete, schmeichelte er ihr mit Leckung der Hände und andern Liebkosungen auf [238] solche verbindliche Art, daß es mit Lust anzusehen war. Die zwey Alten lieffen hierauf fort, kamen aber gegen Abend wieder, und brachten uns zum Geschenck 2. grosse Nüsse mit, deren jede 5. biß 6. Pfund wog, sie zerschlugen dieselben recht behutsam mit Steinen, so, daß die Kernen nicht zerstückt wurden, welche sie uns auf eine recht liebreiche Art præsentirten, und sich erfreuten, da sie aus unsern Gebärden vermerckten, daß wir deren Annehmlichkeit rühmeten. Ob ich nun gleich damahls noch nicht wuste, daß diese Früchte Cocos-Nüsse hiessen, sondern es nachhero erst von Robert Hŭlter erfuhr, so reitzte mich doch deren Vortrefflichkeit an, den beyden alten Affen so lange nachzuschleichen, biß ich endlich an den Ort kam, wo in einem kleinen Bezirck etwa 15. biß 18. Bäume stunden, die dergleichen Früchte trugen, allein Concordia und ich waren nicht so näschig, alle Nüsse aufzuzehren, sondern steckten dieselben an vielen Orten in die Erde, woher denn kommt, daß nunmehro auf dieser Insul etliche 1000. Cocos-Bäume anzutreffen sind, welches gewiß eine gantz besondere Nutz- und Kostbarkeit ist. Jedoch wiederum auf unsere Affen zu kommen, so muß ich ferner erzehlen, daß ohngeacht der Patient binnen 5. oder 6. Wochen völlig gerade und glücklich curirt war, jedennoch weder derselbe noch die zwey Alten von uns zu weichen begehreten, im Gegentheil noch 2. junge mitbrachten, mithin diese fünffe sich gäntzlich von ihrer andern Cameradschafft absonderten, und also anstelleten, als ob sie würcklich bey uns zu Hause gehöreten.

[239] Wir hatten aber von den 3. erwachsenen weder Verdruß noch Schaden, denn alles was wir thaten, afften sie nach, wurden uns auch nach und nach ungemein nützlich, indem von ihnen eine ungemeine Menge der vortrefflichsten Früchte eingetragen wurden, so offt wir ihnen nur ordentlich darzu gemachte Säcke anhingen, ausser dem trugen sie das von mir klein gespaltete Holtz öffters von weiten Orten her zur Küche, wiegten eins um das andere unser Kind, langeten die angehängten Gefässe voll Wasser, inSumma, sie thaten ohne den geringsten Verdruß fast alle Arbeit mit, die wir verrichteten, und ihnen zu verrichten lehreten, so, daß uns dieses unser Hauß-Gesinde, welches sich zumahlen selbst beköstigte, nicht allein viele Erleichterung in der Arbeit, sondern auch ausser derselben mit ihren poßirlichen Streichen man che vergnügte Stunde machten. Nur die 2. jüngsten richteten zuweilen aus Frevel mancherley Schaden und Unheil an, da wir aber mit der allergrösten Verwunderung merckten, daß sie dieserwegen von den 2. Alten recht ordentlicher Weise mit Gebärden und Schreyen gestrafft, ja öffters so gar geschlagen wurden, vergriffen wir uns sehr selten an ihnen, wenn es aber ja geschahe, demüthigten sich die jungen wie die zahmen Hunde, bey den Alten aber war dieserwegen nicht der geringste Eiffer zu spüren.

Dem allen ohngeacht war doch bey mir immer ein geheimes Mißtrauen gegen dieses sich so getreu anstellende halb vernünfftige Gesinde, derowegen bauete ich vor dieselben einen geraumlichen festen Stall mit einer starcken Thüre, machte vor jedweden [240] Affen eine bequeme Lager-Stätte, nebst einem Tische, Bäncken, ingleichen allerhand Spielwerck hinein, und verschloß unsere Bedienten in selbigen, nicht allein des Nachts, sondern auch bey Tage, so offt es uns beliebte.

Immittelst da ich vermerckte, daß die Sonne mit ihren hitzigen Strahlen einiger massen von uns abzuweichen begunte, und mehr Regen-Wetter, als bißhero, einfiel, bestellete ich mit Concordiens treulicher Hülffe unser Feld, nach des Don Cyrillo schrifftlicher Anweisung, aufs allersorgfältigste, und behielt an jeder Sorte des Getreydes auf den äusersten Nothfall, wenn ja alles ausgesäete verderben solte, nur etwas weniges zurücke. Vom Reiß aber, als wormit ich 2. grosse Aecker bestellet, behielten wir dennoch bey nahe zwey gute Scheffel überley.

Hierauf hielten wir vor rathsam, uns auf den Winter gefast zu machen, derowegen schoß ich einiges Wildpret, und saltzten dasselbe, wie auch das ausgeschlachtete Ziegen-Fleisch ein, wobey uns so wohl die alten als jungen Affen gute Dienste thaten, indem sie das in den Stephans-Raumer Saltz-Bergen ausgehauene Saltz auf ihren Rücken biß in unsere unter-irrdische Höle tragen musten. Hiernächst schleppten wir einen grossen Hauffen Brenn-Holtz zusammen, baueten einen Camin in unserem Wohnhause auf dem Hügel, trugen zu den allbereits eingesammleten Früchten noch viel Kräuter und Wurtzeln ein, die theils eingemacht, theils in Sand verscharret wurden, und kurtz zu sagen, wir hatten uns dergestalt angeschickt, [241] als ob wir den allerhärtesten Winter in Holland oder andern noch viel kältern Ländern abzuwarten hätten.

Allein, wie befanden sich doch unsere vielen Sorgen, grosse Bemühungen und furchtsame Vorstellungen, wo nicht gäntzlich, doch meistentheils vergeblich? Denn unser Herbst, welcher dem Holländischen Sommer bey nahe gleich kam, war kaum verstrichen, als ein solcher Winter einfiel, welchen man mit gutem Recht einen warmen und angenehmen Herbst nennen konte, offtermahls fiel zwar ein ziemlicher Nebel und Regen-Wetter ein, allein von durchdringender Kälte, Schnee oder Eis, spüreten wir so wenig als gar nichts, der grasigte Boden blieb immer grün, und der gutenConcordia zusammen getragene grosse Heu-Hauffen dieneten zu nichts, als daß wir sie hernach den Affen zum Lust-Spiele Preiß gaben, da sie doch nebst vielen aufgetrockneten Baum-Blättern unserem eingestalleten Viehe zur Winter-Nahrung bestimmt waren. Unsere Saat war nach hertzens-Lust aufgegangen, und die meisten Bäume veränderten sich fast nicht, diejenigen aber, so ihre Blätter verlohren, waren noch nicht einmahl völlig entblösset, da sie schon frische Blätter und Blüthen austrieben. Solchergestalt wurde es wieder Frühling, da wir noch immer auf den Winter hofften, weßwegen wir die Wunder-Hand GOttes in diesem schönen Revier mit erstaunender Verwunderung erkandten und verehreten.

Es war uns aber in der That ein wunderbarer Wechsel gewesen, da wir das heilige Weyhnachts-Fest [242] fast mitten im Sommer, Ostern im Herbst, wenig Wochen nach der Weinlese, und Pfingsten in dem so genannten Winter gefeyert hatten. Doch weil ich in meinen Schul-Jahren etwas weniges in den Land-Charten und auf dem Globo gelernet, auch unter Mons. van Leuvens hinterlassenen wenigen Land-Charten und Büchern eins fand, welches mir meinen natürlichen Verstand ziemlicher massen schärffte, so konte ich mich nicht allein bald in diese Veränderung schicken, sondern auch die Concordia dessen belehren, und meine Tage-Bücher oder Calender auf viele Jahre in Voraus machen, damit wir doch wissen möchten, wie wir uns in die Zeit schicken, und unsern Gottesdienst gleich andern Christen in der weiten Welt anstellen solten.

Hierbey kan unberühret nicht lassen, daß ich nach der, mit der Concordia genommenen Abrede, gleich in meinen zu erst verfertigten Calender auf das Jahr 1647. Drey besondere Fest-Bet- und Fast-Tage anzeichnete, als erstlich den 10. Sept. an welchen wir zusammen in diese schöne Insul eingestiegen waren, und derowegen GOtt, vor die sonderbare Lebens-Erhaltung, so wohl im Sturme als Kranckheit und andern Unglücks-Fällen, den schuldigen Danck abstatten wolten. Zum andern den 11. Novembr. an welchen wir jährlich den erbärmlichen Verlust unsers liebenvan Leuvens zu beklagen verbunden. Und drittens den 11. Dec. der Concordiens glücklicher Entbindung, hiernächst der Errettung von des Lemelie Schand- und Mord-Streichen, auch unser beyderseits[243] wieder erlangter Gesundheit wegen angestellet war. Diese drey Fest-Bet- und Fast-Tage, nebst andern besondern Feyertagen, die ich Gedächtnisses wegen noch ferner hinzu gefüget, sind biß auf gegenwärtige Zeit von mir und den Meinen allezeit unverbrüchlich gefeyert worden, und werdet ihr, meine Lieben, kommenden Dienstag über 14. Tage, da der 11. Dec. einfällt, dessen Zeugen seyn.

Jedoch, fuhr unser Alt-Vater Albertus fort, ich kehre wieder zu den Geschichten des 1647. Jahres, und erinnere mich noch immer, daß wir mit dem neuen Früh-Jahre, so zu sagen, fast von neuen anfingen lebhafft zu werden, da wir uns nehmlich der verdrüßlichen Winters-Noth allhier auf dieser Insul entübriget sahen.

Wiewohl nun bey uns nicht der geringste Mangel, weder an Lebens-Mitteln, noch andern Bedürffnissen und Bequemlichkeiten vorhanden war, so konte doch ich nicht müßig sitzen, sondern legte einen geraumlichen Küchen-Garten an, und versetzte verschiedene Pflantzen und Wurtzeln hinein, die wir theils aus desDon Cyrillo Beschreibung, theils aus eigener Erfahrung vor die annehmlichsten und nützlichsten befunden hatten, um selbige nach unsern Verlangen gleich bey der Hand zu haben. Hiernächst legte ich mich starck auf das Pfropffen und Fortsetzen junger Bäume, brachte die Wein-Reben in bessere Ordnung, machte etliche Fisch-Kästen, setzte allerhand Arten von Fischen hinein, um selbige, so offt wir Lust darzu hatten, gleich heraus zu nehmen, bauete Schuppen und Ställe vor das eingefangene Wildpret und Ziegen, zimmerte [244] Freß-Tröge, Wasser-Rinnen und Saltz-Lecken vor selbige Thiere, und mit wenig Worten zu sagen, ich führete mich auf als ein solcher guter Hauß-Wirth, der Zeit Lebens auf dieser Insul zu verbleiben sich vorgesetzet hätte.

Inzwischen, ob gleich bey diesem allen Concordia mir wenig helffen durffte, so saß sie doch in dem Hause niemahls müßig, sondern nehete vor sich, die kleine Tochter und mich allerhand nöthige Kleidungs-Stücke, denn wir hatten in denen, auf den Sand-Bäncken angeländeten Ballen, vieles Tuch, Seyden-Zeug und Leinwand gefunden, so, daß wir vor unsere und wohl noch 20. Personen auf Lebens-Zeit nothdürfftige Kleider daraus verfertigen konten. Es war zwar an vielen Tüchern und seydenen Zeugen durch das eingedrungene See-Wasser die Farbe ziemlich verändert worden, jedoch weil wir alles in der Sonne zeitlich abgetrocknet hatten, ging ihm an der Haltbarkeit ein weniges ab, und um die Zierlichkeit bekümmerten wir uns noch weniger, weil Concordia das schli ste zu erst verarbeitete, und das beste biß auf künfftige Zeiten versparen wolte, wir aber der Mode wegen einander nichts vor übel hielten.

Unsere Saat-Felder stunden zu gehöriger Zeit in erwünschter Blüthe, so, daß wir unsere besondere Freude daran sahen, allein, die frembden Affen gewöhneten sich starck dahin, rammelten darinnen herum, und machten vieles zu schanden, da nun unsere Hauß-Affen merckten, daß mich dieses gewaltig verdroß, indem ich solche Freveler mit Steinen und Prügeln verfolgte, waren sie täglich auf [245] guter Hut, und unterstunden sich, ihre eigenen Anverwandten und Cameraden mit Steinwerffen zu verjagen. Diese wichen zwar anfänglich etliche mahl, kamen aber eines Tages etliche 20. starck wieder, und fingen mit unsern getreuen Hauß-Bedienten einen ordentlichen Krieg an. Ich ersahe dieses von ferne, lieff geschwinde zurück, und langete aus unserer Wohnung zwey geladene Flinten, kehrete mich etwas näher zum Kampff-Platze, und wurde gewahr, daß einer von den unsern, die mit rothen Halß-Bändern gezeichnet waren, starck verwundet zu Boden lag, gab derowegen 2. mahl auf einander Feuer, und legte darmit 3. Feinde darnieder, weßwegen sich die gantze feindliche Parthey auf die Flucht begab, meine 4. unbeschädigten siegend zurück kehreten, und den beschädigten Alten mit traurigen Gebärden mir entgegen getragen brachten, der aber, noch ehe wir unsere Wohnung erreichten, an seiner tödlichen Haupt-Wunde starb.

Es war das Weiblein von den 2. Aeltesten, und ich kan nicht sagen, wie sehr der Wittber und die vermuthlichen Kinder sich über diesen Todes-Fall betrübt bezeugten. Ich ging nach unserer Behausung, erzehlete der Concordia, was vorgegangen war, und diese ergriff nebst mir ein Werckzeug, um ein Loch zu machen, worein wir die auf dem Helden-Bette verstorbene Aeffin begraben wolten; allein, wir traffen bey unserer Dahinkunfft niemand an, sondern erblickten von ferne, daß die Leiche von den 4. Leidtragenden in den West-Fluß geworffen wurde, kehreten derowegen zurück, und [246] sahen bald hernach unsere noch übrigen 4. Bedienten gantz betrübt in ihren Stall gehen, worinnen sie bey nahe zweymahl 24. Stunden ohne Essen und Trincken stille liegen blieben, nachhero aber gantz freudig wieder heraus kamen, und nachdem sie tapffer gefressen und gesoffen, ihre vorige Arbeit verrichteten. Mich ärgerte diese Begebenheit dermassen, daß ich alle frembden Affen täglich mit Feuer und Schwerdt verfolgte, und dieselben binnen Monats-Frist in die Waldung hinter der grossen See vertrieb, so, daß sich gar kein eintziger mehr in unserer Gegend sehen ließ, mithin konten wir nebst unsern Hauß-Dienern in guter Ruh leben, wiewohl der alte Wittber sich in wenig Tagen verlohr, doch aber nebst einer jungen Gemahlin nach 6. Wochen wiederum bey uns einkehrete, und den lächerlichsten Fleiß anwandte, biß er dieselbe nach und nach in unsere Haußhaltung ordentlich gewöhnete, so, daß wir sie mit der Zeit so aufrichtig als die verstorbene erkandten, und ihr, das besondere Gnaden-Zeichen eines rothen Halß-Bandes umzulegen, kein Bedencken trugen.

Mittlerzeit war nunmehro ein gantzes Jahr verflossen, welches wir auf dieser Insul zugebracht, derowegen auch der erste Fest-Bet- und Fast-Tag gefeyret wurde, der andere, als unser besonderer Trauer-Tag, lieff ebenfalls vorbey, und ich muß gestehen, daß, da wir wenig oder nichts zu arbeiten hatten, unsere Sinnen wegen der erneuerten Betrübniß gantz niedergeschlagen waren. Dieselben, um wiederum in etwas aufzumuntern, ging ich fast täglich mit der Concordia, die ihr Kind im [247] Mantel trug, durch den Felsen-Gang an die See spatziren, wohin wir seit etlichen Monaten nicht gekommen, erblickten aber mit nicht geringer Verwunderung, daß uns die Wellen einen starcken Vorrath von allerhand eingepackten Waaren und zerscheiterten Schiffs-Stücken zugeführet hatten. Ich fassete so gleich den Vorsatz, alles auf unsere Insul zu schaffen, allein, da mir ohnverhofft ein in ziemlicher Weite vorbey fahrendes Schiff in die Augen kam, gerieth ich auf einmahl gantz ausser mir selbst, so bald aber mein Geist sich wieder erholte, fing ich an zu schreyen, zu schiessen, und mit einem Tuche zu wincken, trieb auch solche mühsame, wiewohl vergebliche Bemühung so lange, biß sich gegen Abend so wohl das vorbey fahrende Schiff als die Sonne aus unsern Gesichte verlohr, da ich denn meines Theils gantz verdrüßlich und betrübt zurück kehrete, in lauter verwirrten Gedancken aber unterweges mit Concordien kein Wort redete, biß wir wieder in unserer Behausung anlangten, allwo sich die 5. Affen als Wächter vor die Thür gelagert hatten.

Concordia bereitete die Abend-Mahlzeit, wir speiseten, und hielten hierauf zusammen ein Gespräch, in welchem ich vermerckte, daß sich dieselbe wenig oder nichts um das vorbey gefahrne Schiff bekümmerte, auch grössere Lust auf dieser Insul zu sterben bezeugte, als sich in den Schutz frembder und vielleicht barbarischer Leute zu begeben. Ich hielte ihr zwar dergleichen Gedancken, als einer furchtsamen und schwachen Weibs-Person, die zumahlen ihres unglücklichen Schicksals halber einen [248] Eckel gegen fernere Lust gefasset, zu gute, aber mit mir hatte es eine gantz andere Beschaffenheit. Und was habe ich eben Ursach, meine damahligen natürlichen Affecten zu verleugnen: Ich war ein junger, starcker, und fast 20. jähriger Mensch, der Geld, Gold, Edelgesteine und andere Güter im grösten Uberfluß besaß, also gar wohl eine Frau ernehren konte, allein, der Concordia hatte ich einen würcklichen Eyd geschworen, ihr mit Vorstellung meiner verliebten Begierden keinen Verdruß zu erwecken, verspürete über dieses die stärcksten Merckmahle, daß sie ihren seel. Ehe-Mann noch nach dessen Tode hertzlich liebte, auf die kleine Concordia aber zu warten, schien mir gar zu langweilig, obgleich dieselbe ihrer schönen Mutter vollkommenes Ebenbild vorstellete. Wer kan mich also verdencken, daß meine Sehnsucht so hefftig nach der Gesellschafft anderer ehrlichen Leute anckerte, um mich unter ihnen in guten Stand zu setzen, und eine tugendhaffte Ehegattin auszulesen.

Es verging mir demnach damahls fast alle Lust zur Arbeit, verrichtete auch die allernöthigste, so zu sagen, fast gezwungener Weise, hergegen brachte ich täglich die meisten Stunden auf der Felsen-Höhe gegen Norden zu, machte daselbst ein Feuer an, welches bey Tage starck rauchen und des Nachts helle brennen muste, damit ein oder anderes vorbey fahrendes Schiff bey uns anzuländen gereitzet würde, wandte dabey meine Augen beständig auf die offenbare See, und versuchte zum Zeitvertreibe, ob ich auf der von Lemelie hinterlassenen Zitter von mir selbst ein oder ander Lied könte [249] spielen lernen, welches mir denn in weniger Zeit dermassen glückte, daß ich fast alles, was ich singen, auch zugleich gantz wohlstimmig mit spielen konte.

Concordia wurde über dergleichen Aufführung ziemlich verwirrt und niedergeschlagen, allein ich konte meine Sehnsucht unmöglich verbannen, vielweniger über das Hertze bringen, derselben meine Gedancken zu offenbaren, also lebten wir beyderseits in einem heimlichen Mißvergnügen und verdeckten Kummer, begegneten aber dennoch einander nach wie vor, mit aller ehrerbiethigen, tugendhafften Freundschafft und Dienst-geflissenheit, ohne zu fragen, was uns beyderseits auf dem Hertzen läge.

Mittlerweile war die Ernte-Zeit heran gerückt, und unser Geträyde vollkommen reiff worden. Wir machten uns derowegen dran, schnitten es ab, und brachten solches mit Hülffe unserer getreuen Affen, bald in grosse Hauffen. Eben dieselben musten auch fleißig dreschen helffen, ohngeacht aber viele Zeit vergieng, ehe wir die reinen Körner in Säcke und Gefässe einschütten konten, so habe doch nachhero ausgerechnet, daß wir von dieser unserer ersten Außsaat ohngefähr erhalten hatten, 35 Scheffel Reiß, 10. biß 11. Scheffel Korn, 3. Scheffel Weitzen, 12. biß 14. Scheffel Gersten, und 4. Scheffel Erbsen.

Wie groß nun dieser Seegen war, und wie sehr wir uns verbunden sahen, dem, der uns denselben angedeyhen lassen, schuldigen Danck abzustatten, so konte doch meine schwermüthige Sehnsucht nach[250] demjenigen was mir einmal im Hertzen Wurtzel gefasset hatte, dadurch nicht vermindert werden, sondern ich blieb einmal wie das andere tieffsinnig, undConcordiens liebreiche und freundliche, jedoch tugendhaffte Reden und Stellungen, machten meinen Zustand allem Ansehen nach nur immer gefährlicher. Doch blieb ich bey dem Vorsatze, ihr den gethanen Eyd unverbrüchlich zu halten, und ehe zu sterben als meine keusche Liebe gegen ihre schöne Person zu entdecken.

Unterdessen wurde uns zur selbigen Zeit ein grausames Schrecken zugezogen, denn da eines TagesConcordia so wol als ich nebst den Affen beschäfftiget waren, etwas Korn zu stossen, und eine Probe von Mehl zu machen, gieng erstgemeldte in die Wohnung, um nach dem Kinde zu sehen, welches wir in seiner Wiege schlaffend verlassen hatten, kam aber bald mit erbärmlichen Geschrey zurück gelauffen und berichtete, daß das Kind nicht mehr vorhanden, sondern aus der Wiege gestohlen sey, indem sie die mit einem höltzernen Schlosse verwahrte Thüre eröffnet gefunden, sonsten aber in der Wohnung nichts vermissete, als das Kind und dessen Kleider. Meine Erstaunung war dieserwegen ebenfalls fast unaussprechlich, ich lieff selbst mit dahin, und empfand unsern kostbaren Verlust leyder mehr als zu wahr. Demnach schlugen wir die Hände über den Köpffen zusammen, und stelleten uns mit einem Worte, nicht anders als verzweiffelte Menschen an, heuleten, schryen und rieffen das Kind bey seinem Nahmen, allein da war weder Stimme noch Antwort zu hören, das eiffrigste Suchen auf [251] und um den Hügel unserer Wohnung herum war fast 3. Stunden lang vergebens, doch endlich, da ich von ferne die Spitze eines grossen Heu-Hauffens sich bewegen sahe, gerieth ich plötzlich auf die Gedancken: Ob vielleicht der eine von den jüngsten Affen unser Töchterlein da hinauff getragen hätte, und fand, nachdem ich auf einer angelegten Leiter hinauf gestiegen, mich nicht betrogen. Denn das Kind und der Affe machten unterdessen, da sie zusammen ein frisches Obst speiseten, allerhand lächerliche Possen. Allein da das verzweiffelte Thier meiner gewahr wurde, nahm es das Kind zwischen seine Vorder-Pfoten, uñ rutschte mit selbigem auf jener Seite des Hauffens herunter, worüber ich Schreckens wegen fast von der Leiter gestürtzt wäre, allein es war glücklich abgegangen. Denn da ich mich umsahe, lieff der Kinder-Dieb mit seinem Raube aufs eiligste nach unserer Behausung, hatte, als ich ihn daselbst antraff, das fromme Kind so geschickt aus- als angezogen, selbiges in seine Wiege gelegt, saß auch darbey und wiegte es so ernsthafftig ein, als hätte er kein Wasser betrübt.

Ich wuste theils vor Freuden, theils vor Grimm gegen diesen Freveler nicht gleich was ich machen solte, mittlerweile aber kam Concordia, so die gantze Comœdie ebenfalls von ferne mit angesehen hatte, mit Zittern und Zagen herbey, indem sie nicht anders vermeynte, es würde dem Kinde ein Unglück oder Schaden zugefügt seyn, da sie es aber Besichtigte, und nicht allein frisch und gesund, sondern über dieses ausserordentlich gutes Muths befand, gaben wir uns endlich zufrieden, wiewol ich aber beschloß, [252] daß dieser allerleichtfertigste Affe seinen Frevel durchaus mit dem Leben büssen solte, so wolte doch Concordia aus Barmhertzigkeit hierein nicht willigen, sondern bath: Daß ich es bey einer harten Leibes-Züchtigung bewenden lassen möchte, welches denn auch geschahe, indem ich ihn mit einer grossen Ruthe von oben biß unten dermassen peitschte, daß er sich in etlichen Tagen nicht rühren konte, welches so viel fruchtete, daß er in künfftigen Zeiten seine freveln Streiche ziemlicher massen unterließ.

Von nun an schien es, als ob uns die, zwar jederzeit hertzlich lieb gewesene kleine Concordia, dennoch um ein merckliches lieber wäre, zumahlen da sie anfieng allein zu lauffen, und verschiedene Worte auf eine angenehme Art her zu lallen, ja dieses kleine Kind war öffters vermögend meinen innerlichen Kummer ziemlicher massen zu unterbrechen, wiewol nicht gäntzlich aufzuheben.

Nachdem wir aber einen ziemlichen Vorrath von Rocken-Reiß- und Weitzen-Mehle durchgesiebt und zum Backen tüchtig gemacht, ich auch einen kleinen Back-Ofen erbauet, worinnen auf einmal 10. oder 12. drey biß 4 Pfündige Brodte gebacken werden konten, und Concordia die erste Probe ihrer Beckerey, zu unserer grösten Erquickung und Freude glücklich abgeleget hatte; Konten wir uns an dieser allerbesten Speise, so über Jahr und Tag nunmehro nicht vor unser Maul kommen war, kaum satt sehen und essen.

Dem ohngeacht aber, verfiel ich doch fast gantz von neuen in meine angewöhnte Melancholey, ließ[253] viele Arbeits-Stücken liegen, die ich sonsten mit Lust vorzunehmen gewohnt gewesen, nahm an dessen statt in den Nachmittags-Stunden meine Flinte und Zitter, und stieg auf die Nord-Felsen-Höhe, als wohin ich mir einen gantz ungefährlichen Weg gehauen hatte.

Am Heil. 3. Königs-Tage des 1648ten Jahres, Mittags nach verrichteten Gottesdienste, war ich ebenfalls im Begriff dahin zu steigen, Concordia aber, die solches gewahr wurde, sagte lächelnd: Mons. Albert, ich sehe daß ihr spatzieren gehen wollet, nehmet mir nicht übel, wenn ich euch bitte, eure kleine Pflege-Tochter mit zu nehmen, denn ich habe mir eine kleine nöthige Arbeit vorgenommen, worbey ich von ihr nicht gern verhindert seyn wolte, saget mir aber, wo ihr gegen Abend anzutreffen seyd, damit ich euch nachfolgen und selbige zurück tragen kan. Ich erfüllete ihr Begehren mit gröster Gefälligkeit, nahm meine kleine Schmeichlerin, die so gern bey mir, als ihrer Mutter blieb, auf den Arm, versorgte mich mit einer Flasche Palmen-Safft, und etwas übrig gebliebenen Weyhnachts-Kuchen, hängte meine Zitter und Flinte auf den Rücken, und stieg also beladen den Nord-Felß hinauf. Daselbst gab ich dem Kinde einige tändeleyen zu spielen, stützte einen Arm unter den Kopf, sahe auf die See, und hieng den unruhigen Gedancken wegen meines Schicksals ziemlich lange nach. Endlich ergriff ich die Zitter und sang etliche Lieder drein, welche ich theils zu Ausschüttung meiner Klagen, theils zur Gemüths-Beruhigung aufgesetzt hatte. Da aber die kleine Schmeichlerin über dieser Music [254] sanfft eingeschlaffen war, legte ich, um selbige nicht zu verstöhren, die Zitter beyseite, zog eine Bley-Feder und Pappier aus meiner Tasche, und setzte mir ein neues Lied folgenden Innhalts auf:


1.
Ach! hätt' ich nur kein Schiff erblickt,
So wär ich länger ruhig blieben
Mein Unglück hat es her geschickt,
Und mir zur Qvaal zurück getrieben,
Verhängniß wilstu dich denn eines reichen Armen,
Und freyen Sclavens nicht zu rechter Zeit erbarmen?
2.
Soll meiner Jugend beste Krafft
In dieser Einsamkeit ersterben?
Ist das der Keuschheit Eigenschafft?
Will mich die Tugend selbst verderben?
So weiß ich nicht wie man die lasterhafften Seelen
Mit größrer Grausamkeit und Marter solte quälen.
3.
Ich liebe was und sag' es nicht,
Denn Eid und Tugend heist mich schweigen,
Mein gantz verdecktes Liebes-Licht
Darf seine Flamme gar nicht zeigen,
Dem Himmel selbsten ist mein Lieben nicht zuwieder,
Doch Schwur und Treue schlägt den Hofnungs-Bau darnieder.
[255] 4.
Concordia du Wunder-Bild,
Man lernt an dir die Eintracht kennen,
Doch was in meinem Hertzen qvillt
Muß ich in Wahrheit Zwietracht nennen,
Ach! liesse mich das Glück mit dir vereinigt leben,
Wir würden nimmermehr in Haß und Zwietracht schweben.
5.
Doch bleib in deiner stillen Ruh,
Ich suche solche nicht zu stöhren;
Mein eintzigs Wohl und Weh bist du,
Allein ich will der Sehnsucht wehren,
Weil deiner Schönheit Pracht vor mich zu Kostbar scheinet,
Und weil des Schicksaals Schluß mein Wünschen glatt verneinet.
6.
Ich gönne dir ein beßres Glück,
Verknüpfft mit noch viel höhern Stande.
Führt uns der Himmel nur zurück
Nach unserm werthen Vater-Lande,
So wirstu letzlich noch dis harte Schicksal loben,
Ist gleich vor deinen Freund was schlechters aufgehoben.

Nachdem aber meine kleine Pflege-Tochter aufgewacht, und von mir mit etwas Palm-Safft und Kuchen gestärckt war, bezeigte dieselbe ein unschuldiges Belieben, den Klang meiner Zitter ferner zu hören, derowegen nahm ich dieselbe wieder auf, studirte eine Melodey auf mein gemachtes Lied aus, [256] und wiederholte diesen Gesang binnen etlichen Stunden so ofte, biß ich alles fertig auswendig singen und spielen konte.

Hierauff nahm ich das kleine angenehme Kind in die Arme vor mich, drückte es an meine Brust, küssete dasselbe viele mal, und sagte im grösten Liebes-Affect ohngefehr folgende laute Worte: Ach du allerliebster kleiner Engel, wolte doch der Himmel, daß du allbereit noch ein Mandel Jahre zurückgelegt hättest, vielleicht wäre meine hefftige Liebe bey dir glücklicher als bey deiner Mutter, aber so lange Zeit zwischen Furcht und Hoffnung zu warten, ist eine würckliche Marter zu nennen. Ach wie vergnügt wolte ich, als ein anderer Adam, meine gantze Lebens-Zeit in diesem Paradiese zubringen, wenn nur nicht meine besten Jugend-Jahre, ohne eine geliebte Eva zu umarmen, verrauchen solten. Gerechter Himmel, warum schenckestu mir nicht auch die Krafft, den von Natur allen Menschen eingepflantzten Trieb zum Ehestande gäntzlich zu ersticken, und in diesem Stücke so unempfindlich als van Leuvens Wittbe zu seyn? Oder warum lenckestu ihr Hertze nicht, sich vor deinen allwissenden Augen mit mir zu vereheligen, denn mein Hertze kennest du ja, und weist, daß meine sehnliche Liebe keine geile Brunst, sondern deine heilige Ordnung zum Grunde hat. Ach was vor einer harten Probe unterwirffstu meine Keuschheit und Tugend, indem ich bey einer solchen vollkommen schönen Wittfrau Tag und Nacht unentzündet leben soll. Doch ich habe dir und ihr einen theuren Eyd geschworen, welches Gelübde ich denn ehe mit meinem Leben bezahlen, [257] und mich nach und nach von der brennenden Liebes-Gluth gantz verzehren lassen, als selbiges leichtsinniger Weise brechen will.

Einige hierbey aus meinen Augen rollende Thränen hemmeten das fernere Reden, die kleine Concordia aber, welche kein Auge von meinem Gesichte verwand hatte, fieng dieserwegen kläglich und bitterlich an zu weinen, also drückte ich selbige aufs neue an meine Brust, küssete den mitleydigen Engel, und stund kurtz hernach mein und ihrer Gemüths-Veränderung wegen auf, um noch ein wenig auf der Felsen-Höhe herum zu spatzieren. Doch wenig Minuten hierauff kam die 3te Person unserer hiesigen menschlichen Gesellschafft herzu, und fragte auf eine zwar sehr freundliche, doch auch etwas tieffsinnige Art: Wie es uns gienge, und ob wir heute kein Schiff erblickt hätten? Ich fand mich auf diese unvermuthete Frage ziemlich betroffen, so daß die Röthe mir, wie ich glaube, ziemlich ins Gesichte trat, sagte aber: Daß wir heute so glücklich nicht gewesen wären. Mons. Albert! gab Concordia darauff: Ich bitte euch sehr, sehet nicht so oft nach vorbey fahrenden Schiffen, denn selbige werden solchergestallt nur desto länger ausbleiben. Ihr habt seit einem Jahre vieles entdeckt und erfahren, was ihr kurtz vorhero nicht vermeynet habt, bedencket diese schöne Paradieß-Insul, bedencket wiewol uns der Himmel mit Nahrung und Kleidern versorgt, bedencket noch dabey den fast unschätzbaren Schatz, welchen ihr ohne ängstliches Suchen und ungedultiges Hoffen gefunden. Ist euch nun von dem Himmel eine noch fernere gewünschte Glückseligkeit [258] zugedacht, so habt doch nebst mir das feste Vertrauen, daß selbige zu seiner Zeit uns unverhoft erfreuen werde.

Mein gantzes Hertze fand sich durch diese nachdencklichen Reden gantz ungemein gerühret, jedoch war ich nicht vermögend eine eintzige Sylbe darauff zu antworten, derowegen Concordia das Gespräch auf andere Dinge wendete, und endlich sagte: Kommet mein lieber Freund, daß wir noch vor Sonnen Untergang unsere Wohnung erreichen, ich habe einen gantz besonders schönen Fisch gefangen, welcher euch so gut als mir schmecken wird, denn ich glaube, daß ihr so starcken appetit als ich zum Essen habt.

Ich war froh, daß sie den vorigen ernsthafften discours unterlassen hatte, folgte ihren Willen und zwang mich einiger massen zu einer aufgeräumtern Stellung. Es war würcklich ein gantz besonders rarer Fisch, den sie selbigen Mittag in ihren ausgesteckten Angeln gefangen hatte, dieser wurde nebst zweyen Rebhünern zur Abend-Mahlzeit aufgetragen, worbey mir denn Concordia, um mich etwas lustiger zu machen, etliche Becher Wein mehr, als sonst gewöhnlich einnöthigte, und endlich fragte: Habe ich auch recht gemerckt Mons. Albert, daß ihr übermorgen euer zwantzigstes Jahr zurück legen werdet. Ja Madame, war meine Antwort, ich habe schon seit etlichen Tagen daran gedacht. GOTT gebe, versetzte sie, daß eure zukünfftige Lebens-Zeit vergnügter sey, allein darff ich euch wol bitten, mir euren ausführlichen Lebens-Lauff zu erzehlen, denn mein seel. Ehe-Herr hat mir einmals [259] gesagt, daß derselbige theils kläglich, theils lustig anzuhören sey.

Ich war hierzu sogleich willig, und vermerckte, daß bey Erwehnung meiner Kinderjährigen Unglücks-Fälle Concordien zum öfftern die Augen voller Thränen stunden, doch da ich nachhero die Geschichten von der Ammtmanns Frau, der verwechselten Hosen, und den mir gespielten Spitzbuben-Streich, mit offt untermengten Schertz-Reden erzehlete, konte sie sich fast nicht satt lachen. Nachdem ich aber aufs Ende kommen, sagte sie: Glaubet mir sicher Mons. Albert, weil eure Jugend-Jahre sehr kläglich gewesen, so wird euch GOTT in künfftiger Zeit um so viel desto mehr erfreuen, wo ihr anders fortfahret ihm zu dienen, euren Beruff fleißig abzuwarten, geduldig zu seyn, und euch der unnöthigen und verbothenen Sorgen zu entschlagen. Ich versprach ihrer löblichen Vermahnung eiffrigst nachzuleben, wünschte anbey, daß ihre gute Propheceyung eintreffen möchte, worauff wir unsere Abend-Beth-Stunde hielten, und uns zur Ruhe legten.

Weiln mir nun Concordiens vergangenes Tages geführten Reden so christlich als vernünfftig vorkamen, beschloß ich, so viel möglich, alle Ungedult zu verbannen, und mit aller Gelassenheit die fernere Hülffe des Himmels zu erwarten. Folgendes Tages arbeitete ich solchergestalt mehr, als seit etlichen Tagen geschehen war, und legte mich von aushauung etlicher Höltzerner Gefässe, ziemlich ermüdet, abermals zur Ruhe, da ich aber am drauff folgenden Morgen, nemlich den 8ten Jan. 1648. aus [260] meiner abgesonderten Kammer in die so genannte Wohn-Stube kam, fand ich auf dem Tische nebst einem grünen seydenen Schlaf-Rocke, und verschiedenen andern neuen Kleidungs-Stücken, auch vieler weisser Wäsche, ein zusammen gelegtes Pappier folgendes Innhalts:


Liebster Hertzens Freund!


Ich habe fast alles mit angehöret, was ihr gestern auf dem Nord-Felsen, in Gesellschaft meiner kleinen Tochter, oft wiederholt gesungen und geredet habt. Euer Verlangen ist dem Triebe der Natur, der Vernunfft, auch Göttl. und Menschl. Gesetzen gemäß; Ich hingegen bin eine Wittbe, welcher der Himmel ein hartes erzeiget hat. Allein ich weiß, daß Glück und Unglück von der Hand des HERRN kömmt, welche ich bey allen Fällen in Demuth küsse. Meinem seel. Mann habe ich die geschworne Treu redlich gehalten, dessen GOTT und mein Gewissen Zeugniß giebt. Ich habe seinen jämmerlichen Tod nunmehro ein Jahr und zwey Monath aus auffrichtigen Hertzen beweint und beklagt, werde auch denselben Zeitlebens, so offt ich dran gedencke, schmertzlich beklagen, weil unser Ehe-Band auf GOTTES Zulassung durch einen Meuchel-Mörder vor der Zeit zerrissen worden. Ohngeacht ich aber solchergestalt wieder frey und mein eigen bin, so würde mich doch schwerlich zu einer anderweitigen [261] Ehe entschlossen haben, wenn nicht eure reine und hertzliche Liebe mein Hertz aufs neue empfindlich gemacht, und in Erwegung eurer bißherigen tugendhafften Aufführung dahin gereitzet hätte, mich selbst zu eurer künfftigen Gemahlin anzutragen. Es stehet derowegen in eurem Gefallen, ob wir sogleich Morgen an eurem Geburts-Tage uns, in Ermangelung eines Priesters und anderer Zeugen, in GOttes und der Heil. Engel erbethener Gegenwart selbst zusammen trauen, und hinführo einander als eheliche Christen-Leute beywohnen wollen. Denn weil ich eurer zu mir tragenden Liebe und Treue völlig versichert bin, so könnet ihr im Gegentheil vollkommen glauben, daß ich euch in diesen Stücken nichts schuldig bleiben werde. Eure Frömmigkeit, Tugend und Auffrichtigkeit dienen mir zu Bürgen daß ihr mir dergleichen selbst eigenen Antrag meiner Person vor keine leichtfertige Geilheit und ärgerliche Brunst auslegen werdet, denn da ihr aus Ubereilung mehr gelobet habt, als GOTT und Menschen von euch forderten, doch aber ehe löblich zu sterben, als solches zu brechen gesonnen waret; Habe ich in dieser Einsamkeit, uns beyde zu vergnügen, den Außspruch zu thun mich gezwungen gesehen. Nehmet demnach die von euch so sehr geliebte Wittbe des seel van Leuvens, und lebet nach euren Versprechen führohin mit derselben nimmermehr [262] in Haß und Zwietracht. GOTT sey mit uns allezeit. Nach Verlesung dieses, werdet ihr mich bey dem Damme des Flusses ziemlich beschämt finden, und ein mehreres mündlich mit mir überlegen können, allwo zugleich den Glück-Wunsch zu eurem Geburts-Tage abstatten wird, die euch auffrichtig ergebene


Geschrieben
den 7. Jan.
1648.

Concordia van Leuvens.


Ich blieb nach Verlesung dieses Briefes dergestalt entzückt stehen, daß ich mich in langer Zeit wegen der unverhofften frölichen Nachricht nicht begreiffen konte, wolte auch fast auf die Gedancken gerathen, als suchte mich Concordia nur in Versuchung zu führen, da aber ihre bißherige aufrichtige Gemüths- und Lebens Art in etwas genauere Betrachtung gezogen hatte, ließ ich allen Zweifel fahren, fassete ein besonders frisch Hertze, machte mich auf den Weg, und fand meinen allerangenehmsten Schatz mit ihrer kleinen Tochter, beym Damme in Grase sitzend. Sie stund, so bald sie mich von ferne kommen sahe, auf, mir entgegen zu gehen, nachdem ich ihr aber einen glückseeligen Morgen gewünschet, erwiederte sie solchen mit einem wohlersonnenen Glück-Wunsche wegen meines Geburts-Tages. Ich stattete dieserwegen meine Dancksagung ab, und wünschte ihr im gegentheil, ein beständiges Leibes- und Seelen-Vergnügen. Da sie sich aber nach diesen auf einen daselbst liegenden Baum-Schafft [263] gesetzt, und mich, neben ihr Platz zu nehmen, gebeten hatte, brach mein Mund in folgende Worte aus: Madame! eure schönen Hände haben sich gestern bemühet an meine schlechte Person einen Brieff zu schreiben, und wo dasjenige, was mich angehet, keine Versuchung, sondern eures keuschen Hertzens aufrichtige Meynung ist, so werde ich heute durch des Himmels und eure Gnade, zum allerglückseeligsten Menschen auf der gantzen Welt gemacht werden. Es würde mir schwer fallen gnungsame Worte zu ersinnen, um damit den unschätzbaren Werth eurer vollkommen tugendhafften und Liebenswürdigsten Person einigermassen auszudrücken, darum will ich nur sagen: Daß ihr würdig wäret, eines grossen Fürsten Gemahlin zu seyn. Was aber bin ich dargegen? Ein schlechter geringer Mensch, der – – –

Hier fiel mir Concordia in die Rede, und sagte, indem sie mich sanfft auf die Hand schlug: LiebsterJulius, ich bitte fanget nunmehro nicht erstlich an, viele unnöthige Schmeicheleyen und ungewöhnliches Wort-Gepränge zu machen, sondern seyd fein aufrichtig wie ich in meinem Schreiben gewesen bin. Eure Tugend, Frömmigkeit und mir geleisteten treuen Dienste, weiß ich mit nichts besser zu vergelten, als wenn ich euch mich selbst zur Belohnung anbiete, und versichere, daß eure Person bey mir in höhern Werthe stehet, als des grösten Fürsten oder andern Herrn, wenn ich auch gleich das Außlesen unter tausenden haben solte. Ist euch nun damit gedienet, so erkläret euch, damit wir uns nachhero fernerer Anstallten wegen vertraulich unterreden, [264] und auf alle etwa bevorstehende Glücks- und Unglücks-Fälle gefast machen können.

Ich nahm hierauff ihre Hand, küssete und schloß dieselbe zwischen meine beyden Hände, konte aber vor übermäßigen Vergnügen kaum so viel Worte vorbringen, als nöthig waren, sie meiner ewig währenden getreuen Liebe zu versichern, anbey mich gäntzlich eigen zu geben, und in allen Stücken nach dero Rath und Willen zu leben. Nein mein Schatz! versetzte hierauff Concordia, das Letztere verlange ich nicht, sondern ich werde euch nach Gottes Ausspruche jederzeit als meinen Herrn zu ehren und als meinen werthen Ehe-Mann beständig zu lieben wissen. Ihr sollet durchaus meinem Rath und Willen keine Folge leisten, in so ferne derselbe von euren, Gottlob gesunden, Verstande nicht vor gut und billig erkannt wird, weil ich mich als ein schwaches Werckzeug zuweilen gar leicht übereilen kan.

Unter diesen ihren klugen Reden küssete ich zum öfftern dero schönen Hände, und nahm mir endlich die Kühnheit, einen feurigen Kuß auf ihre Rosen-Lippen zu drücken, welchen sie mit einem andern ersetzte. Nachhero stunden wir auf, um zu unsern heutigen Hochzeit-Feste Anstalten zu machen. Ich schlachtete ein jung Reh, eine junge Ziege, schoß ein paar Rebhüner, schaffte Fische herbey, steckte die Braten an die Spiesse, welche unsere Affen wenden musten, setzte das Koch-Fleisch zum Feuer, und laß das Beste frische Obst aus, mittlerweile meine Braut, Kuchen, Brod und allerley Gebackens zurichtete, und unsere Wohnstube aufs herrlichste auszierete, [265] so daß gegen Abend alles in schönster Ordnung war.

Demnach führeten wir, genommener Abrede nach, einander in meine Schlaf-Kammer, allwo auf einen reinlich gedeckten Tische ein Crucifix stunde, welches wir mit unter des Don Cyrillo Schätzen gefunden hatten. Vor selbigen lag eine aufgeschlagene Bibel. Wir knieten beyde vor diesem kleinen Altare nieder, und ich verlaß die 3. ersten Capitel aus dem 1. Buch Mose. Hierauff redete ich meine Braut also an: Liebste Concordia, ich frage euch allhier vor dem Angesicht GOTTES und seiner Heil. Engel, ob ihr michAlbert Julium zu einem ehelichen Gemahl haben wollet? gleich wie ich euch zu meiner ehelichen Gemahlin nach Göttlicher Ordnung, aus reinem und keuschen Hertzen innigst begehre? Concordia antwortete nicht allein mit einem lauten Ja, sondern reichte mir auch ihre rechte Hand, welche ich nach verwechselten Trau-Ringen in die meinige fügte, und also betete: »Du heiliger wunderbarer GOTT, wir glauben gantz gewiß, daß deine Vorsicht an diesem, von aller andern menschlichen Gesellschafft entlegenen Orte, unsere Seelen vereiniget hat, und in dieser Stunde auch die Leiber mit dem heiligen Bande der Ehe zusammen füget, darum soll unter deinem Schutze nichts als der Tod vermögend seyn dieses Band zu brechen, und solte ja auf dein Zulassen ein oder anderer Unglücks-Fall die Leiber von einander scheiden, so sollen doch unsere Seelen in beständiger Treue mit einander vereinigt bleiben. Concordia sprach hierzu: Amen.« Ich aber schlug das [266] 8. Cap. im Buch Tobiä auf, und betete des jungen Tobiä Gebeth vom 7. biß zu ende des 9ten Verses; wiewol ich etliche Worte nach unserm Zustande veränderte, auch so viel zusetzte als mir meines Hertzens heilige Andacht eingab. Concordia machte aus den Worten der jungen Sara, die im folgenden 10ten Vers stehen, ein schönes Hertz-brechendes und kräfftiges Gebet. Nach diesem beteten wir einstimmig das Vater Unser und den gewöhnlichen Seegen der Christlichen Kirche über uns, sungen das Lied: Es woll uns GOTT genädig seyn, etc. küsseten uns etliche mahl, und führeten einander wieder zurück, bereiteten die Mahlzeit, setzten uns mit unserer kleinen Concordia, die unter währenden Trau-Actu so stille als ein Lamm gelegen hatte, zu Tische, und nahmen unsere Speisen nebst dem köstlichen Geträncke in solcher Vergnüglichkeit ein, als wohl jemahls ein Braut-Paar in der gantzen Welt gethan haben mag.

Es schien, als ob aller vorhero ausgestandener Kummer und Verdruß solchergestalt auf einmahl verjagt wäre, wir vereinigten uns von nun an, einander in vollkommener Treue dergestalt hülffliche Hand zu leisten, und unsere Anstalten auf solchen Fuß zu setzen, als ob wir gar keine Hoffnung, von hier hinweg zu kommen, hätten, hergegen aus blosser Lust, Zeit-Lebens auf dieser Insul bleiben, im übrigen alles der Vorsehung des Himmels anbefehlen, und alle ängstlichen Sorgen wegen des Zukünfftigen einstellen wolten.

Indem aber die Zeit zum Schlaffen-gehen herbey kam, sagte meine Braut mit liebreichen Gebärden [267] zu mir: Mein allerliebster Ehe-Schatz, ich habe heute mit Vergnügen wahrgenommen, daß ihr in vielen Stücken des jungen Tobiä Sitten nachgefolget seyd, derowegen halte vor löblich, züchtig und andächtig, daß wir diesen jungen Ehe-Leuten noch in dem Stücke nachahmen, und die 3. ersten Nachte mit Beten zubringen, ehe wir uns ehelich zusammen halten. Ich glaube gantz gewiß, daß GOTT unsern Ehestand um so viel desto mehr segnen und beglückt machen wird.

Ihr redet, mein Engel, gab ich zur Antwort, als eine vollkommen tugendhaffte, gottesfürchtige und keusche Frau, und ich bin eurer Meinung vollkommen, derowegen geschehe, was euch und mir gefällig ist. Solchergestalt sassen wir alle drey Nachte beysa en, und vertrieben dieselben mit andächtigen Beten, Singen und Bibel-Lesen, schlieffen auch nur des Morgens einige Stunden, in der vierdten Nacht aber opfferte ich meiner rechtmäßigen Ehe-Liebste die erste Krafft meiner Jugend, und fand in ihren Liebes-vollen Umarmungen ein solches entzückendes Vergnügen, dessen unvergleichliche Vollkommenheit ich mir vor der Zeit nimmermehr vorstellen können.

Wenige Tage hierauf verspürete sie die Zeichen ihrer Schwangerschafft, und die kleine Concordia gewehnete sich von sich selbst, von der Brust gäntzlich ab, zu andern Speisen und Geträncke. Mittlerweile bescherete uns der Himmel eine abermahlige und viel reichere Wein-Erndte als die vorige, denn wir presseten über 500. Kannen Most aus, truckneten biß 6. Scheffel Trauben auf, ohne was von [268] uns und den Affen die gantze Weinlese hindurch gegessen, auch von den frembden diebischen Affen gestohlen und verderbt wurde. Denn dieses lose Gesindel war wiederum so dreuste worden, daß es sich nicht allein Schaaren-weise in unsern Weinbergen und Saat-Feldern, sondern so gar gantz nahe um unsere Wohnung herum sehen und spüren ließ. Weil ich aber schon damahls 3. leichte Stück-Geschützes auf die Insul geschafft hatte, pflantzte ich dieselben gegen diejenigen Oerter, wo meine Feinde öffters zu zwanzig biß funfzigen beysammen hin zu kommen pflegten, und richtete mit offt wiederholten Ladungen von auserlesenen runden Steinen starcke Niederlagen an, so, daß zuweilen 8. 10. 12. biß 16. todte und verwundete auf dem Platze liegen blieben. Am allerwundersamsten kam mir hierbey dieses vor, daß unsere Hauß- und Zucht-Affen nicht das allergeringste Mitleyden über das Unglück ihrer Anverwandten, im Gegentheil ein besonderes Vergnügen bezeugten, wenn sie die Verwundten vollends todt schlagen, und die sä tlichen Leichen in den nächsten Fluß tragen konten. Ich habe solchergestalt und auf noch andere listige Art in den ersten 6. Jahren fast über 500. Affen getödtet, und dieselben auf der Insul zu gantz raren Thieren gemacht, wie sie denn auch nachhero von den Meinigen zwar aufs hefftigste verfolgt, doch wegen ihrer Poßierlichkeit und Nutzung in vielen Stücken nicht gar vertilget worden.

Nach glücklich beygelegten Affen-Kriege und zu gut gemachter Trauben-Frucht, auch abermahliger Bestellung der Weinberge und Saat-Felder, [269] war meine tägliche Arbeit, diejenigen Waaren, welche uns Wind und See von den in verschiedenen Stürmen zerscheiterten Schiffen zugeführet hatte, durch den hohlen Felsen-Weg herauf in unsere Verwahrung zu schaffen. Hilff Himmel! was bekamen wir nicht solcher Gestalt noch vor Reichthümer in unser Gewalt? Gold, Silber, edle Steine, schöne Zeuge, Böckel- und geräuchert Fleisch nebst andern Victualien war dasjenige, was am wenigsten geachtet wurde, hergegen Coffeé, Theé, Chocolade, Gewürtze, ausgepichte Kisten mit Zucker, Pech, Schwefel, Oehl, Talg, Butter, Pulver, allerhand eisern, zinnern, kupffern und meßingen Hauß-Geräthe, dicke und dünne Seile, höltzerne Gefässe u.d. gl. ergötzte uns am allermeisten.

Unser Hauß-Gesinde, das nunmehro, da sich der ehemahlige Patient auch eine Frau geholet, aus 6. Personen bestund, that hierbey ungemeine Dienste, und meine liebe Ehe-Frau brachte in der unterirrdischen Höle alles, was uns nützlich, an gehörigen Ort und Stelle, was aber von dem See-Wasser verdorben war, musten ein paar Affen auf einen darzu gemachten Roll-Wagen so gleich fortschaffen, und in den nächst-gelegenen Fluß werffen. Nach diesem, da eine grosse Menge zugeschnittener Bretter und Balcken von den zertrümmerten Schiffen vorhanden, erweiterte ich unsere Wohnung auf dem Hügel noch um ein grosses, bauete auch der Affen Behausung geräumlicher, und brachte, kurtz zu sagen, alles in solchen Stand, daß wir bevorstehenden Winter wenig zu schaffen [270] hatten, sondern in vergnügter Ruhe beysammen leben konten.

Unser Zeitvertreib war im Winter der allervergnügteste von der Welt, denn wenn wir unsers Leibes mit den besten Speisen und Geträncke wohl gepflegt, und nach Belieben ein und andere leichte Arbeit getrieben hatten, konten wir zuweilen etliche Stunden einander in die Arme schliessen und mit untermengten Küssen allerhand artige Geschichte erzehlen, worüber denn ein jedes seine besondere Meinung eröffnete, so, daß es öffters zu einem starcken Wort-Streite kam, allein, wir vertrugen uns letztlich immer in der Güte, zumahlen, wenn die Sachen ins geheime Kammer-Gerichte gespielet wurden.

Im Frühlinge, nehmlich am 19. Octobr. des Jahres unserer Verehligung, wurde so wohl ich als meine allerliebste Ehe-Gattin nach ausgestandenen 4. stündigen ängstlichen Sorgen mit inniglichen Vergnügen überschüttet, indem sie eben in der Mittags-Stunde ein paar kurtz auf einander folgende Zwillings-Söhne zur Welt brachte. Sie und ich hatten uns zeithero, so viel als erdencklich, darauf geschickt gemacht, derowegen befand sich, unter Göttlichen Beystande, meine zarte Schöne bey dieser gedoppelten Kinder-Noth dennoch weit stärcker und kräfftiger als das erste mahl. Ich gab meinen hertzlich geliebten Söhnen gleich in der ersten Stunde die heil. Tauffe, und nennete den ersten nach mir, Albertus, den andern aber nach meinem seel. Vater Stephanus, that anbey alles, was einem getreuen Vater und [271] Ehe-Gatten gegen seine lieben Kinder und wertheste Ehe-Gemahlin bey solchen Zustande zu thun oblieget, war im übrigen höchst glücklich und vergnügt, daß sich weder bey der Mutter noch bey den Kindern einige besorgliche Zufälle ereigneten.

Ich kan nicht sagen, wie frölich sich die kleineConcordia, so allbereit wohl umher lauffen, und ziemlich vernehmlich plaudern konte, über die Anwesenheit ihrer kleinen Stieff-Brüder anstellete, denn sie war fast gar nicht von ihnen hinweg zu bringen, unsere Affen aber machten vor übermässigen Freuden ein solches wunderliches Geschrey, dergleichen ich von ihnen sonst niemahls gehöret, als da sie bey dem ersten Kriege siegend zurück kamen, erzeigten sich nachhero auch dermassen geschäfftig, dienstfertig und liebkosend um uns und die Kinder herum, daß wir ihnen kaum genung zu verrichten geben konten.

So weit war unser Alt-Vater Albertus selbigen Abend in seiner Erzehlung kommen, als er die Zeit beobachtete, sich zur Ruhe zu legen, worinnen wir andern ihm Gesellschafft leisteten. Des darauf folgenden Sonnabends wurde keine Reise vorgenommen, indem Herr Mag. Schmelzer auf seine Predigt studirte, wir übrigen aber denselben Tag auch nicht müßig, sondern mit Einrichtung allerhand nöthiger Sachen zubrachten, und uns des Abends auf die morgende Sabbaths-Feyer præparirten. Selbiges war der 26. Sonntag p. Trinit. an welchem sich etwa eine Stunde nach geschehenen Canonen-Schusse fast alle gesunde Einwohner der Insel unter der Alberts-Burg [272] versammleten, und den Gottesdienst mit eiffrigster Andacht abwarteten, worbey Herr Mag. Schmelzer in einer vortrefflichen Predigt, die, den Frommen erfreuliche, den Gottlosen aber erschröckliche Zukunfft Christi zum Gerichte, dermassen beweglich vorstellete, daß sich Alt und Jung ungemein darüber vergnügten. Nachmittags wurde Catechismus-Examen gehalten, in welchen Hr. Mag. Schmelzer sonderlich den Articul vom heil. Abendmahl Christi durchnahm, und diejenigen Menschen, welche selbiges zu geniessen zwar niemahls das Glück gehabt, dennoch von dessen heiliger Würde und Nutzbarkeit dermassen wohl unterrichtet befand, daß er nach einem gehaltenen weitläufftigenSermon über diese hochheilige Handelung, denen beyden Gemeinden in Alberts- und Davids-Raum ankündigte, wie er sich diese gantze Woche hindurch alle Tage ohngefehr zwey oder drey Stunden vor Untergang der Sonnen, in der Alleé auf ihrer Gräntz-Scheidung einstellen wolte, derowegen möchten sich alle diejenigen, welche beyderley Geschlechts über 14. Jahr alt wären, zu ihm versammlen, damit er sie insgesammt und jeden besonders vornehmen, und erforschen könte, welche mit guten Gewissen künfftigen Sonnabend zur Beichte, und Sonntags darauf zum heil. Abendmahle zu lassen wären, indem es billig, daß man das neue Kirchen-Jahr mit solcher höchst wichtigen Handlung anfinge. Es entstund hierüber eine allgemeine Freude, zumahlen da er versprach, in folgenden Wochen mit den übrigen Gemeinden auf gleiche Art zu verfahren, und immer 2. oder 3. auf[273] einmahl zu nehmen, biß er sie ingesa t dieser unschätzbaren Glückseeligkeit theilhafftig gemacht. Hierauf wurden die anwesenden kleinen Kinder vonMons. Wolffgangen mit allerhand Zuckerwerck und Spiel-Sachen beschenckt, nach einigen wichtigen Unterredungen mit den Sta -Vätern aber kehrete ein jeder vergnügt in seine Behausung.

Der anbrechende Montag erinnerte unsern Alt-Vater Albertum nebst uns die Reise nach Christophs-Raum vorzunehmen, als wir derowegen unsern Weg durch den grossen Garten genommen, gelangeten wir in der Gegend an, welche derselbe zum GOttes-Acker und Begräbniß vor die, auf dieser Insel verstorbenen ausersehen hatte. Er führete uns so fort zu des Don Cyrillo de Valaro aufgerichteten Gedächtniß-Säule, die unten mit einem runden Mauerwerck umgeben, und woran eine Zinnerne Tafel geschlagen war, die folgende Zeilen zu lesen gab:


Hier liegen die Gebeine

eines vermuthlich seelig verstorbenen Christen

und vornehmen Spanischen Edelmanns,

Nahmens

Don Cyrillo de Valaro,

welcher, dessen Uhrkunden gemäß,

den 9. Aug. 1475. gebohren,

Auf dem Wege aus West-Indien nebst 8. andern

Manns-Personen den 14. Nov. 1514 in dieser

Insel angelanget,

In Ermangelung eines tüchtigen Schiffs allhier

bleiben müssen,

[274] Seine Gefährten, die ihm in der Sterblichkeit

vorgegangen, ehrlich begraben,

und ihnen endlich

ao. 1606. ohne Zweiffel in den ersten Tagen

des Monats Julii gefolget;

Nachdem er auf dieser Insel

weder recht vergnügt noch gäntzlich unvergnügt

gelebt 92. Jahr,

Sein gantzes Alter aber gebracht

über 130. Jahr und 10. Monate.

Den Rest seines entseelten Cörpers haben erstlich

nach 40. Jahren gefunden, und auf dieser

Stätte aus christl. Liebe begraben

Carl Franz van Leuven und Albertus Julius.


Von dieser, des Don Cyrillio Gedächtniß-Säule, stunde etwa 4. Schritt Ost-wärts eine ohngefähr 6. Elen hohe mit ausgehauenen Steinen aufgeführte Pyramide, auf der eingemauerten grossen Kupffernen Platte aber folgende Schrifft:


Unter diesem Grabmahle

erwartet der frölichen Auferstehung zum ewigen

Leben

eine Königin dieses Landes,

eine Crone ihres hinterlassenen Mannes,

und eine glückseelige Stamm-Mutter

vieler Lebendigen,

nehmlich

CONCORDIA, gebohrne PLÜRS,

die wegen ihrer Gottesfurcht, seltsamen Tugenden

und wunderbaren Schicksals,

[275] eines unsterblichen Ruhms würdig ist.

Sie ward gebohren zu Londen in Engelland

den 4. Apr. 1627.

Vermählete sich zum ersten mahle mit Herrn

Carl Franz van Leuven den 9. Mart. 1646.

Gebahr nach dessen kläglichen Tode, am 11. Dec.

selbigen Jahres, von ihm eine Tochter.

Verknüpffte das durch Mörders-Hand zerrissene

adeliche Ehe-Band nachhero mit

Albert Julio

am 8. Januar. 1648.

Zeugete demselben 5. Söhne, 3. lebendige und

eine todte Tochter.

Ersahe also in ihrer ersten, und andern 68. jährigen

weniger 11. tägigen Ehe 9. lebendige und

1. todes Kind.

87. Kindes-Kinder, 151. Kindes-Kindes-Kinder,

und 5. Kindes-Kindes-Kindes-Kinder.

Starb auf den allein seeligmachenden Glauben an

Christum, ohne Schmertzen, sanfft und seelig

den 28. Dec. 1715

Ihres Alters 88. Jahr, 8. Monat und 2. Wochen.

Und ward von ihrem zurückgelassenen getreuen

Ehe-Manne und allen Angehörigen unter

tausend Thränen allhier in ihre

Grufft gesenckt.


Gleich neben dieser Pyramide stund an des van Leuvens Gedächtniß-Säule diese Schrifft:


***
Bey dieser Gedächtniß-Säule
hoffet auf die ewige glückseelige Vereinigung
mit seiner durch Mörders-Hand
[276] getrenneten Seele
der unglückliche Cörper
Herrn CARL FRANZ van LEUVENS,
eines frommen, tugendhafften und tapffern
Edel-Manns aus Holland.
Der mit seiner hertzlich-geliebten Gemahlin
Concordia, geb. Plürs,
nach Ceylon zu seegeln gedachte,
und nicht bedachte,
wie ungetreu das Meer zuweilen an denjenigen
handele, die sich darauf wagen.
Er entkam zwar dem entsetzlichen Sturme 1646.
im Monath Augusto glücklich, und setzte seinen
Fuß den 10. Sept. mit Freuden auf diese Insel,
hätte auch ohnfehlbar dem Verhängnisse
allhier mit ziemlichen Vergnügen
stille gehalten;
Allein, sein vermaledeyter Gefährte Lemelie, der
seine gegen die keusche Concordia loderenden
geilen Flammen, nach dessen Tode, gewiß
zu kühlen vermeynte,
stürtzte diesen redlichen Cavalier
am Tage Martini 1646.
von einem hohen Felsen herab,
der, nach dreyen Tagen erbärmlich zerschmettert
gefunden, von seiner schwangern keuschen Gemahlin
und getreuen Diener Albert Julio auf
diese Stätte begraben, und ihm gegenwärtiges
Denckmahl gesetzt worden.
***

[277] Etwa anderthalb hundert Schritt von diesen 3. Ehren- und Gedächtniß Säulen fanden wir, nahe am Ufer des West-Flusses, des Lemelie Schand-Seule, um welche herum ein grosser Hauffen Feld-Steine geworffen war, so, daß wir mit einiger Mühe hinzu gelangen, und folgende daran genagelten Zeilen lesen konten:


Speye aus gegen diese Seule,

Mein Leser!

Denn

Allhier muß die unschuldige Erde

das todte Aas des vielschuldigen Lemelie

in ihrem Schoosse erdulden,

welches im Leben ihr zu einer schändlichen Last

gedienet.

Dieses Mord-Kindes rechter Nahme,

auch wo, wenn, und von wem es gebohren

ist unbekandt.

Doch kurtz vor seinem erschrecklichen Ende

hat er bekannt,

Daß Vater- Mutter- Kinder- und vieler andern

Menschen Mord, Blut-Schande, Hurerey, Gifftmischen,

ja alle ersinnliche Laster sein Handwerck

von Jugend an gewesen.

Carl Franz van Leuvens unschuldig-vergossenes

Blut schreyet auf dieser Insul biß an den

jüngsten Tag

Rache über ihn.

Indem aber dasselbe kaum erkaltet war,

hatte sich der Mord-Hund schon wiederum gerüstet,

eine neue Mord-That an dem armen Albert

[278] Julio zu begehen, weil sich dieser unterstund, seiner

geil-brünstigen Gewaltthätigkeit bey der

keuschen Concordia zu widerstehen.

Aber,

da die Boßheit am grösten,

war die Straffe am nächsten,

denn das Kind der Finsterniß lieff in der Finsterniß

derselben entgegen,

und wurde

von dem unschuldig-verwundeten

ohne Vorsatz

tödtlich, doch schuldig, verwundet.

Dem ohngeacht schien ihm

die Busse und Bekehrung unmöglich,

das Zureden seiner Beleydigten unnützlich,

GOttes Barmhertzigkeit unkräfftig,

die Verzweiffelung aber unvermeidlich,

stach sich derowegen mit seinem Messer selbst das

ruchlose Hertz ab.

Und also

starb der Höllen-Brand als ein Vieh,

welcher gelebt als ein Vieh,

und wurde allhier eingescharrt als ein Vieh,

den 10. Decembr. 1646.

von

Albert Julio.

Der HErr sey Richter zwischen

uns und dir.


Wir bewunderten hierbey allerseits unsers Alt-Vaters Alberti besondern Fleiß und Geschicklichkeit, brachten noch über eine Stunde zu, die andern [279] Grab-Stätten, welche alle mit kurtzen Schrifften bezeichnet waren, zu besehen, und verfolgten hernachmahls unsern Weg auf Christophs-Raum zu. Selbige Pflantz-Stätte bestund aus 14. Wohn-Häusern, und führeten die Einwohner gleich den andern allen eine sehr gute Haußhaltung, hatten im übrigen fast eben dergleichen Feld-, Weinbergs- und Wasser-Nutzung als die Johannis-Raumer. Sonsten war allhier die erste Haupt-Schleuse des Nord-Flusses, nebst einer wohlgebaueten Brücke, zu betrachten. Im Garten-Bau und Erzeugung herrlicher Baum-Früchte schienen sie es fast allen andern zuvor zu thun. Nachdem wir aber ihre Feld-Früchte, Weinberge und alles merckwürdige wohl betrachtet, und bey ihnen eine gute Mittags-Mahlzeit eingenommen hatten, kehreten wir bey guter Zeit zurück auf Alberts-Burg.

Herr Mag. Schmeltzer begab sich von dar, versprochener massen, in die Davids-Raumer Alleé, um seinen heiligen Verrichtungen obzuliegen, wir andern halffen indessen mit gröster Lust bey der Grund-Mauer der Kirche dasjenige verrichten, was zu besserer Fortsetzung dabey vonnöthen war. Nach Untergang der Sonnen aber, da Herr Mag. Schmeltzer zurück gekommen war, und die Abend-Mahlzeit mit uns eingenommen hatte, setzten wir uns in gewöhnlicher Gesellschafft wieder zusammen, und höreten dem Alt-Vater Alberto in Fortsetzung seiner Geschichts-Erzehlung dergestalt zu:

Meine Lieben, fing er an, ich erinnere mich, daß meine letzten Reden das besondere Vergnügen [280] erwehnet haben, welches ich nebst meiner lieben Ehe-Gattin über unsere erstgebohrnen Zwillinge empfand, und muß nochmahls wiederholen, daß selbiges unvergleichlich war, zumahl, da meine Liebste, nach redlich ausgehaltenen 6. Wochen, ihre gewöhnliche Hauß-Arbeit frisch und gesund vornehmen konte. Wir lebten also in dem allerglückseeligsten Zustande von der Welt, indem unsere Gemüther nach nichts anders sich sehneten, als nach dem, was wir täglich erlangen und haben konten, das Verlangen nach unserm Vaterlande aber schien bey uns allen beyden gantz erstorben zu seyn, so gar, daß ich mir nicht die allergeringste Mühe mehr gab, nach vorbey fahrenden Schiffen zu sehen. Kam uns gleich die Tages-Arbeit öffters etwas sauer an, so konten wir doch Abends und des Nachts desto angenehmer ausruhen, wie sich denn öffters viele Tage und Wochen ereigneten, in welchen wir nicht aus dringender Noth, sondern bloß zur Lust arbeiten durfften.

Die kleine Concordia fing nunmehro an, da sie vollkommen deutlich, und zwar so wohl Teutsch als Englisch reden gelernet, das angenehmste und schmeichelhaffteste Kind, als eines in der gantzen Welt seyn mag, zu werden, weßwegen wir täglich viele Stunden zubrachten, mit selbiger zu schertzen, und ihren artigen Kinder-Streichen zuzusehen, ja zum öfftern uns selbsten als Kinder mit anzustellen genöthiget waren.

Allein, meine lieben Freunde! (sagte hier unser Alt-Vater, indem er ein grosses, geschriebenes Buch aus einem Behältniß hervor langete) es kommt [281] mir theils unmöglich, theils unnützlich und allzu langweilig vor, wenn ich alle Kleinigkeiten, die nicht besonders merckwürdig sind, vorbringen wolte, derowegen will die Weitläufftigkeiten und dasjenige, worvon ihr euch ohnedem schon eine zulängliche Vorstellung machen könnet, vermeiden, mit Beyhülffe dieses meines Zeit- Buchs aber nur die denckwürdigsten Begebenheiten nachfolgender Tage und Jahre biß auf diese Zeit erzehlen.

Demnach kam uns sehr seltsam vor, daß zu Ende des Monats Junii 1649. auf unserer Insel ein ziemlich kalter Winter einfiel, indem wir damahls binnen 3. Jahren das erste Eis und Schnee-Flocken, auch eine ziemliche kalte Lufft verspüreten, doch da ich noch im Begriff war, unsere Wohnung gegen dieses Ungemach besser, als sonsten, zu verwahren, wurde es schon wieder gelinde Wetter, und dieser harte Winter hatte in allen kaum 16. oder 17. Tage gedauret.

Im Jahr 1650. den 16. Mart. beschenckte uns der Himmel wiederum mit einer jungen Tochter, welche in der heil. Tauffe den Nahmen Maria bekam, und im folgenden 1651ten Jahre wurden wir abermahls am 14. Dec. mit einem jungen Sohne erfreuet, welcher den Nahmen Johannes empfing. Dieses Jahr war wegen ungemeiner Hitze sehr unfruchtbar an Getreyde und andern Früchten, gab aber einen vortrefflichen Wein-Seegen, und weil von vorigen Jahren noch starcker Getreyde-Vorrath vorhanden, wusten wir dennoch von keinen Mangel zu sagen.

Das 1652te Jahr schenckte einen desto reichlichern[282] Getreyde-Vorrath, hergegen wenig Wein. Mitten in der Weinlese starben unsere 2. ältesten Affen, binnen wenig Tagen kurtz auf einander, wir bedaureten diese 2. klügsten Thiere, hatten aber doch noch 4. Paar zu unserer Bedienung, weil sich die ersten 3. Paar starck vermehret, wovon ich aber nur 2. paar junge Affen leben ließ, und die übrigen heimlich ersäuffte, damit die Gesellschafft nicht zu mächtig und muthwillig werden möchte.

Im Jahr 1653. den 13. May kam meine werthe Ehe-Gattin abermals mit einer gesunden und wohlgestallten Tochter ins Wochen-Bette, die in der Heil. Tauffe den Nahmen Elisabeth empfieng. Also hatten wir nunmehro 3. Söhne und 3. Töchter, welche der fleißigen Mutter Arbeit und Zeitvertreib genung machen konten. Selbigen Winters fieng ich an mit Concordien, Albert u. Stephano, täglich etliche Stunden Schule zu halten, indem ich ihnen die Buchstaben vormahlete und kennen lehrete, fand auch dieselben so gelehrig, daß sie, mit Außgang des Winters, schon ziemlich gut Teutsch und Englisch buchstabiren konten, ausser dem wurden ihnen von der Mutter die nützlichsten Gebeter und Sprüche aus der Bibel gelehret, so daß wir sie mit grösten Vergnügen bald Teutsch, bald Englisch, die Morgen- Abend- und Tisch-Gebeter, vor dem Tische, konten beten hören und sehen. Meine liebe Frau durffte mir nunmehro bey der Feld- und andern sauren Arbeit wenig mehr helffen, sondern muste sich schonen, um die Kinder desto besser und geduldiger zu warten, ich hergegen, ließ es mir mit Beyhülffe der Affen, desto angelegener seyn, die nöthigsten [283] Nahrungs-Mittel von einer Zeit zur andern zu besorgen.

Am ersten Heil. Christ-Tage anno 1655. brachte meine angenehme Ehe-Liebste zum andern mahle ein paar Zwillings-Söhne zur Welt, die ich zum Gedächtniß ihres schönen Geburts-Tages, den ersten Christoph, und den andern Christian tauffte, die arme Mutter befand sich hierbey sehr übel, doch die Krafft des Allmächtigen halff ihr in etlichen Wochen wiederum zu völliger Gesundheit.

Das 1656te Jahr ließ uns einen ziemlich verdrießlichen Herbst und Winter verspüren, indem der Erstere ungemein viel Regen, der Letztere aber etwas starcke Kälte und vielen Schnee mit sich brachte, es war derowegen so wohl die darauff folgende Erndte, als auch die Wein-Lese kaum des vierdten Theils so reichlich als im vorigen Jahren, und dennoch war vor uns, unsere Kinder, Affen und ander Vieh, alles im Uberflusse vorhanden.

Im 1657ten Jahre den 22. Septembr. gebahr meine fruchtbare Ehe-Liebste noch eine Tochter, welcheChristina genennet wurde, und im 1660ten Jahre befand sich dieselbe zum letzten mahle schwangeres Leibes, denn weil sie eines Tages, da wir am Ufer des Flusses hinwandelten, unversehens strauchelte, einen schweren Fall that, und ohnfehlbar im Flusse ertruncken wäre, woferne ich sie nicht mit selbst eigener Lebens-Gefahr gerettet hätte; war sie dermassen erschreckt und innerlich beschädigt worden, daß sie zu unser beyderseits grösten Leydwesen am 9. Jul. eine unzeitige todte Tochter zur Welt, nachhero aber über zwey gantzer Jahr zubrachte, [284] ehe die vorige Gesundheit wieder zu erlangen war.

Nach Verlauf selbiger Zeit, befand sich mein werther Ehe-Schatz zwar wiederum bey völligen Kräften, und sahe in ihrem 35ten Jahre noch so schön und frisch aus als eine Jungfrau, hat aber doch niemals wiedrum ins Wochen-Bette kommen können. Gleichwol wurden wir darüber nicht ungeduldig, sondern danckten GOTT daß sich unsere 9. lieben Kinder bey völliger Leibes-Gesundheit befanden, und in Gottesfurcht und Zucht heran wuchsen, wie ich denn nicht sagen kan, daß wir Ursach gehabt hätten, uns über eins oder anderes zu ärgern, oder die Schärffe zu gebrauchen, sondern muß gestehen, daß sie, bloß auf einen Winck und Wort ihrer Eltern alles thaten, was von ihnen verlanget wurde, und eben dieses schrieben wir nicht schlechter dings unserer klugen Auferziehung, sondern einer besondern Gnade GOttes zu.

Meine Stief-Tochter Concordia, die nunmehro ihre Mannbaren Jahre erreichte, war gewiß ein Mägdlein von außbündiger Schönheit, Tugend, Klugheit und Gottesfurcht, und wuste die Haußhaltung dermassen wol zu führen, daß ich und ihre Mutter sonderlich eine grosse Erleichterung unserer dahero gehabten Mühe und Arbeit verspüreten. Selbige meine liebe Ehe-Gattin muste sich also mit Gewalt gute Tage machen, und ihre Zeit bloß mit der kleinsten Kinder Lehrung und guter Erziehung vertreiben. Meine zwey ältesten Zwillinge hatte ich mit Göttlicher Hülffe schon so weit gebracht, daß sie den kleinern Geschwister das Lesen, Schreiben [285] und Beten wiederum beybringen konten, ich aber informirte selbst alle meine Kinder früh Morgens 2. Stunden, und Abends auch so lange. Ihre Mutter lösete mich hierinnen ordentlich ab, die übrige Zeit musten sie mit nützlicher Arbeit, so viel ihre Kräffte vermochten, hinbringen, das Schieß-Gewehr brauchen lernen, Fische, Vogel, Ziegen und Wildpret einfangen, in Summa, sich in Zeiten so gewöhnen, als ob sie so wol als wir Zeit Lebens auf dieser Insul bleiben solten.

Immittelst erzehlten wir Eltern unsern Kindern öffters von der Lebens-Art der Menschen in unsern Vaterländern und andern Welt-Theilen, auch von unsern eigenen Geschichten, so viel, als ihnen zu wissen nöthig war: spüreten aber niemals, daß nur ein eintziges von ihnen Lust bezeigte, selbige Länder oder Oerter zu sehen, worüber sich meine Ehe-Frau hertzlich vergnügte, allein ich unterdrückte meinen, seit einiger Zeit wieder aufgewachten Kummer, biß eines Tages unsere ältesten zwey Söhne eiligst gelauffen kamen, und berichteten: Wie daß sich gantz weit in der offenbaren See 3. grosse Schiffe sehen liessen, worauff sich ohnfehlbar Menschen befinden würden. Ihre Mutter gab ihnen zur Antwort: Lasset sie fahren meine Kinder, weil wir nicht wissen, ob es gute oder böse Menschen sind. Ich aber wurde von meinen Gemüths-Bewegungen dergestalt übermeistert, daß mir die Augen voll Thränen lieffen, und solches zu verbergen, gieng ich stillschweigend in die Kammer, und legte mich mit Seuffzen aufs Lager. Meine Concordia folgte mir auf dem Fusse nach, breitete sich über mich und sagte, nachdem [286] sie meinen Mund zum öfftern liebreich geküsset hatte. Wie ists, mein liebster Schatz, seyd ihr der glückseeligen Lebens-Art, und eurer bißhero so hertzlich geliebten Concordia, vielleicht schon auch gäntzlich überdrüßig, weil sich eure Sehnsucht nach anderer Gesellschafft aufs neue so starck verräth? Ihr irret euch, meine Allerliebste gab ich zur Antwort, oder wollet etwa die erste Probe machen mich zu kräncken. Glaubet aber sicherlich, zumahl wenn ich GOTT zum Zeugen anruffe, daß mir gar nicht in die Gedancken kommen ist, von hier hinweg zu reisen, oder euch zum Verdruß mich nach anderer Gesellschafft zu sehnen, sondern ich wünsche von Hertzen, meine übrige Lebens-Zeit auf dieser glückseeligen Städte mit euch in Ruhe und Friede hin zu bringen, zumal da wir das schwerste nunmehro mit GOTTES Hülffe überwunden, und das gröste Vergnügen an unsern schönen Kindern, annoch in Hoffnung, vor uns haben. Allein saget mir um GOttes willen, warum sollen wir uns nicht nunmehro, da unsere Kinder ihre Mannbaren Jahre zu erreichen beginnen, nach andern Menschen umsehen, glaubet ihr etwa, GOTT werde sogleich 4. Männer und 5. Weiber vom Himmel herab fallen lassen, um unsere Kinder mit selbigen zu begatten? Oder wollet ihr, daß dieselben, so bald der natürliche Trieb die Vernunfft und Frömmigkeit übermeistert, Blut-Schande begehen, und einander selbst heyrathen sollen? Da sey GOTT vor! Ihr aber, mein Schatz, saget mir nun, wie eure Meynung über meine höchst wichtigen Sorgen ist, ob wir nicht Sünde und Schande von unsern bißhero wohlerzogenen [287] Kindern zu befürchten haben? und ob es Wohlgethan sey, wenn wir durch ein und andere Nachläßigkeit, GOttes Allmacht ferner versuchen wollen?

Meine Concordia fieng hertzlich an zu weinen, da sie mich in so ungewöhnlichen Eifer reden hörete, jedoch die treue Seele umfassete meinen Halß, und sagte unter hundert Küssen: Ihr habt recht, mein allerliebster Mann, und sorget besser und vernünfftiger als ich. Verzeihet mir meine Fehler, und glaubet sicherlich, daß ich, dergleichen Blut-schändlich Ehen zu erlauben, niemals gesinnet gewesen, allein die Furcht vor bösen Menschen, die sich etwa unseres Landes und unserer Güter gelüsten lassen, euch ermorden, mich und meine Kinder schänden und zu Sclaven machen könten, hat mich jederzeit angetrieben, zu wiederrathen, daß wir uns frembden und unbekannten Leuten entdeckten, die vielleicht auch nicht einmal Christen seyn möchten. Anbey habe mich beständig darauff verlassen, daß GOtt schon von ohngefähr Menschen hersenden würde, die uns etwa abführeten, oder unser Geschlecht vermehren hülffen. Jedoch, mein allerliebster Julius, sagte sie weiter, ich bekenne, daß ihr eine stärckere Einsicht habt als ich, darum gehet hin mit unsern Söhnen, und versuchet, ob ihr die vorbeyfahrenden Schiffe anhero ruffen könnet, GOTT gebe nur, daß es Christen, und redliche Leute sind.

Dieses war also der erste und letzte Zwietracht, den ich und meine liebe Ehe-Frau untereinander hatten, wo es anders ein Zwietracht zu nennen ist. So bald wir uns aber völlig verglichen, lieff ich mit meinen[288] Söhnen, weil es noch hoch am Tage war, auf die Spitzen des Nord-Felsens, schossen unsere Gewehre loß, schryen wie thörichte Leute, machten Feuer und Rauch auf der Höhe, und trieben solches die gantze Nacht hindurch, allein ausser etlichen Stückschüssen höreten wir weiter nichts, sahen auch bey aufgehender Sonne keines von den Schiffen mehr, wohl aber eine stürmische düstere See, woraus ich schloß, daß die Schiffe wegen widerwärtigen Windes unmöglich anländen können, wie gern sie vielleicht auch gewolt hätten.

Ich konte mich deßwegen in etlichen Tagen nicht zufrieden geben, doch meine Ehe-Frau sprach mich endlich mit diesen Worten zufrieden: Bekümmert euch nicht allzusehr mein werther Albert, der HErr wirds versehen und unsere Sorgen stillen, ehe wirs vielleicht am wenigsten vermuthen.

Und gewiß, der Himmel ließ auch in diesem Stücke ihre Hoffnung und festes Vertrauen nicht zu schanden werden, denn etwan ein Jahr hernach, da ich am Tage der Reinigung Mariä 1664. mit meiner gantzen Familie Nachmittags am Meer-Ufer spatzieren gieng, ersahen wir mit mäßiger Verwunderung: daß nach einem daherigen hefftigen Sturme, die schäumenden Wellen, nachdem sie sich gegen andere unbarmhertzig erzeiget, uns abermals einige vermuthlich gute Waaren zugeführet hatten. Zugleich aber fielen uns von ferne zwey Menschen in die Augen, welche auf einen grossen Schiffs-Balcken sitzend, sich an statt der Ruder mit ihren blossen Händen äusserst bemüheten, eine, von den vor uns liegenden Sand-Bäncken zu erreichen, und ihr Leben [289] darauff zu erretten. Indem nun ich, nur vor wenig Monaten, das kleine Boot, durch dessen Hülffe ich am allerersten mit Mons. van Leuven bey dieser Felsen-Insul angelanget war, außgebessert hatte, so wagte ich nebst meinen beyden ältesten Söhnen, die nunmehro in ihr 16tes Jahr giengen, hinnein zu treten, und diesen Nothleydenden zu Hülffe zu kommen, welche unserer aber nicht eher gewahr wurden, biß unser Boot von ohngefehr sehr hefftig an ihren Balcken stieß, so daß der eine aus Mattigkeit herunter ins Wasser fiel. Doch da ihm meine Söhne das Seil, woran wir das Boot zu befestigen pflegten, hinaus wurffen, raffte er alle Kräffte zusammen, hielt sich feste dran, und ward also von uns gantz leichtlich ins Boot herein gezogen. Dieses war ein alter fast gantz grau gewordener Mann, der andere aber, dem dergleichen Gefälligkeit von uns erzeigt wurde, schien ein Mann in seinen besten Jahren zu seyn.

Man merckte sehr genau, wie die Todes-Angst auf ihren Gesichtern gantz eigentlich abgemahlet war, da sie zumal uns gantz starr ansahen, jedoch nicht ein eintziges Wort aussprechen konten, endlich aber, da wir schon einen ziemlichen Strich auf der Zurückfarth gethan, fragt ich den Alten auf deutsch: Wie er sich befände, allein er schüttelte sein Haupt, und antwortete im Englischen, daß er zwar meine Sprache nicht verstünde, gleichwol aber merckte, wie es die teutsche Sprache sey. Ich fieng hierauf sogleich an, mit ihm Englisch zu reden, weßwegen er mir augenblicklich die Hände küssete und mich seinen Engel nennete. Meine beyden Söhne klatschten [290] derowegen in ihre Hände, und fiengen ein Freuden-Geschrey an, gaben sich auch gleich mit dem jungen Manne ins Gespräche, welcher alle beyde umarmete und küssete, auch ihnen auf ihre einfältigen Fragen liebreiche Antwort gab. Doch da ich merckte, daß die beyden Verunglückten vor Mattigkeit kaum die Zunge heben und die Augen aufthun konten, liessen wir dieselben ungestöhrt, und brachten sie halb schlaffend an unsere Felsen-Insul.

Meine Concordia hatte binnen der Zeit beständig mit den übrigen Kindern auf den Knien gelegen, und GOTT um unsere glückliche Zurückkunft angerufft, weil sie dem sehr alten und geflickten Boote wenig zu getrauet, derowegen war alles desto frölicher, da wir in Gesellschafft zweyer andern Menschen bey ihnen ankamen. Sie hatte etwas Vorrath von Speisen und Geträncke vor unsere Kinder bey sich, welches den armen Frembdlingen gereicht wurde. So bald nun selbiges mit gröster Begierde in ihren Magen geschickt war, merckte man wohl, daß sie hertzlich gern weiter mit uns reden wolten, allein da sie bereits so viel zu verstehen gegeben, wie sie nunmehro 3. Nächte und 4. Tage ohne Schlaff und Ruhe in den Meeres Wellen zugebracht hätten, konten wir ihnen nicht verargen, daß sie uns fast unter den Händen einschlieffen, brachten aber doch beyde, wiewol mit grosser Mühe, durch den holen Weg hinauff in die Insul.

Daselbst suncken sie als recht ohnmächtige Menschen ins Graß nieder, und verfielen in den tieffsten Schlaff. Meine beyden ältesten Söhne musten bey[291] ihnen sitzen bleiben, ich aber gieng mit meiner übrigen Familie nach Hause, nahm zwey Rollwagen, spannete vor jeden 4. Affen, kehrete damit wieder um, legte die Schlaffenden ohne eintzige Empfindung drauff, und brachte dieselben mit einbrechender Nacht in unsere Behausung auf ein gutes Lager, welches ihnen mitlerweile meine Hauß-Frau bereitet hatte. Beyde wachten fast zu gleicher Zeit nicht früher auf, als andern Tages ohngefähr ein paar Stunden vor Untergang der Sonnen, und so bald ich dessen vergewissert war, gieng ich zu ihnen in die Kammer, legte vor jeden ein gut Kleid nebst weisser Wäsche hin, bat sie möchten solches anlegen, nachhero zu uns heraus kommen.

Indessen hatte meine Hauß-Frau eine köstliche Mahlzeit zubereitet, den besten Wein und ander Geträncke zurechte gesetzt, auch sich nebst ihren Kindern gantz sauber angekleidet. Wie demnach unsere Gäste aus der Kammer traten, fanden sie alles in der schönsten Ordnung, und blieben nach verrichteter Begrüssung als ein paar steinerne Bilder stehen. Meine Kinder musten ihnen das Wasch-Wasser reichen, welches sie annahmen und um Erlaubniß baten, sich vor der Thür zu reinigen. Ich gab ihnen ohne eitle Ceremonien zu verstehen, wie sie allhier, als ohnfehlbar gute christliche Menschen, ihre beliebige Gelegenheit brauchen könten, weßwegen sie sich ausserhalb des Hauses, in der freyen Luft völlig ermunterten, nachhero wieder zu uns kehreten, da denn der alte ohngefähr 60. jährige Mann also zu reden anfieng: O du gütiger Himmel, welch ein schönes Paradieß ist dieses? saget uns doch, o ihr [292] glückseeligen Einwohner desselben, ob wir uns unter Engeln oder sterblichen Menschen befinden? denn wir können biß diese Stunde unsere Sinnen noch nicht überzeugen, ob wir noch auf der vorigen Welt leben; Oder durch den zeitlichen Tod in eine andere Welt versetzt sind? Liebsten Freunde gab ich zur Antwort, es ist mehr als zu gewiß, daß wir eben solche mühseelige und sterbliche Menschen sind als ihr. Vor nunmehro fast 18. Jahren, hat ein besonderes Schicksaal mich und diese meine werthe Ehe-Gattin auf diese Insul geführet, die allhier in Ordnung stehenden 9. Kinder aber, sind, binnen solcher Zeit, und in solcher Einsamkeit von uns entsprossen, und ausser uns, die wir hier beysammen sind, ist sonst keine menschliche Seele mehr auf der gantzen Insul anzutreffen. Allein, fuhr ich fort, wir werden Zeit und Gelegenheit genung haben, hiervon weitläufftiger mit einander zu sprechen, derowegen lasset euch gefallen, unsere Speisen und Geträncke zu kosten, damit eure in dem Meere verlohrnen Kräffte desto geschwinder wieder hergestellet werden.

Demnach setzten wir uns zu Tische, assen und truncken ingesammt, mit grösten appetite nach billigen vergnügen. So bald aber das Danck-Gebeth gesprochen war, und der Alte vermerckte, daß so wol ich als meine Concordia von beyderseits Stande und Wesen gern benachrichtiget seyn möchten, vergnügte er unsere Neugierigkeit mit einer weitläufftigen Erzehlung, die biß Mitternacht währete. Ich aber will von selbiger nur kürtzlich so viel melden, daß er sichAmias Hŭlter nennete, [293] und vor etlichen Jahren ein Pachtmann verschiedener Königlicher Küchen-Güter in Engelland gewesen war. Sein Gefährte hieß Robert Hŭlter, und war des Amias leiblichen Bruders Sohn. Ferner vernahmen wir mit Erstaunen, daß die aufrührischen Engelländer im Jahr 1649. den 30. Jan. also 2. Jahr und 8. Monath nach unserer Abreise, ihren guten König Carln grausamer Weise enthauptet, und daß sich nach diesem einer, Nahmens Oliverius Cromwel, von Geschlecht ein blosser Edelmann, zum Beschützer des Reichs aufgeworffen hätte, dem anno 1658. sein Sohn, Richard Cromwel, in solcher Würde gefolget, aber auch bald im folgenden Jahr wieder abgesetzt wäre, worauff vor nunmehro fast 3. Jahren die Engelländer einen neuen König, nemlichCarln den Andern erwählet, und unter dessen Regierung itzo ziemlich ruhig lebten.

Der gute Amias Hülter, welcher ehedessen bey dem enthaupteten König Carln in grossen Gnaden gewesen, ein grosses Guth erworben, doch aber niemals geheyrathet, war in solcher Unruhe fast um alles das Seinige gekommen, aus dem Lande gejagt worden, und hatte kaum so viel gerettet eine kleine Handlung über Meer anzufangen, worbey er nach und nach zwar wiederum ein ziemliches erworben, und dasselbe seinem Bruder Joseph Hülter in Verwahrung gegeben. Dieser sein Bruder aber hatte die Reformirte Religion verlassen, sich nach Portugall gewendet, daselbst zum andern mahle geheyrathet, und sein zeitliches Glück ziemlich gemacht. Allein dessen Sohn Robert war mit seines Vaters [294] Lebens-Art, und sonderlich mit der Religions-Veränderung, nicht allerdings zufrieden gewesen, derowegen annoch in seinen Jünglings-Jahren mit seinem Vetter Amias zu Schiffe gegangen, und hatte sich bey demselben in West-Indien ein ziemliches an Gold und andern Schätzen gesammlet. Da aber vor einigen Monathen die Versicherung eingelauffen, daß nunmehro, unter der Regierung König Carls des Andern, in Engelland wiederum gute Zeiten wären, hatten sie Brasilien verlassen, und sich auf ein Schiff verdingt, um mit selbigen nach Portugall, von dar aber zurück nach Engelland, als in ihr Vaterland zu reisen, und sich bey dem neuen König zu melden. Allein ihr Vorhaben wird durch das widerwärtige Verhängniß zeitlich unterbrochen, indem ein grausamer Sturm das Schiff von der ordentlichen Strasse ab- und an verborgene Klippen führet, allwo es bey nächtlicher Zeit zerscheitert, und seine gantze Ladung an Menschen und Gütern, in die wilden Fluthen wirfft. In solcher Todes-Angst ergreiffen Amias und Robert denjenigen Balcken, von welchen wir sie, nachdem die armen Menschen 3. Nachte und 4. Tage ein Spiel des Windes und der Wellen gewesen, endlich noch eben zur rechten Zeit zu erlösen das Glück hatten.

Meine Concordia wolte hierauff einige Nachricht von den Ihrigen einziehen, konte aber nichts weiter erfahren, als daß Amias ihren Vater zwar öffters gesehen, gesprochen, auch ein und andern Geld-Verkehr mit ihm gehabt, im übrigen aber wuste er von dessen Hauß-Wesen nichts zu melden, [295] ausser daß er im 1648ten Jahre noch im guten Stande gelebt hätte. Hergegen wuste Robert, der bißhero wenig Worte gemacht, sich noch gantz wohl zu erinnern, daß er zu der Zeit, als er noch ein Knabe von 12. oder 13. Jahren gewesen, vernommen, wie dem Banquier Plürs eine Tochter, Nahmens Concordia, von einem Cavalier entführet worden sey, wo sie aber hin, oder ob dieselbe wieder zurück gebracht worden, wisse er nicht eigentlich zu sagen.

Wir berichteten ihnen demnach, daß sie allhier eben diese Concordia Plürs vor sich sähen, versprachen aber unsere Geschichte morgendes Tages ausführlicher zu erzehlen, und legten uns, nachdem wir die Abend-Beth-Stunde in Englischer Sprache gehalten, sämmtlich zur Ruhe.

Ich nahm mir nebst meiner Hauß-Frauen von nun an nicht das geringste Bedencken, diesen beyden Gästen und Lands-Leuten, welchen die Redlichkeit aus den Augen leuchtete, und denen die Gottesfurcht sehr angenehm zu seyn schien, alles zu offenbaren, was sich von Jugend an, und sonderlich auf dieser Insul mit uns zugetragen hatte. Nur eintzig und allein verschwiegen wir ihnen des Don Cyrillo vermaureten grossen Schätze, hatten aber dennoch ausser diesem, so viel Reichthümer an Gold, Silber, edlen Steinen und andern Kostbarkeiten aufzuweisen, daß sie darüber erstauneten, und vermeynten: es wäre weder in Engelland, noch sonst wo, ein Kauffmann, oder wol noch weit grössere Standes-Person, ausser grossen Potentaten anzutreffen, die sich Bemittelter zeigen könte als wir. Dem ohngeacht, gab ich ihnen deutlich zu vernehmen, daß ich [296] und meine Hauß-Frau diese Sachen sehr gering, das Vergnügen aber, auf dieser Insul in Ruhe, ohne Verfolgung, Kummer und Sorgen zu leben, desto höher schätzten, und bäten GOTT weiter um keine mehrere Glückseeligkeit, als daß er unsern Kindern fromme christliche Ehegatten anhero schicken möchte, die da Lust hätten auf dieser Insul mit ihnen in Ruhe und Friede zu leben, weil dieselbe im Stande sey, ihre Einwohner fast mit allem, was zur Leibes Nahrung und Nothdurfft gehörig, reichlich und überflüßig zu versorgen.

Ich vermerckte unter diesen meinen Reden, daß dem jungen Hülter das Geblüte ziemlich ins Angesichte trat, da er zugleich seine Augen recht sehnlich auf meine schöne und tugend-volle Stieff-Tochter warff, jedoch nicht eher als nach etlichen Tagen durch seinen Vetter Amias bey mir und meiner Frauen um selbige anhalten ließ. Da nun ich und dieselbe schon deßfalls mit einander geheime Abrede genommen, liessen wir uns die Werbung dieses wohlgebildeten und frommen jungen Mannes gefallen, versprachen ihm binnen 4. Wochen unsere Tochter ehelich zuzuführen, doch mit der Bedingung, wenn er mit guten Gewissen schweren könte und wolte, daß er (1) noch unverheyrathet sey. (2) Unserm Gottesdienste und Glauben sich gleichförmig erzeigen. (3.) Friedlich mit seiner Frau und uns leben, und (4.) Sie wieder ihren willen niemals verlassen, oder von dieser Insul, ausser der dringenden Noth, hinweg führen, sondern Zeit Lebens allhier bleiben wolle. Der gute Robert schwur und versprach alles zu erfüllen, was wir von ihm begehreten, [297] und setzte hinzu: Daß dieses schöne Tugend-Bild, nemlich seine zukünfftige Ehe-Liebste, Reitzungen im Uberflusse besässe, alle Sehnsucht nach andern Ländern, Menschen und Schätzen zu vertreiben. Hierauff wurde das Verlöbniß gehalten, worbey wir alle vor Freuden weineten, absonderlich der alte Amias, welcher hoch betheurete: Daß wir bey unserm Schwieger-Sohne das allerredlichste Gemüthe auf der gantzen Welt angetroffen hätten, welches sich denn auch, GOTT sey Danck, nachhero in allen Fällen also eräusert hat.

Nun beklage ich, sagte der alte Amias, daß von meinen Lebens-Jahren nicht etwa 30. oder wenigstens 20. können abgekaufft werden, um auch das Glück zu haben, euer Schwieger-Sohn zu seyn, jedoch weil dieser Wunsch vergeblich ist und ich einmal veraltet bin, so will nur GOTT bitten, daß er mich zum Werckzeuge gebrauchen möge: Vor eure übrigen Kinder Ehegatten anhero zu schaffen. Ich habe, verfolgte er, keine thörichten Einfälle hierzu, will also nur GOTT und etwas Zeit zu Hülffe nehmen.

Folgende Tage wurde demnach alles zu dem abgeredeten Beylager veranstalltet, und am 14. Mart. 1664. solches ordentlich vollzogen, an welchem Tage ich als Vater und Priester, das verlobte Paar zusammen gab. Ihre Ehe ist so vergnügt und glücklich, als Fruchtbar gewesen, indem sie in folgenden Jahren 14. Kinder, als nemlich 5. Söhne und 9. Töchter mit einander gezeuget haben, welches mir und meiner lieben Hauß-Frau zum stetigen Troste und Lust gereichte, zumal da unser Schwieger-Sohn [298] aus eigenen Antriebe und hertzlicher Liebe gegen uns, seinen eigenen Geschlechts Nahmen zurück setzte, und sich gleich am ersten Hochzeit-Tage Robert Julius nennete.

Wir baueten noch im selbigen Herbst ein neues schönes und räumliches Hauß vor die jungen Ehe-Leute, Amias war ihr Hauß-Genosse, und darbey ein kluger und vortrefflicher Arbeiter, der meine gemachten Anstalten auf der Insul in kurtzer Zeit auf weit bessern Fuß bringen halff, so, daß wir in erwünschten Vergnügen mit einander leben konten.

Unser Vorrath an Wein, Geträyde, eingesaltzenen Fleische, Früchten und andern Lebens-Mitteln war dermassen zu gewachsen, daß wir fast keine Gefässe, auch keinen Platz in des Don Cyrillo unterirrdischen Gewölbern, selbige zu verwahren, weiter finden konten, dem ohngeacht, säeten und pflantzten wir doch Jahr aus, Jahr ein, und speiseten die Affen, deren nunmehro etliche 20. zu unsern Diensten waren, von dem Uberflusse, hätten aber dennoch im 1666ten Jahre ohne unsern Schaden gar wohl noch hundert andere Menschen ernehren können, da sich aber niemand melden wolte, musten wir zu unsern grösten Leydwesen eine grosse Menge des besten Geträydes liederlich verderben lassen.

Amias erseuffzete hierüber öffters, und sagte eines Abends, da wir vor unsern Hauß-Thüren die kühlen Abend-Lüffte zur Erquickung abwarteten: Wie wunderbar sind doch die Fügungen des Allmächtigen! Ach wie viel tausend, und aber tausend sind doch unter den Christen anzutreffen, die [299] mit ihrer sauern Hand-Arbeit kaum so viel vor sich bringen, daß sie sich nach Vergnügen ersättigen können. Die wenigsten Reichen wollen den Armen von ihrem Uberflusse etwas ansehnliches mittheilen, weil sie sich befürchten, dadurch selbst in Armuth zu gerathen, und wir Einwohner dieses Paradieses wolten gern unsern Nächsten alles, was wir haben, mitgenießen lassen, so muß es uns aber nur an Leuten fehlen, die etwas von uns verlangen. Allein, mein werthester Julius, fuhr er fort, stehet es zu verantworten, daß wir allhier auf der faulen Bank liegen, und uns eine kleine Mühe und Gefahr abschrecken lassen, zum wenigsten noch so viel Menschen beyderley Geschlechts hieher zu verschaffen, als zur Beheyratung eurer Kinder von nöthen seyn, welche ihren mannbaren Alter entgegen gehen, und ohne grosse Sünde und Schande einander nicht selbst eheligen können? Auf derowegen! Lasset uns den behertzten Entschluß fassen, ein Schiff zu bauen, und unter starcken Vertrauen zu Göttlichem Beystande an das nächst-gelegenste Land oder Insul anfahren, wo sich Christen aufhalten, um vor eure Kinder Männer und Weiber daselbst auszusuchen. Meine Gedancken sind auf die Insul S. Helena gerichtet, allwo sich Portugiesen niedergelassen haben, und wenn ich nebst der Land- und See-Charte, die ich bey euch gesehen, alle andern Umstände in Betrachtung ziehe, so versichert mich ein geheimer Trieb, daß selbige Insul unsern Wunsch nicht allein erfüllen, sondern auch nicht allzu weit von hier entlegen sein kan.

Meine Hauß-Frau und ich stutzten ziemlich über[300] des Amias etwas allzu gefährlich scheinenden Anschlag, ehe wir ihm gehörig darauf antworten, und gar behutsame Einwürffe machen konten, da er aber alle dieselben sehr vernünfftig widerlegte, und diese Sache immer leichter machte; gab endlich meine Concordia den Ausschlag, indem sie sagte: Lieben Freunde, wir wollen uns dieserwegen den Kopff vor der Zeit nicht zerbrechen, versuchet erstlich, wie weit es mit eurem Schiffbau zu bringen ist, wird dasselbe fertig, und in solchen Zustand gebracht, daß man sich vernunfft-mäßig darauf wagen, und dergleichen gefährliche Reise vornehmen kan, und der Himmel zeiget uns binnen solcher Zeit keine andere Mittel und Wege, unserer Sorgen loß zu werden, so haben wir nachhero noch Zeit genung, Rath zu halten, wie es anzufangen, auch wer, und wie viel von uns mit reisen sollen.

Nachdem diese Meinung von einem jeden gebilliget worden, fingen wir gleich des folgenden Tages an, Bäume zu fällen, und nachhero zu behauen, woraus Balken, Bohlen und Breter gehauen werden konten. Auch wurde dasjenige Holz, welches uns die See von zerscheiterten Schiffen zugeführet hatte, fleißig zusammen gesucht, doch ein bald darauf einfallendes Regen-Wetter nebst dem nöthigen Acker- und Wein-Bau verursachten, daß wir den Schiffs-Bau biß zu gelegener und besserer Zeit aufschieben musten.

Im August-Monat aber anno 1667. da des Roberts Ehe-Frau allbereit mit der zweyten Tochter ins Wochen-Bette gekommen war, setzten unsere [301] fleißigen Hände die Schiffs-Arbeit aufs neue eifferig fort, so, daß wir mit den vornehmsten Holz Stücken im April des 1668ten Jahres nach des Amias Abrisse fast völlig fertig wurden. Dem zu Folge wurde unter seiner Anweisung auch eine Schmiede Werk-Stätte zu bauen angefangen, in welcher die Nägel und anderes zu Schiff-Bau gehöriges Eisenwerk geschmiedet und zubereitet werden solte, hatten selbige auch allbereit in ziemlich guten Stande, als eines Tages meine 3. jüngsten Söhne, welche bestellet waren, die leichtesten Holz-Stücke mit Hülffe der Affen ans Ufer zu schaffen, gelauffen kamen, und berichteten, daß sich nahe an unserer Insul ein Schiff mit Menschen besetzt sehen liesse; weßwegen wir ingesamt zwischen Furcht und guter Hoffnung hinab zum Meer lieffen, und ersahen, wie bemeldtes Schiff auf eine der vor uns liegenden Sand-Bänke aufgelauffen war, und nicht weiter von der Stelle kommen konte. Zwey darauf befindliche Männer schienen uns mit ängstlichen Winken zu sich zu nötigen, derowegen sich Robert mit meinen beyden ältesten Söhnen in unser kleines Boot setzte, und zu ihnen hinüber fuhr, ein langes Gespräch hielt, und endlich mit 9. frembden Gästen, als 3. Weibs-und 6. Manns-Personen wieder zu uns kam. Allein, diese Elenden schienen allesamt den Todten ähnlicher als den Lebendigen zu seyn, wie denn auch nur ein Weibs-Bild und zwey Männer noch so viel Kräffte hatten, mit uns hinauf in die Insul zu steigen, die übrigen sechs, welche fast nicht auf die matten Füsse treten konten, musten hinauf getragen werden.

[302] Der alte hocherfahrene Amias erkannte so gleich, was sie selbsten gestehen musten, nemlich, daß sie nicht allein vom Hunger, sondern auch durch eine schlimme See Kranckheit, welche der Schaarbock genennet würde, in solchen kläglichen Zustand gerathen wären, derowegen wurde ihnen so gleich Roberts Wohnhaus zum Krancken-Hause eingeräumet, anbey von Stund an zur besten Verpflegung alle Anstalt gemacht.

Wir bekümmerten uns in den ersten Tagen so wenig um ihren Stand und Wesen, als sie sich um das unserige, doch konte man mehr als zu wohl spüren, wie vergnügt und erkenntlich ihre Hertzen wegen der guten Bewirtung wären, dem allen ohngeacht aber sturben so gleich, noch ehe 8. Tage verlieffen, eine Weibs- und zwey Manns-Personen, und in folgender Woche folgte die 3te Manns-Person; weil das Ubel vermuthlich allzu starck bey ihnen eingerissen, oder auch wohl keine Maasse im Essen und Trinken gehalten war. Die Todten wurden von uns mit grossen Leydwesen ehrlich begraben, und die annoch übrigen sehr schwachen desto fleißiger gepflegt. Amias machte ihnen Artzeneyen von unsern annoch grünenden Kräutern und Wurtzeln, gab auch keinem auf einmahl mehr Speise und Trank, als er vor rathsam hielt, woher es nebst Göttlicher Hülffe endlich kam, daß sich die noch übrigen 5. Gäste binnen wenig Wochen völlig erholeten, und nicht die geringsten Merckmale einer Kranckheit mehr verspüreten.

Nun solte ich zwar, meine Lieben, sagte hiermit unser Alt-Vater Albertus, euch billig noch berichten,[303] wer die Frembdlinge gewesen, und durch was vor ein Schicksal selbige zu uns gekommen wären, allein mich bedünkt, meine Erzehlung möchte solcher Gestalt auf heute allzu lange währen, darum will Morgen, so es GOTT gefällt, wenn wir von Roberts-Raum zurücke kommen, damit den Anfang machen. Wir, als seine Zuhörer, waren auch damit vergnügt, und traten folgendes Tages auf gewöhnliche Weise den Weg nach Roberts-Raum an.

Hieselbst fanden wir die leiblichen Kinder und fernere Abstammlinge von Robert Hülter, und der jüngern Concordia in 16. ungemein zierlich erbaueten Wohnhäusern ihre gute Wirthschafft führen, indem sie ein wohlbestelltes Feld um und neben sich, die Weinberge aber mit den Christophs-Raumern gemeinschafftlich hatten. Der älteste Sohn des Roberts führete uns in seiner seel. Eltern Hauß, welches er nach deren Tode in Besitz genommen hatte, und zeigete nicht allein eine alte Englische Bibel, Gesang-und Gebet-Buch auf, welches von dem gantzen Geschlecht als ein besonderes Heiligthum gehalten wurde, sondern nächst diesem auch allerhand andere kostbare und sehens-würdige Dinge, die der Stamm-Vater Robert zum Andencken seiner Klugheit und Geschicklichkeit denen Nachkommen hinterlassen hatte. Auf der äusersten Felsen-Höhe gegen Osten war ein bequemliches Wacht-Hauß erbauet, welches wir nebst denen dreyen dabey gepflanzten Stücken Geschützes in Augenschein nahmen, und uns dabey über das viele im Walde herum lauffende Wild sonderlich [304] ergötzten, nachhero in dem Robertischen Stamm-Hause aufs köstlichste bewirthet wurden, doch aber, nachdem diese Gemeine in jedes Hauß eine Englische Bibel und Gesang-Buch, nebst andern gewöhnlichen Geschenken vor die Jugend empfangen hatte, zu rechter Zeit den Rückweg auf Alberts-Burg antraten.

Mittlerweile, da Herr Mag. Schmeltzer in die Davids-Raumer Allee, seine Geistlichen Unterrichtungen fortzusetzen, spatzieret war, und wir andern mit gröster Begierde am Kirchen-Bau arbeiten halffen, hatte unser Alt-Vater Albertus seine beyden ältesten Söhne, nehmlich Albertum und Stephanum, nebst ihren annoch lebenden Ehe-Weibern, ingleichen den David Julius, sonst Rawkin genannt, mit seiner Ehe-FrauChristina, welche des Alt-Vaters jüngste Tochter war, zu sich beschieden, um die Abend-Mahlzeit mit uns andern allen einzunehmen, da sich nun selbige nebst Herrn Mag. Schmeltzern eingestellet, und wir sämtlich gespeiset, auch unsere übrige Gesellschaffter sich beurlaubt hatten; blieben der Alt-Vater Albertus, dessen Söhne, Albertus und Stephanus, nebst ihren Weibern, David und Christina, Hr. Mag. Schmeltzer, Mons. Wolffgang und ich, also unser 10. Personen beysammen sitzen, da denn unser Alt-Vater also zu reden anfing:

Ich habe, meine lieben Freunde, gestern Abend versprochen, euch nähern Bericht von denjenigen Personen zu erstatten, die wir im 1668ten Jahre, als ausgehungerte und krancke Leute aufzunehmen, das Glück hatten, weil aber drey von demselben [305] annoch am Leben, und allhier gegenwärtig sind, als nehmlich dieser mein lieber Schwieger-Sohn, David, und denn meine beyden lieben Schwieger-Töchter des Alberti und Stephani Gemahlinnen, so habe vor annehmlicher erachtet, in eurer Gegenwart selbige zu bitten, daß sie uns ihre Lebens-Geschichte selbst erzehlen möchten. Ich weiß, meine fromme Tochter, sagte er hierauf zu des Alberti jun. Gemahlin, wie die Kräffte eures vortrefflichen Verstandes, Gedächtnisses und der Wohlredenheit annoch so vollkommen bey euch anzutreffen sind, als alle andere Tugenden, ohngeacht die Zeit uns alle auf dieser Insul ziemlich verändert hat. Derowegen habt die Güte, diesem meinem Vettern und andern werthen Freunden, einen eigenmündlichen Bericht von den Begebenheiten eurer Jugend abzustatten, damit sie desto mehr Ursach haben, sich über die Wunder-Hand des Himmels zu verwundern.

Demnach stund die bey nahe 80. jährige Matrone, deren Gesichts- und Leibes-Gestalt auch in so hohen Alter noch viele Annehmlichkeiten zeigete, von ihrem Stuhle auf, küssete erstlich unsern Alt-Vater, setzte sich, nachdem sie sich gegen die übrigen höflich verneiget, wiederum nieder, und fing ihre Erzehlung folgender massen an:

Es ist etwas schweres, meine Lieben, daß eine Frau von solchen Jahren, als ich bin, annoch von ihrer Jugend reden soll, weil gemeiniglich darbey viele Thorheiten vorzukommen pflegen, die einem reiffern Verstande verächtlich sind, doch da das menschliche Leben überhaupt ein Zusammenhang [306] vieler Thorheiten, wiewohl bey einem mehr als bey dem andern zu nennen ist, will ich mich nicht abschrecken lassen, dem Befehle meines hertzlich geliebten Schwieger-Vaters Gehorsam zu leisten, und die Aufmerksamkeit edler Freunde zu vergnügen, welche mir als einer betagten Frauen nicht verüblen werden, wenn ich nicht alles mehr in behöriger Zierlichkeit und Ordnung vorzubringen geschickt bin.

Mein Nahme ist Judith van Manders, und bin 1648. eben um selbige Zeit gebohren, da die vereinigten Niederländer wegen des allgemeinen Friedens-Schlusses und ihrer glücklich erlangten Freyheit in grösten Freuden begriffen gewesen. Mein Vater war einer der ansehnlichsten und reichsten Männer zu Middelburg in Seeland wohnhafft, der der Republic so wohl als seine Vorfahren gewiß recht wichtige Dienste geleistet hatte, auch dieserwegen zu einem Mit-Gliede des hohen Raths erwehlet worden. Ich wurde, nebst einer ältern Schwester und zweyen Brüdern, so erzogen, wie es der Stand und das grosse Vermögen unserer Eltern erforderte, deren Haupt-Zweck einzig und allein dieser war, aus ihren Kindern Gottesfürchtige und tugendhaffte Menschen zu machen. Wie denn auch keines aus der Art schlug, als unser ältester Bruder, der zwar jederzeit von aussen einen guten Schein von sich gab, in Geheim aber allen Wollüsten und liederlichem Leben oblage. Kaum hatte meine Schwester das 16te und ich mein 14 des Jahr erreicht, als sich schon eine ziemliche Anzahl junger vornehmer Leute um unsere Bekanntschafft bewarben, [307] indem meine Schwester Philippine vor eine der schönsten Jungfrauen in Middelburg gehalten wurde, von meiner Gesichts-Bildung aber ging die Rede, als ob ich, ohne Ruhm zu melden, nicht allein meine Schwester, sondern auch alles andere Frauenzimmer im Lande an Schönheit übertreffen solte. Doch schrieb man mir als einen besonders grossen Fehler zu, daß ich eines allzu stillen, eigensinnigen,melancholischen, dahero verdrüßlichen temperaments wäre, dahingegen meine Schwester eine aufgeräumte und muntere Lebensart blicken liesse.

Wiewohl ich mich nun um dergleichen Vorwürfe wenig bekümmerte, so war dennoch gesinnet, dergleichen Aufführung bey ein oder anderer Gelegenheit möglichstens zu verbergen, zumalen wenn mein ältester Bruder William dann und wann frembde Cavaliers in unser Hauß brachte. Solches war wenige mahl geschehen, als ich schon an einem, Jan van Landre genannt, einen eiffrigen Liebhaber wahrnahm, dessen gantz besonderer Hertzens-Freund, Joseph van Zutphen, meine Schwester Philippinam ebenfalls aufs äuserste zu bedienen suchte. Eines Abends, da wir solcher Gestalt in zuläßigen Vergnügen beysammen sassen, und aus einem Glücks-Topffe, den Joseph van Zutphen mitgebracht hatte, allerhand lächerliche Loose zohen, bekam ich unter andern eines, worauf geschrieben stund: Ich müste mich von demjenigen, der mich am meisten liebte, 10. mahl küssen lassen. Hierüber entstund unter 6. anwesenden Manns-Personen ein Streit, welcher mir zu entscheiden, anheim [308] gestellet wurde, allein, um viele Weitläufftigkeiten zu vermeiden, sprach ich: Meine Herren! Man giebt mir ohnedem Schuld, daß ich eigensinnig und allzu wunderlich sey, derowegen lasset es dabey bewenden, und erlaubet mir, daß ich mein Armband auf den Boden der Kammer werffe, wer nun selbiges am ersten erhaschet, soll nicht allein mich 10. mahl küssen, sondern auch das Armband zum Angedencken behalten.

Dieser Vorschlag wurde von allen mit besondern Vergnügen angenommen, Joseph aber erwischte am allergeschwindesten das Arm-Band, welches Jan van Landre, der es an dem äusersten Ende nicht fest halten können, ihm überlassen muste. Jedoch er wandte sich zu ihm, und sagte mit grosser Bescheidenheit: Uberlasset mir, mein Bruder, nebst diesem Arm Bande euer darauf hafftendes Recht, wo es euch gefällig ist, zumal da ihr allbereits euer Theil habet, und versichert sein könnet, daß ich dergleichen Kostbarkeit nicht umsonst von euch zu empfangen begehre. Allein Joseph empfand dieses Ansinnen dermassen übel, daß er in hefftigster Erbitterung gegen seinen Freund also heraus fuhr: Wer hat euch die Briefe vorgelesen, Jan van Landre, da ihr behaupten wollet, wie ich allbereits mein Theil habe? Und was wollet ihr mit dergleichen niederträchtigen Zumuthungen bey mir gewinnen? Meinet ihr etwa, daß mein Gemüth so Pöbelhafft beschaffen als das eure? und daß ich eine Kostbarkeit verkaufen soll, die doch weder von euch noch eurer gantzen Freundschafft nach ihrem Werth bezahlet werden kan? Verschonet mich derowegen in Zukunfft [309] mit solchen thörichten Reden, oder man wird euch zeigen, wer Joseph van Zutphen sey.

Indem nun von diesen beyden jungen Stutzern einer so viel Galle und Feuer bey sich führete, als der andere, kam es gar geschwind zum hefftigsten Wort-Streite, und fehlete wenig, daß sie nicht ihre Degen-Klingen in unserer Gegenwart gemessen hätten, doch auf Zureden anderer wurde unter ihnen ein Schein-Friede gestifftet, der aber nicht länger währete, biß auf folgenden Morgen, da beyde mit erwählten Beyständen vor der Stadt einen Zwey Kampff unter sich vornahmen, in welchem Joseph von seinem vormahligen Hertzens-Freunde dem Jan tödtlich verwundet auf dem Platze liegen blieb; der Mörder aber seine Flucht nacht Frankreich nahm, von wannen er gar bald an mich die verliebtesten Briefe schrieb, und versprach, seine Sachen aufs längste binnen einem halben Jahre dahin zu richten, daß er sich wiederum ohne Gefahr in Middelburg dürffte sehen lassen, wenn er nur sichere Rechnung auf die Eroberung meines Hertzens machen könte.

Allein, bey mir war hinführo weder an die geringste Liebe noch Aussöhnung vor Jan van Landre zu gedencken, und ob ich gleich vor der Zeit seinetwegen mehr Empfindlichkeit als vor Joseph und andere Manns-Personen in mir verspüret, so löschete doch seine eigene mit Blut besudelte Hand und das klägliche Angedencken des meinetwegen jämmerlich Entleibten das kaum angezündete Fünklein der Liebe in meinem Hertzen auf einmahl völlig aus, mithin vermehrete sich mein angebohrnes melancholisches[310] Wesen dermassen, daß meinen Eltern dieserhalb nicht allzu wohl zu Muthe wurde, indem sie befürchteten, ich möchte mit der Zeit gar eine Närrin werden.

Meine Schwester Philippine hergegen, schlug ihren erstochenen Liebhaber in wenig Wochen aus dem Sinne, entweder weil sie ihn eben noch nicht starck genug geliebet, oder Lust hatte, dessen Stelle bald mit einem andern ersetzt zu sehen, denn sie war zwar voller Feuer, jedoch in der Liebe sehr behutsam und eckel. Wenige Zeit hernach stellete sich ein mit allen Glücks-Gaben wohlversehener Liebhaber bey ihr dar, er hatte bey einer Gasterey Gelegenheit genommen, meine Schwester zu unterhalten, sich in sie verliebt, den Zutritt in unser Hauß gefunden, ihr Herz fast gäntzlich gewonnen, und es war schon soweit gekommen, daß beyderseits Eltern das öffentliche Verlöbniß zwischen diesen Verliebten anstellen wolten, als dieser mein zukünfftiger Schwager, vor dem ich mich jederzeit verborgen gehalten hatte, meiner Person eines Tages unverhofft, und zwar in meiner Schwester Zimmer, ansichtig wurde. Ich wäre ihm gerne entwischt, allein, er verrannte mir den Paß, so, daß ich mich recht gezwungen sahe, seine Complimenten anzuhören und zu beantworten. Aber! welch ein Unglück entstunde nicht hieraus? Denn der thörichte Mensch, welcher nicht einmahl eine völlige Stunde mit mir umgangen war, veränderte so fort sein gantzes Vorhaben, und wirfft alle Liebe, die er bishero eintzig und allein zu meiner Schwester getragen hatte, nunmehro auf mich, ließ auch gleich folgendes Tages offenhertzig [311] bey den Eltern um meine Person anhalten. Dieses machte eine ziemliche Verwirrung in unserm Hause. Unsere Eltern wolten diese herrliche Parthie durchaus nicht fahren lassen, es möchte auch unter ihren beyden Töchtern betreffen, welche es wolte. Meine Schwester stellete sich über ihren ungetreuen Liebhaber halb rasend an, und ohngeacht ich hoch und teuer schwur, einem solchen Wetterhahne nimmer mehr die ehlige Hand zu geben, so wolte sich doch dadurch keines von allen Interessenten befriedigen lassen. Meine Schwester hätte mich gern mit den Augen er mordet, die Eltern wandten allen Fleiß an, uns zu versöhnen, und versuchten, bald den wankelmüthigen Liebhaber auf vorige Wege zu bringen, bald mich zu bereden, daß ich ihm mein Hertz schenken solte; Allein, es war so wohl eines als das andere vergeblich, indem ich bey meinem einmahl gethanen Schwure beständig zu verharren beschloß, und wenn es auch mein Leben kosten solte.

Wie demnach der Wetterhahn sahe, daß bey mir durchaus nichts zu erhalten war, fing er wiederum an, bey meiner Schwester gelinde Sayten aufzuziehen, und diese spielete ihre Person dermassen schalckhafft, biß er sich aus eigenem Antriebe bequemete, sie auf den Knien um Vergebung seines begangenen Fehlers, und um die vormahlige Gegen-Liebe anzusprechen. Allein, diese vermeinete nunmehro erstlich sich völlige Genugtuung vor ihre beleidigte Ehre zu verschaffen, sagte derowegen, so bald sie ihn von der Erde aufgehoben hatte: Mein Herr! ich glaube, daß ihr mich vor einiger Zeit vollkommen geliebt, auch so viel Merckmahle einer hertzlichen [312] Gegen-Liebe von mir empfangen habt, als ein rechtschaffener Mensch von einem honetten Frauenzimmer verlangen kan. Dem ohngeachtet habt ihr euer veränderliches Gemüthe unmöglich verbergen können. Jedoch es ist vorbey, und es soll euch Seiten meiner alles hertzlich vergeben seyn. Ich schwere auch zu GOTT, daß ich dieser wegen nimmermehr die geringste Feindschafft gegen eure Person hegen, anbey aber auch nimmermehr eure Ehe-Gattin werden will, weil die Furcht wegen der zukünfftigen Unbeständigkeit so wohl euch als mir bloß zur beständigen Marter und Quaal gereichen würde.

Alle Anwesenden stutzten gewaltig hierüber, wandten auch so wohl als der Neu-Verliebte allen Fleiß und Beredsamkeit an, meine Schwester auf bessern Sinn zu bringen, jedoch es halff alles nichts, sondern der unbeständige Liebhaber muste wohlverdienter Weise nunmehro bey beyden Schwestern durch den Korb zu fallen sich belieben lassen.

Solcher Gestalt nun wurden wir beyden Schwestern wiederum ziemlich einig, wiewohl die Eltern mit unsern eigensinnigen Köpffen nicht allerdings zufrieden waren, indem sich bey uns nicht die geringste Lust zu heyrathen, oder wenigstens mit Manns-Personen umzugehen zeigen wolte.

Endlich, da nach erwehnten unglücklichen Heyraths-Tractaten fast anderthalbes Jahr verstrichen war, fand ein junger, etwa 28. Cavalier allerhand artige Mittel, sich bey meiner Schwester einzuschmeicheln. Er hielt starcke Freundschafft mit meinen Brüdern, nennete sich Alexander de [313] la Marck, und war seinem Vorgeben nach von dem Geschlecht des Grafens Lumay de la Marck, der sich vor fast 100. Jahren durch die Eroberung der Stadt Briel in Diensten des Printzen von Oranien einen unsterblichen Ruhm erworben, und so zu sagen, den Grund zur Holländischen Republic gelegt hatte. Unsere Eltern waren mit seiner Anwerbung wohl zufrieden, weil er ein wohlgestalter, bescheidener und kluger Mensch war, der sein grosses Vermögen bey allen Gelegenheiten sattsam hervor blicken ließ. Doch wolten sie ihm das Jawort nicht eher geben, biß er sich deßfalls mit Philippinen völlig verglichen hätte. Ob nun diese gleich ihre Resolution immer von einer Zeit zur andern verschob, so wurde Alexander dennoch nicht verdrüßlich, indem er sich allzuwohl vorstellete, daß es aus keiner andern Ursache geschähe, als seine Beständigkeit auf die Probe zu setzen, und gegentheils wuste ihn Philippine jederzeit mit der holdseeligsten, doch ehrbarsten Freundlichkeit zu begegnen, wodurch seine Gedult und langes Warten sehr versüsset zu werden schien.

Meiner Schwester, Brüdern und ihm zu Gefallen, ließ ich mich gar öffters mit bey ihren angestellten Lustbarkeiten finden; doch aber durchaus von keinem Liebhaber ins Netz bringen, ob sich schon viele deßwegen ziemliche Mühe gaben. Gallus van Witt, unser ehemaliger Liebster, gesellete sich nach und nach auch wieder zu uns, ließ aber nicht den geringsten Unmuth mehr, wegen des empfangenen Korbes, spüren, sondern zeigte ein beständiges freyes Wesen, und sagte ausdrücklich, [314] daß, da es ihm im Lieben auf doppelte Art unglücklich ergangen, er nunmehro fest beschlossen hätte, nimmermehr zu heyrathen. Meine Schwester wünschte ihn also einsmahls, daß er dergleichen Sinnen ändern, hergegen uns alle fein bald auf sein Hochzeit-Fest zu seiner vollkommen schönen Liebste, einladen möchte. Da er aber hierbey mit dem Kopffe schüttelte, sagte ich: So recht Mons. de Witt, nunmehro bin ich euch vor meine Person desto günstiger, weil ihr so wenig Lust als ich zum Heyrathen bezeiget. Er erröthete hierüber und versetzte: Mademoiselle, ich wäre glücklich genung, wenn ich nur den geringsten Theil eurer beyder Gewogenheit wieder erlangen könnte, und euch zum wenigsten als ein Freund oder Bruder lieben dürfte, ob ihr gleich beyderseits mich zu lieben, und ich gleichfalls das Heyrathen überhaupt verredet und verschworen. Es wird euch, sagte hierauff Philippine, mit solchen Bedingungen jederzeit erlaubt, uns zu lieben und zu küssen.

Auf dieses Wort unterstund sich van Witt die Probe mit küssen zu machen, welches wir ihm als einen Schertz nicht verweigern konten, nachhero führete er sich aber bey allen Gelegenheiten desto bescheidener auf.

Eines Tages brachten de la Marck, und meine Brüder, nicht allein den Gallus de Witt, sondern auch einen unbekannten vornehmen See-Fahrer mit sich, der erst neulich von den Bantamischen und Moluccischen Insuln, in Middelburg angelanget war; und wie er sagte, ehester Tages wieder dahin seegeln wolte. Mein Vater hatte so wol als wir [315] andern alle, ein grosses Vergnügen, dessen wundersame Zufälle und den glückseeligen Zustand selbiger Insuln, die der Republic so Vortheilhafftig wären, anzuhören, schien sich auch kein Bedencken zu nehmen, mit der Zeit, einen von seinen Söhnen auf einem Schiffe dahin auszurüsten, worzu denn der Jüngere mehr Lust bezeigte, als der Aeltere. Damit er aber mit diesem erfahrnen See-Manne in desto genauere Kundschafft kommen möchte, wurde derselbe in unserm Hause 3. Tage nach einander aufs beste bewirthet. Nach deren Verlauff bat sich der See-Fahrer bey meinem Vater aus: derselbe möchte seinen vier Kindern erlauben, daß sie nebst Alexander de la Mark und Gallus van Witt, auf seinem Schiffe, selbiges zu besehen, einsprechen dürfften, allwo er dieselben zur Danckbarkeit vor genossene Ehren-Bezeugung so gut als möglich bewirthen, und mit einigen ausländischen geringen Sachen beschencken wolte.

Unsere Eltern liessen sich hierzu leichtlich bereden, also wurden wir gleich folgenden Tages um Mittags-Zeit, von unsern aufgeworffenen Wohlthäter abgeholet und auf sein Schiff geführet, wiewohl mein jüngster Bruder, der sich vergangene Nacht etwas übel befunden hatte, zu Hause bleiben muste. Auf diesem Schiffe fanden wir solche Zubereitungen, deren wir uns nimmermehr versehen hatten, denn die Segel waren alle vom schönsten seidenen Zeuge gemacht, und die Tauen mit vielerley farbigen Bändern umwunden, Ruder und anderes Holzwerk gemahlet und verguldet, und das Schiff inwendig mit den schönstenTapeten ausgeschlagen, [316] wie denn auch die Boots-Leute in solche Liberey gekleidet waren, dergleichende la Mark und Witt ihren Bedienten zu geben pflegten. Ehe wir uns hierüber sattsam verwundern konten, wurde die Gesellschafft durch Ankunfft noch zweyerDamen, und eines wohlgekleydeten jungen Menschen verstärkt, welchen mein Bruder William, auf geheimes Befragen, vor einen französischen jungen Edelmann Nahmens Henry de Frontignan, das eine Frauenzimmer aber, vor seine Schwester Margarithe, und die andere vor dessen Liebste, Antonia de Beziers ausgab. Meine Schwester und ich hatten gar kein Ursach, an unsers Bruders Bericht zu zweiffeln, liessen uns derowegen gar bald mit diesen schönen Damen ins Gespräche ein, und fanden dieselben so wohl, als den vermeynten Frantzösischen Edelmann, von gantz besonderer Klugheit und Beredsamkeit.

Es war angestellet, daß wir auf dem Ober-Deck des Schiffs in freyer Lufft speisen solten, da aber ein in Seeland nicht ungewöhnlicher Regen einfiel, muste dieses unter dem Verdeck geschehen. Mein Bruder that den Vorschlag, was massen es uns allen zu weit grössern Vergnügen gereichen würde, wenn uns unser Wirth bey so guten Winde eine Meile oder etwas weiter in die See, und gegen Abend wieder zurück führen ließe, welches denn niemanden von der Gesellschafft zuwider war, vielmehr empfanden wir so wohl hiebey, als an den herrlichen Tractamenten, wohlklingenderMusic, und nachhero an allerhand ehrbaren Lust-Spielen einen besondern Wohlgefallen. Weil aber unser [317] Wirth, Wetters- und Windes wegen, alle Schau-Löcher hatte zu nageln, und bey hellem Tage Wachs-Lichter anzünden lassen, so kunten wir bey so vielen Lustreichen Zeitvertreibungen nicht gewahr werden, ob es Tag oder Nacht sey, biß die Sonne allbereit vor 2. oder 3. Stunden untergegangen war. Mir kam es endlich sehr bedencklich vor, daß unsere Manns-Personen einander den Wein ungewöhnlich starck zutranken, auch daß die beyden Frantzösischen Damen fast so gut mit sauffen konten als das Manns-Volk. Derowegen gab ich meiner Schwester einen Winck, welche sogleich folgte, und mit mir auf das Oberdeck hinauff stieg, da wir denn, zu unser beyder grösten Mißvergnügen, einen schwartz gewölckten Himmel, nebst annoch anhaltenden starcken Regen, um unser Schiff herum lauter schäumende Wellen entsetzlich, von ferne aber, den Glantz eines kleinen Lichts gewahr wurden.

Es wurde gleich verabredet unsern Verdruß zu verbergen, derowegen fing meine Schwester, so bald wir wieder zur andern Gesellschafft kamen, nur dieses zu sagen an: Hilff Himmel meine Freunde! es ist allbereits Mitternacht. Wenn wollen wir wieder nach Middelburg kommen? und was werden unsere Eltern sagen? Gebet euch zufrieden meine Schwestern, antwortete unser Bruder William, ich will bey den Eltern alles verantworten, folget nur meinem Beispiele, und lasset euch von euren Liebhabern also umarmen, wie ich diesen meinen Hertzens-Schatz umarme. Zu gleicher Zeit nahm er die Margarithe vom Stuhle, und setzte sie auf [318] seinen Schooß, welche alles geduldig litte, und als die ärgste Schand-Metze mit sich umgehen ließ. Der vermeynte Edelmann, Henry, that mit seiner Buhlerin ein gleiches, jedoch Alexander undGallus scheueten sich dem Ansehen nach noch in etwas, mit uns beyden Schwestern auf eben diese Arth zu verfahren, ohngeachtet sie von unsern leiblichen Bruder hierzu trefflich angefrischet wurden.

Philippine und ich erstauneten über dergleichen Anblick, wusten aber noch nicht, ob es ein Schertz heissen solte, oder ob wir im Ernst verrathen oder verkaufft wären. Jedennoch verliessen wir die unkeusche Gesellschafft, rufften Gegenwärtige meine Schwägerin, des edlen Stephani noch itzige Ehe-Gemahlin, damahls aber, als unsere getreue Dienerin herbey, und setzten uns, in lauter verwirrten Gedancken, bey einer auf dem Oberlof des Schiffs brennend stehenden Laterne nieder.

Der verfluchte Wohlthäter, nemlich unser vermeintlicher Wirth, welcher sich als ein Vieh besoffen hatte, kam hinauff und sagte mit stammlender Zunge: Sorget nicht ihr schönen Kinder! ehe es noch einmahl Nacht wird, werdet ihr in euren Braut-Bette liegen. Wir wolten weiter mit ihm reden; Allein das überflüßig eingeschlungene Geträncke suchte seinen Außgang bey ihm überall, auf so gewaltsame Art, daß er auf einmahl als ein Ochse darnieder stürtzte, und uns, den gräßlichen Gestank zu vermeiden, eine andere Stelle zu suchen zwunge.

Philippine und ich waren bey dergleichen schändlichen spectacul fast ausser Sinnen gekommen, und [319] fielen in noch stärckere Verzweiffelung, als gegenwärtige unsere getreue Sabina plötzlich in die Hände schlug, und mit ängstlichen Seuffzen schrye: Ach meine liebsten Jungfrauen! Wir sind, allem Ansehen nach, schändlich verrathen und verkaufft, werden auch ohne ein besonderes Wunderwerk des Himmels, weder eure Eltern, noch die Stadt Middelburg jemals wieder zu sehen kriegen. Derowegen lasset uns nur den festen Entschluß fassen, lieber unser Leben, als die Keuschheit und Ehre zu verlieren. Auf ferneres Befragen gab sie zu verstehen; Daß ein ehrliebender auf diesem Schiffe befindlicher Reisender ihr mit wenig Worten so viel gesagt: Daß sie an unsern bevorstehenden Unglücke nicht den geringsten Zweifel tragen könne.

Wie gesagt, wir hätten solchergestalt verzweiffeln mögen, und musten unter uns Dreien alle Mittel anwenden, der bevorstehenden Ohnmacht zu entgehen; als ein resoluter Teutscher, Nahmens Simon Heinrich Schimmer, Jacob Larson ein Schwede, und gegenwärtiger David Rawkin ein Engelländer, (welche alle Drey nachhero allhier meine werthen Schwäger worden sind,) nebst noch 2. andern redlichen Leuten, zu unserm Troste bey uns erschienen. Schimmer führete das Wort in aller stille, und sagte: Glaubet sicherlich, schönsten Kinder, daß ihr durch eure eigenen Anverwandten und Liebhaber verrathen worden. Zum Unglück haben ich und diese redlichen Leute solches itzo erst vor einer Stunde von einem getreuen Boots-Knechte erfahren, da wir schon sehr weit vom festen Lande entfernet sind, sonsten wolten wir euch gar bald in [320] Freyheit gesetzt haben; Allein nunmehro ist es unmöglich, wir hätten denn das Glück uns in künfftigen Tagen einen stärckern Anhang zu verschaffen. Solte euch aber immittelst Gewalt angethan werden, so ruffet um Hülffe, und seid völlig versichert, daß zum wenigsten wir 5. wehrhafften Leute, ehe unser Leben dran setzen, als euch schänden lassen wollen.

Wir hatten kaum Zeit, drey Worte, zu bezeugung unserer erkänntlichen Danckbarkeit, gegen diese 5. vom Himmel zugesandten redlichen Leute, vorzubringen; als unser leichtfertiger Bruder, von de la Mark und Witt begleitet, herzu kamen, uns hinunter zu holen. Witt stolperte über den in seinem Unflath liegenden Wirth her, und balsamierte sich und seine Kleider so, daß er sich als eine Bestie hinweg schleppen lassen muste, William sank gleichfalls, da er die freye Lufft empfand, zu Boden, de la Mark aber war noch bey ziemlichen Verstande, und brachte es durch viele scheinheilige Reden und Liebkosungen endlich dahin, daa Philippine, ich und unsere Sabina, uns endlich betäuben liessen, wieder hinunter in die Cajute zu steigen.

Aber, o welch ein schändlicher Spectacul fiel uns allhier in die Augen. Der saubere Frantzösische von Adel saß, zwischen den zweyen verfluchten Schand-Huren, Mutternackend vor dem Camine, und zwar in einer solchen ärgerlichen Stellung, daß wir mit lauten Geschrey zurück fuhren, und uns in einen besondern Winckel mit verhülleten Angesichtern versteckten.

De la Mark kam hinter uns her, und wolte aus [321] der Sache einen Schertz machen, allein Philippine sagte: Bleibet uns vom Halse ihr vermaledeyten Verräter, oder der erste, der uns angreifft, soll auf der Stelle mit dem Brod-Messer erstochen werden. Weiln nun de la Mark spürete, daß wenig zu thun sey, erwartete er so wol, als wir, in einem andern Winckel des Tages. Dieser war kaum angebrochen, als wir uns in die Höhe machten und nach dem Lande umsahen, allein es wolte sich unsern begierigen Augen, ausser dem Schiffe, sonsten nichts zeigen, als Wasser und Himmel. Die Sonne ging ungemein hell und klar auf, fand alle andern im festen schlafe liegen, uns drey Elenden aber in schmertzlichen Klagen und heissen Thränen, die wir anderer Menschen Boßheit wegen zu vergiessen Ursach hatten.

Kaum hatten die vollen Sauen den Rausch ausgeschlafen, da die gantze ehrbare Zunfft zum Vorscheine kam, und uns, mit ihnen Caffee zu trinken nöthigte. An statt des Morgen-Grusses aber, lasen wir unserm gottlosen Bruder ein solches Capitel, worüber einem etwas weniger ruchlosen Menschen hätten die Haare zu Berge stehen mögen. Doch dieser Schand-Fleck der Natur verlachte unsern Eifer anfänglich, nahm aber hernach eine etwas ernsthafftere miene an, und hielt folgende Rede: Lieben Schwestern, seyd versichert, daß, ausser meiner Liebsten Margaretha, mir auf der Welt niemand lieber ist als ihr, und meine drey besten Freunde, nemlich: Gallus, Alexander undHenry. Der erste, welcher dich Judith aufs allerheftigste liebet, ist zur gnüge bekannt. Alexander, ob er gleich bißhero [322] so wol als Henry nur ein armer Schlucker gewesen; hat alle Eigenschafften an sich, Philippinen zu vergnügen, und vor die gute Sabina wird sich auch bald ein braver Kerl finden. Derowegen, lieben Seelen, schicket euch in die Zeit. Nach Middelburg wiederum zu kommen, ist unmöglich, alles aber, was ihr nöthig habt, ist auf diesem Schiff vorrätig anzutreffen. Auf der Insul Amboina werden wir unsere zukünfftige Lebens-Zeit ingesamt in grösten Vergnügen zubringen können, wenn ihr nur erstlich eure eigensinnigen Köpffe in Ordnung gebracht, und nach unserer Lebens-Art eingerichtet habt.

Nunmehro war mir und meiner Schwester ferner unmöglich, uns einer Ohnmacht zu erwehren, also sanken wir zu Boden, und kamen erstlich etliche Stunden hernach wieder in den Stand, unsere Vernunfft zu gebrauchen, da wir uns denn in einer besondern Schiffs-Kammer allein, unter den Händen unserer getreuen Sabina befanden. Diese hatte mittlerweile von den beyden schändlichen Dirnen das gantze Geheimniß, und zwar folgenden Umständen nach, erfahren.

Gallus van Witt, als der Haupt-Urheber unsers Unglücks, hat gleich nach seinem, bey beyden Schwestern umgeschlagenen Liebes-Glücke, die allervertrauteste Freundschafft mit unserm Bruder William gemacht, und demselben vorgestellet: Daß er ohnmöglich leben könne, er müsse denn eine von dessen Schwestern zur Frau haben, und solte er auch sein gantzes Vermögen, welches bey nahe in 2. Tonnen Goldes bestünde, dran setzen. William versichert [323] ihn seines geneigten Willens hierüber, verspricht sich in allen zu seinen Diensten, und beklagt nur, daß er kein Mittel zu erfinden wisse, seines Hertzens-Freundes Verlangen zu stillen. Gallus aber, der seit der Zeit beständig, so wohl auf einen gewaltsamen, als listigen Anschlag gesonnen, führet den William zu dem liederlichen Comœdianten-Volcke, nemlich: Alexandern, Henry, Antonien und Margarithen, da sich denn derselbe sogleich aufs allerhefftigste in die Letztere verliebt, ja sich ihr und den übrigen schändlichen Verräthern gantz zu eigen ergibt. Alexander wird demnach, als der Ansehnlichste, auf des Gallus Unkosten, in solchen Stand gesetzt, sich als einer der vornehmsten Cavaliers aufzuführen und um Philippinen zu werben, mittlerweile kleiden sie einen alten verunglückten See-Räuber, vor einen erfahrnen Ost-Indien-Fahrer an, der unsere Eltern und uns betrügen helffen, ja uns armen einfältigen Kinder in das verfluchte Schiff locken muß, welches Gallus und mein Bruder, zu unserm Raube, so fälschlich mit grossen Kosten ausgerüstet hatten, um damit einen Farth nach denMoluccischen Insuln vorzunehmen. Der letztere, nemlich mein Bruder, hatte nicht allein den Eltern eine erstaunliche Summe Geldes auf listige Art entwendet, sondern auch Philippinens, und meine Kleinodien und Baarschafften mit auf das Schiff gebracht, damit aber doch ja unsere Eltern ihrer Kinder nicht alle auf einmahl beraubt würden, gibt der verteuffelte Mensch dem jüngern Bruder, Abends vorhero, unvermerckt ein starckes Brech-Pulver ein, damit er künfftigen Tages bey der [324] Schiffs-Lust nicht erscheinen, und folglich in unserer Entführung keine Verhinderung machen könne.

Bei solchen unerhörten schändlichen Umständen sahen wir also vollkommen, daß vor uns keine Hoffnung übrig war diesem Unglücke zu entgehen, derowegen ergaben wir uns fast gäntzlich der Verzweiffelung, und wolten uns in der ersten Wuth mit den Brod-Messern selbst ermorden, doch dem Himmel sey Danck, daß unsere liebste und getreuste Sabina damahls weit mehr Verstand als wir besaß, unsere Seelen aus des Satans Klauen zu erretten. Sie wird sich annoch sehr wohl erinnern können, was sie vor Arbeit und Mühe mit uns beyden unglücklichen Schwestern gehabt, und wie sie endlich, da nichts verfangen wolte, in solche Heldenmüthige Worte ausbrach: Fasset ein Hertze, meine gebiethenden Jungfrauen! Lasset uns abwarten, wer sich unterstehen will uns zu schänden, und solche Teufels erstlich ermorden, hernach wollen wir uns der Barmhertzigkeit des Himmels überlassen, die es vielleicht besser fügen wird als wir vermeynen.

Kaum hatte sie diese tapffern Worte ausgesprochen, so wurde ein großer Lermen im Schiffe, und Sabina zohe Nachricht ein, daß ein See-Räuber uns verfolgte, auch vielleicht bald Feuer geben würde. Wir wünschten, daß es ein Frantzose oder Engelländer seyn, der immerhin unser Schiff erobern, und alle Verräther todt schlagen möchte, so hätten wir doch ehe Hoffnung gegen Versprechung einer starcken ranzion, von ihm Ehre und Freyheit zu erhalten. Allein weil der Wind unsern Verräthern günstiger, ausserdem auch unser Schiff sehr [325] wol bestellt, leicht und flüchtig war, so brach die Nacht abermals herein, ehe was weiters vorgieng.

Wir hatten den gantzen Tag ohne Essen sind Trincken zugebracht, liessen uns aber des Nachts von Sabina bereden, etwas zu geniessen, und da weder William noch jemand anders, noch zur Zeit das Hertz hatte vor unsere Augen zu kommen, so verwahreten wir unsere Kammer aufs Beste, und gönneten den von Thränen geschwächten Augen, eine wiewohl sehr ängstliche Ruhe.

Folgendes Tages befanden sich Philippine und Sabina so wohl als ich in erbärmlichen Zustande, denn die gewöhnliche See-Kranckheit setzte uns dermassen hefftig zu, daß wir nichts gewissers als einen baldigen und höchstgewünschten Tod vermutheten; Allein der Himmel hatte selbigen noch nicht über uns verhänget, denn, nachdem wir über 15. Tage im ärgsten phantasieren, ja völligen Rasen zugebracht; ließ es sich nicht allein zur Besserung an, sondern unsere Gesundheit wurde nachhero, binnen etlichen Wochen, wider unsern Willen, völlig hergestellet.

Zeitwährender unserer Kranckheit, hatten sich nicht allein die ehrbaren Damen, sondern auch die übrigen Verräter wegen unserer Bedienung viele Mühe geben wollen, waren aber jederzeit garstig empfangen worden. Indem wir ihnen öffters ins Gesichte gespyen, alles, was wir erlangen können, an die Köpffe geworffen, auch allen Fleiß angewendet hatten, ihnen die verhurten Augen auszukratzen. Weßwegen sie endlich vor dienlicher erachtet, sich [326] abwesend zu halten, und die Bedienung einer schon ziemlich alten Magd, welche vor Antonien und Margarithen mitgenommen war, zu überlassen. Nachdem aber unsere Gesundheit wiederum gäntzlich erlangt, und es eine fast unmögliche Sache war, beständig in der düstern Schiffs-Kammer zu bleiben, begaben wir uns, auf unserer liebsten Sabine öffteres Bitten, auf das Obertheil des Schiffs, um bey damahligen schönen Wetter frische Lufft zu schöpffen. Unsere Verräther waren dieses kaum gewahr worden, da die gantze Schaar hertzu kam, zum neuen guten Wohlstande Glück wünschte und hoch betheurete, daß sich unsere Schönheit nach überstandener Kranckheit gedoppelt hervor thäte. Wir beantworteten aber alles dieses mit lauter verächtlichen Worten und Gebärden, wolten auch durchaus mit ihnen keine Gemeinschafft pflegen, liessen uns aber doch endlich durch alltägliches demüthiges und höffliches Zureden bewegen, in ihrer Gesellschafft zu essen und zu trinken, hergegen erzeigten sich unsere standhafften Gemüther desto ergrimmter, wenn etwa Gallus oder Alexander etwas verliebtes vorbringen wolten.

William unterstund sich, uns dieserwegen den Text zu lesen, und vorzustellen, wie wir am klügsten thäten, wenn wir den bißherigen Eigensinn und Widerwillen verbanneten, hergegen unsern Liebhabern gutwillig den Zweck ihres Wunsches erreichen liessen, ehe sie auf verzweyffelte, uns vielleicht noch unanständigere Mittel gedächten, denen wir mit aller unserer Macht nicht widerstehen könnten, da zumahlen alle Hoffnung zur Flucht, oder anderer [327] Erlösung nunmehro vergebens sey. Allein dieser verfluchte Kuppler wurde mit wenigen, doch dermassen hitzigen Worten, und Geberden dergestalt abgewiesen, daß er als ein begossener Hund, wiewohl unter hefftigen Drohungen zurücke ging, und seinen Absendern eine gantz unangenehme Antwort brachte. Sie kamen hierauff selbst, um ihr Heyl nochmals in der Güte, und zwar mit den allerverliebtesten und verpflichtetsten Worten und Betheurungen, zu versuchen, da aber auch diesesmal ihr schändliches Ansinnen verdammet und verflucht, auch ihnen der verwegne Jungfrauen-Raub behertzt zu Gemüthe geführet und zugeschworen wurde, daß sie in alle Ewigkeit kein Theil an uns überkommen solten, hatten wir uns abermals auf etliche Wochen Friede geschafft.

Endlich aber wolte die geile Brunst dieser verhurten Schand-Buben sich weiter durch nichts unterdrücken lassen, sondern in volle Flammen ausbrechen, denn wir wurden einstens in der Nacht von dreyen Schelmen, nemlich Alexander, Gallus und dem Schiffs Quartiermeister plötzlich überfallen, die uns nunmehro mit Gewalt ihren vermaledeyten geilen Lüsten aufopffern wolten. Indem wir uns aber dergleichen Boßheit schon vorlängst träumen lassen, hatten so wohl Philippine und Sabina als ich, beständig ein blosses Taschen-Messer unter dem Haupte zurechte gelegt, und selbiges allbereit zur Wehre gefasset, da unsere Kammer in einem Augenblicke aufgestossen wurde. Alexander warff sich auf meine Schwester,Gallus auf mich, und der Quartiermeister auf die ehrliche Sabinen. [328] Und zwar mit solcher furie, daß wir Augenblicklich zu ersticken vermeynten. Doch aus dieser angestellten schändlichen Comœdie, ward gar bald eine blutige Tragœdie, denn da wir nur ein wenig Lufft schöpfften, und das in den Händen verborgene Gewehr anbringen konten, stiessen wir fast zu gleicher Zeit auf die verfluchten Huren-Hängste loß, so daß unsere Kleider von den schelmischen hitzigen Geblüte ziemlich bespritzt wurden.

Der Quartiermeister blieb nach einem eintzigen außgestossenen brüllenden Seuffzer, stracks todt auf der Stelle liegen, weil ihm die tapffere Sabina, allen Vermuthen nach, mit ihrem grossen und scharffen Messer das Hertz gäntzlich durchstossen hatte. Alexander, den meine Schwester durch den Hals, undGallus, welchen ich in die lincke Bauch-Seite gefährlich verwundet, wichen taumelnd zurück, wir drey Zitterenden aber, schryen aus vollem Halse Zeter undMordio.

William und Henry kamen hertzu gelauffen und wolten Miene machen, ihrer schelmischen Mit-Brüder Blut mit dicken Knütteln an uns zu rächen, zu gleicher Zeit aber erschienen der tapffere Schimmer, Larson, Rawkin und etwa noch 4. oder 6. andere redliche Leute, welche bald Stillestand machten, und uns in ihren Schutz nahmen, auch Angesichts aller andern theuer schwuren, unsere Ehre biß auf die letzte Minute ihres Lebens zu beschirmen. William und Henry musten also nicht allein mit ihrem Anhange zu Creutze kriechen, sondern sich so gar mit ihren Huren aus der besten Schiffs-Kammer heraus werffen lassen, in welche wir eingewiesen, [329] und von Schimmers Anhang Tags und Nachts hindurch wol bewahret wurden. Das schändliche Aas des Quartiermeisters wurde als ein Luder ins Meer geworffen, Alexander und Gallus lagen unter den Händen des Schiffs-Barbieres, Schimmer aber und sein Anhang spieleten den Meister auf dem Schiffe, und setzten die andern alle in ziemliche Furcht, ja da der alte sogenannte Schiffs-Capitain, nebst William und Henry, sich von neuen mausig machen wolten, fehlete es nicht viel, daß beyde Parteyen einander in die Haare gerathen wären, ohngeacht niemand sichere Rechnung machen konte, welches die stärkste wäre.

Solcher Verwirrung ohngeacht wurde die Reise nach Ost-Indien bey favorablen Winde und Wetter dennoch immer eifferig fortgesetzt, welches uns zwar höchst mißfällig war, doch da wir gezwungener Weise dem Verhängniß stille halten musten, richteten sich unsere in etwas ruhigere Sinnen einzig und allein dahin, dessen Ziel zu errathen.

Die um die Gegend des grünen Vor-Gebürges sehr scharf kreuzenden See-Räuber, verursachten so viel, daß sich die streitigen Partheyen des Schiffes auf gewisse Puncte ziemlich wieder vereinigten, um den gemeinschafftlichen Feinden desto bessern Widerstand zu thun, worunter aber der Haupt-Punkt war, daß man uns 3. Frauenzimmer nicht im geringsten kräncken, sondern mit geziemenden Respect alle selbst beliebige Freyheit lassen solte. Demnach lebten wir in einigen Stücken ziemlich vergnügt, kamen aber mit keinem Fusse an Land, ohngeacht schon 3. mal unterwegs frisch Wasser [330] und Victualien von den herum liegenden Insuln eingenommen worden. Gallus undAlexander, die nach etlichen Wochen von ihren gefährlichen Wunden völlig hergestellet waren, scheuen sich uns unter Augen zu treten, William und Henry redeten ebenfalls so wenig, als ihre Huren mit uns, und kurtz zu sagen: Es war eine recht wunderliche Wirthschafft auf diesem Schiffe, biß uns ein Æthiopischer See-Räuber dermassen nahe kam, daß sich die Unserigen genöthiget sahen, mit möglichster Tapferkeit entgegen zu gehen.

Es entstunde dannenhero ein heftiges Treffen, worinnen endlich gegen Abend der Mohr überwunden wurde, und sich mit allen, auf seinem Raub-Schiffe befindlichen, zur Beute übergeben muste. Hierbey wurden 13. Christen-Sclaven in Freyheit, hergegen 29. Mohren in unsere Sclaverey gebracht, anbey verschiedene kostbare Waaren und Kleinodien unter die Siegenden vertheilet, welche nicht mehr als 5. Todte und etwa 12. oder 16. Verwundete zehleten. Nachhero entstund ein grosser Streit, ob das eroberte Schiff versenckt, oder beybehalten werden solte. Gallus und sein Anhang verlangten das Versencken, Schimmer aber setzte sich mit seiner Partey dermassen starck darwider, biß er in so weit durchdrunge, daß alles Volk auf die zwey Schiffe ordentlich getheilet wurde. Also kam Schimmer mit seinem Anhange, worunter auch ich, Philippine und Sabina begriffen waren, auf das Mohrische Schiff, konte aber dennoch nicht verwehren, daß Gallus und Alexander auf selbigem das Commando überkamen, dahingegen William [331] undHenry nebst ihren Schand-Metzen auf dem ersten Schiffe blieben, und aus besonderer Güte eine erbeutete Schand-Hure, die zwar dem Gesichte nach eine weisse Christin, aber ihrer Aufführung nach ein von allen Sünden geschwärztes Luder war, an Alexandern und Gallus zur Nothelfferin überliessen. Dieser Schand Balg, deren Geilheit unaussprechlich, und die, so wohl mit dem einem als dem andern, das verfluchteste Leben führete, ist nebst uns noch biß hieher auf diese Insul gekommen, doch aber gleich in den ersten Tagen verreckt.

Jedoch behöriger Ordnung wegen, muß in meiner Erzehlung melden, daß damahls unsere beyden Schiffe ihren Lauff eiffrigst nach dem Vorgebürge der guten Hoffnung richteten, aber durch einen lange anhaltenden Sturm davon abgetrieben wurden. Das Middelburgische Schiff verlohr sich von dem Unsern, kam aber am fünfften Tage unverhofft wieder zu uns, und zwar bey solcher Zeit, da es schiene, als ob alles Ungewitter vorbey wäre, und das schönste Wetter zum Vorscheine kommen wolte. Wir ruderten ihm mit möglichsten Kräfften entgegen, weil unsern Commandeurs, die, nebst ihren wenigen Getreuen, wenig oder gar nichts von der künstlichen Seefahrt verstunden, an dessen Gesellschafft nur allzu viel gelegen war. Allein, nach meinen Gedancken hatte die Allmachts-Hand des Allerhöchsten dieses Schiff keiner andern Ursache wegen wieder so nahe zu uns geführet, als, uns allen an demselben ein Zeichen seiner strengen Gerechtigkeit sehen zu lassen, denn wir waren kaum noch [332] eines Büchsen-Schusses weit von einander, als es mit einem entsetzlichen Krachen plötzlich zerschmetterte, und theils in die Lufft gesprengt, theils Stück- weise auf dem Wasser aus einander getrieben wurde, so, daß hiervon auch unser Schiff sich grausamer Weise erschütterte, und mit Pfeil-mäßiger Geschwindigkeit eines Canonen-Schusses weit zurück geschleudert wurde. Dennoch richteten wir unsern Weg wieder nach der unglückseeligen Stelle, um vielleicht noch einige im Meere zapplende Menschen zu erretten, allein, es war hieselbst keine lebendige Seele, auch sonsten nichts als noch einige zerstückte Balcken und Breter anzutreffen.

Was dieser unverhoffte Streich in unsern und der übrigen Gesellschafft Gemüthern vor verschiedene Bewegungen mag verursachet haben, ist leichtlich zu erachten. Wir Schwestern beweineten nichts, als unsers in seinen Sünden hingerafften Bruders arme Seele, erkühneten uns aber nicht, über die Straff-Gerichte des Allerhöchsten Beschwerde zu führen. WieAlexandern und Gallus zu Muthe war, ließ sich leichtlich schliessen, indem sie von selbigem Tage an keine fröliche Miene mehr machen, auch sich um nichts bekümmern konten, sondern das Commando an Mons. Schimmern gutwillig überliessen, der, gegen den nochmahls entstehenden Sturm, die besten und klügsten Verfassungen machte. Selbiger hielt abermahls biß auf den 6ten Tag, und hatte alle unsere Leute dermassen abgemattet, daß sie wie die Fliegen dahin fielen, und nach gehaltener Ruhe im Essen und Trincken die verlohrnen Kräffte wieder suchten, [333] ob schon kein eintziger eigentlich wissen konte, um welche Gegend der Welt wir uns befänden.

Fünff Wochen lieffen wir also in der Irre herum, und hatten binnen der Zeit nicht allein viele Beschädigungen an Schiffe erlitten, sondern auch alle Ancker, Mast und besten Seegel verlohren, und zum allergrösten Unglücke ging mit der 6ten Woche nicht allein das süsse Wasser, sondern auch fast aller Proviant zum Ende, doch hatte der ehrliche Schimmer die Vorsicht gebraucht, in unsere Kammer nach und nach heimlich so viel einzutragen, worvon wir und seine Freunde noch einige Wochen länger als die andern gut zu leben hatten; dahingegen Alexander, Gallus und andere allbereit anfangen musten, Leder und andere noch eckelere Sachen zu ihrer Speise zu suchen.

Endlich mochte ein schändlicher Bube unsere liebeSabina an einem harten Stücke Zwieback haben nagen sehen, weßwegen so gleich ein Lermen entstund, so, daß viele behaupten wolten, es müste noch vor alle Vorrath genug vorhanden seyn. Derowegen rotteten sich etliche zusammen, brachen in unsere Kammer ein, und da sie noch vor etwa zehn Personen auf 3. Wochen Speise darinnen fanden, wurden wir dieser wegen erbärmlich, ja fast biß auf den Tod von ihnen geprügelt. Mons. Schimmer hatte dieses Lerm nicht so bald vernommen, als er mit seinen Freunden herzu kam, und uns aus ihren Händen retten wolte, da aber so gleich einer von seiner Partey darnieder gestochen wurde, kam es zu einem solchen entsetzlichen Blutvergiessen, daß, wenn ich noch daran gedencke, mir die Haare zu [334] Berge stehen. Alexander und Gallus, welche sich nunmehro als öffentliche Rädels-Führer und abgesagte Feinde darstelleten, auchSchimmern ziemlich ins Haupt verwundet hatten, musten alle beyde von seinen Händen sterben, und da die andern seiner Löwen-mäßigen Tapfferkeit nachahmeten, wurden ihre Feinde binnen einer Stunde meistens vertilget, die übrigen aber baten mit Aufzeigung ihrer blutigen Merckmahle um Gnade und Leben.

Es waren nunmehro in allen noch 25. Seelen auf dem Schiffe, worunter 5. Mohren und das schändliche Weibs-Bild begriffen waren, diese letztere wolteSchimmer durchaus ins Meer werfen, allein auf mein und meiner Schwester Bitten ließ ers bleiben. Aller Speise-Vorrath wurde unter die Guten und Bösen in zwey gleiche Theile getheilet, ohngeacht sich der Frommen ihrer 14. der Bösen aber nur 11. befanden, nachdem aber das süße Wasser ausgetrunken war, und wir uns nur mit zubereiteten See-Wasser behelfen musten, riß die schädliche Kranckheit, nehmlich der Schaarbock, als mit welchen ohnedem schon viele befallen worden, auf einmahl dermassen hefftig ein, daß in wenig Tagen von beyden Theilen 10. Personen sturben. Endlich kam die Reihe auch an meine liebe Schwester, welche ich mit bittern Thränen und Sabinens getreuer Hülffe auf ein Bret band, und selbige den wilden Fluthen zum Begräbniß übergab. Es folgten ihr kurtz darauf noch 5. andere, die theils vom Hunger, theils von der Kranckheit hingerafft wurden, und da wir übrigen, nemlich: Ich, Sabina, Schimmer, Larson, Rawkin, [335] Schmerd, Hulst, Farding, und das schändliche Weibs-Bild, die sich Clara nennete, auch nunmehro weder zu beissen, noch zu brocken hatten, über dieses von erwehnter Kranckheit hefftig angegriffen waren, erwarteten wir fast täglich die letzte Stunde unseres Lebens. Allein, die sonderbare gnädige Fügung des barmhertzigen Himmels führete uns endlich gegen diesen von aussen wüste scheinenden Felsen, in der That aber unsern werthen Errettern in die Hände, welche keinen Augenblick versäumten, die allerelendesten Leute von der gantzen Welt, nemlich uns, in beglücktern, ja in den allerglückseeligsten Stand auf Erden zu versetzen. Schmerd, Hulst undFarding, die 3. redlichen und frommen Leute, musten zwar so wohl als die schandbare Clara, gleich in den ersten Tagen allhier ihren Geist aufgeben, doch wir noch übrigen 5., wurden durch GOttes Barmhertzigkeit und durch die gute Verpflegung dieser frommen Leute erhalten. Wie nachhero ich meinem liebsten Alberto, der mich auf seinem Rücken in dieses Paradies getragen, und wie diese liebe Sabina ihrem GemahlStephano, der ihr eben dergleichen Gütigkeit erwiesen, zu Theile worden, auch was sich weiter mit uns damahls neu angekommenen Gästen zugetragen, wird vielleicht ein andermal bequemlicher zu erzehlen seyn, wiewohl ich nicht zweyffele, daß es mein liestber Schwieger-Vater geschickter als ich verrichten wird. Voritzo bitte nur mit meinem guten Willen zufrieden zu seyn.

Also endigte die angenehme Matrone vor dieses mahl ihre Erzehlung, weil es allbereits ziemlich späte[336] war. Wir danckten derselben darvor mit einem liebreichen Hand-Kusse, und legeten uns hernach sämmtlich zur Ruhe, nahmen aber nächstfolgenden Morgen unsere Lust-Fahrt auf Christians-Raum zu. Hieselbst waren nicht mehr als 10. wohl erbauete Feuer-Stätten, nebst darzu gehörigen Scheuern, Ställen, und ungemein schönen Garten-Wercke anzutreffen, anbey die Haupt-Schleusen des Nord-Flusses, nebst dem Canal, der das Wasser zu beliebiger Zeit in die kleine See zu führen, durch Menschen-Hände ausgegraben war, wohl Betrachtenswürdig. Diese Pflanz-Stadt lag also zwischen den Flüssen ungemein lustig, hatte zwar in ihrem Bezirck keine Weinberge, hergegen so wohl als andere ein vortrefflich wohlbestelltes Feld, Holtzung, Wild und herrlichen Fischfang. Vor die gute Aufsicht, und Besorgung wegen der Brücken und Schleusen, musten ihnen alle andern Einwohner der Insul sonderlich verbunden seyn, auch davor einen gewissen Zoll an Weine, Saltz und andern Dingen, die sie nicht selbst in der Nähe haben konten, entrichten.

Wir hielten uns allhier nicht lange auf, sondern reiseten, nachdem wir ihnen das gewöhnliche Geschencke gereicht, und die Mittags-Mahlzeit eingenommen hatten, wieder zurück. Abends, zu gewöhnlicher Zeit aber, fing David Rawkin auf Erinnerung des Alt-Vaters denen Versammleten seine Lebens-Geschicht folgender massen zu erzehlen an:

Ich stamme, sagte er, aus einem der vornehmsten Lords-Geschlechte in Engelland her, und bin [337] dennoch im Jahr 1640. von sehr armen Eltern in einer Bauer-Hütte auf dem Dorffe gebohren worden, weiln das Verbrechen meiner Vor-Eltern, so wohl väterlicher als mütterlicher Seite, ihre Nachkommen nicht allein um alles Vermögen, sondern so gar um ihren sonst ehrlichen Geschlechts-Nahmen gebracht, indem sie denselben aus Noth verläugnen, und sich nachhero schlecht weg Rawkins nennen müssen, um nur in einer frembden Provinz ohne Schimpff ruhig, obschon elend, zu leben. Meine Eltern, ob sie gleich unschuldig an allen Ubelthaten der Ihrigen gewesen, waren doch durch derselben Fall gäntzlich mit niedergeschlagen worden, so, daß sie, einem fürchterlichen Gefängnisse und andern Beschwerlichkeiten zu entgehen, mit ihren besten Sachen die Flucht genommen hatten. Doch, wenn sich das Verhängniß einmahl vorgesetzt hat, unglückseelige Menschen nachdrücklich zu verfolgen, so müssen sich auch auf der allersichersten Strasse ihre Feinde finden lassen. So war es meinen Eltern ergangen, denn da sie allbereit weit genung hinweg, also von ihren Verfolgern sicher zu seyn vermeinen, werden die armen Leute des Nachts von einer Rotte Strassen-Räuber überfallen, und biß aufs blosse Hembde ausgeplündert und fortgejagt, so, daß sie kaum mit anbrechenden Tage eine Mühle antreffen können, in welche sie von der barmhertzigen Müllerin aufgenommen und mit etlichen alten Kleidern bedeckt werden. Weiln aber der darzu kommende närrische Müller hierüber scheele Augen macht, und sich so wenig durch meiner Eltern gehabtes Unglück, als durch meiner Eltern [338] Schönheit und Zärtlichkeit zum Mitleiden bewegen lässet, müssen sie, nachdem er doch aus besondern Gnaden ihnen ein halbes Brod und 2. Käse gegeben, ihren Stab weiter setzen, werden aber von einer Vieh-Magd, die ihnen die barmhertzige Müllerin nachgeschickt, in eine kleine Bauer-Wohnung des nächst-gelegenen Dorffs geführet, anbey wird ihnen eine halbe Guinee an Gelde überreicht, und der Bauers-Frau befohlen, diese Gäste auf der Müllerin Unkosten bestens zu bewirthen.

Also haben meine armen Eltern allhier Zeit genung gehabt, ihr Unglück zu bejammern, anbey aber dennoch die besondere Vorsorge GOttes und die Gütigkeit der Müllerin zu preisen, welche fromme Frau meine Mutter wenigstens wöchentlich ein paar mal besucht, und unter der Hand wider ihres Mannes Wissen reichlich versorget, weiln sie als eine betagte Frau, die weder Kinder noch andere Erben, als ihren unvernünfftigen Mann, dem sie alles zugebracht hatte, sich ein Vergnügen machte, armen Leuten von ihrem Uberflusse gutes zu thun.

In der dritten Woche ihres dasigen Aufenthalts kömmt meine Mutter mit mir ins Wochen-Bette, die Müllerin nebst andern Bauers-Leuten werden zu mei nen Tauff-Zeugen erwehlet, welche erstere die gantze Ausrichtung aus ihren Beutel bezahlet, und meiner Mutter aufs äuserste verbietet, ihr grosses Armuth niemanden kund zu geben, sondern jedermann zu bereden, ihr Mann, als mein Vater, sey ein von einem unruhigen Bischoffe vertriebener Schulmeister.

[339] Dieser Einfall scheinet meinem Vater sehr geschicklich, seinen Stand, Person und gantzes Wesen, allen erforderlichen Umständen nach, zu verbergen, derowegen macht er sich denselben von Stund an wohl zu Nutze, und passieret auch solcher Gestalt vor allen Leuten, als ein abgedanckter Schulmeister, zumal da er sich eine darzu behörige Kleidung verfertigen lässet. Er schrieb eine sehr feine Hand, derowegen geben ihm die daherum wohnenden Pfarr-Herren und andere Gelehrten so viel abzuschreiben, daß er das tägliche Brod vor sich, meine Mutter und mich damit kümmerlich verdienen kan, und also der wohlthätigen Müllerin nicht allzu beschwerlich fallen darff, die dem ohngeacht nicht unterließ, meine Mutter wöchentlich mit Gelde und andern Bedürffnissen zu versorgen.

Doch etwa ein halbes Jahr nach meiner Geburth legt sich diese Wohlthäterin unverhofft aufs krancken Bette nieder, und stirbt, nachdem sie vorhero meine Mutter zu sich kommen lassen, und derselben einen Beutel mit Gold-Stücken, die sich am Werthe höher als 40. Pfund Sterlings belaufen, zu meiner Erziehung eingehändiget, und ausdrücklich gesagt hatte, daß wir dieses ihres heimlich gesammleten Schatz-Geldes würdiger und bedürfftiger wären, als ihr ungetreuer Mann, der ein weit mehreres mit Huren durchgebracht, und vielleicht alles, was er durch die Heyrath mit ihr erworben, nach ihrem Tode auch bald durchbringen würde.

Mit diesem kleinen Capitale sehen sich meine Eltern bey ihren damahligen Zustande ziemlich geholffen, [340] und mein Vater läst sich in den Sinn kommen, seine Frau und Kind aufzupacken, und mit diesem Gelde nach Holland oder Franckreich überzugehen, um daselbst entweder zu Lande oder zur See Kriegs-Dienste zu suchen, allein, auf inständiges Bitten meiner Mutter, läst er sich solche löbliche Gedancken vergehen, und dahin bringen, daß er den erledigten Schulmeister-Dienst in unsern Dorffe annimmt, der jährlich, alles zusammen gerechnet, etwa 10. Pfund Sterlings Einkommens gehabt.

Vier Jahr lang verwaltet mein Vater diesen Dienst in stillen Vergnügen, weil sich sein und meiner Mutter Sinn nun gäntzlich in dergleichen Lebens-Art verliebet. Jedermann ist vollkommen wohl mit ihm zufrieden und bemühet, seinen Fleiß mit ausserordentlichen Geschencken zu vergelten, weßwegen meine Eltern einen kleinen Anfang zu Erkauffung eines Bauer- Gütgens machen, und ihr bißhero zusammen gespartes Geld an Ländereyen legen wollen, weil aber noch etwas weniges an den bedungenen Kauff-Geldern mangelt, siehet sich meine Mutter genöthiget, das letzte und beste gehänckelte Gold-Stück, so sie von der Müllerin bekommen, bey ihrer Nachbarin zu versetzen.

Diese falsche Frau gibt zwar so viele kleine Münze darauf, als meine Mutter begehret, weil sie aber das sehr kennbare Gold-Stück sehr öffters bey der verstorbenen Müllerin gesehen, über dieses mit dem Müller in verbothener Buhlschafft leben mag, zeiget sie das Gold-Stück dem Müller, der dasselbe gegen ein ander Pfand von ihr nimmt, zum [341] Ober-Richter trägt, meinen Vater und Mutter eines Diebstahls halber anklagt, und es dahin bringt, daß beyde zugleich plötzlich, unwissend warum, gefangen und in Ketten und Banden geschlossen werden.

Anfänglich vermeynet mein Vater, seine Feinde am königlichen Hofe würden ihn allhier ausgekundschafft und feste gemacht haben, erschrickt aber desto hefftiger, als man ihn so wohl als meine Mutter wegen des Diebstahls, den sie bey der verstorbenen Müllerin unternommen haben solten, zur Rede setzt. Sintemal aber in diesem Stücke beyde ein gutes Gewissen haben, und fernere Weitläufftigkeiten zu vermeiden, dem Ober-Richter die gantze Sache offenbaren, wer den sie zwar nach fernern weitläufftigen Untersuchungen von des Müllers Anklage loß gesprochen, jedennoch so lange in gefänglicher Hafft behalten, biß sie ihres Standes und Wesens halber gewissere Versicherungen einbrächten, weiln das Vorgeben wegen eines vertriebenen Schulmeisters falsch befunden worden, und der Ober-Richter, ich weiß nicht was vor andere verdächtige Personen, in ihrer Haut gesucht.

Mittlerweile lieff ich armer 6. jähriger Wurm in der Irre herum, und nehrete mich von den Brosamen, die von frembder Leute Tische fielen, hatte zwar öffters Erlaubniß, meine Eltern in ihren Gefängnisse zu besuchen, welche aber, so offt sie mich sahen, die bittersten Thränen vergossen, und vor Jammer hätten vergehen mögen. Da ich nun solcher Gestalt wenig Freude bey ihnen hatte, kam [342] ich künfftig desto sparsamer zu ihnen, gesellete mich hergegen fast täglich zu einem Gänse-Hirten, bey dem ich das Vergnügen hatte, im Felde herum zu lauffen, und mit den mir höchst angenehmen Creaturen, nemlich den jungen und alten Gänsen, zu spielen, und sie hüten zu helffen, wovor mich der Gänse-Hirte mit aller Nothdurfft ziemlich versorgte.

Eines Tages, da sich dieser mein Wohlthäter an einen schattigten Orte zur Ruhe gelegt, und mir dasCommando über die Gänse allein überlassen hatte; kam ein Cavalier mit zweyen Bedienten geritten, welchen ein grosser englischer Hund folgte. Dieser tummelte sich unter meinen Gänsen lustig herum, und biß fast in einem Augenblick 5. oder 6. Stück zu Tode. So klein als ich war, so hefftig ergrimmte mein Zorn über diesen Mörder, lieff derowegen als ein junger Wüterich auf denselben loß, und stieß ihm mit einen bey mir habenden spitzigen Stock dermassen tieff in den Leib hinein, daß er auf der Stelle liegen blieb. Der eine Bediente des Cavaliers kam derowegen schrecklich erbost zurück geritten, und gab mir mit der Peitsche einen ziemlichen Hieb über die Lenden, weßwegen ich noch ergrimmter wurde, und seinem Pferde etliche blutige Stiche gab.

Hierauf kam so wohl mein Meister als der Cavalier selbst herbey, welcher letztere über die Herzhafftigkeit eines solchen kleinen Knabens, wie ich war, recht erstaunete, zumahlen ich denjenigen, der mich geschlagen hatte, noch immer mit grimmigen Gebärden ansahe. Der Cavalier aber ließ sich [343] mit dem Gänse-General in ein langes Gespräch ein, und erfuhr von demselben mein und meiner Eltern Zustand. Es ist Schade, sagte hierauf der Cavalier, daß dieser Knabe, dessen Gesichts-Züge und angeborne Herzhafftigkeit etwas besonderes zeigen, in seiner zarten Jugend verwahrloset werden soll. Wie heissest du, mein Sohn? fragte er mit einer liebreichen Miene, David Rawkin gab ich gantz trotzig zur Antwort. Er fragte mich weiter: Ob ich mit ihm reisen, und bey ihm bleiben wolte, denn er wäre ein Edelmann, der nicht ferne von hier sein Schloß hätte, und gesinnet sey, mich in einen weit bessern Stand zu setzen, als worinnen ich mich itzo befände. Ich besonne mich nicht lange, sondern versprach ihm, gantz gern zu folgen, doch mit dem Bedinge, wenn er mir vor dem bösen Kerl Friede schaffen, und meinen Eltern aus dem Gefängniß helffen wolte. Er belachte das erstere, und versicherte, daß mir niemand Leyd zufügen solte, wegen meiner Eltern aber wolle er mit denn Ober-Richter reden.

Demnach nahm mich derjenige Bediente, welcher mein Feind gewesen, nunmehro mit sehr freundlichen Gebärden hinter sich aufs Pferd, und folgten dem Cavalier, der dem Gänse-Hirten 2. Hände voll Geld gegeben, und befohlen hatte, meinen Eltern die Helffte davon zu bringen, und ihnen zu sagen, wo ich geblieben wäre.

Es ist nicht zu beschreiben, mit was vor Gewogenheit ich nicht allein von des Edelmanns Frau und ihren zwey 8. biß 10. jahrigen Kindern, als einem Sohne und einer Tochter, sondern auch von [344] dem gantzen Hauß-Gesinde angenommen wurde, weil mein munteres Wesen allen angenehm war. Man steckte mich so gleich in andere Kleider, und machte in allen Stücken zu meiner Auferziehung den herrlichsten Anfang. Mein Herr nahm mich wenig Tage hernach mit sich zum Ober-Richter, und würckte so viel, daß meine Eltern, die derselbe im Gefängnisse fast gantz vergessen zu haben schien, auf neue zum Verhör kamen. Kaum aber hatte mein Herr meinen Vater und Mutter recht in die Augen gefasset, als ihm die Thränen von den Wangen rolleten, und er sich nicht enthalten konte, vom Stuhle aufzustehen, sie beyderseits zu umarmen.

Mein Vater sahe sich solcher Gestalt entdeckt, hielt derowegen vor weit schädlicher, sich gegen dem Ober-Richter ferner zu verstellen, sondern offenbarete demselben seinen gantzen Stand und Wesen. Mein Edelmann, der sich Eduard Sadby nennete, sagte öffentlich: Ich bin in meinem Hertzen völlig überzeugt, daß diese armen Leute an dem Laster der beleydigten Majestät, welches ihre Eltern und Freunde begangen haben, unschuldig sind, man verfähret zu scharff, indem man die Straffe der Eltern auch auf die unschuldigen Kinder ausdehnet. Mein Gewissen läst es unmöglich zu, diese Erbarmens-würdigen Standes-Personen mit verdammen zu helffen, ohngeacht ihre Vorfahren seit hundert Jahren her meines Geschlechts Todt-Feinde gewesen sind.

Mit allen diesen Vorstellungen aber konte der ehrliche Eduard nichts mehr ausrichten, als daß [345] meinen Eltern alle ihre verarrestirten Sachen wiedergegeben, und sie in einer, ihrem Stande nach, leidlichern Verwahrung gehalten wurden, weil der Ober-Richter zu vernehmen gab, daß er sie, seiner Pflicht gemäß, nicht eher völlig loß geben könne, biß er die gantze Sache nach Londen berichtet, und von da her Befehl empfangen hätte, was er mit ihnen machen solte. Hiermit musten wir vor dieses mahl alle zu frieden seyn, ich wurde von ihnen viele hundert mahl geküsset, und muste mit meinem gütigen Pflege-Vater wieder auf sein Schloß reisen, der mich von nun an so wohl als seine leiblichen Kinder zu verpflegen Anstalt machte, auch meine Eltern mit hundert Pfund Sterlings, ingleichen mit allerhand Standes-mäßigen Kleidern und andern Sachen beschenckte.

Allein, das Unglück war noch lange nicht ermüdet, meine armen Eltern zu verfolgen, denn nach etlichen Wochen lieff bey dem Ober-Richter ein Königlicher Befehl ein, welcher also lautete: Daß ohngeacht wider meine Eltern nichts erhebliches vorhanden wäre, welches sie des Verbrechens ihrer Verwandten, mitschuldig erklären könne, so solten sie dem ohngeacht, verschiedener Muthmassungen wegen, in das Staats-Gefängniß nach London geliefert werden.

Diesemnach wurden dieselben unvermuthet dahin geschafft, und musten im Tour, obgleich als höchst-unschuldig befundene, dennoch ihren Feinden zu Liebe, die ihre Güter unter sich getheilet, so lange schwitzen, biß sie etliche Monate nach des Königs Enthauptung, ihre Freyheit nebst der Hoffnung [346] zu ihren Erb-Gütern, wieder bekamen; allein der Gram und Kummer hatte seit etlichen Jahren beyde dermassen entkräfftet, daß sie sich in ihren besten Jahren fast zugleich aufs Krancken-Bette legten, und binnen 3. Tagen einander im Tode folgeten.

Ich hatte vor dem mir höchst-schmerzlichen Abschiede noch das Glück, den Väterlichen und Mütterlichen letzten Seegen zu empfangen, ihnen die Augen zuzudrücken, anbey ein Erbe ihres gantzen Vermögens, das sich etwa auf 150. Pfund Sterl. nebst einem grossen Sacke voll Hoffnung belieff, zu werden.

Eduard ließ meine Eltern Standes-mäßig zur Erden bestatten, und nahm sich nachhero meiner als ein getreuer Vater an, allein, ich weiß nicht, weßwegen er hernach im Jahre 1653. mit dem Protector Cromwel zerfiel, weßwegen er ermordet, und sein Weib und Kinder in ebenso elenden Zustand gesetzt wurden, als der meinige war.

Mit diesem Pfeiler fiel das gantze Gebäude meiner Hoffnung, wiederum in den Stand meiner Vor-Eltern zu kommen, gäntzlich darnieder, weil ich als ein 13. Knabe keinen eintzigen Freund zu suchen wuste, der sich meiner mit Nachdruck annehmen möchte. Derowegen begab ich mich zu einem Kauffmanne, welchen Eduard meinetwegen 200. Pfund Sterlings auf Wucher gegeben hatte, und verzehrete bey ihm das Interesse. Dieser wolte mich zwar zu seiner Handthierung bereden, weil ich aber durchaus keine Lust darzu hatte, hergegen entweder ein Gelehrter oder ein Soldat werden wolte, [347] muste er mich einem guten Meister der Sprachen übergeben, bey dem ich mich dergestalt angriff, daß ich binnen Jahres Frist mehr gefasset, als andere, die mich an Jahren weit übertraffen.

Eines Tages, da ich auf denjenigen Platz spatzieren ging, wo ein neues Regiment Soldaten gemustert werden solte, fiel mir ein Mann in die Augen, der von allen andern Menschen sonderbar respectieret wurde. Ich fragte einen bey mir stehenden alten Mann: Wer dieser Herr sey? und bekam zur Antwort: Daß dieses derjenige Mann sey, welcher der gantzen Nation Freyheit und Glückseeligkeit wieder hergestellet hätte, der auch einem jeden Unterdrückten sein rechtes Recht verschaffte. Wie heisset er mit Nahmen? war meine weitere Frage, worauf mir der Alte zur Antwort gab: Er heisset Oliverius Cromwell, und ist nunmehro des gantzen Landes Protector.

Ich stund eine kleine Weile in Gedancken, und fragte meinen Alten nochmals: Solte denn dieser Oliverius Cromwell im Ernste so ein redlicher Mann seyn?

Indem kehrete sich Cromwell selbst gegen mich, und sahe mir starr unter die Augen. Ich sahe ihn nicht weniger starr an, und brach plötzlich mit unerschrockenem Muthe in folgende Worte aus: Mein Herr, verzeihet mir! ich höre, daß ihr derjenige Mann seyn sollet, der einem jeden, er sey auch wer er sey, sein rechtes Recht verschaffe, derowegen liegt es nur an euch, dieserwegen eine Probe an mir abzulegen, weil schwerlich ein geborner vornehmer Engelländer härter und unschuldiger gedrückt ist als eben ich.

[348] Cromwell ließ seine Bestürzung über meine Freimüthigkeit deutlich genug spüren, fassete aber meine Hand, und führete mich abseits, allwo er meinen Nahmen, Stand und Noth auf einmahl in kurtzen Worten erfuhr. Er sagte weiter nichts darzu, als dieses: Habt kurze Zeit Gedult, mein Sohn! ich werde nicht ruhen, biß euch geholffen ist, und damit ihr glaubet, daß es mein rechter Ernst sey, will ich euch gleich auf der Stelle ein Zeichen davon geben. Hiermit führete er mich mitten unter einen Troupp Soldaten, nahm einem Fähndrich die Fahne aus der Hand, übergab selbige an mich, machte also auf der Stätte aus mir einen Fähndrich, und aus dem vorigen einen Lieutenant.

Mein Monathlicher Sold belieff sich zwar nicht höher als auf 8. Pfund Sterlings, doch Cromwells Freygebigkeit brachte mir desto mehr ein, so, daß nicht allein keine Noth leiden, sondern mich so gut und besser als andere Ober-Officiers aufführen konte. Immittelst verzögerte sich aber die Wiedereinsetzung in meine Güter dermassen, biß Cromwell endlich darüber verstarb, sein wunderlicher Sohn Richard verworffen, und der neue König, Carl der andere, wiederum ins Land geruffen wurde. Bey welcher Gelegenheit sich meine Feinde aufs neue wider mich empöreten, und es dahin brachten, daß ich meine Kriegs-Bedienung verließ, und mit 400. Pfund Sterl. baaren Gelde nach Holland überging, des festen Vorsatzes, mein, mir und meinen Vorfahren so widerwärtiges Vaterland nimmermehr wieder mit einem Fusse zu betreten.

Ich hatte gleich mein zwanzigstes Jahr erreicht, [349] da mich das Glücke nach Holland überbrachte, allwo ich binnen einem halben Jahre viele schöne Städte besahe, doch in keiner derselben einen andern Trost vor mich fand, als mein künfftiges Glück oder Unglück auf der See zu suchen. Weil aber meine Sinnen hierzu noch keine vollkommene Lust hatten, so setzte meine Reise nach Teutschland fort, um selbiges als das Hertz von gantz Europa wohl zu betrachten. Mein Haupt-Absehen aber war entweder unter den Kayserl. oder Chur-Brandenburgl. Völckern Kriegs-Dienste zu suchen, jedoch zu meinem grösten Verdrusse wurde eben Friede, und mir zu gefallen wolte keinem einzigen wiederum Lust ankommen, Krieg anzufangen.

Inzwischen passirete mir auf dem Wege durch den beruffenen Thüringer Wald, ein verzweiffelter Streich, denn als ich eines Abends von einem grausamen Donner-Wetter und Platz-Regen überfallen war, so sahe mich bey hereinbrechender Nacht genöthiget, vom Pferde abzusteigen und selbiges zu führen, biß endlich, da ich mich schon weit verirret und etwa gegen Mitternacht mit selbigen meine Ruhe unter einem grossen Eichbaume suchen wolte, der Schein eines von ferne brennenden Lichts, durch die Sträucher in meine Augen fiel, der mich bewegte meinen Gaul aufs neue zu beunruhigen, um dieses Licht zu erreichen. Nach verfliessung einer halben Stunde war ich gantz nahe dabey, und fand selbiges in einem Hause, wo alles herrlich und in Freuden zugieng, indem ich von aussen eine wunderlich schnarrende Music hörete, und durch das Fenster 5. oder 6. paar Menschen im Tantze erblickte. Mein [350] vom vielen Regen ziemlich erkälteter Leib, sehnete sich nach einer warmen Stube, derowegen pochte an, bat die heraus guckenden Leute um ein Nacht-Quartier, und wurde von ihnen aufs freundlichste empfangen. Der sich angebende Wirth führete mein Pferd in einen Stall, brachte meinen blauen Mantel-Sack in die Stube, ließ dieselbe warm machen, daß ich meine nassen Kleider trocknen möchte, und setzte mir einige, eben nicht unappetitliche Speisen für, die mein hungeriger Magen mit gröster Begierde zu sich nahm. Nachhero hätte mich zwar gern mit drey anwesenden ansehnlichen Manns-Personen ins Gespräche gegeben, da sie aber weder Engel- noch Holländisch, vielweniger mein weniges Latein verstehen konten, und mit zerstückten Deutschen nicht zufrieden seyn wolten, legte ich mich auf die Streu nieder, und zwar an die Seite eines Menschen, welchen der Wirth vor einen bettlenden Studenten ausgab, blieb auch bey ihm liegen, ohngeacht mir der gute Wirth nachhero unter dem Vorwande, daß ich allhier voller Ungeziefer werden würde, eine andere Stelle anwiese.

Ich hatte die Thorheit begangen, verschiedene Gold-Stücke aus meinem Beutel sehen zu lassen, jedoch selbige nachhero so wol als mein übriges Geld um den Leib herum wol verwahret, meinen Mantel-Sack unter den Kopf, Pistolen und Degen aber neben mich gelegt. Allein dergleichen Vorsicht war in so weit vergeblich, da ich in einen solch tiefen Schlaf verfalle, der, wo es GOTT nicht sonderlich verhütet, mich in den Todes-Schlaf versenckt hätte. Denn kaum zwey Stunden nach meinem [351] niederliegen, machten die drey ansehnlichen Manns-Personen, welches in der That Spitzbuben waren, einen Anschlag auf mein Leben, hätten mich auch mit leichter Mühe ermorden können, wenn nicht der ehrliche neben mir liegendestudiosus, welches der nunmehro seelige Simon Heinrich Schimmer war, im verstellten Schlafe alles angehöret, und mich errettet hätte.

Die Mörder nehmen vorhero einen kurtzen Abtritt aus der Stube, derowegen wendet Schimmer allen Fleiß an, mich zu ermuntern, da aber solches unmöglich ist, nimmt er meine zum Häupten liegenden Pistolen und Degen unter seinen Rock, welcher ihm zur Decke dienete, vermerkt aber bald, daß alle drey wieder zurück kommen, und daß einer mit einem grossen Messer in der Hand, mir die Kehle abzuschneiden,miene macht.

Es haben sich kaum ihrer zwey auf die Knie gesetzt, einer nemlich, mir den tödlichen Schnitt zu geben, der andere aber Schimmers-Bewegung in acht zu nehmen, als dieser Letztere plötzlich aufspringet, und fast in einem tempo alle beyde zugleich darnieder schiesset, weil er noch vor meinem niederliegen wahr genommen, daß ich die Pistolen ausgezogen und jede mit 2. Kugeln frisch geladen hatte. Indem ich durch diesen gedoppelten Knall plötzlich auffuhr, erblickte ich, daß der dritte Haupt-Spitz-Bube von Schimmern mit dem Degen darnieder gestochen wurde. Dem ohngeacht hatten sich noch 3. Mannes- und 4. Weibs-Personen vom Lager erhoben, welche uns mit Höltzernen Gewehren darnieder zuschlagen vermeyneten, allein da ich unter Schimmers [352] Rocke meinen Degen fand und zum Zuge kam, wurde in kurtzen reine Arbeit gemacht, so, daß diese 7. Personen elendiglich zugerichtet, auf ihr voriges Lager niederfallen musten. Am lächerlichsten war dieses bey dem gantzen Streite, daß mich eine Weibs-Person, mit einer ziemlich starck angefüllten Katze voll Geld, über den Kopf schlug, so daß mir fast hören und sehen vergangen wäre, da aber diese Amazonin durch einen gewaltigen Hieb über den Kopff in Ohnmacht gebracht, hatte ich Zeit genung, mich ihres kostbaren Gewehrs zu bemächtigen, und selbiges in meinem Busen zu verbergen.

Mittlerweile da Schimmer, mit dem von mir geforderten Kraut und Loth, die Pistolen aufs neue pfefferte, kam der Wirth mit noch zwey Handfesten Kerln hertzu, und fragte: Was es gäbe? Schimmer antwortete: Es giebt allhier Schelme und Spitzbuben zu ermorden, und derjenige so die geringste miene macht uns anzugreiffen, soll ihnen im Tode Gesellschafft leisten. Demnach stelleten sich der Wirth nebst seinen Beiständen, als die ehrlichsten Leute von der Welt, schlugen die Hände zusammen und schryen: O welch ein Anblick? Was hat uns das Unglück heute vor Gäste zugeführet? Allein Schimmer stellete sich als ein anderer Hercules an, und befahl, daß der Wirth sogleich mein Pferd gesattelt hervor führen solte, mittlerweile sich seine zwey Beistände als ein paar Hunde vor der Stuben-Thür niederlegen musten. Wir beyde kleideten uns inzwischen völlig an, liessen mein Pferd heraus führen, die Thür eröffnen, und durch [353] den Wirth den Mantel-Sack aufbinden, reiseten also noch vor Tages Anbruch hinweg, und bedachten hernach erstlich, daß der Wirth vor grosser Angst nicht ein mahl die Zehrungs-Kosten gefordert hatte, vor welche ihm allen Ansehen nach 3. oder 4. Todte, und 6. sehr Verwundete hinterlassen waren.

Wir leiteten das Pferd hinter uns her, und folgeten Schritt vor Schritt, ohne ein Wort miteinander zu reden, dem gebähnten Wege, auch unwissend, wo uns selbiger hinführete, biß endlich der helle Tag anbrach, der mir dieses mal mehr als sonsten, mit gantz besonderer Schätzbarkeit in die Augen leuchtete. Doch da ich mein Pferd betrachtete, befand sich's, daß mir der Wirth, statt meines blauen Mantel-Sacks, einen grünen aufgebunden hatte. Ich gab solches dem redlichen Schimmer, mit dem ich auf dem Wege in Erwegung unserer beyderseits Bestürzung noch kein Wort gesprochen hatte, so gut zu verstehen, als mir die Lateinische Sprache aus dem Munde fliessen wolte, und dieser war so neugierig als ich, zu wissen, was wir vor Raritäten darinnen antreffen würden. Derowegen führeten wir das Pferd seitwärts ins Gebüsche, packten den Mantel-Sack ab, und fanden darinnen 5. verguldete silberne Kelche, 2. silberne Oblaten-Schachteln, vielerley Beschläge so von Büchern abgebrochen war, nebst andern kostbarn und mit Perlen gestickten Kirchen-Ornaten, gantz zuletzt aber kam uns in einem Bündel zusammen gewickelter schwartzer Wäsche, ein lederner Beutel in die Hände, worinnen sich 600. Stück species Ducaten befanden.

[354] Schimmern überfiel bey diesem Funde so wol als mich, ein grausamer Schrecken, so daß der Angst-Schweiß über unsere Gesichter lieff, und wir beyderseits nicht wusten was mit diesen mobilien anzufangen sey. Endlich da wir einander lange genung angesehen, sagte mein Gefährte: Wehrter Frembdling, ich mercke aus allen Umständen daß ihr so ein redliches Hertze im Leibe habt als ich, derowegen wollen wir Gelegenheit suchen, die, zu GOttes Ehre geweyheten Sachen und Heiligthümer, von uns ab- und an einen solchen Orth zu schaffen, von wannen sie wiederum an ihre Eigenthümer geliefert werden können, denn diejenigen, welche vergangene Nacht von uns getödtet und verwundet worden, sind ohnfehlbar Kirchen-Diebe gewesen. Was aber diese 600 spec. Ducaten anbelanget, so halte darvor daß wir dieselben zur recreation vor unsere ausgestandene Gefahr und Mühe wol behalten können. Saget, sprach er, mir derowegen euer Gutachten.

Ich gab zu verstehen daß meine Gedancken mit den Seinigen vollkommen überein stimmeten, also packten wir wiederum auf, und setzten unsern Weg so eilig, als es möglich war, weiter fort, da mir denn Schimmer unterweges sagte: Ich solte mich nur um nichts bekümmern, denn weil ich ohne dem der teutschen Sprache unkundig wäre, wolte er schon alles so einzurichten trachten, daß wir ohne fernere Weitläufigkeit und Gefahr weit genug fortkommen könnten, wohin es uns beliebte.

Es kam uns zwar überaus Beschwerlich vor den gantzen Tag durch den fürchterlichen Wald, [355] und zwar ohne Speise und Tranck zu reisen, jedoch endlich mit Untergang der Sonnen erreichten wir einen ziemlich grossen Flecken, allwo Schimmer sogleich nach des Priesters Wohnung fragte, und nebst mir, vor derselben halten blieb.

Der Ehrwürdige, etwa 60. jährige Priester kam gar bald vor die Thür, welchen Schimmer in Lateinischer Sprache ohngefehr also anredete: Mein Herr! Es möchte uns vielleicht vor eine Unhöfflichkeit ausgelegt werden, bey euch um ein Nacht-Quartier zu bitten, indem wir als gantz frembde Leute in das ordentliche Wirtshaus gehören, allein es zwinget uns eine gantz besondere Begebenheit, in Betrachtung eures heiligen Amts, bey euch Rath und Hülffe zu suchen. Derowegen schlaget uns keins von beyden ab, und glaubet gewiß, daß in uns beyden keine Boßheit, sondern zwey redliche Hertzen befindlich. Habt ihr aber dieser Versicherung ohngeacht ein Mißtrauen, welches man euch in Erwegung der vielen herum schweiffenden Mörder, Spitzbuben und Diebe zu gute halten muß, so brauchet zwar alle erdenckliche Vorsicht, lasset euch aber immittelst erbitten unser Geheimniß anzuhören.

Der gute ehrliche Geistliche machte nicht die geringste Einwendung, sondern befahl unser Pferd in den Stall zu führen, uns selbst aber nöthigte er sehr treuhertzig in seine Stube, allwo wir von seiner Haußfrau, und bereits erwachsenen Kindern, wohl empfangen wurden. Nachdem wir, auf ihr hefftiges Bitten, die Abend-Mahlzeit bey ihnen eingenommen, führete uns der ehrwürdige Pfarrer auf [356] seine Studier-Stube, und hörete nicht allein die in vergangener Nacht vorgefallene Mord-Geschicht mit Erstaunen an, sondern entsetzte sich noch mehr, da wir ihm das auf wunderbare Weise erhaltene Kirchen-Geschmeide und Geräthe aufzeigeten, denn er erkannte sogleich an gewissen Zeichnungen, daß es ohnfehlbar aus der Kirche einer etwa 3 Meilen von seinem Dorffe liegenden Stadt seyn müsse, und hofte, deßfalls sichere Nachricht von einem vornehmen Beamten selbiger Stadt zu erhalten, welcher Morgendes Tages ohnfehlbar zu ihm kommen und mit einer seiner Töchter Verlöbniß halten würde.

Schimmer fragte ihn hierauff, ob wir als ehrliche Leute genung thäten, wenn wir alle diese Sachen seiner Verwahrung und Sorge überliessen, selbige wiederum an gehörigen Ort zu liefern, uns aber, da wir uns nicht gern in fernere Weitläufftigkeiten verwickelt sähen, auf die weitere Reise machten. Der Priester besonne sich ein wenig, und sagte endlich: Was massen er derjenig nicht sey, der uns etwa Verdrießlichkeiten in den Weg zu legen oder gar aufzuhalten gesonnen, sondern uns vielmehr auf mögliche Art forthelffen, und die Kirchen-Güter so bald es thunlich, wieder an ihren gehörigen Orth bringen wolte. Allein meine Herrn, setzte er hinzu, da euch allen beyden die Redlichkeit aus den Augen leuchtet, eure Begebenheit sehr wichtig, und die Auslieferung solcher kostbaren Sachen höchst rühmlich und merckwürdig ist; warum lasset ihr euch einen kleinen Auffenthalt oder wenige Versäumniß abschrecken, GOTT zu Ehren und der[357] Weltlichen Obrigkeit zum Vergnügen, diese Geschichte öffentlich kund zu machen? Schimmer versetzte hierauff: Mein Ehrwürdiger Herr! ich nehme mir kein Bedencken, euch mein gantzes Herz zu offenbaren. Wisset demnach, daß ich aus der Lippischen Grafschafft gebürtig bin, und vor etlichen Jahren auf der berühmten Universität Jena dem studieren obgelegen habe, im Jahr 1655. aber hatte das Unglück, an einem nicht gar zu weit von hier liegenden Fürstlichen Hofe, allwo ich etwas zu suchen hatte, mit einem jungen Cavalier in Händel zu gerathen, und denselben im ordentlichen Duell zu erlegen, weßwegen ich flüchtig werden, und endlich unter Kayserlichen Kriegs-Völckern mit Gewalt Dienste nehmen muste. Weil mich nun dabey wohl hielt, und über dieses ein ziemlich Stück Geld anzuwenden hatte, gab mir mein Obrister gleich im andern Jahre den besten Unter-Officiers Platz, nebst der Hoffnung, daß, wenn ich fortführe mich wohl zu halten, mir mit ehesten eine Fahne in die Hand gegeben werden solte. Allein vor etwa 4. Monathen, da wir in Oesterreichischen Landen die Winter-Quartiere genossen, machte mich mein Obrister über alles vermuthen zum Lieutenant bey seiner Leib-Compagnie, welches plötzliche Verfahren mir den bittersten Haß aller andern, denen ich solchergestalt vorgezogen worden, über den Hals zohe, und da zumalen ein Lutheraner bin, so wurde zum öfftern hinter dem Rücken vor einen verfluchten Ketzer gescholten, der des Obristen Hertz ohnfehlbar bezaubert hätte. Mithin verschworen sich etliche, mir bey ehester Gelegenheit das Lebens-Licht auszublasen, [358] wolten auch solches einesmahls, da ich in ihre Gesellschafft gerieth, zu Wercke richten, allein das Blat wendete sich, indem ich noch bey zeiten mein Seiten-Gewehr ergriff, zwey darnieder stieß, 3. sehr starck verwundete, und nachhero ebenfalls sehr verwundete in Arrest kam.

Es wurde mir viel von harquibousieren vorgeschwatzt, derowegen stellete mich, ohngeacht meine Wunden bey nahe gäntzlich curieret waren, dennoch immer sehr kranck an, biß ich endlich des Nachts Gelegenheit nahm zu entfliehen, meine Kleider bey Regensburg mit einem armen Studioso zu verwechseln, und unter dessen schwarzer Kleidung in ärmlicher Gestalt glücklich durch, und biß in diejenige Mord-Grube des Thüringer Waldes zu kommen, allwo ich diesen jungen Engelländer aus seiner Mörder-Händen befreyen zu helffen das Gluck hatte. Sehet also mein werther Herr, verfolgte Schimmer seine Rede, bey dergleichen Umständen will es sich nicht wol thun lassen, daß ich mich um hiesige Gegend lange aufhalte, oder meinen Nahmen kund mache, weil ich gar leicht, den vor 5. Jahren erzürneten Fürsten, der seinen erstochenen Cavalier wol noch nicht vergessen hat, in die Hände fallen könte. In Detmold aber, allwo meine Eltern seyn, will ich mich finden lassen, und bemühet leben meine Sachen an erwehnten Fürstlichen Hofe auszumachen.

Habt ihr sonsten keine Furcht versetzte hierauff der Priester, so will ich euch bey GOTT versichern, daß ihr um diese Gegend vor dergleichen Gefahr so sicher leben könnet, als in eurem Vaterlande. [359] Da er auch über dieses versprach, mit seinem zukünfftigen Schwieger-Sohne alles zu unsern weit grössern Vortheil und Nutzen einzurichten, beschlossen wir, uns diesem redlichen Manne völlig anzuvertrauen, die 600. spec. Ducaten aber, biß auf fernern Bescheid, zu verschweigen, als welche ich nebst der im Streit eroberten Geld-Katze, in welcher sich vor fast dritthalb hundert teutscher Thaler Silber-Müntze befand, in meine Reit-Taschen verbarg, und Schimmern versprach, so wohl eins als das andre, redlich mit ihm zu theilen.

Mittlerweile schrieb der Priester die gantze Begebenheit an seinen zukünfftigen Eidam, und schickte noch selbige Nacht einen reitenden Boten zu selbigem in die Stadt, von wannen denn der hurtige und redliche Beamte folgenden Morgen bey guter Zeit ankam, und die Kirchen-Güter, welche nur erstlich vor drey Tagen aus dasiger Stadt-Kirchen gestohlen worden, mit grösten Freuden in Empfang nahm. Schimmer und ich liessen uns sogleich bereden mit ihm, nebst ohngefähr 20. wohl bewehrten Bauern zu Pferde, die vortreffliche Herberge im Walde noch einmahl zu besuchen, welche wir denn gegen Mitternacht nach vielen suchen endlich fanden. Jedoch nicht allein der verzweiffelte Wirth mit seiner gantzen Familie, sondern auch die andern Galgen-Vögel waren alle ausgeflogen, biß auf 2. Weibs- und eine Manns-Person, die gefährlich verwundet in der Stube lagen, und von einer Stein alten Frau verpflegt wurden. Diese wolte anfänglich von nichts wissen, stellete sich auch gäntzlich taub und halb blind an, doch endlich nach scharffen Drohungen [360] zeigete sie einen alten wohlverdeckten Brunnen, aus welchen nicht allein die vier käntlichen Cörper, der von uns erschossenen und erstochenen Spitzbuben, sondern über dieses, noch 5. theils halb, theils gäntzlich abgefaulte Menschen-Gerippe gezogen wurden. Im übrigen wurde so wol von den Verwundeten als auch von der alten Frau bekräfftiget, daß der Wirth, nebst den Seinigen und etlichen Gästen, schon gestrigen Vormittags mit Sack und Pack außgezogen wäre, auch nichts zurück gelassen hätte, als etliche schlechte Stücken Hauß-Geräthe und etwas Lebens-Mittel vor die Verwundeten, die nicht mit fortzubringen gewesen. Folgenden Tages fanden sich nach genauerer Durchsuchung noch 13. im Keller vergrabene menschliche Cörper, die ohnfehlbar von diesem höllischen Gastwirthe und seinen verteuffelten Zunfftgenossen ermordet sein mochten, und uns allen ein wehmüthiges Klagen über die unmenschliche Verfolgung der Menschen gegen ihre Neben-Menschen auspresseten. Immittelst kamen die, von dem klugen Beamten bestellte 2. Wagens an, auf welche, da sonst weiter allhier nichts zu thun war, die 3. Verwundeten, nebst der alten Frau gesetzt, und unter Begleitung 10. Handfester Bauern zu Pferde, nach der Stadt zugeschickt wurden.

Der Beambte, welcher, nebst uns und den übrigen, das gantze Hauß, Hoff und Garten nochmals eiffrig durchsucht, und ferner nichts merckwürdiges angetroffen hatte, war nunmehro auch gesinnet auf den Rückweg zu gedencken, Schimmer aber, der seine in Händen habende Rade-Haue von ohngefähr [361] auf den Küchen-Heerd warff, und dabey ein besonderes Getöse anmerckte, nahm dieselbe nochmals auf, that etliche Hiebe hinein, und entdeckte, wider alles Vermuthen, einen darein vermaureten Kessel, worinnen sich, da es nachhero überschlagen wurde, 2000. Thlr. Geld, und bey nahe eben so viel Gold und Silberwerck befand. Wir erstauneten alle darüber, und wusten nicht zu begreiffen, wie es möglich, daß der Wirth dergleichen kostbaren Schatz im Stich lassen können, muthmasseten aber, daß er vielleicht beschlossen, denselben auf ein ander mal abzuholen. Indem trat ein alter Bauer auf, welcher erzehlete: Daß vor etliche 40. Jahren in Kriegs-Zeiten ebenfalls ein Wirth aus diesem Hause, Mord und Dieberey halber, gerädert worden, der noch auf dem Richt-Platze, kurtz vor seinem unbußfertigen Ende, versprochen hätte, einen Schatz von mehr als 4000. Thlr. Werth zu entdecken, daferne man ihm das Leben schencken wolle. Allein die Gerichts-Herren, welche mehr als zu viel Proben seiner Schelmerey erfahren, hätten nichts anhören wollen, sondern das Urtheil an ihm vollziehen lassen. Demnach könne es wol seyn, daß seine Nachkommen hiervon nichts gewust, und diesen unverhofft gefundenen Schatz also entbehren müssen.

Der hierdurch zuletzt noch ungemein erfreute Beamte theilete selbigen versiegelt in etliche Futter-Säcke der Bauren, und hiermit nahmen wir unsern Weg zurück, er in die Stadt, Schimmer und ich, nebst 4. Bauern aber, zu unsern gutthätigen Pfarrer, der über die fernere Nachricht unserer Geschicht [362] um so viel desto mehr Verwunderung und Bestürzung zeigte.

Wir hatten dem redlichen Beamten versprochen, seiner daselbst zu erwarten, und dieser stellete sich am 3ten Tage bey uns ein, brachte vor Schimmern und mich 200. spec. Ducaten zum Geschencke mit, angleichen ein gantz Stück Scharlach nebst allem Zubehör der Kleidungen, die uns zwey Schneiders aus der Stadt in der Pfarr-Wohnung sogleich verfertigen musten. Mittlerweile protocollierte er unsere nochmahlige Außsage wegen dieser Begebenheit, hielt darauff sein Verlöbniß mit des Priesters Tochter, welches Freuden-Fest wir beyderseits abwarten musten, nachhero aber, da sich Schimmer ein gutes Pferd erkauft, und unsere übrige Equippage völlig gut eingerichtet war, nahmen wir von dem guthertzigen Priester und den Seinigen danckbarlich Abschied, liessen uns von 6. Handfesten, wohlbewaffneten und gut berittenen Bauern zurück durch den Thüringer Wald begleiten, und setzten nachhero unsere Reise ohne fernern Anstoß auf Detmold fort, allwo wir von Schimmers Mutter, die ihren Mann nur etwa vor 6. oder 8. Wochen durch den Tod eingebüsset hatte, hertzlich wol empfangen wurden.

Hierselbst theileten wir die, auf unserer Reise wunderbar erworbenen Gelder, ehrlich miteinander und lebten über ein Jahr als getreue Brüder zusammen, binnen welcher Zeit ich dermassen gut Teutsch lernete, daß fast meine Mutter-Sprache darüber vergaß, wie ich mich denn auch in solcher Zeit zur Evangelisch-Lutherischen Religion wandte, [363] und den verwirrten Englischen Secten gäntzlich absagte.

Schimmers Bruder hatte die Väterlichen Güter allbereit angenommen, und ihm etwa 3000. teutscher Thaler heraus gegeben, welche dieser zu Bürgerlicher Nahrung anlegen, und eine Jungfrau von nicht weniger guten Mitteln erheyrathen, mich aber auf gleiche Art mit seiner eintzigen schönen Schwester versorgen wolte. Allein zu meinem grösten Verdrusse hatte sich dieselbe allbereits mit einem wohlhabenden andern jungen Menschen verplempert, so daß meine zu ihr tragende aufrichtige Liebe vergeblich war, und da vollends meines lieben Schimmers Liebste, etwa 3. Wochen vor dem angestellten Hochzeit-Feste, durch den Tod hinweg gerafft wurde; fasseten wir beyderseits einen gantz andern Schluß, nahmen ein jeder von seinem Vermögen 1000. spec. Ducaten, legten die übrigen Gelder in sichere Hände, und begaben uns unter die Holländischen Ost-Indien-Fahrer, allwo wir auf zwey glücklichen Reisen unser Vermögen ziem lich verstärckten, derowegen auch gesonnen waren, die dritte zu unternehmen, als uns die verzweiffelten Verräther, Alexander und Gallus, das Maul mit der Hoffnung eines grossen Gewinstes wässerig machten, und dahin brachten, in ihrer Gesellschafft nach der Insul Amboina zu schiffen.

Was auf dieser Fahrt vorgegangen, hat meine werthe Schwägerin, des Alberti II. Gemahlin, mit behörigen Umständen erzehlet, derowegen will nur noch dieses melden, daß Schimmer und ich eine heimliche Liebe auf die beyden tugendhafften [364] Schwestern, nemlich Philippinen und Judith geworffen hatten, ingleichen daß sich Jacob Larson, der unser dritter Mann und besonderer Hertzens-Freund war, nach Sabinens Besitzung sehnete. Doch keiner von allen dreyen hatte das Hertze, seinem Geliebten Gegenstande die verliebten Flammen zu entdecken, zumahlen da ihre Gemüther, durch damahlige ängstliche Bekümmernisse, einmahl über das andere in die schmerzlichsten Verdrießlichkeiten verfielen. In welchem elenden Zustande denn auch die fromme und keusche Philippine ihr junges Leben kläglich einbüssete, welches Schimmern als ihren ehrerbietigen Liebhaber in geheim 1000. Thränen auspressete, indem ihm dieser Todes-Fall weit heftiger schmertzte, als der plötzliche Abschied seiner ersten Liebste. Ich und Larson hergegen verharreten in dem festen Vorsatze, so bald wir einen sichern Platz auf dem Lande erreicht, unsern beyden Leit-Sternen die Beschaffenheit und Leydenschafft der Hertzen zu offenbaren, und allen Fleiß anzuwenden, ihrer ungezwungenen schätzbaren Gegen-Gunst theilhafftig zu werden. Dieses geschahe nun so bald wir auf hiesiger Felsen-Insul unsere Gesundheit völlig wieder erlangt hatten. Der Vortrag wurde nicht allein guthertzig aufgenommen, sondern wir hatten auch beyderseits Hoffnung bey unsern schönen Liebsten glücklich zu werden. Doch Amias und Robert Hüll brachten es durch vernünfftige Vorstellungen dahin, daß wir insgesamt guter Ordnung wegen unsere Hertzen beruhigten, und selbige auf andere Art vertauschten. Also kam meine innigst geliebte Middelburgische Judith an Albertum [365] II. Sabina an Stephanum, Jacob Larson bekam zu seinem Theile, weil er der älteste unter uns war, auch die älteste Tochter unsers theuren Altvaters, Schimmer nahm mit grösten Vergnügen von dessen Händen die andere, und ich wartete mit innigsten Vergnügen auf meine, ihren zweyen Schwestern an Schönheit und Tugend gleichförmige Christina bey nahe noch 6. Jahr, weil ihr beständig zarter und kränklicher Zustand unsere Hochzeit etliche Jahr weiter, biß ins 1674te hinaus verschobe. Wie vergnügt wir unsere Zeit beyderseits biß auf diese Stunde zugebracht, ist nicht auszusprechen. Mein Vaterland, oder nur einen einzigen Ort von Europa wieder zu sehen, ist niemals mein Wunsch gewesen, derowegen habe mein weniges zurück gelassenes Vermögen, so wohl als Schimmer, gern im Stich gelassen und frembden Leuten gegönnet, bin auch entschlossen, biß an mein Ende dem Himmel unaufhörlichen Danck abzustatten, daß er mich an einen solchen Ort geführet, allwo die Tugenden in ihrer angebornen Schönheit anzutreffen, hergegen die Laster des Landes fast gäntzlich verbannet und verwiesen sind.

Hiermit endigte David Rawkin die Erzehlung seiner und seines Freundes Schimmers Lebens-Geschicht, welche wir nicht weniger als alles Vorige mit besondern Vergnügen angehöret hatten, und uns deßwegen aufs höfflichste gegen diesen 85. jährigen Greiß, der seines hohen Alters ohngeacht noch so frisch und munter, als ein Mann von etwa 40. Jahren war, auffs höfflichste bedanckten. Der Altvater aber sagte zu demselben: Mein werther [366] Sohn, ihr habt eure Erzehlung voritzo zwar kurtz, doch sehr gut gethan, jedennoch seid ihr denen zuletzt angekommenen lieben Freunden den Bericht von euren zweyen Ost-Indischen Reisen annoch schuldig blieben, und weil selbiger viel merkwürdiges in sich fasset, mögen sie euch zur andern Zeit darum ersuchen. Was den Jacob Larson anbelanget, so will ich mit wenigen dieses von ihm melden: Er war ein gebohrner Schwede, und also ebenfalls Lutherischer Religion, seines Handwercks ein Schlösser, der in allerhand Eisen- und Stahl-Arbeit ungemeine Erfahrenheit und Kunst zeigete. In seinem 24. Jahre hatte ihn die gantz besondere Lust zum Reisen aufs Schiff getrieben, und durch verschiedene Zufälle zum fertigen See-Manne gemacht, Ost-und West-Indien hatte derselbe ziemlich durchkrochen, und dabey öffters grossen Reichthum erworben, welchen er aber jederzeit gar plötzlich und zwar öffters aufs gefährlichste, nicht selten auch auf lächerliche Art wiederum verlohren. Dennoch ist er einmahl so standhafft als das andere, auf Besehung frembder Länder und Völker geblieben, und ich glaube, daß er nimmermehr auf dieser Insul Stand gehalten, wenn ihm nicht meine Tochter, die er als seine Frau sehr hefftig liebte, sonderlich aber die bald auf einander folgenden Leibes-Erben, eine ruhigere Lebens-Art eingeflösset hätten. Es ist nicht auszusprechen, wie nützlich dieser treffliche Mann mir und allen meinen Kindern gewesen, denn er hat nicht allein Eisen- und Metall-Steine allhier erfunden, sondern auch selbiges ausgeschmelzt und auf viele Jahre hinaus nützlicheInstrumenten daraus [367] verfertiget, daß wir das Schieß-Pulver zur Noth selbst, wiewohl nicht so gar fein als das Europäische, machen können, haben wir ebenfalls seiner Geschicklichkeit zu dancken, ja noch viel andere Sachen mehr, welche hinführo den Meinigen Gelegenheit geben werden seines Nahmens Gedächtniß zu verehren. Er ist nur vor 6. Jahren seiner seeligen Frauen im Tode gefolget, und hat den seeligen Schimmer etwa um 3. Jahre überlebt, der vielleicht auch noch nicht so bald gestorben wäre, wenn er nicht durch einen umgeschlagenen Balcken bey dem Gebäude seiner Kinder, so sehr beschädigt und ungesund worden wäre. Jedoch sie sind ohnfehlbar in der ewig seeligen Ruhe, welche man ihnen des zeitlichen Lebens wegen nicht mißgönnen muß.

Nunmehro aber meine Lieben, sagte hierbey unser Altvater, wird es Zeit seyn, daß wir uns sämmtlich der Ruhe bedienen, um Morgen geliebtes Gott des seel. Schimmers und seiner Nachkommen Wohnstädte in Augenschein zu nehmen. Demnach folgten wir dessen Rathe in diesem Stück desto williger, weil es allbereit Mitternacht war, folgenden Morgens aber, da nach genossener Ruhe und eingenommenen Früh-Stück, der jüngere Albertus, Stephanus und David mit ihren Gemahlinnen, dieses mal Abschied von uns nahmen, und wiederum zu den ihrigen kehreten, setzten wir übrigen nebst dem Altvater die Reise auf Simons-Raum fort.

Allda nahmen wir erstlich eine feine Brücke über den Nord-Fluß in Augenschein, nebst derjenigen[368] Schleuse, welche auf den Nothfall gemacht war, wenn etwa die Haupt-Schleusen in Christians-Raum nicht vermögend wären den Lauf des Flusses, welcher zu gewissen Zeiten sehr hefftig und schnelle trieb, gnugsamen Widerstand zu thun. Die Pflanz-Stadt selbst bestunde aus 13. Wohnhäusern, worunter aber 3. befindlich, die vor junge Anfänger nur kürtzlich neu aufgebauet, und noch nicht bezogen waren. Ihr Haußhaltungs Wesen zeigte sich denen übrigen Insulanern, der Nahrhafftigkeit und accuratesse wegen, in allen gleichförmig, doch fanden sich ausserdem etliche Künstler unter ihnen, welche die artigsten und nützlichsten Geschirre, nebst andern Sachen, von einem vermischten Metall sauber giessen und ausarbeiten, auch die Formen selbst darzu machen konten, welches der seel. Simon Heinrich Schimmer durch seine eigene Klugheit, und Larsons Beyhülffe erfunden und seine Kinder damit belehret hatte. Im übrigen waren alle, in der Bau-Kunst und andern nöthigen Handthierungen, nach dasiger Art ungemein wohl erfahren.

Nachdem wir allen Haußwirthen daselbst eine kurtze Visite gegeben, und ihr gantzes Wesen wohl beobachtet hatten, begleiteten uns die Mehresten in den grossen Thier-Garten, den der Altvater bereits vor langen Jahren in der Nord-Ost-Ecke der Insul angelegt, und einiges Wild hinein geschaffet hatte, welches nachhero zu einer solchen Menge gediehen und dermassen Zahm worden, daß man es mit Händen greiffen und schlachten konte, so offt man Lust darzu bekam. Dieser schöne Thier-Garten [369] wurde von verschiedenen kleinen Bächlein durchstreifft, die aus der kleinen Oestlichen See gerauschet kamen, und sich in den äusersten Felsen Löchern verlohren. Wir nahmen ermeldte kleine See, welche etwa tausend Schritte im Umfange hatte, wohl in Augenschein, passierten über den Ost-Fluß vermittelst einer verzäunten Brücke, und bemerckten, daß sich selbiger Fluß mit entsetzlichen Getöse in die holen Felsen-Klüffte hinein stürtzte, worbey uns gesagt wurde, was massen er ausserhalb nicht als ein Fluß, sondern in unzehlige Strudels zertheilt, in Gestalt der allerschönsten fontaine wiederum zum Vorscheine käme, und sich solchergestalt in die See verlöhre. Die andere Seite der See, nach Ost-Süden zu, war wegen der vielen starcken Bäche, die ihren Ursprung im Walde aus vielen sumpffigten Oertern nahmen, und durch ihren Zusammenfluß die kleine See machten, nicht wohl zu umgehen, derowegen kehreten wir über die Brücke des Ost-Flusses, durch den Tier-Garten zurück nach Simons-Raum, wurden von dasigen Einwohnern herrlich gespeiset und getränckt, reichten ihnen die gewöhnlichen Geschencke, und kehreten nachhero zurücke. Herr Mag. Schmelzer nahm seinen Weg in die Davids-RaumerAlleé, um daselbst seine Catechismus-Lehren fortzusetzen, wir aber kehreten zurück und halffen biß zu dessen Zurückkunfft am Kirchen-Bau arbeiten, nahmen nachhero auf der Albertus-Burg die Abend-Mahlzeit ein, worauff der Altvater, uns Versammleten den Rest seiner vorgenommenen Lebens-Geschicht mitzutheilen, folgender massen anhub:

[370] Nunmehro wisset, ihr meine Geliebten, wer diejenigen Haupt-Personen gewesen sind, die ich im 1668ten Jahre mit Freuden auf meiner Insul ankommen und bleiben sahe. Also befanden wir uns sämtliche Einwohner derselben 20. Personen starck, als 11. männliches Geschlechts, unter welchen meine beyden jüngsten Zwillinge, Christoph und Christian im 13den Jahre stunden, und dann 9. Weibs-Bilder, worunter meine 11. jährige Töchter Christina und Roberts zwey kleinen Töchter, annoch in völliger Unschuld befindlich waren. Unsere zuletzt angekommenen Frembdlinge machten sich zwar ein grosses Vergnügen mit an die erforderliche Nahrungs-Arbeit zu gehen, auch bequemliche Hütten vor sich zu bauen, jedennoch konten weder ich und die Meinigen, nochAmias und Robert eigentlich klug werden, ob sie gesinnet wären bey uns zu bleiben, oder ihr Glück anderwärts zu suchen. Denn sie brachten nicht allein durch unsere Beyhülffe ihr Schiff mit gröster Mühe in die Bucht, sondern setzten selbiges binnen kurtzer Zeit in Seegelfertigen Zustand. Endlich, da der ehrliche Schimmer alles genauer überlegt, und von unserer Wirtschafft völlige Kundschafft eingezogen hatte, Verliebte er sich in meine Tochter Elisabeth, und brachte seine beyden Gefährten, nemlich Jacob und David dahin, daß sie sich nicht allein auf sein, sondern der übrigen Frembdlinge Zureden, bewegen liessen, ihre beyden Geliebten an meine ältesten Zwillinge abzutreten, hergegen ihre Hertzen auf meine zwey übrigen Töchter zu lencken. Demnach wurden im 1669ten Jahre, Jacob Larson mit Maria, [371] Schimmer mit Elisabeth, mein ältester Sohn mit Judith, und Stephanus mit Sabinen, von mir ehelich zusammen gegeben, der gute David aber, dessen zugetheilte Christina noch allzu jung war, geduldete sich noch etliche Jahr, und lebte unter uns als ein unverdrossener redlicher Mann.

Die Lust ein neues Schiff zu bauen war nunmehro so wol dem Amias, als uns andern allen vergangen, indem das zuletzt angekommene von solcher Güte schiene, mit selbigem eine Reise um die gantze Welt zu unternehmen, jedoch es wurden alle Schätze an Gelde und andern Kostbarkeiten, Waaren, Pulver und Geschütze gäntzlich ausgeladen und auf die Insul, das Schiff selbst aber an gehörigen Orth in Sicherheit gebracht. Nachhero ergaben wir uns der bequemlichsten Hauß-Arbeit und dem Land-Baue dermassen, und mit solcher Gemächlichkeit, daß wir zwar als gute Hauß-Wirthe, aber nicht als eitele Bauch- und Mammons-Diener zu erkennen waren. Das ist so viel gesagt, wir baueten uns mehrere und beqvemlichere Wohnungen, bestelleten mehr Felder, Gärten und Weinberge, brachten verschiedene Werckstädten zur Holz-Stein-Metall- und Saltz-Zurichtung in behörige Ordnung, trieben aber damit nicht den geringsten Wucher, und hatten solchergestalt gar keines Geldes von nöthen, weil ein jeder mit demjenigen, was er hatte, seinen Nächsten umsonst, und mit Lust zu dienen geflissen war.

[372] Im übrigen brachten wir unsere Zeit denmassen vergnügt zu, daß es keinem einzigen gereuete, von dem Schicksal auf diese Insul verbannet zu seyn. Meine liebe Concordia aber und ich waren dennoch wohl die allervergnügtesten, da wir uns nunmehro über die Einsamkeit zu beschweren keine fernere Ursache hatten, sondern unserer Kinder Familien im besten Wachsthum sahen, und zu Ende des 1670ten Jahres allbereit 9. Kindes-Kinder, nehmlich 6. Söhne und 3. Töchter küssen konten, ohngeacht wir dazumahl kaum die Helffte der schrifftmäßigen menschlichen Jahre überschritten hatten, also gar frühzeitig Groß-Eltern genennet wurden.

Unser dritter Sohn, Johannes, trat damahls in sein zwantzigstes Jahr, und ließ in allen seinen Wesen den natürlichen Trieb spüren, daß er sich nach der Lebens-Art seiner älteren Brüder, das ist, nach einem Ehe-Gemahl, sehnete. Seine Mutter und ich liessen uns dessen Sehnsucht ungemein zu Hertzen gehen, wusten ihm aber weder zu rathen noch zu helffen, biß sich endlich der alte Amias des schwermüthigen Jünglings erbarmete, und die Schiff-Fahrt nach der Helenen-Insul von neuem aufs Tapet brachte, sintemahl ein tüchtiges Schiff in Bereitschafft lag, welches weiter nichts als behörige Ausrüstung bedurffte. MeineConcordia wolte hierein anfänglich durchaus nicht willigen, doch endlich ließ sie sich durch die trifftigsten Vorstellungen der meisten Stimmen so wohl als ich überwinden, und willigte, wiewohl mit thränenden Augen, darein, daß Amias, Robert, Jacob, [373] Simon, nebst allen unsern 5. Söhnen zu Schiffe gehen solten, um vor die 3. Jüngsten Weiber zu suchen, wo sie selbige finden könnten. David Rawkin, weil er keine besondere Lust zum Reisen bezeugte, wurde von den andern selbst ersucht, seiner jungen Braut wegen zurück zu bleiben, hergegen gaben sich Stephani, Jacobs und Simons Gemahlinnen von freyem Willen an, diese Reise mit zu thun, und bey ihren Männern gutes und böses zu erfahren. Roberts und Alberts Weiber aber, die ebenfalls nicht geringe Lust bezeigten, dergleichen Fahrt mit zu wagen, wurden genöthiget, bey uns zu bleiben, weil sie sich beyde hoch-schwangern Leibes befanden.

Dennoch gingen binnen wenig Tagen alle Anstalten fast noch hurtiger von statten, als unsere vorherige Entschliessung, und die erwehnten 12. Personen waren den 14. Januar 1671. überhaupt mit allen fertig in See zu gehen, weil das Schiff mit gnugsamen Lebens-Mitteln, Gelde, nothdürfftigen Gütern, Gewehr und dergleichen vollkommen gut ausgerüstet, auch weiter nichts auf demselben mangelte, als etwa noch 2. mahl so viel Personen.

Jedoch der tapffere Amias, als Capitain dieses wenigen Schiffs-Volcks, war dermassen muthig, daß die übrigen alle mit Freuden auf die Stunde ihrer Abfahrt warteten.

Nachdem also Amias, Robert, Jacob und Simon mir einen theuren Eyd geschworen, keine weitern Abendtheuern zu suchen, als diejenigen, so unter uns abgeredet waren, im Gegentheil meine Kinder, so bald nur vor dieselben 3. anständige [374] Weibs-Personen ausgefunden, eiligst wieder zurück zu führen, gingen sie den 16ten Jan. zur Mittags-Zeit freudig unter Segel, stiessen unter unzehligen Glückwünschungen von dieser Insul ab, und wurden von uns Zurückbleibenden mit thränenden Augen und ängstlichen Gebärden so weit begleitet, biß sie sich nach etlichen Stunden sammt ihren Schiffe gäntzlich aus unsern Gesichte verlohren.

Solcher Gestalt kehreten ich, David, und die beyden Concordien zurück in unsere Behausung, allwoJudith und meine jüngste Tochter Christina, auf die kleinen 9. Kinder Achtung zu haben, geblieben waren. Unser erstes war, so gleich sämmtlich auf die Knie nieder zu fallen, und GOTT um gnädige Erhaltung der Reisenden wehmüthigst anzuflehen, welches nachhero Zeit ihrer Abwesenheit alltäglich 3. mahl geschahe. David und ich liessen es uns mittlerweile nicht wenig sauer werden, um unsere übrigen Früchte und den Wein völlig einzuerndten, auch nachero so viel Feld wiederum zu bestellen, als in unsern und der wohlgezogenen Affen Vermögen stund. Die 3. Weiber aber durfften vor nichts sorgen, als die Küche zu bestellen, und die unmündigen Kinder mit Christinens Beyhülffe wohl zu verpflegen.

Jedoch weil sich ein jeder leichtlich einbilden kan, daß wir die Hände allerseits nicht werden in Schooß gelegt haben, und ich ohnedem schon viel von unserer gewöhnlichen Arbeit und Haußhaltungs-Art gemeldet, so will voritzo nur erzehlen, wie es meinen See-fahrenden Kindern ergangen. Selbige [375] hatten biß in die 8te Woche vortrefflichen Wind und Wetter gehabt, dennoch müssen die meisten unter ihnen der See den gewöhnlichen Zoll liefern, allein, sie erholen sich deßfalls gar zeitig wieder, biß auf die eintzige Elisabeth, deren Kranckheit dermassen zunimmt, daß auch von allen an ihren Leben gezweyffelt wird. Simon Schimmer hatte seine getreue eheliche Liebe bey dieser kümmerlichen Gelegenheit dermassen spüren lassen, daß ein jeder von seiner Aufrichtigkeit und Redlichkeit Zeugniß geben können, indem er nicht von ihrer Seite weicht, und den Himmel beständig mit tränenden Augen anflehet, das Schiff an ein Land zu treiben, weil er vermeinet, daß seine Elisabeth ihres Lebens auf dem Lande weit besser als auf der See versichert seyn könne. Endlich erhöret GOtt dieses eyffrige Gebet, und führet sie im mittel der 6ten Woche an eine kleine flache Insel, bey welcher sie anländen, jedoch weder Menschen noch Thiere, ausgenommen Schild-Kröten und etliche Arten von Vögeln und Fischen darauf antreffen. Amias führet das Schiff um so viel desto lieber in einen daselbst befindlichen guten Hafen, weil er und Jacob, als wohlerfahrene See-Fahrer, aus verschiedenen natürlichen Merckzeichen, einen bevorstehenden starcken Sturm muthmassen. Befinden sich auch hierinnen nicht im geringsten betrogen, da etwa 24. Stunden nach ihrem Aussteigen, als sie sich bereits etliche gute Hütten erbauet haben, ein solches Ungewitter auf der See entstehet, welches leichtlich vermögend gewesen, diesen wenigen und theils schwachen Leuten den Untergang zu befördern.

[376] In solcher Sicherheit aber, sehen sie den entsetzlichen Sturm mit ruheriger Gemächligkeit an, und sind nur bemühet, sich vor dem öffters anfallenden Winde und Regen wohl zu verwahren, welcher letztere ihnen doch vielmehr zu einiger Erquickung dienen muß, da selbiges Wasser weit besser und annehmlicher befunden wird, als ihr süsses Wasser auf dem Schiffe.Amias, Robert und Jacob schaffen hingegen in diesem Stücke noch bessern Rath, indem sie an vielen Orten eingraben, und endlich die angenehmsten süssen Wasser-Brunnen erfinden. An andern erforderlichen Lebens-Mitteln aber haben sie nicht den geringsten Mangel, weil sie mit demjenigen, was meine Insul Felsenburg zur Nahrung hervor bringet, auf länger als 2. Jahr wohl versorgt waren.

Nachdem der Sturm dieses mahl vorbey, auch die krancke Elisabeth sich in ziemlich verbesserten Zustande befindet, halten Amias und die übrigen vors rathsamste, wiederum zu Schiffe zu gehen, und ein solches Erdreich zu suchen, auf welchem sich Menschen befänden, doch Schimmer, der sich starck darwider setzt, und seine Elisabeth vorhero vollkommen gesund sehen will, erhält endlich durch hefftiges Bitten so viel, daß sie sämmtlich beschliessen, wenigstens noch 8. Tage auf selbiger wüsten Insul zu verbleiben, ohngeacht dieselbe ein schlechtes Erdreich hätte, welches denen Menschen weiter nichts zum Nutzen darreichte, als einige schlechte Kräuter, aber desto mehr theils hohe, theils dicke Bäume, die zum Schiff-Bau wohl zu gebrauchen gewesen.

Meine guten Kinder hatten nicht Ursach gehabt,[377] diese ihre Versäumniß zu bereuen, denn ehe noch diese 8. Tage vergehen, fällt abermahls ein solches Sturm-Wetter ein, welches das vorige an Grausamkeit noch weit übertrifft, da aber auch dessen 4. tägige Wuth mit einer angenehmen und stillen Witterung verwechselt wird, hören sie eines Morgens früh noch in der Demmerung ein plötzliches Donnern des groben und kleinen Geschützes auf der See, und zwar, aller Muthmassungen nach, gantz nahe an ihrer wüsten Insul. Es ist leicht zu glauben, daß ihnen sehr bange um die Hertzen müsse gewesen seyn, zumahlen da sie bey völlig herein brechenden Sonnen-Lichte gewahr werden, daß ein mit Holländischen Flaggen bestecktes Schiff von zweyen Barbarischen Schiffen angefochten und bestritten wird, der Holländer wehret sich dermassen, daß der eine Barbar gegen Mittag zu Grunde sincken muß, nichts desto weniger setzet ihm der Letztere so grausam zu, daß bald hernach der Holländer in letzten Zügen zu liegen scheinet.

Bey solchen Gefährlichen Umständen vermerckenAmias, Robert, Jacob und Simon, daß sie nebst den Ihrigen ebenfalls entdeckt und verlohren gehen würden, daferne der Holländer das Unglück haben solte, unten zu liegen, fassen derowegen einen jählingen und verzweiffelten Entschluß, begeben sich mit Sack und Pack in ihr mit 8. Canonen besetztes Schiff, schlupffen aus dem kleinen Hafen heraus, gehen dem Barbar in Rücken, und geben zweymahl tüchtig Feuer auf denselben, weßwegen dieser in entsetzliches Schrecken geräth, der Holländer aber neuen Muth bekömmt, und seinen Feind mit [378] frischer recht verzweiffelter Wuth zu Leibe gehet. Die Meinigen lösen ihre Canonen in gemessener Weite noch zweymahl kurtz auf einander gegen den Barbar, und helffen es endlich dahin bringen, daß derselbe von dem Holländer nach einem rasenden Gefechte vollends gäntzlich überwunden, dessen Schiff aber mit allen darauf befindlichen Gefangenen an die wüste und unbenahmte Insel geführet wird.

Der Hauptmann nebst den übrigen Herren des Holländischen Schiffs können kaum die Zeit erwarten, biß sie Gelegenheit haben, meinen Kindern, als ihren tapffern Lebens-Errettern, ihre danckbare Erkänntlichkeit so wohl mit Worten als in der That zu bezeugen, erstaunen aber nicht wenig, als sie dieselben in so geringer Anzahl und von so wenigen Kräfften antreffen, erkennen derohalben gleich, daß der kühne Vorsatz nebst einer geschickten und glücklich ausgeschlagenen List das beste bey der Sache gethan hätten.

Nichts desto weniger bieten die guten Leute den Meinigen die Helfte von allen eroberten Gut und Geldern an, weil aber dieselben ausser einigen geringen Sachen sonsten kein ander Andencken wegen des Streits und der Holländer Höflichkeit annehmen wollen; werden die letztern in noch weit grössere Verwunderung gesetzt, indem sich die ihnen zugetheilte Beute höher als 12000. Thlr. belauffen hatte.

Immittelst, da die Holländer sich genöthiget sehen, zu völliger Ausbesserung ihres Schiffs wenigstens 14. Tage auf selbiger Insul stille zu liegen, [379] beschliessen die Meinigen anfänglich auch, biß zu deren Abfahrt allda zu verharren. Zumahlen, da Amias gewahr wird, daß sich verschiedene, theils noch gar junge, theils schon etwas ältere Frauens-Personen unter ihnen befinden. Er sucht so wohl als Robert, Jacob undSimon, mit selbigen ins Gespräch zu kommen; doch der Letztere ist am glücklichsten, indem er gleich andern Tags darauf, eine, von ermeldten Weibs-Bildern, hinter einem dicken Gesträuche in der Einsamkeit höchst betrübt und weinend antrifft. Schimmer erkundigt sich auf besonders höfliche Weise nach der Ursach ihres Betrübnissses, und erfährt so gleich, daß sie eine Wittbe sey, deren Mann vor etwa 3. Monaten auf diesem Schiffe auch in einem Streite mit den See-Räubern todt geschossen worden, und die nebst ihrer 14. jährigen Stieff-Tochter zwar gern auf dem Cap der guten Hoffnung ihres seel. Mannes hinterlassene Güter zu Gelde machen wolte, allein, sie würde von einem, auf diesem Holländischen Schiffe befindlichen Kauffmanne, dermassen mit Liebe geplagt, daß sie billig zu befürchten hätte, er möchte es mit seinem starcken Anhange und Geschencken also listig zu Karten trachten, daß sie sich endlich gezwungener Weise an ihm ergeben müsse. Schimmer stellet ihr vor, daß sie als eine annoch sehr junge Frau noch gar füglich zur andern Ehe schreiten, und einen Mann, der sie zumahlen hefftig liebte, glücklich machen könne; ob auch derselbe ihr eben an Gütern und Vermögen nicht gleich sey; Allein die betrübte Frau spricht: Ihr habt recht, mein Herr! ich bin noch nicht veraltert, weil sich mein [380] gantzes Lebens-Alter wenig Wochen über 24. Jahr erstreckt, und ich Zeit meines Ehe-Standes nur zwey Kinder zur Welt gebracht habe. Derowegen würde mich auch nicht wegern, in die andere Ehe zu treten, allein, mein ungestümer Liebhaber ist die allerlasterhaffteste Manns-Person von der Welt, der sich nicht scheuen solte, Mutter, Tocher und Magd auf einmahl zu lieben, demnach hat mein Herz einen recht natürlichen Abscheu vor seiner Person, ja ich wolte nicht allein meines seel. Mannes Verlassenschafft, die sich höher als 10000. Thlr. belauffen soll, sondern noch ein mehreres darum willig hergeben, wenn ich entweder in Holland, oder an einem andern ehrlichen Orte, in ungezwungener Einsamkeit hinzubringen Gelegenheit finden könte.

Schimmer thut hierauf noch verschiedene Fragen an dieselbe, und da er diese Frau vollkommen also gesinnet befindet, wie er wünscht, ermahnet er sie, ihr Herz in Gedult zu fassen, weil ihrem Begehren gar leicht ein Genügen geleistet werden könne, daferne sie sich seiner Tugend und guten Raths völlig anvertrauen wolle. Nur müste er vorhero erstlich mit einigen seiner Gesellschaffter von dieser Sachen reden, damit er etwa Morgen um diese Zeit und auf selbiger Stelle fernere Abrede mit ihr nehmen könne.

Die tugendhaffte Wittbe fängt hierauf gleich an, diesen Mann vor einen ihr von GOTT zugeschickten menschlichen Engel zu halten, und wischet mit hertzlichen Vertrauen die Thränen aus ihren bekümmerten Augen. Schimmer verläst also dieselbe, [381] und begiebt sich zu seiner übrigen Gesellschafft, welcher er diese Begebenheit gründlich zu Gemüthe führet, und erwehnte Wittbe als ein vollkommenes Bild der Tugend heraus streicht. Amias bricht solcher Gestalt auf einmahl in diese Worte aus: Erkennet doch, meine Kinder, die besondere Fügung des Himmels, denn ich zweiffele nicht, die schöne Wittbe ist vor unsern Johannem, und ihre Stieff-Tochter vor Christoph bestimmt, hilfft uns nun der Himmel allhier noch zu der dritten Weibs-Person vor unsern Christian, so haben wir das Ziel unserer Reise erreicht, und können mit Vergnügen auf eine fügliche Zurückkehr dencken.

Demnach sind sie allerseits nur darauf bedacht, der jungen Wittbe eine gute Vorstellung von ihrem gantzen Wesen zu machen, und da dieselbe noch an eben demselben Abend von Marien und Sabinen in ihre Hütte geführet wird, um die annoch etwas kränckliche Elisabeth zu besuchen, kan sich dieselbe nicht gnungsam verwundern, daselbst eine solche Gesellschafft anzutreffen, welche ich, als ihr Stamm-Vater, wegen der Wohlgezogenheit, Gottesfurcht und Tugend nicht selbst weitläufftig rühmen mag. Ach meine Lieben! rufft die fromme Wittbe aus, sagt mir doch, wo ist das Land, aus welchen man auf einmahl so viel Tugendhaffte Leute hinweg reisen lässet? Haben euch denn etwa die gottlosen Einwohner desselben zum Weichen gezwungen? Denn es ist ja bekannt, daß die böse Welt fast gar keine Frommen mehr, sie mögen auch jung oder alt seyn, unter sich leiden will. Nein, meine schöne Frau, fällt ihr der alte Amias hierbey [382] in die Rede, ich versichere, daß wir, die hier vor euren Augen sitzen, der Tugend wegen noch die geringsten heissen, denn diejenigen, so wir zurück gelassen, sind noch viel vollkommener, und wir leben nur bemühet, ihnen gleich zu werden. Dieses war nun (sagte hierbey unser Alt-Vater Albertus) eine starcke Schmeicheley, allein, es hatte dem ehrlichen Amias damahls also zu reden beliebt, die Dame aber siehet denselben starr an, und spricht: Mein Herr! euer Ehrwürdiges graues Haupt bringet vielen Respect zu wege, sonsten wolte sagen, daß ich nicht wüste, wie ich mit euch dran wäre, ob ihr nemlich etwa mit mir schertzen, oder sonsten etwas einfältiges aus meinen Gedancken locken woltet?

Diese Reden macht sich Amias zu Nutze, und versetzt dieses darauf: Madam! dencket von mir was ihr wollet, nur richtet meine Reden nicht ehe nach der Schärffe, biß ich euch eine Geschicht erzehlet, die gewiß nicht verdrüßlich anzuhören, und dabey die klare Wahrheit ist. Hierauf fängt er an, als einer, der meine und der Meinigen gantze Lebens-Geschicht vollkommen inne hatte, alles dasjenige auf dem Nagel her zu sagen, was uns passieret ist, und worüber sich die Dame am Ende vor Verwunderung fast nicht zu begreifen weiß. Hiermit aber ist es noch nicht genung, sondern Amias bittet dieselbe, von allen dem, was sie anitzo gehöret, bey ihrer Gesellschafft nichts kundbar zu machen, indem sie gewisser Ursachen wegen, sonst Niemanden als ihr alleine, dergleichen Geheimnisse wissen lassen, vielmehr einem jeden bereden [383] wolten, sie hätten auf der Insul St. Helenae ein besonderes Gewerbe auszurichten. Virgilia van Catmers, so nennet sich diese Dame, verspricht nicht allein vollkommene Verschwiegenheit, sondern bittet auch um GOttes willen, sie nebst ihrer Stief-Tochter, welches ein Kind guter Art sey, mit in dergleichen irdisches Himmelreich (also hatte sie meine Felsen-Insul genennet) zu nehmen, und derselben einen tugendhaften Mann heyrathen zu helffen. Ich vor meine Person, setzt sie hinzu, kan mit Wahrheit sagen, daß ich mein übriges Leben eben so gern im tugendhafften ledigen Stande, als in der besten Ehe zubringen wolte, weil ich von Jugend an biß auf diese Stunde Trübsal und Angst genug ausgestanden habe, mich also nach einem ruhigern Leben sehne. Meine Stieff-Tochter aber, deren Stieff-Mutter ich nur seit 5. Jahren bin, und die ich ihres sonderbaren Gehorsams wegen als mein eigen Kind liebe, möchte ich gern wohl versorgt wissen, weil dieselbe, im Fall wir das Cap der guten Hoffnung nicht erreichen solten, von ihrem väterlichen Erbtheile nichts zu hoffen hat, als diejenigen Kostbarkeiten, welche ich bey mir führe, und sich allein an Golde, Silber, Kleinodien und Gelde ohngefähr auf 16000. Ducaten belaufen, die uns aber noch gar leicht durch Sturm oder See-Räuber geraubt werden können.

Amias antwortet hierauf, daß dergleichen zeitliche Güter bey uns in grosser Menge anzutreffen wären, doch aber nichts geachtet würden, weil sie auf unserer Insul wenigen oder gar keinen Nutzen [384] schaffen könten, im übrigen verspricht er binnen 2. Tagen völligeResolution von sich zu geben, ob er sie nebst ihrer Tochter unter gewissen Bedingungen, ohne Gefahr, und mit guten Gewissen, mit sich führen könne oder nicht, lässet also die ehrliche Virgiliam vor dieses mahl zwischen Furcht und Hoffnung wiederum von der Gesellschafft Abschied nehmen.

Folgende zwey Tage legt er unter der Hand, und zwar auf gantz klügliche Art, genaue Kundschafft auf ihr von Jugend an geführtes Leben und Wandel, und erfähret mit Vergnügen, daß sie ihn in keinem Stücke mit Unwahrheit berichtet habe. Demnach fragt er erstlich den Johannem, ob er die Virgiliam zu seiner Ehe-Frau beliebte, und so bald dieser sein treuhertziges Ja-Wort mit besondern fröhlichen Gemüths-Bewegungen von sich gegeben, sucht er abermahlige Gelegenheit, Virgiliam nebst ihrer Tochter Gertraud in seine Hütten zu locken, welche letztere er als ein recht ungemein wohlgezogenes Kind befindet.

Demnach eröffnet er der tugendhafften Wittbe sein gantzes Hertze, wie er nemlich gesonnen sey, sie nebst ihrer Stieff-Tochter mit grösten Freuden auf sein Schiff zu nehmen, doch mit diesen beyden Bedingungen, daß sie sich gelieben lassen wolle, den Johannem, welchen er ihr vor die Augen stellet, zum Ehe-Manne zu nehmen, und dann sich zu bemühen, noch die 3te keusche Weibs-Person, die ohnfehlbar in ihrer Aufwärterin Blandina anzutreffen seyn würde, mit zu führen. Im übrigen dürffte keines von ihnen vor das Heyraths-Gut [385] sorgen, weil alles, was ihr Herz begehren könne, bey den Seinigen in Uberfluß anzutreffen wäre.

Meine Herren! versetzt hierauf Virgilia, ich mercke und verstehe aus allen Umständen nunmehro zur Gnüge, daß es euch annoch nur an 3. Weibs-Personen mangelt, eure übrigen und ledigen Manns-Personen zu beweiben, derowegen sind euch, so wohl meine Stieff-Tochter, als meine 17. jährige Aufwärterin hiermit zugesagt, weil ich gewiß glaube, daß ihr sonderlich die erstere mit dem Ehestande nicht übereilen werdet. Was meine eigene Person anbetrifft sagt sie ferner, so habe ich zwar an gegenwärtigen frommen Menschen, der, wie ihr sagt, Johannes Julius heisset, und ehrlicher Leute Kind ist, nicht das allergeringste auszusetzen; allein, ich werde keinem Menschen, er sey auch wer er sey, weder mein Wort noch die Hand zur Ehe geben, biß mein Trauer-Jahr, um meinen seeligen Mann, und einen 2. jährigen Sohn, der nur wenig Tage vor seinem Vater verstorben, zu Ende gelauffen ist. Nach diesem aber will ich erwarten, wie es der Himmel mit meiner Person fügen wird. Ist es nun bey dergleichen Schlusse euch anständig, mich, nebst meiner Tochter und Magd, vor deren Ehre ich Bürge bin, heimlich mit hinweg zu führen, so soll euch vor uns dreyen ein Braut-Schatz, von 16000. Ducaten werth, binnen wenig Stunden eingeliefert werden.

Amias will so wohl, als alle die andern, nicht das geringste von Schätzen wissen, ist aber desto erfreuter, daß er ihrer Personen wegen völlige Versicherung erhalten, nimmt derowegen diesen und [386] den folgenden Tag die sicherste Abrede mit Virgilien, so, daß weder der in sie verliebte Kauffmann, noch jemand anders auf deren vorgesetzte Flucht Verdacht legen kan.

Etliche Tage hernach, da die guten Holländer ihr Schiff, um selbiges desto bequemer auszubessern, auf die Seite gelegt, die kleinern Boote nebst allen andern Sachen aufs Land gezogen, und ihr Pulver zu trocknen, solches an die Sonne gelegt haben; kömmtAmias zu ihnen, und meldet, wie es ihm zu beschwerlich falle, bey diesem guten Wetter und Winde allhier stille zu liegen. Er wolle demnach, in Betrachtung, daß sie wenigstens noch 3. biß 4. Wochen allhier verharren müsten, seine Reise nach der Insel S. Helenæ fortsetzen, seine Sachen daselbst behörig einrichten, nachhero auf dem Rückwege wiederum allhier ansprechen, und nebst den Seinigen in ihrer Gesellschafft mit nach einer Ost-Indischen guten Insul schiffen. Inzwischen wolle er sie, gegen baare Bezahlung, um etwas Pulver und Bley angesprochen haben, als woran es ihm ziemlich mangele.

Die treuhertzigen Holländer setzen in seine Reden nicht das geringste Mißtrauen, versprechen einen gantzen Monat auf ihn zu warten, weil erwehnte Insel ohnmöglich über 100. Meilen von dar liegen könne, verehren dem guten Manne 4. grosse Faß Pulver, nebst etlichen Centnern Bley, wie auch allerhand treffliche Europäische Victualien, welche er mit andern, die auf unserer Insul gewachsen waren, ersetzet, und dabey Gelegenheit nimmt, von diesem und jenen allerhand Sämereyen, Frucht-Kernen [387] und Blumen-Gewächse auszubitten, gibt anbey zu verstehen, daß er ohnfehlbar des 3ten Tages aufbrechen, und unter Seegel gehen wolte; Allein der schlaue Fuchs schiffet sich hurtiger ein, als die Holländer vermeynen, und wartet auf sonst nichts, als die 3. bestellten Weibes-Personen. Da sich nun diese in der andern Nacht mit Sack und Pack einfinden, lichtet er seine Ancker und läufft unter guten Winde in die offenbare See, ohne daß es ein eintziger von den Holländern gewahr wird. Mit anbrechende Tage sehen sie die wüste Insul nur noch in etwas von ferne, weßwegen Amias 2. Canonen löset, um von den Holländern ehrlichen Abschied zu nehmen, die ihm vom Lande mit 4. Schüssen antworten, woraus er schliesset, daß sie ihren kostbaren Verlust noch nicht empfänden, derowegen desto freudiger die Seegel aufspannet, und seinen Weg auf Felsenburg richtet.

Die Rück-Reise war dermassen bequem und geruhig gewesen, daß sie weiter keine Ursach zu klagen gehabt, als über die um solche Zeit gantz ungewöhnliche Wind-Stille, welche ihnen, da sie nicht vermögend gewesen, der starcken Ruder-Arbeit beständig obzuliegen, eine ziemlich langsame Fahrt verursachet hatte.

Es begegnet ihnen weder Schiff noch etwas anderes merckwürdiges, auch will sich ihren Augen weder dieses oder jenes Land offenbaren, und da nachhero vollends ein täglicher, hefftiger Regen und Nebel einfällt, wird ihr Kummer noch grösser, ja die meisten fangen an zu zweiffeln, die Ihrigen auf der Felsen-Insul jemahls wieder zu sehen zu kriegen. [388] DochAmias und Jacob lassen wegen ihrer besondern Wissenschafft und Erfahrenheit im Compass, See-Charten und andern zur Schiff-Fahrt gehörigen Instrumenten den Muth nicht sincken, sondern reden den übrigen so lange tröstlich zu, biß sie am 9ten Maji, in den Mittags-Stunden, dieses gelobte Land an seinen von der Natur erbaueten Thürmern und Mauern von weiten erkennen. Jacob, der so glücklich ist, solches am ersten wahrzunehmen, brennet abgeredter massen, gleich eine Canone ab, worauf die im Schiff befindlichen 15. Personen sich so gleich versammlen, und zu allererst in einer andächtigen Bet-Stunde dem Höchsten ihr schuldiges Danck-Opffer bringen.

Es ist ihnen selbiges Tages unmöglich, die Felsen-Insul zu erreichen, weßwegen sie mit herein brechender Nacht Ancker werffen, um bey der Finsterniß nicht etwa auf die herum liegenden verborgenen Klippen und Sand-Bäncke aufzulauffen. Indem aber hiermit erstlich eine, kurtz darauf 2. und abermals 3. Canonen von ihnen gelöset wurden, muste solches, und zwar eben, als wir Insulaner uns zur Ruhe legen wolten, in unsere Ohren schallen. David kam mir demnach in seinem Nacht-Habit entgegen gelauffen, und sagte: Mein Herr! wo ich nicht träume, so liegen die Unserigen vor der Insel, denn ich habe das abgeredte Zeichen mit Canonen vernommen. Recht, mein Sohn! gab ich zur Antwort, ich und die übrigen haben es auch gehöret. Alsofort machten wir uns beyderseits auf, nahmen etliche Raqueten nebst Pulver und Feuer zu uns, lieffen auf die Höhe des Nord-Felsens, [389] gaben erstlich aus zweyen Canonen Feuer, zündeten hernach 2. Raquetten an, und höreten hierauff nicht allein des Schiffs 8. Canonen lösen, sondern sahen auch auf demselben allerhand artige Lust-Feuer, welches uns die gewisse Versicherung gab, daß es kein anders als meiner Kinder Schiff sey. Diesem nach verschossen wir, ihnen und uns zur Lust, alles gegenwärtige Pulver, und giengen um Mitternachts Zeit wieder zurück, stunden aber noch vor Tage wieder auf, verschützten die Schleuse des Nord-Flusses, machten also unsere Thor-Fahrt trocken, und giengen hinab an das Meer-Ufer, allwo in kurtzen unsere Verreiseten glücklich an Land stiegen, und von mir und David die ersten Bewillkommungs-Küsse empfingen. So bald wir nebst ihnen den fürchterlichen hohlen Felsen-Weg hinauff gestiegen waren, und unsere Insul betraten, kam uns meine Concordia mit der gantzen Familie entgegen, indem sie die 9. Enckel auf einen grossen Rollwagen gesetzt, und durch die Affen hierher fahren lassen. Nunmehro gieng es wieder an ein neues Bewillkommen, jedoch es wurden auf mein Zureden nicht viel Weitläufftigkeiten gemacht, biß wir ingesamt auf diesem Hügel in unsern Wohnungen anlangeten.

Ich will, meine Lieben! sagte hier unser Altvater, die Freuden-Bezeugungen von beyden Theilen, nebst allen andern, was biß zu eingenommener Mittags-Mahlzeit vorgegangen, mit Stillschweigen übergehen, und nur dieses Berichten: Daß mir nachhero die Meinigen einen umständlichen Bericht von ihrer Reise abstatteten, worauff die mit [390] angekommene junge Wittbe ihren wunderbaren Lebens-Lauff weitläufftig zu erzehlen anfieng. Da aber ich, meine Lieben! entschuldigte sich der Altvater, mich nicht im Stande befinde, selbigen so deutlich zu erzehlen, als er von ihrer eigenen Hand beschrieben ist, so will ich denselben hiermit meinem lieben Vetter Eberhard einhändigen, damit er euch solche Geschicht vorlesen könne.

Ich Eberhard Julius empfieng also, aus des Altvaters Händen, dieses in Holländischer Sprache geschriebene Frauenzimmer-Manuscript, welches ich sofort denen andern in Teutscher Sprache also lautend herlaß:

Im Jahr Christi 1647. bin ich, von Jugend auf sehr Unglückseelige, nunmehro aber da ich dieses auf der Insul Felsenburg schreibe, sehr, ja vollkommen vergnügte Virgilia van Cattmers zur Welt gebohren worden. Mein Vater war ein Rechts-Gelehrter undProkurator zu Rotterdam, der wegen seiner besondern Gelehrsamkeit, die Kundschafft der vornehmsten Leute, um ihnen in ihren Streit-Sachen beyzustehen erlangt, und Hoffnung gehabt, mit ehesten eine vornehmere Bedienung zu bekommen. Allein, er wurde eines Abends auf freyer Strasse Meuchelmörderischer Weise, mit 9. Dolch-Stichen ums Leben gebracht, und zwar eben um die Zeit, da meine Mutter 5. Tage vorher abermals einer jungen Tochter genesen war. Ich bin damahls 4. Jahr und 6. Monat alt gewesen, weiß mich aber noch wohl zu erinnern, wie jämmerlich es aussahe: Da der annoch starck blutende Cörper meines Vaters, von darzu bestellten Personen besichtiget, [391] und dabey öffentlich gesagt wurde, daß diesen Mord kein anderer Mensch angestellet hätte, als ein Gewissen loser reicher Mann, gegen welchen er Tags vorhero einen rechtlichen Process zum Ende gebracht, der mehr als hundert tausend Thaler anbetroffen, und worbey mein Vater vor seine Mühe sogleich auf der Stelle 2000. Thaler bekommen hatte.

Vor meine Person war es Unglücklich genung zu schätzen, einen treuen Vater solchergestalt zu verlieren, allein das unerforschliche Schicksal hatte noch ein mehreres über mich beschlossen, denn zwölff Tage hernach starb auch meine liebe Mutter, und nahm ihr jüngst gebohrnes Töchterlein, welches nur 4. Stunden vorher verschieden, zugleich mit in das Grab. Indem ich nun die eintzige Erbin von meiner Eltern Verlassenschafft war, so fand sich gar bald ein wohlhabender Kauffmann, der meiner Mutterwegen, mein naher Vetter war, und also nebst meinem zu Gelde geschlagenen Erbtheile, die Vormundschafft übernahm. Mein Vermögen belief sich etwa auf 18000. Thlr. ohne den Schmuck, Kleyder-Werck und schönen Hauß-Rath, den mir meine Mutter in ihrer wohlbestellten Haußhaltung zurück gelassen hatte. Allein die Frau meines Pflege-Vaters war, nebst andern Lastern, dem schändlichen Geitze dermassen ergeben, daß sie meine schönsten Sachen unter ihre drey Töchter vertheilete, denen ich bey zunehmenden Jahren als eine Magd auffwarten, und nur zufrieden seyn muste, wenn mich Mutter und Töchter nicht täglich aufs erbärmlichste mit Schlägen tractirten. Wem[392] wolte ich mein Elend klagen, da ich in der gantzen Stadt sonst keinen Anverwandten hatte, frembden Leuten aber durffte mein Herz nicht eröffnen, weil meine Aufrichtigkeit schon öffters übel angekommen war, und von denen 4. Furien desto übler belohnet wurde.

Solchergestalt ertrug ich mein Elend biß ins 14. Jahr mit gröster Gedult, und wuchs zu aller Leute Verwunderung, und bey schlechter Verpflegung den noch starck in die Höhe. Meiner Pflege-Mutter allergröster Verdruß aber bestund darinne, daß die meisten Leute von meiner Gesichts-Bildung, Leibes-Gestalt und gantzen Wesen mehr Wesens und rühmens machten als von ihren eigenen Töchtern, welche nicht allein von Natur ziemlich heßlich gebildet, sondern auch einer geilen und leichtfertigen Lebens-Art gewohnt waren. Ich muste dieserwegen viele Schmach-Reden und Verdrießlichkeiten erdulden, war aber bereits dermassen im Elende abgehärtet, daß mich fast nicht mehr darum bekümmerte.

Mittlerweile bekam ich ohnvermuthet einen Liebhaber an dem vornehmsten Handels-Diener meines Pflege-Vaters, dieses war ein Mensch von etliche 20. Jahren, und konte täglich mit Augen ansehen, wie unbillig und schändlich ich arme Wäyse, vor mein Geld, welches mein Pflege-Vater in seinen Nutzen verwendet hatte, tractiret wurde, weiln ihm aber alle Gelegenheit abgeschnitten war, mit mir ein vertrautes Gespräch zu halten, steckte er mir eines Tages einen kleinen Brief in die Hand, worinnen nicht allein sein hefftiges Mitleyden wegen [393] meines Zustandes, sondern auch die Ursachen desselben, nebst dem Antrage seiner treuen Liebe befindlich, mit dem Versprechen: Daß, wo ich mich entschliessen wolte eine Heyrath mit ihm zu treffen; er meine Person ehester Tages aus diesem Jammer-Stande erlösen, und mir zu meinem Väter- und Mütterlichen Erbtheile verhelffen wolle, um welches es ohnedem itzo sehr gefährlich stünde, da mein Pfleg-Vater, allem Ansehen nach, in kurtzer Zeit banquerot werden müste.

Ich armes unschuldiges Kind wuste mir einen schlechten Begriff von allen diesen Vorstellungen zu machen, und war noch darzu so unglücklich, diesen aufrichtigen Brief zu verlieren, ehe ich denselben weder schrifftlich noch mündlich beantworten konte. Meine Pflege-Mutter hatte denselben gefunden, ließ sich aber nicht das geringste gegen mich mercken, ausserdem daß ich nicht aus meiner Kammer gehen durffte, und solcher gestalt als eine Gefangene leben muste, wenig Tage hernach aber erfuhr ich, daß man diesen Handels-Diener früh in seinem Bette tod gefunden hätte, und wäre er allen Umständen nach an einem Steck-Flusse gestorben.

Der Himmel wird am besten wissen, ob dieser redliche Mensch nicht, seiner zu mir tragenden Liebe wegen, von meiner bösen Pflege-Mutter mit Gifft hingerichtet worden, denn wie jung ich auch damals war, so konte doch leichtlich einsehen, was vor eine ruchlose Lebens-Art, zumahlen in Abwesenheit meines Pflege-Vaters im Hause vorgieng. Immittelst traff dennoch ein, was der verstorbene Handels-Diener[394] vorher geweissaget hatte, denn wenig Monathe hernach machte sich mein Vetter oder Pflege-Vater aus dem Staube und überließ seinen Gläubigern ein ziemlich ausgeleertes Nest, dessen Frau aber behielt dennoch ihr Hauß nebst andern zu ihm gebrachten Sachen, so daß dieselbe mit ihren Kindern annoch ihr gutes Auskommen haben konte. Ich vor meine Person muste zwar bey ihr bleiben, durffte mich aber niemals unterstehen zu fragen, wie es um mein Vermögen stünde, biß endlich ihr ältester Sohn aus Ost-Indien zurück kam, und sich über das verkehrte Hauß-Wesen seiner Eltern nicht wenig verwunderte. Er mochte von vertrauten Freunden gar bald erfahren haben, daß nicht so wohl seines Vaters Nachläßigkeit als die üble Wirtschafft seiner Mutter und Schwestern an diesem Unglück Schuld habe, derowegen fieng er als ein tugendhafftiger und verständiger Mensch gar bald an, ihnen ihr übles Leben anfänglich ziemlich sanfftmüthig, hernach aber desto ernstlicher zu Gemüthe zu führen, allein die 4. Furien bissen sich weidlich mit ihm herum, musten aber doch zuletzt ziemlich nachgeben, weil sie nicht Unrecht vermuthen konten, daß er durch seinen erworbenen Credit und grosses Gut, ihr verfallenes Glück wiederum hertzustellen vermögend sey. So bald ich dieses merckte, nahm ich auch keinen fernern Aufschub, diesem redlichen Manne meine Noth zu klagen, und da es sich eben schickte, daß ich ihm eines Tages auf Befehl seiner Mutter ein Körbgen mit sauberer Wäsche überbringen muste, gab solches die beste Gelegenheit ihm meines Hertzens-Gedancken zu [395] offenbaren. Er schien mir diesen Tag etwas aufgeräumter und freundlicher als wohl sonsten gewöhnlich, nachdem ich ihm also meinen Gruß abgestattet, und die Wäsche eingehändiget hatte, sprach er: Es ist keine gute Anzeigung vor mich, artige Virgilia, da ihr das erste mal auf meiner Stube mit einem Körbgen erscheinet, gewiß dieses solte mich fast abschrecken, euch einen Vortrag meiner aufrichtigen und ehrlichen Liebe zu thun. Ich schlug auf diese Reden meine Augen zur Erden nieder, aus welchen alsofort die hellen Thränen fielen, und gab mit gebrochenen ängstlichen Worten so viel darauff. Ach mein Herr! Nehmet euch nicht vor, mit einer unglückseeligen Person zu schertzen, erbarmet euch vielmehr einer armen von aller Welt verlassenen Waise, die nach ihren ziemlichen Erbtheil, nicht ein mal fragen darff, über dieses vor ihr eigen Geld als die geringste Magd dienen, und wie von Jugend auf, so noch biß diesen Tag, die erbärmlichsten Schläge von eurer Mutter und Schwestern erdulden muß. Wie? Was hör ich? gab er mir zur Antwort, ich vermeine euer Geld sey in Banco gethan, und die Meinigen berechnen euch die Zinsen davon? Ach mein Herr! versetzte ich, nichts weniger als dieses, euer Vater hat das Capital nebst Zinsen, und allen meinen andern Sachen an sich genommen, wo es aber hingekommen ist, darnach habe ich biß auf diese Stunde noch nicht fragen dürffen, wenn ich nicht die erbärmlichsten Martern erdulden wollen. Das sey dem Himmel geklagt! schrye hierauff Ambrosius van Keelen, denn also war sein Nahme, schlug anbey die Hände [396] über dem Kopffe zusammen, und saß eine lange Zeit auf dem Stuhle in tieffen Gedancken. Ich wuste solchergestalt nicht wie ich mit ihm daran war, fuhr derowegen im Weinen fort, fiel endlich nieder, umfassete seine Knie und sagte: Ich bitte euch um GOttes willen mein Herr, nehmet es nicht übel, daß ich euch mein Elend geklagt habe, verschaffet nur daß mir eure Mutter, auf meine gantze gerechte Forderung, etwa zwey oder drey hundert Thaler zahle, so soll das übrige gäntzlich vergessen seyn, ich aber will mich alsobald aus ihrem Hause hinweg begeben und andere Dienste suchen, vielleicht ist der Himmel so gnädig, mir etwa mit der Zeit einen ehrbaren Handwerks-Mann zuzuführen, der mich zur Ehe nimmt, und auf meine Lebens-Zeit ernehret, denn ich kan die Tyranney eurer Mutter und Schwestern ohnmöglich länger ertragen. Der gute Mensch konte sich solchergestalt der Thränen selbst nicht enthalten, hub mich aber sehr liebreich von der Erden auf, drückte einen keuschen Kuß auf meine Stirn, und sagte: Gebt euch zufrieden meine Freundin, ich schwere zu GOTT! daß mein gantzes Vermögen, biß auf diese wenigen Kleider so ich auf meinem Leibe trage, zu eurer Beruhigung bereit seyn soll, denn ich müste befürchten, daß GOTT, bey so gestalten Sachen, die Mißhandlung meiner Eltern an mir heimsuchte, indessen gehet hin und lasset euch diesen Tag über, weder gegen meine Mutter noch Geschwister nicht das geringste mercken, ich aber will noch vor Abends eures Anliegens wegen mit ihnen sprechen, und gleich morgendes Tages Anstalt machen, [397] daß ihr Standesmäßig gekleidet und gehalten werdet.

Ich trocknete demnach meine Augen, gieng mit getrösteten Hertzen von ihm, er aber besuchte gute Freunde, und nahm noch selbigen Abend Gelegenheit mit seiner Mutter und Schwestern meinetwegen zu sprechen. Wiewohl nun dieselben mich auf sein Begehren, um sein Gespräch nicht mit anzuhören, beyseits geschafft hatten, so habe doch nachhero vernommen, daß er ihnen das Gesetz ungemein scharff geprediget, und sonderlich dieses vorgeworffen hat: Wie es zu verantworten stünde, daß sie meine Gelder durchgebracht, Kleider und Geschmeide unter sich getheilet, und über dieses alles, so jämmerlich gepeiniget hätten? Allein auf solche Art wurde die gantze Hölle auf einmahl angezündet, denn nachdem Ambrosius wieder auf seine Stube gegangen, ich aber meinen Henckern nur entgegen getreten war, redete mich die Alte mit funckelnden Augen also an: Was hastu verfluchter Findling vor ein geheimes Verständniß mit meinen Sohne? und weßwegen willstu mir denselben auf den Halß hetzen? Ich hatte meinen Mund noch nicht einmal zur Rechtfertigung aufgethan, da alle 4.Furien über mich herfielen und recht Mörderisch mit mir umgingen, denn ausserdem, daß mir die helffte meiner Haupt-Haare ausgeraufft, das Gesichte zerkratzt, auch Maul und Nase Blutrünstig geschlagen wurden, trat mich die Alte etliche mahl dergestalt hefftig auf den Unter-Leib und Magen, daß ich unter ihren Mörder-Klauen ohnmächtig, ja mehr als halb todt liegen blieb. Eine alte Dienst-Magd [398] die dergleichen Mord-Spiel weder verwehren, noch in die Länge ansehen kan, laufft alsobald und rufft den Ambrosius zu Hülffe. Dieser kömmt nebst seinem Diener eiligst herzu, und findet mich in dem allererbärmlichsten Zustande, läst derowegen seinem gerechten Eiffer den Zügel schiessen, und zerprügelt seine 3. leiblichen Schwestern dergestalt, daß sie in vielen Wochen nicht aus den Betten steigen können, mich halb todte Creatur aber, trägt er auf den Armen in sein eigenes Bette, lässet nebst einem verständigen Artzte, zwey Wart-Frauen holen, machte also zu meiner besten Verpflegung und Cur die herrlichsten Anstalten. Ich erkannte sein redliches Gemüthe mehr als zu wohl, indem er fast niemals zu meinem Bette nahete, oder sich meines Zustandes erkundigte, daß ihm nicht die hellen Thränen von den Wangen herab gelauffen wären, so bald er auch merckte daß es mir unmöglich wäre, in diesem vor mich unglückseeligen Hause einige Ruhe zu geniessen, vielweniger auf meine Genesung zu hoffen, ließ er mich in ein anderes, nächst dem seinen gelegenes Hauß bringen, allwo in dem einsamen Hinter-Gebäue eine schöne Gelegenheit zu meiner desto bessern Verpflegung bereitet war.

Er ließ es also an nichts fehlen meine Genesung aufs eiligste zu beförderen, und besuchte mich täglich sehr öffters, allein meine Kranckheit schien von Tage zu Tage gefährlicher zu werden, weilen die Fuß-Tritte meiner alten Pflege-Mutter eine starcke Geschwulst in meinem Unterleibe veruhrsacht hatten, welche mit einem schlimmen Fieber vergesellschafftet war, so, daß der Medicus [399] nachdem er über drey Monat an mircuriret hatte, endlich zu vernehmen gab: es müsse sich irgendwo ein Geschwür im Leibe angesetzt haben, welches, nachdem es zum Aufbrechen gediehen, mir entweder einen plötzlichen Todt, oder baldige Genesung verursachen könte.

Ambrosius stellete sich hierbey gantz Trostloß an, zumahlen da ihm sein Compagnon aus Amsterdam berichtete: wie die Spanier ein Holländisches Schiff angehalten hätten, worauff sich von ihren gemeinschafftlichen Waaren allein, noch mehr als 20000. Thlr. Werth befänden, demnach müsse sich Ambrosius in aller Eil dahin begeben, um selbiges Schiff zu lösen, weiln er, nemlich der Compagnon, wegen eines Bein-Bruchs ohnmöglich solche Reise antreten könte.

Er hatte mir dieses kaum eröffnet, da ich ihn umständig bat, um meiner Person wegen dergleichen wichtiges Geschäffte nicht zu verabsäumen, indem ich die stärckste Hoffnung zu GOTT hätte, daß mich derselbe binnen der Zeit seines Abwesens, vielleicht gesund herstellen würde, solte ich aber ja sterben, so bäte mir nichts anders aus, als vorhero die Verfügung zu machen, daß ich ehrlich begraben, und hinkünfftig dann und wann seines guten Andenckens gewürdiget würde. Ach! sprach er hierauff mit weinenden Augen, sterbt ihr meine allerliebste Virgilia, so stirbt mit euch alles mein künfftiges Vergnügen, denn wisset: Daß ich eure Person eintzig und allein zu meinem Ehe-Gemahl erwehlet habe, soferne ich aber euch verlieren solte, ist mein Vorsatz, nimmermehr zu Heyrathen, saget derowegen, [400] ob ihr nach wieder erlangter Gesundheit meine getreue Liebe mit völliger Gegen-Liebe belohnen wollet? Ich stelle, gab ich hierauff zur Antwort, meine Ehre, zeitliches Glück und alles was an mir ist, in eure Hände, glaubet demnach, daß ich als eine arme Waise euch gäntzlich eigen bin, und machet mit mir, was ihr bey GOTT, eurem guten Gewissen und der ehrbaren Welt verantworten könnet. Uber diese Erklärung zeigte sich Ambrosius dermassen vergnügt, daß er fast kein Wort vorzubringen wuste, jedoch erkühnete er sich einen feurigen Kuß auf meine Lippen zu drücken, und weiln dieses der erste war, den ich meines wissens von einer Manns-Person auf meinen Mund empfangen, ging es ohne sonderbare Beschämung nicht ab, jedoch nachdem er mir seine beständige Treue aufs heiligste zugeschworen hatte, konte ich ihm nicht verwehren, dergleichen auf meinen blassen Wangen, Lippen und Händen noch öffter zu wiederholen. Wir brachten also fast einen halben Tag mit den treuhertzigsten Gesprächen hin, und endlich gelückte es mir ihn zu bereden, daß er gleich Morgendes Tages die Reise nach Spanien vornahm, nachdem er von mir den allerzärtlichsten Abschied genommen, 1000. Stück Ducaten zu meiner Verpflegung zurück gelassen, und sonsten meinetwegen die eiffrigste Sorgfalt vorgekehret hatte.

Etwa einen Monat nach meines werthen Ambrosii Abreise, brach das Geschwür in meinem Leibe, welches sich des Artzts, und meiner eigenen Meynung nach, am Magen und Zwerchfell angesetzt hatte, in der Nacht plötzlich auf, weßwegen etliche Tage [401] nach einander eine erstaunliche Menge Eiter durch den Stuhlgang zum Vorschein kam, hierauff begunte mein dicker Leib allmählig zu fallen, das Fieber nachzulassen, mithin die Hoffnung, meiner volligen Genesung wegen, immer mehr und mehr zuzunehmen. Allein das Unglück, welches mich von Jugend an so grausam verfolget, hatte sich schon wieder aufs neue gerüstet, mir den allerempfindlichsten Streich zu spielen, denn da ich einst um Mitternacht im süssen Schlummer lag, wurde meine Thür von den Gerichts-Dienern plötzlich eröffnet, ich, nebst meiner Wart-Frau in das gemeine Stadt-Gefängniß gebracht, und meiner grossen Schwachheit ohngeacht, mit schweren Ketten belegt, ohne zu wissen aus was Ursachen man also grausam mit mir umginge. Gleich folgendes Tages aber erfuhr ich mehr als zu klar, in was vor bösen Verdacht ich arme unschuldige Creatur gehalten wurde, denn es kamen etliche ansehnliche Männer im Gefängnisse bey mir an, welche, nach weitläufftiger Erkundigung meines Lebens und Wandels, endlich eine roth angestrichene Schachtel herbey bringen liessen, und mich befragten: Ob diese Schachtel mir zugehörete, oder sonsten etwa känntlich sey? Ich konte mit guten Gewissen und freyen Muthe Nein darzu sagen, so bald aber dieselbe eröfnet und mir ein halb verfaultes Kind darinnen gezeiget wurde, entsetzte ich mich dergestalt über diesen eckelhaften Anblick, daß mir Augenblicklich eine Ohnmacht zustieß. Nachdem man meine entwichenen Geister aber wiederum in einige Ordnung gebracht, wurde ich aufs neue befragt: Ob dieses [402] Kind nicht von mir zur Welt gebohren, nachhero ermordet und hinweggeworffen worden? Ich erfüllete das gantze Gemach mit meinem Geschrey, und bezeugte meine Unschuld nicht allein mit hefftigen Thränen, sondern auch mit den nachdrücklichsten Reden, allein alles dieses fand keine statt, denn es wurden zwey, mit meiner seel. Mutter Nahmen bezeichnete Teller-Tüchlein, zwar als stumme, doch der Richter Meynung nach, allergewisseste Zeugen dargelegt, in welche das Kind gewickelt gewesen, ich aber konte nicht läugnen, daß unter meinem wenigen weissen Zeuge, eben dergleichen Teller-Tücher befindlich wären. Es wurde mir über dieses auferlegt mich von zwey Weh-Müttern besichtigen zu lassen, da nun nichts anders gedachte, es würde, durch dieses höchste empfindliche Mittel, meine Unschuld völlig an Tag kommen, so muste doch zu meinem allergrösten Schmertzen erfahren, wie diese ohne allen Scheu bekräfftigten, daß ich, allen Umständen nach, vor weniger Zeit ein Kind zur Welt geboren haben müsse. Ich beruffte mich hierbey auf meinen bißherigen Artzt so wol, als auf meine zwey Wart-Frauen, allein der Arzt hatte die Schultern gezuckt und bekennet, daß er nicht eigentlich sagen könne, wie es mit mir beschaffen gewesen, ob er mich gleich auf ein innerliches Magen-Geschwür curieret hätte, die eine Wart-Frau aber zog ihren Kopf aus der Schlinge und sagte: Sie wisse von meinem Zustande wenig zu sagen, weil sie zwar öffters bey Tage, selten aber des Nachts bey mir gewesen wäre, schob hiermit alles auf die andere Wart Frau, die so wohl als ich in Ketten und Banden lag.

[403] O du barmhertziger GOTT! rieff ich aus, wie kanstu zugeben, daß sich alle ängstlichen Umstände mit der Boßheit der Menschen vereinigen müssen, einer höchst unschuldigen armen Waise Unglück zu befördern. O ihr Richter, schrye ich, übereilet euch nicht zu meinem Verderben, sondern höret mich an, auf daß euch GOtt wiederum höre. Hiermit erzehlete ich ihnen meinen von Kindes Beinen an geführten Jammer-Stand deutlich genung, allein da es zum Ende kam, hatte ich tauben Ohren geprediget und sonsten kein ander Lob davon, als daß ich eine sehr gewitzigte Metze und gute Rednerin sey, dem allen ohngeacht aber solte ich mir nur keine Hoffnung machen sie zu verwirren, sondern nur bey Zeiten mein Verbrechen in der Güte gestehen, widrigenfalls würde ehester Tage Anstalt zu meiner Tortur gemacht werden. Dieses war der Bescheid, welchen mir die allzuernsthafften Inquisiteurs hinterliessen, ich armes von aller Welt verlassenes Mägdlein wuste mir weder zu helffen noch zu rathen, zumahlen, da ich von neuen in ein solches hitziges Fieber verfiel, welches meinen Verstand biß in die 4te Woche gantz verrückte. So bald mich aber durch die gereichten guten Artzeneyen nur in etwas wiederum erholet hatte, verhöreten mich die Inquisiteurs aufs neue, bekamen aber, Seiten meiner, keine andere Erklärung als vormals, weßwegen sie mir noch drey Tage Bedenck-Zeit gaben, nach deren Verlauff aber in Gesellschafft des Scharff-Richters erschienen, der sein peinliches Werckzeug vor meine Augen legte, und mit grimmigen Gebärden sagte: Daß er mich in kurtzer Zeit zur [404] bessern Bekänntniß meiner Boßheiten bringen wolle.

Bey dem Anblicke so gestallter Sachen veränderte sich meine gantze Natur dergestalt, daß ich auf einmahl Lust bekam, ehe tausendmal den Tod, als dergleichen Pein zu erleiden, demnach sprach ich mit gröster Herzhafftigkeit dieses zu meinen Richtern: Wohlan! ich spüre, daß ich meines zeitlichen Glücks, Ehre und Lebens wegen, von GOTT und aller Welt verlassen bin, auch der schmählichen Tortur auf keine andere Art entgehen kan, als wenn ich alles dasjenige, was ihr an mir sucht, eingestehe und verrichtet zu haben auf mich nehme, derowegen verschonet mich nur mit unnöthiger Marter, und erfraget von mir was euch beliebt, so will ich euch nach eurem Belieben antworten, es mag mir nun zu meinem zeitlichen Glück und Leben nützlich oder schädlich seyn. Hierauff thaten sie eine klägliche Ermahnung an mich, GOtte, wie auch der Obrigkeit ein wahrhaftiges Bekenntniß abzustatten, und fiengen an, mir mehr als 30. Fragen vorzulegen, allein so bald ich nur ein oder andere mit guten Gewissen und der Wahrheit nach vermeinen, und etwas gewisses zu meiner Entschuldigung vorbringen wolte, wurde alsobald der Scharff-Richter mit seinen Marter-Instrumenten näher zu treten ermahnet, weßwegen ich aus Angst augenblicklich meinen Sinn änderte und so antwortete, wie es meineInquisiteurs gerne hören und haben wolten. Kurtz zu melden, es kam so viel heraus, daß ich das mir unbekannte halb verfaulte Kind von Ambrosio empfangen, zur Welt gebohren, selbst ermordet, und solches durch meine [405] Wart-Frau in einen Canal werffen lassen, woran doch in der That Ambrosius und die Wart-Frau, so wohl als ich vor GOTT und allen heiligen Engeln unschuldig waren.

Solchergestalt vermeynten nun meine Inquisiteurs ihr Ammt an mir rechtschaffener Weise verwaltet zu haben, liessen derowen das Gerüchte durch die gantze Stadt erschallen, daß ich nunmehro in der Güte ohne alle Marter den Kinder-Mord nebst allen behörigen Umständen solchergestalt bekennet, daß niemand daran zu zweiffeln Ursach haben könnte, demnach war nichts mehr übrig als zu bestimmen, auf was vor Art und welchen Tag die arme Virgilia vom Leben zum Tode gebracht werden solte. Immittelst wurde noch zur Zeit kein Priester oder Seel Sorger zu mir gesendet, ohngeacht ich schon etliche Tage darum angehalten hatte. Endlich aber, nachdem noch zwey Wochen verlauffen, stellete sich ein solcher, und zwar ein mir wohl bekandter frommer Prediger bey mir ein. Nach gethanem Grusse war seine ernsthaffte und erste Frage: Ob ich die berüchtigte junge Raben-Mutter und Kinder-Mörderin sey, auch wie ich mich so wohl in meinem Gewissen als wegen der Leibes-Gesundheit befände? Mein Herr! gab ich ihm sehr freimüthig zur Antwort, in meinem Gewissen befinde ich mich weit besser und gesunder als am Leibe, sonsten kan ich GOTT eintzig und allein zum Zeugen anruffen, daß ich niemals eine Mutter, weder eines todten noch lebendigen Kindes gewesen bin, vielweniger ein Kind ermordet oder solches zu ermorden zugelassen habe. Ja, ich ruffe nochmals GOTT zum Zeugen [406] an, daß ich niemals von einem Manne erkannt und also noch eine reine und keusche Jungfrau bin, jedoch das grausame Verfahren meiner Inquisiteurs und die grosse Furcht vor der Tortur, haben mich gezwungen solche Sachen zu bekennen, von denen mir niemals etwas in die Gedancken kommen ist, und noch biß diese Stunde bin ich entschlossen, lieber mit freudigen Hertzen in den Tod zu gehen, als die Tortur auszustehen. Der fromme Mann sahe mir starr in die Augen, als ob er aus selbigen die Bekräfftigung meiner Reden vernehmen wolte, und schärfte mir das Gewissen in allen Stücken ungemein, nachdem ich aber bey der ihm gethanen Aussage verharrete, und meinen gantzen Lebens-Lauff erzehlet hatte, sprach er: Meine Tochter, eure Rechts-Händel müssen, ob GOTT will, in kurtzen auf andern Fuß kommen, ich spreche euch zwar keineswegs vor Recht, daß ihr, aus Furcht vor der Tortur, euch zu einer Kinder- und Selbst-Mörderin machet, allein es sind noch andere eurer Einfalt unbewuste Mittel vorhanden eure Schuld oder Unschuld ans Licht zu bringen. Hierauff setzte er noch einige tröstliche Ermahnungen hinzu, und nahm mit dem Versprechen Abschied, mich längstens in zweyen Tagen wiederum zu besuchen.

Allein gleich folgenden Tages erfuhr ich ohnverhofft, daß mich GOTT durch zweyerlei Hülffs-Mittel, mit ehesten aus meinem Elende heraus reissen würde, denn vors erste war meine Unschuld schon ziemlich ans Tages Licht gekommen, da die alte Dienst-Magd meiner Pflege-Mutter, aus eigenem Gewissens-Triebe, der Obrigkeit angezeiget [407] hatte, wie nicht ich, sondern die mittelste Tochter meiner Pflege-Mutter das gefundene Kind gebohren, selbiges, vermittelst einer grossen Nadel, ermordet, eingepackt, und hinweg zu werffen befohlen hätte, und zwar so hätten nicht allein die übrigen zwey Schwestern, sondern auch die Mutter selbst mit Hand angelegt, dieweiln es bey ihnen nicht das erste mahl sey, dergleichen Thaten begangen zu haben. Meine andere tröstliche Zeitung war, daß mein bester Freund Ambrosius vor wenig Stunden zurück gekommen, und zu meiner Befreyung die äusersten Mittel anzuwenden, allbereits im Begriff sey.

Er bekam noch selbigen Abends Erlaubniß, mich in meinem Gefängnisse zu besuchen, und wäre bey nahe in Ohnmacht gefallen, da er mich Elende annoch in Ketten und Banden liegen sahe, allein, er hatte doch nach Verlauff einer halben Stunde, so wohl als ich, das Vergnügen, mich von den Banden entlediget, und in ein reputierlicher Gefängniß gebracht zu sehen. Ich will mich nicht aufhalten zu beschreiben, wie jämmerlich und dennoch zärtlich und tröstlich diese unsere Wiederzusammenkunfft war, sondern nur melden, daß ich nach zweyen Tagen durch seine ernstliche Bemühung in völlige Freyheit gesetzt wurde. Uber dieses ließ er es sich sehr viel kosten, wegen meiner Unschuld hinlängliche Erstattung des erlittenen Schimpffs von meinen allzu hitzigen Inquisiteurs zu erhalten, empfing auch so wohl von den geistlichen als weltlichen Gerichten die herrlichsten Ehren-Zeugnisse vor seine und meine Person, am allermeisten aber erfreuete [408] er sich über meine in wenig Wochen völlig wieder erlangte Gesundheit.

Nach der Zeit bemühete sich Ambrosius, seine lasterhafte Mutter und schändliche Schwestern, vermittelst einer grossen Geld-Summe, von der fernern Inquisition zu befreyen, zumahlen da ich ihnen das mir zugefügte Unrecht von Hertzen vergeben hatte, allein, er konte nichts erhalten, sondern muste der Gerechtigkeit den Lauff lassen, weil sie nach der Zeit überzeugt wurden, daß dieses schon das dritte Kind sey, welches seine zwey ältesten Schwestern gebohren, und mit Beyhülffe ihrer Mutter ermordet hätten, weßwegen sie auch ihren verdienten Lohn empfingen, indem die Mutter nebst den zwey ältesten mit dem Leben büssen, die jüngste aber in ein Zucht-Haus wandern muste.

Jedoch, ehe noch dieses geschahe, reisete mein Ambrosius mit mir nach Amsterdam, weil er vermuthlich dieses traurige Spectacul nicht abwarten wolte, ließ sich aber doch noch in selbigem Jahre mit mir ehelich verbinden, und ich kan nicht anders sagen, als daß ich ein halbes Jahr lang ein recht stilles und vergnügtes Leben mit ihm geführet habe, indem er eine der besten Handlungen mit seinem Compagnon daselbst anlegte. Allein, weil das Verhängniß einmahl beschlossen hatte, daß meiner Jugend Jahre in lauter Betrübniß zugebracht werden solten, so muste mein getreuerAmbrosius über Vermuthen den gefährlichsten Anfall der rothen Ruhr bekommen, welche ihn in 17. Tagen dermassen abmattete, daß er seinen Geist darüber aufgab, und im 31. Jahre seines Alters mich zu [409] einer sehr jungen, aber desto betrübtern Wittbe machte. Ich will meinen dieserhalb empfundenen Jammer nicht weitläufftig beschreiben, genung, wenn ich sage, daß mein Herz nichts mehr wünschte, als ihm im Grabe an der Seite zu liegen. Der getreue Ambrosius aber hatte noch vor seinem Ende vor mein zeitliches Glück gesorget, und meine Person so wohl als sein gantzes Vermögen an seinen Compagnon vermacht, doch mit dem Vorbehalt, daß, wo ich wider Vermuthen denselben nicht zum Manne verlangete, er mir überhaupt vor alles 12000. Thlr. auszahlen, und mir meinen freyen Willen lassen solte.

Wilhelm van Cattmer, so hieß der Compagnon meines seel. Ehemannes, war ein Mann von 33. Jahren, und nur seit zweyen Jahren ein Wittber gewesen, hatte von seiner verstorbenen Frauen eine eintzige Tochter, Gertraud genannt, bey sich, die aber, wegen ihrer Kindheit, seinem Hauß-Wesen noch nicht vorstehen konte, derowegen gab er mir nach verflossenen Trauer-Jahre so wohl seine aufrichtige Liebe, als den letzten Willen meines seel. Mannes sehr beweglich zu verstehen, und drunge sich endlich durch tägliches Anhalten um meine Gegen-Gunst solcher Gestalt in mein Hertz, daß ich mich entschloß, die Heyrath mit ihm einzugehen, weil er mich hinlänglich überführete, daß so wohl der Wittben-Stand, als eine anderweitige Heyrath mit Zurücksetzung seiner Person, vor mich sehr gefährlich sey.

Ich hatte keine Ursach über diesen andern Mann zu klagen, denn er hat mich nach der Zeit in unsern [410] 5. jährigen Ehe-Stande mit keiner Gebärde, vielweniger mit einem Worte betrübt. Zehen Monat nach unserer Vereheligung kam ich mit einer jungen Tochter ins Kind-Bette, welche aber nach anderthalb Jahren an Masern starb, doch wurde dieser Verlust bald wiederum ersetzt, da ich zum andern mahle mit einem jungen Sohne nieder kam, worüber mein Ehemann eine ungemeine Freude bezeigte, und mir um so viel desto mehr Liebes-Bezeugungen erwiese. Bey nahe zwey Jahr hernach erhielt mein Wilhelm die betrübte Nachricht, daß sein leiblicher Vater auf dem Cap der guten Hoffnung Todes verblichen sey, weil nun derselbe in ermeldten Lande vor mehr als 30000. Thaler werth Güter angebauet und besessen hatte; als beredete er sich dieserwegen mit einem einzigen Bruder und einer Schwester, fassete auch endlich den Schluß, selbige Güter in Besitz zu nehmen, und seinem Geschwister zwey Theile des Werths heraus zu geben. Er fragte zwar vorhero mich um Rath, auch ob ich mich entschliessen könte, Europam zu verlassen, und in einem andern Welt-Theile zu wohnen, beschrieb mir anbey die Lage und Lebens-Art in selbigem fernen Lande aus dermassen angenehm, so bald ich nun merckte, daß ihm so gar sehr viel daran gelegen wäre, gab ich alsofort meinen Willen drein, und versprach, in seiner Gesellschafft viel lieber mit ans Ende der Welt zu reisen, als ohne ihn in Amsterdam zu bleiben. Demnach wurde aufs eiligste Anstalt zu unserer Reise gemacht, wir machten unsere besten Sachen theils zu Gelde, theils aber liessen wir selbige [411] in Verwahrung unsers Schwagers, der ein wohlhabender Jubelier war, und reiseten in GOttes Nahmen von Amsterdam ab, demCap der guten Hoffnung, oder vielmehr unserm Unglück entgegen, denn mittlerweile, da wir an den Canarischen Insuln, uns ein wenig zu erfrischen, angelandet waren, starb unser kleiner Sohn, und wurde auch daselbst zur Erde bestattet. Wenig Tage hierauf wurde die fernere Reise fortgesetzt, und mein Betrübniß vollkommen zu machen, überfielen uns zwey Räuber, mit welchen sich unser Schiff ins Treffen einlassen muste, auch so glücklich war, selbigen zu entgehen, ich aber solte doch dabey die allerunglückseeligste seyn, indem mein lieber Mann mit einer kleinen Kugel durch den Kopff geschossen wurde, und dieserwegen sein redliches Leben einbüssen muste.

Der Himmel weiß, ob mein seeliger William seinen tödtlichen Schuß nicht vielmehr von einem Meuchel-Mörder als von den See-Räubern bekommen hatte, denn alle Umstände kamen mir dabey sehr verdächtig vor, jedoch, GOtt verzeihe es mir, wenn ich den Severin Water in unrechten Verdacht halte.

Dieser Severin Water war ein junger Holländischer, sehr frecher, und wollüstiger Kaufmann, und hatte schon öffters in Amsterdam Gelegenheit gesucht, mich zu einem schändlichen Ehe-Bruche zu verführen. Ich hatte ihn schon verschiedene mahl gewarnet, meine Tugend mit dergleichen verdammten Ansinnen zu verschonen, oder ich würde mich genöthiget finden, solches meinem Manne [412] zu eröffnen, da er aber dennoch nicht nachlassen wolte, bat ich würcklich meinen Mann inständig, seine und meine Ehre gegen diesen geilen Bock zu schützen, allein, mein William gab mir zur Antwort: Mein Engel, lasset den Haasen lauffen, er ist ein wollüstiger Narr, und weil ich mich eurer Tugend-vollkommen versichert halte, so weiß ich auch, daß er zu meinem Nachtheil nichts bey euch erhalten wird, indessen ist es nicht rathsam, ihn noch zur Zeit zum offenbaren Feinde zu machen, weil ich durch seine Person auf dem Cap der guten Hoffnung einen besonderen wichtigen Vortheil erlangen kan. Und eben in dieser Absicht sahe es auch mein William nicht ungern, daß Severin in seiner Gesellschafft mit dahin reisete. Ich indessen war um so viel desto mehr verdrüßlich, da ich diesen geilen Bock alltäglich vor mir sehen, und mit ihm reden muste, er führete sich aber bey meines Mannes Leben noch ziemlich vernünfftig auf, jedoch gleich etliche Tage nach dessen jämmerlichen Tode, trug er mir sogleich seine eigene schändliche Person zur neuen Heyrath an. Ich nahm diese Leichtsinnigkeit sehr übel auf, und bat ihn, mich zum wenigsten auf ein Jahr lang mit dergleichen Antrage zu verschonen, allein er verlachte meine Einfalt, und sagte mit frechen Gebärden: Er frage ja nichts darnach, ich möchte schwanger seyn oder nicht, genung, er wolle meine Leibes-Frucht vor die seinige erkennen, über dieses wäre man auf den Schiffen der Geistlichen Kirchen-Censur nicht also unterworfen, als in unsern Vaterlande, und was dergleichen Geschwätzes mehr war, mich zu [413] einer gleichmäßigen schändlichen Leichtsinnigkeit zu bewegen, da ich aber, ohngeacht ich wohl wuste, daß sich nicht die geringsten Zeichen einer Schwangerschafft bey mir äuserten, dennoch einen natürlichen Abscheu so wohl vor der Person als dem gantzen Wesen dieses Wüstlings hatte, so suchte ihn, vermöge der verdrüßlichsten und schimpfflichsten Reden, mir vom Halse zu schaffen; Allein, der freche Bube kehrete sich an nichts, sondern schwur, ehe sein gantzes Vermögen nebst dem Leben zu verlieren, als mich dem Witwen-Stande oder einem andern Manne zu überlassen, sagte mir anbey frey unter die Augen, so lange wolle er noch Gedult haben, biß wir das Cap der guten Hoffnung erreicht hätten, nach diesem würde sich zeigen, ob er mich mit Güte oder Gewalt ins Ehe-Bette ziehen müsse.

Ich Elende wuste gegen diesen Trotzer nirgends Schutz zu finden, weil er die Befehlshaber des Schiffs so wohl als die meisten andern Leute durch Geschencke und Gaben auf seine Seite gelenckt hatte, solcher Gestalt wurden meine jämmerlichen Klagen fast von jedermann verlacht, und ich selbst ein Spott der ungehobelten Boots Knechte, indem mir ein jeder vorwarff, meine Keuschheit wäre nur ein verstelltes Wesen, ich wolte nur sehr gebeten seyn, würde aber meine Tugend schon wohlfeiler verkauffen, so bald nur ein junger Mann – – – –

Ich scheue mich, an die lasterhafften Reden länger zu gedencken, welche ich mit gröster Hertzens-Quaal von diesen Unflätern täglich anhören muste, über dieses klagte mir meine Aufwärterin Blandina [414] mit weinenden Augen, daß ihr Severin schändliche Unzucht zugemuthet, und versprochen hätte, sie auf dem Cap der guten Hoffnung nebst mir, als seine Kebs-Frau, beyzubehalten, allein, sie hatte ihm ins Angesicht gespyen, davor aber eine derbe Maulschelle hinnehmen müssen. Meiner zarten und fast noch nicht mannbaren Stieff-Tochter, der Gertraud, hatte der Schand-Bock ebenfalls seine Geilheit angetragen, und fast Willens gehabt, dieses fromme Kind zu nothzüchtigen, der Himmel aber führete mich noch bey Zeiten dahin, diese Unschuldige zu retten.


Solcher Gestalt war nun mein Jammer-Stand abermals auf der höchsten Stuffe des Unglücks, die Hülffe des Höchsten aber desto näher. Ich will aber nicht weiter beschreiben, welcher Gestalt ich nebst meiner Tochter und Aufwärterin von den Kindern und Befreunden des theuren Alt-Vaters Albert Julii aus dieser Angst gerissen und errettet worden, weil ich doch versichert bin, daß selbiger solches alles in seiner Geschichts-Beschreibung so wohl als mein übriges Schicksal, nebst andern mit aufgezeichnet hat, sondern hiermit meine Lebens-Beschreibung schliessen, und das Urtheil darüber andern überlassen. GOTT und mein Gewissen überzeugen mich keiner muthwilligen und groben Sünden, wäre ich aber ja eine lasterhaffte Weibs-Person gewesen, so hätte thöricht gehandelt, alles mit solchen Umständen zu beschreiben, woraus vielleicht mancher etwas schlimmeres von mir muthmassen könte.


[415] * * *


Dieses war also alles, was ich Eberhard Julius meinen Zuhörern, von der Virgilia eigenen Hand geschrieben, vorlesen konte, worauf der Alt-Vater seine Erzehlung folgender massen fortsetzte:

Unsere allseitige Freude über die gewünschte Wiederkunfft der Meinigen war gantz unvergleichlich, zumahlen da die mitgekommene junge Wittbe nebst ihrer Tochter und einer nicht weniger artigen Jungfrau bey unserer Lebens-Art ein vollkommenes Vergnügen bezeugten. Also wurde der bevorstehende Winter so wohl als der darauf folgende Sommer mit lauter Ergötzlichkeit zugebracht. Das Schiff luden meine Kinder aus, und stiessen es als eine nicht allzu nöthige Sache in die Bucht, weil wir uns nach keinen weitern Handel mit andern Leuten sehneten. Dahingegen erweiterten wir unsere alten Wohnungen, baueten noch etliche neue, versperreten alle Zugänge zu unserer Insul, und setzten die Hauß-Wirthschafften in immer bessern Stand. Amias hatte von einem Holländer ein Glaß voll Lein-Saamen bekommen, von welchen er etwas aussäete, um Flachs zu zeugen, damit die Weiber Spinnwerck bekämen, über dieses war seine gröste Freude, daß diejenigen Blumen und andere Gewächse zu ihrer Zeit so schön zum Vorschein kamen, zu welchen er die Saamen, Zwiebeln und Kernen von den Holländern erbettelt und mitgebracht hatte. Seiner Vorsicht, guter Wartung und besonderen Klugheit habe ich es eintzig und allein zu dancken, daß mein grosser Garten, zu welchen er im Jahr 1672 den Grund gelegt, in guten Stande ist.

[416] Doch eben in selbigem Jahre, ließ sich die tugendhafte Virgilia van Cattmers, und zwar am 8. Jan., nemlich an meinem Gebuhrths-Tage, mit meinem Sohne Johanne durch meine Hand ehelich zusammen geben, und weil der jüngste Zwilling, Christian, seine ihm zugetheilte Blandina an seinen ältern BruderChristoph gutwillig überließ, anbey aber mit ruhigem Hertzen auf die Gertraud warten wolte, so geschahe dem Christoph und der Blandina, die einander allem Ansehen nach recht hertzlich liebten, ein gleiches, so, daß wir abermals zwey Hochzeit-Feste zugleich begingen.

Im Jahre 1674 wurden endlich die letzten zwey von meinen leiblichen Kindern vereheliget, nemlich Christian mit Gertraud, und Christina mit David Rawkin, als welcher letztere genungsam Proben seiner treuen und geduldigen Liebe zu Tage gelegt hatte. Demnach waren alle die Meinigen dermassen wohl begattet und berathen, daß es, unser aller vernünfftigen Meinung nach, unmöglich besser erdacht und ausgesucht werden können, jedoch waren meine Concordia und ich ohnstreitig die allervergnügtesten zu nennen, denn alle die Unserigen erzeigten uns aus willigen ungezwungenen Hertzen den allergenausten Gehorsam, der mit einer zärtlichen Ehrerbietung verknüpfft war, wolten auch durchaus nicht geschehen lassen, daß wir uns mit beschwerlicher Arbeit bemühen solten, sondern suchten alle Gelegenheit, uns derselben zu überheben, von selbst, so, daß eine vollkommene Liebe und Eintracht unter uns allen anzutreffen war. Der Himmel erzeigte sich auch dermassen gnädig gegen uns [417] von allen andern abgesonderte Menschen, daß wir seine barmhertzige Vorsorge in allen Stücken gantz sonderbar verspüren konten, und nicht die geringste Ursache hatten, über Mangel oder andere dem menschlichen Geschlecht sonst zustossende betrübte Zufälle zu klagen, hergegen nahmen unsere Familien mit den Jahren dermassen zu, daß man recht vergnügt überrechnen konte, wie mit der Zeit aus denselben ein grosses Volck entstehen würde.

Im Jahr 1683. aber begegnete uns der erste klägliche Zufall, und zwar solcher Gestalt: Wir hatten seit etlichen Jahren her, bey müßigen Zeiten, alle diejenigen Oerter an den auswendigen Klippen, wo wir nur vermerckten, daß jemand dieselben besteigen, und uns überfallen könte, durch fleißige Hand-Arbeit und Sprengung mit Pulver, dermassen zugerichtet, daß auch nicht einmahl eine Katze hinauf klettern, und die Höhe erreichen können, hergegen arbeiteten wir zu unserer eigenen Bequemlichkeit 4. ziemlich verborgene krumme Gänge, an 4. Orten, nehmlich: Gegen Norden, Osten, Süden und Westen zu, zwischen den Felsen-Klippen hinab, die niemand so leicht ausfinden konte, als wer Bescheid darum wuste, und dieses geschahe aus keiner andern Ursache, als daß wir nicht die Mühe haben wolten, um aller Kleinigkeiten wegen, die etwa zwey oder drey Personen an der See zu verrichten hätten, allezeit die grossen und gantz neu gemachten Schleusen auf- und zu zu machen. Jedoch, wie ihr meine Lieben selbst wahrgenommen habt, verwahreten wir den Aus- und Eingang solcher bequemlicher Wege mit tieffen [418] Abschnitten und an dern Verhindernissen, solcher Gestalt, daß niemanden, ohne die herab gelassenen kleinen Zug-Brücken, die doch von eines eintzigen Menschen Händen leicht zu regieren sind, weder herüber- noch hinüber zu kommen vermögend ist. Indem nun alle Seiten und Ecken durch unermüdeten vieljährigen Fleiß in vollkommen guten Stand gesetzt waren, biß auf noch etwas weniges an der West-Seite, allwo, auf desAmias Angeben, noch ein ziemlich Stück Felsen abgesprengt werden solte, versahe es der redliche Mann hierbey dermassen schlimm, daß, da er sich nicht weit genung entfernet hatte, sein linckes Bein durch ein grosses fliegendes Stein-Stücke erbärmlich gequetscht und zerschmettert wurde, welcher Schade denn in wenig Tagen diesem redlichen Manne, ohngeacht aller angewandten kräfftigen Wund-Mittel, die auf unserer Insul in grosser Menge anzutreffen sind, und die wir so wohl aus des Don Cyrillo Anweisung, als aus eigener Erfahrung ziemlich erkennen gelernet, sein edles Leben, wiewohl im hohen Alter, doch bey gesunden Kräfften und frischem Hertzen, uns allen aber noch viel zu früh, verkürtzte.

Es war wohl kein eintziger, ausgenommen die gantz jungen Kinder, auf dieser Insel anzutreffen, der dem guten Robert, als dessen Bruders Sohne, im wehmüthigsten Klagen, wegen dieses unverhofften Todes und Unglücks-Falles, nicht eifrige Gesellschafft gelei stet hätte, Jacob, Simon und David, die alle drey in der Tischler-Arbeit die geschicktesten waren, machten ihm einen recht schönen Sarg nach Teutscher Art, worein wir den zierlich [419] angekleideten Cörper legten, und an denjenigen Ort, welchen ich vor längst zum Begräbniß der Todten ausersehen, ehrlich zur Erde bestatteten.

Robert, der in damahligem 19ten Jahre seines Ehestandes mit der jüngern Concordia allbereit 11. Kinder, als 3. Söhne und 8. Töchter, gezeuget hatte, war nunmehro der erste, der sich von uns trennete, und vor sich und sein Geschlechte eine eigene Pflantz-Stadt, jenseit des Canals gegen Osten zu, anlegte, weil uns der Platz und die Gegend um den Hügel herum, fast zu enge werden wolte. Mein ältester Sohn, Albert, folgte dessen Beyspiele mit seiner Judith, 6. Söhnen und 2. Töchtern am ersten, und legte seine Pflanz-Stadt Nordwerts an. Diesem that Stephanus mit seiner Sabina, 4. Söhnen und 5. Töchtern, ein gleiches nach, und zwar im Jahr 1685, da er seine Wohnung jenseit des West-Flusses aufschlug. Im folgenden Jahre folgte Jacob und Maria mit 3. Söhnen und 4. Töchtern, ingleichen Simon mit 3. Söhnen und 2. Töchtern, auch Johannes mit der Virgilia, 2. Söhnen und 5. Töchtern.

Ich ersahe meine besondere Freude hieran, und weil sie alle als Brüder einander im Hauß-Bauen und an dern Dinge redlich zu Hülffe kamen, so machte auch ich mir die gröste Freude daraus, ihnen kräfftige Handreichung zu thun. Bey uns auf dem Hügel aber wohnete also niemand mehr, als David und Christina mit 3. Söhnen und 3. Töchtern, Christoph mit 3. Söhnen und 4. Töchtern, und letztlich Christian mit 2. Söhnen und einer Tochter, ingesamt, meine Concordia und mich [420] mit gerechnet, 24. Seelen, ausserhalb des Hügels aber 59. Seelen. Summa, im Jahr 1688. da die erstere Haupt-Vertheilung vollendet wurde, aller auf dieser Insul lebenden Menschen, 83. Nehmlich 39. Mannes- und 44. Weibs-Personen.

Ich habe euch aber, meine Lieben, diese Rechnung nur dieserwegen vorgehalten, weil ich eben im 1688ten Jahre mein Sechzigstes Lebens-Jahr, und das Vierzigste Jahr meines vergnügt geführten Ehestandes zurück gelegt hatte, auch weil, ausser meinem letzten Töchterlein, biß auf selbige Zeit kein einziges noch mehr von meinen Kindern oder Kindes-Kindern gestorben war, welches doch nachhero eben so wohl unter uns, als unter andern sterblichen Menschen-Kindern geschahe, wie mein ordentlich geführtes Todten-Register solches bezeuget, und auf Begehren zur andern Zeit vorgezeiget werden kan.

Nun solte zwar auch von meiner Kindes-Kinder fernerer Verheyrathung ordentliche Meldung thun, allein, wem wird sonderlich mit solchen allzu grossen Weitläufftigkeiten gedienet seyn, zumahlen sich ein jeder leichtlich einbilden kan, daß sie sich mit Niemand anders als ihrer Väter und Mütter, Brüders- und Schwester-Kindern haben vereheligen können, welches, so viel mir wissend, Göttlicher Ordnung nicht gäntzlich zuwider ist, und worzu mein erster Sohnes-Sohn, Albertus der dritte allhier, anno 1689. mit Roberts ältesten Tochter den Anfang machte, welchen die andern Mannbaren, zu gehöriger Zeit, biß auf diesen Tag nachgefolget sind.

[421] Es mag aber, ließ sich hierauf der Alt-Vater hören, hiermit auf diesen Abend sein Bewenden haben, doch Morgen, geliebt es GOtt, und zwar nach verrichteten Morgen-Gebeth und eingenommenen Frühstück, da wir ohnedem einen Rast-Tag machen können, will ich den übrigen Rest meiner Erzehlung von denjenigen Merckwürdigkeiten thun, die mir biß auf des Capitain Wolffgangs Ankunfft im Jahr 1721. annoch Erzehlens-würdig scheinen, und ohngefähr beyfallen werden.

Demnach legten wir uns abermals sämmtlich zur Ruhe, da nun dieselbe nebst der von dem Alt-Vater bestimmten Zeit abgewartet war, gab er uns den Beschluß seiner bißhero ordentlich an einander gehenckten Erzehlung also zu vernehmen:

Im Jahr 1692. wandten sich endlich die 3. letzten Stämme auch von unserm Hügel, und baueten an selbst erwehlten Orten ihre eigene Pflantz-Städten vor sich und ihre Nachkommen an, damit aber meine liebe Concordia und ich nicht alleine gelassen würden, schickte uns ein jeder von den 9. Stämmen eins seiner Kinder zur Bedienung und Gesellschafft zu, also hatten wir 5. Jünglinge und 4. Mägdleins nicht allein zum Zeitvertreibe, sondern auch zu täglichen Lust-Arbeitern und Küchen-Gehülffen um und neben uns, denn vor Brodt und andere gute Lebens-Mittel durfften wir keine Sorge tragen, weil die Stamm-Väter alles im Uberflusse auf den Hügel schafften. Die Affen machten bey allen diesen neuen Einrichtungen die liederlichsten Streiche, denn ob ich gleich dieselben ordentlich als Sclaven meinen Kindern zugetheilet, [422] und ein jeder Stamm die seinigen mit einem besondern Halß-Bande gezeichnet hatte, so wolten sich dieselben anfänglich doch durchaus nicht zertheilen lassen, sondern versammleten sich gar öffters alle wieder auf dem Hügel bey meinen zweyen alten Affen, die ich vor mich behalten hatte, biß sie endlich theils mit Schlägen, theils mit guten Worten zum Gehorsam gebracht wurden.

Im Jahr 1694. fingen meine sämmtlichen Kinder an, gegenwärtiges viereckte schöne Gebäude auf diesem Hügel vor mich, als ihren Vater und König, zurResidentz aufzubauen, mit welchen sie erstlich nach 3en Jahren völlig fertig wurden, weßwegen ich meine alte Hütte abreissen und gantz hinweg schaffen ließ, das neue hergegen bezohe, und es Albertus-Burg nennete, nachhero habe in selbigem, durch den Hügel hindurch biß in des Don Cyrillo unterirrdische Höle, eine bequemliche Treppe hauen, den auswendigen Eingang derselben aber biß auf ein Lufft-Loch vermauren und verschütten lassen, so daß mir selbige kostbare Höle nunmehro zum herrlichsten Keller-Gewölbe dienet.

So bald die Burg fertig, wurde der gantze Hügel mit doppelten Reihen der ansehnlichsten Bäume in der Rundung umsetzt, ingleichen der Anfang von mir gemacht, zu den beyden Alléen, zwischen welchen Alberts-Raum mitten inne liegt, und die nunmehro seit etliche 20. Jahren zum zierlichsten Stande kommen sind, wie ich denn nebst meiner Concordia manche schöne Stunde mit Spatzieren-gehen darinne zugebracht habe.

[423] Im 1698ten Jahre stieß uns abermals eine der merckwürdigsten Begebenheiten vor. Denn da David Rawkins drey ältesten Söhne eines Tages den Nord-Steg hinnab an die See gestiegen waren, um das Fett von einem ertödteten See-Löwen auszuschneiden, erblicken sie von ohngefähr ein Schiff, welches auf den Sand-Bäncken vor unsern Felsen gestrandet hatte. Sie lauffen geschwind zurück und melden es ihrem Vater, welcher erstlich zu mir kam, um sich Raths zu erholen, ob man, daferne es etwa Nothleidende wären, ihnen zu Hülffe kommen möchte? Ich ließ alle wehrhaffte Personen auf der Insul zusammen ruffen, ihr Gewehr und Waffen ergreiffen, und alle Zugänge wohl besetzen, und begab mich mit etlichen in eigener Person auf die Höhe. Von dar ersahen wir nun zwar das gestrandete Schiff sehr eigentlich, wurden aber keines Menschen darauf gewahr, ohngeacht einer um den andern mit des seel. Amias hinterlassenen Perspectiv fleißig Acht hatte, biß der Abend herein zu brechen begunte, da wir meisten uns wiederum zurück begaben, doch aber die gantze Nacht hindurch die Wachten wohl bestellet hielten, indem zu besorgen war, es möchten etwa See-Räuber oder andere Feinde seyn, die vorigen Tages unsere jungen Leute von ferne erblickt, derowegen ein Boot mit Mannschafft ausgesetzt hätten, um den Felsen auszukundschafften, mitlerweile sich die übrigen im Schiffe verbergen müsten.

Allein wir wurden weder am andern, dritten, vierdten, fünfften noch sechsten Tage nichts mehr gewahr als das auf einer Stelle bleibende Schiff, [424] welches weder Masten noch Segel auf sich zeigte. Derowegen fasseten endlich am siebenten Tage David, nebst noch 11. andern wohl bewaffneten starcken Leuten, das Hertze, in unser grosses Boot, welches wir nur vor wenig Jahren zu Ausübung unserer Strand-Gerechtig keit verfertiget, einzusteigen, und sich dem Schiffe zu nähern.

Nachdem sie selbiges erreicht und betreten, kommen dem David sogleich in einem Winckel zwey Personen vor Augen, welche bey einem todten menschlichen Cörper sitzen, mit grossen Messern ein Stück nach dem andern von selbigen abschneiden, und solche Stücken als rechte heißhungerige Wölffe eiligst verschlingen. Uber diesen gräßlichen Anblick werden alle die Meinigen in nicht geringes Erstaunen gesetzt, jedoch selbiges wird um so viel mehr vergrössert, da einer von diesen Menschen-Fressern jählings aufspringet, und einen von Davids Söhnen mit seinem grossen Messer zu erstechen sucht, doch da dieser Jüngling seinen Feind mit der Flinte, als einen leichten Stroh-Wisch zu Boden rennet, werden endlich alle beyde mit leichter Müh überwältiget und gebunden hingelegt.

Hierauff durchsuchen sie weiter alle Kammern, Ecken und Winckel des Schiffs, finden aber weder Menschen, Vieh, noch sonsten etwas, wovor sie sich ferner zu fürchten Ursach hätten. Hergegen an dessen statt einen unschätzbaren Vorrath an kostbaren Zeug und Gewürtz-Waaren, schönen Thier-Häuten, zugerichteten Ledern und andern vortrefflichen Sachen. Uber dieses alles trifft David auf die fünfftehalb Centner ungemüntzet Gold, 14. Centner [425] Silber, 2. Schlag- Fässer voll Perlen, und drey Kisten voll gemüntztes Gold und Silber an, von dessen Glantze, indem er an seiner Jugend-Jahre gedenckt, seine Augen gantz verblendet werden.

Jedoch meine guten Kinder halten sich hierbey nicht lange auf, sondern greiffen zu allererst nach den kostbarn Zeug- und Gewürtz-Waaren, tragen so viel davon in das Boot als ihnen möglich ist, nehmen die zwey Gebundenen mit sich, und kamen also, nachdem sie nicht länger als etwa 4. Stunden aussen gewesen, wieder zurück, und zwar durch den Wasser-Weg, auf die Insul. Wir vermerckten gar bald an den zweyen Gebundenen, daß es rasende Menschen wären, indem sie uns die gräßlichsten Gebärden zeigten, so oft sie jemand ansahe, mit den Zähnen knirscheten, diejenigen Speisen aber, welche ihnen vorgehalten wurden, hurtiger als die Kraniche verschlungen, weßwegen zuAlberts-Raum, ein jeder in eine besondere Kammer gesperret, und mit gebundenen Händen und Füssen aufs Lager gelegt, dabey aber allmählig mit immer mehr und mehr Speise und Tranck gestärckt wurde. Allein der schlimmste unter den Beyden, reisset folgende Nacht seine Bande an Händen und Füssen entzwey, frisset erstlich allen herum liegenden Speise-Vorrath auf, erbarmt sich hiernächst über ein Fäßlein, welches mit einer besondern Art von eingemachten Wurtzeln angefüllet ist, und frist selbiges ebenfalls biß auf die Helffte aus, bricht hernach die Thür entzwey, und läufft dem Nord-Walde zu, allwo er folgendes Tages gegen Abend, jämmerlich zerborsten, gefunden, und auf selbiger Stelle begraben wurde. [426] Der andere arme Mensch schien zwar etwas ruhiger zu werden, allein man merckte doch, daß er seines Verstandes nicht mächtig werden konte, ohngeacht wir ihn drey Tage nach einander aufs Beste verpflegten. Endlich am 4ten. Tage, da ich Nachmittags bey ihm in der Kammer gantz stille saß, kam ihm das Reden auf einmahl an, indem er mit schwacher Stimme rief: JESUS, Maria, Joseph! Ich fragte ihn erstlich auf Deutsch, hernach in Holländischer und letztlich in Englischer wie auch Lateinischer Sprache: Wie ihm zu Muthe wäre, jedoch er redete etliche Spanische Worte, welche ich nicht verstund, derowegen meinen Schwieger-Sohn Robert herein ruffte, der ihn meine Frage in Spanischer Sprache erklärete, und zur Antwort erhielt: Es stünde sehr schlecht um ihn und sein Leben. Robert versetzte, weil er JESUM zum Helfer angerufft, werde es nicht schlecht um ihn stehen, er möge sterben oder leben. Ich hoffe es mein Freund, war seine Antwort, dahero ihn Robert noch ferner tröstete, und bat: wo es seine Kräffte zuliessen, uns mit wenig Worten zu berichten: Was es mit ihm und dem Schiffe vor eine Beschaffenheit habe? Hierauf sagte der arme Mensch: Mein Freund! das Schiff, ich und alles was darauff ist, gehöret dem Könige von Spanien. Ein hefftiger Sturm hat uns von dessen West-Indischen Flotte getrennet, und zweyen Raub-Schiffen entgegen geführet, denen wir aber durch Tapfferkeit und endliche Flucht entgangen sind. Jedoch die fernern Stürme haben uns nicht vergönnet, einen sichern Hafen zu finden, vielweniger den Abgang unserer Lebens-Mittel [427] zu ersetzen. Unsere Cameraden selbst haben Verrätherisch gehandelt, denn da sie von ferne Land sehen, und selbiges mit dem übel zugerichteten Schiffe nicht zu erreichen getrauen, werffen sich die Gesunden ins Boot und lassen etliche Krancke, ohne alle Lebens-Mittel zurücke. Wir wünschten den Tod, da aber selbiger, zu Endigung unserer Marter, sich nicht bey allen auf einmahl einstellen wolte, musten wir uns aus Hunger an die Cörper derjenigen machen, welche am ersten sturben, hierüber hat unsere Kranckheit dermassen zugenommen, daß ich vor meine Person selbst nicht gewust habe, ob ich noch lebte oder allbereits todt wäre.

Robert versuchte zwar noch ein und anderes von ihm zu erforschen, da aber des elenden Spaniers Schwachheit allzugroß war, musten wir uns mit dem Bescheide: Er wolle Morgen, wenn er noch lebte, ein mehreres reden, begnügen lassen. Allein nachdem er die gantze Nacht hindurch ziemlich ruhig gelegen, starb er uns, mit anbrechende Tage, sehr sanfft unter den Händen, und wurde seiner mit wenig Worten und Gebärden bezeigten christlichen Andacht wegen, an die Seite unseres Gottes-Ackers begraben. Solchergestalt war niemand näher die auf dem Schiff befindlichen Sachen in Verwahrung zu nehmen, als ich und die Meinigen, und weil wir dem Könige von Spanien auf keinerley Weise verbunden waren, so hielt ich nicht vor klug gehandelt, meinen Kindern das Strand-Recht zu verwehren, welche demnach in wenig Tagen das gantze Schiff, nebst allen darauff befindlichen Sachen, nach und nach Stückweise auf die Insul brachten.

[428] Ich theilete alle nützliche Waaren unter dieselben zu gleichen Theilen aus, biß auf das Gold, Silber, Perlen, Edelgesteine und Geld, welches von mir, um ihnen alle Gelegenheit zum Hoffart, Geitz, Wucher und andern daraus folgenden Lastern zu benehmen, in meinen Keller zu des Don Cyrillo und andern vorhero erbeuteten Schätzen legte, auch dieserwegen von ihnen nicht die geringste scheele mine empfieng.

Der erste Jan. im Jahre Christi 1700. wurde nicht allein als der Neue Jahres-Tag und Fest der Beschneidung Christi, sondern über dieses als ein solcher Tag, an welchen wir ein neues Jahr hundert, und zwar das 18te nach Christi Gebuhrt antraten, recht besonders frölich von uns gefeyert, indem wir nicht allein alle unsere Canonen löseten, deren wir auf dem letztern Spanischen Schiffe noch 12. Stück nebst einem starcken Vorrath an Schieß-Pulver überkommen hatten, sondern auch nach zweymahligen verrichteten Gottesdienste, unsere Jugend mit Blumen-Kräntzen ausziereten, und selbige im Reyhen herum singen und tantzen liessen. Folgendes Tages ließ ich, vor die junge Mannschafft, von 16. Jahren und drüber, die annoch gegenwärtige Vogel-Stange aufrichten, einen höltzernen Vogel daran häncken, wornach sie schiessen musten, da denn diejenigen, welche sich wohl hielten, nebst einem Blumen-Crantze verschiedene neue Kleidungs-Stücke, Aexte, Sägen und dergleichen, derjenige aber so das letzte Stück herab schoß, von meinerConcordia ein gantz neues Kleid, und von mir eine kostbare Flinte zum Lohne bekam. Diese Lust ist nachhero alljährlich [429] einmahl um diese Zeit vorgenommen worden.

Am 8. Jan. selbigen Jahres, als an meinen Gebuhrts- und Vereheligungs-Tage, beschenckte mich der ehrliche Simon Schimmer mit einem neugemachten artigen Wagen, der von zweyen zahmgemachten Hirschen gezogen wurde, also sehr bequem war, mich und meine Concordia von einem Orte zum andern spatzieren zu führen. Schimmer hatte diese beyden Hirsche noch gantz jung aus dem Thier-Garten genommen, und selbige durch täglichen unverdrossenen Fleiß, dermassen Kirre gewöhnet, daß sie sich Regieren liessen wie man wolte. Ihm haben es nachhero meine übrigen Kinder nach gethan, und in wenig Jahren viel dergleichen zahme Thiere auferzogen.

Nun könte ich zwar noch vieles anführen, als nemlich: von Entdeckung der Insul Klein-Felsenburg. Von Erzeugung des Flachses, und wie unsere Weiber denselben zubereiten, spinnen und wircken lernen. Von allerhand andern Handwercken, die wir mit der Zeit durch öffteres Versuchen ohne Lehrmeisters einander selbst gelehret und zu Stande bringen helffen. Von allerhand Waaren und Geräthschafften, die uns von Zeit zu Zeit durch die Winde und Wellen zugeführet worden. Von meiner 9. Stämme Vermehrung und immer besserer Wirtschaffts-Einrichtung im Acker-Garten- und Wein-Bau. Von meiner eigenen Wirthschafft, Schatz- Rüst- und Vorraths-Kammer und dergleichen; Allein meine Lieben, weil wir doch länger beysammen bleiben, und GOTT mir hoffentlich [430] noch das Leben eine kleine Zeit gönnen wird, so will selbiges biß auf andere Zeiten versparen, damit wir in künfftigen Tagen bey dieser und jener Gelegenheit darüber mit einander zu sprechen Ursach finden, vor jetzo aber will damit schliessen, wenn ich noch gemeldet habe, was der Tod in dem eingetretenen 18den Seculo vor Haupt-Personen, aus diesem unsern irrdischen, in das Himmlische Paradieß versetzt hat, solches aber sind folgende:


1. Johannes mein dritter leiblicher Sohn starb 1706. seines Alters 55. Jahr.

2. Maria meine älteste Tochter, starb 1708. ihres Alters 58. Jahr.

3. Elisabeth meine zweyte Tochter, starb 1711. ihres Alters 58. Jahr.

4. Virgilia van Cattmers Johannis Gemahl. starb 1713. ihres Alters 66. Jahr.

5. Meine seel. Ehe-Gemahlin Concordia, starb 1715. ihres Alters im 89ten Jahre.

6. Simon Heinrich Julius, sonst Schimmer, starb 1716. seines Alters 84. Jahr.

7. Die jüngere Concordia und

8. Robert Julius, sonst Hilter, sturben binnen 6. Tagen, als treue Ehe-Leute. 1718. ihres Alters, sie im 72. und Er im 84. Jahre.

9. Jacob Julius, sonst Larson, starb 1719. seines Alters 89. Jahr.

10. Blandina, Christophs Gemahl. starb 1719. ihres Alters 65. Jahr.

11. Gertraud, Christians Gemahl. starb 1723. ihres Alters 66. Jahre.


Nunmehro, mein Herr Wolffgang! sagte hierauff[431] der Altvater Albertus, indem er sich, wegen Erinnerung seiner verstorbenen Geliebten, mit weinenden Augen zum Capitain Wolffgang wandte, werdet ihr von der Güte seyn, und dasjenige anführen, was ihr binnen der Zeit eurer ersten Anwesenheit auf dieser Insul angetroffen und verbessert habt.

Demnach setzte selbiger redliche Mann des Altvaters und seine eigene Geschicht folgender massen fort: Ich habe euch, meine werthesten Freunde, (sagte er zu Herr Mag. Schmeltzern und mir,) meine Lebens-Geschicht, zeitwährender unserer Schiffahrth biß dahin wissend gemacht: Da ich von meinen schelmischen Gefährten an diesen vermeintlichen wüsten Felsen ausgesetzt, nachhero aber von hiesigen frommen Einwohnern erquickt und aufgenommen worden. Diese meine merckwürdige Lebens Erhaltung nun, kan ich im geringsten nicht einer ohngefähren Glücks-Fügung, sondern eintzig und allein der sonderbaren Barmhertzigen Vorsorge GOTTES zuschreiben, denn die Einwohner dieser Insul waren damahls meines vorbey fahrenden Schiffs so wenig als meiner Aussetzung gewahr worden, wusten also nichts darvon, daß ich elender Mensch vor ihrem Wasser-Thore lag, und verschmachten wolte. Doch eben an demselben Tage, welchen ich damahligen Umständen nach, vor den letzten meines Leben hielt, regieret GOTT, die Hertzen 6. ehrlicher Männer aus Simons- und Christians Geschlechte, mit ihrem Gewehr nach dem in der Bucht liegenden Boote zu gehen, auf selbigen eine Fahrt nach der West-Seite zu thun, und [432] allda auf einige See-Löwen und See-Kälber zu lauren. Diese waren also, kurtz gesagt, die damahligen Werckzeuge GOTTES zu meiner Errettung, indem sie mich erstlich durch den Wasser-Weg zurück in ihre Behausung führeten, völlig erquickten, und nachhero dem Altvater von meiner Anwesenheit Nachricht gaben. Dieser unvergleichliche Mann, den GOTT noch viele Jahre zu meinem und der Seinigen Trost erhalten wolle, hatte kaum das vornehmste von meinen Glücks- und Unglücks-Fällen angehöret, als er mich sogleich hertzlich umarmete, und versprach: Mir meinen erlittenen Schaden dreyfach zu ersetzen, weil er solches zu thun wohl im Stande sey, und da ich keine Lust auf dieser Insul zu bleiben hätte, würde sich mit der Zeit schon Gelegenheit finden, wieder in mein Vaterland zurück zu kommen. Immittelst nahm er mich sogleich mit auf seinen Hügel, gab mir eine eigene wohl zubereitete Kammer ein, zog mich mit an seine Tafel, und versorgte mich also mit den köstlichsten Speisen, Geträncke, Kleidern, ja mit allem, was mein Hertz verlangen konte, recht im überflusse. Ich bin jederzeit ein Feind des Müßiggangs gewesen, derowegen machte mir alltäglich, bald hier bald dar, genung zu schaffen, indem ich nicht allein etliche 12. biß 16. jährige Knaben auslase, und dieselben in allerhand nützlichen Wissenschafften, welche zwar allhier nicht gäntzlich unbekannt, doch ziemlich dunckel und Beschwerlich fielen, auf eine weit leichtere Weise unterrichtete, sondern auch den Acker- Wein- und Garten-Bau fleißig besorgen halff. Mein Wohlthäter bezeugte [433] nicht allein hierüber seinen besondern Wohlgefallen, sondern ich wurde bey weiterer Bekandtschafft von allen Einwohnern, Jung und Alt, fast auf den Händen getragen, weßwegen ein Streit in meinen Hertzen entstund: Ob ich bey ereigneter Gelegenheit diese Insul verlassen, oder meine übrige Lebens-Zeit auf derselben zubringen wolte, als welches Letztere alle Einwohner sehnlich wünscheten, allein meine wunderlich herum schweiffenden Sinnen konten zu keinem beständigen Schlusse kommen, sondern ich wanckte zwey gantzer Jahre lang von einer Seite zur andern, biß endlich im dritten Jahre folgende Liebes-Begebenheit mich zu dem festen Vorsatze brachte: alles Guth, Ehre und Vergnügen, was ich etwa noch in Europa zu hoffen haben könte, gäntzlich aus dem Sinne zu schlagen, und mich allhier auf Lebens-Zeit feste zu setzen: Der gantze Handel aber fügte sich also: Der Stamm-VaterChristian hatte eine vortreffliche schöne und tugendhaffte Tochter, Sophia genannt, um welche ein junger Geselle, aus dem Jacobischen Geschlecht, sich eifrig bemühete, dieselbe zur Ehe zu haben, allein da diese Jungfrau denselben, so wohl als 4. andere, die schon vorhero um sie angehalten hatten, höflich zurück wiese, und durchaus in keine Heyrath mit ihm willigen wolte, bat mich der Vater Christian eines Tages zu Gaste, und trug mir an: Ob ich, als ein kluger Frembdling, nicht etwa von seiner Tochter ausforschen könne und wolle, weßwegen sie diesen Junggesellen, der ihrer so eiffrig begehrte, ihre eheliche Hand nicht reichen möchte; Ich nahm diese Commission willig auf, begab mich mit guter manier [434] zu der schönen Sophie, welche im Garten unter einem grünen schattigen Baume mit der Spindel die zärtesten Flachs-Faden spann, weßwegen ich Gelegenheit ergriff mich bey ihr nieder zu setzen, und ihrer zarten Arbeit zuzusehen, welche ihre geschickten und saubern Hände gewiß recht anmuthig verrichteten.

Nach ein und andern schertzhafften jedoch tugendhafften Gesprächen, kam ich endlich auf mein propos, und fragte etwas ernsthaffter: Warum sie denn so eigensinnig im Lieben sey, und denjenigen Jungen Gesellen, welcher sie so hefftig liebte, nicht zum Manne haben wolle. Das artige Kind erröthete hierüber, wolte aber nicht ein Wort antworten, welches ich vielmehr ihrer Schamhafftigkeit, als einer Blödigkeit des Verstandes zurechnen muste, indem ich allbereit zur Gnüge verspüret, daß sie einen vortrefflichen Geist und aufgeräumten Sinn hatte. Derowegen setzte noch öffter an, und brachte es endlich durch vieles Bitten dahin, daß sie mir ihr gantzes Hertz in folgenden Worten eröffnete: Mein Herr! sagte sie, ich zweiffele nicht im geringsten, daß ihr von den Meinigen abgeschickt seyd, meines Hertzens Gedancken auszuforschen, doch weil ich euch vor einen der redlichsten und tugendhafftesten Leute halte, so will ich mich nicht schämen euch das zu vertrauen, was ich auch meinem Vater und Geschwister, geschweige denn andern Befreundten, zu eröffnen Scheu getragen habe. Wisset demnach, daß mir unmöglich ist einen Mann zu nehmen, der um so viele Jahre jünger ist als ich, bedencket doch, ich habe allbereit mein 32stes Jahr zurück gelegt, [435] und soll einen jungen Menschen Heyrathen, der sein zwantzigstes noch nicht ein mal erreicht hat. Es ist ja Gottlob kein Mangel an Weibs-Personen auf dieser Insul, hergegen hat er so wohl als andere noch das Auslesen unter vielen, wird also nicht unverheyratet sterben dürffen, wenn er gleich mich nicht zur Ehe bekömmt, solte aber ich gleich ohn verheyrathet sterben müssen, so wird mir dieses weder im Leben noch im Tode den allergeringsten Verdruß erwecken. Ich verwunderte mich ziemlicher massen über dieses 32. jährigen artigen Frauenzimmers resolution, und hätte, ihrem Ansehen und gantzen Wesen nach, dieselbe kaum mit guten Gewissen auf 20. Jahr geschätzet, doch da ich in ihren Reden einen lautern Ernst verspürete, gab ich ihr vollkommen Recht und fragte nur: Warum sie aber denn allbereit 4. andere Liebhaber vor diesem letztern abgewiesen hätte? Worauff sie antwortete: Sie sind alle wenigstens 10. biß 12. Jahr jünger gewesen als ich, derowegen habe unmöglich eine Heyrath mit ihnen treffen können, sondern viel lieber ledig bleiben wollen.

Hierauff lenckte ich unser Gespräch, um ihren edlen Verstand ferner zu untersuchen auf andere Sachen, und fand denselben so wohl in geistlichen als weltlichen Sachen dermassen geschärfft, daß ich so zu sagen fast darüber erstaunete, und mit innigsten Vergnügen so lange bey ihr sitzen blieb, biß sich unvermerckt die Sonne hinter die hohen Felsen-Spitzen verlohr, weßwegen wir beyderseits den Garten verliessen, und weil ich im Hause vernahm, daß sich der Vater Christian auf der Schleusen-Brücke [436] befände, wunschete ich der schönen Sophie nebst den übrigen eine gute Nacht, und begab mich zu ihm. Indem er mir nun das Geleite biß auf die Alberts-Burg zu unserm Altvater gab, erzehlete ich ihm unterwegens seiner tugendhafften Tochter vernünfftiges Bedencken über die angetragene Heyrath, so wohl als ihren ernstlich gefasseten Schluß, worüber er sich ebenfalls nicht wenig verwunderte, und deßfalls erstlich den Altvater um Rath fragen wolte. Derselbe nun that nach einigen überlegen diesen Ausspruch: Zwinge dein Kind nicht, mein Sohn Christian, denn Sophia ist eine keusche und Gottesfürchtige Tochter, deren Eigensinn in diesem Stück unsträflich ist, ich werde ihren Liebhaber Andream anderweit berathen, und versuchen ob ichNicolaum, deines seel. Bruders Johannis dritten Sohn, der einige Jahre älter ist, mit der frommen Sophie vereheligen kan.

Wir geriethen demnach auf andere Gespräche, allein ich weiß nicht wie es so geschwinde bey mir zugieng, daß ich auf einmahl gantz tieffsinnig wurde, welches der liebe Altvater sogleich merckte, und sich um meine jählinge Veränderung nicht wenig bekümmerte, doch da ich sonst nichts als einen kleinen Kopff-Schmertzen vorzuwenden wuste, ließ er mich in Hoffnung baldiger Besserung zu Bette gehen. Allein ich lage lange biß nach Mitternacht, ehe die geringste Lust zum Schlafe in meine Augen kommen wolte, und, nur kurtz von der Sache zu reden, ich spürete nichts richtiges in meinem Hertzen, als daß es sich vollkommen in die schöne und tugendhaffte Sophie verliebt hätte. Hergegen machten mir des [437] lieben Altvaters gesprochene Worte: Ich werde versuchen, ob ich Nicolaum mit der frommen Sophie vereheligen kann, den allergrösten Kummer, denn erstlich hatte ich als ein elender Einkömmling noch die gröste Ursach zu zweiffeln, ob ich der schönen Sophie Gegen-Gunst erlangen, und vors andere schwerlich zu hoffen, daß mich der Altvater seinem Enckel Nicolao vorziehen würde. Nachdem ich mich aber dieserwegen noch eine gute Weile auf meinem Lager herum geworffen, und meiner neuen Liebe nachgedacht hatte, fassete ich endlich den festen Vorsatz keine Zeit zu versäumen, sondern meinem aufrichtigen Wohlthäter mein gantzes Hertze, gleich morgen früh zu offenbaren, nachhero, auf dessen redliches Gutachten, selbiges der schönen Sophie ohne alle Weitläufftigkeiten ehrlich anzutragen.

Hierauff liessen sich endlich meine Furcht und Hoffnungs-volle Sinnen durch den Schlaff überwältigen, doch die Einbildungs-Kräffte machten ihnen das Vergnügen, die schöne Sophie auch im Traume darzustellen, so, daß sich mein Geist den gantzen übrigen Theil der Nacht hindurch mit derselben unterredete, und so wohl an ihrer äuserlichen schönen Gestalt, als innerlichen vortreflichen Gemüths-Gaben ergötzte. Ich wachte gegen Morgen auf, schlief aber unter dem Wunsche, dergleichen Traum öffter zu haben, bald wieder ein, da mir denn vorkam, als ob meine auf der Insul Bonair seelig verstorbene Salome, die tugendhaffte Sophie in meine Kammer geführet brächte, und derselben ihren Trau-Ring, den ich ihr mit in den [438] Sarg gegeben hatte, mit fröhlichen Gebärden überlieferte, hernach zurücke gieng und Sophien an meiner Seiten stehen ließ. Hierüber erwachte ich zum andern mahle, und weil die Morgen-Röthe bereits durch mein von durchsichtigen Fisch-Häuten gemachtes Fenster schimmerte, stund ich, ohne den Altvater zu erwecken, sachte auf, spazierete in dessen grossen Lust-Garten, und setzte mich auf eine, zwischen den Bäumen gemachte Rasen-Banck, verrichtete mein Morgen-Gebeth, sung etliche geistliche Lieder, zohe nach diesen meine Schreib-Tafel, die mir nebst andern Kleinigkeiten von meinen Verräthern annoch in Kleidern gelassen worden, hervor, und schrieb folgendes Lied hinnein.


1.
Unverhoffte Liebes-Netze
Haben meinen Geist bestrickt.
Das, woran ich mich ergötze,
Hat mein Auge kaum erblickt;
Kaum, ja kaum ein wenig Stunden,
Da der güldnen Freyheit Pracht
Ferner keinen Platz gefunden,
Darum nimmt sie gute Nacht.
2.
Holder Himmel! darff ich fragen:
Wilst du mich im Ernst erfreun?
Soll, nach vielen schweren Plagen,
Hier mein ruhigs Eden seyn?
O! so macht dein Wunder-Fügen,
Und die süsse Sklaverey,
Mich von allen Mißvergnügen,
Sorgen, Noth und Kummer frey.
[439] 3.
Nun so fülle, die ich liebe,
Bald mit Glut und Flammen an,
Bringe sie durch reine Triebe
Auf die keusche Liebes-Bahn,
Und ersetze meinem Hertzen,
Was es eh'mals eingebüßt;
Denn so werden dessen Schmertzen
Durch erneute Lust versüßt.

Kaum hatte ich diesen meinen poëtischen Einfall zurechte gebracht, als ich ihn unter einer bekandten weltlichen Melodey abzusingen etliche mahl probierte, und nicht vermerckte, daß ich an dem lieben Altvater einen aufmercksamen Zuhörer bekommen, biß er mich sanfft auf die Schulter klopffte und sagte: Ist's möglich mein Freund, daß ihr in meine Auffrichtigkeit einigen Zweiffel setzen und mir euer Liebes-Geheimniß verschweigen könnet, welches doch ohnfehlbar auf einem tugendhafften Grunde ruhet? Ich fand mich solchergestalt nicht wenig betroffen, entschuldigte meine bisherige Verschwiegenheit mit solchen Worten, die der Wahrheit gemäß waren, und offenbarete ihm hierauff mein gantzes Hertze. Es ist gut, mein Freund versetzte der werthe Altvater dargegen, Sophia soll euch nicht vorenthalten werden, allein übereilet euch nicht, sondern machet vorhero weitere Bekanntschafft mit derselben, untersuchet so wohl ihre als eure selbst eigene Gemüths-Neigungen, wann ihr so dann vor thunlich befindet, eure Lebens-Zeit auf dieser Insul mit einander zuzubringen, soll euch erlaubt [440] seyn, mit selbiger in den Stand der Ehe zu treten, doch das sage ich zum voraus: Daß ihr so wohl, als meine vorigen Schwieger-Söhne einen cörperlichen Eyd schweren müsset, so lange als meine Augen offen stehen, nichts von dieser Insel, vielweniger eines meiner Kinder eigenmächtiger oder heimlicher Weise hinweg zu führen. Nächst diesem, war seine fernere Rede, hat mir ohnfehlbar der Geist GOttes ein besonderes Vorhaben eingegeben, zu dessen Ausführung mir keine tüchtigere Person von der Welt vorkommen können, als die eurige. Ich danckte dem lieben Altvater nicht allein vor dessen gütiges Erbiethen, sondern versprach auch, was so wohl den Eyd, als alles andere beträffe, so er von mir verlangen würde, nach meinem äusersten Vermögen ein völliges Genügen zu leisten. Derselbe aber verlangte vorhero nochmahls eine umständliche Erzehlung meiner Lebens-Geschichte, worinnen ich ihm noch selbigen Tage gehorsamete, und ohngefähr mit erwehnete: Wie ich in einer gewissen berühmten Handels-Stadt, unter andern auch mit einem Kauffmanne in Bekandtschafft gerathen, der ebenfalls den Zunahmen Julius geführet hätte, doch, da ich von dessen Geschlecht und Herkommen keine fernere Nachricht zu geben wuste, erseuffzete der liebe Altvater dieserwegen, und wünschte, daß selbiger Kauffmann ein Befreundter von ihm, oder gar ein Abstammling von seinen ohnfehlbar nunmehro seel. Bruder sein möchte; Allein, ich konte, wie bereits gemeldet, hiervon so wenig, als von des Kaufmanns übriger Familie und dessen Zustande [441] Nachricht geben. Derowegen brach endlich der werthe Altvater loß, und hielt mir in einer weitläufftigen Rede den glückseeligen Zustand vor, in welchen er sich nebst den Seinigen auf dieser Insul von GOtt gesetzt sähe. Nur dieses eintzige beunruhige sein Gewissen, daß nemlich er und die Seinigen ohne Priester seyn, mithin des heiligen Abendmahls nebst anderer geistlichen Gaben beraubt leben müsten: Uber dieses, da die Anzahl der Weibs-Personen auf der Insul stärcker sey, als der Männer, so wäre zu wünschen, daß noch einige zum Ehe-Stande tüchtige Handwercker und Künstler anhero gebracht werden könnten, welches dem gemeinen Wesen zum sonderbaren Nutzen, und manchen armen Europäer, der sein Brod nicht wohl finden könte, zum ruhigen Vergnügen gereichen würde. Und letztlich wünschte der liebe Alt-Vater, vor seinem Ende noch einen seiner Bluts-Freunde aus Europa bey sich zu sehen, um demselben einen Theil seines fast unschätzbaren Schatzes zuzuwenden, denn, sagte er: Was sind diese Glücks-Güter mir und den Meinigen auf dieser Insul nütze, da wir mit niemanden in der Welt Handel und Wandel zu treiben gesonnen? Und gesetzt auch, daß dieses in Zukunfft geschehen solte, so trägt diese Insul so viele Reichthümer und Kostbarkeiten in ihrem Schosse, wovor alles dasjenige, was etwa bedürfftig seyn möchte, vielfältig eingehandelt werden kan. Demnach möchte es wohl seyn, daß sich meines Bruders Geschlecht in Europa in solchem Zustande befände, dergleichen Schätze besser als wir zu gebrauchen und anzulegen;[442] Warum solte ich also ihnen nicht gönnen, was uns überflüßig ist und Schaden bringen kan? Oder solche Dinge, die GOtt dem Menschen zum löblichen Gebrauch erschaffen, heimtückischer und geitziger Weise unter der Erden versteckt behalten?

Nachdem er nun noch sehr vieles von diesen Sachen mit mir gesprochen, schloß er endlich mit diesen treuhertzigen Worten: Ihr wisset nunmehro, mein redlicher Freund Wolffgang, was mir auf dem Hertzen liegt, und euer eigener guter Verstand wird noch mehr anmercken, was etwa zu Verbesserung unseres Zustandes von nöthen sey, darum saget mir in der Furcht GOttes eure aufrichtige Meinung: Ob ihr euch entschliessen wollet, noch eine Reise in Europam zu unternehmen, mein Hertz und Gewissen, gemeldten Stücken nach, zu beruhigen, und nach glücklicher Zurückkunfft Sophien zu ehligen. An Gelde, Gold, Silber und Kleinodien will ich zwey biß drey mahl hundert tausend Thaler werth zu Reise-Kosten geben, was sonsten noch darzu erfordert wird, ist nothdürfftig vorhanden, wegen der Reise-Gesellschafft und anderer Umstände aber müsten wir erstlich genauere Abrede nehmen, denn mit meinem Willen soll keines von meinen Kindern seinen Fuß auf die Europäische Erde setzen.

Ich nahm nicht den geringsten Aufschub, dem lieben Alt-Vater, unter den theuresten Versicherungen meiner Redlichkeit und Treue, alles einzuwilligen, was er von mir verlangte, weil ich mir so gleich die feste Hoffnung machte, GOtt würde mich auf dieser Reise, die hauptsächlich seines [443] Diensts und Ehre wegen vorgenommen sey, nicht unglücklich werden lassen. Derowegen wurden David und die andern Stamm-Väter zu Rathe gezogen, und endlich beschlossen wir ingesammt, unser leichtes Schiff in guten Stand zu setzen, auf welchen mich David nebst 30. Mann biß auf die Insul St. Helenæ bringen, daselbst aussetzen, und nachhero mit seiner Mannschafft sogleich wieder zurück auf Felsenburg seegeln solte.

Mittlerweile, da fast alle starcke Leute keine Zeit noch Mühe spareten, das Schiff nach meinem Angeben auszubessern, und Segel-fertig zu machen, nahm ich alle Abend Gelegenheit, mich mit der schönen Sophie in Gesprächen zu vergnügen, auch endlich die Kühnheit, derselben mein Hertz anzubieten, weil nun der liebe Alt-Vater allbereit die Bahne vor mich gebrochen hatte, konte mein verliebtes Ansinnen um desto weniger unglücklich seyn, sondern, kurtz zu sagen, wir vertauschten bey einem öffentlichen Verlöbnissse unsere Hertzen mit solcher Zärtlichkeit, die mir auszusprechen unmöglich ist, und verschoben die Vollziehung dieses ehelichen Bündnisses biß auf meine, in der Hoffnung, glückliche Zurückkunfft.

Gegen Michaelis-Tag des verwichenen 1724ten Jahres wurden wir also mit Ausrüstung unseres Schiffs, welches ich die Taube benennete, und demselben Holländische Flaggen aufsteckte, vollkommen fertig, es war bereits mit Proviant und allem andern wohl versehen, der gute alte David Julius, der jedoch an Leibes- und Gemüths-Kräfften es noch manchem jungen Manne zuvor that, hielt sich [444] mit seiner auserlesenen und wohl bewaffneten jungen Mannschafft alltäglich parat, einzusteigen, exercierte aber dieselben binnen der Zeit auf recht lustige und geschickte Art. Da es demnach nur an meiner Abfertigung lage, ließ mich der Alt-Vater, weil er eben damahls einiges Reissen in Knien hatte, also nicht ausgehen konte, vor sein Bette kommen, und führete mir nochmahls alles dasjenige, was ich ihm zu leisten versprochen, liebreich zu Gemüthe, ermahnete mich anbey GOtt, ihm und den Seinigen diesen wichtigen und eines ewigen Ruhms würdigen Dienst, redlich und getreu zu erweisen, welchen GOTT ohnfehlbar zeitlich und ewig vergelten würde. Ich legte hierauf meine lincke Hand auf seine Brust, die rechte aber richtete ich zu GOTT im Himmel in die Höhe, und schwur einen theuren Eyd, nicht allein die mir aufgetragenen 3. Haupt-Puncte nach meinem besten Vermögen zu besorgen, sondern auch alles andere, was dem gemeinen Wesen zur Verbesserung gereichlich, wohl zu beobachten. Hierauf lieferte er mir denjenigen Brief ein, welchen ich euch, mein Eberhard Julius, in Amsterdam annoch wohl versiegelt übergeben habe, und wiese mich zugleich in eine Kammer, allwo ich aus einem grossen Pack-Fasse an Geld, Gold und Edel-Steinen so viel nehmen möchte, als mir beliebte. Es befanden sich in selbigen am Werth mehr denn 5. biß 6. Tonnen Schatzes, doch ich nahm nicht mehr davon als 30. runde Stücken gediehenes Goldes, deren ich jedes ohngefähr 10. Pfund schwer befand, nächst diesen an Spanischer Gold-und Silber-Müntze [445] 50000. Thlr. werth, ingleichen an Perlen und Kleinodien ebenfalls einer halben Tonne Goldes werth. Ich brauchte die Vorsicht, die kostbarsten Kleinodien und grossen güldnen Müntzen so wohl in einen bequemen Gürtel, den ich auf den blossen Leibe trug, als auch in meine Unter-Kleider zu verwahren, die grossen Gold-Klumpen aber wurden zerhackt, und in die mit den allerbesten Rosinen angefülleten Körbe vertheilet und verborgen. Mit den Perlen thaten wir ein gleiches, das gemüntzte Geld aber vertheilete ich in verschiedene Lederne Beutel, und verwahrete es also, daß es zur Zeit der Noth gleich bey der Hand seyn möchte. Dem Alt-Vater gefielen zwar meine Anstalten, jedennoch aber war er der Meynung, ich würde mit so wenigen Gütern nicht alles ausrichten können. Doch, da ihm vorstellete, wie es sich nicht schicken würde, mit mehr als einem Schiffe wieder zurück zu kehren, also ein überflüßiges Geld und Gut mir nur zur Last und schlimmen Verdacht gereichen könne; überließ er alles meinerConduite, und also gingen wir nach genommenen zärtlichen Abschiede unter tausend Glückwünschen der zurück bleibenden Insulaner am 2ten Octobr. 1724. vergnügt unter Seegel, wurden auch durch einen favorablen Wind dermassen hurtig fortgeführet, daß wir noch vor Untergang der Sonnen Felsenburg aus den Augen verlohren.

Unterwegs, nachdem diejenigen, so des Reisens ungewohnt, der See den bekannten verdrüßlichen Tribut abgestattet, und sich völlig erholet hatten, war unser täglicher Zeitvertreib, daß [446] ich meine Gefährten im richtigen Gebrauch des Compasses, der See Charten und andern Vortheilen bey der Schiffs-Arbeit, immer besser belehrete, damit sie ihren Rückweg nach Felsenburg desto leichter zu finden, und sich bey ereignenden Sturme oder andern Zufällen eher zu helffen wüsten, ohngeacht sich desfalls bey einigen, und sonderlich bey dem guten alten David, der das Steuer-Ruder beständig besorgte, bereits eine ziemliche Wissenschafft befand.

Solchergestalt erreichten wir, ohne die geringste Gefahr ausgestanden zu haben, die Insul St. Helenæ noch eher, als ich fast vermuthet hatte, und traffen daselbst etliche 20. Engell- und Holländische Schiffe an, welche theils nach Ost-Indien reisen, theils aber, als von dar zurück kommende, den Cours nach ihren Vater-Lande nehmen wolten. Hier wolte es nun Kunst heissen, Rede und Antwort zu gestehen, und doch dabey das Geheimniß, woran uns allen so viel gelegen, zu verschweigen, derowegen studierte ich auf allerhand scheinbare Erfindungen, welche mit meinen Gefährten abredete, und hiermit auch so glücklich war, alle diejenigen, so sich um mein Wesen bekümmerten, behörig abzuführen. Von den Holländern traff ich keinen eintzigen bekandten Menschen an, hergegen kam mir ein Englischer Capitain unvermuthet zu Gesichte, dem ich vor Jahren auf der Fahrt nach West-Indien einen kleinen Dienst geleistet hatte, diesem gab ich mich zu erkennen, und wurde von ihm aufs freundlichste empfangen und tractiret. Er judicirte anfangs aus meinem äuserlichen Wesen, [447] daß ich ohnfehlbar unglücklich worden, und in Nöthen stäcke? Weßwegen ich ihm gestund, daß zwar einige unglückliche Begebenheiten mich um mein Schiff, keines weges aber um das gantze Vermögen gebracht, sondern ich hätte noch so viel gerettet, daß mich im Stande befände, eine neue Ausrüstung vorzunehmen, so bald ich nur Amsterdam erreichte. Er wandte demnach einige Mühe an, mich zu bereden, in seiner Gesellschafft mit nach Java zu gehen, und versprach bey dieser Reise grossen Profit, auch bald ein Schiffs-Commando vor mich zu schaffen, allein, ich danckte ihm hiervor, und bat dargegen, mich an einen seiner Lands-Leute, die in ihr Vater-Land reiseten, zu recommendieren, um meine Person und Sachen vor gute Bezahlung biß dahin zu nehmen, weil ich allbereit so viel wüste, daß mir meine Lands-Leute, nehmlich die Holländer, diesen Dienst nicht leisten könten, indem sie sich selbsten schon zu starck überladen hätten. Hierzu war der ehrliche Mann nun gleich bereit, führete mich zu einem nicht weniger redlichen Patrone, mit welchen ich des Handels bald einig wurde, meine Sachen, die in Ballen, Fässer und Körbe eingepackt waren, zu ihm einschiffte, und den Vater David mit den Seinigen, nachdem sie sonst nichts als frisches Wasser eingenommen hatten, wieder zurück schickte, unter dem Vorwande, als hätten dieselben noch viele auf der Insul Martin Vas vergrabene und ausgesetzte Waaren abzuholen, mit welchen sie nachhero ebenfalls nach Holland segeln und mich daselbst antreffen würden. Allein, wie ich nunmehro vernommen, [448] so haben sie den Rückweg nach Felsenburg so glücklich, als den nach St. Helena, wieder gefunden, auch unterwegs nicht den geringsten Anstoß erlitten. Mir vor meine Person gieng es nicht weniger nach Wunsche, denn, nachdem ich nur 11. Tage in allen, vor St. Helena, stille gelegen, lichtete der Patron seine Ancker, und segelte in Gesellschafft von 13. Engell- und Holländischen Schiffen seine Strasse. Der Himmel schien uns recht ausserordentlich gewogen zu seyn, denn es regte sich nicht die geringste widerwärtige Lufft, auch durfften wir uns vor feindlichen Anfällen gantz nicht fürchten, indem unser Schiff von den andern bedeckt wurde. Doch, da ich in Canarien einen bekandten Holländer antraff, der mich um ein billiges mit nach Amsterdam nehmen wolte, über dieses mein Engelländer sich genöthiget sahe, um sein Schiff auszubessern, allda in etwas zu verbleiben, so bezahlte ich dem letztern noch ein mehreres, als das Gedinge biß nach Engelland austruge, schiffte mich vieler Ursachen wegen höchst vergnügt bey dem Holländer ein, und kam am 10. Febr. glücklich in Amsterdam an.

Etwas recht nahdenckliches ist, daß ich gleich in dem ersten Gast-Hause, worinnen ich abtreten, und meine Sachen hinschaffen wolte, einen von denjenigen Mord-Buben antraff, die mich, dem Jean le Grand zu gefallen, gebunden und an die Insul Felsenburg ausgesetzt hatten. Der Schelm wolte, so bald er mich erkandte, gleich entwischen, weil ihm sein Gewissen überzeugte, daß er den Strick um den Halß verdienet hätte. Derowegen [449] trat ich vor, schlug die Thür zu, und sagte: Halt, Camerad! wir haben einander vor drey Jahren oder etwas drüber gekandt, also müssen wir mit einander sprechen: Wie hälts? Was macht Jean le Grand? hat er viel auf seinen gestohlnen Schiffe erworben? Ach, mein Herr! gab dieser Strauch-Dieb zur Antwort, das Schiff und alle, die darauf gewesen, sind vor ihre Untreu sattsam gestrafft, denn das erstere ist ohnweit Madagascar geborsten und versuncken, Jean le Grand aber hat nebst allen Leuten elendiglich ersauffen müssen, ja es hat sich niemand retten können, als ich und noch 3. andere, die es mit euch gut gemeynet haben. So hast du es, versetzte ich, auch gut mit mir gemeynet? Ach, mein Herr! schrye er, indem er sich zu meinen Füssen warff, ist gleich in einem Stücke von mir Boßheit verübt worden, so habe doch ich hauptsächlich hintertreiben helffen, daß man euch nicht ermordet hat, welches, wie ihr leichtlich glauben werdet, von dem gantzen Complot beschlossen war. Ich wuste, daß dieser Kerl zwar ein ziemlicher Bösewicht, jedoch keiner von den allerschlimmsten gewesen war, derowegen, als mir zugleich die Geschicht Josephs und seiner Brüder einfiel, jammerte mich seiner, so, daß ich ihn aufhub und sagte: Siehe, du weist ohnfehlbar, welches dein Lohn seyn würde, wenn ich die an mir begangene Boßheit gehöriges Orts anhängig machen wolte; Allein, ich vergebe dir alles mit Mund und Hertzen, wünsche auch, daß dir GOtt alle deine Sünde vergeben möge, so du jemals begangen. Mercke das Exempel der Rache GOttes an deinen unglücklichen [450] Mitgesellen, wo du mich anders nicht beleugst, und bessere dich. Mit mir habt ihrs böse zu machen gedacht, aber GOtt hats gut gemacht, denn ich habe voritzo mehr Geld und Güter, als ich jemahls gehabt habe. Hiermit zohe ich ein Gold-Stück, am Werth von 20 deutschen Thalern, aus meinem Beutel, verehrte ihm dasselbe, und versprach, noch ein mehreres zu thun, wenn er mir diejenigen herbringen könne, welche sich nebst ihm von dem verunglückten Schiffe gerettet hätten. Der neubelebte arme Sünder machte mir also aufs neue die demüthigsten und danckbarlichsten Bezeugungen, und versprach, noch vor Abends zwey von den erwehnten Personen, nehmlich Philipp Wilhelm Horn, und Adam Gorques, zu mir zu bringen, den dritten aber, welches Conrad Bellier gewesen, wisse er nicht mehr anzutreffen, sondern glaubte, daß derselbe mit nach Gröenland auf den Wall-Fisch-Fang gegangen sey. Ich hätte nicht vermeynet, daß der Vogel seyn Wort halten würde, allein, Nachmittags brachte er beyde erst erwehnten in mein Logis, welche denn, so bald sie mich erblickten, mir mit Thränen um den Halß fielen, und ihre besondere Freude über meine Lebens-Erhaltung nicht genung an den Tag zu legen wusten. Ich hatte ebenfalls nicht geringe Freude, diese ehrlichen Leute zu sehen, weiln gewiß wuste, daß sie nicht in den Rath der Gottlosen eingestimmet hatten, sonderlich machte mir Horns Person ein grosses Vergnügen, dessen Klugheit, Erfahrenheit undCourage mir von einigen Jahren her mehr als zu bekandt war. Er hatte sich ohnlängst wiederum [451] in Qualität eines Quartiermeisters engagiret, und zu einer frischen Reise nach Batavia parat gemacht, jedoch, so bald er vernahm, daß ich ebenfalls wiederum ein Schiff ausrüsten, und eine neue Tour nehmen wolte, versprach er, sich gleich morgenden Tag wiederum loß zu machen, und bey mir zu bleiben. Ich schenckte diesen letztern zweyen, so bald sich der erste liederliche Vogel hinweg gemacht, jeden 20. Ducaten, Horn aber, der zwey Tage hernach wieder zu mir kam, und berichtete, daß er nunmehro frey und gäntzlich zu meinen Diensten stünde, empfing aus meinen Händen noch 50. Ducaten zum Angelde, und nahm alle diejenigen Verrichtungen, so ich ihm auftrug, mit Freuden über sich.

Ich heuerte mir ein bequemer und sicherer Quartier, nahm die vor etlichen Jahren in Banco gelegten Gelder zwar nicht zurück, assignierte aber dieselben an mein Geschwister, und that denselben meine Anwesenheit in Amsterdam zu wissen, meldete doch anbey, daß ich mich nicht lange daselbst aufhalten, sondern ehestens nach Ost-Indien zurück reisen, und alldorten Zeit Lebens bleiben würde, weßwegen sich niemand zu mir bemühen, sondern ein oder der andere nur schreiben dürffte, wie sich die Meinigen befänden. Mittlerweile muste mir Horn die Perlen und einige Gold-Klumpen zu gangbaren Gelde machen, wovor ich ihm die vortrefflichen Felsenburgischen Rosinen zur Ergötzlichkeit überließ, aus welchen er sich denn ein ziemlich Stück Geld lösete.

Hierauf sahe ich mich nach einem Nagel-neuen[452] Schiffe um, und da ich dergleichen angetroffen und baar bezahlet hatte, gab ich ihm den Nahmen der getreue Paris, Horn aber empfing von mir eine punctation, wie es völlig ausgerüstet, und mit was vor Leuten es besetzt werden solte. Ob ich nun schon keinen bösen Verdacht auf diesen ehrlichen Menschen hatte, so muste er doch alle hierzu benöthigten Gelder von einem Banquier, der mein vertrauter Hertzens-Freund von alten Zeiten her war, abfordern, und eben diesen hatte ich auch zum Ober-Aufseher meiner Angelegenheiten bestellet, bevor ich die Reise, mein Eberhard, nach eurer Geburths-Stadt antrat. Dieselbe nun erreichte ich am verwichenen 6ten Maji. Aber, o Himmel! wie erschrack mein gantzes hertze nicht, da ich auf die erste Frage, nach dem reichen Kaufmanne Julius, von meinem Wirthe die betrübte Zeitung erfuhr, daß derselbe nur vor wenig Wochen unvermuthetbanquerot worden, und dem sichersten Vernehmen nach, eine Reise nach Ost- oder West-Indien angetreten hätte. Ich kan nicht anders sagen, als daß ein jeder Mensch, der auf mein weiteres Fragen des Gast-Wirths Relation bekräfftigte, auch dieses redlichen Kaufmanns Unglück beklagte, ja die vornehmsten wolten behaupten: Es sey ein grosser Fehler und Ubereilung von ihm, daß er sich aus dem Staube gemacht, i assen allen seinen Creditoren bekandt, daß er kein liederlicher und muthwilliger Banquerotteur sey, dahero würde ein jeder gantz gern mit ihm in die Gelegenheit gesehen, und vielleicht zu seinem Wiederaufkommen etwas beygetragen haben. Allein, was konten mir nunmehro [453] alle diese sonst gar wohl klingenden Reden helffen, der Kauffmann Julius war fort, und ich konte weiter nichts von seinem gantzen Wesen zu meinem Vortheil erfahren, als daß er einen eintzigen Sohn habe, der auf der Universität in Leipzig studiere. Demnach ergriff ich Feder und Dinte, setzte einen Brief an diesen mir so fromm beschriebenen Studiosum auf, um zu versuchen, ob ich der selbst eigenen Reise nach Leipzig überhoben seyn, und euch, mein Eberhard, durch Schrifften zu mir locken könte. Der Himmel ist selbsten mit im Spiele gewesen, darum hat mirs gelungen, ich setzte euch und allen andern, die ich zu Reise-Gefährten mitnehmen wolte, einen sehr kurtzen Termin, glaubte auch nichts weniger, als so zeitlich von Amsterdam abzusegeln, und dennoch muste sich alles nach Hertzens Wunsche schicken. Meiner allergrösten Sorge aber nicht zu vergessen, muß ich melden, daß mich eines Mittags nach der Mahlzeit auf den Weg machte, um dem Seniori des dasigen Geistl. Ministerii eine Visite zu geben, und denselben zu bitten, mir einen feinenExemplarischen Menschen zum Schiffs-Prediger zuzuweisen; weil ich aber den Herrn Senior nicht zu Hause fand, und erstlich folgenden Morgen wieder zu ihm bestellet wurde, nahm ich einen Spazier-Gang ausserhalb der Stadt in einem lustigen Gange vor, allwo ich ohngefähr einen schwartz-gekleideten Menschen in tieffen Gedancken vor mir hergehend ersahe. Derowegen verdoppelten sich meine Schritte, so, daß er von mir bald eingeholet wurde. Es ist gegenwärtiger Herr Mag. Schmeltzer, und ohngeacht ich [454] ihn zuvor niemahls gesehen, sagte mir doch mein Hertze sogleich, daß er ein Theologus seyn müste. Wir grüsseten einander freundlich, und ich nahm mir die Freyheit, ihn zu fragen: Ob er ein Theologus sey. Er bejahete solches, und setzte hinzu, daß er in dieser Stadt zu einer Condition verschrieben worden, durch einen gehabten Unglücks-Fall aber zu späte gekommen sey. Hierauf fragte ich weiter: Ob er nicht einen feinen Menschen zuweisen könne, der da Lust habe, als Prediger mit mir zu Schiffe zu gehen. Er verfärbte sich deßwegen ungemein, und konte mir nicht so gleich antworten, endlich aber sagte er gantz bestürzt: Mein Herr! Ich kan Ihnen bey GOtt versichern, daß ich voritzo allhier keinen eintzigen Candidatum Ministerii Theologici kenne, denn ich habe zwar vor einigen Jahren bey einem hiesigen Kauffmanne, Julius genannt, die Information seines Sohnes gehabt, da aber nach der Zeit mich wiederum an andern Orten aufgehalten, und nunmehro erstlich vor 2. Tagen, wiewohl vergebens, allhier angekommen bin, ist mir unbewußt, was sich anitzo von dergleichen Personen allhier befindet.

Ich gewann den werthen Herrn Mag. Schmelzer unter währenden diesen Reden, und zwar wegen der wunderbaren Schickung GOttes, dermassen lieb, daß ich mich nicht entbrechen konte, ferner zu fragen: Ob er nicht selbsten Belieben bey sich verspürete, dieStation eines Schiffs-Predigers anzunehmen, zumahlen da ich ihm dasjenige, was sonst andere zu gemessen hätten, gedoppelt zahlen wolte? Hierauf gab er zur Antwort: GOtt, der [455] mein Hertze kennet, wird mir Zeugniß geben, daß ich nicht um zeitlichen Gewinstes willen in seinem Weinberge zu dienen suche, weil ich demnach dergleichen Beruff, als itzo an mich gelanget, vor etwas sonderbares, ja Göttliches erkenne, so will nicht weigern, demselben gehorsame Folge zu leisten, jedoch nicht eher, als biß ich durch ein behöriges Examen darzu tüchtig befunden, und dem heiligen Gebrauche nach zum Priester geweyhet worden.

Es traten unter diesen Reden mir und ihm die Thränen in die Augen, derowegen reichte ich ihm die Hand, und sagte weiter nichts als dieses: Es ist genung, mein HErr! GOtt hat Sie und mich berathen, derowegen bitte, nur mit mir in mein Logis zu folgen, allwo wir von dieser Sache umständlicher mit einander sprechen wollen. So bald wir demnach in selbigem angelanget, nahm ich mir kein Bedencken, ihm einen wahrhafften und hinlänglichen Bericht von dem Zustande der Felsenburgischen Einwohner abzustatten, welchen er mit gröster Verwunderung anhörete, und betheurete, daß er bey so gestallten Sachen die Reise in besagtes Land desto vergnügter unternehmen, auch sich gar nicht beschweren wolte, wenn er gleich Zeit Lebens daselbst verbleiben müste, daferne er nur das Glück hätte, dem dort versa leten Christen-Häuflein das Heil ihrer Seelen zu befördern. Hierauf, da er mir eine kurtze Erzehlung seiner Lebens-Geschicht gethan, nahm ich Gelegenheit, ihn wegen des Kauffmanns, Franz Martin Julii, und dessen Familie ein und anderes zu befragen, und erfuhr,[456] daß Herr Mag. Schmelzer von Anno 1716. biß bey demselben als Informator seines Sohns Eberhards und seiner Tochter Julianæ Luise in Condition gewesen wäre, ja er wuste, zu meinem desto grössern Vergnügen, mir die gantze Geschicht des im 30. jährigen Kriege enthaupteten Stephan Julii so zu erzehlen, wie ich dieselbe von dem lieben Altvater Alberto in Felsenburg bereits vernommen hatte, und zu erweisen, daß Franz Martin Julius des Stephani ächter Enckel im dritten Gliede sey, immassen er die gantze Sache von seinem damahligen Patron Franz Martin Julio sehr öffters erzehlen hören, und im guten Gedächtnisse erhalten.

Ich entdeckte ihm hierauff treuhertzig: wie ich den jungen Eberhard, der sich sichern Vernehmen nach, itzo in Leipzig aufhielte, nur vor wenig Tagen durch Briefe und beygelegten Wechsel zu Reise-Geldern, nach Amsterdam in mein Logis citieret hätte, und zweiffelte nicht, daß er sich gegen Johannis Tag daselbst einfinden würde, wo nicht? so sähe mich genöthiget selbst nach Leipzig zu reisen und denselben aufzusuchen. Nachdem wir aber gantz bis in die späte Nacht von meinen wichtigen Affairen discuriret, und Herr Mag. Schmeltzer immer mehr und mehr Ursachen gefunden hatte, die sonderbaren Fügungen des Himmels zu bewundern, auch mir endlich zusagte: seinen Vorsatz nicht zu ändern, sondern GOTTES Ehre und den seligen Nutzen so vieler Seelen zu befördern, mir redlich dahin zu folgen, wohin ich ihn haben wolte; legten wir uns zur Ruhe, und giengen folgenden Tag in [457] aller Frühe mit einander zum Seniori des geistlichen Ministerii. Dieser sehr fromme Mann hatte unsern Vortrag kaum vernommen, als er noch 3. von seinen Ammts-Brüdern zu sich beruffen ließ, und nebst denselben Herrn Mag. Schmeltzern, in meiner Gegenwart 4. Stunden lang aufs allerschärffste examinirte, und nach befundener vortrefflicher Gelehrsamkeit, zwey Tage darauf in öffentlicher Kirche ordentlich zum Priester weyhete. Ich fand mich bey diesem heiligen Actu von Freude und Vergnügen über meinen erlangten kostbaren Schatz dermassen gerühret, daß die hellen Thränen die gantze Zeit über aus meinen Augen lieffen, nachdem aber alles vollbracht, zahlete ich an das geistliche Ministerium 200 spec. Ducaten, in die Kirche und Armen-Casse aber eine gleichmäßige Summe, nahm also von denen Herrn Geistlichen, die uns tausendfachen Seegen zu unsern Vorhaben und Reise wünschten zärtlichen Abschied.

Herrn Mag. Schmeltzern hätte ich zwar von Hertzen gern sogleich mit mir nach Amsterdam genommen, da aber derselbe inständig bat ihm zu vergönnen, vorhero die letzte Reise in sein Vaterland zu thun, um von seinen Anverwandten und guten Freunden völligen Abschied auch seine vortreffliche Bibliothec mitzunehmen, zahlete ich ihm 1000. Thlr. an Golde, und verabredete die Zeit, wenn und wo er mich in Amsterdam antreffen solte, so, daß ich noch bisdato Ursach habe vor dessen accuratesse danckbar zu seyn.

Ich vor meine Person setzte immittelst meine Rückreise nach Amsterdam gantz bequemlich fort, [458] und nahm unterwegs erstlich den Chirurgum Kramern, hernach Litzbergen, Plagern, Harkert und die übrigen Handwercks Leute in meine Dienste, gab einem jeden 5. Französische Louis d'or auf die Hand, und sagte ihnen ohne Scheu, daß ich sie auf eine angenehme fruchtbare Insul führen wolte, allwo sie sich mit ihrer Hand-Arbeit redlich nehren, auch da es ihnen beliebig, mit daselbst befindlichen schönen Jungfrauen verheyrathen könten, doch nahm ich von jedweden einen Eyd, diese Sache weder in Amsterdam, noch bey dem andern Schiffs-Volcke ruchtbar zu machen, indem ich nur gewisse auserlesene Leute mit dahin zu nehmen vorhabens sey. Zwar sind mir ihrer 3. nachhero zu Schelmen worden, nemlich ein Zwillich-macher, Schuster und Seiffensieder, allein sie mögen diesen Betrug bey GOTT und ihren eigenen Gewissen verantworten, ich aber habe nachhero erwogen, daß ich an dergleichen Betrügern wenig eingebüsset, immassen unsere Insulaner diese Künste nach Nothdurfft selbst, obschon nicht so zierlich und leicht verrichten können.

Am 11. Jun. gelangete ich also mit meinen angenommenen Leuten glücklich in Amsterdam an, und hatte eine besondere Freude, da mein lieber getreuerHorn und Adam Gorques, unter Aufsicht meines werthen Freundes des Banquiers G.v.B. das Schiff nebst allem Zubehör in völlige, ja bessere Ordnung als ich vermuthet, gebracht hatten. Demnach kaufften wir noch das Vieh und andere Sachen ein, die ich mit anhero zu nehmen vor höchst nöthig hielt. Ein jeder von meinen Neu angeworbenen [459] Künstlern und Handwerckern bekam so viel Geld, als er zu Anschaffung seines Werckzeugs und andern Bedürffnissen begehrte, und da, zu meinem gantz besondern Vergnügen, der liebe Eberhard Julius sich wenig Tage nach meiner Ankunfft bey mir einfand, bekam er etliche Tage nach einander ebenfalls genung zu thun, die ihm vorgeschriebenen Waaren an Büchern und andern nöthigen Stücken einzuhandeln. Endlich am 24. Jun. gelangte die letzte Person, auf die ich allbereit mit Schmertzen zu hoffen anfieng, nemlich Herr Mag. Schmeltzer bey mir an, und weil Horn indessen die Zahl der Matrosen und Freywillig-Mitreisenden voll geschafft hatte, hielt ich des folgenden Tages General Musterung im Schiffe, und fand weiter nicht das geringste zu verbessern, demnach musten alle Personen im Schiffe verbleiben, und auf meine Ankunfft warten, ich aber machte meine Sachen bey der Ost-Indischen Compagnie vollends richtig, empfieng meine sichern Pæsse, Handels- und Frey-Briefe, und konte solchergestalt, über alles Verhoffen, um eben dieselbe Zeit von Amsterdam ablauffen, als ich vor etlichen Monaten gewünschet hatte.

Auf der Insul Teneriffa, allwo wir nach ausgestandenen hefftigen Sturm unser Schiff auszubessern und uns mit frischen Lebens-Mitteln zu versehen, einige Tage stille lagen, zohe ich eines Abends meinen Lieutenant Horn auf die Seite, und sagte: Höret mein guter Freund, nunmehro ist es Zeit, daß ich mein gantzes Hertz offenbare, und euch zum wohlhabenden Manne mache, daferne ihr mir vorhero [460] einen leiblichen Eyd zu schweren gesonnen, nicht allein dasjenige Geheimniß, welches ich sonsten niemanden als euch und dem redlichen Gorques anvertrauen will, so viel als nöthig, zu verschweigen, sondern auch die billige Forderung, so ich an euch beyde thun werde, zu erfüllen. Horn wurde ziemlich bestürtzt, doch auf nochmahliges Ermahnen, daß ich von ihm nichts sündliches, unbilliges oder unmögliches verlangte, schwur er mir einen leiblichen Eyd, worauff ich ferner also redete: Wisset mein Freund, daß ich nicht Willens bin mit nach Ost-Indien zu gehen, sondern ich werde mich ehester Tages an einem mir gelegenen Orte nebst denen darzu bestimmten Personen und Waaren aussetzen lassen, euch aber will ich nicht allein das Schiff, sondern auch alles darzu gehörige erb-und eigenthümlich schencken, und eure Person statt meiner zum Capitain und Patron denen übrigen vorstellen, weil ich hierzu laut meiner Pæsse und Frey Briefe von denen Häuptern der Ost-Indischen Compagnie sattsame Gewalt und Macht habe. Hergegen verlange ich davor nichts, als daß ihr dem Adam Gorques, welcher an eure statt Lieutenant werden soll, nicht allein seinen richtigen Sold zahlet, sondern ihm auch den 3ten Theil von demjenigen, was ihr auf dieser Reise profitiret, abgebet, auf der Rückreise aber, die ihr doch ohnfehlbar binnen 2. oder drittehalb Jahren thun werdet, euch wiederum durch etliche Canonen-Schüsse an demjenigen Orte meldet, wo ich mich werde aussetzen lassen, im übrigen aber von meinem Auffenthalt weder in Europa noch sonst anderswo ruchtbar machet.

[461] Der gute Horn wuste mir anfänglich, ohne Zweiffel wegen verschiedener deßfalls bey ihm entstandener Gemüths-Bewegungen, kein Wort zu antworten, jedoch nachdem ich mich noch deutlicher erkläret, und ihm eine Specification derer Dinge eingehändiget, welche er bey seiner Rück-Reise aus Ost-Indien an mich mitbringen solte; schwur er nochmals, nicht allein alles, was ich von ihm begehrte, redlich zu erfüllen, sondern danckte mir auch dermassen zärtlich und verbindlich, daß ich keine Ursache habe, an seiner Treue und Erkänntlichkeit zu zweiffeln. Ich habe auch die Hoffnung daß ihn GOTT werde glücklicher seyn lassen, als den Bösewicht Jean le Grand, denn solchergestallt werden wir, durch seine Hülffe, alles was wir etwa noch in künfftigen Zeiten aus Europa vonnöthen haben möchten, gar beqvem erlangen können, und uns darbey keiner Hinterlist und Boßheit sonderlich zu befürchten haben.

Wie es mit unserer fernern Reise und glücklichen Ankunfft auf dieser angenehmen Insul beschaffen gewesen, ist allbereit bekannt, derowegen will nur von mir noch melden, daß ich nunmehro den Haafen meiner zeitlichen Ruhe und Glückseligkeit erreicht zu haben verhoffe, indem ich den lieben Altvater gesund, alle Einwohner in unveränderten Wohlstande, und meine liebe Sophia getreu und beständig wieder gefunden. Nunmehro aber, weil mir der liebe Altvater, und mein gutes Gewissen, alle glücklich ausgelauffene Anstalten auch selbsten Zeugniß geben, daß ich alles redlich und wohl ausgerichtet habe, werde ein Gelübde thun: ausser der äusersten [462] Noth und besonders wichtigen Umständen nicht wieder aus dieser Gegend in ein ander Land zu weichen, sondern die übrige Lebens-Zeit mit meiner lieben Sophie nach GOTTES Willen in vergnügter Ruhe hinbringen. Der liebe Altvater inzwischen wird mir hoffentlich gütig erlauben, daß ich künfftigen Sonntags nach vollbrachten GOttes Dienste mich mit meiner Liebsten durch den Herrn Mag. Schmeltzern ehelich zusammen geben lasse, anbey das Glück habe, der erste zu seyn, der auf dieser Insul, christlichem Gebrauche nach, seine Frau von den Händen eines ordinirten Priesters empfängt. Thut was euch gefällig ist, mein werther Hertzens Freund und Sohn, antwortete hierauff der Altvater Albertus, denn eure Redlichkeit verdienet, daß ihr allhier von niemanden Erlaubniß bitten oder Befehle einholen dürffet, weil wir allerseits vollkommen versichert sind, daß ihr GOTT fürchtet, und uns alle hertzlich liebet. Diesem fügte der Altvater annoch seinen kräfftigen Seegen und sonderbaren Wunsch zu künfftigen glücklichen Ehe-Stande bey, nach dessen vollendung Herr Mag. Schmeltzer und ich, ebenfalls unsere treugesinnten Glückwünsche bey dem Herrn Wolffgang abstatteten, nachhero aber ihm einen schertzhafften Verweiß gaben, daß er weder unterwegs, noch Zeit unseres hierseyns noch nicht das allergeringste von seinen Liebes-Angelegenheiten entdeckt, vielweniger uns seine Liebste in Person gezeiget hätte, welches doch billig als etwas merckwürdiges angeführet werden sollen, da wir am verwichener Mittwochen die Pflantz-Stadt Christians-Raum [463] und seines Schwieger-Vaters Wohnung in Augenschein genommen.

Herr Wolffgang lächelte hierüber, und sagte: Es ist, meine werthesten Freunde, aus keiner andern Ursache geschehen, als hernach die Freude unter uns auf einmal desto grösser zu machen. Meine Liebste hielt sich an vergangener Mittewochen verborgen, und man hat euch dieserwegen auch nicht einmal entdeckt, daß die neu erbaute Wohnung, welche wir besahen, Zeit meines Abwesens vor mich errichtet worden. Doch diesen Mittag, weil es bereits also bestellet ist, werden wir das Vergnügen haben, meinen Schwieger-Vater Christian Julium, nebst meiner Liebsten Sophie bey der Mahlzeit zu sehen.

Demnach aber der bißherige Capitain, Herr Leonhard Wolffgang, solchergestallt seine völlige Erzehlung geendiget, mithin die Mittags-Zeit heran gekommen war, stelleten sich Christian Julius und dessen Tochter Sophie bey der Mahlzeit ein, da denn, so wohl Herr Mag. Schmeltzer, als ich, die gröste Ursach hatten, der letztern besondere Schönheit und ausnehmenden Verstand zu bewundern, anbey HerrnWolffgangs getroffene Wahl höchst zu billigen.

Gleich nach eingenommener Mittags-Mahlzeit, begleiteten wir ingesammt Herrn Mag. Schmeltzern in die Davids-Raumer Alleé, um abgeredter massen das Glaubens-Bekänntniß aller dererjenigen öffentlich anzuhören, die des morgenden Tages ihre Beichte thun, und folgendes Tages das Heil. Abendmahl empfangen wolten, und vermerckten [464] mit grösten Vergnügen: daß so wol Alt als Jung in allen Haupt-Articuln und andern zur christlichen Lehre gehörigen Wissenschafften vortrefflich wohl gegründet waren. Als demnach alle und jede ins besondere von Herrn Magist. Schmeltzern aufs schärffste tentiret und examiniret worden, welches bis zu Untergang der Sonnen gewähret hatte, confirmirte er diese seine ersten Beicht-Kinder durch ein andächtiges Gebeth und Auflegung der Hand auf eines jeglichen Haupt, und nach diesen nahmen wir mit ihm den Rück-Weg nach der Albertus-Burg.

In der Mittags-Stunde des folgenden Tages, als Sonnabends vor dem I. Advent-Sonntage, begab sich Herr Mag. Schmeltzer in die schöne Lauber-Hütte der Davids-Raumer Alleé, welche unten am Alberts-Hügel, vermittelst Zusammenschliessung der dahin gepflantzten Bäume, angelegt war, und erwartete daselbst seine bestellten Beicht-Kinder. Der Altvater Albertus war der erste, so sich in heiliger Furcht und mit heissen Thränen zu ihm nahete und seine Beichte ablegte, ihm folgten dessen Sohn, Albertus II, David Julius, Herr Wolffgang nebst seiner LiebstenSophie, ich Eberhard Julius und diejenigen so mit uns aus Europa angeko en waren, hernachmals aus den Alberts- und Davids-Raumer Gemeinden alle, so 14. Jahr alt und drüber waren.

Es daurete dieser Heil. Actus biß in die Nacht, indem sich Herr Mag. Schmeltzer bey einem jeden mit dem absolviren sehr lange aufhielt, und sich dermassen abgemattet hatte, daß wir fast zweiffelten, [465] ob er Morgen im Stande seyn würde eine Predigt zu halten. Allein der Himmel stärckte ihn unserm Wunsche nach aufs allerkräfftigste, denn als der erste Advent-Sonntag eingebrochen, und das neue Kirchen-Jahr mit 6. Canonen-Schüssen allen Insulanern angekündiget war, und sich dahero dieselben an gewöhnlicher Stelle versammlet hatten, trat Herr Mag. Schmeltzer auf, und hielt eine ungemein erbauliche Predigt über das gewöhnliche Sonntags Evangelium, so von dem Einzuge des Welt-Heylandes in die Stadt Jerusalem handelt. Das Exordium generale war genommen aus Ps. 118 v. 24. Diß ist der Tag, den der HERR macht, lasst uns freuen etc. Er redete in der Application so wohl von den Ursachen, warum sich die Insulaner freuen solten, als auch von der geistl. Freude, welche sie über die reine Predigt des Worts GOttes, und andere Mittel des Heyls, so ihnen in Zukunfft reichlich würden verkündiget und mitgetheilet werden, haben solten. In dem Exordio speciali, erklärete er die Worte Esaia c. 62 v. 11. Saget der Tochter Zion etc. Wieß in der Application, daß die Insulaner auch eine geistliche Tochter Zion wären, zu welchen itzo Christus mit seinem Worte und Heil. Sacramenten käme. Darauff stellete er aus dem Evangelio vor:


Die erfreute Tochter Zion,

und zwar:

(1) Worüber sich dieselbe freuete? als:
(a) über den Einzug des Ehren-Königs JEsu Christi
[466] (b) über das Gute, so sie von ihm geniessen solte, aus den Worten: Siehe dein König etc.
(2) Wie sich dieselbe freuete? als:
(a) Wahrhafftig.
(b) Hertzlich.

Nachdem er alles vortrefflich wohl ausgelegt, verschiedene erbauliche Gedancken und Ermahnungen angebracht, und die Predigt also beschlossen hatte, wurde das Lied gesungen: GOTT sey danck durch alle Welt etc. Hierauf schritt Herr Magist. Schmeltzer zurConsecration der auf einer güldenen Schale liegenden Hostien, und des ebenfalls in einem güldenen grossen Trinck-Geschirr zu rechts gesetzten Weins, nahm eine Hostie in seine Hand, und sprach: Mein gekreutzigter Heyland, ich empfange anitzo aus deinen, wiewohl unsichtbaren Händen, deinen wahrhafftigen Leib, und bin versichert, daß du mich, jetzigen Umständen nach, von den gewöhnlichen Ceremonien deiner reinen Evangelisch-Lutherischen Kirche entbinden, anbey mein Dir geweyhetes Hertze und Sinn betrachten wirst, es gereiche also dein heiliger Leib mir und niemanden zum Gewissens-Scrupel, sondern stärcke und erhalte mich im wahren und reinen Glauben zum ewigen Leben Amen!

Hierauff nahm er die gesegnete Hostie zu sich, und bald darauff sprach er: Auf eben diesen Glauben und Vertrauen, mein JESU! empfange ich aus deinen unsichtbaren Händen dein warhafftes Blut, welches du am Stamm des Creutzes vor [467] mich vergossen hast, das stärcke und erhalte mich in wahren Glauben zum ewigen Leben Amen! Nahm also den gesegneten Wein zu sich, kniete nieder und Betete vor sich, theilete hernachmals das Heil. Abendmahl allen denenjenigen aus, welche gestriges Tages gebeichtet hatten, und beschloß den Vormittäglichen Gottesdienst nach gewöhnlich Evangelisch-Lutherischer Art.

Nachmittags, nachdem wir die Mahlzeit ingesammt auf Morgenländische Art im grünen Grase, bey ausgebreiteten Teppichen sitzend, eingeno en, und uns hierauff eine kleine Bewegung gemacht hatten, wurde zum andern mahle GOttes-Dienst gehalten, und nach Vollbringung dessen Hr. Wolffgang mit Sophien ehelich zusammen gegeben, auch ein paar Zwillinge, aus dem Jacobischen Stamme, getaufft, welche Tab. VII bezeichnet sind.

Solchergestallt wurde alles mit dem Lob-Gesange: HERR GOTT dich loben wir etc. beschlossen, Mons. Litzberg und ich gaben, mit Erlaubniß des Altvaters, noch 12. mal Feuer aus denen auf dem Albertus Hügel gepflantzten Canonen, und nachdem HerrWolffgang verkündigen lassen, wie er G.G. den 2tenJanuar. nächstfolgenden 1726ten Jahres, von wegen seiner Hochzeit, allen Insulanern ein Freuden-Fest anrichten wolte, kehrete ein jeder, geistlich und leiblich vergnügt, in seine Wohnung.

Herr Mag. Schmeltzer hatte bereits verabredet: Daß die Stephans- Jacobs- und Johannis-Raumer Gemeinden, den Andern Advent-Sonntag, [468] die Christophs- und Roberts Raumer den 3ten, und letzlich die Christians- und Simons-Raumer, den 4ten Advent zum Heil. Abendmahle gehen solten, daferne sich jede Gemeinde die Woche vorhero behörig versammlen, und die Catechismus-Lehren also, wie ihre Vorgänger, die Alberts- und Davids-Raumer, annehmen wolte; Weil nun alle hierzu eine heisse Begierde gezeiget hatten, wartete der unermüdete Geistliche alltäglich seines Ammts getreulich, wir andern aber liessen unsere aller angenehmste Arbeit seyn, den Kirchen-Bau aufs eiferigste zu befördern, worbey der Altvater Albertus beständig zugegen war, und nach seinem Vermögen die materialien herbey bringen halff, auch sich, ohngeacht unserer trifftigen Vorstellungen wegen seines hohen Alters, gar nicht davon abwenden ließ.

Eines Morgens, da Herr Mag. Schmeltzer unsere Arbeit besahe, fiel ihm ein: daß wir vergessen hätten einige schrifftliche Urkunden, der Nachkommenschafft zum Vergnügen, und der Gewohnheit nach, in den Grund-Stein einzulegen, da nun der Altvater sich erklärete, daß hieran noch nichts versäumet sey, sondern gar bald noch ein anderer ausgehöhlter Stein, auf den bereits eingesenckten gelegt werden könte, auch sogleich den Seinigen deßwegen Befehl ertheilete, verfertigte indessen Herr Magist. Schmeltzer eine Schrifft, welche in Lateinischer, Deutscher und Englischer Sprache abgeschrieben, und nachhero mit Wachs in den ausgehölten Grund-Stein eingedruckt wurde. Es wird hoffentlich dem geneigten Leser nicht zu wider seyn, wenn ich dieselbe Lateinisch und Deutsch mit beyfüge:


[469] Hic lapis

ab

ALBERTO JULIO,

Vero veri Dei cultore,

Anno CIƆIƆCCXXV.

d. XVIII. Novembr.

fundamenti loco positus,

ædem Deo trinuno consecratam,

sanctum cœlestium ovium ovile,

inviolabile Sacramentorum, baptismi & sacræ

cœnæ domicilium,

immotamque verbi divini sedem,

suffulcit ac suffulciet:

Machina qvot mundi posthac durabit in annos,

Tot domus hæc duret, stet, vigeatque Dei!

Semper sana sonent hic dulcis dogmata Christi,

Per qvem credenti vita salusque datur!


Deutsch:

Dieser

von ALBERTO JULIO

Im Jahr Christi 1725. den 18. November.

gelegte Grund-Stein,

unterstützet und wird unterstützen:

eine dem Dreyeinigen GOTT gewidmete Kirche,

einen heiligen Schaaf-Stall christlicher

Schaafe,

eine unverletzliche Behausung der Sacramenten

der Taufe und des Heil. Abendmahls,

und einen unbeweglichen Sitz des Worts

GOTTES.

[470] So lange diese Welt wird unbeweglich stehen

So lange soll diß Haus auch nicht zu Grunde gehen!

Was hier gepredigt wird, sey Christi reines Wort,

Wodurch ein Gläubiger, erlangt den Himmels-Port!


* * *


Herr Wolffgang bezohe immittelst, mit seiner Liebste, das in Christians-Raum vor dieselben neuerbauete Hauß, ließ aber nicht mehr als die nöthigsten von seinen mitgebrachten mobilien dahin schaffen, und das übrige auf der geraumlichen Albertus-Burg in des Altvaters Verwahrung. Unsere mitgebrachten Künstler und Handwercks-Leute bezeugten bey solcher Gelegenheit auch ein Verlangen den Ort zu wissen, wo ein jeder seine Werckstatt aufschlagen solte, derowegen wurden Berathschlagungen angestellet, ob es besser sey, vor dieselben eine gantz neue Pflantz-Stadt anzubauen? oder Sie in die bereits angebaueten Pflantz-Städte einzutheilen? Demnach fiel endlich der Schluß dahinaus, daß, da in Erwegung des vorhabenden Kirchen-Baues anitzo keine andere Bau-Arbeit vorzunehmen rathsam sey, die Neuangekommenen an solche Orte eingetheilet werden möchten, wie es die Umstände ihrer verschiedenen Profeßionen erforderten.

Diese Resolution war ihnen sämtlich die allerangenehmste, und weil Herr Wolffgang von dem [471] Altvater freye Macht bekommen hatte, in diesem Stücke nach seinem Gutbefinden zu handeln, so wurden die sämtlichen neu-angekommenen Europäer folgender massen eingetheilet: Mons. Litzberg der Mathematicus bezohe sein Quartier in Christophs-Raum bey HerrWolffgangen. Der wohlerfahrene Chirurgus Mons. Kramer, in Alberts-Raum. Mons. Plager, und Peter Morgenthal der Kleinschmidt, in Jacobs-Raum.Harckert der Posamentirer in Roberts-Raum. Schreiner, der sich bey dem Tohne als ein Töpffer selbsteinlogirt hatte, in Davids-Raum. Wetterling der Tuchmacher, in Christophs-Raum. Kleemann der Pappier-Müller, in Johannis-Raum. Herrlich der Drechßler, und Johann Melchior Garbe der Böttcher, in Simons-Raum. Lademann der Tischler, und Philipp Krätzer der Müller, in Stephans-Raum.

Solchergestalt blieben Herr Magist. Schmeltzer und ich Eberhard Julius nur allein bey dem AltvaterAlberto auf dessen sogenannter Alberts-Burg, welcher annoch beständig 5. Jünglinge und 4. Jungfrauen von seinen Kindes-Kindern zur Bedienung bey sich hatte. Herr Mag. Schmeltzer und Herr Wolffgang ermahneten die abgetheilten Europäer, eine Gottesfürchtige und tugendhaffte Lebens-Art unter ihren wohlerzogenen Nachbarn zu führen, stelleten ihnen dabey vor, daß: Daferne sie gesinnet wären, auf dieser Insul zu bleiben, sich ein jeder eine freywillige Ehe-Gattin erwehlen könte. Derjenige aber, welchem diese Lebens[472] Art nicht anständig sey, möchte sich nur aller geilen und boßhafften Außschweiffungen gäntzlich enthalten, und versichert seyn: daß er solchergestalt binnen zwey oder 3. Jahren nebst einem Geschencke von 2000. Thlrn. wieder zurück nach Amsterdam geschafft werden solte.

Es gelobte einer wie der andere dem Altvater Alberto, Hrn. Mag. Schmeltzern als ihren Seel-Sorger, und Herrn Wolffgangen als ihren leiblichen Versorger, treulich an, sich gegen GOTT und den Nächsten redlich und ehrlich aufzuführen, seiner Hände Werck, zu GOTTES Ehren und dem gemeinschafftl. Wesen, ohne Verdruß zu treiben, übrigens den Altvater Albertum, Hrn. Wolffgangen, und Herrn Magist. Schmeltzern, vor ihre ordentliche Obrigkeit in geistlichen und weltlichen Sachen zu erkennen, und sich bey ein und andern Verbrechen deren Vermahnungen und gehörigen Strafen zu unterwerffen.

Es soll von ihrer künfftigen Aufführung, und Vereheligung, im Andern Theile dieser Felsenburgischen Geschicht, des geneigten Lesers curiosität möglichste Satisfaction empfangen. Voritzo aber habe noch zu melden, daß die sämtlichen Bewohner dieser Insul am 11. Decembr. dieses ablauffenden 1725ten Jahres, den allbereit vor 78. Jahren, von dem Altvater Alberto angesetzten dritten grossen Bet und Fast-Tag biß zu Untergang der Sonnen celebrirten, an welchen Herr Mag. Schmeltzer den 116ten Psalm in zweyen[473] Predigten ungemein tröstlich und beweglich auslegte. Die übrigen Stämme giengen an den bestimmten Sonntagen gemachter Ordnung nach, aufs andächtigste zum Heil. Abendmahle, nach diesen wurde das eingetretene Heil. Christ-Fest erfreulich gefeyret und solchergestalt erreichte damals das 1725te Jahr, zu aller Einwohner hertzlichen Vergnügen, vorjetzo aber bey uns der Erste Theil der Felsenburgl. Geschichts-Beschreibung sein abgemessenes


ENDE.

Avertissement
Avertissement.

Man ist zwar, Geneigter Leser, anfänglich Willens gewesen diese Felsenburgische Geschichte, oder dasjenige, was auf dem Titul-Blate versprochen worden, ohne Absatz, en Suite heraus zu geben, allein nach fernern reiffern Uberlegungen hat man sich, en regard ein und anderer Umstände, zu einer Theilung verstehen müssen. Dem Herrn Verleger wäre es zwar weit angenehmer gewesen, wenn er sofort alles auf einmahl haben können; jedoch wenn ich nur dieses zu betrachten gebe: Daß des Herrn Eberhard Julii Manuscript sehr confus aussiehet, indem er zuweilen in Folio, ein ander mahl in 4to, und wieder ein ander mahl in 8vo geschrieben, auch viele marquen beygefügt, welche auf fast unzehlige Beylagen kleiner Zettel weisen, die hier und anderswo einzuflicken [474] gewesen, so habe denstylum unmöglich so concise führen können, als mir anfänglich wohl eingebildet hatte. Im Gegentheil ist mir das Werck unter den Händen unvermerckt, ja fast täglich angewachsen, weßwegen ich denn vors dienlichste erachtet, ein kleines Interstitium zu machen. Anderer Vortheile, die so wohl der geneigte Leser, als der Herr Verleger und meine ohnedem niemals müßige Feder hierbey geniessen können, voritzo zu geschweigen. Ist dieser Erste Theil so glücklich, seinen Lesern einiges Vergnügen zu erwecken und derselben Beyfall zu erhalten, so kan dabey versichern, daß der andere Theil, den ersten, an curiositäten, wo nicht übertreffen, doch wenigstens nichts nachgeben wird! Denn in selbigem werden nicht allein die theils wunderbaren, theils lächerlichen, theils aber auch merckwürdigen Fata ausführlich vorkommen, welche denen letztern Felsenburgl. Einkömmlingen von Jugend auf zugestossen sind, sondern ich will über dieses keinen Fleiß sparen, Mons. Eberhard Julii Manuscripta ordentlich zusammen zu lesen, und daraus umständlich zu berichten: In was vor einen florisanten Zustand die Insul Felsenburg, durch den Fleiß der neuangeko enen Europäischen Künstler und Handwercker, binnen 3. folgenden Jahren gesetzt worden; Wie Mons. Eberhard Julius seine Rückreise nach Europa angestellet, seinen Vater wieder gefunden, selbigen durch seinen kostbaren Schatz in vorige Renommée gesetzt, und endlich in Begleitung seines Vaters, und der aus Schweden zurück verschriebenen Schwester, die andere Reise nach Felsenburg angetreten hat.

[475] Hält oft erwehnter Mons. Eberhard Julius seineParole so treulich, als er versprochen, nach und nach die fernern Begebenheiten der Felsenburger, entweder Herrn Banqvier G.v.B. in Amsterdam, oder Herrn W. in Hamburg schrifftlich zu übersenden, so kan vielleicht der dritte Theil dieses vorgenommenen Wercks auch noch wohl zum Vorscheine kommen.

Übrigens bitte mir von dem geneigten Leser, vor meine deßfalls angewandte Mühe, und wiewol gantz unvollkommene Schreib-Art, nochmahls ein affectionirtes, wenigstens unpassionirtes sentiment aus, und beharre

Desselben

dienstwilligster

GISANDER.

Genealogische Tabelleen über das albert-Julische Geschlechte
[476] Genealogische TABELLEen über dasALBERT-JULIsche Geschlechte,

Wie solches aus Europa herstammet, und biß zu Ende des 1725ten Jahres auf der Insul Felsenburg fortgeführet, und forn p. 106 versprochen worden.


  • Tab. I.
    Tab. I.
    Tab. I.

  • Tab. II.
    Tab. II.
    Tab. II.

  • Tab. III.
    Tab. III.
    Tab. III.

  • Tab. VI.
    Tab. VI.
    Tab. VI.

  • Tab. V.
    Tab. V.
    Tab. V.

  • Tab. VI.
    Tab. VI.
    Tab. VI.

  • Tab. VII.
    Tab. VII.
    Tab. VII.

  • Tab. VIII.
    Tab. VIII.
    Tab. VIII.

  • Tab. IX.
    Tab. IX.
    Tab. IX.

[477][486]
  • Tab. X.
    Tab. X.
    Tab. X.

[486] [488]Summa aller beym Schlusse des 1725ten Jahres auf der Insul Felsenburg lebenden Personen, worzu der Capitain Wolffgang nebst seinen 14. mitgebrachten Europäern gerechnet ist, – 346. Personen.

nehmlich – – – 177. Manns- und
169. Weibs-Personen.

Aller Seelen, die besage der Tabellen zu Alberti I. Felsenburgischen Geschlecht gehören, so wohl todte als lebende – 429.


Not.


Der geneigte Leser beliebe anzumercken, daß das Signum
Û die Manns-Personen,
• die Weibs-Personen,
ñ Zwillings-Kinder, und
† die verstorbenen

andeutet, übrigens zu excusiren, daß nicht alle diese Personen mit ihren Tauff-Nahmen benennet sind, welches, da man das gantze Verzeichniß derselben in Händen hat, nicht so viel Mühe als unnöthige Weitläufftigkeiten verursacht hätte. Die übrigen wenigen Merckmahle werden gantz klar in die Augen fallen, wenn sich derselbe vorhero den ersten und andern Theil der Geschlechts-Beschreibung bekandt gemacht hat.

[488] Anhang
Der Pag. 182.
versprochenen
Lebens-Beschreibung
des
DON CYRILLO
DE
VALARO,
aus seinem Lateinischen Manuscript ins deutsche übersetzt.
[489]
D.C. de Valaro.

Ich, Don Cyrillo de Valaro, bin im Jahr nach Christi Gebuhrt 1475 den 9. Aug. von meiner Mutter Blanca de Cordoua im Feld-Lager unter einem Gezelt zur Welt gebracht worden. Denn mein Vater Don Dionysio de Valaro, welcher in des neuen Castilianischen Königs Ferdinandi Kriegs-Dienste, als Obrister über ein Regiment Fuß-Volck getreten war, hatte meine Mutter mit sich geführet, da er gegen den Portugisischen König Alphonsum mit zu Felde gehen muste. Dieser Alphonsus hatte sich mit der Joanna Henrici des IV. Königs in Castilien Tochter, welche doch von jedermann vor ein Bastard gehalten wurde, verlobet, und dieserwegen nicht allein den Titul und Wapen von Castilien angenommen, mithin unserm Ferdinando die Crone disputirlich gemacht, sondern sich bereits vieler Städte bemächtiget, weilen ihn, so wohl König Ludwig der XI. aus Franckreich, als auch viele Grandes aus Castilien starck zu secundiren versprochen. Nachdem aber die Portugiesen im folgenden 1476ten Jahre bey Toro ziemlich geklopfft worden, und mein Vater vermerckte: Daß es wegen des vielen hin und her marschirens nicht wohl gethan sey, uns länger bey sich zu behalten, schaffte er meine Mutter und mich zurück nach Madrit, er selbst aber kam nicht ehe wieder zu uns, biß die Portugiesen 1479. bey Albuhera totaliter geschlagen, und zum Frieden gezwungen worden, worbey Alphonsus nicht allein auf Castilien, sondern auch auf seine Braut renuncirte, [490] Johanna aber, der man jedoch unsern Castilischen Printzen Johannem, ob selbiger gleich noch ein kleines Kind war, zum Ehe-Gemahl versprach, gieng aus Verdruß in ein Closter, weil sie vielleicht gemuthmasset, daß sie nur vexiret würde.

Ich weiß mich, so wahr ich lebe, noch einigermassen der Freude und des Vergnügens, doch als im Traume, zu erinnern, welches ich als ein 4. jähriger Knabe über die glückliche Zurückkunfft meines lieben Vaters empfand, allein wir konten dessen erfreulicher Gegenwart sehr kurtze Zeit geniessen, denn er muste wenige Wochen hernach dem Könige, welcher ihn nicht allein zum General bey der Armee, sondern auch zu seinem Geheimbden Etaats-Ministre mit ernennet, bald nach Arragonien folgen, weiln der König, wegen des Absterbens seines höchst seel. Herrn Vaters, in diesem seinen Erb-Reiche die Regierung gleichfalls antrat. Doch im folgenden Jahre kam mein Vater nebst dem Könige abermals glücklich wieder zurück, und erfreuete dadurch mich und meine Mutter aufs neue, welche ihm mittler Zeit noch einen jungen Sohn gebohren hatte.

Er hatte damals angefangen seine Haußhaltung nach der schönsten Beqvemlichkeit einzurichten, und weil ihm nicht so wohl der Krieg, als des Königs Gnade zu ziemlichen Baarschafften verholffen, verschiedene Land Güter angekaufft; indem er auf selbigen sein gröstes Vergnügen zu empfinden verhoffte. Allein da mein Vater in der besten Ruhe zu sitzen gedachte, nahm der König Anno 1481. einen Zug wider die Granadischen Mauros vor, und mein [491] Vater muste ihm im folgenden 1482ten Jahre mit 10000. neugeworbenen Leuten nachfolgen. Also verließ er uns abermals zu unsern grösten Mißvergnügen, hatte aber vorhero noch Zeit gehabt, meiner Mutter Einkünffte und das, was zu seiner Kinder Standesmäßiger Erziehung erfodert wurde, aufs beste zu besorgen. Im Jahre 1483. war es zwischen den Castilianern und Mohren, bey Malacca zu einem scharffen Treffen gekommen, worbey die Erstern ziemlich gedränget, und mein Vater fast tödtlich verwundet worden, doch hatte er sich einigermassen wieder erholet, und kam bald darauff nach Hause, um sich völlig ausheilen zu lassen.

Der König und die Königin liessen ihm beyderseits das Glück ihres hohen Besuchs geniessen, beschenckten ihn auch mit einer starcken Summe Geldes, und einem vortrefflichen Land-Gute, mich aber nahm der König, vor seinen jungen Printzen Johannem, der noch 3. Jahr jünger war als ich, zum Pagen und Spiel-Gesellen mit nach Hofe, und versprach, mich bey ihm auf Lebens-Zeit zu versorgen. Ob ich nun gleich nur in mein zehentes Jahr gieng, so hatte mich doch meine Mutter dermassen gut erzogen, und durch geschickte Leute erziehen lassen, daß ich mich gleich von der ersten Stunde an, nicht allein bey den Königl. Kindern, sondern auch bey dem Könige und der Königin selbst, ungemein beliebt machen konte. Und da sich eine besondere natürliche Fertigkeit bey mir gezeiget, hatte der König allen Sprach- und Exercitien-Meistern ernstlichen Befehl ertheilet, an meine Person so wohl, als an seinen eigenen Sohn, den allerbesten Fleiß zu wenden, [492] welches denn nebst meiner eigenen Lust und Beliebung so viel fruchtete: Daß mich ein jeder vor den Geschicktesten unter allen meinen Cammeraden halten wolte.

Mittlerweile war mein Vater aufs neue wieder zu Felde gegangen, und hatte, nicht allein wegen seiner Verwundung, an denen Mohren in etlichen Scharmützeln ziemliche Rache ausgeübt, sondern auch vor den König viele Städte und Plätze einnehmen helffen, bey welcher Gelegenheit er auch zu seinem Theile viele Schätze erobert, und dieselben nach Hause geschickt hatte. Allein im Jahr 1491 da die Stadt Granada mit 50000. Mann zu Fuß, und 12000. zu Roß angegriffen, und der König Boabdiles zur Ubergabe gezwungen wurde, verlohr mein getreuer und Heldenmüthiger Vater, sein edles Leben darbey, und zwar im allerletzten Sturme auf den erstiegenen Mauern.

Der König bekam die Briefe von dieser glücklichen Eroberung gleich über der Tafel zu lesen, und rieff mit vollen Freuden aus: GOTT und allen Heiligen sey gedanckt! Nunmehro ist die Herrschafft der Maurer, welche über 700. Jahr in Spanien gewähret, glücklich zu Grunde gerichtet. Derowegen entstunde unter allen, so wohl hohen als niedrigen Bedienten, ein allgemeines jubiliren, da er aber die Liste von den ertödteten und verwundeten hohen Kriegs-Bedienten zur Hand nahm, und unter andern lase: Daß Don Dionysio de Valaro, als ein Held mit dem Degen in der Faust, auf der Mauer gestorben sey, vergiengen mir auf einmahl alle meine 5. Sinne dermassen, daß ich hinter dem [493] Cron-Printzen ohnmächtig zur Erden niedersincken muste.

Es hatte dem mittleydigen Könige gereuet, daß er sich nicht vorhero nach mir umgesehen, ehe er diese klägliche Zeitung, welche ihm selbst sehr zu Hertzen gieng, laut verlesen. Jedoch so bald mich die andern Bedienten hinweg und in mein Bette getragen, auch in etwas wieder erfrischet hatten, besuchte mich nicht allein der Cron-Printz mit seiner 13. jährigen Schwester Johanna, sondern die Königin selbst mit ihrem vornehmsten Frauenzimmer. Dem ohngeacht konte ich mein Gemüthe, wegen des jämmerlichen Verlusts meines so lieben und getreuen Vaters, nicht so gleich besänfftigen, sondern vergoß etliche Tage nach einander die bittersten Thränen, biß mich endlich der König vor sich kommen ließ und folgendermassen anredete: Mein Sohn Cyrillo de Valaro, wilstu meiner fernern Gnade geniessen, so hemme dein Betrübniß wenigstens dem äuserlichen Scheine nach, und bedencke dieses: Daß ich an dem Don Dionysio de Valaro, wo nicht mehr, doch eben so viel als du verlohren, denn er ist mein getreuer Diener gewesen, der keinem seines gleichen den Vorzug gelassen, ich aber stelle mich selbst gegen dich an seine Stelle und will dein Versorger seyn, hiermit sey dir sein erledigtes Regiment geschenckt, worüber ich dich gleich jetzo zum Obristen bestellen und zum Ritter schlagen will, jedoch sollstu nicht ehe zu Felde gehen, sondern bey meinem Cron-Printz bleiben, bis ich euch beyde ehestens selbst mit mir nehme. Ich that hierauff dem Könige zur Danckbarkeit einen Fußfall, und empfohl mich seiner beständigen [494] Gnade, welcher mir sogleich die Hand darreichte, die ich in Unterthänigkeit küssete, und von ihm selbst auf der Stelle zum Ritter geschlagen wurde, worbey ich die gantz besondere Gnade hatte, daß mir die Princeßin Johanna das Schwerdt umgürtete, und der Cron-Printz den rechten Sporn anlegte.

Solchergestallt wurde mein Schmertzen durch Königliche besondere Gnade, und durch vernünfftige Vorstellungen, nach und nach mit der Zeit ziemlich gelindert, meine Mutter aber, nebst meinem eintzigen Bruder und zweyen Schwestern, konten sich nicht so bald beruhigen, und weil die erstere durchaus nicht wieder Heyrathen wolte, begab sie sich mit meinem Geschwister aus der Residentz-Stadt hinweg auf das Beste unserer Land-Güter, um daselbst ruhig zu leben, und ihre Kinder mit aller Vorsicht zu erziehen.

Immittelst ließ ich mir die Ubung in den Waffen, wie auch in den Kriegs- und andern nützlichen Künsten dermassen angelegen seyn, daß sich in meinem 18den Jahre kein eintziger Ritter am Spanischen Hofe schämen durffte mit mir umzugehen, und da bey damahligen ziemlich ruhigen Zeiten der König vielfältige Ritter- und Lust-Spiele anstellete, fand ich mich sehr eiffrig und fleißig darbey ein, kam auch fast niemals ohne ansehnlichsten Gewinst darvon.

Am Geburts-Tage der Princeßin Johanna wurde bey Hofe ein prächtiges Festin gegeben, und fast die halbe Nacht mit Tantzen zugebracht, indem aber ich, nach dem Abschiede aller andern, mich ebenfalls [495] in mein Zimmer begeben wolte, fand ich auf der Treppe ein kleines Päcklein, welches in ein seidenes Tüchlein eingewickelt und mit Gold-Faden umwunden war. Ich machte mir kein Bedencken diese so schlecht verwahrte Sache zu eröffnen, und fand darinnen, etliche Elen grün mit Gold durchwürcktes Band, nebst dem Bildnisse einer artigen Schäferin, deren Gesicht auf die Helffte mit einem grünen Schleyer verdeckt war, weil sie vielleicht nicht von allen und jeden erkañt werden wolte. Uber dieses lag ein kleiner Zettel mit folgenden Zeilen darbey:


Geliebter Ritter!


Ihr verlanget von mir mein Bildniß nebst einer Liberey, welches beydes hiermit aus gewogenen Hertzen übersende. Seyd damit bey morgenden Turnier glücklicher, als voriges mahl, damit ich eurentwegen von andern Damen keine Stichel-Reden anhören darff, sondern das Vergnügen habe, eure sonst gewöhnliche Geschicklichkeit mit dem besten Preise belohnt zu sehen. Lebet wohl und gedencket eurer


Freundin.


Meine damahlige Schalckhafftigkeit widerrieth mir denjenigen auszuforschen, dem dieses Paquet eigentlich zukommen solte, bewegte mich im Gegentheil diese Liberey, nebst dem artigen Bildnisse der Schäferin, bey morgenden Lantzenbrechen selbst auf meinem Helme zu führen. Wie gedacht, so [496] gemacht, denn am folgenden Morgen band ich die grüne Liberey nebst dem Bildnisse auf meinen Helm, legte einen gantz neuen Himmelblauen mit goldenen Sternlein beworffenen Harnisch an, und erschien also gantz unerkannt in den Schrancken mit meinem Schilde, worinnen ein junger Adler auf einem ertödten alten Adler mit ausgebreiteten Flügeln sitzend, und nach der Sonne sehend, zur Devise gemahlt war. Die aus dem Horatio genommene Beyschrifft lautete also:


Non possunt aquilæ generare columbam.


Deutsch:
Es bleibet bey dem alten Glauben,
Die Adler hecken keine Tauben.

Kaum hatte ich Zeit und Gelegenheit gehabt meine Kräffte an 4. Rittern zu probiren, worvon 3. wanckend gemacht, den 4ten aber gäntzlich aus dem Sattel gehoben und in den Sand gesetzt, als mir ein unbeckandter Schild-Knabe einen kleinen Zettel einhändigte, auf welchen folgende Zeilen zu lesen waren.


Verwegener Ritter,


Entweder nehmet sogleich dasjenige Bildniß und Liberey, welches ihr unrechtmäßiger Weise auf eurem Helme führet, herunter, und liefert es durch Uberbringern dieses seinem Eigenthums Herrn ein, oder seyd gewärtig, daß nicht allein euern bereits ziemlich erworbenen Ruhm, bey diesem Luft-Rennen nach allen Kräfften verdunckeln, sondern euch Morgen früh auf[497] Leib und Leben ausfodern wird: Der Verehrer der schönen Schäferin.


Auf diese trotzige Schrifft gab ich dem Schild-Knaben mündlich zur Antwort: Sage demjenigen, der dich zu mir geschickt: Woferne er seine Anfoderung etwas höflicher an mich gethan, hätte ich ihm mit Vergnügen willfahren wollen. Allein seiner unbesonnenen Drohungen wegen, wolte ich vor heute durchaus meinen eigenen Willen haben.

Der Schild Knabe gieng also fort, und ich hatte die Lust denjenigen Ritter zu bemercken, welchem er die Antwort überbrachte. Selbiger, so bald er mich kaum ein wenig müßig erblickt, kam gantz hochmüthig heran getrabet, und gab mir mit gantz hönischen Stellungen zu verstehen: Daß er Belieben habe mit mir ein- oder etliche Lantzen zu brechen. Er trug einen Feuerfarbenen silber gestreifften Harnisch, und führete einen blaß blauen Feder-Stutz auf seinem Helme, welcher mit schwartz und gelben Bande umwunden war. In seinem Schilde aber zeigte sich das Gemählde des Apollinis, der sich einer jungen Nymphe, Isse genannt, zu gefallen, in einen Schäfer verstellet, mit den Bey-Worten: Similis simili gaudet, als wolte er deutlich dieses zu verstehen geben:


Isse meine Schäferin
Machts, daß ich ein Schäfer bin.

Ich vermerckte sogleich bey Erblickung dieser Devise, daß der arme Ritter nicht allzuwohl unter dem Helme verwahret seyn müsse. Denn wie schlecht reimete sich doch der Feuerfarbene Harnisch nebst dem blaulichen Feder-Stutze, auch gelb und [498] schwartzen Bande zu der Schäferischen Liebes-Grille? Indem mir aber das fernere Nachsinnen durch meines Gegners Anrennen unterbrochen wurde, empfing ich ihn mit meiner hurtig eingelegten Lantze zum ersten mahle dermassen, daß er auf beyden Seiten Bügel los wurde, und sich kaum mit Ergreiffung seines Pferdes Mähne im Sattel erhalten konte. Dem ohngeacht versuchte er das andere Rennen, wurde aber von meinem hefftigen Lantzen-Stosse so gewaltig aus dem Sattel gehoben, daß er halb ohnmächtig vom Platze getragen werden muste. Solchergestalt war der verliebte Feuerfarbene Schäfer vor dieses mahl abgefertiget, und weil ich mich die übrige Zeit gegen andere noch ziemlich hurtig hielt, wurde mir bey Endigung des Turniers von den Kampf-Richtern der andere Preiß zuerkannt, welches ein vortrefflicher Maurischer Säbel war, dessen güldenes Gefässe mit den kostbarsten Edel-Steinen prangete. Die Printzeßin Johanna hielt mir denselben mit einer lächlenden Geberde schon entgegen, da ich noch wohl 20. Schritte biß zu ihrem auferbaueten Throne zu thun hatte, indem ich aber auf der untersten Staffel desselben nieder kniete, und meinen Helm abnahm, mithin mein blosses Gesichte zeigte, stutzte nicht allein die Princeßin nebst ihren andern Frauenzimmer gewaltig, sondern Dero liebstes Fräulein, dieDonna Eleonora de Sylva, sanck gar in einer Ohnmacht darnieder. Die Wenigsten mochten wohl errathen können, woher ihr dieser jählinge Zufall kam, und ich selbst wuste nicht, was es eigentlich zu bedeuten hatte, machte mich aber in noch währenden[499] Auflauffe, nachdem ich meinen Gewinst empfangen, ohne von andern Rittern erkannt zu werden, gantz hurtig zurücke.

Zwey Tage hernach wurde mir von vorigen Schild-Knaben ein Cartell folgendes Innhalts eingehändiget:


Unredlicher Ritter,


So kan man euch mit gröstem Rechte nennen, indem ihr nicht allein einem andern, der Besser ist als ihr, dasjenige Kleinod listiger Weise geraubt, welches er als seinen kostbarsten Schatz geachtet, sondern euch überdieses frevelhafft unterstanden habt, solches zu seinem Verdruß und Spott öffentlich auf dem Helme zu führen. Jedoch man muß die Boßheit und den Unverstand solcher Gelb Schnäbel bey zeiten dämpffen, und euch lehren, wie ihr mit würdigen Leuten umgehen müsset. Es ist zwar leichtlich zu erachten, daß ihr euch wegen des letztern ohngefähr erlangten Preises beym Lantzenbrechen, das Glücke zur Braut bekommen zu haben, einbildet. Allein wo ihr das Hertz habt, Morgen mit Aufgang der Sonnen, nebst nur einem eintzigen Beystande, auf der grossen Wiese zwischenMadrit und Aranjuez zu erscheinen; wird sich die Mühe geben, euch den Unterscheid zwischen einem lustbaren Lantzen-brechen und ernstlichen Schwerdt-Kampffe zu lehren, und den Kindischen Frevel zu bestraffen,


euer abgesagter Feind.


[500] Der Uberbringer dieses, wolte durchaus nicht bekennen, wie sein Herr mit Nahmen hiesse, derowegen gab ihm nur an denselben folgende wenige Zeilen zurück:


Frecher Ritter!


Woferne ihr nur halb so viel Verstand und Klugheit, als Prahlerey und Hochmuth besasset, würdet ihr rechtschaffenen Leuten wenigstens nur etwas glimpflicher zu begegnen wissen. Doch weil ich mich viel lieber mit dem Schwerdt, als der Feder gegen euch verantworten, und solchergestalt keine Ursach geben will, mich vor einen zaghafften Schäfer-Courtisan zu halten, so verspreche Morgen die bestimmte Zeit und Ort in acht zu nehmen, daselbst soll sich zeigen daß mein abgesagter Feind ein Lügner, ich aber sey


Don Cyrillo de Valaro.


Demnach begab ich mich noch selbigen Abend nebst dem Don Alphonso de Cordua, meiner Mutter Bruders Sohne, den ich zum Beystande erwählet hatte, aus Madrit in das allernächst der grossen Wiese gelegene Dorff, allwo wir über Nacht verblieben, und noch vor Aufgang der Sonnen die grosse Wiese betraten. Mein Gegner, den ich an seinen Feuerfarbenen Harnisch erkannte, erschien zu bestimmter Zeit, und konte mich ebenfalls um so viel desto eher erkennen, weil ich das grüne Band, nebst dem Bilde der Schäferin, ihm zum Trotz abermahls wieder auf den Helm gebunden [501] hatte. Er gab mir seinen Verdruß, und die Geringschätzung meiner Person, mit den allerhochmüthigsten Stellungen zu erkennen, jedoch ich kehrete mich an nichts, sondern fieng den verzweiffeltesten Schwerdt-Kampf mit meinem annoch unbekandten Feinde an, und brachte ihn binnen einer halben Stunde durch verschiedene schwere Verwundungen dahin, daß er abermahls halb todt und gäntzlich Krafftlos zur Erden sincken muste. Indem ich aber hinzu trat und seinen Helm öffnete, erkannte ich ihn vor den Sohn eines vornehmen Königlichen Etaats-Bedienten, Nahmens Don Sebastian de Urrez, der sich auf die Gnade, so der König seinem Vater erzeigte, ungewöhnlich viel einbildete, sonsten aber mehr mit Geld und Gütern, als Adelichen Tugenden, Tapffer- und Geschicklichkeit hervor zu thun wuste. Mir war bekannt, daß ausser einigen, welche seines Vaters Hülffe bedurfften, sonst niemand von rechtschaffenen Rittern leicht mit ihm umzugehen pflegte, derowege wandte mich mit einer verächtlichen Mine von ihm hinweg, uñ sagte zu den Umstehenden: Daß es mir hertzlich leyd sey, meinen allerersten ernstlichen Kampff mit einem Hasen-Kopffe gethan zu haben, weßwegen ich wünschen möchte, daß niemand etwas darvon erführe, setzte mich auch nebst meinem Secundanten Don Alfonso, der seinen Gegner ebenfalls sehr blutig abgespeiset hatte, sogleich zu Pferde, und ritten zurück nach Madrit.

Der alte Urrez hatte nicht bloß dieses Kampffs, sondern seines Sohnes hefftiger Verwundung wegen, alle Mühe angewandt mich bey dem Könige [502] in Ungnade zu setzen, jedoch seinen Zweck nicht erreichen können, denn wenig Tage hernach, da ich in dem Königl. Vor-Gemach aufwartete, rief mich derselbe in sein Zimmer, und gab mir mit wenig Worten zu verstehen: Wie ihm meine Herzhafftigkeit zwar im geringsten nicht mißfiele, allein er sähe lieber, wenn ich mich vor unnöthigen Händeln hütete, und vielleicht in kurtzen desto tapfferer gegen die Feinde des Königs bezeugte. Ob ich nun gleich versprach, mich in allen Stücken nach Ihro Majest. allergnädigsten Befehlen zu richten; so konte doch nicht unterlassen, bey dem bald darauff angestellten Stier-Gefechte, so wohl als andere Ritter, einen Wage-Hals mit abzugeben, dabey denn einen nicht geringen Ruhm erlangete, weil drey unbändige Büffel durch meine Faust erlegt wurden, doch da ich von dem Letzten einen ziemlichen Schlag an die rechte Hüfften bekommen hatte, nöthigte mich die Geschwulst, nebst dem geronnenen Geblüte, etliche Tage das Bette zu hüten. Binnen selbiger Zeit lieff ein Schreiben folgendes Innhalts bey mir ein:


Don Cyrillo de Valaro.


Warum wendet ihr keinen bessern Fleiß an, euch wiederum öffentlich frisch und gesund zu zeigen: Denn glaubet sicherlich, man hat zweyerley Ursachen, eurer Aufführung wegen schwere Rechenschafft zu fordern, erstlich daß ihr euch unterstanden, beym letztern Turnier eine frembde Liberey zu führen, und vors andere, daß ihr kein Bedencken getragen, eben dieselbe beym Stier-Gefechte [503] leichtsinniger Weise zurück zu lassen. Uberlegt wohl, auf was vor Art ihr euch redlicher Weise verantworten wollet, und wisset, daß dennoch mit euren itzigen schmertzhafften Zustande einiges Mittleyden hat


Donna Eleonora de Sylva.


Ich wuste erstlich nicht zu begreiffen, was dieses Fräulein vor Ursach hätte, mich, meiner Aufführung wegen zur Rede zu setzen; biß mir endlich mein Leib-Diener aus dem Traume halff. Denn dieser hatte von der Donna Eleonora vertrauten Aufwärterin so viel vernommen, daß Don Sebastian de Urrez bey selbigen Fräulein bishero in ziemlich guten Credit gestanden, nunmehro aber denselben auf einmahl gäntzlich verlohren hätte, indem er sie wahnsinniger Weise einer groben Untreue und Falschheit beschuldigte. Also könte ich mir leichtlich die Rechnung machen, daß Eleonora, um sich rechtschaffen an ihm zu rächen, mit meiner Person entweder eine Schertz- oder Ernsthaffte Liebes-Intrigue anzuspinnen suchte.

Diese Muthmassungen schlugen keines weges fehl, denn da ich nach völlig erlangter Gesundheit im königlichen Lust Garten zu Buen-Retiro Gelegenheit nahm mit der Eleonora ohne beyseyn anderer Leute zu sprechen, wolte sie sich zwar anfänglich ziemlich kaltsinnig und verdrießlich stellen, daß ich mir ohne ihre Erlaubniß die Freyheit genommen, Dero Liberey und Bildniß zu führen; Jedoch so bald ich nur einige trifftige Entschuldigungen nebst [504] der Schmeicheley vorgebracht, wie ich solche Sachen als ein besonderes Heiligthum zu verehren, und keinem Ritter, wer der auch sey, nicht anders als mit Verlust meines Lebens, zurück zu geben gesonnen wäre, fragte sie mit einer etwas gelaßnern Stellung: Wie aber, wenn ich dasjenige, was Don Sebastian nachläßiger Weise verlohren, ihr aber zufälliger Weise gefunden, und ohne meine Vergünstigung euch zugeeignet habt, selbst zurück begehre? So muß ich zwar, gab ich zur Antwort, aus schuldigen Respect eurem Befehle und Verlangen ein Genügen leisten, jedoch darbey erkennen, daß ihr noch grausamer seyd als das Glücke selbst, über dessen Verfolgung sich sonsten die Unglückseeligen eintzig und allein zu beklagen pflegen. Es ist nicht zu vermuthen, sagte sie hierauff, daß euch hierdurch eine besondere Glückseeligkeit zuwachsen würde, wenn gleich dergleichen Kleinigkeiten in euren Händen blieben. Und vielleicht darum, versetzte ich, weil Don Sebastian eintzig und allein bey eurer schönen Person glückseelig seyn und bleiben soll? Unter diesen Worten trat der Donna Eleonora das Blut ziemlich in die Wangen, so daß sie eine kleine Weile inne hielt, endlich aber sagte: Seyd versichert Don Valaro daßUrrez Zeit seines Lebens weniger Gunst-Bezeugungen von mir zu hoffen hat, als der allergeringste Edelmann, denn ob ich mich gleich vor einiger Zeit durch gewisse Personen, die ich nicht nennen will, bereden lassen, vor ihn einige Achtbarkeit, oder wohl gar einige Liebe zu hegen, so ist mir doch nunmehro seine ungeschickte und pöbelhaffte Aufführung besser bekannt und zum rechten Eckel [505] und Abscheu worden. Ich weiß ihm, sprach ich darauff, weder böses noch guts nachzusagen, ausser dem, daß ihn wenig rechtschaffene Ritter ihres Umgangs gewürdiget. Allein er ist nicht darum zu verdencken, daß er dergleichen Schmach jederzeit wenig geachtet, indem ihn das Vergnügen, sich von dem allerschönsten Fräulein am gantzen Hofe geliebt zu sehen, dieserhalb sattsam trösten können.

Donna Eleonora vermerckte vielleicht, daß sie ihre gegen sich selbst rebellirenden Affecten in die Länge nicht würde zwingen können, denn sie muste sich freylich in ihr Hertz hinein schämen, daß selbiges bißhero einem solchen übel berüchtigten Ritter offen gestanden, der sich bloß mit seinem Weibischen Gesichte, oder etwa mit Geschencken und sclavischen Bedienungen bey ihr eingeschmeichelt haben mochte; Derowegen sagte sie mit einer etwas verdrießlichen Stimme: Don Cyrillo, lasset uns von diesem Gespräch abbrechen, denn ich mag den verächtlichen Sebastian de Urrez nicht mehr erwehnen hören, von euch aber will ich ausbitten, mir die nichtswürdigen Dinge zurück zu senden, damit ich in Verbrennung derselben, zugleich das Angedencken meines abgeschmackten bißherigen Liebhabers vertilgen kan. Was soll denn, versetzte ich, das unschuldige Band und das artige Bildniß den Frevel eines nichtswürdigen Menschen büssen, gewißlich diese Sachen werden noch in der Asche ihren hohen Werth behalten, indem sie von so schönen Händen gekommen, um aber das verdrießliche Angedencken auszurotten, so erzeiget mir die Gnade und gönnet [506] meinem Hertzen die erledigte Stelle in dem eurigen, glaubet anbey gewiß, daß mein gantzes Wesen sich jederzeit dahin bestreben wird, eurer unschätzbaren Gegen-Gunst würdiger zu seyn als der liederlicheUrrez.

Donna Eleonora mochte sich ohnfehlbar verwundern, daß ich als ein junger 18. jähriger Ritter allbereit so dreuste und alt-klug als der erfahrenste Liebhaber reden konte, replicirte aber dieses: Don Cyrillo, eure besondere Tapfer- und Geschicklichkeit, hat sich zwar zu fast aller Menschen Verwunderung schon sattsam spüren lassen, indem ihr in Schertz- und Ernsthafften Kämpffen Menschen und Thiere überwunden, aber mein Hertz muß sich dennoch nicht so leicht überwinden lassen, sondern vielmehr der Liebe auf ewig absagen, weil es das erste mahl unglücklich im wählen gewesen, derowegen verschonet mich in Zukunfft mit dergleichen verliebten Anfällen, erfüllet vielmehr mein Begehren mit baldiger Ubersendung der verlangten Sachen.

Ich hätte wider diesen Ausspruch gern noch ein und andere Vorstellungen gethan, allein die Ankunfft einiger Ritter und Damen verhinderte mich vor dieses mahl. So bald ich nach diesem allein in meiner Kammer war, merckete mein Verstand mehr als zu deutlich, daß der gantze Mensch von den Annehmlichkeiten der Donna Eleonora bezaubert wäre, ja mein Hertze empfand eine dermassen hefftige Liebe gegen dieselbe, daß ich diejenigen Stunden vor die allertraurigsten und verdrießlichsten hielt, welche ich ohne sie zu sehen hinbringen muste. Derowegen nahm meine Zuflucht zur Feder, und [507] schrieb einen der allerverliebtesten Briefe an meinen Leitstern, worinnen ich hauptsächlich bat, nicht allein mich zu ihrem Liebhaber auf und anzunehmen, sondern auch die Liberey nebst Dero Bildnisse zum ersten Zeichen ihrer Gegen-Gunst in meinen Händen zu lassen.

Zwey gantzer Tage lang ließ sie mich hierauff zwischen Furcht und Hoffnung zappeln, biß ich endlich die halb erfreuliche und halb traurige Antwort erhielt: Ich möchte zwar behalten, was ich durch Glück und Tapfferkeit mir zugeeignet hätte, doch mit dem Bedinge: Daß ich solches niemahls wiederum öffentlich zeigen, sondern vor jedermann geheim halten solle. Uber dieses solte mir auch erlaubt seyn, sie morgenden Mittag in ihren Zimmer zu sprechen, allein abermahls mit der schweren Bedingung: Daß ich kein eintziges Wort von Liebes-Sachen vorbrächte.

Dieses Letztere machte mir den Kopff dermassen wüste, daß ich mir weder zu rathen noch zu helffen wuste, und an der Eroberung dieses Felsen-Hertzens schon zu zweiffeln begunte, ehe noch ein recht ernstlicher Sturm darauff gewagt war. Allein meine Liebe hatte dermahlen mehr Glücke als ich wünschen mögen, denn auf den ersten Besuch, worbey sich mein Gemüthe sehr genau nach Eleonorens Befehlen richtete, bekam ich die Erlaubniß ihr täglich nach der Mittags-Mahlzeit aufzuwarten, und die Zeit mit dem Bret-Spiele zu verkürtzen. Da aber meine ungewöhnliche Blödigkeit nebst ihrem ernstlich wiederholten Befehle das verliebte Vorbringen lange genung zurück gehalten hatten, gab [508] ich die feurige Eleonora endlich selbst Gelegenheit, daß ich meine hefftigen Seuffzer und Klagen kniend vor derselben ausstieß, und mich selbst zu erstechen drohete, woferne sie meine alleräuserste Liebe nicht mit gewünschter Gegen-Gunst beseeligte.

Demnach schiene sie auf einmahl anders Sinnes zu werden, und kurtz zu sagen, wir wurden von derselben Stunde an solche vertraute Freunde miteinander, daß nichts als die Priesterliche Einsegnung fehlte, uns beyde zu dem allervergnügtesten Paare ehelicher Personen zu machen. Immittelst hielten wir unsere Liebe dennoch dermassen heimlich, daß zwar der gantze Hof von unserer sonderbaren Freundschafft zu sagen wuste, die Wenigsten aber glaubten, daß unter uns an noch sehr jungen Leuten allbereits ein würckliches Liebes-Verbündniß errichtet sey.

Es war niemand vorhanden der eins oder das andere zu verhindern trachtete, denn mein eintziger FeindDon Sebastian de Urrez hatte sich, so bald er wieder genesen, auf die Reise in frembde Länder begeben. Also lebte ich mit meiner Eleonora über ein Jahr lang im süßesten Vergnügen, und machte mich anbey dem Könige und dessen Familie dermassen beliebt, daß es das Ansehen hatte, als ob ich dem Glücke gäntzlich im Schoosse sässe.

Mittlerweile da König Carl der VIII. in Franckreich, im Jahr 1494. den Krieges-Zug wider Neapolis vorgenommen hatte, fanden sich verschiedene junge vornehme Neapolitanische Herren am Castilianischen Hofe ein. Einer von selbigen hatte die Donna Eleonora de Sylva kaum zum erstenmahle [509] erblickt, als ihn dero Schönheit noch geschwinder als mich zum verliebten Narren gemacht hatte. Ich vermerckte mehr als zu frühe, daß er sich aufs eiffrigste angelegen seyn ließ, mich bey ihr aus dem Sattel zu heben, und sich an meine Stelle hinein zu schwingen, jedoch weil ich mich der Treue meiner Geliebten höchst versichert schätzte, über dieses der Höflichkeit wegen einem Fremden etwas nachzusehen verbunden war, ließ sich mein vergnügtes Hertze dieserwegen von keinem besondern Kummer anfechten. Allein mit der Zeit begunte der hoffärtige Neapolitaner meine Höflichkeit vor eine niederträchtige Zaghafftigkeit zu halten, machte sich also immer dreuster und riß eines Tages der Eleonora einen Blumen-Strauß aus den Händen, welchen sie mir, indem ich hurtig vorbey gieng, darreichen wolte. Ich konte damahls weiter nichts thun, als ihm meinen dieserhalb geschöpfften Verdruß mit den Augen zu melden, indem ich dem Könige eiligst nachfolgen muste, allein noch selbigen Abend kam es unter uns beyden erstlich zu einem höhnischen, bald aber zum schimpfflichsten Wort-Wechsel, so daß ich mich genöthiget fand, meinen Mit-Buhler kommenden Morgen auf ein paar spitzige Lantzen und wohlgeschliffenes Schwerdt hinaus zu fordern. Dieser stellete sich hierüber höchst vergnügt an, und und vermeinte mit einem solchen zarten Ritter, der ich zu seyn schiene, gar bald fertig zu werden, ohngeacht der Prahler die Jünglings-Jahre selbst noch nicht gantz überlebt hatte; Allein noch vor Mitter-Nacht ließ mir der König durch einen Officier von der Leib-Wacht befehlen, bey Verlust aller seiner Königl. Gnade u. meines [510] zeitlichen Glücks, mich durchaus mit dem Neapolitaner, welches ein vornehmer Printz unter verdeckten Nahmen wäre, in keinen Zwey-Kampf einzulassen, weiln der König unsere nichtswürdige Streit-Sache ehester Tages selbst beylegen wolte.

Ich hätte hierüber rasend werden mögen, muste aber dennoch gehorsamen, weil der Officier Ordre hatte, mich bey dem geringsten widerwärtigen Bezeigen sogleich in Verhafft zu nehmen. Eleonora bemühete sich, so bald ich ihr mein Leyd klagte, durch allerhand Schmeicheleyen dasselbe zu vernichten, indem sie mich ihrer vollkommenen Treue gäntzlich versicherte, anbey aber hertzlich bat, ihr nicht zu verargen, daß sie auf der Königin Befehl, gewisser Staats-Ursachen wegen, dem Neapolitaner dann und wann einen Zutritt nebst einigen geringen Liebes-Freyheiten erlauben müste, inzwischen würde sich schon mit der Zeit noch Gelegenheit finden, deßfalls Rache an meinem Mit-Buhler auszuüben, wie sie denn nicht zweiffelte, daß er sich vor mir fürchte, und dieserwegen selbst unter der Hand das Königl. Verboth auswürcken lassen.

Ich ließ mich endlich, wiewohl mit grosser Mühe, in etwas besänfftigen, allein es hatte keinen langen Bestand, denn da der König die Untersuchung unserer Streit-Sache verzögerte u. ich dem Neapolitaner allen Zutritt bey Eleonoren aufs möglichste verhinderte, geriethen wir unverhofft aufs neue zusammen, da derNeapolitaner Eleonoren im Königlichen Lust-Garten an der Hand spatzieren führete, und ich ihm vorwarff: Wie er sich deñoch besser [511] anzustellen wisse, ein Frauenzimmer, als eine Lantze oder blosses Schwerdt an der Hand zu führen. Er betheurete hierauff hoch, meine frevele Reden sogleich mit seinem Seiten-Gewehr zu bestraffen, wenn er nicht befürchtete den Burg-Frieden im Königl. Garten zu brechen; Allein ich gab mit einem höhnischen Gelächter zu verstehen: Wie es nur bey ihm stünde, mir durch eine kleine Pforte auf einen sehr bequemen Fecht-Platz zu folgen, der nur etwa 100. Schritte von dannen sey, und gar nicht zur Burg gehöre.

Alsobald machte der Neapolitaner Eleonoren, die vor Angst an allen Gliedern zitterte, einen Reverentz, und folgte mir auf einen gleichen Platz ausserhalb des Gartens, allwo wir Augenblicklich vom Leder zohen, um einander etliche blutige Characters auf die Cörper zu zeichnen.

Der erste Hieb gerieth mir dermassen glücklich, daß ich meinem Feinde sogleich die wallenden Adern am Vorder-Haupt eröffnete, weil ihm nun solchergestalt das häuffig herabfliessende Blut die Augen ziemlich verdunckelte, hieb er dermassen blind auf mich loß, daß ich ebenfalls eine kleine Wunde über den rechten Arm bekam, jedoch da er von mir in der Geschwindigkeit noch zwey starcke Hiebe empfangen davon der eine in die Schulter, und der andere in den Hals gedrungen war, sanck mein feindseeliger Neapolitaner ohnmächtig zu Boden. Ich sahe nach Leuten, die ihn verbinden und hinweg tragen möchten, befand mich aber im Augenblick von der Königl. Leibwacht umringet, die mir mein Quartier in demjenigen Thurme, wo noch andere Ubertreter [512] der Königl. Gebote logirten, ohne alle Weitläufftigkeit zeigeten. Hieselbst war mir nicht erlaubt an jemanden zu schreiben, vielweniger einen guten Freund zu sprechen, jedoch wurde mit den köstlichsten Speisen und Geträncke zum Uberflusse versorgt, und meine geringe Wunde von einem Chirurgo alltäglich zweymal verbunden, welche sich binnen 12. Tagen zu völliger Heilung schloß.

Eines Abends, da der Chirurgus ohne beyseyn der Wacht mich verbunden, und allbereit hinweg gegangen war, kam er eiligst wieder zurück und sagte: Mein Herr! jetzt ist es Zeit, euch durch eine schleunige Flucht selbst zu befreyen, denn ausserdem, daß kein eintziger Mann von der Wacht vorhanden, so stehen alle Thüren eures Gefängnisses offen, darum eilet und folget mir! Ich besonne nicht lange, ob etwa dieser Handel mit fleiß also angestellet wäre oder nicht, sondern warff augenblicklich meine völlige Kleidung über mich, und machte mich nebst dem Chirurgo in gröster Geschwindigkeit auf den Weg, beschenckte denselben mit einer Hand voll Gold-Cronen, und kam ohne eintzigen Anstoß in des Don Gonsalvo Ferdinando de Cordua, als meiner Mutter leiblichen Bruders Behausung an, dessen Sohn Don Alphonso mir nicht allein den sichersten heimlichen Auffenthalt versprach, sondern sich zugleich erboth, alles auszuforschen, was von meiner Flucht bey Hofe gesprochen würde.

Da es nun das Ansehen hatte, als ob der König dieserwegen noch hefftiger auf mich erbittert worden, indem er meine gehabte Wacht selbst gefangen zu setzen, und mich auf allen Strassen und im gantzen[513] Lande aufzusuchen befohlen; vermerckte ich mehr als zu wohl, daß in Castilien meines bleibens nicht sey, ließ mir derowegen von meiner Mutter eine zulängliche Summe Reise-Gelder übersenden, und practicierte mich, nach verlauff etlicher Tage, heimlich durch nach Portugal, allwo ich in dem nächsten Hafen zu Schiffe und nach Engelland übergieng, um daselbst unter König Henrico VII. der, der gemeinen Sage nach, mit den Schotten und einigen Rebellen Krieg anfangen wolte, mich in den Waffen zu üben. Allein meine Hoffnung betrog mich ziemlicher massen, indem dieses Kriegs-Feuer bey zeiten in seiner Asche erstickt wurde. Ich hatte zwar das Glück dem Könige aufzuwarten, und nicht allein seines mächtigen Schutzes, sondern auch künfftiger Beförderung vertröstet zu werden, konte aber leicht errathen, daß das Letztere nur leere Worte wären, und weil mir ausserdem der Englische Hof allzuwenig lebhafft vorkam, so hielt mich nur einige Monate daselbst auf, besahe hierauff die vornehmsten Städte des Reichs, gieng nach diesen wiederum zu Schiffe, und reisete durch die Niederlande an den Hof Kaysers Maximiliani, allwo zur selbigen Zeit alles Vergnügen, so sich ein junger Ritter wünschen konte, im grösten Uberflusse blühete. Ich erstaunete über die gantz seltsame Schönheit des Käyserlichen Printzens Philippi, und weiln bald darauff erfuhr, daß derselbe ehestens, mit der Castilianischen Princeßin Johanna vermählet werden solte, so preisete ich dieselbe allbereit in meinen Gedancken vor die allerglücklichste Princeßin, wiewohl mich die hernach folgenden Zeiten und Begebenheiten gantz anders belehreten.

[514] Inzwischen versuchte mein äuserstes, mich in dieses Printzen Gunst und Gnade zu setzen, weil ich die sichere Rechnung machen konte, daß mein König mich auf dessen Vorspruch bald wiederum zu Gnaden annehmen würde. Das Glücke war mir hierbey ungemein günstig, indem ich in verschiedenen Ritter-Spielen sehr kostbare Gewinste, und in Betrachtung meiner Jugend, vor andern grossen Ruhm erbeutete. Bey so gestallten Sachen aber fanden sich gar bald einige, die solches mit scheelen Augen ansahen, unter denen sonderlich ein Savoyischer Ritter war, der sich besonders Tapffer zu seyn einbildete, und immer nach und nach Gelegenheit suchte, mit mir im Ernste anzubinden. Er fand dieselbe endlich noch ehe als er vermeinte, wurde aber, in Gegenwart mehr als tausend Personen, fast tödtlich verwundet vom Platze getragen, dahingegen ich an meinen drey leichten Wunden nicht einmahl das Bette hüten durffte, sondern mich täglich bey Hofe öffentlich zeigen konte. Wenig Wochen darnach wurde ein Gallier fast mit gleicher Müntze von mir bezahlet, weil er die Spanischen Nationen mit ehrenrührigen Worten, und zwar in meinem Beyseyn angriff. Doch eben diese beyden Unglücks-Consorten hetzten den dritten Feind auf mich, welches ebenfalls ein Neapolitaner war, der nicht so wohl den Savoyer und Gallier, sondern vielmehr seinen in Madrit verunglückten Lands-Mann an mir rächen wolte.

Er machte ein ungemeines Wesen von sich, bath unseres Zwey-Kampffs wegen bey dem Käyser selbst, nicht allein die Vergünstigung, sondern auch [515] frey und sicher Geleite aus, in so ferne er mich entleibte, welches ihm der Käyser zwar anfänglich abschlug, jedoch endlich auf mein unterthänigstes Ansuchen zugestunde.

Demnach wurden alle Anstallten zu unserm Mord-Spiele gemacht, welchem der Käyser nebst dessen gantzer Hofstatt zusehen wolte. Wir erschienen also beyderseits zu gehöriger Zeit auf dem bestimmten Platze, mit Wehr, Waffen und Pferden aus dermassen wohl versehen, brachen unsere Lantzen ohne besondern Vortheil, griffen hierauff zun Schwerdtern, worbey ich gleich anfänglich spürete: Daß mein Gegner kein ungeübter Ritter sey, indem er mir dermassen hefftig zusetzte, daß ich eine ziemliche Weile nichts zu thun hatte, als seine geschwinden Streiche abzuwenden. Allein er war sehr starck und ungeschickt, mattete sich also in einer viertheils Stunde also hefftig ab, daß er lieber gesehen, wenn ich ihm erlaubt hätte, etwas auszuruhen. Jedoch ich muste mich dieses meines Vortheils auch bedienen, zumahlen sich an meiner rechten Hüffte die erste Verwundung zeigte, derowegen fieng ich an, meine besten Kräfte zu gebrauchen, brachte auch die nachdrücklichsten Streiche auf seiner Sturm-Hauben an, worunter mir einer also Mißrieth, daß seinem Pferde der Kopf gespalten, u. er herunter zu fallen genöthiget wurde. Ich stieg demnach gleichfalls ab, ließ ihn erstlich wieder aufstehen, und traten also den Kampf zu Fusse, als gantz von neuen wieder an. Hierbey dreheten wir uns dermassen offt und wunderlich herum, daß es das Ansehen hatte als ob wir zugleich tantzen und auch fechten müsten, mittlerweile [516] aber drunge allen beyden das Blut ziemlicher massen aus den zerkerbten Harnischen heraus, jedoch mein Gegner fand sich am meisten entkräfftet, weßwegen er auf einige Minuten Stillstand begehrte, ich vergönnete ihm selbigen, und schöpffte darbey selbst neue Kräffte, zumahlen da ich sahe, daß mir der Käyserl. Printz ein besonderes Zeichen seiner Gnade sehen ließ. So bald demnach mein Feind sein Schwerdt wiederum in die Höhe schwunge, ließ ich mich nicht träge finden, sondern versetzte ihm einen solchen gewaltsamen Hieb in das Haupt daß er zu taumeln anfieng, und als ich den Streich wiederholet, endlich todt zur Erden stürtzte. Ich warff mein Schwerdt zurück, nahete mich hinzu, um durch Abreissung des Helms ihm einige Lufft zu schaffen, da aber das Haupt fast biß auf die Augen gespalten war, konte man gar leicht begreiffen, wo die Seele ihre Ausfahrth genommen hatte, derowegen überließ ihn der Besorgung seiner Diener, setzte mich zu Pferde und ritte nach meinem Quartiere, allwo ich meine empfangenen Wunden, deren ich zwey ziemlich tieffe und 6. etwas geringere aufzuweisen hatte, behörig verbinden ließ.

Dieser Glücks-Streich brachte mir nicht allein am gantzen Käyserl. Hofe grosse Achtbarkeit, sondern des Käyserl. Printzens völlige Gunst zuwege, so daß er mich in die Zahl seiner Leib-Ritter aufnahm, und jährlich mit einer starcken Geld-Pension versahe. Hierbey erhielt ich Erlaubniß, nicht allein die vornehmsten teutschen Fürsten-Höfe, sondern auch die Königreiche Böhmen, Ungarn und Pohlen zu besuchen, worüber mir die Zeit geschwinder [517] hinlieff als ich gemeinet hatte, indem ich nicht ehe am Käyserl. Hofe zurück kam, als da die Princeßin Margaretha unserm Castilianischen Cron-Printzen Johanni als Braut zugeführet werden solte. Da nun der Käyserl. Printz Philippus dieser seiner Schwester das Geleite nach Castilien gab, bekam ich bey solcher Gelegenheit mein geliebtes Vaterland, nebst meiner allerliebsten Eleonora wieder zu sehen, indem mich KönigFerdinandus, auf Vorbitte der Käyserl. und seiner eigenen Kinder, zu Gnaden annahm, und den ehemals begangenen Fehler gäntzlich zu vergessen versprach.

Es ist nicht zu beschreiben was die Donna Eleonora vor eine ungewöhnliche Freude bezeigte, da ich den ersten Besuch wiederum bey ihr ablegte, hiernächst wuste sie mich mit gantz neuen und sonderbaren Liebkosungen dermassen zu bestricken, daß meine ziemlich erkaltete Liebe weit feuriger als jemahls zu werden begunte, und ob mir gleich meine besten Freunde dero bißherige Aufführung ziemlich verdächtig machten, und mich von ihr abzuziehen trachteten; indem dieselbe nicht allein mit dem Neapolitaner, der sich, nach Heilung seiner von mir empfangenen Wunden, noch über ein Jahr lang in Madrit aufgehalten, eine allzugenaue Vertraulichkeit solte gepflogen, sondern nächst diesem auch allen andern Frembdlingen verdächtige Zugänge erlaubt haben; so war doch nichts vermögend mich aus ihren Banden zu reissen, denn so offt ich ihr nur von dergleichen verdrießlichen Dingen etwas erwehnete, wuste sie von ihrer verfolgten Unschuld ein solches Wesen zu ma chen, und ihre Keuschheit so wohl mit [518] grossen Betheurungen als heissen Thränen dermassen zu verfechten, daß ich ihr in allen Stücken völligen Glauben beymessen, und mich glücklich schätzen muste, wenn sich ihr in Harnisch gebrachtes Gemüthe durch meine kniende Abbitte und äusersten Liebes-Bezeugungen nur wiederum besänfftigen ließ.

Da nun solchergestalt alle Wurtzeln der Eifersucht von mir gantz frühzeitig abgehauen wurden, und sich unsere Hertzen aufs neue vollkommen vereinigt hatten, über dieses meine Person am gantzen Hofe immer in grössere Achtbarkeit kam, so bedünckte mich, daß das Mißvergnügen noch weiter von mir entfernet wäre, als der Himmel von der Erde. Nachdem aber die, wegen des Cron-Printzens Vermählung, angestelleten Ritter-Spiele und andere vielfältige Lustbarkeiten zum Ende gebracht, gab mir der König ein neues Regiment Fuß-Volck, und damit meine Waffen nicht verrosten möchten, schickte er mich nebst noch mehrern gegen die um Granada auf dem Gebürge wohnenden Maurer zu Felde, welche damahls allerhand lose Streiche machten, und eine förmliche Empörung versuchen wolten. Dieses war mein allergröstes Vergnügen, alldieweilen hiermit Gelegenheit hatte meines lieben Vaters frühzeitigen Tod an dieser verfluchtenNation zu rächen, und gewiß, sie haben meinen Grimm sonderlich im 1500ten und folgenden Jahre, da ihre Empörung am hefftigsten war, dermassen empfunden, daß dem Könige nicht gereuen durffte mich dahin geschickt zu haben.

Immittelst war Ferdinandus mit Ludovico [519] XII. Könige in Franckreich, über das Königreich Neapolis, welches sie doch vor kurtzer Zeit unter sich getheilet, und den König Friedericum dessen entsetzt hatten, in Streit gerathen, und mein Vetter Gonsalvus Ferdinandus de Cordua, der die Spanischen Truppen im Neapolitanischen en Chef kommandierte, war im Jahr 1502. so unglücklich gewesen, alles zu verliehren, bis auf die eintzige Festung Barletta. Demnach schrieb er um schleunigen Succurs, und bat den König, unter andern mich, als seiner Schwester Sohn mit dahin zu senden. Der König willfahrete mir und ihm in diesen Stücke, also gieng ich fast zu Ende des Jahres zu ihm über. Ich wurde von meinem Vetter, den ich in vielen Jahren nicht gesehen, ungemein liebreich empfangen, und da ich ihm die erfreuliche Zeitung von den bald nachkommenden frischen Völckern überbrachte, wurde er desto erfreuter, und zweyffelte im geringsten nicht, die Scharte an denen Frantzosen glücklich auszuwetzen, wie er sich denn in seinem Hoffnungs vollen Vorsatze nicht betrogen fand, denn wir schlugen die Frantzosen im folgenden 1503ten Jahre erstlich bey Cereniola, rückten hierauff vor die Haupt-Stadt Neapolis, welche glücklich erobert wurde, lieferten ihnen noch eine uns vortheilhaffte Schlacht bey dem Flusse Garigliano, und brachten, nachdem auch die Festung Cajeta eingenommen war, das gantze Königreich Neapolis, unter Ferdinandi Botmäßigkeit, so daß alle Frantzosen mit grösten Schimpf daraus vertrieben waren. Im folgenden Jahre wolte zwar König Ludovicus uns mit einer weit stärckern Macht angreiffen, [520] allein mein Vetter hatte sich, vermöge seiner besondern Klugheit, in solche Verfassung gesetzt, daß ihm nichts abzugewinnen war. Demnach machten die Frantzosen mit unserm Könige Friede und Bündniß, ja weil Ferdinandi GemahlinIsabella eben in selbigem Jahre gestorben war, nahm derselbe bald hernach eine Frantzösische Dame zur neuen Gemahlin, und wolte seinen Schwieger-SohnPhilippum verhindern, das, durch den Tod des Cron-Printzen auf die Princeßin Johannam gefallene, Castilien in Besitz zu nehmen. Allein Philippus drunge durch, und Ferdinandus muste nach Arrogonien weichen.

Mittlerweile hatte sich mein Vetter Gonsalvus zuNeapolis in grosses Ansehen gesetzt, regierte daselbst, jedoch zu Ferdinendi grösten Nutzen, als ein würcklicher König, indem alle Unterthanen Furcht und Liebe vor ihm hegten. Allein so bald Ferdinandus dieses etwas genauer überlegte, entstund der Argwohn bey ihm: Ob vielleicht mein Vetter dahin trachtete, dieses Königreich dem Philippo zuzuschantzen, oder sich wohl gar selbst dessen Krone auf seinen Kopf zu setzen? Derowegen kam er unvermuthet in eigener Person nach Neapolis, stellete sich zwar gegen Gonsalvum ungemein gnädig, hielt auch dessen gemachte Reichs-Anstalten vor genehm, allein dieser verschlagene Mann merckte deñoch, daß des Königs Freundlichkeit nicht von Hertzen gienge, dem ohngeacht verließ er sich auf sein gut Gewissen, und reisete, ohne einige Schwürigkeit zu machen, mit dem Könige nach Arrogonien, allwo er vor seine treu geleisteten Dienste, mehr Hohn und [521] Spott, als Danck und Ruhm zum Lohne empfieng. Meine Person, die Ferdinando ebenfalls verdächtig vorkam, muste meines Vetters Unfall zugleich mit tragen, jedoch da ich in Aragonien ausser des Königs Gunst nichts zu suchen, sondern mein Väter- und Mütterliches Erbtheil in Castilien zu fordern hatte, nahm ich daselbst meinen Abschied, und reisete zu Philippo, bey dessen Gemahlin dieDonna Eleonora de Sylva aufs neue in Dienste getreten, und eine von ihren vornehmsten Etaats-Fräuleins war.

Philippus gab mir sogleich eine Cammer-Herrens-Stelle, nebst starcken jährlichen Einkünfften, also heyrathete ich wenig Monathe hernach die Donna Eleonora, allein ob sich hiermit gleich ein besonders schöner, weiblicher Cörper an den Meinigen fügte, so fand ich doch in der genausten Umarmung bey weiten nicht dasjenige Vergnügen, wovon die Naturkündiger so vieles Geschrey machen, und beklagte heimlich, daß ich auf dergleichen ungewisse Ergötzlichkeit, mit so vieljähriger Beständigkeit gewartet, und den ehemaligen Zuredungen meiner vertrauten Freunde nicht mehrern Glauben gegeben hatte.

Jedoch ich nahm mir sogleich vor, dergleichen unglückliches Verhängniß mit möglichster Gelassenheit zu verschmertzen, auch meiner Gemahlin den allzuzeitlich gegen sie gefasseten Eckel auf alle Weise zu verbergen, immittelst mein Gemüthe nebst eiffrigen Dienstleistungen gegen das Königliche Haus, mit andern vergönnten Lustbarkeiten zu ergötzen.

[522] Das Glücke aber, welches mir biß in mein dreissigstes Jahr noch so ziemlich günstig geschienen, mochte nunmehro auf einmahl beschlossen haben, den Rücken gegen mich zu wenden. Denn mein König und mächtiger Versorger starb im folgenden 1506ten Jahre, die Königin Johanna, welche schon seit einigen Jahren an derjenigen Ehe-Stands-Kranckheit laborirte, die ich in meinen Adern fühlete, jedoch nicht eben dergleichen Artzeney, als ich, gebrauchen wolte oder konte, wurde, weil man so gar ihren Verstand verrückt glaubte, vor untüchtig zum regieren erkannt, derowegen entstunden starcke Verwirrungen unter Grossen des Reichs, biß endlich Ferdinandus aus Arragonien kam, und sich mit zurücksetzung des 6. jährigen Cron-Printzens Caroli, die Regierung des Castilianischen Reichs auf Lebens-Zeit wiederum zueignete.

Ich weiß nicht ob mich mein Eigensinn oder ein allzu schlechtes Vertrauen abhielt, bey diesem meinem alten, und nunmehro recht verneuerten Herrn, um die Bekräfftigung meiner Ehren-Stelle und damit verknüpffter Besoldung anzuhalten, wie doch viele meines gleichen thaten, zumahlen da er sich sehr gnädig gegen mich bezeigte, und selbiges nicht undeutlich selbst zu verstehen gab; Jedoch ich stellete mich in diesen meinen besten Jahren älter, schwächer und kräncklicher an als ich war, bath mir also keine andere Gnade aus, als daß mir die übrige Zeit meines Lebens auf meinen Väterlichen Land-Gütern in Ruhe hinzubringen erlaubt seyn möchte, welches mir denn auch ohne alle Weitläufftigkeiten zugelassen wurde.

[523] Meine Gemahlin schien hiermit sehr übel zu frieden zu seyn, weil sie ohnfehlbar gewisser Ursachen wegen viellieber bey Hofe geblieben wäre, jedoch, sie sahe sich halb gezwungen, meinem Willen zu folgen, gab sich derowegen gantz gedultig drein. Ich fand meine Mutter nebst der jüngsten Schwester auf meinem besten Ritter-Gute, welche die Haußhaltung daselbst in schönster Ordnung führeten. Mein jüngster Bruder hatte so wohl als die älteste Schwester eine vortheilhaffte und vergnügte Heyrath getroffen, und wohneten der erste zwey, und die letztere drey Meilen von uns. Ich verheyrathete demnach, gleich in den ersten Tagen meiner Dahinkunfft, die jüngste Schwester an einen reichen und qualificierten Edelmann, der vor etlichen Jahren unter meinem Regiment als Hauptmann gestanden hatte, und unser Gräntz-Nachbar war, die Mutter aber behielt ich mit grösten Vergnügen bey mir, allein zu meinem noch grössern Schmertzen starb dieselbe ein halbes Jahr darauf plötzlich, nachdem ich ihr die Freude gemacht, nicht allein meinen Schwestern ein mehreres Erbtheil auszuzahlen, als sie mit Recht verlangen konten, sondern auch dem Bruder die Helffte aller meiner erblichen Ritter-Güter zu übergeben, als wodurch diese Geschwister bewogen wurden, mich nicht allein als Bruder, sondern als einen Vater zu ehren und zu lieben.

Nunmehro war die Besorgung der Ländereyen auf drey nahe beysammen gelegenen Ritter-Gütern mein allervergnügtester Zeitvertreib, nächst [524] dem ergötzte mich in Durchlesung der Geschichte, so in unsern und andern Ländern vorgegangen waren, damit mich aber niemand vor einen Geitzhalß oder Grillenfänger ansehen möchte, so besuchte meine Nachbaren fleißig, und ermangelte nicht, dieselben zum öfftern zu mir zu bitten, woher denn kam, daß zum wenigsten alle Monat eine starcke Zusammenkunfft vieler vornehmer Personen beyderley Geschlechts bey mir anzutreffen war.

Mit meiner Gemahlin lebte ich ungemein ruhig und verträglich, und ohngeacht wir beyderseits wohl merckten, daß eins gegen das andere etwas besonders müste auf dem Hertzen liegen haben, so wurde doch alle Gelegenheit vermieden, einander zu kräncken. Am allermeisten aber muste bewundern, daß die sonst so lustige Donna Eleonora nunmehro ihren angenehmsten Zeitvertreib in geistlichen Büchern und in dem Umgange mit heiligen Leuten beyderley Geschlechts suchte, dahero ich immer befürchtete, sie möchte auf die Gedancken gerathen, sich von mir zu scheiden, und in ein Kloster zu gehen, wie sie denn sich von freyen Stücken gewöhnete, wöchentlich nur zwey mahl bey mir zu schlaffen, worbey ich gleichwohl merckte, daß sie zur selbigen Zeit im Wercke der Liebe gantz unersättlich war, dem ohngeacht wolten sich von unserern ehelichen Beywohnungen gar keine Früchte zeigen, welche ich doch endlich ohne allen Verdruß hätte um mich dulden wollen.

Eines Tages, da ich mit meiner Gemahlin auf dem Felde herum spatzieren fuhr, begegnete uns ein Weib, welches nebst einem ohngefähr 12. biß 13. [525] jährigen Knaben, in die nächst gelegene Stadt Weintrauben zu verkauffen tragen wolte. Meine Gemahlin bekam Lust, diese Früchte zu versuchen, derowegen ließ ich stille halten, um etwas darvon zu kaufen. Mittlerweile sagte meine Gemahlin heimlich zu mir: Sehet doch, mein Schatz, den wohlgebildeten Knaben an, der vielleicht sehr armer Eltern Kind ist, und sich dennoch wohl besser zu unserm Bedienten schicken solte, als etliche, die des Brodts nicht würdig sind. Ich nehme ihn, versetzte ich, so gleich zu eurem Pagen an, so ferne es seine Mutter und er selbst zufrieden ist. Hierüber wurde meine Gemahlin alsofort vor Freuden Blut-roth, sprach auch nicht allein die Mutter, sondern den Knaben selbst um den Dienst an, schloß den gantzen Handel mit wenig Worten, so, daß der Knabe so gleich mit seinem Frucht-Korbe uns auf unser Schloß folgen muste.

Ich muste selbst gestehen, daß meine Gemahlin an diesen Knaben, welcher sich Caspar Palino nennete, keine üble Wahl getroffen hatte, denn so bald er sein roth mit Silber verbrämtes Kleid angezogen, wuste er sich dermassen geschickt und höfflich aufzuführen, daß ich ihn selbst gern um mich leiden mochte, und allen meinen andern Bedienten befahl, diesem Knaben, bey Verlust meiner Gnade, nicht den geringsten Verdruß anzuthun, weßwegen sich denn meine Gemahlin gegen mich ungemein erkänntlich bezeugte.

Wenige Wochen hernach, da ich mit verschiedenen Gästen und guten Freunden das Mittags-Mahl einnahm, entstund ein grausames Lermen [526] in meinem Hofe, da nun dieserwegen ein jeder an die Fenster lieff, wurden wir gewahr, daß meine Jagd-Hunde eine Bettel-Frau, nebst einer etwa 9. jährigen Tochter zwar umgerissen, jedoch wenig beschädigt hatten. Meine Gemahlin lieff aus mitleidigen Antriebe so gleich hinunter, und ließ die mehr von Schrecken als Schmertzen ohnmächtigen Armen ins Hauß tragen und erquicken, kam hernach zurück, und sagte: Ach mein Schatz! was vor ein wunderschönes Kind ersiehet man an diesem Bettel-Mägdlein, vergönnet mir, wo ihr anders die geringste Liebe vor mich habt, daß ich selbiges so wohl als den artigen Caspar auferziehen mag.

Ich nahm mir kein Bedencken, ihr solches zu erlauben, da denn in kurtzen das Bettel-Mägdlein dermassen heraus geputzt wurde, auch sich solchergestallt in den Staat zu schicken wuste, als ob es darzu gebohren und auferzogen wäre. Demnach konte sich die Donna Eleonora alltäglich so vieles Vergnügen mit demselben machen, als ob dieses Mägdlein ihr liebliches Kind sey, ausserdem aber bekümmerte sie sich wenig oder gar nichts um ihre Haußhaltungs-Geschäffte, sondern wendete die meiste Zeit auf einen strengen GOttes-Dienst, den sie nebst einer heiligen Frauen oder so genannten Beata zum öfftern in einem verschlossenen Zimmer verrichtete.

Diese Beata lebte sonst gewöhnlich in dem Hospital der Heil. Mutter GOttes in Madrid, hatte, meiner Gemahlin Vorgeben nach, einen Propheten-Geist, solte viele Wunder gethan haben, und noch thun können, über dieses fast täglicher Erscheinungen [527] der Mutter GOttes, der Engel und anderer Heiligen gewürdiget werden. Sie kam gemeiniglich Abends in der Demmerung mit verhüllten Gesichte, und brachte sehr öffters eine ebenfalls verhüllete junge Weibs-Person mit, die sie vor ihre Tochter ausgab. Ein eintziges mahl wurde mir vergönnet, ihr blosses Angesicht zu sehen, da ich denn bey der Alten ein ausserordentlich häßliches Gesichte, die Junge aber ziemlich wohlgebildet wahrnahm, jedoch nachhero bekümmerte ich mich fast gantz und gar nicht mehr um ihren Aus- und Eingang, sondern ließ es immerhin geschehen, daß diese Leute, welche ich so wohl als meine Gemahlin vor scheinheilige Narren hielt, öffters etliche Tage und Wochen aneinander in einem verschlossenen Zi er sich aufgehalten, u. mit den köstlichsten Speisen und Geträncke versorget wurden. Ich muste auch nicht ohne Ursach ein Auge zudrücken, weil zu befürchten war, meine Gemahlin möchte dereinst beym Sterbe-Fall ihr grosses Vermögen mir entziehen, und ihren Freunden zuwenden.

Solchergestalt lebte nun biß ins vierdte Jahr mit der Donna Eleonora, wiewohl nicht sonderlich vergnügt, doch auch nicht gäntzlich unvergnügt, biß endlich folgende Begebenheit meine bißherige Gemüths-Gelassenheit völlig vertrieb, und mein Hertz mit lauter Rach-Begierde und rasenden Eiffer anfüllte: Meiner Gemahlin vertrautes Cammer-Mägdgen, Apollonia, wurde von ihren Mit-Bedienten vor eine Geschwängerte ausgeschryen, und ohngeacht ihr dicker Leib der Sache selbst einen starcken Beweißthum gab, so verließ sie sich doch beständig [528] aufs Läugnen, biß ich endlich durch erleidliches Gefängniß, die Wahrheit nebst ihrem eigenen Geständnisse, wer Vater zu ihrem Hur-Kinde sey, zu erforschen Anstalt machen ließ. Dem ohngeacht blieb sie beständig verstockt, allein, am 4ten Tage ihrer Gefangenschafft meldete der Keckermeister in aller Frühe, daß Apollonia vergangene Nacht plötzlich gestorben sey, nachdem sie vorhero Dinte, Feder und Pappier gefordert, einen Brief geschrieben, und ihn um aller Heiligen Willen gebeten, denselben mit gröster Behutsamkeit, damit es meine Gemahlin nicht erführe, an mich zu übergeben. Ich erbrach den Brief mit zitternden Händen, weil mir mein Hertz allbereit eine gräßliche Nachricht prophezeyete, und fand ohngefähr folgende Worte darinnen:


Gestrenger Herr!


Vernehmet hiermit von einer sterbenden ein Geheimniß, welches sie bey Verlust ihrer Seeligkeit nicht mit ins Grab nehmen kan. Eure Gemahlin, die Donna Eleonora, ist eine der allerlasterhafftesten Weibes-Bilder auf der gantzen Welt. Ihre Jungfrauschafft hat sie schon, ehe ihr dieselbe geliebt, dem Don Sebastian de Urrez Preiß gegeben, und so zu reden, vor einen kostbarn Haupt-Schmuck verkaufft. Mit dem euch wohlbekandten Neapolitaner hat sie in eurer Abwesenheit den Knaben Caspar Palino gezeuget, welcher ihr voritzo als Page aufwartet, und das vermeynte Bettel-Mägdlein [529] Euphrosine ist ebenfalls ihre leibliche Tochter, die sie zu der Zeit, als ihr gegen die Maurer zu Felde laget, von ihrem Beicht-Vater empfangen, und heimlich zur Welt gebohren hat. Lasset eures Verwalters Menellez Frau auf die Folter legen, so wird sie vielleicht bekennen, wie es bey der Geburth und Auferziehung dieser unehelichen Kinder hergegangen. Eure Mutter, die ihr gleich anfänglich zuwider war, habe ich auf ihren Befehl mit einemsubtilen Gifft aus der Zahl der Lebendigen schaffen müssen, euch selbst aber, ist eben dergleichen Verhängniß bestimmet, so bald ihr nur eure bißherige Gelindigkeit in eine strengere Herrschafft verwandeln werdet. Wie aber ihre Geilheit von Jugend auf gantz unersättlich gewesen, so ist auch die Zahl derjenigen Manns-Personen allerley Standes, worunter sich öffters so gar die allergeringsten Bedienten gefunden, nicht auszusprechen, die ihre Brunst so wohl bey Tage als Nacht Wechsels-Weise abkühlen müssen, indem sie den öfftern Wechsel in diesen Sachen jederzeit von ihr allergröstes Vergnügen gehalten. Glaubet ja nicht, mein Herr, daß die so genannte Beata eine heilige Frau sey, denn sie ist in Wahrheit eine der allerliederlichsten Kupplerinnen in gantz Madrit, unter derjenigen Person aber, die vor ihre Tochter ausgegeben wird, ist allezeit ein verkappter Münch, oder ein anderer junger Mensch [530] versteckt, der eure Gemahlin, so offt ihr die Lust bey Tage ankömmt, vergnügen, und des Nachts an ihrer Seite liegen muß, und eben dieses ist die sonderbare Andacht, so dieselbe in dem verschlossenen Zimmer verrichtet. Ich fühle, daß mein Ende heran nahet, derowegen muß die übrigen Schand-Thaten unberühret lassen, welche jedoch von des Menellez Frau offenbarer werden können, denn ich muß, die vielleicht noch sehr wenigen Augenblicke meines Lebens, zur Busse und Gebet anwenden, um dadurch von GOtt zu erlangen, daß er mich grosse Sünderin seiner Barmhertzigkeit geniessen lasse. Was ich aber allhier von eurer Gemahlin geschrieben habe, will ich in jenem Leben verantworten, und derselben von gantzen Hertzen vergeben, daß sie gestern Abend die Cornelia zu mir geschickt, die mich nebst meiner Leibes-Frucht, vermittelst eines vergiffteten Apffels, unvermerckt aus der Welt schaffen sollen, welches ich nicht ehe als eine Stunde nach Geniessung desselben empfunden und geglaubet habe. Don Vincentio de Garziano, welcher der Donna Eleonora seit 4 Monaten daher von der Beata zum Liebhaber zugeführet worden, hat wider meiner Gebietherin Wissen und Willen seinen Muthwillen auch an mir ausgeübt, und mich mit einer unglückseeligen Leibes-Frucht belästiget. Vergebet mir, gnädigster Herr, meine Boßheiten[531] und Fehler, so wie ich von GOTT Vergebung zu erhalten verhoffe, lasset meinen armseeligen Leib in keine ungeweyhete Erde begraben, und etliche Seel-Messen vor mich und meine Leibes-Frucht lesen, damit ihr in Zukunfft von unsern Geistern nicht verunruhiget werdet. GOTT, der meine Seele zu trösten nunmehro einen Anfang machet, wird euch davor nach ausgestandenen Trübsalen und Kümmernissen wiederum zeitlich und ewig zu erfreuen wissen. Ich sterbe mit grösten Schmertzen als eine bußfertige Christin und eure

unwürdige Dienerin

Apollonia.


Erwege selbst, du! der du dieses liesest, wie mir nach Verlesung dieses Briefes müsse zu Muthe gewesen seyn, denn ich weiß weiter nichts zu sagen, als daß ich binnen zwey guten Stunden nicht gewußt habe, ob ich noch auf Erden oder in der Hölle sey, denn mein Gemüthe wurde von gantz ungewöhnlichen Bewegungen dermassen gefoltert und zermartert, daß ich vor Angst und Bangigkeit nicht zu bleiben wuste, jedoch, da aus den vielen Hin- und Hergehen der Bedienten muthmassete, daß Eleonora erwacht seyn müsse, brachte ich dasselbe in behörige Ordnung, nahm eine verstellte gelassene Gebärde an, und besuchte sie in ihrem Zimmer, ich war würcklich selbst der erste, der ihr von dem Tode der Apolloniæ die Zeitung brachte, welche sie mit mäßiger Verwunderung anhörte, und darbey [532] sagte: Der Schand-Balg hat sich ohnfehlbar selbst mit Giffte hingerichtet, um des Schimpffs und der Straffe zu entgehen, man muß es untersuchen, und das Aas auf den Schind-Anger begraben lassen. Allein, ich gab zur Antwort: Wir werden besser thun, wenn wir die gantze Sache vertuschen, und vorgeben, daß sie eines natürlichen Todes gestorben sey, damit den Leuten, und sonderlich der heiligen Inquisition, nicht Gelegenheit gegeben wird, vieles Wesen davon zu machen, ich werde den Pater Laurentium zu mir ruffen lassen, und ihm eine Summe Geldes geben, daß er nach seiner besondern Klugheit alles unterdrücke, den unglückseeligen Cörper auf den Kirchhof begraben lasse, und etliche Seel-Messen vor denselben lese. Ihr aber, mein Schatz! sagte ich ferner, werdet, so es euch gefällig ist, die Güte haben, und nebst mir immittelst zu einem unserer Nachbarn reisen, und zwar, wohin euch beliebt, damit unsere Gemüther, nicht etwa dieser verdrüßlichen Begebenheit wegen, einige Unlust an sich nehmen, sondern derselben bey lustiger Gesellschafft steuren können.

Es schien, als ob ihr diese meine Reden gantz besonders angenehm wären, auf mein ferneres Fragen aber, wohin sie vor dieses mahl hin zu reisen beliebte? schlug sie so gleich Don Fabio de Canaria vor, welcher 3. Meilen von uns wohnete, keine Gemahlin hatte, sondern sich mit etlichen Huren behalff, sonsten aber ein wohlgestaltet, geschickter und kluger Edelmann war. Ich stutzte ein klein wenig über diesen Vorschlag, Eleonora aber, welche [533] solches so gleich merckte, sagte: Mein Schatz, ich verlange nicht ohne Ursache, diesen übel-berüchtigten Edelmann einmahl zu besuchen, um welchen es Schade ist, daß er in so offenbarer Schande und Lastern lebt, vielleicht aber können wir ihn durch treuhertzige Zuredungen auf andere Wege leiten, uñ dahin bereden, daß er sich eine Gemahlin aussuchet, mithin den Lastern absaget. Ihr habt recht, gab ich zur Antwort, ja ich glaube, daß niemand auf der Welt, als ihr, geschickter seyn wird, diesen Cavalier zu bekehren, von dessen Lebens-Art, ausser der schändlichen Geilheit, ich sonst sehr viel halte, besinnet euch derowegen auf gute Vermahnungen, ich will indessen meine nöthigsten Geschäffte besorgen, und so dann gleich Anstalt zu unserer Reise machen lassen. Hierauf ließ ich den Kercker-Meister zu mir kommen, und erkauffte ihn mit 200. Cronen, wegen des Briefs und Apolloniens weitern Geschichten, zum äusersten Stillschweigen, welches er mir mit einem theuren Eyde angelobte. Mit dem Pater Laurentio, der mein Beicht-Vater und Pfarrer war, wurde durch Geld alles geschlichtet, was des todten Cörpers halber zu veranstalten war. Nach diesen befahl meinem allergetreusten Leib-Diener, daß er binnen der Zeit unserer Abwesenheit eine kleine schmale Thür aus einem Neben-Zimmer in dasjenige Gemach durchbrechen, und mit Bretern wohl verwahren solte, allwo die Beata nebst ihrer Tochter von meiner Gemahlin gewöhnlich verborgen gehalten wurde, und zwar solchergestalt, daß Niemand von dem andern Gesinde etwas davon erführe, [534] auch in dem Gemach selbst an den Tapeten nichts zu mercken seyn möchte. Mittlerweile erblickte ich durch mein Fenster, daß dieBeata nebst ihrer verstellten Tochter durch die Hinter-Thür meines Gartens abgefertiget und fortgeschickt wurden, weßwegen ich meinen Leib-Diener nochmahls alles ordentlich zeigte, und ihn meiner Meynung vollkommen verständigte, nach eingenommener Mittags-Mahlzeit aber, mit Eleonoren zu Don Fabio de Canaria reisete.

Nunmehro waren meine Augen weit heller als sonsten, denn ich sahe mehr als zu klärlich mit was vor feurigen Blicken und geilen Gebährden Eleonora und Fabio einander begegneten, so daß ich leichtlich schliessen konte: wie sie schon vor dem müsten eine genauere Bekanndtschafft untereinander gepflogen haben, anbey aber wuste mich dermassen behutsam aufzuführen, daß beyde Verliebten nicht das geringste von meinen Gedancken errathen oder mercken konten. Im gegentheil gab ihnen die schönste Gelegenheit allein zusammen zu bleiben, und sich in ihrer verdammten Geilheit zu vergnügen, als womit ich Eleonoren ausserordentlich sicher machte, dem Fabio aber ebenfalls die Meynung beybrachte: ich wolte oder könte vielleicht nicht Eifersüchtig werden. Allein dieser Vogel war es eben nicht allein, den ich zu fangen mir vorgenommen hatte. Er hatte noch viele andere Edelleute zu sich einladen lassen, unter denen auch mein Bruder nebst seiner Gemahlin war, diesem vertrauete ich bey einem einsamen Spazier-Gange im Garten, was mir vor ein schwerer Stein auf dem Hertzen [535] läge, welcher denn dieserwegen eben so hefftige Gemüths-Bewegungen als ich selbst empfand, jedoch wir verstelleten uns nach genommener Abrede aufs Beste, und schienen so wohl als alle andern, drey Tage nach einander rechtschaffen lustig zu seyn. Am vierdten Tage aber reiseten wir wiederum aus einander, nachdem mein Bruder versprochen, alsofort bey mir zu erscheinen, so bald ich ihm deßfalls nur einen Boten gesendet hätte. Zwey Tage nach unserer Heimkunfft, kam die verhüllte Beata nebst ihrer vermeynten Tochter in aller Frühe gewandelt, und wurde von Eleonoren mit gröstem vergnügen empfangen. Mein Hertz im Leibe entbrannte vom Eiffer und Rache, nachdem ich aber die Arbeit meines Leib-Dieners mit Fleiß betrachtet, und die verborgene Thür nach meinem Sinne vollkommen wohl gemacht befunden, ließ ich meinen Bruder zu mir entbiethen, welcher sich denn noch vor Abends einstellete. Meine Gemahlin war bey der Abend-Mahlzeit ausserordentlich wohl aufgeräumt, und schertzte wieder ihre Gewohnheit sehr lange mit uns, da wir aber nach der Mahlzeit einige Rechnungen durchzugehen vornahmen, sagte sie: Meine Herren, ich weiß doch, daß euch meine Gegenwart bey dergleichen ernstlichen Zeitvertreibe beschwerlich fällt, derowegen will mit eurer gütigen Erlaubniß Abschied nehmen, meine Andacht verrichten, hiernach schlafen gehen, weil ich ohnedem heute ausserordentlich müde bin. Wir fertigten sie von beyden Seiten mit unverdächtiger Freundlichkeit ab, blieben noch eine kurtze Zeit beysammen sitzen, begaben uns hernach mit zweyen Blend-Laternen und [536] blossen Seiten-Gewehren, gantz behutsam und stille in dasjenige Zimmer, wo die neue Thür anzutreffen war, allwo man auch durch die kleinen Löcher, welche so wohl durch die Breter als Tapeten geschnitten und gestochen waren, alles gantz eigentlich sehen konte, was in dem, vor heilig gehaltenen Gemache vorgieng.

Hilff Himmel! Was vor Schande! Was vor ein scheußlicher Anblick! Meine schöne, fromme, keusche, tugendhaffte, ja schon halb canonisirte Gemahlin, Donna Eleonora de Sylva, gieng mit einer jungen Manns-Person Mutternackend im Zimmer auf und ab spatzieren, nicht anders als ob sie den Stand der Unschuld unserer ersten Eltern, bey Verlust ihres Lebens vorzustellen, sich gezwungen sähen. Allein wie kan ich an den Stand der Unschuld gedencken? Und warum solte ich auch diejenigen Sodomitischen Schand-Streiche erwehnen, die uns bey diesem wunderbaren Paare in die Augen fielen, die aber auch kein tugendliebender Mensch leichtlich errathen wird, so wenig als ich vorhero geglaubt, daß mir dergleichen nur im Traume vorkommen könne.

Mein Bruder und ich sahen also diesem Schand-und Laster-Spiele länger als eine halbe Stunde zu, binnen welcher Zeit ich etliche mahl vornahm die Thür einzustossen, und diese bestialischen Menschen zu ermorden, allein mein Bruder, der voritzo etwas weniger hitzig als ich war, hielt mich davon ab, mit dem Bedeuten: dergleichen Strafe wäre viel zu gelinde, über dieses so wolten wir doch erwarten was nach dem saubern Spaziergange würde vorgenommen [537] werden. Wiewohl nun solches leichtlich zu errathen stund, so wurde doch von uns die rechte Zeit, und zwar mit erstaunlicher Gelassenheit abgepasset. So bald demnach ein jedes von den Schand-Bälgen einen grossen Becher ausgeleeret, der mit einem besonders annehmlichen Geträncke, welches die verfluchte Geilheit annoch vermehren solte, angefüllet gewesen; fielen sie, als gantz berauschte Furien, auf das seitwärts stehende Huren-Lager, und trieben daselbst solche Unflätereyen, deren Angedencken ich gern auf ewig aus meinen Gedancken verbannet wissen möchte. Nunmehro, sagte mein Bruder, haben die Lasterhafften den höchsten Gipffel aller schändlichen Wollüste erstiegen, derowegen kommet mein Bruder! und lasset uns dieselben in den tieffsten Abgrund alles Elendes stürtzen, jedoch nehmet euch so wohl als ich in acht, daß keins von beyden tödtlich verwundet werde. Demnach wurde die kleine Thür in aller Stille aufgemacht, wir traten durch die Tapeten hinein, ohne von ihnen gemerckt zu werden, bis ich den verfluchten geilen Bock beym Haaren ergriff, und aus dem Bette auf den Boden warf. Eleonora that einen eintzigen lauten Schrey, uñ bliebe hernach auf der Stelle ohnmächtig liegen. Die verteuffelte Beata kam im blossen Hembde mit einem Dolche herzu gesprungen, und hätte mich ohnfehlbar getroffen, wo nicht mein Bruder ihr einen solchen hefftigen Hieb über den Arm versetzt, wovon derselbe biß auf eine eintzige Sehne durchschnitten und gelähmet wurde. Ich gab meinem Leib-Diener ein abgeredetes Zeichen, welcher sogleich nebst 2. Knechten in dem Neben-Zimmer zum Vorscheine [538] kam, und die zwey verfluchten Frembdlinge, so wir dahinein gestossen hatten, mit Stricken binden, und in einen sehr tieffen Keller schleppen ließ.

Eleonora lag so lange noch ohne alle Empfindung, bis ihr die getreue Cornelia bey nahe dreyhundert Streiche mit einer scharffen Geissel auf den wollüstigen nackenden Leib angebracht hatte, denn diese Magd sahe sich von mir gezwungen, ihrer Frauen dergleichen kräfftige Artzeney einzugeben, welche die gewünschte Würckung auch dermassen that, daßEleonora endlich wieder zu sich selbst kam, mir zu Fusse fallen, und mit Thränen um Gnade bitten wolte. Allein meine bißherige Gedult war gäntzlich erschöpfft, derowegen stieß ich die geile Hündin mit einem Fusse zurücke, befahl der Cornelia ihr ein Hembd überzuwerffen, worauff ich beyde in ein leeres wohlverwahrtes Zimmer stieß, und alles hinweg nehmen ließ, womit sie sich etwa selbsten Schaden und Leyd hätten zufügen können. Noch in selbiger Stunde wurde des Menellez Frau ebenfalls gefänglich eingezogen, den übrigen Theil der Nacht aber, brachten ich und mein Bruder mit lauter Berathschlagungen hin, auf was vor Art nehmlich, die wohl angefangene Sache weiter auszuführen sey. Noch ehe der Tag anbrach, begab ich mich hinunter in das Gefängniß zu des Menellez Frau, welche denn gar bald ohne Folter und Marter alles gestund, was ich von ihr zu wissen begehrte. Hierauff besuchte nebst meinem Bruder dieEleonora, und gab derselben die Abschrifft von derApollonie Briefe zu lesen, worbey sie etliche [539] mahl sehr tieff seuffzete, jedoch unseres Zuredens ohngeacht, die äuserste Verstockung zeigte, und durchaus kein Wort antworten wolte. Demnach ließ ich ihren verfluchten Liebhaber in seiner Blösse, so wohl als die schändliche Beata hertzu führen, da denn der Erste auf alle unsere Fragen richtige Antwort gab, und bekannte: Daß er Don Vincentio de Garziano hiesse, und seit 4. oder 5. Monaten daher, mit der Eleonora seine schandbare Lust getrieben hatte, bat anbey, ich möchte in Betrachtung seiner Jugend und vornehmen Geschlechts ihm das Leben schencken. Es ist mir, versetzte ich, mit dem Tode eines solchen liederlichen Menschen, wie du bist, wenig oder nichts geholffen, derowegen solstu zwar nicht hingerichtet, aber doch also gezeichnet werden, daß die Lust nach frembden Weibern verschwinden, und dein Leben ein täglicher Tod seyn soll. Hiermit gab ich meinem Leib-Diener einen Winck, welcher sogleich 4. Handfeste Knechte herein treten ließ, die den Vincentio sogleich anpackten, und auf eine Tafel bunden. Dieser merckte bald was ihm wiederfahren würde, fieng derowegen aufs neue zu bitten und endlich zu drohen an: wie nehmlich sein Vater, der ein vornehmer Königl. Bedienter und Mit-Glied der Heil. Inquisition sey, dessen Schimpff sattsam rächen könte, allein es halff nichts, sondern meine Knechte verrichteten ihr A t so, daß er unter kläglichen Geschrey seiner Mannheit beraubt, und nachhero wiederum gehefftet wurde. Ich muste zu meinem allergrösten Verdrusse sehen: DaßEleonora dieserwegen die bittersten Thränen fallen ließ, um deßwillen sie von mir mit dem Fusse [540] dermassen in die Seite gestossen wurde, daß sie zum andern mahle ohnmächtig darnieder sanck. Bey mir entstund dieserwegen nicht das geringste Mittleyden, sondern ich verließ sie unter den Händen der Cornelia, der Verschnittene aber muste nebst der vermaledeyten Kupplerin zurück ins Gefängniß wandern. Nachhero wurde auch die Cornelia vorgenommen, welche sich in allen aufs Läugnen verließ, und vor die allerunschuldigste angesehen seyn wolte, so bald ihr aber nur die Folter-Banck nebst dem darzu gehörigen Werck-Zeuge gezeigt wurde, bekannte die liederliche Metze nicht allein, daß sie auf Eleonorens Befehl den vergiffteten Apffel zugerichtet, und ihn der Apollonie zu essen eingeschwatzt hätte, sondern offenbarete über dieses noch ein und anderes von ihrer verstorbenen Mit-Schwester Heimlichkeiten, welches alles aber nur Eleonoren zur Entschuldigung gereichen, und mich zur Barmhertzigkeit gegen dieselbe bewegen solte. Allein dieses war alles vergebens, denn mein Gemüthe war dermassen von Grimm und Rache erfüllet, daß ich nichts mehr suchte als dieselbe rechtmäßiger Weise auszuüben. Immittelst, weil ich mich nicht allzusehr übereilen wolte, wurde die übrige Zeit des Tages nebst der darauff folgenden Nacht, theils zu reifflicher Betrachtung meines unglückseel. Verhängnisses, theils aber auch zur benöthigten Ruhe angewendet.

Da aber etwa zwey Stunden vor Anbruch des Tages im halben Schlummer lag, erhub sich ein starcker Tumult in meinem Hofe, weßwegen ich aufsprunge und durchs Fenster ersahe, wie meine Leute [541] mit etlichen frembden Personen zu Pferde, bey Lichte einen blutigen Kampf hielten. Mein Bruder und ich warffen sogleich unsere Harnische über, und eileten den unsern beyzustehen, von denen allbereit zwey hart verwundet auf dem Platze lagen, jedoch so bald wir unsere Schwerdter frisch gebrauchten, fasseten meine Leute neuen Muth, daß 5. unbekandte Feinde getödtet, und die übrigen 7. verjagt wurden. Indem kam ein Geschrey, daß sich auf der andern Seiten des Schlosses, ein Wagen nebst etlichen Reutern befände, welcheEleonoren und Cornelien, die sich eben itzo zum Fenster herab liessen, hinweg führen wolten. Wir eileten ingesammt mit vollen sprüngen dahin, und traffen die beyden saubern Weibs-Bilder allbereit auf der Erden bey dem Wagen an, demnach entstunde daselbst abermahls ein starckes Gefechte, worbey 3. von meinen Leuten, und 8. feindliche ins Graß beissen musten, jedoch letzlich wurden Wagen und Reuter in die Flucht geschlagen, Eleonora und Cornelia aber blieben in meiner Gewalt und musten, um besserer Sicherheit willen, sich in ein finsteres Gewölbe verschliessen lassen.

Ohnfehlbar hatte Cornelia diesen nächtlichen Uberfall angesponnen, indem sie vermuthlich Gelegenheit gefunden, etwa eine bekandte getreue Person aus dem Fenster anzuruffen, und dieselbe mit einem Briefe so wohl an ihre eigene als Eleonorens Vettern oder Buhler abzusenden, welche denn allerhand Wagehälse an sich gezogen, und sie zu erlösen, diesen Krieg mit mir und den Meinigen angefangen [542] hatten, allein ihr Vortheil war sehr schlecht, indem sie 13. todte zurück liessen, wiewohl ich von meinen Bedienten und Unterthanen auch 4. Mann dabey einbüssete. Dieses eintzige kam mir hierbey am allerwundersamsten vor, daß derjenige Keller in welchem die Beata und der Verschnittene lagen, erbrochen, beyde Gefangene aber nirgends anzutreffen waren, wie ich denn auch nachhero niemahls etwas von diesen schändlichen Personen erfahren habe.

Ich ließ alle meine Nachbarn bey den Gedancken, daß mich vergangene Nacht eine Räuber-Bande angesprenget hätte, denn weil meine Bedienten und Unterthanen noch zur Zeit reinen Mund hielten, wuste niemand eigentlich, was sich vor eine verzweiffelte Geschicht in meinem Hause zugetragen. Gegen Mitternacht aber lieff die grausame Nachricht bey mir ein, daß sich so wohl Eleonora als Cornelia, vermittelst abgerissener Streiffen von ihren Hembdern, verzweiffelter Weise an zwey im Gewölbe befindlichen Haken, selbst erhänckt hätten, auch bereits erstarret und erkaltet wären. Ich kan nicht läugnen, daß mein Gemüthe dieserwegen höchst bestürtzt wurde, indem ich mir vorstellete: Daß beyde mit Leib und Seele zugleich zum Teuffel gefahren, indem aber nebst meinem Bruder diesen gräßlichen Zufall beseuffzete und berathschlagte, was nunmehro anzufangen sey, meldete sich ein Bothe aus Madrit, der sein Pferd zu tode geritten hatte, mit folgenden Briefe bey mir an:


[543] Mein Vetter.


Es hat mir ein vertrauter Freund vom Hofe in geheim gesteckt, daß sich entsetzliche Geschichte auf eurem Schlosse begeben hätten, worüber jederman, der es hörete, erstaunen müste. Ihr habt starcke Feinde, die dem, euch ohne dieses schon ungnädigen Könige, solche Sache noch heute Abends vortragen und den Befehl auswürcken werden, daß der Königl. Blut-Richter nebst seinen und des Heil. Officii Bedienten, vermuthlich noch Morgen vor Mittags bey euch einsprechen müssen. Derowegen bedencket euer Bestes, machet euch bey Zeiten aus dem Staube, und glaubet sicherlich, daß man ihr möget auch Recht oder Unrecht haben, dennoch euer Gut und Blut aussaugen wird. Reiset glücklich, führet eure Sachen in besserer Sicherheit aus, und wisset, daß ich beständig sey

euer getreuer Freund,

Don Alphonso de Cordua.


Nunmehro wolte es Kunst heissen, in meinen verwirrten Angelegenheiten einen vortheilhafften Schluß zu fassen, jedoch da alle Augenblicke kostbarer zu werden schienen, kam mir endlich meines getreuen Vetters Rath am vernünfftigsten vor, zumahlen da mein Bruder denselben gleichfalls billigte. Also nahm ich einen eintzigen getreuen Diener zum Gefährten, ließ zwey der besten Pferde satteln, und so viel Geld und Kleinodien darauf packen, [544] als sie nebst uns ertragen mochten, begab mich solchergestallt auf die schnellste Reise nach Portugall, nachdem ich nicht allein meinem Bruder mein übriges Geld und Kostbarkeiten mit auf sein Gut zu nehmen anvertrauet, sondern auch, nebst ihm meinem Leib-Diener und andern Getreuen, Befehl ertheilet, wie sie sich bey diesen und jenen Fällen verhalten solten. Absonderlich aber solte mein Bruder des Menellez Frau, wie nicht weniger den Knaben Caspar Palino, und das Mägdlein Euphrosinen heimlich auf sein Schloß bringen, und dieselben in genauer Verwahrung halten, damit man sie jederzeit als lebendige Zeugen darstellen könne.

Ich gelangete hierauff in wenig Tagen auf dem Portugisischen Gebiethe, und zwar bey einem bekandten von Adel an, der mir auf seinem wohlbefestigten Land-Gute den sichersten Auffenthalt versprach.

Von dar aus überschrieb ich meine gehabten Unglücks-Fälle mit allen behörigen Umständen an den König Ferdinandum, und bat mir nichts als einen Frei- und Sicherheits-Brief aus, da ich denn mich ohne Zeit-Verlust vor dem hohen Gerichte stellen, und meine Sachen nach den Gesetzen des Landes wolte untersuchen und richten lassen. Allein ob zwar der König anfänglich nicht ungeneigt gewesen mir dergleichen Brief zu übersenden, so hatten doch derEleonora und des Vincentio Befreundte, nebst meinen anderweitigen Feinden alles verhindert, und den König dahin beredet: Daß derselbe, nachdem ich, auf dreymal wiederholte Citation, [545] mich nicht in das Gefängniß des Heil. Officii gestellet, vor schuldig und straffbar erkläret wurde.

Bei so gestallten Sachen waren alle Vorstellungen, die ich so wohl selbst schrifftlich, als durch einige annoch gute Freunde thun ließ, gäntzlich vergebens, denn meine Güter hatte der König in Besitz nehmen lassen, und einen Theil von den Einkünfften derselben dem Heil. Officio anheim gegeben. Ich glaube gantz gewiß, daß des Königs Geitz, nachdem er diese schöne Gelegenheit besser betrachtet, mehr Schuld an diesem meinen gäntzlichen Ruine gewesen, als die Verfolgung meiner Feinde, ja als die gantze Sache selbst. Mein Bruder wurde ebenfalls nicht übergangen, sondern um eine starcke Summe Geldes gestrafft, jedoch dieser hat meinetwegen keinen Schaden gelitten, indem ich ihm alles Geld und Gut, so er auf mein Bitten von dem Meinigen zu sich genommen, überlassen, und niemahls etwas zurück gefordert habe. Also war der König, der sich in der Jugend selbst zu meinen Versorger aufgeworffen hatte, nachhero mein Verderber, welches mich jedoch wenig Wunder nahm, wenn ich betrachtete, wie dessen unersättlicher Eigen-Nutz nicht allein alle vornehmsten des Reichs zu paaren trieb, sondern auch die besten Einkünffte der Ordens-Ritter an sich zohe.

Dem ohngeacht schien es als ob ich noch nicht unglückseelig genug wäre, sondern noch ein härter Schicksaal am Leibe und Gemüth ertragen solte, denn es schrieb mir abermahls ein vertrauter Freund: DaßFerdinandus meinen Auffenthalt in Portugal erfahren hätte, und dieserwegen ehestens [546] bey dem KönigeEmanuel, um die Auslieferung meiner Person bitten wolte, im Fall nun dieses letztere geschähe, dürffte keinen Zweiffel tragen, entweder meinen Kopf zu verlieren, oder wenigstens meine übrige Lebens-Zeit in dem Thurme zu Segovia als ein ewiger Gefangener hinzubringen. Da nun weder dieses noch jenes zu versuchen beliebte, und gleichwohl eines als das andere zu befürchten die gröste Ursach hatte, fassete ich den kurtzen Schluß: mein verlohrnes Glück zur See wieder zu suchen, und weil eben damahls vor 8. oder 9. Jahren die Portugiesen in der neuen Welt eine grosse und vortreffliche Landschafft entdeckt, und selbige Brasilien genennet hatten, setzte ich mich im Port-Cale zu Schiffe, um selbiges Land selbst in Augenschein zu nehmen, und da es nur in etwas angenehm befände, meine übrige Lebens-Zeit daselbst zu verbleiben. Allein das Unglück verfolgte mich auch zur See, denn um die Gegend der so genannten glückseeligen Insuln, wurden die Portugisischen Schiffe, deren 8. an der Zahl waren, so mit einander seegelten, durch einen hefftigen Sturm-Wind zerstreuet, dasjenige aber, worauf ich mich befand, zerscheiterte an einem Felsen, so daß ich mein Leben zu erhalten einen Balcken ergreiffen, und mich mit selbigen 4. Tage nach einander vom Winde und Wellen muste herum treiben lassen. Mein Untergang war sehr nahe, jedoch der Himmel hatte eben zu rechter Zeit etliche Spanische Schiffe in diese Gegend geführet, welche nebst andern auch mich auffischeten und erquickten.

Es waren dieses die Schiffe des Don Alphonso[547] Hojez, und des Don Didaco de Niqvesa, welche beyde von dem Spanischen Könige, als Gouverneurs, und zwar der Erste über Carthago, der Andere aber über Caragua, in die neu erfundene Welt abgefertiget waren. Unter allen bey sich habenden Leuten war nur ein eintziger, der mich, und ich hinwiederum ihn von Person sehr wohl kennete, nehmlich: Don Vasco Nunez di Valboa, der unter dem Hojez ein Schiffs-Hauptmann war, dieser erzeigte sich sehr auffrichtig gegen mich, hatte vieles Mittleyden wegen meines unglücklichen Zustandes, und Schwur wider meinen willen, mich niemanden zu entdecken, also blieb ich bey ihm auf seinem Schiffe, allwo er mich, mit Vorbewußt des Hojez, zu seinem Schiff-Lieutenant machte.

Wir erreichten demnach ohne ferneres Ungemach die Insul Hispaniolam, daselbst rüstete der Gouverneur Hojez, 4. grosse und starcke, nebst etlichen kleinen Neben-Schiffen aus, auf welchen wir gerades Wegs hinüber nach der Stadt Neu-Carthago zu seegelten. Hieselbst publicirte Hojez denen Einwohnern des Landes das Königliche Edict: Wie nehmlich dieselben von ihrem bißherigen Heydnischen Aberglauben ablassen, von den Spaniern das Christenthum nebst guten Sitten und Gebräuchen annehmen, und den König in Castilien vor ihren Herrn erkennen solten, widrigen falls man sie mit Feuer und Schwerdt verfolgen, und in die strengste Sclaverey hinweg führen wolte.

Allein diese Leute gaben hierauff sehr freymüthig zur Antwort: Daß sie sich um des Königs von Castilien [548] Gnade oder Ungnade gar nichts bekümmerten, nächst diesen möchten sie zwar gern das Vergnügen haben in ihrem Lande mit frembden Völckern umzugehen, und denenselben ihre überflüßigen Reichthümer zuzuwenden, doch müsten sich selbige freundlich, fromm und tugendhafft aufführen. Da aber die Spanier seit ihrer ersten Ankunfft etliche Jahre daher nichts als Tyranney, Geitz, Morden, Blutvergiessen, Rauben, stehlen, sängen und brennen, nebst andern schändlichen Lastern von sich spüren lassen, nähmen sie sich ein billiges Bedencken, dergleichen verdächtiges Christentum, Sitten und Gebräuche anzunehmen. Demnach möchten wir nur alsofort zurücke kehren und ihre Gräntzen verlassen, widrigenfalls sie sich genöthiget sähen ihre Waffen zu ergreiffen, und uns mit Gewalt von dannen zu treiben.

Ich vor meine Person wuste diesen sehr vernunfftmäßigen Entschluß nicht im geringsten zu tadeln, zumahlen da die gottlose und unchristliche Aufführung meiner Lands-Leute mehr als zu bekannt worden. Dem ohngeacht ließ der Gouverneur alsobald sein Kriegs-Volck an Land steigen, fieng aller Orten zu sängen, zu brennen, todtzuschlagen und zu verfolgen an, verschonete auch weder Jung noch Alt, Reich noch Arm, Männ- oder Weibliches Geschlechte, sondern es muste alles ohne Unterscheid seiner Tyranney herhalten.

Meine Hände hüteten sich so viel als möglich war, dieses unschuldige Blut vergiessen zu helffen, ja ich beklagte von Grunde meiner Seelen, daß mich ein unglückliches Verhängniß eben in dieses jammervolle[549] Land geführet hatte, denn es bedünckte mich unrecht und grausam, auch gantz wieder Christi Befehl zu seyn, den Heyden auf solche Art das Evangelium zu predigen. Uber dieses verdroß mich heimlich, daß derGouverneur aus purer Boßheit, das Königliche Edict, welches doch eigentlich nur auf die Caraiber oder Menschen-Fresser zielete, so muthwillig und schändlich mißbrauchte, und nirgends einen Unterschied machte, denn ich kan mit Wahrheit schreiben: daß die Indianer auf dem festen Lande, und einigen andern Insuln, nach dem Lichte der Natur dermassen ordentlich und tugendhafft lebten, daß mancher Maul-Christe dadurch nicht wenig beschämt wurde.

Nachdem aber der Gouverneur Hojez um Carthago herum ziemlich reine Arbeit gemacht, und daselbst ferner keinen Gegenstandt seiner Grausamkeit antreffen konte, begab er sich über die zwölff Meilen weiter ins Land hinein, streiffte allerwegen herum, Bekriegte etliche Indianische Könige, und verhoffte solchergestallt eine grosse Beute von Gold und Edelgesteinen zu machen, weil ihm etliche gefangene Indianer hierzu die gröste Hoffnung gemacht hatten. Allein er fand sich hierinnen gewaltig betrogen, denn da wir uns am allersichersten zu seyn bedüncken liessen, hatte sich der Caramairinenser König mit seinem außerlesensten Land-Volcke in beqveme heimliche Oerter versteckt, welcher uns denn dermassen scharff zusetzte, daß wir gezwungen wurden eiligst die Flucht zu ergreiffen und dem Meere zu zu eilen nachdem wir des Hojez Obristen Lieutenant Don Juan de la Cossa, nebst [550] 74. der tapffersten Leute eingebüsset, als welche von den Indianern jämmerlich zerhackt und gefressen worden, woraus geurtheilet wurde, daß die Caramairinenser von den Caraibern oder Menschen-Fressern herstammeten, und derselben Gebrauche nachlebten, allein ich halte davor, daß es diese sonst ziemlich vernünfftigen Menschen damahls, mehr aus rasenden Eiffer gegen ihre Todt-Feinde, als des Wohlschmeckens wegen gethan haben mögen.

Dieser besondere Unglücks-Fall veruhrsachte, daß der Gouverneur Hojez in dem Hafen vor Carthago, sehr viel Noth und Bekümmerniß ausstehen muste, zumahlen da es uns so wohl an Lebens-Mitteln als andern höchstnöthigen Dingen zu mangeln begunte. Jedoch zu gutem Glücke traff Don Didaco de Niquesa nebst etlichen Schiffen bey uns ein, welche mit bey nahe 800. guten Kriegs-Leuten und gnugsamen Lebens-Mitteln beladen waren. So bald er demnach den Hojez und dessen Gefährten aufs Beste wiederum erqvickt hatte, wurde berathschlagt, den empfangenen unglücklichen Streich mit zusammen gesetzter Macht an den Caramairinensern zu rächen, welches denn auch grausam genung von statten gieng. Denn wir überfielen bey nächtlicher Weile dasjenige Dorff, bey welchem de la Cossa nebst seinen Gefährten erschlagen worden, zündeten dasselbe rings herum mit Feuer an, und vertilgeten alles darinnen was nur lebendigen Othem hatte, so daß von der grossen Menge Indianer die sich in selbigem versammlet hatten, nicht mehr übrig blieben als 6. Jünglinge, die unsere Gefangene wurden.

[551] Es vermeynete zwar ein jeder, in der Asche dieses abgebrannten Dorffs, so aus mehr als hundert Wohnungen bestanden, einen grossen Schatz an Gold und edlen Steinen zu finden, allein das Suchen war vergebens, indem fast nichts als Unflat von verbrannten Cörpern und Todten-Knochen, aber sehr wenig Gold zum vorscheine kam, weßwegen Hojez gantz verdrießlich zurück zohe, und weiter kein Vergnügen empfand, als den Todt des de la Cossa und seiner Gefährten gerochen zu haben.

Wenige Zeit hernach beredeten sich die beydenGouverneurs nehmlich Hojez und Niquesa, daß ein jeder diejenige Landschafft, welche ihm der König zu verwalten übergeben, gnungsam auskundschaffen und einnehmen wolte. Hojez brach am ersten auf, die Landschafft Uraba, so ihm nebst dem Carthaginensischen Port zustunde, aufzusuchen. Wir landeten erstlich auf einer Insul an, welche nachhero von uns den Nahmen Fortis erhalten, wurden aber bald gewahr, daß dieselbe von den allerwildesten Canibalen bewohnet sey, weßwegen keine Hoffnung, allhier viel Geld zu finden, vorhanden war. Jedoch fand sich über Vermuthen noch etwas von diesem köstlichen metall, welches wir nebst zweyen gefangenen Männern und 7. Weibern mit uns hinweg führeten. Von dar aus seegelten wir gerades Weges nach der LandschafftUraba, durchstreifften dieselbe glücklich, und baueten Ostwärts in der Gegend Caribana einen Flecken an, nebst einem wohlbefestigten Schlosse, wohin man sich zur Zeit der feindlichen Empörung und plötzlichen Uberfalls sicher zurück ziehen und aufhalten[552] könte. Dem ohngeacht, ließ sich der schon so oft betrogene Hojez abermahls betriegen, indem ihn die gefangenen Indianer viel Wesens von einer austräglichen Gold Grube machten, welche bey dem, 12000. Schritt von unserm Schloß gelegenen Dorffe Tirafi, anzutreffen wäre. Wir zogen also dahin, vermeynten die Einwohner plötzlich zu überfallen und alle zu erschlagen, allein selbige empfiengen uns mit ihren vergiffteten Pfeilen dermassen behertzt, daß wir mit Zurücklassung etlicher Todten und vieler Verwundeten schimpflich zurück eilen musten.

Folgendes Tages kamen wir in einem andern Dorffe eben so übel, ja fast noch schlimmer an, auf dem Rück-Wege aber begegnete dem Gouverneur Hojez der allerschli ste und gefährlichste Streich, denn es kam ein kleiner König, dessen Ehefrau von dem Hojez Gefangen genommen war, und gab vor, dieselbe mit 20. Pfund Goldes auszulösen, wie denn auch 8. Indianer bey ihm waren, welche, unserer Meynung nach, das Gold bey sich trügen, allein über alles Vermuthen schoß derselbe einen frisch vergiffteten Pfeil in desGouverneurs Hüffte, und wolte sich mit seinen Gefährten auf die Flucht begeben, wurden aber von der Leib-Wacht ergriffen, und sämtlich in Stücken zerhauen. Jedoch hiermit war dem Gouverneur wenig geholffen, weiln er in Ermangelung kräfftiger Artzeneyen, die dem Giffte in der Wunde Widerstand zu thun vermögend, entsetzliche Quaal und Schmertzen ausstehen muste, wie er sich denn seiner Lebens-Erhaltung wegen, etliche mahl ein glüend Eisen-Blech auf die [553] Wunde legen ließ, um das Gifft heraus zu brennen, als welches die allergewisseste und sicherste Cur bey dergleichen Schäden seyn solte, jedennoch dem Hojez nicht zu seiner völligen Gesundheit verhelffen konte.

Mittlerzeit kam Bernardino de Calavera, mit einem starcken Schiffe, das 60. tapffere Kriegs Leute, nebst vielen Lebens-Mitteln aufgeladen hatte, zu uns, welches beydes unsern damahligen gefährlichen und bedürfftigen Zustand nicht wenig verbesserte. Da aber auch diese Lebens-Mittel fast aufgezehret waren, und das Krieges-Volck nicht den geringsten glücklichen Ausschlag von des Hojez Unternehmungen sahe, fiengen sie an, einen würcklichen Aufstandt zu erregen, welchen zwar Hojez damit zu stillen vermeynte, daß er sie auf die Ankunfft des Don Martin Anciso vertröstete, als welchem er befohlen, mit einem Last-Schiffe voll Proviant uns hierher zu folgen, jedoch die Kriegs-Knechte, welche diese Tröstungen, die doch an sich selbst ihre Richtigkeit hatten, in Zweiffel zohen, und vor lauter leere Worte hielten, beredeten sich heimlich, zwey Schiffe von den Unsern zu entführen, und mit selbigen in die Insul Hispaniolam zu fahren.

So bald Hojez diese Zusammen-Verschwerung entdeckt, gedachte er dem Unheil vorzubauen, und that den Vorschlag, selbst eine Reise nach Hispaniolam anzutreten, bestellete derowegen den Don Francisco de Pizarro in seiner Abwesenheit zum Obristen-Lieutenant, mit dem Bedeuten, daß wo er innerhalb 50. Tagen nicht wiederum bey uns [554] einträffe, ein jeder die Freyheit haben solte hin zu gehen wohin er wolte.

Seine Haupt-Absichten waren, sich in Hispaniola an seiner Wunde bey verständigen Aertzten völlig heilen zu lassen, und dann zu erforschen, was denDon Anciso abgehalten hätte, uns mit dem bestelltenProviant zu folgen. Demnach setzte er sich in das Schiff, welches Bernardino de Calavera heimlich und ohne Erlaubniß des Ober-Admirals und anderer Regenten aus Hispaniola entführet hatte, und segelte mit selbigen auf bemeldte Insul zu.

Wir Zurückgebliebenen warteten mit Schmertzen auf dessen Wiederkunfft, da aber nicht allein die 50. Tage, sondern noch mehr als zweymahl so viel verlauffen waren, und wir binnen der Zeit vieles Ungemach, so wohl wegen feindlicher Anfälle, als grosser Hungers-Noth erlitten hatten; theilete sich alles Volck in des Hojez zurückgelassene zwey Schiffe ein, des willens, ihren Gouverneur selbst in Hispaniola aufzusuchen.

Kaum hatten wir das hohe Meer erreicht, da uns ein entsetzlicher Sturm überfiel, welcher das Schiff, worinnen unsere Mit-Gesellen sassen, in einem Augenblicke umstürzte und in den Abgrund versenckte, so daß kein eintziger zu erretten war. Wir übrigen suchten dergleichen Unglücke zu entgehen, landeten derowegen bey der Insul Fortis, wurden aber von den Pfeilen der wilden Einwohner dermassen unfreundlich empfangen, daß wir vor unser gröstes Glück schätzten, noch bey zeiten das Schiff zu erreichen, und von dannen zu seegeln.

[555] Indem nun bey solchen kümmerlichen Umständen die Fahrt nach Hispaniola aufs eiligste fortgesetzt wurde, begegnete uns über alles verhoffen der Oberste Gerichts-Præsident Don Martin Anciso, welcher nicht allein auf einem Last-Schiffe allerhand Nahrungs-Mittel und Kleider-Geräthe, sondern auch in einem Neben-Schiffe gute Kriegs-Leute mit sich führete.

Seine Ankunfft war uns ungemein tröstlich, jedoch da er nicht glauben wolte, daß wir von unsern Gouverneur Hojez verlassen wären, im Gegentheil uns vor Aufrührer oder abgefallene Leute ansahe, musten wir uns gefallen lassen, erstlich eine Zeitlang in der Einfahrth des Flusses Boyus zwischen den Carthaginensischen Port und der Landschafft Cuchibacoam bey ihm stille zu liegen, hernachmahls aber in seiner Begleitung nach der Urabanischen Landschafft zurück zu seegeln, weil er uns weder zu dem Niqvesa noch in Hispaniolam führen wolte, sondern vorgab, er müsse uns alle, Krafft seines tragenden Ammts und Pflichten, durchaus in des Gouverneurs Hojez Provinz zurücke bringen, damit dieselbe nicht ohne Besatzung bliebe.

Demnach richteten wir unsern Lauff dahin, allein es schien als ob das Glück allen unsern Anschlägen zuwider wäre, denn als des Anciso allerbestes Schiff in den etwas engen Hafen einlauffen wolte, gienge selbiges durch Unvorsichtigkeit des Steuer-Manns zu scheitern, so daß aller Proviant, Kriegs-Geräthe, Gold, Kleinodien, Pferde und andere Thiere zu Grunde sincken, die Menschen aber sehr [556] kümmerlich ihr Leben retten musten, welches wir doch ingesammt, wegen Mangel der nöthigen Lebens-Mittel und anderer Bedürffnissen ehestens zu verlieren, fast sichere Rechnung machen konten.

Endlich, nachdem wir uns etliche Tage mit Wurtzeln, Kräutern, auch elenden saueren Baum Früchten des Hungers erwehret, wurde beschlossen etwas tieffer ins Land hinein zu rücken, und viellieber Heldenmüthig zu sterben, als so schändlich und verächtlich zu leben, allein da wir kaum 4. Meilen Wegs zurück gelegt, begegnete uns eine erstaunliche Menge wohl bewaffneter Indianer, die den tapfern Vorsatz alsobald zernichteten, und uns über Halß und Kopf, mit ihren vergiffteten Pfeilen, an das Gestade des Meeres, allwo unsere Schiffe stunden, wieder rückwarts jagten.

Die Bekümmerniß über diesen abermahligen Unglücks-Fall war dennoch nicht so groß als die Freude, so uns von einigen gefangenen Indianern gemacht wurde, welche berichteten, daß oberhalb, dieses Meer-Busens eine Landschafft läge, die an Früchten und allen nothdürfftigen Lebens-Mitteln alles im grösten Uberflusse hervor brächte. Don Anciso sahe sich also gezwungen, uns dahin zu führen. Die dasigen Einwohner hielten sich anfänglich ziemlich ruhig, so bald wir aber anfiengen in diesem gesegneten Lande Häuser aufzubauen, und unsere Wirthschafft ordentlich einzurichten, brach der König Comaccus mit seinen Unterthanen auf, und versuchte, uns frembde Gäste aus dem Lande zu jagen. Es kam solchergestallt zu einem grausamen [557] Treffen, welches einen gantzen Tag hindurch und bis in die späte Nacht währete, jedoch wir erhielten den Sieg, jagten den zerstreueten Feinden aller Orten nach, und machten alles, was lebendig angetroffen wurde, aufs grausamste darnieder.

Nunmehro fand sich nicht allein ein starcker Uberfluß an Brod, Früchten, Wurtzeln und andern nothwendigen Sachen, sondern über dieses in den Gepüschen und sümpffichten Oertern der Flüsse, über drittehalb tausend Pfund gediehen Gold, nebst Leinwand, Bett-Decken, allerley metallenes, auch irrdenes und höltzernes Geschirr und Fässer, welches der KönigComaccus unsertwegen dahin verstecken und vergraben lassen. Allhier ließ Don Anciso nachhero eine Stadt und Kirche, welch er Antiqua Darienis nennete, aufbauen, und solches that er wegen eines Gelübdes, so er der sancta Maria Antiqua die zu Sevillen sonderlich verehret wird, noch vor der Schlacht versprochen hatte. Mittlerzeit ließ Don Anciso unsere zurück gelassenen Leute, in zweyen Schiffen herbey holen, unter welchen sich auch mein besonderer Freund, der Hauptmann Don Vasco Nunez di Valboa befand, welcher nunmehro an der, von einem vergiffteten Pfeile empfangenen Wunde wiederum völlig hergestellet war. Da es nun wegen der erbeuteten Güter zur behörigen Theilung kommen solte, und ein jeder vermerckte, wie Don Anciso als ein eigennütziger Geitzhals überaus unbillig handelte, indem er sich selbst weit grössere Schätze zueignete, als ihm von rechts wegen zukamen, entstund dieserwegen unter dem Kriegs-Volcke erstlich ein heimliches Gemurmele, welches[558] hernach zu einem öffentlichen Auffruhr ausschlug, da sich die besten Leute an den Don Valbao henckten, und ihn zu ihren Ober-Haupt und Beschützer aufwarffen. Des Don Anciso Anhang gab zwar dem Valboa Schuld: daß er von Natur ein auffrührischer und unnützer Mensch sey, dessen Regiersucht nur allerley Unglück anzustifften trachte; Allein so viel ich die gantze Zeit meines Umgangs bey ihm gemerckt, war er ein Mann von besonderer Hertzhafftigkeit, der sich vor niemanden scheute, und derowegen das Unrecht, so ihm und den Seinigen geschahe, unmöglich verschmertzen konte, hergegen selbiges auf alle erlaubte Art zu rächen suchte, wiewohl er hierbey niemals denRespect und Vortheil des Königs in Castilien aus den Augen setzte.

In diesem Lermen kam Don Roderiguez Colmenarez mit zweyen Schiffen aus Hispaniola zu uns, welche nicht allein mit frischen Kriegs-Volck, sondern auch vielen Proviant beladen waren. Dieser vermeynete den Hojez allhier anzutreffen, von dem er erfahren, daß er nebst seinem Volck in grosser Angst und Nöthen steckte, fand aber alles sehr verwirrt, indem sich Anciso und Valboa um die Ober-Herrschafft stritten, und jeder seinen besondern Anhang hatte. Um nun einen fernern Streit und endliches Blutvergiessen zu verhüten, schiffte Colmenarez zurück, seinen Vettern Don Didaco de Niquesa herbey zu bringen, welcher die streitenden Partheyen aus einander setzen, und das Ober-Commando über die andern alle annehmen solte.

Colmenarez war so glücklich den Niqvesa eben [559] zu rechter Zeit anzutreffen, und zwar in der Gegend die von ihm selbst Nomen Dei benahmt worden, allwo der arme Niqvesa nackend und bloß, nebst seinen Leuten halb todt gehungert, herum irrete. Jedoch nachdem ihn Colmenarez nebst 75. Castilianern zu Schiffe und auf die rechte Strasse gebracht, kam er unverhofft bey uns in Antiqua Darienis an. Hieselbst war er kaum an Land gestiegen, als es lautbar wurde, wie schmählich und schimpflich er so wohl von Anciso als Valboa geredet, und gedrohet, diese beyden nebst andern Haupt-Leuten, theils ihrer Aemter und Würden zu entsetzen, theils aber um Gold und Geld aufs schärffste zu bestraffen. Allein eben diese Drohungen gereichten zu seinem allergrösten Unglücke, denn es wurden solchergestalt beyde Theile gegen ihn erbittert, so daß sie den armen Niquesa nebst seinen Leuten wieder zurück in sein Schiff, und unbarmhertziger weise, ohne Proviant, als einen Hund aus derselbigen Gegend jagten.

Ich habe nach Verfluß einiger Monate etliche von seinen Gefährten auf der Zorobarer Landschafft angetroffen, welche mich berichteten, daß er nahe bey dem Flusse, nebst etlichen der Seinen, von den Indianern sey erschlagen und gefressen worden, weßwegen sie auch diesen Fluß Rio de los perditos, auf Teutsch den Fluß des Verderbens nenneten, und mir einen Baum zeigten, in dessen glatte Rinde diese Lateinischen Worte geschnitten waren: Hic misero errore fessus, DIDACUS NIQVESA infelix periit. Zu Teutsch: Hier ist der vom elenden herum schweiffen ermüdete, und unglückliche Didacus Niqvesa umgekommen.

[560] Jedoch ich erinnere mich, um bey meiner Geschichts-Erzehlung eine richtige Ordnung zu halten, daß wir nach des Niqvesa Vertreibung abermahls den grösten Kummer, Noth und Hunger leyden musten, indem des Colmenarez dahin gebrachter Proviant gar bald auffgezehret war, so daß wir als wilde Menschen, ja als hungerige Wölffe überall herum lieffen, und alles hinweg raubten was nur in den nächst gelegenen Landschafften anzutreffen war.

Endlich nachdem Valboa einen Anhang von mehr als 150. der außerlesensten Kriegs-Leute beysammen hatte, gab er öffentlich zu verstehen, daß er nunmehro, da der Gouverneur Hojez allem vermuthen nach umgekommen, unter keines andern MenschenCommando stehen wolle, als welcher ein eigen Diploma von dem Könige selbst aufzuweisen hätte. Anciso hingegen trotzete auf sein oberstes Gerichts-Præsidenten-Ammt, weiln aber sein Beglaubigungs Brief vielleicht im letztern Schiffbruche mit versuncken war, oder er nach vieler anderer Meynung wohl gar keinen gehabt hatte, fand Valboa desto mehr Ursach sich demselben nicht zu unterwerffen, und so bald Anciso sein Ansehen mit Gewalt zu behauptenmine machte, überfiel ihn Valboa plötzlich, ließ den Prahlhafften Geitzhals in Ketten und Banden legen, und theilete dessen Gold und Güter der Königlichen Cammer zu. Jedoch nachdem ich und andere gute Freunde dem Valboa sein allzuhitziges Verfahren glimpfflich vorstelleten, besann er sich bald eines andern, bereuete seine jachzornige Strengigkeit, stellete den Anciso wiederum [561] auf freyen Fuß, gab ihm sein Gold und Güter ohne Verzug zurück, und hätte sich ohnfehlbar gäntzlich mit Anciso ausgesöhnet, wenn derselbe nicht allzurachgierig gewesen wäre. Wenig Tage hernach seegelte Anciso mit seinen Anhängern von uns hinweg und hinterließ die Drohungen, sich in Castilien, bey dem Könige selbst, über den Valboa zu beklagen, jedoch dieser letztere kehrete sich an nichts, sondern brachte seyn sämtliches Kriegs-Volck in behörige Ordnung, setzte ihnen gewisse Befehlshaber, auf deren Treue er sich verlassen konte, als worunter sich nebst mir auch Don Rodriguez Colmenarez befand, und fieng alsobald an seyn und unser aller Glück mit rechten Ernste zu suchen.

Coiba war die erste Landschafft, welche von uns angegriffen wurde, und deren König Careta, als er sich mit dem Mangel entschuldigte, Proviant und andere Bedürffnissen herzugeben, muste sich nebst Weib, Kindern und allem Hof-Gesinde nach Darien abführen lassen.

Mittlerzeit sahe Valboa so wol als alle andern vor nöthig an, den Valdivia und Zamudio nach Hispaniola zu senden, deren der erstere bey dem Ober-Admiral, Don Didaco Columbo, und andern Regenten dieser Lande, den Valboa bestens recommandiren, und um schleunige Bey-Hülffe mit Proviant und andern Bedürffnissen bitten solte, Zamudio aber war befehligt eiligst nach Castilien zu seegeln, und des Valboa mit Anciso gehabten Händel bey dem Könige aufs eiffrigste zu vertheidigen. Inzwischen wurde der Coibanische König Careta wieder auf freyen Fuß gestellet, jedoch unter den Bedingungen, [562] daß er nicht allein unser Kriegs-Volck nach möglichkeit mit Speise und Tranck versehen, sondern auch demValboa in dem Kriegs-Zuge, wider den benachbarten König Poncha, beystehen, und die rechten Wege zeigen solte.

Indem nun Careta mit diesem seinen ärgsten Feinde Poncha beständig Krieg geführet, und von ihm sehr in die Enge getrieben worden, nahm er diese Gelegenheit sich einmahl zu rächen mit Freuden an, zog mit seinen Unterthanen, welche mit langen höltzernen Schwerdtern und sehr spitzigen Wurff-Spiessen bewaffnet waren, stets voraus, um den Poncha unversehens zu überfallen. Allein dieser hatte dennoch unsern Anzug bey zeiten ausgekundschafft und dieserwegen die Flucht ergriffen, dem ohngeacht fanden wir daselbst einen starcken Vorrath an Lebens-Mitteln und andern trefflichen Sachen, wie nicht weniger etliche 30. Pfund feines Goldes.

Nach diesem glücklichen Streiche wurde der König Comogrus überfallen, mit welchen wir aber auf des Königs Caretæ Unterhandlung Bündniß und Friede machten. Dieser Comogrus hatte 7. wohlgestallte Söhne, von welchen der Aelteste ein Mensch von gantz besondern Verstande war, und nicht allein vie les Gold und Kleinodien unter uns austheilete, sondern auch Anschläge gab, wo wir dergleichen köstliche Waaren im überflusse antreffen könten.

Es ließ sich der König Comogrus mit seiner gantzen Familie zum christlichen Glauben bereden, weßwegen er in der Tauffe den Nahmen Carolus empfieng, [563] nachdem aber das Bündniß und Freundschafft mit ihm auf solche Art desto fester geschlossen worden, nahmen wir unsern Rückweg nach Antiquam Darienis, allwo der Valdivia zwar wiederum aus Hispaniola angelangt war, jedoch sehr wenig Proviant, hergegen starcke Hoffnung mit sich brachte, daß wir ehestens alles Benöthigte in desto grösserer Menge empfangen solten.

Das Elend wurde also abermahls sehr groß, dazumahlen unsere Erndte durch ungewöhnlich starcke Wasser-Fluthen verderbt, alle um und neben uns liegende Landschafften aber ausgezehret waren, derowegen trieb uns die Noth mit grosser Gefahr in das Mittel-Land hinein, nachdem wir am 9ten December des Jahrs 1511. den Valdivia mit vielen Gold und Schätzen, die vor den König Ferdinandum gesammlet waren, über Hispaniolam nach Spanien zu seegeln abgefertiget hatten.

In diesem Mittägigen Lande traffen wir etliche Häuser an, aus welchen ein kleiner König Dabaiba genannt, nebst seinen Hof-Gesinde und Unterthanen entflohen war, und wenig Lebens-Mittel, allein sehr viel Hauß-Geräthe, Waffen, auch etliche Pfund gearbeitetes Gold zurück gelassen hatte. Auf der weitern Fahrth brachte uns ein gewaltiger Sturm um 3. Schiffe, welche mit Volck und allen Geräthe zu Grunde giengen.

So bald wir mit Kummer und Noth zu Lande kamen, wurde der König Abenamacheius angegriffen, dessen Hof-Lager in mehr als 500. wohlgebaueten Hütten bestand. Er wolte mit den Seinigen die Flucht nehmen, muste aber endlich Stand [564] halten, und sich nach einer blutigen Schlacht nebst seinen besten Leuten gefangen geben. Dieser König hatte in der Schlacht einem von unsern Kriegs-Leuten eine leichte Wunde angebracht, welches dem Lotter-Buben dermassen verdroß, daß er ihm, da er doch schon unser Gefangener war, so schändlich als geschwind einen Arm vom Leibe herunter hieb. Weil aber diese That dem Valboa hefftig verdroß, wurde dieser Knecht fast biß auf den tod zerprügelt.

Nach diesem erlangten Siege und herrlicher Beute, führete uns ein nackender Indianer in die grosse Landschafft des Königs Abibeiba, der seine Residenz auf einem sehr hohen und dicken Baume aufgebauet hatte, indem er wegen öffterer Wassergüsse nicht wohl auf dem Erdboden wohnen konte. Dieser König wolte sich weder durch Bitten noch durch Droh-Worte bewegen lassen von diesem hohen Gebäude herab zu steigen, so bald aber die Unsern einen Anfang machten den Baum umzuhauen, kam er nebst zweyen Söhnen herunter, und ließ seine übrigen Hof-Bedienten in der Höhe zurück. Wir machten Friede und Bündniß mit ihm, und begehrten eine billige Schatzung an Lebens-Mitteln und Golde geliefert zu haben, indem er nun wegen des letztern seinen sonderlichen Mangel vorgeschützt, gleichwohl aber nur desto hefftiger angestrenget wurde etliche Pfund zu verschaffen, versprach er nebst etlichen seiner Leute auszugehen, und uns binnen 6. Tagen mehr zu bringen als wir verlangt hätten. Allein er ist darvon gegangen und nachhero niemahls wiederum vor unsere Augen gekommen,[565] nachdem wir uns also von ihm betrogen gesehen, wurde aller Vorrath von Speise, Wein und anderen guten Sachen hinweg geraubt, wodurch unsere ermatteten Leiber nicht wenig erquickt und geschickt gemacht wurden, eine fernere mühsame Reise anzutreten.

Mittlerweile hatten sich 5. Könige, nehmlich letztgemeldter Abiebaiba, Cemacchus, Abraibes, dessen Schwager Abenamacheius und Dabaiba zusammen verschworen, uns mit zusa en gesetzten Kräfften plötzlich zu überfallen und gäntzlich zu vertilgen, jedoch zu allem Glücke hatte Valboa eine außerordentlich schöne Jungfrau unter seinen gefangenen Weibs- Bildern, welche er vor allen andern hertzlich liebte, diese hatte solchen Blut-Rath von ihrem leiblichen Bruder nicht so bald ausgeforschet, als sie von der getreuen Liebe getrieben wurde dem Valboa alle wider ihn gemachten Anschläge zu offenbahren. Dieser theilete sogleich sein Volck in zwey Hauffen, er selbst gieng nebst mir und etliche 70. Mann auf die vertheileten Hauffen der versammleten Indianer loß, zerstreuete dieselben und bekam sehr viele von der Könige Bedienten gefangen, die wir mit zurück in unser Lager führeten, Don Colmenarez aber muste mit 4. Schiffen auf den Flecken Tirichi loß gehen, allwo er so glücklich war denselben unvermuthet zu überfallen, und der Indianer gantze Kriegs-Rüstung, die daselbst zusammen gebracht war zu zernichten, auch eine grosse Beute an Proviant, Gold, Wein und andern brauchbaren Geräthschafften zu machen. Uber dieses hat er allen Aufrührern und Feinden ein entsetzliches [566] Schrecken eingejagt, indem der oberste Feld-Herr an einen Baum gehenckt und mit Pfeilen durchschossen, nechst dem noch andere Indianische Befehlshaber andern zum Beyspiele aufs grausamste hingerichtet worden.

Solchergestallt verkehrte sich alle bißherige Gefahr, Unruhe und kümmerliches Leben auf einmahl, in lauter Friede, Ruhe, Wollust und Freude, denn da sich nachhero die vornehmsten Aufrüher gutwillig unter des Valboa Gehorsam begaben, ließ er einen allgemeinen Frieden uñ Vergebung aller vorhergegangenen Widerspenstigkeit halber, ausruffen, seyn Volck aber auf so vieles ausgestandenes Ungemach eine Zeitlang der Ruhe geniessen.

Hierauff nahmen wir unsern Rück-Weg nach derUrabanischen Landschafft, allwo nach vielen Berathschlagungen endlich beschlossen wurde, daß Don Rodriguez Colmenarez nebst dem Don Juan de Quicedo nach Hispaniolam, und von dar zum Könige von Castilien abgesandt werden solten, um an beyden Orten ordentlichen Bericht von unsern sieghafften Begebenheiten abzustatten, und die Sachen dahin zu veranstallten, daß wir mit etwa 1000. Mann und allen Zubehör verstärckt, den Zug in die Goldreichen Landschafften gegen Mittag sicher unternehmen, und dieselben unter des Königs in Castilien Bothmäßigkeit bringen könten, denn Valdivia und Zamudio wolten nicht wieder zum vorscheine kommen, woraus zu schliessen war, daß sie etwa auf der See verunglückt seyn möchten. Demnach giengen Colmenarez undQuicedo im October 1512. unter Seegel, nachdem sie versprochen [567] keine Zeit zu versäumen, sich so bald als nur möglich wiederum auf den Urabanischen Küsten einzustellen. Allein da Valboa dieser beyder Männer Zurückkunfft nunmehro fast 11. Monath vergeblich abgewartet, und in Erfahrung brachte, daß Don Pedro de Arias, ehestens als Königlicher Gouverneur über die Urabanische und angräntzende Landschafften bey uns eintreffen würde, trieb ihn so wohl die allbereits erlangte Ehre, als Verlangen die Mittäglichen Goldreichen Länder zu erfinden, so weit, daß er mit den Ober-Häuptern der Landschafften zu Rathe gieng, und den gefährlichen Zug dahin mit etwa 200. Kriegs-Leuten vornahm, ohngeacht ihm nicht allein von desComogri Sohne, sondern auch von den andern Indianischen Königen gerathen worden, diesen Zug mit nicht weniger als 1000. Mann zu wagen, indem er daselbst ungemein streitbare Völcker antreffen würde.

Es war der 4te Sept. 1513. da wir mit 3. grossen und 10. sehr kleinen Schiffen abseegelten, und zum erstenmahle wiederum bey des Coibanischen KönigsCaretæ Landschafft anländeten. Hieselbst ließ Valboa die Schiffe nebst einer Besatzung zurück, wir aber zogen 170. Mann starck fort, und wurden von des Caretæ uns zugegebenen Wegweisern in des Ponchæ Königreich geführet, welchen wir, nachdem er unsern ehemaligen Zuspruch erwogen, endlich mit grosser Mühe zum Freunde und Bundsgenossen bekamen. Nachhero haben wir viele andere Könige, als den Qvarequa, Chiapes, Coquera und andere mehr, theils mit Güte und Liebe, theils aber auch mit Gewalt zum Gehorsam [568] gebracht, mittlerweile aber am 18. October desselbigen Jahres das Mittägliche Meer erfunden, und um selbige Gegend einen erstaunlichen Schatz an Gold und Edel-Steinen zusammen gebracht.

Bei so glückseeligen Fortgange unseres Vorhabens, bezeigte sich Valboa dermassen danckbar gegen GOTT und seine Gefährten, daß kein eintziger Ursach hatte über ihn zu klagen. Eines Tages aber, da er mich an einem einsamen Orte ziemlich betrübt und in Gedancken vertiefft antraff, umarmete er mich mit gantz besonderer Freundlichkeit und sagte: Wie so unvergnügt mein allerbester Hertzens-Freund, fehlet euch etwa Gesundheit, so habe ich Ursach euch zu beklagen, sonsten aber wo Gold, Perlen und edle Steine euren Kummer zu stillen vermögend sind, stehet euch von meinem Antheil so viel zu diensten als ihr verlanget. Ich gab ihm hierauff zu verstehen: daß ich an dergleichen Kostbarkeiten selbst allbereit mehr gesammlet, als ich bedürfte, und mich wenigstens 5. mahl reicher schätzen könte als ich vor dem in Castilien gewesen. Allein mein jetziges Mißvergnügen rühre von nichts anders her, als daß ich mich vor der Ankunfft meines abgesagten Feindes, des Don Pedro de Arias fürchtete, und indem ich noch zur Zeit von dem Könige Ferdinando keinen Pardon Brief aufzuweisen hätte, würde mir derselbe allen ersinnlichen Tort anthun, und wenigstens verhindern, daß ich auch in dieser neuen Welt weder zu Ehren noch zur Ruhe kommen könte. Valboa fieng hierüber an zu lachen und sagte: Habt ihr sonst keine Sorge, mein werthester Freund, so entschlaget euch nur auf einmahl aller[569] Grillen, und glaubet sicherlich, daß es nunmehro mit uns allen beyden keine Noth habe, denn diejenigen Dienste, so wir dem Könige durch Erfindung dieses Mittägigen Meeres und der Gold-reichen Länder geleistet haben, werden schon würdig seyn, daß er uns alle beyde, jedweden mit einem ansehnlichen Gouvernement, in diesen Landschafften begabet, welche binnen wenig Jahren also einzurichten sind, daß wir unsere übrige Lebens-Zeit vergnügter darinnen zubringen können, als in Castilien selbst. Es sey euch, fuhr er fort, im Vertrauen gesagt, daß ich in kurtzer Zeit selbst eine Reise nach Spanien zu thun willens bin, allda sollen mir eure Sachen noch mehr angelegen seyn, als die meinigen, solchergestalt zweiffele auch im geringsten nicht, euer und mein Glücke zu befestigen.

Diese wohlklingenden Zuredungen machten mein Gemüthe auf einmahl höchst vergnügt, so, daß ich den Valboa umarmete, mich vor seine gute Vorsorge im Voraus hertzlich bedanckte, und versprach, Zeit Lebens sein getreuer Freund und Diener zu verbleiben. Er entdeckte mir hierauf, wie er nur noch willens sey, den Mittägigen Meer-Busen, welchen er St. Michael genennet hatte, nebst den so reich beschriebenen Perlen-Insuln auszukundschafften, nachhero aber so gleich die Rück-Reise nach Uraba anzutreten, welches Vorhaben ich nicht allein vor billig erachtete, sondern auch alles mit ihm zu unternehmen versprach.

Dieser Meer-Busen solte sich, des Indianischen Königs Chiapes Aussage nach, 160. Meilen weit von dem festen Lande biß zu dem äusersten Meeres-Schlunde [570] erstrecken. Derowegen wurde bald Anstalt gemacht, diese Fahrt anzutreten, und ohngeacht der König Chiapes dieselbe hefftig widerrieth, indem er angemerckt hatte, daß um diese Zeit zwey bis drey Monate nach einander die See entsetzlich zu stürmen und zu wüten pflegte, so wolte doch Valboa hiervon im geringsten nicht abstehen, sondern ließ etliche Indianische kleine Schifflein zurechte machen, in welche wir uns mit etliche 80. der muthigsten Kriegs-Leute setzten, und von dannen seegelten.

Allein, nunmehro hatte das unerforschliche Verhängniß beschlossen, mich vor dißmahl nicht allein von dem Valboa, sondern nach etlichen Jahren auch von aller andern menschlichen Gesellschafft abzusondern, denn wenige Tage nach unserer Abfahrt entstund ein entsetzlicher Sturm, welcher die kleinen Schifflein aus einander jagte, und unter andern auch das meinige, worauf ich nebst 9. Kriegs-Leuten saß, in den Abgrund des Meeres zu versencken drohete. Indem nun kein Mittel zu erfinden war, dem jämmerlichen Verderben zu entgehen, überliessen wir uns gäntzlich den unbarmhertzigen Fluthen, und suchten allein bey GOtt in jenem Leben Gnade zu erlangen, weil er uns selbige in diesen zeitlichen abzuschlagen schien. Jedoch, nachdem wir noch zwey Tage und Nacht recht wunderbarer Weise bald in die erstaunlichste Höhe, bald aber in grausame Abgründe zwischen Fluth und Wellen hin verschlagen und fortgetrieben worden, warffen uns endlich die ergrimmten Wellen auf eine halb überschwemmte Insul, die [571] zwar vor das jämmerliche Ertrincken ziemliche Sicherheit versprach, jedoch wenig fruchtbare Bäume oder andere Lebens-Mittel zeigte, womit wir bey etwa langweiligen Aufenthalt, unsern Hunger stillen könten.

Es war das Glück noch einem unserer Fahrzeuge, worauf sich 8. von unsern Kriegs-Leuten nebst zweyen Indianern befanden, eben so günstig gewesen, selbiges so wohl als uns auf diese Insul zu führen, derowegen erfreueten wir uns ungemein, als dieselben zwey Tage hernach zu uns kamen, und ihre glückliche Errettungs-Art erzehleten.

Wir blieben demnach beysammen, trockneten unser Pulver, betrachteten den wenigen Speise-Vorrath, brachten alle übrigen Sachen in Ordnung, und fingen hierauf an, die gantze Insul durch zu streiffen, worinnen wir doch weder Menschen noch Vieh, wohl aber einige Bäume und Stauden antraffen, welche sehr schlecht nahrhaffte Früchte trugen. Demnach musten wir uns mehrentheils mit Fischen behelffen, welche die beyden Indianer, so sich in unserer Gesellschafft befanden, auf eine weit leichtere und geschwindere Art, als wir, zu fangen wusten. Da aber nach etlichen Tagen das Wasser in etwas zu fallen begunte, sammleten wir eine grosse Menge der vortrefflichsten Perlen-Muscheln, die das umgerührte Eingeweyde des Abgrundes auf diese Insul auszuspeyen gezwungen worden. Ich selbst habe an diesem Orte 34. Stück Perlen von solcher Grösse ausgenommen, und mit anhero gebracht, dergleichen ich vorhero noch nie gesehen oder beschreiben hören, doch nach [572] der Zeit habe auf andern Inseln noch mehr dergleichen, ja theils noch weit grössere gesammlet, welche derjenige, so diese meine Schrifft am ersten zu lesen bekommt, ohnfehlbar finden wird.

Jedoch meinen damahligen Glücks- und Unglücks-Wechsel zu folgen, ersahe einer von unsern Indianern, der ein gantz ungewöhnlich scharffes Gesichte hatte, Süd-Westwerts eine andere Insul, und weiln wir daselbst einen bessern Speise-Vorrath anzutreffen verhofften, wurden unsere kleinen Schiffe bey damahligen stillen Wetter, so gut als möglich, zugerichtet, so, daß wir einsteigen, und besagte Insul nach dreyen Tagen mit abermahliger gröster Lebens-Gefahr erreichen konten. Uber alles Vermuthen traffen wir auch daselbst ein kleines Schiff an, welches das wütende Meer mit 11. unserer Mit-Gesellen dahin geworffen hatte. Die Freuden- und Jammer-Thränen lieffen häuffig aus unsern Augen, ersten theils wegen dieser glücklichen Zusammenkunfft, andern theils darum, weil uns die letztern berichteten, daß Valboa nebst den übrigen ohnmöglich noch am Leben seyn könte, weil sie ingesammt durch den Sturm auf die gefährlichste und fürchterlichste Meeres-Höhe getrieben worden, allwo weit und breit keine Insuln, wohl aber bey hellen Wetter erschröckliche aus dem Wasser hervor ragende Felsen und Klippen zu sehen wären. Im übrigen war diese Insul so wenig als unsere vorige mit Menschen besetzt, jedoch liessen sich etliche vierfüßige Thiere sehen, welche theils den Europäischen Füchsen, theils aber den wilden Katzen gleichten. Wir nahmen uns kein [573] Bedencken, dieselben zu schiessen, und als vortreffliche Lecker-Bissen zu verzehren, worbey wir eine gewisse Wurtzel, die unsere Indianer in ziemlicher Menge fanden, an statt des Brodts gebrauchten. Nechst diesen liessen sich auch etliche Vögel sehen, die wir ebenfalls schossen, und mit grösten Appetit verzehreten, anbey das Fleisch der vierfüßigen Thiere dörreten, und auf den Nothfall spareten.

Ich konte meine Gefährten, ohngeacht sie mich einhellig vor ihr Ober-Haupt erkläreten, durchaus nicht bereden, die Rück-Fahrt nach St. Michaël vorzunehmen, weil ihnen allezeit ein Grausen ankam, so offt sie an die gefährlichen Klippen und stürmende See gedachten, derowegen fuhren wir immer gerades Weges vor uns von einer kleinen Insul zur andern, biß uns endlich das Glück auf eine ziemlich grosse führete, die mit Menschen besetzt war. Selbige kamen häuffig herzu, und sahen uns Elenden, die wir durch 19. Schiff-Fahrt gantz krafftloß und ziemlich ausgehungert waren, mit gröster Verwunderung zu Lande steigen, machten aber dieserwegen nicht die geringste grimmige Gebärde, sondern hätten uns vielleicht gar als Götter angebetet, wenn unsere zwey Indianer ihnen nicht bedeutet hätten, daß wir arme verirrete Menschen wären, die lauter Liebe und Freundschafft gegen sie bezeugen würden, woferne man uns nur erlaubte, allhier auszuruhen, und unsere hungerigen Magen mit einigen Früchten zu befriedigen. Ob nun schon die Einwohner der unsern Sprache nicht völlig verstunden, sondern das meiste durch Zeichen errathen musten, so erzeigten [574] sich dieselben doch dermassen gefällig, daß wir an ihren natürlichen Wesen noch zur Zeit nicht das geringste auszusetzen fanden. Sie brachten uns gedörretes Fleisch und Fische, nebst etlichen aus Wurtzel-Mehl gebackenen Brodten herzu, wovor wir die gläsernen und meßingenen Knöpffe unter sie theileten, so wir an unsern Kleidern trugen, indem dergleichen schlechte Sachen von ihnen ungemein hoch geschätzt, und mit erstaunlicher Freude angenommen wurden. Gegen Abend kam ihr König, welcher Madan genennet wurde, zu uns, dieser trug einen Schurtz von bunten Federn um den Leib, wie auch dergleichen Crone auf dem Haupte, führete einen starcken Bogen in der rechte Hand, in der lincken aber einen höltzernen Wurff-Spieß, wie auch einen Köcher mit Pfeilen auf dem Rücken. Ich hatte das Glück, ihm ein höchst angenehmes Geschenck zu überreichen, welches in einem ziemlich grossen Taschen-Messer, einem Feuer-Stahl und zweyen Flinten-Steinen bestund, und habe niemahls bey einer lebendigen Creatur grössere Verwunderung gespüret, als sich bey diesem Menschen zeigte, so bald er nur den Nutzen und Krafft dieses Werckzeugs erfuhr. Er bekam über dieses noch ein Hand-Beil von mir, dessen vortreffliche Tugenden ihn vollends dahin bewegten, daß uns alles, was wir nur anzeigen konten, gereicht und verwilliget wurde. Demnach baueten meine Gefährten ohnfern vom Meer-Ufer etliche Hütten auf, worinnen 4. 5. oder 6. Personen bequemlich beysammen ruhen, und den häuffig herzu gebrachten Speise-Vorrath verzehren konten. Von unsern [575] Schieß-Gewehr wusten sich diese Leute nicht den geringsten Begriff zu machen, ohngeacht unsere Indianer ihnen bedeuteten, daß diese Werckzeuge Donner, Blitz und Feuer hervor bringen, auch sogleich tödtliche Wunden machen könten, da aber einige Tage hernach sich eine ziemliche Menge mittelmäßiger Vögel auf einem Baume sehen liessen, von welchen der König Madan in grössester Geschwindigkeit zwey mit einem Pfeile herunter schoß, ergriff ich ihn bey der Hand, nahm meine Flinte, und führete ihn biß auf etliche 30. Schritt, gegen einen andern Baum, auf welchen sich diese Vögel abermahls nieder gelassen hatten, und schoß, vermittelst eingeladenen Schrots, auf einmahl 6. von diesen Vögeln herunter. Kaum war der Schuß gethan, als dieser König nebst allen seinen anwesenden Unterthanen plötzlich zu Boden fiel, da sie denn vor Schrecken sich fast in einer halben Stunde nicht wieder erholen konten. Auf unser freundliches und liebreiches Zureden kamen sie zwar endlich wiederum zu sich selbst, bezeugten aber nach der Zeit eine mit etwas Furcht vermischte Hochachtung vor uns, zumahlen da wir ihnen bey fernerer Bekandtschafft zeigten, wie wir unsere Schwerdter gegen böse Leute und Feinde zu entblössen und zu gebrauchen pflegten.

Immittelst hatten wir Gelegenheit, etliche Pfund Gold, das auf eine wunderliche Art zu Halß- und Armbändern, Ringen und Angehencken verarbeitet war, gegen allerhand elende und nichts-würdige Dinge einzutauschen, auch einen starcken Vorrath von gedörreten Fleisch, Fischen, [576] Wurtzeln und andern nahrhafften Früchten einzusammlen. Nachdem wir aber 3. von den allerdicksten Bäumen umgehauen, und in wenig Wochen so viel Schiffe daraus gezimmert, die da weit stärcker als die vorigen, auch mit Seegel-Tüchern von geflochtenen Matten und zusammen gedreheten Bast-Stricken versehen waren, suchten wir mit guter Gelegenheit von diesen unsern Wohlthätern Abschied zu nehmen, und nach dem Furth St. Michael zurück zu kehren, allein, da meine Gefährten von den Einwohnern dieser Insul vernahmen, daß weiter in See hinein viel grössere bewohnte Insuln anzutreffen wären, worinnen Gold, Edle-Steine, und sönderlich die Perlen in gröster Menge befindlich, geriethen sie auf die Verwegenheit, dieselben aufzusuchen. Ich setzte mich zwar so viel, als möglich, darwieder, indem ich ihnen die gröste Gefahr, worein wir uns begäben, sattsam vorstellete, allein, es halff nichts, ja es trat alsobald einer auf, welcher mit gröster Dreustigkeit sagte: Don Valaro, bedencket doch, daß Valboa nebst unsern andern Cameraden im Meere begraben worden, also dürffen wir uns auf unsere geringen Kräffte so wenig, als auf die ehemahligen Bündnisse und Freundschafft der Indianischen Könige verlassen, welche ohne Zweiffel des Valboa Unglück zeitig genung erfahren haben, diesemnach uns Elenden auch bald abschlachten werden. Lasset uns also viellieber neue Insuln und Menschen aufsuchen, welche von der Grausamkeit und dem Geitze unserer Lands-Leute noch keine Wissenschafft haben, und seyd versichert, daß, so ferne wir christlich, [577] ja nur menschlich mit ihnen umgehen werden, ein weit grösseres Glück und Reichthum vor uns aufgehaben seyn kan, als wir in den bißherigen Landschafften empfunden haben. Kommen wir aber ja im Sturme um, oder werden ein Schlacht-Opffer vieler Menschen, was ists mehr? Denn wir müssen eben dergleichen Unglücks auf der Rück-Fahrt nach St. Michael und in den Ländern der falsch-gesinneten Könige gewärtig seyn.

Ich wuste wider diese ziemlich vernünfftige und sehr tapffermüthige Rede nicht das geringste einzuwenden, weßwegen ich dieses mahl meinen Gefährten nachgab, und alles zur baldigen Abfahrt veranstalten ließ.

Der Abschied von dem König Madan und seinen von Natur recht redlichen Unterthanen ging mir wahrhafftig ungemein nahe, zumahlen, da dieselben auf die letzte fast mehr Speise-Vorrath herzu brachten, als wir in unsere kleinen Schiffe einladen konten, einer aber von ihnen, der vom ersten Tage an beständig um mich gewesen war, fing bitterlich zu weinen an, und bat, sonderlich da er vernahm, wie ich auf dem Rückwege allhier wiederum ansprechen wolte, ich möchte ihm vergönnen, daß er mit uns reisen dürffte, welches ich ihm denn auch mit grösten Vergnügen erlaubte. Er war ein Mensch von etwa 24. Jahren, wohl gewachsen und eines recht feinen Ansehens, zumahlen, da er erstlich etliche Kleidungs-Stück auf den Leib bekam, sein Nahme hieß Chascal, welchen ich aber nachhero, da er den christlichen Glauben annahm, [578] und von mir die heilige Tauffe empfing, verändert habe.

Solchergestalt fuhren wir mit diesem neuen Wegweiser, der aber wenigen oder gar keinen Verstand von der Schiff-Fahrt hatte, auf und davon, bekamen zwar in etlichen Wochen nichts als Himmel und Wasser zu sehen, hatten aber doch wegen des ungemein stillen Wetters eine recht ruhige Fahrt. Endlich gelangeten wir an etliche kleine Insuln, welche zwar sehr schlecht bevölckert, auch nicht allzusehr fruchtbar waren, jedoch hatten wir die Freude, unsere kleinen Schiffe daselbst aufs neue auszubessern, und mit frischen Lebens-Mitteln anzufüllen, biß wir endlich etliche, nahe an einander gelegene grosse Insuln erreichten, und das Hertz fasseten, auf einer der grösten an Land zu steigen.

Hier schienen die Einwohner nicht so guter Art als die vorigen zu seyn, allein, unsere 3 Indianischen Gefährten leisteten uns bey ihnen recht vortreffliche Dienste, so, daß wir in wenig Tagen mit ihnen allen recht gewünschten Umgang pflegen konten. Wir erfuhren, daß diese Leute vor wenig Jahren grosse Mühe gehabt, sich einer Art Menschen, die ebenfalls bekleidet gewesen, zu erwehren, indem ihnen selbige die Lebens-Mittel, Gold, Perlen und Edlen-Steine mit Gewalt abnehmen und hinweg führen wollen, jedoch, nachdem sie unsere Freund- und Höfflichkeit zur Gnüge verspüret, wurde uns nicht allein mit gleichmäßiger Freundlichkeit begegnet, sondern wir hatten Gelegenheit, auf dieser Insul erstaunliche Schätze und Kostbarkeiten [579] einzusa len, wie wir denn auch die andern nahgelegenen besuchten, und solchergestalt fast mehr zusammen brachten, als unsere Schiffe zu ertragen vermögend waren. 1 Meine Leute nahmen sich demnach vor, ein grosses Schiff zu bauen, in welchem wir sämmtlich bey einander bleiben, und unsere Güter desto besser fortbringen könten, ich selbst sahe dieses vor gut an, zumahlen wir nicht allein alle Bedürffnisse darzu vor uns sahen, sondern uns auch der Einwohner redlicher Beyhülffe getrösten konten. Demnach wurden alle Hände an das Werck gelegt, welches in kürtzerer Zeit, als ich selbst vermeynte, zum Stande gebracht wurde. Die Einwohner selbiger Insuln fuhren zwar selbsten auch in einer Art von Schiffen, die mit Seegeln und Rudern versehen waren, doch verwunderten sie sich ungemein, da das unsere ihnen, auf so sonderbare Art zugerichtet, in die Augen fiel. Wir schenckten ihnen zwey von unsern mit dahin gebrachten Schiffen, nahmen aber das dritte an statt eines Boots mit uns, wie wir denn auch zwey kleine Nachen verfertigten, um selbige auf der Reise nützlich zu gebrauchen.

Nachdem wir uns also mit allen Nothdürfftigkeiten wohl berathen hatten, seegelten wir endlich von dannen, und kamen nach einer langweiligen und beschwerlichen Fahrt an ein festes Land, allwo [580] wir ausstiegen, und uns abermahls mit frischen Wasser nebst andern Bedürffnissen versorgen wolten, wurden aber sehr übel empfangen, indem uns gleich andern Tages mehr als 300. wilde Leute ohnversehens überfielen, gleich anfänglich drey der unsern mit Pfeilen erschossen, und noch fünff andere gefährlich verwundeten. Ob nun schon im Gegentheil etliche 20. von unsern Feinden auf dem Platze bleiben musten, so sahen wir uns doch genöthiget, aufs eiligste nach unsern Schiffe zurück zu kehren, mit welchen wir etliche Meilen an der Küste hinunter fuhren, und endlich abermahls auf einer kleinen Insul anländeten, die zwar nicht mit Menschen, aber doch mit vielerley Arten von Tieren besetzt war, anbey einen starcken Vorrath an nützlichen Früchten, Wurtzeln und Kräutern zeigte. Allhier hatten wir gute Gelegenheit auszuruhen, bis unsere Verwundeten ziemlich geheilet waren, fuhren hernachmahls immer Südwerts von einer Insul zur andern, sahen die Küsten des festen Landes lincker Seits beständig mit sehnlichen Augen an, wolten uns aber dennoch nicht unterstehen, daselbst anzuländen, weiln an dem Leben eines eintzigen Mannes nur allzu viel gelegen war, endlich, nachdem wir viele hundert Meilen an der Land-Seite hinunter geseegelt, ließ sich die äuserste Spitze desselben beobachten, um welche wir herum fuhren, und nebst einer kalten und verdrüßlichen Witterung vieles Ungemach auszustehen hatten. Es war leichtlich zu muthmassen, daß allhier ein würckliches Ende des festen Landes der neuen Welt gefunden sey, derowegen machten wir die Rechnung,[581] im Fall uns das Glück bey der Hinauf-Fahrt der andern Seite nicht ungünstiger, als bißhero, seyn würde, entweder den rechten Weg nach Darien, oder wohl gar nach Europa zu finden, oder doch wenigstens unterwegs Portugisen anzutreffen, zu welchen wir uns gesellen, und ihres Glücks theilhafftig machen könten, denn es lehrete uns die Vernunfft, daß die von den Portugisen entdeckte Landschafften ohnfehlbar auf selbiger Seite liegen müsten.


Immittelst war die höchste Noth vorhanden, unser Schiff aufs neue auszubessern, und frische Lebens-Mittel anzuschaffen, derowegen wurde eine Landung gewagt, welche nach überstandener gröster Gefahr ein gutes Glücke versprach, daferne wir nicht Ursach gehabt hätten, uns vor feindseeligen Menschen und wilden Thieren zu fürchten. Jedoch die allgewaltige Macht des Höchsten, welche aller Menschen Hertzen nach Willen regieren kan, war uns dermahlen sonderlich geneigt, indem sie uns zu solchen Menschen führete, die, ohngeacht ihrer angebohrnen Wildigkeit, solche Hochachtung gegen uns hegten, und dermassen freundlich aufnahmen, daß wir uns nicht genung darüber verwundern konten, und binnen wenig Tagen alles Mißtrauen gegen dieselben verschwinden liessen. Es war uns allen wenig mehr um Reichthum zu thun, da wir allbereit einen fast unschätzbarn Schatz an lautern Golde, Perlen und Edelgesteinen besassen, bemüheten uns derowegen nur um solche Dinge, die uns auf der vorhabenden [582] langweiligen Reise nützlich seyn könten, welches wir denn alles in kurtzer Zeit gewünscht erlangten.

Die bey uns befindlichen 3. redlichen Indianer machten sich das allergröste Vergnügen, einige wunderbare Meer-Thiere listiger Weise einzufangen, deren Fleisch, Fett und sonderlich die Häute, vortrefflich nutzbar waren, denn aus den letztern konten wir schönes Riemen-Werck, wie auch Lederne Koller, Schuhe, Mützen und allerley ander Zeug verfertigen.

So bald wir demnach nur mit der Ausbesserung und Versorgung des Schiffs fertig, dasselbe auch, wo nur Raum übrig, mit lauter nützlichen Sachen angefüllet hatten, traten wir die Reise auf der andern Land-Seite an, vermerckten aber gleich anfänglich, daß Wind und Meer allhier nicht so gütig, als bey der vorigen Seite, war. Zwey Wochen aneinander ging es noch ziemlich erträglich, allein, nachhero erhub sich ein sehr hefftiger Sturm, der über 9. Tage währete, und bey uns allen die gröste Verwunderung erweckte, daß wir ihm endlich so glücklich entkamen, ohngeacht unser Schiff sehr beschädiget an eine sehr elende Küste getrieben war, allwo sich auf viele Meilwegs herum, ausser etlichen unfruchtbaren Bäumen, nicht das geringste von nützlichen Sachen antreffen ließ.

Etliche von meinen Gefährten streifften dem ohngeacht überall herum, und kamen eines Abends höchst erfreut zurück, weil sie, ihrer Sage nach, ein vortrefflich ausgerüstetes Europäisches Schiff, in einer kleinen Bucht liegend, jedoch keinen eintzigen [583] lebendigen Menschen darinnen gefunden hätten. Ich ließ mich bereden, unser sehr beschädigtes Schiff dahin zu führen, und fand mit gröster Verwunderung daß es die lautere Wahrheit sey. Wir bestiegen dasselbe, und wurden ziemlichen starcken Vorrath von Wein, Zwieback, geräucherten Fleische und andern Lebens-Mitteln darinnen gewahr, ohne was in den andern Ballen und Fässern verwahret war, die noch zur Zeit niemand eröffnen durffte. Tieffer ins Land hinein wolte sich keiner wagen, indem man von den höchsten Felsen-Spitzen weit und breit sonsten nichts als lauter Wüsteney erblickte, derowegen wurde beschlossen, unser Schiff, so gut als möglich, auszubessern, damit, wenn die Europäer zurück kämen, und uns allenfalls nicht in das Ihrige aufnehmen wolten oder könten, wir dennoch in ihrer Gesellschafft weiter mitseegeln möchten.

Allein, nachdem wir mit allem fertig waren, und einen gantzen Monath lang auf die Zurückkunfft der Europäer vergeblich gewartet hatten, machten meine Gefährten die Auslegung, daß dieselben ohnfehlbar sich zu tieff ins Land hinein gewagt, und nach und nach ihren Untergang erreicht hätten, weßwegen sie vors allerklügste hielten, wenn wir uns das köstliche Schiff nebst seiner gantzen Ladung zueigneten, und mit selbigen davon führen. Ich setzte mich starck wider diesen Seeräuberischen Streich, konte aber nichts ausrichten, indem alle einen Sinn hatten, und alle unsere Sachen in möglichster Eil in das grosse Schiff einbrachten, wolte ich also nicht alleine an einem [584] wüsten Orte zurück bleiben, so muste mir gefallen lassen, das gestohlne Schiff zu besteigen, und mit ihnen von dannen zu segeln, konte auch kaum so viel erbitten, daß sie unser bißheriges Fahrzeug nicht versenckten, sondern selbiges an dessen Stelle stehen liessen.

Kaum hatten wir die hohe See erreicht, als sich die Meinigen ihres Diebstahls wegen ausser aller Gefahr zu seyn schätzten, derowegen alles, was im Schiffe befindlich war, eröffnet, besichtiget, und ein grosser Schatz an Golde nebst andern vortrefflichen Kostbarkeiten gefunden wurde. Allein, wir erfuhren leider! allerseits gar bald, daß der Himmel keinen Gefallen an dergleichen Boßheit habe, sondern dieselbe ernstlich zu bestraffen gesinnet sey. Denn bald hernach erhub sich ein abermahliger dermassen entsetzlicher Sturm, dergleichen wohl leichtlich kein See-Fahrer hefftiger ausgestanden haben mag. Wir wurden von unserer erwehlten Strasse gantz Seitwerts immer nach Süden zu getrieben, welches an dem erlangten Compasse, so offt es nur ein klein wenig stille, deutlich zu ersehen war, es halff hier weder Arbeit noch Mühe, sondern wir musten uns gefallen lassen, dem aufgesperreten Rachen der gräßlichen und tödtlichen Fluthen entgegen zu eilen, viele wünschten, durch einen plötzlichen Untergang ihrer Marter bald abzukommen, indem sie weder Tag noch Nacht ruhen konten, und die letzte klägliche Stunde des Lebens in beständiger Unruhe unter dem schrecklichsten Hin- und Wiederkollern erwarten musten. Es währete dieser erste Ansatz des Sturms [585] 16. Tage und Nacht hinter einander, ehe wir nur zwey bis drey Stunden ein wenig verschnauben, und das Sonnen-Licht auf wenige Minuten betrachten konten, bald darauf aber meldete sich ein neuer, der nicht weniger grimmig, ja fast noch hefftiger als der vorige war, Mast und Seegel wurden den erzürnten Wellen zum Opffer überliefert, worbey zugleich 2. von meinen Gefährten über Boort geworffen, und nicht erhalten werden konten, wie denn auch 3. gequetschte und 2. andere krancke folgendes Tages ihren Geist aufgaben. Endlich wurde es zwar wiederum vollkommen stille und ruhig auf der See, allein, wir bekamen in etlichen Wochen weder Land noch Sand zu sehen, so, daß unser süsses Wasser nebst dem Proviante, welchen das eingedrungene See-Wasser ohnedem schon mehr als über die Helffte verdorben hatte, völlig zum Ende ging, und wir uns Hungers wegen gezwungen sahen, recht wiedernatürliche Speisen zu suchen, und das bitter-saltzige See-Wasser zu trincken. Bei so beschaffenen Umständen riß der Hunger, nebst einer schmerzhafften Seuche, in wenig Tagen einen nach dem andern hinweg, so lange, biß ich, die 3. Indianer und 5. Spanische Kriegs-Leute noch ziemlich gesund übrig blieben. Es erhub sich immittelst der dritte Sturm, welchen wir 9. Personen, als eine Endschafft unserer Quaal, recht mit Freuden ansetzen höreten. Ich kan nicht sagen, ob er so hefftig als die vorigen zwey Stürme gewesen, weil ich auf nichts mehr gedachte, als mich nebst meinen Gefährten zum seeligen Sterben zuzuschicken, allein, eben dieser Sturm [586] muste ein Mittel unserer damahligen Lebens-Erhaltung und künfftiger hertzlicher Busse seyn, denn ehe wir uns dessen versahen, wurde unser jämmerlich zugerichtetes Schiff auf eine von denenjenigen Sand-Bäncken geworffen, welche ohnfern von dieser mit Felsen umgebenen Insul zu sehen sind. Wir liessen bey bald darauff erfolgter Wind-Stille unsern Nachen in See, das Schiff aber auf der Sand-Banck in Ruhe liegen, und fuhren mit gröster Lebens Gefahr durch die Mündung des Westlichen Flusses, welche zur selbigen Zeit durch die herab gestürtzten Felsen-Stücken noch nicht verschüttet war, in diese schöne Insul herein, welche ein jeder vernünfftiger Mensch, so lange er allhier in Gesellschafft anderer Menschen lebt, und nicht mit andern Vorurtheilen behafftet ist, ohnstreitig vor ein irrdisches Paradieß erkennen wird.

Keiner von uns allen gedachte dran, ob wir allhier Menschen-Fresser, wilde Thiere oder andere feindseelige Dinge antreffen würden, sondern so bald wir den Erdboden betreten, das süsse Wasser gekostet und einige fruchttragende Baume erblickt hatten, fielen so wohl die drey Indianer als wir 6. Christen, auf die Knie nieder und danckten dem Allerhöchsten Wesen, daß wir durch desselben Gnade so wunderbarer, ja fast übernatürlicher Weise erhalten worden. Es war ohngefähr zwey Stunden über Mittag, da wir trostloß gewesenen Menschen zu Lande kamen, hatten derowegen noch Zeit genung unsere hungerigen Magen mit wohlschmeckenden Früchten anzufüllen, und aus den klaren Wasser-Bächen zu trincken, nach diesen wurden [587] alle fernern Sorgen auf dieses mahl bey Seite gesetzt, indem sich ein jeder mit seinem Gewehr am Ufer des Flusses zur Ruhe legte, biß auf meinen getreuen Chascal, welcher die Schildwächterey von freyen stücken über sich nahm, um uns andern vor besorglichen Unglücks-Fällen zu warnen. Nachdem aber ich etliche Stunden und zwar biß in die späte Nacht hinein geschlaffen, wurde der ehrliche Chascal abgelöset, und die Wacht von mir biß zu Auffgang der Sonne gehalten. Hierauff fieng ich an, nebst 4. der stärcksten Leute, einen Theil der Insul durchzustreiffen, allein wir fanden nicht die geringsten Spuren von lebendigen Menschen oder reissenden Thieren, an deren statt aber eine grosse Menge Wildpret, Ziegen auch Affen von verschiedenen Farben. Dergleichen Fleischwerck nun konte uns, nebst den überflüßigen herrlichen Kräutern und Wurtzeln, die gröste Versicherung geben, allhier zum wenigsten nicht Hungers wegen zu verderben, derowegen giengen wir zurück, unsern Gefährten diese fröhliche Bothschafft zu hinterbringen, die aber nicht eher als gegen Abend anzutreffen waren, indem sie die Nordliche Gegend der Insul ausgekundschafft, und eben dasjenige bekräfftigten, was wir ihnen zu sagen wusten. Demnach erlegten wir noch selbigen Abend ein stück Wild nebst einer Ziege, machten Feuer an und brieten solch schönes Fleisch, da immittelst die drey Indianer die besten Wurtzeln ausgruben, und dieselben an statt des Brods zu rösten und zuzurichten wusten, welches beydes wir so dann mit gröster Lust verzehreten. In folgenden Tagen bemüheten wir uns sämtlich aufs [588] äuserste, die Sachen aus dem gestrandeten Schiffe herüber auf die Insul zu schaffen, welches nach und nach mit gröster Beschwerlichkeit ins Werck gerichtet wurde, indem wir an unser kleines Boot der Länge nach etliche Floß Höltzer fügten, welche am Vordertheil etwas spitzig zusammen lieffen, hinten und vorne aber mit etlichen darauff befestigten Queer-Balcken versehen waren, und solchergestalt durfften wir nicht allein wegen des umschlagens keine Sorge tragen, sondern konten auch ohne Gefahr, eine mehr als vierfache Last darauff laden.

Binnen Monats-Frist hatten wir also alle unsere Güter, wie auch das zergliederte untüchtige Schiff auf die Insul gebracht, derowegen fiengen wir nunmehro an Hütten zu bauen, und unsere Haußhaltung ordentlich einzurichten, worbey der Mangel des rechten Brodts uns das eintzige Mißvergnügen erweckte, jedoch die Vorsorge des Himmels hatte auch hierinnen Rath geschafft, denn es fanden sich in einer Kiste etliche wohl verwahrte steinerne Flaschen, die mit Europäischen Korne, Weitzen, Gerste, Reiß und Erbsen, auch andern nützlichen Sämereyen angefüllet waren, selbige säeten wir halben Theils aus, u. ich habe solche edle Früchte von Jahr zu Jahr mit sonderlicher Behutsamkeit fortgepflanzt, so daß sie, wenn GOTT will, nicht allein Zeit meines Lebens sich vermehren, sondern auch auf dieser Insul nicht gar vergehen werden, nur ist zu befürchten, daß das allzuhäuffig anwachsende Wild solche edle Aehren, noch vor ihrer völligen Reiffe, abfressen, und die selbst eigene Fortpflantzung, welche hiesiges Orts, gantz sonderbar zu bewundern ist, verhindern werde.


[589] Du wirst, mein Leser, dir ohnfehlbar eine wunderliche Vorstellung von meinem Glauben machen, da ich in diesen Paragrapho die Vorsorge des Himmels bewundert, und doch oben beschrieben habe, wie meine Gefährten das Schiff nebst allem dem was drinnen, worunter auch die mit Geträyde angefüllten Flaschen gewesen, unredlicher Weise an sich gebracht, ja aufrichtig zu reden, gestohlen haben; Wie reimet sich dieses, wirstu sagen, zur Erkäntniß der Vorsorge GOttes? Allein sey zufrieden, wenn ich bey Verlust meiner Seeligkeit betheure: daß so wohl ich, als mein getreuer Chascal an diesen Diebs-Streiche keinen Gefallen gehabt, vielmehr habe ich mich aus allen Kräfften darwieder gesetzt, jedoch nichts erlangen können. Ist es Sünde gewesen, daß ich in diesem Schiffe mitten unter den Dieben davon gefahren, und mich aus dermahligen augenscheinlichen Verderben gerissen, so weiß ich gewiß, daß mir GOTT dieselbe auf meine eiffrige Busse und Gebeth gnädiglich vergeben hat. Inzwischen muß ich doch vieler Umstände wegen die Göttliche Vorsorge hiebey erkennen, die mich nicht allein auf der stürmenden See, sondern auch in der grausamen Hungers Noth und schädlichen Seuche erhalten, und auf der Insul mittelbarer Weise mit vielem guten überhäufft. Meine Gefährten sind alle in der Helffte ihrer Tage gestorben, ausgenommen der eintzigeChascal welcher sein Leben [590] ohngefähr biß 70. Jahr gebracht, ich aber bin allein am längsten überblieben, auf daß ich solches ansagte.


Wir machten uns inzwischen die unverdorbenen Güter, so auf dem gestohlenen Schiffe mitgebracht waren, wohl zu nutze, ich selbst bekam meinen guten Theil an Kleiderwerck, Büchern, Pappier und andern Geräthschafften davon, that aber dabey sogleich ein Gelübde, solcher Sachen zehnfachen Werth in ein geistliches Gestiffte zu liefern, so bald mich GOTT wiederum unter Christen Leute führete.

Es fanden sich Weinstöcke in ihrem natürlichen Wachsthume, die wir der Kunst nach in weit bessern Stand brachten, und durch dieselben grosses Labsal empfiengen, auch kamen wir von ohngefähr hinter den künstlichen Vortheil, aus gewissen Bäumen ein vortreffliches Geträncke zu zapffen, welches alles ich in meinen andern Handschrifften deutlicher beschrieben habe. Nach einem erleidlichen Winter und angenehmen Frühlinge, wurde im Sommer unser Getrayde reiff, welches wir wiewohl nur in weniger Menge einerndten, jedoch nur die Probe von dem künftig wohlschmeckenden Brodte machen konten, weil das meiste zur neuen Aussaat vor 9. Personen nöthig war, allein gleich im nächstfolgenden Jahre wurde so viel eingesammlet, daß wir zur Aussaat und dem nothdürfftigen Lebens-Unterhalt völlige Genüge hatten.

Mittlerweile war mein Chascal so weit gekommen, daß er nicht allein sehr gut Castilianisch reden, [591] sondern auch von allen christlichen Glaubens-Articuln ziemlich Rede und Antwort geben konte, derowegen nahm ich mir kein Bedencken an diesem abgelegenen Orte einen Apostel abzugeben, und denselben nach Christi Einsetzung zu tauffen, worbey alle meine 5. christlichen Gefährten zu Gevattern stunden, er empfieng dabey, wegen seiner besondern Treuhertzigkeit, den Nahmen Christian Treuhertz. Seine beyden Gefährten befanden sich hierdurch dermassen gerühret, daß sie gleichmäßigen Unterricht wegen des Christenthums von mir verlangten, welchen ich ihnen mit grösten Vergnügen gab, und nach Verfluß eines halben Jahres auch beyde tauffte, da denn der erstere Petrus Gutmann, der andere aber Paulus Himmelfreund genennet wurde.

In nachfolgenden 3. oder 4. Jahren, befand sich alles bey uns in dermassen ordentlichen und guten Stande, daß wir nicht die geringste Ursach hatten über appetitliche Lebens-Mittel oder andern Mangel an unentbehrlichen Bedürffnissen zu klagen, ich glaube auch, meine Gefährte würden sich ni ermehr aus dieser vergnügenden Landschafft hinweg gesehnet haben: wenn sie nur Hoffnung zur Handlung mit andern Menschen, und vor allen andern Dingen, Weibs-Leute, ihr Geschlechte fortzupflantzen, gehabt hätten. Da aber dieses letztere ermangelte, und zu dem erstern sich gantz und gar keine Gelegenheit zeigen wolte, indem sie nun schon einige Jahre vergeblich auf vorbeyfahrende Schiffe gewartet hatten, gaben mir meine 5. Lands-Leute ziemlich trotzig zu verstehen: daß man Anstalt machen müste [592] ein neues Schiff zu bauen, um damit wiederum eine Fahrt zu andern Christen zu wagen, weil es GOtt unmöglich gefallen könte, dergleichen kostbare Schätze, als wir besassen, so nachläßiger Weise zu verbergen, und sich ohne eintzigen Heil. Beruff und Trieb selbst in den uneheligen Stand zu verbannen, darbey aber aller christlichen Sacramenten und Kirchen-Gebräuche beraubt zu leben.

Ohngeacht nun ich sehr deutlich merckte, daß es ihnen nicht so wohl um die Religion als um die Weiber-Liebe zu thun wäre, so nahm mir doch ein Bedencken ihrem Vorhaben zu widerstreben, zumahlen da sie meinen vernünfftigen Vorstellungen gantz und gar kein Gehör geben wolten. Meine an sie gethane Fragen aber waren ohngefähr folgendes Innhalts: Meine Freunde bedenckt es wohl, sprach ich,


1. Wie wollen wir hiesiges Orts ein tüchtiges Schiff bauen können, das uns etliche hundert, ja vielleicht mehr als 1000. Meilen von hier hinweg führen und alles Ungemach der See ertragen kan. Wo ist gnugsames Eisenwerck zu Nägeln, Klammern und dergleichen? Wo ist Pech, Werck, Tuch, Strickwerck und anders Dinges mehr, nach Nothdurfft anzutreffen?

2. Werden wir nicht GOTT versuchen, wenn wir uns auf einen übel zugerichteten Schiffe unterstehen einen so fernen Weg anzutreten, und werden wir nicht als Selbst-Mörder zu achten seyn, daferne uns die Gefahr umbringt, worein wir uns muthwillig begeben?

[593] 3. Welcher unter uns weiß die Wege, wo wir hin gedencken, und wer kan nur sagen in welchem Theile der Welt wir uns jetzo befinden? auch wie weit die Reise biß nach Europa ist?


Solche und noch vielmehr dergleichen Fragen die von keinem vernünfftig genung beantwortet wurden, dieneten weiter zu nichts, als ihnen Verdruß zu erwecken, und den gefasseten Schluß zu befestigen, derowegen gab ich ihnen in allen Stücken nach, und halff den neuen Schiff-Bau anfangen, welcher langsam und unglücklich genung von statten gieng, indem der Indianer Paulus von einem umgehauenen Baume plötzlich erschlagen wurde. Dieser war also der erste welcher allhier von mir begraben wurde.

Im dritten Sommer nach angefangener Arbeit war endlich das Schiff so weit fertig, daß wir selbiges in den Fluß, zwischen denen Felsen, allwo es gnugsame Tieffe hatte, einlassen konten. Weiln aber zwey von meinen Lands-Leuten gefährlich Kranck darnieder zu liegen kamen, wurde die übrige wenige Arbeit, nebst der Einladung der Güter, biß zu ihrer völligen Genesung versparet.

Meine Gefährten bezeigten allerseits die gröste Freude über die ihrer Meynung nach wohlgerathene Arbeit, allein ich hatte an dem elendẽ Wercke nur allzuviel auszusetzen, und nahm mir nebst meinem getreuen Christian ein billiges Bedencken uns darauff zu wagen, weil ich bey einer so langwierigen Reise dem Tode entgegen zu lauffen, gantz gewisse Rechnung machen konte.

Indem aber nicht allein grosse Verdrießlichkeit,[594] sondern vielleicht gar Lebens-Gefahr zu befürchten war, soferne meine Gefährten dergleichen Gedancken merckten, hielt ich darmit an mich, und nahm mir vor auf andere Mittel zu gedencken, wodurch diese unvernünfftige Schiffahrth rückgängig gemacht werden könte. Allein das unerforschliche Verhängniß überhob mich dieser Mühe, denn wenig Tage hierauff, erhub sich ein grausamer Sturm zur See, welchen wir von den hohen Felsen-Spitzen mit erstaunen zusahen, jedoch gar bald durch einen ungewöhnlichen hefftigen Regen in unsere Hütten getrieben wurden, da aber bey hereinbrechender Nacht ein jeder im Begriff war, sich zur Ruhe zu begeben, wurde die gantze Insul von einem hefftigen Erdbeben gewaltig erschüttert, worauff ein dumffiges Geprassele folgete, welches binnen einer oder zweyer Stunden Zeit noch 5. oder 6. mahl zu hören war. Meine Gefährten, ja so gar auch die zwey Krancken kamen gleich bey erster Empfindung desselben eiligst in meine Hütte gelauffen, als ob sie bey mir Schutz suchen wolten, und meyneten nicht anders, als müsse das Ende der Welt vorhanden seyn, da aber gegen Morgen alles wiederum stille war, uñ der Sonnen lieblicher Glantz zum Vorscheine kam, verschwand zwar die Furcht vor das mahl, allein unser zusammengesetztes Schrecken war desto grösser, da wir die eintzige Einfahrt in unsere Insul, nehmlich den Auslauff des Westlichen Flusses, durch die von beyden Seiten herab geschossenen Felsen gäntzlich verschüttet sahen, so daß das gantze Westliche Thal von dem gehemmten Strome unter Wasser gesetzt war.

[595] Dieses Erdbeben geschahe am 18tden Jan. im Jahr Christi 1523. bey eintretender Nacht, und ich hoffe nicht unrecht zu haben, wenn ich solches ein würckliches Erdbeben oder Erschütterung dieser gantzen Insul nenne, weil ich selbiges selbst empfunden, auch nachhero viele Felsen-Risse und herab geschossene Klumpen angemerckt, die vor der Zeit nicht da gewesen sind. Der Westliche Fluß fand zwar nach wenigen Wochen seinen geraumlichen Auslauff unter dem Felsen hindurch, nachdem er vielleicht die lockere Erde und Sand ausgewaschen und fortgetrieben hatte, und solchergestalt wurde auch das Westliche Thal wiederum von der Wasser-Fluth befreyet, jedoch die Hoffnung unserer baldigen Abfahrt war auf einmahl gäntzlich zerschmettert, indem das neu erbaute Schiff unter den ungeheuern Felsen-Stücken begraben lag.

GOTT pflegt in der Natur dergleichen Wunder-und Schreck-Wercke selten umsonst zu zeigen. Dieses erkandte ich mehr als zu wohl, wolte solches auch meinen Gefährten in täglichen Gesprächen beybringen, und sie dahin bereden, daß wir ingesamt als Heilige Einsiedler unser Leben in dieser angenehmen und fruchtbarn Gegend zum wenigsten so lange zubringen wolten, biß uns GOTT von ohngefähr Schiffe und Christen zuschickte, die uns von dannen führeten. Allein ich predigte tauben Ohren, denn wenige Zeit her nach, da ihnen abermahls die Lust ankam ein neues Schiff zu bauen, welches doch in Ermangelung so vielerley materialien ein lächerliches Vornehmen war, machten sie erstlich einen Anschlag, im Mittel der Insul den Nördlichen Fluß [596] abzustechen, mithin selbigen durch einen Canal in die kleine See zu führen, deren Ausfluß sich gegen Osten zu, in das Meer ergiesset.

Dieser letztere Anschlag war mir eben nicht mißfällig, weiln ich allem Ansehen nach, leicht glauben konte, daß durch das Nördliche natürliche Felsen-Gewölbe, nach abgeführten Wasser-Flusse, ohnfehlbar ein bequemer Außgang nach der See zu finden seyn möchte. Derowegen legte meine Hände selbsten mit ans Werck, welches endlich, nach vielen sauern vergossenen Schweisse, im Sommer des 1525ten Jahres zu Stande gebracht wurde. Wir funden einen nach Nothdurfft erhöheten und weiten Gang, musten aber den Fuß-Boden wegen vieler tieffen Klüffte und steiler Abfälle, sehr mühsam mit Sand und Steinen beqvemlich ausfüllen und zurichten, biß wir endlich sehr erfreut das Tages-Licht und die offenbare See ausserhalb der Insul erblicken konten.

Nach diesem glücklich ausgeschlagenen Vornehmen, solten aufs eiligste Anstallten zum abermahligen Schiff-Bau gemacht, und die zugerichteten Bäume durch den neu erfundenen Weg an den auswendigen Fuß des Felsens hinunter geschafft werden; Aber! ehe noch ein eintziger Baum darzu behauen war, legten sich die zwey schwächsten von meinen Lands-Leuten darnieder und starben, weil sie ohnedem sehr ungesundes Leibes waren, und sich noch darzu bißhero bey der ungezwungenen Arbeit allzuhefftig angegriffen haben mochten. Solchergestallt blieb der neue Schiffs-Bau unterwegs, zumahlen [597] da ich und die mir getreuen zwey Indianer keine Hand mit anlegen wolten.

Allein, indem ich aus gantz vernünfftigen Ursachen dieses tollkühne Werck gäntzlich zu hintertreiben suchte, und mich auf mein gutes Gewissen zu beruffen wuste, daß solches aus keiner andern Absicht geschähe, als den Allerhöchsten wegen einer unmittelbaren Erhaltung nicht zu versuchen, noch seiner Gnade zu mißbrauchen, da ich mich aus dem ruhigsten und gesegnetsten Lande nicht in die allersicherste Lebens Gefahr stürtzen wolte; so konte doch einem andern gantz abscheulichen Ubel nicht vorbauen, als worüber ich in die alleräuserste Bestürtzung gerieth, und welches einem jeden Christen einen sonderbaren Schauder erwecken wird.

Es meldete mir nehmlich mein getreuer Christian, daß meine 3. noch übrigen Lands-Leute seit etlichen Monathen 3. Aeffinnen an sich gewöhnet hätten, mit welchen sie sehr öffters, so wohl bey Tage als Nacht eine solche schändliche Wollust zu treiben pflegten, die auch diesen ehemaligen Heyden recht eckelhafft und wider die Natur lauffend vorkam. Ich ließ mich keine Mühe verdriessen dieser wichtigen Sache, um welcher willen der Höchste die gantze Insul verderben köñen, recht gewiß zu werden, war auch endlich so glücklich, oder besser zu sagen, unglücklich, alles selbst in Augenschein zu nehmen, und ein lebendiger Zeuge davon zu seyn, worbey ich nichts mehr, als verdammte Wollust bestialischer Menschen, nechst dem, die ungewöhnliche Zuneigung solcher vierfüßigen Thiere, über alles dieses aber die besondere Langmuth GOttes zu bewundern [598] wuste. Folgendes Tages nahm ich die 3. Sodomiten ernstlich vor, und hielt ihnen, wegen ihres begangenen abscheulichen Lasters eine kräfftige Gesetz-Predigt, führete ihnen anbey den Göttlichen Ausspruch zu Gemüthe: Wer bey einem Viehe schläfft, soll des Todes sterben etc. etc. Zwey von ihnen mochten sich ziemlich gerührt befinden, da aber der dritte, als ein junger freveler Mensch, ihnen zusprach, u. sich vernehmen ließ, daß ich bey itzigen Umständen mich um ihr Leben u. Wandel gar nichts zu bekümmern, vielweniger ihnen etwas zu befehlen hätte, giengen sie alle drey höchst verdrießlich von mir.

Mittlerzeit aber, da ich diese Straf-Predigt gehalten, hatten die zwey frommen Indianer Christianus und Petrus, auf meinen Befehl die drey verfluchten Affen-Huren glücklich erwürget, so bald nun die bestialischen Liebhaber dieses Spectacul ersahen, schienen sie gantz rasend zu werden, hätten auch meine Indianer ohnfehlbar erschossen, allein zu allem Glücke hatten sie zwar Gewehr, jedoch weder Pulver noch Bley, weiln der wenige Rest desselben in meiner Hütte verwahret lag. In der ersten Hitze machten sie zwar starcke Gebärden, einen Krieg mit mir und den Meinigen anzufangen, da ich aber meinen Leuten geladenes Gewehr und Schwerdter gab, zogen die schändlichen Buben zurücke, dahero ich ihnen zurieff: sie solten auf guten Glauben herzu kommen, und diejenigen Geräthschafften abholen, welche ich ihnen aus Barmhertzigkeit schenckte, nachhero aber sich nicht gelüsten lassen, über den Nord-Fluß, in unser Revier zu kommen, widrigenfalls wir sie als Hunde darnieder schiessen wolten, [599] weil geschrieben stünde: Du sollst den Bösen von dir thun.

Hierauff kamen sie alle drey, und langeten ohne ein eintziges Wort sprechen diejenigen Geschirre und andere höchstnöthigen Sachen ab, welche ich durch die Indianer entgegen setzen ließ, und verlohren sich damit in das Ostliche Theil der Insul, so daß wir in etlichen Wochen nicht das geringste von ihnen zu sehen bekamen, doch war ich nebst den Meinigen fleißig auf der Hut, damit sie uns nicht etwa bey nächtlicher Zeit überfallen und erschlagen möchten.

Allein hiermit hatte es endlich keine Noth, denn ihr böses Gewissen und zaghaffte Furchtsamkeit mochte sie zurück halten, jedoch die Rache folgte ihnen auf dem Fusse nach, denn die Bösewichter musten kurtz hernach einander erschröcklicher Weise selbsten aufreiben, und den Lohn ihrer Boßheiten geben, weil sich niemand zum weltlichen Richter über sie aufwerffen wolte.

Eines Tages in aller Frühe, da ich den dritten Theil der Nacht-Wache hielt, hörete ich etliche mahl nach einander meinen Nahmen Don Valaro von ferne laut ausruffen, nahm derowegen mein Gewehr, gieng vor die Hütte heraus, und erblickte auf dem gemachten Damme des Nord-Flusses, einen von den dreyen Bösewichten stehen, der mit der rechten Hand ein grosses Messer in die Höhe reckte. So bald er mich ersahe, kam er eilends herzu gelauffen, da aber ich mein aufgezogenes Gewehr ihm entgegen hielt, blieb er etwa 20. Schritt vor mir stehen und schrye mit lauter Stimme: Mein Herr! mit diesem Messer habe ich in vergangener [600] Nacht meine Cameraden ermordet, weil sie mit mir um ein junges Affen-Weib Streit anfiengen. Der Weinbeer und Palmen-Safft hatte uns rasend voll gemacht, sie sind beyde gestorben, ich aber rase noch, sie sind ihrer grausamen Sünden wegen abgestrafft, ich aber, der ich noch mehr als sie gesündiget habe, erwarte von euch einen tödtlichen Schuß, damit ich meiner Gewissens-Angst auf einmahl loß komme.

Ich erstaunete über dergleichen entsetzliche Mord-Geschicht, hieß ihm das Messer hinweg werffen und näher kommen, allein nachdem er gefragt: Ob ich ihn erschiessen wolle? und ich ihm zur Antwort gegeben: Daß ich meine Hände nicht mit seinem Blute besudeln, sondern ihn GOTTES zeitlichen und ewigen Gerichten überlassen wolle; fassete er das lange Messer in seine beyden Fäuste, und stieß sich selbiges mit solcher Gewalt in die Brust hinein, daß der verzweiffelte Cörper sogleich zur Erden stürtzen und seine schandbare Seele ausblasen muste. Meine verschiedenen Gemüths-Bewegungen presseten mir viele Thränen aus den Augen, ohngeacht ich wohl wuste, daß solche lasterhaffte Personen derselben nicht werth waren, doch machte ich, mit Hülffe meiner beyden Getreuen, sogleich auf der Stelle ein Loch, und scharrete das Aaß hinein. Hierauff durchstreifften wir die Ostliche Gegend, und fanden endlich nach langem Suchen die Hütte, worinnen die beyden Entleibten beysammen lagen, das teufflische Affen-Weib saß zwischen beyden inne, und wolte durchaus nicht von dannen weichen, weßwegen ich das schändliche Thier gleich auf der Stelle [601] erschoß, und selbiges in eine Stein-Klufft werffen ließ, die beyden Viehisch-Menschlichen Cörper aber begrub ich vor der Hütte, zerstörete dieselbe, und nahm die nützlichsten Sachen daraus mit zurück in unsere Haußhaltung. Dieses geschahe in der Weinlese-Zeit im Jahre 1527.

Von nun an führte ich mit meinen beyden Getreuen christlichen Indianern die allerordentlichste Lebens-Art, denn wir beteten täglich etliche Stunden mit einander, die übrige Zeit aber wurde theils mit nöthigen Verrichtungen, theils aber in vergnügter Ruhe zugebracht. Ich merckte an keinen von beyden, daß sie sonderliche Lust hätten, wiedrum zu andern Menschen zu gelangen, und noch vielweniger war eine Begierde zum Frauen-Volck an ihnen zu spüren, sondern sie lebten in ihrer guten Einfalt schlecht und gerecht. Ich vor meine Person empfand in meinem Hertzen den allergrösten Eckel an der Vermischung mit dem Weiblichen Geschlechte, und weil mir ausserdem der Appetit zu aller weltlichen Ehre, Würde, und den darmit verknüpfften Lustbarkeiten vergangen war, so fassete den gäntzlichen Schluß, daß, wenn mich ja der Höchste von dieser Insul hinweg, und etwa an andere christliche Oerter führen würde, daselbst zu seinen Ehren, vermittelst meiner kostbaren Schätze, ein Closter aufzubauen, und darinnen meine Lebens-Zeit in lauter GOttes-Furcht zuzubringen.

Im Jahr Christi 1538. starb auch der ehrliche getauffte Christ, Petrus Gutmann, welchen ich nebst dem Christiano hertzlich beweinete, und ihn [602] aufs ordentlichste zur Erde bestattete. Er war ohngefähr etliche 60. Jahr alt worden, und bißhero gantz gesunder Natur gewesen, ich glaube aber, daß ihn ein jählinger Trunck, welchen er etwas starck auf die Erhitzung gethan, ums Leben brachte, doch mag er auch sein ihm von GOtt bestimmtes, ordentliches Lebens-Ziel erreicht haben.

Nach diesem Todes-Falle veränderten wir unsere Wohnung, und bezogen den grossen Hügel, welcher zwischen den beyden Flüssen fast mitten auf der Insul lieget, allda baueten wir eine geraumliche Hütte, überzogen dieselbe dermassen starck mit Laub-Werck, daß uns weder Wind noch Regen Verdruß anthun konte, und führeten darinnen ein solches geruhiges Leben, dergleichen sich wohl alle Menschen auf der gantzen Welt wünschen möchten.

Wir haben nach der Zeit sehr viel zerscheiterte Schiffs-Stücken, grosse Ballen und Pack-Fässer auf den Sand-Bäncken vor unserer Insul anländen sehen, welches alles ich und mein Christian, vermittelst eines neugemachten Flosses, von dannen herüber auf unsere Insul holeten, und darinnen nicht allein noch mehrere kostbare Schätze an Gold, Silber, Perlen, Edlen-Steinen und allerley Hauß-Geräthe, sondern auch Kleider-Werck, Betten und andere vortreffliche Sachen fanden, welche letztern unsern Einsiedler-Orden von aller Strengigkeit befreyeten, indem wir, vermittelst desselben, die Lebens-Art aufs allerbequemste einrichten konten.

[603] Neunzehn gantzer Jahre habe ich nach des Petri Tode mit meinem Christiano in dem allerruhigsten Vergnügen gelebt, da es endlich dem Himmel gefiel, auch diesen eintzigen getreuen Freund von meiner Seite, ja von dem Hertzen hinweg zu reissen. Denn im Frühlinge des 1557ten Jahres fing er nach und nach an, eine ungewöhnliche Mattigkeit in allen Gliedern zu empfinden, worzu sich ein starcker Schwindel des Haupts, nebst dem Eckel vor Speise und Tranck gesellete, dahero ihm in wenig Wochen alle Kräffte vergingen, biß er endlich am Tage Allerheiligen, nehmlich am 1. Novembr. selbigen Jahres, früh bey Aufgang der Sonnen, sanfft und seelig auf das Verdienst Christi verschied, nachdem er seine Seele in GOttes Hände befohlen hatte.


Die Thränen fallen aus meinen Augen, indem ich dieses schreibe, weil dieser Verlust meines lieben Getreuen mir in meinem gantzen Leben am allerschmerzlichsten gewesen. Voritzo, da ich diesen meinen Lebens-Lauff zum andern mahle aufzuzeichnen im Begriff bin, stehe ich in meinem 105ten Jahre, und wünsche nur dieses:


Meine Seele sterbe des Todes der Gerechten, und mein Ende werde wie meines getreuen Christians Ende.


Den werthen Cörper meines allerbesten Freundes habe ich am Fusse dieses Hügels, gegen Morgen zu, begraben, und sein Grab mit einem grossen [604] Steine, worauf ein Creutz nebst der Jahr-Zahl seines Ablebens gehauen, bemerckt. Meine Augen sind nachhero in etlichen Wochen niemahls trocken von Thränen worden, jedoch, da ich mir nachhero den Allerhöchsten zum eintzigen Freunde erwehlte, so wurde auf gantz besondere Art getröstet, und in den Stand gesetzt, mein Verhängniß mit gröster Gedult zu ertragen.

Drey Jahr nach meines liebsten Christians Tode, nehmlich im Jahr 1560. habe ich angefangen in den Hügel einzuarbeiten, und mir auf die Winters-Zeit eine bequeme Wohnung zuzurichten. Du! der du dieses liesest, und meinen Bau betrachtest, wirst gnungsame Ursache haben, dich über die Unverdrossenheit eines eintzelnen Menschen zu verwundern, allein, bedencke auch die lange Weile, so ich gehabt habe. Was solte ich sonst nutzbares vornehmen? Zu meinem Acker-Bau brauchte ich wenige Tage Mühe, und bekam jederzeit hundertfachen Segen. Ich habe zwar gehofft, von hier hinweg geführet zu werden, und hoffe es noch, allein, es ist mir wenig daran gelegen, wenn meine Hoffnung, wie bißhero, vergeblich ist und bleibt.

Den allergrösten Possen haben mir die Affen auf dieser Insul bewiesen, indem sie mir mein Tage-Buch, in welches ich alles, was mir seit dem Jahr 1509. biß auf das Jahr 1580. merckwürdiges begegnet, richtig aufgezeichnet hatte, schändlicher [605] Weise entführet, und in kleine Stücken zerrissen, also habe ich in dieser zweyten Ausfertigung meiner Lebens-Beschreibung nicht so ordentlich und gut verfahren konnen, als ich wohl gewollt, sondern mich eintzig und allein auf mein sonst gutes Gedächtniß verlassen müssen, welches doch Alters wegen ziemlich stumpff zu werden beginnet.

Immittelst sind doch meine Augen noch nicht dunckel worden, auch bedüncket mich, daß ich an Kräfften und übriger Leibes-Beschaffenheit noch so starck, frisch und ansehnlich bin, als sonsten ein gesunder, etwa 40. bis 50. jähriger Mann ist.

In der warmen Sommers-Zeit habe ich gemeiniglich in der grünen Laub-Hütte auf dem Hügel gewohnet, zur Regen- und Winters-Zeit aber, ist mir die ausgehaune Wohnung unter dem Hügel trefflich zu statten gekommen, hieselbst werden auch diejenigen, so vielleicht wohl lange nach meinem Tode etwa auf diese Stelle kommen, ohne besondere Mühe, meine ordentlich verwahrten Schätze und andere nützliche Sachen finden können, wenn ich ihnen offenbare, daß in der kleinsten Kammer gegen Osten, und dann unter meinem Steinernen Sessel das allerkostbarste anzutreffen ist.

Ich beklage nochmahls, daß mir die leichtfertigen Affen mein schönes Tage-Buch zerrissen, denn wo dieses vorhanden wäre, wolte ich dir, mein zukünfftiger Leser, ohnfehlbar noch ein und andere nicht unangenehme Begebenheiten und Nachrichten beschrieben haben. Sey immittelst [606] zu frieden mit diesen wenigen, und wisse, daß ich den Vorsatz habe, so lange ich sehen und schreiben kan, nicht müßig zu leben, sondern dich alles dessen, was mir hinfüro noch sonderbares und merckwürdiges vorkommen möchte, in andern kleinen Büchleins benachrichtigen werde. Voritzo aber will ich diese Beschreibung, welche ich nicht ohne Ursach auch ins Spanische übersetzt habe, beschliessen, und dieselbe bey Zeiten an ihren gehörigen Ort beylegen, allwo sie vor der Verwesung lange Zeit verwahret seyn kan, denn ich weiß nicht, wie bald mich der Todt übereilen, und solchergestalt alle meine Bemühung nebst dem guten Vorsatze, meinen Nachkommen einen Gefallen zu erweisen, gäntzlich zernichten möchte. Der GOtt, dem ich meine übrige Lebens-Zeit aufs allereiffrigste zu dienen mich verpflichte, erhöre doch, wenn es sein gnädiger Wille, und meiner Seelen Seeligkeit nicht schädlich ist, auch in diesem Stücke mein Gebeth, und lasse mich nicht plötzlich, sondern in dieser meiner Stein-Höle, entweder auf dem Lager, oder auf meinem Sessel geruhig sterben, damit mein Cörper den leichtfertigen Affen und andern Thieren nicht zum Spiele und Scheusal werde, solte auch demselben etwa die zukünfftige Ruhe in der Erde nicht zugedacht seyn: Wohlan! so sey diese Höle mir an statt des Grabes, bis zur fröhlichen Auferstehung aller Todten.


* * *


[607] So viel ists, was ich Eberhard Julius von des seeligen Don Cyrillo de Valaro Lebens-Beschreibung aus dem Lateinischen Exemplar zu übersetzen gefunden, kömmt es nicht allzu zierlich heraus, so ist doch dem Wercke selbst weder Abbruch noch Zusatz geschehen. Es sind noch ausser diesem etliche andere Manuscripta, und zwar mehrentheils in Spanischer Sprache vorhanden, allein, ich habe bißhero unterlassen, dieselben so wohl als die wenigen Lateinischen ins Deutsche zu übersetzen, welches jedoch mit der Zeit annoch geschehen kan, denn sein Artzeney-Buch, worinnen er den Nutzen und Gebrauch der auf dieser Insul wachsenden Kräuter, Wurtzeln und Früchte abhandelt, auch dabey allerley Kranckheiten und Schäden, die ihm und seinen Gefährten begegnet sind, erzehlet, verdienet wohl gelesen zu werden, wie denn auch sein Büchlein vom Acker- und Garten-Bau, ingleichen von allerhand nützlichen Regeln wegen der Witterung nicht zu verachten ist.

Fußnoten

1 Es ist fast zu vermuthen, daß der Autor solchergestalt auf die jetziger Zeit so genannten Insulas Salomonis gekommen, jedoch in Erwegung anderer Umstände können auch wohl nur die Peru und Chili gegen über gelegenen Insuln gemeynet seyn.

Zweyter Theil

Vorrede
Vorrede.
Geneigter Leser,

Promissa sunt servanda. Dieses löbliche Sprichwort heisset in deutschen ungezwungenen Reim-Worten so viel, als:


Versprechen und halten
Steht wohl bey Alt- und Jungen.

Wiewohl nun ich, mich noch zur Zeit weder unter die Alten noch Jungen rechnen kan, so befinde mich dennoch schuldig, deinen curieusen Augen diesen Zweyten Theil der Felsenburgischen Geschichts-Beschreibung vorzulegen, zumahlen ich gewisser massen überzeugt bin, daß der erste Theil, wenigstens von solchen Leuten, die quid Juris verstehen, vor passable erkannt und angenommen worden.

Es hat zwar Jemand, nachdem er Permission gebethen, meine Paruque ein wenig auf die Seite zu schieben, das Trommel-Fell meines Gehörs ziemlich gerühret, indem er mir das sonderbare Arcanum publicum anvertrauet: was maßen dieser Andere Theil vielen zum Plaisir, einem oder etlichen aber zum starcken Chagrin gereichen würde; Allein diese mit mei ner Schreib-Feder poussirte Statue in octav (von deren groben oder subtilen Ausarbeitung itzo die Rede nicht ist) flätzschet zwar eben die Zähne nicht, wenn ihr jemand in vorbey gehen eine freundlicheMine macht, ich aber kan doch auch nicht gut darvor seyn, daß die darinnen versteckte Orgel-Pfeiffe nicht brummen solte, wenn ein naseweiser, qveer Feld einblasender Wind deren Ventil mit Gewalt aufklappen wolte.

Per Tertium, Quartum & Quintum ist mir auch gesteckt worden, daß noch ein anderer Jemand (welchen man mir eben nicht nahmhafft machen wollen) wegen einer im Ersten Theile mit angeführten Liebes-Begebenheit, seinen unzeitigen Eiffer ausgeschüttet, dabey aber, ich weiß nicht, ob aus Einfalt oder Schein-Heiligkeit selbst gestanden, daß er dieserwegen so gleich einen Eckel am gantzen Buche empfangen, und weiter nichts darinnen lesen wollen.

Wiewohl man nun mit Leuten, die sich in ihren Beurtheilungen allzusehr zu übereylen gewohnt, ein billiges Mitleyden trägt, so sehe doch nicht, warum man sich eben scheuen dürffte, ihnen mit aller Höflichkeit eine Prise Schnupff-Toback zur Reinigung des Haupts anzubiethen.

Demnach möchte doch ein dergleichen imbestallterCensor, solche Sachen nicht schlechterdings auf der lincken Seite betrachten, und erstlich darthun: ob die im Ersten Theile pag. 35. seq. befindliche Liebes-Geschicht des Capitain Wolffgangs, propter imitationem von ihm erzehlet, und von mir nachgeschrieben worden? Oder ob Herr Wolffgang, oder ein anderer dergleichen Ausschweiffungen approbiret habe? Ich glaube, wenn man sich bemünen will pag. 54. von lin 28. und pag. 85. von lin. 15. an, ein wenig fort zu lesen, so wird sich vermuthlich die Sache selbst defendiren, und mich einer Mühe, die mir ohnedem nicht hinlänglich bezahlet werden möchte, überheben.

Sonsten mag es doch wohl nicht gäntzlich unwahr seyn, daß sich heutiges Tages in der Welt eine gewisse Art von Sonderlingen und Super-klugen Leuten auffhalten soll, welche, wenn es allein nach ihren Köpffen gienge, wohl gar verschiedene Capitel der Heil. Bibel ausmertzen, ja die gantze reine und lautere Theologie, in eine andere, nach ihrer Phantasie gemachte Forme giessen möchte; Also nimmt es mich gar kein Wunder, daß etwa ein oder anderer von dieser Sorte an meinen guten Capit. Wolffgange und andern Seefahrern zum Ritter werden will, indem sie sich, wie mir gesagt ist, ungemein gern in alle und allerley Handel mengen. Jedoch nicht zu hitzig meine feine Herrn, mein Rath wäre, ihr liesset die Seefahrer und Felsenburgischen Einwohner, ihrer Lebens-Art und gemachten Anstallten halber, immer zu frieden, denn sie befinden sich im Stande ihre eigenen Vertheydiger zu seyn.

Was diesem Geschicht-Buche auch von Jemanden vor ein sauberer Titul durch Briefe beygelegt und sonsten mit gemeldet worden, will dem Verleger zu Gefallen so deutlich nicht anführen. Aber mein Freund, sage mir, wer hat dich zum Ausgeber oder Wagmeister der göttlichen Gnade gemacht? oder wer bist du, daß du einen frembden Knecht richtest.

Deinen Principiis nach dörfften solchergestalt gar keine Historien von allerley Lastern, Mord, Diebsstreichen und dergleichen geschrieben werden, und zwar unter dem läppischen Vorwande, daß nicht etwa ein oder anderer zu dergleichen Lastern angereitzet werden möchte. Jedoch zur Zeit höret man nicht, daß sich jemand über etwas anders aufgehalten, als wenn etwa die Species facti eines Fehltritts über das 6te Geboth, ob schon in den allerverantwortlichsten Terminis aufs Tapet gekommen, hierbey aber werden die gezeigten üblen Folgerungen, Straffen, Erkänntniß und Reue über dergleichen Sünden, als der eigentliche Spiegel in keine Consideration gezogen.

Könte es denn aber auch wohl möglich seyn, daß sich manche Leute in eingebildeter vollkomener Weißheit und Erkäntniß, von ihren schwermenden Affecten regiren liessen? Solle denn bey einem oder dem andern etwa der Pfahl gerüttelt seyn, der ihm im Fleische steckt? Man sagt zwar sonst: Wer gern tantzt, dem ist leicht gepfiffen. Wer ausserordentlich verliebt ist, findet leicht was in seinen Krahm dienet. Wer gern stiehlt, macht sich die Gelegenheit auch auf den schlechtesten Wochen-Märckten zu Nutze. Aber was kan denn ein Geschichtschreiber davor, wenn lasterhaffte Leute sein vorgestecktes Ziel mit Fleiß verfehlen, andere hingegen alles zu Poltzen drehen wollen.

Es würde zwar eben keine Herculeische Arbeit kosten, diese Materie etwas deutlicher, gründlicher und weitläufftiger auszuführen, jedoch weil ich eben itzo bald Mittags-Ruhe zu halten gesonnen bin, auch ausserdem den geneigten Leser nicht mit einer solchen Vorrede aufhalten mag, welche durchzulesen, kaum der 20te Tag des Monats Junii lang genug seyn möchte, so will obgemeldten censirenden Mückenseigern an statt der Felsenburgischen Geschichte, das 23.Cap. Mathæi zum desto fleißigern Durchlesen und sich selbst zum aufrichtigen Erklären freundlich anrecommendiret haben, sonsten aber versichern, daß es bey künfftigen Attaquen einiger Grillenfänger oderMocqueurs halten werde, wie der weyland ehrliche Weidemann Erasmus. Denn dieser konte, jedoch sans comparaison, seinen Haasen nach belieben schiessen, oder auch lauffen lassen.


Tityre, tu patulae recubans sub tegmine fagi.


Liege nur immer stille und laß mich mit meiner Felsenburgischen Geschicht ungepfoppt, denn man wird zu weilen auch im Schatten von kleinen Mücken gestochen, welche sich nicht so leicht fangen und erdrücken lassen.

Basta! Ich muß aber noch mit wenigen melden, daß wenn 1) ja jemand so curieus seyn solte zu fragen: Warum ich einige Nahmen der Länder, Städte und Menschen entweder gar aussen gelassen, verkehrt oder nur mit den Initial Buchstaben und darzu gesetzten Sternleins ausdrucken lassen? ihm ad interim, bis wir einander mündlich sprechen, schrifftlich zur Antwort dienet: wie ich meine gewissen Raisons darzu gehabt, welche nach eingezogenen umständlichern Berichte hoffentlich kein Vernünfftiger tadeln wird. 2.) Dürffte vielleicht sich ein oder anderer an die im Ersten Theile mit eingeschlichenen Druck-Fehler gestossen haben, weil aber hoffe, daß dadurch eben keine blauen Flecke an den Schienbeinen oder verdrüßliche Excrescenzen an der Stirn verursacht worden, so bezeuge hingegen meine Unschuld, indem das Manuscript hoffentlich ziemlich Orthographice gewesen, der beste Setzer und Corrector aber auch leichtlich etwas übersehen kan. Im übrigen werden es wohl gar kleine Kleinigkeiten seyn, welche der Hauptsache keinen besondern Abbruch thun. 3). Sage ich noch einmahl und bleibe dabey, daß es mir gleich viel gilt, es mag ein oder ander, viel, wenig, oder gar nichts von der Wahrheit dieser Geschichte glauben, oder darauf bestehen bleiben, daß ich mich in der Vorrede ziemlich verdächtig gemacht, als ob ich selbst nicht viel davon glaubte. Genug, es ist keine Gewissens-Sache, und ausserdem des Heil. Römischen Reichs Wohlfarth gar nicht damit verknüpfft. Bey Leuten aber, die mit läppischen Vorurtheilen schwanger gehen, auch so gar das, was doch vor aller Menschen Augen probabel ist, nicht einmahl in ihr viereckigtes Gefäße des Gehirns fassen können, nähme ich mir nicht einmahl die Mühe einen ad hunc actum nothwendigen Policischen Staar-Stecher abzugeben.

Noch etwas kömmt mir, indem ich dieses schreibe zu Ohren, es sollen sich nehmlich ein paar Gelehrte über die in der Vorrede des Ersten Theils auf der vierdten Seite lin. 10 & seq. befindliche Zeilen: Wo mir recht ist, halten – – sapienti sat: aufgehalten und dieselben als etwas zu leichtsinnige beurtheilet haben; Allein an statt darauf zu antworten, will dieselben gantz freundlich auf die Vorreden des seeligen HerrnDoct. Lutheri über das Buch Judith und Tobiä verweisen, und damit Holla!

Ubrigens will diesen Andern Theil der Felsenburgischen Geschichte nicht weiter recommandiren, als nachdem ihn der geneigte Leser nach seinem Geschmack befinden möchte, zumahlen ich voritzo nicht mehr Zeit zu verliehren habe, als meiner Schuldigkeit nach annoch zu versichern, daß ich sey


Des geneigten Lesers


den 2. Dec.
1731.

bereitwilligster Diener

so weit es rathsam und möglich ist

GISANDER.


[1] Kaum hatte Hn. Leonhard Wolffgangs kostbare Englische Uhr, welche nach Mons. Litzbergs in Felsenburg verfertigten Sonnen-Zeiger aufs accurateste gestellet war, Nachts zwischen dem 31. Dec. und 1.Jan. durch zwölff hellklingenge Schläge den völligen Abschied des 1725sten Jahres angemeldet, als nur erwehnte zwey werthen Freunde, so wohl als ich Eberhard Julius, unsere bereits brennenden Zünd-Ruthen ergriffen, und 6. von den auf dem Alberts-Hügel gepflantzten stärcksten Canonen, binnen einer Stunde 4. mahl nöthigten: ihre scharff eingepreßte Ladung mit Blitz und Donnern von sich zu sprühen, da uns denn bey jeglicher Salve von den 4. Wacht-Häusern auf den Felsen-Höhen, jedes Orts aus 3 Canonen geantwortet wurde; wiewohl die auf der Nord- und Ost Gegend stehenden, wegen eines starcken Süd-West-Windes sehr dumpffig, im Gegentheil die gegen Süden und Westen desto schärffer knalleten.

Nachdem aber solchergestallt das Neue 1726ste Jahr erfreulich bewillkommet und dessen Eintritt allen Felsenburgischen Einwohnern kund gethan worden, legten wir uns noch einige Stunden zur Ruhe [1] berufften aber früh Morgens um 6. Uhr, durch 3. abermahlige Canonen-Schüsse, alle andächtige Hertzen zum eiffrigen GOttes-Dienste; welchen Herr Mag. Schmeltzer in einer herrlichen Predigt als die allervortrefflichste Sache zur Erneuerung im Geist unseres Gemüths, nach den Worten Pauli Ephes. 4. v. 23. 24. aufs Beste recommendirte und damit gewißlich bey allen und jeden starcken Eindruck that.

Gleich nach vollbrachten zweymahligen Gottes-Dinste, ließ Herr Wolffgang, nochmahls alle Insulaner auf morgenden Tag, zu einer erlaubten christlichen Ergötzlichkeit, wegen seiner vor wenig Wochen getroffenen Heyrath, einladen, welche denn alle, so wohl grosse als kleine, nicht ermangelten, sich gegen die Mittags-Zeit in ihrer reinlichsten Kleydung einzustellen. Es waren hierzu bereits seit etlichen Tagen mit gröstem fleisse alle behörige Anstallten gemacht worden, weßwegen sich in jedem Stücke die schönste Ordnung zeigte. Denn auf der schönen Ebene am Fusse des Alberts-Hügels zwischen beyden Alleeen hatte Herr Wolffgang die Sitz-Städten in die Erde eingraben, die Tische mit grünen Rasen erhöhen und besetzen, rings herum aber alles mit grünen Laubwerck verzäunen, und vor den heissen Sonnen-Strahlen oben verdecken lassen, so daß es recht mit Lust anzusehen war. Es wird dem geneigten Leser nicht zuwieder seyn, daß ich einen kleinen Grund-Riß davon beyfüge.


A. Die Braut-Tafel.

B. Der Christians-Raumer Tisch.

C. Der Alberts-Raumer Tisch.

[2] D. Der Stephans-Raumer Tisch.

E. Der Johannis-

F. Der Christophs-

G. Der Jacobs-

H. Der Simons-

I. Der Davids-

K. Der Roberts-Raumer Tisch.

L. 4. Koch- und Brat-Städten.

M. 3. tieffe und oben verdeckte Gruben, worinnen der Wein und ander köstlich Geträncke vorräthig war.



An der Braut-Tafel lassen: 1. Herr Wolffgang, 2. dessen Liebste Sophia, 3. Der Alt-Vater Albertus. 4. Der Braut-Vater Christian Julius, 5. Hr. M. Schmeltzer, 6. 7. Albertus Julius II. und dessen Ehe-Frau Judith, 8. 9. Stephanus Julius und dessen Ehe-Frau Sabina, 10. Christoph Julius, 11. 12. David Julius und dessen Ehe-Frau Christina, 13. Mons. Litzberg. 14.Mons. Kramer, 15. Mons. Plager, 16. Ich EberhardJulius. Jedoch wir 4. Letztern blieben die kurtzeste Zeit sitzen, halffen vielmehr aus Liebe gegen den Herrn Wolffgang, unsern andern letzt mit gekommenen Cammeraden, die einheimischen Gäste bewirthen, welche sich, wie aus dem gemachten Abrisse zu ersehen, Geschlechter weise, jedes an einen besondern Tisch, rangiret hatten. Der Alt-Vater aber hatte aus jedem Geschlechte einige Manns- und Weibs-Personen, die sich am besten auf die zubereitung der Speisen verstunden, auserlesen; weil nun an allerhand feisten Wildpret, zahmen und wilden Ziegen-Fleisch, grossen und kleinen Vögeln, vielerley arten von Fischen, Schildkröten, [3] See-Kälbern, Vögel- und Schildkröt-Eyern, allerhand frischen und eingemachten Kräutern, Wurtzeln und köstlichen Früchten kein Mangel, sondern vielmehr alles zum überflusse bey Handen war, wurde gewißlich eine dermassen delicate Mahlzeit angerichtet, daß wir sämtl. Europäer zur Verwunderung gnungsame Ursache fanden. Ob nun gleich das Tafel-Zeug und andere Geräthschafften nicht so zierlich und überflüßig als in Teutschland und anderen wollüstigen Ländern bey dergleichen Gastereyen anzutreffen; so gieng doch alles sehr reinlich, ordentlich und vergnügt zu, zumahlen da eitler Pracht, Hoffart, Ehr-Geitz, Uppigkeit nebst der schändlichen Mocquerie von dieser Insul gäntzlich verbannet zu seyn schiene, hergegen lauter treuhertzigkeit und fromme Einfalt die dasige Lebens-Art desto lieblicher machte. Ich will aber eben keine unnöthige Beschreibung von den aufgesetzten vielerley Speisen Gebackens, Confituren und mancherley Arten von Geträncke machen, indem ich die Zeit, Dinte, Federn und Pappier an merckwürdigere Geschichte zu spendiren habe, also nur kürtzlich nochmahls bekräfftigen, daß bey der Mahlzeit alles vergnüglich, ehrbar und ordentlich zugieng.

Nach der Mahlzeit, welche über 4. Stunden lang gehalten war, stellete Herr Wolffgang vor die jungen Leute beyderley Geschlechts, ein Wettlauffen an, indem er etliche niedrige grüne Bäume aufrichten, und dieselben mit allerley artigen Europäischen Waaren behängen lassen, da denn die Hurtigsten ihre Mühe mit den besten Stücken belohnet fanden, die übrigen aber mit den geringern Sachen vorlieb [4] nehmen musten. Immittelst hatten die Alten ihr Vergnügen dieses Spiel mit anzusehen, welches biß nach untergang der Sonnen währete. Worauff von einem gantzen Centner gebrandter Caffee-Bohnen, nebst behöriger Quantität Zucker, ein angenehmes warmes Geträncke zubereitet wurde, ob aber gleich nicht gnungsame darzu gemachte Coffee-Schälchen vorhanden waren, so muste doch ein jeder, der diesen Nectar aus einem andern bequemen Geschirr zu trincken das eintzige Malheur hatte, bekennen: daß dem ohngeacht seiner delicatesse nicht das geringste abgienge. Da nun die Lustbarkeiten des ersten Hochzeit-Tages, mit eintretender geringen Demmerung ihre Endschafft erreicht, begaben sich die mehresten Hochzeit-Gäste auf den Weg ihre Nacht-Ruhe zu suchen, nachdem sie erinnert worden morgenden Tages, und zwar etwa 3. Stunden nach aufgang der Sonnen, wiederum auf dem Tafel-Platze zu erscheinen. Es nahmen aber die nächst gelegensten Geschlechter, als nehmlich die Alberts-Simons-Christians- und Stephans-Raumer ihre etwas weiter abgelegenen Freunde mit in ihre Behausungen, wie denn auch eine ziemliche Anzahl der weit abgelegenen, ihr Logis auff der Alberts-Burg fanden.

Unser Altvater ließ sich zwar nebst den andern Aeltesten auch in seine Burg fahren, welchen wir Jüngern biß in sein gewöhnliches Zimmer folgeten; da aber derselbe noch keine Lust zum Schlafen bezeugte, sondern uns beredete mit ihm noch ein paar Pfeiffen Toback bey einem Truncke seines wohl abgesottenen Gersten-Wassers, zu rauchen, war ein jeder [5] bereit dem Altvater, der sich diesen Tag über alle massen vergnügt bezeigt hatte, mit grössern Appetit zu gehorsamen. Selbst Herr Mag. Schmeltzer, der doch sonsten eben kein sonderlicher Liebhaber vom Toback rauchen war, ließ sich diesen Abend bereden: ein Pfeiffgen mit anzustecken, worbey jedennoch allerhand erbauliche Gespräche geführet wurden, biß endlich der Altvater Albertus, mit guter Art, sein gantz besonderes Verlangen zu vernehmen gab, nach und nach bey bequemer Gelegenheit eines jeden, letzlich mit angekommenen, Europäers wahrhaffte Lebens-Geschicht anzuhören. Da nun Herr Mag. Schmeltzer so wohl als die andern alle, dessen Verlangen so billig, als sich schuldig befanden, eine Höfflichkeit, nach Vermögen, mit der andern zu vergelten, machte erst gemeldter ohne einziges Verzögern selbsten den Anfang, und erzehlete folgender massen seine eigene, nehmlich:

Die Lebens-Geschichte Herrn Mag. Schmeltzers
Die Lebens-Geschichte Herrn Mag. Schmeltzers.

Ich Ernst Gottlieb Schmelzer, bin der zweyte Sohn eines Evangelisch-Lutherischen Predigers, der in einem Pohlnisch-Preußischen, ohnweit Elbing gelegenen Dorffe sein heil. Ammt zu verwalten hatte. Der 28. Aug. des 1692sten Jahres ist mein Gebuhrts-Tag gewesen, und von diesem Tage an, haben meine seel. Eltern keinen Fleiß gesparet, mich nebst meinem ältern Bruder und einer älteren Schwester, so GOtt gefällig, als die nachkommenden zwey jüngern Brüder und eben so viel Schwestern auffzuziehen. Wir Kinder, bekamen gleich [6] von zarter Kindheit an einen guten Informatorem, nebst einer besondern Wart-Frau, denn meine Mutter hatte eine sehr schwere Hauß-Wirthschafft zu besorgen, zumahlen da mein Vater als ein exemplarischer Priester allzugewissenhafft war, sich um die Nahrungs-Sorgen zu bekümmern, dahingegen er seinem Beruffe auffs eiffrigste nachzukommen trachtete.

Allein eben dieser preißwürdige Eiffer, brachte meinen seel. Vater in seinen besten Jahren um das zeitliche Leben, und zwar bey solcher Gelegenheit: Es hatten bey denen, im Jahre 1703. vor Pohlnisch-Preussen sehr gefährlichen Krieges-Läuffen, zwey Schwedische Officiers, ohnfern von unserm Dorffe Kugeln gewechselt; worvon der eine sehr gefährlich, und zwar der Medicorum Aussage nach, durch den Magen und Unterleib geschossen war. So wohl dieMedici, als Chirurgi, hatten diesen elenden Patienten, nach vernünfftiger Untersuchung der Blessur, so gleich das Leben abgesprochen; und zwar in Erwegung seines jederzeit geführten ruchlosen Lebens, ihn um so viel desto eher dahin zu reitzen; den wenigen Rest seiner Lebens-Zeit, noch zur wahren Busse und Versöhnung mit GOtt anzuwenden. Und eben dieser Ursachen wegen, wird mein seel. Vater, von dessen guten Freunden, zu ihm beruffen, wiewohl die zwey ersten Visiten gantz Fruchtloß abgehen, weilen dieseratheistische Patient, weder von der Busse und Bekehrung, und noch vielweniger vom Tode und Sterben etwas hören will. Bald hernach überfällt ihn ein hitziges Wund-Fieber, es fängt derselbe ziemlicher massen an zu rasen, jedoch so bald der paroxismus [7] vorüber, und er nur einiger massen wiederum zu verstande kömt, lassen dessen Freunde nebst denen Medicis und Chirurgis, meinen seel. Vater um Mitternachts-Zeit abermahls inständig bitten, sich dahin zu bemühen und des Patienten Seele aus des Teuffels Rachen zu reissen; weiln allen umständen nach, selbiger schwerlich noch einen Tag überleben würde. Mein seel. Vater lässet an seiner Hurtigkeit und allen er sinnlichen Arten der Uberredung nichts ermangeln, kan aber dennoch seinen Zweck nicht im geringsten erreichen, weiln der Patient ohnabläßig rufft: Man solle ihm den schwartzen Pfaffen von Halse schaffen, oder er müsse verzweiffeln. Mein werther Herr und Freund, sagt endlich mein seel. Vater, ich wolte gern einen weissen, blauen, rothen oder anders gefärbten Rock anziehen, wenn es mir in solcher Kleydung möglich wäre: eure arme Seele aus des Satans Netzen zu wickeln, allein fasset alle eure Vernunfft zusammen und überleget: ob es nicht besser sey einen schwartz gekleydeten Diener GOttes, der den Weg zum Himmel zeiget, als unzählige höllische Geister, die auf die theuer erkauffte Seele lauren, vor seinen Sterbe-Bette zu dulden.

Kaum hat mein seel. Vater die letzte Sylbe seiner Worte ausgesprochen, als der vom Satan gestärckte Patient ohnvermuthet aus dem Bette springt, ihn samt seinen Sessel zu boden stösst, über meinen seel. Vater herfällt, und dessen Gesicht mit den Finger-Nägeln aufs grimmigste zerkratzt, über dieses ihm zwey Bisse in die Backen und den dritten in das lincke Ohr versetzt, ja endlich denselben ohnfehlbar [8] erstickt hatte, wenn nicht 5. starcke Manns-Personen herzu gesprungen, und diesen Mord-Buben mit äuserster Gewalt zurück gerissen hätten.

Es brachten demnach etliche Leute meinen gantz ohnmächtigen Vater nach Hause geführet, welcher so gleich ins Bette gelegt, und von den besten Medicis besucht und besorgt wurde. Der verzweiffelte Höllen-Brand hatte noch vor Anbruch des Tages, seine durchteuffelte Seele, mit erschrecklichen brüllen ausgeblasen, mein seel. Vater aber bekam von dem gehabten Schrecken ein entsetzliches hitziges Fieber, worbey ihm der Kopff wegen der ohnfehlbar sehr gifftigen Bisse grausam aufschwall, so daß er ohngeacht alles angewandten Fleisses der Medicorum und Chirurgorum, 7. Tage hernach seinen Geist aufgeben muste.

Also wurde ich in meinen 11ten Jahre nebst meinen 6. andern Geschwistern, von welchen der jüngste Bruder nur etliche Wochen alt war, plötzlich zur armen Waise gemacht, denn obgleich mein Vater bey nahe 16. Jahr in einer sonst sehr austräglichen Pfarre gesessen, so war es doch wegen verschiedener Unglücks-Fälle, die von den allgemeinen Landes-Plagen herrühreten, in seiner Haußhaltung endlich so weit gekommen: daß seine beste Verlassenschafft dem gemeinen Sprichworte nach, in libris & liberis, in Büchern und Kindern bestund. Meine liebe Mutter zohe gleich nach verflossenen Gnaden-Jahre nebst uns Kindern in ihre Geburts-Stadt Elbing, zumahlen da sie von ihrer Mutter Schwester, die eine betagte und Kinderlose Frau war, auf begebenden [9] Sterbe-Fall noch eine ziemliche Erbschafft zu hoffen hatte. Mein ältester Bruder, welcher keine Lust zum Studiren, hingegen desto grössere zur Chirurgie und Barbier-Kunst bezeugte, wurde also in seinem 16ten Jahre zu einem berühmten Meister dieser Profeßion gebracht. Er reisete nach ausgestandenen 3. Lehr-Jahren in die Welt, kam nach 6. jähriger Abwesenheit wieder zu Hause, nahm aber bald darauff Dienste auf der Schwedischen Flotte unter dem Schout bey Nacht Ehrenschild, da aber ein Theil gedachter Flotte am 27. Jul. 1714. von den Russen geschlagen wurde, hatte mein ehrlicher Bruder auch das Unglück, sein junges leben darbey zu verlieren. Ich meines Theils, war von Jugend an desto eiffriger auf die Bücher erpicht, und mein getreuer Informator, gab sich so wohl als mein leiblicher Vater die äuserste Mühe, so bald ich nur das deutliche Reden erlernet, mir zugleich mit der deutschen, auch die lateinische Sprache so zu sagen in der Mutter-Milch einzuflössen. Weiln ich nun die Grund-Regeln derselben nach und nach recht spielende fassete, so setzten mich meine treuen Præceptores auf dem ElbingerGymnasio in meinem 13den Jahre mit in Selectam, wodurch mein beständiger Fleiß um so viel desto mehr angefrischet wurde. Ausser diesem widmete ich meine Frey-Stunden der Choral- und Instrumental-Music, und brachte es durch unermüdete Lust und Liebe, ziemlich weit darinnen. Weiln aber ausser dem Geld-Beutel meiner lieben Mutter, die doch nebst denen noch übrigen 5. Kindern, selbst von der Schnure zehren muste; wenige Beyhülffe zu suchen wuste, indem unsere alte [10] Frau Muhme, als eine dem Geitze sehr ergebene Frau, bey ihren grossen Vermögen noch immer Hungers zu sterben befürchtete: und der Himmel auf einem andern Gymnasio, wegen meiner reinen und ziemlich manierlichen Singe-Stimme, sehr wichtige subsidia vor mich zeigte: schaffte mich meine liebe Mutter auf inständiges Anhalten, unter Vergiessung häuffiger Thränen, mit zufälliger guter Gelegenheit dahin, allwo sonderlich die herrlichen Testimonia meiner Præceptorum, und Recommendations-Schreiben anderer vornehmer Leute mir denprofitablesten Unterhalt verschafften.

Es war kurtz nach Pfingsten des 1707den Jahres, da ich solchergestallt, eine gantz neue und verbesserte Einrichtung in meinem Studiren machte, und weiln mir das Glück favorisirte, mich bey dem ersten Examine so wohl im Peroriren, als in der Elaboration aller vorgegebenen Exercitien, vor andern, die doch weit älter als ich waren, ziemlicher massen hervor zu thun: fiel mir die Gunst vornehmer Schul-Patronen und der neuen Præceptorum in reicherer Masse bey, als ich mir hätte einbilden können. Ein vornehmer Mann, mit dessen 12. jährigen artigen Sohne ich dieHumaniora alltäglich, zu seinem und meinem Nutzen, aufs fleißigste repetiren muste, gab mir aus besonderer Liebe gegen meine Wenigkeit, freyen Tisch, Stube, Holtz, Licht, Wäsche und über dieses alles, noch manchen schönen Thaler an baaren Gelde; ja da er meine besondere Emsigkeit merckte, zohe er selbst noch 4. andere wohlgezogene Knaben zu dieser privat-Ubung, deren Eltern, als lauter vornehme und wohlhabende Leute, [11] mich unverdienter Weise mit Geschencken fast überhäufften. Nächst diesem brachte mir meine Singe-Stimme, die sich Wöchentlich im Chore, alle Sonntage bey der Kirchen-Musique, und dann auch öffters in vornehmer Leute Häuser hören ließ, ein starckes Accidens zu wege, weßwegen ich nach Verlauff des ersten halben Jahres, nach Abzug aller Bedürffnissen, meiner lieben Mutter 6. spec. Ducaten nach Hause schicken konte.

Solcher glückliche Zustand wurd mir aber, nach Verlauf weniger Zeit, durch eine odieuse Begebenheit mit desto grössern Jammer eingetränckt. Denn es ist zu wissen: daß an dem orte meines damahligen auffenthalts ein Collegium des Römisch-Catholischen so genandten Jesuiter-Ordens war, mit dessen Schülern meine Commilitones, nehmlich die Evangelisch-Lutherischen Gymnasiasten, in beständigen Zwistigkeiten lebten. Ich habe mich vor meine Person niemahls bemühen wollen, zu untersuchen, welche Parthey der andern am meisten Gelegenheit zum Zancken und Streiten gegeben, weilen bekannt, daß gemeiniglich unter allen Heerden räudige Schaafe zu finden sind: Allein zu meiner Zeit weiß ich gewiß, daß uns die Jesuiter-Schüler allen ersinnlichen Verdruß anthaten, absonderlich kränckte uns nachfolgender Spott-Streich am aller empfindlichsten: Es befand sich ohnfern von der Stadt in einem lustigen Spatzier-Gange von Natur ein artiges Echo, welches die letztern etwas starck ausgerufften Sylben der Wörter, zu 2. 3. biß 4. mahlen ungemein vernehmlich repetirte. In dieser Gegend nun pflegten sich der Jesuiter-Schüler sehr öfters [12] aufzuhalten, so bald dieselben aber merckten, daß sich etwa ein oder anderer Gymnasiaste ebenfalls daherum divertirte, schrye gemeiniglich einer von unsern Feinden folgende läppische, jedoch sehr empfindliche Stichel-Worte aus:


Quid est Lutheranus? Echo resp. Anus.
Quid est Lutheri æmulus? – – : Mulus
Quomodo vocatur Lutheranorum
studiosus? – – – – – – – – – –: O sus!

Wir bemerckten zwar bald, daß dieses eine Parodie auf den lustigen Einfall eines längst verstorbenen protestantischen gelehrten Mannes wäre, nahmen uns aber nicht einmahl die Mühe andere dergleichen Schimpff-Sprüche auszusinnen, jedoch waren einige der Unsern so hertzhafft, die eigenen Worte des vorerwehnten Gelehrten, dem Echo entgegen zu ruffen:


Quid est Jesuitulus? Echo resp. Vitulus.
Nonne nequam est Jesuitu? – – Ita.

Hierüber kam es nun verschiedene mahl zum würcklichen Hand-Gemenge, worbey bald der Jesuiter-Schüler, bald die Evangel. Gymnasiasten blutige Köpffe und blaue Flecke darvon trugen. Einsmahls aber, da ich nebst andern Concertisten auf eine Hochzeit, Music zu machen, beruffen war, befanden sich auch ein paar Jesuiter-Schüler (oder Studenten wie sie gern heissen wolten) daselbst gegenwärtig, welche, indem wir nebst andern Musicanten bey Tische sassen und speiseten, nicht unterlassen konten ihre eingebildete Gelehrsamkeit mit vielen lateinischen Stichel-Worten an Tag zu legen, [13] unter andern brachte einer ex tempore folgendes lateinisches Distichon zu Marckte:


Quo Lutheranus, dic possit nomine dici:
Hæresium dici bibliotheca potest.
Es solte etwa auf Deutsch so viel zu verstehen geben:
Sag an: Was eigentlich ein Lutheraner sey?
Er ist der Inbegriff von aller Ketzerey.

Ich weiß nicht wie es kam, daß, indem ich unter Anhörung dieser Verse ein Spitz-Gläßgen Wein tranck, meine Vena poetica gantz ausserordentlich begeistert wurde, weiln, da ich solches nach 2. mahligen kurtzen Absetzen gäntzlich ausgeleeret hatte, folgendes Distichon nicht so bald fertig, als unbedachtsam von mir heraus gesagt war:


Ordine nil melius; sed nil est ordine pejus,
Qui Jesu nomen, non tamen omen habet.

Deutsch:

Das ist der beste zwar doch auch der böste Orden,
Der sich nach JESU nennt, und ihm nie gleich geworden.

Man ersahe augenblicklich an den ergrimmten Gesichtern unserer beyden Wiedersacher, daß ihnen die Galle aufs gräulichste über die Gräntzen trat, indem sie von einem sechzehendehalb jährigen Knaben, dermassen häßlich abgekappt worden. Ein gewisser Musicus aber, der ein sehr guter Lateiner war, bath mich, dieses Distichon noch einmahl her zu sagen, und da mich dessen aus Ubereilung nicht wegerte, [14] schriebenes so gleich, nebst ihm, meine Commilitones, wie auch noch andere dabey sitzende, in ihre Schreib-Ta feln; weßwegen unsere Widersacher aus Boßheit mit den Zähnen knirscheten, da sie aber selbiges Orts kemen kräfftigen Beystand wusten, liessen sich die Buben ihre Nachgier auf frischer Farth auszuüben, vor dieses mahl vergehen, und schlichen gantz stillschweigend davon.

Unser Rector hatte folgendes Tages diesen Streich nicht so bald vernommen; als er mich nebst den andern Gymnasiasten, die mit auf der Hochzeit musiciret hatten, zu sich ruffen ließ. Nach seinem Befragen, geschahe von uns allen ein offenhertziges Bekäntniß dessen, was vorgegangen war. Er schrieb mein Distichon in sein Diarium, schüttelte hernachmahls den Kopff und sagte: Mein Sohn! euer gutesIngenium ist so wenig zu tadeln als das herrliche Naturell zur Poesie; allein gebraucht dasselbe künfftig hin mit gröster Vorsicht, zumahl an solchen Orten, wo gewisser massen Ecclesia oppressa ist. Die Herrn Jesuiten sind so wohl, als ihre Schüler sehr rachgierige Leute, solchergestallt köntet ihr gar leicht euch, und uns allen, grossen Verdruß und Unglück über den Hals ziehen. Wer weiß was sie dieser Affaire wegen zusammen schmieden werden, indessen ist mein getreuer Rath: daß ihr euch auf der Strasse, und sonderlich bey Abends-Zeit, sehr wohl in acht nehmet, um ihren Schülern nicht in die Krallen zu gerathen.

Mein Principal nebst andern Patronen und guten Freunden, gab mir eben dergleichen guten Rath und Warnung zu vernehmen, immittelst ward mein Distichon [15] fast in allen Evangelischen Häusern kundbar, jedoch die Herrn Jesuiter, stelleten sich an als ob sie diesen Streich entweder nicht wüsten, oder nichts achteten, derowegen fieng ich nach Verfluß eines gantzen Monaths zu glauben an: meine Furcht und gebrauchte Vorsicht, nicht etwa ein Schlacht-Opffer ihres Eiffers zu werden, sey gantz und gar vergebens. Allein daß nicht alle schlaffen, welche die Augen zu thun, und daß die stillen Wasser gefährlich und tieff sind, muste ich damals zu meinem ziemlichen Unglück erfahren. Denn da ich eines Abends vor der Hauß-Thür stund, kam ein grün gekleydeter Laquey und bath mich, ihn zu berichten, in welchem Hause der GymnasiasteSchmeltzer anzutreffen; nachdem ihm nun vergewissert, daß ich selbsten derjenige sey, welchen er suchte, sprach er mit sehr freundlichen Geberden, ich solte so gut seyn und ihm in ein gewisses Hauß, welches er mir nennete, folgen, weilen daselbst zwey frembdeCavalier, meine, ihnen so sehr gerühmte Singe-Stimme, bey einer doucen Abend-Musique zu hören verlangten, meine Mühe aber reichlich belohnen wollen. Allein, setzte er hinzu, ich dürffte mich nicht säumen, weil sie und die Musicanten selbst, mit schmertzen darauff warteten. Zu meinem Unglück war mein Principal, nebst seiner Familie, bey einem vornehmen Freunde zu Gaste, und weil ich über 2. oder 3. Stunden nicht auszubleiben vermeynete, sagte ich dem Hauß-Gesinde, gewisser Ursachen wegen, nicht wo ich hin wolte, sondern holete nur eiligst einige Musicalien von meiner Stube, mit welchen ich dann, ohne eintziges Nachdencken, dem, unten vor der Thür auf mich wartenden [16] Laqueyen, sehr hurtig nachfolgte. Es traff ein, daß ein Paar sehr proprè gekleidete Cavalier, in der Ober-Stube des bezeichneten Hauses sassen, allein es waren nur zwey, mir gantz unbekandteMusicanten bey ihnen, deren einer eine Violdi Gamba, der andere aber eine Violine spielete. Man bewillkommete mich aufs allerfreundlichste, und sagte nach diesen: Monsieur! ihr hättet nicht nöthig gehabt Musicalien mit zu bringen, weil wir allbereit diejenigen Stücke, so wir längst gern hören mögen, bey uns haben. Demnach legten sie mir, eine nicht uneben gesetzte Cantata vor, die ich ohne Bedencken annahm, und nach meinem besten Vermögen abfunge. Sie bezeugten so bald dieselbe zum Ende, ihr sonderliches Vergnügen darüber, und überreichten mir noch eine dergleichen, nach deren Absingung ich eine kurtze Zeit ruhen, auch ein paar Gläser Wein, nebst etwas Confect geniessen muste. Hierauff wurden noch andere lustige Arien und dergleichen Zeug hervor gesucht, doch weil alle gantz leicht gesetzt waren, hatte ich wenige Mühe, dieselben gehörig heraus zu bringen. Beyde Cavaliers legten mir also ein gantz besonderes Lob bey, so daß ich endlich bitten muste: mich nicht zu beschämen. Immittelst muste mir der Laquey mehr Wein und Confect bringen, weil ich aber sehr wenig trincken und essen wolte, sprach der eine Cavalier: Er wird vielleicht diesen Wein seiner Stimme nicht zuträglich befinden, Jacob! lange ihm ein Glas Canari Sect aus dem Flaschen-Futter, nebst zweyen von meinen köstlichen Morsellen, dieses wird ihm appetitlicher und nützlicher seyn. Ich deprecirte zwar[17] alles, da aber der Diener augenblicklich beyderley herbey brachte, liessen beyde Cavaliers nicht ab zu nöthigen, biß ich alles auf ihre Gesundheit verzehret hatte.

Mittlerweile zohe einer von den Musicanten einePartitur aus dem Busen, und sagte zu beyden Cavaliern: Gnädige Herren! ich habe hier eine sehr artige, gantz nagelneu-componirte Cantata, mit Dero gnädigen Erlaubniß wollen wir doch dieselbe probiren. Da nun beyde, mit Neigung der Häupter, ihren Wohlgefallen zeigten, muste ich mich bequemen aus der Partitur zu accompagniren. Die letzte Aria von dieserCantata habe ich nach der Zeit niemahls vergessen können, sie lautete aber also:


So muß man die Füchse fangen,
Die so schlau und kühne sind.
Tölpel mercks! du bist betrogen,
Ja du bist ins Garn gezogen,
Füchse riechen sonst den Wind:
Aber du bist fehl gegangen.

Da Capo.


Es handelte zwar die gantze Cantata durchgehends, von einem ins Garn gebrachten Verächter der Liebe, allein da ich nachhero der Sache besser nachgedacht, so habe dieselbe zweydeutig befunden, denn unter dem gefangenen Fuchse, wurde wohl niemand anders verstanden: als ich damahliger armer Schüler. Unter währender dieser letzten Arie aber, lachten so wohl die beyden Cavalier, als die Musicanten, dermassen, daß die letztern fast nicht spielen konten, die erstern aber die Bäuche halten musten. Dennoch vermerckte ich nicht den geringsten [18] Unrath, weiln nichts weniger vermeynte: als daß ich mich unter gantz verzweiffelt listigen Menschen-Fängern befände. Im Gegentheil wurde mir auf einmahl sehr übel im Leibe, ein hefftiger Schwindel des Haupts verursachte: daß ich bey nahe ohnmächtig zu Boden gesuncken wäre, wenn mich der Laquey nicht aufgefangen, und auf ein, in der Neben-Cammer stehendes Bette, getragen hätte. So bald ich zu liegen kam, vergiengen mir vollends alle Gedancken, ja ich verfalle in einen dermassen tieffen Schlaff, daß sich endlich, bey dessen allzu langen Anhalten, meine Feinde genöthiget sehen, mich, ich weiß nicht ob mit dem Dampffe von Schwefel, oder anderer häßlich stinckender Materie auffzumuntern. Allein nachdem ich völlig ermuntert war, wäre es kein Wunder gewesen, wenn ich aufs neue ohnmächtig worden, oder gar den Geist aufgegeben hätte. Denn ich befand mich in einem fürchterlichen unterirrdischen Keller-Gewölbe, und sahe 10. oder 12. wohlbekandte Jesuiter-Schüler, mit brennenden Pech-Fackeln, um mein Bette, welches aus etlichen Halmen, auf der Erden ausgestreuten Strohes bestund,) als junge Teuffel mit Feuer Bränden gewaffnet, herum lauffen. Man hatte mich biß aufs blosse Hembde ausgezogen, und an statt der Kleider, mit einer alten Jesuiter-Kutte bedeckt, unter welcher ich aber bereits gantz starr gefroren war. Dem ohngeacht muste ein Knecht, der eine grosse Ruthe in Händen hielt, näher kommen, mir das Hembde über den Kopffe zusammen ziehen, und meinen Leib, von Schultern biß auf die Fuß-Sohlen, so lange geisseln, biß ich überall mit meinem Blute gefärbt war. Ich schrye und winselte dergestalt [19] erbärmlich, daß die Steine hätten mögen zum Mitleyden bewogen werden, meine Felsenharten Peiniger aber, trieben ihr Gespötte drüber, und sagten endlich, da ihr Henckers-Knecht vom zuhauen Krafftloß war: Nun könte ich aus der Erfahrung reden, ob die Jesuiten gute oder böse Leute wären, und dasselbe in weitläufftigern Versen außführen, giengen hiermit ingesamt davon, und liessen mich in der allerdicksten Finsterniß, im grösten Schmertzen alleine zurücke, doch kam nach Verlauff etlicher Stunden der Knecht, und brachte ein Stück Brodt, nebst einem Topffe Wasser zu meiner kümmerlichen Lebens-Erhaltung, wiewohl ich vor Angst und Schmertzen wenig oder gar nicht an die Nahrungs-Mittel gedachte.

Man solte zwar wohl meinen, daß diese grimmigenFurien solchergestallt ihr Müthlein sattsam an mir gekühlet hätten; allein nichts weniger als dieses, denn des andern Tages kamen dieselben um vorige Zeit wieder, und trieben eben dasselbe Mord-Spiel mit meinem schwachen Cörper. Am dritten Tage geschahe dergleichen, so daß nunmehr fast gar nichts gesundes am gantzen Leibe zu finden, sondern die etliche tausendmahl zerkerbte Haut überall mit Eyter und Blut unterlauffen war. Ach wie Betete ich so fleißig: daß mich ein baldiger seliger Todt, aus diesem peinlichen Zustande erlösen möchte, weil auf anderweitige Befreyung gantz und gar nicht zu gedencken war. Jedoch kein Selbst-Mörder zu werden, nahm ich in der dritten Nacht zum ersten mahle etwas Brod und Wasser zu mir, konte aber selbiges nicht bey mir behalten, sondern muste [20] es (s.v.) wiederum hinweg brechen, weßwegen meine Schwachheit in wenig Stunden dermassen zunahm, daß ich nicht noch eine Nacht zu leben vermuthete, gleich wohl kamen die Barbarn am 4ten Tage ebenfalls wieder mich zu quälen, derowegen redete ich sie gantz behertzt also an: So schlaget denn zu ihr Tyrannen, und weydet eure Augen an meiner zeitlichen Marter, wisset aber, daß dieser Tag vielleicht der letzte meines Lebens seyn wird, und daß ihr euch werdet bequemen müssen, mir dieses Tractaments wegen vor GOttes Richter-Stuhl Rede und Antwort zu geben. Die Lotter-Buben lachten dieserhalb überlaut, und stiessen über dieses die schändlichsten uñ Gotteslästerlichsten Reden aus ihren vermaledeyten Hälsen, befahlen auch dem Knechte, sein Amt nur getrost zu verrichten. Nachdem nun dieser, mein in die verwundete Haut gantz eingebackenes Hemde, mit Gewalt abgerissen, so daß gantze Flatschen daran hangen blieben, ich aber nicht die geringste Empfindung spüren ließ, sprach er: Meine lieben Herren, meine Mühe ist vergebens, der verteuffelte Ketzer fühlet voritzo nichts mehr, der Satan hat ihn abgehärtet, lasset ihn so lange Ruhe, biß er halb wiederum heil worden, was gilts, hernach sollen meine Streiche um so viel desto hefftiger anziehen.

Hierauff redete mich einer von der jungen Basilisken-Brut also an: Höre Hund! wilstu dich entschliessen deinem Ketzerischen Glauben abzuschweren, so wollen wir alle vor dich bitten, daß dir die annoch zugedachten übrigen gerechten Strafen geschenckt werden; wo nicht, so wirstu in wenig Tagen [21] empfinden müssen daß alles bißherige Verfahren ein blosses Kinder Spiel gegen diejenigen Martern zu achten sey, die dir annoch vorbehalten sind. Da behüte mich GOTT vor, gab ich zur Antwort, daß ich meinen allein seligmachenden Glauben verläugnen und verschweren solte, macht mit mir was ihr wollet, GOTT kan und wird mich eher aus euerm Mord Klauen erlösen als ihrs vielleicht glaubet. Dieser Worte wegen stieß mich einer mit dem Fusse dermassen in die Seite, daß mir fast aller Othem vergieng, meine Peiniger aber verliessen mich also vor dißmahl, ohne mir fernere Marter anzuthun. Ich verhoffte gantz gewiß, daß die folgende Nacht die Letzte meines Lebens seyn würde, allein selbige mochte kaum eingetreten seyn, da mich zwey Knechte aus dem finstern Keller herauff trugen, und in eine ziemlich gute Cammer zu Bette brachten. Nachdem mir ein alter Chirurgus ein weisses Hembde angezogen, und meinen gantzen Leib mit einer Schmertzstillenden und heilenden Salbe bestrichen hatte, brachte man mir auch eine gute warme Suppe, eine halbe gekochte Taube, ingleichen etwas Wein, von welchen allen ich ein sehr Weniges zu mir nehmen konte, jedoch in selbiger Nacht einige Ruhe genosse.

Folgenden Morgen kam nebst dem alten Chirurgo, auch ein alter Jesuite mit vor mein Bette, da denn so bald mich der erste abermahls mit der guten Salbe bestrichen, der andere so gleich ein Gespräch von meiner Religions-Veränderung anfieng. Selbiges währete länger als 2. Stunden, weil er aber deßfalls lauter unwichtige Bewegungs-Gründe [22] aufs Tapet brachte, blieb ich endlich bey dem Schlusse: daß mir gantz unmöglich, eine andere Religion zu ergreiffen, so lange ich nicht der Unrichtigkeit von der meinen vollkommen überzeugt sey. Dem ohngeacht gab mir der altePater, so wohl als der Chirurgus, lauter gute Worte, weil sie mich hiermit um so viel desto eher zu gewinnen vermeineten, wolten auch sagen: es hätten ihre Schüler wieder der Ehrwürdigen Patrum Wissen und Willen, mich elenden Menschen gefangen nehmen, und dermassen zurichten lassen, nachdem es aber einmahl geschehen, stünde es nicht zu ändern, jedoch solten sie nachdrücklich genung darvor gestrafft, mir aber alles Glück und Wohlseyn befördert werden, daferne ich mich nur gutwillig zu ihrer Religion bekennen, und denen Ketzereyen auf ewig abschweren wolte. Allein ich glaubte von allen so viel als ich nöthig zu seyn erachtete, und weiln meine Resolution bereits mehr als zu deutlich ausgesprochen war, übrgieng ich das Ubrige alles mit Stillschweigen, welches sie mir denn auch in Betrachtung meiner grossen Schwachheit und Schmertzen, ziemlicher massen zu gute hielten, und mich mit fernern Anfällen einige Tage verschoneten.

Mittlerweile verschaffte mir der alte Chirurgus täglich die niedlichsten Speisen und Geträncke, sparete auch sonsten keinen Fleiß, meine Gesundheit wiederum herzustellen, woher denn kam, daß ich nach Verlauff dreyer Wochen ziemlich frisch und munter wurde. Von der Zeit an, stellete sich immer ein alterPater um den andern in meiner Cammer ein, aus welcher ich keinen Fuß setzen, sondern als ein, auf [23] Leib und Leben gefangen sitzender Delinquente, Tags und Nachts hindurch verbleiben muste. Dem ohngeacht fruchteten ihre beständig mühsamen Lehren nicht das allergeringste bey mir, sondern ich wurde nur immer desto mehr in meinem Vorsatze bestärckt: die reine Evangelisch-Lutherische Lehre nicht zu verschweren, und solte es auch gleich mein junges Leben kosten. Solchergestalt wurde mir nicht allein aufs neue mit der täglichen Geisselung gedrohet, sondern man fienge auch würcklich an, mich wieder mit blossen Wasser und Brod zu speisen, welches mir doch der gütige Himmel weit besser als die andern Lecker-Bissen gedeyhen ließ. Wenige Tage hernach, bekam ich dennoch andere bessere Speisen, vermerckte aber in den Gesichtern aller derer so bey mir aus- und eingiengen, eine allgemeine Bestürtzung und etwas schwächern Eifer, mich zu quälen oder umzukehren, glaubte derowegen, man würde mich vielleicht unter gewissen Bedingungen ehestens meiner Wege lauffen lassen. Allein es war weit gefehlt, denn wie ich nachhero erfahren und wohl erwogen, so sind meine Widersacher aus keiner andern Ursache dermassen Bestürtzt gewesen, als weil sich eine, in der Stadt grassirende gifftige Seuche, auch in ihren Collegio angemeldet, und etliche, so wohl Junge als Alte, plötzlich hinweg gerafft hatte. Endlich wurde ich in einer gewissen Nacht unverhofft aus dem ersten Schlafe gestöhret, und von einem Bedienten, der alle meine ordentlichen Kleider mit sich brachte, angestrengt, mich aufs hurtigste anzukleiden. Die Einbildung, daß meine Erlösungs-Stunde nunmehro erschienen sey, machte [24] mich dergestalt frölich und hurtig, daß ich in wenig Minuten völlig fertig war. Demnach wurde in der Finsterniß hinunter geführet und in einen Wagen gebracht, worinnen allbereit 2. alte Patres und 2. mir an Jahren ziemlich gleiche, so genandte Studenten sassen, zwischen deren Füssen ich als ein Hund liegen, auch nicht selten von den jungen Bösewichtern empfindliche Tritte und Stösse erdulden muste. Der Wagen ware rings herum dichte zugemacht und verwahrt, derowegen konte und dorffte mich gar nicht umsehen, ohngeacht das Tages-Licht völlig angebrochen war, wiewohl es in den ersten zweyen Tagen entsetzlich starck regnete. So offt ein natürlicher Antrieb, mich oder die andern aus dem Wagen zu steigen nöthigte, kam mir nichts in die Augen als mehrentheils wüstes Feld, Wälder, und etwa sehr weit entlegene Dörffer oder kleine Städte. Niemahls sind wir vor dunckeler Nacht in ein Quartier gekommen, und mehrentheils früh vor Anbruch des Tages wieder fort gereiset, ich bemerckte aber: daß meine Führer lauter Klöster zu ihrem Abtritt erwehlet, und vermuthlich allezeit einen reitenten Bothen, der das Logis bestellen müssen, voraus geschickt hatten. Mittlerweile bekam ich so wohl des Abends im Quartiere, als bey Tage, im Wagen sehr gute Speisen, hatte aber sehr wenige Gelegenheit meinen Mund zum Reden auffzuthun, welches mir denn ungemein lieb war, meine Führer aber redeten eine selbst erdichtete, aus vielen andern vermischte Sprache, und zwar dermassen geläuffig mit einander, daß mir unmöglich war nur ein eintziges Wort davon zu verstehen.

[25] Nachdem wir nun solchergestallt 7. gantzer Tage die Reise ziemlich hurtig fortgesetzt hatten, wurden endlich einem gantz grossen Closter zwey Tage zum Außruhen angewendet, ich aber befand mich in einer festen Cammer eingesperret, durch deren wohl verwahrte Fenster eine grosse See, wohlbestelltes Feld, weit darvon aber ein grosser Wald zu betrachten war. Nachts, wenig Stunden vor unsern wieder Abreisen, sagte einer von den jungen Jesuiten zu mir: Nun Ketzer-Hund! Nun hastu hohe Zeit dich zu bekehren, wiedrigen falls wirstu, ehe noch 3. Tage vergehen, an einen solchen Ort gebracht werden, wo allerhand schmertzliche Plagen deiner warten. Ich überlasse mich, war meine Antwort, der Fügung des Höchsten, der mir nicht mehr Trübsal aufflegen wird, als ich werde ertragen können, ja es ist ihm ein geringes, mich unschuldige Creatur aus den Händen meiner Peiniger, wo nicht auf andere Art, jedoch durch einen seel. Todt zu erlösen. Wie kan sich doch, versetzte der Bube hierauff, so eine verfluchte Ketzer-Seele der Hülffe des Höchsten getrösten? Unter diesen Worten aber schlug er mich mit der Hand dergestallt ins Angesicht, daß mir das helle Blut aus Mund und Nase lieff. Hierüber riß mein Gedult-Faden plötzlich entzwey, also nahm ich den frechen Buben beym Halse, riß ihn zu Boden und klopffte seine Nase mit der vollen Faust, so lange, biß sein Gesicht ebenfals über und über mit Blut gefärbet war. Jedoch ich hatte bald hernach Ursach genung, meine Unbesonnenheit und jachzornige Ubereilung zu bereuen, denn als sein Camerad nebst den beyden Patribus herzu kam, und ihnen mein Feind berichtete: [26] daß ich ihn Meuchelmörderischer Weise überfallen und stranguliren wollen, ich aber auf meine Gegen-Klage nicht einmahl gehöret wurde, muste der Kutscher kommen, und mich mit einem dreyfach zusammen gedreheten Stricke so lange schlagen, biß ich gantz ohnmächtig auf dem Fuß-Boden liegen blieb.

Etwa zwey Stunden hernach, wurde ich dergestalt zerlästert, ja fast halb todt auf den Wagen getragen, und muste, den darauff folgenden Tag über rechte Höllen-Marter ausstehen, denn die beyden jungen Satans-Engel, traten und stiessen nicht allein, fast alle Augenblicke auf meinen, gantz mit Blut unterlauffenen Leib, sondern thaten mir ausserdem alle nur ersinnliche Schmach an, welches die zwey Ehrwürdigen Herrn Patres nicht nur geschehen liessen, sondern auch ihre hertzliche Freude darüber bezeugten. Selbigen gantzen Tag über, gönnete mir ihre Grausamkeit nicht das allerwenigste von Speise und Tranck, sie hergegen hatten etliche Flaschen Ungarischen Wein aufgetrieben, und soffen sich darinnen rasend voll. Abends im Logis gab mir der Kutscher etwas Brod und Wasser, zum Nach-Tische aber 30. Streiche mit vorerwehnten knotigen Stricke, welches unsäglich schmertzhaffte Tractament mir alle Nacht-Ruhe verwehrete, so daß ich gegen Morgen, ohne einem eintzigen Augenblick geschlaffen zu haben, abermahls auf den Wagen geschleppt wurde.

Ohngeacht ich nicht schlafen konte, so hatte doch vor meinen Peinigern in etwas Ruhe, weiln alle 4. des gestrigen Tages und Nachts in Uberfluß gesoffenen[27] Weins wegen, in einen tieffen Schlaff verfallen waren. Die auffgehende liebliche Sonne schickte einen eintzigen von ihren erwärmenden Strahlen, durch eine geringe Oefnung des Wagens auff mein Gesicht und Hände, welches indem mir als etwas seltsames vorkam, mich von der Sonne bescheint zu sehen, ein inner- und äuserliches Vergnügen verursachte. Ich verrichtete derowegen mein andächtiges Morgen-Gebet, und bat GOTT mit heissen Zähren, daferne es sein Heil. Wille wäre, mich armes Schlacht-Schaaf, auf was vor Art ihm beliebte, aus den Händen meiner Feinde zu reissen, damit ich bey so starcken Anfechtungen, nicht etwa in Verzweiffelung fallen, oder gezwungener Weise, den wahren, allein seeligmachenden Glauben verläugnen möchte.

Dieses mein heimliches Schreyen war also noch ehe ichs vermuthete erhöret, und der Tag meiner Erlösung erschienen, denn ehe noch eine Stunde verlief, hielt unser Kutscher plötzlich stille, riß den Wagen auff, und fragte mit ängstlichen Gebärden in Pohlnischer Sprache: Was er anfangen solte, indem er von ferne eine Schwedische Parthey zu Pferde auf uns zu kommen sähe? Ich verstund alles sehr wohl, ohne daß es meine Feinde vermeinten, wünschte also von Hertzen, daß uns die Herrn Schweden anhalten möchten. Die Patres so wohl als ihre jungen Henckers-Buben, liessen deutlich mercken daß ihnen das Hertz im Leibe zittere, wenn sie nur das Wort, Schweden, nennen höreten, wurden auch sämtlich so blaß wie Leichen, fasseten aber einen kurtzen Schluß und sagten: Der Kutscher solle nur Lincks um machen, [28] und aufs schnelleste dem dicksten Walde zu eilen. Dieserwegen schien die Hoffnung meiner Erlösung in den Brunnen zu fallen, allein die guten Herrn Patres hatten sich mit ihren Außweichen selbst verdächtig gemacht, also vermerckten die Herrn Schweden Unrath, gaben ihren Pferden die Sporn, jagten Quer-Feld ein, ertappten also unsern Wagen kurtz vor dem Walde.

Wie ich nach der Zeit vernommen, haben wir uns damahls eben in Pohlen auf der Land-Straß zwischenKruswick und Gnesen befunden, so bald aber die Herrn Patres merckten, daß ihnen die Schweden auf dem Halse waren, und bereits dem Kutscher mit aufgezogenen Carabinern bedroheten, ihn, bey verweigerten Stand halten, vom Pferde herunter zu schiessen, stiegen alle beyde aus dem Wagen, und vermeynten sich mit List von den Schweden loß zu wickeln, indem sie vorgaben: daß sie Kruswikische Geistliche, und in einigen daherum liegenden Dörffern Zinsen eintreiben wolten, hätten aber noch zur Zeit keinenChoustack, (welches eine Pohlnische Müntz-Sorte ist) einbekommen, allein der commandirende Officier, nahm zwar diesen Bericht taliter qualiter an, ließ sich aber dennoch die Lust ankommen zu sehen, ob sonsten etwas verdächtiges im Wagen anzutreffen sey. Als er demnach die Leder zurück risse und hinein schauete, raffte ich mich eiligst auf und schrye ihm entgegen: Ach mein Herr! ich zweiffele fast nicht, daß ihr ein guter Evangelischer Christ seyd, derowegen habt die Barmhertzigkeit einen armen Evangelischen Priesters Sohn, aus den Händen dieser grimmigen Leute [29] zu erretten, welcher schon viele Wochen daher, von ihnen entsetzliche Marter erdulden müssen, weil er dem Evangelisch-Lutherischen Glauben nicht abschweren will. Ja mein Herr, fuhr ich fort, ihre Reise ist voritzo hauptsächlich darum angestellet: mich in ein abgelegenes Closter zu stecken, allwo ich gewiß durch weit mehr Quaal und Marter zum Abfall gezwungen werden, oder darinnen jämmerlich sterben soll.

Wie klinget dieses, meine schönen Herrn Patres? fragte hierauff der Officier, indem er sie beyde mit einer martialischen Mine ansahe, hierauff gab der eine, welcher ein ausgelerneter Ertz-Vogel war, dem Scheine nach, gantz unpassionirt und lächelnd zur Antwort: Gestrenger Herr! Sie können nicht glauben, was massen dieser Bube eine rechte Quinta Essentia aller Schelmen ist, die nur auf der Welt leben können. Man bedencke nur, was vor eine verzweiffelte Lügen derselbe sogleich vorbringen kan, indem er eines Römisch-Catholischen Kauffmanns Sohn ist. Sein Vater hat sehr viel an ihn gewendet, der Bube hat auch so ziemlich was gelernet, dabey aber mit stehlen, rauben, huren, spielen, sauffen, ja mit allen Lastern seinem Vater dermassen viel Hertzeleyd zugefügt, daß dieser endlich die Patres de Societate Jesu um GOttes willen gebethen, ihn in ihre Zucht zu nehmen, damit er bekehret, und zuletzt nicht etwa an den Galgen gebracht werde.

Mentiris Cain! ja du gewissenloser Pfaffe, schrye ich ihm ins Angesicht hinein, du leugst dieses in deinen Halß, und wirst solches nimmermehr vor der redlichen Welt, vielweniger bey GOtt im Himmel [30] verantworten können. Wandte mich hierauff abermahls zumCommandeur, und erzehlte demselben in aller Kürtze meinen gantzen Lebens-Lauff, auch warum, und auf was vor Art mich diese erbitterten Jesuiter in ihre Klauen bekommen hätten. Wie künstlich aber auch die Patres mich zum Lügner, sich aber selbst zu unsträfflichen Leuten machen wolten, so merckte doch der ihnen allzu kluge Commandeur, an ihrem gantzen Wesen gar leichtlich, daß sie ihres Ordens gewöhnliche Streiche gern fort spielen und ihm eine Nase drehen wollen, derowegen sprach er: Wohlan ihr Herrn! ich muß gestehen, daß es eine kitzliche Sache ist, einen von unsern Glaubens-Genossen dergestallt barbarisch zu tractiren, weiln nun diese Sache nach Würden zu untersuchen, bessere Gelegenheit erfordert wird, als sich hier auf freyen Felde zeiget, werde ich euch ingesammt mit zu unserer Armée führen, soferne ihr aber die muthmaßliche Wahrheit reden und gestehen wollet: daß dem Jünglinge von euren Ordens-Brüdern also mit gefahren worden, will ich ihn zwar mit mir nehmen, jedoch euch reisen lassen wo ihr hin wollet.

Solchergestallt liessen sich die super-klugen Patres fangen, und bekenneten, auf noch einiges gütliches Zureden der Herrn Schweden, endlich die klare Wahrheit. So so! sagte hierauff der Commandeur, wie artig könnet doch ihr heiligen Herrn dergleichen Kleinigkeiten an den armen Lutheranern rächen, und dieselbe zu eurer Kirche herein zu kommen nöthigen, doch ich will meine Parole halten und euch reisen lassen, wo ihr hin wollet. Allein vorhero müsset [31] ihr von rechts wegen einiger massen zu gebührlicher Strafe gezogen werden. Demnach musten 12. Mann von seinen Dragonern absteigen, und die 4. Jesuiten dahin nöthigen, sich biß aufs blosse Hembde auszukleyden mittlerweile schnalleten die Dragoner ihre Steig Riemen ab, und schmiereten damit die unchristlichen Jesuiten-Cörper der massen, daß sie endlich, eben so wie ich vor diesen, halb todt zur Erden sincken musten.

Dem Kutscher wiederfuhr ein gleichmäßiges Tractament, nachhero wurden ihre Kleyder visitiret und ihnen, ausser den besagten Kleydern, nicht das geringste von Gelde, oder Geldes-Werth gelassen, mithin setzte sich ein Dragoner auf den Platz des Kutschers, und führete mich gantz allein im Wagen sitzenden, unter Begleitung von 3. biß 400. Schweden auf und darvon, nachdem der Commandeur denenPatribus noch also zugesprochen hatte: Nun könnet ihr zu Fusse reisen wohin euch beliebt, und habt zweyerley Vortheil erhalten: erstlich daß ihr in Zukunfft wisset, wie mit denen Lutheranern, und andern Neben-Christen behörig umzugehen; vors andere erfahret, wie euern Glaubens-Brüdern, den Bettel-Mönchen zu muthe sey. Und dieses war der Abschied.

Mir wurde von denen Herrn Schweden alle erwünschte Güte und Freundschafft erzeigt, zumahlen da sie, nach einigen herum schweiffen, in einer ziemlich feinen Stadt etliche Rast-Tage hielten, bey welcher Gelegenheit sich meine Gesundheit wiederum in ziemlich guten Stand setzte. Der Commandeur, welchen ich nachhero als einen Schwedischen [32] Major kennen lernete, schenckte mir gleich anfänglich ein seines Kleid nebst 12. spec. Ducaten an Golde, betheurete auch höchlich, daß er von Grund der Seelen gern alle Kosten herschiessen wolte, mich nach Elbing zu meiner Mutter zu schaffen, allein es zeigte sich keine Gelegenheit darzu. Solche Reise aber allein zu Fusse oder zu Pferde vorzunehmen, wäre allzugefährlich ja thöricht gewesen. Demnach muste aus der Noth eine Tugend machen, und unter denen Soldaten bleiben, biß sich bessere Gelegenheit zeigte wiederum auf eine Evangelische Schule zu kommen. Immittelst da ich bey dem Major täglich freyen Tisch hatte, profitirte ich von denen hohen Officiers manchen schönenDucaten wegen meines Singens, bekam auch von denen Herrn Feld-Predigern, allerhand schöne, so wohl deutsche als lateinische Bücher, um vermittelst selbiger, meine wenigen Studia beständig in frischen Gedächtnisse zu erhalten. Endlich aber da ich mit meinem Major nach Warschau gereiset war, traff ich daselbst einen bekandten Breßlauer Kauffmann, gantz unverhofft, zu allergrösten Freuden an, erzehlete demselben meine gehabten unglücklichen Avanturen, und fand ihn so gleich willig, mich mit nach Breßlau zu nehmen, daferne er solches nur, ohne mit dem Schwedischen Major Verdruß zu haben, thun könte. Allein dieser redliche Herr, war viel zu Gewissenhafft und zärtlich, mich an meinen vorgesetzten Studiren zu hindern, willigte derowegen gleich in mein Ansuchen, ließ den Breßlauer selbst zu sich kommen, empfahl mich demselben aufs beste, beschenckte mich noch mit 12. spec. Ducaten, und verschaffte über dieses:[33] daß andere hohe Officiers, bey denen ich Abschied nehmen muste, ihre milde Hand ebenfalls aufthaten, so, daß ich in allen, eine Gold-Bourse von etliche 80. Stück spec. Ducaten, mit nach Breßlau brachte.

In selbiger Stadt schlug mir mein Patron, der wohlthätige Kauffmann, die schönsten Gelegenheiten vor, meine Studia mit wenigen Kosten ersprießlich fort zu setzen, allein weil ich eine grausame Furcht vor den Catholiquen, und sonderlich vor den Jesuiten bey mir spürete, also an keinen Orte leben wolte wo dergleichen Leute anzutreffen wären, setzte ich mich auf die Post, und gelangte gar bald in Sachsen auf einem berühmten Gymnasio an, allwo, nachdem die Herrn Gymnasiarchen und Præceptores meine Avanturen verkommen, ich mit Freuden auf- und angenommen wurde. Von nun an war meine erste Bemühung, meiner lieben Mutter, und dann auch demjenigen Patrone, aus dessen Hause ich listiger Weise entführet worden, Nachricht von meinem Leben, jetzigen Auffenthalt, gehabten Fatalitäten und künfftigen Vorsatze zu geben, jedoch bath ich in meinen Briefen jederseits, meine Affaire nicht kundbar zu machen, weiln man sich vor dergleichen Feinden als ich gehabt, nicht gnungsam in acht nehmen könte.

Meine liebe Mutter bezeugte nach Verlauff weniger Wochen, in einem zwey Bogen langen Brieffe, eine gantz ausserordentliche Freude darüber, daß, (wie sie schrieb,) ihr Sohn Joseph noch lebe, von dessen plötzlichen Verluste sie sich noch weit elendere Vorstellungen gemacht hatte, als der Ertz-Vater [34] Jacob wegen seines Sohns Joseph, den derselbe von einem wilden Thiere gefressen zu seyn glaubte. Nechst dem erfuhr ich, daß letzt erwehnter, mein Principal undPatron, vor wenig Monaten verstorben sey, jedoch kurtz vor seinem Ende, alle meine zurückgelassenen Sachen, an meine liebe Mutter geschickt hätte, welche mir dieselbe denn mehrentheils nebst einem Wechsel-Briefe à 100. Thl. übersendete, ja die hertzliche Mutter Liebe trieb sie dahin: die sehr weite Reise auf sich zu nehmen, und mich um Michaelis 1709. im Gymnasio Persöhnlich zu besuchen, worbey ich erfuhr: wie sie vor kurtzen von der Verstorbenen Muhme ein Capital von 2800. Thl. geerbt, und selbiges in der Alt-Stadt Elbing, so wohl angelegt, daß sie davon nebst meinem Geschwister, ihr vergnügliches jährliches Auskommen haben könte.

Solchergestallt befand ich mich nunmehro in allen Stücken vollkommen vergnügt, und brachte durch unermüdeten Fleiß alles wiederum ein, was die Boßheit meiner Feinde verhindert hatte, so daß ich um Ostern, 1710. mit guten Gewissen, auf eine der berühmtestenUniversitäten ziehen konte, allwo ich durch Beyhülffe getreuer Lehrer und vornehmer Gönner, die beste Gelegenheit fand, auf den wohlgelegten Grund der Theologie, ferner fort zu bauen.

Allein meine wertheste Herren und Freunde, sagte hierauff Herr Mag. Schmeltzer, ich mercke zwar bey niemanden unter ihnen, einen Verdruß oder Müdigkeit, da es aber bereits Mitternacht ist, werde ich wohl thun, wenn, weder des lieben Altvaters [35] Ruhe, noch unser aller gute Ordnung nicht zu unterbrechen, meine Lebens-Geschicht voritzo theile, und den übrigenRest derselben, Morgen G.G. erzehle, daferne es anders Ihnen allerseits beliebig ist, selbige vollends anzuhören.

Wir danckten also ingesammt unsern liebsten Seelsorger, vor dessen gehabte Gütigkeit, und weiln die allermeisten Anwesende, bey Anhörung seiner kläglichen Avanturen, sich der Thränen nicht enthalten können; wurde derselbe von der gantzen Gesellschafft, desto umständiger ersucht, uns auf die traurigen, auch seine hoffentlich frölichern Begebenheiten wissend zu machen, wornach vor dieses mahl, ein jeder seine angewiesene Schlaff-Städte suchte.

Folgendes Tages etwa zwey Stunden vorher, ehe die Sonne ihren allerhöchsten Grad über unserer Insel erreicht, versammleten sich alle Einwohner, abgeredter massen, abermahls auf ihren angewiesenen Tafel-Plätzen, und wurden mit einer nicht weniger köstlichen Mahlzeit als vorigen Tages bewirthet. Nachdem dieselbe eingenommen war, schickte sich alle junge Mannschafft welche das Schieß-Gewehr wohl zu führen vermögend war, in zierlicher Ordnung auf denjenigen Platz zu ziehen, wo die Vogelstange auffgerichtet war, um daselbst nach einen grossen Höltzernen Kropff-Vogel zu schiessen, welchen unser Tischler Lademann, nebst dem Müller Krätzern, sehr künstlich ausgearbeitet, und mit schwartz und gelber Farbe angestrichen hatten. Wir zuletzt angekommenen Europäer, schossen mehrentheils auch mit, die jüngern und annoch kindischen [36] Leute aber theileten sich in verschiedene Hauffen, und nahmen allerhand Lust-Spiele vor, dahingegen die Alten, bald dieses bald jenes mit Vergnügen beschaueten. Mit Untergang der Sonnen wurde nicht allein das Spielen, sondern auch das Vogelschiessen geendiget, und weiln des Kropff-Vogels mehr als halber Leib, nebst einem Fusse, und gröstem Stücke des Schwantzes, noch sehr fest an der Stange hienge, nahmen wir Abrede, selbiges morgendes Nachmittags vollends herunter zu schiessen. Voritzo aber zogen die meisten, so wohl alte als junge Leute, zurück auf den Speise-Platz, und wurden Herr Wolffgangs Veranstalltung nach, mit gekochten Reiß, der mit Zucker und Zimmet starck bestreuet war, ingleichen mit gebratenen Wildpret, Kuchen und Früchten bedienet. Mit dem Alt-Vater Alberto hingegen, begaben sich alle diejenigen, so gestriges Abends bey ihm geblieben waren, auf seine Burg, allwo ein jeder nach seinem Belieben entweder etwas zu speisen oder zu trincken fand, nachhero das Vergnügen hatte, die

Fortsetzung von Herrn Mag. Schmeltzers Lebens-Geschicht

mit anzuhören. Meine Werthesten! fieng also Hr.Mag. Schmeltzer diesen Abend wiedrum zu sagen an, es werden in Teutschland wenig Menschen seyn, welche nicht wissen solten, was vor eine wunderliche und mehrentheils leichtsinnige Lebens-Art, junge Studenten auf den Universitäten zu führen pflegen, ich muß es selbst gestehen, daß unter so vielen mehrentheils sinnreichen und begeisterten Cörpern, allerhand nützliche, unnützliche, auch ziemlicher massen indifferente Streiche passiren; allein ich vor meine [37] Person ließ, ohne Ruhm zu melden, dieses meine eifrigste Sorge seyn, mich vor allen verdächtigen Gesellschafften zu hüten, modest und mäßig zu leben, keine nützliche Doctrin zu verabsäumen, und dann auf meiner Stube dasjenige fleißig zu wiederholen und zu untersuchen: was in den Collegiis so wohl publice als privatim war vorgetragen worden. Es gelückte mir in eine solche Compagnie zu gerathen, welche gemeiniglich alle Woche ein oder zweymahl Zusammenkunfft hielt, worbey ein jeder ein Specimen seines Fleisses und Judicii auffzeigen muste, welches denn aufs genauste erwogen, und von den andern nach befinden bescheidentlich gelobet, oder carpirt wurde. Es ist fast nicht zu glauben, was mir dieses feine Exercitium vor gantz ungemeinen Nutzen schaffte, denn vermittelst dessen, brachte ich binnen 3. Jahren, einen solchen starcken Vorrath von gelehrten Sachen in meinen Kopff, und darzu gemachte Bücher, als wohl ohne dieses in 6. oder mehr Jahren nicht geschehen wäre. Nach Verlauff selbiger Zeit aber, konte um so viel desto Hertzhaffter auff der Cantzel erscheinen, und da sich sehr öfftere Gelegenheit zum predigen vor mich zeigte: so hatte dabey das Glück, wenigstens von den meisten Leuten nicht ungern gehöret zu werden. Jedoch einem weltberühmten Theologo zu gefalle, und denselben persönlich zu hören, begab ich mich von der ersten hinweg, und auf eine andere Universität, allwo binnen drittehalb jähriger Anwesenheit, meine Zeit dermassen wohl anzuwenden Gelegenheit fand, daß mich selbige, biß diese Stunde, nicht im geringsten gereuen zu lassen Ursach habe. In der Michaelis [38] Messe aber des 1715ten Jahres, da ich von einem guten Freunde zur mündlichen Unterredung nach Leipzig verschrieben worden, gab mir derselbe die betrübte Zeitung zu vernehmen, daß meine liebe Mutter, seit etlichen Wochen an einem auszehrenden Fieber darnieder läge, und zu ihren wieder auffkommen schlechte Hoffnung vorhanden sey; derowegen dieselbe ein hertzliches Verlangen trüge, mich vor ihrem Ende noch einmahl zu sehen und zu sprechen, wie denn derselben an mich abgelassenes Schreiben solches mit mehrern Umbständen bekräfftigte.

Demnach begab mich mit erst erwehnten guten Freunde auf die Reise, und kam unterwegs mit dem Kauffmann, Herrn Frantz Martin Julio in Bekandschafft, welcher an meiner wenigen Person etwas ihm gefälliges finden mochte, u. derowegen mir sogleich in seinem Hause, die Condition eines Informatoris vor seinen 10. jährigen Sohn, und 7. jährige Tochter, unter sehr profitablen Vorschlägen antrug. Ich konte zwar damahls auf der Reise, weder Ja noch Nein darzu sagen, nachdem aber den Handschlag von mir gegeben, den Zustand der Meinigen erstlich zu erkundigen, so dann deßfalls weiter mit ihm Briefe zu wechseln, reisete wenig Tage hernach, ein jeder von uns seine Strasse.

Meine liebe Mutter traff ich in sehr schwachen Zustande an, und ob sie zwar in folgenden Tagen, durch meine Gegenwart sehr gestärckt zu werden schien, so nahm dennoch bald hernach das hectische Fieber, von neuen dergestallt überhand, daß sie endlich am 4. Decembr. selbiges Jahres, bey vollem [39] Verstande, nach gemachten unpartheyischen Testamente, sanfft und seelig verschied.

Ich leistete dem entseelten Cörper die schuldige Pflicht, ihrem letzten Willen aber eiffristen Gehorsam, und weiln meine älteste Schwester bereits vor 4. Jahren, einen ansehnlichen und wohl bemittelten Bürger geheyrathet, überließ ich demselben die Sorge vor unsere gemeinschafftlichen wenigen Güter, ließ dem jüngern Geschwister Vormünder bestätigen, gab meinem 19. jährigen Bruder, der seit 4. Jahren bey einem Kauffmanne die Handlung zu erlernen, im Begriff war, und denen Schwestern, welche die älteste Schwester nicht von sich lassen wolte, gute Vermahnungen, den jüngsten Bruder aber, bey dem sich in seinem damahligen 12ten Jahre ein ausserordentlich aufgewecktes Naturell zum Studiren zeigte, verließ unter der Zucht eines exemplarischen und besonders wohl qualificirten Schul-Collegen, welcher ihn vor jährliche bedungene Gelder, als sein leibliches Kind zu halten versprach, ich aber gelobte diesem meinem jüngern Bruder, bey künfftigen wohlverhalten, alljährlich aus meinem eigenen Vermögen, wenigstens 20. Thlr. Zubusse zu geben, damit es nicht allzu starck über sein bißgen Erbtheil hergehen möchte.

Nachdem nun solchergestallt bey den Meinigen alles in gute Ordnung gebracht war, fieng ich auch an vor meinen eigenen künfftigen Auffenthalt zu sorgen. Es wurden mir in Elbing, ohne Ruhm zu sagen verschiedene Conditiones angetragen, allein die Conduite des Herrn Frantz Martin Julii, hatte mich dermassen eingenommen, daß ich alle andern [40] fahren ließ, und ihm nunmehro in einem Briefe, meine Person zu seinen Diensten offerirte, ohngeacht ich wuste, daß in seiner Stadt ein Jesuiter-Collegium anzutreffen, und dieselbe ausser dem mit vielen Römisch-Catholischen Leuten angefüllet war, als vor welcher Art Menschen ich mich zu fürchten gnungsame Ursache fande.

Kaum hatte ich diesem redlichen Manne meine Meynung überschrieben, als er gleich folgenden Post-Tag mir 4. spec. Ducaten Reise-Gelder überschickte, und inständig bat, keinen Tag zu versäumen, sondern aufs eiligste bey ihm zu erscheinen, welchem Bitten ich denn auch, nach genommenen Abschiede von den Meinigen, billige Folge leistete.

Es war der 28. April. 1716. mein Eberhard Julius! (so redete damahls Herr Mag. Schmeltzer gegen mich,) und zwar Abends um 8. Uhr, da ich den ersten Fuß über eures Herrn Vaters Schwelle setzte, ihr waret als ein wohlgezogener Knabe, so gefällig, gleich bey dem ersten Eintritte mir entgegen zu lauffen und meine Hand zu küssen, welches mich dermassen afficirte, daß ich euch nachhero mit ungemeiner Treue geliebet, auch 4. Jahre lang, nach meinem besten Vermögen so gezogen habe, wie ich es vor GOtt, meinem Gewissen, euern Eltern, und vor euch selbst jederzeit zu verantworten getraue. Seiten meiner ist an euch, eurer frommen Schwester, und andern darzu gezogenen vornehmen Kindern, nicht das geringste versäumt worden, jedennoch habe dabey einige Zeit gehabt, meine eigene Studia zu beobachten, und mich sehr öffters in predigen zu üben, anbey unverdienter Weise vielen ungesuchten [41] Ruhm, auch manche unverhoffte Gunst, Bezeugungen und Geschencke von solchen Leuten zu empfangen; die ich öfters kurtz vorhero nicht einmahl gesehen oder gekennet hatte. Jedoch wir werden von unsern 4. jährigen Beysammen seyn, und dem was sich binnen der Zeit zugetragen, noch öffter mit einander zu sprechen, Gelegenheit haben, derowegen will voritzo nur in meinen Particulair-Geschichten fortfahren.

Vor Ostern 1720. schrieb mir ein gewisser vornehmer Universitäts-Patron, mit dem ich bißhero wenigstens monathlich Briefe gewechselt hatte: Ich solte meine Condition bey Herrn Frantz Martin Julio aufgeben, und je eher je lieber zu ihm kommen: weiln er verschiedene tüchtige Subjecta, in ein und anderes austrägliches Ammt vorzuschlagen, genöthiget worden, wannenhero er sonderlich auf mich, der ich doch würcklich kein Jüngling mehr sey, gantz besondereReflexion gemacht habe, um GOtt und der Christl. Gemeinde, entweder auf der Cantzel oder auf dem Schul-Catheder meine möglichsten Dienste zu leisten. Ich konte dergleichen Ruff nicht anders als vorregulair erkennen, derowegen nahm kurtz nach Ostern von meinem bisherigen vortrefflichen Wohlthäter, Herrn Julio, wie auch allen andern Freunden, zärtlichen Abschied, und reisete mit der geschwinden Post, zu nur erwehnten meinem eingebildeten grossen Beförderer. Selbiger empfieng mich aufs allerfreundlichste, und gab mir nach Verlauff weniger Tage, vortreffliche Recommendations-Schreiben, an verschiedene Schul-Patronos einer gewissen Stadt, von welchen ich mit Worten [42] sehr höfflich an- und auffgenommen wurde, auch nebst zweyen andern, zur Præsentation und Probe, wegen eines vacanten austräglichen Schul-Dienstes mit gelangete. Ein gewisser, ohnfehlbar hierzu abgeordneter Mann wolte mich glaubend machen: ich hätte nicht nur unter den letztern, sondern auch alle bißherigen Competenten am besten bestanden, derowegen fehlete es nur daran, daß ich dem Herrn Ephoro und regierenden Burgemeister, jedem etwa ein Dutzet Thaler, dem Herrn Schul-Vorsteher halb so viel, dem Herrn Stadt-Schreiber 6. fl. und wo mir recht ist, noch andern etwas mehr oder weniger in die Jacke würffe, so würde die gantze Sache ihre gewisse Richtigkeit haben; Allein, da ich gantz einfältig heraus sagte: Wie es solchergestallt das Ansehen haben könte: als ob ich mich in dergleichen Dienste einkauffen wolte, wovor mich doch GOtt in Gnaden behüten würde; bekam ich gleich folgendes Tages das Consilium abeundi, unter dem Vorwande: daß ich kein Magister sey, auch ihren ambitieusen Schülern nicht gravitätisch genung vorkommen möchte. Nun hätten zwar diese beyden Scrupels gar leichtlich können gehoben werden, wenn ich mir nehmlich binnen wenig Tagen ein Magister-Diploma, vor etwa 30. Thlr. und dann eine geknüpffte Peruque vor 2. oder 3. Thlr. angeschafft hätte, denn NB. ich erschien vor ihnen nur in einer kleinen naturell Peruque, allein weil ich mich völlig persuadirte, daß diesen allzu gewissenhafften Herrn Patronis, mehr mit reichlichenSpendagen, als mit einem neu gebackenen, undEtaats-peruquirten Magister gedienet sey: blieb ich bey meiner Einfalt, bedanckte [43] mich noch über dieses, vor erwiesene Ehre, ohngeacht mir kein Bissen Brod vorgesetzt, vielweniger aber die Reise-Kosten gut gethan worden, und eilete zurück, dem hohen Universitäts Patrone mein fehl geschlagenes Glück vorzustellen.

Dieser schüttelte mit dem Kopffe, und sagte weiter nichts als: Mundus regitur opinionibus. Der Herr thut wahrhafftig nicht übel, wenn er sich den längst verdienten Magister-Crantz auffsetzen läst, weiln ohnedem in wenig Tagen dergleichen öffentliche Promotion hiesiges Orts angestellet wird. Man muß sich freylich bey den wunderlichen Zeiten, so wohl in diese, als in die Leute zu schicken suchen.

Ich meines Orths begieng auf sein ferneres Zureden, würcklich die Thorheit vor etliche 30. Thlr. ein Candidatus Magisterii, ja was sage ich, nicht nur dieses, sondern ein leibhafftiger, erb- und eigenthümlicher Magister, auf meine Person und gantze Lebens-Zeit zu werden. Wiewohl, es sey ferne von mir diesen löblichen Ritum und das, was darmit verknüpfft ist, verächtlich durchzuhecheln, sondern ich will nur so viel sagen: daß mir das grosse M. vor meine Person nach der Zeit so viel nütze gewesen, als das 5te Rad am Wagen. Im Gegentheil hat es mich um das schöne Geld, welches ich ohnfehlbar besser anwenden können, und dann auch nachhero um etwas mehr Dinte und Federn gebracht.

Wenige Wochen hernach, recommendirte mich mein wohlmeynender Beförderer, an einem Edelmann auf dem Lande; von welchem er ersucht worden, ihm einen tüchtigen Menschen zu zu senden, der, [44] indem sein Pfarr-Herr und Seelsorger verstorben, mitlerzeit Predigten und Beth Stunden, in seiner Dorff-Kirche halten könte, weiln die benachbarten Herrn Pastores, selbige allzu sparsam besuchten. Der Edelmann hatte zu Ende des Briefs noch die köstliche Clausul angehenckt, daß wenn es ein gelehrter und habiler Mensch sey, man ihn en regard Ihro Magnificenz bey künfftiger Pfarr-Vergebung, vor allen andern in Consideration ziehen würde. Ich reisete demnach ohne Säumniß dahin, und wurde von dem alten Edelmanne, und seiner ebenfalls ziemlich bejahrten Gemahlin, allem Ansehen nach, recht treuhertzig bewillkommet, ja so bald ich nur meine erste Predigt abgelegt, dermassen mit Lob-Reden und täglichen Wohlthaten überhäufft, daß sie mich mehr vor einen Engel, als sterblichen Menschen zu betrachten, schienen. Ein vollkommenes viertel Jahr war ich also in dieses Edelmanns Hause und an seiner Tafel gewesen, binnen welcher Zeit ich nicht allein den Gottes-Dienst der Gemeine aufs eiffrigste befördert, sondern auch des Edelmanns zwey jüngste, sehr wild und übel erzogene Söhne, mit äuserster Treue und Liebe, auf bessere Wege zu bringen gesucht hatte; Als eines Abends mein am Podagra kranck liegender Edelmann, seinen Verwalter, welches ein betagter und ziemlich vernünfftiger Mann war, an mich schickte und melden ließ: wie ich vor dieses mahl auf die künfftige Sonntags Predigt zustudiren nicht nöthig hätte, denn es würde kommenden Sonntag, nebst andern Gästen, ein benachbarter Edelmann seinen Informatorem mit bringen, welchem der Principal eine [45] Gast-Predigt, und zwar Ehrenhalber thun zu lassen, versprechen müssen. Ich gab zu verstehen: daß solches mir von Hertzen angenehm sey, zumahlen da ich ohnedem einen starcken Catharren auf der Brust hätte. Der Verwalter aber, der sich ein wenig bey mir auffzuhalten Lust bezeugte, redete gantz treuhertzig fort: Mein lieber Herr Magister, ich will ihnen im Vertrauen eröffnen, daß eben dieser Informator auch ein Competent um den hiesigen Pfarr-Dienst ist, allein ich weiß gewiß, daß mein Principal, den Herrn Magister vor allen andern erwehlen wird, daferne sich derselbe nur in einem eintzigen Stücke nach seinem, und sonderlich der Frau Principalin Sinne richtet. Ich stellete mich recht sehr aufmercksam an, einer Sache die ich bißhero nicht gemerckt oder mercken wollen, vollkommen vergewissert zu werden, im Gegentheil wuste der gute Verwalter nicht Umschweiffe genung zu machen, die ihm, von der Frau Principalin, in den Mund gelegten Worte manierlich heraus zu bringen. Jedoch ich will mich nicht lange bey dieser ärgerlichen Sache auffhalten, sondern nur kurtz heraus sagen, daß die Edel-Frau, welche nicht allein vom Jure Patronatus, sondern auch von der gantzen Hauß-Herrschafft, den grösten Zipffel in beyden Händen hielt, eine 35. jährige Jungfer zur Außgeberin bey sich hatte, welche derjenige, so die Pfarr haben wolle, unumgänglich zu heyrathen, sich anheischig machen solte. Allein ich gab den Verwalter hierauff gantz trocken und deutlich zu vernehmen: daß wenn auch dieses erwehnte Frauenzimmer, ihr nicht eben heßliches Gesichte in ein englisches, und ihr mittelmäßiges Naturell, in [46] die aller ganlanteste Aufführung verwandeln könte, so hätte doch ich ein dermassen zartes Gewissen daß ich eher Zeit lebens die Schweine hüten, als mich solchergestallt in eine Pfarre eindringen, und meine Vocation in eine Weiber-Schürtze gewickelt, annehmen wolte. Will mich GOtt, sprach ich ferner, zum Hirten einer christlichen Heerde haben, wird er mich wohl durch reputirliche und erlaubte Wege darzu führen, wo nicht, so wird er mir Gelegenheit zeigen, mein Brod auf andere ehrliche Weise zu verdienen.

Diese Erklärung war vermögend genung alle meine kräfftigen Recommendationes, ja meine gantze Pfarr-Hoffnung, hiesiges Orts, über einen hauffen zu werffen, denn da ich gleich des andern Tages, so wohl von dem Principal, als dessen Gemahlin, wie nicht weniger der Jungfer Ausgebern, die scheelesten Minen empfieng, war gar leicht zu mercken, daß der Verwalter offenhertzig ausgebeichtet, mir aber würcklich damit den grösten Gefallen erwiesen hatte.

Folgenden Sonntag, kam nebst denen vornehmen Gästen, auch bereits erwehnter Informator an, welches zwar ein wohl ansehnlicher, und mit einer ziemlich starcken Sprache begabter Mensch, im übrigen aber ein sehr schwacher Gelehrter war, wie denn alle seine Reden, und vornehmlich die erbärmlich zusammen gestoppelte Predigt, deßfalls sattsames Zeugniß ablegten. Dem ohngeacht wurde in meines Principals Hause, ein ziemliches Wesen von diesem Menschen gemacht, jedoch keiner andern Ursache wegen: als weil er einige verliebte Blicke auf die [47] Jungfer Ausgeberin gespielet, und sich schon unterwegs gegen unsern Kutscher verlauten lassen: derjenige Mensch hätte vom Glücke zu sagen, welcher mit der Zeit die kluge, haußwirthliche, tugendhaffte und überhaupt wohl qualificirte Jungfer Ausgeberin zur Ehe bekäme, die er nur ein eintziges mahl von ferne zu sehen die Ehre gehabt hätte.

Nächst folgendes Tages ließ mich der Principal selbsten vor sich kommen, und that denjenigen Vorschlag, mit einer hochadelichen ernsthafften Mine, selbst ungescheut, welchen mir der Verwalter vor wenig Tagen nur als im Vertrauen gesteckt hatte, betheurete anbey hoch, daß ich Seiten seiner, den Vorzug vor allen andern Competenten hätte, jedoch seine Gemahlin, und er selbst, hielte vor höchst billig, ihre fromme und keusche Hauß-Jungfer, wegen ihrer von Jugend auf geleisteten treuen Dienste, zugleich mit zu versorgen. Allein ich wiederholete meinen, dem Verwalter bereits eröffneten Schluß, und bat: Seine Wohlgebohrnen möchten sich solchergestallt meinetwegen nicht abhalten lassen, Dero Pfarre zu geben wem sie wolten, ich gönnete gern einem jeden das, was er sich wünschte, auch vor GOtt und seinen Gewissen zu verantworten getrauete, meines theils aber wäre sehr scrupulôs, und wolte lieber mit guten Gewissen Betteln gehen, als mit schweren Gewissen in den vornehmsten Ammte sitzen. Die Frau Principalin kam ebenfalls darzu, und konte, nachdem sie ihre Hauß-Jungfer aufs Beste heraus gestrichen, fast nicht Worte genung ersinnen, meinen so genandten Eigen-Sinn zu brechen, allein ich verharrete bey meinem Entschlusse, und bat: so bald es [48] ohne Verhinderung des Gottesdienstes geschehen könte, mir meine Dimission zu geben.

Selbige bekam ich also noch an eben diesem Tage, jedoch mit der unerwarteten Erlaubniß, künfftigen Sonntag noch einmahl zu predigen, bey solcher Gelegenheit nahm von der gantzen christlichen Gemeine öffentlichen Abschied, und wünschte ihnen: daß die erledigte Seelen-Hirten-Stelle, mit einem rechtmäßiger weise beruffenen Diener des Worts ersetzt werden, und dessen Leben jederzeit mit Christi Lehre wohl überein stimmen möchte.

Es gab nach verrichteten GOttes Dienst ein starckes Gemurmele unter der Gemeine auf dem Kirch-Hofe, allein, ich ließ mich nichts anfechten, sondern reisete mit Anbruch des folgenden Montags, nach genommenen freundlichen Abschiede von allen, die mir nur die geringste Güte erzeigt hatten, gantz vergnügt zu meinem Universitäts-Patrone.

Selbiger rieff, nachdem ich ihm meine Avanture erzehlet, abermahls aus: O tempora, o mores! lobte aber meine gefassete Resolution, und ermahnte mich, nur nicht zu verzagen, weiln sich mein Glücke noch zu rechter Zeit finden würde. Immittelst hatte letzt gedachter Edelmann keine andere Ursache meiner Dimission vorzuschützen gewust, als daß meine Sprache zu schwach sey, und seine Kirche nicht allzuwohl ausfüllen könte, welches doch ein lächerliches und wider die Wahrheit lauffendes Geschwätz war, seine Bauern aber, die etwan auch ein Wort bey der Wahl eines neuen Predigers zu sprechen hatten, setzten sich starck wider den Beruff des oberwehnten Informatoris, haben [49] auch, wie mir gesagt worden, die grobe Expression gebraucht: Wenn es nur auf die starck-brüllende Stimme allein ankäme, so übertreffe ihr Dorff-Ochse den Informatorem bey weiten. Allein, die armen Leute haben doch, nach vielen processiren, denselben endlich mit Gewalt annehmen, und er die Jungfer Ausgeberin ebenfalls gezwungen heyrathen müssen, nachdem er viele listige Streiche, sich von dem, mit ihr eingegangenen Verlöbniß loß zu wickeln, gespielet hatte.

Wenige Wochen nach meiner Zurückkunfft erhielt ich abermahls, und zwar ohne Zweiffel auf geheime Unterhandlung meines Patrons, ein Invitations-Schreiben zu einer Probe Predigt in einer nahgelegenen mittelmäßigen Stadt, welchem zu Folge, mich denn zu gehöriger Zeit aufmachte, und selbige nach meinem Vermögen unerschrocken ablegte, auch nach dasiger gewöhnlichen Art ein ziemlich scharffes tentamen, und zwar hauptsächlich über den Locum de providentia divina auszustehen hatte. Ich muß abermahls hierbey, jedoch ohne eitlen Ruhm, bekennen, daß mir viel gutes nachgesagt wurde, so, daß ich in der Wahl die allermeisten Vota gehabt haben soll, jedoch eine verzweiffelte Verleumdung, machte auch dasiges Orts alles wiederum rückgängig. Denn als ich eines Abends im Post-Hause, allwo mein Logis war, unter etlichen daselbst einheimischen Gelehrten, auch frembden sehr vernünfftigen Passagiers, meinen Platz erhalten, und unvermerckt mit in den Discours de motu mechanico gezogen wurde, worbey ihrer etliche einen berühmten Professorem, [50] wegen seiner etwas hart lautenden Grund-Sätze, gantz und gar zum Atheisten machen wolten; gab ich mir die Mühe, ihn disputationis gratia zu defendiren, zeigte auch, daß derselbe Grund gelehrte Mann in vielen Stücken gantz anders verstanden seyn wolte.

Da nun die darbey sitzenden einheimischen jungen Gelehrten letztlich fast nichts mehr gegen meine, wiewohl mehrentheils schertzhaffte defension aufzubringen wusten, mögen sie etwa aus Verdruß und Boßheit in der gantzen Stadt aussprengen: Ich wäre ein Ertz-Anhänger von dem oberwehnten Professore, und würde in dem heiligen Predigt-Amte treffliche Streiche machen. Nun muste mich zwar von rechtswegen das geistliche Ministerium, welches meine principia Theologica ernsthafftig genug angehöret hatte, selbsten defendiren, allein ein alter halb-gelehrter Compatronus, der eine starcke Freundschafft in der Stadt hatte, und der, im Fall nur ich abgewiesen wäre, seinen nahen Vetter desto eher auf die Cantzel zu bringen gedachte, tritt so gleich auf und rufft: O Domini! Domini! latet anguis in herba, bedencket nach eurem Gewissen, was das beste sey, auch der geringste Verdacht in diesem Stücke, ist schon vermögend Irrthümer anzurichten, es sind noch genug andere untadelhaffte Leute in der Welt anzutreffen, ob sie gleich nicht in so vielen speculativischen Dingen geübt sind.

Einige mir ungemein wohlwollende, doch mehrentheils unbekandte Gönner, verursachten, daß ich dieser Blame wegen, noch einmahl vor dem dasigen Corpore Theologico erscheinen, und meines Glaubens[51] wegen Rechenschafft geben muste, so bald dieses zu meiner Avantage geschehen war, bath ich mir als eine außerordentliche Gütigkeit aus: daß mir vergönnet werden möchte: gleich morgendes Tages vor Gelehrten und Ungelehrten, an einem öffentlichen Orte, jedoch ausser der Kirche, meine Lehr-Art in einer sanfftmüthigen Deutschen Oration ordentlich vorzustellen. Solches wurde mir gewünscht erlaubt, und zwar in dem grossen Schul-Auditorio, allwo sich früh zwischen 8. und 9. Uhr, alle gelehrte und ungelehrteHonoratiores versammleten. Demnach fieng ich an zu peroriren, erzehlete meinen Lebens-Lauff gantz kurtz, that mein Glaubens-Bekäntniß desto weitläufftiger, und provocirte hernach meine boßhafftenCalumnianten, mit sanfftmüthigen Geiste, sich allhier öffentlich meiner Lehre, Leben und Wandel zu opponiren, und meiner fernern Erklärung gewärtig zu seyn. Allein, ob gleich alle dieselben zugegen waren, so wolte doch kein eintziger seinen Mund aufthun, derowegen sprach ich nach langen warten: Es ist genung vor mich, daß sich mein gantzes Wesen hiesiges Orts gerechtfertigt gefunden, derowegen will im Nahmen des HErrn meine Strasse wiederum zurück ziehen, und mein anderweitiges Glück mit ruhiger Gelassenheit erwarten, um denen, so an ihrer Beförderung verzweiffeln wollen, so wohl als meinen Verleumdern keine fernere Ungelegenheit zu verursachen. Dieserwegen wurde ich folgenden Nachmittag in eine Versammlung verschiedener redlicher Leute geruffen, welche sich zwar, so wohl als der Primarius des geistlichen Ministerii selbst, viele Mühe gaben,[52] meine wieder Fort-Reise zu hintertreiben, hergegen fest versicherten, die Sache ohne meine geringste Bekümmerniß und ohne allen fernern Streit auf erwünschen Fuß zu setzen; allein, da ich binnen wenig Tagen erfuhr, daß der oben erwehnte halbgelehrteCompatronus mit seinem Anhange allerhand verdrüßliche Händel in der Stadt anzuspinnen suchte, hergegen von andern rechtschaffenen Patrioten allerhand Gegen-Verfassungen gemacht wurden, nahm ich alles Bittens und Zuredens ungeacht, von allen redlich-gesinneten Gönnern und Freunden plötzlichen Abschied, und zwar aus keiner andern Ursache, als meine Person nicht zur Ursache des Zwiespalts, Zancks und Streits zu machen.

Meine Rückreise gieng abermahls zu dem offterwehnten Universitäts-Patrono, welcher nach Anhörung meiner Fatalitäten diesen Vigilianischen Vers ausrieff: Ah!


Discite justitiam, moniti, & non temnere divos.

der bey dieser Gelegenheit auf Deutsch so viel zu verstehen geben solte:
Ihr Richter lernt das Recht, und gebet GOtt die Ehre,
Verdammt nicht unerwegt gescheuter Leute Lehre.

Dem allen ohngeacht war dieser mein grosser Patron sehr geflissen, ja gantz unermüdet, mich rechtschaffen unterzubringen, da aber bey allen Gelegenheiten gantz besonders scrupuleuse Umstände versirten, [53] konte ich nicht anders dencken, als daß es GOttes Wille nicht sey, mich durch die Vorsorge dieses sonst sehr berühmten Mannes zu versorgen. Ihm also keine fernere Mühe mehr zu verursachen, nahm von demselben auf etliche Wochen Abschied, nachdem ich vor seine besondere Mühwaltung gehorsamst-schuldigsten Danck abgestattet, u. mich seines beständigen Wohlwollens bestens versichert hatte.

Meine Reise gieng mit einem guten Freunde, der viel Lobens- würdiges an sich, und sehr fleißig Jura studiret hatte, in seine Geburths-Stadt, allwo ich bey seinen vornehmen und überaus gutthätigen Eltern, etliche Wochen als ein Gast zu verbleiben, mich fast gezwungen sahe. Hieselbst fand nun mitlerweile gar leichtlich. Gelegenheit, so wohl bey dem Ober-Pfarrer, als bey den andern Herrn Geistlichen, einen freyen Zutritt zu erhalten, ja weiln nur gemeldter Ober-Pfarrer ein ziemlicher Valetudinarius war, ließ ich michper tertium bereden: um ein billiges Kost-Geld eine Zeitlang den Aufenthalt in dessen Hause zu suchen, an seinem Tische mit zu speisen, und ihm seine vielen Ammts-Verrichtungen, nach meinem Vermögen, und so viel als zuläßig war, besorgen zu helffen. Der ehrliche Mann sahe wohl, daß ich mir in keinem Stücke, auch so gar in einigen Haußhaltungs-Geschäfften, einige Mühe verdrüffen ließ, wolte derowegen nicht das geringste von Kost-Gelde oder Stuben-Zinse annehmen, allein seine Ehe-Frau, die eine Dame von gantz wunderbarer Conduite, und schon ziemlich bey Jahren war, wuste sich dennoch meines Geld-Beutels auf so artige und uninteressirt-scheinende [54] Art zu bedienen, daß sie zuweilen ein mehrers aus selbigem Zog, als das offerirte Honorarium austrug. Es war immer Schade um diesen sonst aller Ehren würdigen Mann, daß er ein Sclave der Affecten seines Weibes war, denn weil sie ihn betäubt hatte, den Bischoffs-Stab nach ihrem Willen, als eine Wünschel-Ruthe zu gebrauchen, so muste dieselbe bey Besetzung ein und anderer geistlichen Aemter nur auf diejenigen Personen schlagen, allwo diese geitzige Frau, auf importante Spendagen sichere Rechnung machen konte. Hätte ich dieses vorher gewust, so würde mich vor diesem Hause gehütet haben, so aber erfuhr alles nur nach und nach. Von vielen Exempeln nur etliche wenige zu erzehlen, so hatte um selbige Zeit ein gewisser vornehmer Herrn Diener die Unzucht begangen, sich mit einer Weibs-Person fleischlich zu vermischen, welchen Flecken abzuwischen, er endlich dieCopulation eingieng, und sich der gewöhnlichen Geld-Busse unterwarff. Wegen der Copulation wurde ihm zwar gewillfahret, andern theils aber wolte der Herr Ober-Pfarre aus gantz besondern Ursachen beyde Leute nicht eher zum heiligen Abendmahle lassen, biß sie die ordentliche Kirchen-Busse gethan, und der christlichen Gemeine das gegebene Aergerniß, kniend abgebeten hätten. Der Herr des erwehnten Dieners wolte selbigen nicht gern vor allen Leuten prostituirt wissen, wandte derowegen viele Mühe an, von dem Ober-Pfarrer dasjenige Beneficium zu erhalten, welches bereits vielen andern privat-Personen vor baares Geld angediehen war; allein, ziemlich lange Zeit gantz vergebens, endlich schlug [55] sich die FrauPrimariin ins Mittel, ließ erwehnten Herrn ersuchen, ihr vor ihren Sohn, der Auditeur unter der Soldatesque war, um Geld und gute Worte ein paar Hirsch-Häute zum Collett und Hosen zu überlassen, da nun solchergestalt der Herr vermerckte, wo er Bartheln müste Most holen lassen, gab er, dem im Kirchen-Bann sich befindlichen Diener, zwey Hirsch-Häute, selbige der Frau Primariin als ein Geschenck zu überbringen, die ihm denn gleich augenblicklich völligeAbolition seines Verbrechens, nebst der Erlaubniß zu wege brachte, noch selbigen Tages in den Beicht-Stuhl und morgendes Tags zum Tische des HErrn zu kommen. Dieses hieß nun freylich seine Affecten mehr als zu starck verrathen zu haben, allein, der gute Mann muste ja wohl den Binde- und Löse-Schlüssel nach seiner Frauen Anweisung gebrauchen. Zur andern Zeit hatte abermahls ein im Ehestande lebender Mann sich gelüsten lassen, eine ledige Dirne zu Falle zu bringen, nachdem aber selbige die Zeichen ihrer Schwangerschafft, und über dieses leichtlich merckt: daß es am klügsten gehandelt sey, von ihrem Ehren-Schänder ein Stücke Geld zu nehmen, und auf einen andern zu bekennen, findet sie bald Gelegenheit, sich einem andern liederlichen Kerl zu unterwerffen, welchen sie auch hernach als Vater ihres Hur-Kindes angab. Beyde Schand-Schwäger kommen hierauf mit einander zum Streite, so, daß immer einer dem andern das Vater-Recht an den Halß wirfft, biß die Sache endlich an die Geistlichkeit gelanget. Der vereheligte mag ohnfehlbar bessern Bescheid wissen als der andere, [56] überbringt derowegen der Frau Primariin ein paar Päcklein feines Zeug, welches kaum mit der Elle ausgemessen, da schon der fröliche Geber von aller Schuld loß gesprochen ist, ja als der andere Mensch diesen Flecken nicht alleine wolle auf sich hafften lassen, giebt ihm der Herr Primarius noch diese tröstliche Vermahnung: Er solle es doch immer gut seyn lassen, es wäre ein menschlicher Fehler, welcher durch eine mäßige Kirchen-Censur abgethan werden könte, er wäre ein lediger Mensch, der aus Liebe zu seinem vereheligten Nächsten, dergleichen Sache eher auf sich nehmen könte, als der andere, mit dem es schon etwas mehreres auf sich hätte.

Man bedencke, ob allhier nicht eingetroffen, was GOtt durch den Propheten Micha, cap. 3. v. 11 redet: Ihre Häupter richten um Geschencke, ihre Priester lehren um Lohn, und ihre Propheten wahrsagen um Geld. Jedoch nur noch etwas weniges und wahrhafftes von meinem damahligen Patrono zu melden, so wuste er alles dermassen politisch zu spielen, daß niemand leichtlich einen Pfarr- oder Schul-Dienst in der Stadt oder auf dem Lande bekam, als wer sich vorhero quovis modo mit der Frau abgefunden, denn weil deren Mann die andern Kirchen- und Schul-Patronos dergestalt eingenommen hatte, daß sie ihn in allen dergleichen Handlungen fast nach eigenen Gefallen schalten und walten liessen, that er mehrentheils was er wolte, doch besser gesagt, was seiner Frauen gefiel. Ich weiß etliche arme Dorff-Prediger, die sich wehe genung haben [57] thun müssen, ehe sie das versprochene honorarium, theils mit Korn, Wäitzen, Gerste, Butter, Käse, Flachs, jungen Schweinen, Kälbern, Hünern, Gänsen, etc. theils mit baaren Gelde abtragen können, worüber dennoch die allzu nahrhaffte Frau das debet und dedit nach ihrer Autorität einrichtete. Ein gewisser noch ziemlich passabler Studiosus Theol. bekam den allerelendesten Schul-Collegen-Dienst in der Stadt, jedennoch aus lautern Gnaden, dieweil er ein sehr artiges, und von seinen eigenen Händen fabricirtes Poppen-Schränckgen mit Schublädgen zum Present überreichte. Ich glaube nicht ohne Ursach, daß in einem, solcher Schublädgen, etwa etliche geharnischte Männer mit Schwerdtern, verarrestirt gelegen, kan es aber dennoch nicht vor gantz gewiß aussagen. Die Herrn Dorff-Schulmeisters oder Cantores, wie sie gern heissen wolten, musten sich desto genereuser zeigen ein oder ein paar Bienen-Stöcke, etliche Kannen Honig oder Pflaumen-Muß, Butter und Käsewurden gantznegligent angenommen, derjenige aber, so einen oder ein paar fette Consistorial-Vogel, wenigstens so viel Capaunen, eine mit vielen Küchleins gesegnete Gluck-Henne, und dergleichen brachte, bekam nicht allein freundlichere Minen, sondern verblümter weise so gar spem successionis auf die Pfarre. Sonsten war die Frau Primariin die Zuflucht aller Männer-begierigen Jungfern, denn wenn diese nur erstlich die rechten Schliche zu Deroselben Hertzen fanden, wurden ihnen nach Standes-Gebühr gar bald mit einem Pfarrer, Kirchen- oder Schul-Diener geholffen, und solcher [58] gestalt büssete der gute Sanct Andreas, auch bey dem allerabergläubigsten Frauenzimmer, seinen völligen Credit ein. Denen Wittben und Wäysen war diese Frau ungemein tröstlich, denn selbige mochten hier oder dort eine gerechte oder ungerechte Forderung anstellen, so muste ihnen dennoch das Urtheil favorabel gesprochen werden, daferne sie nur etwas im Vermögen und zu spendiren hatten. Denen alten armen Leuten, aber nur weibliches Geschlechts, stund ihre milde Hand täglich offen, weil selbige sonderlich geschickt waren, alle neue Mähren, so in der Stadt und auf dem Lande passirten, in ihr Cabinet zusammen zu tragen, welches zu gewissen Tages-Stunden allen dergleichen Posten-Trägerinnen offen stund. Ubrigens, aller häuffigen Einkünffte ohngeacht, regierte doch Schmal-Hans, ihrer excessiven Nahrhafftigkeit wegen, in allen Ecken; so, daß kaum die Kinder, das Hauß-Gesinde aber um so viel desto weniger, satt zu essen bekamen, weßwegen denn selten eine Magd über ein Viertel Jahr bey ihr blieb. Recht ärgerlich war es, daß offtermeldte Frau ihre Kinder in allen nur ersinnlichen Thorheiten unterwieß, indem sie ihnen, ihrer Meynung nach, die Grund-Reguln der Politique beyzubringen gedachte. Konte der jüngste Sohn ex tempore eine Lügen aus der Lufft schnappen, so war es zwar nach ihrem Sinne eine Anzeigung eines inventieusen Kopffs, daferne er aber seine Lügen nicht mit besondern wahrscheinlichen Umständen unverschämter Weise defendiren und fortführen konte, muste er einen Verweiß einstecken, und aus ihrem mütterlichen Munde die [59] subtilesten Cautelen anhören und behertzigen. Den ältern Sohn unterwiese sie selbsten fast täglich in der Kunst, mit galanten Frauenzimmer zuconversiren, er muste lernen charmiren, obliganteComplimente machen, eines Frauenzimmers Hand und Mund a la mode küssen, und hunderterley dergleichen Thorheiten mehr begehen, von welchem allen er denn bey der Frau Mamma offt wiederholte Proben ablegen muste. Die älteste von ihren Töchtern war würcklich ein sehr wohl qualificirtes Frauenzimmer, und läugnete selbst nicht, daß sie bereits seit einiger Zeit an einen anständigen und Standes- mäßigen Liebsten versprochen sey, ich habe aber einige Zeit nach meinem Hinwegreisen vernommen, daß die Frau Fick-Fackerin, nach ihrer eingebildeten Weißheit, ihren christlichen Mann endlich beredet, aus gewissen Staats-Ursachen, solches Verlöbniß zu wiederruffen, und die Tochter an einen andern, wiewohl eben nicht so gar angenehmen Mann, zu verheyrathen. Ich vor meine Person hatte zwar eben nicht Ursach über meinTractament zu klagen, allein, so bald ich alle Anstalten dieses Hauses in genauere Betrachtung gezogen, über dieses erwogen hatte, daß ich hiesiges Orts ebenfalls keine Beförderung, ohne sonderbare Knoten und Gewissens-Scrupel, erhalten würde, bedachte ich mich kurtz, und trat, so bald mein voraus bezahltes Kost-Geld verzehrt zu haben meynte, eine Reise nach meinem Vaterlande an, mit dem Versprechen, nach Beschaffenheit meiner Umstände vielleicht bald zurück zu kommen.

Nun war es zwar an dem, daß ich die Meinigen,[60] von welchen ich wenigstens monathlich Briefe empfieng, einmahl besuchen, und sonderlich wegen meines jüngsten Bruders ein oder andere Anstalt machen wolte, allein, es wurde mir unterwegs in einer berühmten Stadt bey einem hochansehnlichen Manne die Condition eines Informatoris seiner 3. wohlgezogenen Söhne angetragen, die ich ohne langes Bedencken annahm, und meinen jüngsten Bruder auf der Post zu mir zu kommen verschrieb.

Er gelangete nebst seinen Sachen bey mir an, und weiln selbiges Orts eine sehr wohlbestellte Schule anzutreffen, sich auch verschiedene Wohlthäter fanden, welche ihn mit freyem Tische und Stube begabten, muste er fleißig in die Schule und bey mir zur privat-Information gehen, welches denn so viel fruchtete, daß ich ihn endlich um Michaëlis 1723. mit guten Gewissen auf die Universität, um daselbst ebenfallsTheologiam zu studiren, schicken konte. Mir gieng es immittelst sehr wohl in meines dasigen Principals Diensten, ja ich hatte so wohl als derselbe mein besonderes Vergnügen, über die gute Aufführung und den besondern Fleiß meiner Untergebenen. Endlich wurde mir gerathen, mich wegen einer erledigten Diaconats-Stelle, so wohl als andere ehrliche Leute zu melden, weiln die Herrn Patroni doch auch, wie es hieß, darum begrüßt seyn wolten, und nicht leichtlich die Vocation einem entgegen zu schicken pflegten. Ich folgte, und hatte das Glücke, unter 24. Competenten selb- 4te mit ausgelesen und examinirt zu werden, den Dienst aber bekam einer meiner allerwerthesten Schul- und Universitäts-Freunde, dem ich wegen[61] seiner sonderbaren Meriten und unserer Freundschafft, die sich bey unserer damahligen Zusammenkunfft gantz erneuerte, sein Glück von Grund der Seelen gönnete.

Wenige Zeit hernach wurde das Schul-Rectorat vacant, ich hielt auf Zureden meines Principals ebenfalls darum an, wurde auch abermahls nebst 3. andern Candidaten zum Examine beruffen, und hatte, wie ich es ohne eiteln Ruhm meinem Principal nachrede, unter allen am besten bestanden, dahero die gröste Hoffnung, diesen Dienst gewiß zu erhalten, allein zu meinem Unglücke muste mein Principal oben selbiges Jahr wenig in dergleichen Sachen zu sprechen haben, und ob er zwar, gewisser Ursachen wegen, nebst andern Gönnern dennoch zu meinem Vortheil durchdringen können, so schlug sich doch ein Höherer ins Mittel, welcher die hinlänglichen Meriten seines seit 10. Jahren gewesenen Informations-Raths inConsideration zog, hauptsächlich aber vorstellete: Wie derselbe sich anheischig gemacht, um die Helffte der ordinairen Besoldung zu dienen, wannenhero man bey jetzigen erschöpften Ærario, und Geld-mangelnden Zeiten, vor das übrige, noch einen höchst-bedürfftigen Schul-Collegen verschaffen und annehmen könte.

Mein Principal war hiermit zwar sehr übel zu frieden, suchte aber jedennoch mich zu bereden, dieseCondition, in spem futuræ promotionis, ebenfalls einzugehen, weil ich solchergestalt dennoch vor jenem den Vorzug haben solte; allein, weil ich mir ein Gewissen machte, derjenige Mensch zu seyn, von welchem die Successores dieses Dienstes, übel [62] reden, ihn auch vielleicht gar wegen seines übler ausgelegten Beginnens gar verfluchten möchten ausser dem gar nicht gesonnen war, eine verdächtige oder auf Schrauben stehende Vocation anzunehmen, so konte es nicht anders seyn, als daß ich abermahls leer ausgehen muste. Jedoch wurde mir von allen sanctissime versprochen, daß ich von nun an die erste die beste Vocation, und zwar ohne eintziges ferneres Tentamen, Examen und alles empfangen solte.

Also blieb ich bey meinem Principal nach wie vor zufrieden, obschon dessen zwey ältesten Söhne bald hernach auf eben die Universität, wo mein jüngster Bruder lebte, geschickt wurden. Eben dieser mein Bruder hatte sich gleich anfangs sehr wohl bey ihneninsinuiret, wurde derowegen von diesen zweyen Wohlthätern, auf Befehl ihres Vaters, in allen defrayret, welches ich vor meine Person mit besondern Freuden und allem ersinnlichen Dancke erkandte. Ich hatte mit dem jüngsten Sohne wenig Arbeit, und doch eben die vorige Besoldung, da ich aber mittlerzeit, mein Eberhard Julius, mit eurem Herrn Vater, und andern werthen Freunden in eurer Geburths-Stadt, zum öfftern Briefe gewechselt, und ihnen den Ort meines Auffenthalts jederzeit bekandt gemacht hatte, bekam ich am 3ten Martii des abgelauffenen 1725ten Jahres, von einem derselben, ohnverhofft solche Briefe, worinnen ich gebethen wurde, aufs eiligste bey ihnen zu erscheinen, weil vor meine Person eine gantz besonders treffliche Condition offen sey, ich will nicht sagen, worinnen dieselbe bestanden, sondern aus [63] schuldiger Demuth melden, daß ich mich derselben unwürdig zu schätzen so wichtige Ursachen, als desto weniger zu befürchten gehabt, vergebliche Ansuchung zu thun.

Allein da unerforschliche Verhängniß hatte gantz widerwärtig-scheinende Schlüsse gegen mich gefasset, denn, nachdem ich von meinem Principal etliche Wochen Erlaubniß zur Heim-Reise ausgebethen, und bereits auf der geschwinden Post bey nahe 20. Meilen zurück gelegt hatte, schlug einsmahls mitten in der Nacht der Post-Wagen dergestalt unglücklich vor mich um, daß nicht allein durch die nachschiessenden aufgepackten Kasten meine beyden Beine sehr geschellert, sondern über dieses der rechte Arm schmertzlich zerbrochen wurde. Einem andern Passagier gieng es noch erbärmlicher, indem er im stürtzen das Halß-Genicke zerbrochen, und augenblicklich seinen Geist aufgab, zwey noch andere aber, waren fast eben so unglücklich worden als ich. Der Wagen wurde zwar endlich mit gröster Mühe wieder aufgerichtet, und wir elenden, von 3. annoch gesunden Personen, wiederum drauf gesetzt, allein ich weiß es am allerbesten, was ich, binnen etlichen Stunden, vor grausame Schmertzen ausgestanden, und zwar so lange, biß wir endlich nach angebrochenen Tage, eine mittelmäßige Stadt erreichten, und uns von einem daselbst wohnhafftenChirurgo und darzu beruffenen Medico, konten zu Hülffe kommen lassen.

Ich war der elendeste unter allen, wurde zwar am Arm und Beinen behörig verbunden, empfand auch an selbigen einige Linderung, jedoch die starcke Contusion am Rückgrad, mochte eine innerliche [64] Inflammation verursacht haben, weßwegen mich wenig Tage hernach ein hitziges Fieber überfiel, woran ich biß in die 4te Woche höchst gefährlich darnieder lag. Die Heilung meines zerbrochenen Arms, wie auch der angeschellerten Beine, wurde hierdurch um ein merckliches verzögert, endlich aber befand mich in der siebenden Woche wiederum kräfftig genung, die fernere Reise anzutreten. Mitlerweile hatte zwar zwey Briefe an euern Herrn Vater, mein liebster Eberhard, schreiben lassen, und demselben mein zugestossenes Unglücke, so wohl auch nachgehends die ziemliche Besserung zu wissen gethan, allein ich habe nicht erfahren, ob dieselben richtig eingelauffen oder verlohren gegangen sind, denn bey meiner Ankunfft fand ich alles verändert in eures Vaters Hause, derselbe war bereits verreiset, niemand aber konte mich berichten wohin. Dieses sonst mehr als zu redlichen Mannes besondere Fatalität kränckte mich fast noch mehr, als mein eigenes gehabtes Unglück, welches doch zugleich verursacht hatte: daß ich abmermahls um eine schöne Condition gekommen, weil selbige wegen meines allzulangen aussen bleibens allbereit mit einem andern Subjecto besetzt war.

Wer hätte wohl bey dergleichen offt wiederhohlten Streichen des falschen Glücks nicht endlich ungeduldig und zaghafft, ja gar zweiffelhafft an seiner Beförderung werden wollen? Doch GOTT sey Lob, ich bin in geziemender Gelassenheit verblieben, und habe beständig geglaubt: daß die rechte Stunde zu meiner Beförderung noch nicht erschienen sey. Nun hatte mir zwar vorgenommen, nur wenige [65] Tage von der kümmerlichen Reise auszuruhen, hernach zu meinen, in Elbing befindlichen Geschwister zu reisen, allein es fügte sich unverhofft, daß ich vorhero von gegenwärtigen Herrn Wolffgang muste ins Predig-Ammt beruffen werden. Es hat derselbe mir neulichst alles umständlich erzehlet, was zwischen und mit uns vorgegangen, derowegen will Weitläuftigkeit zu vermeiden, solches nicht noch einmahl wiederholen, sondern nur melden, daß so bald unter uns alles richtig verabredet worden, ich die Reise zu meinem Geschwister aufs eiligste vornahm. Dieselben fand ich zwar nicht alle beysammen, denn der nach mir folgende Bruder, welcher die Handlung erlernet hatte, war nach Coppenhagen gereiset, und daselbst so glücklich gewesen, eine sehr begüterte junge Wittbe zu heyrathen, die zweyte Schwester, war allbereits dem substituirten Sohne des jenigen Priesters angetrauet, der meinen seel. Vater in der Pfarre succedirt hatte, der jüngste Bruder aber befand sich schon seit anderthalb Jahren auf der Universität, dem ohngeacht erfreute ich mich hertzlich Nachricht zu erhalten, daß es einem jeglichen meiner Geschwister wohl gienge. Die älteste und jüngste Schwester empfiengen mich so wohl als mein Schwager selbst, mit freudigen Thränen, selbige aber wurden in Jammer und Klagen verwandelt, so bald sie meinen Vorsatz vernommen, eine sehr weite Reise zur See anzutreten, derowegen suchte ich sie aufs möglichste zu besänfftigen, reisete auch gleich folgendes Tages nach meiner Ankunfft, in ihrer Gesellschafft zur mittlern Schwester aufs Land. Daselbst giengen die hertzlichen Freuden-Bezeugungen [66] aufs neue an, und ich hatte noch selbigen Abend das Vergnügen, meine jüngste Schwester an einen jungen wohlhabenden Frey-Gassen zu verloben, welcher schon seit etlichen Wochen bey ihren Geschwister um sie geworben, jedoch bißhero eintzig und allein auf meine schrifftliche Einwilligung vertröstet worden. Nach diesen theilete ich mein weniges Vermögen, nebst noch 500. Thlr. von demjenigen Gelde, so mir Herr Wolffgang geschenckt hatte, unter meine Geschwister in so weit zu gleichen Theilen aus, daß nur der jüngste Bruder 200. Thlr. mehr als die andern bekam, um seine Studia desto besser fortzusetzen. Diesem übersandte, bey dem schrifftlich von ihm genommenen Abschiede, eine sorgfältige Instruction wie er seine Zeit auf Universitäten nützlich anwenden und sich in den Stand setzen solte, mit der Zeit ein rechtschaffener Arbeiter in dem Weinberge GOttes zu werden. Von dem Coppenhagner Bruder nahm ich ebenfalls schrifftlichen Abschied, der Mündliche aber bey den Schwestern und Schwägern war desto zärtlicher, jedoch ich sahe mich verbunden dem Göttl. Ruffe zu folgen, ließ mich derowegen nichts anfechten, sondern brachte alle diejenigen Sachen, so ich mitzunehmen vor höchst nöthig erachtete eiligst in Ordnung, und reisete mit guten Winde zur See biß Lübeck, weiln mich aber daselbst muste außsetzen lassen, und vernahmen: daß dem Winde nicht allerdings zu trauen, von ihm zwischen dato und Johannis-Tage nach Amsterdam geführet zu werden, also viel besser gethan wäre, die Reise zu Lande fortzusetzen; versuchte ich solches biß Hamburg, jedoch da [67] mich selbiges Orts andere Leute versicherten, daß ich am allergeschwindesten und beqvemsten zu Schiffe fortkommen würde, ließ ich mich abermahls zur Einschiffung bereden, gelangete auch solchergestallt am 22. Jun. gegen Abend, glück ich in Amsterdam an. Den folgenden Tag wendete zu Ausschiffung meiner Sachen, und nach diesen, höchst ermüdet, zum Ausruhen an, am Fest-Tage Johannis des Täuffers aber, begab mich zu dem ehrlichen Herrn Wolffgang, bey dem ich meinen ehemaligen Schüler, den lieben Eberhard, mit allergrösten Vergnügen antraff, und so wohl von einem als dem andern recht hertzlich bewillkommet wurde. Nun solte zwar noch erwehnen, welchergestallt mich HerrWolffgang in Amsterdam, mit verschiedenen kostbaren und höchstnöthigen Sachen, recht im Uberflusse beschenckt, so daß ich, nur seiner damahligen Gütigkeit wegen, in vielen Jahren weder an Kleider, Wäsche, noch andern unentbehrlichen Dingen Mangel zu haben, befürchten dürffte, daferne nur GOtt solche Sachen vor Feuer und Wasser bewahret; Allein ich weiß, daß es ihm verdrüßlich fällt, seinen Ruhm selbst mit anzuhören. Welcher Mensch auf der Welt solte nun wohl zweiffeln, daß ein solcher Pfarr-Dienst, wie der meinige, als der allervergnügteste in der gantzen Welt zu achten sey? ich vor meine Person, spüre nicht die geringste Lust, mit dem allervornehmsten Theologo, er sey ein Königl. oder Fürstl. Hof Prediger, ein General-Superintendens, Doctor oder Professor, oder was er sonsten wolle, Ammts, Ehre oder Einkünffte halber umzutauschen, habe also die gröste Ursache, gleichwie [68] bey allen, mir zugestossenen Fatalitäten, also auch bey meinem itzigen vergnügten Zustande, und zum Beschluß meiner bißherigen Lebens-Geschichte dieses mein Symbolum auszuruffen: Der Nahme des HErrn sey gelobet.


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Hiermit endigte unser werthester Seelsorger vor dieses mahl seine Erzehlung, und vergönnete uns allen, die wir ihm aufs alleraufmercksamste zugehöret hatten, noch ein und andere Gespräche darüber zu führen, worbey wir sonderlich die wunderbaren Wege des hi lischen Verhängnisses betrachteten, endlich aber, um Mitter-Nachts Zeit, unsere Ruhe-Städten suchten, und auf selbigen biß zu Aufgang der Sonnnen verweileten. So bald demnach dieses grosse Welt-Licht, den 3ten Tag des Wolffgangischen Hochzeit-Fests zu beleuchten angefangen, vertrieben wir uns, nach verrichteter Morgen-Andacht, meistentheils die Zeit mit spatzieren gehen, hielten hernach, so bald sich die samtlichen Einwohner herbey gefunden hatten, dieses mahl die Mittags-Mahlzeit etwas früher als gewöhnlich, um hernach desto länger Zeit zu haben, den Rest von dem höltzernen Kropff-Vogel herab zu schiessen. Selbiger aber ließ sich durch den ernsthaftē Fleiß der lustigen Schützen, binnen 4. Stunden bewegen, völlig herunter zu fallen, demnach wurden die Haupt-Gewinnste folgender Gestalt ausgetheilet: 1.) vor die Crone empfieng ein Simons-Raumer Junggeselle, eine saubere leichte Vogel-Flinte. 2.) Vor den Kopff ein Stephans-Raumer, einen ziemlich grossen küpffernen [69] Kessel. 3.) Vor den Kropf-Hals, ein Johannis-Raumer, eine schöne zinnerne 6. Maas-Flasche. 4.) Vor den rechten Flügel, abermahls ein Simons-Raumer Junggeselle: ein künstlich ausgearbeitetes Schreib-Zeug, nebst allen zur Schreiberey gehörigen Instrumenten. 5.) Vor den lincken Flügel, HerrChirurgus Kramer: ein Futterall mit Messer und Gabel, nebst einen silbernen Löffel. 6.) Vor den rechten Fuß, ein Davids-Raumer junger Geselle: 2. grosse zinnerne Schüsseln. 7.) Vor den lincken Fuß: 6. zinnerne Teller, ein junger Geselle aus Roberts-Raum. 8.) Vor den Schwantz, Mons. Litzberg, einen schönen mittelmäßigen grossen Spiegel. 9.) Das letzte Stück aber, als den Haupt-Gewinst, schoß eben derselbe junge Geselle aus Roberts-Raum herunter, welcher allbereits den lincken Flügel-Gewinnst überkommen hatte, und empfieng davor: ein feines Zeug zum neuen Kleide, nebst im Feuer verguldeten Knöpffen, und allen andern Zubehör, ausser diesem verschiedene Stücke allerley höchst-nützlichen Hauß-Geräths, wie auch die Ehre, das gantze Jahr über, der Schützen König genennet zu werden. Hiernächst wurden auch etliche 20. Span-Gewinste ausgetheilet, welche ich Weitläufftigkeit zu vermeiden, nicht Specificiren will, sie bestunden aber mehrentheils in verschiedenen zur Hauß-Wirthschafft dienlichen Instrumenten, als Aexten, Sägen, Schnittemessern, Hämmern, Zangen, Meisseln, Grabscheitern, Schauffeln und dergleichen, welches alles Herr Wolffgang von den mitgebrachten Sachen, durch seine Liebste Sophie austheilen ließ, hernach noch eine köstliche Abend-Mahlzeit [70] gab, auch sonsten allerhand Confecturen und andere Sachen unter die Tisch-Gesellschafften vertheilen ließ, worauff der Freuden-Becher noch einmahl herum gieng, und so dann ein jeder seinem Logis zu eilete, welches etliche kaum um Mitternacht erreichen konten, jedoch weil es um diese Zeit die gantze Nacht hindurch ungemein helle ist, kam es niemanden sonderlich beschwerlich vor.

Der hierauff folgende Sonnabend, wurde zum Ausruhen, und der Sonntag mit welchem zugleich das Fest der Heil. 3. Könige einfiel, mit eifrigem Gottes-Dienste zugebracht. Dienstags, nehmlich den 8. Januar. feyreten wir sämtl. Insulaner den Geburths- und Vereheligungs-Tag unseres liebsten Altvaters, welcher an eben diesem Tage, vor nunmehro 98. Jahren das Licht dieser Welt erblickt, und sich vor 78. Jahren mit der Stamm-Mutter Concordia verehligt, also einen glückseeligen Anfang zur Bevölckerung dieses gesegneten Landes gemacht hatte.

Es wurden, dieses Fest zu beehren, früh Morgens 12. Stück-Schüsse gethan, der Altvater tractirte auf seiner Burg die Stamm-Väter und letzt angekommenen Europäer mit einer guten Mahlzeit, worbey verabredet wurde, daß von nun an der Kirchen-Bau mit allen ernstlichen Fleisse fortgesetzt, und jede Gemeinde alltäglich 4. Manns- und 2. Weibs-Personen zur Bau-Arbeit stellen solte, die andern aber möchten zu Hause bleiben, und die Feld-Früchte, wie auch übrigen Haußhaltungs-Geschäffte besorgen.

Allein es blieb bey dieser gemachten Ordnung[71] nicht, denn diese Leute, welche etwas weniges von den Europäischen Kirch-Gebäuden erzehlen hören, waren dermassen begierig, ihr Gottes-Hauß in behorigen Stande zu sehen, so daß sie häuffig ja fast überflüßig herzu gelauffen kamen, und eher die sonst gewöhnlichen Feyerabend-Stunden, zu ihrer Hauß-Arbeyt und Erndte anwendeten; als des Vergnügens beraubt seyn wolten, ihren Schweiß beym Kirchen-Bau zu vergiessen. Jedoch da die Stamm-Väter, und sonderlich der Altvater Albertus, endlich gewahr wurden, daß die all zu vielen Arbeiter einander sehr öffters nur verhinderten, anbey befürchteten, wie solchergestallt ein und andere Feld-Früchte zu Schaden kommen könten, machten sie die klügsten Anstallten, eins so wohl als das andere zu besorgen, woher denn kam, daß zu Außgange des April-Monats, das Mauerwerck der Kirche und des Thurms, seine völlige Höhe er reichte. Dannenhero waren 12. ziemlich geübte Zimmer-Leute, unter Beyhülffe und richtiger Anweisung unseres Tischlers und Müllers, nehmlich Lademanns und Kräzers bemühet, das Sparrwerck und Dach-Gestühle, aus den allbereit zugerichteten und behauenen Bäumen zu verfertigen, auch einen seinen höltzernen Aufsatz und zierliche Haube auf den Thurm zu bringen. An statt der Schiefer oder Ziegel-Steine zum Dachdecken, wurden von einem leicht zu spaltenden Holtze, Schindeln verfertiget, selbige aber mit dem Schlamme aus denen östlichen See-Lachen, bestrichen, welcher, so bald ihn die Sonne getrocknet einen solchen Glantz von sich gab, wie das Spieß-Glaß in Europa, auch so fest als ein Kitt auf [72] dem Holtze sitzen blieb, selbiges lange Zeit vor der Vermoderung bewahrete, und nachdem es einmahl recht eingetrocknet, sich durch keine Feuchtigkeit von dem Holtze oder Steinen abziehen ließ. Solchergestallt warff unser Kirch und Thurm-Dach, nachdem selbiges am 14. Julii vollkommen fertig worden, bey Sonnenschein, einen artig durch einander spielenden Glantz von sich, welches sehr angenehm anzusehen war, derowegen beredeten sich Mons. Litzberg und Plager, ob es nicht practicable sey, aus dieser Materie mit der Zeit, und zwar durch den Zusatz anderer Leimen-oder Thon-Erde, Ziegel- und Back-Steine zu brennen. Jedoch hiervon wird künfftighin ein mehreres zu melden seyn, voritzo fahre fort zu erzehlen, welchergestallt Lademann, Krätzer und Herrlich, die geschicktesten Holtz-Arbeiter unter den Insulanern außlasen, um nach Mons. Litzbergs gemachten Abrisse, den Altar, Cantzel, Tauff-Stein, Empor-Kirchen vor die Männer, und dann die Stühle vor die Weibs-Personen zu verfertigen, mittlerweile die andern, die sich am besten aufs Mauern verstunden, den Fuß-Boden, von glatt abgeriebenen, viereckigten Sand-Steinen legten, die Mauern mit Kalck tünchten, und wiederum andere, die Oberdecke, oder den so genandten Himmel zurichteten. Diese Mäurer und Tüncher, brachten ihr Werck in den angenehmsten Frühlings-Tagen, und zwar zu Ende des Monats Septembris, völlig fertig, mit der Holtz-Arbeit aber gieng es nicht so hurtig von statten, jedennoch ließ uns ihr unermüdeter Fleiß hoffen, mit Eintritt des neuen Kirchen-Jahres, unser neues GOttes Hauß [73] als völlig fertig einzuweyhen. Der ehrliche Peter Morgenthal, ließ es sich bey diesem Baue auch hertzlich sauer werden, denn durch seine Hände gieng alles Eisenwerck, so darbey gebraucht wurde, selbst Mons. Plager, der seine Hände auch nicht in Schooß legte, wunderte sich über dessen besonders saubere Schlösser- und Kleinschmidts-Arbeit, und dennoch war er auch unverdrossen, die beschwerlichste Grob-Schmiede-Arbeit, auch Nägel, ja fast alles zu machen was man ihm nur vorlegte, denn er hatte sich des seel. Jacob Larsons Werckstadt aufs allerbeqvemste eingerichtet, auch drey junge starcke Pursche aus dem Jacobs Raumer Geschlechte, in die Lehre genommen, die sich sehr wohl zu dieser Profession anschickten.

Jedoch es scheinet mir nöthig zu seyn, diese Bau-und Arbeits-Erzehlung in etwas zu unterbrechen, um auch andere Merckwürdigkeiten beyzubringen, welche sich binnen der Zeit zugetragen haben. Am 22.Febr. fanden etliche Knaben aus dem Simons- undAlberts Raumer Geschlecht, da sie an der See, Austern und Muscheln zu suchen, herum lieffen, einen halb verfaulten Menschen-Cörper männliches Geschlechts, demselben war mit einem Stücke meßingenen Drats ein durchlöcherter Französischer Lois d'or an den Halß gehenckt, woraus zu schliessen: daß diejenigen, so diesen Cörper in die See geworffen, selbigen gern wolten begraben wissen. Derowegen erkannten wir uns, auch ohne dieses Gold-Stück empfangen zu haben, vor schuldig, ihm diesen christlichen Liebes-Dienst zu erweisen, bedeckten also den annoch auf einem Brete fest [74] angebundenen Cörper, mit einer Matte, und begruben ihn ehrbarlich an die Seite unsers GOttes-Ackers.

Wir bekamen sonsten selbiges Jahr, nach aussage der Aeltern, einen mittelmäßigen Geträyde, doch ziemlich starcken Trauben-Seegen, die wilden Affen wolten sich hierbey ziemlich dreiste machen, uns berauben, und unsere mit allerhand farbigen Halß-Bändern gezeichneten Affen, verfolgen, jedoch ich Mons. Harckert und andere Europäer, so bey der Kirchen-Arbeit wenig wichtige Hülffe leisten konten, legten den äusersten Fleiß an, unsere dienstbarn Affen zu schützen, und die Frembden mit Feur und Schwerdt zu verfolgen. Jedoch wendeten wir nicht alle unsere Zeit hierauff, sondern besorgten auch andere nützliche Dinge, absonderlich war meine Arbeit, Herrn Mag. Schmeltzern bey seiner auf sich genommenen Mühe täglich 4. Stunden abzulösen, selbige aber bestund darinnen: Es hatte ermeldter Herr Mag. Schmeltzer eine Schule von achtzehen Knaben, die ohngefehr 12. biß 14. Jahr alt waren, angelegt, so daß sich von jeder Gemeine zwey darinnen befanden, diese fieng er an, nicht allein in den aller nachsinnlichsten Puncten derTheologie, sondern auch in den Grund-Sprachen zuinformiren, ich aber muste täglich zwey Stunden zum Latein, eine Stunde zum schreiben, und eine Stunde zum rechnen mit ihnen anwenden, so daß diese Knaben früh von 6. biß 10. Uhr, und Nachmittags von 1. biß 5. Uhr, in beständigen Fleisse verharren musten, also hatte ich früh von 8. biß 10. Uhr das Latein, Mittags von 1. biß 2. Uhr das Schreiben, und [75] von 2. biß 3. Uhr das Rechnen mit ihnen vor. Es kostete gewiß ein wenig Mühe, allein der Nutzen war dieser, daß aus diesen Knaben solche Leute werden solten, welche hernachmals vermittelst ihrer erlangten habiliteé in ihren Geschlechtern wiederum die andere Jugend lehren könten. Ausser diesen hielt Herr Mag. Schmeltzer nicht allein alle Sonntage Nachmittags, sondern auch Mittwochs, auf Herrn Wolffgangs Taffel-Platze, oder in der Davids-Raumer Alleé, vor dieSimons-Alberts-Davids- und Stephans-Raumer- und Freytags im grossen Garten vor die Christians-Roberts-Christophs-Johannis- und Jacobs-Raumer Jugend, eine 3. stündige Kinder-Lehre, um selbige von zarter Kindheit an, in den Glaubens-Articuln der christlichen Lehre recht zu gründen. Mons. Litzberg hatte gleichergestallt 4. geschickte Knaben zu sich in seine Wohnung genommen, welchen er nach und nach die Matthesin von Stück zu Stück, nebst der Latinität beyzubringen suchte, als in welcher Letztern ihm Herr Wolffgang nach Vermögen hülffliche Hand reichte.

Der Chirurgus Mons. Kramer, welcher seinen Sitz in Alberts-Raum genommen hatte, war ungemein eiffrig, die Kräffte und Tugenden, der auff dieser Insul befindlichen Dinge, so wohl in regno animali als minerali und vegetabili auszuforschen, und eben hierzu wurden ihm so wohl des Don Cyrillo de Valaro, als des Altvaters Alberti Schrifften und Observationes communiciret. Er sagte öffters, sein, obschon sehr starcker Vorrath an Medicamenten, den er auf Vorschub Herrn [76] Wolffgangs mitgebracht hätte, könte dennoch wohl mit der Zeit, theils verderben, theils alle werden, ob er schon nicht wünschen oder hoffen wolte, daß GOtt diese Insul, wegen der frommen Einwohner, mit bösen Seuchen oder besondern Schäden straffen würde, es wäre inzwischen aber keine Sünde, sondern höchst nöthig, in seiner Profession immer mehr und mehr zu untersuchen. Zu dem Ende hatte er sich 3. habile Knaben zur Hand gewöhnet, mit welchen er täglich botanisiren gieng, und sich nebst dem die gröste Mühe gab: ihnen die Theoriam von seinerProfession bey zu bringen, weil es damahliger Zeit inPraxi vor ihn nicht viel zu thun gab als wovor wir GOtt besondere Ursach zu dancken hatten, sintemahl es kein grosses Wunder gewesen, wenn bey dergleichen schweren Bau jemand zu Schaden kommen wäre.

Ausser seiner Profession war Mons. Kramer ein grosser Liebhaber vom Garten-Werck und Vieh-Zucht, weßwegen Mons. Litzberg die Helffte, von dem aus Europa mitgebrachten Vieh und Geflügel, unter seiner Auffsicht in Alberts-Raum überließ, die andere Helffte aber war nach Christophs-Raum gebracht worden, allwo Herr Wolffgang nebst Litzbergen, ihr Vergnügen hatten: dessen ordentliche Verpflegung ihren Freunden zu lehren. Weiln aber doch voritzo eben von unsern Thieren zu schreiben im Begriff bin, wird es vielleicht nicht allzu unangenehm seyn, wenn ich beyläuffig melde, wie starck sich dieselben binnen der ersten Jahres-Frist unseres daseyns, vermehret haben. Von rechtswegen hätte zwar erstlich von Vermehrung der Menschen gedencken [77] sollen, allein ich spare solches nicht unbillig biß zum Beschluss des Kirchen-Jahres, da Herr Mag. Schmeltzer christlicher Gewohnheit nach, die Specification der gebohrnen, gestorbenen, copulirten und confirmirten, öffentlich von der Cantzel verlaß. Demnach gebe zu erwegen, daß der Göttliche Macht-Spruch: Seyd fruchtbar und vermehret euch etc. sich auch in diesem kleinen Welt-Theile, dessen Erde wohl dergleichen Thier-Arten noch niemahls getragen, noch eben so kräfftig, ja recht wunderbar Seegenreich erzeiget. Denn 1.) Von den jungen Zucht-Stuten waren 2. Füllen gefallen. 2.) 4. Kühe hatten so viel Kälber gebracht. 3.) 3. Zucht-Sauen hatten ingesammt 33. junge Schweine geworffen, und 4.) Fünff Schaafe 7. Lämmer erzeugt, die übrigen wann verunglückt. 5.) Zwey Eselinnen gaben auch so viel junge Esel. 6.) 4. Welsche Hüner hatten ingesammt ohne die verunglückten, 42. junge aufgebracht. 7.) Von 18. Hauß-Hünern waren 4. Stück umkommen, und bey denen noch übrigen 14. alten, und 3. Hähnen, befanden sich ingesammt 123. junge Hühnlein. 8.) Bey 6. alten Gänsen, lieffen 39. junge Gänse herum. 9) 6. alte Endten führeten 34. junge. 10.) 6. paar alte Tauben hatten 14. paar lebendige junge geheckt. 11.) Zwey Hündinnen hatten 9. junge Hunde, und 12.) 2. Katzen 8. junge Kätzlein. 13.) Wie viele junge aber die 3. paar Caninichen zur Welt gebracht, konte man nicht wohl bemercken, denn sie waren alle weiß, und kamen niemahls auf einmahl zum Vorscheine.

Demnach hatten wir im November 1726. an [78] Europäischen Viehe, 6. Pferde, als nehmlich 3. Hengste und 3. Stuten, 10. Stücken Rind-Vieh, und zwar 2. Ochsen, und ein Ochsen-Kalb, 4. Kühe und 3. Zucht-Kälber. 15. Schaafe, worunter 2. alte und 3. junge Böcke. 6. Esel. 39. alte und junge Schweine. 48. Welsche Hüner und Hähne. 140. Hauß-Hüner und Hähne. 45. Gänse. 40. Endten. 20. paar Tauben. 13. Hunde. 12. Katzen, unn eine ungewisse Anzahl von Caninichen, die ihre Wohnungen ohnfern von Alberts-Raum, unter einem mäßigen Hügel, in lockern Boden selbst gebauet hatten, und sich auch ohne unsere Hülffe selbst ernehreten.

Mons. Plager war ausserdem, wenn er nicht bey dem Kirchen-Bau mit Rath und würcklicher Hilffe beschäfftiget war, beständig fleißig seine in Jacobs-Raum, nahe bey Morgenthals Wohnung angelegte Werckstatt, nach seinem etwas eigensinnig scheinenden Kopffe einzurichten. Sein hauptsachliches Dichten und Trachten war dahin gerichtet, so bald als möglich, eine grosse Schlage-Uhr auf des Alt-Vaters Wohnung zu setzen, auch selbsten eine proportionirliche Glocke darzu zu giessen. Er hatte auch zwey seine 18. jährige Pursche, einen aus Jacobs- und den andern aus Simons-Raum an sich gezogen, welche seine Kunst zu erlernen, ein grosses Verlangen bezeugten.

Harckert der Posamentirer, Klemann der Pappiermacher, Wetterling der Tuchmacher und Garbe der Böttiger, konten bis dato es in ihrer Handwercks-Probe noch nicht zeigen, was sie gelernet hatten, halffen derowegen mittlerzeit fleißig, alles verrichten was ihnen vorkam und zu thun möglich war, [79] der Töpffer Schreiner aber, hatte seine Werckstatt, so wohl als den selbst erbauten Brenn-Ofen, bereits in sehr guten Stande, auch schon eine grosse Menge allerley Sorten von Töpffer-Geschirr verfertiget, welche er mit Freuden unter die Stämme vertheilete und damit nicht geringen Danck verdienete, wie sich denn auch zu seiner, etwas schmutzig scheinenden Profession, schon 3. Knaben angegeben, denen er selbige mit gröster Lust zu lehren, Mine machte.

Jedoch nachdem ich, um unserer zu letzt angekommenen Europæer Aufführung einiger massen zu beschreiben, mich mit Fleiß ein wenig verirret, muß ich nunmehro meinen Leser wiederum in etwas zurück führen, und demselben die fernern Begebenheiten so viel als möglich, ordentlicher eröfnen.

Im Monat Junio mochte ein gewaltiger Sturm ohnfehlbar auf der See gegen Norden zu, einige Schiffe zerscheitert haben, weilen 3. grosse Mast-Bäume nebst vielen andern Schiff-Holtze, auf unsern Sand-Bäncken anländeten, wir fuhren derowegen dahin, holeten selbiges herüber, fanden auch 2. Fässer voll Nelcken und andere Gewürtze, konten aber wenig davon nutzen, weilen das meiste im See-Wasser verdorben war.

Im August-Monat, hatte ich das Glück, auf meinen ausgesteckten Leim-Ruthen, unter andern einen besonders schöne Vogel zu fangen, er war wie ich von klügern Leuten hörete, noch etwas kleiner als die kleineste Art von Papegeyen, mochte aber dennoch wohl aus derselben Geschlechte seyn, weil seine Federn am gantzen Leibe, die schönste vermischung von hell-und [80] dunckel-roth, grün, blau und Silber-Farbe zeigten, auf dem hell-grünen Kopffe prangete eine Zinnoberrothe Kuppe, der Schnabel war in etwas dicke, jedoch nicht so sehr als eines Papegeyen, dem aber seine Füsse vollkommen gleichten. Ich machte diesem schönen Vogel, mit Beyhülffe Mons. Harckerts, in gröster Geschwindigkeit einen Bauer, und nachdem ich gemerckt, daß das weisse in Milch getauchte Brod ihm eine angenehme Speise war, setzte ich ein darmit angefülltes Gefässe zu ihm hinein, hieng aber den Bauer zun Füssen meines Bettes, nahe an das Fenster, damit ich diesen, wegen seiner schönen Gestalt, liebens- würdigen Vogel, nur so offt ich etwa Ruhe-Stunde machte, im Gesichte haben könte. Jedoch ich werde Gelegenheit suchen, das Ergötzen, so mir dieser Vogel nachhero unverhofft gemacht, ebenfalls anzuführen, voritzo fällt mir der Ordnung gemäß, nichts merckwürdigers vor, als daß am 10. Sept. Abends sehr späte, Herrn Wolffgangs allerliebste Sophie mit einem jungen Sohne ins Wochen-Bette kam. Wir hatten eben selbigen Tag einen grossen Buß-Bet- und Fast-Tag gehalten, und zwar zum Gedächtnisse dessen, daß unser Alt-Vater vor nunmehro 80. Jahren, und zwar an eben diesem Tage, die Insul Felsenburg zum ersten mahle betreten. Derowegen gab es allerhand Gelegenheit, diesem Kinde, wegen seines merckwürdigen Geburths-Tags, ein und andere Glückseligkeiten zu præominiren. Der Alt-Vater wurde also nächstfolgenden 12. Sept. nebst seiner Haußhälterin, Christiana Virgilia Juliin, (welche seines seel. Sohns Johannis, zweyten Sohnes, älteste[81] Tochter war) und Mons. Litzbergen zu Tauffzeugen erwehlet. Also fuhren der Alt-Vater, Herr Magister Schmeltzer, Christiana und ich auf dem mit Hirschen bespanneten Wagen hinab. Dem Kindlein wurden in der heiligen Tauffe die Namen Albertus Friedrich gegeben. Herr Mag. Schmeltzer hielt nach vollbrachten Tauff-Actu einen schönen Sermon, und wünschte zuletzt: daß dieses ein rechter GOtt- beliebter Sohn werden möchte, weiln es sich ohnedem so wohl gefügt, daß er an einem so merckwürdigen Tage gebohren, und am Nahmens-Tage Gottlieb, welcher im Calender am 12. Sept. bemerckt war, getaufft worden.

Herr Wolffgang tractirte hierauf uns, und alleChristians-Raumer Einwohner, mit gantz vortrefflichen Speisen und Geträncke, gegen Abend aber, da der Alt-Vater etwas lustiger, als gewöhnlich, wurde, verschaffte er uns allerseits das Vergnügen

Mons Litzbergs Lebens-Geschicht
Mons Litzbergs Lebens-Geschicht,

aus dieses werthen Freundes eigenen Munde dermassen anzuhören:

Ich bin, fieng er an, im Jahr 1694. am 17. Octobr. in der Käyserlichen Residentz-Stadt Wien, einem Evangelisch-Lutherischen Vater und einer Römisch-Catholischen Mutter, zu verwuthlich nicht geringen Vergnügen, als die erste Frucht ihrer ehelichen Liebe, zur Welt gekommen. Mein Vater war ein guter Ingenieur und dabey Stück-Lieutenant bey der Käyserlichen Artollerie, da sich aber der Rußische Czaar im Jahr 1698. kurtze Zeit in Wien aufhält, lässet er sich auf zureden desselben gelüsten, seine Dimission zu fordern, und dem Czaar [82] mit Weib und zweyen Kindern nach Moscau zu folgen. Nun hatte sich zwar mein Vater nicht allein wegen der höhern Charge, sondern auch wegen der Gage um ein wichtiges verbessert, allein es wäre vielleicht besser vor ihn und uns gewesen, wenn er die Käyserlichen Dienste nichtquittiret hätte. Denn als wir uns mit ihm in der Belagerung Narva befanden, und der König in Schweden diese Vestung im Novembr. Ao 1700. mit 8000. Mann entsetzte, und das gantze Rußische Lager, nebst aller Artollerie eroberte, wurde mein guter Vater, von den Schweden, in der ersten Hitze so wohl als andere darnieder gehauen. Wo meine Mutter nebst der kleinen 4. jährigen Schwester hingekommen, habe nach der Zeit niemahls erfahren können, wie groß auch deßfalls meine Bemühung gewesen. Ich vor meine Person aber, der ich unter währenden grausamen Blutvergiessen aus dem Lager gelauffen, und meine Sicherheit in einem hohlen Graben gesucht hatte, wurde, nachdem ich die gantze Nacht darinnen gelegen, Hunger und Durst gelitten, auch fast gäntzlich erfroren war, von zweyen SchwedischenMusquetiern aufgehoben, zum Feuer geführet, und mit gnungsamer Speise und Geträncke erquickt. Hierauf wurde ich ihrem Obristen vorgestellet, welcher einem Marquetener Befehl gab, mich zu sich zu nehmen, und so gut, ja noch besser als seine eigenen Kinder zu halten, weiln er, der Obrister, davor bezahlen wolte. Ich konte, ohngeacht meiner Jugend, diesem Obristen dennoch hinlängliche Nachricht von meinen Eltern, und von meines Vaters Charge geben, derowegen ließ er unter allen gefangenen [83] Russen, fleißig nach meinen Eltern forschen, allein, dadurch erfuhr ich eben die jämmerliche Zeitung, daß mein Vater unter den Todten gelegen, von der Mutter aber konte niemand von allen gegenwärtigen das geringste berichten. Mittlerweile da wir selbigen Winter wenig Wochen in Quartieren stunden, ließ mir der Obriste ein sauberes Schwedisches Soldaten-Kleid nach mei nen, kleinen Cörper machen, nahm mich in sein eigen Quartier, allwo ich aufs beste verpflegt wurde, und weil mich gern um sich leiden konte, durffte mir kein Mensch eine scheele Mine machen. Der Obriste verstund und redete zwar sehr gut Deutsch, sonsten aber waren sehr wenige unter seinen Leuten anzutreffen, die meine Sprache verstehen konten, vor mich aber war es desto elender, daß ich die ihrige gleichfalls nicht verstund. Nun hätte sich dieses zwar wohl mit der Zeit gelernet, allein der vortreffliche Obriste, war so gnädig, nicht allein zu Beförderung dessen, sondern auch wegen meiner anderweitigen Information einen feinen Menschen von einer andern Compagnie zu sich zu nehmen. Es war selbiger, wo ich nicht irre, von Geburth ein Holsteiner, und hatte einige Jahre auf deutschen Universitäten zugebracht, ich glaube aber, nachdem ich seinem gantzen Wesen etwas weiter nachgedacht, daß er vielleicht jemanden erstochen, oder eine andere sonderbare Fatalität gehabt, weßwegen er seine Sicherheit unter der Schwedischen Armee in Pohlen gesucht, wie ich denn auch zweiffele, daß der Nahme Schwedeke, sein rechter Zunahme hergegen vielmehr ein selbst angenommener Nahme gewesen.

[84] Jedoch es ist nicht nöthig, dieserwegen eine genaue Untersuchung anzustellen, genung, weiln dieser Mensch gut Schwedisch, Deutsch, Lateinisch und Französisch verstund, nahm ihn der Obriste zu seinem Secretario und zu meinem Informatori an. Ich konte (es meinem seel. Vater nicht zur Schande nachzureden) zur selben Zeit, wenig mehr beten als das Vater Unser, und etliche Reim-Gebetlein, im A.B.C.-Buche aber war mir noch kein eintziger Buchstabe bekandt, vielweniger andere Sachen, worinnen sonst andere 6. biß 7. jährige Knaben schon ziemlich geübt sind. Allein, weil Mons. Schwedeke die gelegene Zeiten und Stunden vortrefflich wohl in acht zu nehmen und zu nutzen wuste, ich auch eine grosse Begierde zeigte, lernete ich binnen einem Jahr vollkommen Deutsch, Lateinisch und Schwedisch lesen, auch in allen drey Sprachen ziemlich schreiben, welches letztere aber in folgenden Jahre sich weit verbesserte. Derowegen muste nunmehro auch anfangen die Lateinische Sprache fundamentaliter zu erlernen, worinnen ich denn meinen Fleiß nicht im geringsten sparete, ohngeacht die starcken Märsche und andere Fatiguen, wie auch die blutigen Schlachten in Pohlen, viele Verhinderungen darein brachten. Ich blieb zwar mit meinem Informatore beständig bey der Bagage, jedoch weil die Schweden mehrentheils siegten, hatten wir nicht selten Gelegenheit, den allererschrecklichsten und jämmerlichsten Zustand auf den Wahlstädten zu betrachten. Zeit Lebens aber werde ich an den grausamen Anblick des Wahlplatzes, bey einem Groß-Pohl nischen Städtgen, Fraustadt genannt, gedencken,[85] allwo die guten Sachsen eine erbärmliche Niederlage erlitten hatten. Meine Haut schaudert sich noch, wenn ich daran gedencke. Ich wolte meine Augen immer davon abwenden, jedoch wohin? denn überall zeigte sich Blut und Mord. Die erschlagenen Russen und Sachsen jammerten mich weit mehr, als die Leichen der Schweden, und zwar aus keiner andern Ursache: als weil die letztern meinen seel. Vater ermordet hatten, und in Erwegung dessen konte nicht umhin, auf diesem Wahl-Platze häuffige Thränen zu vergiessen.

Jedoch ich will die gräßlichen Umstände dieser kläglichen Schlacht zu anderer Zeit erzehlen, und voritzo nur melden, daß ich in meinem 12ten Jahre, nehmlich Ao. 1706. unter denen Schweden gleichfalls mit in Sachsen kam.

Mein Obrister bezoge sein Quartier auf einem vortrefflichen Adel. Ritter-Gute, ohnweit Torgau, hieselbst bekam ich nun zwar ein neues, starck mit Goldbordirtes Kleid, wie auch eine etwas schlechtere Wochen-Livreé, allein dieses war mir in meiner Seele ungemein empfindlich, daß er zuweilen frembden Leuten gantz negligent erzehlete, wie mein Vater vorNarva massacriret, meine Mutter entlauffen, und ich solchergestalt sein Leib- eigner Knecht worden wäre. Jedoch fand sich schon so viel Verstand bey mir, daß ich meine deßfalls aufsteigenden Affecten bestmöglichst zu verbergen suchte. Mons. Schwedeke nahm mittlerweile dasiges Orts die Gelegenheit in acht, mich aufs eiffrigste zur Latinität, Geographie, Historie, Schreib- und Rechen-Kunst anzuhalten, weil ich mich nun mit Lust zu allem [86] dem, was er mir vorlegte, beqvemete, auch seiner übrigen Zucht gehorsamste Folge leistete, kan ich mich nicht erinnern, von ihm mehr als ein eintzig paar Ohrfeigen bekommen zu haben, und zwar darum: daß ich aus Frevel eine überladene Musquetier-Flinte abgeschossen hatte, die gar leichtlich springen, und mir den Kopff zerschmettern können. Mein Herr, der Obrister, hatte gleichfalls noch niemahls Ursach gehabt, mich etwa über eine Boßheit, welche sonsten gemeiniglich den Knaben in Hertzen steckt, straffen zu lassen, doch endlich wachte bey ihm unverhofft eine grausame Tyranney wider mich auf, und zwar durch folgende Gelegenheit: Ich war eines Tages bey den sämtlichen Adelichen Kindern dasiges Orts, spielete erstlich, und speisete hernach mit ihnen. Hierbey bat mich die Edel-Frau, ihnen meine Avanturen, von der Zeit an, als ich in meine Kindheit zurück dencken könte, nebst dem, was ich in meinem jungen Soldaten-Leben seltsames gesehen, zu erzehlen. Indem nun kein Bedencken mag, dieser, mir sehr gewogen scheinenden Dame Gehorsam zu leisten, war ich dabey so unbedachtsam, folgende Reden auszustossen: Wolte GOtt, es wären an statt der lieben Sachsen lauter Schweden erschlagen worden; denn diese bösen Leute haben mir meinen lieben Vater ermordet, und ich erinnere mich noch, wiewohl als im Traume, etliche mahl von ihm gehört zu haben, daß er auch ein gebohrner Sachse gewesen, ich weiß aber nicht, aus welcher Stadt. Ja! rieff ich in meinen kindischen Eyffer noch darzu aus: Wolte GOtt, ich könte erfahren, wer ihn getödtet hätte, ich wagte mein Leben an dem [87] Mörder, meines Vaters jämmerlichen Todt zu rachen, und wenn es auch des Obristen selbst eigne Person betreffen solte.

Nun hatten zwar verständige Leute ein grosses Mitleyden wegen meines Unglücks, gaben sich auch die Mühe, meinen ohnmächtigen Eiffer mit den Vorstellungen zu bezähmen: daß es im Kriege nicht anders her zu gehen pflegte, und daselbst kein Ansehen der Person gelte; letztlich wurde auch gewarnet, sonderlich wegen meines Obristen, nicht also frey zu sprechen, allermassen mich sonsten gar leichtlich in Ungnade und bösen Verdacht bey ihm stürtzen könte, hergegen solte erwegen, daß derselbe doch voritzo meines Vaters Stelle verträte. Diese Reden überzeugten mich nicht wenig meines Unverstandes, nahm mir derowegen vor, in zukunfft klüger zu sprechen, aber vor einmahl war es schon zu späte, denn ein verzweiffeltes Cammer-Kätzgen bey dieser AdelichenDame, hatte alle meine Reden noch selbigen Tages, einem von unsers Obristen Laquayen, mit welchem sie vielleicht in heimlicher Liebe lebte, gantz im Vertrauen wieder gesagt. Dieser Kerl war wegen seines liederlichen Lebens sehr übel beym Obristen angeschrieben, und stunde es damahls eben darauf, daß er die Musquete auf dem Buckel nehmen solte, derowegen suchte er sich zu meinem Unglücke, aufs neue einzuschmeicheln, und unter dem Schein der Treue und des Rechts, dem Obristen die gantze Sache nebst vielen beygefügten Lügen, dergestalt plausibel vorzustellen; daß derselbe würcklich auf die Gedancken verfiel: wie er vielleicht an mir eine Schlange in [88] seinem Busen erzöge, welche ihn mit der Zeit menchelmörderischer weise schaden, oder wohl gar den Tod anthun könte. Ich wurde demnach, gleich darauf folgenden Morgen in aller frühe, von Herr Schwedken und des Obristen Cammer-Diener, wegen meiner geführten Reden examinirt, da aber diese beyden aus Liebe ziemlich gelinde verfuhren, trat der Obriste, der in einem Neben-Zimmer alles mit angehöret hatte, selbst hinein, und zwar mit dermassen ergrimmten Gesichte, daß ich vor Schrecken in die Erde zu sincken vermeynte, solchergestalt sahe ich mich gezwungen, auf sein zorniges Befragen alles zu gestehen, was ich gestriges Tages unbedachtsamer weise heraus geplaudert hatte. Die zugesetzten Lügen aber ebenfalls ein zu gestehen: Konte mich kein Mensch bewegen, wie ich denn deßfalls immer auf meine Adelichen Zuhörer provocirte, allein es halff dieses so viel als nichts, hergegen wurde ich eine Stunde hernach, von des Obristen Knechten, im Pferde-Stalle mutternackend ausgezogen, mit grossen Ruthen biß aufs Blut gepeitscht, und in den ältesten zerlumpten Kleidern fortgejagt. Ich konte vor grossen Schmertzen nicht weiter kommen, als biß in eines Bauern Garten, woselbst mich in das Gepüsche verkroch, und den gantzen Tag über, ohne Speise und Tranck, sehr unruhig, darinnen ruhete, da aber gegen die Nacht ein grausames Donner-Wetter und schrecklicher Platz-Regen einfiel, gieng ich sehr matt und furchtsam, ja mit zitterenden Gliedern in das Bauer-Hauß hinein, allwo zu meinen Glücke die zwey darinnen liegenden Schweden nicht zu Hause, sondern auf etliche Tage auscommandiret [89] waren. Die guten Bauers-Leute hatten von meinem gehabten Unglücke bereits ziemliche Nachricht, und zwar aus der Edel-Frauen eigenen Munde, bey welcher die Bäurin ohnlängst als Magd in Diensten gewesen, beklagten derowegen zwar mein unschuldig erlittenes Elend, wusten sich aber nicht zuresolviren, ob sie es aus Furcht vor den Obristen wagen dürfften, mir ein Nacht-Lager im Hause zu verstatten. Endlich überwog doch die Barmhertzigkeit alle Furcht, so, daß ich nicht allein Speise und Tranck, sondern auch Erlaubniß von ihnen erhielt: diese Nacht, ja so lange in ihren Hause zu bleiben, biß sie vernommen, ob etwa die Edel-Frau vor mich sorgen wolte. Dieses zu erfahren, gieng die Bäurin, noch ehe es völlig Nacht wurde, zur Edel-Frau, kam aber bald zurück, und brachte diese gnädige Dame selbsten zu mir geführet, welche, so bald sie mich dergestalt jämmerlich in einem Winckel sitzen sahe, augenblicklich helle Thränen zu vergiessen anfieng. Ich weinete ebenfalls, hörete aber, daß sie folgende Worte zu mir sprach: Ach mein Kind! verzeyhet! ja verzeyhet mir, ich bin schuld an eurem Unglücke, denn hätte ich euch nicht zur Erzehlung eurer Geschichte beredet, so hättet ihr nicht dergleichen kindische unbedachtsame Reden fliegen lassen, ich wünsche hertzlich, zu erfahren, wer euch verrathen hat, denn es muß ohnfehlbar einer von unsern Bedienten dieses Schelmenstücke verübet haben. Der Himmel lindere eure Schmertzen, vertrauet auf GOtt und meine möglichste Beyhülffe, denn ich will euch morgende Nacht an einen Ort bringen lassen, wo es euch wohl gehen soll, so bald [90] uns aber GOtt von den Schweden befreyet, will ich euch in mein Hauß als ein Kind aufnehmen. Hiermit klopffte sie mich sanfft auf den Backen, ich aber küssete und benetzte ihre Hand mit meinen Thränen, weßwegen sie mir desto mehr Trost zusprach, und sich nichts abhalten ließ, meinen jämmerlich-verwundeten Leib selbst zu besichtigen. Ach! schrye sie, ist dieses eine Marque der Schwedischen Frömmigkeit und GOttes-Furcht? O ihr Tyrannen! o ihr Türcken! ist es zu verantworten, einen unmündigen Knaben, um eines unbesonnen Worts willen, welches ihm der Jammer wegen des Angedenckens seines entleibten Vaters ausgetrieben, dergestalt zu tractiren? Ach! wo ist hier die Proportion zwischen der Straffe und dem Verbrechen zu finden? Ach! das arme Kind hätte sich, wenn es recht unterrichtet und zu Verstande gebracht worden, wohl 1000. mahl anders bedacht, und die einfältige Hitze seiner Jugend hernachmahls selbst gemißbilliget. Solche und dergleichen Reden führete sie noch einige Zeit, nahm endlich Abschied von mir, die Bäurin aber mit sich auf ihren Hof, von wannen dieselbe vor mich ein weisses Hembde, nebst etlichen köstlichen Confituren und einer Flasche Wein mitbrachte, anbey Befehl erhalten hatte: selbigen zu wärmen, und meinen gantzen Leib damit abzuwaschen, welches zwar anfänglich sehr schmertzhafft, jedoch nachhero ungemein schmertz-stillend war, und da ich nachhero auch ein paar Gläser Wein darauf getruncken, verschlieff ich in folgender Nacht den grösten Theil meiner Plagen und Sorgen.

So bald sich gegen Mittag meine Augen wieder [91] eröffneten, verrichtete ich mein Morgen-Gebet, und danckte, ohngeacht meiner aufwachenden Schmertzen, dem Allmächtigen, daß er mich, von denen, mir niemahls anständigen Kriegs-Gurgeln, erlöset, hergegen Hoffnung zu einer ruhigern Lebens-Art verliehen hatte. Nachdem die Bäurin aber meine Verpflegung den gantzen Tag hindurch aufs beste besorgt, kam die guthertzige Edel-Frau, die pro forma ihre Ländereyen zu Fusse besucht hatte, gegen Abend durch den Garten zu uns, ließ durch die Bäurin, aus ihrem Hofe, einen Korb abholen, in welchem sich ein schönes Kleid, nebst vieler Wäsche, Büchern und andern Bedürfnissen befande. Mit diesen Sachen beschenckte sie mich, und sagte, wie sie gesonnen: mich künfftige Nacht, durch meinen Wirth von hier hinweg, und zu einem ihrer Befreundten, der seine Hofhaltung in Chur-Brandenburgischen Landen hätte, fahren zu lassen, bey diesem solte ich mich nur fein stille und fromm verhalten, fleißig beten und lernen, so würde ich keine Noth leyden, vielmehr alles Vergnügen finden. Immittelst möchte ich öffters, so gut als ich könte, an sie schreiben und versichert leben: daß ich so gleich nach dem Abmarch der Schweden, würde zurück geholet, um nebst ihren eigenen Kindern behörig auferzogen, und in allen nöthigen Wissenschafften unterrichtet zu werden.

Wie hätte eine leibliche Mutter vor ihr eintziges Kind bessere Sorge tragen und klügere Anstalten machen können? Ist dieses nicht als ein Exempel der göttlichen Vorsorge vor arme, sonst von aller Welt verlassene Wäysen zu erkennen und zu admiriren? [92] Jedoch weil ich gesonnen bin, mich in meiner Lebens-Lauffs Erzehlung möglichster Kürtze zu befleißigen, will nur berichten, daß nach genommenen zärtlichen Abschiede von dieser Liebes-vollen Pflege-Mutter, der Bauer als mein Wirth gegen Mitternacht seinen Wagen anspannete, mich wohl verdeckt darauf packte, und mit möglichster Behutsamkeit darvon fuhr, ohne von einem oder dem andern Schwedischen Soldaten befragt oder angehalten zu werden. Wir säumeten uns an keinem Orte über die dringende Noth, gelangeten also dritten Tages gegen Abend bey demjenigen Edelmanne im Brandenburgischen an, der unserer Edel-Frauen Schwester zur Ehe hatte, welcher mich denn auch so wohl als seine, nicht weniger guthertzige Gemahlin, nach Verlesung der mitgebrachten Briefe sehr liebreich auf- und annahm, den Uberbringer aber folgenden Tages mit behörigen Antworts-Schreiben wiederum zurück fertigte. Ich wurde in Wahrheit nicht als ein armer verlauffener Junge, sondern so gut als ein Adeliches Kind gehalten, ein jeder, so meine erlittenen Fatalitäten anhörete, warff eine, mit vielen Mitleyden vermischte Liebe auf mich, und weil das ausgestandene Creutz mir eine gantz besonders sittsame und submisse Lebens-Art hinterlassen, wurde ich bey jederman nach und nach immer mehr beliebt. Es hatte dieser Edelmann 3. Söhne, von welchen der älteste 16, der jüngste aber wie ich, in seinem 12ten Jahre war, hiernächst 2. Töchter, davon die älteste ins 10te und die jüngste ins 8te Jahr ging. Ausserdem waren noch zwey Vater- und Mutter- lose Adeliche Kinder bey ihnen, nemlich ein [93] Juncker von 13. und ein Fräulein von 11. Jahren, welche letztere den Nahmen Charlotte führete. Ein ungemein wohl-qualificirter Informator hatte also seine volle Arbeit uns 8. Kinder in stetigem Fleisse und guter Zucht zu erhalten, doch weil er ein sehr aufgeweckter Kopff war, der seinen Untergebenen alles spielende beyzubringen, über dieses die rechten Mittel zu gebrauchen wuste, uns in beständiger Furcht und Liebe zu erhalten, hatten unsere Studia auf allen Seiten einen recht erwünschten Fortgang, weßwegen sich der Adel. Principal nebst seiner Gemahlin so wohl über die Aufführung des Lehrers, als der Lernenden recht ungemein vergnügt bezeigten.

Wenige Wochen aber nach dem Abzuge der Schweden aus Sachsen, kam meine vorherige Wohlthäterin mit ihrem Ehe-Herrn dahin gereiset, um ihren Befreundten eine Visite zu geben, und zugleich mich, mit Sack u. Pack zurück zunehmē, allein meine itzigen Versorger, sonderlich aber das umständige Anhalten meiner Schul- und Spiel-Gesellschafft, und dann die starcke Vorbitte, des mir sehr gewogenen Informatoris, brachten es endlich so weit, daß ich noch auf eine Zeitlang Erlaubnis erhielt, zu bleiben wo ich war, worbey zugleich von der Gütigkeit meiner ersten Gönner 20. Thlr. zu Kleidung, Wäsche und Büchern erhielt, ohngeacht mein itziger, Patron sich erkläret, alles benöthigte selbst herzugeben, und solches nur darum, weil seine beyden jüngsten Söhne durch mein Exempel angefrischet wurden, dem ältesten Bruder, der ungemeine Lust zum Studiren erwiese, auf dem Fusse nachzufolgen.

[94] Beyläuffig muß ich mit erwehnen, daß selbigesmahl die Nachricht erhielt: wie mein Obrister, wenig Tage nach meinem Hinwegseyn, und nachdem er meine Erzehlung von seinem Hospite, und dessen Gemahlin, aufrichtiger und wahrhaffter vernommen, sich des mir zugefügten übeln Tractaments habe gereuen und verlauten lassen: er wolle demjenigen 10. spec. Ducaten geben, welcher Nachricht von mir bringen und mich ihm wieder schaffen könne, allein die redlichen von Adel, hatten dennoch dem Land-Frieden nicht trauen wollen, sondern alle. Vorsicht gebraucht, meinen Auffenthalt verschwiegen zu halten, da auch kurtz hernach die Rede gegangen, es sey jenseit des Elb-Stroms ein ersoffener Knabe gefunden worden, hat man ihn bey den Gedancken gelassen, daß ich ohnfehlbar zufälliger weise in solches Unglück gerathen, welches sich denn der Obrister sehr zu Gemüthe gezogen, seinen Zorn aber endlich an dem lügenhafften und verrätherischen Laqueyen ausgelassen, allermassen er demselben 200. Hiebe mit dünnen Spieß-Ruthen, und hernachmahls die Musquete auf dem Buckel geben lassen. Das verhurte und klatsch-haffte Cammer-Mädgen hatte gleichfalls ihren Lohn bekommen, denn nachdem sie den Schwedischen Trouppen etliche Tage-Reisen als eine liederliche Hure nachgefolget, war sie endlich biß aufs Hembde ausgezogen und zurück gepeitschet worden.

Mein Fleiß, wurde durch die unverdienten Wolthaten solcher vornehmen Gönner, dergestalt encouragiret, [95] daß ich so gar Abends und früh Mürgens meinem Schlaffe abbrach, um nur dem ältesten Juncker nachzukommen, denn der Patron hatte mir versprochen, daferne meine Aufführung in bißherigen guten Stande bliebe, mich so dann nebst und bey seinen Söhnen etliche Jahr auf der Universität frey zu halten, und zwar nicht als einen Bedienten, sondern als einen guten Compagnon.

Meine erste Wohlthäterin, starb zu Ende des 1709ten Jahres, und zwar zu meinem grösten Leydwesen, hatte mir aber mit Genehmhaltung ihres Gemahls 200. Thlr. vermacht, die ich auch 3. Jahre hernach cum Interesse richtig erhalten habe. Immittelst ruckte, unter allen täglichen Vergnügen, die Zeit heran, da der Patron seine 3. Söhne, nebst seinem jungen verwäyseten Vetter und mir, unter der Aufsicht des Informatoris, der nunmehro den Character als Hof-Meister bekam, auf die Universität nach Halle sendete. Es geschahe solches um Michaelis des 1711ten Jahres, wir bekamen, in einem Hause 3. Zimmer zu unserer Bequemlichkeit, die zwey ältesten Junckers legten sich hauptsächlich auf die Jurisprudenz, haben es darinnen auch so weit gebracht, daß sie nachhero alle beyde sehr honorable Königliche Bedienungen erhalten, der jüngste nebst dem Vater- und Mutter- losen August aber, deren Sinn von Jugend an auf das Soldaten-Leben gerichtet war, wolten sich nur zu den galanten Studiis, als Historie, Geographie, Genealogie, Mathesi-Tantzen, Reuten Voltoisiren,[96] Fechten und dergleichen bequemen, ich hielt es mit den letztern, am allermeisten aber legte ich mich auf die Mathesin, besuchte deßfalls eines berühmten Professoris Collegia mit allergrösten Vergnügen, und wandte über dieses einem Extraordinario den meisten Theil meiner Spiel-Gelder zu, um privatim desto hurtiger in dieser Wissenschafft, und was derselben anhängig, zu avanciren. Hiernächst hatte nun zwar auch Gelegenheit genung, mir, auf Kosten meinerCompagnons, ein und andere vergnügte Veränderung, so wohl in der Stadt, als auswärtig zu machen, allein es war dennoch mein allergröstes Plaisir, auf der Stube in meiner Einsamkeit zu sitzen, und mit den mathematischen Instrumenten zu arbeiten, wiewohl ich auch die Stunden auf der Reit-Bahn, Tantz- und Fechtboden selten versäumte, mithin in dergleichenExercitiis vor andern einigen Vortheil erlangete. Kurtz ich studirte immer auf einen General-Lieutenant loß, weil es mir an Courage, mein Glück unter der Soldatesque zu suchen, gar nicht fehlete, über dieses ein und andere falsche Vor-Urtheile in meinem Gehirne schwermeten; daß ich mich weit geschwinder mit dem Degen in der Faust, als Feder hinter dem Ohre zu Ehren schwingen könte, zumahln wenn ich etwas rechts in der Architectura militari gethan hätte. Mittlerweile lieffen 3. Universitäts-Jahre geschwinder hin als ich vermuthet. Binnen selbiger Zeit war ich mit meinen Junckers nur ein eintziges mahl zu Hause gewesen. Ich sage mit allem Fleiß, zu Hause, weil mich meine Wohlthäter noch biß auf denselben Tag, als ein leibliches Kind hielten. Um Michaelis [97] 1714. giengen wir abermahls dahin, die angenehme Herbst-Zeit daselbst zu passiren und weil die galanten Fräuleins meines Principals, ingleichen die ungemein wohlgebildete Charlotte, eine ziemliche Anzahl junger Cavalier dahin zogen, war antäglich vergnügten Veränderungen und Lustbarkeiten nicht der allergeringste Mangel zu spüren. Jedoch nachdem ich überlegt, daß es meine Schuldigkeit sey, den verwittbeten Gemahl meiner ersten Wohlthäterin, die gehorsamste Aufwartung zu machen, bat ich mir dieserwegen bey dem itzigen Versorger ein Pferd aus, und ritte zum ersten mahle die Strasse zurück, auf welcher mich vor etlichen Jahren ein Bauer-Wagen in schmerzlichen Zustande, meinem Glücke entgegen geführet hatte: Der alte rechtschaffene von Adel empfieng mich so wohl, als der eine zu Hause lebende Herr Sohn ungemein freundlich und complaisant, man tractirte mich unverdienter weise würcklich als einen Cavalier, und wolte mir glaubend machen: ich hätte ein solches gutes Ansehen und Geschicklichkeit erworben, daß ich nunmehro im Stande sey, in zukunfft ohne andereRecommendation mein Glücke selbst zu befördern, und allen Wiederwärtigkeiten Trotz zu biethen. Nachdem ich aber dem jüngern Herrn etliche wohlgemachte Zeichnungen von Landschafften, Städten, Fortificationen und dergleichen gezeiget, und bey vermerckung seiner Begierde, selbige mir abzuhandeln, ihm ein angenehmes Præsent damit gemacht hatte, überkam ich nicht allein sofort die von seiner verstorbenen Mutter, mir vermachten 200. Thlr. baar bezahlt, sondern von ihm 2. vortreffliche, fast [98] noch gantz neue Kleider, wovon das eine starck mit Golde bordirt war. Der alte von Adel aber beschenckte mich, vor das ihm gemachte Præsent, welches in allerhand Arten geschliffener vergrösserungs Gläser, curiösen Sonnen-Uhren und dergleichen Plunder bestund mit 50. spec. Ducaten, also konte nach etlichen Tagen in einer, seiner Carossen, sehr vergnügt wiederum zu meinenCompagnons reisen.

Diesen zeigte ich mich nun, wenig Tage hernach, in meinen wohl aptirten neuen Staats-Kleidern, und bekräfftigte dadurch das alte Sprichwort: Kleider machen Leute. Hiernächst inspirirte mir meine Gold-Bourse einen solchen unverzagten Muth, daß ich fest glaubte, es könne einem mit so vielen Glücks-Gütern überhäufften Avanturieur unmöglich etwas in der Welt fehl schlagen. Allein bey wir traff solchergestallt auch ein, was geschrieben siehet: Des Menschen Feinde sind seine eigene Haußgenossen, worunter ohnfehlbar die thörichten Affecten eines Menschen zu verstehen sind. Denn ich hatte zwar bißhero, ohngeacht der, um diese Jahre sonst meistentheils schwermenden Jugend, meine Affecten ziemlicher massenmoderiren können, doch unverhofft fieng sich ein gantz besonderer Affect an zu regen, und mich plötzlich dergestallt zu übermeistern, daß ich denselben, weder mit dem Zaume der Klugheit, noch mit dem Gebisse der Renommeé, zu regieren vermögend war. Kurtz zu sagen: Ich wurde verliebt gemacht, und zwar von dem ausbündig schönen Fräulein Charlotte, wiewohl nicht vorsetzlicher und freventlicher weise, sondern vermittelst [99] folgender Umstände: Wir wurden fast täglich von einem benachbarten Land-Juncker besucht, welcher Charlottens Gewogenheit zu erwerben, sich die gröste Mühe gab. Dieser war sonsten ein Mensch von ziemlich guten Ansehen und Eigenschafften, hatte auch zu seinem Stande hinlängliche Einkünffte, jedoch schon verschiedene mahl das Malheur gehabt: seine Ausgeberinnen, Köchinnen, und so gar die Vieh-Mägde, in den Stand der Ammen zu versetzen, wie ihm denn nur noch vor weniger Zeit eine Vieh-Magd, die er ohngeacht ihres starck geschwollenen Leibs, von sich geprügelt, zur Revange auf einmahl ein paar Zwillinge vor der Thür præsentiret hatte. Nun waren zwar nachhero alle diese Händel mit Gelde geschlichtet und abgethan, dem ohngeacht machten ihm selbige aller Orten, wo dieser Herr Ferdinand von H. ** seinen Haaken ehelicher Liebe einzuschlagen suchte, die allergröste Verhinderung. BeyCharlotten hergegen vermeynete er doch am allerersten anzukommen, weil selbige ein zwar schönes, darbey aber sehr armes Fräulein ware, die wohl kaum 500. Thlr. im Vermögen hatte.

Eines Tages wurde er so treuhertzig gegen mich, mir sein gantzes Geheimniß, bey Gelegenheit eines einsamen Spatzier-Ganges zu offenbaren, und meine Person also unverschuldeter Weise zu seinem Liebes-Vertrauten zu machen, auch sich meinen Vorspruch bey Charlotten auszubitten; indem er glaubte, daß ich nicht allein bey derselben, sondern auch des Principals Herrn von V**. Fräulein Töchtern in sehr gutenCredite stünde, und zwar darum [100] weil wir vor der Zeit mit einander in die Schule gegangen wären. Anfänglich machte mir zwar ein starckes Bedencken denCharacter eines Copulations-Raths anzunehmen, jedoch da er mir eine silberne Englische Uhr præsentirete, und vor dißmahl weiter nichts verlangte, als daß ich Charlottens Bruder Augustum, welcher bißhero sehr wiederwärtig geschienen, dahin bringen möchte, in zukunfft bessere Freundschafft zu pflegen, ließ ich mich endlich bereden, und machte den Anfang ein Liebes-Garn zu spinnen, worein sich mein Hertz in wenig Tagen selbst verstrickte. Mons. August ließ sich, weil wir jederzeit sehr gute Freunde gewesen waren, endlich behandeln, mit Ferdinando ziemlich vertraulich scheinende Freundschafft einzugehen, allein was die Schwägerschafft anbelangete, merckte ich gar bald, daß August als ein ambitieuser, ja extraordinair capricieuser Kopff, schwerlich seinen Consens, darzu geben würde, jedoch es gieng mich nichts an, derowegen war nur froh, daß Ferdinand sich der ersten wohl ausgerichteten Commission wegen sehr vergnügt bezeugte, und zur überflüßigen Danckbarkeit, mich mit einem wohl proportionirten Reit-Kläpper nebst Sattel und Zeuge beschenckte, anbey bath: ich möchte mir die Mühe geben, in seinen Nahmen einen Liebes-Brieff, nebst beygelegten Versen, an Charlotten zu verfertigen. Auf die Verse solte ich auch eine feine Melodey componiren, damit er sie Abends unter Charlottens Fenster, welches in den Baum-Garten stieß, absingen könte, da ich denn seiner angenehmen Stimme mit meiner Laute accompagniren solte, um solchergestallt [101] stallt conjunctis viribus, Charlottens bißheriges Felsen hartes Hertze zu brechen. Ich machte abermahls unzählige Einwürffe, daß solches erstlich gar keine Art und Geschicke haben würde, andern theils könte ich vielen Verdruß darvon haben, auch wäre ich ein schlechter Lauteniste, uñ noch schlechterer Componiste, allein es halff da kein Einreden, der, von dem Liebes-Gotte vollkommen angeschossene, Ferdinand, wolte rasend werden, wenn ich ihm meine Hülffe versagte, um deren Beschleunigung er mir abermahls ein Præsent machte, welches in einer verguldeten silbernen Schnupff-Tobacks Dose bestund.

Demnach ergriff ich endlich das Schreibe-Zeug, und setzte an Charlotten einen Brieff auf, dessenCopie ich zwar annoch biß diese Stunde in meinem Brief-Couvert bey mir trage, allein es wird unnöthig seyn, dergleichen Thorheiten der Jugend, bey reiffern Verstande zu repetiren.

Hiermit wolte Mons. Litzberg in seiner Erzehlung einen Sprung machen, allein der Altvater sagte mit hertzlichen Lachen: Halt Mons. Litzberg! so haben wir nicht gewettet, es heisset: Narravere patres & nos narramus omnes. Ich habe das Vertrauen zu eurem, mir allzu redlich vorkommenden, Gemüthe, daß ihr keine ausserordentlichen ärgerlichen Streiche werdet vorgenommen haben, was aber die Thorheiten der Jugend anbelanget, daran wird sich von uns niemand ärgern, derowegen könet ihr dieselben zum erlaubten Schertze wohl erzehlen, zumahlen da ich in meiner eigenen Geschichts-Erzehlung die meinigen selbsten nicht verschwiegen [102] habe. Solchergestallt wurde Mons. Litzberg genöthiget seine Brieff-Tasche hervor zu langen, und uns aus selbiger das Concept eines Briefes folgendes Innhalts vorzulesen.


Allerschönstes Fräulein,


Mein äuserst verliebtes Hertze, hat zwar dem Munde und Augen unzehlige mahl Ordre gegeben, Ihnen die Beschaffenheit desjenigen Feuers, welches Dero unvergleichlichen Augen in dem innersten meiner Seelen angezündet haben, zu entdecken; allein wenn bey aller erwünschten Gelegenheit, der Mund zu blöde, so sind hingegen die Augen desto unglücklicher gewesen; weiln mein anbetens-würdiges Fräulein, deren Sprache niemahls verstehen wollen. Jetzo wagt es meine Hand, dem beklemmten Hertzen einige Linderung zu suchen, welches ohnfehlbar in weniger Zeit gäntzlich verzehret wird, daferne Sie, allerschönstes Fräulein, als die Uhrheberin solcher Glut, demselben nicht Dero unschätzbare Gegen-Gunst zur Erquickung gönnen wollen. Ich erwarte also zwischen Furcht und Hoffnung von Ihnen den Ausspruch: ob ich Liebe oder Haß, Leben oder Todt zu finden habe, und bin demnach bey allen


Meines allerwerthesten Fräuleins

biß ins Grab getreuer

Ferdinand von H**.


[103] Anbey hatte meine übel exercirte poetische Feder folgende Aria ausfliessen lassen:
ARIA.
1.
Ists wahr, ihr allerschönsten Augen,
Daß ihr charmant und grausam seyd.
Nein! dieses schickt sich nicht zusammen,
Drum, stifftet ihr gleich Gluth und Flammen:
So laßt doch endlich mit der Zeit
Aus euren Blicken Kühlung saugen. Da Capo.
2.
Erwegt, daß meine treue Seele
Durch euren Strahl entzündet ist,
Betrachtet doch in meinem Hertzen
Den Einfluß aller Angst und Schmertzen,
Wo Gram und Furcht das Hertze frißt,
Seht an! Ach seht wie ich mich quäle! Da Capo.
3.
Drum laß ihr schönsten Augen-Sonnen
Euch endlich zur Erbarmung ziehn,
Vergöttert euch durch Huld und Güte,
So kömmt mein Hoffen bald zur Blüthe.
So muß der Schmertz von hinnen fliehn,
So hat mein treues Hertz gewoñen. Da Capo.

Kaum hatte der äuserst-verliebte Ferdinand das Concept von beyden sich vorlesen lassen, als er gleich decken-hoch auffsprunge, und mich unter den allersensiblesten Umarmungen unzählige mahl küssete, weiln, wie er sagte, seine Gedancken dermassen darinnen ausgedrückt wären, als ob ich selbsten in das innerste seiner Seelen hinein geschauet hätte, wannenhero [104] ich ihm selbiges alsofort zur Abschreibung überlassen wolte; allein hier stack der Knoten, denn der gute Edelmann konte nebst seinen Nahmen, wenig mehr als die deutschen Ziefern mahlen, also muste ich nolens volens, mit etwas veränderter Hand, die Sache selbst in Ordnung bringen, und zu allem Uberflusse, auch den Brief, nach der Mittags Mahlzeit, an Charlotten übersenden.

Hiermit war aber dennoch lange nicht alles ausgerichtet, sondern nunmehro muste der gezwungeneVersifex, sich erstlich par force zu einem Capell-Meister nothzüchtigen lassen, und gantz erbärmlich lautende Noten über den jämmerlichen Text setzen. So bald dieses geschehen, lieffen wir mit ein ander eine halbe Meilwegs fort ins Holtz, allwo ich dem lichter-loh brennenden Venus-Bruder, die Melodey etliche hundertmahl vorsingen muste, ehe er dieselbe auswendig lernen und sich getrauen konte, selbige en faveur der dunckeln Nacht, unter Charlottens Fenster abzusingen. Wir kamen Abends nicht zu Tische, sondern truncken uns in einer nah gelegenen Schencke erstlich einen halben Rausch, um desto mehrere Caurage zu kriegen, unsere Abend-Musique ohne Pudeley abzulegen. So bald es aber völlig Nacht worden, schlichen wir uns, ohne Licht, gantz sachte auf meine Stube, von dar ich meine, bey Tage schon zu recht gestimmte Laute abholete, und mich mit dem, von dem Cupido jämmerlich gepeitschten Gefährten, zwischen etliche, noch ziemlich belaubte Hasel-Nuß-Sträucher verfügte, die Charlottens Schlaf-Cammer gerade gegen über gewachsen waren. Ich hatte kaum angefangen [105] auf der Laute ein wenig zu præludiren, da dieselbe das Fenster hurtig eröffnete und sich in ihren Nacht-Habite persönlich præsentirte. Der erhitzte Wechselbalg der Liebe, Ferdinand, gab mir dergleichen vortrefflichen Aspect, als ein glückliches Omen, seines hoffentlichen Vergnügens, mit einem höchst empfindlichen Rippen-Stosse zur fernern Uberlegung. Da aber ich solchergestallt, um frischen Othem zu schöpffen, etwas inne halten muste, vermeynete er, es sey nunmehro Zeit den Text anzufangen, erhub also seine Hoch-Adeliche Stimme, auf eine dergestallt affectuese Art, daß es kein Wunder gewesen, wenn sich die gantze Esels-Zunfft, Europäischer Nation gratuliret hätte, ihn als einen Virtuosen in ihre Capelle auf- und anzunehmen. Ich konte seinen Thon auf keinerley Weise finden, und weil er so wohl den Text als die Melodey vergessen oder versoffen hatte, fingen wir die zwey ersten Zeilen der Arie wohl 6. mahl da Capo an, biß uns endlich Charlottens überlauts Gelächter, eine Pause von etlichen Tacten auferlegte. Allein hiermit entfiel dem sterblich verliebten Ferdinando, zusa t der Stimme, auf einmahl alle Courage; wolte aber ich nicht in der Schande stecken bleiben, so muste, nach einem abermahligen kurtzen Præludio die gantze Arie selbsten absingen, worauffCharlotte zum Zeichen ihres Vergnügens in die Hände klatschte, und in Frantzösischer Sprache, welche Ferdinand nicht verstund, folgende Worte sprach: Cela m'a donné à ce soir un double contentement. Dormez bien: auf Teutsch: Ich bin diesen Abend auf gedoppelte Art ergötzt worden, ruhet wohl!

[106] Er fragte mich, so bald sie hierauff ihr Fenster zugeschlagen, was sie gesprochen? ich merckte aber den Braten einigermassen, und gab vor: Sie hätte sich bedanckt, und uns eine geruhige Nacht gewünscht. Demnach hieng sein Liebes-Himmel überall voller Geigen, er drückte mir auf der Stelle 2. spec. Ducaten in die Hand, und weiln seine Geschäffte durchaus nicht erlauben wolten, diese Nacht ausser seinem Hause zu schlaffen, ließ er sich in aller Stille sein Pferd bringen, und ritte darvon, mit dem Versprechen: über morgen Mittags, gantz gewiß wiederum bey uns zu seyn, da ich ihm denn die vermuthliche Antwort des Fräuleins einhändigen und erklären solte.

Ich versprach seine Liebes-Affairen bestens zu beobachten, legte mich hernach aufs Ohr, stund aber gewöhnlicher weise sehr früh auf, und divertirte mich auf dem, im Garten befindlichen Vogel Heerde, allwo mir durch eine, Charlotten sehr getreue Magd, nachfolgende Zeilen eingehändiget wurden, die ich also nothwendiger weise ebenfalls ablesen muß:


Monsieur


Verstellet eure Hand wie ihr wollet, seyd aber versichert, daß Charlotte dieselbe unter tausenden, dennoch erkennen wird. Allein saget mir, warum ihr so verrätherisch handeln, und auf die Seite meiner Feinde treten könnet: da doch ich von Jugend auf, meines Wissens, lauter Redlichkeit und unsträfliche Liebe gegen eure Person bezeuget habe, und wenn ich offenhertzig schreiben soll, biß dato, [107] noch mehrern Estim vor euch hege, als vor alle andere, mir zur Zeit bekandte Manns-Personen. Betrachtet demnach selbst, ob es mir nicht schmertzlich fällt, mich von einem eingebildeten auffrichtigen Freunde, unverschuldeter weise hintergangen zu sehen: Jedoch seyd ihr vielleicht verführet, und etwas unschuldiger als ich noch zur Zeit glauben kan, so ists vergönnet, euch gegen Abend im Lust-Garten bey ersehener Gelegenheit, und ohne Beyseyn anderer zu entschuldigen. Immittelst gebet dem abgeschmackten Ferdinand nur dieses zur Antwort: daß ich endlich noch die gantze Schrifft als einen angenehmen Schertz aufgenommen hätte, daferne nur an statt seines, mir biß in den Todt verhaßten Nahmens, die zwey Buchstaben F.L. gestanden hätten. Saget ihm nur franchement, daß mein fester Schluß sey: Ehe einen ehrbaren Bürger, als dergleichen Edelmann, wie er ist, zu heyrathen. Der Adeliche Stand ist mir ein Greuel, daferne derselbe nicht die Helm-Decken der Tugend und Geschicklichkeit im Wapen, und zugleich im gantzen Wesen auffzuzeigen hat, hergegen ist eine, mit diesen beyden Stücken gezierte Civil-Person, in meinen Augen des vortrefflichsten Adels würdig, ja noch weit höher geschätzt. Uberlegt selbst was ich hiemit gesagt haben will, er weiset mir hierauff die Gefälligkeit, diesen Brieff zu verbrennen, damit er sonsten nicht etwa in verdächtige [108] Hände falle, und glaubet, daß auch in zukunfft, ohne muthwillig gegebene Ursach, und zugefügte Beleydigung euch niemahls hassen wird


Charlotte R. von M.


Hierbey lagen folgende Verse:
Arie.
1.
Wen ich durchaus nicht lieben kan,
Der suche mich nur nicht zu quälen,
Es muß sich fein ein jederman
Das, was ihm gleicht, zur Lust erwehlen.
Mir ist die Geilheit ärgerlich,
Wer diese liebt
Und täglich übt:
Der packe sich.
2.
Ich soll und muß doch eben nicht
Des Standes wegen Eckel freyen,
Denn weil der Himmel selber spricht:
Man soll sich vor den Lastern scheuen;
So lieb ich nur was tugendhafft,
Und beuge vor,
Wenn sich ein Thor
In mich vergafft.
3.
Erlang ich nicht was mich charmirt,
So bleibt die Freyheit mein Vergnügen,
Wer keinen keuschen Wandel führt,
Wird nimmermehr mein Hertz besiegen,
[109]
Und dennoch bleib ich immer froh.
Wer mich verdenckt
Sey ungekränckt,
Ich bin nun so.

Gleich unter Lesung dieser auffrichtigen Zeilen wurde mein Hertze dergestallt mit heisser Liebe erfüllet, daß ich vor Freuden ja recht innerlichen Vergnügen gleichsam in einer Entzückung sitzen blieb. Denn kurtz von der Sache zu reden, was konte wohl deutlicher seyn, als daß mir Charlotte den Schlüssel zu ihren Hertzen zeigte, und sich nach einem kühn gewagten Anfalle auf Discretion zu ergeben Mine machte. Läugnen kan ich zwar im geringsten nicht, daß ich dieses artige Fräulein noch als ein Kind, von dem ersten Tage unserer Bekandschafft an, vor andern recht hertzlich, doch heimlich geliebt, allein diese Liebe war, in Betrachtung meines Zustandes, mit so viel Respect und Hochachtung begleitet, daß mir niemahls in die Gedancken kam, von ihr einige Gegen-Liebe zu verlangen. Nunmehro aber wurde, besagter massen, dergestallt aus mir selbst, und in die Betrachtung aller ihrer Annehmlichkeiten versetzt, daß ich auch die Mittägige Speise-Glocke darüber verhörete, und erstlich abgerufft werden muste. Charlotte und ich konten, bey der Tafel, einander ohne merckliche Gemüths-Bewegungen, nicht lange ansehen, derowegen passireten lauter verstohlene Blicke: biß ich endlich die Gelegenheit beobachtete, gegen Abend im spatzieren gehen, das gantze Gehemniß von der mitFerdinando gemachten Kundschafft zu offenbahren, dieserwegen um Verzeyhung zu bitten, ihr meinen künfftigen gehorsamsten Respect [110] zu versichern, und endlich mit diesen Worten zu schliessen: Es liegt mir aber, Gnädiges Fräulein, noch ein eintziger Punct auf dem Hertzen, den ich jedoch seiner Wichtigkeit wegen unmöglich offenbaren kan, so lange ich zu befürchten habe, daß uns etwa jemand von ferne observiren möchte, über dieses erfodert meine Blödigkeit eine bequemere Zeit und Gelegenheit des Orts: ein vor alle mahl etwas zu sagen, welches mein Gnädiges Fräulein vielleicht nicht errathen wird. Das muß was besonderes seyn, versetzte Charlotte hierauff, allein mein Freund! euer Wesen kömmt mir heute in allen Stücken, ohne dem gantz anders vor als sonsten, dero wegen wäre um so viel desto curieuser, solches Anbringen zu vernehmen, jedoch ich wüste mich auf keine euch beliebige Gelegenheit ohne Verletzung meiner Ehre, zu besinnen, seyd ihr in diesem Stückeingenieuser als ich, so meldet es, aber, voraus gesagt, ohne Verdacht und Nachtheil meiner Renommée, sonsten will mir viellieber alle Curiositée auf einmahl vergehen lassen. Behüte der Himmel, gnädiges Fräulein, war meine Gegenrede, daß ich Ursache seyn solte nur den geringsten Schein des Verdachts wieder Dero unvergleichliche Tugend zu stiften, jedoch wo mir erlaubt ist, eine Gelegenheit vorzuschlagen, so wird sich eines von Dero Cammer-Fenstern, welches in den Baum-Garten stösset, am besten darzu schicke, es ist ja selbiges nicht gar hoch, mit festen eisernen Stäben verwahret, und in einem solchen Winckel befindlich, allwo ich auf einer kleinen Leiter biß dahin gelangen und aufs geheimste mit ihnen sprechen kan, daferne nur mein gnädiges [111] Fräulein eine gewisse Stunde bestimmen will, wenn ich die Freyheit nehmen darff, mich zu näheren.

Charlotte schüttelte den Kopff hierzu, besonn sich eine lange Zeit, endlich aber verwilligte sie: daß ich künfftige Nacht, wenn der weisse Vorhang heraus hienge, um 11. Uhr vor diesem Auditorio erscheinen dürffte, ausser diesem Zeichen aber durchaus nicht. So bald demnach andere Leute zu Bette waren, schlich ich mich gantz heimlich in den Garten, bauete mein Catheder auf, und fassete endlich das Hertze,Charlotten, so bald sie sich am auffgemachten Fenster præsentirte, durch die engen eisernen Stäbe meine Liebes-Declaration zu thun.

Es ist unnöthig den Innhalt derselben voritzo weitläufftig anzuführen, denn wer nur ein eintzig mahl verliebt gewesen, wird sich gar leichtlich einbilden können: was man bey dergleichen Zeiten und Gelegenheiten vor Fleiß anwendet, seinen Vortrag auf recht hertzbrechende Art einzurichten. Kurtz, Charlotte und ich, wurden des Handels binnen zwey Stunden vollkommen einig, verwechselten unsere Hertzen, schwuren einander ewige Treue, und verabredeten: daß ich erstlich nach Wien reisen, und aus kundschaffen solte, ob noch etwas von meinem Väterlichen oder Mütterlichen Erbtheile zu erhalten sey, da denn hernach etwas Geld an eine sichere Officiers-Charge spendiren, und meine Geliebte öffentlich zur Ehe begehren könte. Doch dieses war an uns beyden eben nicht zu loben: daß wir uns beredeten Ferdinanden so lange bey der Nase herum zu führen, biß ich von Wien glücklich wiederum zurück gekommen wäre.

[112] Ich hatte damahls zum allerersten mahle das Vergnügen diejenigen Süßigkeiten, sehr offt wiederholt zu kosten, welche sich eine Manns-Person von den recht purpur farbenen Lippen eines ungemein schönen Frauenzimmers würcklich zu geniessen, einbilden und wünschen kan; deñ die, zwar sehr engen eisernen Gitter, waren dennoch so raisonable beschaffen: mir diese Ergötzlichkeit auf den Lippen und zarten Händen meiner Geliebten, wiewohl sehr gezwungen zu erlauben. Nachdem aber alles, was uns bey dieser ersten geheimen Zusammenkunfft eingefallen, aufs genauste verabredet worden, war ich so höfflich Charlottens Nacht-Ruhe nicht gäntzlich zu verderben, sondern begab mich um 2. Uhr zurück in mein Apartement.

Folgendes Tages stellete sich Ferdinand versprochener massen sehr zeitig ein, erhielt von mir die tröstliche Nachricht, daß seine Sachen bey Charlotten ein ziemlich gutes Ansehen gewonnen, und ob sie gleich verredet hätte, zeit Lebens keine Liebes-Briefe an eine Manns-Person zu schreiben, so würde er doch in ihren Reden, Minen und fernern Umgange, solche Vortheile vor seine Liebe finden, daß er sich meines Vorspruchs bedient zu haben, nicht dürfte gereuen lassen. Allem Ansehen nach, fand er sich dieserwegen unbetrogen, denn Charlotte wuste ihm dergestalltpolitisch zu begegnen, daß er mit ihrer vermeintlich aufkäumenden verliebten Aufführung vollkommen zufrieden war. Sie muste recht gezwungener weise, ein kostbares Præsent von ihm annehmen, welches am Werthe bey nahe 100. Ducaten betraff, hergegen ließ sie sich durchaus nicht bereden, [113] den Vortrag eines baldigen Verlöbnisses, und kurtz darauff anzustellender Hochzeit anzunehmen, indem sie nebst andern erheblichen Ursachen, vornehmlich diese anführete: daß sie ihn wenigstens erstlich Jahr und Tag, wegen seiner Treue auf der Probe halten müsse. Ihren Bruder hatte er durch Geschencke und andere Gefälligkeiten, nach und nach dermassen eingenommen: daß es schiene, als ob sie ein Hertz und eine Seele wären, wie denn auch dieser August, mehr bey ihm als bey uns war, und ohnfehlbar sein natürliches Geschlechte, bey Ferdinands Köchinnen und Mägden vermehrete. Im Gegentheil wurde meine Copulations-Raths-Charge gäntzlich cassirt, weil Ferdinand seiner Meynung nach, keinen ferneren Vorsprecher mehr bedürffe, doch bekam ich zum höfflichen Abschiede noch 12. Stück spec. Ducaten, welche vielleicht das Æquivalent des gebräuchlichen Kuppel-Peltzes seyn solte.

Immittelst kamen Charlotte und ich, fast alle Nacht an dem vorerwehnten Orte zusammen, denn unsere brennende Liebes-Hitze, konte der damahligen kälte des Winters, noch ziemlichen widerstand thun, doch musten wir uns sehr genau in acht nehmen, daß die, durch offt wiederholtes Küssen befeuchte Lippen, nicht etwa ihr zartes Häutlein an den unbarmhertzigen eisernen Stäben hängen liessen, welches ich nur ein eintziges mahl mit ziemlicher Empfindlichkeit gewahr wurde, allein die hefftige Liebe verschmertzte alles, in Betrachtung daß man vor dergleichen Delicasse auch etwas ausstehen müsse.

Ich wuste inzwischen nicht zu begreiffen, warum[114] der Herr von V** seine Söhne so lange von der Universität zurücke hielt, da doch selbige selbst täglich wiederum nach Halle zu kommen wünschten. Ich, der ich mich täglich in der Mathematique mit ihnen exercirte, wurde biß dato noch von allen lieb und werth gehalten, doch an allerliebsten von meiner englischenCharlotte; Inzwischen giengen wir beyde vor andern Leuten dermassen unpassionirt mit einander um, daß auch die Allerklügsten nichts weniger, als eine würckliche Liebes-Verbindung von uns præsumiren konten, ohngeacht Charlotte den von mir empfangenen Diamantenen Verlöbniß-Ring, täglich an ihren Finger trug, worgegen sie mir einen kostbaren Perschafft-Ring verfertigen, und verblümter weise den mehresten Theil von ihren Stamm-Wapen, wiewohl nach eigener Invention etwas verändert, hinein setzen lassen.

Solcher gestallt verfloß die Helffte des strengen Winters, derowegen hielt ich mit meiner Geliebten geheimbden Rath, worinnen endlich das, auf beyden Seiten schmertzlich fallende Urtheil gesprochen wurde: daß ich um Fast-Nachten, meine Reise nach Wien antreten, und dieser wegen von meinen Patrons beglaubte Attestate, Reise-Pæsse und Recommendations-Schreiben auswürcken solte. Ich observirte also eines Tages die gute Gelegenheit, meinem Principalen vorzustellen: Wie nunmehro, da ich durch seine unverdiente gnädige Hülffe in solchen Stand gesetzt worden: mein Brod in zukunfft selbst zu verdienen; es mir zur Sünde und Schande gereichen würde, wenn ich dessen Gnade ferner mißbrauchen, und nicht allein hier auf der [115] Bären-Haut liegen und die guten Tage zählen, sondern auch um mein ferneres Aus- und Einkommen unbekümmert seyn wolte. Weßwegen ich um gnädige Erlaubniß bäthe, in meinen eigenen Standes-und Etaats-Affairen eine Reise nach Wien anzutreten, worbey mir sonderlich durch dessen gnädige Vorschrifft und selbst eigene Recommendation ein sicheres Conto zu finden getrauete.

Der gute alte Herr wandte zwar viel darwieder ein, schlug mir auch vor: von Ostern an, noch ein Jahr oder wohl länger bey seinen Söhnen auf der Universität zu bleiben, mittlerweile er auf allerhand Mittel bedacht seyn wolle, mich nach meinen Meriten behörig zu versorgen; Allein die Liebe, ach die hefftige Liebe zu Fräulein Charlotten, stack mir einmahl im Kopffe, und machte mich dermassen beredsam, daß ich dadurch endlich meinen Zweck erreichte, und 2. Tage nach Faß-Nachten 1715. mit 100. Thlr. Geld und einem propren Kleide von ihm abgefertiget wurde.

Nichts auf der Welt kam meinem Hertzen empfindlicher vor, als das klägliche Scheiden, ich wandte alle meine Beredsamkeit und beweglichsten Caressen an mein Fräulein Charlotte, dahin zu bewegen: mir in der letzten Nacht einen geheimen Zutritt in ihren Schlaf-Gemache zu erlauben, betheurete auch bey allen dem was heilig gehalten wird, weder mit Worten, Gebärden oder Wercken nicht das geringste wieder ihre Ehre und Tugend zu tentiren, allein dieselbe war in diesem Stücke ein wenig allzu strenge, also muste nur vergnügt seyn, daß meine Abschieds-Küsse, in grimmiger Kälte, [116] durch das unbarmhertzige eiserne Gatter nehmen durffte.

Demnach nahm meinen Weg, nebst einen zu meiner Bedienung angenommenen Reit-Knechte, der meine Reise-Sachen hinter sich auf dem Pferde in zwey, starck angefüllten, Mantel-Säcken führete, erstlich noch einmahl auf Halle zu, allwo mein annoch daselbst befindliches Geräthe und Bücher, einem redlichen Freunde in Verwahrung, selbigen auch zu Unterhaltung meiner Correspondenz mit Charlotten, hinlängliche Instruction gab, nachhero meine Reise so hurtig als es meine zwey ziemlich tauerhafften Reit-Kläpper ausstehen konten, über Leipzig und Prag nach Wien fortsetzte. Selbige Weltberühmte Stadt erreichte ich endlich, gleich am Sonntage Judica, also 14. Tage vor dem Oster-Feste, hieselbst kostete es nun nicht wenig Mühe, das Geschlechte mei ner Mutter auszuforschen, jedoch nach vielen vergeblich angewandten Kosten, traff ich endlich meine Groß-Mutter mütterlicher Seite, bey einer ihrer Töchter an, die an einen Zeugwärter bey der Käyserl. Artollerie verheyrathet war, und mit selbigen 5. lebendige Kinder erzeuget hatte. So bald ich mich kund gegeben und alle ausgestandene Fatalitäten ausführlich erzehlet hatte: umarmete mich meine Großmutter aufs allerliebreichste, und erkandte mich aus allen Umständen, sonderlich aber an den Gesichts-Zügen, und dem Muttermahle, welches ich am Halse unter dem Halßtuche auffzuweisen habe, vor den leiblichen Sohn ihrer ältesten Tochter. Hergegen wurde ihr, und mein eigenes Betrübniß gantz sonderbar erneuert, [117] da keins von allen nur die geringste Nachricht zu geben wuste, wo meine Mutter mit der jüngsten Tochter müsse hingekommen seyn.

Meine Großmutter aber, hatte nebst dieser Tochter, bey welcher sie lebte añoch zwey andere an Käyserliche Officiers verheyrathete Töchter, und einen Sohn, der unter der Käyserl. Infanterie als Capitain in Ungarn stunde. Nun erkandten mich zwar anfänglich alle 3. Muhmen, vor den Sohn ihrer ältesten Schwester, nachdem sie aber die Sache mit ihren Männern etwas reifflicher überlegt, und sich leichtlich die Rechnung gemacht, daß ich mein Muttertheil prætendiren würde, spieleten sie das Lied aus einem gantz andern Thone, zuckten die Achseln und gaben zu vernehmen, wie sie dennoch verschiedene trifftige Ursachen hätten zu zweiffeln: ob ich derjenige Vetter sey, vor welchen ich mich ausgäbe, man hätte sehr viele Exempel, daß die Leute von dergleichen listigen Landstreichern hintergangen worden, derowegen müste ich mich erstlich besser legitimiren, vor allen dingen aber die Römisch-Catholische Religion annehmen, so dann solten mir nicht allein von jedweden, meiner Mutter Geschwister, 200. Käyser-Gulden baar Geld gezahlt, sondern auch über dieses vor mich gesorget werden, daß ich, durch Vorschub meines Vetters, in Ungarn etwa einen Ober-Officiers- oder Ingenieurs-Platz erhielte. Was war hierbey zu thun? mehrere Beweißthümer meines rechtmäßiger weise führenden Geschlechts-Nahmens beyzubringen, fiel mir unmöglich, der Evangelischen Religion abzuschweren, und die Römisch-Catholische, des zeitlichen schlechten Gewinsts wegen [118] anzunehmen, schien bey GOtt und Menschen unverantwortlich, einen Process aber gegen meine dasigen Bluts-Freunde zu formiren, war gantz und gar nicht rathsam, sondern in Betrachtung meiner wenigen Mittel, allzu gefährlich. Derowegen nahm ich meine einzige Zuflucht zur Groß-Mutter, und verhoffte: dieselbe solte durch ihre Autorität meine Sachen auf guten Fuß setzen, allein selbige stund selbst gar auf schwachen Füssen, denn die gute Alte war fast ein Spott ihrer bösen Kinder und Kindes Kinder, ihr Vermögen hatte sie biß auf wenige zurück behaltene Gold-Stücken und Jubelen, schon vor etlichen Jahren unter dieselben vertheilet, muste also meistentheils deren Gnade leben, über dieses war sie sehr eiffrig Catholisch, und sagte mir ausdrücklich: wie sie mich ebenfalls nicht mit rechten guten Gewissen vor ihren Enckel erkennen und sich meiner annehmen könte, so lange ich mich in meinen irrigen ketzerischen Glauben befände. Jedoch war sie endlich so mitleydig mir 30. Stück spec. Ducaten, nebst einem ziemlich kostbarn Diamant-Ringe und silbernen Degen zu verehren, meldete mir anbey denjenigen Fürstl. Sächsischen Hof, allwo meines Vaters leiblicher Vater, vor vielen Jahren in Diensten gestanden, rieth mir anbey dahin zu reisen und zu versuchen, ob noch etwas von meinem väterlichen Erbtheile zu erhalten sey, mittlerweile hätte auch Zeit und Gelegenheit zu überlegen, ob ich den Vorschlägen meiner mütterlichen Anverwandten Folge leisten, und mir ihr Anerbiethen zu Nutz machen wolte, solchergestallt ich denn mit ehesten zurück kommen und sie allerseits gedoppelt erfreuen könte. [119] Ich war von Hertzen, doch nicht halb so sehr über das empfangene Geschencke erfreuet, als da ich nunmehro die Geburths-Stadt meines Vaters ausgekundschafft hatte, versprach zwar alles wohl zu erwegen, reisete aber unter dem Vorsatze fort, mit Göttlichen Beystande mein anderweitiges Glück zu suchen, und dergleichen falsch-und halßstarrig gesinneten Bluts-Freunden nimmermehr wiederum vor die Augen zu kommen, noch vielweniger sie um einige Bey-Steuer anzusprechen, weil mich lieber zeitlicher weise von ihnen verlassen, als geistlicher weise ins Verderben gestürtzt wissen wolte.

Also trat ich in der angenehmsten Sommers-Zeit meine Rück-Reisen an, und erreichte wenig Tage nach Johannis-Feste, meines seel. Vaters Geburths-Stadt, jedoch in selbiger war mein Geschlechts-Nahme, vor wenig Jahren, mit dem Groß-Vater gäntzlich ausgestorben, ingleichen meines Vaters älteste Schwester nebst ihrem Ehe-Manne, mit hinterlassung dreyer Töchter verschieden, die andere aber lebte annoch mit einem Fürstlichen Secretario, in sehr vergnügter Ehe, und hatte zwey erwachsene Töchter, auch so viel Söhne, die etwa 12. biß 15. Jahr alt waren. Diese Leute konten sich zwar wohl ihrem Stande gemäß aufführen, hatten aber allem Ansehen, und ihrem eigenen Geständnisse nach, wenig übrig, wie sich denn auch vermuthlich dieser Ursachen wegen, keine anständige Freyer vor die sonst ziemlich fein aussehenden, und desto besser gezogenen Jungfern anfinden wolten. Zu bejammern war es, daß meine Groß-Eltern nicht in stärckern Mitteln gesessen, sondern im hohen Alter [120] vor ihrem Ende fast alles zugesetzt, so daß meines Vaters beyde Schwestern nach Abzug der Begräbniß-Kosten, kaum 100. Thlr. werth an Meublen ererbt hatten. Mein Vetter der Secretarius war so redlich, daß er ohne mein geringstes Suchen, augenblicklich vor billig erkandte, was massen der dritte Theil der Verlassenschafft mir zugehöre, derowegen erböthig, mir denselben, vor sich und seines Schwagers Töchter, über welche er Curator war, auszuliefern, allein solche Redlichkeit afficirte mich dermassen, daß ich nicht nur alles deprecirte, sondern über dieses, meine Vettern und Muhmen, mit ein und andern artigen Sachen beschenckte.

Es begab sich aber dieser mein Vetter, nachdem er vermerckt, wie meine Absichten zukünfftiger Lebens-Art eintzig und allein auf eine Militair-Bedienung gerichtet wären, alle Mühe, mich hiervon abzuziehen, und zu einem ruhigern Stande zu persuadiren, allein vors erste wuste er nicht, daß mich eine besondere Liebes-Intrigue darzu antriebe, und vors andere wurde alle seine Vorsorge, mich bey dem Fürstl. Hofe zu engagiren, durch einen Widersacher zernichtet. Selbiger war ein Mensch von erbärmlicher Conduite, seiner Einbildung nach aber, ein anderer Richelieu oder Mazarini. Er hatte etwas, wiewohl nichts sonderliches fundamentelles in der Mathesi gethan, konte jedoch ein und andere Risse aus diesem und jenen Kupfferstiche zusammen klauben, ziemlich sauber aufs Pappier bringen, und selbige hernach mit hochtrabenden Gebärden, vor seine eigene sonderbare Invention ausgeben. Er glaubte: daß er sonderlich glücklich sey, von allen Dingen, [121] die nur aufs Tapet kommen könten, ein ausserordentlich geschicklichesJudicium zu fällen, und davon noch vortrefflichereSpecimina abzulegen, es kamen aber selbige zuweilen nicht allein sehr unglücklich, sondern offtermahls garabsurd heraus. Jedoch hätte seine Theorie in ein und andern Stücken endlich noch so hingehen mögen, allein in der Praxi hatte er sich bereits zu verschiedenen mahlen verlachungs-würdige Prostitution zugezogen, so daß ein vornehmer und grund-gelehrter Mann, ein solches Judicium von ihm gefället: dieser Künstler versuchte auf des Fürsten Unkosten und mit dessen nicht geringen Schaden erstlich hinter die rechten Sprünge zu kommen; welches deñ in der That und Wahrheit mehr als zu gewiß eintreffen mochte. Nechst dem war dieser Mensch der Philautie oder Eigenliebe im höchsten Grad ergeben, indem nun aus selbiger gemeiniglich ein enormer Hochmuth, und aus diesen wiederum, nicht selten eine Charlatanerie zu entstehen pflegt, so konte man an diesem Subjecto eins wie das andere nur gar zu deutlich mercken, denn wie mein Vetter sagte, so wisse er mit seinen blonden Haaren nicht sattsam zu haseliren, bald trüge er die selben Krause, bald schlecht, bald steckte er alle mit einander in einen mit gläntzenden schmeltzbekleckten Sammet-Beutel, bald knüpffe er sie in 1. 2. oder 3. Knoten, bald ließ er sie auf lächerliche und wunderliche Art in Zöpffe flechten, bald trüge er gar eine kohl-pechschwartze Peruque, die er zuweilen sehr weiß, zu weilen auch in 4. Wochen gar nicht pouderte, endlich abermahls wechselte, selbige wegwürffe, und seinblondes Haar wiederum zum Vorscheine [122] kommen liesse. Anderer Grimacen, gezwungener Complimenten, affectirter Redens-Arten, Gebärden und Leibes-Stellungen nicht zu gedencken. Kurtz! dergleichen Wesen gab auch einem frembden annoch von ferne zu verstehen, daß eine starcke Sympathie zwischen ihm und denjenigen Creaturen sey, welche im Mertzen am meisten zu schertzen pflegen, ja man hat, ich glaube aber zum Schertz versichern wollen, daß er nicht nur beständig einen Zahn-Stocher von dergleichen Creatur, sondern so gar einen gantzen Laufft desselben im Schubsacke bey sich führete.

Diesem artigen Herrn nun mich adjungiren zu lassen: gab sich mein Vetter bey dem Fürsten die gröste Mühwaltung. Da man aber gewisser Ursachen wegen, gantz besondere consideration vor diesen allzuartigen Herrn bezeigte, und, damit er sich ja nicht etwa disjoustirt befinden möchte, erstlich Gelegenheit abwarten wolte, ihm solches mit einer Manier bey zu bringen, vermuthete ich, daß mir solchergestallt die Zeit etwas zu lang währen, auch da es endlich ja angehen solte, keine gar zu gute Seide mit diesem, meinemTemperamente durchaus contrairen Menschen spinnen würde, ließ mich also bereden, mit dem eintzigen Sohne eines vornehmen Ministers, noch einmahl nach Halle zu gehen, und folgenden Herbst und Winter über noch recht fleißig zu studiren.

Es war dieses keine unebene Sache vor mich, denn ausser dem, daß ich vor die Privat-Information des jungen Cavaliers in allen defrayrt wurde, und noch über dieses wöchentlich einen Thaler bekam, [123] getrauete ich mir den Winter über mit meinem Handwercks-Zeuge, und zwar nur zum Feyerabende, wenigstens 50. Thlr. zu verdienen, derowegen verkauffte meine zwey Pferde, den Bedienten aber weil er sehr getreu war, behielt ich bey mir, zumahl da ihm der junge Cavalier Logis und Kost ebenfalls frey gab, ich also nur dessen Liberey zu bezahlen hatte.

Mit meinem Fräulein Charlotte hatte ich indessen, so offt als es nur möglich gewesen, Briefe gewechselt, und von den ihrigen einen so starcken Vorrath in Händen, daß ich fast zwey Stunden Zeit nehmen muste, wenn ich mir das gröste Vergnügen mit Durchlesung derselben machen wolte. So bald mich aber nur etwas weniges aufs neue in Halle eingerichtet hatte, trieb mich die hefftige Begierde, selbige wiedrum einmahl zu sehen, dahin, dem Herrn von V** meine Aufwartung zu machen. Ich wurde seiner angebohrnen Gütigkeit nach, hertzlich wohl empfangen, stattete Rapport von meiner Reise und gehabten Verrichtungen ab, und hatte das Vergnügen meinen Engel an dem alten Orte außführlich zu sprechen und zu küssen. Sie erzehlete mir mit Lachen: daß Ferdinand abermahls eine Vieh-Magd, seiner Meynung nach in aller Stille mit 50. Thlr. abgefertiget hätte, dem ohngeacht, weil sie sich nichts darvon mercken liesse, begegnete er ihr noch immer mit den äusersten Liebkosungen, und dränge scharff darauff: daß ihre Vermählung noch vor Weyhnachten vor sich gehen möchte. Allein sie bliebe beständig darbey, daß es in ihren Hertzen vorlängst beschworen sey, vor Verlauf ihres 20sten Jahres [124] keinen Mann zu nehmen, also müsse er sich gezwungener weise, von einer Zeit zur andern, mit Gedult schmieren, woferne ihm nicht gelegen sey, bey ihr auf einmahl durch den Korb zu fallen.

Mir gab anbey mein liebstes Fräulein einen Verweiß, daß ich mich nicht emsiger um einen Officiers-Platz bemühete, ja sie durffte fast auf die Gedancken gerathen: als ob mir an ihrer, desto baldigen Besitzung, gar wenig, oder wohl gar nichts gelegen sey. Derowegen hatte genung zu thun, ihr solche Gedancken auszureden und zu erweisen, daß die itzigen Friedens-Zeiten, mich dermassen verwirrt machten, daß ich fast nicht wüste unter welche Trouppen ich mich wenden solte. Demnach schlug sie mir die Sächsische Soldatesque vor, welche damahls eben mit den Pohlnischen Confœderirten im Kriege verwickelt war, erboth sich auch mir so gleich mit 200. Thlr. an heimlich gesammleten Gelde und Geschmeide an die Hand zu gehen. Hieraus ware nun Dero gantz besonders treue Liebe sattsam zu spüren, derowegen versprach ich nur noch biß gegen den Frühling zu verweilen, nachhero so gleich meine Reise zu der Sächsischen in Pohlen stehenden Armée anzutreten.

Hierbey blieb es vor dieses mahl, doch hatte noch binnen zween Tagen, und des Nachts vor dem eisernen Gatter, die schönste Gelegenheit, derselben meine inbrünstige Liebe mit beweglichen Worten vorzustellen, welche denn von beyden Seiten mit unzähligen Küssen aufs neue befestiget und versiegelt wurde.

Des Herrn von V** Herrn Söhne, waren auf [125] dieUniversität Leipzig gezogen, derowegen konte mich Ehrenhalber nicht länger bey dem alten Herrn aufhalten, nahm also vor dißmahl Abschied, empfing abermahls eine Ritter-Zehrung von 6. Ducaten, und kehrete wieder zu meinem jungen Cavalier nach Halle. Selbiger brachte so wohl als ich seine Zeit, den gantzen Herbst und Winter über, sehr fleißig zu. Im Februario des 1716. Jahres aber, verkauffte ich alle meine unnöthigen Sachen mit guten Vortheil, erhandelte abermahls ein paar gute Klöpper, und wartete nur auf das Fräulein Charlotte, welche selbsten nach Halle zu kommen versprochen hatte. Sie stellete sich endlich im Mittel des Februarii ein, überlieferte mir 100. Thlr. baar Geld, und vor so viel Geld allerley Geschmeide, welches ich gar bequem bey mir führen konte, da aber meine Allerliebste vielerley zu verrichten hatte; und sich noch selbigen Tages auf die Rückreise begeben muste, wurde unser Abschied kürtzlich, jedoch dermassen zärtlich gemacht: daß wir beyderseits in Thränen zu zerfliessen vermeynten, doch da es nicht anders seyn wolte, schwuren wir einander nochmahls ewig feste Treue und schieden von einander.

Noch selbigen Abend setzte ich einen Brieff an den Herrn von V** auf, ihm mein Vorhaben zu eröffnen und zugleich schrifftl. Abschied zu nehmen, weil ich von dessen Güte dermassen überhäufft worden, daß mich schämen muste, wiederum vor seine Augen zu kommen, biß ich eine würckliche Ober-Officiers Bedienung erhalten. Von meinem jungen Cavalier nahm ich gleichfalls recht zärtlichen Abschied, empfieng von ihm über meinen versprochenen [126] Verdienst, noch ein schönes rothes Reise-Kleid, nebst 30. Lüneburgischen Gulden, reisete also mit meinen Bedienten, dem ich mittlerweile gut lesen, schreiben und rechnen lernen lassen, wohl gespickt und höchst vergnügt die Straffe nach Pohlen zu.

Durch Sachsen und Schlesien war gut reisen, allein so bald ich auf den Pohlnischen Boden kam, wurde in einer Stadt von etlichen Lutheranern gewarnet, wohl Achtung zu haben, weil es Kunst kosten würde: bey dermahligen Troublen mich biß in die SächsischeArmeé durch zu practiciren. Allein ich muste mehr Glücke als Verstand haben, denn medio Aprilis, gelangete ich ohne einige gehabte Verdrießlichkeit, glücklich bey der Sächsischen Infanterie an, engagirte mich anfänglich bey einem Regimente als Voluntair, bekam aber, ehe 2. Monat vergiengen, einen erledigten Fahndrichs Platz, und zwar ohne grosse Kosten, sondern mehrentheils aus besonderer Gnade eines genereulen Obristen, der noch darzu meinen Schwedischen tyrannischen Obristen sehr speciell gekennet hatte, welcher letztere, wie damahls erstlich erfuhr, bey Pultawa in der Schlacht von den Moscovitern massacriret worden.

Plus ultra, war von nun an mein ernstliches Symbolum, derowegen suchte meinem Character, durch möglichste accuratessè, in allen Stücken behörigeSatisfaction zu geben. Immittelst war mir von Grund des Hertzens leyd, daß ich nicht ein oder anderthalb Jahr früher unter die Sachsen gegangen, denn die delicatesten Expeditiones waren mehrentheils vorbey, und passireten dermahlen nur allerhand [127] kleine Scharmützels, worbey sich dennoch einige Gelegenheit dargab meine Courage zu zeigen. Es würde hoffentlich die Erzehlung derselben nicht so verdrießlich als langweilig fallen, derowegen will diese Materie biß auf eine andere Zeit versparen, und voritzo nur berichten: daß, nachdem der Friede zwischen beyden streitenden Partheyen am 1. Febr. anno 1717. in Warschau ratificirt worden, ich unter den Königl.Trouppen ebenfalls mit zurück und mein Quartier in Sachsen beziehen muste. Selbiges war etwa 14. biß 16. Meilen von meiner liebsten Charlotte Auffenthalt entlegen, doch weilen so gleich keinen Uhrlaub bekommen konte, eine persönliche Visite bey ihr abzulegen; muste ich die Zuflucht zu meinem Correspondenten in Halle nehmen, und in dessen Brieff ein Schreiben an meinen Engel einlegen, allein 14. Tage darauff erhielt von ermeldten guten Freunde die sichere Nachricht, daß sich meine Schöne nicht mehr bey dem Herrn von V.** aufhielte, sondern an einem andern, ihm unwissenden Ort, geschafft wäre.

Mir war hierbey nicht bange, sondern ich vermeynete wenn ich nur einen Brieff an den alten Herrn vonV.** ingleichen an dessen Söhne schriebe, mich um ihrer allerseits, und beyläuffig um Charlottens gutes Auffbefinden erkundigte, so würde doch wohl einer von ihnen, ohngefähr auf die Gedancken gerathen, mir Charlottens Auffenthalt zu vermelden, zumahlen da ich glaubte: daß sie nunmehro um so viel desto mehr Estim gegen meine Personalität bezeugen würden, weiln ihnen zugleich avisirte daß ich Hoffnung hätte: binnen wenig Wochen in die [128] Lieutenants Charge zu treten, aber weit gefehlt, denn in einigen Tagen lieff folgender verzweiffelt eckele Brieff bey mir ein:


Monsieur,

und Insonders Hochgeehrter Herr Fähndrich.


Derselbe nehme mir nicht übel, daß ich auf expressen Befehl meines gestrengen Herrn, des Wohlgebohrnen Herrn von V.** welcher das Jus Patronatus in unsern Dorffe hat, diese eigenhändige Zeilen an Denselben absenden thue. Sintemahl und demnach es nunmehro leyder schon vor etlichen Wochen ans Licht gekommen, daß Er die Wohlgebohrne Fräulein Charlotte verführen, und wie vermuthet wird, wohl gar um ihre Fräuleinschafft bringen wollen, doch sit ferbis fenia, wo ich mich irre, hat es nach dem Ausspruche des Terentius wohl recht geheissen: Tambus omnia padefacit, welches in Teutschen Reimen also klingen und lauten thut:


Es ist so kleine nichts gesponnen,
Das nicht käm mit der Zeit zur Sonnen.

Der wohlgebohrne Herr nebst seiner gantzen Hoch Adelichen Familie mänliches und weibliches Geschlechts ist grausam erbittert und im Zorne ergrimmet auf ihn, und so gar etliche Bauren selbst wollen das Ding gar nicht billigen, daß er als einer den der gestrenge Herr den Bettel Stabe entrissen, und ihn erstlich zum rechtschaffenen Kerl gemacht hat, ist so undanckbar gewesen, und hat aus dem [129] Staube seine Augen an den Hoch Adelichen Stern-Himmel gehoben, und mit einem solchen Venus-Sterne geliebäugelt. Aber Amor fincit omnia, das heist die Liebe ist blind. Ich habe solches wohl dem gestrengen Herrn auch vorgehalten, allein ich bekam ein zorniger Gesichte, als wenn ich seinen Retten-Hund mit einem Steine geworffen hätte. So wahr ihr ein ehrlicher Cantor bin, Herr Fähndrich Litzberg, der Juncker August und der Juncker Ferdinand haben euch alle beyde den Todt geschworen, ich rathe euch nicht, daß ihr ihnen auf den Felde begegnet, denn sie gehen mit unsern jüngsten Juncker alle Tage mit der Flinte spaziren herum. Cavete vos, Das heisset hütet euch. Aber doch will euch noch der gestrenge Herr, die Gnade erzeigen und thun, und euch euren Ruffert, den ihr hier stehen gelassen, hin schicken lassen, wo ihr ihn hin haben wollet, denn ich habe den Ruffert schon in meinem Hause unter meinem Bette stehen, da soll ihn leichtlich kein Dieb hervor langen, ich will nur wissen wo ich ihn hin schicken soll, auf der Post oder durch einen Bothen, welchen ihr aber bezahlen müsset, denn es heisset ein Arbeiter, also auch ein Bothe ist seines Lohnes wehrt. Ja ich hätte es bald vergessen, ich soll euch auch schreiben, daß ihr nur nicht gedencken sollet das Fräulein Charlotte wieder zu sehen, ehe sie einen Edelmann gekriegt hat. Denn eine solche schöne Fräulein soll [130] nun durchaus vor keinen andern Menschen als vor einen Edelmann gewachsen seyn, welches auch niemand verdencken wird, denn es heist simulus similus gautet auf Teutsch:


Gleich und gleich gesellt sich gern,
Ein' Qvetschk hat keinen Schleen-Kern.

Ich solte zwar auch was neues berichten, aber ich weiß nichts sonderliches, doch ja, vor 3. Vertel Jahren da ich Toffel Zaunsteckens Tochter Annen, welche mit Melcher Truthahns Sohne Tönnigesen in ein christlich Ehe-Gelöbniß getreten war, in die Braut-Messe läuten sollen, fuhr der Klöppel aus der Glocke zum Schall-Loche heraus, und hat Nachbar Erbs Micheln ein jung Schwein todt geschlagen, das war aber nur eins, mir aber sind diesen Winter 3. Ferckel auf einmahl erfroren, wodurch in sehr grosses Leydwesen gesetzt worden, doch was hilffts hodie michi cras tibe. Mein lieber Sohn ist von dem Hällischen Gymnastio wieder nach Hause gekommen, er hat zwar nur biß in quinda gesessen, kan aber mehr als der beste Primanner, die Leute sprechen nun, ich soll ihn auf die Unverstædt schicken, aber er hats nicht nöthig, ich will ihn lieber mir substiren lassen, denn ich werde doch alle Tage älter, bin ich in den Dienste nicht verhungert, wird er auch nicht verhungern. Ich schriebe gerne noch etwas mehr, habe aber gewiß und wahrhafftig kein Schnippelgen Pappier mehr im Hause, und in der Schencke sind sie schon zu Bette.[131] Wenn ich anfanges was geschrieben habe, daß euch etwa verdrießen thut, so rechnet es mir nicht zu, denn ich bin ein Mensch darzu der Obrigkeit unterthan, die hat mirs befohlen fein Teutsch raus zu schreiben. Tic cur hit pflegen wir Gelehrten an unsere Studier-Stuben zu schreiben, und also habe ich thun müssen, was mir der gestrenge Herr befohlen hat, wir bleiben deßwegen doch gute Freunde, ihr habt mir nichts zu Leyde gethan, und ich euch auch nicht, ein Schelm ders böse meynt. Fale amice ich verbleibe desselben.


Monsieur

und Insonders Hochgeehrter Herr Fähnrich

Dienstwilliger Freund

N.N.R.

Cantor und Ludimoder: in N.


Wer gläubts wohl nicht, (sprach hierauf Mons. Litzberg, nachdem er uns diesen Brieff nochmahls vorlesen und Zeit lassen müssen, die von Lachen gantz zerschüttelten Cörper wieder in Ordnung zu bringen,) daß ich über diese verzweiffelte Schreib-Art hätte halb toll und halb närrisch werden mögen, doch ich will mich mit Wiederholung meiner entsetzlich verwirrt-aufgestiegenen Affecten gantz und gar nicht aufhalten, sondern nur die listigen Anschläge entdecken, welche ich Tag und Nacht schmiedete, um den gewissen Auffenthalt des Fräuleins Charlottens zu erfahren. Der Schulmeister, den ich wegen seines schändlichen Briefes in der ersten Furie den Hals zerbrochen, jedoch wenn ich ihn nur erstlich bey mir gehabt hätte, wurde nach und nach in [132] meinen Augen und Gedancken eine vortrefflich nützliche Creatur, kurtz! ich war auf lauter Streiche bedacht, durch ihn zu erfahren, wohin man meine andere Seele geschafft hätte, setzte mich derowegen auf die Post, und richtete meine Reise also ein: daß ich accurat Freytags Abends in demjenigen Sächsischen Städtgen eintraff, welches nur eine kleine Meil wegs von des Herrn vonV.** Guthe entlegen war. Ich hatte mich mit allen Dingen, welche ich zu Ausführung meines Vorhabens nöthig hielt, sehr wohl versehen, und weiln gewiß versichert war, daß sich der vertrackte Cantor gemeiniglich des Sonnabends, einen guten halben Tag, in dem Städtgen zu machen pflegte, wenn er nehmlich den Communicanten Wein von darselbst abholete, und sich den Rantzen bey solcher Gelegenheit recht voll gutes Stadt-Bier soff, so verfärbte mein Gesichte so schwartz-braun, als es sich schickte, zog einen braunen Rock an, setzte eine schwartz-braune liederliche Peruqve über meine zusammen gebundenen Haare, legte einen grossen Schwedischen Degen auf die Schulter, und einen grünen Qveer-Sack drüber, band auch einen mit etwas versilberten Meßing beschlagenen Streich-Riemen vorn an die Brust, machte also eine Figur, wie ein liederlicher Scheer-Knecht oder Barbier-Geselle, gieng Vormittags um 10. Uhr, des halben Wegs, auf diejenige Strasse, wo ich wuste, daß der Schulmeister von rechts wegen herkommen muste, legte mich hinter ein Gesträuche, und wartete mit Schmertzen auf dessen Ankunfft, war auch um 12. Uhr so glücklich, denselben zu erblicken, stund [133] derowegen auf, und gieng sachte vorher, weil mir seine Art bekandt, daß er sehr neugierig war, und jederman gern kennen und ausfragen mochte. Es schlug mir in diesem Stücke nichts fehl, denn er verdoppelte seine Schritte so lange, biß er mich einholte, auf Befragen: Wer ich sey, und wo ich hin wolte? Bekam er zur Antwort: Ich sey ein ehrlicher Barbiers-Geselle, eines Schulmeisters Sohn aus Westphalen, und suchte Condition, aber in keiner kleinen, sondern in einer grossen Stadt, weiln ich ohngeacht meiner liederlichen Kleidung etliche 20. Ducaten bey mir hätte, die ich ihm auch zeigte, und bath: mich in einen Gasthoff zu führen, wo ich eine Stube allein haben könte. Er erboth sich in allen zu meinen Diensten, zumahl da ich mich verlauten ließ, es müsse heute ein Ducaten in Wein und Biere versoffen werden, und wenn ich auch den Nacht-Wächter zum Sauff-Bruder herzu ruffen solte. Allein der Herr Schulmeister, den ich seit langen Jahren aus- und inwendig, er aber vor dißmahl mich nicht kannte, versicherte mich, daß es an Compagnons nicht fehlen würde, und solte er auch allenfalls selbst einen abgeben, derowegen eileten wir fort ins Quartier, allwo ich so gleich eine besondere Stube bekam, und zum Willkommen 6. Maaß Wein, so viel Bier, nebst andern Delicatessen, die in der Eil zu haben waren, herbey bringen ließ, die Stuben-Thür abschloß, und mich mit dem Herrn Schulmeister en deux rechtschaffen lustig machte. So bald ich einen halben Tummel bey ihm verspürete, rieb ich mein Gesicht mit einen besondern Pulver ab, ließ meine Haare, nach weggeworffener [134] Peruqve, herab fallen, weßwegen er mich augenbilcklich erkandte, und vor Angst nicht wuste, wie ihm geschahe. Allein ich machte ihm alle ersinnliche Caressen, neñete ihn meinen allerliebsten Freund und Vater, drückte einenspec. Ducaten in seine Hand, soff den Hansen brav aufs Leder, machte sein Hertze zur welcken Rübe, und erfuhr endlich, nicht nur meiner liebsten Charlotte wahrhafften Auffenthalt, sondern auch alles andere, was er von meinen und ihren Affairen vernommen hatte. Hierauf inponirte ich ihm altum silentium, versprach in zukunfft davor weit bessere Erkänntlichkeit zu erzeigen, und ließ ihn durch einen zugegebenen Bothen mit aufgehenden Monde, biß vor sein Hauß begleiten.

Noch selbige Nacht nahm ich eine Extra-Post, und reisete wiederum meinem Quartier zu, weiln nicht länger als auf 5. oder 6. Tage Uhrlaub genommen hatte, nunmehro aber, bath auf einen oder 2. Monath Uhrlaub aus, muste jedennoch 14. Tagen warten, ehe mir abzureisen erlaubt wurde, binnen dieser Zeit, schrieb ich einen abermahligen Brief an den Herrn von V.** excusirte das, mir so hoch aufgemutzte Verbrechen, schützte vor: daß es gar nichts unerhörtes sey, wenn ein Fräulein einen Officier heyrathete, der zumahlen die gröste Hoffnung hätte, durch seinen Degen, sich des Adelichen Standes vollkommen würdig zu machen, übrigens wolte vor dieses mahl dasjenige Touchement, so mir durch die thörichte Zuschrifft des einfältigen Schulmeisters zugefügt worden, en regard dessen, daß ich dem Herrn von V.** gantz desondernRespect [135] restire, durch Klugheit überwinden, mir aber dabey ausbitten: daß von jungen Edelleuten nicht mechant von mir gesprochen würde, wiedrigenfalls ich mich genöthiget sähe, einen oder den andern auf ein paar Pistolen zu Gaste zu bitten, oder den Injurianten dergestalt zu prostituiren, daß sich endlich zeigen müste, wer das beste Adeliche Hertze im Leibe hätte.

An meinen vielgeliebten Herrn Schulmeister schrieb ich aber einen gantz andern höchst-verbindlichen Brief, schickte ihm auch noch einen Ducaten, und bath durch den abgefertigten Expressen, mir nicht allein meinen Coffre zu senden, sondern über dieses auch noch sonsten schrifftlich zu berichten, was er etwa damahls vergessen hätte.

Der Herr von V.** war dennoch so eigensinnig, mir auch auf dieses Schreiben nicht zu antworten, hingegen schrieb mir der Herr Schulmeister desto hertzbrechendere Zeilen, jedoch weil nichts remarquables darinnen befindlich, will voritzo die Zeit menagiren, und selbigen Brief nicht einmahl hervor suchen, sondern nur sagen: daß ich endlich Erlaubniß zum Hinwegreisen erhielt. Ich hatte biß zu meines Fräuleins Auffenthalt 26. Meilen zurück zu legen, die ich ebenfalls auf der Post antrat, jedoch nicht weiter gehen wolte, biß in die letzte nächst gelegenste Stadt, ich kam hurtig genug daselbst an, und zwar eben an einem solennen Jahrmarckts-Tage. Allein wie erschrack ich nicht, da, indem ich von der Post abstieg,August und Ferdinand ohnfern vor mir vorbey giengen, jedoch zu guten Glück meiner nicht gewahr wurden. O Himmel! [136] wie geschwind griff ich nach meiner Büchse, worinnen die vortreffliche Salbe verwahret war, wodurch man sich in der Geschwindigkeit zum halben Zigeuner machen konte. Ich folgete dem Postilion in den Stall, und beschmierete mich unvermerckt so viel als nöthig war an Gesicht und Händen, ließ geschwind meinen Coffre abpacken, zohe ein fahles Kleid an, setzte eine braune gute Peruqve auf, und gieng eiligst auf dem Marckte herum spaziren, allwo mir nach einer halben Stunde mein Fräulein Charlotte unter etlichen andern Adelichen Dames in die Augen fiel. Vor Freude und Bekümmerniß war ich fast halb todt, jedoch, da sie bald hernach in ein grosses Gast-Hauß giengen, vor welchen ihre Carossen unangespannet stunden, schlich ich mich gegen über in ein Wein-Hauß, forderte Feder und Tinte, hatte immer ein Auge aufs Fenster, das andere aber aufs Pappier gerichtet, und schrieb in der Geschwindigkeit ohngefähr folgende Zeilen:


Allerschönstes Fräulein.


Euer allergetreuster Verehrer F.L. ist allhier zugegen, und hat bereits das Glück gehabt, euch als seine Sonne unter andern blossen Sternen von ferne zu sehen. Lasset ihm wissen, ob er sich noch den Eurigen nennen darff, oder ob derjenige Sturm, welchen seine Seele, auch entfernet, ebenfalls empfunden, die Wurtzel der zu ihm getragenen Gunst aus Eurem Hertzen gerissen hat. Ich muß selbiges zwar nicht ohne Ursache befürchten, kan es aber fast unmöglich glauben, [137] weil Euer, sonst in allen billigen Sachen beständiges Gemüthe, mir jederzeit vor Augen schwebt. Verkürtzet derowegen meine Quaal und Marter, entdeckt mich entweder meinem anwesenden Mit-Buhler, der mir den Todt geschworen hat, oder zeiget mir Gelegenheit, wo, und wann das Vergnügen, Euch in Geheim zu sprechen, haben kan, der im Post-Hause in verstellter Kleidung auf Antwort wartende


bekümmert-Verliebte Litzberg


Geschrieben war der Brief, ich sahe auch mein Fräulein nebst andern Dames gegen über im Fenstern liegen, allein, wie ihr derselbe unvermerckt in die Hände zu spielen sey, wolte mir gar nicht einfallen. Endlich da sich ohngefähr ein mäßiger Pursche vor mir præsentirte, und allerhand Galanterie-Waaren zum Verkauffe anboth, merckte ich gleich an seinem gantzen Wesen, daß er ein durchtriebener Schalck seyn müsse, zohe ihn derowegen auf die Seite, kauffte vor einen Ducaten nöthige Waaren, zeigte ihm hernach das im Fenster liegende, sehr betrübt aussehende Fräulein, und versprach ihm einen spec. Thaler zu verehren, wenn er derselben, ohne daß es andere Leute merckten, diesen Brief einhändigen, und ihr heimlich zu verstehen geben könte: so bald es ihr gelegen, Antwort abzuholen, zu welchem Ende ich ihm denn eine kleine Schreib-Taffel nebst Bleystifft gab, die er ihr ebenfalls überreichen, zur Losung aber nur die beyden [138] Buchstaben F.L. schreiben oder reden könte, so würde sie alsofort mercken, was es zu bedeuten hätte.

Der lose Vogel war mehr als zu dreuste, schleicht sich also gantz leise in dasjenige Zimmer, wo die Adelichen Personen befindlich, zupfft das Fräulein gelinde beym Ermel, und da sie sich, ohne daß es die andern gewahr werden, umwendet, giebt er ihr alsofort den Brief so wohl als die Schreib-Taffel, mit verzweiffelten Gebärden und Augen-Wincken in die Hände, erhält so viel von ihr, daß sie es stillschweigend verbirget, nachhero legt er seine Waaren aus, da immittelst Charlotte einen Abtritt nimmt, endlich wieder zurück kömmt, ihm ein und anderes abkaufft, und die Schreib-Taffel gantz unvermerckt wiederum zustellet. Selbige brachte er zu meinem grösten Vergnügen eiligst zurück, denn ich war noch nicht wiederum ins Post-Hauß gegangen, sondern wolte nunmehro im Wein-Hause erstlich abwarten, was fernerpassiren würde, fand demnach in der Schreib-Taffel folgende Antworts-Zeilen:


Mein Werthester!


Dieses ist versichert die erste vergnügte Stunde, so ich nach euren genommenen Abschiede in Halle, wiederum zu empfinden habe. Ihr bleibet, so lange ein Othem in mir ist, dennoch der Meinige und ich die Eurige, und wenn sich gleich die gantze Welt darwieder setzte. Seyd so gütig, und traget im Post-Hause noch in etwas Gedult, Morgen mit den allerfrühesten, wird mein Bruder mit seinem unflätigen Compagnon abreisen, gegen [139] Abend aber sollet ihr von meinem getreuen Mägdgen fernere mündliche und schrifftliche Nachricht empfangen, Lebet wohl mein Hertzens-Schatz, ich bin


eure getreue Charlotte.


Niemahls habe ich einenen spec. Thaler mit grössern Vergnügen ausgegeben, als denjenigen, welchen mein glücklicher Liebes-Courier, nehmlich der Galanterie-Händler, itzo von mir empfieng, so lange aber meiner Augen höchst ergötzliche Weyde, sich noch am Fenster blicken ließ, gieng ich nicht von der Stelle, sondern wartete so lange im Wein-Hause, biß sie sich endlich in den Wagen setzte, und davon fuhr, da ich denn wiederum zurück ins Post-Hauß gieng, und meine Zeit mit verliebter Sehnsucht so lange vertrieb: biß folgenden Tages fast gegen Abend Charlottens Getreue mir folgende Zeilen überbrachte:


Mein Liebster!


Folget der Uberbringerin dieses, meinem getreuen Mägdgen ohne Scheu an denjenigen Ort, wo sie euch hinführet, damit ich das Vergnügen habe, euch auf einige Stunden zu sprechen. Nehmet mir immittelst nicht ungütig, daß voritzo nicht weitläufftiger geschrieben, denn eine gute Freundin hat mich auch bey nächtlicher Weile, an dieser mir sonst höchst ergötzlichen Arbeit verhindert. Meine Peiniger sind fort.Adieu mon coeur.


[140] Dieser angenehmen Ordre schuldige Folge zu leisten, begab ich mich mit herein brechender Abend-Demmerung, nebst meiner Führerin, auf den Weg, und wurde, nachdem wir eine starcke Stunde Wegs zurück gelegt, durch einen Bauern-Garten in ein dergleichen Hauß geführet, woselbst mich ein alter 70. jähriger Mann nebst einer, vielleicht um sehr wenig Jahre jüngern Bauer-Frau, nach ihrer Art sehr höflich und freundlich bewillkommeten. Mein englisches Fräulein stellete sich um die Mitternachts-Zeit auch daselbst ein, fuhr aber entsetzlich zusammen, da sie von mir, als einem Zigeuner ähnlichen, schwartz-braunen Peruqven-Hanse, empfangen wurde. Jedoch ich ließ sie nicht lange in dieser Verwirrung stecken, sondern, war bemühet durch die Krafft meines Pulvers, und etwas warmen Wassers, meine natürliche Gestalt herzustellen, welche nach abgelegter Peruqve, ein unzweiffelhafftes Attestat von meinen eigenen Haaren empfieng.

Wir belachten hierauf diesen Spaaß eine kurtze Zeit, liessen die alten Leute immerhin bey den Gedancken: daß ich mehr als Brod fressen könte, und fiengen hernach in ihrer Gegenwart unsern Discours in Frantzösischer Sprache an: Dergestalt erfuhr ich nun, daß unser geheimes Liebes-Verständniß, durch niemand anders als durch Charlottens eigenen Bruder entdeckt und ausgebreitet worden, denn dieser liederliche Wildfang, hatte einsmahls durch einen Ritz inCharlottens Stube geguckt, und observiret: daß dieselbe mit weinenden Augen, einige, aus ihremChattoull hervor gelangte Briefe gelesen, [141] hernachmahls selbige verschiedene mahl geküsset und wiederum aufs sorgfältigste verwahret hatte. Da nun Ferdinand gleichfalls ein Zeuge darvon gewesen, gehen sie mit einander zu rathe, und erbrechen nachhero einsmahls unter der Kirche Charlottens Stube undChatoull, finden alle meine Briefe nebst den meistenConcepten ihrer Antwort, und zeigen dieselben, umCharlotten nur recht zu prostituiren, erstlich allen Leuten, und auf die letzte auch dem Herrn von V.**

Was die gute Charlotte dieserwegen vor Verdruß und Qvaal ausstehen müssen, und wie es über mich armen Schöps hergegangen, ist leichter zu vermuthen als zu erzehlen. Ferdinand, dessen Liebe dieserwegen dennoch nicht verschwindet, sondern um so viel desto mehr Nahrung empfängt, weil er nunmehro versichert ist, daß Charlotte gar wohl lieben kan, wenn sie nur will, vermeynet bey solchen Umständen im trüben zu fischen, und es dahin zu bringen: daß Charlottens Ausschweiffung, (wo es anders menschlicher weise also zu nennen) sich mit seinen groben Schand-Flecken compensiren soll. Allein diese fasset einen Helden-Muth, und saget franchement heraus: daß sie 1000. mahl eher einen gemeinen Musquetier von guter Conduite, als einen solchen Edelmann heyrathen wolle, der sich mit allen Vieh-Mägden auf dem Miste herum geweltzt, und so viel Hur-Kinder zu ernähren hätte, daß in zukunfft seine Korn- und Wäitzen-Erndte nicht einmahl hinlänglich seyn würde, selbigen die veraccordirten Mund-Portiones zu reichen.

Der Herr von V.** fasset sich dieses einiger massen [142] zu Hertzen, und weil er Charlotten, von Jugend auf nicht viel geringer als seine eigene Kinder geliebt, erlaubt er zwar, daß sich Ferdinand weiter um sie bemühen möchte, gibt aber anbey zu verstehen: daß er das Fräulein zu keiner Heyrath zwingen, jedennoch auch bey seinen Lebzeiten nicht erlauben wolte, daß sie mich, oder einen andern, der nicht Adeliches Herkommens sey, zum Manne bekommen solte.

Solcher gestalt wird die liebe Charlotte auf allen Seiten, und zwar von ihren leiblichen Bruder am meisten geplagt, biß endlich die Zeitung von dem Rück-March der Sächsischen Trouppen einläufft. Mein Avancement ist ihnen allerseits schon bekandt, derowegen befürchten sie nicht ohne Ursache, daß es Händel setzen möchte, schaffen also Charlotten bey Zeiten weiter fort, zu einer ihrer Anverwandten im Anhältischen. Allein die guten Leute hatten doch ihre Sachen nicht klug genug angestellet, weil ich, wie bereits gemeldet worden, gar bald alles auskundschaffte. Ferdinand und August die man vor ein paar veritable Krippen-Reuter und Schmarotzer halten konte, hatten einmahl patroulliren und erkundigen wollen, obCharlotte etwas ferneres von mir vernommen, oder ob ich mich etwa um selbige Gegend gezeiget, ihr auch vorgeschwatzt, ich hätte Regiments-Gelder angegriffen, und wäre mir dieserwegen der Degen, vom Stecken-Knecht vor dem Knie zerbrochen, um die Ohren geschlagen, ich also als ein Schelm vom Regiment verjagt worden, allein sie kommen in allen Stücken blind, Litzberg aber hatte das Vergnügen, [143] damahls und nachhero seine Feinde öffentlich zu schanden zu machen, denn mein, von dem General eigenhändig unterschriebener Reise-Pass, konte dißmahl Charlotten, mein Degen und Pistolen aber weiterhin allen andern das Gegentheil zeigen.

Auf solche Art wurde die Zeit unserer ersten Wiederzusammenkunfft, mit lauter ernsthafften Gesprächen verbracht, doch weil ich meinen getreuen Engel umständig bat, mir wenigstens noch zweymahl an selbigen Orte eine Nacht Visite zu gönnen, um unsere fernern Anstalten zu überlegen, hatte ich dennoch die erwünschte Lust, auf ihren Rosen-Lippen die meinigen zu weyden, ausser diesen aber wurde von beyden Theilen die strengste Keuschheit observirt, dennCharlotte hatte in Wahrheit ein vollkommen Tugendhafftes Gemüthe, und ich hätte lieber sterben, als mich mit dem geringsten Zeichen der Geilheit bey ihr verdächtig machen wollen. Unsere Abrede war demnach diese: daß ich sehr fleissig an sie schreiben, jedoch den Titul des Briefs an ein gantz unbekandtes Fräulein machen, die Briefe auch ohne Scheu an den Post-Meister des nächstgelegenen Städtgens addressiren, ihm aber nichts darvon melden solte, weil sie bereit sey, um besserer Sicherheit willen, diesen Mann selbst auf ihre Seite zu ziehen, und ihm einzubilden: daß ihrer Baasen eine, ein Geheimes Liebes-Verständniß mit einem gewissen Cavallier hätte, worinnen Charlotte Unterhändlerin wäre. Mit dem veränderten Nahmen und Petschafften, nahmen wir auch indessen völlige Abrede, und nachdem sie mir abermahls 100. Thlr. baar Geld offerirt, ich aber [144] selbiges ohne dringende Noth nicht annehmen wolte, hingegen ihr eine, in Pohlen erbeutete goldene Uhr, nebst einem kostbaren Diamantenen Creutze einhändigte, wurde, um keinen besorglichen Verdacht zu erwecken, mit Endigung der dritten Nacht-Visite der Abschied gemacht. Die guten ehrlichen Bauers-Leute empfingen von mir, vor ihre gehabte Beschwerlichkeit, einen Ducaten, und also reisete ich per Posto wiederum in mein Stand-Quartier.

Ich mercke, verfolgete hierbey Mons. Litzberg seine Rede, daß ich meine Liebes-Händel ihnen, meine Herrn, vielleicht zum Verdruß etwas zu weit ausdehne, jedoch ich werde mich im Rest derselben desto mehr auf die Kürtze befleißigen, woferne dieselben sich bemühen wollen, mir noch ein halbes Stündgen zuzuhören. Der Alt-Vater Albertus versetzte hierauf: Mons. Litzberg! ihr macht mir diesen Abend eine besondere Ergötzlichkeit, ich gestehe, daß dergleichen Geschicht bey eurer so sehr stillen Gemüths-Art nicht gesucht hätte, nunmehro aber habt die Güte fortzufahren, denn mich gelüstet das Ende abzuwarten, solte ich auch einen Excess begehen, und vor anbrechenden Tage nicht schlaffen, denn ich bin heute ohnedem ausserordentlich munter. Ich werde, replicirte Mons. Litzberg, dennoch von nun an allen Excess zu verhüten suchen, jedoch in meinem Fortsatze nicht zu viel, auch nicht zu wenig thun. Demnach fuhr er also fort:

Das Glücke favorisirte mir in so weit, daß ich zu Ende des 1717 den Jahres den Lieutenants-Platz erhielt, wie ich denn auch durch meine wenige Wissen schafft [145] in der Mathesi allein, mir nicht nur einigt vornehme Gönner, sondern in kurtzen auf die 300. Thlr. erwarb, also um Ostern 1718. ein Capital von 800. Thlr. baar beysammen, und meine Eqvippage ohne diß, in vollkommen guten Stand gesetzt hatte. Mitlerweile ging die Correspondenz mit meinem liebsten Fräulein nach Wunsche von statten, da ich aber eben im Begriff war, eine frische Reise zu ihr vorzunehmen, lieff die ängstliche Nachricht von derselben ein, wasmassen der Herr von V.** einen Cavalier, Nahmens A.W.v.P.** als Bräutigam zu ihr gebracht, und weil sie selbigen zu verwerffen, keine erhebliche Ursachen vorbringen können, wäre sie gezwungen worden: sich mit ihm zu verloben, doch auf solche Art, daß ihr Vormund, ihre Hand mit Gewalt in des Cavaliers Hand gelegt, und da sie sich geweigert, das Ja-Wort zu geben, er an statt ihrer Ja gesagt hätte. Binnen 14. Tagen solte sie demnach wieder zurück auf des Herrn v.V.** Güter geholet werden, wolte ich also sie nicht auf ewig verliehren; müste ich eiligste Anstalten zu ihrer Entführung machen.

Bey solchen Umständen war nun nicht lange zu zaudern, derowegen setzte mich nebst meinem Bedienten noch selbigen Abends, ohne Uhrlaub und alles, zu Pferde, und jagte binnen drittehalb Tagen, ohne gewechselte Pferde, zu dem, Charlotten sehr getreuen Post-Meister. Darauf folgende Nacht, machte ich Anstalten: daß meine Charlotte von meiner Anwesenheit Nachricht bekam, wir sprachen einander in der andern Nacht, nahmen Abrede, wie wir unsere Sachen aufs klügste [146] einfädeln wolten; in der dritten Nacht aber die Flucht, weil ich ohnweit von dem Dorffe eine Extra-Post bestellet, und so wohl meine als ihre Sachen darauf geschafft harte. Es gieng alles, gebrauchter Vorsicht nach, glücklich von statten, und ich brachte vermittelst verschiedener Extra-Posten meine Geliebte glücklich zu meines Vaters Schwester-Manne dem oben-erwehnten Secretario, selbiger hatte die Beschaffenheit des gantzen Handels kaum uberlegt, da er uns nebst andern klugen Vorstellungen, den nicht unebenen Rath gab, eine Reise an einen sichern Ort zu thun, und uns daselbst von einem Römisch-Catholischen Priester copuliren zu lassen, weil, wegen des allzu scharffen Verboths kein Lutherischer solches wagen dürffte, mithin würde solcher gestalt der gröste Scrupel gehoben, und wegen des übrigen könte mit der Zeit schon ein Vergleich, zwischen den Hoch-Adelichen eigensinnigen Befreundten, getroffen werden.


Ach wolte GOtt! meine Charlotte hätte sich entschliessen können, diesem gegebenen Rathe zu folgen, allein sie war nicht zu erweichen, sondern schützte vor: Nunmehro da ich dem Herrn von V.** Trotz diethen, und seinen Conses mit Gewalt zu erlangen, mich getrösten könte, dörffte ich mich ja nur bemühen, ihn aus falschen Hertzen und verstellterSubmission, zu meinem Willen zu disponiren. Solchergestalt verführen wir, ihrer Meynung nach, ordentlich, hätten vielleicht keine scrupulöse Copulation nöthig, konten auf dessen Verweigerung dennoch thun was wir wolten; zumahlen da sie sich [147] in stiller Sicherheit befände, und so zu sagen, unmöglich ausgeforscht werden könte.

Ich sahe mich gezwungen, meiner Gebietherin zu gehorsamen, reisete derowegen in das, ohnweit des Herrn von V.** gelegene Städtgen, suchte von daraus durch Briefe, und einen abgeschickten sehr klugenAdvocaten, zu tractiren, jedoch es war in allen Stücken Hopffen und Maltz verlohren, an statt der Antwort ließ man mir die schändlichsten Injurien sagen, von welchen mich nichts ärger verdroß, als daß ich ein Bettler, barmhertziger Officier und Fräuleins-Räuber wäre, oder doch zum wenigsten den Spitz-Buben Geld gegeben hätte, das Fräulein Charlotte zu entführen. Ja Ferdinand hatte in Gegenwart des Cavaliers Herrn von P.** und verschiedener anderer von Adel dennoch behaupten wollen: Ich wäre cum infamia von dem Regiment verjagt worden. Nun war zwar P.** noch so klug gewesen, in diesem Stücke das Gegentheil zu erweisen, jedennoch desto unbesonnener mei nen Stand und Wesen aufs allerverächtlichste durchzuhecheln, und weiln mir solches gleich andern Tages von andern vernünfftigen Edelleuten, die sich einPlaisir aus meinen Umgange machten, gesteckt wurde; setzte ich so gleich ein Cartell auf, welches ich mutatis mutandis eigenhändig schrieb und unterschriebe, einem jeden von diesen beyden, durch zwey junge Cavaliers überschickte, die sich selbst nicht allein zu Uberbringern, sondern auch zu meinen Secundanten erbothen:


Verwegene Massette,


So bald ich vernommen, daß deine canailleuse [148] Zunge, meine Renommeé aufs allerempfindlichste angetastet, hat meine Hand die Feder ergriffen, dir zu vermelden: wie ich die Auslegung deiner schelmischen Worte nicht anders als durch den raisonanz des Degens oder der Pistolen zu hören und zu sehen verlange. Hastu demnach nur etwa ein halbes Quentlein Adeliches Blut im Leibe, woran aber nicht ohne Ursache zu zweiffeln ist, so zeige dich Morgen frühe um 4. Uhr auf dem – – – Platze, allwo einen Cujon nach dem andern abzufertigen, oder aus Liebe zu der englischen Charlotte, sein Leben zu lassen, gesonnen ist


der Lieutenant Friedrich Litzberg.


Folgenden Morgen machte ich mich also nebst zweyen Secundanten und eben so viel Adelichen Zuschauern auf, traff an statt des von P.** welcher schon verreiset gewesen, Charlottens Bruder Augustum an, der sich zu seiner Lust den Degen erkiesete,Ferdinand hingegen bezeugte Appetit Kugeln zu wechseln. Es wurde demnach wenig Federlesens gemacht, sondern August, welcher sein Heyl am ersten versuchen wolte, wurde mit einem sehr gefährlichen Stiche in die Seite bezahlt, Ferdinand aber erstickte an meiner zweyten Pistolen-Kugel, weil ihm dieselbeaccurat über der Brust die Lufft-Röhre abgerissen hatte. Diesem nach hielt ich nicht vor rathsam, länger in dieser Gegend zu verweilen, sondern beschleunigte meine Reise, um Charlotten [149] meine Begebenheiten selbsten mündlich zu hinterbringen, war aber 4. Tage hernach so unglücklich mit dem Pferde zu stürtzen, und die Rippen der lincken Seite dermassen anzuscheuern, daß ich vor grausamen Seitenstechen und Schmertzen auf keiner Stätte liegen bleiben, vielweniger das Reisen fortsetzen konte, hergegen 4. volle Wochen auf meine Cur wenden muste. Meine zweySecundanten, welches ein paar junge hertzhaffte Sächsische Edelleute waren, verliessen mich nicht in dieser Noth, sondern blieben bey mir, biß ich mich völlig curiert, wiederum auf den Weg machen konte, reiseten auch mit biß zu meinem Vetter, allwo ich Charlotten ohnfehlbar noch anzutreffen vermeynete. Allein zu meiner allergrösten Bestürtzung muste erfahren: daß der Herr von V.** Charlottens Auffenthalt ausgekundschafft, dero Auslieferung von dem regierenden Landes-Herrn durch unterthänigste Vorstellungen erhalten, und endlich den Cavalier P.** abgeschickt hätte, seinen kostbarn Schatz abzuholen, und zu führen, wohin ihm beliebte. Dieser wäre nun auch allererst gestern Mittags, auf einen commoden Wagen, in aller Sicherheit davon gefahren, weiln er leichtlich muthmassen können, daß, da ich seiner Meynung nach Land-flüchtig werden müssen, ihm sonst niemand Verdruß machen würde. Zu meinem vermeinten grösten Glücke, fand sich jemand, der mir seine erwehlte Strasse mit Anführung glaubhaffter Umstände sehr klüglich bezeichnete, derowegen setzte mich, ohne den Rath meines Vettern anzuhören, nebst meinen beyden Compagnons, die so wohl als [150] ich junge Wagehälse waren, eiligst wiederum zu Pferde, ritten fort, nahmen, um Tag und Nacht hindurch desto besser nachzueilen, aller Orthen frische Pferde, und erreichten endlich am 5ten Tage, auf dem Heßischen Grunde und Boden, den Wagen, worinnen Charlotte bey dem von P.**, ihr Mägdgen aber rückwerts saß. Ich hieß dem Kutscher stille halten, und rieff: Heraus aus dem Wagen, Mons. von P.**, und überlasset mir meine Braut, mit welcher ich seit längerer Zeit verlobet bin, oder greifft zum wenigsten nach euren Pistolen. Nun ritten zwar drey Hand-feste Kerls hinter dem Wagen her, allein meine Compagnons und die Diener hatten ein scharffes Auge auf ihre Bewegung. Der von P.** aber sprach zu Charlotten: Mein Engel, kennen sie diesen Herrn? Warum nicht? antwortete Dieselbe, es ist ja würcklich mein Schatz, mein Lieutenant Litzberg. Hierauf sprung er aus dem Wagen, und sagte:Ha! ha! Monsieur, so ists doch wohl billig, daß wir um die Braut tantzen, stieg hiermit auf sein Reit-Pferd, welches ein Kerl an der Hand führete, ergriff seine Pistolen, und streiffte auf den ersten Schuß, meinen lincken Arm mit einer blutigen Wunde, ich hingegen traff ihn, indem sich sein Pferd etwas ungeschickt wendete, durch den hohlen Leib dermassen: daß er an seinen baldigen Tode zu zweiffeln, wenig Ursach haben mochte. Dem ohngeacht hatte der verzweiffelte Mensch noch die Macht, sein anderes Pistol zu spannen, womit er schändlicher weise auf Charlotten zielete, und diesen irrdischen Engel augenblicklich eine Kugel durch die rechte Brust [151] jagte, wovon sie sogleich ohnmächtig vor sich nieder auf ihr Mägdgen fiel. Der von P.**, indem er seinen Leuten zurieff: Schiesset zu! gebt Feuer! rächet meinen Todt! sanck ebenfalls vom Pferde herunter, jedoch von seinen Leuten unterstund sich kein eintziger, eine Hand aufzuheben, ihre Pistolen aber liessen sie ohne eintzige Widerrede von meinen Leuten ab- und in die Lufft schiessen, auch die Steine abschrauben, da ich mittlerweile die in jämmerlichen Zustande befindlicheCharlotte, mit Beyhülffe ihres Mägdgens, wiederum dahin brachte, daß sie ihren Mund und Augen öffnete, und mich mit diesen kläglichen Worten anredete: Ich sterbe, mein Litzberg! und zwar durch Mörders Hand, GOtt hat nicht gewolt, daß unsere Leiber also wie die Gemüther sollen vereinigt werden, derowegen fasset euch mit Gedult. Habet Danck vor eure getreue Liebe, nehmet diese Stücke zurück, daß sie nicht in andere Hände kommen. Und hiermit zohe sie alle ihre Ringe von den Fingern, band das Diamant-Creutz vom Halse, langete die goldene Uhr, wie auch ihren Coffre-Schlüssel hervor, welchen letztern sie ihrem Mägdgen gab, mit dem Befehle, ihre rothe gestickte Sammet-Tasche aus dem Coffre zu langen, welches denn augenblicklich geschahe, und also überreichte mir das getreue Hertze nebst vorerwehnten Kostbarkeiten, auch diese Tasche, worinnen etliche Kleinodien nebst 56. spec. Ducaten stacken, mit folgender Ansprache: Kräncket mich nicht, mein Engel! mit Verschmähung dieser Kleinigkeiten, welche ich in keinen andern als euern Händen wissen will, zu meinem Begräbniß [152] und vor meine Getreue, wird sich noch hinlängliches Geld und Geldes werth in meinemCoffre finden. Lebet wohl und gedencket zuweilen an eure getreue Charlotte, die euch biß in den Todt vollkommen keusch geliebet hat. Ich vermeynte bey diesen letztern Worten gäntzlich in Verzweiffelung zu fallen, nahm auch Dinge vor, die man sonsten wohl bey rasenden Personen, aber an keinem Christen wahrzunehmen pfleget. Da nun hierauf Charlotte mich um GOttes, ihrer Seelen-Seligkeit und getreuer Liebe wegen bat, dieses unglückliche Verhängniß mit besserer Standhafftigkeit zu ertragen, ihre Schmertzen nicht zu vergrössern, sondern die noch wenigen Augenblicke über, so sie noch zu leben hätte, ihr einige Ruhe zu gönnen, damit sie sich in ihren Hertzen mit GOtt versöhnen und zum seeligen Sterben anschicken könte, wolte ich Anstalt machen, sie an den nächsten Ort führen zu lassen; allein sie verlangte: daß wir ihr aus dem Wagen, unter einen schattigen Baum verhelffen solten, allwo sie ein wenig ausgestreckt liegen könte, wie nun dieses geschehen, und ich ihr Haupt auf meinen Schooß gelegt, sie aber eine gute halbe Stunde in stillen und eiffrigen Gebeth zugebracht hatte, fieng sie aufs hefftigste an Blut auszubrechen, und gab bald darauf mit fest zusammen gefaltenen Händen ihren Tugendhafft Geist auf.

Biß hieher hatte sich Mons. Litzberg bey Erzehlung seines jämmerlichen Zufalls, ungemein standhafft erzeigt, nunmehro aber traten die Thränen auf einmahl plötzlich in seine Augen, so, daß er ziemlich lange inne halten, und unser aller Weichhertzigkeit[153] ebenfalls gewahr werden muste, ehe er sein Gespräch also fortsetzen konte.

Sie werden, meine Herrn, ohne schwer selbst begreiffen, wie mir elenden und alles Trosts unfähigen Menschen zu Muthe gewesen, derowegen will nichts davon gedencken. Der von P.** hatte sich einige Minuten eher als meine Charlotte verblutet, mithin zugleich die Bitterkeit des zeitlichen Todes überstanden, ob ihm vor seinem Ende diese verdammte Mordthat gereuet hat: weiß ich nicht, denn ich habe weiter kein Wort aus seinem Munde gehört, doch soll er zu seinem Diener, der ihm die Wunde zustopffen wollen, gesagt haben: Laß mich in Ruhe, es ist alles umsonst, ich muß sterben.

Ich vor meine Person, wolte durchaus den entseelten Cörper meiner hertzlich Geliebten in das nächste Dorff oder Stadt begleiten, und daselbst zur Erden bestatten lassen; Allein meine zwey Compagnons wandten allen Fleiß an, mich daran zu verhindern, vielmehr zur schleunigen Flucht zu bereden, selbst die Diener meines entleibten Mit-Buhlers sagten: AchMonsieur! rettet in GOttes Nahmen euer Leben mit der Flucht, denn uns wird mit eurem Blute wenig gedienet seyn, bekommt man euch in hiesigen Landen einmahl in Arrest, so siehts um euren Kopff gefährlich aus. Endlich kam ich mit grosser Mühe zu einigen Verstande, zohe das Mägdgen meiner seeligen Liebste auf die Seite, und gab derselben ein und andere verwirrte Rathschläge, bath sie, wenn ihrer Gebietherin der letzte Liebes-Dienst geleistet worden, [154] bey meinem Vetter Rapport von ihren Verrichtungen abzustatten, küssete den erblasseten Mund und Hände meines liebsten Engels noch zu guter letzt unzählige mahl, setzte mich hernach auf inständiges Anhalten nebst meinen Compagnons zu Pferde, und suchte aufs eiligste über die Gräntzen dieses mir höchst fatalen Ländgens zu kommen.

Wir hielten uns ohne die äusserste Noth in keinem Quartiere sehr lange auf, biß endlich die berühmte Stadt Strassburg erreicht war. Von hier aus schrieb ich an meinen Vetter den Secretarium, berichtete demselben das mir zugestossene Unglück mit behörigen Umständen, und bat, so ferne meiner seeligen Fräulein Bediente bey ihm angelanget, mir ihren abgestatteten Rapport aufs eiligste zu überschreiben, weil ich an ermeldten Orte biß zu Einlauff seiner Antwort verziehen wolte. Vier Wochen hernach bekam ich also sein Antworts-Schreiben, und erfuhr, daß kein Mägdgen zu ihm gekommen, sondern dieselbe vermuthlich des nächsten Wegs nach ihrer Heymath gereiset wäre, immittelst hätte er so viel vernommen, daß so wohl mein seel. Fräulein als der Cörper des entleibten von P.** in eine kleine Dorff-Kirche, vor den Altar nahe beysammen begraben worden, welches Glück ich dem Stöhrer meines Vergnügens durchaus nicht gönnete, und solches dennoch leyden muste. Im übrigen hatte mein Vetter ausgekundschafft, daß meine Angelegenheiten beym Regiment auf sehr schlimmen Fusse stünden, fintemahl ich ohne Uhrlaub hinweg gereiset, und über dieses dergleichen blutigeTragoedien angestifftet [155] hätte. Demnach wäre sein getreuer Rath, daß ich die Sächsischen, Brandenburgischen, Anhältischen und angräntzende Länder gutwillig vermeiden, ja viel lieber mein Glück ausserhalb des Römischen Reichs suchen, und die zurück gelassenen Sachen nur immer vergessen möchte.

Dieser Rath war bey so gestalten Sachen wohl der beste, derowegen nahm von meinen beyden Compagnons, welche sich zurück in Käyserliche Guarnisons-Dienste begeben wolten, Abschied, und reisete mit meinem Diener nach Paris, allwo ich denselben bey einem vornehmen Teutschen Herrn als Laqvey anbrachte, mich auch selbsten in dessen Dienste en qualité eines Reise-Secretarii begab. Dieser mein neuer Herr war im Begriff, incognito frembde Länder zu besehen, wannenhero ich das Glück hatte, bey solcher Gelegenheit von seiner Curiositée zu profitiren, und sonsten wenig andere Arbeit zu haben, als seine Rechnungen über Einnahme und Ausgabe, ingleichen ein accurates Journal über alles dasjenige, was uns remarquable vorkam, zu führen. Wir besahen demnach erstlich Franckreich, hernach Italien, Spanien, Portugall, Engelland, und letztlich die Spanischen Niederlande. Es sind gewißlich in allen diesen Ländern, verschiedene theils angenehme, theils verdrüßliche Begebenheiten aufzuzeichnen vorgekommen, wie denn mein eigenes vor mich geführtes Journal solches mit mehrern besaget, jedoch ich werde in zukunfft bey Gelegenheit, solches Stückweise communiciren, und voritzo nur zum Schlusse meiner heutigen Erzehlen eilen.

[156] Diesemnach muß ich melden, wie mein vornehmerPrincipal, nach Besehung der besten Städte in Holland, Braband und Flandern, seine Retour antreten wolte, ich gantz unterthänigst um meine Dimission bath. Nun wuste er zwar wohl die Ursach, warum ich mich nicht wiederum nach Teutschland wagen wolte, versprach derowegen, seinen eignen Credit und Kosten anzuwenden, mir alle Sicherheit zu verschaffen, und die vielleicht ohnedem mehrentheils vergessenen Händel gäntzlich beyzulegen, allein der Teutsche, vor mich unglückseelige Boden, war mir ein vor allemahl höchst zum Eckel worden, und weil ich ausserdem, seit dem Absterben meiner Geliebten keine rechtschaffen fröliche Stunde gehabt, machte ich mir die Vorstellung, daß sich mein stilles Wesen endlich wohl gar in eine würckliche Melancholie verwandeln könte, wenn ich den Tummel-Platz meines widerwärtigen Glücks aufs neue beträte. Solcher gestalt bekam ich, nebst meinem honorablen Abschiede, eineSumme von 400. Thlr. theils verdienten, theils geschenckten Geldes, mit welchen ich mich auf die Reise machte, annoch die beyden Nordischen Cronen, nehmlich Dännemarck und Schweden zu sehen, und zu versuchen: ob ich unter deren Schatten etwa eine Kühlung, meiner annoch beständigen Schmertzen finden könte. Im Junio des 1722ten Jahres kam ich also in Coppenhagen an, allwo ich mich auf dem neuen Königs-Marckte einlogirte, doch in wenig Tagen bey einem berühmten Mathematico bekandt und in sein Hauß genommen wurde; dessen 15. jährigen Sohn in der Französischen [157] Sprache, wie nicht weniger in der künstlichen Zeichnung, privatim zu informiren. Weiln sich nun in kurtzen noch einige andereScholairs darzu fanden, konte ich ohne die Kost und andere Bequemlichkeit, bloß durch das informiren jährlich fast mehr als 150. Thlr. verdienen. Uber dieses hatte noch Zeit genung übrig, auf dasiger Universität meine ziemlich verwelckten Studia in etwas wiederum zu erfrischen, und mir die vortreffliche publique Bibliothec, worinnen ich sonderlich des berühmten Mathematici Tychonis de Brahe und anderer Mathematicorum Bücher fleißig durchsuchte, gar sehr zu Nutze zu machen. Selbige ist in einem runden Thurme verwahret, auf welchen man von unten an biß oben aus, mit Wagen und Pferden fahren kan. Der Eingang in die Bibliothec aber ist wöchentlich zweymahl erlaubt. So lange ich frey und ungebunden leben konte, war mein Sinn noch ziemlicher massen vergnügt, ohne wenn ich dann und wann mit den Gedancken auf meine Hertzkränckende Avanturen verfiel, und mich nicht selten gantze Nächte, mit dergleichen melancholischen Grillen herum schlug. Allein, so bald mir einige nicht übelgesinnete Freunde, das Seil über die Hörner werffen, und mich durch die Heyrath mit einer von meines Patrons Töchtern in ein gar honorables und austrägliches Amt ziehen wolten; vergieng mir auf einmahl alle Lust, länger in Coppenhagen zu bleiben, nahm dannenhero plötzlich Abschied, und war gesinnet, nach Stockholm zu reisen, allein, wie ich nachhero erwogen, muste ich mich durch den Schluß des unergründlichen Verhängnisses, [158] zu meinen nachherigen grösten Vergnügen, von einem guten Freunde, ich weiß aber selbst nicht warum, gantz leicht bereden lassen: mit ihm über Lübeck, abermahls eine Reise nach Amsterdam anzutreten, welche schöne Stadt ich doch schon vor 3. Jahren gesehen hatte. Dieser gute Freund ist niemand anders als Mons. Plager gewesen, als mit welchem ich, wegen seiner besondern Geschicklichkeit in Verfertigung Mathemathischer Instrumente seit 2. Jahren her eine genaue Freund schafft errichtet hatte. Unterwegs, nehmlich in Lübeck, geriethen wir als Passagiers in einige Bekandtschafft mit dem Herrn Capitain Wolffgang, und setzten die weitere Reise in seiner vergnügenden Gesellschafft fort, nachdem er aber uns, ein und anderes von seinen curieusen Avanturen, und wir im gegentheil, ihm das meiste von unsern biß daherigen Lebens-Laüfften erzehlet, that er uns endlich mit guter Manier den Vortrag: daß, weil wir beyderseits wenig Vergnügen in Europa zu finden vermeyneten, würde kein besserer Rath seyn, als in seiner Gesellschafft die Reise in ein ander Welt-Theil vorzunehmen, kämen wir glücklich an denjegen Ort, wohin er gedächte, so möchten wir uns binnen 2. oder 3. Jahren entweder zum beständigen Dableiben, oder da solches nicht beliebig, zur Rück-Reise resolviren, und vollkommen versichert seyn, daß er einem jeden, vor jedes Jahr 1000. Thlr. baar Geld geben, und zwar ohne das, was wir selbst erwerben könten, auch die freye Rückreise befördern wolte.

Ich kan nicht läugnen, daß Mons. Plagern und [159] mir dergleichen profitable Promessen anfänglich etwas verdächtig vorkamen; wir bathen uns also Zeit zur Uberlegung aus, und endlich da Mons. Wolffgang unser Verständniß etwas besser öffnete, sein redliches Gesichte auch eine sattsame Caution gegen alles Mißtrauen stellete, wurde der Handel völlig geschlossen, ehe wir noch nach Amsterdam kamen.

Hieselbst legten Plager und ich ausser denen 1000. Ducaten, die uns Mons. Wolffgang zu Erkauffung allerley Kunst- und Handwercks-Zeuges auszahlete, unser meistes Vermögen an eben dergleichen, wie auch an nützliche Bücher und andere nothdürfftige Sachen, welche so wohl als unsere Personen auf dieser schönen Insul glücklich angekommen sind.

Nunmehro dancke ich dem Himmel, allen meinen gegenwärtigen Wohlthätern und guten Freunden aus treuem Hertzen und von Grunde meiner Seelen vor das bißhero und noch jetzo geniessende Vergnügen. Ich schwere, daß mein Hertz vollkommene Zufriedenheit empfunden, so bald ich dieses gesegnete Erdreich betreten habe, von welchen mich, ob GOtt will, weder zeitliche Ehre, Wollust, Reichthum, oder was nur angenehmes genennet werden kan, hinweg, und in ein ander Land reitzen soll. Ich habe nach dem kläglichen Abschiede von dem Cörper meiner seeligen Charlotte gantz ein ander Leben angefangen, mein Dichten und Trachten auf beständige wahre Busse gerichtet, stehe auch, GOtt Lob, noch täglich darinnen, und zweiffele nicht im geringsten an Göttlicher [160] Vergebung der grossen Sünden und Fehler meiner Jugend. Andere Specialia von meiner heutigen summarischen, jedoch ziemlich lange gewährten Erzehlung, werde, wie schon gemeldet, zu anderer Zeit kund zu machen Gelegenheit haben, vorjetzo aber schliesse dieselbe mit meinem jederzeit im Hertzen tragenden Gedenck-Spruche:


O quam fausta viro labuntur sidera, tali,
Qui tempestivis crimina delet aquis!
Wie glücklich steht es nicht um einen solchen Mann,
Der seine Sünden läst, wenn er noch sünd'gen kan!

* * *


Wir danckten allerseits dem guten Mons. Litzberg, vor das, durch seine mühsame Erzehlung, uns gemachte Vergnügen, wünschten ihm in folgenden Lebens-Jahren alle ersprießliche Gemüths- und Leibes Ruhe, wolten hierauff von Herrn Wolffgangen und seiner geliebten Wöchnerin Abschied nehmen, und auf die Burg zurück fahren, allein dieselben hatten so wohl vor den Altvater als vor uns, in einem andern Gemache, das trefflichste Nacht-Lager zubereiten lassen; weßwegen sich der Altvater zum dableiben bereden ließ, und erstlich folgenden Tages, nach eingenommenen Früh-Stücke wiederum zurücke fuhr, so dann fast alle Tage von Morgen an biß gegen Abend, den fleißigen fortsatz des Kirchen-Baues betrachtete. Weilen aber die hauptsächlichsten Anstallten desselben, meines erachtens, oben zur gnüge beschrieben habe, unnöthige Weitläuffigkeiten [161] zu machen Bedencken trage, und von damahliger Zeit, keine besonders merckwürdige Sachen zu erinnern weiß, so will ohne weitere Umstände melden, daß unser neues Gottes-Hauß accurat in derjenigen Woche fertig wurde, in welcher wir Europäer nunmehro vor einem vollen Jahre, dieses Land betreten hatten. Zwar will nicht läugnen, daß an den Zierathen und einigen andern, zu besserer Beqvemlichkeit gereichenden Stücken noch verschiedenes auszubessern übrig geblieben, allein solches alles war eben so besonders nöthig nicht, und konte mit guter Musse vollends zugerichtet werden. Genung, daß nicht die geringste Hinderniß mehr im Wege lag, den Gottes-Dienst aufs ordentlichste darinnen abzuwarten. Nun hatte zwar der Altvater mit Herr Mag. Schmeltzern verabredet: daß die Einweyhung biß auf den 1. Advent ausgestellet seyn solte, allein folgender Umstand veranlassete sie, selbige 8. Tage früher anzustellen, denn am 17den Novembr. Sonntags den 22. post Trinitatis, da gegen Abend nach verrichteten Gottes-Dienste der Altvater, Herr Mag. Schmeltzer, Herr Wolffgang, Mons. Litzberg und ich nach der Kirche zu spatzirten, kam ein frischer, Alberts-Raumer Junggeselle, hinter uns her gelauffen, und brachte an: Wie Monsieur Kramer nebst seinen Europäischen Cameraden und einigen andern, sich die Erlaubniß ausbitten liessen: dem Altvater und Herr Mag. Schmeltzern einen besondern Vortrag zu thun. Es wuste niemand von uns zu errathen was sie damit haben wolten, da aber der Altvater den Jungen-Gesellen mit lächlenden Munde und der Antwort [162] abgefertiget: daß sie in GOttes Nahmen kommen und ihr Verlangen zu verstehen geben möchten; selbiger auch kaum bey dem Trouppe angelanget war, kam Mons. Kramer, mit einem Frauenzimmer an der Hand, voran gezogen, dem die andern Europäer und noch etliche Felsenburgische Junggesellen auf gleiche Art, jeder ein Frauenzimmer an der Hand führend, in richtiger Ordnung folgeten. Hinter ihnen her, kam auch noch ein grosser Hauffe von alten und jungen Leuten, ebenfalls gantz ordentlich gezogen. Herr Mag. Schmeltzer sagte lachend: Ich wolte fast rathen, daß diese 22. Paar, so ich zehle, ebenfalls so viel ehelige Verbindungen zu stifften, Erlaubniß suchen werden. GOtt gebe, versetzte hierauff der Altvater mit einer frölichen Geberde, daß es wahr ist, und daß ein jedes von ihnen wohl gewehlt habe. Mittlerweile kamen die 22. Paar heran, und schlossen einen Kreyß um uns herum, Mons. Kramer, trat nach gemachten Reverenz etwas näher zum Altvater, und gab mit wohlgesetzten Worten ohngefähr folgendes zu vernehmen: Nachdem nehmlich die Fügung des Himmels und kluge Führung des Herrn Wolffgangs sie auf diese unvergleichliche Insul gebracht, welches ihre Hertzen nunmehro binnen Jahr und Tag als eine gantz besondere Glückseeligkeit zu erwegen gnungsame Gelegenheit, nur aber allzuwenig Vermögen gehabt ihre Danckbarkeit dagegen vollkommen abzulegen; der theure Altvater auch, nebst allen seinen werthen Angehörigen, ihnen nicht nur bißhero alle unbeschreibliche Liebe und Treue erzeiget, sondern über dieses bey allen Umständen mercken lassen: wie [163] ihm zum sonderbaren Vergnügen gereichen würde, wenn die sämmtlichen vor Jahres-Frist angekommenen Europäer, beständig auf der Insul Felsenburg verbleiben wolten, so wären sie nun allhier gegenwärtig, nicht nur selbst nochmahls um dasjenige zu bitten: was ihnen so guthertzig angebothen worden, und da es verlangt würde einen heiligen Eyd zum Pfande ihrer beständigen Liebe, Treue und Redlichkeit abzulegen, sondern ausserdem, von dem lieben Altvater als dem Ober-Haupte dieser Insul, gütige Erlaubniß zu bitten: daß sich ein jedweder mit demjenigen Frauenzimmer, welches er an der Hand führete, durch ihren allgemeinen Seelsorger Herrn Mag. Schmelzern öffentlich und ehelich dürffe zusammen geben lassen. Immassen biß auf dieseCondition, die Bräute, deren Eltern und Verwandte, ihr Ja-Wort bereits von sich gegeben hätten. Wird nun unser Suchen (setzte er hinzu) vor billig erkandt, so getrösten wir uns baldiger geneigter Willfahrung, und zwar noch vor Eintritt der Heil. Advents-Zeit, in welcher man bey den Lutheranern, löblicher Gewohnheit gemäß, nicht leichtlich zu heyrathen pflegt; Ist aber an einem oder dem andern unter uns etwas auszusetzen, so bitten wir ihm seine Fehler in Liebe und Güte zu entdecken, denn in dem Stücke sind wir alle eines Sinnes: unser Leben immer tugendhaffter anzustellen, damit wir desto eher den frommen eingebohrnen Felsen-Bürgern gleich werden mögen.

Der gute Altvater, fieng unter Mons. Kramers wohlgegebenen Reden, vor Freuden hertzlich an zu weinen, und gab hernach zur Antwort: Lieben [164] Freunde, ich finde an eurer keinem eintzigen, seinem Verstande und Wesen nach, nicht das geringste auszusetzen. Habet Danck vor alle Liebe, Treue und Redlichkeit, so ihr mir bißhero erwiesen, und Zeit Lebens zu erweisen versprechet, doch erlaubet, daß ich vorhero, eines jeden gethane Wahl etwas genauer betrachte. Hiermit gieng er von einem Paare zum andern, und da er jedes sehr wohl zusa en treffend befand, Küssete er alle im gantzen Creyse herum, und sagte nach ausgesprochenen Väterlichen Seegen: Es soll geschehen, meine Kinder, was ihr wünschet, machet euch diese Woche geschickt, heute über 8. Tage geliebtes GOtt, wird euch Herr Mag. Schmelzer ehelich zusammen geben, und Tages darauff sollet ihr euer Hochzeit-Fest ingesammt auf Herrn Wolffgangs darzu bestimmten Platz celebriren. Hierauff stattete Mons. Kramer in einer abermahligen wohl gesetzten doch kurtzen Rede, im Nahmen aller, verbindliche Dancksagung ab, und nachdem sie den Altvater auf die Burg begleitet, einen Trunck Wein zu sich genommen und sich beuhrlaubt hatten, führete ein jeder seine Braut in Gesellschafft ihrer Befreundten nach Hause.

Herr Wolffgang blieb nebst seiner liebsten Sophie und kleinen Sohne noch in etwas bey uns, und weiln er sonderbare Lust zu schertzen hatte, brach er in diese belachens-würdigen Reden aus: Wenn alle Jahre eine Anzahl solcher dreusten Europäer auf diese Insul käme, dürfften die Jungfrauen bald rar werden, mein Rath wäre: Herr Mag. Schmeltzer, Mons. Litzberg und Mons. Eberhard suchten sich bey zeiten etwas Liebes aus, damit sie nicht hernach [165] etwa das Nachsehen haben müssen. Herr Mag. Scmeltzer muste selbst über dessen Worte lachen, sagte aber: Mein HerrWolffgang! eure treuhertzige Sorgfalt solte mich fast dahin verleiten, euch zu meinem Vorsprecher bey der artigen Christiana Virgilia anzunehmen, denn ich bin in Liebes-Sachen sehr blöde, über dieses weiß auch nicht, ob ich es wagen dürffte, dem werthen Altvater seine klügste Hauß-Wirthin abspenstig zu machen. Der Altvater lächelte hierzu, Herr Wolffgang aber fragte gantz dreuste: Ob es Ernst wäre? so wolte er die Commission mit Freuden auff sich nehmen, indem er sich zum voraus versichert hielte, dabey nicht un glücklich zu seyn. Ja, ja! Antwortete der Herr Magister, es ist der wahrhaffte Ernst, Ernst Gottlieb Schmeltzers, die schöne und tugendhaffte Christiana Virgilia zu heyrathē, daferne sich dieselbe darzu entschliessen will, und gegenwärtiger werthe Altvater, nebst ihren leiblichen Eltern darein consentiren. Auf diese Worte reichte der Altvater Herr Mag. Schmeltzern, die Hand, und sagte: Mein liebster Herr! Christiana ist euch seiten meiner zugesagt, welche sich nicht wegern wird, einen solchen schätzbaren Ehe-Gatten anzunehmen, morgen geliebtes GOTT will ich, nebst Herr Wolffgangen, bey ihren Eltern so wohl, als bey ihr selbst, vor euch werben, daferne sie sonsten von eurer keuschen Liebe noch keine nähere Kundschafft hat. Daß nun dieses letztere unmöglich seyn könne, versicherte Herr Mag. Schmeltzer sonderlich, indem, wie er sagte: auch seine Augen so behutsam gewesen, ihr nicht das geringste mercken zu lassen. Da aber hierauff Herr Wolffgang [166] seinen Schertz mitMons. Litzbergen fortsetzte, brach der letztere endlich unverhofft freymüthig heraus: daß er sich in die, ihm vor allen andern gefällige Helena, der Sophien ältesten Bruders, zweyte Tochter verliebt, auch bereits ihrer Gegengunst versichert wäre, in so ferne es ihre Eltern, der Großvater Christian, und vornehmlich der liebe Altvater Albertus erlauben würden. Des Altvaters Consens erhielt also Mons. Litzberg gleich auf der Stelle, demnach reichte ihm Herr Wolffgang die Hand und sagte: So seyd mir demnach willkommen mein lieber Herr Schwager, Vetter und guter Freund, ich mercke fast, daß ihr auf der Christians-Raumer-Erde meine Schliche gefunden, und fein selbst auf die Heyrath gegangen seyd, damit euch nicht etwa der Bothe betrügen möchte. Was aber, fuhr Herr Wolffgang fort, werden wir uns nun von unsern lieben Eberhard zu getrösten haben? Alles guts mein Herr! antwortete ich, meine Geliebte ist bereits nicht allein in die Augen, sondern auch ins Hertze gefasset, jedoch wegen ihrer an noch ziemlich zärtlichen Constitution, werde mich noch 3. oder 4. Jahr gedulden, denn mittlerweile wird mein Ansehen vielleicht auch etwas männlicher, zu dem so rathen die Physici, daß es nicht allezeit wohl gethan sey, wenn zwey gar zu junge Leute einander heyrathen, allermassen selbige der hitzigen Liebe nicht allemahl mit behörigen Verstande Einhalt zu thun wissen. Ich habe wieder eure vernünfftigen Reden nichts einzuwenden, versetzte Herr Wolffgang, allein verzeyhet meiner Curiositeé, welche unmöglich ruhen kan, biß sie den Nahmen eurer Geliebten erfahren. Wiewohl [167] ich nun anfänglich nicht Willens war, selbige heutigen Abend zu befriedigen, so quäleten mich doch alle Anwesenden so lange: biß ich endlich ausbeichten muste: daß es die niedliche kleine Cordula, aus dem Robertischen Geschlechte sey, mit welcher ich mich in ein tugendhafftes Liebes-Versprechen eingelassen, jedoch da wir uns beyderseits beredet, die Vollziehung desselben wenigstens noch 3. oder 4. Jahr hinaus zu setzen, hätten wir auch aus Schamhafftigkeit, bißhero noch nicht um den Consens unserer Vorgesetzten Ansuchung thun können. Der Altvater tadelte meine getroffene Wahl so wenig als Herr Wolffgang und Mons. Litzberg, welche mich vor einigen Tagen mit meiner Schöne am Canal spatzieren gehend angetroffen hatten, und bekräfftigten sonderlich, daß man nicht leichtlich ein Frauenzimmer von angenehmer Gesichts-Bildung und netteren Gewüchse antreffen könne, ja der Altvater gab hierbey zu vernehmen: daß sie daß vollkommene Bildniß ihrer Großmutter, nehmlich seiner überaus schön gewesenen, nunmehro aber seel. Stief-Tochter, der jüngern Concordia, in ihren Gesichts-Lineamenten vorstellete. Wie dennCordula auch erstlich von ihrer Aelter-Mutter, der ältern Concordia, biß in ihr 4tes Jahr, so dann von der Großmutter, nehmlich der jüngern Concordia, biß in ihr siebendes Jahr wohl erzogen worden, ehe beyde die Schuld der Natur bezahlet hätten.

Unter solchen Gesprächen ruckte endlich die Nacht heran, weßwegen Herr Wolffgang nebst seiner Liebste, und Mons. Litzbergen nach Hause, wir aber bald darauff zur Ruhe giengen. In folgender Woche [168] wurden nicht allein alle Anstallten zu Beruhigung der Verliebten Hertzen, sondern hauptsächlich zu Einweyhung des Gottes-Hauses gemacht, so daß Sonnabends vor dem 23. Sonntage p. Trinit. noch mehr aber des darauff folgenden Sonntags, mit der solennen Einweyhung selbst, unser aller Arbeit und sorgfältige Bemühung den höchst gewünschten Endzweck erreichte.

Es ist nicht zu beschreiben was des Herrn Mag. Schmeltzers religieuse Anordnung und selbst eigenes andächtiges Bezeugen beym Altar und auf der Cantzel, vor gantz ausserordentlichen Eindruck in aller gegenwärtigen Hertzen that. Ich und viele andere musten offenhertzig bekennen, daß wir die geistlichen Lieder: Komm heiliger Geist HErre Gott etc. Allein GOtt in der Höh sey Ehr etc. O HERRE Gott dein Göttlich Wort etc. den christlichen Glauben etc. DasTe Deum laudamus und dergleichen noch niemahls bedachtsamer und auffmerksamer gesungen hätten, als in dieser, gegen andere, gantz einfältig aussehenden Kirche, ja es kam mir vor, als wenn ich nunmehro erstlich zu erkennen anfienge, was ein rechtschaffener Gottes-Dienst sey. Herr Mag. Schmeltzer verlaß und erklärete nebst dem gewöhnlichen Sonntags-Evangelio, das 6te Cap. des 2. Buchs der Chron. worinnen das Gebeth enthalten, welches Salomo bey der Tempel-Weyhe zu GOtt abgeschickt, anbey wuste derselbe das Capitel und Evangelium ungemein erbaulich und gelehrt zu vereinigen, denn er nahm zu:


[169] Propos. Den Zins-Groschen welchen ein jeder Mensch dem höchsten GOtte zu geben schuldig ist.

Hierbey wurde gezeigt:


1.) Das Metall, woraus selbiger geprägt sey.
2.) Das Gepräge welches darauff befindlich sey.
3.) Die Art und Weise wie er zu geben sey.

Die Ausführung und Application, auf unsern gegenwärtigen Stand und Wesen, war dergestallt wohl elaborirt daß ich mich nicht erinnern konte, zeit Lebens eine herrlichere Predigt gehört zu haben. Nachdem aber der Vormittägliche GOttes-Dienst mit dem Liede: Es woll uns GOtt genädig seyn etc. welches des Altvaters alltäglicher Gesang war, beschlossen worden, begab sich die gantze Versa lung, auf den, von Herrn Wolffgang angelegten Speise-Platz, der von neuen ausgeputzt und mit frischen grünen Laubwerck umzäunet war. Hieselbst hatte der Altvater die Veranstalltungen gemacht: daß alle Einwohner, groß und klein, nothdürfftige Speisen und Geträncke zu sich nehmen konten. Da nun auch dieses mit gröster Mäßigkeit geschehen, wurde das Zeichen gegeben, wiederum in die Kirche zu gehen, allwo nach einigen abgesungenen Liedern, und kurtzem Sermone, Herr Mag. Schmeltzer erstlich ein Töchterlein aus demStephans-Raumer Geschlechte tauffte, worbey Jacob Bernhard Lademann nebst seiner Braut und deren Groß-Mutter [170] Sabina, gebohrne Fleuters, zu Gevattern stunden. Nach diesem Heil. Actu, machte sich Herr Mag. Schmeltzer vor dem Altare fertig, die Trauung der bereits in Ordnung sitzenden Verlobten vorzunehmen, demnach wurde erstlich Mons. Litzberg von Herr Wolffgangen und mir, dessen Braut (a) Helena aber von ihrem leiblichen Vater und dem Groß-Vater Christian Julio zum Altar geführet, und auf Evangelisch-Lutherische Art zusammen gegeben. Hierauff folgete der Chirurgus, Herr Johann Ferdinand Kramer, der ebenfalls von Herr Wolffgangen und mir, dessen Braut (b) Maria Albertina aber, von ihrem leiblichen Vater und Groß-Vater Alberto II. geführet wurde. Mons. Plager ließ sich von Mons. Litzbergen und mir begleiten, dessen Braut (c) Dorothea Jacobine aber von ihrem Vater und dessen eintzigen leiblichen Bruder. In folgender Ordnung wurden demnach weiter von abwechselenden Personen herbey geführt, Mons. Philipp Harckert mit seiner Liebste (d) Anna Robertina, die meiner Liebsten Cordula Vaters, Bruders Tochter war. Andreas Kleemann mit seiner Braut (e) Catharina Johanna. Willhelm Herrlich mit (f) Magdalenen. Peter Morgenthal [171] mit seiner(g) Susanna. Lorentz Wetterling mit seiner (h) Blandina. Philipp Andreas Krätzer und Lademann, welche beyde zwey Schwestern und zwar der erste die älteste (i) Rosinen der andere aber (k) Margaretham erwehlet. Johann Melchior Garbe mit (l) Maria Elisabeth. Und Nicolaus Schreiner mit (m) Eva Christinen. 1

Auf diese nunmehro völlig vergnügten 12. Paar, folgten annoch 11. Paar aus den eingebohrnen Geschlechtern, daß also Herr Mag. Schmeltzer über 4. Stunden Zeit zu bringen muste, ehe er mit diesen 23.Copulationen fertig werden konte, zuletzt aber vollzohe er auch sein eigenes eheliches Verbündniß mit der tugend vollen Christiana Virgilia, welche auf der IV. Tabelle unter der andern Linie bezeichnet stehet. Der Altvater Albertus, verrichtete zwar eigentlich den Haup-Actum der Copulation, gab auch beyden seinen Stamm-Väterlichen Seegen, jedoch die übrigen andächtigen Gebräuche, hielt Herr Mag. Schmeltzer selbst, u. zwar auf eine recht bewegliche Art, so daß den meisten Anwesenden die Thränen in den Augen stunden, und endlich wurde der gantze heutige, höchst wichtige Actus, mit dem Liede: Nun dancket alle GOtt etc. und nachherigen hertzlichen Glückwünschen beschlossen.

In gleich darauff folgender Nacht wurden aus allen Pflantz-Städten gnugsame Victualien herbey [172] geschafft, so daß wir ingesammt, drey Freuden-Tage mit ungemeiner Ergötzlichkeit, so wohl bey guten Speisen und Geträncke, als andern vergnügten Zeit-Verkürtzungen, recht ergötzlich hinbringen konten. Jedoch sahe und hörete man im geringsten nichts von einiger Unmäßigkeit und andern ärgerlichen Bezeugen, sondern wir genossen dasjenige Vergnügen, welches GOtt seinen Kindern auf der mühseeligen Welt nicht mißgönnet, als gute Christen, danckten dem Höchsten davor, bedachten hernach auch: daß nach der Lehre Salomonis, alles seine Zeit, und ein jedes Vornehmen unter der Sonnen seine gewissen Stunden habe; weßwegen sich mit Ablauff des dritten Tages, ein jeder an seinen gehörigen Ort verfügte, und nicht allein seine eigene nöthige Hauß-Arbeit, sondern auch dasjenige nach allen Kräfften besorgen halff, was zu Verbesserung des gemeinschafftlichen Wesens, hier und dar am nöthigsten zu seyn, erachtet wurde.

Mit dem ersten Advent-Soñtage des nunmehro sich zum Ende neigenden 1726ten Jahres, wurde zugleich der Eintritt eines neuen christl. Kirchen-Jahres mit eiffriger Andacht celebriret, Herr Mag. Schmeltzer hatte seinen neuen Jahr-Gang aus den Worten Pauli, 1 Corinth. 3. v. 16. 17. genommen, die also lauten: Wisset ihr nicht, daß ihr GOttes Tempel seyd etc. und wolte hinfüro in allen Predigten von Stück zu Stück zeigen: Wie man den geistl. Tempel GOttes in seinem Hertzen nicht nur erbauen, sondern auch im baulichen Stande und Wesen erhalten solle; welches gewiß bey damahligen Zeiten [173] eine sehr feine Materie war. Nach der Predigt empfiengen etliche 60. Personen das Heil. Abendmahl und solchergestallt wurde auch dieses mahl der GOttes-Dienst in gebührlicher Andacht beschlossen.

Jedoch ich erinnere mich, oben versprochen zu haben, eine Specification, von der Vermehrung des Felsenburgl. Geschlechts, auf das Jahr 1726. beyzufügen, derowegen will, um vielleicht die Curiositeé einiger, obschon nicht aller Leser zu vergnügen, mein Wort, vermittelst einer Tabelle erfüllen, die ich aus Herrn Mag. Schmeltzers Kirchen-Register extrahirt habe.



[174] Solchem nach befanden sich um selbige Zeit auf der Insul Felsenburg, an Jungen und Alten, Einheimischen und Ausländischen lebendigen Menschen: 394. nehmlich 203. Manns- und 191. Weibs-Personen, die in aller Frömmigkeit, Liebe und Einigkeit mit einander lebten, und nach dem Exempel der ersten christl. Kirche eine treuhertzige Gemeinschafft der zeitlichen Güter untereinander hielten, keinen Eigennutz, auch im allergeringsten Dinge zeigten, sondern ihren Nächsten und sich selbst zu dienen, alles mit Lust verrichteten, worzu sie sich geschickt befanden. Man sage mir welcher vernünfftiger Mensch Scheu tragen und nicht vielmehr hertzlich wünschen solte, seine gantze Lebens-Zeit an dergleichen ergötzlichen Orte zu zu bringen.

Jedoch ich bin nicht gesonnen, hiervon viel zu philosophiren, sondern erkenne mich schuldig, die fernern Geschichte vorzutragen: Nach nunmehro glücklich vollbrachten Kirchen-Bau, machten sich die allermeisten und besten Holtz-Arbeiter über die Auffrichtung einer Mehl-Mühle her, welche allererst Philipp Krätzer auf dem Stephans-Raumer Grund und Boden, mit Beyhülffe Mons. Litzbergs, Lademanns, Plagers, Herrlichs und Morgenthals angelegt hatte. Der Altvater sahe diesem Baue nebst mir fast alle Tage zu, wenn die Lufft gegen Abend etwas kühle zu werden begunte, besuchte auch dann und wann seine Kinder in den andern Pflantz-Städten. Eines Tages aber, da uns Herr Kramer eine Menge vortrefflich grosser Zucker-Schoten gesendet hatte, kam dem Altvater die Lust an, dieses guten Haußwirths wohl angelegten Küchen- und [175] Lust-Garten in genauern Augenschein zu nehmen, derowegen reisete er nebst Mons. Wolffgangen, Litzbergen, mir und andern hinnunter nachAlberts-Raum in dessen Wohnung, und traffen denselben bey seiner Maria Albertina in einer schönen mit grossen Kürbis-Rancken bedeckten Laub-Hütte sitzend an, allwo sie den Safft aus etlichen guten Kräutern und Blumen presseten, um solchen seiner Kunst gemäß, zur Artzeney zu gebrauchen. Es war so zu sagen fast in einem Augenblicke alles bereit, uns, als seine angenehmsten Gäste aufs Beste zu tractiren. Sein Geträncke schmeckte sonderlich sehr angenehm, und hatte darbey die Tugend, daß es keine Incommoditée im Leibe oder im Kopffe machte, derowegen sassen wir sehr vergnügt beysammen. Endlich aber bezeugte der Altvater ein besonderes Verlangen, desChirurgi Monsieur

Fußnoten

1 Alle Bräute dieser unserer mitgebrachten Europäer sind in den beygefügten Genealog-Tabellen des ersten Buchs, genau bemerckt, und nach Belieben aufzuschlagen: als (a) vid. Tab. VI. Litzbergs Fr. (b) Tab. II. J.F. Kramers Ehe-Fr. (c) Tab. VII. Plagers Frau. (d) Tab X. Harckerts Fr. (e) Tab. IV. A.K. Fr.(f) Tab. VIII. Herrlichs Fr. (g) Tab. VII. Morgenthals Fr. (h) Tab. V. Wetterl. Fr. (i. und k.) sab. III. P.K. Fr. und J.B.L. Fr. (l) Tab. VIII. Garbens Fr. (m) Tab. IX. Schreiners Fr.

Johann Ferdinand Kramers Lebens Geschicht

ebenfalls zu wissen, dahero sich derselbe, nach einigen nöthigen, gefallen ließ, uns dieselbe folgendergestallt zu erzehlen:

Ich bin, fieng er an, von Geburth ein Westphälinger, mein Vater und Mutter, von denen ich im Jahr 1692. erzeuget worden, waren ehrliche Leute, und etwas mehr als Bürgerlichen Standes, starben aber beyde, ehe ich noch das 10te Kinder-Jahr überschritten hatte, weßwegen mich, meines Vaters Freunde, als das eintzige hinterlassene Kind meiner Eltern, zu sich nahmen, und zu guter Aufferziehung anfänglich die besten Minen machten; Allein es gieng mir nicht anders, als es gemeiniglich allen [176] Elterlosen Waisen zu gehen pfleget. Denn so bald sie nur mein Vermögen, welches sich etwa auf 1500. Thlr. belieff, unter das ihrige vermischt, niemanden aber zur Zeit Rechnung abzulegen hatten, als sich selbst, schien es nicht anders, als ob sie mich um GOttes willen bey sich duldeten, ja mit der Zeit fiel ihnen gar meine Person, obschon nicht mein Gut, ziemlich beschwerlich, derowegen ich unter solchem Vorwande in eine andere Stadt geschafft wurde: daß in selbiger weit civilisirtere Leute befindlich, von denen ich besser gezogen werden könte, denn wenn die Freunde, wie sie sagten, einen jungen wilden Knaben nur ein wenig scharff angriffen, müste es gleich ein Hundemäßiges Tractament heissen, zumahl bey solchen Leuten, die sich ein Vergnügen machten, dergleichen Bösewichter zu verziehen. Ich wuste zwar damahls nicht auf wen sie stichelten, kan auch im geringsten nicht läugnen, daß ich ein wildes und etwas allzu feuriges Temperament hatte, allein es war dennoch, ohne eigenen Ruhm zu melden, gewiß, daß unter meinen lustigen Streichen, die ich täglich anzustellen beflissen, sehr selten etwas boßhafftes zu finden war, wenn man anders, nicht mit Gewalt eine Boßheit daraus erzwingen wolte. Von verschiedenen Streichen, nur in aller Kürtze etliche wenige anzuführen, so wird daraus zu schliessen seyn, daß ich zwar zuweilen etwas spitzfindig, zum öfftern auch sehr einfältig gewesen. Eines Tages, da mein Vetter mit einer Gerichts-Person lange Zeit ein geheimes Gespräch gehalten, hörete ich beym Abschied nehmen von ihm diese Worte: Ja Herr Gevatter! wenn sich nur jemand unterstehen wolte der [177] Katze die Schelle anzuhängen, ich wolte ihm gerne alle Gefälligkeit darvor erzeigen, und, – – – weiter konte ich nichts vernehmen, denn sie redeten wiederum heimlich, verstund aber dieses Sprichwort in sensu proprio, holete mir bey einem Schul-Cameraden eine grosse Schelle, versteckte selbige in mein Bette, wartete biß die Katze des Nachts zu mir hinnein kam, hieng dieser sonst wilden Bestie, die sich leichtlich von niemanden als von mir angreiffen ließ, andere aber grimmig biß und kratzte, ohne besondere Mühe die grosse Schelle an, und warff sie zu meiner Kammer hinaus. Was dieses Thier hernachmahls die gantze Nacht hindurch vor ein grausames Lermen, mit springen, poltern und herum lauffen im gantzen Hause verführet, ist nicht auszusprechen, ich schlieff zwar darüber ein, allein mein Vetter und die meisten andern, im Hause wohnenden Leute, vermeynen nicht anders, als das es ein teufflisches Gespenst sey, wollen derowegen sich mit selbigen nicht vermengen, sondern dringen die gantze Nacht mit grosser Furcht in ängstlichen Schweisse zu. Endlich früh Morgens hat sich das Gespenst gefunden, ich wurde darum befragt, und so bald nur ja gesagt war, mein Hinter-Castell, ohne mir fernere Defension zuzulassen, dermassen mit Ruthen gestrichen, daß ich in etlichen Tagen keine Banck damit drücken konte. Das war also nicht allein der Danck vor meine einfältige Treuhertzigkeit, sondern es wurde dieser Streich so gar vor die allererschrecklichste Boßheit ausgeschrien. Ein andermahl fand ich einen Tobacks-Brieff, worauff mit ziemlich grossen Buchstaben diese Worte gedruckt waren: Wer [178] mich wird versuchen und proben, wird mich rühmen und loben. Nachdem ich nun von diesem Tobacks-Briefe das andere unnütze Bilderwerck abgeschnitten, beschmierte ich denselben auf der lincken Seite mit Vogel-Leim, und legte das Blätgen hinter dem Ofen, auf denjenigen Sessel, welchen unsere faule Magd gemeiniglich des Tages sehr offte zu besitzen pflegte, und zwar also, daß die Schrifft, nachdem die Magd auffgestanden, accurat auf ihren Wulste des Rocks zu lesen war. Selbige wurde kurtz hernach zu Marckte geschickt, in unsern Hause hatte kein Mensch diese Inscription bemerckt, allein auf dem Marckte finden sich desto mehr curieuse Leute solche zu betrachten. Was es vor ein Gelächter gegeben, zumahlen da einige Schüler darzu kommen, und darüber glossiren, ist leicht zu erachten, allein mir bekam diese Naseweisigkeit sehr übel, denn mein hitziger Vetter schlug mir, so bald ich nur vor den Thäter ausgeruffen worden, dieserwegen in der Furie den lincken Arm entzwey. Daß dieses von mir eine grosse Leichtfertigkeit, aber doch keine gar zu grausame Boßheit gewesen, kan jedweder so leicht begreiffen, als eine proportionirliche Strafe darauff dictiren, allein ob diese Strafe mit dem Verbrechen quadriret? gebe ich zur Uberlegung anheim. Immittelst hatte dieCuriositee zu empfinden, wiewohl es düncke wenn man 6. Wochen unter den Händen eines unverständigen, Tölpelhaften, dabey aber dennoch unbarmhertzigen Chirurgi liegt, denn mein krum geheilter Arm muste noch einmahl zerbrochen und durch einen geschicktern Mann geheilet werden. Noch eins! Meine Muhme hatte [179] einen mittelmäßigen Hund, der im Sommer alle 4. Wochen auf Löwen-Art glatt geschoren wurde, dieser war bey ihr in grösserer Achtbarkeit als ich und viele andere Leute, weßwegen er auch seinen besondern ledernen gepolsterten Stuhl in der Stube stehen hatte, und grausam brummete, wenn ich selbigen zur Abends-Zeit nur ein klein wenig zur Ruhe brauchte, denn NB. sonsten pflegte sich kein anderer Mensch drauff zu setzen. Also war ich besorgt mein Müthlein an dieser eigensinnigen Bestie zu kühlen, besonn mich endlich, etliche spitzige Steck-Nadeln von unten auf durch den Stuhl, doch also zu schlagen, daß die Spitzen dem Hunde nur ein klein wenig in die Haut gehen, hingegen keinen Menschen, der nur gut gefütterte Bein-Kleider an hatte verletzen konten. Demnach fieng der Hund, so offt er sich durch einen schnellen Sprung auf den Stuhl warff, jederzeit erbärmlich an zu schreyen, wolte auch endlich gar nicht mehr auf dem Stuhle liegen, dahingegen ich mit desto grössern plaisir darauff sitzen konte. Meine Muhme merckte vielleicht etwas, konte aber erstlich nichts am Stuhle finden, denn er war hoch ausgestopfft, und man muste das Polster gar sehr scharff nieder drücken, wenn die Spitzen, eine Empfindlichkeit verursachen solten; endlich aber kam es dannoch ans Licht, und meine artige Invention wurde mit dem Ochsen- Ziemer dermassen recompensirt, daß ich mich fast in 14. Tagen nicht recht bewegen konte. Dieses Verbrechen wurde solchergestallt abermahls allzu hart gestrafft, denn Salomo lehret zwar: daß die Ruthe der Zucht, die, im Hertzen eines Knaben steckende Thorheit, ferne von ihm treiben [180] werde; allein auf die Art wars, wie gesagt, zu scharff, und weiln ich fast täglich gantz sonderbaren Zuschlag von allen Seiten zu hoffen hatte, derowegen fast gäntzlich in Verstockung gerieth, fügte sichs zu meinem Glücke, daß man mich in eine andere Stadt zu frembden, aber doch verständigen Leuten brachte.

Daselbst war eine sehr berühmte Schule, welche ich mit grösten Vergnügen sehr fleißig besuchte, und mich in kurtzen vor andern, die doch noch älter als ich waren, distinguirte, so daß ich, in meinem 14den Jahre, unter den öbersten Primanern zu sitzen kam. Zwar ist nicht zu läugnen, daß ich auch daselbst manchen lustigen Streich spielte, jedoch weil dasige Herrn Præceptores die Boßheit und den Muthwillen eines Knabens besser zu unterscheiden wusten, als meine Anverwandten; kam ich mehrentheils mit einem starcken Verweise, oder aufs höchste mit einer gelinden Strafe darvon, und zwar in Betrachtung dessen, daß ich meine Lectiones jederzeit behörig observirte, und zuweilen mehr that als von mir verlanget wurde. Ich mag niemanden mit der Erzehlung meiner Schul-Pos sen verdrüßlich fallen, jedoch ein eintziger kurtzweiliger Streich meritirt vielleicht gemeldet zu werden. Einmahls stund ich, nach geendigter Lection, noch eine gute weile im Creutzgange stille, und hatte mich, weiß aber selbst nicht warum, gantz besonders in meinen Gedancken vertiefft, dieses merckt der Cantor als dasiger Collega III. von ferne, kömmt derowegen gantz sachte auf mich zugeschlichen, fragte mich aber gantz unverhofft, worauff ich spintisirte? Da nun bereits wuste, daß er [181] ein curieuser Kopff und mir nicht so gewogen als der Rector und Con-Rector wäre, jedoch eben denselben Respect verlangte, und vor einen gantz besonders gelehrten Mann angesehen seyn wolte, war ich so schalckhafft, ihn mit folgen Griechischen Worten anzureden: Τιμιώτατε Διδάσκαλε, Δίδοτιεμοὶ σνγγώμην, σήμερον, ἐκ τοῦ κήπου σάκκον τῶν μήλων πλήρη ἐκφέρειν. Teutsch: Hochgeehrter Herr Præceptor! Ich bitte, mir heute zu erlauben, einen Sack voll Aepffel aus dem Garten zu holen.

Nun ist zu mercken, daß die drey obersten Herrn Schul-Collegen dasiges Orts einen vortrefflichen Baum-Garten zu nutzen hatten, aus welchen sie allerjährlich das Obst in drey gleiche Theile unter sich zu theilen pflegten, allen Schülern aber, war bey harter Strafe verbothen, diesen Garten, ohne besondere Erlaubniß des Garten-Inspectoris, nicht zu betreten, vielweniger das geringste Stücke von Obste anzurühren, dieses Jahr hatte der Herr Cantor die Inspection darüber, und war gewißlich der geitzigste unter allen, derowegen muste derjenige, welcher Appetit bekam, nur in den Garten ein wenig spaziren zu gehen, ihm gewißlich mit den elegantesten lateinischen Schmeichel-Worten zu begegnen wissen. Ich aber vermeynte meine Captationem benevolentiæ jocosam desto glücklicher anzubringen, wenn ich ihn auf Griechisch anredete, und damit seiner Erfahrenheit in dieser Sprache, schmeichelte. Er lächelte derowegen sehrgravitätisch und gab zur Antwort: T?α μ?? ??εst?. Teutsch: Es ist von mir erlaubt. Allein der gute Mann mochte meine Anrede nicht völlig verstanden haben, wolte aber dennoch darvor [182] gehalten seyn, das Griechische so gut als seine Mutter-Sprache zu wissen, hatte mich also gantz kurtz mit diesen drey, vermuthlich aufgeschnappten Worten abgefertiget. Demnach gieng ich ohne Scheu mit einem grossen Qver-Sacke in den Obst-Garten, pflückte die allerbesten Aepffel da hinein, trug selbige öffentlich heraus, und theilete meinen Mit-Schülern reichlich mit. Doch solches kam gar bald vor den Rector, weßwegen meine Person, vor dem Schul-Gerichte, wegen der, wie sie sagten, gestohlnen Aepffel, gleich morgenden Tages zur Inquisition gezogen wurde. Ich protestirte solennissime wieder alle falsche Anklage und gedrohete Strafe, berieff mich auch lediglich darauff: daß ich, von dem Herrn Cantore selbst, Erlaubniß darzu bekommen hätte. Dieser aber wolte von nichts wissen, jedoch da sich 4. oder 5. Zeugen angaben, daß ich ihn in Griechischer Sprache mit vorerwehnten Worten angeredet, und besagte Antwort erhalten hätte: muste ich einen Abtritt nehmen, wurde nachhero auch dieserwegen nicht im gerinsten mehr befragt, hergegen kam der expresse Befehl heraus, daß in Zukunfft die Schüler sich keiner andern, als der lateinischen Sprache gebrauchen solten, wenn sie von den Præceptoribus etwas ausbitten wolten.

Bey so gestallten Sachen, konte leichtlich ein jeder mercken was die Glocke geschlagen habe, und daß der Herr Cantor ein sehr schwacher Græcus sey, ich aber muste dieserwegen dessen völlige Ungnade ertragen, welches mein freyer Sinn doch wenig æstimirte, sondern zufrieden war, daß sich der Rector- und Conrector [183] desto gütiger gegen mich erzeigten, und in allen Stücken meines Wohlseyns wegen gute Vorsorge trugen, wie denn ich auch keinen Fleißsparete, mich so viel als möglich, nach dieser beyden Gonner Sinne zu richten, sonderlich aber meine Studia eiffrig fortzusetzen. Mittlerweile erhielt mein Vetter, meines Wohlverhaltens wegen, immer ein gutes Testimonium über das andere, doch weil er selbsten 3. Söhne auf der Schule hatte, selbige aber mehr Wercks vom liederlichen Leben, als von den Büchern machten, trieb ihn ohnfehlbar der Neid an, mein propós zu verrücken, und mich von der Schule hinweg zu nehmen, um durch mich seinen Söhnen, bey der fleißigen Welt, keinen Vorwurff zu machen. Demnach kam er um Johannis an. 1707. unverhofft, kündiate dem Rectori meinetwegen das Logis, Kost- und Schuld-Geld, ja alles auf, was zu meiner grösten Bequemlichkeit bißhero gereicht hatte, mir aber die Rückfarth nach seinen Hause abermahls an, und zwar unter dem Vorwande, daß mein weniges Vermögen nicht hinlänglich, mich etliche Jahr auf Universitäten zu erhalten, derowegen wäre es klüger gehandelt dahin zu gedencken: daß ich eine reputirliche Profession ergriffe, selbige bey einem wohl versuchten und berühmten Meister, redlich lernete, und den meisten Theil meines Vermögens solchergestalt erspahrete, welches ich mit der Zeit zu meinem Haußhaltungs-Anfange höchst nöthig genung brauchen würde.

Hierwieder mochten nun, nebst mir, alle meine guten Gönner einwenden, was sie immer wolten, es halff nichts, ja das gute Anerbiethen der Præceptorum [184] mir alle Information frey zu geben, über dieses zu Ersparung meines Erbtheils gute Hospitia und andere Accidentia zu verschaffen, wurde von diesem lieblosen Freunde und Vormunde unverantwortlicher weise verworffen, hergegen muste ich mich mit aller Gewalt bequemen, auf den Wagen zu steigen und die Reise mit Sack und Pack zurück in seine Behausung anzutreten. Ich merckte daselbst in kurtzen, daß er gesinnet sey mich nur zu einem Hauß-Püffel aufzuziehen, denn ich wurde täglich zum Bier-Brauen, Branteweins-Brennen, Vieh-Mästen und anderer groben Hauß-Arbeit angewiesen, allein dergleichen kam mit meiner schwachen Leibes-Constitution schlecht, und mit meinem Genie noch schlechter überein, derowegen begehrte ich durchaus meine Bücher, des Willens, wiederum auf vorige Schule zu lauffen, verlangte auch weder Geld noch Kleid darzu, sondern hatte das gute Vertrauen: GOTT würde schon Leute erwecken, die einen Knaben, der so grosse Lust zum studiren bezeugte, mit guten Rath und würcklicher Hülffe begegneten. Allein mein Suchen war vergebens, hergegen schlug man mir, da ich mich durchaus um die Oeconomie nicht mehr bekümmern wolte, bald dieses bald jenes Handwerk vor, jedoch alle solche waren mir zu schlecht. Man brachte mich zur Handlung auf die Probe, bey einen sehr bemittelten Kaufmann, da ich aber gleich in den ersten 6. Wochen als ein Hund aus einem Winckel in den andern gestossen wurde, und diese Marter 6. Jahr gedultig auszustehen Befehl bekam, lieff ich darvon. Man brachte mich zu einem Gold-Schmiede, da ich aber [185] merckte, daß mir in künfftigen Jahren, das sitzen so beschwerlich als die gegenwärtige schmutzige Arbeit fallen würde, über dieses in Gefahr stehen müste gantz frühzeitig blind zu werden, lieff ich darvon. Man brachte mich auf dieApotheke, hieselbst war die Arbeit vor den jüngsten Jungen noch schmutziger, meine Hände wurden so garstig, daß ich mich selbst scheuete daraus zu essen, muste auch den gantzen Tag biß in die späte Nacht, die gröste Kälte an Händen und Füssen ausstehen, und durffte, bey allen meinen Schmertzen, nicht einmahl eine betrübte Mine machen, derowegen lieff ich auch da darvon. Kurtz! Mein Vormund mochte mich hinbringen, wohin er wolte, ich lieff darvon und wolte nirgends bleiben als auf der Schule, da aber selbiger dennoch bey seinem Schlusse blieb: mich durchaus nicht studiren zu lassen, sondern meine Kleider verschloß, und mich mit Stuben-Arrest, Schlägen, Hunger und andern Plagen so lange quälete, biß ich endlich versprach mir selbsten eine Profeßion auszusinnen und darbey gut zu thun, erwehlete ich endlich dieChirurgie und Barbier-Kunst, und wurde zu einem berühmten Meister derselben gebracht, in dessen Gegenwart mich mein Vormund aufs ernstlichste ermahnete und bedrohete, so ferne ich auch allhier darvon lieffe, mich alsofort in ein Zucht-Hauß zu bringen. Besondere Ursache hatte ich nun eben nicht an Erfüllung dieses tröstlichen Versprechens zu zweiffeln, deñ meine Frau Vormundin die mir so feind als einer Spinne war, lag ihm dieserwegen beständig in Ohren, und hätte lieber gesehen wenn ich nur ihres Hundes wegen, berits etliche Jahr im Zucht-Hause [186] gesessen hätte. Jedoch da mir die erwehlte Profession nach und nach, und zwar je länger je besser zu gefallen begunte, der Herr auch nur zuweilen etwas wunderlich, sonsten aber ein ziemlich gütiger Mann war, suchte ich mich, so viel als möglich, unter die Hand meines Verhängnisses zu demüthigen, und befand das gemeine Sprichwort: Lust und Liebe zum Dinge, macht alle Arbeit geringe, in der That wahr zu seyn. Denn ich fassete nicht allein alle bey dieser Profession mir gezeigten Vortheile, weit leichter als andere so mit mircertirten, sondern machte mir die treffliche Gelegenheit, in Anatomicis einen guten Grund zu legen, sehr wohl zu Nutze, wendete die, wiewohl selten müßigen Tages-Stunden, auf Lesung nützlicher Bücher, brach auch nicht selten früh Morgens ein paar Stunden vom Schlafe ab, um nur bey Zeiten was rechts zu begreiffen.

Inzwischen, machte nun zwar, welches nicht zu läugnen, auch in meiner Lehre allerhand lustige Possen, jedoch weil keine Boßheit, noch besonderes Nachtheil des Nächsten darunter versirte, ließ es mein Vorgesetzter, so dann und wann ohne Strafe hingehen, und wenn zuweilen etwas ingenieuses passirt war, merckte ers zwar, und that doch als ob ers nicht merckte. Ich trage ein billiges Bedencken viel von solchen Jugend- und Jungens-Possen zu recapituliren, doch einen einzigen nicht gar wohl überlegten lustigen Streich, muß ich wohl melden, weil selbiger die einzige Ursache war, daß mich mein Herr zum ersten und letzten mahle mit dem Spanischen Rohre, und zwar wohl verdienter massen tractirte.

[187] Ich muste einmahls in aller Frühe bey dem Kohlen-Verkauffer einen Handkorb voll Schmiede-Kohlen holen, da mich nun unter wegs jemand in sein Hauß ruffte, setzte ich vorhero meinen mit Kohlen gehäufften Korb, am Rathhause in einen Winckel, und gieng davon, muste aber bey meiner Zurückkunfft, den Korb über die Helffte ausgeleeret erblicken, dahero Noth halber zurück gehen, und denselben vor mein eigen Geld wieder häuffen lassen. Nachhero legte starcke Kundschafft auf diesen Diebstahl, und erfuhr: daß die am Marckte, täglich sitzenden und allerhand Nasch-Waaren verkauffenden, naseweisen Mägde, benebst den alten Weibern, sich vereiniget hatten, mir diesen Streich zu spielen, welches um so viel desto eher zu glauben war; weil, so oft ich diesen Weg sonsten mit Kohlen gieng, und ein oder zwey aus dem Korbe fallen ließ, selbige gleich herzu lieffen wie die Katzen nach den Mäusen, denn sie wusten diese guten Kohlen, gar zu wohl in den unter sich habenden Kohlen-Töpffen zu gebrauchen. Demnach war ich Tag und Nacht auf Revange, wegen des letzt gespielten groben Possens, bedacht, und endlich wurde folgender Streich so verbracht wie ausgesonnen. Ich nahm etliche Kohlen, hölete dieselben aus, und setzte kleine Schwermer mit geriebenen Schieß-Pulver hinnein, vermachte die Löcher wiederum so, daß an den Kohlen kein Betrug zu mercken war, legte hernach selbige, indem ich abermahls Kohlen vor den liederlichen Weibs-Bildern vorbey tragen wolte, gantz zu oberst auf den Korb, that als ob ich stolperte, und ließ dieselben gantz unachtsam herunter fallen, welche denn von ihnen begierig [188] auffgehoben und in die Kohlen-Töpffe gelegt wurden. Ich lieff gegen über in ein bekandtes Hauß und wartete daselbst die Zeit ab, biß das sprudelende Pulver Feuer fieng, und ein verzweiffeltes Lermen, doch aber weiter keinen Schaden anrichtete. Allein da die Sache an meinen Herrn gelangete, bekam der künstliche Feuerwercker seinen verdienten Lohn.

Nach ausgestandenen Lehr-Jahren ergriff ich den Wander-Stab, und reisete von meinem Vormunde mit 10. Thlr. Gelde und nöthigster Equippage abgefertiget in die Welt, weiln ich aber in meiner Lehre von der Generositeé einiger vornehmen Patienten, welchen ich unermüdet aufgewartet, bey nahe 50. Thlr.profitiret und heimlich gesammlet hatte, schien es mir ungemein despectirlich und beschwerlich zu Fusse zu reisen, und noch viel verdrüßlicher, der Professions-Gewohnheit nach, bey andern Chirurgis das Gnaden- oder wie es etwas ehrbarer klingt, das Frembd-Gesellen-Brod zu essen, reisete derowegen so lange mit der Post herum, biß mein unüberwindlich scheinendes Capital, dermassen auf die Neige kam, daß ich nunmehro an statt der Thaler kaum so viel Groschen zählen konte.

Da! war der Haase gefangen, die Gelder verschwunden, die Kleider auf dem Post Wagen ziemlich verschabt, der Winter vor der Thüre, zu guter Condition kein Anblick, hergegen desto mehr Ambition vorhanden, dem Vormunde meinen Fehler zu entdecken, und von ihm etwas Geld zu verlangen. Jedoch ich fassete kurtze Resolution, entschloß mich nunmehro post Festum zu Fusse zu gehen, erreichte [189] eine berühmte Residentz-Stadt, weil aber in selbiger vor mich keineCondition offen, kein eintziger Barbier-Geselle auch so höfflich seyn, und mir die seinige abtreten wolte, sahe ich mich genöthiget, aus dringender Noth, bey einem so genandten Bein-Haasen, der eine Gnaden-Barbier-Stube in der Vorstadt hatte, Condition anzunehmen. Es war derselbe, ohngeacht ihn die andernChirurgi sehr hasseten, ein ehrlicher, vernünfftiger und wohlerfahrner Mann, der seine Profession nicht allein Zunfftmässig gelernet, sondern auch in verschiedenen Feld Zügen sehr wohl excoliret hatte, seine Praxis gieng sehr starck, woher denn kam, daß ich binnen anderthalb Jahren nicht allein ein sehr vieles in der Kunst und Wissenschafft von ihm profitirte, sondern auch meine Kleidung und Sachen wiederum in guten Stand setzte, über dieses alles, etliche 60. Thlr. baares Geld sammlete, worzu die Verachtung meiner Professions-Genossen, kein geringes beytrug, denn selbige achteten mich darum, weil ich bey einem Pfuscher servirte, vor einen infamen Kerl, welcher nicht würdig wäre: daß redliche Barbiers-Gesellen eine Kanne Bier mit ihm träncken. Mittlerzeit aber sparete ich mein Geld, entgieng vielen Verführungen, und konte zuletzt, meinen so genandten abscheulichen Schand-Fleck, sehr leicht vermittelst eines halben Fasses Bier wieder abwaschen, welches die Herrn Cameraden noch lange nicht gantz ausgesoffen hatten; da ich schon wieder so ehrlich, ja ich glaube, in ihren Hertzen vor noch weit ehrlicher als vorhin geachtet war. Nichts als die Curiositee, noch mehr grosse Städte zu sehen, trieb mich von diesem Manne [190] hinweg, derowegen ergriff abermahls meinen Wander-Stab, setzte mich aber nicht wie ehermahlen auf die geschwinde Post, sondern glaubte dem experto Ruperto, und marchirte per pedes Apostolorum fort, nachdem ich meinen Coffre zurück in Verwahrung gelassen. Die am Rhein, Neckar, Mosel und Mäyn gelegenen Städte, waren mir sehr herrlich beschrieben worden, und weiln ich ohne dem lieber Wein als Wasser trincken mochte, gieng die Reise darauff zu. Nun fand mich zwar, wegen des so sehr gerühmten Weins gar nicht betrogen, allein wo ich nur hin kam, muste ich vernehmen, daß es wegen derConditionen ausser der Zeit und wenigstens in einem halben Jahre nichts zu hoffen sey, über dieses war kein eintziger Professions-Genosse der Ehren, mir nur einen Bissen Brod vorzusetzen, sondern ich muste überall vor mein baares Geld zehren. Hierbey befand sich nun der Magen, welcher auch den allerbesten Wein ziemlich vertragen lernete sehr wohl, allein der Beutel bekam nach und nach den stärcksten Ansatz zur Schwindsucht, so daß ich dieses Land aufs eiligste zu verlassen, und die Lufft zu verändern suchen muste, woferne besagter mein Beutel, nicht sein gantzes Eingeweyde außspeyen solte. Demnach wanderte auf den Saal-Strohm loß, und demselben so lange entgegen, biß sich endlich in einer Fürstl kleinen Residentz-Stadt, Condition vor mich fand. Mein Herr war Hof-Ammts- und Stadt-Chirurgus, über alles dieses noch Cammer-Diener bey dem Fürsten, und hatte solchergestallt mehr Glücke als Verstand, denn ich nicht leichtlich einen Chirurgum angetroffen, der, der leidigen [191] Trunckenheit mehr ergeben gewesen, als eben er. In Praxi war ihm ein und andere Cur von ohngefähr noch so ziemlich eingeschlagen, doch in Theoria alles sehr schwach und elend bestellet, woher denn kam: daß sein gantzer Professions-Bau auf einem wacklenden Grunde ruhete. In der Prahlerey, Aufschneiderey und läppischen Raisonir-Kunst hatte er hingegen einen dermassen starcken Habitum, daß er sich auch nicht scheuete vor geschickten und gelehrten Leuten, ohne Scheu, alles heraus zu platzen was ihm nur vors Maul kam, es mochte practicable, wahrscheinlich, und vernünfftig seyn oder nicht. Einsmahls wolte er einem gestürtzten Patienten, ein grosses Stück desCranii ausgehoben, duram matrem zerschnitten,piam matrem aber vom cerebello abseparirt, und das geronnene Geblüth, wie auch 11/2 Loth vom Gehirne selbst mit dem Thee-Löffel heraus genommen haben. Einem andern Patienten hatte er, seinem sagen nach, einen Polypum cordis, oder so genandten Hertz-Wurm per fedes abgetrieben, und zeigte denselben annoch in einem mit Spiritu Vin. angefülleten Glase. Wieder einem andern solte durch seine Geschicklichkeit, und künstliche Hefftung, die mit groben Schrot durchschossenen dünnen Gedärmer, und des Magens, das liebe Leben erhalten seyn. Alle Arten der Blindheit, so gar auch des schwartzen Staars, vermaß er sich ohne eintzige innerliche oder äuserliche Medicin, bloß vermittelst eines Geheimniß-vollen sympathetischen Schnupff-Tobacks zu curiren: allein ich habe niemand ausforschen können, der eine Probe davon gesehen oder empfunden.

[192] Indem aber, mehrere Exempel seiner Quacksalberischen Prahlereyen anzuführen, vor allzu weitläufftig halte, muß ich doch ein und andere eigenhändige Probe seiner jämmerlichen Chirurgischen Berichte, Wund-Zeddel und Recepte aufzeigen. Hiermit stundMons. Kramer auf, und holete einige Scripturen, welche, nachdem er uns dieselben vorgelegt, wir also gesetzt befanden:


(I.) Bericht: Num. 9. anno 1710. den 5. Sept.


Auf Begehren eines Hochlöbl. Amts-Gerichts alhier u. auch auf gnädigen Specigal Befehl des – – – – meines gnädigen Herrn, habe Ich Endes unterschriebenerChyrugus N.N. obigen datum, Nach Mittage um Eins den entleibeten Körber des verstorbenen und vorhero unwissend von wem er mordet worden, – – – – in seiner Behausung auf einer Taffel, nebst meinem Gesellen und Lehr-Jungen, nechst diesen in Beyseyn des Herrn Stadt- und Land-Fisicus Herr D.N.N. zuseciren und antomiren angefanget, und habe also an selbigen Körber wie folget angemerckt und obselviret.


1. Mag ihn der Mörder einen Schlag etwa mit einen Stuhl-Beine auf das Cramgum gegeben haben, denn es war die gantze Schwarte auf dem Kopffe sehr mit Blut unterlauffen, derowegen habe ich das Cranigum Kunstmäßig abgesegt, aber innwendig nicht beschädiget gefunden, sondern es war alles [193] gut und die turra mater und bia mater frisch, ausgenommen daß dasCereberum und die meningnes nieder gesuncken waren, welches von Schrecken hergerühret hat, es war sehr viel von den Cereberum im Kopffe, also kein Wunder, daß der Mann sehr klug gewesen ist.


2. War ihm die rechte claviculam entzwey geschmissen geworden.


3. Hatte er 5. Stiche auf den Ossa sternium und auf der Pectus wovon aber nur zwey durch die costa verœ gegangen und nachdem ich die cartilago welche dasOssa sternium mit den costas verbinden (und welche Verbindung oder Zusammenfügung die antomicis Synchonderosis nennen) kunstmäßig durchschnitten und das Ossa sternium aufgehaben, ging der rechte Stich durch den Musculus serratus major anticus oder pectoralis in einen globum pulmonis, durch und durch und hinten bey den vertebras torsis wieder heraus, es war auch ein ramum von der vena pulmonaris abgeschnitten, und schrecklich viel Blut in der cavitatis torazcis gelauffen. Der andere lædale Stich ging durch die Vena pulmonalæ oder arteria pulmonala welches ich wahl haben will, und durch das lincke auriculæ cordis ins Cor hinnein und blieb in den Ventriculus sinistri cordis sitzend, welches wohl hauptsächlich causa mordis seyn möchte, doch sind die andern vulneris auch dabey in consiteratigon zu ziehen.


[194] 4. Die Mörder mochten ihn auch brav auf den Leibe herum gesprungen seyn, denn die Urin Vesica war ihm im Leibe geplatzt und der Scrotus sehr geschwollen auch mit vielen geronnenen sangvinis unterlauffen und die Testiculis und vasa spergemanica jämmerlich zerqvetzt. Die Hepar und die Splen oderLien sahen auch nicht natürlich aus, in summa es war dem, in seinem Leben ehrlichen Körber, noch elender mit gespielet als dem der zu Jericho unter die Mörder gefallen war. Da aber er doch nicht zu curiren gewesen wäre wenn er gleich noch einige Tage gelebt hätte, indem man zu seinen hauptsächlichen Vulnera nicht hinzu kommen und weder ingectigon noch Wund-Balsam abeliciren können, so folget daraus daß diese lesionen ber se & absolud ledal zu nennen zu achten und zu halten seyn, und hoffe ich, daß alleVaculteten es mag hin geschickt werden wo es hin will mit mir darinnen überein stimmen werden, es müste denn jemand Lust zu disbutiren haben. Uhrkundlich habe ich diesen chyrurgischen Bericht eigenhändig unterschrieben und mit meinen gewöhnlichen Perschafft bestärckt, verbleibe auch


Des Hoch Löbl. Amts-Gerichts
Dienstwilliger
(L.S.)
N.N.
– – – – wohlbestalter Hof-Stadt- und
Land-Chyrurgus juratius.

[195] (II.) Wund-Zettel Num. 86. den 13. Jan. 1712.

Ich Endes unterschriebener bekenne hiermit daß ich vergangene Nacht etwa um 2. Uhr N.N. in die Cur bekommen und an ihn folgende Plessuren befunden: Erstlich einen gefährlichen Hieb über den lincken Elbogen, worbey die Tenda und Flexores gäntzlich zerschnitten einfolglich die Gunctura nicht wieder wirdcuriret werden können, sondern er wird einen lahmen Arm behalten, den ich ihn nach den Regeln der Kunst krum heilen werde. Ich werde aber auch viel Mühe haben das Glied-Wasser zu stillen. Vors andere einen Hieb auf das Sinsciput und Ossa frondale über diesutura coronale her, es wird wenig fehlen daß die oberste dabula des Cranigums nicht gäntzlich durch gehauen ist. Vors dritte weil er seit etlichen Jahren her ein Gewächse an Occiput gehabt, welchen tumor wirChirurgos Anteroma, Steccatoma oder Glicirrice zu nennen pflegen, ist ihm daßelbe ebenfalls aufgeschlagen, daß es nunmehro auch vollends muß heraus geschnitten werden. Sonsten ist bereits an allen Vulnera starcke Geschwulst und imflamatio gewesen, die ich zu vertreiben grossen Fleiß Mühe und Kosten anwenden werde. Uhrkundlich habe diesen Wund-Zettel unter meiner eigenen Hand u. Perschafft ausgestelletDat: ut sapra

(L.S.)

N.N.


[196] (III.) Specificatigon was ich Endes Unterschriebener wegen der glücklich gethanen Curan N.N. vorMedicamentis und Artzlohn zu fodern habe:


Vor Speciges zur Fomentation1 Thlr.16 gr.
Vor Spec: per Thecoct: Vulneraria3 Thlr.- gr.
Vor innerliche Medicin die nach
der medode medende eingerichtet
gewesen 2 Thlr.12 gr.
Vor Balsamus vulneraria1 Thlr.8 gr.
Vor Emplastrum und Ungevent.2 Thlr.- gr.
Pro lapora & studia6 Thlr.- gr.
16 Thlr.12 gr.
den 16. Decempr. 1711.

N.N.


(IV.) Recepte.

℞. Succq Limonia ℔ij
Bals. Sulpher: ℥j
Sal praunelli
saturnus. aa. Ʒij
Camolorat. Ʒß
Ol: Terepenthin. q.s.
M.f. Mixtura dentur in Vitrum.
℞. Rad. Hippekanne gr. 15.
Mercur: dulcius. gr. viij
Concerv: Ros. q.s.
M.d. in Schatulam.

Monsieur Kramer hatte zwar noch einen starcken Vorrath von dergleichen lächerlichen Scripturen dieses Künstlers, doch weil er sich dabey nicht lange aufhalten wolte, übergab er mir selbige auf [197] mein Bitten gantz und gar, weil ich mir zuweilen daraus mit Herrn Wolffgangen und Litzbergen, einen lustigen Zeit-Vertreib zu machen suchte. Ich habe aber auch mit allem Fleisse allhier nichts mehr von dergleichen Possen anführen wollen, erstlich darum: weil dem Gen. Leser mit dem Uberflusse ein Eckel erweckt werden möchte, vors andere weil mir Mons. Kramer selbst gestanden, daß er die Abschrifft von allen diesen Raritäten, wenige Zeit hernach, einen guten Universitäts-Freunde anvertrauet, welcher dadurch bewogen worden, dieDelicias Medicas & Chirurgicas des berühmten Leipziger Chirurgi Monetons alias Müntzer seel. zu continuiren, ob es geschehen weiß ich nicht, Mons. Kramer aber fuhr damahls in seiner Erzehlung also fort:

Meine Condition bey diesem Manne war endlich noch so ziemlich passable, weil ich sehr selten zu Hause auf der Barbier-Stube seyn konte, sondern von Morgen an biß gegen Abend mehrentheils meine bestellte Arbeit, an Barbiren und Verbinden bey der Hoffstatt, auch das meiste Brod auf dem Schlosse zu essen hatte, wohinnauf mein Herr sehr selten kam, als wenn er etwa gerufft wurde, denn deutsch von der Sache zu reden, so bekam er die Besoldung nur aus puren Gnaden und wegen seiner in den jüngern Jahren wohlgeleisteten Dienste, die er nunmehro, als ein gar zu starcker Liebhaber des Sauffens, nicht wie vor der Zeit, verrichten durffte und konte. Zu seinem desto grössern Unglück starb der alte regierende Fürst, und weil mein Principal bey dessen Beysetzung sich gantz ausserordentlich liederlich [198] aufgeführet hatte, bekam er wenig Wochen hernach seine völlige Dimission, mithin traten auch die besten Kund-Leute bey Hofe und in der Stadt zu einem andern über. Er wurde solchergestalt nur desto desperater im sauffen, spielen und andern liederlichen Streichen, ruinirte sich und die seinigen immer mehr und mehr, so daß ich den Jammer bey seiner sehr vernünfftigen Frau und 6. Kindern nicht mehr ansehen konte, sondern meinen Abschied nahm, und nachhero erfuhr, daß ihn der Wein, Bier und Brandtewein, noch zu rechter Zeit ins Grab gebracht hatten, wie seelig er aber gestorben, weiß ich nicht.

Mich führete ein glückliches Fatum von dieser Residenz-Stadt hinweg und auf eine berühmte Universität, allwo ich zwar so gleich keine Condition zu hoffen hatte, jedoch von einem genereusen Lands-Manne, auf seine Stube genommen und ausser der Kost und Kleidung in allen defrayret wurde. Dieser mein Lands-Mann studirte Medicinam, und da ich kaum zwey Tage bey ihm gewesen, erwachte bey mir auf einmahl wiederum die Lust zum Studiren. Mein Vormund wegerte sich nicht, mir nunmehro, da ichmajorennis worden, und ihm doch nicht gleich zu Halse gelauffen kam, 100. Thlr. zu schicken, welches aber auch das letzte Geld war, welches ich von meinen Väterlichen und Mütterlichen Erbtheile empfangen habe, ohngeacht ich meiner gemachten Rechnung nach, wenigstens noch 800. Thlr. rückständig zu haben vermeynete. Jedoch da ich mich weder einiges Betrugs, noch andern Unglücks befürchtete, machte sich mein, auf [199] das Studiren so sehr erpichtes Gemüthe deßfalls keinen Kummer oder Argwohn, sondern ichrepetirte, mein bißhero immer sehr warm gehaltenesLatein, aufs allerfleißigste, mit einem zwar armen, jedoch gelehrten Studenten, welchen ich alle Tage ein mahl gratis mit zu Tische führete, und ausserdem, wöchentlich einen halben Thaler Geld, vor tägliche 4. stündige Information, im Latein- und Griechischen, bezahlete. Solcher gestalt konte mich nun mit ziemlicher Renommeé in den Catalogum dererjenigen inscribiren lassen, die unter Hygæens Panier ihr Heil versuchen wolten. Das ist so viel gesagt, ich changirte die Bartschererey, und wurde ein ernstlicher Studiosus Medicinæ. Durch treulichen Vorschub meines Stuben-Purschen und gute Recommendation bekam ich Erlaubniß, verschiedene Collegia frey zu besuchen, die übrigen höchst nöthigen aber vor halbes Geld. Weilen nun albereits ratione meiner Profession und fleißigen Bücher-Lesens einen guten Vorsprung vor andern hatte, brauchte es bey mir halbe Arbeit, derowegen wendete die beste Zeit darauf an, die Anatomie, Physicam experimentalem, Materiam medicam und die Botanic gründlich zu fassen. Inmassen es nun an keiner Gelegenheit fehlete, mich in allen solchen Stücken aufs beste zu exerciren, anbey unter der Hand durch heimliche Chirurgische Curen, mit Beyhülffe meines Lands-Mannes, manchen schönen Thaler Geld zu verdienen, so wurden die ersten 5. Viertel-Jahre ungemein fleißig und stille verbracht, so bald aber die Wissenschafften dergestalt etwas zugenommen, wuchs auch die Ambition, [200] mich unter andern eingebildeten Gelehrten, ebenfalls etwas breit zu machen, und weil die douce Praxis, immer mehr Geld einbrachte; fieng ich an, ein und andern Schmause beyzuwohnen, selbsten dergleichen auszurichten, und mir vor allen Dingen etwas Liebes anzuschaffen, denn zur selbigen Zeit konte niemand vor einen galanten Purschen passiren, der nicht zum wenigsten eine Spaß-Courtoisie mit einem oder andern Frauen-Zimmer unterhielt. So bald ich mir also nur ein roth Kleid geschafft, und auch in anderer Aufführung einigenEtaat blicken lassen, zeigten sich also bald ein paarSyrenen von nicht geringen Stande, welche meiner Meynung nach, ihre charmanten Blicke und Minen nur darum gegen meine Person spieleten, daß sie einen so galanten Herrn, der aufs längste binnen anderthalb Jahren den Doctor-Hut auf dem Schädel haben müsse, ja fein bey Zeiten zur Gegen-Liebe bewegen möchten, um mit der Zeit sein Hertz zu erbeuten, und durch ihn Frau Doctorin genennet zu werden. Etwas verzweiffeltes war es, daß ich so wohl als alles andere Leute, die um mein Wesen Bescheid wusten, in der Persuasion stund: mein Vormund müsse mir wenigstens noch 8- biß 900. Thlr. baar Geld auszahlen, denn ich glaube, bloß dieses war genung, mir den Zutritt bey vielen Frauenzimmer von Condition zu verschaffen, allein ich gieng doch in diesem Stück noch ziemlich behutsam, und nahm mich sehr genau in acht, nicht etwa unbesonnener weise einzuplumpen, und meine Freyheit einer zukünfftigen vielleicht allzu späten Reue aufzuopffern, zumahlen da die tägliche Erfahrung [201] lehret: daß das Universitäts-Frauenzimmer gemeiniglich von Flandern, und selten länger getreu zu lieben pflegte, als man bey ihnen sitzt und spendiret. Endlich vermeynete ich doch eine gantz besonders getreue Seele angetroffen zu haben, weil sich selbige in ihren gantzen Wesen ungemein still und sittsam, gegen mich aber sehr keusch und züchtig verliebt anstellete. Derowegen riß sich meine hin und her wanckende Liebe, von allen andern Gegenständen loß, und blieb eintzig und allein, an dieser Schönen hangen, die sich Eleonore nennete. Ja! nachdem sich mein Lands-Mann von dieser Universität hinweg, und auf eine andere begeben, war ich meiner Einbildung nach, vor hundert andern, so ungemein glücklich, bey der Liebens-würdigenEleonore ein Hauß-Pursche zu werden. Die Gelegenheit war also recht erwünscht vor mich indem ich nicht allein die Beqvemlichkeit hatte, meine Liebe durch tägliche Hertz-brechende Unterredung auf festen Fuß zu setzen, sondern nechst dem, bey einem solchen Manne im Hause zu wohnen, welcher dasStudium anatomicum als sein Hauptwerck triebe, und darinnen etliche 50. Studenten privatim informirete, hierzu fein eigenes compendieuses Theatrum anatomicum angelegt hatte, und sich die gröste Mühe gab, an den Leibern aller Thiere, so er nur habhafft werden kunte, das merckwürdigste und nützlichste zu zeigen. Ich war hierbey dermassen geschäfftig, daß ich in kurtzen sein Profector wurde, welche Ehre und Vorzug mir bey einigen andern ziemlichen Neid und Verfolgung erweckte, zumahlen da mit der Zeit, mein [202] geheimes Liebes-Verständniß mit Eleonoren ruchtbar zu werden begunte. Jedoch ehe ich meine eigenen fernern Geschichte verfolge, und eben itzo noch von derAnatomie gedacht habe, muß ich einer seltsamen Begebenheit erwehnen, welche beweiset, daß die Lust zur Anatomie, oder welches fast glaublicher, der Geld-Mangel, den Affect der Liebe eines Kindes gegen seine Mutter, allem Ansehen nach sehr zu mindern, ja gäntzlich auszurotten vermögend ist.

Es wohnete in dasiger Vorstadt ein armer Studiosus Medicinæ, nebst seiner bey nahe 70. jährigen Mutter und leiblichen Schwester, in einem kleinen Hause zur Miethe, und erhielt dieselben von den wenigen Geldern, die er sich etwa mit seiner schwachenPraxi, und Information einiger Kinder erwerben konte, wiewohl die Schwester mit ihrer Hand-Arbeit auch etwas beygetragen haben mag. Nachdem aber endlich die Mutter verstorben, muß er alle seine und ihre fahrende Haabe, entweder verkauffen oder versetzen, um dieselbe nur mit Ehren unter die Erde zu bringen, welches dem armen Schlucker dermassen zu Hertzen gehet, daß er, indem das Begräbniß etliche Tage aufgeschoben werden muß, vor Sorgen und Grillen sich nicht zu lassen, auch nirgends Trost zu suchen weiß. Doch in der letzten Nacht vor dem mütterlichen Begräbnisse, fällt ihm ein, daß unser Anatomicus, dessen Privat-Collegia er fleißig besuchte, nur vor wenig Tagen uns folgender gestalt angeredet:Messieurs! Sie reiten, fahren und spaziren ja doch immer auf den Dörffern herum, solte denn niemand unter ihnen [203] so geschickt seyn, einmahl einen menschlichen Cörper auf unser Theatrum anatomicum zu verschaffen, damit wir an selbigen, diejenigecuriositeé untersuchen könten, welche sich der Professor einer benachbarten Universität jüngsthin gantz neu erfunden zu haben rühmet? Es giebt ja Leute genung, die sich eben kein überflüßiges Gewissen machen solten, uns einen todten Cörper zu verkauffen, daferne man ihnen nur die gute Manier inspiriret, wie es zu practiciren und heimlich zu halten ist. Und wir werden ja alle zusa en auch noch etwa ein 100. Thl. daran spendiren können, ich gebe 10. Thlr. vor meine Person, hoffe, die Herrn werden ein paar Lumpichte Thaler auch nicht æstimiren, und sich die Sache angelegen seyn lassen, denn es ist hierbey Ehre, Ruhm und Nutzen zu erwerben.

Wie gesagt, dieser Vortrag fällt dem armen Studioso eben in der letzten Nacht ein, da er die Wache gantz allein bey der im Sarge liegenden Mutter halten muß, und weil seine Schwester sehr feste schläfft, nimmt er den todten Leichnam aus dem Sarge heraus, wickelt denselben in ein altes Tuch, versteckt ihn auf dem Boden hinter das Feuer-Gemäuere, an dessen Stelle aber legt er etwas Heu, Stroh und Steine in den Sarg, und vernagelt denselben aufs allerfesteste. Folgenden Morgen kam er in aller Frühe zu unsern Professore gelauffen, meldet, daß er ein Subjectum anatomicum humanum ausgekundschafft habe, selbiges aber unter 100. Thlr. nicht erhandeln können, derowegen er sich bey ihm erkundigen wolle: ob es davor anständig sey oder nicht. Viele haben nachhero [204] zwarstatuiren wollen, daß er dem Professori das gantze Geheimniß ohne Scheu entdeckt, ich aber lasse solches dahin gestellet seyn. Kurtz! unser Professor ist mit dem Quanto zu frieden, giebt ihm so gleich 50. Thlr. in Abschlag, und verspricht den Rest, so gleich bey Empfang des Cadaveris zu bezahlen, welches dieser arme Schlucker folgendes Abends selbst zu überbringen, und in seine Hände zu liefern angelobet. Vorhero aber, ließ er Nachmittags, an statt seiner Mutter, den mit Steinen und Stroh gefüllten Sarg, öffentlich und mit allen gewöhnlichen Ceremonien zur Erden bestatten, und so bald es dunckel worden, steckt er den bereits wohl eingewickelten mütterlichen Cörper, in einen alten Sack, um damit nach des Professoris Hause zu zu wandern. Unter wegs begegnet ihm ein anderer bekandter Studiosus, der, ohngeacht er sich möglichst zu verstellen gesucht, ihn dennoch erkennet, und nicht ablässet zu fragen: was er unter dem Mantel trüge? über dieses gar, den Mantel aufzudecken, Miene macht. Allein der arme bestürtzte Schlucker wickelt sich endlich doch von ihm loß, und giebt zur Antwort: Herr Bruder! laß mich nur zu frieden, ich trage eine alte Bass-Geige. Solchemnach kömmt er, ohne fernern Anstoß, glücklich in unsern Hause an, und empfängt von dem Professore die annoch restirenden 50. Thlr. als womit er sich vor dasmahl aus aller seiner Noth und Schulden gerissen, vielleicht auch noch etwas erübriget hat. Folgenden Tages fanden wir sä tlichen Interessenten, ein so lange gewünschtes menschliches Cadaver, bezahleten derowegen des Professoris Vorschuß [205] reichlich wieder, und machten uns an die Arbeit, der arme Schlucker zahlete zwar pro forma auch 2. Thlr. 16. Gr. darzu, und halff getrost mit in seiner Mutter Haut und Fleisch hinein schneiden, vermeynete auch, die Sache solte um so viel desto mehr unverdächtig und verschwiegen bleiben, allein da der Professor bey Demonstration der partium genitalium in etwas moralisirte, beym Utero aber solche Worte gebrauchte: Dieses ist der Gelehrten und Ungelehrten allererste Studier-Stube; Ein anderer aber hinzu setzte: Welche der grimmige Nero in seiner eigenen Mutter zu betrachten, so unmenschlich curieux gewesen; fand sich offt erwehnter Mutter-Verkäuffer, dermassen betroffen, daß er bey nahe in Ohnmacht gesuncken wäre, da doch zur selbigen Zeit noch niemand als ich und ein anderer guter Freund um den gantzen Handel Bescheid wusten. Nachhero wurde das vermeynte Geheimniß, zwar freylich etwas weiter fortgeweltzt, ob es aber völlig ruchtbar und Stadt-kündig worden: weiß ich nicht, weil mich nach diesem, selbiges Orts nicht lange aufgehalten habe.

Meine Particulair-Avanturen nunmehro weiter zu verfolgen, muß ich berichten: daß bald hernach zwey reichere, dabey aber ungezogenere Pursche, als ich, von der Magd im Hause erfuhren: wie Eleonore mich vor allen andern wohl leyden könte, und weil deren Vater sich sonderlich gütig gegen meine Person bezeigte, wäre leicht zu vermuthen, daß ich diese artige Schöne biß auf weitern Bescheid mir zu eigen machen könte. Da nun diese beyde, recht ernsthaffte Neben-Buhler wären, fand [206] sich bald Gelegenheit, einander die Degen-Spitzen zu zeigen. Jedoch ich war so glücklich, in einer Woche alle beyde mit blutigen Denckmahlen abzufertigen, derowegen entbrandte ihr Grimm nur um so viel desto hefftiger, so, daß sie noch etliche so genannte, aber nur eingebildete Renommisten zu sich nahmen, und unter dem prahlhafften Titul: Die heroi sche Brüderschafft, manche Nacht durch die Strassen schwermeten, allen eintzelen Leuten Verdruß und Schmach anthaten, unter andern aber auch ein blutiges Absehen auf meine Person hatten, und mich, bey Gelegenheit tüchtig zu zeichnen, sich verlauten liessen. Nun brauchte ich zwar alle behörige Vorsicht, mich nicht leichtlich in muthwillige und unnöthige Händel einzumischen, jedoch da ich einsmahls zur Nachts-Zeit, von einem wohlbekandten Freunde aufgeruffen worden, um einen gefährlich-blessirten Studenten eiligst zu verbinden, und wir beyderseits im Begriff waren, in sein, mir wohlbekandtes Logis zu gehen, kam uns die heroische Brüderschafft unverhofft über den Halß, mit Ausstossung dieser empfindlichen Worte: Canaille steh! Mein Begleiter sagte zu mir: Monsieur, ich bitte gar sehr, daß sie auf meine Verantwortung nur eiligst zu meinemblessirten Stuben-Purschen lauffen wolten, ich will diese Canaillen schon abfertigen. Allein ehe ich noch Zeit hatte ihm zu antworten, rieffen etliche Stimmen nochmahls: Hundsf: steh! Gedult! Gedult! rieff ihnen mein Compagnon entgegen, ich stehe schon. Unter diesen Worten aber, zohe er seinen Rock aus, legte denselben ohnfern des Superintendentens [207] Wohnung in eine Thor-Fahrt, entblößte seine Esquadronir-Klinge, und hieb, auf dermassen verzweiffelte Art, die creutze und die qveere in die heroische Brüderschafft hinnein, daß selbige an nichts weniger als an die Gegenwehr zu gedencken schien; sondern sich auf die Flucht begab. Hiermit aber war es noch nicht genung, sondern er verfolget dieselbe dermassenfurieus, daß von 10. oder 12. Personen, nicht zwey bey einander bleiben dürffen, worauf er sans passion zurücke gehet, und seinen Rock wieder anziehet, mich aber bey seinen blessirten Stuben-Purschen antraff, und die gantze Geschicht ohne eintzige Prahlerey erzehlete. Dergleichen Courage hätte ich meines theils bey keinem Menschen, am allerwenigsten aber bey diesen gesucht, denn er schien eben der stärckste nicht zu seyn, war aber doch mittlerer Taille ziemlich untersetzt, und etwas unter 3. Jahren auf der Universität, vorhero aber auf dem Gymnasio zu Zeitz gewesen, allwo er verschiedene mahl Gelegenheit gehabt, sich mit den Soldaten herum zu schlagen, welches die häßlichen Narben auf seinem Kopffe des mehrern bezeugten. Wie gesagt, ich hätte dergleichen hertzhafften Streich nimmermehr geglaubt, wenn nicht das meiste selbst mit Augen gesehen, und in darauf folgenden Tagen die Confirmation von allen, die um selbige Gegend wohneten, gehöret hätte.

Inzwischen war die gantze heroische Brüderschafft zum grösten Gelächter aller Menschen auf einmahl zerstreuet worden, ich aber machte mit diesem resoluten Studioso die vertrauteste Freundschafft, weil selbiger, meinen Gedancken nach, mir [208] zum Schilde wider alle dergleichen Verfolgungen dienen konte. Er hatte nicht sonderlich viel in bonis, da ich aber durch ihn in kurtzen zu schönen Geld-Verdienste gelangete, wurde er von mir nicht allein nach meinem Vermögen dann und wann mit Gelde fournirt, sondern in allenCompagnien, wo er bey mir war, frey gehalten. Jedoch auf solche Manier, lernete ich wöchentlich zwey, drey, auch wohl 4. mahl auf die Dörffer spaziren, und meinen bißherigen Fleiß, der wegen täglicher Liebes-Grillen ohnedem schon einigen Abbruch gelitten, noch weit stärcker hemmen. Aber was wurde draus? erstlich ein lustiger Pursche, hernach ein nasser Bruder, weiter ein Craqveler, und endlich ein desperater Kerl. Denn einsmahls, da ich mich auf einem nahgelegenen Dorffe unter lustiger Compagnie befand, kamen auch ihrer fünffe von der ehemahligenheroischen Brüderschafft in unsern Saal getreten. Mir machten sie keine Sorge, denn da ich dero besondere Hertzhafftigkeit einmahl auf der Probe gesehen, trug mein, von Bier und Wein ziemlich angefeureter Geist, nicht das allergeringste Bedencken, mit ihnen anzubinden, ohngeacht mein ehemahliger Vorfechter dieses mahl nicht mit zugegen war. Es währete nicht lange, so wurden allerhand Stichel-Reden gewechselt, welche ich und meine Anhänger mit gleicher Müntze bezahleten, endlich aber, da die Worte fielen: daß sich heute zu Tage ein jeder Bartscheerer vom Doctor-Hute wolte träumen lassen, wurde dem Fasse der Boden ausgestossen. Meine 3. Anhänger waren so glücklich, ihre 4. Gegner zur Thür hinnans zu fuchteln, [209] ich aber so unglücklich, demjenigen, der michtouchirt hatte, einen solchen Circumflexum über den Hirnschädel zu schreiben, wovon er augenblicklich zu Boden sincken, und als ein halb-todter Mensch aufs Stroh gelegt werden muste.

Wäre ich so vernünfftig gewesen, gleich meines Wegs über die Gräntze zu gehen, so hatte es seiten meiner weiter nichts zu bedeuten gehabt, denn meine Sachen, die in lauter Büchern und Kleidern bestunden, würden meine guten Freunde gar bald in Sicherheit gebracht haben; Allein meine Thorheit bildete sich, noch Recht überley zu haben, ein, derowegen ging ich ohne Scheu in mein Logis, erzehlete die gehabten fatalitäten, trunck mit meiner Amasia noch einen Coffeé, und legte mich hernach aufs Ohr. Da aber mein guter Kramer kaum zwey oder drey Stunden geschlaffen hatte, meldete sich der Herr Pedell, nebst hinter sich habenden Handgreifflichen Anwalden, (denn solchen Titul haben sich in diesem Seculo die Herrn Häscher beygelegt) und führeten ihn in dieCustodiam.

Es brauchte kein langes Kopffbrechens und Fragens nach den gewöhnlichen Oratorischen Behelffs- Worten: Quis? quid? ubi? quibus auxiliis? cur? quomodo? quando? sondern ich konte mir leicht die Rechnung machen: daß mein kunstmäßig gezogenerCircumflexus, diese üblen Suiten nach sich gezogen, und vielleicht noch üblere nach sich ziehen könte, zumahl da es hieß, daß an des Patienten Aufkommen gar sehr gezweiffelt würde. Man vergönnete mir zwar, aus meinem Logis die Speisen zu empfangen, doch durffte der Uberbringer kein Wort [210] mit mir reden, denn meine 4. Wächter, die allem Ansehen und Vermuthen nach, in linea obliqva von des grossen Goliaths Waffenträger herstammeten, waren in den ersten 9. Tagen, ich glaube, eines besondern Aberglaubens wegen, dermassen unerweichlich, daß sie auch kaum einer Fliege vergönnen wolten, aus meinem Glase zu trincken, indem sie befürchteten, ich möchte durch dieselbe etwa eine geheime Correspondenz, meiner Befreyung wegen, anzuspinnen suchen, dem ohngeacht war doch meine Eleonora endlich so inventieus, dieselben zu betriegen, denn sie hatte auf gantz subtile Art, ein kleines Briefgen folgendes Innhalts mit dem Messer in mein mittägiges Dreyer-Brod geschoben:


Mon Ami,


Ihr könnet seit der fatalen Nacht, eurer Händel wegen, unmöglich in grössern Aengsten geschwebt haben, als ich eurer Person wegen. Zumahlen da die verfluchten Creti und Plethi, meinen Abgeschickten so wenig, als andern guten Freunden, erlauben wollen, euch zu sprechen, oder einen Brief zuzusenden, doch fasset nunmehro guten Muth, denn mein Papa hat heute den Patienten selbst besucht, und ihn besser befunden, als die Rede gehet, derowegen hat bald Hoffnung, in erwünschter Freyheit einen Ruß von euch zu empfangen


vôtre amie Eleonore N.


[211] Gleich nach Verlesung dieses, mit meinem Brod-Messer unversehener weise durchschnittenen Briefs, wurde mir das Hertze um etliche Centner leichter, ich muste aber doch überhaupt 5. Wochen weniger 2. Tage pausiren, ehe sich meine Freyheit vor 53. Thlr. Unkosten und Straff-Gelder erhalten ließ. Allein was halffs? da ich nunmehro den Vorsatz gefasset, wieder umzukehren, meine vorige fleißige Lebens-Art von neuen anzufangen, und die Tochter dem Vater nach Jacobs Weise abzuverdienen, wurde ich eines Abends, da ich mit meiner Liebste in der Hauß-Thür stund, von einem vorbey gehenden Meuchelmörder, unversehens durch und durch gestochen, so, daß ich augenblicklich zu Boden sanck, weil aber der Mord-Stich nur durch die Weichen gegangen war, und keine von den edelsten Theilen berühret hatte, wurde ich binnen 6. Wochen wiederum in den Stand gesetzt, auszugehen. Jedoch gleich am ersten Abende meines Ausgangs, hatte ein unbekandter Bothe, einen an mich gestelleten Brief ins Hauß gegeben, den ich also gesetzt befand:


Monsieur,


Wenn euch eures Lebens wegen zu rathen stehet, so fasset entweder den Schluß, aufs eiligste diesen Ort zu verlassen, oder eure, der Sage nach, höchst-geliebte Eleonora gäntzlich, und zwar vermittelst einer öffentlichen prostitution zu quittiren. Das letztere wird euren, vermuthlich redlichen, Gemüthe vielleicht unmöglich seyn, derowegen überleget das erste, und bedenckt euer bestes, denn einer solchen Zusa en-Verschwerung, als eurentwegen [212] geschehen, seyd ihr und alle eure Gönner, in Wahrheit nicht capable zu widerstehen. Gebrauchet Raison, Monsieur, und machet von dieser meiner Schrifft kein Bruit, sonsten wird der Verdacht ohnfehlbar auf eine Person fallen, die nur das Plaisir gehabt hat, euch von ferne kennen zu lernen, sich aber dennoch nennet


Monsieur,
eurer Liebsten und eure
gute Freundin in N.N.

Bey so gestalten Sachen konte ich wohl ohne Schertz sagen: Inter sacrum & saxum sto! Friß Vogel oder stirb. Jedoch muste die Sache erstlich mit meinen, in Hoffnung habenden Schwieger-Eltern, so wohl als mit der Liebste selbst überlegen, und da diese ingesamt riethen: nur aufs eiligste abzureisen, und nicht eher wieder zu kommen, biß sie mir die Versicherung überschrieben, daß sich der itzige Sturm gelegt, oder ich mir selbst eine gute bleibende Stätte ausgemacht hätte, gieng ich mit der ersten Post auf mein Vater-Land zu, nachdem mir Eleonore die kräfftigsten Versicherungen gegeben: nimmermehr keinen andern als mich zu heyrathen, sondern viel lieber Zeit Lebens ledig zu bleiben.

Zum grösten Unglücke war ich auf die Gedancken gerathen: meinem Vormunde einen Brief voraus zu schicken, und ihm den Post-Tag zu melden, an welchen ich bey ihm eintreffen, mich aufs eiligste mit ihm berechnen, und so dann die Reise nach einer andernUniversität fortsetzen wolte, denn es wurde [213] mir meinConcept gewaltig verrückt, da mich ohngefähr 8. oder 9. Meilen vor meiner Geburths-Stadt, beym Post-Wechsel, ein Troupp Soldaten umringete, nebst meinen bey mir habenden Sachen, auf einen andern Wagen setzte, über Stock und Stiel fortführete, und endlich in einer ziemlichen Vestung auf die Haupt-Wache lieferte. Was mir daselbst vor Schmach und Qvaal angethan worden, da ich durchaus nicht willigen wolte, eine Musquete auf die Schulter zu nehmen, ist wahrhafftig nicht auszusprechen, mein Vorschlag war jedennoch, 500. Thlr. vor den Abschied zu geben, und da solches verweigert wurde, einen Feldscheers-Dienst anzunehmen, auch auf 3. oder 4. Jahr zu capituliren, allein es war alles vergebens, denn die Officiers sagten mir frey ins Gesichte: daß sie eben keine lang gewachsenen Feldscheers, wohl aber lange Musquetirs brauchten. Endlich da ich 2. Tage und 3. Nacht krumm zusammen gebunden, unter der Pritsche schwitzen müssen, und kein anderes Laabsal oder Nahrungs-Mittel empfangen hatte, als Heerings-Köpffe, welche mir einmahl über das andere in den Mund gesteckt wurden, war es unmöglich, die Marter länger auszustehen, sondern ich muste mich endlich entschliessen, einen höchst-gezwungenen Eid zur Kriegs-Fahne abzulegen. Nun hätte sich zwar nach und nach vielleicht die Gedult bey mir eingefunden, diesem widerwärtigen Verhängnisse so lange stille zu halten, biß sich mit der Zeit Gelegenheit gefunden, selbiges mit guter Manier zu verbessern, allein das unerhört grausame Tractament, welches ich alltäglich von den Unter-Officiers, und [214] sonderlich dem Sohne meines Vormundes, der Corporal hieß, erdulden muste, war abermahls unerträglich. Ich glaube, daß letzt erwehnter Bösewicht, mir lediglich auf Anstifften seiner vergällten Mutter, so viel Hertzeleyd zufügte, und auch seine andern Cameraden darzu anreitzte, denn wenn ich beym privat-exerciren nur das Weisse in den Augen ein wenig verwendete, geschweige denn sonst etwas unmögliches recht zu machen wuste, muste mein Rücken dermassen viel Stock-Schläge fühlen, dergleichen er sich empfangen zu haben nicht erinnern konte, seit dem ich der Katze die Schelle angehängt, der Magd den Zettel angeklebt, des Hundes Stuhl mit Steck-Nadeln gefüttert, und den alten Weibern das curieuse Feuerwerck præparirt hatte.

Wir musten über die besonders lustige Art, womitMons. Kramer dieses letztere vorbrachte, von Hertzen lachen, ohngeacht die Beschreibung seines angetretenen Soldaten-Lebens eben nicht lächerlich war, so bald er sich aber selbst mit uns satt gelacht hatte, fuhr er in Erzehlen also fort:

Solchergestalt müste ich sehr einfältig gewesen seyn: wenn ich nicht gemerckt, daß mir mein Vetter und Vormund dieses Bad selbst zubereitet hätte, um nur desto länger mit dem verdrüßlichen Spruche:Thue Rechnung von deinem Haußhalten etc. verschonet zu bleiben. Derowegen war eben im Begriff, etwa einen höhern Officier, durch Geschencke, und Versprechung eines mehrern, auf meine Seite zu bringen, der mir nicht allein einige Linderung, sondern auch von meinem ungetreuen Vormunde hinlänglicheSatisfaction verschaffen solte; [215] als mir ein anderer unglücklicher Streich begegnete, und zwar bey folgender Gelegenheit: Es schlugen sich eines Abends etliche Handwercks-Pursche auf der Strasse mit Knütteln weidlich herum, da nun ich dieses Spectacul mit anzusehen, in voller Montur, nebst meinem Wirth um die Ecke des Quartiers spazirt war, kam der Corporal, mein Herr Vetter ohnverhofft auf mich zu, und fragte: was ich hier zu stehen, und ob ich etwa Lust mit zu machen hätte? Nichts weniger als dieses, gab ich zur Antwort, denn ich menge mich nicht gern in frembde Händel. So scheert euch, sprach er, in euer Quartier, und legt euch auf den – – – – denn Morgen habt ihr die Wache. Es wird, versetzte ich, Morgen an mir nicht fehlen, heute aber habe nicht eher Ursach mich nieder zu legen, biß der Zapffen Streich geschlagen ist. Canaille, wilst du lange raisoniren, schrye er hierauf, und schlug mich dermassen mit dem Stocke über den Kopff daß mir augenblicklich das Blut über die Nase lieff, weßwegen ich von einem recht rasenden Eiffer angestammt, augenblicklich meinen Pallasch zohe, dem schändlichen Bluts-Freunde etliche Hiebe in den Kopff und Schultern versetzte, letztlich aber die rechte Hand dergestalt streiffte, daß sie nur noch an einer eintzigen Flächse behangen blieb. Dieserwegen kam ich erstlich in Arrest, bald hernach aber ins Verhör und Krieges-Recht, allwo mir das tröstliche Urtheil gefället wurde: Drey Tage nach ein ander, und zwar alle Tage 12. mahl durch die Spitz-Ruthen zu lauffen. Dieses kam meiner Seele weit unerträglicher vor, als der Tod selbsten, ja der Satan war so geschäfftig, [216] mir einzugeben, daß ich mich lieber selbst ermorden, als dergleichen Marter ausstehen solte, weil ich doch so wohl davon crepiren müste als ein anderer, der nur vor wenig Tagen eben dergleichen Straffe erlitten. Jedoch dieser desperate Entschluß wurde noch bey Zeiten von christlichern Gedancken erstickt, hergegen fiel mir ein anderer Hazard ein, der doch zum wenigsten nicht so gar verzweiffelt und sträfflich zu achten war. Diesemnach, da ich wuste, daß bey dem heimlichen Gemache, welches zu derCorps de Garde, da ich gefangen saß, gehörete, eine schmale Schlufft den Wall hinab, nach dem Wasser-Graben zu, gieng, observirte ich Sonntags, nehmlich des Tags vorhero, da ich Spitz-Ruthen lauffen solte, alle Gelegenheit, wie auch die Gegend jenseit der Vestung sehr genau, simulirte Nachts ein hefftiges Reissen im Leibe, ließ mich etliche mahl hinaus bringen, so lange biß meine Begleiter darüber verdrüßlich wurden, und mir alleine an den Ort zu gehen erlaubten, wo man seinen Vortrag mit gebogenen Knien zu thun obligirt ist, in Meynung, daß ich doch unmöglich entwischen könte, weiln ohnedem 4. Schild-Wachen um diese Gegend stünden, die man nicht so leicht vorbey passiren könte. Allein ich ersahe meinen Vortheil, Nachts gegen 12. Uhr, rutschte durch die enge Schlufft den Wall hurtig hinnab, sprung eine 8. biß 9. Elen hohe Mauer hinunter in den Graben, so, daß mir das Wasser über den Kopffe zusammen schlug, rieff den Höchsten, um Erhaltung meines Lebens, an, begab mich aufs Schwimmen, kam glücklich hindurch, und erreichte endlich nach Ubersteigung vieler Abschnitte und Pallisaden die freye Landstrasse.

[217] Vor allen Dingen fiel ich nunmehro erstlich nieder auf meine Knie, und bat GOtt um gnädige Vergebung meiner Sünden, indem mich die gröste Noth getrieben hatte, einen, obschon aufgezwungenen, Eyd zu brechen, hiernächst daß mich derselbe ferner gnädiglich führen, und lieber mit anderweitigen väterlichen Züchtigungen belegen, als wiederum in die Hände meiner tyrannischen und unmenschlichen Lands-Leute geben wolle. Da nun unter diesen eiffrigen Gebethe ein wenig verschnaubt hatte, begab ich mich aufs Lauffen, weilen allbereit ausgekundschafft hatte, daß die Gräntze des benachbarten Landes-Herrn nicht über 4. Meilen von dieser Stelle entlegen sey. Wie mir zu Muthe gewesen, da ich einen, oder, wo mir recht ist, zwey Canonen-Schüsse aus der Stadt, und dann in allen umliegenden Dörffern, die Sturm Glocken läuten hörete, lasse ich ihnen, meine Herrn, selbst erwegen, denn dieses war das gewöhnliche Zeichen, daß ein Deserteur aus der Vestung entsprungen, und daß jede Dorffschafft obligirt sey, denselben zu verfolgen. Früh Morgens gegen Aufgang der Sonnen, da ich mich auf einer weiten Ebene befand, und mir unmöglich fiel, ohngeruhet weiter zu lauffen, zwängete sich mein ermüdeter Cörper in einen aufgesprungenen hohlen Weyden Baum, der da weit von allen Strassen, nebst unzähligen andern, auf einer Viehtrifft stund. Etwa eine Stunde hernach, da ich schon in stando ein wenig geschlummert hatte, passirte der Vieh-Hirte vor mir vorbey, war aber, wie ich glaube, mit Blindheit geschlagen, weil er mich so wenig sahe als sein Knabe, der ebenfalls sehr öffters bey meinem Schlaff-Gemache vorbey [218] lieff. Jedoch so bald er nur etwa hundert Schritt von mir, sich nebst seinem Knaben in die Sonne gelegt, fieng ich von neuen an zu schlummern, wurde aber nochmahls durch das Getöse etlicher Reuter gestöhret, welche, wie ich durch ein Spalt-Loch sehen konte, sich dem Hirten näherten, und fragten: ob er keinen Deserteur, in solcher Kleidung, wie sie ihm die meinige beschrieben, vorbey lauffen sehen. Er konte freylich wohl mit guten Gewissen Nein sagen, berichtete auch auf ferneres Befragen, daß nur noch eine gute Stunde Wegs biß zur Gräntze sey, weßwegen die Reuter ihre Pferde desto schärffer ansporneten, und zwischen den Bäumen, nicht 12. Schritt vor meinem Behältnisse, hinritten. Mein Hertze klopffte inzwischen so lange, biß ich dieselben aus dem Gehöre und Gesichte verlohr, endlich aber verlohr sich auch zugleich die allergröste Angst, in darauf folgenden mehr als 6. stündigen Schlaffe. Nachdem ich aufgewacht war, fieng mich der Hunger ziemlich zu plagen an, jedoch der Magen muste vor dieses mahl durchaus Raison annehmen, weil ich nicht vor rathsam hielt, diesen sichern Ort zu verlassen, ohngeacht derselbe vor menschlichen Augen sehr unsicher zu seyn schien. Der Hirte, welcher binnen der Zeit weit im Felde gewesen, kam endlich gegen Abend wiederum zurück, und setzte sich etwa 20. Schritt von meinem Baume nieder, bald darauf kam auch sein Knabe, der vermuthlich Tags über im Dorffe gewesen war, setzte sich neben ihn, und fragte unter andern: ob die Reuter wieder zurück gekommen wären, die dem entlauffenen Lands-Knechte nachgesetzt hätten. Der Alte bejahete solches, meldete darbey, daß er abermahls [219] mit ihnen gesprochen, und erfahren, wie sie heute einen vergeblichen Ritt gethan hätten. Es ist Schade Vater, sagte hierzu der Knabe, daß wir den Schelm nicht haben ansagen können, denn sonst hätten wir gewiß einen Thaler Geld dabey verdienet, oder wohl gar zwey. Ach Töffel! versetzte der Alte, behüte uns GOtt vor solchen Blut-Gelde, es kan vielleicht wohl ein gut ehrlich Mutter-Kind gewesen seyn, wer weiß, wie sie ihn gecreutziget haben, ich wolte lieber einen Pfenning oder wohl gar nichts nehmen, und einen solchen armen Kerl 10. Meilen fort bringen, als vor 10. Thlr. Geld ihn den Soldaten verrathen, denn diese machen nicht viel Federlesens, sondern lassen auch die besten Kerls an den Galgen hencken. O du redliches Blut! gedachte ich in meinen Hertzen, GOtt wird dir deine christliche Liebe, wo nicht zeitlich, doch dort ewig zu vergelten wissen. Jedoch ich hielt mich noch beständig in aller Stille, biß endlich, nach verschiedenen andern Gesprächen, der Knabe weit ins Feld lieff, um das zerstreute Vieh zusammen zu treiben. Da nun bald hernach der Hirte etwas näher an meinen Baum kam, rieff ich ihn an, klagte seiner Treuhertzigkeit meine Noth, überreichte ihm einen Ducaten, und bat, mir davor, so bald es möglich, nur einen Trunck Bier, nebst einem Stücke Brod zu verschaffen. Er zeigte grosses Mittleyden bey meinem Elende, überreichte mir indessen ein Stück Brod nebst einem Käse, und versprach, binnen zwey Stunden mit besserer Speise und Geträncke bey mir zu erscheinen, wolte aber durchaus kein Gold, sondern sagte: ich möchte ihn nur etliche Groschen Silber-Geld geben, um die Speisen davor zu kauffen, weil er in seinem gantzen [220] Leben voritzo nicht mehr als 10. Pfennige baares Geld aufzubringen wüste. Demnach überreichte ich ihm eine gantze Hand voll Silber-Geld, wovon er aber nicht mehr als etliche Groschen auslase, und das übrige durchaus nicht an nehmen wolte, sondern mit starcken Kopffschütteln davon gieng, nachdem er versprochen, binnen einer Stunde wieder bey mir zu seyn. Er hielt sein Wort redlich, kam mit der Abend-Demmerung zurück, brachte einen halben Schincken, ein starck Stücke Wurst, ein halbes Brod, eine Flasche Bier, wie auch Butter und Käse in seinem Rantzen getragen, ließ mich nach Belieben davon speisen, er aber setzte sich etliche Schritt von mir hinweg, und erzehlete binnen der Zeit, seiner Einfalt nach, verschiedene kluge Streiche, die von einem Manne, der täglich mit niemanden, als unvernünfftigen Vieh umgieng, nicht leicht zu vermuthen waren. So bald die Nacht herein brach, führete er mich glücklich über die Gräntzen meines verhaßten Vaterlandes, ruhete hernach über 3. Stunden, in einem dicken Gepüsche, an meiner Seite, und zeigete mir hernach die richtige Strasse, worauf ich ohnfehlbar binnen 3. oder 4. Stunden eine kleine Stadt erreichen würde, in welcher nicht die geringste Gefahr vor mich zu befürchten, hergegen alle Sicherheit anzutreffen sey. Ich fragte, was er vor seine Bemühung haben wolte, und der gute Mann forderte nicht mehr als 2. Groschen, welches mich dermassen afficirte, daß ich ihm 2. spec. Ducaten gab, die er vermuthlich nicht angenommen, wenn die Dunckelheit ihn nicht verhindert hätte, Gold- und Silber-Geld zu unterscheiden.

[221] Nunmehro setzte ich meine Reise in gröster Geschwindigkeit nach bezeichneter Stadt fort, und erreichte dieselbe noch vor anbrechenden Tage. Mein gantzes Vermögen belieff sich auf 43. spec. Ducaten, und etwa 12. biß 15. Thl. Silber-Geld, derowegen konte noch wohl das Hertz haben, mich in einen reputirlichen Gasthoff einzulogiren, allwo ich ebenfalls sehr gutthätige Leute antraff, mich mit reinlicher neuer Kleidung und Wäsche versorgte, nach Mühlhausen zu einem weitläufftigen Befreundten reisete, und von daraus, an meinen ungewissenhafften Vormund schrieb, um zu vernehmen, ob er mir noch etwas von meinem Erbtheile heraus geben wolte oder nicht. Allein ich hatte die gröste Ursache, das daran gewendete Post-Geld zu bedauren, denn die Antwort fiel accurat also, wie ich mir dieselbe eingebildet hatte, nehmlich, ich solte erstlich kommen, mich mit ihm berechnen, seinem Sohne, die, meuchelmörderischer weise abgehauene Hand, bezahlen, und so dann den Galgen, wegen meiner Desertion an statt desRests zu fordern haben. Derjenige Brief, welchen ich ihn hierauf geschrieben, wird schwerlich einem andern lebendigen Menschen, als uns beyden, vors Gesichte gekommen seyn, mich aber gereuet es fast, daß das Concept nachhero von mir verbrandt worden.

Diesemnach hieß es nun mit mir: Omnia mea mecum porto, wiewohl ich dieserwegen den Muth gantz und gar nicht sincken ließ, sondern mein niedergedrucktes Glücke, auf einer andern Universität wiederum aufzurichten verhoffte; Allein die Herrn Soldaten verrückten mein Concept zum andern mahle, undforcirten mich bey damahliger starcken [222] Recreutirung, mit Gewalt Dienste zu nehmen, doch war diese Art gegen die vorige Englisch zu nennen, denn ich konte und durffte bey ihnen doch dasjenige, wovon ich Profession machte, unter einer reputirlichen Charge practiciren, bekam auch von einem recht liebreichenOfficier hinlänglichen Sold, und machte mir also nicht das geringste Bedencken, hinkünfftig ein oder etliche Campagnen mit zu wagen.

Inmittelst waren nunmehro 7. Monath verstrichen, seit dem ich von meiner allerliebsten Eleonore Abschied genommen, und ihr binnen der Zeit mehr als 8. Briefe geschrieben, jedoch nicht die geringste Antworts-Zeile erhalten hatte. Ich habe von meiner allerliebsten Eleonore geredet, nehmlich von derjenigenEleonore, welche mir mit unverlangten grausamen Eyd-Schwüren versprochen: ehe 1000. mahl zu sterben, als sich, Zeit meines Lebens, an eines andern Seite zu legen, ja man solte sie eher in Stücken zerreissen, als mit einer anderen Manns-Person ins Braut-Bette bringen. Uber dieses hatte sie jederzeit eine dermassen strenge Tugend gegen mich bezeuget, daß meine Caressen bey ihr niemahls einen höhern Grad erreichen dürffen, als ihre Hand und Mund zu küssen. Allein nunmehro berichtete mich ein guter Freund: daß dieselbe noch kein eintziges mahl gestorben, vielweniger, seines Wissens, ein eintziges Stück von ihrem Leibe abreissen lassen, und dennoch bereits vor 3. Monathen, ohne allen Zwang, einen Licentiaten geheyrathet hätte.

[223] Eben da dieser Brief bey mir einlieff, war ich im Begriff, eine Comœdie, von dem philosophischenHarleqvin Diogene, und zwar diejenige Passage zu lesen, da man ihm berichtet: wie sein Knecht Manes darvon gelauffen sey. Worauf er zur Antwort gegeben: Kan Manes ohne Diogene, so kan auch wohlDiogenes ohne ihn leben. Derowegen applicirte ich dieselbe Passage auf mich und meine ungetreue Liebste, imitirte also diesen klugen Narren zu meiner ungemeinen Gemüths Befriedigung. Weil ich mich aber erinnerte: ihr, nebst einer Englischen Uhr, noch andere pretieuse Sachen, die am Werth mehr als 150. Thlr. betrugen, auf die Treue gegeben zu haben; so konte doch nicht unterlassen, einen stacheligen Gratulations-Brief an dieselbe zu schreiben, und meine Sachen wieder zurück zu verlangen, mit der Bedrohung, daß ich auf den Verweigerungs-Fall, andere, ihr vielleicht nicht sonderlich renommirliche Messures nehmen würde. Mein Special-Freund hatte diesen Brief der Dame zu eigenen Händen geliefert, und durch mündliches Zureden so viel ausgewürckt, daß sie mir endlich meine Uhr nebst 100. Thlr. baaren Gelde remittirte. Ihren mit allerhand kahlen Entschuldigungen und läppischen Fratzen angefülleten Brief, habe kaum des Lesens gewürdiget, hergegen kam mir das überschickte desto besser à propôs. Denn ich konte damit meine Equippage, gegen bevorstehendeCampagne, nicht allein in desto bessern Stand setzen, sondern auch in gegenwärtigen Winter-Quartiere, eine solche Figur machen: daß sonderlich das Frauenzimmer besondern Estim vor meine Person zeigte.

[224] Weil nun die Liebe durchaus, an Eleonoren, Revange zu nehmen, verlangte, um selbiger ungetreuen Person zu zeigen, daß ihr Verlust sehr leicht und zwar weit vortheilhaffter zu ersetzen sey; ließ ich mir durch die Reitzungen einer artigen Rosine, abermahls das Hertze rauben, und weil dieselbe von guten Geschlechte, ziemlichen Vermögens, darbey auch recht artiger Bildung, und sonderlich eines aufgeweckten und klugen Geistes war, schlossen wir, mit Genehmhaltung ihrer Eltern, ein festes Liebes-Verbindniß, worbey mir jedoch erlaubet wurde, vor Vollziehung desselben ein oder etliche Campagnen unter der Soldatesque zu thun, indem mein Schatz nur erstlich 17. Jahr alt, also wohl noch einige Jahr warten konte. Nach glücklicher Zurückkunfft, solte mir von meines Schwieger-Vaters Bruder, der keine Erben hatte, die Stadt-Apotheke zugeschlagen werden, damit ich, nach Belieben, alle drey Species der Medicin, nehmlichMedicinam selbst, anbey auch Chirurgiam undPharmacopœam practiciren könte.

Solchergestallt gieng ich im darauff folgenden Früh-Jahre, mit vergnügen zu Felde, in Meynung folgenden Winter, oder doch aufs längste binnen zwey oder drey Jahren wieder bey meiner Braut zu seyn. Allein es wurden vollkommene 5. Jahr daraus, binnen welcher Zeit ich zwar etliche Briefe an dieselbe und ihre Eltern schrieb, auch auf alle die angenehmsten Antworten erhielt; jedoch da vor gäntzlicher Beylegung des Kriegs, keine Hoffnung zum Abschiede vorhanden, musten wir uns auf allen Seiten mit Gedult schmieren. Nun solte Ihnen, meine [225] Herren, sagte hierbey Mons. Kramer, auch eine ausführliche Beschreibung von meinen zugestossenen Kriegs-Begebenheiten machen, allein ich fürchte, es möchte selbige auf einmahl, wegen der Langweiligkeit verdrüßlich fallen, derowegen will dergleichen, biß auf eine andere Zeit versparen, und voritzo nur melden: daß, nach glücklich abgelegten Rück-March, kaum mein Stand-Quartier bezogen hatte, da ich sogleich um Uhrlaub bat, und die Reise zu meiner Liebsten antrat. Aber, aber! indem ich dieselbe unverhofft zu überfallen, und desto mehr Freude zu verursachen gedachte, traff ich im Hause alles consternirt, betrübt und gegen mich kaltsinnig an. Meine Braut solte vor wenig Wochen zu einer ihrer Muhmen gereiset seyn, welche selbige nicht so bald wieder hätte von sich lassen wollen; Ich machte mir allerhand Gedancken bey solchen verwirreten und kaltsinnigen Wesen, jedoch was will ich itzo viele Umschweiffe machen? die saubere Rosine hatte bey ihrer grossen Klugheit ins Nest hofieret, deutlich aber zu sagen: ein Jungfer-Kindgen bekommen, und zwar von einem solchen Spaas-Galane, der sie Standes wegen nicht heyrathen durffte oder wolte.

Ihre Eltern liessen mir dieses Malheur, durch den dritten Mann, in einem Säfftgen beybringen welcher hoch und theuer versicherte: daß diese Sache gantz und gar noch nicht kundbar wäre, sondern gantz artig vermäntelt werden könte, wenn ich vor 1000. Thlr. besondere Discretion, mich ins Mittel schlagen, Vater des Kindes heissen, u. die Geschwächte heyrathen wolte. Allein hierzu war der gantze [226] Kerl, über alle massen delicat, und ohngeacht die schwangere Jungfer vor gantz ausserordentlich schön ausgeschryen, auch mir eine noch stärckere Discretion angebothen wurde, so blieb ich dennoch bey meinem Eigensinne, verlangte nicht mehr als 300. Thlr. vor meine ehemahls gegebenen Geschencke und Reise-Kosten, versprach auch davor alle honette Verschwiegenheit zu halten, und reisete, nachdem ich solch gefordertes Geld, ohne die geringste Weigerung, gegen einen ausgestelleten Revers erhalten, fast noch vergnügter zu rück, als ich daselbst angelanget war. Zwar kan ich nicht läugnen, daß mir das wohlgebildete Gesichte und artige Conduite meiner gewesenen Liebste, dergestallt vor Augen und in Gedancken schwebete, daß ich nachhero lange Zeit nicht ohne besondere Betrübniß an ihr Malheur gedencken konte, jedoch wenn ich im Gegentheil bedachte: daß dergleichen Aufführung eines verlobten Frauenzimmers, eine verzweiffelte Leichtsinnigkeit und liederliche Lebens-Art anzeigte, begunte nach und nach die Empfindlichkeit zu verschwinden.

Nachdem hierauff etliche Monate verstrichen waren, erhielt ich endlich den inständig gesuchten Abschied, und war nunmehro gesonnen, ein Oerthgen auszusuchen wo ich mein Leben in guter Bequemlichkeit hinbringen könte, weil sich das Vermögen an baaren Gelde und andern Mobilien, doch auf 800. Thlr. belieff. Mein mißgönstiges Verhängniß aber hatte das Wieder-Spiel beschlossen, denn ich ließ mich von einem gewissen Cavalier, der eine hoheCharge an einem, der vornehmsten Höfe in Deutschland bekleidete, in Dienste zu treten, bereden. [227] Selbiger war in der That ein ungemein wohl conduisirter Herr gegen seine Bedienten, absonderlich konte ich mit Recht, vor andern, mich gantz sonderbarer Gnade von ihm flattiren, denn er tractirte mich jederzeit mit solcher Gefälligkeit, die den Character, unter welchen ich mich bey ihm engagirt hatte, sehr weit überstieg. Binnen etlichen Jahren, hätte ich durch seine Unterstützung, mein Glück zum öfftern durch Heyrathen und mittelmäßige Aemter gar wohl machen können, allein er inspirirte mir selbsten immerfort die Hoffnung, auf etwas noch besseres. Aber, aber! da ich solchergestallt dem Glücke am allerbesten im Schoosse zu sitzen vermeynte, wurde mein Herr des Nachts plötzlich von etlichen Officiers und Soldaten überfallen, in einen verdeckten Wagen gesetzt, und nach einem festen Schlosse in Arrest gebracht. Meine Person muste unvermutheter Weise par Compagnie auch mit, wurde gleichfalls in das wohl verwahrte Zimmer eines Thurms gesetzt, und zwar ein Stockwerck höher als mein Herr, mit dem ich in folgender Zeit kein Wort zu sprechen Gelegenheit nehmen durffte. Ich habe niemahls erfahren können, was ihm eigentlich und hauptsächlich vor ein Verbrechen schuld gegeben worden, aus denenjenigen Articuln aber, worüber man mich vernahm, konte ich leichtlich schliessen, daß es Sachen von grosser Wichtigkeit seyn müsten. Nachdem ich nun ein halbes Jahr weniger 4. Tage gefangen gesessen, unschuldig befunden, und endlich frey gelassen worden, also nichts mehr abzuwarten hatte, als die Auslieferung meiner Gelder und Sachen, welche unter meines Herrn Meublen [228] mit hinweg geschafft waren, die Zeit aber mir deßfalls verzweiffelt lang ge macht wurde, steckte mir eines Tages ein Soldat einen kleinen Brieff in die Hand, den ich nach Eröffnung also gesetzt fand:


Mein liebster Kramer!


Nehmet euch meiner in dieser Noth an, und zweiffelt im geringsten nicht an meiner raisonablen Erkänntlichkeit, denn ihr wisset ja selbst, daß ich ausserhalb Landes, an sichern Orten solche Capitalia zu heben habe, wovor ich und ihr Zeit Lebens gnugsamen Unterhalt finden können. Es wird euch weiter keine Mühe machen, als mir an denjenigen Faden, den ich folgende Nacht um 1 Uhr aus meinem Fenster hinab lassen werde, eine lange doch NB. feste Leine anzuknüpffen: vermittelst welcher ich mich hinunter auf die Strasse zu kommen getraue, kauffet oder bestellet indessen ein paar flüchtige Pferde, und lasset dieselben Nachts zwischen den 11. und 12ten huj. vor der Stadt hinter den Gärten ohnweit der K. – – – Strasse warten. Lasset euch die wenigen Sachen, welche ihr etwa zurück lassen müsset, nicht abhalten, mir die allerstärckste Probe, der jederzeit verspürten Liebe und Treue zu zeigen, ja würcklich zu leisten. So bald ich nur den – – – Hof erreicht, hat es mit uns weder Gefahr noch Noth. Erweiset euch als einen Mañ, und wisset, daß ihr solchergestallt das Leben erhaltet


eurem Freunde. – – –


[229] Allem Ansehen nach, war dieser Brief, vielleicht in Ermangelung der Dinte, mit Blut, und zwar durch eine ungewöhnliche Feder geschrieben, welches denAffect des Mitleydens und der Erbarmung dergestallt in meiner Seelen erregte, daß ich ohne alles fernere überlegen den Schluß fassete: demjenigen meine Hülffe nicht zu versagen, welcher sich seithero so ungemein auffrichtig gegen mich bezeigt hatte.

Von Stund an machte ich also die klügsten Anstallten hierzu, und weil mein Geld-Beutel nicht zureichen wolte, fassete ich das Hertze, von einem Manne, der meines Herrn und mein eigener heimlicher guter Freund war, noch 30. Thlr. auffzunehmen, gab also einem Reit-Knechte meines Herrn, der sich seit etlichen Tagen bey mir gemeldet hatte, und sonsten ein sehr getreuer Mensch war, 60. Thlr. zu Erkauffung drey tüchtiger Kläpper, mit völliger Instruction, wie er sich damit verhalten solle, mittlerweile besorgte ich alles übrige selbsten aufs beste, und nachdem mir der Kerl von seiner guten Verrichtung, am bestimmten Abende, behörigen Rapport abgestattet, auch weitereaccuratesse zu beobachten versprochen, legte ich die letzte Hand an das Werck, brachte auch meinen Herrn glücklich zur Stadt hinaus, und zu Pferde. Aber! aber! da wir uns in der sehr dunckeln Nacht verirreten, er schien zu unsern allergrösten Schrecken, hinter uns ein Troupp Reuter mit vielen Fackeln, der Reit-Knecht und ich, setzten über einen Graben, mein Herr aber, der doch das allerbeste Pferd ritte, mochte wohl das Tempo nicht recht in acht genommen haben, stürtzte [230] also hinein und wurde gefangen, des Reit-Knechts Pferd unter seinem Leibe erschossen, ich aber entkam en faveur der dunckeln Nacht glücklich, ohngeacht mir 3. oder 4. Kugeln nahe an den Ohren vorbey sauseten. Das arme Pferd muste so lange lauffen, biß es endlich folgenden Vormittags in einem dicken Walde unter mir nieder sanck, weßwegen ich abstieg, Graß ausrauffte und ihm selbiges zu fressen gab, auch in meinem Hute Wasser vorhielt, wodurch es sich binnen etlichen Stunden wiederum erholte, so daß ich, nachdem mein hefftiger Hunger mit etwas Brod und Erdbeeren gestillet war, die fernere Reise antreten und Abends ein Dorff erreichen konte, allwo die Leute meine Sprache nicht einmahl recht verstunden. Bey allen meinem Unglücke schätzte ich es dennoch vor das allergröste Glücke, daß mich nach eingezogener gewisser Kundschafft, auf solchem Grunde und Boden befand, da meine Verfolger sich nicht hinwagen durfften, derowegen begab mich in das nächst gelegenste Städlein, allwo nicht allein die Posten durch passireten, sondern auch gute deutsche Leute anzutreffen waren. Von dar aus, überschrieb ich unsere unglückliche Avanture, an meines Herrn Gemahlin und leiblichen Bruder, und bat dieselben, mich wegen meiner treu geleisteten Dienste, und starcken Verlusts mit etwas Gelde zu secundiren, indem ich in Wahrheit nach verkauffung meines Pferdes, nicht mehr als etwa noch 35. Thlr. baar Geld, nebst sehr schlechten Kleidungs-Stücken besaß. Jedoch ich bekam von der geitzigen Gemahlin nicht mehr als 100. spec. Ducaten überschickt, nebst dem Versprechen, daß so bald ihr Herr [231] seine Freyheit erhalten hätte, welches vielleicht in wenig Wochen geschehen könte, indem seine Affairen nicht so gefährlich stünden als man wohl vermeynete, mir mein Verlust gedoppelt ersetzt werden solte. Allem ich konte nach der Zeit keinen Heller mehr erhalten, ohngeacht ich binnen 3. Jahren mehr als 50. Briefe an diese Dame abschickte. Vorerwehnten guten Freunde übermachte ich die von ihm geborgten 30. Thlr. redlich wieder, erhielt von demselben eine sehr verbindliche Dancksagungs-Schrifft, nebst der Nachricht: daß von meinem Herrn sehr klägliche Gespräche rouimen, denn selbiger wäre auf ein anderes Schloß in weit strengere Verwahrung gebracht, welches gar keine gute Anzeigung sey, ich aber hätte zu meinem grösten Glücke das beste Theil erwehlet, und möchte mich ja hüten, den vor mich gefährlichen Boden wiederum zu betreten.

Wenige Wochen hernach hat mich geträumet: daß meinem guten Herrn der Kopff abgeschlagen sey, ob es würcklich also geschehen, kan ich nicht sagen, jedoch es gieng mir auch dieses geträumte Trauer-Spectacul dermassen nahe, daß ich um selbige Gegend, zumahl da ich weder von meinem guten Freunde, noch von meines Herrn Anverwandten einige Antwort erhalten konte, nicht länger zu bleiben wuste, sondern die Reise nach einer berühmten Hansee-Stadt antrat. Daselbst sahe ich mich, wegen ziemlich zerschmoltzenen Geldes genöthiget, Condition bey einem sehr berühmten Chirurgo zu acceptiren, der aber nunmehro auch sehr alt und stumpf zu werden begunte, dahero sich in allen Stücken auf mich [232] verließ, und da er binnen anderthalb Jahren meiner Dienstfertigkeit und Treue wegen, sattsame Proben erhalten, vermachte er mir vor seinem bald darauff folgenden Ende, seine 24. jährige und sehr tugendhaffte Frau, nebst zweyen Kindern, die er mit der ersten Frau gezeuget hatte.

Da nun selbige artige Frau an meiner Person und Wesen nichts auszusetzen hatte, vielmehr nach abgelauffenen Trauer-Jahre den Anfang machte: mir mit allen honetten Liebes-Bezeugungen zu begegnen, hielten wir endlich um Licht-Messe, öffentliches Verlöbniß, und waren gesonnen, selbiges gleich nach den Oster-Ferien, durch Priesterliche Copulation vollziehen zu lassen.

Solchergestallt vermeynete ich nunmehro den Hafen meines zeitlichen Vergnügens, vermittelst einer erwünschten glücklichen Heyrath und wohlbestelltenBarbier-Stube, gefunden zu haben, bekümmerte mich auch gantz und gar nichts mehr, um mein, durch verschiedene Unglücks-Fälle eingebüßtes ziemliches Vermögen, sondern hielt davor: ich wäre von dem Verhängnisse mit allen Fleiß forcirt worden: vorhero so viel an mein beständiges Wohlseyn zu spendiren, um solches desto erb- und eigenthümlicher zu erkauffen. Aber, aber! selbiges war noch lange nicht ermüdet mich zu verfolgen, sondern mir nunmehro erstlich den aller empfindlichsten Streich zu spielen, denn meine hertzlich geliebte Witt-Frau bekam 14. Tage vor Ostern einen gefährlichen Anfall vom hitzigen Fieber, und schloß 2. Tage nach Ostern ihre schönen Augen zu.

Ich gestehe nochmahls, daß mir dieser Unglücks-Fall [233] unter allen denen, die mir von Jugend auf begegnet, der Allerschmertzlichste gewesen, und zwar dergestallt, daß recht bittere Thränen aus meinen Augen gepresset wurden. Nichts war vermögend mich zu trösten, am allerwenigsten aber die Barbier-Stube, nebst denen 300. Thlr. baaren Gelde, welche mir meine seel. Liebste im ordentlichen Testamente vermacht hatte. Das Letztere wurde mir gleich nach verlauff der ersten 4. Trauer-Wochen eingehändiget, wegen der Barbier-Stube aber, wolten die Vormünder der Kinder, Advocaten Streiche machen, jedoch nachdem mir dieselbe von der Obrigkeit des Orts adjudicirt worden, war ich so genereus den beyden Kindern dieBarbier-Stube gegen Erlegung des halben Werths an 450. Thlr. zu überlassen, weilen mir ohnmöglich schien an diesen, vor mich ebenfalls fatalen Orte zu bleiben, ohngeacht sich viele Freunde die Mühe gaben, meiner feel. Liebsten leibliche Schwester, mit mir zu verkuppeln.

Der gantze deutsche Erdboden kam endlich bey reifflicher Uberlegung, meinem Gemüthe unglücklich und verdrüßlich vor, derowegen brachte alle meine Sachen in Ordnung, reisete erstlich nach Lübeck, und war gleich im Begriff demselben auf ewig Abschied zu geben, hergegen mein Glück in Schweden oder Dänemarck zu suchen; als der Himmel gegenwärtigen Herrn Wolffgang darzwischen führete, dessen Ansinnen mir augenblicklich das gröste Vergnügen erweckte, mein anderweitiges Project verrückte, und michanimirte: seinen redlichen Vorschlägen willige Folge zu leisten. Der Himmel gebe [234] ihm selbst die Belohnung davor, weil ich mich nicht im Stande befinde, meine schuldige Danckbarkeit sattsam auszudrücken. Nunmehro aber kan ich mit bessern Recht sagen, daß ich unter dem Schatten des Allerhöchsten, in den süssen Umarmungen meiner allerliebsten Mariæ Albertinæ, bey der liebreichen Gesellschafft frommer Leute und getreuer Freunde, endlich durch viele Unglücks-Wellen den Haafen eines irrdischen Paradieses gefunden, allwo mein Gemüthe täglich den Vorschmack himmlischer Ergötzlichkeiten findet. Und also hat das, schon in meiner Jugend erwehlte Symbolum:


Tandem bona causa trimphat.


Deutsch:
Ein redlich Hertze wird gedrückt, doch nicht erstickt,
Und endlich auf Verdruß mit Lust-Genuß erquickt.

eine glückseelige Erfüllung nach sich gezogen, und in meinen besten Jahren hergestellet, da ich doch ordentlicher weise kaum die Helffte meiner Tage erreicht habe.

Hiermit schloß Mons. Kramer die Erzehlung seiner curieusen Lebens-Geschicht, die man aus seinem äuserlichen Wesen nicht leicht judiciret hätte, allein er war gewißlich ein gantz besonders artiger Kopff, der seines gleichen wenig hatte, so daß man ihn zuweilen vor einen melancholischen Grillen-Fänger, zuweilen hergegen, vor einen ausserordentlich auffgeweckten Menschen halten muste, jedoch war in seiner Aufführung gantz nichts pedantisches [235] oder haselirendes, sondern er wuste im Umgange, seine Gemüths-Bewe gungen mit einer besondern Klugheit zu temperiren, seinen Gesprächen und Erzehlungen aber zu zuhören, konte man nicht leicht müde werden, denn er hatte die Gabe bey allen Passagen den Affect vollkommen auszudrücken, und mit eingemischten Schertz-Worten und artigen Geberden nicht selten ein Gelächter zu erregen, welches durch sein eigenes sauer sehen gemeiniglich vermehret wurde.

Wir hätten ihm vor dieses mahl, da es ohnedem noch hoch Tag war, wenigstens noch ein paar Stunden mit dem allergrösten Plaisir zugehöret, allein er wolte durchaus nichts mehr erzehlen, sondern bemühete sich mit andern ergötzlichen Veränderungen undDelicatessen, die seine Liebste indessen bereitet hatte, uns aufs herrlichste zu bewirthen, worbey jeden noch manch lustiges Gespräch geführet wurde. Endlich nachdem wir auch seine gantze Oeconomie in Augenschein genommen, und darinnen gantz besonders inventieuse Sachen angemerckt hatten, bestimmten wir ihn auf Morgen, in Jacobs-Raum zu erscheinen, um zu versuchen, ob wir, den, sonst sehr eigensinnig scheinenden Mons. Plager dahin bewegen könten: uns gleicher Gestallt seine Lebens-Geschicht zu erzehlen. Nachdem nun Mons. Kramer, sich daselbst einzustellen versprochen, nahmen wir Abschied und reiseten mit einbrechenden Abend ein jeder an seinen Ort.

Herr Mag. Schmeltzer, der diese Spatzier-Farth, wegen anderer wichtigerer Verrichtungen nicht mit antreten wollen, empfieng uns nebst seiner [236] Liebste, die, dem ohngeacht die Alberts-Burgische-Oeconomie noch beständig fortführete, unten am Berge bey der Kirche, oben aber fanden wir einen zubereiteten Caffee-Tranck, worzu wir eine Pfeiffe Toback ansteckten, ich aber muste HerrnMag. Schmeltzern einen concisen Bericht von dem Kramerischen Lebens-Lauffe abstatte, worüber wir zum Ruhme dieses werthen Freundes unsere Penseen ausschütteten, und uns hernach zur Ruhe legten. Selbige Nacht aber passirte mir ein poßierlicher Streich: denn früh Morgens da kaum der Himmel zu grauen begunte, erweckte mich eine Stimme mit diesen Worten aus dem Schlaffe: Eberhard mein Sohn! weil nun selbige mit des Altvaters Stimme eine genaue Gleichheit hatte, sprung ich augenblicklich aus dem Bette, warff meinen Nacht-Rock über, gieng durch die offen stehende Thür in des Altvaters Cammer, tratt vor sein Bette und fragte: liebster Pappa was ist zu euern Diensten? Allein der Allvater lag in seinem natürlichen süssen schlaffe, weßwegen ich mir die gäntzliche Einbildung machte, daß ich geträumet hätte, und mich wiederum zu Bette legte, auch gar bald wiedrum einschlieff. Jedoch bald hernach rieff es abermahls:Eberhard mein Sohn! Derowegen lieff ich zum an dern mahle vor des Alt-Vaters Bette, und that vorige Frage, da derselbe aber sehr stille lag und nicht das geringste Schnauben von sich hören ließ, ergriff ich ihn bey der Hand und drückte selbige so lange, biß er sich aus seinem süssen schlaffe ermunterte, und mich fragte: was mein Begehren sey? lieber Pappa! gab ich zur Antwort, ich zittere vor Bangigkeit, [237] weil ich vermuthe daß euch ein übler Zufall im Schlaffe begegnet sey, denn ihr habt mich nun zweymahl geruffen!Eberhard mein Sohn! die zu euren Füssen liegenden Knaben aber, schlaffen wie die Ratzen. Nein! mein Kind, versetzte der Altvater, ich habe euch mit meinem wissen nicht geruffen, sondern sehr vergnügt und wohl geruhet, es muß euch geträumet haben, gehet in GOttes Nahmen wiedrum zu Bette, denn die Sonne wird in drey Stunden noch nicht auf unsere Insul scheinen. Ich gehorsamete, jedoch etwa eine Stunde hernach, erweckte mich eben dieselbe Stimme zum dritten mahle. Ich stund wieder auf, gieng vor des Altvaters Bette fand denselben im süssen Schlummer liegen, trat derowegen an das Fenster, öffnete selbiges und sagte mit ängstlicher Stimme: Mein GOTT! bin ich denn heute gantz und gar bethört, es ist ja unmöglich daß ich dreymahl hinter einander also geträumet habe. Hierüber konte endlich der Altvater sein heimliches Lachen nicht länger verbergen, sondern sagte: Mein Sohn! macht euch keine kümmerenden Gedancken, ich bin wahrhafftig unschuldig, aber legt euch noch einmahl stille hin und wachet, so werdet ihr erfahren wer der Stöhrer eurer Ruhe sey. Ich wuste mich auf keinerley Weise aus dem Handel zu finden, gehorsamete aber seinem Befehle, legte mich in aller Stille nieder, und blieb munter.

Ehe ich mich nun dessen versahe, ließ sich oberwehnte Stimme mit eben denselben Worten zum vierdten mahle hören, und also kam es endlich heraus, daß mein schöner Vogel, den ich vor einigen Wochen in des Altvaters Cammer-Fenster gehängt [238] hatte, diese Worte, mit welchen mich der Altvater gemeiniglich zu ruffen pflegte, auffgefangen, und auswendig gelernet hätte. Kein Fürstenthum oder Königreich wäre nunmehro capable gewesen, bey mir ein Æquivalent, gegen diesen vortrefflichen Vogel abzugeben, ja ich war dermassen vergnügt über diese Curiositee, daß nicht viel fehlete, ich hätte deßwegen an alle Insulaner ausserordentliche Notifications-Schreiben abgesendet. Der Altvater selbst hatte eine solche Freude über meine Freude, daß er von nun an, niemanden als sich selbst, die Sorge vor diesen unvergleichlichen Vogel anvertrauen wolte.

Ich will diejenige Lust, welche mir der poßirliche Vogel nachhero gemacht, biß zu gehörigen Platze versparen, voritzo aber berichten: daß wir folgendes Tages Mons. Plagern in seiner Werckstadt plötzlich überfielen, ihm vor dißmahl Feyerabend zu machen, und uns aufs beste zu bewirthen gebothen, auch alle Anstallten selbst besorgen halffen, biß sich endlichMons. Kramer ebenfalls noch zu rechter Zeit bey der Tafel einstellete. Nach eingenommener Mahlzeit, da sich unser guter Wirth sehr vergnügt und gefällig bezeigte, ließ der Altvater nicht ab, denselben so lange mit freundlichen Bitt-Worten zu unterhalten, biß er sich endlich beqvemete in unser aller Verlangen zu willigen. Und also setzten wir uns zusammen, und höreten mit auffmercksamen Ohren auf

Mons. Plagers Lebens-Geschicht
Mons. Plagers Lebens-Geschicht.

Wenn ich ihnen, meine Herrn! fieng er an, eine auffrichtige Erzehlung meines bißherigen Lebens-Lauffs[239] abstatten soll, so bitte voraus, nicht übel auszulegen, wenn ich die Fehler und Verbrechen meiner Eltern und Freunde mit lebendigen Farben abmahle, auch die Sünden und thorichten Streiche meiner selbst eigenen Jugend nicht heuchlerischer weise zu vermänteln suche. Anbey aber bitte den Unterscheid zu betrachten, was ich nehmlich vor diesem vor ein Früchtgen gewesen, und wie ich dargegen itzo gesinnet bin. GOtt lob! mein Sinn hat sich bereits vor etlichen Jahren zu bessern angefangen, und ich verhoffe nunmehro im Stande zu bleiben, mich biß an mein Ende vor allen muthwilligen Sünden zu hüten, auch GOTT und meinem Nächsten desto eiffriger und nützlicher zu dienen. Mein Vater war von Geburth ein Augspurger und von solchen Eltern gezeuget, welche die Evangelisch-Lutherische Religion äuserst bekeñeten, auch alle ihre Kinder darinnen wohl erzogen hatten. Da aber mein Vater nachhero, als ein junger Goldschmidts-Geselle in die Frembde reiset, und zu Schaafhausen in der Schweitz, sein zeitliches Glück, vermittelst einer reichen Heyrath zu machen, Gelegenheit findet, lässet er sich verblenden, die Lutherische Religion mit der Reformirten zu verwechseln. Zehen biß zwölff Jahr hat er nachhero zwar in ziemlich ruhigen vergnügen gelebt, und drey Kinder mit der erheyratheten Wittfrau gezeugt, nehmlich mich, einen ältern Bruder, und dann auch eine jüngere Schwester, anbey als ein besonderer Künstler, durch fleißiges Arbeiten sein Vermögen um ein merckliches vergrössert, so daß mehr Uberfluß als Mangel in unserm Hause zu spüren, und in keinem Stücke Noth vorhanden [240] war. Allein so bald meiner Mutter Bruder, als ein alter Vagaband von seinen 15. jährigen Reisen zu Hause kömmt, und meiner Mutter allerhand verzweiffelte Lufft-Schlösser ins Gehirne bauet, läst dieselbe nicht nach meinem Baier so lange in den Ohren zu liegen, biß er sich mit demselben als einen vermeinten Alchymisten in verschiedene chimische Processe verwickelt. Ob nun schon die ersten Versuche sehr unglücklich ablauffen, und bereits etliche 1000. Thlr. theils an das Laboratorium und andere requisita verwendet, theils aber in die Lufft verflogen sind, mein Vater also mit gröster Raison die Hand von der Butte ziehen, und fernerem Unglücke vorbauen können; findet sich dennoch in seinem Gemüthe das klare Gegenspiel, kurtz zu sagen, es ist nach diesem ersten verunglückten Processen, kein Mensch begieriger, erpichter und versteuerter auf das Goldmachen, als mein Vater.

Ihr werdet vielleicht gedencken, meine Herrn, mein Vater müsse ein alberner Schöps oder liederlicher Hauß Wirth gewesen seyn, allein solchergestallt irret ihr gar sehr, denn ohne Flatterie, kan ich ausser demjenigen, was den Punct des Goldmachens anbelanget, theur versichern: daß er einen ausserordentlich guten Verstand gehabt, zwischen der Verschwendung und dem Geitze aber, die Mittel-Strasse dergestallt zu wandeln gewust, daß ich ihn seiner nachherigen Thorheiten wegen, weit mehr verdacht, oder gar eine Hirn-Wandelung vermuthet hatte, wenn ich mit der Zeit nicht an meinem eigenen Exempel erfahren: welcher gestallt die Alchymie die allerentsetzlichste Art einer Gelben-Sucht [241] des Gemüths, ja ein solch verzweiffelt ansteckendes pestilentialisches Fieber, welches sehr selten gäntzlich zu vertreiben, palliative aber durch nichts als Armuth und Mangel zu curiren sey.

Jedoch zur Sache. Mein Vater fieng zum grösten Vergnügen seiner Frauen und deren Bruders, das Werck weit kostbarer und arbeitsamer an als vorhero, ließ seine schöne Profession, die ihm doch jährlich ein gewisses und ansehnliches Interesse vor Aufwand und Mühe einbrachte, gäntzlich liegen, schaffte Gesellen und Lehr-Jungen ab, und gab bey andern Leuten vor, sein übriges Leben in Ruhe und Friede hinzubringen. Jedoch es geschahe nichts weniger als das letzte, denn er kunte sich kaum Zeit zum essen, noch weniger aber zum schlaffen nehmen. Bald darauff wurde ein Gemurmele unter den Leuten, welche curieus waren zu wissen: worzu doch wohl mein Vater so grausam viele Kohlen und andere Materialien gebrauchen müsse? Dieserwegen hielt er vor rathsamer und desto unverdächtiger, die Gold-Schmidts Werckstädten wiedrum anzulegen, neue Gesellen und Jungen anzunehmen, und weit fleißiger als jemahls arbeiten zu lassen, nur damit die Leute nicht in ihren, ihm vielleicht schädlichen Urtheilen, gestärckt würden. Allein was halffs? Es war bey aller Arbeit und bey allen Vornehmen nunmehro weder Seegen, Glück noch Stern, denn binnen wenig Jahren wurde mein Vater an auswärtige und einheimische Creditores, mehr schuldig als sein gantzes Vermögen betrug, daß, so zu sagen kein Ziegel auf dem Dache, weder ihm noch meiner Mutter annoch zugehörete. Also war es an dem, [242] daß entweder sehr schleunig, Gold, oderBanqverott gemacht würde, indem ein oder zweyCreditores schon von ferne in etwas zu brummen anfiengen, derowegen gehet meine Mutter mit ihren Bruder zu rathe, drehen die Poltzen, welche mein Vater nachhero verschiessen muß. Kurtz zu sagen: weil dasGoldmachen nicht gerathen will, verfallen sie auf das gefährliche Mittel: Geld zu machen. Denn vor das viele verlaborirte schöne Geld und Gut, hatten sie dennoch eine betrügliche Massam erfunden, welche dem Golde aufs genauste ähnlich sahe, eine ziemliche Geschmeidigkeit hatte, den Strich auch vollkommen hielt, allein im Schmeltz-Tiegel, und zwar erstlich im dritten Gradu des Feuers, zu einer nichts nützigen schwartzen Schlacke wurde. Die Sache gieng ihrer Meynung nach herrlich und gut von statten, mein Vater muß die Stempel zu Frantzösischen und andern Gold-Müntzen schneiden, die Mutter hilfft mit müntzen, deren Bruder aber, nachdem er eine starckeQuantität von der saubern Massa gemacht, begiebt sich, mit einer grossen Summe solches neu geprägten Geldes, auf die Reise, um selbiges zu vertreiben und gute Sorten davor einzuwechseln, ist auch so glücklich binnen zwey Jahren, allein in Franckreich, vor 20000. Thlr. dergleichen falsche Müntze anzuwerden, ohne was nach Holland oder Deutschland gegangen war. Solchergestallt rissen sich meine Eltern sehr geschwind aus allen ihren schulden, und hatten mehr als 30000. Thlr. werth an baaren Gelde und Meublen beysammen, über dieses, so war zu damahliger Zeit noch nicht der allergeringste Verdacht auf den Unwerth solcher falschen [243] Müntze, und noch viel weniger auf sie, geworffen; derowegen wäre es annoch hohe Zeit gewesen sich zu retiriren, allein sie werden blind, verstockt, und desto muthiger ihre gefährliche Handthierung so lange fortzutreiben, biß endlich mein respective super kluger Herr Vetter, in Flandern mit 15000. Thlr. solcher falschen Gold-Müntze ertappt, gefangen gesetzt, und endlich durch grosse Marter dahin gebracht wird: meinen Vater als seinen Complicen anzugeben.

Nun wäre es zwar ein leichtes gewesen meinen Vater, in gröster Sicherheit, auf frischer That zu ertappen, allein zu seinem Glücke, entdecket ein alter mit in den Gerichten sitzender Susannen-Bruder, ich weiß aber nicht aus was vor Affection, den gantzen Handel, vielleicht aus besondern Absichten meiner Mutter, und zwar annoch zur höchsten Zeit, diese aber hat doch noch die eintzige Barmhertzigkeit, ihren Eh-Gatten, der auf ihr Zureden, sein Alles in die Schantze geschlagen, mit etwa 500. Thlr. abzufertigen, und ihn auf einer schnellen Post des Landes auf ewig zu verweisen. Meiner Mutter Bruder hat nachhero an einem sehr gewaltsamen hitzigen Fieber, und zwar auf einem, von Holtz und Stroh gemachten Sterbe-Bette, die Seele im Dampf und Rauche von sich blasen müssen. Ob ihm eine solche Todes-Art allzuschmertzlich angekommen? solte man fast zweiffeln, weil Feuer, Dampff, Rauch und Gestanck, so zu reden, sein Element auf dieser Welt gewesen. Meine Mutter als ein sehr verschlagenes Weib, gedencket zwar, nachdem sie den Vater fort, und die meisten verdächtigen Sachen beyseits geschafft, [244] den Kopff aus der Schlinge zu ziehen, und das Ihrige in Friede und Ruhe zu besitzen, jedoch sie kömmt dem ohngeacht in die Inquisition, überstehet alle angethane Marter heldenmüthig, ohne das geringste von ihrer Mit-Wissenschafft zu bekennen, schweret sich durch ein cörperliches Eid von der gantzen Sache loß, allein was halff ihr solches viel? denn alle ihre Güter wurden confisciret, meine Schwester in ein Waisen-Hauß zur Aufferziehung gebracht, sie aber selbst zu ewiger Gefängniß condemniret, dahingegen mein Vater seine Flucht an einen solchen Ort genommen, wo er nicht leicht auszuspüren war.

So ergieng es den Meinigen, die sich von einem gottlosen Buben und Land-Streicher, und dann durch die schnöde Gold- und Geld Sucht ins Verderben stürtzen liessen. Ich habe ihnen aber, meine Herren, sagte hierbey Mons. Plager, diese Geschichte dergestallt erzehlet, als ob ich bey allen gegenwärtig gewesen wäre, jedoch nichts weniger als dieses, denn ich bin von meinem 11ten Jahre an, auf inständiges Verlangen meiner Groß-Eltern, bey ihnen in Augspurg erzogen worden, und in meinem 17den Jahre, lieff daselbst die betrübte Zeitung von meines Vaters Gefahr und Flucht ein, jedoch alles was ich ihnen voritzo gemeldet, ist mir einige Jahre hernach von meinem Vater selbst, und zwar kurtz vor seinem Ende offenbaret worden, wie der Verfolg meiner Lebens-Geschicht mit mehrern zeigen wird, als welche ich nun mehro so ordentlich als möglich fortsetzen will.

Mein Geburths-Tag war den 21. Decembr. des[245] 1691sten Jahres, und die Aufferziehung also beschaffen, wie selbige von so wohlhabenden Leuten, als unsere Eltern zu seyn schienen, verhofft werden konte. Da aber im Jahr 1702. mein Groß-Vater als ein noch sehr frischer Mann, meinen Vater besuchte, und mit heimlichen Verdruß wahrnahm: wie derselbe seine Kinder ebenfalls in der Reformirten Religion auferzöge, indem mein 15. jähriger Bruder bereits etliche mahl zum Tische des HErrn gegangen war, und ich ihm ebenfalls bald nachfolgen solte; verfällt mein treuer Groß-Vater gleich auf ein gutes Mittel, mich in den Schoß der reinen Evangelisch Lutherischen Kirche einzulegen, erhält derowegen nach vielen gütigen Versprechungen endlich so viel von meinem Vater, daß er mich etwa auff ein halbes Jahr lang, zu seinem, und der Groß-Mutter Vergnügen, mit nach Augspurg nehmen darff.

Er mein Groß-Vater war ein berühmter Mechanicus, und wuste mich durch allerhand Lieblosungen dergestallt an sich zu ziehen, daß ich mich nicht allein zu seiner Profession applicirte, sondern auch zur Evangelisch-Lutherischen Religion bekennete, und durchaus nicht wieder zurück zu meinen Eltern verlangete. Mit den Jahren nahm die Lust zu denen Wissenschafften, und der Fleiß bey der Arbeit dermassen zu, daß mein Groß-Vater nicht nur ein ungemeines Vergnügen dieserwegen bezeigte, sondern auch den Trost gab: wo ich also fort führe, würde wegen meines guten Ingenii und geschickter Faust, mit der Zeit ein guter Meister aus mir werden. Die Großmutter hatte ihre eintzige Freude an [246] mir, weil sie noch kein eintziges von ihren Kindes-Kindern, als mich eintzig und allein zu sehen, das Glück gehabt, denn ihre andern zwey Söhne waren ebenfalls in der Ferne verheyrathet, die eintzige Augspurgische Tochter aber unfruchtbar. Allein da, wie bereits gemeldet habe, in meinem 17den Jahre die erschreckliche Zeitung von dem Unglücke meines Vaters einlieff, zog sich die Großmutter selbiges dermassen zu Gemüthe: daß sie darüber ihren Geist aufgab, ja es fehlete wenig, meinem lieben Groß-Vater wäre ein gleiches wiederfahren, jedoch der Himmel ließ ihn vielleicht zu meinem Troste noch eine Zeitlang leben. Wir hoffeten nach der Zeit immer auf Briefe von meinem Vater, allein gantz vergebens, endlich aber da im Jahre 1713. mein Groß-Vater vor genehm hielt, daß ich mich in frembde Länder begeben, und die Inventiones anderer geschickten Leute in Augenschein nehmen solte; trieb mich dennoch die Liebe zum Vater-Lande in meine Geburths-Stadt, wiewohl ich mich daselbst unter einem andern Nahmen, gantz incognito auffhielt, und meine Mutter zu sprechen trachtete, allein selbiges war nicht möglich, dahingegen kundschaffte ich meine Schwester aus, die bey einer vornehmen Dame als Aufwarte-Mägdgen in Diensten stund, und gewann dieselbe mit leichter Mühe, sich mit mir auf die Post zu setzen und den Groß-Vater zu zu eilen. Sie hatte ihre Mutter ebenfalls seit 5. Jahren nicht gesehen, sondern war, nachdem sie 3. Jahr im Waisen-Hause zugebracht, von besagter Dame heraus, und in ihre Dienste genommen, auch noch so mittelmäßigtractiret worden, weßwegen sie von [247] derselben schrifftl. Abschied nehmen, und sich vor erzeigte Güte bedancken, ihre plötzliche Abreise aber bestensexcusiren muste. Mein ältester Bruder war als ein Goldschmidts-Geselle, etwa ein halbes Jahr vor meines Vaters Falliment, nach Welschland gegangen, und hatte sich seit der Zeit noch nicht wieder gemeldet. Meinem Groß-Vater war es von Hertzen angenehm, daß ich ihm so unverhofft die Schwester ins Hauß brachte, indem er lauter frembde Leute zu seiner Bedienung und Wirthschafft halten muste. Sie hat sich jederzeit sehr wohl auffgeführet, die LutherischeReligion angenommen, und nachhero eine glückliche Heyrath getroffen. Ich aber trat meine ernsthaffte Reise aufs neue an, und zwar in die Residentz-Stadt eines gewissen deutschen Fürsten, bey dem sehr viele Leute von meiner Profession ihren Auffenthalt gefunden, und vortreffliche Werckstädten angelegt hatten. Bloß meines Nahmens und meines Groß-Vaters wegen, der weit und breit berühmt war, fand ich sehr bald was ich suchte, der Fürste selbst aber, sahe und merckte so wohl als seine Directeurs, daß ich mein Geld und Brod nicht mit Sünden verdienete, sondern ohne Ruhm zu melden, mehr Kunst und Geschicklichkeit als Jahre besaß, wannenhero ich binnen 3. Jahren Gelegenheit genung fand, mir ein ansehnliches Stücke Geld zu sammlen. Nach der Zeit da unser Fürst einen andern grossen Fürsten mit einer besonders künstlichen Machine beschenckte, muste ich nebst zweyen unter mir stehenden Gesellen, selbige dahin überbringen und behörig auffrichten, wovor mir ein Recompens von 2000. Thl. zu Theile [248] wurde, mit welchem schönen Capitale ich eben meine Rück-Reise anzutreten im Begriff war, da mich eines Abends ein Knabe auf der Strasse anredete und bat, ihm in ein gewisses, in der Vorstadt gelegenes Häußlein, zu folgen, allwo mich ein kranckliegender Lands-Mann zu sprechen verlangete. Diesem Ruffe folgte ich ohne Bedencken, weilen vielleicht Gelegenheit zu finden vermeinete, einem armen bedürfftigen Landes-Manne, meine freygebige Hand zu zeigen, traff auch würcklich einen Menschen daselbst an, der in einer besondern Stube, bey dunckel brennenden Lichte, auf seinem Siech-Bette sehr schwach und elend darnieder lag. Jedoch da er mich im propern rothen Kleide, mit einer geknüpfften Perruque zu seiner Thür hinein treten sahe, richtete er sich ein wenig auf, betrachtete mich eine lange Zeit, und sagte endlich, nachdem ich ihn gegrüsset: Monsieur Sie vergeben mir, daß ich ihnen die Mühe gemacht, mich elenden an diesen schlechten Orte zu besuchen. Ists wahr, daß sie ein Enckel des berühmten Augspurgischen Mechanici NB. sind? Ich weiß nicht anders, war meine Antwort. Und von welchem Sohne? redete er weiter, vielleicht von dem Schweitzer? Da nun ich solches bejahete, fragte er nach meinem und meines Vaters, auch meiner Mutter und Geschwister Nahmen, welche ich ihm in gröster Verdrüßlichkeit meldete, jedoch solches nicht wohl abschlagen konte, weiln vermuthete, daß dieser Mann allem Ansehen nach, vielleicht die gantze Historie von meinen Eltern, besser als ich wissen möchte. Er lag hierauff eine ziemliche Weile sehr stille, weßwegen ich endlich zu fragen anfieng, [249] ob er meinen Groß-Vater von Person wohl kennete. Seine Antwort war: Ja! mein Freund, sehr wohl, aber euren leiblichen Vater noch weit mehr, thut so wohl und eröffnet mir, wo sich derselbe voritzo auffhält, und welcher gestallt er in so grosses Unglück gerathen, denn ich versichere, daß derselbe mein allervertrautester Freund gewesen. Mein Herr! versetzte ich, den Auffenthalt meines unglück seeligen und dennoch geliebten Vaters zu erfahren, habe ich seit etlichen Jahren, sehr viele vergebliche Mühe angewendet, sonsten ist es leyder an dem, daß er sich, von einem gottlosen und ehrvergessenen Land-Streicher, der noch darzu meiner Mutter Bruder gewesen, ins Unglücke führen und um sein zeitliches Glück bringen lassen, da er doch sonst jederzeit, und von jederman vor einen redlichen, geschickten und vernünftigen Mann gehalten worden. Hierauff fragte der Patient: Ob ich nicht wisse wie es meiner Mutter und Geschwistern ergienge, und ich berichtete ihm die Wahrheit, daß nehmlich die Mutter meines wissens, annoch in gefänglicher Hafft, mein ältester Bruder noch nicht aus Welschland zurück gekommen, die Schwester aber von mir vor einigen Jahren nach Augspurg geführet sey. GOtt sey gelobt, schrye er hierauff mit weinender Stimme, der doch zwey von meinem lieben Kindern aus dem Verderben gerissen hat. Ich wuste nicht so gleich was ich aus solchen Worten schliessen solte, so bald ich aber das Licht genommen, und dem Patienten unter die Augen geleuchtet hatte, erkannte ich ohngeacht seiner starck veränderten Gestallt, meinen leiblichen Vater, fiel ihm um den Halß, und benetzte sein Angesicht [250] mit vielen heissen Thränen. Er weinete gleichfalls überlaut, da aber mittlerweile sein Aufwärter in die Stube trat, wurde derselbe abermahls in die Stadt geschickt, vor mich eine Bouteille Wein zu langen. Also blieben wir allein beysammen, und mein Vater fieng an, mir eine ausführliche Erzehlung seiner Glücks- und Unglücks-Fälle zu thun, jedoch weil ich das meiste bereits gemeldet habe, so will voritzo nur berichten, daß er auf seiner Flucht von Schaafhausen, gerades Wegs nach Holland gereiset, und daselbst unter gantz veränderter Tracht, auch unter dem veränderten Nahmen Plager, etliche Jahr ziemlich ruhig hingebracht, indem er seiner Profession eiffrig obgelegen, und sich schönes Geld verdienet. Jedoch der Satan hat aufs neue sein Spiel, indem er sich zum andern mahle von einem so genandten Adepto verführen lässet: seine gantze Baarschafft an die Alchymisterey zu legen, und mit ihm in Compagnie zu treten. Seinem bedünckē nach, gehet der angefangene Process glücklich genung von statten, da sie aber ehester Tages den erwünschtenAzoth oder Mercurium Philosophorum Catholicon, nach welchen ihnen die Schrifften des Welt bekandten Henrici Kunradi, die Mäuler so trefflich wäßrig gemacht, mit Augen zu sehen und mit Händen zu greiffen gedencken, zerspringt ohnverhofft eine Phiole auf dem Feuer, dem Haupt-Artisten aber springt ein groß Stücke Glaß dermassen tieff ins Auge, daß er etliche Tage hernach elendiglich crepiren muß. Solchergestallt fällt der gantze kostbare Process auf einmahl in den Qvarck, mein Vater erbet etwas Geld und Mobilien von diesen unglückseeligen [251] Artisten, an statt aber, sich dessen Schaden zur Warnung dienen zu lassen, verwendet er alles sein Haab und Gut auf einen nochmahligen Process, geräth darüber in die gröste Armuth, so, daß er fast das Bettel-Brod darüber essen muß, endlich aber bringet er dennoch ein mercurialisch metallisches Liquidum zur Perfection, durch dessen Hülffe wie er mir gesagt, er die fixen Gold-und Silber-Strahlen im offenen Tiegel, auf dem Feuer, ohne alles corrosiv von ihrem Corpore absondern kan, also fehlet ihm nichts mehr als die volatilischenmercurialischen, zu einer philosophischen truckenenTinctur zu zwingen, welches ihm aber nach der Zeit niemahls recht gerathen wollen, gleichwohl verdienet er sich bey etlichen Adeptis durch Eröffnung diesesArcani, mehr als 1000. Thlr. und gehet aus besondern Ursachen aus Holland nach Ungarn, hält sich daselbst auch etliche Jahre auf, und verlaboriret abermahls sein gantzes Vermögen, muß sich also aus Ungarn biß nach Deutschland, als wohin er ein besonderes Verlangen getragen, mit Betteln behelffen. Er kömmt nach langen herum vagiren endlich an denjenigen Hof, allwo ich, wie oben bereits gemeldet, meine Machine zu præsentiren hatte, vermeynet durch Entdeckung seiner Inventorum und Arcanorum ein Stücke Geld zu erhaschen, allein dieses ist am selbigen Hofe zu der Zeit schon etwas bekandtes, weil der Principal vor den einzigen Process des mercurialisch-metallischẽ Liquidi mehr als 5000. Thlr. gezahlet, und zwar an eben diejenigen Kerls, welche denselben meinem Vater sämmtlich vor 1000. Thlr. abgekaufft hatten. Jedoch da [252] der Principal ohnedem einen grossen Schwallich eingebildeter kluger Adeptorum sitzen hat, und doch bey meinem Vater ein und andere, sonst noch nie erfahrne und gesehene Curiosa antrifft, weiset er ihm in seinem Laboratorio eine Stelle an, nebst jährlicher mittelmäßiger Pension. Mein Vater hilfft eine ziemliche Zeit lang sehr getreu arbeiten, trifft aber solche Künstler an, die von sich ausgeben, daß sie nur noch einer eintzigen Haare breit von dem Astro auri entfernet wären, in der That aber sind es eitel Betrüger, ausgenommen ein eintziger, welcher nicht so viel Boßheit als einfältigen Hochmuth in sich hat. Er giebt aber allen um so viel desto genauer Achtung auf die Finger, mercket eines jeden Schelmerey mit der Zeit sehr klüglich ab, und entdecket endlich den Principal gantz treuhertzig: daß er unter seinen 21. Laboranten oder Goldmachern, wenigstens 19. Schelme und Spitzbuben ertappen könne. Dieser hält hierauff eine General-Musterung läst alles genau untersuchen, und nach glücklich entdeckten Betrügereyen, schöpfft er auf einmahl einen dermassen hefftigen Eckel gegen diese gefährliche Kunst, welche ihn binnen etlichen Jahren nicht allein um ein entsetzliches Capital, sondern über dieses noch in mehr als 2. Tonnen Goldes Schulden gebracht, so daß er das gantze Laboratorium zerstöhren, meinem Vater aber nebst seinem eintzigen, noch etwas ehrlichen Consorten 2000. Thlr. reichen lässet, mit dem Bedeuten, daß sie selbiges Geld in ihren selbst beliebigen Nutzen verwenden möchten, auch die Freyheit haben solten, in seiner Residentz und Landen zu bleiben, doch mit dem Beding: daß keiner, der [253] da ferner zu laboriren gesonnen, sich unterstehen möchte, von ihm hinführo einen eintzigen Pfennig zu fordern, biß er denveritablen Lapidem Philosophorum auffzuweisen hätte, und sich eine unverdächtige Probe damit zu machen getrauete. Im Gegentheil werden die andern 19. Haupt-Betrüger, nebst ihren Handlangern, in aller Stille des Landes auf ewig verwiesen, weil der allzugütige Herr seiner gerechten Rache nicht den völligen Zügel schiessen, oder vielleicht andern Leuten keine fernere Materie zu verdrüßlichen Sentiments überlassen wollen.

Wiewohl hätte doch mein armer Vater gethan, wenn er seinen Theil à 1000. Thlr. auf Zinsen gelegt, und als eine Privat Person von dem jährlichen Interesse gelebt hätte, zumahl da er ausserdem noch ein paar hundert Thlr. Geld in Händen gehabt, und sich an einem solchen Orte befunden, wo seine Ruhe leichtlich von niemanden wäre gestöhret worden. Allein es ist ihm unmöglich, die Hand von demjenigen Pfluge abzuziehen, mit welchen er noch immer den Stein der Weisen, die Tinctur der Physicorum dasAstrum Metallorum das Mysterium magnum, ja die Himmlische Sophiam, oder wie das Ding sonsten noch genennet werden mag, auszuackern gedenckt. Kurtz zu sagen, er legt nebst dem Compagnon sein noch übriges alles aufs neue an, miethet sich in der Vorstadt ein Garten-Hauß zum Laboratorio, und arbeitet Tag und Nacht mit solchen unermüdeten Fleisse: diß ihn endlich der Dampf von einer gewissencommunicirten Massa, nicht allein gantz contract an allen Gliedern macht, sondern auch eine dermassen hefftige Schwindsucht zuziehet, [254] daß er bey annoch gantz frischen Hertzen, Lunge und Leber auszuspeyen gezwungen ist. Er hatte trifftige Ursachen zu glauben gehabt, daß ihm ein böser Bude, diesen Streich muthwilliger und mörderischer weise gespielet habe, jedoch erträgt er sein Creutz mit ziemlicher Gelassenheit, und eben in diesem Zustande erfährt er meine Anwesenheit zufälliger weise, schicket derowegen seinen Aufwarte-Knaben so lange nach mir aus, biß selbiger mich endlich antrifft und zu ihm bringt.

Ich bejammerte meines Vaters elenden Zustand, und erfuhr, daß er keines Thalers mehr mächtig wäre, sondern einzig und allein von der Gnade, seiner, selbst sehr armseelig lebenden, vermeintlichen Artisten, dependiren muste, weiln er ihrer Meynung nach, noch ein und andere Arcana auf dem Hertzen, so wohl auch in Schrifften verborgen hätte, die sie nach und nach von ihm heraus zu locken gedachten. Ich hergegen machte nunmehro alle Anstallten meinen Vater aufs beste zu verpflegen, jedoch durffte ich ihn in Anwesenheit anderer Leute, nicht Vater, sondern nur Vetter nennen, damit sein veränderter Nahme nicht verdacht erweckte. Wiewohl die Hoffnung zu seiner Genesung, schien gantz vergeblich zu seyn, und binnen Monats-Frist wurde sein Zustand dermassen schlecht, daß er selbsten zu verstehen gab: welchergestallt sein Ende heran nahete, derowegen möchte ich mir weiter keine grössere Mühe geben, als ihm einen Lutherischen Prediger zuzuführen, der ihn täglich etliche Stunden zum seel. sterben præpariren, und mit dem letzten Zehr-Pfennige, nehmlich dem heil. Abendmahle, welches er seit 5. [255] Jahren nicht empfangen, versehen möchte. Dennoch erkundigte ich mich mit allem Fleisse, nach einem recht exemplarischen Priester, war auch so glücklich einen solchen anzutreffen, und nachdem ich ihm den leiblichen und geistlichen gefährlichen Zustand meines Vaters, als ein besonderes Geheimniß anvertrauet, ließ er sich gefallen, denselben täglich, wenigstens 4. Stunden zu besuchen. Ich weiß nicht ob sich mein Vater mehr über die Gesellschafft seines Seelsorgers, oder dieser über das offenhertzige Bekänntniß, wahre Reue, ernstliche Busse und festen Glauben, des bißhero verirrt gewesenen Schaafs erfreuet; genung ich kan mich nicht erinnern, Zeit Lebens zwey vergnügtere Personen gesehen zu haben. Endlich aber da sich mein Vater wiederum völlig zur Evangelisch-LutherischenReligion gewendet, auch das heil. Abendmahl empfangen hatte, brach er bey immer mehr und mehr abnehmenden Kräfften in beyseyn des Priesters und meiner, in folgende Worte aus: GOTT sey gelobet! der mich armen fast gäntzlich verlohrnen Sünder wieder zu Gnaden auf und angenommen hat, ja! nunmehro weiß ich gewiß, daß ich von den verguldeten Ketten des Teuffels befreyet bin, und die gewisse Hoffnung habe, ein Erbe der ewigen Seeligkeit zu werden. O du verdammter Gold- und Geld-Durst! O du verfluchte Begierde! hättest du mich nicht bald mit Leib und Seele in den ewig breñenden höllischen Schwefel-Pfuhl gestürtzt? Ja! bey nahe wäre ich aus dem zeitlichen ins ewige Verderben verfallen. Spiegle dich mein Sohn! sprach er zu mir, an meinem Exempel, und laß dich die zeitlichen Kostbarkeiten, [256] Künste und Wissenschafften, die ich in Wahrheit nunmehro erstlich vor Koth, Eitelkeit und Stückwerck erkenne, niemahls verleiten: GOttes darüber zu vergessen, oder solche Güter höher, als die unvergänglichen zu achten. Bleibe, mein Sohn! beständig bey der einmahl erkandten Evangelischen Wahrheit, so wirst du auf deinem Todt-Bette nicht Ursache haben: dich, halb verzweiffelt, mit dem Teuffel und deinem bösen Gewissen herum zu schlagen, wie du leyder, an mir zur Gnüge verspüret. Laß dich nicht zu solchen Sachen verführen, die dir zu hoch sind, sondern bleibe viel lieber in deinem Stande und Beruff, lege dein Geld nicht an etwas ungewisses, zum wenigsten nicht mehr, als du ohne deinen Schaden verschencken oder verlieren kanst, sondern halt dasselbe zu rathe, weil du an mir vermerckest, daß Armuth im Alter und auf dem Siech-Bette wehe thut. Ja mein Sohn! strebe nicht so eiffrig nach Reichthum, denn es bleibt ewig wahr, was die heil. Schrifft sagt: die da reich werden wollen, fallen in Versuchung und Stricke, u.s.f. Hüte dich ein Weib zur Ehe zu nehmen, die anderer Religion ist als du, hauptsächlich aber vor einer Reformirten. Glaube mir, da ich jetzo zwischen Tod und Leben stehe, daß ein Reformirtes Weib den Grund-Stein zu meinem zeitlichen Verderben gelegt, GOtt erbarme sich ihrer und bekehre sie, wo sie anders noch am Leben ist. Uberhaupt laß dir gesagt seyn, daß du dich nicht leicht einem andern Glaubens-Genossen anvertrauest, ich vor meine Person weiß gewiß, daß ich unter hunderten kaum einen angetroffen, der ohne Falschheit [257] gewesen. Die wenigen Scripturen so unter meinem Haupt-Küssen liegen, verbrenne viel lieber, als daß du dich selbst, oder deinen Neben-Christen zu der betrüglichen Kunst, ich meyne die Alchymie, verleiten lässest. Deiner vollkommenen kindlichen Liebe bin ich mehr als zu viel versichert, dieses ist auch mein eintziges zeitliches Vergnügen, so ich noch vor meinem Ende empfinde und GOtt hertzlich davor dancke, dieserwegen will ich auch alle Sorge vor meinen entseelten Cörper, deiner Treue einzig und allein überlassen, und dir den väterlichen Seegen ertheilen, welchen GOtt wegen meiner Busse und Bekehrung bekräfftigen wird, theile du denselben mit deinen Geschwistern, daferne sie in der Gottesfurcht stehen, wo nicht, so bleibe derselbe allein auf deiner Scheitel.

Nach diesen und noch vielen andern treuhertzigen Vermahnungen, empfieng ich den väterlichen Seegen mit weinenden Augen, hierauf befahl er noch kürtzlich: was ich meinem Groß-Vater und der Schwester vermelden solte, bekümmerte sich weiter aber um keine zeitlichen Dinge, sondern verharrete nebst dem Prediger, noch etliche Stunden im eifrigen Gebeth, biß er endlich bald nach Mitternacht sanfft und selig einschlieff. Ich ließ den entseelten Cörper, auf Einrathen des redlichen Priesters, Abends in der Stille auf dem Gottes-Acker an einen reputirlichen Ort begraben, bezahlete alle diejenigen, welche damit zu thun gehabt reichlich, nahm meines Vaters hinterlassenes Geräthe zu mir, packte selbiges in einen besondern Kasten, und war willens mit ehester Post zurück an denjenigen Hof [258] zu reisen, allwo ich meine Pension zu ziehen hatte; als Tages vor Abgang der Post, ein unbekannter schlecht gekleideter Mann in meine Cammer trat, und mich ohngefähr also anredete: Monsieur nehmet mir nicht ungütig, daß ich euch unangemeldet Beschwerlichkeit verursache, ich trage hertzliches Mitleyd über den kläglichen Todes-Fall eures Vettern und bedaure sonderlich, daß ich heute mit der Post zu späte gekommen bin, denselben vor seinem seeligen Ende noch einmahl mündlich zu sprechen, denn wir sind in Wahrheit jederzeit sehr gute Freunde gewesen, ich bin gewißlich fast um keiner andern Ursache willen verreiset, als einen Gottes-Mann her zu führen, der euren Vater von dem Irrwege auf die rechte Strasse führen, und ihn zu einem wiedergebohrnen Menschen und rechtschaffenen Christen machen solte, da ich aber von einem meiner Mittbrüder, nur vor wenig Stunden vernommen, daß er als ein bußfertiger und bekehrter Christ von der Welt geschieden, gönne ich ihm die seelige Ruhe von Grunde meiner Seelen gern, euch aber, mein Herr, will ich freundlich ersucht haben, mir um eine billige Bezahlung, dieses euren seel. Vetters hinterlassene chymische Schrifften zu überliefern, weil sie doch vermuthlich euch schlechten Nutzen schaffen werden. Ich gab hierauff zur Antwort: daß mir an etlichen Thalern Geldes wenig gelegen sey, jedoch weil ich dergleichen betrüglichen Plunder gantz und gar nichts achtete, wäre ich bereit ihm die Schrifften meines Vetters sehr gern zu überlassen, wenn erwehnter mein Vetter mir nicht vor seinem Ende befohlen, diese Schrifften viel lieber [259] zu verbrennen, als mich selbst oder meinen Neben-Christen dadurch zu der gefährlichen und betrüglichen Goldmacher-Kunst zu verleiten. Ich halte euch, mein Herr! war des Frembden Gegenrede, euer Gespräch dißfalls zu gute, weil ich höre, daß ihr so wenig Wissenschafft von der himmlisch Göttlichen Kunst habt; als ein rechtschaffener wiedergebohrner Mensch seyd. Jedoch übereilet euch nicht, mein Freund, dasjenige zu unterdrücken, was Gott durch seine unerforschliche Barmhertzigkeit, zu Vergrösserung seiner Herrlichkeit, auch einem schlechtglaubigen Menschen erfinden lassen, glaubet anbey sicherlich, daß euer Vetter den Welt beruffenen Stein der Weisen vor 1000. andernArtisten würde gefunden haben, woferne er nur etliche Jahre zeitiger Busse gethan, und mit feuriger Andacht im lebendigen Glauben und Gebet, die Gnade des heil. Geistes angesucht, ja ich will fast glauben, daß er diesen kostbaren Schatz schon würcklich in seiner Gewalt gehabt, allein weil er bey seiner Arbeit nicht auf Theosophische Weise durch geheime Gespräche mit Jehova, eine reine Gottesfurcht geübt hat, so sind ihm von der himmlischen Sophia die Augen seines Leibes und Gemüths gehalten worden, dasjenige nicht zu sehen, und zu begreiffen, was er doch würcklich vor Augen und unter seinen Händen gehabt hat.

Ich wurde über diesem Gespräche dermassen verwirrt, daß ich nicht wuste, was ferner antworten solte, endlich aber fragte ich, gantz in Gedanckenvertiefft: Mein Herr, wie ist euer Nahme? Mein gewöhnl. Name, sprach er, ist euch zu wissē ohne eintzigē Nutzen, [260] mein Kunst-Nahme aber heisst Elisæus, habt ihr selbigen bereits erwehnen hören? Nein versetzte ich, sonsten aber fällt mir bey, in einem Tractætlein von einem Adepto gelesen zu haben, der sich Elias Artista genennet, bereits vor etlichen 40. oder 50. Jahren dem berühmten Haagischen Chymico Helvetio erschienen seyn, und demselben den Lapidem Philosophorum nicht allein gezeigt, sondern auch etwas davon mitgetheilt haben soll. Eben dieser Elias, sprach der Frembde, ist mein Meister, er lebt biß diese Stunde noch in seinem 94ten Jahre, dermassen gesund und frisch, daß er itzo vor einen Mann von etliche 40. Jahren anzusehen ist, denn die aus dem Lapide præparirte universal Medicin, bewahret ihn nicht allein vor aller Kranckheit, sondern auch die Theile seines Leibes vor aller Ungestaltniß, Runtzeln und andern gewöhnlichen Beschwerlichkeiten. Mein Freund, rieff ich endlich aus, wenn ihr mir diesen Wunder-Mann, so wohl als sein arcanum nebst der Probe davon zeigen wollet, so bin ich nicht allein erböthig euch völlig Glauben zu zustellen, sondern über dieses meines Vettern hinterlassene Schrifften zu übergeben, welche euch aber meines Erachtens wenig nützen können indem, wie ihr sagt, euer Meister den Lapidem schon würcklich besitzet. Ich könte euch, sagte der Frembde, durch eine kurtze Erzehlung sehr wunderbarer Geschichte, gar bald aus dem Traume helffen, allein derjenige Eyd, welchen ich meinem Meister geschworen; verbiethet mir solches zu thun, doch verzeyhet mir, daß ich mich über eure Einfalt wundere: ihr erbiethet euch, daferne ihr meinen Meister nebst der [261] Probe von dem himmlischen Arcano zu sehen bekommet, der Sache völligen Glauben zu geben, und die Schrifften eures Vettern auszuliefern. Ist dieses auch etwas besonderes? O ihr thörichter Mensch! warum woltet ihr euch nicht vielmehr bestreben sein Jünger und mein Mitschüler zu werden? Wie viel Könige, wie viel Fürsten, wie viel tausend gelehrte und ungelehrte solten sich ein solches Glück nicht wünschen, und es mit der Helffte ihres Bluts erkauffen? Lebet wohl! Ich verlasse euch und zweiffele, ob ihr mich nur ein einzig mahl wieder zu sehen das Glück haben werdet.

Ich meines Theils weiß biß diese Stunde noch nicht, ob mich dieser Mensch mit seinen blossen Worten bezaubert, oder als ein Basilißke durch das Ansehen vergifftet hatte, denn so bald er mir nur den Rücken zukehren wolte, wurde mein gantzes Wesen dergestalt verändert, daß ich augenblicklich aufsprung, ihm um den Hals fiel, und hertzlich bat, mich als einen verwirrten Menschen, der da nicht wisse, was er glauben solle, um des Himmels willen nicht zu verlassen, sondern meiner Schwachheit zu Hülffe zu kommen, und wenigstens Morgen, nachdem ich meine 5. Sinne wiederum in einige Ordnung gebracht, noch ein einzigs mahl bey mir einzusprechen. Er versprach solches zwar, jedoch mit einer solchen Gebärde, daß ich daraus die stärckste Ursache nahm, an der Erfüllung seines Worts zu zweiffeln, weßwegen ich mit Bitten nicht abließ, biß er endlich den Schwur that, mir, so wahr er ein wahrhafftiger Anbeter des grossenJehova wäre, sein Wort zu halten.

[262] Weñ ich erzehlen solte, wie mir in folgender Nacht zu Muthe gewesen, und welchergestalt alle meine Affecten und Gedancken durch einander her gegangen, so müste mehr als einen Tag Zeit darzu haben. Kurtz! ich bleibe fast darbey, daß mein gantzer Verstand bezaubert worden. Die Vermahnungen meines sterbenden Vaters, zerschmoltzen wie Butter an der Sonnen, und wie sehr ich sonsten auf die betrügerischen Alchymisten erbittert gewesen, so sehr wünschte ich nunmehro den wundervollen Elias und den frommenElisæum zu umarmen, an die Abreise aber wurde gar im geringsten nicht gedacht.

Etwa zwey Stunden, nachdem ich von meinem Lager aufgestanden, stellete sich der so sehnlich gewünschte Elisæus ein, fragte gantz devot, ob ich wohl geruhet und Belieben hätte ihm zu folgen. Derowegen warff ich mit erfreuten Hertzen, in gröster Geschwindigkeit, meinen Mantel um mich, und folgete meinem Führer, welcher sich durchaus nicht erbitten ließ, etwas von meinem delicaten Früh-Stücke einzunehmen, indem er einen halben Fast-Tag zu haben vorschützte. Er führete mich jenseit der Stadt ebenfalls in ein kleines Häußlein, allwo ein etliche 40. Jahr alt scheinender Mann, in der Stube herum gieng, und mich ohne besondere Ceremonien willkommen hieß. Selbiger redete erstlich weiter nichts, Elisæus aber fieng einen sonderbaren geistlichen Discours an, worinnen er die vermeinte Göttliche Kunst, biß in den Himmel erhub, und beyläuffig den gegenwärtigen so genandten Elias, noch höher als alle heil. Propheten und Evangelisten erhub, endlich gab er zu vernehmen, [263] wie mir die Probe von der Transmutation der Metallen, noch in dieser Stunde gezeigt werden solte; daferne ich kein Bedencken nähme eine Eydes-Formul abzuschweren, welche ohngefähr folgendes Innhalts war: 1) Solte ich mit andächtigen und Gottesfürchtigen Hertzen meine Augen auf das grosse Welt-Wunder richten. 2.) Dem Meister Elias und seine Junger so wenig, als das Wunder selbst, verrathen und ausplaudern. 3.) Daferne ich ja so glückseelig werden solte, bey ihnen unter die Zahl der Lernend in aufgenommen zu werden, mich aus allen Kräfften der Seelen, dahin zu bestreben, als ein wiedergebohrner heiliger Mensch zu leben, auch wie es der Zustand rechtschaffener Christen erforderte, alles das meinige, und hingegen auch alles das ihrige gemeinschafftlich zu halten. 4.) Dem Artisten Elia alle Huld, Treue und Gehorsam zu leisten, oder da mir solches nicht länger anstünde, und ich etwa vor mich allein leben und arbeiten wolte, ihm vorhero danckbarliche Aufkündigung zu thun.

Kan man wohl glauben, daß ich so thöricht gewesen, dergleichen Eyd zu schweren, welchen gemäß zu leben, doch eine weit andere als menschliche Krafft erfordert wurde. Allein man bedencke nur, daß mein Verstand, in Wahrheit durch die hefftige Begierde nach dem Steine der Weisen, nicht um ein kleines verrückt worden, derowegen hätte ich wohl noch weit unmöglichere Dinge angelobet, um nur desto hurtiger meine Neugierigkeit zu befriedigen. Endlich wurde ich in ein kleines Laboratorium geführet, allwo ein bereits angemachtes Kohl-Feuer, [264] überall aber lauterchymisches Geschirr zu sehen war. In der Wand stunden etwa 7. oder 8. kleine Schmeltz-Tiegel, derowegen sagte Elisæus: Mein Freund, leset euch einen von diesen Schmeltz-Tiegeln aus, besehet ihn, ob er tüchtig ist, und setzt denselben ins Feuer, denn ich und mein Meister werden euch gantz allein handthieren lassen und allhier vor der Thür stehen bleiben, damit ihr völlig versichert, seyn möget, daß alles ordentlich und richtig zugehe. Ich zitterte vor Freuden, gehorsamete aber und setzte den Tiegel in die Gluth. Habt ihr etwas Bley oder Zinn bey euch, fragte Elisæus, so wäget dort auf der Wage 1. Loth ab, und werfft es in den Tiegel. Ich hatte einen bleyernen Griffel in meiner Schreib-Taffel, weil aber selbiger noch kein Loth wuge, so muste noch einen zinnernen Knopff von meinen Bein-Kleidern reissen, etwas davon abschneiden und hinzu legen, damit ein accurates Loth-Gewicht heraus kam. So bald ich gesagt, daß es zerschmoltzen sey, fiel Elias auf seine Knie nieder, schlug mit der Hand an die Brust, kehrete die Augen gen Himmel, murmelte etliche unverständliche Worte her, zog immittelst ein klein Büchslein hervor, und nahm aus selbigen ein röthliches Stücklein Hartz, oder was es sonsten seyn mochte, etwan einer halben Erbsen groß, schabte so viel darvon, als ein halber kleiner Stecke-Nadels-Knopff beträgt, und fragte, ob ich etwas Wachs bey mir hätte? Da nun ich solches verneinete, sprach Elisæus, sehet hier ist Wachs genung, damit euch aber wegen unserer Materialien kein Verdacht erweckt werde, so nehmet ein wenig[265] Ohren-Schmaltz, machet mit Kothe aus der Hand eine Massam daraus, damit ihr dieses kleine Stäublein von dem Lapide darein kleiden und in das geschmoltzene Bley werffen könnet. Nachdem solches geschehen, und ich die vortreffliche Pille hinein geworffen, muste ich ein bey der Hand liegendes, etwa halben Fingers dickes, Eisen nehmen, ein einzig mahl damit auf den Boden des Schmeltz-Tiegels, und zwar nicht gar zu gelinde stossen, worauf alsobald ein starckes Getöse im Tiegel entstund, jedoch Elisæus erinnerte mich das Gesicht hinweg zu wenden, und hernachmahls gar eines Schritts breit davon, auf den Sessel nieder zu lassen, allwo ich etwa eine halbe Stunde pausiren muste, ehe Elias sich mit besonderes andächtigen Gebärden von der Erden aufhub, mir den Tiegel aus dem Feuer zu heben, und das, was darinnen, auf die Steine zu schütten befahl. Indem ich solches verrichtete, giengen sie beyderseits in die Stube, sich aber folgte ihnen nicht eher nach, biß ich den erkalteten Guß, unter dem Kothe hervorziehen, und zur eigentlichen Betrachtung in die Stube tragen konte. Ach Himmel, wie erfreut war mein Hertz, da sich ein Stück, aus Bley gemachtes Gold, in meinen Händen befand.Elias fragte: Kennet ihr nun das gemachte Gold? Glaubt ihr nun, daß die Transmutation keine Hirn-Geburth ist? Haltet ihr nun darvor, daß Elias Artista ein von GOtt auserordentlich begnadigter Mann sey? Ja, lieber Herr! ich glaube alles, war meine Antwort, lege mich derowegen zu euren Füssen, und bitte, mich Unwürdigen in die Lehre zu nehmen. Pfuy! schrye [266] er, betet GOtt an, und nicht mich als seinen unwürdigsten Knecht, dancket dem Höchsten, der euch das Geheimniß mit sichtbaren Augen anzusehen, und zu gleich eine solche Glückseligkeit vergönnet hat, welche so viel hundert Kayser und Könige vergeblich gewünscht haben. Allein mein Sohn, fuhr er fort, ihr seyd dennoch viel zu leichtgläubig, woher könnet ihr wissen, daß dieses würckliches und aufrichtiges Gold sey, da selbiges noch von keinem Unpartheyischen, sattsam probirt ist, gehet derowegen hin, ich schencke euch das gantze Stück, lasset es von allen Goldschmieden examiniren, bedencket aber dabey euren gethanen Eyd, und kommet in dreyen Tagen wiederum an diesen Ort, so dann wollen wir weitläufftiger mit einander sprechen. Um keine Grobheit gegen diesencapricieusen Kopff zu begehen, bequemte mich augenblicklich zum Gehorsam, gieng auch zu allen Goldschmieden in der gantzen Stadt, ließ mein Stückprobiren, und erhielt das allgemeine Zeugniß, daß selbiges vom allerschönsten Kremnizer-Ducaten-Golde wäre.

Nunmehro beklagte ich erstlich: daß mein seel. Vater nicht noch am Leben seye, um dieses unvergleichliche Kunst-Stück mit Augen anzusehen. Nunmehro bedaurete ich meine vormahlige Einfalt und dummes Judicium von der Transmutatione Metallorum. Ja nunmehro war ich entschlossen alle andern Wissenschafften an den Nagel hängen zu lassen, und mich eintzig und allein auf das laboriren zu legen. Allein, wie wurde mein gantzes Gemüthe doch in das allergröste Betrübniß versetzt? [267] da ich am dritten Tage, das leere Nest, und weder den Elias, noch denElisæum antraff, auch in nachfolgenden 8. Tagen nicht die geringste Nachricht von allen beyden erhalten konte. Ich blieb gantz ohne Trost in meinemLogis, brachte die meiste Zeit als ein, am Leibe und Gemüthe krancker Mensch auf meinem Lager zu, lieff doch täglich 3. oder 4. mahl in das kleine Hauß, allwo ich das grosse Geheimniß erfahren, fand aber selbiges von solchen Leuten bewohnet, welche weder denEliam noch Elisæum kennen, oder nur das geringste von ihnen gesehen haben wolten. Endlich da ich mir die gäntzliche Rechnung gemacht, daß sie mich nicht würdig geschätzt in ihre Gesellschafft aufzunehmen, und darüber fast in Verzweiffelung fallen wolte, kam am Abende des 8ten Tages Elisæus, ohnangepocht in meine Stube getreten, fragte, wie ich mich befände, und entschuldigte hernach, ziemlich freundlich, daß er und sein Meister wichtiger Ursache wegen sich einige Tage verborgen halten müssen, meldete auch: daß sie binnen 3. Tagen diese Stadt gäntzlich verlassen, und sich in ein ander sicherer Land begeben würden, allwo weit frömmere Leute, als hiesiges Orts anzutreffen wären. Ich fiel dem Elisæo um den Halß, bat ihn aufs flehentlichste, mich nicht zu verstossen, sondern bey dem Artisten Elia allen Vorspruch anzuwenden: Daß mir vergönnet werden möchte, in seiner Gesellschafft mit zu reisen. Endlich wurde mein Bitten erhöret, und ich zu einem Mitgliede ihrer Kunstgenossenschafft auf und angenommen, sie schwuren mir, welches erstaunlich zu erwegen, beyderseits einen[268] theuern Eyd: Mich in keinem Glücks- oder Unglücks-Falle zu verlassen, sondern mir jederzeit mit treuer Lehre, auch Gut und Blut zu dienen, ich hergegen muste alle meine Mobilien zu Gelde machen, einen niederträchtigen Habit anziehen, und alles in Gold verwechselte Geld, welches sich ohngefähr auf 2300. Thlr. belieff, darein vernehen. Hierauf traten wir die Reise zu Fuß an, und zwar an denjenigen Fürstl. Hof, wo ich meine mechanische Werckstadt hatte, daselbst nahm ich meinen Abschied, unter dem Vorwande eine Reise nach Engelland anzutreten, verkauffte alle noch übrigen Geräthschafften, und lösete 530. Thlr. daraus, hatte also ein Capital von 2830. Thlr. beysammen, welches ich dem Elisæo halb zu tragen gab, und mit meinen Führern immerfort reisete, ohne mich zu bekümmern, wohin. Uberall wo wir nur einkehreten, musten die aller delicatesten Speisen aufgetragen werden, ohngeacht aber alles aus meinem Beutel bezahlet wurde, bekümmerte ich mich doch sehr wenig um das eitele Geld, weilen mich versichert hielt, daß so bald selbiges verzehret sey, Elias den Schaden schon durch einen wichtigen Gold-Klumpen ersetzen könte. Endlich gelangeten wir in einem Holländischen Dorffe an, allwo unser Wirth den Elisæum und Eliam als wohlbekannte Freunde empfieng, und mir ebenfalls alle Höfflichkeit erzeigte, es fand sich daselbst ein unterirrdisches weitläufftiges Laboratorium, in welchen Elias Artista mit mir zu laboriren anfieng, und zwar keine andern, als diejenigen Processe, welche mein seel. Vater schrifftl. hinterlassen, Elisæus aber [269] muste eine Reise antreten, um ein und andereMaterialien herbey zu schaffen, hierzu nahm er mein Geld mit, warum ich mir aber nicht die geringste Sorge machte. Mittlerzeit war der vortreffliche Lehrmeister so gnädig, mir dann und wann ein Stücke von seinem Lebens-Lauffe zu erzehlen, und gab vor: er sey ein Nord-Holländer, im Jahr 1622. gebohren, hätte von Jugend auf bey einem seiner Verwandten dem laboriren beygewohnet, und zum Scheine das Roth-Giessen gelernet, nach der Zeit wäre er durch die Zubereitung verschiedener trefflicher chymischer Artzeneyen in starcken Ruff kommen, so daß ihm viele berühmte Künstler besucht, und ihres Vorhabens wegen seinen Rath verlanget hätten. Endlich aber sey, bey sehr schlimmen Wetter, einsmahls ein unbekandter Mann zu ihm gekommen, den er wegen seiner Erfahrenheit im laboriren etliche Tage beherberget, wohl gepfleget und von ihm letzlich die Præparation des Schatzes aller Schätze nehmlich des Lapidis philosophici erhalten hätte, jedoch mit dem Bedinge, selbigen keinen Menschen völlig zu offenbaren, als welcher gewisse Merckmahle, die mir aberElias nicht sagen wolte, in seinem Gesichte, Gebärden und gantzen Wesen von sich blicken liesse.

Hierauf muste ich recht erstaunliche Geschichte von seinen durch alle Europæische Länder gethanen wundervollen Reisen anhören, die ich voritzo beliebter Kürtze wegen übergehen will, sonsten aber betheurete er hoch, daß von 6. Personen, denen er seit etliche 60. Jahren her, dieses Geheimniß mit guten Gewissen offenbaren dürffen, kein eintziger [270] mehr am Leben sey, ihn aber habe der Himmel durch die Kräffte und Tugenden seiner universal Medicin, stets gesund, frisch und starck erhalten, so daß er sich über dieses Wunder, selbst niemahls genung, verwundern könte.

Ich weiß, sprach er hierauf, aus einer himmlischen Offenbahrung gewiß, daß sich mein Leben noch etwas über 120. Jahr erstrecken wird. Der Vorrath von meinem kostbaren Schatze ist zwar annoch so groß, daß ich mehr als vor 100000. Thlr. Gold aus blossen Bley machen kan; allein erschrecket nicht mein Sohn, wenn ich euch offenhertzig gestehe, daß mir nunmehro bey nahe seit zehen Jahren her, nicht ein einzigmahl möglich gewesen den Lapidem so rite zu præpariren als vor dem. Höret, was ich euch sage: Ach leyder! ich bin vor fast zehn Jahren, in eine gantz besondere Sünde gefallen, die niemand leichtlich errathen wird, derowegen straffte mich der Himmel auf frischer That, dergestalt, daß mir, so zu sagen, nur ein kleiner Funcke von meinem sonst so vortrefflichen Gedächtnisse übrig blieb. Dem Himmel sey 1000. mahl gedanckt, daß ich diesen kleinen Funcken nur noch darzu anwenden können, mich in der strengesten Busse und Casteyung des Leibes vor dem Himmel zu demüthigen, und eine neue heilige Lebens-Art an zufangen, denn nachhero, erlangete ich zwar binnen zweyen Jahren, meinen ziemlichen Verstand und Gedächtniß wieder, allein, die Præparation des Lapidis war unmöglich wieder auszufinnen; Derowegen brachte meine Zeit in tieffster Traurigkeit des Geistes zu, ja ich hatte die [271] allergröste Mühe der gäntzlichen Verzweiffelung zu wiederstehen, welche mir eines Tages folgende Worte auspressete: Herr! ist es möglich, daß du um einer eintzigen übereilten Sünde willen, mir das grosse Siegel und Zeugniß deiner Gnade zurück ziehen kanst? laß entweder dieses nicht von mir geschieden seyn, oder scheide meinen Leib und Seele gleichfalls von einander. Gleich nach Aussprechung dieser Worte wurde mein Geist entzückt, an einen solchen Ort, der wegen seiner Klarheit und Zierde nicht zu beschreiben ist, auch sind die Worte nicht nachzusagen, die ich daselbst gehöret habe, es kam mir aber eine diamantene Taffel vor die Augen meines Gemüths, auf welcher folgende Worte geschrieben stunden: Elias Artista hat auf einmahl 10. Sünden begangen, derohalben muß er zur Straffe, 10. gantzer Jahr, der gäntzlichen Zubereitung des himmlischen Kleinods beraubt seyn, ohngeacht an seiner eiffrigen Busse und völliger Bekehrung kein Zweiffel ist. So bald ich, fuhr der verzweiffelte Wind-Beutel Elias fort, diese Schrifft tieff in meine Seele eingedrückt, fuhr dieselbe eiligst zurück in ihren Cörper, welcher auf dem Boden der Cammer ausgestreckt lag. Eines theils befand sich derselbe etwas getröstet, andern theils wurde er zum öfftern wieder mit neuer Traurigkeit überfallen, so daß ich die allereinsamsten Oerter suchte, mich zur Erden niederwarff und ohne Unterlaß schrye: Ach HErr, wie so lange? Wende dich HErr! Ists nicht genung 3. Jahr? Ists nicht genung 4. Jahr? Ists aufs [272] höchste nicht genung 5. Jahr? Endlich da ich mich unter solchen Klagen fast sehr ausgezehret hatte, trat ein unbekandtes Männlein zu mir, und sprach:Elias höre mir zu! reitze mit deiner Ungedult, die himmlische Gerechtigkeit, welche dein Urtheil mit ihren Finger geschrieben, nicht zum Zorne, sondern ertrage mit Gedult, was sie dir auferlegt hat, so wer den deine Jahre auf 120. verlängert werden. Du hast ja von dem himmlischen Kleinode, Vorrath genung, dich annoch 7. biß 8. Jahre vor Armuth und Kranckheit zu bewahren, denn es sind ja nunmehro bey nahe 3. Jahre von deiner Straf-Zeit verflossen. Zeuch armselige Kleidung an, und wandere als ein Pilgrim durch die Welt, wende die Helffte deines Schatzes an das Armuth, von der übrigen Helffte nimm deine Artzeney und Nahrung, und lobe beständig den Höchsten. Erinnere dich, daß dieses Geheimniß nirgends anders zu finden sey, als bey Jehova saturniné collocato in centro mundi, derowegen läutere deine Seele, damit die himmlische Sophia aufs neue deine Freundschafft suche, und dir die niemahls auszuschöpffenden Ströme ihrer Gnade und Gütigkeit noch reichlicher, als vorhero anbiethe.

Ich Elias, fand mich durch die Rede des Männleins sehr beruhiget und gestärckt, fragte aber also: Was soll das Zeichen seyn, daß deine Reden wahrhafftig, und daß die himmlische Sophia nach Verfluß der 10. Straff-Jahre wiederum vollkommene Freundschafft mit mir machen werde? Die Zeichen, gab es zur Antwort, sind folgende: Vor Ablauff dieses dritten Jahres wirst du wiederum aufs [273] neue entdecken und zu beschauen haben: der nackenden Dianæ Bad, des Narcissi Brunnen, worinnen er sich nach langen Bespiegeln selbst ersäufft. Im vierdten Jahre: die abgezehrte Echo in hohlen Klüfften, und die Scyllam, wegen übermäßiger Sonnen-Hitze, ohne Kleider, in der offenbahren See herum spaziren. Im fünfften Jahre: das zusammen gelauffene Blut von Pyramo und Thisbe, durch welches die weisse Maulbeeren roth gefärbt werden, ingleichen des Adonidis Blut, wie solches von der herabsteigenden Venere in die Rose Anemone verwandelt wird. Im sechsten Jahre: die schöne Hyacinth-Blume, welche von Ajacis Bluthe entsprossen, ingleichen das Blut der Hi elstürmenden Riesen, welches ihnen Jovis Donner-Kerl erschopffet. Im siebenden Jahre: die häuffigen Thränen der Althææ, indem sie ihr güldenes Kleid ausziehet, und von sich legt. Im achten Jahre: den Garten Hesperidum, in welchen die güldenen Aepffel von den Bäumen gebrochen werden. Den Hippomenes, welcher mit der Atalanta um die Wette läufft, und die Venus, welche 3. güldene Aepffel darzwischen wirfft, den Lauff zu hemmen. Im neundten Jahre: die von der Göttin Venere, in einen Cometen verwandelte, und unter die Sterne versetzte Seele, des Julii Cæsaris. Das Feuer, woran Medea 7. Lichter anzündet, ingleichen die vonPhaëtontis Wagen entzündete und brennende Lunam. Im zehendten Jahre: den verdorreten Oelzweig, so aufs neue mit Beeren grünet, ja den neuen und jungen Oel-Baum. Plutonis Wohnung, vor deren Thoren der dreyköpffige Cerberus [274] liegt. Den Scheiterhauffen, worauf Hercules seine von der Mutter empfangenen sterblichen Theile verbrennet, die Väterlichen unsterblichen Theile aber, unverbrennlich erhält, also nichts von seinem Leben verliehret, sondern endlich selbst in einen GOtt verwandelt wird.

Nach Verfluß dieser 10. Jahre, redete das Männlein weiter, wirstu Elias Artista wiederum eingeführet werden in den Tempel des Bäurischen verwandelten Hauses, dessen Deckel aus puren lautern Golde bestehet, du wirst darinnen die philosophische Königin waschen und baden, oder deutlicher zu sagen: die terram virgineam catholicam in crystallino artificio Physico – magico circuliren lassen, du wirst den Philosophischen, inwendig feurigen König mit seiner Crone aus dem Braut-Bette seines crystallinischen Grabes herauf steigen sehen, in seinem glorificirten feurigen höchst vollkommenen Leibe, mit allen Farben der Welt geschmückt, gleich einem hell-leuchtenden Carfunckel und Wasser-speyenden Salamander. Ja deine Augen werden aufs neue in den tieffsten Abgrund der spogyrischen Kunst sehen, als in welchem sichern Schoosse die übermenschlichen Geheimnisse bewahret liegen.

Nachdem das Männlein, fuhr Elias fort, seine Rede geendet, und mir ausserdiesem, noch verschiedene, euch mein Sohn, annoch zu wissen undienliche Wahrzeichen und Lehren gegeben, schied es plötzlich von mir, ich habe mich nach der Zeit in allen sehr genau nach seinen Worten gerichtet, und befunden: daß biß auf diesen Tag alles sehr wohl [275] eingetroffen ist. Euer Vater seel. hätte ein grosses Licht der Welt werden können, allein er hat die Vermählung mit der himmlischen Sophia selbst verschmähet, ich habe ihn zwar von Person nicht gekennet, doch Elisæus hat mir die unbetrüglichen Wahrzeichen, die ich auch an euch, als seinem Sohne, mit grösten Freuden spüre, Haar-klein erwiesen, mich auch aus einem fernen Lande beruffen, eurem seel. Vater in der wahren Theosophie zu unterrichten, und mit Jehova zu vereinigen, allein der Geist zeigte mir in einer Entzückung an, daß ich denselben nicht mehr lebendig, gleichwohl aber seinen darzu tüchtigen Sohn antreffen würde, welches auch geschehen, denn es ist zu mercken, daß ich ohne gantz besondern Antrieb des Geistes, niemanden dasjenige, was ich weiß, zu lehren Erlaubniß habe, ihr aber, mein Sohn, seyd so wohl als Elisæus vom Himmel darzu auserkohren. Nunmehro ist das zehendte Jahr biß auf wenige Wochen verlauffen, es fehlet mir also in diesem Jahre weiter nichts an der Propheceyung des Männleins, als des Herculis Scheiterhauffen und dessen Vergötterung erfüllet zu sehen, welches ich mit Beyhülffe der Schrifften eures Vaters in kurtzen vergnügt zu finden verhoffe.

Was düncket euch, meine Herren? fragte hierauf Mons. Plager, indem er einen kleinen Absatz seiner Erzehlung gemacht, und einige Erfrischungen vor seine Gäste herbey gebracht hatte, solten dergleichen Redens-Arten eines durchteuffelten Menschen, nicht kräfftig genung seyn, einen bethörten Kerl, wie ich damahls war, vollends gantz närrisch [276] zu machen? Ich muß bekennen, daß selbige von mir mit solcher Attention angehöret und erwogen wurden, als ob sie vom Himmel herab geredet würden, denn mein Gehirne war mit der allerstärcksten Hoffnung, in wenig Monathen ein vollkommner Gold-Macher zu seyn, dergestalt angefüllet, daß wenig andere vernünfftige Gedancken oder Beurtheilungs-Kräffte darinnen Platz hatten. Wir laborirten indessen immer drauf loß, warteten aber mit Schmertzen auf des Elisæi Zurückkunfft, Elias reisete zwar auch zuweilen 3. 4. biß 8. Tage hinweg, kam aber immer mit allerhand Materialien und andern leckerhafften Sachen zurücke, welche Kosten doch alle aus meinem Beutel bezahlet werden musten, weil Elias sein ungemüntztes Gold nicht ehe verwechseln wolte, biß es die höchste Noth erforderte.

Eines Tages aber fiel mir ein verzweiffelt schändlicher Streich in die Augen, denn da ich Nachmittags des Eliæ Cammer-Thür eröffnete, traff ich denselben in dem ärgerlichsten Zustande, mit einer liederlichen Schand-Metze auf seiner Schlaff-Stätte liegend an. Daß ich über diesen heiligen Mann grausam erschrocken seyn müsse, ist leicht zu erachten, jedoch ich machte die Thür so gleich wieder zu, wünschte, daß selbige nicht eröffnet worden, gieng in den Garten, legte mich unter einen grünen Baum, und verfiel über diese Affaire in ein sehr tieffes Nachsinnen. Bald darauf kam Elias zu mir, und sagte mit gantz unpassionirten Gebärden: Mein Sohn, der Geist hat mir eingegeben, daß ihr euch in dieser Stunde zum ersten mahle an meinem Wesen geärgert habt, derowegen [277] ist mir auferlegt, euch eines bessern zu unterrichten. Wisset demnach, daß dergleichen Handlung, als ich anitzo mit einer Weibs-Person gepflogen, demjenigen Leibe, dessen Seele bereits in der Vergötterung stehet, nicht zur Unfläterey und Sünde zugerechnet wird, sondern dieser Auswurff ist in keine andere Betrachtung zu ziehen, als die übrigen natürlichen Auswürffe des Unflats, Urins, Schweisses und des Speichels, diejenigen Lüste auch, so darbey empfunden werden, gehen eintzig und allein den Leib, im geringsten aber nicht die Seele an. Mit unwiedergebohrnen Leuten aber, deren Seelen noch in keiner Vergötterung stehen, hat es eine gantz andere Beschaffenheit, denn weil deren Seele, mit dem Leibe zugleich, Theil an den Lüsten nimmt, so gereicht es dem gantzen Menschen zur Schande, Unfläterey und straffbarer Sünde. Der tausende Mensch kan dieses nicht recht begreiffen, ihr aber, mein Sohn, sollet hinführo noch mehr sichere Gründe deßfalls erfahren.


Mein GOtt! rieff Mons. Plager aus, hätte ich nicht gleich mercken sollen, daß dieses eine der allerverfluchtesten Teuffels-Lehren sey, welche schnurstracks wider die heilige Göttl. Schrifft lieffe, zumahlen ich als ein guter Lutheraner kein Frembdling in der Bibel und der reinen Augspurgischen Confession war. Allein der Satan verblendete auf GOttes Verhängniß ohnfehlbar meine Augen, verstopffte meine Ohren vor der Stimme des heiligen Geistes, und verfinsterte meinen Verstand dergestalt, daß ich einem verfluchten Ketzer mehr [278] glaubte, als allen dem, was ich von Jugend auf aus dem Worte GOttes gelernet hatte.

Ich dancke GOtt tausendmahl, der mich hernach noch zu rechter Zeit aus diesen verdammlichen Irrthümern gerissen, und will nicht weiter an diejenigen Greuel gedencken, die ich noch von dem schändlichen Elia anzuführen wüste, deren mich aber doch, GOtt sey gelobt, nicht selbst theilhafftig gemacht, sondern immer einen geheimen Abscheu dargegen gehegt habe. Hergegen will ich erzehlen, welchergestalt ich armer Schöps endlich von ihm betrogen worden.

Elisæus kam wieder zu uns, und also wurde dasLaboriren mit aller Gewalt fortgesetzt, so, daß ich mich zu Ende des Jahres ein starcker Chymicus zu seyn bedüncken ließ. Elias zeigte mir nunmehro seine verfluchten Hirn-Geburthen im lebendigen Feuer, nehmlich den neuen jungen Oelbaum, des Plutonis Wohnung, den Cerberum und den Herculem auf den Scheiter-Hauffen, es war ihm aber ein leichtes, mich zum völligen leichtgläubigen Narren zu machen, weil ich Zeit Lebens wenig oder gar nichts vom Laboriren gesehen als bey ihm. In den letzten Tagen des Jahres, muste Elisæus vor mein Geld eine neue Reise antreten, mit dem Befehl, aufs längste in einem Monate wieder zu kommen, weil Elias so dann den Anfang machen wolte, die Terram virgineam catholicam circuliren zu lassen, und den Philosophischen König aus seinem Grabe herauf zu holen: Zwey Wochen hernach nahm Elias ebenfals eine Reise nach der nächsten Stadt vor, und versprach binnen 9. Tagen wieder [279] da zu seyn, mittlerweile gab er mir ein mächtiges Stückchymischer Arbeit vor, ausserdem muste ich ihm alle meine Gold-Müntze auszahlen biß auf 100. spec. Ducaten, dahingegen gab er mir von seinem durch Kunst gemachten Golde 8. Platten in Verwahrung, worvon die 4. grösten 11/4. Pfund, die 4. kleinesten aber 4. 6. biß 8. Loth am Gewichte hielten. Da nun, wie bereits sehr öffters gemeldet, bey mir nicht der geringste Verdacht wegen eines Betruges herrschete, ließ ich auf Katzen- und Mäuse-Art immer mit mir hin spielen verrichtete die aufgegebene Arbeit mit grösten Fleisse, wartete 9. Tage, verzog noch einen gantzen Monat, allein vergeblich, denn es wolte weder Elias noch Elisæus wieder zum Vorscheine kommen, endlich empfing ich von dem erstern einen Brieff, worinnen er mir mit grossen Schmeicheleyen berichtete, daß er wichtiger Ursachen wegen die Reise nach Amsterdam fortsetzen müssen, also solte ich mich nicht säumen, aufs eiligste nachzukommen, die ausgearbeiteten Sachen aber, an ihren Orthe wohl verschlossen stehen lassen, weil er Elisæum unterwegs angetroffen und mit sich genommen hätte. Wer war hurtiger als ich, mich auf die Reise nach Amsterdam zu begeben, und dennoch kam ich um drey Tage zu späte, weil in dem angewiesenen Logis einen Brief von dem Elia fande, worinnen er mit sehr ungeduldigen Ausdrückungen betheurete: daß er ohnmöglich länger auf mich warten können, sondern sich genöthigt befunden, die Reise nach London in Engelland aufs eiligste anzutreten, ich möchte demnach, so lieb mir alle meine Wohlfarth sey, ihm auch dahin folgen, [280] in einem gewissen Hause nach ihm fragen, doch solte ich mich ja hüten, ihn Eliam Artistam, sondern an statt dessen, Curt van Delfft zu nennen. Ich kam sehr geschwind nach London über, traff in dem bezeichneten Hause zwar verschiedene Leute an, die ich mit guten Gewissen vor Laboranten oder Adeptos halten konte, bekam aber unter ihnen weder meinenEliam noch Elisæum zu Gesichte, und da ich nach dem Curt van Delfft fragte, machten alle zusammen grosse Augen, bekannten auch, daß sie zwar sehr viel von dem Curt van Delfft gehöret, selbigen aber zu sehen das Glück noch niemahls gehabt. Wer mir im Hause vorkam, den fragte ich so gut als es die Vermischung allerley Sprachen zuließ, nach dem Curt van Delfft, biß mich endlich der Wirth durch einen Dollmetscher abhören ließ, was ich von dem Curt van Delfft haben wolte. Ich gab vor, daß derselbe mein grosser Freund sey, mit dem ich seit einiger Zeit starcken Verkehr gehabt, und daß er mich aus Holland an diesen Ort und in dieses Hauß beruffen, mithin bereits da seyn, oder doch bald anhero kommen müste. Hieraf ließ mir der Wirth sagen, wenn die Sachen eine solche Bewandniß hätten, möchte ich nur eine eintzige Stunde Gedult haben, indessen ein Glaß Wein trincken, er wolte den Curt van Delfft so gleich aufsuchen lassen. Ich ließ mir solches gefallen, und mich so lange bey der Nase herum führen, biß es finstere Nacht wurde, endlich ließ mich der Wirth in ein Zimmer seines Hinter-Gebäudes ruffen, mit dem Bedeuten: daß sich mein Freund schon daselbst befände. Aber, ach Himmel! kaum hatte mein Fuß die [281] Schwelle des Zimmers überschritten, da mich etliche gewaffnete Leute überfielen, zu Boden warffen, meine Hände und Füsse mit gräßlichen eisernen Ketten belegten, und also gerades Weges, in eins von den allerschlimmsten Gefängnisse schleppten. Hier hatte ich Zeit genug, nachzugrübeln, warum man doch so unbarmhertzig mit mir umgehen möchte, indem ich mich keines Haupt-Verbrechens schuldig wuste, denn binnen 3. Wochen kam kein anderer Mensch zu mir, als derjenige, welcher täglich einmahl Wasser und Brod zu meiner Nahrung brachte, und auf mein jämmerliches Klagen in gebrochener Holländischer Sprache nichts anders zur Antwort gab: als daß man in Engelland die Spitz-Buben nicht anders zu tractiren pflege. Ich will mich bey dieser kläglichen Begebenheit nicht lange aufhalten, sondern um sagen, daß zur selbigen Zeit ein beruffener Spitz-Bube in der Welt herumflanquirte, der sich bald diesen, bald jenen, unter andern aber auch den Nahmen Curt van Delfft beygelegt hatte. Vor dessen Complicen mich zu erkennen, hatten die Herrn Engelländer die allergröste Ursache, da ich mich selbst gerühmt mit ihm in genauer Bekandtschafft zu stehen. So bald ich demnach zum Verhör kam, wurden mir die allererschröcklichsten und empfindlichsten Fragen vorgelegt, und weil die Antwort darauf nicht nach der Richter Verlangen ausschlug, fiengen sie sehr frühzeitig von der Tortur zu schwatzen an, da nun solchergestalt das Wasser biß an die Seele ging, konte ich nicht umhin, meinen gantzen Lebens-Lauff, so viel nehmlich davon zu meiner Vertheidigung nöthig [282] achtete, zu erzehlen, welches aber dennoch die Richter vor ein erdichtetes Werck hielten, und mich gantz gewiß in den elendesten Zustand gesetzt hätten, wenn sich zu meinem Glücke nicht unvermuthet ein reicher Correspondent meines Groß-Vaters ins Mittel geschlagen, Caution vor mich gemacht, und endlich die gantze Sache zu meinem Vortheile ausgeführet hätte.

Wer solte wohl zweiffeln, daß ich den Eliam so wohl als Elisæum nunmehro würde vor Spitz-Buben gehalten haben? Aber weit gefehlt, im Gegentheil glaubte ich dennoch steiff und feste, daß Elias ein ehrlicher Mann, und nunmehro schon wieder ein vollkommener Goldmacher sey, ich glaubte auch, daß ihm vielleicht der berüchtigte Spitz-Bube den NahmenCurt van Delfft abgeborgt, daß Elias entweder schon in London sey, und vielleicht von meinem Unglück nichts wisse, oder daß er bald kommen, oder wenigstens, mir weitere schrifftliche Nachricht von seinem Auffenthalt geben würde, woferne ihn nicht ein und andere wichtige Umstände noch eine Zeitlang daran verhinderten. Jedoch mein Hoffen war gantzer 6. Monath vergebens, ohngeacht ich in demjenigen Hause, wo er mich zu meinem Unglücke hingewiesen, beständig logirte, und alle Tage wohl hundert mahl nach ihm umsahe. Mittlerzeit aber gerieth ich mit einem andern Adepto in Kundschafft, welcher die Redlichkeit selbst zu seyn schien, dieser verwunderte sich nicht wenig über meine Erfahrenheit in der Alchymie, und bekennete: daß ich keinen ungeschickten Lehrer müsse gehabt haben, nachdem er mich aber endlich [283] gantz und gar treuhertzig gemacht, und das Geheimniß von dem Elisæo und Elia ausgeforschet, auch meine Gold-Platten probiret hatte, zeigte er mir den offenbaren Betrug, daß nehmlich unter allen meinen 8. Platten, kaum vor 8. Ducaten Gold zu finden, ich auch unter ein paar hocherfahrne, aber dabey Spitz-Bübische Laboranten gerathen wäre, die mich mit meinem Braten-Fette ein wenig betreuffelt, den Braten selbst aber, nehmlich mein schönes Geld, listiger weise entwendet hätten. Doch unverzagt, mein lieber Lands-Mann, sprach dieser mein neuer Freund, der sich Meschner nennete, und vor einen Pfältzer ausgab, wo ihr Lust habt, eure Kunst, Geld und andere Haabe mit mir zusammen zu setzen, so weiß ich etliche Tage-Reise von London, einen solchen Herrn anzutreffen, der uns Vorschuß genung thun soll, denLapidem Philosophorum auszufinden. Man saget sonst im gemeinem Sprüchworte: Wer gerne tantzt, dem ist leicht gepfiffen, also ergieng es auch mit mir, denn ich nahm augenblicklich das Erbiethen dieses redlichen Mannes an, und reisete mit ihm fort. Es gefiel mir, daß er sich vor den Meister und mich nur vor seinen Handlanger ausgab, also erlangeten wir in wenig Wochen eine vortreffliche Condition, laborirten aufs fleißigste, biß endlich der so genannte Meister, binnen anderthalben Jahren eine Untze Tinctur zu wege brachte, mit welcher er in der Probe, vor desPrincipals Augen drittehalb Untzen Bley in Gold verwandelte. Vor dieses Experiment erhielten wir beyde 500. Stück spec. Ducaten zum Gratial. Der Meister machte ein neues Feuer an, und versprach, [284] die Probe binnen 6. Monathen erstlich noch einmahl im Kleinen zu machen, brachte es auch glücklich zu wege, ich aber wuste noch zur Zeit nicht, wie es zugienge, denn mein Compagnon schien nicht mehr so aufrichtig als anfangs, zu seyn, ohngeacht er mir von dem andernGratial, welches in 1000. spec. Ducaten bestund, ebenfalls die redliche Helffte gegeben, so, daß ich nun wiederum ein Capital von mehr als 800. Ducaten, nebst andern seinen Sachen vor mich gesammlet, und davon 500. Ducaten an meinen Groß-Vater per Wechsel übermacht hatte. Nun solte es auf den grossen Haupt-Einsatz loß gehen, worzu der Meister 12000. spec. Ducaten verlangete, weil aber der Principal diese Gelder allererst binnen 3. Monaten zu heben hatte, so befahl er uns den Process im Kleinen, indessen noch einmahl zu machen, als worzu der Meister nun nicht mehr als 6. Wochen Zeit zu gebrauchen, sich rühmete. Es wurde demnach zum dritten mahle angefangen, mein Compagnon aber tractirte ein und andere Dinge vor mir dergestalt heimlich, daß ich mich endlich hefftig mit ihm zu zancken und vorzuwerffen anfieng, wie er allem Ansehen nach, mich, in der Kunst zu betrügen, vorhabens sey. Endlich brach er loß, und vielleicht nur darum, weil er sich mehr vor meiner Stärcke und Hertzhafftigkeit, als dem übel-verdorbenen Verstande fürchtete, und beichtete aus: daß er es vor eine, uns unmögliche Sache hielte, das Arcanum Philosophicum magnum zu finden, immittelst weil er allhier ein Mittel sähe, uns beyden auf listige Art ein solches Stücke Geldes zu verschaffen, wovon wir Zeit Lebens [285] hinlängliche Zehrung nehmen könten, hätte er allen seinen Verstand angewendet, die Sache auf einen guten Fuß zu setzen.

Und also erfuhr ich aus offenhertziger Erzehlung: daß mein Compagnon ein Spitz-Bube sey, der des Nachts mit gröster Lebens-Gefahr sich an einem Seile durch den Schorrnstein in das Laboratorium, welches der Principal jederzeit selbst verschloß und versiegelte, hinunter ließ, die unanständigen Materialien aus den Gefässen heraus- und davor hinein schüttete, was ihm beliebte, und zu seinem Betruge dienlich war. Ich erstaunete gewaltig über dergleichen Boßheit, ließ mich aber gegen ihm nichts mercken, sondern forschete mit aller verstellten Treuhertzigkeit so lange, biß er gestund: daß sein völliger Vorsatz wäre, mit den zu hoffen habenden 12000. Ducaten nebst mir nach Franckreich, Spanien oder Portugall zu seegeln. Meine Redlichkeit und der Abscheu vor dem Diebstahle war noch nicht erstorben, weil auch über dieses bey so desperaten Unternehmen, der Galgen immerfort vor meinen Augen schwebete, überlegte ich die gantze Sache etliche Tage und Nachte lang sehr wohl. Den Compagnon zu bekehren, schien eine vergebliche Sache zu seyn, von dem, durch Spitz-Büberey erworbenen Gelde, hatte ich selbst schon eine starckeSumme participiret, derowegen fassete den Schluß, mein Gewissen und Hände zu reinigen, und dem Principal, der ein sehr gütiger Herr war, vor fernern Unglück zu warnen. Zu allem Glücke wurde mein Compagnon nach London verschickt, derowegen ergriff ich die schöne Gelegenheit mit beyden [286] Händen, und redete den Principal, welcher selbigen Tages ungemein vergnügt zu seyn schien, folgendergestalt an: Edler Herr! ich befinde mich, vor die viele genossene Gnade, schuldig, euch vor einem grossen Unglück zu warnen, worein ihr von einem eurer Bedienten, vielleicht in kurtzen gestürtzt werden könnet, jedoch weil dem Ubel annoch vorzubauen ist, so habt die Gnade, mir zu versprechen: daß ihr den Ubelthäter nicht am Leben straffen, sondern ihn nach euren Gefallen nur in solchen erleidlichen Stand setzen wollet, euch und keinem andern redlichen Manne mehr zu schaden.

Der Principal verwandelte seine Farbe ziemlich, über diesen meinen unverhofften Vortrag, erhölte sich aber bald, nahm mich mit in sein geheimes Zimmer,præsentirte mir einen Stuhl, und sagte: Eröffnet mir, mein Freund, das Geheimniß, so auf eurem redlichen Hertzen liegt, ich versichere bey GOtt, daß ich solches nach seinen Würden belohnen werde. Hierauf erzehlte ich ihm die verdammten Anschläge meinesCompagnons, nebst meiner eigenen Lebens-Geschicht, worüber dieser Herr in eine besondere Erstaunung gerieth, mich aber letztlich umarmete, und bat, ich möchte nur auf alles fleißig Acht haben, ihm richtigen Rapport abstatten, an seiner Erkänntlichkeit aber nicht den geringsten Zweiffel tragen.

Ich versprach darbey, binnen wenig Wochen, die, an meinen Augspurgischen Groß-Vater übermachten Gelder, nebst denen, so ich noch bey mir hätte, wieder zurück zu liefern, weil ich so übel erworbenes Gut unmöglich behalten könte, allein der [287] Principal widersetzte sich diesem Anerbiethen, und versprach: noch über dieses, mich mit einem guten Præsent zu begnadigen, wenn ich ferner redlich handeln würde.

Mein Compagnon stellete sich wieder ein, setzte ein völliges Vertrauen auf meine Treue, deutlich aber zu sagen, so hielt er mich vor einen nicht viel geringern Spitz-Buben als sich selbst, die Tinctur wurde abermahls zur vermeintlichen Perfection gebracht, er that den Einsatz von 3. Untzen Bley, in des Principals Gegenwart bey späten Abend, der Principal muste den Beysatz der Tinctur selbsten thun, hernachmahls das Laboratorium abermahls verschliessen und versiegeln, damit es die Nacht über ungestöhrt digeriren könne. Der künstliche Meister trat in den Mitternachts-Stunden, da alles, seinem Bedüncken nach, im festen Schlaffe lag, die Fahrt durch den Schorrnstein an, schüttete die unnützen Sachen aus dem Tiegel heraus, legte davor 3. Untzen gutes Gold hinnein, allein der Principal, dem ich das verabredete Zeichen gegeben, hatte nicht nur durch ein verborgenes Loch alle seine Hand-Griffe selbst in Augenschein genommen, sondern über dieses das Seil, durch einen Bedienten, gantz gelinde zurück hinauf ziehen lassen, also stack die Maus in der Falle, und muste im Laboratorio pausiren, biß der Tag anbrach, da endlich der Principal die Siegel und Schlösser eröffnete, den Spitz-Buben in schwere Ketten schlagen, und in das tieffste Gefängniß werffen ließ.

Wie es ihm ferner ergangen, weiß ich nicht zu sagen, denn ich bekam wenige Tage darauf meine [288] Abfertigung mit 100. spec. Ducaten, über alles dasjenige Geschenck, was ich vorhero empfangen hatte, und reise damit nach London, des willens, ehestens zurück nach Holland zu gehen, und den Eliam und Elisæum aufzusuchen. Zweymahl war ich nun solchergestalt sehr häßlich angeführet worden, hätte derowegen die gröste Ursache gehabt, diesen betrüglichen Künsten auf ewig abzuschweren; allein, ich ließ mich von einem Ertz-Betrüger aufs neue fangen, mit ihm und noch zwey andern bey einer sehr vornehmen Englischen Witt-Frau in Bestallung zu treten. Dieser Schelm, welcher sich Renard nennete, hatte einen nicht weniger abgefeimten Spitzbuben zu seinem Vertrauten bey sich, der ein Italiæner von Geburth seyn, und Merillo heissen wolte. Ein Kerl von schlechter Erfahrung doch grossen Prahlen und Windmachen, war der dritte, und meine eigene Person der vierdte, bey dieser löblichen Gesellschafft. Renard und Merillo, verfertigten binnen Jahr und Tag ein rothes, wie auch ein schwartzes Pulver, und gebrauchten das erstere aus Bley Gold, das letztere aber aus Kupffer Silber zu machen, legten auch verschiedene Proben, zu der Dame allergrösten Vergnügen, damit ab, so daß sie sich endlich kein Bedencken nahm, ihnen beyden 50000. Thlr. zu zahlen, um das Werck en gros anzufangen, allein Renard und Merillo nahmen das Geld und begaben sich auf die Flucht, der letztere ist mit etlichen 1000. Thlr. glücklich durchgekommen, und wie ich nachhero erfahren, laborirt er an einem vornehmen deutschen Hofe sehr scharff, Renard aber wurde auffgecapert zurück gebracht, und [289] muste nolens volens am Galgen zappeln, weil seine roth und schwartzen Pulver nicht allein betrüglich erfunden, sondern auch an statt der 50000. Thlr. nur vor 20. tausend Thaler Wechsel-Briefe bey ihm angetroffen wurden. Mein annoch übriger Compagnon und ich, hatten vom Glück zu sagen, daß wir dem Stricke, oder wenigstens der Stäupung entgiengen, ohngeacht ich sonderlich, mich der Spitzbüberey im geringsten nicht theilhafftig gemacht, sondern mein Brod mit täglichen redlichen arbeiten wohl verdienet hatte. Allein dieDame war ungemein erbittert, jagte uns beyde zum Hause hinaus, behielt alle unsere Sachen, gab aber endlich doch mir, von den meinigen auf allerkläglichstes Flehen, noch 50. spec. Ducaten auf die Reise.

Was war zu thun? einen Process gegen eine solche hohe Person anzustellen, schien mir eine lächerliche Sache zu seyn, von kahlen 50. Duc. konte in Engelland nicht lange zehren, derowegen setzte mich zu Schiffe, und gieng zurück nach Holland, an denjenigen Ort, wo ich meinen Eliam zuletzt gesehen hatte. Daselbst traff ich zwar eben das Laboratorium, jedoch einen gantz andern Haußwirth, ingleichen gantz frembden Laboranten an, kein Mensch wolte weder von Elia, noch vom Elisæo etwas wissen, doch war der Meister von den Laboranten, nachdem er meinMalheur erfahren, so gütig, mir Condition, freye Kost, und Wöchentlich einen spec. Ducaten Lohn, zu geben.

Selbiges war ein sehr frommer und gelehrter Mann, der die köstlichsten Artzneyen bereitete, ausserdem aber auch sehr eiffrig das grosse Philosophische [290] Geheimniß zu erfinden suchte, jedoch auf eine weit vernünfftigere Art, als alle diejenigen, so ich bißhero gesehen. Ich war so glücklich binnen weniger Zeit, mich in seine völlige Gunst zu setzen, denn weil er in allen seinen Wesen vollkommen redlich, so merckte er auch gar bald, daß bey mir der Verstand zwar ziemlich verdorben, im übrigen keine Schalckheit und Betrügerey anzutreffen wäre. Dennoch wendete dieser vortreffliche Mann allen Fleiß an, mich so wohl in der christlichen Lehre, als auch in andern Wissenschafften aufs allertreulichste zu unterrichten, und solchergestallt geschahe es, daß ich innerhalb 2. Jahren gantz ein anderer und klügerer Mensch wurde.

Mittlerweile aber waren alle diejenigen Processe, welche mein Principal, und so zu sagen, anderer Vater, den Stein der Weisen auszufinden, angestellet hatte, fruchtloß abgelauffen, weßwegen er einen kleinen Tractat in die Welt fliegen ließ, unter dem Titul: Schwer auffzulösende zweiffels Knoten über die Frage: Ob der beruffene Stein der Weisen, jemahls von einem sterblichen Menschen erfunden sey? Etwa ein halb Jahr hernach, kam eines Montags früh, ein ehrbahrer etliche 50. Jahr alt scheinender Mann, der das Ansehen eines Reichs-städischen reputirlichen Pfahl-Bürgers hatte, vor unsere Thür, und verlangete mit dem berühmten Chymico, nehmlich mit meinem Principal zu sprechen. Ich wolte denselben unter dem Vorwande, daß mein Herr noch nicht auffgestanden sey, mit einem halben Frantz-Gulden abweisen, weil er mir nicht anders, als ein Allmosen-Sucher [291] in die Augen leuchtete, allein er bedanckte sich, und gab vor: wie er meinem Herrn nicht beschwerlich fallen, sondern nur ein kurtzes Gespräch von chymischen Geheimnissen mit ihm halten, dieserwegen auch in einer Stunde wiederkommen wolte. Hiemit gieng er fort, ich aber muste in meinem Hertzen lachen, daß ein solcher einfältiger Mensch, sich in so wichtige und hohe Dinge mischen wolte, denn ohne Schertz, dieser Mann schien in meinen Augen ein gantz ausserordentlicher Einfalts-Pinsel zu seyn. Ich sagte meinem Principal nicht einmahl etwas davon, da aber der Mann in einer guten Stunde wieder kam, war der erstere so gütig, denselben in sein geheimes Cabinet zu führen. Sie waren 3. gute Stunden in sehr ernsthafften Gesprächen begriffen, wovon aber ich wenig oder nichts deutliches verstehen konte. Nachhero speisete der Gast mit meinem Principal gantz allein, nach Tische aber muste ich ein grosses Feuer-Becken, einen mittelmäßigen Schmeltz-Tiegel, einen Blasebalg, wie auch ein Pfund-Stück Bley in das geheime Cabinett bringen, indem ich aber bey dem Feuer-Becken stehen blieb und die Kohlen anbließ, gab der Frembde meinem Principal einen Winck, der so viel bedeutete, daß er mich hinaus schaffen solte. Der Principal aber sagte darauff: Mein Herr! wenn ihr sonsten keine besondere Ursachen habt, euch vor diesen Menschen zu fürchten, so lasset ihn in GOttes Nahmen die Wunderwercke des Allerhöchsten beschauen, ich bin Bürge vor seine Gottes-Furcht und Redlichkeit, denn er ist in der Creutz-Schule gewesen, und nach vielen Thorheiten zu sehr guten Verstande gekommen.

[292] Demnach ließ sich der Frembde gefallen, daß ich da blieb, mein Principal legte das Pfund-Stück Bley in den Schmeltz-Tiegel, weil aber selbiger, als ein untüchtiges Gefässe zersprunge, muste ich etliche andere herbey bringen, wovon wir den besten auslasen, und ein ander Stück Bley hinnein warffen. So bald es zergangen war, sagte der Frembde: werffet noch ein Pfund Bley zum Geschenck vor diesen redlich scheinenden Menschen hinein. Mittlerweile mein Principal dieses that, langete der Frembde aus seinem Brustlatze eine kleine Helffenbeinerne Büchse hervor, worinnen ein Rubin-rothes Pulver war, von diesem nahm er etwas weniges auf die Spitze eines Messers, schüttete dasselbe auf ein Wachs-Küchlein, so etwa eines Holländischen Düttchens groß, aber sehr dünne war. Mein Principal, der ihm das Wachs-Küchlein vorhielt, machte selbiges mit dem inwendigen Pulver zu einer Kugel, und warffs in das bereits völlig zerschmoltzene Bley. Alsobald erhub sich im Tiegel ein starckes Gezische, das Bley schien mit seinem Ober-Herrn zu kämpffen, konte aber nichts anders ausrichten: als unzehlige Wind-Blasen, welche die wunderwürdigsten Farben hatten, in die Höhe werffen. Nachdem es Stillstand worden, zeigte die Massa im Tiegel, die allerschönste grüne Farbe, beym ausschütten schien sie Blut-Roth, endlich aber kam in dem Gieß-Becher die vortrefflichste Gold-Farbe zum vorscheine.

Mein Principal, welcher das Probiren aus dem grunde verstund, befand es alsobald vor ein solches Gold, das von keinem andern in der gantzen Welt[293] übertroffen würde, derowegen war er so wohl als ich, gantz ausser sich selbst gesetzt, ja wir wusten vor Verwunderung, Freude und Schrecken nicht was wir reden oder gedencken solten. Der Gast saß inzwischen mit gefaltenen Händen auf seinem Stuhle gantz stille, da aber mein Principal und ich, uns an der wunderbaren Veränderung nicht satt sehen konten, unterbrach er endlich das Stillschweigen, und sagte mit einer gelassenen Mine: Wie nun, mein Herr! werdet ihr auch nunmehro euren letzthin geschriebenenTractat wiederruffen, oder ihn zum wenigsten verbessern? Ach ja, mein allerwerthester Freund, versetzte mein Principal, ich werde in Zukunfft entweder klügere Sachen oder gar nichts mehr schreiben. Thut was ihr wollet, sagte der Frembde, voritzo aber erlaubet mir, daß ich mit euch beyden ein wenig ins Feld spatzieren gehe, denn die Bewegung ist nach der Mahlzeit meine beste Sache. Mein Principal war bereit seinem unvergleichlichen Gaste alle Gefälligkeit zu erweisen, gieng derowegen in ein anderes Zimmer, um bessere Kleider anzuziehen. Immittelst that ich meinen Mund auf, und sagte zu dem Frembden: Mein Herr! ihr habt eure Kunst besser und auffrichtiger gezeigt als mein Meister Elias Artista, welcher mich eben allhier in diesem Hause vor wenig Jahren aufs allerschändlichste betrogen, und um ein schönes Stücke Geld gebracht hat. Mein Sohn! gab er zur Antwort, ihr seyd sehr übel berichtet, denn der wahrhaffte Elias Artista, welcher mein eigener Lehr-Meister gewesen, ist bereits vor etliche 20. Jahren den Weg aller Welt gegangen, und von mir in aller Stille, auf sein eigenes [294] Verlangen, an einen solchen Ort begraben worden, den ausser mir kein Mensch auf der gantzen Welt weiß. Ich weiß aber wohl, daß sich seit vielen Jahren, ein anderer Elias Artista gezeiget, und vorgegeben hat, wie er eben derselbe sey, der sich durch die Krafft und Tugend seines philosophischen Steins, biß zu so hohen Alter gebracht hätte, allein der Kerl ist ein Spitzbube und Leute-Betrieger, ich kenne ihn so wohl als seine Eltern, er ist kein Holländer von Geburth, wovor er sich ausgiebt, sondern ein Deutscher, (hier bey sagte mir der redliche Gast, auf mein Bitten, die Geburths-Stadt, und alle andern Uhrkunden des verteuffelten Spitzbubens, welches ich alles sehr eigentlich anmerckte,) Elisæus sein Diener aber, ein getauffter Jude, es wäre mir an verschiedenen Orten ein leichtes, ihm seine Tücken auffzudecken; allein wieder meinen Beruff gewesen, denn die Liebe muß allezeit von sich selbst anfangen. Seine verzweiffelt gespielten Streiche sind außerordentlich boßhafft und guten theils lächerlich, ich aber bemühe mich gar selten daran zu gedencken. Hierauff erzehlete ich unserm Gaste so kurtz als möglich, welchergestallt ich von dem falschen Elia und Elisæo hintergangen worden, wünschte letzlich aber nichts mehr, als zu wissen wie es zugegangen wäre, daß er mich so wahrscheinlich mit der ersten Probe, seines darvor ausgegebenen Weisen-Steins, übertäuben können. Mein Freund, sprach der Gast hierauff, es ist zu verwundern, daß euch die Spitzbuben ihre Künste nicht gelernet, ihr müsset ihnen in Wahrheit zu ehrlich und einfältig geschienen haben, ich wolte euch sehr viele von ihren[295] subtilen Taschen-Spieler-Künsten auffdecken, allein voritzo leydet es die Zeit nicht, doch was die Art anbelanget, mit welcher euch der falsche Elias bethöret hat, so wisset, daß er seine Schmeltz-Tiegel, worinnen er die Probe machen will, dergestallt zurichtet, daß auf dem inwendigen Boden derselben, nach proportion der Grösse des Tiegels, 2. 4. 6. auch wohl mehr Loht reines Gold-Staubs zu liegen kömmt, nachhero überziehet er selbst den Tiegel mit einer undurchsichtigen Lasur, die sich in starcken Feuer verzehret, das Bley, so er in den Tiegel zu legen befiehlet, muß ebenfalls verbrannt und verzehret werden, so dann kan ohne seinen betrüglichen Stein, das verborgen gewesene Gold, welches in der Glut, von Natur am Gewichte und Güte nichts fallen läst, zum vorscheine kommen, setzt ihm aber jemand einen andern Tiegel vor, so weiß er seine Streiche schon dermassen einzurichten, daß selbiger ohnfehlbar zerspringen muß. Ach! schrye der gute Gast hierauff, die Welt will betrogen seyn, mit euch als einem zu der Zeit Unerfahrnen ni t es mich wenig Wunder, allein unter so vielen Europäischen Liebhabern dieser Kunst, sind seit etlichen Seculis, schon so unzählig viele betrogen worden, und dennoch lassen es sich die wenigsten nicht ehe zur Warnung dienen, biß sie den Betrug nicht nur mit Augen sehen, sondern mit Händen greiffen, und die Nach-Wehen in ihren Geld-Kasten fühlen können.

Ich hatte nicht Zeit hierauff zu Antworten, viel-vielweniger meine Flüche über den falschen Eliam und alle andere spitzbübischen Gold-Macher auszustossen, denn mein Principal kam darzwischen und[296] führete den Gast aufs freye Feld spatzieren, und zwar einen solchen Weg, den der Gast selbst erwehlete, ich hatte die Erlaubniß neben ihnen her zu gehen, und vortreffliche Lehren aus ihren erbaulichen Gesprächen zu ziehen. Indem wir nun ohngefähr eine Stunde von unserer Wohnung entfernet waren, kam seitwärts in der Land-Strasse eine schneller Post-Wagen gefahren, auf welchen zwey Passagiers sassen. Unser Gast schien nicht darauff Achtung zu haben, gieng aber etwas auf die Seite, als ob er andere Verrichtungen hätte; allein er zohe ein Blat Pappier aus dem Busen, legte ein kleines Buch auf das Knie, beschrieb das Blat mit Bleystiffte, legte ein ander Pappierlein hinein, rollete es zusammen, und behielts in der Hand. Mein Principal und ich, stunden und warteten auf seine Wiederkunfft, mittlerweile kam auch der Post-Wagen sehr nahe, und hielt zu unserer Verwunderung stille. So bald aber der Gast zurück kam, umarmete und küssete er so wohl mich als meinen Principal, und sprach: Meine Freunde! seyd bedanckt vor die mir angethane Ehre, ich sehe mich vor dieses mahl gezwungen von euch zu scheiden, beurtheilet mich ohne trifftige Ursachen zu keinem Verbrechen, überlegt diese meine Schrifft aufs allergenauste, der Himmel segne euch, daß ihr vergnügt leben möget, biß wir uns vielleicht, so GOTT will, bald wieder sehen. Unter diesen Worten gab er meinem Principal das zusammen gelegte Pappier in die Hand, wartete auf keine Antwort, sondern gieng gantz hurtig nach dem Wagen zu, und fuhr in gröster Geschwindigkeit davon. Wir beyde blieben [297] als ein paar geschnitzte Bilder auf unsern Stellen so lange gantz unbeweglich stehen, biß der Wagen gäntzlich aus unserm Gesichte verschwunden war, ja ich glaube wir hätten uns noch in langer Zeit nicht geregt, wenn nicht ein von ferne heran kommendes Donnerwetter, unsere zerstreuten Gedancken und Sinnen wieder zusammen getrieben hätte. Mein Principal sahe mich und ich ihn mit seufftzen an, endlich öffnete er die Schrifft, und fand selbige also gesetzt:


Meine Freunde!


Ich will mich um eure vielerley Gedancken, die ihr wegen meiner unverhofften Ankunfft und plötzlichen Abreisens hegen werdet, voritzo nicht bekümmern. Schlaget in Lutheri deutscher Bibel den 3ten Versicul des 28. Cap. im Buch Hiob auf, in selbigem ist durch ein reines Anagramma, der richtige Process zu finden, wie man auf die allerleichteste Weise den Lapidem Philosophorum finden kan. Hat euch GOTT diese Gnade zugedacht, so wird er den Fleiß nicht vergeblich seyn lassen, den ihr zu Ausforschung des versteckten Geheimnisses anwendet, oder es fügen, daß ich euch vielleicht in wenig Monaten wieder besuchen darff. Inzwischen empfanget so viel von dem unschätzbarn Schatze, als euch hier beygelegt und nöthig ist, die Wahrheit des göttlichen Geheimnisses vor allen Verläumdern zu rechtfertigen. Seyd jederzeit fromme Kinder GOTTES, vergesset die Armen nicht, und bleibt mit so, wie ich euch gewogen,


Daniel Artista.


[298] Es fehlete wenig, daß wir beyderseits überlaut zu weinen angefangen hätten, weil aber dennoch nicht alle Hoffnung abgeschnitten war, den theuren Mañ wieder zu sehen, über dieses die tröstliche Zuschrifft, und denn das innliegende Pulver, welches ohngefähr 6.Gran am Gewichte hielt, uns einigen Muth machte, so erreichten wir endlich ziemlich beruhigt, unsere Wohnung. Gleich Tages darauff, machte der Principal die Probe, mit einem viertheils Gran des Arcani, undproportionirlicher Quantität Bleyes noch einmahl und also sahen wir mit wiederholter Verwunderung: daß das Bley abermahls ins feinste Gold verwandelt wurde, und sonsten alles seine vollkommene Richtigkeit hatte.

Nach der Zeit wandte so wohl der Principal als ich, die meiste Zeit auf die Ausfindung des Anagrammatis, allein wir konten binnen 5. oder 6. Monaten wenig oder gar nichts kluges zu Marckte bringen. Der theure Mann, Daniel Artista, wolte nicht wieder zum Vorscheine kommen, dem ohngeacht war mein Principal nur immer desto erpichter auf die Arbeit, so, daß er des Nachts kaum 2. oder 3 Stunden zu schlaffen pflegte. Endlich, zu Ende des 8ten Monats, brachte er folgendes Anagramma zu wege, welches ich nicht allein im guten Gedächtnisse, sondern auch unter meinen geschriebenen Sachen auffbehalten habe, und solches euch, meine Herrn, augenblicklich zeigen will.

Unter diesen Worten zohe Mons. Plager ein Blat aus seiner Schreib-Tafel hervor, gab es in unsere Hände, und wir fanden auf selbigen folgende Schrifft:


[299] Hiob. XXVIII. 3.

Es vvird ie des finstern etvva ein Ende, und iemand findet ia zuletzt den Schieffer tieff verborgen.


Per Anagramma purissimum:

Diamant, Weinstein, Federvveiss, nuzzen Gold, vierfach Feur bereitet, der Feind findet den Stein.


Nachdem wir es alle gelesen und wohl uberlegt, unser Urtheil aber dieserhalb biß auf eine andere Zeit ausgesetzt, fuhr Mons. Plager in seiner Erzehlung folgender Gestalt fort: Ich will jetzo nicht weitläufftig erweisen, ob wir klug, oder entschuldigen, daß wir thöricht gehandelt haben, da uns dieser halb deutlich und halb dunckele Spruch, zum Grunde aller Mühe und Arbeit dienen muste. Genung, wir setzten nach selbst gemachter vortheilhaffter Auslegung, unser gäntzliches Vertrauen darauff, allein es zerbrach ein sehr starcker Pfeiler meiner Hoffnung, da der Principal, wegen sich selbst verursachter Strapazen im zehendten Monat nach des Daniels Abreise, vom Schlage gerühret wurde, und wenig Tage darauff im 62sten Jahre seines Alters plötzlich den Geist aufgab. Wenn ich nicht allzu ehrlich gewesen, so hätte nicht allein den Rest des Geheimnisvollen Pulvers, sondern auch ein ziemlich Stück Geld auf die Seite schaffen können, dergestallt aber muste mich von seinem, in der nächsten Stadt wohnhafften Bruder, der ein ziemlicher Geitzhals seyn mochte, mit 400. Gulden vor rückständiges Lohn [300] und alles, abspeisen lassen, und da derselbe über dieses so eigensinnig und argwöhnisch war, mir, des verstorbenen Principals kleines Hand-Apotheck gen, worinnen auch das Geheimnis-volle Pulver befindlich, vor die gebothenen 200. fl. zu überlassen, so machte auch ich mir ein Bedencken, ihm die Kräffte und Nutzen der ihm unbekandten Sachen zu offenbaren. Gleichwohl fragte er mich, wie viel wohl Zeit erfordert werden möchte: die annoch im Feuer stehenden Materien zu perfectioniren, und ob ich mich wolte darzu gebrauchen lassen? Ich erklärete ihm also, daß wenigsten 3. Monat Zeit darzu gehöreten, und wie ich zwar nach vorgeschriebener Art und eigener Erfahrung selbige zu gute machen, jedoch so wenig vor die Verunglückung, als andere dabey zuweilen entstehende Gefährlichkeiten oder Schaden hafften könte und wolte. Wie ich hernach bedacht, so wäre es mir ein leichtes gewesen, ihm, unter diesen oder jenem Prætext, das kostbare Pulver abzuschwatzen, allein ich muß glauben, daß es solchergestallt mein Verhängniß selbsten hintertrieben hat. Inzwischen nahm ich den Accord an, vor Monatl. 50. fl. noch eine Zeitlang da zu bleiben, so lange nehmlich, biß in allen reine Arbeit gemacht wäre. Demnach war ich meiner andern Mit-Gesellen vorgesetzter, der neue Principal aber, welcher von der Kunst wenig oder gar nichts verstund, kam gemeiniglich nur Wöchentlich zwey mahl, uns zu besuchen. Eines Tages, da ich mich der kühlen Abend-Lufft, ohnfern von der Wohnung, unter den grünen Bäumen bedienete, kam ein frembder Mann zu mir und fragte: ob mein Principal, den er bey seinem gantzen Nahmen [301] nennete, zu Hause sey? und ob es ihm würde gelegen seyn, sich diesen Abend sprechen zu lassen? Ich gab hierauff zur Antwort, daß derjenige, nach welchem er fragte, nur vor wenig Wochen gestorben, erkannte aber auf einmahl an seinem Gesichte, daß dieser, einer von den zweyenPassagiers, welche, nunmehro bey nahe vor einem Jahre, mit dem Daniel auf der schnellen Post davon gefahren. Derowegen fieng ich vor Freuden an zu zittern, zumahlen da er sich stellete, als ob er nach Anhörung so unverhoffter Zeitung, wieder Abschied nehmen wolte, jedoch auf mein inständiges Bitten ließ er sichs endlich gefallen, bey mir ein Nacht-Quartier zu nehmen. Ich ließ nebst dem köstlichsten Weine, die besten Delicatessen aufftragen, so nur zu haben waren, that hernach dem Frembden, eine ausführliche Erzehlung von meines Herrn Leben und Tode, hernachmahls auch von meinem eigenen Wesen, und wie weit ich es in der Kunst aller Künste gebracht hätte. Indem ich ihm das Anagramma vorlegte, vermerckte ich, daß er unter dem lesen Blutroth im Gesichte wurde, letzlich aber ein klein wenig die lincke Schulter zuckte. Auf mein Befragen, was er von diesemAnagrammate urtheilete, gab er diese Antwort: Mein werther Herr und Freund! verzeyhet mir, ich darff gegen euch, biß auf expressen Befehl meines Meisters des Danielis Artistæ von diesen Sachen kein positives Urtheil fallen, allein ich werde ihm die gantze Beschaffenheit gewissenhafft referiren. Beliebt euch nicht, versetzte ich, diesen Zeddul mit dem Anagrammate beyzustecken, oder eine Abschrifft davon zu nehmen? Es ist nicht nöthig, sprach er, denn [302] bekandte Sachen lassen sich um so viel desto leichter in meinem ohnedem sehr guten Gedächtnisse erhalten. Hierauff veränderte er das Gespräch, jedoch nur in etwas, und gab mir vortreffliche Lehren, diejenige Arbeit, welche ich unter Händen hatte, mit Renomme zu absolviren. Auf Befragen aber, wie ich mich in der Haupt-Sache zu verhalten hätte, sprach er: Seyd nicht so ungestüm, mein Herr, sondern erwartet die Zeit. Morgen früh werde ich euch noch einige gefällige Dienste erzeigen, voritzo aber erlaubt mir einige Stunden zu schlafen.

Es wäre eine Grobheit gewesen, den Gast weiter zu incommodiren, derowegen legten wir uns in zwey besondere Betten nieder, ich kunte vor Freude, Furcht und Warten der Dinge die kommen solten, kein Auge zu thun, biß mein Gast, so bald der Himmel grauete, aufstund, mich gleichfalls weckte, und sich ankleidete. Nachdem verrichte er sein Morgen-Gebet kniend sehr stille am Cammer-Fenster, mittlerweile hatte ich einen glüenden Wein bereitet, von welchen er 4. oder 5. Tassen zu sich nahm, und mich nachhero bat mit ihm ins Feld zu spatzieren. Ich fragte: ob er denn vielleicht schon Abschied von mir nehmen, und nicht noch einen Tag und Nacht ausruhen wolte? Seine Antwort war: Ich kan nicht länger bleiben, mein Freund, habt Danck vor euren guten willen, unterwegs auf freyem Felde werde noch etwas weniges von eurem Vergnügen sprechen. Solchergestallt sahe mich betrübter weise gezwungen, ihm zu gehorsamen, und auf den Weg zu begleiten, unterwegs offenbarete er mir noch verschiedene chymische treffliche Vortheile, allein wegen [303] der Haupt-Sache blieb es darbey: daß er erstlich mit seinem Meister Daniel sprechen, und demselben meinetwegen einen Gewissenhafften Bericht abstatten müsse, worauff ich die Antwort, oder vielleicht den Meister Daniel selbst zu sprechen, bekommen solte; wenn ich mich bemühen wolte, mich auff künfftigen ersten Christ-Tag in Cassel bey einem gewissen Gastwirth, den er mir sehr eigentlich bezeichnete, zu melden.

Also schied dieser Gast, dessen Nahmen ich nicht erfahren konte, von mir, ich gieng zurück an meine Arbeit, und blieb biß zu Ende des Novembris in meiner Station, brachte alle unter der Hand gehabte Massen und Mixturen so weit zu rechte, daß sie bey genauer Untersuchung nicht getadelt werden konten, kauffte mir ein gutes Pferd und reisete darvon, ohngeacht mich der neue Patron sehr inständig zum längern dableiben animiren, und meinen Lohn um die Helffte verbessern wolte.

In Hoffnung war ich nunmehro ein sehr reicher Mensch, an baaren Gelde aber hatte doch auch so viel, daß mich in Deutschland auch an dem aller vornehmsten Orte zu etabiliren getrauen konte. Allein die Sache bekam in wenig Tagen ein gantz anderes Ansehen, denn auf der Reise nach Cassel zu, wurde ich eines Morgens gar früh, und zwar im Walde, bey sehr strenger Kälte, von 4. Strassen-Räubern angehalten und genöthiget, ihnen alles bey mir habende Geld, nebst andern Sachen, und so gar den Mantel-Sacke zu überlassen, denn zwey von diesen Buben setzten mir ihr aufgezogenes Gewehr in die Seiten, da inzwischen die beyden andern mein [304] Vermögen auspresseten. Dem ohngeacht muste es vor eine besondere Gnade passiren, daß sie mir nicht allein mein Pferd, sondern auch ein klein Paquet gediehenes Gold, nicht abnahmen, welches letztere ich, ihnen unbewust, auf der Brust an einer güldenen Kette hangen hatte.

Ich machte unterwegens nicht viel Wesens von diesem mir passirten Streiche, um desto sicherer vor den Nachstellungen solcher Leute zu seyn, nahm mich aber besser in acht, und reisete niemahls alleine, biß ich endlich 12. Tage vor Weyhnachten, die Residentz-Stadt Cassel erreichte, und mich bey dem bezeichneten Wirth einlogirte. Allda verkauffte ich mein Pferd mit Sattel und Zeug vor 62. Thlr. zehrete sehr spaarsam, und wartete mit Schmertzen, nicht so wohl auf das erfreuliche Weyhnachts-Fest, sondern vielmehr auf die erqvickende Gegenwart des unvergleichlichen Daniels.

Der erste Christ-Tag lieff vorbey, es meldete sich meinetwegen niemand, derowegen nahm Gelegenheit, meinen Wirth, Abends sehr spät in geheim zu sprechen, und von ihm zu erfahren: Ob er mir keine Nachricht von dem berühmten Chymico Daniel, oder seinen Consorten geben könne. Der Wirth stellete sich anfänglich sehr frembde, und animirte mich zu einer etwas deutlicherern Erklärung, worauf er endlich sagte: Habt nur Gedult, mein Herr, der Tag ist vielleicht heute zu heilig gewesen, eure Freunde werden sich wohl Morgen oder Uber-Morgen melden, inzwischen blieb er dabey, daß er weder den, von mir gerühmten Daniel noch seine Consorten kenne, oder jemahls, seines [305] Wissens, einigen Umgang mit ihnen gehabt. Der andere Feyertag verstrich auch zu meinem grösten Leydwesen, allein am dritten bekam ich früh Morgens, von einem unbekandten Knaben folgende Zeilen eingeliefert:


Monsieur,


Mein abgeschickter Freund hat mir eures Wesens halber wahrhafften Bericht abgestattet, ich erkenne daraus, daß ihr nur noch sehr wenig Schritte von dem benebelten güldenen Hause der hi lischen Weißheit entfernet seyd, jedoch durch die allergeringste Unbehutsamkeit, gar leichtlich in einen solchen Irr-Garten gerathen könnet, worinnen ehe der Todt als der gewünschte richtige Rück-Weg zu finden ist. Mir ist nicht erlaubt, euch weitere Nachricht zu geben als diese: Erweget denjenigen Zweck sehr wohl, wornach ihr so begierig zielet, und fraget euer Gewissen ohne Heucheley, was geschehen soll, wenn derselbe getroffen ist. Lasset euch im übrigen meine und meines Freundes gehaltenen Reden nicht aus den Gedancken fallen. Ist eure Absicht ohne Tadel, so wird euer Thun gelingen, wo nicht? so schlägt es fehl. Inzwischen habt ihr von eurem Wirth, ein versiegeltes Paqvet abzufordern, worinnen 500. Stück Ducaten sind, die euch nach Erfahrung dessen, daß ihr unterwegs von den Räubern geplündert worden, zu einiger Recreation überreicht, und im Zweiffel stehet, ob er fernet mit euch handeln darff, dennoch [306] aber der Pflege des höchsten Gebers aller Güter empfiehlet


euer Freund

Daniel Artista.


Ich wurde von Wehmuth und Bangigkeit gantz aus mir selbst gesetzt, nachdem ich diese bedenckliche Zeitung erfahren, und die gäntzliche Rechnung zu machen hatte, daß der vortreffliche Meister Daniel mich mit seiner Conversation nicht ferner-beglückseeligen wolte, doch weil mit übrigen Sorgen und Grämen mein Schicksaal nicht verbessert werden konte; so gab mich endlich geduldig drein, foderte das Päcklein Geld von dem Wirth, welcher selbiges diesen Morgen von einem frembden Menschen empfangen zu haben vorgab, und war willens, eine Reise zu meinem Groß-Vater zu thun, an welchen ich nicht geschrieben, seit der Zeit ich ihm die 500. spec. Ducaten aus Engelland per Wechsel übermacht hatte, setzte mich auch wenig Tage nach dem Feste auf die Post, und reisete fort. Indem nun einigen Umweg nahm, und zwar aus keiner andern Ursache, als einige berühmte Städte und Residenzen in Augenschein zu nehmen, fiel mir in einer derselben, da ich im Post-Hause durchs Fenster guckte, von ohngefähr mein ehemahliger sauberer Meister Elias nebst seinem schelmischen Consorten Elisæo in die Augen, welche ich, ohngeacht sie sich ziemlich verstellet, rothe Kleider, weisse Peruquen und Tressen-Hüte trugen, augenblicklich erkandte, und bemerckte, daß sie am Marckte vor dem Laden eines Materialisten stehen blieben. Demnach fragte ich den bey mir stehenden Post-Meister, nach den Nahmen [307] und Stande dieser beyden Stutzer, und erfuhr sub rosa von ihm, daß es ein paar berühmte Laboranten wären, deren Nahmen aber er so genau nicht sagen könne. Wenige Zeit hernach kamen beyde Stutzer selbst auf die Post, da ich denn die allerbeste Gelegenheit hatte, selbige desto genauer zu erkennen, mich aber konten sie nicht wahrnehmen, indem ich meine schwartze Schaaf-Peruque gantz über die Backen gezogen, und mich in den Reise-Rock verhüllet, auf einem, im dunckeln Winckel stehenden Groß-Vater-Stuhl gesetzt, und eine Stellung gemacht, als ob ich schlieffe.

Sie hielten sich zu meinem Vergnügen nicht lange auf, sondern löseten ihre, auf der Post mit gekommenen Paqveter und Briefe ab, welche ein Knecht hinter ihnen her auf die Burg tragen muste, ich aber erfuhr bey solcher Gelegenheit auf der Stätte, was vor erdichtete Nahmen sich diese beyden Hängens-würdigen Spitz-Buben gegeben hatten. Das Vergnügen, so mir dieses unvermuthete Antreffen verursachte, läst sich nicht mit Worten ausdrücken, um aber ihnen beyden zu meiner Revange einen wichtigen Streich zu spielen, stellete ich mich an: als ob mir eine hefftigeColica die weitere Reise verböthe, ließ also die Post fahren, und zu meiner Verpflegung alles dienliche herbey schaffen. Gegen Abend befand ich mich vollkommen gesund, konte gut speisen, und bedaurete zum Scheine, daß die Post allbereit fort wäre, allein dem Herrn Post-Meister schien eben nicht ungelegen zu seyn, daß ich 3. oder 4. Tage bey ihm auf die andere warten muste, und mir war es gleichfalls lieb, daß sich noch [308] selbigen Abend eine Compagnie von 5. oder 6. honetten Personen zusammen, unter selbigen aber zwey Hof-Bediente fanden, die, wie ich aus ihren Gesprächen hörete, täglich sehr nahe um den Lands-Herrn waren.

Das Gespräch kam endlich auf die beyden Laboranten, und da ich ihre Haupt-Streiche ausgekundschafft, und in Erfahrung gebracht: daß ein gewisserMinister von ihren Künsten gäntzlich bezaubert sey, auch nicht das geringste Mißtrauen in sie setzte, her gegen der meiste Hauffe, diese Kerls vor Land-Läuffer und Betrüger hielte, kartete ich mit vorerwehnten beyden Hof-Bedienten, noch selbigen Abend die Sache dergestalt heimlich, ab, daß sie mich bey Nachts-Zeit mit auf die Burg führeten, ihrem Principal mein hertzhafftes Unternehmen vorstelleten, und es endlich dahin brachten, den beyden berüchtigten Spitz-Buben entgegen gestellet zu werden, welche den strengesten Befehl erhielten: ihre gerühmte Probe in meiner Gegenwart zu machen, und sich von mirtentiren zu lassen.

Ey Himmel! wie erschracken Meister Elias undElisæus nicht, da ich ihnen so unvermuthet vor die Augen kam, allein die abgefeimten Betrüger wusten sich augenblicklich in den Handel zu finden und anzustellen, als ob sie mich Zeit Lebens nicht mit Augen gesehen hätten. Ich sparete keine Mühe, denEliam wegen seiner Verjüngerung, Entzückungen, geheimen Offenbahrungen und andern von ihm selbst erzehlten Streichen aufs allerempfindlichste zu schrauben, welches er aber alles ohne besondere Passion zu zeigen, einfraß, und sich nur darauf verließ,[309] mir mit seiner listigen Probe das Maul desto nachdrücklicher zu stopffen. Allein, darbey kamen mir des Meister Danielis Lehren trefflich zu statten, denn es traff alles accurat ein, was mir derselbe von des Eliæ Spitz-Buben-Streichen offenbahret hatte. Kurtz zu sagen: Elias konte zwar die Probe in seinem selbst zubereiteten Schmeltz-Tiegel zu wege bringen, und 2. Loth Bley in Gold verwandeln, allein in keinem andern, ohngeacht ihm die allerstärcksten dargereicht wurden. Derowegen nahm ich mit Erlaubniß des Principals drey von des Eliæ Schmeltz-Tiegeln, setzte zwey ins Feuer, und ließ, ohne daß jemand weder Bley noch sonsten etwas hinnein geworffen hatte, nachdem sie eine Zeitlang wohl geglüet hatten, aus jedem, 2. Loth feines Gold auf die Steine schütten, den dritten Schmeltz-Tiegel aber schlug ich mit einem Hammer in Stücken, entdeckte den darein gegossenen Gold-Staub und zugleich den gantzen Betrug, so, daß die beyden eingebildeten Künstler wie Butter an der Sonne bestunden. Nachhero da ich eine hinlängliche Nachricht, von den, mir und andern Leuten gespielten Schelm-Streichen abgestattet, und die am letztern Orte vorgehabte grausame Filouterie darzu kam, hatte ich das Vergnügen, die beyden grossen Alchymistischen Welt-Lichter an zwey Schutt-Karne schmieden zu sehen, auf welchen sie den Unflath, in und um der Burg, hinweg schaffen musten. Auf ihren hocherfahrnen Häuptern prangete eine grosse eiserne Sturm-Haube, mit angeschnallten würcklichen Esels-Ohren, über diesen ein eiserner proportionirlicher Galgen, in welchem eine kläglich [310] lautende Kuh-Schelle hing. Das war also der Lohn solcher verzweiffelten Ertz- Bösewichter, denen alles gleich viel geschienen, ob sie hohe, mittelmäßige, geringe, kluge oder einfältige Personen zu betrügen vor sich finden konten, eine grosse Gnade hieß es, daß sie wegen ihrer erstaunlichen Verwegenheit nicht Hangel-Beeren fressen musten, wie mein ehemahliger Compagnon Renard in Engelland, jedoch ich halte davor: daß dergleichen Straffe, vor Menschen von solcher Gattung, noch weit empfindlicher sey als der Todt selbst.

Mir wurde an diesem Hofe eine nicht unebene Bedienung angetragen, allein ich deprecirte dieselbe aus keiner andern Ursache, als meinen Groß-Vater in seinem Alter zu assistiren, und meine Goldmacher-Streiche in Geheim darbey fortzuführen, reisete also mit einem guten Recompens von dañen.

Wenige Tage hernach ließ ich mich an einem andern Orte dennoch überlistigen auf eine Zeit lang, alsMechanicus und Chymicus zugleich, in die Dienste einer gewissen Standes-Person zu treten, weil selbige ungemein vortheilhafftig vor mich schienen. Zwar nahm ich erstlich noch eine Reise zu meinem Groß-Vater vor, allein, derselbe war bereits gestorben, und zu Vergrösserung meines Unvergnügens war, mein aus Engelland an ihn übermachter Wechsel, wegen des Banquerots des Wechsel-Herrens mit Protest zurück gegangen, derowegen muste mich mit 600. Thlr. ererbeter Groß-Väterlicher Gelder begnügen lassen, und wieder zurück an denjenigen Ort reisen, wo ich mich engagirt hatte. Ich etabilirte meine Haußhaltung sehr wohl, ließ mich [311] auch bereden, ein junges rasches Frauenzimmer zu heyrathen, die der gemeinen Sage nach über 4000. Thlr. im Vermögen haben solte, allein, da es nach der Hochzeit zur Untersuchung kam, fanden sich kaum 400. Thlr. Heyraths-Gut, welches den ersten Grund-Stein zu unserm Mißvergnügen legte. Über dieses führete meine Frau einen ungemeinen Etaat, lebte herrlich, und hatte täglichen Besuch von guten Freunden, so wohl männliches als weibliches Geschlechts, die sie als ein gewesenes Hof-Frauenzimmer entweder bey Hofe oder sonst von Jugend auf gekannt haben wolten. Solchergestalt war ein starcker Aufgang in meiner Haußhaltung, mein meistes Geld aber, hatte ich in ein kostbares Hauß, und dann in das pestilentialische laboriren gesteckt, um nunmehro den Stein der Weisen mit Gewalt heraus zu zwingen.

Bey sothaner doppelten Arbeit und Sorgen, konte nun freylich auf meiner jungen Frauen Wirthschafft, nicht sattsame Achtung geben, und ob ich gleich dieselbe auch nicht alle Stunden mit den zärtlichsten Caressen überhäuffte, so ließ ich ihr dagegen in allen ihren Willen, nicht vermeynend, daß sie von der Art derjenigen Weiber sey, welche die, in dem Liebes-Wercke nachläßigen Männer mit Hirsch-Geweyhen zu crönen pflegen. Allein, ich erfuhr selbiges leyder zu meinem allergrösten Unglücke mehr als zu wahrhafftig, denn da ich mich eines Tages wegen hefftiger Kopff-Schmertzen ohnbewust meiner Frauen, im Cabinet der obern Stube, ein wenig aufs Faulbette gelegt, kam meine Frau ganz eilig auf eben dieselbe Stube gelauffen, [312] klapperte mit den Schlüsseln, und schloß einen von ihren Wäsch-Kastens auf, der gantz nahe bey meinem getäffelten Cabinet stunde, krahmete mit ein und andern Sachen, und sunge inzwischen etliche schändliche Verse eines geilen Buhler-Liedes, welches sich vor eine reputirliche Frau gantz und gar nicht geziemete. Indem nun eben im Begriff war, sie dieserwegen zu reprimandiren, hörete ich eine gantz leise herbey schleichende Person folgende Worte sprechen: Ihr Knecht, Madame! wie stehts, werden sie bald fertig seyn? Mademoiselle N. wartet mit Schmertzen auf sie, und die übrigen sind schon voraus. Lasset sie seyn, gab meine Frau zur Antwort, wir wollen noch zeitig genung nachkommen, das Nickelgen muß wohl warten, allein, mein Kind, du darffst nicht halb so ehrbar thun, denn wir sind alleine. Wo ist denn dein Mann? mein Engel, fragte der Courtoisan ferner, ich bin gekommen, ihn ehrenthalber auch zu dieser Lust zu invitiren. Ach! schrye meine Frau, laß den Unflath ja zu frieden, der wird vor Mitternachts nicht aus dem Kohlen-Staube gekrochen kom men, denn er hat sich Essen und Trincken genung insLaboratorium bringen lassen. Das ist ja vortrefflich, versetzte der Courtoisan, allein, solchergestalt wäre nicht uneben, wenn wir uns nach abgeschlossenen Thüren ein kleines Vergnügen machten. Ists nicht zu viel, sagte meine Frau, dergleichen bey hellen lichten Tage vorzunehmen? Hierauf antwortete der Ehebrecher mit verschiedenen Küssen, die ein lautes Geklatsche verursachten. Bald hernach gingen beyde hin, verschlossen und verriegelten die Thüren, [313] worbey meine geile Bestie noch diese Worte von sich hören ließ: Mein Engel! wenn ja jemand anpochen solte, so kanstu dich nur durch jene Kammer über den Gang in den Hof reteriren, du must dich aber ja in acht nehmen, denn die Breter sind auf dem Gange noch nicht angenagelt, und könten leichtlich aufküpffen. Gut, gut! sprach der Cujon, führete hiermit das schändliche Weib zum Bette, und nahm eine solche verfluchte Arbeit mit derselben vor, die mich, der ich durch eine Spalte guckte, zu recht rasender Wuth verleitete. Solchemnach ergriff ich ein an der Wand hangendes scharff-geschliffenes Couteau de chasf, stieß die Thür auf, und versetzte meinem Ehren-Schänder, der eben zurück springen, und seinen auf den Tisch gelegten Degen ergreiffen wolte, einen kräfftigen Hieb über den Kopff und gleich darauf einen Stich in die Brust, daß er augenblicklich zu Boden stürtzte, und in einer häßlichen Positur mit herabgefallenen Bein-Kleidern liegen blieb. Das ehebrecherische Weib sprung darvon, hatte sich aber doch nicht gnugsam vor demjenigen Unglücke hüten können, wovor sie nur kürtzlich ihren Schand-Bock gewarnet hatte, sondern war mit etlichen Bretern herab auf den scharffen Rand eines Brau-Bottichs gefallen, die nachschiessenden Breter und kleinen Schwellen aber hatten ihr gleich auf der Stelle das Hals-Genick und Rück-Grad abgestossen.

In meinem gantzen Hause war keine eintzige Seele, welche nur das geringste von diesem Unheil gemerckt oder gehöret hatte, derowegen bedeckte ich den in seinen Sünden zerqvetschten und entseelten [314] Cörper mit Bretern und Fässern, verschloß den Stall so wohl als alle andere Thüren zur Stube, worinnen der auch bereits verreckte Ehebrecher lag, aufs beste, nahm von meinem noch übrigen Gelde, Geschmeide und andern nöthigsten Sachen so viel zu mir, als ich in und unter den Kleidern verbergen konte, und begab mich schleunigst auf die Flucht, war auch so glücklich, vor der Stadt einen geschwinden Post-Wagen anzutreffen, dem ich mich anvertrauete, und wenig Tage hernach eine sonst wohl bekandte Stadt erreichte, allwo ich meine Kleider veränderte, und en Courier die Reise nach Hamburg antrat, von wannen ich bald hernach zu Schiffe nach Coppenhagen überging, mithin mein Hauß und übriges Vermögen alles im Stiche ließ, um auch desto unbekandter zu leben, meinen ordentlichen Geschlechts-Nahmen veränderte, und mich Plager nennete. Wie es in meinem Hause weiter zugegangen, zumahlen da man die entleibten Cörper gefunden, weiß ich nicht, habe mich auch niemahls darum bekümmern wollen, hergegen zog ich mir die grausame jachzornige Übereilung dermassen zu Gemüthe, daß ich fast in die allerelendeste Verzweiffelung gefallen wäre, jedoch ein vortrefflicher Priester in Coppenhagen, dem ich alles, was ich auf dem Hertzen liegen hatte, aufrichtig erzehlete, hat mich endlich in den Stand gesetzt: den Verzweiffelungsvollen Versuchungen des Satans jederzeit kräfftigen Widerstand zu thun, und mit ernstlicher Busse, bey GOtt die Vergebung aller begangenen Sünden zu suchen. Ja eben dieser gottselige Priester, hat nachhero in meinem Hertzen einen vollkommenen [315] Eckel gegen die betrüglichen Goldmacher-Künste angezündet, und mir zu täglichen Denck-Sprüchen unter andern auch folgende Lateinische und Deutsche Verse recommandiret:


Auri sacra fames quid non mortalia cogis
Pectora? res fallax, cognita sero, vale!

Verda ter Gold-Durst, hastu nicht so manches Hertz in Schmertz gebracht?
Nun kenn' ich dich, du falsche Kunst, zwar etwas spät, drum gute Nacht!

Ich habe nach der Zeit die Transmutationem Metallorum zwar vor kein solches Geheimniß betrachtet, welches GOtt durchaus keinen sterblichen Menschen offenbahret habe oder offenbahren wolle, allein doch auf gründliche Vorstellungen des gottseeligen Priesters und Uberlegung meiner eigenen Erfahrung, dieserwegen gantz andere, als vormahlige Concepte gefasset, welche ich zu anderer Zeit eröffnen will.

Von selbiger Zeit an ergriff ich meine ordentlicheProfession, nehmlich die Mechanic, wieder, und habe, so lange ich nachhero in Coppenhagen war, täglich sehr fleißig darinnen gearbeitet, wie mir solches gegenwärtiger Mons. Litzberg, der mich ohngefähr 2. Jahr lang in Coppenhagen gekennet, aufrichtig und wohl bezeugen wird. Da aber nach der Zeit in Amsterdam an einer gewissen Welt-berühmten Machine gearbeitet wurde, worbey ich vor meine, vielleicht nicht unangenehme Invention und Handanlegung, so wohl als andere Künstler, ein gut Stück Geld zu verdienen vermeynete, nahm ich die Reise dahin vor mich, beredete auch Mons. [316] Litzbergen, einen beliebten Reise-Gefährten abzugeben. Allein die Führung des Himmels hat es besser mit uns gemeynet, denn wie bereits bekandt ist, sind wir in Lübeck an den Herrn Wolffgang gerathen, der uns nebst andern Gefährten, auf diese glückseelige Insul geführet hat, allwo ich nunmehro, dem Himmel sey Danck, ein dermassen ruhiges und vergnügtes Leben führe, welches gegen keinen philosophischen Stein vertauschen wolte, und wenn derselbe gleich den allergrösten Mühlstein am Gewicht überträffe, wünsche also weiter nichts mehr, als meine übrige Lebens-Zeit in wahrer Frömmigkeit zuzubringen, auf der Insul meinen liebsten Freunden nützliche Dienste zu leisten, und endlich in den Armen meiner liebsten Dorothee Jacobine, ruhig und seelig zu sterben.

Solchergestalt, meine Herrn und Freunde! sagte nunmehro Mons. Plager zum Beschlusse, habe ich ihnen einen offenhertzigen Bericht, meines von Jugend auf geführten Wandels abgestattet, ich weiß aber nicht, ob ich wünschen darff, daß sie demselben ferner nachdenken, oder zum wenigsten meine Thorheiten und Ubelthaten gantz und gar wieder vergessen möchten, jedoch mein bester Trost ist dieser: daß ich ein besserer Christ geworden, und auch vollkommen gesonnen bin, mich Zeit-Lebens also aufzuführen, da ich, GOtt Lob, im Stande lebe, meinen ehemahligenAffecten ein Gebiß anzulegen, und sie nicht über mich herrschen zu lassen.

Also endigte Mons. Plager die Erzehlung seiner Lebens-Geschicht, aus welcher wir, an seiner Person und gantzen Wesen, nichts anders zu tadeln fanden:[317] als daß er sich der hefftigen Gold-Begierde, und denn dem Jäh-Zorne allzu starck überlassen, den Vermahnungen seines sterbenden Vaters nicht besser nachgelebt, und sich an dessen Exempel gespiegelt hätte, denn wie er annoch selbst bekennete, so hatte er die meiste Gesellschafft mit unchristlichen Leuten, Ovackern und Mennonisten gepflogen, wie denn auch sein ehebrecherisches Weib eine übel conduisirte Reformirte gewesen war. Es gab auch viel Disputirens unter uns: ob er recht oder unrecht gethan, den leichtfertigen Ehebrecher so plötzlich zu überfallen und zu ertödten? allein, endlich fiel doch der Schluß dahinnaus, daß es christlicher gehandelt gewesen, wenn die Selbst-Rache unterblieben wäre.

Nachdem aber unter dergleichen Gesprächen der Abend einzubrechen begunte, nahm ein jeder die Rückreise zu seiner Wohnung vor sich, mit dem Verlaß, ehester Tags, wenn es dem Alt-Vater beliebte, inStephans-Raum zu erscheinen, um daselbst des Tischlers Lademanns, und des Müllers Krätzers Lebens-Läuffte anzuhören.

Solches verzohe sich nun zwar auf etliche Tage, weil der Alt-Vater einen schlimmen Zufall von Stock-Schnupffen und truckenen Husten bekam, allein, nachdem er endlich durch gute Wartung und Bey-Sorge Mons. Kramers, der ihn mit den HerrlichstenMedicamenten zu Hülffe kam, wiederum völlige Besserung verspürete, und ihm von dem letztern selbst, eine kleine Spazier-Fahrt zur Motion, angerathen wurde, begaben wir uns in seiner Gesellschafft nachStephans-Raum, nahmen erstlich den neuen Mühl-Bau in Augenschein, und bezeugten [318] eine besondere Freude darüber, denn das gantze Gebäude stund schon völlig unter dem Dache, mittlerweile aber, da andere dasselbe vollends tünnchten und ausputzten, arbeiteten Lademann, Krätzer und Herrlich, nebst ihren Lehrlingen an den Mühl-Rädern, welche sie aufs längste binnen 14. Tagen einzulegen vermeinten, nachhero Mühl-Steine aus dem Alberts-Hügel, als welcher Stein sich am allertüchtigsten darzu anließ, aushauen, so dann gleich nach vollbrachter Erndte, zu mahlen anfangen wolten. Allein, weil der Alt Vater freundlich zu vernehmen gab, wie er dieses mahl inLademanns Wohn-Hause abzutreten gesonnen sey, und gegen Abend das Vesper-Brod bey ihm speisen wolte, gaben die Meisters ihren Lehrlingen und Handlangern ein abgemessenes Stück Arbeit auf, und begleiteten uns alle drey in Lademanns Wohn-Hauß, allwo sich auch in kurtzen Herr Wolffgang, Litzberg und Plager einstelleten, weil wir selbigen unsere Dahin-Reise zu wissen thun lassen. Wir ladeten uns an einen wohlschmeckenden und sehr kühlen Hauß-Truncke, rauchten, weil es etwa 3. biß 4. Stunden nach der Mittags-Mahlzeit war, Toback darbey, da aber unser Wirth mit seiner jungen Hauß-Frauen dasVesper-Brod aufgetragen, und der Alt-Vater mit freundlichen Worten zu vernehmen gab, wie er wünschte, seine, nehmlich

Des Tischlers Lademanns Lebens-Geschicht

anzuhören, machte sich derselbe alsofort bereit darzu, und fieng seine Erzehlung also an:

Ich Johann Bernhard Lademann, bin vor nunmehro [319] 36. Jahren, auf einem Dorffe ohnweit Altenburg, zur Welt gebohren worden. Mein Vater hatte zwar ein kleines Hauß, nebst etlichen Ackern Feld, überließ aber die Wirthschafft deßfalls meiner Mutter, und verdiente sein Geld hier und dar mit der Geige, Schalmeye, und sonderlich mit dem Hacke-Brete, welches er, in Betrachtung, daß alles ein von sich selbst gelernetes Werck war, sehr gut spielen kunte, und dieserwegen unter noch 6. andern dergleichen Dorff-Musicanten, der so genannte Premieur wurde. Seiner Kinder waren 5. nehmlich drey Töchter und zwey Söhne, mein ältester Bruder, der in der Schule mit gröster Mühe, nebst dem Catechismo, etwas weniges lesen und schreiben gelernet, wolte sich zu nichts anders als dem Acker-Baue beqvemen, wurde derowegen darbey gelassen, ich als der jüngste aber, hätte es vermuthlich etwas weiter bringen können, wenn mich der Vater nicht sehr frühzeitig mit auf die Hochzeiten und andere Aufwartungen genommen; alwo ich die Pratsche par force mit spielen muste, es mochte auch klingen oder klappen, jedoch ausser der Zeit, wenn nehmlich nichts zu thun war, hatte doch mein Vater die Sorgfalt, mich dann und wann wieder in die Schule zu schicken, und weil ich eine Sache weit leichter, als mein Bruder, fassen konte, so geschahe es, daß mir nebst dem Lesen, Schreiben und Rechnen etwas weniges vom Donate in den Kopff gebracht wurde. Um die Hauß-Arbeit aber durffte ich mich wenig oder nichts bekümmern, sondern ausser den Schul Stunden, meine Zeit auf das Hacke-Bret, Schallmeye undDiscant-Geige wenden, und [320] solchergestalt sahe ich schon in meinem 12ten Jahre, einen halb vollkommenen musicalischen Pfuscher so ähnlich, als ein Ey dem andern.

Mein Vater hatte eine besondere Freude: daß ich in seiner Profession so trefflich wohl einschlug, und bey so jungen Jahren mein Brod, nicht allein mit musiciren, sondern vielmehr mit haseliren verdienen konte. Denn ich machte mich mit den vornehmsten Lieder-Trägern bekandt, kauffte ihnen jederzeit die neusten und lustigsten Lieder ab, lernete dieselbe aufs beweglichste singen, auf dem Hacke-Brete selbst darzu spielen, verdiente also, zumahlen wenn der Vater den Bass darzu brummete, manchen schönen Groschen besonders, welches Geld ich aber mehrentheils dem Schulmeister zuwendete, der mir die Noten und das Orgel-Spielen lernen muste.

Dem Schulmeister, stund mein anschlägischer Kopff vor allen andern sehr wohl an, denn ich lernete einen feinen Discant singen, also konte er mich bey seiner Kirchen-Music, die mein Vater und seine Consorten, wenn sie mitspielen solten, vorhero auswendig lernen musten, sehr gut brauchen, vor allen Dingen war ich ihm ein sehr nützlicher Pursche, wenn wir um die neue Jahrs-Zeit stapuliren giengen, und auf den umliegenden Dörffern das neue Jahr sungen, denn solches währete gemeiniglich 14. Tage, biß 3. Wochen, wir nahmen aber täglich, selten mehr als ein oder ein halbes Dorff vor, setzten uns hernach Abends in die Schencke, allwo ich gemeiniglich mein kleines Hacke-Bret und des Schulmeisters Geige aufzuheben gegeben [321] hatte, fiengen an zu singen und zu musiciren, nahmen uns öffters auch kein Bedencken, zum Tantze aufzuspielen, da denn alt und jung, Geld über Geld gab, und darzu Maul und Nase über solche Virtuosen aufsperrete. Von allem was wir verdienten, bekam ich den halben Theil, es müste denn seyn, daß der Schulmeister die Theilung nach seinem Gefallen gemacht hätte, wie ihm denn mein Vater, da er sich hernachmahls mit ihm zanckte, deßfalls eines offenbaren Betrugs beschuldigte, jedoch ich, meines Orts war vollkommen zu frieden, wenn ich so lange es währte, alle Tage 8. 10. ja gar biß 12. Groschen verdienen konte, wovor mir meine Mutter rothe Brust-Lätze, schöne Schuh und Strümpffe kauffen muste, bundte Bänder aber bekam ich zur Gnüge von den Bauers-Töchtern auf den Hochzeiten geschenckt.

Allein der Handel zwischen mir und dem Herrn Schul-Meister kam endlich vor unsern Pfarr-Herrn, der dem erstern das Cantate legte, meinen Vater und mich aber ebenfalls zu sich beschied, den erstern einen derben Verweiß gab: daß er mich in allen ärgerlichen Leben erzöge und allerley Schand-Lieder zu singen erlaubte, ja noch seine Freude darüber bezeugte, mir aber drohete er mit der Zurückstossung vom Beicht-Stuhl und heil. Abendmahle, (als welches ich in meinem 14ten Jahre zum erstenmahle empfangen wolte,) woferne ich mich nicht bessern, und in der Güte von solchen Schand Possen ablassen würde. Diese Drohungen verursachten unserseits doch so viel, daß wir dieses beste Stück unserer Profession etwas heimlicher trieben, [322] hergegen desto mehr Geld damit verdienten, und weil der Pfarrherr einige Kundschafft darauff gelegt und erfahren hatte, daß ich an etlichen Orten, wo ich aber wohl wuste, daß ich meine Aufseher hatte, durchaus keine Zoten-Lieder singen wollen, hielt er mich vor einen bekehrten Sünder, mithin vor seinen besten Beicht-Sohn. Aber der fromme Mann erfuhr bald, wie er sich in seiner Meynung schändlich betrogen, denn gleich des Tages darauf, nachdem ich zum heil. Abendmahl gewesen, wurde ich von meinem Vater in die nächst gelegenste Stadt geschickt, um Säyten und Colofonium einzukauffen, der Pfarrer hatte selbiges erfahren, gab mir also einen Brieff an den Buchdrucker selbiger Stadt mit, nebst dem Befehle, ihm von besagten Buchdrucker einen Pack gedruckter Sachen mit zurück zu bringen. Nachdem ich nun meine Dinge in der Stadt meistens ausgerichtet, bey dem Buchdrucker aber eine gute Zeit aufgehalten wurde, indem er eine starcke Parthey Bettel-Leute ebenfalls mit gedruckten Sachen abzufertigen hatte, welche Sachen ich aber nicht so genau bemercken konte, weil er in seiner Kammer alles gar heimlich mit ihnen tractirte, in der Stube aber nur sein baares Geld, vor die zusammen gepackten Sachen in Empfang nahm, erblickte ich doch endlich einen bedruckten Bogen unter dem Titul: Vier schöne weltliche lustige Lieder, das Erste: Lissetgen hat Studenten-Gut im Arme etc. Das andere: Wer kan diekrancken Jungfern trösten? der etc. Das dritte:Mei Hanns komm met mer ins Korn etc. Das vierdte: Ae Schmätzgen [323] schmeckt wie Zucker-Cand, etc. Gedruckt zu Cölln am Rhein, da die wackern Mädgens seyn. Mein Hertz im Leibe fieng vor Freuden zu hüpffen an, da ich diese allerneusten noch nie erhörten vortrefflichen Lieder, nebst beygesetzten bekandten Melodeyen ins Gesichte bekam. Ich fragte mit ängstlichen Gebärden den Buchdrucker-Gesellen, ob er diese Lieder zu verkauffen hätte, und was sie kosteten? Er forderte einen Groschen, und da ich fragte: wie es käme, daß diese so theuer, andere solche Stücke Pappier aber, um 8. oder 9. Pf. wohlfeiler waren? gab er zur Antwort: Ja mein lieber Sohn, neue Sachen gelten allezeit mehr und noch 4. mahl so viel als die alten, ein anderer als ihr müste wohl 18. Pf. darvor geben. Derowegen zahlete ich ihm 1. gl. steckte den halben Bogen zu mir und fragte: ob keine andere Sorten von dergleichen Liedern vorhanden wären, indem ich, als ein junger Musicus dergleichen Sachen höchst von nöthen hätte, und mein baares Geld schon wieder heraus zu bringen wüste. Sogleich meldete sich der Meister oder Herre selbst, brachte eine unzählige Zahl von noch mehrern allerneusten Liedern, ließ sich aber besser behandeln als der Geselle, denn ich bekam vor 16. Groschen einen dermassen starcken Pack Lieder, daß ich denselben kaum ertragen konte.

Vor diese 16. Groschen solte ich meiner Schwester 2. Ellen blauen Cattun mitbringen, allein ich gedachte: Cattun ist alle Tage zu bekommen, dergleichen vortreffliche Lieder aber sehr selten, und also legte ich mein Geld mit desto grössern Freuden an, [324] in Hoffnung mich mit meiner Schwester deßfalls schon zu vergleichen. Im Hinweggehen, steckte mir der Buchdrucker noch ein ziemlich Paqvet von dergleichen trefflichen Liedern in den Busen, und sagte darbey: Mein Sohn, saget eurem Herrn Pfarrer ja nichts, daß ihr diese Lieder von mir gekaufft habt, auch sonsten niemanden etwas davon, sondern haltet dieselben heimlich, so will ich euch in zukunfft mehr dergleichen vor halb Geld zukommen lassen, denn ich habe fast alle Wochen gantz spannagel neue, und zwar die allervortrefflichsten, welche ein berühmter guter Meister in der Vers- und Singe-Kunst macht, und wenn ihr verschwiegen seyd, will ich euch jederzeit ein Stück oder 6. in den Kauff geben. Ich versprach alles wohl zu mercken, was er mir sagte, und reisete über meinen erhandelten Schatz, höchst vergnügt von dannen. Kurtz vor der Stadt begegnete mir mein Bruder und brachte an: daß mein Vater nahe bey der Stadt, auf einem Vorwerge, Auffwartung hätte, weßwegen ich sehr eiligst dahin kommen solte. Diesemnach gab ich meinem Bruder so wohl des Herrn Pfarrers, als mein eigenes Paquet von gedruckten Sachen, befahl ihm das meinige in seine Lade zu schliessen, dem Herrn Pfarrer aber das seinige auf die Pfarr-Wohnung zu tragen, und band ihm darbey sehr ernstlich ein, diePaqueter nicht zu verwechseln, ich aber machte lincks um, und lieff auf das Vorwerck zu, allwo ich meinen Vater nebst zweyen seiner Consorten in voller Arbeit antraff, hergegen um so viel desto freundlicher bewillkommet wurde, weilen die Kindtauffens-Gärste[325] sie wenig Lust mehr zum Tantzen, hergegen desto grössere, mich singen zu hören, bezeugten, und an meiner Ankunfft allbereits gezweiffelt hatten. Ich verdiente vermittelst der Zugabe von den neuen Liedern, welche mir der Buchdrucker in den Busen geschoben hatte, diesen ersten Abend redliche 18. Pf. über dasCapital von 16. gl. welches ich meiner Schwester an statt des Cattuns wieder zu geben schuldig war, andern Tages kam noch ein halber Thaler darzu, also konte ich nebst meinem Vater, der auf seine Portion auch über zwey Thaler verdienet hatte, nach Mitternacht vergnügt nach Hause gehen. Wir legten uns also, da der Himmel schon zu grauen anfieng, sehr ermüdet nieder, und ich wäre gewiß, sonst durch nichts, als die klapperenden Teller zum Aufstehen bewogen worden, wenn mich nicht einer von unsers Herrn Pfarrers Söhnen erweckt, und mit auf die Pfarre zu gehen beredet hätte.

Ich kam dahin, und zwar eben, da der Herr Pfarrer von der Mittags-Mahlzeit aufstund, dessen erste Frage war: Von wem ich das Paquet gedruckte Sachen an ihn zu bestellen empfangen hätte. Ich konte nicht anders, als der Wahrheit gemäß, antworten: Von dem Buchdrucker. Hierauff passireten noch viele andere Fragen und Antworten, endlich aber kam es zu meinem allergrösten Schrecken heraus, daß mein dummer Bruder, die Paqueter verwechselt, meine Lieder dem Herrn Pfarrer gegeben, und hingegen dessen Sachen, vermuthlich in seine Lade geschlossen hatte, welches ich nicht eigentlich wissen konte, weiln [326] er bey meiner Heimkunfft bereits im Bette, vor meinem Aufstehen aber schon mit dem Pfluge ins Feld gezogen war. Ich zittere noch biß dato, wenn ich daran gedencke, wie mir der fromme Pfarrherr die Hölle so heiß, und mich gantz und gar zu einem Teuffels-Kinde machte, worinnen er auch, wie ich nachhero wohl erwogen, das allergröste Recht hatte, jedoch endlich, nachdem ich ihn alles offenhertzig bekennet, und mich rechtschaffen zu bessern versprochen, auch dabey die bittersten Thränen vergossen, fieng er mich wiederum an zu trösten und zu vermahnen, nahm aber das Paquet der weltlichen Lieder, führete mich in die Küche und verbrandte es in meiner Gegenwart auf dem Feuer-Herde, hergegen beschenckte er mich mit einer Bibel, Gebet- und Gesang-Buche, dergleichen Sachen in unserm Hause, theils schlecht, theils gar nicht anzutreffen, waren.

Mein armer einfältiger Bruder muste zwar nachhero das Gelach bezahlen, indem Vater, Mutter und alles, über ihn allein her war, allein was halffs? geschehene Dinge konten nicht geändert werden. Ich trug dem Herrn Pfarrer sein Paquet hin, und bekam von demselben eine nochmahlige gute Vermahnung, ihm mein Wort zu halten, und ja bey Leibe keine Zoten-Lieder mehr zu lesen, vielweniger zu singen. Allein, ob ich auch schon den ernstlichen Vorsatz gefasset hatte, so wurde doch derselbe des leidigen Geld-Verdienstes wegen, nicht allein von üppigen Leuten, sondern so gar von meinem Vater selbst, in wenig Tagen dergestalt zernichtet, daß ich nicht allein meine alten Lieder wieder [327] hervor suchte, sondern auch gegen die Herbst-Zeit, da es die meisten Hochzeiten zu geben pfleget, einen eigenen Weg in die Stadt vornahm, um von dem Buchdrucker etwa vor einen halben Thaler neue Lieder zu kauffen.

Jedoch ich kam bey demselben sehr übel an, denn so bald ich mein Gewerbe mit der grösten Freundlichkeit vorgebracht, stieß der Buchdrucker die schändlichsten Läster-Reden gegen mich aus, und schloß endlich mit solchen tröstlichen Worten: Geh du Spion, du Schelm an den hellen lichten Galgen, und sage dem, der dich abgeschickt hat: er soll sich um seine Postillen-Reuterey und um die weiten Ermel am Pfaffen-Rocke bekümmern, andere ehrliche Leute in ihrer Nahrung aber ungehudelt lassen. Da ich nun bald merckte, wohin der erboste Mann zielte, und was er vor einen wunderlichen Argwohn auf meine Unschuld gelegt hätte, eröffnete ich ihm das Verständniß, mit treuhertziger Erzehlung meiner neulichen Verdrüßlichkeiten, und erhielt endlich mit grosser Mühe von ihm, was ich so eiffrig suchte.

Es ist aber hierbey zu mercken, daß, wie ich nachhero erfahren, dieser Buchdrucker jederzeit vor einen besonders frommen Mann gehalten seyn, und dem Scheine nach, allen Heiligen die Füsse abbeissen wollen, wie er sich denn auch überall gerühmet, er liesse seine Schrifften durchaus zu keinen ärgerlichen Sache gebrauchen, und wenn er vor jeden Bogen 1000. Thlr. zu verdienen wüste, in der That aber war er ein Ertz-Heuchler, der, wie man nachhero erfahren, die allerliederlichsten Sachen [328] von der Welt gedruckt hat, und zwar um einen weit geringern Preiß, als andere seines gleichen. Wegen meiner Begebenheit, hatte ihm unser Pfarrherr, in einem Brieffe, das Gewissen ziemlich geschärfft, und solchergestalt seine Galle über alle massen aufgerühret, jedoch letztlich, nachdem ich ihm meine Unschuld mit den glaubenswürdigsten Eyd-Schwüren dargethan, wurden wir wiederum gute Freunde, und ich bekam die neue Versicherung, ihm jederzeit willkommen zu seyn, wie er denn auch nachhero durch mich allein, manches hundert von dergleichen und andern Lust erweckenden Sachen loß wurde.

Unter dergleichen löblicher Lebens-Art, war nun fast mein 15 des Lebens-Jahr verstrichen, und weil ich schon ziemlich kunstmäßig auf der Orgel und andern Instrumenten spielen konte, ließ sich mein Vater endlich durch das Zureden reputirlicher Leute bewegen: mich zu einem Stadt-Pfeiffer in die Lehre zu verdingen, damit ich nach ausgestandenen 5. Lehr-Jahren, vor einen zukünfftigen Kunst-Pfeiffer-Gesellen passiren könte. Mein Lehr-Printz nahm mich mit Freuden vor ein Blutweniges Lehr-Geld an, in Erwegung dessen, da ich schon geschickt war, ihm gute Dienste zu leisten, allein weil ich mich bey den blasenden Instrumenten allzuscharff angriff, ausserdem das starcke Bier-Wein- und Brandtewein-Trincken allzusehr liebte, stelleten sich gleich nach Verlauff meines ersten Lehr-Jahres hefftige Blutstürtzungen ein, welche mich dergestalt ausmergelten, daß sich endlich mein Vater gezwungen sahe, seinen liebsten Sohn [329] wieder nach Hause zu nehmen. Es sahe eine Zeitlang sehr schlimm mit mir aus, ja der Doctor, welchen mein Vater mehrentheils alle Woche aus der Stadt holen ließ, zweiffelte selbst an meiner Wiedergenesung, jedoch nachdem ich über andert-halb Jahr gekränckelt, fand sich die Besserung nach und nach vollkommen wieder.

Währender meiner Kranckheit hatte mich unser Herr Pfarrer sehr fleißig besucht, und einen ziemlich veränderten Menschen aus mir gemacht, so daß ich durchaus kein musicalisch Instrument, zu Beförderung üppiger Lüste mehr anrühren wolte, ja es stellete sich bey mir ein Eckel, fast überhaupt gegen alleMusic ein, wovon ich doch sonsten ein so grosser Liebhaber gewesen. Mein Vater wolte zwar durchaus haben, daß ich wieder zum Stadt-Pfeiffer in die Lehre gehen solte, da aber der Pfarrherr ohngefähr in einer Predigt den Spruch mit anbrachte: Siehe zu, du bist gesund worden, sündige hinfort nicht mehr, auf daß dir nicht etwas ärgers wiederfahre; ging mir derselbe dermassen zu Hertzen: daß ich augenblicklich noch in der Kirche den Schwur that, die Music liegen zu lassen, hergegen ein anderes ehrliches Handwerck zu erlernen. Noch selbigen Sonntags gegen Abend ging ich zu dem Pfarrherrn, mich wegen dieses Vorsatzes seines Raths zu erholen, dieser schlug mir sehr erfreuet die Organisten-Kunst vor, weiln ich doch schon etwas davon gefasset hätte, allein auch darzu war bey mir alle Lust verschwunden. Andere Künste zu erlernen, schien etwas allzu kostbar, derowegen fiel mir endlich das Tischler-Handwerck [330] ein, und zwar bey der Gelegenheit, da unsers Pfarrherrns Bruder, als ein berühmter Meister, in dasiger Kirche einen neuen Altar, Cantzel, Tauffstein und Orgel bauen halff.

Anfänglich wolte zwar, so wohl bey dem Pfarrherrn als bey dem Meister, ein Zweiffel entstehen, ob ich wegen ausgestandener gefährlichen Kranckheit, der, mit diesem Handwercke verknüpfften schweren Arbeit gewachsen seyn möchte, jedoch ich befand mich innerlich und äuserlich dermassen wohl aus curirt, daß ich ihnen diesen Zweiffel mit gutem Recht ausreden konte, und also wurde ich um ein billiges Lehr-Geld, welches der Pfarrer zur Helffte aus seinem Beutel bezahlete, meinem Vater zum ziemlichen Verdruß in die Lehre genommen, kan auch nicht anders gedencken, als daß dergleichen Resolution dem Himmel gefällig gewesen, weil seit der Zeit nicht den geringsten Anfall von einer innerlichen Kranckheit gehabt habe. Mein Meister war, wie gesagt, ein sehr künstlicher Mann, sonderlich im fourniren und anderer subtiler und künstlicher Tischer-Arbeit, ausserdem nahm er wenig andere als Kirchen-Arbeit an, von gemeinen und groben Sachen aber gar nichts. Ich fand mich währender Lehrzeit in den allermeisten nach seinem Wunsche, nachdem ich aber ausgelernet, blieb ich noch zwey Jahr um halbes Lohn bey ihm, und zwar darum, weil er sich keine Mühe verdriessen ließ, mich in den Haupt-Stücken der Architectur zu unterrichten, als welche er sehr wohl verstund.

Mittlerweile war mein Vater gestorben, die Mutter abgebrandt, also hatten wir Kinder, ein [331] jedes vor sein Theil, kaum 20. Gülden zu fordern, derowegen schenckte ich der Mutter meine Portion der Erbschafft, und reisete etliche 30. biß 40. Meilen in die Welt hinnein. Alldieweiln ich nun, ohne Ruhm zu melden, etwas rechtschaffenes in meiner Profession gelernet zu haben, ziemlich versichert war, so suchte keine andere Arbeit, als in den grösten Städten, und zwar bey solchen Meistern, die keine Marckt- oder Bauer-Arbeit machten, hatte auch immer das Glück, nicht lange auf der Bären-Haut zu liegen.

Meine stille und ziemlich melancholisch scheinende Lebens-Art, die aber einen desto stärckern Fleiß bey der Arbeit beförderte, erwarb mir gemeiniglich die Gunst der Meister, hergegen einen heimlichen Haß bey den Mittgesellen, jedoch ich machte mir dieserwegen nicht die geringste Sorge, im Gegentheil hatte mehrern Vortheil davon, weil ich solchergestalt von vielen Ungelegenheiten, die durch das Sauffen, Spielen und anderes liederliches Leben zu entstehen pflegen, befreyet blieb.

Diesemnach kan mich keiner besondern Avanturen rühmen, es müsse denn seyn, daß folgende, einen Platz unter den besondern Begebenheiten eines reisenden Handwercks-Purschen verdieneten:

Mein Meister, welches der vornehmste Tischler in der berühmten Residentz eines Römisch Catholischen Bischoffs war, schickte mich eines Tages nebst einem Jungen in das Hauß eines sehr reichen Mannes, um das Täffel-Werck aus seiner Wohn-Stube zu reissen, hergegen selbige Stube aufs neue mit Nuß-Baum-Holtze auszutäffeln. Indem [332] nun der Lehr-Junge eben im Begriff war, eine Kanne Bier von der Ausgeberin, ich aber indessen das aus Holtz geschnitzte Bild des heil. Bonifacii, welches oben in einer Ecke angenagelt war, herunter zu langen; brach mir dieser wurmstichige Heilige unter den Händen entzwey und schüttete aus seinem ausgehölten Leibe eine grosse Menge Gold-Stücker über meinen Kopff, weßwegen ich ungemein erschrack, jedoch das Bild vollends herunter hub, die ausgestreuten Gold-Stücke alle zusammen in meine Mütze sammlete, und befand, daß es 632. Stück lauter Kremnizer Ducaten waren.

Diese Arbeit war vollbracht, ehe mein Lehr-Junge mit dem Biere, und der Hauß-Knecht mit dem Mittags-Brodte ankam, welchen letztern ich bat, dem Hauß-Herrn meinetwegen zu sagen: daß er augenblicklich zu mir in die Stube kommen möchte, weil ihm etwas besonders anzuzeigen hätte. Da aber der Hauß-Herr eben bey der Mittags-Mahlzeit gesessen, so kam er nicht eher zur Stelle biß nach aufgehobener Taffel, fragte auch so gleich: was es besonders gäbe: Mein Herr! gab ich ihm zur Antwort, es wird euch bewust seyn, daß die Lutheraner, als zu welcher Parthey ich mich bekenne, nicht glauben, daß die verstorbenen Heiligen den annoch lebenden Menschen einige Wohlthaten erzeigen können; allein euer heiliger Bonifacius, dessen vortrefflichen Nahmen ich zu seinen Füssen angeschrieben sehe, hat mich heute eines andern überzeugt. Denn ohngeacht ich so unglücklich gewesen, seinen, von Würmern gantz durchfressenen Cörper, zu zerbrechen, so hat er mir dennoch dieses Geschencke, [333] euch als dem Hauß-Herrn zu überreichen anvertrauet. Unter Ansprechung dieser letztern Worte, setzte ich meine, mit Ducaten ausgestopffte Mütze vor ihn auf den Tisch, und indem er selbige eröffnete, erstaunete der Mann gantz ungemein, sagte aber weiter nichts als: Verziehet ein klein wenig, ich muß doch dieses Heiligthum meiner Frauen zeigen: Und darauf lieff er eiligst fort. Ich wartete länger als eine Stunde auf seine Zurückkunfft, und stund in der gäntzlichen Hoffnung er würde mir zum wenigsten etliche Stück Ducaten Trinck-Geld einhändigen; allein statt dessen kam bald hernach die Wache und führete mich mit samt dem Lehr-Jungen in Arrest.

So lange ich auf der Welt gelebt hatte, war mir kein Zufall unvermutheter und wundersamer vorgekommen, als dieser, jedoch, weil ich ein gut Gewissen hatte, blieb ich eine gantze Nacht hindurch, obgleich nicht ohne Verdruß, dennoch ohne grosse Bekümmerniß. Folgenden Morgen aber wurde der Junge von mir hinweg, ich selbst etwa eine Stunde darauff, in Ketten geschlossen und vor das Geistl. Gerichte geführet. Allwo mich der Hauß-Herr nicht allein auf einen vermuthlichen Diebstahl, sondern auch wegen Lästerung GOttes und seiner Heiligen angeklagt hatte. Ich verantwortete mich nach meinem guten Gewissen, so gut als ich konte, erzehlete die gantze Sache mit ihren wahrhafften Umständen und wurde wieder zurück geführet, eine halbe Stunde hernach aber noch einmahl so hart geschlossen.

Mein Meister, der jedoch ein sehr eiffriger Catholic [334] war, hatte kaum Erlaubniß bekommen können, mich mündlich zu sprechen, erforschete derowegen desto genauer, was die Sache nach meinem Vorgeben, vor eine Bewandniß habe, und da er endlich den Verlauff von mir vernommen, sprach er: Traget nur Gedult und bleibet bey der reinen Wahrheit, ich hoffe, ihr sollet Morgen oder Uber-Morgen bey dem Bischoff selbst zum Verhör kommen. Solches traff ein, denn nach Verlauff zweyer Nächte, wurde ich von den Ketten befreyet, und gerades Wegs in den Bischöfflichen Pallast, ja so gar in dessen Zimmer geführet, allwo derselbe auf seinem Stuhle saß, und das wurmstichige Bildniß des heil. Bonifacii, auf einem kleinen Tische, vor sich liegen hatte. Zu seiner Seiten stunden verschiedene Bedienten, etwas weiter unten aber mein Ankläger, der meine Mütze mit den Kremnizer Ducaten in Händen hatte, und denn mein Meister. So bald ich meinen Reverenz gemacht, fragte der Bischoff mit einer zornigen Geberde: Bist du der frevele Ketzer, welcher das wunderthätige Bild des heil. Bonifacii, boßhaffter weise zerbrochen, und über dieses schimpfflich von demselben gesprochen hat? Hochwürdigster, Gnädigster Herr! gab ich zur Antwort, ich ruffe denjenigen GOtt, den so wohl die Lutherisch-als die Römisch-Catholischen Christen anbeten, zum Zeugen an, daß ich dieses Heiligen Bild nicht muthwilliger oder boßhaffter weise zerbrochen, sondern gleichwie es dem Augenscheine nach, gar sehr wurmstichig, ist es mir unter den Händen entzwey gegangen, und zwar vermuthlich nicht ohne sonderbare Göttliche Fügung, [335] damit der darinnen verborgene Schatz, an 632. Stück Kremnizer Ducaten, dem Hauß-Herrn zu gute kommen solte. Ich bin allein gewesen, und hätte mit leichter Mühe dieses Geld bey seite schaffen können, allein mein Gewissen ist zu enge, dergleichen Gut, so mich nicht vor den Eigenthums-Herrn erkennet, an sich zu bringen, hergegen hat es mich angetrieben, solches dem Hauß-Herrn einzuliefern, und auf eine, ihm selbst beliebige Discretion zu warten, jedoch meine Redlichkeit ist mir übel belohnet worden. Hierauf sahe der Bischoff meinen Ankläger an, welcher in diese mir höchst empfindliche Worte ausbrach: Hochwürdigster! Dieser Kerl ist ein Schelm, wie alle Ketzer sind. Man lasse ihn auf die Tortur bringen, so wird er nicht allein gestehen, daß er das heilige Bild, welches ich höher als eine Tonne Goldes geschätzt und ihm täglich hundert Küsse gegeben, muthwilliger weise zerbrochen, sondern mir, daraus mehr als 1300. Ducaten entwendet hat. Denn da mein seel. Groß-Vater auf dem Todt-Bette lag, seine Erben aber bey Vermissung 2000. Stück Kremnitzer Ducaten, ihn befragten, wo er dieselben hingelegt hätte, wiese er beständig mit dem Finger auf den heil. Bonifacium, konte auch, weil ihm ein Schlag-Fluß die Zunge gelähmet, weiter nichts mehr heraus stammlen, als: San-ctus Bo-ni-fa-ci-us San-ctus Bo-ni-fa-ci-us hat-al-les. Dieses, sagte mein Ankläger weiter, weiß ich mich in meinem itzigen 68sten Jahre annoch wohl zu erinnern, als ob es vor acht Tagen geschehen wäre, ohngeacht ich damahls nur ein [336] Knabe von 14. Jahren war. Wir sämtlichen Erben haben zwar nach der Zeit rund um das heil. Bild herum gesucht, aber nichts gefunden, biß es dieser diebische Ketzer endlich entdeckt, und mehr als die Helffte davon genommen hat. Gerechter Himmel! rieff ich hierauf aus, ist wohl möglich, daß in einer so kleinen Hölung mehr als so viel Ducaten Raum haben? man lasse das Bild zertheilen und nachsehen, ob sich vielleicht noch mehr geheime Oeffnungen darinnen finden, ich bezeuge nochmals vor allen dem, was heilig ist, daß mir nicht mehr als 632. Gold-Stücke zu handen kommen sind, kan auch unmöglich glauben, daß etwa ein oder etliche Stück auf dem Boden des Zimmers sich verlauffen hätten, denn es ist alles glatt, eben und ohne Löcher. Der Bischoff betrachtete hierauff das Bild etwas genauer, und befand, daß die weiteste Hölung, in der Brust desselben war, von der Scheitel aber gieng ein Loch herunter, dergleichen in den Spaar-Büchsen zu seyn pfleget, welches zu alleroberst sehr dünne, und mit gelben Wachs voll gegossen war. Derowegen ließ er alles Wachs heraus schmeltzen, das Bild im Bruche ordentlich auf einander setzen, und die 632. Stück Ducaten, einem nach dem andern, hinein zehlen. Da dieses geschehen, das Loch aber noch nicht erfüllet war, muste sein Schatz-Meister einen grossen Beutel mit KremnitzerDucaten herbey bringen, deren etliche gezeichnet und hinnein gesteckt wurden, allein da der Schatz-Meister den dreyzehenden Ducaten hinnein gesteckt, war das Loch schon biß oben angefüllet. Nachhero muste mein [337] Meister eine saubere Säge herbey schaffen, und das Bild von unten auf, in 4. Theile schneiden, allein es fand sich weder Gold noch fernere Hölung darinnen. Mein Ankläger bestund also wie Butter an der Sonnen, und ob er gleich noch viele Winckel-Höltzer machen wolte, so kehrete sich dennoch der Bischoff nicht im geringsten daran, sondern that zu meiner, und aller Menschen gröster Verwunderung diesen unerwarteten Ausspruch: Höret mein Freund! also redete er meinen Ankläger an, es erhellet aus allen Umständen, daß ihr ein unersättlicher Geitzhals, und mit dem Schatze, den euch dieser ehrliche Kerl eingeliefert, aus keiner andern Ursache nicht zufrieden seyd, als weil ihr euch verbunden gesehen: ihm ehrenthalber ein ansehnliches Geschenck davon zu geben, jedoch ich werde dieserwegen sprechen, was rechtens ist: Es werde diese Summe in drey gleiche Theile getheilet, der erste Theil gebühret vor allen Dingen dem heil. Bonifacio, der die gantze Summe seit so langen Jahren, in den gefährlichen Kriegs-Läufften vor den Raub-Klauen der Frantzösischen Soldaten, vor den langen Fingern der Diebe, vor Feuer, Wasser und andern Unglücke sicher erhalten hat. Der andere Theil kömmt von rechtswegen dem Haußwirthe zu, der dritte aber ohne allen Streit dem glückseeligen Finder des Schatzes, und schadet hierbey gar nichts, daß er seinem eigenen Geständnisse nach ein Ketzer ist, denn man muß die Treue und Redlichkeit, als eine von den vornehmsten Haupt-Tugenden, auch in den Feinden belohnen. Es fehlete wenig, mein Ankläger wäre über diesen Urtheils-Spruch in Ohnmacht [338] gefallen, er wolte zwar noch sehr viel Einwendens machen, allein es blieb darbey, und zum grösten Gelächter aller Anwesenden, wurde der letzte Betrug ärger als der erste, denn indem mein Ankläger mit zitterenden Händen zugreiffen, und seinen abgezehlten dritten Theil hinweg nehmen wolte, sprach der Bischoff: Haltet inne mein Freund, ich habe noch etwas zu erinnern. Der heilige Bonifacius ist durch eure ungestüme Anklage mehr beleydiget, als durch die leichtsinnigen Reden gegenwärtigen Ketzers, denn um eurent willen ist man genöthiget worden, denselben zu viertheilen. Sehet er wird in Zukunfft Kleider vonnöthen haben, solche ihm unschuldig zugefügte Schmach zu bedecken, auch ists billig, daß man ein so uhraltes wunderthätiges Heiligen-Bild wieder zusammen leim, und ihm zur Erstattung seiner Ehre, einen Altar auffrichte. Zu diesem heil. Gestiffte werdet ihr euren Antheil des Geldes, am allerbesten anzulegen wissen, und damit eure Schuld büssen. Gegenwärtiger Ketzer aber soll von seinem Antheil ebenfalls 50. Ducaten darzu geben, damit er in zukunfft bescheidener und andächtiger von den verstorbenen Heiligen reden lerne.

Hierbey muste es bleiben, mein Ankläger mochte sich auch so verzweiffelungs-voll anstellen als er immer wolte, ich aber bekam zu meinem Theile 160. Kremnitzer Ducaten, 2. Käyser-Gulden und etliche Patzen richtig in den Hut gezehlt, und zugleich die Freyheit hin zu gehen wo mir beliebte. Dieser Streich gab in der Stadt zu vielen lustigen Gesprächen Anlaß, unter andern hatte ein spitzfindiger Kopf folgendeVerse darauff gemacht:

[339] Madrigal.
Du armer Bonifacius,
Ist das der Danck vor deine Treue:
Sonst werden nur die Leiber
Der Mörder und der Straffen-Räuber,
Geviertheilt und aufs Rad gelegt.
Dick setzt man zwar
Auf den geschmückten Bet-Altar;
Jedoch wer weiß, was dir dein Hauß-Wirth gönnt,
So offt er sieht, wie schön dein Wachs-Licht brennt:
Denn sein Verdruß
Ist alle Morgen neue.
Ach! fahre fort den Ketzern guts zu thun,
Die Päbstler lassen dich ja keine Stunde ruhn,
Zuletzt heists doch: (sic mos est horum,)
Undanck in fine laborum.

Weil aber dergleichen Sachen mir verschiedene Verdrüßlichkeiten zuzogen, setzte ich meinen Stab etliche 20. Meilen weiter, und kam bey einem Meister in Arbeit, der im Nonnen-Closter die Tischler-Arbeit zu einer Orgel, zugleich auch viele andere Dinge im Closter und in der Kirche zu machen hatte. Von dar aus, schickte ich 120. Stück Ducaten an den Pfarr-Herrn meines Geburths-Dorfs, überschrieb ihm meinen gehabten wunderlichen Zufall, und bat: daß er das meinetwegen ausgelegte Lehr-Geld davon zurück nehmen, meiner Mutter 50. fl. zu völliger Ausbauung des abgebrandten Hauses und besserer [340] Nahrung auszahlen, das übrige aber biß zu meiner Zurückkunfft, in seiner Verwahrung behalten solte.

Wenig Wochen hernach, bekam ich von diesem lieben Manne, eine eigenhändige Schrifft, worinnen er mir nicht allein alles, was Zeit meiner Abreise veränderliches vorgegangen war, berichtete, sondern auch eine Gerichtliche Abschrifft von derjenigen Qvittung überschickte, die er meiner Mutter wegen des Empfangs der 120. Ducaten, und der, ihr davon ausgezahlten 50. Gülden, zur sichern Verwahrung gegeben hatte, das vor mich ausgelegte Geld aber, wolte er biß zu meiner Zurückkunfft ausgesetzt lassen, und mittlerweile mein übriges, an sichere Orte auf Zinsen austhun.

Ich hatte indessen Geld genung zurück behalten, mir recht saubere Kleidung, Wäsche und andere Bedürffnissen anzuschaffen, verdiente auch unter dem neuen Meister, bey dem Orgel- und Closter-Bau von Zeit zu Zeit, ein schön Stück Geld, wovon ich den meisten Theil darzu anwendete, bey einem Bau-Meister, in der Architectur die neusten und besten Stücke zu erlernen, und denn auch bey dem Orgel-Bauer, die, mir noch unbewusten Vortheile seiner Kunst auszuforschen. Es gieng mir auf beyden Seiten alles sehr wohl von statten, weil diejenigen müßigen Stunden, welche andere zum sauffen, spielen und spatzieren gehen anwendeten, besser zu gebrauchen wuste. Mit dem ältesten Orgel-Bauers-Gesellen, der bereits capable war einen Meister abzugeben, stifftete ich binnen wenig Wochen eine vollkommene Freundschafft, erlernete also von demselben [341] diejenigen Vortheile, welche er und sein Meister sonsten als Geheimnisse zu halten pflegten. Nachdem ich aber eigentlich vermerckt, daß dieser mein Freund zum öfftern in eine grosse Tieffsinnigkeit verfiel, und darbey unzählige Seuffzer außstieß, lag ich ihm so lange an, biß er mir endlich offenbarete, daß er sich aufs äuserste in eine Nonne verliebt, mit welcher er zwar noch kein eintziges Wort gesprochen, jedoch bereits mehr als 12. Liebes-Briefe gewechselt hätte. Ich belachte diesen Streich von Hertzen, und wolte ihn, als meinen Glaubens-Genossen, von solcher Gefahr bringenden Liebe abmahnen, allein, er seuffzete und sprach: Ach mein werthester Freund! wenn ihr meine Nonne, welches die vornehmste Sängerin ist, und denn diejenige, welche itzo, in Ermangelung der Orgel, das Clavicien spielet, nur ein eintzig mahl sehen soltet, würdet ihr gantz anders reden, und ich bin versichert: daß diese schönen Kinder so gern Männer hätten als wir das Leben haben, allein ich weiß mich auf kein Mittel zu besinnen, meine Liebste aus diesem verzweiffelten Käffige zu entführen.

Meine Neugierigkeit erstreckte sich so weit, ihn zu ersuchen, mir die Gelegenheit zu zeigen, wie man diese gerühmten Schönheiten zu sehen bekommen könte, er versprach mir binnen 3. Tagen zu willfahren, allein ich müste mir die Mühe nicht verdrüssen lassen, in einem engen Behältnisse, mit einiger unbequemlichkeit, eine gantze Nacht auf diesen vortrefflichen Anblick zu warten. Ich versprach alles zu thun, was er von mir verlangen und selbst thun könte. Demnach sperrete er mich und sich, eines Abends, [342] nachdem wir alle unsere Mit-Arbeiter fortgeschickt, die Kirch-Thüren alle verschlossen, uns beyde aber selbst eingeschlossen hatten, in ein enges Behältniß des neu-gebauten Orgel-Gehäuses ein, allwo wir sehr unbequem sitzen, und kaum unsere mit hinein genommene Wein-Bouteille nebst dem Zwiebacke zum Munde führen konten. Jedoch weiln um damahlige Jahrs-Zeit sehr warme Nächte waren, kam uns dergleichen Nacht Wache nicht eben allzu beschwerlich an, nur dieses machte mir bange, daß wenn wir in diesem Gehäuse betroffen würden, uns vielleicht ein grösseres Verbrechen, nehmlich die Kirchen-Räuberey schuld gegeben werden könte, über dieses war mir um die Mitter-Nachts-Zeit ziemlich bange vor Gespenstern und Bethörungen, jedoch alle dergleichen fürchterliche Gedancken verschwanden, da gegen Morgen das gantze Orgel Chor von musicalischen Nonnen angefüllet wurde, denn es war eben das Fest der Heimsuchung Mariä zu feuern. Zeit Lebens hatte ich keine angenehmere Music gehört als diese, welche von alten und jungen Nonnen gemacht wurde, jedoch ich glaube, daß die Einbildung auch sehr viel bey der Sache gethan hat. Sie spieleten nicht allein allerhand Arten von Instrumenten, sondern die Vocal-Music war dermassen bestellet, daß ich vor Vergnügen immer in einen Klumpen zu sincken vermeinete, jedoch die Vernunfft raffelte sich endlich zusammen, da eine alte sehr runtzelige Nonne, mit der penetrantestenBass-Stimme, eine Arie solo sunge, so bald aber eine andere, welche als Capel-Meisterin den Tact führete, mit einer, der allervortrefflichsten Nachtigall gleichenden Discant Stimme, das darauff [343] folgende Recitativ heraus drechselte, und mein Gefährte, mir das verabredete Zeichen gab, daß dieses seine verliebteCorrespondentin sey, hätte ich abermahls vor übermäßiger Verwunderung aus der Haut fahren mögen. Inzwischen stund mir der alte Zeisel-Bär, nehmlich die alte Nonne, welche den Bass sunge, mit ihrerConcerte beständig im Wege, die, auf dem Clavicien spielende Nonne, im Gesichte zu sehen, so lange biß endlich dieses Stück völlig abgethan war.

Indem das alte Brum-Eisen nun auf die Seite trat, war die wunderschöne Organistin eben im Begriff, die bey ihr stehenden zwey Wachs-Lichter zu putzen, und also fiel mir ihre unvergleichliche Gesichts-Bildung auf einmahl vollkommen in die Augen. Dieser eintzige allererste Anblick war vermögend, mein Hertz vollkommen verliebt zu machen, so daß ich kein Auge von derselben verwenden konte, biß mir endlich andere darzwischen tretende, den Prospect aufs neue verhinderten. Mittlerweile sahe ich diecharmante Seele meines Gefährten desto genauer an, und befand: daß die Gesichts-Bildung derselben, nicht halb so angenehm als der schönen Organistin Gestallt war, allein wie ich nachhero an ihm vermerckt, so hatte er im Gegentheil vor seine Liebste eben so vortheilhaffte Gedancken, als ich vor die meinige. Nachhero, da ich die eingebildete Glückseeligkeit aufs neue hatte, die letztere frey zu betrachten, wurde meine hefftige Liebe dermassen befestiget, daß ich beschloß so gar mein Leben daran zu wagen, um nur fein offte den Vortheil zu erlangen, [344] mit ihr, gleich wie mein Gefährte mit der seinigen, Briefe zu wechseln.

Die Früh-Mette gieng endlich, zum wenigsten mir, mehr als zu hurtig vorbey, weßwegen die Kirche so wohl von denen Nonnen als allen andern Leuten verlassen wurde. Mein Gefährte fragte mich, ob wir uns davon schleichen, oder noch etliche Stunden verziehen, und die hohe Messe abwarten wolten, ich erwehlete das letztere, und gab vor: daß ich ehe 3. Tage und Nacht ohne Essen, Trincken und Schlafen verbleiben, als dieses Vergnügens, welches so wenig Mühe kostete, beraubt leben wolte; woraus derselbe so gleich vermerckte, daß Cupido in meiner Person einen verliebten Haasen getroffen hätte, und mich dieserwegen nicht wenig vexirete. Jedoch weil er vermerckt: daß seine Geliebte denjenigen kleinen Brief, welchen er unter ihr Singe-Pult versteckt, zu sich genommen hatte, sagte er gantz leise zu mir: Mein Freund wo es wahr ist, daß ihr in die schöne Clavicien-Spielerin verliebt seyd, so bin ich deßfalls bereits euer Frey-Werber gewesen, und versichert, daß diese vertrauten Schwestern eben itzo im Begriff seyn werden, meinen Brieff zu lesen, seyd ihr aber ja bey einer solchen Schönheit von Eisen und Stahl, so stellet euch zum wenigsten eine Zeit lang verliebt, damit ihr mir mein Spiel nicht verderbet, denn da meine Liebste einmahl die Unbehutsamkeit gehabt: ihr Liebes-Geheimniß ihrer vertrauten Gespielin zu offenbahren, muß ich in beständigen Furchten schweben, daß die letztere nicht verschwiegen genung sey, sondern aus Neid eine Verrätherin werden möchte, welches aber nicht leichtlich[345] geschehen kan, wenn sie selbsten etwas Liebes weiß. Ach mein Freund, gab ich zur Antwort, mein Hertze brennet vor Liebe lichterloh, allein ich zweiffele sehr, daß mich die schöne Nonne zu ihrem Liebsten annehmen möchte, denn sie scheinet mir, ihrer Geberden wegen, von etwas hohen Sinnen und vornehmen Stande zu seyn. Schweiget von diesen, versetzte mein Gefährte, ich weiß es besser, sie ist zwar eines Patricii Tochter, aber wegen der vielen Geschwister und unzulänglicher Mittel, von ihrer Mutter, nach dem Tode des Vaters mit Gewalt ins Closter gesteckt worden. Ach, ach! fuhr er fort, die Liebe zur Freyheit, und anderthalb Centnern Manns-Fleische, kan ein Frauenzimmer leicht dahin bringen, die Eitelkeiten eines etwas höhern Standes hindan zu setzen, und einen ansehnlichen rechtschaffenen Kerl, der seine Profession aus dem Grunde verstehet, zu heyrathen, über dieses weiß ich gewiß, daß sie zum wenigsten auf die 300spec. Thaler am Gelde und kostbaren Geschmeide haben wird, welches, wenn wir Gelegenheit zur Flucht finden können, durch kluge List leichtlich mit fortzuschaffen ist. Ach, sprach ich, wenn ich nur die Person erstlich in meiner Heymath hätte, ich würde mir wenig oder nichts aus dem Heyraths-Gute machen, weil ich zu meinem Anfange schon Geld genung weiß.

Indem ich ferner reden wolte, wurde die hinterste Thür, welche aus dem Closter aufs Orgel-Chor führete, geöffnet, weßwegen wir uns sehr stille hielten, und endlich mit zitterenden Freuden unsere beyden Gelieben ankommen sahen. Sie machten sich alle beyde über das Clavicien her, und stimmeten [346] dasselbe, zogen auch etliche Säyten auf, endlich aber zog die Sängerin, welche Caroline hieß, ein Schreibzeug nebst einem Blat Pappier hervor, und beschrieb das letztere auf dem Pulte, da ihr immittelst meine Schöne, die sich Lucia nennete, über die Achsel sahe, und endlich sagte: Schwesterchen du schreibst zu viel, ich habe ja den lieben Menschen noch nicht ein eintzig mahl recht im Gesichte gesehen, vielweniger ein Wort mit ihm gesprochen, laß ihn doch, sich zum wenigsten erstlich einmahl, auf einer angemerckten Stelle zeigen. Schweig mein Schatz! gab Caroline zur Antwort, ich weiß schon im voraus, daß er dir im Hertzen wohl gefallen wird, so bald du ihn nur von ferne sehen wirst, und wo dieses heute nicht geschicht, solstu doch aufs längste Morgen einen Brief von ihm haben. Gleich mit endigung dieser Worte, ließ mein Gefährte die oberste Klappe von dem Vorschlage herunter fallen, in welchen wir uns versteckt hatten, und sagte: Erschrecket nicht schönsten Kinder, eure allergetreusten Liebhaber sind allhier gegenwärtig, und haben von gestern Abend an, auf das Vergnügen gehofft, euch durch diese kleinen Löcher nur zu sehen, nunmehro aber da wir den erwünschten Vortheil haben, euch persönlich zu sprechen, so erkläret euch, ob ihr unsere hefftige Liebe auf ehrliche und eheliche Weise vergnügen wollet, daferne wir erstlich Gelegenheit genommen, euch aus diesem Kercker in unser Vaterland zu führen. Die guten Kinder erschracken zwar anfangs hefftig, erholeten sich aber gar bald, und führeten das treuhertzigste Gespräch mit uns allen beyden. Kurtz! da keines an dem andern etwas [347] auszusetzen hatte, wurde das Verlöbniß in der Geschwindigkeit geschlossen, wir schwuren unsern Geliebten ewig feste Treue zu, und sie im Gegentheil versprachen zu folgen, wohin wir beliebten. Nach fernerer genommener Abrede aber, kehreten sie zurück, und wir practicirten uns, ohne von jemand vermerckt zu werden, sehr glücklich zur Orgel und Kirche heraus, und zwar noch wohl eine gute Stunde vor Anfang der hohen Messe.

Wenn ich betrachtete, daß sich binnen so wenig Stunden meine gantze Natur in einen äuserst verliebten Haasen-Safft verwandelt hatte, muste ich mich selbst auslachen, es fielen mir zwar ein und andere Scrupels, wegen dieser so plötzlichen Verbindung in die Gedancken, allein, das, stets vor meinen Augen schwebende Gesicht der schönen Lucia, und dann die hefftige Liebe, wären vermögend gewesen, meinen gantzen Verstand, vielweniger dergleichen gering scheinende Grillen zu vertreiben. Nach diesen lieffen bey nahe vier Monat vorbey, binnen welcher Zeit wir unsere Geliebten zwar öffters sehen und Briefe mit ihnen wechseln, aber nur zweymahl auf wenige Minuten sprechen konten. Derowegen begunte uns auf allen Seiten die Liebe immer hefftiger anzufechten. Die meiste Arbeit an der Orgel war gethan, also zu befürchten, daß uns in zukunfft die allerbeste Gelegenheit abgeschnitten werden möchte, über dieses rückte die rauhe Herbst-Zeit immer stärcker heran, also schafften wir unsere besten Sachen immer nach und nach fort in eine andere Stadt, zu dem Anverwandten meines Cameradens. Unsere beyden Liebsten machten sich auch [348] kein Bedencken, ihr Geld, Geschmeide, und andere leicht fort zu bringende Sachen bey nächtlicher Weile in unsere Hände zu liefern, derowegen liessen wir ein rothes und ein blaues Officier-Kleid verfertigen, kaufften 2. Degen, Stöcke, Hüte, und alles was ein paar Cavalier nöthig haben. Vor uns beyde aber liessen wir ein paarLaqveyen-Kleider machen. Kurtz! wir fädelten alle Anstallten, die beyden Nonnen in Officiers Habiten fortzubringen, dermassen klüglich und listig ein: daß wir an glücklicher Ausführung unseres Vorhabens nicht im geringsten zweiffeln konten. Mein Compagnon bestellete also nach völlig genommener Abrede, in der nächsten Stadt eine Extra-Post, welche auff einen gewissen Tag und Stunde parat stehen solte, ein paar Officiers mit ihren Dienern abzuführen. In unserer Vorstadt aber miethete er einen Lohn-Wagen, schaffte unsere übrige Sachen hinaus, und konte sich darauff verlassen, daß derselbe alle Minuten wenn es ihm beliebte, abfahren wolte. Die Officiers-Kleider und darzu gehörigen Sachen, practicirten wir bey Tage in die verschlossene Orgel, Abends aber verschlossen wir uns selbst mit Feuerzeugen und Blend-Laternen hinein. Unsere Nonnen versäumeten nicht, sich zu bestimmter Zeit einzustellen, verschlossen sich mit den empfangenen Officiers-Kleidern, weissen Peruquen und allen Zubehör, in die Blasebalgs Cammer, kleideten sich um, und wurden hernach von uns glücklich zur Kirche, und in die Vorstadt hinnaus begleitet, worbey wir zugleich ihre eingepackten Nonnen-Kleider, nebst noch einigen andern mitgebrachten Sachen, unter unsern Mänteln mit fort trugen.

[349] Es war Abends noch nicht völlig 10. Uhr, da wir die Stadt unseres bißherigen Auffenthalts verliessen, mit anbrechenden Tage aber, bey der bestelltenExtra-Post eintraffen, welche, immittelst wir nur einige Erfrischungen zu uns nahmen, sich völlig fertig machte, und aufs allergeschwindeste davon fuhr. Nachdem wir aber noch zwey frische Extra-Posten genommen, erreichten wir einen solchen Ort, allwo, unter der Bothmäßigkeit eines protestantischen Landes-Herrn, sattsame Sicherheit anzutreffen war, derowegen liessen wir die allzukostbare Extra-Post zurück gehen, um etliche Tage daselbst auszuruhen. Binnen selbigen, hatten wir Zeit genung die Priorin und andern Closter-Schwestern ins Fäustgen auszulachen, zumahlen da unsere Geliebten erzehleten, wie sie beyderseits ihre Zellen aufs alterfesteste verschlossen, die Schlüssel aber so wohl als die Kirch-Schlüssel, nebst zweyen Abschieds Briefen in ein Schnupff-Tuch gebunden und zwischen die Blasebälge gesteckt hätten, allwo sie die Schwester Calcantin mit der Zeit schon finden würden. Ich und mein Compagnon liessen bey der Gelegenheit vor unsere Liebsten feine Frauenzimmer-Kleider zu rechte machen, weil wir selbige in Officiers-habiten nicht weiter sicher durchzubringen getraueten, dieselben sich auch selbst ein Gewissen machten, ohne Noth dergleichen Kleider ferner zu tragen, denn ich kan zu ihrer beyder besondern Ruhme nicht anders sagen, als daß sie sich ungemein fromm keusch und züchtig auffgeführet haben. MeinCompagnon, der ein Hesse von Geburth war, trennete sich nebst seiner Liebste in selbigen Lande von mir, und zwar in [350] einer solchen Stadt, wo sich viele Studenten befanden. Der Abschied, welchen die zwey Closter-Schwestern von einander nahmen, war ungemein zärtlich, denn solchergestallt solten sie sehr weit von einander zu wohnen kommen, weil aber ich mit meinem guten Freunde die Abrede genommen, an selbigen Orte so lange zu verweilen, biß unsere, bey dessen Anverwandten eingesetzten Sachen ankämen, und ihm seinen Coffre nach zu schicken, bewegte mich meine Liebste selbst öffters zu einem Spatzier-Gange, worbey sie nicht selten wünschte: bereits an Ort und Stelle zu seyn, damit wir uns ordentlich copuliren lassen, und die Haußhaltung anfangen könten, inzwischen aber war sie dermassen eigensinnig, daß mir mit guten Willen niemahls erlaubt wurde, sie als meine verlobte Braut auf den Mund zu küssen, sondern sie sprach beständig: dergleichen Caressen gehöreten sich nicht ehe anzustellen, als nach beschehener Copulation.

Mittlerweile traff ich von ohngefähr einen ehemahligen Neben-Gesellen an, welcher in dieser Stadt Meister geworden, und eine reiche Heyrath getroffen hatte, derselbe ließ nicht ab, biß ich versprach: folgenden Abend sein Gast zu seyn. Meine Liebste erlaubte mir dieses, da ich aber bey guter Zeit wieder in unser Logis kam, traff ich sie mit einem schwartz gekleideten Menschen, der sehr wohl aussahe im eiffrigen Gespräch, bey einem kleinen Neben-Tische sitzend an, ohngeachtet nun noch etliche Personen in der Stube gegenwärtig waren, so entfärbte sich doch meine Liebste ziemlich bey meiner Ankunfft, jedoch ich gab ihr die freundlichsten Minen [351] bat auch um Erlaubniß mich bey ihnen niederzulassen, und dem schwartzgekleideten Herrn eine Pfeiffe Toback zupræsentiren, welche er mit gröster Freundlichkeit annahm, und darbey mich und meine Liebste so treuhertzig machte, ihm und den andern Anwesenden unsere gantze Lebens-Geschichte zu erzehlen. Er bedanckte sich, da es fast Mitternacht war, vor die erzeigten Gefälligkeiten, wünschte sehr viel Glück zu unsern fernern Vorhaben, und bat: daß er sich die Freyheit nehmen dürffte, uns morgen früh mit einemCaffeé und Bouteille Wein zu tractiren, welches ich indessen annahm. Weilen aber dieses Menschen Conduite mir besonders artig vorkam, ließ ich sehr früh zeitig alles zurechte machen, womit er uns tractiren wolte, und tractirete ihn den gantzen Tag hindurch aufs allerbeste. Nachmittags kamen meine und meines gewesenen Compagnons Sachen mit der Post an, welche letztern ich auslösete, fortschaffte, und zu meiner morgenden Abreise Allstallt machte, dieserwegen auch gegen Abend ausgieng, um von ersterwehnten guten Freunde Abschied zu nehmen.

Den ehrlich scheinenden Schwartz-Rock, traff ich bey meiner Zurückkunfft, abermahls bey meiner Liebste in eiffrigen Gespräch begriffen an, er nahm aber bald darauff Abschied, wünschte uns darbey auch eine glückliche Reise, und meine Liebste, die ich um die, mit ihm geführten Reden, sehr freundlich befragte, gab zur Antwort: daß er ihr die Irrthümer der Römisch-Catholischen Kirche entdecket hätte, welches mir sehr lieb zu vernehmen war. Allein meine Leichtgläubigkeit zeigte mir hernach gantz andere [352] Irrthümer, denn da ich früh Morgens nach meiner Liebste sehen ließ, die in der Höhe ihre besondere Cammer hatte, war dieselbe über alle Berge, und hatte den Schlüssel zu unsern Reise-Coffre, in einen auf den Tisch gelegten Brief gesiegelt, der folgendes Innhalts war:


Monsieur Lademann,


Ich habe euch biß auf diese Stunde vor einen frommen, tugend- und gewissenhafften Menschen erkannt, der allein, wegen seiner Treue und Redlichkeit, von der schönsten Person auf der Welt geliebet zu werden verdienet. Allein, nehmet mir nicht übel, daß ich, euren Gedancken nach, eine Untreue an euch ausübe. Es ist mir unmöglich, mich mit euch zu verehligen. Solte ich dieserwegen eine Ursache anzugeben gezwungen seyn; so wüste keine andere vorzubringen als diese: daß es mir unmöglich ist: ohngeacht ich an euren gantzen Wesen nichts auszusetzen weiß. Ich glaube, daß euch der deßfalls verursachte geringe Verdruß weit leichter vorkommen wird, als wenn ihr Zeit-Lebens mit mir in einer unvergnügten Ehe leben soltet. Eures mir gethanen Schwures seyd ihr hiermitquittirt, quittiret dargegen auch meine leichten Versprechungen. Macht euch keine Mühe, mich aufzusuchen, denn ich weiß gewiß, daß ihr meine Person so wenig finden als zwingen sollet. Von euren Sachen habe mit Wissen und Willen nichts mitgenommen, hergegen [353] etwas von den meinigen zum Andencken, nebst 200. Thlr. vor gehabte Mühe und Reise-Kosten, in Coffre zurück gelassen. Lebet wohl, vergebet mir meinen Fehler, den ich als eine Sclavin des Schicksaals zu begehen, mich gezwungen sehe, und glaubet, daß ausserdem Zeit-Lebens verbleibet

eure danckbare Freundin


Lucia N.


Ich hätte verzweiffeln mögen, da ich diesen Brief, so zu sagen, in einem Athem mehr als 10. mahl überlesen hatte, die Post rückte angespannet vor die Thür, ich aber konte mich unmöglich resolviren, mit zu reisen, sondern blieb noch da, in Hoffnung, meine Geliebten auszuforschen, allein die Mühe war vergebens, über dieses, weil die Wirths-Leute ein heimliches Gespötte über meine Klagen trieben, so merckte ich gar bald, daß die Karte falsch gespielet worden, ärgerte mich zwar nicht wenig darüber, bedachte aber doch letztlich: daß bey unveränderlichen Sachen die Vergessenheit das beste Mittel sey, und reisete gantz verwirrt in mein Geburths-Dorff, allwo mich mein getreuer Vormund, der gute Pfarr-Herr, durch vernünfftige Vorstellungen, endlich bald wieder zu frieden stellete. Meine Mutter war mittlerweile gestorben, zwey Schwestern sehr gut verheyrathet, die jüngste dienete beym Pfarr-Herrn, der Bruder aber, welcher ebenfalls geheyrathet, und bereits zwey Kinder gezeuget, hatte das Väterliche Hauß angenommen, worauf mein Erbtheil noch stund, weil ich aber über 400. Thlr. Geld mit [354] brachte, legte ich selbiges meistentheils an Feld-Güter, übergab selbige dem Bruder zur Verwaltung, weil sich der Pfarr-Herr zum Aufseher erboth, und mir ausserdem mein Capital nebst den Zinsen vorlegte, welches ich jedoch, nachdem ich der jüngsten Schwester 30. Thlr. und jeder andern 20. Thlr. zum Hochzeit-Geschencke vermacht, unter seinen Händen ließ, zur Danckbarkeit aber ihm verschiedene ansehnliche Hauß-Raths-Stücke fournirte, und nachhero wieder in die Welt gieng.

Es begegnete mir binnen etlichen Jahren nichts besonders, ausserdem daß ich von meinem Verdienste noch ein klein Capital von 140. Thlr. an meinen lieben Herrn Pfarrer übersandte. Bald darauf kam mir die Luft an: meinen ehemahligen Compagnon, den Orgel-Bauer im Hessen-Lande zu besuchen, um zu erfahren, wie vergnügt er mit seiner lieben Nonne lebte, auch ob er nichts von meiner Begebenheit vernommen hätte. Allein, unterwegs hatte ich im Walde das Unglück, von den Zigeunern ausgeplündert und biß aufs Hembde ausgezogen zu werden. Die etliche 20. Thlr., so ich bey mir hatte, wären endlich, in Betrachtung daß ich mein Leben als eine Beute darvon trug, zu vergessen gewesen, allein es kränckte schmertzlich sehr, daß ich von einem Dorffe biß zum andern betteln muste, und doch kaum so viel erbetteln konte, meine Blösse mit alten Lumpen zu bedecken. Endlich kam ich in ein grosses Dorff, allwo meine erste Frage nach der Pfarr-Wohnung war, weil doch von rechtswegen die Einwohner derselben am barmhertzigsten seyn sollen.

[355] Ich pochte an, eine Magd öffnete die Thür, und hieß mich, auf mein Andringen: daß der Herr Pfarrer, einem von den Zigeunern ausgeplünderten Handwercks-Purschen, mit ein paar alten Schuen helffen solte; ein wenig warten. Die Thür blieb etwas offen stehen, derowegen konte ich von ferne die Priester-Frau im Hause sitzen sehen, welche ein kleines Kind auf dem Schosse, ein ander grösseres aber vor sich stehen hatte, und mit beyden aufs liebreichste spielete. Aber, ach Himmel, wie wurde mir zu Muthe, da ich an dieser Priester-Frau, meine ehemahlige Geliebte Lucia erkandte. Ja, sie war es selbst leibhafftig, und also fehlete wenig, daß ich nicht in Ohnmacht gesuncken wäre, jedoch ob schon dieses nicht geschahe, so blieb ich hergegen gantz entgeistert, mit halb hinweg gewendeten Gesichte vor der Thüre stehen, konte mich auch kaum ermuntern, da mir die Magd ein paar gantz feine Schue, ein paar schwache Strümpffe und dann ein Heßisches 3. Ggr.-Stück brachte. Die gute Pfarr-Frau konte mich unmöglich erkennen, weil mein Bart und die Haare sehr verwildert waren, sie auch mich nicht einmahl recht im Gesichte hatte, derowegen ware ihre Mildigkeit aus der reichlichen Gabe mehr als zu klar zu spüren. Mir wurden durch verschiedene Gemüths-Bewegungen die hellen Thränen-Tropffen aus den Augen getrieben, so daß, nachdem ich meine Dancksagung der Magd mit jämmerlichen Gebärden aufgetragen hatte, dieselbe mich fragte: ob ich etwa kranck oder beschädigt wäre? Ich beantwortete solches mit Seuffzen und Thränen, suchte aber mit betrübten Hertzen [356] den Rückweg, jedoch da ich kaum hundert Schritte hinweg war, kam mir die Magd mit einem halben Brodte und zweyen Knackwürsten nach gelauffen welche mir die Frau Pfarrerin auf ihren Bericht, daß ich vielleicht hungerig seyn würde, übersendete. Saget eurer Frauen, sprach ich, daß ich ihr von Grund des Hertzens danckte, und alle beständige Glückseligkeiten anwünschte, denn die Zeiten sind veränderlich, wie an mir zu sehen ist, da ich eure Frau vor etlichen Jahren am Fest Mariæ Heimsuchung zum ersten mahle musiciren sahe, hätte ich nicht vermeynet, dereinst vor ihre Thür betteln zu kommen. Die Magd lieff fort, und ich machte mich in die Schencke, nicht so wohl aus Appetit zum Essen und Trincken, als, etwa in einem Winckel, ein wenig zu ruhen, und meinem Unglücke in der Stille nachzudencken.

Allein, ich hatte wenig Ruhe, denn erstlich wurde von vielen Leuten vexiret, ihnen die Art meiner letztern Plünderung zu erzehlen, und hernachmahls schickte der Pfarrer etliche mahl, und ließ mich bitten, nochmahls in seinem Hause einzusprechen, weil er aus gewissen Umständen, einen verunglückten bekandten Freund an mir vermerckte. Ich entschuldigte mich zwar mit einer Unpäßlichkeit, allein gegen Abend kam der Pfarrer mit seiner Liebsten selbst, mich aus der Schencke in ihr Hauß abzuführen. Solchergestalt wurde das Rätzel, warum ich mir seit 6. Jahren den Kopff ziemlich zerbrochen, sehr plötzlich aufgelöset, denn dieser Herr Pfarrer war kein anderer als derjenige Schwartz-Rock, welcher mir im Post-Hause meine Liebste abspenstig [357] gemacht hatte, und zwar unter dem Scheine, daß er ihr die Irrthümer der Römischen Kirche entdecken wollen, allein, er hatte ihr unter solchem Deck-Mantel, seine Liebe entdeckt, und meine Liebste, als eine von Jugend auf delicat erzogene Person, war freylich eben nicht zu verdencken, daß sie sich von einem reichen Priesters-Sohne, der eben im Begriff war, seinem Vater substituirt zu werden, einnehmen lassen, da er ohnedem vor einen sehr ansehnlichen Menschen passiren konte. Der listige Betrug biß mich zwar immer noch am Hertzen, allein, was war nunmehro besser zu thun, als sich in die Zeit zu schicken? Demnach konte ich ihren unabläßigen Nöthigen endlich keinen fernern Widerstand thun, sondern ließ mich von diesen beyden Ehe-Leuten, an beyden Händen in ihr Hauß führen.

Man bedencke was dergleichen Aufzug, wenn nehmlich ein ansehnlicher Priester, nebst seiner schönen Ehe-Frau, einen jämmerlich zerlumpten Handwercks-Purschen, ja besser gesagt, Bettler, bey den Händen in ihr Hauß einführen, vor ein Aufsehen in einem sehr volckreichen Dorffe machen kan. Ich schämete mich mehr als sie selbsten, allein versichert, solche Humaniteé veränderte mein Gemüthe dergestalt, daß ich allen Kummer und Verdruß schwinden ließ, und zu ihrer vergnügten Ehe, aus getreuen Hertzengratulirte, und mich glücklich schätzte, ein Werckzeug zum Wohlstande solcher Personen gewesen zu seyn.

Ich will, um fernere Weitläufftigkeit zu vermeiden, nicht anführen, wie die Gespräche unter uns [358] gefallen sind, sondern nur melden, daß die wohlthätigen Leute gleich folgenden Tages, einen Schneider aus der nächsten Stadt kommen liessen, welcher alles Behörige mitbringen, und mir in der Geschwindigkeit ein vortreffliches neues Kleid verfertigen muste, welches wenigstens auf etliche 20. Thlr. zu stehen kam, über dieses versorgte mich meine ehemahlige Liebste mit sauberer Wäsche und andern höchstnöthigen Sachen, dem ohngeacht muste ich einen gantzen Monath bey ihnen bleiben, da mir aber unmöglich war, fernere Ungelegenheit zu verursachen, und ich mich verlauten ließ: ehe heimlich fort zu gehen, als Dero Güte noch länger zu mißbrauchen, wurde ich endlich mit 30. Frantz-Gulden abgefertiget, und gebethen, so bald es meine Gelegenheit zuliesse, ihnen wieder zuzusprechen. Ich wegerte mich durchaus, mehr als einen eintzigen Gulden Zehr-Geld anzunehmen; allein, der treuhertzige Pfarrer sagte: Mein Freund, ich bitte gar sehr, macht keine Weitläufftigkeiten, dieses Bagatell anzunehmen, welches wir euch aus besten Gemüthe geben und gönnen, ich bin euch ein weit mehreres schuldig, allein bedencket: daß ich seit wenig Jahren her ein grosses durch Rauberey und andere Unglücks-Fälle verlohren habe, indessen weil ich nicht zweiffele, daß mir GOtt, vermittelst meines sehr austräglichen Pfarr-Diensts, den Schaden gar bald wieder ersetzen wird, so stehet euch mein Hauß, Küche und Geld-Beutel jederzeit offen, kommet alle Jahr etliche mahl, und verlanget einen Theil unseres Vermögens, es soll euch mit grösten Vergnügen gereicht werden, denn meine[359] Liebste und ich lieben euch als einen leiblichen Bruder. Auf dergleichen redliches Anerbiethen, konte ich mit nicht so viel Worten als Thränen antworten, küssete derowegen beyden Ehe-Leuten die Hand, und nahm mit den hertzlichsten Glückwünschungen, nebst dem offerirten Geschencke, danckbarlichen Abschied.

Ob eine grosse Anzahl solcher redlichen Leute, auch so gar unter den Geistlichen in der Welt anzutreffen, will ich eben nicht auscalculiren, sondern folglich berichten: daß meine Reise von daraus, zu meinem ehemahligen Compagnon, dem Orgel-Bauer, ging. Diesen ehrlichen Mann traff ich zwar seiner Handthierung wegen, in sehr guten Stande an, denn er hatte volle Arbeit und starcken Verdienst, allein, was seine Ehe anbetraff, so lebte er im grösten Unvergnügen, denn weil er, seiner Profession gemäß, zum öfftern etliche Tage ausserhalb des Hauses seyn muste, hatte sich seine allzuhitzige Frau, indessen andere Bedienung angeschafft, der gute Mann hatte sie zwar zu verschiedenen mahlen bey nahe auf der That erwischt, allein doch keine hinlängliche Ursachen zur Ehescheidung und völligen Beweiß ihrer übeln Aufführung wegen beybringen können. Derowegen ist leichtlich zu erachten, was vor gut Geblüte aus dergleichen herrlicher Lebens-Art entstehen kan? Ach wie froh war ich, daß die unerforschliche Fügung des Himmels mein Hertze von dergleichen Kummer frey gehalten hatte, denn meiner Lucia wäre wegen dergleichen um so viel desto weniger zu verdencken gewesen, weil sie von Jugend auf zu allem Staat und Delicatessen [360] erzogen, des armen Orgel-Bauers Frau aber, war nur eine Schusters-Tochter, und als ein armes Mägdgen, wegen ihrer schönen Stimme, aus Gnaden ins Closter genommen worden.

Ich sahe kein Mittel, diese beyden Ehe-Leute zu vereinigen, muste im Gegentheil vermercken: daß eins dem andern die empfindlichsten Hertzens-Stiche, mit Worten und Gebärden versetzte, derowegen nahm in wenig Tagen Abschied von ihnen, und muste mir wider meinen Willen, von dem annoch beständigen Hertzens-Freunde, 10. harte Thaler zum Geschencke aufdringen lassen. Dieses Geld aber war mir nicht so lieb, als die vortrefflichen Risse und neuen Erfindungen in seiner Profession, welche er mir schrifftlichcommunicirte, und deßfalls ferner mit mir zu conversiren versprach.

Von dar aus setzte ich meine Reise eiligst fort, um noch vor dem Winter, etwa in einer Niederländischen grossen Stadt, Arbeit zu bekommen. Es traff auch ein, nachhero hielt vor rathsam, die vornehmsten Holländischen Städte zu besehen, und in dieser oder jener, etwa auf ein halbes Jahr oder weniger, Arbeit anzunehmen, solches habe so lange getrieben, biß mir endlich gegenwärtiger Herr Capitain Wolffgang in Amsterdam, die allergröste Begierde erweckte, unter ihm eine Reise zur See zu thun, welches mich denn biß auf diese Stunde nicht gereuet hat, auch wohl nimmermehr gereuen wird, weil ich einen solchen ergötzlichen Ort, solche vortreffliche Leute, und denn ein solches liebes Weib gefunden, dergleichen Kostbarkeiten [361] sonsten sehr schwerlich in andern Welt-Theilen beysammen anzutreffen sind. Also ist mein eintziger Wunsch, mich der erlangten Glückseeligkeit durch meiner Hände Werck vollkommen würdig zu machen, und dann, wo es möglich seyn könte, meinem lieben Vormunde, dem Pfarr-Herrn meines Geburths-Dorffs, so wohl auch denen Geschwistern einige Nachricht von meinem Zustande, das zurück gelassene Geld aber ihnen zur Theilung anheim zu geben.

Hiermit endigte unser ehrlicher Lademann die Erzehlung seiner Lebens-Geschicht, seine geliebte Hauß-Frau Margaretha deckte derowegen den Tisch, und bewirthete die sämmtlichen Gäste, worzu noch der Groß-Vater Stephanus aus dem Felde kam, aufs herrlichste. Nach der Mahlzeit aber, da es noch sehr hoch Tag war, verschaffte der Alt-Vater Albertus uns versammleten annoch die Lust

Des Müllers Krätzers Lebens-Geschicht

zu vernehmen, als welcher dieselbe folgender massen her erzehlete:

Ich bin, meine Herrn, nunmehro ein Mann von 37. Jahren, mein Vater war ein Fluß-Müller an der Mulda, der in meinem 4ten Jahre, und zwar in seinen besten Jahren, im Flusse, da er dem Grund-Eise fort helffen wollen, das Leben eingebüsset, derowegen nahm meine Mutter einen andern Mann, ich aber nebst zwey ältern Geschwistern bekam an demselben einen sehr strengen Stief-Vater, der, weil er ein Reformirter, meine Mutter [362] aber, so wie ihr voriger Mann, Lutherisch, und uns 3. Kinder auch in solcherReligion auferziehen wolte, seinen deßfalls geschöpfften Verdruß nicht bergen konte, sondern bald nach der Hochzeit Mutter und Kinder wie die Hunde tractirete, so lange, biß sich dieselbe endlich beqvemete, ihm nach zu geben, und uns Kinder in dem Reformirten Glauben aufzuziehen. Sie hatte solchergestalt so wohl als wir, eine Zeit lang Friede im Hause, jedoch nicht gar lange, denn weil mein Stieff-Vater den verzweiffelten Brandtewein allzu sehr liebte, wurde derselbe, wenn er sich zuweilen darinnen übernommen, fast gantz rasend, so, daß sich keins von den Seinigen im Hause durffte sehen lassen. Meine Mutter war also, und zwar mit ihrem mercklichen Schaden, zu spät innen worden: daß sie das Abrathen guter Leute, wegen der Heyrath mit diesem Menschen, verlacht hatte; Allein, nunmehro halff nichts als die liebe Gedult. Den ältesten Bruder hatte dieser böse Mann gantz zu Schande geschlagen, so, daß er wegen Gebrechlichkeit zu keiner starcken Arbeit etwas nutzte, sondern das Schneider-Handwerck lernen muste. Mit mir wäre er ohnfehlbar auf gleiche Weise verfahren, allein, ich lieff mit heimlicher Bewilligung meiner Mutter, im zwölfften Jahre darvon, wurde von meines Vaters Bruder, der ebenfalls ein Müller, und zwar an der Saale, von guten Mitteln war, aufgenommen, und nicht allein zum Handwercke angeführet, sondern auch zur Lutherischen Schule gehalten, so, daß ich bald hernach zum heiligen Abendmahle gehen konte.

[363] Es schien, als ob ich zum Müller gebohren wäre, denn das Handwerck kam mir gantz und gar nicht sauer zu lernen an, noch weniger aber die Kunst mit dem Zirckel und andern Bau-Instrumenten umzugehen. Hierbey hatte mich die Natur mit einer ausserordentlichen Stärcke begabt, so, daß ich schon in meinem 16ten Jahre, fast mehr heben und tragen konte, als zwey andere Kerls. Einsmahls machte sich ein grosser Baum-starcker Mühl-Pursche breit darmit, daß er in jeder Hand ein anderthalb Centner-Stücke auf einmahl in die Höhe heben konte, ich aber that ihm nicht allein dieses gleich auf der Stelle nach, sondern hub noch zugleich das dritte mit den Zähnen auf, nachdem ich nur ein wenig Leinewand um den Rincken gewickelt hatte; welches aber der Baum-starcke Kerl unterweges lassen muste. Andere dergleichen Proben will ich nicht erwehnen, denn es ist aus diesem eintzigen schon zu mercken, daß ich eine ziemliche Force, und zwar in so jungen Jahren, gehabt haben müsse, welche sich nachhero, da ich etwas mehr Geschicke kriegte, und hinter ein und andere Vortheile kam, dergestalt vermehrete, daß ich in selbiger Gegend ziemlich berühmt wurde. Nachdem aber mein neunzehendes Jahr verstrichen war, ließ ich mich nicht länger aufhalten, dem Wasser nachzulauffen, nahm also von meinem Vetter, wie auch von der Mutter und dem murrischen Stief-Vater abschied, und reisete nebst zwey andern Mühl-Purschen fort. Weil ein jeder unter uns mehr als 12. Thlr. Geld im Schubsacke hatte, war unsere Meynung, nicht so gleich Arbeit zu suchen, [364] sondern wir liessen uns die freye Zehrung, so wir jedes Orts fanden, anreitzen, vorhero die Welt ein wenig zu besehen, waren aber eben noch nicht allzuweit gelauffen, da uns eines Abends in einer Dorff-Schencke, 6. oder 8. Soldaten überfielen, und mit Gewalt hinweg nehmen wolten, jedoch ich und meine zwey Hand-festen Cameraden lachten die guten Leute nur aus, und bathen sie, uns mit dergleichen Zumuthungen zu verschonen, oder wir würden, jeder, einen von ihnen beym Kragen anfassen, und die andern damit zur Thüre hinnaus stossen. Diese Worte gaben so gleich Feuer, die Soldaten zohen vom Leder, wir aber ergriffen unsere Mühl-Aexte, und stäuberten sie ohne besondere Mühe zum Hause hinnaus, setzten uns darauf hin, und fiengen erstlich an recht lustig zu sauffen. Jedoch mit einbrechender Nacht wurden wir aufs neue durch 12. oder mehr andere Soldaten beunruhiget, welche sich anfänglich zwar stelleten, als wüsten sie von den, bey Tage vorgegangenen Händeln, gar nichts, es zeigte sich aber bald, daß sie ebenfalls aus keiner andern Ursache angekommen wären, als uns hinweg zu holen, denn nachdem einer von meinen Cameraden, welches ein ziemlich langer und wohlgewachsener Kerl war, das, ihm in die Mütze gesteckte Hand-Geld, unter den Tisch schüttete, und selbiges mit den Füssen fort stieß, kam es augenblicklich zum Streichen, die Soldaten hieben mit ihren Degens auf uns, wir aber mit unsern Mühl-Axten auf sie, dergestalt verzweiffelt loß, daß es auf jener Seite ziemlich Blut setzte, indem wir uns aber sehr vortheilhafftig gestellet, und im [365] Auspariren alle drey sehr fix waren, lieffen die Sachen noch ziemlich gut, biß endlich 3. Soldaten zu Boden suncken, etliche zur Thür hinaus gefeget wurden, die 4. tapffersten aber annoch Stand hielten. Einem von diesen wurde sein Degen aus der Hand geschmissen, derowegen bekam ich Lust etwas von den Klopfechter-Künsten an ihm zu versuchen, welche mir ein alter weit und breit gereifeter Mühl-Pursche, der sich gemeiniglich nur Pumphat nennen ließ, gelernet hatte, ergriff derowegen den Soldaten vortheilhafft beym rechten Arme, und brach ihm denselben ohne besondere Mühe entzwey. Da dieses so leichtlich angegangen war, trieb mich der Grimm auch dahin, selbiges Kunst Stück an seinem lincken Arme zu versuchen, und solches gelunge mit solcher Hefftigkeit, daß die eine Arm-Röhre durch das Camisol hindurch stach. Der Kerl fieng vor Schmertzen überlaut an zu schreyen, und ich bekam mittlerweile von einem andern, einen geringen Streiff-Hieb über den Kopff, weil mir der Hut abgefallen war. Hierdurch entbrannte meine Wuth vollends dergestallt, daß ich meinen Beleydiger die Klinge unterlieff, ihn dermassen hefftig in die Arme fassete, und an meine Brust drückte, daß ihm augenblicklich der Athem stehen blieb, und er als ein Wasch-Lappen zu Boden fiel, da nun indessen meine zwey Cameraden reine Arbeit gemacht hatten, mein letzter Beleidiger aber sich in etwas wieder erholet, brach ich ihm, zum Andencken, auf der Erde noch ein Bein entzwey, und nachdem ein jeder von uns dem Wirthe einen Gulden vor die Zeche zugeworffen, nahmen wir unsere Sachen, und [366] marchirten bey Nacht und Nebel unserer Wege.

Dieser Streich war also mein Eintrit in eine solche Lebens-Art, worüber der Teuffel in der Hölle seine eintzige Freude haben mag, allein, weil mich meineCameraden, der bezeigten Tapfferkeit wegen, fast auf den Händen trugen, und überall ein grosses Wesen davon machten, so, daß die Handwerks-Genossen selbst fast Maul und Nase über mich aufsperreten, bedünckte mir alles mein Thun sehr löblich und wohlgethan zu seyn, ja in die Länge wurde ich dermassen stoltz und barbarisch, daß mich niemand krumm ansehen durffte, wenn er nicht von Arm-Bein- und Halß-Brechen hören wolte.


Nach langen Herumschwermen zwang uns endlich der Geld-Mangel Arbeit zu suchen, ich fand dieselbe bald in der grossen Mühle einer Welt-berühmten Stadt, wuste mich auch so wohl mit dem Meister als den Mahl-Gästen dermassen wohl zu vertragen, daß sich sonderlich die letztern um meine Arbeit drängeten, denn es bekam von meinen Kund-Leuten ein jeder mehrentheils etwas mehr Mehl, als er mit Recht verlangen konte, allein, hieran war meine Redlichkeit am wenigsten Ursache, denn weil der Mit-Gesellen noch etliche waren, so wuste ich ihnen von dem Geträyde ihrer Kund-Leute, auch wohl zuweilen aus des Meisters Sacke selbst, immer so viel hinweg zu parthieren, daß ich nicht allein solchergestalt Ruhm und Ehre, sondern auch gute Trinck-Gelder erwarb.

Weil aber doch alle mein Verdienst nicht hinlänglich [367] war, ein solches herrliches Leben auszuführen, dergleichen mir im Kopffe schwebete, so suchte ich andere Gelegenheiten, mir gnugsames Geld in den Beutel zu schaffen. Das Würffel- und Karten-Spiel fiel mir als die aller reputirlichste Art in die Gedancken, derowegen besuchte zum öfftern die Spiel-Gelacke, jedoch mehrentheils mit dem allergrösten Schaden, weil gemeiniglich alles Geld, was die gantze Woche zusammen gesparet war, des Sonntags Abends auf einmahl drauf zu gehen pflegte. Jedoch durch folgende Gelegenheit, bekam mein Spielen bald ein gantz anderes Ansehen: Es hatten nehmlich etliche Degen tragende Handwercks-Pursche, eines Abends einen starcken Verlust auf dem Spiele erlitten, gaben derowegen dem Schilderer oder Spielhalter ein und andern Betrug Schuld. Dieses war sonst ein Kerl, der sich nicht leichtlich auf der Nasen trommelen ließ, allein voritzo waren ausser mir 9. Kerls gegenwärtig, von welchen allen er sich nichts, oder wenigstens nicht viel Guts zu versehen hatte. Es daurete mich, daß der Kerl, von diesen Purschen, worunter einige waren, denen noch der Milch-Brey am Munde klebte, so viele Schnupff-Fliegen einfressen muste, ohngeacht ich ihm sonst ebenfalls nicht allzugünstig war, dero wegen legte ich mich darzwischen und sagte: Ihr Herren, haltet das Spiel nicht auf, gefällt jemanden aber nicht mehr zu spielen, der halte sein naseweise Maul, oder ich werde mir die Mühe nehmen, ihm zum Fenster hinaus auf die Strasse zu werffen. Es war, wo [368] mir recht ist, ein Stück von einem Apothecker-Gesellen darbey, der vielleicht mir wenig Courage zutrauen mochte, oder wenigstens ein gut Theil mehr als ich zu haben vermeynete, dieser führete das Wort, und gab mit verächtlichen Geberden zu vernehmen, daß ich keine Ehre zu reden hätte. Monsieur sprach ich, den Augenblick marchirt zur Thüre hinaus, oder es soll mich sehr jammern, wenn ich euch in den Stand setzte, wenigstens in 4. Wochen keine Büchse zu binden zu können. Der Eisenfresser zog vom Leder, ich ließ ihn zweymahl auf mein Spanisch Rohr hauen, hierauf konte er sich nicht so geschwind umsehen, als sein rechter Arm schon morsch entzwey gebrochen war. Demnach entblößeten die andern 8. alle ihre Degen gegen mich, der Spiel-Halter wolte mir zu Hülffe kommen, allein ich stieß ihn zurück, und prügelte, binnen einer Zeit von weniger als 5. Minuten, mit meinem Spanischen Rohre alle zur Stube hinaus, biß auf den letzten, welchen, um mein Wort zu halten, seines naseweisen Mauls wegen zum Fenster hinaus auf die Strasse steckte. Dieser Streich brachte mir bey allen Kunst- und Handwercks-Gesellen, eine grosse Ehrfurcht, und dann, welches der beste Vortheil zu seyn schien, des ermeldten Spiel Halters vollkommene Freundschafft zu wege, so daß er mir alle seinesubtilen Griffe, sich und diejenigen, welche es mit ihm hielten, zu bereichern, der Länge nach heraus beichtete, und mich solchergestalt zu seinen allervertrautesten Dutz-Bruder machte. Demnach gieng keine Woche hin, daß ich nicht auf dem Spiel-Tische, 10. 20. biß 30. Thaler gewonnen [369] hätte, wovon mein Dutz-Bruder wenigstens den 3ten Theil haben muste. Hergegen, weil er ein guter Fecht-Meister war, erlernete ich von ihm bey täglicher Ubung, das Fechten mit dem Degen und Pallasch nach der Kunst, weßwegen ich mich ein vollkommen geschickter Kerl zu seyn bedüncken ließ. Er wolte mich zwar auch das zierliche Tantzen lehren, allein, weil ich ein gantz besonderer Feind vom Weibs-Volcke, und mit ihnen umzugehen, fast wieder meine Natur war, so gereichte mir auch das Tantzen zum Eckel, hergegen war spielen, sauffen und schlagen mein einziges Vergnügen, als welche drey S. mehr als zu starck sind, einen jungen Menschen um das 4te gedoppelte S. nehmlich der Seelen-Seeligkeit zu bringen.

Allein dazumahl gedachte ich nicht einmahl daran, daß eine Seele in meinem Cörper stäcke, geschweige denn, daß ich mich bemühen müste: durch Gebet und Christlichen Wandel, derselben nach dem Tode ein gutes Quartier zu bereiten, ja es war schon dahin mit mir gekommen, daß ich weder an den Morgen noch Abend-Seegen gedachte, die Tisch-Gebethe mit grösten Verdruß anhörete, ausser diesem, bereits seit zwey Jahren oder etwas länger, in keine Kirche, vielweniger zum heil. Abendmahle gegangen war.

Ein schönes Leben vor einen Menschen, der in seinen besten Jünglings-Jahren stund. Wäre es auch zu bewundern gewesen, wenn GOtt mich dieserwegen in der besten Blüthe meines Lebens, aufs schändlichste verdorren lassen, jedoch seine Langmuth erstreckte sich noch weiter. Denn so bald ich [370] ein ansehnliches Stücke Geld auf solche subtile Diebes-Art, nehmlich durch lauter betrügliches Spielen zusammen gescharret hatte, ließ ich mir ein paar Edelmanns Kleider machen, kauffte Peruquen, Tressen Hüte, einen silbernen Degen, ja alles ein, was zur Ausstafierung eines jungen Edelmanns gehörete, packte die Sachen in einen Coffré, reisete etliche 30. Meilen weiter in die Welt, blieb endlich in einer Stadt bekleben, wo sich viel dergleichen Leute zeigten, als ich vor mir zu haben wünschte.

Ich gab mich daselbst vor einen Menschen von Sächsischen guten Geschlechts aus, der sich unter verdeckten Nahmen, so lange an frembden Orten aufzuhalten gezwungen sähe, biß er eine gewisse verdrüßliche Affaire, die er mit einem Cavalier gehabt, durch seine Anverwandten und guten Freunde ausmachen lassen. In der That aber, war ich mit Wahrheit und ohne Ruhm zu melden, damahls ein subtiler Spitz-Bube. Und gewißlich es solte wenig gefehlet haben, mich in die völlige Diebs- und Spitz-Buben Zunfft zu ziehen, als worzu sich sehr sonderbare Gelegenheit-Macher anmeldeten, wenn ich nicht in meiner Jugend eine besondere Aversion vor dergleichen Leuten bekommen hätte, und zwar bey der Gelegenheit: da ich etliche solche Galgen-Vögel erstlich erbärmlich martern, und hernachmahls theils rädern, theils aufhencken sahe. Wiewohl ich will selbst nicht Bürge davor seyn, daß dergleichen Eckel, durch das fernere Zureden solcher saubern Gesellen endlich nicht hätte können vertrieben werden, wenn die [371] subtilen Säyten auf der Geige meines liederlichen und GOttes vergessenen Lebens nicht mehr hätten klingen wollen. So aber konte zu damahliger Zeit mit dem aller listigsten Kunst-Griffen beym Würffel, Basset- und andern kostbaren Karten-Spielen, mein annoch beständiges gutes Conto finden, wie ich denn eines Abends bey einer Assambleé so glücklich war, von einem gewissen Major 1000. Thlr. baar Geld zu gewinnen. So viel Geld getrauete ich mich unmöglich alleine durchzubringen. Derowegen verschrieb meinen zurückgelassenen Kunst-Lehr- und Fecht-Meister zu mir, übersandte ihm 200. Thlr. von dem gewonnenen Gelde, mit dem Unterricht: daß er sich bey seiner Ankunfft, vor allen Dingen einen adelichen Nahmen geben müsse, vor unsern Staat zu führen, solte er hingegen, mich alleine sorgen lassen.

Er säumete nicht sich unter einem vornehmen Adelichen Geschlechts-Nahmen der Eustachius von S** lautete, einzustellen, gleichwohl muste er das Ansehen bey allen andern haben, als ob wir beyde einander niemahls mit Augen gesehen hätten, jedoch in wenig Tagen, errichteten wir die allervertrauteste Freundschafft, und bezogen zusammen ein Logis. Es ist mir unmöglich alle Arten der List und Boßheit auszuführen, durch welche wir binnen wenig Monaten ein Capital von mehr als 2000. Thlr. zusammen brachten, jedoch der Krug gieng so lange zu Wasser, biß endlich der Henckel abbrach; denn mein Compagnon wurde eines Abends, von einem Cavalier, auf frischer That des falsch Spielens, ertappt, und bekam von demselbigen eine tüchtige Maulschelle.

[372] Dieser Schimpff konte nun mit nichts anders, als Blute abgewaschen werden, derowegen ließ mein Camerad Stax, dem Cavalier folgenden Morgen durch mich vor die Spitze fordern, selbiger war keine feige Memme, sondern erschien mit seinem Secundanten auf dem bestimmten Platze, hatte aber das Unglück, von meinem Cameraden auf der Stelle erstochen zu werden. Wir hatten uns vorigen Abend auf dergleichen Streich schon gefast gemacht, derohalben unsere besten Sachen vor angebrochenen Tage mit der Post fort, und in eine Französische Gräntz-Stadt geschafft, mithin wurde nicht lange gesäumet, biß dahin nachzueilen, wir kamen auch, ohngeacht uns ein Commando Reuter nachgeschickt worden, um eine halbe Stunde eher, als dieselben, glücklich über die Teutsche Gräntze. Die Reise gieng ohne fernere Sorge auf Paris zu, in welcher reichen Stadt wir unsere Streiche am allerbesten fortzuführen gedachten, allein zu gröster Verwunderung fanden sich daselbst unzehlig viele solche Leute, die unter dem Cavaliers-Habite dergleichen Künste, wo nicht besser, doch wenigstens so gut als wir, verstunden. Derowegen musten wir ungemein behutsam, nur und an solche Orte gehen, wo etwas geringere Personen über den Tölpel zu werffen waren.

Mittlerweile erwarben wir dennoch von Zeit zu Zeit so viel, daß es nicht nöthig war die mitgebrachten Gold-Beursen anzugreiffen, wiewohl mein Stax mehr als ich verthat, indem er beständig den Huren nachlieff, und sich gegen selbige sehr spendable erzeigte, da im Gegentheil ich mich auf die [373] Französische Sprache befliß; auch was weniges von dasiger Baukunst begriff, um zum wenigsten doch etwas löbliches in Frankreich vorzunehmen. Bey solcher Gelegenheit gerieth ich in die Bekandschafft zweyer Mecklenburgischer junger Edelleute, die von einem Hofmeister geführet wurden; Weil nun der letztere sich durch meine redliche Stellung betrügen ließ, so erlaubte er mir zum öfftern diese beyden jungen Herrn spaziren zu führen, zumahl, wenn er Lust haben mochte seinen eigenen Streichen nach zu gehen. Sie führeten starcke Gelder bey sich, welches mir eine höchst vergnügliche Sache war, sie derowegen in solche Compagnien führete, wo sich vor dergleichen junge Lecker allerhand Ergötzlichkeiten fanden, hergegen stellete ich mich an als ob das Spielen mir eine wiederwärtige Sache sey, zumahl, da leicht zu mercken, daß sie beyderseits starcke Liebhaber davon wären. Mein Camerad Stax muste endlich auch in ihre Bekandschafft kommen, dieser ließ einen stärckern Appetit zum Spiele blicken, jedoch bey dem ersten, andern und dritten Umgange, die jungen Herrn so wohl als ihren Hoffmeister mehr als zwey oder drittehalb hundert Frantz Gulden gewinnen. Ich bekam davor, daß ich sie an einen soprofitablen Ort geführet, von dem ältesten eine kostbare Englische silberne Uhr, von dem jüngsten aber einen silbernen Degen geschenckt, wurde auch gebethen: sie ferner in andere dergleichen Compagnien zu führen, und auf ihre Schantze so treulich wie bißhero Achtung zu geben. Dieses geschahe einsmahls, und zwar da der Hofmeister wegen einiger Kopff-Schmertzen [374] im Logis zu bleiben gesonnen war, allein die beyden guten Herrn wurden von meinem Stax nicht allein um 200. fl. bey sich habende Silber-Müntze, sondern über dieses noch um 300. halbe Louis d'or geschneutzet, ich selbst, der aber mit dem Stax unter einem Hütgen spielete, hatte zum Scheine auch 50.Louis d'or nebst 100. Frantz-Gulden mit verlohren, hörete aber auf zu spielen, weil, wie ich sagte, heute kein Glück vor mich vorhanden wäre, allein die jungen Herrn spieleten mit dem ernsthafften und sehr raisonable scheinenden Stax, auf Conto weiter fort. Ich hielt nicht vor rathsam diese melckenden Kühe auf einmahl zu ruiniren, schlich mich derowegen heimlich zu ihrem Hoffmeister, erzehlete demselben mit verstellter Treuhertzigkeit, daß die beyden jungen Herrn heute sehr unglücklich gewesen, und dem ohngeacht durchaus nicht nachlassen wolten, bath ihn derowegen um Gottes Willen, seine Autorität zu gebrauchen, und sie darvon abzuziehen, weil heute doch weder Glück noch Stern vor sie sey. Der gute Pursche merckte nunmehro zu spät, daß er seinen Untergebenen allzuviel Willen, und was das gröste Versehen war, den Schlüssel zum Geld, Chatoul überlassen hatte, derowegen warff er in grösten Aengsten seine Kleider über sich, erfuhr aber zu seinem allergrösten Schrecken, daß seine Untergebenen Zeit meines Abwesens noch 200. Louis d'or verspielet hatten, weßwegenStax, bey ein und andern empfindlichen Reden des Hoffmeisters, das rauche heraus zu kehren begunte, und entweder auf der Stelle sein Geld oder wenigstens einen tüchtigen Bürgen verlangte. [375] Indem er nun gantz allein im Stande war, dem Hoffmeister und seinen beyden jungen Herrn, Angst und Schrecken einzujagen, musten sich diese auf gute Worte befleissigen, um mit der Helffte davon zu kommen, allein er war nicht zu erweichen, biß ich mich ins Mittel schlug, und so viel auswürckte, daß er endlich mit 100 Louis d'or zufrieden war, welche der Hoffmeister alsofort aus dem Logis langen und ihm bezahlen muste. Die guten Herrn stelleten sich zwar nach der Zeit noch ziemlich gefällig, allein ich weiß nicht, ob der Hoffmeister einigen Verdacht auf mich legen mochte, weil er sich sehr kaltsinnig stellete, auch bey meiner Ankunfft, seine Untergebenen entweder verleugnete, oder ihnen doch im geringsten nicht erlauben wolte, ferner mit mir aus zu spaziren.

Demnach that es mir von Hertzen leyd: daß ich sie nicht noch besser berupfft, sondern so gnädig durchgelassen hatte, jedoch es passirten in nachfolgenden 3. Jahren, so lange nehmlich mein Stax und ich uns noch in den vornehmsten Französischen Städten umsahen, unzählige dergleichen Streiche, welche alle haarklein zu erzehlen, ich wenigstens eine gantze Woche Zeit haben müste. Endlich zerfiel ich mit diesem meinen bißherigen Hertzens-Freunde, um einer sehr geringen Sache willen, worinnen er sich, in Beyseyn vieler andern Leute, einer sonderbaren Autorität über mich anmassen wolte, allein weil ich etwas zu viel Wein getruncken hatte, blieb ich ihm an allerhand empfindlichen Redens-Arten nichts schuldig, dahero er endlich auf die Thorheit gerieth: mit Kreide eine[376] Mühl-Axt auf den Tisch und ein NB. darüber zu mahlen. Es wuste zwar kein Mensch, was dieses eigentlich bedeuten solte, mich aber verdroß dieser Streich dergestalt, daß ich ihn augenblicklich forciren wolte: mir mit seinem Degen gegen den meinigen, eine vollkommene Auslegung zu thun, allein wir wurden, von etlichen sich darzwischen Legenden Cavaliers, abgehalten und ermahnet, dergleichen Vornehmen biß auf den morgenden Tag zu versparen.

Stax gieng in seiner Maitresse Logis den Rausch auszuschlaffen, und vermeynte vielleicht, wenn ich dergleichen gethan, würde sich der gestrige Eiffer wohl gelegt haben, allein die Galle gieng mir dergestalt im Eingeweyde herum, daß ich kaum den Morgen erwarten konte. So bald derselbe angebrochen war, kauffte ich mir von einem Pferde-Händler ein gut Pferd mit schönen Sattel und Zeuge, schickte den nunmehrigen ärgsten Feinde ein Cartell zu, Nachmittags um zwey Uhr eine Meile vor der Stadt auf einem bewusten Tummel-Platze zu erscheinen. Weil mir aber sogleich ein Unglück ahndete, kauffte ich noch einen leichten Klöpper vor einen deutschen Laqueyen, den ich, weil er von seinen Herrn verlassen worden, nur vor wenig Tage in meine Dienste genommen hatte, ließ meine besten Kleider und Sachen in zweyen Mantel-Säcken darauf packen, befahl dem Kerl auf etliche 100. Schritt voraus zu reiten, und zu erwarten, wie mein vorhabendes Duell ablieffe, ich aber setzte mich gleichfalls zu Pferde, und gelangte bald auf den Platz, allwo sich mein Gegner zu bestimmter Zeit [377] einstellete. Nehmet euch in Acht! rieff er mir zu, so bald wir einandar das Weisse im Auge sehen konten, denn die Meisters behalten gemeiniglich die beste Finte vor sich. Es ist gut, gab ich gantz gelassen zur Antwort, in kurtzen wird sich zeigen, wer des andern Meister ist. Hiermit giengen wir nach abgeworffenen Kleidern aufeinander loß, und mein Gegner wurde im zweyten Gange ein wenig in den Arm verwundet, da er aber dieserhalb nur desto hitziger wurde; und seinen Hohn in der Geschwindigkeit zu rächen vermeynte, auch vor der mir selbst gezeigten Finte sich nicht versahe, lieff er sich meinen Degen dermassen gewaltsam unter dem Arme in die Brust hinnein, daß er, vermuthlich wegen einer Hertz-Wunde augenblicklich umfiel, und nach wenigen Zucken die Seele ausbließ. Ich sprach zu den beyden Anwesenden Secundanten: Messieurs nehmet euch so viel, als es seyn kan, dieses entleibten Deutschen an, denn ich weiß, daß der Gürtel, den er auf seinem blossen Leibe trägt, die Mühe belohnen wird. Hiermit bekümmerte mich weiter um nichts, sondern gab meinem Pferde die Sporn, und jagte nebst meinem Diener so hurtig als möglich nach den Gräntzen der Österreichischen Niederlande zu. Selbige erreichten wir ohne eintzigen Anstoß, da doch sonsten ohne Pass hindurch zu kommen eine ziemliche Kunst war.

Ich hätte die gröste Ursache und schönste Gelegenheit gehabt, dasiger Orten die bißherige schändliche Lebens-Art zu quittiren, und hergegen eine honorable Kriegs-Charge anzunehmen; allein die gebundene Lebens-Art schien mir ein Eckel zu [378] seyn. Jedoch, weil ich über 3000. Thaler an Golde und Jubelen bey mir führete, gefiel mir endlich: Bald bey diesen, bald jenen Käyserlichen Regimente Curassirer, als Volontair herum zu schwermen, worbey meineProfession, nehmlich das verfluchte Spielen zu exerciren, sich tägliche Gelegenheit fand.

Endlich nachdem ich von dem vielen Gelde nicht mehr als 200. spec. Ducaten an meinen Vetter und Lehrmeister übermacht, stieß mir ohnweit Luxemburg die abermahlige Fatalitæt zu, einen Officier, des beym Spiele entstandenen Streits wegen, zu erstechen, also nahm ich die Flucht aufs neue nach Franckreich, streiffte erstlich in vielen andern Städten herum, und kam endlich im Winter des 1720ten Jahres wieder nach Paris, alwo damahliger Zeiten, lauter Lermen, wegen der so frewlen Spitzbuben war. Um nun nicht etwa in dergleichen Verdacht zu kommen miethete ich mich bey einem deutschen Zucker-Becker ein, und führete wieder meine Gewohnheit ein ziemlich ordentliches Leben, ließ mich aufs neue in ein und andern, zur Mathesi gehörigen und mir beliebigen Künsten unterrichten, da aber das Spielen nicht unterlassen konte, so spielete jedennoch fast gezwungen, ziemlich ehrlich, war auch darbey zuweilen ungemein glücklich. Mein Wirth war, ohngeacht dessen, daß er dieProtestantische mit der Catholischen Religion verwechselt hatte, in allen seinen äuserlichen Wesen ein grund redlicher Mann, und erzeigte mir gegen billige Bezahlung alle Gefälligkeit, ich bedaurete selbst zum öfftern, wenn sich ein klein Füncklein [379] recht gesunde Vernunfft bey mir spüren ließ, daß ich mich nicht entschliessen könte nach Hause zu reisen, und eine ordentliche Lebens-Art anzufangen, denn das Hertze wolte mir zum voraus sagen, daß dergleichen Aufführung endlich ein beklecktes Ende nehmen würde. Allein solche gute Gedancken wurden fast augenblicklich als von einem Sturmwinde zerstreuet, hergegen kam mir die eingewohnte Weise immer süsser vor, so lange biß ich eines Abends, ebenfalls des Spiels wegen, in einer Rencontre, mit zweyen Degens zugleich durchstochen, sonsten am Leibe auch sehr übel zerhauen wurde.

Man schaffte mich vermittelst einer Sänffte andern Tages in mein Logis, allwo ich die Ehre hatte, von vielen deutschen Clavaliers besucht zu werden, weil ein jeder glaubte, ich sey derjenige, vor welchen ich mich ausgab, und weil keine sonderlichen Schrifften unter meinen Sachen angetroffen wurden, so konte deßfalls um so viel weniger verrathen werden. Es waren ein Medicus und 2. Chirurgi über mir, welche aber wieder die gewöhnliche Art der Franzosen schlechten Trost gaben, derowegen begunte mein Gewissen auf einmal aufzuwachen, so daß ich vor Angst in gäntzliche Verzweiffelung gefallen wäre, wenn nicht ein gewisser Cavalier meine Hertzens-Bangigkeit gemerckt, und mir dieser wegen den Prediger eines gewissen Lutherischen Abgesandtens zugebracht hätte. Selbiges war ein ungemeiner Mann, der mein Gewissen solchergestalt zu rühren wuste, daß ich ihm endlich, wie fast alle Zeichen meines heran nahenden Todes vorhanden waren, ein offenhertziges Bekäntniß meiner [380] bißherigen Lebens-Art, und darbey den grossen Zweiffel zu vernehmen gab: Ob ein solcher Mensch wie ich, annoch Vergebung und Gnade bey GOtt erlangen könne? Demnach war er fast eine gantze Nacht hindurch bemühet, mich aus der Verzweiffelung zu reissen, und auf die rechte Strasse zu bringen, da ich nun gegen Morgen, eine ernstliche Reue, Buße und Glauben durch Worte und Gebärden zeigte, absolvirte er mich, und reichte mir nachhero in aller Stille das Hochwürdige Abendmahl, worauf ich ungemeine Linderung, so wohl an den Leibes- als Gewissens-Wunden fühlete, und ein Gelübde that, welches so viel in sich hielt: Daß, wenn mich GOtt diesesmahl beym Leben erhalten würde, ich so gleich nach wieder erlangter Gesundheit, alles mein Geld und Gut unter die Armen theilen, und nichts mehr davon übrig behalten wolte: als was ich zur Reise in mein Vaterland höchst vonnöthen hätte, daselbst wolte ich denn auch, die, meinem Vetter über machten 200. spec. Ducaten und den Werth von den übrigen übel erworbenen Reste, an Kirchen, Schulen, und arme Leute verwenden. Bald nach diesem gethanen Gelübde, ließ sichs mit meinen Schäden zu schleuniger Besserung an, die Aertzte fiengen an besser zu trösten, sagten aber frey heraus, daß wenn ich vollkommen curiret seyn wolte, sie, um den Eyter aus der Brust-Höle zu zapffen, über den kurtzen Rippen eine Oeffnung machen müsten.

Ich gab meinen Willen drein, stund die höchst schmertzliche Cur aus, und wurde also nach wenig Wochen vollkommen gesund. Allein wer solte es[381] wohl glauben? daß, so bald sich die verlohrnen Kräffte wieder eingestellet, ich nicht allein mein gethanes Gelübde vergessen, sondern mir auch nicht das geringste Gewissen gemacht hätte, die vorige Lebens- Art wiederum zu ergreiffen.

Unter andern gerieth ich mit einem sehr artigen Frantzosen in Bekandtschafft, der sich La Rosée nennete, und wie ich merckte, die Spiel-Künste ungemein wohl verstund, derowegen hütete mich ihm keinen Verdruß, mir aber keinen Schaden zu zu ziehen, nicht zwar aus einiger Furcht, sondern weil ich diesem Menschen, unwissend, warum, gewogen seyn muste. Er im Gegentheil vermerckte bey mir gnugsame Hertzhafftigkeit, zugleich auch, daß ich seine künstlichen Streiche guten Theils abgemerckt, dem ohngeacht die Gefälligkeit vor ihm gehabt, und stille geschwiegen hatte. Derowegen suchte er mir bey andern Gelegenheiten allerhand Vergnügen zu machen, tractirte mich öffters in seinem Logis mit den herrlichsten delicatessen, und ich bewirthete ihn gleichfalls öffters in meinem Hause, worbey er mir zu vernehmen gab: Wie er die stärckste Anwartung auf einen Officiers-Dienst in einer benachtbarten Guarnison hätte, und mich zugleich bereden wolte, ebenfalls Dienste unter der Miliz zu suchen, allein ich zuckte die Achseln hierzu und sagte: daß, wenn mir mein freyer und ungebundener Stand nicht lieber gewesen, ich schon vorlängst unter den Kayserl: Trouppen eine Compagnie haben können. Hierauf sprach er: ja Monsieur, es wäre mir zwar auch also zu Muthe, allein, wo wollen die Mittel allezeit herkommen: [382] Monsieur, versetzte ich, dergleichen Künste als ihr im Spielen gezeiget habt, müssen ihren Mann niemahls fallen lassen. Ach! sprach er, es ist zwar etwas, jedoch nicht hinlänglich, denn in Paris ja in gantz Franckreich werden die Reichen immer klüger, die Armen aber immer ärmer, und ich glaube, ehe ein Jahr verstreicht, wird fast niemand mehr spielen wollen, derowegen muß man sich auf andere Künste legen. Unter diesem Gespräche fiel mir ein eiserner etwa 2. Ellen langer Guardinen Stab, vom Fenster herunter auf den Kopff, jedoch ohne besondern Schaden, dem ohngeacht brach ich denselben aus Boßheit, als einen Tobacks-Pfeiffen-Stiel in mehr als zwantzig Stücke. La Rosée sperrete darüber Maul und Nase auf, vermeynete auch, daß ich vielleicht ein Hexen-Meister sey, allein ich bezeugte ihm mit vielen mir gar nicht schwer ankommenden Eydschwüren, daß dieses meine angebohrne Stärcke also mit sich brächte, zerbrach auch vor seinen Augen einen mehr als 6. mahl dickern Fenster-Stab in etliche Stücken, worüber La Rosée in noch stärckere Verwunderung gerieth, und mich zu einem seiner besten Freude mit zu gehen bat, welchem er heute eine Visite zu geben versprechen müssen. Ich ließ mich leicht bereden, zumahlen da selbigen Abend sonsten keine tüchtigeCompagnie wuste. Demnach führete er mich in die Vorstadt St. Marcel und zwar in ein nicht allzu ansynliches Haß, allwo in der Unter-Stube des hinter- Gebäudes, zwey ansehnliche Cavaliers im Brete mit einander spieleten, jedoch bey des Le Rosée und meinem Eintritt alsobald aufsprungen, und uns aufs höfflichste bewillkommeten.

[383] Sie liessen so gleich den köstlichsten Wein, nebst andern Delicatessen auftragen, und weil noch ein ansehnlicher feiner Herr darzu kam, sassen wir da, liessen die Gläser tapffer flanquiren und raisonnirten von lauter Etaats-Affairen, so daß ich diese Herrn vor vollkommene Etaats-Leute gehalten, wenn mir la Rosée nicht gesagt hätte, daß sie Officiers von demjenigen Regiment wären, worunter er sich halb engagirt hätte. Der Wein hatte wegen seines gantz besonders trefflichen Geschmacks, mir allbereits einen halben Tummel zu gezogen, als plötzlich ein scheinbarer Officier mit 6. Mann in die Stube trat, und mit brüllender Stimme sprach: Messieurs gebt euch auf Befehl des Königs in Arrest! Ich vor meine Person, der dieses Tags wegen ein ziemlich gutes Gewissen hatte, wuste nicht, was es bedeuten solte, sahe derowegen meine Zech-Gesellen an, und fragte in aller Stille: Ob wir diesen Kerlen nicht die Hälse brechen wolten? La Rosée sprach: Allerdings, sonst sind wir verlohren.

Auf dieses Wort, sprunge ich als eine Furie hervor, riß den Officier plötzlich zu Boden, stieß einen andern mit dem Kopffe wieder die Wand, daß er ohnmächtig wurde, den dritten aber mit einem ausgezogenen Stillet auf der Stelle todt. Meine Zechbrüder brachten die übrigen 4. zwar glücklich zur Thür hinaus, ersahen aber, daß noch mehr als 12. Mann im Hofe parat stunden, uns zu attaquiren. Jedoch zu allem Glücke war die Stuben-Thür inwendig mit starcken eisernen Bändern und Riegeln versehen, derowegen wurde dieselbe, aufs beste verwahret, hergegen schien meinen Compagnons [384] das Durchwischen unmöglich, weil die 3. Fenster mit eisernen Stäben allzu fest besetzt waren. Allein hierzu wurde bald Rath, denn ich riß einen nach dem andern aus der Mauer, und also sprungen wir auch einer nach dem andern zum Fenstern heraus. Diese waren nun zwar auch mit einer geringen Manschafft besetzt, allein ich schlug mich glücklich durch, und kam ohnbeschädigt in meinem Logis an.

Folgenden morgen besuchte mich einer von den gestrigen Zechbrüdern, der sich, le Pressoir nennete, und brichtete: daß la Rosée nebst noch einem andern dennoch von der Wacht attrapirt und ins Chastelet geführet worden, über dieses wäre auch der Kerl, welchen ich mit dem Kopffe so hart an die Mauer gestossen, crepiret, derowegen der beste Rath, wenn ich mein Quartier veränderte, weil man mich hier leicht ausforschen und zu dem la Rosée setzen könte. Demnach ließ ich mich von diesem Schein-Freund bereden, mit in sein eigenes Logis zu ziehen, allwo ich schöne Gelegenheit, aber fast täglich solche Personen um mich hatte, welche den Krams-Vögeln gar nicht, den Galgen-Vögeln aber desto ähnlicher sahen. Le Pressoir brach endlich beym Truncke, und zwar, da wir gantz allein beysammen waren, mit dem gantzen Geheimnisse heraus, daß nehmlich er und seine Gefährten Cartouchianer, auf deutsch Mitgesellen der aller berühmtesten Spitz-Buben-Bande unter allen wären, die dermahlen auf der gantzen Welt florirten.

Ich erschrack hierüber von Hertzen, und zwar dermassen, daß mir der kalte Schweiß austrat, denn [385] im Augenblicke stelleten sich alle Gehenckten, Geräderten, Geviertheilten, Gebrandmarckten, Gestäupten und dergleichen vor mein Gesichte, die ich nicht nur von eben dieser Bande in Paris, sondern auch von Jugend auf an andern Orten Mord und Diebstahls wegen executiren sehen. Le Pressoir merckte einige Bestürtzung an mir, sagte derowegen: Schämet, euchMonsieur! bey so vortrefflichen Leibes-Gaben ein solch feiges Gemüthe zu haben. Bedencket doch wer heute bey Tage sein Glück auf festen Fuß setzen will, muß wahrhafftig viel Geld haben, die Art, wo mit wir selbiges zu erwerben suchen, scheinet zwar etwas desperat und schimpflich, allein das letztere zumahl, ist eine leere Einbildung, weil einige von den gröstenMonarchen das Gewerbe, sich mit Gewalt zu bereichern, öffentlich, wie armen Schlucker aber dasselbe nur heimlich treiben. Ach! sprach er noch, es sind viele von unserer Bande hinweg geschlichen, die mit ihrem darbey erworbenen Gute, theils in Deutschland, Engelland, Holland und andern Ländern, sich auf Lebens-Zeit vergnügte Ruhe-Städte zubereitet haben.

Solche Gespräche führeten wir biß in die Mitter-Nacht, ich versprach dem le Pressoir die Sache zu beschlaffen, und deßfals Morgen mit dem frühesten den Schluß zu fassen, ob ich mich ihrem Obristen woltepræsentiren lassen. Allein mein Sünden-Maaß lieff ohnedem schon über, und weil die Göttliche Barmhertzigkeit vielleicht noch viele Grausamkeiten zu verhüten, mich aber zu einiger Erkäntniß zu bringen gesonnen, fügte es dieselbe dergestallt, daß le Pressoir diese Nacht ausgekundschafft, nebst mir [386] im ersten Schlaffe überfallen, gebunden und ebenfalls ins Chastelet geführet wurde.

Hieselbst wurden mir alle meine Kleider biß auf die Hosen und Hembde abgezogen, ingleichen der Barchent Gürtel, worin mein Gold und Kleynodien vernehet waren, und den ich jederzeit auf dem blossen Leibe trug, abgerissen, so daß von allen übelerworbenen Gute nichts in meiner Gewalt blieb, als ein kleiner Diamant-Ring etwa 15. thaler werth und dann 6. gehenckelte Gold-Stücke, die in einer verborgenen Hosen-Ficken stacken, und etwa 30. thaler austrugen. Man warff mir zwar an statt meiner schönen Kleider etliche andere Stücke zu, welche ohnfehlbar etwa ein gehenckter oder geräderter Dieb zurück gelassen hatte, allein ich wolte selbige nicht eher anziehen, biß mir endlich des Nachts die grimmige Kälte allen Eckel vertrieb, denn es war gar ein verzweiffelt kaltes, stinckendes und niedriges Gewölbe im untern Stockwercke, worinnen man mich an entsetzlich starcken Ketten gefangen hielt.

Wenig Tage hernach wurde ich ins Verhör gebracht, allwo ich mich zwar, was die Cartouchianer anbetraff, aufs beste zu verantworten suchte, allein um so viel desto schlechter Gehör fande, ja die Sache wurde dergestallt eiffrig getrieben, daß ich zu meinem Trost, ein vor allemahl den Bescheid bekam, entweder binnen dreyen Tagen reinen Wein einzuschencken oder der allerentsetzlichsten Tortur gewärtig zu seyn, zu desto grösseren Schrecken aber muste dabey seyn, da ein anderer, mir unbekanter Cartouchianer von zweyen Henckern aufs allerentsetzlichste gefoltert wurde, welches mir eine dermassen [387] hefftige Empfindlichkeit verursachte, daß ich auf der Stelle hätte verzweiffeln mögen.

Nunmehro, so bald ich wieder in mein dunckeles Gefängniß geführet worden, hielt mir erstlich der Satan die Kuh-Haut, ja ich möchte sagen eine Elephanten-Haut vor, worauf alle meine von Jugend auf begangenen Sünden, mit den aller kläresten aber desto nachdrücklichsten Schrifften angezeichnet waren. Daß Eisen-Geschmeide an meinen Händen, Füssen und gantzen Leibe zu zerbrechen, war mir eine gantz leichte Sache, ja ich trug dasselbe deutlich zu sagen meinen Verwahrern nur zum Spotte. Alleine durch die Mauer zu brechen schien desto unmöglicher, derowegen bewegte mich die ausserordentliche Gewissens-Angst zur völligen Verzweiffelung, so daß ich gäntzlich beschloß, mich in folgender Nacht ohne ferneres Bedencken selbst ums Leben zu bringen, es geschehe auch auf was vor Art als es wolle. Denn, ohngeacht ich in meinen Gewissen der Cartouchianer wegen ziemlich reine war, so propheceyete mir doch dieTortur, und dann das gemeine Sprichtwort: Mit gefangen mit gehangen, ein klägliches Ende. Demnach erwartete ich mit Schmertzen, biß der Kercker-Meister Nachts, um etwa 10. Uhr, zum letztenmahle nach mir gesehen hatte, wandte hierauf mittelmäßige Kräffte an, und zerbrach binnen einer halben Stundte, nicht allein alles an mir habende Eisenwerck, sondern drehete auch die Schlösser und gelencke von den Hand-und Bein-Schellen glücklich ab, so daß ich mich hiervon völlig befreyet befand. Hierauf tappte mit den Händen nach einem Haacken herum, woran ich mich[388] mich vermittelst meiner Strumpff Bänder zu hängen suchte, indem aber warff der Mond seine Strahlen durch ein Viertheil-Elen breites Lufft-Loch, welches jedennach mit einem starcken eisernen Stabe verwahret war. Selbigen Stab riß ich mit äuserster Mühe aus den Steinen heraus, weltzte einen grossen Klotz an das Lufft-Loch und bemerckte: daß selbiges nicht über 6. oder 8. Elen hoch von der Erde sey, derowegen setzte die Henckers-Gedancken etwas bey seite und versuchte, ob das Loch nicht etwa binnen etlichen Stunden dergestallt auszubrechen und zu erweitern wäre, daß ich hindurch wischen könte; die Steine waren ziemlich mürbe, also fing ich mit Hülffe des eisernen Stabes, die Arbeit dermassen hitzig an; daß endlich binnen 2 oder drey Stunden das Loch durch die Mauer so groß als nöthig wurde.

Nunmehro hielt ich freylich das fernere Uberlegen vor einen unnützen Zeit-Verlust, warff derowegen den eisernen Stab, als ein höchstnöthiges Faust-Gewehr voraus, und schlupffte hinter drein. Der Sprung war höher herunter geschehen, als ich mir dem Augenmasse nach eingebildet hatte, demnach prasselten alle Rippen in meinem Leibe, weil ich sehr unsanffte auf das Stein-Pflaster gefallen war. Jedoch die weit grössere Angst erstickte endlich diese etwas kleinere und stärckte mich dermassen, daß ich nicht allein, noch eine 6. Elen hohe Mauer überklettern, sondern auch vor anbrechenden Tage, im freyen Felde, einen Erdfall erreichen konte, in dessen nicht allzu wohl verwahrte Höle ich meinen zerstauchten Cörper schmiegte und denselben fast über [389] und über mit Erde bedeckte. Nachdem die Sonne bereits etliche Stunden geschienen, und ich mich ziemlich weit ausser denen ordentlichen Strassen zu liegen vermerckte, das kalte Lager aber fast nicht mehr ertragen konte, zerriß ich meinen ohndem genung zerfleischten Bettlers-Kittel noch mehr, und brachte alles in eine dermassen unordentliche Ordnung, daß mich ein jeder nicht nur vor den allerärmsten Bettler, sondern so gar vor einen rasenden Menschen ansehen muste. Wer mir begegnet, lieff entweder aus dem Wege, oder warff beyzeiten ein Stück Geld, Brod oder andere Victualien entgegen, nur damit ich ihm vom Halse bleiben solte, und solchergestallt practicirte mich glücklich über die Französischen Gräntzen, biß an den Rheinstrom, allwo mir, von dem annoch bey mir habenden Gelde, nunmehro erstlich wieder ein Mühl-Purschen Kleid, Axt, nebst allem andern, was zu solchen Stande gehörete, anschaffte.

Es liessen sich zwar immittelst in allen meinen Gliedern die Zeichen einer bevorstehenden Kranckheit mercken, allein weil ich durchaus keine Lust hatte an Catholischen Orten stille zu liegen, so setzte dennoch meine Reise biß in die Wetterau fort, und fand daselbst bey einem gutthätigen Müller, Gelegenheit, etwas Artzeney zu gebrauchen, welche auch in so weit anschlug, daß ich nachhero die Reise biß in meine Heymath mit ziemlichen Kräfften überstehen konte.

Mein ernstlicher Vorsatz war: von nun an meine Sünden zu bereuen, und so bald ich mich zu Hause mit einem frommen Seelsorger bekandt gemacht, [390] ein christliches und GOtt wohlgefälliges Leben anzufangen, jedoch weil dieser Vorsatz dem Teuffel ohnfehlbar hefftig verdroß, warff er mir eine abermahlige Verhinderung darzwischen. Denn so bald ich in meiner Mutter Hauß eintrat, machte der nunmehro ziemlich alte und desto schlimmere Stief-Vater scheele Augen, und gab unter seinen brummenden Worten so viel zu verstehen: daß ich bey demjenigen, welchen ich vor etlichen Jahren das gute Geld geschickt, nunmehro auch die Bären-Haut suchen, und darauf liegen könte, so lange als ich wolte. Denn er könte leichtlich mercken daß ich mehr Ungeziefer als Ducaten mit brächte, welches doch würcklich erlogen war. Jedoch meine sehr alte unvermögliche Mutter empfing mich desto freundlicher, und sagte: ich solte mich nichts anfechten lassen, denn der böse Mann, welcher sie seit so vielen Jahren her als einen Hund tractiret hätte, wäre nur darum so rasend, daß sie mit ihm kein Kind gezeuget, vor weniger Zeit aber ein Testament gemacht, ihm nur, 100 fl. mir und meinen Geschwistern hingegen nicht allein die Mühle, sondern auch alle beweglichen und unbeweglichen Güter vermacht hätte. Ich ließ also des Stief-Vaters verdrüßliche Reden zu einem Ohre ein, und zum andern wieder heraus gehen, begegnete ihm auch mit möglichster Höfflichkeit, allein da ich eines Tages darzu kam, und sahe: wie er meine arme alte Mutter aufs aller erbärmlichste tractirte, so, daß ihr das klare Bluth über das Gesichte lieff und demnach des erbärmlichen Schlagens kein Ende werden wolte; fassete ich den Mörder beym Arme und stieß ihn zur Tühr hinaus, meine[391] Mutter aber hatte ich kaum ins Bette getragen und einigermassen von Bluthe gereiniget, da der erboste Stief-Vater zurück kam und mich mit einem grossen Prügel dermassen über den Rücken schlug, daß ich fast verzweiffeln mögen, jedoch ehe er noch dergleichen Schlag wiederholen konte, stieß ich ihn zur Thür hinaus, so daß er rücklings eine kleine Treppe herunter stürtzte und ohnmächtig liegen blieb.

Es waren etliche Mahl-Gäste gegenwärtig, welche, das mir und meiner Mutter zugefügte Unrecht mit angesehen hatten, also meinen Jachzorn um so viel desto weniger mißbilligen, dem ohngeacht meinen Stief-Vater mit Eßig und andern starcken Sachen wieder erquicken wolten, allein ob derselbige gleich die Augen auf zuthun und sich in etwas zu regen begunte, so wolte doch kein Verstand wieder kommen, wir schickten nach dem Bader des Dorffs, der ihm eine Ader öffnen und sonsten mit Artzeneyen zu Hülffe kommen solte, allein ehe die Mitternachts Stunde ein brach, starb er unverhofft und plötzlich, weil, wie ich nachhero erfahren, ihm das Rückgrad entzwey gebrochen war. Solchergestallt muste ich mich auf Zureden meiner Mutter und anderer guten Freunde eiligst aus dem Staube machen, und weil mir die erstere einen guten Zehr-Pfennig auf die Reise gab, zugleich ein gut Pferd aus dem Stalle mit zu nehmen erlaubte, erreichte ich gar bald einen sichern Ort, allwo biß zu Ausmachung dieser Sache in Sicherheit leben könte.

Allein mein Gewissen fand sich von so häuffigen Blut-Schulden und andern nicht viel geringern, [392] dermassen bedrängt, daß ich erstlich in eine grosse Tieffsinnigkeit, und bald hernach auch in ein gefährliches hitziges Fieber verfiel, und binnen 14. Tagen, da solches an allerhefftigsten gewütet, nicht gewust, wie mir zu Muthe gewesen. Ich habe mittlerweile nicht nurphantasiret, sondern dergestallt hefftig geraset, daß öffters 8. biß zehen der stärcksten Manns-Personen mich kaum bändigen und vor dem Selbst-Morde bewahren können. Endlich sehen sich die guten Leute gezwungen, mich mit starcken Stricken und Seilen im Bette anzubinden, die ich aber nicht anders als vermodert Garn zerrissen habe. Ein gleiches ist nachhero auch unterschiedliche mahl mit denen angelegten Ketten und Banden geschehen, jedoch endlich hat ein Schmid die stärcksten eisernen Bande verfertiget, auch die Mühe auf sich genommen, nebst seinen Gesellen bey mir zu wachen, und meine Hände, so offt sie sich an dem Eisenwercke vergreiffen wollen, mit Brenn-Nesseln so lange zu peitschen, biß mir die Lust zum Zerbrechen nach und nach verschwunden.

Hätte mich GOtt in diesem Zustande dahin sterben lassen, so wäre mein Leib und Seele gantz gewiß ewig verdammt und verlohren gewesen, allein seine Barmhertzigkeit, die auch die allergrösten Sünder, auf allerhand Arten zur Busse zu reitzen suchet, hat sich auch bey mir auf eine gantz besondere Art offenbaret, und zwar unaussprechlich mehr als ich verdienet gehabt. Da ich also einst in der Nacht, meinen völligen Verstand wieder bekam, und mich dergestallt gefesselt und verwahret befand, anbey nicht anders glaubete; die Gerichten hätten wegen des [393] meinem Stief-Vater verursachten Todes, diese Sorgfalt, mich fest zu halten, angewendet, fing ich aufs erbärmlichste zu seuffzen und zu klagen an und bat die Anwesenden mit Thränen, mir die Hände und Füsse nur auf eine eintzige Stunde frey zu lassen, damit ich so lange Zeit ein wenig auf der Seite liegen könte, denn mein Rücken war fast lauter roh Fleisch, und brennete dermassen schmertzlich, als ob lauter glüende Kohlen unter mir gelegen hätten. Allein man trauete mir nicht, sondern ich muste die Marter noch so lange erdulden biß, des Morgens früh noch etliche starcke Leute ankamen, um meiner Gewalt auf den Noth-Fall desto besser zu wiederstehen. Aber die guten Leute hätten dergleichen Furcht nicht nöthig gehabt, denn ich war nunmehro weit unkräfftiger als eine Fliege, und gab die vernünfftigsten und besten Worte, erfuhr immittelst zu einiger Beruhigung, daß ich keines Verbrechens, sondern nur meiner Raserey wegen geschlossen worden. Man legte mich auf die Seite, weßwegen ich in etwas Ruhe und Linderung empfand, bald darauf aber folgende Gedancken bekam: Du gerechter GOtt! wie lang und grausam schmertzlich ist mir nicht die vergangene halbe Nacht vorgekommen, da ich mich doch nur auf den Rücken etwas durchgelegen habe? was ist dieses kurtze Stück der Zeit gegen die unendliche Ewigkeit, und was sind diese Schmertzen gegen die unaussprechliche Pein zu rechnen, die allen Gottlosen, ja allen solchen, die noch wohl 1000 mahl weniger Sünde als ich begangen haben, bereitet ist. Nun fiel mir auf einmahl wieder ein, was ich in meiner Jugend von dem jüngsten Gerichte, [394] von der ewigen Höllen-Quaal und Straffe der Gottlosen, predigen, singen und sagen hören, ingleichen præsentirten sich vor meinen Augen alle diejenigen Personen, die ich im Zorn ums Leben gebracht, verwundet, bevortheilet, oder sonsten beschädiget hatte, welches alles in meinem Gemüthe einen dermassen hefftigen Auflauff verursachte, daß mir der Angst-Schweiß ausbrach, und ich mich vor Schrecken, Furcht und Elende nicht zu lassen wuste, ja weil ich erwog wie schändlich ich das, bey ehemahliger Kranckheit gethane Gelübte gebrochen, so zweiffelte fast, daß GOtt mein ferneres Gebeth anhören, vielmehr mich, als einen unnützen Knecht, der sich niemahls ein rechtes Gewissen gemacht GOtt, seine Diener und Nächsten zu betrügen, dem Teuffel in die Klauen und in den ewig brennenden Höllen-Pfuhl übergeben und verstossen würde.

Meine verpfleger vermeyneten vielleicht, es rühre dieser Zufall von dem, aufs neue ausbrechenden Fieber her, liessen derowegen den Artzt ruffen, welcher, da ich mich gantz und gar nicht begreiffen konte, mir mit Gewalt einige starcke Artzeneyen eingoß, jedoch da sich meine Sinnen nur ein klein wenig erholet, verlangete ich nach einem Priester, so bald derselbe kam, muste man mich mit ihm alleine lassen, und nach dem ich ihm ein offenhertziges Bekändtniß meiner Gewissens-Marter abgelegt, wie nehmlich dieselbe mich weit hefftiger quälete als die leiblichen Schmertzen, wandte dieser erleuchtete Mann das äuserste an mir, die Verzweiffelung aus dem Sinne, hergegen neue Busse, neuen Glauben und neue jedoch ernstliche Lebens-Besserung einzu predigen. [395] Es hat GOtt sey tausendmahl Danck, ihm und mir gelungen, denn nachdem er alle Zeichen eines verbesserten Gemüths wahrgenommen, reichte er mir das heil. Abendmahl, besuchte mich auch so lange, biß die Kranckheit gäntzlich vorüber war, und ich wiederum in die freye Lufft gehen konte. Nunmehro war die Haupt-Sache zwar gehoben, jedoch erregte der Satan fast täglich noch einen zweiffel in meiner Seelen, an der vollkommenen Begnadigung GOttes und Vergebung meiner Sünden, derowegen besuchte ich den Frommen Priester fast täglich ein oder ein paar Stunden, unn bekam von ihm die allerkräfftigsten Tröstungen, ausser diesen schenckte er mir eine kleine Hand-Bibel, ein Gesang Buch, worinnen er mir die kräfftigsten Buß- und Trost-Lieder ordentlich bezeichnete, Joh. Arends Paradieß-Gärtlein, dann noch das vortreffl. Buch: Mayers verlohrnes und wieder gefundenes Kind GOttes,recommendirte mir auch über diese noch einige andere erbauliche Bücher, die er schrifftl. aufsetzte. Ich folgte seinen gegebenen Rath aufs allergenauste und habe nach der Zeit fast keinen Tag versäumet, in dergleichen Büchern sehr fleißig zu lesen und meinen Lebens-Wandel darnach einzurichten, wie ich denn auch alle dieselben mit auf diese Insul gebracht habe, und sie vor meinen allerbesten Schatz halte.

Der vortreffliche Geistliche wolte durchaus keine Belohnung vor seine mit mir gehabte Mühe von mir annehmen, ich habe ihm aber dennoch, nachdem ich albereit mit thränenden Augen Abschied von ihm genommen, 20 harte Thaler von demjenigen [396] Gelde, welches mir meine Mutter mit auf die Reise gegeben, durch die Post übersendet, und hertzlich gebethen, sich zu meinem Angedencken andere geistl. Bücher darvor zu kauffen. Die andern ehrlichen Leute, die mich in meiner Kranckheit so wohl besorgt, habe ich auch von dem Gelde, welches ich vor mein verkaufftes Pferd eingenommen, erkäntlich bezahlet, also nicht mehr als noch etwa 30 Thl. übrig behalten. Dieses wenige, aber mit guten Gewissen besitzende Vermögen, beschloß ich zurahte zu halten, mich vor allen Gottlosen liederlichen Leben, sonderlich vor dem verdamten Spielen und Sauffen, Zeit Lebens zu hüten, hergegen mein Brod, auf dem, von Jugend auf ehrlich erlernten Handwercke, zu gewinnen, und zu erwarten, ob mir GOtt etwa hier oder dar in einem frembden jedoch Lutherischen Lande, etwa eine beständige Ruhe-Städte verschaffen wolle: damit ich nicht Ursach hätte selbige in meinem Vaterlande, als welches mir nicht allein der letzten verdrüßlichen, sondern auch anderer ärgerlichen Begebenheiten wegen, eckel war, zu suchen. Unter solchen Absichten schrieb ich meinem Vetter, das an ihm übersandte Capital halb an eine arme Kirche und die andere Helffte an ein gewisses übel besorgtes Hospital zu wenden. Meine Mutter bath ich gleichfalls dasjenige, was sie mir an Erbtheile zugedacht, an geistliche Stifftungen zu legen, indem ich entweder gar nicht, oder doch nur deßwegen wieder eine Reise in meine Heymath vornehmen würde: zu vernehmen ob man in diesem Stücke meinem Willen nachgelebt hätte; denn die Sache wegen meines Stief-Vaters, war [397] schon mit 120. Thl. baaren Gelde vor den Gerichten völlig ausgemacht worden, weiln mehr als 7. Zeugen vorhanden gewesen, die mit Wahrheit bekräfftigen können: daß ich weder muthwillige Händel an ihm gesucht, noch ihm freventlicher hergegen recht abgenöhtigter weise und recht wieder meinen Willen, zum Tode befördert hätte.

Demnach hielt ich mich bey nahe noch anderthalb Jahr in einer berühmten Fluß-Mühle auf, legte bey deren neuer Erbauung nich allein viel Ehre ein, sondern bekam auch von dem Eigenthums Herrn ein ansehnliches Stücke Geld. Indem mich aber ein junger Norwegischer reicher Mühl-Pursche inständig bat: mit in sein Vater-Land zu reisen und seine Erb-Mühle, die noch weit mehrere Einkünffte als erwehnte hätte, auf eben die Art einrichten zu helffen. Ließ ich mich bereden mit ihm nach Norwegen zu reisen. Allein der gütige GOtt, den ich von weniger Zeit her täglich inbrünstig anbetete, führete mich unterweges zu dem Herrn Capitain Wolffgang, dessen unvergleiche Beredsamkeit mein Vorhaben verrückte, und mir die Reise zur See, als das allerangenehmste Pflaster zur Heilung, meiner in Europa selbst verursachten alten Schäden, darlegte. Derowegen nahm mir kein Bedencken, meinem Gefährten die Zusage aufzukündigen, und diesem vollkommen redlich scheinenden Manne zu folgen, der mich auch in der gemachten Hoffnung keines Wegs betrogen, sondern noch vielmehr gehalten, als er versprochen hat.

Zu ihnen, meine Herrn! sagte nunmehro unser guter Müller, habe ich aber hierbey das vollkommene [398] Vetrauen, daß sie mich wegen meines aufrichtigerstatteten Berichts, der meine Person bey manchen Europæer vielleicht verächtlich machen würde, um so viel desto besser achten werden, denn ein Mensch, der vorhero ein Schelm gewesen und nachhero fromm worden ist, nach dem Winckel-Masse der Vernunfft vor besser zuhalten, als 1000 andere, die sich zwar fromm und ehrlich stellen und doch Schelme in der Haut bleiben. Es hat mich niemand gezwungen ihnen die wahrhafften Umstände meiner begangenen Boßheiten zu erzehlen, ich habe auch dieserwegen hiesiges Orts keine Zeugen, als den einigen GOtt, und mein Gewissen über mich zu fürchten gehabt. Sie aber sollen hinfüro allerseits Zeugen, meines, nach menschlicher Möglichkeit zu führenden, christlichen Wandels seyn; weiln ich von der ersten Minute an, da mein Fuß diese glückselige Insul beschritten: allererst eine vollkommene Gemüths-Beruhigung gefunden und nunmehro auch dieselbe durch eine glückliche Heyrath, leiblicher weise, im höchsten Grad erreicht habe. GOtt segne meiner Hände Werck allhier, zu ihrer aller und meinem fernern Vergnügen, dergestallt, daß ich der mir erzeigten Freundschafft und Güte immer würdiger werde, denn nichts als der Todt soll mich ungeschick machen, ihnen meine beständige Ergebenheit spüren zu lassen. Indessen will ich ihnen doch den Gedenck-Spruch, den mir mein lieber Beicht-Vater nach der letzten kranckheit eingeprägt, zum beschluß meiner Erzehlung melden, er lautet also:


[399]
Sprich, Teuffel, was du wilst, ich falle GOtt zu Fusse
Das Böse nicht mehr thun ist doch die beste Busse
Hinfüro tugendhafft, dem Nechsten nützlich seyn
Tilgt alte Schulden aus und macht mich Engel rein.

Der Alt-Vater nahm hierauf unsern Philipp Krätzer bey der Hand und sagte: Mein lieber Sohn! Unser Heyland thut uns in der heil. Schrifft klärlich zu wissen, was vor Freude im Himmel sey über einen Sünder der Busse thut; derowegen müste derjenige ein Gottesvergessener ruchloser Mensch seyn, welcher euch als einen solchen Menschen, an dem GOtt seine heilsame Gnade gantz sonderbar offenbahret hat, geringer als andere Menschen achten wolte. Wenn wir ingesammt unser Gewissen fragen und nach dem Gesetze prüfen, so wird sich wohl kein einziger finden, der sich eines besondern Vorzugs vor andern sündhafften Menschen rühmen kan. Ach ich befürchte leyder, daß Manasse, Paulus und andere dergleichen Heilige, an jenem Tage zwar genung Sünden- aber nicht so viel Buß- Genossen antreffen werden.

Unter solcherley Gesprächen rückten endlich die düstern Abend-Stunden herbey, weßwegen alle Auswärtigen von den werthen Stephans-Raumer Freunden, vor alles genossene Vergnügen, danckbarlicheu Abschied nahmen, und sich auf den Weg zu ihren eigenen Wohnungen begaben. Dergestallt [400] erreichte nun auch der Altvater nebst seinen Hauß-Genossen seine Beqvemlichkeit auf der Alberts-Burg, indem wir uns ingesammt bald darauff zur Ruhe begaben. Einige Tage hernach, da der Drechsler Herrlich, mir einen wohlgemachten Bauer vor meinen schönen Vogel überbrachte, und zur Danckbarkeit von dem Altvater mit dem allerbesten Weine tractiret wurde, ließ sich derselbe von mir bereden, dem Altvater zum Zeitvertreibe seine, nehmlich

Des Drechßlers herrliche Lebens-Geschicht

zu erzehlen, und zwar folgender massen:

Ich bin fieng er an, im Jahr 1693. in einem kleinen Städtgen, von armen Eltern erzeuget worden, denn mein Vater ernehrete sich, meine Mutter und mich, als sein eintziges Kind, mit Handlangen und Botschafft lauffen, brachte aber doch damit immer so viel vor sich, daß wir nicht allein satt zu essen, sondern auch nothdürfftige Kleider anzuziehen hatten, so bald aber ich kaum mein zehendtes Jahr erreicht, spannete mich mein Vater schon zu allerhand Arbeit an, hergegen wurde an gar kein Schulgehen gedacht, sondern mein Vater war vollkommen zufrieden, daß mir die Mutter das Vater Unser, den christlichen Glauben, die Tisch-und etliche andere Gebete nach der Larve herbeten gelernet, meynete auch, mit den übrigen Glaubens-Articuln hätte es schon noch Zeit, biß das Jahr herzu käme, da dergleichen Jungens zum Abendmahle gehen müsten, denn seine Eltern waren mit ihm auf gleiche Weise verfahren, [401] und hatten ihm weder schreiben noch lesen lernen lassen.

Mittlerweile fügte sichs: daß mein Vater, bey einem vornehmen Manne, der ein neues Hauß bauen ließ, ein gut Stück Arbeit bekam, woran meine Mutter und ich mit Hand anlegen musten, weil nun dessen Kinder, wenn ihr Informator dieselben in das neue Hauß spatzieren führete, sich öffters mit mir ins Gespräch einliessen, so bat ich einsmahls den jüngsten, mir ein fein groß Buch zu schencken, denn ich hätte gute Lust das Lesen zu erlernen. Der Knabe fragte mich, ob ich denn in die Schule gienge, und wer mir das Lesen lernen solte? Ich aber gab zur Antwort: zum Schulgehen hätten wir kein Geld, dem aber ohngeacht, wolte ich das Lesen doch wohl lernen, wenn ich zusähe wie es andere Leute machten. Er fieng an zu lachen, und erzehlete mein Gespräche seinen zweyen andern Brüdern, welche mir ein schön groß Buch zu schencken versprachen, wann ich auff den Abend vor ihre Thür kommen, und selbiges abholen wolte. Ich war nicht faul, sondern gieng zu bestimmter Zeit hin, empfieng auch, von ihnen einen sehr grossen Folianten von zusammen gebundenen Leichen-Predigten, und versteckte selbigen, aus Furcht vor meinem Vater, zu Hause unter die Treppe.

So bald mein Vater früh Morgens um die gehörige Zeit an die Arbeit gegangen, mir und meiner Mutter nachzukommen befohlen, nahm ich mein Buch unter den Arm, gieng nach der Stadt-Schule zu, und erkundigte mich, in welcher Stube der oberste Schulmeister Schule hielte. Indem mich nun [402] ein jedweder, und zwar nicht ohne trifftige Ursachen, vor einen einfältigen, ja sehr dummen Jungen hielt, und vermeynete, ich hätte das grosse Buch etwa an den Rector zu bringen, so wiese man mich in Prima, allwo ich nach zweymahligen Anklopffen, die Thüre selbst eröffnete, mit baarfussen Beinen und abgenommener Mütze hinein trat, dem Rector aber gantz dreuste und ohne alle Weitläufftigkeit, mit diesen Worten anredete: Guten Tag Herr! die Leute haben mir gesagt, daß ihr der oberste Schulmeister seyd, und den Jungens mehr lernet als die andern kleinen Schulmeisters, darum wolte ich euch bitten, ihr soltet mich vor Geld und gute Worte lesen lernen, denn ich habe mir 5. Groschen weniger einen Dreyer Geld gesammlet, das will ich doch dran wagen, wenn es fein bald geschehen kan, weil ich nicht viel Zeit drauff wenden kan, denn mein Vater braucht mich alle Tage nothwendig, daß ich ihm muß helffen Steine auslesen, und in den Schubkarn schmeissen. Die in der Classe sitzenden grossen Kerls, fiengen über meine kauderwelsche Rede, gräulich zu lachen an, jedoch nachdem ihnen der Rector mit einer ernsthafften Gebärde das Stillschweigen auferlegt, fragte er mich sehr freundlich: Mein Sohn, wer hat dich hergeschickt? Es hat mich niemand hergeschickt gab ich zur Antwort, sondern ich bin von mir selbst gekommen, weil ich Lust habe vor Geld und gute Worte in diesem Buche lesen zu lernen. Es ist gut, mein Sohn, versetzte der Rector, allein gehe hin und bringe erstlichen ein kleines A.B.C. Buch her, so will ich vor dich sorgen, [403] daß du lesen lernest. Nein! sprach ich, das ist mir ungelegen, ich mag mich mit keinem kleinen Buche herum hudeln, sondern ich will gleich aus diesem grossen Buche lesen lernen, und zwar vor mein gut Geld, welches ich euch den Augenblick geben will, so bald ich nur erstlich so gut, als die grossen Bengels, lesen kan, die dort herum sitzen. Die Schüler fiengen aufs neue zu lachen an, und derRector selbst wurde ein wenig zum lächeln bewogen, welches mich dermassen verdroß, daß ich mit zornigen Geberden sprach: Ich habe gedacht an einen klugen Ort zu kommen, und treffe doch alberne Leute an, wollet ihr mich nicht lesen lernen, so laßt es bleiben, und lachet über euch Narren selbst, so lange ihr könnet. Hiermit setzt ich meine Mütze auf unn wolte wieder fort gehen, allein der Rector nahm mich beym Arme und sagte: Mein Sohn, werde nicht böse, sondern setze dich hier auf diese kleine Banck, ich will dich das Lesen umsonst lehren, und dir noch Geld darzu geben. Ich sahe ihn starr in die Augen, um zu erforschen ob es sein Ernst sey, ließ mich aber endlich bereden ihm zu gehorsamen, da er denn alsobald denFolianten selbst auffschlug, mir zuerst 4. Buchstaben zeigte und befahl, dieselben wohl zu mercken, noch mehr dergleichen in dem grossen Buche zu suchen, und ihm nachhero dieselben zu weisen. In einer Viertheils-Stunde hatte ich nicht nur alle wohl ins Gedächtnis gefasset, sondern auch auf allen Seiten des Buchs, noch viele dergleichen mit den Nägeln gezeichnet, weßwegen mir der Rector vier neue, und bald hernach abermahls 4. neue kennen lernete, so daß ich binnen einer Stunde schon das halbe A.B.C. inne [404] hatte. Mittlerweile setzte er seine Lection bey den grossen Schülern immer fort, und nachdem die Stunde verflossen, gab er ihnen die ernstliche Vermahnung mich nicht auszuhönen, weil er seine besondern Absichten auf mein besonderes Naturell hätte; ich aber hatte auch meine besondern Gedancken und merckte wohl, daß dieses kein Lesen hiesse, konte also nicht umhin, ihm ins Gesichte zu sagen: Er möchte mich mit vielen Weitläufftigkeiten verschonen, denn ich hätte keine Zeit zu verliehren, sondern wolten fein bald fertig seyn, damit mich mein Vater bey seiner Hand-Arbeit brauchen könte. Hierauff führete er mich bey der Hand in sein Hauß, erkundigte sich nach meinen Eltern, und ließ in der Mittags-Stunde meinen Vater und Mutter zu sich kommen. Was er mit ihnen gesprochen, habe ich nicht angehöret, denn ich muste unterdessen mit seinen zwey, 8. biß 10. jährigen Kindern, essen, nachhero aber sagte mein Vater und Mutter: Ich solte hinfüro nicht mehr Handlangen helffen, sondern bey dem Herrn Rector bleiben, und ihm in allen gehorsam seyn, so lange biß ich vollkommen lesen könte. Wer war froher und vergnügter als ich, zumahlen da mir der gute Rector ein abgelegtes Kleid von seinem ältesten Sohne zurechte machen ließ, und mich also vom Haupte biß auf die Füsse recht reputirlich bekleidete. Ein grosser Schüler, der des Rectors Kinder täglich ein paar Stundeninformirte, muste auch allen Fleiß an mich wenden, welches denn so viel verursachte, daß ich binnen wenig Wochen nicht allein vollkommen lesen, sondern auch etwas weniges schreiben lernete. Der guteRector selbst sparrete [405] keinen Fleiß noch Kosten, mich zu fernern Studiren anzuhalten, in Meynung, daß hinter der grossen Lust welche ich zum lesen und schreiben bezeuget, vielleicht noch eine höhere verborgen stäcke; er fand sich aber betrogen. Denn so leichte mir biß daher alles angekommen war, so schwer fiel mir nachdem, das Latein in den Kopff zu bringen, ja ich konte mit Mühe und Noth kaum so viel fassen, endlich in meinem 15ten Jahre in Secunda zu kommen. Zu Hause rühreten meine Hände aus eigener Bewegung kein Buch an, hergegen war mein eintziges Vergnügen, ein und andere Stückgen Holtz auszusuchen, und recht verwunderens-würdige Narren-Possen daraus zu schnitzen.

Jedoch weil ich mich sonsten in des Rectors Hause jederzeit dienstfertig, gehorsam und getreue finden lassen, nahm mich derselbe eines Tages vor, und sagte: Mein lieber Junge! ich habe nunmehro wieder mein Vermuthen vollkommen angemerckt, daß aus dir schwerlich ein Gelehrter werden wird, denn du bist ein Holtz-Wurm, und hast mehr Lust zu schnitzeln und hacken, als zum Latein und andern gelehrten Ubungen, derowegen sage nur frey heraus, ob dir beliebig ist ein Zimmermann, Tischler, Drechßler, Bildhauer oder dergleichen zu werden, so will ich nebst andern guthertzigen Leuten Sorge tragen, daß du zu einem guten Meister, von dieser Professionen einer gethan wirst, und dieselbe Zunfftmäßig erlernest. Ich war vor Freuden gantz ausser mir selbst, da ich denRector also reden hörete, bat derowegen mich entweder zu einem Drechsler oder Bildhauer zu bringen, weil sich zu diesen beyden Professionen [406] bey mir die meiste Lust fände, also wurde meinem eigenen Triebe gewillfahret, und ich bey einem Drechßler auffgedungen, weil der Bildhauer vors erste allzuviel Lehr-Geld forderte, vors andere aber zu verstehen gab, daß er, als ein betagter Mann, keine besondere Lust mehr hätte Jungens anzunehmen, indem er schwerlich glaubte, noch 5. Jahre, als so lange ich stehen solte, zu überleben. Zum Lehr-Gelde und Bette durfften meine Eltern nicht eines Hellers werth Beytrag thun, denn mein gutthätiger Rector, legte in aller Stille, unter einigen, so wohl einheimischen als auswärtigen guten Freunden, eine kleine Lotterie zum Lust-Spiele an, worbey die Einlage 3. Ggr. der beste Gewinst aber 12. Thlr. war, und von diesem Spiele tröpffelte also so viel ab, jedoch mit vorbewust aller Interessenten, denen die richtige Eintheilung vorgelegt wurde, daß mein völliges Lehr-Geld heraus kam. Ich gewann mit 2. Loosen selbst 2 Thl. 16. Ggr. darbey, bekam auch von einigen Wohlthätern so viel geschenckt, daß davon, in den ersten 2. Jahren, nothdürfftige Kleidung und Wäsche anschaffen konte.

Nachdem meine Lehr-Jahre verflossen, und ich noch etwas Zeit darüber, bey dem Lehr-Meister geblieben, anbey im Stande war, hinfüro meinen Lohn in der Frembde redlich zu verdienen, begab ich mich endlich auf Reisen, und war binnen 11. Jahren immer so glücklich bey den besten Meistern Arbeit zu bekommen, sonderlich aber die künstlichsten Sachen aus Helffenbein und Meßing drehen zu lernen, über alles dieses, hieng ich meiner ehemaligen Lust zur Bildhauerey annoch sehr nach, und machte bey [407] müßigen Stunden genaue Kundschafft mit einem alten beweibten Bildhauer Gesellen, der mir vor ein leichtes Geld, die Kunst zu zeichnen, nebst den besten Vortheilen in ihrer Arbeit lehrete, und weil ich, wie bereits gemeldet, nicht allein gute Lust, sondern auch ein natürliches Geschicke darzu hatte, so brachte es nachhero darinnen ziemlich weit. Endlich da ich mir binnen besagter Reise-Zeit ein Capital von fast anderthalb hundert Thalern gesammlet, kam mir die Lust, meine Vaters-Stadt zu sehen, wieder an. Meine Mutter war bereits vor etlichen Jahren gestorben, der Vater aber hatte sich seines Alters und Unvermögens wegen, vor alle sein erspaartes Gut ins Hospital eingekaufft, mein Wohlthäter der Rector aber lebte, ohngeacht seines hohen Alters, mit seiner Frauen annoch sehr vergnügt, und bezeugte eine besondere Freude, da er mich in so guten Stande wieder kommen sahe, welche Freude nicht um ein geringes vermehret wurde, da ich ihm unterschiedliche Raritäten nicht allein von künstlichen, sondern auch natürlichen Sachen mit brachte, indem mir bewust war: daß er selbst eine artige compendieuse Naturalien-Cammer besaß, und dergleichen Sachen wegen, mit den vornehmsten Leuten Correspondenz führete. Der ehrliche Mann gestunde mir etwa ein halbes Jahr hernach, daß er aus meinen Sachen bey nahe hundert Thaler gelöset, both mir derowegen die Helffte solches Geldes zu meinem Bürger- und Meister- Rechte in selbiger Stadt an, da ich aber durchaus nichts annehmen wolte, sondern zu erkennen gab, wie er nächst GOtt allein derjenige sey, welchem ich alles was ich im [408] Kopffe und im Leben hätte zu dancken schuldig, so versprach er dagegen meinen alten Vater, Wöchentlich 3. Tage von seinem Tische zu speisen, auch ihm, wie bißhero schon geschehen, alle Sonntage ein Nössel Wein zur Stärckung, und zwar auf Lebens-Zeit zu reichen. Allein mein lieber alter Vater starb etwa 8. Monat hernach, ich aber erhielt mit grosser Mühe die Erlaubniß, ihm auf dem Hospitals Kirch-Hofe eine Gedächtniß-Tafel, die ich mit eigener Hand so künstlich als mir möglich war verfertigte, auffzurichten. Selbige Tafel, war 2. Ellen hoch, fast eine Elle breit, und zeigete in einer ausgeschnitzten Devise das Bildniß Christi, vor welchem mein Vater, nach allen seinen Lineamenten abgebildet, auf den Knien lag, und mit den Händen 4. Gewicht-Stücken, auf deren jeden das Zeichen 1. Centn. bemerckt, an ihren Rincken hielt. Von seinem Munde an, waren in zweyen Zeilen folgende Worte ausgeschnitzt: HErr! du hast mir zween Centner gethan; siehe da, ich habe mit denselben zween andere gewonnen. Aus dem Munde des Welt-Heylandes aber, der in seiner rechten Hand einen Oehl-Zweig, und in der lincken einen Reichs-Apffel hielt, flossen diese Worte: Ey du frommer und getreuer Knecht, du bist über wenig getreu gewesen; ich will dich über viel setzen. Gehe ein zu deines HERRN Freude. Zu oberst hatte ich die himmlischeGlorie, unten auf der Erden herum aber, meines Vaters Handwercks-Zeug, nehmlich einen Bothen-Spieß, Grabscheit, Schauffel, Hacke, Schubkarn und dergleichen, sehr sauber ausgeschnitzt, ferner einige Nachricht von seiner [409] Person, Geburths- und Sterbens-Zeit und endlich folgenden Biblischen Spruch gesetzt: 1. Cor. 1. »v. 26.–29. Nicht viel Weisen nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edele sind beruffen; Sondern was thöricht ist vor der Welt, das hat GOTT erwählet, daß er die Weisen zu schanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat GOTT erwählet, daß er zu schanden mache was starck ist, und das Unedle vor der Welt, und das Verachtete hat GOTT erwählet, und das da nichts ist, daß er zunichte mache was etwas ist: Auf, daß sich vor ihm kein Fleisch rühme.«

Wie gesagt, es hielt gleich anfänglich sehr hart, ehe ich die Erlaubniß bekam, einem so schlechten Manne, wie mein Vater gewesen, dergleichen Ehren-Gedächtnis aus kindlicher Liebe zu setzen, nachdem ich aber dieserwegen 12. Thaler in die Hospitals-Kirche gezahlet, bekümmerte sich weiter niemand drum. So bald ich nun selbiges mit standhafften Farben zierlich ausgemahlet, die Schrifften mit feinem Golde vergüldet, und das gantze Stück Morgens in aller früh, durch einen Schlösser an die Mauer hefften lassen, gab es gleich, noch ehe es Mittag wurde, einen ziemlichen Lermen bey einigen Geistlichen, noch mehr aber bey den vornehmsten Personen in der Stadt; so daß mich gleich nach der Mahlzeit der Ober-Pfarrer zu sich ruffen ließ, und in Gegenwart des regierenden Burgemeisters, wie auch des Hospital-Vorstehers befragte: Wer mir die Erlaubniß gegeben vor meinen Vater, der zwar ein ehrlicher Mann, jedoch nur ein armer Tagelöhner gewesen, ein so prächtiges und kostbares Epitaphium [410] zu setzen? Ich gab hierauff zur Antwort, daß damit nicht der geringste Pracht, sondern nur eine Marque meiner kindlichen Liebe, und nechst diesen meiner wenigen erlangten Geschicklichkeit, gesucht würde, die Kostbarkeit wäre sehr geringe, indem ich nicht mehr als etwa 20. Ggr. vor Farben und Gold dran gewendet, die Arbeit aber vor gar nichts rechnete, über dieses, da mein Vater nach Aussage seines Beicht-Vaters, und zwar in Erwegung dessen, daß er kein Schrifftgelehrter gewesen, ein besonderes löbliches Ende genommen, als ein frommer Christ auf das Verdienst Christi gestorben, auch ihrem eigenen Zeugnisse nach als ein redlicher Mann gelebt, so sähe ich nicht, warum man ihm und mir dergleichen Ehren-Gedächtniß nicht gönnen wolle. Sie fertigten mich hierauff mit dem Bescheide ab: Die Sache käme ihnen etwas spitzig und verdächtig vor, erforderte also fernere Uberlegung und Untersuchung, ich solte inzwischen gehen und weiterer Verordnung gewärtig seyn. Wenig Tage hernach, schickte mir der Burgemeister einen schrifftlichen Befehl zu, des Innhalts: Ich solte ohne ferneres Einwenden, und zwar bey 10. Thlr. Strafe, binnen 24. Stunden, das Väterliche Epitaphium selbst herunter nehmen; alldieweilen selbiges, bey ein und andern Leuten, viele anzügliche Reden und Anmerckungen, nebst diesen noch andere Bedencklichkeiten verursachte: oder gewärtig seyn, daß solches auf den Verweigerungs-Fall, durch andere Personen abgeworffen würde. Ich konte mich gantz und gar nicht darein finden was die eigensinnigen Leute darunter suchten, zog derohalben nicht allein meinen [411] Pflege-Vater den Rector, sondern auch den untersten Stadt-Priester, als meinen Beichtvater, ingleichen einen klugen Advocaten zu Rathe, welche mich sämmtlich instigirten, deßfalls von dem Burgemeister nähere Erklärung zu fordern, immittelst aber allenfalls, wieder die Herabwerffung des Bildes solennissime zu protestiren, und mich auff den Ausspruch des Ober-Consistorii zu beruffen, worbey sich der Advocat sogleich erboth, meine Sache den Rechten nach auszuführen, und mir vor allen Schaden zu stehen. Demnach wurde ich ohnvermuthet in einenProcess verwickelt, und zwar gegen sehr gewaltige Leute, jedoch ich gewann denselben, solchergestallt: daß nicht allein meines Vaters Epitaphium stehen bleiben, sondern auch mein Gegenpart mir alle verursachten Kosten ersetzen muste. Ich hätte damit zufrieden seyn, und fein geruhig leben können, zumahlen da die Leute der Stadt, ein gutes Concept von meiner wenigen Geschicklichkeit fasseten, und mir nach und nach viel Geld zuwendeten, allein eine heimliche Rachgier verleitete mich zu allerhand losen Streichen. Denn als mir hernachmahls ein und andere in die Stadt-Kirche bedürfftige Drechsler-Arbeit verhandelt worden, konte ich meinen Lohn nicht eher empfangen, biß mich, auf des Ober-Pfarrers und des Kirchen-Vorstehers ungestümes Zureden, endlich erklärete in den Kauff, noch ein ausgschnitztes Bild über den Beicht-Stuhl zu machen. Man gab mir dieserwegen einen Kupffer-Stich vom Pharisäer und Zöllner im Tempel, ich wandte vielen Fleiß dran, muß aber [412] selbst offenhertzig bekennen, daß unter dem Bilde des Pharisäers: unser Ober-Pfarrer, und dann unter dem Zöllner: der Kirchen-Vorsteher, beyde nach ihrer eigentlichenPhysiognomie, dergestallt accurat getroffen waren, als ob sie leibeten und lebten. Es fehlete nicht viel, man hätte mir dieserwegen einen neuen Process an den Halß geworffen, denn der Burgemeister war mein abgesagter Feind geworden, jedoch es mochte ein gewisser kluger Mann ins Mittel getreten seyn, welcher durch einen andern Bildhauer und Mahler die Gesichter gantz und gar verändern lassen, so daß sich weiter niemand beschweren durffte. Bey herannahenden Weyhnachts-Feste, da meine Handwercks-Genossen gemeiniglich allerhand Spiel- und Possenwerck vor die Kinder zu machen pflegen, war ich auch nicht der letzte meine curieusen Inventionen, deutlicher aber zu sagen Schraubereyen, auf den Laden heraus zu setzen, ich will aber nur diejenigen beschreiben, welche mir den meisten Verdruß verursachten. Es præsentirte sich demnach die Gerechtigkeit auf einer Schaukel sitzend. An statt der Binde, welche sie sonsten um die Augen zu tragen pflegt, hatte ich ihr eine Brille ohne Gläser auf die Nase gesetzt. In der rechten Hand führete sie: ein in der Scheide steckendes Schwerdt, wenn aber die Scheide abgezogen wurde, kam ein ordentlicher Pflug-Reidel zum Vorscheine. Die lincke Hand hielt eine Wage, deren eine Schale, von dem darinnen liegenden Zehl-Brete, aufs tieffste niedergezogen war; da hingegen in der andern hoch hinauff gezogenen Schale, ein Buch mit der Auffschrifft Corpus Juris lag. Auff [413] beyden Seiten dieser in der Schwebe hängenden Gerechtigkeit stunden zwey kleine Knaben, welche, so offt man unten an der Machine ein Rädgen drehete, die Gerechtigkeit hinter und vorwärts schauckelten, der zur rechten hatte das Wort:Gunst, der zur lincken aber Ungunst an seiner Brust geschrieben stehen. Ferner hatte ich einen Mann in Priester-Habite, dessen Meß-Gewand von Schaafs-Felle gemacht, der Priester-Rock aber mit Wolffs-Peltze gefüttert war. An dem Buche, welches er unter dem Arme trug, hingen zwey recht naturell nachgemachte Fuchs-Schwäntze. Noch ferner hatte ich einen Ziegen-Bock nach dem Leben abgebildet, der darauff sitzende Ritter führete in der rechten Hand eine Schneider-Scheere, an der Seite statt des Degens, eine Elle, und hielt den Ziegen-Bock mit der lincken Hand im Kap-Zaume, der von einer wollenen Tuch-Schrote gemacht war, an statt der Steig-Bügel sahe man zwey Bügel-Eisen, u. wo die Sporn an Stiefeln stehen solten, befanden sich etliche, wunderlich durch einander gesteckte Neh-Nadeln. Die Hörner des Bocks waren verguldet, Sattel und Chaberaque von Bärenheuter-Zeuge, und mit Schellen behangen, in den Pistolen-Holfftern aber stacken 2. dergleichen Pfrimen, womit die Schnür-Löcher ausgebohret werden, ja ich weiß mich fast selbst nicht mehr zu entsinnen, was ich sonsten an diesem Ziegen-Bocke, so wohl auch noch an verschiedenen andern dergleichen thörichten Inventionen vor Gauckeleyen ausgeübt habe. Nun ist leicht zu erachten daß dieserwegen gar bald Lerm in der Stadt worden, es stund dermassen viel Volck um meinen [414] Laden herum, als ob ein armer Sünder abgethan werden solte, meine Sachen giengen alle reissend weg, jedoch an die verdächtigen Stücken wolte sich niemand wagen, weil sie vorerst ziemlich theuer gebothen wurden, vors andere dem Käuffer, ein nicht unbilliges Bedencken verursachten. Endlich meldeten sich unverhofft etliche Mit-Glieder der löblichen Schneider-Zunfft, und machten nicht unebene Minen, meinen Laden zu stürmen, jedoch da ich ein paar Pistolen und eine Flinte zurechte legte, im übrigen aber einem jeden nach Würden höflich und freundlich begegnete, vergieng ihnen die Lust mich zu attaquiren. Bald hernach kam fast die gantze Schneider-Zunfft mit den Handgreifflichen Anwalden angestochen, welche letztern oberwehnte anzügliche Stücke, auf Befehl des Bürgermeisters von mir abfordern wolten. Allein es war nur wenig Augenblicke zuvor, mein guter Advocat, der meinen ersten Process gewonnen, in den Laden getreten, um vor seine Kinder etwas auszulesen, dieser merckte sogleich was die Ankommenden suchen würden, warff mir also 4. gantze Gulden auf den Tisch und sprach: Meister Drechsler! also sind wir richtig, und ich bekomme nur noch 8. Ggr. zurück. Hierbey konte ich, aus seinem Augen-wincken, sogleich mercken, was die Glocke geschlagen hätte, nahm derowegen sein Geld und Sachen hinnein in die Stube. So bald nun die Raths-Diener den Burgemeisterlichen Befehl angebracht hatten, schlug sich meinAdvocat ins Mittel und sagte: Mein Freund! vermeldet dem Herrn Burgemeister nebst meinem Grusse, daß die verlangten Sachen, kein Kauffmanns-Gut[415] mehr wären, sondern ich hätte dieselben bereits vor meine Kinder zum Spiele erhandelt und bezahlt, wie ihr denn sehet, daß mir der Meister hier auf 4. Gulden, 8. Ggr. zurücke giebt, mir aber ist dergleichen vor keine 10. Thlr. feil, ich weiß auch, daß sich der Herr Burgemeister hüten wird, solche mir mit Gewalt abzunehmen. Sie schwiegen hierzu stille, fragten aber mich: warum ich Pistolen und Flinten im Laden liegen hätte? Sie sind, gab ich zur Antwort, zu verkauffen, denn es sind kostbare Stücke, die ich mit aus der Frembde gebracht habe. Hierauff zog die sämmtlicheProcession mit der langen Nase zurücke, gleich nach den Feyertagen aber gieng ein dreyfacher Process wider mich an, den jedoch mein Advocat dergestallt geschicklich durchführete, daß ich nicht viel über 5. Thlr. dabey verlohr. Hergegen gereichte mir zu desto grösserer Lust und Ehre, daß mein Advocat, die beruffenen Stücke, listiger weise, so wie sie von mir gemacht waren, an das allerhöchste Ober-Haupt des Landes zu spielen wuste, welches ein besonderes Vergnügen darüber bezeigt, und alles zur Rarität in Dero berühmte Kunst- und Naturalien-Cammer zu setzen befohlen hat.

Mein Advocat hat ohnfehlbar den besten Zug hierbey gethan, allein ich gönnete ihm selbigen von Hertzen gern, zumahlen da er mir dann und wann einen schönen Verdienst zuwiese. Es durffte sich nun zwar auch in der Stadt niemand öffentlich an mir reiben, allein es ist doch leicht zu erachten: daß ein junger Bürger, der das freye, aus der Frembde mitgebrachte Wesen noch nicht aus dem Sinne [416] schlagen kan, und der den Rath so wohl als die oberste Geistlichkeit gegen sich erbittert gemacht hat, ungemein behutsam gehen muß, wenn er heutiges Tages in Teutschland, allwo ohnedem in vielen Städten das Kirchen- und Regierungs-Schiff, von lauter Affects-Winden hin und her getrieben wird, sichern und geruhigen Auffenthalt finden will. Ich will mich zwar eben nicht so gar weiß und unschuldig brennen, sondern viellieber gestehen, daß ich mich starck vergangen gehabt, denn es war ein schlechter Verstand, auf solche spitzige Art, denenjenigen Ursach zu hadern zu geben, die da höher waren als ich. Und ausserdem, was hatten mir die armen Schneider gethan, daß ich sie mit dem Ziegen-Bocke ärgerte? Wahrhafftig, ich wuste nichts anders auf sie zu bringen, als daß der Burgermeister eines Schneiders Sohn, und mit vielen andern Schneidern beschwägert war, sonsten muste ich sie so wohl damahls, als wie annoch biß auf diese Stunde, in ihrem Handwercke, vor rechtschaffene, ehrliche und brave Leute erkennen. Aber was nimmt ein junger Toll-Kopff, der die Hörner noch nicht völlig abgelauffen, zuweilen nicht vor thörichte Händel vor?

Kurtz von der Sache zu reden, ohngeacht ich, jedoch mit der ausdrücklichen Weisung: hinfüro alle spitzfündigen Streiche zu vermeiden, in höhern Schutz genommen war, so muste doch von Zeit zu Zeit allerhand Verdruß erdulden, unter welchen mich aber nichts mehr kränckte, als daß mir meine Liebste, die eines reichen Bürgers Tochter, und sonsten ein Mägdgen von feiner Gestalt und herrlichen [417] Tugenden war, abspenstig gemacht, und an einen andern verheyrathet wurde. Ich war schon gewisser massen mit derselben würcklich versprochen, that derowegen einen Einspruch, konte aber nichts erhalten, weil sich die Eltern aufs Läugnen legten, und die Tochter, welche es doch im Hertzen treulich mit mir meynen mochte, ebenfalls zum Lügen verführeten. Da nun vollends bey der letztern vermerckte, daß sie ihren Bräutigam gezwungener weise annehmen müsse, trieb mich die Eyffersucht so weit, daß ich denselben Nachts vor der Hochzeit erstechen wolte, allein, GOtt verhütete dieses Unglück, solchergestalt, daß ich ihn nur durch das dicke Bein stach, mich nachhero auf die Flucht begab, und vieles von meinem Handwercks-Geräthe zurück ließ. Jedoch hatte die Vorsicht gebraucht, alles mein Geld zu mir zu nehmen, und die besten Sachen, bey meinem Advocaten in Verwahrung zu geben, denn der Rector, mein Pflege-Vater, war nur vor wenig Wochen im hohen Alter verstorben. Der Advocat war dennoch so ehrlich, mir die Sachen auf der Post biß Braunschweig nachzuschicken, nebst einer schrifftlichen Erinnerung: daß ich in GOttes Nahmen, mein Glück in einer andern Stadt suchen möchte, weil es im Vaterlande nicht zu blühen, sondern wegen der letztern Affaire vollends gäntzlich verdorret zu seyn, schiene. Ich gieng nachhero auf Bremen zu, allwo ich bey dem Meister, der mir vor etlichen Jahren sehr gewogen gewesen, eine junge, schöne und reiche Tochter wuste, die ich ihm abzuverdienen gedachte. Der schlaue Fuchs merckte [418] mein Absehen wohl, stellete sich auch, so lange er mich nothwendig brauchte, sehr gefällig an, allein, ehe ich mich dessen versahe, wurde mir die Rahel entzogen, und einem andern gegeben, ich aber solte auf die Lea warten, welches mir solchen Verdruß verursachte, daß ich gleich noch selbigen Tages Abschied nahm, und nach Holland reisete, allwo ich kurtz darauf so glücklich war, von dem Herrn Capitain Wolffgang zur Reise auf diese glückseelige Insul beredet und angenommen zu werden. Wie vergnügt sich hieselbst mein Hertze, nicht allein wegen einer wohlgetroffenen Heyrath, sondern auch sonsten in allen andern Stücken befindet, ist leichtlich aus meiner gantzen Lebens-Art abzunehmen. GOtt erhalte uns allerseits nur beständig in dergleichen Vergnügen, und gebe, daß auch ich mit meiner erlernten Pofession nützliche Dienste leisten kan, damit sie, meine Herrn, mich ihrer fernern werthen Freundschafft würdig schätzen.

Also endigte unser lieber Freund, der DrechßlerHerrlich, die Erzehlung seiner Lebens-Geschicht, unter welcher, der sonsten gar ernsthaffte Alt-Vater, selbst etliche mahl zum Lachen bewogen worden, und begab sich mit untergehender Sonne auf den Weg nach seiner Behausung.

Um selbige Jahrs-Zeit waren die meisten eingebohrnen Insulaner beschäfftiget, die bereits völlig reiffen Geträyde-Früchte einzusammlen, worbey zu bemercken, daß diese Erndte um die Helffte reicher als die im vorigen Jahre gewesen, ohngeacht eben dasselbe Maaß ausgesäet worden. Wir wünschten wohl tausend mahl, unsern Uberfluß unter [419] bedürfftige Leute vertheilen zu können, allein, solche Wünsche waren unter die vergeblichen zu zählen. Demnach that Mons. Litzberg den Vorschlag, auf dem Albertus-Hügel, hinter der Burg, mit der Zeit, und so bald die andern nöthigsten Gebäude und Werckstätten fertig wären, ein etwas grosses Magazin aufzubauen, um daselbst das überflüßige alte Geträyde zu verwahren, weil man doch nicht wissen könne, ob GOtt nach so vielen fettenetwa etliche magere Jahre schicken möchte. Solcher Rathschlag gefiel dem Alt-Vater sehr wohl, es wurde auch würcklich, jedoch fast zwey Jahr hernach, und kurtz vorhero, ehe ich Eberhard Julius die Rückreise nach Europa antrat, der Grund zu besagten grossen Korn Hause gelegt.

Nachdem aber mit Ablauff des Monaths Januarii die Geträyde-Erndte vorbey, und mittlerweile unser Müller Krätzer die neuerbaute Mehl-Mühle gäntzlich zum Stande gebracht, wurde am 3. Febr. 1727. in Gegenwart fast aller erwachsenen Insulaner, die Probe auf allen beyden Gängen, mit 2. Maaß Rocken, ge macht, welches ohngefähr so viel als einen Dreßdner Scheffel betrug. Es ist unmöglich zu beschreiben, was die sämmtlichen Insulaner vor eine gantz besondere Freude über diese, von ihnen noch nie gesehene Machine, bezeugten. Da sie wohl erwogen, was es ihnen bißhero vor grausame Mühe und Arbeit gekostet, dieses fast unentbehrliche Nahrungs-Mittel zu gute zu bringen, derowegen gaben sich bey dem ehrlichen Meister Krätzer, fast zehnmahl mehr Lehrlinge an, als er zu unterweisen Zeit und Gelegenheit [420] hatte; jedoch suchte er sich voritzo 4. der stärcksten und geschicktesten Pursche aus, und versprach dieselben aufs treulichste in seiner Profession zu unterrichten, daferne ihm aber GOtt das Leben gönnete, in wenig Jahren, noch eine dergleichen Mühle, jenseit des Canals, vor die, über dem Nord-Flusse gelegenen Einwohner zu erbauen. Immittelst sey nicht zu zweiffeln, daß er mit dieser Mühle allen sä tlichen Insulanern, Jahr aus Jahr ein, gnungsames Mehl verschaffen wolle, wie denn dieselbe von erwehnten Tage an, ausser denen Sonn- und Fest-Tagen, selten stille stund, so, daß auch der Alt-Vater, vor sich und seine Haußhaltung, in wenig Wochen von allen Stämmen sein Deputat überhaupt wohl zubereitet empfieng.

Wenige Zeit nach der reichen Geträyde-Erndte, trat die ergötzliche Weinlese ein, welche nicht geringer war als voriges Jahrs. Unser Böttcher Garbe, hatte biß anhero seine Hände nicht in Schooß gelegt, um bey dieser Zeit, mit seiner Arbeit Ehre zu erwerben, schaffte derowegen in alle Weinberge, nicht nur viel alte ausgebesserte, sondern auch gantz neue Wein-Fässer, welche letztern er, als ein guter Wein-verständiger Küffer, bereits ausgelöhrt und zugerichtet hatte. Wie nun um diese Zeit alle diejenigen Insulaner, welche in ihren eigenen Fluren keinen besondern Weinwachs hatten, denen Nachbaren zusprachen, den reichen Seegen einsammlen halffen, und zuletzt ihren beschiedenen, ja überflüßigen Theil davon bekamen, so brachte ich bey der Gelegenheit die meisten Tage in Roberts-Raum bey meiner Liebsten Cordula undMonsieur Harckerten [421] zu, der, zu meiner grösten Verwunderung in aller Stille, selbsten zwey Stühle verfertiget hatte, auf welchen er seiner Frauen und meiner Liebste, das Bänder- und Bortenwürcken lehrete. Ich sahe mit besondern Vergnügen zu, wie geschickt sich meine artig Cordula hierbey zeigte, allein Harckert gab mir zu vernehmen: daß es bey dieser Arbeit nicht bleiben solte, sondern er wolle ehestens mit Hülffe anderer guten Freunde viel grössere Stühle verfertigen, auf welchen er dem Frauenzimmer weit schönere Zeuge zu würcken, Anweisung zu geben gesonnen, denn so viel nöthiges Bandwerck, als man auf dieser Insul jährlich brauchte; könten zwey Personen fast in 2. Monathen allein verfertigen, die Staats-Bänderey aber, als eine zur Hoffarth und Thorheit reitzende Sache, nicht rathsam einzuführen, also wäre er in zukunfft bereit, an statt solcher, in Europa sehr beliebter Dinge, seine Profession weiter auszudehnen, und allerhand zur Reinlichkeit und Beqvemlichkeit dienliche Zeuge, aus Baum-Wollen und Flächsen-Garne zu machen, und die Seyde, als eine Sache, die wir ohnedem hiesiges Orts sehr sparsam hätten, zu vermeyden.

Ich konte Mons. Harckerts Gedancken nicht anders als sehr vernünfftig und klug erachten, denn was war uns in diesem ohnedem mehr warm als kalten Lande wohl nützlicher, als das saubere Baum-Wollen- und Leinen-Geräthe, welches er auf Zwillich-Barchent-Eannefas- und andere Arten zuwege zu bringen vermeynte. Es hatte zwar der Alt-Vater Albertus so wohl als Herr Wolffgang, [422] noch einen ziemlichen Vorrath von kostbarn seydenen Zeuge, allein, es war schon verabredet, dergleichen Waaren, sonderlich, den zur Tändeley geneigten Frauenzimmer, also vorzubilden, als ob die bundten Farben nur vor kleine Kinder, die schwartzen und dunckeln aber vor alte Leute gehöreten, den Jungfrauen hingegen stünde die weisse Farbe als ein Zeichen ihrer Keuschheit, und denn denen Weibern andere modeste Zeuge am besten, welche ein jedes aus dem Sode von unterschiedenen Baum-Rinden, Blättern und Kräutern mit leichter Mühe selbst färben konte. Von Spitzen, Bändern, vielen Kräuseleyen, Fontangen, Armbändern, Ohren-Gehencken und dergleichen unzähligen Staate, welchen das Europäische Frauenzimmer sich anzuschaffen pflegt, wurde ihnen selten etwas vorgeschwatzt, und da solches ja dann und wann geschahe, wenn ein oder ander Frauenzimmer zugegen war, so wusten wir doch unsere eigenen Europäischen Lands-Leute, aus vernünfftigen Ursachen, in diesem Stücke als leibliche Schwestern oder Töchter der Frau Thorheit abzumahlen.

Jedoch ich werde von unserer Kleider-Ordnung weitern Bericht zu erstatten ohnfehlbar bessere Gelegenheit finden, derowegen will vorjetzo, um keine Verwirrung in meinem Gedächtnisse anzurichten, vermelden: daß annoch währender Weinlese-Zeit, eines Tages der Alt-Vater und Herr Magist. Schmeltzer nebst seiner Liebste, mir zu gefallen mit nach Roberts-Raum reiseten, um Monsieur Harckerten in seinem Hause zu besuchen. Unterwegs sprachen wir bey Herrn Wolffgangen und Mons. [423] Litzbergen an, um dieselben nebst ihren Weibern ebenfalls mitzunehmen, der erste ließ sich gleich bereden, Mons. Litzberg aber, der den Tischler Lademann bey sich hatte, und vorgab, daß ihm derselbe etwas bequemes in seine Wohnung zu machen versprochen, gelobte doch an, nebst seiner Frauen und diesem guten Freunde etwa in ein paar Stunden nachzukommen. Allein, nachdem wir uns fast den gantzen Tag über, biß etwa 2. Stunden vor Untergang der Sonnen, im Weinberge aufgehalten hatten, Mons. Litzberg aber noch nicht angekommen war, nahmen wir die von meiner Liebsten und Mons. Harckerts Frau zubereitete Abend-Mahlzeit ein, und höreten darauf zum noch übrigen Zeitvertreibe

Des Posamentirers Harckerts Lebens-Geschicht

aus eigener Erzehlung folgender massen an:

Ich bin, meine Herren! ließ er sich vernehmen, eines Dorff-Schulmeistes Sohn aus der Ober-Laußnitz, und im Jahr 1702. gebohren. Mein Vater hatte dreyerley Professionen, er war nicht allein Schulmeister, sondern zugleich auch Schneider und Leinweber im Dorffe, so daß er, als ein sehr arbeitsamer Mann, sein Brodt wohl verdienen konte, denn wenn ein Handwerck nicht gehen wolte, so nahm er das andere vor. Ich war sein eintziger, jüngster und liebster Sohn, weil er ausser mir lauter Töchter gezeuget hatte, wovon jedoch nur 4. am Leben blieben. Seines herannahenden hohen Alters ohngeacht, vermeynte mein Vater dennoch, so [424] lange zu leben, meine Gelahrsamkeit sich zum Stubtifuten setzen zu lassen, derowegen muste ich gleich von der Wiege an, nicht nur diePrincipia von der Schulmeisterey, sondern auch von der Schneider- und Leinweberey lernen. Ja mein Vater wuste, um mich zu einem recht tüchtigen Manne zu machen, die Tages-Stunden dermassen einzutheilen, daß mir würcklich sehr wenig Zeit zum Spielen übrig blieb. Was dieses vor eine Marter vor einen solchen Jungen, wie ich, war, ist nicht auszusprechen, denn mein gröstes Vergnügen bestund darinnen, mit den Bauer-Jungens auf dem Dorffe, die Saue und den Kräusel zu treiben, oder solche Spiele zu spielen, welche die Jahrs-Zeit unumgänglich zu erfodern schien. Mein Vater hingegen war dergestallt unbarmhertzig, daß er mir wöchentlich kaum zwey Stunden darzu vergönnete, und zwar auf allerhöchste Vorbitte meiner Mutter, welche befürchtete, das liebe Kind möchte gantz und gar zusammen wachsen. Selbst das verdrüßliche Schicksaal konte den harten Sinn meines Vaters, aus mir, einen recht vollkommenen Schulmeister zu machen, nicht brechen, denn ohngeacht in meinem 12ten Jahre die Künste schon am gantzen Leibe, dergestalt auszubrechen begunten, daß es schien, als ob ich lauter Gelencke, und in jedem Gelencke doppelte und dreyfache Courage hätte, so erbarmete sich doch mein Vater nur in so weit, mich zwar eine Zeit lang mit der Schneider- und Leinweberey zu verschonen, hergegen muste ich von Morgen an biß auf den Abend dermassen über den Büchern liegen, daß meiner Mutter [425] angst und bange wurde: ich möchte mit der Zeit etwa gar ein Advocat oder ein Narr werden, als welchen Leuten sie am allergrämsten war, denn einAdvocat hatte sie um eine reiche Erbschafft gebracht, und ihr erster Mann war von einer liederlichen Vettel, vermittelst eines Liebes-Truncks, zum Narren gemacht und angereitzt worden, meine Mutter zu verlassen, und mit der Hure davon zu lauffen. Indem ich nun ein rechtes, so zu sagen, Pferde-mäßiges Gedächtniß hatte, konte ich nicht allein in meinem 13ten Jahre fast alle Evangelia und Episteln, sondern über dieses, welches zu verwundern, alle Declinationes und Conjugationes auf dem Nagel herbeten, der lieben Psalmen zu geschweigen, denn mein Vater ärgerte sich solchergestalt fast über nichts mehr, als daß der König David nicht zum wenigsten noch ein paar hundert mehr gemacht hätte. In der Schneider- und Leinweber-Kunst war ich auch, seinen Gedancken nach, weit avancirt, daß er mich ohne ferneres Bedencken hätte können zum Meister machen lassen, derowegen fehlete nichts weiter, meine erfahrne Person sich substituiren zu lassen, als das eintzige, nehmlich, daß ich nicht 8. oder 10. Jahre früher auf die Welt gekommen wäre.

Mittlerweile sahe der Pfarrer und die Gemeine, ich weiß nicht aus was vor Ursachen, meinen 63. jährigen Vater vor älter an, als er sich selbst zu seyn bedünckte, und da sonderlich der Gemeine nicht anstund: daß ich fast alle Sonntage an seiner statt cantorirte, meine Mutter aber wöchentlich mehr als 5. Tage den Schulmeister agirte, weil [426] der Vater indessen die bestellte Schneider- oder Leinweber-Arbeit abwarten muste; so kam es durch ein und andere Verdrüßlichkeiten endlich dahin, daß meinem Vater aus dem Consistorio ein Substitute gesetzt wurde, und zwar, dem Vorgeben nach, aus keiner andern Ursache, als: weil sich die Gemeine anheischig gemacht, in ihre Kirche eine Orgel bauen zu lassen, die mein Vater gar nicht, derStubtifute aber desto besser spielen könte.

Mein Vater wolte diesen Schimpff durchaus nicht verdauen, so bald aber unsere Gemeine den Anfang zum Orgel-Baue machen ließ, lieff er mit mir, fast alle Tage, 3. Viertel Meilwegs in die nächste Stadt, um in seinem hohen Alter, annoch das Orgel-Spielen zu erlernen, und hiermit bey bevorstehender Orgel-Probe seinen Stubtifuten über den Tölpel zu werffen, meine Gelahrthafftigkeit, muste von dem höchst intonirten Stadt-Organisten, vor wöchentliches baares Geld, Käse, Butter, junge Hühner und andere Dinge ohngerechnet, auch lectiones nehmen, allein, wir hatten kaum die Claves kennen, und den Choral: O wir armen Sünder etc. spielen lernen, als mein Vater, der täglichen Strapazen wegen, bettlägerig wurde, und bald hernach verstarb. Mit ihm wurde zugleich meine Hoffnung auf den zukünfftigen Schul-Dienst unseres Dorffs, nebst meiner gantzen Organisten-Kunst zu Grabe getragen, und so bald meine Mutter nebst den zwey jüngsten, annoch unverheyratheten Schwestern, das Schul-Hauß quittiren muste, muste auch ich mich beqvemen, bey dem Manne meiner ältesten Schwester, der ein [427] Schneider-Meister in der Stadt war, in die Lehre zu treten, ohngeacht mein gantzes Hertze, ich weiß nicht warum, einen hefftigen Eckel vor diesem Handwercke hatte.

Es verdroß mich hefftig, daß ich nunmehro erstlich gantz von neuen anfangen, und einen Schneider-Jungen abgeben solte, allein, die Lehre währete nicht viel über 6. Wochen, denn so bald sich mein hochtrabender Herr Schwager ein wenig zu mausig machen, und mich, der ich schon vor Geselle arbeiten, auch zur Noth ein Kleid zuschneiden konte, allzu Jungenhaffttractiren wolte, warff ich ihn eines Tages die Scheere nach dem Kopffe, und lieff zu meinem andern Schwager dem Leinweber. Dieser mißbilligte des Schneiders hochtrabendes Verfahren, und beredete mich, bey ihm als Leinweber in die Lehre zu treten, mit dem Versprechen, mich täglich noch ein paar Stunden im Schreiben, Rechnen und Latein informiren zu lassen, damit ich mit der Zeit etwa die Hand nach einem Ehren-Amte ausstrecken könte. Über dieses ließ er mich, aus seinem alten blauen Mantel, von Fuß auf neue kleiden, und diese Manu mea gemachte Montur, stund mir in meinen eigenen Augen dermassen wohl an, daß ich nicht geringe Ursache zu haben vermeynete, mir etwas rechts einzubilden.

Immittelst schien es doch, als ob es mir bey diesem Schwager besser gefallen wolte als bey dem ersten, denn ich durffte nur nach Belieben, so viel als ich wolte, arbeiten, und weil er etliche Gesellen sitzen hatte, die die schönsten Arten von Damaßken [428] und andern Zeugen machten, so fielen mir dabey verschiedene Kunst-Griffe in die Augen.

Bey so gestallten Sachen war es Schade, daß mein Schwager ein gantz heimlicher Narre war, denn weil er etwas weniges schreiben und im Donate Mensa decliniren gelernet, ließ er sich den Dünckel einkommen, es wäre niemand als er, würdiger, mit ehesten ein Viertels-Meister, hernach Raths-Herr, und endlich gar Burgemeister in der Stadt zu werden. Alldieweiln aber sein gantzes Vermögen nur in einem kleinen Hause und dann in den Weber Stühlen versteckt war, gleichwohl zu dergleichen Aemtern, ein grosses Hauß, nebst Brau-Ackern und andern liegenden Gründen erfordert wurden, mochte er sich vielleicht im Traume haben vorkommen lassen: als ob in seinem Keller ein Schatz vergraben wäre. Derowegen streckte der arme Schlucker sein gantzes Vermögen dran, diesen Schatz, von berühmten Schatz-Gräbern heben zu lassen, allein, je mehr er sich darbey in recht hefftig drückende Schulden gesetzt, je stärcker fand er sich auf die letzte betrogen, so daß er, ehe man sich dessen versahe, nebst meiner Schwester, 4. Kindern und allen Hauß-Gesinde, worunter auch meine Personalität begriffen war, gantz plötzlich aus dem Hause gestossen wurde, und kaum die auf dem Leibe tragenden Kleider mit hinweg nehmen durffte.

Demnach fahe ich mich genöthiget, meiner Mutter, welche sich nebst meinen beyden jüngsten Schwestern, in der Stadt bey einem Posamentirer, der zugleich ein Raths-Herr war, eingemiether hatte, die besten Worte zu geben, daß sie mir nur die [429] tägliche Kost und einigen Vorschub reichte, mich in der Stadt-Schule auf das Studiren zu legen. Sie ließ sich beschwatzen, kauffte mir einen alten blauen Mantel, nebst etlichen darzu gehörigen Büchern, und ich fieng solchergestalt ohne allen Schertz an, auf einen Dorff-Priesters-Dienst loß zu studiren, hatte jedoch den beständigen Trost darbey, daß zum wenigsten ein Dorff-Schulmeister aus mir werden müste, weil ich aus vielen Umständen vermerckte, daß meines Vaters Geist zweyfältig in mir wohnete.


Jedoch, ehe ich von meinen eigenen Angelegenheiten weiter rede, muß ich vorhero melden, wie es meinem ehrlichen Herrn Schwager Leinweber ergangen: Dieser nun fand sich nicht allein von seiner Schwieger-Mutter, dem Schwager Schneider; sondern auch von allen andern Befreundten, seines thörichten Wesens halber, gäntzlich verlassen, muste dahero nebst seiner Frauen bey andern Meistern ums Lohn arbeiten, damit nur das tägliche Brod vor ihre, und der 4. Kinder Mäuler verdienet würde. Ich glaube, der arme Tropff zog sich diese verdrüßliche Lebens-Art dergestalt zu Gemüthe, daß er vollends ein, oder etliche Sparren zu viel oder zu wenig bekam, welches daraus abzunehmen, weil er kurtze Zeit hernach um den erledigten Calcanten-Dienst, bey der Geistlichkeit und dem Stadt-Rathe, ein selbst elaborirt und eigenhändig-geschriebenes Memorial folgendes Inhalts eingab:


[430] Hoch-Ehrwürdige, Hochgelahrte, Hoch-Achtbare, Hochweise, Hocherfahrne, Hochgeehrteste Herren und mächtige Beförderer.


Ich Endes unterschriebener Bürger, Zeug- und Leinweber allhier, bin in Erfahrung kommen, daß der menschenfreßende Todt, welcher nach Syrachs und anderer frommen Lehrer Ausspruche, keine Person ansiehet, vor etlichen Tagen ihren dahero gewesenenCalcanten oder Orgel-Bälgen-Treter, den Wohlehrbaren und Nahmhafften, Meister N.N. mit seiner Sense, als einen frischen Kraur-Strunck abgehauen und ins Grab geworffen hat; alß worüber Dieselben, wie nicht unbillig, in großes Leydwesen versetzt worden, denn es verdrießet ja wohl dem Müller, wenn ihm ein Esel umfallt, warum solte es denn nicht nahe gehen, wenn ein ehrlicher Mann und frommer Kirchen-Bedienter, in seinen besten Jahren, die Beine, wormit er, wie mir gesagt worden, die Bälge über 13. Jahr getreten, in die Höhe reckt. Ich will zu ihrer eigenen Hochpreißlichen Untersuchung anheim gestellet und gegeben seyn lassen, ob ihn der Doctor, durch das vor etlichen Wochen eingegebene Vomitiv oder Brech-Pulver, die Schwindsucht verursacht, oder ob er sich dieselbe, vielleicht durch seinen überflüßigen Fleiß, an den Halß getreten hat. Denn der gute Mann [431] wolte zwar, wie ich selbst öffters gesehen habe, seine Geschicklichkeit gar zu sehr zeigen, allein es fehlete ihm am besten, denn er war nicht musicalisch. Mit mir hat es gar eine andere Beschaffenheit, denn ich kan nicht allein alle Chorale nach der Tabulatur und Noten auswendig, sondern spiele auch selbst etwas auf der Geige, wiewohl ohne Ruhm zu melden. Ew. Hochwürdigẽ, Hochgelahrtheiten etc. etc. werden also nach ihren ziemlichen Verstande gleich mercken, daß ich um den Calcanten-Dienst anhalten will, und hierinnen fehlen sie nicht, deñ es ist bey meiner höchsten Treue mein rechter Ernst, weil ich durch böse Leute-Beschmeißer vor kurtzer Zeit sehr ins Armuth gebracht worden bin. Ich weiß zwar aus gewissen Uhrkunden sehr wohl, daß auch ein anderer Bürger und Schneider alhier, und denn wiederum ein Holtzhauer, um dieses Ehren-Aemtgen herum gehen, wie die Katzen um den heißen Brey, allein, ich kan es Meinen Hochgeehrtesten Herrn mir guten Gewissen nicht rathen, mir diese Leute vorzuziehen, denn wenn der erste sein Bügel-Eisen nicht in der Ficke hat, möchte er zu leichte seyn, und vielleicht, wenn zumahl der Hencker sein Spiel hätte, wohl gar einmahl in dasVentil hinnein geschluckt werden. Mit dem andern groben Bengel aber ist es gar nichts, und was das Hauptwerck abermahls ist, so sind beyde auch nichtmusicalisch, wie ich. Derowegen glaube steiff und feste, Ew. [432] Hochwürd. und Hochgelahrtheiten, werden in Betrachtung meiner Person und angebohrnen Geschicklichkeit, mir dieses Kirchen- und Ehren-Amt, vor allen andern gönnen, wie ich mich denn dieserwegen gleich zum voraus bedancken will, damit Sie der Mühe überhoben sind, noch eine Dancksagungs-Schrifft von mir durchzulesen, ich aber ebenfalls fernerer Schreiberey und Aufwands entübriget sey. Wegen der Bestallung, die sich jährlich auf 10. fl. etliche Scheffel Getrayde ohne die Accidentien von Braut-Messen und dergleichen beläufft, will ihnen die Sorge alleine überlassen, weil ich schon weiß, daß sie an dieser alten Stifftung, die noch ans den katholischen Wesen herrührer, keine Aenderung machen, sondern es bey den alten Löchern lassen werden, doch bleibet Ihnen unverwehrer, eine Zulage entweder an baaren Gelde oder Geträyde zuthun, weil ich von dato an beständig seyn und bleiben will


Ew. Hochwürd. und Hochgelahrtheiten
Meiner insonders Hochgeehrsten Herren
und mächtigen Beförderer
gehorsamer Bürger und Calcante
bey Freude und Leyd
Michel Conrad N.

[433] Es ist leicht zu erachten, daß die mächtigen Beförderer über dergleichen einfältiges und doch hochtrabendes Memoriale nicht wenig werden gelacht haben, jedoch er bekam das Fiat gleich auf der Stätte, mit der einzigen Bedingung, daß er sich von dem Stadt-Organisten erstlich solte tentiren lassen. Dieser nun war ein gantz besonderer Spaas-Vogel, und mochte entweder das Memoriale selbst gelesen, oder wenigstens den gantzen Inhalt gehöret haben, mithin wurde mein Schwager, der vielleicht noch nicht Zwirn genung im Kopff hatte, vollends zum Narren gemacht, denn weil er wegen seiner Probe durchaus ein schrifftliches Attestat von dem Organisten verlangete, erhielt er endlich folgendes:


Ich Endes unterschriebener bekenne durch diese, daß Meister Michel Conrad N. bey seiner abgelegten Calcanten-Probe sehr wohl, und fast besser, als sein Antecessor bestanden, denn nachdem er von mir durch alle musicalische Regeln, die einem Kunstet fahrnenCalcanten zu observiren nöthig sind, durchgenommen worden, so habe an ihm nichts auszusetzen gefunden, als daß er nicht so leicht moll als dur treten, oder, nach der Kunst zu schreiben, spielen kan, welches sich aber bey fernern Exercitio schon geben wird, denn der Mann hat in Wahrheit sehr feineManiren an sich, welche sich ein anderer, der nicht von Jugend auf die Füsse unter dem Weber-Stuhle gehabt, nicht so leicht angewöhnen möchte. Ubrigens ist er auch gegen andere [434] gantz Unwissende in der Music gar sonderlich erfahren. Welches alles zu Steuer der Wahrheit mit Hand und Siegel bekräfftiget


N.N.

bestalter Stadt-Organiste.


In folgenden Zeiten hat dieser Organist fast immer seinen Schertz mit diesem gelehrten Calcanten getrieben, und ihm gemeiniglich die Thone angezeiget, aus welchen er treten solle, so daß derselbe auf die Gedancken geräth, das Werck könne unmöglich recht gehen, wenn er nicht vorhero mit dem Organisten behörige Abrede genommen hätte. Jedoch einesmahls, da der Organist unpaß, und der Cantor, welcher ein sehr mürrischer Mann war, die Orgel zur Music selbst spielen muste, kam mein Schwager eiligst hervor gelauffen, und fragte den Cantor: aus welchem Tone das Stücke gienge, ob es dur oder moll, auch was es vor Tact wäre? der Cantor, welchem der Kopff eben nicht recht stund, wurde desto verdrüßlicher, und sagte: was hudelt ihr euch um das Stück? gehet hin, und tretet eure Bälge, oder ich werde euch die Wege weisen. Mein Schwager wolte dem ohngeacht lange nicht von der Stelle gehen, biß ihn endlich des Cantors zornige Gebärden zurück in die Bälg-Kammer trieben, dieser wegen aber rührete er dennoch keinen Balg an, worüber der Cantor, welcher wohl zehnmahl geklingelt hatte, immer rasend zu werden gedachte, denn die Music solte angehen, und in der Kirche wunderte sich ein jeder Mensch über das lange Stillschweigen. Er schickte einen Schüler [435] nach dem andern fort, um den Calcanten zum Treten anzumahnen, oder selbst die Bälge zu treten, allein dieser stieß einen jeden zurück, der ihm ins Handwerck fallen wolte, schwur auch hoch und theuer, er träte eher keinen Balg, biß ihm der Cantor sagen lassen, aus welchem Tone die Music gehen, und was es vor Tact seyn solte. Ich erbarmte mich endlich, nachdem ich erfahren, woran es läge, über meinen wurmsichtigen Schwager, that, als ob ich dem Cantor gefragt und erfahren hätte: daß das musicalische Stücke aus dem fis moll gienge, und 5/4tel Tact wäre, dahero er sich endlich bewegen ließ, die Bälge zu treten, der Cantor aber war dergestalt zum Eyffer, hergegen die Musicanten und Concertisten zum greulichen Gelächter gereitzt worden, so, daß immer eine Saue nach der andern heraus kam, biß endlich alles stecken blieb, und das gantze Stück von neuen angefangen werden muste. So bald endlich die Music mit Kummer und Noth verbracht war, ließ der Cantor einem Schüler den Glauben spielen, er aber lieff als eine Furie hinter in die Balg-Kammer, um meinen Schwager einen tüchtigen Ausputzer zu geben, da ihm nun dieser kein Wort verschwieg, ließ sich der Cantor vom Zorne dergestalt übermeistern, daß er dem Calcanten ein paar Maulschellen gab, dieser restituirte dieselbencum lnteresse, warff auch des Cantors schwartze Peruque zum Schall-Loche auf den Kirchhoff hinunter ihn aber selbst endlich zur Balg-Kammer hinaus, worüber eine abermahlige Unordnung entstund, denn mittlerweile waren die Bälge aufgelauffen, weßwegen die Orgel stille schwieg, jedoch [436] ich schlug mich noch ins Mittel, und vertrat die Vices meines Schwagers, welcher sich so wohl als der Cantor dergestalt ergifftet hatte, daß er kein Glied stille halten konte. Die Sache kam zur Klage und Untersuchung, mein Schwager aber war nicht faul, seine Defensions-Schrifft in folgenden Zeilen einzugeben.


P.P.


Der weise Hauß-Zucht- und Sitten-Lehrer Syrach schreibet im ersten Versicul des 8ten Capitels seines Büchleins die nachdencklichen Worte: Zancke nicht mit einem Gewaltigen, daß du ihm nicht in die Hände fallest. Hätte dieses unser Herr Cantor bedacht, und keine Ursache, mit mir zu zancken, vom Zaune gebrochen, auch mich mit den Tractamenten, womit er seine Schul-Jungens zu beneventiren pfleger, ich meyne, ein paar Maulschellen, verschonet, so würde mich schwerlich jemand haben bereden können, dem ehrlichen Manne durch ein paar Dutzend Ohr- und Augen-Feigen, blaue Fenster zu machen, und ihm, in dem Grimme meines Zorns die schwartze Zodel-Peruque zum Schall-Loche hinnaus zu werffen. Der Geitz ist eine Wurtzel alles Ubels, und also auch der Ehr-Geitz, wäre der Cantor nicht so ehrgeitzig und eigensinnig gewesen, sondern hätte mit mir, als einer Haupt-Person bey der Kirchen-Music, sein überlegt, wie das Stücke am besten zu practiciren und tractiren wäre, so wären viele [437] Solennitäten unterwegens geblieben, nehmlich, es wären keine Sauen gemacht worden, und die übrige Prostibulation hätte auch unterwegens bleiben können. Davor muß ich sagen, daß der Organiste 1000. mahl mehr Verstand in seinem kleinen Finger hat, denn es wird mir und ihm, sonderlich, so lange ich die Calicanten Charge verwaltet habe, kein Mensch nachsagen können, daß wir nur das geringste Ferckel, geschweige denn solche Sauen in der Music gemacht hätten, als am vergangenen Sonntage herum gelauffen sind. In der Musica ist dieHarmonica die allerschönste Tugend und diese muß sich nicht allein in den Geigen und Pfeiffen, sondern auch unter den Personen finden lassen, aber ich weiß gar wohl, daß es grobe Flegels giebt, welche den Calicanten weit geringer schätzen wollen, als einen Stadt-Pfeiffer-Jungen, der kaum in die Lehre getreten ist, welcher Unverstand aber von der löblichen Stadt-Obrigkeit, billig nach befinden, mit ein paar Alten oder wohl gar Neuen-Schock-Straffe belegt werden solte. Ich hoffe also meine Unschuld klar genung dargethan zu haben, und weil ich ohnedem gewohnt bin, meine schrifftlichen Sachen sehr kurtz zu fassen so bitte Ew Hoch Ehrwürd. und Hochgelahrtheiten, mir in allen Dingen Recht zu sprechen, und dem Cantor, wenn sie ihm ja die Straffe schencken wollen, dahin anzuweisen, daß er sich in zukunfft besser mit mirconfirmire, [438] damit keine fernern Solennitäten verübt werden, denn wenn es auf das Punct horis, kömmt, bin ich freylich sehr kützlich, und lasse mir nicht gern im Maule mähten, vielweniger ins Amt greiffen, wie die Schüler am vergangenen Sonntage mit der Balgtreterey thun solten. Schließlich habe noch zu erinnern, daß mir der Cantor am Sonntage Schuld gegeben, ich hätte mich im Brandteweine vollgesoffen wie ein Schwein, welches aber vor aller Welt erstuncken und erlogen ist, weil nicht mehr als vor einen Dreyer in mein Maul gekommen, verlange derowegen eine Abbitte, Ehren-Erklärung und Bezahlung des Schimpffs vor allen Leuten, die in der Kirchen gewesen sind. Ubrigens wünsche Ew. Hoch Ehrw und Hochgelahrtheiten wohl zu leben, und verbleibe etc. etc.


Dieses machte aber so wohl meinem Schwager als dem Cantori vielen Verdruß, und fehlete wenig, daß der erste nicht sehr zeitig wiederum den Dienst verlohren hätte, der andere aber sonsten gestrafft worden; Jedoch endlich wurde alles in der Güte beygelegt, ich weiß aber selbst nicht auf was vor Art, weil mich etliche aufrührische Schüler beredeten, mit ihnen fort zu gehen, und eine andere Schule zu suchen, wo die Schüler nicht so strenge, als von unsern Schul-Collegen gehalten würden.

Ich war um selbige Zeit gleich 16. Jahr alt, und sung eine ziemlich seine Stimme, wormit ich mich bey dem Cantore dasiges Orts ziemlich recommendirte, so, daß er mir sehr gute Hospitia ausmachte, [439] und allen Fleiß anwandte, mich zu einem perfecten Concertisten zu machen; worbey ich denn auch, was dieLatinitæt unter dem Rectore und Conrectore anbetraff, nicht unter die schlimmsten, jedoch auch nicht unter die besten zu rechnen war. Immittelst konte doch Jahr aus Jahr ein so viel verdienen, mich in Kleidung, Wäsche und dergleichen selbst frey zu halten. Da aber drittehalb Jahr hernach eben derselbe Schulmeister, welcher in meinem Gebuhrts-Dorffe an meines Vaters Stelle gekommen war, verstarb, ließ mir meine Mutter solches so gleich schrifftlich berichten und rathen: ich solte eiligst nach Hause kommen, und um den Dienst anhalten, denn sie zweiffelte im geringsten nicht, daß ich so wohl im Orgel-spielen, als andern darzu gehörigen Wissenschafften, so viel würde begriffen haben, noch eines weit wichtigern Dienstes würdig zu seyn.

Diese Post war kaum eingelauffen, als in meinen Gedancken schon alles richtig war, bedaurete also nichts, als daß ich mir nur vor wenig Wochen ein Spannagel neues Farben-Kleid angeschafft hatte, jedoch mein bester Trost war, daß es könte schwartz gefärbet werden. Meine Mutter, die mich in so langer Zeit nicht gesehen, erfreuete sich hertzlich einen dergestalt ansehnlichen Sohn zu haben, wie nicht weniger unser Herr Hospes der Posamentirer, der einen besondern Estim und Liebe vor mich bezeigte. Ja, was noch mehr, so verliebte sich noch selbigen ersten Tages, dessen jüngste Jungfer Tochter in mich, zu mahlen, da sie vernahm, daß ich anitzo in Begriff sey, um einen [440] Schuldienst auf dem Dorffe anzuhalten, und mir dabey das Prædicat als Herr Cantor und Organiste geben zu lassen.

Ich machte nicht viel Schwürigkeiten, diesen gantz feinen Mädgen meine Gegen-Liebe zu erkennen zu geben, überreichte immittelst mein Bitt-Schreiben um den Schul-Dienst, gehöriges Orts, und bekam sehr gute Vertröstungen, wie denn auch der Raths verwandte Herr Posamentirer, sich viele Mühe gab, mich bey den Herrn Patronis bestens zu recommendiren, u. endlich selbst die sichere Nachricht brachte, daß mir seines Vorspruchs wegen der Dienst unmöglich entgehen könte. Ich wuste zur schuldigen Danckbarkeit vor seine vielfältige Mühwaltung nichts bessers zu ersinnen, als ihn um seine 17. jährige jüngste Jungfer Tochter anzusprechen. Der gute Mann machte nicht viel Umschweiffe, sondern richtete gleich folgenden Tages einen kleinen Schmaus aus, worbey ich und dessen Jungfer Tochter ordentlich mit einander verlobt wurden. Lange Zeit hernach habe ich erstlich erfahren, daß er die gröste Ursach gehabt also zu eilen, und seine Tochter mit Ehren unter die Haube zu bringen, denn weil sie jederzeit eine ungemeine Liebhaberin von Mannes-Fleisch gewesen, und er- der Vater selbst, die Tochter sehr offt des Nachts mit den Schülern auf der Strasse, nicht selten auch einen oder den andern in ihrer Schlaff-Kammer angetroffen hatte, so mochte derselbe befürchten, seiten ihrer, ehe als es ihm angenehm sey, Groß-Vater zu werden. Solchergestalt wurde ich in allergröster Geschwindigkeit ein Bräutigam, und [441] schätzte mich bey einer so schönen Liebste der glückseligste Mensch von der Welt zu seyn, weil aber Glück und Unglück sehr selten weit von einander entfernet ist, so muste auch ich armer Schelm, solches zu meinem grösten Verdrusse erfahren, denn da ich schon alle Anstalten zu meiner bevorstehenden Cantors-Haußhaltung machte, bekam ein anderer den Dienst, und ich das Nachsehen.

Dieser Streich verdroß mich dergestalt hefftig, daß ich so gleich noch in der ersten Boßheit einen Schwur that, nimmermehr wiederum um einen Kirchen- und Schul-Dienst anzuhalten, sondern bey meinem Schwieger-Vater das Posamentir-Handwerck zu erlernen, nach ausgestandenen Lehr-Jahren, Geselle und Meister auf einmahl zu werden, und hernach meine Braut darauf zu nehmen und zu ernehren. Mein Schwieger-Vater war zwar so wohl als die Braut ziemlich stutzig, jedoch das Verlöbniß war ein vor allemahl geschehen, und ohnmöglich zu wiederruffen, weiln in Gegenwart sehr vieler Leute alle Ceremonien darbey observirt waren. Endlich muste sich auf Zureden meiner Mutter und anderer guten Freunde alles geben, denn mein Schwieger-Vater versprach: daferne ich mit seiner Tochter fein keusch und züchtig leben würde, er binnen zwey Jahren alles dahin bringen wolte, mich so wohl zum Meister, als vergnügten Ehe-Manne zu machen. Demnach wurde ich in meinem 19ten Jahre zum drittenmahle als ein Lehr Junge aufgedungen, und kame nachhero fast niemahls aus dem Hause, weil ich mich vor den Spott-Reden der Schneider und Leinweber-Jungen, [442] am meisten aber vor den leichtfertigen Schülern furchte. Dieses nutzte indessen so viel, daß ich, ehe ein Jahr vergieng, das gantze Handwerck besser begriffen, als mancher, der schon etliche Jahr darauf gereiset war, denn mein Meister und Schwieger-Vater, ließ wahrhafftig die schönsten und besten Sachen arbeiten, und hatte beständig 8. biß 9. gangbare Stühle, auch gemeiniglich 4. biß 5. recht wohl erfahrne Gesellen, die mir vor öfftere freye Bier-Zechen, die künstlichsten Sachen machen lerneten. Meine Liebste inzwischen war sehr übel zufrieden, daß diese Jahre länger als 14. Tage lang daureten, und mochte wohl desto unvergnügter seyn, daß ich mich gar zu genau an meines Schwiegers-Vaters Lehren band, und ihr, ausser einem keuschen Kusse, weiter keine nachdrücklichern Liebkosungen erwiese, jedoch, ich glaube mein Schutz-Engel hat mich deßfalls von vielen Verdrüßlichkeiten zurück gehalten, denn, da mein anderes Lehr-Jahr schon etwas über die Helffte verlauffen war, kam erstlich meine jüngste Schwester, und 5. Tage hernach, meine Liebste, jede mit einem jungen, wohlgestalten Söhnlein darnieder. Die erste bekandte auf meinen Herrn Schwieger-Vater, und die letztere auf meine Personalität. Ich, der ich mich in meinem Gewissen von dieser Schuld vollkommen rein befand, wurde dergestalt ergrimmt, daß meinen alten Degen ergriff, und so wohl den Schand-Mutz in ihrem Wochen-Bette, als auch den Schwieger-Vater selbst erstechen wolte. Jedoch meine Mutter schlug sich ins Mittel, und eröffnete mir das Verständniß, durch den Bericht, [443] daß der alte Susannen-Bruder meine Schwester zu heyrathen, mir aber 200. Thlr. im Voraus zu geben versprochen, wenn ich seiner losen Tochter Kind, vor das meinige annehmen wolte; welches ihr eigentlich ein abgereiseter Schüler hinterlassen hätte.

Wider den ersten Punct, daß nehmlich aus dem Schwieger-Vater ein Schwager werden solte; hatte ich nicht das geringste einzuwenden, allein vor meine Person fand ich höchst unbillig, eines andern Schand-Balg anzunehmen, vielmehr verschwur ich mich hoch und theuer, diesen Schimpff mit Blute auszuwischen, wenn man mich nicht, noch ehe es Abend würde, mit baaren Gelde befriedigte, und den Leuten den rechten Vater des Hur-Kindes bekandt machte. Uber dieses sprach ich ferner, wäre es nicht genung, daß der alte geile Bock meine Schwester nunmehro als eine geschändete heyrathete, denn da sie ihm als Frau gut genug zu seyn geschienen, hätte er sie wohl in Ehren darzu verlangen, und annehmen können, weil sie ehrlicher Leute Kind, und noch bessern Herkommens, als er selbst sey. Ich wuste aber schon, war mein Zusatz, was ich vor einen Streich zu spielen bey mir beschlossen hätte. Diese und dergleichen Drohungen, worbey ich den blossen Degen nicht von abhänden kommen ließ, würckten so viel, daß ich binnen wenig Stunden von dem Alten durch meine Mutter 100. Thlr. baar Geld ausgezahlet bekam, mit dem Bedeuten, daß wenn ich das Hauß verlassen, und die übrigen wenigen Lehr-Monate bey einem andern Stadt-Meister ausstehen wolte, ich [444] noch ein Stücke Geld auf die Reise bekommen solte.

Das war Wasser auf meine Mühle, derowegen nahm kein Bedencken, meiner Mutter Zuredungen gehorsame Folge zu leisten, begab mich auch also fort zu einem andern Meister, stund meine Zeit vollends aus, empfieng hernach von dem neuen Schwager, welcher meine Schwester würcklich geheyrather hatte noch 50. Thlr. ohngeacht ich nach der Zeit seine Schwelle nicht wieder betreten, vielweniger meine gewesene Liebste des Ansehens gewürdiget hatte, und reisete zu Ende des 1721ten Jahres in die Frembde, ließ auch keinen Heller von meinem Gelde zu Hause, ausgenommen das wenige Erbtheil, welches meiner Mutter verblieb, weil ich den gäntzlichen Vorsatz hatte, nimmermehr wieder in mein Vaterland zurück zu kehren, doch habe drey Jahre hernach von einem Lands-Manne in Hamburg erfahren, daß mein Mitbuhler und Vorfischer, etwa anderthalb Jahr hernach, seine Geschwächte nebst dem Kinde abgeholet, und sich mit ihr trauen lassen; weil er den Organisten-Dienst in einer kleinen Stadt nebst der Stadt schreiberey überkommen. Also muste diese Jungfer scil. dennoch auf einen Gelehrten fallen.

Ich habe nachhero in meiner 3. biß vierdtehalbjährigen Reise-Zeit manchen lustigen Streich gespielet, indem ich mich zuweilen vor einen verdorbenen Studenten, zuweilen vor einen Schneider- oder Leinweber-Purschen ausgegeben, so lächerlich aber dieselben Streiche gewesen, so weiß ich doch, daß mein Gewissen von groben Sünden und Boßheiten befreyet geblieben. Es mögen dieselben biß [445] auf andere Gelegenheiten zum Erzehten ausgesetzt bleiben, voritzo will zum Beschlusse nur noch melden, daß nachdem ich mir an verschiedenen Orten ein mäßiges Stückgen Geld zu demjenigen, welches ich von Hause mitgenommen, gesammlet hatte, ich mir endlich in Hamburg die Lust ankommen ließ, eine Reise nach Ost-Indien vorzunehmen, weil ich vernommen, daß offt ein armer Schelm, der keinen Thaler im Vermögen gehabt, binnen 3. oder 4. Jahren etliche hundert biß 1000. Thaler mit zurück gebracht. In solchen Absichten reisete ich also nach Amsterdam, erkundigte mich nach Schiffen, die nach Ost-Indien reiseten, und wurde endlich unvermuthet zu des Herrn Capitain Wolffgangs bevollmächtigten Mons. Horn geführet, der mich biß auf die Zurückkunfft des Herrn Capitains mit Warte-Geldern versahe, und endlich in Dienste brachte, denn gegenwärtiger Herr Wolffgang ließ sich mein immer aufgeräumtes Humeur vor andern wohlgefallen und sagte, daß er mir sonderlich wegen der Profession gewogen, weil er selbsten eines Posamentirers Sohn sey. Ich kan nicht anders sagen, sondern muß es vielmehr mit schuldigsten Danck erkennen, daß er mich auf dem Schiffs vor verschiedenen andern Mit-Reisenden sonderlich distinguirt, und endlich auf dieser Insul vollkommen glücklich gemacht hat. Der Himmel gebe ihm die Vergeltung davor, ich aber werde Zeit Lebens bemühet seyn, mich hiesiges Orts so auf zuführen, daß ihnen, meine Herrn, hoffentlich nicht gereuen soll, meine Wenigkeit in ihre Freund- und Schwiegerschafft aufgenommen zu haben.

[446] Hiermit beschloß Mons. Harckert die Erzehlung seiner Lebens-Geschicht, und wir waren eben im Begriff uns zur Abreise zu schicken, da der Tischler Lademann kam, und nach Mons. Litzbergen fragte, welcher schon vor länger als einer Stunde nach Roberts-Raum voraus gegangen sey. Indem wir aber von demselben weder etwas gesehen noch gehöret hatten, war die Verwunderung desto grösser, und wir fiengen fast an, uns ein oder andere Sorge über dessen Aussenbleiben zu machen, schickten auch einen Bothen in die Weinberge um zu erfahren, ob er sich etwa bey dasigen Wächtern befände, um die frembden Affen vertreiben zu helffen, allein unsere Bekümmerniß war nicht allein vergebens, sondern verwandelte sich endlich in das allerangenehmste Vergnügen, denn nachdem sich der Alt-Vater durch Mons. Harckerts, und anderer, vielfältiges Bitten endlich bereden lassen: diese Nacht nebst uns allen seinen Gefährten in Roberts-Raum zu schlaffen, ließ sich mit hereinbrechenden Abend, im dicken Gebüsche des Gartens, ein Säytenspiel hören, welches wir in möglichster Stille bewunderten, und nach langen præludiren endlich von einer artigen Tenor-Stimme, folgende Cantata unter dem Säyten-Klange vernahmen.

Aria.
Nicht alles und doch alles haben,
Scheint zwar ein dunckler
Spruch zu seyn;
Doch trifft er bey Vergnügten ein.
[447]
Die alle, lernen viel verachten,
Da viele sonst nach allen trachten,
Denn vielen ist die Welt zu klein,
Ihr Lecker. Maul recht wohl zu laben.

Da Capo.

Recit.
Wir Felsenburger sind
Die Reichsten auf der Welt
Das macht, wir lassen uns begnügen
Mit dem, was unser Feld,
Wald, Fluß und See zur Nothdurfft reicht.
Hier weht kein seichter Wollust-Wind.
Hier kan so leicht kein eitler Wahn betrügen.
Hier wird die schwerste Arbeit leicht.
Hier ist ein irrdisch Paradieß.
Hier schmeckt, was andern bitter scheint,
Recht Zucker süß.
Hier wird der Nahme, Freund,
Mit Ernst und Wahrheit ausgesprochen;
Hier ist ja, ja, und nein ist nein.
Hier wird durch falschen Schein
Kein zugesagtes Wort gebrochen,
Hier hört man nichts von Gräntz- und andern Streite.
Denn kurtz gesagt: wir sind vergnügte Leute.
Aria.
Wucher, Hoffart, eitler Tand,
Setzen sonst das beste Land
Leicht in volle Glut und Brand,
Himmel steure diesen Feinden,
Daß sie uns vertrauten Freunden
Niemahls ins Gehege gehn.
[448]
Laß uns nach der alten Weise,
Uns zum Nutzen, dir zum Preise
Ihnen kräfftig widerstehn.

Da Capo.

Recit.
Bleib weg von uns du toller Kleider-Pracht!
Hier wird dein Gauckel-Spiel ins Fäusigen ausgelacht.
Was helffen uns Brabandsche Spitzen,
Die nicht einmal zu guten Zunder nützen?
Was sollen Frantzen, Knötgen, Gold und Silber Band?
Was nützt die Seyden-Waare?
Was, die gekräuselten und falschen Haare?
Hat nicht so mancher kluger Geist
Dergleichen Werck, auch wo es Mode heist:
Vor Quackeley und Affen-Spiel erkannt?
Drum wollen wir bey unsrer Einfalt bleiben,
Und doch die Zeit
In süssester Zufriedenheit
Gantz fein vertreiben?
Die Frömmigkeit sey unser schönstes Feyer-Kleid,
Und Tugend unser alle Tags-Gewand;
Hiernächst wird See und Land
Schon so viel Flachs und Thiere geben:
Worvon, so lange wir auf Erden leben,
Weib, Kind und Mann
Die Kleidung rein und zierlich haben kan.
[449] Aria.
So sind wir denn alle nach Wunsche zufrieden,
So lange die Wurtzel des Ubels nicht grünt.
Zwar sind wir nicht alle von Fehlern befreyet,
Der Saame, den Satan in Eden gestreuet,
Wird wider Vermuthen gar öffters erquick;
Jedennoch durch Fasten und Beten erstickt.
Indessen wird vieles was Eitel vermieden,
Das manchen vor diesen zum Falle gedient.

Da Capo.


Es ist unbeschreiblich, was diese unvermuthete Neuigkeit vor ein gantz besonderes Vergnügen in aller Anwesenden Hertzen verursachte, ja es ist leichtlich zu glauben, daß die auf der Insul gezogen und gebohren, unsern lieben Litzberg, als welcher eben die vortreffliche Music machte, gantz erstaunend bewundert haben, denn weilen seit anno 1661. da ein naseweiser Affe des Alt-Vaters eintziges musicalischesInstrument, nemlich die vom Lemelie ererbte Cyther zerlästert, niemand weiter das geringste von einem Säyten-Spiele gehöret hatte, war die Verwunderung desto grösser. Es hatte aber Mons. Litzberg nebst dem Tischler Lademannen, schon seit einem halben Jahre her, jedoch in aller Stille und Heimlichkeit an diesem Instrumente gearbeitet, ehe sie dasselbe, sonderlich der Säyten [450] wegen zum Stande gebracht, jedoch dergleichen inventieusen Köpffen wie diese beyden hatten, muste so zu sagen alles nach Wunsche gehen, denn wie ich nachhero gesehen, war von ihnen eine solche Menge allerley Säyten bereitet worden, und zwar aus den Därmen der wilden und zahmen Ziegen, wie auch anderer Thiere, daß man wohl noch 200. dergleichen Instrumente, als dieses, welches die ziemliche, doch in etwas weniges veränderte Gestalt einer Laute zeigte, hätte damit beziehen können.

Mons. Litzberg spielete hierauf, zu unserm Vergnügen, noch verschiedene andere artige Stücke, und accompagnirte wechselsweise mit seiner anmuthigen Stimme, bis endlich der liebe Alt-Vater gegen Mitternacht hierdurch in einen süssen Schlaff gebracht wurde, weßwegen wir übrigen uns nach ihm richteten, und sämtlich die Ruhe suchten, folgenden Tages aber nach eingenommenen Frühe-Stücke erstlich gegen Mittag wiederum von einander reiseten.

Zeitwährender Wein-Lese machten wir uns sämtlich bald in dieser, bald in jener Pflantz-Stadt ein und andere vergnügte Veränderung, so bald aber dieselbe vorbey, alles eingesammlet, und zur neuen Bestell-Zeit behörige Anstalt gemacht war, ersuchte ich den Alt-Vater mir nebst andern Europäern und denen, so ausser dem noch Lust darzu hatten, eine Fahrt zur See auf die benachbarte Insul Klein-Felsenburg zu thun. Er ließ sich durch unabläßiges Anhalten endlich bereden, zumahlen da der Vater David Julius, alias [451] Rawkin, sich zum Schiffs-Patrone anboth, derowegen wurde das in der Bucht liegende Schiff, binnen wenig Tagen völlig ausgebessert, worauf wir sämtlichen letzt angekommenen Europäer, ausgenommen HerrMag. Schmeltzer und Herr Wolffgang uns am 28.Apr. 1727. embarquirten, und die Reife bey guten Wetter und Winde antraten. Es war eben kein allzustarcker Hazard dergleichen Fahrt vorzunehmen, denn wir gelangeten in wenig Stunden auf der lustigen Insul Klein-Felsenburg, und zwar in dem vortrefflichen Hafen an, welcher auf dem beygefügten Kupffer-Stiche mit A bezeichnet ist. Der Ort, wo wir bequemlich aussteigen konten, ist mit B. bemerckt, und hieselbst baueten wir sämtlichen an der Zahl 36. Personen, in der Geschwindigkeit 6. geraumliche Lauber-Hütten von abgehauenen Baum-Aesten auf, vergassen auch nicht, aus denen 3. mitgenommenen kleinen Canonen, eine dreymahlige Salve zu geben, um unsern Freunden in Groß-Felsenburg kund zu thun: daß wir glücklich angelandet wären, worauf uns dieselben gleichfalls dreymahlige Antwort gaben.



Diesen ersten halben Tag brachten wir also mit Untersuchung der Nordlichen Gegend zu, durchstreifften dieselbe, so weit uns die ziemlich angelauffenen Wasser-Flüsse das Gehen erlaubten, nemlich wie auf dem Kupffer-Stiche zu sehen, von B. zu C.D.E.F. und kamen mit einbrechender Nacht sehr ermüdet zurück an den Ort B, allwo unsere Hütten aufgebauet waren. Wir hatten, ausser unzähligen fruchtbaren Bäumen vortrefflicher [452] Gräserey, süssen Wasser-Bächen und der mit D. bezeichneten saltzigen See, worinnen sich eine grosse Menge Fische aufhielt, nichts sonder- und wunderbares angemerckt, als einen unvergleichlich fetten Erdboden, der ungemein geschickt wäre seinen Art-Leuten die angewandte Mühe und Bestellungs-Kosten zu ersetzen, ingleichen eben die Arten von Wildprät, Ziegen und Vögeln, wie sich dieselben auf der Insul Groß-Felsenburg befanden, jedoch wir stelleten keinen nach, indem wir Proviant zur Gnüge bey uns führeten, auch zum Zugemüse noch allerhand frische Früchte, Kräuter und Wurtzeln erblickten. Kurtz zu melden, dieses Land hatte mit dem Groß-Felsenburgischen fast einerley Art, nur daß allhier die blosse Natur, dorten aber zugleich die menschlichen Künste und Wissenschafften mit würckten. Folgendes Tages fuhren wir mit zwey kleinen Booten in die durch den Meer-Busen abgesonderte Westliche Gegend G. wanderten hinunter biß an die Nord-Spitze, von dar mehrentheils am Gestade, zurück biß an das Gebürge H. allwo wir die Mittags-Stunden über ausruheten, etwas von unsern mitgenommenen Speisen zur Erquickung nahmen, hernach das Gebürge umgiengen, die Sud-Ecke I. betrachteten, abermahls einen grossen Meer-Busen K. und weiter hin die grosse See L. antraffen, und endlich zurück an den Ort kamen, wo der in die kleine See lauffende Fluß die kleine Insul C. macht. Allhier überfiel uns die Nacht, weßwegen wir uns bey einem angemachten Feuer niederlagerten, und in guter Ruhe biß zu Aufgang [453] der Sonne schlieffen. Wir hatten also nur noch das Oestliche Theil der Insul zu betrachten, vor uns, weil aber der Strohm, der sich aus der grossen in die kleine See ergoß, gestriges Tages allzu breit und tieff befunden worden, solte, um alle Gefahr zu vermeiden, der Rückweg zu den Booten angetreten werden; Allein der Tuchmacher Lorenz Wetterlingund der Bötticher Melchior Garbe, hiessen uns ohne alle Sorge auf der Stätte warten, und sie nur machen zu lassen, indem sie durch den Strohm schwimmen, und ehe 2. Stunden verlieffen, mit den Booten bey uns seyn wolten. Es wolte zwar keiner von uns darein willigen, sondern viel lieber den Rückweg in Compagnie antreten, allein sie liessen sich nicht wehren, schwummen auch bey der kleinen Insul um die Gegend a. glücklich durchhin, und kamen noch, ehe wir uns dessen versahen, in einem Boote den Fluß herunter gefahren, schleppten auch das andere angebundene Boot hinter sich her, nahmen uns ein, so daß wir die kleine See durch passiren, und in der Gegend M. aussteigen konten. Nachdem die Boote befestiget, besahen wir erstlich die grosse See von dieser Seite, kosteten deren Wasser, und befanden dasselbe, ohngeacht verschiedene süsse Bäche hinein flossen, gantz grausam saltzig, weßwegen Mons. Litzberg par curiositeè ein Feuer anmachte, eine kupfferne Schaale mit diesem See-Wasser angefüllet, darauf setzte, selbiges verrauchen ließ, und gar bald das vortrefflichste Saltz abschäumete. Nach diesen, schlugen wir uns lincker Hand, nach dem grossen Gebürge N. zu, umgiengen und bestiegen dasselbe, [454] fanden zwar Merckmahle, daß selbiges Ertz oberhalb aber keine Weinstöcke, wie das Unserige in Groß-Felsenburg trüge. Hierauf vertheileten wir uns öffters in 2, öffters auch in 3. Partheyen, durchstreifften den Wald und die steilen Klippen am Ufer gegen Osten zu, fanden aber nichts besonderes als eine ungemeine hohe Felsen-Spitze, welche entsetzlich hoch in die Höhe lieff, und kaum auf die Helffte zu erklettern war. Mons. Litzberg, Lademann, Plager und ich waren dennoch so curieux so weit hinauf zu steigen, als ohne allergröste Gefahr möglich war, unsere Mühe aber war nicht gäntzlich vergebens, denn wir entdeckten durch ein mitgenommenes 8. Fuß langes Perspectiv, gegen den Süder-Pol zu, ein groß Stücke Land, welches nach Mons. Litzbergs Meynung ohngefehr 40. biß 50. Meilen von uns entfernet, und dem Augenmasse nach wenigstens etliche 30. oder mehr Meile in der Breite halten müsse, die Länge aber, von uns gegen Süden zu, war nicht anzumercken. Alle unsere Gefährten, die etwas von der Geographie verstunden, glaubten fest, daß dieses ein den Europäern noch gantz unbekandtes Land seyn müsse, weil man auf keiner eintzigen Land- oder See-Carte um diese Gegend etwas angemerckt befunden. Wäre es nach unsern Köpffen, und nicht wieder des Alt-Vaters expressen Befehl gegangen, so hätten wir gleich folgenden Tages unsere Seegel dahin gerichtet, so aber muste es unterbleiben. Immittelst kamen wir auf dem Platze P. alle 36. Mann ohnbeschädigt wieder zusammen, [455] kochten ein Gerichte Fische, welche etliche der Unsen aus den Bächen gefangen hatten, hielten noch ein und anderes Gespräch über das neu-erblickte Land, und schlieffen mit einbrechender Nacht bey dem Feuer ohn alle Sorgen ein.

Am vierdten Tage unseres Daseyns wurde endlich der übrige Theil der Oestl. Gegend vollends ausgekundschafft, da aber weiter nichts sonderliches merckwürdiges zu betrachten vorkam, machten wir beyzeiten Feyerabend, schossen jedoch ein kleines Wild, um das auf dieser Insul erzeugte Wildprät theils gekocht, theils gebraten zu versuchen, befanden aber gegen unser Groß-Felsenburgisches nicht den geringsten Unterschied. Nächstfolgenden fünfften Tages setzen wir uns bey der kleinen See in aller Frühe wieder in unsere Boote, ruderten den Strohm hinauf, wendeten uns aber über der kleinen Insul um, und kamen gegen Mittag auf der mit B. bezeichneten Städte an, allwo unser Schiff vor Ancker liegend, und die aufgebaueten Lauber-Hütten annoch unversehrt angetroffen wurden. Es gefiel uns allen noch eine Nacht in diesen, noch ziemlich frischen Laub-Hütten zu schlaffen, derowegen wendeten wir den übrigen Theil des Tages darzu an, eine grosse Menge derer besten Früchte, Kräuter und Wurtzeln aufs Schiff zu schaffen, um solches unsern Freunden zum Schertz als etwas seltsames mitzubringen. Lademann, Herrlich und andere mehr machten sich indessen ebenfalls uñöthige Mühe, indem sie verschiedene gerade Bäume und Stangen umhieben, und dieselbe zum mitnehmen mit gröster Mühe aufs Schiff schafften. Mons. Litzberg [456] nahm zur Curiositeé sein gesottenes Saltz, Plager aber eine grosse Menge Ertzhaltige Steine aus dem Gebürge mit, als woran er sich nebst etlichen andern fast halb kranck getragen hatte, wir lachten ihn dieserwegen ziemlich aus, allein er lachte wieder und sagte: Meine lieben Herren, es wird schon die Zeit kommen, daß ihr oder eure Kinder Glocken, Brau-Pfannen, Kessel und anderes Kupffer und Meßing-Geschirr verlangen werdet, ists nun nicht gut, wenn man weiß, wo das darzu benöthigte Ertz zu suchen ist? Solchergestalt musten wir ihm in Wahrheit recht geben.

Nachdem aber alles seine Richtigkeit, auch Mons. Litzberg den ohngefähren Abriß von dieser kleinen Insul, welche er auf dem Gebürge völlig übersehen können, verfertiget hatte, kehreten wir Sonnabends den 3ten Maji wiederum zurück aufs Schiff und bald Nachmittags zu der Insul Groß-Felsenburg, allwo uns unsere Freunde, erstlich, nachdem wir sie mit 3. Salven gegrüsset, gleichfalls mit etlichen Stück-Schüssen, bey glücklicher Anländung aber dergestalt hertzlich bewillkommeten, als ob wir 10. Jahr aussen gewesen wären, und die halbe Welt umseegelt hätten. Ein jeder, der sich herbey nahete, wurde mit ausländ. sogenandten Früchten beschenckt, welches ein hertzliches Gelächter, sonderlich bey dem Alt-Vater erweckte, denn er bekam den besten Theil, über dieses statteten wir ihm einen richtigen Rapport von unserer Untersuchung der kleinen Insul ab. Da aber Mons. Litzberg auf das erblickte unbekandte Land kam, und zu vernehmen gab; wie er sehr grosse Lust hätte [457] selbiges genauer zu betrachten, sprach der Alt-Vater: Mein Sohn! dieses Land haben ich und der alte Amias schon vor vielen Jahren, nur aber zu gewissen Zeiten, wenn das Wetter nicht allzu klar und auch nicht gantz trübe gewesen, ohne Perspectiv gesehen. Ich glaube selbst, daß es eines von den gegen den Süder-Pol gelegenen unbekandten Ländern auch vielleicht unbewohnt und dennoch fruchtbar, aber auch wol nur ein blosser Schatten oder Blendwerck der Augen seyn kan. Allein, gesetzt auch, daß es ein würckliches gutes Land wäre, was nützet uns, sonderlich anitzo, dergleichen Untersuchung, genung wenn wir unsern Nachkommen hiervon einige Nachricht hinterlassen. Es wird, wie ich glaube, noch eine ziemliche Zeit hingehen, ehe sich meine Geschlechter dergestalt vermehren, daß sie auf Groß- und Klein-Felsenburg nicht mehr Platz und Nahrung haben können, als denn ist es erstlich Zeit, daß sie sich nach andern Insuln oder festen Ländern umsehen. Bey jetzigen Umständen aber und ferner in einem Seculo oder noch länger, wäre es mit unter die eiteln Lüste zu rechnen, wenn sich jemand grosse Mühe dieserhalb geben wolte. Denn was solte wohl an solchen Orten zu suchen seyn, welches wir nicht in grossen Uberfluß besässen, oder wenigstens entrathen könten. Demnach schämeten wir uns wegen des neuentdeckten Landes sämtlich dermassen, daß hinführo in Gegenwart des Alt-Vaters, ferner kein eintziger ein Wort davon erwehnen wolte, zumahlen da uns itzo Herr Mag. Schmeltzer und Herr Wolffgang ziemlich damit aufzogen.

[458] Immittelst war doch nunmehro auch diese Neugierigkeit und Lust gebüsset worden, bald hernach rückte die etwas rauhere Herbst- und Winters-Zeit heran, welche aber unser Vergnügen keinesweges stöhrete, denn nunmehro war ein jeder, sonderlich zur Regen-Zeit desto fleißiger seine Hauß-Arbeit, die unter dem Dache verrichtet werden konte, vorzunehmen.

Monsieur Litzberg, Lademann, Plager und Herrlich brachten bey dieser Zeit zwey vollkommen guteClavicordia zuwege, und schenckten eins darvon auf die Albertus-Burg, damit zuweilen Herr Mag. Schmeltzer oder ich, uns darauf üben und dem Alt-Vater die lange Weile vertreiben konten. Die Drat-Seyten hatte Mons. Plager hierzu gezogen, und guten Theils übersponnen, als warum Lademann anfänglich die meiste Sorge getragen. Ausser diesen wurden auch bald 2. Violinen und eine Baß-Geige fertig, welche zwar nicht alle Europäische Zierrathen, jedoch einen sehr guten Klang hatten. Demnach befanden wir uns im Stande eine vollstimmige Music zu machen, wenn nehmlich Mons. Litzberg die Laute, Kramer undHerckert die Violinen, Lademann den Violon, ich aber das Clavier spielete, und weil Mons. Litzberg, sonderlich aber Herr Mag. Schmeltzer etwas von derComposition verstunden, so wurde gar bald Anstalt zu einer Kirchen-Music gemacht, und selbige auch nicht selten zu allerseitigen Vergnügen abgelegt. Unter unserer studirenden Jugend fanden sich gar geschwind tüchtige Subjecta, so wol zur Vocal- als Instrumental-Music, und weil Lademann nebst seinen Lehrlingen nach [459] und nach immer mehr dergleichen Instrumente verfertigten, war kein Zweiffel binnen weniger Zeit ein vollkommenes Chor zu bestellen.

Endlich ließ sich der künstliche Lademann gar in den Sinn kommen, eine Orgel in die Kirche zu bauen, indem er sich derer, in der Nonnen-Kirche erlernten Wissenschafften, annoch sehr wohl erinnerte, und da ihm vollends Herr Mag. Schmeltzer in vielen Stücken und sonderbaren Vortheilen Rath zu geben, auch würckliche Hülffe zu leisten versprach, ließ er alle andere nicht so gar nöthige Arbeit liegen, und fieng mitten im Winter an das Holtz zum Gehäuse zuzurichten. Die Pfeiffen solten erstlich von ordinairen Orgel-Bauer-Metall gemacht werden, nachdem aber weiter von der Sache gesprochen worden, ließ der Alt-Vater durch mich, aus seiner Schatz-Kammer, verschiene Silber-Klumpen hervor langen, da sich denn Mons. Plager so gleich verobligirte: mit Morgenthals und ihrer beyder Lehrlinge Hülffe, die Platten zu den Pfeiffen behörig auszuarbeiten, und nach Lademanns Anweisung zusammen zu löthen. Jedoch weil dieses vortreffliche Werck im 1728. Jahre noch nicht einmal zur Helffte gebracht war, und ich Eberhard Julius darüber nach Europa gereiset bin, kan ich dessen Zustand der Gebühr nach voritzo nicht beschreiben, hoffe aber selbiges, bey meiner Zurückkunfft meistens fertig, zu finden, da ich denn nicht ermangeln werde, meinem Europäischen Herrn Correspondenten, durch den Capitain Horn auch deßfalls sichern Bericht abzustatten.

Hergegen hatte Mons. Plager zu Ausgange des Monaths Julii 1727. seine vor einiger Zeit angefangene [460] grosse Uhr vollkommen zur Richtigkeit gebracht, auch bereits zwey Schaalen oder Glocken darzu gegossen, worvon die Vierthel-Seiger-Glocke 55, die vollschlagende aber 112. Pf. wog, Es war unter seiner zugerichteten Glocken-Speise mehr als die Helffte Silber, woher dann ein vortrefflich rein und heller Klang entstund. Demnach wurde die Uhr in den ersten Tagen des August-Monaths oben auf die Albertus-Burg gestellet, und konte solchergestalt fast von den meisten Einwohnern gehöret werden, welches eine unaussprechliche Freude unter dem gantzen Volcke verursachte.

Von allen unsern Europäern war nunmehro um diese Zeit kein eintziger mehr übrig, der seine besondere Profession nicht behörig hätte treiben können: als Kleemann der Pappier-Müller, und Wetterling der Tuchmacher, dem letztern zu Gefallen brach Lademann von seinem höchst-fleißigen Orgelbauen einige Tage ab, und verfertigte ihm in kurtzer Zeit 2. tüchtige Tuchmacher-Stühle, vor das übrige war der Meister Tuchmacher selbst besorgt, brachte es auch in wenig Wochen dahin, so viel Baumwollen-Garn aufzuziehen, darvon er zur ersten Probe wenigstens 80. Ellen Zeug oder Tuch, wovor man es halten wolte, darlegen konte. Spinnerinnen fanden sich zur Gnüge an, wie denn auch zwey tüchtige Lehr-Pursche, dero wegen wünschte Wetterling, daß sich nur unsere Schaaffe täglich vermehren möchten, um sattsame Wolle zu rechtschaffenen Tüchern zu bekommen, auch war der Drechsler so behülfflich, ihm etliche Woll-Räder zu machen, worauf er die Weibs-Personen [461] spinnen lehrete, und also war der Wunsch dieses fleißigen Arbeiters zum wenigsten auf die Helffte erfüllet, indem er mittler weile entweder lauter Baumwollen, oder zur Helffte leinen Garn würcken konte.

Uber den Pappiermüller Kleemann erbarmete sich unser ehrlicher Müller Krätzer, und machte den Anfang, ihm eine Pappier-Mühle bauen zu helffen, welche der gute Kleemann zwar bey seiner Wohnung selbst errichten, aber nicht zum Stande bringen können. Jedoch weil es noch zur Zeit ohnedem an gnugsamen Materialien zur Pappiermacherey fehlete, gieng es nicht eben allzu hurtig mit dem Mühlen-Baue zu allein er hat dennoch endlich im Mittel des 1728ten Jahres seine erste Probe so wol mit sehr feinen weissen, als auch andern schlechten Sorten von Pappier abgelegt, welches uns allen zu sonderbaren Vergnügen gereichte, zumahlen da auch er seine Profession auf die Insulaner fortzupflantzen bereit war, und dieserwegen gleich anfänglich 3. junge Pursche auf ein mahl in die Lehre nahm.

Also stunde es nun um damahlige Zeit mit unsern Künstlern und Handwercks-Leuten, denn indem die selben ihren Fleiß den sämmtlichen Gemeinden zum besten anwendeten, so waren im Gegentheil nicht allein ihre Weiber besorgt, die Haußhaltungs- und Nahrungs-Mittel anzuschaffen, sondern es wurde einem jeden an Geträyde und Victualien durch ihre Nachbarn und Freunde dermassen viel zugetragen, daß sie in allen Dingen beständigen Uberfluß hatten.

Herr Mag. Schmeltzer, Monsieur Litzberg, [462] HerrWolffang und ich waren immittelst täglich bemühet, unsere angenommenen Schüler auf solche Art wie schon oben erwehnet, zu informiren, und weilen nunmehro seit kurtzem auch das Studium musicum darzu gekommen war, brachten wir sämtlich sehr wenig Stunden müssig zu, der Alt-Vater hatte sein innigliches Vergnügen, die Jugend also fleißig zu sehen, besuchte derowegen sehr öffters die Schul-Stuben, ausser dem aber vertrieb er seine Zeit mit Lesung geistlicher Bücher, ingleichen seine Chronicke ordentlich fort zu schreiben, weil ihm biß dato die Augen noch sehr klar und helle waren.

Solchergestalt befand sich das Kirchen-Schul- und Hauß-Wesen eins so wol als das andere in vollkommen guten Stande, Kummer, Sorge und andere Verdrüßlichkeiten aber, waren uns gäntzlich unbewust. Nur allein befand sich in meiner Seele sehr öffters eine grosse Betrübnis, wenn ich an meine zurückgelassene Schwester, vornehmlich aber an meinen lieben Vater Franz Martin Julium gedachte, als von welchem ich nicht wuste ob er unter die Todten oder Lebendigen zu zählen sey. Demnach wartete ich in Wahrheit mit einiger Ungedult auf die Zurückkunfft des Capitains Horns, und beschloß gäntzlich, daß wo derselbe aufs längste vor Ablauff des 1728ten Jahres nicht käme, ich sodann dem Alt-Vater keine Ruhe lassen wolte, bis er mich mit benöthigter Fracht an Gold, Perlen und Edlen-Steinen auf die Insul St. Helenæ schiffen liesse, von wannen ich dann schon weiter zu kommen trauete, um zu erfahren, ob sich mein lieber Vater bey unsern guten Freunden nicht etwa [463] gemeldet hätte; oder da ich ja nicht so glücklich seyn solte, von ihm sichere Nachricht einzuziehen; so war doch mein ernstlicher Vorsatz durch Bezahlung seiner Schulden ihn von aller üblen Nachrede zu befreyen, nächst dem bey ein oder andern guten Freunde ihm einen schrifftlichen Bericht von meinem erlangten Glücke und dem Orte meines Aufenthalts zu hinterlassen, nächst diesen allen Fleiß anzulegen, meine Schwester zur Reise-Gefährtin auf die Insul Felsenburg zu bereden, jedoch daferne sich dieselbe annoch in ihrem ledigen Stande befände, widrigenfalls ich ihr nicht das geringste von meinem Schicksaal zu eröffnen, sondern sie nur mit einem kostbaren Geschencke abzu, fertigen beschloß. Dieses waren also meine eintzigen Grillen, welche durch Gedult zu unterdrücken, ich genugsame Mühe anwenden muste, jedoch die täglich sehr vielfältig abwechslenden Geschäffte musten die besten Sorgen-Vertreiber seyn, und außer diesen konten die musicalischen Instrumenta, sonderlich aber mein Vogel mir manches Vergnügen erwecken. Denn dieses artige Thier hatte sich sehr viel vergnügende Redens-Arten, auch andere lustige Streiche angewöhnen lassen, und guten Theils selbst aufgefangen, welche es zuweilen von ohngefehr zu gröster Verwunderung und Gelächter aller Anwesenden sehr artig anzubringen wuste. Ich hätte meiner liebsten Cordula ungemein gern einPræsent mit diesen schönen Vogel gemacht, weil aber der Alt-Vater sich selbst fast täglich mit ihm bespracht, und allerhand Schertz trieb, wolte ich demselben in seinem hohen Alter dieses Vergnügens nicht berauben.

[464] Jedoch des Alt-Vaters Vergnügen zeigte sich desto völliger, da mit Ausgange des Monats Aúgusti, bey denen am 23. p. Trin: voriges Jahrs copulirten, Europæischen und Felsenburgl. Eheleuten, der erfreuliche Ehe-Seegen immer nach und nach zum Vorscheine zu kommen begunte. Denn es war recht zu bewundern, wie auf der Alberts-Burg immer eine erfreuliche Zeitung nach der andern, von der glücklichen Niederkunfft einer oder der andern Wöchnerin, einlieff. Unter denen letzt angekommenen Europäern traff das Glück am ersten Mons. Kramern, der am 28. Aug. eine junge Tochter bekam. Hierauff erhielt am 29.dito früh, Herrlich eine Tochter, und gegen AbendMorgenthal einen Sohn. Den 30ten Mons. Plager und Schreiner jeder eine Tochter. Den 1. Sept HerrMag. Schmeltzer einen Sohn, und der Müller Krätzer, eine Tochter. Den 3ten Sept. Mons. Litzberg einen Sohn, den 4ten Sept. Melchior Garbe eine Tochter. Den 6. Sept. Lademann einen Sohn, undWetterling eine Tochter. Den 8. Sept. Kleemann eine Tochter, und den 9ten dito Mons. Harckert einen Sohn. Die Liebes-Pfänder der eingebohrnen Ehe-Leute aber, halte voritzo zu specificiren nicht rathsam, sondern will selbige biß zur Jahr-Rechnung auffbehalten. Immittelst hatte Herr Mag. Schmeltzer bey dieser Zeit fast tägliche Ammts-Geschäffte, indem er die neugebohrnen Kinder zu tauffen, immer von einem Orte zum andern reisen muste, dieweil nicht rathsam schien: die allzuweit entlegenen in die Kirche zur Tauffe zu bringen. Jedoch Kramers, Litzbergs, Krätzers [465] und Herr Mag. Schmeltzers Kinder, empfiengen wegen der nächstgelegenheit, die Heil. Tauffe in der Kirche, meine Cordula aber hatte nebst dem Altvater und Herrn Mag. Schmeltzers Schwieger-Vater die Ehre, von diesem unsern werthen Seel-Sorger mit zur Tauff-Zeugin seines jungen Söhnleins erwehlet zu werden, welches die Nahmen Albertus Georgius empfieng.

Nachdem aber die Sechswöchnerinnen allerseits einen frölichen Kirch-Gang gehalten, wurde bald hier bald dort von den erfreuten Kind-Tauffen Vätern eine kleine Collation angestellet, worzu ein jeder vornehmlich den Altvater und Herr Mag. Schmeltzern, nächst diesen aber seine Nachbarn, und dann die letzt angekommenen Europäer zu bitten pflegte. Demnach hatten wir auch in diesem Früh-Jahre vielerley vergnügende Veränderungen. Unter andern war mein Gevatter Peter Morgenthal beschäfftiget gewesen, seine erbethenen Gäste bestens zu bewirthen, denn derselbe hatte ohngeacht seines täglichen Fleisses in der Werckstadt, dennoch immer so viel Zeit abgebrochen: seine Hauß-Wirthschafft im Acker-Garten-Bau und Vieh-Zucht aufs ordentlichste einzurichten, er war auch der erste gewesen, der sich von Herrn Kramern allerley Sorten, der aus Europa mitgebrachten Thiere ausgebethen, die sich denn allbereits in seinem Revier nicht wenig vermehret hatten. Jedoch ich besinne mich, daß um diese Zeit, schon alle Arten von Viehe unter die 9. Gemeinden vertheilet waren, biß auf das Rind-Vieh, und Pferde, welche letzern Mons. Wolffgang, Litzberg und Kramer um besserer [466] Zucht willen, annoch in Alberts- und Christians-Raum vertheilt hielten. Zur Zeit war noch kein Pferd, weder zum reiten, fahren, vielweniger zum pflügen gebraucht worden: allein eben bey dieser Collation, beredete sich Morgenthal mit Mons. Litzbergen, Lademannen und andern geschickten Holtz-Arbeitern, ehestens etliche Pflüge zu verfertigen, welche von Pferden und Ochsen, auch wohl vielleicht von zahm gemachten Hirschen gezogen werden könten, hiernächst den Insulanern das Pflügen und Aegen zu lehren, damit ihnen in Zukunfft, bey stärckerer Vermehrung der Menschen und Thiere, der Feld-Bau erleichtert werden möchte. Der Altvater hörete diese Invention, als eine Sache, worvon er mit Herr Wolffgangen schon zum öfftern gesprochen, mit grösten Vergnügen an, lobete derowegen den guten Vorsatz. Nach fernern ernsthafften Gesprächen aber, bezeugte derselbe ein besonderes Verlangen, auch dieses unseres guten Wirths,

Peter Morgenthals Lebens-Geschicht
1.
[613]
I.
Monsieur,

& tres cher ami.


Wie ich nicht zweiffele, es werde sich dessen Maladie gezeigter Besserung nach bald verlohren haben, so wünsche zu einer völligen Cur allen himmlischen Seegen. Ein fleißiges Gebeth, ordentliche Lebens-Art und Verbannung alles Chagrins wird vielleicht bey den zu brauchenden Artzeneyen das beste rhun. Wir sind den 8. Octobr. glücklich in Amsterdam eingetroffen, und dürfften uns wenigstens noch 5. biß 6. Wochen allhier zu bleiben gemüßiget finden, denn es fehlen uns nicht allein noch einige verschriebene Leute und höchst-nöthige Sachen, sondern wir haben auch außerdem wichtige Ursachen, nicht ehe von dannen zu fahren. Hierbey folget noch eine kurtze Beylage zur Geschicht, welche ich annoch in meinemChatoull gefunden, und die sie gehöriges Orts anzubringen wissen werden. Herr Herrmann ist etwas unpaß, wir hoffen aber dessen baldige Genesung, so wohl als meiner lieben Schwester, welche von einem leichten Fieber befallen war, jedoch gäntzlich restituirt ist. Die Mathematischen Instrumenta, welche sie an Herrn G.v.B. addressirt uns nachsenden [614] sollen, sind etliche Tage eher als wir selbst angelanget, also dancke nochmahls vor ihre Bemühung. Innliegende Briefe an meinen Vetter, wie auch andere Personen an verschiedenen Orten, bitte, jedoch die letztern nicht ehe, als nach 3. biß 4. Wochen, richtig zu bestellen, denn ich habe dißfalls meine besondern Ursachen.

Von der vortrefflichen Hällischen Medicin hätten wir gern noch etliche vollständige Apothheckgen, sie wären zwar allhier auch zu haben, allein, es hat mir ein besonderer Freund die Furcht wegen einer Verfalschung eingejagt, derowegen versäumen Sie keine Zeit, uns wenigstens noch 12. St. anhero zu senden, indem ich nicht zweiffele, daß sie noch zu recht kommen werden. Von noch einigen andern besondern Sachen, die wir in Hamburg am füglichsten einzukauffen vergessen haben, wird sich Herr W. ohnfehlbar mit Ihnen besprechen, als an welchen ich voritzo zugleich ausführlich geschrieben habe. Inmittelst empfehle Dieselben Göttl. Schutzwaltung, und verharre beständig


Monsieur & tres honore Amy

le Votre Eberhard Julius

2.
[615] II.

Monsieur, mon cher Ami.


Die Versicherung von Dessen itzigen Wohlbefinden hat mich ungemein vergnügt, wünsche, daß selbiges viel und lange Jahre biß an das ordentliche Lebens-Ziel bestand haben möge. Die Medicamenta habe in 8 Kästlein wohl erhalten, bedaure, daß nicht wenigstens noch 4. dabey seyn können. Hoffe aber, die Göttliche Vorsorge werde solchen Mangel unmittelbarer weise ersetzen, so lange wir derselben mit reinem Hertzen vertrauen. Es ist mir sonsten noch ein und anderes beygefallen, worinnen sie uns vor unserer Abreise besondere Gefälligkeiten erweisen können, allein, weiln die Zeit nunmehro verflossen, indem wir uns keine 10. oder 12. Tage langer alhier zu bleiben vermuthen, so halte vor unnöthig, etwas davon zu melden. Capitain Horn hat wegen seiner Schiff-Farth einige Verdrüßlichkeiten, jedoch weil man klärlich siehet, daß es eine blosse Geldschneiderey zu bedeuten hat, wird wohl alles ohne besondern Schaden beyzulegen seyn. Am verwichenen Sonntage hat unser lieber Prediger, Herr Jacob Friedrich Schmeltzer, zu meines Vaters und meinem selbst eigenen Vergnügen sich mir meiner Schwester Juliana verlobet, die Priesterliche Copulation [616] aber ist verschoben worden, biß wir glücklich in Felsenburg angelangt seyn. Auch hat meine Schwester zwey arme, aber sehr artige und tugendhaffte Freundinnen gefunden, welche sich als ein paar Vater- Mutter- und Freund-lose Waisen belieben lassen, mit uns nach Felsenburg zu reisen. Sonsten weiß voritzo nichts sonderbares zu berichten, bitte aber, sich so lange noch in Hamburg aufzuhalten, biß sie vor dieses mahl das letzte Schreiben von mir erhalten haben, welches am Tage unserer Abfahrt ausgefertiget werden soll, womit unter Empfehlung Göttlicher Obhut beharre


Monsieur, mon cher Ami
le Votre
Eberhard Julius.
3.
III.

Monsieur, mon cher Ami.


Endlich nach Uberwindung noch vieler Verdrüßlichkeiten, die wir uns nicht eingebildet hätten, und die ich ihnen weitläufftig zu berichten, jetzo vor unnöthig halte, sondern solches biß zu seiner Zeit versparen will, sind wir resolvirt, diesen Nachmittag, [617] als den 27. Nov. uns zu Schiffe zu begeben, und unter Göttl. Geleite abzuseegeln, weßwegen mit diesem Schreiben, auf dieses mahl, mein letztes Adieu von Ihnen nehme, und mit kurtzen Worten, jedoch getreuen Hertzen, Sie der Göttl. Vorsorgen empfehle, als in welcher alles unser zeitliches und ewiges Glück und Vergnügen beruhet, wie denn auch nicht zweiffele, daß sie uns Reisende mit in ihr tägliches andächtiges Gebet einschliessen werden. So ferne es mit Erlaubniß unserer Aeltern und Obern geschehen darff, vornehmlich aber es dem Himmel gefallen will, verspricht sich der Capitain Horn, ehe zwey Jahr völlig verlauffen, wieder an den Europäischen Ufern zu seyn, ob er aber eben in Amsterdam wieder anländen möchte, zweiffelt er annoch selbst. Ihnen, mein Herr, stehet nunmehro frey, in ihr Vaterland zu reisen, so bald es beliebig, doch bitte, mit dem Herrn G. v.B. und Herrn W. stets fleißig zu correspondiren, denn so bald sich der Capitain Horn selbst, oder ein anderer von uns Abgeordneter, bey einem von diesen beyden Herrn melden wird, soll er auch zugleich den fernern Verfolg unserer Geschichte mit sich bringen, welche ich ordentlich auszuarbeiten mir hinfüro noch mehr Mühe, als bißhero, geben werde. Tragen sie doch mittlerweile in ihrem Patria einige Sorge, uns eine hinlängliche Buchdruckerey [618] nebst darzu behörige Personen zu procuriren, jedoch nur auf den Fall, wenn der Capitain Horn oder jemand anders von uns sich bey ihnen meldet, damit es zu solcher Zeit nicht allzu grosse Weitläufftigkeiten und langes Warten verursachet. Denn ich halte davor, daß uns oder unsern Nachkommen, in zukunfft, obgleich eben itzo nicht, eine Buchdruckerey sehr nöthig seyn möchte. Vor innliegenden Wechsel-Brieff â 5000. Thlr. den ich Ihnen zum Abschiede verehrt haben will, wird Herr W. die Gewähre leisten, worbey nicht zweiffele, daß Sie solches Geld zu ihren guten Nutzen anwenden, anbey die Beförderung der Ehre GOttes, auch die Liebe des Nächsten nicht vergessen werden, ich vor meine Person verlange weder mündlichen noch schrifftlichen Danck, sondern eine getreue Freundschafft davor, die zu recompensiren alle fernere Sorge tragen werde, wofern der Himmel die Gelegenheit befördert. Solte mittlerweile etwas von besondern mechanischen oder andern curieusen Sachen beschrieben und ausgearbeitet werden, so bitte alles wohl zu notiren, auch wo möglich, in naturâ parat zu halten, damit unsere Gesandten keine Zeit zu verspielen nöthig haben. Bey künfftigen Geld-Mangel, zu dergleichen wird HerrG.v.B. Herr W. und mein Vetter in meiner Geburths-Stadt hoffentlich jederzeit zu helffen nicht verweigern, [619] welchem letztern beyliegendes Paquet Abschieds-Briefe, mir nächster Post zuzusenden sind, wie ich denn selbigen bey Gelegenheit, und so offt es möglich, zu besuchen bitte. Ich schliesse, weil mich alles an weitern Schreiben verhindern will, empfehle Sie derowegen nochmahls der guten Hand Gottes, und verbleibe


Monsieur,


votre fidele Ami

Eberhard Julius.


P.S.


So gleich bey Zusammenlegung des Briefes erfahre, daß einer von unsern 3. angenommenen Glaßmachern entlauffen ist, und den Capitain Horn mehr als 500.Ducaten entwendet habe, jedoch wir wünschen, daß sie ihm nicht nach Verdienste gedeyhen.

4.
[620] IV.

Monsieur,


Dessen glückliche Ankunfft in Zell, erfreuet mich noch vielmehr, als daß meine Ihm aufgetragene Commission nach Wunsche ausgerichtet worden, wovor aber höchlich verbunden bin. Die Pack-Fässer werden nunmehro vielleicht schon vor einigen Tagen in Magdeburg angelanget seyn. Hätte ich gewust, daß Sie Ihren anfangs gemachten Reise-Cours verändern würden, so hätte man erliche Thlr. Fracht Gelder menagiren können. Die eingelauffenen Antworts-Schreiben folgen hierbey, ingleichen ein Päcklein vermuthlich vergeßnes Zeuges, welches des Post-Geldes werth ist. Zukünfftiger Correspondenz wegen erwarte von Zeit zu Zeit Addresse, und verbleibe unter Emphehlung Göttl. Schutzes


M.H. Hn.


Hamburg, den 4.
Jan. 1730.

bereitwilligster Diener H.W.

5.
[621] V.
Edler etc.

Insonders Hochgeehrter Herr.


Vor das übersandte dancke freundlichst, und suche Gelegenheit, mich hinlänglich zu revangiren, wovon anbey eine geringe Marque gebe, bitte mir aber dabey aus, ehesten den Ort zu benahmen, wo Sie sich beständig aufzuhalten belieben werden; weiln vermercke, daß sie dißfalls noch nicht schlüßig sind. Beykommendes sub J.B.F. hat schon über 14. Tage in meiner Verwahrung gelegen, was es ist, weiß ich nicht. Mit Verlangten will nach erhaltener Nachricht ihres Auffenthalts hertzlich gern dienen, und dabey desto ausführlicher schreiben, jetzo fehlet Zeit, doch bin


Ew. Edl.


Hamburg, den 8.
Febr. 1730.

aufrichtiger Freund H.W.

Fußnoten

1 Dieses ist der gute Mensch, welcher, wie in der Vorrede des ersten Theils gemeldet worden, so unglücklich gewesen, vom Post-Wagen herunter zu stürtzen, und das Leben zu verlieren.

2 Solcher wird, Gisanders gemachter Ordnung nach, bey uns der 3te Theil werden.

Dritter Theil

Vorrede
Vorrede.
Sat cito, si sat bene.

Ein jedes gutes Ding will Zeit und Weile haben,

Den, der ihm günstig ist, um desto mehr zu laben.

Geneigter Leser!

Mit diesem uhralten Sprichworte, überreiche ich dir hiermit, pro nunc, den dritten und letzten Theil der Felsenburgischen Geschichte, und bringe denselben, als ob ich, wegen des langen Aussenbleibens, mich zu schämen Ursach hätte, nicht etwa unter dem Mantel, sondern frey und öffentlich hergetragen. Sey so gütig, denselben erstlich mit solcher Aufmercksamkeit, als die vorigen, durchzulesen, so wirst du mich hernach ohne allen Zweiffel entschuldiget halten, daß ich nicht ehe damit erschienen bin. Bekandt ists, und ich hätte, wenn ich nicht eines demüthigen Geistes wäre, fast Ursach, die Backen ein wenig aufzublasen, daß dieser dritte Theil, oder die fernerweitige Fortsetzung der Felsenburgischen Geschichte, von vielen schon vor 2. biß 4. Jahren inständigst verlanget worden, man ihnen aber zwar Hoffnung darzu machen, jedoch so gleich nicht damit aufwarten können, und nimmt sich kein Bedencken, nunmehro öffentlich zu gestehen, daß man durch falsche Nachrichten, als ob der Capitain Horn bereits angekommen wäre, schon zweymahl betrogen, mithin angereitzt worden, bemeldten dritten Theil in der nächsten Leipziger-Messe heraus zu schaffen. Jedoch Sit ut sit. Accidit in anno, quod non speratur in puncto. Nun ist er ja doch da, und kan allen denjenigen die Mäuler stopffen, welche judicirt haben: Gisander wolte, möchte, könte und NB. dürffte auch wohl nicht, sich unterstehen, denselben ans Tages-Licht zu bringen. Lächerlich ist mirs vorgekommen, daß einem Deutschen Longobarden die Zeit, selbigen zu sehen, gar zu lang werden wollen, weßwegen er, über schon gedachte Muthmassungen, ausgesprengt, Gisander wäre gestorben, und hätte, vielleicht aus Neid, Mons. Eberhard Julii Manuscript in seinen Sarg legen und mit sich begraben lassen, wannenhero, um die curieuse Welt zu vergnügen, seiner Schuldigkeit gemäß zu seyn, erachtet, selbigen auszugraben, oder, welches fast eher zu glauben, einen dritten Theil ex Koppo zu fingiren, und vor rechtmäßig auszugeben. Allein, Gisander lebet noch, und schreibt fast alle Tage, und weil er unter seinen Kindern noch zur Zeit keinen Spurium leiden will, hätte er zwar dessen Gestalt gern sehen und belachen mögen, würde aber denselben ohngebrandtmarckt nicht von sich gelassen haben. Will Herr Longobardus etwas schreiben, so hielte davor, er thäte besser, wenn er sich sonst woran machte, oder immerhin etwas fingirte, um der Welt zu zeigen, daß er keinen zugemauerten Kopff habe, anderer Leute angefangene Arbeit aber, ehe er darzu beruffen wird, ungehudelt zu lassen, denn es fällt ja, dem gemeinen Sprichworte nach, nicht einmahl ein Sch-eerenschleiffer, dem andern gerne ins Handwerck.

Sonsten hat auch jemand, welcher, weil er mit einem schlechten Kahne gar bald in die offenbare See rudern kan, (sich derowegen etwa kein Bedencken nimmt, auch zuweilen von hohen Personen, freyer, als es erlaubt ist, zu sprechen) den zweydeutigen Urtheils-Spruch, über Gisandern und dessen heraus gekommene 2. Theile der Felsenburgischen Geschichte, gefället: Ex ungue leonem; auch sonsten davon in die Welt geschrieben, was ihm eben in den Kopff gekommen; allein, was ist daraus zu machen, man könte gegen dieses, den Leuten auch Sprichwörter aufzurathen geben, e.g. Asinus apud Cumanos; wenn nur Lucianus dieses nicht so gar deutlich erkläret hätte.

Jedoch Schertz und alles bey Seite! Gisander ist vergnügt, daß die 2. erstern Theile der Felsenburgischen Geschichts-Beschreibung von unzähligen Lesern wohl aufgenommen worden, zweiffelt also sehr, daß dieser, als der Dritte und Letzte, mit scheelen Augen angesehen, oder gar verworffen werden solte, ohngeachtet derselbe etwas länger, als man vermeynet, aussen geblieben. Wie schon gesagt, in der Geschicht selbst wird sich finden, daß nicht Gisander, sondern andere Umstände daran schuldig sind, weßwegen ich mich auch hier in der Vorrede eben nicht weitläuftigdefendiren und excusiren will und mag.

Ubrigens, da nunmehro ziemlicher massen versichert bin, daß mein Vortrag seit Anno 1730. sehr vielen Liebhabern gedruckter Historischer Sachen gantz angenehm zu lesen gewesen, werde nicht allein auf künfftige Michaelis-Messe 1736. G.G. den, in der Vorrede des Isten Theils versprochenen Soldaten- Romain, welcher jedoch lauter wahrhaffte Geschichte in sich hält, zum Vorscheine bringen, sondern auch andere, schon parat liegende, curieuse Reise-Beschreibungen und Lebens-Geschichte der Personen von mancherley Standes, kund zu machen, nicht saumselig seyn. Der ich mich zu fernerweitigen Wohlwollen recommandire, und allstets beharre


Des geneigten Lesers


Raptim an der Wilde,
d. 2. Dec.
1735.

Dienst-beflissener Gisander.

Wunderliche Fata Einiger See-Fahrer. Dritter Theil
[1] Wunderliche FATA einiger See-Fahrer. Dritter Theil.

Die ungemeinen Freundschafts-Bezeugungen und inständiges Bitten unsers Hertzens-Freundes, des HerrnH.W. in Hamburg, verursachten daß wir unsere Abreise von dar nach Amsterdam, immer von Tage zu Tage weiter hinaus schoben, wiewohl ich daselbst die wenigste Zeit müßig zubrachte, sondern meine meiste Sorge seyn ließ, alles dasjenige worauf ich mich nur immer besinnen konte, daß es uns auf der Insul Felsenburg nützlich und dienlich seyn könte, einzukauffen und anzuschaffen. Endlich aber da mir der Capitain Horn von Amsterdam aus, recht ernstliche Vorstellungen that, wie nunmehro ja nicht die geringste Zeit mehr zu versäumen wäre, sich zur Rück-Reise anzuschicken, zumahlen da wir in Amsterdam noch gar entsetzlich viel zu besorgen hätten, stellete ich solches meinen lieben Vater, Schwester und andern Reise-Gefährten aufs liebreichste vor, womit ich denn so viel auswürckte, daß sie sich resolvirten gleich morgendes Tages zu Schiffe zu gehen. [1] Herr H.W. wolte zwar durchaus nicht darein willigen, sondern bath was möglich war, nur noch eine eintzige Woche bey ihm zu verharren, allein, einmahl war der Schluß gefasset, und da er sahe daß es nicht anders seyn konte, gab er sich endlich mit unaffectirter Betrübniß darein, stellte aber, um selbige einiger massen zu vertreiben, einen herrlichen und kostbarn Valet-Schmauß an, worbey sich Trompeten und Paucken ja fast alle Musicalische Instrumenta die nur zu erdencken, die gantze Nacht hindurch Wechsels-weise hören liessen. Folgendes Tages reiseten wir nach genommenen zärtlichen Abschiede, aus dieses redlichen Freundes Behausung hinweg, nach unsern Schiffe, welcher uns nebst fast seiner gantzen Familie und andern guten Gönnern auf etlichen Gutschen das Geleite bis an die Elbe gab, und so lange daselbst verharrete bis wir uns völlig eingeschifft hatten. Unsere Reise-Compagnie so zusammen gehörete, bestund aus folgenden Personen: 1.) Mein Herr Vater. 2.) Meine liebste Schwester. 3.) Mons. Schmeltzer, 4.) Mons. Herrmann. 5.) Ich, Eberhard Julius. 6.) Jungfer Anna Sibylla Krügerin, 7.) Jungfer Susanna Dorothea Zornin. 8.) Meiner Schwester Aufwarte-Magd, Barbara Kuntzin. 9.) Johann Martin Rädler der Buchbinder welcher Mons. Schmeltzern bedienete. 10.) Christian Gebhard Ollwitz, ebenfalls ein Buchbinder, welchen Mons. Herrmann erstlich in Hamburg zu seiner Bedienung angenommen. 11. und 12.) Die 2 Sclaven welche mir Capit. Horn mit gegeben hatte.

Ich kan nicht sagen daß uns etwas verdrüßliches[2] auf der Reise bis Amsterdam begegnet wäre, ausgenommen, daß diejenigen welche ihr Lebtage noch auf keinem Schiffe gewesen waren, nehmlich die beyden Herren Geistlichen, die beyden Jungfern, die Magd und denn die 2 Buchbinders, eine, wiewohl noch ziemlich kleine See-Kranckheit, so bloß im Schwindel und Brechen bestund, ausstehen musten; worbey ich mich nur über die beyden Hrn. Geistlichen und den ersten Buchbinder verwunderte, daß es ihnen eben itzo ankam, da sie sich doch auf der Fahrt von meiner Gebuhrts-Stadt bis Hamburg, so ritterlich gehalten hatten.

Es war der 8. Octobr. da wir alle frisch und gesund in Amsterdam bey dem Capitain Horn anlangten, und derselbe gab mir, nachdem er uns mit erfreutem Hertzen bewillkommet hatte, fast eine kleine Reprimande, daß ich so lange aussen gewesen, weil er aber die Avanturen meiner Schwester in Schweden nicht wuste, muste ich ihm Recht geben, indem ich ihm solchergestallt die grösten Haupt-Sorgen fast einzig und allein auf dem Halse gelassen hatte.

In Wahrheit er hatte Ursache verdrüßlich zu seyn, weil nicht allein die besten Leute und Sachen, so er und ich verschrieben hatten, noch nicht halb angekommen waren, sondern weil ihme durch einige heimliche Feinde und Mißgönner verschiedene böse Streiche gespielet worden und er bereits unter der Hand vernommen, daß uns vor und bey der Abfahrt noch mehrere und ärgere gespielt werden dürfften. Ich redete ihm zu, daß allhier mit einer klugen List, sonderlich aber mit Gelde alles zu [3] zwingen stünde, worauf er zur Antwort gab: Ja mein Herr! wir haben allem Ansehen nach gewaltige Summen ausgegeben, hier ist die Rechnung, von dem was ich an Baarschafft unter Handen gehabt, zur Rück-Reise brauchen wir auch Geld. Ich muste lachen über seine unnöthigen Sorgen, sagte aber Mons. Horn! hier ist meine Rechnung auch, von dem was ich in Europa ausgegeben habe, das meiste wie ich mercke, ist schon bezahlt, und vor das übrige was wir etwa noch brauchen, werden wohl 200000 Thlr. hinlänglich seyn. Ach ja! sprach er, allein wir brauchen noch vielmehr, ehe wir wieder nach Felsenburg kommen. Meynet ihr denn, replicirte ich, daß, wie ich aus allen Umständen und unser beyder Rechnungen vermercke, wir wohl den 4ten Theil von dem Schatze verthan hätten, welchen mir der Alt-Vater allein mitgegeben hat, des Capitain Wodley Kostbarkeiten ohngerechnet. Mein Rath wäre, wir kauften noch ein Schiff und nähmen noch mehr Waaren mit nach Felsenburg, denn was hilft das, wenn wir ihnen viel Geld, Gold, Perlen und Edle-Steine wieder zurück bringen.

Horn sahe mich starr an, ich aber lachte und sagte: Mein Herr wolt ihr mir nicht glauben, so kommet und sehet das an, was ich nicht aus Falschheit vor euch verhöhlet, sondern geglaubt habe, es sey euch schon bekandt und keiner fernern Rede werth. Da ich ihm nun binnen etwa 2 Stunden alles gezeiget, wuste er sich nicht genug zu verwundern, daß wir so viel verthan und doch so sparsam gewesen wären. Was aber anbelangte, noch ein Schiff [4] zu erkauffen, war sein Rath durchaus nicht, sondern er sagte: Wir würden genung zu thun haben, wenn wir nur mit einem Schiffe ungehudelt von Amsterdam hinweg kämen, dieserwegen dürften wir auch etliche 1000 Thlr. Spendagen nicht ansehen, damit wir nur nach unsern Belieben einladen dürften, was wir wolten, und gute Pasporte bekommen möchten. Uberdieses wäre unser Schiff auch groß genung, mehr als uns committirt wäre, und als man in Felsenburg brauchte, darauf zu laden, es sey denn daß wir mehr Vieh, als er bereits bestellet, mit nehmen wolten, hierzu gehöreten aber auch mehr Leute, je mehr Leute aber, je mehr Verräther und man brauchte ja ohnedem auf Felsenburg keine andern Manns-Personen mehr, als solche Hand-Wercker und Künstler, die noch nicht da, doch aber daselbst nöthig wären.

Nunmehro war ich seiner Meynung wohl verständiget und gab ihm in allem Recht, nachhero berathschlagten wir, wie wir unsere Affairen per tertium tractiren, diesem und jenem die Hände vergolden und sonsten alles anstellen wolten, waren auch krafft unserer gelben Pfennige endlich mit grosser Mühe so glücklich, daß wir binnen weniger Zeit, nicht allein tüchtige Pasporte, sondern auch alles andere erhielten was wir verlangten.

Mittlerweile, ob wir gleich die beste Beqvemlichkeit und sonsten alles hatten was unser Hertze begehrete, so bekam doch meine liebe Schwester ingleichen Mons. Herrmann einen Zufall vom Fieber, wurden aber bald wieder davon befreyet.

Wenig Tage hernach geschahe das Verlöbniß [5] meiner Schwester mit Herrn Jacob Friedrich Schmeltzer, welches meinem lieben Vater und mir eine besondere Freude erweckte.

Endlich um Martini kamen unsere von andern Orten her verschriebene Sachen fast alle auf einmahl an, auch hatten sich die angenommenen Handwercks-Leute, bereits in dem ihnen angewiesenen Wirthshause versammlet; wovon jedoch einer von den 3 Glaßmachern, die der Capitain Horn angenommen, diesen aber am meisten getrauet, und ihn nur einmahl auf seine Kammer geschickt, schelmischer weise entlief und dem Capitain einen Beutel mit 500 Ducaten entwendete. Von alten denen so wir mit nach Amsterdam gebracht, und die versprochen hatten zu Ende des Augusti wieder zu kommen und noch eine Fahrt mit uns zu thun, kam kein eintziger zurück, wir sahen es auch gantz gern, und zwar gewisser Ursachen wegen. Jedoch die 3 Schiffs-Officiers welchen Capitain Horn monatlich ihren gewöhnlichen Sold gegeben, weil sie so treulich bey ihm hielten und denn die 9 Sclaven, waren diejenigen noch, die mit gekommen waren, und auch gutwillig wieder mit zurück wolten. Oberwehnte 3 Officiers hatten auch Matrosen zur Gnüge angeworben und sonsten alles so wohl veranstalltet, daß wir am 27 Nov. 1729. insgesammt wohl vergnügt von dannen abseegeln konten, worbey wir das Vergnügen hatten, daß unser besonderer Freund und Wohlthäter Herr G.v.B. uns das Geleite biß Portugall zu geben, ihn aber im Hafen Port à Port auszusetzen, sich ausbath, welches denn auch geschahe, nachdem wir biß dahin eine sehr geruhige Fahrt gehabt.

[6] Noch eins hätte ich bald vergessen! Tags vorhero ehe wir abreisen wolten, als ich meine Schwester, welche noch ein und andere Kleinigkeiten einzukauffen willens war, an der Hand durch eine enge Strasse führete, jedoch aber von 6 des Horns Sclaven begleitet wurde, begegnete mir ein Mensch in Betilers-Habit, welcher so gleich die Hände über dem Kopffe zusammen schlug, fast laut zu schreyen und zu heulen anfing und sich in einen Winckel verkroch. Meinen und meiner Schwester Gedancken nach, war es ein rasender Mensch, weßwegen meine Schwester einen Holländischen Gulden aus der Ficke zohe und selbigen diesen Armseeligen durch einen Sclaven wolte einhändigen lassen. Indem drehete sich dieser Elende mit dem Kopffe in etwas wieder herum, da wir denn gleich erkandten, daß es mein Schwedischer Dollmetscher war, der mir und meiner Schwester so viel gute Dienste gethan hatte. Hierbey muß ich melden, daß ich ihm auf der Reise seine Besoldung nicht allein redlich bezahlt, sondern auch, weil ich ihn nicht weiter nöthig zu seyn erachtete, biß in meines Vaters Hauß, ihm nebst vielen Dancke, noch 50 Ducaten gegeben und gemeldet daß er nunmehro in GOttes Nahmen wieder nach Hause reisen könte. Mein Vater und meine Schwester hatten ihm gleichfalls, jedes 10 Ducaten geschenckt, derowegen rieff ich voller Bestürtzung aus: Hilff Himmel Mons. van Blac wie treffe ich euch hier also verändert an? Ach mein Herr, gab er mit thränenden Augen zur Antwort: ich bin der unglückseeligste Mensch von der Welt, 500 Gulden und noch ein [7] mehreres habe ich in wenig Wochen von eurer Generositeè proficiret und alles wohl zu Rathe gehalten, auch vor mich sonst noch 200 fl. gehabt, wormit ich mich auf die Reise anhero gemacht, um entweder nach Ost- oder nach West-Indien mit zu gehen und mit diesem Gelde noch ein mehreres zu erwerben, allein ich bin vor wenig Wochen unter Mörder gefallen, welche mich nicht allein meines Geldes und meiner Kleyder beraubt, sondern auch meinem Leibe viele Wunden zugefügt, jedoch ein mitleydiger Artzt hat diese letztern glücklich curirt, da ich aber keinen Deut im Leben hatte, sahe ich mich genöthiget das Brod vor den Thüren zu suchen.

Der Mensch jammerte mich, denn es war ein artiger Kerl, der sein gut Latein, Holländisch, Englisch, Schwedisch, Dänisch, Spanisch, Italiänisch etc. etc. sprechen konte, derowegen befahl ich einem Sclaven diesen Menschen so lange in unser Qvartier zu führen und wohl zu verpflegen, biß wir wieder nach Hause kämen, welchem Befehle dieser so gleich gehorchte. Meine Schwester expedirde ihre Sachen bald, sagte aber im zurückgehen: Mein Brüderchen, wenn dieser arme Mensch will, so bitte ich euch, nehmet ihn aus Barmhertzigkeit mit nach Felsenburg. Mein Hertz! gab ich zur Antwort wenn es euer Liebster und der Capitain Horn vor rathsam halten, nehme ich ihn gern mit, zumahlen da ihr vor ihn bittet.

So bald wir in unser Logis kamen, sahen wir daß nicht allein alle unsere Leute, sondern auch der Capitain, Herr Schmeltzer und Herr Herrmann um den Armseeligen herum stunden. Der Capitain [8] hatte ihm etwas Bisqvit und Wein geben lassen woran er sich labte; indem aber ich mich nur blicken ließ, sagte der Capitain: Monsieur wenn es euch gefällig ist, wollen wir diesen Menschen mit nach Felsenburg nehmen, denn Herr Schmeltzer meynt, daß er wegen der vielen Sprachen die er ex fundamento verstehet, einen guten Præceptorem abgeben könte. So ist, versetzte ich, meiner Schwester Bitte erfüllet. Horn lachte und sagte: so ist dieses bejammerns-würdigen Menschen Wunsch erhöret, derowegen will ich so gleich auf den Trödel schicken und ihm das beste Kleyd so da ist, bringen lassen, denn wir haben keine Zeit ihn neu zu kleyden. Augenblicklich schickte er fort, ich und meine Schwester aber wandten uns zu dem Mons. van Blac und fragten: ob er mit uns nach Ost-Indien fahren wolte? Ach! seufzete er, wenn ich so glücklich seyn könte mein Leben in Dero Diensten zu enden. Wir wollen euch, gab ich ihm zur Antwort, nicht zu unsern Diener, sondern zu einem Mit-Genossen, unsers, mit GOtt zu hoffen habenden Glücks und Vergnügens machen, auch eure zeitliche Wohlfahrt möglichstens befördern. Er küssete hierauf meinem Vater, mir, meiner Schwester und dem Capitain Horn die Hände und versprach, daferne er in unserer Gesellschafft mit reisen dürffte, so bald es von ihm verlangt würde, den Eyd der Treue abzulegen. Bald hernach kamen verschiedene Kleyder, der Capitain Horn kauffte ein rothes, und noch ein braunes, welche beyden ihm am besten passeten, und also war unserMons. van Blac wieder ein Kerl, der Abends mit bey uns zu Tische sitzen konte, indem wir uns seiner [9] Gelehrsamkeit und guter Conduite wegen, auch seiner Person gar nicht zu schämen hatten. Sonsten war er ein Mensch von ohngefähr 30 Jahren, sahe wohl aus von Gesichte, und ob ihm schon die Mörder bey letzterer Rencontre 2 Hiebe ins Angesichte gegeben hatten, so hatte er doch sonsten an den Gliedern welche ebenfalls bleßirt worden, nicht die geringste Lähmung.

Ich habe mich nicht umsonst bemühet, diese geringscheinende Avanture so weitläufftig zu erzählen, denn der Verfolg dieser Geschichte wird zeigen, daßvan Blac nachhero bey unserer Gesellschafft und gantzem Geschlechte eine recht bemerckens-würdige Person worden und man dabey die sonderbare Führung des Verhängnisses zu betrachten Ursache habe. Jedoch wieder auf unsere Reise zu kommen, so hatten wir, nachdem Herr G.v.B. nebst seinen Sachen im Portugiesischen Hafen Port a Port ausgesetzt war, von dar biß zu den Canarischen Insuln die allerangenehmste Fahrt, weßwegen ich eines Tages meinen Vater ersuchte, mich doch zu berichten, wo er sich nach seinem gehabten Unglücke An. 1725. hingewendet, und wie es ihm sonsten unter der Zeit ergangen? Es war derselbe bereit mir zu willfahren, sagte aber, weil seine Fatalitäten eben keine besondern Geheimnisse wären, so dürfften meine Schwester, der Capitain Horn, und die beyden Geistlichen, wie auch van Blac dieselben wohl mit anhören, weßwegen ich itzt gemeldte Personen insgesammt in unsere Kammer beruffte, worauf mein Vater also zu reden anfing: Von dem kläglichen Schicksale meiner Vor-Eltern könte ich eine weitläufftige [10] und vielleicht nicht unangenehme Erzählung machen, auch selbige mit glaubwürdigen alten schrifftlichen Urkunden erweißlich machen, allein es mag solches biß auf eine andere Zeit versparet bleiben, und ich will voritzo nur von meiner eigenen Person, auch gehabten Glücks- und Unglücks-Fällen, so kurtz als möglich Bericht erstatten, damit doch ein jeder von ihnen recht wisse wer ich sey und wie das Schicksal mit mir gespielet hat.

Mein Nahme ist Franz Martin Julius, gebohren d. 13 Jun. 1680 und zwar von solchen Eltern, die eben nicht reich, jedoch bey jedermann ein gutes Gerüchte hatten, denn mein Vater Christianus Julius war Steuer- und Zoll-Einnehmer im Lüneburgischen, muß sich aber nicht viel Sportuln dabey gemacht haben weil meine Mutter nach dessen Tode ausser den standes-mäßigen Meublen vor sich, mich und 2 Schwestern, kaum 600 Thlr. baar Geld aufzuweisen hatte, jedoch war dabey noch ein eigenes Häußgen und etwas Feld, welches ohngefähr auf 1000 Thlr. geschätzt werden konte, hergegen hatte meine Mutter 800 thlr. baar Geld eingebracht.

Mein seeliger Vater starb An. 1694. da ich 14 Jahr alt war, und also vor mich noch viel zu frühzeitig. Folgendes Jahr darauf folgte ihm meine jüngste Schwester im Tode nach, da sie nur 12. Jahr alt war und bald hernach verheyrathete sich meine Mutter mit demjenigen wieder, der meines Vaters Dienst bekommen hatte, behielt auch mich und meine ältere Schwester Dorotheen Sibyllen bey sich, indem der Stief-Vater ein sehr gütiger Mann war, mich nicht allein fleißig zur Schule hielt [11] sondern auch täglich selbst etliche Stunden privatim informirte endlich aber in eine grosse Stadt zu einem vornehmen Kauff- und Handelsmanne, um bey selbigen die Handlung zu erlernen, brachte, auch hinlängliche Caution vor mich machte. Ich führete mich zeitwährenden meinen Lehr-Jahren, ohne Ruhm zu melden, so auf, daß mein Herr und meine Eltern wohl zufrieden mit mir waren; sonsten aber paßirte mir in meinen Lehr-Jahren diesernotable Streich: eines Abends da mein Herr sich mit etlichen frembden Kauff-Leuten in einem Wein-Hause befand, muste ich mit der Laterne dahin gehen, denselben nach Hause zu leuchten, allda hörete ich nun verschiedene Handels-Gespräche, ein eintziger frembder Kauffmann aber, saß beständig in sehr tieffen Gedancken, weßwegen mein Herr, der vom Weine ein wenig lustig worden war, aufstund, ihn auf die Schulter klopffte und sagte: betrübet euch nicht, mein Herr! vor der Zeit, denn das Schiff kan noch glücklich zurück kommen. Ja ja! antwortete jener, mein Herr! wollet ihr mir 10000 gegen 20000 setzen. Mein Patron war ein ungemein reicher Mann und gar gewaltiger Hazardeur, weßwegen er ohne langes Bedencken heraus fuhr: Wa topp! kömmt das Schiff mit der Ladung zurücke, so zahlet ihr mir 20000 Thlr. ist es verlohren gegangen, so zahle ich euch 10000 Thlr. Der Frembde ließ sich ebenfalls nicht lange nöthigen, sondern schlug zu, die andern musten Zeugen seyn, derContract wurde mit wenig Zeilen errichtet und behörig unterschrieben, hierauf ging ein jeder seines Weges.

So bald mein Herr in die freye Luft kam, mochte[12] ihm anders zu Muthe werden, denn er sprach zu mir:Franz! was habe ich gemacht, 10000 Thlr. ist eine schöne Summa, aber 20000. ist gleich noch einmahl so viel. Meine Antwort war: Das ist gewiß, allein mir stehen alle Haare zu Berge, wenn ich daran dencke; Ach wolte doch der Himmel daß das Schiff wieder käme! Das müssen wir erwarten, versetzte er, kömmt es nicht, so bin ich deßwegen noch lange nicht ruinirt, kömmt es aber so solst du vor deinen guten Wunsch, 1000. Thlr. von meinem Gewinste haben. Ich glaubte nicht daß es Ernst wäre, dachte aber doch, daß, wenn das Schiff käme, mir mein Patron vor die Worte so er in Trunckenheit gesprochen, wenigstens ein neues Kleyd schencken würde, schloß derowegen dieses Schiff allezeit mit in mein Morgen- und Abend-Gebeth, seufzete auch öffters bey Tage im Laden: Ach GOtt! hilff doch, daß das Schiff glücklich zurück kömmt; welches, wie mir mein Herr nachhero erzählet, er öfters gehöret und heimlich darüber gelacht hat. Etwa 8 Wochen darnach schreibt mein Herr ohne mein Wissen an meine Eltern, daß beyde, oder wenigstens Eins von ihnen auf seine Unkosten zu ihm kommen solten, weil er etwas nothwendiges mit ihnen zu sprechen hätte. Meine Eltern erschrecken und meynen, daß ich etwa gar zum Schelme geworden wäre, setzen sich derowegen beyde auf einen Wagen und kamen in meines Herrn Hauß. Es war eben Zeit zur Mittags-Mahlzeit, weßwegen sie mein Herr so gleich zu Tische führete, jedoch bey Tische von lauter indifferenten Dingen redete, nach der Mahlzeit aber in sein Cabinett gieng, einen grossen Sack [13] voll Geld heraus brachte und sagte: Meine lieben Freunde! ich bin so glücklich gewesen, auf ein vor verlohren gehaltenes Schiff, durch Wetten, 20000 Thlr. zu gewinnen, und habe mich, da ich dieselben vor etlichen Tagen ausgezahlt bekommen, erinnert, daß ich ihrem Sohne, meinem Frantz 1000 Thlr. davon versprochen, alldieweiln er sein redlich Hertze bißhero in allen Stücken gegen mich gezeiget, hier sind die 1000 Thlr. man kan ihm dieselben auf Zinsen austhun, biß er mit GOtt seine eigene Handlung anfängt.

Es wird leichtlich zu glauben seyn daß meine Eltern und ich anfänglich von Bestürtzung und Freude eingenommen, gäntzlich verstummeten, endlich aber da mein Patron mit Lächeln zu mir sagte: Nun wie stehets? Frantz, bin ich nicht ein Mann der sein Wort redlich hält, und meynest du nicht, daß dir dieses Geld einmahl eine gute Beyhülffe seyn kan, eine eigene Handlung anzufangen? brach endlich das Band meiner Zunge, ich küssete ihm die Hand und danckte mit den verbindlichsten Worten vor so ein grosses unverhofftes Geschencke, meine Eltern spareten gleichfals nichts, ihre schuldigste Danckbarkeit meinetwegen zu erkennen zu geben, bathen aber den Patron, doch selbsten die Güte zu haben und diese Gelder auf Zinsen auszuthun, welches er sich denn nicht wegerte, ihnen hingegen eine schriftliche Obligation auf 1000 Thlr. gab. Mein gütiger Patron beschenckte mich nachhero mit noch allerley Sachen deren ich bedürftig war, denn die Generositée schien ihm angebohren zu seyn, bey so vielen Mitteln aber die er hatte, wunderte sich ein [14] jeder, daß er nicht geheyrathet, auch nicht heyrathen wolte, sondern seine Schwester die eine alte Jungfer war, führete die gantze Wirthschafft, im Gewölbe aber befanden sich 3 Diener und 2 Lehrlinge unter welchen ich des Patrons Vertrauter war.

So bald meine Lehr-Jahre überstanden waren, recommandirte mich mein Patron in die berühmte Handels-Stadt D. an einen Kaufmann, welcher einen erstaunlichen Verkehr hatte, und ich war noch kein Jahr bey diesem meinem neuen Herrn gewesen, als derselbige meine Fähigkeit merckte, auf meine Treue ein grosses Vertrauen setzte, dannenhero mich in seinenNegotiis erstlich nach vielen berühmten Handels-Städten Deutschlandes, nachhero auch nach Rußland, Polen, Schweden, Dänemarck, Holland, Engelland, Portugall, Spanien, Franckreich und Italien verschickte, da ich denn so glücklich war, das mir aufgetragene jederzeit ihm zum Vergnügen auszurichten, weßwegen ich mir denn, weil ich sehr sparsam lebte, auf meinen Reisen nicht allein ein gut Stück Geld sammlete, sondern auch von meinem Herrn zum öftern reichlich beschenckt wurde.

Endlich, da An. 1705. ein Handelsmann in selbiger Stadt verstarb und nebst seiner 70 Jahr alten Frauen nur einen eintzigen Sohn hinterließ, welcher ein vornehmer Rechts-Gelehrter war und in einem honorablen Amte saß, begieng dieser mein Patron die Redlichkeit an mir, daß er mir nicht allein behülflich war diese Handlung anzutreten, sondern auch schon gemeldten Rechts-Gelehrtens Tochter zu heyrathen, mit welcher ich ein schön Stück [15] Geld überkam, so daß ich im Stande war, mit meinem bißherigen Hrn. und Patron in Compagnie zu handeln.

Durch unermüdeten Fleiß, vornehmlich aber durchs Glück und GOttes Seegen, wurde ich in wenig Jahren einer der stärcksten Handels-Leute in D. so daß mei nen nunmehrigen Compagnon sehr weit übersehen konte, doch war dieser deßwegen nicht neidisch, sondern blieb mein vertrauter Freund, weßwegen ich ihn denn zu verschiedenen mahlen mit gewaltigen Geld-Summen secundirte.

Mit meiner Liebste lebte ich von Anfange an, bis zu ihrem Tode, in der allervergnügtesten Ehe, denn sie war sehr schön, tugendhaft, sonsten aber von sehr zärtlicher Leibes-Beschaffenheit. Die Pfänder unserer Liebe sind dieser mein Sohn Eberhard Julius, welchen sie mir An. 1706. den 12 May, und diese meine Tochter Juliana Louise, die sie den 7 Nov. 1709. zur Welt gebahr.

Wie nun aus allen dem was ich bißhero erzählet genungsam abzunehmen, daß mir das Glück in allen Stücken sehr gewogen gewesen und ich binnen so viel Jahren wenig Verdruß, vielmehr recht guten Genuß gehabt und vollkommen vergnügt leben konte, ließ ich doch meinen Fleiß in der Handelschaft gar nicht sincken, die Haupt-Sorge aber war, meine beyden Kinder, welche von ihrer Mutter hertzinniglich geliebt wurden, recht wohl zu erziehen, weßwegen ich ihnen denn von Jugend auf eigene informatores hielt, die sie im Christenthume und andern Wissenschafften unterrichten musten. Unter allen hat mich keiner besser vergnügt, als der [16] redliche Hr. Mag. Ernst Gottlieb Schmelzer, dem GOtt heute in Felsenburg einen guten Tag gebe. Er war 4 Jahr lang und zwar von 1716 biß 1720 bey mir und wäre ohnfehlbar länger geblieben, wenn ihm nicht unruhige Köpffe hinweg gesprengt hätten. Jedoch die Vorsicht des Himmels hat es vielleicht mit Fleiß also fügen wollen. Inzwischen fing das Glück, welches mich bißhero so freundlich angelacht, auf einmahl an, mir die empfindlichsten Streiche zu spielen, denn An. 1724. am 16 Apr. raubete mir der Tod meine hertzgeliebteste Ehe-Gattin in Kindes-Nöthen sammt der getragenen Leibes-Frucht. Mein Compagnon dem ich gar gewaltige Summen zugeschossen, wurde Banqverot und blieb über 2 Tonnen Goldes schuldig, weil er in gewissen Stücken allzuviel hazardirt hatte, wiewohl was will ich von ihm sagen, ich war ja selbst ein Narre und hatte mich in den Actien-Handel dergestallt vertiefft, daß ich bey deren damahligen Verfall auf die 100000 Frantz-Gulden einbüssete. Alles dieses aber hätte mich dennoch nicht in gäntzlichen Verfall gebracht, wenn nicht die letzte Hiobs-Post gekommen wäre, daß, das mehrentheils auf meine eigene Kosten nach Ost-Indien ausgerüstete Kauffarthey-Schiff an den Africanischen Küsten von den See-Räubern erobert und ausgeplündert worden. Diese schlug meine Courage und Credit auf einmahl völlig darnieder, weßwegen ich mich gemüßiget sahe, Hauß, Hof, Gewölbe, Stadt und alles mit dem Rücken anzusehen, demnach nahm ich meine Baarschafften und kostbaresten Sachen zusammen, ließ das übrige alles in Stiche, schaffte aber vorhero[17] meine alhier gegenwärtige Tochter mit 2000 Frantz-Gulden nach Schweden zu einer Anverwandtin von ihrer Mutter, meinem Sohne, der damahls auf der Universität zu Leipzig studirte, schickte ich nebst einemlamentablen Briefe, worinnen ich ihm mein zugestossenes Unglück vermeldete, eben so viel und trat ohne jemands Vermercken eine Reise nach Portugall an, um von dannen mit einem guten Freunde und Correspondenten die Tour entweder nach Ost- oder West-Indien zu thun, und zu probiren, ob ich daselbst mein verlohrnes Glück wieder günstiger, oder den Todt finden könte.

Ich machte mir kein Bedencken, meinem Portugiesischen Freunde und bißherigen starcken Correspondenten, der sich Don Juan d'Ascoli nennete, meine gehabten Unglücks-Fälle ausführlich zu erzählen, zeigte ihm auch mein überbliebenes Capital, worauf er so gütig war, noch eine starcke Summe darzu zu schiessen und noch ein Schiff vor mich in Beschlag zu nehmen, auch mit mir in Compagnie der Flotte, welche jährlich von den Portugiesen nach Brasilien geschickt wird, dahin abzuseegeln.

Die Fahrt war diesesmahl sehr verdrüßlich wegen der vielfältigen Stürme, doch endlich langeten wir glücklich in der ungemein grossen Bay vor S. Salvator an, welche sehr tief, aber sehr beqvem und sicher ist, es könten auch wohl auf die 2000 Schiffe, einander ohngehindert, darinnen liegen. Wir stiegen aus und nahmen unser Qvartier in der Stadt, welches die Haupt-Stadt in gantz Brasilien dabey sehr groß, treflich gebauet, reich und mit 3 Castellen wohl verwahrt ist. Die Einwohner sind dem Fressen, Sauffen[18] und allen andern Wollüsten ungemein ergeben, bekümmern sich wenig um die Arbeit, sondern ihre Sclaven müssen alles besorgen, weil die meisten Hauß-Wirthe ungemein wohl begütert sind, dannenhero war es mein besonders Glücke, daß ich in Portugall mein Geld an solche Waaren gelegt, die solchen wollüstigen Leuten in die Augen fielen, und dieserwegen konte ich in kurtzer Zeit alles mein mitgebrachtes zu Gelde machen und einen wichtigen Profit ziehen, welchen ich denn nebst dem allermeisten meines Capitals wieder anlegte und Ambra, Toback, Balsam, Saffran, Baumwolle auch etwas von Jaspis und Crystall, meistentheils aber Zucker darvor kauffte, als woran ich in Europa einen gewaltig starcken Profit vor mir sahe, auch sicher glauben konte, daß ich bey nahe die Helffte von meinen Verlohrnen wieder erworben, mithin wünschte, daß wir nur bald wieder abfahren möchten, indem ich gesonnen war, noch ein oder 2 Touren nach Brasilien zu thun, in Hoffnung dadurch wieder in meinen vorigen Stand zu kommen und alle meine Creditores biß auf den letzten Heller zu bezahlen.

Ohngeacht ich dasiges Orts nicht der geringste Handelsmann unter allen Mitgereiseten war, hatte ich doch das Glück, mich am allerersten expedirt zu haben, da wir aber nicht ehe als mit der Flotte abseegeln konten, wurde mir die Zeit ungemein lang. Es wolten mich zwar einige Wage-Hälse immer bereden, tieffer mit ins Land hinnein zu gehen, indem wir ein und andern wilden eingebohrnen Brasilianern verschiedene Kostbarkeiten an puren Golde und dergleichen umsonst abzwacken und uns damit bereichern[19] könten; allein ich hatte keine Lust darzu, sondern war vergnügt mit dem was ich schon hatte, und wolte mein Leben nicht in Gefahr setzen, indem mir die Einwohner zu St. Salvator erzähleten: daß die tieffer im Lande wohnenden Brasilianer würckliche Menschen-Fresser wären, sie schlachteten die Gefangenen gleich dem Viehe ab, wüsten von keiner Religion, ja sie hätten in ihrer gantzen Sprache kein eintzig Wort welches einen GOtt bedeutete; betheten hergegen den Teuffel an und erholten sich bey demselben Raths, jedennoch hätte man an ihnen wahrgenommen daß sie ihre Seelen vor unsterblich hielten. Sie wohneten nicht in Häusern, sondern in blossen Lauber-Hütten, schlieffen nicht in Betten, sondern in Netzen, und ihre gewohnliche Speise bestünde aus Brod, welches aus dem Meel einer Wurtzel Mendioca genandt, gebacken würde.

Alles dieses jagte mir so viel Schrecken ein, daß ich allen denen so mich zum Parthey gehen mit nehmen wolten, abschlägige Antwort gab; es blieb auch in Wahrheit mancher ehrlicher Mann von den mitgekommenen Europäern bey solchen Partheygängereyen aussen, der vielleicht von den wilden Brasilianern ist gefressen worden.

Hergegen blieb ich mehrentheils zu Hause in meinem Logis, bath dann und wann gute Freunde zu mir, die meiste Zeit aber vertrieb ich mit Bücher lesen oder mit Grillen über meine Fatalitäten, hierbey pressete mir das Angedencken über meine zurück gelassenen lieben Kinder zum öfftern viele 1000 Thränen aus.

Eines Tages kam ein junger Kauffmann, der ein [20] gebohrner Schwede, eben nicht allzu fein von Gesichte doch jederzeit sehr gefällig gegen mich gewesen war, unverhofft auf meine Kammer und traff mich in der grösten Bestürtzung an, denn ich weinete eben und die 3 Contrafaits, als meiner seel. Liebste und dieser meiner beyden Kinder lagen vor mir auf dem Tische. Ich gab meinen Aufwärter so gleich Befehl, ein und anderes herbey zu bringen, um diesen jungen, jedoch sehr reichen Schwedischen Kauffmann behörig zu bewirthen; mitlerweile wirfft dieser seine Augen auf dieContrafaits und fragte so gleich: Mein Herr! was sind das vor Bildnisse? Dieses erste sagte ich, ist meine ohnlängst verstorbene Liebste, die andern beyde stellen meine 2 zurück gelassenen Kinder vor. Ihr habt, gab der Schwede darauf, eine sehr schöne Frau gehabt, aber die Tochter ist noch weit schöner, wo befindet sich dieselbe? Voritzo, war meine Antwort, in Stockholm bey meiner Befreundtin. Glückseelig ist mein Vaterland, sprach er, eine solche seltene Schöne in sich zu haben. Ihr schertzet oder flattiret sehr, mein Herr sagte ich, denn da ich 2 mahl in Schweden gewesen bin, so kan versichern, daß ich weit schönere Gesichter darinnen angetroffen habe. Hierauf lenckte ich den Discours auf Handlungs-Affairen, der Schwede aber schien mir auf einmahl gantz melancholisch zu werden, welches er dem getrunckenen Coffeè Schuld gab, derowegen ich ihm ein gut Glaß Wein vorsetzte. Er trunck davon, sagte aber: mein Herr ihr habt einen recht guten Wein, aber so gut ist er doch nicht als derCanari, von welcher Sorte ich eine ziemliche Qvantität in meinem Logis liegen habe, weil es [21] noch sehr hoch am Tage, so seyd so gütig, mit mir dahin zu spatzieren, zumahlen da es nicht gar weit ist.

Auf oft wiederholtes Bitten ließ ich mich endlich bereden mit ihm in sein Logis zu gehen, allwo ich fand, daß er nicht gelogen, sondern einen gantz vortreflichen Wein hatte. Er erzeigte mir alle nur erdenckliche Höflichkeiten, gab mir Nachricht von sei nem gantzen Zustande und Wesen, zeigte eine gewaltige Menge Säcke die mit Gelde angefüllet waren, (dergleichen ich in meinem Wohlstande auch wohl so viel, und wohl noch mehr beysammen gehabt hatte)Summarum er offenbahrete mir sein gantzes Hertze, weßwegen ich bey dem guten Weine endlich auch treuhertzig wurde und ihm ebenfals mein gantzes Hertze offenbahrete. So bald er solchergestalt alles von mir erfahren, sagte er: Mein Herr! ich habe mehr, als ein vernünftiger Mensch in der Welt verthun kan, bin also im Stande euch so viel vorzuschiessen, als ihr vonnöthen habt eure Schulden völlig zu bezahlen und die Handlung von neuen anzufangen, bin auch bereit, euch so gleich 50000 Thlr. auf eure Handschrift zu zahlen, daferne ihr versprecht, mir eure schöne Tochter, deren Portrait ich heute gesehen, zum Ehe-Gemahl zu geben. Ich bitte euch, mein Herr! gab ich zur Antwort, fanget keine Sache an die euch etwa hernach gereuen möchte, sehet doch erstlich die Person selbst an, ob sie so beschaffen, wie sie der Mahler abgeschildert. Es ist zwar wahr, sagte Peterson, daß die Mahler zuweilen flattiren, allein ich fühle in meinem Hertzen, nachdem ich das Bild erblickt, gantz besondere Regungen und bin zufrieden,[22] wenn die Person nur halb so schöne, als sie abgeschildert ist. Ich gab mir viele Mühe, ihm diesen so plötzlich aufsteigenden Liebes-Appetit zu verweisen, biß wir wieder nach Europa kämen; da ich denn selbst mit ihm nach Stockholm reisen und ihm meine Tochter persönlich zeigen wolte, allein er ließ nicht ab, biß er mir 50000 Thlr. gegen eine blosse Handschrift so zu sagen aufgedrungen und den väterlichen Consens von mir erpresset hatte. Mit der Braut getrauete er sich bald fertig zu werden, inmassen sich, seinen Gedancken nach, ein Frauenzimmer durch kostbare Geschencke am allerleichtesten zur Liebe bewegen liesse.

Da ich nach Hause kam, waren die 50000 Thlr. schon daselbst, worbey einer von seinen Dienern die Wache hielt, und folgenden Morgen kam Peterson gantz früh, trunck mit mir Thèe und respectirte mich von nun an schon würcklich als seinen Schwieger-Vater, bath sich aber inständig das Bildniß meiner Tochter aus, allein ich schlug ihm solches rotunde ab und gab vor ich hätte geschworen, diese 3 Bildnisse mit Willen nicht von mir kommen zu lassen, so lange ich lebte und wenn mir auch jemand eine Tonne Goldes darvor geben wolte. Solchergestalt war er nur damit vergnügt, daß ich die 3 Bilder in meiner Kammer an die Wand anheftete und ihm die Erlaubniß gab, so oft als ihm beliebte zu mir zu kommen.

Die 50000 Thlr. legte ich an Zucker, Brasilien-Holtz, Thier-Häute und andere Brasilianische Waaren, wurde also von neuen ein ziemlich starcker Marchandeur. Don Juan d'Ascoli der Portugiese [23] war noch beständig mein getreuer Freund, ich hielt aber doch eben nicht vor rathsam, ihm das geheime Commercium zu eröffnen, welches ich mit Peterson hatte, ohngeacht wir 3 fast täglich beysammen waren.

Endlich da die Zeit kam, daß sich die Flotte wiederum Seegel-fertig machte, nach Europa zurück zu gehen, theileten wir 3 guten Freunde, unsere Waaren auf 3 Schiffe, damit wenn ja eines von denselben verunglückte, der Schade vor einen allein, doch nicht so groß seyn möchte. Don Juan d'Ascoli blieb auf einen, der Schwede Peterson aber blieb mit einem seiner Bedienten bey mir in meinem Schiffe und wolte sich durchaus nicht von mir trennen, um vielleicht nur das Vergnügen zu haben, sein geliebtes Bild täglich etliche mahl anschauen zu können.

Wir kamen, ohne einzigen Verdruß auszustehen glücklich wieder zu Lissabon an, allwo ich einen ziemlichen Theil meiner mitgebrachten Waaren mit gutem Profite zu Gelde machte, dem Don Juan d'Ascoli seinen Vorschuß und die Fracht-Gelder davon bezahlete, das übrige aber in Petersons Schiff einschiffte und mit demselben die Reise nach Schweden antrat um entweder unterweges oder in Schweden selbst, meine übrigen Waaren zu verkauffen. Vorhero aber hatte ich mit Don Juan d'Ascoli Abrede genommen, gegen die Zeit da die Flotte wieder nach Brasilien abginge, auch wieder bey ihm zu seyn und noch eine Fahrt mit ihm zu thun, woraus er denn sich ein grosses Vergnügen zu machen schien, ich aber hatte angemerckt, daß [24] er sehr gern mit mir in Gesellschafft seyn mochte, zumahlen da ich der Portugiesischen Sprache ziemlich mächtig war.

In Engel- und Holland, als bey welchen beyden Ländern, wir Petersons Affairen wegen anländeten, hätte ich meine übrigen Waaren mit ziemlichen Profit loß werden können, allein Peterson wiederrieth es mir und stellete vor, daß weil ich ja die Fracht bis Schweden frey hätte, ich daselbst oder in Dänemarck meine Waaren ungemein profitabler verhandeln könte, weßwegen ich ihm denn in diesen Stück Folge leistete und nachhero in der That befand, daß ich nicht übel gethan, sondern in Schweden mit denselben 2 pro Cent mehr erwarb, als ich in Engell-Holl- und Deutschland erworben hätte. Jedoch auf die Haupt-Sache zu kommen, so war dieses des Petersons allererstes Verlangen, so bald wir in Stockholm angekommen waren, ihm meine Tochter zu zeigen, wie nun dieses nicht zu versagen stunde, so nahm ich ihn gleich des ersten Tages mit in unserer Befreundtin Behausung, bey welcher sich dieselbe aufhielt und über meine Gegenwart vor Freuden fast aus sich selbst gesetzt wurde, hergegen wurde auch Peterson von närrischer Liebe gantz entzückt, und wenn ich es recht sagen soll, halb ausser Vernunfft gesetzt. Ich wolte mein Logis bey meiner Befreundtin und Tochter erwählen, allein Peterson ließ mit Bitten nicht ab, daß so lange wir uns in Stockholm aufhielten, ich ihm das Vergnügen gönnen möchte, mich in seinen Logis zu bedienen, weßwegen ich endlich versprach seinen Willen zu erfüllen. Peterson [25] machte sich gleich bey dieser ersten Visite viel Mühe, meiner Tochter Gegengunst zu erwerben, ich aber hielt noch zurück und wolte zum ersten mahle nichts von der vorseyenden Heyrath melden, erkundigte mich aber folgende Tage bey andern vornehmen Kaufleuten um Petersons gantzes Wesen, welche mir einstimmig dasjenige sagten, was ich von ihm selbst gehöret, wie er nehmlich als der eintzige Erbe seines vor wenig Jahren verstorbenen Vaters, einer der stärcksten Capitalisten unter allen Handels-Leuten in gantz Schweden wäre, seine ordinaire Wohnung aber in Nyköpping und nicht weit von selbiger Stadt ein vortreffliches Ritter-Gut in Besitz hätte. Hierauf begab ich mich zu meiner Tochter und that ihr in Beyseyn ihrer Baase den Vortrag, ob sie wohl gesonnen, den Herrn Peterson welchen ich vor einigen Tagen mit zu ihr gebracht zum Ehe-Gemahl anzunehmen, machte ihr auch eine Beschreibung von dessen gantzen Wesen und grossen Reichthümern, allein, da meine Tochter von der Ehe hörete, schien es nicht anders als ob sie von einem Schlag-Flusse gerühret wäre und die Frau Baase schrye: Ums Himmels willen, Herr Schwager, weg mit dem häßlichen Kerl und wenn er 1000 Millionen im Vermögen hätte. Nachdem ich aber meine Tochter alleine auf die Seite gezogen, stellete ich ihr vor, wie daß man im Heyrathen nicht allein auf die Schönheit des Gesichts und Leibes, sondern weit mehr auf ein redlich Gemüthe und gutes Auskommen sehen müste, welches von beyden letztern, bey Peterson vollkommen anzutreffen, indem ich seit der und der Zeit nichts lasterhaftes [26] an ihm verspüret; allein die arme Creatur fing bitterlich an zu weinen, zumahl da sie aus meinen Reden verspürete, daß es mein ernstlicher Wille sey und ich mir dadurch aus meinen Nöthen zu helffen gedächte; bath sich aber wenigstens einen Monat Bedenck-Zeit aus, welche ich ihr denn nicht abschlagen konte, dem Peterson dessen benachrichtigte und ihm die Freyheit ließ, seine Werbung selbst anzubringen, indem er meinen väterlichen Consens zwar völlig hätte, ich aber doch meine Tochter, welche biß dato noch keine Lust zum Heyrathen bezeugte, mit Gewalt darzu zu zwingen gar nicht gesonnen wäre, sondern ihm viellieber seine mir vorgeschossenen Gelder cum Inresse so gleich wieder baar bezahlen und mein Glück weiter suchen wolte.

Peterson wolte hiervon nichts hören, sondern blieb bey seinem Versprechen, mir mit mehr als noch einmahl so viel an die Hand zu gehen, übrigens solte ich ihn nur walten lassen, denn ob er gleich wisse, daß er meiner Tochter nicht galant genung in die Augen fiele, so würde sich doch durch öfftern Umgang und andere honetten Vortheile deren sich ein Verliebter gebrauchen müste, mit der Zeit alles geben. Demnach ließ ich ihm die Freyheit, sie täglich im Beyseyn ihrer Baase zu sprechen und erfuhr selbst von ihm, daß meine Tochter ihm zwar täglich höflicher und freundlicher, aber noch gar nicht verliebt begegnete, weßwegen er jedoch noch die allergröste Hoffnung hätte ihr Hertz zu besiegen.

Bey diesem allen versäumete ich, wie schon gemeldet, keine Zeit, den Rest, meiner aus Brasilien mitgebrachten Waaren loß zu schlagen und da ich [27] vollkommen damit fertig war, auch ein gut Stück Geld in der Hand hatte, machte ich mich zur Abreise nach D. fertig, nahm meine Tochter noch einmahl vor und erklärete derselben, wie es nur auf sie allein ankäme, mich wieder in vorigen Stand zu bringen, darum solte sie, wo es möglich wäre, diese Parthie nicht ausschlagen, und was dergleichen mehr war. Sie versprach mit weinenden Augen, ihren Sinn nach meinen Willen einzurichten, ich solte nur die gantze Sache nicht so gar eilig treiben, weiln ja Peterson von selbst so raisonable gewesen, ihr noch einige Frist zu verstatten. Hierauf nahm ich von allen mit recht bangen Hertzen Abschied, und bekam von Peterson das Versprechen mit auf den Weg, daß, wenn mir noch mit 50 oder mehr 1000 Thlr. gedienet, er mir selbige durch Wechsel übermachen wolte, jedoch ehe ich noch fort reisete, besann er sich dahin und zahlete mir ohne mein Verlangen noch 25000 Thlr. baar Geld, welches er eben selbiges Tages aus Franckreich übermacht bekommen hatte. Wiewohlen nun dieses, nebst meinen eigenen Geldern noch lange nicht hinlänglich war, alle meine Schulden zu bezahlen, so hatte doch die sicherste Hofnung, meine meisten Creditores mit halben Gelde und gantzen guten Worten ad interim zu befriedigen und mich aufs neue in Credit zu setzen.

Peterson ließ mich auf seinem eigenen Schiffe nach D. bringen und gab mir 2 von seinen getreusten Handels-Dienern mit, dergestalt langete ich gantz glücklich jedoch gantz unerkandt daselbst an, und trat bey meinem sonst immer gewesenen allergetreusten Freunde Herrn O.** ab, ließ auch alles mein [28] Vermögen in seine Behausung schaffen. Dieser redliche Mann verwunderte sich ziemlich, über meine Zurückkunft und war erfreuet, daß ich mich wieder von neuen daselbst etabiliren wolte, versprach mir auch alle möglichste Dienstleistungen, weßwegen wir denn etliche Tage nach einander meine Handels-Bücher vornahmen, die ich versiegelt in seine Verwahrung gegeben hatte und die Eintheilung machten, wie viel dieser oder jener Creditor haben, und wie ich meine Sachen etwa sonsten anstellen solte, damit ich mich wiedrum frey und öffentlich sehen lassen dürfte. HerrO.** tractirte meine gantze Sache, und es wuste niemand von meinen Creditoren, daß ich mich in seinem Hause aufhielt; brachte auch binnen wenig Wochen, meine Affairen auf einen solchen Fuß, daß meine Creditores ziemlich begütiget wurden, ich von der Obrigkeit einen Salvum Conductum erhielt, mich also wiederum auf der Börse zeigen und mein bißheroseqvestrirtes Hauß beziehen durffte.

Herr H.W. in Hamburg hatte nicht so bald Nachricht hiervon bekommen, als er mehr mir zu Gefallen als seiner eigenen Negocien halber nach D. kam, und mir so wohl des Capitain Wolfgangs als meines Sohnes Briefe vorlegte, ich lase zwar dieselben, hielt aber alles vor Mährlein und glaubte daß mein Sohn bloß aus Desperation zu Schiffe gegangen wäre, und sich vielleicht von einem listigen Vogel etwas hätte aufbinden lassen. Herr H.W. suchte mir dieses auf alle Art auszureden, allein ich war viel zu kleingläubig und dieser gute Freund resolvirte sich, seine Reise ferner nach Rußland fortzusetzen, [29] kam nach etlichen Wochen zurück und traf mich in einem üblen Zustande an, denn weil mein Sohn in alle Welt gegangen war und ich sast keine Hoffnung schöpfen konte ihn Zeit Lebens wieder zu sehen, meine Tochter aber aus Schweden mir die allerlamentabelsten Briefe schrieb, und zu meinem grösten Leydwesen endlich meldete, daß ihr nunmehro unmöglich fiele, den sonst ohnedem nicht wohlgestallten Peterson zu heyrathen, nachdem er mit einem gewissen Edelmanne in Händel gerathen, welcher ihm nicht nur viele starcke Blessuren im Gesicht und am Leibe angebracht, sondern auch fast das gantze Untermaul hinweg gehauen hätte; wurde ich vor grosser Betrübnis gantz melancholisch und wuste mir weder zu rathen noch zu helffen, verlangete aber beständig meine eintzige Tochter zu sehen, weßwegen Herr H.W. und Herr O. Anstalten machten und mich wieder nach Schweden überführen liessen, da immittelst meiner seel. Frauen Bruders Sohn, als ein sehr geschickter Handels-Diener meine neu errichtete Handlung fortsetzen solte. So bald ich in Stockholm angelanget, fand ich des Petersons Unglück mehr als wahr zu seyn, er traf wenig Tage hernach bey uns ein, und ich entsetzte mich selbst, ihn in solcher Gestalt zu erblicken, allein dem ohngeacht wolte er durchaus von meiner Tochter nicht ablassen, die Baase hatte er durch Geschencke auch dergestalt auf seine Seite gebracht, daß diese ihm in allen Stücken das Wort redete und so gar die empfindlichen Worte gebrauchte: Da meine Sachen so stünden, müste sich die Tochter nicht weigern in einen sauren Apfel zu beissen. Im Gegentheils [30] giengen mir die Jammer-Klagen meiner Tochter und die übrigen Grillen dergestalt im Kopfe und Hertzen herum, daß ich fast völlig melancholisch und so gar Bettlägerig wurde. Endlich fing meine Tochter an etwas aufgeräumter zu werden, und stellete sich, mir zu Gefallen, an, als ob sie den Peterson nunmehro gantz wohl leiden könte, auch die Heyrath mit ihm nicht ausschlagen wolte, sie ließ sich auch von ihrer Baase und ihm bereden, daß wir ingesammt, sonderlich mir zum Vortheil, um die Luft zu verändern, nach Niekœpping fuhren. Daselbst als ich sahe daß sich meine Tochter mit Peterson ziemlich wohl vertragen konte, bekam ich meine vorige Gesundheit bald wieder, sie war darüber sehr erfreuet, es mag ihr aber wohl nicht wenig Mühe gekostet haben, den innerlichen Kummer zu verbergen.

Nachhero wurde ich mit Peterson völlig eins, daß wir mit einander in Compagnie handeln wolten und er versprach mir trefliche Vortheile schloß einen ordentlichen Contract mit mir und bewegte mich dahin, wieder nach Hause zu reisen, um alles wohl einzurichten, ihm aber die Freyheit zu lassen, mit meiner Tochter so bald es sich schickte Hochzeit zu machen; worauf er denn mit den Geld-Säcken nachkommen und mich völlig ausser Schulden setzen wolte. Ich reisete demnach von Niekœpping ab und wieder nach Hause, hatte auch nicht die geringste Ursache an Petersons Versprechen zu zweiffeln, denn er war in mehr als zu guten Stande selbiges zu halten, doch war mein Hertze unterwegs immer voll lauter Unruhe und Bangigkeit, [31] auch noch einige Tage da ich schon zu Hause war und meine Sachen in guten Stande fand, biß HerrH.W. ohnverhofft von Hamburg abermahls ankam und mir nicht allein die fröliche Zeitung von der Wiederkunfft meines Sohnes, sondern auch gar gewaltige Geld-Summen und Wechsel-Briefe mit brachte, als womit ich alle meine Creditores gedoppelt hätte bezahlen köñen. Ich bezahlete aber auch alles redlich mit gewöhnlichen Interesse und blieb solchergestalt keinem Menschen einen Scherf schuldig, weßwegen aller Augen in der gantzen Stadt auf mich sahen, mich wieder vor einen grossen Mann achteten, jedoch nicht wusten, wie das Ding zugehen möchte. Herr H.W. hielt sich eine ziemliche Zeit bey mir auf, und wolte gern die Ankunfft meiner Kinder aus Schweden abwarten, denn er und ich zweiffelten nunmehro nicht, daß der Bruder die Schwester auslösen und mitbringen würde. Wir schrieben auch beyde verschiedene Briefe nach Schweden, allein ich glaube daß dieselben entweder durch unsere Anverwandtin, oder durchPetersons Vorsicht unterschlagen seyn. Endlich sahe sich Herr H.W. seiner eigenen wichtigen Geschäffte wegen genöthiget, nachdem ich ihn vor seine Mühe wohl vergnügt, von mir zu reisen und ohngefähr 3 Wochen hernach, kamen mir meine Kinder eines Abends ohnverhofft, da ich mit meinem alten guten Freunde Herrn O. im Schacht spielete plötzlich um den Halß gefallen, worüber ich eine solche jählinge Freude empfand, dergleichen ich Zeit Lebens gehabt zu haben, mich nicht leicht zu erinnern weiß. Was sonsten das übrige meiner Geschichten anbelanget, wird ihnen, meine Herren! vielleicht [32] schon guten Theils bekannt seyn, oder ich will selbiges zur andern Zeit erzählen, weiln uns die eingebrochene Nacht ins Bette weiset.

Hiermit endigte mein Vater den kurtzen Bericht von seinem Lebens-Lauffe, und wir begaben uns insgesammt zur Ruhe, weil wir sehr stille See hatten, so bald wir aber den Tropicum Cancri passirt waren, erhub sich auf einmahl ein solcher gewaltiger Sturm-Wind und Regen, daß wir ingesammt nicht anders glaubten, als in dieser Gegend zu verderben; von Donnern und Blitzen höreten und sahen wir nichts, nur der Sturm-Wind erregte die Wellen dergestalt, daß wir alle Augenblicke vermeynten, von denselben verschlungen zu werden, wie uns denn ausser diesem der grausame Regen die gröste Beschwerlichkeit verursachte. Dritten Tages hörte es zwar auf zu regnen, allein der Wind stürmete desto schärffer, so, daß man nirgends ruhig stehen oder liegen konte. Unser Frauenzimmer wurde sehr unpäßlich, meine Schwester aber recht tödtlich kranck, und ob wir gleich derselben die kostbarsten Artzeneyen, nach Anweisung unsers sehr verständigen Schiffs-Barbiers, eingaben, so wolte doch nichts anschlagen, sondern es wurde am 9ten Tage, da das Stürmen noch immer fort währete, so schlimm mit derselben, daß wir an ihrer Aufkunfft zweiffelten. Dahingegen es sich mit den andern Krancken ziemlich besserte. Mein Vater und ich waren dieserwegen aufs äuserste betrübt, ihr Bräutigam aber, Mons. Schmeltzer, gantz trostloß, so, daß er sich fast nicht zu fassen wuste. Keiner unter allen[33] zeigte bey diesen gefährlichen und betrübten Umständen mehr Courage, als Herr Herrmann, ohngeacht dieses seine erste Reise zur See war. Lieben Freunde! sagte er zum öfftern, glaubt es nicht, daß wir unglücklich seyn werden, GOtt kennet uns, und seine Güte und Barmhertzigkeit ist viel zu groß, als daß er uns verderben solte; trauet doch derselben nur wenigstens so hertzhafft als ich. Er war auch in diesem Stücke ein guter Prophete, denn meine Schwester wurde nicht allein wieder besser sondern der Sturm legte sich auch, allein, wir sahen uns dergestalt von unserer Fahrt verschlagen, daß die verständigsten unter uns die Brasilianischen Küsten bemercken konten.

Weil nun unser Schiff eine starcke Ausbesserung von nöthen hatte, folgeten alle einmüthig meines Vaters Rathe, die grosse Bay vor St. Salvator zu suchen, um daselbst unser Schiff wieder in vollkommen guten Stand zu setzen, auch selbsten in etwas von der mühseligen Reise auszuruhen, indem er dasiges Orts noch viele gute Bekandte Portugiesen hätte.

Wir fanden dieselbe endlich, und stiegen aus, fanden auch in der Stadt gute Bequemlichkeit, so, daß wir uns alle, und sonderlich unsere Krancken, binnen den 4. Wochen, da unser Schiff ausgebessert wurde, völlig wieder erholen konten. Wir kaufften auch verschiedene Waaren dieses Landes ein, und hatten solchergestalt unser Schiff so voll geladen, daß fast nichts mehr hinein zu bringen war. Endlich begaben wir uns wieder an Boord, und setzten unsere Reise, nach Süden zu, [34] fort, hatten zwar nachhero noch etliche mahl Stürme und Ungewitter auszustehen, allein, es waren selbige eben von solcher Wichtigkeit nicht, unsern ungemein starcken Schiffe Schaden zuzufügen. Einen eintzigen starcken Sturm aber, der uns hätte Furcht und Schrecken einjagen können, warteten wir auf einer kleinen unbewohnten Insul ab, bey welcher wir 2. Tage vorher gelandet, um frisches Wasser einzunehmen, auch einiges frisches Wildpret und Vögel zu schiessen, denn ob wir gleich Rind-Schaaf- und allerley Feder-Vieh in ziemlicher Anzahl bey uns hatten, so wolten wir doch lieber unsern Appetite steuren, als davon etwas schlachten, indem diese lebendigen Thiere in Felsenburg ungemein angenehm waren. Gantzer 18. Tage verharrten wir also auf schon gemeldter unbevölckerten Insul, welches eben nicht die fruchtbarste zu seyn schien, doch fand sich viel taugliches Wildpret darauf, nebst Vögeln von verschiedenen Sorten, die sich wohl essen liessen. So bald aber die See wieder stille, und der Himmel klar zu werden begunte, brachen wir unsere Gezelter, die Mons. Horn zum Geschencke vor den Alt-Vater erkaufft, wieder ab, begaben uns auf die fernere Reise, nahmen unterwegs noch 2. mahl bey zweyen wüsten Insuln frisches Wasser ein, und paßirten endlich den Tropicum Capricorni, allein, da schien es nun Kunst zu kosten, die Insul Groß-Felsenburg wieder zu finden, denn wir kamen einen gantz andern Weg her, als den wir abgefahren waren, und hatten die Insul St. Helena voritzo sehr weit lincker Hand liegen lassen. Endlich [35] da es eines Tages gantz heitere Lufft war, rieff ein Boots-Knecht oben aus dem Mast-Korbe herunter: Zwey Insuln gegen Osten, eine grösser als die andere. Ich befand mich eben bey dem Capitain Horn, welcher so gleich vor Freuden in die Hände schlug, und sagte: GOtt Lob! das können fast keine andern als die Felsenburgischen seyn; er war aber so neugierig und verwegen, selbst am Maste hinauf zu steigen, nahm auch ein ziemlich groß Perspectiv mit hinauf, kam bald wieder herunter, und sagte: Dem Himmel sey gedanckt, ich habe die Felsen-Spitzen gantz eigentlich sehen und unterscheiden können, wir sind zu weit rechter Hand kommen, ich habe aber doch nur in vergangener Nacht ausgemessen und ausgerechnet, daß wir unmöglich weit mehr davon seyn könten. Derowegen befahl er so gleich dem Steuer-Manne, den Lauff des Schiffs gegen Osten zu richten; weil wir aber einen scharffen wiederwärtigen Ost-Wind hatten, erreichten wir erstlich von der Zeit, am Abend des 5ten Tages, nehmlich am 4ten Jun. 1730. die Insul klein Felsenburg, allwo, weil sogleich eine sehr finstere Nacht einbrach, Capitain Horn Ancker werffen ließ, nachdem wir uns alle zusammen beredet, diese Nacht gantz stille zu seyn, 2. Stunden vor Anbruch des Tages aber das verabredete Zeichen zu geben; denn es daurete uns nicht nur alle Einwohner, sondern vornehmlich den Alt-Vater, wenn er ja noch lebte, um die gantze Nacht-Ruhe zu bringen, und es war leicht zu glauben, daß die wenigsten vor Freuden ein Auge würden zugethan [36] haben, wenn sie gewust hätten, daß wir so nahe wären.

Es war, wie gesagt, dieses eine ungemein finstere Nacht und gewaltiger Regen, weil es eben hieselbst im Winter war, derowegen legten wir uns einige Stunden zur Ruhe, wiewohl in meine Augen kam kein Schlaff, derowegen stund ich wieder auf, ließ mir Caffeé zubereiten, rauchte Toback, legte die Uhr vor mich auf den Tisch, und wartete mit sehnlichen Verlangen, biß die Stunde heran kam, da wir das Signal aus unsern Canonen geben wolten. Capitain Horn wurde zur rechten Zeit munter, derowegen liessen wir auch unsere übrigen Freunde wecken, gaben sodann eine Salve aus 6. Canonen, liessen 12. Raqueten steigen, und wiederholten solches 2. mahl, da denn die Felsenburger alles ihr Geschütz, kurtz hinter einander her, löseten, und an verschiedenen Orten Raqueten steigen liessen, mit welchen Lust-Feuern denn continuirt wurde, biß endlich der helle Tag anbrach. Wie nun schon gestern verabredet worden, daß ich erstlich allein hinüber fahren, dem Alt-Vater den Respect erweisen, und ihm unsere Ankunfft melden, auch erfragen solte, welche Personen auf kleinen Felsenburg etwa zurück bleiben müsten; so war ich gleich im Begriff, ins Boot zu steigen, und mich von etlichen Matrosen hinüber setzen zu lassen, als wir eben drey Groß-Felsenburgische Boote auf uns zu kommen sahen, deren jedes 4. Manns-Personen in sich hatte, und die unser Schiff noch weit von ferne schon vor das rechte erkandt, blieb also noch zurück. Lebt der Alt-Vater noch? [37] Dieses war der erste Ruff, den ich ihnen durchs Sprach-Rohr entgegen schickte, weßwegen sie mit den Händen klatschten, und ihre Mützen um die Köpffe schwungen, weil wir den Laut ihrer Stimmen von so weit her noch nicht vernehmen konten. Endlich aber, da sie immer näher und näher kamen, höreten wir die deutlichen Worte: Er lebet noch! Willkommen! Willkommen! Bald hernach gelangeten sie bey unserm Schiffe an, da wir denn, weil sie mich, so wie ich sie alle wohl und bey Nahmen kenneten, einander auf das frölichste bewillkommeten, worauf sie auch den Capitain und den andern neu mit angekommenen Europäern ihre Reverenze machten, sodann ein gutes Früh-Sück einnahmen.

Weiln ich aber keine Zeit versäumen wolte, gab ich meine Meynung den Felsenburgern zu verstehen, da sich denn gleich die ersten 4. offerirten, mich hinüber zu führen, die übrigen 8. aber blieben bey unsern Schiffe. So bald wir nun dem Eingange gegen über kamen, nehmlich, wo sonst der Nord-Fluß seinen gewöhnlichen Ausfall hat, waren die allermeisten Groß-Felsenburgischen Einwohner unten am Fusse des Gebürges versammlet, voran aber stunden Herr Wolffgang, der alte Capitain Wadley, Litzberg und die andern Einkömmlinge, wir umarmten einander, ohne viel Worte zu machen, da aber der Capitain Wolffgang merckte, daß ich schwerlich vor Abends fertig werden würde, wenn ich einem jeden anwesenden Befreundten die gebührende Höflichkeit erzeigen wolte, sprach er: Mein Herr! wir alle werden [38] in künfftigen Tagen Zeit genung haben, euch unsere zärtliche Liebe zu erzeigen, und ausführlich von euch die Begebenheiten eurer Reise zu vernehmen, vorietzo aber lasset uns keinen Augenblick versäumen, euch zu dem Alt-Vater zu führen, denn ich weiß, daß er vor Verlangen, euch zu sehen, fast verschmachtet. Demnach stiegen wir in dem Felsen-Gewölbe hinauf, und der gantze Zug folgte uns nach biß auf die Albertus-Burg, weil aber der Alt-Vater wegen bisheriger öffterer Schwachheit nicht aus seinem Zimmer kommen konte, und dieses zu enge war, eine solche Menge Volcks als mich begleitete, in sich zu fassen, kamen ausser den alten Greissen nur die wenigsten hinein. Der Alt-Vater umarmete und küssete mich und vergoß viel Freuden-Thränen, wie ich denn ebenfalls in einer guten Weile vor Freuden den Mund nicht aufthun konte. Endlich aber stattete ich meinen Rapport so kurtz, als möglich, ab, gab zu vernehmen, wie ich nebst den allernöthigsten Sachen auch noch viele nöthige Personen mitgebracht, die allhier zu verbleiben ohnfehlbar Lust bezeigen würden, meldete aber noch nicht, wer sie wären, vielweniger daß ich meinen Vater und Schwester bey mir hätte. Inzwischen bath ich den Alt-Vater, daß, weil man doch den Capitain Horn nicht so bald könte wieder zurück seegeln lassen, Ordre zu stellen, wie es mit Verpflegung seiner Leute solte gehalten werden, ob sie hier oder auf klein Felsenburg bleiben solten, und was sonsten etwa zu erinnern wäre. Allein der Alt-Vater, der mir lange nicht mehr so [39] frisch und munter, als bey meiner Abreise, vorkam, übergab alle diese Sorgen seinem ältern Sohne Alberto II. und nebst diesem, denen Capitains Wolffgang und Wodley, ich aber solte nicht von seiner Seite kommen, biß ich ihm einen ausführlichen Bericht von der gantzen Reise abgestattet hätte, da aber Herr Wolffgang vorschützte, wie es absolute nöthig sey, daß ich wieder mit hinüber zum Schiffe führe, und erstlich den Capitain Horn nebst den andern neuen Europäern mit herein führete, da denn in Beyseyn Horns, der Bericht weit vollkommener abgestattet werden könte, ließ er es sich endlich gefallen, daß ich erstlich noch einmahl mit dahin führe, weßwegen wir uns nicht lange säumeten, um noch vor Nachts wieder auf dem Schiffe zu seyn.

Unter so vielen Anwesenden vermissete ich fast niemanden so bald, als Herrn Mag. Schmeltzern, erfuhr aber, auf mein Nachfragen, daß er sich seit zweyen Tagen in Roberts-Raum bey einem krancken Manne aufgehalten, und noch daselbst befindlich wäre.

Es war schon finstere Nacht, als wir in dem Schiffe anlangeten, und das freundliche Bewillkommen der Bekannten und Unbekannten währete gantz lange, die allergröste Freude aber hatte Herr Wolffgang über die Mitkunfft meines Vaters, meiner Schwester und den Bruder Herrn Mag. Schmeltzers, gab mir auch einen kleinen Verweiß, daß ich solches dem Alt-Vater und ihm verschwiegen hatte, allein, ich entschuldigte mich, daß es darum geschehen, bey persönlicher Zusammenkunfft [40] eine desto grössere Freude zu verursachen. Nachhero wurde geheimer Rath gehalten und beschlossen, alle diejenigen Personen, welche nicht auf der grossen Insul bleiben solten, mitlerweile auf der Insul Klein-Felsenburg auszusetzen, weil aber der Capitain Horn befürchtete, daß die drey Officiers, wenn sie mit den Matrosen alleine zurück gelassen würden, rebellisch werden, und ihm auf der Rück-Reise böse Streiche spielen möchten, that er den Vorschlag, daß nur etliche von uns mit dem Schiffe hinüber fahren solten, er selbst aber wolte mit den übrigen noch einige Tage bey den drey Officiers und Matrosen auf klein Felsenburg verharren, diesen letztern alle übeln Gedancken benehmen, und ihnen eine gute Meynung beybringen, auch Anstalten machen, daß tüchtige Hütten und Heerde gebauet würden, damit sich diese Leute bey itziger Winters-Zeit behelffen könten, worbey er denn nicht zweiffelte, daß man sie von Groß-Felsenburg aus, von Zeit zu Zeit mit guten Eß-Waaren und Geträncke versehen würde. Nach gerade aber könte man so wohl ihn als die andern Europäer, welche in Groß-Felsenburg bleiben solten, immer ein Paar nach dem andern abholen.

Dieser Rath war sehr wohl ausgesonnen, und nur dabey zu bedauren, daß wir den guten Capitain Horn nicht sogleich mit uns nehmen, und dem Alt-Vater vorstellen solten, allein, Herr Wolffgang war selbst der Meynung, dieses Stratagema zu gebrauchen. Mittlerweile berichtete der Capitain Horn, wie der gröste Theil von den Matrosen [41] abgewichenes Tages auf den Booten, benebst 2. Felsenburgern bereits nach der kleinen Insul abgefahren, und Schieß-Gewehr, auch so viel Proviant mit sich genommen, daß sie sich wohl etliche Tage behelffen könten. Dieses war schon eine gute Sache, und weil ich dem Capitain Horn anzeigte, wie ich gesonnen wäre, jedem Matrosen vor seine bißhero gehabte Mühe 50. spec. Thlr. einem jeden von den 3. Officiers aber 100. Thlr. zu verehren, als ließ er so gleich unter die übrigen, so noch auf dem Schiff waren, ausstreuen, daß wir Morgen alle auf die kleine Insul überfahren, daselbst eine kurtze Lust haben, und zusehen wolten, wie sich dieMatrosen anstellen würden, weil Eberhard Julius so und so viel Geld unter sie vertheilen, auch viel Wein und Brandtewein, nebst andern Sachen unter sie Preiß geben wolte.

Das war ihnen ein gefunden Fressen, derowegen fuhren sie mit Erlaubniß des Capitains Horn gleich, sobald der Tag anbrach, hinüber auf klein Felsenburg, etliche kamen wieder zurück, holeten die Wein- und Brandteweins-Fässer, nebst andern Victualien ab, gegen Mittag aber fuhr Capitain Horn nebst einigen mitgekommenen Europäern, auch etlichen Felsenburgern ihnen nach, und wir traffen das gantze Heer der Matrosen auf dem Platze an, welcher auf dem Grund-Risse der Insul Klein-Felsenburg (im andern Theile dieser Geschichts-Beschreibung bey pag. 452.) mit dem Buchstaben F. bezeichnet ist, allwo sie im vollen Wercke begriffen waren, Hütten zu bauen, auch schon viele Feuer angemacht, und Wildprets-Braten [42] angesteckt hatten, weil die gestern voraus gegangenen von der Jagd nicht leer zurück gekommen waren.

Zuerst ließ Capitain Horn ein Faß Brandtewein anstecken, und jeglichen eine gute Portion geben, damit sie erstlich Geister bekämen, hernach ließ ich meine mit lauter Spanischen Creutz-Thalern angefülleten Säcke herbey bringen, zählete einem jeden Officier 100. und jedem Matrosen 50. Thaler in die Mütze, danckte ihnen aufs höflichste vor ihre unterwegs auf der Fahrt erzeigte Treue, Fleiß und Gehorsam, und versprach, woferne sie sich binnen der Zeit, da wir uns allhier aufhielten, fein fromm und Christlich aufführeten, vor der Abreise, noch über ihren versprochenen Sold, ein mehreres zu geben.

Da gieng es an ein Hände-Küssen und an ein Jubiliren, ja sie versprachen denjenigen, der unter ihnen am ersten Rebellion oder Händel anstifften wolte, sogleich auf der Stelle mit ihren Messern in tausend Stücken zu zerschneiden. Capitain Horn lachte, und sagte: Kinder, seyd nur fromm, so werdet ihr allhier bessern Gewinst und bessere Tage haben, als ihr gedenckt, auch an guten Essen und Trincken nicht den geringsten Mangel leiden.

Wenn das ist, versetzte einer hierauf, so lasst uns so lange auf dieser Insul bleiben, biß es allhier Sommer wird. Ja! Bruder ja! schryen die andern, wenn der Capitain will.

Daferne ihr, (sprach der Capitain Horn,) wie ich schon gesagt, nur fromm seyn wollet, kan Rath darzu werden, und ihr sollet versichert seyn, daß [43] alles, was euch versprochen worden, redlich wird gehalten werden.

Mir aber, sprach er ferner, werdet ihr doch nicht übel auslegen, wenn ich dann und wann etliche Tage mich auf jener grössern Insul bey guten Freunden aufhalte, jedoch öffters sehe, was ihr macht, das Commando dem ältesten Officier überlasse, und vor eure Verpflegung Sorge trage.

Ihr seyd, antwortete der stärckste unter ihnen, der beste Capitain von der Welt, thut, was euch gefällt, verschafft uns nur allhier gut Fressen und Sauffen, und hernach eine gute Fahrt, wobey wir noch was erwerben können. Die andern stimmeten diesen bey, und baten sich aus, man solte sie nur allhier auf dieser Insul bey ihrer Lust lassen, Boßheiten wolten sie nicht begehen.

Wohlan! weil ihr so redlich seyd, (redete ich zu ihnen) will ich euch auf instehenden Johannis-Tag vor mein particulier 3. Faß Wein herüber senden, ohne was andere thun werden. He Vivat! rieffen alle, und wurffen die Mützen in die Höhe.

Hierauf fiengen sie an, Gesundheiten zu trincken, auch die Hände wieder an ihren Hütten-Bau zu legen, weßwegen ich den Capitain Horn ein wenig auf die Seite zohe, und zu ihm sagte: Diese Leute sind von Natur weit raisonnabler, als wir uns eingebildet haben; wer hätte dergleichen Resolution in ihnen suchen sollen? Inzwischen kömmt sie recht a propòs, und gereicht zu meinem grösten Vergnügen, daß wir sogleich alle zusammen vor den Alt-Vater treten können. Horn gab hierauf zur Antwort: Es ist wahr, nun glaube ich dem Satze, daß das Geld, der [44] Wein, u. dann auch vornehmlich die Liebe die grösten Potentaten über das menschl. Geschlechte sind, denn mit den allergrösten Flatterien hätte ich diese Leute binnen 8. Tagen dahin nicht bringen können, (wenn sie gewust hätten, daß es mein ernstlicher Wille wäre,) wohin sie sich von freyen Stücken selbst gewendet.

Wir blieben also noch ein wenig bey ihnen, da es uns aber Zeit zu seyn dauchte, ruffte sie Capitain Horn nochmahls zusammen, und sprach: Nun so haltet denn euer Wort, seyd vernünfftig, folget euren 3. Vorgesetzten, macht euch eure Hütten und Feuer-Heerde bequem, denn zu Kochen und Braten werdet ihr genung kriegen, sorget vor nichts, und bleibet nur hier in Ruhe, wir aber wollen an Boord gehen, jedoch in wenig Tagen will ich euch wieder besuchen, und hören, wie ihr euch aufgeführet habt.

Sie waren alle wohl zufrieden, sonderlich wegen der vollen Fässer, begleiteten uns aber doch biß an das Ufer, allwo die Boote stunden, mit welchen die Felsenburger uns mit sammt den Europäern wieder aufs Schiff brachten, weil aber die Nacht vor der Hand war, wolten wir die Ancker nicht so gleich lichten, sondern verspareten solches biß zu anbrechenden Tage, höreten die gantze Nacht hindurch ein gewaltiges Freuden-Geschrey von unsern auf der Insul befindlichen Matrosen, welche sich allem Vermuthen nach das Geträncke ziemlich zu Nutz gemacht hatten, wir gönneten es ihnen aber sehr gern, wunden noch vor anbrechenden Tage die Ancker auf, und gelangeten ohngefähr um 9. Uhr in behöriger Weite [45] vor dem Eingange der Insul an, da wir denn die Ausladung des Schiffs den Felsenburgern überliessen, bey welchenCapitain Wolffgang und einige bereits eingesessene Europäer blieben, von dem itzt angekommenen aber stiegen folgende Personen durch das Nord-Gewölbe den Felsen hinauf:


1. Mein Vater, Franz Martin Julius.
2. Capitain Horn.
3. Herr Jacob Friedrich Schmeltzer.
4. Meine Schwester, Juliana Louise Juliin.
5. Herr Johann Friedrich Herrmann.
6. Mons. Richard van Blac.
7. Jungfer Anna Sibylla Krügerin.
8. Jungfer Susanna Dorothea Zornin.
9. Barbara Kuntzin, meiner Schwester Magd.
10. Johann Martin Rädler,
11. Christian Gebhard Ollwitz, 2. Buchbinder.
12. Valentin Schubard,
13. Jeremias Rudolph Kindler, 2. Glaßmacher.
14. Joh. Hildebrand Breitschuch, ein Seiffensieder.
15. Moritz Engelhart, ein Blechschmidt.
16. Victor Magnus Hollersdorff, ein Mahler.
17. Salomon Friedrich Besterlein, ein Sattler.
18. Carl Heinrich Trotzer, ein Zinn-Giesser.
19. Emanuel Siegfr. Langrogge,
20. Heinrich Gottfr. Hildebrand, 2. vortrefflicheMusici.

Die 9. Sclaven des Capitain Horns musten gleichfals mit auf dem Schiffe bleiben, doch wolte sich Capitain Horn bey dem Alt-Vater ausbitten, daß sie nach völliger Ausladung desselben auf die Insul gelassen, und daselbsten getaufft würden, [46] weil sie, nach Herrn Schmeltzers und Herrn Herrmanns Versicherung, welche beyde dieselben unterwegs fleißig informirt, die Articul des Christlichen Glaubens sehr wohl inne, auch die gröste Lust hätten, sich tauffen zu lassen.

Es waren abermahls fast alle Einwohner der gantzen Insul beysammen, als wir an Land kamen, oben aber auf der Ebene war Herr Mag. Schmeltzer der erste unter den naturalisirten Felsenburgern, welcher uns entgegen kam, und fast vor Freude in Ohnmacht gesuncken wäre, als er seinen liebsten Bruder, meinen Vater und meine Schwester erkandte. Jedoch weil meine Beschreibung viel zu weitläufftig werden würde, wenn ich alle Reden, die allhier vorfielen, wiederholen wolte, will ich mich nur der Kürtze befleissen, und so viel sagen, daß wir abermahls recht inProcession die Albertus-Burg hinauf stiegen, mitlerweile aber unsere Gefährten unten in einem grossen Zimmer in etwas zu verweilen gebeten wurden, führete ich die ersten 5. Haupt-Personen erstlich allein zum Alt-Vater hinauf, unter welchen aber dieser niemanden kennete, als den Capitain Horn. Nachdem ich ihm nun gesagt, daß dieser Herrn Mag. Schmeltzers leiblicher Bruder, jener Herr Herrmann, ebenfalls einTheologus, welche beyden ich in Europa zu Priestern weyhen lassen, das aber mein Vater und diese meine Schwester wäre, saß er eine lange Zeit als ein Lebloser, endlich aber erholte er sich wieder, umarmete und küssete uns alle, fragte hernach meinen Vater: Wisset und glaubet ihr auch, daß ich so ein naher Anverwandter von euch bin. [47] Ich habe es, mein Herr Vater! gab mein Vater zur Antwort, aus dem Munde dieses meines eintzigen Sohnes, Eberhard Julii, vernommen, und bin noch itzo unvermögend, die wunderbaren Führungen des Himmels gnungsam zu bewundern. Ich freue mich von Grund der Seelen, versetzte der Alt-Vater, euch alle insgesammt bey mir zu sehen, und daß ihr Zeugen meines vergnügten Wohlstandes seyn könnet, ihr werdet aber vielleicht auch Zeugen meines bald heran nahenden Endes seyn, denn da der Himmel nunmehro mein Bitten und Flehen in allen Stücken erhöret hat, wüste ich mir nichts weiter zu wünschen, als einen baldigen sanfft und seeligen Todt. Wir thaten hierüber sehr kläglich, ich aber sagte: wie daß ich den Himmel bitten wolte, ihn nur wenigstens so alt werden zu lassen, als Don Cyrillo de Valaro auf dieser Insul alt worden wäre. Nein, mein Sohn! versetzte er, das wünschet mir nicht, sondern viel lieber eine baldige Auflösung; Don Cyrillo hat viel Arbeit auf dieser Insul gethan, ich werde aber wohl nicht lügen, wenn ich sage, daß ich noch mehr gethan, und weit mehr Kummer und Sorgen ausgestanden habe als er; Derowegen fühle ich meine Mattigkeit wohl, und mercke, daß ich es nicht mehr lange machen werde, bin auch hertzlich damit zufrieden, indem mir vor meinem Ende alles nach Wunsche ergangen. Hierauf reichte er meinem Vater und meiner Schwester die Hände, und nöthigte sie, neben sich zu sitzen, uns andern wurden auch Stühle gesetzt, mitler weile aber der Alt-Vater mit meinem Vater von unsern [48] Vor-Eltern eine lange Unterredung gehalten, dieser letztere ihm auch erzählet, was er von ihnen wüste, und was er noch vor schrifftliche Urkunden, diese und jene Sachen betreffend, mit sich gebracht hätte, waren die Mittags-Stunden bereits vorbey, weßwegen die Mahlzeit aufgetragen wurde, wir 6. Angekommenen speiseten nebst Alberto II. und einigen andern grauen Häuptern an des Alt-Vaters Taffel, HerrWodley aber, welcher sonsten täglich an des Alt-Vaters Taffel speisete, tractirte voritzo in dem untersten Zimmern die andern neuen Einkömmlinge, nebst denen, welche oben nicht Platz bekommen konten.

Unter den grauen Häuptern vermissete ich sonderlich den ehrlichen alten David, sonst Rauking genannt, welcher nur vor wenig Monaten gestorben, und fast 90. Jahr alt worden war, ich bedaurete diesen Mann sehr wegen seiner Erfahrenheit und Aufrichtigkeit. Sonsten waren die Aeltesten, so ich verlassen hatte, noch alle am Leben, in Davids-Raum aber war nunmehro des verstorbenen erstgebohrner 45. jähriger Sohn, Aeltester und Vorsteher worden.

Mein Vater, Schwester und die übrigen wunderten sich ungemein, wie appetitlich, sauber und ordentlich die Mahlzeit an- und eingerichtet war, ein jeder wurde von einem reinlichen 12. biß 14. jährigen Knaben bedienet, die Speisen waren sehr wohl, aber doch nicht wie in Europa zuweilen geschicht, so gar leckerhafft, oder wenn ich es recht sagen soll, täntelhafft zugerichtet. Hierbey [49] war ein wohlgebrautes Bier und ein schöner Felsenburger Wein unser Geträncke.

Weil der Alt-Vater mit meinem Vater beständig imDiscurs begriffen war, welchem die andern eiffrig zuhöreten, gerieth ich ohngefähr in tieffe Gedancken, und muß nur gestehen, daß mich der Magnet zu meiner Cordula zohe, welche ich noch nicht gesehen, auch sie noch diesen Tag zu sehen nicht hoffen konte, weil sie ihrer Mutter, und der andern Aussage nach, schon seit vielen Wochen immer kräncklich gewesen wäre, und sich nicht wohl aus dem Hause wagen dürffte. Demnach war mir einiger massen verdrüßlich, daß ich aus Respect gegen den Alt-Vater und die Fremden heute nicht zu ihr reisen könte, sonsten hätte lieber Essen und Trincken entbähren wollen. Indem kam Mons. Litzberg ohnvermerckt, stöhrete mich in meinen tieffen Gedancken, und vermeynte, er wolle wohl errathen, was mich so tieffsinnig machte. Ich fragte: wie ihm zu Muthe gewesen, da er einsmahls verliebt gewesen wäre? Hierauf sagte er: Wartet ein klein wenig, mein Herr, ich muß mich eurer erbarmen, und euch ein Pflaster aufs Hertze holen. Hiermit ging er in ein Neben-Zimmer, und brachte mir meine Cordula heraus geführet, ich sprang gleich auf, und konte mich nicht enthalten, sie mit einem Kusse zu bewillkommen, weßwegen ihre blasse Farbe sich in eine Blut-rothe verwandelte. Sie wuste hernach die andern Fremden mit einer ungemein artigen Stellung, meine Schwester aber mit einem heissen Kusse zu bewillkommen, weßwegen mein Vater vor Freuden zu weinen anfieng, [50] und sagte: Wohl gewählt, mein Sohn, GOtt segne euch beyde. Meine Cordula wurde von den Alten Greisen fast gezwungen, sich an meine Seite zu setzen, ohngeacht wenig Platz vorhanden war, jedoch wir konten vor allzugrosser Freude wenig Worte zu Marckte bringen, ehe wir es uns aber versahen, fieng Monsieur Litzberg mit einigen Felsenburgischen Junggesellen und Knaben, die sich binnen der Zeit sehr starck in der Music geübt und gebessert hatten, im Neben-Zimmer an, ein schönes Concert zu spielen, und damit ich nichts vergesse, so hatte dieser redliche Freund, der ungemein viel Liebe gegen mich bezeigte, seinen Hirsch-Wagen angespannet, war damit nach Roberts-Raum gerennet, und hatte mit Bitten nicht abgelassen, biß sich meine Cordula resolviret, in seiner und Harkerts Gesellschafft nach der Albertus-Burg zu fahren.

Wir höreten dieser Instrumental- Music alle mit Vergnügen zu, bald hernach aber veränderte er die Instrumente, und sunge folgende

CANTATA.
Aria.
Willkommen, Hertz-geliebten Freunde!
Willkommen hier in Canaan!
Seyd tausend-tausendmahl willkommen!
Da ihr uns unsern Schmertz benommen;
Der Himmel sey davor gepriesen,
Der euch und uns diß Glück erwiesen,
Ja, seine Güte hats gethan.
[51]
Willkommen, Hertz-geliebten Freunde!
Willkommen hier in Canaan.
Recit.
Bißhero stunden wir
Nur immer alle Morgen
Mit Kummer-vollen Sorgen
Und lauter Seuffzern auf,
Und legten uns des Abends wieder
Mit bangen Hertzen nieder.
Diß Lust-Revier,
So gar der Sonnen-Lauff,
War fast nicht mehr geschickt,
Uns die Vergnüglichkeit zu geben,
So Seele, Geist und Leben
Bißher erquickt.
Blieb einer bey dem andern stehn,
So war das erste Wort:
Wie mag es den Verreis'ten gehn?
Aria.
Weich zurück, betrübte Zeit!
Denn der Himmel lässt geschehen,
Daß wir nach der Bangigkeit
Uns frohlockend wieder sehen.
Nun ist unser Wunsch erfüllt,
Das Verlangen ist gestillt.
Nun verschwindet alles Leyd,
Weich zurück, betrübte Zeit!
Recit.
Es kommen Hertz und Hertzgen itzt
Aufs neue höchst-vergnügt zusammen,
Wo Amors-Pulver blitz,
Verrathen sich gar bald die Liebes-Flammen;
[52]
Doch diese sind von reiner Art,
Weil gleich und gleich
Sich hier zusammen paart.
Der Himmel lasse nun,
Nachdem das Stürmen überstanden,
Ein jedes Liebes-Schiff vergnügend landen,
Und in dem Haafen sicher ruhn.
Aria.
Es müsse das Glücke und lauter Gedeyhen
Uns, die wir in Felsenburg wohnen, erfreuen,
Es lebe Albertus noch lange vergnügt.
Es leben die Freunde, die sonder Betrüben
Einander von Hertzen recht brüderlich lieben,
Und keiner den andern mit Falschheit betrügt.
Es wolle des Himmels höchst-gnädiges Walten
Die Insul in ruhigem Wesen erhalten,
So, wie er's bißhero nach Wunsche gefügt.
Es müsse das Glücke und lauter Gedeyhen
Uns, die wir in Felsenburg wohnen, erfreuen,
Es lebe Albertus noch lange vergnügt.

Ob nun schon Mons. Litzberg diese Verse in gröster Geschwindigkeit gemacht, und auch selbst in gröster Geschwindigkeit componiret hatte, so, daß es eben kein Meister-Stücke zu nennen war, gefielen sie unser aller Ohren, zumahl er selbige mit seiner artigenTenor-Stimme vorbrachte, auch [53] sich auf einen besondern Instrumente selbst accompagnirte, dennoch dergestalt wohl, daß wir ihn nicht genung zu veneriren wusten, nachdem er aber noch einige andere Arien abgesungen, stunden wir von der Taffel auf, da denn vor allererst die übrigen Fremden dem Alt-Vater præsentirt wurden, sich mit ihm in ein kurtzes Gespräch einliessen, und darbey meldeten, was sie vor Professiones hätten, auf dieser Insul Nutzen zu stifften.

So bald der Alt-Vater mit allen durch die Banck fertig war, sprach er: Nun glaube ich selbst, daß meine Insul, Monsieur Litzbergs Ausspruche nach, ein vollkommen gelobtes Land werden wird, und es auch bleiben kan, wenn sich nur die Einwohner, mit der Zeit, nicht gleich den Kindern Israel die Lust-Seuche ankommen lassen. Herr Mag. Schmeltzer versetzte hierauf, daß noch zur Zeit nichts übles von ihnen zu vermuthen wäre, indem er seit der Zeit, als er da gewesen, sich angelegen seyn lassen, auch die Gemüther der kleinesten Kinder auszuforschen, doch bey niemanden grobe Laster oder übermäßige Boßheiten angetroffen, der Himmel würde ferner helffen, daß durch die gute Zucht der Eltern, Schul-Lehrer und Priester, allem besorglichen Ubel gesteuret würde. Das helffe der Himmel in jeder Familie, sagte hierzu der Alt-Vater.

Nachhero wurden die Neulinge wieder hinunter zum Caffeé genöthiget, Capitain Horn aber von dem Alt-Vater eben bey diesem Geträncke und einer Pfeiffe Toback ersucht, ihm eine ausführliche Erzählung von unserer Reise und Verrichtungen [54] zu thun. Wie nun dieser so gleich bereit darzu war, ich aber merckte, daß die Reihe nicht so bald an mich kommen würde, Horns Erzählung fortzuführen, gieng ich inzwischen mit meiner Braut, Schwester, Herrn Schmeltzern und Mons. Litzbergen in das Neben-Zimmer, truncken eine Kanne Caffeé alleine, und hielten unter uns ein besonderes vertrauliches Gespräch.

Mir war auf der Welt nichts angenehmer, als daß meine Cordula und meine Schwester in so kurtzer Zeit einander dergestalt lieb gewonnen hatten, daß sie sich nicht aus den Armen gelassen, und sich nicht satt geküsset, wenn Herr Schmeltzer und ich auf ZuredenMons. Litzbergs nicht Schieds-Männer worden wären, und dergleichen Zinsen der Liebe vor uns selbst eingefodert hätten. Bey dieser Gelegenheitcompromittirten Hr. Schmeltzer und ich, daß wir uns mit nächsten, und zwar in einem Tage, copuliren lassen wolten. Bald darauf machte Monsieur Litzberg alle Thüren zu, dämpffte sein Instrument, welches fast wie aller Lauten Groß-Mutter, und dennoch nicht recht wie eine Laute aussahe, und machte uns damit eine charmante douçe Musique, zumahlen da 2. Knaben Wechsels-weise mit 2. Fleute Traversen sanffte darzu blasen musten. Diese Lust währete biß fast gegen Mitternacht, da endlich der Alt-Vater müde wurde, derowegen Bet-Stunde halten ließ, worauf sich ein jeder an seinen angewiesenen Ort zur Ruhe legte, Herr Wolffgang aber wolte nicht wieder kommen, sondern war diese Nacht auf dem Schiffe geblieben. Folgenden [55] Tages, da es Donnerstag, und zugleich Kirch-Tag war, gingen wir, nachdem wir den Thée mit dem Alt-Vater getruncken hatten, herunter in die Kirche, der Alt-Vater aber wurde von zweyen starcken Insulanern, in einer wohl gemachten Sänffte sitzend, herunter getragen. Es war aus allen Stämmen sehr viel Volck in der Kirche, den neu angekommenen Europäern wurden die besten Stellen angewiesen, Capitain Horn aber, Hr. Schmeltzer, Hr. Herrmann, mein Vater und ich wurden mit auf die Empor-Kirche geführet, da der Alt-Vater und übrigen Stamm-Väter ihre Sitze halten. Ich verwunderte mich sehr, daß nicht allein die Orgel vollkommen fertig, mit vielen Zierrathen von Bildhauer-Arbeit ausgeschmückt, sondern auch durch Lademannen und seine Lehrlinge überall in der Kirche die sauberste und künstlichste Tischer-Arbeit angebracht war, daß also an den äuserlichen Zierrathen gar nichts mehr fehlete, als das Mahlen und Vergulden, zu welchem Ende ich denn eine gewaltige Quantität von allerley Farben, geschlagen Blätgens Gold, Silber und Metall, auch nur fast dieserwegen allein einen eigenen recht künstlichen Mahler mitgenommen hatte.

Herr Mag. Schmeltzer hielt eine vortreffliche Predigt, und hatte zum Texte die 9. Versicul aus dem 107. Psalm, die also lauten:


»Dancket dem HErrn, denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. Saget, die ihr erlöset seyd durch den HErrn, die er aus der Noth gerissen hat. Und die er aus den Ländern zusammen [56] bracht hat, vom Aufgang, vom Niedergang, von Mitternacht und vom Meer. Die irre giengen in der Wüsten und ungebähntem Wege, und funden keine Stadt, da sie wohnen konten. Hungrig und durstig, und ihre Seele verschmachtet. Und sie zum HErrn rieffen in ihrer Noth, und er sie errettete aus ihren Aengsten. Und führete sie einen richtigen Weg, daß sie giengen zur Stadt, daß sie wohnen konten. Die sollen dem HErrn dancken um seine Güte und um seine Wunder, die er an den Menschen-Kindern thut. Daß er sättiget die durstige Seele, und füllet die hungrige Seele mit Gutem.«


So wohl als dieser Text ausgesucht, so vortrefflich war dessen Explication und Application nicht nur auf uns Einkömmlinge, sondern auch auf die eingebohrnen Felsenburger. Ich glaube, ein jeder hätte gern 3. oder mehr Stunden zugehöret, allein, Herr Mag. Schmeltzer hatte sich angewöhnet, die Wochen-Predigten nicht über eine Stunde zu halten. Mein Vater weinete fast die gantze Predigt über, und sagte mir ins Ohr: Nun mercke ich erstlich, daß ich bißher kein rechter Christe gewesen bin, sondern mein Hertz mehr an die Erde, als an den Himmel gehangen habe. Nach geendigten GOttes-Dienste kam mir van Blac unten an der Treppe entgegen, und sagte: O GOtt! was war das vor eine treffliche Predigt, ich habe mich zwar bißhero zur Reformirten Religion bekennet, muß aber gestehen, daß ich seit [57] langer Zeit selbst nicht gewust, was ich geglaubt habe. Von nun an will ich die Herrn Geistlichen bitten, daß sie mich Lutherisch machen. Der Himmel segne euer gutes Vorhaben, war meine Antwort, denn es ist nichts bessers im Gewissen, als wenn man in seinem Glauben recht gegründet ist.

Hierauf weil ich angemerckt, daß die Einwohner ihren Kirch-Thurm binnen Zeit meines Abwesens um ein merckliches erhöhet, ließ ich mir die Lust ankommen, in selbigen hinauf zu steigen, und fand darinnen 4. schöne Glocken, deren Thone ungemein wohl mit einander accordirten, sie waren meistens von Silber biß auf die allergröste, die nur bey hohen Festen geläutet wurde. Ferner betraten wir das Orgel-Chor, da ich denn das gantze Werck so wohl gemacht befand, daß mich ungemein darüber verwunderte, denn wegen der Register, war die Disposition folgende:


1. Principal 4. Fuß.
2. Quinta dena 8. Fuß
3. Grob-Gedackt8. Fuß
4. Spitz-Flöte4. Fuß
5. Klein-Gedackt4. Fuß
6. Quinta3. Fuß
7. Octava2. Fuß
8. Ditonus 13/5. Fuß
9. Sesquialtera2. fach.
10. Mixtura3. fach.
11. Trompeta8. Fuß.
[58] Pedal.
1. Sub-Bass16. Fuß.
2. Octaven-Bass8. Fuß
3. Quinten-Bass6. Fuß
4. Choral-Flöte2. Fuß
5. Posaunen-Bass16. Fuß.

Das Clavier war von C biß

und das Pedal von C biß

die 2. Bälge aber jeder 9. Schu lang und 5. Schu breit. Es war ein ungemein schönes Werckgen, sehr viele Pfeiffen von puren Silber, die übrigen aber theils von Zinn, Metall oder Holtz, welches mir, da ich es probirte, viel Vergnügen erweckte, auch mir vornahm, selbst öffters Organist zu seyn, wiewohl von den Felsenburgern schon 3. Knaben sich binnen der Zeit so starck angegriffen hatten, daß sie nicht allein alle Chorale, sondern auch den General-Bass fertig spielen konten. Hr. Schmeltzer, Hr. Herrmann, und die mitgebrachten 2. Musici machten auch ihre Probe auf der Orgel, und spieleten sehr feyn. Hierauf sagte ich, es solte meine erste Sorge seyn, daß der Altar, Cantzel und Tauff-Stein, so dann aber die Orgel sauber gemahlt und verguldet würden, worauf wir uns sämmtlich wieder auf die Albertus-Burg begaben, indem es Zeit zur Mittags-Mahlzeit war.

So bald dieselbe eingenommen, machten wir uns eine kleine Motion, da mir denn Mons. Litzberg zeigte, wie fleißig die Einwohner gewesen waren, indem sie nicht allein unter der Zeit hinter [59] der Albertus-Burg das grosse Magazin oder Korn-Hauß, wohinein die überflüßigen Früchte geschüttet wurden, völlig auf-sondern auch noch einen grossen Flügel an des Alt-Vaters Wohn-Hauß angebauet hatten, so, daß nunmehro fast noch einmahl so viel Menschen in den reinlich zugerichteten Stuben und Cammern wohnen konten, als vorhero. Die übrige Zeit des Tages, brachten wir, die Haupt-Personen bey dem Alt-Vater mit Erzählung alles dessen zu, was sich sowohl auf der Reise als in Europa zugetragen, wie wir unsere Sachen eingerichtet, auch was wir eigentlich vor Waaren eingekaufft und mit anhero gebracht hätten. Da ich ihm denn so wohl als Mons. Horn eine Specification derselben, ingleichen eine Berechnung über die mitbekommenen Geld-Summen und Kostbarkeiten überreichte. Das letztere, sagte er, mein Sohn, ist nicht nöthig, was ihr nicht habt anlegen können, werdet ihr schon an gehörigen Ort und Stelle zu bringen wissen; Wir wollen so genau nicht mit einander rechnen, ich will nur aus Neugierigkeit nachsehen, was ihr uns guts mitgebracht habt. Er bezeugte über die meisten Sachen, so auf diese Insul noch nicht gekommen, aber doch sehr nutzbar waren, eine besondere Freude; allein, da er auch in der Specification ein paar Paucken, 6. Trompeten und sonsten sehr viel Musicalische Instrumenta antraf, schüttelte er den Kopff, und sagte: Ey, diese Eitelkeiten hätten wir missen können; da ich aber zur Antwort gab: daß ich dieselben Hauptsächlich zu GOttes Ehren bey der Kirchen-Music zu gebrauchen, mitgenommen, [60] indem ja David sagte: daß man den HErrn mit Paucken und allerhand Instrumenten loben solte; neigte er sein Haupt, und sprach: Ihr habt wohl gethan, mein Sohn. Unsere übrigen mitgebrachten Lands-Leute waren inzwischen spaziren gegangen, kamen auch nicht eher als mit dem Abende wieder, da wir denn die Mahlzeit einnahmen, und bald zur Ruhe legten, und folgenden Freytags früh die kurtze Reise an die See zu Herrn Wolffgangen antraten, welcher noch immer beschäfftiget war, die Sachen aus dem Schiffe hinauf bringen zu lassen. Es waren demnach nicht nur unsere mitgebrachten jungen Zucht-Pferde, Stücken Rind- und ander vierfüßig Vieh, nebst dem Geflügel bereits, theils nach Alberts-theils nach Simons-Raum geschafft, sondern auch schon ziemliche Lasten in die Höhe gewunden worden. Wir hatten kalte Küche mit genommen, um diesen Mittag am Fusse des Felsens mit Herrn Wolffgangen zu speisen, fanden es aber bey ihm besser, indem er schöne Fische absieden, auch zweyerley Fleisch braten und kochen lassen, darneben einen guten Vorrath von Wein und Bier holen lassen, indem er vor Morgen, als Sonnabends-Abends, nicht gesonnen war, nach Hause zu kehren, um Sontags den Gottes-Dienst abzuwarten, Montags aber gleich wieder heraus zu gehen, damit wir auf die folgende Woche wenigstens alles auf der Insul und nichts mehr auf dem Schiffe hätten. Es war eine Lust anzusehen, wie fleißig die Felsenburger arbeiteten, ja sie waren so gefällig, des Capitain Horns Sclaven nicht einmahl zu erlauben, daß sie [61] eine Hand anschlagen durfften, sondern sie solten mit aller Gewalt von der bißherigen Reise ausruhen, und sich was zu Gute thun. Also hieß es hier wohl recht: Viel Hände machen bald der Arbeit Ende. Wir vergnügten uns nebst Herrn Wolffgangen sehr darüber, denn die Sclaven waren in Wahrheit sehr getreue Leute, und hatten unterwegs ungemein gute Dienste gethan. Etwa ein paar Stunden vor Untergang der Sonnen begaben wir uns wieder auf den Rück-Weg zur Alberts-Burg, allwo wir noch eben zur Abend-Mahlzeit eintraffen, nachhero uns abermahls Müdigkeit wegen zeitig zur Ruhe legten. Des folgenden Tages aber, da der jüngere Herr Schmeltzer und Herr Herrmann auf ihre Predigten studiren wolten, indem der erste Morgen Vor- und der andere Nachmittags ihre Probe abzulegen von dem ältern HerrnMag. Schmeltzern erinnert waren, dieser aber selbsten Beichte sitzen muste, nahm ich mit meiner Braut, Schwester, den übrigen Mitgebrachten und andern guten Freunden einen Spazier-Gang durch den grossen Garten nach dem GOttes-Acker oder Begräbniß-Platze der Felsenburger vor, und besahen daselbst die Gedächtniß-Säulen und Epitaphia. Indem ich nun begierig war zu sehen, was vor Personen seit meiner Abreise verstorben, mich also zu den neuen Gräbern machte, und die Epitaphia derselben mit Fleiß betrachte, gehen die andern zu den grossen Gedächtniß-Säulen, und lesen deren Inscriptiones. Ehe ich michs versahe, entstunde bey des seeligen Carl Franz van Leuvens Gedächtniß-Säule ein [62] kleiner Tumult, weßwegen ich eiligst dahin lief, und sahe, daß Mons. van Blac vor derselbigen stunde, immer in die Hände schlug, und ausrief: O! welch ein Verhängniß! O! welch ein Schicksal! Er repetirte diese Worte mehr als 20. mahl, weßwegen ich, da die andern stille stunden, und nicht wusten, was ihn etwa angefochten hätte, endlich zu ihm trat und sagte: Mein Herr! warum wolt ihr euch diese Sache, die vor so langen Jahren passirt ist, so gar sehr zu Gemüthe ziehen? Es ist zwar eine Geschicht, die einem jeden rechtschaffenen Menschen zum Jammer bewegen kan, allein nunmehro doch nicht zu ändern. Ach, Mein Herr! antwortete van Blac, ich sage noch einmahl, O! welch ein Verhängniß, O! welch ein Schicksal! glaubet ihr denn wohl, daß dieser Carl Franz van Leuven, der dieConcordia Plürs aus Engelland entführt hat, meiner Mutter ihres Groß-Vaters leiblicher und jüngster Bruder gewesen ist? Denn meine Mutter ist eine gebohrne van Leuven gewesen, und ich weiß von des Franzens Historie gar viel, unsere Vorfahren aber haben vermeynet, daß er mit seiner Concordia im Meer ersoffen wäre. Ich sahe hierauf den van Blac mit Verwunderungs-vollen Augen an, er aber sprach: Mein Herr! ich will so lange nichts weiter von dieser gantzen Sache melden, biß ich mein Felleisen, so in eine eurer Kisten gepackt ist, vom Schiffe bekomme, dann will ich euch mein Geschlechts-Register und einige dabey aufgezeichnete Geschichte zeigen, so werdet ihr sehen, daß ich nicht lüge, weil mir meine Beräuber und Mord-Buben doch diesen [63] Schatz nicht haben mit hinweg nehmen können. Mein Herr! versetzte ich, zu euren Worten habe ich ein starckes Vertrauen, dasselbe aber wird allerdings noch weit stärcker werden, wenn ihr deßfalls einige schrifftliche Urkunden aufzeigen könnet, allein diese Begebenheit ist würdig, daß wir so gleich zurücke kehren, und selbige dem Alt-Vater erzählen. Er war damit zufrieden, bath sich al er nur aus, erstlich noch die Schrifften an den andern drey Gedächtniß-Säulen zu lesen, wobey er denn immer in die Hände schlug, und die Worte: O Verhängniß! O Schicksal! wohl 50. mahl wiederholete. Hierauf giengen wir sämmtlich zurück nach des Alt-Vaters Zimmer, bey welchem die Capitains Horn und Wadley allein waren, und denselben mit Gesprächen unterhielten. Ich führete den van Blac an der Hand hinein, und sagte: Liebster Herr und Vater, es hat sich abermahls eine Wunder-Geschicht auf dieser Insul zugetragen, dieser Mann muß ohnstreitig zu unsern Geschlechte gerechnet werden, denn seiner Mutter Groß-Vater ist ein leiblicher Bruder von dem allhier jämmerlich ermordeten Carl Franz van Leuven gewesen, und er sagt, daß er dieserwegen schrifftliche Zeugnisse in seinem Felleisen, welches noch auf dem Schiffe verwahret ist, bey sich habe. Der Alt-Vater schlug die Hände zusammen und sagte: Solte dieses wohl möglich seyn können? Ja! gebiethender Herr, sprach van Blac, es ist möglich und wahrhafftig, und wenn ich es nicht vollkommen erweißlich mache, will ich mich zu dieser Insul hinaus stäupen, oder gar in die See stürtzen [64] lassen. So strenge Gerichte, versetzte der Alt- Vater, haben wir hier nicht, allein, wie weit könnet ihr euer Geschlecht von mütterlicher Seite herrechnen? So wohl von väterlicher als mütterlicher Seite über 300. Jahr, welches ich, wie gesagt, mit alten Schrifften beweisen will. Habt ihr wohl, fragte der Alt-Vater, von einem Anton Florentin von Leuven gehöret? Ja wohl! anwortete van Blac, dieser ist ein berühmter Obrister in den alten Kriegen unter denTrouppen der vereinigten Niederländer gewesen, es ist ihm aber mit einer Stück-Kugel der rechte Arm abgeschossen worden, derowegen begiebt er sich nach Antwerpen, um in Ruhe zu leben, und seine Gelder zu verkehren. Er hat 2. Töchter und 4. Söhne gehabt, der erste hat geheissen Anton Florentin, wie der Vater, er ist in einer Schlacht geblieben; der andere, Jan Adrian, der, nachdem er auf einem Kriegs-Schiffe, welches in die Lufft gesprengt worden, kaum sein Leben und nichts mehr errettet, so dann nach Hause gegangen, und ebenfalls die Ruhe gesucht. Dieses ist meiner Mutter Groß-Vater gewesen. Der dritte Sohn, hat, wo mir recht ist, Richard Severin geheissen, ist auch ein grosser Kriegs-Officier gewesen, jedoch endlich so übel zugerichtet worden, daß er niemahls heyrathen können. Der vierte Sohn endlich ist der auf dieser Insul verunglückte Carl Franz gewesen, der vorhero die Concordia Plürs aus Engelland entführet hat, deren Geschlecht bis dato daselbst annoch in sehr gutem Stande ist, denn ich habe die Ehre gehabt, mit vielen von ihnen umzugehen, und von eben dieser Historie [65] mit ihnen zu sprechen, kan aber versichern, daß die Vor-Eltern nicht anders geglaubt, als daß Carl Franz, Concordia, ihr mitgereiseter Bruder und alle andern Menschen, sammt dem Schiffe untergegangen wären, weiln nachhero niemand weiter etwas von ihnen erfahren können.

Der Alt-Vater reichte dem van Blac die Hand, und sagte: ich habe die gröste Ursach, euch in allen völligen Glauben zuzustellen, denn die Nahmen und Umstände haben in so weit ihre Richtigkeit, da ich nun die Asche meines seeligen Vorwirths, Carl Franz van Leuven, annoch in ihrer Grufft verehre, und ihr solchergestalt ein Anverwandter von ihm seyd, will ich euch versichern, daß ihr meinen Befreundten und Abstammlingen gleich gehalten werden sollet, damit ihr aber doch sehen möget, woher ich weiß, daß eure Reden eintreffen, so will ich euch ein Buch zeigen, welches der selige Carl Franz van Leuven mit eigener Hand geschrieben, und worinnen nicht allein sein gantzes Geschlechts-Register, sondern auch viel andere besondere Umstände, und endlich, sein fast biß an seinen Todes-Tag fortgeführtes Diarium anzutreffen ist. Hiermit öffnete der Alt-Vater seinen Bücher-Schranck, und langete ein geschriebenes Buch heraus, blätterte erstlich ein wenig darinnen herum, und sagte endlich: Ja, es ist wahr, die Nahmen treffen zu, jedoch die Nahmen der beyden Schwestern habt ihr nicht gemeldet, ich will sie euch sagen: Die erste hat geheissen: Antonia Salome, die andere aber Esther Benigna. Ich glaube, daß es so seyn wird, mein Herr, replicirte [66] van Blac, allein, ich kan aus dem Kopffe nicht alles so ordentlich hersagen, sondern muß erstlich meine Schrifften darzu nehmen. Auf dieses überreichte ihm der Alt-Vater das Buch, und sagte: Da sehet ihr die eigene Handschrifft des jüngsten Bruders eures Groß-Groß-Vaters, worüber van Blac sich theils erfreuete, theils betrübete, etliche Seiten darinnen überlase, und es bald wieder zurück gab, sich aber ausbath, ihm zu erlauben, selbiges gantz durch zu lesen, wenn er erstlich seine alten Urkunden dabey legen könte. Der Alt-Vater versprach, ihm solches zu erlauben, doch würde er sich so dann auch gefallen lassen, ihm seine väterlichen und selbst eigenen Geschichten zu erzehlen, welches denn van Blac gantz willig und offenhertzig zu thun angelobte.

Unter diesen Gesprächen war der Abend heran gerückt, Herr Wolffgang kam vom Schiffe zurücke, und berichtete, daß diesen Tag abermahls ziemliche Lasten herauf gebracht wären, so, daß nicht zu zweiffeln, es würde vor Ende der zukünfftigen Woche alles gut auf der Insul stehen. Die übrigen stelleten sich auch ein, derowegen wurde bald nach der Abend- Mahlzeit Betstunde gehalten, und wir legten uns sogleich zur Ruhe, um morgenden Sonntag den Gottes-Dienst desto munterer abzuwarten.

Nachdem nun abermahls die Nacht dem Tage gewichen, wurden die Einwohner der Insul durch einen Canonen-Schuß von dem Albertus-Hügel aufgeweckt, und ihnen hiermit das Zeichen gegeben, daß sie sich bald auf den Kirch-Weg begeben solten, [67] hierauf wurde um 7. Uhr mit der 2ten grossen Glocke, um halb 8. Uhr, abermahls mit derselben, und sobald der Seiger auf der Albertus-Burg 8. schlug, mit 3en Glocken eingeläutet. Die gantze Einrichtung des Gottes-Dienstes kam mit derjenigen überein, welche die Evangelische Lutherischen zu observiren pflegen, wie denn auch vor und nach der Predigt musiciret wurde. Die Predigt legte schon gedachtermassen, Herr Schmeltzer jun. ungemein geschickt und erbaulich ab, seine Proposition bestund in den zweyen Worten:Himmel und Hölle; denn es war eben der I. post Trinitatis, und also das Evangelium: vom reichen Manne etc. er wuste die Hölle dergestalt erschröcklich, hergegen den Himmel so lieblich vorzubilden, auch zu zeigen, wie man den Weg zum Himmel finden, den Höllen-Weg aber vermeiden könne, daß ihn jederman mit der grösten Attention zuhörete, zumahlen da er eine angenehme und fast noch stärckere Aussprache hatte, als sein älterer Herr Bruder. Nachmittags that Herr Herrmann eine nicht weniger schöne Predigt über die ordentliche Sonntags-Epistel, und stellete vor: Die glückselige Vereinigung mit GOtt, durch das Band der Liebe. Es war dieses in Wahrheit auch ein recht beliebter Prediger, der sehr schöneStudia, eine etwas schwache, aber desto lieblichere Aussprache hatte, derowegen schätzten wir uns alle recht glücklich, 3. solche wackere und ansehnliche Seelsorger zu haben.

Nach der Kirche ließ Herr Mag. Schmeltzer, welcher dieserwegen schon mit dem Alt-Vater [68] Abrede genommen hatte, die Aeltesten und Vorsteher der Gemeinden bitten, mit auf die Albertus-Burg zu kommen, weil man ihnen etwas besonders vorzutragen hätte; Da nun diese Folge leisteten, eröffnete ihnen Herr Mag. Schmeltzer, wie auf künfftigen 25ten Tag dieses Monahts, nehmlich den Tag nach Johannis, inEuropa von allen Evangelisch-Lutherischen Glaubens-Bekennern ein besonderes hohes Fest oder Jubilæum celebrirt werden würde, weil eben an demselben Tage vor nunmehro 200. Jahren, das Evangelische Lutherische Glaubens-Bekänntniß dem Römischen Kayser Carolo V. zu Augspurg übergeben, mithin der Grund gelegt worden, daß die reine Lehre, welche von einigen seit undencklichen Zeiten her mit vielen Irrthümern vermischt gewesen, wieder an theils Orten in Europa frey und öffentlich, nach Anweisung des Göttlichen Worts, gepredigt werden dürffen, auch den gemeinsten Leuten wieder erlaubt worden, die heilige Bibel zu lesen, welches bißhero verbothen gewesen, etc. etc.

Demnach schiene nicht nur sehr nützlich, sondern auch unsere Schuld und Pflicht zu seyn, daß wir Felsenburger uns der Freude und Vergnügens über die besondere Gnade GOttes, so er auch uns durch seinen auserwehlten Rüst-Zeug, den seel. Lutherum erwiesen, theilhafftig machen, GOtt zu Ehren und zum Heyl unserer Seelen den 25. 26. und 27ten Junii, als 3. hohe Fest-Tage, so wir Weyhnachten, Ostern und Pfingsten, mithin dieses Jubilæum auf die Art celebrirten, wie es, besage [69] der Kirchen-Historie, die Evangelisch-Lutherischen vor 100. Jahren in Europacelebrirt hätten.

Die Vorsteher der Gemeinden höreten diesen Vortrag mit grösten Vergnügen an, und versprachen alles, was von ihnen erfordert würde, schleunigst zu veranstalten, man solte nur so gütig seyn, und ihnen schrifftliche Verordnungen geben, damit sich die Stämme, einer wie der andere, darnach richten könten. Herr Mag. Schmeltzer versprach, solche Verordnung folgenden Dienstags Vormittags einem jeden Vorsteher schrifftlich zuzuschicken, ermahnete anbey, daß sich die Einwohner fleißig in den Donnerstägigen Wochen-Predigten einstellen möchten, weil ihnen in selbigen die gantze Reformations-Historie vorgelesen und erkläret werden solte. Hierauf begab sich ein jeder wohl vergnügt an seinen behörigen Ort.

Folgenden Montags wurde ein Boot zugerichtet, auf welchen nicht allein viel Brod, Bier, Wein, Wildpret, Ziegen-Fleisch, nebst noch anderen Victualien, sondern auch viel weisses Zeug nebst andern Kleidungs-Stücken und Geräthe, nach Klein-Felsenburg zu Verpflegung der Matrosen hinüber geführet wurde, es fuhr auch Herr Herrmann nebst etlichen, schon vor einigen Jahren naturalisirten Europäern mit hinüber, welche letztern nur dieses Schiffs-Volck zu sehen, Herr Herrmann aber deßwegen hinüber fuhr, ihnen eine Predigt zu halten, und etliche geistliche Lieder vorzusingen. Capitain Horn reisete gleichfals mit, um zu erfahren, wie sie sich bißhero aufgeführet hätten. Ich nebst dem Capitain Wadley war inzwischen beschäfftiget, [70] Anstalten zu machen, daß unsere bereits auf der Insul befindlichen Sachen, mit Roll-Wagens auf die Albertus-Burg geschafft würden, als worzu sich denn nicht allein die Affen, zahm gemachten Hirsche und Pferde, sondern auch die Menschen gebrauchen liessen.

Mittwochs, Nachmittags, kam Capitain Horn auf dem Boote nebst allen mitgeseegelten glücklich zurück, und berichtete, daß sich die Matrosen, der Officiers Rapport nach, sehr vernünfftig aufgeführet, die Zeit mit Jagen und anderer Hand-Arbeit, zuweilen auch mit allerley Lust-Spielen zugebracht, jedoch nicht den geringsten Streit erregt hätten. Bey Hn. Herrmanns Predigt, Beten und Singen, wären sie sehr andächtig gewesen, auch hätten einige Evangelisch-Lutherische unter ihnen verlangt, daß ihnen doch mit nächsten das Heil. Abendmahl gereicht werden möchte. Ubrigens wäre keiner unter ihnen gewesen, welcher einiges Mißvergnügen darüber bezeigt, daß man sie nicht mit auf die grosse Insul genommen. Wir waren hierüber sehr vergnügt, merckten aber wohl, daß dieses lauter Früchte waren von Capitain Horns kluger Conduite; denn er war würcklich ein Mann, der die Schifffahrt wohl verstunde, und sich zu einemCommandeur am allerbesten schickte, indem er ungemein gütig, wohlthätig und leutselig war, aber doch, wenn es die Noth erforderte, seine Autorität gewaltig zeigte, dieselbe zwar nicht mißbrauchte, seinen Respect indessen niemahls vergab.

Donnerstags, den 15. Junii, fanden sich fast alle[71] auf der Insul wohnende Menschen in Herrn Mag. Schmeltzers Wochen-Predigt ein, ja es wurde auch so gar des Capitain Horns 9. Sclaven erlaubt, das Schiff zu verlassen, und dem GOttes-Dienste mit beyzuwohnen, welche sich denn sehr aufmercksam bezeigten. Herr Mag. Schmeltzer trug erstlich vor, daß wir den Tag nach Johannis-Tage, 3. Tage nach einander, ein besonderes hohes Fest feyern wolten, meldete hierauf kürtzlich: aus was vor Ursachen, und zu was vor Nutzen; nachhero fieng er an, den ersten Absatz der Evangelisch-Lutherischen Reformations-Historie zu verlesen, und erklärete denselben dergestalt, daß es auch das kleineste Kind fast hätte begreiffen können, ob nun gleich diese Predigt über 3. Stunden lang währete, so ließ doch fast jede Person an ihren Gebärden spüren, daß sie wohl noch 3. Stunden zugehöret hätte.

Nachhero ging ein jedes wieder an seine Arbeit,Capitain Horn wurde gebeten, dem Alt-Vater die Zeit zu passiren, Wadley aber und ich begaben uns mitMons. Kramern nach Alberts-Raum, nahmen erstlich die Mittags-Mahlzeit bey ihm ein, und besorgten hernach die weitere Fortschaffung unserer Sachen nach der Alberts-Burg, nahmen folgende Nächte unser Quartier bey demselben, und brachten Sonnabends Abends, bey eingetretener Nacht, auch die schlechtesten und geringsten Sachen an ihren gehörigen Ort und Stelle. Am 2ten Sonntage post Trin. predigte Vormittags Hr. Mag. Schmeltzer über das ordentliche Evangelium, Nachmittags verlaß Hr. Schmeltzer jun. [72] den andern Absatz von der Reformations-Historie, und erklärete denselben so deutlich, als sein Hr. Bruder vorigen Donnerstag gethan.

Folgende Werckel-Tage brachten wir mit Auspackung unserer nothbedürfftigsten Sachen zu, die Herrn Geistlichen und andere aber besorgten ein jeder das Seine.

Donnerstags verlaß Hr. Herrmann den dritten Absatz von der Reformations-Historie, und folgte in der Art, dieselbe zu erklären, seinen Vorgängern. Diesen Tag, nach vollbrachtem Gottes-Dienste, und denn den folgenden, wendeten wir gleichfalls zum Auspacken unserer nöthigsten Sachen an, der Sonnabend aber wurde darzu angewendet, sich auf das Johannis-Fest und Jubilæum zu præpariren, wie denn auch Nachmittags ein Collegium Musicum auf dem grossen Saale des Hinter-Gebäudes angestellet wurde, um die Kirchen-Stücke zu probiren, worzu die Herren Geistlichen die Texte gemacht, theils Hr. Mag. Schmeltzer, theils Mons. Litzberg, theils aber einer von unsern neuen mitgebrachten Musicis, dieselben componiret hatten.

Am St. Johannis-Tage predigte Hr. Schmeltzerjun. Vormittags über das Fest-Evangelium, und Nachmittags verlaß Herr Herrmann den 4ten und letzten Theil der Reformations-Historie, erklärete dieselbe, und schloß mit der Vermahnung, dieses seltsame Fest, welches die allermeisten unter uns, wohl nicht wieder erleben würden, nicht mit gleichgültigen Augen anzusehen, sondern dessen Ursach und Nutzen wohl zu Hertzen zu fassen.

[73] Nach verrichteten Gottes-Dienst hielt Herr Mag. Schmeltzer abermahls Conferenz bey dem Alt-Vater mit den Vorstehern der Gemeinden, und erfuhr von ihnen, daß nach seiner Vorschrifft alles nach Vermögen eingerichtet wäre, weilen aber wegen der jungen mitkommenden Kinder, die nicht so hurtig gehen konten, auch anderer Ursachen wegen, schon vorhero beschlossen worden, den ersten Jubel-Tag nur einmahl Kirche zu halten, als wurde ihnen angesagt, nicht ehe aus ihren Häusern nach der Kirche zu gehen, als wenn die Canonen zum andern mahle abgefeuert würden. Hiernach versprachen sie sich zu richten, reiseten eiligst nach ihren Wohnungen, und wir hielten uns gleichfalls nicht lange auf, sondern suchten mit einbrechender Nacht unsere Ruhe-Stellen.

So bald der Himmel zu grauen anfing, stund ich auf, kleidete mich an, sahe erstlich nach dem Alt-Vater, und da ich merckte, daß derselbe schon aufgewacht war, sagte ich: Lieber Vater! wo es euch gefällig, will ich, da es nunmehro Tag wird, das erste Signal mit den Canonen geben lassen. Ja! mein Sohn, gab er zur Antwort, thuet es, denn ich kan ohnedem nicht mehr schlaffen, werde aber doch noch ein paar Stündgen liegen bleiben, besorget nur inzwischen alles wohl. Ich küssete ihn, gieng hierauf fort, und fand die Bestellten schon in Parade stehen, mit welchen ich hinging, und die, dieses Fests wegen, auf dieAlbertus-Burg gepflantzten 18. Canonen zum ersten mahle abfeurete. Mittlerweile hatten sich unsere 2. neu mitgebrachten Musicanten, nebst [74] Mons. Litzbergen, Harckerten und Matthæus Pür, welchen Capitain Horn schon vormahls als Kupfferschmidt auf diese Insul gebracht, oben auf den Seiger-Thurm geschlichen, und fingen mit Trompeten und Paucken gewaltig an zu lermen, welches, weil es mir selbst unverhofft kam, mich um so viel desto mehr entzückte, es schlug aber der Kupfferschmidt Pür die Paucken vortrefflich gut, denn er hatte diese Kunst so gar nachNoten gelernet, die 4. erstgemeldten aber bliesen die Trompeten auch sehr wohl, ohngeacht Litzberg undHarckert lange nicht im Exercitio gewesen waren.

Etwa eine Stunde darnach ließ ich die Canonen zum andern mahle abfeuern, worauf sich denn wiederum Trompeten und Paucken binnen einer Stunde 3. mahl hören liessen. Endlich da wir sahen, daß die Einwohner von allen Strassen her, immer näher und näher angezogen kamen, wurden die Stücke zum dritten mahle gelöset; Trompeten und Paucken liessen sich wieder hören, biß sich alles Volck vor der Albertus-Burg versammlet hatte, da denn endlich die Melodey des Chorals: Es woll uns GOtt genädig seyn etc. etc. als welcher unsers Alt-Vaters täglicher Gesang war, 3. mahl mit Zincken und Posaunen abgeblasen, nachhero mit allen Glocken zu läuten angefangen, und damit eine gantze Stunde lang continuirt wurde. Binnen der Zeit war alles in Ordnung gebracht, und der Zug von der Albertus-Burg also eingerichtet: Erstlich giengen die Kinder von 3. 4. biß 14. Jahren, alle über ihre ordentliche Kleidung mit weissen Hembden, die fast biß auf die [75] Erde reichten, angethan, grüne Cräntze auf den Häuptern, und grüne Zweige in den Händen habend, voran; sie waren von ihren Schulmeisters nicht nur in Ordnung gestellet, sondern wurden auch darinnen erhalten; hernach folgten die Jungfrauen mit Cräntzen, ebenfalls in weissen Habit; auf diese die 3. Herren Geistlichen, denen der Alt-Vater in der Sänffte nachgetragen wurde. Hinter derselben her, giengen erstlich die sämmtlichen Felsenburgischen Jung-Gesellen, alle in rother Kleidung, diesen folgten die Weiber und Wittben, alle schwartz gekleidet, hernach kamen die sämmtlichen Europäischen Einkömmlinge; und den gantzen Zug beschlossen die Felsenburgischen Männer, in solcher Ordnung, daß jede Familie von ihrem Aeltesten oder Vorsteher, der voran gieng, geführet wurde.

Im Heruntergehen wurden die Lieder gesungen:Nun freut euch lieben Christen gemein, etc. etc. Es ist das Heil uns kommen her, etc. etc. Wie schön leucht uns der Morgen-Stern, etc. etc. Nun lob, mein Seel, den HErren, etc. etc. So bald sich alle Personen in der Kirche befanden, und das letzte Lied ausgesungen war, wurde auch zu läuten aufgehöret, und der GOttes-Dienst mit dem Liede: Komm Heiliger Geist, erfüll etc. etc. angefangen, hieraufintonirte Hr. Mag. Schmeltzer vor dem Altare: Gelobet sey die Heil. Dreyfaltigkeit. Worauf unter Trompeten und Paucken-Schall von dem Orgel-Chor geantwortet wurde: Und unzertrennte Einigkeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit, Amen! Und unter [76] der Zeit wurden auch auf der Albertus-Burg 6. Canonen abgefeuert, nachdem aber Herr Mag. Schmeltzer das Gebet: HErr GOtt himmlischer Vater, von dem wir ohn Unterlaß allerley Guts etc. etc. abgesungen, wurde der Choral: Allein GOtt in der Höh sey Ehr etc. angestimmet. Hierauf an statt der Epistel das 41te Capitel aus dem Propheten Jesaia verlesen, so dann das Lied gesungen: O HErre GOtt, dein göttlich Wort etc. an statt des Evangelii der 122. Psalm Davids verlesen, und hernach folgende Cantata musiciret:


* *

*


Recit.

Soprano solo.


Aus meines Hertzens-Grunde
Sag' ich dir Lob und Danck,
Dir, der du in dem Himmel sitzest,
Jedoch allgegenwärtig bist,
Und vor des Satans Trug und List
Die dir ergeb'nen Seelen schützest.
Es sagt die Felsenburger-Schaar,
Die sonst ein kleines Häufflein war,
Aus einem Munde
Und mit vereinten Hertzen,
Jetzt und ihr Lebenlang
Dir, grosser GOtt,
Und starcker Zebaoth,
Vor deine Güte Lob und Danck.
[77] Concert.

Psalm. 147. v. 12. seq.


Preise, Jerusalem, den HErrn, lobe Zion deinen GOtt, denn er macht veste die Riegel deiner Thore, und segnet deine Kinder drinnen.

Er schaffet deinen Gräntzen Friede, und sättiget dich mit dem besten Weitzen. Er sendet seine Rede auf Erden, sein Wort läufft schnelle.


Choral.

Tenore.


Lob und Danck sey dir gesungen,
Vater der Barmhertzigkeit,
Daß mir ist mein Werck gelungen,
Daß du mich vor allem Leyd
Und für Sünden mancher Art
So getreulich hast bewahrt,
Auch die Feind' hinweg getrieben,
Daß ich unbeschädigt blieben.

* *

*


Keine Klugheit kan ausrechnen
Deine Güt und Wunderthat,
Ja kein Redner kan aussprechen,
Was dein Hand bewiesen hat,
Deiner Wohlthat ist zu viel,
Sie hat weder Maaß noch Ziel,
Ja du hast mich so geführet,
Daß kein Unfall mich berühret.

Recit.

Alto solo.


Ja wohl ist niemand so geschickt,
Die Gnaden-Zeichen allzumahl,
So GOtt von Kindes-Beinen an
Bey uns gethan,
Behörig zu beschreiben.
Diß heist die ungezählte Zahl,
Und wird es immer bleiben,
Biß uns nach dieser Zeit
Des Allerhöchsten Gütigkeit
Ins ew'ge Leben rückt.
Inzwischen müssen wir bekennen:
Wie daß die gröste Wohlthat sey:
Daß wir sein heilig Wort
Und Luthers reine Lehren
[78]
Von nun an fort und fort
Auf dieser Insul können hören;
Und uns dabey
Auch GOttes Kinder dürffen nennen.
Concert.

Psalm. 119. v. 105.


Dein Wort ist meines Fusses Leuchte, und ein Licht auf meinem Wege.

Choral.

Sopran.


Mein'n Füssen ist dein heiligs Wort ein brennende Lucerne, ein Licht, das mir den Weg weis't fort, so dieser Morgen-Sterne in uns aufgeht, so bald versteht der Mensch die hohen Gaben, die GOttes Geist den'n g'wiß verheist, die Hoffnung darein haben.

Recit.
Basso solo.
GOttes Wort und Luthers Lehr
Vergehet nun und nimmermehr;
Wird gleich der Himmel mit der Erden
In nichts verwandelt werden,
Bleibt jenes beydes dennoch veste stehn,
Und kan niemahls zu Grunde gehn;
Drum wollen wir
Nur für und für
Den Höchsten lassen walten,
Und uns allstets an diese Felsen halten.
[79] Concert.

Psalm. 31. v. 3.


Sey mir ein starcker Felß und eine Burg, daß du mir helffest; denn du bist mein Felß und meine Burg; und um deines Nahmens willen wollest du mich leiten und führen.

Choral.
Alto.

Du bist mein Stärck, mein Felß, mein Hort, mein Schild, mein Krafft, sagt mir dein Wort, mein Hülff, mein Heil, mein Leben, mein starcker GOtt in aller Noth, wer mag dir wiederstreben.

Tutti.
Glori, Lob, Ehr und Herrlichkeit
Sey dir GOtt Vat'r und Sohn bereit, etc. etc.

Sowohl uns dieser von Herrn Mag. Schmeltzern gemachte Text gefiel, so angenehm fiel auch dessenComposition, die unser Musicus, Mons. Langrogge, über sich genommen hatte, in die Ohren. Die ersten 2. Zeilen des ersten Recitativs, welches ein reiner Discantiste sunge, ihm nicht einmahl mit der Orgel, sondern nur mit einer sanfft geblasenen Trompete accompagnirt wurde, hätten der Gemeine fast die Meynung beygebracht, als ob dieses Morgen-Lied gantz ausgesungen werden solte, allein, gleich bey der 3ten Zeile, fiel so gleich die Orgel mit ein, und wurde dasRecitativ nach seiner Art abgesungen, im übrigen war die Abwechselung der Stimmen und Instrumenten dergestalt wohl in Acht genommen, daß, wie gesagt, dergleichen Stück in dieser Kirche noch nicht gehöret worden. Nach geendigter Music und gesungenen [80] Choral: Wir glauben all an einen GOtt, etc. predigte Herr Mag. Schmeltzer über den 122. Psalm Davids, und stellete daraus vor: Die GOtt wohlgefällige Jubel-Freude. Verglich unser Felsenburg mit der Stadt Jerusalem und dem Berge Zion, auf eine ungemein erbauliche Art. Am Ende der Predigt aber gab er der Gemeinde zu vernehmen, wie, bald itzo nach der Predigt, sein leiblicher Bruder, Herr Jacob Friedrich Schmeltzer und Herr Johann Friedrich Herrman, ihnen, so wohl als er, zu Priestern und, Beicht-Vätern vorgestellet werden solten, derowegen möchten sich in Zukunfft, des Alt-Vaters beliebter Ordnung gemäß, die auf der Albertus-Burg befindlichen, ingleichen die Alberts-Johannis- und Christophs-Raumer, bey ihm, Hn. Mag. Schmeltzern; die Simons-Christians- undRoberts-Raumer, bey Herrn Schmeltzern jun. die Jacobs-Stephans- und Davids-Raumer aber bey Herrn Herrmannen im Beicht-Stuhle einfinden, auch sich sonsten, ihrer Sorge in geistlichen Dingen anvertrauen. Wiewohl dieserwegen niemanden ein Zwang auferlegt, sondern jedem erlaubt wäre, sich so wohl an einen als an den andern Priester zu addressiren.

Nachdem also die Predigt beschlossen, und nochmahls eine Cantata musicirt war, giengen die drey Priesters vor dem Altar, Herr Mag. Schmeltzer blieb auf der Obersten Stuffe, die beyden jüngern aber eine Stuffe tieffer stehen, der Alt-Vater und die Vorsteher der Gemeinden rangirten sich zu beyden Seiten des Altars. Herr Mag. [81] Schmeltzer hielt erstlich eine Rede, die ohngefähr eine halbe Stunde währete, worinnen er von der Pflicht der Priester gegen ihre Zuhörer, und dann auch von der Pflicht der Zuhörer oder anvertrauten Seelen gegen ihre Priester, sehr beweglich handelte, stellete nachhero diese seine geliebten Mit-Arbeiter am Wort, der gantzen Felsenburgischen Gemeine vor, segnete sie ein, beschloß mit einem schönen Gebete und Wunsche vor beyde Theile, intonirte hernach den Lob Gesang: HErr GOtt, dich loben wir, etc. etc. Hierauf wurde vom Orgel-Chore unter Trompeten und Paucken-Schalle, ingleichen von der gantzen Gemeine, derselbe biß zu Ende gesungen, und auch unter der Zeit, das auf der Alberts-Burg stehende schwere Geschütz nach gegebenem Zeichen vier mahl abgefeuert. Nach gesprochenem Segen und angestimmten Liede: Nun dancket alle GOtt, etc. etc. also, nach geendigtem Gottes-Dienste, wurden die Canonen nochmahls binnen einer Stunde dreymahl gelöset, auch eine gantze Stunde lang geläutet, und der Choral: Von GOtt will ich nicht lassen etc. etc. vom Thurme geblasen, worauf denn alle gegenwärtige Felsenburger in verschiedenen Zimmern der Albertus- Burg köstlich tractiret wurden, gegen Abend aber alle, bis auf etliche alte Greise, wieder in ihre Wohnung kehreten. Folgende zwey Tage wurden nicht weniger so andächtig als frölich zugebracht, Herr Mag. Schmeltzer aber wegen seiner vielen gehabten Sorgen und Bemühungen, in Anordnung dieser gantzen Fest-Ceremonien, mit Predigen verschonet, indem Herr Schmeltzer [82] jun. die Vor- und Herr Herrmann die Nachmittags-Predigten verrichteten.

Der darauf folgende 28. Jun. wurde von den sämmtlichen Einwohnern mit allerhand erlaubten Lustbarkeiten zugebracht, und keine als die höchstnöthigsten Arbeiten darane gethan; Donnerstags aber fuhr Herr Schmeltzer jun. mit etlichen Europäern und Felsenburgern hinüber auf die kleine Insul, hatte daselbst den Matrosen eine Beth-Stunde und Predigt gehalten, einigen Evangelisch-Lutherischen das Heilige Abendmahl gereicht, und sonst alles in guter Ordnung gefunden, doch hatten sie sehr Verwunderungs-voll gefragt, was denn binnen drey Tagen das öfftere Canoniren zu bedeuten gehabt hätte, worauf sie die Antwort bekommen, daß es keine Gefahr zu bedeuten gehabt, sondern es wäre ein besonderes Fest auf der Insul gefeyert worden. Ubrigens, nachdem sie zu verstehen gegeben, wie sie daselbst mit einander gantz vergnügt lebten, auch noch wohl auf 3. Wochen Proviant, Bier und Wein genug hätten, waren unsere Leute wieder abgefahren, und kamen noch vor Abends wieder zu uns.

Nächstfolgenden Sonntag gieng abermahls ein besonderer Actus in unserer Kirche vor, denn nachdem des Capitain Horns 9. Sclaven von Herrn Mag. Schmeltzern Tags vorhero examinirt und in allen Glaubens-Articuln wohl unterrichtet befunden worden, so wurden dieselben gleich nach der Predigt erstlich von ihm getaufft, wobey die 9. Felsenburgischen Vorsteher, 9. von uns Europäern und 9. Felsenburgische Jungfrauen zu Gevattern [83] stunden. Nach der Tauffe wurde ihnen von Herrn Schmeltzern jun. und Herrn Herrmannen das Heilige Abendmahl gereicht, nachdem je 3. und 3. bey einem jeden Priester gebeichtet hatten. Der Alt-Vater ließ sie hierauf in einem besondern Zimmer mit den besten Speisen versorgen, nachhero in sein Zimmer ruffen, und durch mich einem jeden 100. Spanische Creutz-Thaler zum Pathen-Geschencke auszahlen. Capitain Horn schenckte ihnen die Freyheit, und sagte, daß sie von nun an nicht mehr Sclaven seyn und heissen, jedoch so lange bey ihm bleiben solten, biß er wieder in Europa angelanget wäre, da sich denn ein jeder nach seinem Belieben hinwenden könte, wohin er wolte, mitlerweile solten sie auch von ihm den monatlichen Matrosen-Lohn zu gewarten haben. Merckwürdig war dieses bey ihrer Tauffe, daß ein jeglicher Christian genennet wurde, jedoch noch einen Vornahmen darzu bekam, mit welchen man sie im Zuruffen oder Gesprächen unterscheiden konte, der Zu-Nahme aber, war einem jeden, sich selbst zu erwählen, überlassen.

Sie bezeigten sich einer wie der andere ungemein erfreuet, daß sie sich nunmehro unter die Christen rechnen konten, lasen auch bey müßigen Stunden beständig in den ihnen geschenckten Bibeln, Gesang-und Gebet-Büchern, weßwegen sie denn auch der Alt-Vater nicht von uns kommen lassen, sondern im Christenthume noch immer mehr gestärckt wissen wolte, biß zu Capitain Horns Abreise.

Bey dieser Gelegenheit fällt mir Talli ein, welcheAo. 1728. am 17. Sonntage p. Trin. auch auf dieser[84] Insul getaufft, und gleich diesen ihren Lands-Leuten aus dem Heyden-ins Christenthum geführet wurde; es hatte aber dieselbe unter der Zeit unsers Abwesens einen feinen Mann aus dem Simonischen Geschlechte bekommen, jedoch voritzo lag sie eben in 6. Wochen, weil sie kurtz vor unserer Ankunfft eine junge Tochter zur Welt gebracht hatte, und eben dieserwegen war sie noch nicht zum Vorscheine gekommen. Jedoch nachdem ich, vielleicht manchem Leser zum Verdruß, mich bey den Geistlichen Begebenheiten etwas lange aufgehalten, und dennoch manches Betrachtens-würdige zurück gelassen, welches aber vielleicht hier und dar noch beyläuffig mit eingestreuet werden kan; so muß mich nun wohl auch befleißigen, Bericht abzustatten, wie die Sachen fernerweit nicht allein seit unseres Abseyns, sondern auch nach unserer glücklichen Zurückkunfft eingerichtet worden.

Die 7. Einkömmlinge, so Mons. Horn vordem da gelassen, (NB. die im andern Theile pag. 560. specificirt sind) hatten sich gantz wohl berathen, 3. unter ihnen, nehmlich, Tau, Pür und Berthold, welche vorhero andern Secten zugethan gewesen, waren nicht nur zur Evangelisch-Lutherischen Religion übergetreten, sondern hatten sich auch bereits verheyrathet, und mehrentheils neben den Häusern ihrer Schwieger-Eltern und Freunde neue Häuser und Werckstätten aufgebauet, dergestalt, daß Bucht, der Nadler, in Davids-Raum; Dietrich, der junge Mechanicus, (welcher Mons. Plagers seiner Frauen Schwester beko en, und bereits ein künstlicher und fleißiger Mann war,) und [85] Herbst, der Gürtler, in Jacobs-Raum;Rümpler, der Gerber, in Stephans-Raum; Tau, der Hutmacher, in Simons-Raum; Pürr, der Kupfferschmidt, in Johannis-Raum, und Berthold, der Seyler, in Christophs-Raum zu wohnen kommen waren. Derowegen schien das allernöthigste zu seyn, die neuen mitgebrachten Künstler und Hand-Wercks-Leute ebenfalls in diejenigen Pflantz-Städte einzutheilen, allwo sie ihre Professiones am bequemlichsten treiben könten. Demnach wurde mit den Stamm-Vä tern und klügsten Europäern Rath gehalten, und endlich beschlossen, daß der Buchbinder Ollwitz in Christians-Raum, bey Mons. Litzbergen, Rädler, der Buchbinder, Besterlein, der Sattler, Hollersdorff, der Mahler, in Alberts-Raum, u. zwar dieser Letztere in Mons. Cramers Behausung, Breitschuch, der Seiffensieder, und Trotzer, der Zinngiesser, in Roberts-Raum; Engelhart, der Blechschmidt, in Davids-Raum; Schubart, der Glaßmeister, nebst ihmeRindler, der Glaß-Blaser in Stephans-Raum, ihre Wohnstädten bekommen solten, und zwar diese beyden letztern nur so lange, biß die Glaß-Hütte zu Stande gebracht, welche am Walde bey den Saltz-Lachen, zwischen Jacobs- und Stephans-Raum, nach Uberlegung der Verständigsten angelegt werden solte. Nachdem nun ein jeder in die ihm zuerkanndte Pflantz-Stadt eingeführt, ihm sein Logis und Platz zur Werckstatt angewiesen worden, auch sich nach erstattetem Bericht keiner unter ihnen gefunden, welcher nicht sehr wohl [86] damit zufrieden gewesen wäre, lieferte ich jeden seine Kisten, worein die zu seiner Profession gehörigen Sachen eingepackt waren, nebst ihren übrigen annoch bey mir befindlichen Geräthe aus, ermahnete einen jeglichen, nur erstlich seine Sachen in Ordnung zu bringen, und zu überschlagen, wo und wie ihre Werckstätten angelegt werden müsten, da denn so gleich unsere Bau-Leute Anstalt machen solten, dieselben in behörige Ordnung zu bringen, auch solte es ihnen an Gehülffen und Lehrlingen nicht ermangeln, indem sich genung Felsenburgische Knaben anfinden würden, die diese oder jene Profession zu erlernen geschickt wären.

Demnach blieben auf der Albertus-Burg nur folgende Personen:


Der Alt-Vater Albertus mit denen, ihm von jeden Stamme zur Aufwartung zugegebenen Knaben und Mägdleins.

Mein Vater, Franz Martin Julius.

Herr Mag. Schmeltzer nebst seiner Liebste und zweyen Kindern.

Herr Schmeltzer jun.

Herr Herrmann.

Capitain Wadley.

Mons. van Blac.

Mons. Langrogge und

Mons. Hildebrand, die beyden Musici.

Ich, Eberhard Julius.

Meine Schwester, Juliana Louise.

Jungfer Krügerin

Jungfer Zornin

[87] Barb. Kuntzin, meiner Schwester Bediente.

Capitain Horn mit seinen 9. Sclaven, so lange als ihm allhier auszuruhen beliebte.


Die Buchbinders hatten ihre Werck-Zeuge am allerersten in Ordnung gebracht, indem sie die vornehmsten Stücke aus Europa mitgenommen hatten, derowegen kamen beyde, und ersuchten auch die Kisten, worinnen die rohen Bücher, Pergament und ander Zubehör verwahret wäre, auszupacken, damit sie einen Anfang machen könten, die grosse Anzahl Bücher zu verfertigen, welche zu der Felsenburgischen Bibliothec erkaufft und gewidmet waren. Sie durfften hierauf nicht lange warten, sondern bekamen bald, was sie verlangeten. Nächst diesen suchte ich das benöthigte vor Mons. Hollersdorffen, den Mahler, hervor, welcher denn mit drey ihm zugegebenen jungen Purschen, die er in der Mahler-Kunst unterrichten solte, in wenig Tagen den Anfang machte, den Altar zu mahlen, und an behörigen Orten zu vergulden. Weiln aber in unserer Kirche, so wohl als auf der Albertus-Burg keine Glaß-Fenster, sondern die Rahmen nur mit durchsichtigen Fisch-Häuten überzogen waren, welche doch sehr verdunckelten, so ließ ich nicht ab, biß Mons. Litzberg und die übrigen Bau-Verständigen, sich nebst gnugsamen Arbeitern mit mir auf denjenigen Platz begaben, wo die Glaß-Hütte angelegt werden solte. Es wurde also nicht nur binnen wenig Tagen der Grund aufgegraben, sondern auch sattsames Holtz, Kalck und Steine aufgeführet, und das gantze Gebäude binnen wenig Wochen unter das Dach gebracht. Der Glaß-Meister [88] Schubart war ein sehr geschickter Mann, gab an, wohin die Glaß-Cammer oder Magazin, der Calcinir-Ofen, der Schmeltz-oder Werck-Ofen, und dann der Kühl-Ofen gebauet, und wie eigentlich diese dreyerley Arten von Ofen gemacht werden solten, bestellete auch die dazu benöthigten Machinen und Instrumente, als, die Pfeiffe, Vorschneid-Eisen, das Zwack-Eisen, Bühm-Eisen, Scheere, Auftreib-Scheere, Rößgen, Sattel, eiserne Schöppe, Wasser-Trog, Formen, Mörser und dergleichen, und versprach, wenn man ihn und seinen Compagnon so fleißig fort förderte, auch gnugsame Materialien zuführen liesse, binnen wenig Wochen so viel Glaß-Taffeln zu liefern, als wir zu unsern Kirch-Fenstern nöthig hätten. Ich sparete keine Worte, die Vorsteher der Gemeinden dahin zu bringen, daß sie sich diesen Bau rechtschaffen angelegen seyn liessen, derowegen fehlete es nicht an fleißigen Arbeitern, auch wurden die Materialien zum Glaßmachen nach und nach dergestalt häuffig zugeführet, daß der Glaß-Meister völlig vergnügt war. Ich begab mich alle Woche zwey biß drey mahl dahin, diesen Bau zu besichtigen, allein, ich konte wenig tüchtigen Rath darzu geben, weil ich die Sache nicht verstund, hergegen thatenMons. Litzberg, Plager, Morgenthal und andere nebst dem Glaß-Meister Schubart das beste bey Anlegung dieser Sache, so, daß sie endlich noch vor Michaelis völlig zum Stande kam, und wir eine Probe von vielerley Sorten der Gläser, mit grösten Vergnügen zu sehen bekamen, auch die fleißigen Arbeiter zum öfftern besuchten, indem [89] sich verschiedene Felsenburgische junge Männer, Junggesellen und Knaben mit darzu gebrauchen liessen.

Binnen der Zeit aber kam uns auch die Lust an, die andern neu mitgebrachten Handwercker zu besuchen, und fanden, daß die Buchbinders sehr fleissig gewesen waren, denn sie hatten schon eine ziemliche Anzahl Bücher recht nett und sauber eingebunden. Der Seiffensieder Breitschuch zeigte schon viele Centner von seiner, mittelmäßigen und geringen Seiffe, versprach auch, nur noch einige Centner darzu zu machen, und selbige hernach auf die Albertus-Burg zu liefern, damit selbige unter die Stämme vertheilt, und jede Haußwirthin so viel davon habhafft werden könte, sich eine Zeitlang damit zu behelffen. Der Zinngiesser Trotzer lieferte von den ihm gegebenen 10. Centner Zinn vorerst 6. Dutzent grosse, mittelmäßige und kleinere Schüsseln, 12. Dutzent Teller, nebst allerhand andern Sachen, welche alle zu specificiren viel zu weitläufftig fallen würde, das ansehnlichste darunter aber war ein Hand-Faß von besonderer façon und ungemein sauberer Arbeit, nebst einem gantz Zinnern propern Caffée-Tische, welche beyden Stücke er in des Alt-Vaters Zimmer gestellet haben wolte. Besterlein, der Sattler, hatte in des Alt-Vaters Zimmer 2. Dutzent saubere Stühle beschlagen, 3. schöne Sättel und verschiedene Sorten von Riemen-Werck zum Meister-Stücke gemacht. Bey Engelhardten in Davids-Raum traff man schon eine gewaltige Menge von allerley blechernen und meßingenen Gefässen und Sachen an, er wolte [90] aber deren erstlich noch mehr verfertigen, sie sodann auf die Albertus-Burg liefern, damit der Alt-Vater damit disponiren könte, wie ihme beliebte. Mons. Hollersdorff, der Mahler, hatte nicht nur den Altar bereits vollkommen schön ausgemahlt, sondern wurde auch noch vor Michaelis mit der Cantzel fertig. Solchergestalt sahen unsere Aeltesten mit Vergnügen, daß wir keine Schmarotzer und faule Tage-Diebe, sondern lauter fleissige Arbeiter mitgebracht hatten, inzwischen durfften sich diese um keine Lebens-Mittel bekümmern, denn es wurde ihnen alles, was sie begehrten, reichlich zugetragen.

Mittlerweile wurde es kundig, daß Hr. Schmeltzerjun. mit meiner Schwester, und ich mich mit meinerCordula an dem künfftigen Michaelis-Feste wolten copuliren lassen, derowegen mag der Appetit zum Heyrathen nicht nur einigen Felsenburgern, sondern auch etlichen von unsern neu mitgebrachten Europäern ankommen, denn diese Letztern hatten die Töchter des Landes schon besehen, waren auch so wohl im Aussuchen als in der Anwerbung mehrentheils glücklich gewesen, weiln es nicht nur an sich selbst feine Männer waren, sondern die ältern Europäer sich ihrer als Brüder angenommen, und ihnen das Wort geredet hatten. Inzwischen wäre doch bald ein Streit zwischen Mons. van Blac und dem Mahler Hollersdorff entstanden, denn es hatten sich beyde zugleich in Herrn Kramers seiner Frauen ihre jüngste Schwester verliebt, weßwegen wir andern uns dazwischen schlugen, und auf Vermercken, daß die Jungfrau den Mahler gewogener [91] war, als den van Blac, diesen Letztern von ihr abwendig machten. So bald er vernommen, daß die Jungfrau seinen Mit-Buhler lieber hätte, als ihn, ließ er sich gleich weisen, nahm Abschied von ihr, und suchte sich nachhero eine nicht weniger wohlgebildete und tugendhaffte Jungfrau aus dem Johannis-Raumer Geschlechte aus, welche Hr. Mag. Schmeltzers seiner Liebsten jüngste, ohngefähr 18. jährige, Schwester war. Diese hatte an seiner Person nichts auszusetzen, jedoch ehe das Verlöbniß geschahe, nahm ihn der Alt-Vater eines Abends vor, und bat, weil es eben itzo Zeit davon wäre, uns seine Lebens-Geschicht zu erzählen, da er selbiges schon vor einigen Wochen versprochen hätte. Mons. van Blac ließ sich nicht lange nöthigen, sondern fing seine eigene Historie, nachdem er erstlich einige Bücher und Briefschafften aus seiner Cammer geholet, folgender massen herzusagen an:

Im Jahr 1698. den 24. Octobr. bin ich zur Welt gebohren worden, und zwar auf dem von den Geographis so genannten Teutschen Meere, weßwegen ich nicht weiß, ob ich mich einen gebohrnen Teutschen oder Holländer nennen soll, denn mein Vater und Mutter waren beyde in Holland gebohren und gezogen, erstgemeldter hieß Joost Henry van Blac, und war Capitain eines Holländischen Schiffs, meine Mutter aber, Maria Angelica van Leuwen, deren Vater ebenfalls ein berühmter Schiffs-Capitain gewesen war. Die besondere Lust zum Reisen auf der See, und denn die hertzliche Liebe gegen meinen Vater, hatte [92] meine Mutter angereitzt, gleich nach ihrer Vereheligung verschiedene Reisen mit demselben in ein und anderes Europäisches Reich zu thun, auf der Rück-Reise von Norrwegen aber biß Holland paßirt ihr dieser Streich, daß sie Antwerpen, allwo wir unser Wohn-Haus hatten, nicht erreichen kan, sondern ihr Wochen-Bette mit mir im Schiffe aufschlagen muß; und eben dieserwegen kan ich mich keines MenschenLands-Mann, wohl aber See-Mann nennen. Mit alle dem kommen doch, so wohl meine Mutter als ich, glücklich und gesund in Antwerpen an, und werden von meiner Groß-Mutter, die annoch lebte, wohl empfangen und gepfleget. Mein Vater hatte sich nach wenig Tagen wieder zu Schiffe begeben müssen, und war nicht nur dieses mahl ein halbes Jahr, sondern nachhero zum öfftern 8. 10. ja wohl biß 18. Monathe aussen geblieben, und dennoch hatte er niemahls einen rechtschaffenen Profit mit nach Hause gebracht, sondern mehrentheils grössere Summen mit auf die Reise genommen; woran es gelegen gewesen, weiß ich nicht, und meine Mutter, weil sie ihn hertzlich liebte, zur selbigen Zeit auch noch ihr gutes Auskommen wuste, hatte ihn in allen nach seinem Belieben schalten und walten lassen. Ich blieb nicht alleine, sondern bekam immer mehr und mehr Geschwister, so, daß in meinem 14ten Jahre schon unserer 9. waren, indem sich unter uns 2. paar Zwillinge befanden. Meine Mutter sparete keinen Fleiß, uns sämmtlich wohl zu erziehen, und sonderlich mich, als ihren erstgebohrnen und liebsten Sohn, in den behörigen Wissenschafften [93] unterrichten zu lassen, und ich hatte in Wahrheit auch eine besondere Lust zum Studiren, allein, in meinem 15ten Jahre, da mein Vater eben wieder zu Hause kam, doch sich nicht länger als etwa einen Monat bey uns aufgehalten hatte, gab er zu vernehmen, daß er mich mit zu Schiffe nehmen wolte; meine Mutter setzte sich zwar starck darwider, und wendete vor, daß es ewig Schade sey, mich itzo in den besten Jahren vom Studiren abzuziehen, da ich, meiner Præceptorum Zeugnisse nach, schon so sehr weit gekommen wäre; allein, er schmeichelte ihr, daß er noch einmahl so frölich und vergnügt leben wolte, wenn er wenigstens eins von seinen Kindern bey sich hätte, und ihr Ebenbild darinnen betrachten könte, zudem wäre auf seinem Schiffe ein Grund-gelehrter Mensch befindlich, welcher sich eines in Franckreich gehabten Unglücks-Falls wegen auf die See begeben müssen, dieser könte nicht allein meine bereits erlerneten Wissenschafften mit mir repetiren, sondern mich auch viel weiter bringen, weiln wir auf dem Schiffe Zeit genung darzu hätten. Auf diese Vorstellungen gab endlich meine Mutter ihren Willen drein, und ließ mich mit ihm fortfahren, nachdem er noch eine gewaltige Geld-Summe in Antwerpen aufgenommen, und meiner Mutter vorgesagt hatte, binnen 8. oder 9. Monathen vier mahl so viel davor zurück zu bringen. Allein, es war nicht an dem, daß er dieses mahl so bald wieder kommen konte, denn wir nahmen unsern Lauff nach Ost-Indien zu, und ich befand in der That wahr zu seyn, daß ich auf dem Schiffe von obgemeldten [94] Studioso, der sich Bredder nennete, und vor dem einige junge Barons durch die allermeisten Reiche und Länder von Europa geführet hatte, eben so viel, ja noch mehr lernen konte, als zu Hause, denn mein Vater hatte nicht allein viele nützliche Bücher vor mich mitgenommen, sondern Mons. Bredder hatte auch eine ziemliche Menge derselben bey sich, um mich in den vornehmsten Europäischen Haupt- Sprachen gründlich zu unterrichten, und firm zu machen. Ausser diesen tractirte er die Historie, Geographie, und einige Stück aus der Mathesi mit mir, kurtz, er brachte mich binnen 3. Jahren, die wir unterwegs und in Ost-Indien zubrachten, durch seinen und meinen unermüdeten Fleiß so weit, daß ich obgedachte Europäische Haupt-Sprachen nicht allein fertig lesen und schreiben, sondern auch verstehen und reden konte, und weiln sich Leute von verschiedenen Nationen auf unsern Schiffe befanden, so hatte mein Vater ein besonderes Vergnügen darüber, daß ich fast mit einem jedweden in seiner Mutter-Sprache gantz ordentlich sprechen konte.

Mein Vater war diesesmahl in seinem Handel und Wandel auch dergestalt glücklich gewesen, daß er ein grosses Gut erworben, derowegen mit grossem Vergnügen zurück reisete, um meiner Mutter, die sich, wie leicht zu errathen, unter der langen Zeit unsers Wegseyns genungsam gegrämet, eine besondere Freude zu machen. Allein, über welchen das Verhängniß einmahl beschlossen hat, ihn unglücklich zu machen, der muß es wohl seyn und bleiben, das erfuhr unter allen, die wir auf dem [95] Schiffe befindlich waren, mein Vater am allermeisten.

Denn als wir auf dem Rückwege zwischen den Canarischen Insuln und Africanischen Küsten hinfuhren, überfiel uns einer der grausamsten Stürme, das Schiff zerscheiterte an den Klippen, wurde in die Tieffe des Meeres versenckt, mein Vater, Informator und ich nebst noch 6. Personen aber, wurden an die Africanischen Küsten getrieben, allwo wir zwar unser Leben erretteten, jedoch die Freyheit verlohren, indem wir uns den Maroccanern als Sclaven ergeben musten.

Der eintzige Trost in diesem Jammer-Stande wäre wohl noch dieser gewesen, wenn mein Vater, Informator und ich hätten beysammen bleiben können, so aber kauffte mich wenig Tage nach unserer Anländung ein vornehmer Maroccanisch-Kayserl. Bedienter den Menschen-Fischern ab, und nahm mich in seinem Geleite mit an den Kayserlichen Hof nach Mequinez. Es tractirte mich dieser mein Herr, um welchen ich täglich seyn muste, ziemlich gütig, ich bekam auch bessere Kleidung und Speisen als seine andern Sclaven, weiln ihm nicht allein meine äuserliche Gestalt besser als der andern gefiel, sondern er sich auch ein besonderes Vergnügen daraus machte, daß ich verschiedene Sprachen zu reden wuste. Dieses eintzige war mir sehr verdrüßlich, daß, wenn er speisete, und ich neben ihm kniete, er seine an den Gerichten beschmutzten Finger allezeit an meine lockigen, damahls noch gantz blonden Haare abwischte, denn die Maroccaner brauchen weder Messer, Gabel[96] noch Löffel, sondern essen bloß mit den Fingern, und zwar auf der Erden sitzend.

Eines Abends sagte er zu mir, ich solte mich in dieser Nacht mit allem Fleiß baden, reinigen und salben, weil ich morgen früh neue Kleidung anziehen solte, indem er willens wäre, mich mit an den Kayserl. Hof zu nehmen. Ich folgte seinem Befehle, und morgendes Tages seiner Person nach, wuste aber nicht, was er mit mir vor hatte, biß ich sahe, daß er mich nach gehabter Audienz an den alten 73. jährigen KayserMuley Ismael verschenckte. Es war mir vorhero gesagt, daß ich mich vor denselben auf die Erde, und zwar auf den Bauch, niederlegen müste, welches ich denn auch that, da aber der alte Kayser einige Fragen erstlich in Spanischer und hernach in Englischer Sprache an mich gethan, und ich dieselben in beyderley Sprachen beantwortet hatte, indem ich den Kopff, so wie ein Hund nur ein wenig die Höhe reckte, hieß er mich endlich aufstehen, da mir denn mein bißheriger Herr einen Winck gab, auf den Knien vor dem Kayser liegen zu bleiben, allein, dieser war so gnädig, mit der Hand ein Zeichen zu geben, daß ich gerade auftreten solte. Hierauf fragte er mich abermahls in Spanischer Sprache, aus welchem Lande ich gebürtig, weß Standes und Herkommens, und auf was vor Art ich in die Sclaverey gerathen wäre? Ich beantwortete alles der Wahrheit gemäß, und wurde endlich, nachdem er ein besonderes gnädiges Wohlgefallen über meine Person bezeugt, auch in Maroccanischer Sprache Ordre gegeben, wie ich verpflegt werden solte, [97] in ein Zimmer geführet, wo noch 3. andere Europäische Knaben, nehmlich 2. Spanier und ein Portugiese von Geburth, die alle 3. kaum 16. Jahr alt, sich unter der Aufsicht eines Maroccanischen Lehrmeisters befanden, der sie in dasiger Rechts-Gelehrsamkeit, derGrammatic, Poesie, Stern-Seher- und Stern-Deuter-Kunst, wie auch in vielen andern Wissenschafften, hauptsächlich aber in der Arabischen Sprache unterrichtete.

Diese 3. Pursche erfreueten sich ungemein, noch einen Mit-Consorten ihres Unglücks zu bekommen, und weil wir alle 4. gut mit einander sprechen konten, wurden wir gar bald gute Freunde. Ich bekam so gleich so kostbare Liberey als wie sie; wir wurden von 2. mohrischen Knaben bedienet, speiseten nebst unserm Informatore allein, und hatten alle Mahlzeiten 8. Gerichte nebst dem besten Geträncke, jedoch keinen Wein, denn es heist, die Maroccaner dürffen keinen Wein trincken, ohngeacht vortreffliche Wein-Stöcke in diesem Reiche anzutreffen, so, daß öffters 2. Männer kaum einen Weinstock umklafftern können, und die Beeren an den Trauben offt grösser als die Hüner-Eyer sind. Weil ihnen aber dieses edle Gewächse so gar sehr appetitlich vorkömmt, kochen sie die Trauben, und præpariren ein besonderes Geträncke daraus, welchem sie einen andern Nahmen, ihrer Kehle aber ein herrliches Labsaal damit geben.

Jedoch von meinen und meiner Mit-Consorten Abwartung und Stande ferner zu reden, so wurden wir solchergestalt nicht anders als würckliche Leib-Pagen des Kaysers tractiret, thaten [98] aber sehr wenig Dienste, sondern hatten die Woche kaum 3. oder 4. mahl einige Stunden Aufwartung, nur daß uns der Kayser zuweilen sehen möchte. Sonsten musten wir alle Morgen eine Stunde vor der Sonnen Aufgang aufstehen, uns reinigen und völlig ankleiden, denn es schlieffen zwey und zwey in einem Cabinet auf herrlichen Betten und Matratzen, der Mohren-Junge aber lag auf der Erde zu unsern Füssen auf einer schlechten Matratze als ein Hund, unser Herr Hofmeister schlieff auch in einem besondern Cabinet, sein Bedienter ebenfalls in einer kleinen Bucht darneben. Gleich mit, oder um die Zeit der Sonnen Aufgang, fing unser Hofmeister in unserer Gegenwart an, das Morgen-Gebeth nach Art der Mahometaner zu thun, verlaß hierauf ein Stück aus dem Alcoran, erklärete die schweresten Puncte desselben, und gab sich viel Mühe, uns allen vieren die Haupt-Stücke der Mahometanischen Religion beyzubringen, allein, wie ich bald merckte, war keiner unter uns, der zu diesem Glauben inclinirte, wir höreten zwar alles mit an, fasseten seine Lehre, gaben auf seine Fragen richtige Antwort, allein, ohne allen Ernst, jedoch durfften wir nicht das geringste Gespötte daraus machen, wenn wir nicht aufs allerstrengste gezüchtiget werden wolten, welches meine 3. Cameraden zum öfftern erfahren hatten.

Nachdem die Andachts-Stunde verbracht, gingen die Lectiones in diesen und jenen Wissenschafften an, welche 3. Stunden währeten, hernach hatten wir die Freyheit, uns im Garten oder auf dem Spiel-Platze, oder wenn es garstig Wetter [99] war, auf dem Spiel-Saale, mit allerhand Spielen zu divertiren. In der Mittags-Stunde speiseten wir, durfften uns hernach wieder eine Stunde Motion machen, musten so dann abermahls 3. Stunden die Lectiones abwarten, hatten nachhero biß zu Untergang der Sonnen wieder Erlaubniß zu spielen, endlich aber nochmahls eine Mahometanische Bet-Stunde halten, und alsobald zu Bette gehen.

So war meine Lebens-Art damals beschaffen, allein, in den erstern Wochen vergoß ich tausend Thränen, theils über meinen Vater, von welchen ich nicht wuste, wo er hingekommen war, theils wegen meiner Mutter, die solchergestalt ihres Mannes, Sohnes und so vieler schönen Güter auf einmahl beraubt war, theils über mich selbst, daß ich in solchen Zustand gerathen, und meine Studia nicht recht nach Europäischer Art fortsetzen, vielweniger mich in meinem Christenthume rechtschaffen üben konte, indem ich kein eintziges Christliches Buch hatte, jedoch mir die vornehmsten Glaubens-Articul, Gebete und Gesänge, die ich auswendig gelernet, um selbige nicht zu vergessen, alle aufschrieb, und selbige in Abwesenheit unsers Hofmeisters oder sonsten an einem geheimen Ort repetirte, auch meine Cameraden sonderlich damit erfreuete, ohngeacht sie Römisch-Catholischer Religion waren, und noch niemahls so, wie ich schon offtermahls, das Heil. Abendmahl empfangen hatten, welches letztere bey diesen meinem Zustande immer mein bester Trost war.

Mittlerweile bezeigte unser Hof- und Lehr-Meister[100] eine besondere Freude über mich, daß ich nicht allein die Arabische und Marroccische Sprache so leicht fassen, und ehe ein Jahr verging, beyde fast fertig reden und schreiben, auch die in derselben geschriebenen Bücher gantz wohl exponiren konte. Bey den übrigen Wissenschafften spürete er ebenfals keinen dummen Kopff an mir, sondern ich kan, ohne Ruhm zu melden, wohl sagen, daß er noch vieles mit grosser Begierde von mir erfragte und lernete, weil ich ihm denn auch jederzeit sehr höflich begegnete, liebte er mich vor den andern allen am meisten, und sagte zum öfftern: Blac! ihr könnet in wenig Jahren an unsers Kaysers Hofe einer der grösten Ministers werden, wenn ihr euch zu unserer Religion bekennet, und beschneiden lasset; Allein, so offt ich von diesem Letztern hörete, erstarrete mir alles Blut in meinen Adern.

Wenige Zeit hernach, hatte eben dieser unser Hof-und Lehr-Meister, seiner eigenen Ehre wegen, verlanget, daß über uns seine 4. Scholaren ein Examen angestellet werden möchte, welches denn auch geschahe, indem sich 6. der gelehrtesten Maroccaner (die wenigstens davor gehalten wurden) bey uns einstelleten, und das Zeugniß ertheileten, daß wir es alle schon sehr hoch, ich aber es am allerweitesten gebracht hätten.

Allein, eben dieses Examen zohe sehr traurige Folgerungen nach sich, denn etliche Tage darauf wurde erstlich der jüngste Spanier, andern Tags der Portugiese, 3ten Tages der ältere Spanier beschnitten und verschnitten, am 4ten Tage aber solte die Reihe an mich kommen, welches mir [101] der Kisler-Agasi, (oder der Oberste unter den Verschnittenen, welcher über die Weiber und Concubinen des Kaysers, auch deren verschnittene Bediente die Aufsicht hat,) durch einen Bedienten ansagen ließ. Ich aber gab demselben gleich zur Antwort, daß ich mich ehe in 1000. Stücken zerhauen, oder mit den grausamsten Martern belegen, als dergleichen mit mir wolte vornehmen lassen, denn ich wäre völlig resolvirt, meinen Glauben niemahls zu verläugnen, sondern als ein Christ zu leben und zu sterben, auch stünde mir nicht an, ein Verschnittner zu seyn, sondern wolte, wie gesagt, lieber sterben. Diese kurtze Abfertigung des Bedienten hatte unser bisheriger Hof-Meister in seinem Cabinet gehöret, kam derowegen heraus, und sagte: Wisset ihr auch, daß euch diese Worte noch diesen Abend das Leben kosten können? Denn der Kisler-Agasi ist ein gewaltiger Mann, in dessen Händen vieler Menschen Leben und Todt stehet; aber das will ich euch zum Vortheil sagen, wenn diejenigen ankommen solten, die euch etwa zu stranguliren oder auf andere Art zu ermorden befehligt wären, so rufft nur den Nahmen unsers Kaysers Muley Ismaël etliche mahl aus, denn solchergestalt könnet ihr euer Leben so lange erretten, biß ihr den Kayser erstlich selbsten gesprochen, und er hernach Befehl gegeben, daß man seinen Nahmen eurentwegen nicht ferner mehr respectiren, sondern Gewalt brauchen soll.

Ich fassete dieses zu Ohren, es kam aber diesen Tag niemand weiter zu mir, hergegen that ich in künfftiger Nacht vor Kummer und Sorgen [102] kein Auge zu, besann mich jedoch auf allerhand Streiche, die ich im Fall der Noth spielen, und damit, wo möglich, nicht nur mein Leben retten, sondern auch der schändlichen Ver- und Beschneidung entgehen wolte.

Früh Morgens, etwa 2. Stunden nach Aufgang der Sonnen, kam der zweyte Abgesandte, und trug mir vor, welchergestallt der Kisler-Aga meine gestrige trotzige Antwort sehr übel empfunden, jedoch weil ihm bewust, daß der Kayser eine gantz besondere Gnade auf mich geworffen, hätte er seinen Zorn gemäßiget, von dem Kayser aber Befehl erhalten, mich heute verschneiden zu lassen, wolte ich nun die Gnade des Kaysers nebst meinem zukünfftigen Glücke nicht muthwillig verschertzen, so solte mich nicht ferner wiederspenstig erzeigen, sondern die wenigen Schmertzen mit frölichen Hertzen ausstehen, indem ich solchergestalt die Hoffnung erlangte, vielleicht in wenig Jahren ein grosser Mann zu werden, etc. und was dergleichen tröstliche Worte mehr waren. Allein, ich blieb bey meiner ersten Resolution, lieber zu sterben, als meine Religion zu verändern, und als ein Verschnittener zu leben. Der abgeschickte gab sich hierauf nebst meinem bißherigen Hofmeister undlnformator viel Mühe, mich in Güte zu diesem Unheyl zu bewegen, da aber nichts verfangen wolte, wurde der erstere endlich in Harnisch gejagt, und sagte: Nun so muß man, dem Befehle nach, Gewalt brauchen; ging auch gleich zum Zimmer hinaus, und ruffte 4. bewaffnete Mohren herein, nebst noch 2. andern, welche die Instrumenta, mich zu castriren und zu beschneiden, [103] bereits in Händen trugen. Die 4. Bewaffneten fingen so gleich an, sich nach abgelegtem Gewehr, meiner zu bemächtigen, wolten mich auf den Tisch legen, damit die vortrefflichen Operateurs ihre Kunst an mir ausüben könten, ich wehrete mich mit gröster Gewalt, wurde aber vermahnet, mich nur mit Gedult derein zu geben, oder mir es selbst zuzuschreiben, wenn der Schnitt mir zum Schaden oder gar zum Tode gereichte; da nun vermerckte, daß ich mich ihrer nicht mehr erwehren könte, bath ich nur um ein bequemeres Lager und etwas Zeit zum Verschnauben. Es wurde mir gewillfahret, auch angerathen, mich auf mein Bette zu legen, allwo die Operation eben so füglich verrichtet werden könte, mitlerweile aber hatte ich Zeit, in meinen Schubsack zu greiffen, und ein starckes Feder Messer aus der Scheide zu ziehen, welches ich den Operateur, so bald er sich von neuem an mich machte, dergestalt tieff in das Hertz hinein stach, daß er augenblicklich zu Boden sanck. Hierüber wurden die andern bestürtzt, ich aber bekam Lufft, aufzuspringen, und sagte: Nun will ich mit Freuden sterben, weil ich doch weiß, warum? Doch hoffe die Gnade zu haben, vor meinem Ende den Kayser Muley Ismaël erstlich noch einmahl zu sprechen. Rieff hierauf auch noch etliche mahl den NahmenMuley Ismaël aus.

Diese kurtze Appellation wurckte so viel, daß die Schwartzen keine fernere Gewaltthätigkeiten an mir verübten, sondern mich nur in genauer Verwahrung hielten, biß der Abgeschickte, der nebst meinem bißherigen Informatore weg ging, [104] nach Verlauff etwa zweyer Stunden wieder zurück kam, und die Post brachte, daß man mich vor den Kayser führen solte. Solches geschahe, und hatten die 4. Mohren ihre entblösten Schwerdter in den Händen, der Meynung, in Gegenwart des Kaysers ein Stückgen Arbeit zu bekommen, und mich Elenden in etliche Stücke zu zerhauen. Der Kayser Muley Ismaël saß auf einem kostbaren Stuhle, und so bald ich mich vor ihm niedergeleget, und die Erde geküsset hatte, fing er an, mit eben nicht gar zu zornigen Gebärden, also zu reden: Verfluchter Christ! wie bist du auf die Gedancken gerathen, die dir bishero erzeigte und noch fernerhin zugedachte Gnade mit Fussen von dir zu stossen; denn ich habe beschlossen gehabt, so gleich nach völliger Heilung deiner Wunde und Annehmung des Mahometanischen Glaubens, dich zum Schach-Zadeler-Agasi (dieses ist derjenige Officier unter den Verschittenen, welcher über des Kaysers Kinder die Ober-Aufsicht hat, und in grossen Ansehen stehet) zu machen, und dein Glück noch weiter zu befördern, nun aber wirst du nicht allein wegen deiner Wiederspenstigkeit, sondern auch wegen des, an einem meiner Unterthanen begangenen Mordes, des schmälichsten Todes sterben müssen. Rede Hund!

Solchergestalt sahe ich meinen Tod vor Augen, denn obgleich Muley Ismaël seit einigen Jahren her nicht mehr so grausam gewesen war, als vor dem, so konte doch gar leicht glauben, daß mir auf dieses mein Verbrechen die Todes-Straffe würde dictirt werden. Dem ohngeacht verspürete ich [105] in meinem Hertzen nicht die geringste Furcht vor dem Tode, sondern brachte meine Antwort in folgenden freymüthigenMaroccanischen Worten vor:


Gröster Kayser! Dich hat GOtt der Allerhöchste zu einem Gott auf Erden gemacht, weßwegen ich mich schuldig erkenne, den Staub zu deinen Füssen aufzulecken; Dein Reichthum ist unschätzbar, und deine Macht unaussprechlich, bey dem allen aber pflegst du mehr zu geben als zu nehmen. Erwege demnach selbst, warum du itzo so begierig bist, mir den Christlichen Glauben aus dem Hertzen, und das, was mir GOtt und die Natur geschenckt, aus dem Leibe reissen zu lassen. Ich bin zwar durch ein besonderes Schicksal unter deine Gewalt gebracht, jedoch wegen der unverdient genossenen Gnaden bewogen worden, dir Zeit-Lebens getreu und redlich zu dienen, so weit sich meine Wissenschafft und Vermögen erstreckt. Gröster Kayser, glaube mir, daß derjenige, welcher an seinem GOtt und Glauben ungetreu wird, auch seinem Herrn niemahls getreu seyn kan, und wo will ein solcher, welcher mit Gewalt verstümmelt und verschnitten wird, die Lust hernehmen, sein ihme aufgetragenes Amt mit behöriger Freudigkeit und ohne heimlichen Kummer und Widerwillen zu verrichten. Ich elende Creatur versichere deine Majestät, daß ich als ein Christ viel lieber ein ewiger Sclave bleiben, als ein verstümmelter Mammelucke, [106] ein Erbe deiner Reiche und Länder werden wolte. Wende deine Augen auf meine Treue und Standhafftigkeit, denn, wirst du mich mit Gewalt beschneiden und castriren lassen, so wisse, daß der erste Dolch, Messer, Strick, oder ein ander Mord-Instrument, ein Mittel seyn wird, mich aus dem Reiche der Lebendigen ins Reich der Todten zu versetzen, weßwegen ich denn bey GOtt im Himmel Vergebung zu erlangen verhoffe.


(Hier fiel mir, verfolgte Mons. van Blac seine Rede, eine in voriger Nacht ausgedachte Noth-Lüge ein, die ich dergestalt vorbrachte:)


Allermächtigster Kayser! ich habe mich zwar anfänglich vor dem Sohn eines Schiff-Capitains ausgegeben, allein, solches ist nur darum geschehen, etwa mit der Zeit etwas an meinen Kantzion-Geldern zu ersparen, denn ich bin ein gebohrner Graf aus Holland, dessen wohlbemittelte Eltern vermuthlich noch am Leben sind, die allzu grosse Lust zur See zu reisen, und Ost-Indien zu sehen, hat mich durch Schiffbruch anhero gebracht; Wird mir mein Leben, und das, warum ich schon gebeten, gelassen, so kan ich vielleicht binnen weniger Zeit mit baarem Gelde ausgelöset werden, ist aber keine Hoffnung zu meiner Freyheit vorhanden, so will ich Zeit-Lebens dein getreuster Sclave verbleiben, jedoch als ein Christ und Unverschnittener. Ausser diesem [107] will eher erdulden, daß man meinen elenden Cörper in tausend Stücken zerhackt, und denselben den Hunden vorwirfft. Jedoch was werden, Gröster Kayser! deine allergnädigsten Augen und Gedancken vor besonderes Vergnügen an diesem Jammer-Spiele haben? Derowegen erhöre meine Bitte, begnadige deinen allergetreusten Knecht und Sclaven, doch soll ich ja sterben, so laß nur mein Haupt mit einem eintzigen Schwerd-Streiche zu deinen Füssen legen.


Dieses war (fuhr Mons. van Blac fort) ohngefähr der Innhalt meiner Rede, die ich an den Kayser that, er hörete mir so wohl als alle bey ihm stehenden sehr aufmercksam zu, ging darauf mit dem Kisler-Aga und einigen andern Ministers in ein Neben-Zimmer, aus welchem nach Verlauff etlicher Minuten der Kisler-Aga zurück kam, und zu meinen Begleitern sagte: Der Sclav soll sterben, doch hat ihn der Kayser in so weit begnadiget, daß ihm unten auf dem Platze nur bloß der Kopff abgeschlagen werden soll.

Demnach führete man mich hinunter auf den Platz, ich betete unterwegs die trostreichsten und Christlichen Gebete, so mir nur einfielen, muste hernach unten auf dem Platze, unter des Kaysers Fenster, mich auf einen viereckten Stein setzen, und den Streich erwarten. Indem kam ein Verschnittener gelauffen, und brachte die Nachricht: Der Kayser wäre dennoch gesonnen, mir das Leben zu schencken, wenn ich mich nur bloß beschneiden, und [108] die Mahometanische Religion annehmen wolte, mit der Verschneidung aber solte ich verschonet bleiben, allein, weil ich mich schon völlig zum Sterben zubereitet, war meine Antwort diese: Der Tod wäre mir lieber als dieses. Hierauf druckte ich meine Augen veste zu, betete laut in Holländischer Sprache, um mitten im Gebet mein Haupt zu verlieren, endlich aber, da ich sehr lange gesessen, ergriffen mich zwey Mohren bey den Armen, und führeten mich auf das Zimmer eines Thurms, welches ziemlich reinlich, jedoch mit eisernen Thüren und Fenster-Stäben wohl verwahret war, liessen sich auch im Hinweggehen so viel verlauten, daß ich wegen meines Eigensinnes allhier eine grössere Straffe und Marter abzuwarten hätte.

Ich stellete alles in GOttes Hände, und blieb bey dem vesten Schlusse, lieber alle Marter auszustehen, als meinen Christlichen Glauben zu verläugnen, und ein Mahometaner zu werden; inzwischen hatte an guten Speisen und Geträncke keinen Mangel, auch meinen vorigen, ohngefähr 14. jährigen Mohren-Knaben zur Aufwartung bey mir, welcher, auf gegebenes Zeichen mit einer Klatsche, fast so offt heraus und herein kommen konte, als ihm beliebte. Die öffternVisiten meines bißherigen Informatoris und einiger Officiers der Verschnittenen gereichten mir in dieser meiner Einsamkeit mehr zum Verdruß als zum Vergnügen, indem ihre eintzige Absicht war, mich zum Mammelucken zu machen, doch war dieses meine gröste Freude, daß mir mein bißheriger Informator nicht nur verschiedene, von mir selbst erwehlte Bücher, [109] wie auch Dinte', Federn und Pappier mitbrachte und zuschickte.

Solchergestalt konte mir doch manche Grille vertreiben, und meine Christlichen Gebeter, Bibliche Sprüche und Gesänge, die ich auswendig wuste, aufzeichnen. Nachdem ich aber länger als 3. Wochen in diesem Behältnisse gesessen, kam eines Abends mein Mohren-Knabe, und reichte mir, nachdem er das Abend-Essen aufgesetzt, eine schlecht ansehnliche, höltzerne, versiegelte Büchse in die Hände, sagte auch, (weil er als ein Unverständiger, durch meine öfftern Geschencke und andere erzeigten Wohlthaten, mir sehr getreu worden war,) daß seine Schwester, mir selbige in Geheim zu überbringen, bey Leib- und Lebens-Straffe anbefohlen hätte. Ich ließ Essen und Trincken stehen, gieng an ein Fenster, und fand oben verschiedene grosse Gold-Stücke, in der Mitten einen zusammen gelegten Brief, unten aber ein in Gold eingefassetes Portrait eines sehr wohlgebildeten Frauenzimmers. Den Innhalt des Briefes zu lesen, war ich am allerneugierigsten, und fand denselben also gesetzt:


Werthefter Herr Lands-Mann!


Ich schätze es mir vor ein besonderes Glück und Vergnügen, euch in Wahrheit versichern zu können, daß mein Vorbitten bey dem Kayser euch allein das Leben erhalten, denn ich habe in dem Neben-Zimmer nicht nur eure an den Kayser gethane Rede von Wort zu Wort angehöret, sondern auch eure Person durch ein kleines [110] Glas-Fensterlein selbsten gesehen, derowegen jammerte es mich, daß ihr sterben soltet, und brachte durch einen Fußfall und hefftiges Bitten es bey dem Kayser, welcher mir bißhero fast keine eintzige Bitte versagt, dahin, daß er euch so gleich das Leben schenckte, und mit dem gedroheten Haupt-Abschlagen nur eure Beständigkeit probiren wolte. Bleibet derowegen beständig bey eurem Christlichen Glauben, da ihr bereits eine solche starcke Probe abgelegt, und kehret euch an nichts, denn auf mein Angeben seyd ihr zwar gefangen gesetzt, ich hoffe aber, eure Freyheit nächstens mir guter Manier zu befördern. Von meinem eigenen Wesen will ich euch voritzo so viel eröffnen, daß ich Unglückselige, eine Ehe-Frau eines Holländischen Kauffmanns, auf der Fahrt nach Ost-Indien aber vor 3. Jahren von den See-Räubern gefangen und anhero geführet worden bin, da man mich denn unter die Zahl der Kayserlichen Concubinen gebracht, und zu einer unglückseligen Bett-Wärmerin des alten Kaysers machen will. Jedoch ist der Himmel mein Zeuge, daß er mich noch niemahls vollkommen fleischlich berühret hat, sondern ich habe mein bestes Kleinod noch biß diese Stunde unzerbrochen erhalten. Ob mein Mann aus der Sclaverey errettet, und noch am Leben ist, habe ich nicht erfahren können, jedoch durch euch hoffe ich es auszukundschaffen, [111] so bald ich eure Freyheit zuwege gebracht. Mittlerweile will auch schon auf Mittel bedacht seyn, Gelegenheit zu verschaffen, daß wir einander einmahl auf eine Stunde mündlich sprechen können. Weil ich sonsten glaubte, daß ihr vielleicht eben nicht mit vielen Mitteln versehen, so habe einige Golo-Stücke beygelegt, damit ihr euch ein und anderes beliebige davor köntet einkauffen lassen, zu unterst aber liegt meinPortrait, damit ihr an selbigen möchtet erkennen lernen


Eure

redlich gesinnete

Landsmännin.


P.S. Findet ihr euch im Stande, mir auf dieses zu antworten, so könnet ihr das Schreiben nur in ein ausgehöltes Wachs-Licht einhüllen, und euren kleinen Mohren anvertrauen, denn er ist getreu, so wie seine Schwester bey mir, diesen Brief aber verbrennet, oder nehmet ihn nebst dem Bildnisse sehr wohl in Acht, damit wir nicht beyde unglücklich dadurch werden.


Nach etlichmahliger Uberlesung dieses Briefes beschauete ich das Portrait etwas genauer, und befand dessen Lineamenten sehr schön gezeichnet, küssete selbiges aus hertzlicher Danckbarkeit gegen meine Lebens-Erhalterin, wäre auch wohl noch lange in tieffen Gedancken am Fenster stehen geblieben, wenn mich nicht mein Aufwärter erinnert [112] hätte, etwas von den aufgesetzten Speisen zu geniessen. Ob ich nun gleich etwas von denselben genoß, so blieb doch beständig in tieffen Gedancken über diese Avanture, konte nicht schlüßig werden, ob, wie oder was ich antworten solte, legte mich endlich zur Ruhe, da aber um Mitternachts-Zeit mein kleiner Mohr sehr vest eingeschlaffen zu seyn, allerhand Zeichen von sich gab, stund ich wieder auf, und fassete, ebenfals in Holländischer Sprache, folgendes Antworts-Schreiben ab:


Madame!


Vor Dero besondere Gnade und Gütigkeit, die sie an mir Elenden erstlich ohne mein Wissen, nachhero aber durch sichere Merckmahle erwiesen, schätze ich mich verbunden, ihnen mit meinem Blute zu dienen, werde auch selbige biß auf die letzte Minute meines Lebens mit danckbarem Hertzen zu erkennen bemühet seyn. Wolte der Himmel, daß es Ihnen möglich wäre, mich in Freyheit zu setzen, und mir das ungemeine Vergnügen zu verschaffen, nur eine kurtze Zeit mündlich mit Ihnen zu sprechen, so solte mir nach genommener Abrede, vielleicht nicht unmöglich fallen, Sie und mich in völlige Freyheit und in unser Vater-Land zu versetzen, denn ich habe einige, nicht so gar sehr ungereimte Mittel darzu ausersonnen, welche aber erstlich mit Ihnen überlegen müste. Dero werthesten Zeilen zu verbrennen, ist mir unmöglich, weil sie der eintzige Trost in meinem Jammer-Stande [113] sind, ich werde aber dieselben nebst dem Verehrens-würdigenPortrait meiner Lebens-Erretterin, schon dergestalt zu verbergen wissen, daß keine Verrätherey daraus entstehen kan. Ubrigens erwarte Dero fernerweitigen Befehle, empfehle mich Ihrer beständigen Gnade, und beharre Zeit-Lebens


Dero
gehorsamster Knecht.

Auf das erstere mahl ein mehrers zu schreiben, hielt nicht vor rathsam, weilen von dieser Person Sinnen und Gedancken noch nicht vollkommen informirt war, sondern erstlich abwarten wolte, worzu sie sich in Zukunfft entweder schrifftlich oder mündlich weiter erklären, und wie es mit meiner Loßlassung halten würde. Demnach versteckte ich das gantz subtil zusammen gerollte Pappier in ein Stücklein ausgehöltes Wachs-Licht, gab es meinem kleinen Mohren, selbiges seiner Schwester einzuhändigen, mit dem Bedeuten, daß diese, eben dieses Stück Wachs-Licht, derjenigen Person zurück geben solte, welche mir die höltzerne Büchse zugeschickt hätte.

Tags hernach bekam ich die erfreuliche Nachricht ebenfalls in einem Stücklein Wachs-Lichte eingehüllet, daß unsere Correspondenz dieses mahl glücklich abgelauffen wäre, und 4. Tage hernach wurde ich vor den Kayser geführet, welcher, indem ich mich vor ihm niedergeleget, also zu mir sprach: Höre, Sclav! aus besondern Ursachen habe ich dir nicht allein dein Leben geschenckt, sondern auch zugegeben, [114] daß du hinfüro nicht mehr ein Gefangener seyn solst; es ist dir erlaubt, ein Christ zu bleiben, und dir eine Christliche Sclavin zur Frau auszusuchen, so bald derselben eingebracht werden; Allein, aus meinen Diensten lasse ich dich nicht, sondern du solst eine gute Charge erhalten, auch wenn du dich dabey wohl aufführest, weiter befördert werden.

So bald der alte Kayser aufgehöret hatte zu reden, berührete ich mit meiner Stirne 3. mahl den Erd-Boden, zum Zeichen meiner Danckbarkeit, versprach mit dem Munde, solchergestalt, Zeit meines gantzen Lebens der allergetreuste Knecht des Kaysers zu verbleiben, wurde hernach unter die Zahl der Geheim-Schreiber und Dollmetscher aufgenommen, auch zugleich zum Unter-Aufseher des Bau-Wesens bestellet, bekam im übrigen die Freyheit, in der gantzen Residentz-Stadt herum zu wandeln, wohin ich wolte, jedoch nur ausser der Zeit meiner Amts-Verrichtungen, welche hauptsächlich darinnen bestunden, daß ich zuweilen Morgens wenigstens 2. biß 3. Stunden bey dem Kayser mit zur Aufwartung seyn muste. Wenig Tage darauf brachte mir mein kleiner Mohr, abermahls im Wachs-Lichte, ein Pappier, worauf diese Zeilen geschrieben stunden:


Mein Herr!


Ich bin nunmehro versichert, daß ihr erfahren habt, wie viel mein Vorspruch gilt, und daß ihr dadurch in Freyheit gesetzt seyd. Nunmehro bin ich auch selbst begierig, euch persönlich zu sprechen, weil sich [115] aber solches nicht so leicht schicken will, so ziehet mit Geschencken, meine Mohren-Sclavin, als die Schwester eures Bedienten, an euch, lasset euch so weit führen, biß ihr erstlich den richtigen Eingang zu meinem Zimmer sehet, und nicht fehl gehen könnet, so dann will ich euch ferner schrifftliche Nachricht geben, zu welcher Zeit es sich schicken kan, mich zu besuchen, doch werdet ihr euch gefallen lassen, den Habit meiner Mohrin anzuziehen, weil die Wache der Verschnittenen keine Manns-Person paßiren läst. Anbey sende abermahls in einer höltzernen Büchse 100.Zechins, welche ihr zu Ausführung eures Vorhabens, daferne euch etwas daran gelegen, anwenden könnet. Binnen 3. Tagen sollet ihr nähere Instruction von mir haben, etc. etc.


Niemahls hat mir eine Zeit länger gewähret, als diese 3. Tage, doch mitlerweile suchte ich Gelegenheit, den Eingang zu ihren Zimmer auszuspüren, und gegen Abend, des 3ten Tages, kam meines Aufwärters Schwester, brachte mir so wohl mündlich als schrifftlich die Nachricht, daß ich ihre Kleider anziehen, und ein Tuch vor das Gesicht halten, als ob ich grosse Zahn-Schmertzen hätte, (indem es diese getreue Sclavin im Herausgehen auch schon so gemacht) und solchergestalt durch die Wache der Verschnittenen zu meiner Lands-Männin hindurch passiren solte.

Ich stürtzte mich allerdings hiermit in eine Augenscheinliche Todes-Gefahr, war aber dennoch [116] resolvirt, alles zu wagen, um nur meine Lebens-Erretterin zu sehen und zu sprechen. Demnach zohe ich, bey angetretener Demmerung, der Mohrin Kleider an, schwärtzte mein Angesicht, Arme und Hände nach Mohren Art, ließ diese in meinem Zimmer bey ihrem Bruder bleiben, folgte ihrer Anweisung, und begab mich auf den Weg, kam auch glücklich, ohngefragt und unbesichtiget durch die Wache hindurch, biß in das Zimmer meiner Landesmännin. Dieselbe mochte nun schon alles abgepasset haben, hatte aber doch eine alte bey ihr sitzende schwartze Wart-Frau nicht loß werden können, allein, so bald ich die Thür eröffnete, nahm mich die Dame bey dem Arme, und sagte: Du armes Thier, hast du denn noch immer so grosse Schmertzen, komm nur, und lege dich in deiner Cammer zu Bette; unter diesen Worten führete sie mich in eine Neben-Cammer, und wiese mir würcklich ein Bette an, worein ich mich legen und verhüllen solte. Ich gehorsamte ihren Wincken, sie aber blieb wohl noch eine Stunde lang munter, schwatzte binnen der Zeit mit der alten Mohrin, und schaffte sie endlich mit guter Manier auf die Seite.

Leichtlich ists zu errathen und zu glauben, daß mir das Hertze damahls gewaltig müsse gepocht haben, jedoch da meine Frau Lands-Männin endlich kam, und mir einen Muth einsprach, daß wir nunmehro nichts gefährliches zu besorgen hätten, sondern biß gegen Anbruch des Tages vertraut mit einander sprechen könten, ließ ich alle Zaghafftigkeit fahren, erzählete auf ihr Bitten meine [117] gantze Lebens-Geschicht, und vernahm auch hernach die Ihrige, als womit fast die gantze Nacht zugebracht wurde, letztlich aber wurde die Abrede so genommen, daß sie mir vor etliche 1000. Thlr. Gold und Kleinodien zuschicken wolte, vermittelst dessen ich etwa einen Jüdischen oder Christlichen Spion erkauffen könte, der uns beyde in verstelleter Kleidung entweder auf ein Christliches Schiff, oder aber durch einen Umweg nach der, auf den Africanischen Küsten gelegenen Spanischen Vestung Ceuta, brächte.

Weilen aber der Tag anzubrechen begunte, muste ich mich vor dieses mahl, da es noch ein wenig demmerig war, eiligst fort machen. Meine Lands-Männin hatte die Vorsicht gebraucht, mir ein ziemlich groß Gefäß in die eine Hand zu geben, begleitete mich auch biß in die Thür des Saals, wo die Wache der Verschnittenen stunde, und sagte, dieselbe vom Fragen abzuhalten, indem ich hurtig fortging: Bleib nicht allzu lange aussen, und zerbrich mir ja das Gefäß nicht! Solchergestalt kam ich glücklich, ohne daß mich jemand anredete, in meinem Zimmer an, gab der Mohrin ihre Kleider nebst dem Gefäß, welches sie mit frischem Wasser füllete, und wieder zu ihrer Gebiehterin ging, ich aber brachte über eine gute Stunde zu, ehe ich die schwartze Farbe wieder vom Gesicht und Händen loß werden konte.

Die übrige Zeit dieses gantzen Tages stellete ich mich etwas unpäßlich, damit ich in meinen Gedancken desto füglicher wiederholen könte, was ich in der vergangenen Nacht mit meiner Lands-Männin [118] gesprochen hatte, denn wir hatten in Wahrheit ein schweres Werck vor uns, welches, wenn es wäre entdeckt worden, beyden die grösten Martern und den ohnfehlbaren Todt würde zugezogen haben. Jedoch weil sie mir versprochen hatte, fleißig um die glückliche Ausführung unsers Vorhabens zu beten, so nahm ich meine Zuflucht auch zum Gebet, und spürete dabey, daß mir mein Hertz immer leichter wurde. Folgende Tage nahm ich mir vor, mich, ausser der Kayserl Residentz, in der Stadt bekandt zu machen; es wird aber vielleicht nicht mißfällig seyn, wenn ich eine kleine Beschreibung davon mache. Das Kayserliche Schloß,Accassave genannt, ist ein sehr prächtiges Gebäude, welches mit den vortrefflichen Gärten, so darzu gehören, eine gute Meilwegs im Umfange hat, es ist auch das Seraglio oder Behältniß der Weiber darinnen, und befanden sich in selbigem damahls, ausser den 4. Gemahlinnen, über 2000. Kebs-Weiber. Denn obgleich der Kayser nicht mehr als 4. würckliche Gemahlinnen haben darff, so ist ihm doch erlaubt, so viel Kebs-Weiber zu halten als er will. In der Haupt-Stadt, welche mit ziemlich viel Pallästen der Grossen angefüllet ist, finden sich aber auch viel geringere, ja gantz schlechte Häuser, es wohnen auch sehr viel Juden darinnen, jedoch in einem besondern Revier, welches des Nachts verschlossen wird. Ausser dem liegt noch eine andere gantz grosse Stadt an der Nord-West-Seite, die aber nicht sonderlich wohl gebauet ist, und von lauter gantz schwartzen und gelben Mohren bewohnet wird; in dieser habe [119] ich mich niemahls sehr umgesehen, weiln gehöret hatte, daß wenig oder gar keine Christen oder Juden darinnen angetroffen würden. Da ich nun merckte, daß mir sehr viel Freyheit gelassen wurde, indem mich kein Mensch unbescheiden fragte, weder, wo ich hin wolte? noch wo ich herkäme? oder wo ich gewesen wäre? so stellete mich gantz dreuste an, und gab hier und dar bey den höhern Bedienten zu vernehmen, wie ich nur darum ausgienge, etwa eine mir anständige Christen-Sclavin anzutreffen, selbige zu erkauffen und mit derselben eine Heyrath und eigene Wirthschafft zu stifften, damit ich nachhero meine Dienste desto ordentlicher und lustiger verrichten könte; ja ich war einsmahls so verwegen, eben dieses dem Kayser selbst, da er bey guter Laune war, aufzubinden, und vermerckte, daß ihm meine Absichten wohl gefielen, denn er versprach, wenn ich mir auch die allerschönste und beste Sclavin ausläse, mir selbige zu schencken. Mittlerweile lernete ich nun, mich meiner Freyheit immer besser und besser zu bedienen, ließ aber keine 2. oder 3. Tage vorbey streichen, daß ich meiner Lebens-Erhalterin, Lands-Männin und besondern Wohlthäterin nicht ordentliche Nachricht von allen gegeben hätte, und zwar vermittelst einer besondern Schrifft, die niemand als wir beyde lesen und verstehen konte, und worüber wir mit einander eins worden waren. Inzwischen schickte sie mir gewaltige Geld-Su en und sehr kostbare Kleinodien zu, so, daß mir recht angst und bange darüber wurde, weil ich noch keinem eintzigen guten Freund angetroffen, dem ich [120] mein Hertz hätte offenbaren und ihm wenigstens die Helffte von allen in Verwahrung geben können.

Meiner Nachläßigkeit konte ich dieses nicht Schuld geben, denn ohngeacht ich in Mequinez einen und andern Holländer und Engelländer gesehen, so war mir doch von allen diesen, keiner als ein Werckzeug vorgekommen, durch welches ich meine und meiner Lands-Männin Befreyung zu erlangen hoffen können, denn Deutsch zu sagen, sie kamen mir alle zu dumm vor. Eines Tages aber, da ich durch die Juden–Stadt ging, kam ein ohngefähr etliche 30. jähriger Jude eben zu seiner Thür heraus, und fragte, ob mir nicht beliebte, ihm etwas von Galanterie Waaren abzuhandeln. Ich fragte in Maroccanischer Sprache: was er besonders hätte? und ging auf sein Bitten mit ins Hauß, da er mir denn allerhand artige Sachen von Silber, Gold und andern Metallen kostbar verfertiget, vorzeigte, und die Lust erweckte, vor mehr als 50. Zechinen von ihm zu kauffen, welches aber alles gantz leicht in den Schubsäcken verbergen konte, denn es waren lauter kleine Sachen. Endlich zeigte er mir eine saubere goldene Repetir-Uhr vor 120. Zechinen, vor welche ich ihm ohne langes Handeln das geforderte Geld hinzählete, jedoch mit dem Bedienge, daß, wo ich dieselbe binnen 8. Tagen falsch befinden solte, er mir das Geld wieder zurück zu geben schuldig sey, denn ich wäre ein Bedienter des Kaysers, und könte mir bald Hülffe schaffen. Der Jude war damit zufrieden, sagte, daß er heut über 8. Tage den gantzen Tag allhier [121] in seinem Wohn-Hause verbleiben, und auf mich warten wolte, fing hernach von freyen Stücken zu sagen an: Mein Herr! ihr habt mehr Mittel als ich anfänglich bey euch gesucht hätte, allein wo ich rathen soll, so seyd ihr ein gebohrner Christ und vielleicht durch Unglück anhero in die Sclaverey gekommen? Ja wohl, sagte ich, habt ihr es errathen, und nicht allein ich, sondern auch meine leibliche Schwester, die noch ein paar Jahr älter ist als ich, wir sind aus einem vornehmen Geschlechte, aus Holland gebürtig, und haben unsere reichen Eltern noch am Leben, welche uns gerne mit etliche 1000. Thlr. loßkaufften, wenn sie nur wüsten, wo wir wären, allein, wir sind darinnen unglücklich, daß, ohngeacht ich schon 2. mahl Briefe nach Holland mitgegeben, wir dennoch keine Antwort zurück erhalten haben, derowegen zu glauben, daß die Briefe nicht zurecht gekommen, sondern verlohren gegangen sind. Wenn ihr, versetzte der Jude hierauf, eines andern und nicht des Kaysers Sclaven wäret, so wäre wohl noch Rath zu finden, euch loß zu kauffen, allein, vor Geld pflegt der Kayser seine Sclaven nicht zurück zu geben, und derowegen ist wenig Hoffnung zu eurer Errettung da, wenn ihr euch nicht mit List zum Lande hinaus practiciren könnet; allein, ihr wisset allhier keinen Bescheid, und ein anderer, es sey Christ oder Jude, wird sich ohne schwere Geld-Summen nicht leicht in dergleichen Sachen mischen, weil, wenn die Sache verrathen würde, das Leben eines jeden schon so gut als verlohren ist. Das ist leicht zu erachten, war meine Antwort, inzwischen [122] muß man auf die Hülffe des Allmächtigen hoffen, auf ein paar tausend Zechinen aber solte es mir eben nicht ankommen, wenn sich ein redlicher Mensch finden wolte, der uns beyde wieder unter die Gesellschafft unserer Lands-Leute bringen könte. Hierauf sagte der Jude, wenn ihr redlich seyn, mich nicht verrathen, und mir meine Mühe wohl bezahlen wollet, will ich vor eure Befreyung, welche listiger Weise angestellet werden muß, Sorge tragen, allein, wo befindet sich eure Schwester, hat selbige auch, wie ihr, die Freyheit hinzugehen, wo sie hin will? So viel Freyheit, sprach ich, ist ihr nicht erlaubt, als mir, doch wäre es eben keine unmögliche Sache, sie zur Nachts-Zeit ein paar Meilen von Mequinez hinweg zu bringen. Wenn sie nur erstlich bey Nachts-Zeit allhier in mein Hauß gebracht werden könte, sagte der Jude, so solte sich nachhero alles schicken, denn ich bin im Stande, euch alle beyde etliche Wochen an einem geheimen Orte darinnen aufzuhalten, allwo euch die Mohren nimmermehr finden können, sie mögen auch suchen wie sie immer wollen. Ob auch gleich bey Nachts-Zeit das Revier, wo wir Juden wohnen, verschlossen wird, so wissen doch viele von uns solche Schliche, daß wir aus- und einkommen können, wenn wir wollen.

Ich wuste so gleich nicht, was ich weiter antworten solte, blieb derowegen eine ziemliche Zeit in tieffen Gedancken sitzen, mitlerweile brachte der Jude eineBouteille Wein auf den Tisch, und fragte mich, ob ich auch Wein träncke? Ich that ihm Bescheid, und fand den Wein so köstlich, als [123] ich ihn jemahls getruncken hatte, nachdem ich aber noch einige kleine Gläser ausgelehret, fuhr der Jude mit Reden also fort: Mein Herr, ich mercke wohl, daß ihr auf meine Reden kein besonderes Vertrauen setzet, allein, glaubet sicherlich, daß wir Juden es hier zu Lande mehr, und weit lieber mit den Christen halten, als mit den Mohren und andern Nationen, die Kauff-Leute wissen auch selbst daß wir es allezeit redlicher mit ihnen meynen, als mit den Maroccanern, allein, wir müssen uns sehr behutsam dabey aufführen. Damit ihr aber dessen vollkommen überzeugt werdet, so kommet nach zweyen Tagen wieder zu mir, alsdenn will ich euch einem Christlichen Kauffmanne aus Engelland præsentiren, welcher ein Contoir in Gibraltar, und zum öfftern starcken Verkehr allhier gehabt hat, nunmehro aber ist er resolvirt, in sein Vaterland, nehmlich nach Engelland, zurück zu reisen, vielleicht ists möglich, daß ihr alle beyde von ihm durch List mitgenommen werden könnet; wo nicht? werde ich ein ander Mittel zu erfinden wissen, denn, wie schon gesagt, wir Juden dienen den Christen gern vor ein billiges Geschencke, welches aber etwas kostbarer seyn muß, wenn Lebens-Gefahr bey der Sache zu besorgen ist.

Hierauf trunck ich noch etliche Gläser Wein, zahlete dem Juden eine Zechin darvor, versprach, die Sache mit meiner Schwester zu überlegen, und am dritten Tage in der Mittags-Stunde wieder bey ihm zu seyn, auch daferne er sein Wort halten, und uns in Freyheit verhelffen könte, ihm seine Mühe besser zu bezahlen, als er sich wohl einbilden [124] möchte; also ging ich dieses erste mahl in tieffen Gedancken, zwischen Furcht und Hoffnung schwebend, von ihm, setzte mich des Nachts in meinem Zimmer hin, und berichtete meiner Lands-Männin schrifftlich, wie ich nunmehro die erste Hand an das Werck unserer Befreyung gelegt, und bat mir, auf Ubermorgen früh, ihre Meynung und fernern guten Rath darüber aus.

Sie war nicht saumselig gewesen, sondern schickte mir gleich dritten Tages in aller frühe ein Antworts-Schreiben, hielt davor, daß meine Anstalten nicht uneben, weil es an dem, daß die Juden den Christen gegen eine gute Belohnung ungemein getreu wären, inzwischen müsten wir die gantze Sache noch etliche Wochen weiter hinaus schieben, biß die Nächte etwas länger und finsterer geworden, unter welcher Zeit sie mir denn auch ihre übrigen Kostbarkeiten vollends zuschantzen, ingleichen vielleicht noch einmahl mündliche Abrede mit mir nehmen könte.

Demnach begab ich mich um die bestimmte Zeit zum andern mahle zu meinem getreuen Juden, und fand würcklich einen vornehmen Englischen Kauffmann bey ihm, welchem der Jude bereits so viel von meiner Geschicht erzählet hatte, als er selbst davon wuste, ich aber erzählete ihm auch noch so viel darzu, als ihm von meinen Umständen zu wissen nöthig war. Indem uns nun hernachmahls der Jude beyde alleine ließ, redete mich der Kauffmann also an: Mein werther Freund! ich kan zwar nicht läugnen, daß ich seit etlichen Jahren verschiedenen Christen-Sclaven, welche entweder gar keine [125] Mittel gehabt, sich loß zu kauffen, oder vor Geld nicht einmahl haben loß kommen können, zu ihrer Freyheit verholffen, und sie heimlicher und listiger Weise mit mir fortgeführet, bloß auf Angeben dieses verschlagenen Juden, welcher so geschickt ist, daß er mit einem gewissen Saffte, binnen 2. oder 3. Stunden einem Menschen gleich eine gantz andere Gesichts-Bildung geben kan, solchergestalt, daß ein Jüngling oder Jungfer von 16. 18. oder 20. Jahren, so alt und verruntzelt aussehen, als ob es Personen von 60. biß 80. Jahren wären, nachdem er nehmlich mit seinem Saffte oder Tinctur die Haut mehr oder weniger einbeitzt. Allein, mit allen dem, so ist es eine sehr gefährliche Sache vor mich, und soltet ihr bey mir ertappet werden, könte es mir mein Leben, oder wenigstens alles mein Gut kosten; der Jude aber, wenn es heraus käme, müste ohnfehlbar mit dem Leben büssen. Weil ich nun auch ohnedem nicht weiß, ob ich noch etwa 4. 6. oder 8. Wochen allhier verbleiben müste, so kan mich eurentwegen zu nichts erklären, wie gern ich sonsten meinem Mit-Christen alle möglichsten Dienste leiste.

Ich wurde ziemlich kleinlaut bey dieser Anrede, sagte aber mit Seuffzen: Mein Herr, wenn meine und meiner Schwester Freyheit mit Gelde zu erkauffen wäre, so wolte gleich morgendes Tages vor 3. biß 4000. Ducaten werth Gold oder Kleinodien in eure Hände liefern, denn ich habe so viel und noch mehr in meiner Gewalt, allein, hieran zu gedencken, ist eine vergebliche Sache, und wenn wir unsere Personen nicht mit einer besondern [126] List aus diesem Reichepracticiren, so werden wir vor Kummer darinnen sterben müssen.

Vor meine Sorge und Mühe, versetzte der Kauffmann, eines Schillings werth zu verlangen, würde ich mir ein grosses Gewissen machen, allein, wenn alles glücklich ablauffen solte, würden ohngefähr 1500.Ducaten darzu erfordert werden, damit der Jude erstlich 2. fremde Sclaven vor mich kauffen, Pässe auf selbige lösen, und manchen die Augen blind machen, das übrige aber vor seine Mühe behalten könte. Hernach müste er diese Sclaven unter der Hand erstlich anderwerts wieder verhandeln, damit, wenn der Jude endlich eure Kleider wohl verändert, und eure Gesichter verwandelt, ich euch beyde, an deren Stelle, laut des gelöseten Passes, mit zu Schiffe nehmen dürffte. Allein, wie gesagt, (war seine fernere Meynung,) die gantze Sache ist annoch vielen Gefährlichkeiten unterworffen.

Das wuste ich mehr als zu wohl, ließ mich derowegen die Haupt-Sache, wegen meiner Landes-Männin und ausgegebenen Schwester, um so viel desto weniger mercken, sondern legte deßfalls, so zu sagen, alle meine Worte auf die Gold-Wage. Nachdem aber der Kauffmann noch ein paar Bouteillen Wein mit mir ausgetruncken hatte, und der Jude wieder zu uns gekommen war, meynete der erste, daß wir von dieser Sache nach weiterer Uberlegung in etlichen Tagen ein mehreres sprechen könten, der Jude aber schlug vor: daß es besser wäre, wenn wir in Zukunfft in einem andern Juden-Hause, welches er uns zeigte, zusammen kämen, und daselbst, Verdacht zu vermeiden, [127] auf einer besondern Stube, fernere Unterredung hielten.

So weit war Mons. van Blac vor dieses mahl in Erzählung seiner Geschichte gekommen, als die Glocke zwölff Uhr schlug, und uns damit erinnerte, den Alt-Vater nicht länger von seiner Ruhe abzuhalten, weßwegen derselbe den Mons. van Blac bath, Morgenden Abends den übrigen Rest von seiner curieusen Geschicht, uns vollends mitzutheilen, wir uns aber alle hierauf zur Ruhe begaben. Ein jeder besorgte folgenden Tages das Seine; Abens zu bestimmter Zeit fanden wir uns wieder bey dem Alt-Vater ein, und höreten den

Verfolg von Mons. van Blacs Lebens-Geschicht
Verfolg von Mons. van Blacs Lebens-Geschicht.

Ich habe, fing er an, wohl vermerckt, daß ich gestern Abend etwas zu weitläufftig in Erzählung meiner Geschicht gewesen bin, allein, eines Theils habe ich die besondere Gabe der Beredsamkeit nicht, mit wenig Worten viel zu sagen, andern Theils wüste nicht, was ich sonderlich hätte weglassen können, wenn ich einen vollkommenen Bericht von meinen Begebenheiten abstatten soll. Jedoch von nun an will ich mich befleißigen alles aufs kürtzeste, jedoch deutlichste vorzutragen.

Bey noch öfftern Zusammenkünfften schien mir der Englische Kauffmann immer gewogener zu werden, zumahlen, da ich ihm einige Jubelen von hohem Werth zeigte, denn meine Lands-Männin hatte mir nachhero binnen 3. Wochen mehr als vor 10000. Thlr. an Golde und Geldes werth zugeschickt, auch nur nebst verschiedenen Kostbarkeiten, [128] so viel an Gold-Stücken bey sich behalten, als sie sich in ihren Kleidern selbst mit fortzubringen getrauete. Endlich, da der Kayser sehr unpaß, und fast jedermänniglichconsternirt darüber war, hatte sie es abermahls angestellet, daß ich gantzer 24. Stunden bey ihr bleiben, und vollkommen mündlichen Rapport von meinen gemachten Anstalten abstatten konte, denn ich hatte nicht allein dem Kauffmanne vor den Juden bereits 1500. spec. Ducaten gezahlet, sondern ihm auch das meiste von meiner Landsmännin Gütern, in eine besondere Kiste versiegelt, anvertrauet, dargegen von ihm die völlige Versicherung erhalten, daß er vor alles sorgen wolte, wir müsten uns aber dabey gefallen lassen, nicht nur des Judens Rathe in allen Stücken zu folgen, sondern auch, nachdem alles wohl eingerichtet, meine Schwester in Mannes-Sclaven-Kleidern so wohl als ich, jedes ein Maul-Thier biß nach Arzilla zu treiben, als wohin er seine Güter zu schaffen, Erlaubniß hätte, und biß dahin solte uns auch der Jude begleiten.

Solchergestalt waren ich und meine Landsmännin über unsere glücklich gemachten Anstalten biß dahin vollkommen vergnügt, nur das eintzige lag mir auf dem Hertzen, wie sie aus dem Seraglio heraus und in das Juden Hauß zu bringen seyn würde, allein, sie machte sich hieraus keine sonderliche Beschwerlichkeit, sondern sagte, wie sie bey dunckler Nachts-Zeit, mir leichter Mühe, hinunter in einen der Gärten, auch zu einer verborgenen Thür durch die Mauer kommen könte, als zu welcher sie den Schlüssel schon vor Jahr und Tage hinweg [129] practiciret hätte, so dann dürffte sie weder Wache noch nichts paßiren, sondern könte so wohl in die Stadt als in das freye Feld kommen. Dieserwegen schöpffte ich bessern Muth, zumahlen mir der Jude schon die Schliche gewiesen, wie und wo wir uns bey nächtlicher Weile in die Juden-Stadt und in sein Hauß practiciren könten.

Der alte Sultan hatte zur selbigen Zeit würcklich einen sehr gefährlichen Zufall, welcher wohl mehrentheils von dem Alter herrühren mochte, und ohngeacht er nachhero noch etliche Jahre gelebt, so war es uns beyden doch damahls ungemein vortheilhafft, daß er itzo so gar schwach war, weil dieserwegen so wohl meine Lands-Männin als ich, etwas mehr Freyheit hatten. Derowegen, da ohnedem die dunckelsten Nächte eingebrochen waren, auch des Monden Licht zurücke blieb, hielten wir nicht vor rathsam, unsere Sachen länger aufzuschieben, sondern wagten das äuserste. Sie schrieb mir, daß ich in einer bestimmten Nacht, etwa eine Stunde vor Mitternacht, mich vor der bezeichneten verborgenen Pforte ausserhalb einfinden, vorhero aber aller Gelegenheit wohl erkundigen solte, um ihre Ankunfft dürffte ich nicht besorgt, sondern versichert seyn, daß sie accurat in der Mitternachts-Stunde die Pforte eröffnen, bey mir seyn, und sich von mir weiter führen lassen wolte.

Da fing mir das Hertze abermahls gewaltig zu klopffen an, jedoch ich hatte einen guten Säbel, ein paar treffliche Pistolen, und auch ein paar Taschen-Pufferte schon im Vorrath angeschafft, recognoscirte demnach binnen der Zeit etliche mahl selbige [130] Gegend, und maaß fast alle Fuß-Tritte ab; wie ich aber in der bestimmten Nacht kaum eine Stunde vor der verborgenen Pforten-Thür gelauret hatte, kam meine wertheste Lebens-Erretterin heraus getreten, schloß die Thür sachte hinter sich zu, umarmte mich aus keuscher Liebe, und sagte: GOtt Lob! so weit bin ich nun frey; bath mich aber, die Strick-Leiter, welche sie von starcken seidenen Schnüren seit etlichen Wochen her selbst zusammen gewürckt, und woran sie sich herunter gelassen hatte, zu tragen. Wir konten theils vor Freude, theils vor Angst und Zittern wenig mit einander sprechen, biß wir endlich an den Ort kamen, wohin ich den Juden bestellet hatte, der uns endlich durch einen beschwerlichen, jedoch glücklichen Weg in sein Hauß und in ein solches Zimmer brachte, wo zwischen 2. Wänden kaum eine Person geraumlich sitzen, man aber gar kein Tages-Licht sehen konte, sondern wenn man sehen wolte, muste auch bey hellem Tage ein Licht darinnen angezündet werden. Es waren auch zu oberst nur einige schieff-lauffende Löcher darinnen, damit der Dampff und Dunst heraus gehen konte; der Länge nach war endlich vor 3. Personen zum Liegen Platz genug darinnen, doch meine Landsmännin sagte: Wenn ich allhier lange verbleiben soll, bin ich ohnfehlbar des Todes.

Allein, der Jude hatte seine Streiche klug genug gemacht, und da binnen 3. Tagen weder Hauß-Suchung geschahe, noch sonst ein Rumor vorging, ließ er uns zuweilen etliche Stunden in einem Neben-Zimmerrespiriren, bestellete hierauf den Englischen Kauffmann eines Abends zu uns, welcher meiner [131] so genannten Schwester, der ich alles vorhero gesagt, wie sie sich aufzuführen hätte, mit besonderer Höflichkeit begegnete, und nochmahls betheurete, daß er zu unserer Befreyung alle Sorge und Mühe anwenden wolte, allein, wir müsten so wohl seiner Affairen, als unsers eigenen Bestens wegen noch einige Wochen Gedult haben.


Das war ein übler Thon in den Ohren meiner Landsmännin, jedoch was wolte nunmehro bey der gantzen Sache besser helffen, als Gedult und gute Hoffnung? Gleich darauf folgenden Tages fing der Jude an, mit seiner Tinctur unsere Gesichter zu verwandeln, und machte dieselben binnen 24. Stunden dergestalt schändlich, daß wir einander selbst fast nicht mehr kannten, versicherte jedoch anbey, daß es nichts schadete, sondern nach der Zeit mit einem gewissen Spiritu alles wieder abgewaschen, und in die vorige Gestalt gebracht werden könte. Vor alte Sclaven-Kleider trug er auch Sorge, uns selbige zu verschaffen, als vor welche wir ihm unsere guten Kleider gaben, die er augenblicklich auseinander schneiden und wohl verwahren ließ. Demnach warteten wir in dieser abermahligen Gefangenschafft auf die Stunde unserer Erlösung mit dem grösten Schmertzen, erfuhren mitlerweile, daß der Jude vor den Engelländer 4. Sclaven erkaufft, sich mit ihnen so wohl als mit dem Engelländer selbst, zu dem Bassa begeben, als welches der oberste Minister des Kaysers ist, und so wohl auf den Engelländer und seine Waaren, als auch auf die 4. Sclaven und 4. Maul-Thiere einen freyen Paßir-Zettel [132] erlangt, indem der Engelländer demBassa ein nicht geringes Præsent gemacht.

Nachdem wir also 6. Wochen und 4. Tage in des Juden Hause eingesperret gewesen, wurden wir endlich nebst noch 2. Sclaven heraus und in des Engelländers Quartier geführet, des Nachts packte man die 4. Maul-Thiere auf, welche von uns 4. Sclaven solten getrieben werden, und früh Morgens mit anbrechendem Tage ging die Reise fort, so, daß wir nach etlichen zurück gelegten Tage-Reisen endlich den HafenArzilla glücklich erreichten, allwo andern Tages der Engelländer nebst seinen übrigen Sachen auch eintraff, und nach vorgezeigten Paßir-Zettel uns 4. Sclaven mit den Waaren einschiffen, die Maul-Thiere verkauffen, und den Juden wieder zurück wandern ließ, nachdem derselbe vor seine gehabte Mühe wohl vergnügt worden. Was dieser Jude mit den 2. übrig erkaufften Sclaven angefangen, weiß ich nicht, wir aber danckten den Himmel, daß er uns günstigen Wind schenckte, weßwegen sich der Kauffmann nicht länger säumen wolte, sondern die Seegel aufziehen ließ, demnach lieffen wir in wenig Tagen im Hafen zu Gibraltar ein.

Wie erfreut meine Lands-Männin und ich über unsere nunmehro völlig erlangte Freyheit waren, solches ist nicht wohl auszusprechen, unser Erretter, der Englische Kauffmann, wurde nicht allein mit allen ersinnlichsten Danck und Lob-Sprüchen belegt, sondern wir wolten ihn auch unsere Danckbarkeit mit baaren Gelde zeigen, allein, er weigerte sich, selbiges anzunehmen, doch ließ er sich endlich [133] zum freundlichen Angedencken 2. ziemlich kostbare Kleinodien von uns fast aufzwingen.

Nunmehro waren wir bemühet, nachdem wir unsere Kiste von dem Kauffmanne zurück erhalten, uns wiederum ordentliche Kleider anzuschaffen, auch unsere Gesichter und Hände von der schändlichen Farbe, die uns aber vor dieses mahl gute Dienste gethan hatte, zu reinigen. Dieses letztere machte uns wohl 3. biß 4. Tage die allergröste Mühe, deñ anfänglich wolte weder Spiritus, Wasser, Lauge und Seiffe etwas davon hinweg nehmen, weßwegen wir glaubten, Zeit Lebens gelbe Mohren zu verbleiben, allein, endlich fing sich fast das gantze Oberhäutlein von unsern Gesichtern und Händen abzuscheelen an, und binnen 3. Wochen war alles dergestalt reine worden, daß wir wieder aussahen wie vorhero. Mittlerweile traffen wir in Gibraltar zwar verschiedene Holländer an, konten aber von ihnen allen, eben so wenig als in Mequinez, erfahren, ob meiner Lands-Männin Ehe-Mann, und denn mein leiblicher Vater, noch ausserhalb, oder in ihr Vater-Land zurück gekommen waren, derowegen, weil unser Engelländer gesonnen war, wenigstens noch 3. oder 4. Monat in Gibraltar zu verbleiben, hielten wir vor das rathsamste, uns nach einem andern Schiffe umzuthun, welches nach Engel- oder Holland seegelte, denn was hatten wir in Gibraltar zu schaffen.

Zwar fanden wir in dieser Vestung bey verschiedenen vornehmen Leuten, die nur unsere Geschicht anzuhören, uns zu sich einladen liessen, manchen vergnügten Zeitvertreib, allein, die Sehnsucht, die [134] so wohl meine Landsmännin nach den Ihrigen, und ich nach den Meinigen hatte, verursachte, daß wir täglich Mittel suchten, unsere Abreise zu beschleunigen, und es gereichte zu unsern grösten Freuden, da ein vonGenua zurück kommender Holländer sich einige Tage im Hafen vor Gibraltar aufzuhalten genöthiget fand, weßwegen ich so gleich zu ihm eilete, und so viel von ihm erlangete, daß er uns beyde mit nach Amsterdamm zu nehmen versprach. Indem er nun kein Zauderer war, sondern seine Sachen aufs eiligste ausrichtete, bekamen wir bald die angenehme Nachricht, daß, wenn wir mit nach Holland wolten, keine Zeit übrig sey, sich einzuschiffen, derowegen nahmen wir von unsern Engels-Manne, der uns so redlich aus der Barbarey geführet hatte, zärtlichen Abschied, beurlaubten uns bey andern guten Gönnern und vornehmen Personen, welche uns nicht allein viel Proviant, sondern auch andere Kostbarkeiten mit auf die Reise verehreten, und gingen mit grossen Freuden unter Seegel.

So bald wir die Strasse paßiret, und die fürchterlichen Barbarischen Küsten nicht mehr zu sehen waren, fing meine wertheste Landsmännin erstlich an recht lebhafftig zu werden, alle ihre Redens-Arten waren nicht allein weit lustiger als sonsten, sondern auf ihren Wangen kam Blut und Milch in artiger Vermischung zum Vorscheine, die Rosen auf ihren Lippen aber blüheten vollkommen, denn sie hoffte, nun bald den Hafen ihres Vergnügens zu finden, wurde aber doch in etwas verdrüßlich, da sich der Patron des Schiffs verlauten ließ, er [135] müste in dem Hafen zu Lissabon einlauffen, und daselbst erstlich noch eine bestellte starcke Ladung einnehmen. Jedoch auf mein Zureden, daß, da wir nehmlich seithero in der grösten Gefährlichkeit so viel Gedult gehabt, wir dieselbe nunmehro in guter Sicherheit auch nicht gäntzlich fahren lassen müsten, gab sie sich zufrieden, und so bald wir im Hafen zu Lissabon angelanget, ließ sie es sich gefallen, auch mit den Boot überzugehen, und diese Betrachtens würdige Stadt in Augenschein zu nehmen, denn es præsentirte sich dieselbe von aussen dergestalt prächtig, daß man glauben konte, wie sie inwendig ebenfalls nicht elend beschaffen seyn müste. Weil es nun eben ein sehr angenehmes Wetter war, und unser Patron sagte, daß wir aufs wenigste binnen 14. Tagen oder 3. Wochen nicht von dannen seegeln würden, nahm ich einen Führer an, welcher meiner Landsmännin und mir die Haupt-Merckwürdigkeiten zeigen solte, brachten auch die Zeit vom Morgen biß Abend damit zu, doch weil ihr das Gehen beschwerlicher als die Betrachtung der Curiosäten fallen wolte, nahmen wir in folgenden Tagen eine Chaise, um die allzuweit abgelegenen Merckwürdigkeiten zu besichtigen. Indem wir um eines Tages auf einem grossen Platze stille hielten, um eine daselbst aufgerichtete kostbare Bild-Säule in genauen Augenschein zu nehmen, indem sich bereits viele Personen, die wie Ausländer aussahen, dabey befanden, vermerckte ich, daß eine Manns-Person von näher 30. Jahren beständig ihre Augen auf meine Landsmännin gerichtet hatte, auch da sie die besondern Figuren und Inscriptiones [136] rings um die Bild-Säule herum betrachtete, ihr immerex opposito blieb, bald blaß, bald roth wurde, etliche mahl mit dem Kopffe schüttelte, und sonsten viele andere Zeichen der Verwunderung von sich gab. Meine Landsmännin wurde nichts davon gewahr, jedoch da ich sahe, daß sich dieser Curiosus etliche Schritte entfernete, und mit einem andern, der ebenfals so ein gelblich Kleid, wie er, anhatte, in einen vertraulichenDiscours eingelassen, beyde aber sich öffters nach meiner Landsmännin umsahen, drehete ich mich nach und nach an ihre Seite, und sagte ihr ins Ohr: Madame, sehet, jene beyden Gelb-Röcke sprechen von niemand anders als von euch, wenn ich wahrsagen soll, so ist wenigstens dem einen eure Person bekandt. Meine Landsmännin ergriff mich bey der Hand, mit den Worten: Kommet, mein Freund, wenn ich sie gleich nicht kenne, so werden wir doch vielleicht mercken oder erfahren können, ob es welche von unsern Lands-Leuten sind. Ich führete sie gerades Wegs auf beyde Personen zu, weiln unser Wagen in der Gegend stund, da wir aber noch etwan 30. Schritte von ihnen waren, dreheten sie sich erstlich beyde uns entgegen, machten hernach lincks um, und gingen etliche Schritte weiter nahe an den Wagen, von welchem sie nicht wusten, daß er unser war. Meine Landsmännin druckte mir die Hand, und sagte: Ich bin fast aus mir selbst, denn alle beyde sind mir sehr wohl bekandt, der alte, etliche 50. jährige heisset Cornelius Dostart, der jüngere aber, welcher meines Vaters Laden-Diener gewesen, Jan Pancratius Rackhuysen. Sie haben mir beyde Verdruß [137] genung verursacht, und eben deßwegen haben die Schelmen kein gut Gewissen, sich zu erkennen zu geben. So wollen wir, versetzte ich hierauf, ihnen zum Tort auf sie zugehen, und fragen, ob sie nicht Holländer wären, denn wir solten sie fast kennen.

Mir geschicht, antwortete meine Dame, hiermit eben kein besonderer Verdruß, denn ich kan auch wohl mit meinen Feinden sprechen. Demnach führete ich sie erstlich seitwarts vor den beyden Holländern, die noch immer in ernstlichen Gespräch begriffen waren, vorbey, drehete mich aber mit ihr kurtz um, so, daß wir sie beyde jählings im Angesichte hatten. Der jüngste schlug die Augen itzo nieder, ohngeachtet er meine Landsmännin kurtz vorhero bey der Bild-Säule mit gröster Verwunderung betrachtet hatte; Der ältere aber, welchen ich hatte Dostart nennen hören, ging meiner Landsmännin entgegen, und sagte mit bestürtzten Minen: Madame! wie soll ich dencken? sind sie des Herrn Bredals Tochter oder derselben Geist. Meine Landsmännin stellete sich gantz aufgeräumt an, und antwortete! Man siehet bald, daß ich kein Geist bin, indem ich Fleisch und Bein habe, auch den Herrn Dostart so wohl als Mons. Rackhuysen annoch besser kenne, als mich dieser letztere kennen will, ohngeacht wir doch wohl länger als 6. Jahr an einem Tische gespeiset haben. Madame! gab dieser letztere darauf, sie vergeben mir, daß ich vor Verwunderung, über das besondere Glück, dieselben allhier vergnügt anzutreffen, gantz aus mir selbst gesetzt bin, und mich nicht so gleich fassen kan. [138] Es ist nichts ungewöhnliches, replicirte die Dame, daß Menschen in der Fremde, Berg und Thal aber desto seltener zusammen kommen; allein, können sie mir nicht sagen, ob meine Eltern noch leben, und ob mein Liebster wieder aus der Sclaverey zurück nach Leuwarden gekommen ist. Nein, Madame! gab Rackhuysen zur Antwort, davon kan ich keine Nachricht geben, weil ich bereits über drittehalb Jahr aus Holland abwesend, und nur vor etlichen Tagen aus Ost-Indien biß hieher gekommen bin; Herr Dostart aber wird ihnen vielleicht die Wahrheit sagen können, weiln er nur vor wenig Wochen von Leuwarden abgegangen. Sie wandten hierauf ihre Augen auf den alten Dostart, welcher sie, nachdem er mir ein höflich Compliment gemacht, etliche Schritte von uns hinweg und einen ziemlich langen heimlichen Discours mit ihr führete. Mitlerweile sprach Rackhuysen zu mir: Monsieur! sie werden vielleicht ein Befreundter von dieser Dame seyn? Nein, mein Herr, gab ich zur Antwort, ich habe sie sonsten in Holland niemahls gesehen, denn ich bin von Antwerpen, sie aber von Leuwarden gebürtig, doch mache mir das gröste Vergnügen daraus, daß sie durch meine schlechte Person, listiger Weise aus der Barbarischen Sclaverey, und so gar aus des Maroccanischen Kaysers Muley Ismaëls, Seraglio befreyet worden. Das gestehe ich! war seine Verwunderungs-volle Gegen-Rede, worauf er eine lange Zeit in tieffen Gedancken stehen blieb, endlich aber noch ein und anderes von mir ausfragen wolte, allein, ich drehete das Gespräch auf eine listige Art herum, und fragte selbst [139] nach seinem Wesen, und was ihm auf der Ost-Indischen Reise besonders vorgefallen wäre, worauf denn zu antworten, er mir nicht wohl abschlagen konte, biß endlich die Dame und Dostart wieder zu uns kamen. Ich hatte unter der Zeit meine Augen offtermahls nach der Dame gewendet, und angemerckt, daß sie zu verschiedenen mahlen, die Hände gen Himmel gehoben, gefalten und gerungen, auch sonsten allerhand klägliche Stellungen gemacht, derowegen nahm es mich kein Wunder, daß, da sie wieder zu mir kam, sehr wehmüthig aussahe, und zu mir nur so viel sagte: Mein Herr und Freund! die Hitze ist zu groß, lasset uns zurück in unser Quartier fahren, diese beyden Herren werden, wo es ihnen gefällig, uns morgen auf einen Caffée zusprechen, denn ich habe dem Herrn Dostart schon gesagt, wo wir logiren. Alles zu Dero Diensten, antwortete ich, machte den beyden Herrn mein Copliment, und nöthigte sie auch nochmals, hub die Dame in den Wagen, setzte mich neben sie, und befahl dem Kutscher, nach unserm Logis zu fahren.

Unterwegs klagte sie über Kopff-Schmertzen, redete sonsten wenig, so bald wir aber in unser Logis kamen, legte sie sich gleich im Cabinet mit den Kleidern auf ihr Bette, weigerte sich etwas zu essen, sondern bath nur um ein paar Schälchen Caffée. Ich ging selbst hin, selbigen desto hurtiger fertig zu schaffen, und sie mittlerweile ein wenig ruhen und abkühlen zu lassen, denn es war würcklich ein sehr heisser Tag. Als ich aber mit dem Caffée kam, welchen ihr schon in Gibraltar angenommenes [140] Holländisches Auswarte-Mägdgen trug, sich aber gleich wieder fort machte, und ich meine wertheste Landsmännin hefftig weinend antraff, konte ich mich nicht enthalten, aus besondern Mitleyden zu fragen: Madame! ist mir erlaubt, nach der Ursache Dero hefftigen Betrübnisses zu fragen, so bitte dabey, mir selbige zu entdecken, kan ich Ihnen gleich nicht vollkommen helffen, so ist doch vielleicht ein guter Rath und Trost nicht gäntzlich zu verwerffen. Ach mein werther van Blac, sagte sie, ich bin und bleibe eine unglückselige Person auf dieser Welt. Der Himmel hat geholffen, daß meine Ehre, Leben und Gesundheit in und aus der Barbarey glücklich erhalten und errettet worden; allein, in meinem Vaterlande werde ich vielleicht alles mit einander einbüssen müssen. Das wolte der Himmel nicht, replicirte ich, wie kommen Sie auf solche Gedancken? Ach! verfolgte sie ihre Rede, meine alten Eltern sind beyde gestorben; Mein Mann hat schon seit einem Jahre wieder geheyrathet, und zwar eine solche Person, mit welcher er von vielen Jahren her ein geheimes Liebes-Verständniß gehabt, sich auch verlauten lassen, daß er mich nicht wieder annehmen wolte, und wenn ich auch ein gantzes Orlogs-Schiff voll Diamanten, Perlen und Gold-Klumpen mitbrächte, weil ihm eine von den Barbarn geschändete Person kein Vergnügen geben könte; Aber, o du gerechter Himmel, du allein weist meine Unschuld und Ehre, und hast dieselbe wunderbar auch unter den Barbarn zu erhalten gewust, bist auch der beste Zeuge, daß ich Zeit meines Lebens mit niemanden, als mit meinem[141] Ehe-Manne, mich fleischlich vermischet habe.

Unter diesen letztern Worten schossen die Thränen dergestalt häuffig aus ihren Augen, daß sie gar nicht mehr zu reden vermögend war. Ich ließ den ersten Sturtz vorbey, stellete ihr nachhero vor, daß man ja sich nicht so gleich an die erste fliegende Rede kehren müste, vielleicht wäre das meiste davon unwahr, und ihr Mann, der sie ehedem so sehr geliebt, würde vielleicht, wenn er sie nur erstlich wieder gesehen, auch ihre Geschichte und Contestationes angehöret, gantz andere Gedancken kriegen. Durch diese und andere Redens-Arten schien sie sich ein klein wenig zu besänfftigen, tranck auch ein paar Schälchen Caffée, und sagte hernach: Ich kenne meines Mannes Gemüthe am besten, zumahlen er nunmehro diejenige Person im Ehe-Bette hat, die er vor mir längst gern hinein haben wollen; Aber ich bitte sehr, Mons. van Blac, lasset mich ein paar Stunden ruhen, und schlaffet ihr selbst, diesen Abend will ich mich mit euch an den Tisch setzen, und meine gantze Geschicht erzählen, denn weil ich weiß, daß ihr mir niemahls im geringsten lasterhafft, sondern jederzeit redlich und getreu begegnet habt, so kan ich euch auch wohl mein gantzes Hertze offenbaren, damit ihr ein Licht in der Sache bekommet, wisset aber, daß Morgen früh um 9. Uhr Dostart sich eine gantz geheime Visite bey mir, und sonderlich dabey ausgebeten hat, euch ein paar Stunden auf die Seite zu schaffen, allein, das ist mein Wille nicht, sondern ich will euch in diesem Cabinet die Zeit über verschlossen halten, damit ihr alle seine Reden mit anhören könnet.

[142] Ich küssete ihr hierauf die Hand, verschloß das Cabinet, und legte mich haussen in der Stube hinter einer Spanischen Wand auf meinem Bette auch ein wenig zur Ruhe. Allein, an statt des Schlaffs stiegen mir allerhand Gedancken in den Kopff, denn ich gedachte: Wenn der eigensinnige Mann in Leuwarden seine Frau nicht wieder haben wolte, solte das nicht ein schönes Fütterchen vor mich werden können, denn sie war in Wahrheit ein ungemein schönes Bild, und mit Recht eine von den allerschönsten Frauen in gantz Holland zu nennen, wie ich mich denn gleich anfänglich, so bald ihr Portrait empfing, noch mehr aber, da ich das Original selbst sahe, sterblich in sie verliebte, allein, ihre strenge Tugend, Gottesfurcht und Frömmigkeit, nebst unsern gefährlichen Umständen, hatten mich bißhero beständig abgehalten, das geringste von dem, in meiner Brust verborgenen Feuer mercken zu lassen, hergegen hatte ich ihr jederzeit mit der sittsamsten Aufrichtigkeit und Treue begegnet. Kurtz: da sie, seit unserer erstern Bekanntschafft und Umgangs an, nicht die geringste geile oder leichtfertige Mine, sondern die grösten Zeichen der Keuschheit von sich blicken lassen, so ahmete ich ihr in allen Stücken nach, und unterdrückte die mir zuweilen aufsteigenden Affecten, nicht so wohl aus Blödigkeit, sondern vielmehr aus besonderer Hochachtung vor eine solche tugendhaffte Seele, welches mich denn in solchenCredit bey ihr setzte, daß sie öffters, jedoch in ihren Kleidern, wie schon in Mequinez im Juden-Hause geschehen, gantz ruhig und sicher an meiner Seite schlieff. Dieses alles, wie schon gemeldet, [143] kam mir auf einmahl in die Gedancken, nachhero aber wuste ich nicht, ob ich wünschen möchte, daß sie von ihrem Manne wieder angenommen, oder verstossen, und mir zu Theile werden solte. Solchergestalt blieb mein vorgenommener Schlaff gantz aussen, es stelleten sich aber dagegen die Annehmlichkeiten meiner schönen Landsmännin immer mehr und mehr vor meine Augen, so, daß ich biß auf den höchsten Grad verliebt in sie wurde, und weiter an nichts anders gedachte, biß sie endlich ihr Cabinet eröffnete, durch die Stube hinweg ging, und das Aufwarte-Mädgen ruffte, welches sich aber auch in einem gantz kleinen Cabinet ein wenig zur Ruhe gelegt hatte, und so gleich zum Vorscheine kam.

Ich stund ebenfalls gleich auf, und fragte: Wie sie sich befände? und, ob sie wohl geschlaffen hätte? Es ist, antwortete sie, kein Schlaff in meine Augen gekommen, sondern ich habe nur meinem zukünfftigen Schicksale beständig entgegen gedacht, jedoch letztlich alles der Fügung des Himmels anheim gestellet, und mich gefasst gemacht, alles Unglück mit der grösten Gelassenheit zu ertragen, wenn ich nur bleiben kan, wo Christen seyn, um mich mir GOttes Wort und dem Rathe guter Freunde zu trösten.

Dieses ist eine Resolution, versetzte ich, welche nur bloß allein tugendhaffte Seelen, so, wie die Ihrige beschaffen ist, ergreiffen können; bleiben Sie dabey, und lassen im übrigen den Himmel walten. Allein, was ist zu Dero Diensten, denn ich habe gehöret, daß sie der Magd geruffen? Nichts weiter, replicirte sie, als daß sie auf die Apotheque gehen, [144] und mir ein Hertz-Pulver holen soll, denn ich weiß nicht, wie es kömmt, daß ich so gar matthertzig bin. Ich bath mir sogleich aus, diesen Dienst selbst zu verrichten, und etwas zu bringen, wodurch der Leib wiederum gestärckt und das Gemüthe aufgeräumt gemacht wurde; zohe auch gleich meinen Ober-Rock an, und ließ mich durch sie nicht an meinem hurtigen Fortgehen verhindern. Bey der Wirthin bestellete ich erstlich eine delicate Abend-Mahlzeit nebst ein paar Bouteillen des allerbesten Weins, hernach ging ich auf die Apothecke, ließ ein herrliches Cordial, auf ihren Zustand gerichtet, zurechte machen, und brachte es so hurtig, als möglich, zurück.

Ihr seyd allzu dienstfertig, Mons. van Blac, sagte sie hierzu, (nachdem sie einige Löffel voll davon zu sich genommen, und es kräfftig befunden hatte,) und wenn es noch so lange währen solte, als es gewähret hat, dürffte mein gantzes Vermögen nicht zureichen, euch eure Liebe und Treue zu belohnen. Die letztern wenigen Worte machten, daß mir die Thränen in die Augen stiegen, weßwegen ich mich an ein Fenster wandte, um den Affect nicht mercken zu lassen, konte auch kaum mehr als so viel Worte vorbringen: Madame! ich verlange keine Vergeltung von Geld und Gut, sondern bin vergnügt, wenn sie nur bey dem Glauben bleiben, daß ich redlich bin. Sie mochte etwas an mir mercken, derowegen nahm sie noch ein wenig von dem Cordial, und begab sich stillschweigend wieder in ihr Cabinet, ich aber besann mich, und sahe nach der Küche, ging eine Zeitlang im nahe daran liegenden [145] Garten spatzieren herum, und verirrete mich dergestalt tieff in meinen Gedancken, daß ich mich nicht heraus finden konte, biß mich endlich die Wirthin ruffte, und fragte, ob sie das Essen auftragen solte? Ich befahl ihr, nicht damit zu säumen, weil wir heute wenig genossen, ging hinauf, und fand meine Landsmännin in der Stube herum gehend, dem Scheine nach, ziemlich wohl disponirt, es gefiel ihr auch, daß ich einige gute Tractamenten hatte zurichten lassen, indem sie alle mit Appetit versuchte.

Wie sauer es aber ihr, vielleicht nur meinetwegen, werden mochte, ihre Bekümmerniß zu verbergen, so schwer kam es mir auch an, meine Affecten zu unterdrücken, allein, da wir erstlich eine Bouteille von dem vortrefflichsten Weine getruncken, öffnete sich der Mund auf beyden Seiten einiger massen, jedoch redeten wir von gantz indifferenten Sachen, biß sie endlich, nachdem alles abgetragen, und das Mädgen zur Ruhe gegangen war, von selbsten anfieng, und sagte:Mons. van Blac! ich habe euch heute etwas zu erzählen versprochen, derowegen höret an die

Lebens-Geschicht der unglücklichen Charlotte Sophie van Bredal
Lebens-Geschicht der unglücklichen Charlotte Sophie van Bredal.

Ich bin unter 11. Kindern meiner Eltern das jüngste, und deren erste und letzte Tochter, denn meine Vorgänger sind lauter Söhne gewesen, deren ich bey meiner Abreise noch 8. lebendig gesehen. Mein Vater trieb zwar die Handlung, hatte aber wenig Mittel, weßwegen er alles sehr genau einfädeln [146] muste, denn bey einer solchen starcken Familie wurden, wie leicht zu erachten, auch starcke Ausgaben erfodert, zumahlen da sich kein eintziger von meinen Brüdern zur Handlung appliciren, sondern ein jeder viel lieber ein Handwerck lernen wolte, weßwegen mein Vater fremder Leute Kinder zu Jungen und Handels-Dienern annehmen muste. Ich will mich aber hiebey nicht lange aufhalten, sondern nur von meiner eigenen Person erwehnen, daß, da ich kaum das 13te Jahr erreichte, mich einige Leute vor schön ausgeben wolten; dannenhero fanden sich fast täglich nicht nur die Söhne der reichsten Kauff-Leute, sondern auch weit Vornehmere, bey meinen Brüdern ein, um zu schauen, ob bey mir etwas schönes anzutreffen wäre. Ich weiß nicht, was dieser oder jener gefunden, doch bekam ich bald von diesem, bald von jenem, nicht nur die verliebtesten Briefe, sondern auch verschiedene Galanterie-Waaren.

Ich armes Kind wuste gar nicht, was dieses zu bedeuten haben solte, klagete es derowegen meiner Mutter, und zeigete ihr alles offenhertzig, welche darzu lächelte, und sagte: Meine Tochter! zerreiß die Narren-Briefe, die Geschencke aber kanst du als ein Andencken aufheben, damit es die Personen, so sie dir geschickt, nicht vor einen Hochmuth auslegen, inzwischen entziehe dich ihrer aller Gesellschafft, so viel du kanst, und mache dich mit niemanden familiair, er sey so reich als er immer wolle.

Ich folgte meiner Mutter Lehren, kam aber bald in das Geschrey, als ob ich mir auf meinen Spiegel etwas einbildete, und gewaltig eigensinnig wäre. [147] Dem ohngeacht gaben sich die reichsten und vornehmsten Junggesellen viele Mühe, sich in meine Gunst zu setzen, allein, ich fühlete damahls in meinem Hertzen noch nicht den geringsten Trieb zur Liebe, ob schon mein 15tes Lebens-Jahr bey nahe verstrichen war. Wie man mich aber um selbige Zeit schon vor mannbar halten wolte, so meldete sich eben dieser, bereits ziemlich bejahrte Kauffmann Dostart, bey meinem Vater, und hielt um mich an. Mein Vater mochte zwar wohl den grossen Unterscheid unserer Jahre betrachtet haben, indem ich die 1. vor der 5. er dieselbe aber bereits hinter derselben hatte, weil er aber ein sehr wohl bemittelter Mann, auch ohne Kinder und andere Erben war, so wurde mir gar bald angetragen, denselben zu meinem künfftigen Ehe-Manne zu erwählen.

Ich hätte des Todes seyn mögen über diese Anmuthung, indem ich mich selbst noch ein Kind zu seyn schätzte; wurde aber um so viel desto mehr bestürtzt, da meine Mutter selbst, dieses Seil mit zu ziehen, anfing, und mir nicht allein zu dieser Heyrath rieth, sondern auch die besten Lehren gab, wie ich mich künfftig hin im Ehe-Stande zu verhalten hätte. Bey so gestalten Sachen aber, war meine erste Ausrede, daß ich mich als ein Kind noch unmöglich zum Heyrathen resolviren könte, solte es aber ja mit der Zeit einmahl geschehen, so würde ich gewiß meine Freyheit nicht an einen solchen alten eigensinnigen Mann verkauffen, denn es fänden sich ja wohl noch jüngere und geschickte Manns-Personen, ob sie gleich nicht so viel Mittel hätten, als der alte Dostart. Das redete ich so in meiner Einfalt aus aufrichtigen [148] Hertzen her, da ich aber auf meiner Eltern ferneres Vorstellen und Zureden immer bey dieser Meinung blieb, wurde mein Vater endlich gestrenger, gab mir auch Dostarts wegen einmahl würcklich ein paar Ohrfeigen, wodurch sich denn die Liebe um so viel weniger wolte aufwecken lassen, hergegen ein würcklicher Haß bey mir gegen diesen Mann erwuchs. Bey dem allen aber liessen meine Eltern nicht ab, mir die Lust zum Heyrathen, und sonderlich zu diesem eckelhafften Manne einzuflössen, welchen letztern ich aber durchaus nicht leiden konte, weßwegen mein Vater endlich Mine machte, mich mit Gewalt zu dieser widerwärtigen Heyrath zu zwingen. Viele Leute hatten Mitleiden mit mir, da die Sache Stadt-kündig wurde; eines Tages aber, da ich mit zweyen von meinen Brüdern von einer Befreundin in ihren Garten eingeladen war, fand sich unter andern jungen Leuten beyderley Geschlechts, welche, um die Lust vollkommen zu machen, Music bestellet hatten, auch eines Kauffmanns Sohn dabey ein, den ich zwar öffters von ferne gesehen, aber Zeit-Lebens noch kein Wort mit ihm gesprochen hatte. Er hieß Emanuel van Steen, war sehr wohl gebildet und gut gewachsen, voritzo aber zeigte sein gantzes Wesen etwas melancholisches an, denn er machte sich gar kein Vergnügen aus der Music, sondern ließ die andern schertzen und tantzen, kam also mit meinem Humeur vollkommen überein, denn ich konte diesen Tag ohnmöglich lustig seyn. Um aber von der lustigen Compagnie, die so wohl ihn als mich zum öfftern vexirte, abzukommen, ging er auf jene Seite des [149] Gartens weit darvon spatziren herum, ich aber ging mit einem alten Befreundten auf dieser Seite, und redete von verschiedenen Sachen mit demselben, biß endlich meine Befreundtin den van Steen an der Hand zu mir geführet brachte, und sagte: Ich kan kein besser Werck stifften, als wenn ich jene bey ihrer Lust lasse, und diese beyden Mißvergnügten zusammen bringe, vielleicht kan eins das andere trösten. Demnach brachte sie uns zusa en in eine grüne Laube, blieb erstlich eine Weile da, ging aber, unter dem Vorwande einiger Verrichtungen, hinweg, und ließ mich mit dem van Steen gantz alleine sitzen. Dieser fing unter niedergeschlagenen Augen zu sprechen an: Mademoiselle, warum nehmen dann sie keinen Theil an den Lustbarkeiten bey der Music? Monsieur, antwortete ich, mir ist selbsten nicht bewust, warum ich heute keinen Appetit zu dergleichen Lustbarkeiten habe, da ich doch sonst keine Verächterin, sondern vielmehr eine grosse Liebhaberin der Music bin. Ich wolte, sagte er weiter, die Ursach dessen wohl errathen, kan aber versichern, daß derjenige Kummer, welcher Sie, mich gedoppelt quälet. Ich wüste eben nicht, versetzte ich, was mich vor ein besonderer Kummer quälete. Ich weiß es aber wohl, versetzte er, bitte nur, meine Frey müthigkeit nicht im üblen zu vermercken, wenn ich sage, daß wohl nichts anders, als die verdrüßliche Heyrath, welche sie gezwungener Weise mit dem Dostart eingehen sollen, Schuld daran ist, derowegen laboriren wir an einer Kranckheit, und zwar ich gedoppelt, weiln diejenige Person, welche ich mir ausersehen, nunmehro schon in eines andern Armen [150] liegt, und ich von meinen Eltern ebenfalls, so wie sie, bestürmet werde, eine zwar reiche, aber desto häßlichere Ehe-Gattin zu erwählen.

Wie nun ich mich ziemlich bey diesen Reden betroffen fand, so konte nicht gleich mit einer geschickten Antwort fertig werden, weßwegen er nochmahls zu fragen anfing: Habe ich nicht Recht, Mademoiselle, daß wir beyde fast einerley Schicksal haben? Mein Herr! gab ich zur Antwort, meine Noth haben sie wohl errathen, weil dieselbe kein Geheimniß mehr ist, wiewohl es soll mich keine menschliche Gewalt zu einer widerwärtigen Heyrath zwingen; von ihrenAffairen aber habe nicht die geringste Wissenschafft. Er fing hierauf an, mir eine weitläufftige Erzählung von seiner Liebes-Geschicht mit der Helena Leards zu machen, welche ich aber nur kurtz fassen, und so viel davon melden will, daß er dieselbe, ob sie gleich nicht sonderlich schön von Gesicht, jedoch eines lebhafften Geistes und sonst guter Gestalt, vor andern Frauenzimmer geliebt, auch Hoffnung bekommen hätte, von ihr keinen Korb zu erhalten, allein, die Eltern auf beyden Seiten hätten in diese Heyrath nicht willigen wollen, und also wäre Helena vor wenig Wochen an einen Procurator verheyrathet worden. Er hingegen solte bloß nach dem Willen seiner Eltern die Catharina van Nerding heyrathen, welche ihm doch so starck zuwider wäre, als der blasse Tod.

Indem wir nun meine Befreundtin von ferne auf uns zukommen sahen, brach er seinen fernern Gespräche ab, und sagte nur noch dieses: Mademoiselle, die dritte Ursache meiner heutigen Unruhe [151] will ich ihnen, wo es mir erlaubt ist, Morgen schrifftlich melden, denn ich mercke, daß wenig Gelegenheit heute seyn wird, unsern Discours fortzuführen. Ich konte hierauf nicht antworten, weiln nicht allein meine Befreundtin, sondern auch andere von der Compagnie schon so nahe da waren, und zu nöthigen nicht abliessen, biß wir mit ihnen zur andern Gesellschafft gingen, welche das Tantzen bereits eingestellet hatte, und nur einer angenehmen Music zuhörete, worbey einige Arien gesungen wurden. Mit anbrechender Demmerung machte ich den Aufbruch, konte aber dem van Steen nicht abschlagen, mich in Begleitung meiner Brüder nach Hause zu führen, welche ihn auf morgenden Tag zu sich in unser Hauß nöthigten, weiln ohnedem unsere Eltern zu einem Hochzeit-Schmause fahren wolten.Van Steen stellete sich, versprochener massen, um gehörige Zeit ein, meine Brüder hatten unter sich und vor die darzu erbetenen Gäste ein Lust-Spiel angestellet, ehe sich aber van Steen in selbiges einließ, passete er die Gelegenheit ab, mir einen Brief in die Hände zu practiciren, dessen Inhalt dieser war: wie er als ein vollkommener aufrichtiger Mensch zwar nicht leugnen könte, daß er seit wenig Jahren seine Augen auf die Helena geworffen, allein, es wäre dieses zu einer solchen Zeit geschehen, da er nicht gewust, daß meine Gestalt und gantzes Wesen (seinen Schreiben nach) weit angenehmer, vollkommener und Liebens-würdiger sey, als der Helenæ. Hierbey that er mir einen förmlichen Liebes-Antrag, und versicherte, daferne ich mich wolte erbitten und bewegen lassen, [152] statt des alten Dostarts, ihn, den van Steen, zum Liebsten anzunehmen, er es mit guter Manier und Beyhülffe meiner eigenen Eltern, in kurtzen dahin bringen wolte, daß wir ein paar Ehe-Leute würden. Anderer beygefügten Schweicheleyen oder verliebten Thorheiten zu geschweigen, will nur dieses berühren, daß er einen starcken Eyd-Schwur angehängt habe, wie er nicht gesonnen, mich hinter das Licht zu führen, sondern lauter redliche Absichten hätte, indem er gestern gleich auf das erste mahl, als er mich gesehen, die Helena gantz vergessen, und nach fernerweit eingezogener Kundschafft wegen meiner Aufführung, vollkommen in mich verliebt worden.

Er war, wie schon gemeldet, ein schöner, artiger und wohl conduisirter Mensch von aussen anzusehen, darum fühlete ich von Stund an in meinem Hertzen viele zärtliche Regungen gegen ihm, so bald er dessen vergewissert war, addressirte er sich an meine Eltern, und da er noch mehr Vermögen als der alte Dostart zu hoffen, sein Vater auch ohnverhofft mit dem altenvan Nerding zerfiel, und dieser mein Liebhaber,Emanuel, bey solcher Gelegenheit zu verstehen gegeben, daß er nunmehro keine andere als mich zur Ehe haben, wiedrigenfals in die weite Welt gehen, und nimmermehr wieder kommen wolte, wurden seine und meine Eltern mit einander einig, wir mit einander versprochen, und der alte Dostart bekam den Korb, unter dem Vorwande, daß ich ihn so wenig lieben, als mich mein Vater darzu zwingen könte.

Inmittelst war unser Hochzeit-Fest noch auf [153] etliche Wochen hinaus geschoben, mein Bräutigam hatte öffters Gelegenheit, etliche Stunden gantz alleine bey mir zu seyn, derowegen begunte er immer dreuster zu werden, muthete mir auch solche Dinge zu, von welchen ich zu der Zeit noch gantz und gar keine Wissenschafft hatte. Wenn ich ihm nun dieserwegen eine eintzige scheele Mine machte, kam er zuweilen in 8. Tagen nicht wieder, so lange biß ihm etwa der Rummel vergangen war, hernach stellete er sich aber desto freundlicher, that jedoch immer neue Ansuchung, ihm seinen lasterhafften Willen zu erfüllen, welches jedoch von mir durchaus nicht zu erlangen war, denn bey so gestalten Sachen kehrete ich mich wenig an sein Kommen und Hinweggehen, hätte auch fast lieber gesehen, er wäre gar nicht wieder gekommen. Mittlerweile nahete unser bestimmter Hochzeit-Tag heran, mein Bräutigam war 8. Tage, seinem Sagen nach, verreiset gewesen, kam aber des zweyten Abends vorhero wieder zu Hause, und in meines Vaters Hauß, da eben mein Vater ein paar gute Freunde bey sich hatte, und mit ihnen in der Charte spielete. Nachdem mich nun mein Schatz, vielleicht aus falschen Hertzen, ein wenig becomplimentiret, ließ er sich mit ins Spiel ein, bath sich aber aus, daß ich auch neben ihn sitzen, und seine Cassa führen möchte. Auf Befehl meines Vaters gehorsamete ich, er spielete biß ohngefähr halb 12. Uhr mit Lust, hernach zohe er seine Uhr heraus, wurde auf einmahl verdrüßlich, und sagte, daß es nunmehro Zeit wäre, nach Hause zu gehen, indem er sehr müde von der Reise sey. Ich vermerckte, daß er mit der Uhr ein Billet heraus [154] zog, und selbiges ohne sein Vermercken auf den Boden fallen ließ, weßwegen ich mein Schnupff-Tuch darauf warff, und beydes zugleich aufnahm. Mein Schatz wurde dieses nicht gewahr, sondern eilete hurtig fort, ich aber verfügte mich auch geschwind in meine Schlaff-Cammer, wickelte das versiegelt gewesene Billet auf, und fand darinnen folgende Worte, welche ich auswendig gelernet, auch nimmermehr vergessen werde:


Mein Allerliebster!


Vier Nächte habt ihr zu meinem grösten Vergnügen bey mir zugebracht, aber wo dann die 3. darauf folgenden? Bey eurer Liebsten nicht, das weiß ich gewiß, und wolte wohl errathen wo sonsten. Allein, ich will voritzo die Liebe mehr als die Eifersucht über mich herrschen lassen, und bitten, daß ihr mir die Gefälligkeit erzeiget, und puncto 12. Uhr zu mir kommet, denn die Thür ist offen, und alles wohl bestellet, weil mein Wiedersacher wenigstens in 3. Tagen nicht wieder kömmt. Vergnüget nur mich, und das, was ihr mir unter das Hertze verschafft habt, diese Nacht noch einmahl zu guter letzte, weil ich doch wohl glaube, daß ihr nachhero von eurer Liebste nicht viel werdet abkommen können. Setzet dem Stöhrer unseres Vergnügens noch ein rechtschaffenes Horn auf, ehe ihr selbst in die Sclaverey gerathet, welche ich so wohl als mein [155] eigenes Schicksal täglich beweine, denn ihr wisset, daß ich bin einmahl wie immer


Eure

Getreue.


Wiewohl ich nun von Liebes-Intriquen wenige oder gar keine Wissenschafft hatte, so verursachte mir doch dieses Schreiben ein schmertzhafftes Nachsinnen, da es aber schon ziemlich späte, legte ich mich gleich zu Bette, und war erstlich so glücklich, daß mir ein baldiger süsser Schlaff die unruhigen Gedancken vertrieb, hernach so unglücklich, daß die Hand einer Manns-Person zum ersten mahle meine Brust begriff, worauf so gleich ein Kuß folgte. Ich fuhr so gleich in die Höhe, u. fing an zu schreyen, konte aber vor Angst keinen lauten Thon von mir geben. Indem nahm mich jemand bey der Hand, u. sagte: Um Gottes willen, Mademoiselle, schreyen sie nicht, ich bin Dero allergetreuester Knecht, und habe mich in diese Gefahr bloß allein darum gewagt, ihnen ein Geheimniß zu eröffnen, worauf die Glückseeligkeit ihres gantzen Lebens beruhet. Nunmehro erkannte ich wohl an der Sprache, daß es niemand anders sey, als unser Handels-Diener Rackhuysen, riß derowegen meine Hand zurück, und sagte: Welcher Satan hat euch Verwegenen in meine Cammer geführet? Kein Satan, antworte er, sondern die Treue und Redlichkeit gegen ihre Person und gantze Familie; wo habe ich anders Gelegenheit finden können, mit ihnen ohne Verdacht in Geheim zu sprechen, und ihnen mit Wahrheit zu offenbaren: Daß ihr Liebster, mit dem sie [156] übermorgen copulirt werden sollen, der allerlasterhaffteste und lüderlichste Mensch von der Welt ist. Denn er hat nicht nur 4. gantzer Tage und Nacht bey der Helena versteckt gelegen, sondern nachhero noch 3. Nacht bey einer Jedermanns- zugebracht, und voritzo weiß ich gewiß, und will meinen Kopff zum Pfande setzen, daß er wiederum bey der Helena im Bette liegt, denn ihr Mann ist verreiset, und sie hat ihn zu sich bestellet.

Ey! sagte ich, lasset ihn liegen wo er will, und retirirt euch aus meiner Cammer. O Himmel! wiederredete er, wie können sie sich so gnädig vor einen unwürdigen und so undanckbar vor einen getreuen Men schen erzeigen? Ich weiß nicht alles, was er mehr vorbrachte, doch bey so viel durch einander her lauffenden Affecten wuste ich nicht, ob ich hörete oder nicht, biß Rackhuysen endlich vermeynete, ich thäte solches mit allem Fleisse, und mich nicht nur küssen, sondern sich auch mehrerer Freyheit gebrauchen wolte; Allein, ich fing plötzlich überlaut an zu schreyen, weßwegen er sich wieder durch das Fenster, da er herein gestiegen war, zurück begeben wolte, allein, er mochte mit seinen Kleidern inwendig an einem Hacken hangen bleiben, weßwegen mein Vater, der mit dem Capital-Schlüssel meine Cammer so gleich eröffnete, und nebst meiner Mutter mit dem Lichte hinein trat, ihn annoch antraffen, und nur froh waren, daß er, ohne den Halß zu brechen, auf der angelegten Leiter glücklich herunter kam. Ich erzählete meinen Eltern den Frevel dieses Menschen, so wohl als die gantze Geschicht meines Bräutigams, zeigte den gefundenen Brief, und [157] sagte: Liebster Vater! allem Ansehen nach, hat das Verhängniß beschlossen, mich Arme durch das Heyrathen unglücklich zu machen. Er laß den Brief mit ziemlicher Bestürtzung, wuste aber gar bald, ein ander Mittel zu erfinden, indem er sagte: Meine Tochter! das ist eine falsche Charte, euer Bräutigam ist unschuldig, aber Rackhuysen ist ein Schelm, und hat ohnfehlbar die gantze Sache auf die Art eingerichtet, auch diesen falschen Brieff gemacht, denn ich habe vermerckt, daß er sich vorigen Abend immer etwas um den van Steen zu thun gemacht hat, kehret euch an nichts, ich will genaue Kundschafft darauf legen, wo euer Bräutigam diese Nacht zugebracht hat, der frevele Rackhuysen aber soll, so bald der Tag anbricht, zum Hause hinaus.

Demnach wurde ich begütiget, und um desto sicherer zu schlaffen, muste sich meiner Mutter Aufwarte-Mägdgen zu mir in die Cammer legen. Früh Morgens vor Tage, hatte sich Rackhuysen mit allen seinen Sachen schon aus dem Staube gemacht, worüber mein Vater sich etwas verdrüßlich stellete, allein, es mochte eben sein harter Ernst nicht seyn, mitlerweile machte er mir weiß, er hätte gleich auf der Stunde nach meines Bräutigams Behausung geschickt, und erfahren, daß derselbe unschuldig, auch gerades Wegs nach Hause gegangen, und von unserm Jungen in seinem Bette vest schlaffend angetroffen worden. Ich glaubte meinem Vater zu Gefallen alles, was er mir vorredete, erfuhr aber wenige Zeit hernach besser, daß mein Vater so gleich 3. Schild-Wächter ausgeschickt,[158] welche den van Steen selbiges Morgens früh bey anbrechenden Tage, aus der Helenæ Behausung hatten heraus kommen sehen.

Inzwischen stellete sich van Steen, des, auf diesefatale Nacht folgenden Tages, gleich nach der Mittags-Mahlzeit bey uns ein. Mein Vater empfing ihn sehr freundlich, um keinen Spuck in die Hochzeit, welche Morgen vor sich gehen solte, zu machen, oder weil er glaubte, daß wenn wir nur erstlich beysammen wären, van Steen seine Extra-Gänge von selbsten unterlassen würde. Mir begegnete van Steen ungemein zärtlich und verliebt, weßwegen ich fast selbst auf die Gedancken gerieth: daß er unschuldig wäre, und ihm also das vermeyntlich angethane Unrecht in meinem Hertzen abbath, auch ihn von nun an recht vollkommen zu lieben anfing, und solchergestalt trat ich folgendes Tages ziemlich ruhig und vergnügt in den Eh-Stands-Orden, wurde auch nachhero so wohl von meinen Schwieger-Eltern, als dem Scheine nach, von meinem Manne recht hertzlich geliebt, ja die erstern betheureten hoch, daß es ihnen nunmehro tausendmahl angenehmer wäre, mich an statt der Helena zur Schwieger-Tochter zu haben, mein Mann aber begegnete mir im Anfange etliche Monate dergestalt liebreich, daß ich nicht in dem geringsten Stücke über ihn zu klagen hatte, auch war er bey unserer neu angelegten Handelschafft dergestallt fleißig, daß seine, so wohl als meine Eltern nebst mir ein vollkommenes Vergnügen darüber fanden. Allein, ehe noch das erste Jahr verging, legte er sich auf die schlimme Seite, fing an murrisch und verdrüßlich [159] zu werden, bekümmerte sich um die Handlung so wenig als um den Haußhalt, ging fleißig zum Truncke und in die Spiel-Häuser, kam entweder gar nicht, oder doch des Nachts sehr betruncken nach Hause, und brach die Ursach vom Zaune, Zanck und Streit anzufangen. Ich begegnete seinem wunderlichen Humeur mit aller Höflichkeit, kam aber doch öffters plötzlich mit ihm unvermuthet in hefftigen Wort-Streit, so, daß er mich dann und wann im Eifer sehr übel tractirete, weiln aber, wie bekandt, in unserm Lande ein Frauenzimmer grosses Recht hat, schlugen sich zu vielen mahlen beyderseits Eltern darzwischen, und versöhneten uns wieder mit einander, damit die Sache nicht zu Weitläufftigkeiten und übler Nachrede ausschlagen möchte.

Mir war nichts weniger in die Gedancken gekommen, als daß die Helena die eintzige Ursach in meinem Unglück wäre, allein, nach gerade kam ich darhinter, daß er diese Bestie, welche ihm vielleicht einen Liebes-Trunck gegeben haben mochte, annoch bey allen Gelegenheiten aufs zärtlichste caressirte, und so offt es sich schickte, Nacht-Visiten bey derselben abstattete, so lange biß ihn endlich ihr Mann bey derselben ertappet, und ehe es Tag wurde, sehr zerschlagen und verwundet nach Hause bringen ließ.

Mein Mann machte mir weiß: Daß er unter eineCompagnie falscher Spieler gerathen, und von ihnen so übel zugerichtet worden wäre; welches ich denn anfänglich glaubete, allein, die wahrhaffte Historie wurde bald Stadt-kundig, welches sich denn seine und meine Eltern, sonderlich aber ich, [160] uns sehr zu Gemüthe zogen, jedoch ich ließ mich nicht gegen ihn mercken, das ich dieses vor eine gerechte Straffe erkennete, sondern begegnete ihm mit aller Freundlichkeit, in Hoffnung, daß er sich von nun an bessern würde, welches er denn auch allem Ansehen nach that, und eine lange Zeit gar nicht aus dem Hause ging. Da ihm aber nach und nach der Appetit zur lustigen Compagnie und andere Ausschweiffungen wieder ankam, ging er wieder Tag vor Tag aus, kam aber mehrentheils sehr mißvergnügt nach Hause, indem er wegen gemeldter Historie fast in allen Compagnien aufgezogen und geschraubt worden, derowegen mochte er mehrentheils dieserwegen auf die Desperation gerathen, mit einem andern Kauffmanne in Compagnie und selbsten die Reise nach Ost-Indien anzutreten, in Hoffnung, daß währender Zeit seines Abseyns, seine Geschichten würden vergessen und den Leuten neuere Mähren in den Mund gelegt werden.

So wohl seine als meine Eltern waren mit dieserResolution hertzlich zufrieden, und ohngeacht ich die letzte war, so davon Wissenschafft bekam, gab ich doch nicht allein meinen Willen drein, sondern ließ mich auch bereden, mit ihm zu reisen, weiln er vorgab, daß er ohne mich nicht leben könte. Die Haupt-Ursache war, ihn von der aus Geilheit und sonsten allerley Boßheit zusammengesetzten Helena abzubringen, alles vergangene zu vergessen, und nunmehro unser Ehe-Band desto vester und angenehmer zu verknüpffen. Allein, wir hatten, nachdem wir zu Schiffe gegangen, kaum die äuserste Spitze von Europa, nehmlich das Capo [161] de S. Vincente aus den Augen verlohren, da wir von einem Saléeischen See-Räuber (ich weiß nicht unter was vor Vorwand, denn die Holländer stunden dazumahl mit dem Kayser von Maracco gantz wohl) attaquiret und zu Sclaven gemacht wurden. Mein Mann stellete sich bey diesem Unglück sehr kläglich, ich aber wurde darüber gar ohnmächtig, und kam nicht eher zu mir selber, biß ich mich Tags darauf in der Gesellschafft einiger Mohren-Weiber befand.

Wie mir da zu Muthe gewesen, werdet ihr, mein Herr van Blac, selbsten zu beurtheilen wissen, allein, ich hatte nicht viel Zeit, meinem Schicksale nachzudencken, indem ich in Gesellschaft einiger Mohren-Weiber alsofort nach Mequinez an den Kayserl. Hof geschafft wurde, auch mir gefallen lassen muste, Tag und Nacht zu reisen. Man brachte mich bald darauf zu dem Kayser Muley Ismaël, welchem der Räuber mit meiner Person ein Present gemacht hatte, und welches auch sehr wohl von ihm aufgenommen wurde, denn er hatte, wie mir nachhero gesagt worden, so gleich befohlen, mich unter die Zahl seiner Kebs-Weiber zu versetzen. Es wurde mir ein properes Apartement nebst verschiedenen Cabinetten und Cammern angewiesen, die Tractamenten waren königlich, von Aufwärtern aber hatte ich mehr um mich, als ich gebrauchte, und um mich leiden konte.

Der Kayser that mir in den ersten Tagen (seiner Meynung nach, und wie ich von andern hörete) die besondere Gnade, mich in meinen Apartement, welches ich, so propre es auch war, dennoch vor [162] einen verfluchten Käffig hielt, persönlich zu besuchen, fand mich aber in der grösten Betrübniß, er küssete meine Hände und die Stirne mit Gewalt, den Mund aber verührete er nicht, sondern ließ nur sein Schnupff-Tuch zurücke, welches er mir über die Schulter legte, und sogleich wieder fort ging. Ich wuste damahls noch nicht, was dieses zu bedeuten hatte, legte selbiges auf den Tisch, und danckte dem Himmel, daß der alte Greiß wieder fort gegangen war; indem bekam ich die Visite von einer andern seiner Kebs-Weiber, welche eine gebohrne Französin war, und sich in der Welt ziemlich herum getummelt haben mochte. Diese gratulirte mir gleich Anfangs zu der Ehre, daß ich diese Nacht zum ersten mahle bey dem Kayser schlaffen solte. Ich gab zur Antwort, daß ich davon nichts wüste, auch mich ni ermehr darzu verstehen würde, wenn es gleich mein Leben kosten solte. Ach mein Hertz, sagte diese, läugnet nur gegen mich nichts, denn ich weiß es schon, und sehe zu allem Uberflusse, daß des Kaysers Schnupff-Tuch auf eurem Tische liegt, welches die Haupt-Marque ist, daß ihr diese Nacht an seiner Seite liegen müsset. Verflucht wäre diese Marque, versetzte ich, mich bringet niemand dahin, und solte ich mich ehe in Oele sieden lassen. Ja! war ihre Gegenrede, anfänglich war ich auch der Meynung, allein, nachhero bin ich doch überwunden worden.

Unter diesem unsern Gespräche kam ein Officier von den Verschnittenen, überbrachte mir ein sauberes Kästlein, nebst der Ordre, daß ich mich diese Nacht gefast halten solte, zu dem Kayser abgeholet [163] zu werden. Ich wuste vor Erschrecken keine Antwort zu geben, der Verschnittene aber mochte glauben, daß ich wegen der besondern Ehre und Gnade dergestalt bestürtzt wäre, ging also ohngesäumt seiner Wege.

Habe ich es nicht gesagt, sprach die Französin, daß es seine Richtigkeit hätte, und also ko en würde? Ihr seyd glücklicher als ich, denn ich habe viel länger auf diese Gnade warten müssen. Verflucht ist diese Gnade, war meine Antwort, und ehe ich mich darzu bequeme, soll, noch ehe man mich aus diesen Zimmer bringt, ein Messer in meinem Hertzen stecken. O! schrye die Französin, wer wolte so wunderlich seyn in der Welt, es erfordert der Menschen Schuldigkeit, sich in ihr Verhängniß schicken zu lernen. Was sich nicht will ändern lassen, muß man mit Gedult umfassen. Einmahl vor allemahl haben wir, so lange dieser alte Kayser lebt, keine Erlösung zu hoffen, denn er ist viel zu eigensinnig, daß er eine von seinen Kebs-Weibern in Freyheit stellete, und warum solte ich nicht mich überwinden können, binnen 6. 8. oder wohl mehr Monaten, einmahl bey einem solchen alten Manne zu liegen, welcher nicht einmahl mehr thun kan, was er gerne will.

Ich hörete aus diesen und noch mehr andern Worten, welche ich mich zu sagen schäme, nur allzuwohl, weß Geistes Kind diese Französische Dame, und daß sie gar keine Kost-Verächterin wäre, es möchte gleich Christe, Heyde, Jude oder Türcke über sie kommen, denn sie hatte den guten Glauben, daß alle solche Leute ebenfalls Menschen wären wie wir.

[164] Inzwischen überredete sie mich, mein überschickt bekommenes Kästlein zu eröffnen, worinnen sich denn 3000. Stück Zechinen nebst verschiedenen Kleinodien und allerhand Geschmeide befanden, welches alles ihr denn mehr als mir in die Augen leuchtete, so, daß sie sagte: Madame! ich nähme nur 100. Zechinen, und schlieffe diese Nacht vor euch bey dem Kayser. Mir kam gleich ein glücklicher Einfall in den Kopff, derowegen sagte ich: Madame, nicht hundert, sondern tausend will ich euch zahlen, woferne ihr mich durch eine kluge List von meinem Tode wenigstens noch auf einige Zeit befreyen wollet; denn, wie schon gesagt, lebendiger und gutwilliger Weise lasse ich mich nimmermehr an eines Unchristen Seite legen, sondern will mich viel lieber enthaupten lassen, so wie er es bereits vielen andern vor mir gemacht hat.

Ich höre, sehe und spüre wohl, sagte die Französin, daß ihr so eigensinnig als schöne seyd, ich hätte mich vor 6. Jahren auch nicht darzu verstanden, wenn mir mein Leben nicht allzu lieb gewesen wäre, allein, da ich es ein und etliche mahl gezwungener Weise habe thun müssen, so ist nunmehro nichts weiter daraus zu machen, und da ich zumahlen seit länger als einem Jahre her von dem Kayser fast gäntzlich zurück gesetzt worden bin, will ich euch zum Vergnügen, ihm aber zum Possen einmahl einen lustigen Streich spielen, und diese Nacht, statt eurer mit verhülleten Haupte, wie gewöhnlich ist, zu ihm gehen, denn die Mahometaner pflegen des Nachts das Werck der Liebe nicht bey brennendem Lichte zu verrichten. Es gehet auch die Sache darum [165] vortrefflich wohl an, weil wir beyde, durch unsere Cammer-Thüren alle Augenblicke zusammen kommen, und uns solchergestalt in den Personen leicht verwechseln können. Ich wuste vor innerlichen Freuden nicht, was ich auf diesen Antrag sagen solte, sondern ging nur hin, zahlete ihr 1000. Zechinen, und versprach noch ein mehreres zu thun, wenn sie meine Stelle vertreten und alles wohl ausrichten würde. Sie nahm zwar den Beutel mit dem Golde an, bath mich aber, denselben so lange in meiner Verwahrung zu behalten, biß sie mit anbrechendem Tage glücklich wieder zurück käme, im übrigen würde es Zeit seyn, daß wir in eine Cammer gingen, und die Kleider mit einander verwechselten, denn die Verschnittenen würden bald kommen, und mich abholen wollen. Es geschahe auch! denn wir waren kaum fertig, als sich diese Unholden vor der Thür meldeten, an statt meiner aber die Französin, welche sich la Galere nennete, zum Kayser führeten.

In meine Augen kam diese gantze Nacht kein Schlaf, denn ich meynete immer, der Betrug würde offenbar werden, allein, so bald als der Tag anbrechen wolte, kam la Galere wieder zurück, und erzählete mit grösten Freuden, daß der Betrug glücklich abgelauffen, und der Kayser sehr vergnügt gewesen wäre; die übrigen Umstände, welche ich mich selbst von ihr anzuhören schämete, will ich vor euren züchtigen Ohren verschweigen.

Sie, la Galere, hatte schon vorigen Abend eine ziemliche Quantität von dem schönsten Griechischen Weine (der mir zum Present geschickt worden) zu[166] sich genommen, bath sich derowegen nach wohl ausgerichteter Sache noch ein eintzig Gläßgen aus, tranck aber eine gantze Bouteille. Ich gönnte ihr so wohl dieses als andere lieber, als mir selbst, da ich aber merckte, daß sie den Schwindel bekam, brachte ich sie selbst zu Bette, und legte mich auch zur Ruhe. Mein Schlaff währete fast bis gegen Mittag, da mir denn meine zugegebene Mohren-Sclavin berichtete, daß ein Officier nebst 2. Verschnittenen bereits über 2. Stunden vor der Thür gewartet hätten, um mir ein Geschenck von dem Kayser zu überbringen; Derowegen kleidete ich mich hurtig an, ließ den Officier herein kommen, welcher mir den Morgen-Gruß vom Kayser überbrachte, anbey vermeldete, daß der Kayser sehr wohl mit mir zufrieden wäre, und mir nicht nur zur Erfrischung allerhand Delicatessen, sondern auch noch ein besonderes Kästlein schickte. Dieses letztere lieferte er mir selbst in meine Hände, ich aber gab ihm benebst einem Geschencke von 50. Zechinen seine Abfertigung. Um die Victualien bekümmerte ich mich wenig, weiln ohnedem alles bekam, was ich nur foderte, da aber das versiegelte Kästlein eröffnete, fand ich abermahls nebst 3000. Zechinen, ein kostbares Halß- und Arm-Geschmeide, wie auch einen Finger-Ring darinnen, welcher wegen der darein versetzten Diamanten wenigsten 1000. Zechinen werth ist.

Bey meinem damahligen grossen Unglück konte ich mich dennoch des Lachens nicht erwehren, daß eine andere die schändliche Arbeit verrichtet, ich aber den starcken Profit davon gezogen hätte. La Galere [167] erfuhr von diesem allen nichts, weil sie viel zu lange geschlaffen hatte, jedennoch, weil ich glaubte, daß es vielleicht die Noth erfordern möchte, sie noch öffters solchergestalt in meinem Nahmen zu verschicken, machte ich ihr, da sie wieder zu mir kam, noch ein starckes Present an Gelde, Galanterie-Waaren und andern Delicatessen, über dieses nahm ich sie zu meiner vertrautesten Freundin an, und wir sassen beständig beysammen, indem ich zur selben Zeit noch mit niemand Holländisch, mit dieser aber Französisch sprechen konte.

Ich müste mehr als 24. Stunden Zeit haben, wenn ich meine Geschichte mit allen behörigen Umständen erzählen solte, derowegen will nur so viel sagen, daß die la Galere meine Person und die gantze Tragœdie dergestalt wohl gespielet hat, daß weder der Kayser, noch die Verschnittenen, nicht das geringste davon gemerckt, und obschon ich den grösten Gewinst davon hatte, so ließ ich sie doch nicht leer ausgehen, sondern gab ihr, was billig war, habe auch niemahls vermerckt, daß sie übel mit mir zufrieden gewesen wäre.

Ein eintziges mahl, da der Kayser einige von seinen Kebs-Weibern in den Garten beruffen ließ, bekam er einen plötzlichen Appetit, mich in ein geheimes Cabinet zu führen, jedoch da ich ihm mit einer ernsthafften Mine versicherte, daß ich es verschworen hätte, und mich eher umbringen lassen wolte, als bey hellen lichten Tage dergleichen zu thun, küßte er mich auf den Mund, und gab sich zufrieden. Dieses ist auch der erste und letzte Kuß gewesen, den ich von ihm empfangen, und gezwungener Weise [168] habe leiden müssen, folgende Nacht aber muste meine la Galere wieder fort, und er mochte viel wissen, was er hatte, denn man sagte mir, daß er allezeit sehr betruncken zu Bette ginge.

Mittlerweile hatte ich zwar erfahren, daß man einen jungen Holländer dem Kayser zum Sclaven undPagen vorgestellet, ich konte aber nicht so glücklich werden, euch, mein werther Herr van Blac, zu Gesichte zu bekommen, biß ich, eben zu der Zeit, da ihr eure großmüthige Rede vor dem Kayser ablegtet, nebst noch 5. andern der vornehmsten Kebs-Weiber des Kaysers, die wir zusammen in das Neben-Zimmer beruffen worden, euch nicht allein zu hören, sondern auch das erste mahl zu sehen das Glück hatte.

So bald der Kayser mit dem Kisler-Aga und andern Ministern in das Neben-Zimmer eintrat, fragte er, was uns bedeuchte bey diesem verwegenen Christen? Indem nun ich vermerckte, daß er diesen Tag wenig oder gar keine Galle im Magen hatte, wagte ich es plötzlich, fiel ihm zu Fusse, und sagte: Großmächtigster Kayser! ich bitte um Gnade vor diesen elenden Fremdling, in Betrachtung dessen, daß er eine Europäische Standes-Person und mein Lands-Mann ist. Die andern 5. Kebs-Weiber fielen ebenfalls neben mir nieder, und stimmeten meinen Bitten bey, ob sie schon keine Holländerinnen, aber doch auch aus Europa gebürtig waren.

Der Himmel mochte das Hertz dieses sonst ungemein grausam gewesenen Tyrannen voritzo besonders dahin lencken, daß er mir zum Zeichen der [169] Erhörung meiner Bitte, seinen in Händen habenden Stab aufs Haupt legte, die Hand reichte, mithin aufzustehen nöthigte. Nach diesen wurde zwar noch eine Probe eurer Beständigkeit gemacht, welche ich mit zitterenden Hertzen ansahe, denn mir war immer bange, ihr würdet euch durch das Schrecken vor dem Tode, auf andere Gedancken bringen lassen, allein, meine Freude war hernach desto grösser, da ich verspürete, und augenscheinlich sahe, daß ihr in eurer Resolution unbeweglich waret. Da nun mein Hertze im voraus andeutete, daß ihr ohnfehlbar, das, mir vom Himmel zugeschickte Rüst- und Werck-Zeug, seyn würdet, meine Person, Ehre und Leben zu erretten, und mich aus diesem verfluchten Lande hinweg zu führen, machte ich mir den Kummer eben nicht gar zu groß, da ich nur erstlich erfuhr, in was vor ein Gefängniß man euch brachte, indem ich die stärckste Hoffnung hatte, euch mit nächsten daraus zu erlösen.

Ihr wisset, (sagte hier die Madame van Bredal,) die Anstalten, die ich hierzu gemacht, aus unsern vorigen Gesprächen vielleicht schon zur Gnüge, derowegen will, weil es ohnedem sehr spät ist, vor dieses mahl den Schluß meiner Erzählung machen, jedoch werdet ihr Morgen, wenn Dostart kömmt, vielleicht schon ein mehreres von meinem Verhängnisse zu vernehmen kriegen, hiermit nahm sie gute Nacht von mir, legte sich in ihr Cabinet, ich aber mich hinter die Spanische Wand schlaffen.

Folgendes Morgens kam Dostart zu bestimmter Zeit, der Caffée stund schon parat, ich aber hielt mich in ihrem Cabinet versteckt und verborgen auf.[170] Er begegnete ihr ungemein höflich und freundlich, worauf sie gar bald mit einander ins Gespräch geriethen, da sie ihm denn alle ihre Begebenheiten, seit der Abreise von Holland, wie sie in die Sclaverey gerathen, wie es ihr darinnen ergangen, und endlich, auf was vor Art sie aus derselben befreyet worden, auch wie sie nicht nur so glücklich gewesen, ein ziemliches Vermögen, sondern, welches das Haupt-Stück, ihre Ehre unverletzt wieder mit zurück zu bringen. Hierbey vergaß sie denn auch nicht, ihm meine gantze Geschicht und die ihr geleisteten Dienste bey der Befreyung zu melden. Dostart, welchem ich durch einen Ritz in die Augen sehen konte, war hierüber sehr Verwunderungsvoll, stattete bey der van Bredal nochmahls seine Gratulation ab, fing aber hernach also zu reden an: Madame, es ist an dem, daß sie in ihren besten Jahren die bösesten Fata gehabt, ihre Schönheit und Tugend hätte freylich ein besseres Schicksal verdienet, aber dem Himmel sey gedanckt, daß nur das schlimmste vorbey ist, aus dem übrigen wolte ich ihnen wohl rathen, sich keinen besondern Kummer zuziehen, denn – – – –

Wie er nun solchergestalt in seinen Reden auf einmahl inne hielt, sagte die van Bredal: Nun so sagen sie mir doch, mein Herr Dostart, was ich ohngefähr, wenn ich in mein Vaterland komme, vor mir finden werde. Madame, gab er zur Antwort, ich will ihnen aufrichtig sagen, was so wohl Freunde als Feinde von ihrer und ihres Mannes Geschichten judiciren. Es ist gleich Anfangs jedermann bekannt gewesen, daß ihr Mann, der van [171] Steen, von Jugend auf mit der Helena ein geheimes Liebes-Verständniß, und zwar dergestalt gehabt, daß beyden ohnmöglich gewesen, von einander zu lassen, ohngeacht sich beyde nachhero mit andern Personen verheyrathen musten.

Dem van Steen hielt es die gantze Welt vor übel, daß er, ohngeacht er an euch eine weit schönere, tugendhafftere und Liebens-würdigere Frau bekommen, als die Helena war, er dennoch diese weit höher als euch schätzte. Von seinen Ausschweiffungen und gefährlichen Unternehmungen werdet ihr zwar wohl vieles, aber doch wohl nicht so viel, als ich, wissen. Allein, davon will ich voritzo nichts mehr gedencken, sondern nur so viel sagen, daß die allermeisten Leute, so um den gantzen Handel gewust, glauben, er habe euch, als seine Frau, auf Anstifften der Helenæ, gutwillig unter die Barbarn verkaufft, und sich nur pro forma mit gefangen nehmen lassen, weil zu seiner baldigen Wieder-Erlösung schon vorhero gute Anstalten gemacht gewesen. Ihr waret mit eurem Manne kaum etliche Monat hinweg, als euer Unglück in Leuwarden schon Stadt-kundig wurde, eures MannesCompagnon reisete also nach, um so wohl ihn als euch loß zu kauffen, und dieser war kaum wenig Wochen hinweg, als der Helenæ Mann, da er eines Tages sehr früh eine Reise angetreten, unterwegs vom Pferde gefallen, und gleich auf der Stelle todt geblieben war. Es wurde zwar ausgestreuet, als ob ihn ein plötzlicher und hefftiger Schlag-Fluß gerühret hätte, allein, die Klügsten glaubten, und zwar nicht ohne Grund, daß ihm Helena selbst ein subtiles Gifft beygebracht,[172] indem er seit der Zeit, da er nicht nur euren Mann, sondern auch noch andere zu verdächtigen Zeiten bey ihr angetroffen, sehr unvergnügt mit ihr gelebt hatte.

Dem sey nun wie ihm sey, weil der Helena nichts besonderes zu erweisen stund, so wurde auch keine Untersuchung angestellet, sie war dem Scheine nach sehr betrübt über diesen Unglücks-Fall, ließ sich aber bald durch solche Tröster trösten, die nur ihren Zuspruch des Nachts bey ihr thaten. Kaum war ihr Trauer-Jahr verflossen, als euer Mann, aus der Gefangen schafft erlöset, wieder zurück kam, und selbst public machte, daß ihr unter die Zahl der Kebs-Weiber des Kaysers von Marocco wäret versetzt worden, weßwegen er nun zwar sehr kläglich that, doch nachhero deßhalber viele Zeugen abhören ließ, welche alle einhellig aussagten, daß an eure Rantzion nicht zu gedencken wäre, und wenn man auch etliche Millionen daran wenden wolte, und solchergestalt bekam dervan Steen, euer Mann, bald die Erlaubniß, sich wiederum anderwerts zu verheyrathen. Man hatte noch nicht eben erfahren, daß er nach seiner Zurückkunfft bey der Helena aus- oder eingegangen wäre, als es plötzlich ruchtbar wurde, daß er mit derselben Verlöbniß gehalten, sich auch, ohne viel Zeit zu verlieren, in aller Stille mit derselben trauen ließ.

Kurtz zu sagen, van Steen lebte vergnügt mit seiner neuen Ehe-Gattin, und da er einsmahls in einerCompagnie, wo ich auch eben gegenwärtig, gefragt wurde: Was er denn aber machen wolte, wenn nun seine erste Frau ein Mittel fände, denen [173] Barbarn zu entwischen und wieder zu ihm käme? gab er zur Antwort: Ich will ihr ihre Befreyung hertzlich gern gönnen, wolte auch mit einem guten Stück Gelde darzu behülfflich seyn, wenn dieselbe auszuwürcken stünde, allein, in mein Ehe-Bette soll sie nicht wieder kommen, und wenn sie ein gantzes Orlogs-Schiff mit Golde, Perlen und Edelgesteinen mitbrächte, denn wer wolte mir zumuthen: eine von den Barbarn geschändete Person wieder anzunehmen, ohngeacht ich sie, vor der Zeit, und sonderlich, so lange sie meine Ehe-Frau gewesen, hertzlich geliebt habe.

Wie dieses, Madame! eure Eltern wieder erfuhren, zohen sie es sich dergestalt zu Gemüthe, daß sie Bettlägerig wurden, und binnen 4. Wochen alle beyde sturben. Inzwischen ist euch doch euer Erbtheil bis auf eine gewisse Zeit ausgesetzt, und ein Curator darüber bestellet worden, welches ihr, so bald als ihr kommet, werdet heben können, inzwischen halte das vor euer gröstes Glück, daß ihr mit dem van Steen, welcher euerer Person niemahls würdig gewesen, keine Kinder gezeugt habt.

Hiermit beschloß Dostart seine Erzählung, und fragte nur noch dieses: Was meynet ihr nun, Madame, bey diesen Geschichten, und wie wollet ihr die Sachen mit eurem ungetreuen Manne anstellen? Die van Bredal hatte die meiste Zeit unter seinem Erzählen geweinet, konte derowegen auch itzo vor Thränen noch nicht gleich antwortten, doch endlich sagte sie: Was will ich anders machen, als meine Sache dem Himmel befehlen, ich will den van Steen gantz nicht in seinem Vergnügen stöhren, [174] wenn er nur mir mein weniges eingebrachtes Gut wieder zurück giebt, will er solches auch nicht thun, so ist es mein geringster Kummer, denn es wird sich schon so viel finden, daß ich nach hero an einem andern guten Orte, als eine einsame Wittbe, reputirlich biß an mein Ende leben kan. Nein, Madame! versetzte Dostart hierauf, das sind nicht die rechten Wege, sondern van Steen muß erstlich besser vexirt werden, das ist wohl gewiß, daß er sich von seiner Helena nicht trennen und euch wieder annehmen wird, allein, was wäre euch auch mit einem solchen ungetreuen und lasterhafften Menschen gedienet, der seine Extra Gänge niemahls unterlassen kan, und bey welchen ihr eures Lebens so wenig sicher seyn, als Vergnügen mit ihm haben würdet. Darum ist meine Meynung, daß die Sachen so gespielet werden, daß ihr ordentlich von ihm geschieden werdet, und dabey ebenfalls die Freyheit erlanget, zu heyrathen, wem ihr wollet. Hiernächst wird er euch nicht allein euer eingebrachtes Gut wieder zurück geben, sondern annoch mit einem Stücke Gelde heraus rücken müssen, denn er allein ist ja Schuld, daß ihr in die Sclaverey gerathen; warum hat er euch nicht zu Hause in Sicherheit gelassen. Ich wolte tausend Thaler darauf verwetten, die Sache binnen wenig Monaten auf solchen Fuß zu setzen, bin auch bereit, alle Kosten, so auf diesen Process lauffen möchten, herzuschiessen, und nichts wieder zurück zu verlangen, daferne er Fehl schlagen solte, jedoch müste vorhero wissen, ob, wenn ihr erstlich von dem van Steen geschieden, ich hernach euer Hertz erlangen, und euch [175] in mein Ehe- Bette zu führen, das Glück haben solte, welches Glück ihr mir vor einigen Jahren nicht gegönnet, binnen der Zeit aber wohl 1000. mahl vergnügter gelebt hättet. Jedoch wer weiß, ob nicht der Himmel dieses alles darum geschehen lassen, daß wir dennoch ein paar Ehe-Leute werden, und vergnügt mir einander leben sollen, denn ich kan euch versichern, Madame! daß mich das Glück, Zeit eures Abwesens, wenigstens um 10000. Thlr. reicher gemacht hat, mein voriger Zustand aber ist euch von Jugend auf bekandt gewesen. Die van Bredal wurde über diesen Antrag ungemein bestürtzt, ich aber hätte im Cabinet vor Gifft und Galle bersten mögen, wolte mich aber doch nicht regen, sondern hörete, daß die van Bredal also antwortete: Mein Herr! ich bin ihnen sehr verbunden vor die gute Zuneigung, indem ich von Jugend auf vermerckt, daß sie ein guter Freund von meinem Vater gewesen sind. Können sie nun etwas zu meinem Vortheil stifften, wird es mir höchst angenehm seyn, jedoch in Kosten will ich sie nicht setzen, sondern, wo es ja zum Processe, zwischen mir und meinem gewesenen Manne, kommen solte, alles selbst herschiessen, auch vor ihre Mühe besonders erkäntlich seyn; allein, ob ich mich, wenn ich auch gleich nach der Scheidung, die Erlaubniß erhalten, mich zum andern mahle zu verheyrathen, hierzu resolviren könte, solches glaube ich schwerlich, sondern halte davor, daß ich nicht besser thun werde, als an einem frembden Orte mein Leben in stiller Ruhe zuzubringen,

Das wäre ewig Schade, versetzte Dostart hierauf,[176] wenn ihr, dem ungetreuen Steen zu Gefallen, eure besten Jahre solchergestalt zubringen woltet, vielmehr thut ihr besser, wenn ihr durch eine anderweite profitable Heyrath, ihm einen Wurm in das Hertz setzet, denn es ist gar nicht zu zweiffeln, daß er in wenig Jahren empfinden wird, was er sich vor eine Ehe-Gattin ausgesucht, und was er in eurer Person von sich gestossen und verlohren. Mein Herr! sagte hierauf dievan Bredal, hiervon wird sich nachhero ein mehreres sprechen lassen, wenn ich erstlich in meiner Vater-Stadt angelangt bin, voritzo bedaure nichts mehr, als daß mich nicht im Stande befinde, euch zu einer guten Mittags-Mahlzeit einzuladen, denn weil ich, die gantze Nacht über, sehr schwach gewesen bin, mein Reise-Gefährte aber in seinen Affairen ausgegangen, und anderswo speisen wird, habe nichts als ein wenig Suppe vor mich bestellen lassen, will mir aber die Ehre auf ein ander mahl ausgebeten haben.

Ich, sagte hier Mons. van Blac, war erfreuet, diese Worte zu hören; Dostart hätte zwar wohl mit gantz geringen Tractamenten vorlieb genommen, wenn nicht die van Bredal, unter Vorschützung gewaltiger Kopff-Schmertzen, die fernern Complimenten vergessen, und ihrem Mägdgen geruffen hätte. Er bath sich demnach das Vergnügen aus, sie bald wieder besuchen zu dürffen, und nahm seinen höflichen Abschied, erlösete mich mithin aus meiner kleinen Gefangenschafft. Mir war, ich weiß selbsten nicht wie, zu Muthe, und weiß auch nicht, was ich der van Bredal, auf eine und andere an mich gethane Fragen, geantwortet habe; [177] konte aber meine Verwirrung nicht besser verbergen, als daß ich mich von ihr auf eine kurtze Zeit beurlaubte, unter dem Vorwande: zu sehen, ob die Wirthin die Mahlzeit bald auftragen wolte, indem mich sehr hungerte.

Diese war gleich bereit, wir setzten uns zu Tische, und speiseten. Die van Bredal war betrübt, und ließ öffters Thränen fallen, ich aber blieb ebenfalls in meiner entstandenen Verwirrung, so, daß vielleicht wenig Worte würden seyn gewechselt worden, wenn nicht ein fremder Knabe angekommen wäre, und der van Bredal, einen versiegelten Brief überbracht, denselben aber niemand anders, als ihr selbst, in die Hände geben wollen. Sie ging in gröster Verwunderung hin, und ließ sich denselben geben, hieß den Bringer desselben warten, und sagte zu mir: Wo wird der Brief anders her kommen, als vom Dostart? Da sie denselben aber erbrochen, und gelesen, schüttelte sie den Kopff, und reichte mir den Brief, mit Bitte, ihn gleichfals zu lesen, wie mich nun dessen auf vielfältiges Nöthigen nicht entbrechen konte, so fand ihn, meines Behalts, ohngefähr also gesetzt:


Madame!


Es ist zwar nicht zu zweiffeln, daß Dieselben annoch vielleicht einen alten Groll in Dero Hertzen gegen meine Person tragen könten, allein, weiln das, was vor einigen Jahren zwischen uns vorgegangen, aus keinem Frevel, sondern, Seiten meiner, aus einer besondern Treue und allzu hefftiger Liebe gegen Dero schöne Person, geschehen; so bitte [178] gehorsamst, daß mir diesen Nachmittag, um eine selbst beliebige Stunde, möchte erlaubt werden, auf kurtze Zeit meine Aufwartung bey Ihnen zu machen, um nicht nur meinen ehemahls begangenen Fehler zu depreciren, sondern ausserdem, einige geheime Nachrichten zu geben, woran Ihnen allerdings sehr viel gelegen seyn möchte. Könte es seyn, daß wir beyde allein und ohne andere Zuhörer wären, so würde vielleicht desto dreuster heraus sagen können, wer der Urheber Ihres bißherigen Ungemachs gewesen, und wie Sie vor der Hand, Dero Affairen, itzigen Umständen nach etwa einzurichten, am besten thäten. In Erwartung einiger Antworts-Zeilen bin


Madame

le vôtre

Rackhuysen.


Ich gab nach Verlesung des Briefs denselben mit einer lächlenden Mine wieder zurück, sagte aber kein Wort darzu, weßwegen sie von selbsten anfing, und im Fortgehen sprach: Ich werde mich dieser Visite entschlagen, und vorgeben, daß ich heute Zuspruch von Frauenzimmer hätte. Madam! rieff ich ihr nach, bedencken sie wohl, was sie thun, bey ihren delicatenAffairen müssen sie itzo viel anhören, so wohl von ein und andern Umständen, als von guten, Rathschlägen, damit sie hernach sich desto besser darnach richten, und das beste auslesen können. Es ist wohl wahr,replicirte sie, ging hierauf ins Cabinet, und schrieb folgende Antworts-Zeilen zurück:


[179] Monsieur!


Mir soll eben nicht zuwider seyn, wenn Sie diesen Mittag um 3. Uhr mich besuchen wollen, indem niemand als meine Magd zugegen seyn wird, welche von meinen Unglücks-Fällen ohnedem nichts weiß, um 5. Uhr habe mich aber versprochen, einem gewissen Frauenzimmer, mit welchem ich vor wenig Tagen bekannt worden, eine Visite zu geben. Wäre Dero Brief ein paar Stunden eher kommen, so hätte diese biß Morgen verschieben können; übrigens bin


vôtre Amie.


Ich muste diese ihre Antwort, ehe sie selbige dem Knaben zurück gab, auch erstlich lesen, worauf sie zu sagen anfing! Ihr werdet doch, Mons. van Blac, nur die Gefälligkeit erweisen, und diesen Mittag abermahls ein oder längstens zwey Stunden ein Gefangener seyn? Madame! antwortete ich, es kan ihnen doch wenigen Vortheil bringen, wenn ich gleich alles, was ihnen gesagt wird, mit anhöre, derowegen wolte lieber ausbitten, mir zu erlauben, daß ein wenig dürffte Spatziren ausgehen. Wenn ihr ausgehen wollet, sagte sie, so gehe ich auch aus dem Hause, der Kerl mag kommen oder nicht, denn sein Reden wird mir ohnedem wenig nützen, da ich schon mehr erfahren habe, als mir lieb ist.

Indem ich nun merckte, daß sie von neuen zu weinen anfangen wolte, erzeigte ich mich gefälliger, und sagte: Madame! ich will ihnen gehorsamen, und zu Hause bleiben, weiln vermercke, daß ihnen etwas daran gelegen, und gewiß, es kan nicht undienlich[180] seyn, wenn sie anhören, was auch dieser vorgiebt. Der Wirthin Ankunfft verstöhrete uns in unserm Gespräch, und wir liessen uns gefallen, nach eingenommener Mittags-Mahlzeit mit in ihren Garten zu spatziren, allwo wir uns biß gegen 3. Uhren aufhielten, hernach wiederum in unser Zimmer gingen, und ich mich, so bald die Magd den Herrn Rackhuysen meldete, ins Cabinet versteckte.

Dieser Monsieur stellete sich anfänglich sehr submiss, deprecirte sein ehemahliges Verbrechen in einer sehr langen Oration, welche er ohnfehlbar Abends vorhero aufgeschrieben, und die gantze Nacht, auch wohl den gantzen Vormittag, selbige auswendig zu lernen, angewendet haben mochte. Nachhero erzählete er eben diejenigen Geschichte, welche Dostart erzählet hatte, jedoch mit vielen Zusätzen, welche nun wohl wahr, oder erdichtet seyn konten. Endlich machte er auch seinen Schluß auf die Art, wie Dostart, und schlug vor, daß, wenn die Madame van Bredal sichobligiren wolte, ihn, der sie von Jugend auf Hertz-inniglich geliebt, zu heyrathen, so wäre er im Stande, nicht allein die Ehe-Scheidung mit ihrem ohnedem schon verheyratheten Manne, sondern auch ihr vollkommenes Glück auf dieser Welt zu befördern, indem er nicht allein in Ost-Indien ein grosses Gut erworben hätte, sondern ihm auch Zeit seiner Abwesenheit eine Erbschafft von 12. biß 16000. Thlr. zugefallen wäre, als welches letztere er nur erstlich itzo allhier in Lissabon erfahren.

Die van Bredal gab ihm noch eine weit kaltsinnigere [181] Antwort als dem alten Dostart, weßwegen er mit allerhand hochtrabenden, theils auch niederträchtigen verliebten Worten und Narrens-Possen aufgezogen kam, welche ich dergestalt belachte, daß mich fast selbst darüber vergaß, endlich aber mir die 2 Susannen Brüder in meinen Gedancken vorstellete deren Personen voritzo allhier Dostart und Rackhuysen accurat præsentirten.

Indem ich aber in diesen Gedancken verwickelt war, entstund ein kleiner Tumult, weßwegen ich durch den Ritz guckte, und wahrnahm, daß Mons. Rackhuysen die Dame par forçe küssen wolte, sie wehrete sich nach ihren äusersten Vermögen, allein, er ward ihrer mächtig, und warff sie auf einen im Winckel stehenden Schlaf-Stuhl, kehrete sich daran nicht, daß sie ihn mit den Nägeln ins Gesicht und ziemlich blutrünstig gekratzt hatte, sondern wolte über das Küssen noch etwas mehreres versuchen, indem er ihr den Mund mit seinem Schnupff-Tuche zuhielte, und die tröstlichen Worte darzu gebrauchte: Stille, Madame, was die Barbarn von ihnen genossen haben, können sie ja auch wohl einem Christen gönnen. Nunmehro merckte ich erst, daß das arme Ding nicht um Hülffe schreyen konte, weil ihr der Mund zugehalten wurde, und daß sie in Ausbleibung meiner Hülffe fast verzweifeln und ohnmächtig werden wolte, (denn ich konte durch den Ritz zwar etwas, doch nicht alles absehen,) derowegen sprang ich plötzlich aus dem Cabinet heraus, ergriff meinen an der Seite stehenden Degen, und hatte dem lustigen Bruder damit schon 2. Streiche über den Rücken gegeben, als er [182] noch immer im Begriff war, der Dame den Rock aufzuheben, da er aber den dritten und etwas stärckern Hieb in die eine Waade (denn auf den entblösten Kopff durffte ich nicht hacken, weil ich sonsten die Dame selbst mit verwundet hätte,) empfing, ließ er von der hitzigen Arbeit ab, drehete sich herum, und langete nach seinem auf dem Stuhle liegenden Degen, jedoch, ehe er selbigen erreichen konte, bekam er noch 2. Hiebe über den Kopff, und wurde von mir mit der blossen Hand zu Boden gestossen, da ich ihm denn die Klinge auf die Brust setzte, und fragte: ob er etwa in dieser Welt noch etwas zu erinnern hätte? Nichts! war seine Antwort, als daß ich um Gnade bitte, und meinen Fehltritt mit baaren Gelde zu bezahlen verspreche.

Die van Bredal hatte sich inzwischen wieder erholt, und diese Worte verstanden, weßwegen sie hurtig vom Stuhle aufsprang, und schrye: Verflucht ist dein Geld, du verfluchter Ehrenschänder, denn das ist nun das andere mahl, daß du mich listiger und gewaltsamer Weise um meine Ehre zu bringen gesucht, aber es wird doch auch allhier in der Fremde noch Recht und Gerechtigkeit zu finden seyn. Hiermit wolte sie die Wirthin ruffen, und nach der Wache schicken, allein, ich nahm beyde Degen in meine Hand, hielt die erzürnte Frau zurücke, und bath, daß sie sich nur besänfftigen möchte, indem dergleichen Sachen (wie ich ihr heimlich ins Ohr sagte,) nur Weitläufftigkeiten verursachten, wir aber schlechte Ehre davon hätten. Sie ging derowegen zurück, und schloß sich in ihr Cabinet; Rackhuysen vergoß so viel Blut, daß es schon fast [183] biß an die Thür gelauffen war, konte sich auch vor Mattigkeit nicht aufrichten, weßwegen ich ihm aufhalff, und in den Schlaff-Stuhl setzte, allwo er kurtz vorhero seine Lust zu büssen gedacht hatte. Der Magd hatte ich sogleich befohlen, nach einem Chirurgo zu gehen, welcher, indem er da war, ihm das Blut stillete, die Wunden verband, und mir berichtete, daß dieselben eben so gefährlich nicht wären, sondern in 3. biß 4 Wochen geheilet werden könten. Ich ließ ihn in unserm Gast Hofe auf eine besondere Stube bringen, bath den Chirurgum, bey ihm zu bleiben, weil ihm seine Mühe wohl bezahlt werden solte, bestellete auch sonsten noch jemand zu seiner Aufwartung, und ging hernach etwas im Garten spatzieren herum. Etwa eine Stunde hernach schickte Rackhuysen, und ließ mich bitten, zu ihm zu kommen; derowegen nahm kein Bedencken, solches zu thun. Er lag im Bette, sahe sehr blaß aus, reichte mir aber doch die Hand, und sagte: Monsieur, ihr habt mich heute so gezeichnet, daß ich mein Lebetage daran dencken kan, aber ich werde dergleichen Thorheiten Zeit Lebens nicht wieder begehen, würde auch heute nicht darein verfallen seyn, wenn ich nicht ein Glaß Wein zu viel im Kopffe gehabt hätte, vergebet mir meinen Fehler, denn ich will mich davor erkäntlich erzeigen, und bittet eure Liebste, daß sie mir denselben nur auch vergeben möge, denn ich will gern Zeit-Lebens nicht wieder vor ihre Augen kommen, ohngeacht ich sie von Jugend auf mehr als meine Seele geliebt, ihrer Gegen-Gunst aber niemahls habe theilhafftig werden können. Vielleicht hätte ich itzo ihre Person mit Güte gantz und gar gewinnen [184] können, allein, der Satan hat mich zu Gewaltthätigkeiten verleitet.

Mein Herr, gab ich zur Antwort, vergebet mir das, was ich an euch gethan habe, um meiner Landsmännin und Reise-Gefährtin Ehre zu beschützen und zu retten, welche der Himmel selbst in der Barbarey beschützet und gerettet hat. Ihr nennet sie zwar itzo meine Liebste, allein ich weiß nicht, wie ich das verstehen soll, indem sie bereits an einen Ehe-Mann verbunden ist, und ich ihr nachsagen muß, daß sie ihre Keuschheit, Zucht und Tugend jederzeit mehr als zu genau in Acht genommen hat, eure andern Reden verstehe ich nicht, will mich auch um meiner Reise-Gefährtin Geschichte so genau nicht bekümmern, im übrigen nur bitten, daß ihr euren Fehler bereuen möget, wie ich denn denselben bey ihr bestens zu excusiren suchen werde, wovor ich aber in Zukunfft keine andere Erkänntlichkeit, als eine redliche Freundschafft von euch verlange, daferne wir ja etwa weiter mit einander zusammen kommen solten.

Er gab mir die Hand darauf, bath mich inständig, dem alten Dostart von dieser Rencontre nur nichts wissen zu lassen, und Morgen einen eintzigen Gang nach seinem Logis zu thun, um seinen Diener anhero zu führen, damit er demselben ein und andere Befehle, seine Handlungs-Affairen betreffend, ertheilen könte, um nicht in allzu grossen Schaden zu kommen. Ich versprach ihm, alle Gefälligkeiten, so er von mir verlangte, zu erweisen; wünschte ihm gute Nacht, und begab mich in aller Stille an gehörigen Ort, weil ich glaubte, daß meine Reise-Gefährtin [185] vor Verdruß schon eingeschlaffen seyn würde. Allein, ich traff dieselbe annoch gantz munter, jedoch in gröster Betrübniß an, indem sie sehr weinete, darbey über grosse Schmertzen in allen Gliedern klagte. Ich hörete, daß sie auf dem Eiffer und Erschröcken nichts eingenommen hatte, schickte derowegen die bey ihrem Bette sitzende Magd zur Apotheque, um ein Schreck-Pulver zu holen. Mittlerweile fing sie an: Ists nicht wahr,Mons. van Blac, daß ich die unglückseligste Person von der Welt bin? sehet, so wird meine Tugend bestürmt, auch an solchen Orten, wo ich mich sicher zu seyn schätze. Madame! gab ich zur Antwort, wird die Tugend gleich bestürmt, so ist sie derowegen doch nicht so gleich zu überwältigen, dergleichen Stürme bringen mehr Ehre als Schande, wenigstens bey vernünfftigen Leuten. Ach! fuhr sie zu reden fort, was soll ich in Holland machen, wenn ich keinen bessern Trost darinnen zu finden weiß. Wollen sie denn nicht, war meine Antwort, dem guten Rathe folgen, den ihnen heute Herr Dostart gegeben, und sich dabey selbst zu den allerstärcksten Gefälligkeiten anheischig gemacht hat? sie schienen ja nicht abgeneigt, weil die angenehme Resolution drauf erfolgte. Mein Herr! hiervon wird sich ein mehreres sprechen lassen, wenn ich erstlich in meiner Vater-Stadt angelangt bin, etc.Madame, ich vor meine Person will ihnen ferner nicht verhinderlich seyn, sondern viel lieber einen andern Weg erwählen, als zu Dero Verdruß bey ihnen bleiben. Ja, ja! sagte sie, ich habe es wohl gedacht, daß ich noch nicht genung gekränckt wäre, [186] nun aber, da auch ihr anfangen wollet, mir Hertzeleyd zuzufügen, sehe ich wohl, daß mich die gantze redliche Welt verlassen will. Unter diesen Worten ließ sie ihr Haupt zurück sincken, fing von neuen an bitterlich zu weinen, ja es schien gar, als wenn ihr eine Ohnmacht zustossen wolte, indem sie so blaß als eine Leiche ward. Weil nun nichts anders, als frisches Wasser bey der Hand wuste, lieff ich gleich hin, tauchte ein Schnupff-Tuch ein, und bestrich ihr Gesicht und Hände damit, wodurch sie in etwas wieder zu sich selber kam, auch etwas von der Artzeney einnahm, welche die Magd eben herzu brachte. Sie drehete sich auf die andere Seite herum, und stellete sich, als ob sie schlaffen wolte, jedoch die Magd und ich traueten dem Land-Frieden nicht, sondern befürchteten, daß sie etwa eine würckliche Ohnmacht bekommen möchte, allein, sie schlieff bald gantz sanfft ein, weßwegen sich denn die Magd zu unterst des Bettes auf die Erde niederlegte, und als ein Ratz zu schnarchen anfing, ich aber blieb vor dem Bette sitzen, und wachte. Etwa um Mitternachts-Zeit fuhr sie, als von einem schweren Traume erschreckt, zusammen, warff sich herum, und sagte, da sie mich erblickte: Seyd ihr noch da, Falscher? warum gebet ihr euch einer Unglückseeligen wegen so viel Mühe, eure eigene Ruhe zu unterbrechen? Madame! antwortete ich, meine Ruhe kan durch nichts stärcker unterbrochen werden, als wenn ich weiß, daß sie unruhig sind, und sich kranck befinden. Sie seuffzete hierüber, und that die Augen wieder zu, da ich aber gewahr wurde, daß ihr dem ohngeacht dis Thränen heraus drangen, und [187] über die Wangen lieffen, wischete ich ihr dieselben mit einem Tuche sanffte ab, wurde zwar bey dieser Arbeit selbsten sehr wehmüthig, wuste aber nicht, wo ich auf einmahl dieCourage her bekam, ihr einen derben Kuß auf den Mund zu drücken, worüber sie auffuhr, und sagte: Verwegener! was soll das bedeuten? Ich war gleich mit der Antwort fertig, und betheurete sehr: daß es nicht aus Geilheit und Unzucht, sondern vielmehr aus Wehmuth und reiner Liebe geschehen wäre, könte aber anbey nicht läugnen, daß, wenn sie ja mit ihrem ersten Manne nicht wieder vereiniget, sondern von ihm geschieden werden solte, ich mir auf dieser Welt kein grösser Vergnügen wünschen wolte, als mit ihr vereheliget, und so wohl dem Dostart als allen andern Manns-Personen vorgezogen zu werden, wie ich denn schon so viel Mittel zusammen zu bringen gedächte, einen honorablen Dienst, wenn es auch gleich ausser unserm Vaterlande wäre, zu erlangen und sie reputirlich zu ernähren. Sie schwieg hierauf eine lange Weile stille, da ich aber endlich ihre Hand küssete und fragte, ob sie mich denn hierauf gar keiner Antwort würdigen wolte? ermunterte sie sich, und gab mir diese: Mons. van Blac, in meinem itzigen Zustande, da ich mich noch vor eine Verehligte halten muß, wäre es eine grosse Leichtfertigkeit von mir, wenn ich mich mit euch oder jemand anders in verbothene Vertraulichkeit oder zum voraus in ein geheimes Liebes-Verständniß einlassen wolte; seyd demnach damit zufrieden, wenn ich euch so viel verspreche, daß, woferne ich von meinem ungetreuen Ehe-Manne [188] nicht wieder angenommen werden, und nach erlangter Freyheit auf die Gedancken gerathen solte, zur andern Ehe zu schreiten, ich euch, wegen eurer genug geprüfeten Redlichkeit, allein, oder keine Manns-Person auf dieser Welt, an meine Seite will kommen lassen.

Mit dieser gütigen Resolution war ich vor dieses mahl vollkommen vergnügt, küssete ihre Hand, und auf vielfältiges Vorstellen, daß das Küssen, so wie wir es verrichteten, zu keiner gar zu grossen Sünde zu machen sey, bekam ich auch dann und wann Erlaubniß, ihren Mund zu küssen, mittlerweile aber, da wir noch von diesen und jenem sprachen, verstrich die Nacht über Vermuthen, und der helle Tag begunte anzubrechen, weswegen ich sie nöthigte, noch einige Stunden zu ruhen, welches ich auf meinem Bette gleichfalls thun, und hernach alles, was sonst nöthig wäre, besorgen wolte. Sie hielt es selbst vor rathsam, derowegen, wünschte ich ihr wohl zu ruhen, und legte mich auf mein Bette.

Allein, (war hier Mons. van Blacs Zwischen-Rede) da ich eben der Ruhe erwähne, so mercke wohl, daß es voritzo, sonderlich vor den werthesten Alt-Vater, nicht dienlich seyn möchte, derselben länger zu entbähren, zumahlen da es ohnfehlbar schon über Mitternacht seyn wird, derowegen will den Rest meiner Geschichte morgenden Abend, wo es gefällig, vollends erzählen.

Wir jungen Leute hätten zwar gern biß zu Anbruch des Tages zugehöret, denn van Blac wuste seine Sachen alle gantz fein vorzubringen, allein, um des Alt-Vaters Willen, machten wir Schicht, [189] brachten den folgenden Tag mit Besorgung alles dessen hin, was Sorge und Aufsicht erforderte; Abends aber freueten wir uns recht, anzuhören den

Beschluß von Mons. van Blac Avantüren
Beschluß von Mons. van Blac Avantüren.

Es wird ihnen, meine Herrn, (fing er an) vielleicht noch im frischen Gedächtnisse seyn, wo ich gestern Abend geschlossen, derowegen will nur gleich fortfahren, und sagen, daß meine halb- und halbe Liebste, die Madame van Bredal, Mittags ziemlich besser war, denn den gantzen Vormittag hatte ich sie unter der Aufsicht unserer Wirthin und der Magd gelassen, selbsten aber, nebst unsern eigenen Geschäfften auch mir vor den krancken Rackhuysen gesorgt. Derselbe ließ sich aber noch vor Abends in ein ander Quartier bringen, und ich habe ihn seit dem in Lissabon nicht wieder gesehen. Dostart ließ sich etliche mahl bey uns melden, bekam auch Erlaubniß, zu uns zukommen, da ich aber auf expressen Befehl meiner Landsmännin nicht von der Stelle gehen, sondern stets dabey bleiben muste, brachte er in seinen Gesprächen nichts besonders vor, und endlich war uns das allerfreundlichste, da unser Schiffs-Patron ansagen ließ, daß, wo wir mit nach Holland wolten, wir uns eiligst am Boord einfinden solten, indem er sich expedirt und bey itzigem guten Winde und Wetter keine längere Zeit versäumen wolte.

Wir machten uns demnach gleich fertig, hatten eine sehr angenehme Fahrt, und erreichten die Holländischen Küsten, ehe als wir es vermeynet hätten, [190] der Schiffs-Patron war so gefällig, uns in Harlingen auszusetzen, weil die Madame van Bredal von dannen nur noch einen kurtzen Weg nach Leuwarden hatte; anfänglich waren wir eins worden, daß ich sie biß in diese ihre Geburths-Stadt begleiten solte, nachhero aber, da wir dieses besser überlegt, wurden wir schlüßig, daß sie allein mit einer Extra-Post dahin, ich aber zu Schiffe nach meiner Vaters-Stadt Antwerpen abgehen wolte. Wir blieben also nur 2. Tage in Harlingen, um von der Reise ein wenig auszuruhen, nahmen nachhero beweglichen Abschied von einander, wobey sie mir versprach, daß, so bald sie würde vermeinen, daß ich in Antwerpen könte angekommen seyn, mir von ihrem Zustande Nachricht zu geben, auch beschenckte sie mich noch mit 1000. Ducaten und verschiedenen kostbaren Kleinodien, welches letztere aber anzunehmen ich mich aufs alleräuserste weigerte, allein, sie ließ nicht nach, mir solches aufzuzwingen, und sagte dabey: Nehmet mir zu Gefallen nur itzo dieses wenige zum Reise-Gelde, es komme hinführo mit mir wie es will, so werde ich euch doch bedencken; Mir aber war gantz anders zu Muthe, und an ihrer Person mehr gelegen als an Gelde und Gute, welches ihr deutlich genung zu verstehen gab. Allein, sie blieb bey ihrer ehemaligen in Lissabon gethanen Erklärung, und fügte hinzu, wie sie hoffte, daß wir in wenig Wochen einander sprechen würden, es möchten nun ihre Sachen gut oder schlimm abgelauffen seyn. Hierauf ließ sie ihre meisten Sachen zu Harlingen in Verwahrung, und reisete auf Leuwarden [191] loß, ich ebenfals ging gleich folgenden Tages mit einem Middelburgischen Schiffe ab.

Ich war auf dieser gantzen Reise sehr betrübt und traurig, denn das Hertze mochte mir im voraus sagen, daß ich wenig Vergnügen in meiner Vaters-Stadt antreffen würde, es war auch an dem, denn mein Vater war nicht wieder zurück kommen, sondern sichern Nachrichten gemäß, in dem ersten Jahr seiner Sclaverey gestorben, hierüber, und da zumahlen die Creditores zugegriffen, und meiner Mutter fast alle das Ihrige genommen, so, daß sie nebst ihren annoch lebenden 6. Kindern, denn zwey waren schon davon bey diesem Hertzeleyde gestorben, auf die letzte in einem Mieth-Hause, kaum so viel gehabt, daß sie das liebe Leben erhalten können, hierüber, sage ich, grämet sie sich ebenfals noch dergestalt, daß sie ohngefähr ein halbes Jahr vor meiner Zurückkunfft gestorben, und der Groß-Mutter, welche noch ihr eintziger Trost gewesen, binnen 3. Wochen im Tode nachgefolgt war.

Meine zwey jüngsten Geschwister hatte man aus Erbarmung ins Waysen-Hauß genommen, von den 3. ältesten Brüdern lerneten zwey Profesiones, der jüngere wartete einem Herrn auf, und die älteste Schwester war gleichfalls ein Cammer-Mägdgen bey einer vornehmen Frau geworden. Ich besuchte dieselben alle, oder ließ sie zu mir kommen, weil ich aber vermerckte, daß sie sich in ihr Unglück ziemlich schicken gelernet, auch mit dem jetzigen Zustande ziemlich zufrieden waren, ließ ich jedes an seinen Orte, zumahlen, da ich noch nicht wuste, wie es mit meiner eigenen Person kommen würde, schenckte [192] aber einem jeden von meinen Geschwistern 100. spec. Ducaten, und dabey ein neues Kleid, mit dem Versprechen, daß, wenn sie fleißig vor mich beten würden, damit mir eine gewisse Affaire wohl geriethe, ich an ihnen nach und nach ein noch mehreres thun wolte.

Mittlerweile sahe mich jedermann, der mich in der Jugend in meiner Vaters-Stadt gekennet hatte, fast vor ein Meer-Wunder an, jedoch, da ich den verständigsten Leuten, worunter sich auch viele Vornehme befanden, meine Fatalitäten erzählet hatte, bekam ich ohnverhofft verschiedene gute Gönner und Freunde, welche sich sehr verobligirten, mir eine gute Bedienung zu verschaffen, wobey ich honettement leben könte, allein, ich sahe mich nicht im Stande, noch zur Zeit etwas anzunehmen, sondern wolte erstlich auf Briefe von der van Bredal warten, welche denn auch in der 6ten Woche, nach meiner Ankunfft in Antwerpen, durch einen Expressen einlieffen, und die ich also gesetzt befand:


Mein werther Mons. van Blac.


Wie ich mir immer seithero selbst propheceyer, so ist es mir auch ergangen. Nehmet es mir nicht übel, daß ich euch eine weitläufftige Nachricht von meinem allhiesigen Begebenheiten überschreibe. So bald ich nach Leuwarden kam, that ich, als ob ich gar nichts von der anderweitigen Verheyrathung meines ungetreuen Mannes wüste, fuhr derowegen gerade vor das Hauß, worinnen ich sonsten mit ihm gewohnet hatte, stieg ab, ging in die ordinaire Wohn-Stube, [193] und fragte so gleich nach dem van Steen, welcher ausgegangen war, jedoch kam seine Gemahlin, die Helena, so gleich zur Stelle, und fragte, was ich beliebte?Madam! gab ich zur Antwort, ich habe zwar die Ehre nicht, sie zu kennen, möchte aber gern meinen Ehe-Mann den van Steen sehen. Hierauf sahe mir die Helena etwas tieffer in die Augen, und da sie mich so gleich erkennen mochte, wurde sie so blaß als eine Leiche, stund auch eine gute Zeit als ein steinern Bild vor mir, weßwegen ich zu ihr sprach: Madam, warum werden sie so verwirret? Ist ihnen etwa nicht wohl? Sie wuste erstlich noch nicht, was sie antworten solte, endlich aber flossen diese Worte aus ihrem Munde: Ist der van Steen euer Mann, so müsset ihr nicht wohl im Gehirne verwahret seyn, denn ich habe ihn nun schon einige Zeit zur Ehe, auch ein Kind in der Wiege, und eins im Leibe von ihm, wüste auch nicht, wer mir meinen Mann abdisputiren wolte, zumahlen da seine erste Frau in Marocco unter den Kebs-Weibern des Kaysers befindlich, und er dieserwegen allhier Erlaubniß erhalten, sich als ein von ihr geschiedener mit mir zu verheyrathen. Madame! replicirte ich, ihr seyd von der gantzen Sache entweder gar zu viel oder gar zu wenig unterrichtet; ich bin die erste Frau des van Steen, und habe noch niemahls einen andern Mann, als ihn, erkannt, auch hat mich der Himmel sonderlich davor [194] bewahret, eines andern Kebs-Weib zu werden, wie es aber um eure eigene Ehre stehet, könnet ihr am allerbesten nachdencken und wissen. So bald als dieser Schand-Balg dergleichen Reden von mir hörete, fiel sie als eine Furie über mich her, wolte mich zu Boden reissen, und mir die Augen auskratzen, allein, ich wehrete mich meiner Haut so gut, und so lange, biß erstlich einige von den Hauß Genossen, und endlich der van Steen selbst darzu kamen, und uns von einander brachten. Mir blutete zwar die Nase, allein, meine Feindin hatte doch noch stärckere Trümphe in die Augen, so wohl als auf die Nase und auf das Maul bekommen, weßwegen sie mich durchaus todt haben wolte; allein, in diesem Stück war der van Steen doch etwas vernünfftiger, und sagte zu mir: Madame! ich kenne euch sehr wohl, bin auch sehr erfreuet, daß ihr aus der Sclaverey entronnen seyd, allein, vergebet mir, daß ich euch nimmermehr wieder zu meiner Ehe-Frau annehmen kan, doch will ich euch alles das Eurige heraus geben, und ausserdem noch ein übriges thun, nur thut so wohl, und retiriret euch, um ferneres Unglück zu vermeiden, aus meinem Hause, glaubet anbey, daß es mir sehr schmertzlich fällt, euch solchergestalt abzufertigen; welcher Mensch aber ist so kräfftig, sein Verhängniß zu besiegen? Monsieur! war meine Antwort, ich habe schon von ferne gehöret, was die Glocke [195] bey euch geschlagen hat, derowegen will ich erstlich mit meinem Verhängnisse einen rechtschaffenen Streit anfangen, ehe es mich vollkommen besiegen soll. Die erzürnete Helena melitte sich hierbey aufs neue in das Gespräch, welches nach und nach so hefftig wurde, daß wir einander wieder nach den Köpffen greiffen wolten, van Steen aber verhütete dieses, und gab endlich Befehl, daß mich 4. von seinen Leuten zum Hause hinaus führen musten. Ich war nicht im Stande, mich zu wehren, schwieg auch, um mich nicht fernerprostituiren zu lassen, gantz stille, stieg in meinen Wagen, und ließ mich in ein Gast-Hauß fahren, allwo ich blieb, und selbige erste Nacht einen beweglichen Brief an meinen ungetreuen Ehe-Mann schrieb, auch ihm darinnen sein Verfahren gegen mich von Anfang an biß auf diese Stunde vorrückte, allein, er würdigte mich nicht, mir schrifftlich zu antworten, sondern schickte einen Läppischen Kerl zu mir in mein Logis, welcher mir vorstellen muste, daß ich ja, da ich ein Kebs-Weib eines Barbarn gewesen, über dieses lange Zeit mir einem jungen Holländer (unter welchen ihr mein ehrlicher van Blac verstanden wurdet) in der Welt herum gereiset, ohnmöglich verlangen könte, daß mich der Herr van Steen wieder annehmen, und seine itzige Frau, die er über alles in der Welt liebte, von sich jagen solte; inzwischen bliebe er bey dem Entschlusse, [196] daß woferne ich alle Weitläufftigkeiten vermeiden, er mir nicht allein alles mein eingebrachtes Gut baar bezahlen, sondern auch über dieses noch 1000. spec. Thlr. schencken wolte.

Ich nahm mir nicht einmahl die Mühe, diesen Maul-Affen behörig zu antworten, sondern sagte nur, es wäre alle gut, er möchte seinen Principal wieder grüssen, ich würde meine Sache schon auszuführen, und meine Ehre gegen ihn und seine itzige Frau zu retten wissen.

Nachhero habe erfahren, daß der van Steen mit dem erstlich Abgeschickten, der sich Nörgel nennete, und noch einem andern, mich zweymahl nach einander besuchen wollen, weil er vielleicht kein gutes Gewissen, oder etwa bessere Gedancken bekommen hatte, allein, seine Frau hatte es dennoch zu hintertreiben gewust, so, daß ich an dessen Statt die schändlichsten Reden von ihm hören muste, worzu vielleicht der in Lissabon zurück gebliebene Rackhuysen durch Briefe das meiste beygetragen haben mag.

Vom Dostart vernehme, daß er bißhero durch eine schwere Kranckheit an seiner Zurückkünfft verhindert worden, wiewohl ich ihn nun deßwegen aus Christlichem Gemüthe bedaure, so ist mir doch an seiner Gegenwart gar nichts gelegen, weil ich den Process gegen meinen ungetreuen Mann bereits einem gescheuten Procureur anvertrauet, [197] welcher mit aber keinen andern Trost giebt, als es binnen wenig Wochen dahin zu bringen: daß ich erstlich von demselben, alles mein eingebrachtes Gut; vors andere, einen Gerichtlichen Scheide-Brief, mit der Erlaubniß, wieder zu heyrathen, wen ich wolte, und drittens, wenigstens 5000. fl. vor den Abtritt bekommen solle, jedoch in so ferne ich eydlich erhärten könte, daß ich binnen der gantzen Zeit meines Hinwegseyns von keiner Manns-Person, auf solche Art, wie mein ungetreuer Mann meynet, berühret worden. Weiln ich nun dieses letztere mit reinem Gewissen alle Augenblicke thun kan, so bitte ich euch, mein redlicher Mons. van Blac, mir zu allem Uberfluß zu Hülffe zu kommen, und ein Zeugniß meiner Aufführung, so viel euch nehmlich davon bewust ist, abzustatten.

Ich versehe mich eurer baldigen Ankunfft gewiß, sende anbey 100. Ducaten Reise-Kosten, und beharre mit aller Aufrichtigkeit


Eure
getreue Freundin

Charlotte Sophie geb. van Bredal.


Gleich nach Lesung dieses Briefes, der mir höchst angenehm war, machte ich mich auf den Weg, um ein Pferd zu erhandeln, und mit meinen angekommenenExpressen, die Reise zu Lande nach Leuwarden anzutreten, zu allem Glück aber begegnete mir der Schiffer, welcher mich von Harlingen mit anhero gebracht hatte, und ließ sich verlauten, daß er gleich morgenden Tages abermahls dahin fahren [198] wolte, weßwegen ich gleich bedachte, daß es mir auf diese Art eher dahin zu kommen möglich seyn würde; also auf der Stelle den Accord mit ihm machte, meine Sachen zu Schiffe bringen, den Expressen aber zu Lande fort reisen ließ.

Ich kam zeitiger in Leuwarden an, als es die Madame van Bredal wohl vermeynet hatte, und weil ich mein Logis in eben dem Gast-Hause, wo sie sich einlogirt, genommen, erfuhr ich unter der Hand gleich, daß sie mit einer ihrer Befreundtinnen auf ein Land-Gut gereiset, ihre Zurückkunfft aber unter 4. Tagen wohl nicht zu hoffen wäre. Demnach hielt ich nicht vor rathsam, ihr nachzureisen, sondern vor besser, auf sie zu warten, ließ mich aber gar nicht mercken, daß mir an ihrer Person etwas gelegen wäre.

Nachdem ich dritten Tages von der Reise vollkommen ausgeruhet hatte, ging ich vor die Stadt spatzieren, gerieth in einen schönen Garten, und ohngefähr mit einer lustigen Compagnie ins Spiel, und gewann binnen wenig Stunden 16. biß 20. Holländische Gulden, kam zwar im Streit mit einem Unbekannten, etwa 5. oder 6. lumpichter Guldens halber, ließ mich aber als ein Fremder bald weisen, und nahm die angebothene Helffte davon nicht einmahl an, sondern sagte, daß, weil ich ohnedem durchs Glück etwas gewonnen, ich diesen geringen Satz gar leicht vergessen könte. Die Spiel-Compagnie ging hierauf fort, biß auf sehr wenige, welche, so wie ich selbst, noch Appetit hatten, Caffée und darauf ein Glaß Wein zu trincken. Indem ich mich nun in ein Cabinet gen besonders gesetzt, um etliche [199] daselbst gefundene Zeitungs-Stücke durchzulesen, kam mein, auf dem Spiele gewesener Wiedersacher zu mir, brauchte die gröste Complaisance, bedaurete, daß wir mit einander um eines Bagatells willen zerfallen wären, und wünschete, daß, weil er mich vor einen moralisirten Menschen ansähe, wir näher mit einander bekannt werden möchten. Ich erzeigte demselben alle Gegen-Gefälligkeit, nöthigte ihn, den Caffée und Wein mit mir zu verzehren, worzu er sich leicht erbitten ließ, jedoch dabey seine Neugierigkeit nicht bergen konte, zu wissen, wer ich wäre, und was ich allhier zu verrichten hätte. Es war mir ein leichtes, ihn damit abzufertigen, daß ich ein Kauffmanns-Diener, und nach Engelland überzugehen gesinnet wäre; dahingegen offenbarete er mir, und zwar erstlich, da die andern schon alle hinweg gegangen, und wir beyde nur alleine beysammen waren, daß sein Nahme Nörgel, und er ein Notarius Publicus wäre, seine Profession ihm aber ein sehr weniges einbringen würde, wenn er nicht dieses Orts die vortrefflichsten Weiber Stipendia zu geniessen hätte.

Nunmehro, da ich diesen Nahmen, in der van Bredal an mich geschriebenen Briefe, gelesen zu haben, mich erinnerte, sperrete ich erstlich beyde Ohren auf, ließ sans passion noch ein paar Maaß Wein herein geben, und stellete mich ungemein lustig, verdrehete den Discurs auf den itzigen Zustand von Europa, allein, Mons. Nörgel bezeugte zu solchen Sachen eben keinen besondern Appetit, sondern fing ex abrupto wieder an, von seiner eigenen Person und Bewunderungs-würdigen Liebes-Intriquen [200] zu raisoniren. Seines Nahmens wegen, und um, ihn noch treuhertziger zu machen, ließ ich noch 2. Bouteillen Wein langen, bey welchen er denn auch so aufrichtig wurde, und theuer versicherte, daß er diese Nacht 3. Dames, so ihn um Mitternacht zu sich invitirt, versäumen, die 4te aber, welches sein Abgott, und die bemittelste wäre, ohnfehlbar abwarten und besorgen müste. Wie ich nun hierbey eine lächerliche Mine machte, fuhr er, etwas entrüstet, heraus: Monsieur, glaubt ihr mir nicht, so leset diese 3. Billets, (welche er also gleich aus der Ficke zohe,) das 4te aber an dem Lichte verbrannte. Nach wenigen fernern Nöthigen, fand ich das erste also gesetzt:


Du Irr-Wisch!


Stellest du dich heute diesen Abend gegen 9. Uhr nicht in meiner Cammer ein, so überschreite derselben Schwelle nur nimmermehr wieder, sonsten wisse, daß ich dich mit Hunden hinaus hetzen, und Zeit-Lebens deine Todt-Feindin verbleiben will.


E.


Das andere Billet war folgendes Inhalts:

Mein Vergnügen.


Die Gelegenheit von deinen mir höchst angenehmenCaressen zu prositiren, ist itzo vor mich besser als jemahls, derowegen ko , noch ehe die Sonne untergehet, weilen sonst Verdacht entstehen möchte; ich will dich gewiß erstlich mit einer delicaten Abend-Mahlzeit, [201] hernach mich mit dir vollends vergnügen, dieweil ich bin

Deine ergebene A.


Das dritte Billet, welches mir am allermeisten verdächtig vorkam, lautete so:

Falscher Kebs-Mann!


Du weist, was du an mir gethan, und daß ich einige Wochen, so zu sagen, als eine Wittbe leben müssen, weiln mein Mann, seit der Zurückkunfft seiner Barbarn-Hure, mir wenig Caressen gemacht, um so viel desto mehr hättest du dein Plaisir befördern können; weil du es aber versäumet, muß ich dich an deinem Profite selbst erinnern. Darum komm! so bald es dunckel ist, durch den gewöhnlichen Gang, vergnüge mich und dich, und glaube, daß ich, wenn ich dich redlich befinde, allezeit seyn werde, du weist es wohl,


Deine

gutwillige v.S.


Mein Herr! sprach ich, nachdem ich ihm alle 3. Briefe wieder zurück gegeben, die letztere schreibt gar zu treuhertzig, darum solte wohl meynen, daß sie es am allermeisten meritirte, ihr aufzuwarten. Es ist wahr, mein Herr, gab er zur Antwort, sie ist sehr genereux, dabey hitzig, aber nicht so Liebens-würdig als die, welche ich am meisten liebe, und deren Brief ich itzo verbrannt habe, denn diese ist [202] ungemein schönes Bild, voller Feuer, und bezahlt dennoch sehr reichlich, dasjenige was ich ihr gern umsonst thäte. Sie sind glücklich, mein Herr! gab ich darauf, und ich dürffte fast wünschen, nur an einem Orte einmahl ihre Stelle zu vertreten. Ich bin nicht neidisch, war seine Antwort, und wo sie, mein Herr, nur die Kleider allhier mit mir verwechseln und meiner Anführung folgen wollen, so können sie heunte Nacht die Madame van Steen nach ihrem Plaisir bedienen, denn sie hat unvergleichliche Anstalten darzu gemacht, wird auch den Betrug nicht mercken, nur bitte mir aus, mit anbrechendem Tage wieder allhier zu seyn, damit ein jeder sein Kleid wieder anziehen kan, und wir einander von allem Nachricht geben können, denn es ist mir bey der van Steen nur um den Profit zu thun, aus ihren Caressen aber mache ich mir nicht das geringste.

Ich hatte, wie leicht zu erachten, verzweiffelte Streiche im Kopffe, stellete mich derowegen überNörgels Treuhertzigkeit sehr vergnügt an, und dieser führete mich, so bald wir die Kleider und Peruquen mit einander verwechselt hatten, durch etliche schmale Gassen, die ich wohl bemerckte, biß vor der van Steen hinter-Thür des Gartens, befahl mir, die Garten-Thür mit den Nach-Schlüssel, den er mir gab, nur zu eröffnen, und getrost auf das Garten-Hauß, allwo sie in der obersten Etage schlieffe, zuzugehen, so dann würde ich rechter Hand oben an dem Gesimse eine Bley-Kugel, woran ein Bindfaden bevestiget wäre, antreffen, mit selbigem solte ich nur einige Züge thun, so würde die Thür gleich von [203] sich selbst aufgehen, denn sie hatte den Bindfaden an ihren Arm gebunden, könte auch so gleich, vermittelst eines herab gehenden Eisen-Drats, die Riegel aufziehen. Ich versprach demNörgel, alles wohl zu observiren, und noch vor Tags-Anbruch abgeredter massen wieder bey ihm zu seyn, nahm also dißmahl Abschied von ihm, und marchirte mit zitterenden Füssen in den Garten hinein. So bald ich vor die Thür des Garten-Hauses kam, durffte ich nicht einmahl nach dem Bindfaden und der Bley-Kugel umgreiffen, denn die Thür that sich gleich von selbsten auf, seitwärts inwendig brennete eine kleine Nacht-Lampe, welche doch so viel Schein von sich gab, daß ich die Treppe, so wohl als oben derHelenen Schlaff-Cammer-Thür, welche mir Nörgel genau genung bezeichnet hatte, gantz ordentlich finden konte. In ihrer Cammer war kein Licht, derowegen muste mich nur nach dem wenigen Scheine des Himmels richten, der durch die 2. Fenster schimmerte, kaum aber war ich in die Cammer hinein getreten, als mich Helena also bewillkommete: Kömst du denn einmahl, du falsches Teuffels-Kind, ziehe dich nur erstlich aus, ich will dir einen derben Fickerling geben. Madame! (war meine gantz sachte und ziemlicher massen nach Nörgels Mund-Art eingerichtete Antwort) ich will mich bald bey ihr rechtfertigen. Ach, ich höre schon, sagte sie, du hast gesoffen, mache nur fort, und lege dich her, denn du bist doch nicht besser zu gebrauchen, als wenn du einen Rausch hast.

Wer nun Lust zu tantzen gehabt hätte, dem wäre genung gepfiffen gewesen, allein, weil ich mich im[204] Truncke gantz und gar nicht übernommen hatte, hauptsächlich aber an meine schöne, keusche und sonst vollkommen tugendhaffte, die van Bredal gedachte, bekam ich einen würcklichen Eckel an dieser bösen Speise, zumahlen mein Vorsatz ohnedem nicht war, etwas von ihr zu geniessen, sondern nur dieselbe zu prostituiren, mithin die van Bredal zu rächen, und dem van Steen den Staar zu stechen: Doch â propòs, weil sie mir die Trunckenheit vorworff, fing ich an, etliche mahl zu kolckern, als ob aus dem Magen alles oben heraus wolte, weßwegen sie mir rieth, ich solte, um das Zimmer nicht zu verunreinigen, erstlich noch ein wenig im Garten herum spatzieren, alles aus dem Leibe (s. v.) heraus speyen, und hernach etwas von dem auf dem Tische stehenden Cordial zu mir nehmen, so würde es schon besser werden. Ich sagte: Ja, Ja! da aber eben auf den Stuhl zu sitzen gekommen war, worauf sie ihre Kleider gelegt, nahm ich nicht allein alle dieselben gantz behutsam unter den Arm, sondern noch ihre Pantoffeln und Strümffe darzu, schlich mich sachte hinunter, und nach gerade immer zum Garten hinaus, brachte auch alle die Sachen glücklich in meine Herberge, ohne daß es jemand darinnen gewahr wurde, denn der Hauß-Knecht, so mir aufmachte, hatte kein Licht, und ich ging gerades Wegs damit nach meiner Cammer, und verdeckte diese allerley Sachen.

So bald als der Tag anbrechen wolte, machte mir der Hauß-Knecht, genommener Abrede nach, das Hauß wieder auf, und ich ging an denjenigen Ort, allwo mich Nörgel hin bestellet hatte, er kam [205] etwa eine halbe Stunde hernach ebenfalls; ich stellete mich sehr besoffen und verdrüßlich an, klagte ihm auch, daß ich meinen Zweck nicht erreichen können, indem ich nicht ehe gemerckt, daß ich mich so sehr vollgesoffen hätte, als biß ich zur Dame ins Zimmer gekommen wäre, um aber dasselbe nicht zu verunreinigen, hätte ich mich erstlich in Garten retirirt, und hernach, da ich gemerckt, daß meine Kräffte gantz und gar verschwunden, meinen March zurück genommen, und das meiste vom Rausche im Winckel hinter einen Brunnen ausgeschlaffen.

Nörgel fing hierüber grausam an zu lachen, und sagte: Mein Herr, deßwegen werdet ihr aber doch erkennen, daß nicht ich, sondern ihr selbst Schuld an dem mißlungenen Vergnügen seyd, mir aber ist es besser ergangen, denn ich habe nicht allein 6. spec. Ducaten, sondern auch mein vollkommenes Vergnügen erlanget, ich wolte euch auf künfftige Nacht wohl Gelegenheit verschaffen, den begangenen Fehler zu verbessern, allein, in 2. Stunden muß ich mich auf einen Wagen setzen, und etliche Meilen wegfahren, denn meine Abgöttin hat mir eine Commission aufgetragen, welche ich ausrichten muß, werde auch wohl unter 8. Tagen nicht wieder zurück kommen; nach Verlauff derselben aber hoffe die Ehre zu haben, euch wieder allhier zu sprechen.

Mir hätte wohl nichts angenehmers als dieses zu Ohren kommen können, denn binnen der Zeit gedachte ich den angefangenen Streich, so bald ich nur derMadame van Bredal Gutbedüncken deßwegen vernommen, vollends auszuführen, inzwischen, daNörgel eine Kanne Chocolade, ich aber [206] nur blossenThee tranck, und ohngefähr gewahr wurde, daß derselbe, vielleicht aus Versehen, nicht nur der van Steen, sondern auch die 2. andern Liebes-Briefe oderCitationes in seine Rock-Taschen, die ich anhatte, gesteckt, weßwegen ich mich eiligst ein wenig auf die Seite begab, und diese nebst noch andern Zettuln in meine Bein-Kleider steckte, nachhero das Kleid wieder mit ihm umtauschte, mich auch nicht lange aufhielt, sondern nach meinem Logis eilete, nachdem ich Abschied von Nörgel genommen, ihm eine glückliche Reise gewünschet, und versprochen, nach Verlauff der 8. Tage mich öffters an diesem Orte wieder finden zu lassen. Ohngeacht ich nun diese Nacht sehr wenig geschlaffen, so trieb mich doch die Curiosität dahin, nunmehro bey Tage recht zu besichtigen, was ich diese Nacht erbeutet hatte, demnach fand ich erstlich 2. Frauenzimmer-Röcke, 1. Nacht-Camisol, 1. Schürtze, 1. Halß-Tuch, 1. Mütze, eine Anhänge-Tasche mit einem silbernen Bügel, woriñen 4. spec. Ducaten, 2. Louis d'or, und ohngefähr 6. Gulden Silber-Müntze nebst 3. Liebes-Briefen von verschiedenen Händen stacken, in den Ficken aber fand ich ihre Petschafft, 6. biß 8. Schlüssel, ein paar Messer und andere Kleinigkeiten, welches ich denn alles wohl betrachtete, und hernachmahls in meinen Reise-Couffre verwahrete.

Uber das Nachdencken dieser Intrique verging mir vollends aller Schlaff, weßwegen ich mich an ein Fenster legte, und eine Pfeiffe Toback rauchte. Bald hernach kam eine Chaise gefahren, welche unter meinem Fenster stille hielt, und ich sahe mit dem [207] allergrösten Vergnügen die Madame van Bredal heraus steigen, die auch bald mit noch einem Frauenzimmer und einer Magd, die Treppe herauf gegangen kam, und wie ich durch mein Schlüssel-Loch sehen konte, mit ihrer Begleitung in ein Zimmer ging, das nicht gar weit von dem Meinigen war.

Wie nun nicht vor rathsam hielt, mich eher sehen zu lassen, biß ich ihr vorhero meine Ankunfft in Geheim zu wissen gethan, so wolte eben nachsinnen, wie dieses anzufangen wäre, als ich gewahr wurde, daß das andere Frauenzimmer mit der Magd hinunter ging, sie ihnen aber das Geleite biß an die Treppe gab. So bald sie demnach umkehrete, machte ich die Thür meines Zimmers auf, und ihr ein höfliches Compliment. Sie erschrack ziemlich über den jählingen Anblick, und wurde Blutroth, sagte aber bald: ich bin von Hertzen erfreuet, Mons. van Blac, euch allhier wohl zu sehen, und hätte nicht gemeynet, daß ihr so bald hier seyn würdet, wisset aber, daß meine Affairen bereits völlig zum Ende sind, und ich von demvan Steen gäntzlich abgeschieden bin, ein ferneres wollen wir zu gelegener Zeit mit einander reden, thut mir voritzo nur ein paar Tage den Gefallen, und stellet euch an, als ob ihr mich sonsten noch niemahls gesehen hättet.

Madam! gab ich zur Antwort, ich bin schon einige Tage hier, habe mir aber nicht die Courage nehmen wollen, ihnen nachzureisen, und ob ich gleich ausser mir selbst war, da ich das Vergnügen hatte, Sie von dem Wagen steigen, und durch mein Schlüssel-Loch auf den Saal kommen zu sehen, so wolte mich doch vor andern Leuten nicht eher zeigen, [208] biß ich erstlichOrdre von Ihnen erhalten, unterdessen möchte wünschen, daß ich allhier auf dieser Stelle nur eine eintzige Stunde Zeit haben möchte, ihnen eine gewisseAvanture zu eröffnen, worüber Sie sich ungemein verwundern werden. Mons. van Blac, sagte sie hierauf, ich habe diesen Tag noch wichtige Verrichtungen, und werde vor Abends nicht wieder hieher kommen, so bald aber in diesem Gast-Hause alles zu Bette ist, will ich euch durch meine Magd in mein Zimmer ruffen lassen, meine Baase, welche itzo mit derselben von mir gegangen, wird, wie bißhero, zwar auch bey mir seyn, allein, ihr habt euch vor beyden nicht zu scheuen, denn sie sind mir sehr gewogen und getreue, ich werde mich auch ehester Tages mit beyden zu Schiffe setzen, und nach Engelland seegeln.

Ich wurde über diese letztern Worte einiger massen in meinen Gedancken verwirret, welches Sie wohl anmerckte, jedoch nichts mehr sagte, als: habt guten Muth, mein werther Freund, diesen Abend wollen wir deutlicher mit einander sprechen; hiermit begab sie sich in ihr Zimmer, und ich mich in das Meinige, stellete mich gegen meinen Aufwärter etwas unpaß, und ließ mir dieserwegen die Speisen herauf bringen, kam auch den gantzen Tag nicht aus dem Zimmer, merckte aber wohl an, daß die Madame van Bredal noch vor Essens ausging, und erstlich mit einbrechender Nacht wieder zurück kam.

Um Mitternachts-Zeit klopffte jemand gantz sanffte an meine Thür, und da ich dieselbe leise eröffnete, trat ihre Magd herein, brachte ein Compliment [209] von derMadame van Bredal, welche bitten liesse, ob ich nicht die Güte haben, von meiner Ruhe etwas abbrechen, und auf ein wichtiges Gespräch zu ihr kommen wolte? Ich folgte der Magd so gleich nach, und traff die beyden Frauenzimmer auf 2. Schlaff-Stühlen sitzend an, zwischen welchen ein Tisch stunde, auf welchem sich ein paar Bouteillen Wein nebst Confect befanden. So bald sie mich bewillkommet und zu sitzen genöthiget, fing die van Bredal an, sehet, meine liebste Baase, dieses ist der Herr, welcher mir mit seiner grösten Lebens-Gefahr zu meiner Freyheit verholffen, die zu erkauffen, vielleicht keine Million hingereicht haben würde. Die Baase war eine artige Jungfer von 19. biß 20. Jahren, und nennete sich Gillers, war eines aufgeweckten Geistes, stund auf und sagte: mein Herr, erlaubt mir, daß ich euch vor die übergrosse Gefälligkeit, die ihr meiner allerliebsten Freundin auf dieser Welt, und zugleich mir erwiesen habt, die Hand küssen darff. Indem ich mich nun dessen weigerte, und sehr beschämt befand, küssete sie mich in der Geschwindigkeit dergestalt derb auf den Mund, daß ich mich fast selbst schämete, und gantz Feuer-roth im Gesichte wurde.

Die van Bredal fing hertzlich darüber an zu lachen, sagte aber: Kinder! wir müssen die wenigen Stunden, so wir beysammen bleiben können, mit ernsthafften Gesprächen zubringen. Demnach fing sie an, mir alles zu erzählen, wie es ihr allhier ergangen, die Haupt-Puncte aber waren diese: 1.) Hätte sie anfänglich absolut prætendirt, ihren Mann, den van Steen, wieder zu haben, derselbe aber hätte vielleicht [210] nicht so wohl aus übeln Verdacht, sondern vielmehr darum, weil ihm seine Helena stündlich um den Halse gelegen, sich absolut geweigert, sie wieder anzunehmen, und die Helena fahren zu lassen, weßwegen es denn endlich dahin verglichen worden, daß sie nunmehro vor 9. Tagen einen gerichtlichen Scheide-Brieff bekommen, mit der Clausul, sich ebenfalls wieder verheyrathen zu dürffen, an wem sie wolte. 2.) Wäre der van Steen dahin genöthiget worden, ihr vor ihr eingebrachtes Gut benebst den Abtritts-Geldern 10000. Holländische Gulden zu bezahlen, welche sie auch heutiges Tages durch ihren Procuratorem in Empfang nehmen lassen. 3.) Die Erb-Portion von ihren Elternà 1600. fl. wäre ihr gleichfalls schon ausgezahlt, und nunmehro 4.) da sie frey und ledig wäre, wolte sie diesen ihr unglückseligen Boden verlassen, und mit dieser ihrer Baase nach Engelland übergehen.

Ich hatte mit grosser Verwunderung und bangen Hertzen zugehöret, blieb aber, da sie inne hielt, abermahls in tieffen Gedancken sitzen, und war nicht einmahl gewahr worden, daß sich Mademoiselle Gillers mit der Magd hinaus begeben hatte um noch Caffée zu kochen. Derowegen fing Madame van Bredal von neuen zu reden an: Nunmehro, sagte Sie, mein Herrvan Blac, habe ich es noch mit euch zu thun, um euch die mir treu geleisteten Dienste zu belohnen, ist euch mit baarem Gelde gedienet, so stehen noch 3000. Thlr. von dem Meinigen zu euren Diensten, wollet ihr euch aber gefallen lassen, diese meine Baase, welche doch gewiß ein schönes Frauenzimmer zu nennen ist, zur [211] Frau zu nehmen, so versichere, daß ihr nicht allein meine, euch itzt versprochenen 3000. Thlr. sondern auch von ihrem Vermögen wenigstens noch gedoppelt so viel empfangen sollet; denn ich vor meine Person bin entschlossen, meine übrige Lebens-Zeit im ledigen Stande zuzubringen, mein Geld und Gut auf Zinsen auszuthun, und in der Stille vor mich zu leben.

Diese Worte waren ein Donnerschlag in meinen Ohren und Hertzen, jedoch ich stund gantz gelassen auf vom Stuhle, und sagte: Madame! Dero Generositée ist jederzeit grösser gewesen gegen mich, als meine wenigen Dienste, ich habe noch ein starckesCapital davon aufzuweisen, will aber selbiges weit vergnügter wieder zurück geben, als noch mehr von ihnen annehmen. Vor die vorgeschlagene Mariage dancke ich gehorsamst, nicht zwar etwa aus Verachtung gegen diese Liebens-würdige Person, sondern nur darum, weil mir nicht möglich ist, etwas anders zu lieben, so lange ich weiß, daß die Madame van Bredal lebt; Geld und Gut ist nicht capable mich zu vergnügen, weil ich aber Dero Entschluß vernommen, so will mich aus ihren Augen verbannen, und mein künfftiges Schicksal mit Gedult ertragen. Adieu Madame! Der Himmel lasse sie jederzeit vergnügt leben. Mein werthester Freund, versetzte sie hierauf, indem sie mich bey dem Kleide zurück zohe, bedencket doch euer Bestes, ich will euch 3. Tage Zeit darzu lassen. Ich gab zur Antwort! Madame! 3. Jahr, 3. Tage, 3. Minuten oder 3. Secunden sind mir in diesem Stücke einerley, weil ich weiß, daß mein Gemüthe in diesem[212] Stücke so unveränderlich ist, als ich unglücklich bin, erlauben sie nur, daß ich mich retiriren, und DeroComplaisançe nicht länger mißbrauchen darff. Sie hielt mich noch vester, und sagte: Mein Herr, in derRage lasse ich euch nicht von mir gehen, erweget aber, ob ihr, als ein Junggeselle, der sich davor ausgiebt, noch kein Frauenzimmer gewisser massen berührt zu haben, nicht wohl thätet, wenn ihr meine Baase oder eine andere Jungfrau heyrathet, als mich, die ich als eine Wittbe zu achten bin, und dennoch wohl nachhero bey euch in den Verdacht gerathen könte, als ob – – – – Ich unterbrach ihre Rede, und bath: Madame! quälen sie mich nur nicht länger, denn ich bin ja überzeugt genug, daß ihnen meine Person nicht anständig ist, darum ist ja meine Resolution die allervernünfftigste, daß, da ich nicht erlangen kan, was ich suche, lieber mich entfernen will.

Unter diesen Worten rolleten mir, so viel ich mich von meiner Kindheit an zu erinnern weiß, zum ersten mahle einige Thränen die Backen herunter, welche, so bald es die Madame van Bredal sahe, eine solche Würckung thaten, daß sie auf einmahl anders Sinnes wurde, mir um den Halß fiel, mich offtermahls küssete, und endlich sagte: Bleib mein Schatz, ich bin Deine, und du solst der Meinige seyn, so lange als ich lebe, in Engelland wollen wir Hochzeit haben, unterdessen aber richte dich nach meinen Umständen, und überlege mit mir, wie wir uns etwa allhier noch aufzuführen haben. Uber diese Worte wurde ich dergestalt entzückt, daß ich selbst nicht wuste, wie mir zu helffen war, indem ich so lange auf meiner [213] Liebsten Munde kleben blieb, biß wir die Mademoiselle Gillers und die Magd mit dem Caffée ankommen höreten. Wir setzten uns, und truncken etliche Schälchen. Die Magd ging fort, derowegen redete mein Schatz zu ihrer Baase: Dencket doch, mein Hertz, dieser Herr, mit dem ich mich abfinden wollen, will weder Geld noch Gut, sondern meine Person selbst vor seine mir geleisteten Dienste haben. Ihr wäret, antwortete dieMademoiselle Gillers, die allerunerkänntlichste Person von der Welt, wenn ihr ihm dieselbige versagtet, denn er hat euch errettet, und durchs Glück den grösten Antheil daran, ihr seyd wenig Jahre älter als ich, und werdet den ledigen Stand bey eurer Schönheit schwerlich ohne starcke Versuchungen zubringen können, derowegen machet mir das Vergnügen, daß ich itzo gleich die Verlöbniß-Ringe von euren Fingern abziehen und verwechseln darff, das Beylager aber muß ausgestellet bleiben, biß wir in meines Bruders Hauß nach Portsmouth kommen. Hiermit stund das lose Ding auf, zohe so wohl mir als der van Bredal die Ringe vom Finger, verwechselte dieselben, und stellete sich so dabey mit Reden und Gebärden an, als wenn sie ein würcklicher Priester wäre, ließ auch nicht eher nach, biß wir einander die Hände und 50. Küsse auf die Treue gaben.

Da nun dieses vorbey war, und alles seine vollkommene Richtigkeit hatte, erzählte ich beyden Frauenzimmern den Streich, welchen ich in vergangener Nacht dem Nörgel und der Helena gespielet hatte. Sie lachten sich alle beyde bald zu Tode darüber, wolten aber nicht alles glauben, biß ich [214] sie in mein Zimmer hinüber führete, der Helenæ Kleider, Strümpffe und Pantoffeln vorzeigte, und selbige meiner nunmehrigen Liebste in Verwahrung gab. Und wenn ihr mir, sagte diese, mein nunmehriger allerliebster Schatz, 100000. Thlr. zum Mahl-Schatze gegeben hättet, so wären mir selbige doch nicht halb so angenehm, als diese Equipage; Stille! nun wollen wir nicht mehr unter dem Verdeck spielen, sondern dem van Steen zeigen, was er verlohren oder gewonnen hat, inzwischen bin ich vergnügt, Mons. van Blac, daß ich mich nunmehro die Eurige nennen darff und kan. Morgen früh will ich mich mit euch copuliren lassen, daferne ihr ein Zeugniß aus Antwerpen bey euch habt, daß daselbst von eurer Verehligung mit jemand, keiner etwas wisse, (dieses zeigte ich ihr so gleich) sodann will ich noch 1000. und mehr Thaler daran wenden, wenn es ja erfodert werden solte, daß die H. – – – Helena rechtschaffen prostituiret, und dem van Steen der Staar gestochen werden möge.

Wie viel mir nun auch an der Person der van Bredal gelegen war, so hielt ich doch nicht vor rathsam, daß wir uns in diesem Stück übereileten, indem uns von unsern Feinden garstige Possen gespielet werden könten, hergegen war ich der Meinung, daß es besser wäre, wenn wir uns, so bald wir unsere Sachen alle in Ordnung gebracht, je ehe je lieber nach Engelland übersetzen liessen, mitlerweile wolte ich die gantzeComædie von der Helena mit allen Umständen zu Pappier bringen, einen Brief an den van Steen darzu legen, der Helenæ Kleider [215] und Sachen in ein Kästlein packen, und selbiges alles zusammen dem van Steen in die Hände liefern lassen, nachhero würden wir in Engelland dennoch wohl erfahren, was etwa ferner vorgegangen wäre. Meine Geliebte hielt dieses vor genehm, und sagte, wie sie in allen Stücken Reise fertig wäre, und binnen 3. oder 4. Tagen abfahren könte; Demnach wurden wir schlüßig, daß ich morgenden Tag noch ausruhen, den folgenden aber nach Harlingen voraus reisen solte, damit niemand einmahl erführe, daß wir einander allhier in Leuwarden gesprochen hätten. Dieses geschahe also, ich kehrete aber nicht in dem Gast-Hause ein, wo sie einkehren wolte, sondern in einem andern, setzte mich hin, und schrieb erstlich die gantze Geschicht von Wort zu Wort auf, die sich mit Nörgel, der Helena und mir zugetragen hatte, verfertigte sodann einen Brief an den van Steen, welcher folgendes Inhalts war:


Monsieur.


Ich habe die Ehre zwar niemahls gehabt, denselben von Person zu kennen, trage aber dennoch einiges Mitleiden seinetwegen, daß er sich dem grösten Orden der Hahnreyschafft, vielleicht wider seine Einbildung, einverleibt sehen muß. Beyliegende Geschichts-Beschreibung befindet sich in der That und Wahrheit also, und kan derselbe deßfals noch ein und andere Nachricht einziehen, so dann erwegen, ob nicht alles zutrifft, wiewohl ich hoffe, es werden seiner Liebsten Kleider und andere Sachen, [216] wie auch die beygelegten Liebes-Briefe ein sattsames Zeugniß abstatten, daß dieses kein Gedichte, sondern eine wahrhaffte Geschichte sey. Wäre ich so wollüstig als curieux gewesen, das Beginnen einer geilen Dame zu bemercken, so wäre die Zahl seiner Hörner ohnfehlbar durch mich vermehret worden, denn nach Nörgels Beschreibung soll seine Frau Liebste schönes Leibes, dabey sehr freygebig seyn gegen diejenigen, so sie rechtschaffen bedienen, indem sie sehr hitzig in dem Liebes-Wercke; ob es wahr ist, weiß ich nicht, da ich niemahls das Glück gehabt, sie zu sehen, viel weniger anzurühren. Ich überlasse seinem eigenen Gefallen, wie er sich bey dieser Begebenheit aufführen, und ob er seinen Herrn Schwägern, nehmlich den Männern der Madame E. und A. auch das Verständniß eröffnen will, in so ferne er dieselben ausforschen kan. Ich verhoffe das Meinige gethan zu haben, als ein unbekannter redlicher Freund, denn wenn ich ein Filou oder Betrüger, oder sonsten Geld-bedürfftig wäre, so hätte wenigstens die Baarschafften vor meine Mühe zurück behalten können. Ubrigens bitte mir durch diesen abgeschickten Expressen ein kleines Recipisse aus, indem ich mich allhier in Harlingen nicht lange aufhalten, sondern ehester Tages nach Amsterdam abseegeln werde, jedoch beharre.


Monsieur

vôtre Ami.


[217] So bald ich nun Nachricht erhalten, daß meine Liebste nebst ihrer Baase angekommen, und ebenfalls in einem andern Gast-Hause, als wo wir ehedemlogirt, abgetreten wäre, begab ich mich gleich des ersten Abends zu ihr, zeigte ihr meine Schrifften, welche sie approbirte, wir packten darauf der Helenæ Kleidungs-Stücke in ein gätliches Kästlein, versiegelten es mit einem fremden Petschafft, und trug dasselbe bey Nachts-Zeit selbst in mein Logis. Drey Tage hernach wolte ein Schiff nach Engelland abseegeln, auf selbiges verdungen sich das Frauenzimmer und auch ich besonders, als ob wir nicht zusammen gehöreten, waren auch bestellet, uns vor Abends am Boord einzufinden, weil der Schiffer so dann in See gehen wolte. Derowegen fertigte ich um Mittags-Zeit erstlich einen Expressen-Bothen an den van Steen nachLeuwarden ab, gab ihm einen guten Lohn, mit dem ausdrücklichen Befehle, die Briefe nebst dem Kästlein ja keinem andern Menschen, als dem van Steen selbst in die Hände zu geben, wo aber derselbe etwa nicht zu Hause wäre, so lange zu warten, biß er zur Stelle käme, indem ihm sein Warte-Geld entweder dort, oder von mir wohl bezahlt werden solte. So bald aber der Bothe etwa eine Meile-Wegs fort seyn mochte, bezahlete ich den Wirth, und ließ meine Sachen aufs Schiff tragen, zu welchen ich so dann meinen Weg auch nahm, und bald hernach mein Frauenzimmer ebenfalls ankommen sahe. Wir seegelten also mit gutem Winde frölich ab, und gelangeten in wenig Tagen glücklichPortsmouth bey der Mademoiselle Gillers Bruder [218] an, welcher uns mit vielen aufrichtigen Freundschaffts-Bezeugungen empfing, auch, da er unser Anliegen und Umstände vernommen, wenig Tage hernach Anstalt machte, daß ich mit meiner Liebste von einem Priester ehelich zusammen gegeben wurde. Wir waren hierauf gesonnen, uns mit nächster Gelegenheit ein feines Land-Gütgen zu kauffen, eine ordentliche Haußhaltung anzufangen, und von demjenigen, was uns das Gut einbrächte, reputirlich zu leben; da sich aber nicht so gleich ein anständiges finden wolte, lebten wir über ein halbes Jahr vor unser Geld, sehr vergnügt, bey dem Herrn Gillers.

Eines Abends, da ich mit demselben aus einerCompagnie guter Freunde, da es schon ziemlich dunckel war, nach Hause ging, kam uns eine schwartz gekleidete Manns-Person entgegen, und stieß mich im Vorbeygehen mit einem Dolche in die Seite, lieff hierauf noch schneller, als ein Windspiel, fort. Ich selbsten kaum, geschweige denn Herr Gillers, wuste, wie mir geschehen war, endlich aber fühlete ich die Blessur, und war froh, daß wir bald nach Hause kamen, denn der Stich war zwar nicht tödtlich, weil er auf dem rechten Hüfft-Beine sitzen geblieben, allein, sehr schmertzhafft, wie denn auch nachhero noch sehr üble Zufälle darzu kamen, so, daß ich doch fast daran hätte crepiren können, allein, endlich wurde ich wieder gesund, erfuhr auch wunderbarer Weise, daß niemand anders, als Nörgel der Meuchel Mörder, gewesen. Denn es muste sich so wunderlich fügen, daß einer von des van Steens Handels-Purschen herüber nach Engelland, [219] und bey Herrn Gillers in Condition gekommen war. Dieser hatte meine Liebste nicht so bald erblickt, als er sich derselben so gleich zu erkennen und darbey zu vernehmen gab, wie sie, als die erste Frau des van Steen, ehemahls seine Patronin gewesen wäre, er aber sey nur vor wenig Wochen aus des van Steen Diensten gegangen, um sich eine Zeitlang in Engelland aufzuhalten, könte auch, wenn es uns etwa auf den Abend gelegen wäre, verschiedene wunderbare Geschichte, so vor weniger Zeit in desvan Steens Hause und sonsten in Leuwarden passirt wären, erzählen.

Meine Frau, die sich dieses Menschens, von etlichen Jahren her, noch sehr wohl zu erinnern wuste, bath ihn so gleich, uns die Gefälligkeit zu erweisen, und Abends auf unser Zimmer zu kommen, welches er denn that, und eine weitläufftige Erzählung von den Geschichten des van Steen, seiner Helena, Nörgels und anderer mehr machte, und endlich kam er auf die letzten Streiche, so ich in Leuwarden gespielet hatte, wuste aber nicht, daß ich es gewesen, sondern erzählete nur, daß der van Steen neulichst von unbekandter Hand einen Brief nebst einem Kästlein mit Kleidungs-Stücken und andern Sachen, die seiner Frau gehöreten, und davon sie ausgegeben, daß sie ihr gestohlen worden, erhalten. Er hätte sich gantz rasend darüber angestellet, wenig Stunden darnach aber seine Frau nebst ihrem Aufwarte-Mägdgen in ein finsteres Gewölbe verschlossen, und ihnen 3. grosse Brodte nebst einem Fäßgen voll Wasser hinein gesetzt. Hierauf wäre er mit dem Bothen, welcher den Brief gebracht, nach [220] Harlingen gereiset, und andern Tages sehr verdrüßlich wieder zurück gekommen, hätte auch allen seinen Leuten hart verboten, von allen dem, was sie in seinem Hause etwa höreten und merckten, kein Wort auszuplaudern; ferner wäre der van Steen immer unruhig geblieben, bald zu diesem bald zu jenem guten Freunde gelauffen, und endlich hätte man unter der Hand vernommen, daß der Notarius Nörgel in eines andern Kauffmanns-Hause bey Nachts-Zeit sehr grausam wäre geschlagen und verwundet worden, so, daß man ihn in einer Sänffte hätte nach Hause tragen müssen, der van Steen hätte im Gesicht und an den Händen ebenfalls die Wahrzeichen gehabt, daß er in einer Schlägerey gewesen wäre, bald hernach aber wäre die Helena nebst ihrer Magd, früh Morgens vor Tage, in einen Wagen gesetzt worden, den man verschlossen, und sie unter Begleitung von 4. unbekandten Reutern fortgeführt, wohin, wisse niemand eigentlich. Nörgel, fuhr dieser Kauffmanns-Diener fort, ging, so bald er wieder curirt war, herüber nach Engelland, und zwar auf eben dem Schiffe, worauf ich mich befand, ließ sich auch eines Tages dieser verwegenen Reden gegen mich verlauten: ich trage diesen meinen Kopff zum erstenmahle nach Engelland, weiß aber nicht, ob ich denselben wieder heraus bringen werde, doch frage ich nichts darnach, wenn ich nur so glücklich bin, mich an einem gewissen Feinde zu rächen, der mir den ärgsten Possen auf der Welt gespielt hat, kan ich nur ihn in die andere Welt schaffen, so will ich gern sterben.

[221] Aus allen diesen Reden des Kauffmanns-Dieners nun, konten ich und meine Liebste bald schliessen, daß Nörgel unser Geheimnisse ausgeforschet haben, und kein anderer als er mein Meuchel-Mörder gewesen seyn müsse, denn es kamen noch viele andere Umstände darzu, welche ich, Weitläufftigkeit zu vermeiden, verschweigen will.

Inzwischen verging meiner Liebsten bey so gestalten Sachen alle Lust in Engelland zu bleiben, denn nachdem sie noch darzu verschiedene schreckliche Träume gehabt, blieb sie bey den Gedancken, unsere Feinde würden nicht ehe ruhen, biß sie uns vom Brodte geholffen, derowegen wurden wir schlüßig, unser Geld und Gut zusammen zu packen, und mit ersterer Gelegenheit nach Jamaica zu seegeln. Ich kam in etlichen Wochen nicht aus meinem Logis, um nicht von neuen in Mörder-Hände zu fallen, nachhero, da der Herr Gillers uns die Nachricht brachte, daß er vor uns gesorgt, und auf ein nach Jamaica gehendes Schiff verdungen hätte, welches in wenig Tagen abseegeln würde, schafften wir unsere Sachen darauf, und traten, nach wehmüthig genommenen Abschiede, die Reise nach der neuen Welt an. Meine Liebste war sehr vergnügt, daß wir diese Resolution ergriffen hatten, zumahlen, da uns Wind und Wetter sehr favorable waren; allein, das grausame Verhängniß hatte beschlossen, uns auf eine jämmerliche Art von einander zu trennen, denn da wir bereits eine ziemliche Weite über die Insul Madera hinaus waren, überfiel uns ein entsetzlicher Sturm, welcher uns auf die lincke Seite nach den Insuln des grünen [222] Vorgebürges zutrieb, wir sahen dieselben schon vor Augen, konten sie aber nicht erreichen, indem unser Schiff um die Mittags-Zeit gantz plötzlich zerscheiterte, und mit seiner gantzen Ladung zu Grunde ging. Ich und meine Liebste konten nicht so glücklich werden, daß man uns mit in ein Boot genommen hätte, denn es waren schon beyde überflüßig besetzt, derowegen muste uns nur so wohl als vielen andern zum Troste dienen, daß wir einen starcken Balcken erhaschen, und uns auf demselben erhalten konten. Allein, was halff es, in folgender finstern Nacht schlug eine ungeheure Welle meine Allerliebste von dem Balcken herunter, und hörete ich noch, daß sie rieff: JEsus! Gute Nacht, mein Schatz. Mir vergingen vor Wehmuth alle Gedancken, und wundere ich mich über nichts, als wie ich mich bey solchen höchst-schmertzlichen Leyd-Wesen noch habe auf dem Balcken an- und erhalten können, inzwischen, da ich mich in etwas besonnen, konte ich doch keine Hand vor Augen sehen, andern Tages gegen Mittag aber befand mich an dem Ufer der Insul St. Lucia, welches eine von den Insuln des grünen Vorgebürges ist, und wurde errettet. Viele Tage habe ich auf dieser Insul mit lauter Winseln und Wehklagen über den kläglichen Verlust meiner Allerliebsten zugebracht, weiln mit ihr alles mein Vergnügen, ja meine gantze Glückseeligkeit im Meere ertruncken war, endlich, weil ich noch etwa 100. und etlichespec. Ducaten in meinen Kleidern vernehet bey mir trug, kam mir in die Gedancken, mit einem Portugiesischen Schiffe nach Brasilien zu gehen, [223] auch aus Verzweiffelung so lange hie und dahin zu fahren, biß ich auch mein nunmehro mir verdrüßliches Leben endigte, jedoch der Himmel gab mir andere Gedancken ein, daß ich nehmlich in mein Vaterland zurück gehen, und entweder in meiner Geburts-Stadt oder in Amsterdam eine stille und ruhige Lebens-Art erwehlen solte; als welches denn auch von mir resolvirt wurde, da ich aber in Lissabon bey einem vornehmen Schwedischen Herrn bekandt gemacht wurde, nahm mich derselbe zum Sprach-Meister seines Sohnes an, und mit sich nach Schweden. Mein Discipul war sehr lehrbegierig, allein, er starb, da ich wenig Wochen über ein Jahr mit ihm zu thun gehabt, also bekam ich mein bedungenes Geld, hatte darzu nochden Vortheil, daß ich die Schwedische Sprache vollkommen erlernet, von welcher ich sonsten unter den andern das wenigste wuste, und reisete erstlich nach meiner Vater-Stadt, hernach weil ich daselbst vor Jammer über alles mein Unglück nicht bleiben konte, nach Amsterdamm, allwo ich abermahls Condition als Sprach Meister bey etlichen Kauffmanns-Dienern annahm, welche mir so viel bezahleten, daß ich mein melancholisches und stilles Leben gantz reputirlich fortführen konte. Da aber einige von ihnen abgingen, ich also aus meinem Beutel zusetzen muste, fügte es sich eben, daß der wertheste Monsieur Eberhard Julius, gegen dessen Logis ich gerade über wohnete, einen Dolmetscher nach Schweden mitzureisen, aufsuchen ließ, und ihm ein Ansehnliches Monat-Geld zu zahlen versprach, weßwegen ich an ihm recommendirt, so gleich [224] acceptirt und mit genommen wurde. Was unsere Verrichtungen daselbst gewesen, ist ihnen allerseits bekandt, ich habe nach meinem wenigen Vermögen nichts ersparet, ihnen getreue Dienste zu leisten, bin auch ungemein raisonable davor belohnt worden, so, daß ich dieserwegen sehr vergnügt, um aber von der angenehmen Compagnie abgeschieden zu seyn, höchst betrübt von Hamburg nach Amsterdam zurücke reisete. Hieselbst wolte es nunmehro gar nicht mehr nach meinem Kopffe seyn, ohngeacht mir eine gar profitable Mariage nebst einer Charge bey dem Schiffs-Bau Wesen angetragen wurde, sondern es kam mir die Grille auf einmahl wieder in den Kopff, zur See, entweder nach Ost- oder West-Indien zu gehen, und mein Capital, welches ohngefähr in 700. Gulden oder etwas drüber bestund, anzulegen.

Ich ließ mich dessen einsmahls Mittags in meinem Speise-Quartier verlauten, allwo, dem Ansehen nach, 2. feine See-Officiers zugegen waren, welche so gleich sagten, wo dieses mein Ernst wäre, könten sie mir dienen, denn das Schiff, worauf sie sich engagirt, würde in wenig Tagen nach Ost-Indien unter Seegel gehen. Es war mir dieses die hertzlichste Freude von der Welt, ich machte, wegen ihres guten Ansehens, so gleich die vertrauteste Feundschafft mit ihnen, und schaffte gleich andern Tages meine Sachen, die in 2. Kisten gepackt waren, in ihr Quartier, allwo sie mich gantz wohl tractiren, ich vermerckte auch binnen zweyen Tagen, daß dann und wann Matrosen kamen, welche bald dieses bald jenes anmeldeten. [225] Ich befahrete mich keines Bösen, hatte meine besondere Cammer, worinnen ich schlief, fuhr aber in der 3ten Nacht jählings aus dem Bette, da mir jemand meine Bein-Kleider unter dem Kopffe hinweg zohe. Ich verfolgte den Dieb, war aber kaum in die andere Cammer gekommen, als so gleich ihrer 3. auf mich zuhieben und stachen, so, daß ich der Gewalt weichen, zu Boden fallen und um mein Leben bitten muste. Es sey dir aus Gnaden, sagte der Eine, geschenckt, drehete mir aber in der Geschwindigkeit einen Knebel in den Mund, die andern banden mir Hände und Füsse, und liessen mich Elenden also auf dem blossen Boden liegen, biß ich früh Morgens von des Wirths Gesinde, fast im Blute schwimmend, angetroffen wurde. Selbiges machte ein Geschrey, so, daß der Wirth auch herzu gelauffen kam, welcher mich reinigen und durch einen Wund-Artzt verbinden ließ. Ich hatte 2. Hiebe ins Gesichte, einen über den Kopff, 3. über die Arme, einen Stich auf den Brust-Knochen, und einen in die lincke Schulter bekommen, und meynte nicht anders, ich würde an diesen 8. Blessuren meinen Geist aufgeben müssen, allein, der Chirurgus sparete keinen Fleiß, ein Meister-Stück seiner Kunst an mir zu beweisen,curirte mich auch binnen wenig Wochen recht völlig, und war nachhero so genereux, nicht einen Deut vor seine Mühe und angewandte Kosten zu verlangen, weßwegen ich ihn mit Recht einen barmhertzigen Samariter nennen kan; der Himmel aber vergelte es ihm tausendfach, weil ich nicht im Stande gewesen, ihm meine Danckbarkeit anders, als mit Worten, [226] die aus redlichen Hertzen und Munde geflossen, zu bezeugen.

Von allen meinen Sachen hatte ich nichts behalten, als ein Bündel schwartze Wäsche und eine ziemlich grosse lederne Tasche, worinnen meine Briefschafften befindlich, denn ich hatte selbigezum Füssen meines Bettes gesteckt, und meine Räuber mochten daselbst nicht gesucht haben. Von Gelde oder Geldes-Werth aber hatte nicht das geringste mehr, vielweniger etwas an den Leib zu ziehen. Der Wirth war Zeit währender meiner Kranckheit so wohlthätig, mich mit den besten Speisen zu versorgen, verschaffte auch, daß mir, nachdem ich wieder aufgestanden war, verschiedene gute Leute einige Kleidungs-Stücke zuwarffen; er verlangte keine Bezahlung von mir, biß ich wieder in den Standt käme, so viel missen zu können, ihn zu recompensiren. Das war nun endlich Höflichkeit genung, allein, es sind mir zum öfftern die Gedancken aufgestiegen, ob nicht der Wirth mit meinen Räubern und Mördern selbst unter einer Decke gesteckt haben möchte. Thue ich ihm zu viel, so vergebe es mir der Himmel. Er gab vor, diese Leute habe er Zeit-Lebens sonsten nicht gesehen, sie hätten sich vor See-Officiers ausgegeben, und auf einen Monat dasLogis bey ihm gemiethet, Abends vorhero aber, ehe sie mich so mörderisch tractirt und beraubt, ihre Schuld bezahlt, und zu verstehen gegeben, wie noch diese Nacht etliche Matrosen ankommen würden, ihre Sachen abzuholen, indem das Schiff, worauf sie gehörten, in Bereitschafft stünde abzuseegeln. Er, der Wirth, [227] hätte solches geglaubt, wäre mit seiner Frauen zu Bette gegangen, und hätte die unruhige Nacht-Arbeit einmahl dem Gesinde überlassen, hätte auch nimmermehr geglaubt, daß dergleichen Streiche in seinem Hause vorgehen solten, biß ihn früh Morgens das Gesinde, welches die Cammern reinigen wollen, herzu gerufft.

Was war zu thun? Geld hatte ich nicht, die Sache weiter untersuchen zu lassen, derowegen muste zufrieden seyn, dem wohlthätigen Wirthe die grösten Dancksagungs-Complimente machen, und versprechen, wenn ich in bessern Stand käme bey, ihm redliche Zahlung zu leisten. Hierauf zohe ich die mir zugeworffenen alten Kleider an, begab mich wieder in die Stadt, denn NB. mein bißheriges Quartier war ausserhalb derselben gewesen, suchte gute Freunde, die mich wieder in bessern Stand setzen solten, fand aber sehr wenig, die mir mit einer christlichen Bey-Steuer zu Hülffe kamen.

Jedoch der Himmel, welcher doch selten ein redliches Gemüthe verderben läst, führete mich unvermuthet in eine Strasse, allwo mir der wertheste Mons. Eberhard mit seiner Jungfer Schwester entgegen kamen. Die verschiedenen bey mir aufsteigenden Affecten machten, daß ich einen lauten Schrey that, hernach vor Jammer bitterlich zu weinen anfing, und mich vor ihnen verbergen wolte, allein, zu meinem Glück wurde ich von ihnen erkandt, sie nahmen mich Elenden auf, setzen mich in solchem Stand, daß ich mich wieder mit honetten Leuten sehen lassen und mit ihnen umgehen [228] konte, ja was das Haupt-Werck, sie waren so gütig, mich zu ihren Reise-Gefährten und auf diese glückselige Insul mitzunehmen. Solchergestalt habe nunmehro nach so vielen ausgestandenen Widerwärtigkeiten allhier den Hafen meines irrdischen Vergnügens gefunden, und kan mit frohem Munde ausruffen:


Post nubila Phæbus.

Auf Sturm, Blitz, Wetter, Angst und Pein
Folgt ein vergnügter Sonnenschein.

Zwar ists an dem, daß mir bißhero unter allen meinen gehabten Unglücks-Fällen, der jämmerliche Tod meiner allerliebsten Charlotte Sophie am allerschmertzlichsten gewesen, allein, ich hoffe, daß der Himmel diese Hertzens-Wunde durch die Hand meiner allhier erwählten schönen Braut endlich auch verbinden und heilen werde. Denen, die mich mit auf diese glückselige Insul genommen, kan ich meine Danckbarkeit voritzo nur in Worten bezeigen, werde mich aber dahin bestreben, solche in Zukunfft auch thätlich zu erweisen, indem ich dasjenige Amt, welches man mir etwa allhier auftragen wird, jederzeit mit allem möglichsten Fleisse unverdrossen verrichten, auch Zeit-Lebens ein getreuer Freund und Diener von Ihnen allerseits und allen Insulanern verbleiben will.


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Hiermit endigte Mons. van Blac seine Geschichts-Erzählung, und obgleich die Glocke schon 2. Uhr geschlagen hatte, da er aufhörete, war doch der [229] Alt-Vater so wenig, als jemand anders, ermüdet worden, ihm zuzuhören, wie denn der Alt-Vater den Mons. van Blac, so offt er abbrechen wolte, selbsten ersuchte, biß zum Ende fortzufahren, weiln er ohnedem voritzo wenig schlaffen könte. Nunmehro aber legten wir uns sämmtlich zur Ruhe, und schlieffen fast biß gegen Mittag da bereits mit den Tellern geklappert wurde. Es ist aber nicht genung, daß ich Eberhard Julius nur referire, wie wir mit einander geplaudert, gewacht, geschlaffen, gegessen und getruncken haben, sondern ich muß auch sagen, was ferner merckwürdiges auf unserer Insul vaßirete.

Wir wurden zu Anfange des Septembris, nachdem wir unsere mitgebrachten Sachen auf der Albertus-Burg in vollkommene Ordnung gebracht, schlüßig, von neuen eine Visitation in allen Pflantz-Städten anzustellen, um sonderlich in Augenschein zu nehmen, wie sich die Handwercker und Künstler befänden, und womit ihnen etwa noch zu dienen oder zu helffen sey, allein, ein entsetzliches Erdbeben, welches sich am 8. Septembr. in den Vormittags-Stunden 4. mahl spüren ließ, verursachte, daß wir, da nur Alberts- und Davids-Raum visitiret war, zu Hause blieben, und zu Winckel krochen, wie die schüchternen Tauben, der Alt-Vater aber sagte zu uns: Kinder, fürchtet euch nicht, GOtt ist zwar allmächtig genung, nicht nur diese Insul, sondern die gantze Welt auf einmahl in einen Klumpen zu werffen, ich hoffe aber, er wird diese Insul, die er so vest gegründet hat, noch nicht verderben. Ich habe [230] auch dergleichen Erdbeben schon öffters allhier empfunden, und dabey angemerckt, daß gemeiniglich einige Tage hernach ein grausamer Sturm auf der See entstanden. Gebt Achtung, ob es nicht eintreffen wird, oder vielleicht ist dieses Erdbeben ein Vorbothe, daß ich bald sterben werde, denn eben an diesem Tage haben meine Füsse diese Insul am ersten betreten. Wir waren ingesammt sehr niedergeschlagen, wünschten, daß er noch lange auf der Welt bey uns bleiben möchte; allein, er schüttelte mit dem Kopffe, und sagte: Vielleicht ist dieses Erdbeben auch eine Anmahnung, daß wir Uber morgen G.G. unsern Buß-Bet- und Fast-Tag desto andächtiger begehen sollen.

Wir feyreten derowegen diesen solennen Tag, nehmlich den 10. Sept. da der Alt-Vater Ao. 1646. zum ersten mahle seine damahlige Gesellschafft herauf geführet hatte, recht sehr devot, mit dreymahligen Kirchengehen, niemand aber nahm einen Bissen Speise zu sich, biß die Sonne untergangen war. Der Alt-Vater behielt die Aeltesten der Stämme und vornehmsten Europäer bey sich, und wir speiseten an zwey langen Tafeln in seinem Zimmer, nachhero wurde von vielen wichtigen und nöthigen Sachen, die noch vorgenommen werden solten, Unterredung gepflogen, so, daß die Mitternachts-Stunde unterdessen heran geruckt war, welches aber niemand vermerckte, biß vor dem Zimmer ein ungewöhnliches Getöse entstund, weßwegen ich nebst einigen andern hinaus ging, und hörete, daß [231] man hinter den grossen Garten in der Gegend zwischen den zweyen Flüssen viele Feuer-Flammen aufsteigen und herum vagiren sähe. Wir lieffen gleich hin zu den Fenstern, und fanden, daß es wahr war, Mons. Litzberg und andere judicirten, daß es Dünste aus der Erde oder so genannte Irrwische wären, allein, da das Lerm grösser wurde, und sich der Alt-Vater selbst an das eine Fenster führen ließ, sagte er gleich: Meine Kinder! diese Flammen steigen aus dem GOttes-Acker empor, die Todten ruffen mich zu sich in ihre Ruhe, nun ist nichts mehr übrig, als daß ich mein Hauß bestelle, denn eben dergleichen weisse, lichte Flamme zeigte sich kurtz vorhero, ehe der selige Carl Franz van Leuwen von dieser Welt Abschied nehmen muste. Dazumahl, (fuhr er fort) lag nur ein Christlicher Cörper auf diesem GOttes-Acker, itzo aber sind ihrer mehr, die sich nach meiner Gesellschafft sehnen. Wir brauchten zwar insgesammt alle Beredsamkeit, dem Alt-Vater die Sterbens-Gedancken auf dieses mahl auszureden, allein, er kehrete sich an nichts, ließ hernach Bet-Stunde halten, und bath Herrn Mag. Schmeltzern, daß er einigen Knaben befehlen möchte, unter einer douçen Musique den Choral zu singen:Wer weiß wie nahe mir mein Ende etc.

Er begab sich hierauf zur Ruhe, mein Vater und ich aber blieben fast wider seinen Willen vor seinem Bette sitzen, und bewachten ihn, da zugleich meine Schwester nebst vielen andern im Neben-Zimmer ebenfalls die Wache hielten. Wir bemerckten, [232] daß er einen gantz natürlichen, aber dergestalt leisen Schlaff hatte, daß ihn auch das gelindeste Geräusche erweckte. Folgende Tage wurde er recht mercklich immer schwächer und schwächer, so, daß er kaum mehr einen Arm oder Bein allein aufheben konte, jedoch, weil sich kein Eckel vor der Speise und Tranck bey ihm spüren ließ, hatten wir immer noch gute Hoffnung, saß oder lag er stille, so waren seine Augen mehrentheils geschlossen, und schiene es, als wenn er im Schlummer zuweilen lächelte. Einige Tage vor dem Michaelis-Feste fragte ich ihn, ob er denn etwa an einem oder andern Theile des Leibes, innerlich oder äusserlich, Schmertzen fühlete? Ach nein, mein Sohn, gab er zur Antwort, ich fühle weder Schmertz noch Pein, sondern eine angenehme süsse Mattigkeit, wie ein Mensch, der in sanfftem Schlummer liegt und bald in einen rieffen Schlaff verfallen will, und wenn ich meine Augen zuschliesse, sehe ich die allerlieblichsten Sachen vor mir.

Solchergestalt saß und lag er fast beständig in einem süssen Schlummer, und man merckte, daß ers nicht gerne hatte, wenn man ihn ohne Noth darinnen stöhrete, war also wenig munter, als wenn man ihm Speise reichte, und wenn Bet-Stunde gehalten wurde. Als er am Michaelis Heil Abend in die Vesper lauten hörete, und von uns vernahm, daß Morgendes Tages das Michaelis-Fest zu feyern sey, sprach er mit einer muntern und frölichen Gebärde: Ach! meine Kinder, ich muß zu guter Letzt die Kirche noch einmahl[233] mahl besuchen, ehe ich schwächer werde, denn ich spüre, daß mein Lebens-Ende nicht mehr weit entfernet ist. Wir musten ihm demnach des andern Morgens seine besten Kleider anziehen, und in die Kirche tragen lassen, allwo er den GOttes-Dienst recht frisch und munter gantz aus abwartete, auch die geistlichen Lieder mit heller Stimme mitsunge. Diesen gantzen Tag über schien er, gegen die bißherigen, sehr starck zu seyn, folgendes Tages aber wieder so schwächlich, als die vorigen. Sonntags nach Michaelis hielt Herr Herrmann eine Predigt in des Alt-Vaters Zimmer, welche mein Vater, ich und einige andere, die sich nicht von ihm hinweg begeben wolten, mit anhöreten. Nachdem er nun etwas weniges von Speise und Tranck zu sich genommen, verlangete er, man solte den Tischler Lademann zu ihm kommen lassen, jedoch nicht ehe, biß die Nachmittags-Predigt vorbey wäre. Da sich nun dieser zu bestimmter Zeit einstellete, sprach der Alt-Vater zu ihm: Mein Sohn! ihr habt mir, so lange ihr allhier auf dieser Insul gewesen seyd, vielen Nutzen gestifftet, und grosse Gefälligkeiten erwiesen, allein, ich habe doch noch eine Bitte an euch, daß ihr mir nehmlich mein Ruhe-Cämmerlein oder Sarg so eiligst, als nur immer möglich, verfertigen möchtet, denn ich habe nicht lange Zeit mehr hier zu bleiben, sondern GOtt wird mich nächster Tags zu sich ruffen, ich möchte doch aber gern vorhero mein Ruhe-Cämmerlein sehen.

Der ehrliche Lademann fing bitterlich an zu weinen, [234] küssete den Alt-Vater die Hand, und gab zu vernehmen, daß er sehnlich wünschte, mit dieser traurigen Arbeit noch viele Jahre verschont zu bleiben, allein, der Alt-Vater sagte: Mein Sohn, das viele Reden kömmt mir sauer an, thut so wohl, erfüllet meinen Willen so eilig als möglich, und gebt mir die Hand darauf. Lademann muste ihm solchemnach versprechen, das zu thun, was er verlangte, er gab ihm die Hand, und ging darauf mit weinenden Augen zum Zimmer hinaus. Gleich hernach ließ der Alt-Vater die Frau Mag. Schmeltzerin und meine Schwester ruffen, bestellete sich bey ihnen seinen Todten-Habit, bat, selbigen aufs eiligste zu verfertigen, und neben sein Bette zu hangen, damit er ihn stets vor Augen haben könte; Diese beyden wolten unter Vergiessung häuffiger Thränen, ebenfalls viel Einwendungen machen und um Aufschub bitten; allein der Alt-Vater sagte:Erzeiget mir die Liebe, und erfüllet meinen Willen, ich solte meynen, binnen 2. Tagen könte alles fertig sein. Sie musten ihm also beyde die Hände darauf geben, worauf er wieder anfing einzuschlummern. Weil man aber verspürete, daß er es nicht gern hatte, wenn viele Leute um ihn waren, so blieben nur allezeit 2. Männer bey seinem Bette sitzen, die übrigen aber gingen in den Neben-Zimmern immer ab und zu. Montags früh kam Herr Mag. Schmeltzer wieder, den Alt-Vater zu besuchen, welcher noch immer im Schlummer lag, weßwegen ich zu diesem Geistlichen sagte: ob es denn auch wohl rathsam sey, daß man ihn [235] immerfort in solchen Schlummer liegen liesse? und ob es nicht vielleicht besser sey, wenn man ihn ermunterte, und von geistlichen Dingen mit ihm redete? So leise ich nun auch dieses sprach, so hörete es doch der Alt-Vater, und gab zur Antwort: Nein, Mein Sohn! gönnet mir immer dieses Vergnügen, denn ich geniesse solchergestalt würcklich hier auf Erden den Vorschmack der himmlischen Freude, sehe ich schon hier mit meinen irrdischen obschon verschlossenen Augen so viel, was wird nicht droben mit verkläreten Augen zu sehen seyn? Herr Mag. Schmeltzer gab darauf, er möchte uns unsere Vorsorge nicht übel auslegen, weil um befürchteten, er möchte uns gantz unverhofft unter den Händen dahin sterben. Nein, gab er zur Antwort, ich werde noch einige, ob schon wenige Tage bey euch bleiben, und will es schon etliche Stunden vorher sagen, wenn meinem Lebens-Lichte das Nahrungs-Oel auf die Neige kömmt; GOtt wird mir ein sanfftes Ende bescheren, und mir die Stunde vorher verkündigen, ich muß auch ja erstlich noch den theuren Zehr-Pfennig, nemlich das heilige Abendmahl, mit auf die Reise nehmen, und meine Sünden-Bürde wegwerffen, wenn ich als ein Auserwählter vor GOttes Angesicht erscheinen will.

Wir konten alle, vor Jammer, uns der Thränen nicht enthalten, und da er dieses sahe, sprach er: Schämet euch, daß ihr um eines eitlen [236] Vergnügens willen, meinen alten verruntzelten Cörper noch eine Zeitlang um und bey euch zu sehen, mit das Vergnügen mißgönnet, je eher je lieber bey GOtt zu seyn. Seyd doch Manner und keine Kinder.

Herr Mag. Schmeltzer stellete sich hierauf recht hertzhafft, und fing einen erbaulichen Discours von der himmlischen Herrlichkeit an, kam aber endlich aus die Frage: Ob denn er, der Alt-Vater, da er itzo noch bey vollkommenen Verstande wäre, nicht etwa eine Disposition machen wolte, wie es nach seinem Tode in diesen und jenen Sachen auf der Insul solte gehalten werden, und was dergleichen mehr war; stellete ihm anbey das Exempel des Ertz-Vaters Jacob,Genes. 47. v. 29. biß cap. 50. vor, und sagte, daß es eine GOtt sehr wohlgefällige Sache sey, wenn die Väter und Aeltesten den Nachkommen zum besten vernünfftig und wohl disponirten, ingleichen daß dergleichen letzter Wille allezeit mehr Autorität hätte, als diejenigen Verordnungen, welche von den jüngern gemacht würden. Hierauf sprach der Alt-Vater: Es ist gantz recht, ich habe schon vor einigen Jahren meine Gedancken deßfalls sehr weitläufftig zu Pappiere gebracht, welches sich unter meinen Schrifften finden wird, da sich aber seit der Zeit auf dieser Insul viel verändert hat, können selbige nun nicht mehr in allen Stücken statt finden, derowegen will ich, daß auf künfftigen Donnerstag G.G. nach verrichteten Gottes-Dienste die Aeltesten meiner [237] Stämme nebst den vornehmsten Europäern allhier vor meinem Bette erscheinen, und meine Meynung kürtzlich anhören sollen, welche mein Sohn Eberhard zu Pappiere bringen kan. Inzwischen möchte doch zugesehen werden, ob an meinem Sarge und Sterbe-Kleide gearbeitet würde.

Herr Mag. Schmeltzer versicherte, daß seine Liebste, meine Schwester und andere mehr das letztere unter Händen hätten, ich aber, um mich ihm biß an sein Ende gefällig zu erzeigen, ging selbsten den Berg herab nach Stephans-Raum, und fand, daß Lademann nebst seinen Leuten so wohl an einem leichten als an einem andern grossen Sarge, in welchen der leichte kleinere hinein geschoben werden solte, arbeitete. Bey Plagern und Morgenthalen, den Eisen-Arbeitern, waren die Rincken und Beschläge auch bereits bestellet, und, um nur des Alt-Vaters Willen zu erfüllen, solte der Sarg Mittwochs Abends fertig und Donnerstags früh auf der Albertus-Burg seyn. Der Alt-Vater zeigte über diese Nachricht ein besonderes Vergnügen, und weil Herr Mag. Schmeltzer diesen Tag nicht von ihm hinweg gegangen war, fing unser Alt-Vater, indem er sich aus dem gewöhnlichen Schlummer jählings zu ermuntern schien, auf einmahl recht frisch zu sprechen an? Wisset ihr, mein Herr Sohn! was ich mir vor einen Leichen-Text erwählet? Wie nun Herr Mag. Schmeltzer hierauf mit Nein! antwortete, fuhr der Alt-Vater im Reden fort: Den gantzen 23sten Psalm: Der HErr ist mein [238] Hirt, etc. etc. Hierauf könnet ihr nur immer im voraus studiren, weil ich doch weiß, daß ihr mir eine Gedächtniß-Predigt halten werdet. Herr Mag. Schmeltzer wünschte, daß GOtt den Alt-Vater wieder stärcken, damit er diese Gedächtniß-Predigt erstlich nach Verlauff noch vieler Jahre thun möchte; allein, dieser antwortete weiter nichts darauf, sondern verfiel wieder in seinen gewöhnlichen Schlummer, blieb auch folgenden Dienstag und Mitwochen bey dieser Weise, und redete sehr wenig, ausgenommen, wenn wir ihm zum Speisen nöthigten, und vor seinem Bette Bet-Stunde hielten.

Hierbey kan ungemeldet nicht lassen, daß wir Montags Nachts zwischen den 2ten und 3ten Octob. einen grausamen Sturm auf der See anmerckten, diejenigen, so in der Tieffe auf unserer Insul wohneten, hatten zwar weiter keine Ungelegenheit davon, als etliche Tage nach einander einen gewaltigen Platz-Regen und einen mäßigen Wind, auf der Albertus Burg aber stürmete der Wind etwas schärffer, so, daß auch die oberste Haube von dem Seiger-Thurme abgeworffen wurde, die Etage aber, worinnen der Seiger war, unbeschädigt blieb. Einige, die auf die Felsen-Spitzen gestiegen waren, konten nicht gnungsam beschreiben, was vor ein entsetzliches Ungewitter auf der See sey, indem die Wellen höher stiegen als unser Kirch-Thurm, ja sie wüsten sich von Jugend auf nicht zu besinnen, daß sich das Meer in dieser Gegend so gar sehr hefftig bewegt hätte. Wir sahen also, daß die Propheceyung des Alt-Vaters wegen des [239] neulichen Erdbebens accurat eintraff, hofften aber, es solte sich mit ihm bessern und er noch eine Zeitlang am Leben bleiben, indessen kamen Mittwochs Abends die 2. Särge auf der Albertus-Burg an, wir sagten aber dem Alt-Vater nichts darvon, biß er Donnerstags sehr früh mit einiger Ungedult fragte: Ob denn sein Sarg und Sterbe-Kleid noch nicht fertig wäre? Wir antworteten darauf mit Ja! und musten also den Sarg so gleich in sein Zimmer bringen und gegen sein Bette über setzen lassen. Es waren diese beyden Särge von dem allerfeinesten Holtze, so auf dieser Insul anzutreffen war, verfertiget, mit einer braun-röthlichen Farbe angestrichen, das Leisten-Werck versilbert, schöne Sprüche und Sinn-Bilder darauf gemahlet, und die Rincken verzinnet. Der innere Sarg war eben so wie der große angestrichen und mit grünen Damast ausgefüttert, wie denn auch ein mit grünen Damast überzogenes Bett und Haupt-Küssen darinnen lag. Die Frau Mag. Schmeltzerin und meine Schwester brachten in Gesellschafft meiner Liebsten, der Frau Wolffgangin und vieler andern Frauenzimmer mehr, das von silber-farbenen Atlas verfertigte Todten-Kleid, nebst einem Sterbe-Hembde, von der allerfeinesten Holländischen Leinwand gemacht, ingleichen eine Purpur-farbene Sammet-Mütze und ein paar weisse seidene Strümpffe, hingen auch diese Stücke, nach seinem Verlangen, ohnweit des Bettes an die Wand, vergossen aber viele Thränen darbey. Er hingegen machte ungemein freudige Gebärden und sagte: Meine lieben Kinder, es ist alles [240] gar zu schön, zierlich und kostbar, allein, warum habt ihr euch so gar grosse Mühe gemacht, ich bin ja Erde und werde zur Erden werden. Alle Umstehenden antwortteten bloß mit Seuffzern und Thränen, weil ihm aber dieses verdrüßlich fallen mochte, legte er sich im Bette wieder nieder, und that die Augen zu, weßwegen der meiste Hausse zurück ging, und nebst der Frau Mag. Schmeltzerin nur wenige Manns-Personen bey ihm blieben.

Unter der Zeit, da unten Kirche gehalten wurde, schlug er die Augen auf und sahe sich nach allen um, die im Zimmer waren, sprach darauf recht frisch: Ey, Kinder! thut mir doch mein Todten-Kleid an, damit ich mich in dem grossen Spiegel, welchen mir mein Eberhardt mitgebracht hat, beschauen und sehen kan, ob es mir wohl stehet. Wir waren von Herrn Mag. Schmeltzern gestimmet, ihm in allen zu willfahren, derowegen halffen wir ihm aus dem Bette, und wunderten uns über seine erneuerten Kräffte. Herr Mag. Schmeltzers Liebste legte ihm das Kleid an, er trat vor den Spiegel, lachte, und sprach frölich: Mein grünes Bräutigams-Kleid, welches mir meine seelige Liebste, Concordia, vor nunmehro bey nahe 83. Jahren gemacht hatte, gereichte mir zum grösten Vergnügen auf der Welt, allein, dieses schöne Kleid, in welchem mein schwacher Leib, nachdem die Seele in den [241] Himmel gefahren, in der Erde schlaffen soll, ergötzt mich noch tausend mahl mehr. Bald, bald werd ich zu meiner Liebsten Concordia kommen.

Wir musten ihn wohl 10. mahl die Stube auf- und abführen, und spüreten lauter Freude und Vergnügen an ihm, endlich aber ließ er sich wieder entkleiden, und auf den Schlaff-Sthul bringen, allwo er mit zugeschlossenen Augen saß, biß sich die Herrn Geistlichen, benebst den Stamm-Vätern und vornehmsten Europäern vor dem Zimmer meldeten. Er nahm von jeden den Gruß und Hand-Kuß an, bath, daß sie erstlich speisen, und hernach wieder zu ihm in sein Zimmer kommen möchten, weil er vor seinem Abschiede aus dieser Welt, ihnen allen noch etwas vorzutragen hätte. Sie gehorsameten, und speiseten in den Neben-Zimmern, er, der Alt-Vater, nahm auch ein wenig Suppe, etliche Bissen von gekochten und gebratenen Speisen, nachhero ein eintzig Glaß Wein zu sich, saß hernach mit offenen Augen in dem Stuhle, biß der gantze Hausse wieder zurück kam. Nachdem sich die Herrn Geistlichen und Aeltesten auf Stühle gesetzt, die übrigen aber in Ordnung getreten waren, befahl er mir, Pappier, Dinte und Feder zu langen, und seine Rede nachzuschreiben, denn, sagte er: ich werde langsam genung reden. Ich gehorsamete, und also höreten wir in nachfolgenden Worten:

[242] Die Abschieds-Rede und letzten Willen des Alt-Vaters Alberti Julii I.

Lieben Kinder und werthesten Freunde! Sehet, ich werde in wenig Tagen sterben, doch, GOtt wird mit euch seyn. Meine Seele ist, GOtt sey Lob und Danck gesagt, wohl berathen, denn ich bin versichert, daß sie GOTT gewiß zu Gnaden auf- und annehmen wird. Das Zeitliche hatte ich mir bereits aus dem Sinne geschlagen, jedoch auf Einrathen meines Beicht-Vaters, Herrn Mag. Schmeltzers, habe mir gefallen lassen, vor meinem Abschiede, euch noch mündlich meine Gedancken ein und anderer Dinge wegen zu eröffnen. Ich habe zwar schon vor einigen Jahren meinen letzten Willen zu Pappier gebracht, welcher sich unter meinen Scripturen finden wird, weiln sich aber seit der Zeit auf dieser Insul vieles verändert, vermehret und verbessert hat, so verlange ich nicht, daß man sich eben in allen Puncten darnach einrichten solle, ich will aber auch nicht, daß man dieses Manuscript gantz und gar hinweg werffe, denn die Gesetze, Anweisungen und Vermahnungen, so ich darinnen gegeben, sind zum Theil noch wohl Betrachtens-würdig, obschon einige derselben unnöth- und überflüßig sind.

Das wenige, was ich etwa noch anzuordnen habe, ist dieses:

[243] 1.) Soll mein erstgebohrner Sohn Albertus Julius II. nach meinem Tode auf diesem meinem Stuhle sitzen, und an meiner Statt das Ober-Haupt auf dieser Insul seyn. Nach dessen Tode folget ihm sein SohnAlbertus III. weiter aber soll sich das Recht der Erst-Geburth nicht erstrecken, sondern nach dem AblebenAlberti III. soll derjenige, welcher in den Stämmen meiner Söhne, die aus meinen Lenden gekommen sind, nehmlich Alberti, Stephani, Johannis, Cristophori und Christiani, am ältesten an Jahren erfunden wird, das Regiment haben. Jedoch ist meine Meinung im geringsten nicht, daß ein solches Ober-Haupt als ein souverainer Fürst regieren und befehlen solle, sondern seine Macht und Gewalt muß durch das Ansehen und Stimmen noch mehrerer Personen eingeschränckt seyn. Demnach sollen

2.) Neun Senatores oder Vorsteher der Gemeinen, und zwar aus jeglicher Pflantz-Stadt, wie sie itzt sind, bleiben, und nach deren Ableben allezeit andere Aeltesten und Vorsteher erwählet werden. Hiernächst sollen

3.) aus jeder Pflantz-Stadt noch 3. Beysitzer, nehmlich 1. Felsenburger und 2. Europäer, und zwar nicht nach dem Alter, sondern nach ihrem Verstande und Wissenschafft ausgesucht werden.

4.) Mein Vetter Franz Martin Julius, dessen Sohn Eberhard Julius, die Capitains Wolffgang und Wodley, auch Litzberg und van Blac, sollen wegen ihres besondern Verstandes und Geschicklichkeit bey dem gantzen Regimente, welches solchergestalt mit dem Ober-Haupte aus 37. Personen [244] bestehet, als Geheimbde Räthe stehen, und als Befehlshaber mit zu achten seyn.

5.) Was das Kirchen- und Schul-Wesen anbelanget, so sollen die 3. Herren Geistlichen freye und unumschränckte Macht und Gewalt haben, darinnen so zu disponiren, wie sie es vor GOTT und ihrem Gewissen verantworten können, wie ich denn schon versichert bin, daß sie, wie bißhero geschehen, nach Beschaffenheit der Zeit und Gelegenheit fernerhin alles wohl einrichten werden, derowegen sey derjenige verflucht, welcher sich ihren löblichen Unternehmungen widersetzt.

6.) Weiln auch zu befürchten, daß in künfftigen Zeiten etwa der Satan, auf GOttes Zulassung, wie im Paradiese, also auch auf dieser Insul die Menschen zu groben Sünden, Schanden und Lastern zu reitzen und zu verführen trachten werde, als zweiffele zwar nicht, es werden die Herrn Geistlichen alle Kräffte anwenden, demselben zu widerstehen, allein, es wird auch nöthig seyn, daß die Aeltesten mit Zuziehung der Herrn Geistlichen nach und nach, wie es nehmlich die Zeiten mit sich bringen werden, heilsame Gesetze und Ordnungen stifften, wornach sich ein jeder richten könne und solle.

7.) Wegen Bau- und Verbesserung des Zustandes auf dieser Insul, will ich euch, meine liebsten Kinder und Freunde, nichts vorschreiben, sondern alles eurem Fleisse und Klugheit überlassen. Lasset nur den Capitain Horn, welcher so viel Treue und Liebe gegen uns erzeiget hat, nicht unbelohnet, bedencket auch das Volck wohl, das er mit sich [245] führet, denn ihr habt keinen Mangel an zeitlichen Gütern.

8.) Nun will ich von dem reden, was mich allein betrifft: Begrabet meinen Leib an die lincke Seite meiner seel Ehe-Gemahlin, der Concordia, denn ihr erster Mann liegt ihr zur Rechten, und ich habe mir diese Städte schon seit vielen Jahren ausersehen.


Hier fiel Herr Mag. Schmeltzer ins Wort, und sagte, wie er in seinen Gedancken gehabt, daß, wenn der Alt-Vater nach GOttes Willen von dieser Welt abgefodert werden solte, denselben in die Kirche gleich vor den Altar begraben zu lassen. Nein! rieff hierauf der Alt-Vater: in das GOttes-Hauß gehören keine todte, sondern lebendige Cörper, lasset mich auf dem Gottes-Acker an der Seite meiner allerliebsten Concordia ruhen. Wie ihr es sonsten bey Beerdigung meines Cörpers halten wollet, darum bekümmere ich mich nicht, weil ich weiß, daß ihr mich liebet, darüber aber bin ich höchst erfreuet, daß ich mein schönes Todten-Kleid und Ruhe-Cämmerlein noch vor meinen lebendigen Augen habe.


9.) Wenn sich der itzo noch anhaltende Sturm legen und es wieder stille Wetter werden wird, werdet ihr mein Ende heran nahen sehen, lasset derowegen Morgen und Ubermorgen diejenigen zu mir kommen, welche mich noch sehen und den Segen aus meinem Munde empfangen wollen, auf den Sonntag aber werde ich beichten, das Heil. Abendmahl empfangen, hernach mich um das Zeitliche [246] nichts mehr bekümmern, sondern meine Auflösung in stiller Ruhe abwarten.

Hierauf segnete der liebe Alt-Vater einem jeglichen Stamm und alle Anwesenden mit Hertz-brechenden Worten, weßwegen fast jederman weinete, da er aber ins Bette gebracht zu werden begehrete, nahmen alle, biß auf etliche wenige, ihren Abtritt.

Folgende zwey Tage kamen aus allen Pflantz-Städten Alt und Jung herbey gezogen, und nahmen, ein Geschlecht nach dem andern, mit thränenden Augen und Küssung seiner Hände beweglichen Abschied von dem Alt-Vater, er aber ertheilete ihnen den Segen mit frölichen Geberden.

Sonntags Vormittags hielt Hr. Mag. Schmeltzer den GOttes-Dienst in seinem Zimmer, zu Ende desselben beichtete der Alt-Vater, und empfing das Heil. Abendmahl sehr andächtig, wolte aber nachhero nicht das geringste von Speise und Tranck zu sich nehmen, sondern er ließ sich den gantzen Tag über Wechsels-weise geistliche Lieder und Sterbe-Gebeter vorsingen und lesen. Nach verrichteten GOttes-Dienst unten in der Kirche, versammleten sich die Herrn Geistlichen und Alt-Väter zu ihm, allein, er ließ sich nicht in seiner Andacht stöhren, sondern verharrete stets im Beten und Singen.

Eben diesen Sonntag, den 8 Octobr. 1730, Abends gegen Untergang der Sonnen, fing der Sturm an, sich zu legen, welches der Alt-Vater sogleich vermerckte, und mit annoch ziemlich starker Stimme sprach:Meine Seele wird noch vor Mitternacht bey GOtt seyn, inzwischen haltet an im Gebet. Die Herren Geistlichen [247] beteten und sungen also Wechsels-weise, was ihnen der Geist eingab, der Alt-Vater hatte die Augen verschlossen, rührete aber noch immer die Lippen biß gegen 10. Uhr, da wir erstlich, indem er Herrn Mag. Schmeltzern die Hand reichte, vermerckten, daß ihm die Sprache vergangen war, und er immer schwächer zu athemen anfing, jedoch der Verstand war noch vollkommen da, weil er auf etliche Fragen, die Hr. Mag. Schmeltzer noch an ihm that, das Haupt neigete, und die Hände aufhub: Derowegen segnete ihn derselbe ein, und gleich, nachdem der Seiger II. geschlagen, trennete sich die Seele von seinem Cörper, welcher doch nicht das geringste Zeichen einiges Schmertzens, etwa mit Zucken oder sonsten von sich gegeben hätte, sondern es blieb ihm nur der Mund offen stehen.

Nunmehro ging das Lamentiren und Weh-Klagen bey Grossen und Kleinen erstlich recht an, allein, die Herren Geistlichen redeten allen tröstlich zu, so, daß sich die meisten auf die Seite machten, und ihre Klage in Geheim führeten. Wir aber, die wir in etlichen Tagen und Nächten daher sehr wenig geschlaffen hatten, bestelleten andere Wächter bey die Leiche, und legten uns nieder, um etwas auszuruhen.

Gleich mit Aufgang der Sonnen wurde dieser Trauer-Fall allen Insulanern mit 12. Canonen, da immer eine, eine Minute nach der andern, abgefeuert wurde, kund gethan, auch wurden Mittags von 11. biß 12. Uhr alle Glocken auf dem Kirch-Thurme geläutet, und damit 6. Wochen nach einander fortgefahren, da dennCapitain Horns ehemahlige [248] Sclaven sich zu dieser Arbeit sehr fleißig einfanden. Noch dieses Montags musten die Maurer, unter Anweisung Mons. Litzbergs, auf dem Gottes-Acker, und zwar auf der Stätte, die sich der sel. Alt-Vater neben seiner Concordia Grabe erwählt hatte, ein gemaurtes und gewölbtes Grab zu machen anfangen, inzwischen wurde die Leichè angekleidet und in den Sarg gelegt, indem fand sich unser Mahler Hollersdorff ohngeruffen von selbsten herbey, und zeichnete des sel. Alt-Vaters Gesichts-Bildung ab, welches mir und vielen andern um so viel desto angenehmer war, weil sich in diesem Betrübnisse niemand darauf besonnen hatte. Donnerstags ging die Beerdigung vor sich, und der Zug fast auf eben die Art, wie am Jubel Feste, nur daß die Kinder und Jungfrauen alle weiß, die Weiber und übrigen Manns-Personen, sowohl ledige als verheyrathete, alle in schwartzer Kleidung erschienen. Die Leiche wurde nicht getragen, sondern auf einem mit schwartzen Tuche behangenen Wagen gefahren, wie denn auch die 4. Pferde schwartze Decken aufliegen hatten. So bald der Zug von der Albertus-Burg herunter ging, wurden 12. Canonen gelöset, hernach, da wir mitten im grossen Garten waren, abermahls 12. Canonen, und endlich, da der Sarg in das Grab gesetzt wurde, zum dritten mahle 12. Canonen abgefeuert, auch mit Lauten der Glocke nicht eher inne gehalten, biß wir alle wieder zurück auf die Albertus-Burg kamen.

Die Leichen Predigt und übrige Andacht, auch Ehren-Bezeugungen, waren ausgestellt biß künfftigen Sonntag, da Herr Mag. Schmeltzer [249] dem seligen Alt-Vater eine ungemein vortreffliche Leichen-Predigt über dessen selbst erwählten Leichen-Text hielt. Es erschien zwar alles in Trauer-Habit darinnen, allein, es war weder Cantzel, Altar, Tauff-Stein, Orgel noch sonsten etwas mit schwartzen Tuche bekleidet, sondern in der Kirche blieb alles in seiner behörigen Ordnung, wie es war. Vor der Leich-Predigt wurde mit gedämpfften Instrumenten und dem Orgel-Wercke eine bewegliche Cantata, nach derselben aber eine Trauer-Ode musiciret, es hatte auch bey öffentlichen Gottes-Dienste die Kirchen-Music GOtt zu Ehren alle Sonntage ihren Fortgang, sowohl als wie die Orgel zu den Choralen immerfort gespielet wurde, so, daß dieser, obschon grosse Trauer-Fall, bey dem, was GOtt zu Ehren sonst gestifftet worden, dennoch nicht die geringste Aenderung machen solte.

Ausserdem aber war auf der Insul alles Volck sehr niedergeschlagen und betrübt, und kamen die hauptsächlichsten Besorgungen auf die Capitains Wolffgang, Wodley, Horn und Mons. Litzbergen an, als welche alles unumgänglich nöthige veranstalteten.

Am 23 Octobris, nahm unser nunmehriger Aeltester und Regent, Albertus Julius II. auf der Vorsteher und unser aller Einrathen, die so genannte Huldigung von allen Stämmen ein, und es wurden dieselben, weil es sehr schön Wetter war, auf dem grünen Taffel-Platze gespeiset, kehreten aber mit Untergang der Sonnen jeder in seine Behausung, und es ging wegen der tieffen [250] Trauer gantz stille zu. Bey dieser Gelegenheit wurden nicht nur die bißherigen Aeltesten der Stämme in ihrem Amte bestätiget, sondern auch aus jeder Pflantz-Stadt nach des seeligen Alt-Vaters Willen 3. Beysitzer erwählet und dieselben bestellet, wenigstens voritzo eltliche Wochen hintereinander, allezeit Donnerstags nach angehörter Predigt auf der Albertus-Burg zu erscheinen, um das gemeine Beste zu berathschlagen. Ein jeder Stamm gab demnach ein, was in seiner Pflantz-Stadt annoch voritzo vor der Erndte höchstnöthig zu bauen und zu verbessern sey, ingleichen kam in Vorschlag, daß neben der Kirche etliche geraumliche Häuser vor die 3. Herrn Geistlichen, Informatores, insonderheit auch ein besonderes Schul-Hauß vor diejenigen Knaben erbauet werden solte, welche sich nicht auf das Haus-Wesen, sondern auf die Theologie und ander hohe Studia legen wolten. Allein, ehe wir alles dieses Bau-Werck noch anfingen, erfuhren wir zu gröster Verwunderung, daß uns ein unverhofftes Stück Arbeit vorgekommen war; denn es hatte sich der letztere Sturm-Wind in der Bucht, woCapitain Horns Schiff lag, dergestalt gefangen, daß es von allen Seilen und Anckern loß gerissen, und dergestalt an die Felsen-Ecken geschleudert und zerstossen war, daß diese gantze grosse Machine fast gäntzlich wandelbar und unbrauchbar worden, worbey am meisten zu bedauern, daß 4. Canonen mit der Wand heraus gefallen und versuncken waren. Capitain Horn krauete sich zwar ziemlich im Kopffe dieses Unglücks-Falls wegen, [251] allein, wir redeten ihm zu, daß er sich dieserwegen keinen Kummer machen möchte, indem sein Schiff nicht allein wieder in vollkommenen Stand gestellet werden, sondern auch er, wenn er gleich mit seinen Leuten noch Jahr und Tag allhier verbleiben müste, doch eben so viel Profit haben solte, als wenn er eine 3. jährige Reise nach Ost-Indien gethan hätte. Demnach muste er sich wohl zufrieden geben, das Schiff aber wurde aus der Bucht heraus geführet, und am Fusse unserer Felsen-Insul aufs Trockene gebracht. Sonsten waren die Boote auch ziemlich zerlästert, so, daß die zwey, mit welchen unsere Leute binnen wenig Tagen nach der Insul Klein-Felsenburg fahren und dasigen Gästen frische Lebens-Mittel bringen solten, ebenfalls erstlich ausgebessert werden musten.

Nachdem dieses geschehen, bekamen unsere Leute unter Anführung des Capitain Horns ihre völlige Ladung von Lebens-Mitteln, kamen aber noch selbigen Abends mit der Nachricht zurücke, daß sich 9. Portugiesen, welche im letztern Sturme in dieser Gegend Schiff-Bruch erlitten, mit einem Boot bey den Matrosen auf der Insul Klein-Felsenburg eingefunden, weil sie daselbst Feuer und Rauch aufgehen sehen. DieCapitains Wolffgang und Wodley waren curieux, diese neu angekommenen Gäste zu besehen, zumahlen da sie höreten, daß ihr Capitain auch mit unter den Erretteten sey, derowegen bekam ich, nebst einigen andern, worunter sich auch Mons. van Blac befand, ebenfalls Lust mit hinüber zu fahren, und ihre Unglücks-Fälle anzuhören. Also nahmen wir wenig Tage [252] hernach etwas mehrere Delicatessen nebst etlichen Fäßlein von dem allerbesten Weine zu uns und fuhren hinüber, traffen auch die 9. Fremden mehrentheils vor ihrer Hütte sitzend an, welche, da sie uns vor etwas ansehnlicher als andere, vielleicht auch wohl gar vor strenge Befehlshaber ansahen, so gleich aufstunden und uns entgegen kamen. Mons. van Blac, welcher am besten mit ihnen Portugiesisch sprechen konte, bewillkommete sie in unserer aller Nahmen aufs freundlichste, und verdeutschte uns hingegen, was sie antworteten. Da aber eben dieser, weil er so lange kein Portugiesisch gesprochen, sich fast nicht satt schwatzen konte, sagte ich: Ey! Mons. van Blac! führet doch die ehrlichen Leute an das Ufer, oder lasset ihnen von unsern Boote das mitgebrachte abholen. Mein Herr! sagte er, unsere eigenen Leute sind schon beschäfftiget, alles herbey zu schaffen; es war auch wahr, und bald hernach speiseten wir mit 8. Portugiesen unter freyem Himmel, denn der 9te besorgte, als Koch, die Küche, und trug auch die Speisen, so er zugerichtet hatte, selbst auf. Da er nun fertig war und wir unsere mitgebrachten Confituren und Weine auch herbey brachten, wolte sich dennoch der Koch nicht setzen, sondern blieb dem van Blac gegen über stehen, und sahe ihn beständig in die Augen. Endlich brach ich loß, und sprach: Mons. van Blac, der gegen euch über stehende Koch, ist gewiß mit unserem Tractamenten oder der gantzen Aufführung nicht zufrieden, denn er siehet euch beständig ernsthafft an. Es kan seyn oder auch nicht seyn, antwortete hierauf der [253] Koch, aber, wenn der Herr van Blac sich satt gegessen hat, werde ich mir ausbitten, einige Worte mit ihm allein zu reden. Hiermit drehete er sich herum, und ging nach den Hütten zu. Der Portugiesische Capitain aber fing an zu sagen: Ja, meine Herren, keinen fleißigern, getreuern und Gottesfürchtigern Christen-Menschen habe ich Zeit-Lebens nicht gesehen, als diesen Koch, ohngeacht er nicht meiner Religion, sondern ein Holländer ist. Wie? ein Holländer? fragteMons. van Blac. Ja, mein Herr, sagte der Portugiese, er ist ein gebohrner Holländer, und hat unsere Sprache binnen wenig Jahren doch dergestalt wohl gelernet, daß ihn jedermann vor einen Portugiesen hielte, wenn er nur nicht immer so tieffsinnig und traurig wäre.

Durch Ankunfft etlicher von Capitain Horns Leuten wurde dieser Discours auf etwas unterbrochen, da aber alles abgehandelt und jedermann vom Tische aufgestanden war, gingen wir alle ein wenig unter den Bäumen herum spatziren, mittlerweile kam offt gemeldter Koch wiederum zum Vorscheine, doch in weit sauberer Figur, denn er hatte nicht allein weisse Kleidung angezogen, einen artigen Türckischen Bund um seinen Kopff gemacht, sondern sein Gesicht, Hände und Arme sehr rein gewaschen, so, daß man an ihm eine ungemeine Zarte Haut betrachten konte.

Mons. van Blac blieb, so bald er den Koch in solcher Gestalt vor sich stehen sahe, als ein steinern Bild stehen; der Koch auch; endlich erholete sich Mons. van Blac und sagte: Mein Freund! wenn ihr ein Holländer seyd, so wird mirs auch [254] nicht fehlen, daß ihr aus dem Geschlecht meiner seligen allerliebsten Ehe-Frauen Charlotte Sophie van Bredal seyd, denn dieser ihre Gesichts-Bildung, die mir immer noch Tag und Nacht vor den Augen schwebt, kömmt mit der eurigen vollkommen überein. Ich schreibe mich van Bredal, antworttete der Koch, und kan vielleicht ein Freund von der Charlotte seyn, habe auch vernommen, daß sie einen unbekandten Menschen geheyrathet hat, aber wo ist die Charlotte hingekommen? Ach! schrye der van Blac, meine allerliebste Charlotte ist mir, nach erlittenem Schiff-Bruche, durch eine ungestüme Welle, da sie sich nebst mir auf einen Balcken gesetzt hatte, in der finstern Nacht von der Seite hinweg geschlagen und in die Tieffe des Meeres begraben worden. Hierbey stiegen dem van Blac die Thränen in die Augen, und er wäre gewiß umgesuncken, wenn wir ihn nicht erfasset und an einen Baum nieder gesetzt hätten. Der Koch sahe ihn starr an, so bald aber van Blac die Augen nur in etwas eröffnete, sagte der Koch: Mein Herr und Freund! ihr habt eines theils recht, andern theils aber seyd ihr irrig; denn eure Charlotte ist nicht in die Tieffe des Meeres begraben, sondern lebt noch, und hat das Vergnügen, euch wieder, ob gleich in Manns-Habit, zu umarmen. Unter diesen Worten umarmete und küssete sie ihn, fiel bey ihm nieder, und ließ nicht nach, biß er vollkommen wieder zu sich selbst kam.

Diese verwunderungs-volle Avanture setzte so wohl uns als den Portugiesischen Capitain in die gröste Erstaunung, und obschon dieser nicht so viel[255] von Mons. van Blacs Lebens-Geschichte wuste, als wir, so wunderte er sich doch über nichts mehr, als daß dieser Koch sein Geschlecht so lange zu verbergen, geschickt gewesen, indem kein Mensch auf dem Schiffe jemahls auf die Gedancken gerathen, daß unter seinen Kleidern ein Frauenzimmer versteckt sey.

Seyd ihr noch ledig, und im Stande, eure Charlotte wieder anzunehmen, sagte eben diese Charlotte zu ihrem van Blac, oder soll ich eure Person missen? Nein, mein Engel! antworttete dieser, nun solst du, und keine andere, mein Vergnügen seyn, weil ich auf dieser Welt lebe. Es wäre zwar fast geschehen, daß ich mich mit einer artigen unschuldigen Seele, in ein neues Ehe-Verlöbniß eingelassen hätte, allein, der Himmel hat solches durch andere betrübte Zufälle zurück gehalten, nunmehro aber hoffe ich ohne jener ihren Verdruß, und ohne fernere Unruhe, biß an mein Ende, mit dir allhier vergnügt zu leben, wenn du nur erstlich gesehen hast, was du dir itzo noch nicht einbilden kanst.

Ich Eberhard Julius hatte mein besonderes Vergnügen über diese gantz unverhoffte Zusammenkunfft dieser beyden Ehe-Leute; und zwar in Erwegung meines ehemahligen Schicksaals, schlich mich aber von der Compagnie hinweg, befahl meinen Felsenburgern, daß sie noch vor Nachts wieder zurück fahren, Morgen früh eiligst wieder kommen, und von der Frau Mag. Schmeltzerin ein, nach der Felsenburgischen Mode gemachtes vollkommenes Frauenzimmer-Kleid, mitbringen [256] solten. Nachhero liessen wir den höchsterfreuten van Blac nebst seiner Liebste, die in Wahrheit, ohngeacht aller ihrer ausgestandenen Kümmernisse, noch ein recht schönes Frauenzimmer vorstellete, im Grünen etwas allein, und höreten zu, wasCapitain Horn mit seinen Untergebenen vor hatte. Diesen eröffnete er nun erstlich, was sich mit seinem Schiffe zugetragen, und daß man solches fast gantz von neuen würde bauen müssen; allein, selbige kehreten sich daran nicht, sondern sagten: Lieber Capitain, wir leiden hier keine Noth, und wenn es so fort gehet, so lasset uns so lange hier bleiben, biß es noch einmahl Sommer wird, binnen der Zeit wollen wir schon ein neues Schiff bauen. Diese Leute hatten meines Kopffs viel, derowegen fingen wir alle hertzlich an zu lachen, und ich versprach: daß, wo es ihnen gefiele, noch 2. Jahr und länger hier zu bleiben, sie an guter Speise und Tranck niemahls Mangel leiden solten. Sie waren hierüber sehr erfreuet, und versprachen, sich jederzeit als redliche Schiff-Leute aufzuführen. Indem wir aber einmahl beschlossen hatten, bey der zeitiger angenehmen Witterung selbige Nacht auf der Insul Klein-Felsenburg zuzubringen, lagerten wir uns alle in einer recht lustigen Gegend, und liessen Caffée zubereiten, worbey sich Mons. van Blac nebst seinem schönen Koche endlich auch einstellete. Mein Herr! sprach Mons. van Blac zu dem Portugiesischen Capitain, ich werde euch diesen Koch abspenstig machen, und ihn zu meinem Schlaff-Gesellen behalten, weil ich das allergröste Recht darzu habe; allein, saget mir, worinnen ich euch eine [257] Gegengefälligkeit erweisen kan. Der Portugiesische Capitain war höflich, und sagte: daß er über diese Person nichts zu gebiethen, sondern sich vielmehr zu gratuliren Ursache hätte, daß er dieselbe vor einigen Jahren nach erlittenen grausamen Sturme, an einer wüsten Stein-Klippe gefunden, beym Leben erhalten, und auf seinem Schiffe mit nach Ost-Indien nehmen können. Er bedaure zwar, daß sein Schiff in dem letztern Sturme mir vielem Gute und Volcke untergangen, wäre aber doch noch in etwas froh, daß er nebst diesen 8. Personen sein Leben gerettet, nach langen Herumfahren endlich diese Insul gefunden, und Hoffnung bekommen, daß man ihn wieder in sein Vaterland schaffen wolle. Wir versprachen diesem ehrlichen Manne alle möglichste Hülffe zu leisten, weil ich aber so neugierig war, der Frau van Blac wunderbare Lebens-Erhaltung zu vernehmen, als stillete sie meine und unser aller Couriositée mit folgender Nachricht:

Wie ich vernommen, sprach sie, so hat mein Liebster unser beyder Geschichte, seinen werthesten Freunden allhier schon ausführlich erzählet, derowegen will nur melden, daß, als mich, nach erlittenem Schiffbruche, die ungestümen Wellen auch nicht einmahl auf dem Balcken bey meinem Liebsten wollen sitzen lassen, sondern mich in der allerdunckelsten Nacht herunter geworffen hatten, ich meines Erachtens erstlich fast biß in den Abgrund versenckt, plötzlich aber wieder empor gehoben wurde, da mir nun alle Sinnen und Gedancken vergehen wolten, ich mich auch bereits dem Tode ergeben hatte, stieß ich mit dem Kopffe dergestalt hefftig an ein [258] Stück eines zerbrochenen Schiffs, daß ich, ohngeacht der Erkältung im Wasser, dennoch fühlete, wie mir das heisse Blut im Rücken herunter lieff, jedoch dieser Stoß, welcher mich vollends hinrichten können, dienete mir vielleicht zur Ermunterung, denn als ich meine Arme ausreckte, kriegte ich so gleich von ohngefähr einen eisernen Rincken zu fassen, an welchem ich mich vest anhielt, und also in der wilden See mit diesem Stücke fortgetrieben wurde, biß der helle Tag anbrach, da sahe ich nun, daß dieses ein sehr grosses und breites Schiffs-Stücke war, ersahe auch die Gelegenheit, mich darauf zu schwingen, und auf einer Ecke desselben sitzen zu bleiben, brauchte anbey die Vorsicht, daß ich einen breiten Saum von meinen Unter Kleidern abriß, ein Seil daraus drehete, und selbiges an meinem Arme sowohl als an den eisernen Rincken bevestigte, damit, wenn ich ja allenfalls wieder herunter geworffen würde, ich mir dennoch wieder hinauf helffen könte; allein, die See wurde selbigen Tages völlig stille, und ich wurde von einem sanfften Winde fort- aber weit von den Insuln des grünen Vorgebürges hinweg getrieben, so, daß ich dieselben noch vor Abends aus meinen Augen verlohr. Es brach abermahls eine dunckle Nacht ein, doch war See und alles ungemein stille, so, daß mich endlich mein Fahrzeug in einem sanfften Schlaff wiegte, dessen ich mich auch mit Fleiß nicht erwehren wolte, weiln nur wünschte, in selbigen ohne Marter mein Leben zu endigen, indem mir nicht allein das Wasser den Tod drohete, sondern sich auch in meinen Schubsäcken kaum auf 2. Tage NahrungsMittel [259] befanden. Mit aufgehender Sonne erwachte ich, und spürete, daß mir im Leibe ziemlich wohl war, nur die Wunde am Haupte fing mich an zu schmertzen, ich konte aber nichts daran thun, als dieselbe mit See-Wasser auswaschen. Es war dieses ein sehr heisser Tag, denn die Sonne brannte wegen der stillen Lufft gewaltig, derowegen plagte mich der Durst mehr als der Hunger, und ich meinete nichts anders, als daß ich verschmachten müste, jedoch die Güte des Himmels hatte in der folgenden Nacht mein Fahrzeug dergestalt an eine aus der See hervor ragende Klippe getrieben, daß ich gantz commode absteigen und an dieser Klippe hinauf klettern konte. Was mich am meisten ergötzte, war dieses, daß ich in einer Klufft derselben ein ziemlich Theil süß Wasser antraff, welches von dem neulichen Regen daselbst zusammen gelauffen war. Wenn ich sonsten diese Klippe beschreiben soll, so war sie, meines Erachtens, mit ihrer höchsten Spitze nicht höher als 50. biß 60. Ellen, und bey damahliger See etwa an ihrem Fusse 80. biß höchstens 100. Schritt im Umfange, allein, man konte nicht rings um dieselbe herum gehen, weil es als ein steiler Thurm und an theils Orten das Wasser gar zu nahe anschlug, an zwey Orten aber sahe man unten eine kleine Ebene von 10. biß 12. Schritten lang, aber nicht gar zu breit. Biß auf die halbe Höhe konte man diesen Felsen besteigen, und da fand sich ein Absatz, allwo, wie in einem Bette, 3. biß 4. Personen neben einander liegen konten, sonsten aber fanden sich wenig Stuffen, wo etwa 2. oder 3. neben einander hätten [260] stehen oder sitzen können. Ich erwählete mir dieses gemeldte steinerne Bette zu meinem Grabe, und war gesonnen, so bald ich vom Hunger und Durst ermattet wäre, mich dahinein zu legen, und mein Ende abzuwarten; allein, da ich mich Nachmittags wieder herunter an den Fuß des Felsens begab, fand ich nicht allein verschiedene Kästen und Pack Fässer, sondern auch 4. todte männliche Cörper, welche die See dahin getrieben, zwey von diesen Todten hatten etwas Brod, Böckel-Fleisch und Käse in ihren Schubsäcken, ob es nun gleich ziemlich eckelhafft war, so legte ich doch alles mit Fleiß an die Sonne, suchte weiter, und fand bey den andern ein Horn mit Schieß-Pulver, ingleichen ihr Tobacks- und Feuer-Zeug. Meine erste Bemühung war also, daß ich das Pulver und zum Feuermachen gehörige, an der Sonne trocknete, um nur Feuer und Rauch anmachen zu können, damit, wenn etwa ein Schiff vorbey paßirte, es doch an diesen Zeichen, verunglückte Menschen bemercken und dieselbe retten könte. Demnach schlug ich auch etliche Faß-Böden und andere Splitter mit spitzen Steinen von einander, und war so glücklich, daß ich, noch ehe es Nacht wurde, ein grosses Feuer anmachen konte. Selbige Nacht schlieff ich auf den Kleidern der 4. ertrunckenen Menschen sehr geruhig, und kan in Wahrheit sagen, daß ich damahls weder Eckel noch Furcht bey mir gespüret. Früh Morgens, so bald die Sonne aufgegangen war, ging ich wieder hinunter an den Fuß des Felsens, und befand, daß derselbe viel breiter, indem die See sehr gewichen war, auch sahe ich; daß noch[261] ungemein viel Kisten, Ballen, Fässer und andere Sachen, ingleichen noch 2. todte Cörper an den Felsen geschoben waren, derowegen ließ ich meine erste Arbeit seyn, die Todten biß auf die Hembder auszuziehen, und sie in den Sand zu scharren, weilen, wenn gleich Schauffeln und Hacken da gewesen wären, ich ihnen dennoch in den harten Felß keine Gräber machen können. Ich fand bey den 2. Letztern, welche sehr wohl gekleidet waren, viel goldene und silberne Müntze, schöne Ringe, auch viel Gold und edle Steine in ihren Kleidern vernehet, allein, ich hatte gar keine Freude darüber, vielmehr gereichte mir zu meiner Ergötzlichkeit, daß ich 2. wohl verwahrte Fäßlein Wein und 3. Fässer süsses Wasser, ingleichen 2. Faß voll Zwieback und 1. Faß voll geräuchert Fleisch in die Hände bekam. Um die andern Kisten, Kasten, Fässer und Ballen bekümmerte ich mich wenig, sondern nur um Holtz, Splittern, und Breter aufzufischen, damit ich mir ein Wetter-Dach bauen und auch zum Verbrennen etwas haben könte, denn auf meinem Felsen war weder Laub noch Graß, auch nicht die geringste Staude, sondern nur hie und da etwas Mooß zu sehen, weil es ein purer Stein-Klippe und gar keine Erde darauf war.

Demnach richtete ich mir binnen etlichen Tagen ein Wetter-Dach über mein Felsen-Bette auf, so, daß ich auch im Regen trocken liegen konte. Meine Nahrung war der gefundene Zwieback, Wasser und Wein, und weil ich kein Trinck-Geschirr hatte, so verfertigte ich mir eins aus einem Stück Leder, welches ich auch so ohngefähr am Ufer gefunden hatte. Das Fleisch, so ich hatte, konte in Ermangelung [262] eines Geschirres nicht kochen, derowegen steckte selbiges an ein spitz gemachtes Holtz, begoß es öffters mit Wasser, und ließ es am Feuer so lange braten, biß es kauen und gemessen konte. Mein Feuer ließ ich Tag und Nacht brennen, und meine tägliche Arbeit war Holtz aufzufischen, und selbiges zu spalten, worbey mir ein breites Seiten-Gewehr, das einer von den ertrunckenen an sich hatte, ungemein nützlich war.

Kurtz zu sagen, ich wendete allen Fleiß an, mein Leben, so lange als möglich, zu erhalten, um nicht aus Nachläßigkeit, als eine Selbst-Mörderin, in des Himmels-Straffe zu verfallen, und mich um die ewige Seligkeit zu bringen. Da ich aber den Uberschlag gemacht, daß ich nunmehro binnen 14. Tagen an Holtze und Lebens-Mitteln (ausgenommen das süsse Wasser, welches so lange nicht reichen oder sich halten dürffte,) so viel Vorrath hätte, mich länger als 3. Monat damit zu behelffen, nahm ich mir vor, etliche Tage auszuruhen, doch waren meine Augen beständig nach der See gerichtet, um zu sehen, ob nicht ein Schiff vorbey seegelte, weßwegen ich denn auch bey Tage viel naß Holtz und Mooß auf das Feuer warff, damit ein desto stärckerer Rauch aufsteigen solte, allein, es wolte sich keines erblicken lassen, derowegen hielt ich meinem Verhängnisse stille, beklagte den muthmaßlichen Tod meines lieben Ehe-Mannes van Blac mit bittern Thränen und Seuffzern, so wohl als mein gantzes übriges Schicksal, jedoch kam mir fast alle Nacht im Traume vor, als ob ich disseit eines Flusses, mein Blac aber mit vielen schwartz und weiß gekleideten [263] Leuten, jenseit desselben stünde, und mir immer ein Seil nach dem andern zuwarff, um mich dahin zu bewegen, in den Fluß zu schwimmen, und das Seil zu ergreiffen. Eines Morgens, da ich eben dergleichen Traum gehabt, sprach ich selbst noch halb im Schlaffe diese Worte zu mir: Du wirst auf diesem Felsen nicht sterben, sondern errettet werden, und deinen Liebsten van Blac endlich wieder zu sehen kriegen. Ob ich nun schon diese Worte in der Phantasie selbst zu mir gesprochen, so trösteten sie mich doch dergestalt, daß ich fast völlige Hoffnung zu meiner Errettung schöpffte. Immittelst fiel mir dabey ein, um desto mehrerer Sicherheit meiner Ehre wegen, die Weibs-Kleider aus- und hergegen ein Manns-Kleid von den Ertrunckenen anzuziehen, auch mich vor einen Schiffs-Koch auszugeben, indem ich aus den Briefschafften des einen Ertrunckenen sahe, daß er ein Koch, und auf der Rück-Reise aus Brasilien nach Portugall begriffen gewesen. Meine Kleider warff ich also in die See, und zohe einen völligen Manns-Habit an, schnitt meine Haare vor einem gefundenen Spiegel vollends kurtz ab, weil ich ohnedem wegen der gehabten, jedoch bereits geheilten Haupt-Wunde schon ein ziemlich Theil derselben abgeschnitten hatte. Kurtz von der Sache zu reden, ich sahe meiner Meinung nach einer Manns-Person vollkommen ähnlich, und truge zwischen zweyen Hembdern ein ledern Collett.

Endlich da ich 5. Wochen und 4. Tage auf diesem Felsen zugebracht, erschien die Stunde meiner Erlösung, denn dieser ehrliche Portugiesische Capitain, welcher im Sturme auch viel ausgestanden, [264] und sein Schiff auf den Insuln des grünen Vorgebürges erstlich wieder ausgebessert hatte, ersiehet den Rauch von meinem angemachten Feuer aussteigen, und weil er daraus abnimmt, daß ohnfehlbar daselbst verunglückte Menschen sich aufhalten müsten, schickte er ein Boot zu mir herüber, und ließ mich abholen, da denn die Matrosen auch, auf mein Erinnern, das am Felsen liegende Gut aufluden, und mit auf sein Schiff führeten. Es nahmen mich alle diese Leute mit Freuden auf, und muß ich sagen, daß ich jederzeit sehr höflich und freundlich von ihnen tractirt worden bin, auch hat man mir nachhero die Helffte des Werths von denen an meinem Felsen gefundenen Gütern baar und richtig ausgezahlt.

Gern wäre ich zwar solchergestalt, da ich ein Capital von mehr als 60000. Thlr. bey mir hatte, wieder in Europa gewesen, da ich aber nicht verlangen konte, daß man meinetwegen umkehren solle, ließ ich es mir gefallen, als Schiffs-Koch eine Reise nach Ost-Indien mit zu thun, habe durch Handel und Wandel viel daselbst erworben, in dem vergangenen Sturme aber auch viel eingebüsset, bin, weil ich jederzeit verträglich, nüchtern und mäßig gelebt, doch niemahls in Verdacht kommen, daß ich eine Weibs-Person sey, und bringe meinem lieben Manne, meines erlittenen Schadens ohngeachtet, doch noch einen neuen Braut-Schatz an Gelde und Kleinodien von etlichen 20000. Thlr. werth mit, indem ich, ehe unser letzteres Schiff versuncken, einen Sack, der mit meinen besten Sachen angefüllet war, mit in das Boot geworffen, auch glücklich anhero auf [265] diese Insul gebracht habe. Wie nun hiermit die Frau van Blac die kurtze Nachricht ihrer bißherigen Fatalitäten beschlossen, sagte Mons. van Blac zu ihr: Mein Schatz! Der Himmel hat euch und mich an einen solchen glückseeligen Ort geführt, allwo Gold, Silber, Geld und Edle-Steine vor nichts geachtet werden, jedoch ihr werdet alles besser mit euren Augen sehen, als ich es euch erzählen kan, denn ich hoffe, unsere werthesten Freunde werden uns erlauben, daß wir unsere Lebens-Zeit, jedoch nicht als Müßiggänger, bey ihnen zubringen dürffen. Es würde uns allen wehe thun, gab ich hierauf zur Antwort, wenn ihr als ein Paar, welches der Himmel nach so vielen ausgestandenen Gefährlichkeiten und schmerzlichen Leydwesen wiederum so wunderbarer Weise allhier zusammen geführet hat, uns verlassen woltet; Bleibet derowegen ja bey uns, und nehmet so wohl als wie wir, mit demjenigen vorlieb, was uns die Gütigkeit des Himmels in unsern gelobten Lande schenckt. Wir brachten hierauf den Abend mit allerhand vergnügten Gesprächen zu, legten uns hernach in einer Laub-Hütte schlaffen, und sahen kurtz nach Aufgang der Sonnen das Felsenburgische Boot wieder zu uns kommen. Die Frau Mag. Schmeltzerin hatte mir mit demselben nicht nur einige vollkommene schwartze Frauenzimmer-Kleider, sondern auch allerhand andern Zubehör übersendet. Derowegen ging ich damit zur Frau von Blac, und sagte: Madame, ich nehme mir die Ehre, ihnen wiederum die ersten Frauenzimmer-Kleider zu præsentiren, und bedaure nur dabey, daß es TrauerZeug [266] ist, hoffe aber, daß sie sich keine böse Vorbedeutung daraus machen werden, denn da das Ober-Haupt dieser Insuln vor wenig Tagen gestorben, und wir sämmtlichen Einwohner in der tieffsten Trauer begriffen sind, werden sie sich als eine Anverwandtin von uns allen, ebenfalls nicht weigern, auf die behörige Zeit die Trauer anzulegen. Sie brachte ihre Danckbarkeit und Willfahrung mit wohl gesetzten Worten vor, worauf wir sie in einer Hütten alleine und ihr das Auslesen unter den Kleidern liessen; es verging aber keine Stunde, da sie sich in dem reinlichsten und zierlichsten Putze wiederum bey uns einstellete. Ein jeder bewunderte ihre besonders schöne Gesichts-Bildung, und muste nunmehro gestehen, daß selbige durch den Kochs-Habit ungemein verdunckelt worden. Mons. van Blac war vor Freuden gantz ausser sich selbst, und mir wolte selbsten Zeit und Weile lang werden, ehe wir dieses schöne Bild unter unser Frauenzimmer auf Groß-Felsenburg brächten, derowegen wurde nur eine kurtze Mahlzeit gehalten, und wir versprachen denen, so auf Klein-Felsenburg bleiben musten, ihnen nicht allein alles, was sie nöthig hätten von Zeit zu Zeit zuzusenden, sondern sie auch ehestens wieder zu besuchen, nahmen darauf vor dieses mahl Abschied, ruderten fort, und kamen ein paar Stunden über Mittag in Groß-Felsenburg an. Alles unser Frauenzimmer kam diesem schönen Gaste, welche von Mons. van Blac und mir in der Mitten voran geführet wurde, entgegen, und empfingen dieselbe mit der grösten Zärtlichkeit, allein, die Verwunderung [267] und die Freude war gantz unbeschreiblich, da sie höreten, daß es Mons. van Blacs Liebste, von welcher er geglaubt, daß sie im Meere umkommen wäre. Sie wurde uns, da wir auf der Alberts-Burg angelanget, von dem Frauenzimmer entrissen und hinweg geführet, mit einigen Erfrischungen bedienet, und hernach dem Mons. van Blac nebst seiner Liebste ein etwas weitläufftiger Logis angewiesen, folgendes Morgens aber fand die Frau van Blac dergestalt viel Leinewand, andere Zeuge, Flachs und dergleichen, nebst allerley Hauß- und Küchen-Geräthe auf dem Saale vor Sie zum Geschencke zusammen getragen, daß Sie fast nicht wuste, wo sie alles hinthun solte. Am allerzärtlichsten kam uns dieses vor, daß der Frau Mag. Schmeltzerin Schwester, als Mons. van Blacs neulichst versprochene Braut, sich ohngeacht man vermerckt, daß sie den van Blac sehr liebte, eine von den ersten mit war, welche der Frau van Blac zur vergnügten Wiedervereinigung mit ihrem Liebsten Glück wünschete, und dem Himmel danckte, daß sie noch zu rechter Zeit wiedergekommen wäre, anderer Gestalt, wenn nehmlich ihr Ehestand mit dem van Blac bereits vollzogen gewesen, es auf allen Seiten vielen Kummer würde verursacht haben. Die Frau van Blac sagte hierauf: Mein schönes Kind, wenn es auch geschehen wäre, so schwöre ich euch doch heilig, daß ich euch, meinen Mann, ohne allen Verdruß hätte überlassen wollen, denn er hätte keine bessere Wahl als an euch treffen können, und ihm wäre ja nicht mehr zu verargen gewesen, wenn er sich statt meiner eine [268] andere Liebens-würdige Person ausgelesen, zumahlen da er nicht anders glauben können, als daß ich, die ihn zu dieser gefährlichen Reise fast gezwungen, mein Begräbniß in den Wellen des Meeres gefunden. Derowegen hätte ich, wie gesagt, ihn von euch nicht abwendig machen, jedoch Zeit-Lebens seinen Nahmen führen, auf dieser schönen Insul in Gesellschafft so frommer Leute bleiben, und mein Leben entweder als eine Wittbe, oder als eure getreue Gehülffin, jedoch ohne eurer Liebe Eintrag zu thun, zubringen wollen. Weilen es der Himmel aber nunmehro dergestalt gefügt, hoffe ich, er werde eure schöne und artige Person auch wohl zu versorgen wissen.

Und dieses geschahe auch, denn Herr Diaconus Herrmann, welcher dieses Gespräch mit anhöret, verliebt sich so gleich in das schöne Gesicht und angenehme Wesen der artigen Johanna Maria daß er wenig Tage hernach mich und den van Blac bey einem ausgebetenen Spatzier-Gange ersuchte, seine Frey-Werber bey derselben zu seyn. Mons. van Blac hatte eine besondere Freude über diese Commission, wir versprachen demnach Herrn Hermannen aus redlichen Hertzen, keinen Fleiß zu sparen, ihm zu vergnügen, waren auch so glücklich, daß er in wenig Tagen das Ja-Wort bekam, und Verlöbniß halten konte.

Jetzo fällt mir ein, daß ich schon oben gemeldet, wie nicht nur der Herr Archi-Diaconus Schmeltzer mit meiner Schwester, ich mit meiner Cordula, sondern auch verschiedene Europäer und Felsenburger unsere Hochzeiten angestellet hatten, [269] allein, der dazwischen gekommene Todes Fall des Alt-Vaters hatte unser Concept verrückt, nachhero aber erfuhren wir, daß sich seit der Zeit noch mehr verliebte Hertzen vereinbaret hatten, derowegen fragte ich eines Tages Herrn Mag. Schmeltzern bey Gelegenheit: Wenn er denn wohl meynete, daß es sich schickte, diese Verlobten alle zu copuliren? Worauf er zur Antwort gab: Es wäre keine Sünde, meine Lieben, wenn selbiges morgenden Tag geschehe, allein, es wäre nicht unbillig, wenn wir auch eine feine äuserliche Zucht unter uns beobachten, und wegen der itzigen tieffen Trauer wenigstens 3. Monat vorbey streichen liessen, zumahlen da die Heilige Advents-Zeit und das Christ-Fest heran kömmt. Ich konte nicht anders als ihm hierinnen recht geben, derowegen wurde kund gemacht, daß alle diejenigen, welche sich mit einander verlobt, oder noch binnen der Zeit Verlöbniß halten würden, nicht ehe als den 9ten Januarii des zukünfftigen 1731sten Jahres öffentlich in der Kirche copulirt werden solten, inzwischen könte binnen der Zeit ein jeder desto besser auf Einrichtung seines Hauß-Wesens bedacht seyn. Es murrete hierwieder niemand, sondern ein jeder beflisse sich auszusinnen, wie er sich am bequemsten und der Republic (denn so kan ich unser gantzes Werck wohl nennen) am vortheilhafftestenpostiren könne.

Mons. Litzberg und Lademann hatten unter der Zeit besorg, daß die Kirch-Fenster um Martini alle völlig eingesetzt waren. Lademann mit seinen Gehülffen hatten die Rahmen gemacht, und [270] der Glaß-Meister und Schneider, die grossen schönen Spiegel-Taffeln da hinein geschnitten. Demnach waren sie nunmehro beschäfftiget, auch auf der gantzen Albertus-Burg Glaß-Fenster einzusetzen. Der Mahler, Mons. Hollersdorff, war zwar in etwas abgehalten worden, die Mahlerey in der Kirche zu verfertigen, indem er den seligen Alt-Vater 2. mahl recht naturell ausgemahlt hatte, da denn das eine Stück in der Kirchen, das andere aber auf der Albertus-Burg angehefftet wurde, indessen hatten doch seine angenommenen Lehrlinge die Stühle mit Farben angestrichen, auch das meiste, was gemahlet werden solte, bereits gegründet, so, daß es nur noch an ihm fehlete, die entworffenen Biblischen Historien, so hie und dahin kommen solten, vollkommen auszumahlen, auch noch dieses und jenes zu vergulden. Oberwehnte Glas-Hütte befand sich schon im vollkommenen Stande, um die andern Künstler und Hand-Wercker hatten die Aeltesten nicht einmahl Ursach sich zu bekümmern, weil sie vor alles selbst sorgten, und wo ihre Kräffte nicht zureichten, die Nachbarn zu Hülffe rufften.

Plager, Morgenthal, Herbst und Dietrich hatten 12. Werck-Stätten in Jacobs-Raum angelegt, worinnen Ertz, Meßing, Kupffer, Stahl und Eisen grob und klein verarbeitet wurde, also war diese Pflantz-Stadt weit volckreicher worden als bißhero, denn es arbeiteten in jeder Werck-Statt wenigstens 5. biß 6. Personen, und die Felsenburger schienen besondere Lust zum Schmiede-Werck und Metall-Giessen zu haben.

[271] Lademann, Herrlich und Krätzer hatten nicht vielweniger geschickte Gehülffen im Holtz-Arbeiten, nehmlich in der Dreßler-Bildschnitzer-Tischler- und Müller-Profession, der gemeinen Zimmer-Leute aber waren noch weit mehr.

Schreiner, der Töpffer, hatte 5. Werck-Stätten und 4. treffliche Brenn-Oefen, so, daß er mit seinen 4. Gehülffen nicht allein bißhero alle Insulaner wohl versorgt, sondern auch noch einen gewaltigen Vorrath an Töpffer-Zeuge hatte.

Jedoch weil ich schon oben ein und anderes von den Professionen gedacht, so will voritzo nur noch so viel sagen, daß sich schon um diese Zeit ein jeder Meister seiner Kunst oder Handwercks dergestalt wohl eingerichtet hatte, daß mancher mit 3. 4. 6. ja noch weit mehr Gesellen und Lehrlingen arbeiten konte.

Mittlerweile da wir gewahr wurden, daß ausser dem vielen zugehauenen Bau-Holtze, das unten am Fuß der Albertus-Burg annoch vorräthig, auch in allen Pflantz-Städten noch eine grosse Menge dergleichen anzutreffen war, schlug Mons. Litzberg vor, daß man die Geschlechter doch darum ansprechen möchte, noch so viel Zuschuß von dem besten Bau-Holtze zu thun, als genung wäre, ein Schul-Hauß nebst noch einigen andern Gebäuden vor die Herrn Geistlichen und übrigen Personen, welche auf dem Platze bey der Kirche Lust zu wohnen hätten, zu errichten, ja Mons. Litzberg erklärete sich, seine Wohnung in Christians Raum selbst zu quittiren, um nur auch nahe an der Albertus-Burg und an der Kirche zu wohnen, ich fassete ebenfalls [272] die Resolution, meine Wirthschafft hinzukünfftig mit meiner Cordula auf diesem Platze in einem besondern Hause anzufangen, und meinen Vater zu mir zu nehmen, da sich nun hierzu noch andere mehr angaben, so, daß auf einmahl der Bau gar zu starck worden wäre, wurden vor erst die nöthigsten ausgelesen, und Mons. Litzberg machte also den Riß zu den Gebäuden, so, daß sie im Grunde folgender Gestalt zu stehen kamen:



Es gefiel diese Eintheilung nicht allein uns, sondern auch den Aeltesten und übrigen sehr wohl, denn solchergestalt konten mit der Zeit noch viel dergleichen Häuser um die Kirche herum biß an die Albertus-Burg gebauet werden. Es war demnach dieser Abriß kaum so bald gezeiget, da die Aeltesten aus den Gemeinden gleich Anstalt machten, Holtz, Steine, Kalck, Leimen und dergleichen Bau-Materialien herbey zu schaffen, demnach war in wenig Tagen schon eine ziemliche Menge vorhanden. Mittlerweile hatteMons. Litzberg den Füllmund [273] auf dem Erd-Boden abgezeichnet, derowegen fing alles, was Hände hatte, zu graben, hacken und schauffeln an, auch die Herren Geistlichen selbst, nebst den zärtlichsten Frauenzimmer kamen, sonderlich früh Morgens und gegen Abend, in den kühlesten Stunden herbey, und machten sich 2. biß 3. Stunden lang eine ziemliche Motion.

Capitain Horns 9. Freygelassene griffen sich bey dieser Arbeit ungemein wacker an, ja dieser Capitain selbst, arbeitete wider unsern Willen und Bitten, als ein Pferd darbey, denn wir hatten Leute überflußig; die Mäurer arbeiteten hurtig hinter drein, und diejenigen, welche mit der Zimmer-Art umzugehen wusten, deren denn eine gar starcke Anzahl war, fackelten auch nicht, sondern hieben dergestalt fleißig, daß zu Ende des Jahrs alles Holtz zum Richten dieser 13. Gebäude fertig lag.

Das heilige Weyhnachts- und Neu-Jahrs-Fest unterbrach demnach vor dieses mahl unsere saure Arbeit. Es ging aber itzo, wegen unserer anhabenden Trauer, ziemlich stille zu, jedoch in der Kirche war Music, es wurden auch an den hohen Fest-Tagen geistliche Melodeyen vom Thurme geblasen, und in der Neu-Jahrs-Nacht 3. mahl die Canonen gelöset, ingleichen ein Neu-Jahrs-Choral abgeblasen. Endlich da alle heilige Fest-Tage christlich celebrirt waren, trat auch der Tag, nehmlich der 9te Jan. ein, da folgende Paar mit einander copulirt wurden:


1. Herr Archidiaconus Schmeltzer mit meiner Schwester.

[274] 2. Hr. Diaconus Herrmann mit der Frau Mag. Schmeltzerin jüngsten Schwester.

3. Ich, Eberhard Julius, mit meiner Cordula.

4. Mons. Langrogge, der Musicus, mit einer Jungfrau aus Roberts-Raum.

5. Mons. Hildebrand mit einer Jungfrau aus Si mons-Raum.

6. Mons. Hollersdorff, der Mahler, mit der Frau Kramerin Schwester.

7. 8. Die beyden Buchbinder, Ollwitz und Rädler, der erste mit einer Wittbe aus Christians- und der andere mit einer Jungfrau aus Alberts-Raum.

9. Besterlein, der Sattler, mit einer feinen Wittbe aus Davids-Raum, allwohin er auch mit ihr zohe.

10. Breitschuch, der Seiffensieder, mit einer Jungfrau aus Roberts-Raum.

11. Schubart, der Glaß-Meister, mit einer Jungfrau aus Stephans-Raum. NB. Dessen Mitarbeiter Kindler aber, so wohl als Trotzer der Zinn-Giesser und Engelhardt der Blechschmidt, blieben noch im ledigen Stande, weil diejenigen Jungfrauen, worauf sie ihre Augen geworffen, noch ein wenig zu jung schienen. Hergegen heyrathete

12. ein feiner Junggeselle, der bey Mons. Plagern in Arbeit stund, die Jungfer Krügerin. Und

13. ein anderer Junggeselle aus Alberts-Raum, der bey Mons. Cramern die Artzeney-Kunst undChirurgie gelernet hatte, die Jungfer [275] Zornin, er hieß Johann Albert Julius. Letztlich

14. ein junger wohlgeschickter Töpffer aus Davids- Raum, die Kuntzin, meiner Schwester bißheriges Aufwarte-Mägdgen.


Es waren die allermeisten Personen dieser Insul in reinlicher Kleidung zugegen, um diesem Trau-Actui zuzusehen, welcher biß in die Mittags-Stunde währete. Unser nunmehriger Alt-Vater Albertus II. war auch selbst zugegen, und führete, nebst meinem Vater, die 3. ersten Paare zum Altare, die übrigen wurden von den andern Aeltesten und Europäischen guten Freunden geführet. Nachdem sich nun der gantze Trau-Actus, den Hr. Mag. Schmeltzer mit einemSermon angefangen, wie sonst ordentlicher Weise, jedoch ohne Music, beschlossen, und die Mittags-Stunde heran genahet war, begaben wir uns sämmtlich an den Ort, wo der Alt-Vater auf Hrn. Wolffgangs grünen Taffel-Platze, auf allen Tischen, vor alle Stämme, vortreffliche Speisen und Geträncke auftragen und zurichten lassen. Die Copulirten sassen mit dem Alt-Vater, Hrn. Mag. Schmeltzern, denen Capitains Wolffgang, Wodley und Horn auch Mons. Litzberg und Blac an der halb-runden so genannten Braut-Taffel, die übrigen Aeltesten aber præsidirten bey ihren Tischen, und die ledigen Europäer hatten sich bey ihre besten Freunde eingetheilt, wie denn auch Capitain Horns Freygelassene mit an die Tische eingetheilt und zur Aufwartung lauter Felsenburgische Knaben und Mägdlein bestellet waren. Also sassen wir biß 3. Stunden lang unter den vergnügtesten Gesprächen [276] bey Tische, weil es ein angenehmer und nicht allzu heisser Tag war, nach diesen gingen wir sämtlich in denAlléeen ein paar Stunden spatziren, eine gute Stunde vor Untergang der Sonnen aber begab sich ein jeder mit seinen Angehörigen nach seiner Wohnung, und liessen die Lustbarkeiten biß auf eine andere Zeit ausgesetzt bleiben.

Gleich Tags darauf ging die Arbeit an unsern Schul- und Häuser-Bau wieder an, so, daß binnen 4. Wochen alle diese 13. Gebäude vollkommen gerichtet waren, so bald eins fertig stund, waren die Mäurer und Tüncher gleich hinter her, so, daß im May-Monat schon alles fertig gemauert, getüncht und geweisset war, ohngeacht daß uns die Erndte-Zeit und Wein-Lese viel fleißige Arbeiter entzogen hatte. So fleißig nun aber diese Bau-Leute gewesen, desto weniger spareten die Tischler, Schlösser und Glaßmacher ihre Mühe, um diese Wohnungen mit Thüren, Schlössern und Fenstern, auch Tischen und Stühlen zu versehen, wie denn die Zimmer-Leute, auch die Treppen und andere Notwendigkeiten, nach Anweisung Mons. Litzbergs, immer nach gerade fertig machten, so, daß alle diese Gebäude vor Ausgang des 1731sten Jahres vollkommen ausgebauet stunden, und wir nach Belieben einziehen konten, wenn wir wolten. Allein, wir beredeten uns alle, die Wände erstlich vollkommen austrocknen zu lassen, und nicht ehe, als mit Eintrit des Februarii 1732. einzuziehen, welches denn auch geschahe.

Ich muß aber doch vorhero eine kleine Beschreibung von allen diesen Wohn-Stätten machen, auch [277] die Personen anzeigen, welche sich deren zu bedienen hatten, demnach war in der Mitten


Num. I. das Schul-Hauß, 3. Stockwercke hoch, oben mit einem kleinen Thürmlein, worein mit der Zeit eine Schlage-Uhr, nebst einer Schul-Glocke gebracht werden solte. Es befanden sich in diesem Schul-Hause 6. geraumliche Stuben, 8. zum Theil etwas kleinere Cammern, eine grosse und kleine Küche, 2. Speise-Gewölber und ein Keller.

Die andern 12. kleinern Häuser waren nur 2. Stock-Werck hoch, hatten jegliches 3. Stuben und ein Sommer-Stübgen im Dache, nach der Kirche zu, 5 Cammern, 1. Küche, 1. Speise-Gewölbe, einen Keller, und es war acurat eins in Dach, Fach und sonsten gebauet und ausgeziert wie das andere. Es erwählten sich demnach und bezogen die

Num. 2. Herr Mag. Schmeltzer.

Num. 3. Dessen Herr Bruder mit meiner Schwester.

Num. 4. War mir Eberhard Julio wegen der Aussicht an 3. Seiten, nehmlich gegen Morgen, Mittag und Mitternacht am angenehmsten, weßwegen ich selbiges mit meiner Cordula bezohe.

Num. 5. Hr. Diac. Herrmann.

Num. 6. Mons. van Blac.

Num. 7. Mons. Litzberg.

Num. 8. Mons. Langrogge,
Num. 9. Mons. Hildebrand,

die beyden Musici.

Num. 10. Mons. Hollersdorff, der Mahler.

Num. 11. Mons. Johann Albert Julius, der Chirurgus.

[278] Num. 12. Der Buchbinder Ollwitz.

Num. 13. Der Buchbinder Rädler. Diese beyden letztern wurden deßwegen mit anhero genommen, weil sie das Amt eines Kirchners, Wechsels-weise, auch wohl an den Kirch-Tagen beyde zugleich verrichteten.


Sonsten ist noch bey diesen 12. Häusern zu mercken, daß alle Vorder-Thüren nach der Kirche zu gingen, durch die unterste Hinter-Thür kam man in einen geraumlichen Hof, wo nicht allem Holtz zu legen, sondern auch Ställe zu bauen waren, vor diejenigen, welche etwa Lust bekommen möchten, Vieh zu halten. Aus dem Hofe trat man durch eine Thür auf den Garten-Platz, welcher zwar damahls noch nicht umzäunet, jedoch dergestalt ordentlich abgestochen war, daß kein Garten oder Hof um eines Fusses breiter war als der andere; inzwischen war der Garten-Platz groß genug, Bäume, auch Küchen-Speise vor eine starckeFamilie hinein zu pflantzen. Hinter allen diesen Häusern in der Höhe, wo die Abtheilung des ersten und andern Stockwercks ist, gehet ein 5. Schu breiter, oben rings herum mit einem Dach versehener Gang, da man von auswendig nicht hinauf kommen kan, von inwendig aber gehet aus jedem Hause eine Hinter-Thür heraus auf diesen Gang, so, daß man einander von einem Ende biß zum andern besuchen kan, ohne über den Platz zu gehen, oder sich vor dem Regen zu fürchten, denn dieser Gang ist auch über die schmalen Gäßlein hergebauet, welche allezeit zwischen 2en Häusern durchgehen. Meines Erachtens solte es nicht übel lassen, wenn man mit der Zeit die Kirche [279] noch mit mehr dergleichen Häusern umringte, und auf jener Seite ein eintziges grosses Thor, dem Schul-Hause gegen über, zum Haupt-Eingange liesse, auch eine Verwahrung daran machte, damit kein Vieh darauf lauffen könte; um deßwillen denn auch bey dem Eingange eines jeden schmalen Gäßleins, so, wie in Europa auf den Kirch-Höfen zu sehen, ein tieffes Loch mit einem darauf liegenden eisernen Gegatter zu machen wäre. Wer weiß, was in Zukunfft geschicht, wenn wir erstlich noch andere wichtige Sachen besorgt haben. Doch muß ich auch nicht vergessen, daß wir, um das Wasser nicht gar zu weit holen zu dürffen, 4 schöne Brunnen aufgraben und wohl einfassen liessen. Diese stunden vor den Gebäuden Num. 3. 6. 9. 12. und im Hofe des Schul-Hauses, war beschlossen, noch einen besondern grossen Brunnen ausgraben zu lassen; wiewohl es kommen auch einige, jedoch gantz kleine Wasser-Bächlein von der Albertus Burg hergerieselt, welche man mit der Zeit wohl zusammen leiten, und wegen Feuers-Gefahr einen grössern Teich oder Wasser-Behalter anlegen könte.

Durch die fleißige Anführung Herrn Mag. Schmeltzers waren seit einigen Jahren daher aus jeglichem Stamme hier oder da, 2. auch wohl 3. gelehrige Köpffe, bereits dahin gebracht worden, daß sie in ihren Pflantz-Städten die zarte Jugend im Christenthume, lesen, schreiben und rechnen unterrichten konten, wie denn dieserwegen Herr Mag. Schmeltzer fleißige Visitation hielt. Nunmehro aber wurden die besten Köpffe, welche die meiste Lust zum Studiren bezeigten, ausgesucht und an der [280] Zahl 33. in das neue Schul-Hauß gebracht. Ein jeder bekam von seinen Eltern ein besonderes Bette, gnugsame Wäsche und was er sonsten nöthig hatte, die ältesten von diesen Knaben waren 16. und die jüngsten 12. Jahr. Sie wurden zwar alle von den drey Herren Geistlichen täglich im Christenthume, ihrer 18. aber Hauptsächlich in der grössern Theologie, wie auch im Hebräischen und Griechischen informiret, Mons. Litzberg und ich hatten Wechsels-weise die Lateinische Sprache mit ihnen zutractiren, einige blieben nur bey dieser und der Englischen, welche letztere Sprache ihnen van Blac wohl zu lehren wuste, ingleichen auch einigen das Holländische. Schreiben und Rechnen hatten sie von mir und Litzbergen zu lernen, weil es hieß, daß wir die feinesten Hände schrieben, einige legten sich auf die Mathematic und was mit derselben verbunden, andere liebten die Sternseher-Kunst, um Calender schreiben zu können, wieder andere hatten besondere Lust zurMusic, etliche auch zum Zeichnen und Reissen, worinnen sie Hollersdorff informirte, ins besondere war Mons. van Blac bestellet, sie in ihrer Aufführung, so wohl bey Tische, als wenn sie ihre Frey-Stunden hatten zu corrigiren, des Nachts aber musten Wechsels-weise entweder einer von den beyden Musicis oder einer von den beyden Kirchnern, der Mahler Hollersdorff, oder der Chirurgus Julius bey diesen Knaben in einem besondern Bette schlaffen, damit sie nicht etwas verwahrloseten, also kam es alle 6. Nacht an einen von diesen sechsen, und man sahe nicht, daß einer verdrüßlich darüber war, ohngeacht [281] sich Litzberg, van Blac und ich, nebst den Priestern von dieser Beschwerlichkeit frey machten. Jedennoch fing mein lieber Vater einsmahls von freyen Stücken an, und sagte: Kinder! ich sehe, daß ich euch wenig hier nütze, als daß ich bete, esse, trincke und wenig arbeite, derowegen gebt mir das Amt, daß ich ausser den Schul-Stunden, und wenn ihr alle was nöthigers verrichten könnet, die Aufsicht über die Knaben habe, und des Nachts im Schul-Hause bey ihnen schlaffe, denn es ist ja gleich viel, mein Sohn Eberhard! ob ich unter deinem Dache oder unter dem Schul Dache schlaffe. Ich habe ohnedem wenig Schlaf, kan also diese Knaben besser bewachen, als junge Leute, welche ohnedem solchergestalt von ihren Weibern wegbleiben müssen. Wir wolten erstlich alle nicht darein willigen, endlich aber, da er sagte: Gönnet mir doch dieses Amt, woraus ich mir eine Freude mache, sonsten werde ich mich grämen, wenn ich sehe, daß ihr alle fleißig seyd, und ich solte gar nichts nutze seyn, denn schwerer Arbeit bin ich niemahls gewohnt gewesen. Demnach musten wir ihm endlich nachgeben, meine Cordula machte ihm ein schönes Bette mit Vorhängen in die mittelste Schlaf-Cammer der Knaben, so, daß er sie alle in 3. Cammern um und neben sich liegen hatte, er brachte aber auch des Tages die meiste Zeit bey den Knaben zu, und aß mehr mit ihnen als an meinem Tische, solchergestalt war Mons. van Blac auch dann und wann einer Bemühung überhoben.

Sonsten war unsere Oeconomie in diesen [282] Häusern dermahlen also eingerichtet: Es wurde uns alle Dienstage, Donnerstage und Sonnabends früh von der Albertus-Burg herunter, frisches Brod, Käse, Butter, allerhand Gemüse, frisch Wildpret und Ziegen-Fleisch auf Wagens zugefahren, eine jede Haußwirthin nahm davon so viel als ihr beliebte, denn es war allezeit mehr da als wir brauchten, und worzu dienete uns das übrige? Fische konten wir alle Morgen von Christians- oder Stephans-Raum holen, und auslesen lassen was wir wolten, denn die dasigen Fisch-Kästen und Behälter wurden niemahls ledig. Von Flügel-Werck, so wohl kleinen als grossen, brachte man uns wöchentlich so viel, daß wir das meiste wieder zurück geben musten. Mit Bier, Wein, Gewürtze und dergleichen waren unsere Keller und Speise-Cammern zur Gnüge versorgt. Was die Knaben anbelangete, so speisete mein Vater oder Mons. van Blac, auch wohl jemand anders, mit den 18. grösten an der einen Taffel, und gleich neben derselben, speiseten an der andern die übrigen 15. so, daß man sie alle übersehen konte. Die Tractamenten bestunden Tag vor Tag 1.) in einer Suppe, 2.) eine Schüssel Fleisch, worbey auch Zugemüse, 3.) eine Schüssel mit Fische, 4.) ein Braten nebst dem Zubehör. Jeder Knabe hatte seinen zinnernen Becher, den er nach Belieben 2. mahl voll Bier, des Sonntags aber auch einmahl voll Wein bekam. Ubrigens wurde die Zurichtung der Speisen nach dem Appetite sehr wohl verändert, und die Küche von 2en betagten Wittben, da die eine aus Roberts- die andere aber aus [283] Alberts-Raum war, ingleichen von 5. Jungfrauen besorgt, die alle entweder Söhne oder Brüder in der Schule hatten. Zu allem Uberfluß musten die 3. Priester-Weiber, die Frau Litzbergin, die Frau van Blac und meine Cordula, eine Woche um die andere die Ober-Aufsicht über die Küche nehmen, welches denn alle 6. Wochen an eine kam. So fehlete es uns auch an Holtze nicht, denn alle Woche 2. mahl, brachten die Simons-Roberts- undStephans-Raumer, auch andere mehr, gespaltene und gantze Stücke herzu gefahren, welche letztern von den Knaben zur Lust gespaltet wurden.

So bald demnach unser Schul- und Haus-Wesen in ziemliche Ordnung gebracht, fing ein jeder an, mit Hülffe der Knaben und anderer guten Freunde, seinen Garten zu verzäunen, wir setzten Bäume, säeten und pflantzten allerhand nützliche und appetitliche Garten-Gewächse und Blumen-Werck, baueten Ställe vor vierfüßig Vieh, auch Flügelwerck, in Summa, ehe Jahr und Tag verging, befanden wir uns allerseits in recht vergnügten Stande, wünschten auch viele tausend mahl, daß nur unser lieber seeliger Alt-Vater, dieses schöne Stück Arbeit, noch vor seinem Ende hätte mögen mit Augen ansehen. Es erzeigte sich zwar unser itziger Regent nicht weniger liebreich und väterlich gegen uns, ließ sich auch alle unsere Anstalten ungemein wohl gefallen, und brachte die meisten Tags-Stunden bey uns zu, allein, es war uns allen doch noch nicht möglich, Albertum I. zu verschmertzen.

[284] Um nun dessen Gedächtniß zu verehren, wurden wir schlüßig, ihm, so, wie er seiner seeligen Ehe-Frauen der Concordia gethan, eine Pyramide zum Häupten, gleich neben der Concordia ihrer, von ausgehauenen Steinen zu setzen, derowegen legte man so gleich die Hand aus Werck, und ward binnen 2. Monaten gäntzlich damit fertig. Die Figur dieser Pyramide ist dreyeckigt, 6. Ellen hoch, und auf der Spitze ruhet eine im Feuer verguldete proportionirlich grosse küpfferne Kugel. Die Steine sind sehr sauber zusammen gefügt, und mit dauerhafften Farben übermahlt, das daran befindliche Laub-Werck und Zierrathen aber starck verguldet. Ausserdem sind 6. wohl ausgetriebene küpfferne und im Feuer verguldete Schilder, an den 3. Ecken oben und unten bevestiget, und auf selbige folgende Sinnbilder gemahlt:


1.

Ein beschädigtes Schiff auf dem Meere, mit der Beyschrifft:

Post mala mixta bonis portum ratis intrat amoenum.

Nach guten und nach bösen Stünden
Wird der gewünschte Port gefunden.

2.
Ein lächzender Hirsch, mit der Beyschrifft:
Sic sitit astra pius, cervus velut appetit undas.

Ein Hirsch lächtzt nach dem frischen Bache,
Ein Christ nach jenem Sternen-Dache.

[285] 3.
Eine angezogene Glocke, mit der Beyschrifft:
Mortis Christianus reminiscitur ære sonante.

Hört ein Christ den Glocken-Schlag,
Denckt er an den Sterbe-Tag.

4.
Ein verdorreter Baum, mit der Beyschrifft:
Sic homo marcescit, veluti marcesit & arbor.

Es geht dem Menschen auf der Erden
Wie Bäumen, welche dürre werden.

5.
Ein aufsteigender Rauch, mit der Beyschrifft:
Ut fumus transit, sic transit gloria mundi.
Das Leben kan nicht stets bestehen,
Es muß wie Rauch und Dampff vergehen.

6.
Ein Todten-Sarg, mit der Beyschrifft:
Est ita: mors talem loculum dabit omnibus atra.

Der Todt wird allen, die noch leben,
Ein solches Hauß zur Wohnung geben.

[286] An jeglicher Seite der Pyramide in der Mitte war eine grosse Kupfferne Platte eingefügt, und die Nachricht mit goldenen Buchstaben darein geätzt. Die erste Seite gab demnach folgendes im Latein zu lesen:


* *

*


Heus! Viator,

gradum siste, lege, luge,

nimirum

hoc in saxeo sepulcro

placide requiescit

ALBERTUS JULIUS I.

supremus hujus Insulæ saxosæ dominus,

natione Saxo, ratione Nestor,

faustus infaustorum fatorum victor,

parens clarisimis parentibus clarior,

nauta, naufragio felix,

Crœsus ex Iro factus,

Rex non nomine, sed omine,

concordium familiarum conditor

juvante

CONCORDIA,

maxime

verus veræ pietatis cultor;

O irreparabile damnum!

quot conspicua boni ordinis specimina

ab incolis hujus insulæ conspiciuntur,

tot testes testantur

ALBERTUM

[287] non fuisse Davum, sed Oedipum

non otiosum, sed negotiosum;

Posteri post sera secula ingemiscent,

JULIUM

vitam cum morte commutasse,

qui inermis rupes robustis hostibus robustiores

vicit,

& de naturæ difficultatibus triumphavit

majori cum pompa

quam si in urbem

Quatuor in niveis aureus isset equis;

migravit

e solo in polum

exemplar virtutum sine exemplo

sapientissimus bonorum morum magister,

acerrimus vitiorum osor,

certa vitæ cynosura,

Senex denique ad aram usque devenerandus

qui in adversis nunquam cogitavit,

nisi semper

qui credidit, ut vixit, & vixit, ut credidit,

hoc est,

vere, pie bene ac sincere;

sed tacet & jacet

cujus anima DEO placet,

postquam

d. VIII. Octobr. cIɔ Iɔ CCXXX.

sensim sine sensu

animam exhalavit.

[288] Hoc te volebam,

Viator,

nunc ubi, & quoad vivis, vive

in vita feliciter!


* *

*


An der andern Seite zeigte sich die Deutsche Schrifft eben dieses Inhalts, und gleichfalls mit güldenen Buchstaben eingeätzt in diesen Worten:


* *

*


Höre! mein Wandersmann,

stehe stille, ließ dieses

und traure dabey.

In dieser steinernen Grufft ruhet in

guter Ruhe

Albertus Julius der Erste,

der Ober-Herr dieser Felsen-Insul,

von Geburth ein Sachse, von Verstande

ein Nestor,

ein glücklicher Besieger der unglücklichsten

Schicksale,

ein Vater, der berühmter ist als viele

der berühmtesten Väter,

ein Schiffer, der durch Schiffbruch erst

glücklich

und

aus einem armen Iro ein reicher Crœsus

worden ist.

Ein König, nicht dem Nahmen, sondern

der That nach;

[289] Ein Stiffter vieler einträchtigen Familien,

mit Bey-Hülffe seiner Gemahlin,

CONCORDIA,

sonderlich

in wahrer Liebhaber der wahren Gottes-

Furcht.

O unersetzlicher Schade!

So viel herzliche Proben der guten Ordnung

von den Einwohnern auf dieser Insul

bewundert werden,

so viel unverwerffliche Zeugen sind:

daß

Albertus

nicht albern, sondern klug,

nicht ein Müßiggänger, sondern ein mehr

als zu fleißiger Arbeiter gewesen sey.

Dessen Nachkommen werden nach späten

Zeiten noch klagen, daß

JULIUS

das Leben mir dem Tode verwechselt;

welcher ohnbewaffnet die stärcksten Felsen

bezwungen,

die mehr als starcke Feinde zu schaffen machen,

auch über die Schwierigkeiten der Natur

einen Triumph gehalten;

der prächtiger ist,

als wenn er in die Stadt Rom auf einem mit

weissen Pferden bespanneten güldenen

Wagen triumphirend eingezogen wäre.

[290] Nun

hat das Irrdische mir dem Himmlischen

verwechselt:

ein unvergleichliches Muster der Tugend,

ein weiser Sitten-Lehrer,

ein abgesagter Feind der Laster,

eine gewisse Lebens-Regel,

ein Ehr-würdiger Greiß,

der im Unglück, an das Glück,

und im Glück, an das Unglück,

niemahls

als allezeit gedacht

Der so geglaubt, wie er gelebt,

und so gelebt, wie er geglaubt;

das heist:

wahrhafftig, gottselig, wohl und aufrichtig.

Aber

sein Mund ist nun verschlossen,

er liegt,

dessen Seele sich in GOtt vergnügt,

nachdem er

im Jahr 1730. den 8ten Octobr.

ohne Empfindlichkeit, allmählich Athem

zu holen aufgehöret hat.

Dieses verlangte ich von dir,

Mein Wandersmann!

Nun gehe hin, und lebe, so lange du lebest,

glücklich.


* *

*


[291] An der dritten Seite der Pyramide war eben diese Gedenck-Schrifft in Englischer Sprache zu lesen, und an den drey Seiten des Fuß-Gestelles der Pyramide noch dieses, ebenfalls in dreyerley Sprachen:


Albertus Julius

ward gebohren Ao. 1628. d. 8. Januar.

entdeckte diese Insul Ao. 1646. d. 8. Septembr.

hat also auf der Welt gelebt: 102. Jahr

9. Monat,

auf dieser Insul zugebracht 84. Jahr

1. Monat.

Leichen-Text:

Der 23ste Psalm.

Der HErr ist mein Hirt, mir wird

nichts mangeln, etc. etc.


Es gab diese Pyramide unsern Gottes-Acker eine nicht geringe Zierde, weßwegen wir manchen Spatzier-Gang dahin thaten, und selbigen niemahls leer von Leuten antraffen, sonderlich lieffen die Kinder fast täglich Hauffen-weise dahin, weiln aber auch die unvernünfftigen und wilden Thiere darauf herum lieffen, so beschlossen wir, den gantzen Gottes-Ackers-Platz in behöriger Weite mit einer Mauer einzufassen, und nicht mehr als 2. Thore zum Ein- und Ausgange zu lassen, nehmlich eins, so auf den grossen Garten, und das andere, so auf den Fluß stossen solte, wo sich derselbe oben in 2. Ströme theilet. Nachdem nun, ausser den vielen Steinen, so in selbiger Gegend [292] zusammen gelesen, auch eine grosse Menge derselben aus dem Johannis-Raumer Gebürge nebst allen andern Zubehör herbey gebracht worden, machten sich die Mäurer an das Werck, und brachten es in wenig Monaten in fertigen Stand.

Solchergestalt lieff unter dieser und anderer Bau-Arbeit auch völliger Einrichtung der neu errichteten Wirthschafften auch das 1732ste Jahr zum Ende, ohne daß man zu des Capitain Horns Schiffs-Bau den Anfang gemacht hätte, weiln aber dermahlen auf unserer Insul nichts höchstwichtiges zu thun war, ausgenommen, daß der Müller Krätzer zwischen Christophs- und Christians-Raum noch eine neue Mühle erbauete, so wurden auf inständiges Anregen des Capitains Horn die geschicktesten Zimmer-Leute ausgelesen, und hinnüber auf Klein-Felsenburg geschafft, um daselbst mit gemeldeten Capitains Leuten ein gantz neues Schiff zu erbauen. Das gute Bau-Holtz auf unserer grossen Insul zu ersparen, war zwar eine Haupt-Ursache mit, allein, wir hatten noch viel andere mehr, warum wir das Schiff nicht an unserm Gestade wolten bauen lassen, denn solchergestalt hatten die Frembden auch nicht nöthig herüber zukommen, das zerscheiterte Schiff aber wurde auch nach Klein-Fel senburg gebracht, um das dienliche noch davon brauchen zu können. Es war am 16 Januar. 1733. da der erste frische Baum auf der Insul Klein-Felsenburg zuCapitain Horns neuen Schiffe gefället und zugehauen wurde, weßwegen eine starcke Gesellschafft von Groß-Felsenburg hinüber gefahren war, indem sich die SeeLeute, [293] mit Permission ihres Capitains, ein kleines Freunden-Fest angestellet hatten, welches sie des Abends mit Tantzen und sonst allerley Kurtzweile begingen, worzu wir ihnen eine zulängliche Portion an Weine mitgebracht hatten, welchen sie sich mit den Portugiesen, die mit ihnen gemeinschafftlich und in der besten Verträglichkeit lebten, hertzlich wohl schmecken liessen, die folgenden Tage aber desto flleißiger arbeiteten. Inzwischen hatte der Capitain Horn angemerckt, daß oben in der Südlichen Gegend der Insul bey der grossen Bucht K. in dem grossen Walde weit schöner und dauerhaffter Holtz als in der Gegend B. anzutreffen wäre, derowegen resolvirte sich alles sein Volck, gleich morgenden Tages dahin aufzubrechen, und ihre Wohnstätten daselbst aufzuschlagen. Wir Groß-Felsenburger liessen ihnen ihren Willen, versprachen aber, sie ehester Tags wieder zu besuchen, oben herum zu fahren und in der Bucht K. anzuländen. Wir würden unser Versprechen zeitig genung erfüllet haben, allein, die Niederkunfft meiner liebsten Cordula, hielt sowohl mich als meine werthen Freunde auf eine Zeitlang davon zurücke. Es brachte mir aber gemeldete meine Liebste am 6. Februar. einen jungen gesunden Sohn zur Welt, welcher am 9.dito die heilige Tauffe und die Nahmen Albertus Franciscus Carolus empfing, indem ich den Regenten Albertum II meinen Vater und die Frau van Blac zu Tauff Zeugen erwählet. Die Freude über diesen kleinen Stammhalter, war bey mir unsäglich groß, denn da alle diejenigen, welche mit mir zugleich copulirt [294] waren, bereits Kindtauffen ausgerichtet hatten, begunte ich fast an der Fruchtbarkeit meiner Cordula zu zweiffeln, jedoch endlich war mein Wunsch erfüllet, und, wie gesagt, die Freude war um so viel desto grösser, woran denn auch alle Insulaner Theil nahmen, welche grösten Theils 3. Tage nach einander auf dem Tafel-Platze tractiret wurden, worbey sich denn nicht allein die beste Music hören ließ, sondern es hatten auch meine werthen Freunde allerhand andere Lustbarkeiten angestellet. Capitain Horn war auch von Klein-Felsenburg darzu herüber geholet worden, als er aber am 4ten Tage wieder zurück fuhr, versprachen wir ihm, längstens in 14. Tagen auf Klein-Felsenburg eine Visite zu geben, und seinen Leuten, um sie desto besser zur Arbeit aufzumuntern, einige Erfrischungen mitzubringen.


Weiln sich nun meine Cordula ungemein wohl befand, trat ich am 2ten Mart. die Fahrt mit Mons. Litzbergen, van Blac, Wolffgang, Wodley und andern mehr, abermahls nach Klein-Felsenburg an, uñ zwar so fuhren wir oben durch die Strasse durch, welche Sudwerts beyde Insuln von einander scheidet, als welchen Weg wir noch niemahls genommen hatten, hätten zwar bey der grossen Felsen-Spitze O. mit einiger Unbequemlichkeit landen und aussteigen können, wolten aber solches nicht thun, sondern fuhren um die gantze Süd-Seite herum, und langeten endlich glücklich in der grossen Bucht K. an, allwo wir unser Fahrzeug befestigten, an dem Flusse, welcher sich aus der grossen See in die [295] Bucht ergießt, hinauf spatzirten, und endlich fanden, daß alles Volck seine Hütten auf der Ebene zwischen diesem Flusse und dem Walde aufgeschlagen, in selbiger Gegend auch schon eine ziemliche Menge neu zugehauenes Schiffs-Holtz liegen hatte. Capitain Horn war selbst mit unter den ersten, die uns entgegen kamen; wir nahmen alle Platz vor seiner Hütte, und er säumete nicht, uns einige Erfrischungen vorzusetzen, indem wir nun selbige genossen, fing er an zu sagen: Meine Herrn! sie kommen accurat, als wenn sie geruffen wären, denn am gestrigen Sonntage, haben einige von meinen Leuten ein besonderes curieuses Stück auf einem Platze, jenseit der grossen See, aus der Erden gehoben, woran zu bemercken, daß sich vielleicht vor vielen 100. ja mehr als 1000. Jahren schon Menschen auf dieser Insul befunden haben. Wir spitzten alle die Ohren ziemlicher massen, er aber ging, nachdem er noch ein paar von seinen Leuten zu sich gerufft hatte, in seine Hütte, und brachte einen grossen Viereckigten Stein heraus, der bey nahe drey Viertel Ellen lang, breit und dicke war. Diesen setzte er bey uns nieder, nahm einen oben sauber eingefügten steinernen Deckel ab, und zohe einen goldenen Becher in die Höhe, welcher über die Helffte voll Asche war, unter derselben sich noch etliche Stücklein gebrannter Knochen befanden. Der Becher an sich selbst war sast einer halben Ellen hoch, oben im Diametro 6. unten aber vier Daumen breit, sonsten aber über und über gantz glatt und ohne einige Figur oder Zierrathen. Auf dem obersten, schon gemeldten steinernen [296] Deckel aber, sahe man, nachdem er reinlich abgewaschen war, in der Mitte diese Figur:



Nachdem wir insgesammt das gantze Werck in Augenschein genommen, und lange Zeit Verwunderungs-voll betrachtet, konten wir nicht anders urtheilen, als daß es eine Heydnische Urna oder Todten-Krug wäre, worinnen die Asche eines verstorbenen und nach ihrer Weise verbrannten Cörpers, verwahret und der Erden anvertrauet worden. Derowegen konte es dem Capitain Horn niemand abstreiten, daß vor uns und unsern Zeiten Menschen aus dieser Insul gewesen wären, oder dieselbe wohl gar ordentlicher Weise bewohnet hätten.

Uber niemanden unter der gantzen Gesellschafft muste ich mehr lachen, als über Mons. Litzbergen, denn derselbe konte den Deckel nicht genung ansehen, und hätte vor ängstlicher Curiosität verzweiffeln[297] mögen, daß ihm unmöglich war, die Deutung der unbekandten Characters zu erfinden, über dieses verdroß ihn, daß man keine ihm bekandte Jahres-Zahl darauf gezeichnet, derowegen warff er verschiedene Fragen auf, als: In welchem Jahre der Welt mag dieseUrna verscharret seyn? Was mögen dieses vor eine Art von Heyden gewesen seyn? Ob sie auch auf dieser Insul eine ordentliche Wirthschafft getrieben haben? Ob sie ausgestorben, von andern hinweg geführet worden, oder die Insul gutwillig verlassen haben? und was dergleichen Zeug mehr war, worüber zwar ein jeder raisonniren konte, allein, es kam nicht heraus, sondern es verblieb uns nichts gewissers, als die Ungewißheit.

Demnach wurde ich des vielen Scrupulirens überdrüßig, und bath den Capitain Horn, uns zu erzählen, wie, und auf was Art seine Leute eigentlich zu dieserRarität und Antiquität gekommen? selbiger war also so gefällig, uns folgenden Bericht abzustatten: Meine Leute, sagte er, haben sich bißhero in den Feyerabends-Stunden, zur Lust ein bequemes Fahrzeug gemacht, wormit sie am Rande der ohnweit von hier liegenden großen See und derer Flüsse, hin und her, auf-und abfahren und die schönsten Fische fangen können. Vor etlichen Tagen, da sie Abends spät von ihrer Lust-Fahrt zurück kamen, berichteten sie mich, daß sie jenseit der grossen See, in einer ebenen Gegend einen Baum angetroffen hätten, dessen gleichen sie zwar an Geradigkeit, aber an Höhe Zeit ihres Lebens in der Welt nicht gesehen hätten und solte [298] sich derselbe ungemein wohl zum Mast-Baume schicken, allein, es wäre Jammer-Schade darum, weil dieser Baum eine rechte Rarität und Zierde dieser Insul zu nennen, ausser dem 12. andere, jedoch bey weiten nicht so hohe Bäume um denselben herum stünden, worbey man fast schwören solte, daß sie mit allem Fleisse von Menschen nach dem Zirckel und Maaß-Stabe dahin gepflantzt wären. Ich war so neugierig, gleich des andern Nachmittags mit ihnen an denselben Ort zufahren, und die curieusen Bäume zu besichtigen, fand es auch in der That also, wie sie gesagt hatten, bewunderte nicht allein die ausserordentliche Höhe des mittelsten Baumes, sondern auch die Accuratesse der 12. andern, so um ihn herum stunden, bildete mir aber fast gleich ein, daß solche nicht von der Natur, sondern von Menschen-Händen herrühren möge. Doch demselben sey, wie ihm sey, ich geboth meinen Leuten bey Straffe, sich ja nicht an diesen Bäumen zu vergreiffen, sondern sie als eine Rarität dieser Insul stehen zu lassen, fuhr also mit ihnen wieder zurück. Gestern, als Sonntags früh, machten sich die lustigsten von meinen Purschen auf, nahmen Proviant und ein frisch geschossen Stück Wild mit sich auf ihr Fahrzeug, und wolten dasselbe zur Lust unter dem hohen Baume braten und verzehren, indem sie aber ein Feuer-Loch in die Erde graben wollen, finden sie diesen Stein; kamen also bald zurück, und brachten mir denselben, so, wie er da ist, sammt dem Becher, welchen sie zwar heraus gehoben, vor gülden erkannt, jedoch denselben ordentlich wieder hinein [299] gesetzt hatten. Ein rechtes Glück ists, daß der nicht allzu dicke steinerne Deckel im Hacken oder Graben nicht ist entzwey gestossen worden.

Wir bekamen auf diese Nachricht gleich ingesammt Lust, selbiges Revier nebst den curieusen Bäumen ebenfals in Augenschein, auch Grabe-Scheiter, Schauffeln und Hacken mit zu nehmen; um zu sehen, ob wir noch mehr dergleichen Urnen oder Todten-Töpffe daselbst finden könten, wurden derowegen von dem Capitain Horn und einigen seiner Leute dahin gefahren, und ergötzten uns nicht wenig über den angenehmen Platz, wo die 12. Bäume um den grossen herum stunden,


NB. Dieses ist der kleine Platz, welcher, weil er von 2. kleinen Ströhmlein, die aus der grossen See kommen, und unten zusammen lauffen, fast die Gestalt einer Zunge hat, und auf dem Grund-Risse der Insul Klein-Felsenburg, gleich unter dem Platze, der mit P. bezeichnet, im 2ten Theile pag. 452. zu sehen ist.


betrachteten alles sehr genau, und fingen endlich an zu graben, fanden auch diesen und folgenden Tag in einem kleinen Bezirck noch 9. eben solche ausgearbeitete Steine, mit eben solchen Deckeln, worauf eben solche Figuren, wie auf dem ersten eingehauen waren, doch fand sich nur noch in einem Steine ein güldener, in 5. Steinen aber nur silberne Becher, in 3. Steinen aber waren gar keine Becher, sondern die Asche und die Stücklein gebrandter Knochen waren nur so bloß hinein gethan worden. Nachdem wir aber noch einen gewaltigen Fleck um- und ausgegraben, jedoch nicht das [300] allergeringste mehr gefunden hatten, vermerckten wir endlich, daß nichts mehr vorhanden wäre, seegelten derowegen mit diesen unsern gefundenenRaritäten wiederum zurück an den Ort, wo die Hütten stunden, betrachteten alle diese Urnen sehr genau, konten aber, wie gesagt, nichts als unbekandte Characters darane finden. Abends, da die Sonne unterging, und wir, im Grünen sitzende, indem wir Caffée truncken und Toback dabey rauchten, unsere Gesichter gegen den grossen Berg O, kehreten, præsentirte sich dessen hohe Felsen-Spitze gantz Feuer-roth, so, daß sie zuweilen einer würcklichen Feuer-Flamme gantz ähnlich sahe, welches zu verschiedenen curieusen Gesprächen Anlaß gab, endlich, da sich Mons. van Blac wünschte, bey hellem Wetter ein oder ein paar Stunde, auf dieser entsetzlich hohen Felsen-Spitze stehen und sich recht umsehen zu können, sagten wir ihm, daß uns eben dergleichen Neugierigkeit, vor einigen Jahren, bey erstmahliger Besichtigung dieser Insul, dahin getrieben, wir hätten aber kaum die Helffte des Berges erklettern, und weil es gar zu steil, die Spitze nicht erreichen können.

Hierauf ersuchte uns Mons. van Blac, morgenden Tag noch da zu bleiben, und ihm zu Gefallen den Berg noch einmnhl mit zu steigen, Mons. Litzberg und die andern, die zum Theil auch noch nicht auf dem hohen Berge gewesen waren, ließ sich nebst mir leichtlich hierzu bereden, derowegen legten wir uns bey Zeiten schlaffen, um den March dahin desto früher anzutreten.

Früh Morgens, so bald der Tag anbrach, weckten[301] wir einander auf, da sich aber Mons. van Blac ermunterte, sprach er: Ich könte mich nun fast der Mühe überheben, den grossen Berg zu besteigen, denn ich habe ihn heunte Nacht im Traume schon bestiegen, aber wenn ich noch daran gedencke, so stehen mir die Haare zu Berge, denn da wir kaum halb hinauf waren, kamen uns aus einer düstern Höle 12. grosse Vögel, so schwartz, als die Raben, und noch grösser, als die Gänse, entgegen geflogen, und schwungen sich in die Lufft, ich wagte mich in die Felsen-Klufft oder Höle, erblickte aber etliche unbekandte grimmige Thiere, deren Gestalt recht entsetzlich war, so, daß ich, ob sie mir gleich nichts thaten, nur von dem blossen Anblicke doch noch zitterte, als man mich aufweckte.

Wir hatten demnach unsern Spaaß mit Mons. van Blac über dieses Gesichte, und sagten endlich, wenn er denn so furchtsam wäre, wolten wir unsere Lust-Reise nach dem Berge lieber einstellen, und zurück nach Groß-Felsenburg fahren, allein, er protestirte wider das letztere, und sagte: er wolle nun doch mit rechtem Ernste versuchen, wie hoch er an der grossen Felsen-Spitze hinauf klettern könne.

Demnach begaben wir Groß-Felsenburger, als wir ein gutes Früh-Stück ein- auch einen ziemlichen Theil Speise und Geträncke zur Vorsorge mit auf den Weg genommen, uns sämmtlich allein auf die Reise, denn der Capitain Horn gab auf unser Nöthigen, zu verstehen, daß er eben diesen Tag mit seinen Leuten ein solches Stück Arbeit [302] vor hätte, worbey seine Gegenwart unumgänglich erfodert würde, über dieses, so wäre er Zeit seines Hierseyns, schon viermahl den Berg von allen Seiten, in Gesellschafft aller seiner Leute zu besteigen, so curieux gewesen, allein, sie hätten wenig Plaisir darauf gefunden, und nichts darvon getragen, als müde Beine. Also liessen wir ihn da bleiben, bathen uns auf den, morgenden Tag ein gutes Mittags-Brod aus, indem wir uns nicht zu starck strapaziren, sondern des Nachts unterwegs bleiben und ausruhen wolten; marchirten also fort, gelangten auch eben um die Mittags-Zeit am Fusse des Berges an.

Weil wir nun vor einigen Jahren an der Ost-Sud-Seite den Berg hinnan gestiegen waren, so war mein Rath, daß wir denselben voritzo an der Nord-West-Ecke hinauf beklettern wolten. Einige redeten zwar darwider, weil es auf dieser Seite gar zu uneben und steinig wäre, allein, Mons. van Blac fiel meiner Meynung vor allen andern bey, indem er vorstellete, daß, obgleich der Berg allhier unbequemer zu besteigen wäre, so hätten wir hergegen die Last nicht, daß uns die Sonne so starck auf den Leib und ins Gesichte brennete, also folgten alle dem van Blac und mir nach.

Es war aber in Wahrheit ein rechter Mord-Weg, denn ob wir gleich keine steile Klippen zu erklettern hatten, sondern immer Schlangen-weise zwischen grossen Hügeln gerade aufgehen konten, so war doch der Fuß-Boden wegen der grossen und kleinen Schiefer-und Sand-Steine, die vom Regen und Wetter da hinein gebracht waren, dergestalt [303] böse, daß man sich vor dem Fallen sehr wohl in Acht nehmen muste; Mons van Blac aber, der vor mir her ging, sagte öffters lachend zu mir: Diß ist würcklich der Weg, von dem mich in vergangener Nacht geträumet hat. Endlich, nachdem wir fast 2. gute Stunden Berg- auf gestiegen waren, gelangten wir auf einem Hügel an, der oben gantz platt wie ein Tisch, und ziemlich dicke mit Moose und grünem Grase bewachsen war. Dieser angenehme Platz nöthigte uns fast mit Gewalt zum Ausruhen, und etwas Speise und Tranck zu uns zu nehmen, indem wir ein ziemlich breites steinigtes Thal vor uns sahen, welches wir erstlich paßiren musten, wenn wir an den rechten Berg, auf welchem die entsetzlich hohe Felsen-Spitze stund, gelangen wolten.

Allein, eine besondere Begebenheit setzte uns dahier in nicht geringe Verwunderung und Erstaunen: denn, da wir noch im besten Speisen waren, und alle mit einander unsere Gesichter gegen den grossen Berg gewendet hatten, kam immer ein schwartzer grosser Vogel nach dem andern aus einer Klufft des Felsens heraus geflogen, wir zähleten deren accurat zwölffe, warteten aber vergeblich auf mehrere, hergegen schwungen sich diese hoch in die Lufft, machten, nachdem sie alle 12. zusammen gekommen, ein gräßliches Geschrey, und nahmen ihren Flug nach Süden zu, weßwegen wir in unserer Meynung gestärckt wurden, daß sich in selbiger Gegend nach dem Süd-Pol zu, noch mehr Land befinden müsse. Inzwischen konten wir diese Vögel eine lange Zeit fliegen sehen und schreyen [304] hören; nachdem sie sich aber gäntzlich aus unsern Gesicht und Gehör verlohren, sahen wir alle den Mons. van Blac an, und verwunderten uns höchlich, daß sein Traum auch in diesem Stücke so accurat eingetroffen wäre. Er hingegen schien sehr muthig zu seyn, und sagte: Meine Herren und Freunde, ich bin in meinem Hertzen vollkommen versichert, daß wir in diesem Gebürge, nach der alten Art zu reden, ein besonderes Abentheuer antreffen werden, derowegen lasset uns, weil es noch hoch am Tage, auf die Felsen-Klufft zu wandern; gönnet mir die Ehre, daß ich voraus gehe, und sehe, wie es in derselbigen beschaffen, indem ich, als ein Mensch, der viele Gefährlichkeiten ausgestanden, Courage genung darzu habe. Wir weigerten uns nicht, ihm zu folgen, und erreichten nach Verlauff einer guten halben Stunde mit vieler Beschwerlichkeit den Eingang zu der Felsen-Klufft, welchen wir aber gantz anders befanden, als er sich unsern Augen von ferne præsentirete, denn auf beyden Seiten hatte, dem Ansehen nach, die Natur, so zu sagen, hohe Mauern oder Pfeiler gesetzt, zwischen welchen nur eine Person auf dem schmalen Wege hingehen, und sonst nichts, als die hohen Felsen-Mauern neben sich, und den Himmel über sich sehen konte, so war auch dieser schmale Weg, der 3. Krümmen hatte, hundert und etliche 30. Schritte lang. Mons. van Blac, der sehr emsig im Gehen war, blieb endlich stehen, und rieff zurück: Halt! hier ist das Ende, weiter können wir nicht kommen. Demnach versa leten wir uns alle, als wir aus dem schmalen Gange heraus gekommen waren, um ihn herum, auf [305] einem Ufer, welches nur 18. Schritt breit und etliche 40. Schritt lang war. Hier schien es, als ob diese Felsen mit aller Gewalt von dem grossen Klumpen abgerissen wären, und vor uns auf dem Fuß-Boden fanden wir einen Riß oder Schlufft, etwa 10. biß 12. Ellen breit. Es stunden einem, wenn man da hinunter in die Tieffe und dicke Finsterniß sahe, die Haare zu Berge, über dieses machte das, in diesem Abgrunde wallende Wasser, ein recht wunderlich und fürchterliches Getöse, weßwegen niemand grosse Lust bezeigte, sich lange bey diesem terriblen Schlunde aufzuhalten. Auf der andern Seite aber sahen wir ebenfals wieder einen Riß oder Spalte von oben herunter in dem grossen Berge, zu welchem eine ordentliche Treppe von mehr als 30. Stuffen hinauf ging, welche wir schwerlich von Natur also, sondern von Menschen-Händen ausgehauen und gemacht zu seyn, beurtheileten. O! wenn wir doch über den schändlichen Abgrund hinüber wären, sagteMons. van Blac, denn ich mercke schon, diese Treppe führet an einen Ort, wo sich Curiositäten befinden. Allein, sein und unser aller Wünschen war vergebens, denn, weder zur rechten noch zur lincken Hand, konten wir den Anfang noch das Ende, wegen der steilen Felsen, erforschen, und auf jener Seite war es eben so schlimm, auch nirgends aufzusteigen, als auf der ausgehauenen Treppe.

Dem ohngeacht stunden wir noch fast eine gantze Stunde daselbst, um alles desto genauer zu mercken, kehreten endlich durch den vorigen Weg zurücke, und kamen sehr ermüdet auf dem grünen [306] Platze an, allwo wir etliche Stunden vorhero gespeiset und den Ausflug der Vögel gesehen hatten, beschlossen auch, die Nacht über, welche sehr warm und angenehm war, allda zu verbleiben. Mons. van Blac hatte seine Grillen, daß nehmlich in dem grossen Berge, vielleicht eine ausgehauene Wohnung und andere Spuren von Menschen anzutreffen seyn würden, einem jeden von uns allen dergestalt scharff eingeprägt, daß wir auch alle glaubten, es könte und muste nicht anders seyn, derowegen berathschlagten wir biß in die späte Nacht, was zu thun sey? Beschlossen erstlich, gleich morgen des Tages wieder zurück nach Felsenburg zu fahren, unsern Aeltern und andern guten Freunden alle diese Seltsamkeiten, so wir allhier gefunden, zu zeigen und zu erzählen, nachhero wieder herüber zu rudern, lange Balcken und Bolen herbey zu schaffen, um eine rechte veste Brücke über den Abgrund zu schlagen, und so dann hinüber zu paßiren; doch würde auch nöthig seyn, daß wir Fackeln, Wind-Lichter, Gewehr und andere Bedürffnisse mit uns nähmen, indem wir nicht wüsten, ob man in dunckele Gänge oder Hölen gerathen, und daselbst etwa mit Schlangen oder andern Thieren zu streiten haben würde. Hiernächst wurde auch verabredet, dem Capitain Horn nicht alle unsere Gedancken zu offenbaren, jedoch denselben zu bitten, uns durch seine Leute in dem nächst an dem Berge gelegenen Walde etwa 6. oder 8. Stück, 15. biß 16. Ellen, lange Balcken, und denn auch etliche 30. biß 40. Queer-Stücke aushauen und an den Fuß des Gebürges schaffen zu lassen; zu welchem Ende wir ihm denn einige Zeichen [307] auf dem Wege dahin machen wolten. Hierauf schlieffen wir etliche Stunden biß zu Anbruch des Tages, machten uns so dann auf die Beine, und gelangeten zeitig bey dem Capitain Horn an, statteten ihm Nachricht von unserer Reise ab, so viel er nehmlich davon wissen solte, fanden denselben zu allem, was wir von ihm begehrten, willig, nahmen die Mittags-Mahlzeit mit ihm ein, nachhero Abschied, versprachen, in wenig Tagen wieder zu kommen, liessen die gefundenen Urnen auf unser Schiff tragen, versprachen des Capitain Horns Leuten vor den ersten Fund, einem jeden bey der Abreise besonders ein halb Pfund Gold zum Gratial zu geben, stiegen ein, seegelten auf Groß-Felsenburg zu, und kamen in später Nacht in unsern Wohnungen an.

Mir war es eine besondere Freude, daß ich meine liebste Cordula nebst meinem kleinen Sohne bey vollkommener Gesundheit wieder fand, folgendes Tages liessen wir die 10. Urnen aus dem Fahrzeuge auf dieAlbertus-Burg schaffen, da sich denn, um diese Antiquitäten zu sehen, eine grosse Menge Volcks etliche Tage nach einander einfand, allein, auch die klügsten, verständigsten und gelehrtesten wusten nichts anders davon zu urtheilen, als was wir schon anfänglich in Klein-Felsenburg davon geurtheilet hatten. Die Characteres wuste auch kein Mensch auszulegen, ohngeacht unsere Herren Geistlichen im Arabischen, Syrischen, Chaldäischen Schrifften und Signaturen nicht unerfahren waren. Doch hielt Herr Mag. Schmeltzer davor, es könten vielleicht eine solche Art von Heyden gewesen [308] seyn, welche die Sonne, als ihren höchsten Gott, angebetet hätten, weil die Sonne nicht undeutlich, als ein alles regierendes Wesen, recht in der Mitte des Deckels der Urnen abgebildet wäre, hiernächst hielt er das oberste Zeichen vor den Mond, und das unterste vor ihren irrdischen Haupt-Götzen, weil dieses Zeichen etwas gröber ausgedruckt wäre als die andern 10. welche vielleicht die übrigen Planeten oder andere Gestirne, oder auch wohl andere selbst erwählte Götzen anzeigen solten. Doch wolte Herr Mag. Schmeltzer diese seine Meynung vor keine untrügliche Wahrheit ausgeben, wir aber hielten dieselbe, allen Umständen nach, vor sehr vernunfftmäßig. Da wir nun nachhero eine Relation von demjenigen abstatteten, was wir bereits weiter erforscht, und noch ferner zu untersuchen willens wären, fanden sich nebst dem Alt-Vater sehr viele, welche uns von diesen verwegenen und gefährlichen Vornehmen abrathen wolten, andere Wagehälse hingegen bothen sich an, uns Gesellschafft zu leisten, allein, wir liessen uns von den erstern nichts einreden und abschrecken, den letztern aber schlugen wir ihr Anerbiethen höflich ab, weil die Compagnie sonsten gar zu starck, mithin verdrüßlich worden wäre, in Klein-Felsenburg aber ohnedem Helffers-Helffer genung anzutreffen waren.

Man machte derowegen alles zu unserer Abfahrt fertig, und wartete nur, mir zu Gefallen, biß meineCordula am 19. Mart. zur Kirche gegangen war, Montags den 23. dito aber ging die Reise fort, nachdem wir uns mit Flinten, Pistolen, [309] Seiten-Gewehr, Fackeln, Wind-Lichtern, auch allerhand kräfftigen Speisen und Geträncke wohl besorgt hatten, und zwar so waren es eben diejenigen Personen, welche das vorige mahl mit gewesen waren, biß auf Lademannen, der kranck worden war, und an dessen Stelle wir den jungen Chirurgum Julium mit nahmen. Noch Vormittags gelangten wir bey dem Capitain Horn an, erfuhren von ihm, daß er unsern Willen in allen Stücken erfüllen, und die bestellten Holtz Stücken an den bezeichneten Ort, am Grunde der Hügel bringen lassen, weßwegen wir nur in der Geschwindigkeit etwas speiseten, so dann unsern Weg, in Begleitung des Capitain Horns und aller seiner Leute, biß auf ihrer 4. die theils Schäden an sich hatten, theils etwas unpäßlich waren, vor uns nahmen, und den Ort gar bald erreichten, wo das zugehauene Holtz lag. Hier packte nun alles an, was Hände hatte, die grossen und kleinen Stücken, theils Berg auf, mit Seilen zu schleppen, theils hinauf zu tragen, brachten auch noch vor Nachts alle Stücken hinunter in das Thal vor den schmalen Weg, stärckten hernach unsere abgemarteten Leiber mit Speise und Tranck, und legten uns endlich unter freyem Himmel zur Ruhe.

Noch vor Aufgang der Sonnen ermunterten wir uns wieder, verrichteten unser Morgen-Gebeth einstimmig, damit uns GOtt vor allen Schaden und Gefahr bewahren möchte, sungen ein paar geistliche Lieder, nahmen hieraus das Früh-Stück ein, und gingen mit aufgehender Sonne auch wieder [310] an unsere Arbeit. Allein, war uns die gestrige sauer geworden, so war in Wahrheit die heutige noch zehnmahl beschwerlicher, denn wie kühle es auch in dem engen Wege, zwischen den zwey Felsen-Mauern war, so brach uns doch der Schweiß aus, die langen Balcken hindurch zu bringen, weil wir dieselben bey jeder Krümme empor heben und also herum tragen musten, noch weit mühsamer aber war, selbige mit einem Ende auf das jenseitige Ufer des Abgrundes zu bringen, indem wir wenig Raum, auch keine tüchtige Machinen darzu hatten, jedoch es muste endlich alles angehen, wie wir denn noch vor Nachts die 8. langen Balcken in ihr ordentliches Lager brachten, nachhero aber sehr ermüdet unsere Bequemlichkeit auf dem steinigten Boden suchten, und uns sämmtlich auf demselben nieder lagerten. Viele unter unserer Gesellschafft schlieffen, nachdem wir Beth-Stunde gehalten, auf diesem, obschon elenden Lager, bald ein, allein, mir war es unmöglich einzuschlaffen, weil ich, wegen der schmertzlich drückenden Steine, ohngeacht ich meinen Rock darauf gebreitet, mich alle Augenblick einmahl umwenden muste; außerdem machte das Wasser in dem Schlunde, welches vermutlich in selbiger Gegend einen starcken Abfall haben mochte, in der stillen Nacht ein solches gräßliches Getöse, daß meine Ohren mehr als zu verdrüßlich wurden, selbiges anzuhören. DemMons. van Blac und dem Chirurgo Julio mochte es eben so gehen wie mir, derowegen stunden sie auf, setzten sich bey das angemachte Feuer, und fingen an, Toback zu rauchen, also [311] stund ich auch auf, und leistete ihnen Gesellschafft. Mons. van Blac erzählete von vielen Wunder-Dingen der Natur, die er auf seinen Reisen angemerckt hatte, und wir beyde höreten ihm fleißig zu, mithin wurde uns die Zeit gar nicht lang, allein, wir erschracken ziemlichermassen, da plötzlich gegen uns über, aus der Felsen-Klufft eine Feuer-Flamme in die Höhe fuhr, eben als wenn Colofonium durch ein starckes Rohr wäre geblasen worden. Wir sahen einander stillschweigend an, und wusten nicht, was wir davon sagen und dencken solten,Mons. van Blac aber sahe nach seiner Uhr, und sagte: Es ist itzo accurat die Mitternachts-Stunde eingetreten, entweder hat der Satan sein Spiel, oder es ist eine entzündete Schwefel- oder Salpeter-Dunst gewesen. Ich gab ihm Beyfall, etwa 4 oder 5. Minuten hernach aber, kam eben dergleichen Flamme zum andern mahle, und wieder nach so langer Zeit, zum dritten mahle heraus gefahren; weiln wir nun solchergestalt glaubten, es würde dieses noch öffter geschehen, so weckten wir die nahe liegenden Mons. Wolffgangen und Litzbergen nebst noch einigen andern auf, und diese hatten sich kaum ermuntert, auch angehöret, was passirt war, als eben dergleichen Blitz zum 4ten mahle geschahe, und alle 4. biß 5. Minuten ordentlich wiederholt wurde. Endlich da er zum 12ten mahle heraus gefahren war, sahe Mons. van Blac abermahls nach seiner Uhr, und sagte: Was guts? wenn es ein Spielfechten des Satans ist, so wird es nun bald ein Ende haben, denn die Mitternachts-Stunde ist bald vorbey.

[312] Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als eine gräßliche Stimme, die so starck war, als wenn 10. ja 20. Ochsen auf einmahl brülleten, die abgesetzten Sylben aus der Felsen-Klufft heraus rieff: Ka-to-ma-hoom. Es währete dieser Ruf, so zu sagen, in einem Athem, ohngefähr eine halbe Minute, worauf eine andere viel schwächere und gantz kläglich lautende Stimme, die, unsers Bedünckens, oben, zwischen den Felsen des schmalen Ganges hinter uns, heraus schallete, zur Antwort gab: Ur-mi-di. Hierauf höreten wir augenblicklich ein entsetzliches Geheule aus der Felsen-Klufft erschallen, eben als wenn eine gewaltige Anzahl Wölffe, Katzen, Eulen und dergleichen wohlsingende Thiere in einem Gewölbe eine Vocal-Music machten. Dieses Geheule dauerte ohngefähr 3. Minuten, worauf alles stille wurde. Mons. van Blac sagte: Nunmehro ist die Mitternachts-Stunde vorbey, und wir höreten, und sahen auch würcklich weiter nichts, biß der helle Tag anbrach, da sich denn die andern alle ermunterten, und sehr verwunderten, daß sie, nach erhaltener Nachricht von dem, was passirt war, nicht das geringste gehöret hatten.

Wir hielten hierauf die Morgen-Beth-Stunde, und sungen unter andern das Lied: GOtt der Vater wohn uns bey etc. verzehreten das Früh-Stück, und sahen nachhero zu, wie Capitain Horns Leute wechsels-weise die kleinen Quer-Höltzer mit eisernen Clammern, deren wir eine ziemliche Anzahl mitgebracht hatten, an einander und auch an die langen Balcken bevestigten, so, [313] daß sich nichts schieben solte, und wir also ohne alle Gefahr, nicht nur darüber gehen, sondern auch wohl ziemliche Lasten hätten tragen können.

Etwa 2. Stunden über Mittag war also die gantze Brücke fertig, allein, wir hielten nicht vor rathsam, gegen den Abend oder die Nacht zu, die jenseitige Klufft zu untersuchen, oder den grossen Berg zu beklettern, sondern es lieber zu sparen biß Morgen früh, damit wir den Tag vor uns hätten; was mir aber am besten gefiel, war dieses, daß der Capitain Horn seine Leute befehligte, nach ihren Hütten umzukehren, und zwar unter dem Vorwande, daß sie nicht so viel an ihrer Schiffs-Arbeit verabsäumen möchten, ausserdem so wäre eine so gar starcke Compagnie bey dergleichen Vornehmen, als wir hätten, nur beschwerlich, wenn wir aber ja etwas curieuses finden solten, wolten wir ihnen schon Nachricht davon geben, damit sie es hernachmahls nach Belieben auch in Augenschein nehmen könten, weiln ja der Weg offen bliebe, u.s.w.

Die guten Leute liessen sich so gleich weisen, parirten Commando, gingen frölich zurück, und versprachen, Morgen gegen Abend eine gute Mahlzeit vor uns zuzubereiten. Als sie fort waren, legten ich und diejenigen, welche in vergangener Nacht gar nicht geschlaffen hatten, uns in etwas zur Ruhe, und schlieffen indessen, da die andern, so geschlaffen hatten, Wechsels-weise zu wachen versprochen, sehr wohl, biß ein paar Stunden nach Untergang der Sonnen. Mittlerweile war von den munter gebliebenen ein groß Feuer angemacht [314] worden, um selbiges setzten wir uns herum, und warteten mit Verlangen, ob in der heuntigen Mitternachts-Stunde, abermahls etwas besonderes zu sehen und zu hören seyn würde.

Mons. van Blac sahe dieserwegen fleißig nach seiner Uhr, und als es kaum eine Minute über 11. Uhr war, kam eine gewaltige grosse Feuer-Kugel aus der Felsen-Klufft die Treppe herunter, und auf unsere Brücke gerollet, schwermete fast einer Minuten lang mitten auf derselben herum, und stürtzte sich endlich hinunter in den Abgrund, in welchem ein solches entsetztliches Geprassele und Getöse entstund, daß uns fast allen, sowohl über eins als über das andere, ein Grausen ankommen wolte, der eintzige Mons. van Blac sagte mit Lachen: Nur nicht näher! so geths noch hin. Ich bath ihn stille zu seyn, er aber sprach: man siehet nun doch wohl, daß es nichts natürliches, sondern ein teuffelisches Blendwerck ist, deßwegen muß man dem Teuffel die Liebe nicht thun, und sich vor ihm fürchten, vielmehr seiner spotten; Wir haben uns GOtt besohlen, und sind nicht gesonnen, etwas böses auszuüben, was hat der Teuffel vor Macht an uns? Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, als die andere Feuer-Kugel aus der Klufft Himmel zu fuhr, sich gemächlich wieder herunter senckte, eben als wenn sie zwischen uns niederfallen wolle, weßwegen wir indem aufspringen und zurück lauffen wolten, allein, da sie noch wohl 50. Ellen über uns war, verging sie plötzlich als ein Wind. Mons. van Blac hatte in Wahrheit die meiste Courage unter uns [315] allen, denn er blieb ohnbeweglich sitzen, schalt unsere Furcht, die wir wegen des Teuffels-Gauckeley hätten, und ermahnete uns, ein stärcker Vertrauen auf den Göttlichen Schutz zu setzen. Demnach blieben wir gantz hertzhafft sitzen, ob gleich vor Verlauff dieser Stunde noch 10. Feuer-Kugeln aus der Felsen-Klufft heraus geflogen kamen, die theils auf der Brücke herum schwermeten, und sich hernach in den Abgrund stürtzten, theils hoch in die Lufft stiegen, im Heruntersincken aber verschwanden. Nachdem dieses Feuer-Werck vorbey war, ließ die Stimme aus der Felsen-Klufft folgende deutliche Sylben erschallen: On-za-to hoom! und die hinter uns antwortete noch kläglicher als gestern: Mi-di-schriz-schriz-schriz! Hierauf hörete man abermahls ein gräßliches Brüllen, Heulen und Winseln aus dem grossen Berge erschallen, eben als wenn lauter Löwen, Bären, Wölffe, Hunde, Katzen und dergleichen Thiere darinnen befindlich wären, da aber die Mitternachts-Stunde zu Ende, ward alles auf einmahl stille, derowegen schlieffen wir Wechsels-weise, biß der helle Tag wieder da war.

Nachdem wir uns ingesammt in einem andächtigen Morgen-Gebeth GOtt befohlen, auch die Leiber mit kräfftiger Speise und köstlichen Weine gestärckt hatten, steckten wir, jeder die Taschen voll Victualien, hingen die mit Wein gefülleten Flaschen über die Schultern, nahmen in die lincke Hand eine Pech-Fackel oder Wind-Licht, in die rechte aber theils einen Degen oder Pistol, deren jeder ein paar vor sich im Gurt gesteckt mit sich genommen, [316] die Flinten hingen gleichfalls auf den Schultern, und also marchirten wir Paar und Paar über die Brücke hinüber, an welcher nicht das geringste zu sehen war, daß sich in vergangener Nacht Feuer-Kugeln darauf herum getummelt hatten. So bald wir die Stuffen hinauf und in die Felsen-Klufft eingetreten waren, zeigte sich ein ohngefähr 3. Ellen breiter Gang gegen Süden zu, der jedoch von forne zu vollkommen durch das Tages-Licht erleuchtet wurde, welches von oben durch die Felsen-Ritzen hinein fiel, endlich wandte sich der Weg auf einmahl gegen Osten, und als wir denselben etwa 20. Schritt passirt, war kein Tages-Licht mehr, sondern eine dicke Finsterniß vor uns zu sehen; weßwegen wir alle unsere Fackeln und Laternen ansteckten. Mons. van Blac und der Capitain Horn gingen voraus, dieCapitains Wolffgang und Wodley folgten ihnen, hernach kam Mons. Litzberg und ich, auch die übrigen Paar und Paar. Bißhero war uns nicht das geringste von Ungeziefer vor die Augen gekommen, doch nunmehro, da wir die Feuchtigkeit spüreten, ging auch die Furcht vor dem Ungeziefer an, allein, wir merckten nichts, sondern kamen, nachdem wir etwa 100. Schritt durch die Finsterniß gegangen waren, auf einem 20. Schritte langen auch so breiten Platze alle zusammen zu stehen. Der Platz war ziemlich viereckig, biß 7. Ellen hoch, und oben als ein Gewölbe, sonsten aber an dessen Seiten nichts von Figuren oder sonsten etwas zu bemercken. Gleichwie wir nun bißhero nur einen kurtzen Strich gegen Osten, hergegen immer [317] nach Süden zu gegangen waren, so fand sich auch auf derselben Seite ein 3. Ellen hohes Loch oder Thür, oben mit einem ordentlich ausgehauenen Schwibbogen, und nach fernerer Untersuchung eine Treppe von breiten Stuffen in die Tieffe. Ehe wir da hinein traten, thaten wir alle erstlich einen guten Schluck Weins, hernach ging die Reise fort, und ich kan nicht läugnen, daß, als ich schon 200. Schritt hinab gezählet hatte, und dennoch kein Ende zu sehen war, mir, ohngeacht der Gesellschafft, doch gantz bange ums Hertze wurde. Endlich, ehe wir es uns versahen, befanden wir uns vor einem ordentlichen Tempel, in welchen das Tags-Licht durch etliche Oeffnungen des Felsens hell und klar hinein fiel, weßwegen ein Theil unserer Fackeln und Wind-Lichter ausgelöscht und nur einige derselben brennend hingesetzt wurden, wir aber gingen sämtlich in den Tempel hinein, um denselben genauer zu betrachten, da wir denn Dinge fanden, welche wir allhier nimmermehr gesucht hätten. Um aber alles genau zu beschreiben, so war der Tempel im Umfange gantz rund, in der weite 68. Ellen, und 26. Ellen hoch, nehmlich da, wo er am höchsten war, denn die Decke war auch rund, als ob sie ordentlich ausgewölbt wäre, da es doch nur durch Menschen also ausgehölet war.

In der Mitte dieses Tempels befand sich ein runder Altar, auf selbigen ein etwa Ellen hohes Gestelle, und auf diesen ruhete eine guldene Kugel, die im Durchschnitte 3. Viertel-Ellen hatte, und deren eingefügte grosse, mittelmäßige und kleine Diamanten und andere edlen Steine einen wunderbaren [318] schönen Glantz gaben, ja rechte Strahlen von sich warffen, zumahlen, da wir nachhero bey Nachts-Zeit Lichter dargegen stelleten. Rings um diesen Altar herum, zähleten wir 12. halb-runde Altäre an den Wänden des Tempels angefügt, auf deren jeden ein 2. Ellen hohes massiv-güldenes Götzen-Bild, und zwar in ordentlicher Weite von einander stunden. Das erste, so der Thür, wo wir hinein getreten, gegen über stund, præsentirte sich in Gestalt eines Frauenzimmers, die einen mit Edelgesteinen besetzten halben Mond auf dem Kopffe, in den Händen aber einen gespanneten Bogen mit darauf gelegten Pfeile hatte, und sich stellete, als ob sie eben loß drücken wolte; zu ihren Füssen waren 2. Hirsch-Köpffe mit Geweyhen, ebenfalls von Golde zu sehen. Das andere von oben her, uns zur Rechten, war ein scheußliches Monstrum, indem es einen Kopff fast wie eine Nacht-Eule, vor der Stirn nur ein grosses Auge, sonsten aber fast über und über die Gestalt eines Bären hatte. Das dritte machte die Stellung eines ergrimmten Menschen, der etwas mit der Keule in Stücken zerschlagen will. Das vierte war zwar auch am Leibe gestaltet als ein Mensch, hatte aber einen Hunds-Kopff mit einem geraden spitzigen Horne. Das fünffte zeigte die Figur eines aufgerichts sitzenden Ochsen, der die beyden Vorder-Pfoten ausstreckte, und den Rachen weit aufsperrete. Das sechste stellete das ordentliche Bildniß des Neptuni oder Meer-Gottes mit seiner dreyzackigten Gabel dar, so, wie es heutiges Tages gemahlt oder ausgehauen wird. Das siebende war unter allen das scheußlichste, indem es[319] einen Löwen-Kopff mit krummen Hörnern und grausame Krallen an den ausgebreiteten Vorder-Pfoten hatte. In die Augen waren ihm 2. grosse Diamanten eingesetzt, welche starcke Strahlen von sich warffen, mithin dieses Bild desto gräßlicher vorstelleten, dessen Unter-Leib die Gestalt eines halben Frosches hatte; am allerschändlichsten aber præsentirte sich dasjenige Glied, welches zu verdecken, selbst die Natur erinnert, allein, hier schien es, als wenn das Modell von einem brünstigen Hirsche genommen wäre. Das achte Götzen-Bild, welches an unserer Eingangs-Thür zur Lincken stunde, fiel gegen das vorige etwas besser in die Augen, indem es ein lächlendes Frauenzimmer vorstellete, die auf dem Haupte eine Crone, von Aehren und allerley Blumen, die reichlich mit Edelgesteinen besetzt, unter dem rechten Arme ein Gefäß mit Obst-Werck, in der lincken Hand aber einen Becher hatte. Unsern Muthmassungen nach, solte dieses Bild vielleicht die Göttin Ceres, so, wie das erste, etwa die Dianam vorstellen. Das neunte hatte die ordentliche Figur eines Affen, der auf dem Hintergestelle saß, die eine Vorder-Pfote in die Höhe, die andere aber niederwerts reckte, und die Zähne fletschte. Das zehende war abermahls ein schändliches Monstrum, indem auf 2. Greiffen-Klauen ein fast Kugel-runder sehr dicker Bauch, woran ein weibliches Geburths-Glied aus ärgerliliche Art bemerckt, zu sehen war. Um den Nabel herum zeigeten sich 6. Zitzen, oben aber lieff der gantze Bauch, ohne eine ordentliche Brust zu formiren, immer schmäler zu, so, daß es das Ansehen eines [320] Halses bekam, aus welchem 2. Hände gewachsen, die ein kleines nackendes Kind bey dem Kopffe hielten, dessen Füsse in dem weit ausgesparreten Maule des auf dem Halse stehenden breiten Kopffes stacken. Sonsten aber befand sich auf diesem Kopffe eine sauber ausgearbeitete Crone von güldnen Blättern, die dem Epheu gleichten, zwischen selbigen auch viele edle Steine. Das eilffte stellete eine junge vigoreuse Manns-Person mit verdeckter Schaam vor, indem selbige auf dem lincken Fusse stund, den rechten aber vor sich aufgehoben hatte. In der Rechten hielte sie einen Griffel, in der Lincken aber eine Tafel, und zwar so, als ob sie darauf schreiben wolte. Weiln auch auf dem Rücken Flügel zu sehen, so bedünckte uns, daß dieses Bild vielleicht den Mercurium vorstellen solte. Das zwölffte endlich, so der, von uns also genannten Diana gleich zur Rechten stund, war eine, auf einer Kugel mit dem Schwantze sitzende ordentliche Schlange, Schlangen-weise in die Höhe gerichtet, mit einem starcken Kopffe und funckelenden Augen, und einem im Maule haltenden güldenen Apffel.

Ausser diesen Götzen-Bildern und mehr gemeldten, war doch in dem gantzen so genannten Tempel nicht das geringste von andern Sachen mehr anzutreffen, auch kan ich mit Wahrheit versichern, daß nichts von Staube oder Beschlag, ohngeachtet es ein unterirrdisches Gewölbe, darinnen zu spüren war, sondern die güldenen Statuen oder Götzen-Bilder, gläntzten alle noch dergestalt, als ob sie erst gestern vom Goldschmiede verfertiget worden.

Anfänglich glaubten wir zwar nicht, daß alle diese[321] Bilder durchgehends von puren Golde wären, allein, da einige der unsern an verschiedenen ein und andere Proben gemacht, fiel fast aller Zweiffel, und derowegen waren wir ingesa t, über diesen gefundenen unschätzbaren Schatz fast ausser uns selbst, konten die ungemein saubere Arbeit nicht genung bewundern, und musten nunmehro vollkommen glauben, was die heilige Schrifft und so mancher Geschicht-Schreiber von den besondern Künstlern der alten Zeiten meldet. Endlich gingen wir davon ab, und fanden noch 3. andere Ausgänge aus diesem Tempel, deren 2. so wohl als der, da wir herein gekommen, offen stunden, von dem 4ten aber, der sich gegen Süden zu, gleich neben der Statua der Diana befand, bemerkten wir eine steinerne mit eisernen Stäben oder Riegeln wohl verwahrte Thür, welches uns einiges Nachdencken verursachte. Nachdem nun in Vorschlag gebracht worden, den Ausgang nach Westen zu, noch zu untersuchen, so bezeigten die wenigsten von unsern Gefährten Lust darzu, indem es weit über Mittag war, und der Abend heran zu nahen begunte, gaben vielmehr zu verstehen, daß wir bey Zeiten wieder zurück kehren möchten, weiln es über Nacht in diesen unterirrdischen Gewölbern zu verbleiben gar zu fürchterlich wäre. Allein, Mons. van Blac trat hervor, und hielt folgendeheroische Rede: »Meine Herren! sagte er, wer wolte furchtsam seyn? es ist zwar leicht zu erachten, daß der Teuffel entsetzlich böse seyn wird, weil uns GOTT wunderbarer Weise hieher geführet hat, seine Capelle zu zernichten, in welcher er vielleicht noch [322] mit der Zeit neue Anbeter zu sehen vermeinet hat; allein, was wird er anders thun, als etwa unsern Augen ein Blendwerck und unsern Ohren ein Getöse vormachen können? Ich weiß, daß sich seine Krafft, Macht und Gewalt allenfalls nicht weiter erstrecken wird, und wir können mit Recht unser Gespötte darüber haben, da wir wissen, daß GOTT unser mächtiger Beschützer ist, dem zu Ehren und zu Lobe, wenn es nach meinem Sinne gehet, wir nächster Tags die schändlichen falschen Götter, auf der Insul Groß-Felsenburg, im Triumphe einführen wollen. Meine Herren! seyd derowegen Männer, lasset uns nur erstlich ein wenig erforschen, was es mit diesem Ausgange gegen Westen zu vor eine Bewandniß habe, und hernach bevorstehende Nacht mit Beten, Singen zu GOTT, in diesem Heyden-Tempel zubringen, denn es ist schwer zu glauben, daß, weil die Welt stehet, ein andächtig Vater Unser etc. an diesem Orte gebetet worden. Saget mir, ob GOTT hieran nicht einen besondern Gefallen haben wird, wenn man ihn an einen solchen Orte im Geist und in der Wahrheit anbetet, wo vielleicht vor diesen der Teuffel auf mancherley Art angebetet worden? Oder meinet ihr etwa, daß GOTT dieses Gewölbe, welches seine Langmuth so viele hundert oder tausend Jahre veste stehen, eben diese Nacht auf unsere Häupter wird einfallen lassen? Ich gläube es nicht, sondern hoffe, der GOtt, der uns hierher geführet hat, wird uns auch erhalten, dem Teuffel zum Trotz. Hiernächst legen wir, wenn wir diese Begebenheiten [323] nach Europa berichten wollen, vor aller Welt Ehre ein, und die gantze Welt wird sich wundern, daß wir solche Glücks-Kinder sind, die je mehr Schätze finden, je mehr sie anderen Bedürfftigen damit zu helffen geneigt sind. Ich vor meine Person gehe nicht von dannen; will niemand bey mir bleiben, so bleibe ich alleine hier, damit ich Morgen nicht den Herweg vor den Hinweg rechnen muß.«

Indem nun Mons. van Blac diese kleine Oration mit recht ernsthafften Gebärden hielt, schiene es, als ob die andern alle neuen Muth bekämen, derowegen versprachen wir, ihm, als dem glückseligen Vorgänger bey dieser Sache, in allen Stücken zu folgen, wo er hin wolte. Demnach steckten wir unsere Fackeln und Wind-Lichter an, und spatzirten in den dunckeln Gang nach Westen zu, welcher ohngefähr 80. Schritt lang war, und so dann ein Ende hatte, auf jeder Seite aber bemerckten wir 6. schmale Eingänge, weßwege wir im Rückwege selbige durchkrochen, mithin 12. geraumliche Cammern angetroffen wurden, in welchen wir einen starcken Vorrath von Eisen, Kupffer, Bley, allerhand wunderlich, jedoch zur Arbeit und Haußhaltung dienlichen Instrumenten, nebst dem, sehr viel verfault und vermodert Zeug fanden. Schauffeln, Picken, Hacken und dergleichen, lagen genung da, allein, die höltzernen Stiele an denselben, waren entweder schon verweset, oder sie zerfielen uns in den Händen, wie anderes faules Holtz. Mit Besichtigung anderer Instrumenten aber, die wir weder zu nennen noch ihren eigentlichen Nutzen wusten, brachten wir[324] endlich die Nacht heran, gingen deßwegen auch mit dieser Curiosität wohl vergnügt wieder zurück, lagerten uns in dem geraumlichen Vorhofe des Tempels, der so gleich vor der Thür nach Norden zu befindlich, auf den Boden, liessen unsere Wind-Lichter bey uns stehen, hielten die Abend-Mahlzeit, nach derselben aber eine andächtige Bet-Stunde, und warteten mit Verlangen auf die Mitternachts-Stunde. Allein, mit Eintritt derselben geschahe ein grausamer Knall, eben als wenn 100. Canonen auf einmahl gelöset würden, auf diesen folgte ein grausames Geprassele, der Boden bebete unter uns, und es lief sich anhören, als ob der gantze Berg in viel tausend Stücken zerspringen und in einen Klumpen zerfallen wolte. Wie uns hierbey zu Muthe gewesen, wird jederman leicht muthmassen, zumahlen da unsere Lichter nur einen kleinen Schein von sich gaben, als ob sie indem ausgehen wolten, weil ein dicker Staub oder Nebel dieselben verdunckelte. Endlich, da das gräßliche Geprassele und unser erster Schrecken über 3. Minuten lang gewähret, ward alles stille, wir spüreten keine Erschütterung mehr, unsere Lichter fingen an heller zu brennen, der dicke Nebel verzohe sich zum Theil, so, daß wir erstlich mit Verwunderung bemerckten, wie die auf dem Altar befindliche runde Kugel als ein Uhrwerck sehr schnell herum lieff, und Strahlen von allerhand Farben von sich warff. Ferner bemerckten wir, doch als im Nebel, womit der Tempel angefüllet war, daß sich Figuren wie Menschen in demselben regten, so theils gingen, theils stille stunden, theils auf dem Boden herum webelten. Um [325] halb 12. Uhr stund die Kugel auf einmal stille, aus dem Eingange nach Osten zu, erschallete ein gräßlicher Laut, als ob auf einem grossen Horne geblasen würde. Hierauf erhub sich ein wunderlich durch einander her, grob und klar klingendes Schreyen, Heulen und Winseln, welches etwa 4. Minuten währete, und als das Horn zum andern mahle geblasen wurde, so gleich aufhörete. Nach diesem ließ eine dumpffigte Stimme, die unserm Bedüncken nach aus dem grossen Altare kam, etliche unvernehmliche Worte hören, worauf sich ein sanfftes Gemurmele im gantzen Tempel erhub, inzwischen aber liessen sich bald dort bald da laute Stimmen hören, als ob sie etwas fragten, worauf ihnen die dumpffigte Stimme aus dem Altar allezeit ordentlich antwortete, biß endlich das Schreyen, Heulen und Winseln wieder anging, und sich nicht eher als bey Blasung des Horns endigte. Kaum war der Schall des Horns verschwunden, als sich eben ein so starcker Knall, wie vor einer Stunde, auch eben dergleichen Erschütterung, Gepoltere und Geprassele, zutrug, jedoch über alles dieses war der gantze Tempel voll lauter Feuer, und nicht anders anzusehen, als ein im höchsten Grad geheitzter Brenn- oder Schmeltz-Ofen, es schlugen etliche mahl Flammen heraus auf uns zu, weßwegen einige der Unsern furchtsam werden und zurück welchen wolten, allein, wir vordersten sassen wie unbewegliche Steine, liessen uns nichts anfechten, und ich kan versichern, daß die heraus schlagenden Flammen nicht die geringste Hitze mit sich brachten, sondern ein blosses Lufft-Spiel waren, welches[326] Gauckel-Spiel unter einem wiederholten Knall alles auf einmahl verschwand.

Nachdem wir uns von der gehabten Alteration, völlig erholt, vermeyneten einige, das Feuer würde im Tempel alles verzehret haben, allein, da unsere Lichter wiederum vollkommen helle zu brennen anfingen, sahen wir keine Veränderung, ja, Mons. van Blac war so hertzhafft, mit einer Laterne im gantzen Tempel herum zu spatziren, und meldete sodann, daß er alles unversehrt gefunden hätte.

Folgenden Morgens war unsere erste Arbeit, den Ausgang nach Osten durchzusuchen, und daselbst fand sich, nachdem wir nur etwa 10. oder 12. Schritte in die Höle hinein gethan, ein güldenes Horn, etwa so lang, als ein gekrümmter Manns-Arm, jedoch unten sehr weit und dick, an einer güldenen Kette hangen, gleich darneben auf der rechten Seite war eine offene Thür, durch welche wir in eine grosse Cammer, oder so zu sagen, Vorhoff traten, in welchem gerade vor uns, nach der Süd-Seite zu, 2. offen stehende, nach der Ost-Seite aber, eben so viel, jedoch verschlossene Thüren, zu sehen waren. Die erste von den offen stehenden führete uns in eine grosse Cammer, die ziemlich helle war, indem das Tages-Licht durch 2. grosse Felsen-Löcher hinein fiel, sonsten aber kam uns die Cammer als eine Küche, oder gar als ein Laboratorium vor, indem sich einige hohe und niedrige Heerde, so dann verschiedene kleine, auch ziemlich grosse Feuer- und Schmeltz-Oefen, ingleichen 2. eingemauerte küpfferne Pfannen, eine 4. die andere 21/2. Ellen lang, beyde aber 2. Ellen breit und tieff, an welchen allen [327] die Rauch-Fänge gar künstlich und geschickt oben hinaus geführet waren. Hiernächst fanden sich verschiedene in Ordnung gesetzte Instrumenta, als: Feuer-Röhre, Schauffeln, Gabeln, Hacken, eiserne und küpfferne Töpffe, Tiegel, Pfannen, Schaalen, grosse und kleine Platten, und dergleichen Zeug, welches man theils in der Küche, theils beym Schmeltzen undLaboriren brauchen kan; sonsten wurden noch 2. grosse zugedeckte Löcher entdeckt, deren eines gantz mit Kohlen, und das andere über die Helffte mit Asche angefüllet war, ausser diesem allen aber nichts besonderes merckwürdiges, weßwegen wir zurück und in die 2te offen stehende, Cammer gingen, die ebenfalls vom Tages-Licht erleuchtet war. Allhier zeigte sich der Thür gleich gegen über auf einem halb-runden Altare das Bildniß Phœbi, so, wie es noch heutiges Tages von den Mahlern und Bildhauern vorgestellet wird. Es war dasselbe so wohl wie die andern im Tempel 2. Ellen hoch, und von puren Golde. Auf jeder Seite des Altars, als wohin das meiste Tages-Licht fiel, stunde ein aus dem gantzen gehauener steinerner Tisch, vor jedem auch ein steinerner Sessel, in der Mitte eines jedweden Tisches aber war eine viereckigte, grosse, güldene, glatt-gemachte Platte eingefügt, an welchen so gleich zu mercken, daß sie heraus genommen werden konten; als wir demnach die auf dem Tische zur Rechten ausgehoben, fanden sich in dem ausgehölten Tische 253. küpfferne und 118. steinerne Täflein, jedes 8. Zoll lang und 51/2. Zoll breit. Es wurde erstlich von jeder Sorte nur eins, hernach alle zusammen heraus genommen, [328] jedoch numerirteMons. Litzberg die küpffernen und ich die steinernen mit spitzigen Instrumenten, indem oben und unten an den Täfleins Platz genung darzu war. Auf allen Tafeln durchgehend, befanden sich, auf jeder Seite, nicht mehr und nicht weniger als 13. Zeilen Schrifft, die aber von uns so wenig gelesen, als nur ein eintziger Buchstabe oder Character erkandt werden konte.Mons. Litzberg wurde vor allen andern hierüber dergestalt verdrüßlich und ungedultig, daß er sprach: »Wolte der Himmel! daß alle in diesem Berge befindlichen Kostbarkeiten zu blossen gemeinen Steinen würden, wenn ich nur dagegen das Vergnügen haben solte, diese Schrifft lesen und auslegen zu können.«

Viele, worunter auch ich, waren mit ihm einstimmig, der Wunsch aber vergeblich, derowegen wurde alles wiederum ordentlich nach den Nummern hinein gelegt, und wir begaben uns an der andern Tisch, huben die güldene Platte gleichfalls auf, und fanden unter derselben 402. güldene Tafeln, jede 9. Zoll lang, 7. Zoll breit und 1/8. Zoll dicke. Auf jeglicher Seite waren ebenfals nicht mehr als 13. Zeilen, jedoch die Littern oder Characters etwas gröber ausgestochen, als in den vorherigen küpffernen und steinernen. Sie wurden alle ebenfals numerirt, und biß aus weitern Bescheid indessen wieder an ihren Ort und Stelle gelegt.

Lincker Hand, in der etwas dunckeln Ecke, sahe man eine, gleich einem Back Troge ausgehauene steinerne Lager-Statt, vor derselben eine Absatz, [329] Stuffe oder Banck, und zum Häupten in der Ecke einen Tisch, unter welchem in 3. Fächern allerhand Instrumenta, als Messer, Grabstichel und dergleichen von verschiedener Grösse in behöriger Ordnung lagen. Auf dem Tische und der Banck stunden und lagen verschiedene Sachen, als eine küpfferne Flasche, ein goldener Trinck-Becher, 2. Pfannen oder halbe Töpffe, 2. güldene Schalen, die an statt der Schüsseln, und so viel Platten, die an statt der Teller zu gebrauchen, verschiedenes kleineres Geschirr, ein Messer, ein Löffel, dessen Stiel eine Schlange vorstellete, und was es sonsten mehr war. In obgemeldeter Lager-Statt fand sich, nach genauer Besichtigung, erstlich oben ein würcklicher Todten-Kopff, so dann die stärcksten Menschen-Knochen in ausgestreckten Lager, die dünnen, kleinen und schwachen Knochen aber waren schon gäntzlich, oder doch mehrentheils verweset, und so wohl als die Kleider, die dieser Mensch angehabt haben mochte, zu Mülben und Asche worden. Wir liessen den Rest dieses Cörpers in seiner Ruhe liegen, erblickten zu dessen Füssen nach der Thür hin, noch 2. eben dergleichen Lager-Stätten, die aber rein und ledig waren, und da also in dieser Cammer weiter nichts merckwürdiges anzutreffen, eröffneten wir die Thüren der 3ten und 4ten Cammer, muthmasseten, daß solches die Speise- und Vorraths-Cammern gewesen seyn mochten, indem sich viel vermodertes und zu Staub und Asche gewordenes Zeug darinnen befand, doch kan ich auch nicht läugnen, daß wir einen ziemlichen Vorrath von nutzbaren [330] Sachen allhier antraffen, die, wo nicht eben uns, doch unsern Nachkommen, noch wohl dienlich seyn können. 1

[331] Hierauf nahmen wir den Rückweg nach der ersten Thür, bey welcher das grosse güldene Horn hing, erblickten derselben gegen über abermahls eine Thür, welche uns in ein Gewölbe oder Cammer führete, darinnen eine ziemliche Anzahl sowohl küpfferner als steinerner Wasser- oder Wein-Krüge und dergleichen Gefässe, befindlich, woraus zu schliessen, daß dieses der Keller gewesen, wo man das Geträncke verwahrt, wie denn gantz zu hinterst in diesem Gewölbe ein Ströhmlein des kläresten und süssesten Wassers, fast eines Arms dicke, oben aus dem Felsen heraus geschossen kam, und sich auf dem Boden in einen sehr tieffen Riß ergoß, über welchen jedoch ein steinerner Trog von ziemlicher Grösse gesetzt war. Im Zurückgehen, fanden wir auf der rechten Seite im Gange, noch ein schmales Loch, jedoch weil man etliche Stuffen dahinunter, gewahr ward, wagten sich Mons. van Blac und der Capitain Horn allein hinunter, und versprachen, wenn Gefahr vorhanden, so gleich wieder umzukehren, bey guten Fortkommen [332] aber einen Laut von sich zu geben. Da wir nun diesen zum öfftern höreten, folgeten Litzberg und ich ihnen nach, und traffen die beyden Vorgänger in dem ausgehölten Altare an, auf welchem sie zu oberst schon eine güldene Platte aufgehoben und mit dem halben Leibe hinauf gekrochen waren, so, daß sie den gantzen Tempel übersehen konten, worauf sie uns beyden Nachkommenden hierzu auch Platz machten. Sonsten befand sich in diesem Altare ein stählernes Uhrwerck, vermittelst dessen die güldene Kugel zum schnellen Herumlauffen gebracht werden konte, welches Mons. Litzberg zu unserer aller Verwunderung, so offt er nur wolte, werckstellig zu machen geschickt war. Ausserdem bemerckten wir 8. kleine Löcher, in welche man etwa einen Finger stecken, jedoch alles im Tempel dadurch beschauen konte. Ingleichen fand sich ein güldenes unten sehr weites, fast wie ein Sprach-Rohr gemachtes Horn, bey nahe einer Ellen lang, darinnen, welches uns auf die Gedancken brachte, es würden vielleicht die Götzen-Priester den Fragenden dadurch geantworttet haben, und daß dieses gantze Heiligthum etwa gar ein Oraculum gewesen wäre. Vor dieses mahl aber legten wir alles wieder an seinen Ort und Stelle, nahmen den Rückweg, und öffneten die wohl eingefügte steinerne Thür, so gegen Süden zu, bey dem Altare der Diana befindlich war. Ausserhalb dieser fanden wir eine starcke eiserne und dann noch eine dicke steinerne Thür, die alle beyde mit grossen eingelegten eisernen Riegeln verwahrt, und mit schwerer Mühe eröffnet werden musten.

[333] Da aber dieses geschehen, konte man ein geraumes, doch unförmliches sehr finsteres Loch sehen, in welches wir mit allen angezündeten Fackeln und Wind-Lichtern eintraten, jedoch nur etliche 70. biß 80. Schritte fort thaten, als wir oben über uns, durch einen schmalen Felsen-Riß, den klaren Himmel, ja so gar etliche Sterne an demselben erblickten, welches einigen in der Astronomie Unerfahrnen, unter uns sehr wunderbar vorkam, allein, es wurde ihnen dieses Wunders Ursache bald kund gemacht. Je weiter wir fort schritten, je breiter wurde nicht allein der Felsen-Riß über unsern Häuptern, (so, daß wir der Fackeln hätten entbehren können) sondern auch der Weg, in welchem wir sehr übel fort kommen konten, denn es war derselbe dergestalt voll Risse, Klüffte, spitze und scharffe Steine, daß man alle Augenblick befürchten muste, nicht nur die Schue, sondern vielmehr die Füsse zu beschädigen. Dieser schändlich böse Weg war über 130. Schritt lang, biß wir an einen ziemlich starcken Wasser-Fall kamen, welcher erstlich einen mäßigen Teich machte, und aus welchem hernach das Wasser durch krumme Wege weiter Berg- abfloß. Wir glaubten, daß dieses eben das Wasser sey, welches oben aus dem Keller und unter dem Götzen-Tempel hinweg biß hierher käme, passirten an der lincken Seite des Teichs, auf einen etwas bessern Wege, um einen runden Hügel herum, und bekamen, nachdem wir noch etwa eine halbe Viertel-Stunde Wegs zurück gelegt, erstlich einen weitläufftigen angenehmen grünen und ebenen Platz, auf welchem sehr viel [334] fruchtbare Bäume stunden, vor demselben aber die offenbare See ins Gesichte. Wir gingen biß an das Ufer der See, und fanden selbiges sehr bequem zum Anländen, an keinem Ende des Platzes aber, war man vermögend, um das Gebürge herum zu kommen, sondern die steilen Felsen-Spitzen gingen weit in die See hinein, machten also, daß dieser grüne Platz, dessen Länge am Ufer etwa 500. Schritt, die Breite aber von dem Berge biß zum Ufer etwa 400. Schritt war, ein rundes aufgeschnittenes Brod pæsentirte.

Bey unserer Herum-Fahrt um diese kleine Insul, war dieser grüne Platz zwischen und unter den rauhen Felsen bereits angemerckt worden, weßwegen es keine Mühe bedurffte, mit dem Boote daselbst anzufahren, weiln es aber bereits Mittag war, rieth Mons. van Blac, daß wir nunmehro, da unsere Curiosität sattsam vergnügt, den Rückweg suchen, und so viel, als möglich, nach den Hütten eilen möchten, indem sonsten die Zurück geschickten, sich eines uns begegneten Unglücks-Falls besorgen, also ohnfehlbar kommen, und uns aufsuchen würden. Capitain Horn versetzte hierauf: »Meine Herren! ich habe auch etwas zu erinnern; mir scheinet nicht rathsam zu seyn, von allen dem, was wir unter diesem Gebürge gefunden und gesehen haben, meinen Leuten und den Portugiesen einen wahrhafften Bericht abzustatten; die Ursachen sind leicht zu errathen, was wir ihnen aber vorschwatzen wollen, das kan unterwegs unter uns verabredet werden, damit wir alle bey einerley Rede bleiben. Mein getreuer Rath ist demnach dieser, [335] daß sie allerseits, gleich Morgen zurück fahren, bey diesem grünen Platze anländen, durch den Gang, den wir itzo gekommen sind, und wieder zurück gehen wollen,passiren, und von den gefundenen Schätzen, aus dem Tempel und sonst, so viel mit hinüber nehmen, als ihnen auf das ernste mahl beliebig ist, nachhero können sie ja in folgenden Tagen, ohne sich bey uns spüren zu lassen, so offt kommen, biß alles ausgeleeret ist. Hiernächst halte ich vor das Beste, daß wir unsere geschlagene Brücke von einander reissen, und in den Abgrund stürtzen, denn es wird uns ein leichtes seyn, etliche eiserne Clammern auszubrechen, so dann die langen Balcken aus einander zu ziehen, worauf die gantze Machine in den Grund sincken muß. Ich würde ihnen, meine Herren! (fügte der Capitain Horn noch hinzu) vielleicht diesen Rath nicht geben, wenn ich interessirt wäre, und nach nochmahliger glücklichen Zurückkunfft aus Europa, nicht selbst Lust hätte, meine übrige Lebens-Zeit auf der glückseligen Insul Groß-Felsenburg zuzubringen, und mich mit einem bereits auserwählten lieben Schatze zu vereheligen, welches beydes mir hoffentlich nicht wird abgeschlagen werden. Allein, nunmehro ist keine Zeit zu versäumen, sondern vielmehr zurück zu eilen, unterwegs kan von allen ein mehreres gesprochen werden.«

Dieser Vortrag des Capitain Horns kam uns allen gantz wunderbar vor, doch fanden wir vor billig, ihm in allen Stücken Beyfall zu geben, und nachdem wir erstlich die Brücke in den Abgrund [336] gestürtzt, ein mehreres von den Sachen zu reden, eileten also möglichstermassen zurücke, und kamen gleich nach 3. Uhr auf dem Plätzgen, jenseit unserer höltzernen Brücke an. Hier schickten wir die beyden alten Herrn Wolffgang und Wodley voraus, nachdem wir mit ihnen verabredet, daß sie am Fusse des Gebürges unserer warten, woferne ihnen aber einige von Capitain Horns Leuten begegneten, nur mit ihnen nach den Hütten gehen und vorgeben solten, wir jungen Leute hätten erstlich noch ein Gebürge besteigen wollen, welches ihnen zu verdrüßlich geschienen, würden aber in weniger Zeit nachfolgen. Inzwischen waren unsere Hände dergestalt fleißig an Zerreissung der Brücke, daß selbige um 5. Uhr schon völlig in die Tieffe versenckt, und man kaum sehen konte, daß an diesem Orte eine gewesen war. Allein, weil wir uns bey dieser Arbeit ziemlichermassen entkräfftet, konten die Füsse nicht sogar scharff, als sonsten, marchiren, derowegen war die Sonne schon untergegangen, als wir die Herrn Wolffgang und Wodley unten am Fusse des Berges auf der Ebene antraffen. Wir setzten uns, von der grossen Müdigkeit in etwas auszuruhen, bey ihnen nieder, beschlossen auch, mehrentheils diese Nacht allhier zu verbleiben, weil noch Proviant genung vorhanden war; allein, Capitain Horn sagte: Meine Herren! wir wollen heute zwar nicht nach den Hütten, aber doch, wenn wir erstlich ausgeruhet, ein Stück Wegs nach Nord-Osten zugehen, und uns daselbst bey einem angemachten Feuer lagern, denn ich glaube gantz gewiß, daß meine Leute, wo nicht heute Nacht, doch [337] Morgen mit dem frühesten, uns zu suchen, ausgehen werden. Sie treffen uns nun an oder nicht, so können wir ihnen doch nachhero desto füglicher weiß machen: Wir hätten die Brücke und den vorigen Weg gar nicht finden können, sondern wären durch andere höchst-gefährliche Wege endlich aus der Nord-Ost-Seite mit Kummer und Noth wieder vom Berge herunter gekommen. Dieser Vorschlag ließ sich wohl hören, derowegen ruheten wir noch eine Zeitlang, und spatzirten so dann, weil es eine angenehme gantz helle Nacht war, ein gut Stück Weges um den Berg herum nach Norden zu, machten bey einem Gepüsche ein Feuer an, lagerten uns, und schlieffen Wechsels-weise, biß die Sonne schon 2. biß 3. Stunden unsern Horizont beschienen hatte, kamen auch nicht eher als Nachmittags in den Hütten an, und erfuhren daselbst so gleich, daß früh vor Anbruch des Tages 6. Mann von ihrer Gesellschafft uns zu suchen ausgegangen wären, indem ihnen allen unser gar zu langes Aussenbleiben bedencklich gefallen wäre. Wir überliessen die Antwort dem Capitain Horn, welcher ihnen lauter erdichtet Zeug mit vielen Umständen vorschwatzte, endlich auch sagte: daß wir zwar wiederum auf die Stelle gekommen, wo die höltzerne Brücke geschlagen gewesen, hätten aber die Brücke selbst nicht wieder finden können, weßwegen wir uns gemüßiget gesehen, die gräßlichsten Klippen und Klüffte zu überklettern, da es sich denn endlich gefügt, daß wir gestern in später Nacht an der Nord-Ost-Seite herunter kommen, und ein geruhiges Nacht-Lager in selbiger Gegend halten können.

[338] Indem wir nun hierauf von den zubereiteten warmen Speisen etwas zu uns nahmen, kam einer vonCapitain Horns Leuten gelauffen, und meldete, daß die heute früh ausgegangenen 6. Mann zurück kämen, von ferne aber schon mit Zeichen und Gebärden so viel zu verstehen gäben, als ob ein grosses Unglück entstanden wäre. Wir gebothen demnach allen, nicht zu sagen, daß wir in den Hütten gegenwärtig wären, sondern nur erstlich anzuhören, was sie vor Nachricht bringen würden. Da sie nun näher kamen, rieffen fast alle zugleich: O! welch ein Unglück, die Brücke ist von den bösen Geistern in den Abgrund gestürtzt, und unser redlicher Capitain Horn ist ohnfehlbar mit seiner gantzen Gesellschafft ums Leben gekommen, denn wir hören und sehen nichts von ihnen, ohngeacht, da wir etliche Stunden lang ein Geschrey gemacht, daß die Felsen hätten bersten mögen; O! die ehrlichen Leute; Ach der wackere Capitain! was wollen wir nun anfangen? Hierauf trat der Capitain und wir alle zu den Hütten heraus, da denn die Verwunderung und Freude bey diesen 6. Männern unbeschreiblich war. Capitain Horn erzählte diesen eben die Geschichte, welche er ihren Mit-Gesellen kurtz vorhero erzählet hatte, ließ mithin alle bey den Gedancken, daß die Brücke von bösen Geistern eingestürtzt seyn müsse.

Wegen grosser Müdigkeit beschlossen wir Groß-Felsenburger, heute noch bey dieser Gesellschafft auszuruhen, legten uns derowegen bey Zeiten zur Ruhe, bald nach Mitternacht aber wanderten wir nach unserm Boote, vergassen auch nicht, etliche [339] taugliche Stücken Holtz mitzunehmen, aus welchen wir auf dem Boote Trage-Baaren zusammen nagelten, um, auf solchen die Götzen-Bilder und ander Sachen, aus dem Tempel ins Boot zu tragen.

Es war Vormittags zwischen 9. und 10. Uhr, da wir hinter dem Berge bey dem obgemeldten grünen Platze anländeten, weßwegen nur allein die beyden Capitains Wolffgang und Wodley im Boote bleiben musten, wir jungen starcken Leute aber stiegen aus, nahmen Fackeln, Wind-Lichter und allen Zubehör mit uns, und brachten noch vor Abends nicht allein die auf dem Altare stehende runde Kugel, sondern auch noch 6. Götzen-Bilder ins Boot, ruderten sodann, weil, wie schon gemeldet, die Nächte um selbige Zeit gantz helle waren, damit auf und darvon, und kamen folgenden Morgen, nehmlich des Montags, glücklich auf Groß-Felsenburg an, nachdem wir eben 7. Tage und 7. Nacht aussen gewesen waren, und es sich accurat so geschickt hatte, daß wir am Palm Sonntage, dem Teuffel seinen Tempel zu spoliren angefangen. Weiln aber dieses die heilige Marter-Woche war, so beschlossen wir, unserer Andacht keinen Abbruch zu thun, sondern die fernern Reisen biß nach dem Heiligen Oster-Feste zu versparen, schickten jedoch mit dem Boote, der auf Klein-Felsenburg befindlichen Gesellschafft, viel frische Lebens-Mittel, auch allerley Lecker-Speise und Wein, insonderheit Herr Diaconus Herrmannen mit etlichen Singe-Knaben hinüber, welche dasigen Volcke das Fest über Kirche halten solten; den Capitain Horn aber [340] liessen wir mit zurück bringen, um, biß nach dem Oster-Feste bey uns zu bleiben. Jedoch ich muß etwas zurück gehen und melden, daß wir gleich bey unserer Ankunfft die Götzen-Bilder auf den Trage-Baaren, jedoch eingehüllet, und mit darüber gedeckten Teppichen herauf tragen, und mitlerweile in eine kleine Cammer, so unten in unsern Kirch-Thurme befindlich, setzen liessen. Am grünen Donnerstage Nachmittags, da sich nach verrichteten Gottes-Dienste alles Volck biß auf die Aeltesten und Vorsteher nach Hause begeben, zeigten wir demselben sowohl als dem Alt-Vater Alberto II. denen Herrn Geistlichen und andern erfahrnen Leuten, unsere gefundenen Schätze, welche vor Verwunderung nicht wusten, was sie davon gedencken solten; Derowegen begaben wir verreiset gewesenen uns sämmtlich mit ihnen auf die Albertus-Burg, allwo mir von der Reise-Gesellschafft aufgetragen wurde, einen ausführlichen Bericht von allen Begebenheiten abzustatten, welches denn zum theil vor, zum theil aber nach der Abend-Mahlzeit geschahe. Nach Endigung meiner Erzählung wusten meine Zuhörer nicht, ob sie sich mehr über diese Heydnischen Alterthümer, oder über die wunderbare Fügung, oder über unsere Courage verwundern solten, dahero ich denn nicht vergaß, den Mons. van Blac, wegen seines ausnehmenden Helden-Muths, besonders heraus zu streichen, ja es wurde ihm von uns und allen zuerkannt, daß er die Haupt-Person bey dieser Entdeckung sey. Inzwischen war unter allen denen, die diese Wunder-Geschicht angehöret, kein eintziger, welcher [341] nicht die gröste Begierde gezeigt hätte, diesen Götzen-Tempel und das gantze unterirrdische Werck selbst in Augenschein zu nehmen, weßwegen beschlossen wurde, daß wir gleich bey der ersten Fahrt, den Alt-Vater Albertum, Hrn. Mag. Schmeltzern und noch einige Stamm-Väter mit dahin nehmen solten. Wie also, nicht nur die stille Woche, sondern auch das Heilige Oster-Fest mit behöriger Andacht gefeyert worden, machten wir so gleich Tags hernach Anstalt zu unserer Reise, und Donnerstags den 9. Apr. fuhren wir, in starcker Gesellschafft, auf 2. Fahr-Zeugen abermahls hinüber, liessen mit dem einen den Capitain Horn wiederum zu seinen Leuten, hergegen den Priester, Herr Hermannen, nebst den Singe-Knaben zurück, auf den grünen Platz bringen; von welchen wir erfuhren, daß sich der meiste Theil des Schiffs-Volcks, auch so gar die frembden Portugiesen, diese Heilige Tage über sehr still und andächtig bezeigt, auch die wenigsten gespielet, oder andere üppige Lust getrieben hätten. Unter der Zeit aber, da das andere Fahr-Zeug unterwegs, war der gröste Theil der Unsern mit dem Alt-Vater, Herrn Mag. Schmeltzern und andern Aeltesten in den Berg hinein gegangen, da denn alles so gefunden wurde, wie wir es verlassen hatten, worbey, wie leichtlich zu erachten, diejenigen, so den wunderbaren Bau zum ersten mahle sahen, sich ungemein darüber verwunderten, da aber die Träger ihre Lasten zum andern mahle aufgefasset, und schon ein ziemlich Stück-Weges damit voraus waren, folgeten wir übrigen ihnen auch nach, indem [342] der Abend heran zu nahen begunte, denn der Alt-Vater so wohl als die andern Aeltesten bezeigten keine Lust über Nacht an solchen fürchterlichen Orten, sondern viel lieber unter freyen Himmel zu verbleiben, demnach lagerten wir uns alle auf dem grünen Platze, nicht ferne vom Meer-Ufer, bey etlichen angemachten Feuern, brachten aber den meisten Theil der Nacht mit Gesprächen zu, denn ein jeder von den Erfahrensten sagte seine Meinung von diesem Wercke und Wesen, worauf endlich HerrMag. Schmeltzer also zu reden anfing: Lieben Freunde und Brüder! Wenn wir so gelehrt wären, die Schrifften auf denen in den Tischen gefundenen Täfleins auszulegen, so würden wir ein grosses Licht in dieser dunckeln Sache finden, so aber ist dieses einem so wohl als dem andern unmöglich, und wer weiß auch, ob sich in gantz Europa jemand finden möchte, der so hochgelahrt ist, diese Schrifften, welche ich vor der damahligen Einwohner Zeit-Geschicht- und Gesetz-Bücher halte, auszulegen. Euer aller Meinungen sind nicht unvernünfftig, ob gleich dann und wann eine wider die andere streitet. Wohl kan es seyn, daß dieser Tempel und Heydnisches Heiligthum, viele hundert Jahre vor unsers Heylandes CHristi Geburth erbauet worden, und daß die Leute, deren nicht wenig müssen gewesen seyn, viele Jahre damit zugebracht, ehe sie so viele Gänge, Gewölber und Cammern in diesen, obschon nicht allzu harten SteinBerg, [343] aus-und durchgehauen haben. Wie ich vernehme, so findet sich in diesem Gebürge sehr viel reichhaltig Gold-Ertz, denn Mons. Litzberg, Plager und einige andere haben mir Ertz-Stuffen aus diesem Berge gezeigt, worinnen gantze Stücken des gediehenen Goldes, grösser als eine Feld-Bohne zu sehen, ohne die kleinern Stücklein. Bekannt ist es, daß das Gold vermögend ist, der allermeisten Menschen Hertzen an sich zu ziehen, und daß schon vor uralten Zeiten sich Leute mit Schiffen in das wilde Meer gewagt, um Gold aus andern Ländern und Insuln zu holen, wie wir solches nicht allein in den alten Geschicht-Büchern von allerley Sprachen, sondern auch in der heiligen Schrifft, I. Reg. IX, 27. 28. lesen, daß Hiram, der König zu Tyro, seine Knechte, die gute Schiff-Leute und auf dem Meere sehr wohl erfahren gewesen, mit den Knechten des Königs Salamo gesendet, da sie denn nach Ophir gekommen, und von dannen dem Könige Salomo 420. Centner Goldes gebracht, welches in Wahrheit auch ein schöner Klumpen gewesen seyn muß. Daß andere Nationen von Heyden, um, und nach selbiger Zeit nicht weniger in der Schiffart wohl erfahren gewesen, ohngeacht sie zur selbigen Zeit noch keinen Compaß gehabt, indem derselbe nur erstlich vor 300. und etlichen Jahren erfunden worden, ist gleichfalls eine ausgemachte Sache, derowegen kan es, [344] wohl seyn, daß einmahl ein Schiff mir solchen Gold-Suchern an diese Insul verschlagen worden, da sie sich denn wegen der angenehmen Gegend, entweder so gleich allhier freywillig niedergelassen, oder von der Noth gezwungen gesehen, in Ermangelung eines tauglichen Schiffs, da zu bleiben; Oder sie sind erstlich nach Hause gefahren, haben ihre Weiber und Kinder hergeholet, mithin die beständige Wohnung aufgeschlagen, weil allhier ein fruchtbarer Boden ist. Ob sie nun das Commercium mir andern Menschen fortgeführet, oder in diesem abgelegenen Stücklein von der Welt, vor sich alleine in Ruhe geblieben, das ist eine andere Frage. Nun frage sichs auch, ob sie ihre Hütten auf dem Lande gebauet, oder alle in den Felsen-Klüfften gewohnet: Ich glaube das erstere, daß nehmlich wenigstens diejenigen, welche das Feld gebauet, etwa in der Gegend, wo die Urnen gefunden worden, die Berg-Leute und Gold-Sucher aber, auch wohl im Gebürge gewohnet haben mögen. Wie starck diese Colonie gewesen? Wie lange sie sich hier aufgehalten? Dieses und dergleichen sind vergebliche Fragen, die niemand beantworten kan; das aber ist wohl zu glauben, daß sie einen beständigen Sitz hier haben wollen, und erhellet daraus, weil sie einen so grossen Tempel und kostbare Götzen-Bilder verfertiget, welches alles auch Zeugnisse sind, daß es keine grobe, ungeschliffene, [345] sondern guten Theils kluge, künstliche und geschickte Heyden müssen gewesen seyn. Nun ist die Haupt-Frage: Wo sind sie alle hingekommen, so, daß wir von allen diesen vermuthlich vielen Volcke kein anderes Uberbleibsel als 10. Gefässe mit Asche und ein eintziges Todten-Gerippe finden können? Haben sie vielleicht keine Weiber, ihr Geschlecht zu vermehren, bey sich gehabt, mithin endlich wohl aussterben müssen? Oder sind sie, so wohl Weiber, Männer als Kinder, durch eine Pestilentz, alle zusammen hingerafft worden? Oder sind sie von andern wilden Nationen massacrirt, beraubt oder sämmtlich gefangen hinweg geführet worden? Dieses alles läßt sich fragen, anhören, nur aber nicht gründlich beantworten. Man könte sagen: Wenn sie von ihren Feinden waren ausgerottet worden, so würden selbige doch auch den Tempel gefunden und ausgeplündert haben. Allein, könte es nicht auch seyn, daß eben diese Feinde, durch des Teuffels und seiner Pfaffen Gespenster und Gauckeleyen abgeschreckt worden, sich in die unterirrdischen Hölen zu begeben: Vielleicht haben sich nur, bey dem mörderischen Uberfalle, die Pfaffen alleine in den Tempel zuretiriren und aufzuhalten Gelegenheit gefunden, da denn immer einer den andern begraben, biß auf den Letzten, der sich in sein steinern Bette gelegt, und den Todt darinnen erwartet, [346] mithin unbegraben oder unverbrannt liegen geblieben, und mögen der vornehmsten Pfaffen vielleicht 3. gewesen seyn, weil sich nur 3. ausgehauene Bett-Stellen in der einen Cammer befinden. Uber den gräßlichen Abgrund jenseit des Berges nach der Insul zu, mögen diese Leute auch wohl eine Brücke gehabt haben, die aber nach der Zeit verfault und versuncken seyn kan, oder wer weiß, ob dieser Riß zu ihrer Zeit schon gewesen, und nicht erst nachhero entstanden ist? Denn man hat Exempel genung, daß Felsen zerspalten und zerrissen, mithin solche Abgründe entstanden, die vorhero nicht gewesen oder gesehen worden sind.

Mit diesen und noch viel mehreren Reden, hatte uns also Herr Mag. Schmeltzer seine Gedancken zu vernehmen gegeben, schloß aber endlich also: Es läßt sich, meine Freunde und Brüder! von diesen Sachen viel urtheilen und schwatzen, allein, wir schwatzen alle davon, wie die Blinden von der Farbe, so lange als wir die Schrifften auf den güldenen, küpffernen und steinernen Tafeln nicht auslegen können.

Hierauf legten wir uns grösten Theils zur Ruhe, des folgenden Freytags begaben sich der Alt-Vater nebst den Aeltesten, Hn. Mag. Schmeltzern, Hn. Herrmannen und andern nochmahls mit in den Tempel, und blieben biß über Mittag darinne, da inzwischen die jungen fleißigen Arbeiter im Tragen sich dergestalt angriffen, daß wir auf beyden Fahrzeugen eine ziemliche und sehr kostbare Ladung [347] hatten, und also fuhren wir ingesa t Sonnabends mit dem allerfrühesten von dannen ab und zurück nach Groß-Felsenburg. In folgender Woche thaten Mons. van Blac und Litzberg die Reise noch 2. mahl, nahmen allezeit andere mit, so das Wunder-Gebäude noch nicht gesehen hatten, und brachten endlich alles, was sich so wohl im Tempel als sonsten, nützliches und brauchbares, vom grösten biß zum kleinesten, befunden hatte, glücklich herüber; da inzwischen ich und viele andere, so zu erst mit gewesen, um auszuruhen zu Hause geblieben waren.

Diesemnach wurde Rath gehalten, ob man die Götzen-Bilder in Klumpen schmeltzen und dieses Gold bey die andern Kostbarkeiten, in die unter der Albertus-Burg befindliche Schatz-Cammer legen, oder sonsten etwas daraus giessen lassen wolte? Allein, HerrMag. Schmeltzer sprach selbst darwider, und rieth, man solte es immer noch, als eine besondere Antiquität, im itzigen Stande und Wesen lassen, von den güldenen, steinernen und küpffernen Tafeln aber demCapitain Horn einige Stück mit nach Europa geben, damit er sie daselbst in Kupffer stechen lassen, auch in natura etlichen hochgelahrten Leuten zeigen könte, als an welche, er, Herr Mag. Schmeltzer, dieserwegen Briefe schreiben und ein starckes Præmium darauf setzen wolte, vor denjenigen, der den Schlüssel zu der unbekandten Schrifft finden würde.

Wir billigten also diese Meynung ingesammt, und versprachen einander, vor des Capitains Horns Abreise, diesen Sachen schon noch weiter nachzudencken, und einen Schluß darüber zu fassen. [348] Gedachter Capitain Horn hatte, weil es voritzo ohnedem Winter zu werden angefangen, und im Felde nicht viel zu thun war, um noch mehrere Gehülffen angehalten, die 2. neuen Schiffe vollends, und zwar je eher je lieber, zu rechte und in die See bringen zu können, denn es war, wie ich, wo mir recht ist, schon oben gemeldet, resolvirt worden, vor uns Felsenburger ebenfalls ein gantz neues und starckes Schiff zu erbauen, welches in der Bucht gegen Süden zu, liegen bleiben solte, um sich dessen entweder zur Lust, oder auf künfftige vorhero unbewuste Fälle bedienen zu können.

Dieser Ursachen wegen wurde dem Capitain Horn nun um so viel desto hurtiger gewillfahret, und die Arbeit dergestalt hurtig fortgesetzt, daß Capitain Horn die sichere Hoffnung hatte, beyde Schiffe vor Ausgang des Junii vom Stapel in die See lauffen zu lassen.

Es lieff wider meine Commodität nunmehro so offt nach Klein-Felsenburg hinnüber, und dem Schiffs-Baue zuzusehen, wie viele andere, und sonderlichMons. van Blac und Litzberg thaten, dahingegen wartete ich die Information in der Schule fleißig ab, brachte gleich den andern meinen Garten in vollkommenen guten Stand, bauete hinter meiner Wohnung im Hofe eine Scheune und verschiedene Ställe vor allerley Vieh, indem ich nicht nur allerley Vieh halten, sondern auch zwischen meinem Garten und der Alberts-Raumer-Gräntze ein Stücke Feld annehmen, dasselbe mit anderer Leute Hülffe zurichten und mit allerhand Getrayde, mehr zu meiner Lust, als aus Nothdurfft [349] besäen, hernach die Früchte einerndten und in meine Scheuern sammlen wolte. Hierzu bewegte mich meine Cordula, welche eine ungemeine Liebhaberin von der Zucht des aus Europa angekommenen Viehes, ingleichen vom Garten- und Feld-Baue war. Ausser diesem war Spinnen und Weben ihre tägliche Arbeit, und machte sie auf 2en Weber-Stühlen, die ihr Lademann in ihr besonderes Zimmer verfertiget hatte, Wechsels-weise die schönsten Zeuge, theils von Leinen-theils von Baumwollenen Garne, wie denn die Weiber der Priester, so wohl als andere sich ebenfals dieser, manchem Europäischen Frauenzimmer verächtlich vorkommenden Arbeit nicht schämeten. Ob nun schon meine Haußhaltung nur aus 5. Personen, nehmlich aus mir, meiner Frauen, dem kleinen Sohne, einem Knaben und Mägdlein zur Aufwartung, bestunde, so war doch alles ordentlich sauber und reinlich darinnen anzutreffen. Dieses aber nicht allein bey mir, sondern auch in allen Häusern, wo man nur hinkam; indem in den Pflantz-Städten, diejenigen, welche die schmutzigsten Handthierungen trieben, dennoch ihre reinlichen Stuben hatten, wohinnen sie diejenigen, von welchen sie besucht wurden, führen konten. Es waren aber diese Pflantz-Städte, seit dem ich selbige im Jahr 1725. zum ersten mahle besucht, weit Volckreicher, also auch etwas stärcker angebauet, und die Felder erweitert. Sonderlich muste man sein Vergnügen über die wohlangelegten Gärten haben, in welchen die trefflichsten, zur Speise dienenden Kräuter und Wurtzeln, ingleichen die herrlichsten Obst-Bäume, [350] anzutreffen waren. Uberall, wo man hin kam, sahe man Zeugnisse eines ungemeinen Fleisses, auch schwerer Mühe und Arbeit, hörete aber keinen Menschen klagen oder sich beschweren, daß ihm diese oder jene Arbeit sauer, schwer und verdrüßlich angekommen wäre, sondern ein jeder verrichtete sein Beruffs-Werck, sich, seinen Angehörigen und andern Nutzen und Vortheil zu schaffen, recht mit Lust. Die letztere Erndte und Weinlese hatte dergestalt viel Geträyde, Reiß und Trauben gegeben, daß sich die Aeltesten nicht entsinnen konten, binnen etliche 20. Jahren ein so gar Segen-reiches Jahr gehabt zu haben, und eben dieserwegen waren das Korn-Hauß und die Wein-Keller dermassen angefüllet, daß fast nichts mehr darinnen Platz fand, ohngeacht die Land-Besteller nur von ihrem Uberflusse hergegeben hatten. In allen Häusern der Pflantz-Stätte war nunmehro schon ein zulänglicher Vorrath von zinnernen, blechernen, küpffernen, eisernen, töpffernen und dergleichen Hauß-Geräthe anzutreffen, welches ebenfals Zeugniß ablegte, daß unsere Europäischen Künstler und Handwercker nicht gefaullentzt. Wetterling, der Tuchmacher, hatte vor Eintritt des Winters den Rest der seinen und schlechten Tücher auf die Albertus-Burg geliefert, da nun eine jede Manns-Person von 10. Jahren und drüber, Tuch zu einem Sonntags- und Werckeltags-Kleide bekommen, fand sich nach gemachten Uberschlage doch noch so viel Tuch übrig, daß alle Manns-Personen noch 2. Sonn- und 2. Werckeltags-Kleider bekommen konten, dem ohngeacht, weil noch[351] ein starcker Vorrath von Capitain Horns mitgebrachter Wolle, wie auch von unserer eigenen, indem sich unser Schaaf-Vieh schon ziemlich vermehrt, vorhanden war, hielt Wetterling mit denen, welchen er seineProfession erlernet, doch nicht inne, sondern sie machten immer mehr Tücher, welche theils schwartz, theils braun, theils roth gefärbt wurden, denn alle Jung-Gesellen vom 10ten Jahre an trugen biß zu ihrer Heyrath, roth; die Männer braun, die Aeltesten und Vorsteher der Gemeinden aber so wohl als die Priester, schwartz Schwartze Trauer-Kleider aber wurden nur um die Eltern, Kinder, Geschwister, und dann um die Aeltesten und Vorsteher angelegt. Um der Frauenzimmer Kleidung bekümmerten sich die Manns-Personen nicht, sondern die Frau Mag. Schmeltzerin, meine Schwester und die Frau Hermannin, nahmen alle Donnerstage den Vorrath von den Spinnerinnen und Würckerinnen, ingleichen von Harckerten und seinen Professions-Genossen auf; gaben hergegen auch von Leinen- und Wollenen Zeugen heraus, was diejenigen Weibs-Personen, die mit dieser Arbeit nicht umgehen konten, von nöthen hatten.

Kleemann, der Pappiermacher, hatte von seinem, mittelmäßigen und geringen Pappiere, auch Pappen-Tafeln und dergleichen so viel geliefert, daß wir uns alle eine gute Zeit darmit behelffen konten; war dieserwegen gesonnen, seine Profession eine Zeitlang an den Nagel zu hängen, und sich mit seinen Gehülffen desto fleißiger auf den Feld- und Garten-Bau zu legen; allein, da ihm vorgestellet [352] wurde; wie wir resolvirt hätten, durch den Capitain Horn eine Buch-und Kupffer-Druckerey aus Europa mitbringen zu lassen versprach er, mit seiner Profession fortzufahren, und eine zulängliche Menge von solchem Pappiere, das sich wohl darzu schickte, zu verfertigen.

Zu Ende des Aprilis war auch unser Müller Krätzer, mit der, zwischen Christophs- und Christians-Raum zu bauen angefangenen neuen Mehl-Mühle fertig worden, da man denn auch so gleich die Probe darauf gemacht, und dieses neue Werck vollkommen gut befunden; weßwegen sich der älteste von Krätzers ausgelerneten Mühl-Purschen, in dieser Mühle setzte, und einen von den jüngern zu sich nahm, dahero der Alte Meister Krätzer nunmehro nur halb so viel Arbeit auf dem Halse hatte, weil sich vornehmlich die Christophs Roberts-Christians- und Simons-Raumer, dieser neuen Mühle bedieneten.

Mons. Hollersdorff verfertigte nicht allein noch verschiedene schöne Bild-Stücken in die Kirche, sondern hatte sich auch vorgenommen, alle itzt lebende Aeltesten, wie auch andere gute Freunde abzuschildern; machte inzwischen vor die letztern, zum Feyerabende auch manches kleines schönes Bild, die Zimmer damit auszuzieren. Uber dieses war er willens, die gefundenen Heydnischen güldenen Götzen-Bilder, ingleichen den gantzen Tempel abzumahlen.

Von allen übrigen Künstlern und Handwercken, habe ich bereits oben hoffentlich sattsame Nachricht ertheilet, demnach weil nächst dem Feld-Baue auch[353] die Vieh-Zucht wohl von statten ging, indem sich die aus Europa mitgebrachten Thiere ungemein starck vermehret hatten, so fand sich beym Nähr- oder Haus- Stande kein Tadel. Den Lehr-Stand betreffend, habe auch schon zur Gnüge gemeldet, wie das Kirchen-und Schul-Wesen aufs ordentlichste, andächtigste und erbaulichste eingerichtet worden. Solchergestalt ist nun leichtlich zu glauben, daß der Wehr- oder Obrigkeitliche Stand keine besondere Last tragen dörffen, indem allhier keine straffbaren Laster im Schwange gingen, ein jeder das Seine ohne Zwang verrichte, guten Vermahnungen und Erinnerungen gern und willig Folge leistete, vor auswärtigen Feinden aber man sich unter GOttes Schutz dermahlen nicht zu fürchten Ursache hatte.

Also stunden die Sachen zu Anfange des MonatsJulii 1733. auf unserer Insul Groß-Felsenburg, da uns Capitain Horn, in den ersten Tagen besagten Monats, hinüber auf Klein-Felsenburg invitirte, um zuzusehen, wie die neu-erbaueten Schiffe ins Wasser gelassen würden. Es fuhr demnach eine starcke Gesellschafft hinüber, und blieben 4. gantzer Tage daselbst, um erstlich die Arbeit, welche glücklich von statten ging, hernach den Schiffs-Bauern ihre Lust zu betrachten, denn es machten sich sonderlich Capitain Horns Leute und die Portugiesen einen herrlichen Muth, sungen, tantzten und sprungen bey dem köstlichen Weine, den wir ihnen zu verschmansen mitgebracht. Nachhero wiese Capitain Horn seinen Leuten auf etliche Tage Arbeit an, und reisete mit uns nach Groß- Felsenburg, um der ersten Conferenz [354] beyzuwohnen, die er seiner Abreise wegen mit den Aeltesten und andern Europäern zu halten, sich ausgebeten hatte. Wie nun diese in den nächstfolgenden Tagen angestellet war, that er, an die auf der Albertus-Burg Versa leten, folgende Rede:

Meine Herren! ich habe nunmehro, ihren Willen zu Folge, eine geraume, und zwar längere Zeit bey ihnen zugebracht, als ich anfänglich vermeinet hätte, woran auch guten Theils mit Schuld, daß mein mitgebrachtes Schiff allhier im Hafen gestrandet ist. Hoffentlich werde von ihnen das Zeugniß erhalten, daß so wohl ich vor meine Person, als auch die unter meinemxCommando stehende Leute, uns nicht allzu übel aufgeführet haben, ob wir ihnen gleich allhier keinen besondern Nutzen schaffen können. Ihre Gütigkeit gegen uns ist im Gegentheil sehr groß gewesen, vor welche ich, zugleich im Nahmen meiner Untergebenen, schuldigsten Danck abstatte, und mich mit eydlicher Pflicht verobligiren will, derjenigen Instruction, welche sie mir wegen einer nochmahligen Hin-und Her-Reise schrifftlich zuzustellen belieben werden, getreulich sonder Gefährde nachzukommen, in so ferne mir GOtt Leben, Gesundheit und Glück verleihen wird.

Allein, meine Herren! nun muß ich ihnen allerseits eröffnen, wie ich wohl gesonnen wäre, nach meiner nochmahligen glücklichen Zurückkunfft und wohl ausgerichteten [355] Geschäffte, auf dieser Insul bey ihnen in Ruhe zu wohnen, und mich mit meiner auserwählten Liebste, Johanna Margaretha, Andreæ Robert Julii, in Roberts-Raum, jüngsten Tochter, welche mitMons. Eberhard Julii seiner Liebsten Cordula Geschwister Kind ist, zu vereheligen, als deren, wie auch ihrer Eltern Ja-Wort, biß auf den Consens und Erlaubniß der Aeltesten dieses Volcks, ich bereits erhalten.

Vors andere, weil meine 9. Freygelassenen eine gantz besondere Lust bezeigen, in diesem Revier zu verbleiben, so wolte zugleich anfragen, ob ihnen erlaubt wäre, eine Pflantz-Stadt auf der Insul Klein-Felsenburg anzulegen, und dieselbe mit der Zeit zu bevölckern?

Diese beyden (verfolgte Capitain Horn seine Rede) sind voritzo die ersten Haupt-Puncte, so ich vorzutragen habe, ihnen selbige zur Uberlegung anheim stellen, inzwischen einen Abtritt nehmen, und auf einige Antwort warten will.

Hiermit ging Mons. Horn, nach gemachten Reverenz, würcklich zum Zimmer hinaus, durffte aber wegen dieser 2. Puncte nicht lange auf Antwort warten, sondern wurde, nachdem die Aeltesten und wir einen kurtzen Schluß gefasset, bald wieder herein geruffen, da ihm denn der Alt-Vater Albertus II. folgende Antwort ertheilete:

Werther Herr und Freund! Eure so lange Anwesenheit auf dieser Insul, hat uns allerseits zu gantz besondern Vergnügen gereicht, [356] den Nutzen und Vortheil, so ihr uns bereits gestiffter, und mit Göttlichem-Beystande noch stifften könnet, werden wir und unsere Nachkommen zwar jederzeit zu rühmen wissen, aber niemahls gnugsam verdancken können. Was wir euch und den Eurigen etwa zu Gute gethan, hat die Schuldigkeit von uns erfordert, indem eure Aufführung sehr löblich, christlich und angenehm gewesen. So setzen wir auch aufs künfftige in eure Redlichkeit nicht das geringste Mißtrauen, sondern haben das veste Vertrauen, GOtt werde euch Krafft, Stärcke und Glück geben, dasjenige, was euch etwa in Europa auszurichten committirt werden möchte, wohl zu vollenden, auch euch gesund zurück führen, so dann wollen wir allerseits mit grösten Freuden sehen, daß ihr euch durch eine vergnügende Heyrath mit uns befreundet, und beständig bey uns verbleibet. Was aber die 9. Freygelassenen anbelanget, so jammert uns allen sehr, daß die Beschaffenheit unserer Sachen nicht zulassen will, ihnen zu willfahren, ohngeacht wir sie alle vor wackere, arbeitsame und tugendhaffte Leute erkandt haben. Bedencket selbst, ihr werdet uns noch einige unbeweibte Künstler aus Europa mitbringen müssen, wenn nun diese so wohl, als eure 9. Freygelassenen mit unsern Töchtern solten berathen werden, so würden unsere Felsenburgischen Junggesellen (wie es denn bereits [357] ausgerechnet ist) bald selbsten den Mangel der Weiber empfinden müssen. Wolte man sagen, sie solten sich Weiber aus Europa mitbringen, so laufft dieses wider die Verordnung und den Willen meines seel. Vaters Alberti des Ersten, welcher durchaus verbothen, ein fremdes Geschlecht, welches nicht mit ihm, dem Stamm-Vater, oder der Concordia, als Stamm-Mutter, verwandt ist, ohne die höchste Noth unter uns entstehen zu lassen. Hiernächst wäre es auch eine Thorheit von uns, wenn wir ein Stück Landes oder die gantze kleine Insul, welche ebenfalls so wohl, wie diese grosse, als unser Eigenthum, zu betrachten ist, fremden Leuten überliessen, deren Kinder und Nachkommen, ob ihre Väter gleich noch so fro gewesen, unsern Nachkommen allerhand Verdruß und Schaden verursachen könten. Uber dieses so kan es mit der Zeit geschehen, daß diese grosse Insul dergestalt Volck-reich wird, daß ein Theil derselben unserer Kinder-Kinder, selbst Lust bekommen auszuziehen, und die kleine Insul zu bevölckern, mithin als Bluts-Verwandten ihren Handel und Wandel mit einander zutreiben. Wie ich nun hoffe, mein werthester Herr und Freund, in diesem letztern Puncte euren Beyfall zu bekommen, so glaube auch, ihr werdet es nicht übel empfinden, wenn euren Freygelassenen dieses ihr Begehren versagt wird, doch wollen wir sie so beschencken, daß sie [358] in Europa ein reputirliches Leben führen können.

So viel war es, was der Alt-Vater dem Capitain Horn zur Antwort gab. Dieser danckte sehr verbindlich, daß man ihm, vor seine Person, nach glücklicher Zurückkunfft erlauben wolte, ein Mit-Genosse unseres ruhigen und vergnügten Lebens zu seyn; erkandte die Entschuldigung, wegen Aufnehmung seiner Freygelassenen vor recht vernünfftig und billig, versprach auch, ihnen unterwegs die Felsenburgischen Gedancken schon aus dem Sinne zu reden.

Hierauf ging die gantze Versammlung vor dieses mahl aus einander, Capitain Horn aber mit mir in meine Behausung, weil sich seine Liebste schon seit etlichen Tagen bey meiner Frauen daselbst als ein Gast aufhielt, um ihren Bräutigam zu sprechen, welchen sie allem Merckmahlen nach so sehr liebte, als er sie, ohngeacht derselbe dermahlen fast noch einmahl so alt als sie, jedoch ein wohlgebildeter Mensch, mit schönen lockigten Haaren und sonsten sehr wohl gewachsen war. Ich ließ die beyden Verliebten bey meiner Cordula alleine, und ging hinüber zu Mons. Litzbergen, bey welchem sich Herr Wolffgang, der diesen Abend nicht nach Hause gehen wollen, nebst andern guten Freunden befand. Nach der Abend-Mahlzeit aber kam der Capitain Horn ebenfalls dahin, weßwegen Herr Wolffgang so gleich mit demselben wegen seiner Braut zu schertzen anfing, und unter andern sagte: er hätte ihn, den Capitain Horn, nicht darum mitgenommen, daß er sich von einer Felsenburgischen einfältigen [359] Schöne solte bezaubern lassen, sondern vermeynet, er wurde sein Vermögen in Europa an einem guten Orte anlegen, sich eine rechte Staats-Dame zur Ehe-Frauen auslesen, und mit derselben de propriis vergnügt leben, so aber musse man erfahren, daß er in allen Stücken, in seine, desCapitain Wolffgangs, Fußtapffen treten wolle. Ich hoffe nicht, mein Herr! versetzte hierauf der Capitain Horn, daß man mich schelten wird, wenn ich in der Mühe und Arbeit eurem Exempel folge, und also wird man mich auch nicht verdencken, wenn ich eben dergleichen Recreation suche, als ihr gefunden habt. So viel will ich versichern, daß, wenn ich auch in den Stande wäre, mir in Europa ein Fürstenthum oder Königreich anzukauffen, so würde ich doch nimmermehr geheyrathet, oder mich mit Frauenzimmer verwirret haben, denn die Untreue, List und Betrug des Europäischen Frauenzimmers ist unbeschreiblich, so, daß unter Tausenden, ach! sagt mir doch, wie viel? zu finden, die ein redliches Hertze gegen eine, (ich sags mit Fleiß, Eine) Manns-Person haben. Ich habe von der Zeit an, da ich nur meinen Verstand in etwas zu gebrauchen angefangen, ungemein viel Exempel, nicht von Hörensagen angemerckt, sondern mehrentheils selbst in Erfahrung gebracht, bey reiffern Verstande aber daraus schliessen können, daß bloß allem das Frauenzimmer, den Manns-Personen die allergrösten Verdrüßlichkeiten, Unglücks-Fälle und Mißvergnügen stifftet; Dieserwegen ist mir fast jederzeit bange worden, wenn ich par renommeè mit diesen Geschlechte umgehen müssen, ja ich habe mir nachhero[360] vest vorgesetzt, ni ermehr zu heyrathen, weil ich auch an meinem eigenen Exempel die Falschheit und List des Frauenzimmers sattsam erfahren, ja eben dieses trieb mich in meinen besten Jahren dahin, meinFortun auf der See zu suchen, um nur von diesen Land-Syrenen weit genug entfernt zu seyn. Da ich aber allhier, statt der Europäischen, masquirten, auch wohl gar geschminckten, so genannten irrdischen Engel, würckliche Engel von Gestalt und Gemüthe angetroffen, ist mir die Lust zum Heyrathen auf einmahl wieder angekommen, ja ich wolte meine Braut, nebst dem in Zukunfft mit derselben zu hoffen habenden vergnügten Leben, nicht um ein Königreich vertauschen, der Himmel gebe nur, daß meine Hin- und Herfahrt glücklich sey.

Der Capitain Wolffgang sagte hierauf: Mein Herr! ich will jetzo kein Urtheil fällen, ob ihr wegen des Frauenzimmers und sonderlich wegen des Europäischen, Recht oder Unrecht habt, sondern nur von Hertzen wünschen, daß ihr bald wieder zurück kommen, und hernach so vergnügt mit eurem Hanne Gretgen leben möget, als ich mit meiner Fiecke. Allein, es fällt mir eben itzo ein, daß, ohngeacht wir beyde seit so vielen Jahren her, Bekandte und gute Freunde gewesen sind, ihr mir doch noch niemahls eure Lebens-Geschicht von Jugend auf erzählet habt, welche doch, wie ich jetzo aus wenig Worten vernommen, eben nicht unangenehm zu hören seyn wird. Derowegen, weil es sich itzo ohnedem sehr gut schickt, wolte ich mir diese Gefälligkeit wohl von euch ausgebethen haben. Dieser vermeynete, es möchte bereits etwas zu späte seyn, da [361] wir aber entgegen setzten, daß sich dergleichen Erzählungen in der stillen Nacht, da man von niemanden gestöhret würde, am besten thun und anhören liessen, war er endlich geneigt darzu; wir setzten uns auch zurechte, und merckten mit begierigen Ohren auf

Des Capitain Horns Lebens-Geschichte
Des Capitain Horns Lebens-Geschichte.

Im Jahre 1693. (fing derselbe seine Erzählung an) bin ich im H. – – – Lande von ehrlichen Eltern erzeuget worden, mein Vater aber, welcher ein guter Jäger, war Holtz-Förster, und wohnete im Walde in einem eintzelnen Hause an der Heer-Strasse, trieb also zugleich die Wirthschafft mit. Seiner Kinder waren 5. nehmlich 3. Söhne, worunter ich der mittelste, und 2. Töchter, die noch jünger waren als ich. Meine Mutter war nach der Niederkunfft der jüngsten Schwester, beständig kranck geblieben, weßwegen der Vater immer sehr verdrüßlich aussahe, und da dieselbe in meinem 9ten Jahre starb, mehr Zeichen der Zufriedenheit, als der Betrübniß von sich gab. Ohngeacht nun mein Vater ein Mann von 65. Jahren, so war er doch noch sehr vigoreus, und that es in seiner Profession vielen noch weit jüngern zuvor, welches ihn auch veranlassete, eine wohlgebildete Bauers-Tochter von etwa 17. biß 18. Jahren zur andern Ehe-Frau zu erwählen.

Allem Ansehen nach hatte mein Vater eine ungemein gute Heyrath getroffen, denn unsere neue [362] Stief-Mutter konte ihm doch gar zu niedlich um den Bart herum gehen, und dergestalt schmeicheln, als ob sie einen Mann von ihren Alter vor sich hätte. Er mochte bey Tage oder bey Nacht, um welche Zeit es auch war, aus dem Walde kommen, so stund sein Krafft-Süppchen und Lecker-Bißgen alsobald auf dem Tische; uns Kinder tractirte sie auch dermassen wohl, daß wir über sie noch weniger, als über unsere seelige Mutter zu klagen hatten, denn die Holdseeligkeit und Freundlichkeit schien ihr angebohren zu seyn, weßwegen sich denn nicht allein Sonntags, sondern auch in der Woche viele Wein-Bier- und Brandteweins-Gäste bey uns einfanden, und alle nach Würden accommodiret wurden.

Unter andern gewöhnete sich auch ein junger unbeweibter Förster von der Nachbarschafft, gar sehr öffters zu uns zu kommen, ob ihn nun gleich mein Vater, weil es sein College war, sehr wohl leiden konte, so stellete sich doch unsere Stief-Mutter jederzeit verdrüßlich an, so offt er da war, ließ sich auch zum öfftern gegen unsern Vater verlauten: Sie wisse in aller Welt nicht, wie dieser Kerl in unser Hauß kommen könte, da er doch wisse, daß ihr seine Person biß in Todt zuwider sey, und sie ihm vor einiger Zeit, da er um sie gefreyet, den Korb nicht nur darum gegeben, weil er einen so schlechten Dienst, sondern weil sie einen natürlichen Abscheu vor seiner Person hätte; und eben dieserwegen sähe sie am allerliebsten, wenn ihr dieser Kerl aus dem Hause bliebe. Mein Vater lachte hierzu, sprach, daß sie in diesem Stück eine Närrin [363] wäre, den ehrlichen Menschen aber zufrieden lassen solte, welcher schon von etlichen Jahren her sein guter Freund wäre, über dieses manchen schönen Thaler bey uns verzehrete. Wegen des letztern, sagte die Stief-Mutter, mag es noch seyn, und es ist das beste, daß der Sauff-Teuffel noch immer seine Zeche und das Schlaff-Geld bezahlt, wenn er aber zu borgen anfangen will, wie er in andern Wirths-Häusern gethan hat, so wird die Paucke bald ein Loch kriegen. Frau! sagte mein Vater, sey kein Narre, laß den Kerl zufrieden, gib ihm, was er verlangt, denn wenn er mir auch 100. Thlr. schuldig wäre, so wüste ich mich schon bezahlt zu machen. Solche und dergleichenDiscourse passirten gar öffters zwischen unsern Eltern, endlich aber kam es einmahl würcklich dahin, daß sich die Stief-Mutter um einer eintzigen Kanne Wein halber mit dem Förster zanckte, und ihm etliche grobe Schmäh-Reden an den Halß warff, welche dieser, ohngeacht er betruncken war, dennoch verschmertzte, sich mit dem Kopffe auf den Tisch legte, und weiter nichts sagte, als dieses: um eines guten Mannes willen, muß man einer bösen Frau viel zu gute halten. Mein Vater nahm diese Worte vor redlich auf, ließ sich demnach den Zorn dahin verleiten, daß er der Stief-Mutter, welche hinaus ging, folgte, und ihr eine derbe Maulschelle gab. Sie schien dieserwegen vor Jammer gantz ausser sich selbst zu seyn, konte diesen ersten Liebes-Schlag durchaus nicht vergessen, kam auch den gantzen Abend nicht wieder zum Vorscheine, sondern legte sich weinend zu Bette; jedoch der Vater hatte [364] sie durch gütliches Zureden dahin gebracht, daß sie früh Morgens nicht allein wieder freundlich aussahe, sondern auch dem FörsterHelnam, der Worte wegen, die sie gestern Abend in tollen Muthe ausgestossen, um Verzeihung bath. Hierauf ging mein Vater mit demselben in den Wald, mein jüngerer Bruder war in die Stadt geschickt, die beyden kleinen Schwestern spieleten im Hofe, ich aber hatte mich, weil ich zu viel in der Sonne herum gelauffen war, und starcke Kopff-Schmertzen bekommen, oben in unserer ziemlich dunckeln Cammer ins Bette gelegt, und war etwas eingeschlummert, ermunterte mich aber sogleich, als Helnam mit meiner Stief-Mutter in die Cammer hinein getreten kam, einander umarmeten und vielemahl küsseten, welches mir denn sehr wunderbar vorkam, jedoch lag ich gantz stille, biß Helnam meine Stief-Mutter auf ein anderes Bette legte, und sich anstellete, als ob er sie erdrücken und ersticken wolte, weßwegen ich, in Meynung, er wolle wegen der gestrigen Schelt-Worte Rache an der Stief-Mutter ausüben, mit vollem Halse um Hülffe schrye, da denn Helnam vor Schrecken zur Cammer hinaus sprunge, meine Stief-Mutter aber, nachdem sie sich einigermassen recolligiret, zu mir kam, mich zufrieden sprach, und sagte: Helnam hätte nur seinen Schertz mit ihr getrieben, ich solte aber bey Leib und Leben weder dem Vater noch jemand anders ein Wort darvon sagen, so wolte sie mir hinführo alles geben, was ich nur verlangte, wiedrigenfals aber, und da sie erführe, daß ich nur das allergeringste darvon ausgeplaudert, [365] wolte sie mich alle Tage schlagen, und mir nicht halb satt zu essen geben. Ich hatte in Wahrheit viel Liebe vor meine Stief-Mutter, weil sie mich ebenfalls unter meinen Geschwistern am liebsten zu haben schien, derowegen gelobte ich ein ewiges Stillschweigen an, und ging mit ihr herunter in die Stube, in welche Helnam kurtz hernach auch eingetreten kam, zu dem meine Mutter sagte: Sehet, was ihr mit euren Tändel-Possen angerichtet habt, der arme Junge hat gemeinet, ihr wollet mich im Ernste ermorden, ist derowegen vor Schrecken fast halb todt, und ich habe ihm doch unter den andern allen am liebsten. Derowegen gab mir Helnam meine gantze Hand voll Geld, welches ich der Stief-Mutter aufzuheben darreichte, und auf beyderseitiges noch mehrers Zureden desto stärcker angelobte, keinem Menschen etwas von dieser Mord Geschichte zu sagen. Helnam trunck ein Maas Wein auf das Schrecken, die Stief-Mutter machte mir eine Wein-Kalte-Schaale mit Zucker, befahl mir, selbige auszuessen, in der Stube zu bleiben, und sie zu ruffen, wenn jemand käme; ging hierauf mitHelnam hinaus, kam erstlich nach einer halben Stunde wieder zurücke, sagte, daß Helnam nach Hause gegangen, und befahl mir, gegen den Vater nur gar nichts zu gedencken, daß er da gewesen wäre, denn die kleinen Schwestern hätten ihn nicht gesehen, weil sie in den Wald gegangen wären, und Holtz-Bündel holeten. Ich hielt in der That reinen Mund, merckte zwar nachhero gar öffters, daß Helnam in Abwesenheit meines Vaters mit der Stief-Mutter in dem obern Stockwercke eine [366] geheime Zusammenkunfft hielt, doch da ich nicht wuste, was es zu bedeuten hatte, bekümmerte mich solches auch nicht, vielmehr war ich damit vergnügt, daß mir meine Stief-Mutter alles gab und zuließ, was nur mein Hertze begehrte. Allein, etwa ein Jahr hernach, da mein Vater auf etliche Tage verreiset war, entstund ein grausamer Tumult in unserer Eltern Schlaf-Cammer, denn die Thüre wurde eingestossen, wir höreten die Mutter schreyen und auch des Vaters-Stimme, auch einen Büchsen-Knall zum Cammer-Fenster hinaus, weßwegen wir vier Kinder (denn mein ältester Bruder war schon bey Hofe in Diensten) alle auf einmahl aufsprungen, in der Eltern Cammer lieffen, und sahen, daß der Vater immer auf die Mutter mit dem Hirschfänger loß hieb, sie auch gewiß in Koch-Stücken zerhauen haben würde, wenn wir Jungens ihm nicht den Arm gehalten und die Mädgens sich über die Mutter hergebreitet hätten. Inzwischen schwamm die Mutter fast in ihrem Blute, denn sie hatte etliche Hiebe über den Kopff, Brüste und Arme bekommen. Endlich ließ sich der Vater durch unser jämmerliches Schreyen bewegen, mit mir hinunter in die Stube zu gehen, allwo ich so gleich eine Laterne anstecken und mit ihm vom Hause hinweg nach dem Walde zu gehen muste; er hatte eine Büchse an der Schulter hangen, und den blossen Hirschfänger in der Hand, wir waren aber kaum 100. Schritte gegangen, als wir den Förster Helnam in blossen blutigen Hembde auf dem Gesichte liegend antraffen. Mein Vater wendete ihn um auf den Rücken, sagte weiter [367] nichts als diese Worte: Ja, ja, du bists, und hast genung. Er ließ aber den Cörper liegen, und kehrete mit mir um nach unsern Hause zu, schickte mich auch sogleich hinauf, um zu sehen, was die Mutter machte. Dieser hatte mein Bruder die Wunden voll Zunder, Spinneweben, Werck und dergleichen gestopfft, auch Brandtewein hinein gegossen und drauf gelegt, allein, selbige wolten doch nicht zu bluten aufhören, und da ich dieses dem Vater wieder zu sagen hinunter kam, war derselbe fort.

Wir Kinder meyneten, er würde etwa in das nächste Dorff gegangen seyn, und Leute herzu ruffen, hoffeten aber auf deren Ankunfft umsonst, biß der Tag anbrach, da denn zu unsern Glücke etliche Manns- und Weibs-Personen kamen, welche in die Stadt zu Marckte gehen, vorhero aber erstlich bey uns Brandtewein trincken wolten. Zwey Weiber, die sonst mit meiner Stief-Mutter wohl bekandt waren, blieben bey derselben, welche, als sie hörete, daß Helnam nicht weit von unsern Hause erschossen läge, eine starcke Ohnmacht bekam, weßwegen die Weiber Mühe hatten, sie wieder zu ermuntern, die Männer aber eileten nach der Stadt, hatten die Geschichte der Obrigkeit gemeldet, da denn gar bald die Gerichten mit Doctor, Barbierer und Priester heraus kamen, erstlich die Mutter behörig verbinden liessen, nachhero examinirten. Sie hatte die gantze Geschicht offenhertzig und dabey bekennet, daß sie schon seit etlichen Jahren, und ehe sie noch meinen Vater geheyrathet, mit Helnam der Liebe gepflogen, meinen Vater aber, um ihn nicht eiffersüchtig, sondern desto [368] sicherer zu machen, immer vorgeschwatzt, daß ihr dieser Mensch zuwider wäre etc. etc. Hierauf hatte sie gebeten, daß der Priester bey ihr bleiben, der Doctor und Barbierer aber nur nach Hause reisen möchten, indem sie fühlete, daß sie den Abend nicht erleben würde. Dieses Letztere traff auch ein, denn nachdem der Priester den gantzen Tag mit ihr gesprochen und gebetet, auch das Heilige Abendmahl gereicht, starb sie, ehe es Abend wurde. Helnams Cörper öffnete man, nachhero wurde derselbe, so wohl als meine Stief-Mutter auf besondere Landes-Herrliche Begnadigung, an die Seite des Gottes-Ackers des nächsten Dorffs begraben. Uns armen Kindern hatten die Gerichten fast nichts mehr als die allernöthigsten Sachen gelassen, einen Mann und Frau bestellet, die indessen die Wirthschafft treiben und uns verpflegen musten; allein, etliche Wochen hernach war der Landes-Herr so gnädig, meinem ältesten Bruder, der schon einige Jahr bey ihm in Diensten gestanden, in die Stelle meines Vaters, von dessen Auffenthalt kein Mensch etwas wissen wolte, zu setzen, da denn mein Bruder eine betagte Befreundtin zur Haußhälterin annahm, uns seine Geschwister noch eine Zeitlang bey sich zu behalten versprach, auch es bey dem Landes-Herrn dahin brachte, daß die Gerichten nach Abzug der Kosten, die übrige Verlassenschafft unserer Eltern, an bestellte Vormünder ausliefern musten. Es war aber, leyder! nicht allzu viel übrig geblieben; und also sehen sie, meine Herren! (erinnerte uns allhier der Capitain Horn) daß ein ungetreues listiges Weib, unsern Vater und [369] uns Kinder ins Unglück, sich und ihren Amanten aber ums Leben gebracht hat. Jedoch meine eigene Geschicht zu verfolgen, so muß ferner melden, daß noch nicht ein volles halbes Jahr nach dieser traurigen Begebenheit, ein vornehmer Cavallier, welcher nach Hofe zu reisen im Begriff, des Nachts auf der Strasse, bey Umwerffung seines Wagens, Schaden am Arm genommen, demnach weil er in unsern Hause Licht erblickte, ausspannen ließ, um den Tag zu erwarten. Er fragte, so bald er hinein kam, nach meinem Vater, und mein Bruder erzählete ihm die obgemeldete klägliche Geschichte in der Kürtze, worüber sich derselbe, weil er über Jahr und Tag nicht in dieser Gegend gewesen, ungemein verwunderte, nachhero seinen Arm mit warmen Weine waschen und sich etwas zu essen bringen ließ. Ich war sehr hurtig, ihm mit aufwarten zu helffen, welches er observirte, und nachhero, da ich Pappier, die Tobacks-Pfeiffe anzuzünden, reichte, mich fragte: Wie alt bist du? 12. Jahr, gab ich zur Antwort. Was wilst du werden? fragte er ferner; und ich antworttete: ja, das weiß GOtt, was aus mir werden wird, denn ich bin ein armes Kind worden, seit dem mein Vater weg ist. Hast du Lust mit mir zu reisen? sprach er; Ach! seuffzete ich: wenn ich nur groß genung wäre, so wolte ich mit einem so wackern Herrn wohl biß ans Ende der Welt reisen. Indem kam mein ältester Bruder in die Stube, zu welchem der Cavallier so gleich sagte: Mein Freund! an diesem euren jüngsten Bruder gefallen mir sonderlich 3. Stück: erstlich sein munteres und dreustes Wesen; zum [370] andern: sein aufrichtiges Gesichte, und zum dritten: seine weissen krausen Haare; ist es euch und ihm gefällig, so will ich ihn in meine Dienste nehmen, und vor sein künfftiges Wohlseyn sorgen? Mein Bruder besann sich so kurtz als ich, und kurtz zu sagen: ich packte mein Bündel mit Freuden eilfertig zusammen, und fuhr mit diesem meinem nunmehrigen Herren nach der Residentz unseres Landes-Herren zu. Allda ließ mir mein Herr sogleich eine saubere Liberey machen, und mich alle Tage 6. Stunden in die Schule gehen, ausser der Zeit aber, muste ich mehrentheils um ihn seyn, auch so gar, wenn er ausging oder ausfuhr. Er probirte meine Treue und Verschwiegenheit auf verschiedene Art und Weise, ohne daß ich damahls sogleich mercken konte, nachdem er mich aber in den ersten 2. Jahren ächt und redlich befunden, wurde ich von ihm sehr öffters mit Gelde und andern Sachen reichlich beschenckt, welches mir zwar bey den ältern Bedienten einigen Neid zuwege brachte, allein, es durffte sich keiner an mir vergreiffen. Mein Herr war unverheyrathet, ich aber wurde von ihm fast alle Tage mit Briefen und Paqueten an eine vornehme Dame, die sehr schön und eine junge Wittbe, doch aber eben nicht allzu starck begütert war, abgeschickt, und er selbst gab derselben gar öffters Visiten, jedoch entweder des Nachts, oder wenn es sonst nicht leicht jemand gewahr werden konte. Einige Zeit hernach veruneinigten sie sich mit einander, und die Dame wurde dergestalt zornig, daß sie von meinem Herrn weder Briefe mehr annehmen, vielweniger ihm erlauben wolte, sie ferner zu besuchen. [371] Indem er nun dennoch Gelegenheit suchte, sie in ihrem Zimmer zu sprechen, und sich dieserwegen einsmahls heimlich in ihr Hauß geschlichen, seinen Zweck aber nicht erreichen können, weil die Dame seiner noch bey Zeiten gewahr worden, und sich in ein anderes Zimmer versteckt und verschlossen hatte, fing er grausam an zu fulminiren, stieß verschiedene Schimpff-Reden aus, welche doch von niemand anders als von ihren Domestiquen angehöret wurden, und ging endlich im grösten Grimm und Zorne nach seinem Logis. Folgenden Morgens sehr früh, da er noch nicht aufgestanden war, bekam er von einer gewissen höhern Hand einen schrifftlichen Befehl, dessen Inhalt, wie ich hernach erfahren, dieser war: daß er sich bey Vermeidung gröster Ungnade, auch ernstlicher Bestraffung, ferner nicht unterstehen solte, diese Dame weder mit Worten, Schrifften, vielweniger mit Wercken zu beleidigen. Ich brachte diesen Brief meinem Herrn ins Bette, so bald er aufgewacht, und zu allem Glück kein eintziger von den andern Bedienten im Schlaf-Zimmer war, er hatte aber denselben kaum gelesen, als er, wie halb rasend, aus dem Bette sprunge, den Brief mit Füssen trat, und sich im Eiffer folgender Worte vernehmen ließ: »Ha! ists so bestellet? warte, Ungetreue – – ich will dir nicht 10. biß 12000. Thlr. werth umsonst ausgebeutelt haben, sondern meinem Hohn an dir rächen, und wenn es auch mein Leben kosten solte.« Hierauf muste ich die andern Bedienten ruffen, um ihn anzukleiden, sie konten es ihm zwar alle ansehen, [372] daß er Grillen hatte, und zornig war, allein, er konte sich doch auch in so weit bezwingen, einem jeden, was er auf heute zu befehlen hatte, mit ziemlicher Gelassenheit zu sagen. Nachhero rieff er den Secretarium und Cammer-Diener in sein Cabinet, besprach sich mit beyden länger als eine Stunde in Geheim, und fuhr darauf, indem er nur einen eintzigen Laqueyen und mich zur Bedienung mit sich genommen, zu einem guten Freunde aufs Land. Wir waren daselbst sehr willkommen und wohl tractiret; nach Mittags aber, da der Hauß-Herr mit seinem Gerichts-Halter in einem Ober-Zimmer etwas geheimes zutractiren hatte, und mein Herr mitlerweile allein mit der Hauß-Frauen das Bretspiel zum Zeitvertreibe genommen hatte, merckte ich, der ich allein im Zimmer aufwartete, doch gar zu bald, daß beyde einander schon besser kennen müsten. Denn mein Herr küssete und caressirte diese Dame ohngescheuet; und ob sie gleich anfänglich wegen meiner Gegenwart in etwas darüber erschrack, so gab sie sich doch bald zufrieden, als ihr mein Herr, vielleicht meinetwegen, nur wenig Worte ins Ohr gesagt hatte; blieb ihm auch keinen Kuß und Gegen-Caresse schuldig, ja sie wurden gar so dreuste, in ein kleines Cabinet, worinnen nur ein Schlaf-Stuhl und ein Tisch stund, zu gehen, ob sie nun da ebenfalls ein Damen-Spiel spieleten, oder nur zum Fenster hinaus in den Lust-Garten sahen, das weiß ich nicht, jedoch kamen beyde, ehe jemand anders ins Zimmer kam, wieder heraus, und spieleten nunmehro recht ernsthafft im Brete fort.

[373] Abends, nach der Mahlzeit, begab sich mein Herr mit dem Haus-Herrn in ein besonderes Zimmer, allwo sie über 3. Stunden gantz alleine geblieben, so dann zur Ruhe gingen, mit anbrechenden Tage aber hatte sich der Haus-Herr mit nur einem Bedienten auf eine Reise begeben, und mein Herr trunck den Thée mit der Dame in einem abgeschlossenen Zimmer über 2. Stunden lang gantz alleine. Gegen Mittag stelleten sich 2. benachbarte Edelleute nebst ihren Gemahlinnen und einem Officier ein, welche, wie ich bey den ersten Complimenten vernehmen konte, der Haus-Herr auf seinen Hof bitten lassen, um während seiner Abwesenheit meinem Herrn die Zeit paßiren zu helffen. Die Haus-Frau ließ derowegen noch eine Fräulein, die vielleicht nicht weit von ihr wohnen mochte, herzu bitten, um auch ein Frauenzimmer zur Conversation vor den Officier zu haben, allein, dieser hatte seine Augen mehr auf die Wirthin, als auf das Fräulein, gerichtet, welche zwar wohl gewachsen, jedoch eben nicht fein von Gesichte, dahingegen die erstere recht schön war. Es wurde in allen Stücken recht propre tractiret, sie gingen Spatziren, spieleten allerhand Spiele, worbey jedoch mein Herr jederzeit die Wirthin zur Seiten hatte, welches dem Officier, allem Vermercken nach, verdrüßlich fiel, allein, er muste Respect brauchen, weil ihn mein Herr an Stande und Vermögen weit übertraff. Endlich aber, da es Nachts schon weit hin war, kamen doch mein Herr und der Officier, der Haus-Frauen wegen, (ich kan aber nicht eigentlich sagen, welchergestalt) in einen spitzfündigen Wort-Streit, [374] der aber durch die andern Gäste beygelegt, und so gleich Schicht gemacht wurde. Mein Herr legte sich, so bald er in sein angewiesenes Zimmer kam, augenblicklich zu Bette, befahl auch mir, nur gleich einzuschlaffen, weil ich Morgen bald aufstehen müste. Ich legte mich demnach in das, hinter einer Spanischen Wand stehende Feld-Bette; war aber kaum eingeschlaffen, als die Seiten-Thür des Zimmers eröffnet wurde, durch welche eine Person, in einem langen weißlichen Schlaff-Rocke, herein getreten kam, weßwegen ich, etwas furchtsam, Wer da? rieff, mein Herr aber antwortete: Schlaf nur geruhig, Wilhelm, und kehre dich an nichts. Weiln nun die Spanische Wand weit offen stund, konte ich in der Dämmerung doch so viel observiren, daß diese Machine auf meines Herrn Bette zu ging, und hinter seinen Guardinen verschwand, ich wuste nicht, ob es ein würcklicher Cörper oder ein Geist war, konte derowegen vor vielen Scrupuliren kein Auge zu thun, bemerckte auch, daß mein Herr sehr unruhig lag, sich öffters bewegte und herum warff, doch endlich schlieff ich drüber ein, und ermunterte mich nicht eher, biß der helle Tag schon angebrochen war, mich also erinnerte, aufzustehen. Indem ich nun aus dem Bette steigen wolte, rieff mein Herr: Wilhelm! es ist noch zu früh allhier aufzustehen, schlaff nur noch ein paar Stunden, biß ich dich selbst aufruffe. Ich gehorsamete, konte aber, weil ich mich schon gewöhnet, früh munter zu seyn, nicht wieder einschlaffen, sondern lag mit offenen Augen, hörete auch, daß mein Herr in seinem Bette mit jemanden ein leises Gespräch hielt, von [375] welchen ich aber sehr wenig verstehen konte, und endlich, da schon die aufgehende Sonne ihren ersten Strahl durch die Fenster warff, kam die gestrige Machine abermahls zum Vorscheine, hatte den Schlaf-Rock oben über den Kopff hergezogen, so, daß ich Blintzender, nichts als ein paar schöne, grosse, schwartze Augen sehen konte, von welchen ich geschworen hätte, daß es unserer Frau Haus-Wirthin ihre Augen gewesen wären, wenn ich nicht gedacht, daß dieselben, weil sie sehr späte zu Bette gegangen, annoch vielleicht im süssesten Schlummer zugeschlossen lägen. Kaum hatte gemeldte Machine ihren Rückweg durch die Seiten-Thür genommen, als mich mein Herr bey meinem Nahmen ruffte, allein, ich hielt dieses mahl nicht vor rathsam, ihm eher zu antworten, biß er mich zum drittenmahle geruffen hatte. Demnach befahl er, mich hurtig anzuziehen, und einen von des Haus-Wirths Stall-Knechten herauf zu ruffen; als ich mit demselben ankam, saß mein Herr schon im Schlaf-Rocke am Tische, und schrieb, sagte aber zu dem Stall-Knechte: Höret, mein Freund! thut mir den Gefallen, und sattelt vor diesen meinen Purschen einen Klöpper, weil ich keine Reit-Pferde bey mir habe, ich will ihn nur nach der Stadt schicken, und es bey eurer gebiethenden Frau, die ohnfehlbar noch schlaffen wird, verantworten. Der Kerl war so gleich willig, zumahlen, da ihn mein Herr einen Gulden darreichte, ich aber bekam 2. Briefe von ihm, einen an den vornehmsten Kauffmann, und den andern an einen Jubelier, mit dem Befehle, nicht in unserm Logis, sondern in einem [376] Gast-Hofe einzukehren, und so bald ich an beyden Orten meine Abfertigung bekommen, alles wohl in den Mantel-Sack einzupacken, und den Rück-Weg eiligst zu nehmen. Ich versprach alles wohl auszurichten, ob ich aber gleich nicht gelesen, was in den Briefen stund, so war ich doch so schlau, so wohl von des Kauffmanns als des Jubeliers Leuten, heraus zu locken, daß der erstere ein kostbares, mit Golde durchwürcktes Zeug zu einer Frauenzimmer-Kleidung, und der andere ein Diamanten Brust-Creutz nebst einer goldenen Uhr eingepackt hatte. Ich brachte dieses alles bey guter Zeit auf meines Herrn Zimmer, ihn aber selbst traff ich bey der andern Gesellschaft im Garten an, und stattete meinen Bericht ab. Er ging demnach also fort selbst auf sein Zimmer, mochte die Sachen eröffnet, besehen und gut befunden haben, denn er machte mir eine gnädige Mine, als er zurück kam. Ich merckte, daß er die Frau Haus-Wirthin im Garten etwas bey Seite führete, und mit ihr heimlich redete, hernach mich ruffte, und sagte: Wilhelm! gieb Achtung, wenn die Haus-Wirthin zur Garten-Thür hinaus gehet, so gehe erstlich langsam hinter ihr her, lauff sodann voraus, und gieb ihr das, auf meinem Tische im Zimmer liegende Paquet, aufzuheben, denn sie wird da vorbey gehen. Ich war fix, und da dieDame kam, stund ich schon mit dem Paquete in der Thür, sie fragte: Mein Sohn! ist dieses das Paquet, welches ich eurem Herrn verwahren soll? Ja, gnädige Frau! antwortete ich, es ists; Also muste ich es in ihr Schlaf-Zimmer tragen, und in einen Kasten werffen, hierbey bemerckte ich, daß [377] zwischen ihrem und meines Herrn Schlaf-Zimmer nur eine Scheide-Wand, durch deren Thür in vergangener Nacht die Masque pass- und repassirt war. Da ich nun wieder fortgehen wolte, rieff sie mich zurück, und beschenckte mich mit 2. Stücken Leinwand, verboth mir aber, ausser meinem Herrn, keinem Menschen etwas davon zu sagen, sondern vor mich Unter- und Ober-Hembder davon machen zu lassen. Ich danckte gantz unterthänigst davor, und befand hernach beyde Stück sehr fein, auch daß jedes 30. Ellen hielt. Nach der Abend- Mahlzeit, klagte mein Herr über gewaltige Kopff-Schmertzen, weßwegen die Lust auf diesen Abend ziemlich gestöhrt zu seyn schien, und sich ein jedes desto zeitiger zu Bette begab. Jedoch bey meinem Herrn mochten die Kopff-Schmertzen wohl ein blosses verstelltes Wesen seyn, denn da er auf sein Zimmer kam, war er lustig und guter Dinge, rauchte auch, ehe er zu Bette ging, noch ein paar Pfeiffen Canaster. Gegen Mitternacht öffnete sich die Seiten-Thür abermahls, und die Masque hielt es ebenfalls wie in voriger Nacht, ich aber stellete mich an, als ob ich sehr veste schlieffe, biß mich mein Herr etwa um 5. Uhr aufweckte, und befahl, den Thée nicht eher als um 9. Uhr zu fordern, und gegen jederman zu sagen, daß er vor Kopff-Schmertzen die gantze Nacht hindurch fast kein Auge zuthun können. Dieser Tag wurde ebenfalls in lauter Wohlleben zugebracht, ausserdem, daß der Officier und mein Herr immer auf einander stichelten, denn ob schon beyde sonsten noch niemahls mit einander in Compagnie gewesen waren, so schien es doch, als [378] ob eine würckliche Antipathie unter ihnen wäre, doch kam es diesen Tag noch zu keinen Thätlichkeiten, und in der folgenden Nacht ging es eben so zu, wie in den 2. vorigen. Als diese verstrichen, kam der Hauß-Herr etwa ein paar Stunden vor der Mittags-Mahlzeit wieder zurück von der Reise, und gab meinem Herrn, als in dessen Affairen er verreiset gewesen, in einem besondern Zimmer geheime Nachricht von demjenigen, was er ausgerichtet hatte, hernach wurde gespeiset und starck Wein getruncken, weil der Hauß-Herr, als ein grosser Liebhaber des Reben-Saffts, seine Gäste starck darzu forcirte. Der Herr Hauß-Wirth brachte meinem Herrn eine Gesundheit zu: Auf gut Glück in der bewusten Sache! Mein Herr that Bescheid, reichte zugleich dem Hauß-Wirthe die Hand, und als er den Pocal ausgeleeret, danckte er demselben verbindlich davor, daß er ihm das eine Werck so glücklich zum Stande gebracht, und in der andern Sache seine Vices so wohl vertreten hätte; versprach anbey, sich in der That erkänntlich zu erzeigen. Der Hauß-Herr schützte vor, daß seine Schuldigkeit nicht allein solche, sondern weit mühsamere Dienste, meinem Herrn zu leisten, erforderte; worgegen dieser auch keine Complimente schuldig blieb; allein, der Officier, welchen der Wein oder andere Grillen schon zu starck in den Kopff gestiegen waren, melirte sich in ihren Discours, und sagte zu dem Hauß-Wirthe: Mein Herr! sie belieben die Complimenten zu versparen, denn haben sie des Herrn G. Vices vertreten, so hat derselbe vielleicht die Ihrigen auch vertreten, so, [379] daß ihre Frau Liebste wohl nicht über ihn klagen wird. Monsieur! (sprach mein Herr, dem die Galle auf einmahl überging, und das Geblüte ins Gesichte stieg) Was sind das vor Reden? Werden mir nicht diese Herren und Dames Zeugniß geben, daß ich mich als ein honetter Gast und nicht als Wirth aufgeführet? Worinnen bestehen also die Vices, so ich vertreten habe? Das weiß der Himmel und der Nacht-Wächter, antwortete der Officier. Und das ist eine närrische Antwort, gab mein Herr darauf, welchem die andern alle beyfielen, und dem Officier zu verstehen gaben, wie sie gar nicht wüsten, warum er schon vorgestern, gestern und auch heute so wunderliche, ja gantz ungeräumte Stichel-Reden und Mägde-Sprich-Wörter im Munde geführet, man wäre ja sonst von ihm dergleichen gar nicht, sondern einer weit artigern Aufführung gewohnt, u.s.w. Allein, der Officier fuhr auf, und sprach: Ey was, ich halte den vor einen etc. der meine Rede und Antwort vor närrisch hält, es wird ein schlechter Unterscheid seyn zwischen einemOfficier, wie ich bin, und einem solchen Herrn, wie der ist. Dieses war genug, meinen Herrn aufs äuserste zu bringen, demnach griff er also fort nach einer an der Wand hangenden Carbatsche, und schlug den Officier etliche mahl damit über den Kopff. Dieser wolte zwar vom Leder ziehen, allein, der Hauß-Herr und die andern beyden von Adel, hielten ihn davon ab, und stiffteten in so weit Friede, weil mein Herr dem Officier versprach, Morgen bey Aufgang der Sonnen, mit ein paar geladenen Pistolen vor ihm auf der Gräntze zu erscheinen. [380] Bald hernach ließ der Officier seine Pferde satteln, und ritt, nachdem er einen negligenten Abschied genommen, voll Wein und Grimm seiner Wege. Jederman war froh, daß er diese Resolution ergriffen, und sonderlich das Frauenzimmer; die Frau Hauß-Wirthin aber, welche eine in der Geburth arbeitende Frau besucht, war bey dem gantzen Streite gar nicht zugegen gewesen, verwunderte sich derowegen ziemlich darüber, und sagte: sie hätte jederzeit einemalhonette Conduite an diesem Officier gemerckt, indem er zum öfftern den tugendhafftesten Leuten Klebe-Flecken anhängen und sich selbsten ein und anderer Sachen berühmen wollen, die wohl niemahls wahr gewesen, etc. etc. (Allein, es hat mir kurtze Zeit hernach ein guter Freund im Vertrauen eröffnet, daß diese Dame eben diesen Officier, in Abwesenheit ihres Gemahls, gar öffters heimlich zu sich bitten lassen, und ihm gar gern ein oder etliche Nacht-Quartiere gönnen mögen, weßwegen ihn allerdings die Eiffersucht wegen meines Herrn, vor dießmahl zu einer wunderlichen Aufführung verleitet haben mag.)

Mein Herr war, ohngeacht der gefährlichen Arbeit, die er auf Morgen früh vor sich hatte, lustig und guter Dinge, mir aber pochte das Hertz als ein Hammer, und an der Frau Hauß-Wirthin merckte ich ein paar mahl, daß, wenn sie sich alleine, ausserhalb der Stube, befand, sie die Hände runge, und Thränen fallen ließ. Jedoch unser beyder Angst wurde in etwas vermindert, da noch selbigen Abend des Officiers Laquey zurück geritten kam, und Nachricht brachte, daß seinem Herrn unterwegs [381] ein Ordonnance-Reuter begegnet, welcher ihm die Ordre überbracht, sich so gleich zu Pferde zu setzen, und zum General zu kommen, weßwegen denn sein Herr die gegebene Parole vor dieses mahl nicht halten könte, sondern sich seine Satisfaction auf einen andern Tag zu fordern, vorbehalten müste. Mein Herr hätte dem Kerl nicht geglaubt, sondern dem Officier einer Zaghafftigkeit beschuldiget, wenn ihm der Laquey nicht die Ordre inOriginali vorgezeiget hätte, solchergestalt gab er ihm weiter nichts zur Antwort, als dieses: Es wäre ihm gleich viel, und ein Tag so gut als der andere. Diesen Abend ging ein jedes bald zur Ruhe, weil so wohl mein Herr, als die andern Gäste folgenden Morgen fort wolten, es öffnete sich auch diese Nacht die Seiten-Thür in meines Herrn Zimmer nicht, hergegen schlieff er ungemein ruhig, biß man hörete, daß der Hauß-Wirth und dessen Gemahlin schon ihre Stimmen im Hause hören liessen. Diese beyden muste ich, so bald er angekleidet war, auf ein Wort hinauf in sein Zimmer bitten, da er denn vor alle erzeigte Höflichkeit und Mühwaltung verbindlichen Danck abstattete, und dem Herrn die güldene Uhr, der Frauen aber das Diamantene Brust-Creutz, auch jeglichen einen kostbaren Ring zum freundlichen Angedencken verehrete, anbey versicherte, so bald die ihnen bewustenAffairen völlig zu Stande, sich anderweit erkänntlich zu erzeigen. Beyde schienen recht bestürtzt zu seyn über dergleichen kostbare Geschencke, und wusten fast nicht, ob sie dieselben annehmen solten oder nicht, allein, mein Herr bath: ihn mit fernern Weitläufftigkeiten [382] zu verschonen, nahm beyde an die Hand, und führete sie herunter zur andern Gesellschafft, ging sodann abermahls heraus, und beschenckte die Hauß- und Stall-Bedienten reichlich, welches so viel würckte, daß der Hauß-Herr, mir und meines Herrn Laqueyen, jeden einen Ducaten aufzwunge, die Dame aber mir allein heimlich noch 2. Ducaten in die Tasche steckte. Ich wünschte deßwegen, daß wir öffters an diesen Ort kommen, und den Herrn von E.* denn so hieß der Hauß-Wirth, beschmausen möchten, wenn mir aber das Kugeln-Wechseln, welches mein Herr noch vor sich hatte, in die Gedancken kam, schoß mir das Hertz-Blütgen auf einmahl, doch endlich gedachte ich: Weil mein Herr doch so lustig und frölich ist, muß er gewiß die Kunst schon können, einen Kerl vom Pferde zu schiessen; oder, wer weiß, ob gar was daraus wird?

Wir kamen erstlich des Abends in unserm Logis der Herrschafftlichen Residentz an, allwo mein Herr sogleich die andern Bedienten fragte, ob der Secretarius und der Cammer-Diener noch nicht zurück ge kommen wären? und zur Nachricht erhielt, daß beyde sich noch nicht wieder sehen lassen. Einige Tage stellete sich mein Herr unpäßlich, und kam nicht aus dem Zimmer, wurde jedoch von verschiedenen Cavaliers und andern vornehmen Personen besucht, sobald aber der Secretarius und hernach der Cammer-Diener zurück gekommen, war er wieder gesund, frequentirte fast alle Zusammenkünffte vornehmer Standes-Personen, war aber eine gute Zeit so unglücklich, dasjenige nicht anzutreffen, [383] was er suchte, nehmlich, (wie er mir nach langer Zeit selbst erzählet) die Frau von A.* als seine ehemalige kostbare Geliebte, wegen welcher, wie ich schon gemeldet, er den strengen Befehl bekommen hatte. Endlich kam einer von seinen Spions, denn er hielt deren verschiedene, und belohnete sie reichlich, dieser kam, sage ich, und meldete ihm, wo offt erwehnte Dame auf einer Masquerade anzutreffen seyn würde, beschrieb ihm auch dreyerley kostbare Kleidungen, woran er sie vor allen andern erkennen könte. Mein Herr war nicht faul, sich auch dahin zu begeben, und prostituiret die Frau von A.* auf eine gantz besondere und verzweiffelte Art, die ich nachzusagen, mich itzo selbst noch schämen müste. Es mag ihm solches zwar von den allerwenigsten unter der Compagnie wohl ausgelegt worden seyn, doch movirt sich niemand dieserwegen, als ein eintziger Cavalier, dieser nimmt sich der Dame öffentlich an, geräth mit meinem Herrn in Wort-Streit, welcher verschiedene zweydeutige Reden, die hernach einer höhern Person unordentlich vorgebracht worden, fliegen läst, biß es endlich so weit kömmt, daß beyde einander auf ein paar Degen-Spitzen heraus fordern. DieDame läst sich vor Chagrin halb ohnmächtig in einer Sänffte nach Hause tragen, mein Herr kam auch zu Hause, lase einen von seinen besten Stoß-Degens aus, legte ihn nebst den steiffen Hand-Schuen zurechte, und befahl dem Cammer-Diener, gleich mit anbrechenden Tage ein Pferd vor ihn, den Herrn, eins vor den Cammer-Diener, und eins vor den Reut-Knecht satteln zu lassen, aus [384] welchen Anstalten wir Bedienten sogleich abnehmen konten, daß er Morgen einDuell vorhätte. Allein, alle diese Anstalten waren vergebens, hergegen unser Schrecken nicht geringer, da gleich nach angebrochenem Tage ein Ober-Officier mit 4. Mann in meines Herrn Zimmer getreten kam, ihm Arrest ankündigte, ein Unter-Officier mit 8. Mann aber, die Wache aussen vor dem Zimmer hielt, und nachdem alle Bedienten heraus gewiesen waren, niemanden als den Cammer-Diener und mich aus und ein passiren liessen. Anfänglich vermeyneten wir Bedienten, es geschähe dieses alles nur, um das vorhabende Duell zu hintertreiben, erfuhren aber bald, daß mein Herr nicht allein von der prostituirten Dame, sondern auch noch von einer höhern Person actionirt werde. Anfänglich mochte es nicht allzuwohl um ihn gestanden haben, weil er sich aber mit dem Munde und der Feder wohl zu helffen wuste, über dieses sehr viel gute Freunde und Vorsprecher hatte, kam es endlich nach einem 6. wöchentlichen Arrest dahin, daß er etliche 1000. Thlr. Straffe geben und angeloben muste, binnen drey Tagen die Residentz Stadt zu verlassen, und sich wenigstens drey Jahr lang ausserhalb Deutschlandes in frembden Ländern aufzuhalten, wie ihm denn auch nicht mehr als drey Wochen Zeit erlaubt war, in diesem Lande zu bleiben, um seine Sachen in Ordnung zu bringen und sich Reise-fertig zu machen. Dieses letztere war eben so nöthig nicht, denn seit dem er geschworen, die Frau von A.* zuprostituiren, hatte er bereits alle Anstalten zu einer Reise nach Franckreich machen lassen; [385] unterdessen war es eine gewaltige Summa Geldes, welche er dieser eintzigen ihm ungetreuen Weibs-Person halber einbüssen muste. Allein, wie ich etliche Jahre hernach erfahren, hat diese von aussen sehr schöne, jedoch gifftige Creatur noch viel Manns-Personen ins Verderben gestürtzt.

Binnen bemeldten drey Wochen ließ mein Herr seine unnöthigen Sachen, auch Pferde, Kutschen und dergleichen verkauffen, danckte die überflüßigen Bedienten ab, behielt also niemand bey sich, als seinen Cammer-Diener, einen Jäger, mich und 2. Reut- Knechte, 3. Reut-Pferde vor sich und 5. vor die Bedienten. Aus einem kleinen Städtgen, welches schon ausserhalb Landes lag, schickte er den Jäger mit einem Briefe an den Officier ab, welcher ihn auf Pistolen gefordert hatte, denn von diesem war ihm binnen der Zeit, als er im Arrest gesessen, ein anderweites Cartell zugeschickt worden, mein Herr aber nicht im Stande gewesen, sich zu stellen, doch nunmehro benahmte er demselben Ort und Stunde, wo und wenn sie einander sehen könten. Auf eben denselben Platz und zu eben derselben Stunde bestellete er auch in einem andern Briefe, welchen ein Reut-Knecht überbringen muste, denjenigen Cavalier, welcher sich auf der Masquerade der Frau von A.* so ernstlich angenommen, und es erschienen beyde, nach seinen Verlangen, zu gehöriger Zeit. Mein Herr hatte einen bekandten Cavalier zum Secundanten mitgenommen, und war so glücklich, den Officier, nachdem derselbe sich verschossen, eine Kugel durch die Brust zu jagen, daß er augenblicklich todt vom [386] Pferde stürtzte; hierauf stieg er vom Pferde, legte seinen Rock, Camisol und die Sporn ab, zohe den Degen, und nahm es mit dem Ritter der Frau von A.* auf, versetzte ihm auch im andern Gange einen solchen Stoß oben in die rechte Brust hinein, daß demselben auf einmahl Arm und Klinge niedersanck, er ist aber nachhero doch wieder völlig curiret worden, und nach dieser Arbeit, setzte sich mein Herr wieder zu Pferde, und ritt mit seinen Bedienten auf einem frembden Grund und Boden immer fort, als er seinem Secundanten einen kostbaren Gedenck-Ring geschenckt und höflichen Abschied von ihm genommen hatte. Nachdem wir eine Stunde Wegs mit einander geritten, schickte mein Herr den Cammer-Diener mit den andern Leuten voraus, nach der Stadt zu, wohin er seine meisteEquippage mit der Post bringen und absetzen lassen, befahl denselben in Geheim, nicht ehe von dannen aufzubrechen, biß er wieder zu ihnen käme, er aber ritte mit mir lincker Hand fort, biß wir endlich auf den Weg kamen, welcher uns Abends sehr spät in des Herrn von E.* Ritter-Gut führete. Ich glaube, es war meinem Herrn eben nicht so zuwider, als er sich wohl gegen die Bedienten stellete, da er erfahren muste, wie der Herr von E.* schon seit vier Tagen verreiset wäre, auch wohl noch so lange aussen bleiben dürffte, die Frau von E.* hatte eben schlaffen gehen wollen, schien aber über unsere Ankunfft eben nicht mißvergnügt zu seyn, sondern wolte gleich warme Speisen machen lassen, allein, mein Herr deprecirte alles, und bath nur um ein Glaß Wein, 2. Bissen [387] Brod, hernach um ein Bette, weil er vor Müdigkeit fast die Augen nicht mehr offen halten könte. Er nahm auch weiter nichts zu sich, sondern eilete zu Bette, und erzählete der Frau von E.* diesen Abend gar nichts von alle dem, was sich seit der Zeit, vielweniger diesen vergangenen Tag, mit ihm zugetragen hatte. Etwa eine halbe Stunde, nachdem ich mich nieder gelegt, öffnete sich die Thür, ich sahe mich aber nicht einmahl mehr nach dem Gespenste um, welches herein kam, weil ich es aus verschiedenen Umständen schon kennen lernen, wurde auch nicht gewahr, um welche Zeit es wieder fort ging. Früh Morgens beym Thée erzählete mein Herr erstlich der Frau von E.* wie er seine beyden Gegner gestern früh abgefertiget hätte, sie wunderte sich höchlich darüber, gratulirte ihm, daß er so glücklich und ohnbeschädigt davon kommen wäre, und letztlich sagte sie: ich kan nicht läugnen, daß ich allezeit ein Mitleiden mit denenjenigen gehabt, welche im Duell umkommen, oder nur blessirt sind, aber dieser Officier gehet mir gar nicht nahe, nur darum, weil er so sehr viel unbesonnene Reden, die wenigen Tage über, allhier geführet hat, derowegen ist es eben so gut, daß ihm das Maul gestopfft ist. Aber, mein Herr! fragte sie weiter, sind sie allhier auch sicher? O ja! antwortete er, denn ich bin allhier in des dritten Herren Lande, jedoch wenn meine Anwesenheit könte verschwiegen bleiben, wäre es mir um so viel desto lieber. Gut! versetzte sie, daß es mir nur gesagt wird, nun lassen sie mich alleine sorgen, denn alles mein Gesinde hat die Tugend der Verschwiegenheit, [388] und ist mir sonderlich gehorsam.

Jedoch, damit meine Erzählung nicht allzu weitläufftig werden möge, will ich nur kurtz melden: daß mein Herr 6. Nacht und 5. gantzer Tage Zeit hatte, der Frau von E.* alles zu erzählen, was ihm begegnet war, denn am 5ten Tage gegen Abend kam der Herr von E.* erstlich von seiner Reise wieder zurück, und erfreuete sich hertzlich, meinen Herrn gesund und in Freyheit in seinem Hause zu sehen, denn dessen Process-Sachen waren ihm gar gefährlich vorgebracht worden. Wir blieben also noch 3. Tage bey ihm, binnen welcher Zeit mein Herr den Herrn von E.* zum Ober-Aufseher einiger seiner da herum liegenden Güter bestellete, und ihm deßfals schrifftliche Vollmacht ertheilete, auch vor seine Mühe ein und andereRevenüen anwiese, mit dem Bedinge: daß er dahin besorgt seyn solte, damit ihm seine Gelder richtig gezahlt, und par Wechsel nach Franckreich, oder wo er dieselben sonst hin verlangte, übermacht werden möchten. Hierauf theilete mein Herr abermahls reichliche Geschencke aus, die besten aber mochte die Frau von E.* wohl in Geheim von ihm empfangen haben, ohne das allerbeste Angedencken, welches sie seit der neulichsten Anwesenheit meines Herrn unter ihrem Hertzen trug, und ihm solches offenhertzig bekannt und darbey gesagt hatte, daß ihr solches am allerliebsten wäre, da sie in ihrem 6. jährigen Ehestande noch niemahls so glücklich gewesen, hohes Leibes zu seyn. Eben dieses machte, daß sie beym Abschiede, alle Kräffte anspannen muste, ihren Jammer und Thränen zu verbergen, der [389] Herr von E.* aber gab uns, da wir des Nachts bey Mond-Scheine fort reiseten, das Geleite mit 2. seiner Bedienten, weiter, als 3. Meil Weges; kehrete hernach um, wir beyde aber reiseten so eiligst, als möglich war, fort, biß wir unsere Leute an dem bestellten Orte antraffen. Allhier ruhete mein Herr nur einen Tag aus, nahm so dann eineExtra-Post, den Cammer-Diener und mich mit sich, und setzte die Reise auf Paris fort, der Jäger aber nebst den Reut-Knechten und Pferden solten sachte nachkommen. Ohngeacht nun viel schöne Städte unterwegs zu besehen waren, so hielt sich doch mein Herr nirgends lange auf, weiln ihm recht innigst verlangte, das weltberühmte Paris zu sehen.

Endlich wurde seine Sehnsucht gestillet, denn wir kamen gleich in der schönsten Zeit, nehmlich im May-Monat, in diese kleine Welt, und zwar so wählete mein Herr keins der schlechtesten Quartiere darinnen, sondern ein solches, wo kurtz vorhero nur ein Deutscher Printz logirt hatte, weßwegen viele auf die Gedancken geriethen, er wäre ein würcklicher Printz, und wolte sich des Ceremoniells und der Kosten wegen nur unter verdeckten Nahmen daselbst aufführen. Demnach ist leichtlich zu erachten, daß er bald in Gesellschafft gerathen, und in derselben, nach Fanzösischer Manier, von jedermann complaisant tractiret worden, sonderlich aber von dem Frauenzimmer, denn er sahe im Gesichte vor eine Manns-Person sehr schön, war von Leibe wohl gewachsen, und sonst in der Aufführung ein vollkommener Staats-Mann. Von[390] seinen Divertissements aber kan ich eben so viel nicht melden, weil ich selten darbey gewesen, denn er, mein Herr, welcher alle Mittags ausging oder ausfuhr, war so gütig, mich bey einem Sprach-Meister zu verdingen, welcher mich recht perfect Französisch reden und schreiben lehren solte, ich hatte auch in der That hierzu mehr Lust, als alle Abende dem Lermen, Schwermen, Tantzen, Spielen und dergleichen zuzusehen, gab auch meinem Sprach-Meister noch etwas Geld aus meinem Beutel, daß er die Lateinische Sprache und die Rechen-Kunst mit mir repetiren muste. Solchergestalt verstrich mir viel Gelegenheit, in böse Gesellschafft zu gerathen, hergegen konte ich hoffen, daß mir mein fleissiges Lernen dermahleins guten Nutzen schaffen könte; denn ich war dazumahl noch nicht einmahl 18. Jahr alt. Als wir nun etwa 3. Monat in Paris gewesen, kam mein Herr eines Abends, wider unser Vermuthen, zeitiger als sonst gewöhnlich nach Hause, da mir aber seit einigen Tagen nicht gar zu wohl gewesen, hieß er mich zu Bette gehen, und der Cammer-Diener muste alleine bey ihm bleiben, weil er noch nicht Lust hatte, schlaffen zu gehen. Nach verschiedenen Gesprächen, die er mit dem Cammer-Diener geführet, und die ich, weil nur eine Bret-Wand zwischen unserer und seiner Schlaf-Cammer war, deutlich hören konte, fing mein Herr nach einem langen Stillschweigen folgender massen zu dem Cammer-Diener zu reden an: Heute hat mein Leben an einer Haare gehangen, und ihr hättet mich fast nicht wieder zu sehen bekommen. Ey! da sey der Himmel darvor, (sagte [391] der Cammer-Diener) gnädiger Herr, wie wäre denn das zugegangen. Ich bin, verfolgte der Herr seine Rede, Zeit meines Lebens nicht hefftiger erschrocken, als heute, werde mich aber auch Zeit meines Lebens über keine Begebenheit mehr verwundern, als über die heutige. Ihr habt doch gesehen, daß mir die Marquise von R. – – heute früh ein Billet zugeschickt, derowegen begab ich mich zur Mittags-Mahlzeit zu ihr, denn ihr Mann war, wie sie mir schrieb, auf etliche Tage verreiset. Ich kan nicht läugnen, daß ich diese Liebens-würdige Dame, mit der ich gleich anfänglich in Bekandtschafft gerathen, sehr liebe, weil ich die stärcksten Proben habe, daß sie mich vollkommen und ohne eintziges Interesse liebt, ja ich glaube, wenn ich es verlangte, ihr gantzes Vermögen mit mir theilete, allein, ich bin damit vergnügt, daß ich ihr gantzes Hertze habe, und so offt es sich nur schicken will, das allerangenehmste Liebes-Vergnügen bey ihr geniessen kan, denn ihre Caressen sind extraordinair delicat. Heute Nachmittags nun, da wir beysammen sassen und spieleten, sagte ihr lustiges Cammer-Mädgen: O! wer wolte doch bey so überaus angenehmen Wetter im Zimmer sitzen, und die lumpichte Karte in Händen rum werffen? Wäre es nicht besser, wenn man ein wenig in den Garten hinaus spatziren führe? Es ist auch wohl wahr, sagte dieMarquise, gefällt es euch, mein Herr! so soll augenblicklich mein Wagen angespannet werden? Ich war damit zufrieden, wir fuhren hinaus in den Garten, und nahmen zur Bedienung niemanden mehr mit, als gemeldtes lustige Cammer-Mädgen [392] und einen Laqueyen. Unter der Zeit, da ich die Marquise im Garten herum führete, hatte das Mädgen oben in einem Zimmer des Garten-Hauses allerhand Erfrischungen zurechte gesetzt, derowegen begaben wir uns hinauf, selbige zu versuchen. Das Mägdgen nahm sich eineBouteille Limonade und Schachtel voll Confect aus der Kiste, machte einen Reverentz, und sagte: Meine Engels-Kinder! sie lassen sich es wohl schmecken, und sorgen vor nichts, ich will mit diesen meinem Gewehr vor der Thür am Fenster Schild-Wacht stehen, und wenn ich jemanden auf das Lust-Hauß zukommen sehe, Wer da? ruffen. Die Marquise lachte so wohl als ich über das närrische Ding, welches würcklich zum Zimmer hinaus ging, den Schlüssel davon abzog und herein warff. Wir fingen hierauf an, das Confect der Liebe zu benaschen, der Appetit aber hierzu ward endlich so starck, daß wir die beschwerlichsten Kleidungs-Stücke ab uns alle beyde auf das zur Seiten stehende Faul-Bette legten, und unserer Wollust den Zügel vollkommen schiessen liessen. Indem stieß der Marquis von R. – – eine kleine Cabinet-Thür auf, kam, in jeder Hand ein aufgezogenes Pistol habend, heraus gesprungen, hielt das eine mir, das andere seiner Frau gegen die Brust, und sagte: Regt euch nicht, sondern betet, denn ihr müsset beyde sterben. Ich kan wohl sagen, daß mir alle Gedancken vergingen, weiß auch nicht recht mehr, was die Marquise zu ihrem Manne sagte, und ihn damit bewegte, daß er zu lachen anfing, und mit seinen Pistolen zur Thür des Zimmers hinaus ging. Sie [393] sprung demnach hurtig auf, brachte durch einen derben Kuß meine 5. Sinnen wieder in Ordnung, und sagte: Mein Hertz! seyd gutes Muths, mein Mann ist so tyrannisch nicht, sondern wird uns diesen Fehler vergeben. Also kleideten wir uns beyderseits hurtig an, und sahen, da wir zum Zimmer hinaus kamen, von oben herunter denMarquis unten im Garten ohne Pistolen gantz aufgeräumt herum spatziren. Die Marquise nahm mich bey der Hand, und führte mich ihm entgegen; ich danckte dem Himmel, daß ich meinen Degen an der Seite hatte, und mich auf einem freyen Platze befand. Als wir fast noch 6. Schritt von einander waren, zohe der Marquis schon seinen Hut ab, und bewillkommete mich aufs allerfreundlichste, danckte, daß ich ihm die Ehre erweisen und seinen schlechten Garten besehen wollen, und bath, nicht ungütig zu vermercken, wenn ich nicht nach Würden tractirt würde, weil man sich nicht darauf gesaft gemacht. Ich wurde von neuen dergestalt verwirret, daß ich in Wahrheit selbst nicht mehr weiß, was ich ihm geantwortet habe. Es wendete sich aber der Marquis zu seiner Frau, küssete sie auf den Mund, und sagte mit einer lächlenden Mine: Wie nun, Madame! soll man euch nunmehro auch mit unter die einfältigen Weiber zählen? Und glaubt ihr nun, daß die Männer auch listig seyn? Monsieur! ihr habt in beyden Stücken recht, (gab sie zur Antwort) allein, wenn ihr so gütig seyn, und nicht mehr an das, was einmahl geschehen ist, gedencken werdet, wird sich meine Hochachtung gegen euch vervielfältigen. Der Marquis klopffte sie hierauf [394] sanffte auf den Backen, und küssete ihre Hand, zu mir aber sprach er: Mein Herr! meine Frau sprach nur vor wenig Tagen zu mir, da ich ihr eine ohnlängst passirte Geschicht erzählet hatte: das wären die allereinfältigsten und dümmsten Weiber, die sich im Liebes-Wercke mit einem Galan, von ihren Männern betrappeln liessen, auch wäre der Männer List, gegen der Weiber List, gar nichts zu schätzen. Ich wuste nicht, ob, oder was ich hierauf antworten solte, der Marquis aber, welcher wohl merckte, daß ich mich von meiner Bestürtzung noch nicht recolligiren konte, fuhr im Reden fort: Mein Herr! ich glaube wohl, daß ihr nicht wisset, ob ihr hier bey mir verrathen oder verkaufft seyd, allein, trauet meiner redlichen Parole, fürchtet euch vor keiner Gefahr oder Hinterlist, sondern seyd gutes Muths, und folget mir in jene Grotte. Er nahm also seine Frau bey der lincken Hand, und mir reichte sie die rechte, mithin spatzirten wir in eine vortreffliche Grotte, allwo die köstlichsten Erfrischung bereits zurechte gesetzt waren. Er trunck mir ein Glaß Wein zu, auf redliche Freundschafft, und da ich solches Bescheid gethan, præsentirte er erstlich der Dame, hernach mir verschiedene Confituren, fing hierauf also zu reden an: Mein Herr! ich bin niemahls derjenige, so seine eigene Conduite rühmet, allein, ich zweifle nicht, ihr werdet mir zugestehen müssen, daß dieselbe heute gegen euch und diese Dame gantz sonderbar gewesen. Ich glaube nicht, daß in Europa unter tausend Männern einer anzutreffen, und wenn er auch eineCastrat wäre, der sich bey einer [395] solchen empfindlichen Begebenheit, so gelassen aufführen würde, als ich gethan. Ihr dürfft auch nicht vermeynen, daß ich etwa par Interesse, oder anderer Ursachen wegen, ein guter Mann seyn wolte oder müste. Nein! mein Herr! sondern lasst euch eine Geschicht erzählen: DieseDame und ich haben einander aus gewissen Ursachen nach dem absoluten Willen des Königs heyrathen müssen, und zwar zu der Zeit, da Sie noch nicht 15. ich aber noch nicht 19. Jahr vor voll alt waren. Es fiel uns dieses auf beyden Seiten sehr schmertzlich, weil wir, eins so wohl als das andere, unsere Hertzen schon anderwerts verschenckt hatten, mithin einander nicht nur gar nicht lieben konten, sondern auch einen würcklichen Abscheu vor einander bekamen. Unsere Freunde wusten dieses, und der König erfuhr es auch, allein, ein jeder meynte, das alles würde sich schon geben, wenn wir nur erstlich zusammen kämen; allein, weit gefehlt, denn ob ich gleich wuste, daß ich eine schöne Frau bekommen, auch sonsten an ihren gantzen Wesen nichts auszusetzen hatte, so war mir doch so wenig als ihr möglich, beysammen in einem Bette zu liegen, und noch vielweniger einander ehelich zu berühren. Wie ich sie ausserdem aber im Hause wohl leiden konte, so wurde zu einem wahrhafften Mitleiden bewegt, da ich sie beständig weinend antraff, derowegen konte mich endlich länger nicht enthalten, sie eines Abends also anzureden: Madame! es jammert mich hertzlich, euch alle Tage und Stunden, so offt ich euch nur zu Hause antreffe, betrübt und weinend zu finden, ich weiß, daß es euch unmöglich fällt, euer Hertze [396] von euren Amanten abzuwenden, und mich zu lieben, aber ich müste unvernünfftig handeln, wenn ich euch darum verdächte, weil mir ja ebenfalls nicht anders zu Muthe ist. Mein eintziger Trost ist, daß ihr selbsten wisset, was massen ich am wenigsten Schuld an unsern Malheur bin, ja ich schwöre: daß ich mehr als die Helffte meines gantzen Vermögens daran spendirte, wenn wir beyde unser Schicksal geändert, und uns vergnügt sehen könten. Damit ihr aber nicht Ursach habt, über mich zu klagen, so schencke ich euch eure vollkommene Freyheit, so zu leben, als ob ihr an keinen Mann gebunden wäret, denn ich werde eher diejenigen Orte, wo ihr euer Divertissement findet, vermeiden, als euch vorsätzlich darinnen stöhren. Lasset eurenAmanten, oder wen ihr sonst gern leiden möget, so offt, als euch beliebt, zu euch kommen, ich werde thun, als ob ich von nichts wüste, denn ich bin schon so viel von eurer Conduite versichert, daß ihr bey derGalanterie eure Reputation nicht vergessen werdet. Im Gegentheil aber hoffe, daß ihr auch so raisonnable seyn, und euch um meine Gänge, Thun und Lassen, vornehmlich aber um meine Galanterie-Affairen unbekümmert lassen werdet. Meine Frau saß, nach Endigung meiner Rede, eine gute Weile in tieffen Gedancken, da ich sie aber erinnerte, mir doch einige Antwort zu geben, öffnete sich endlich ihr Mund, und sagte: Monsieur, ihr verdienet eurer guten Gestalt und vortrefflichen Conduite wegen von Königlichen Printzeßinnen geliebt zu werden, allein, vergebet, und habt ein wahrhafftes Mitleyden mit mir Unglückseligen, da ich gestehen [397] muß, daß mir noch biß auf diesen Augenblick ohnmöglich fällt, euch zu lieben. Wegen eures Anerbietens bin ich euch gar sehr und mit noch mehrerer Hochachtung, als vorhero, verbunden, werde mich aber dessen nicht bedienen, denn, wenn es auch voritzo euer würcklicher Ernst seyn möchte, so habe ich doch vernommen, daß die Männer heute so, und Morgen gantz anders gesinnet seyn sollen; demnach wird es mir als einer Gebundenen hinführo besser anstehen, wenn ich euch bey vorhabenden Divertissements jederzeit erstlich um Erlaubniß bitte, Seiten meiner aber könnet ihr vollkommen versichert leben, daß ich mich niemahls um euer Wesen bekümmern werde, ausgenommen, was meine Schuldigkeit im Hause erfodert, damit ich euch wenigstens die äuserliche Complaisance abverdienen kan. Ich war mit dieser Antwort vergnügt, und betheurete nochmahls, daß sie sich, ohne Furcht vor mir zu haben, aller Freyheit bedienen möchte, indem ich ohnmöglich leiden könte, daß eine Person von ihrem Stande und Jahren meinetwegen unglücklich und unvergnügt leben solte. Hierauf verließ ich sie, und bemerckte wenige Zeit hernach, daß sie öffter, als sonsten, in Gesellschafften fuhr, sonderlich wo ihr Amant der Vicomte von T. anzutreffen war. Mir erweckte dieses mehr Zufriedenheit als Verdruß, und so offt ich ihn, den Vicomte, in mei nem Hause angetroffen, ist er allezeit von mir höflich und freundlich tractirt worden, wie ich ihn denn auch zu allen Assambleen, die nachhero in meinem Hause gehalten sind, invitiren lassen, und vor vielen anderndistinguirt habe. Allein, [398] er war vor etwa einem Jahre so unglücklich, von einem Deutschen Cavalier imDuell erstochen zu werden. Ich erfuhr bald, daß meine Frau seines Todes wegen fast nicht zu trösten stunde, ließ derowegen erstlich etliche Tage vorbey streichen, und legte hernach meine aufrichtige Condolentz bey ihr ab, welche sie mit weinenden Augen annahm, und mir dagegen alles erwünschte Vergnügen wünschte. Am allerbesten hat mir von ihr gefallen, daß sie diesen ihrem Amanten allein getreu und beständig geliebt, und ausser ihm keine eintzige Manns-Person besonders æstimirt, wie ich denn deßhalber genaue Kundschafft eingezogen, es auch zum Theil selbst aus allen Umständen vermerckt. Nächst diesen hat mir auch gefallen, daß Sie diejenige Dame, von welcher Sie weiß, daß ich dieselbe über alles in der Welt liebe, vor allen andern Dames distinguiret, und, dem Ansehen nach, mehr als ihre eigene Schwester liebt. Wenn ich von dieser abstehen könte, so hätte sich vielleicht meine Frau gewinnen lassen, nach dem Tode des Vicomte, mich allein getreu zu lieben, allein, solches ist mir noch biß auf diese Stunde ohnmöglich. In der tieffen Trauer, welche meine Frau in Geheim, des Vicomte wegen, über ein halbes Jahr lang geführet, habe ich sie nie gestöhret, und sahe gern, daß sie hernach wieder anfing, ein und andere Gesellschafft zu suchen. Endlich vor etlichen Wochen habt ihr, mein Herr! den Schlüssel zu ihrem Hertzen gefunden, und euch in den Platz des Vicomte gesetzt, denn ich habe so gleich von Anfange eurer Liebe an, sichere Nachricht davon gehabt, und weiß wohl, daß die heutige geheime [399] Zusammenkunfft nicht die erste ist, in welcher ich euch in Wahrheit nicht gestöhret haben würde, wenn mir nicht, schon gemeldter Ursachen wegen, die Lust angekommen wäre, meiner Frauen zu zeigen, daß auch die klügsten Weiber von ihren Männern betrappelt werden können. Vergebet mir, daß ich euch einen so hefftigen Schrecken eingejagt, denn es ist mein Ernst nicht gewesen, euch Leydes zuzufügen, vielweniger eine Summe Geldes von euch zu pressen, wie nur neulichst ein Geitz-Halß allhier, bey eben dergleichen Begebenheit gethan. Ihr behaltet dieserwegen den freyen Aus- und Eingang in mein Hauß nach wie vor, und habt nicht Ursach, euch vor mir zu fürchten, denn es wäre bey so gestalten Sachen, da vielleicht ich und meine Frau bezaubert seyn, die gröste Unbilligkeit, wenn ich über sie tyrannisiren, und ihr nicht eben das Vergnügen, so ich anderwerts geniesse, vergönnen wolte. Allein, dieses eintzige, mein Herr, bitte ich mir von euch aus, daß ihr von allen dem, was vorgegangen ist, und etwa noch vorgehen möchte, ingleichen von meiner gantzen Erzählung, reinen Mund haltet, widrigenfalls ist unsere Freundschafft auf einmahl aus, auch hoffe, ihr werdet von selbsten so raisonnable seyn, und euch in Compagnie gegen diese Dame nicht allzu frey aufführen, denn, weil ich in meinem 5. jährigen Ehestande, desVicomte wegen, von keinem eintzigen Menschen railliret worden, so würde mich solches, wenn es in Zukunfft eurentwegen geschehen solte, zu andern Entschliessungen bringen, anbey werden alle Cavalier, so mich kennen, mir das Zeugniß geben, daß ich mich [400] vor Degen und Pistolen niemahls gefürchtet habe. Nun saget mir, Madame! (fuhr der Marquis fort, indem er sich zu seiner Frau wendete) ob ihr in meiner gantzen Erzählung etwas angemerckt, so wider die Wahrheit lieffe? Nein, mein Herr! (antwortete sie,) ich müste nicht so redlich und aufrichtig seyn, als ihr, wenn ich dieses sagen wolte, es ist demnach zu bejammern, daß, wie ihr selbsten glaubt, wir beyde bezaubert seyn, doch ist bey unsern Malheur annoch das gröste Glück, daß wir in gewissen Stücken noch einerley Sinn haben. Hierauf wandte er sich zu mir, und fragte: Habt ihr wohl, mein Herr! Zeit-Lebens dergleichen besondere Begebenheiten gehöret? Nein, versicherte ich, sondern ich halte dieselbe vor ein unerhörtes Wunder, werde solches in meinem Hertzen vergraben halten, und biß auf den letzten Bluts-Tropffen zeigen, daß ich nichts höher als Dero Generositée und Freundschafft æstimire, und solche mit schuldigster Danckbarkeit zu erkennen alle Gelegenheit suchen. Nach diesen schwatzten wir alle Drey, als die vertrautesten Freunde, von allerhand indifferenten Dingen, und fuhren mit Untergang der Sonnen zurück in des Marquis Wohnung, allwo ich die Abend-Mahlzeit eingenommen, mit den beyden Bewundernswürdigen Ehe-Leuten noch ein paar Stunden l'Ombre gespielet, und mich hierauf nach Hause begeben habe.

Was bedünckt euch, (fragte mein Herr nunmehro den Cammer-Diener) bey dieser Avantüre? Sie scheinet mir (ließ sich dieser vernehmen) sehr wunderlich, und die Folgerung höchst gefährlich, [401] wenn ich demnach meinen unterthänigen Rath geben dürffte, so hielte davor, Ew. Gnaden zöhen mit Manier ihren Kopff aus der Schlinge, denn diese gantze Sache kan gar leichtlich ein Ende nehmen mit Schrecken. Am besten wäre es, wenn Ew. Gn. unter einem scheinbarn Vorwande, Paris auf eine Zeitlang verliessen, und mittlerweile einige andere berühmte Städte Franckreichs besähen. Ja, das wäre mir gelegen, rieff mein Herr, nein! was ich etliche mahl gekostet, und wohlschmeckend befunden, davon lasse ich nicht ab, biß ich mich satt gegessen habe; macht ihr nur Anstalten zu einem kostbaren Balle, dem ich auf den Montag zu geben gesonnen bin, und worbey der Marquis nebst seiner und meiner Frau die Haupt-Personen seyn sollen. Mit unserer Abreise von hier, hat es noch in etwas Zeit, und wenn ich auch keine berühmte Stadt in Franckreich mehr sehen solte, so ist nichts daran gelegen, denn wer Paris alleine nur gesehen, der hat in Franckreich alles gesehen. Morgen früh aber gehet hin, und bringet dem Marquis und seiner Gemahlin von meinetwegen den Morgen-Gruß, und wenn ihr so glücklich seyd, sie selbsten zu sehen, so saget mir hernach wieder, ob man um einer solchen Schönheit willen nicht Leib und Leben wagen solte. Sehr wohl, (gab hierauf der Cammer-Diener) allein, gnädiger Herr! hatten sie heute auch solche gute Gedancken, da der Mann mit den Pistolen aus dem Cabinet gesprungen kam? Ihr seyd ein Narr, (versetzte der Herr,) legt euch nur schlaffen, ich werde es auch so machen. Hiermit hatte dieser getreue Diener und Rathgeber seine Abfertigung. [402] Zwey Tage hernach kauffte mein Herr einen ungemein schönen Neapolitanischen Hengst, welchen viele Cavaliers, denen er zu kostbar gewesen, von sich gelassen, und ritt auf demselben, um ihn recht zu probiren, mit dem Marquis und etlichen andern Cavaliers spatzieren; weil nun dieser Hengst von allen, und sonderlich von dem Marquis, sehr gelobet worden, wurde dem Letztern gleich folgendes Tages ein Præsent damit gemacht, er nahm das Pferd mit Freuden an, schickte aber meinem Herrn dagegen einen neuen Wagen zurück, der mehr als noch einmahl so viel werth war. Ingleichen übersandte mein Herr eines Tages der Marquise, durch mich, sein, mit kostbaren Steinen besetztes, und in einer guldenen Capsel liegendes Bildniß, vor welches ich 4. Louis d'or Bothen-Lohn bekam, mein Herr aber empfing dargegen das Ihrige, welches 3. mahl theurer, als das Seinige, taxiret wurde, auch hat er lange hernach bekannt, daß ihm diese Dame aus grosser Liebe, vor mehr als 15000. Thlr. Jubelen und andere Kostbarkeiten geschenckt, von ihm aber wenig kostbare Sachen, sondern nur ein und anderes von geringen Werth zum Angedencken annehmen wollen. Am besti ten Tage gab mein Herr einen fast Fürstlichen Ball an die vornehmsten Cavaliers und Dames, deren sich eine gewaltige Menge einstelleten, weßwegen sehr viele bey den Gedancken verblieben, daß er eines höhern Standes seyn müsse, als er sich ausgäbe, da sahe man nun die Marquise in ihrer vollkommenen Schönheit, mein Herr begegnete ihr aber nicht als seiner Liebhaberin, sondern als einer grossen Printzeßin, [403] und der Marquis war beständig lustig und guter Dinge, man konte jedoch nicht mercken, welches seine Amasia wäre, indem er mit sehr vielen Damen gantz vertraulich umging, um die eigene Frau aber sich wenig bekümmerte. Mit anbrechenden Tage, wurden wir unsere Gäste erstlich loß, und dergleichen herrliches Leben wurde bald hier, bald dar fortgesetzt, ausser der Zeit aber konte man meinen Herrn nirgends eher als bey derMarquise antreffen, indem er zuweilen 3. biß 4. Tage und Nächte in ihrer Behausung blieb, biß sie endlich mit einem jungen Sohne darnieder kam. Man hörete, daß der Marquis ungemein erfreut über die Ankunfft dieses Stammhalters wäre, und er stellete dieserwegen ein Festin an, welches 3. Tage währete, worbey mein Herr, als ein erbetener Tauff-Zeuge, auch erschien. Nach vollendeten 6. Wochen, hatte die Marquise vorgegeben, als ob sie in ein Bad reisen wolte, allein, sie kam folgenden Morgens nach ihrer Abreise, früh vor Tage, in unsern Logis, nebst ihrer Vertrauten, in Manns-Kleidern an, und mein Herr, welcher die gantze Nacht auf sie gehofft, emfing sie mit ausserordentlichen Freuden. Demnach währete ihre besondere Bade-Cur in einem à parten Zimmer unseres Logis, 4. gantzer Wochen, binnen welcher Zeit sich mein Herr stellete, als ob er den Arm angeschellert hätte, und denselben mit vielen Binden umwickeln ließ, so offt er merckte, daß er eine Visite bekommen würde, wie ihn denn verschiedene Cavaliers, und sonderlich der Marquis, etliche mahl besuchten. Ausserdem paßirte er der Marquise beständig die Zeit, biß sie sich wieder gesegnetes [404] Leibes befunden hatte, setzte sich so dann eines Morgens mit beyden in einen zugemachten Wagen, und brachte sie an beliebigen Ort und Stelle. Zwey Tage hernach erfuhr man, daß dieMarquise aus dem Bade wiederum glücklich in ihrer Wohnung angekommen wäre, weßwegen mein Herr so gleich und fernerhin fast täglich seine Visite bey ihr ablegte. Endlich wurde die Marquise von einer schweren Kranckheit überfallen, da er denn wegen der vielen Dames, so stündlich um sie gewesen, sich Wohlstandes halber gemüßiget gesehen, seine Visiten einzustellen, allein, weil ihm die Zeit biß zu ihrer Genesung etwas zu lange zu werden begunte, merckte man bald, daß er nach andern Courroisieen herum schlich, und endlich, was das schli ste war, so verliebte er sich in eine geschminckte Operistin, ohngeacht er wohl nachdencken können, daß dieses falsche und betrügliche Waare wäre. Diese hatte er bald gewöhnet, daß sie auf erhaltene Ordre, sich so gleich einstellete, und viele Nächte bey ihm paßirete, dargegen aber starcke Sportuln von ihm ziehen mochte. Solches Leben währete, biß man hörete, daß die Marquise besser wäre, und wiederum in ihrem Zimmer herum gehen könte, da aber mein Herr zu derselben hinschickte, und vernehmen ließ, ob, und um welche Stunde es ihr gelegen, daß er zu ihr kommen, und dieGratulation wegen ihrer Genesung abstatten dürffte, schickte sie einen Brief zurücke, worinnen sie ihm vorwarff: »Wie er sich würde zu erinnern wissen, daß sie ihn mit der Condition zu ihren Amanten angenommen, wenigstens so lange, als er in Paris sich aufhalten [405] würde, kein ander Frauenzimmer, als sie allein, zu caressiren, weil sie im Lieben ungemein eigensinnig und eckel wäre, er hätte ihr solches gleich anfänglich bey Wechselung der Ringe heilig zugeschworen, jedoch vor weniger Zeit hätte sie erfahren müssen, daß er nicht allein während ihrer 6. Wochen, sondern auch nach der Zeit, da sie 4. Wochen lang bey ihm in seinen Logis gewesen, und ihre allergetreuste Liebe sattsam zu erkennen gegeben, verschiedene Dames von geringern Stande worunter einige die von der Courtoisie recht Profession machten, eiffrig caressiret, über alles dieses aber, einer lüderlichen Schand-Metze, nehmlich einer Operistin, den ersten Ring, welchen sie ihn vor den Seinigen zum Gedenck-Zeichen der Treue, selbsten an den Finger gesteckt, ohne Bedencken hingegeben, auch Dieselbe viele Nacht in seinem Bette bey sich behalten etc. etc. Eben diese seine Untreue nun habe ihr die bißherige schwere Kranckheit zugezogen, an statt aber ihrentwegen bekümmert zu seyn, wäre er immer ungetreuer und lasterhaffter worden, weßwegen sie ihn von nun an nimmermehr wieder mit Augen zu sehen wünschte, u.s.f.«

Dergleichen tröstliche Worte schlugen meines Herrn Muth gäntzlich darnieder, indem er sich in allen Stücken getroffen befand; er schickte zwar durch mich eine Entschuldigungs- und Submissions-Schrifft an die Marquise, allein, sie wolte selbige nicht annehmen, sondern sprach: Ich solte meinem Herrn nur mündlich sagen, daß sie weiter mit ihm nichts zu thun hätte, auch, so lange er in Paris [406] wäre, alle Gelegenheit vermeiden würde, von ihm gesehen zu werden.

Uber dieses Compliment schien er vollends gantz Trost-loß und aller Hoffnung beraubt zu seyn, doch fing diese wiederum ein wenig an zu käumen, als ihm noch selbiges Abends, von einer unbekandten Person, ein Billet mit folgenden Zeilen eingehändiget wurde:


Monseigneur!


Ich zweiffele nicht, daß euch der Eigensinn meiner gebietenden Frauen einigen Kummer werde verursacht haben, allein, weil ich nicht glaube, daß ihr so viel gesündiget habt, als man euch Schuld giebt; so will ich euch ein Geheimniß eröffnen, vermittelst dessen ihr, wo euch anders etwas daran gelegen, bald wieder in vorigen Credit gesetzt werden könnet. Weil ich aber nicht weit von ihr gehen darff, so erwarte euch auf ein kurtzes Gespräch diese Nacht punctuell um 11. Uhr an der Hinter-Thür unseres Pallasts, als


Eure

gehorsamste Dienerin

Lucretia.


Mein Herr machte sich fertig zu diesen nächtlichen Spatzier-Gange, nahm auch den Jäger und einen Reut-Knecht, die Pistolen und Pallasche bey sich hatten, mit sich, und befahl, ihm immer auf etliche 20. Schritte nachzufolgen, wenn er aber stehen bliebe, auch auf ihrer Stelle stehen zu bleiben. [407] Er kömmt glücklich an die Hinter-Thür des Marquisischen Pallasts, dieselbe öffnet sich punctuell um 11. Uhr, es kömmt ein Frauenzimmer heraus auf die oberste Stuffe getreten, und winckt ihm, so viel er in der Demmerung erkennen kan, näher zu kommen; so bald er aber bey ihr ist, stösst sie ihn mit einem Dolche dergestalt hefftig auf die Brust, daß er zurück prallen muß, zu gleicher Zeit springt sie zurück, und schlägt ihm die Thür vor der Nase zu.

Mein Herr hebt den Dolch, welcher ihm vor die Füsse gefallen, auf, kam nach Hause, und erzählte, was ihm begegnet war, wolte auch anfänglich nicht viel Wesens aus der Wunde machen, allein, weil der Stich recht durch den Brust-Knochen ging, und der Dolch, allem Vermuthen nach, vergifftet gewesen, gerieth dieselbe dergestalt übel, daß er bey nahe seinen Geist aufgegeben, denn der gantze Halß und Brust war dergestalt verschwollen, daß er kaum noch ein wenig Athem holen konte. Jedoch nach 5. Wochen fing es sich endlich zu bessern an, so, daß er wieder im Zimmer herum gehen konte, indem er sich aber nicht einbildete, daß der Marquis von der Historie, so zwischen ihm und der Marquise paßirt, die geringste Wissenschafft haben würde, nahm es ihm Wunder, daß er keine Visite von demselben bekommen, er erfuhr aber zufälliger Weise, daß der Marquis in Königl. Affairen verreiset sey. Des Tags darauf, als er sich wiederum in die freye Lufft begeben, brachte ein fremder Laquey einen Brief, welchen ich, weil mein Herr denselben auf seinen Schreibe-Tische liegen lassen, also gesetzt befand:


[408] Ungetreuer!


Nicht die Lucretia, sondern ich selbst habe euch bestellet, um mich zu rächen, einen Dolch zu euer lasterhafftes und meineydiges Hertze zu stossen, bin aber, wie ich mercke, zu schwach gewesen, diesem Werckzeuge meiner gerechten Rache, gnugsamen Nachdruck zu geben. Jedoch ich getröste mich dessen, daß bald eine stärckere Faust über euch kommen soll, denn es wird nicht eher wieder vergnügt leben, biß da weiß, daß ihr in die andere Welt geschickt seyd,


Die
deren getreuer Liebe ihr niemahls
würdig gewesen.

Nun ist es Zeit, (sprach mein Herr, nachdem er diese Zeilen gelesen, zu dem Cammer-Diener:) daß ich Paris verlasse, machet derowegen Anstalt, daß wir je ehe je lieber nach dem Turinischen Hofe aufbrechen. Der Cammer-Diener, welcher nunmehro mit Mißvergnügen sahe, daß seine Propheceyung mehr als zu zeitig eingetroffen, ließ an seinem Fleisse nichts ermangeln, derowegen brachen wir, nachdem mein Herr von seinen besten Freunden, unter einem gantz andern Vorwande, kurtzen Abschied genommen, eiligst auf, und nahmen unsern Weg mit kurtzen Tage-Reisen auf Troyes zu, allwo wir die Bagage noch antraffen, dieselbe aber voraus gehen liessen, weil mein Herr gesonnen war, einige Tage hieselbst auszuruhen; allein, seine Ruhe währete nicht lange, denn gleich andern Tages gegen [409] Abend kam ein Cavalier, welcher ihm vom Marquis von R. ein Billet, folgendes Inhalts, überbrachte:


Ihr habt eure Parole, wegen Verschweigung eines gewissen Geheimnisses, nicht als ein rechtschaffenerCavalier, sondern als ein – – – – gehalten, derowegen bin ich euch, so bald ich solches erfahren, auf dem Fusse nachgefolget, um euch den offerirten letzten Bluts-Tropffen zur Satisfaction mit meinem Degen abzufordern. Uberbringer dieses mein Beystand hat von mir Vollmacht, wegen Zeit und Orts, Abrede mit euch zu nehmen, denn die Zeit, euch im Reiche der Todten zu wissen, währet viel zu lang


Dem
Marquis von R.

Mein Herr besprach sich also mit dem Cavalier, und es wurde wegen desto besserer Sicherheit, so wohl vor diesen als jenen Theil, beschlossen, daß uns der Marquis biß nach Geneve folgen, und das Duell in selbiger Gegend vorgenommen werden solte, weil sich daselbst die Frantzösischen, Savoyischen und Schweitzerischen Gräntzen scheiden. Mitlerweile gab mein Herr den Cavalier folgende Antworts-Zeilen zurück:


Ihr seyd von Haltung meiner Parole falsch berichtet, oder müsset nunmehro erstlich eine andere Ursache hervor gesucht haben, mit mir anzubinden. Wegen des erstern [410] will meine Unschuld nicht mit Worten, sondern, damit ich nicht vor einen Zaghafften gehalten werden möge, gegen euch lieber mit dem Degendefendiren. Wegen Zeit und Orts, ist, eurem Belieben nach, mit Zurückbringern dieses, bereits Abrede genommen, und es kan nicht schaden, daß ihr euch auf dieser Reise biß an Franckreichs Ende, noch eine kleine Motion machet, bevor ihr von mir ins Reich der Todten geschickt werdet. Denn dahin zu spatziren, ohne eure Gemahlin erstlich wieder ausgesöhnt zu wissen, hat vor itzt noch keine Lust


N.N.


Hiermit ging der Cavalier, wir aber setzten unsere Reise gleich Tags hernach fort, und hielten keinen Rast-Tag, biß wir nach Geneve kamen. Zwey Tage waren wir schon da gewesen, als der Cavalier wieder kam, und nur eine Viertel-Stunde mit meinem Herrn in Geheim redete. Abermahls zwey Tage hernach ging das Duell auf Schweitzerischen Grunde und Boden vor sich. Der Marquis wurde erstlich zweymahl leichte von meinem Herrn blessirt, da er aber, ohngeacht alles Zuredens, nicht zufrieden seyn, sondern meinem Herrn absolut todt haben wolte, jagte ihm dieser endlich seine Klinge dergestalt tieff in die Brust, daß er, ohne ein Wort zu sprechen, zu Boden sanck. Wir hielten uns also nicht lange bey seinem erblasseten Cörper auf, sondern eileten von dannen, und erreichten gar bald ein Savoyisches kleines Städtgen, [411] und etliche Tage darauf die Haupt-Stadt Turin; allwo mein Herr und wir alle von der beschwerlichen Reise ausruheten. Mir schwebte der entleibte Marquis stets vor Augen, und wunderte mich sehr, daß mein Herr sich dergleichen Blut-Schulden gantz und gar nicht zu Gemüthe zohe, sondern in Turin erstlich als gantz von neuen lustig zu leben anfing, auch sich nicht nur mit einer, sondern etlichen vornehmen Dames in ein geheimes Liebes-Verständniß einließ, welches mir, als dem Brief- und Complimenten-Träger, zwar manchen schönen Ducaten einbrachte, jedoch, weil ich nunmehro schon ziemlich zu Verstande gekommen, und bemerckt, daß meines Herrn Lebens-Art recht Epicurisch, indem er sich weder um Beten, Singen, noch Religion etwas bekümmerte, auch so lange ich bey ihm gewesen, nicht zum Heiligen Abendmahle gewesen war, wünschte ich, daß er sich ändern, und nicht etwa einmahl so in seinen Sünden dahin fahren, oder, daß ich bald von ihm hinweg kommen und solches Unglück nicht mit ansehen möchte. Weil ich aber etliche Tage Zeit darzu haben müste, wenn ich alle seine Liebes- und andere zum Theil sehr verwegene Streiche, die er in Italien gespielet, ordentlich erzählen wolte, so will nur, um kurtz darvon zu kommen, noch so viel melden, daß, nachdem wir binnen 3. Jahren die vornehmsten Städte Italiens besehen, ihn das Angedencken einer wunderschönen Kauffmanns-Frau, zum andernmahle fast von der Gräntze zurück nach Mayland zohe. Allein, da er das vorige mahl mit derselben in der allergrösten Vertraulichkeit gelebt,[412] muste er nunmehro erfahren, daß sie ihm sehr kaltsinnig begegnete, und endlich erfuhr er auch, daß ein gantz junger Frantzösischer Duc, seinen Posten bey ihr eingenommen hätte; derowegen sparete er weder Mühe noch Kosten, denselben wieder auszustechen, und das wollüstige Weib mag sich endlich wohl resolviren, ihre Gunst-Bezeugungen unter diese beydenAmanten gleich einzutheilen, um entweder ihre Geilheit recht zu ersättigen, oder vielleicht von Beyden starcken Profit zu ziehen. Demnach bringet sie es auf listige Art dahin, daß beyde keine öffentliche Visiten ferner bey ihr ablegen dürffen, heimlich aber läßt sie, Wechsels-weise, bald den Franzosen, bald meinen Herrn zu sich kommen, welcher keine Gelegenheit verabsäumete, dieser geilen Frauen aufzuwarten, ohngeacht ihm gesteckt wurde, daß dem Kaufmanne seinetwegen ein Floh ins Ohr gesetzt worden. Mittlerweile starb meines Herrn Cammer-Diener an einem hitzigen Fieber, woran wohl nichts anders als der Wein, welchen er gar zu gern trunck, Ursach seyn mochte. Mein Herr bedauerte denselben, wegen seiner treu-geleisteten Dienste, sehr, bekam zwar einen andern Deutschen feinen Menschen an dessen Stelle, hatte aber dennoch mehr Vertrauen zu mir als zu ihm, und gab mir das meiste von seinen kostbarsten Sachen unter meinen Verschluß; wie gern ich aber gesehen hätte, daß mein Herr, um nur von seiner gefährlichen Lebens-Art abzukommen, das verführerische Mayland einmahl verlassen hätte, so gedachte er doch niemahls daran, zumahlen da nicht allein aus Deutschland frische Wechsel einlieffen, sondern er[413] auch von seinem Mit-Buhler, dem FrantzösischenDuc, welcher ihm eines Abends, in einer Assamblee beym Spiele starck forçirte, 1500. spec. Ducaten baar Geld, und über dieses einen Wechsel-Brief auf 1000. Ducaten, gewonne. Nach der Zeit stellete sich der Frantzmann sehr hochmüthig gegen meinen Herrn, welcher selbiges zwar nicht sonderlich æstimirte, endlich aber erfuhr, daß der Duc gegen jemanden, der ihn wegen seines grossen Geld-Verlusts beklagt, diese Worte ausgestossen: Die drittehalb tausend Ducaten gönne ich dem Deutschen gerne, weil ihm das Glücke in aufrichtigen Spiele günstiger gewesen als mir, allein, wenn er mir, wie unter der Hand verlauten will, an einem gewissen Orte ins Gehäge gehet, und ich ihn attrappire, so kostet es einem unter uns beyden das Leben. Ein anderer Cavalier hatte den jungen Duc gewarnet und gesagt, daß mein Herr ein wohl exercirter Fechter sey, auch, wie man vernommen, vor einiger Zeit einen geschickten Frantzösischen Marquis, ohnweit Geneve, erstochen; der Duc aber hatte darauf geantworttet: »Wohlan! so wird es mir eine desto grössere Ehre seyn, wenn ich ihm was anhabe, und zugleich meinen erstochenen Lands-Mann rächen kan.« Mein Herr lächelte, als man ihm dieses vorbrachte, und sagte: »Ich weiß noch nicht, wo der Gelb-Schnabel sein Gehäge hat, sonsten wolte aus Erbarmung und Eckel selbiges vermeyden, indem ich, ohne allen Schertz, viel Commiseration mit seiner Schwachheit habe, wünsche im übrigen, daß er andere Gedancken bekommen, und meine Gesellschafft meiden [414] möge.« Von der Zeit fing mein Herr selbst an, zwar die Gesellschafft des Duc, nicht aber der Kauffmanns Frau zu meiden, sondern schlich so lange nach derselben, biß er von jenem auf dem fahlen Pferde attrapiret und rencontriret wurde. Der Duc bekömmt etliche Hiebe über den Kopff und rechten Arm, welche ihm aber weder Kranckheit noch Lähmung verursachten, weßwegen er meinem Herrn einCartell zuschickte, und wegen dieser Blessuren, die er, seinem Vorgeben nach, unredlicher Weise empfangen, sehr gestrenge Satisfaction forderte. Mein Herr ließ ihm zurück melden, daß, ohngeacht er gesonnen gewesen, binnen wenig Tagen nach Deutschland aufzubrechen, er doch nunmehro biß zu des Duc Wiedergenesung in Mayland verbleiben wolte, anbey wünschte, daß selbige bald erfolgen möchte.

Etliche Tage hernach, da mein Herr verschiedeneCavaliers, auf seinem Zimmer tractirte, ließ sich in einem Gast-Hause gegen über eine vortrefflicheVocal- und Instrumental-Music hören, weßwegen immer eine Parthey von unsern Gästen nach der andern in die Fenster traten, und darauf merckten. Mein Herr stund hinter 2. Cavaliers, welche sich zum Fenster hinaus bückten, und ehe man sichs versahe, hörete man einen Platz und Erschütterung des Fenster-Rahmens, mein Herr aber fiel zu gleicher Zeit rückwärts zu Boden, und es lief ihm aus einer an der Stirn habenden Wunde das Blut über das Gesichte herab. Unterdessen, als man beschäfftiget war, denselben aus der Ohnmacht zu reissen, kam ein erfahrner Chirurgus, welcher [415] ihm eine Ader öffnete, und nachhero bey Untersuchung der Wunde eine Bley-Kugel in dem Stirn-Beine steckend fand. Ob nun schon dieselbe mit grosser Mühe heraus gebracht und sonsten alles zu seiner Lebens-Erhaltung angewendet wurde; so merckte doch ein jeder bald, daß ihm diese Blessur den Todt verursachen würde, denn er lag ohne Verstand mit halb eröffneten Augen beständig als in einem tieffen Schlaffe, holete aber doch starck Athem darinnen. Aller Anwesenden Urtheile nach, war die Mord Kugel aus einer Wind-Büchse, und zwar etwa durch ein Dach-Fenster des gegen über liegenden Gast-Hauses herab geschossen worden, und würde ohnfehlbar meinem Herrn biß ins Gehirne eingedrungen seyn, wenn sie nicht vorhero ein Stück vom Fenster-Rahmen hinweg genommen, mithin sich ermattet gehabt. Es wurde bey dem Gast-Wirthe eine scharffe Nachfrage angestellet, jedoch nichts heraus gebracht, denn dieser gestund zwar, daß seit etlichen Tagen einige fremde Personen in seinem obersten Stock-Werck logirt, da sie ihn aber das Logis voraus bezahlt, hätte er sich um ihren Ausgang nicht bekümmert, jedoch kein Schieß Gewehr, viel weniger eine Wind-Büchse bey ihnen gesehen. Das war es alles, was man des Thäters wegen erfahren konte, demnach muste mein Herr behalten, was er hatte, ausgenommen das Leben. Doch ehe er dieses einbüssete, kam in der 4ten Nacht nach der empfangenen Blessur sein Verstand auf einmahl plötzlich wieder, und blieb gantzer 8. Stunden bey ihm, weßwegen die Aertzte, und sonderlich wir, seine Bedienten, sehr [416] freudig wurden, allein, er sagte gantz hertzhafft: Kehret euch an nichts, denn es ist nichts gewissers, als daß ich sterbe.

Hierauf befahl er mir, einen Protestantischen Geistlichen, welchen zwey junge Deutsche Barons unter dem Titul eines Gouverneurs bey sich hatten, zu ruffen. Dieser unterredete sich über zwey gantzer Stunden lang mit ihm, reichte ihm auch nachhero in meinem Beyseyn das Heilige Abendmahl. Hierauf ließ er 2. nicht weit von ihm wohnende Deutsche Cavaliers ruffen, bath dieselben, seine Disposition, die er schon ehedem, auf einen solchen plötzlichen Fall gemacht, mit seinem, ihren und des Geistlichen Petschafften zu versiegeln, und den Tag, da dieses, seinem Willen gemäß, geschehen, nebst ihren Nahmens darauf zu notiren. Auch musten dieselben verschiedene Kasten mit seinen und ihren Petschafften versiegeln, und dieserwegen eine Schrifft in meine Hände liefern. Hernach beschenckte er seine Bedienten reichlich, ehe er aber an mich kam, vergingen ihm die Gedancken, und er lag abermahls gantzer 28. Stunden, ehe er sich wieder besinnen konte. Dieses letztere geschahe Morgens früh, eben da die vorigen Freunde wieder bey ihm waren, und seine erste Rede war: Wo ist mein Willhelm? Ich trat mit weinenden Augen zu ihm; er aber sprach: Gib dich zufrieden, einmahl muß ich doch sterben, mein Chatoull und der rothe Coffre, mit allen dem, was drinnen ist, soll deine seyn, hiervon aber solst du meine Begräbniß-Kosten bezahlen, und das im rothen Coffre blau laquirte Kästlein an die bewuste Person liefern, [417] ich traue deiner Redlichkeit schon so viel zu, daß du dieses ohne fernere Weitläufftigkeiten bewerckstelligen wirst; was sonsten noch von meinen unversiegelten Sachen umher stehet und liegt, soll nach meinem Tode ebenfals alles deine seyn.

Nachdem er hierüber die anwesenden Herrn zu Zeugen angeruffen, bath er, man möchte ihn mit dem Geistlichen etwas alleine lassen; dieser blieb also bey ihm, biß er abermahls in einen Schlummer verfallen war, aus welchen er sich denn auch nicht ermunterte, sondern ein paar Stunden nach Mittags seinen Geist aufgab.

Ich sparete keine Kosten, meinen erblasseten Herrn Standes-mäßig zur Erden bestatten zu lassen, indem ich baares Geld genung darzu fand, mit dem Uberbliebenen aber wohl zufrieden seyn konte. Indem ich nun Anstalten zu unserer Reise nach Deutschland machte, kam mir eines Tages ein Billet, folgendes Inhalts, zu Handen:


Monsieur Wilhelm!


Damit ihr den Verdacht wegen Entleibung eures Herrn nicht etwa auf eine unrechte Person werffen möget, so wisset und glaubet, als eine sichere Wahrheit, daß niemand anders, als die Frantzösische Marquise von R. Schuld daran sey; denn diese hat, nachdem sie vernommen, daß ihr Gemahl von ihm erstochen worden, so gleich 3. Banditen erkaufft, und mit dem Befehle, ihn in gantz Italien aufzusuchen, und das Lebens-Licht auszublasen, fortgeschickt. Es [418] ist in Rom, Neapolis und Venedig erliche mahl fehl nach ihm geschossen, auch an viel andern Orten auf ihn gelauret worden, er ist uns aber jederzeit zu gescheut gewesen, biß es uns allhier in Mayland endlich doch geglückt, die andere Helffte unseres versprochenen Recompenses zu vedienen, ohne ihn biß nach Deutschland zu verfolgen. Nun reiset ihr so glücklich, als wir drey es uns wünschen.


Adieu!


Ich lasse es dahin gestellet seyn, ob es wahr, daß die Marquise so einen gar grausamen Haß auf meinen erblasseten Herrn gelegt, zumahlen er derselben mit Entleibung ihres Mannes vielleicht keinen Tort gethan, vielmehr wolte wohl sagen, wie ich mehr glaubte, daß mir der Frantzösische Duc diesen Brief zupracticiren lassen, nachdem er vielleicht die Banditen selbst zu dieser Mordthat erkaufft, und was mich in diesem Glauben stärckt, ist dieses, daß ich nachhero erfahren, wie eben offt gemeldeter Duc, nach seiner Heimkunfft die Marquise von R. geheyrathet hat.

Dem allen aber sey nun wie ihm wolle, genung! wenn mein Herr sich von der Weiber-Liebe nicht allzu sehr bethören lassen, so wäre er einer der glückseeligsten Cavaliers gewesen, und lebte vielleicht diese Stunde noch, denn er hatte eine vollkommen gesunde und ungemein starcke Natur, so aber war bloß das Frauenzimmer Schuld und Ursach an allen seinen Wiederwärtigkeiten, Unglücks-Fällen und endlichen frühzeitigen Tode.

Nunmehro war vor mich nichts weiter zu thun, [419] als den Weg ins Vaterland zu suchen, derowegen nahm ich, nachdem mir die Deutschen Cavaliers tüchtige Pässe ausgewürckt, Wagen und Maul-Thiere zur Miethe, um meines Herrn Sachen darauf fort zu schaffen, der Jäger und die zwey Reut-Knechte blieben bey mir, der neulichst angenommene Cammer-Diener aber, wolte sich in Italien einen andern Herrn suchen. Nach einer sehr beschwerlichen und verdrüßlichen Reise, gelangeten wir endlich auf dem Ritter-Sitze des Herrn von E.* an, den ich zwar nicht sogleich selbst zu Hause antraff, von der Frau von E.* aber gantz wohl aufgenommen wurde, als welche eine wahrhaffte Betrübniß und Wehmuth über den jämmerlichen Todt meines Herrn empfinden mochte, wie sie denn auch gegen mich kein besonderes Geheimniß daraus machte, sondern sehr vertraut nach allen Umständen fragte. Weil ich nun schon bescheidet war, daß in dem blaulaquirten Kästgen der Schatz verwahret lag, der der Frau von E.* vor sie selbst und ihren kleinen Sohn zugedacht war, (welcher Knabe meines Herrn gantze Person, wie er geleibet und gelebt, en Mignature præsentirete) so säumete ich mich nicht, ihr dieses gantz und gar mit Gold und Jubelen angefüllete Kästgen zu überreichen, wo vor sie mir denn zum Gratial, ehe noch ihr Herr nach Hause kam, 100. spec. Ducaten aufdrunge. Es war aber noch eine andere grosse Kiste mit vielen Italiänischen Kostbarkeiten vor den Herrn und die Frau von E.* unter den mitgebrachten Sachen von meines Herrn Verlassenschafft, welche ich, da der Herr zu Hause gekommen, [420] demselben einhändigte. Beyde mochten vor sich so viel darinnen finden, daß sie Ursach hatten, darüber vergnügt zu seyn, und meines seeligen Herrn Generositee zu bewundern, mir aber schenckte der Herr von E.* vor meine Mühe und getreue Einlieferung 200. Thlr. an lauter Lüneburgischen Gulden. Die übrige Verlassenschafft wurde nach meines seeligen Herrn gemachterDisposition, unter seines, schon vor längst verstorbenen Bruders Kinder getheilet, welche wohl in Wahrheit lachende Erben zu nennen waren, indem sie zwar mit den Kleidern traureten, allem Ansehen nach aber im Hertzen jauchzeten. Ich bekam, weil ich bey ihnen keine Dienste nehmen wolte, von allen insgesammt nicht mehr als 100. spec. Thlr. ein Kleid und ein Pferd mit Sattel und Zeuge zum Recompense, war auch gesonnen, gewisser Ursachen wegen eine Reise nach Wien zu thun, allein, mein Landes-Herr ließ mich eines Tages zu sich ruffen, und zwang mich, mit vielen liebreichen Worten und andern Gnaden-Bezeugungen, dahin, daß ich in drey Abenden nach einander, einen ausführlichen Bericht von meines seeligen Herrn Reisen und Begebenheiten abstatten muste; wie denn dieser besonders gnädige Herr versprach, solches alles bey sich zu behalten. Es beschenckte mich derselbe hierauf mit drey güldenen Medaillen, so zusammen 65. Ducaten wugen, und ließ mir durch seinen Ober-Hofmeister eine Cammer-Diener-Stelle bey ihm antragen. Ich resolvirte mich kurtz, dieselbe anzunehmen, indem mir, ausser den starcken Accidentien, eine gute Besoldung versprochen wurde, jedoch[421] bath ich mir vorhero aus, auf etliche Wochen in meinen Affairen zu verreisen, welches mir der Landes-Herr gnädigst erlaubte. Die erste Reise, so ich that, ging nicht weiter als zu meinem ältesten Bruder, der in dem Hause, wo ich gebohren worden, Wirthschafft trieb, und seinen Förster-Dienst besorgte. Er hatte geheyrathet, aber, leyder! (das GOTT zu erbarmen) ein Fräulein Mägdgen vom Hofe, welche von ihrem Fräulein eine starcke Mitgifft von Theé- und Coffeé-Kannen, Schälchen, Löffelchen, und dergleichen Tänteleyen und Löffeleyen bekommen hatte. Von dem sauber gestickten Knöppel-Küssen, Bildern, â la mode Bette, propren Stühlen (deren aber, mit einem verunglückten, nur 6. waren) und dergleichen will ich nichts gedencken, weil ich solche Sachen nach ihreminnern Werth, mir nicht zu taxiren getraue. Mir aber schien es hell und klar in die Augen, daß mein Bruder einen abgenutzten Affen, fœminini generis, oder ein solches Frauenzimmer zur Frau bekommen hatte, die sich zwar sehr wohl an den Tisch und ins Bette, aber desto schlechter zu seiner Oeconomie schickte, und wie es sonsten um seine Schwagerschafft gehalten, darum habe mich mit allem Fleisse nicht erkundigen wollen. Genung, ich spürete an ihm, daß er die Nach-Wehen einer unglückseeligen Heyrath, mehr als zu sehr im Kopffe fühlete. Seinen Kummer auf einige Zeit zu vertreiben, schenckte ich ihm verschiedene feine Sachen von ziemlichen Werth, seiner Frauen aber, um ihre Galanterie vollkommen zu machen, eine Italiänische Uhr und Tabatiere. [422] Von meinem Vater, konte mir dieser mein ältester Bruder so viel Nachricht geben, daß derselbe gleich nach dem gehabten Unglücke in ein Römisch-Catholisches Ländgen geflüchtet, sich daselbst in ein Hospital gekaufft, allwo er gut Essen und Trincken, auch gute Verpflegung gehabt, dahero von seinen Kindern nichts verlanget, sondern denselben noch etliche 30. Thlr. zurück geschickt; es wäre aber derselbe vor ohngefähr zwey Jahren gestorben. Mein jüngster Bruder hätte durch Vorschub guter Leute studiret, aber nur biß an den Hals, indem er sich auf Universitäten, in der besten Zeit, auf die faule Seite gelegt, und die Stipendia, so er verstudiren sollen, durch die Gurgel gejagt, jedoch sässe derselbe voritzo gantz wohl, indem er in der nächsten Stadt eine gebrechliche Wittbe geheyrathet, die ihm einen Secretarien-Titul gekaufft, nur daß sie mit solcher Manier sich auch in vornehmer Tracht sehen lassen dürffte. Endlich erfuhr ich, daß meine älteste Schwester als Vieh-Magd, und die jüngste als Mädgen auf einem Edel-Hofe dieneten. Diese beyden letztern jammerten mich am meisten, weßwegen ich ihnen einen Bothen schickte, und sie zu mir ruffen ließ. Es war in Wahrheit Schade, daß diese beyden armen Thiere bißhero so verächtlich leben müssen, denn sie sahen nicht häßlich aus, derowegen befahl ich ihnen, sich so bald, als möglich, Dienst-loß zu machen, gab einer jeden 50. Thlr. davor sie sich saubere Bürgerliche Kleider anschaffen, und in der nächsten Stadt bey guten Leuten in die Kost verdingen [423] solten, biß sich anständige Männer vor sie fänden, da ich denn einer jeden 300. Thlr. zur Ausstattung zu geben, auch mitlerweile das Kost-Geld und andere Bedürffnisse zu zahlen versprach. Man kan leicht erachten, daß beyde hierüber ungemein froh gewesen, und es währete nicht lange, so heyrathete die Aelteste einen Bader, und die Jüngste einen Gewürtz-Cramer, empfingen auch von mir die versprochenen Ehe-Gelder. Weil ich aber doch auch meinen jüngsten Bruder gern sehen und sprechen wolte, reisete ich zu ihm, traff ihn aber nicht als einen Gelehrten, sondern als einen schmutzigen Brau-Knecht an, jedoch er warff sich bald in weisse Wäsche und in einen seidenen Schlaff-Rock, und empfing mich nunmehro erstlich recht brüderlich, dergleichen die Frau Schwägerin auch that, jedoch ihre Freundlichkeit nachhero erstlich recht blicken ließ, da ich einige Italiänische Sachen von nicht geringen Werthe zum Geschencke überreichte. Dieserwegen eröffnete sich nun ihr holdseeliger Mund dergestalt, daß, wenn man hinein sahe, man sich die Rudera eines abgebrandten Dorffs gantz eigentlich vorstellen konte, weil sie sich die Cronen von den Zähnen fast alle abgebissen, jedoch, wie ich nachhero gewahr wurde, noch ziemlich keiffen konte. Ich hielt mich, weil ich meine Schwestern, mir Antwort dahin zu bringen, bestellet hatte, etliche Tage bey meinem Bruder auf, und wurde von ihm und seiner Frauen gantz wohl tractiret; allein, da ich kaum 3. oder 4. Tage da gewesen, hörete ich, wenn ich nur den Rücken gewendet, [424] daß sie sich, um der geringsten Ursache willen, aufs hefftigste mit einander zanckten, hergegen konte das alte Murmel-Thier, so bald jemand darzu kam, so freundlich thun, als ein Ohr Wurm, und ihrem Manne sehr viel Respect erweisen, da doch derselbe ein würcklicher Sclave von ihr war. In meinen Ohren klung nichts ärgerlicher, als wenn sie früh Morgens, wenn ich noch im Bette lag, oder auch sonsten des Tages über, zum öfftern, bald diese, bald jene Commando-Wörter von sich hören ließ:e.g. Herr Secretarius! gehet doch hin, und gebt den Schweinen; Herr Secretarius! hänget den Käse-Korb wieder auf; Herr Secretarius! hackt doch etliche Scheiter-Holtz; Herr Secretarius! sehet zu, ob etwa die Kuh gekalbet hat; Herr Secretarius! befühlt die Hüner, ich stecke im Teige; Herr Secretarius! gebt dem Mädgen vor einen halben Weiß-Pfennig steiffen Käse, und ja nicht mehr, als 3. Klitsche; etc. etc. Ja, ich sage es noch einmahl, wenn ich diese Ordres hörte, hätte ich vomiren mögen, und gedachte meines Bruders wegen: Du armer Hanß! hast du auch gefreyet? Eines Tages, da ich mit meinem Bruder, welcher im Walde Holtz besehen wolte, Spatzieren ging, fragte ich denselben unter andern, ob er auch sonst vergnügt in seinem Ehestande lebte? Ach! (erseuffzete er) wenn ich gewust hätte, was ich nachhero erfahren, so wolte zehnmahl lieber eine Musquete auf die Schulter genommen, und meinen Puckel dem Corporal alle Woche ein paar mahl hingehalten haben, denn ich [425] bin durch mein Heyrathen zum allerunglückseeligsten Menschen gemacht. Mit schönen Kleidern behängt mich meine Frau, so, wie etwa ein grosser Herr seinem Leib-Hengste ein kostbar Zeug auflegen läßt, um Staat darmit zu machen, aber ich darff nirgends damit hingehen, wo sie nicht darbey ist, ausgenommen in die Kirche, und auch dahin nicht einmahl, wenn ihr der Kopff nicht recht stehet, denn sie spricht gleich: ich ginge nicht in die Kirche, GOttes Wort zu hören, sondern mich nur nach schönern Weibern und Jungfern umzusehen. Macht mir ein ander Frauenzimmer etwa ein höflich Compliment, und ich ziehe meinen Hut dargegen wieder ab, fängt sie alsofort zu brummen an: Ja ja! Die kennest du auch schon besser, und hättest sie lieber als mich, sehet nur, wie dasCanaillen-Pack vor meinen sichtlichen Augen mit einander charmiren kan; I, denckt doch! daß ich nicht ein Narre wäre, und mich hinlegte und stürbe, und dich singen liesse:


Die Alte verließ mir diß steinerne Hauß,
Die Junge guckt mit mir zum Fenster hinaus.

Ja, bestuhlgängele dich nicht, Parißgen, in 50. Jahren wirst du mich noch nicht loß, auf 1. Jahr magst du mich wohl genommen, aber nicht gesehen haben, wie viel Nullen dabey stehen. Hundert Jahr gedencke ich alt zu werden, dir zum Schure, du Nack – – – –! Denn ich habe dich aus einem verdorbenen Studenten zum rechtschaffenen Manne gemacht, und dir zwar eins von meinen [426] besten Häusern zuschreiben lassen, aber das ist auch das beste, daß ich mir noch ein Cläuselchen dabey ausbedungen und vorbehalten, es also in Zukunfft doch noch halten kan wie ich will. etc. etc. Solche und dergleichen Reden (fuhr mein Bruder fort) muß ich fast täglich von ihr anhören und einfressen, weßwegen mir alle Bissen, so ich einschlucke, zu Gifft und Galle werden, und mich nur wundert, wie es zugehen muß, daß ich doch immer dicker und fetter werde, und zwar zu meinem grösten Verdrusse. Was ich vor Quaal von ihren Kindern und einigen nächsten Freunden ausstehen muß, davon will ich, jetzo nichts gedencken, auch noch andere vorgefallene Sachen und Geschichte biß auf andere Zeit verschweigen, und dir, allerliebster Bruder! nur so viel im Vertrauen sagen, daß ich diese Sclaverey und den Spott der Leute, (dessentwegen ich mich fast in keiner honetten Compagnie darff sehen lassen,) so lange mit Gedult ertragen will, biß ich nur erstlich den Leichen-Stein gefunden, worunter meiner Frauen ihr Mammon begraben liegt. Diesen will ich so dann bald auferwecken, lebendig machen, und mit mir in alle Welt führen.

Ich redete meinen Bruder zu, von dergleichen Gedancken abzustehen, des ruhigen Lebens und guten Auskommens wegen, sein flüchtiges Geblüthe zu besänfftigen, und mit Gedult auf die Aenderung des Himmels zu warten; allein, er schwieg stille, und ich bedaurete ihn in meinem Hertzen, daß ein altes böses Weib, denselben in der besten [427] Blüte seiner Jahre erhascht, und an statt ihrer Meynung noch glücklich, dennoch zum unglücklichen und unvergnügten Menschen gemacht hatte.

Nachdem aber meine Schwestern da gewesen, und mir berichtet, wie sie bereits andere in ihren bißherigen Dienst gestellet, und nunmehro im Begriff wären, ihre eigene Wirthschafft bey einer gewissen alten Wittbe zu führen, ich ihnen beyden hierzu auch noch 50. Thlr. baar Geld gegeben hatte, nahm ich bald von meinem Bruder Abschied, überließ ihm seinen Verhängnisse, mit dem hertzlichen Wunsche, daß er künfftig vergnügter leben möchte, reisete auf die Residentz unsers Landes-Herrn zu, und trat meinen Dienst bey Demselben an. Das Hof-Leben begunte mir gar bald besser zu gefallen, als immer von einem Orte zum andern zu reisen, zumahlen da ich einen sehr gnädigen Herrn, wenig Dienste, richtige Besoldung, einen vortrefflichen Tisch und starcke Accidentien hatte, derowegen beschloß ich, Zeit-Lebens allda zu bleiben, getreu zu dienen, jedoch, auf dem Fall der Veränderung, eine gute Heyrath zu treffen, und meinCapital, welches, ohne die Meublen, annoch in 3000. Thlr. bestunde, nebst den zu hoffen habenden Heyraths-Geldern, an ein eigen Hauß, Feld und dergleichen zu legen, auch sonsten etwa einen vortheilhafften Verkehr anzufangen. So bald meine kaum aufgekäumten guten Freunde dieses merckten, schlugen sie mir verschiedene Parthieen von Jungfern und Wittfrauen von 2. 3. 4. 5. biß 10000. Thlr. reich, vor, allein, wenn ich es bey dieser oder jener [428] recht untersuchte, so war überall ein Nisi darbey. Endlich fiel mir ohngefähr ein Frauenzimmer in die Augen, welche, weil ich hörete, daß sie noch ungebunden wäre, mein Hertz auf einmahl gantz besonders an sich zohe, denn sie war, wiewohl etwas starck und fett von Leibe und Gesichte, aber sehr proportionirlich gestaltet, und überhaupt mit einer schönen und zarten Haut überzogen. Bey fernerer Erkundigung, dieser Person wegen, erfuhr ich: daß sie zwar keine Eltern mehr, aber doch 4000. Thlr. baares Geld auf Zinsen aussen stehen hätte, bey ihrer seeligen Mutter Schwester als eine Tochter im Hause gehalten, und dermahleins auch noch etwas von derselben erben würde. Ferner sagte man mir, daß, ohngeacht sie kaum 20. Jahr alt, doch schon mehr als noch einmahl so viel Freyer bey ihr gewesen, worunter einige in grossen Aemtern sässen, allein, sie wolte durchaus nicht ehe heyrathen, biß sich einer fände, den sie rechtschaffen lieben könte, er möchte reich oder arm, auch nur mittelmäßigen Standes seyn, wenn er nur etwas zu erwerben vermögend, damit sie ihr vergnügliches Auskommen, eine liebreiche Ehe und keine Schande von ihm haben möchte. Ubrigens wäre sie sehr stilles Gemüths, eine Feindin der Wollust und des überflüßigen Staats, versäumete hingegen fast keine eintzige Kirche.

Das wäre ein Weibgen vor mich; (gedachte ich in meinem Hertzen, als man mir dieses sagte, und an einigen Orten confirmirte) derowegen suchte alle Gelegenheit, diese Schöne zu sprechen zu [429] kriegen, allein, es hielt schwer, und noch schwerer auszuforschen, ob ihr meine Person zum Ehe-Manne anständig, am allerschwersten aber ging es zu, sie biß dahin zu bringen, daß sie sich ordentlich und öffentlich mit mir verlobte; unsere Hochzeit aber muste ein und anderer wichtiger Umstände wegen noch etwa auf ein Viertel Jahr hinaus verschoben werden. Jedoch, gleich nach dem das Verlöbniß gewesen, gönnete mir die alte Frau Muhme etwas mehr als sonsten Freyheit, meine Liebste zu besuchen, ausgenommen, wenn ich etwas spät vom Schlosse kam, wolte sie mich durchaus nicht zu ihr einlassen. Endlich ließ sich meine Liebste, welche ihre eigene Stube und Cammer hatte, dahin erbitten, daß sie mir einen Nach-Schlüssel zur Hinter-Thür des Hauses machen ließ, da ich denn im Stalle erstlich zwey Treppen hoch in die Höhe steigen, über einen langen Boden hin- und so dann erstlich wieder eine Treppe herunter schleichen muste, ehe ich in ihre Stube kommen konte. Solchergestaltpassirete ich manche nächtliche Stunde mit meiner Liebste in Geheim, muß aber gestehen, daß sie sich gegen mich ungemein keusch und tugendhafft stellete, indem sie mir, ausser den Küssen, nicht die allergeringste Liebes-Freyheit erlaubte, auch sich hoch verschwur, bey dieser Art zu verbleiben, biß wir würcklich mit einander copulirt wären. Derowegen verschonete ich dieselbe mit fernern Versuchungen, und gratulirte mich im Hertzen, daß ich eine solche keusche und züchtige Liebste hätte. Eines Tages befahl mir mein Herr, mich zu einer [430] Reise anzuschicken, von welcher ich vielleicht in 2. biß 3. Wochen nicht wieder zurück kommen möchte, derowegen nahm ich mit allem Fleisse auf 4. Wochen von meiner Liebste Abschied, um, meiner Meynung nach, ihre Freude zu vergrössern, wenn ich unvermuthet zeitiger zurück käme, allein, meine Verrichtungen lieffen dergestalt glücklich, daß ich schon in der zwölfften Nacht, jedoch ziemlich späte, zurück kam, denn es war nicht anders, als wenn mich ein starcker Wind fort triebe, welches ich der hefftigen Liebe zu meiner Braut Schuld gab, auch keine Minute versäumete, ihr selbst die erste Nachricht von meiner glücklichen Zurückkunfft zu bringen. Nachdem ich aber die Hinter-Thür geöffnet, und, nach der Treppe zu schleichen wolte, sahe ich, daß 2. Weibs-Personen, mit einer Laterne auf den Stall zugegangen kamen, weßwegen ich eilete, und mich in der Geschwindigkeit hinter die halb mit Bretern verschlagene Boden-Treppe verkroch, auch sehr bewunderte, was diese noch so späte allhier zu suchen hätten, da ich sonsten um selbige Zeit, niemahls einen Menschen mehr munter gefunden, als meine Liebste gantz alleine. Indem kam die Magd mit der Laterne, ingleichen eine Frau, die etwas unter dem Mantel hatte, in den Stall getreten, welche letztere, da sie beyde an die Hinter-Thür kamen, gantz leise zu sprechen anfing: »Gertrute! wartet, und leuchtet her, ich muß erstlich noch einmahl darnach sehen.« Hiermit setzte die Frau einen unter dem Mantel habenden Hebe-Korb auf den Boden, nahm ein darüber [431] gedecktes Tuch ab, mithin konte ich zwischen den Bretern hindurch sehen, daß ein kleines, allem Ansehen nach, neugebohrnes Kind in dem Korbe lag, von welchem die Frau sprach: »Ach! das kleine Würmchen schläfft sanffte, es würde mich ewig jammern, wenn es umkommen solte, denn es siehet gar zu schön aus, eben als wenn es Jungfer Charlottchen aus den Augen geschnitten wäre.« »Ja, (sagte die Magd lachend) es hat sich nunmehro noch was zu jungfern; nun heist es sch – – – in die Jungferschafft.« »Ha! Possen! (replicirte die Frau) weiß es doch kein Mensche, als wir unter uns, und zum grösten Glücke ist auch eben ihr Bräutigam, Monsieur Horn, verreiset. Ach! macht nur, (regte die Magd an) daß ihr fort kommet, ehe es zu späte wird, und wartet ja meiner hier bey der Laterne, biß ich auch wieder zurück komme.« Hierauf gingen beyde hinaus auf die Strasse, machten die Thür hinter sich zu, und liessen die Laterne im Stalle brennend stehen. Wie mir bey dieser Geschichte zu Muthe gewesen, mag ein jeder selbst bedencken, denn es waren kaum 4. Monat, da ich meine liebste Charlotte zum ersten mahle von ferne gesehen hatte. Erstlich wolte ich bald hinter den Weibs-Bildern herlauffen, da ich aber bedachte, daß sie das Kind nur weg- jedoch nicht ums Leben bringen wolten, resolvirte mich, unter der Treppe stecken zu bleiben, um anzuhören, was diese beyden nach ihrer Zurückkunfft weiter sprechen würden. Lange durffte ich nicht warten, denn erstlich kam die [432] Frau, und noch keine halbe Stunde hernach die Magd zurück, welche, so bald sie den Stall zugeschlossen, zur Frauen sagte: »GOtt Lob u. Danck, es ist schon gefunden und aufgehoben, eine Blitz-Kröte, ein Junge, der einen Herrn mit der Fackel heim leuchtete, ward den Korb am ersten gewahr, deckte ihn auf, und machte Lerm, worauf so gleich noch 5. biß 6. Leute darzu kamen, welche es wieder warm zudeckten, biß es von den Gerichts-Personen aufgehoben und fortgetragen wurde. Nun haben wir unser Trinck-Geld redlich verdient, und ein gut Gewissen dabey behalten, unser Charlottchen aber muß hinführo doch vor Jungfer passiren, biß sie Monsieur Horn zur Frau macht.« »Bey mir (sagte die Frau,) soll es wohl verschwiegen bleiben, denn ich will meinen Eyd nicht brechen, den ich der Frau N. und Charlottchen geschworen habe. Und ich auch nicht, sagte die Magd;« Worauf beyde mit der Laterne nach dem Vorder-Hause zu gingen, ich aber schlich mich auch sachte fort, in das Quartier, welches ich mir in der Stadt gemiethet hatte. Folgenden Morgens war die gantze Stadt voll, daß auf dem Marckte, am Wege nach dem Spring-Brunnen zu, in vergangener Nacht ein Findel-Kind wäre aufgenommen worden, ich verwunderte mich so wohl mit darüber, als andere Leute; es kam viel unschuldiges Frauenzimmer darüber in Verdacht, allein, ich glaube, es wusten wenig Manns-Personen in der Stadt das, was ich wuste, wie ich denn auch nachhero auf eine wunderbare Art erfahren, wer [433] eigentlich Vater zu diesem Findlinge gewesen. Unterdessen war mein erster Gang auf das Schloß, um meinem Herrn von meinen Verrichtungen Rapport abzustatten, er war damit vergnügt, weiln ich aber in vergangener Nacht vor Chagrin kein Auge zugethan, zudem auf der Reise mich ziemlich strapaziret hatte, sagte der Herr gleich zu mir: Euch ist nicht wohl, man siehet es an eurer blassen Farbe; dieses machte ich mir so fort zu Nutze, gab vor, ich hätte unterwegs einen kleinen Sturtz mit dem Pferde gethan, solches zwar anfänglich nichts geachtet, aber nunmehro müste ein starckes Stechen in der Brust empfinden. Bey so gestalten Sachen befahl mir mein Herr, nach Hause zu eilen, und nicht ehe wieder auszugehen, biß ich vollkommen restituiret wäre. Demnach begab ich mich in mein Logis, legte mich zu Bette, und stellete mich würcklich kräncker, als ich war, um zur Lust abzuwarten, was meine bißherige Liebste angeben würde, zu welcher ich meinen Jungen abschickte, derselben meine kränckliche Zurückkunfft melden und darbey vernehmen ließ, ob sie sich noch bey guten Wohlseyn befände. Die alte Frau Muhme nimmt meinen Jungen gleich auf die Seite, und spricht unter einer ängstlichen Stellung: Ach, das GOTT erbarm, mein Sohn! wir haben es leider! schon gehöret, daß euer Herr unglücklich gewesen, und mit dem Pferde gestürtzt ist; weil aber meine arme Charlotte auch seit etlichen Tagen fast todt-kranck gewesen, so halte vor das beste, daß wir ihr gar nichts darvon sagen, sondern[434] viel lieber thun, als ob euer Herr noch gar nicht wieder gekommen wäre, damit sie nicht etwa aus Schrecken wieder in die vorige Kranckheit verfällt; unterdessen wünsche ich eurem Herrn baldige Besserung, daß er sie selbst besuchen kan, und ich glaube, daß sie alsdenn alle beyde auf einmahl wieder gesund werden, wenn sie nur erstlich einander wieder gesehen haben.

So listig konte das verzweiffelte Weibes-Volck seine Streiche spielen, mich zu übertölpeln, allein, es war ein Glück, daß mich der Himmel noch zu rechter Zeit hinter solche Boßheiten kommen lassen. Indessen schwieg ich mit allem Fleisse noch eine Zeit lang stille, um der Jungfer Wöchnerin in den ersten Tagen kein Schrecken einzujagen, und sie etwa um ihre Gesundheit, oder gar um ihr keusches Leben zu bringen; die Complimenten-Träger aber gingen täglich ab und zu, und endlich empfing ich von der Madame Charlotte ein also lautendes Schreiben:


Mein allerliebster Schatz!


Heute ist mir erstlich gesagt worden, daß Ihr bereits vor 14. Tagen von der Reise zurück gekommen und unglücklich gewesen seyd. Hätte man mir solches gleich zu wissen gethan, so wäre ich bey meinen damahligen Zustande auf der Stelle des Todes gewesen, weil, wie ihr schon überzeugt [435] seyd, ich euch mehr liebe, als mein eigenes Leben, und glaube, daß, wenn man es recht untersucht, sich finden wird, daß ich mit euch wegen der Sympathie, so sich zwischen unsern Hertzen und Seelen findet, zu einer Zeit und Stunde kranck worden bin. Jedoch, da man mir itzo schmeichelt, daß Ihr halb wieder genesen, und euch schon an dem Fenster sehen lasset, stellen sich auch meine Kräffte allmählig ein, ja! wenn ich nicht von meiner Frau Muhme abgehalten würde, so wagte ich es, euch zu besuchen, es möchte mir auch gehen, wie es wolte. Jedoch, da solches nicht geschehen darff, wünsche ich desto sehnlicher eure vollkommene Genesung, damit ich, euch ehester Tages zu umarmen, das Vergnügen haben möge. Die ich mit aller beständigen Treue biß ins Grab beharre


Eure
Charlotte ...

Verfluchte Schlange! ists denn doch dein würcklicher Ernst, mich zu bethören? Nein, das soll nicht geschehen, sondern ich will dir bald andere Gedancken beybringen. So gedachte ich bey mir selbst, ließ aber der vor der Thür wartenden Magd sagen, daß sie, nebst meinem Compliment an ihre Jungfer, derselben melden solte, wie ich [436] ihr diesen Mittag auch schrifftlich zu antworten willens wäre. Dieses geschahe, denn ich nahm mein Schreib-Zeug, und setzte folgende Zeilen an dieselbe zur Antwort auf:


Madame!


Und wenn ich auch ihres Geschlechts wäre, so würde mich doch nicht überzeugt wissen, daß ich, vor ohngefähr 3. Viertel-Jahren, so viel Liebes-Confect eingenommen, mit ihnen per Sympathiam zu gleicher Zeit und Stunde kranck davon zu werden, und demPublico einen bejammerns-würdigen Fündling hinsetzen zu lassen. Jedoch ich gratulire Ihnen zur glücklichen Niederkunfft, bedaure, daß sie mich etliche Wochen daher (wo es anders wahr ist) geliebt haben, und bitte, Sie wollen sich deßfalls keine fernere Mühe geben, weil ich, ohngeacht ich Ihrer Fruchtbarkeit schon im Voraus versichert bin, dennoch einen starcken Eckel bey mir verspüre, mit einem Frauenzimmer solches Schlages ins Ehe-Bette zu steigen. Meine Kranckheit ist so gefährlich nicht gewesen, sondern ich hätte Dieselbe gleich in der ersten Stunde nach meiner Zurückkunfft, ohngeacht es schon ziemlich späte war, ohnfehlbar besucht, befürchtete aber, die Wehen zurück zu treiben, und, weil ich mit dem Amte der Hebe-Mütter [437] nicht umzugehen weiß, etwa meinen Hut einzubüssen. Demnach ist nichts übrig, als daß ich Ihnen einen frölichen Kirchgang wünsche, und den Verlöbniß-Ring, nebst andern Sachen, so Sie mir auf die Treue gegeben, zurück sende, auch was ich Ihnen dargegen gegeben, wieder abfordere, und beharre


Madame

vôtre obeissant Serviteur

P.W. Horn.


Es mochte aber doch noch zu frühzeitig gewesen seyn, dem zarten Bilde dergleichen Schrecken zu machen, denn sie hat meinen Brief kaum gelesen, als sie in Ohnmacht sinckt, so, daß die Frau Muhme und Magd viel Mühe haben, sie wieder zu sich selbst zu bringen. Diese letztere geräth in den Verdacht, als ob sie sich durch Geschencke verleiten lassen, mir das Geheimniß zu offenbahren, weil sie aber ihre Unschuld mit grausamen Eydschwüren bekräfftiget, errathen sie endlich fast die Wahrheit, wie ich nehmlich im Hause gewesen seyn, und das gantze Spiel selbst mir angehöret haben müste. Eben dieses gestund ich der alten Frau Muhme, welche noch selbigen Abends selbst auf meine Stube kam, ohne alles Bedencken gantz offenhertzig; gab derselben auch den Schlüssel zu ihrer [438] Hinter-Thür, weil mir dieser nun nichts mehr nütze war. Ohngeacht mir aber dieselbe meine der Charlotten geschenckte Sachen, von kleinesten biß zum grösten, wieder brachte, ließ ich mich doch verlauten, daß ich wegen des vorgehabten Betrugs und bösen Streichs, den sie mir spielen wollen, meinen Hohn schon auf andere Art rächen wolte; weßwegen die Alte Himmel-hoch bath, die unglückseelige Charlotte nicht weiter zu kräncken, und vor aller Welt auf eine dreyfache Art zu prostituiren. Allein, ich stellete mich, als ob es mein würcklicher Ernst wäre, biß sie es endlich auf vielfältig wiederholtes Bitten so weit brachte, daß ich mir mit 500. Thalern das Maul stopffen ließ, und sie nicht zu beschimpffen, theuer angelobte. Hiermit hatte meine gantze Liebes-Begebenheit mit Charlotten ein Ende, ich habe sie auch niemahls wieder mit Augen gesehen, wohl aber vernommen, daß sie bald hernach weit hinweg gezogen, wegen unseres Verlöbniß aber muste es heissen, ich hätte ihr anfänglich versprochen, meinen Dienst bey Hose zu quittiren, und ein ander Amt anzunehmen, weil mich aber dieses nachhero gereuet, und ich nicht Wort gehalten, so hätte sie auch nicht Wort halten wollen, demnach wären wir in Streit gerathen, und hätten einander den gantzen Handel aufgesagt. Alle Menschen glaubten dieses, und kein eintziges wäre auf die Gedancken gerathen, daß die von aussen so keusch, züchtig, fromm und Gottesfürchtig scheinende Charlotte ein Jungfer-Kindgen bekommen, und dasselbe wegsetzen lassen.

[439] Kaum waren mir die verdrüßlichen Grillen wegen dieser unglückseligen Liebes-Begebenheit aus dem Kopffe gekommen, als ich mich von frischen in eine 16. jährige schöne Jungfrau verliebte, die zwar von vornehmen Eltern erzeugt war, jedoch kaum 4. biß 500. Thlr. im Vermögen hatte, wiewohl mich dieses letztere gar nicht abschreckte, mit derselben eine vergnügte Ehe zu führen, indem sie sehr wohl erzogen war, und ich mich erinnerte, daß es eben nicht rathsam sey, im Heyrathen allezeit auf vieles Geld zu sehen. Allem Ansehen nach liebte sie mich recht von Hertzen, hatte aber doch einen Schalck im Nacken, denn, ohngeacht ihrer Jugend, war sie schon bemühet, sich im verbothenen Liebes-Spiel zu exerciren. Eines Tages, da ihre Eltern verreiset waren, kam ich Mittags zu einer Stunde, da man sich meiner wohl am allerwenigsten vermuthete, in ihr Hauß, fand aber die Jungfer nicht zu Hause, sondern die Köchin sagte, sie würde ohnfehlbar zu einer benachbarten Jungfer Nähen gegangen seyn, weil sie diesen Mittag bey Tische davon geredet; ging auch gleich fort, dieselbe zu ruffen, mitlerweile ich ein wenig hinter in Garten spatzieren solte. Demnach war sonst niemand bey mir, als meiner Liebsten jüngster Bruder, ein Knabe von etwa 6. Jahren, welcher mich, weil ihn fast täglich mit Zucker-Werck, Gelde und andern Sachen beschenckte, sehr liebte. Dieser Knabe fing von freyen Stücken an: »Ich weiß es wohl besser, wo meine Schwester ist, aber ich darff es nicht sagen, gehen sie [440] nur in den Garten, sie wird bald auch hinein kommen.« Ich gab dem Knaben ein Stück Geld, und bath, er solte mir nur sagen, wo sie wäre, ich wolte ihn nicht verrathen. Hierauf eröffnete er mir in kindischen und einfältigen Vertrauen, daß sie sich mit seines Herrn Vaters Schreiber, oben in dessen Cammer geschlichen und verschlossen hätte. Das war mir genung; demnach schickte ich den Knaben fort zum Zucker-Becker, ich aber schlich, noch ehe die Köchin wieder kam, gantz leise, ohne daß ich eine Maus verstöhren mögen, hinauf vor des Schreibers Cammer, weil ich im gantzen Hause schon ziemlich Bescheid wuste. Zu meinem Glücke war ein grosses Taffel-Blat in der Ecke aufgelähnet, hinter welches ich mich steckte, und weil die Cammer nur mit Bretern verschlagen war, alles sehr genau hören konte, was darinnen vorging. An dem vielfältigen Seufzen, Stöhnen, Aechtzen und Rasseln des Bettes, konte man leicht abnehmen, daß ein paar Personen mit einander kämpfften, endlich wurde es etwas stiller, indem beyde verschnaubten, doch bald darauf hörete ich, unter offt wiederholten Klatschen der Küsse, folgendes gantz leise Gespräch: Er, der Schreiber: Ach! mein allerliebstes Ließgen, ich dencke immer, es wird nun die längste Zeit mit unserer Liebe gewähret haben, wenn dich aber nun der Cammer-Diener Horn von mir gerissen hat, werden dir seine Caressen weit besser schmecken, und du wirst gar nicht mehr daran gedencken, daß ich nun bald drittehalb [441] Jahr so manches Vergnügen mit dir gehabt habe. Sie, meine Liebste: Liebster Schatz! wenn du mir an meinen Bräutigam, Horn, gedenckest, möchte ich allezeit bitterlich weinen. Wolte der Himmel! daß ich nicht unter der Gewalt meiner Eltern stünde, so solte nimmermehr ein anderer an meine Seite kommen, als Du, ich werde auch nimmermehr jemanden recht lieben können, als dich allein, denn die erste Liebe ist doch die hefftigste und beständigste, derowegen wird mir es mein zukünfftiger Mann nimmermehr so zu Dancke machen können, als wie du es mir nun, nicht allein seit dritthalb Jahren, sondern noch länger her gemacht hast. Weist du nicht – – – Er: Ich weiß es wohl, aber damahls spieleten wir nur wie die Kinder, und nunmehro, da wir kaum recht klug geworden sind, werden wir auf ewig von einander gerissen. Sie: Das will ich nicht hoffen, mein Engel, bedencke doch: mein künfftiger Mann wird manchen Tag und manche liebe Nacht nicht zu Hause seyn, indem er bey seiner itzigen Bedienung auch gar öffters auf etliche Wochen verreisen muß, ich verspreche dir mit Hand und Hertzen, dich bey solcher schönen Gelegenheit, allezeit heimlich zu mir und dir manchen schönen Thaler zukommen zu lassen. Das 20.Ducaten-Stücke aber, welches mir Horn geschenckt, und ich dir heute wieder geschenckt habe, must du ja behutsam verwechseln, damit es nicht offenbar wird. Laß dir gegen meine Hochzeit ein neues Kleid und andere schöne Sachen darvor machen, damit ich an meinem traurigen [442] Ehren-Tage nur meine Freude an dir sehen kan. Er: Das soll alles geschehen, aber auch das würde meine gröste Freude auf der Welt seyn, wenn du mir erlaubtest, deinem Horne in Geheim Hörner aufzusetzen, denn weil ich dem Kerle deinetwegen so gramm bin, als dem – – – so könte ich mich nicht besser, als auf solche Art, an ihm rächen. Sie: Was ich dir versprochen habe, will ich redlich halten, unterdessen haben wir in diesen Hause nur noch 5. Wochen Zeit, mit einander zu spielen, aber spiele mir ja nicht grob, damit – – – Er: Ach! das weist du ja schon, mein Hertzens-Engel, daß ich redlich bin, komm, ich will dir noch eine Probe davon geben: Sie: Ach! du kanst ja wohl nicht mehr – trincken: Er: Das will ich dir zeigen, mein Schatz! und zwar auf Mons. Horns Ungesundheit.

Hiermit muste der Liebes-Becher von frischen herhalten, und es ist leicht zu erachten, daß ich nicht allein dieser, sondern auch der angehörten empfindlichen Reden wegen zwar vielen Gifft eingeschlungen, aber doch, weil noch immer stille dabey gestanden, eine ungemeine Contenençe gehabt haben müsse. Allein selbige, so wohl als das Vergnügen der Verliebten, wurde von der Köchin gestöhret, indem dieselbe ihrer Jungfer mit vollem Halse ruffte, weßwegen selbige eiligst auf- und unter diesen Worten aus der Cammer sprung: Daß dir der Hencker in den Rachen führe, was gilts, der verfluchte Horn wird gekommen seyn, mein Engel, bleib ja oben, damit niemand merckt, daß [443] du zu Hause bist, ich will meine Dinge schon machen. Der Schreiber versprach, Gehorsam zu leisten, umarmete und küssete sie noch recht veste vor der Cammer-Thür, so, daß beyde gantz blind und ausser sich selbst zu seyn schienen. Indem sprang ich hervor, und sagte: Mademoiselle! sie können nur hier bleiben, denn Horn wird sie nicht ferner in ihren Liebes-Vergnügen stöhren; aber, mein Freund! (redete ich den Schreiber an) ehe ihr mir die zugedachten Hörner aufsetzet, muß ich euch erstlich etliche selbst wachsend machen. Unter diesen Worten schlug ich ihn etliche mahl mit dem Spanischen-Rohre über den Kopff, der Kerl aber, welcher doch vor 2. PfennigeCourage im Leibe haben mochte, holete seinen annoch gantz neuen Degen, und ging damit auf mich loß hieb mir auch einen Aufschlag vom Rocke herunter; allein, auf meinem ersten Hieb, blieb ihm die rechte Hand nur an einer eintzigen Flechse hangen, weßwegen er sich dieselbe wenig Tage hernach muste ablösen lassen. Meine Jungfer Braut hatte sich unsichtbar gemacht, also ging ich auch nach Hause, schrieb die gantze Speciem facti auf, und schickte selbige, am dritten Tage dem zurück gekommenen Herrn Schwieger-Vater, vel quasi, zu; Bedanckte mich auch dabey gantz freundlich vor seine Jungfer scil. Tochter. Der Mann war redlich, bejammerte sein Unglück und meinen Chagrin, ersetzte mir alles, was ich der Tochter geschenckt, und bath inständig, nicht um ihrent-sondern um seiner Renommée wegen, diese Sache nicht weiter kundbar zu machen. [444] Wie ich nun ein würckliches Mitleyden, wegen seiner ungerathenen Tochter, mit ihm hatte, so versprach ihm, reinen Mund zu halten, und erfuhr von ihm selbst, daß er dieselbe bald hernach an einen solchen Ort gebracht, wo sie so gut, als in einem Spinn-Hause, verwahrt war; der Schreiber aber hatte sich, noch eh er völlig curirt, auf und darvon gemacht.

Nunmehro, hätte man dencken sollen, müste mir der Appetit zum Heyrathen ziemlich vergangen seyn, und es war mir auch würcklich fast so zu Muthe; aber ich fiel aufs neue in das Netz der Liebe, und zwar bey einer 34. jährigen wohl gebildeten Wittbe, deren erster Mann ein vornehmer Bürger gewesen war: Sie hatte kein Kind, mehr als 12000. Thlr. werth im Vermögen, und sich vor 4. Jahren mit einem Gelehrten wiederum versprochen, den ich Bambo nennen will. Es hatte aber dieser Bambo verschiedene liederliche Streiche angefangen, und unter andern eine Magd zur Frau gemacht, welches ihm zwar niemand nachsagen durffte, allein, besagte Wittbe hatte dieserwegen einen Eckel vor seine Person geschöpfft, und wegen annulirung ihres Verlöbniß schon einige Zeit mit ihm imProcesse gelegen, weßwegen sie sich einsmahls auf einem Ehren-Gelacke, da ich sie vor andern bürgerlichen Frauenzimmer besonders bedienete, an mich addressirte, und versprach, daß, wenn ich es dahin bringen könte, daß der Landes-Herr in ihrer Process-Sache, ihr zum Vortheil, einen [445] Macht-Spruch thäte, und sie von dem liederlichen Bambo absolvirte, sie 200. Thlr. ad pias causas und mir 200. Thlr. Discretion geben wolte. Ich stellete ihr vor, wie mir nicht bange wäre, den Macht-Spruch zu ihrem Vergnügen auszuwürcken, allein, die mir zugedachten 200. Thlr. könte sie ersparen, wenn sie mich nehmlich an desBambo Stelle zu ihrem Schatze erwählen wolte. Sie warff solchen meinen manierlichen Liebes-Antrag eben nicht weit von sich, und gab zur Resolution: ich solte nur erstlich die Haupt-Sache ausmachen, wenn es sodann mein Ernst bliebe, sie zu heyrathen, und sie mir nicht etwa schon zu alt oder sonsten zu schlecht wäre, würde sich alles bald schicken können. Demnach ging ich an meinen Herrn, und brachte dieser Wittbe Affaire sehr plausible vor, da nun Derselbe merckte, daß mir selbst daran gelegen wäre, und mein Wohlstand dadurch auf vesten Fuß gesetzt werden könte, erhielt die Wittbe, was sie verlangte, both mir zwar die 200. Thlr. an, weil ich mich aber dieselben zu nehmen weigerte, sondern ihre eigene Person im rechten Ernst verlangte, erlaubte sie mir, als ihren neuen Freyer, den täglichen Zutritt, und wir wurden in weniger Zeit dergestalt bekandt mit einander, daß es nur an mir fehlete, noch vor der Copulation würckliche Ehe-Leute zu seyn. Weil wir aber wegen der bevorstehenden Fasten-Zeit selbige biß nach Ostern verschieben musten, so redete ich inzwischen von einem ordentlichen Verlöbnisse, denn mir war [446] bange, daß etwa ein reicherer als ich, kommen, und mich ausstechen möchte; allein, sie gab zur Antwort: Mein Schatz! wir sind ja beyde nun schon verlobt, und wo das nicht genung ist, so können wir uns alle Tage und Nächte so vest, als wir wollen, verknüpffen und verloben; was wollen wir den Leuten ein Maul-Gesperre machen? Laß uns doch lieber Hochzeit und Verlöbniß zusammen machen. Ich muste also damit zufrieden seyn, und, ohngeachtet, daß ich wohl merckte, daß sie bey ihren itzigen Jahren dennoch sehr geil und wollüstig wäre, indem sie mir den Haupt-Genuß der Liebe fast immerdar entgegen trug, und gantz betrübt wurde, wenn ich nicht anbeissen wolte, so schrieb ich es doch dem zu, daß sie vielleicht an meiner Person etwas Liebens-würdigers gefunden, als an demBambo und andern Freyern. Unterdessen war ich bemühet, ihre Brunst mit freundlichen moralischen Worten zu stillen, womit ihr aber so wenig, als mir, mit der Unzucht gedienet war, denn weil ich bis dahin meine Keuschheit rein erhalten, und kein Frauenzimmer auf der Welt in Unehren berühret hatte, so war ich auch nunmehro desto eigensinniger, und wolte vor Priesterlicher Copulation nicht auf der Hochzeit schmausen. Unter der Zeit merckt Bambo, wie die Kreite bey Hofe, wegen der Witt-Frau, meiner und seiner, geschrieben hat, stößt derowegen die schimpfflichsten Reden in einer honetten Compagnie gegen mich aus, und da ich ihn deßwegen besprechen [447] ließ, forderte er mich des dritten Tages, mit einem blancken Degen auf die Grantze, um ihme, (wie er gesprochen) vor die, an ihm begangene Filouterie Satisfaction zu geben. Ich war gleich parat darzu, weiln es aber, bekandter massen, bey Hofe entsetzlich viel Posten-Träger giebt, war dieses bevorstehende Duell so gleich Brüh-siedend-heiß meinem Herrn zu Ohren gebracht worden, welcher mir bey seiner Ungnade verboth, dem Bambo vor der Klinge zu stehen, hergegen befahl er mir, gleich Augenblicklich eine Reise in Geld-Affairen nach F. anzutreten, und nicht eher wieder zu kommen, biß ich alles, was in meiner schrifftlichen Instruction stünde, ausgerichtet hätte, und mitbringen könte. Bey so gestalten Sachen würde mich nun ein jeder vernünfftiger Mensch leichtlich excusirt gehalten haben, wenn ich dem Bambo nicht gekommen wäre; doch ich war toll, und vermeynte, meine gantze Ehre und Renommée würde caducirt werden, wenn ich demselben mein Versprechen nicht hielte, und weil ich ohnedem auf den Fecht-Bödens in Franckreich und Italien, auch sonsten aus der würcklichen und ernsthafften Erfahrung so viel gelernt zu haben gläubte, diesen prahlhafften Eisenfresser behörige Abfertigung zu geben, ritte ich, ohne von meiner Liebsten Abschied zu nehmen, (weil mir selbiges expresse verbothen war) mit einem zugegebenen Reut-Knechte, nach Westen zu, wendete mich aber bald gegen Norden, nach der Gräntzé und Orte, wo michBambo [448] hin bestellet hatte, traf denselben zu gesetzter Zeit an, und fertigte ihn mit einer gewaltigen Blessur in seinen rechten Arm hurtig ab, setzte hierauf meine Reise recht vergnügt und eiligst nach F. fort. Mein Herr hatte mir so viel Arbeit aufgegeben, daß ich erstlich in der 8ten Woche wieder zurück kommen konte. An statt nun meinen Rapport bey dem Herrn selbst abzustatten, wurde ich an den Ober-Hofmeister verwiesen, welches mir gleich bedencklich fiel, jedoch ich gehorsamete, legte meine Rechnung ab, überlieferte alles mitgebrachte Gut, und erhielt das Lob von Demselben, daß ich meine Sachen wohl ausgerichtet hätte. Dem allen ohngeacht, (sagte der Ober-Hofmeister letztlich) haben mein Herr dennoch eine Ungnade auf ihn geworffen, indem er, Dero expressen Befehle zuwider, sich dennoch mit dem liederlichen Bambo in ein Duell eingelassen, lassen ihme derowegen itzo durch mich auf 4. Wochen den Hof verbiethen, binnen welcher Zeit sich mein Herr seinetwegen weiter resolviren werden. Ich machte, ohne eintziges Wort zu sagen, ein tieffes Compliment, und ging in meinLogis, wolte auch selbigen Abend noch meine Liebste besuchen, allein, sie war nicht zu Hause, oder ließ sich verläugnen. Hergegen kam ein guter Freund zu mir, und erzählete solche Sachen, worüber ich Maul und Nase aufsperrete. Mein Freund! (sprach er:) eure so genannte Liebste ist ein wunderlich Weib, ihr waret kaum 8. oder 10. Tage weg, so ließ sie denBambo holen, ihm eine eigene Stube in ihrem Hause zurechte [449] machen, und denselben vor ihr Geld, an derBlessur, die ihr ihm beygebracht, völlig curiren. Ich (fuhr dieser mein Freund fort) kam eines Tages zu ihr, und fragte, was denn wohl ihr Liebster, Mons. Horn, darzu sagen würde, daß sie den Bambo so wohl aufgenommen hätte? Ey! gab sie mir zur Antwort, was gehet mich Horn an, er hat nicht einmahl Abschied von mir genommen, ehe er von hier weggereiset ist, ausserdem habe ich an ihm gemerckt, daß er zwar mein Geld und Gut, aber meine Person nicht æstimirt, denn er hat sich allezeit bey mir aufgeführt, nicht als ein Liebhaber, sondern als ein verschnippelter Stroh- Mann. Verlöbniß habe ich niemahls mit ihm gehalten, darum kan er mir auch nichts anhaben, es wäre denn, daß ich ihm die ehemahls versprochenen 200. Thlr. geben müste, die kan er vielleicht kriegen, wenn er höflich ist, und weiter nichts. Bambo liebt mich doch als eine rechtschaffene Manns-Person, nicht allein um meines Gutes, sondern um der Person willen, ist er gleich ein bißgen liederlich, so caressirt er mich doch recht eiffrig; er muß viel verthun, ehe er meine jährlichen Interessen verthut, und kan sich auch wohl noch ändern, wenn ich ihm gute Worte gebe. Uber alles dieses hätte ich mir doch ein schwer Gewissen machen müssen, wenn ich ihn verlassen hätte, da ich mich einmahl ehrlich, redlich und christlich mit ihm verlobt gehabt; es haben böse Leute zwischen uns gesteckt, nunmehro aber, da ich erfahren, daß er sein Blut aus Liebe vergossen, und sich mit dem Cammer-Diener [450] Horn meinetwegen auf Leib und Leben geschlagen hat, habe ich ihn noch tausend mahl lieber, als sonsten. etc. etc.

So viel waren ohngefähr der Worte, welche mir mein guter Freund aus dem Munde meiner vermeyntlichen Liebste erzählete. Ich gab ihm zur Antwort: Gantz wohl, das geile Weib mag sich mit ihrem liederlichen Bambo divertiren, wie sie will, aber die 200. Thlr. will ich par tout haben. Die will ich euch (versetzte mein Freund,) morgen schaffen, wenn ihr versprechen wollet, an dieser Frau weiter nichts zu fordern. Ich ging den Handel ein, und bekam gleich Tages darauf bemeldte 200. Thlr. worgegen ich schrifftlich quittirte, und mich obligirte, an dieser Frauen Person und Gütern fernerhin nichts zu fordern. Um aber meine Verachtung gegen dieselbe zu bezeigen, schenckte ich die 200. Thlr. ins Hospital, zu desto besserer Verpflegung der alten Weiber, welches ihr, wie ich vernommen, am meisten verdrossen hatte.

Unterdessen ward es Stadt-kündig, daß ich bey Hofe in Ungnade gefallen wäre, worüber sich wohl niemand mehr als Bambo freuete, in allen Compagnien aufs schändlichste von mir redete, mich aus seiner Frauen Munde nur einen verschnippelten Stroh-Mann nennete, sich damit breit machte, daß er mich bey der Frauen ausgestochen, und dennoch den Platz behalten, zwar gestehen müste, daß ich ihme einmahl eine Blessur angebracht, doch wünschte: daß er mich nur noch ein eintzig mahl vor der Klinge haben möchte, um seinen Hohn [451] nachdrücklich zu rächen. Diese und dergleichen Reden führete er so lange, biß ich endlich einmahl ohngefähr darzu kam, und ihm ein paar tüchtige Maulschellen gab, weßwegen er mich, weil er den Degen daselbst nicht ziehen durffte, und mit der Faust wenig Ehre einzulegen glaubte, zum andern mahle auf den vorigen Tummel-Platz forderte, es solte gleich, wie vorhero, auf den 3ten Tag geschehen, allein, ich ließ ihm sagen: Ein solcher Bärenheuter, wie er, müste wohl biß den 9ten Tag auf Satisfaction warten. Mittlerweile waren meine 4. Straf-Wochen biß auf wenig Tage verflossen; weßwegen mich der Ober-Hofmeister zu sich ruffen ließ, und mir unter den Fuß gab, bey dem Herrn, in einem unterthänigsten Memorial, um gäntzliche Vergebung meines begangenen Fehlers anzuhalten. Ohngeacht ich nun dieses baldigst zu thun versprach, so wolte doch vorhero den Bambo erstlich noch einmahl abfertigen; da mir aber das Hertze im voraus sagte: daß dieses Duell nicht so mager als das vorige abgehen würde, schaffte ich, ausser den meisten und besten Sachen, so ich nicht bey mir führen konte, das übrige an sichern Ort, verließ mein Logis guten Theils ledig, that, als ob ich mit meinem Jungen Spatziren reuten wolte, kam aber am 9ten Tage früh Morgens mit dem Bambo auf dem erwähnten Gräntz-Platze zusammen, fand ihn nebst seinem Secundanten in guter Verfassung, weil aber ich keinen Secundanten bey mir hatte, muste jener angeloben, auf 20. Schritte von uns zu bleiben, oder gewärtig zu seyn, daß [452] ihn mein so genandter Junge, der schon ein Pursche von 21. Jahren war, mit den parat haltenden Pistolen auf den Kopff schösse. Jedoch derSecundant war ein ehrlicher Kerl, und hielt sein Wort, hergegen ging mir Bambo, der eine gar zu starcke Dosin von Courage-Wasser oder Fusel zu sich genommen haben mochte, gantz desperat zu Leibe, ich parirte nur, und ließ ihn recht müde werden, er verlangte Ruhe, ich gönnete sie ihm, mit der Warnung, nicht so desperat zu thun, widrigenfals ich nicht darvor könte, wenn er bey seinen öfftern Bloßgeben an statt des Arms einen Stoß in die Brust bekäme. Allein, er sagte mit einer hönischen Mine: Es hat mich Zeit-Lebens noch kein Hunds – – mit der Klinge auf die Brust gestossen. Das war genung gesagt, bey solchen Umständen meine Galle überlauffend zu machen, weßwegen ich ihm keine fernere Ruhe gönnete, sondern gleich im ersten Gange einen Stoß unter der Wartze der Brust beybrachte, mit den Worten: Jetzt thut es ein ehrlicher Kerl zum ersten mahle. Das ist wahr, (sagte er) ich habe genung, und muß daran sterben. Er reichte mir hierauf die Hand, und bath ihm, zu vergeben, daß er mich ohnnöthiger Weise forcirt hätte, dem Secundanten trug er den Abschieds-Gruß an seine Liebste auf, mit der Expression, daß sie Schuld an seinem Tode wäre, befahl seine Seele GOTT, und verschied; ich aber setzte mich zu Pferde, und ritt mit meinem Purschen immer weiter nach abgelegenen Ländern zu, war auch nicht eher ruhig, [453] biß ich über die Holländische Gräntze kam. Jedoch, was will ich von Ruhe sagen, bey mir wolte sich gantz und gar keine Ruhe einfinden, denn es war immer, als wenn der Schatten oder Geist, des von mir erstochenen Bambo, um mich schwebte, und mich so wohl Tages als Nachts in meiner Ruhe stöhrete, ohngeacht er selbst mehr Ursach an seinem Tode war, als ich. Hätte ich, sprach ich bey mir selbst, mich nach keinem Weibe umgesehen, so könte der vergnügtesten Menschen einer auf der Welt seyn, denn ich hatte selbst feine Mittel, einen austräglichen Dienst und gnädigen Herrn, so aber bin bloß des Frauenzimmers wegen, um die beyden letztern Stück gebracht, derowegen will auch nunmehro, dieses gefährliche Geschlecht zu vermeiden, nicht mehr im Lande bleiben, sondern zu Schiffe gehen, vielleicht ist mir das Glück so günstig, daß ich einmahl ein Admiral werde. Dieses waren meine damahligen Gedancken, um aber wieder gutes Muths zu werden, nahm mir vor, die berühmtesten Städte in diesem Lande zu besehen, ließ mich ein Stück Geld nicht gereuen, sondern reisete mit meinem Diener von einer Stadt zur andern, fand vieles so mir wohl gefiel, und endlich, weil ich meineTouren mit Fleiß also eingerichtet, nahm ich den Weg nach Amsterdam, um von dannen eine Reise nach Ost-Indien zu thun. Weil ich nun sehr curieux war, und jedes Orts alles merkwürdige aufschrieb, so gingen fast 4. Wochen hin, ehe ich in dieser volckreichen und grossen Stadt herum kam.

[454] Eines Tages, da ich vor der Börse stund, und mich an diesem kostbarn Gebäude nicht satt sehen konte, zupffte mich jemand beym Ermel, und da ich mich umsahe, war es mein jüngster Bruder, über dessen Daseyn ich mich fast zu Tode verwunderte, nachhero aber von ihm erfuhr, daß er endlich seiner Frauen altes Thaler-Loch gefunden, die meisten heraus genommen, und weil er es nicht länger bey ihr ausstehen können, hierher gereiset wäre, um nach Ost-Indien zu gehen. So bald er hörete, daß eben dieses mein Vorsatz wäre, war er ungemein erfreuet, wir schossen demnach unsere Gelder zusammen, legten dieselben an taugliche Waaren, engagirten uns bey der Ost-Indischen Compagnie, und gingen als Kauff-Leute mit zu Schiffe, und nach Ost-Indien, erworben bey der ersten Reise ein ziemlich Stück Geld, allein, weil wir Brüder, uns im Handel nicht wohl vertragen konten, theileten wir unsern Erwerb christlich, und schieden in Friede von einander, da denn einer nach Ost- und der andere nach West-Indien ging. Mein Bruder, welchen ich nachhero zwey mahl wieder gesprochen, war so glücklich geworden, in wenig Jahren ein eigenes Schiff und anderweitiges Vermögen zu erwerben, allein mit mir wolte es nicht fort, denn wenn mir gleich das Glück nach vieler sauren Mühe und Arbeit etwa ein ziemliches Capital zugewendet, so verlohr doch bald hier, bald dort etwas darvon, und endlich war ich auf der Retour aus West-Indien so unglücklich, alles mein Gut durch Schiff-Bruch zu verliehren, danckte[455] aber doch dem Himmel, vor meine wunderbare Lebens-Erhaltung, und war froh, daß ich nach 3. tägigen herumschwimmen in der See, von einem Spanischen Schiffe aufgenommen, und mit nach Spanien gebracht wurde. So viel Geld hatte noch in meinen Kleidern bey mir, daß ich zurück nach Holland zähren konte, allwo ich mehr nicht als 1000. Thlr. an einem sichern Orte zu suchen wuste, nahm derowegen selbige auf, und ging aufs neue nach West-Indien, allwo ich das Glück hatte, mit Mons. Wolffgangen in Bekandtschafft zu gerathen, indem wir vielen Verkehr mit einander hatten, und ich nichts bedaurete, als daß es sich schon damahls nicht schicken wolte, mit ihm in Compagnie zu reisen, indem mir sein gantzes Wesen über alle massen gefiel. Jedoch, was sich damahls nicht schicken wolte, muste sich nach der Zeit, da ich noch einmahl so unglücklich gewesen, fast um alles das Meinige zu kommen, dennoch schicken, weil ich nunmehro als ein armer Schöps, mich zu gratuliren hatte, daß ich von ihm, als ein Frey-Beuter, mit aufgenommen wurde. Er selbst, Herr Wolffgang, hat etliche mahl allhier umständlich erzählet, wie es ihm auf der ersten Reise, so ich mit ihm that, ergangen, wie er von dem boßhafften Jean le Grand und seinem Anhange, zu derselben Zeit, da ich eben sehr kranck auf dem Schiffe darnieder lag, tractiret worden, und wie man ihn zu verderben, an diese Felsen-Insul ausgesetzt, mithin sein kostbares Gut benebst dem Schiffe abgestohlen; weßwegen [456] ich nicht vor nöthig halte, solches zu wiederholen. Genug, der Himmel hat es ihm und den Felsenburgern zum Vergnügen mit Fleiß also geschickt; die Verräther aber bekamen ihre gerechte Straffe, indem sie, als das Schiff, ohnweit der InsulMadagascar, zerscheiterte, mit ihrem Rädelsführer dem Jean le Grand jämmerlich ersauffen musten, wiewohl auch viel Unschuldige ihr Leben darbey einbüsseten, und ich, nebst drey andern, nur allein Gelegenheit fanden, uns zu retten, auch einige Zeit hernach wiederum nach Holland, jedoch ziemlich von Gütern entblösset, zu kommen. Solchergestalt trieb mich die Noth darzu, den Quartiermeisters-Dienst auf einen Kauffarthey-Schiffe nach Batavia anzunehmen; allein, eben noch zu rechter Zeit kam mein werthester Herr Wolffgang in gutem Wohlstande und starck bemittelt wieder zum Vorscheine, weßwegen ich sogleich einen andern Quartier-Meister an meine Stelle schaffte, und mich bey dem Herrn Capitain Wolffgang engagirte, weil er mir gantz besondere Vortheile versprach, auch zu dem Ende, wie ich merckte, meine Treu und Fleiß auf verschiedene Proben setzte, die, nachdem ich sie redlich überstanden, mich bey ihm in vollkommenenCredit setzten, und solchergestalt bekam nicht geringe Hoffnung, unter dessen Commando mein Glück aufs neue zu machen. Ja das Vertrauen zu ihm, war bey mir grösser als zu meinem leiblichen Bruder, denn ohngeacht mein Bruder abermahls mit starckenProfite aus Ost-Indien zurück kam, mir, [457] nach Vernehmung meiner Unglücks-Fälle, ein gut Stück Geld und verschiedene Vortheile anboth, wenn ich mit ihm zu reisen mich resolviren wolte, so konte es doch nicht in meinen Kopff bringen, unter seinem, als meines jüngsten Bruders Commando zu stehen, ich nahm auch, ausser einigen Raritäten, keine andern Geschencke von ihm an, weil mir Herrn Wolffgangs Generositée bereits so viel an baaren Gelde und andern Dingen zugewendet, daß mich zu einer neuen Reise vollkommen hätte equippiren können. Ja eben dieser mein besonderer Wohlthäter hat mich bekandter massen in den Stand gesetzt, worinnen ich mich voritzo befinde. Ich hätte ihnen, meine Herrn, zwar eine viel weitläufftigere Beschreibung von meinen Reisen zur See machen können, allein, weil ich sehe, daß der Tag bereits zu den Fenstern herein bricht, muß ich wohl vor dieses mahl den Schluß machen, damit wir wenigstens nur noch ein paar Stunden ruhen können.

Hiermit war des Capitain Horns Lebens-Geschichts-Erzählung zum Ende, und ich nahm denselben mit in mein Logis, allwo wir, ohne seine und meine Liebste in der Ruhe zu stöhren, uns in einer besondern Cammer schlaffen legten. In folgenden Tagen wurden noch mehrere Conferentzen gehalten, und endlich beschlossen: daß der Capitain Horn dieses 1733ste Jahr noch bey uns aushalten, im Januario des 1734sten aber, von uns ab- und nochmahls nach Europa seegeln solte. [458] Er ließ sich solches endlich gefallen, und wir deliberirten inzwischen über die schrifftliche Instruction, so ihm mit auf die Reise gegeben werden solte. Die Haupt-Stücke, welche er mitzubringen und zu besorgen hatte, waren: 1.) Eine vollkommene Buch- und Kupffer-Druckerey, nebst allem Zubehör von Sachen und Personen, als nehmlich Buchdrucker, Setzer, Schrifft-Giesser, Form-Schneider, Kupfferstecher, Kupffer-Drucker und dergleichen. 2.) Verschiedene Medicamenta undChymische Præparata. 3.) Wollen- und Flächsen-Tuch, auch Wolle und Flachs, so annoch unverarbeitet. 4.) Noch mehr Pferde-Rind- und Schaaf-Vieh, und zwar so viel, als nur davon fortzubringen. 5.) Solte er sich an gelehrte Leute addressiren, um zu vernehmen, ob die in den Heyden-Tempel gefundenen Schrifften ausgelegt werden könten, wo nicht, die Taffeln benebst etwa ein paar Pfund Goldes bey ihnen zu lassen, und noch 10. Pfund zur Discretion vor diejenigen zum Gratial zu versprechen, welche sich bemühen wolten, das Geheimniß in diesen Schrifften auszufinden, als worzu sie biß 10 Jahr Zeit haben solten, indem wir nicht gesonnen wären, unter 10. Jahren wieder eine Fahrt nach Europa anzustellen. 6.) Wenn er, der Capitain Horn, auf den Gedancken verharrete, nach seiner glücklichen Zurückkunfft auf dieser Insul bey uns zu bleiben, müste er hauptsächlich dahin bedacht seyn, einen getreuen und redlichen Menschen in Pflicht zu nehmen, der das Schiff, nach der Wiederankunfft [459] und Ausladung allhier, nachdem es von uns mit sattsamen Proviant versorgt, so gleich mit den darauf befindlichen Personen, welche wir nicht bey uns zu haben verlangten, wieder abführen solte. etc. etc.

Die übrigen Puncte, weil sie nicht eben allzu wichtig, halte vor unnöthig zu melden, und den Lesern damit verdrüßlich zu fallen, genung, weil wir sattsame Bedenck-Zeit hatten, so vergassen wir auch, unseres Erachtens, gar nichts, was zu Verbesserung unseres Staats annoch nöthig war, verliessen uns im übrigen auf des Capitain Horns selbst eigenen guten Verstand, indem dieser gescheute Kopff binnen der Zeit, als er bey uns gewesen, sich bereits mancheMarque in seine Schreib-Taffel gemacht, woran es uns nehmlich in diesen und jenen Stücken noch fehlete.

Unterdessen lieff uns die Zeit, ich weiß nicht wie, geschwind unter den Händen weg, weßwegen gleich nach Martini Anstalt gemacht wurde, des Capitain Horns Schiff mit Rosinen, Reiß und andern Felsenburgischen Früchten, auch überflüßigen Lebens-Mitteln zu beladen, seine Leute, ingleichen die Portugiesen bekamen einer wie der andere, von Häupten biß zum Füssen gedoppelte neue Montur, nebst 6. Anzügen weisser Wäsche und andern Bedürffnissen, ausser ihrem ordentlichen Lohne aber, ein jeglicher 3. Pfund gediegenes Goldes, und die Officiers 4. Pfund, welches mancher wohl nicht erworben, wenn er gleich als Matrose binnen der Zeit in Ost-Indien oder auf der[460] See herum geschwermet hätte. Anbey wurde ihnen gesagt, daß, wenn sie sich auf der Fahrt nach Europa wohl hielten, der Capitain Horn ihnen sodann die eingeladenen Rosinen und Reiß Preiß geben würde. Alle diese Leute waren wohl zufrieden, und hielten nach hertzlicher Dancksagung ein Freuden-Fest. Die Fässer und Kisten, worinnen die kostbarsten Sachen, zu Bestreitung aller Kosten vor den Capitain Horn, eingepackt waren, stunden auch schon parat, solten aber nicht ehe als biß auf die letzte eingeschifft werden. In Summa, es war vor den Christ-Feyertagen zu des Capitains Abreise alles in vollkommen fertigen Stande, so, daß wir die nach einander folgenden Fest-Tage andächtig und vergnügt hinbringen konten, wie denn auch den Klein-Felsenburgern ein Priester hinüber geschickt wurde, um ihnen bey dieser heiligen Zeit das Wort GOttes zu predigen, und den darunter befindlichen Evangelischen das Heilige Abendmahl zu reichen. Sonderlich liessen sich in der Neu-Jahrs-Nacht die Stücken, Paucken und Trompeten tapffer hören, und Montags und Dienstags drauf, als den 4ten und 5ten Januarii, wurden auf dem grünen Taffel-Platze vor alle Insulaner, zum Abschieds-Schmause des Capitains Horn, ein herrliches Tractament gegeben, bey welchen er, von allen insgesammt Abschied nahm, und von den auf der Insul befindlichen Europäern mit vielen Briefen und Paqueten beschweret wurde, um selbige an ihre in Europa befindlichen Freunde mitzunehmen, [461] welches er gern und willig zu thun versprach, und 2. Kisten damit anzufüllen hatte. Weiln er nun den 7. Jan. in Person zu Schiffe zu gehen und abzuseegeln gesonnen war, auch darzu alles veranstaltet hatte, so nahm er Tags vorhero von seiner Liebste, dem Alt-Vater, Aeltesten und andern speciellesten Freunden, bey mir aber zuletzt Abschied, weil verabredet war, ihm diese meine fortgesetzte Geschichts-Beschreibung der Felsenburger, gantz auf die letzte Stunde mitzugeben. Welche ich denn hiermit beschliesse, und wohl glaube, daß sich einige finden und sagen werden, ich hätte mich bey einer Sache zu lange, bey der andern zu kurtz aufgehalten, und manches zu melden, gar vergessen; was aber das letzte anbelanget, so werden diejenigen, so ich nicht berühret, wohl von schlechter Wichtigkeit und nicht besonders merckwürdig seyn, und wegen der erstern habe es vor dißmahl nach meinem eigenen Belieben gehalten, hätte zwar eins und das andere verbessern können, indem keine Sache so gut, daß sie nicht verbessert werden könte; allein, ich kan versichern, daß auch andere wichtigere Geschäffte mir nicht erlauben wollen, dieser Neben-Sache wegen allzu viele Zeit zu verlieren, zumahlen, da ich weder Lob, noch Danck, noch Gewinst darvor verlange. Habe ich nicht genung geschrieben, so habe ich doch etwas geschrieben, und wie müste man thun, wenn ich gar nichts von unsern Zustande geschrieben hätte? Nicht wahr, es würde deßwegen doch an Historien-Büchern kein [462] Mangel seyn? Ob hinfüro noch mehr von den Felsenburgischen Geschichten zum Vorscheine kommen möchte, daran zweiffele fast sehr, wenigstens würde es wohl unter 10. Jahren nicht geschehen, und wenn wir alle noch so lange lebten und gesund blieben; denn es dürffte vor der Zeit wohl kein Schiff von Felsenburg wiederum nach Europa abgehen. Unterdessen empfehle ich einen jeden, der diese meine Fortsetzung und vorherigen Schrifften zu lesen bekömmt, so wohl als alle andere Menschen, der Göttlichen Obhut, und verbleibe, ohngeacht ich sehr weit von Deutschland wohne, dennoch


der redliche Deutsche

Eberhard Julius.


* *

*


Ein mehrers, als was bißhero gemeldet worden, habe ich, Gisander, in Mons. Eberhard Julii Manuscripto nicht gefunden, will aber dennoch kund machen, was ich dieser Geschichte wegen nachhero weiter in Erfahrung gebracht. Demnach bekam ich im Februario 1735. ein Schreiben von Herrn H.W. aus Hamburg, in [463] welchem er mich invitirte, gegen Ostern bey ihm zu seyn, weil der Capitain Horn um selbige Zeit ohnfehlbar bey ihm eintreffen, und mich gern selbst sehen und sprechen wolte. Weil ich nun versichert war, daß ich diese Reise nicht umsonst thun würde, setzte ich mich zu rechter Zeit auf die geschwinde Post, und kam 14. Tage vor Ostern in des Herrn H.W. Behausung an, welcher mich sehr wohl aufnahm, der Capitain Horn aber stellete sich erstlich 8. Tage nach Ostern ein, war sehr erfreut, mich zu sehen, und gab mir das unverdiente Lob, daß ich die zwey ersten Theile der Felsenburgischen Geschichte, welche er schon in A.* und D.* zu lesen bekommen, gantz wohl besorgt und ausgefertiget hätte, weßwegen er nunmehro, empfangener Ordre gemäß, mir nebst einem Honorario auch den dritten und letzten Theil einhändigen, darbey nicht zweiffeln wolte, daß ich denselben eben so wohl, als die beyden erstern, besorgen würde, doch bath er sich aus, daß ich ihm dieses des Eberhard Julii Manuscript erstlich vorlesen solte. Dieses geschahe, denn wir nahmen einige Abende hintereinander immer 3. biß 4. Stunden darzu, discurirten dazwischen, da ich denn von demCapitain Horn vieler Dinge wegen besser verständiget wurde, endlich aber, als wir hiermit fertig, thal der Capitain dem Herrn H.W. und mir folgende Erzählung:

[464] Am 7. Jan. des abgewichenen 1734sten Jahres ging ich von Felsenburg ab und zu Schiffe, fand auf selbigen alles in bester Ordnung, so, daß ich den 8.dito mit anbrechenden Tage bey gutem Winde und Wetter von dannen seegeln konte, nachdem ich mit 12. Canonen-Schüssen nochmahligen Abschied genommen, das Glück auf die Reise! aus ihren Canonen aber annoch hören konte, da ich schon etliche Meilen von dannen war. Noch niemahls habe ich eine geruhigere Fahrt gehabt, als dieses mahl, weil es aber zuweilen gar zu langsam ging, bin ich erstlich zu Ende des May-Monats im Texel eingelauffen. Nachdem ich nun die Portugiesen, so ich mitgeführet, bereits an dem Ufer ihres Vaterlandes ausgesetzt, versprach ich meinen Leuten alles dasjenige zu halten, was ihnen annoch in Felsenburg versprochen worden, sie musten mir aber ihren gethanen Eyd wiederholen, daß sie von allen unsern Begebenheiten in Holland nicht viel Plauderens und grosses Wesen machen wolten. Hierauf brachte ich, vermittelst einer guten Summa Geldes, alles in solche gute Ordnung und Richtigkeit, daß ich mein Volck und Bagage frey und sicher ausschiffen durffte, nahm auch mein Logis abermahls in Amsterdam bey Herrn G.v.B. welcher mich mit sehr grossen Freuden-Bezeugungen empfing. Nachdem nun das Schiffs-Volck wohl befriediget war, ließ ich alles von mir, mit der Erklärung, daß, wer von ihnen Lust hätte, noch eine Reise mit mir zu thun, [465] nach Ostern 1735. in Amsterdam bey Herrn G.v.B. oder wenn ich gegenwärtig, sich bey mir selbst melden könte; mithin behielt nur die 9. Freygelassenen zur Bedienung bey mir. Mein erstes war, daß ich mich nach meinem Bruder erkundigte und erfuhr, daß derselbe bereits auf der Retour aus West-Indien begriffen wäre, weßwegen ich ihm zu Gefallen noch so lange in Amsterdam zu bleiben beschloß, biß er sich einstellete, jedoch meine Zeit nicht müßig daselbst zubrachte, sondern immer nach gerade Anstalten machte, dasjenige anzuschaffen und wohl auszurichten, was mir committiret war. Endlich zu Ausgange des Augusti kam mein Bruder, und wuste vor Freuden nicht, was er sagen solte, daß er mich allhier frisch und gesund antraff, denn bey meiner letztern Anwesenheit in Europa war er nicht gegenwärtig, sondern ebenfalls in West-Indien gewesen. Er führete mich aufs erste in sein Logis, und entdeckte mir offenhertzig, wie glücklich er bißhero auf verschiedenen Reisen gewesen, so, daß er nunmehro ein Capital von etliche 20000. Thlr. beysammen, vor wenig Jahren aber seiner Frauen, das ihr entwendete Geld cum Interesse, einen jeden seiner Geschwister aber 1000. Thlr. durch Wechsel übermacht hätte. Nunmehro wäre er gesonnen, in Holland auf einem guten Orte sich zur Ruhe zu setzen, und von seinen Interessen zu leben, denn zu seinem alten Weibe, welches ihn so schändlich tractiret hätte, könte er sich unmöglich wieder begeben; im übrigen meynete [466] er, ich solte ihm nur offenhertzig sagen, womit er mir helffen und dienen könte, indem er bereit sey, auch die Helffte seines Vermögens mit mir zu theilen. Diese seine Redlichkeit und brüderliche Liebe gefiel mir ungemein von ihm, weßwegen ich ihm liebreich umarmete, und zur Antwort gab: Mein liebster Bruder! ich bin von Hertzen erfreuet, daß euch der Himmel gesegnet und mit zeitlichen Gütern vergnüget hat, aus allen Umständen, und sonderlich dem brüderlichen Anerbiethen, vermercke, daß ihr dem Geitze nicht ergeben seyd, vor meine Person aber dancke ich vor euren guten Willen, denn der Himmel hat mich seit der Zeit auch gesegnet, und ich will euch, ohne meinen geringsten Schaden, noch 2. mahl 20000. Thlr. zu den Eurigen geben, damit ihr euch, wenn ihr ja nicht wieder in unser Vaterland zu kehren gesonnen, ein feines Land-Gut erkauffen, und euer Leben darauf ruhig zubringen könnet; allein, dargegen wolte mir dieses ausbitten, daß ihr nur noch eine eintzige Reise zur See mit mir thun, und mich auch erstlich zur Ruhe bringen möchtet. Mein Bruder hörete bey Vernehmung solcher Reden hoch auf, versprach aber endlich, mir alles zu Gefallen zu thun, was ich nur von ihm verlangen und ihm möglich zu verrichten seyn würde. Es ist wohl gut, mein Bruder, sprach ich, allein, ohngeacht ihr mein leiblicher Bruder seyd, so ist mir doch, eines geleisteten theuren Eydes wegen, nicht erlaubt, euch einige sonderbare Begebenheiten zu eröffnen, es wäre denn Sache, daß ihr [467] mir ebenfalls, gewisser Puncte wegen, auf einige Zeit den Eyd der Treue und Verschwiegenheit zu præstiren, euch entschliessen köntet. Wie er sich nun dessen gegen mich, als seinen leiblichen und ältern Bruder, gar nicht weigerte, so führete ich ihn hierauf in mein Logis, allwo er nicht allein das Geheimniß, so viel als ihm nehmlich davon zu wissen nöthig war, von mir erfuhr, sondern auch meine Schätze zu sehen bekam, worüber er nicht wenig erstaunete. Ich gab ihm demnach im voraus so viel, als ich ihm versprochen hatte, schickte, 15000. Thlr. par Wechsel nach Franckfurth am Mayn, welche meine 3. übrigen Geschwister daselbst heben und sich darein theilen solten, überließ diesem meinem jüngsten Bruder nebst dem Herrn G.v.B. in Amsterdam einen grossen Theil von Besorgung meiner Affairen, und reisete, nachdem ich auch alle mit bekommene Briefe und Paquete wohl bestellet hatte, nach D. zu dem Handels-Manne, welcher des Herrn Franz Martin Julii seiner seeligen Ehe-Frauen Bruders-Sohn war, brachte demselben von seinen Felsenburgischen Befreundten nicht allein verschiedene kostbare Geschencke, sondern auch Briefe und Siegel mit, daß ihm das Julische Hauß, Gewölbe in Summa alles mit einander, was er ihrentwegen zu verwalten hätte, auf erb- und eigenthümlich geschenckt seyn solte. Man kan leicht erachten, daß ich, bey so gestalten Sachen, diesem jungen Manne kein unangenehmer Gast [468] gewesen seyn müsse, und gewiß, er hat sich meiner Affairen wegen viel Mühe mit Reisen und dergleichen gegeben, auch mir die Bekandtschafft vieler Grund-Gelehrten Leute zuwege gebracht, dem ohngeacht konte ich weder hier, noch da, noch dort jemand finden, der sich die auf den Taffeln befindliche Heyden-Schrifft zu lesen und zu erklären unterstund, derowegen sahe ich mich genöthiget, selbige gegen einen Revers, in den Händen eines sehr reichen und Grund-gelehrten grossen Mannes zu überlassen, welcher mir, vor die zwey Pfund Goldes, so ich ihm zur Discretion gab, versprach, dieselben an die vornehmsten Societäten der Künste und Wissenschafften in Europa zu übersenden, und von Zeit zu Zeit seinen Rapport an den Kauffmann in D. ingleichen an Herrn G.v.B. in Amsterdam, und auch an Herrn H.W. in Hamburg abzustatten, weßwegen ich denn die 10. Pfund GoldesGratial gegen einen Revers bey dem Kauffmanne inD. ließ, welcher zugleich Vollmacht bekam, den glücklichen Ausleger derselben Schrifft damit zu belohnen, die Taffeln einzulösen, und biß sie von den Felsenburgern abgefordert würden, bey sich zu behalten. Wegen der Buch- und Kupffer-Druckerey, aller dazu erforderlichen Leute und Materialien, hat, wie die letztern Briefe von Herrn G.v.B. und meinem Bruder aus Amsterdam lauten, auch schon alles seine vollkommene Richtigkeit, weßwegen ich glaube, [469] daß an den andern geringern Sachen auch nichts versäumt seyn und ermangeln wird. Und also werde ich mich hier in Hamburg nicht lange aufhalten, sondern meine Reise nach Amsterdam beschleunigen, um, was ja etwa noch fehlen möchte, vollends selbst zu besorgen, und circa Johannis-Tag, meine Heim-Reise nach Felsenburg anzustellen; denn ich werde auf meinem und auf meines Bruders Schiffe, eine starcke Ladung haben, wenn mich aber mein Bruder auf der Insul Klein-Felsenburg, mit allen meinen Waaren ausgesetzt, soll er, bereits genommener Abrede nach, auch die Personen, so auf meinem Schiffe gedienet, auf das Seinige nehmen, selbiges mit lauter FelsenburgischenVictualien beladen, und in GOttes Nahmen wieder zurück nach Europa fahren.

So viel hat mir der Capitain Horn von seinen Um ständen eröffnet, er tractirte nachhero noch verschiedene Sachen mit dem Herrn H.W. um welche ich mich eben nicht zu bekümmern hatte, indem ich ein gutesHonorarium vor meine Reise-Kosten und alles von ihm bekommen. Gern wäre ich mit demselben nach Amsterdam gereiset, und hätte die Schiffe und alle Anstalten selbst in Augenschein genommen, indem er mir allen Aufwand und Versäumniß gedoppelt zu bezahlen versprach, allein, ein wichtiger Umstand, den ich eben nicht melden will, verhinderte [470] mich an dieser Reise, die ich zu anderer Zeit, auch vor mein eigen Geld, mit Lust gethan haben würde. Demnach reisete der Capitain mit dem Herrn H.W. ohne mich, fort, der letztere aber hat mich nachhero schrifftlich berichtet, daß der Capitain, bey seiner Ankunfft in Amsterdam, alles zu seinen grösten Vergnügen in vollkommenen Stande angetroffen, und am 4ten Julii des itzt lauffenden 1735sten Jahres nebst seinem Bruder mit 2. Schiffen aus dem Texel gelauffen sey. Demnach machte ich mich, wenn mir meine ordinairen Geschäffte einige müßige Stunden vergönneten, auch an die Arbeit, und brachte eben noch zu rechter Zeit


Die Felsenburgische Geschichts-Beschreibung zuENDE.

Fußnoten

1 Hier hat Mons. Eberhard, vielleicht aus besondern Ursachen, die ich, Gisander, vollkommen zu errathen, mir eben nicht getraue, etwas kurtz und verblümt von der Sache geschrieben, denn als ich, nachdem mich der Capitain Horn, da er glücklich in Europa angeländet, zu sich kommen lassen, eines Abends in Vorlesung des Manuscripts auf diese Passage kam, sagte er, der Capitain Horn, selbst im Vertrauen zu mir: »Hier ist Eberhard mit dem Flederwische drüber her gefahren, und hat nicht so anfrichtig als sonst geschrieben, denn ich versichere euch, mein Herr! daß in der einen Cammer ein, unschätzbarer Schatz von Gold-Klumpen, Gold-Scheiben, Gold-Stangen, Diamanten und andern kostbaren Steinen, gefunden und so wohl als die Götzen-Bilder nach Groß-Felsenburg geschafft worden. Wenn ich (fuhr der Capitain Horn gegen mich fort) mich nicht bereits vollkommen in die angenehme Lebens-Art der Felsenburger verliebt, auch mir ein überaus schönes Bild daselbst zur künfftigen Ehe-Gattin auserwählt, mich mit ihr versprochen, und die gröste Lust gehabt, meine übrige Lebens-Zeit auf dieser Insul zuzubringen; würde ich ohnfehlbar meinen Theil von diesen unter der Erde gefundenen Schätzen gefordert haben. So aber dachte ich: was ist dir Gold, Geld und Gut nütze, da du nicht in Europa, sondern allhier verbleiben wilst? zudem, so haben sie mir mehr Gold und Geld mitgegeben, als ich verlangt und nöthig habe. Aber das ist wahr, daß die Felsenburger Königreiche kauffen und baar bezahlen könten, wenn sie feil wären.« Ich gab ihm hierauf zu verstehen: wie mich wunderte, daß bey diesen gefundenen Schätzen gar keines Silber-Zeugs, auch keines gemüntzten Geldes erwehnt würde; worauf er versicherte, daß weder Silber-Werck noch Müntze, sondern nur bloß Gold und Edle-Steine gefunden worden. Weil nun ich, Gisander, mich nicht verbindlich gemacht, unser beyder besonderes Gespräche zu verschweigen, als habe mir kein Bedencken genommen, dem geneigten Leser, um die Geschicht desto deutlicher zu machen, das nöthigste zu offenbaren.

Vierdter Theil

Vorrede
Vorrede.
Festina lente!
Man muß in keinem Stück sich leichtlich übereilen;
Eil schadet öffters mehr, als klügliches Verweilen.
Geneigter Leser!

Das hier angeführte lateinische Dicterium mögen sich, meines Erachtens, die bey den Gebrüder Hn. See-Capitains Horn, so wohl Sen. als Jun. zur Parole, Loosungs-Worte, Feldgeschrey, wie man die Sache etwa zu nennen pflegt, oder wohl gar zu ihrem Haupt-Symbolo und Gedenck-Spruche, ehe sie noch am 4. Jul. des 1735ten Jahres von Amsterdam aus durch den Texel abgelauffen, erwehlet haben.

Ich meines Orts verdencke die beyden Herrn Brüder dieserwegen gar im geringsten nicht, denn sie konten damahls mit Freuden ausruffen:


Acti labores jucundi!

Nach glücklich wohl vollbrachten Sachen,
Kan man sich gute Stunden machen.

Sie haben es auch redlich gethan, so wie man in nachfolgenden Blättern von ihnen lesen kan. Wie lange sich aber der Capitain Horn. Jun. auf seiner Zurück-Reise von Felsenburg, und absonderlich bey dem Gouverneur zu St. Jago verweilet, kan ich eben so genau nicht sagen, weilen derselbe niemahls so treu und offenhertzig gegen mich gewesen, als ehedem sein Bruder, der Capitain Horn Sen.

Jedoch, wie ich aus gewissen Umständen vermuthen können, so mag der Aufenthalt bey seiner Braut ohngefähr ein halbes Jahr lang, auch wohl etwas drüber gewesen seyn; indem er sich bey derselben lieber verweilen, als übereilen wollen.

Dieses Vergnügen mißgönne ich ihm gantz und gar nicht, mir aber hat er damit und solchergestalt von Zeit zu Zeit öfftern nicht geringen Verdruß verursacht, indem ich schon seit 3. biß 4. Jahren daher mit mehr als 100. Briefen, um die Fortsetzung der Felsenburgischen Geschichte heraus zu schaffen, bombardiret worden; der mündlichen Attaqen zu geschweigen. Ja, ich habe mich so gar immer befürchten müssen,daß allzu ungedultigen Neubegierigen mir die Fenster einwerffen, oder gar das Haus stürmen möchten, wenn ich länger damit zurück hielte; zumahlen, da zum öfftern ein falsches Gerüchte ausgesprengt worden, als ob der Capitain Horn bereits angekommen wäre, mithin es nur an meiner Caprice, Bequemlichkeit oder resp. Faulheit läge, diejenigen, denen etwas daran gelegen, zu vergnügen.

Wie nun aber ich in diesem Stücke meine Unschuld gantz besonders erweißlich zu machen, im Stande bin, so versichere dabey, daß mir des Capitain Horns überlanges Aussenbleiben zum öfftern selbst die Galle dergestalt in den Magen getrieben, so daß ich dem Apothecker vor Absorbentia, Præcipitantia und andere Hudeleyen, womit ich mich sonsten sehr gern verschont sehen mag, manchen schönen Batzen zuwenden müssen.

Nun er aber da ist, habe ich ihm Seiten meiner, seine Fehler vergeben, wie er denn mir die meinigen auch vergeben, anbey vor meine Mühe und Reise-Kosten so viel zurück gelassen, daß ich gantz wohl damit zufrieden seyn kan.

Demnach hoffe, es werden meine resp. Geehrtesten Leser auch vor diesesmahl mit mir zufrieden seyn, und diesen vierdten und letzten Theil der Felsenburgischen Geschichte so gütig und geneigt, als die 3. vorhergegangenen auf und annehmen. Wenn mein Stilus von einem oder dem andern nicht so rein, lauter und fliessend erachtet werden solte, wie es heutiges Tages die Mode mit sich bringt, ersuche dienstfreundlich, mir vor diesesmahl in die Gelegenheit zu sehen, weilen viele beschwerliche Reisen, Unpäßlichkeiten und sonsten andere Sorten vom Verdrusse, die eilende Feder zuweilen irrig gemacht. Unterdessen hoffe doch in der Haupt-Sache ein völliges Genügen geleistet zu haben, worbey verspreche, das, was etwa versehen seyn möchte, so GOtt Leben und Gesundheit verleihet, in den andern Herausgaben zu verbessern. Unterdessen, da seit 2. biß 3. Jahr daher so wohl an den Herausgeber, als Verleger verschiedene Briefe, auch so gar von weit entferneten Orten eingelauffen, welche nicht selten ein starckes Porto verursachet; als werden die Herrn Patroni und Gönner der Felsenburger respective dienstfreundlich ersuchet, in Zukunfft Dero Briefe franco einzusenden. Wormit mich zu geneigtem Wohlwollen empfehle und beharre,


Geneigter Leser,

Dein

Raptim
an der Wilde
den 2. Dec. 1742.

Dienstergebenster Gisander.

Wunderliche Fata Einiger Seefahrer. Vierdter Theil
[1] Wunderliche FATA einiger Seefahrer. Vierdter Theil.
Geliebteste und allerwertheste Bluts- und Muths-Freunde in Europa!

Nachdem Ihnen ich, Eberhard Julius, durch denCapitain Horn versichern lassen, wo es anders möglich wäre, und die Gelegenheit etwa nicht gäntzlich benommen würde, alles, was seit meiner 3. vorhergehenden Relationen, (welche seit einigen Jahren daher, wie ich vernommen habe, in Europa im Druck erschienen, und einiges Aufsehen verursacht) auf diesen beyden Insuln Groß- und Klein-Felsenburg sich merckwürdiges und besonders zugetragen, aufs fördersamste und aufrichtigste zu melden; Als habe hiermit mein Wort halten wollen, in [1] guter Hoffnung, daß Uberbringer dieses, nachdem er seine Sachen wohl ausgerichtet, glücklich bey Ihnen anlangen werde.

Kaum hatte ich meinen Vorsatz unsern Regenten,Alberto II. den grauen Häuptern und Aeltesten, wie auch den Herrn Geistlichen und andern guten Freunden gemeldet, als ich ersucht wurde, den Anfang gegenwärtigen meines vierdten Berichts, mit folgenderAddresse zu machen:

Wir, Albertus Julius der andere, der Zeit erblicher Regent, der beyden von Gott gantz besonders gesegneten Insuln, Groß- und Klein-Felsenburg, die Aeltesten, grauen Häupter, die Ehrwürdige Geistlichkeit, welche mit mir über unser Volck regieren, entbiethen unsern geliebtesten und allerwerthesten Freunden in Europa unsern dienst-freund-brüderlichen Gruß, nebst Anwünschung alles Seelen- und Leibes-Vergnügens und Wohlergehens. Dergleichen Grüsse und Wünsche erfolgen auch von allen andern löblichen und ansehnlichen Personen beyderley Geschlechts, bis auf die Säuglinge, welche noch nicht wissen und verstehen, was vor theure und werthe Freunde sie in Europa haben, die weit vornehmer sind, als wir, denn wir schätzen uns ganz geringe und einander alle gleich, beobachten doch aber, nicht allein aus der heil. Schrifft, sondern bloß aus dem Lichte der Natur die Gebote: Ehre, dem die Ehre gebühret; Gehorsam, dem Gehorsam gebühret, und dieses um guter Ordnung wegen. [2] Wir werden uns insgesammt ungemein erfreuen, wenn wir von unsern Abgeschickten, deren glückliche Zurückkunfft wir täglich mit grösten Verlangen erwarten, erfahren werden, daß es unsern geliebtesten und allerwerthesten Freunden in Europa noch wohl gehe, bedauren anbey diejenigen, die etwa Noth und Mangel leyden möchten, wünschen wohl aus getreuem Hertzen, Gelegenheit zu haben, Ihnen von unserm Uberflusse nach Nothdurfft etwas abgeben zu können. Denn GOtt giebt uns jährlich und täglich, ja stündlich mehr, als wir werth sind und zur Leibes Nahrung und Nothdurfft gebrauchen; weßwegen solten wir also dermassen unchristlich seyn, und unsern Uberfluß den Bedürfftigen nicht gönnen, zumahlen denen, die unsere Freunde sind, und unsern Geschlechts-Nahmen führen. Wolte GOtt! es schickte sich, ein ordentlichesCommercium mit ihnen zu stifften; Die Weite des Weges solte solches Seiten unserer nicht verhindern, vielleicht würde manchen Nothleydenden und Bedürfftigen besser gerathen seyn. Da aber dieses bey jetzigen schlimmen Zeiten und gefährlichen Welt-Händeln, wie uns berichtet worden, eher zu wünschen, als zu hoffen stehet, so können wir weiter nichts thun, als daß wir vor sie beten, und sie der der guten, milden und barmhertzigen Hand GOttes des Allmächtigen empfehlen. Wir verhoffen, sie werden dergleichen auch vor [3] uns thun, ohngeachtet wir vorjetzo noch ziemlicher maassen in Ruhe sitzen, und von keiner befondern Bekümmernis wissen, ausgenommen, was die Sorgen anbetrifft, die wir wegen unserer Verreiseten haben.

Wie gesagt, wir wissen (GOtt sey davor gelobt) weder von Noth, Kranckheiten, Hunger, Kummer und andern Land-Plagen zum Theil wenig, zum Theil gar nichts zu sagen, und die wohlverdienten Straffen unserer Sünden empfinden wir von dem barmhertzigen, liebreichen Vater im Himmel weit gelinder, als wir fast vermuthen könten, indem wir wissen, wie sein Zorn und seine strenge Gerechtigkeit öffters, auch über die von den Menschen unerkannten Sünden sich zu zeigen pflegt.

Nun, der Herr segne und behüte Sie und uns, wir empfehlen uns Ihnen vom grösten bis zum kleinesten, vom ältesten bis zum jüngsten zu Dero geneigten Wohlwollen und guter Freundschaft, ohngeachtet, da wir eine so entsetzliche Weite über Meer von einander wohnen. Doch den GOtt, den Sie anbeten, den beten wir allhier auch an, und verehren denselben eben so wohl, als wie Sie, wo nicht mit Ubereinstimmung aller christlichen Ceremonien, jedoch in unsern christlichen Hertzen. Also kann die Sympathie dennoch ihr Wesen und Würckung beständig zwischen Ihnen und uns ausüben.

Wir schicken Ihnen etwas weniges von [4] den Gütern und Früchten unsers Landes, welches sie nicht verschmähen, sondern sich christ-brüderlich darein theilen, vornemlich aber die Aermsten unter Ihnen nachproportion, gedoppelt oder dreifach besorgen wollen.

Unserer geliebtesten und allerwerthesten Bluts- und Muths-Freunde in Europa verbleiben wir Felsenburger allerseits, so lange noch einer von uns lebt und Othem hat, getreue Freunde und Diener.


Gegeben auf meinem
ordentlichen Wohn-
hause Albertsburg
genannt, im Jahr
Christi 1740. den 3.
Tag des Monats
Februarii.

(L.S.) Albertus Julius II.


Unter diesem Nahmen unterschrieben sich weit mehr als 100. Personen beyderley Geschlechts, nicht allein Europäische Einkömmlinge, sondern auch eingebohrne Felsenburger.

Wir warteten demnach mit Schmertzen auf die Zurückkunfft des Capitains Horn, als welcher uns versprochen hatte, mit zweyen Schiffen zurück zu kommen, und sein Neben-Schiff, nachdem es ausgeladen, dargegen eine andere Ladung eingenommen; so bald es uns gefällig, zurück nach Europa zu schicken, er aber wolte erlaubter und abgeredter maassen bey uns verbleiben.

Allein es stürtzten sich noch unzählige Eymer[5] Wasser aus unserer Felsenburgischen grossen See hinunter in das wilde Meer, ehe wir das Vergnügen hatten, unsern lieben Capitain Horn mit seinen beyden Schiffen wieder zu sehen. So trugen sich auch binnen der Zeit viele seltsame Begebenheiten und Wunder-Dinge zu, welche ich weiter unten, nach Möglichkeit in bester Ordnung erzählen werde.

Voritzo aber will vorerst nur so viel melden, daß, als ich eines Abends, ohngefähr um 10. Uhr auf meinem Ober-Stübgen an einem Fenster gegen Norden zu, stund, allwo ich den besondern Stand des Gestirns zu damahliger Jahrs-Zeit beobachten wolte, gewahr wurde, daß gerade in der Nord-Gegend eine schwartze dicke Wolcke aus der See, bis an den Himmel, erstlich in Gestalt einer Pyramide herauf stieg, binnen weniger Zeit aber sich dergestalt ausbreitete, daß alle Sterne bis an den Polar-Stern, mithin die gantze Helffte des Horizonts, bedeckt und gantz und gar verdunckelt wurde. Dieses währte bis dreyviertel auf 12. Uhr, so, daß wie ich schon gesagt, die jenseitige Himmels-Gegend so schwartz als eine Kohle anzusehen war, die andere Helffte nach Süden zu, zeigte sich hergegen, klar und helle; mithin hatten wir gegen Norden zu, den allerfürchterlichsten, gegen Süden aber, den allercharmantesten Anblick, indem wir mit gröstem Vergnügen die hellgläntzenden Sterne am blauen Himmel über unseren Häuptern erblickten. Wunderbar ließ es, daß der Polar-Stern gleichsam als ein Gräntz-Stein, oder Scheide-Wand, [6] zwischen Licht und Finsterniß anzusehen war. Es gieng also am Himmels-Gewölbe, zwischen Licht und Finsterniß, ein etwas dunckel grauer Strich, von Osten bis Westen hindurch, welches mit einiger Erstaunung anzusehen war.

Wir gedachten immer, die Schwärtze würde sich weiter ausbreiten, und in die Helligkeit gegen Süden zu hineindringen, mithin den gantzen Horizont schwartz machen; allein es geschah nicht; sondern die Schwärtze zog sich, da es gegen 1. Uhr kam, allmählig nach Norden zurücke, und wurde es in der Tieffe dergestalt schwartz, als ich nicht beschreiben kan. Gleich da meine Uhr ein Viertel auf 2. schlug, erblickte ich mit grössesten Entsetzen: daß sich mitten in der dicksten Finsterniß ein ordentliches Feuer-Rad, in Grösse (unserm Augenmasse nach) eines der allergrösten Mühl-Räder præsentirte, welches dergestalt schnell herum lief, als ob es durch die Kunst eines Feuerwerckers also gemacht, und mit besondern Fleisse dahin gestellet wäre.

Meine Frau, die gantz alleine bey mir war, und ich sahen dieses Wunder-Ding mit gröster Verwunderung an, indem ich aber in die andere Stube gegangen war, um nach der Uhr zu sehen, läufft sie gleichfalls davon, und wecket Mons. von Blac, nebst andern getreuen Nachbarn, welche schon im tiefsten Schlafe gelegen. Demnach kamen ihrer sehr viele herzu, da sie aber von allem dem, was vorgegangen war, nicht das geringste observirt hatten, so verwunderten sie sich um so viel desto mehr über das, was ich Ihnen in möglichster Kürtze [7] erzählte, noch weit mehr aber über dasjenige, was sie mit ihren sichtlichen Augen vor sich sahen, nemlich das Feuer-Rad, als welches noch beständig mit der grösten Hefftigkeit um und um lief.

Meine Freunde gaben mir einen starcken Verweis, darum, daß ich sie nicht eher geweckt hätte; das gantze Wunderspiel zeitiger mit ansehen zu können; allein ich entschuldigte mich damit, daß ich nicht vermeynt, wie die Schwärtze so lange anhalten würde, vielweniger hätte mir träumen lassen, daß ein so künstliches und bewundernswürdiges Feuer-Rad zum Vorschein kommen solte.

Wir sahen demnach dem schnellen Lauffe dieses Feuer-Rades noch etliche Minuten zu, und wurden mittlerweile gewahr, daß es zum öfftern Raqueten oder sogenannte Schwärmer von sich warf, fernerhin aber sprungen fast binnen einer halben Minute jederzeit ordentlich runde Feuer-Kugeln herab, welche dem Ansehen nach, zum Theil als 12. 16. bis 24. pfündige Canonen-Kugeln zu achten waren, in die See fielen, und sich wohl eine halbe Minute lang darinnen herum tummelten, endlich aber verschwunden; ob aber bey ihnen Crepirung dieselben einen Knall von sich gegeben, kan ich so eigentlich nicht sagen, indem unsere Ohren sich auf eine so gewaltige Weite nicht eingerichtet befanden.

Nach Verlauff einer halben Stunde, kamen aus dem Feuer-Rade entsetzlich viele Feuer-Flammen in der Gestalt natürlicher Schlangen heraus gesprungen, ihre Farbe war theils grün, gelb, [8] roth, schwartz, blau und theils gesprenckelt. Diese stürtzten sich mit aller Gewalt in die See hinein, und schienen zum Theil auf einmahl zu versincken, allein wir bemerckten, daß sehr viele von ihnen wieder empor kamen, und als eine blaß röthliche Fackel, so wie in Europa die Irrwische, auf der See herum tantzten, nachhero aber, da sie mehr als 1000. Funcken von sich geworffen, in die Tieffe versuncken.

Mittlerweile warf dennoch binnen dieser Zeit das Feuer-Rad allerley Sorten von Feuer-Kugeln von sich, die sich nicht anders aufführeten, als die vorgemeldten. Ehe man sich es versahe, kam auf einmahl ein gantz Geschwader der bemeldten Feuer-Schlangen, welche ich über mehr als 1000. schätzte, aus dem Feuer-Rade heraus geflogen, sie waren, wie schon gesagt, von allerhand Farben, stürtzten sich in die See hinein, und es hatte das Ansehen, als ob sie mit einander Krieg führeten, und sich bissen. Jedoch diese Rencontre währete nicht länger, als ohngefehr 6. Minuten, wornach sie auf einmahl plötzlich verschwanden, und zwar in einem Tempo, als wenn viele Lichter auf einmahl verlöscht werden.

Leichtlich ists zu erachten, daß man seinem Augenmaße bey einer so gewaltigen Weite nicht alzuwohl trauen kan, doch schätzte ich das Revier auf der Ober-Fläche der See, allwo sie die artigsten Täntze undColloraturen machten, wenigstens im Umfange von 10. deutscher Meilen. Wir wurden hierüber alle in eine erstaunende Verwunderung versetzt, und wird mir erlaubt seyn zu sagen, daß [9] in der gantzen Welt schwerlich ein Printz oder andere Puissance wird anzutreffen seyn, welcher vor die, vielleicht übermäßig angewandten Kosten, dergleichen Wasser- und Feuer-Werck zu sehen bekommen; als uns die Natur vor dißmahl umsonst vorstellete, jedoch zu unserm allergrößten Schrecken.

Mittlerweile aber, wie gemeldet, die feurigen Schlangen auf der Ober-Fläche ihre Colloraturen machten, und die Feuer-Kugeln wechselsweise nach einander in die See hinein purtzelten, bemerckten wir, daß das Feuer-Rad weit feuerröther wurde, jedoch nach und nach immer enger und enger zusammen ruckte, so daß es bald hernach viel kleiner wurde, seine vorige Gestalt verlohr, sich als eine der allergrösten Bomben, und zwar mit aufgesetzten Zunder præsentirte. Wir waren sehr aufmercksam über diese Veränderung, nachdem aber etwa 4. bis. 5. Minuten verlauffen, crepirte diese unsern Gemüths- und Leibes-Augen vorgelegte Bombe in einem Augenblicke, spye noch viele Feuer-Klumpen und Sterne von allerhand Farben von sich, und versunck hernach in die See, mithin hatte das gantze Feuerwerck seine Endschafft erreicht, so daß weiter nichts als eine Egyptische Finsterniß in der gantzen Gegend zu betrachten war. Indem aber gemeldte Feuer-Kugel oder Bombe crepirte, höreten unser aller Ohren nicht allein einen entsetzlichen Knall, sondern wir vermerckten auch ein erschröckliches Erdbeben, so, daß wir alle, wie wir stunden, und lagen, fast über einer Querhand hoch in die Höhe [10] gehoben und erschüttert wurden. Als ich in meine Schreib-Stube kam, fand ich das Schreibzeug, Bier-Krug und andere Dinge, so auf dem Tische stunden, umgekehrt, theils auch auf dem Boden zerbrochen liegen. Die Tabulettgen hiengen zwar noch an den Wänden, allein die meisten Gläser, Thee-Tassen und dergleichen Porcellain Zeug waren herunter gefallen und zerbrochen, bey welchen Kleinigkeiten ich mich aber nicht lange aufhielte, sondern nach der Wohnstube zu eilete, allwo ich meine liebe Frau, die in Ohnmacht gesuncken war, auf dem Bette liegend antraf; da ich aber sahe, daß viele vertraute Freunde und Freundinnen um sie herum waren, lief ich mitMons. von Blac, nebst etlichen unserer Bedienten hinunter auf den Platz, allwo 2. Canonen stunden, die 16. pfündige Kugeln schossen, diese lösete ich in der Geschwindigkeit eine nach der andern, ehe eine Minute verstrich, nicht etwa aus Frevel, sondern aus keiner andern Ursache, als die Einwohner herbey zu locken und ihnen vorzustellen, in was vor Gefahr und Noth wir uns befänden, und zwar einer so wohl als der andere. Vor allen Dingen muste mein Famulus aufs eiligste nach der Alberts-Burg lauffen, um dem Regenten zu rapportiren, was vorgegangen wäre, und was wir observiret hätten. Es war dieser mein Famulus ein geschickter Pursche von 18. Jahren, und richtete seine Sachen wohl aus, kam bald zurück, und referirte uns, daß auf der Alberts-Burg weder Albertus selbst, noch jemand anders, weder von der Schwärtze am Himmel, noch von [11] dem curieusen Feuerwercke das geringste gesehen, sondern sie hätten alle wohl und sanffte geschlaffen, bis sie von dem Erdbeben, welches sie eben so hefftig als wir empfunden, aufgeweckt worden.

Etwa eine Stunde nach dem Knall der zwey Canonen versammleten sich nach und nach, etliche 100. Menschen beyderley Geschlechts, aus allen Pflantz-Städten, auf dem Platze bey der Kirche und am Fusse der Alberts-Burg, welche alle einstimmig aussagten: daß sie zwar das Erdbeben in eben der Gewalt verspühret hätten, als wir, allein von der Schwärtze am Himmel und dem Feuerwerck wolte niemand nichts wissen, bis endlich diejenigen abgelöseten Wächter kamen, welche in verwichener Nacht auf den höchsten Klippen in ihren Schilderhäusern, bey den Canonen Schildwacht gehalten. Diese wusten wegen der Schwärtze und des Feuerwercks alles so accurat auszusagen, als wir es mit unsern Augen gesehen hatten.

Indem wir nun hiervon mancherley Gespräche unter einander hielten, empfanden wir binnen ohngefähr 3. Minuten, 3. gewaltige Stösse vom Erdbeben und zwar dergestalt hefftig, daß sich auch die Glocken auf dem Kirch-Thurme von selbsten rühreten, und ihren Laut von sich gaben. Die allermeisten unter uns aber, sonderlich die Weiber und Kinder waren aus Schrecken zu Boden gefallen, und blieben also auch auf der Erden liegen. Ich selbst konte mich nicht halten, sondern muste gleich bey dem ersten Stose zu Boden sincken.

Noch etwa eine Stunde hernach empfanden [12] wir abermahls binnen 3. Minuten 3. heftige Stösse, so daß wir befürchteten, es würden alle Gebäude auf der gantzen Insul umgefallen seyn, allein GOtt hatte dieses Unglück gnädig verhütet, wie ich in meiner fernern Erzählung melden werde.

In solchem Zustande, nemlich auf der Erden liegend, brachten wir noch eine gute Zeitlang zu, binnen welcher Zeit sich nicht allein der Regent, sondern, wie ich sicher glaube, fast alle übrigen Einwohner der Insul, vom gröster bis zum kleinesten, bey uns als dem grössesten Hauffen, versammleten, als zu welchem sich auch die drey Herren Geistlichen verfügten.

Endlich wurde der Himmel nach und nach helle und klar, und dergestallt mit himmelblauer Farbe bemahlt, daß sich unsere erschrockenen Hertzen einiger maassen zu erhohlen schienen; mit der aufsteigenden Sönne aber begunte auch unsere Großmuth nach und nach aufzusteigen, zumahlen, da wir nichts weiter von einiger Erd-Erschütterung verspüreten. Die Seiger-Glocke ließ 9. hellklingende Schläge von sich hören, worüber wir uns ungemein erfreueten, da wir vorhero in Furchten gestanden, es würde die Uhr gäntzlichruinirt seyn. Demnach stund unser Regent, Albertus II. welcher in Wahrheit ein würdiger Nachfolger seines sel. Vaters, Alberti I. ist, so wohl in dem, was die Gottesfurcht, als auch die politische Klugheit und andere Tugenden anbetrifft, von der Erden auf. Es that aber derselbe an uns alle, die wir um ihn wie die Schaafe herum lagen, ex tempore folgende Rede:

[13] Meine Kinder, Brüder und Freunde!

Es haben zwar von euch nur einige gesehen und gehöret, was vor besondere grosse Wunder-Zeichen in vergangener Nacht geschehen; Alle aber haben wir empfunden, was uns der Allmächtige GOtt im Himmel, durch das erstaunliche Erdbeben, vor ein grausames Schrecken eingejagt, dergleichen Erdbeben wohl, so lange die Welt gestanden, auf dieser Insul nicht geschehen seyn mag.

Mein in GOtt ruhender Vater hat mir, da ich sein ältester Sohn bin, sehr viele mal erzählet, daß er Zeit seines Aufenthalts auf dieser Insul zu verschiedenen mahlen Erderschütterungen verspüret, welche aber doch leidlich gewesen, und ich selbst, habe seit den Jahren meiner Jugend bis hierher verschiedene Erdbeben mit vielen Schrecken, Furcht und Erstaunen bemerckt; jedoch ein solches, wie es sich in verwichener Nacht empfinden lassen, noch niemahls. Es kan seyn, daß der Allmächtige GOtt diese Insul zerreissen, und in die Tieffe des Meeres versencken, mithin uns alle verderben will, und zwar um unserer Sünden willen. Wolten wir gleich sagen, wir thun wenig oder keine Sünde, 1) Wir fürchten und lieben GOtt. 2) Wir fluchen und lästern nicht so, wie man wohl höret, daß es bey andern Nationen eine gemeine Mode ist. 3) Wir heiligen den Feyertag, besuchen auch auser dem fleißig die Kirche, und gehen ordentlich zum heil. Abendmahle. 4) Wir lieben, fürchten und gehorsamen unsern Vorgesetzten, Lehrern und Eltern. 5) Man hat noch nie erhört, [14] daß auf unserer Insul eins das andere boßhaffter Weise beschädigt, verwundet oder wohl gar todt geschlagen hätte. 6) Auch ist noch nie erhört, daß unter uns, die wir alle eines Geblüts und Geschlechts sind, Unkeuschheit wäre verspüret worden. 7) Wer kan auftreten und sagen, daß diesem oder jenem etwas, auch so gar das geringste, heimlicher Weise gestohlen und entwendet worden? 8) Von Lügen, Verrathen und Affterreden gegen einander wissen wir nichts, weil wir keine Ursache darzu haben, und uns bis auf den Tod ins Hertze hinein schämen müsten, wenn, da die Lügen an Tag kämen, wir wie Butter an der Sonne bestünden. 9) Keiner unter uns begehret seines Nächsten Hauß, Gut noch Erbe, oder sucht selbiges unter diesem oder jenem Scheine an sich zu ziehen und zu bringen, weilen ein jeder unter uns so beqvemlich lebt, als er nur immer zu leben wünschen kan, und wenn ja etwa dieses oder jenes zu Verbesserung seiner Beqvemlichkeit ermangeln solte, so sind mehr als 100. Hände und Füsse da, die ihm, ohne Belohnung zu fordern, zu Diensten stehen. 10) So hat man auch bis auf diese Stunde kein eintziges Exempel, daß das zehende Gebot GOttes, so wie es in Lutheri Catechismo ausgelegt ist, von jemanden übertreten worden; denn wir haben ja nicht die geringste Ursache darzu, weilen sich ein jeder nach seinem Appetite wohl berathen, zu dem, wenn wir auch die heil. Schrifft bey Seite legten, so könten wir doch so gut, als die blinden Heyden, die von GOtt nichts wissen, wohl erkennen, daß [15] dieses unter einer menschlichen Gesellschafft ein schändliches Laster sey. Da zumahlen unsre Herrn Geistlichen uns, den, den Heyden unbekannten GOtt, nach ihrer menschlichen Möglichkeit und durch die Krafft des heil. Geistes erleuchtete Gelehrsamkeit und Beredtsamkeit von einer Zeit zur andern bekannter machen, auch den Rath GOttes wegen unserer Seligkeit wöchentlich nicht einmahl, sondern etliche mahl vortragen.

Meine Kinder, Brüder und Freunde! was ich itzo gesagt habe, das habe ich allen auf dieser Insul lebenden menschlichen Creaturen gesagt. Ich habe nicht bloß aus meinem, sondern aus eurer aller Munde geredet, führe euch aber dieses zu Gemüthe, daß, wenn wir in Betracht des obgemeldeten sagen wolten: Wir hätten keine Sünde, so verführeten wir uns selbst, und die Wahrheit wäre nicht in uns. Denn alles dieses obgemeldte ist wohl gut und aller Ehren werth, aber, aber! alles dieses ist doch auch noch lange nicht hinlänglich, die Seligkeit zu erwerben, sondern es gehöret noch ein weit mehreres darzu, welches unsere Seelsorger besser und deutlicher, als ich Ungelehrter, mit meiner schwachen Zunge vortragen können. Unterdessen, da ich vor wenig Nächten, wie ich festiglich glaube, und dessen in meinem Hertzen versichert bin, einen göttlichen Traum gehabt, den ich bey nächster Gelegenheit offenbahren, und unsere Herrn Geistlichen und andere Gelehrte und kluge Leute darüber will urtheilen lassen, so hoffe, es soll vor dißmahl weiter keine Noth mit uns haben; Derowegen habt guten Muth, und lasset uns [16] beysammen bleiben, bis die Glocke 12. geschlagen hat. Wer mit Speise und Tranck nicht versorgt ist, kan in mein Hauß gehen, allwo vor uns alle gnugsamer Vorrath vorhanden ist, und sich sättigen, auch den Seinigen zur Nothdurfft, so viel er tragen kan, mit herunter bringen. Wir werden nicht sterben, sondern leben, und des HERRN Werck verkündigen, und nach überstandener Furcht und Schrecken unsern GOtt zu loben und zu preisen die gröste Ursache haben. Ich weiß es aus gewissen Umständen gantz gewiß, denn ich bin nicht allein als euer aller Vater, sondern auch als euer Prophet zu betrachten. Gebt Achtung! es wird binnen jetzo und etwa einer Viertels-Stunde sich eine gantz gelinde Erd-Erschütterung spüren lassen, aber dieserhalb erschrecket und fürchtet euch nicht, sondern heiliget GOtt den HErrn in euren Hertzen. Ist dieses vorbey, so werden wir Ruhe haben. Sagt mir, was wollen wir anders anfangen? Hätten wir auch Flügel wie Tauben und Flügel der Morgenröthe, daß wir flöhen und zusähen, wo wir etwa blieben? Ja hätten wir auch 100. Seegel-fertige Schiffe, worauf wir uns mit unsern besten Sachen einzuschiffen, und einen andern Ort unsers Aufenthalts suchen wolten? Was will das helffen? Der Hand des Allmächtigen können wir nicht entrinnen, wenn sie uns, wie ich doch nicht hoffe, verderben will. Also ist es besser, wir bleiben hier beysammen, und warten mit christlicher Geduld und Gelassenheit ab das, was der Himmel fernerweit über uns verhängt [17] hat. Unterdessen seyd so gut, und stimmet mit mir das Lied an: Wo soll ich fliehen hin etc.

Nachdem der Regent und wir alle dieses Lied mit gröster Hertzens-Andacht kaum ausgesungen, verspüreten wir eine kleine Erd-Erschütterung, die doch allen denen, die auf der Erden lagen, nicht anders vorkam, als ob sie gewieget würden. Es währete dieselbe kaum 5. bis 6. Minuten, worauf alles stille war.

Nach diesem stund Albertus wieder auf, und redete mit heroischen Geiste und Munde folgendes: Nun getrost und unverzagt, meine Lieben! Der Geist des HErrn sagt es mir, daß nunmehro alles vorbey sey, solte GOtt aber dennoch ein Straf-Gericht über uns beschlossen haben; wohlan so lasset uns lieber in die Hände des HErrn fallen, als in die Hände der Menschen. (Worauf er mit diesen Worten zielete, will ich weiter unten melden.) Hierauf stimmete er seines Vaters auserlesenes Hertzens-Lied an: Es woll uns GOtt genädig seyn etc.

Nachdem wir dieses insgesammt ausgesungen, fieng die Sonne am blau-gewölckten Himmel dergestalt zu brennen an, daß wir auf dem freyen Platze nicht länger vor Hitze zu bleiben wusten, weßwegen wir uns nach schattigten Oertern umsahen, und sämmtlich nach der Alberts-Raumer Alleè spatzireten. Hierbey bewunderte ich, daß unter so vielen 100. Personen kein eintziges weder Hunger noch Durst klagte, vielweniger sich bemühen wolte nach der Alberts-Burg zu gehen, und Speise und Tranck zu holen.

[18] Wie wir uns nun in besagter Alberts-Raumer Alleè auf beyden Seiten rangirt und gelagert hatten, trat Herr Mag. Schmelzer Sen. den ich wohl mit Recht unsern Bischoff nennen kan, auf einen etwas erhabenen kleinen Hügel, breitete seine Hände aus gen Himmel, und intonirte mit seiner penetranten Bass-Stimme diese Worte:


HErr, hilff uns, sonst versincken und verderben wir!


Hierauf antwortete das Chor der musicalischen Vocalisten, welchem es schon unterwegs vorgesagt war, also:


Da die Elenden rieffen, hörete der HErr, und half ihnen aus allen ihren Nöthen.


Auf dieses intonirte Herr Mag. Schmeltzer wieder diese Worte:


GOTT spricht: Ich bin der HERR dein GOtt, wandele für mich und sey fromm: Ruffe mich an in der Zeit der Noth, so will ich dich erretten, und du solt mich preisen.


Die Antwort des Chori Musici war diese:


Verlaß mich nicht, HErr, mein GOtt! sey nicht ferne von mir. Eile mir beyzustehen, HErr, meine Hülffe!


Hernach zog Hr. Mag. Schmeltzer seine Hand-Bibel hervor, welche er, wie ich bemerckt, beständig in seiner rechten Rock-Tasche bey sich führete, schlug dieselbe auf, und laß uns den 85. Psalm vor. Er hat mich nach der Zeit theuer versichert, daß er sich ein gantz ander Dictum aus dem Buche [19] der Weißheit erwählet gehabt, dasselbe zu erklären, und uns daraus zu trösten, allein, da er im ersten Aufschlage den 85. Psalm erblickt, habe er diesen zum Grunde seiner Rede genommen, weil ihm derselbe sehr omineus vorgekommen wäre.

Viele, so diese meine Geschichts-Beschreibung lesen, möchten vielleicht zu commode seyn, etwa die Bibel erstlich herbey bringen zu lassen, derowegen will sie dieser Mühe überheben, und den gantzen Psalm der Kinder Korah, welcher unter den Davidischen der 85ste ist, so gleich mit hersetzen, es lautet derselbe also:


HErr, der du bist vormahls gnädig gewesen deinem Lande, und hast die Gefangenen Jacob erlöset.

Der du die Missethat vormahls vergeben hast alle deinem Volcke, und alle ihre Sünde bedeckt, Sela!

Der du vormahls hast allen deinen Zorn aufgehaben, und dich gewendet von dem Grimme deines Zorns.

Tröste uns, GOtt, unser Heyland, und laß ab von deiner Ungnade über uns.

Wilt du denn ewiglich zürnen über uns, und deinen Zorn gehen lassen immer für und für?

Wilt du uns denn nicht wieder erqvicken, daß sich dein Volck über dir freuen möge?

HErr, erzeige uns deine Gnade, und hilff uns!

Ach! daß ich hören solte, daß GOtt der HErr redete, daß er Friede zusagte seinem [20] Volcke, und seinen Heiligen, auf daß sie nicht auf eine Thorheit gerathen.

Doch ist ja seine Hülffe nahe denen, die ihn fürchten, daß in unserm Lande Ehre wohne.

Daß Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen.

Daß Treue auf der Erden wachse, und Gerechtigkeit vom Himmel schaue.

Daß uns auch der HErr Gutes thue, damit unser Land sein Gewächs gebe.

Daß Gerechtigkeit dennoch für ihm bleibe, und im Schwange gehe.


Nach Ablesung dieses Psalms, machte Hr. Mag. Schmeltzer eine weitläufftige Erzählung, der uns und unsern Vorfahren, vornehmlich auf dieser schönen fruchtbaren Insul, gantz besonders erwiesenen Gnade GOttes, ermahnete uns anbey, daß wir uns derselben Erinnerung niemahls solten aus dem Hertzen kommen lassen, auch beständig unser Vertrauen auf den allmächtigen, barmhertzigen Vater im Himmel setzen, als worzu uns die bisherigen Begebenheiten gantz besonders erweckten. Ferner, (sagte er:) daß GOtt, wie er vestiglich glaubte, laut des verlesenen Psalms seinen Gläubigen mit seiner Hülffe nahe sey, und uns also vor dißmahl noch nicht werde verderben lassen. Unterrichtete zuletzt, daß des Landes Wohlstand, der in Gottesfurcht und in Fruchtbarkeit der Erden bestünde, auch in fleißigen Vollbringen dessen, was einem jeden nach seinem Stande und Beruffe zukäme, als worein sich ein jeder [21] nächst GOtt, gutwilliger Weise selbst gesetzt, sonderlich wenn Liebe, Friede und Gerechtigkeit bey einander wohneten, gab darbey zu vernehmen, daß 1000. und mehr grosse und kleine Erd-Theile auf dieser Welt wären, worinnen die Einwohner die besondern Gnaden-Gaben GOttes nicht sattsam erkennen wolten. Letzlich überführete er uns, so zu sagen, daß wir Felsenburger vor 1000. andern die glückseligste und vergnügteste Gesellschafft wären, mithin uns auch vor allen andern Menschendistinguiren müsten, um dem Allmächtigen immer gefälliger zu werden, damit er uns nicht zerstreue oder gäntzlich verderbe, dieses aber könte nicht anders geschehen, als durch ein wahres Christenthum.

Nach vollendeten Sermon, stimmete er die Lieder an:


O Ewigkeit, du Donner-Wort etc.
Ich armer Mensch, ich armer Sünder etc.
Nimm von uns, HErr, du treuer GOtt etc.
CHriste, du Lamm GOttes etc.
Als Herr Mag. Schmeltzer noch ein kurtzes Gebet aus dem Hertzen gethan, sunge er folgende Worte ab:

Sey nun wieder zufrieden, meine Seele, denn der HErr thut dir Guts.

Des musicalischen Chori Antwort erschallete also:


Lobe den HErrn, meine Seele! Ich will den HErrn loben, so lange ich lebe, und meinem GOtt lobsingen, so lange ich hie bin, Amen!


[22] Zu diesen heiligen Gedancken veranlassete unsern lieben Hn. M. Schmeltzern, wie ich glaubte, der kleine Sprüh- und so genannte Sonnen-Regen, denn ohngeachtet die Sonne noch in völliger Glut stunde, und uns ihre Strahlen fast gedoppelt zuschickte, so bedünckte es uns doch, als ob uns ein angenehmer Thau erqvickte, derowegen giengen sehr viele von unserer Gesellschaft ausserhalb, und liessen sich muthwilliger Weise Pfütze-naß beregnen. Die kühlen Lüfftgen erquickten uns, der hefftig brennenden Sonne, wie es das Ansehen hatte, zum Trotze, unterdessen kam doch dem Regenten, welcher noch nüchtern war, eine kleine Schwachheit an; Er bekannte solches selbst, sagte aber, daß ihm nicht sein eigener Hunger noch Durst plagete, sondern ihm nur des Volcks jammerte, vornemlich der unmündigen Kinder, welche ihm sehr nahe giengen.

Derowegen gaben sich sogleich 50. der stärcksten Männer und auch gleich 50. der stärcksten Weiber an, welche Erlaubnis bathen, auf die Alberts-Burg zu gehen, und Proviant zu holen. Es wurde ihnen mit gröstem Vergnügen erlaubt, und sie kamen fast ehe man es sich vermuthen können, starck beladen wieder, indem sie Brod, Butter, Käse, geräucherte grosse Fische, Schincken, Würste, Wein, Bier, Milch und dergleichen, in Körben, Säcken, und auf Hand-Tragen herbey brachten. Ausser diesen hatten sich viele Einwohner aus den nächst gelegenen Pflantz-Städten mit gröster Geschwindigkeit auf den Marsch begeben, und aus ihren Häusern die besten Victualien geholet, welche [23] sie herbey brachten; also war eine erstaunliche Menge an Speise und allerley Geträncke vorhanden, so daß wir alle, die wir beysammen theils auf der Erde lagen, theils sassen, viele Tage davon hätten leben können.

Die Aeltesten und Geschicktesten unter uns, machten sich ein Vergnügen daraus, die Lebens-Mittel hie und da unter das Volck auszutheilen. Nach gehaltener Mahlzeit schien die liebe Sonne dergestalt erqvickend und erwärmend, daß viele Appetit bekamen, unter den schattigen Bäumen eine liebliche und angenehme Mittags-Ruhe zu halten.

Da sich aber der Tag zu neigen begunte, und die Sonne vor dißmahl sich im Meer zu verbergen eilete, ließ der Regent allen und jeden Familien melden; wie er gerne sähe, wenn sich ein jedes unter sein Dach verfügte, weilen doch weiter hoffentlich nichts erschreckendes zu befürchten wäre; Allein, es wolte keine lebendige Seele vom Platze weichen, sondern sie bathen sich fast einstimmig aus, daß ihnen noch eine Beth-Stunde gehalten, und der Abend-Seegen von dem Priestern möchte gegeben werden, worauf sie vor dißmahl ihre Nacht-Ruhe unter freyen Himmel halten wolten.

Der Regent und wir alle hatten unsere Freude über diese Resolution des Volcks, der erstere aber befahl, daß etliche starcke Männer 300 Pech- und 150 Wachs-Fackeln von der Burg holen solten, welchem Befehle denn so gleich gehorsamet wurde, und die Männer kamen fast eher mit [24] den Fackeln von der Burg zurücke, als die Dämmerung anbrach, also wurden auf beyden Seiten der Alleè in gewisser Weite von einander Pech-Fackeln gepflantzt, um den Regenten, graue Häupter und übrige Personen von Distinction, die wir alle in einem ovalen Creyse sassen, brannten Wachs-Fackeln. So bald dieselben angezündet waren, trat Hr. M. Schmeltzer Jun. auf, und sunge folgende Worte ab: Psalm 40.


HErr, mein GOtt! wie groß sind deine Wunder, und deine Gedancken, die du an uns beweisest, dir ist nichts gleich. Ich will sie verkündigen, und davon sagen, wiewohl sie nicht zu zählen sind.


Hierauf antworteten die musicalischen Vocalisten: Ps.40, v. 14.


Laß dirs gefallen, HErr, daß du mich errettest, eile, HErr, mir zu helffen.

Nach diesem wurde der Choral gesungen:

Wär GOtt nicht mit uns diese Zeit etc.


Und Hr. M. Schmeltzer verlaß aus seiner Hand-Bibel, aus dem 6. Cap. des Propheten Jesaiä folgende Verse:


Und ich hörete die Stimme des HErrn, daß er sprach: Wen soll ich senden? Wer will unser Bothe seyn? Ich aber sprach: Hie bin ich, sende mich. Und er sprach: Gehe hin, und sprich zu diesem Volcke: Hörets, und verstehets nicht, sehets, und merckets nicht. Verstocke das Hertz dieses Volcks, und laß ihre Ohren dicke seyn, und blende ihre Augen, daß sie nicht sehen mit ihren [25] Augen, noch hören mit ihren Ohren, noch verstehen mit ihren Hertzen, und sich bekehren. Ich aber sprach: HErr, wie lange? Er sprach: bis daß die Städte wüste werden, ihre Einwohner und Häuser ohne Leute, und das Feld gantz wüste liege. Denn der HErr wird die Leute ferne wegthun, daß das Land sehr verlassen wird. Doch soll noch das zehende Theil darinnen übrig bleiben, denn es wird weggeführet und verheeret werden, wie eine Eiche und Linde, welche den Stamm haben, obwohl die Blätter abgestossen werden. Ein heiliger Saame wird solcher Stamm seyn.


Ich muß bey dieser Gelegenheit melden, daß Hr. M. Schmeltzer Jun. im Lehren und Predigen weit eifferiger und hitziger ist, als sein Hr. Bruder, und Hr. Herrmann, welche letztern beyde alles mit Sanfftmuth, Leutseligkeit und Gelassenheit vortragen. Jener aber pocht und dringet gemeiniglich mit Gewalt und durchaus auf wahre Busse und Glauben an Christum. Er straffet auch die allergeringsten Fehler und Verbrechen, die unter uns vorgehen, aufs allerschärffste, inmittelst kan man nicht müde werden ihm zu zuhören, weilen er mit seiner etwas lispelnden Zunge 100. Worte vor eines vorzubringen weiß.

Vor dieses mahl stellete er uns mit Centner schweren Worten vor: Ein unbußfertiges, und den Christen höchst schädliches Leben, als worauf endlich dem Texte nach die gäntzliche Verstockung und Verstossung durch das gerechte [26] Gerichte GOttes erfolgte. Dieses that er anfänglich mit gröstem Eiffer, hernach aber gab er mit mehrerer Sanfftmuth und Leutseligkeit zu vernehmen: wie GOtt der HErr dennoch immer unter denen bösen und unartigen Welt-Kindern seine Heiligen und Auserwählten hätte, führete dabey nicht nur verschiedene Exempel aus der Heil. Schrifft, sondern auch aus der Ecclesiastischen und Politischen Historie, nachheriger Zeiten an, beschloß endlich seinen Sermon mit diesen Worten: daß, wo wir nicht erleben wolten, daß es uns eben so, wie den unartigen Kindern Israel und Juda ergehen solte, wir in beständiger Büßfertigkeit leben müsten, als welches allein das beste Mittel sey, dem erzürnten, gerechten GOtte in die Arme zu fallen, und die Straf-Ruthe aus seiner Hand zu winden etc.

Hierauf that er ein andächtig Gebeth aus dem Hertzen, und stimmete den Choral an:


GOtt, man lobt dich in der Stille etc.


und nachdem noch einige Abend-Lieder gesungen waren, legte sich ein jeder, so wie er in seiner Kleidung war, im Grase zur Ruhe. Der Regent aber, die grauen Häupter, die Herrn Geistlichen, und andere mehr, welche das Regiments-Ruder mit führen halffen, blieben noch munter und berathschlagten: ob es nicht löblich, christlich und billig wäre, wenn wir, da doch nunmehro aller Sturm und Schrecken vorbey, gleich morgendes Tages ein solennes Danck-Fest in unserem GOttes-Hause anstelleten; Allein, ein und anderer Ursachen wegen wurde beliebt, dieses solenne [27] Danck-Fest bis auf nächst-künfftigen Sonntag zu verschieben.

Früh Morgens, so bald die hellgläntzende Sonne unsern Horizont bestrahlete, liessen sich etwas von ferne 2. Trompeter mit ihren Trompeten hören, welche alle 7. Verse des Chorals: Aus meines Hertzens-Grunde etc. ausbliesen, und damit Groß und Klein aus dem Schlaffe erweckten. Wie nun alles munter und wach war, trat Hr. Herrmann auf, und intonirte folgendes:


Israel, hoffe auf den HErrn, denn bey dem HErrn ist die Gnade und viel Erlösung bey ihm.


Hierauf antwortete das musicalische Chor:

Und er wird Israel erlösen aus allen seinen Sünden.

Nachdem das Morgen-Gebeth von Hn. Herrmann vorgesprochen worden, wurde das Lied gesungen:


Aus meines Hertzens-Grunde etc.

Sodann hielt er einen ungemein erbaulichen Sermon über den 125. Psalm, welcher also lautet:
Die auf den HErrn hoffen, werden nicht fallen, sondern ewig bleiben, wie der Berg Zion.
Um Jerusalem her sind Berge, und der HErr ist um sein Volck her, von nun an bis in Ewigkeit.

Er applicirte diesen Psalm auf eine ungemein tröstliche, liebreiche und lebhaffte Art, auf unsere Gegend und Umstände, wuste dabey zu sagen: wie GOtt seine Gläubigen in ihrer Hoffnung [28] nicht fallen liesse, oder zugäbe, daß sie darinnen betrogen würden, sondern ohngeachtet aller gefährlichen Umstände und Irrwege sie dennoch endlich erlangten, was sie geglaubt, und im Vertrauen auf ihn gehoffet hätten.

Nach vollendetem GOttesdienste wurde dem sämmtl. Volcke beym Frühstück angedeutet, daß sie alle vom Grösten bis zum Kleinesten, auf den nächstkünfftigen Sonntag, so bald der dritte Canonen-Schuß von der Burg geschehen, sich in unserm GOttes-Hause einfinden möchten, weilen ein solennes Danck-Fest solte gehalten werden; Vorjetzo aber könte ein jedes, ohne Furcht und Zaghafftigkeit, sondern in guter Zuversicht, Hoffnung und Vertrauen auf GOtt, seine Wohnung suchen, und die gewöhnliche Arbeit nach Vermögen verrichten, weilen allem Ansehen nach, keine fernere Gefahr mehr zu besorgen wäre etc.

Also sahe man nach Verlauf einer Stunde, wie sich das Volck aus einander und in verschiedene Hauffen oder Corps zertheilete, die nach ihren Pflantz-Städten und Wohnungen zu spatzireten. Den Regenten convoyirten wir übrigen auf seine Burg, und liessen ihn daselbst in Gesellschafft der grauen Häupter und der Hrn. Geistlichen. Unserer einige aber, die am curieusesten waren zu besichtigen, was doch wohl durch das Erdbeben auf der gantzen Insul vor Schaden verursacht worden, beredeten uns unter einander, daß eine Parthie Rechts, die andere aber Lincks um die Burg patrouilliren, die Pflantz-Städte visitiren, und alles aufs genaueste anmercken solte, [29] am dritten Tage wolten wir insgesammt einander auf der Alberts-Burg wieder antreffen.

Dieses wurde vollbracht, und am dritten Tage rapportirten wir dem Regenten, grauen Häuptern, Priestern und andern versammleten guten Freunden dieses:


1) Daß nicht einmahl ein Hüner-Stall, geschweige denn ein Hauß oder Scheure auf der gantzen Insul sonderlich beschädigt, vielweniger gestürtzt worden. Doch wäre überall an denen Fenstern ein grosser Schade geschehen, indem die meisten Scheiben zersplittert wären, auch mancher fast gar kein gantz Fenster mehr im Hause hätte.

2) Hergegen wäre es ein rechtes Wunderwerck zu nennen: daß in der Glaß-Hütte und in dem Glaß-Magazin, als worinnen ein gewaltiger Vorrath von allerhand Sorten Gläsern, Glaß-Taffeln und Scheiben befindlich, nicht ein eintziger Splitter oder Scherbel zu finden, sondern alles noch gantz und unversehrt. Der Factor und andere Glaß-Leute hätten gemeldet, daß wir allzusammen auf der gantzen Insul das Erdbeben nicht hefftiger könten empfunden haben, als sie es empfunden; wäre also diese Erhaltung des Glases vor ein rechtes Wunder zu achten.

3) Aber unsere guten ehrlichen Töpffer wolten sich fast nicht trösten lassen, da sie von ihrem ansehnlichen Vorrathe von allerley Sorten Töpffer-Geschirre, kaum den 4ten Theil, wohl aber Scherbel genug aufzuweisen hätten; über dieses so wären die Eingänge zu den Thon-Gruben verfallen [30] und eingestürtzt, jedoch versicherten sie, uns vom annoch vorräthigen Thone, Töpffe, Schüsseln und dergleichen wohl noch auf ein halb Jahr lang zu verschaffen, da man denn mittlerweile, wenn sie nur Gehülffen bekämen, die Thon-Gruben wieder aufräumen könte.

4) Diejenigen, so am nächsten an der grossen See wohnen, hätten referirt, daß schon Tages vorhero, ehe sie das Erdbeben verspüret, sie in der Mittags-Stunde gewahr worden, daß eine grosse Menge der schönsten und vortrefflichsten Fische von allerhand Gattung, deren etliche über 6. 8. und noch mehr Pfund gewogen, abgestanden, und die Bäuche auf dem Wasser in die Höhe gekehret. Etliche der besten, an welchen sie noch einiges Leben verspüret, hätten sie geschlachtet und gegessen, die übrigen aber, (so viel sie mit ihren Hamen fangen können) weilen ihnen die Sache bedencklich vorgekommen, und sich fast ein Eckel bey ihnen erregen wollen, in den Fluß geworffen, weilen sie befürchtet, es möchten etwa auf den Eckel Kranckheiten erfolgen.

5) Zu bewundern wäre, daß auf dem GOttes-Acker nicht ein eintziger Leichen-Stein umgefallen, auch an den Pyramiden nicht das geringste beschädigt, doch an der Nord-Seite wäre ein Stück Mauer, ohngefehr 4. oder 5. Ruthen lang, eingeschossen.

6) In unserer Kirche fänden sich 19. Orgel-Pfeiffen, theils auf dem Orgel-Chor liegend, theils aber waren bis herunter aufs Pflaster gefallen, sonsten aber wäre in der Kirche nichts beschädiget, [31] ausgenommen, daß die Fenster eine starcke Ausbesserung brauchten.

7) Eben also sähe es auf der Albertus-Burg aus, weilen wenig gantze Fenster darinnen anzutreffen, sonsten aber bemerckte man darinnen keinen besondern Schaden, als in einem unterirrdischen Gewölbe, und oben im Bogen desselben einen starcken Riß, so daß man wohl mit dem Arme hinauf in die Höhe fahren könte, es gieng derselbe oben im Bogen von Norden gegen Süden zu.

8) Ein und andere kleine Schäden, die hie und da in den Pflantz-Städten bemerckt worden, belohneten sich kaum der Mühe, daß man davon redete.

9) Eins wäre noch merckwürdig, daß eins von unsern allergrösten Saltz-Gewölbern oder Gruben eingeschossen wäre, welches uns aber keinen Schaden, sondern vielmehr Vortheil brächte, immassen dadurch die Mühe auf eine Zeitlang erleichtert würde, das Saltz auszuhauen.


Dieses waren also die Haupt-Stücke unseres Rapports, worauf sich ein jeder bey dem Regenten und grauen Häuptern beuhrlaubte, und seine ordentliche Wohnung suchte, allwo wir insgesammt in ungestöhrter Ruhe blieben, und ein jeder das seinige verrichtete.

Nächstfolgenden Sonntag, etwa eine Stunde nach Aufgang der Sonnen, lösete ich binnen drey viertel Stunden 3. Canonen, eine nach der andern. Hierauf begaben sich unsere Hn. Musici auf dem Thurm, und sungen unter Trompetenund [32] Paucken-Schall den Choral ab: Nun lob, mein Seel, den Herren etc.

Es war von der Alberts-Burg herunter ungemeincharmant anzusehen, wie die Felsenburgischen Einwohner, alt und jung, von allen Seiten daher gezogen kamen wie die Bienen. Da man nun bemerkte, daß die allermeisten schon zur Stelle waren, wurde mit allen Glocken geläutet. (Hierbey muß melden, daß wir gleich nach der Abreise des Capitains Horn, eine vortrefflich grosse und schöne Glocke gegossen, welcher das Glück ohne unsere Kunst und Geschicklichkeit und über unser Vermuthen den tieffsten Ton C. inspirirt, und zwar dergestalt wohlklingend, daß ein jeder seine Freude daran haben muste, sie wurde nicht alle Sonntage, sondern nur alle hohe Fest-Tage geläutet, jedoch wurden ein und alle Tage, und zwar früh Morgens um 6, Mittags um 12, und wieder Abends um 6. Uhr, jedes mahl drey Schläge, zur Ermunterung zum Gebeth, von derselben gehöret.)

So bald unser Regent in seinem Trage-Sessel herunter gebracht worden, und seine gewöhnliche Stelle in Besitz genommen hatte, wurde erstlich gesungen:Komm, heiliger Geist etc.

Hernach trat Hr. M. Schmeltzer vor den Altar, und verrichtete die Kirchen-Ceremonien, wie sonsten gebräuchlich. An statt der Epistel verlaß er das 41. Cap. des Propheten Jesaiä, und an statt des ordentlichen Sonntags-Evangelii den 107. Psalm, als welcher auch vor dißmahl der Text zur Predigt war. Vor der Predigt [33] musicirten unsere Herrn Musici folgende

CANTATA.
Aria.
Bebet nicht mehr, Felß und Erde,
Denn der Himmel ist uns hold,
Schaut der Sonnen schönstes Gold!
GOtt erbarmt sich seiner Heerde:
Denn sie will nun Busse thun,
Demnach laßt uns sanffte ruhn.
Bebet nicht mehr, Felß und Erde,
Denn der Himmel ist uns hold.
Recitativ.
GOtt Lob! daß wir nach überstandnen Schrecken
Diß unser GOttes-Hauß mit Freuden wieder sehn.
GOtt hat bißhero scharf gedroht;
Warum? wir haben sein Geboth
So vielmahl übertreten.
Ach! last uns Busse thun,
Und nicht im Sünden-Schlaffe ruhn;
Ein jeder lasse sich erwecken,
Aus Hertzens-Grund'
Mit Zung' und Mund
Zu singen und zu beten.

Dictum. Ps. 94, v. 18.


Ich sprach: mein Fuß hat gestrauchelt, aber deine Gnade, HErr, erhielt mich. Ich hatte viel Bekümmernis in meinem Hertzen, aber deine Tröstungen ergötzten meine Seele.

[34] Choral.
Darum auf GOtt will hoffen ich,
Auf mein Verdienst nicht bauen.
Auf ihn mein Hertz soll lassen sich
Und seiner Güte trauen,
Die mir zusagt sein werthes Wort,
Das ist mein Trost und treuer Hort,
Deß will ich allzeit harren.
Recitativ.
GOtt! wenn wir gleich von allen Sünden rein,
Auch reiner als der Mond
Von Flecken solten seyn,
So müsten wir doch frey gestehn,
Daß du uns bis auf diesen Tag verschont:
Denn Jung' und Alt
Die fehlen alle mannigfalt.
Doch aus Barmhertzigkeit
Hast du uns nicht gleich nach Verdienst gelohnt,
Vielmehr zu unserm Wohlergehn
Uns durch die Finger offt gesehn.
Bleib ferner unser GOtt,
Du starcker Zebaoth,
So hat es mit uns keine Noth.
Aria.
Was können wir vor Opffer bringen
Dir, der du uns erschaffen hast,
Und offt erlöß't aus mancher Last?
Wir dancken, loben, beten, singen,
Gold, Weyrauch, Myrrhen sind zwar da,
Und zwar in grosser Menge,
Doch, deine Kinder wissen ja,
Daß dieses eitele Gepränge
[35]
Dir nicht gefällt, die Hertzen eintzig und allein
O Vater! dir die angenehmsten Opffer seyn.
Recitativ.
Nimm unsre Hertzen hin,
Und laß sie bey dir schweben,
Hernach dort in der Seeligkeit
In süssester Zufriedenheit
Aufs neue wieder leben:
Wir sagen dir Lob, Preiß und Danck,
Und singen diesen Lobgesang.

Dictum. Psalm. 96, v. 11.


Himmel freue dich, und Erde sey frölich, das Meer brause, und was drinnen ist. Das Feld sey frölich, und alles was darauf ist, und lasset rühmen alle Bäume im Walde. Für dem HErrn, denn er kömmt zu richten das Erdreich. Er wird den Erdboden richten mit Gerechtigkeit, und die Völcker mit seiner Wahrheit.

Choral.
Unter deinen Schirmen
Bin ich für den Stürmen
Aller Feinde frey.
Laß den Satan wittern,
Laß den Feind erbittern,
Mir steht JEsus bey.
Ob es jetzt gleich kracht und blitzt?
Ob gleich Sünd und Hölle schröcken?
JEsus will mich decken.
Trotz, dem alten Drachen,
Trotz, des Todes-Rachen,
Trotz, der Furcht darzu!
Tobe Welt und springe,
[36]
Ich steh hier und singe
In gar sichrer Ruh:
GOttes Macht hält mich in Acht,
Erd und Abgrund muß verstummen,
Ob sie noch so brummen.

Diese ungemein wohl componirte Cantata ergötzte die gantze Gemeine, mich aber delectirte am allermeisten das erste Wort: Bebet, welches der Componist so artig ausgedrückt hatte, daß es unvergleichlich und nicht anders als ein kleines Erdbeben zu betrachten war, denn die bereits reparirte Orgel, die Violons, Fleutes-traverses, Fagotts, und dergleichen Instrumente, machten so ein artiges Beben, daß man sich darüber vergnügen muste, wie denn auch in der ersten Aria zu einigen Zeilen und Worten die Violinen Pizzicato gespielet wurden. Kurtz! es nahm sich dieseCantata ungemein wohl aus.

Zwischen der Predigt, welche Hr. M. SchmeltzerSen. ablegte, wurde der Choral abgesungen: Ach GOtt! sehr schrecklich ist dein Grimm etc. Nach abgelegter Predigt intonirte Herr Mag. Schmeltzer vor dem Altare das Te Deum laudamus &c. welches unter Trompeten- und Paucken-Schall abgesungen wurde, auch wurden bey den gewöhnlichen Absätzen, jedes mahl 6. auf der Burg stehende Canonen gelöset, die sich auf einmahl hören liessen.

Als der GOttes-Dienst vor dieses mahl in der Kirche vollbracht war, wurde nochmahls mit allen Glocken, 3. Pulse hinter einander her geläutet, worauf sich Trompeten und Paucken vom [37] Thurme herunter lustig hören liessen, und darauf wurden die Melodeyen der Lieder: Nun lob mein Seel den Herren etc. und Es woll uns GOtt genädig seyn etc. mit Zincken und Posaunen abgeblasen.

Alles kribbelte und wibbelte um die Kirche herum von grossen und kleinen menschlichen Creaturen, so daß man seine Lust blos an den Kindern sahe, welche zwar ihre Freude und Lustbarkeit, aber keine Boßheit bezeigten. Mittlerweile, da wir diese Lust hatten, wurde eine Canone abgefeuert, und darauf mit Trompeten und Paucken zur Tafel geruffen. Es wuste ein jeder unter uns schon seinen Platz, entweder auf der Burg bey dem Regenten, oder auf Hr. Wolffgangs grünen Grase-Tafel-Platze, allwo ein jeder Stamm seine besondere Tafel hatte, welche Tafeln nunmehro aber, da sich die Stämme ziemlich vermehret, fast zu klein werden wolten, derowegen musten einige sich bey andern einflicken. Es verfügte sich alles Volck in der schönsten Ordnung dahin, weilen nun schon 3. Tage vorher alle Anstalten zur Speisung und Tränckung des Volcks gemacht waren, so setzten sich nach gesprochenem Tisch-Gebet Jung und Alt nieder, hernach wurden so gleich die Speisen aufgetragen, als nemlich:


1) eine delicate Suppe von Fleisch-Brühe Schild-Kröten Eyern, und dem kostbarsten Gewürtze gemacht.

2) Allerley gekochtes, wildes Flügelwerck mit Reiß und Gewürtz, denn NB. das zahme Europæische Flügelwerck spareten wir dennoch noch immer, [38] ohngeachtet wir damahls schon eine gewaltige Menge von Puter-Hühnern, Hauß-Hühnern, Gänsen, Endten, Tauben, etc. hatten.

3) Gekochtes Hirsch-Fleisch mit Wurtzeln, die dem Geschmacke nach, weit delicater sind, als die Pastinacken- Haber- Petersilien- und Zucker-Wurtzeln in Europa.

4) Allerley Sorten von Fischen, worbey vor diejenigen, welche sie nicht gern bloß aus dem Saltze zu essen beliebten, eine delicate Palm-Sects-Brühe zugleich mit hingesetzt wurde.

5) Wurde auf jede Tafel, nachdem dieselbe starck war, ein am Spiesse gebratenes Rehe, ingleichen eine gantz gebratene wilde Ziege, auch dieser Braten wohl zwey, aufgesetzt, nebst allerhand Sorten von Sallaten und eingemachten sauer und süsser Früchte.

6) Hatten unsere Köche noch ein gehacktes ungemein wohlschmeckendes Fleisch-Gerichte zubereitet, und dieses fand fast noch mehr Liebhaber, als alle vorhergehende Speisen.

7) An statt des Confects kamen gantze Körbe voll von allerhand Arten der edelsten Baum- und Garten-Früchte, wie auch etliche grosse Kuchen, und eine ziemliche Menge kleines Butter- und Schmaltz-Gebackenes.


Bey allen diesen Tractamenten war kein Mangel am Weine, und zwar vom allerbesten, wie er auf der Insul wuchs, noch weit weniger war Mangel am Biere.

Ich hatte meine besondere Freude über das Volck, und war dieserwegen gantz heimlich von [39] des Regenten Tische geschlichen, um diese starcken Heerden nur speisen zu sehen.

Die Herren Geistlichen hatten unter einander verabredet, selbigen Nachmittag keine Kirche zu halten, sondern das Volck einmahl recht mit Appetit speisen zu lassen. Dieses wurde bey allen Tischen dem Volcke verkündiget, jedoch dabey auch: daß Morgen früh etwa eine Stunde nach Aufgang der Sonnen eine Bet-Stunde in der Kirche solte gehalten werden, da sich denn die andächtigen und GOttes Wort liebenden Hertzen, nach ihrem Belieben einfinden könten, so bald das Zeichen durch einen Canonen-Schuß gegeben worden.

Da man merckte, daß sich die Sonne zum Untergange neigen wolte, nahmen nicht allein diejenigen, welche auf der Burg bey dem Regenten gespeiset, sondern auch das gantze Volck Abschied, und sagten Danck vor erwiesene Wohlthat, welches man an aller ihren frölichen Geberden, Bücken und Hände-Klatschen abmercken konte. Indem sich nun die Stämme in ihre Hauffen vertheilet, liessen sich Trompeten, Paucken und andere musicalische Instrumente Wechselsweise hören, worüber sich die Abreisenden ungemein freuen mochten, welches wir daraus schlossen, da sie immer einmahl über das andere die Arme in die Höhe reckten, und mit den Händen klatschten, welches, wie wir so von weiten nach sehen konten, auch die kleinesten Kinder thaten. Ich, der ich meine Lust an der Artollerie habe, wünschte ihnen mit noch 12.Canonen- Schüssen eine glückliche Reise und geruhige Nacht.

[40] Des andern Morgens früh nach gethanen Canonen-Schusse, sahe man das Volck von allen Strassen her schon wieder zusammen kommen, und glaube ich, daß wenige aussen geblieben waren, denn die Kirche war fast voll. Herr Mag. Schmeltzer Jun. ließ etliche Morgen-Lieder singen, betete hernach vor der gantzen Gemeine den Morgen-Seegen, und verlaß hierauf aus dem 1. Cap. des Propheten Hoseä, den 10. und 11. Vers, welche also lauten:


Es wird aber die Zahl der Kinder Israel seyn, wie Sand am Meer, den man weder messen noch zählen kan. Und soll geschehen an den Orte, da man zu ihnen gesagt hat: Ihr seyd nicht mein Volck, wird man zu ihnen sagen: O ihr Kinder des lebendigen GOttes. Denn es werden die Kinder Juda und die Kinder Israel zu Hauffen kommen, und werden sich mit einander an ein Haupt halten, und aus dem Lande herauf ziehen, denn der Tag Israel wird ein grosser Tag seyn.


Als er nun über diese Worte eine ungemein erbauliche und trostreiche Rede gehalten, wurden noch einige Berufs-Lieder gesungen, worauf er den Seegen sprach, und zum Schlusse das Lied singen ließ:


Wunderlich ist GOttes Schicken etc.


Nach geendigtem Gottes-Dienste zogen unsere lieben Leutchen alle Heerden-weiß wieder fort, ein jedes nach seiner Pflantz-Stadt, suchte seine Wohnung, und machte sich an die Arbeit, erstlich [41] dasjenige auszubessern, was ihm etwa durch das Erdbeben beschädiget war, wieder herzustellen, und hernach an die Feld-oder andere Beruffs-Arbeit. Wir andere verfügten uns gleichfalls in unsere Häuser, und nahmen die Schul-Arbeit, auch was ein jeder sonsten sich und der gantzen Gemeine zum Nutzen vornehmen konte, aufs neue vor die Hand. Es war um wenig Wochen zu thun, so fand man alles, und so gar die eingefallene Mauer am GOttes-Acker, wieder vollenkommen reparirt.

Endlich kam der Tag heran, der uns Insulaner alle miteinander von Hertzen frölich machte, es war nemlich der- da wir früh Morgens um 4. Uhr 3. Canonen lösen höreten, und zwar unsers Bedünckens auf der See gegen Norden zu, nach accuraten Verlauf einer halben Stunde höreten wir wieder 3. und endlich nochmahls nach Verlauf einer halben Stunde, abermahls 6. Canonen-Schüsse, dieses war die Losung, so wir mit dem Capitain Horn verabredet hatten, und dieses wusten alle Schildwachten, derowegen feuerten die Schildwächter, so auf der Davids-Räumer Höhe stunden, 2. Canonen ab, worauf Capitain Horn, gleich nach einander, und zwar kaum binnen einer halben Minute 12 Canonen lösen, und so bald als wieder geladen war, die gantze Ladung geben ließ. Dieses war das Haupt-Signal, derowegen wurde ihm aus allen unsern Stücken, die so wohl auf den Höhen, als auf der Alberts-Burg stunden, kurtz nach einander, zu 3. mahlen geantwortet. Ich war viel zu ungeduldig abzuwarten, um zu hören, ob denn der Capitain Horn würcklich da wäre; derowegen [42] encouragirte nicht nur Mons. von Blac, sondern noch verschiedene andere, mit mir auf die Davids-Raumer Felsen-Spitze zu gehen. Sie thaten solches mit Plaisier, und wir nahmen unsere allergrösten und grossen Perspective mit, durch welche wir mit grösten Vergnügen 2. Schiffe in See, etwa einen Canonen-Schuß weit, von einander liegen, und unsere Flaggen so schöne darauf weddeln sahen, daß man dieselben, ohngeachtet der Weite, dennoch wohl hätte abmahlen können, denn beyde Schiffe lagen wenigstens noch 3. Meilen hinter den Sand-Bäncken.

Da wir nun bemerkten, daß alles richtig wäre, thaten wir von der Insul alle Minuten von einander 2.Canonen-Schüsse von der Davids-Raumer Höhe, welche der Capitain Horn allezeit accurat beantwortete. Mir aber wurde jedennoch die Zeit viel zu lang, dieses abzulauren, derowegen ließ im Canale das Wasser schützen und bemühete mich um gute Freunde, und Freywillige, die mit mir hinunter stiegen, und die 3. Boote besetzen solten. Denn NB. wir hatten ausser dem alten Boote, nur vor weniger Zeit 2. vortrefflich starcke neue Boote verfertiget, in welchen es sich mit Lust fahren ließ, womit wir denn unsern Freunden entgegen rudern wolten. Ey! was bekam ich nicht vor Zulauff? weit ärger, als ein auf Werbung liegenderOfficier, allein wir theileten uns dergestalt ein, daß in jedes Boot nur 20. Personen zu sitzen kamen. Es muste in der grösten Geschwindigkeit eine starckePortion der auserlesensten Victualien, daß beste Obstwerck nebst dem trefflichsten Weine [43] und andern annehmlichen Geträncke, zusammen getragen, und durch die Felsen-Höle herunter, und an Boord der Boote gebracht werden. Niemahls hat man wohl Leute hurtiger, hefftiger und geschicklicher können arbeiten sehen, als vor dießmahl unsere Leute, denn sie tantzten und sprungen bey ihrer tragenden Last, ob sie gleich manchen ziemlich schwer zu tragen zu seyn schiene. Man kan nicht glauben, in was vor Geschwindigkeit alles eingeschifft war, derowegen fuhren wir, indem die Schildwächter von der Höhe 2. Canonen über unsern Häuptern löseten, mit möglichster Behutsamkeit nach den Sand-Bäncken und auf die 2. fremden Schiffe zu. Capitain Horn beantwortete diese 2. Canonen-Schüsse mir 4. wir aber konten wegen contrairen Windes und wegen der gefährlichen Sand-Bäncke die 2. Schiffe nicht eher erreichen, als bis gegen Abend, indem von unserm Booten immer eins ums andere auf den Sand-Bäncken sitzen zu bleiben Lust bezeigte.

Es ist mir unmöglich, die Freudens-Bezeugungen auszudrücken, welche bey der ersten Bewillkommung, zwischen uns und den Capitain Horn benebst seinem Bruder, welcher noch vor Nachts glücklich auf Capitains Horns Schiffe eintraf, vorgiengen. Wir hatten vermeynet, ihnen ein Laabsal mit zu bringen, und zwar nur zum Anbisse, allein wir fanden alles delicater und besser bey ihnen, sonderlich an Canari Sect und Confituren. So bald die Nacht völlig eingetreten, und es uns fast Schlaffens-Zeit zu seyn bedünckte, liessen beyde Capitains die völlige Lage ihrer Canonen von [44] beyden Schiffen geben, worauf ihnen von der Insul zu 2. mahlen mit allen Canonen geantwortet wurde, und dieses hatte die Bedeutung des Wunsches zu einer geruhigen Nacht. Ohngeacht aber zu vermuthen gewesen wäre, daß nicht allein wir, sondern vielmehr die Ankommenden sehr ermüdet seyn würden, so wolten doch Capitain Horn und dessen Bruder sich durchaus zu keiner Nacht-Ruhe bereden lassen, sondern wir blieben die gantze Nacht munter, und hielten bey einem guten Glase Canari-Sect die angenehmsten Gespräche bis gegen Morgen, da wir den Caffe herbey kommen sahen. So bald die Sonne aufgieng, bothen beyde Capitains mit einer Salve, aus allen ihren Canonen, den Felsen-Bürgern einen guten Morgen, und diese bedanckten sich ebenfalls mit einer general-Salve, aus allen ihrem Geschütz. Hierauf, nachdem wir gefrühstückt, nahmen wir den Capitain Horn allein mit uns auf unsere Boote, und brachten ihn auf die Insul, wir wolten seinem Bruder zugleich auch mit haben, allein er protestirte darwieder, und gab zu vernehmen, wie es sich gantz und gar nicht schickte, oder Manier sey, daß beyde Capitains zugleich von beyden Schiffen giengen, und das Commando fremden Leuten überliessen. Wir musten ihm dieses eingestehen, versprachen aber, die allereiligsten Anstalten zu machen, denselben bald nachholen zu können.

Indem wir abfuhren, wurden 6. Canonen gelöset, welche die Felsenburger beantworteten, und unter währender Fahrt, wurden alle 3. Minuten 3. abgefeuert, welche die Felsen-Burger [45] auch beantworteten, um zu zeigen, daß ihnen es am Pulver auch nicht fehlete, und wir haben in der That auch einen ziemlich starcken Vorrath von Pulver in unsern Magazinen, deren eins auf der Alberts-Burg, das andere in Christophs-und das dritte in Simons-Raum befindlich.

So bald wir durch den Felsen-Gang auf der Insul angelanget, fanden wir daselbst einen mit 4. Pferden bespanneten schönen neuen Jagd-Wagen, worein sich der Capitain Horn, Mons. von Blac, Mons. Litzberg und ich setzten, indem wir nun eingestiegen waren, und fortfahren wolten, that eine ausgestellete Schild-Wacht einen Flinten-Schuß, worauf so gleich fast in einem Nu! alle Canonen auf der gantzen Insul abgefeuert wurden, welches die auswendigen auf den Schiffen beantworteten. Da wir auf der Burg ausstiegen, wurden abermahls alle Canonen gelöset, und von den auswärtigen darauf Antwort mit ihren gantzen Lagen ertheilet.

Wir kamen eben noch zur rechten Stunde zur Mittags-Mahlzeit, weßwegen der Capitain Horn nur vorerst eine kurtze Visite beym Regenten ablegte, demselben die Hand zu küssen, hernach sich zur Taffel führen ließ; als an welcher sich die grauen Häupter, die Herrn Geistlichen und andere Honoratiores eingefunden hatten. Bey der Taffel wurde wenig geredet, zumahlen da eine douçe Taffel-Music gemacht wurde, welcher wir alle mit Vergnügen zuhöreten; nachdem die Taffel aber abgehoben, das Danck-Gebet gesprochen, und ein jeder an seinen behörigen Platz, der Regent solchen [46] aber oben an der Taffel genommen, setzte sich der Capitain Horn vor der Taffel dem Regenten gegen über, und fieng diese Rede zu halten an:

Meine Herren!
Auch allerseits wertheste Freunde und geneigte Gönner!

Wenn ich sage, daß das Glück mit uns Menschen wie mit Bällen spielet, so wird mich hoffentlich niemand Lügen straffen können. Ich vor meine Person, habe dieses leyder! von meiner Jugend an mehr als allzu empfindlich erfahren, und es werden sich auf dieser Insul unter unsern werthen Freunden nicht wenige finden, welche dieserwegen mit mir einstimmig sind. Ich will aber diesen Satz, um die Zeit nicht zu verderben, vorjetzo eben nicht weitläufftig ausführen, sondern nur in aller möglichsten Kürtze, bis auf eine andere Zeit rapportiren, wie das Glück mit mir gespielet hat, seit dem ich die letztere Reise von hier nach Europa angetreten habe. Uber die Fatalitæten auf der Hinreise will ich mich eben nicht beklagen, denn dieselben vor einen unerschrockenen und unverzagten Mann, vor dem ich mich ohne eiteln Ruhm mit Recht ausgeben kan, viel zu geringschätzig, zumahlen da keine besondere Todes-Gefahren vor Augen geschwebt, sondern mit Wind und Wetter ziemlicher Maassen favorisirt hat. Ich muß demnach sagen, daß ich zu gesetzter Zeit glücklich in Amsterdam angelanget, auch die mir, von hier aus aufgetragene Commissiones vermittelst göttlicher Hülffe und unermüdeten Fleiß, meines selbst eigenen [47] so wohl, als meiner getreuen Beyhülffe, glücklich ausgerichtet, wie ich mich denn deßfalls bald zu legitimiren verhoffe.

Ich will aber doch erweißlich machen, daß nichts wandelbarer sey, als das Glück: denn da ich am-- von Amsterdam wieder abgelauffen war, und zwey der besten Peloten mit mir genommen, auf die ich mich vollkommen verließ, blieb ich im Texel plötzlich und unverhofft mit meinem Schiffe auf einer gefährlichen Sand-Banck sitzen, und meinem Bruder wäre es bey einer Haare eben also gegangen, allein ihm wurde noch in der Geschwindigkeit geholffen, daß er Flott ward, ich aber muste 3. gantzer Tage und Nächtepausiren, ehe mir geholffen, und ich wieder Flott gemacht werden konte.

Dieses schien mir schon im voraus ein böses Omen zu seyn, allein, da Wind und Wetter noch gut, seegelten wir mit ziemlich getrosten Hertzen nach den Portugiesischen Küsten zu, konten aber dieselben nicht erreichen, ehe uns ein hefftiger Sturm sehr gewaltig zusetzte, derowegen musten wir GOtt im Himmel dancken, daß wir mit Kummer, Noth und gröster Gefahr in den Hafen zu Lißabon einlauffen konten, denn es ist bekannter Maassen der Lißabonische Hafen ein sehr gefährlicher Hafen, wir traffen in selbigem 2. Holländische Ost-Indien-Fahrer an, die wohl montirt waren, so wohl mit Geschütze als Volcke. Erstlich sahen wir, nachdem wir gute Freundschafft mit den Holländern gemacht hatten, uns genöthiget, den Sturm abzuwarten, worüber wir 14. Tage müßig zubringen musten, [48] am 15. Tage aber lieffen wir aus, die Ost-Indien-Fahrer giengen voraus, und zwar dergestalt schnell, daß wir ihnen fast nicht folgen konten. Am 4. Tage nach unserer Abfahrt bekamen wir sie erstlich wieder in die Augen, und zwar in der Gegend der grünen Insulen, ersahen aber auch zugleich 3.Corsaren, die auf uns zu eileten, weßwegen wir Noth-Schüsse thaten, um die Holländer zurück zu ruffen, diese aber hatten taube Ohren, und zaueten sich über Halß und Kopff, daß sie uns nur aus dem Gesichte kommen möchten, weßwegen ich nicht ohne Ursach glaube, ja fast in meinem Hertzen überzeugt bin, daß damahls eine kleine Verrätherey darhinter stack.

Wir bemerckten, daß die Corsaren ungemein starcke Schiffe hätten, auch mit Volck und Geschütz wohl besorgt wären, derowegen begunte uns bange zu werden, allein wir beschlossen doch, bis auf den letzten Mann Stand zu halten, und uns unserer Haut zu wehren.

Die Corsaren schickten uns 2. von ihren Officiers in einem Boote entgegen, welche durch einen bey sich habenden Trompeter das Signal geben liessen, daß sie mit uns Sprache halten wolten, derowegen liessen wir einen Officier an Boord kommen, welcher uns zu vernehmen gab, wir solten Seegel streichen, und uns ihnen gutwillig ergeben, wiedrigenfalls sie uns mit der hefftigsten Forçe attaquiren würden. Wir zeigten ihnen unsere Holländischen Pässe, und führeten ihnen zu Gemüthe, daß ja die Holländer mit allen Barbarischen Republiquen in Friede und Freundschafft [49] lebten, dahero es ja wider alles Völcker-Recht wäre, wenn sie uns attaquirten. Allein der Kerl, welcher in Wahrheit einem Barbar weit ähnlicher sahe, als eine Kuh einem Ochsen, gab zur Antwort: Sie fragten viel nach den Holländern, denn sie wären von vielen Jahren her Frey-Beuter, hätten ihre Pässe nicht allein von einer, sondern von 3. Republiquen, und nähmen alles weg, was sie bezwingen könten, derowegen solten wir uns nur nicht lange weigern, sonsten würden wir in der Geschwindigkeit attaquirt, und Feuer auf uns gegeben werden. Aber ich und alle mein Volck, das eine unsägliche Courage hatte, bezeigten kein Gehör darzu, sondern sagten, wir wolten uns wehren 2. gegen drey, weßwegen die 2. Abgeschickten wieder zurück nach ihren Schiffen fuhren, die ihnen mit gröster Forçe entgegen seegelten. Wenn uns der Wind nur in etwas günstiger gewesen wäre, so hätten wir noch die Hoffnung gehabt, ihnen zu entkommen, allein vor dißmahl meynete es der Wind nicht gar zu gut mit uns, derowegen sahen wir uns gezwungen zu laviren, erblickten aber vorige 2. Abgesandte mit ihrem Trompeter nochmahls, die so schnell, als sie nur immer konten, auf uns los ruderten, der eine rief uns, da er noch eine ziemliche Weite von uns war, mit gräßlicher Stimme entgegen: Wollet ihr drey Tonnen Goldes zahlen, so könnet ihr in Friede fahren, wohin ihr wollet, wo nicht, so geben wir Feuer. Ich hielt mit meinen Officiers auf dem Oberdeck Schiffs-Rath, und that ihnen den Vorschlag, daß ich den Barbarn 1. Tonnen [50] Goldes biethen wolte, um nur die Bestien loß zu werden, da aber dieses etliche meiner Leute höreten, fiengen sie gleich an zu murmeln, und der Lerm auf meinem Schiffe wurde immer grösser, weßwegen ich fragte: was das zu bedeuten hätte? Hierauf traten etliche verwegene Matrosen und Schiffs-Soldaten mir gantz dreuste unter die Augen, und sagte einer von ihnen ohngefähr diese Worte: Ey! mit Permission, Herr Capitain, was ist das vor Manier? meynet ihr, daß ihr feige Memmen unter eurem Commando habt, lasset der Bestien etliche 100. seyn, wir wollen, ob unserer gleich nicht halb, oder des 4. Theils so viel wären, uns dennoch, ehe wir einen Deut geben, wehren bis auf den letzten Mann.

Kinder! ( gab ich zur Antwort,) was bekümmere ich mich um eine Tonne Goldes, die will ich gern aus meiner eigenen Kiste geben, ohne daß einer von euch mir Zubusse thun, oder ihm etwas an seiner Gage decourtirt werden soll, denn was wäre es, wenn ich mich mit ihnen in ein Gefechte einliesse? Ihr sehet ja, daß sie uns überlegen sind, und solte ich nur einen eintzigen Mann von euch verlieren, wenn es auch der schwächste und geringste unter euch wäre, so solte mich doch dieser weit mehr dauern, als eine Tonne Goldes, denn ich weiß, daß mir GOtt gute und lauter auserlesene Leute unter mein Commando bescheret hat, darum folget mir, und last mich dißmahl walten.

[51] Mit diesen Vortrage erwarb ich mir die Liebe meines Volcks, welches sich zwar zufrieden zu geben schien, allein es waren doch noch etliche 20. darunter, welche noch immer murmelten, woran ich mich aber nicht kehrete, sondern den Barbaren sagen ließ, daß ich ihnen einer Tonne Goldes Werth an Gold und Silber geben wolte, wenn sie uns weiter unvexiret liessen, denn man merckte doch wohl, daß sie nur ohneOrdre, vor sich eine Frey-Beuter-Zehrung forderten, und zwar wider alle Raison, weilen die Holländer mit allen Republiquen sonsten in Friede lebten.

Der Bösewicht seegelte mit seinem Cameraden und Trompeter wieder fort, nachdem er den Verlaß genommen, er wolte seinem Commandeur unsere Resolution zu vernehmen geben, so gleich wieder zurück kommen, und uns Antwort bringen, mittlerweile solten wir aber nur 3. Tonnen Goldes Werth an Gold und Silber zusammen packen, denn er zweifelte gar sehr, daß sich ihr Commandeur mit einer eintzigen lumpichten Tonne Goldes vor 2. so schöne Schiffe würde abspeisen lassen etc.

Ich suchte aus meinen Kisten so viel Gold und Silberwerck zusammen, als eine Tonne Goldes ohngefähr des Werths damit zu bezahlen, und noch wohl überflüßig hinlänglich war, kehrete mich im übrigen nicht daran, ob meine Officiers und Gemeinen gleich darüber brummeten, als wie die Bären.

Es währete nicht lange, so kam der Barbar wieder zurücke, und meldete: sein Commandeur hätte gesagt, es solten und müsten 3. Tonnen [52] Goldes seyn, und wenn wir uns dessen weigerten, auch nur ein Loth Gold daran fehlen liessen, solten wir uns nur gefast machen, entweder in den Grund geschossen, oder aufs grausamste tractirt zu werden.

Ich ließ ihn an Boord und auf das Oberdeck kommen, so dann einen Sack, der mit ungeprägten und auch mit geprägten Gold und Silber angefüllet war, aus meiner Cajüte langen, denselben auf eine Wage legen, und zeigte denselben dem Barbarn, welcher die Sachen, so ausgeschüttet und wieder in den Sack hinein gethan wurden, alle besahe, und dabey über einen Zahn lachte: weilen aber die Canaille das Gewichte so gut verstund, als wir selber, sagte er, jedoch nicht mit allzu barbarischer Stimme: Wohl gut, meine Herrn! dieses möchte alles ohngefehr wohl eine Tonne Goldes werth seyn, allein wo sind die andern zwey, denn unser Commandeur gehet nicht von 3. Tonnen Goldes ab, und wo ihr mir die nicht gebet, so verlange ich die eine auch nicht, sondern will leer wieder zurück fahren, aber dieses sage ich euch zum voraus, und warne euch noch als ein guter Freund, gebt mir noch die zwey Tonnen Goldes, wo nicht? so werdet ihr kurtz nachhero, so bald ich nur auf meinem Schiffe angelanget bin, einen schweren Stand kriegen.

Ich war wahrhafftig gesonnen, diesen verdammten Hunden von meinetwegen noch 2. Tonnen Goldes zu geben, ehe ich mich in die Gefahr gäbe, und einen oder etliche von meinen schönen und trefflichen Leuten verlöhre, allein, da [53] meine Leute diese meine Resolution merckten, und sich anstelleten, als ob sie sämmtlich rebelliren wolten, mir meine Zaghafftigkeit in den piquantesten Terminis vorwarffen, und sagten: wenn ich mich gegen diese Canaillen, ohne das alleräuserste zu wagen, submittiren würde, sie lieber unsere beyden Schiffe in die Lufft sprengen wolten; denn wenn sie nicht als Helden sterben solten, so wolten sie doch als desperate Leute sterben, und das könte ich ihnen nicht wehren. Kurtz: ich muste mich damahls in die Zeit schicken, und nachgeben.

Meine Herren! auch liebsten Gönner und Freunde! (so setzte Capitain Horn seine Rede weiter gegen den Regenten und uns fort,) Sie glauben mir sicherlich, daß mir damahls bey dieser gefährlichen Sache nicht wohl zu Muthe war. GOtt ist mein lebendiger Zeuge, daß ich Courage genug im Hertzen hatte, mit den Barbaren eins zu wagen, und mein Bruder war fast noch toller als ich, denn er wolte die beyden Herren Abgesandten und den Trompeter mit sammt dem Boote durchaus in den Grund schiessen, und ich hatte zu steuren und zu wehren gnug, daß es nicht geschahe. Herr Wolffgang wird mir Zeugnis geben, daß ich unter seinem Commando mich niemahls zaghafft aufgeführet, wie ich denn, welches er nicht anders sagen wird, manchen Verweiß von ihm bekommen, wenn ich zu viel hazardirte, oder zum öfftern meine eigene Person den grösten Gefährlichkeiten ohne dringende Noth exponirte. Mein Bruder hat zwar das See-Handwerck noch lange nicht so lange getrieben, als ich, allein, [54] ich kan Ihnen von ihm versichern, daß er nicht allein eine vollkommene Courage im Hertzen führet, sondern sich auch im See-Wesen schon vortrefflich habilitirt hat, weilen er dieMathesin ex fundamento verstehet; so, daß ich mich nicht schämen will zu sagen, daß ich zu vielen mahlen mit grossem Plaisir Lehren von ihm angenommen, ohngeachtet er weit junger, und nicht des zehnten Theils so viel in der Welt erfahren, als ich.

Wie gesagt, es kränckte mich ungemein, daß mir meine Zaghafftigkeit vorgeworffen wurde, da ich doch die allerredlichste Intention von der Welt hatte, und lieber eine Million, als mein schönes Volck verlohren hätte, über alles dieses aber muste ja viel weiter dencken, nemlich an meine liebe Insul Felsenburg, von wannen ich ja die allerwichstigsten Commissiones hatte, und zu deren Dienste ich mich auf der Reise befand, mithin leichtlich etwas von meiner besten Equipage verlieren können, eben dieserwegen hieng ich mein Hertze nicht an Gold und Silber, indem ich wuste, daß, ob ich 3. Feder-Spulen oder 3. Tonnen Goldes bey solchen Umständen eingebüsset hätte, die Aeltesten und Einwohner alhier mir solches nicht verarget, sondern dieser Umstände wegen uns allen den Schaden gedoppelt ersetzt hätten, weilen ja Gold, Silber, Perlen und dergleichen nicht so rar bey uns sind. Da ich mich aber nur mit wenigen Worten verlauten ließ, daß man doch den Barbaren die 3. Tonnen Goldes immer hingeben möchte, damit wir nur vom Flecke kämen, wolte mein Volck toll und rasend werden, auch mein Bruder, [55] der nicht wuste, daß ich mehr auf meinem Hertzen und Gewissen hatte, als er selbst, sahe mich scheel und sauer über die Achsel an.

Wir sahen uns aber balde gemüßiget, unsern Zwietracht bey Seite zu setzen, denn so bald die abgeschickten Barbaren bey den Ihrigen angekommen, bemerckten wir, daß sie mit ihren Schiffen gantz andere Wendungen machten, und gerades Weges auf uns zu seegelten. Wir konten ihnen, so zu sagen, gleich an den Augen absehen, was sie haben wolten, derowegen setzten wir uns mit beyden Schiffen in die beste Positur, denn die Canonen waren schon alle scharff geladen, und die Mannschafft, so zum Feuer-geben und Fechten beordert, stund mit freudigem Muthe da, erwartete auch den Feind recht mit Lachen.

So bald die Barbaren ihren Vortheil ersahen, machten sie aus allen ihren drey Schiffen ein entsetzliches Feuer auf uns, welches aber doch unsern starcken Schiffen wenigen Schaden that, ohngeachtet sie keine kleine Canonen-Kugeln führeten. Unsere Leute hingegen waren noch geschwinder als der Wind, die Löcher zu verstopffen und auszubessern. Wir gaben ihnen aus beyden Schiffen auch 2. Salven, die wohl anschlugen, der Haupt-Spas aber war dieser, daß mein Bruder, der so wohl als ich drey mittelmäßige Feuer-Mörser auf seinem Schiffe hatte, die ersteBombe, als ein guter Feuerwercker, durch seine mathematische Kunst-Erfahrenheit, ungemein glücklich in das eine Barbarische Schiff spielte, welche, indem sie accurat aufs Oberdeck fiel, eine artige Menuet [56] aufspielete, wornach die Barbaren ungemein desperat zu tantzen anfiengen, es hat diese Bombe, da sie crepirt, 9. Personen lædirt, 3. auf der Stelle ins Reich der Todten geschickt, und 6. gefährlich blessirt, deren (wie wir nachhero erfahren,) noch 4. an ihren Wunden sterben müssen. Mit der andern Bombe aber gieng es meinem Bruder nicht so glücklich, denn sie fiel zu tieff gegen die äuserste Wand des Schiffs, hatte aber doch nicht allein die Wand starck beschädigt, sondern auch einen Barbar tod geschlagen, und 2. blessirt.

Mir wolte es mit meinen Bomben-spielen nicht recht wohl angehen, denn ohngeachtet mir mein Bruder alle Vortheile gewiesen, so spielete ich doch die 2. ersten zu hoch über die Barbarischen Schiffe hin, welche in der See crepirten, und den Feinden wenigen Schaden verursachten; mit der dritten aber war ich glücklicher, indem dieselbe in ein offenstehendes Pulver-Faß gefallen war, und vielen Lerm und Schaden verursacht, auch 6. getödtet, und 4. blessirt hatte. Meines Bruders dritte Bombe aber war die beste, denn sie fiel auf das noch unbeschädigte Oberdeck des dritten feindlichen Schiffes, und machte einen solchen Lermen darinn, daß die Barbaren nicht wusten, wo sie hin solten, denn es waren, wie wir nachhero erfahren, 5. getödtet, und 8. von ihnen blessirt worden.

Uber diese Begebenheiten wolten die Barbaren rasend werden, rückten demnach unter beständigen canoniren mit völliger Forçe näher auf uns zu, wir aber blieben ihnen auch nichts schuldig, [57] sondern machten aus unsern Canonen ein continuirliches Feuer, (denn die Mörser wolten ihre Dienste nicht mehr thun, weilen der Feind schon zu nahe war, dem wir mit Fehl-Schüssen nicht gern ein Gelächter verursachen wolten) bis sie so nahe kamen, daß wir einander mit Flinten-Kugeln erreichen konten. Der Feind schoß mit gezogenen Röhren hefftig auf uns loß, wir aber schickten ihm die Kugeln aus unsern Mastricher-Musquetier-Flinten dergestalt häuffig zu, daß er sich darüber verwunderte, allein es war eben nicht zu verwundern, denn ich hatte lauter lustige Leute, die sich unter einander selbst exercirten, und mit ihren Flinten, wegen der geschwinden Ladung, eher 3. Schuß thun konten, als die Barbaren nur einen.

Ich gieng vom Oberdeck herunter in meine Cajüte, und ließ mir durch meine Bedienten 2. Buch angefeuchtetes weisses Papier auf die Brust binden, und eben so viel auf den Bauch, gieng hierauf wieder hinauf aufs Oberdeck, und commandirte: daß 1500. gefüllete Granaden aufs Oberdeck, jedoch an einen sichern Ort gebracht werden solten, indem wir deren vielleicht bedürfftig seyn möchten, denn ich muß ihnen sagen: daß ich nebst den 6. mittelmäßigen Feuer-Mörsern 12000 Stück Hand-Granaden hatte giessen lassen, welche ich unten im Schiffe mit dem Ballast vermengte, und nicht mehr als etliche 100. füllen ließ. Meine Lieutenants, die nicht allein dasArtollerie-Wesen unten im Schiffe wohl besorgt, hatten nebst andern wohlgemachten Anstalten auch die jenigen, [58] welche sich zum Feuer-geben und Fechten freywillig dargestellet, bereits behörig rangirt. Sie stunden also auf dem Oberdeck in schönster Ordnung, und da ich sie sahe, erfreuete ich mich, trat vor dieFronte, und sagte nur so viel:

Meine Brüder!

Ich habe vernommen, daß, wo nicht alle, doch viele unter euch sich die Einbildung machen, als ob ich ein Kerl wäre, der wenig oder gar keine Courage im Leibe hätte. Allein meine Brüder! ihr irret euch sehr; was ich bishero gethan habe, ist gantz und gar keiner Zaghafftigkeit zuzuschreiben, sondern ich muß bedencken, was ich vor meinen Obern und GOtt im Himmel hauptsächlich verantworten kan, welches alles ich euch deutlicher erklären will, wenn wir mit göttlicher Hülffe gesieget haben. Haltet euch so behertzt, als wie ich mich zeigen werde, so soll es hoffentlich keine Noth haben, denn ich will euch commandiren wider allen Gebrauch im blossen Hembde. GOtt gebe uns Glück und Sieg! haltet euch tapffer! (Ich hatte mir ein Hirsch-ledernes Collet angezogen, einen 3: queer Finger breiten Pallasch an der Seite, mit dem ich besser umgehen konte, als mit einem Türckischen Säbel, und 2. Paar der schönsten Pistolen im Gurte stecken.) Darum sprach ich ferner: Gebt alle Achtung auf mich, ich will der vorderste seyn, und wenn ich nicht avancire, so gebe ich dem nächsten, der hinter mir ist, die Erlaubnis, mich mit dem Fusse fort zu stossen. Hier werffe ich mein Hirsch-ledern Collet zu euren Füssen, [59] ihr sehet, daß ich einen leichten Brust-Harnisch und einen gantzen Pantzer bey mir habe, ihr sehet daß ich mir 4. Buch Lösch-Pappier habe zum Spas auf den Leib und Brust binden lassen, aber auch alles dieses werffe ich zu euren Füssen, und entblösse meinen Leib bis unter die Arme, damit ihr sehet, daß ich unverzagt bin, euch im blossen Hembde zu commandiren, und mich blos auf GOttes Hülffe und Schutz zu verlassen. Ich bitte nochmahls: GOTT gebe uns Glück und Sieg! haltet euch wohl, und so, wie ich mich zu verhalten verhoffe, bis daß ich falle, in solchem Fall denn mein Nächster das Commando übernehmen wird. Lieben Brüder! haltet euch wohl, denn ihr wisset, daß ich euch von diesem See-Gefechte abzuhalten gesucht habe. Ich hoffe demnach, GOtt wird uns Glück und Sieg geben, wenn wir nur tapffer sind im Schiessen und Fechten. Allons! in GOttes Nahmen.

So bald ich ausgeredet, fieng alles mein Volck, da es mich im blossen Hembde über den Bein-Kleidern mit dem Pallasch in der rechten, und mit einer aufgezogenen Pistol in der lincken Hand, vor der Fronte vor sich stehen sahe, mit vollem Halse zu ruffen an: Vivat, Vivat, Capitain Horn! und dieses zu dreyen mahlen. Hierauf wurde von beyden Schiffen eine gewaltige gedoppelte Salve auf die Barbarn gegeben. Diese wurden dadurch dergestalt erbittert, daß sie in unvermutheter Geschwindigkeit uns aufs nächste kamen, auch ihr bestes Schiff sich an das meinige hieng, und diese Feinde mich nicht allein mit [60] Schieß-sondern auch mit dem Seiten-Gewehr zu delogiren suchten.

Man solte nicht meynen wie klug, hertzhafft und hurtig die Barbaren sind, denn sie wusten in aller Geschwindigkeit, vermittelst starcker Haacken, verschiedene Leitern an unsern Boord zu werffen, und daran hinauf zu klettern wie die Katzen. Ich stund in der vordersten Reihe in der Mitten, und hatte 12. der hertzhafftesten Leute zu meiner rechten, und eben so viel zu meiner lincken Hand, welches, so zu sagen, meine Leib-Guarde war, 1. guten Schritt aber hinter mir war die andere Reihe der resolutesten Mannschafft, und hinter dieser noch die 3te Reihe tapfferer Leute, noch hinter diesen drey Reihen aber die Reserve, und auf beyden Seiten die Granadiers, welche die Feinde mit ihren beständigen Granaden-Werffen gewaltig ängstigeten.

Das Verhängniß fügte es eben so wunderbar, daß derjenige Barbar, welchem ich kurtz vorhero das Gold und Silberwerck zuwägen lassen, gerade vor mir seine Leiter angeworffen, und mir mit blancken Säbel in der Faust entgegen gestiegen kam. Ich ließ ihn passiren bis auf die öberste Stuffe, indem er aber bemühet war über Boord zu schreiten, war ich erstlich zweiffelhafft, ob ich ihm mit dem Pistol das Lebens-Licht ausblasen, oder ihn mit meinem Pallasch den Kopff spalten wolte. Jedoch, da ich befürchtete, das Pistol möchte etwa versagen, so verließ ich mich auf meinen Pallasch (denn wie meine Herrn wissen, so bin ich Lincks und Rechts so wohl mit schiessenden, als [61] Seiten-Gewehr, auch ist ihnen meine natürliche Stärcke der Glieder durch viele gemachte Proben bekannt.)

So bald er über Boord gestiegen, hohlte er mit seinem Säbel aus, mir einen tödlichen Streich zu geben, allein, ich danckte damahls GOtt, daß mir meine Fechtmeisters in Italien und andern Ländern das pariren gelernet hatten, derowegen schlug ich in grössester Geschwindigkeit nicht allein seinen Säbel aus, daß er zu seinen Füssen fiel, sondern versetzte ihm, aus allen meinen Leibes-Kräfften, einen solchen gewaltigen Hieb über den Kopff, daß ihm beyde Theile auf den Schultern lagen.

Man solte wohl meynen, ich machte Wind, um mich nur groß zu machen, allein, auf meinem Schiffe sind noch mehr als 50. Personen gegenwärtig, die es mit ihren Augen gesehen haben.

Acht bis zwölff anderen, die eben diese Leiter heraufgeklettert kamen, und sich auf meinem Schiffe divertiren wolten, gieng es, wo nicht auf gleiche Art, jedoch so, daß sie entweder durch meinen Pallasch oder Pistolen ins Reich der Todten geschickt wurden. Meine Leute folgten meinem Exempel, und fochten, nachdem sie sich dann und wann verschossen hatten, mit ihren Säbeln, wie die Löwen, so daß mancher Barbar herunter in die See purtzeln muste, ehe er über Boord gestiegen war, mancher aber, der sich glucklich geschätzt, den Boord mit seinen Händen betastet und überstiegen zu haben, den Augenblick seine ewige Schlaf-Stätte fand.

[62] Mittlerweile gieng das canoniren von beyden Seiten aufs allerhefftigste fort, so lange bis die Dämmerung eintrat, und man kaum die Finger vor den Augen mehr zählen konte. Da aber das Klettern der Feinde noch nicht aufhören wolte, so hörete auch unsere Gegenwehr mit Schiessen aus Canonen und Flinten um so viel desto weniger auf, und es muste in der Dämmerung noch mancher Barbar See-Wasser sauffen lernen, oder nolens volens versincken.

Endlich, da der Himmel sehr schwartz wurde, ließ sich ein feindlicher Trompeter hören, welcher mit 2.Deputirten auf einem Boote saß, worinnen viel Pech-Fackeln brannten. Da nun die Feinde zu canoniren aufhöreten, hielten wir auch inne, brannten aber auf beyden Schiffen viel 100. Fackeln und Lichter an. Der Deputirten Antrag war dieser: daß, weil ihr Commandeur seine Courage mit der unsrigen auf eine Wage gelegt, und befunden, daß wir auf beyden Seiten tapffere Leute wären, so möchten wir Stillstand machen, bis der Tag anbräche; wolten wir ihm aber doch noch die einzige Tonne Goldes geben, so könten wir, so bald es uns beliebte, ohne fernere Sorge unter Seegel gehen, und er wäre bereit uns einen Paß zu geben, daß wir auf unserer Reise von allen seinen Cameraden, die der Frey-Beutherey ergeben, von hieraus bis nach dem Cap unangefochten bleiben solten.

Meine Leute, so bald sie dieses vernommen hatten, wolten abermahls weder vom Stillstande noch Geld geben hören, und wurden nochmahls [63] aufstützig, ich aber ließ den Abgeschickten in Gegenwart aller meiner Leute durch einen Dollmetscher so viel sagen: Höret! ihr habet euch aufgeführet gegen uns als See-Räuber und Bettler, wider alle Billigkeit und Verträglichkeit, die zwischen der Republic Holland und den Barbarischen Republiquen, ist. Wir begehren keinen Stillstand, sondern weil das Spiel doch einmahl angefangen ist, so wollen wir uns wehren bis auf den letzten Mann. Welleicht läst GOtt noch einen oder wohl mehr übrig und lebendig von uns nach Holland kommen, so soll die Untreue der räuberischen Nationen schon urgirt und gerochen werden, es treffe auch, wen es treffe. Ich habe nur einen Todten und 2. Blessirte auf meinem Schiffe, welches mir sehr schmertzlich fällt, rechnet aber nach, wie viel ihr habt, und zwar binnen so wenig Stunden, rechnet auch nach, wie viel Pulver ihr vergeblich verschossen habt, und glaubt sicherlich, daß wir vielleicht noch einen guten Theil mehr Pulver und Kugeln im Vorrath haben, als ihr, und euch zur Noth vor baar Geld noch etwas zu Kauffen geben könten. An eures Commandeurs Paß wollen wir alle, bis auf den geringsten Mann, den Podex wischen, und uns gegen Diebe und Räuber mit göttlicher Hülffe doch wohl durchfechten. Wir wollen abseegeln, wenn es uns beliebt, und so ihr ferner einen Schuß auf uns thut, sollen 10. dargegen folgen. Das ist euer Bescheid.

Meine Leute waren über diesen Bescheid dermassen erfreuet, daß sie um mich herum sprungen, wie die Tantz-Meisters, da aber einige unter denselben [64] gewahr wurden, daß mein Hembde voller Blut war (indem ich etwa einen Fingers-langen Hieb, kurtz unter dem Gelencke des obersten lincken Achselbeins, empfangen hatte, den ich doch eben nicht æstimirte) lieffen sie gleich dahin, rufften den Schiffs-Barbier, welcher mich verbinden solte, brachten auch einen Sessel, worauf sie mich mit aller Gewalt zum Niedersetzen zwungen. Ja! einige waren so lose, daß sie die Trompeter und den Paucker herzu holeten, um mir währender Zeit des Verbindens die Schmertzen zu vertreiben. Ja, sie wolten mit aller Gewalt haben, es solten die Canonen dabey gelöset werden, allein, ich verboth es bey Straffe. Mittlerweile kam mein Bruder, der auch eine Kugel in die lincke Hüffte, und einen Hieb über das Cranium bekommen hatte, jedoch bereits verbunden war, ohn geruffen, um zu sehen, was ich und meine Leute machten, und mir zu rapportiren, wie es ihm und den Seinigen ergangen. Er rapportirte also: daß er 38. todte Barbaren auf seinem Schiffe liegen hätte und 14. starck blessirte, denn die Barbaren ohngeachtet vermittelst der Sturm-Leitern heftig auf ihn gestürmet, zählete er doch nicht mehr, als 3. Todte und 5. Blessirte auf seiner Seite.

Demnach war ich auf meinem Schiffe dennoch in etwas glücklicher, indem ich nicht mehr, als 1. Todten und 2. Blessirte und 42. Barbaren theils gantz todt, theils tödtlich blessirt, liegen hatte; denn meine Leute hatten sich unvergleichlich wohl gehalten, da ein jeder eine Flinte, 1. Paar Pistolen und einen Säbel an [65] der Seite führete. Wie viel aber der Feinde von ihren Sturm-Leitern herunter geschossen worden, so bald sie ihre Köpffe nur blicken lassen, und ihr Glück in der See zwischen den Schiffen gemacht, kan ich eben so wenig richtig melden, als mein Bruder, welcher ebenfalls observirt, daß deren eine ziemliche Anzahl rückwärts herunter gepurtzelt wären.

Mein Bruder hielt sich nach genommener Abrede, wie wir uns gegen den Tag aufführen wolten, nicht gar zu lange bey mir auf, sondern kehrete zurück auf sein Schiff. Weilen er aber diesen Abend gantz besonders aufgeräumt war, so ließ er etliche 100. Raqueten steigen, doch nicht gegen die Feinde, sondern nach beyden Seiten ihrer Schiffe zu, auch warf er Wasser-Kegel und dergleichen in die See, und ließ Trompeten und Paucken herrlich erschallen, worinnen ihm von den meinigen tapffer geantwortet wurde. Diß war ein Lust-Spiel den Feinden zum Schure, als welche sich so stille hielten, wie die Mäuse, weßwegen wir gedachten, alle Fähde hätte nun ein Ende, allein, da wir mit anbrechendem Tage unsers Weges fortseegeln wolten, und zwar en faveur eines dicken Nebels, wurden dieses unsere Feinde dennoch gewahr, und fiengen von neuen hefftig an, auf uns zu canoniren, da wir ihnen denn auch nichts schuldig blieben, bald hernach bekamen sie, ohngeacht des dicken Nebels, dennoch aufs neue Lust, ihre Sturm-Leitern an unsere Schiffe zu werffen, thaten auch solches mit besondern Grimm, allein, es waren ihrer, ehe die Sonne aufgieng, auf meinen Schiffe [66] schon 18. und auf meines Bruders Schiffe 13. theils niedergehauen, theils niedergeschossen worden.

Endlich beredeten mein Bruder und ich, uns mit gesammter Macht und zusammen gesetzten Kräfften auf das mittelste feindliche Schiff zu zielen, und zu versuchen, ob wir solches in Grund schiessen könten. Unsere Mühe schien nach Verfluß einer Stunde nicht gantz vergeblich zu seyn, sondern wir hatten gute Hoffnung, unsern Zweck zu erreichen.

Binnen der Zeit kam von hinten zu eine fremdeChalouppe an mein Schiff, welches mit einiger Mannschafft besetzt war, von welchen einer der ansehnlichsten mit mir zu sprechen verlangte. Ich ließ ihn zu mir auf mein Schiff bitten, und er hatte sich nicht lange nöthigen lassen, da denn sein erstes war, daß er fragte: was wir vor Lands-Leute wären, was wir vor hätten, auch was unsere Feinde vor Leute wären? ich antwortete ihm in seiner Sprache, daß wir 3. See-Räuber vor uns hätten, welche uns zu plündern und in Grund zu schiessen droheten, wir hätten schon gestern bis in die späte Nacht mit ihnen zu thun gehabt, und uns tapffer gewehret, auch eine ziemliche Anzahl der Barbaren getödtet, allein, sie wären uns, allem Ansehen nach, dennoch bis hieher überlegen, und hätten nur vor wenig Stunden aufs neue angefangen uns zu bestürmen, vorietzo wären wir im Begriff, das mittelste feindliche Schiff in Grund zu schiessen, hätten auch gute Hoffnung darzu, indem wir alle unsere Canonen [67] aus beyden Schiffen darauf gerichtet, und bemerckten, daß das feindliche Schiff schon ziemlich leck geschossen sey. Im übrigen so wären wir mehrentheils Holländer, die nach Ost-Indien gehen wolten. Ey, ey! sagte der Portugiese, die Holländer sind unsere lieben Brüder, haltet euch nur noch tapffer, ehe 1. oder 2. Stunden vergehen, will ich euch 2. tüchtige Portugiesische Schiffe, worauf tapffere Soldaten sind, zur Hülffe anhero bringen. Lebet und haltet euch wohl, ich muß eilen, daß ich bald wieder zu euch komme.

Es war uns nicht anders ums Hertze, als wenn uns GOtt einen Engel vom Himmel zum Troste zugeschickt hätte, derowegen verdoppelte sich unsereCourage, dergestalt, daß es noch manchem Barbar den Halß kostete, so sahen wir auch mit Vergnügen, daß das mittelste feindliche Schiff, so zu sagen, in letzten Zügen lag, denn unsere Canonen hatten es recht jämmerlich durchbohrt, auch bemerckten wir, daß der Feind auf dem Obertheil dieses ihres Schiffes nach gerade immer weniger und weniger wurden, woraus wir schlossen, daß alles zur Pumpe beruffen sey.

Endlich aber wider alles Vermuthen wolte dieses feindliche Schiff sich umwenden, und die Flucht nehmen, es gieng aber dergestallt matt und merode, daß man nicht zweiffeln durffte, wie es tödliche Blessuren haben müsse. Aber, indem wir uns umsahen, kamen 2. der schönsten und festesten Portugiesischen Schiffe, welche sich zwischen mich und meinen Bruder einlegten, und in unerhörter Geschwindigkeit ihre Canonen auf die [68] Barbaren löseten, ehe sie noch ein Wort mit uns gesprochen hatten. Auf unsern beyden Schiffen liessen sich Trompeten und Paucken tapffer hören, denen die Portugiesen Wechselsweise antworteten. Den Feinden aber vergieng der Muth auf einmahl plötzlich, indem sich keiner mehr auf eine Sturm-Leiter wagen wolte, auch wenig Schüsse mehr von ihren Schiffen gehöret wurden. Das mittelste Schiff aber wolte doch mit guter Manier fort hincken, allein, die Portugiesen und wir gedachten: nicht also! sondern jagten ihm nach, ereileten und erstiegen dasselbe ohne besonderes Blutvergiessen. Hernach kam die Reihe an die 2. andern feindlichen Schiffe, die wir binnen etwa einer Zeit von 3. Stunden nach einem etwas härtern Kampffe glücklich erstiegen, und alle darauf befindliche Mannschafft in Fesseln legen liessen.

Wir schossen demnach unter Trompeten- und Paucken-Schall, auf allen Schiffen, so gar auch aus den feindlichen Canonen, mit grösten Freuden Victoria, und zwar zu dreyen mahlen. Hernach brachten wir den Patienten, nemlich das mittelste Schiff, zwischen die 2. übrigen Barbarischen, schickten einige von unserer Mannschafft auf ein jegliches Barbarisches Schiff, und liessen im Gegentheil eben so viel Barbaren auf unsere und der Portugiesen Schiffe überkommen. Meine Leute strapazirten die Räuber auf eine sehr hefftige Att, welches ich ihnen nicht verdencken konte, indem sie doch, (Schertz bey Seit gesetzt) nachdem wir es aufs genaueste ausgerechnet, 128.Cameraden, theils auf meinem, theils auf meines Bruders [69] Schiffe so schändlicher Weise einbüssen und vermissen musten. Denn NB. es fraß die Eroberung der Schiffe in etwas mehr Volck, als die Gegenwehr gegen die Stürmenden. Jedoch ich redete meinen Leuten zu, und bath dieselben, sie möchten sich aufführen, als Christen, und nicht barbarisch verfahren, damit auch die Barbaren sähen und spüreten, was vor ein gewaltiger Unterscheid zwischen der Aufführung eines Christen und eines Heyden sey. Hiemit thäte man nicht allein unserm Heylande einen Dienst, sondern es könne auch möglich seyn, daß diese unsere Christliche Aufführung manchem Armen, in der Barbarey unschuldig gefangen sitzenden Christen-Sclaven, wohl zu statten kommen möchte, wenn die Barbaren, als Feinde des Creutzes Christi, erkannt hätten, daß wir gantz andere Leute von Conduite wären, als sie selbst. Unterdessen solten sie dieselben zwar zu strenger und sauerer Arbeit anhalten, jedoch, so viel ein Mensch, in Ansehung seiner Leibes-Constitution, ertragen könte. Vollauf zu essen zu trincken solten sie den Feinden geben, und keinem, wenn er etwas versehen, blutrünstig, vielweniger braun und blau, oder wohl gar Arme und Beine entzwey schlagen. Damit wir unsern Christen-Nahmen nicht verlöhren, und uns in die Rotte der Barbaren einschreiben liessen etc. Nachdem ich dieses in Deutscher Sprache geredet, so redete ich es auch in Portugiesischer: denn nicht allein mein Bruder, benebst vielen seiner Leute, sondern auch die Portugiesischen Capitains mit den meisten ihrer Leute höreten meinen Vortrag an, und es schiene ihnen allen derselbe sehr wohl zu gefallen, [70] allein, da wir eben nicht vor rathsam ansahen, uns in dieser fatalen Gegend länger aufzuhalten, zogen wir in schönster Ordnung fort, um die grünen Insuln zu erreichen und unsere gemachte Beute zu theilen. Andern Tages, etwa eine Stunde vor Untergang der Sonnen, erreichten wir eine derselben, und wurffen in einen schönen Hafen Ancker. Die Insul hieß St. Jago mit Nahmen, und die Stadt, so dem Hafen am nächsten lag, eben also. So bald der Tag anbrach, ritten 2. Officiers der Unsern und eben so viel der Portugiesen in die Stadt, und erkundigten sich, wo der Gouverneur der Insul anzutreffen wäre. Sie traffen ihn an, es war ein complaisanter Mann, und nachdem so wohl die Unserigen, als auch die Portugiesen ihm eine weitläufftige Erzehlung gethan, wie es uns auf beyden Seiten ergangen, anbey gebethen, es möchte derselbe uns erlauben, daß wir unsere beschädigten Schiffe allhier ausbessern, und unter seinem Schutze, von den Einwohnern ungestöhrt, unsere gemachte Beute theilen möchten, so sagte er mit gröster Freundlichkeit: Alle meine lieben Brüder! gebraucht alle eure beste Beqvemlichkeit, euch soll niemand beunruhigen, und ich will euch nur vor erst 50. Mann zur Salva-Guarde mitgeben, saget aber, daß ich eure Capitains, so wohl Portugiesen als Holländer, gar sehr bitten liesse, mir, wo möglich, noch heutigen Tages die Ehre ihres Zuspruchs zu geben. Unsere Officiers konten nicht vom Wunder genug sagen, wie complaisant sie der Gouverneur, der ein ansehnlicher, liebreicher Mann wäre,tractirt hätte, sie nicht allein bey der Mittags-Mahlzeit [71] wohl bewirthet, sondern auch in einer propern Chaise mit Convoy von 1. Capitain 1. Lieutenant, Fähndrich und 50. Gemeinen, bis hieher an das Ufer fahren lassen. Wir liessen die Ober-Officiers desGouverneurs auf unser Schiff bitten, und schickten ihnen dieserwegen ein Boot, mit welchem sie so fort zu uns kamen. Wir setzten ihnen das Beste vor, das wir in der Geschwindigkeit, gestalten Umständen nach, finden konten; denen Unter-Officiers aber schickten wir jedwedem 1 Gulden und den Gemeinen einen halben Gulden, nebst so viel Wein und Brandtewein, daß man glaubte, sie hätten wohl 3. Tage daran satt haben können, über dieses wurden ihnen auch starcke Portions von geräuchertem und eingesaltztem Fleisch, geräucherten und eingesaltzten Fischen, auch allerhand Früchten zugeschickt. Mein Lieutenant hatte die Commission, der Insulaner-Militz diesesPræsent zu überbringen; (denn meines Bruders Lieutenant war diesen Morgen erschossen worden). Als nun mein Lieutenant zurücke kam, konte er nicht gnugsam erzählen, wie erfreut die Insulaner-Militz über dieses Præsent gewesen, ja es hätte ihm einer um den andern, so wohl Unter-Officiers als Gemeine, die Hände geküsset, und immer dabey geschryen: Vivant! die Holländer! O! was sind die Holländer vor brave und wackere Leute! unsere Brüder, Vivant, Vivant, Vivant! die Holländer!

Wir hatten unser besonderes Vergnügen hierüber, da wir aber mit des Gouverneurs Officiers noch etwa 2. Stunden tüchtig gebechert hatten, und [72] zwar den delicatesten Canari-Sect, auch beym Gesundheit-trincken immer 6. Canonen abfeuern lassen, NB. bey der Gesundheit des Königs von Portugall, des Königs von Spanien und der General-Staaten von Holland, aber allezeit 12; des Gouverneurs dieser Insul nur 8.Canonen abgefeuert wurden, so bemerckten wir, daß die Insulanischen Officiers ziemlich begeistert waren, wir zogen derowegen unsere guten mittelmässigen Kleider an, setzten uns mit ihnen in eine Chalouppe, und fuhren also die 4. Schiff-Capitains, denn jeder 6. Mann zur Bedienung mit sich nahm, mit den Insul.Officiers nebst 6. Trompetern und 2. Pauckern, dem Lande zu, nachdem wir uns mit den Insulaner- Officiers zum öfftern gehertzt und geküsset hatten.

So bald wir ans Land gestiegen waren, wurde von allen unsern 7. Schiffen eine Salve, und zwar von jedweden aus 12. Canonen gegeben, wovon die gantze Insul zu erschüttern schien. Der Insulanischen Militz verursachte dieses eine besondere Freude. Ihre Officiers verfügten sich so gleich zu ihren Leuten, welche parade machen, und aus ihrem Hand-Gewehr 3. mahl Salve geben musten. Worauf unsere Schiffe jedesmahl noch eine Salve von 12. Canonen hören liessen. Hierauf setzten wir 4. Capitains uns in einen parat stehenden kostbaren Wagen, und liessen uns nach der Burg des Gouverneurs fahren, allwo 2. Compagnien Granadiers mit aufgesteckten Bajonetten stunden,salutirten und ihr Gewehr præsentirten, anbey Trommeln und Pfeiffen sich lustig hören [73] liessen; auch ließ der Commendant, uns zur Bewillkommung und zu Ehren, dreymahl 24. Canonen von den Wällen lösen, denn er wohnete auf einer prächtigen Citadelle. Vor dem äusersten Thore hielten wir stille, und traffen daselbst 2. Fouriers und 16. Bedienten an, die seine Livree trugen. Wir machten uns fertig abzusteigen, allein einer von denen Fouriers kam zu uns, und sagte: wir möchten noch sitzen bleiben, und bis auf den innern Platz fahren, denn der Gouverneur hätte befohlen, daß man uns bis vor das Portal der grossen Treppen fahren, und daselbst solte absteigen lassen. Dieses geschahe, und der Gouverneur, der 6. Cavaliers nebst noch vielen Bedienten hinter sich hatte, war socomplaisant, bis unten an die letzte Stuffe der Treppe uns entgegen zu kommen und zu bewillkommen.

Es war ohngefähr um 6. Uhr des Abends, als wir bey ihm eintraffen, und er führete uns alle 4. Capitains in ein recht propres und in Warheit, recht Fürstliches Zimmer, ließ vorerst in aller Geschwindigkeit einen Tisch, der mit Caffeè besetzt, und noch einen andern Tisch, auf welchem viele Bouteillen mit Wein angefüllet, nebst vielen Schalen voller Eis, auch vielen Schalen von allerley Confituren beladen, gegen uns übersetzen, und nöthigte uns, von allen dem zu nehmen, was nach unserm Appetite uns von seinen Bedienten vorgesetzt wurde; anbey nur dreuste zu fordern, von welcher Sorte Wein, einem oder dem andern zu trincken beliebte. Uns war vorerst mit nichts bessers, als einem Schälchen Caffeè gedient, und da wir nun deren etliche getruncken [74] hatten, redete ich zu ihm in Portugiesischer Sprache diese Worte:

Hochgebiethender Herr!

Dieselben werden von unsern Abgeschickten vielleicht vorläuffig vernommen haben, was uns seit ein paar Tagen passiret ist, derowegen will Ew. Hochgeb. mit einer weitläufftigern Erzählung unserer Fatalitäten nicht beschwerlich fallen, bis, da Sie es ja verlangen solten, auf eine andere Zeit. Unterdessen bitten wir gantz gehorsamst uns Dero Schutz aus, damit wir von den Einwohnern dieser Insul in Friede und Ruhe leben, unsere Schiffe ausbessern, und unser erbeutetes Gut unter einander redlich theilen können. Wir werden uns, so lange wir hier sind, als honette Leute aufführen, und vor unserer Abseegelung, wo uns anders Schutz und Hülffe nicht versagt wird, unsere Erkäntlichkeit reellement zeigen so wohl gegen Hohe, als Geringere nach proportion; weilen uns von unsern getreuen Freunden, den mit uns angelandeten Portugiesen, gesagt worden, daß der Gouverneur dieser Insul einer der heroischen und redlichsten Menschen in der Welt wäre. Derowegen begeben wir uns unter Ew. Hochgebiethl. Schutz, und sorgen weiter vor nichts, als Ihnen unsere Ergebenheit und Dienstgeflissenheit zu zeigen.

Auf dieses antwortete der Gouverneur in der Geschwindigkeit also:

[75] Meine werthesten Brüder und Freunde!

Es erfordert nicht allein die Christen-Pflicht, sondern auch meine besondere Pflicht und Schuldigkeit, den Hülffs-bedürfftigen, nach aller menschlichen Möglichkeit, Hülffe und Schutz angedeyhen zu lassen, warum solte ich es denn an euch nicht thun, die ich, wegen der genauen Allianz, in diesem Stücke alle vor meine Brüder und Freunde erkennen will und muß. Ich habe eine besondere Freude gehabt über das, was mir euer Abgesandte erzählt, nunmehro aber ist meine Freude vollkommen, da ich höre, daß ihr die Barbaren vollkommen besiegt, und ihre Schiffe benebst den Gefangenen in meinem Hafen liegen habt: Traget keine Sorge, es soll euch keiner entwischen, denn ich will so gleich Ordre stellen, daß sich eines von meinen Kriegs-Schiffen vor den Eingang des Hafens legen soll. (und nachdem er diese Worte gesprochen, rief er sogleich einen von seinen Officiers, und gab ihm die Ordre, daß er eines von den besten Kriegs-Schiffen, sich vor den Mund des Hafens zu legen, commandiren solte.) Im übrigen aber, meine Brüder, Herrn und Freunde! wolte ich wohl morgen frühe die Compagnie, so ich zu Besetzung des Ufers euch zugesendet, mit 2. Compagnien ablösen lassen, allein ich sehe gar nicht, worzu es nöthig ist, weilen ihr alhier so sicher seyd, als wenn ihr zu Hause [76] wäret, denn meine Soldatesque und Land-Leute habe ich dergestalt im Zaume, daß sie mir auf einen Winck gehorsamen müssen. Ich bin ihnen nach Beschaffenheit der Sachen gelinde und scharff. Kleine Sotisen lasse ich mit kleinen Straffen büssen, bey groben aber erzeige ich mich, der Justitz gemäß, desto schärffer, und sonderlich stehet den Ehebrechern, Mördern und Dieben so gleich Galgen und Rad zu Dienste. Allein ich kan sagen, daß ich binnen 12. Jahren (als so lange ich allhier Gouverneur gewesen) nicht mehr als 3. Executionen habe müssen verrichten lassen. Meine Vorfahren sind Geitz-Hälse und Leute-Schinder gewesen, um sich so wohl an den Einheimischen als, bey guter Gelegenheit, an den Fremden zu bereichern. Aber so ein Mann bin ich nicht, sondern bedencke GOtt und mein Gewissen, weilen ich weiß, daß ich am jüngsten Tage viel zu verantworten habe. Ich weiß nicht, ob es ihnen bekannt ist, daß die Gouverneurs auf dieser Insul alle drey Jahr abgewechselt werden; allein man hat mich binnen 12. Jahren nicht abgewechselt, und wenn auch die Abwechselung morgen geschähe, so habe ich GOTT zum Freunde, und kan mit gutem Gewissen meine Rechnungen ablegen, auch von meinerConduite und allen andern Actionen seit 12. Jahren her, Rede und Antwort geben. Die Liebe meiner Unterthanen habe ich mir dadurch [77] erworben, daß ich sie niemahls gedrängt und durch Execution erpressen lassen, was sie mir zu zahlen schuldig gewesen, vielmehr manchen durch die Finger gesehen, und nachproportion seiner Armuth, offtermahlen mehr, als die Helffte geschenckt, wessentwegen ich mich getrauete, wenn ich mich im Walde oder Felde verirret hätte, es sey bey Tage oder Nacht, in eines jeden mir begegnenden Unterthanen Schoosse, ob es auch der geringste wäre, sanfft und sicher zu schlaffen. Ausser diesen allen gefället dieses meinen Unterthanen unvergleichlich wohl, daß ich eine scharffe Zucht unter meinerSoldatesque halte, deren ich 3000. regulirte Mannschafft, ohne die Land-Militz, unter meinem Commando habe. Meine Soldaten haben mich alle lieb und werth, weilen ich ihnen ihr Brod und Geld richtiger austheilen lasse, als meine Vorfahren seithero gethan. Ich bin ein Mann, der, weil er bedenckt, daß ihm GOtt eine honorable Charge, auch Geld und Gut nach seinem Stande zum Uberfluß gegeben, das Suum cuique wohl observirt. Mein einziges Vergnügen ist dieses, wenn ich mercke, daß ich und meine Familie sich gesund befinden, hernach mein Amt behörig verrichten, und den Armen Gutes thun kan, als deren Freund ich im höchsten grade bin, denn ich bemercke, daß die Armen mir viel Seegen ins Hauß bethen, ohngeacht ich schon so viel habe, mich [78] und die Meinigen zu versorgen bis an mein Ende, und vielleicht auch noch etwas übrig zu lassen verhoffe etc.

Nachdem er eine Zeit lang mit Reden inne gehalten, sagte ich zu meinem Bruder, der mir an der Seite stund, in deutscher Sprache, nur diese wenigen Worte: Bruder! solchen Glauben habe ich in Israel nicht funden! So gleich fieng der Gouverneur mit Lächeln zu sagen an: Meine Herren! ich kan auch etwas deutsch verstehen, und so ziemlich reden, weilen ich mich nicht länger als 2 Jahr in Deutschland aufgehalten, und darinnen die admirablesten Leut von der Welt angetroffen habe. Sie geben sich zwar vor Holländer aus, allein daran zweiffele ich, sondern glaube vielmehr, daß sie in Deutschland gezogen und gebohren sind, weilen ich dieses nicht allein an ihrendialecto, sondern auch aus ihrer beyder gantzen Aufführung wohl beobachte. Wir beyden Brüder stutzeten ziemlich, da man unsere Sprache verstund, der Gouverneur aber hub an zu lächeln, und sagte: Ey! weg mit dem Wasser, wo es beliebig, wollen wir ein gut Glaß Wein trincken, und zwar vom allerbesten Canari. Kaum hatte er seinen Bedienten einen Winck gegeben, als diese einen angefülleten Pocal mit Weine, der ziemlich groß war, aufsetzten. Der Gouverneur fieng an: Meine Herren! auf gute Gesundheit und Glück unser aller, die wir einander allhier lebendig sehen, derer Potentaten Gesundheit gienge zwar vor, allein, wir wissen nicht, ob dieser oder jener noch lebet: Vivamus! Indem er nun den Pocal ansetzte, wurden [79] sogleich auf den Wällen 12. Canonen gelöset und dieses wurde continuiret, bis der Gesundheits-Pocal herum gegangen war.

Wenige Zeit hernach, wurde durch 6. Trompeter und 1. Paucker zur Tafel geblasen und geschlagen, weßwegen der Gouverneur denn sehr nöthigte uns nicht länger zu versäumen, sondern unserer Führerin zu folgen. Dieses war seine Gemahlin, eine Dame von ohngefähr 40. Jahren, sahe aber noch sehr schön aus, wir giengen demnach auf sie zu, und hatten die Ehre, sowohl ihr, als ihren beyden schönen Töchtern, die Hände zu küssen, allein, sie waren alle, der Landes-Art nach, so gefällig, einem jeden von uns den Mund darzubiethen, und einen derben Kuß darauf zu empfangen. Hierauf gieng des Gouverneurs Gemahlin voran, ein General führete die älteste, und ein Obrister die jüngste von ihren schönen Töchtern; sodann folgten Paarweise, die Portugiesischen Capitains, und hinter denselben ich und mein Bruder im Paare, nach uns zählete ich noch accurat 20. Paar Cavaliers undOfficiers. Nachdem ein Page das gewöhnliche Gebeth vor Tische in lateinischer Sprache gesprochen, wurden die Speisen vorgelegt. Ich will mich aber bey Beschreibung der Gerichte, deren mancherley Abwechselungen und delicater Zurichtung, eben nicht aufhalten, sondern nur so viel sagen, daß diese Tafel, einer aufs delicateste besetzten Fürstlichen Tafel nichts nachgab. Wir Fremden wurden von dem Gouverneur, seiner Gemahlin und ihren schönen Töchtern beständig [80] aufs complaisanteste und liebreichste zum speisen genöthiget, und plötzlich ließ sich in einem Neben-Zimmer, dessen 2. Thüren so gleich eröffnet wurden, die aller angenehmste Tafel-Musique, auf Italiänische Art, hören. Die Abwechselungen derConcerten, Ouverturen und dergleichen musicalischen Händel, fielen gantz unvergleichlich in die Ohren, und dieses währete über eine gantze Stunde, so dann wurden lauter goldene Becher und ein grosser mit Diamanten und Rubinen besetzter goldener Pocal herbey gebracht, welcher wenigstens 3. bis vierdtehalb Pfund schwer war, und da fast über ein Maas hinein gieng, diesen nahm der Gouverneur, stund an der Tafel auf, und sagte: Auf gute Gesundheit und Glück unserer angekommenen lieben Gäste, so wohl Holländer als Portugiesen. Es stund alles auf, was bey der Tafel saß, indem liessen sich Trompeten und Paucken lustig hören, und es wurden dabey 12.Canonen abgefeuert. Er tranck den Pocal nicht gantz aus, sondern so viel, als ihm beliebte, machte einCompliment gegen uns, und sagte: Meine Herren! nehmen Sie nicht ungütig, daß ich mein besonderesCeremoniel observire, denn ich trincke nicht mehr, als mir schmeckt, und ich meiner Meynung nach vertragen kan, forçire auch niemanden zum Truncke, sondern lasse nach Appetite einem jeden seinen Willen.

Hierauf setzten wir uns nieder, indeß kam einPage, welcher den Pocal wegnahm, den übrigen Wein in einen grossen silbernen Schwenck-Kessel schüttete, den Pocal wieder ausspülte, und [81] denselben des Gouverneurs Gemahlin præsentirte, die so gut mit machte, als der beste Cavalier. Die Dame trunck es ihrer ältesten Tochter, und diese ihrer Schwester zu, und war hierbey zu bemercken: daß, so offt eine Person an der Taffel den Pocal ausgetruncken, einPage kam, der den noch übrig darinnen befindlichen Wein in den silbernen Schwenck-Kessel goß, denPocal mit Wasser ausspülete, wieder voll Wein schenckte, und ihn demjenigen, welchem es zugetruncken war, auf einer goldenen Schaale præsentirte, auch darbey credentzte. So gienges von oben an bis unten aus.

Meinem Bruder war seiner Haupt-Wunde wegen bey Tische nicht allzu wohl, welches ich wohl merckte, indem er sich zum öftern im Gesichte veränderte, allein, weil er ein Löwen-Hertz im Leibe hat, so verbiß er seine Schmertzen, und ließ sich nichts merken, weßwegen ich auch stille schwieg. Unterdessen war des Gouverneurs älteste Tochter, so neben mir saß, dieses gewahr worden, neigte sich also zu mir, und sagte: Mein Herr! wie kommt mir euer Herr Bruder vor? er verwandelt sich öfters im Gesichte. Es wäre kein Wunder, Gnädiges Fräulein, (gab ich zur Antwort) wenn er sich zuweilen im Gesichte verwandelte, denn er hat gestern Abend einen gewaltigen Hieb über den Hirnschädel, und eine Kugel in die lincke Hüffte bekommen; Allein, er wird daran nicht sterben. So bald ich ausgeredet, ließ das Fräulein einige Thränen fallen; worauf sie von ihrer Frau Mutter befragt wurde, was sie weinete, und [82] was sie mit mir gesprochen hätte? Sie erzählete alles bona fide, da denn dieDame meinen Bruder inständig bath, aufzustehen, und sich in ein anderes Zimmer führen zu lassen, wo er seiner Gesundheit pflegen, und der Ruhe geniessen könte; Allein der Kerl ließ sich weder durch das Frauenzimmer, noch durch den Gouverneur und andere Wohlwollende darzu erbitten, sondern blieb sitzen, wie ein Ast.

Ich aber rufte einen Pagen auf die Seite, und verabredete mit ihm, daß er mir den grossen Pocal voll einschencken, und darbey befehlen möchte, daß unter währenden Trincken, auf Gesundheit des Herrn Gouverneurs dieser Insul etc. allezeit 12. Canonen solten gelöset werden. Das Herrchen war fix, kam bald wieder zurück, und gab zu vernehmen, daß alles wohl bestellet wäre, brachte mir auch zugleich den Pocal, auf einem goldenen Credentz-Teller, mit welchem ich in die Höhe trat, und mit lauter Stimme sagte: Vivant Ihro Excell. der Herr Gouverneur dieser Insul, nebst Dero hohen Familie! Kaum hatte ich denPocal angesetzt zum Trincken, als sich 12. Canonen nebst Trompeten und Paucken auf einmahl hören liessen, und dieses gieng, (nachdem ich gezeigt, daß ich den Pocal gantz ausgeleeret, und diesesmahl dem Schwenck-Kessel nichts gegönnet hatte) rund um. Ich bemerckte, daß der Gouverneur, seine Gemahlin und Kinder über mein Verfahren schmuntzelten, denn ich konte ihnen allen ins Gesichte sehen, ohngeachtet derGouverneur mit seinen 2. Söhnen gantz zu unterst [83] an der Tafel saß; Es war also ein artiges Kleeblat, oben die Mutter mit den Töchtern und unten der Vater mit zwey Söhnen. Nachdem der Pocal herum war, stimmete der Gouverneur aus den kleinen Bechern erstlich noch Privat-Gesundheiten an, und zwar vor alle Personen, die sich an der Tafel befanden, bey einer jeden wurden aber nur 3. Canonen gelöset. Wir sassen also so lange bis über Mitternacht an der Tafel, und mein Bruder hatte sich wohl gehalten bis auf den letzten Mann.

Nach aufgehobener Tafel sahe sich ein jeder nach seiner Ruhe-Stelle um, mich und meinen Bruder aber, welcher etwas blaß aussahe, begleiteten der Gouverneur, dessen Gemahlin, Töchter und Söhne bis hinauf in das obere Stockwerck, allwo uns zwey Zimmer angewiesen wurden, welche Communication mit einander hatten. Es trieb sie, wie die Dame sagte, nichts darzu an, als die Curiositeè, um meines Bruders Haupt-Wunde verbinden zu sehen. Wiewohl uns nun die Dame einen Artzt vorgeschlagen, dessen Kunst sie ungemein rühmete; so wolten wir doch unsere Schiffs-Barbier (welches in Wahrheit geschickte Männer waren, und noch gute Leute unter sich zu ihren Diensten hatten) nicht eyfersüchtig machen, weilen wir bedachten, daß wir vielleicht ihre Hülffe in Zukunfft weiter möchten nöthig haben. Da nun meines Bruders Schiffs-Barbier die Deckel und Pflaster von der Haupt-Wunde abgenommen, war dieses eben nicht allzu appetitlich anzusehen, zumahlen, da [84] um die Fingers-lange Wunde herum alles Haupt-Haar mit dem Scheer-Messer abgenommen war. Der Gouverneur und dessen Gemahlin wolten sich bey so gestalten Sachen, und zumahlen, da er noch eine Kugel im dicken Beine stecken hatte, bald des Todes über meines Bruders Muth und Hertzhaftigkeit verwundern. Die Söhne sahen die Wunde auch mit Erstaunen an, da aber die Töchter gleichfalls herzu traten, und dieselbe betrachteten, sanck die älteste gantz unvermuthet in Ohnmacht dahin, weßwegen man sie nur vorerst auf das, nicht weit davon stehende Bette legte, und sie mit Schlag-Wasser und flüchtigen Spiritu nach Verlauf einer viertel Stunde wieder zu sich selber brachte. Wir beyden Brüder bezeigten unsere hertzliche Compassion und Exquisen wegen dieses Zufalls, allein die Frau Mama sagte mit lachendem Munde: Das Närrichen hätte können davon bleiben, denn sie weiß, daß sie nicht einmahl eine Gans oder Huhn kan abschlachten sehen. Nachdem aber mein Bruder verbunden, ersuchte mich der Gouverneur, ich möchte ihm den Gefallen erweisen, und meine Arm-Wunde ebenfalls in ihrer Gegenwart verbinden lassen; ich deprecirte zwar solches, weilen es sich in Gegenwart hohen Frauenzimmers nicht schickte, allein, da er nicht nachließ, mich zu bitten, und ich sonsten wuste, daß ich so weiß und reine an meinem Leibe, als ein Fisch, so entblössete ich meinen Arm und Brust, und ließ mich verbinden. Sie verwunderten sich, daß ich, bey der Fingers-langen Wunde, doch den Arm noch so gut brauchen könte, [85] allein ich sagte ihnen, wie ich gar keine Schmertzen oder besondereIncommoditee dabey verspürete, sondern dieselbe en bagatell estimirte, indem ich deren weit gefährlichere aufzuzeigen hätte.

Wahrhaftig, (sagte des Gouverneurs Gemahlin,) meine Herren! eure Haut muß von Bleche, das Fleisch von Eisen, und die Knochen von Stahl seyn, wenn ihr dergleichen Blessuren so en bagatell tractiret. DerGouverneur fiel ihr ins Wort, und sagte zu mir: Nein, meine Herren! das ist keine Sache oder Rath, sondern ich werde euch beyde nicht ehe aus meinem Hause lassen, bis ihr vollkommen curirt seyd. Wir danckten vor dessen gütiges Anerbiethen, und bathen uns aus, nur erstlich den morgenden Tag, wenn es erlaubt wäre, allhier auf seiner Burg abzuwarten. Hierauf wurde die älteste Fräulein aufgenommen, und erinnert, daß sie sich in ihr Zimmer begeben solte. Sie stund demnach auf, und nahm Abschied von uns. Mein Bruder bezeugte ihr nochmahls seine hertzlicheCompassion, wegen des ihr begegneten unvermutheten Zufalls, und machte sich so dreuste, ihr 3. mahl die Hand und 3. mahl den Mund derb zu küssen, worauf der Gouverneur mit allen den Seinigen uns eine geruhige Nacht wünschete, und sich hinunter zu ihren Gästen begaben, mit denen sie, wie man hörete, noch 2. gute Stunden discourirten und becherten. Bald nach ihrem Hinweggehen, kamen 2. alte Matronen und 2. Pagen zu unserer Bedienung, welche noch einCompliment von ihrer Herrschafft brachten, und sagten, daß sie befehligt wären, diese Nacht bey uns zuzubringen [86] und zu bewachen; Derowegen dürfften wir nur kühnlich fordern, was unser Hertz begehrete, indem uns von ihrer Herrschafft wegen, alles zu Diensten stünde.

Ich ließ meinen Bruder in diesem Zimmer, und suchte mein Bette in dem Neben-Zimmer, da denn ein jeder von uns den Schiffs-Barbier, 2. Schiffs-Soldaten und, wie schon gemeldet, die 2. alten Matronen und die 2. Pagen zu Wächtern bey sich hatte. Ehe wir aber noch eingeschlaffen waren, kamen die 2. Portugiesischen Capitains nochmahls zu uns, um uns ihr Beyleyd zu bezeugen, und eine angenehme Nacht-Ruhe anzuwünschen, welches sie denn mit der grösten Freundschaft und Zärtlichkeit thaten, ja wir erkanten sie vor recht redliche Leute. Früh Morgens, so bald es helle ward, beredeten wir beyden Brüder uns, und schickten zwey von unsern Bedienten an meinenLieutenant, daß er so gut seyn möchte, unsere Kleider- und Wäsch-Kisten eröfnen, und vor einen jeden von uns, ein rothes mit Silber- und ein blaues mit Golde bordirtes Kleid nebst etlichen Anzügen weisser Wäsche, ingleichen etliche Paar seidener Strümpffe von verschiedenen Farben, auch 2. rothe, 2. blaue und 2. weisse Feder-Hüte in Mantel-Säcke möchte einpacken, und auf 2. Maul-Thieren anhero bringen lassen; weilen wir, da wir einige Incommodität an unsern Wunden verspürt, uns noch wohl etwa 3. bis 4. Tage bey dem genereusen Gouverneur aufhalten möchten. Im übrigen lautete die Ordre, die ich eigenhändig schrieb, noch so: daß er auf beyden Schiffen, nebst seinen [87] Subalternen alles wohl beobachten möchte, weil wir unser Vertrauen gäntzlich auf seine vortrefliche Conduite und Geschicklichkeit gesetzt hätten etc.

Unsere Bedienten giengen noch vor Aufgange der Sonnen fort, und kamen viel eher zurück, als wir uns dessen vermutheten, brachten auch alles auf den Maul-Thieren mit, was wir verlangt hatten, benebst dem schrifftlichen Rapport des Lieutenants, worinnen er meldete: daß auf beyden Schiffen alles noch sehr wohl stünde; und das Volck, welches er aufs beste verpflegte, indem er wohl wüste, daß wir beyden Capitains, zumahlen bey dergleichen Umständen, keineMenageurs wären, bezeigte sich lustig und guter Dinge. Die meisten Patienten wären ausser Gefahr, jedoch in verwichener Nacht auf meinem Schiffe 1. auf meines Bruders Schiffe aber 2. Mann gestorben, welche er auf Breter binden, und unter 3. mahliger Lösung des Hand-Gewehrs, der See übergeben lassen.

Wir waren mit unsers Lieutenants Conduite zuftieden, indem er auch in der That ein gescheuter und geschickter Officier, anbey eine vollenkommeneCourage hatte.

Mittlerweile hatte unsere Frau Wohlthäterin, welcher die Leutseeligkeit aus den Augen leuchtete uns eine starcke Portion Chocolade herauf geschickt, ließ anbey fragen, ob uns auch mit Theè, oder Caffeè, oder sonsten etwas zum Frühstück gedienet wäre? allein wir deprecirten alles andere, und liessen zurück melden, daß wir mit diesem delicaten Frühstück uns behelffen wolten bis zur Mittags-Mahlzeit. Indem wir beyde Chocolade [88] trancken, kamen nebst denen Portugiesischen Capitains 2. Cavaliers des Gouverneurs, welche im Nahmen des Gouverneurs und seiner gantzen Familie uns den Morgen-Gruß brachten, und sich um die Beschaffenheit unserer beyder Gesundheit erkundigten. Wir liessen unter währenden Gegen-Compliment dieselben etliche Tassen Chocolade mit uns trincken, discourirten hernach von einem und andern, worbey ich gestehen muß, daß wir die beydenCavaliers vor gelehrte, rafinirte Cavaliers erkanten. Sie hielten sich aber nicht länger bey und auf, bis dieChocolade ausgetruncken war, und eileten, ihremPrincipal unser Gegen-Compliment zu überbringen. Bald hernach kam eine alte Matrone, welche im Nahmen der Gouverneurin fragte: ob uns etwa beliebig, alleine auf unsern Zimmern zu speisen, oder ob wir zur ordentlichen Tafel kommen wolten? welches letztere sie mit Vergnügen und weit lieber sähe, zumahlen sich noch einige Gäste mehr eingefunden. Wir liessen zurück melden, daß, da wir uns wegen so unvergleichlicher guter Wartung und Verpflegung, fast halb curirt befänden, wir lieber en Compagnie, als alleine speisen wolten, wenn wir nur nicht zu befürchten hätten, daß wir als Patienten, der gantzen Gesellschafft einen Eckel verursachen möchten. Die Alte gieng mit diesem Bescheide fort, und brachte von ihrer Frauen zurück, daß wir nicht eigensinnig seyn, sondern zur Tafel kommen solten, so bald als geblasen würde, worzu wir noch etwa eine halbe Stunde Zeit hätten. Demnach liessen wir uns durch unsere [89] Bedienten aufs propreste in Blau mit einem Hute, worauf eine rothe Feder, ankleiden, und discourirten hernach unter dem Spazieren-gehen in dem Zimmer von ein und andern wichtigen Affairen, so lange bis uns Trompeten und Paucken zur Tafel citirten, da wir denn, ein jeder 2. von unsern propre montirten Laquais hinter sich habend, in das Tafel-Zimmer mit goldenen Degen und Stock eintraten, erstlich ein Compliment en generell, hernach aber en speciellement machten. Wir bemerckten, daß sich die Gesellschafft auf die 10. Personen, so wohl männliches als weibliches Geschlechts verstärckt hatte, demnach wurde des angekommenen Frauenzimmers wegen, deren ihrer 6. waren, eine kleine Veränderung des Ranges gegen gestern gemacht. Ehe wir uns noch zu Tische setzten, winckte uns beyden Brüdern die Frau Gouvernantin; wir stelleten uns vor sie, da sie denn sagte: Ey! sind das Patienten? Ich glaube, wenn jetzo ein Barbar ihnen entgegen käme, mit seinem besten Säbel, sie zögen dennoch die Fuchteln, und bohreten ihm das Hertz im Leibe durch. Ich antwortete: Madame! daß wir noch so ziemlich vigoreus vor Ihnen erschienen, haben wir nichts anders zu dancken, als Dero Gnade, die Befehl gegeben, uns aufs beste zu pflegen und zu warten. Wir machten anbey ein tieffes Compliment vor die Dame, küsseten ihr die Hand und Mund, und setzten uns so, wie die andern, zur Tafel. Hierbey gieng es weit delicater und kostbarer zu als gestern, ja ich lüge nicht, wenn ich sage, daß die Tractamenten mehr als Fürstlich waren, [90] hierbey wurde der Pocal und die kleinen güldenen Becher auch nicht müßig gelassen, und darbey das Pulver in den Canonen gantz und gar nicht menagirt, welches mich am allermeisten dauerte, sonsten aberdelectirte mich nichts mehr, als die unvergleichliche Italiänische Tafel-Musique. Es gieng aber gantz fein und lustig auch bey der Tafel zu, und zwar, wie man in Europa zu sagen pflegt, von Boben-Thal.

Mittlerweile erhub sich ein Streit über der Tafel, um zu wissen wie viel Uhr es wohl accurat sey? derGouverneur selbst hatte eine kostbare Uhr, und seineCavaliers und Officiers führeten auch Uhren bey sich, nach Proportion ihrer Güte, sie zeigten ihre Uhren alle auf, gewiß zu erfahren, wie hoch es wohl etwa an der Zeit seyn möchte; endlich kam die Reihe an uns, und die Portugiesischen Capitains, welche ihre Uhren auch aufzeigten und bekanten, daß es etliche Minuten auf 3. Nachmittags wäre, aber der Gouverneur wolle damit nicht zufrieden seyn, sondern statuirte, daß es vollkommen 3. Uhr wäre. Mein Bruder trat auf, und sagte: Meine Herren! ich bin ein geringer Mathematicus, und ein rechter Uhren-Narre, führe also mehren theils 2. 3. bis 4. Uhren bey mir; grif demnach in die Ficke, und langte seine Haupt-Uhr, in deren Gehäuse unten eine Magnet-Nadel gesetzt war, heraus, und sagte: Dieses ist meine Haupt-Uhr, schlecht von Ansehen, aber tüchtig vom Verstande, denn es müste die Sonne nicht richtig gehen, wenn diese meine Uhr nicht richtig gienge, nach welcher sich alle meine andern Uhren, deren ich noch viele kostbare und[91] schlechte habe, zu richten pflegen. Demnach gieng diese Haupt-Uhr um die gantze Tafel herum, wurde auch von jeden besichtiget und bewundert; Da diese Uhr aber an ihren Mann zurücke kam, brachte derselbe eine dem Ansehen nach weit kostbarere güldeneRepetir-Uhr hervor, die bis 300. Thlr. werth, indem sie starck mit Diamanten und andern Edelgesteinen besetzt war. Diese gieng auch um die Tafel herum, und wurde von einem jeden bewundert, bis sie auch wieder an ihren Mann kam. Unterdessen mochte das älteste Fräulein des Gouverneurs, ein Auge auf diese Uhr geworffen haben, weßwegen sie meinen Bruder bath, seine Stelle zu verändern, und sich an ihre Seite zu setzen, um ihr die Vortheile bey einer Repetir-Uhr zu zeigen, denn sie hätte zwar viel hundert Uhren gesehen, aber noch keine rechte Repetir-Uhr. Mein Bruder gehorsamte ihren Bitten, setzte sich neben sie, machte die Uhr aus einander, und zeigte ihr alle Hand-Griffe und Vortheile, immittelst ließ er noch 2. Uhren um die Tafel herum gehen, welche wegen ihrer Schönheit und Accuratesse von allen bewundert wurden. Das Fräulein machte sich eine ungemeine Freude daraus, daß sie in kurtzer Zeit so fix repetiren gelernet, præsentirte aber meinem Bruder auf einem goldenen Teller die Uhr wieder zurück; Allein dieser war damahls so genereux, daß er sich weigerte, die Uhr wieder zurück zu nehmen, sondern sagte, weilen er vermerckt, daß das gnädige Fräulein einiges Vergnügen an dieser Kleinigkeit gefunden, so offerire er die Uhr Deroselben zum Præsent und geneigten Andencken seiner [92] wenigen Person. Denn er hätte noch ein Paar dergleichen, und noch einige geringere in seiner Kiste. Sie richtete sich in etwas in die Höhe, und sagte, mit einer charmanten Mine, nicht mehr als diese Worte: Mein Herr, ich dancke vor dieses kostbare Præsent; Ich will mich revangiren.

Eben also gieng es diesen Abend noch meinem Bruder, mit einer goldenen, mit Diamanten und andern edlen Steinen besetzten Tabattiere, welche er eben diesem Fräulein darreichte, um eine Prise daraus zu nehmen, da aber diese auf dem im Deckel befindlichen Bilde sahe, daß ein Matrose vor einer schönenDame auf den Knien lag, und ihr sein Hertz mit wundersamen Geberden præsentirte, wolte sie sich fast schäckig darüber lachen, weßwegen mein Bruder ihr auch diese Dose schenckte. Nachdem aber der Uhr- Streit ein Ende gewonnen, und mein Bruder alle seine Uhren (ausgenommen die kostbare) wieder in der Ficke hatte, wurde abermahls Tafel-Musique gemacht, und dabey noch wohl eine gute Stunde tüchtig gebechert. Worauf die Tafel abgehoben, weggesetzt, und Anstalt zum Tantzen gemacht wurde. Der Gouverneur selbst machte mit seiner Gemahlin den Anfang, nöthigte hernach uns übrigen, daß wir folgen solten, welches denn auch von vielen geschahe, allein ich befürchtete mich, zumalen wegen des vielen getrunckenen Weins, meine Arm-Wunde zu erhitzen; ließ derowegen das Tantzen bleiben. Mein Bruder aber war so toll, und forderte das älteste Fräulein desGouverneurs zum Tantze auf, diese aber sagte (wie ich denn gantz nahe dabey stund, und alle [93] Worte hören konte) so viel zu ihm: mein Herr! vergebet mir, daß ich euch vor diesesmahl den Tantz abschlage, indem ich euren Zustand weiß, und mich Zeit Lebens nicht zufrieden geben könte, wenn ihr eure Wunden erhitztet, und in Gefahr lieffet. Ich werde auch mit keinem andern tantzen, sondern mich mit Kopff-Schmertzen entschuldigen. Lieber wolte ich euch noch heute Schuh und Stiefeln putzen, als mit euch tantzen, denn ich habe viel zu viel Vorsorge und Nachsinnen wegen eurer Gesundheit. Ich will mich zu eurem Herrn Bruder setzen, mit ihm ein gut Gespräche halten, und darbey dem Tantze zusehen, weil derselbe, wie ich mercke, auch keinen Appetit zum Tantzen hat. Also kam mein Bruder zu uns, setzte sich neben das Fräulein, so daß wir sie recht in der Mitten hatten, und führeten ein lustiges Gespräch. Es kamen ihrer viele, die das Fräulein zum Tantze auffordern wolten, allein sie schützte Kopf-Schmertzen vor, nahm auch, da es gegen 10. Uhr kam, von uns Abschied, und begab sich zur Ruhe. Da das Schwärmen jedoch kein Ende nehmen wolte, wurden wir es auch überdrüßig, und schlichen auf unsere Zimmer, befahlen aber einem Pagen, dem Herrn Gouverneur und dessen Gemahlin unsern Respect zu vermelden, mit gehorsamster Bitte uns nicht ungnädig zu vermercken, daß wir stillschweigend fortgeschlichen wären, indem uns die Schmertzen unserer Wunden zum Verbinden angetrieben hätten. Der übrigen Compagnie aber, solte er gleichfalls unser dienstlich Compliment machen.

Nachdem wit auf unsern Zimmern angelanget, kam dieser Page bald hinter uns her, und [94] brachte das Nacht-Compliment von seiner Herrschafft, ihm folgten 2. Laquais, welche die Abschencke, die in einer grossen güldenen Kanne voll Wein und einer grossen Schaale voll allerley Confituren bestund, auf unsere Tafel setzten. Nach diesen kamen abermahls 2. Pagen und 2. alte Matronen zu unserer Bedienung, allein wir hielten uns dißmahl nicht lange auf, sondern legten uns, nachdem wir verbunden waren, bald zu Bette, wurden aber dennoch noch nicht zur Ruhe gelassen, indem uns ein paar Stunden darauf die Musicanten eine admirable Abend-Musique vor den Thüren unserer Zimmer brachten, welche fast eine halbe Stunde währete. Wir delectirten uns daran, und schlieffen darüber ein. Früh Morgens, so bald es Tag war, schrieb ich eine Ordre an meinen Lieutenant: vor uns deyden Brüder, aus den Kleider-Kisten jedem ein grünes mit goldenen Espagnen bordirtes Kleid, noch einige Anziehe-Wäsche, 500. Raqueten, 500. gefülleteGranaden, und 2- bis 3000. kleine Schwärmer, 200. Wasser-Kegel und 500. Lust-Kugeln zu schicken, auch unser beyder Leib-Büchsen, Flinten und Pistolen, item 2. Feuer-Mörser und 24. gefüllete Bomben, anbey 12. Granadiers, und zwar die geschicktesten. Im übrigen bäthen wir accuraten Rapport aus, hätten vorjetzo weiter nichts zu commandiren, indem wir wohl wüsten, daß er das Commando schon vor sich selbst aufs beste verstünde, weßwegen wir alles seiner berühmten Conduite überliessen etc.

Hiermit schickten wir abermahls 2. von unsern [95] Bedienten nach unsern Schiffen fort, bekamen Theè, Caffeè und Chocolade von unserer Wohlthäterin geschickt, worbey sich die 2. Portugiesischen Capitains, als welche uns recht brüderlich liebten, nebst 2. Cavaliers des Gouverneurs waren, die uns das Morgen-Compliment brachten, wovon der eine zurücke gieng, und unser Gegen-Compliment ablegte, jedoch bald zurück kam, und mit uns tranck, denn ein jeder konte nach Belieben trincken, was er wolte. Wir hielten unter einander lauter politische Gespräche, bis einPage ansagte: daß binnen etwa einer halben Stunde würde zur Tafel citirt werden. Demnach retirirten sich die Capitains und Officiers, wir aber liessen uns ankleiden, und zwar in Roth mit Silber bordirt, worzu wir jeder einen Huth mit weisser Feder aufsetzten, und, so bald zur Tafel geschlagen worden, uns gehöriges Orts meldeten, nachdem uns zwey Officiers zu allem Uberflusse abgeruffen hatten. Es gieng bey derselben eben so in floribus zu, als gestern und ehegestern, nur vermisseten wir darbey die älteste Tochter des Gouverneurs, von welcher mir die Mama sagte, daß sie einige Kopff-Schmertzen verspürete, welcher Zufall aber doch wohl bald würde überhin gehen. Ich spürete gantz genau, daß sich mein Bruder dieserwegen einigermassen alterirte, und schloß aus gewissen Merckmahlen, daß unter diesen 2. Leuten eine Sympathie haselirte. Er konte weder essen noch trincken, sondern saß immer in Gedancken, bis man ihn mit Gewalt anredete. Er excusirte seine Melancholie damit, daß ihm seine Wunde in der Hüffte [96] einige Schmertzen verursachte, weßwegen er dieselbe gleich morgendes Tages, entweder mit dem Kugel-Zieher heraus ziehen, oder mit dem Messer wolte her aus schneiden lassen. Hierbey merckte ich, daß wir bey den liebreichsten und redlichsten Leuten von der Welt wären: denn es schien, als ob ein jedes an seinen Schmertzen Theil nehmen wolte, und führeten sich alle, ohngeachtet die schönste Musique gemacht wurde, auch Trompeten und Paucken, nebst den Canonen wechselsweise schwermeten, dergestalt niedergeschlagen auf, als ob ihnen selbst ein Unglück begegnet wäre. Jedoch mein Bruder, da er dieses merckte, zwang sich mit aller Macht zu einer etwas munteren Aufführung. Inmittelst, noch ehe die Tafel aufgehoben wurde, kamen unsere Bediente, und brachten von meinem Lieutenant folgendes Rapport-Schreiben zurück.


Meisseigneurs!


Deroselben Ordre ist mir heute früh um 8. Uhr wohl worden, weßwegen ich keine Minute versäumt, derselben gehörige Parition zu leisten, übersende demnach zu schuldigster Folgleistung:


2. Mortieurs
24. gefüllete Bomben
500. gefüllete Granaden
500. Raqueten grosse, mittelmäßige und kleine
3000. kleine und grosse Schwärmer
200. Wasser-Kegel
200. Lust-Kugeln
2. Büchsen
[97] 2. Flinten
4. Paar Pistolen, anbey

12. Mann der auserlesensten Grenadiers, die ich vor die besten halte. Mir träumet, daß Messeigneurs ein kleines Feuer-Werck spielen wollen, worzu ichgratulire, und so offt ich einen Mortieur abfeuren höre, 12. Canonen auf unsern Schiffen werde lösen lassen, weil wir mit dem Barbarischen Pulver, wie ich fast nicht gemeint, noch einen wichtigen Vorrath von Pulver haben.

Anbey folgen die verlangten 2. Kleider mit goldenen Espagnen bordirt, wie auch 2. mit Espagnen bordirte Hüte, 2. Paar Perlen-farbene Strümpfe und noch etliche Anziehe-Wäsche.

Auf unsern Schiffen stehet, GOtt Lob! alles wohl: denn unsere Patienten bessern sich, und ist seit meinem letztern Rapport keiner gestorben, wohl aber noch 2. blessirte Barbaren, die ich ohne Gesang und Klang habe in die See werffen lassen. Hergegen habe ich den Cörper meines lieben Cameraden, des erschossenen Lieutenants noch zu unterst im Schiffe auf dem Ballast liegen, in Hoffnung, daß sie demselben ein ehrlich Begräbnis auf dem Lande procuriren werden. Ubrigens, in Erwartung fernerer Ordre, beharre mir schuldigst-gehorsamsten Respect


Messeigneurs

le votre

F.H. Dimbourg.


P.S. Meine Herren sollen bey Dero Zurückkunfft[98] keinen Abgang an Raqueten, Schwärmern, Wasser-Kegeln, Lauff-Kugeln und dergleichen spüren, denn ich will binnen der Zeit den Abgang ersetzen, weil ohnedem ich und unsere Leute müßige Stunden haben.


Ich gab diese Rapports-Schrifft meinem Bruder zu lesen, gieng hernach hinnunter an die Tafel, und bath den Gouverneur: ob es mit dessen gütiger Erlaubnis geschehen könte, daß wir unseren seel. Cameraden mit militairischen Ehren-Bezeigungen auf dem Lande begrüben, zumahlen, da er ein guter Christ und eifferiger Catholic gewesen, mithin der geweyheten Erde wohl würdig wäre?

Ey! was hör ich, mein Herr! (sagte der Gouverneur) ist der Verblichene ein Catholic gewesen, so will ich ihn in die Haupt-Kirche begraben lassen. Ich bringe Ew. Hochgebl. keine Lügen vor, (antwortete ich) denn daß er ein eiffriger Catholic gewesen, kan ich mit seinem Lebens-Lauffe, den er selbst eigenhändig, wenig Tage vor seinem Tode schrifftlich aufgesetzt, ingleichen auch aus vielen andern seinen Scripturen, Catholischen Büchern, Pater noster und Scapulier, welches alles er beständig bey sich geführt, erweißlich machen. Hierauf sagte der Gouverneur, ich traue eurer Redlichkeit noch weit mehr, als dieses zu. Ich bitte aber, lasset euren Todten nur noch 3. Tage auf dem Ballast liegen, denn es kan ihm bey jetziger Witterung keine Fäulung angehen. Sorget weder vor Sarg, Todten-Kleid, noch etwas anders, was zu einerpropren Beerdigung eines Officiers gehört, der auf dem Helden-Bette sein Leben [99] rühmlich eingebüsset hat, sondern gönnet mir die Ehre, daß ich alles besorge und veranstalte; Von heute an gerechnet, soll der Leichen-Conduct auf den 4. Tag vor sich gehen, und Tages vorhero, auf meine Parole, alles in Ordnung seyn. Hiermit stund der Gouverneur von der Tafel auf, und gab einem seiner Officiers einen Winck, daß er ihm folgen solte. Er gieng mit ihm an ein Fenster, und plauderte fast auf eine halbe Stunde mit ihm.

Unterdessen gieng ich mit meinem Bruder auch etwas abseits, und beredeten uns, wie wir es mit dem Feuer-Wercke halten wolten; Er sagte: wenn ein und anderes passirt, so will ich meine Dinge gleich nach der Abend-Tafel, die doch auf unser Bitten nicht lange währen muß, schon machen. Als der Gouverneur wieder an die Tafel kam, sagte er: Meine Herren! tragen sie kein Leid noch Sorge mehr vor ihren Todten, sondern überlassen alle Sorge mir gantz allein; hergegen bitte, sie wollen sich etwas lustiger erzeigen, als bishero. Ich aber sagte ihm heimlich ins Ohr: ob er mir und meinem Bruder gütigst erlauben wolte, diesen Abend, so bald es finster worden, ein kleines Feuer-Spiel, auf der, unsern Fenstern gleich gegen über liegenden kleinen See, zu præsentiren, mein Bruder, der aussen geblieben war, machte schon alle Præparatoria darzu, nur ließ er inständig bitten, daß die Abend-Tafel etwas kürtzer, als sonst gewöhnlich, möchte abgebrochen werden, damit wir von der dunckeln und finstern Zeit profitiren möchten. DerGouverneur lächelte, und sagte: Meine Brüder! gebrauchet alle Beqvemlichkeit bey mir, ich werde [100] mir ein besonderes Vergnügen machen über das Feuer-Spiel, und wo es euch gefällig, etliche 100. Pech-Fackeln an das Ufer setzen lassen. Ich will auch so gleich Ordre ertheilen, daß die 8. kleinen Lust-Schiffe benebst den Boötchen und Kähnen in Ordnung gestellet werden.

Nach aufgehobener Tafel wurde getantzt, da denn unverhoft mein Bruder und die krancke Fräul. fast zu gleicher Zeit zum Vorscheine kamen, allein diese letztere ließ sich von niemanden zum Tantzen bewegen, also tantzten sie alle beyde und ich auch nicht, mein Bruder retirirte sich bald wieder, indem er mit seiner Feuerwerckerey noch nicht vollkommen fertig war, auch die Raqueten-Stöcke noch nicht alle beysammen hatte; Allein er schien mir weit munterer, als vorhero, nachdem er seinen Aug-Apffel wieder zu sehen bekommen hatte. Eine Stunde vor der Dämmerung wurde auf der Tafel angerichtet, allein es gieng dißmahl kurtz ab, wiewohlen alles im Uberflusse vorhanden war.

Da nun mein Bruder sein Feuer-Spiel und alles, was wegen der Fahrzeuge zu besorgen war, in Ordnung gebracht, nahm er mich und die PortugiesischenCapitains mit hinunter an den Teich oder kleine See, denn es war ein gewaltig grosser Teich, setzten uns in ein artiges, vestes und commodes Schiff, nahmen die 2 Mortiers und Bomben mit hinein und löseten unter Trompeten- und Paucken-Schall anfänglich 2 Mortiers, welche 2 Bomben in die See warffen, die sich ziemlich dariñen herum tummelten und endlich crepirten, zu gleicher Zeit hörete man auf der Citadelle 12 Canonen-Schüsse, auf welche [101] unsere, in dem Hafen liegende Schiffe in gleicher Anzahl antworteten. Hierauf musten die Granadiers ihre Granaden aufs Land werffen. Nach diesen ließ mein Bruder 24. der schweresten Raqueten steigen, welche sich dergestalt wohl hielten, daß nicht nur alle Zuschauer, sondern auch der Gouverneur selbst, ihr Vergnügen daran sahen, denn die meisten schaueten oben aus den Fenstern der Burg heraus. Da dieses vorbey, warf mein Bruder abermahls 2. Bomben aufs ebene Land, welche sich wunderlich begunten, und wie man früh Morgens sahe, ehe sie crepirt, gewaltig tieffe Löcher in die Erde gewühlet, ja rechte Kessels gemacht hatten. Es wurde ihm auf seine 2. Mörser von den Wällen der Citadelle und von unsern Schiffen, von jeder Seite mit 12. Canonen geantwortet. Darauf warf er 50. Wasser-Kegel in das Wasser, ließ dabey 50. der grösten Schwärmer in die Luft spielen. Da die Wasser-Kegel versuncken, warf er 50. Lust-Kugeln von allen Seiten des Schiffs, und spielete darauf noch 2. Bomben ins Wasser, worauf ihm von der Citadelle und von unsern Schiffen von jeder Seite mit 12.Canonen geantwortet wurde.

Also fuhr er fort, Raqueten steigen, Granaden werffen, Schwärmer in die Luft fliegen zu lassen, Wasser-Kegel und Lust-Kugeln auszuwerffen, und von Zeit zu Zeit 2. Mortiers zu lösen, da er denn die Bomben bald aufs Land, bald aufs Wasser fliegen ließ. Dieses währete so lange, bis er des Dinges überdrüßig wurde, und da er nicht viel Vorrath mehr hatte, alles kunter bund durch [102] einander hergehen ließ, zuletzt aber mit 4. Bomben, die er kurtz nach einander spielte, der gantzen Sache ein Ende machte, und anhören muste, daß ihm so wohl die Citadelle mit 24. und unsere im Hafen liegende Schiffe auch mit 24.Canonen-Schüssen eine gute Nacht wünschten. Als wir alle insgesa t zurück ins Tafel-Zimmer auf der Burg kamen, fanden wir einen schönen Caffeè, Bisquit und hernach ein Glaß Canari-Sect, wir wolten uns aber nicht dabey aufhalten, jedoch, da uns derGouverneur allzu starck nöthigte, und sagte: Meine Herren! ihr habt mir diesen Abend ein Divertissement gemacht, dessen gleichen ich, so lange ich auf dieser Insul wohne, nicht gehabt, auch haben sich meine gantze Familie und meine werthesten Gäste unaussprechlich darüber ergötzt; darum erlaubet mir, meine Herren! daß ich auf diesem grossen Teiche, oder so zu sagen, kleinen See, euch sämmtlich wieder zu divertiren, eine Fischerey anstelle, und euch insgesa t bitte, derselben beyzuwohnen, und zwar Morgen gleich nach der Mittags-Tafel. Unterdessen wollen wir unter einem guten Gespräch noch eins in bona pace ex poculo hilaritatis trincken, und uns hernach zur Ruhe begeben. Wir liessen uns alle bereden, ich bemerckte aber, daß mein Bruder und sein Fräulein sich an das abgelegenste Fenster begaben, und daselbst die vertraulichsten Gespräche mit einander führeten.

Wir giengen also lange nach Mitternacht zur Ruhe. Früh Morgens bekamen wir unser Deputat al' ordinaire an Theè, Caffeè und Chocolade, auch die gewöhnlichen Visiten, und erschienen hernach im [103] grünen Habit bey der Tafel. Es gieng alles darbey ordentlich und pompeus zu, jedoch währete die Tafel diß mahl nicht so lange, als sonsten, weil wir die Fischerey vor uns hatten. Der Gouverneur war diesen Tag ungemein aufgeräumet, und sagte: Nun, meine Herren! thut mir das Plaisir, mit an die Fischerey zu gehen, ich wette darauf, daß wir vor Nachts, vor mehr als 8000. Mann, der besten grossen und Speise Fische fangen wollen, und davon soll die in unserm Hafen liegende Soldatesque ihren Antheil haben, auf unser aller Gesundheit die Fische zu verzehren, und wenn meine Rede nicht eintrifft, so will ich ihnen 4. von meinen besten Ochsen darzu schlachten lassen.

Demnach begaben wir uns hinunter an das Ufer, und setzten uns in die Lust-Schiffe und Kähne, ich bemerckte aber unter allen andern dieses Curiositeé, daß mein Bruder mit seinem Leit-Sterne, nemlich desGouverneurs ältesten Fräulein in einem kleinen Lust-Schiffe nebst einer alten Matrone, gantz alleine zu sitzen kam. Die Fischerey gieng unter Trompeten-und Paucken-Schall mit mehr als 300. Fischern, ohne die Handlangers, trefflich von statten, so, daß wir, ehe es dämmerig ward, aufhören musten, von wegen der grossen Menge. Es war, wie gesagt, eine erstaunliche Menge Fische, weßwegen der Gouverneur erstlich die allerbesten zu seiner Tafel auslesen ließ, die übrigen aber noch vor Nachts in grossen Fisch-Fässern unsern Leuten an den Strand zuschickte. Wir musten gestehen, daß dieses eine Fisch-Portion vor mehr als 16000. Mann wäre, dem ohngeachtet [104] ließ der Gouverneur 4. der fettesten Ochsen hinter den Fisch-Wagens hertreiben, und machte unsern Leuten ein Præsent damit. Wir fanden auf dem Tafel-Zimmer noch einen herrlichen Caffeè, und nachdem dieser mitAppetit genossen, nahmen wir vor dißmahl allesammt Abschied von einander, und begaben uns zur Ruhe. Früh Morgens stund mein Bruder wider seine Gewohnheit sehr früh auf, und sagte zu mir: daß, weil es ein gar allzu angenehmer Tag wäre, er sich ein wenig in dem Lust Garten mit Spatzierengehen divertiren wolte, um der angenehmen Morgen-Lufft zu geniessen. Ich hatte nichts darwieder einzuwenden, da mir aber die Sache verdächtig vorkam, schlich ich nach Verlauf einer guten Stunde ihm nach, und fand mein Brüderchen mit seiner Amasia in einer dick belaubten Hütte sitzen. Ich sahe, daß sie einander hertzten und küsseten, auch sich dergestalt mit den Armen zusammen geschlossen hatten, als ob sie ewig also sitzen bleiben wolten. Erstlich gieng ich wieder zurück auf etliche Schritte, trat aber bald zu ihnen hinein, und both ihnen einen guten Morgen. Hierauf sagte ich: Kinderchen, ich habe von ferne gesehen, daß ihr einen hertzhaften Morgen-Seegen mit einander gebetet, es ist mir lieb, daß ihr einander lieb habt, allein führet euch behutsam auf, und macht das Spiel nicht zu bund, damit es die Eltern und andere Aufsehers nicht gewahr werden, ich aber will euch nicht verrathen.

Das Fräulein wurde so roth, als ein Stück Blut, kam aber auf mich zu, und küssete mir erstlich die Hand, hernach den Mund, worauf ich mich [105] gedoppeltrevangirte; Mein Bruder aber sagte in deutscher Sprache zu mir: Mein Bruder! ihr hättet mit grösterRenommeè noch eine Stunde schlaffen, und mich in meinem Vergnügen ungestöhrt lassen können.

Gebt euch zufrieden, mein Bruder! (gab ich ihm zur Antwort,) ich will gantz und gar nicht ein Stöhrer eures Vergnügens seyn, sondern ich sage nur so viel, bedenckt, wo wir uns aufhalten, und gehet behutsam; auf dem Zimmer wollen wir von dieser Begebenheit ein mehrers mit einander sprechen.

Hierauf traten wir aus der Hütte heraus, nahmen das Fräulein in die Mitte, und giengen noch eine Zeit lang im Garten herum spaziren, bis wir bemerckten, daß im Hause alles munter war, da denn das Fräulein, nachdem sie uns beyde geküsset, im Garten zurück blieb, wir aber begaben uns auf unsere Zimmer, und traffen daselbst schon die Portugiesischen Capitains und 2. Cavaliers des Gouverneurs an, welche bereits den Anfang gemacht hatten, sich jeder nach seinem Belieben mit Theè, Caffeè und Chocolade tractiren zu lassen, da wir denn mit machten, und ihnen erzähleten, daß wir wohl 2. Stunden lang der angenehmen Morgen-Lufft genossen. Wir divertirten uns mit aller hand Gesprächen, bis Trompeten und Paucken zur Tafel citirten, da wir beyden Brüder denn, nachdem wir unter währender Zeit uns ankleiden lassen, also bald, da ein Page kam, und uns zur Tafel invitirte, insgesammt hinunter spatzierten. Es gieng bey der Tafel so zu, als es vorhero gewöhnlich gewesen, nur daß die Tafel eher, als sonst gebräuchlich war, [106] aufgehoben wurde, denn der Gouverneur hatte uns zumPlaisir einen Thier-Streit anstellen lassen. Wir sahen demselben mit grösten Vergnügen zu. Erstlich wurden in die gemachten Schrancken ein wilder Ochse und ein Löwe gelassen, welche beyde einen heftigen Kampf über eine Stunde lang mit einander hatten, der in Wahrheit sehr curieus anzusehen war; endlich überwand der Löwe, und zerriß den Ochsen. Hierauf wurde ein anderer frischer Ochse in die Schrancken gelassen, welcher sich sehr großmüthig und tapffer aufführete; nachdem er erst hingegangen, und seinen zerfleischten Mitbruder etliche mahl beschnuppert hatte, trat er den Kampf mit dem Löwen an, der sich zwar tapffer wehrete, allein, weilen ihm wegen des vorigen Kampfs die Kräfte schon ziemlicher maassen verschwunden, sahe der Ochse seinen Vortheil ab, und stieß dem Löwen seine beyden Hörner mit der allergrösten Gewalt dergestalt in den Bauch, daß ihm das Eingeweyde heraus drung, und auf die Erde fiel. Als der Ochse dieses sahe, wendete er sich um, gieng auf dem gantzen Platze herum, und brüllete gantz erschröcklich, woraus man schliessen konte, daß er Victoria! ruffte; Allein seine Großmuth wurde bald gedemüthiget, indem 3. der allergrösten Hunde zu ihm in die Schrancken gelassen wurden, welche ihm dergestalt zusetzten, daß er endlich matt ward, und darnieder fiel, doch hatte er vorhero erst einen Hund getödtet, den andern tödlich blessirt, der dritte Hund aber blieb gesund und frisch, ohngeachtet er dem Ochsen heftig zugesetzt hatte.

Nach diesem wurden 2. Leoparden und 4. wilde[107] Esel in die Schrancken gelassen, da man sich denn über die wunderlichen Fechter-Sprünge der letztern fast hätte mögen schäckig lachen. Sie gaben den Leoparden manche tüchtige Schläge, (denn sie waren beschlagen) an die Köpfe, Brüste und Bäuche, allein sie wurden binnen einer Stunde dennoch von den Leoparden in kurtz und kleine Stücken zerrissen. Hierauf wurden 4. Bären in die Schrancken gelassen, welche ebenfals wunderliche Täntze machten, und sich über eine Stunde lang tapffer wehreten, allein es half ihre Gegenwehr nichts, sondern sie wurden von den Leoparden zerrissen, die aber, indem sie von den Bären viele Bisse bekommen, gantz ohnmächtig zu Boden suncken. Demnach wurde ein Tyger und 2. wilde Pferde, die wohl beschlagen waren, in die Schrancken getrieben, allein es verlief keine Stunde, da der Tyger alle beyde Pferde zu Tode gebissen hatte, ohngeachtet sie sich heldenmüthig gewehret, und dem Tyger unzählige Schläge mit ihren Hufeisen beygebracht, wovon derselbe so wohl, als die Leoparden, ohnmächtig zu Boden sanck und liegen blieb.

Hierauf wurden 24. Hunde, von verschiedener Grösse, nebst einer gewaltigen Anzahl von Affen, Füchsen, wilden Katzen, und noch andern kleinern Thieren, in die Schrancken gebracht; demnach entstund eine solche Kater-Jagd, daß wir uns alle vor Lachen hätten ausschütten mögen. Endlich nahm das Spiel ein Ende, nachdem nicht mehr als 3. Hunde, ein alter Affe und 2. wilde Katzen noch auf dem Platze lebendig zu sehen waren. [108] Wir begaben uns demnach zur Tafel, schwärmeten noch bis gegen Mitternacht unter Trompeten- und Paucken-Schall beym Canari-Sect, und begaben uns hernach sämmtlich zur Ruhe.

Folgenden Tages lebten wir noch herrlich und in Freuden, aber des nächst folgenden nahmen so wohl wir Brüder, als die Portugiesischen Capitains, in aller Frühe von dem Gouverneur und seiner Familie, auch allen noch anwesenden Gästen Abschied, und begaben uns auf die Reise nach unsern Schiffen, weil wir beyden Brüder vorschützten, daß wir eine und andere wichtige Verrichtungen und sonderlich wegen des Leichen-Conducts hätten. Es hatte aber der liebreicheGouverneur das Project zum Leichen-Conduct also gemacht:


1.) Die Gymnasiasten mit vorgetragenem Creutz und Fahnen.

2.) Die Studenten.

3.) Die ordinirte Clerisey.

4.) 1. Regiment Insulanischer Cavallerie.

5.) 1. Regiment Insulanischer Infanterie.

6.) Portugiesen, so viel als beliebig.

7.) Holländer, so viel als beliebig.

8.) Eine Insulanische Granadier-Compagnie.

9.) Der Leichen-Wagen, bey dem 6. Marschälle hergehen.

10.) Eine Insulanische Granadier-Compagnie.

11.) Portugiesen, so viel als beliebig.

12.) Holländer, so viel als beliebig.

[109] 13.) 1. Regiment Insulanischer Infanterie.

14.) 1. Regiment Insulanischer Cavallerie.

15.) Der Gouverneur dieser Insul in einem Trauer- Wagen mit 6. Pferden bespañt.

16.) Zwölf mit 4. Pferden bespannete Trauer-Wagens, worinnen Insulanische Officiers und Cavaliers sitzen.

17.) 1. Insulanisch Regiment Infanterie.

18.) 1. Insulanisch Regiment Cavallerie.


Mein Bruder und ich betrachteten wohl, daß dieses ein prächtiges Leich-Begängniß werden würde, und wir uns par generositee nicht verdrüssen lassen dürfften, etwas daran zu spendiren, zumahlen da mancher General nicht so pompeus, als unser Lieutenant beerdiget würde. Allein mein Bruder und ich machten uns dieserwegen wenig Sorgen, sondern bedachten, daß es besser sey, uns auf dieser Insul genereus aufzuführen, als den Barbaren 1. oder 3. Tonnen Goldes hin zu geben, oder wohl gar in Furchten zu schweben, von ihnen rein ausgeplündert und massacrirt zu werden. Demnach beredeten wir uns 3. mitspec. Thlr. und eben so viel mit Gulden angefüllete Kisten zu eröffnen, um den Insulanischen Officiers und Gemeinen vor erst einen kleinen Recompens zu geben.

Wir gelangten gegen Abend unter Escorte einer Insulanischen Esquadron Dragoner auf unsern Schiffen an, und bald darauf schickte der Gouverneur den Sarg, das Todten-Kleid und andern Zubehör nebst 2000. Pech-Fackeln, denn er hatte sich anders resolvirt, und wolte, damit es [110] desto prächtiger liesse, daß die Leiche erst Abends, wann es finster geworden, in der Stadt vor der Haupt-Kirche anlangen solte. Der Sarg war von Cedern-Holtze, mit ungemein artigen, schönen Stücken von Bildhauer-Arbeit von aussen gezieret, inwendig aber mit rothen Sammet ausgeschlagen, und das Haupt-Küssen war Himmelblau, das Todten-Kleid aber von weissen Atlas, starck mit goldenen Tressen besetzt. Wir hielten die gantze Nacht hindurch Schiffs-Rath, und besorgten alles, was noch in Ordnung zu bringen war. Früh Morgens wurde die Leiche im Sarge, der 12. verguldete Rincken hatte, am Ufer auf einem Parade-Bette ausgesetzt, und um den Sarg herum sehr viele Mayen in die Erde gepflantzet, auch 12. Schiffs-Jungen commandirt, welche die Fliegen von der Leiche hinweg weddeln musten. Des Tages über machten wir unsern Leuten ein Wohlleben, und gaben ihnen das beste Essen und Trincken, da es aber ohngefähr um 2. Uhr Mittags war, kam der Gouverneur mit etlichen seinerOfficiers in vielen Wagens zu uns gefahren. Weilen wir nun einen Prophetischen Geist gehabt, und gleich in der Frühe 12. grosse Zelter aufschlagen, auch gnugsame Stühle und Tische hinein setzen lassen; so stiegen alle ab, und begaben sich, nachdem sie die Leiche und das Parade-Bette, worunter rothe Lackens ausgebreitet waren, und welche am Ufer stund, wohl betrachtet hatten, in die Zelter. Der gütige Gouverneur, welcher die Redlichkeit selbsten war, sagte zu mir: Meine lieben Brüder! wenn ihr mir einen eintzigen Gefallen [111] thun wollet, so setzet mir und meinemComitat heute nichts vor, als ein gut Glaß Wein undBisquit, denn es ist heute nicht de tempore, daß wir schmausen, aber wenn ihr erstlich auf meinem Schlosse völlig ausgeheilet seyd, so will ich mir einen Tag ausbitten, euch zu beschmausen, weilen ich weiß, daß ihr keine Hungerleyder seyd, und da wollen wir uns recht lustig machen.

Wir versprachen dem Gouverneur, seiner Ordre, und zwar bey dermahligen Umständen, Gehorsam zu leisten, liessen aber doch bey dem aller delicatestenCanari-Sect, nicht allein Bisquit sondern auch allerhand Confituren, ingleichen wild und zahm kalt Gebratenes, der besten geräucherten und gebratenen Fische, auch eingemachte und uneingemachte allerley Früchte im Uberfluß bringen, woran sich unsere Gäste vor dißmahl so wohl delectirten, als ob sie alle an des Gouverneurs Tafel gesessen hätten. Im übrigen, da ein jeder nach seinem Appetite von diesem oder jenem nahm, was ihm beliebte, gieng alles stille zu, bis gegen Untergang der Sonnen; da denn derGouverneur, indem er einen Canonen-Schuß von seiner Citadelle hörete, mich und meinen Bruder zu sich ruffte, und sagte: Kinder! ich habe die Losung gehöret, meine Leute werden abgeredter maassen bald kommen, derowegen macht Anstalten zum Leichen-Conduct.

Indem kam die schwartze Guarde, nemlich die Geistlichkeit mit ihrem Creutz und Fahnen angezogen, und lagerte sich seitwärts, rechter Hand. Wir schickten ihnen ein Faß Canari-Sect und [112] allerley Erfrischungen zu, mein Bruder aber gab seinem Fähndriche 1. Sack der mit gantzen Pistoletten, 1. Sack mit halben Pistoletten, 1. Sack mit spec. Thalern, und etliche Säcke die mit Gulden angefüllet waren, zur Vertheilung unter die Geistlichen, demnach bekamen die vornehmsten Geistlichen, nach ihrem Character, theils 3. theils 2. theils 1. gantze Pistolette.

Die Gymnasiasten, jeder 1. spec. Thaler.

Die Studenten, jeder 1. halbe Pistolette.

Hierauf kam das Cavallerie-Regiment, welches sich lincker Seits postirte, und zwar ohne Musique, welchem ebenfalls etliche Fässer Wein zugeschickt wurden, und mein Bruder ließ einem jedem Reuter 1.spec. Thaler, einem Unter-Officier aber 2. spec. Thaler einhändigen. Die Ober-Officiers aber bekamen vorjetzo nichts; folgendes Tages hingegen der Obriste 10. gantze Pistoletten, der Obriste-Lieutenant 8. derMajor 6. ein jeder Rittmeister 4. ein jeder Lieutenant und Cornet nur 3. gantze Pistoletten, die jedem in einem Billet versiegelt zugeschickt wurden.

Bald hernach kam das Infanterie-Regiment, bey welchem die Austheilung des Geldes eben also geschahe, als bey dem Cavallerie-Regimente.

Endlich ruckten 2. Insulanische Granadier-Compagnien an, welche eben das Præsent bekamen, als die Cavallerie und Infanterie.

Mein Bruder gab sich selbst die Mühe, die Leute von unsern Schiffen zu langen, und in Ordnung zu bringen, da er denn 120. Mann von seinem, [113] und eben so viel von meinem Schiffe brachte, und dieselben nach der gemachten Disposition rangirte und eintheilete.

So bald die Sonne Abschied genommen, erinnerte der gütige Gouverneur, daß es nunmehro Zeit wäre, den Leichen-Conduct anzufangen, demnach wurde nach seiner gemachten Disposition die Leiche erstlich auf den Leichen-Wagen gesetzt, bey welchem auf beyden Seiten 12. Insulanische Ober-Officiers und eben so viel Unter-Officiers hergiengen. So bald die Clerisey und die Miliz in Ordnung gebracht, wurde eine auf dem Lande stehende Canone gelöset, welches das Signal war; hierauf wurden von unsern und den Portugiesischen Schiffen 24. Canonen abgebrannt, worauf von der Citadelle mit 24. Canonen geantwortet wurde, und alle Mannschafft, so Infanterie als Cavallerie, gaben eine general-Salve. Sodann gieng derMarch fort. Die Clerisey sung recht charmante Lieder, und es gieng alles gantz douçement, weilen die Trompeter der Cavallerie die Serdinen eingesteckt und die Paucker so wohl als die infanterischen Tambours, ihre Trommeln gedämpfft hatten. Wir kamen also ohngefähr um 9. Uhr Abends vor dem Stadt-Thore an, da denn auf der Citadelle 24. Canonen gelöset, von unsern Schiffen aber mit eben so vielen geantwortet wurde.

Als wir vor der Haupt-Kirche anlangten, wurden abermahls 24. Canonen gelöset, da denn unsere Schiffe, mit eben so vielen repondirten. Es wurde in dieser Kirche über eine halbe Stunde [114] lang ungemein schön figurirt und musicirt, welches mir wohl ins Gehör fiel; hernach trat ein Probst auf, welcher dem Verstorbenen eine gelehrte und admirable Leichen-Predigt hielt. Nach diesem war wieder Musique und die Seel-Messe gelesen, hernach eine Parentation in lateinischer Sprache gehalten; worauf denn nochmahls Musique gemacht, und die Leiche in die Grufft gebracht wurde, da denn auf gegebenes Signal, abermahls 24. Canonen von der Citadelle, und eben so viel von unsern im Hafen liegenden Schiffen zu hören; worauf alle Cavalleristen und Infanteristen zu 3. mahlen Salve gaben.

Endlich machten die Herrn Geistlichen den Schluß, mit ihren Todten-Gesängen, weßwegen wir auf desGouverneurs Bitten, uns in dessen Behausung begaben, und unsere Mannschafft wieder zurück marchiren liessen, nachdem noch 24. Canonen-Schüsse von der Citadelle, und eben so viel von unsern Schiffen gehöret, auch so wohl von der Cavallerie als Infanterie drey Salven gegeben worden.

In des Gouverneurs Behausung traffen wir eine wohl besetzte Taffel an, welcher wir uns ohngeachtet es schon über Mitternacht war, bedieneten, jedoch nicht länger dabey sitzen blieben, als bis gegen Tages-Anbruch, da denn wir beyden Brüder und die Portugiesischen Capitains von dem Gouverneur, seiner Familie und allen noch anwesenden Gästen Abschied nahmen, und uns Reisefertig nach unsern Schiffen machten.

Der allzu gütige Gouverneur wolte uns [115] durchaus nicht von sich lassen, sondern nöthigte uns beyden Brüder, nur noch so lange bey ihm zu bleiben, bis wir vollkommen curirt wären; da wir ihm aber vorstelleten, daß nicht allein einige kleine Desordres auf unsern Schiffen passirten, hiernächst wir auch wegen der gefangenen Barbaren und erbeuteten Guter Disposition machen müsten; ließ er uns endlich passiren, und in einer Chaise, die mit 6. Pferden bespannet war, fortbringen, worbey wir 2. Compagnien Reuter, und die ordinaire Infanterie-Wache, welche am Strande abzulösen pflegte, zur Escorte hatten.

Wir gelangeten also, nachdem wir alle bey demGouverneur noch ziemlich gebechert hatten, gegen Abend auf unsern Schiffen an, und fanden alles in behöriger Ordnung, denn mein Lieutenant war in Wahrheit ein rechter Mann.

Des andern Tages liessen wir die PortugiesischenCapitains ruffen, um mit uns auf die Barbarischen Schiffe zu gehen, und die Beute zu theilen. Sie kamen; und da fanden wir auf allen dreyen Schiffen, 2. und eine halbe Million an geprägten gold- und silbernen allerley Müntz-Sorten. Hiernächst 3. und einen halben Centner Gold-Barren. Ferner an gutem gediehenen, wie auch andern bereits verarbeiteten Silber 8. Centner und etliche Pfund. Noch ferner:


86. Ballen Scharlach auch sonsten allerley couleurtes Tuch, und zwar von den allerfeinsten Sorten.

102. Ballen schlechteres Tuch von allerhand Couleuren.

[116] 216. Ballen allerley Sorten Türckischer Zeuge, als Gold- und Silber-Mor, Damast, Attlas, Daffent, Cattun und dergleichen.


Von andern Kleinigkeiten, als mancherley Schiffs-Geräthe, Kleidungs-Stücken, Leinewand, so wohl feine als schlechtere, die sonderlich zum Seegel-Tuch brauchbar, will keine weitläufftige Specification machen, indem wir diesen Plunder alle, (wie hernachmahls geschahe, in 2. Hauffen theileten, und darum loseten) noch ferner erbeuteten wir:

96. theils metallene, theils eiserne Canonen.
640. Centner gut Pulver.

Stück- und Flinten-Kugeln eine grosse Menge, die wir zu zählen uns nicht einmahl die Mühe nahmen, sondern dieselben auf Hauffen wurffen.

500. Kisten von allerley Sorten Zucker.
400. Centner Caffee-Bohnen.
600. Centner Thee de bois und andere Arten vonThee.

An Victualien, als nemlich an Zwieback, Brod, geräucherten und eingesaltzenen Fleische, geräucherten und eingesaltzenen Fischen, Reiß, auch allerley andern Geträyde, Butter, Käse und dergleichen, fanden wir eine solche Menge, dergleichen wir uns auf diesen 3. Räuber-Schiffen nimmermehr vermuthet hätten. Ingleichen gerieth uns eine starcke Anzahl Wein-Fässer, die mit den aller delicatesten, mittelmäßigen auch schlechteren Sorten von Weinen angefüllet waren; weiter, eine Entsetzens-würdige Menge vollgefüllter Brandteweins-Fässer [117] in die Hände, weilen die Barbaren den Brandtewein unmenschlich starck trincken.

Endlich traffen wir noch an: 316. Stück gute brauchbare Büchsen und Flinten, 600. Paar Pistolen und noch eine stärckere Anzahl neuer und noch ungebrauchter Säbel.

Ich will mich (fuhr der Capitain Horn in seiner Rede fort) mit Meldung aller geringschätzigen Sachen, wie ich schon gesagt, Ihnen nicht verdrüßlich machen, und nur so viel sagen, daß wir alles, was etwa noch Geldes werth war in 2. gleiche Hauffen theileten, und mit denen Portugiesen darum loseten.

An Gefangenen hatten wir 486. Mann, und sie gestunden selbst, daß sie ohne die Blessirten, eine starcke Anzahl ihrer Cameraden eingebüsset hätten, nicht so wohl die auf ihren Schiffen, sondern hauptsächlich die von den Sturm-Leitern oder Stegen herunter geschossen, auch auf unsern Schiffen massacrirt worden.

Hiernächst fanden wir auf allen 3. feindlichen Schiffen 37. gefangene Christen-Sclaven, u. zwar ihrer 4. weiblichen, und die übrigen männlichen Geschlechts. Die meisten Männer waren an die Ruder-Bäncke geschlossen; die übrigen aber musten unten im Schiffe die allerbeschwerlichste Arbeit verrichten. Hergegen wusten die 4. Frauenzimmer, welches eine Christliche Schiffs-Capitains Frau mit ihrer 16. jährigen Tochter und zweyen Mägdgens waren, eben nicht sonderlich sich über die Barbaren und deren Aufführung zu beschweren, denn sie hätten ihnen, wenn man sie [118] nach Gibraltar liefern würde, 40000. Thlr. vor ihre Freyheit zu zahlen versprochen, und diese, nemlich die Barbaren, hätten ihnen auch solches so bald als es möglich wäre, angelobet; allein dieser Streit mit uns, hätte sie von solchem Wege abgekehret. Sonsten war die ietzt erwehnte Dame eines Englischen Schiff-Capitains Frau, der von den Barbaren in einem See-Gefechte erschossen worden, sie aber hätte sich, nachdem ihr alles Geld und Gut abgenommen worden, solcher Gestalt nebst ihrem Sohne, Tochter, und Aufwärterinnen bey den Räubern in die Sclaverey begeben müssen.

Ich nahm die Dame auf die Seite, redete heimlich mit ihr, und eröffnete derselben aufrichtig, daß wir, wie sie vielleicht glaubte, nicht nach Ost-Indien, sondern nach einer gesegneten Insul zuseegelten, allwo sie viele von ihren Landes-Leuten antreffen würde, und sich, wo es beliebig, so wohl als ihre Tochter und Mägde, Standesmäßig daselbst verheyrathen könten. Im übrigen brauchten sie weder Geld, noch Gut, noch Kleider, weil sie auf besagter Insul alles im grösten Uberflusse anträffen. Die Dame nahm diesen Vorschlag mit Vergnügen an, und bath mich inständig, wenn es zur Theilung käme, sie mit den Ihrigen doch ja nicht unter die Portugiesen gerathen zu lassen, sondern mit uns zu führen, weil sie uns vor redliche Leute ansähen, und gern bis an das Ende der Welt folgen wolten. Solten wir aber so glücklich seyn, sie nach Ost-Indien, oder nach Gibraltar, oder gar nach Engelland zu [119] bringen so wolte sie mit freudigen Hertzen vor sich und die 3. Ihrigen zu Erlangung ihrer völligen Freyheit 40000. Thlr. an uns zahlen. Ich sagte nur so viel, sie solten sich nur um kein Geld bekümmern, sondern, wenn es ihnen auf der Insul nicht zu bleiben gefiele, wo wir hinseegelten, so könten sie wohl bald wieder zurück nach Engelland gebracht werden, indem wir uns vor dießmahl nicht lange auf besagter unserer Insul aufhalten würden.

Hiermit waren sie zufrieden, wir aber fiengen mit den Portugiesen zu theilen an, liessen zum Geschencke vor den Gouverneur folgende Stücke ans Land und zum Theil unter die Zelter bringen:


1.) 2. der schönsten eisernen und 2. der schönstenmetallenen Canonen.

2.) 100. Centner Pulver.

3.) Canonen- und Flinten-Kugeln in der stärcksten Menge.

4.) 100. Stück Büchsen und Flinten.

5.) 200. Paar Pistolen.

6.) 200. Stück Türckische Säbel.

7.) 20. Ballen Scharlach und andere der feinsten und kostbarsten Tücher.

8.) 20. Ballen etwas geringere Tücher, verschiedener Farben.

9.) 20. Ballen von allerley Sorten Türckischer Zeuge, als Gold- und Silber-Mor, Atlas, Damast, Daffent, Cattun und dergleichen.

10.) 100. Kisten Zucker, von allerley Sorten.

11.) 100. Centner Caffee-Bohnen.

[120] 12.) 100. Centner allerley Sorten von Thee.

13.) 12. Fässer Canari-Sect und eben so viel Fässer, die mit andern guten Weinen angefüllet waren.

14.) 24. Fässer Brandtewein.


Dieses waren die Haupt-Stücke, welche wir demGouverneur und seiner Familie zu verehren beschlossen hatten. Hierbey waren noch 6. der schönsten Türckischen Pferde und 50. Türcken-Sclaven.

Wir hielten davor, daß dieses doch ein ziemlich ansehnliches Geschencke und Zeugniß unserer Redlichkeit vor die uns erwiesene Ehre und gute Bewirthung seyn möchte; Von unserm erbeuteten Gelde, Gold und Silber aber viel Prahlens zu machen, hielten wir nicht vor rathsam, sondern theileten solches unter einander in der Stille.

Bis an den Abend des dritten Tages wurde also mit der Theilung und Losung über die Güter zugebracht, und ein jedes an seinen gehörigen Ort in die Schiffe gebracht. Nachdem wir um die 2. gesunden Schiffe auch geloset, wovon das eine von den Portugiesen, das andere aber von meinem und meines Bruders Volcke besetzt wurde, liessen wir das blessirte Schiff dem Gouverneur zum Geschencke da liegen, denn es war uns doch eben nichts nütze, er aber konte es sich mit leichten Kosten ausbessern lassen.

Mein Bruder und ich bekamen 218. gefangene Barbaren auf unsere Schiffe, allein wir waren nicht gesonnen, diese Unfläter zu behalten, sondern nicht weiter als bis aufs Cap. mit zu führen, hernach [121] selbige an den nächsten den liebsten, es seyen Holländer oder Engelländer, zu verkauffen.

Denen bißhero gefangen gewesenen Christen-Sclaven wurde so wohl von uns, als den Portugiesen ihre völlige Freyheit angekündiget, derowegen meldeten sich zu erst die 4. Frauenzimmer bey uns, hernach noch erstlich ein feiner Mensch, welcher unter den Dänen als Schiffs-Lieutenant gedienet hatte. Mein Bruder fragte mich um Rath, ob ich es vor genehm hielte, diesen Menschen, welcher von guten Ansehen wäre, und sehr wohl raisonirte, an die Stelle seines erschossenen Schiff-Lieutenants zu setzen, da ich nun nichts darwieder einzuwenden hatte, trug er dem Dänen, welches aber ein gebohrner Sachse war, dieLieutenants Charge an, welcher dieselbe mit dem allergrösten Vergnügen annahm, und sich so gleich in Eyd und Pflicht nehmen ließ. Als auch dieses geschehen, wurde die von den Barbaren eroberte Beute nachProportion unter unser Volck getheilet, dergestalt, daß ein jeder wohl damit zufrieden war, und wir niemanden murren höreten.

Folgenden Tages wurde Anstallt gemacht, denGouverneur und dessen Familie nebst seinem Comitat am Strande unter unsern grösten Gezelten zu bewirthen, auch dieserwegen eine grosse Küche von Bretern, deren wir schon eine grosse Menge zu Ausbesserung unserer Schiffe liegen hatten, in gröster Geschwindigkeit aufgeschlagen.

Demnach muste mein Lieutenant nach der Citadelle zu reuten, und den Gouverneur nebst [122] seiner gantzen Familie zu uns zu Gaste laden, anbey vernehmen, welchen Tag er uns die Ehre seines Zuspruchs gönnen wolte, damit wir uns einiger maassen darnach richten könten.

Als der Lieutenant zurück kam, brachte er zur Antwort, daß der Gouverneur benebst den Seinigen gleich Ubermorgen uns eine freundliche Visite geben wolten; derowegen rufften wir von unsern und den Portugiesischen Schiffen alle zusammen, die sich aufs Schlachten, Braten, Kochen, Backen Zurichtung desConfects und dergleichen verstunden, zusammen, brachten auch wild und zahm Fleisch, wie nicht weniger die delicatesten Sorten von Fischen, so wohl aus der See, als aus den auf der Insul befindlichen Teichen und Bächen in gröster Menge herbey, indem derGouverneur meinen Leuten Erlaubniß geben lassen, auf der gantzen Insul herum, sich so viel Wild zu schiessen, und so viel Fische zu fangen, als sie nur immer verzehren könten, indem an allen beyden gnugsamer Uberfluß vorhanden wäre.

Am bestimmten Tage hielt der Gouverneur sein Wort, kam mit seiner Gemahlin, Töchtern und Söhnen in leichten offenen Wagens. Hinter welchen auch noch 6. zugemachte Wagens, in welchen sich Frauenzimmer befand, die Officiers und Cavaliers aber kamen zu Pferde. Dieses geschahe ohngefähr um 11. Uhr.

Ich hatte unter 6. Zeltern, deren Wände in die Höhe gezogen waren, grosse Taffeln aufrichten lassen, an deren jeder bis 30. Personen sitzen konten, allein, es wurden kaum 4. Taffeln recht völlig besetzt.

[123] So bald wir den Gouverneur nebst seinem Gefolge ankommen sahen, wurden auf unsern Schiffen zu erst 50. Canonen gelöset, unsere und die Portugiesische Mannschafft aber, die am Ufer postirt stunde, gab aus dem Hand-Gewehr eine herrliche und accurate Salve. Da der Gouverneur nebst den Seinigen ausstiegen, wurden zum andern mahle 50. Canonen abgefeuert, auch die zweyte Salve aus Musqueten gegeben, und als wir uns nach vielen gewechselten Complimenten zu Tische setzten, die dritte Salve aus Canonen undMusqueten gegeben, worauf denn jedesmahl von derCitadelle geantwortet wurde.

Es ist die Wahrheit, daß wir sehr propre tractirten, denn die Abwechselung der Speisen war gantz unvergleich, so, daß so wohl der Gouverneur, als seine Gemahlin sich höchlich darüber verwunderten, und zu vernehmen gaben, wie sie nimmermehr vermeinet, daß See-Leute alles so accurat und delicat einrichten könten. Wir entschuldigten uns mit unserer Schwachheit, solche hohe Personen, zumahlen im freyen Felde, nicht nach guten Willen und Vermögen tractiren zu können, bathen also dißmahl den guten Willen vor die That anzunehmen. Immittelst gieng der Gesundheits-und Freuden-Pocal lustig herum, wobey die Canonen tapffer gelöset wurden, und die Paucken und Trompeten liessen sich aufs tapfferste hören. Der Gouverneur, seine Gemahlin und deren Kinder bezeigten sich ungemein vergnügt, und die Gouverneurin so wohl, als ihr Gemahl, contestirten [124] hoch und theuer, daß sie seit vielen Jahren her keine Mahlzeit mit grösserem Vergnügen eingenommen hätten, worinnen ihre Töchter und Söhne mit einstimmeten.

Wir sassen bis 4. oder 5. Uhr bey Taffel, da denn der Gouverneur sich ausbath, daß wir ihm, weil er des Sitzens überdrüßig, unsere Schiffe zu besichtigen Erlaubniß geben möchten. Demnach führeten wir die gantze Svite hinunter in die Schiffe, worbey wir den Gouverneur den Antrag thaten: ob ihm mit dem Barbarischen blessirten Schiffe gedient sey, weil es ein sehr schönes, starckes Schiff wäre, nur aber einiger Ausbesserung von nöthen hätte, indem es von uns ziemlich durchlöchert worden, welches alles aber bald ausgebessert werden könte; wir aber, indem wir keine ledige Schiffe mehr brauchten, sondern uns dieselben nur zur Last gereichten, wolten keine Mühe und Arbeit daran wenden, vielweniger die edle Zeit verspielen, und uns an unserer weitern Reise versäumen, sondern es Sr. Excell. umsonst zurücke lassen. Der Gouverneur visitirte selbst das gantze blessirte Schiff, und sagte: Meine Brüder! das ist noch ein vortrefflich schönes und starckes Schiff, wollet ihr mir dasselbe hier lassen, so thut ihr mir einen Gefallen, denn es ist noch lange nicht tödlich blessiirt, aber umsonst verlange ich es nicht, sondern will mich um den Preiß schon mit euch vergleichen, und sogleich Anstallten machen lassen, dasselbe auszubessern, denn ich verhoffe es noch tüchtig und wichtig zu nutzen. Wir sagten, Se. Excell. möchten nur gleich Dero LeutenOrdre geben, das Schiff auszubessern, im [125] übrigen wolten wir schon darüber mit einander eins werden.

Ohngefähr 3. Stunden hatten wir alle mit Besichtigung der Schiffe zu gebracht, da denn nicht allein derGouverneur, sondern auch alle Insulanische Officiers unsere gemachte gute Ordnung, die starcke Besatzung, benebst der Artollerie und Vorrath von Hand-Gewehr aufs hefftigste bewunderten, indem sie, wie sie sagten, nimmermehr vermeynet, daß die Schiffe solche erstaunliche Lasten tragen könten, denn die unzähligen Kisten, Kasten und Ballen fielen ihnen in die Augen. Also sagte der Gouverneur noch: Meine Brüder! ich sehe, daß ihr reiche Leute seyd, und es besser habt als ich, der Himmel behüte euch nur vor Sturm und andern Unglücke, damit ihr den Hafen eures Vergnügens glücklich erreicht.

Es mochte ohngefähr Abends um 7. Uhr seyn, als wir wieder aus den Schiffen herauf stiegen, und da höreten wir die Canonen so wohl auf unsern Schiffen tapffer sausen, worauf die Musqueterie und Feld-Musique sich ebenfalls hören ließ.

So bald wir also ans Land gestiegen, wurden die 4.Canonen abgefeuret, welche wir dem Gouverneur zum Geschencke bestimmt hatten, und um dieselben herum stunden die 50. Barbarischen Sclaven, die er ebenfalls haben solte. Ich hatte die Ehre, ihm beyderley zum Geschenck zu præsentiren, worüber er stutzte, die Canonen erstlich, und hernach die Barbaren besichtigte, und sagte: Meine Brüder! ich verlange kein Geschenck von euch, aber die Canonen will ich behalten vor einen billigen [126] Preiß an baaren Gelde, indem ich noch einige brauche, und die Sclaven, wenn ihr sie nicht selbsten braucht, will ich auch behalten, aber ich nehme dieselben nicht anders an, als vor baar Geld, und zahle euch durch die Banck Mann vor Mann, vor jeden 20. Thaler, könnet ihr noch mehrere missen, so will ich euch dieselben ebenfalls abhandeln, und mit baarem Gelde bezahlen,denn ich kan nicht läugnen, daß ich mit Barbarischen Sclaven handele, und dieselben nach den West-Indischen Insuln hin verkauffe. Wir beredeten uns erstlich mit den Portugiesischen Capitains, welche sich eben so geneigt finden liessen, auch ihre Sclaven dem Gouverneur, Mann vor Mann a 20. spec. Thaler zu überlassen, weilen sie ebenfalls Bedencken trugen, die Canaillen weiter mit sich zu nehmen. Demnach wurde der Handel so gleich geschlossen, alle Barbarische Sclaven herbey gebracht, welche der Gouverneur in Augenschein nahm, und dieselben unter einer starcken Escorte auf die Citadelle führen ließ, uns allen aber die Versicherung gab, daß er uns das Geld vor die Sclaven gleich morgenden Tages wolte auszahlen lassen. Dieses alles aber war noch nicht genug, sondern weil es noch schön und helle Wetter war, führeten wir denGouverneur unter die Zelter, worinnen die ihm bestimmten Waaren stunden, die wir ihm zum Geschencke zugedacht. Ich hatte abermahls die Ehre, im Nahmen unser aller ihm dieses zu præsentiren, und zu bitten, daß er mit diesem geringen Geschencke zur Erkäntlichkeit vor die uns erzeigte Ehre, Liebe und Wohlthaten ad interim dasselbe vor sich und seine[127] hohe Familie, geneigt auf und annehmen möchte: Der Gouverneur schien gantz erstaunt zu seyn über die Vielheit der schönen Sachen, sonderlich aber war das Frauenzimmer gantz ausser sich selbst, als sie die kostbaren Tücher, gold- und silberne, auch andere Sorten Türckischer und Europæischer, so wohl sammetner, seydener, baumwollener, wöllener und leinener Zeuge in die Augen bekamen.

Wie gesagt, der Gouverneur und alle die Seinigen schienen gantz bestürtzt; derowegen sagte ich nochmahls zu ihm: Ew. Excell. werden die Gnade vor uns allerseits haben, und diese Kleinigkeiten zum Præsent von uns anzunehmen geruhen.

Ey was! meine Brüder, (sagte der Gouverneur hierauf) ihr müsset mich ohnfehlbar vor einen Mann ansehen, dessen beste Tugend der Geitz und Wucher sey. Aber, nein! nicht also! dieses wäre als ein Præsent vor einen König oder andern grossen Fürsten zu rechnen, darum will ich euch nur so viel sagen, daß mir vieles von euren schönen Waaren und andern Sachen anstehet, darff ich also bitten, so erlaubt mir das Auslesen unter allem dem, was mir gefällig, damit ich die Sachen Morgen mit Wagens kan abholen lassen. So bald wir des Preises wegen einig worden, soll auch die baare Zahlung parat da liegen. Ich sprach, Ew.Excell. erlauben mir zu sagen, daß wir alle keine Kauffleute sind, die etwas zu verhandeln hätten, sondern es ist dieses alles als ein kleines Præsent vor genossene Ehre, Liebe und Güte zu betrachten, solten wir aber so unglücklich seyn von Ihnen und Dero hohen Familie damit verschmähet zu werden, so haben [128] wir 4. Capitains uns einmüthig verschworen, alle diese Sachen in die See werffen zu lassen, weilen wir ausser diesem dennoch gnugsamen Vorrath behalten.

Als der Gouverneur unsern harten Ernst sahe, sagte er: Gebt euch zu frieden, meine Brüder! und ärgert euch nicht, ich will Morgen früh alles abholen lassen, aber unter keiner andern Condition als dieser, daß ihr mir mit Hand und Munde versprecht, nur wenigstens noch 4. Monate bey mir auf meinem Schlosse zu bleiben, da ich euch denn nach meinem besten Vermögen will warten und pflegen lassen, auch eure Leute sollen keine Noth leiden, denn meine Wälder stehen ihnen offen, da können sie so viel Wildpret schiessen, als sie verzehren können. Ich glaube nicht, daß sie das Wildpret vertilgen werden, weil dessen in gröster Menge vorhanden ist. Auch stehen ihnen alle Teiche, Flüsse und Bäche offen, worinnen sie fischen können, und ich glaube auch nicht, daß sie die Fische auf dieser Insul vertilgen werden, zumahlen, da im Haafen und in der See alles von Fischen wimmelt. Anbey können sie sich eine Lust machen, und am Ufer und an den Sand-Bäncken Schildkröten fangen, aus deren Eyern und ihrem Fleische ich mir eine besondere Delicatesse mache, so wohl als aus den See-Krebsen, ingleichen See-Kälbern, die allhier um dieser Insul herum in erstaunlicher Grösse und Menge anzutreffen sind. Uber dieses alles soll euren Leuten alle 3. Tage eine proportionirliche Menge von Rind-Schöpß- und Schweine-Vieh zu getrieben werden, welches sie selbst schlachten [129] mögen, an Brod, Butter, Käse, Saltz, Gewürtze und dergleichen sollen sie auch keinen Mangel leiden. Wein und Brandtewein, nebst Toback, wird sich auch zur Nothdurfft vor sie finden.

Dem Gouverneur gab ich, nachdem ich mich mit den andern Capitains besprochen, dieses zur Antwort, daß Sr. Excell. nur erstlich Ordre stellen möchten, die allerley Sachen von hier ab, und auf Dero Citadelle bringen zu lassen, da wir denn Morgen, oder Ubermorgen fernere Abrede unter einander nehmen wolten. Mittlerweile gab ich das Zeichen, daß erstlich des Gouverneurs auf dem Platze stehende 4.Canonen abgefeuert, und die Trompeter und Paucker uns zu den Taffeln ruffen solten.

Von unsern Schiffen wurden also 50. Canonen gelöset, worauf die von der Citadelle antworteten. DerGouverneur, da er die Taffel-Zelter ansahe, und erblickte, daß alles schon zum Speisen parat war, sagte: »Meine Brüder! eure Complaisance erstreckt sich gar zu weit, es begiñet dunckel zu werden, derowegen will ich mich mit den Meinigen nach Hause verfügen, in Erwartung der Ehre, euch Morgen um Mittags-Zeit bey mir zu sehen«; Jedoch auf unabläßiges Bitten ließ er sich dennoch aufhalten, und setzte sich so wohl, als alle anderen zur Taffel, bey welcher wir abermahls lucker lebten, und unsern eigenen güldenen und silbernen Pocals und Bechern wenig Ruhe liessen, indem wir bemerckten, daß der Gouverneur nichts lieber tranck, als Canari-Sect, dessen wir ihm und allen den Seinigen genugsam vorsetzen konten, weil [130] wir so viele Fässer von den Barbaren erbeutet hatten. Alle seine Officiers und Cavaliers schlugen nicht schlimm bey, sondern waren, so zu sagen, rechte Helden im Sauffen.

Wie nun unter beständigen Donnern der Canonen und Musqueten, auch unaufhörlicher Feld-Musique, endlich die recht dunckele Nacht herein brach, so hatte mein Bruder schon Anstallten gemacht, daß an der Rhede und auf dem schönen grünen Platze, mehr als 4000. Pech-Fackeln und Schiff-Laternen angezündet wurden, welche er dergestalt artig rangirt, daß sie eine Ansehens-würdige Illumination machten. DerGouverneur und alle Anwesende bezeigten ihr Vergnügen darüber, und bald hernach kam mein Bruder selbst, bat unsere sä tlichen Gäste, mit ihm an den Strand zu spazieren, um auf der See ein kleines Feuerwerck anzünden zu sehen. Demnach, und da wir ohnedem schon völlig abgespeiset, folgten ihm der Gouverneur und wir andern alle, bis auf den letzten Mann.

Es ist wahr, mein Bruder, mein Lieutenant und viele von unsern Leuten, die sehr gute Feuerwercker waren, hatten sich Tag und Nacht viel Mühe gemacht, ein Feuerwerck in der Geschwindigkeit zum Stande zu bringen, welches Sehenswürdig war.

Also wurden erstlich von den Schiffen 50.Canonen gelöset, und 6. Bomben aus den Feuer-Mörsern weit in die See hinaus gespielet. Hernach ließ mein Bruder 6. kleine Bootchens in die See lauffen, auf deren jeden einem des Gouverneurs, [131] dessen Gemahlin, Töchter und Söhne Nahmen, den Initial-Buchstaben nach, Wechselsweise in roth und blauen Feuer, über einem Feuer-Rade brannten, welches beständig herum lief. Anbey bemerckte ich die Schalckhafftigkeit meines Bruders, da er seiner Amasia Nahmen im grünen Feuer brennen ließ, auch das Feuer-Rad zu unterst mit grünem Feuer vorstellete, welches immer einen Schwärmer nach dem andern von sich warff. Es war dieses in Wahrheit fast ein rechtes Kunststück zu nennen, sonderlich wegen des grünen Feuers, welches den Gouverneur und alle dermassen ergötzte, daß sie bekannten, Zeitlebens dergleichen nicht gesehen zu haben. Indem nun diese brennenden Nahmen sehr lustig anzusehen, in der See durch einander herlieffen, ließ mein Bruder ein grösser Boot in die See gehen, worauf unter einer grossen Crone, die im Goldgelben Feuer brannte, die Buchstaben VIVANT im Leibfarbenen Feuer sich præsentirten; Unten aber im Boote brannte ein sehr grosses Feuer-Rad im grünen. Hierbey wurden mehr als 300.Raqueten gen Himmel gespielet, ohne die vielen Schwärmer, so aus den Händen geworffen wurden, und dabey Wechselsweise 100. Canonen auf den Schiffen gelöset, auch gab die Musqueterie zu dreyen mahlen Salve, worauf die von der Citadelle antworteten, wir konten aber vor der Feld-Musique das Schiessen nur in etwas hören. Dieser Lust folgte eine andere, indem mein Bruder unterschiedliche Sorten von Feuerwerckers-Possen, (als wovon ich eben vor meine Person [132] kein grosser Liebhaber bin) noch in die See spielen ließ, als Feuerspeyende Drachen, Fisch-Machinen, Feuer-Schlangen, Wasser-Kegel, Lust-Kugeln und dergleichen, welches alles von den Zuschauern besonders bewundert wurde, ohngeachtet ich mir, wie schon gesagt, vor meine Person nichts daraus machte, denn mein Bruder und ich stimmen ohne dem in unser Temperamenten zwar in etwas, jedoch nicht vollkommen überein.

Dieses Feuerwerck währete also bis gegen den Tag, als es ohngefehr 2. bis 3. Uhr war. Da es nun zum Ende, wurden abermahls 50. Canonen von unsern Schiffen gelöset, 6. Bomben in die See gespielet, und von der Musqueterie 3. mahl Feuer gegeben. Hiermit hatte die Comœdie ein Ende, und wir begaben uns zurück unter die Zelter, da denn bestellter Massen glüender Wein, Chocolade, Caffée und Thée in gröstem Uberflusse anzutreffen war, und es durffte ein jedes sich nur an dieselbige Taffel begeben, oder fordern, was nach seinem Appetite war. Nächst dem waren auch Taffeln anzutreffen, worauf kalter Wein, allerley kalt Gebratenes, Bisquit, Confituren, Obst und dergleichen stunden, welches alles sich unsere lieben Gäste, einer vor dem andern, wohl zu Nutze machten.

Indem die Sonne aufgieng (bey welcher Gelegenheit wir allezeit die Art hatten, von jedem Schiffe 3.Canonen lösen zu lassen, worbey sich die Feld-Musique weidlich hören ließ) trat der Gouverneur auf, und sagte mit lauter Stimme: »Alle meine Lieben! ich bin ein Mann von [133] 64. Jahren, und habe bekannter Massen, wo nicht die gantze, jedoch bey nahe die halbe Welt durchreiset, sonderlich hat es mir in denen Europæischen Königreichen und Ländern über alle Massen wohl gefallen, und ich kan nicht läugnen, daß ich daselbst zum öfftern vor weniges Geld zuweilen viel Vergnügen gefunden, sonderlich in Deutschland; Allein, wenn ich sagen solte, daß ich Zeit meines Lebens einen vergnügtern Tag und eine vergnügtere Nacht gehabt, als die ich nunmehro seit fast 24. Stunden zurück gelegt habe, so müste ich es lügen, und ich mercke an euch allen, daß ihr vergnügt seyd, sonderlich, da uns die Herren Deutschen und Portugiesen fast Fürstlich tractiret, und mit einem so kostbaren Feuerwercke beehret haben. Ich vor meine Person will vorjetzo nichts mehr, als grossen Danck sagen, und in Erwartung, daß sie längstens Morgen Nachmittags in meinem Hause erscheinen werden, mich gegen ihre Höflichkeit aufs möglichste zu revangiren suchen.«

Hierauf, da der Gouverneur noch sagte, daß er Müdigkeit halber nicht länger bey uns bleiben könte, nahmen wir mit vielen Hertzen und Küssen den liebreichsten Abschied von einander, unsere Gäste setzten sich auf ihre Wagens und Pferde, und reiseten, nachdem eine Salve aus 50. Canonen von unsern Schiffen gegeben, nach der Citadelle zu. Ohngeachtet nun derGouverneur seine gewöhnliche Escorte bey sich hatte, so thaten wir und die Portugiesen ihn dennoch die Ehre an, und liessen ihn mit 200. Grenadiers [134] bis vor seyn Schloß convoyren. Da wir denn bald hernach 50. Canonen von der Citadelle lösen höreten, worauf wir Antwort gaben; Unsere Grenadiers aber kamen erstlich in 3. Stunden zurück, indem sie der Gouverneur mit Wein, Brandtewein und Bisquit dergestalt begeistern lassen, daß viele unter ihnen taumelten.

Wir alle suchten auf einige Stunden die Ruhe, und hatten unsern Leuten Ordre hinterlassen, daß, wenn des Gouverneurs Wagens kämen, sie ihnen alle ihm zugedachte Sachen solten aufpacken helffen, und nachdem wir ohngefähr 4. Stunden geschlaffen hatten, befanden wir, daß schon ziemliche Lasten auf die Citadelle gebracht worden.

Des folgenden Morgens machten wir noch eine und andere Anstallten auf unsern Schiffen, wobey die Portugiesen zu vernehmen gaben, daß sie nicht gesonnen wären, sich länger auf dieser Insul aufzuhalten, ohngeachtet es ihnen bey dem wackern Gouverneur sehr wohl gefiele, sondern sie sähen sich genöthiget zu eilen, weilen ihr starcker Vortheil und Nutzen darauf beruhete, da ohnedem ihre Schiffe, die eben nicht so grossen Schaden gelitten, bereits fast vollkommen ausgebessert wären. Demnach wolten sie in GOttes Nahmen bey ersten günstigen Winde abseegeln, und uns GOtt befehlen, weil sie uns aus zweyerley Ursachen nicht zumuthen könten, weiter mit ihnen inCompagnie zu fahren, sondern wir solten uns ja Zeit zu Ausbesserung unserer Schiffe nehmen, weil wir eine noch viel gefährlichere und [135] weitere Reise vor uns hätten, als sie. Hergegen erboten sie sich auf eine recht liebreiche Art, die gefangen gewesenen Christen-Sclaven, welche mit ihnen nach Europa zu seegeln Lust hätten, nicht allein franck und frey bis nach Portugall mit zu nehmen, sondern auch unterweges sie mit der besten Schiffs-Kost zu accommodiren, über dieses einem jeden Christen, der mit ihnen nach Europa reisen wolte, 100. Ducaten und ein gut Stück Tuch nebst anderm Zubehör zur Kleidung zu geben versprachen. Nicht etwa in der Absicht, daß sie ihnen dienstbar seyn, oder die Schiffs-Arbeit solten mit verrichten helffen; Nein! keinesweges, es sey denn zur Zeit der Noth, wenn ein jeder Hand mit anzulegen verbunden wäre.

Mein Bruder und ich lobten der Portugiesen Generositée, und versprachen, unsern gefangen gewesenen Mit-Christen gedoppelt so viel zum Geschencke auf die Reise mit zu geben.

Demnach liessen wir die in Freyheit gesetzten Christen alle vor uns kommen, deren denn 4. Frauenzimmer und noch 36. Manns-Personen waren. Ich kündigte ihnen die Generositée der Herren Portugiesen, und mein und meines Bruders Erbieten an; worüber sie sich alle ungemein erfreut bezeigten. Hierauf trat die Dame zu mir, und sagte in Gegenwart aller: Mein Herr! ich habe von Dero Leuten vernommen, daß sie nach dem Vorgebürge der guten Hoffnung zu seegeln; Ich bitte gehorsamst, mich arme betrübte Wittbe um wenigstens bis dahin mit zu nehmen, weilen ich verhoffe, daß ich daselbst Engelländische, oder [136] doch wenigstens Holländische Schiffe antreffen werde, deren mich eines aus Commiseration auf eine in den Ost-Indischen Gewässern gelegene Insul vielleicht mitnehmen möchte, denn ich kan nicht läugnen, daß ich wenig in Mitteln habe; dancke aber doch dem Himmel, daß er so gnädig gewesen, mir zu vergönnen, daß ich mitten in dem Treffen mit den Barbaren unsere Pässe, Wechsel-Briefe, Obligationes und dergleichen listiger Weise erretten können; sonsten aber habe von allem unsern Gelde, Guth und Kleidern nichts behalten, als einige Jubelen, Ringe und Gold- Stücke, die doch ingesamt keine 5. oder 6000. Thlr. werth sind, komme ich aber glücklich auf die Insul, allwo mein seliger Mann eine starcke Forderung hat, so wird mir und den Meinigen schon geholffen seyn, ich will den übrigen Rest meines Lebens auf dieser Insul beschliessen, und mich, so lange meine Augen offen stehen, niemahls wieder auf die See wagen, viellieber mein in Engelland noch habendes Vermögen im Stiche lassen, wenn meine Verwandten so unbarmhertzig seyn solten, mir selbiges nicht mit guter Gelegenheit nachzuschicken.

Madame! (gab ich zur Antwort) ich verhoffe sie mit den Ihrigen, so GOTT will, glücklich auf dasCap. zu bringen, da sie denn ihre Messures weiter nach Belieben nehmen können. Sie haben sich bey mir einer franck und freyen Fahrt zu getrösten, nur bitte mit der Schiffs-Kost und Commoditée, so gut ich dieselbe nur immer besorgen kan, gütigst vorlieb zu nehmen. Auch [137] soll ihnen das kleine Geschenck an Gelde und Meubles angedeyhen, welches so wohl die Herren Portugiesen, als wir, den in Freyheit gesetzten Christen von uns noch vor unserer Abfahrt zu gewarten haben. Mittlerweile ist ihnen erlaubt, sich von den besten Tüchern, Zeugen von allerley Sorten, auch Leinewand und andern Sachen, so sie bedürffen, nach eigenem Belieben zur Kleidung auszulesen und zu behalten.

Die Dame winckte den Ihrigen, welche bey sie traten, und uns ihre Danckbarkeit mit den höflichstenComplimenten und weinenden Augen abstatteten.

Ihr Sohn war ein wohlgewachsener artiger Mensch von etwa 21. Jahren, der etwas in literis, sonderlich aber in der Mathesi gethan hatte, derowegen ließ ich mich nicht lange bitten, ihn mit zu nehmen.

Hierauf stelleten sich die übrigen Freygelassenen Christen-Sclaven en front, die meisten unter ihnen sehneten sich nach Europa. Wir examinirten in aller Kürtze einen jeden, was vor ein Lands-Mann, von was vor Profession, und was sonsten sein Stand und Wesen wäre? Da sich denn befand, daß sich


1) Ein Gürtler-Meister,

2) Ein Buchdrucker-Gesell,

3) Ein Pulver-Müller,

4) Ein Salpeter-Sieder,

5) Ein Büchsen-Macher unter ihnen angaben, als welche von selbsten austraten, und uns inständig baten, sie auf den Cours nach Ost-Indien [138] mitzunehmen, und wenigstens aufs Cap. zu bringen, weilen sie noch keine Lust hätten, so bald nach ihren Vater-Ländern zurück zu kehren, sondern sich noch etwas versuchen wolten.


Mir kam dieses recht a propos, derowegen sagte ich ihnen, daß sie ihre Equipage in Ordnung bringen, und sich parat halten solten, nächsten Tags mit uns ab zu seegeln, immittelst möchten sie sich von dem Mittel-Tuche, Leder zu Hosen, Leinewand und allen dem, was zu Ausstafirung ihrer Kleidung von nöthen, nach Belieben und nach Nothdurfft auslesen, das versprochene Geld und Geschenck aber vor unserer Abreise ebenfalls richtig gezahlt bekommen.

Wer war erfreuter, als diese Europæische Manns-Personen? Jedoch das Vergnügen des Frauenzimmers erzeigte sich dennoch weit grösser, welche sehr bittlich ersuchten, je eher je lieber Sorge zu tragen, daß wir zu Schiffe giengen.

Wir sprachen allen und jeden, die mit uns fahren wolten, freundlich und tröstlich zu, liessen sie auch mit den besten Speisen und Wein alltäglich tractiren. Demnach behielten die Hn. Portugiesen nur noch 27. gefangen gewesene Christen-Sclaven, welche sie auf ihr redliches Wort, jedoch nicht weiter, als bis in den ersten Portugiesischen Hafen zu schaffen nochmahls theuer versicherten.

Folgenden Morgens thaten wir die Reise nach derCitadelle zum Gouverneur, und nahmen meinenLieutenant, wie auch meines Bruders Fähndrich mit uns, weilen diese beyden redlichen Officiers bis hieher noch das wenigste von unsern [139] gehabten Lustbarkeiten genossen hatten. Das Commando über unsere beyden Schiffe überliessen wir immittelst meines Bruders neu angenommenen Lieutenante und meinem Fähndriche, und in Hoffnung, daß, da sie beyde, uns getreue Unter-Officiers und Leute unter sich hatten, reiseten wir ohne besondere Sorge mit Plaisir fort, bestelleten aber, daß uns so wohl bey Tags als Nacht-Zeit wenigstens alle 4. Stunden, von allem, was so wohl auf den Schiffen, als sonsten veränderlichespassirte, der allergenauste Rapport durch 1. Unter-Officier und 2. Mann abgestattet werden solte.

Wir gelangeten noch 2. Stunden vor Taffels-Zeit bey dem Gouverneur an, mit dem und dessen Familie wir vorhero ein freundliches Gespräche hielten, in welchem der Gouverneur vorbrachte, was Massen er doch hoffen wolte, uns gestern abgeredter Massen noch etliche Monate bey ihm zu sehen; Allein die Portugiesischen Capitains deprecirten solches, und brachten allzu trifftige Ursachen hervor, weßwegen sie sich vor dißmahl nicht länger aufhalten könten, weilen ihr gröster Schimpff und Schaden darunterversirte, wenn sie über die Gebühr aussen blieben, und nicht nach ihrem Lande trachteten. Also ließ sich der Gouverneur endlich bewegen, und erlaubte ihnen auf ihr inständiges Bitten, mit nächsten favorablen Winde abzuseegeln. Mit euch aber, meine Brüder! (sprach er zu mir und meinem Bruder,) darf es so eilig nicht zugehen, denn allem Ansehen nach, braucht ihr noch einige Wochen [140] Zeit, eure sehr zerlästerten Schiffe auszuflicken, wo ihr anders keine gefährliche Fahrt haben wollet.

Wir beyden gaben zur Antwort, daß unsere Leute ihre Hände keinesweges in die Ficke stecken, noch auf der faulen Banck liegen solten, sondern wir hofften mit den Herren Portugiesen, wo nicht zugleich seegelfertig zu seyn, doch ihnen aufs eiligste nach zu folgen, und zwar auf unserer Strasse, weil wir zweyerley Wege vor uns hätten. Es wird sich schon geben, (sagte der Gouverneur im Schertze) Wind und Wetter wird mir dißmahl schon gehorchen, denn ich gebe mich halb und halb vor einen Wettermacher aus, mittlerweile wollen wir noch eine Zeitlang lustig mit einander leben, auch weder Speisen, Geträncke, Musique, noch Pulver verschonen.

Bey diesen Worten meldete sich mein Bruder, und sagte: Ew. Excell. werden einiger Massen an mir abgemercket haben, daß ich ein Ertz-Pulver-Verderber bin, doch will gehorsamst gebeten haben, von nun an des edlen Pulvers einiger Massen zu verschonen, indem ich, wenn wir ja noch etliche Tage oder Wochen beysammen bleiben solten, mit Dero gnädigen Erlaubniß noch ein oder ein Paar bessere Feuerwercker, als die letzteren gewesen, zu præsentiren gesonnen bin.

Wohl gut, mein Bruder! (sagte der Gouverneur) es soll von heute an das Pulver menagirt werden, weilen mir selbsten deucht, daß der Freuden-Becher unterMusique, Trompeten und Paucken-Schall eben so gut schmeckt, als unter dem Donner der Canonen.

[141] Wir giengen demnach zur Taffel, die sehr köstlich zubereitet war, da denn beym Gesundheit-Trincken kein eintziger Canonen-Schuß gehöret wurde, als Abends, wenn die Sonne untergieng, da denn 3.Canonen von der Citadelle abgebrannt, und von unsern Schiffen mit eben so vielen geantwortet wurde.

Bis gegen Mitternacht wurde noch mancher schöner Pocal und Becher unter Trompeten und Paucken-Schall, auch anderer instrumental Musique ausgeleeret, weil der Gouverneur und die Seinigen sich alle ungemein lustig bezeigeten, auch wir unserer Seits keine Schlaf-Mützen repræsentirten. Endlich ward Schicht gemacht, und wir beyden Brüder bezogen wieder unser vormahliges Zimmer.

Hernachmahls gieng alles gantz ordentlich, jedoch mit täglicher Veränderung der Lustbarkeiten zu, denn einen Tag giengen wir auf die Jagd, den andern auf die Fischerey, den dritten schossen wir einen grossen höltzernen Vogel von der aufgerichteten Vogel-Stange herunter, den vierdten Tag schossen wir mit Büchsen, Flinten, auch theils mit Pistolen nach den aufgesetzten Scheiben, den fünfften sahen wir aus den Fenstern dem Kampff der wilden Thiere unter einander zu, den sechsten fuhren wir Abends in den kleinen Lust-Schiffen auf der See herum, dabey mein Bruder doch sein Wort nicht hielte, und das Pulver sparete, indem er immer nach einander eine ziemliche MengeRaqueten steigen, auch eine Anzahl kleinere Schwärmer aus den Händen werffen, oder aus [142] Pistolen und Flinten in die Lufft schiessen ließ, den siebenden Tag fuhren oder ritten wir aufs Land, und besahen bald diesen bald jenen Mayerhof, allwo wir allezeit herrlich tractiret wurden, den achten Tag war Ball undMasquerade, den neundten Tag wurde uns eine Comœdie von den Studenten und Gymnasiasten vorgestellet, die wir Fremden allezeit reichlich beschenckten. Kurtz: Es fället mir fast unmöglich, alle Veränderungen der Lustbarkeiten zu beschreiben, und es wurde kein eintziger Tag ausgesetzt, da nicht eine neue Lust gemacht wurde, ausgenommen, die Sonn-und Fest-Tage, an welchen alles sehr devot und andächtig zugieng, und ohngeacht wir Protestanten zu seyn gar nicht läugneten, so gefiel doch dem Gouverneur und seiner Familie, daß wir und unsere Officiers ihre Kirche fleißig besuchten, aber jedennoch, wiedevot wir uns auch anstelleten, niemahls eine Ceremonie mitmachten, die unserer protestantischenReligion zuwider war, und wir verspüreten nicht, daß ihnen diese oder jene Nachläßigkeit verdroß, sondern sie liessen uns in Glaubens-Sachen immer zu frieden, und disputirten davon wenig oder gar nichts.

Unsere subalternen Officiers löseten einander alle Tage ordentlich ab, so, daß sie einen Tag bey uns und bey der Lust mit waren, am andern Tage aber dasCammando auf den Schiffen führeten, welche mehrentheils alle 3. oder 4. Tage von mir oder meinem Bruder Wechselsweise visitirt wurden, um die Liebe unseres Volcks gegen uns zu erhalten.

[143] Allein, meine Herren (sagte hier der Capitain Horn weiter zu uns Felsenburgern) ich bemercke, daß ich in der ersten Hitze eine allzu lange Oration, oder Berichts-Erstattung meiner Anhero-Reise Ihnen abgeleget. Mir ist die Zeit darbey nicht lang worden, und bin auch des Redens wegen nicht so müde, als sie vielleicht des Zuhörens sind; doch, da ich sehe, daß die Demmerung herein tritt, will mit Dero gütigen Erlaubniß vorjetzo in meiner Erzählung Abbruch thun, und das übrige bis Morgen versparen. Der Regente und alle Anwesenden, sonderl. ich, hätten ihm noch gern eine oder etliche Stunden zugehöret, und lieber die Abend-Mahlzeit entbehren wollen; allein es wäre wider alle Billigkeit gewesen, ihm noch ein mehreres Reden zu zumuthen. Derowegen sagte der Regente: Mein Sohn Horn! Ihr habt euch, ohngeachtet ihr gesessen, dennoch mit Reden eine schwerere Arbeit verrichtet, als mancher Holtzhauer, derowegen lasset uns ein wenig speisen, und nach gehaltener Abend-Bet-Stunde zur Ruhe begeben, mit der Verabredung, daß wir Morgen G.G. in den Früh-Stunden beym Thée einander so, wie wir hier versammlet sind, wieder sehen, und die Fortsetzung eurer Reise-Geschicht anhören wollen. Vorjetzo nehmet auf heute mit einem mündlichen Dancke von mir vorlieb, bis auf weitern Bescheid.

Demnach wurde die Taffel angerichtet, bey welcher alles gantz stille zugieng, ausgenommen, daß die Herrn Musicanten eine douçe Taffel-Musique machten, und damit wohl noch eine gute Stunde nach abgehabener Taffel fortfuhren, bis [144] endlich, nachdem wir noch etwa eine halbe Stunde auf dem grünen Platze bey schöner Witterung und hellem Monden-Schein uns eine Bewegung gemacht, damit sich das Essen setzen möchte, worbey die Musicanten auf dem Berge mit einer angenehmen Abend-Musique sich beständig hören liessen, das Signal zur Bet-Stunde durch einenCarthaunen-Schuß gegeben wurde. Wir versamleten uns also insgesa t auf dem grossen Saal vor des Regentens Zimmer, und warteten daselbst die Abend-Andacht ab, worauf ein jeder, nach gewechseltenComplimenten zur guten Nacht, seine Ruhe-Stätte suchte.

Des folgenden Tages, da Kirch-Tag war, fanden wir uns alle, wie wir gestern versammlet gewesen waren, in des Regentens Zimmer ein, und truncken mit ihm nicht nur den Thée, sondern auch ein jeder nach seinem Belieben, ein oder mehr Gläser Frantz-Brandtewein, bis die Carthaune abgefeuret, und die Glocken zum Kirchengehen die Einladung thaten.

Das Volck versammlete sich häuffig in der Kirche, weßwegen wir uns auch nicht versäumeten, unsere Stellen zu begleiten.

Herr Mag. Schmeltzer Jun. that eine schöne Wochen-Predigt, und zu Ende derselben fügte er der Christl. Gemeinde folgendes zu wissen:


»Demnach der allmächtige und barmhertzige GOtt unsern lieben Freund und Bruder, Hrn. Capitain Philipp Wilhelm Horn, nebst seinem Geleite, nach einer überstandenen gefährlichen und beschwerlichen Reise [145] glücklich und vergnügt, zu unserer aller, allergrösten Freude, auf diese unsere liebe Insul zurück geführet; Als erfordert unsere Pflicht und Schuldigkeit, dem Allmächtigen vor die gantz besondere Wohlthat, die er uns abermahls hiermit erzeigt, auch einen gantz besondern Danck abzustatten. Wie nun unsere Obern und die Geistlichen beschlossen haben dieserwegen ein solennes Danck-Fest auf nechst-künfftigen Sonntag anzustellen; als wird Ew. Christlichen Liebe und Gemeinden solches zum Voraus von der Cantzel hiermit öffentlich verkündiget, damit sie sich darnach achten, und zu rechter Zeit, wiewohl vor dißmahl etwas früher, nach der gewöhnlichen Lösung mir 2. Stück-Schüssen und Läutung der Glocken, in dem GOttes-Hause einfinden wollen. Mit Proviant sich zu belästigen, hat niemand nöthig, indem unser guter Regente und Vater so wohl, als die andern Obern schon Anstallten gemacht haben, auf diesen Tag alle Einwohner der Insul nothdürfftig zu speisen und zu träncken. Wir sind, meine Lieben! unserm GOtte einen gantz ausserordentlichen Danck schuldig vor seine unschätzbare Gnade, die er dieser Insul abermahls wiederfahren und geniessen lässet, zumahlen, da er uns vor weniger Zeit in Furcht und Schrecken gesetzet hat. Da wir nun sehen, meine Lieben, daß GOtt nicht immer oder ewiglich zürnet, sondern sein Wort hält, ja, da wir erfahren haben, daß sein Zorn nur eine [146] kleine Weile über uns gewähret hat, so lasset uns mit demüthigen und danckbaren Hertzen ingesa t vor ihn treten. GOtt bereite unser aller Hertzen zur ihm gefälligen Andacht, durch die Krafft des heiligen Geistes, in unsers HErrn und Heylandes JEsu Christi Nahmen, Amen!«


Als der Gottesdienst in der Kirche zum Ende war, und wir auf dem grünen Platze etwas stille stunden, worbey der Capitain Horn der vorderste war, hätte man sein blaues Wunder sehen sollen, wie unsere Leute, alt und jung, ja Kinder, die kaum 2. bis 3. Jahr alt waren, um ihn herum gelauffen kamen; die Alten küsseten ihm Stirne, Backen und Mund, und wenn die jüngern und kleinern Kinder sahen, daß sie nicht an ihn hinauf reichen konten, so küsseten sie ihm die Hände, auch so gar die Kleider, welches Ceremoniel ihnen kein Mensch auf der Welt gezeiget und vorgemacht hatte, sondern sie thatens aus unschuldiger einfältiger Liebe.

Dieses währete, bis wir zur Taffel geruffen wurden, nach deren Abtragung Capitain Horn seine Reise-Erzählung folgender Massen fortsetzte:

Meine Herrn, auch allerwertheste Brüder, Gönner und Freunde!

Ich habe gestern, wo mir recht ist, in dem Periodo abgebrochen, was Massen wir von dem Gouverneur der grünen Insuln, der seine Residenz und eine wichtige Festung auf einer Insul, S. Jago genannt, hatte, so herrlich tractiret worden; [147] Die andern grünen Insuln hatte er fast rings umher um diese seine Residenz-Insul liegen. Es waren importante Insuln in selbiger Gegend, auf welchen die gütige Natur alles hervorbrachte und darreichte, was der Mensch nur immer verlangen konte.

Ehe ich aber weiter gehe, so muß melden, daß die Herren Portugiesen des kostbaren Tractaments überdrüßig wurden, und mit aller Gewalt zu ihrer Abseegelung Anstalt machten.

Der Gouverneur bat sie zwar sehr, noch eine Zeitlang bey ihm zu verharren, allein, sie vermassen sich hoch und theuer, daß es ihnen ohnmöglich, ja höchst gefährlich wäre, länger zu bleiben, demnach erlaubte endlich der Gouverneur, daß sie mit nächstemfavorablen Winde in GOttes Nahmen abfahren möchten.

Dieses geschahe also, nachdem sie 2. Monate und etliche Tage geschmauset hatten.

Als es sich nun zu einem günstigen Winde vor sie anließ, machten sie sich an den Gouverneur, und sprachen: Daß nunmehro ihres Bleibens nicht länger, als etwa 3. Tage noch sey, baten zugleich den Gouverneur, seine Familie und Officiers, auch uns beyden Brüder zum Valet-Schmause, auf das gröste von ihren Schiffen. Der Gouverneur, welcher kein Kost-Verächter war, bestimmte also von heute an den 3ten Tag, da er denn mit allen den Seinigen auf ihren Schiffen erscheinen wolte.

Wie nun der 3te Tag eintrat, traten auch wir sä tlich gebetenen Gäste in dem grösten Portugiesischen[148] Schiffe ein; Jedoch muß zu melden nicht vergessen, daß, so bald sie uns ankommen sahen, alle Canonen so wohl von den unserigen, als den Portugiesischen Schiffen gelöset wurden, denn sie hatten uns freundlich darum ansprechen lassen, unsere Canonen zu ihrem Dienste nochmahls zum Valet mit zu gebrauchen; wolten auch das Pulver darzu hergeben, allein wir waren viel zu großmüthig bey dieser Kleinigkeit, indem wir Uberfluß an Pulver hatten.

Ich muß den Portugiesen nachsagen, daß sie uns sehr propre tractirten, denn sie setzten uns die allerdelicatesten Speisen vor. Fleisch-Speisen, Fischwerck und Geflügel von vielerley Art war alles im Uberfluß da, ingleichen an Gebackenes, Confituren und dergleichen spürete man keinen Mangel, absonderlich war die öfftere Veränderung der Speisen zu bewundern, als welches Kunststück wir bey ihnen nicht gesucht hätten. Hierbey war der beste Canarien-Sect unter vielen andern köstlichen Weinen das vornehmste Geträncke, in welchem die Gesundheiten unter Trompeten und Paucken-Schall häuffig getruncken wurden.

Der Schmauß währete bis zum Untergang der Sonnen, ja fast bis zu einbrechender Nacht, da denn derGouverneur, alles fernern hefftigen Nöthigens ohngeachtet, Aufbruch machte, und seine Dancksagung bey den Portugiesischen Capitains abstattete, anbey dieselben inständig ersuchte, sich folgenden Morgens, so früh als es nur immer möglich seyn könte, auf seiner Burg ein zufinden, [149] weilen er gesonnen wäre, auch noch ein kleines Valet-Schmäußgen zu geben.

Es wolten zwar die Portugiesen hierein erstlich gantz und gar nicht willigen, sondern sperreten sich hefftig dargegen, allein da der Gouverneur sagte, wie er sie Zeit seines Lebens nicht vor rechtschaffene brave Leute erkennete, daferne sie ihm diese letzte Bitte nicht gewähreten, indem es ja nicht nur vom Ceremoniel erfordert würde, erstlich nochmahls auf seiner Burg einzusprechen, und Abschied zu nehmen, nachhero aber auf ihren Schiffen den Valet-Becher zu trincken, denn er versicherte ihnen hoch und theuer, daß er, weilen sie doch so gar allzusehr eileten, nicht länger, als den morgenden Tag aufhalten, des folgenden Tages aber ihrer Abfahrt mit betrübten Augen nachsehen wolte, so lange bis sie ihm aus den Augen verschwänden. Uber alles dieses hätte er noch vieles in Geheim mit ihnen zu reden, welches der Portugiesischen Nation und auch dem Gouverneur selbst zu gantz besonderm Nutzen und Vortheil gereichen könte. Wie nun die Portugiesen dieses vernahmen, versprachen sie ihm auf redliche Parole, daß sie folgenden Morgens mit den allerfrühsten auf der Burg sich einfinden wolten. Demnach reisete der Gouverneur nebst allen den Seinigen nach seiner Burg zu, und wir beyden Brüder wurden von dem Gouverneur und den Seinigen fast forcirt, auch mit dahin zu gehen.

Es war also schon um die Zeit des Aufgangs der Sonnen, als wir die Burg erreichten, immittelst wurde von beyden Seiten noch immer beständig [150] scharf canonirt, jedoch wir legten uns alle auf einige Stunden zur Ruhe. Die Portugiesen hielten ihr Wort redlich, und stelleten sich bey früher Tags-Zeit bey uns ein, da denn nicht lange hernach auf der Burg alles munter und wach wurde, demnach mochten wir auf der Burg wohl ein gut Stück länger geschlaffen haben, als die Herren Portugiesen.

Dieses Tages ließ der Gouverneur in Wahrheit abermahls ein recht fürstlich Tractament zurichten: Denn die Taffeln waren dergestalt mit den allerbesten Sorten von leckerhafften Speisen besetzt, daß man immer vermeynen sollen, es würden dieselben brechen. Von Wein und andern Geträncke verschiedener Sorten war ein solcher Uberfluß zu sehen, so daß es das Ansehen gewann, als ob sich die Gefässe immer von sich selbsten wieder voll fülleten.

Bey allen dem sassen wir in die 4. bis 5. Stunden an der Taffel, jedoch mehr beweglichen Machinen, als Menschen ähnlich, indem von den allzuhäuffigen Speise-Gerichten die wenigsten etwas rechts geniessen konten, zumahlen, da uns allen noch die Portugiesische gestrige Mahlzeit noch in dem Leibe stack. Demnach wurde mehr getruncken, als gespeiset, denn es verfolgte immer ein Pocal den andern, und zwar unter Trompeten und Paucken-Schall, auch Lösung der Canonen, so wohl von der Burg, als von unsern Schiffen. Wie nun dieses gegen des Gouverneurs Wort lief, daß wir nemlich das Pulver schonen wolten; so sagte derselbe; Ey was! Schade vor das Pulver, meine [151] Brüder! ich habe nicht allein in den Magazins dessen im Uberflusse, sondern kan auch einen Tag und alle Tage mehr Pulver mahlen lassen. Einmahl vor allemahl, heute wollen und müssen wir einmahl noch frölich und lustig beysammen seyn, weil wir nicht wissen, ob wir einandern so bald, oder wohl gar nicht wieder sehen möchten, denn ich bin ein alter Mann, der dem Tode starck entgegen gehet.

Wir alle wünschten dem ehrlichen Manne ein noch langes und vergnügtes Leben, weilen er Alters halber noch viele Jahre leben könte. Er schien über unsere Wünsche vergnügt zu seyn, nach aufgehabener Tafel aber gab er den Portugiesischen Capitains, wie auch mir und meinem Bruder einen Winck, ihm in ein Ober-Zimmer zu folgen. Mitten in diesem tappezirten Zimmer stund eine lange Taffel, die mit einer rothen Sammet-Decke beleget war, welche Decke der Gouverneur durch 2. Pagen abnehmen ließ, worauf sich unsern Augen folgendes præsentirte:


1.) 2. saubere Degen, deren Gefässe so wohl, als die Schnallen am Gehencke, häuffig mit Brillanten und andern Edel-Gesteinen besetzt waren.

2.) 2. vortrefflich schöne Spanische-Röhre, deren Knöpffe ebenfalls mit Brillanten und andern Edel- Gesteinen besetzt waren.

3.) 24. Stück grosse güldene Taffel-Schüsseln.

4.) 24. Stück etwas kleinere oder Mittel-Schüsseln, die ebenfalls von Golde getrieben waren.

5.) 4. Dutzent goldene Teller.

6.) 4. Dutzent goldene ordinaire Löffel.

7.) 2. ziemlich grosse güldene Pocale, die da sehr starck [152] mit Brillanten und andern edlen Steinen besetzt waren.

8.) 2. Dutzent goldene Becher von verschiedener Grösse, welche sehr bequemlich beym Speisen zu gebrauchen.

9.) 48. Stück ziemlich grosse aus feinem Silber getriebene Schüsseln.

10.) 48. Stück aus feinem Silber getriebene Mittel Schüsseln.

11.) 4. Dutzent silberne Teller.

12.) 4. Dutzent silberne Löffel.

13.) 4. Dutzent silberne Becher von verschiedener Grösse.

14. 15.) 2. Uhrwercke und Compasse mit güldenen Gehäusen, und starck mit Steinen besetzt, worinnen zu oberst die Magnet-Nadel befindlich.


Auf einer dabey stehenden Neben-Taffel befanden sich noch verschiedene güldene und silberne Gefässe, und zwar alles gedoppelt, als nemlich Lavors, Commoditæten und unzählige andere Sorten, welches wir allerseits bewunderten. Nachdem wir uns aber satt daran gesehen hatten, er griff der Gouverneur die beyden Portugiesischen Capitains bey den Händen, und sagte zu ihnen: Sehet hier, meine werthen und lieben Brüder! das soll das geringe Geschencke seyn, welches ihr von mir auf die Reise empfanget, verschmähet dasselbe nicht, sondern theilet euch brüderlich darein, und gedenckt meiner und der Meinigen im Besten, so offt ihr auch das gerinste Stücklein darvon braucht.

Die Capitains erschracken darüber, und wolten sich durchaus nicht entschliessen, auch das geringste[153] davon anzunehmen, sondern brachten unzähliche Entschuldigungen vor, die sie verhinderten, an einem solchen über königlichem Geschencke einigen Theil zu nehmen; Allein der Gouverneur sagte, indem er sie hertzlich küssete: Meine Brüder! macht kein Wunder, und verschmähet mich nicht, sonsten werde ich auch so trotzig werden, als ihr euch ausgabet, da wir zu erst zusammen gekommen sind, und da ihr mich dergestalt reichlich beschenckt habt, ist das Meinige eine kleine Kleinigkeit dargegen zu rechnen.

Indem fassete er die beyden Portugiesen bey den Händen, und sagte: Seyd so gütig, mir zu folgen, meine Brüder! um zu sehen, was mein Frauenzimmer vor euch zu rechte gelegt hat, und zwar in diesem besondern Zimmer; Da er aber mich und meinen Bruder auch anfassete, um zu sehen, was passirte, so traffen wir in dem Neben-Zimmer einen erstaunlichen Kram von allerley Arten weisser Wäsche an. Nächst diesen zwey kostbare, damastene, mit Golde bordirte Schlaf-Röcke und andere Nacht-Kleider. In Summa, wir hatten allerseits Ursache, über die Menge der kostbarn Wäsche so wohl, als über die andern Sachen zu erstaunen.

Demnach stelleten sich die beyden Portugiesen gedoppelt beschämt, beklagten sich auch darüber so wohl bey dem Gouverneur, als bey dessen Frauenzimmer in recht wehmüthigen Geberden und Stellungen, welcher erstere, nemlich der Gouverneur, denn zu beyden sagte: So wahr ich lebe, meine Lieben! so lange als ihr hier bey mir gewesen seyd, habe ich keine unvergnügte Stunde, geschweige [154] denn einen unvergnügten Tag gehabt, als nunmehro diese Stunde, da wir Abschied von einander nehmen müssen. Wolte GOtt! wir hätten Zeit-Lebens beysammen bleiben können, da aber dieses eine unmögliche Sache, so kränckt mir und den Meinigen in der Seele nichts mehr, als daß ihr so eigensinnig oder hochmüthig seyn wollet, die geringen Gegen-Geschencke gegen die eurigen, welche weit reichlicher gewesen, als die unserigen, von uns anzunehmen. Die nun die Portugiesen erweißlich machten, daß Dero Geschencke allzu kostbar, und zwar von beyden Seiten, gegen das wenige, was sie von uns empfangen hätten, ohne die allzu vielen Gefälligkeiten und Gnaden-Bezeugungen zu rechnen, die wir von Tage zu Tage von Ihnen genossen; so fieng der Gouverneur endlich also zu reden an: Meine lieben Brüder! Gold und Silber habe ich im Uberflusse, so wohl als die Meinigen, die wenig Wäsch- und Kleidungs-Stücke herbey gebracht haben. Wir bitten demnach alle aus einem Munde, uns nicht zu verschmähen, sondern dieses wenige zum geneigten Andencken, nicht aber als ein Geschenck anzunehmen, wiedrigenfalls will in eurer aller Gegenwart einen theuren Schwur thun, daß alle die Sachen noch vor eurer Abfahrt in die See geworffen werden sollen, und zwar, wo dieselbe am tieffsten ist.

Der Streit währete noch eine ziemliche Zeitlang, endlich aber, nachdem der Gouverneur, seine Gemahlin, Töchter und Söhne die Portugiesen nochmahls alle zärtlich umarmet und geküsset, gaben sich diese überwunden, und gewiß, das [155] Abschied-nehmen kam allen so bitter an, daß die meisten, eins wie das andere, die heissen Thränen fallen liessen.

Folgendes Tages in aller Frühe ließ der Gouverneur alle verschenckten Sachen auf der Portugiesen Schiffe schaffen, und zwar durch seine eigenen getreusten Leute, denen wir alle, nach eingenommenem Frühstück, in Chaisen auf dem Fusse nachfolgten, und auf den Schiffen ankamen, allwo die Portugiesen sich ungemein erfreueten, daß sie einen günstigen Wind fanden, mithin sich in möglichster Eile vollends einschifften, und nach nochmahligem genommenen zärtlichen Abschiede und Valet-Truncke am Strande ihre Ancker lichteten, die Seegel aufzogen, und unter einem entsetzlichen Donnern der Canonen so wohl von ihren, als unsern Schiffen, ingleichen von der Citadelle, als und darvon fuhren. Der Gouverneur blieb mit den Seinigen so lange am Strande stehen, und winckte beständig mit dem Huthe, bis sie uns aus den Augen verschwanden, worauf wir insgesa t zurück auf die Burg fuhren, indem er uns durchaus nicht aus den Augen wolte kommen lassen.

Als wir auf der Burg angelanget, sagte er zu uns beyden Brüdern: Nun, meine werthesten Brüder! ihr werdet von der Güte seyn, und die euch angewiesenen Zimmer beziehen, als dergleichen keine bessern in meinem Hause anzutreffen sind, auch alles kühnlich fordern, was zu eurer Bequemlichkeit gereicht, denn wahrhafftig, ich liebe euch als Brüder, meine Gemahlin macht in der Liebe zu ihren Kindern und gegen euch nicht den allergeringsten [156] Unterscheid, und meine Kinder erzeigen sich nicht anders, als ob ihr ihre allernächsten Anverwandten wäret. Woher aber eine solche Liebe entstanden, solches ist eine gantz andere Frage, welche ich jedoch nicht anders beantworten kan, als wie ich vollkommen der Meynung bin, daß dieselbe gantz heimlich in der Natur steckt, und von uns Menschen nicht gnugsam erforschet werden kan. Mit einem Worte, ich halte dergleichen Liebe vor eine vollkommene Sympathie oder Ubereinstimmung der Hertzen und Gemüther, es mögen aber die HerrenPhilosophi nach ihrem besten Vermögen untersuchen, wie es damit zugehet? wo es steckt? wenn sichs anfänget? wenn es aufhöret? und dergleichen, kurtz: ich sage nur dieses, daß ich in dieser Sache keinen Grund finden kan. Ihr habt gesehen, meine Brüder! daß ich und die Meinigen den beyden Portugiesischen Capitains nach unserm besten Vermögen alle mögliche Gefälligkeit und Höflichkeit geniessen lassen, weiln ich ihnen nachrühmen muß, daß sie artige Leute, und darzu unserer Römisch-Catholischen-Religion zugethan waren, da hingegen ihr, wie ich von euch vernommen habe, Protestanten seynd.


Unterdessen wolte wünschen, daß die lieben Portugiesen noch bey uns geblieben wären, bis auf eine andere Zeit, doch, da sie einmahl fort sind, so wünsche ihnen GOttes Geleite, und bin nur von Grunde meiner Seelen erfreuet, daß ich euch, meine Lieben noch eine Zeitlang bey uns sehen soll. Nun aber sagt mir, meine Herren! wie es zugehet, daß die [157] Liebe von unsern Seiten nicht auf unsere Glaubens-Genossen, sondern auf die Protestanten gefallen? Es solten sich zwar wohl bey unserer Religion einige finden, welche deßfalls bey diesem oder jenem einen Gewissens-Scrupel erregen, oder erzwingen möchten; Allein bey mir und den Meinigen werden sie ihren Zweck nicht erreichen, denn unser Wahlspruch ist dieser: Wir lieben die Tugend, und lassen jedennoch die Religion in ihren gebührlichen hohen Würden. Nachdem wir noch eine gute Zeitlang von dieser Materie pro und contra disputirt hatten, bezogen mein Bruder und ich unsere angewiesenen Zimmer, und lebten darauf dergestallt ruhig und vergnügt mit dem wohlthätigen Gouverneur und den Seinigen, daß ich, ausgenommen, was Felsenburg anbelanget, nicht leicht an einem Orte mehr Vergnügen auf dieser Welt gehabt.

So bald der Gouverneur und die Seinigen das Wort von uns beyden heraus gelockt, ja, so zu sagen, erzwungen hatten, wie wir wenigstens noch 2. Monate bey ihnen bleiben wolten; war das gantze Haus voller Freuden, damit wir aber eine Haupt-Veränderung unserer Gemüther empfinden möchten, stellete der Gouverneur eine general-Visitation der unter seinemCommando stehenden Insuln an, und lude uns darzu ein. Es wurden auch so gleich Anstalten zur Abfahrt gemacht, indem er gesonnen, seine gantze Familie mit sich zu führen, bis auf den ältesten Sohn und jüngste Töchter, als welche beyde gute Wirthschafft führen solten. Wir beyden Brüder konten ohne besondere Sorgen die Reise mit antreten, [158] weiln wir versichert waren, daß wir getreue Subalternen und Unter-Officiers so wohl, als auch Volontairs und Gemeine hatten; Lauter Leute, die nicht zu verbessern waren.

Wie demnach die aufs kostbarste und zierlichste ausgerüstete ungemein bequemliche Fregatte, welche von einem Kriegs-Schiffe begleitet wurde, im Hafen der Insul St. Jago anlangete, setzten wir uns in dieselbe, und fuhren mit des Gouverneurs Suite unter einer starcken Bedeckung und unter Lösung der Canonen von dannen, worbey zu mercken, daß uns der Gouverneur erlaubte, 12. Mann Granadiers von unsern Leuten, wie auch ausser diesen, daß er allen unsern Volontairs die Freyheit gab, in der Suite uns zur besondern Bedeckung mit zu reisen. Wir fuhren also zuerst auf die Insuln St. Luciæ und Nicolai, als in welchen beyden der Gouverneur unvergleichliche Fortifications und Schlösser zu seiner Bequemlichkeit anlegen lassen, weil sie die grösten waren unter denen noch übrigen etwas kleinern Insuln, welche doch aber alle sehr fruchtbar, und der Gouverneur auch in der aller kleinesten Insul ein Abtrits-Haus oder Pallais vor sich hatte.

Wir bewunderten, indem er auf einer jeden Insul Gerichte hielt, (da denn die Unterthanen vor seinem Richter-Stuhle erscheinen musten) dessen gantz besondere Conduite und Liebe zur Gerechtigkeit, wovon ich unzählige merckwürdige Exempel vorbringen wolte, wenn es vor jetzo Zeit darvon wäre. Uns zu Gefallen ließ er hie und da bald auf dieser, bald auf jener Insul ein Corps seiner Trouppen [159] entweder vonregulirten, oder von Land-Militz zusammen ziehen, welche er selbst aufs schärffste musterte und exerciren ließ, worbey ich gestehen muß, daß derselbe Mann rechte brave Soldaten unter sich hatte.

Von allerhand sonderbaren und wunderbaren Geschichten, welche wir auf dieser oder jener Insul erfahren, will ich vor dißmahl, beliebter Kürtze wegen, so wenig erwehnen, als von der Natur, Art und Weise dieser grünen Insulaner, viel weniger von dem Ceremoniel und anderer Lebens-Art, auch Freudens-Bezeugungen, bey Anwesenheit ihres Gouverneurs, und was sie ihm vor Geschencke zu bringen pflegen. Hergegen kan ich nicht anders sagen, als daß wir auf diesen Insuln wegen der vielfältigen Veränderungen ungemeines Vergnügen fanden, endlich aber, da wir schon fast einen gantzen Monat von St. Jago, als derResidenz des Gouverneurs, hinweg gewesen, gaben wir demselben zu vernehmen, was Massen, da nun fast ein Monat von unserer angelobten Zeit des Dableibens verflossen, Sr. Excell. die Gnade haben möchten, es dahin zu verfügen, daß wir beyden Brüder nur auf einem Jagd-Schiffgen nach St. Jago gebracht werden möchten, weiln wir uns nicht getraueten, länger von unsern Schiffen abwesend zu bleiben, sondern nunmehro in beständigen Aengsten und Sorgen schweben müsten, weilen bekannter Massen unsere Subalternen das See-Hand-Werck noch nicht gar zu vollkommen verstünden, uns aber an einer tüchtigen Reparatur unserer Schiffe das allermeiste gelegen wäre etc. Es [160] ist gut, meine Brüder! (sagte hierauf derGouverneur) daß ihr mich erinnert, wir wollen insgesamt von hinnen seegeln, damit wir bey Zeiten zu Hause kommen, denn ich kan wohl sagen, daß mir kein Bissen besser schmeckt, als in meiner Burg.

Demnach besuchte der Gouverneur nur noch 5. oder 6. kleine Insuln, welches binnen wenig Tagen geschehen war, worauf wir insgesamt den Rückweg nach St. Jago nahmen, und weiln wir die Zurückkunfft durch ein Post-Schiff melden lassen, so hatten des Gouverneurs Leute kaum unsere Flaggen auf den Schiffen wehen sehen, als so gleich ein grausames Donnern der Constabler auf der Citadelle, und auch zu gleicher Zeit von unsern Schiffen gehöret wurde, weßwegen wir uns nicht lange mit Rudern verweilten, sondern machten, daß wir den letzten Abend des abgelauffenen Monats bey guter Zeit glücklich und gesund auf St. Jago anlangeten.

Von den vielen Complimenten, welche auf beyden Seiten, zwischen den Einheimischen und Verreiset-gewesenen, gewechselt wurden, will ich gar nichts gedencken, sondern nur so viel sagen: daß die werthesten Zurückgebliebenen, so zu sagen, gantz ausser sich selbst waren, da sie uns alle, besonders aber ihren theuresten und werthesten Herrn Vater, glücklich und gesund wieder zurück kommen sahen, und ihn mit Vergnügen umarmen konten.

Unserer beyden Brüder erste Sorge war: die Schiffe in Augenschein zu nehmen, und zu erfahren, ob unsere Leute auch ihren besten Fleiß angewendet, [161] daß wir uns zum baldigen Abseegeln Hoffnung machen könten. Weßwegen wir uns denn bey dem Gouverneur und seiner Familie auf einige Tage beurlaubten; nach Verlauff derselben aber, da wir auf unsern Schiffen alles nach unserm Wunsche und Willen verfertiget und zugerichtet antraffen, so, daß wir uns in vollkommenem Seegelfertigen Stande befanden, mithin nur blos auf günstigen Wind warteten, unsere Abfahrt zu beschleunigen; als kehreten wir erstlich nochmahls zurück auf die Burg, und liessen es uns die noch übrigen Tage der angelobten Zeit unsers Dableibens im täglichen Wohlleben dergestalt gefallen, wie es derGouverneur und die Seinigen gern sehen und haben wolten.

Ich habe, wo mir recht ist, schon gestern einen kleinen Anfang gemacht, von der Liebes-Begebenheit zwischen meinem Bruder und des Gouverneurs ältesten Tochter etwas zu erwehnen; Derowegen will voritzo darinnen fortfahren, weilen es ohnedem eine Begebenheit, welche guten Theils mit zu unserer Haupt-Historie gehöret.

Es hatte demnach, binnen der Zeit, die wir mit Visitation der umliegenden Insuln zubrachten, mein Bruder vollends Gelegenheit gefunden, sich in dem Hertzen dieses Frauenzimmers vollkommen feste zu setzen, ohne weiter hinaus zu dencken, wie dieses Gewerbe etwa ablauffen könte oder würde. Wie denn, meines Erachtens, die Verliebten zwar 9. mahl klug zu nennen, aber doch im Gegentheil offt 10. ja mehr mahl toll, oder wenigstens einfältig in ihren Actionen befunden werden.

[162] Mein Bruder war seit dem, daß wir auf den kleinen Insuln herum geschwärmet oder geschmauset hatten, gantz dräuste mit seiner Amasia worden, da doch solches bey damahligen Umständen, um so viel mehr hätte unterdruckt werden sollen, wenn man anders die Klugheit beobachten wollen.

Wie nun dieses Frauenzimmer ihn vor allen andern Manns-Personen distinguirte, so fiel ihre Liebes-Kranckheit allen Leuten auf einmahl in die Augen, ja, mein Bruder und diese seine Erwählte trieben es so toll mit Hertzen, Küssen und andern Liebkosungen, daß es auch so gar den Eltern gefährlich vorzukommen schiene, ihnen beyden fernerhin zu trauen. Meinen Credit hatten sie alle beyde gleich bey Anfang ihres Commercii, so bald ich nemlich dessen innen geworden, vollkommen verlohren. Ich stellete meinem Bruder zuweilen, wenn wir uns in der Einsamkeit, ohne andere Gesellschafft befanden, Himmel und Hölle vor, um ihn von der mir und ihm höchst fatalen Liebe abzugewöhnen, allein, ich predigte tauben Ohren, denn er antwortete mir zum öfftern kaum darauf, und wenn er ja allenfalls zum Stande zu bringen war, mit hochtrabenden und thörichten, zum öfftern auch lächerlichen Redens-Arten und Minen, welche mich zu vielen mahlen nicht wenig verdrossen; allein ich hielt ihm, als einem verliebten Hasen, oder wohl gar etwas mehr, sehr viel zu gute, bewunderte aber anbey nichts, als dieses, daß der Gouverneur so wohl, als seine Gemahlin, das Hertzen, Lecken und Küssen dieser zweyen Verliebten, es mochte auch bey was vor Gelegenheit seyn, als [163] es nur immer wolte, noch immer so mit gelassenen Augen ansahen, und nicht eine eintzige scheele Mine darzu machten. Hergegen machten mein Bruder und ich einander immer desto scheelere Minen, welches den andern Anwesenden zwar bedencklich vorkam, jedoch es muste unter dem Vorwande durchgehen, daß wir eine und andere Streit-und Zwistigkeiten gehabt, und dieselben noch nicht völlig beygelegt hätten.

Allein es war die gantze Sache in Wahrheit kein Schertz oder Spas zwischen uns Brüdern, denn eines Abends, als sich mein Bruder, meinen Gedancken nach, etwas allzu frey gegen seine Amasiam beym Tantze aufgeführet hatte, bemerckte ich, daß ein paar Insulanis. Officiers von nicht geringem Stande und Würden, sich über ihn höhnisch aufhielten, weßwegen ich meinen Bruder bey Seite zohe, ihm seine verliebte Thorheit vorrückte, und freundlich ermahnete, sich klüger und gescheuter aufzuführen, damit ich und alle die Unsrigen nicht etwa mit der Zeit Ursache hätten, ihm unsere Verunglückung eintzig und allein zu zuschreiben.

Meines Bruders Antwort war diese: Bruder! ihr redet vor dieses mahl, wie ein Kind, da ihr doch euch dessen schämen soltet, weilen ihr viel älter seyd, als ich, allein thut mir den Gefallen, und kommet früh Morgens um die Zeit des Aufgangs der Sonnen zu mir hinunter in eine, euch selber beliebige Sommer-Läube des grösten Lust-Gartens, vielleicht bringt ihr in der freyen Lufft vernünfftigere Dinge vor, als voritzo.

[164] Wir sahen einander diesen Abend ferner und weiter nicht an, als über die Achseln, und folgenden Morgens begab ich mich abgeredter Massen hinunter in die eine Sommer-Läube, in völliger Kleidung mit Stock und Degen, traf auch meinen Bruder und zwar ebenfalls in Stock und Degen darinnen an. Zuerst hielt ich ihm eine gantz sanfftmüthige Gesetz-Predigt, nachhero aber wurde unser Wortwechsel etwas hitziger und hefftiger, und zwar dergestalt, daß meinem Bruder die Galle auf einmahl überlief, weil ich ihm, seiner Meynung nach, etwas gar zu empfindliche Stichel-Reden gegeben haben solte; und eben dieserwegen sprang er zur Lauber-Hütte hinaus, entblössete seinen Degen, und brachte mir, der ich ihm ebenfalls mit entblösseten Degen entgegen gieng, einen Affections-Stich durch den rechten Arm über dem Ellbogen bey, welcher jedoch nicht viel zu bedeuten hatte; Er aber, mein Bruder, so bald er mein Blut lauffen sahe, fassete seinen Degen bey der Spitze, und præsentirte mir diesen seinen Degen mit den Worten: Hier, mein allerliebster Bruder! entlediget euch mit diesem meinen eigenem Seiten-Gewehr eines unartigen Menschen, der nicht würdig ist, euer Bruder genennet zu werden. Allein ich nahm den Degen von ihm, und warf denselben in die Erde, meinen Bruder aber umarmete ich mit Thränen unter diesen Worten: Nein, mein Bruder! GOtt lasse ferne von uns seyn, daß einer von uns ein Cain werde. Wir hielten also unter Vergiessung heisser Thränen einander eine lange Zeit umarmet, bis wir endlich befürchteten, daß jemand [165] darzu ko en möchte; Er, mein Bruder aber verband mir, so bald wir auf unser Zimmer kamen, meine Wunde selbst, und wir schätzten es noch vor ein Glücke, daß niemand darzu gekommen war, und uns gesehen hatte. Wir hielten auf dem Zimmer, weil wir von niemanden verstöhret wurden, noch ein langes und breites Gespräch von dieser blutigen Begebenheit, und endlich ließ sich mein Bruder vor mich auf die Knie nieder, und bat mich, ihm seinen selbst also genannten Fehler und Unbesonnenheit zu vergeben, und zwar unter Vergiessung häuffiger Thränen, ja er sagte: wie daß er sich Zeit Lebens nicht zu frieden geben könte, wenn ich ihm nicht einen theuren Eyd schwüre, nimmermehr wieder daran zu gedencken, welchen Eyd ich ihm denn auch so gleich auf der Stelle leistete, kräfftig tröstete, und damit völlig wieder vergnügte, worauf er eine gantz andere Lebens-Art zu führen versprach, und vor allen Dingen meinen getreuen brüderlichen Vermahnungen in allem Folge zu leisten, sich verbindlich machte.

Ich war erfreut über meines Bruders Bekehrung und Busse, jedoch flössete ich ihm die Lehren ein: daß er sich ja nicht eben sauertöpfisch oder sonsten mürrisch anstellen möchte, sondern immerhin lustig und guter Dinge seyn könte, absonderlich des Frauenzimmers wegen, damit dieselben seine so jählinge Veränderung nicht merckten, und diesen oder jenen Verdacht auf uns legten.

Er versprach mir in allen Stücken zu folgen, und zwar mit einem theuren Eyde, hielt auch sein Wort redlich, und brach sonderlich von dem [166] allzu öfftern Hertzen und Küssen ziemlich ab, weilen er vermerckte, daß ich dergleichen nicht gern leiden mochte.

Jedoch einige Tage nach dieser Begebenheit bat mich der Gouverneur, mit ihm in einen Garten zu spazieren. Indem nun nicht vermeynete, er würde von etwas anders zu sprechen anfangen, als von unserer baldigen Abreise, weiln so wohl ich, als mein Bruder, uns verlauten lassen, daß wir dieselbe nicht lange mehr aufzuschieben gesonnen wären; so muste ich mit Erstaunen hören, daß der Gouverneur, nachdem er mich in eine Grotte geführet, auch neben sich nieder zu setzen gebeten, gegen mich gantz unverhofft also zu reden anfieng: Höret mir zu, mein Herr, Freund und Bruder! Ich, als ein Mann, der nichts als Aufrichtigkeit, Treue und Redlichkeit liebt, will euch ein Geheimniß eröffnen, wovon niemand ausser meiner Frauen, bis auf diese Stunde das geringste weiß. So wohl ich, als meine Frau haben bemerckt, daß euer Herr Bruder und meine älteste Tochter von der Zeit an, da ihr bey uns angekommen, Wechselsweise ihre Augen auf einander geworffen; ja! ich muß mich schämen, zu sagen, daß meine älteste Tochter recht hefftig am so genannten Liebes-Fieber laborirt, und dabey nicht geringe Passiones ausstehet. Ich habe zwar gedacht, diesem Ubel abzuhelffen, und sie an einen Standesmäßigen Liebsten zu verheyrathen, allein sie ist seit der Zeit, daß sie mannbar, auch dergestalt eigensinnig worden, daß sie (ohne eitlen Ruhm zu melden) mehr als 16. bis 18. Freyern den Korb [167] gegeben, ohngeachtet wir beyderseits Eltern ungemein gern gesehen, wenn sie sich diesen oder jenen erwehlen wollen; Aber! sie bleibt bey einerley Sprache, und sagt: was Massen sie gesonnen, lieber in ein Kloster zu gehen, und eine Nonne zu werden, als einen Mann zu nehmen, der nicht allein vom Gesichte und gantzen Wesen dergestalt beschaffen wäre, daß sie ihn vollkommen zu lieben sich anheischig machen könte; Käme einer dergleichen vor ihrem 24sten Jahre, so möchte es gut seyn; wo nicht? so wolte sie vielleicht noch vor ihrem 24sten sich im Kloster einkleiden lassen, denn das Probe-Jahr hat sie schon ausgestanden, und ist nunmehro erst 22. Jahr alt.

Ich sehe, (fuhr der Gouverneur in seinen Reden zu mir fort,) daß ihr eure Farbe verwandelt, mein Herr! aber alles, was ich itzo gesagt habe, ist die pur lautere Wahrheit, denn meine älteste Tochter hat ein vor allemahl den Schwur gethan, daß, wenn es ihr mißlingen solte, den jüngsten Capitain Horn zum Manne zu kriegen, sie Zeit Lebens mit keiner Manns-Person mehr Umgang pflegen, vielweniger sich fernerweit um alle Manns-Personen in der Welt bekümmern wolte, denn dieses wäre eintzig und allein diejenige Manns-Person, welcher nicht nur in seinem Gesichte, sondern auch in seiner gantzen Aufführung und Conduite alles an sich hätte, was sie bewegen könte, ihn vollkommen, aufrichtig und getreu zu lieben. Solte es ihr aber bey diesem ihr vielleicht vom Himmel zugesendeten Liebsten dennoch mißlingen, so wäre sie gäntzlich entschlossen, ihr übriges Leben im [168] Kloster zuzubringen, und keine 4. Wochen Bedenck-Zeit weiter deßwegen zu nehmen. Nun, mein Herr und Bruder! was Raths, was sind eure Gedancken bey diesen verwirrten Umständen? Was wird euer Hr. Bruder darzu sagen, wenn ihr ihm dieses erzählt, als warum ich inständig bitte, und solches als ein besonderes Zeichen der Freundschafft gegen mich und die Meinigen erkennen will, damit ich nur erfahre, was eure und seine Gedancken bey dieser Sache sind. Signor! (gab ich ihm zur Antwort) meine eigene Gedancken will ich Ihnen so fort in Vertraulichkeit eröffnen, und so viel sagen, daß meinem Bruder zwar ein Glück vorstünde, dessen er wegen seiner Person nimmermehr würdig wäre; wo ich mich anders auf Dero Vortrag sicher zu verlassen weiß, stehen bey der gantzen Sache nicht mehr als zwo Haupt-Puncte im Wege: daß nemlich mein Bruder so wohl, als ich, vors erste kein gebohrner von Adel ist; vors andere, wird ihnen die Protestantische Religion, der wir ergeben sind, und diese letztere zu changiren dürffte bey meinem Bruder sehr schwer hergehen, weilen er keines wanckelmüthigen, sondern ungemein beständigen Gemüths ist; vors dritte, so wird derselbe einzuwenden haben, daß er, als ein armer See-Capitain, mit seinem wenigen Vermögen viel zu unwürdig ist, eine solche hohe und mit allen Leibes- und Glücks-Güthern reichlich versehene Braut zu heben etc.

Ehe ich noch vollkommen ausgeredet hatte, klatschte der Gouverneur in die Hände, sprang auf, und führete mich in dem Garten herum spazieren;[169] Unter diesem währenden Spazieren-gehen redete er weiter also: Ich schwöre es euch, mein Bruder! bey Gott und allen Heiligen, als ein eifriger Christ, heilig zu, daß ich eure Gedancken, Ausflüchte, Einwendungen und Entschuldigungen fast in meinen Hertzen zum Voraus errathen, unterdessen will ich euch so viel sagen, daß ich einen blossen See-Capitain in meinen Augen und Hertzen weit höher schätze, als die vornehmsten Grandes und andere Edel-Leute, die so wohl in Portugal, als Spanien, als auch anderer Orten anzutreffen seyn mögen.

Was den zweyten Punct anbelanget, nemlich von wegen der Religion, so wäre es freylich besser gethan, wenn euer Herr Bruder changirte, und die Römisch-Catholische Religion annähme, denn es dürffte schwer fallen, ihn wegen der Inquisition aller Orten Sicherheit zu verschaffen, jedoch halte ich vor rathsam, vorhero an Ihro Päbstl. Heiligkeit sich zu wenden, und ihm von Deroselben einen Frey-Brief wegen der Religion auszuwürcken, denn ihr sollet noch dieses wissen, daß ich das Gouverno auf dieser Insul mit ihm, als meinem Eydame, theilen, und ihm eine besondereResidenz, die er sich auf dieser oder jener, ihm selbst-beliebigen Insul erwählen mag, von mir aber eingeräumt und bestätigt erhalten und bekommen soll, und dieses alles mit Vergünstigung der Höhern, welche mir selbige schon längstens gegeben; aber meine Söhne werden wohl schwerlich lange bey mir bleiben, sondern ihr Brod anderer höheren Orten zu finden wissen.

[170] Was nun den dritten Punct anbetrifft, so hat sich euer Herr Bruder gantz und gar um keinen Braut-Schatz oder andere zeitlichen Güther zu bekümmern, denn mein gesammletes Gold und Silber dürffte nächst göttlicher Hülffe hinlänglich seyn, mich und die Meinigen auf lange Jahre mit Güthern zu besorgen, und wenn meine Familie auch noch 10. mahl stärcker wäre, so würde sie doch nicht im Stande seyn, alles zu verthun, weilen ich nicht läugnen kan, daß ich eine ziemliche Menge Kostbarkeiten an unterirrdischen Orten stehen habe, die nicht leicht zu finden sind, jedoch ich gewöhne dieserwegen keines von meinen Kindern dahin, daß es auf Reichthum trotzen, hergegen fein ordentlich und Standesmäßig leben soll. Besinnet euch wohl, meine Herrn und Brüder! ob es klug gethan wäre, dergleichen Parthie auszuschlagen, welche einem oder dem andern so bald wohl nicht wieder vorstossen möchte.

Nachdem nun der Gouverneur zu reden aufgehöret hatte, sprach ich: Ich muß Ew. Excell. bekennen, daß ich Dero Reden recht mit Bestürtzung angehöret, indem ich mich selbst nicht in das grosse Glück zu finden weiß, welches meinem Bruder bevorstehet, und woran ich als sein getreuer Bruder allerdings den grösten Theil mit zu nehmen Ursache habe, wo anders Ew. Excell. nicht etwa mit Dero Dienern zu schertzen belieben. Weiln aber dieser mein Bruder eine von den Haupt-Personen bey dieser Geschichte ist, so werde ich mir gehorsamst ausbitten, ihm vorhero einige Eröffnung von diesem seinen Glücke zu thun, da er sich denn [171] nicht säumen wird, eine firme Erklärung von sich zu geben.

Kaum hatte ich diese Worte geendet, als noch verschiedene Personen aus dem Hause auf uns zugegangen kamen, weswegen der Gouverneur, indem er mich embrassirte, nur noch so viel Zeit nehmen konte, diese wenigen Worte zu sagen: Es ist gut, mein Bruder! ich erwarte Dero beyderseitigen Versicherungen, entweder heute Abends noch in meinen Zimmer, oder, so es gefällig, morgen früh auf dieser Stelle zu vernehmen.

Demnach schieden wir auf dieses mahl von einander. Meinen Bruder traf ich auf seinem Zimmer bey einem grossen Historien-Buche sitzend an, fragte ihn derowegen: Was sitzet ihr so traurig da, mein Bruder? es scheinet, ihr wollt Calender machen lernen, oder auspunctiren, ob wir auch guten Wind und Wetter auf unserer Reise haben werden. Nichts weniger als dieses, (gab er zur Antwort,) denn ich überlasse mich und mein Schicksal dem Himmel, derowegen mag Wind und Wetter immerhin so beschaffen seyn, wie es will, gut oder böse, es gilt mir alles gleich viel.

Ich versetzte weiter; Es ist mir schon bekannt, mein Bruder! daß ihr von Jugend auf keinen niederträchtigen, sondern heroischen Sinn gehabt habt; allein nunmehro möchte ich eurem Nativität-Steller fast den grösten Beyfall geben, da er sagte: Daß es nur an euch läge (und zwar an eurem Eigensinne,) eine der vornehmsten und glücklichsten Manns-Personen auf der Welt, und zwar durch Heyrathen zu werden.

[172] Hierüber fieng mein Bruder überlaut an zu lachen, und sagte: Ich hoffe nicht, mein Bruder! daß heute der 1. April oder ein dergleichen Fest-Tag ist, jedoch ihr wisset, daß ich gern mit mir schertzen lasse, derowegen so saget mir doch in aller brüderlichen Aufrichtigkeit, wo ich anders dieselbe durch meine gottlose und unbillige Aufführung und Gewissen-loses Verfahren gegen euch nicht gäntzlich verschertzt habe, ohne Zeit-Verlust, was vor ein Geist euch heute zu mir führet, und euch begeistert hat, dergleichen Redens-Arten gegen mich zu führen?

Ehe wir aber weiter reden, (sprach er ferner) will mir erstlich eine Bouteillle Canari-Sect langen lassen, damit ich euch desto besser vernehmen kan, denn ich kan nicht läugnen, daß mich ungemein dürstet. So bald die Bouteillle angekommen war und wir ein paar Becher daraus getruncken, eröffnete ich ihm das Geheimniß, welches mir der Gouverneur anvertraut hatte, auf Treu und Glauben, ließ auch vorerst lieber davon etwas aussen, als daß ich etwas hinzugesetzt hätte. Ihm kamen dennoch alle diese Dinge nicht anders, als gewisse Dörffer vor, so, daß ich ihm nichts verüblen könte, wenn er etwa bey diesem und jenem einigen Zweiffel hegte.

Endlich aber machte er mir, so zu sagen, eine und andere Difficultäten, bey diesem oder jenem Puncte, sonderlich in puncto Religionis, indem er, wie er dasmahl sagte, um eines Weibes, ja, um aller Welt Güther willen sich nicht überwinden könte, seine Religion, darinnen er von Jugend [173] auf gelebt, zu verläugnen. Ich bat ihn, in diesem Stücke piano zu gehen, und erstlich abzuwarten, was der Gouverneur deßfalls mit ihm handeln würde, mitlerweile aber auch ja das Kind mit dem Bade nicht auszuschütten, sich wohl in Acht zu nehmen wissen würde, damit uns allen die gantze Historie keinen Verdruß oder Unfug zu Wege brächte.

Da nun uns beyden Brüder der Gouverneur auf Morgen früh in den Garten hinunter zu sich einladen ließ, und zwar ohne andere Gesellschafft, weiln nur er und seine Gemahlin benebst der ältesten Tochter gantz allein beysammen seyn würden; als verabsäumeten wir nicht, bey diesen hohen Personen zu erscheinen, welche wir bey einer Tasse Caffée antraffen, und aufs liebreichste genöthiget wurden, bey ihnen Platz zu nehmen. Es gab einen kleinen Spas, denn der Gouverneur, welcher Achtung darauf gegeben, daß mein Bruder der Fräulein keinen Kuß gegeben, sagte mit hellen Lachen: Wie nun, Kinder! wollet ihr nun erstlich anfangen gegen einander blöde oder schamhafftig zu thun?

Nichtsweniger, als dieses, mein allerwerthester Herr Vater! gab das Fräulein hierauf zur Antwort; sondern der Fehler liegt an mir, weil ich hätte eher aufstehen sollen, als der angekommene Gast. Wie nun dieses, welches sie mit einer besondern artigen Mine und Stellung vorbrachte, bey uns allen ohne Lachen nicht abgieng, so ließ endlich der Gouverneur mich und meinen Bruder auf die Seite ruffen, und wiederholte seinen [174] gestrigen Vortrag nochmahls. Meines Bruders Erklärung war also diese: wie er nicht läugnen könte, daß gegenwärtige seine Geliebte, sein Hertz und Seele dergestalt eingenommen und gefesselt hätte, daß er ohne sie sich nicht ferner lange mehr zu leben getrauete; ja er wolle eher in das tieffste Meer springen, als die Hertzens-Quaal erdulten, ohne sie zu leben. Was den Punct der Religion anbeträffe; dieser könne leicht abgehandelt und verglichen werden, indem er gesonnen, sich so viel als möglich, zum Ziele zu legen, allein seiner ihm angebohrnen Religion so gleich abzusagen, wäre voritzo sein Werck gantz und gar nicht. Was im übrigen die gnädigen Erklärungen des Herrn Gouverneurs anbelangete, so wäre zwar dieses und jenes dabey auszusetzen oder zu erinnern; indem er kein Kerl wäre, der nach hohen Ehren und Würden strebte, sondern mit seinem Stande zufrieden wäre, und sich mit derjenigen Ehre begnügen liesse, welche er sich zum öfftern mit Vergiessung seines Bluts erworben; auch wäre ihm mit grossen Reichthümern und Schätzen gar im geringsten nicht gedienet, sondern blos nur eintzig und allein mit der geliebten Person, indem er Reichthümer und Kostbarkeiten satt und zur Gnüge, hoffentlich auf Lebens-Zeit hätte, da seines Bruders Freygebigkeit ihn in den Stand gesetzt, daß er zu Hause ein geruhiges,honettes und stilles Leben führen könne, mithin eben nicht ferner nöthig habe, sich in der Welt herum zu strapaziren.

Dieses waren nun lauter Worte, die mir dem [175] Klange und Laute nach wohl einiger Massen den Kitzel in Ohren erregen solten, allein ich trauete dem Land-Frieden so gar sehr eben nicht, weiln mir das immer währende Gegitzschere und die beständigen Ohrenbläsereyen verdächtig vorkamen, und endlich wurde ich nach einer etlich tägigen unpassionirten Aufführung durch ein Schlüsselloch gewahr, daß mein lieber Bruder in einem wohl darzu zubereiteten Zimmer bey angezündeten Wachs-Kertzen, vor einen kleinen Altar niederkniete, seiner bishero gehabten Religion in optima forma, und zwar in Gegenwart verschiedener Personen beyderley Geschlechts abschwur, hergegen die Römisch-Catholische Religion annahm, und sich darüber einsegnen ließ.

Nichts hat mich Zeit meines Lebens ärger verdrossen, als daß er diese seine Sachen so heimlich tractirt, da ich doch in keinem Stücke seinen Willen zu zwingen mir schon längstens vorgesetzt hatte, wie nun aber dieses geschehen, so konte ich leichtlich daraus schliessen, daß er alle andern Puncte müsse eingegangen seyn, die ihm von dem Gouverneur und seiner Gemahlin vorgelegt worden. Jedoch, da er mir von seiner Religions-Veränderung nicht das geringste meldete, ließ ich mich auch gar nichts mercken, daß ich etwas davon wüste, inzwischen aber war mir auf einmahl alle Lust vergangen, länger auf dieser Insul und bey diesen gefährlichen Leuten zu bleiben, derowegen schrieb ich an meinen Lieutenant folgendesBillet:


[176] Mon Cavalier!


Da ich bey meiner letztern Anwesenheit alles wohl befunden, als bitte, Sorge zu tragen, daß solches im behörigen Stande erhalten werde, denn weilen ich des hiesigen Lebens müde, satt und überdrüßig bin, so dürffte unsere Abseegelung vielleicht viel eher erfolgen, als man vermeynt gehabt. Gewisser Ursachen wegen, komme er Morgen früh, wenn die erste Canone gelöset wird, mir mit 100. Granadieren auf dem Wege nach der Burg zu entgegen, lasse sich aber gegen niemanden nichts mercken, sondern thue nur, als ob er vor sein eigen Plaisir mit denselben spazieren gehen, und dieselben exerciren wolte. Mündlich ein mehrers, ich beharre


Mon Cavalier

le votre

P.W. Horn.


Dieses Billet überschickte ich ihm also gegen Abend durch meinen getreuen Bedienten, welcher noch vor Nachts wieder zurück kam, und mir von dem Lieutenante zur Antwort brachte: wie ich vor nichts Sorge tragen solte, indem er meiner Ordre aufs allergenauste nachkommen wolte. Wir brachten hierauf fast die gantze Nacht mit Tantzen, Springen und andern Lustbarkeiten zu, so bald aber der Tag anzubrechen begunte, machte ich mich in aller Stille auf die Beine, und trat den Weg nach unsern Schiffen an, so daß, wie nachhero erfahren, weder mein Bruder, noch sonsten [177] jemand im Hause meinen heimlichen Aufbruch gewahr worden.

Meinem Bruder konte derselbe um so viel desto weniger Verdacht erwecken, weilen ich mir schon voriges Tages verlauten lassen, die Schiffe selbst zu visitiren; als demnach der Lieutenant mir, abgeredter Massen, mit seinen 100. Granadiers auf halben Wege begegnete, so kehrete ich in gröster Eile mit ihnen um, nach den Schiffen zu, ließ mich aber weiter gegen niemanden das geringste mercken, daß ich mich heimlich von der Burg hinweg geschlichen hätte. Drey Tage ließ mein Bruder verstreichen, ehe er sich um mich bekümmerte, am 4ten Tage aber kam er selbst, und führete sich ungemein freundlich und höflich gegen mich auf, besahe auch das Stück Arbeit, welches ich mittlerweile zu verrichten besorgt hatte, welches ihm sehr wohl gefiel, nachhero aber wolte er mich bereden, wieder mit ihm auf die Burg zu kehren, allein ich schützte eine kleine Unpäßlichkeit vor, die mich abhielte, dem Hrn. Gouverneur und den Seinigen beschwerlich zu fallen, sondern ich wolte erstlich noch ein paar Tage auf den Schiffen bleiben, eine und andere Artzeneyen gebrauchen, mich pflegen, und eine strengere Diæt führen, als bishero, indem ich wohl merckte, daß mir vermittelst der allzu öffternDebauchen allerhand verdrüßliche Zufälle zugezogen, wenn ich demnach mich wieder völlig auscurirt, so würde keinen Tag verweilen, dem Herrn Gouverneur und den Seinigen meine gehorsamste Aufwartung zu machen.

Mein Bruder mochte nun hierbey dencken, [178] was er wolte, so ließ ich mir doch alles gleich viel gelten, und war vergnügt, daß nach Verlauf nach weniger Tage wir uns im vollkommenen Stande befunden abzuseegeln. Binnen dieser Zeit besuchte mich mein Bruder sehr fleißig, konte aber mit allen seinen glatten Worten nicht von mir erlangen, nochmahls wieder mit ihm auf die Burg zu kehren, sondern ich danckte dem Himmel, daß ich mich auf unsern Schiffen in Freyheit und ohne besondere Furcht befand.

Endlich, da ich nicht zu bewegen war, nochmahls auf die Burg zu kommen, ließ der Gouverneur melden, daß, wenn ich ja allenfalls nicht kommen wolte, er mich gleich morgenden Tages mit seiner gantzenFamilie besuchen, jedoch keine Ungelegenheit, sonderlich wegen der Speisen, verursachen wolte.

Ich ließ zurück melden, wie mir Dero gütiger Zuspruch von Hertzen angenehm seyn solte, nur bäte vor mir, als einem Patienten, keinen Abscheu zu tragen, sondern gütigst mit mir vorlieb zu nehmen, was sich in der Eile finden würde, indem ich keine tödliche Kranckheit hätte, sondern vielleicht bald restituirt zu seyn verhoffte. Also kam das gantze Heer gleich andern Tages benebst meinem Bruder, und machten ein ziemlich Loch in meine Victualien, so wohl, was die Speisen, als das Geträncke anbetraf, denn ich konte ohngeacht der geschwinden Eile dennoch so viel zu Wege bringen, und zwar von den auserlesensten Delicatessen, daß sie wohl zu frieden seyn konten.

Der Gouverneur so wohl, als alle die Seinigen [179] liessen es sich, dem Ansehen nach, gut schmecken, und machten sich insgesamt rechtschaffen lustig, bis der helle Tag anbrach, da aber beym Abschied-nehmen ich dennoch nicht zu gewinnen war, ihnen das Geleite auf ihre Burg zu geben, so sagte der Gouverneur zu mir: Ich solte fast auf den Gedancken gerathen, mein Bruder! daß unter dieser eurer so hefftigen Weigerung etwas anders verborgen, als eine verstellte Kranckheit, jedoch, da wir so lange gute Freunde unter einander gewesen sind, so lasset uns nur zum wenigsten das Ende gut machen, denn so ist alles gut. Dieses einzige bitte ich mir noch von euch aus, daß ihr nicht etwa heimlich ohne nochmahligen Abschied von uns zu nehmen abseegelt, denn dieses würde mich grausam kräncken; da ich aber nun sehe, daß ihr vollkommen seegelfertig seyd, so will ich euch wider euren Willen nicht länger bey mir zu bleiben nöthigen, bitte derowegen nur noch 3. Tage mit euren Schiffen im Hafen liegen zu bleiben, ich werde diese 3. Tage bey euch zubringen, und die Stunde abwarten, wenn ihr von dannen seegelt. Mit einem Worte, thut mir den Gefallen, meine Brüder! und bleibt noch 3. Tage, denn ihr habt an mir den allerredlichsten Mann in der gantzen Welt. Wie nun mein Bruder und ich ihm dieses versprochen hatten, sagte er noch, ich werde zwar erstlich noch einmahl in meine Burg fahren, nachhero aber die meiste Zeit bey euch auf den Schiffen zubringen, und hiermit setzte er sich auf den Wagen, und fuhr nach seiner Burg zu.

[180] Etwa 2. Stunden über Mittag kamen aus der Burg 8. Wagen auf uns zu gefahren, und ehe es Nacht wurde, noch 8. Wagen, bey denen sich zugleich derGouverneur befand, und zu vernehmen gab, daß er gern einmahl auf dem Schiffe zu schlaffen Lust hatte. Demnach wurde so gleich ein kostbar Bette vor ihn zu rechte gemacht. Morgens früh wurden wir gewahr, daß noch mehr beladene Wagens angerücket waren, und zwar in allen 24. was darinnen befindlich war, konten wir aber nicht eher errathen, bis der Gouverneur ausgeschlaffen hatte, und beym Caffée-trincken sagte: Meine Brüder! ich weiß, daß eure Lebens-Mittel binnen der Zeit, da ihr auf dieser Insul gewesen, ziemlicher Massen werden abgenommen haben, derowegen habe von meinem Uberflusse vielleicht etwa euren Mangel ergäntzen und ersetzen wollen. Nehmet es freundlich an, meine Brüder! deñ des Volcks ist viel, so ihr mit euch führet, die Reise aber, wie ich vernehme, noch ziemlich weit, derowegen wird euch dieses, was ich euch aus gutem Gemüthe und Hertzen gebe, ohnfehlbar wohl zu statten kommen, weilen auf der zehenden Insul in dieser Gegend keine tüchtige Lebens-Mittel anzutreffen sind, und wenn man dieselben auch gedoppelt und dreyfach bezahlen wolte. Uns kam dieser Vortrag trefflich zu statten, indem wir allerdings noch einen guten Theil Proviant brauchten, so aber fanden wir eine soche Menge von allerley geräuchertem und eingepöckeltem Fleische, geräucherten auch eingesaltzenen Fischen, eingemachten und auch frischen Obstwerck, eingemachte Kohl- und Wurtzel-Speisen, vielerley Sorten Getreyde [181] in Körnern, ohne einer entsetzlichen Menge Zwieback, ausgenommen der vielen Wein-Fässer, die wir uns fast nicht einmahl alle mit fort zu bringen getraueten, da wir ohnedem selbst noch eine grosse Menge von allerhand Weinen, Brandtewein und andern starcken Geträncken vorräthig hatten. Ich ließ alle diese Sachen durch unsere Schiffs-Schreiber aufschreiben, und vor erst nur oben hin durch die Banck taxiren, da denn eine ziemliche Summa von etlichen 1000. Thalern heraus kam, welche ich heraus zu geben mit Freuden schlüßig wurde; Allein, da der Gouverneur vernahm, daß wir zwar den Proviant vor baare Bezahlung, keinesweges aber als eine Reuter-Zehrung mitzunehmen gesonnen, als schien er im rechten Ernste böse zu werden, daß wir seine Willfährigkeit, die ihm doch keinen Schaden brächte, verschmähen wolten, und sagte gantz verdrüßlich, wie er alles auf der Welt von guten Freunden vertragen könte, ausgenommen den Hochmuth. Derowegen musten wir uns fast gezwungner Weise gefallen lassen, allen diesen grossen Vorrath durch seine Leute in unsere Schiffe zu bringen. Des folgenden Tages kam die Gouvernantin mit ihren Töchtern und Söhnen, uns zu guter Letzt nochmahls zu besuchen, weil sie vorgab, sie könne sonsten ohnmöglich meinen eigensinnigen Kopff mit gelassenem Gemüthe von sich fahren sehen. Nachdem wir aber die Mittags-Mahlzeit eingenommen, und in unsernCajüten ein und anderes suchen wolten, wurden wir gewahr, daß die Gouvernantin binnen der Zeit, da wir bey Tische gesessen, den Heiligen Christ agiret, und einem jeden [182] eine Beschehrung zum freundlichen Andencken mit auf die Reise zu nehmen, hingelegt. Diese Beschehrung bestund in eben denjenigen Stücken, welche man den Portugiesen mit auf die Reise gegeben, nur mit dem Unterschiede, daß wir beyde ausser den kostbaren Degen und Stöcken, was das Gold- und Silber-Geschirre anbelangete, jeder auf seine Parthie noch einmahl so viel bekam, als die Portugiesen bekommen hatten, und dieses war auch an der Wäsche und Kleidungs-Stücken zu bemercken. Wie nun dieses allzu- und überaus kostbare Geschenck uns beyden Brüder vollends in äuserstes Erstaunen brachte, zumahlen, da wir nicht wusten, wie wir uns in der Geschwindigkeit revangiren wolten, als wurde meinem Bruder selbsten bange, wegen dieser so gantz und gar nicht erwarteten Höflichkeit, jedoch um meine und seine Ehre zu retten, besanne ich mich endlich, daß ich noch eine mittelmäßige Kiste stehen hatte, in welcher ungemeine Kostbarkeiten und Galanterien, sonderlich vor Frauenzimmer, aufgehaben worden, diese eröffnete ich, und langete einen Schatz heraus, der mehr als 2. Tonnen Goldes am Werthe betrug. Ich zeigte meinen Bruder denselben, weilen er dergleichen Tänteleyen bey mir sehr selten zu sehen bekommen, jedoch es schiene, als ob ihm diese Sachen gar sehr wohl gefielen, weßwegen er zu mir sprach: Bruder! wenn ihr auch dieses noch dranspendiren wollet, worwider ich denn nichts einzuwenden habe, so dächte ich, wir hätten unsere Zeche allhier wohl theuer genug bezahlt, und wenn wir auch Fürsten-Kinder wären. Er hatte in diesem Stück meines [183] Sinnes viel, und redete allerdings wohl die klare Wahrheit, allein, ihn vollkommen treuhertzig zu machen, war meine Gegenrede diese: Wir müssen nicht alles nach dem Werthe taxiren, was wir allhier empfangen und genossen haben, sondern das meiste vor die viele gemachte Ungelegenheit und dargegen genossene viele Lust und Höflichkeit rechnen, denn ich zweiffele sehr, daß ich mich Zeit meines Lebens wieder so lustig machen werde, als allhier auf dieser Insul geschehen. Inzwischen werdet ihr mir den Gefallen erweisen, und dem Gouverneur, seiner Gemahlin und Kinder diese Galanterie-Waare als Kleinigkeiten in eurem und meinem Nahmen zur schuldigen Danckbarkeit überreichen, und dieses wird sich nicht besser schicken, als nach der Abend-Taffel, die wir droben am Strande zu uns nehmen wollen.

Gewiß, ich hätte meinem Bruder keine angenehmere Commission, als diese, auftragen können, und er richtete dieselbe, so bald wir abgespeiset mit gröster Geschicklichkeit aus, erweckte aber damit so wohl bey dem Gouverneur, als den Seinigen ein nicht geringes Erstaunen. Jedoch noch langen Nöthigen liessen sie sich endlich gefallen, alles anzunehmen, mit dem Vorbehalt, sich deßfalls zur ander Zeit hinlänglich zu revangiren.

Nach eingenommener Abend-Mahlzeit sagte derGouverneur: Wohlan, meine Brüder! da es mir so wohl bey euch gefället, und dergestalt wohlgefallen hat, so lange ihr bey mir gewesen, als werde diese Nacht nicht von euch weichen, sondern noch diese letzte Nacht bey euch bleiben, und eins mit euch trincken, bis ihr Morgen, geliebts GOtt, mit aufgehender[184] Sonne eure Seegel aufziehet, inzwischen freue ich mich von Hertzen darüber, daß ihr guten erwünschten Wind habt.

Demnach war alles Volck, so wohl unsere See- als des Gouverneurs Leute, die gantze Nacht hindurch höchst vergnügt, ja der Gouverneur wurde dergestalt lustig, daß er mit seiner Gemahlin und Töchtern, bey dem Scheine etl. 1000. Lichtern und Fackeln, im grünen Grase ein Täntzgen anhub, worinnen auch wir ihm folgten, mithin die gantze Nacht also zubrachten, bis der Tag anzubrechen begunte. So bald die Sonne ihre Strahlen über die See herauf, unserm Ufer entgegen schickte, wurde eine Salve von 50. Canonen gegeben, hierauf aber war eine grosse Stille, welche jedoch von der Besatzung auf der Citadelle unterbrochen wurde, als welche auch 50. Canonen lösete. Da dieses vorbey truncken wir zu guter Letzt noch einenCaffée mit einander, und hielten ein gut Gespräch darbey, da ich denn bemerckte, daß der Gouverneur und die Seinigen viel aufrichtiger und redlicher waren, als ich bishero vermeynet hatte, denn seit etlichen Tagen hatte ich mir ihrentwegen einen und andern vergeblichen Kummer gemacht, welcher doch nun guten Theils vorbey war, derowegen gieng es nun erstlich an ein umarmen und küssen, beym Abschiede, worbey sich denn auch auf beyden Seiten nicht wenig Thränen zeigten, als aber das andere Signal zu Schiffe zu gehen gegeben wurde, begleiteten wir erstlich denGouverneur und die Seinigen zu ihren Wagens, wir aber begaben uns ohne fernern Aufenthalt auf unsere Schiffe, liessen, nachdem die Ancker schon gelichtet waren, so fort die Seegel aufspannen, [185] nochmahls 50.Canonen abfeuren, und fuhren in GOttes Nahmen von dannen.

Wir bemerckten durch Fern-Gläser, daß der Gouverneur benebst den Seinigen wieder aus den Wagens heraus gestiegen waren, und sich an das Ufer gestellet hatten, allwo alle insgesamt, so wohl männlichen als weiblichen Geschlechts, noch allerley freundlicheComplimenten machten, da aber der Wind scharff in unsere Segel blies, nahmen wir durch Sprach-Röhre nochmahls mündlichen Abschied von ihnen, und verschwanden hierauf in gröster Geschwindigkeit, unter beständigen Canoniren, (denn der Gouverneur hatte uns reichlich mit Schieß-Pulver versorgt,) aus ihren Augen, weilen aber der Wind hinter uns hergieng, so höreten wir das Canoniren von der Citadelle bis in die späte Nacht.

Mein Bruder hielt sich in seinem Schiffe gantz stille, und gab vor, daß ihm die letztere kleine Debauchen mehr Unfug, ja fast eine würckliche Unpäßlichkeit zugezogen, allein ich konte bald mercken, daß er am Liebes-Fieber kranck läge, indem ihm die Abschieds-Gedancken vielleicht nicht aus dem Kopffe heraus wolten; ob ich ihn nun schon zum öfftern besuchte, so wolte ihn doch keinesweges kräncken, sondern nahm mich unserer Sachen um so viel desto mehr, und als möglich war, gantz alleine an. Jedoch nach Verlauf weniger Tage hatten wir eben nicht Ursach an die Liebe, sondern vielmehr an das Leben zu gedenckē, weilen ein hefftiger Sturm über uns kam, der jedoch nicht länger, als 3. Tage u. 2. Nächte währete. Ich kan nicht anders sagen, als daß sich unsere[186] Leute recht heldenmäßig gegen Sturm, Wind und Wetter setzten, und zwar vom Grösten bis zum Kleinesten, weilen wir sie beständig zur Tapfferkeit anreitzeten, auser dem aber Speise und Tranck einem jeden gaben, wovon und wie viel er beliebte. Demnach spüreten wir zwar daß der hefftige Sturm sich legte, höreten aber auf etliche Meilen von uns ein starckes Canoniren in der See, welches von Morgen bis fast gegen Abend währete, und endlich, da wir schon mit anbrechendem Abend an Ort und Stelle dieses Streits kamen, erfuhren wir, daß ein Engelisches Kauffarthey-Schiff von zweyen See-Räubern genommen zu werden in gröster Gefahr stunde. Mein Bruder so wohl, als ich entschlossen uns bey so gestallten Sachen dem Engelländer, als unserm halben Landes-Manne und Religions-Verwandten bestmöglichst zu Hülffe zu kommen, in Betrachtung, daß es uns vor nicht allzulanger Zeit auch wohl gedeuchtet, da uns die Portugiesen gegen die Barbaren zu Hülffe gekommen waren. Demnach nahmen wir den Engelländer, welcher schon sehr beschädigt war, in die Mitte, und setzten dergestalt verzweiffelt gegen die See-Räuber an, daß das Spiel bald ein ander Ansehen gewann, denn unsere Leute feureten unvergleichlich und geschwinde, auser unsern wohl montirten Canonen aber thaten die Feuer-Mörser das allerbeste bey der Sache, und machten die See-Räuber dergestalt bestürtzt, daß sie weder aus noch ein wusten, ja man merckte bald, daß sie es nicht gern zum Handgemenge wolten kommen lassen, im Gegentheil die Köpffe mit guter Manier aus der Schlinge zu ziehen suchten; [187] Allein, das war unser Werck nicht, sondern es hieß damahls: Friß Vogel, oder stirb! und da auch einer von ihnen Mine wachen wolte, den Wind zu fassen, und das weiteste Ende zu suchen, wurde ihm bald vorgebeuget, mithin beyde genöthiget, sich in darauf folgender Nacht auf Gnade und Ungnade zu ergeben, denn es war ihnen, allem Ansehen nach, ferner unmöglich, unser Feuer auszustehen. Wir thaten ihnen den Vorschlag, entweder mit uns nach dem Cap, oder nach der Insul St. Helena zu seegeln, allein es gefiel ihnen beydes nicht, weilen sie so wohl an einem, als dem andern Orte sich einer scharffen Züchtigung befürchten mochten. Hergegen baten sie uns nur inständig, ihnen den Gefallen zu erweisen, und mit ihnen auf eine kleine unbewohnte Insul zu seegeln, die wenige Meilen von hier entfernet läge, daselbst wolten sie sich auf eine raisonable Art und Weise mit uns abfinden, und um weiter nichts höher bitten, als daß sie ihre Schiffe, Canonen und klein Gewehr behalten dürfften, ingleichen eine zulängliche Menge von A unition. Was aber ihre Waaren, Schätze und Baarschafften anbelangete, so wolten sie uns dieselben auf Treu und Glauben ausliefern, indem sie dergleichen Zeug in der Kürtze wieder erlangen könten, wenn sie nur wohl beschifft und wohl bewehrt bleiben.

Mein Bruder wolte durchaus erstlich nicht daran, daß man den Christen-Feinden Canonen, Gewehr, Pulver und dergleichen zur Beschädigung unserer Mit-Christen lassen, sondern dieses alles lieber in den Abgrund versencken solte; Allein, [188] da die See-Räuber gar allzu sehr kläglich thaten, über dieses uns auf ihre Art einen theuren Eyd schwuren, an Gold, Silber und Waaren wenigstens des Werths vor 3. Millionen Thaler auf unsere Schiffe zu liefern, um uns darein zu theilen, der Engels-Mann auch vor das allerrathsamste hielte, nur immer zu nehmen, was wir von ihnen kriegen könten, und dieses Schelmen-Pack lauffen zu lassen, indem sie ja doch nicht mehr im Stande wären, uns zu beschädigen; so gab ich endlich meinen Willen auch darein, daß sie die Canonen, Gewehr, die Helffte der Ammunition, und dergleichen zum Kriegs- Wesen gehörige Zeug behalten solten, hergegen musten sie uns gleich auf offenbarer See ausliefern, was sie uns, dem Werthe nach, versprochen hatten, welches denn von ihnen ohne ferneres Murren geschahe, und musten wir gestehen, daß sie in diesem Stücke redlich handelten, ja über das bestimmte Quantum noch eine und andere treffliche Sachen uns, so zu sagen, noch zum Geschencke anboten; allein, um ihnen zu zeigen, daß wir nicht so hungrig, wie sie, und nur je eher je lieber von ihnen hinweg zu kommen wünschten, liessen wir ein vieles zurücke in ihren Händen, das wir noch wohl hätten mitnehmen und gebrauchen können.

Ich glaube, die armen Räuber mochten wohl recht froh seyn, daß sie noch so mit dem blauen Auge darvon gekommen, hielten sich auch nicht lange mehr vor unsern Augen auf, sondern gaben ihren Schiffen die vollen Seegel, ohnfehlbar nach einer ihnen wohlbekannten Räuber-Insul zu, wir hergegen, da wir eine kleine unbewohnte Insul antraffen, auf [189] welcher sich ein schönes frisches Wasser befand, beschlossen daselbst, um nach dem ausgestandenen Sturm und Schrecken, nach Gutbefinden, vor Ancker liegen zu bleiben, und in etwas auszuruhen, bey welcher Gelegenheit wir denn unsere gemachte Beute mit dem Engels-Manne redlich theileten, und zwar vermittelst des Looses, er aber war so freygebig, und gab uns beyden Brüdern noch zur schuldigen Danckbarkeit vor geleisteten Beystand von seinem Theile einem jeden 3. Pfund gediehen Gold, welches wir fast gezwungener Weise ihm zum geneigten Andencken dieser Begebenheit, annehmen musten.

Schon bey Passirung der Linie war ich mit meinem Bruder in etwas uneinig worden, ob wir uns nach den Brasilischen Küsten zu schlagen wolten, oder nicht: da ich mir einbildete, einen näherern, sicherern und bequemern Weg nach der Insul Felsenburg gefunden zu haben. Weilen nun mein Bruder nicht leicht gewohnt war, mir zu wiedersprechen, zumahlen, da ich ihm im Vertrauen entdeckte, daß ich, wo es nur immer möglich wäre, aus gewissen Ursachen, das Cap. nicht gern mit unsern Schiffen berühren möchte, als ließ er sich auch dieses gefallen, allein der Himmel mochte es vielleicht nicht also haben wollen, sondern der Engels-Mann muste uns, fast wider unsern Willen, zum Wegweiser auf die Insul St. Helena dienen; jedoch hatten wir eine unvergleichlich schöne, stille Fahrt, und erreichten bemeldte Insul recht, ehe wir uns derselben vermutheten. Der Engels-Mann rühmte unsere Tapfferkeit, die wir bey seinem Entsatz bezeigt,[190] gegen seine Lands-Leute gantz ungemein, weßwegen uns dieselben alle ersinnliche Ehre anthaten; endlich aber, nachdem wir uns nur 4. Wochen auf der InsulSt. Helena aufgehalten, unsere Schiffe aufs neue ergäntzt, und mit allen Bedürffnissen versorgt, seegelten wir ab, indem ich von nun an und von dar aus mich nunmehro wohl gantz allein nach Felsenburg zu finden getrauete, meines Bruders Haupt-Vergnügen war inmittelst dieses: daß uns der Himmel mit der Räuber ihrem Guthe so reichlich gesegnet, da wir schon wieder ein vieles erworben von demjenigen, was wir auf der Insul St. Jago im Stiche gelassen hatten.

Wie ich nun eines Tages meinen Bruder wider seine bisherige Gewohnheit gantz unbetrübt und bey recht guter Laune antraf, so fragte ich ihn erstlich um seine Religions-Veränderung, welches er mir endlich gestunde; was die Heyrath aber und vor sich selbst anbeträffe, hätte er geschworen, daß, wenn er lebte und gesund bliebe, er längstens binnen den 2. bestimmten Jahren wieder kommen wolte; solte aber ich, als sein Bruder, nach völlig verrichteten Geschäfften ihn zeitiger missen können, so würde er keinen Augenblick vorbey streichen lassen, sich auf St. Jago einzustellen, indem er sich nun nicht mehr länger zu leben getrauete, bis die Heyrath vollzogen wäre. Ich gratulirte ihm im Voraus darzu, und versprach alles anzuwenden, was mir nur immer möglich wäre, damit er nicht aufgehalten werden solte.

Nach der Zeit, und zwar bis auf diese Stunde hieher, hat er sich gantz ausserordentlich dienstfertig[191] gegen mich auf geführet, auch mich immer einer Mühe und Arbeit nach der andern überheben wollen, allein ich bedanckte mich deßfalls zum öfftern vor seine Höflichkeit und gute Meynung, die er vor mich hegte, anbey solle er nicht glauben, daß ich ein Freund der Bequemlichkeit und Feind der Arbeit wäre, hergegen beobachten, daß meine Leute, wenn sie sähen, daß ich selbst mit Hand anlegte, zehenmahl fleißiger wären, als wohl gewöhnlich, welches denn auch die klare Wahrheit war.

Mittlerweile seegelten wir auf dieser angenehmen Strasse, bey gutem Winde und Wetter, mit gröstem Vergnügen fort, und kan ich nicht sagen, daß uns eins oder das andere Verdrüßliche begegnete, ausgenommen die gräulich vielen Meer-Wunder und Meer-Thiere, welche uns dann und wann beunruhigen wolten, allein, da meine Leute nur ihren Spas und Spott darmit trieben, und viele derselben ertödteten, gab ich ihnen zu vernehmen, daß es mir eben nicht allzuwohl gefiele, wenn sie sich mit diesen unvernünfftigen Creaturen in einen Kampff einliessen, und ob ich schon nicht abergläubig wäre, so könte ihnen dennoch versichern, daß mir und meinem Geleite zum öfftern, nach Kränckung dieser Dinger, das gröste Unheil wiederfahren, als dessen Propheten oder Wahrsager sie gemeiniglich zum Voraus wären. Demnach könten sie zwar mit den See-Hunden, See-Löwen, See-Pferden, See-Kälbern und dergleichen mehr so umgehen, wie sie selber wolten, weil diese zum Theil zur Speise dieneten, vor allen Dingen aber solten sie sich hüten, ein Meer-Wunder [192] zu touchiren, welches nur ein eintziges Merckmahl, entweder gantz menschlicher, oder wenigstens Affens-Gestalt, an sich hätte, als worauf, wie ich selbsten erfahren, zum öfftern üble Folgerungen entstanden wären. Wie nun unsere Leute vernahmen, daß ich keinen besondern Wohlgefallen an dergleichen Wasser-Jagd hatte, so stelleten sie dieselbe nach und nach ein, lieferten aber doch erstlich, nicht selten manchen schönen See-Löwen, See-Pferde, See-Hunde, See-Kälber und dergleichen.


Bald nach dieser Lust entstund eine andere, da wir bemerckten, daß die Nächte fast noch einmahl so schwartz und dunckel wurden, als gewöhnlich, zumahlen, da wir doch, obschon nur noch in etwas, Mondenschein hatten; Ich ließ mich dieses gantz und gar nicht befremden, weilen sich dergleichen wohl zum öfftern vor oder nach einem gehabten Sturme zu zutragen pfleget. Meine Leute aber stelleten sich einstmahl ohngefähr um die Mitternacht-Stunde dergestalt wunderlich an, als ob sie den Koller hätten, oder denselben kriegen wolten; Als ich nun nach der Ursach ihres hefftigen Gelächters fragte: führeten sie mich auf das Oberdeck des Schiffs, und zeigten mir, mit ihrer grösten Verwunderung gantze Regimenter und Esquadrons auf der offenbaren See herum hüpffend, springend und tantzend. Die wenigsten wolten mir Glauben beymessen, daß keine Sache natürlicher seyn könne, als diese, indem vielleicht die See in selbiger Gegend gegen das andere See-Wasser [193] ausserordentlich saltzig wäre, oder sonsten vielleicht was zähes und schleimiges in sich hätte.

Demnach war einer, und zwar ein alter wohlversuchter See-Mann dermassen behertzt und frevel, daß er auf einen grossen Irrwisch, den er vor einen commandirenden Officier der Irrwische ansehen und ausgeben wolte, sein Gewehr lösete, denselben auch, dem Scheine nach, dermassen wohl traf, daß er sich schleunig untertauchte, und wie wir alle glaubten, versincken muste.

Indem ich ihn nun vor dem Schusse gewarnet hatte, solche Possen bleiben zu lassen, so gab es ein ziemlich starckes Gelächter, als gleich nach geschehenem Schusse oben vom Mastbaume herunter eine ziemlich starcke Stenge ihm vor die Füsse fiel, so daß er noch Ursach hatte, dem Himmel zu dancken, welcher abgewendet, daß sie ihm nicht auf den Kopf gefallen, und etwa gar ein Loch hinein geschlagen. Demnach gab es abermahls etwas zu lachen, denn seine Cameraden hiessen ihn nicht anders als den Irrwisch-Schiesser. Als aber mein Bruder, der zu mir und auf mein Schiff gekommen, sich selbsten über die Irrwische zu ärgern schien, sprach ich: stille, mein Bruder! wir wollen bald keinen Irrwisch mehr sehen: Derowegen ließ ich, nicht etwa aus Frevel, sondern zu Reinigung der Lufft, mit Canonen Feuer unter die Irrwische geben, welche denn binnen einer halben Minute Schaarenweise verschwunden, oder sich in die See versenckten.

Fernerweit kan ich eben nicht sagen, daß uns fatal zu seyn scheinende Begebenheiten zugestossen [194] wären, sondern wir hatten, wie schon gemeldet, eine stille und geruhige Fahrt. Zwar wolten einige von unsern Leuten die Mäuler hängen, weilen sie gemercket hatten, daß wir das Cap. vorbey geseegelt wären, und sie nicht dahin gebracht hätten; Allein ich stopffte ihnen allen die Mäuler mit wenig Worten, die also lauteten: »Ihr habt mir nunmehro schon eine ziemliche Zeit daher die Ehre gegeben, unter meinem Cammando mit mir zu fahren; wer was auszusetzen hat an mir und meiner Aufführung, der thue es noch bey Zeiten, und lasse sich in soweit dienen, daß ich die Wege zur See vielleicht wohl besser weiß, als einer unter uns allen. Ich bin auf der Fahrt, mich glücklich und vergnügt zu machen, welches alle, die bey mir sind, zugleich mit geniessen sollen, denn ehe einer von uns ja verderben solte, so will ich der erste seyn. Es kömmt auf wenige Tage an, so werdet ihr vielleicht erfahren, daß euch der Capitain Horn nicht übel, sondern wohl geführet hat, und ihm vor seine Mühe und Arbeit Danck wissen.« Hierauf schryen alle meine Leute mit vollem Halse! Vivat! Vivat! Capitain Horn, unser Vater.

Der Himmel gab, daß mir wenig Tage hernach alle Zeichen in die Augen fielen, welchergestalt wir nicht weit mehr von dem geehrtesten und liebsten Felsenburg wären, darum ließ ich allen Kummer und Sorge verschwinden, bin auch, wie ihnen bekañt, in so weit glücklich und vergnügt vor der Insul angekommen. Wie es nun meine Hochgebietende Herren, Freunde und Gönner fernerweit zu verordnen belieben wollen, solches will ich mir, sonderlich [195] wegen Ausladung der Schiffe, alle Stunden gefallen lassen, voritzo aber bis auf Dero Befehl und Verordnung meine Reise-Geschichte in so weit, wiewohl nicht gäntzlich zum Schlusse bringen, indem ich auf eine andere Zeit ein weitmehrers zu melden mich schuldig erkenne.

Solchemnach machte der Capitain Horn abermahls einen Abschnitt, seiner, obschon noch nicht völlig geendigten Reise-Geschichte, und wurde dieserwegen nicht allein von dem Regenten, Aeltesten, Herrn Geistlichen, sondern auch von uns allen nochmahls aufs freundlichste complimentirt und bewillkommet. Nachhero aber, da vor dißmahl eben der gantze obrigkeitliche und geistliche Stand versammlet waren, wurde vor allererst berathschlaget, wie es mit Ausladung der Waaren und Sachen, ingleichen mit der Ausschiffung der fremden Völcker wohl von ohngefähr zu halten sey?

Wie nun der Capitain Horn von allen, so zusagen, fast einstimmig ersucht wurde, seine Meinung deßfalls am ersten von sich zu geben, weilen man von seiner besondern Treu und Liebe zu uns vollkommen überzeugt wäre, daß er keinen andern, als guten Rathschlag ertheilen würde; als öffnete derselbe seinen Mund, und sagte: Meine Hochgebietende allerseits hoch- und werthgeschätzte Gönner und Freunde! Ihnen nicht vorzuschreiben, so halte ich es nicht vor rathsam, sondern vielmehr vor ein wichtiges Staats-Versehen, wenn man die fremden Völcker, die bishero unter meinem und meines Bruders Commando [196] gestanden, ohngeachtet dieselben grösten Theils so ziemlicher Massen civilisirt, und in Ordnung gebracht sind, auf die Insul Groß-Felsenburg wolte kommen lassen. Nein! ich hielte, jedoch ohnmaßgeblich darvor, daß man dieselben bey dieser vortrefflichen Witterung auf der Insul Klein-Felsenburg unter Zeltern und Laub-Hütten campiren liesse, so wie wir solches wohl ehemahls andern fremden Völckern erlaubet haben. Auch müste ihren Officiern auferlegt werden, diese Leute fleißig in Acht zu nehmen, und dieserwegen keinen Tag oder Nacht lang von ihnen zu bleiben, ausgenommen, wenn sie specielle Erlaubniß hätten, sich dann und wann einige Tage in Groß-Felsenburg aufzuhalten. Ob sie meinem Bruder vergönnen wolten, bey uns zu bleiben, damit wir ihn stetig in Augen hätten, und auf sein Thun und Lassen Achtung geben könten, solches stellete in dero Belieben, sonsten wäre ich wohl gesonnen, ihn Woche um Woche oder alle 3. oder 4. Tage auf Klein-Felsenburg ordentlich abzulösen, und allen Verdacht zu vermeiden, bey den Leuten so wohl als er zu bleiben. Inzwischen zweiffelte nicht, daß man beschliessen werde, daß Volck mit hinlänglichen und nothdürfftigen Lebens-Mitteln zu versorgen, so wie wir denn wohl ehermahlen Blut-fremden gethan, die uns gar nichts angegangen. Was die Ausschiffung des Volcks und der mitgebrachten Sachen anbelanget, ist mein Vorschlag, daß dieselbe je eher je lieber vor sich gehe, indem ich befürchten muß, daß sonsten an einen und andern kostbaren Sachen, ein fernerer Schade geschehen möchte etc.

[197] Wie nun dieser gethane Vorschlag nicht nur demRegenten, sondern auch allen andern Mit-Regenten vollkommen wohlgefiel, so wurde beschlossen, keine Zeit noch Stunde mehr zu verabsäumen, sondern erstlich das Volck auf die kleine Insul, und den meisten Theil der mitgebrachten Sachen erst an den Fuß unsers Felsens zu schaffen, allwo, weiln ohnedem die See um selbige Zeit sehr weit zurück gewichen, Platz genug vor dieselben vorhanden zu seyn geschätzt wurde.

Nächstfolgenden Tages, da Kirch-Tag war, wurden im Herausgehen aus der Kirche 300. Mann von unsern Leuten, nemlich die besten und stärcksten Felsenburger ausgelesen, welche zu Ausschiffung der Sachen Hand mit anlegen solten; hierauf setzte sich derCapitain Horn nebst mir und vielen ansehnlichen Felsenburgern in Boote, und fuhren hinüber zu den Schiffen, da denn Capitain Horn seinem Bruder so gleich den Antrag thät, daß, weilen auf der grossen Insul nicht so viel Raum und Platz anzutreffen, dem Volcke genugsame Bequemlichkeit zur Verpflegung zu verschaffen, als woll er sich gefallen lassen, dasselbe auf die kleinere Insul zu führen, fernerweit aber vor nichts Sorge tragen, indem allhier mehr der Uberfluß, als Mangel regiere.

Der jüngere Capitain Horn ließ sich alles gefallen, was ihm sein Bruder zumuthete, und derowegen richteten beyde Schiffe ihre Seegel nach der kleinen Insul, erreichten auch dieselbe noch, ehe es Nacht wurde. Folgenden Morgens stiegen sie also mit dem Allerfrühsten in eben demjenigen [198] Haafen aus, allwo vor einiger Zeit einige Portugiesen als Gäste ausgestiegen waren, ja diese Leute erwähleten sich auch eben den lustigen Platz zu ihrem Lager-Platze, den sich damahls die Portugiesen darzu erwählt hatten, indem wir noch die Rudera ihrer gehabten Hütten und Feuerstädten daselbst antraffen. Ich kan nicht gnugsam sagen, wie fleißig sie sich insgesamt anstelleten, ihre Hütten in Ordnung zu bringen, und es war immer einer mehr, als der andere beschäfftiget, seinen Nachbar wegen seiner Hütte so wohl an Zierlichkeit, als Bequemlichkeit zu übertreffen. Da das Volck nun vollends sahe, was ihm vor eine erstaunliche Menge Speise-Vorrath, Wein, Brandtewein etc. zugeführet wurde, wusten die wenigsten zu sagen, was sie mit allen diesen guten Sachen, auch grösten Theils herrlichsten Delicatessen anfangen solten, indem es zu viel vor sie, und nur einigen ihrer besten Freunde in ihrem Vaterlande, oder hie oder da, etwas weniges von diesem ihren Uberflusse wünschten. Demnach hatten diese guten Leute dererjenigen Gedancken, so auf der Insul Groß-Felsenburg leben, gar sehr viel; Jedoch die guten Leute bey ihrer gemachten Einrichtung und zu guter Ordnung abzielenden Arbeit nicht zu stöhren, oder ihnen wenigstens verhinderlich darinnen zu seyn, als blieben wir vor dieses erste mahl nur 3. oder 4. Tage bey ihnen, und fuhren darauf nach Groß-Felsenburg los, als wohin wir die beyden Capitains Horn vorerst alle beyde mit uns nahmen, ingleichen des ältesten Capitains Schiffs-Fähndrich und des jüngern Capitains [199] Lieutenant, den übrigen beyden zurückbleibenden subalternen Officiers wurde mitlerweile das Commando über die Völcker, so sich bereits völlig einquartirt hatten, aufgetragen.

Es sperreten so wohl mein Bruder, als die bey ihm befindlichen Officiers die Augen gantz entsetzlich auf, als ihnen, nachdem sie durch den hohlen Felsen-Weg herauf stiegen, und zwar bey der angenehmsten Zeit und Witterung, ohngefähr 1. oder 2. Stunden nach Aufgang der Sonnen, der gantze Prospect von unserer grossen Insul plötzlich und auf einmahl in die Augen fiel. Mein Bruder, der auf einen kleinen Hügel von ohngefähr zu stehen kam, war fast in vielen Minuten nicht von der Stelle zu bringen, doch endlich, da er sich besonnen hatte, wo er sich befände, sagte, indem er die Hände über dem Kopffe zusammen schlug, nur so viel: Du, mein GOtt! du hast mich doch seit meiner Kindheit an unzählig viele schöne Landschafften in mehr als einem Welt-Theile sehen lassen, aber dergleichen Gegend habe ich noch nie gesehen, die ohne allem Zweiffel ihres gleichen in der gantzen Welt nicht hat. Die bey ihm stehenden Officiers gaben ihm in diesem Stücke den allergrösten Beyfall, worbey sie mehr als einmahl darzu schwuren; Indem aber bereits einige, theils mit zahmgemachten Hirschen, theils mit den schönsten Pferden bespanneten Staats- Carossen gegen uns angerückt waren, als bestiegen wir dieselben. In der 1ten Chaise saß derCapitain Horn Sen. an meiner Seite; in der 2ten dessen Bruder bey dem Capitain Wolffgang, in der 3ten der SchiffsLieutenant [200] bey Mons. Litzbergen, in der 4ten der Schiffs-Fähndrich bey M. v. Blac; diesenChaisen folgeten noch verschiedene andere dergleichen, worinnen sich auch einige der so genannten Vornehmsten dieser Insul befanden, ingleichen waren etliche zu Pferde, wenigstens hundert Mann, die den Schluß machten. In dieser Ordnung fuhren wir nach der Alberts-Burg zu, denn es ist vorjetzo gegen sonsten gantz anders, so, daß man gleich auf dem Berge vor der grossen Burg-Thür absteigen kan.

Nachdem uns 6. graue Häupter zur Bewillkommung entgegen geschickt waren, stiegen wir die Treppe hinauf, und traffen daselbst auf einem grossen Saale, (denn es ist zu wissen, daß Zeit währender, des Capitain Horns, Abwesenheit nicht allein dieser Saal, sondern fast das gantze Gebäude, Alberts-Burg genannt, abermahls ungemein vergrössert und verbessert worden) den Regenten oben an einer oval-runden Taffel auf einem etwas erhabnern Stule sitzend an, als diejenigen hatten, die um ihn herum sassen, und dieses waren bekannter Massen die grauen Häupter und Vorsteher der Gemeinden in den Pflantz-Städten. Zur rechten und lincken Seiten dieser oval-Taffel, oben neben dem Stule des Regenten, befanden sich noch 2. etwas kleinere runde oval-Taffeln, an welcher jeden 4. Herrn Geistliche sassen, und zwar in ordinairen Sächsischen Priester-Habit, denn unsere Herrn Geist lichen hatten sich nur vor etwa 2. Jahren einen neuen Amts-Gehülffen erwehlet, und denselben nach heiligem Gebrauche [201] ordinirt, damit er das Werck des HErrn nebst ihnen nach der Ordnung unsers Heils unermüdet forttreiben könte, weilen allem Ansehen nach denen dreyen alten und ersten die geistliche Arbeit in die Länge allzu sauer werden wolte. Jedoch hiervon weiter unten ein mehreres. Sonsten aber ließ sich die Verwunderung aus meines Bruders so wohl, als der mit ihm geko enen Officiers Augen nicht undeutlich lesen, die sie über die grossen grauen Bärte und Eiß-grauen Haupt-Haare hegten.

Es sassen demnach, wie schon gemeldet, diesevenerablen Männer in der Rundung um den Regenten herum, und zwar alle in schwartzer Kleidung, auf Stühlen, die mit rothen weichen Wild-Leder überzogen waren, endlich aber, da die Fremden sich vor ihnen geneiget, trat der Regente auf seinem Stuhle in etwas in die Höhe, und redete dieselben selbst zu erst also an:

Meine Herren, auch werthesten Freunde und Gönner!

Dieselben treffen hier an diesem Orte Leute an, welche von den so genannten Complimenten, oder wie die Sachen sonsten Nahmen haben mögen, so wenig wissen, als von dem äuserlichen Pracht in Kleidung und von andern Welt Gepränge, so vielleiche an andern Orten in der Welt vorgehen mag; sondern sie finden, wie ich sage, an uns Leute, die in ihrer gottesfürchtigen Einfalt leben, mit unserm geringen Stande und wenigem [202] Vermögen vollkommen zufrieden sind. Wir machen uns allerseits eine gantz besondere Freude, Sie wertheste Herren und Freunde! nach einer (wie wir von unserm lieben Capitain Horn dem Aeltern bereits in etwas vernommen haben) beschwerlichen und verdrüßlichen Reise glücklich bey uns zusehen, wünschen uns anbey nichts mehr, als dieses, daß Sie uns im Stande finden mögen, Ihnen nach Würden ein und anderes Vergnügen zu machen; Jedoch, weilen wir ohnfehlbar das Glück haben werden, Dieselben noch eine gute Zeitlang bey uns zu sehen, um vollkommen auszurasten, als werden sich vielleicht binnen dieser Zeit, mit Hülffe des Himmels, Mittel finden, Ihnen unsere Wohlgewogenheit und Erkänntlichkeit zu zeigen, zumahlen, da wir vernommen, daß Sie auf der ganzen Fahrt und vor einige uns mitgebrachte Sachen viele Sorge getragen. Wir bitten nochmahls allerseits, Sie belieben es sich bey uns wohlgefallen zu lassen, und mit möglichst guter Bewirthung vorlieb zu nehmen.

Da nun der Regente ausgeredet, und sich wieder hingesetzt hatte, redete mein Bruder also:

Hochgebietende, Hochgeehrteste Herren!

Es hat uns mein Bruder, sonderlich auf der Rück-Reise, 1000. fach viel Gutes von Ihnen und dieser gantzen hochgeschätzten Republique erzählet, sonderlich aber, daß die [203] Gottesfurcht, Gerechtigkeit, Friede, Liebe, Treue, Redlichkeit, Aufrichtigkeit und andere unvergleichliche Tugenden mehr an keinem Orte in der Welt in grösserer Vollkommenheit anzutreffen, als auf dieser glückseligen Insul, derowegen schätzen so wohl ich, als meine gegenwärtigen Herren undCollegen es uns vor ein besonderes Glück und Vergnügen, Dero Grund und Boden betreten zu haben, und mit Ew. Hochgebietenden unsern Hochgeehrtesten Herren bekannt zu werden. Was wir sonsten auf der gantzen Fahrt gethan, als absonderlich gut Commando unter unserm Volcke zu halten, hiernächst die uns anvertrauten Sachen bestmöglichst bewahren zu helffen, ist unsere Schuldigkeit gewesen, und protestiren wir hierbei vor alle Erkenntlichkeit, weilen wir von meinem Bruder bereits ein sattsames Honorarium bekommen, und werden wir, wenn uns ja erlaubt seyn solte, eine kurtze Zeit hier zu bleiben, uns bestmöglichst hüten, einige Ungelegenheit zu machen, damit wir Dero allerseits gute Meynung von uns nicht verschertzen.

Nachdem diese Reden gehalten worden, giengen mein Bruder und die beyden Officiers erstlich zumRegenten, welchen sie umarmeten und küsseten, und denn ferner zu allen, die da gegenwärtig waren, mit denen sie es gleichfalls also hielten, worauf an verschiedenen grossen Taffeln gespeist, und dabey ein freundliches Gespräch mit abwechselnder sanffter Taffel-Musique gehöret [204] wurde. Folgende Tage über liessen sich die Fremden von den Unsrigen auf der Insul in allen Pflantz-Städten herum spatzieren führen, da sie denn viele Merckwürdigkeiten und Seltenheiten ungemein bewundert, endlich aber, da Capitain Horn Sen. das Commando und die Visitation auf der kleinen Insul zum ersten mahle auf eine Woche übernehmen wolte, reiseten nebst dem Regenten die meisten von den grauen Häuptern und Vorstehern auch mit, ingleichen blieben die Herrn Geistlichen nicht zurücke, ja es folgten ihnen auch eine ziemliche Anzahl Groß-Felsenburger, so daß unsere Insul in langer Zeit nicht so leer von Leuten gewesen, als damahls. Wie nun der Capitain Horn Jun. voraus gegangen, um uns zu empfangen, als wurden, so bald wir aus den Booten stiegen, 50. Canonen gelöset, nachhero aber von der in Ordnung gestelleten Mannschafft eine 3. mahlige Salve gegeben.

Wir bewunderten, daß unsere Gäste binnen so wenig Tagen alles nach ihrer schönsten und besten Bequemlichkeit eingerichtet, indem sie nicht nur so viele zierliche Hütten erbauet, sondern auch auf verschiedenen grünen Plätzen, 12. bis 16. Taffeln von Bauholtz und Bretern aufgerichtet, so, daß wir sie mit gröster Lust nach ihrem Appetite daran speisen sahen. Nachdem sie sich wohl gesättiget, und auch den Wein und Brandtewein darbey, nach eines jeden Belieben, nicht vergessen, vertheileten sie sich in Hauffen, und fiengen allerhand Lust-Spiele an, deren einige so poßirlich heraus kamen, daß sich der Regente und die grauen [205] Häupter, ja so gar unsere Herrn Geistlichen zuweilen fast nicht satt lachen konten, denn die wenigsten von ihnen hatten Zeit ihres Lebens nicht gesehen, was vor aufgeräumte und lustige Leute sonderlich die Boots-Knechte sind.

Nachdem wir uns aber 3. gantzer Tage bey ihnen aufgehalten, und dabey bemerckt, wie artig und künstlich ihre Jagden und Fischereyen angestellet waren, kehreten wir insgesamt wieder zurück nach Groß Felsenburg, und nahmen in den Booten, welche abermahls frische Lebens-Mittel vor unsere Gäste mitgebracht hatten, eine starcke Ladung von den Waaren und Sachen, so uns Capitain Horn aus Europa mitgebracht hatte, mit uns, um selbige an Ort und Stelle zu bringen, hierbey befanden sich auch die von den Barbaren erlöseten Christen-Sclaven, deren schon gedacht worden. Weilen nun unserm Frauenzimmer die Wittbe des Englischen Schiff-Capitains vor allen andern in die Augen fiel, als reitzten sie mich an, sie zu bitten, uns ihren Lebens-Lauff zu erzählen, demnach wagte ich es, und fand die Dame dergestalt gefällig, willig und bereit darzu, als ich mir kaum eingebildet hätte: denn sie machte den Anfang ihrer Lebens-Geschichte in Gegenwart unserer meisten und vornehmsten Frauens-Bilder alsobald mit diesen Worten:

Mich Unglückselige hat der Himmel zu Londen in Engeland lassen zur Welt gebohren werden, in welchem Jahre aber kan vorjetzo selbst nicht mehr sagen: denn die Ursache dessen wird sich am Ende finden, weilen mir unter andern richtigen [206] Urkunden auch mein Geburts-Schein verlohren gegangen. Unterdessen bin ich aus einer guten adelichen Familie, Harrison benahmt, entsprungen. Mein Vater war, so viel ich von meinen Kinder-Jahren annoch dencken kan, Schloß-Haupt-Mann eines der Königlichen Schlösser, nicht allzuweit von Londen gelegen, und ich habe nachhero vernommen, daß er diese Charge gantzer 10. bis 12. Jahr geführet, endlich aber dieselbe wegen einer ihm begegneten fatalen Begebenheit niedergelegt, und sich mit meiner Mutter und seinen Kindern nach Londen begeben, um daselbst noch ruhiger und vergnügter zu leben, als er seinen Gedancken nach bishero gelebt hätte, weiln es ihm an Mitteln gantz und gar nicht fehlete, uns zu ernähren, indem er nicht nur vor sich ein ziemlich starckes Vermögen gehabt, sondern auch dasselbe durch die Heyrath mit meiner Mutter um ein wichtiges vermehret. Uber dieses alles ist mein Vater im Actien-Handel dergestalt glücklich gewesen, daß er sich die schönsten und austräglichsten Ritter-Güther hätte kauffen können, wenn er nur gewollt hätte; Allein er mag, wie mir meine seel. Mutter zum öfftern erzählet hat, wohl mehr als einerley, jedoch eben nicht gar allzu löbliche Ursachen gehabt haben, ein solches nicht zu thun, vielmehr hat er sich auf das verzweiffelte Spielen und Wetten gelegt, und ist dadurch dem Banquerout mehr als einmahl sehr nahe gewesen, jedoch das Glück im Spielen und Wetten, hauptsächlich aber der Actien-Handel hat ihm nach und nach doch immer dergestalt wohlgewollt, und [207] ihm das, was er vorhero verlohren gehabt, gedoppelt und dreyfach wieder zugeführet, so daß es noch hohe Zeit gewesen wäre, eine andere und bessere Lebens-Art anzufangen; Allein an dessen Statt fängt er an den Trunck zu lieben, und zwar den Brandtewein, auf eine gatz excessive Art, welches alles doch möchte hingegangen seyn, wenn er nur dann und wann sich bereden lassen, den Rausch auszuschlaffen; jedoch dieses war sein Werck nicht, sondern, wenn er den Kopff voll gehabt, war er in die Spiel-Häuser gegangen, hatte um geringer Ursachen wegen mit diesem oder jenem Händel angefangen, da denn fast keine Woche verstrichen, daß er nicht blessirt nach Hause gekommen wäre, entweder mit dem Degen, oder mit der Kugel. Wiewohl er nun auch manchen blessirt, mithin seinen Hohn einsmahls gnugsam gerochen zu haben vermeinet, so redete ihm doch meine Mutter aufs allerbeweglichste zu, vom scharffen Spielen und Wetten, hauptsächlich aber von dem leidigen Truncke abzustehen, allein sie hatte eine lange Zeit tauben Ohren geprediget; Doch endlich ändert mein Vater seine Lebens-Art plötzlich, und stehet so wohl vom Truncke, als vom Spielen ab, sucht auch keine andere, als honette, douçe Compagnien, weßwegen meine Mutter so froh wird, als ob sie ihn zum zweyten mahle geheyrathet hätte. Allein, diese ihre grosse Freude währete nicht länger, als bis ihr von einer vertrauten Freundin in gröstem Geheim vertraut wurde, daß ihr Mann, nemlich mein Vater, sich an ein lüderliches Frantzösisches Comœdianten WeibsStücke [208] gehenckt, welche ihn dergestalt eingenommen, daß er ohne dieselbe fast nicht zu leben wüste; ja, er wendete nicht geringe Geld-Summen an dieses Luder, und hätte demselben in einer gewissen Vorstadt ein kostbares Logis gemiethet, um sie vor sich allein zu behalten, wäre aber in diesem Stücke nicht nur zum öfftern schändlich betrogen worden, sondern hätte auch bereits mit vielen Cavaliers, dieser Canaille wegen, Händel gehabt, und nur vor wenig Tagen einen gewissen Frantzösisches Cavalier in der rechten Seite der Brust fast durch und durch gestochen, so daß es mißlich um des Blessirten sein Leben gestanden, worbey noch das gröste Glück, daß der Blessirte kein Engeländer, sondern ein gebohrner Franzose wäre. Wie gesagt, meiner seeligen Mutter Kummer und Sorgen und der Verdruß über die erhaltene Nachricht von meines Vaters neuer Lebens-Art, die ihr, als einer ziemlich ehrgeitzigen Dame, fast mehr als alles vorhergehende zu schmertzen schien, verursachten, daß sie gantz plötzlich in eine schwere Kranckheit fiel, so daß wir alle an ihrem Leben zu zweiffeln anfiengen, zumahlen, da sie sich nicht nur täglich, sondern offt stündlich im rechten Ernste nach dem Tode sehnete. Als mein Vater sie in ihrer Kranckheit einstmahls zu besuchen kam, und ihr diese und jene Medicamenta recommendirte, gab ihm die Mutter zur Antwort: Macht euch nur keine Mühe mit euren Medicamenten, denn sie werden mir nichts helffen, sondern die ungebührliche Liebe zu eurer schändlichen Comœdianten-Hure wird mich mit nächsten ins Grab [209] stürtzen, sodann habt ihr Freyheit, euch um ihr zu vereheligen, weilen ich ohnedem mercke, daß ich euren Augen nicht mehr gefalle. Wie wehmüthig nun auch meine Mutter diese ihre Worte vorgebracht hatte, so ließ sich mein Vater doch dadurch nicht erweichen, sondern sagte mit einem höhnischen Gelächter: Man merckte wohl, daß sie grosse Hitze hätte, und sehr starck phantasirte, derowegen solte man ihr nur noch etliche mahl nach einander eine Ader öffnen, so würde sich das Phantasiren vielleicht bald verlieren. Gehet mir, (gab meine Mutter hierauf zur Antwort) vor meinen Augen weg! denn dieses ist eine Cur, die ihr ohnfehlbar von eurer Französischen Canaille werdet gelernet haben etc. Mit solchen und dergleichen Reden, die mir und allen, so zugegen waren, selbst zu Hertzen giengen, kränckten sich meine lieben Eltern von einer Zeit zur andern, jedoch es geschahe bald, daß wir unsern Vater nicht so offt wieder zusehen bekamen, weßwegen wir anfänglich nicht wusten, ob er lebendig oder todt wäre. Jedoch, nachdem er sich in gantzer 16. Wochen nicht blicken lassen, erhielten wir eine, wiewohl unsichere und ungegründete Nachricht, daß er mit nach West-Indien geseegelt wäre, worüber meine Mutter gantz froh wurde, nur darum, daß er auf solche Art von der Canaille losgekommen wäre, denn an Geld und Güthern fehlete es uns zur selbigen Zeit gantz und gar im geringsten nicht, anbey hatte sie die Hoffnung, daß, wenn er glücklich und gesund wieder zurück käme, er wenigstens etliche 1000. Thaler an Gold und Silber mit sich bringen würde; Allein [210] diese Hoffnung fiel in den Brunnen, da wir nach der Zeit um so viel desto gewisser versichert wurden, wie sich mein Vater noch beständig in Londen aufhielte, und zwar an einem gantz abgelegenen Orte, von daraus aber, einmahl wie immer seine Frantzösin so wohl bey Tage, als bey Nacht besuchte. Demnach aber meine Mutter in sichere Erfahrung gebracht, wo eigentlich sein Logis wäre, warff sie sich eines Abends in Manns-Kleider, und ließ sich durch einen getreuen Menschen dahin bringen. Sie ist so glücklich, meinen Vater zu Hause anzutreffen, weßwegen sie in sein Zimmer gehet, sich zu seinen Füssen wirfft, und um alles dessen, was heilig ist, bittet, mit ihr in unserLogis zurück zu kehren, auch fernerhin als ein getreuer Ehemann ihr und seinen Kindern beyzuwohnen, auch alles vorgegangene in Vergessenheit zu stellen etc. An statt aber, daß sich meines Vaters Hertz hätte sollen erweichen lassen, karbatscht er sie Gottes-jämmerlich in dem Zimmer herum, und läst sie durch seinen Bedienten die Treppe hinunter werffen, den Leuten aber weiß machen, als ob er eine falsche Visite von einem Spitzbuben bekommen, der ihn vielleicht um eine oder andere Kostbarkeiten beschnellen wollen.

Solchergestalt kam meine Mutter in erbärmlichem Zustande zurück nach Hause, und wuste sich weder zu rathen noch zu helffen, indem sie sich das wichtigste Bedencken nahm, diese gantze Begebenheit vor die Obrigkeit kommen zu lassen.

Noch ehe aber hätten wir uns des Himmels-Einfall versehen, als bey so gestalten Sachen unsern Vater in dieser Welt wieder mit Augen zu erblicken; [211] Allein er kam, da wir eben damahls seiner am wenigsten gedachten, einstmahls in der Mitternachts-Stunde auf einer Post-Chaise gefahren, gab ein Zeichen mit pfeiffen von sich, und rief, daß man ihm aufmachen solte. Wie wir nun seine Stimme wohl kañten, wurde ihm so gleich aufgemacht, da wir denn höreten, daß mehr als eine Person die Stiegen herauf gestolpert kamen, weswegen denn meine Mutter so gleich in jede Hand einen Leuchter mit einem grossen Wachs-Lichtenahm, gegen die Thür des Zimmers zugieng, um selbige zu eröffnen, und zu sehen, was auf dem Vor-Saalepassirte. Ich, die ich gleichfalls ein Licht in jede Hand genommen, folgte ihr auf dem Fusse nach, und erblickte meinen Vater in Lebens-Grösse, auch in seiner gewöhnlichen Kleidung, bemerckte aber anbey gantz klar und deutlich, daß er einen blossen Degen mitten in der Brust stecken hatte, dessen Gefässe vorne auf der Hertz-Grube fast Spannenlang heraus ragete, ingleichen bemerckte ich, daß das Blut sehr starck aus der Brust und am Leibe hinunter floß. Zu verwundern ist es demnach, daß ich vor Schrecken nicht so gleich augenblicklich zu Boden gesuncken bin, weiln mir noch auser dem die hinter ihm stehenden 2. langen, weissen Geister, oder Gespenster, die einen grossen schwartzen Reise-Couffre zwischen sich trugen, einen erstaunlichen Anblick verursachten. So wahr der Himmel über mir lebt und schwebt, ich kan nicht wissen, woher ich in selbiger Stunde alle Hertzhafftigkeit muß herbekommen haben, und glaube dieserwegen vollkommen, daß mich ein Engel GOttes recht übernatürlicher Weise muß gestärckt haben, [212] denn meine Mutter hatte kaum meinen Vater oder dessen Gespenst in die Augen gefasset gehabt, als sie, wie sie sich nachhero wohl zu besinnen wuste, augenblicklich wie ein Mehl-Sack umgesuncken war. Ja, was noch mehr? ich fassete mir so gar ein Hertze, meinen Vater anzureden, und mich in ein kurtz Gespräch mit ihm einzulassen; allein, indem ich die Worte auf der Zunge hatte, kam er mir mit Reden zuvor, und sagte gegen uns beyde: Nun habt ihr nach eurem Wunsche, mich noch einmahl gesehen in dieser Welt, denn ich bin bereits an einem andern Orte, als in der zeitlichen Welt. Nehmet ohne Bedencken, was vor euch allhier auf dem Saale stehen bleibt; gedencket meiner im Besten, und lebet wohl!

Unter diesen letzten Worten löscheten alle unsere Lichter aus, auch sogar die, so ordentlicher Weise auf dem Saale zu brennen pflegten, jedoch bemerckten wir zu gleicher Zeit, daß das gantze Gesichte oder Gauckelspiel des Satans eben so geschwind und hurtig verschwand, als man ein Licht oder zwey auszublasen, und dasselbe zu verlöschen pflegt; blieb also nichts davon übrig, als ein blosser Schatten eines schwartzen Reise-Couffers, welchen wir nicht länger anzusehen würdigten, sondern uns in unsere Zimmer zurück begaben, allwo wir alles, was Athem hatte, im allertiefsten Schlafe fanden. Meine Mutter war fast auf allen Vieren hinein gekrochen, ich aber nur froh, daß ich sie erstlich mit Kummer und Noth auf ein Faul-Bette bringen konte.

Den übrigen Theil der Nacht brachte ich noch [213] in gröster Verwirrung zu, da ich aber meine Mutter gegen Morgen in ziemlichen gesundem Zustande antraf, gab sich mein Hertz doch einiger Massen zufrieden, ja, ich bemerckte in demselben, daß es gedoppelte Courage bekam. So bald ich recht zu unterscheiden mir zugetrauete, was schwartz oder weiß wäre, nahm ich zu allem Uberflusse noch 2. Wachs-Lichter in meine Hände, gieng nochmahls zum Zimmer gantz allein hinaus auf den Saal, allwo ich denn ohnfern vor unseres Zimmers Thür den vorhero schon erblickten schwartzen Reise-Couffre erblickte. Weiln nun der helle Tag bereits angebrochen, auch die Sonne schon aufgegangen war, so nahm ich mir (ich weiß selbst nicht, aus was Krafft) die eigene Hertzhafftigkeit, den schwartzen Couffre in unser Zimmer zu tragen, an welchen meine liebe Mutter nicht die geringste Hand anlegen wolte, sondern auch gebot, daß man dieses Teuffels-Ding solte stehen lassen, bis zum wenigsten der Seegen darüber wäre gesprochen worden.

Ich schickte zu einem mir wohl bekanntenreligieusen Geistlichen, und erzehlete ihm die gantze Geschichte und Gesichte, so uns in voriger Nacht begegnet und erschienen war. Dieser nahm sich kein Gewissen, nachdem er sein Christlich Bedencken darüber gegeben, auch den Seegen über den Couffre zu sprechen. Worauf wir denn sogleich nach einem Schlösser schickten, und den Couffre eröffnen liessen, worinnen sich 6000 Thaler theils an baarem Gelde theils Gold, theils Silber-Müntzen befanden, nebst noch mehr als einmahl so viel an Wechsel-Briefen und Actien Zetteln, wobey ein Memorial [214] lag, welches meine Mutter, so bald ich dasselbe mit grossem Bedacht gelesen, wieder zu sich nahm, und in 1000 Stücken zerriß.

Das gröste Wunder war bey dieser Sache, daß, ohngeachtet der Couffre binnen 24. Stunden fast zu Staub und Asche worden, jedennoch die Brieffschafften darinnen unversehrt geblieben waren, mithin hatten wir noch ein schönes Capital einzuheben, welches zum Theil vielleicht auch noch viele Weitläuftigkeiten, unserm Bedüncken nach, verursachen möchte.

Jedoch die eigentliche und Haupt-Sache war diese: zu erfahren, ob unser Vater noch am Leben, oder bereits todt wäre; derowegen schickte erstlich meine Mutter verschiedene Kundschaffer aus, und als sie binnen wenig Tagen durch getreue Leute mit schweren Kosten endlich so viel vernommen, als was, so zu sagen, in ihren Kram dienete, warff sie sich abermahls in Manns-Kleider ließ 2 von unsern Bedienten nach unserer ordinairen Livree gantz neu kleiden, und begab sich mit ihnen mehrentheils bey Nachts-Zeit auf den Weg, bat darbey uns zurück im Logis bleibenden, jederzeit ein andächtiges Gebet vor ihre Person gen Himmel zu schicken.

Mir war angst und bange, meine Mutter von uns gehen zu sehen, jedoch, da ich mich endlich begriff, und bedachte, daß sie nicht allein einen durchdringenden Verstand, sondern auch dabey ein Manns- ja ein recht Löwen-Hertz im Leibe hätte, setzte ich mein Vertrauen auf die göttliche Hülffe, und ließ sie unter vielen 1000. Glückwünschungen so wohl, als Vergiessung häufiger Thränen hingehen, [215] wohin es ihr selbst beliebte, zumahlen, da sie alle Abende wieder zu kommen, und uns zu besuchen versprach.

Es verstrichen demnach nicht mehr, als 8. oder 10. Tage, als sie das erste mahl zurück kam, und uns die traurige Nachricht brachte, daß mein lieber Vater von einem Frantz- Manne, den er bey seiner Maitresse angetroffen, so zu sagen, meuchelmörderischer Weise ermordet, wessentwegen auch der Mörder so gleich in gefängliche Hafft gebracht worden; Hergegen lebte die Maitresse lustig und guter Dinge, und sähe sich nur blos allein nach unserm Vater um, ob derselbe den Geld-Sack bald schickte, oder selbsten mit sich brächte. Es hatte meine Mutter diese Nachricht nicht allein in des Vaters, sondern auch so gar in der Maitresse Logis mit vielen Umständen vernommen, sich aber an beyden Orten gantz und gar nicht darvor ausgegeben, als ob ihr sonderlich viel daran gelegen wäre. Der Maitresse Schönheit konte sie nicht gnugsam beschreiben, zweiffelte aber sehr, ob selbige nicht etwa eine falsche Schmincke wäre, dem ohngeachtet schwur sie in der ersten Hitze, ihren Hohn auch so gar mit Darstellung ihres Lebens zu rächen, und nicht eher zu ruchen, biß die Canaille entleibt wäre.

Ich bat den Himmel mit bittern Thränen, meiner Mutter diese Gedancken zu benehmen, allein mein Gebet wurde in diesem Stücke dißmahl nicht erhöret, denn wenig Tage hernach kam ihr der Rummel auf einmahl wieder an, derowegen zohe sie abermahls eins von meines Vaters käñtlichen Kleidern an, die ihr sehr wohl passeten, wie sie denn [216] in allen Stücken eine sehr grosse Gleichheit mit seiner Person hatte; ausser dem steckte sie einen Degen mit einer geschliffenen Klinge an die Seite, und noch über dieses in jede Tasche 2. Taschen-Pufferte, oder Terterols. Wie sie sich nun dergestalt blos in meinem alleintzigen Beyseyn wohl besorgt, rief sie zwey von unsern getreuen Laqueyen, befahl ihnen, ihr zu folgen, und sie nicht aus den Augen zu lassen, hergegen, wo es die äuserste Noth erforderte, getreulichen Beystand zu leisten, indem es ihr Schade nicht seyn, sondern ein jeder von ihnen vor diesen Weg 100 Ducaten zur Recreation haben solte. Auf dieses umarmete sie mich, die ich an einem Fenster stunde, und Thränen vergoß, mit diesen Worten: Gebt euch zufrieden, meine liebste Tochter! und lasset mich nur immer in meiner gerechten Sache unter eurem Gebete fortgehen, denn die Gefahr, darein ich mich itzo begebe, um eures Vaters Tod, so viel als mir nur immer möglich ist, zu rächen, wird vielleicht so groß nicht seyn, als ihr euch dieselbe vorstellet, und ich hoffe, wo ich anders glücklich bin, noch vor Mitternachts-Zeit schon wieder bey euch zu seyn.

Wie nun diese letztern Worte meine Thränen einiger Massen hemmeten, so ließ ich sie unter dem Schutze des Allmächtigen, in Begleitung der beyden Laqueyen fortgehen, blieb aber am Fenster stehen, und mit Vergiessung vieler Thränen abzusehen, was erstlich auf der Strasse vorgehen möchte, hernach mahls aber ihre Zurückkunfft abzuwarten, worbey ich denn dergestalt fleißig betete, als ich wohl sonsten zum öfftern in vielen Jahren nicht gethan, indem [217] es mir fast ein unerträglicher Schmertz seyn und heissen wolte: Vater und Mutter binnen so kurtzer Zeit auf einmahl zu verlieren.

Jedoch dieser wurde ziemlicher Massen gelindert, da ich meine liebe Mutter ohngefehr zwischen 10 und 11 Uhren des Nachts nebst ihren beyden Laqueyen zurück kommen sahe. Sie machte die Thür des Zimmers ohne langes Verweilen auf, und fragte nichts mehr, als dieses: Meine Tochter! wenn ihr Caffée habet, so gebet mir und diesen Leuten etliche Schälchen zu trincken, lasset uns auch ein gut Glas Rosoli holen, denn das Glück hat meine Faust gesegnet und geführet, daß ich ein so gutes, ja fast noch bessers Meister-Stück gemacht, als die Iudith bey dem Holoferne.

Indem ich nun darnach fragte, welcher Gestalt ihre Verrichtungen abgelauffen wären, erstattete der eine Laquey mir folgenden Bericht: Nachdem wir unten im Hause, wo die Conquette logirte, angelangt, und ein paar oder mehr Boutellen-Weins vor unsern Herrn gefordert, säumete die Wirthin nicht lange, uns dieselben zu bringen, worauf so wohl der so genannte unser Herr, als wir Diener den Wein versuchten, auch uns etwas zur Kost reichen liessen; Indem wir uns aber hierauf etwas bey Seite begaben, ließ sich unser so genannter Herr mit der Frau Wirthin in ein vertrauliches Gespräche ein, und mochte wohl nach und nach so viel aus ihrem treuhertzigen Hertzen erforschet haben, daß die Frantzösische Comœdiantin, wornach er gefragt, bereits in ihrem Bette versorgt sey, und zwar mit demjenigen Frantzösischen Cavalier, der ihrentwegen nur vor wenig Tagen einen andern Cavalier [218] erstochen hätte. Ob nun gleich der Entleibte ein Engeländer von Geburt, so sähe man doch wohl, daß Geld und Gold alles niederdrückte, indem der Frantzose bereits Pardon erhalten. Ohngeachtet, daß sich unser gebietende Frau, zumahlen, da sie Manns-Kleider am Leibe anhatte, ziemlich zu verstellen wuste, so merckten wir beyden Bedienten doch bald, was passirte, zumahlen, da unsere Frau die Wirthin vermittelst eines Geschencks a 3. Guineen gantz vollkommen treuhertzig machte, und dieselbe inständig bat, ihn nur hinauf in das Zimmer zu führen, wo beyde Frantzosen schliefen, indem er ein recht vertrauter Freund von allen beyden sey, indem er so gut Frantzösisch als Englisch parliren könte. Die Wirthin ließ sich also ohne ferneres Bedencken, und in Betrachtung der schönen Gold-Stücke, deren sie vielleicht noch mehr zu fischen verhoffte, dahin bewegen, daß sie uns alle 3. in das Zimmer hinauf führete, allwo beyde verliebte Frantzösische Seelen im Bette angetroffen wurden, und einander umarmten, auch sich keines Bösen befahreten, bis ihr mein Herr oder Frau, wie ich sagen mag, seinen geschliffenen Degen zwischen beyden Brüsten gantz sanffte hindurch bohrete, da sie denn der Wirthin rieff und dieselbe fragte: was im Hause und hier oben vorgienge. Nichts, Madame, antwortete die Wirthin) schlafet nur gantz ruhig, denn ich bin selber da.

Mir kam so wohl über die Frage, als über die Antwort dieser beyden Personen, ein hertzliches stilles Lachen an, doch, da ich merckte, daß sich der Franzose rührete und umwenden wolte, stieß ich meinen Cameraden [219] in die Seite, um auf allen Fall unsere Pistolen parat zu halten, weilen man bereits das Blut unter dem Bette hervor lauffen sahe. Mein Herr wolte zwar der Wirthin mit 6. Guinees ein Stillschweigen auferlegen, allein diese wolte sich nicht weiter treuhertzig machen lassen, sondern durchaus nach der Wache schicken. Demnach begaben wir uns erstlich an die Fenster, um frische Lufft zu schöpffen, wurden aber gewahr, daß sich eine gewaltige Menge vom Pöbel in selbiger Gegend versammlete, fragten demnach die Wirthin, was der Lerm auf der Strasse zu bedeuten hätte? worauf sie zur Antwort gab? Meine Herrn! dieser Lerm gehet nicht uns, sondern die Zoll-Bedienten an, welches nichts ungewöhnliches ist, wird sich aber mit Anbruch des Tages wohl legen. Indem wir nun die Frau Wirthin in allen Stücken gantz höflich und freundlich sahen, begaben wir uns wieder hinunter in das Haus, und forderten 3 Bouteillen Wein, nebst etwas Zubehör, welches alles die immer liebreicher scheinende Frau Wirthin sogleich brachte, und sich mit unsern so genannten Herrn in ein vertrauliches Gespräch einließ, welches wir beyden Diener nicht verstehen konten.

Ich will euch, fiel hier meine Mutter dem Laquay in die Rede, dasselbe allerseits dergestalt noch vorsagen, als es gehalten worden: denn erstlich fragte die Wirthin, wie es möglich gewesen, daß ich ein so wunderschönes Frauenzimmer hätte in ihrer besten Ruh entleiben können? worauf ich derselben zur Antwort gab: Madame! es laufft allerdings wider mein Naturell, einen guten Hund, geschweige denn ein Frauenzimmer zu tödten, weilen ich, wie [220] sie sehen können, selbsten dieses Geschlechts bin, allein diese Frantzosen-Hure hat mir erstlich meinen Mann verführet, und zum Ehebruche verleitet, hiernächst mich und meine Kinder um gewaltige Geld-Summen gebracht, aber alles dieses möchte noch hingegangen seyn, wenn sie mir nur diesen Tort nicht angethan, und meinen Ehemann, der von den Vornehmsten des Englischen Adels herstammet, durch ihren Beyschläffer, so viel ich vernommen, auch so gar meuchelmörderischer Weise um sein noch ziemlich junges Leben bringen lassen. Es hat mir (sprach ich ferner zu der Wirthin) hier in ihrem Hause an weiter nichts gefehlt, als an der Zeit und Gelegenheit, allein ich hoffe, daß mir der Himmel doch noch diesen mörderischen Frantzosen in die Hände führen wird, da ich denn nicht fackeln werde, ihm durch meine eigene Faust das Lebens-Licht auszublasen, und meinen Mann zu besuchen, in das Reich der Todten zu schicken, solte ich auch gleich meinen Kopff auf dem Chavotte müssen fliegen lassen, so mache ich mir dennoch eben so wenig daraus, als ob ich zehen Köpffe hätte. Hierauf sagte die Wirthin gantz heimlich und vertraulich: Madame! ich habe genug gehört, kan aber nicht gar viel darzu sagen, unterdessen, weiln ich ihnen zu Gefallen, noch nicht nach der Wache geschickt, und die Sache melden lassen, so folget meinem getreuen Rathe, und mischet euch noch bey guter Zeit mitten unter den Pöbel, wessentwegen euch denn auch meine Haus-Thüre nicht soll abgeschlossen werden.

Nachdem ich der Frau Wirthin vor dieses gute Erbieten einen Kuß auf gute Landsmännische [221] Manier versetzt, war mir noch einmahl so wohl ums Hertze, als vorhero, befahl auch derselben, meinen beyden Leuten auf mein Conto noch so viel zu trincken zu geben, als sie nur immer beliebten, weiln ich alles bezahlen wolte; als zu dem Ende ich ihr der Wirthin noch 3. Guinees in die Hand drückte, und meine Leute nach meiner Pfeiffe stimmete, Wie nun der helle lichte Tag bereits angebrochen war, als kam der Monsieur Franzmann die Treppe herunter spatzieret, und gieng in einen kleinen hinter dem Hause gelegenen Lust-Garten, um sich daselbst zu divertiren, ich folgte ihm auf dem Fusse nach, und wunderte mich über weiter nichts mehr, als daß er keinen Verdacht weder auf meine Person, Kleidung, noch sonstes etwas legte. Wir waren aber kaum etliche 20. Schritte zwischen den Blumen-Beeten herum spatziert, als ich mir gefallen ließ, einige der schönsten Blumen, die nach meinen Appetite waren, abzupflücken, worüber sich der Franzose mit allerhand anzüglichen Reden verlauten ließ, daß dieses keine Manier, sondern eine Anzeigung eines schlechten Verstandes und geringer Höflichkeit sey, so kam es unter uns bald zu häßlichen Schimpff-Worten, und obgleich die darbey stehende Wirthin, fernern Streit zu verhüten, sich erklärete, wie sie sich aus dergleichen Kleinigkeiten nichts machte, sondern dieselben allen ihren Gästen, welche Belieben darzu trügen, Preiß gäbe, so wolte der Franzose sich jedennoch nicht zufrieden geben, sondern schimpffete immer noch hefftiger auf mich los, da ich ihm denn mit Worten gleichfalls nichts schuldig blieb. Er aber zog seinen Degen, gieng mir [222] damit in einem breiten Wege sehr hitzig zu Leibe, ich hergegen war gelassen, und gieng anfänglich sehr behutsam mit Ausparirung seiner Stösse, da er mir aber endlich immer gefährlicher zu Leibe gieng, versetzte ich ihm oben einen Stoß durch die rechte Brust, dem noch einer folgte, welcher vermuthlich durch sein Hertze gieng, indem er mit den Worten, die auf deutsch, ich habe genug, heissen, wie ein Baum umfiel, und fast gar kein Zeichen des Lebens wehr von sich gab. Nunmehro begunte mir erstlich recht sehr bange zu werden, wie es mir ergehen würde, allein die Wirthin, die entweder aus Mittleyden, weil sie wuste, daß ich ein Frauenzimmer war, oder vielleicht aus ihren eigennützigen Ursachen durch diesen Zufall gantz bestürtzt worden, kam mit sachten Schritten auf mich zugegangen, und sagte: Meine Freundin! Ihr habt euch ritterlich genug gehalten, derowegen seyd auf eure Flucht bedacht, denn mir ist mit eurem Schaden und Unglück nicht gedienet. Hiermit öffnete mir die gute Frau die Hinter-Thür des Gärtgens, wodurch sie mich hinaus ließ, da ich ihr denn noch 3. Guinees in die Hand druckte, und bat, dahin besorgt zu seyn, daß auch meine 2. Bedienten mir bald nachfolgen könten. Dieses zu bewerckstelligen, lief sie selbsten vor ins Haus, und brachte zu meiner grösten Freude meine Bedienten geführet, welche denn so wohl als ich von ihr hinaus gelassen wurden, da wir uns denn alle 3. gar bald erstlich unter den Pöbel vertheileten, jedoch auch gar bald einander wieder antraffen, und keinen Augen blick Zeit versäumeten, euch, [223] meine liebe Tochter, heimzusuchen, weilen wir alle wohl wissen, daß ihr Zeit unserer Abwesenheit euch tausend Kummer und Sorgen werdet gemacht haben.

GOtt sey ewig gelobt! (sprach ich zu meiner Mutter) daß er ihre Person bey diesem gefährlichen Handel so väterlich behütet hat, dieser ist mein lebendiger Zeuge, daß meine Augen Zeit ihrer Abwesenheit gar nicht sind trocken worden; und dieser wolle fernerweit unser Beystand seyn, denn wir haben meines Erachtens noch viel schwere Berge zu übersteigen vor uns.

Indem nun meine Mutter und ich, so wohl bey Tage als bey Nachts-Zeit, mit sorgsamen Gedancken beschafftiget waren, weiln mir keinen Schluß fassen konten, an wen wir uns wegen unserer Forderungenaddressiren wolten, führete endlich der Himmel unverhofft eine Person in unser Logis, welche wir beyde recht als einen Engel bewillkommeten.

Es war diese Person Mons. Barley, ein jungerLord, der schon in meinem 13ten Jahre, da mein Vater noch Schloß-Hauptmann gewesen, bey meinen beyden Eltern angehalten, mich als diese ihre Tochter an keinen andern Menschen zu verheyrathen, als an ihn. Wie nun meine Eltern ihm zur Antwort ertheilet, daß es noch viel zu frühzeitig mit ihrer Tochter sey, dieselbe zu verheyrathen, er aber wohl schwerlich, von wegen seiner eigenen Jahre, Standes und grossen Vermögens, nicht leicht vor rathsam befinden würde, auf dieselbe zu warten, weilen er mittler Zeit, als diese [224] vollkommen aufgewachsen wäre; 10. ja mehr weit profitablere Parthien im Heyrathen antreffen könte. Demnach solle er sich eine Sache, die ihm vielleicht bald hernach, als er seinen Zweck erreicht, gereuen könte, viel lieber aus den Gedancken schlagen, so könne er vergnügt und wir alle ohne Sorgen leben.

Allein dieser mein Liebhaber, welchen ich, zu mahlen bey unsern offtmahligen verwirrten Haus-Sachen, jederzeit treu und redlich erfunden, hatte sich damahls und auch in folgender Zeit an alle dergleichen ihm verdrüßlichen Abfertigungen wenig gekehret, sondern war mir eine Zeit, wie die andere getreu und beständig geblieben, und zwar, ohne daß ich einen besondern Wohlgefallen darüber empfunden: Denn ich fürchtete mich schon von meiner Jugend an gantz entsetzlich vor dem Heyrathen, weilen mir der so genannte Englische Wahrsager, und zwar der Uralte, nicht viel Guts in der Helffte meiner Jahre zu geniessen vorher gesagt hatte. Um aber meine Geschichte nicht weitläufftig zu machen, so will nur so viel sagen: daß dieser Mons. Barley noch bey Leb-Zeiten meines Vaters, ehe derselbe in die letztern Verdrüßlichkeiten gerathen, zum öfftern in Londen zu uns gekommen, und die ehemahlige Bekanntschafft erneuert, nachhero aber nur sehr sparsame Visiten bey uns abgelegt, weilen er wohlge merckt, daß es nicht allzu gut um unsere Wirthschafft stünde; da ihm aber unsere Fatalitäten zu Ohren kamen, kam er, so zu sagen, als ein von GOtt gesandter heiliger Engel, und brachte uns zu allererst die besondere [225] Nachricht: daß die Entleibung der Französin so wohl als auch des Franzosen nicht allein in der gantzen Stadt, sondern auch bereits bey Hofe ruchtbar worden, indem die Wirthin und Domestiquen desLogis, worinnen die Französische Comœdiantinlogirt, alles umständlich erzählen, und endlich bekräfftigen müssen, jedoch hätten Ihro Majestät der König selbst sich dergestalt allergnädigst verlauten lassen: Man müsse bey der angegebenen Deliquentin, zumahlen, da sie eine gebohrne vornehme Engeländerin wäre, die Sache recht wohl untersuchen, indem Allerhöchst-Dieselben vor dießmahl gewisser Ursachen und Umstände wegen lieber Gnade als recht ergehen zu lassen, gesonnen wären etc.

Dieses war nun schon ein ziemlich starcker Trost vor mich und meine Mutter, den uns dieser Freund zum ersten mahle brachte, allein der ehrliche Mensch dienete uns in weit mehrern Stücken, denn da ihm meine Mutter das Geheimniß wegen unserer starcken Schuld-Forderungen entdeckte, war seine erste Anfrage diese: Ob er, wenn er auch nur die Helffte davon ausgeklagt, auch mich zur Gemahlin haben solte? welches denn meine Mutter und auch ich ihm mit Hand und Mund versprachen. Demnach war Barley vollkommen wohl mit uns zufrieden, und ließ sich unsere Geschäffte dergestalt angelegen seyn, daß er weder Tag noch Nacht Ruhe hatte, bis er, versprochener Massen, die Helffte unserer Forderungen ausgeklagt, und noch ein weit mehreres, welches alles er[226] denn zu meiner Mutter sichern Händen lieferte. Hierauf drunge er auf das Beylager mit meiner Person, ohngeachtet ich ihn nun an meine Mutter verwiese, indem dieselbe, obgleich etwas älter, jedoch weit schöner und reicher, als ich wäre, so wolte doch mein Barley auch hiervon nichts hören, sondern sagte nur soviel: Kurtz, ich liebe eure Person eintzig und allein auf der Welt, und setzte gegen euch Printzeßinnen zurücke, wenn sie mich auch haben wolten, aus was Ursachen aber ich euch liebe, solches ist mir ohnmöglich zu sagen.

Sich zu einer Heyrath zu entschliessen, mag wohl eine solche Sache seyn, die dem Menschen vorhero lange im Kopffe herum gehen muß; allein bey unsern damahligen Umständen erforderte es allerdings wohl die Noth, mich nicht länger zu weigern, zumahlen, da mir meine Mutter und mein Liebster fast keine Stunde mehr, zur weitern Bedenck-Zeit vergönnen wolten.

Demnach wurden wir endlich, fast ehe es mir gefällig war des Handels vollkommen einig, und celebrirten unser Beylager, ohne gewöhnliches unnöthiges Gepränge, hatten auch niemanden auser meiner Mutter dabey, als 12. Herrn und Frauen aus Londen, die wir noch vor unsere besten Freunde schätzten.

Nachdem nun auch dieses geschehen, und vorbey war, wir beyde neugebackenen Eheleute auch kaum 4. Wochen vergnügt beysammen gelebt hatten, kam eines Abends mein Barley sehr starck verwundet nach Hause, indem er zu sagen wuste: wie er einiger Massen recht unter die Mörder gefallen, [227] und dergestalt von ihnen zugerichtet worden, daß er vielleicht seinen Geist dieserwegen aufgeben müste.

Es waren eben zwey Englische Kauff-Leute bey uns, welche einige Geld-Summen vor uns zahleten, und dem Herrn von Barley das Verständniß ziemlicher Massen eröffneten, indem sie ihm sagten: daß dieses sein Unglück von niemanden anders herrührte, als von einem gewissen Mäckler, den man noch zur Zeit nicht in die Gülde der Kauffmañschafft einnehmen wollen, und mit dessen Tochter der Herr von Barley sich zu vermählen vor einiger Zeit, auch ihm ein Schiff nach Ost-Indien auf dessen Verlag zu führen, anheischig gemacht, nachhero aber das Wort nicht gehalten, ohngeachtet der Mäckler gesonnen gewesen, vor ihn und seine Gemahlin, als dessen Tochter 20000 Gulden in Banco, so zu sagen, als zum Heyraths-Guthe einschreiben zu lassen. Mein Barley befand sich einiger Massen in seinen Gewissen betroffen, sagte aber dieses: Mein Unglück mag herrühren, wo es immer wolle, jedennoch werde ich nicht verzagen, weilen, nächst GOtt, meine Redlichkeit und mein noch (wiewohl eben nicht so gar sehr starckes) Vermögen mir durchhelffen muß. Kurtz: ich verlasse mich auf den Himmel, meine Jugend und meine Tapferkeit. Wenn sie (sagte der eine und älteste Kauffmann,) das Principium haben, so kan es ihnen nicht fehlen; unterdessen, weilen wir beyde einen guten Schiffs-Capitain nothig haben und zwar eine Person von Condition, indem wir in Compagnie ein vollkommen wohl [228] ausgerüstetes Schiff liegen haben, welches nach Ost-Indien geführet werden soll, als haben wir das besondere Vertrauen zu Ew. Herrl. dieselben zu unsern Schiffs-Capitain anzunehmen, in Hoffnung, daß sie unsern Nutzen und Vortheil aufs best-möglichste besorgen werden, und hiervor lassen wir ihnen gleich morgendes Tages, oder, wenn es gefällig, ausser dem Ordinario alsofort 6000. Fl. in Banco schreiben.

Mein Barley wolte sich anfänglich nicht entschliessen, mit diesen Leuten etwas zu thun zu haben, indem er nicht allein seine noch allzu neue Heyrath, sondern auch seine schlechte Erfahrung im See-Wesen vorschützte, jedoch alles dieses und noch mehrere Entschuldigungen wolten bey diesen Capitalisten nichts gelten, sondern sie trilleten ihn so lange, bis er einen Contract mit ihnen schloß, der zumahlen vor mich, nächst dem vor meine Mutter, ja alle die Meinigen, ungemein raisonable und profitable abgefasset war.

Aber ich verfluche fast noch die Stunde, da dieses geschehen ist, denn dieser Contract hat mich um meinen lieben Mann gebracht. Er hatte, nachdem er sich einmahl engagirt, wenig Zeit zu versäumen, zu Schiffe zu gehen, wessentwegen auch meine Mutter und ich unsere Maaß-Regeln darnach nehmen und einrichten musten, jedoch schon gemeldte zwey redliche Kaufleute, als meines Mannes Principalen, halffen uns, was die Geld-Affairen anbelangete, binnen wenig Tagen aus allen unsern Nöthen, indem wir das allermeiste Geld eincaßirten, das übrige aber im Banco schreiben liessen.

[229] Endlich rückte der strenge Tag heran, da ich mit meinem Manne unter Seegel zu gehen, uns beyde nicht länger entbrechen konten, derowegen machten wir noch eine kurtze Disposition, nach gehaltener fernerer Verabredung auf alle Fälle mit unserer lieben Mutter, und traten nachhero unsere Reise in Gottes Nahmen an, waren auch so glücklich in der Gegend des grünen Vorgebürges anzulangen, ohne vom Sturm und Wetter befallen zu werden, bis uns endlich 3. Barbarische Schiffe auf einmahl überfielen, und mit alleräusersten Gewalt zum Treffen zwungen. Zwar hätte ich fast glauben sollen, wir hätten ihnen noch bey guter Zeit entkommen können, zumahlen, da sie meinen Gedancken nach, eine ziemlich billige Forderung an uns thaten, allein mein Mann war, wenn ich es deutlich sagen soll, damahls wohl ein wenig zu hitzig, und hielt mit behertztem Muthe Stand, ohngeachtet er sich weit übermannet sahe, und eben dieses hat ihm sein, mir sehr kostbares Leben, gekostet, indem ihm eine Canonen-Kugel den Kopff abgerissen. Ich gerieth demnach in die Barbarische Sclaverey, zusamt allen den Meinigen, habe es aber den beyden HerrnCapitains Horn zu dancken, daß sie uns nebst vielen andern Christen-Slcaven erlöset, wiewohl ich den Barbaren eben nicht nachsagen kan, daß sie mir und den Meinigen viel Uberlast gethan hätten, allein dieses hatte seine besondere Ursachen, indem ich ihnen nicht allein eine ziemlich starcke SummaRanzion-Gelder so gleich versichert und verschrieben, sondern ein weit mehrers zu thun versprach, wenn [230] sie uns wohl tractirten, und je eher je lieber nach Engeland, oder wenigstens nach Gibraltar lieferten; Allem wir haben, GOtt sey gedanckt, ihnen keinen Flitter geben dürffen, weilen es uns von unsern tapffern und freygebigen, theuren Erlösern durchaus verboten wurde, ihnen auch nur das geringste zu zeigen, geschweige denn zu geben. Anbey muß die edle Tugend der Großmuth und Freygebigkeit zu rühmen nicht vergessen, welche nicht allein die beyden nie genug gepriesenen Capitains Horn, sondern auch 2. Portugiesische Capitains in unserm damahligen betrübten und verwirrten Zustande allen erlöseten Christen-Sclaven, vornemlich aber auch mir und den Meinigen erwiesen. Der Himmel vergelte es ihnen, und seegne sie alle auf Lebens-Zeit. Dieses muß ich aber noch melden, daß die Portugiesen so gütig waren, und versprachen, mich mit allem meinem Zubehör und Haabseeligkeiten frey und franck in den ersten Englischen Capital-Hafen zu liefern; Allein wie gern ich das Land und die Stadt meiner Geburt vor meinem Ende wohl noch einmahl sehen mögen, so hatte ich doch in meinem Hertzen einen besondern Wiederwillen gegen die Portugiesen, nicht so wohl vor ihre Personen (denn es waren in Wahrheit 2 artige Cavaliers von Person und Ansehen) aber ich fand etwas an ihnen, das mir nicht gefiel, und welches ich itzo nicht sagen kan oder will. Derowegen addressirte ich mich an unsern Haupt-Commandeur, den ältesten Capitain Horn, und bat ihn gewisser Ursachen wegen, weil ihm die Treue und [231] Redlichkeit gegen seinen bedrängten Nächsten, recht aus den Augen leuchtete, aufs allerwehmüthigste, mich nicht in die Hände der Portugiesen kommen zu lassen, sondern mir die Gefälligkeit zu erweisen, und mich so wohl als meinen Zubehör aufs Vorgebürge der guten Hoffnung mit sich zu neh men, von dannen ich mich denn schon weiter nach einer gewissen Ost-Indischen Insul zu kommen getrauete, allwo mein seeliger Mann im Nahmen seinerPrincipalen ungemein starcke Geld-Posten einzuheben, auch deßfalls ein Blanquet zur Vollmacht bekommen, welches er mir unter seinen Schrifften hinterlassen hatte. Es versprach mir itzt gemeldter Capitain Horn zwar, mich um weiter nichts zu bekümmern, sondern versicherte mich mit nächsten, so bald es nur möglich wäre, auf das Cap zu bringen, allein in diesem Stücke muß ich ihn, wiewohl mit frölichem und vergnügtem Hertzen einer Unwahrheit beschuldigen, indem er mich an Statt des Möhrischen Vorgebürges an diesen angenehmen Ort gebracht, allwo ich den Himmel, oder so zu sagen, nur eine der besten Haupt-Cammern des Himmels auf dem Erdboden angetroffen, und mich nunmehro Zeit meines Lebens von dieser glückseeligen Insul nicht wünschen will, wenn einer von den vornehmsten Einwohnern derselben, mir nur das Glück gönnen will, mich als eine Magd, oder Kinder-Frau bey sich zu behalten, denn ich bin, ohne eitlen Ruhm zu melden, geschickt, nicht nur die saubersten Sachen mit der Neh-Nadel zu verfertigen, sondern weiß auch mit Spitzen-machen, Weben, [232] Spinnen und Stricken gantz wohl umzugehen, bin auch sonsten allerhand andere Haus- und Küchen-Arbeit von Jugend auf gewohnt. Mein allerbester Trost ist dieser, daß ich meine liebe Mutter versorgt weiß, weilen ich derselben nebst meinen kleinern Geschwister ein solches Capital zurück gelassen, welches sie, als eine gute Wirthin wohl schwerlich Zeit-Lebens mit ihren Kindern verzehren wird, und wenn sie sich auch in künfftiger Zeit zur andern Heyrath bequemete, indem sie noch eine wohl ansehnliche vigoreuse Frau, und fast noch in ihren beste Jahren ist. Kurtz zu sagen: Ich werde mich weiter weder um mein Vaterland so wenig, als um die gantze Welt bekümmern, wenn ich nur, wie schon gemeldet, die gütige Erlaubniß erhalten, auf dieser glückseeligen Insul und unter dem Zusammenhange der ungeheuchelten auserlesensten Frauen mein mühseeliges Leben zu enden.

Wie nun hiermit auch die Madame Barley den ersten Theil ihrer Lebens-Geschichte endete, jedoch dabey meldete, daß sie viele zur Haupt-Geschicht nicht eben allerdings gehörige Weitläufftigkeiten bis auf eine andere Zeit versparen wolte, so steckte unser Insulanisches Frauenzimmer erstlich die Köpffe ziemlich zusammen, endlich aber wurde der Madame de Blac, als einer Lands-Männin der Madame de Barley, ingleichen des Herrn Mag. Schmeltzers Sen. Frau Liebste aufgetragen, dieser Dame wegen bey dem Regenten und Mit-Regenten Vorstellungen zu thun, damit alles fein ordentlich zugehen möchte. Diese beyde nahmen die Commission mit Vergnügen auf sich, kamen [233] auch, weilen sie eben die grauen Häupter, Vorsteher und Herrn Geistlichen bey dem Regenten versammlet angetroffen, noch vor Verlauf zweyer Stunden wieder, und brachten vor die Madame von Barley diesen erwünschten Bescheid zurück: »Daß der Madame von Barley vollkommene Erlaubniß ertheilet wäre, im Nahmen der hochheiligen Dreyfaltigkeit auf dieser Insul bey uns zu bleiben, so lange es ihr gefällig wäre. Auser dem solte sie von dieser Stunde an, vor keine Einkö lingin, etwa angesehen und gehalten werden, im Gegentheil aber alles Recht geniessen, dessen sich die Groß-Felsenburger zu erfreuen hätten, so wohl als ob sie auf dieser Insul gebohren und erzogen wäre; wie sie denn ein jeder von uns, er sey männliches oder weibliches Geschlechts, dergestalt achten und halten solte, als ob sie eines jeden leibliche Schwester wäre etc.«

Dieser Bescheid verursachte in dem Hertzen unserer Frauenzimmer eine ungemeine Freude, als welche die neu eingenommene Schwester Wechselweise dermassen umarmten, hertzten und küsseten, daß es fast zu verwundern, wie diese solche übermäßige Liebkosungen ausstehen konte.

Da nun Mons. Litzberg und andere mehr das Frauenzimmer so auserordentlich lustig sahen, wurden dieselben auf einen grossen Saal geführet, und ihnen daselbst eine unvergleichliche Vocal- und Instrumental Musique gemacht, denn ich kan ohne eitle Prahlerey theuer versichern, daß sich unsere Felsenburgischen Musici, so wohl Vocal- als Instrumentalisten seit wenig Jahren in der [234] Musique dergestalt gebessert, daß viele unter ihnen manchen so genannten Virtuosen in Europa beschämen solten, woraus denn abzunehmen, daß der Natur, wie man spüret, fast alles möglich ist, zumahlen, wenn Lust und Liebe zu einer Sache bey einem tüchtigen Subjecto vorhanden sind. Demnach weilen zumahlen von unserm Frauenzimmer immer Wechselsweise die schönsten und auserlesensten moralischen Cantaten, auch andere Arten vonComposition abgesungen wurden, gieng die Nacht darüber hin, und der Tag begunte schon anzubrechen, ehe wir uns dessen versahen; doch fand sich niemand unter uns allen, der die gehabte Lust und das Vergnügen bereuete, welches wir in abgewichener Nacht genossen hatten.

Des folgenden Morgens, da sich die Aeltesten und Vorsteher, so wohl als auch die Hrn. Geistlichen beym Regenten auf der Alberts-Burg zum Thée eingefunden, schickte der Regente auch an uns übrigen, vom so genannten engern Ausschusse, und ließ uns auf den Thée zu sich bitten, indem er mit einem und andern etwas nothwendiges zu sprechen hätte; demnach säumeten wir nicht, uns bey ihm einzustellen. Es folgten also dem Capitain Wolffgange und mir noch viele andere, als Mons. de Blac, Litzberg und andre Einkömmlinge, auch kam der Capitain Horn Sen. als wenn er geruffen wäre, und berichtete, wie er gestern abermahls eine Visitation der von ihm mitgebrachten Leute angestellet, und dieselben in voller Lust und Vergnügen angetroffen, woraus zu schliessen, daß[235] ihnen die Lebens-Art auf der kleinen Insul eben nicht übel gefallen müste.

Der Regente und alle Beysitzer lobten seinen Fleiß in Besorgung unseres Besten, und gaben anbey zu vernehmen, wie sie allerseits nicht wüsten, womit sie ihm eine rechte angenehme Gegen-Gefälligkeit erweisen könten. Alles, was, (versetzte hierauf der Capitain Horn Sen.) ich bis auf diese Stunde zum Nutzen und Wohlstande dieser Insul Felsenburg nach meinem wenigen Vermögen etwa beygetragen habe, solches hat diejenige Schuldigkeit erfordert, worzu ich mich gleich von Anfange unserer Bekanntschafft anheischig und verbindlich gemacht, auch so gar des allerkleinesten Kindes Bestes, nach meiner menschlichen Möglichkeit zu befördern; derowegen haben meine allerseits höchst- und hochgeehrteste Herren, Obern, Freunde und Brüder, sich nicht die geringste Mühe zu geben Ursach, mir einige Gegen-Gefälligkeiten zu erweisen, es sey denn, daß dieselben allerseits meinem lieben Freunde und Bruder, Eberhard Julio, einstimmig auferlegen wolten, mir eine umständliche Nachricht zu geben von allen dem, was seit meiner Abwesenheit auf dieser Insul und was darzu behörig ist, vorgegangen.

Wie nun so wohl der Regente, als die andern alle mich, Eberhard Julium, inständig baten, des Capitains Verlangen zu erfüllen, als fieng ich die Fortsetzung dessen, was ich ihm bereits gemeldet, folgender Gestalt an:

Ich zweiffele fast, mein werthester Freund und Bruder, daß ihr nach eurer letztern Abreise [236] von uns kaum etwa die Linie erreicht habt, als wir wegen des beständigen Sturm-Wetters eurentwegen sehr besorgt waren, und um so viel desto fleißiger vor euch und eure Reise-Geferten beteten, weiln ein beständiger Nord-Wind dergestalt tobte, als man sich seit langer Zeit nicht zu entsinnen wuste, es währete derselbe mit seinem Wüten fast bis in die dritte Woche, und wir bekamen dadurch von Tage zu Tage ein erstaunliches Stück Arbeit, weilen die Wellen alle Nächte dergestalt viel von zerscheiterten Schiffen auf unsere Sand-Bäncke und an den Fuß unsers Felsens geführet, daß wir immer mehr und mehr aufzuräumen bekamen, ja, mit wenig Worten zu sagen: unserer bevorstehenden Arbeit kein Ende sahen; Jedennoch liessen wir uns endlich dieselbe anzutreten nicht verdrüssen, sondern es machte sich Alt und Jung von beyderley Geschlechte mit gröstem Eifer daran, da wir denn die auserlesensten, besten und kostbarsten Sachen immer nach und nach in die Höhe auf die Insul brachten; das Mittel-Guth und Waaren verschiedener Sorten aber, so wir nicht eben allzu höchstnöthig brauchten, brachten wir unten in die Klüffte des Felsens, und weilen die Menge des Holtzes von zerscheiterten Schiffen dergestalt groß war, daß wir selbiges bald unmöglich alles auf die Insul bringen konten, so liessen wir vieles liegen, wo es lag, hergegen wurde so wohl bey Tags als Nachts-Zeit unten am Fusse des Felsens auch eine gantz erstaunliche Menge verbrannt, weilen es wegen des hefftig tobenden Nord-Windes eine so grimmige Kälte war, daß wir des [237] Feuers nicht wohl entbehren konten. Es ist nicht zu läugnen, daß wir um diese Zeit entsetzliche Schätze an Gold, Silber, Perlen, Edelgesteinen von mancherley Sorten auffischeten, und auf die Insul schafften; was nun die Pack-Fässer, Ballen und verwahrten Kisten anbelangete, so bedeckten wir damit das Land vor Davids- und Alberts-Raum bis zur Burg des Regenten, dergestalt, daß fast kein Apffel dazwischen auf die Erde fallen konte. Demnach hatten unsere Obern zu steuren und zu wehren gnug, um das Volck von der Arbeit abwendig zu machen, weilen wir ja alles dessen im grösten Uberflusse hätten, was sie mit so blutsaurem Schweisse herauf brächten. Unter der Zeit war Mons. Plagern und sei nen Mit-Gehülffen die Lust angekommen, Glocken zu giessen, und zwar aus dieser Ursache, weilen sich in einem Theile unserer Ertz-Gebürge ein so vortreffliches Metall befände, welches sich unvergleichlich schön zum Glocken-giessen schickte, wie sie denn auch 6. schöne Glocken gegossen, deren zum Theil einige noch unaufgehenckt zu sehen sind. Da diese Giesserey ihnen so wohl von statten gegangen, versuchten sie auch Canonen von verschiedener Grösse zu giessen, in welchen sie so glücklich, jä fast noch glücklicher waren, als im Glocken-giessen, indem sie 12. unvergleichliche Canonen von verschiedener Grösse zu Wege brachten, ingleichen 8. Feuer-Mörser, um Bomben daraus werffen zu können, auch gossen sie eine gewaltige Quantität Kugeln von verschiedener Grösse. Das Bomben-giessen, welches doch eine schlechte Kunst zu seyn scheinet, wolte [238] ihnen anfänglich gar nicht gelingen, jedoch da ein eintziger unter den Künstlern plötzlich hinter den Vortheil kam, gossen sie binnen 14. Tagen mehr als 2000. Bomben, ebenfalls von verschiedenem Gewichte oder Grösse. Wir brachten also die neu gegossenen Canonen zum Theil ins Zeughaus, zum Theil aber oben auf die Höhen, bey die Schilder-Häuser, und nahmen die alten genug gebrauchten davor mit zurück herunter, wie denn die Feuer-Mörser auch nach 3. Gegenden zu eingetheilet wurden, ausgenommen 2. welche auf der Alberts-Burg liegen blieben. Bey jeglicher Station wurde eine hinlängliche Menge Bomben und Kugeln hingelegt, nicht anders, als ob wir uns eines feindlichen Angriffs und Belagerung zu besorgen hätten. Unterdessen sperreten alle Felsenburgische Einwohner, fast die Mäuler und Nasen auf, als sie uns die Probe mit den Bomben nach der kleinen Insul hin, ingleichen gegen Norden nach den Sand-Bäncken zu, machen sahen, wie wir denn auch verschiedene zur Lust in die offenbare See spieleten, und darinnen versincken liessen. Es hatten weder der Regente, noch unsere Aeltesten, ingleichen die Herrn Geistlichen sonsten keine besondere Wissenschafft von derBomben-Spielerey, als was sie etwa aus Büchern gelesen, jedoch will ich es Zeit meines Lebens nicht vergessen, daß Herr Mag. Schmeltzer Sen. eines Abends, da er Mons. Plagern von ohngefähr antraf, also zu ihm redete: Mein Bruder! eure Kunst ist Lobens- und Rühmens werth, allein GOtt verhüte, daß wir nicht erleben, selbige anders, [239] als zur Lust und gegen keine Feinde zu gebrauchen. Ich sage noch einmahl, GOtt verhüte dieses, denn in meinem Lande, wenn die jungen Knaben mit Drommeln und Gewehr das so genannte Soldaten-Spiel zu spielen anfangen, machen sich die Alten so gleich sorgsame Gedancken wegen eines bevorstehenden Krieges. Wie wir nun HerrnMag. Schmeltzern, weilen wir in unsern Jugend-Jah ren ebenfalls dergleichen erfahren, und zwar, daß zum öfftern ein blutiger Krieg darauf erfolgt, wohl Recht gaben, so hätten wir unsers Ort eben doch noch keine Ursach, uns sorgsame Gedancken wegen eines Kriegs zu machen, zumahlen, da wir uns täglich ja stündlich im Stande befänden, unsern Feinden Wiederstand zu thun. Wohl gut, mein Bruder! (gab Hr. M. Schmeltzer darauf zur Antwort) Felsenburg ist mit recht eine Capital-Vestung zu nennen, aber nur ewig Schade, daß sie nicht mit Ketten am Himmel hanget, auch habe ich an der Garnison gantz und gar nichts auszusetzen, weilen dieselbe aus lauter tapffern Leuten bestehet, so wohl männliches als weibliches Geschlechts, allein, wenn Verrätherey und List mit ins Spiel kömmt, so hat man nicht ein, sondern viele Exempel, daß auch die allervestesten Berg-Schlösser sind überrumpelt und erobert worden.

Ich kan nicht anders sagen und glauben, als daß Herr Mag. Schmeltzer damahls gegen mich und viele andere noch bey mir stehende deßfalls einen rechten Propheten-Geist gehabt, denn was darauf erfolgte, will ich bald vollends erzählen, [240] vorjetzo aber nur so viel sagen, daß wir wenig Tage hernach dieses Gespräch, wie man zu sagen pflegt, bald wieder verschwatzten, und fast gar nicht weiter daran gedachten, sondern unser Gebet und Arbeit, wie sonst gewöhnlich, verrichteten, im übrigen den lieben GOtt walten liessen.

Nachdem aber das bisherige grausame Sturm-Wetter sich gäntzlich gelegt, und wir eine gantz stille Lufft, zwischen Westen und Norden daher streichend, empfanden, so besänfftigten sich auch unsere Gemüther wieder, zumahlen, da wir uns nach so entsetzlichen Stürmen eines angenehmen Frühlings und darauf folgenden ebenmäßig lieblichen Sommers getrösteten. Wir hatten diese Hoffnung gantz und gar nicht umsonst, indem es die alles erquickende Sonne, dem gemeinen Sprichworte nach, dergestalt gut mit uns meynete, daß wir dem Allerhöchsten, vor dieses grosse Wunder-Geschöpffe, auch dessen Krafft und Würckung zu loben und zu preisen, in unsern Seelen ermuntert wurden, und recht darnach lieffen, sonderlich die Kinder, welche sich eine besondere Freude daraus machten, wann sie die Sonne konten auf- und niedergehen sehen. Bey solcher Gelegenheit bemerckten wir nach etlichen Tagen, daß allezeit früh, wenn sich die Sonne aus dem Ost-Meer erhub, um uns mit ihren holden Strahlen zu ergötzen ein gewaltiger Schwarm grosser Vögel, die noch etwas, ja ein sehr vieles grösser, als die wilden Endten waren, von der Gegend zwischen West-Nord daher gezogen kamen, und ihren Flug nach dem Süd-Pol über unsere Insul hinnahmen.

[241] Anfänglich, oder in den ersten 20. bis 30. Tagen bemerckten wir, daß dieselben nur in eintzelnen Schaaren geflogen kamen, deren Zahl ohngefähr von etliche 100. starck seyn mochte, weilen dieselben zu zählen, eine fast unmögliche Sache zu seyn schien, jedoch sahen wir, daß eine jede Schaar derselben, ihre Abtheilung und Eintheilung ungemein wohl observirte, wie denn auch eine jede solche Schaar ihre besondern Führer hatte, welche gemeiniglich als ein Kleeblat voraus gezogen kamen, und etwas größer und wichtiger zu seyn schienen, als die hinter ihnen folgenden gemeinen Vögel, jedoch sahe man klärlich, daß einige, welche ihre besondern subdivisiones führten, ebenfalls etwas grösser von Gestalt waren, welche Gestalt man aber wegen der gewaltigen Höhe mit dem Gesichte auch nicht einmahl mit den Fern-Gläsern genau in Obacht nehmen konte. Wie nun nach Verlauf beynahe eines gantzen Monats die Schaaren, deren wir einige über 1000. Stück starck schätzten, sich alle Morgen und Abende bey Auf- und Niedergange der Sonnen immer näher und näher an einander schlossen, so verdunckelten sie die Lufft und den Himmel dergestalt, daß wir, wenn die Haupt-Armée gezogen kam, auch noch bey hellem lichten Tage weder schreiben noch lesen konten, sondern in einer würcklichen Demmerung zu sitzen uns musten gefallen lassen. Da die von mir so genannte Haupt-Armée über unsern Horizont fort passirt war, kamen in etlichen Tagen hernach nur einzelne Schaaren gezogen, welche meines Erachtens eine so genannte kleine Arrier-Guarde vorstellen solten. Wie nun mir der unordentliche [242] Appetit gleich vom Anfange dieses Vogel-Zuges angekommen war, dererselben einen oder etliche zu schiessen, so ärgerte mich aber dabey nur dieses, daß sie sich mir zu dem Schusse in der Lufft nicht in etwas niedersencken, geschweige denn sich gar auf den Erdboden niederlassen wolten, vielmehr ihre Sicherheit in der ihnen, nach ihrem Geruch und Geschmack temperirten Lufft fort und fort suchten. Auser dem fanden sich einige Abergläubige, die da gern wolten läuten hören, aber noch nicht alle wusten, wo unsere Glocken hiengen, zumahlen die letztern neuen und sehr wohlgerathenen Glocken noch nicht einmahl alle aufgezogen, und an gehörigen Ort und Stelle gebracht waren. Wie nun aber gemeiniglich ein Aberglaube den andern zu Hülffe rufft, die Geister der Menschen zu verwirren, so wurde mir auch von den Obern und Hn. Geistlichen sehr verübelt, wenn ich den so genannten Frevel begehen, und nur einen eintzigen von diesen fremden Vögeln zu schiessen, mich unterfangen würde, indem dieses eine Sache wäre, die uns allen zum allergrösten Schaden und Verderben gereichen könte.

Was dieser Sache wegen, ob nemlich bey solchen fürchterlichen Zeiten, so wohl dieser Art Vögel, als Verkündiger göttlicher Straff-Gerichte vorsetzlicher und freveler Weise todt zu schiessen, billig, christlich und rathsam sey? unter uns nachhero vor öfftere ordentliche so genannte Disputationes gehalten worden, will ich vorjetzo nicht eben weitläufftig melden, sondern nur einen jeden fragen: ob, wenn uns GOtt Heuschrecken, [243] Frösche, Kröten und anderes Ungeziefer, von vielerley Arten, zum Schrecken und Züchtigung zuschickt, wir uns ein besonderes Gewissen machen solten, eine solche Heuschrecke, Maus, Ratte Kröte, Schlange, oder was es sonsten vor eine Art von Plage-Geistern seyn möchte, zu ertreten, zu erspiessen, zu verbrennen, oder auf allerhand anderer Manier, um ihr uns schädlich scheinendes Leben zu bringen.

Ich kan nicht leugnen, daß mir die Herrn Theologi in den meisten Stücken ziemlicher Massen überlegen waren, welches gantz und gar nicht zu verwundern ist, indem ich mich beydes vor einen schlechten Philosophum, und noch schlechtern Physicum auszugeben die vollenkommenste Ursache habe.

Dieses aber sey vor dißmahl bey Seite gesetzt, denn ich will nichts anders reden, als die Wahrheit, wie es mir nemlich damahls nicht anders erging, als wie unserer Ur-Groß-Mutter der Eva im Paradiese, welche nicht eher Friede und Ruhe zu haben vermeynete, bis sie den verbotenen Apffel im Munde, oder wohl gantz und gar im Leibe hatte; Ohngeachtet ich nun kein Frauenzimmer, sondern bekannter Massen eine Manns-Person bin, so erstreckte sich die Lüsternheit doch dergestalt einiger Massen über meine gesunde Vernunfft, daß ich weder Tag noch Nacht ruhen noch rasten konte, bis ich mir, meiner Einbildung nach, das eintzige Vergnügen geschafft einen solchen Vogel in meinen Händen zu haben und zu rupffen. Demnach ließ ich 3. leichte Stückgen-Geschütz, die ich mit[244] Cartetschen laden konte, unten an den Fuß unsers Berges bringen, eben so viel pflantzte ich auf die Alberts- und noch so viel auf die Davids-Raumer-Höhe, bestellete mir auch getreue Leute und Anhänger, die vermittelst gantz leichter Boote, die Vögel, wenn ich deren ja allenfalls einige treffen solte, aus der See sogleich herauf langen möchten.

Dieses alles aber stellete ich in gröster Geheimniß an, damit die Aeltern von unserm Vorhaben nichts erfahren solten, indem es ihnen zu wissen ohne dem dieses mahl eben nicht nöthig zu seyn schiene. Auch muß ich nicht zu melden vergessen, daß der Capitain Wolffgang, Mons. Blac und Mons. Litzberg eben dergleichen leichte Stücke, woraus man vortreffliche Cartetschen schiessen konte, auf einige Sand-Bäncke pflantzen lassen, sich so wohl als ich, und zwar abgeredeter Massen, selbst mit einiger Mannschafft dahin begeben hatten; demnach wolten wir auf beyden Seiten unser Glück erwarten, ob es nemlich denen, die oben auf dem Felsen stunden, oder denen, so unten auf den Sand-Bäncken sich befänden, am allergeneigtesten sich erzeigen wolte.

Wir, die wir die oberste Nummer auf dem Felsen genommen hatten, gaben zwar so wohl Achtung auf die Ankunfft der Vögel, musten aber geschehen lassen, daß die unten auf den Sand-Bäncken glücklicher waren, als wir, indem nach Loßzündung dreyer Geschütze eine ungezählte Anzahl von Vögeln gefallen, von denen sie uns aber nicht mehr als 11. Stück, und zwar gleich mit Aufgang der Sonnen herauf schickten, um uns, so zu sagen, zu [245] braviren, daß wir nicht auch Feuer gegeben, und etwas getroffen hätten.

Mir war nur lieb, daß ich einen, oder etliche von dieser Art Vögeln zu sehen bekam, indem mich, wie schon gemeldet, weit mehr darnach gelüstert, als einer auf schwerem Fusse gehenden Frau; Jedoch, wir, auf dem Felsen Laurende, waren dennoch auch so glücklich, in 4. Schüssen so viele herunter zu schiessen, daß davon 6. Stück aufgefischt, und zu uns gebracht werden konten.

Nun war mein sehnliches Verlangen zwar in diesem Stücke gestillet, allein ich konte mich dennoch nicht eher zufrieden geben, bis ich diese Vögel, mit Beyhülffe Mons. Cramers und anderer, erstlich von aussen sehr bedachtsam gerupfft, nachhero von innen recht nach der Kunst anatomiret hatte. Da wir denn befanden, daß sie alle, einer so wohl als der andere, (NB. Hier muß ich melden, daß meine Consorten und ich auf dem Felsen so glücklich gewesen, einen so genannten Officier oder Anführer des Heers zu treffen) eine feuerfarbene Crone oder Feder-Fusch auf den Häuptern trugen, denn hierinnen war so wohl bey den grossen als kleinen kein Unterscheid. Nächst dem hatten dieselben einen aus dem Kopfe heraus ragenden Schnabel, so wie fast eine Gans bey uns zu haben pflegt, nur um ein gut Theil länger, in welchem Schnabel inwendig eine Art von Zähnen befindlich, welche mit den Zähnen oder Kienbacken der Hechte eine grosse Gleichheit haben. Auf beyden Seiten der Kienbacken unter den Augen sahe man zwey recht zierliche und auch recht sehr [246] scharffe kleine Schwerdterchen hervor gehen, welche sie so schnell bewegen konten, als man ein Scheer-Messer in seiner Schaale und Angel zu bewegen pflegt. Der Hals zeigte sich bund, als: grün, gelb, röthlich und blaulich durch einander vermischt. Die Brust Aschfarbe und der Bauch mit lauter schönen weissen Federn bewachsen. In den Flügeln fanden sich die schönsten Spulen, die man sehr wohl zu Schreibe-Federn gebrauchen konte, und der Schwantz machte so wohl, als die Flügel eine ungemeine Parade, wenn dieselben ausgebreitet wurden, indem die Federn so wohl im Schwantze als in den Flügeln in recht artiger Verwechselung stunden, nemlich roth, grün, gelb, blau etc. so daß wir unser Vergnügen daran hatten, dieselben, ohne ihnen die Haare abzustreiffen, zum Gedächtniß dieser Sache, mit gröster Behutsamkeit aufzutrocknen und zu verwahren.

Wie glücklich nun aber unsere Vogelschiesserey auch abgelauffen war, so musten wir uns doch alle gefallen lassen, von unsern Obern und Aeltesten einen kleinen Wischer oder Verweiß einzunehmen, denn ob sie die besondern Vögel gleich mit gröster Verwunderung betrachteten, und deren Zierlichkeit nicht gnugsam rühmen konten, so blieben sie doch bey dem Aberglauben, daß es weit besser wäre gethan gewesen, wenn wir alle dieselben ungestöhrt hätten ihres Weges ziehen, und sie ihr vorgesetztes Ziel erreichen lassen, zumahlen, da es eine Art von Vögeln, die uns sehr wenig, oder wohl gar keinen Schaden, weder an den Feld-Früchten, noch Wohnungen verursachen können. Wir Vogel-Schützen [247] aber liessen alles dieses zu einem Ohre hinein, und zum andern wieder heraus gehen, wurden auch, ich weiß selbst nicht warum, immer hitziger auf das Kriegs-Handwerck.

Demnach legte Monsieur Plager noch eine gantz neue Fabrique an, allerhand Hand-Gewehr zu verfertigen, als worzu er in einem Tage mehr als 20. Gesellen und Lehr-Pursche zu übernehmen bekam indem diese alle gantz besondere Lust zu dergleichen Profession bezeigten, und sich recht darzu drungen. Auch wurde das Mörser, Bomben, Granaden und Kugel- giessen, von mancherley Grösse, vom gemeldtenMonsieur Plagern und seinen Gehülffen, auch zum öfftern so gar bey Nachts-Zeit fortgesetzt um einen recht wichtigen Vorrath herbey zu schaffen, und wenn man ihn fragte: worzu ein so starcker Uberfluß dienen solte? gab er gemeiniglich zur Antwort: Ists noch kein Danck, daß ich unsere Zeughäuser anfülle? was wir nicht brauchen, können vielleicht wohl unsere Kinder und Nachkommen nöthig haben, denn man kan nicht wissen, wie sich die Zeiten ändern, ists nicht eher, so geschichts vielleicht nach unserm Tode.

Solcher Gestalt wurden binnen weniger Zeit unsere Zeughäuser dergestalt angefüllet, daß fast kein Platz und Raum mehr vorhanden war, wo das grobe Geschütz stehen solten, ja, es war kein leerer Haacken oder Nagel anzutreffen, an dem nicht eine Büchse, Flinte, Pistole etc. Palläsche und andere dergleichen Geräthschafft hieng, wie es denn bis diese Stunde noch also beschaffen und anzutreffen ist.

[248] Endlich aber wurde die martialische Arbeit bey Seite gesetzt, hergegen bemühete sich ein jeder Hauswirth, alles das, was ihm in seinem Hause, Gärten und Feldern zu Schaden gekommen, wieder in behörige Ordnung zu bringen, damit wir den Frühling und Sommer desto vergnügter leben könten, da man zu sagen pflegt: nach vorher gethaner Arbeit ist gut ruhen.

Allein der Höchste hatte vor diesesmahl, nach seinem gnädigen Wohlgefallen, und zwar noch deutlicher zu sagen, wohl ehe unserer Sünden wegen, in seinem Zorne beschlossen, unsere stoltze Ruh abermahls zu stöhren, und uns zu zeigen, daß er als der Allmächtige über uns lebte, und nach seinem Gefallen mit uns umgehen könne, wie er nur immer selber wolle.

Dieses konten wir zu allererst aus dem Berichte eines Davids-Raumer-Schild-Wächters bemercken, als welcher zu vernehmen gab, daß man nun schon seit 2 bis 3. Tagen her in der Gegend der Sand-Bäncke ein Schiff herum irren sehen, weilen es aber keine Noth-Schüsse gethan, so hätte auch er Bedencken getragen, auf der Insul Lerm zu machen, zumahlen, da gedachtes Schiff nur ein und andere Waaren aufgefischt. Capitain Wolffgang, ich und noch verschiedene andere mehr bestiegen derowegen die allerhöchste Davids-Raumer Klippe, und wurden so gleich gewahr, daß es eine leichte Fregatte wäre, von welcher wir zwar die gelben Flaggen, keines wegs aber die darein gemahlten Wappen weder mit unsern Fern-Gläsern, viel weniger mit den blossen Augen eigentlich zu erkennen vermögend [249] waren. Indem wir nun diese Fregatte immer zwischen den Sand-Bäncken herum treiben sahen, und nicht wusten, was solches zu bedeuten hatte, kamen wir derselben mit unserer Höflichkeit zuvor, und löseten 2 Canonen, zum Zeichen, daß Menschen auf diesem Felsen vorhanden wären, welche, wenn sich vielleicht Nothleidende darinnen befänden, ihnen zu Hülffe kommen könten. Es wurde uns demnach so gleich mit 3Canonen-Schüssen geantwortet, und ein Boot von derselben ausgesetzt, worinnen sich 3. Männer befanden, die allerhand Zeichen von sich gaben, daß sie gern Sprache mit uns halten möchten.

Demnach setzten sich Herr Wolffgang, ich und noch ein Mann auch in eine Chalouppe, und fuhren ihnen auf den halben Weg entgegen, da sie denn gantz sanffte ruderten, und uns zu vernehmen gaben, wie sie Portugiesen, und im verwichenen Sturme verunglückt, auch in solchen elenden Zustand gerathen wären, daß sich nur noch ohngefehr bis 30. gesunde Leute unter ihnen befänden, baten demnach, wenn wir, wie es das Ansehen hätte, Christen-Leute wären, ihnen die Barmhertzigkeit zu erzeigen, und sie aufzunehmen, auch mit Speisen und Geträncke zu erquicken, wovor sie uns denn gern alles ihr noch übriges weniges Vermögen zustellen wolten. Hierauf ertheileten wir ihnen zur Antwort: daß wir nicht allein gute Christen, sondern auch bereit und willig wären, sie nach unserm besten Vermögen, ohne einiges Entgeld gern mit allen Bedürffnissen zu erquicken, nur aber dieses einzige bäten wir uns aus, nicht zu begehren sie in unsere Hütten zu führen, [250] weiln wir nicht wissen könten, ob sie etwa eine böse ansteckende Seuche oder Kranckheit von der weiten Reise mit anhero brächten; jedoch solten sie uns auf eine ohnweit von hier gelegene kleine lustige Insul folgen, sich auf derselben vortrefflich fruchtbarn Lande, nach ihrer Bequemlichkeit, Hütten bauen, im übrigen aber vor weiter nichts im geringsten Sorge tragen, weilen ihnen noch vor Nachts; vor erst ein hinlänglicher Vorrath von den besten Lebens-Mitteln vor noch einmahl so viel Personen, als sie angäben, bis auf weitern Bescheid, solte zugeschickt werden. Es schien dieses ein unvergleichlich angenehmer Ton in den Ohren dieser Leute zu seyn, indem sie sich in allergröster Geschwindigkeit, uns zu folgen fertig machten, da wir sie denn gar bald nach der Insul Klein-Felsenburg hinüber brachten, ihnen die Stellen anwiesen, wo ehedem ihre Landes-Leute sich wohl gepflegt, und eine ziemliche Zeit darauf zugebracht hätten, worbey wir vernahmen, daß einige unter ihnen hiervon schon einige Wissenschaft haben wolten, oder sich zum wenigsten dessen berühmten; allein wir liessen dieses, um alle unnöthige Weitläufftigkeiten zu vermeiden, vor diesesmal an seinen gehörigen Ort gestellet seyn, wiederholten nach gethaner Anweisung nochmahls unser Versprechen, ihnen bestmöglichst hülffliche Hand zu leisten, als worvon sie noch heute die Würckung vor Mitternachts empfinden solten, schieden darauf von ihnen, und seegelten nach Groß-Felsenburg zu, nachdem wir solchergestalt würcklich ein neues Lazereth in Klein-Felsenburg angelegt, welches aus 1 Capitain, 1 Subaltern, 53 Unter-Officiers und Gemeinen bestunde, ohne etliche Personen, [251] Weiber u. Kinder, auch allerley liederlichen Gesindels. Demnach sahen wir nun wohl, daß uns die Hrn Gäste ihre Liste ziemlicher Massen falsch gemacht hatten, indem wir solcher Gestalt viel mehr zur Fütterung antraffen, als sie angegeben, allein wir liessen es auch darauf nicht ankommen, zumahlen wir wusten, daß unsere Obern nicht so gar genau mit Lebens-Mitteln, auch so gar gegen die Heyden waren.

Dem Regenten und allen Wohlgesinneten gefiel es bey unserer Zurückkunfft gantz ungemein, daß wir barmhertzige Samariters agirt, und diese Bedrängten in so weit an- und aufgenommen hätten; demnach wurde der Befehl gegeben, diesen Bedrängten beyzuspringen, und sie aufs aller bestmöglichste zu versorgen.

Der Felsenburgischen Art nach, seinem Nächsten nach menschlichen, geschweige denn Christlichen Vermögen, wohl zuthun, wurde gantz und gar im geringsten nichts gesparet, diese neu-angekommenen Gäste zu bewirthen und zu verpflegen; ja, in Wahrheit, es wurde ihnen so gleich ohne den geringsten Zeit-Verlust, eine so starcke Menge, und zwar von unsern allerbesten Speisen und Geträncke auf 3. Booten zugeführet, worbey sich denn auch verschiedene Sorten von Delicatessen oder Lecker-Bißgen eingemachte Sachen, Obst und dergleichen vor die Krancken zum Labsale befanden.

Sie nahmen anfänglich alles mit bewundernswürdiger Danckbarkeit an, pflegten und warteten sich bey der angenehmsten Witterung aufs allerbeste, wobey denn auch unsere Felsenburgischen Herrn Chirurgo-Medici ein ziemliches Stücke Arbeit [252] fanden, weilen sich viele gefährliche Patienten unter ihnen hervor thaten, vornemlich aber der Capitain der Fregatte, welcher an einer so genannten Galanterie-Kranckheit aufs hefftigste laborirte. Jedoch nicht allein dieser, sondern auch alle die andern, (so daß nicht ein eintziger von ihnen crepirte) wurden binnen kurtzer Zeit, und ehe sie es selbst vermeynet hätten, vollkommen glücklich curirt und gesund hergestellet, so, daß sie nach Verlauf eines Monats herum hüpften, wie die Lämmer. Nun hätte zwar der Artzt den bekannten Vers aus dem Juvenali hersagen können:


Ingratus labor, quem præmia nulla sequuntur;

allein er schwieg stille darzu, dieweilen er weder Geld noch Gold vonnöthen hatte oder brauchen konte; wir andern Felsenburger aber konten und musten nach weniger Zeit diese Worte ausruffen:

Ingrato homine terra nihil pejus creat.

als welche zu untersuchen, ich auch so gar einem vernünfftigen Heyden anheim gebe.


Allein, bey der Haupt-Sache zu bleiben, so passirte abermahls wenig Tage hierauf ein besonderer Streich, denn da, wio gesagt, die Herren Portugiesen sich alles sehr wohl gefallen lassen, indem wir dieselben, ja recht über die Gebühr tractirten, rapportirte der Schild-Wächter, der auf Davids-Raum stunde, daß ihm in dem engen Wege nach der See hinunter in verwichenen Mitternachts-Stunden etwas begegnet hätte, welches, wie er vorhero vielmahl gehöret, einen Laut von einer Menschen [253] Stimme von sich hören lassen, nachhero einigemahl etliche unvernehmliche Worte geredet, worauf er dieses Ding, welches er vor ein Unthier gehalten, indem es ihm als auf allen Vieren entgegen gekrochen vorgekommen wäre, auch nicht anders gekruntzet hätte, als eine Sau, zu verschiedenen mahlen in allen ihm bekannten Sprachen, mit den Worten: Wer da? wer bist du? gib dich zu erkennen, oder ich schiesse dich auf den Kopf, angeruffen hätte, weilen er aber weiter keine Menschen-Stimme, noch Antwort, sondern nur ein beständiges Schweins-Gruntzen vernommen, so wäre ihm, zumahlen bey solcher fürchterlichen Zeit endlich bange worden, hätte Feuer auf das Unthier gegeben, als welches er bey dem Glantze der Sterne nur in etwas vor sich weblen gesehen. Er hoffe (sagte der Schildwächter ferner) in diesem Stück seiner ihm gegebenen Ordre nachgekommen zu seyn, und verlange weitere Untersuchung dieser Sache.

Wir untersuchten, so bald der helle lichte Sonnenschein angebrochen, die Sache etwas genauer, und fanden den Erschossenen, etliche 20. bis 30. Schritt im ausgehauenen engen Wege liegen; Bey noch fernerer Nachsuchung entdeckten wir 2 verunglückte Manns-Personen in leinenen Kitteln, blos mit Seiten-Gewehr und Pistolen versehen, zwischen den Klippen und Felsen-Rissen steckend, und vermeyneten anfänglich nicht anders, als daß sie Hals und Beine gestürtzt und zerbrochen hätten, allein, da wir ihnen heraus und in die Höhe halffen, erholten sie sich bald wieder, derBlessirte aber, welcher solcher Gestalt fast blindlings durch den Unterleib getroffen [254] war, muste auf der Stelle seinen Geist aufgeben, jedoch wir gaben uns die Mühe, ihn so säuberlich als möglich, hinunter auf die Insul zu schaffen, als wohin wir auch die beyden lebendigen Gefangenen mitnahmen, und dieselben anfänglich in aller Güte ausforscheten, was sie denn wohl immer mehr bewogen hätte, sich an solche gefährliche Oerter und unersteiglichen Klippen zu begeben? da sie denn, und sonderlich der Blessirte so gleich in den ersten Verhören bekannten: daß sie alle 3. würckliche Spions wären, welche diese Insul einer gewissen Potenz verrathen, und in die Hände spielen solten. Wir redeten ihnen sehr freundlich und gütig zu, um damit den Verdacht zu benehmen, als ob wir ihnen etwa Leid zufügen, und das Spions-Trinck-Geld geben wolten, machten uns auch bis dahin keine kümmerlichen Sorgen, sondern verpflegten sie aufs beste, liessen uns auch gantz und gar nichts von allen dem mercken, was in diesen Tagen vorgegangen wäre;

Allein die Gestalten verwandelten sich unverhofft gar anders, indem wir nach etlichen Tagen 3. wohl ausgerüstete Kriegs-Schiffe gegen unserer Insul Groß-Felsenburg liegen und laviren sahen. Sie dreheten und wendeten sich darauf bald hier, bald dort hin, als ob sie vielleicht etwa gesonnen wären, die Strasse nach Ost-Indien zu suchen. Da wir dieselben nun ebenfalls vor Portugiesische Schiffe ansahen, und eben nicht vor rathsam hielten, ihnen mit unserer Höflichkeit entgegen zu kommen, zumahlen da wir bemerckten, daß alles stille zuging, und wir von ihnen mit nichts begrüsset wurden, so hielten wir uns auch so stille, wie die Mäuse.

[255] Endlich am dritten Tage, nachdem sie lange genug vergeblich herumgewebelt, thaten sie 3.Canonen-Schüsse, um vielleicht Menschen zu sich zu locken, allein wir hielten uns noch einige Tage gantz stille, bis ihre zweyte Canonade so viel bey uns würckte, daß wir ihnen behörig antworteten, auch ihnen eine Chalouppe entgegen schickten, worinnen sich Herr Wolffgang, Mons. de Blac und noch eine gewisse Person nebst mir befanden.

Der Capitain des vordersten Portugiesischen Schiffs ließ uns salutiren, und da er die Parole von sich gegeben, ein freyes und aufrichtiges Gespräch mit uns zu halten, auf seinem Schiffe bewillkommen, und zwar unter vielen Ehren-Bezeugungen, worauf er uns in seine besondere Cajüte einzusteigen bat, als welche fast Königlich ausgezieret, wie denn auch er der Capitain selbst ein sehr ansehnlicher und ziemlich hochtrabend- scheinender Mann war.

Nachdem uns die Erlaubniß gegeben worden, sein Schiff zu besichtigen, fanden wir alles darinnen sehr herrlich, kostbar und dergestalt magnifique zugerichtet, daß keiner von uns ein dergleichen Reise-Schiff jemahls gesehen zuhaben sich rühmen konte.

So bald wir von der Taffel gekommen, welche sehr unvergleichlich wohl bestellet war, bat er uns zu bleiben, und eine und andere Vorstellungen von gröster Wichtigkeit anzuhören. Indem wir nun alle sehr neugierig waren, solche Wichtigkeiten zu vernehmen, als begaben wir uns, nach vielen gewechselten Complimenten, abermahls in seine [256] Cajüte, allwo der HerrCapitain sich auf einen etwas erhabenen Commode-Stul setzte, jedoch so höflich war, uns Felsenburgern auch Stüle setzen zu lassen, welche wir denn ohne allzu vieles Nöthigen in Besitz nahmen, worauf der selbe in Portugiesischer Sprache, (ohne zu fragen, ob wir dieselbe auch alle verstünden) folgende Anrede an uns that:

Meine lieben Herren und Freunde!

Ich bin einer von den vornehmsten Schiff-Capitains Sr. Königl. Portugiesischen Majestät, und zwar, wie man zu sagen pflegt, einer vom ersten Range. Vorjetzo bin ich im Begriff, mich mit einer starcken und sehr reich beladenen Flotte nach Europa zurück zu begeben, allwo sich dermahlen Ihro Königl. Majestät nebst Dero Hofstadt befinden und aufhalten. Auf dieser meiner Reise oder Fahrt nun, habe ich, ohngeachtet ich viel ältere Commandeurs, als ich bin, über mir habe, die gantz besondere Commission bekommen, die Insuln und Republiquen Groß- und Klein-Felsenburg, so wie man dieselben zu nennen pflegt, erstlich mit der allergrösten Gelindigkeit und Güte; im Verweigerungs-Fall aber, mir der grösten Strengigkeit und Schärffe unter Ihro Majestät, meines allergnädigsten Königs und Herrn Ober-Herrschafft und Bothmäßigkeit zu bringen, und Dero Ihnen von dem Himmel verliehenen Gerechtsame, die Ihnen vor allen andern [257] Puissancen, es seyen dieselben auch, wer sie nur immer wollen, gantz alleine von Rechtswegen zustehet, eignet und gebühret, vollkommene Genugthuung zu leisten, inzwischen aber, so viel als immer möglich seyn will, alles vergeblich zu vergiessende Menschen-Blut zu verhüten. Wenn nun ich, meine Herren und Freunde! vor meine Person heilig und theuer versichern kan, daß sie keinen bessern Schutz-Herrn, als meinen allergnädigsten König, erhalten werden, und wenn sie auch alle Potenzen, ja so gar die Barbarischen Nationen darum ansprächen: als will hoffen, es werden sich dieselben in Güte weisen lassen, und mich erstlich dero Oerter des Aufenthalts besser besehen, hernach, wenn es zum fernern Accord kömmt, mit einer proportionirlichen Guarnison dieselben einnehmen lassen, unter der theuren Versicherung, daß ihnen allen kein Leides wiederfahren, sondern sie unter dem Schutz Sr. Portugiesischen Majestät jederzeit in Ruhe und Friede leben sollen.

Alles dieses höreten wir Felsenburger mit aufmercksamen Ohren an, stutzten aber jedennoch ziemlicher Massen über diesen Antrag und Vorschlag, allein ich schlich unter dem Schatten der Dunckelheit auf die Seite, um am ersten derjenige zu seyn, welcher diese gantz besondere Neuigkeit nach Groß-Felsenburg überbrächte, ließ mich also in einem gantz kleinen Nachen, und zwar mit gröster Lebens-Gefahr, zur Mitternachts Zeit dahin [258] bringen, welches gewisser Massen fast ein Frevel von mir zu nennen war, denn ich hätte dieses eben nicht Ursach gehabt, weilen meine Consorten nächstfolgenden Vormittags unter Lösung der Stücken wieder zu uns zurück gebracht wurden, denn Herr Wolffgang hatte vor diesesmahl ein recht Meisterstück seiner Kunst erwiesen, und nach seiner berühmten Erfahrenheit den Portugiesischen Capitain, welcher meine Abwesenheit auch nicht einmahl gewahr worden war, im Canari-Sect vollends dergestalt begeistert, daß er sich alles das, was er ihm vorgesagt, aufs beste gefallen lassen. Die letztere Verabredung und Versicherung des Herrn Wolffgangs war diese gewesen, daß wir uns 3. Tage Bedenck-Zeit ausbäten, nachhero schrifftliche oder mündliche Antwort von uns geben wolten. Wir waren froh, daß wir die Unserigen wieder bey uns sahen, immassen uns mit den 2. Gefangenen wenig oder gar nichts gedienet war; Derowegen wurde Rath gehalten, was dem Capitain wohl ohngefehr zu antworten wäre, wie es nun eben nicht diensam schien, demselben durch einen Abgeordneten eine mündliche Antwort ertheilen zu lassen, als wurde folgendes Schreiben an Sr. Majestät den König von Portugall abgefasset:

Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster Monarch!

Deiner, von dem allerhöchsten GOtt geheiligten, mit unaussprechlicher Macht und Gewalt ausgerüsteten, auch mit überschwenglichen Reichthümern gesegneten, ja, so zu sagen, überschütteten, [259] Olorwürdigsten Majest. entbieten wir armen, einfältigen einwohner der so genannten Insul Felsenburg, welche von der heutiges Tages im Schwange gehenden Staats-Klugheit wenig oder gar nichts wissen oder verstehen, vom Aeltesten bis zum Jüngsten, vom Grösten bis zum Kleinesten, auch so gar die Säuglinge in unserer Vormundschafft, unsern allerunterthänigsten Gruß; tragen anbey Deiner Majestät wehmüthigst und demüthigst vor, daß wir als arme, einfältige Leute leben, und mit fremden Nationen sehr geringen, ja fast gantz und gar keinen Handel, Wandel, und Verkehr treiben, ausgenommen, was uns zuweilen bishero zu unserer allerhöchsten und alleräusersten Bedürffniß zum Theil fast unumgänglich nöthig zu seyn geschienen. Wir sind Leute, die von unserm wenigen Feld-Garten-Bau und möglichster Hand-Arbeit leben, und uns davon ernähren müssen, weilen es der Himmel nach dem Tode unserer Vorfahren, vielleicht aus besondern Ursachen, dahin abgepasset und abgemessen, daß das Land nur seine wenigen Einwohner nach Nothdurfft versorgen solle, derowegen haben wir wenig übrig, und solte auch ja etwas übrig seyn, so sind wir als gute Protestantische Christen jederzeit bereit, den letzten Bissen mit unsern nothleydenden Nächsten zu theilen, und so gar aus dem Munde zu nehmen. Im übrigen haben wir keine Zufuhre von Geträyde und andern Früchten, welche wir auch eben so gar sehr nothdürfftig nicht brauchen, und uns zur Zeit der Noth mit Kräutern, Wurtzeln und Fischen aus der See behelffen, zumahlen, wenn das Fleischwerck [260] welches gantz rar ist, unserm Appetite gemäß, nicht zulänglich seyn will.

Unsere Vorfahren haben diese von der gütigen Natur mit Felsen und Klippen ohne dem bevestigte Insul, mit tausendfacher Mühe und Arbeit noch etwas mehr bevestiget, weilen sie wegen der Barbarischen See-Räuber in beständigen Sorgen geschwebet, die uns, als Christen-Leute, mit unsern Kindern vielleicht vertilgen und ausrotten möchten; Allein wir können eben nicht sagen, daß wir nach dem Ableben unserer Vor-Eltern besondere Attaquen von den Barbaren, vielweniger von den Christen, als unsern Glaubens-Genossen, gehabt, indem sie vielleicht Bedencken getragen, uns armes Häuflein in seiner stillen Ruhe zu stöhren, da sie bey uns wenig oder nichts, das sich der Mühe belohnete, zu finden vermuthet, als nebst dem wenigen Hausrath und Kleidern, unser Leib und Leben.

Hiermit ist Dir ohn allen Zweiffel, o Unüberwindlichster Monarch! gantz und gar nichts gedienet, weilen wir von Fremden, auch so gar von Barbaren erfahren, daß Du ein mächtiger Beherrscher vieler gantzer Königreiche, Fürstenthümer und anderer Landschafften in allen 4. Theilen der Welt bist.

Vorjetzo aber finden wir uns gemüßiget, Dir aufs beweglichste vorzustellen, daß einer von Deinen allervortrefflichsten See-Capitains, und zwar, wie er sich ausgiebt, einer vom ersten Range, Nahmens Don Juan de Silves, sich ins Angesicht unserer Insul mit 3. der allerbesten KriegsSchiffe [261] und einer Fregatte gelegt, anbey verlangt, daß sich die Republique Felsenburg, (worvor wir arme Sünder, da wir viel zu ohnmächtig sind, dergleichen hohen Titul zu führen) benebst den beyden Insuln Groß- und Klein-Felsenburg, ohne alles fernere Verweigern, unter die absolute Gewalt und Schutz Deiner Majestät begeben solten, da wir doch bis auf diese Stunde keinen andern Schutz Herrn vonnöthen gehabt, als den allmächtigen GOtt im Himmel, mit weltlichen Schutz-Herrn aber uns einzulassen, nicht die allergeringste Ursache von Wichtigkeit absehen, weiln wir unter GOttes Schutz Ruhe, Friede und Sicherheit genug geniessen können, wenn uns der Allmächtige dieses alles, so wie bishero zum alleröfftern geschehen, nicht durch erschröckliche Erdbeben, Sturm-Winde, erstaunliche Gewitter und anderes Ungemach verbittert, welches wir alles mit der grösten Gedult und Gelassenheit erlitten, ertragen, und erdultet, in Betrachtung dessen, daß uns ein weltlicher Schutz-Herr, welcher dennoch gegen GOtt ein blosser Mensch ist, um so viel desto weniger von diesen Gefährlichkeiten befreyen oder schützen könne.

Warum woltest Du also, Großmächtigster König und Herr! die armen, elenden und einfältigen Felsenburger, durch Ungerechtigkeit, Verrätherey und List dererjenigen, die sich vielleicht mehr bey uns zu finden einbilden, als wir in unserm wenigen Vermögen haben, ihrem Geitze oder Eigennutze damit ein Genügen zu leisten suchen, und sich eine besondere Ehre und Freude daraus [262] machen, unschuldiges Menschen-Blut zu vergiessen.

Warum woltest Du also, Du Gerechtigkeit liebender König und Herr! zu geben, daß man uns verderben solte? da wir Dir so wenig als unsere Vorfahren Zeit-Lebens das allergeringste zu Leide gethan, vielmehr allen denen, die sich seit vielen Jahren daher vor Portugiesen ausgegeben, wenn sie nemlich etwa hier oder da auf der See verunglückt, alle möglichsten Gefälligkeiten und Dienstleistungen erwiesen.

Wir erkennen Dich ja, o König, wie wir schon gemeldet, vor den allermächtigsten Beherrscher so vieler Königreiche, Fürstenthümer und Staaten in allen 4. Theilen der Welt, und schätzen uns nicht würdig zu seyn, den Staub von Deinen Schuhen abzuwischen, derowegen gönne uns den bishero genossenen Frieden und einfältige Ruhe noch fernerweit. Geruhe demnach dem tapfern Capitain Don Juan de Silves, als welcher uns dermahlen bereits mit Feuer und Schwerdt gedrohet hat, wenn wir ihn nicht in unsere Hütten aufnehmen wolten? allergnädigsten und ernstlichen Befehl zu ertheilen, uns hinführo unbehelliget zu lassen, damit wir die wenigen Gaben unsers GOttes nicht in Kummer und Sorge zu geniessen Ursach haben. Und eben dergleichen Ordre wollest Du, Großmächtigster, an alle andere dergleichen Deine allerhöchst- bestallten See-Officianten ergehen lassen, damit wir den Nahmen der edlen Portugiesischen Nation hinführo nicht als einen feindseeligen Nahmen erkennen müssen, sondern [263] fernerweit geneigt erhalten werden, sie als unsere guten Freunde und Gräntz-Nachbarn zur See zu erkennen, auch ihnen im Nothfall ferner Gutes zu thun.

Wie nun, wie uns gesagt worden, bey Dir, Du Großmächtigster König, ungemein viele Leutseeligkeit anzutreffen ist, so getrösten wir armen, elenden und einfältigen Leute uns desto leichterer Erhörung unsers Bittens, wünschen Dir ein glückseeliges und langwährendes Regiment und Leben, zum Troste vieler Bedrängten, die sich hie und da auf Deinen Schutz und Hülffe, auch in den allerentferntesten Ländern verlassen. Der GOtt Zebaoth segne Dich und Dein allerhöchstes Königliches Haus, mit allerley geistlichen und leiblichen Seegen, damit man sagen möge, Du seyest der Gesegnete des HErrn unsers GOttes. Wir aber verharren allerseits vom Aeltesten bis zum Jüngsten, vom Grösten bis zum Kleinesten

Allerdurchlauchtigster, Großmächtigster König, Allergnädigster Fürst und Herr! Deiner Majestät

Dienstgehorsamste

Die Einwohner auf der

Insul Felsenburg.


Dieser Brief, wie einfältig er auch von mir entworffen und gesetzt war, denn NB. es solte derselbe ohnedem nicht allzu hochtrabend oder spitzig heraus kommen, wurde von allen Insulanern [264] approbirt, und vonAlberto Julio II. auch XII. Aeltesten unterschrieben und besiegelt, und zwey Abschrifften davon genommen, davon wir die eine in unser Archiv beylegen, die andere aber dem Portugiesischen Capitain zu seiner Nachricht in die Tasche geben wolten.

Die accordirten 3. Tage waren also unter dieser Arbeit, nemlich des Rathschlagens und Schreibens, verstrichen, weilen nun dem Portugiesischen Capitain vielleicht die Zeit zu lang zu werden begunte, als ließ er am 4ten Tage gleich früh mit Aufgang der Sonnen 3. Canonen abfeuren, wir beantworteten dieselben auf behörige Art und Weise, wurden aber bald nachhero von der Davids-Raumer-Höhe gewahr, daß von den 3. Kriegs-Schiffen eine Chalouppe gegen unsere Insul hergeseegelt kam, in welcher 2. Trompeter sassen, die immerzu in ihre Trompeten stiessen, und sich lustig hören liessen, auser denenselben aber erblickte man in eben dieser Chalouppe noch etliche 20. Manns-Personen, welche alle weisse Fähnlein in ihren Händen führeten, und damit wedelten, welches wir als ein Zeichen des Friedens erkannten, und derowegen in allergröster Geschwindigkeit Anstalt machten, der so genannten feindlichen Chalouppe auf eben die Art, nemlich mit 2. Trompetern und einiger Mannschafft, die gleichfalls weisse Fähnlein in den Händen führeten zu begegnen, da mittlerweile von den Portugiesischen Schiffen immer ein Lufft-Schuß nach dem andern gen Himmel gethan, und von unsern Felsen-Höhen beantwortet wurde. Unserer Seits waren abermahls [265] eingestiegen Herr Wolffgang, Mons. de Blac und ich, weilen wir 3. der Portugiesischen Sprache am mächtigsten waren.

Der Capitain ließ uns zu Ehren bey unserer Ankunfft an seinem Schiffe eine starcke Salve geben, nöthigte uns nach gethanem Aussteigen so gleich in seine Cajüte, und gab die Cavalier-Parole von sich, daß wir bey ihm so sicher und geruhiges Hertzens seyn könten, als ob wir unter unsern eignen Dächern wohneten: wie wir nun versicherten, daß wir alle nicht das geringste Mißtrauen in seine Redlichkeit setzten, so ließ er uns an der Taffel, wo er mit seinen andern vornehmsten Officiers gewöhnlich zu speisen pflegte, den obersten Platz einnehmen, welches wir denn halb gezwungener Weise thun musten. Die Tractamenten waren vor einen See-Oficier mehr als zu kostbar, nur beklagte er sich über Mangel an frischem Fleische, und sonderlich Wildpret, als wovon er ein gantz auserordentlicher Liebhaber wäre. Diesem Mangel, (gab hierauf der Capitain Wolffgang zur Antwort,) wird leichtlich abzuhelffen seyn, wenn sie uns auf die Insul Klein-Felsenburg zu folgen belieben, allwo sich ihre bisherigen Krancken befunden, die aber vielleicht wegen unserer bestmöglichsten Wartung und Verpflegung nunmehro keine Kranckheiten mehr an sich spüren werden, weilen sie Ziegen-Fleisch, Wildpret und die allerbesten Fische, so wohl aus der See, als aus den süssen Flüssen im grösten Uberflusse vorräthig haben, des Flügelwercks, der Schildkröten und anderer See-Creaturen, als womit sich mancher ehrlichen See-Mann zu gewissen [266] Zeiten schon was zu Gute thun, ja sich zum öfftern ein rechtes Labsaal daraus machen kan, nicht zu gedencken. Sie haben wohl recht, mein Herr! sprach hierauf der PortugiesischeCapitain, denn sie wissens aus der Erfahrung, unterdessen, ob uns nun gleich die Leute von der Fregatte so gar viel eben nicht angehen, so möchte sie doch wohl sehen und sprechen.

Es beruhet nur auf ihrem Befehle, versetzte Herr Wolffgang, so können wir gleich morgenden Tages dahin abseegeln, weilen es eine gantz kurtze Reise ist. Nein, mein Herr! (replicirte der Portugiese,) sie erlauben mir, daß ich mich einer gewissen Ursache wegen, und da ich eine gantz besondere Medicin nur noch auf 4. bis 5. Tage zu gebrauchen habe, wenigstens auf so lange Zeit in meinem Apartement inne halte, und vollends auscurire. Bey diesen Worten gab ich zu vernehmen, daß wir ja Zeit genug darzu hätten, die Insul Klein-Felsenburg vor allererst in Augenschein zu nehmen, und uns dieserwegen eben nicht übereilen dürfften, zumahlen da man nicht wüste, wie die Krancken daselbst ihre Wirthschafft trieben, und ob sie nicht vielleicht Hütten gebauet hätten, die auch den Gesundesten einen Eckel und Abscheu verursachen könten, derowegen wäre mein bester Rath, mich mit einem Boote vorhero nach Hause zu schicken, um daselbst ein paar grosse geraumliche Zelter, nebst Erfrischungen und andern zur Bequemlichkeit dienenden Sachen dahin zu schaffen. Ich, als der Jüngste unter meinen mitgekommenen Herrn Collegen, wolte diese Mühwaltung gern auf mich nehmen, in Hoffnung, daß auf Groß-Felsenburgischer [267] nachhero alles besser, ordentlicher und kostbarer hergehen würde, als auf dieser kleinen, miserablen, und ohne dem durch die Krancken eckelhafft gemachten Insul.

So war der Fuchs, der uns zu überlistigen vermeynete, selbsten gefangen, denn er erklärete sich, ohne ferneres Bedencken, daß mein Rath der beste wäre, und es käme eben auf die 4. oder 6. Tage nicht an, da er denn im Stande zu seyn verhoffte, sich aller Orten, wo man ihn hin verlangte, hinzubegeben. Nachhero wurde starck gebechert, wobey wir Felsenburger uns zu wundern Ursach hatten, daß wir den delicatestenCanari Sect so wohl als die andern stärcksten Weine, deren Sorten ein jeder nach seinen Appetite kühnlich fordern durffte, noch weit besser vertragen konten, als die Herrn Portugiesen selbst, deren Element dieselben fast jedoch zu seyn schienen. Hierbey entstund denn ein liebreiches Gespräch, indem die Herrn Portugiesen, und sonderlich Don Juan de Silves, uns blos allein darum verschiedene Liebkosungen erwiesen, weilen wir die Portugiesische Sprache so rein, ja fast noch reiner redeten, als sie selbst, da doch ich vor meine Person weder das A.B.C. noch das Buchstabieren in Portugall gelernet. Herrn Wolffgangen wurde von allen Anwesenden mit gröster Ausmercksamkeit zugehöret, da er eines und anderes Stücke seiner Lebens-Geschichte erzählete; ja, ich glaube, die Herrn Portugiesen hätten uns wohl noch in 6. Tagen und 6. Nächten nicht von sich gelassen, wenn nicht Herr Wolffgang endlich, da es ihm Zeit zu seyn dünckte, mit gröster Bescheidenheit [268] von seinem Gespräche abgebrochen hätte, und zwar unter dem Politischen Vorwande einer empfindlichen Brust-Beschwerung, worbey er aber versprach, das Ubrige in Zukunfft zu melden, weilen wir doch wohl noch etliche Tage dürfften beysammen bleiben.

Mittlerweile, da wir aus der Portugiesen Gesprächen und heimlichen Ohren-Pflispern mehr als zu viel geschlossen, wie ihre Kreite schriebe, und was sie mit uns in Willens hätten, waren wir alle auch ohnbemühet, uns diese Figuren in aller Stille hinter die Ohren zu zeichnen, machten demnach, da wir mehr, als 3. mahl 24. Stunden bey ihnen zugebracht, freundschafftlichen Aufbruch, um uns wieder nach Hause zu begeben, welches Don Juan willig erlaubte, und versprach, uns mit allen Ehren- Bezeugungen abseegeln zu lassen, jedennoch war er in der Betrunckenheit so neubegierig zu fragen: Wessen sich unsere Aeltesten und Obern auf seinen Vortrag entschlossen hätten? und ob sie geneigt wären, sich Sr. Königl. Portugiesischen Majestät zu unterwerffen, oder nicht? widrigenfalls er gantz andere Mittel anzuwenden, sich noch bey guten Zeiten genöthiget sähe. Wir gaben ihm hierauf einstimmig zur Antwort, wie wir keinesweges Zweiffel trügen, daß die Sache nach seinem Vergnügen lauffen würde, unterdessen, da wir 3. Abgeordnete nichts weiter vernommen, als daß sie sich schrifftlich an Ihro Königl. Majestät gewendet, und wir über dieses keine fernere Vollmacht bey uns hätten, als wolten wir die Vornehmsten von unsern Aeltesten dahin [269] bereden, ihre Erklärung auf der Insul Klein-Felsenburg vor erst selbsten mündlich von sich zu geben, bis die Sache verglichen würde, und zum Schlusse käme.

Wer war froher, als wir alle 3. da wir unter Trompeten und Paucken-Schall, auch Lösung derCanonen, unbeschädigt und in guter Musse nach Hause rudern durfften, doch hätte bald vergessen zu sagen, daß Don Juan de Silves noch die Verabredung mit uns nahm, daß, so bald er 3. Bomben in die Lufft würde springen, oder, wie man spricht, darinnencrepiren lassen, wir uns nicht säumen solten, uns auf die Reise nach der Insul Klein-Felsenburg zu begeben, weilen dieses das Signal seyn solte, daß er eben um dieselbe Zeit dahin abführe, da er sich den Weg dahin schon ohne Wegweiser zu finden getrauete; wir solten ihm aber ja! (wie er hinterher uns sagen ließ,) keine Nase drehen, sonsten würde es uns zur sauren Suppe gereichen.

Wenn ich damahls nicht mehr Courage im Leibe gehabt hätte, als eben jetzo, so wäre mir fast ein bißgen bange bey der Sache worden, allein, da ich eine und andere Umstände in Erwegung zog, ward mir das Hertze im Leibe so groß, als eine 2. pfündige Jesmin-Oels-Bouteille oder Büchse, derowegen nahm meine Liebsten und Allergetreuesten zu mir, als welche sich, nachdem sie der Sachen Beschaffenheit erfahren, meinem Commando gantz freywillig unterwarffen, auch sich gantz und gar nicht wolten abweisen lassen, ohngeachtet Knaben von 15. 16. bis 18. und wenig mehr Jahren [270] darunter befindlich waren, die aber sonderlich mit dem Hand-Schieß-Gewehr unvergleichlich wohl umzugehen wusten: Jedoch, da ich ohne dem zum Voraus wohl wuste, daß es mit unsern Feinden nicht würde zum Handgemenge kommen, machte ich mir nur einen heimlichen Spas und Lust daraus.

Ausser diesen hatte sich ein starckes Regiment Frauenzimmer zusammen geschlagen, so wohl Weiber als Jungfrauen, welches die Madame de Blac als Obristin commandirte, und ihre wohl ausgesuchtenSubalternen um und neben sich hatte. Es war dieses in meinen Ohren erstlich eine lächerliche Historie, ohngeachtet meine eigene Frau, da sie vielleicht Zeit-Lebens keinen todten Hund gesehen, einen Hauptmanns-Platz erworben, um eine gantze Compagnie von 200. und mehr Frauenzimmern anzuführen. Wie gesagt, es kam nicht allein mir, sondern auch vielen andern recht lächerlich vor, solches von diesen Amazoninnen zu hören; die aber, so bald sie dieses gemerckt, daß wir uns über sie aufhielten, um so viel desto hitziger und begieriger wurden, ihren Willen vor dißmahl zu haben, weßwegen man denn binnen wenig Tagen das gantze Regiment Frauenzimmer in artiger und sehr netter Forme vor sich stehen sahe.

Ihr Ober-Kleid war von leichten Zeuge, und zwar himmelblau, gefärbter gedoppelter Leinewand, oder, wie man es nennen will, Barchent, mit gelben Schnüren; das Camisol aber rosenfarbe, mit weissen Schnüren verbrähmt, und der Schurtz eben so, wie in Deutschland ein gewöhnlicher [271] Läuffer-Schurtz, nebst den Bein-Kleidern, vom weissen Barchent, und mit gelben Schnüren bordirt. Auch hatten sie sich rothe lederne Stiefeln machen lassen, worüber ich mich gantz besonders wunderte, daß sie dieselben binnen so kurtzer Frist fertig kriegen können, indem sie dieselben, wie ich nachhero erfahren, selbst verfertigen helffen, und weder Tag noch Nacht gefeyert, bis die gantze Montur vollkommen fertig gewesen. Zur Bedeckung des Haupts hatte eine jede eine hohe Mütze auf, welche mit denen in Deutschland und anderer Orten üblichen Granadier-Mützen, oder, besser zu sagen, Abts-Mützen eine starcke Gleichheit hatten, ohngeachtet sie dergleichen Tracht, Zeit ihres Lebens, niemahls gesehen.

Allein, mein werthester Hr. Bruder kan ja leichtlich nachsinnen, daß unsere Hn. Europæischen Landes-Leute diese gantze Comœdie angestifftet, und ich schäme mich nur vorjetzo diejenigen mit Nahmen zu nennen, welche vielleicht die Haupt-Ursächer davon mögen gewesen seyn. Mit dem allen aber war es eine unvergleichliche Lust, dieses wohlansehnliche Regiment zu Fuß, (und NB. nicht zu Pferde) in Parade stehen zu sehen, denn erstlich guckten gemeiniglich unter der schwartzen Haube, oder so genannten Granadier-Mütze ein paar charmante Augen hervor, welche, dem Ansehen nach, rechte feurige Pfeile in sich führeten, um ihren Feind damit zu verletzen. Das eintzige, was ich an ihnen auszusetzen hatte, war dieses, daß sie keine schwartzen grossen Schnurr-Bärter führeten; Allein diesen Fehler ersetzte entweder ein [272] Alabasterweisses, oder bräunliches Angesichte wie ich denn angemerckt, daß auf dieser Insul die Blondinen und Brunetten einander an der Zahl um ein sehr weniges überlegen seyn mögen.

Jedoch unsere neugebackenen Amazoninnen noch weiter zu beschreiben, so hätte ich wohl aus Neugierigkeit bey einer jedweden die Anfrage thun mögen: ob sie nach Art der alten Amazonen sich auch wohl wolten entschliessen, eine jede ihre lincke Brust abschneiden zu lassen? weilen aber befürchtete, daß sie mir eine spitzige Antwort geben und etwa sagen möchten, daß sie keine Amazoninnen nach der alten Art wären, indem sie keinen Schild zu führen brauchten, der ihnen zum Schutze ihrer Brust etwa nöthig seyn, und mir noch fernere verdrüßliche Reden geben möchten, so ließ ich die Sache gut seyn. Unterdessen führeten sie tödtliche Waffen, denn es hatte eine jede in ihrer rechten Hand einen leichten Wurff-Spieß, wie nicht weniger einen leichten Pallasch an der lincken Hüffte hangen, in dessen ledernem Bauch-Gurte eine kleine Pistole stack; Uber die lincke Schulter bis auf die rechte Hüffte herunter sahe man einen 3. Finger-breiten Riemen herab lauffen, an welchem, wie man das Ding in Deutschland zu nennen pflegt, eine gätliche Patron-Tasche hieng, worinnen 12. Pistol-Patronen und 6. gätliche gefüllete Granaden stacken, auch hatte eine jede ihre brennende Lunte an der Brust, so wie es gebräuchlich ist, in einem Futterale hangend. Kurtz zu sagen: Fast alles unser Frauenzimmer hatten sich vollenkommen als Granadiers armirt. Wer [273] ihnen die Waffen, als nemlich die kleinem Palläsche, kleinen Pistolen, Wurff-Spiesse oderPiquen verfertigen lassen, will ich eben nicht sagen, nur wunderte mich dieses, daß nicht allein die völligeMontur, sondern auch das Leder-Werck und anderes Zubehör in solcher Geschwindigkeit verfertiget werden können; aber da mochte wohl das Sprichwort ein treffen: Viel Hände machen Ende. Denn, wie gesagt, ich habe nach dem vernommen, daß alles daran gearbeitet, was nur Hände und Finger gehabt, auch so gar die kleinen Mägdleins, die kaum eine Neh-Nadel zu regieren wissen.

Viele von unsern Europæischen Mit-Brüdern hatten sich die Mühe gegeben, dieses unser Frauenzimmer-Granadier-Regiment, welches über 600. Köpffe starck war, auch so gar des Nachts bey den Scheine angezündeter Fackeln, ordentlicher Weise auf Europæische Art zu exerciren, und zwar in Führung des Pallasches und Wurff-Spiesses, Ladung und Gebrauchung der Pistolen, Werffung der Granaden und dergleichen, auch so gar ferner in Wendungen und andern üblichen Exercitiis dergestalt zu perfectioniren, daß wohl nirgendwo ein Frauenzimmer anzutreffen seyn möchte, welches eine Hand-Granade mit grösserer Geschicklichkeit und Geschwindigkeit werffen könte, als ein Felsenburgisches, ja die kleinen Mägdlein wissen schon ziemlicher Massen damit umzugehen.

Endlich kam es zur Musterung dieses Helden-Regiments, welches sich auf dem grossen Platze unter der Alberts-Burg und der Kirche in Parade gestellet hatte. Es war dieses Regiment [274] in 3. Bataillons eingetheilet, deren jedes Bataillon seine besondere Fahne führete, als nemlich das Erste eine blaue; das Andere eine rosenfarbene und das Dritte eine weisse Fahne. In eine jede dieser Fahnen hatte unser berühmter Herr Kunst- Mahler zur Devise die Insul Groß-Felsenburg mit ihren fast bis an den Himmel reichenden Felsen-Spitzen gemahlet, mit der Uberschrifft:

Sie ist vest gegründet.
Und der Unterschrifft:
GOTT ist bey ihr drinnen.

Mir zum wenigsten gefiel diese Invention ungemein wohl, und fast noch besser, als das gantze Gemählde, welches zwar sehr wohl gerathen war, jedoch seiner Kunst gemäß, weit schöner und zierlicher würde heraus kommen seyn, wenn die Zeit darzu nicht allzu kurtz gewesen wäre.

Unterdessen begegnete mir ein poßierlicher Streich: Denn da ich mit Herr Wolffgangen, Mons. de Blac,Mons. Litzbergen und andern speciellen Freunden mehr, vor der Fronte dieses erstaunens-würdigen Regiments auf und nieder spatziren gieng, fragte mich Herr Wolffgang mit lachendem Munde dieses: Nun, mein Herr! was düncket euch bey diesen fürchterlichen Leuten? und wie kommen sie euch vor? Sie kommen mir (gab ich zur Antwort) nicht anders vor, als diejenigen bund gekleideten Personen, welche in Deutschland, Holland und anderer Orten mehr, den Hn. Zuschauern eine Lust machen, und denen man, wie [275] ihnen nicht unbekannt, Arlequins, Jean Potage, Scharmuzgen, und noch mehrere Affections-Nahmen beyzulegen pflegt.

Kaum hatten einige nur von dem so genannten grimmigen Thieren diese Worte von mir aussprechen hören, als es immer eine der andern ins Ohr sagte, worauf denn in gröster Geschwindigkeit unter allen dreyen Bataillons erstlich ein sanfftes Gemurmele, bald hernach aber, so zu sagen, fast eine kleine Rebellion entstund, worauf sich meine Geferten und Freunde der Sache etwas genauer erkundigten, und erfuhren, daß das Frauenzimmer durch meine Reden, die ich so hin in den Wind fliegen lassen, sich insgesamt aufs allerhöchste beleidiget befände, und dieserwegen durchaus eine hinlängliche Satisfaction verlangte.

Indem wir nun alle hertzlich darüber lachen musten, so trat die Madame de Blac vor die Fronte, undproponirte eben dieses in weitläufftigen Terminis, mit dem Zusatze, daß das sämtliche Frauenzimmer sich nicht eher zufrieden geben könte, bis es Satisfaction, und zwar nach dieserhalb gehaltenem Krigs-Rechte erhalten hätte, widrigenfalls wären sie gewilliget, alle vor einen Mann zu stehen, und sich mit gesamter Hand selbsten Satisfaction zu verschaffen.

Der Regente, einige Aeltesten und andere guten Freunde waren inzwischen herbey gekommen, und hatten den Vortrag der so betitulten Frau Obristen mit angehöret, da ihr denn der Regente, welcher so wohl als die andern, nachdem sie die gantze Ursache des Streits vernommen, so, wie wir, [276] dergestalt lachen musten, daß wir alle, so zu sagen, die Bäuche halten musten; ja der Regente, als ein besonders ernsthaffter Mann, hat nachhero selbsten bekennet, daß er sich nicht zu entsinnen wisse, Zeit seines gantzen Lebens so viel gelacht zu haben, als über diese lustige Begebenheit. Es nahm aber nachhero der Regente das Wort selbst auf sich, und gab der Frau Obristin dieses zur Antwort: Meine allerseits liebwerthesten Engels-Kinder! es ist allerdings an dem, daß sich mein Vetter, Eberhard Julius, recht sehr mit Worten gegen euch vergangen hat, und ob er es auch gleich so böse nicht gemeynt zu haben vorwenden möchte, so ist es doch billig und recht, daß er dieserwegen, dem Kriegs-Rechte gemäß, abgestrafft werden müsse, es sey denn, daß ihr euch dieserhalb in der Güte mit ihm vertrüget: denn das ist keine Sache oder Mode, daß man diejenigen, welche ihr Blut und Leben vor das Beste des Vaterlandes aufzuopffern sich ohngeruffen und gantz freywillig darstellen, höhnischer Weise durchziehen oder schrauben wolte. Daß ihr, lieben Engels-Kinder! aber gesonnen, alle vor einen Mann zu stehen, um euch mit gesamter Hand Satisfaction zu verschaffen, ist eine zweydeutige Redens-Art, und möchte viele Weitläufftigkeiten und Verdrüßlichkeiten nach sich ziehen; demnach ist mein getreuer Rath dieser, daß ihr die Sache auf den Spruch des Kriegs-Rechts ankommen lasset, als zu welchem ihr die Personen nach eurem eigenen Belieben erwählen möget.

Das Frauenzimmer war ungemein erfreuet [277] über diesen Ausspruch des Regenten, nicht anders, als ob bereits eine Bataille geliefert, und der Sieg darinnen erhalten wäre. Demnach stöhrete ich meine speciellen guten Freunde an, dem Frauenzimmer unter den Fuß zu geben, daß sie 6. Personen aus ihrem Mittel erwählen solten, welche einstimmig darauf dringen möchten, daß ich, Eberhard Julius, erstlich demhonorablen Frauenzimmer vor der Fronte eine billige Abbitte und Ehren-Erklärung thun, an Statt höherer Leibes- und Lebens-Straffe aber, nur blos durch alle 3. Bataillons 12. mahl durch ihre Strumpf-Bänder lauffen solte, ohngeachtet nach militairischer Art, von Rechtswegen Spitz Ruthen darzu erfordert würden.

Wie es angegeben war, so lief es auch ab, denn nachdem nicht allein 6. Deputirte von dem Frauenzimmer, sondern auch 6. Personen von unsern Aeltesten mein Urtheil nach des löblichen Frauenzimmers Verlangen abgefasset, so schickte mich in die Zeit, und machte mich fertig, meine Straffe zu leiden. Ein solcher poßierlicher Streich ist wohl nie paßirt, so lange Felsenburg gestanden, es sey denn, daß die Affen zu den Zeiten unserer Felsenburgischen ersten Eltern noch thörichtere Streiche gemacht hätten, welche jedoch mit denenjenigen nicht in Vergleichung zu ziehen sind, welche die vernünfftigen Menschen zuweilen wohl zu spielen pflegen. Unterdessen war dieses eins kleine Lust vor uns, worbey, meines Wissens, gantz und gar nichts sündliches mit unterlief, es müste denn dieses uns zur Sünde gerechnet werden, daß wir bey dieser kleinen Comœdie gar allzuviel[278] lachten, und zwar die Alten so wohl, als die Kinder, und daß ich ferner, nachdem ich meine Straffe ausgestanden, noch einmahl repassirte, und jedem Frauenzimmerlichen Granadier von oben an bis unten ans Ende einen keuschen Kuß gab, und zwar diesen noch zum Uberfluß der schuldigen Danckbarkeit vor gnädige Straffe, welcher Kuß mir denn von den allermeisten wieder zurück gegeben wurde, so, daß wir fast einen halben Tag mit diesem Lust- (oder wie unsere Feinde vielleicht wohl sagen möchten) Narren-Spiele zubrachten.

Allein es ist bekannt, daß der Himmel seinen Kindern, wenn sie sonsten aufrichtig und fromm wandeln, eine zuläßige oder mittelmäßige Lust gantz und gar nicht mißgönnet, wovon wir sehr viele Exempel in heil. Schrifft finden und nachschlagen können.

In Abrede will ich nicht seyn, daß wir dieses Possen-Spiel bey damahligen Umständen und gefährlich scheinenden Zeiten wohl hätten können bleiben lassen, zumahlen, da immer einer dem andern hätte in die Ohren sagen mögen: Hannibal ante Portas!

Jedoch einmahl war es geschehen, derowegen giengen wir in den folgenden Tagen desto fleißiger in die Kirche, beteten auch zu Hause weit andächtiger, als vor derselben Zeit, und verrichteten darbey unsere Arbeit, ein jeder nach seiner Nothdurfft, Bequemlichkeit und Wohlgefallen: Deñ ich kan bis dato nicht sagen, daß ich auf unserer Insul einen recht faulen Menschen zu suchen und zu finden wüste, als wovor dem Allmächtigen gedanckt sey, der den Menschen [279] zur Arbeit erschaffen, so wie den Vogel zum fliegen.

Mittlerweile schlich immer ein Tag und eine Nacht nach der andern dahin, ohne daß sich die Hrn. Portugiesen weder mit Bomben, noch Canonen-Schüssen meldeten und hören liessen, weßwegen wir auf die Gedancken geriethen, es würden dieselben vielleicht in aller Stille abgeseegelt seyn, und ihren Lauf anders wohin genommen haben, jedoch die Davids- und Alberts-Raumer Schildwachten versicherten, daß sie sich nicht allein noch alle 3. bey den Sand-Bäncken aufhielten, sondern es wäre auch seit ehegestern noch ein Schiff zu ihnen gestossen, welches jedoch nicht gar so groß zu seyn schiene, als die 3. Kriegs-Schiffe, jedoch etwas wichtiger, als ihre Fregatte, welche in Klein-Felsenburg läge.

Diesen Rapport bekamen wir eben an einem Sonnabende Abends, weßwegen unsere Aeltesten vor rathsam halten wolten, gleich morgendes Tages in einerChalouppe etliche Deputirte an den Don Juan de Silves mit einigen Erfrischungen abzusenden, ihn complimentiren zu lassen, sich dessen Gesundheits-Zustandes wegen zu erkundigen, um hauptsächlich zu erfahren, ob er noch lebte, oder tod sey, und was er etwa fernerweit unserer Sachen wegen angeben und vortragen möchte. Wie nun dieserhalb die gantze Nacht hindurch hin und her gerathschlaget wurde, so fielen doch die allermeisten Stimmen wider und entgegen den Rath der Aeltesten aus, so daß vor diesesmahl die erste Haupt-Werwirrung auf dieser Insul vorgieng, und wir Europæer, oder so genannten Einkömmlinge, selbst genug [280] zu thun fanden, das Felsenburgische wallende Geblüte zu besänfftigen, indem so wohl Männer, Weiber, als Kinder dem Himmel angelobten, lieber sich tod schlagen zu lassen, und in ihrem eignen Blute zu ersticken, als sich den Portugiesen zu unterwerffen, hergegen wolten sie sich alle wehren bis auf den letzten Bluts-Tropfen, und ihren Feind beschädigen, so lange sie nur noch die geringsten Kräffte hätten, und ein warmer Athem in ihrer Brust sich spüren liesse. Hierbey muß ich bekennen, daß sich unser Frauenzimmer weit desperater aufführete, als die Männer selbst; ja, die kleinesten Kinder, wenn sie nur den Nahmen Portugiese nennen höreten, spyen gegen die Erde, als welches, meines Wissens, ihnen niemand weiß- oder vorgemacht hatte, sondern es schiene, als ob dieser Widerwillen ihnen schon im Geblüte und in der Natur stäcke.

Da nun aber, wie ich bereits gemeldet, vor diesesmahl der Rath uñ die Verordnung unserer Aeltesten nicht allein verworffen wurde, sondern sich auch ein jeder, er mochte ein Einheimischer, oder Einkömmling seyn, aufs hefftigste und äuserste entschuldigte und wehrete, noch einmahl die Ambassade zu demDon Juan anzutreten, als muste solcher Gestalt der Streit von selbsten aufhören; Derowegen beschlossen wir, uns stille und ruhig zu halten, den Klein-Felsenburgern aber nicht das geringste mehr von Lebens-Mitteln zu schicken, weiln wir so wohl sie, als alle andere Portugiesen von nun an vor unsere offenbaren und abgesagten Feinde zu erkennen die gröste Ursache hätten, zumahlen, da wir nachrechnen könten, daß sie wenigstens noch so viel Vorrath von den Victualien [281] haben müsten, welche wir ihnen seithero zu verschiedenen mahlen zugeschickt hätten, 3. bis 4. Wochen, ja viel länger davon zu zehren, hierbey daureten uns zwar eben nicht die Klein-Felsenburgischen Fische so gar sehr, um so viel desto mehr aber das vortreffliche Wildpret, weilen bekannter Massen die allerbesten Auer-Ochsen, Hirsche, Rehe, wilde Schweine und dergleichen von ungemeiner Grösse in dasigen Wäldern herum spazieren; Allein, wie wir nachhero verspüret, ist der Verlust sehr geringe gewesen, und hat vielleicht der Himmel nicht zugeben wollen, daß die Portugiesen unser Wildpret vertilgen sollen.

Jedoch in der Geschichts-Erzählung ordentlich fort zu fahren, so giengen wir, nachdem die fatale Nacht verschwunden war, am Vormittage des darauf folgenden Sonntags in die Kirche, um den Gottesdienst abzuwarten, worbey zu gedencken, daß wir damahls, wie doch sonsten gewöhnlich, keine Carthaune abfeuerten, um das Volck zur Kirche zu ruffen, sondern es richtete sich dasselbe nach der Zeit und nach dem Läuten der Glocken, kam auch in so häuffiger Menge herzu gelauffen, so daß, wie man in Deutschland zu sagen pflegt, die Kirche gekribbelte und gewibbelte voll war. Ja ich glaube, daß damahls keine eintzige Seele aus der Kirche geblieben ist, ausgenommen einige wenige Krancken, die nicht zu Fusse fortkommen können, und sich auf andere Art fortbringen zulassen, Bedencken getragen.

Im gemeinen Sprichworte pflegt man zu sagen: Wo GOtt eine Kirche bauet, so bauet der Satan seine Capelle darneben. Dieses [282] konten wir daraus bemercken, denn unter der Zeit, da nach vollbrachter Kirchen- Musique der Christliche Glaube, gewöhnlicher Art nach, abgesungen wurde, ließ unser Feind, Don Juan, von seinen Schiffen die 3. abgeredten Bomben springen. Worbey unter einem jeden Verse dieses Liedes, wie wir alle insgesamt mit besondern Nachsinnen in Acht genommen haben, auch der Knall einer Bombe zuhören und zu vernehmen war. Und dieses ist gewiß und wahrhafftig kein ohngefährer Zufall zu nennen, sondern gute Christen hatten ihre besondern Gedancken darbey, da es so accurat zutraf, daß das Lied: Wir gläuben all an einen GOtt etc. eben 3. Verse haben muste, und wir auch nicht mehr, als 3. Schreck-Schüsse hören durfften, nicht anders, als wenn dieserwegen ein besonderes Zeichen gegeben wäre.

Die gantze Christliche Gemeine schien zwar anfänglich einiger Massen in ihrer Andacht beunruhigt u. gestöhrt zu werden, allein, der unvergleichliche Herr M. Schmeltzer erfand solgeich ein Mittel, die beunruhigten und allenfalls ängstlichen Gemüther zu besänfftigen, und wieder in Ordnung zu bringen, indem er sogleich, nachdem wir den dritten Bomben-Knall vernommen, den Choral von der Cantzel herunter intonirte: JEsus, meine Freud etc. Wie nun die gantze Christliche Gemeine dieses Lied in der grösten Andacht absunge, so beschäfftigten sich auch unsere Herren Musicanten mit Zincken und Posaunen, der Andacht einen desto grössern Eindruck, oder, so zu sagen, Nachdruck zu geben; Nachhero aber setzte er vor diesesmahl das ordentliche SonntagsEvangelium[283] bey Seite, und erwählete sich an Statt dessen den 35. Psalm, welcher also lautete:


HErr! hadere mit meinen Haderern, streite wider meine Bestreiter. Ergreiffe den Schild und Waffen, und mache dich auf, mir zu helffen. Zücke den Spieß, und schütze mich wider meine Verfolger. Sprich zu meiner Seelen: Ich bin deine Hülffe. Es müssen sich schämen und gehöhnet werden, die nach meiner Seelen stehen, es müssen zurücke kehren, und zu Schanden werden, die mir übel wollen. Sie müssen werden, wie Spreu vor dem Winde, und der Engel des HErrn stosse sie weg. Ihr Weg müsse finster und schlüpfferig werden, und der Engel des HErrn verfolge sie. Denn sie haben mir ohne Ursach gestellet ihre Netze, zu verderben, und haben ohne Ursach meiner Seelen Gruben zugerichtet. Er müsse unversehens überfallen werden, und sein Netze, das er gestellet hat, müsse ihn fahen, und müsse darinnen überfallen werden; Aber meine Seele müsse sich freuen des HErrn, und frölich seyn auf seine Hülffe etc.


Ich bin nicht im Stande diesen Psalm bis ans Ende her zu recitiren, weilen mir das Gedächtniß in dem Stücke, was ich in der Jugend gelernet, nummehro seine Dienste ziemlicher Massen versagen will, dero wegen ist derselbe nachzuschlagen, da sich denn finden wird, daß sich alle Zeilen, ja fast alle Worte desselben auf unsere damahligen Umstände dergestalt schicken, als ob der Königliche [284] Prophet David unsere Umstände und Beschaffenheit zu seiner Lebens-Zeit lange voraus gesehen hätte. Nach der Predigt wurde das Te Deum laudamus unter Paucken und Trompeten-Schall, auch abwechselnden Zincken und Posaunen-Klange abgesungen, mithin vor dißmahl der vormittägliche Gottesdienst geendiget.

Durch alle diese Veranstaltungen, zumahlen, da die Herren Musicanten die Melodeyen dieser 3. Lieder, als:


Wär GOtt nicht mit uns diese Zeit etc.
Ein veste Burg ist unser GOtt etc.
Es woll uns GOtt genädig seyn etc.

vom Thurme unter Läutung der Glocken abbliesen; machten sie einen noch fernern Eindruck in die Gemüther, wodurch denn das sämtliche Volck, so wohl Männer, Weiber als Kinder, ungemein ergötzt wurden, sich Hauffenweise auf dem Platze vor der Kirche und unter der Alberts Burg versammleten und stehen blieben, da denn der Regente alle Anwesenden vom Grösten bis zum Kleinesten speisen und träncken ließ. In der Nachmittags-Predigt hatte Herr Mag. Schmeltzer Jun. nur diese wenigen Worte zum Texte seiner Predigt erwählet: Fürchte dich nicht, du kleine Heerde etc. und sprach uns allen einen großmüthigen Trost zu, weßwegen wir alle ohne besondere Bangigkeit aus einander giengen. Folgenden Montags früh gleich bey Aufgang der Sonne, ließ Don Juan abermahls, nachdem es die gantze Nacht gantz stille gewesen, 3. Bomben gegen unsere Insul in die See spielen, allein wir regten und bewegten uns nicht, [285] bis wir endlich abermahls eine Chalouppe mit 2. Trompeten und einiger Mannschafft, die alle weisse Fähnlein in den Händen führeten, gewahr wurden, die so schnell, als nur immer möglich war, auf unsere Insul zugefahren kamen; Allein wir thaten derselben nicht einmahl die Ehre an, ordentlicher Weise zu begegnen, sondern es begaben sich nur Herr Wolfgang, Mons. de Blac und ich mit einer Bedeckung von 50. Mann der auserlesensten tapffersten Leute durch den Wasser-Gang hinunter an das Ufer der See, welche 50. Mann aber sich in den Wasser-Gange verborgen halten musten. Wir pflantzten ebenfalls 3. weisse Fahnen in die Erde, da denn die Chalouppe anländete, aus welcher 3. vornehme Officiers herauf gestiegen kamen, und erstlich in hochtrabenden Worten anfragten: Warum wir nicht Parole gehalten hätten, uns bey dem Don Juan de Silves auf der Insul Klein-Felsenburg einzufinden?

Hierauf antworteten wir mit gantz gelassenen Worten: daß wir einfältigen Leute nicht gewust hätten, wie wir daran wären, indem uns eine Zeit von 4. bis 6. Tagen bestimmt gewesen, welche aber verlauffen, und noch etwas drüber, ehe wir sein Signal mit dem Bomben gehöret, weiln nun dieses eben unter der Zeit unseres Gottesdienstes geschehen, und wir auch anderer Ursachen wegen, nicht wohl abkommen können, so hätte ein solches vor dißmahl bis auf eine andere Zeit unterbleiben müssen. Zum andern wurde von ihnen gefragt: ob wir uns denn nun würcklich resolvirt hätten, die allerhöchste Protection Ihro Königl. Majestät von Portugall [286] anzunehmen? worauf ihn zur kaltsinnigen Antwort gegeben wurde: hiervon könten wir eben itzo nicht viel reden, weiln wir keine besondere Vollmacht darzu hätten, unterdessen wäre allhier ein allerunterthänigstes Schreiben an Ihro Königl. Portugiesischen Majestät vorhanden, und zugleich die Copia oder Abschrifft desselben vor den Don Juan de Silves, als andere, welche solches zu lesen beliebten. Zum dritten waren die 3. Herren so treuhertzig zu begehren, daß wir sie hinauf auf unsere Insul führen solten, um ihnen unsere Lebens-Art und andere Anstalten zu zeigen; welches, wenn es nicht geschähe, derDon Juan vor den allergrösten Affront aufnehmen würde.

Aber dieses war vollends eine Sache, die uns anzunehmen eben nicht gar zu vortheilhafft zu seyn schiene; derowegen sagten wir ihnen allen 3. zur Antwort, wasmassen es allerhand Ursachen wegen, unser Werck gantz und gar nicht sey, fremde Personen, geschweige denn solche, die uns mit lauter Feindseligkeiten bedroheten, in unsere Hütten zu führen, und derowegen könten sie sich nur in aller Güte zurück begeben. Hierbey aber wurde ihnen ein Præsent von 2. lebendigen Auer-Ochsen, 2. lebendigen überaus grossen Hirschen, und andern lebendigen Thieren gemacht, nebst einem oder etlichen Fässern des bestenCanarien-Sects, auch anderer delicaten Weine, Confituren, Obst und dergleichen. Allein es schien, als ob die Herren Portugiesen unsere Gaben verschmähen wolten, indem sie mit aller Gewalt darauf drungen, daß sie eher nichts anzunehmen gewillet, bis sie den Zustand und Verfassung [287] unserer Insul aufs genaueste betrachtet und untersucht hätten. So bald ihne nun dieses rotunde abgeschlagen wurde, wolte der Ansehnlichste unter den 3. Vornehmsten, aus einem höhern Tone zu reden anfangen, indem er sagte: Was nicht in Güte zu erlangen stünde, müste man mit Gewalt zu erhalten suchen, denn sie ja als vernünfftige Menschen doch wohl endlich mit der Zeit die Schlüssel, Thore, Thüren und Pforten zu diesem Neste finden würden, welches seinen Gedancken nach, doch wohl nicht etwa vor ein verwünschtes und verzaubertes Schloß oder Burg zu halten sey. Wir musten diese Thorheit fast wider unsern Willen belachen, jedoch der hitzige Herr gab nur einen Winck mit dem rechten Arme, worauf augenblicklich, ohngefähr 30. bis 40. mit Ober und Unter-Gewehr wohl versehene Männer aus der Chalouppe ins Wasser heraus sprungen, wie die Wasser-Hunde, und sich zu uns an das Land begaben. Wir hielten dieses vor einen unbesonnenen, unnöthigen und desperaten Streich, da sie sich aber, nachdem sie festen Fuß gefasset, so zu sagen, in vollkommene Schlacht-Ordnung stelleten, gab Herr Wolffgang auch ein Zeichen von sich, da denn unsere 50. Mann der allertapffersten und freywilligen Junggesellen aus der Felsen-Klufft, die man bis jetzo ihm zu Ehren noch den Wolffgangischen Wasser-Fall zu nennen pflegt, in allerschönster Ordnung, ebenfalls mit Ober- und Unter-Gewehr wohl versehen, heraus rückten, und sich darstelleten, den Feinden die Spitze zu bieten. Ich will eben das uralte Sprichwort nicht mißbrauchen, und sagen, daß die Herren [288] Feinde einen rechten terrorem Panicum bekamen, da sie unsere Verfassungen und Anstalten sahen. Dem allen ohngeacht aber war der hitzige Herr subaltern-Officier dennoch so desperat, Feuer auf uns und unsere Leute geben zu lassen; da denn Herr Wolffgang bey der ersten Salve eine Kugel in den lincken Arm, ich eine dergleichen in die rechte Hüffte und Mons. de Blac ebenfalls eine Kugel in die lincke Schulter bekamen. Von unsern Leuten schiene es anfänglich, als ob ihrer zwey auf dem Platze wären tod geschossen worden, indem sie zu Boden fielen, da der eine in die Brust, und der andere in den Unterleib sehr gefährliche Kugeln bekommen hatten, allein der Himmel und die Kunst unsers nie genug zu rühmenden Chirurgi, Mons. Kramers, hat geholffen, daß sie alle beyde noch am Leben geblieben, und frisch und gesund seyn. Herr Wolffgang hat es mir und andern mehr theuer zugeschworen, daß, ohngeachtet er vielen hitzigen Treffen und Scharmützeln so wohl zu Lande, als zur See beygewohnet, er dennoch niemahls Leute von mehrerer Hertzhafftigkeit gesehen: Denn das Schiessen wolte ja fast kein Ende nehmen, und wir wunderten uns nur darüber, wo sie auf diesesmahl alle Patronen herbekommen hätten. Auser dem hatten wir auf unserer Seite nur noch 5. Blessirte, die aber nur gantz leichte Wunden hatten, und ihr Gewehr dem allen ohngeacht beständig fortbrauchten. Ja es wurde immer ein kleines Heck-Feuer, wie man es sonsten zu nennen pflegt, nach dem andern gemacht, da wir denn klärlich bemerckten, daß auf feindlicher Seite 10 Mause-tode und 9 Blessirte auf der Stelle [289] vorhanden waren, welche sie in gröster Eile auf ihre Rücken nahmen, zurück ins Wasser sprungen, und dieselben in ihre Chalouppe trugen. Es war ein artiger Spas, da eben zur selben Zeit, da dieses geschahe, eine gantze Bataillon von unsern Frauenzimmerlichen Granadier-Regimente durch den Wolffgangischen Wasser-Fall herunter marchirt kam, um uns in der Gefahr-schwebenden armen Männern aus getreuem Hertzen aufs bestmöglichste zu Hülffe zu kommen. Ich will und kan nicht sagen, was dieser Anblick vollends den Feinden vor ein besonderes Schrecken einjagte, zumahlen, da sie die ungewöhnliche Montur derselben in Betrachtung zohen.

Unsere Granadiers aber führeten sich eben nicht auf, als wie die Zieper-Katzen, sondern sie musten in gröster Geschwindigkeit ihre Granaden dergestalt accurat zu werffen, daß nicht alle viele durch das Wasser badende Feinde, sondern auch noch weit mehrere in der feindlichen Chalouppe theils getödtet, theils hefftig blessirt wurden. Unaussprechlich war die Geschwindigkeit unserer Feinde, welche sie gebrauchten, um nur von unserm Ufer hinweg zu kommen, da wir denn, weiln uns mit Vergiessung vieles Menschen-Bluts eben nicht gedient, uns in so weit an der Ehre begnügen, und den überwundenen Feind fernerweit ohngestört fortrudern liessen.

Was Don Juan de Silves in der ersten Hitze bey der Zurückkunfft seiner Leute, welche ziemlicher Massen mit blutigen Köpffen anzusehen waren, gesagt haben mag, möchte ich wohl wissen, jedoch mit[290] wem hat er sich wohl sonderlich zancken mögen, da seine beyden commandirenden hitzigen Herrn subalternen Officiers tödlich verwundet waren, und wie man vernommen, nachhero bald ins Reich der Toden gereiset sind.

Wir unterdessen schlichen uns gantz sanfft und stille durch den Wasser-Fall wieder auf unsere Insul hinauf, eben als wenn wir kein Wasser betrübet hätten, sobald wir aber oben auf der Höhe angelanget waren, vergönneten wir der Wasser-Fluth wieder ihren strengen Fall und Sturtz, und bekümmerten uns vor dißmahl weiter um keine Feinde.

Gewöhnlicher Massen werden sonsten in andern Ländern die Sieger, welche ihren Feind bezwungen, oder doch zurück geschlagen, im Triumphe eingeführet; allein dergleichen hochspringende Gemüther hatten wir armen Felsenburger auf keinerley Art und Weise, sondern, so bald wir zurück kamen, war das allererste, daß man uns in die Kirche führete, da wir uns insgesamt, ohngeachtet unsrer annoch blutenden Wunden, mit Freuden und Vergnügen da hinein begaben, allwo die gantze Christliche Gemeine in erstaunlicher Menge versa let war.

Herr Mag. Schmeltzer Sen. ließ erstlich den Choral singen: Du Friede-Fürst, HErr JEsu Christ etc. hernach hielt er einen nicht eben allzu langen Sermon, in welchem er unsere Geschichte mit der Maccabäer Begebenheiten unvergleichlich wohl zusammen reimete, nachhero aber aus Psalm am 37. vers. 37. den Schluß damit machte: Bleibe fromm und halte dich recht, denn solchen wird es zu letzt wohl gehen; Die Ubertreter [291] aber werden vertilget mit einander, und die Gottlosen werden zuletzt ausgerottet. Aber der HErr hilfft den Gerechten, der ist ihre Stärcke in der Noth. Und der HErr wird ihnen beystehen, und wird sie von den Gottlosen erretten, und ihnen helffen, denn sie trauen auf ihn.

Nach diesem Sermon, worinnen er sonderlich das auf beyden Seiten unschuldig vergossene Blut mit fast weinenden Augen bedauerte, wie denn wir Streiter selbst keinen Wohlgefallen daran hatten, sondern nach vollbrachter Sache einem jeden von unsern Feinden auch den kleinsten vergossenen Bluts-Tropffen gern wieder mit einem Loth Golde zurück in den Leib gekaufft hätten, wenn es anders möglich gewesen wäre: denn unsere Nation ist, bekannter Massen, eben so barbarisch nicht, sondern vielmehr christlich gesinnet, da sie es aber nicht anders haben wollen, als mochten sie auch mit demjenigen vorlieb nehmen, was ihnen von GOttes- und Rechtswegen wiederfahren war. Hierbey aber kan ich nicht sagen, daß nur einem eintzigen Felsenburger das Hertze, wie man sonsten zu reden pflegt, in die Kniekehlen gesuncken war. Nein! im Gegentheil waren so wohl Manns-Personen, als das Frauenzimmer recht begierig, bald noch ein Scharmützelgen zu wagen; Jedoch, da Hr.Mag. Schmeltzer zum Schlusse dieser ausserordentlichen Betstunde oder Kirchen-Andacht noch das bekannte christliche Kirchen Lied.


GOtt, der Friede hat gegeben,
Laß den Frieden ob uns schweben etc.

[292] absingen lassen, begaben sich alle und jede nach Hause in ihre Wohnstädte, da denn wir und die andern Verwundeten desselben am allermeisten vonnöthen hatten.

Die darauf folgende Nacht war alles sehr stille; jedoch, weiln einem schlaffenden Feinde eben so sonderlich viel nicht zu trauen ist, besetzten wir unsere Posten, so wohl auf den Gebürgen, als in der Ebene drey und vierfach, ich aber, weiln ich wegen der Schmertzen an meiner empfangenen Wunde ohne dem wenig Ruhe noch Rast zu finden verhoffte, begab mich auf die höchsten Felsen Spitzen bey die Davids-Raumer-Schildwächter, da ich denn gleich mit Anbruch des Tages gewahr wurde, daß nicht allein die 3. grossen Kriegs-Schiffe, sondern auch noch ein Schiff, benebst der elenden Fregatte, die bishero bey Klein-Felsenburg gelegen, weit näher an unsere Insul Groß-Felsenburg heran gerückt waren, und dem Scheine nach nur absehen wolten, wo etwa der Wind herkäme; Allein es zeigte sich bald anders: denn der Don Juan, welcher vielleicht mehr Feuer im Kopffe, als im Hertzen hatte, machte den Anfang, uns auf eine gantz erstaunenswürdige Art zu bombardiren und zu canoniren; Jedoch! wir hatten ja die gröste Ursach, diese seine Thorheit hertzinniglich zu belachen und zu verspotten, indem nicht mehr, als eine eintzige Bombe, deren er doch wohl 3. bis 400. gegen uns spielen liesse, auf unsere Insul herunter gekollert kam, welche jedoch nicht den allergeringsten Schaden verursachte, ausgenommen, daß dieselbe ein kleines Fleckgen Grase-Land umwühlete, worüber wir und unsere [293] Kinder eine gantz besondere Freude hatten. Wie unsers Orts sassen gantz stille, so wohl als wie unser Felsen, der alle Bomben und Canonen-Kugeln mit lachendem Muthe von sich abwiese. Jedoch endlich, nachdem das Bombardiren und Canoniren gantzer 2. mahl 24. Stunden unaufhörlich gewähret, riß bey Ms. Plagern und mir der Gedult-Faden entzwey, weßwegen wir nicht allein aus unsern neugegossenen Mörsern etliche 50. Bomben ihnen entgegen spieleten, jedoch listiger Weise mit allem Fleisse bald seitwärts, bald über ihre Schiffe hin: Damit sie aber ja allenfalls nicht vermeynen solten, als ob es uns am Pulver fehlete, so hatten wir eine gantz besondere Art vonBomben, die mit Schwärmern, Lust-Kugeln und dergleichen Feuerwerckers-Possen angefüllet waren, wel che wir ihnen sehr geschicklich zum Zeitvertreibe in ihre Schiffe zu werffen wusten, um ihnen auch damit zu zeigen, daß es unser Ernst eben nicht sey, sie tödlich zu verletzen, sondern nur ein kleines Lust-Spiel mit ihnen zu haben. Auser dem wurde fast alle Abend, so zu sagen, zu unserer eigenen Lust und Vertreibung der unruhigen Gedancken, oder Grillen, (wie man dieselben sonsten zu nennen pflegt) immer ein kleines lustiges Feuer-Werck nach dem andern den Herren Feinden entgegen præsentirt, worbey wir uns auch nicht scheueten, zu gewissen Zeiten und Stunden nach Beschaffenheit der Sachen unsere Carthaunen,Canonen und Mörser abzufeuern, weiln wir uns nebst göttlicher Hülffe bis zu der Zeit noch in der Verfassung befanden, allen unsern Feinden die [294] Spitze zu bieten, es möchten dieselben auch gleich Christen, oder Barbaren seyn.

Endlich kam Don Juan in so weit zum Verstande, daß er das erschröckliche Bombardiren und Canoniren einstellete, indem er vielleicht selbst absehen mochte, daß damit gegen uns nichts im geringsten auszurichten wäre, da wir ihm fast nur zum Spase, unzählige Bomben und Canonen-Kugeln entgegen spieleten, die Lust-Feure, so wir ihnen und uns nach unserer Bequemlichkeit machten, will ich darbey ausnehmen, weilen es zur Haupt-Sache eben nicht zu dienen scheinet, sondern nur so viel sagen: daß, nachdem noch einige Tage verstrichen waren, der Don Juan de Silves in einem kleinen Boote einen abermahligen Trompeter an uns schickte, und von uns verlangte, daß 3. Personen der Unsern als Deputirte auf die grosse Sand-Banck zu ihm kommen möchten, indem er in eigener Person mit ihnen Sprache zu halten gewillet sey, und dieserwegen ihnen auf Treu und Glauben alle vollkommene Sicherheit wegen ihrer Ehre und Lebens verspräche, wie er denn auch nicht mehr, als 3. Personen zu seiner Bedeckung mit sich bringen würde, und zwar, allen bösen Verdacht zu vermeiden, ohne alles tödliche Gewehr: Hiernächst wäre er gesonnen, nach Kriegs-Gebrauch, Geisseln mit uns zu vertauschen, indem er 3. von seinen vornehmsten Officiers in unsere Verwahrung liefern wolte, wenn wir ihm dargegen 3. Mann von unsern Aeltesten oder Befehlshabern auf sein Schiff hinüber zu schicken uns entschliessen könten, als welche er keinesweges wie Gefangene, [295] sondern als gute Freunde und Bruder halten, und nach seinem allerbesten Vermögen aufs herrlichste und kostbarste wolte verpflegen lassen.

Nachdem ich, der ich unten am Fusse unsers Felsens mit einigen guten Freunden spatziren herum gegangen war, und das mündliche Compliment des Trompeters angenommen hatte, (welches unser Feind ihm in den Mund gelegt) muste ich in meinem Gedancken die Geschicklichkeit und sonsten überaus artige Person dieses Trompeters bewundern, weßwegen seinem Principal eben nicht zu verargen war, daß er ihm unter seiner eigenen Hand und Siegel ein Blanquet, ohngefehr in folgenden Worten mitgegeben:


Diesem meinem Leib-Trompeter und Vorzeigern dieses Schreibens ist in allen Stücken und in allen seinen Worten ein vollkommener Glaube beyzumessen, eben als ob ich dieselben selbst aus meinem eigenen Munde gesprochen hätte, und zwar Cavalier-Parole etc.

Don Juan de Silves.


Der Mons. Trompeter aber bekam gestallten Sachen nach vor diesesmahl nichts weiter zur Antwort, als daß sein Principal Morgen, so gleich mit dem Aufgange der Sonne, Antwort haben solte.

Nunmehro war bey uns abermahls guter Rath theuer, derowegen brachten wir die gantze darauf folgende Nacht zu, diesen zu finden. Endlich wurde beschlossen, uns auf alle Fälle in behörige [296] Ordnung zu setzen, worauf denn Mons. Wolfgang, Mons de Blac und ich abermahls fort musten, um das Wort zu führen; Hierbey aber wurden uns 3. Personen von den Aeltesten mit hinzu gegeben, weilen wir uns wiedrigenfalls weigerten, vom Flecke zu gehen, indem man ja nicht verlangen könte, daß wir 3. Einkömmlinge uns allein allen Gefährlichkeiten unterwerffen, und so zu sagen, unsere Seele in der blossen Hand tragen solten, zumahlen, da unsere Leibes-Wunden, die wir in dem letztern Treffen empfangen, noch kaum zur Helffte geheilet wären etc.

Diese Vorstellungen, welche von uns dreyen mit redlichem und aufrichtigem Hertzen und Munde geschahen, erreichten ihren Zweck in allen Felsenburgischen Gemüthern, so viel auch deren nur immer um und neben uns waren, welches die Liebes-Thränen, die so wohl von den Aeltesten, als Jüngern vergossen wurden, klärlich bezeugeten. Demnach gieng mit anbrechenden Tage die Reise fort, da wir denn den Don Juan bereits mit sein je schwachen Begleitung auf der grösten Sand-Banck angeländet erblickten, und gewahr wurden, daß sie bey einem angemachten Feuer auf ausgebreiteten Teppichen ein Schälchen Caffée truncken, indem die Sonne eben im Aufgange begriffen war. Ehe ich weiter rede, will ich vorerst noch dieses melden, daß uns dreyen Deputirten, als nemlich Herr Wolffgangen, Mons. de Blac und mir, nicht nur von dem Regenten, sondern auch von den Aeltesten und Vorstehern unserer Gemeinden, eine schrifftliche vielfach unterschriebene [297] und besiegelte ausführlich und deutliche Vollmacht mitgegeben, und in derselben gemeldet wurde, daß alles NB was wir 3. schliessen, verabreden und handeln würden, eben so gut verabredet, erkannt und geschlossen zu seyn gehalten und geachtet werden solte, als ob alle Felsenburgischen Einwohner, vom Aeltesten bis zum Jüngsten, und vom Grösten bis zum Kleinesten, selbst zugegen wären, und vor ihre Wohlfahrt redeten, welche sie vor diesesmahl blos allein, nechst dem Vertrauen auf göttlichen Schutz und Hülffe, unserer Treue, Redlichkeit, Klugheit und Erfahrenheit gäntzlich anheim gestellet hätten.

Hierbey muß ich den geheimen besondern Haupt-Punct zu melden nicht vergessen: wie nemlich uns auch dieser delicate Punct einzugehen erlaubt war, den Don Juan mit so viel Begleitern, als uns etwa nicht gar allzu nachtheilig scheinen möchte, auf die Insul herauf zu führen; alldieweilen wir uns eben kein besonderes Bedencken dabey nehmen durfften, weilen uns die Portugiesen jedennoch nicht mit Gewalt verderben könten, und wenn sie auch mit der allerstärcksten Flotte gegen uns überlägen, denn wir hätten ja die klaren Exempel davon nunmehro schon zur Gnüge erfahren. Ich meines Theils hatte das allerwenigste hierwider einzuwenden, zumahlen, da ich an allen meinen Fingern abzählen konte, daß eine ungewöhnlich stärckere Macht darzu erfordert würde, die Insul Groß-Felsenburg mit Gewalt der Waffen einzunehmen. Um aber in der Geschichts-Erzählung ohne fernern Umschweiff fortzufahren, so [298] muß versichern, daß, so bald wir bey der Sand-Banck angeländet, uns der Don Juan also gleich, nachdem er von den Teppichen aufgesprungen war, ohne Begleitung nur eines eintzigen Dieners entgegen gegangen, erstlich Herrn Wolffgangen, hernach die andern mitgekommenen Felsenburger aufs allerfreundlichste umarmete, und bat, ihn bey jetzigen Umständen nicht zu verschmähen, sondern ein Schälchen Caffée, vor das Nüchterne mit ihm zu trincken, und zwar auf dem Sande. Wir liessen uns eben nicht lange nöthigen, indem wir befürchteten, daß er es sonsten übel nehmen, oder aber gar einen unbilligen Verdacht auf uns legen möchte; demnach truncken wir ein jeder etliche Schälchen bey einer Pfeiffe Toback, nachhero aber nach Belieben auch einige Gläsergen des allerbesten Frantz-Brandteweins, da denn Don Juan de Silves mit lächelndem Munde zu sagen anfieng: Meine Herren! ich habe eure Conduite von vielen See-Fahrern rühmen hören, allein, das hätte ich mir fast nicht träumen lassen, daß ihr mein letzteres an euch abgeschicktes Commando dergestalt feindseelig abgefertiget, wie mir denn dieserwegen die Grillen noch im Kopffe herum gehen, zumahlen, da euch seithero, kein ordentlicher Streit oder Krieg angekündiget worden, sondern wir sind ja nur zu euch gekommen, als gute Freunde und Brüder, in Hoffnung dessen, daß ihr die Ober-Herrschafft und den Schutz meines Königs annehmen würdet; so aber fangt ihr den Krieg unbedachtsamer Weise von euch selbsten an.

[299] Keineswegs, mon Patron! (gab hierauf Herr Wolffgang zur Antwort) haben wir Streit und Krieg von uns selber angefangen, denn wir sind ein friedliebendes Völcklein; da aber wider alles Vermuthen und Verhoffen unter unsere Leute, die uns gefolgt waren, um nur zu sehen, wo wir hin wolten, und wie es uns etwa gehen möchte, so gleich Feuer gegeben wurde, als wie unter die Hunde, so haben dieselben auch einiger Massen ihre Hertzhafftigkeit gezeigt, welche dieserwegen zu bedauren, weilen sie den Ihrigen in etwas zum Schaden mag gereicht seyn. Ich kan ihnen (redete Herr Wolffgang weiter) heilig versichern, daß unsere Felsenburger, ohngeachtet sie von Jugend auf, so zu sagen, gantz einfältig auferzogen worden, dennoch Hertzen in ihren Cörpern haben, wie die Löwen und Tyger, inmassen sie sich blos auf GOtt, ihre gerechte Sache, gutes Gewissen und sonsten angebohrne natürliche Freyheit verlassen, anbey sich eher auf der Stelle tod schlagen liessen, als nur einen Fuß zurücke zöhen, um den Schein von sich zu geben, als ob sie ihren Feinden nachgeben oder weichen wolten. Ich will hiervon weiter nicht viel Redens machen, damit es nicht etwa als eine bey gewissen Völckern gebräuchliche Rodomontade oder Prahlerey heraus kommen möchte.

Der Himmel ist mein Zeuge, (versetzte auf dieses Don Juan de Silves,) daß ich meinen Leuten nicht mit dem geringsten Worte Befehl gegeben, Feindseligkeiten zu gebrauchen, geschweige denn mit dem Feuer-geben den Anfang zu machen, da aber die Anführer derselben bereits an ihren [300] Wunden gestorben sind, als kan ich sie weiter nicht dieserhalb zur Rede setzen.

Hierwider haben wir (war meine Gegen-Rede) gantz und gar nichts einzuwenden, allein, was solte denn aber das darauf erfolgende hefftige Bombardiren und Canoniren wohl etwa zu bedeuten haben? vielleicht uns Felsenburgern etwa ein besonderes Schrecken einzujagen, oder uns sonsten in Verzweiffelung zu bringen? wenn dieses ihre Gedancken gewesen sind, so haben sie sich gantz entsetzlich geirret, denn wir sind bis auf diese Stunde noch nicht anders gesinnet, als eine gewisse Art einer noch jetzoflorirenden Nation, welche sich vor nichts hefftiger, als vor dem Einfall des Himmels zu fürchten pflegt, auser dem aber die übrigen Feinde und Verfolger, zum Theil, en bagatell tractiret. Uns dauret nichts, meine Herren! (so redete ich weiter) als die hefftige Mühe und Arbeit, die sie angewendet haben, uns zumbombardiren und zu canoniren, ausgenommen noch, das viele Pulver, welches sie vergeblicher Weise verschossen und verplatzt haben. Wir haben zwar auch gegen sie viel Pulver verschossen und verplatzt, sonderlich bey den Feuerwerckergen, die unsere lustigen Knaben und Junggesellen zuweilen gespielet, allein, dieses ist unser allergeringster Schade, da wir des Schieß-Pulvers fast so viel haben, als des Sandes am Meere, und je mehrern Abgang, um so viel desto grössern Zuwachs desselben verspüren.

Don Juan nebst den Seinigen horchte hoch auf, da sie mich also reden höreten, unterdessen aber, da wir mit einander auf der Sand-Banck [301] herumspazieren giengen, hatte er Befehl gegeben, etwas zu einer guten Mahlzeit dienliches von seinem Schiffe herüber zu bringen. Ob nun schon dieses alles mehrentheils in kalter Küche bestund, so kam es doch unsern hungrigen Magens eben annoch zu rechter Zeit, zumahlen, da etliche Fäßlein des besten Canari-Sects zugleich mitkamen, und wir uns an demselben hertzlich labeten; worbey sich Don Juan dergestalt freundlich, lustig und aufgeräumt aufführete, als wenn er Zeit seines Lebens nichts feindseeliges gegen uns verhängen, vielweniger eine, und zwar die allererste Bombe auf die Insul Groß-Felsenburg werffen lassen.

Nachhero, da wir uns wieder nach orientalischer Art auf die Teppiche niedergelassen, gieng der Freuden-Becher unter einem friedlich-jedoch auch ernsthafften Gespräche dergestalt hurtig herum, daß die Nacht darüber eingebrochen war, ehe wir uns deren vermutheten; Jedoch Don Juan, der sehr lustig und aufgeräumt zu seyn schien, wolte uns wegen der Gefahr eines gekommenen Sturm-Windes nicht von sich lassen, sondern bat, was er bitten konte, nur erstlich den Tag abzuwarten, und vor allen andern Dingen blos seine Person nebst zweyen Bedienten, oder wenigstens einem, auf unsere Insul mitzunehmen, da er denn seiner Religion nach, bey GOtt und allen seinen Heiligen, Ertz- und andern Engeln etc. unter freuem Himmel mit aufgereckter rechter Hand, einen freywilligen so genannten leiblichen Eydschwur that, nicht zu uns zu kommen, als ein Feind oder Spion, sondern als ein aufrichtiger, ehrlicher, guter [302] Freund, der uns und die Unserigen gern möchte besser kennen lernen, anbey verspräche, daß er von jetziger Stunde an, so wohl bey Sr. Majestät, dem Könige in Portugall, als sonsten, so viel als nemlich in seinem Vermögen stünde, unser Bestes und zu unserer Wohlfahrt gereichendes suchen wolle, und dieses blos allein zur Vertilgung und Vergessung des Schreckens, welches er uns auf Anstifften ungetreuer Leute, die ihn schändlicher Weise hintergangen und betrogen hätten, zuzufügen gemeynet gewesen. Wie nun solcher Gestalt derDon Juan sich mit Worten und theuren Versicherungen über alle Massen aufrichtig gezeuger, als wurden nach einer kurtzen fernern Verabredung die Geisseln unter beyden streitigen Parthien gewechselt, da denn 3. von unsern Alt-Vätern mit ihren grauen Bärtern hinüber auf sein Schiff, an Statt derselben aber 3. seiner vornehmsten Officiers von dannen zu uns zurück gebracht wurden, worauf wir so gleich die Reise mit den Don Juan, zweyen seiner Bedienten und den jetzt gemeldten 3. Officiers, als so genannten Geisseln, antraten.

So bald wir am Fusse des Felsens angeländet und ausgestiegen waren, sagte Don Juan: Nun so gönnet mir doch einmahl die Lust, meine Freunde! zu erfahren, ob ich von mir selbst den Eintritt oder den Aufgang auf eure Insul finden kan. Wir musten aber hertzlich lachen, da er die allergefährlichsten Fußsteige, auf welchen gantz und gar nicht fortzukommen, wohl aber man mit leichter Mühe Hals und Beine brechen konte, zwar sehr behutsam suchte, jedoch jederzeit gewahr werden [303] muste, daß seine Mühe vergeblich zu seyn schien. Unterdessen war er mehr als 10. bis 12. mahl vor dem so genannten Wolffgangischen Wasserfalle hin und her vorbey spatzirt, da aber die Fluth eben im allerwildesten Falle und Sturtze da heraus gerauschet kam, als schien es ihm freylich wohl unmöglich zu seyn, sich darauf zu besinnen, daß eben dieses die Haupt-Pforte wäre, derowegen gaben wir unsern auf den Höhen stehenden Schildwächtern das gewöhnliche Zeichen, die Schleusen zu mithin den Gang trocken zu machen, welches in gröster Geschwindigkeit geschahe, da wir denn alle trockenes Fusses hinauf spatzirten, den Don Juan aber, welchen wir nebst den Seinigen zwischen uns hatten, in die allergröste Bestürtzung und Verwirrung gerathen sahen, woraus sie sich nicht ehe recht wieder erholeten, bis wir sie oben an das Tages-Licht und auf das Land brachten. Wir traffen gleich oben 3. leichte Chaisen an, deren jede mit 6. der allergrösten, jedoch ungemein zahm gemachten Hirschen bespannet war, worein sich die mitgebrachten Fremden setzten, und auser diesen waren unsere Freunde noch mit einigen andernChaisen herbey gerückt, die aber nur mit wohlgewachsenen Pferden bespannet, worein sie uns nahmen, und also nach einer kurtzen Verweilung mit uns auf die Alberts-Burg zufuhren, allwo auf dem grossen Saale Don Juan, wie auch seine bey sich habendenOfficiers, so gleich vor den Regenten und die Aeltesten zum Gehör gebracht wurden, und viele Zeichen einer gantz besondern Bewunderung von sich blicken liessen. Sie wurden nachhero [304] aufs allerkostbarste von uns mit Speisen und Geträncke bewirthet, auch wurden ihnen die vornehmsten und zierlichsten Zimmer zu ihrer Bequemlichkeit eingeräumet, anbey die Erlaubniß gegeben, alles auf unserer Insul in Augenschein zu nehmen, als womit sie denn einige Tage zubrachten, und wie sie selbsten sagten, sich fast nicht satt sehen könten, weilen sie sich dergleichen Anstalten und Verfassungen nimmermehr hätten träumen lassen, so wie sie dieselben nemlich auf der von aussen so rauhe scheinenden Felsen-Insul angetroffen hätten.

Es war gewiß so wohl auf unserer, als der Portugiesen Seite ein merckwürdiges Exempel zu nehmen, wie veränderlich die Hertzen und Gemüther der sterblichen Menschen sich in einen und anderen Begebenheiten, sonderlich aber Glücks- und Unglücks-Fällen aufzuführen oder zu verhalten pflegen: Denn diejenigen, welche wir kurtze Zeit vorhero vor unsere abgesagten Tod-Feinde gehalten, ihnen auch dergestalt, wie man zu sagen pflegt, Spinnenfeind gewesen, so daß wir sie nur immer alle Augenblicke anspeyen mögen; eben diese wurden nunmehro von uns aufs allerliebreichste und freundlichste tractiret, nicht anders, als ob sie schon lange Zeit unsere guten Freunde gewesen, sondern auch immerfort bey uns zu bleiben, sich möchten gefallen lassen. Anderer Seits gab derDon Juan sich in so weit blos: Meine Herren und Freunde! ich schwöre zu GOtt, daß ich allhier in diesem kleinem Stückgen des Erd-Kreyses angetroffen habe, was vielleicht in der gantzen Welt im so kurtzen Begriff aller Annehmlichkeiten nicht zu [305] finden und anzutreffen ist. Ich vor meine Person müste mir das gröste Gewissen daraus machen, wenn ich zugeben solte, daß man euch ferner beunruhigte. Nein! ich halte vielmehr davor, daß man alles dieses, was wir gehöret und gesehen haben, vorhero Sr. Portugiesischen Majestät aufs allergenaueste vortragen müsse, als welche keinen weltlichen Fürsten über sich haben, der die Gerechtigkeit mehr lieben solte, wie jetzt gemeldete Sr. Königl. Majestät. Wie gesagt, von mir und den Meinigen sollet ihr und die Eurigen nicht im allergeringsten mehr beunruhiget werden, bis auf Ihro Majestät fernerweitige allergnädigste Verordnung. Anbey wolte euch wohl den treuhertzigen Rath geben, eine Deputation von euren Leuten an Sr. König Majestät abzuschicken, um euren Zustand selbsten vorzustellen; Inzwischen, da ich sehe, höre und weiß, daß ihr einen starcken Uberfluß an Lebens-Mitteln und Schieß-Pulver habt, so will euch angesprochen haben, uns eine zulängliche Menge desselben vor billigmäßige baare Bezahlung zu überlassen. Dieses wurde demDon Juan so gleich versprochen, und zwar, so viel wir uns nur dessen zu entrathen getraueten, gantz ohne Geld, weilen, wie sie wahrgenommen, wir auf unserer Insul keinen Handel noch Wandel trieben, mithin auch kein Geld vonnöthen hätten. Im übrigen wurden auch die im Lazarethe auf der Insul Klein-Felsenburg aufs frische und neue mit fast überflüßigen Lebens-Mitteln besorgt, ja die Herren Portugiesen wusten ihre Schiffe dergestalt voll zu pfropffen, daß, so zu sagen, fast kein Ey mehr [306] Raum darinnen haben konte. So wurden auch die 2. Gefangenen, welche gleich anfänglich fast den Hals, als Spions gebrochen, jedoch wieder curirt waren, wieder zurück gegeben, der dritte aber, welcher von dem Davids-Raumer Schildwächter war erschossen worden, blieb an der Mauer unsers GOttes-Ackers ungestöhrt begraben liegen.

So bald demnach die Herren Portugiesen empfangen, was sie verlangt hatten, wurden auch die beyderseitigen bisherigen Geisseln wieder gegen einander ausgewechselt, da wir denn unsere lieben Alt-Väter mit so viel desto grössern Freuden auf unserer Insul zurück bewillkommeten, als wir sahen, daß alle Portugiesen sich immer alle nach Gerade auf ihre Schiffe begaben, da sie uns denn melden liessen, wie sie nur auf den ersten favorablen Wind warteten, um ohne längeres Verweilen unter Seegel zu gehen, derowegen sich unsere Deputirten auch aufs eiligste fertig machen möchten, wenn sie annoch gesonnen wären, mit nach Europa an den Königlichen Hof in ihrer Gesellschafft mit zu reisen; Allein dem Trompeter, welcher dieses Einladungs-Compliment brachte, wurde zur Antwort gegeben: daß wir dem Don Juan de Silves und seinem Geleite eine glückliche Reise wünscheten, weiln sich aber unsere Deputirten noch nicht in der Verfassung befänden, vor dißmahl mit ihnen zu reisen; wir auch einer und anderer Ursachen wegen uns noch ein besonderes Bedencken nähmen, dieserhalb zu übereilen, als möchten sie nur unter dem Geleite des Himmels voraus seegeln, weil ihnen die Unserigen zu rechter Zeit [307] auf zweyen leichten Schiffen nachfolgen solten, auch sie vielleicht einholen könten, ehe sie den Europæischen Grund und Boden erreichten.

Es mochte wohl denen guten Hrn. Portugiesen einiger Massen verdriessen, daß wir sie, so zu sagen, bis auf die letzte Stunde, unserer Deputirten wegen, bey der Nase herum geführet: Allein, was war daraus zu machen? zumahlen, da es eine unverbotene Sache ist, so wohl List mit List, als Gewalt mit Gewalt zu vertreiben. Unterdessen flanquirten sie noch einige Tage um die Gegend der Sand-Bäncke herum, da wir aber weiter nichts mehr mit ihnen zu schaffen hatten, auch ferner keine Antwort von uns geben wolten, und wenn sie auch alle Tage 15. Trompeter an uns schickten, so beobachten wir ihr Hin- und Herweddeln noch einige Tage in ruhiger Gelassenheit, ohne auf unserer Insul einen Laut von uns zu geben. Jedoch es trug sich bald hernach eines Morgens bey Aufgang der Sonnen auch etwas zu, wovon uns in der abgewichenen Nacht nichts geträumet hatte, denn es stelleten sich zwey Kriegs-Schiffe dem dritten, als des Don Juans Haupt-Schiffe in behöriger Weite entgegen, und fiengen dergestalt auf dasselbe zu canoniren an, daß man bald gewahr wurde, wie dieses kein Schertz, sondern desDon Juans Schiff sich in der grösten Noth befände, zu sincken, und dieses hefftige Canoniren währete bis die Nacht einzubrechen begunte, als wir aber bey aufgehender Sonne, nemlich des nächst darauf folgenden Tages uns abermahls nach den Portugiesischen Schiffen umsahen, so [308] waren dieselben insgesamt in der ausserordentlich stockfinstern Nacht verschwunden, so daß man auch nicht einmahl einen Span-Holtzes mehr auf der See herum treiben sahe. Wir wusten, wie gesagt, uns anfänglich keine Vorstellung in unsern Gedancken zu machen, was dieses zu bedeuten hätte, ob es ein bloses Gauckel-Spiel, oder Spiegelfechten wäre? oder, ob etwan die Portugiesen von einer Barbarischen, oder andern Nation im Ernste angegriffen, und zum Welchen gezwungen worden? Allein, kurtz: hier halff kein Kopffzerbrechens, und ihnen etwa ein leichtes Jagd-Schiff nachzusenden, um zu erfahren, wo sie hin gekommen wären, schiene eben kein Rath zu seyn, ohngeachtet sich, sonderlich von unseren tapfferen mannbaren Junggesellen verschiedene Wage-Hälse angaben, die nur Wunderswegen wissen möchten, wo sie geblieben wären, und ob sie sich etwa noch in den nähesten Gewässern aufhielten; so wolten wir es ihnen dennoch nicht zugeben, indem wir alle eine recht hertzliche Freude darüber hatten, daß unsere Feinde entwischet waren, wie die Katzen von den Tauben-Schlägen. Einmahl vor allemahl, da sie fort und hinweg waren, wünschten wir ihnen zwar Glück auf die Reise, ihre Personen aber sobald nicht wider zu sehen; Jedoch, was den Don Juan anbelanget, so hatte seine wohlgeartete Aufführung ihm, ohngeachtet er uns anfänglich zu verderben schien, dennoch bey den Felsenburgern ein ziemlich gutes Lob zurücke gelassen; Ja, ich kan sagen, daß der ziemlich starcke Vorrath an Lebens-Mitteln und andern Bedürffnissen, welche wir [309] den Portugiesen zukommen lassen, und zwar ohne die geringste Bezahlung, dennoch ihnen, als fast zu sagen ihren Feinden nicht einmahl mißgegönnet wurde, sondern etliche unserer Leute pflegten zu sagen: Lasset diese Hunger-Därme alle Jahr zweymahl kommen, und gebet ihnen so viel, daß sie die Rachen füllen können, nur aber sollen sie kein vergebliches Lerm machen, kein unschuldiges Blut vergiessen keine frommen und redlichen Leute tod machen, und uns nebst unsern Kindern in die Sclaverey zu bringen drohen. Wo nicht? so wollen wir bald die Oerter suchen, wo der Gifft begraben liegt, und ihnen an Statt der Lebens-Mittel Gifft geben etc. Diese und dergleichen Redens-Arten flossen aus vielen mißvergnügten Hertzen, sonderlich der Weiber und schon ziemlich verständigen Kinder, welche wir aber mit lachendem Muthe auf bessere Gedancken zu bringen suchten, indem wir ihnen vorstelleten, daß unsere Feinde so bald wohl nicht wiederkommen möchten, weilen sie es vieleicht sich selbst vor eine Grobheit auslegen dürfften, wenn sie einem gutwilligen Wirthe gar zu offt Ungelegenheit machten.

Nunmehro aber, da aller Krieg und Kriegs-Geschrey vorbey war, machte sich ein jeder nach vollbrachtem Gottesdienste wieder an seine ordentliche Arbeit, hauptsächlich aber die annoch in Stroh und Hülsen befindlichen Feld-Früchte, als Reiß und andere Sorten von Geträyde, zu gute zu bringen, um nicht allein den Abgang in unsern eigenen Wirthschafften, sondern vornemlich auch den Mangel in denen ziemlich ausgeleerten Magazinen [310] wieder zu ersetzen, und anbey zu bringen, was verlohren gegangen war; da denn Alt und Jung, Groß und Klein alle Kräffte daran streckten, so daß wir binnen weniger Zeit fast gantz und gar im geringsten nicht spüreten, was Massen wir so viele hungerige Gäste gehabt, die ein weit mehrers mit sich fort geschleppt, als sie bey uns verzehret hätten. Demnach gab sich das Volck vollends auf einmahl zufrieden.

Eines Abends aber, da ich mit andern bey mir befindlichen guten Freunden die Höhen und Wacht-Posten von Alberts- und Davids-Raum, auch noch weiter hin nach West- und West-Süden zu, visitirte, wurden wir auf der Insul Klein-Felsenburg ein sehr grosses, ziemlich starck und helle brennendes Feuer gewahr, dessen Flammen und Rauch einmahl über das andere bey damahligen stillem Wetter bis zu den Wolcken gen Himmel in die Höhe stiegen, und sich durch einander herschlugen, so, daß es zum öfftern gantz fürchterlich anzusehen war. Wie ich nun dieses abermahls vor etwas besonders neues erkannte, so sagten einige Schild-Wächter, daß dieses gantz und gar nichts neues wäre, indem sie dieses Feuer, seit dem Abzuge der Portugiesen, bey dunckeln Nächten schon zu mehrern mahlen gesehen, weilen sie aber davor gehalten, als ob sich etwa Schwefel- oder Salpeter-Löcher aufgethan, und von selbst entzündet hätten, so wäre es von ihnen nicht gewürdiget worden, selbiges anzuzeigen, um damit nicht etwa unsern Einwohnern ein vergebliches Schrecken zu verursachen, als welche ohne dem bishero Schrecken [311] und Verdruß genug gehabt. Ein eintziger aber unter den Schild-Wächtern sagte dennoch, wie ihm die Sache einiger Massen verdächtig vorkäme, indem er von Natur unter andern 100. ja 1000. Menschen ein solches scharffes Gesicht hätte, daß er sonderlich bey der allerdunckelsten Nacht, ohne Fern-Glas, oder Perspectiv, so helle sehen könte, wie man zu sagen pflegte, als ein Luchs; und derowegen wäre ihm nicht einmahl, sondern etliche mahl vor seine Augen gekommen, wie einige Personen um das Feuer herum wandelten, als ob sie mit einander redeten, es möchten nun Geister oder Gespenster seyn, darum wolle er sich eben nicht so sehr bekümmern. Indem wir nun so bey ihm stunden, und seinen Reden zuhöreten, versicherte er, bey seinem guten Gewissen, daß er wenigstens 4. bis 5. Personen um das Feuer herum spazieren sähe, da sich denn bald einige funden, die ihm Beyfall gaben, die gantze Sache aber vor ein blosses Schatten-Spiel hielten, welches durch das Feuer und den Rauch verursacht würde.

Dem mochte nun aber seyn, wie ihm wolte, so brachte mir dieses Gesichte eine schlaflose Nacht zu Wege, und ich beschloß bey mir, ehe in kein Bette zu kommen, oder geruhig zu schlaffen, bis ich in Klein-Felsenburg auf der Stelle gewesen, wo wir ohngefehr das grosse Feuer brennen sehen, welches denn auch bis gegen Anbruch des Tages fort brannte und rauchte. So bald viele von meinen besten Freunden, und über dieses etliche 30. hertzhaffte Junggesellen, oder, so zu sagen, Wage-Hälse meinen Vorsatz und Entschluß vernommen, [312] versammleten sie sich gleich um mich herum wie die Bienen, und verlangten mit hinüber zu fahren, da denn gleich mit Aufgang der Sonnen, 2. der besten und schönsten Boote in allergröster Geschwindigkeit zu rechte gemacht und ausgerüstet wurden; wobey wir alle unser Oder- und Unter-Gewehr nebst Pulver und Bley, auch Lebens-Mitteln, so viel wir nur in so hefftiger Eile finden konten, mit uns nahmen, und also fortruderten, auch noch Vormittags auf Klein-Felsenburg anlandeten.

Nachdem wir in der ordentlichen Bay angelanget und ans Land gestiegen, erfanden wir nach Verlauf etwa einer halben Stunde sogleich den Platz, allwo das beschriebene Feuer noch beständig fort brannte, jedoch zu unserm ersten Schrecken erblickten wir schon von ferne, daß 4. Personen darbey sassen, welche jedoch, so bald sie uns mit Gewehr auf sich zukommen sahen, augenblicklich aufsprungen, und uns auf Händen und Füssen, über die 50. Schritte daher, entgegen gekrochen kamen. Da wir dieselben nun so gleich vor Portugiesen erkannten, und zwar vor einige dererjenigen, welche schon eine Zeit daher in unserm so genannten Lazarethe gelegen hatten, so nahmen wir unsere Flinten verdeckt unter den lincken Arm, mit der rechten Hand aber winckten wir ihnen, näher zu kommen. Worauf sie auf ihre Füsse traten, und flehentlich baten, ihres Lebens zu verschonen, weilen sie vor die vielfältige genossene Gnade, Güte und Barmhertzigkeit, welche wir ihnen erzeigt hätten, weder uns noch den Unserigen, so wie [313] ihre unerkänntlichen Lands-Leute, auch nicht den allergeringsten Schaden jemahls zugefügt, ja weder Flinten noch Pistolen gegen uns losgebrannt hätten. Das kan seyn, meine Freunde! aber auch nicht seyn (gab ich ihnen hierauf zur Antwort) dem sey aber, wie ihm wolle, so will ich doch nur fragen, wer euch den Befehl oder die Erlaubniß gegeben hat, auf dieser Insul zu bleiben, da ihr doch curiret, und gesunde Leute seyd, die ihren Lands-Leuten wohl hätten folgen können. Auf diese meine Rede gab mir ein gantz seiner sehr vernünfftig scheinender Mensch, welcher eine Sergeanten-Stelle bekleidet, so viel zur Antwort: Mein großgünstiger Herr und Gönner! ich bemercke, daß dieselben in einer irrigen Meynung stehen, indem sie etwa glauben, wir wären entweder aus eigenem Antriebe zurück gebliebene faule Leute, um vielleicht noch fernerweit gute Bissen und Bequemlichkeit zu geniessen; oder sie haben wohl auch die Gedancken von uns, daß wir Spions, Land- und Leute- Verräther oder Spitzbuben wären, so, wie einige andere von unserer Nation sich aufgeführet, und demnach ungestrafft darvon gekommen sind. Woferne dieselben diesen letztern Glauben oder Meynung von uns hegen solten, so sind wir alle 4. Mann erbötig, gleich nieder zu knien, und eine Kugel entweder durch den Kopff, oder durch das Hertz von ihnen zu erwarten, denn unser 5ter Camerad ist von uns gegangen, um etwa eine oder ein paar wilde Ziegen zu schiessen, von mehrern Menschen oder wissen wir auf dieser kleinen Insul weiter nichts.

[314] Ich redete ihm nochmahls in sein Gewissen, uns ja nicht etwa zu betrügen, oder Lügen vorzuschwatzen, wiedrigenfalls aber, da wir gewahr würden, daß ein Hinterhalt auf uns lauren möchte, er der erste seyn müste, den wir ins Reich der Todten schickten. Indem kam ihr 5ter Camerad, und brachte 2. wilde Ziegen, die er geschossen hatte, hinter sich hergeschleppt, ließ aber dieselben gleich auf derselben Stelle, wo er stund, liegen, und legte seine Flinte darneben, kam darauf, und kniete ebenfalls auch neben seine 4. Cameraden nieder; allein, wir konten dieses gar nicht lange ansehen, sondern reichten ihnen die Hände, und hiessen sie von der Erden aufstehen, hergegen zwischen uns auf etliche zugehauene Bau-Stücke niedersetzen, anbey aber uns zu berichten, was es nicht allein mit ihren 5 Personen, sondern auch mit dem Verwunderungswürdigen Abzuge ihrer Lands-Leute vor eine Beschaffenheit hätte?

Hierauf fieng erstgemeldter Sergeant, nachdem wir uns alle in ordentlicher Gestalt um ihn herum gesetzt, seine Reden recht mit Bedacht zu vernehmen, also an: Wenn Don Juan de Silves gewust hätte, daß diejenigen Officiers von unsern Leuten, welche er mit sich auf die Insul Groß-Felsenburg nahm, um dieselbe zu besichtigen, seine heimlichen abgesagten, so zu sagen, fast geschwornen Tod-Feinde waren, würde er ihnen wohl nicht leicht vergönnet haben, auf diese jetzt bemeldte Insul zu kommen; Ja, ich sage nochmahls, wenn Don Juan dieses gewust hätte, so wohl als die allermeisten von seinen Untergebenen, so lebte [315] er vielleicht noch jetzo. Was? (rief ich nicht allein dem Sergeanten, sondern auch seinen Leuten recht im Schrecken entgegen) ist Don Juan todt? Nicht anders, mein Herr! (antwortete der Sergeant) und sein Cörper liegt kaum 2. bis 300. Schritte von dieser Stätte, worauf wir jetzo sitzen, begraben, wie aber dieses zugegangen, will ihnen vorjetzo bis auf eine andere Zeit nur in aller Kürtze zu wissen thun. So bald als unser Trompeter von den Felsenburgern die Antwort zurück gebracht: welcher Gestalt sie sich anders resolvirt, ihre Deputirten nicht mit uns fortschicken, sondern dieselben bis auf eine andere Zeit und Gelegenheit annoch zurück behalten, nachhero schon mit eigenen Schiffen nach Europa senden wolten, und wie die Worte etwa ferner lauten mochten etc. da sie uns, wie es denn genommen oder ausgelegt wurde, gantz spitziger und höhnischer Weise eine glückliche Abfahrt und Reise wünschten, auch vielleicht bald nachzukommen versprachen, und was dergleichen Redens-Arten mehr waren, die ich nicht alle von Wort zu Wort behalten können, sondern nur die Haupt-Sache, so den grösten Lerm verursachte.

Diesen Lermen machten hauptsächlich die aus der Insul mit gewesenen Officiers, indem sie die Commandeurs der andern 2. Kriegs-Schiffe unter dem Vorwande gegen den Don Juan aufwiegelten, daß alles dieses eine schändliche Verrätherey sey, die er mit den Felsenburgern abgedroschen, als zu deren Ober-Haupte, oder wenigstens Vice-Könige, er sich ohnfehlbar vor seine Person selbsten aufzuwerffen gesonnen, indem er sich zum öfftern [316] verlauten lassen, daß ihm diese Insul allein lieber seyn solte, als manches kleines Königreich, ingleichen bürdeten sie ihm auf, daß er sich mit dem wenigen Proviant und Schieß-Pulver abspeisen lassen, und nicht darauf gedrungen hätte, daß ihm die Felsenburger mehrere Kostbarkeiten an Gold, Silber, Perlen und dergleichen zinsen müssen, indem es schon längst durch verschiedene Spions verrathen worden, daß sie einen sehr starcken Vorrath von dergleichen Sachen im Vermögen hätten; doch würde er vielleicht die unschätzbaren Diamanten und andern edlen Gesteine, die sie ihm hie und da heimlich zugesteckt, wohl schwerlich zeigen. In Summa: es erhellete klärlich aus allen Umständen, daß Don Juan aus gewissen Absichten, die ihm vor seine eigene Person selbst etwa zum besondern Vortheil gereichen können, die Felsenburger begnadiget, und der Königlichen Ordre nicht behörig nachgelebt hätte, wiedrigenfalls man diese Insul wohl erobern können, und wenn dieselbe noch 10. mahl stärcker bevestiget und besetzt gewesen wäre.

So bald nun diese falschen Beschuldigungen demDon Juan zu Ohren kamen, ließ er die Commandeurs der andern beyden Kriegs-Schiffe, ingleichen alle übrigen vornehmen See-Officiers zu sich auf sein, als das Haupt-Schiff beruffen, um mit ihnen See- oder Schiffs-Rath zu halten, und sich sonderlich wegen der ihm aufgebürdeten schweren Verbrechen zu entschuldigen.

Seine Feinde und Verfolger kamen hierüber zusammen, und der hefftige Streit mit Worten währete viele Stunden, ja fast die gantze Nacht [317] hindurch, da dennDon Juan de Silves, welchem seine Feinde nichts erweißlich machen, vielweniger ihn mit Worten überwinden konten, ihre Degens auf ihn zogen, und diesen wackern Commandeur mit etliche 20. Wunden ermordeten, wie wir denn solche gantz eigentlich gezählet haben. So bald aber dieselben ihn tod sahen, und bemerckten, daß dieserwegen eine Rebellion auf seinem als dem Haupt-Schiffe entstehen, die sich vielleicht wohl weiter noch auf die andern Schiffe ausbreiten möchte, gaben sie so gleich Befehl als die andern beyden Schiffe, auf das Haupt-Schiff los zu canoniren, und solches, wo möglich, in den Grund zu bohren. Wie wir, als des Don Juans überbliebene Getreuen, dieses kaum pfeiffen hören, warffen sich unser 12. Mann in das gröste Boot, nahmen auch den verblichenen Cörper des Don Juan mit hinein, indem wir gesonnen waren, denselben auf einer der höchsten Sand-Bäncke zu begraben; Allein der Himmel fügte es gantz anders, indem unser Boot auf einer verborgenen Klippe umstürtzte, so daß von unsern Cameraden ihrer 7. ersoffen, mithin bey dem todten Cörper nicht mehr, als wir 5. Mann übrig blieben, worauf uns ein sanfter Wind, an statt, wie wir erstlich vermeyneten, nach den Sand-Bäncken zufuhr, und durch die Gnade und Barmhertzigkeit des Himmels, zwar wider alles unser Vermuthen, an das Ufer dieser Insul trieb. Als welche Insul wir denn mit den allergrösten Freuden so gleich erkañten, einen bequemen Ort zum Anländen fanden, und unsere Leiche, als des im Leben liebgewesenen Commandeurs, Don Juan de Silves, mit [318] ungemeiner Mühe und Arbeit zu Lande brachten, dieselbe nach Soldaten-Art ehrlich begruben, und einen grossen Stein-Hauffen auf das Grab machten, wie denn, meine Herren! selbiges sogleich nach ihrem Belieben in Augenschein nehmen können, auch, so es gefällig, den Cörper können ausgraben, und durch einen Chirurgum besichtigen lassen, denn es kan dieser Cörper, weilen er so nahe an der See, und zwar im schönsten kühlen Sande stehet, binnen so kurtzer Zeit nicht vermodert oder angefaulet seyn. Sonsten aber kan man den Don Juan de Silves an den 3. starcken Narben, die ihm, wie ihnen bekannt, von 3. wichtigen Verwundungen übrig geblieben, gar leicht erkennen, ausgenommen des grossen braunen Muttermahls, welches er an seinem lincken Backen hat. Dieses sage ich darum, wenn sie ja zweiffeln solten, daß dieses der rechte angegebene Cörper wäre. Sonsten aber möchten sich meine Herren vielleicht auch wohl darüber verwundern, wo nemlich wir 5. Personen 5. Flinten, so viel Palläsche, Bajonetts und dergleichen anderes Gewehr hergenommen hätten, da doch unsere 7. Cameraden ersoffen, und ihr Gewehr wohl nicht würden zurück gelassen haben; allein, wenn sie sich bemühen wollen, mit nach unserm Boote zu gehen, welches uns durch des Himmels Fügung anhero gebracht, so werden sie gleich finden, daß wir Recht haben: denn dieses ist eines von der besten Portugiesischen Art, da man in den hohlen Seiten-Wänden des Boots verschiedene Stücke, Ober und Unter-Gewehr, Pulver, Bley und dergleichen verbergen kan, wie wir denn von diesem allen einen noch höchst nothdürfftigen Vorrath haben; so werden [319] sie denn daraus ferner beobachten, daß alles dieses gantz natürlich zugehet.

Nunmehro (so redete der Sergeant ferner) bitten wir uns bey unsern Hochgebietenden Herren dero mächtigen Schutz aus, und zwar in Erwegung dessen, daß uns der Himmel so wunderbarer Weise wieder anhero auf diese ihnen zuständige Insul geführet hat. Auf ihre grosse Insul verlangen wir nicht einmahl unsere Füsse zu setzen, um des Verdachts entübriget zu seyn, als ob wir etwa Spions oder Landes-Verräther wären, als welches der Himmel wolte lassen ferne von uns seyn. Kurtz: wir sind froh, daß wir von unsern Landes-Leuten mit guter Manier abgekommen sind, weilen uns deren Lebens-Art selbsten nicht länger anständig ist, darum wollen wir uns eine geruhigere Le bens-Art erwählen, und um unsere Nahrungs-Mittel zu verdienen, lieber so lange arbeiten, bis uns der Tod der Arbeit entlediget. Unterdessen sind wir, wie sie sehen, alle noch gesunde, frische und starcke Leute, deren der Aelteste etwa von 53. der Jüngste aber von etliche 30. Jahren seyn. Wir sind alle geschickt zu Zubereitung des Holtzes, sonderlich dessen, was zum Schiff- und Häuser-Bau erfordert wird, ausser diesem können wir ja in den Saltz- und Ertz-Gebürgen arbeiten, wenn uns ja unsere Herren dasjenige Brod gönnen wollen, welches wir nicht etwa, so wie vorhero als Faulläntzer, sondern mit ihrer allermöglichsten Hand-Arbeit zu verdienen gedencken.

Meine Freunde! (gab ich ihnen hierauf zur Antwort) nehmet mir nicht übel, daß ich euch dessen, was diese letztere Sache anbelanget, keinen gründlichen[320] Entschluß ertheilen kan, indem ein solches unsern Aeltesten und Befehlshabern erstlich muß vorgetragen werden. So viel aber will ich euch versprechen, daß, wenn ihr GOtt fürchtet, getreu und redlich, keinesweges aber etwa verrätherisch oder tückisch an uns handelt, so könnet ihr arbeiten nach eurem eigenen Belieben, so viel als ihr vermeynet, was etwa zu desto besserer Erhaltung eurer Gesundheit möchte dienlich seyn. Unterdessen möget ihr auch arbeiten, oder gantz und gar nichts thun, als eurer Ruhe pflegen, so soll euch doch von Zeit zu Zeit, und zwar im Uberflusse, so viel an Kost und Wein zugeführet werden, daß ihr nicht zu klagen Ursache haben sollet. Auser dem habt ihr ja die schönsten grossen und auch kleinern Vögel, die wilden Ziegen und noch vielmehr gutes Wildpret, worbey wir uns aber ausbitten, so wohl das Roth- als Schwartz-Wildpret ein wenig behutsam zu tractiren, weiln wir unsre Freude daran haben. Hergegen werdet ihr auser denen grösten Schildkröten und andern Meer-Thieren, welche man nebst den allervortrefflichsten Fischen zur Speise gebraucht, den stärcksten Vorrath ohne besondere Mühe antreffen, und euch dieselben, der Veränderung der Speisen wegen, zu Nutze machen können. Hiernächst wollen wir euch allerhand Handwercks-Zeug, als grosse und kleinere Sägen, grosse und kleine Holtz-Aexte und Hand-Beile, ingleichen Hacken, Picken, Schauffeln, Spaden und dergleichen, so viel, als nöthig zu seyn scheinet, zuschicken, als wormit ihr euch eurer Bequemlichkeit nach, diese oder jene Bewegung zu Erhaltung der Gesundheit, nicht aber zur Schwächung [321] des Leibes machen könnet, denn dieses verlangen wir nicht, weiln wir keine Tagelöhner nöthig haben, sondern unsere selbst eigene Tagelöhner nach eines jeden Vermögen sind.

Nachdem nun diese guten Leute, welche bis dato noch alle lebendig, lustig und guter Dinge anzutreffen sind, diesen Vortrag von mir angehöret, schienen sie von Hertzen darüber erfreuet zu seyn, und wolten uns allen die Hände küssen, allein wir schenckten ihnen diese unnöthige Höflichkeit, liessen uns aber doch aus Neubegierde zu des Don Juans Grabmahle führen, wobey sie denn fragten: ob wir dasselbe wolten eröffnen lassen, um seinen Cörper in Augenschein zu nehmen? da sie sich denn mit etlichen mit Eisen beschlagenen Rudern so gleich darüber hermachen, und dasselbe aufgraben wolten; Allein wir sagten ihnen, daß dieses nur unterbleiben könte, indem wir ihrer Redlichkeit traueten, und den Cörper nicht in seiner Ruhe stöhren wolten. Hierauf lasen wir Felsenburger allen unsern noch bey uns habenden Proviant zusammen, worunter etliche Flaschen Wein befindlich, die sich einige durstige Seelen auf die Reise füllen lassen; wie aber unser eigener Hunger und Durst schon ziemlich gestillet war, und wir binnen wenig Stunden wieder in unsern Wohnungen zu seyn uns vorstelleten, so liessen wir alles dieses unsern neuangekommenen Gästen zurück, die sich denn, wie sie hernach sagten, eine sehr kostbare Abend-Mahlzeit davon zubereitet, welche sie aber nicht alle verzehren können, sondern noch sehr viel bis auf den andern Tag übrig behalten hätten.

[322] Demnach nahmen wir auf dißmahl Abschied von ihnen, nebst der Versicherung, daß wir als Ubermorgen gantz gewiß wieder zu ihnen kommen wolten, da sie uns denn in aller Frühe mit ihrem Boote bis an den Absatz unsers Felsens entgegen fahren könten. Und dieses war der Verlaß, wir aber kamen noch bey guter Zeit nach Hause, so, daß noch Zeit genug übrig war, vor Schlafen-gehen dem Regenten und einigen bey ihm versammleten Mit-Regenten einen ausführlichenRapport von unserer Reise und vorgefallenen Verrichtungen abzustatten.

Hier traf nun anfänglich wohl recht das gewöhnliche Sprüchwort ein: Laudatur ab his, culpatur ab illis; wie nemlich eine Sache zuweilen von diesem gelobt, von einem andern über getadelt oder verachtet wird; sonderlich muste sich zuerst der gute Eberhard Julius ziemlicher Massen durchhecheln lassen, daß er abermahls 5. neue Stipendiaten, oder wie man sie sonst anderer Orten zu nennen pflegt, Sanct Marx-Brüder gewonnen hatte. Jedoch, nachdem ich meinen Mund auch aufgethan, und mich in dieser meiner gerechten Sache bestmöglichst verantwortet hatte, auch meine mitgewesenē liebe Hn. Brüder u. guten Freunde aufs kräfftigste vor mich redeten, so wurde nach etwas genauerer Untersuchung der Sachen-Beschaffenheit mir zuvörderst und allen andern Mitgewesenen das Lob und der Ruhm beygelegt, daß wir unsere Dinge unvergleichlich wohl gemacht hätten, zur Straffe aber dessen, daß wir alles so wohl besorgt, solten wir auch fernerweit darauf bedacht seyn, daß uns diese [323] Leute nicht etwa mit der Zeit fatal werden, und wohl gar der Insul Groß-Felsenburg einen Stoß geben möchten etc. Hierbey wurde uns auch die Sorge vor ihre Verpflegung und alles dessen, was sonsten dabey vonnöthen seyn möchte, aufgetragen, damit man sehen könne, wie sich diese Leute (welche meine besten Freunde im Schertze nur die Eberhardische Colonie zu nennen pflegten) von Zeit zu Zeit anliessen. Sonsten hätte ich zur Vertheidigung dieser sehr redlich und aufrichtig scheinenden Leute, die, wie wir hernach erfuhren, nicht alle gebohrne Portugiesen waren, noch ein vieles beybringen können, unter welchen mir sonderlich derSergeant sehr wohl gefiel, als welcher sich vor einen gebohrnen Edelmann ausgab, und sich Don Francisco del Rio nennete, auch nebst dem Spanischen sehr gut Latein redete; allein, es erforderte eben die Noth noch nicht, daß ich sie zu frühzeitig lobte, weiln ich daß feste Vertrauen zu ihnen hatte, daß sie sich durch ihre gute Aufführung bald selbsten Lob und Ruhm erwerben würden. Demnach sorgte nur davor, ihnen mein Wort zu halten, und bestimmten Tages wieder bey ihnen zu seyn. Meine mitgereiseten lieben Brüder, Vettern und Freunde nahmen in der That grossen Theil an diesen meinen ohnbesonnenen Sorgen, mithin wurden in geschwinder Eile 3. Boote ausgerüstet, und nicht allein mit Lebens-Mitteln sondern auch mit den allernöthigsten Stücken, welche zur guten Wirthschafft gehören, beladen. Als einige Stück Feder-Betten, etliche Matrazzen von verschiedener Grösse, Kessel, eiserne Töpffe, Tiegel, Pfannen, Schüsseln, Teller, Löffel, und [324] anderes Küchen-Geräthe, alles nach seiner Art, theils von Meßing, theils von Eisen und so fort, worbey eine erstaunliche Menge Töpffer-Zeug von verschiedener Art zum Gebrauche in die Küche befindlich.

Was die Haupt-Stücke unserer Verehrung aber anbelanget, so mochten es wohl diese heissen, daß ein jeder ein so genanntes Feyer- oder Sontags-Kleid, darbey auch ein von etwas gröbern Tuche, oder gemeines Werckel-Tags-Kleid bekam, welche beyde vollständig nach Felsenburgischer Mode gemacht waren, auser diesem bekam jedweder noch 2. paar Wild-Lederne Beinkleider, auch Schue, Stiefeln u. Strümpffe 3. und 4. fach. Unser Frauenzimmer, deren mancher sonsten ein Zwirns-Faden an das Hertze gewachsen war, wolte seine Freygebigkeit (ich weiß selber nicht warum?) auch auf einmahl zum Vorscheine kommen, und dero Lichter leichten lassen, denn sie beschenckten meine so genannte Colonie, jeden mit 12. Unter-und eben so vielen etwas feinern Ober-Hemden, Halstüchern, Servietten, Handtüchern, Schnupftüchern und andern dergleichen Kleinigkeiten, worbey aber auch die schönsten Bett-Überzüge und Bett-Tücher waren, des übrigen Hausraths gantz und gar nicht zu gedencken. Ja, ich wundere mich bis diese Stunde noch fast halb tod, daß unser Frauenzimmer ihrem zarten Hertzelein damahls dergleichen so gar gewaltige Stösse geben können; Allein die Wahrheit zu bekennen, so haben sie, dem gemeinen Sprichworte nach, nichts weiter gethan, als Speck-Seiten nach Bratwürsten zu werffen. Jedoch umgekehrt: denn ich bin ja lange noch nicht fertig mit erzehlen; hätte mir aber selbsten nicht eingebildet, daß alle diese unsere geringen [325] Geschencke, durch die Gelegenheit, hauptsächlich aber durch die Vorsorge der Himmels-Güte, bey eben dieser Leute Anwesenheit so reichlich solte ersetzt werden.

Jedoch, kurtz zu sagen: so sahen wir unserer Stipendiaten Boot, welches man wohl eine der bestenChalouppen nennen mochte, zu bestimmter Zeit angerudert kommen, weßwegen wir uns denn auch so gleich mit unserer verabredeten Equipage fertig machten, solches nicht lange aufzuhalten, da mir denn dieses am allerlächerlichsten vorkam, daß der liebe Töpfer und Bruder Schreiner, in unsäglicher Eile fast das halbe Schiff mit seinem auserlesensten Töpfer-Geschirre anfüllen ließ, so, daß wir ihn noch bitten musten, den mehresten Theil wieder zurück zu nehmen, und vor uns aufzubehalten, zumahlen, da noch andere Handwercks-Leute, als Böttcher, Tischer, so wohl auch die Künstler, ihre Gaben herbey brachten, und zwar dergestalt reichlich, als ob eine Colonie von etliche 100. Mann vorhanden wäre.

So bald wir aber unsere Sachen alle in beste Ordnung gebracht, fuhren wir mit unsern in derChalouppe befindlichen Gästen, ohne fernere Weitläufftigkeiten zu machen, nach der Insul Klein-Felsenburg zu, allwo wir unsere Herren Liebhaber alle 5. bey ihrer sich selbst gemachten Taffel antraffen, worbey ich bemerckte, daß sie erstlich eine gute See-Krebs-Eyer-Suppe, die sehr wohl gewürtzt war, hatten; hernach zum andern Gerichte, ein recht unvergleichlich schönes, mit einer gewissen Wurtzel gekochtes Auer-Ochsen-Fleisch; zum [326] dritten Gerichte hatten sie gekochte kleine ungemein wohl schmeckende Vögel, die noch einmahl so groß waren, als in Deutschland die Tauben, aber weit angenehmer schmeckten; zum vierdten Gerichte erschienen zwey gantz gebratene Schmal-Thierlein, anbey 2. desto grössere gebratene wilde Schweine, worbey allerley Sallat in Menge, indem man weder in Klein- noch Groß-Felsenburg, in Betrachtung der Cocos- und andrer Bäume, deren letztern Arten den delicatesten Oel, so wie die erstern Früchte, Sauer und Süsse, von sich geben, auch demjenigen, der es recht verstehet und zu gebrauchen weiß, verschiedene Veränderungen seinem Geschmacke nach beybringen können.

Wir sahen also wohl, daß es diesen guten Leuten, um sich recht zu laben, blos an Wein und Confect fehlete. Da sie aber aus treuhertziger Liebe und Freundschafft uns zu Gästen geladen, wir auch dieselben nicht verschmähet, sondern von allen ihren Gerichten mitgenossen hatten; so liessen wir vorerst nur nach dem ersten Appetite so viel aus unsern Booten herbey bringen, daß wir alle insgesamt satt und zur Gnüge daran hatten.

Unser Medico-Chirurgus, Herr Cramer, war aus dem besondern Antriebe mit uns gefahren, um zu erforschen, ob uns etwa die Portugiesen einen falschen an Statt des Don Juan Cörper in die Erde gescharret, und ein Grabmahl darüber gemacht, mithin uns listiger Weise hintergangen hätten; derowegen wolte er das Grab baldigst eröffnet haben, diesen Cörper, den er im Leben sehr wohl gekennet, auch denselben unter seiner [327] Cur gehabt, aufs allerbedächtigste zu besichtigen, und wenn er auch schon halb verfault seyn solte. Wir baten ihn aber, unsere Lust nicht zu stöhren, zumahlen, da wir ohne dem gern abwarten wolten, wie sich die 5. Leute beginnen würden, wenn sie unsere Geschencke empfiengen, die eben zur selben Zeit von den Booten bereits des mehrersten Theils herbey gebracht waren.

Ich will nichts von der Freude sagen, welche diese Leute bezeugten, da sie sahen, was ihnen zugebracht und gewidmet war, denn dieses ist mir eine unmögliche Sache; jedoch, da sie alles besehen hatten, sagten wir ihnen, daß sie nur auf heute alles bey Seite bringen, und sich einen lustigen Muth machen möchten bis Morgen, da sie denn alles nach ihren eigenem Belieben in behörige Ordnung stellen könten, indem wir noch einen, oder wohl noch 2. Tage bey ihnen zu bleiben gesonnen wären, um ihre neuen Anstalten in Augenschein zu nehmen. Die Leute folgten unserm Rathe, und ohngeachtet, daß sie den allerbesten Wein und auch anderes starcke Geträncke vor sich zu geniessen im grösten Uberflusse sahen, so musten wir uns doch über ihre besondere Mäßigkeit, so wohl im Essen als Trincken, gantz ungemein verwunderen; Demnach begaben sie sich bald bey einbrechender Nacht ein jeder an seinen Ort zur Ruhe.

Hierbey muß ich melden, daß sich auf dieser Insul sehr artige Thierlein, und zwar in weit grösserer Menge befanden, als auf der grossen Insul, welchen unser Frauenzimmer den Nahmen Minions beygeleget hatte. Diese Thierlein waren [328] etwas grösser, als einer der allerstärcksten Hasen, hatten ein Schlos-Schleyerweisses Fell, gefräßig wie die Marter, und waren sehr schnell auf ihren 4 Füssen, hatten auch die besondere Art an sich, daß sie kein Pulver auch nur von ferne riechen konten und wenn nur ein eintziger Schuß in ihrer Gegend, allwo vielleicht ein besonderes Kraut, welches ihrem Appetite convenable war, wachsen mochte, geschahe; so stoben sie alle, wie ein Blitz darvon, und kamen wohl in etlichen Tagen nicht wieder auf denselben Platz. Im übrigen waren ihre Bälge so sein als Zobel-Bälge, oder die in Europa so genannten Wiesel-Fellchen.

Was thut man nicht, um dem Frauenzimmer eine Lust zu machen? derowegen, da die Portugiesen meldeten, daß diese obwohl kleine Thiere, die sie nicht einmahl zu fangen, viel weniger zu tödten gesonnen wären, ihnen dennoch vielen Schaden und Verdruß verursachten, weilen sie weit ärger wären, als die Füchse, Hunde, Katzen und dergleichen naschhaffte Thiere, indem sie ihnen nicht ein- sondern etlichemahl, ohne sich vor dem Feuer zu scheuen, die Bratens von den Spiessen gefressen, so bald es nur demmerig wäre worden. Solchergestalt baten wir die Portugiesen, uns nur in allergröster Geschwindigkeit eine kleine Laub-Hütte etwa auf 2. oder 3. Personen auszubauen, weilen wir eine besondere Art von Schlingen bey uns hätten, worinnen sich wenigstens einige derselbigen fangen müsten. Dieses mit den Schlingen war zwar wohl richtig, allein wir hatten, da wir vernommen, daß die Dinger kein Pulver [329] riechen könten, wir auch ohnedem wohl wusten, daß es eben nicht rathsam sey, bey Nachts-Zeit, zumahlen, einer so geringen Ursache wegen, eine Büchse oder Flinte abzubrennen, so liessen wir etliche Wind-Büchsen aus unsern Booten langen, deren wir sonsten gewöhnlicher Massen etliche bey uns zu führen pflegten, nur blos zur Lust, etwa dann und wann einen Vogel damit zu schiessen.

Des darauf folgenden Tages liessen unsere Gäste erstlich ihr recht vollkommenes Vergnügen über, alle die guten Sachen spüren, die wir ihnen mitgebracht hatten, ja einige waren schon beschäfftiget, sich gleich mit Sägen, Aexten, Beilen, Picken und Hacken etc. an die Arbeit zu machen, worvon wir sie aber abhielten, indem ihnen so wohl als uns dieser Tag noch ein Tag des Müßiggangs und Wohllebens seyn solte. Unterdessen war die schon gedachte grüne Laub-Hütte, welche Mons. Litzberg und ich vor uns aufzubauen bestellet, noch eher fertig, als wir uns deren versahen, welches uns denn anreitzete, sogleich alle unsere Geräthschafft in Ordnung zu bringen; demnach schliechen Mons. Litzberg, Mons. Cramer und ich, also 3. Personen, in diese Laub-Hütte, es hatte keiner aber, den wenigen Proviant ausgenommen, weiter nichts bey sich, als etliche Schlingen und seine Wind-Büchse. Die Dinger nahmen es als unvernünfftige Thiere nicht so bald gewahr, daß wir auf sie laureten, derowegen wurden ihrer 3. erstlich in Schlingen gefangen, 2. aber mit den Wind-Büchsen tod geschossen, so, daß sie auf dem Platze liegen [330] blieben; Allein die andern Herren Minions, als ihre Cameraden, oder Bluts-Freunde, ergriffen von der Stunde an das Hasen-Panier, was Massen wir denn binnen weniger Zeit, (weilen diese Thiere ohnfehlbar Blut gerochen, des Handels inne worden und wohl so bald nicht wieder zu kommen gedachten,) auch uns vor diesesmahl mit unsern 7. Sachen in unsere Hütten zurück begaben, unter der Verabredung, daß wir uns diese und dergleichen Lust noch ein- oder etlichemahl machen wolten.

Es wurde so wohl von unsern Gästen, als andern noch anwesenden Felsenburgischen Freunden bewundert, daß wir so glücklich gewesen waren, dergleichen Helden-Thaten gethan zu haben; Wir aber, nachdem ein jeder noch ein gut Glas Wein getruncken, sahen uns nach der Ruhe-Stätte unserer ermüdeten Glieder um, und da wir dieselben gefunden, streckten wir dieselben, welche ziemlich erkältet waren, darauf aus, ohne uns weiter um die Minions zu bekümmern, als diejenigen, welche wir gefället, und bereits in sichere Verwahrung gegeben hatten.

Es machte dieses ein grosses Aufsehen unter den 5. Portugiesen, indem sie heilig versicherten, daß sie diesen Thieren auf allerhand listige Art nachgetrachtet, ihnen Fallen und Schlingen gestellet, auch öffters mit Pfeilen nach ihnen geschossen, allein sie wären jederzeit unglücklich und ihre Mühe vergebens gewesen, derowegen begaben wir schon gemeldte 3. Personen uns in der darauf folgenden Nacht zum andernmahle in die Laub-Hütte, in [331] Hoffnung, daß wir noch mehr Minions, erlegen, und mit deren Bälgen unserm Frauenzimmer ein Præsent machen wolten.

Allein bey dieser Gelegenheit widerfuhr uns eine Erstaunens-würdige Begebenheit, denn da Mons. Litzberg, Mons. Cramer und ich, auf kleinen Klötzern neben einander sassen, und unsere Augen über die See, nach der Insul Groß-Felsenburg hingewandt hatten, kam, ehe wir uns deren vermutheten, eine erstlich dick scheinende Wolcke aus dem Meere, in Gestalt einer runden Kugel, auf das Ufer herauf gekollert, welche sich denn immer näher und näher nach unserer Hütte zu zukollern schien; allein wenige Minuten hernach verwandelte sich diese Wolcke in die Gestalt eines Mannes, der ein blutrothes Kleid anzuhaben schien, wie wir denn dieses bey dem hellgläntzenden Mondenschein, der, so zu sagen, fast die Nacht zum Tage machte, aufs allergenaueste beobachten konten; indem aber unsere Lauber-Hütte dem Grabmahle desDon Juan de Silves dergestalt nahe entgegen gelegen, daß man wohl mit einer Pistolen-Kugel in den Stein-Hauffen hätte schiessen können, so wurden wir mit fast noch grössern Erstaunen gewahr, daß aus jetzt gemeldten Stein-Hauffen ein dicker schwartzer Nebel aufstieg, welcher sich doch binnen wenig Minuten immer dichter zusammen zog, und endlich ebenfalls in die Gestalt einer Manns-Person verwandelte, die ein gleichförmiges blutrothes Kleid, mit der schon gemeldten aus der See gekommenen Person am Leibe zu tragen schien, denn wir konten bey dem unvergleichlichen [332] Mondenschein alles aufs allergenauste unterscheiden; Allein wir wurden fast gantz auser uns selbst gesetzt, da beyde blutroth gekleidete Personen einander begegneten, und zu dreyen mahlen um den Steinhauffen, oder des Don Juans Grab-Stätte herum giengen. Mir zum wenigsten stunden alle Haare zu Berge, und ich fieng vor Schrecken schon einiger Massen zu zittern und zu bebern an, dergleichen meinen Herrn Consorten, wie sie mir nach der Zeit bekennet, ebenfalls wiederfahren ist. Allein was geschahe? nachdem diese beyden Gespenster, oder Geister, 3. mahl um den Stein-Hauffen herum gegangen, machten sie ihre Wendung so, als ob sie auf unsere Hütte zu spazieren wolten, da denn unsere Angst und Furcht, wie leichtlich zu erachten, sich nicht um ein geringes vermehrete, jedoch wir blieben gantz stille sitzen, auser dem, daß wir unsere Schnupfftücher heraus zogen, und vor Mund und Nase hielten. Inmittelst fiel uns dieses als etwas recht erschröckliches in die Ohren, daß bey ihrer ersten Begegnung, der Geist desDon Juans mit einer gräßlichen und dumffigten Stimme dem Angekommenen also entgegen rief: Wer da? Wer bist du?

Hierauf anwortete der Angekommene ebenfalls mit einer gräßlichen und heisern Stimme.


Ich bin der Geist des Lemelié, eines in seinem Leben sehr berühmten See-Capitains, von welchem die Felsenburger viel werden zu sagen wissen, indem er sein Andencken bey ihnen verewiget hat, so daß seines Nahmens [333] Gedächtniß nimmermehr ersterben wird. Weilen ich nun im Reiche der Todten dein Schicksaal und einen guten Theil deiner Begebenheiten so wohl, als den Ort deines Begräbnisses erfahren, so habe, weil wir beyde fast einerley Verhängniß auf Erden gehabt, der meiner Nation angebohrnen Höflichkeit nach, mir eine Schuldigkeit daraus gemacht, aus meiner Grufft herüber zu dir zu kommen, und mich einer und anderer Sachen wegen mit dir zu unterreden.


Wem solte wohl die Haut nicht schaudern, wenn er dergleichen Worte hörte, die wir alle insgesamt gantz deutlich hören und vernehmen konten, zumahlen, da dieselben von einem verfluchten und verda ten Geiste ausgesprochen wurden? Jedoch, da wir vermeynten, sie würden uns näher kommen, sahen wir, daß sie sich anders bedachten, und vor unserer Laub-Hütte gantz sachte vorbey spazierten, da wir denn vernahmen, daß der erste, nemlich des Don Juans Geist, im währenden Gehen also redete:


Ich habe schon in meinem Leben viel von deinen seltsamen Begebenheiten erfahren, und bedaure nur, daß wir beyde nicht zu einer Zeit gelebet haben, und einander kennen sollen. Im übrigen habe ich nicht geringe Ursache, dir eine und andere wichtige Geheimnisse zu eröffnen, und deiner Verschwiegenheit anzuvertrauen; nicht aber auf dieser elenden Insul allein, sondern ich will über 3. Tage in der Mitternachts-Stunde bey deiner [334] Grab-Stätte erscheinen, und mich mit dir gantz allein, ohne Beyseyn weder Menschen noch Geister, besprechen.


Hierauf schien es, als wenn diese verfluchten Geister einander die Hände reichten, und weiter zusammen fort spazierten, bis in das Feuer-Loch, welches unsere Portugiesen sich zum Kochen und Braten gemacht, in welchem sie sich denn etlichemahl bald lincks, bald rechts herum dreheten, hernach aber nach dem Gebürge zugiengen, und in der Gegend des grossen Berges aus unsern Augen verschwanden; wir höreten zwar alle drey, jedoch nur in etwas, daß sie weiter mit einander redeten, konten aber wegen der Ferne nichts eigentliches verstehen, doch bemerckten wir, daß sie zum öfftern mit den Füssen auf den Erdboden stiessen, auch bald gegen das Gebürge, bald in das Feuer-Loch, bald in andere Gegenden mit Fingern zeigten.

Wie nun aber nicht allein die fürchterlichen Mitternachts-Stunden verschwunden waren, sondern sich auch schon einige Vorläuffer des Tags-Lichts blicken liessen, so bekamen wir gedoppelten Muth, und suchten unsere Ruhe-Stätte, nachdem wir in dieser schreckhafften Nacht noch 5. so genannte Minions in den aufgestellten Schlingen gefangen hatten, die wir mit zu den vorigen legten, im übrigen aber keinem Menschen etwas davon sagten, was uns in abgewichener Nacht erschienen wäre.

Auch dieses angebrochenen Tages musten sich die Portugiesischen Gäste annoch in unserer Gegenwart lustig machen, da wir ihnen denn von den [335] besten Speisen und Geträncken alles im Uberflusse se zukommen liessen. Was ihnen die gröste Freude machte, waren die Kleidungs-Bett- und weisser Wäsche-Stücke, den übrigen Hausrath aber hatten sie in aller Geschwindigkeit dergestalt ordentlich rangirt, daß wir vor dißmahl an ihrer Einrichtung eben nichts auszusetzen hatten, jedoch ihnen in einem und andern Stücken, besserer Ordnung wegen, guten Rath und Anweisung gaben.

Mittlerweile aber, zumahlen, da wir des fernerweitigen Minions-Schiessens überdrüßig waren, gaben wir unsern Gästen noch allerhand gute Lehren, und stelleten Ordres, wie sich dieselben hinkünfftig auch auser unserer Gegenwart verhalten und aufführen solten, mit dem Versprechen, daß wir bey Beobachtung ihrer guten Aufführung ihnen alle nur ersinnliche Gefälligkeiten erweisen wolten, da sie denn ihre Treue und Redlichkeit mit ohnabgeforderten feyerlichen Eydschwüren von selbsten abstatteten, worauf wir abermahls von ihnen hinweg und nach Hause zu ruderten, die Unserigen auch, nachdem wir ihnen dieConduite der Portugiesen, der Wahrheit gemäß, aufs beste vorgemacht hatten, ziemlich beruhigt zu seyn antraffen. Von der Begebenheit aber, der aus 3. offt gemeldten Personen erschienenen Gespenster, sagten wir vor dißmahl niemanden auch das geringste Wort, ausgenommen den Hrn. Geistlichen, welche sich ungemein darüber verwunderten, da sie aber höreten, daß ich die Zeit und Stunden abpassen wolte, wenn des Don Juans Geist dem Lemelié, seinem Versprechen gemäß, eine Gegen-Visite [336] geben würde, so wolten mir anfänglich die Hrn. Geistlichen ein solches aufs allervertraulichste widerrathen, und nicht zugeben, sich fernerweit in ein solches Satans-Spiel zu mischen, sondern riethen um selbige Zeit viel lieber ein andächtiges Gebet vor mich selbst und alle Insulaner gen Himel zu schicken; Allein hier traf bey mir das Sprichwort wohl recht ein: Nitimur in vetitum semper cupimusque negata. Das heist so viel, daß wir Menschen gemeiniglich am allerliebsten dasjenige thun, was uns verboten oder untersagt ist. Mithin wurde ich in meiner Neubegierde nur immer hitziger gemacht, und da Mons. Litzberg und Mons. Cramer auch Schwans-Federn, oder, besser zu sagen, Hasen-Hertzen bekommen hatten, und mir auf meine freundliche Anfrage: ob sie sich mit mir zu der bewusten Zeit auf den Gottes-Acker an des Lemelié Schand-Seule wagen wolten? eine kaltsinnige abschlägige Antwort gaben, ließ ich mich weiter gegen niemanden das geringstemercken, erwehlete mit aber in aller Stille in meinem Hertzen 2 wohlbekannte Felsenburgische Männer, die mir wohl ohngefehr an Jahren gleich waren, und von denen ich versichert war, daß sie eine vollkommene Hertzhafftigkeit besässen, auch sich weder vor Gespenstern, noch dem Satan selbsten, vielweniger vor Menschen scheueten, weilen ich von ihrer Hertzhafftigkeit nicht eine, sondern etliche Proben erfahren. Diesen beyden Brüdern vertrauete ich das gantze Geheimniß in aller Stille, eröffnete ihnen mein Vorhaben, und brauchte nicht viel Worte zu verlieren, als sie sich sogleich dergestalt [337] erkläreten: sie wolten niemanden nichts von der Sache sagen, hergegen sich GOtt befehlen, fleissig beten, und mitgehen, wo ich sie hinführete; da sie mich denn in der Mitten behalten, jedoch pro forma nur, ihr Ober- und Unter-Gewehr mit sich tragen wolten; Ich versprach dergleichen zu thun, ohngeachtet ich wohl wußte, daß bey solchen Begebenheiten weder Ober- noch Unter-Ge wehr viel nützen kan; Nachhero aber wurde verabredet, zu welcher Zeit und Stunde und auf welcher gewissen Stelle wir alle dreye einander antreffen wolten. Demnach hatte ich weiter nichts auf meinem Hertzen, als mich mit guter Manier von meiner Frauen abzuschleichen, weilen ich bereits merckte, daß eine und andere Weiber-Klatschereyen entstanden waren; allein dieses gieng gantz gut an, indem mich der Regente zur Abend-Mahlzeit zu sich bitten ließ, welches ich denn nicht absagen wolte, sondern mit meinem Vertrauten (an andern Orten werden solche Personen Bedienten genennet) der bekannter Massen ein recht sehr artiger Felsenburgischer Jüngling war, immer nach der Alberts-Burg zugieng. Jedoch, da ich meine Gelegenheit ersahe, und vermuthete, daß, da ich etwa allzu lange und über die, mit meinen Wagehälsen abgeredete Stunde, versäumen möchte, welche mit dem Glocken-Schlage der toten Stunde, (so bald die größte Glocken-Uhr dieselbe angezeiget hätte, bestimmt war,) so machte ich mit besagten meinem Vertrauten lincks um, marchirte mit ihm gerades Weges nach dem Gottes-Acker zu, da ich denn, weil ich auf der bestimmten Stelle [338] meine vertrauten Freunde abgeredter Massen antraf, noch fernere Abrede nahm, daß ich mich an des verfluchten Lemelié Schand-Seulepostiren wolte; sie aber möchten sich darum vergleichen, welcher unter ihnen bey den beyden Pyramiden Alberti Julii I. und der Concordiæ als unseren Ur-Eltern, ihnen zu Ehren, Schildwacht halten wolte, indem wir solchergestalt alle 3. nur auf wenige Schritte von einander entfernet wären, und bey jetzigem vortreflichen Mondenscheine, einer dem andern fast das weisse im Auge erkennen könte, wessentwegen wir denn auch gantz und gar keine Ursache uns zu fürchten hätten, zumahlen, da wir uns insgesamt in den Schutz unsers allmächtigen GOttes befohlen, als welcher den Satan dergestalt binden könte, daß er uns, die wir als getauffte Christen ohne dem die Herrschafft über den Satan und sein gantzes höllisches Heer hätten, auch nicht die kleineste Haar unsers Haupts zu krümmen vermögend sey.

Nun weiß ich mich zwar, als ein guter Christ, sehr wohl zu bescheiden, daß GOtt seinen Schutz und Schirm nur denjenigen versprochen, die auf ihren Berufs-Wegen bleiben und nicht etwa extra vagiren; wie mir den dieses von unsern Herrn Geistlichen nachdrücklich genug vorgestellet wurde; Allein diese Sache hatte gantz eine andere Beschaffenheit, wovon ich eben jetzo nicht viel Worte machen will, weilen sonsten befürchten müste, daß einer oder anderer Blödsinniger unter uns vielleicht auf die Gedancken gerathen möchte, ich wäre etwa eben um dieselbe Zeit ein FanaticusManiacus [339] oder gar Delirante gewesen; es dienet inzwischen demjenigen, der etwa so dencken möchte, zur freundlichen Nachricht, daß er von seinen Gedancken betrogen wird; Was ich aber ausgestanden habe um dieselbe Zeit, so wohl bey täglicher als nächtlicher Weile, und was ich vor Anfechtungen und Streit mit solchen Gegnern gehabt, die unsichtbar und zum Theil nicht zu nennen sind, davon will ich auch nichts sagen, als nur dieses, daß meine redliche Meynung war, mein Leib und Leben dem Vaterlande, dem grossen GOtt aber meine Seele aufzuopffern.

Keinen fernern Umschweiff aber in meiner Erzehlung zumachen, so melde, daß wir 3. geschworne Brüder einander zu bestimmter Zeit am ebenfalls bestimmten Orte antraffen, weßwegen ich meinem lieben Vertrauten das consilium abcundi gab, allein, er war in der Philosophie doch so weit gekommen, zu erwegen, daß es jetzo keine Zeit sey, mich, den er aus getreuen Hertzen vor vielen andern liebte, im Stiche zulassen, ohngeachtet er sahe, daß ich 2. meiner allergetreusten Freunde bey mir hatte.

Aber weiter: wir machten unsere Sache gantz ordentlich, ich bekletterte ohne besonderes Grauen den Stein-Hauffen, der um des Lemelié Schand-Seule herum liegt, und lähnete mich auch so gar nach dem ich mich niedergesetzt, mit dem Rücken gantz genau an gemeldete Schand-Säule, (welches ich nun wohl hätte können bleiben lassen); Aber der Centner meiner damaligen Hertzhafftigkeit oder Courage, wie man das Ding heutiges Tages [340] zu nennen pflegt, (und welches Wort die Herrn Europæer mit herüber gebracht) wug zu derselben Zeit vielmehr Pfunde, als nach Rechnungen hier und dar ausgemacht ist, die doch, wie ich gehöret, auch hie uñ da ziemlicher Massen falliren, oder wenigstens eine starcke Confusion im Handel und Wandel verursachen.

Weilen aber alle diese Ausschweiffungen zur Erzehlung der Haupt-Geschichte wenig dienen, so melde weiter, daß, nachdem ein jeder von uns seinen erwehlten Posten wohl besetzt, endlich die Seiger-Glocken die 12te Stunde anzeigten; da denn, so bald die allergröste Repetir-Glocke kaum ausgebrummet hatte der Geist des Don Juans in eben der Gestalt erschien, als ich denselben schon vorhero gesehen hatte; führete aber so wohl in seinem Rachen und Händen solche Dinger, die Feuer-Funcken von sich sprüheten, worvor sich meine Person jedoch gantz und gar im geringsten nicht fürchtete, weilen mir die Feuerwerckerey eben nicht so gar sehr unbekannt (obschon nicht die höllische). Unter den Steinen, worauf ich saß, fieng es zu beben an, ja es kollerten ihrer viele ohnangerührt von dem Hügel hinunter. Hierauf stieg der Geist des Lemelié allmählig aus seiner Grufft empor, und bewillkommete, wie ich bemerckte, seinen angekommenen Gast, mit gantz besonderer Zärtlichkeit; von ihren Worten aber, die sie bey der ersten Zusammenkunfft mit einander wechselten, schweben mir noch diese hauptsächlich im Gedächtnisse:

[341] Don Juans Geist: Ich halte mein Wort, dich zu besuchen, es solte mir aber Leid seyn, wenn ich dich in deiner Ruhe stöhrete:

Hierauf antwortete der

Geist des Lemelié: Ich bin über deinen Zuspruch mit einem solchen Vergnügen überschüttet, als nur immermehr ein Geist empfinden kan, und wovon die Sterblichen gantz und gar nichts wissen, oder empfinden können; Allein! (sprach der verdammte Geist) wir wollen noch ein mehreres mit einander reden, darum folge mir nach.

Demnach fasseten sich beyde Geister-Personen an die Hände, und giengen in den grossen Garten, allwo sie unter beständigem Gespräch nicht anders thaten, als ob es in der schönsten Frühlings-Zeit gewesen wäre.

Meine Geferten folgten mir getreulich auf dem Fusse nach, und haben mit angehöret, was diese verfluchten Geister vor erstaunliche Worte mit einander gewechselt; Sie haben auch ihre Aussage nach der Zeit redlich gethan, und dieselbe recht mit einem cörperlichen Eyde bekräfftiget, wovon ich itzo, da ich doch noch vielmahl gehöret und verstanden, als sie, eben keine weitläufftige Wiederholung thun will, weil es schon in unser Archiv ad Acta gebracht ist.

Ich fahre nun aber in der Geschichts-Erzehlung weiter fort, und berichte, (weilen ich wegen Anwesenheit vieler unverständigen und unmündigen auchsupersticiösen Leutchen kein besonders Lerm stifften will, bis der Ausgang so gar bis [342] auf die späten Nachkommen zeiget,) daß Eberhard Julius sich so wohl gegen GOtt, als Menschen vollkommen redlich aufgeführet, und jederzeit bey der Verantwortung wohl zu bestehen getrauet.

Als die beyden vermaledeyeten Geister nun vor der Alberts-Burg stunden, sagte der Geist des Lemelié: Dieses ist der verfluchte Hügel, welcher, wie man höret, nunmehro eine Burg genennet wird, unter welchem ich in einem Gewölbe bin umgebracht, und in das Reich der Todten geschickt worden.

Nachdem er nun noch viele erschreckliche Worte, ja die gräßlichsten GOttes Lästerungen ausgestossen, welche auch nur nachzusagen, ein Christe billig Scheu tragen muß, worbey uns allen die Haut schauderte und die Haare zu Berge stunden: giengen die Verfluchten weiter herunter, und blieben der Kirche, oder unserm Haupt-gemeinschafftlichen-GOttes-Hause gegen über stehen, worbey ich vor meine Person aber nur so viel sagen, daß ich zwar ein Gemurmele mit Worten unter ihnen vernommen, nicht aber berichten kan, worinnen diese Worte eigentlich bestanden, als welche mir durch einen fatalen Nord- Wind vor meinen Ohren hinweg gewehet wurden, geschweige denn das gantze Gespräch.

Mittlerweile, da eben ein Sonn- und zugleich ein Fest-Tag eingefallen war, wurde bey Anbruch des Tages die erste Losung mit einem Carthaunen Schusse von der Alberts-Burg gegeben, um den Insulanern gewöhnlicher Massen, ein solches anzudeuten, da denn in selbiger Minute die verdammten Geister vor unsern Augen gleich auf der Stelle vor [343] der Kirche verschwanden. Worauf wir Wagehälse erstlich einander noch einmahl ansahen, hernach aber noch vor der Kirche zu Herr M. Schmeltzern, sodann auch zu dem Regenten uns verfügten, und ihnen alles erzehleten, was wir gehöret und gesehen hatten; anbey baten: dieserwegen der Gemeine nicht sogleich die Ohren zu füllen, worinnen sie uns, sonderlich der Schwachen und Blödsinnigen wegen, auch den grösten Beyfall gaben, so, daß die allerwenigsten von unsern Insulanern gewahrt wurden, was sich vor eine sonderbare Begebenheit mit uns zugetragen.

Wenige Tage hernach verfügte ich mich mit Mons. Litzbergen, Mons. Cramern, meinen zweyen in der Gefahr gehabten Beyständen, hiernechst in Gesellschafft noch mehrerer hertzhaffter Leute, abermahls in 2. Booten hinüber auf die Insul Klein-Felsenburg, um zu vernehmen, was etwa allda inzwischen vorgegangen wäre. Unsere Gäste waren recht ungemein er freuet, uns wieder zu sehen, und da wir ihnen noch eine und andere Nothwendigkeiten und Bedürffnissen mitbrachten, beklagten sie sich mit recht traurigen Geberden darüber, daß wir sie mit allzu vielen Wohlthaten fast überhäufften. Da wir aber weiter nach ihrem Zustande und Lebens-Art fragten, konten sie nicht von Wunder genug sagen, was ihnen vor seltsame Streiche passirten, denn ohngeachtet sie bey Tage gantz vergnügt und ruhig lebten, inmassen allezeit ihrer 4 arbeiteten, der 5te aber Wechselsweise die Küche, den Fischfang und dergleichen besorgen müste, so würden sie des Nachts um so viel desto hefftiger gehudelt, nicht allein von den verzweiffelten Affen und so genannten [344] Minions, als welche ihnen alles Töpffer-Geschirre und andere zerbrechliche Sachen in tausend Stücken schmissen, oder öffters weit von der Stelle hinweg schleppten, so, daß sie immer zu, bald dieses bald jenes Hausraths-Stück mit gröster Mühe zu suchen, mithin die Zeit zu versäumen, und sich darbey zu ärgern gemüßiget wären. Nun hätten sie sich zwar seit kurtzem so wohl vor den Affen, als auch den Minions ziemlicher Massen Friede geschafft, indem sie sehr öffters Feuer auf sie gegeben, und sehr viele erlegt, auch viele in aufgestelleten Fallen, Schlingen, gemachten Löchern, woraus sie, wenn sie einmahl drinnen, nicht leicht wieder heraus kommen könten, lebendig gefangen; Allein dieses wäre das allergeringste, indem sie, einer wie der andere, nicht allein bey Nachts, sondern auch zum öftern bey hellem-lichten Tage von unsichtbaren Geistern oder Gespenstern gequälet und geknippen würden, als worvon sie noch itzo die braunen und blauen Flecke an Armen und Beinen, ja am gantzen Leibe aufzuweisen hätten, welches alles sie bishero mit ziemlicher Gelassenheit erdultet hätten, in die Länge aber ein solches Teufels-Spiel nicht vertragen, sondern dem Teufel zum Trotze schon andere Mittel vorkehren wolten, worzu ihnen nur noch eine und andere Sachen von gantz geringem Werthe fehleten, welche sie aber nicht bey sich hätten, vielweniger auf dieser Insul finden könten.

Wie wir nun fragten, was denn dieses eigentlich vor Sachen wären, und ob man nicht vielleicht Rath schaffen könte, dieselben herbey zu schaffen? so winckte Don Rio dem gegen ihm übersitzenden 53.[345] jährigen Manne, der Vincentius genennet wurde, nur mit den Augen, da denn derselbe mit ihm zugleich aufstunde, und beyde sich etliche Schritte weit von uns entferneten, jedoch Don Rio kam zurück, und batMons. Litzbergen, Mons. Cramern und mich, nur auf etliche Schritte mit ihnen Lustwandeln zu gehen, um ein und andere Worte von ihm und seinen Geferten anzuhören.

Wir stunden also alle 3. auf, und wandelten mit den vorbemeldeten zweyen des geraden Weges auf dem angenehmen grünen Rasen nach dem Geburge zu, da denn unterwegs Mons. Vincentius von ohngefehr also zu uns zu reden anfieng: Meine Herren! Sie halten mich 53. bis 54. jährigen Mann zwar vor einen Portugiesen, allein die Wahrheit zu bekennen, welches ich auch erweißlich machen kan, so bin ich ein gebohrner Spanier. Von meiner Geburt und Auferziehung, auch weß Standes meine Eltern gewesen, will voritzo, da es zu weitläufftig fallen möchte, wenig oder gar nichts, sondern nur so viel melden: daß ich schon in meinem 12ten Jahre mit einem gewissen Cavalier, der ein Sohn des allervornehmsten Grand d'Espagne war, auf eine ihnen vielleicht allen wohlbekannte Spanische Universität zog, um demselben als ein so genannter Page aufzuwarten. Es war in so weit dieses eine gantz gute Sache vor mich, da ich mich bey der Gelegenheit wohl auch in literis solcher Massen perfectioniren können, daß ich etwa einmahl mit der Zeit, unter der damaligen verwirrten Regierung mein Conto hätte zu suchen gewust; Allein mein Herr war ein wüster und wilder Kopff, schob alle [346] guten Bücher und Wissenschafften bey Seite, und erwehlete sich dagegen nichts anders zu seinem Vergnügen, als nebst dem Frauenzimmer, die Magiam, oder die so genañte Schwartze-Kunst, verwendete auch darauf, auser der edlen Zeit zu gebrauchen, als die er wohl hätte nützlicher anwenden können, entsetzlich starcke Geld-Summen, indem er jederzeit die allerberühmtesten Zauberer und Schwartz-Künstler aus allen Reichen der Welt zu sich kommen ließ, und dieselben zum öfftern recht Königlich bewirthete, auch über alle Gebühr kostbar beschenckte. Er erreichte zwar hierdurch seinen vorgesetzten Zweck, indem er es in der Magia, oder so genañten Schwartz-Künstlerey, ungemein hoch brachte, weiln er aber nicht allein einen, sondern vielleicht wohl 3. oder mehr hochtrabende Spanische Geister in seinem Cörper haben mochte, so setzte er nicht allein, wie gesagt, alles andere, sondern auch GOtt, alle seine Heiligen, ja sein gantzes Christenthum wider besser Wissen und Gewissen zurücke, und machte sich eben zu der Zeit, da er es aufs allerhöchste gebracht zu haben vermeynete, dergestalt jämmerlich und erbärmlich unglücklich, daß, so offt ich nur noch daran gedencke, mir alle Haare auf dem Kopfe zu Berge stehen. Es war aber hieran nichts Schuld, als sein eigenes hochtrabendes, unbedachtsames, zuweilen recht einer halben Raserey gleichendes unchristliches Verfahren, weßwegen denn gantz und gar nicht zu verwundern, daß der barmhertzige und langmüthige GOtt endlich des Erbarmens und seiner Langmuth müde wurde, seine Gnaden-Hand von ihm abzohe, und ihn den Klauen des Satans überließ.

[347] Ich vor meine Person, weilen ich bey damahligen Zeiten einen eben nicht allzu ungelehrigen Kopff hatte, positirte bey der Gelegenheit ein vieles, deñ ich erlernete das Geister-Bannen, Geister-Beschweren und viele andere Kunst-Stücke zwar aus dem Grunde, versuchte auch solches nicht einsondern sehr viele mahl, allein es kam eine Zeit, da ich an GOtt, seine Heiligen und meine eigene Seele zu gedencken anfing, ohngeachtet mir alles, was ich nur vorgenommen, nach Wunsche ergangen und abgelauffen war; Da ich aber niemahls ein recht ruhiges Hertze oder Gewissen in mir verspürete, als begab ich mich zu einem wohlbekannten vornehmen Geistl. welchem ich mein Anliegen entdeckte, auch von ihm Trost und Rath zur Gnüge bekam, indem er mir vorsagte, daß ich die Kunst zwar wohl beybehalten könte, weilen es eine gantz edle Kunst u. Wissenschafft wäre; nur aber würde ein gutes Christenthum und hiernechst eine gute gesunde Vernunfft darzu erfordert. Diese Lehren waren in Wahrheit nicht zu verwerffen; weiln ich aber, ohngeachtet ich noch ein junger wollüstiger Kerl war, ich weiß selbsten nicht warum, einen heimlichen Abscheu vor dieser Kunst bekam, da ich doch in einem und andern Stücken mich wohl einiger Massen hätte können glücklich machen, als suchte mein Vergnügen unter dem Soldaten-Leben, bekam auch bald Dienste beym Leib-Regiment des Königs, als Sergeant. Etliche Monate ließ ich mir diese Dienste gefallen, hernach aber, da ich bemerckte, daß das Glücke mit mir nur, wie mit einem leichten Feder-Balle, auf dem Lande zu spielen gesonnen, drehete ich meinen [348] Kopff auf die andere Seite, und nahm Dienste unter den See-Leuten, habe auch verschiedene Fahrten nach Ost- und West-Indien mitgethan, auch dieses und jenes, sonderlich mit Beyhülffe meiner Kunst und Wissenschafft, erfahren; Allein die Zeit will es vorjetzo nicht leiden, ihnen, meine Herren, etwas ausführlichers davon wissend zu machen. Derowegen will solches mit dero gütigen Erlaubniß bis auf eine andere Zeit versparen, hergegen unsern Herrn Wohlthätern ein Geheimniß und solche Sachen eröffnen, woran weit mehr gelegen ist.

Sie sind, (sprach Vincentius zu Mons. Litzbergen,Mons. Cramern und mir) meine Herren! wie ich meinem einfältigen Verstande nach vermuthe, ohnfehlbar weder die ältesten, noch jüngsten Befehlshaber unter ihrer gantzen Familie; allein, ohne sie in das Angesicht zu rühmen, so halte davor, daß ohne euch der andern Ruhm zu verdunckeln, eure Personen vor vielen andern die klügsten und geschicktesten seyn, welche zu kennen ich die Ehre nicht habe. Demnach, weil mich ein von Gott gesandter guter weisser Geist antreibt, und mir keine Ruhe läst, bis ich ihnen, wie er spricht, dasjenige Geheimniß offenbarer, woran so vielen 100. ja 1000. und noch mehr Menschen gelegen, so will ich es auch auf mein gutes christliches Gewissen thun; lassen sie sich nur vorhero erstlich von dem dritten Manne erzehlen, was uns seit ihrer letztern Abfahrt betrachtens würdiges begegnet ist, welches mit allen schon erzehlten Kleinigkeiten in so weit keine Gemeinschafft haben mag. Demnach rufften so wohl Don Rio, als Vicentius ihre Cameraden herbey, und [349] sagten zu ihnen, daß sie auf ihr gut Gewissen aussagen solten, was ihnen seit unserer Abfahrt vor hauptsächliche Streiche begegnet wären; da dann so viel heraus kam, daß, als sie gleich andern Tages nach unserer Abfahrt Feuer in ihrem Feuer-Loche, oder, besser zu sagen, Feuer-Heerde angemacht, ihre Töpffe mit dem Fleische und Gemüse angesetzt, auch die Braten ordentlicher Weise an die Spiesse gesteckt, kaum aber nur etwa 10. Schritte von dannen gegangen, sich, da sie sich umgesehen, der Erdboden unter dem Feuer-Loche, ja noch viel weiter herum dergestalt erhoben und erschüttert, daß sie nicht anders vermeynet, es würde alles in das Feuer und in die Asche geworffen seyn, weßwegen sie sich schon nach dem Behältnisse der trockenen Speisen umgesehen, weilen der Zweiffel bey ihnen entstanden, daß sie diesen Mittag etwa Warmes möchten zu geniessen bekommen; allein, da sie sich nach etwa 2. Minuten nochmahls umgesehen, wären sie gewahr worden, daß weder ein Feuer-Brand, noch ein Topff verrückt oder verwahrloset, vielweniger die Braten beschädigt worden, demnach hätten sie ihren Heiß-Hunger zu stillen, keine fernern Weitläufftigkeiten gemacht, sondern aufgetragen, und ohne Sorge, mitAppetite gespeiset, unter währenden Speisen aber, ohngeachtet sie doch ihr Tisch-Gebet verrichtet, wäre der Satan dennoch geschäfftig gewesen, indem Angesichts ihrer, auf etliche Schritte herum, mehr als 20. bis 30. grosse Maulwurffs-Hauffen aufgeworffen worden, die aber die gewöhnlichen Maulwurffs-Hauffen um ein gewaltiges übertroffen, da sie ohngefehr wohl noch 4 [350] mahl grösser wären, als die sonst gewöhnlichen Maulwurffs-Hauffen, welche man noch bis diese Stunde in Augenschein nehmen könte. Bey der Abend-Mahlzeit wäre ihnen, wie sie sagten, ein gleiches wiederfahren, mit dem Zusatze, daß sie vor den so genannten Minions fast keinen Bissen-Brod in den Mund stecken können, sondern immer einen Dolch, oder wenigstens Messer in der Hand haben müsten, um sich dieser vermaledeyeten Thüre erwehren zu können, als welche sie einer und anderer Umstände wegen, vor verdammte Seelen und Plage-Geister der Menschen hielten.

Wir hätten fast über die Einfalt unserer Gäste lachen mögen, allein Vincentius gab uns einen Winck, ihm nebst dem Don Rio zu folgen: da er denn, als wir uns etwa auf die 50. bis 100. Schritte von der übrigen Gesellschafft abgewendet zu uns 3 Felsenburgern, die wir gantz allein auf einem bequemen Platze bey ihm stehen blieben, seinen Spruch also anfieng (ohne daß wir gewahr wurden, daß er uns in einen Circkel runden Creyß geführet): Ihr Herren! Ihr wisset nicht, worauf wir jetzo stehen und vermeynet vielleicht, daß wir auf einem blosem Grase-Lande stünden; allein, weit gefehlt, denn diese Insul hat nicht allein einen güldenen Grund und Boden, sondern auch über dieses so viele Schätze und Kostbarkeiten in sich dergleichen die besten Europæischen Königreiche aufzuweisen gantz unvermögend sind. Ich sage weiter nichts, als dieses, daß in dem gegen uns über liegenden Gebürge, sonderlich aber in dem Grunde des grossen Berges nur allein so viele Reichthümer stecken, welche weder [351] Portugall, noch Spanien an sich zu kauffen im Stande sind; Allein, meine Herren! (redete er ferner) ob ihr gleich noch zur Zeit nicht hintergangen, oder betrogen seyd, so könte es doch vielleicht in aller Kürtze geschehen, wenn nicht der allmächtige GOtt ein besonderes Auge auf euch hat, denn ich bin in meinem Christenthume so weit erfahren, daß derselbe Allmächtige heute bey Tage keine auserordentlichen Wunder mehr thut, sondern es auf der Menschen eigene Conduite ankommen lässet, ob sie seinem vorgeschriebenen Gesetze folgen wollen, oder nicht. Nun aber will euch Herren Felsenburgern nur so viel im Vertrauen sagen, daß ihr viel Feinde habt, und zwar eures guten und geruhigen Lebens halber, wer aber dieselben sind, solche will voritzo eben nicht alle mit Nahmen nennen, jedoch die Herrn H.-- nicht verschweigen, die schon seit einigen Jahren her, ziemlicher Massen nach euch geangelt haben, jedoch eure gantz besondere Vorsichtigkeit hat alle ihre Anschläge, ohngeachtet, daß sie alle eure Umstände, euren Reichthum und, so zu sagen, den Bissen, den ihr in den Mund steckt, und den Tropffen, den ihr aus euren Bechern trinckt, auf das allergenaueste wissen, bis hieher zu nichte gemacht. Wie es zugehet, daß ihr bey diesem und jenem so verrathen seyd, will ich eben jetzo nicht sagen, denn das ist res altioris indaginis; Dieses aber kan ich im allergröstem Vertrauen sagen, daß zwey verdammte-Geister gegen euch gedungen worden, so wohl euch, als uns armen 5. ehrlichen Kerls zu verderben, allein, ihr gantzes Vernehmen soll ihnen fehlschlagen. Ich weiß gewiß, daß ihr diese verda ten [352] Geister nicht allein hier auf dieser kleinen Insul, sondern auch auf Groß-Felsenburg in blutrother Kleidung gesehen habt, ich habe sie auch gesehen, und will sie euch wieder vorstellen, so bald die Mitternachts-Stunden heran nahen, da sie denn vermöge meiner Kunst, auf Händen und Füssen zu mir gekrochen kommen, und auf alle meine Fragen richtige Antwort geben sollen, wo dieses nicht geschicht, so will ich sie in eurer Gegenwart mit einer Knoten-Peitsche tractiren, wie die Hunde. Diese Curiosität abzuwarten, habt ihr weiter nichts zu thun, als daß ihr in meinem gemachten Circkel, ohne viele Worte mit einander zu reden, gantz stille sitzen bleibt, und euch auch so wenig, als nur immer möglich, bewegt, bis ich euch die Erlaubniß, mit Neigung meines Haupts, gebe. Ich setze alle meinen vollkommenen Theil der Seligkeit, die mir nicht entgehen kan, daran; ja ich will mich lieber von dem Teufel lebendig in den Lüfften wegführen und zerreissen lassen, als daß nur einem, von euch allen, eine Haare gekrümmet werden solte.


Wie denn dergleichen Leute solche harte und hefftigeConstelationes ohne Bedencken sehr vielfältig zu gebrauchen pflegen.


Bey diesen Centner- schweren Worten sahen Mons. Litzberg, Mons. Cramer und ich einander ziemlicher Massen in die Augen, redeten auch erstlich ein wenig heimlich unter uns; Diese beyden aber wolten anfänglich gantz und gar nicht einstimmen, im Circkel zu bleiben, weilen es ihnen, wiewohl schon ehermahlen geschehen, an der Hertzhafftigkeit fehlete, mir aber gab ein guter Geist ein, daß [353] ich auf der Stelle bleiben, mein andächtiges Gebet zu GOtt verrichten, und mich weiter vor nichts fürchten solte. Derowegen fassete ich mir, vor mich selbst allein, einen frischen Muth, gieng hin zu dem so genannten Teufels-Banner, und sagte zu ihm: Don Vincentio! wir haben noch nicht vollkommen satt gespeiset, wäre es nicht Sache, daß wir um die Mitternachts-Stunden, nachdem wir das Unserige genossen, wieder anhero kämen, und sähen, was sodann passirte? Nein, meine Herren! (gab er zur Antwort wenn sie sich nicht selber im Lichten stehen wollen, so bleiben sie auf ihren Stellen sitzen: Wein und Confect ist genug da, ihren Appetit zu vergnügen, wo sie aber weggehen, sind nicht allein alle meine Anstalten vergeblich gemacht, sondern so wohl sie, als alle Felsenburger, können darunter den allergrösten Schaden leiden, welcher vorjetzo gar leichtlich zu verhüten ist wenn sie nur da bleiben, und meiner Treu und Redlichkeit trauen.

Endlich begunte doch bey meinen Herren Geferten der Puls aufs frische zu schlagen, da sie, zumahlen bey allen Umständen, die sie nachhero in etwas weiter überlegt, gantz vernünfftig schliessen konten, mir, ohngeachtet ich der Jüngste unter ihnen war, vor diesesmahl zu folgen, und bey mir zu bleiben; zumahlen, da sie zum öfftern von dem Vincentio die Worte aussprachen höreten, daß er uns allen kein theurer und kostbarer Pfand entgegen stellen könte und wolte, als seinen Leib und Seele, im Fall nur einem eintzigen von uns die geringste Haare am Leibe gekrümmet oder beleidiget würde.

[354] Also blieben wir alle drey nebst dem Don Rio im Circkel sitzen, truncken ein Glas Wein, und speiseten etwas von kalten Gebratens, wie auch Confect, welches alles uns der gute Vincentius procurirt hatte, erwarteten aber zum Theil mit unruhigen Hertzen die Mitternachts-Stunde.

So bald dieselbe heranzunahen begunte, legte sich auch eine solche Finsterniß und Dunckelheit auf den Erdboden nieder, die ich mit gröstem Rechte fast grösser, als die ehemahlige Egyptische Finsterniß gewesen, nennen möchte, indem wir weder Himmel, Mond, noch Sterne über uns sahen, vor uns aber nicht im Stande waren, unsere 5. Finger an den Händen zu zehlen; Jedoch es währete nur eine kurtze Zeit, und nicht länger, als etwa 1. Viertel-Stunde, worauf, da wir uns umsahen, in der gantzen Gegend alles helle war: Denn Vincentius hatte durch seine Cemeraden hie und dar, und zwar auf mehr als 100. Schritte von uns, um uns herum viele Fackeln und Wind-Lichter setzen lassen, und zwar, wie wir nachhero gewahr wurden, auch in einem Circkel- runden Creyse, anbey gemeldete seine Cameraden dahin beredet, daß sie uns allen zu Gefallen einmahl hie und da Schildwacht halten, auch alle Vorbeygehende mit gröster Freundlich- und Höflichkeit dahin bereden möchten, vor diesesmahl einen andern Weg zu nehmen, um uns nicht zu stöhren, weilen gantz ausserordentlich geheime Sachen unter uns tractiret würden.

Bald hernach sahe man zwar keine dicke Finsterniß mehr, jedennoch aber einen ziemlich dicken [355] Nebel um uns herum, so, daß wir den Schein der Fackeln von ferne, mit genauer Noth, kaum erkennen konten; in unserm Creyse aber, worinnen wir drey Felsenburger, als Mons. Litzberg, Cramer und ich, nebst dem Don Rio und der Haupt-Person, Don Vincentio, sassen, wurde auf einmahl alles so klar, als wie gewöhnlicher Massen am lichten-hellen Tage. Ich bewunderte, daß, da meine sehr kostbare goldene Repetir-Uhr, als welche ich bekannter Massen beständig bey mir zu führen pflege, kaum ihre hellklingende Schläge von sich hören lassen, sogleich ein ziemlich starcker Würbel-Wind entstunde, welcher manchem einen kleinen Schauer verursachte, jedoch Vincentius, der im Centro des Circkels auf einen Klotze saß, rief uns allen mit lauter Stimme zu: daß wir uns an nichts kehren, sondern nur unsere Augen nach Norden zu wenden solten. Wie wir ihm nun in diesem Stücke folgten, so erblickten wir mit gröster Verwunderung, theils aber auch ziemlichen Erschrecken, daß die beyden Gespenster: nemlich Don Juan de Silves und Lemelié, daher spaziert kamen, u. zwar mit gantz langsamen Spanischen Schritten, nicht anders, als ob sie, wie es heut zu Tage genennet wird, ihre Cour etwa bey Hofe machen, und einem grossen Potentaten aufwarten wolten; So bald sie aber sich dem äusersten unsers Circkels naheten, stund Vincentius von seinem Klotze auf, und schlug mit seiner, in der rechten Hand habenden Zauber-Ruthe den Tact auf eine recht poßierliche Art, dergestalt, daß sie 3. mahl um unsern Creyß herum tantzen musten, worauf er ihnen zwar erlaubte, [356] etwas langsamer zu gehen, allein, wie wir bemerckten, so hielt er diese blutroth gekleideten geschwornen Brüder dergestalt mit der Zauber-Ruthe unter seiner Zucht, so, daß sich keiner unterstehen durffte, auch nur eines Fingersbreit über den ab- und ausgestochenen Rand unsers Circkels zu schreiten.


Endlich citirete er sie alle beyde zu ihm hinein in den Circkel zu kommen, den engern Circkel aber, welcher um seinen Sessel geschlossen war, ja nicht zu berühren widrigenfalls er sie alle zwey auf eine solche empfindliche Art züchtigen wolte, dergleichen wohl viele 1000. Geister nicht ausgestanden, und welche Art der Züchtigung, woferne sie anders noch vernünfftige Geister wären, ihnen nicht unbekannt seyn könte. Demnach kamen beyde auf Händen und Füssen gekrochen, bis an den engern Circkel, worinnen er,Vincentius, auf einem runden Klotze saß, sie nahmen sich aber ungemein in Acht, den engern Circkel auch so gar nicht einmahl mit den Händen zu überschreiten. Als er nun ihren Gehorsam sahe, that er mehr als 20. Fragen an sie, und bedrohete sie abermahls mit der allerschärffsten Geister-Züchtigung, wenn sie ihm nicht aufrichtige Antwort darauf gäben.


Wir Felsenburger haben alle diese Fragen, und die darauf erfolgten Antworten, bald hernach, da dieselben noch im frischen Gedächtnisse waren, und wir über dieses nicht allein den Don Rio, sondern auch denVincentium baten, uns einzuhelffen, wenn wir etwa dieses oder jenes vergessen hätten, in unsere bey uns führenden Schreib-Taffeln eingezeichnet, aus [357] welchen es hernach weiter protcollirt, und zu den übrigen dieser Sache angehenden Acten gebracht, mithin in unser Archiv gelegt worden.


Nachdem aber dieses Verhör vorbey, entstunde abermahls ein, jedoch gantz gelinder Würbel-Wind, welcher einen recht angenehmen und lieblichen Geruch mit sich brachte, so daß, an Statt darüber zu erschrecken, wir uns vielmehr erquickten; Indem wir aber unsere Augen von neuen aufschlugen, sahen wir noch eine andere Geister-Person im Circkel herum wandeln, welche ein hell gläntzendes goldfarbenes Kleid an sich hatte. Vincentius redete demnach den Geist des Lemelié also an: Kennest du diesen, oder nicht? Ja, ich kenne ihn, (gab der Geist des Lemelié zur Antwort,) es ist Carl Franz von Leuwens Geist, welchen ich meuchelmörderischer Weise ins Reich der Todten geschickt habe. Hiervor must du, (sagteVincentius,) auch noch in dieser Stunde und auf diesem Platze eine kleine wohlverdiente Züchtigung leiden. Demnach nahm Vincentius seine Zauber-Ruthe, und peitschete damit dergestalt auf den Geist desLemelié zu, daß derselbe zu Boden fiel, und sich wie ein Aaal auf dem Grase herum weltzete, ja er winselte nicht allein wie ein Hund, sondern mit einer weit gräßlichern Stimme, so, daß uns allen fast die Haut zu schaudern begunte; Der Geist des Don Juans aber gieng mittlerweile im Circkel spaziren herum, so lange, bis Vincentius, ohngefehr nach Verfluß einer halben Viertel-Stunde, seine Zauber-Ruthe in die Höhe gen Himmel reckte, da [358] denn nicht allein desLemelié und Don Juans, sondern auch des van Leuwens Geister unvermuthet vor unsern Augen verschwanden, hergegen præsentirten sich, an statt derselben, zwey weiß-gekleidete Personen oder Machinen; da denn Vincentius fragte: Nun, meine Herren Felsenburger, kennet ihr diese beyden Personen? Wie ist uns möglich, (gab ich ihm zur Antwort) dieselben zu kennen, indem sie dergestalt verkappt und verschleyert sind. Es sind (sprach er hierauf) eure Ur-Eltern, Albertus I. und Concordia, mit denen ihr euch, nach Belieben, in ein Gespräch einlassen könnet.

Da uns allen dreyen aber sehr mißfällig war, daß er diese seligen Personen in ihrer Ruhe gestöhret, als wünschten wir nunmehro wieder von dieser Stelle hinweg, und in unsern Hütten bey der andern Gesellschaft zu seyn, liessen aber unsere Gedancken dem Zauberer gantz und gar nicht mercken, sondern stelleten uns vielmehr an, als ob wir durch seine Kunst ungemein vergnügt worden, weilen wir aber dergleichen Sachen nicht so wohl, als er gewohnt, und über dieses solchen fürchterlichen Schau-Spielen Zeit Lebens noch niemahls beygewohnt, so wäre nicht zu läugnen, daß wir aus Furcht und Schrecken einiger Massen schwach und ermüdet worden, wessentwegen denn der beste Rath wäre, daß wir uns zur Ruhe begäben, und unsere annoch übrige Verabredung bis auf Morgen verspareten.

Vincentius, der, wie ihm zum Ruhme nachzusagen ist, viel Verstand bey aller seiner Geschicklichkeit[359] besaß, nahm diese Sache vor bekannt an, und, nachdem er uns gefragt: ob wir noch etwa einen oder andern Geist von solchen Personen, die uns angiengen, oder mit welchen wir etwas zu schaffen gehabt, zum Beschlusse vor uns sehen wolten, so wäre er noch bereit, uns zu dienen; wir aber baten ihn, alles dieses, bis auf eine andere Nacht, zu versparen, demnach gab er seinen Portugiesischen Cameraden ein vielleicht abgeredetes Zeichen, worauf denn diese sogleich mit brennenden Fackeln und Wind-Lichtern uns entgegen kamen, wir alle aber von dem guten Vincentio bis an unsere Schlaf-Stätte begleitet wurden.

Vor meine Person kan ich wohl sagen, daß ich nicht leicht in meinem Leben unruhiger mein Lager gesucht, um auf demselben einige Ruhe zu finden, weilen mein Kopf von allen dem, was ich gehöret und gesehen hatte, dergestalt mit Grillen, Sorgen, und Bekümmernissen angeschwängert war, so, daß ich nicht die geringste Ruhe finden konte, ich mochte mich auch lincks, oder rechts auf meinem Lager umwenden und kehren. An diese Nacht will ich Zeit meines gantzen Lebens gedencken, so lange, als nur meine Augen offen stehen, ich will aber von demjenigen, was ich in derselben eintzig und allein gehöret und gesehen habe, voritzo weiter nichts melden, jedoch habe aus Antrieb meines zarten Gewissens auch alles dieses der Geistlichkeit und dem Regenten getreulich offenbaret, ohngeachtet solches nicht einmahl nöthig gehabt. Weilen nun gantz und gar keinen Zweiffel trage, daß auch dieses bona fide wird ad Acta [360] gebracht seyn, so möchte es mir vielleicht vor eine Groß-Prahlerey ausgelegt werden, wenn ich hier von fernerweit viele Worte machen wolte.


Kurtz: des Tages, nach der merckwürdigen Nacht, erschütterte sich die Insul Klein-Felsenburg einiger Massen, weßwegen ich den Vincentium besuchte, und ihn fragte: ob dieses etwa Böses, oder Gutes zu bedeuten hätte? Er gab mir zur Antwort, daß diese kleine Erd-Erschütterung eine ungemeine gute Bedeutung vor uns Felsenburger mit sich brächte, die Haupt-Sache aber wäre diese: daß wir die vermaledeyten Cörper des Don Juan und des Lemelié von beyden Insuln wegschaffen, und dieselben dergestalt in Asche verwandeln müsten, daß auch nicht der kleineste Knochen mehr von ihnen zu finden sey; worauf sich denn die Aspecten zu unserer Ruhe und Frieden bald besser zeigen würden.

Es stellete mir Vincentius diese Sache dergestalt nach drücklich vor, daß ich mich bewegen ließ, nur vorerst einen sehr kurtzen Bericht an den Regenten u. an die Geistlichen von unsern bisherigen Begebenheiten zu machen; hierbey aber war die Haupt-Sache diese, daß sie den verfluchten Cörper des Lemelié solten aus graben lassen, alle seine Knochen, auch nicht den allerkleinesten zu versehen, in einen kleinen Nachen auf Schwefel, Pech, Pulver, Hanff, Werg und dergleichen Feuerfangende Waaren legen, und denselben mit einer starcken Quantität des besten Feuerhaltenden Holtzes bedecken, hernach den Nachen, oder das kleine [361] Bootgen nur nach den Sand-Bäncken zu stossen-möchten.

Mir aber bat ich aus, eine ziemliche Quantität von Pulver, Schwefel, Pech und dergleichen zu übersenden, indem ich mit dem Cörper des Don Juan ein gleiches zu thun gesonnen, und ihn in lichterlohen Flammen der offenbaren See anvertrauen wolte. Damit aber beydes zu gleicher Zeit geschehen könte, bat mir noch dieses aus, daß sie mir von der Insul Groß-Felsenburg nur etwa eine Viertel-Stunde vor der bestimmten Zeit und Stunde ein Signal durch einenCarthaunen-Schuß geben möchten, damit ich mich darnach richten könte. Mit diesem Berichte und Verlangen schickte ich 12. Mann, worunter meine Allergetreusten befindlich, in einem Boote sogleich nach der Insul Groß-Felsenburg hinüber, die denn des andern Tages, gegen Abend, ohne daß ich mich einer solchen Geschwindigkeit versehen, glücklich zurücke kamen, und alles, ja noch mehr mit sich zurücke brachten, als ich und meine bey mir befindlichen werthen Freunde, verlangt hatten. Demnach wurde in gröster Geschwindigkeit erstlich der Cörper des Don Juan ausgegraben, besichtiget und nachhero mit demselben Sarge, welchem ihm seine Lands-Leute von alten Schiffs-Bretern zusammen gehefftet, in einen grossen Kahn ooer Nachen gebracht, da denn in, bey und neben dem Sarge lauter Feuerfangende Materien, als Pulver, Schwefel, Pech, Hanff, Stroh, Werg, und dergleichen Zeug gelegt ward. Wir brachten also dieses abscheuliche Cadaver mit gröster [362] Mühe hinunter in die Mündung des Flusses, da denn Vincentius auftrat, und sagte: Meine Freunde! ich bin zum Zeitvertreibe mit zur Leiche gegangen, und habe gesehen, daß ihr Mühe und Arbeit genug mit dem Cörper eures Feindes gehabt, nunmehro aber lasset mich gantz alleine schalten und walten.

Wenige Minuten hernach höreten wir denCarthaunen-Knall von der Insul Groß-Felsenburg erschallen, als welcher das Signal war, daß unsere Obern und Freunde eben um selbige Zeit den Cörper des vermaledeyeten Lemelié von sich fortschaffen, und der offenbaren See anvertrauen wolten.

Demnach entstunde so gleich ein unvermutheter hefftiger Würbel-Wind, welcher den Nachen oder Kahn, als Vincentius hie und da Feuer hinein gelegt, gantz schnell fort und in die offenbare See nach den Sand-Bäncken zuführete. Es war dieses, wenigstens in meinen Augen, ein gantz poßierliches Schau-Spiel, indem immer eine Raquete, Schwärmer und dergleichen Zeug in die Lufft flogen, doch kan nicht läugnen, daß dennoch wegen des todten Cörpers einiger Abscheu mit unterlieff; allein es währete kaum eine halbe Stunde, als wir den Nachen, nachdem er sich vielemahl in der See herum getummelt, in lichten lohen Flammen brennen, und endlich versincken sahen.

Wir wolten also nach abgewarteter Tragœdie zurück gehen, um uns in unsern Hütten der Ruhe zu bedienen; doch Vincentius hat, daß [363] wir wenigstens noch eine halbe Stunde verharren, und wohl in Obacht nehmen solten, was etwa weiter möchte vorgehen. Blos ihm zu Gefallen blieben wir also noch da, und sahen, daß ein gräßliches Monstrum, wie mir etwa die allergrösten Arten von Wallfischen von andern beschrieben worden, gerades Weges auf unsere Bucht zugeschwommen kam! welches aus seinem Rachen und Nasenlöchern nicht allein die fürchterlichsten Wasser-Ströme, sondern auch feurige Funcken und Flammen aussprützte.

Fürchtet euch nicht, meine Freunde! (sprach hierVincentius) denn dieses Ungeheuer will mit mir allein zu thun haben. Und in dem er diese Worte aussprach, warff er sich, so, wie er da gegangen und gestanden war, mit völliger Kleidung in den Fluß, und schwumme dem Meer-Wunder entgegen.

Mir wurde bey dieser Verwegenheit zwar angst und bange, jedoch, da ihm niemand weder zunoch abgerathen hatte, diese gefehrliche Schwimmerey anzutreten, als überließ ihn seinem Schicksale, da wir denn bey der finstern Nacht, indem sich der Mond unter eine schwartze Wolcke verborgen, so viel gewahr wurden, daß unser Vincentius, nach einem hefftigen Streite mit dem Meer-Wunder, von demselben unter Donner, Blitz, Hagel, ja dem grausamsten Sturm-Wetter aufgeschnappt und verschlungen wurde, mithin den Sieg über dasselbe nicht erhalten können, sondern den Kürtzern ziehen müssen.

Ich glaube nicht, daß einer unter uns allen [364] gewesen, dem bey dieser Begebenheit nicht so wohl, als mir selbsten, die Haare zu Berge gestanden und alle Glieder des Leibes gezittert hätten; und eben dieserwegen beschlossen wir des anbrechenden Tages zu erwarten, ehe wir uns nach unsern Obdache und Lager-Stätten verfügen wolten. Dieses geschahe, nachdem die Sonne aufgegangen war, und alles Ungewitter vertrieben hatte; Als wir nun unterweges das klägliche Schicksal des Vincentii überlegt und bedauert, so traffen wir denselben in seiner Hütte gesund und frisch an, und zwar in der Verfassung, daß er seine Kleider und Schuhe ausbesserte. Anfänglich entsetzten wir uns über seine Person, indem wir zum Theil würcklich auf die Gedancken gerathen, als ob er vom bösen Feinde wäre weggeführet worden; jedoch Vincentius, so bald er dergleichen Gedancken von uns vernommen, fieng überlaut zu lachen an, und sagte: Nein, meine Freunde! ihr müsset meiner Kunst und Geschicklichkeit ein mehreres zutrauen lernen: denn dieses, was ich mit dem Meer-Wunder vorgehabt, ist ein bloses Schatten-Spiel gewesen, von nun an aber, sollet ihr erstlich rechte Wunder-Dinge sehen, hören und erfahren, die nicht allein euch, sondern auch wohl euren späten Nachkommen zum Nutzen gereichen können.

Mittlerzeit, da er diese und noch weit mehrere Worte, seiner gewöhnlichen Beredsamkeit nach, vorgebracht hatte, unsere Magens aber, weiln es bald Mittags-Zeit war, nach denen im Feuer-Loche befindlichen Fleisch-Töpffen, Gemüsen und andern guten Gerichten vom Gebratens und Fischen [365] entgegen delleten, so wurde unsere Hoffnung auf einmahl, allem Ansehen nach, zu nichte gemacht, indem sich aus dem Feuer-Loche ein ziemlich hoher Hügel aufthürmete, der, wie wir uns nicht anders einbilden konten, in kurtzer Zeit alles Gesottene und Gebratene in die Asche verschütten würde; Jedoch, je mehr sich einige unter uns darüber mißvergnügt bezeigten, desto mehr fieng Vincentius darüber zu lachen an, und ehe wir uns umsahen, war nicht allein der Hügel verschwunden, und das Feuer-Loch in seiner gewöhnlichen Ordnung, sondern wir sahen auch, daß auf dem grünen Rasen etliche Tücher aufgedeckt, Teller und alles zurechte gelegt waren, was sonsten zum Tisch-Zeuge gehöret. Demnach speiseten wir unter wunderlichen Gedancken, doch mit noch so ziemlichen Appetite, zumahlen, da wir sahen, daß um und neben uns herum viele gantz frische Hauffen aus der Erde aufgeworffen wurden, die doch sehr weit grösser waren, als die gewöhnlichen Maulwürffer-Hauffen.

Wie nun Vincentius dieserwegen unsere Erstaunung und Verwandelung gewahr wurde: sagte er: meine Freunde! kehret euch an alles dieses nicht, sondern ein jeder speise nur seinem Appetite nach so viel, als er vertragen, und sich Kräffte in den Cörper schaffen kan: Denn so bald die Sonne untergangen ist, müssen wir alle insgesamt zu graben, zu schauffeln und zu hacken anfangen.

Wie nun also die Sonne untergegangen, und die erste Dunckelheit der Nacht eingetreten war, zeigte sich nicht allein in dem Feuer-Loche, sondern [366] auch über den aufgeworffenen Hügeln lichterlohe Flammen, und zwar, wenn ich es ja recht beschreiben soll, dergestalt, als wenn man Spiritum Vini darauf und darüber gegossen, und selbigen angezündet hätte: denn die Flammen waren alle gelb-grün-blau- und röthlich unter einander vermischt Vincentius nahm also, nachdem er uns allen einen hertzhafften Muth eingesprochen, und sein Handwercks Zeug, als Hacke, Schauffel, Spaten und dergleichen aufgefasset, erstlich den geraden Weg nach dem Feuer-Loche zu, als welches um allerfürchterlichsten zu brennen schien. Wir, so viel unserer waren, folgten ihm Paarweise nach, trugen und schleppten auch das Handwercks-Zeug, so gut wir konten; So bald aber dieser unser Führer, Vincentius, an das Feuer-Loch gekommen war, und dasselbe untersucht hatte; sprach er: Meine Freunde; hier ist vorjetzo noch nichts zu thun, so lange bis die Mitternachts-Stunde da ist; unterdessen aber folget mir und meinem Rathe, und nehme ein jeder, so wie ich, einen kleinen Hügel vor sich, und wenn unsere Arbeit nicht bezahlet wird, will ich mir binnen 3. Tagen selbsten, einen Scheiter-Hauffen machen, mich darauf setzen, und mit Pulver, Schwefel und Pech verbrennen. Allein dieserwegen hat sich niemand Sorge zu machen, denn der Himmel ist mit im Spiele, als welcher durch mich geringen Menschen euer Glück, Reichthum und Wohlstand zu befördern gewillet ist.

Ich will eben nicht sagen, wie mir vor meine Person bey dieser Begebenheit um die Lunge und [367] Leber zu Muthe war, jedoch zu zeigen, daß ich kein Hasen-Hertz hätte, mithin auch andere nicht gern feige machen wolte, als nahm ich, da ich erblickte, daß Vincentius den Anfang machte, auch meine Schauffel, Spaten, und grub bey dem Scheine der vielen angesteckten Fackeln, da ohnedem es noch sehr Mond-und Stern-helle war, eine Urnam, oder so genannten heydnischen Todten-Topf, aus der gantz lockern Erde heraus. Indem ich mir aber in meinen Gedancken darauf gantz viel einzubilden getrauete, so wurde um und neben mir gewahr, daß meine andern Mit-Geferten eben dergleichen Dinger aus den kleinen Hügeln (oder wie ich dieselben vorhero genennet, Maulwürffer-Hauffen) zum Vorscheine brachten. Vor meine Person habe nicht mehr als 9. derselben Stück ausgegraben; jedoch da Vincentius das abgeredete Zeichen von sich hören ließ, daß wir uns alle insgesamt wieder bey ihm versammlen solten, machte ich auch meiner Arbeit vor dißmahl ein Ende, und gieng mit an die Haupt-Arbeit, welche in Ausgrabung des Feuer-Loches bestund.

Hier hätte man sein Wunder sehen sollen, welcher Gestalt sich die artigen Thiergens, die wir nur immer sofort Minions nenneten, auf das allerkräfftigste bemüheten, uns in unserer Arbeit zu verhindern, wie denn auch allerhand andere Gespenster, als Feuerspeyende Drachen, feurige Schlangen und dergleichen Ungeziefer ebenfalls auf uns zu gegangen, geflogen und gekrochen kamen, welche aber alle, so bald Vincentius nur [368] seinen Zauber-Stab aufhub, augenblicklich zurücke wichen, oder auf der Stelle ohnmächtig liegen blieben.

Endlich, da meine Taschen-Schlag-Uhr die vollkommene Mitternachts-Stunde mit 12 Schlägen angezeigt, geschahe ein gewaltiger Donnerschlag, worüber wir insgesamt erstaunete, allein, da wir die Sache recht betrachteten, so war uns hierdurch alle unsere Mühe und Arbeit erleichtert, denn es hatte sich in dem Feuer Loche eine Machine über 2 Ellen hoch von selbsten aus der Erde empor gehoben, welche Vincentius so wohl, als die ausgegrabenen Urnen mit seiner Wünschel-Ruthe berührete, uns aber bat, nur stille und ruhig zu seyn, des Tages zu erwarten, inzwischen aber etwas von stärckenden Geträncke zu uns zu nehmen, denn es hätte auf diesesmahl nunmehro alles seine vollkommene Richtigkeit.

Sehr selten bin ich wohl in meinem gantzen Leben nach dem Anbruche des Tages begieriger gewesen, als eben diesesmahl; da aber derselbe endlich erfolgte, so, daß einer dem andern das Weisse in den Augen erkennen konte, giengen wir vor allererst in der gantzen Gegend herum spaziren, und zehleten, daß wir 53Urnen oder Todten-Töpfe ausgegraben hatten; Es waren dieselben von verschiedener Grösse, theils steinerne, theils küpferne, theils silberne; güldene aber nur 2 nicht allzu grosse. Auf deren Deckeln befanden sich eben dergleichen Zeichnungen, wie ich schon ehemahlen gemeldet und abgerissen, nur aber bey diesem oder jenem mit einer oder anderen Veränderung der Charactern. [369] Wer Lust und Belieben hat dieselben noch vor sich abzuzeichnen, kan es alle Tage thun, indem wir sie mit hieher gebracht haben, ich aber sage vorjetzo nur so viel, daß, nachdem wir alle dieseUrnen vor unsere Hütten getragen, und in Ordnung gestellet hatten, Vincentius uns einen Winck gab, mit ihm zu gehen, und die Machine genauer zu betrachten, die sich in dem Feuer-Loche erhoben hatte. Demnach befand sich, daß es ein silberner, mit vielen Zierrathen und Charactern versehener, ordentlicher Todten-Sarg, dessen Länge 4 Ellen, die Breite oben zum Häupten 2 und 1 halbe Ellen, unten zum Füssen aber nach Proportion etwas schmäler zugelauffen war.

Nachdem wir nun auf Anregung des Vincentii den Sarg-Deckel, und zwar mit ziemlicher Mühe, auf- und abgehoben, erblickten unsere Augen 2 Cörper darinnen, neben einander liegend, welche dergestalt gelegt zu seyn schienen, als ob sie einander umarmeten. Ihre Gesichter zeigten sich nicht gräßlich, wie etwa sonsten Leichen-Gesichter auszusehen pflegen, indem, wie ich aus vielen Umständen spürete, beyde Cörper einbalsamirt seyn mochten, von den Kleidungsstücken aber war wenig zu sehen, weilen dieselben ziemlicher Massen vermodert, jedoch ich hatte das Glück, aus einem gewissen Zeichen zu bemercken, daß sie alle beyde in Purpur-Kleidern möchten seyn beerdiget worden; wie denn auch beyde gantz zierliche güldene kleine Cronen auf ihren Häuptern trugen, die mit den kostbarsten Diamanten und andern Edelsteinen besetzt waren.

[370] Wir allerseits nahmen uns ein nicht unbilliges Bedencken, diese Cörper fernerweit zu beunruhigen, zumahlen, da wir befürchteten, daß dieselben etwa entzwey brechen, oder gar zerfallen möchten, giengen also insgesamt um den Sarg herum, wie, dem gemeinen Sprichworte nach, die Katzen um den heissen Brey, befanden aber dennoch bey einiger weiterer Untersuchung, daß dieselben auf lauter geprägten Gold-und Silber-Müntzen vielerley Gepräges lagen und mit den auserlesensten orientalischen Perlen überschüttet waren.

Wir 3. der ansehnlichsten Felsenburger, wie man uns damahls nennete, gaben demnach dem gantzen Volcke so wohl die Urnen, als den silbernen Sarg zum Preise, baten uns aber nur dieses darbey aus, daß sie ja die Cörper und Gebeine verschonen, nicht beschimpffen, sondern in Ehren halten, sonsten alles Geld, Gold, Silber und Perlen heraus nehmen, und unter sich theilen möchten; Allein, nachdem alles, wie es war, gantzer 3. Tage und Nächte also stehen geblieben, verspüreten wir, daß weder ein Fremder, geschweige denn ein Felsenburger sich an dem allergeringsten vergriffen, auch nicht einmahl eine Perle heimlicher Weise zu sich genommen hätte. Die Ursache dessen ist leicht zu errathen, weilen unsere Felsenburger Gold, Silber, Perlen, Edelgesteine und dergleichen Sachen vor gar nichts besonders halten, da ihnen dieselben wenig oder gar nichts nützen, und bewust, daß wir bereits im Uberflusse damit versorgt sind. Als wir aber den Vincentium [371] und seine Geferten darum ansprachen, daß sie vor ihre allerseitige Bemühungen und uns erzeigte Gefälligkeiten sich der Billigkeit gemäß bezahlt machen, und das Beste von den gefundenen Schätzen auslesen möchten; so giengen die Portugiesen über 100. Schritt von uns hinweg, und unterredeten sich fast über eine halbe Stunde lang mit einander, da sie aber wieder zurück kamen, bat Vincentius, daß wir Felsenburger uns um ihn herum setzen, und seine Reden anhören möchten.

Da es nun eben zu keiner fürchterlichen Zeit und Stunde war, indem die Sonne mitten am Himmel stund die, weilen keine eintzige trübe Wolcke zu sehen, uns recht ungemein erquickte, so nahmen wir uns um so viel desto weniger Bedencken, seinem Bitten zu gehorsamen, da er denn folgende Worte vorbrachte: Meine lieben Herren und Freunde! ich bin in meinem Hertzen durch viele Merckmahle dahin überredet, daß die meisten unter euch mich vielleicht vor einen Ertz-Zauberer oder Hexen-Meister ansehen und halten; Allein, ich bin keiner von beyden, sondern bey allem dem, was heilig ist, betheure ich, auf meiner Seelen-Seligkeit, daß mich die allerhöchste Macht angetrieben, euch einen und andere Dienste zu leisten, und mir anbey dero allerkräfftigsten Schutz und Beystand versprochen; als wovon ich vor dißmahl nicht viel reden und prahlen will.

Kurtz: ich habe bis auf diese Stunde getreulich so viel bey euch ausgerichtet, als [372] mir bis hieher befohlen ist wovon ihr denn verhoffentlich sattsame Zeugnisse haben werdet; zumahlen, da mir auch die unterirrdischen und verfluchten Geister nicht widerstehen, vielweniger mich in meinem Vorhaben verhindern können. Nunmehro aber, da ihr von einer Belohnung meiner euch geleisteten getreuen Dienste zu reden anfanget, möchte mich dasselbe fast verdriessen, weiln ich nicht eigennützig bin, auch vor meine gehabte Mühe nicht die allerkleineste Perle verlange. Meine Cameraden, mit denen ich mich vor kurzer Zeit besprochen, sind eben dieses Sinnes. Die Ursache aber ist diese: weiln ihr uns eine Zeit dahero auf das allerkostbarste und herrlichste tractirt habt, und, wie ihr sagt, uns den Aufenthalt auf dieser Insul, nebst nothdürfftiger Verpflegung zu reichen und zu vergönnen noch fernerhin gesonnen. Demnach nehmet so wohl den Sarg, als die Urnen mit hinüber auf die grosse Insul, um euren Freunden ein Vergnügen damit zu stifften, vergesset unserer darbey auch nicht mit Zuführung einer und anderer leckerhafften Speisen und Geträncke, als worvon wir gantz besondere Liebhaber sind; Folget meinem Rathe, und fahret gleich Morgen früh mit Aufgange der Sonnen zu euren Freunden hin, und bringet ihnen alles das, was wir gefunden haben, doch dieses ist ein bloses Kinder-Spiel gegen diejenigen Schätze zu rechnen, welche ich binnen wenig [373] Tagen noch zu finden, oder wenigstens euch anzuweisen verhoffe. Nur aber bitte ich mir dieses aus, daß wenigstens 10. bis 12. Mann der hertzhafftesten Männer oder Junggesellen bey mir bleiben, um mit ihnen das Gebürge, sonderlich aber den grossen Berg durchzustreichen und zu besichtigen, da ihr denn, wenn ihr etwa binnen 8. oder 14. Tagen wieder anhero zu kom men euch bemühen woltet, ohnfehlbar weit mehrere Neuigkeiten, als bishero vorgefallen, erfahren werdet, und zwar zu eurem eigenen allergrösten Nutzen.

Die Felsenburger hatten den Vincentium kaum ausreden lassen, als sogleich nicht nur 10. oder 12. sondern noch viel mehrere, so wohl Männer als Junggesellen, heraus traten, und sich als Freywillige angaben, bey dem Vincentio zu bleiben, mitlerweile wir die gefundenen Sachen hinüber auf die grosse Insul zu den Unserigen schaffen, und so bald, als möglich, wieder zurück kommen solten. Nachdem nun Vincentius mich und meine beyden Herren Beystände ersucht, mit ihm annoch vorhero in etwas spatziren zu gehen, inmassen er uns noch viele wichtige Dinge zu offenbaren hätte, als folgten wir ihm nach, und erfuhren solche Geheimnisse aus seinem Hertzen und Munde, von welchen wir uns vorhero keine Vorstellung machen können; weiln aber voritzo, gewisser Ursachen wegen, ein billiges Bedencken trage, dieselben zu wiederholen, so verweise einen jeden treugesinneten Felsenburger an unser ordentlich Archiv, (als worinnen die deßfalls unsere damahlige gethane Aussage protocolliret [374] worden, um seine Curiositée zu vergnügen, weiln ein solches keinem Treu-meynenden zum Lesen abgeschlagen wird.

Gleich des darauf folgenden Tages machten wir uns reisefertig, um mit unsern Booten fort zu rudern; welches denn auch geschahe, nachdem wir nicht allein den silbernen Sarg, sondern auch alle 53 Urnen eingeschifft, von den Portugiesen, unter Versprechung baldiger Zurückkunfft, Abschied genommen, und bey ihnen 12 Mann der hertzhafftesten Felsenburger da gelassen hatten. Es ist leicht zu erachten, daß die Unserigen über unsere glückliche Zurückkunfft eine besondere Freude, wie auch über die mitgebrachten Antiquitäten eine ausnehmende Verwunderung gehabt; Nachdem aber dieser letztern wegen verschiedene Zusam enkünfte von den Aeltesten und der Geistlichkeit gehalten worden, wurde endlich beschlossen, von allen diesen Sachen fernerweit nichts anzurühren, sondern dieselben, (weiln wir nicht wüsten, ob es Christen oder Heyden, wenigstens Menschen gewesen, die an den allerhöchsten GOtt geglaubet hätten) zwar nicht auf unsern ordentlichen Gottes-Acker, viel weniger in unsere Kirche zu bringen; sondern es solte hinter unserm Kirch-Thurme, als welches Plätzgen sich wohl darzu schickte, ein besonderes Gewölbe angemauert, und alle diese Sachen, so wohl der Sarg als die Urnen hinein gesetzt, auch wohl verwahret werden, damit nicht etwa Unmündige und Unverständige sich daran vergreiffen möchten. Dieser Schluß und Verordnung gefiel mir zwar gewisser Massen wohl, allein, die angebohrne Curiositée [375] protestirte darwider, indem ich gern weiter und besser untersuchen wolte, was etwa hie und ha, so wohl in dem Sarge, als in den Urnen versteckt seyn möchte, denn ob mir zwar an Golde, Silber Diamanten, Perlen und andern Edelgesteinen so wenig, als an meinem Huthe gelegen, den ich noch jetzo auf dem Kopfe trage; so reitzeten mich doch eine und andere erblickten Müntz-Sorten an, meiner Neigung vor dißmahl Folge zu leisten, und das abergläubige Sprichwort: Man solle die Todten nicht berauben etc. gewisser Massen hinten an zu setzen.

So bald ich demnach meine Gedancken den mir allervertrautesten Freunden, die ich eben itzo mit Namen zu nennen Bedencken trage, fanden sich ihrer 6. die nicht allein mit mir einerley Meinung hegten, sondern sich auch, nachdem das gemauerte Gewölbe fertig, und der Sarg so wohl als die Urnen in bester Forme hinein gebracht waren, wenig Tage hernach, und zwar nicht etwa um die Mitternachts-Stunden-Zeit, sondern gantz früh Morgens mit aufgehender Sonne, zugleich mit mir in das Gewölbe begaben, da wir gewiß, bey noch darzu angezündeten Wachs-Kertzen, unserer Neugierigkeit ein sehr starckes Vergnügen leisteten, denn wir fanden unter den gold- und silbernen grossen Medaillen einige Stück, deren Zeichnungen diese waren: wie der Welt-Heyland Christus am Creutze hieng wieder andere, da die Mutter GOttes Maria das Christ Kind auf dem Arme trug; anderer so genannter Schaustücke oder Medaillen, auf welchen die Bildnisse der heiligen Aposteln und Evangelisten mit leserlichen [376] Umschrifften befindlich, zu geschweigen, wie ich denn auch von dem zur übrigen Politischen Historie einschlagenden Müntzen itzo gar nichts reden will, weilen ein solches mir ohnedem zu weitläufftig und verdrießlich fällt, ein jeder Curiosus aber dieselben in unserm Archiv und Bibliotheque alltäglich zu sehen bekommen kan.

So bald demnach alles dieses in möglichster Stille nach meinem Wunsche zum Stande gebracht, wir auch erfahren, auf was vor Art die Unserigen den verda ten Cörper des Lemelié von sich geschafft, hatte ich weder Ruh noch Rast, bis ich wieder eine abermahlige Reise nach der Insul Klein-Felsenburg antreten konte. Und diese geschahe ohne fernere weitläufftige Uberlegung wenige Tage hernach in Begleitung vieler der allervertrautesten und sonst hertzhafften Freunde. Vor die Klein-Felsenburger nahmen wir also auf 3 Booten abermahls einen starcken Vorrath von Lebens-Mitteln, und zwar der allerbesten und leckerhafftesten, welche so wohl den Unserigen als unsern Gästen, die uns einer so wohl als der andere mit ausgereckten Armen zur Bewillkommung entgegen gelauffen kamen, ein nicht geringes Vergnügen erweckten. Wir fanden alle noch gesund, frisch und lustig, so, daß man ihnen keinen Hunger, Kummer, oder Noth ansahe, denn sie hatten sich binnen der Zeit mit Essen und Trincken wohl gepflegt, waren zum öfftern Lustwandeln gegangen, und hatten auser den vorigen, die wir schon mitgenommen, noch 19 herrlich schöneUrnen ausgegraben, ingleichen die Minions vertilgt, von welchen sie mehr als 100 Bälge aufzeigten, sonsten aber [377] war ihnen gantz und gar nichts schreckhafftes oder wiederwärtiges begegnet. Nachdem wir nun 2. Tage ausgeruhet, und uns die niedlichsten Speisen und Geträncke wohl bekommen lassen, tratVincentius auf, und sagte: So zu leben ist keine Kunst, meine Herren und Freunde! allein, ich halte nicht vor rathsam, daß wir so länger auf der Bärenhaut liegen, darum wollen wir, wenn es euch gefällig ist, uns eine Bewegung machen, denn es hat mir in verwichener Nacht ein guter weisser Geist angedeutet, daß unser Gang nicht vergeblich seyn soll, vielmehr würden wir etwas gantz besonders neues antreffen.

Wie wir nun insgesamt der Faulheit eben so sehr nicht ergeben, als wurde verabredet und beschlossen, eine Reise nach dem grossen Gebürge, (NB. welches auf dem Grund-Risse dieser Insul Klein-Felsenburgpag. 452 im andern Theile mit N. bezeichnet) vorzunehmen, da denn Vincentius mit seiner Wünschel-Ruthe eine und andere Probe zu machen versprach. Ob nun gleich einem jeden frey gestellet war, entweder mitzugehen, oder in den Hütten bey unsern Sachen zu bleiben, so war doch kein eintziger, der zurück zu bleiben Lust bezeigte, sondern sie giengen alle mit, und zwar früh Morgens mit Anbruche des Tages, da sich denn ein jeder mit Proviant und Gewehr aufs beste versorgte, und auser diesem allen führeten wir auch noch viele Picken, Hacken, Aexte, Schauffeln und Spaten mit uns.

Als wir nun das Gebürge bey Untergang der Sonnen erreicht, machten wir am Fusse desselben etliche Feuer an, lagerten uns um dieselben herum, [378] und brachten dieselbe Nacht unter allerhand guten Gesprächen ungemein vergnügt und ruhig zu, bis der Tag wieder angebrochen war, da wir denn dem Vincentio, nach verrichtetem Morgen-Gebet, weiter in und auf das Gebürge folgten.

Zeit meines Lebens habe ich keine grössern Wunderdinge (ich verstehe nemlich solche, welche der Sage nach, blos in der Natur stecken sollen) verrichten sehen, als Vincentius mit seinen Wünschel-Ruthen verrichtete: Denn er hatte auser seinem gewöhnlichen Zauber-Stabe nicht nur eine, sondern mancherley Arten von Wünschel-Ruthen bey sich, und zwar, wie er sagte, nach den mancherley Arten der Metallen und Mineralien zugerichtet. Wie gesagt, es war bewundernswürdig, wie wir denn alle, die dabey gewesen, und es mit angesehen haben, ein solches bezeugen werden: Denn die Ruthen sprungen zum öfftern gantz schnell in die Höhe, zur andern Zeit aber blieben sie auf dem Boden dergestalt feste kleben, so, daß Vincentius dieselben mit der allergrösten Gewalt wieder an sich ziehen muste. Wo nun ein vortheilhaffter Platz war, ließ er alsobald durch unsere Leute ein Spannen-tieffes Loch einhauen, und zum Wahrzeichen einen behauenen Stein hinein setzen, deren jeden er selbst vermittelst bey sich habender Stein-Meissel mit Ziffern und allerhand Charactern bezeichnete. Es war mit gröster Lust anzusehen, wie sauer es sich unsere bey uns habenden Leute mit der Arbeit werden liessen, dergestalt, daß sie sich kaum Zeit zum Essen und Trincken nehmen wolten, anbey auch, wie man zu sagen pflegt, wie die Braten schwitzten, denn die unvergleichlich [379] grossen Ertz-Stuffen, welche zum Theil Gold, Silber, Kupfer und andere Metaillen in sich hielten, fielen uns allen dergestalt entzückend in die Augen, daß wir uns nicht satt daran sehen konten, zumahlen, wenn nach ihrer Abwaschung die Strahlen der Sonne darauf fielen. Solchergestalt arbeiteten wir alle insgesamt die Wochen, oder so genannten Werckel-Tage immer mit glücklichem und vergnügtem Fortgange unsers angefangenen Wercks fort, so lange, bis der Sonntag heran nahete, da denn beschlossen wurde, alle Arbeit stehen und liegen zu lassen, GOtt zu Ehren aber den Sabbath oder Sonntag, ein jeder nach seiner Religion, heiligen und feyren wolte.

Vincentius ließ sich vernehmen, wie er nicht vermeynet, daß wir so gar sehr gewissenhaffte Christen wären, unterdessen aber wäre es löblich, billig und recht, vor allen Dingen dem allerhöchsten GOtte, als dem Geber aller Güther, Lob, Danck und Preiß zu bringen, und um fernern Beystand anzuflehen.

Demnach giengen etliche der Unserigen auf die Fischerey aus, um etwas tüchtiges zu fangen, weilen vielleicht unsere Lebens-Mittel vor so viele Personen nicht hinlänglich seyn möchten; brachten auch noch vor Einbruch des Sonnabends-Abends, eine gewaltige Menge der auserlesensten delicatesten Fische von allerhand Gattung, die wir auf Kohlen braten liessen, weiln kein Geschirr, auch nicht gnugsames Saltz vorhanden war, dieselben zu kochen. Jedoch Vincentius schaffte bald Rath, indem er sagte: wem es am Saltze fehlet, der nehme nur [380] diese meine Wünschel-Ruthe, und folge derselben so lange nach, bis sie ihm von sich selbsten aus der Hand springet, da sich denn zeigen wird, daß auf derselben Stelle, wo sie niederfällt und liegen bleibt, das allervortrefflichste und gesundeste Saltz sich finden wird, von welchem oberhalb nur einer Hand hoch, die darüber liegende Erde, Staub oder Steine dürffen abgeräumet werden.

Ohngeachtet nun der Saltz-Mangel eben so gar sehr groß nicht war, indem der annoch bey uns habende Vorrath wohl noch zur Noth auf 3. bis 4. Tage hinreichend gewesen: so war doch ich so gar sehr neugierig, dieses Experiment mit der Wunschel-Ruthe zu machen; bat also den Vincentium, mir diese Wünschel-Ruthe anzuvertrauen, und anbey die Vortheile zu zeigen, wie man mit derselben umgehen müste? da er denn sagte: Mein Herr! ihr habt weiter nichts zu thun, als die Ruthe vor euch in der Hand zutragen, und dabey zum öfftern die Worte auszusprechen: Sal sursum folget ihr nur so lange nach, als sie sich in eurer Hand regt, mithin, so zu sagen, den Weg zeiget, wohin ihr wandeln sollet, wenn die Ruthe aber springt und liegen bleibt, so scharret das oberste auf, alsdann werdet ihr Saltz in Menge finden.

Demnach, zumahlen da die vorgesprochenen zwey Worte mir eben nicht verfänglich vorkamen, begab ich mich nebst 3. Felsenburgischen Geferten, welche Säcke bey sich führeten, auf den Weg, und empfand erstlich in Wahrheit, daß sich die Ruthe in meinen Händen sehr öffters regte und bewegte, bis sie endlich, da wir ohngefehr 4. bis 500. Schritte [381] nach der kleinen See zu, fortgewandert, auf einmahl gantz plötzlich aus meiner Hand sprung, und auf einem kiesigen Erdreich liegen blieb. Meinē Geferten und ich machten uns also an die Arbeit (um zu erfahren, ob wir belogen oder betrogen wären) und kratzten in möglichster Geschwindigkeit, auch so gar mit den blosen Händen, die oberste Erde, Kieß und Steine weg, da wir denn, weiln nach dem Untergange des Sonnen-Cörpers es noch ziemlich helle war, so viel sehen konten, daß sich die feineste weisse Materie erhub, welche wir dem Geschmacke nach, sogleich vor das allerbeste Saltz erkannten, unsere 3. Säcke damit anfülleten, die Stätte und Gegend wohl bezeichneten, und uns hernach wieder zu der übrigen Gesellschafft begaben. Vincentius machte die erste Probe mit diesem unsern gefundenen Saltze, indem er vor sich allein verschiedene grosse, mittelmäßige und kleine Fische gebraten, und dieselben starck damit würtzete, ja fast über die Gebühr, um uns nur den Argwohn zu benehmen, als ob dieses Saltz etwa ein gifftiges Saltz wäre; allein es ist es nicht, sondern wir haben nach der Zeit befunden, daß diese und noch mehrere herum liegende Saltz-Gruben das allerbeste und kostbareste Saltz in sich führen.

Nachdem wir aber damahls uns alle wohl gesättiget, und um die angemachten Feuer herum gelagert, der Ruhe zu erwarten, höreten wir ohngefähr in der Mitternachts-Stunde eine Stimme zu dreyen verschiedenen mahlen dergestalt starck ruffen, als ob dieselbe durch ein Sprach-Rohr redete, und zwar, so kam der Schall aus dem gegen uns über liegenden hohen Berge, die Worte aber waren diese: [382] Vincent, Allah! Dio. Wie nun ich bemerckte, daß Vincentius munter war, so fragte ich ihn, als ich die Stimme zum dritten mahle ruffen, und noch etliche mehrere Worte aussprechen hörete: was dieses zu bedeuten hätte? Hierauf trat er auf, und rief etliche mahl mit lauter Stimme Allah! Allah! Dio. Wendete sich hernach wieder zu mir, und sagte: Mein Herr! diese Stimme kömmt aus dem Heyden-Tempel unter dem grossen hohen Berge, welchen ihr, wie ich vernommen, schon vor einiger Zeit zerstöhret habt, allein dieses soll uns nicht irren, Morgen, so GOtt will, gleich mit anbrechendem Tage uns auf die Füsse zu machen, und unsern christlichen Gottesdienst in diesem ehemahliger Heyden-Tempel zu verrichten, wir werden auch, wie ich euch gantz gewiß versichern kan, keine Gespenster oder Geister darinnen antreffen, sondern nur drey menschliche lebendige Personen.

Ich meines Orts brachte vor Grillen wegen dieser neuenn Begebenheit den wenigen übrigen Theil der Nacht ohne allen Schlaf zu; so bald aber der Himmel zu grauen anfieng, machte ich nicht allein den Vincentium, sondern auch alle meine Freunde munter, da wir denn nach gesprochenem Morgen-Gebet uns abermahls auf die Reise, nach dem grossen Berge O zu, begaben. Die meisten unter uns wusten in selbiger Gegend von vorigen Zeiten her noch guten Bescheid, und eben dieserwegen fiel uns der Weg eben so gar sehr verdrießlich nicht. Kurtz: nach dem wir den grossen Wald glücklich passiret, gelangeten wir in den Mittags-Stunden alle gesund und frisch am O Berge an, fanden auch bald die Wege, in den so genannten Heyden–Tempel zu [383] gelangen. Vincentius gieng voran, und sprach uns immer guten Muth zu, weiln im Tempel alles stockfinster war; jedoch es wurde auf einmahl heller-lichter Tag darinnen, so, daß wir sehen konten, wir sich 3. lebendige Menschen in einen Winckel verkrochen hauen, die aber auf die Anrede desVincentii sogleich hervor traten, und eben so seltsame Complimenten gegen uns machten, als ihre Kleidungen beschaffen waren. Ehe wir was weiteres vornehmen, meine Freunde! (sagte Vincentius allhier) wollen wir erstlich ein jeder nach seiner Religion unsere Andacht verrichten; welches denn auch geschahe. Als dieses vorbey war, trat die älteste Person von diesen dreyen hervor, und redete ihn, ich möchte fast sagen in einer kauderwellischen Sprache, wovon ich aber doch sehr viel verstehen konte, erstlich ohngefehr mit folgenden Worten an: Ihr Herren! meinem Bedüncken nach, muß ich euch vor Christen erkennen, welches ich daraus schliesse, weil ihr das Zeichen des heiligen Creutzes so offt vor eure Brüste und Stirnen macht.

Da ich nun weiß, daß die Christen barmhertzige Leute sind, so erbarmet euch doch einer armen von aller Welt verlassenen Persianischen vornehmen Printzeßin, deren Wart-Frau ich bin, und dieses bey uns stehende Mägdgen ist ihre Bediente. Es ist die Printzeßin zwar nicht arm an zeitlichen Güthern, nemlich an Gold, Silber, Perlen und Juwelen, als welche Schätze an sichern Orten verwahrt liegen; allein sie ist dennoch arm, weilen sie darum verfolgt wird, daß sie keine Feuer-Anbeterin werden, sondern eine rechte Christin bleiben will; [384] da sie sich blos allein in das Christenthum und in den wahren allein seligmachenden Glauben verliebt hat, auch durch keinen Marter-Zwang sich davon abtreiben zu lassen gesonnen ist. Vincentius gab hierauf zur Antwort: wie er diese Sache erstlich mit seinen Geferten überlegen müßte, inzwischen möchten sie nur erstlich alle drey aus dieser Höhle heraus, und an das Tages-Licht kommen, damit wir einander recht in die Augen sehen, und fernerweitige Worte wechseln könten. Sie leisteten also Gehorsam, und folgten uns heraus in die freye Lufft, da wir uns denn alle nicht genugsam über die besondere Schönheit der Persianischen Printzeßin verwundern konten, die, ob sie gleich eine Brunette ist, wenig Blondinen gegen sich hat, welche sie an der actigen Gesichts-Bildung übertreffen solten. Zum guten Glücke hatten einige von meinen Freunden noch ein paar Bouteillen Canari-Sect nebst etwasConfect und andern eingemachten Sachen bey sich, derowegen langete ein jeder hervor, was er hatte, um nur diesen furchtsamen und verdüsterten Seelen oder Cörpern einen frischen Muth zuwege zu bringen. Sie nahmen alles an, was man ihnen reichte, führeten sich aber sehr schamhafftig und mäßig im Essen und Trincken auf, endlich aber wurde ich gewahr, daß die Furcht nach und nach bey allen, dreyen verschwande, und ihre Geister wieder lebendig zu werden schienen, welches uns allen denn gantz sehr angenehm war.

Indem wir aber allgemach von unserer Rückreise zu reden anfiengen, zumahlen, da der Proviant [385] mehr ab- als zunahm, so zog Vincentius nebst andern guten Freunden auch mich auf die Seite, und stellete vor, daß, weilen wir einmahl doch da wären, er aber versichern könte, daß noch weit wichtigere Sachen zu unserm Nutzen abgehandelt werden könten, wenn wir uns nur wenigstens noch eine gantze Woche in dieser Gegend aufhielten; so höreten wir vorhero erstlich dessen deutlichere Erklärungen an, und da wir vieles darinnen fanden, welches unserm Hertzen wohl gefiel, so wurde gleich in der Geschwindigkeit beschlossen, noch einen Sonntag in dieser Gegend abzuwarten, um zu erfahren, ob des Vincentii Versprechungen und Künste fernerweit so gut eintreffen und wohl ablauffen würden, als wir eine Zeit daher von ihm bereits durch viele Proben vergewissert waren.

Demnach wurden ohne ferneres Bedencken 20. der hertzhafftesten und hurtigsten Felsenburgischen Männer und Junggesellen nach unsern Hütten geschickt, um Proviant und was uns sonsten etwa mangelte, so bald als immer möglich, herbey zu schaffen. Wie nun dieselben diese Strapaze mit Lust angetreten hatten, so sahen wir sie am Abende des dritten Tages nach ihrem Weggehen glücklich und wohl beladen zurückkommen: Denn sie hatten sich Trage-Bahren gemacht, auf welchen sie alles, was unser Hertz begehren konte, im Uberflusse herbey brachten, ja, sie wolten nicht einmahl eingestehen, daß ihnen diese Reise sauer angekommen wäre, indem sie lauter Zeitkürtzende Gespräche unter sich geführet, bey der Tragungs-Last [386] aber immer einer den andern nicht mit Verdruß, sondern mit gröster Lust abgelöset hätte.

Vor allen Dingen aber muß ich die besondere Begebenheit zu melden nicht vergessen, welche des Abends vor der Zurückkunfft unserer Ausgeschickten vorgieng: Denn, da ich mit der Printzeßin und ihrer Wart-Frau, die sich Anna nennete, bey der kühlen angenehmen Abend-Lufft auf etwa 100. Schritt weit vom Berge und der übrigen Gesellschafft Lustwandeln gieng, traffen wir unterwegs einen grossen ausgehauenen viereckigten Stein an, vor welchem die Printzeßin erstlich wohl eine Minute lang stehen blieb, hernach aber sich auf denselben niedersetzte, und so wohl mir, als der Anna mit Worten und Zeichen zu vernehmen gab, daß wir beyde uns neben sie setzen solten; wie nun dieses geschehen, und wir die Printzeßin also in der Mitte hatten, rieff diese ihrer Bedientin, welche auch nicht weit von uns entfernet war, da wir denn sahen, daß das Mägdgen dem Ruffe augenblicklich gehorsamete, und sich hinter der Printzeßin Rücken auf die Knie niederließ, und zwar gantz stillschweigend, ohne sich mit den Händen, oder sonsten mit dem Leibe zu bewegen.

Mirzamanda, (dieses ist der Nahme der Persianischen Printzeßin) fieng an, in einer verdorbenen und vermischten Sprache folgendes mit mir zu reden: (doch weilen die allermeisten Worte Holländisch auch zum Theil Lateinisch waren, so konte ich vorerst doch nur so viel verstehen, daß sie mich dieses fragte) Mein Herr! es hat mir meine Anna sehr viel von [387] den Christen, ihrem Christenthume, und sonderlich von einem gecreutzigten Heylande vorgeschwatzt, welcher alle Sünder, wenn sie sich nur im wahren Glauben an sein Verdienst zu ihm wendeten, nicht nur zeitlich, sondern häuptsächlich ewig selig und glücklich machen wolte und könte. Darum bitte ich gehorsamst, mir zu eröffnen, ob ich in diesem Stücke vollkommen recht berichtet, oder nur etwa bey der Nase herum geführet bin?

Allerwertheste Printzeßin (gab ich ihr zur Antwort) Sie sind von der Frau Anna nicht im allergeringsten belogen noch betrogen worden, sondern es hat dieselbe einen vortrefflichen guten Grund zu Dero wahren Christenthum gelegt; der gecreutzigte Heyland, als wahrhaffter GOtt und Mensch, wird, wenn Sie ihn fleißig anruffen, verleihen, daß Sie nicht allein hier auf dieser Welt glücklich, hauptsächlich aber nach Ihrem Tode, im Himmel ewig selig werden. Jedoch, weil bey unsern jetzigen Umständen von dieser wichtigen Sache, zumahlen wegen Kürtze der Zeit, nicht viel gründliches gesprochen und überlegt werden kan; so verlassen Sie sich in diesem Ihren christlichen Glauben nur auf unsere christliche Vorsorge und Beyhülffe, als womit Sie nicht betrogen, sondern durch den gecreutzigten Heyland gesegnet werden sollen.

Ich merckte, daß diese meine Worte der Mirzamanda sehr wohl gefielen, indem sie solches mit freudigen Geberden zu erkennen gab, auch mir so gar die Hand küssen wolte; allein diese Höflichkeit schien mir, vor eine Printzeßin etwas gar [388] zu sehr niederträchtig, da sie sich doch sonsten gegen jederman sehr demüthig und gelassen aufführete, als worzu sie ohnfehlbar durch die Betrachtung ihres damahligen Zustandes angetrieben wurde. Hergegen küssete ich ihr die Hände zu vielenmahlen, und gab in zusammen gestoppelten halb Holländischen, halb Lateinischen Worten derselben so viel zu vernehmen, daß sie getrost und gutes Muths seyn möchte, weilen wir vor ihr Wohlseyn alle möglichste Sorge, und zwar vom heutigen Tage an, aufrichtig tragen wollen, damit sie sich binnen kurtzer Zeit darüber zu erfreuen Ursach haben könte.

Kaum hatte ich diese letztere Rede vollendet, so kam ein schöner grosser Löwe mit sachten Schritten auf uns zu gegangen, weßwegen ich meine bey mir habende Flinte zur Hand nahm, als mit welcher ich unter währenden Lustwandeln etliche Vögel von den Bäumen herunter geschossen, und worüber die Printzeßin ein besonderes Vergnügen bezeugt hatte; machte mich also fertig, daferne der Löwe näher käme, Feuer auf denselben zu geben; So bald aber Mirzamanda diese meine Anstalten merckte, und sahe, fiel sie mir zum Füssen, und sagte: Ach nein, mein Herr! unterlasset, dieses schöne Thier zu tödten, denn es ist, ob es gleich ein wehrhaffter Löwe ist, von seiner allerzärtesten Jugend an, so zu sagen, mein Schooß-Hündlein gewesen, er beleidiget auch niemanden anders, als diejenigen, so meine Person beleidigen oder verletzen wollen, denn ich habe diesen Löwen gantz allein auferzogen, und dieserwegen hat er sich [389] auch nicht gescheuet, mir über die See bis an diesen Ort nachzufolgen.

Ich ließ diese Geschichts-Erzehlung anfänglich auf ihrer Wahrheit oder Unwahrheit beruhen, doch ohngeachtet die Printzeßin selbige auf eine gantz angenehme Art vorbrachte, so hatte ich noch immer einen heimlichen Grauen und Abscheu, so lange ich den Löwen um uns herum wandeln sahe, endlich aber, da sie ihn ruffte, kam er gantz kleinmüthig zu ihren Füssen gekrochen, küssete ihr alsobald die Hände, welches er denn auf ihrem Befehl, auch mir und der FrauAnna thun muste, hernach weltzete er sich etlichemahl auf der Erde herum, und legte sich darauf zu ihren Füssen, blieb auch so lange stille liegen, bis wir alle drey aufstunden, und uns weiter hin nach den Feuern begaben, allwo sich unsere übrige Gesellschafft zum Genuß der Abend-Mahlzeit versammlet hatte. Es war manchem und mir selbst einiger Massen lächerlich anzusehen, daß die Printzeßin den Löwen an ihren zusammen geknüpften Strümpfe-Bändern mit sich geführet brachte, anbey aber zu bewundern, daß sich kein eintziger Mensch vor dieser grimmigen und grausamen Art der Thiere so gar besonders scheuete und entsetzte, da doch sonsten eine blose Löwen-Haut so wohl Menschen als Thieren, jedoch einem vor dem andern, einiger Massen Furcht und Schrecken einzujagen pflegt. Bey dieser meiner Verwunderung that ich die heimliche Frage an den Vincentium: was wohl von diesem Löwen zu halten sey, und ob es ein würcklicher natürlicher Löwe, oder nur eine blose[390] Machine wäre, mit welcher die Geister ihr Spiel trieben? Hierauf gab uns Vincentius diese Antwort: Ich will nimmermehr auf dieser Welt glücklich werden, wenn dieses nicht ein würcklicher und natürlicher Löwe ist, mit dem zwar in Persien die bösen Geister allerhand Gauckel-Spiele getrieben haben; Jedoch dieses alles ist vorbey, und gehet uns allhier nichts an. Genug, wenn ich euch dieses nochmahls hoch und theuer versichere, daß es ein bloser natürlicher Löwe, allein, durch die kluge und behutsame Auferziehung seiner Printzeßin dahin gebracht ist, daß er fast mehr Verstand, als mancher Mensch im Gehirne hat.

Nachdem nun Vincentius mir alles, was er von dem Löwen gesagt, noch mit vielen Eyd-Schwüren betheuert, verschwand nicht allein bey mir aller Argwohn und Mißtrauen, sondern auch die Furcht vor dieser wilden Bestie, ja! ich gewann den Löwen dergestalt lieb, daß ich fast nirgends hingehen konte, wenn ich den Löwen nicht bey mir sahe, als woraus sich dieMirzamanda ein besonderes Vergnügen machte. Jedoch auf das vorige zu kommen, so war doch zu bewundern, daß dieser Löwe, als er uns zum erstenmahle mit der Printzeßin bey der Abend-Mahlzeit besuchte, sich hinter seine Gebieterin stellete, und derselben also aufwartete, wie bey uns die abgerichteten Hunde aufzuwarten pflegen; nach diesem legte er sich vor ihr nieder, seinen Kopff in ihren Schooß, und ließ sich von ihr speisen, hierauf gieng er weiter von einem zum andern, und wer ihm einen rechten wohlschmeckenden Bissen zu verschlingen gab, dem [391] leckte er nicht allein die Hände, sondern auch zum öfftern das Gesichte, welches denn zu verschiedenen mahlen bey uns, zu einer hefftigen Verwunderung und vielen Lachen Anlaß gab. Kurtz: der Löwe führete sich dergestalt artig auf, daß ihn ein jeder von uns liebte, und in besondern Ehren hielt.

Nachdem wir abgeredeter Massen noch die Woche daselbst zugebracht, in den Werckel-Tagen manchen sauren Schweiß-Tropfen vergossen, da uns Vincentius nicht allein in dem Heyden-Tempel, sondern auch in den neben liegenden Grotten dergestalt viel Arbeit angewiesen, daß wir von Morgen an bis zur Abends-Zeit alle Hände voll zu thun fanden, worbey aber niemand saul oder verdrüßlich wurde, weilen wir mit offenen Augen betrachten konten, wie unsere Mühe von Zeit zu Zeit 100. (ja ich lüge nicht, wenn ich sage, 1000, sach) belohnet war; so beschlossen wir noch den einen Sonntag abzuwarten, und des darauf folgenden Tages nach unsern Hütten zu kehren. Es wurde also bemeldter Sonntag ohne Arbeit, sondern in gutem Vergnügen zugebracht, weiln wir uns hauptsächlich die von unsern Leuten aus dem Hütten abgeholten Speisen und Weine wohl schmecken liessen, ausser diesen aber war noch ein gantz besonderes Gerichte von einer Art ungemein grosser, wie auch mittelmäßiger und kleiner Fische, welche unsere Leute lebendig herbey gebracht hatten, und die alle, in Wahrheit gegen andere Arten von Fischen einen gantz besondern Geschmack hatten; es waren aber diese Fische in der Klein-Felsenburgischen grossen See und den daraus fliessenden [392] kleinen Ströhmen und Bächen gefangen worden. Auser diesem allen wurde ich mit besondern Vergnügen gewahr, daß alle unsere Leute, so wohl Römisch-Catholische, als Protestanten, sich in jeglicher Gesellschaffts-Sorte auf die Seite begaben, und den Gottesdienst, ein jeder nach seiner Weise, verrichteten.

Desto schreckhaffter aber kam mir und allen Anwesenden die Tragœdie vor, die bald hernach der Satan spielete, und welche ich etwas umständlich vortragen will. Als demnach die Printzeßin, ihre Wart-FrauAnna, ich und noch einige meiner vertrautesten Felsenburgischen Freunde gegen Untergang der Sonnen bey der gantz ungemein angenehmen Witterung einen Spaziergang nach einem kleinen Gebüsche zu nahmen, so traffen wir unter Weges den Stein an, dessen ich schon gedacht, derowegen verlangte Mirzamanda, Müdigkeit halber, ein wenig auf demselben auszuruhen, setzte sich also zwischen mir und der Anna auf demselben nieder, unsere übrigen Geferten lagerten sich auf dem schönen grünen Grase-Boden um uns herum, der Löwe kam, legte seinen Kopf seiner Gebieterin in den Schooß, Hadscha aber, als der Printzeßin Aufwarte-Mägdgen, fiel abermahls hinter ihrer Gebieterin auf die Knie nieder, hub ihre Augen beständig gen Himmel und nach dem grossen Berge zu, als welcher letztere sonderlich den Augen aller Anwesenden einen bewunderns-würdigen Anblick verursachte, weilen die matten Strahlen der untergehenden Sonne und die aufsteigende, allerhandfärbige [393] Abendröthe denselben, allem Ansehen nach, fast als einen Spiegel zu gebrauchen schienen. Indem sich aber die Sonne kaum gäntzlich verkrochen hatte, ließ es auf dem Berge nicht anders zu seyn, als ob ein helles lichterlohes Feuer auf dessen allerobersten Gipfel brennete, ja, man sahe so gar Funcken heraus und gen Himmel fliegen, eben als ob dieser Berg es andern Feuerspeyenden Bergen, als dem Aetna, Vesuvius und deren gleichen mehr, auf einmahl nachthun wolte; Jedoch die allermeisten unter uns waren der Meynung, daß es kein würckliches natürliches Feuer, sondern ein bloses Blendwerck wäre, welches von den Sonnen-Strahlen und der Abendröthe gemacht würde. Hadscha aber gab uns binnen wenig Minuten gantz etwas anders zu erfahren, denn sie sprunge plötzlich von der Erden auf, und that etliche dergestalt hellkungende Schreye, welche in denen Gebürgen ein gräßliches Echo verursachten, so, daß wir alle in ein nicht geringes Entsetzen gebracht wurden. Hierauf lieff sie, die Hadscha, noch schneller als ein Hirsch über 500. Schritte weit von uns nach dem Berge zu; Anna bat sich aus, es möchten 2. oder 3. dreuste Manns-Personen mit ihr gehen, um dieses thörichte Mensch wieder zurück zu holen, und hierinnen wurde ihr sogleich gewillfahret: denn es fanden sich ohne unsern Befehl und Willen nicht nur 2. oder 3. sondern 8. bis 10. dreuste Felsenburger, welche mit der Anna der Hadscha nacheileten. Diese Nacheilenden mochten aber wohl kaum den halben Weg nach dem grossen Berge zu zurück gelegt haben, als Vincentius [394] gantz tiefsinnig gegen uns, die wir noch bey der Printzeßin versammlet waren, anspatziert kam. Ich rieff ihn zu mir, ein Glas Canari-Sect Bescheid zu thun, und da er kam, so erzehlete ich ihm, was uns begegnet wäre, vornemlich aber die Geschichte mit der Hadscha, als welcher wir vor kurtzer Frist Boten nachgeschickt hätten. Eurer aller Mühe (sprach hierauf Vincentius) wird vor diesesmahl wohl vergebens seyn, weilen der Satan, dem diese Hadscha, als eine Anbeterin des Feuers und Ertz-Verächterin des Christlichen Glaubens von Jugend auf, bis auf diesen heutigen Tag, gedienet, vor kurtzer Zeit den Hals gebrochen, welches ich, so weit es auch euch zu seyn vorkömmt, dennoch ohne Perspectiv mit meiner leiblichen Augen gesehen habe.

Man kan leicht glauben, daß uns diese Worte desVincentii ein nicht geringes Schrecken verursachten: jedoch, da wir doch abwarten wolten, was die Nachgeeileten uns vor einen Bericht erstatten würden, so machten wir Feuer an, uns zu wärmen, weilen es allmählig gar zu kühle zu werden begunte; durfften aber besagten Nachgeeileten nicht länger, als noch etwa 2. Stunden entgegen sehen, da denn dieselben benebst der Frau Anna gesund und frisch zurück kamen. Ihr Bericht war dieser: daß sie die Hadscha noch gantz unten am Fusse des grossen Berges angetroffen, da sie denn Frau Anna, mit gantz freundlichen Worten bereden wollen, wieder mit ihnen zurück und zu ihrer Printzeßin zu kehren; allein Hadscha [395] hätte sich fast gantz rasend angestellet, wäre immer fort geeilet, worbey sie diese Worte ausgestossen: Hebet euch weg von mir! lasset mich gehen! ich will, soll und muß heute meine Andacht verrichten, denn dieses ist eben der Tag meines Heyls. Wie man nun, (so lautete der Bericht ferner) gesehen und gespüret, daß weder der Frau Anna, vielweniger der andern Zureden, etwas bey dieser verzweiffelten Person fruchten wollen, so hätte man ihr endlich ihren garstigen Willen gelassen, da sie denn eine sehr steile Klippe hinauf, und zwar einem ziemlich grossen Feuer entgegen geklettert, jedoch, ehe sie noch die Spitze derselben vollkommen überstiegen, wäre, nachdem man einen lauten Schrey von ihr gehöret, ihr Cörper von etlichen schwartzen Personen, die man nicht unbillig vor böse Geister halten könte, herunter in die Tieffe gestürtzt worden, allwo er noch läge, und nach Gutbefinden aufzuheben und nach Gefallen beerdigt werden könte.

Wie nun Mirzamanda diese Begebenheit so wohl aus ihrer Frau Annen, als unserer Felsenburger Munde in allen Stücken übereintreffend vernommen, sagte sie: Meine Freunde! lasset den verfluchten Teufels-Braten liegen, wo er liegt, und würdiget ihn keines Begräbnisses, sondern gönnet ihn denjenigen, so ihn den Hals zerbrochen, oder den wilden Thieren und Vögeln zur Speise, denn Hadscha ist von ihrer Jugend an eine Ertz-Feindin und Spötterin der Christin und ihres Glaubens gewesen.

Vincentius war noch zugegen, und stimmete [396] der Printzeßin Meynung in allem bey; wie es nemlich nicht nöthig wäre, daß wir uns fernerweit um den unglückseligen Cörper der Hadscha bemühen, oder uns dieserwegen solten von unsern anderweitigen Geschäfften abhalten lassen; fragte anbey, ob wir auch aus dieser geringen Begebenheit nicht erkenneten, daß er ein aufrichtiger Freund, Beförderer und Wahrsager unsers Glücks und Wohlergehens wäre?

Demnach wurde von der Stunde an alle Anstalt gemacht, uns in Ordnung zu bringen, um mit anbrechenden Tage die Rückreise nach unsern Hütten anzutreten, welches denn auch geschahe, nachdem sich vorhero in der Nacht weiter niemand mehr um den Cörper der Hadscha bekümmert, mithin bekamen wir des dritten Tage, weilen wir uns aus gewissen Ursachen im Gehen eben nicht übereilen wolten, glücklich bey und in unsern Hütten an, da denn noch alles richtig und wohlbestelt befunden wurde.

Mittlerweile passirre mir ein artiger Streich, denn, da ich kaum in die allerdickste Waldung dieser Gegend eingetreten war; begegnete mir einer der allergrösten Hirsche, so, wie ich derselben einen nur immer Zeit meines Lebens gesehen, ohngeachtet ich nun sonsten ein grosser Vertheidiger des Wildprets, zumahlen dessen bin, was zur Zucht dienet, so fiel mir doch dieser schöne Hirsch wegen seiner besondern Grösse dergestalt in die Augen, (weil ich wuste, daß er in den Klein-Felsenburgischen Waldungen noch vielmehr Brüder seines gleichen hatte) daß ich der Mirzamanden [397] Hand fahren ließ, als welche sich bis dahin von mir an der Hand führen lassen, hergegen meine auf der Schulter hangende, gezogene Büchse ergriff, und aus derselben diesem starcken Thiere eine Kugel in den Leib schickte, weilen aber diese Kugel nicht das rechte Fleckgen getroffen, sondern nur einen Streif-Schuß gemacht, als kam der Hirsch in der grösten Geschwindigkeit auf mich zugesprungen, und wolte mir im Ernste zu Leibe gehen; Doch, da der Löwe dieses sahe, oder merckte, riß er das Band entzwey, woran ihm Mirzamanda neben sich herleitete, und sprunge dem Hirsche ebenfalls in gröster Geschwindigkeit entgegen, machte auch kurtze Arbeit mit dem Hirsche, indem er demselben die Gurgel abgebissen, so, daß der gute Hirsch augenblicklich zu Boden sincken muste; er, der Löwe, aber vergriff sich weiter nicht an diesem seinem vermeynten Feinde, leckte auch, wie ich wohl bemerckte, nicht einen Tropffen Blut oder Schweiß von demselben auf, sondern kam gantz langsam wieder zurück, legte sich erstlich zu seiner Gebieterin Füssen, leckte ihr nachhero die Hände, ließ sich auch in aller Gelassenheit wieder anbinden und führen; wir aber liessen uns nebst unsern Geferten die Mühe nicht verdriessen, dieses vortreffliche Küchen-Stück, mit in unsere Hütten zu tragen, da wir denn dasselbe alle wohl nutzen konten, indem wir beschlossen hatten, noch 3. Tage, als Rast-Tage, allda zu halten, des 4ten Tages aber in aller Frühe nach Groß-Felsenburg abzuseegeln.

Binnen diesen 3. Tagen, da wir unsern Mäulern auch eben keine Stief-Väter und Stief-Mütter [398] waren, versuchten wir, uns manche Lust mit dem Löwen zu machen, indem wir denselben in einen wohl verzäuten Garten einsperreten, darbey allerhand Arten von Thieren, als wilde Ziegen, wilde Schweine, junge Reh-Böcke, auch einiges Flügelwerck, Gänse, Endten, Turckische Hähne und Hühner etc. zu demselben hinein jagten; allein er trieb zwar seine Kurtzweile mit allen diesen Thieren, tödtete aber keine, bis wir 2. Reh-Böcke, 4 Schweine und 6 wilde Ziegen auf die Köpffe schossen; da er denn, weilen er vielleicht merckte, daß man ihn nur vexirte, die angeschossenen Stücke zwar beroch, hernach aber dieselben weiter ohnbeschädigt auf ihren Plätzen liegen ließ. Als er nun keinen Ausgang finden konte, eröffnete er sich, mit Ausreissung 3. oder 4. Staqueten, selbst eine Thür, so, daß er eben zur Abend-Mahlzeit bey seiner Gebieterin eintraff, sich vor derselben niederlegte, zur Lust etlichemahl auf dem Erdboden herum weltzete, und hernach allerhand andere Possen machte.

Nun muß ich mit Wahrheit bekennen und sagen, daß ich mein Lebtage nicht geglaubt hätte, was Menschen-Hände, wenn sie gleich lustig und guter Dinge sind, ausrichten können: denn am 3ten Abende unserer verflossenen 3 Rast-Tage war schon unsere völlige Ladung vorhanden, und diese bestunde in den auserlesensten grössesten Ertz-Stuffen, die Vincentius in dem so genannten grossen Gebürge N. blos zur Probe aushauen lassen, von dem übrigen, was wir noch in dem Heyden-Tempel gefunden, will ich vorjetzo nicht viel Reden [399] oder Worte machen, glaube aber, daß es demjenigen, was wir bereits vor Olims- Zeiten aus eben diesem Heyden-Tempel erworben, wenig nachgeben wird; ja, ich solte fast meynen, daß wir in gewissen Stücken weit mehrere Kostbarkeiten und Schätze, und zwar mit eben so grosser, ja wohl noch weit grösserer Lebens-Gefahr erobert hätten, als unsere Vorgänger.

Jedoch ich will alles dieses vorjetzo bey Seite gestellet seyn lassen, und nur so viel melden, daß, nachdem wir mit den Portugiesen, sonderlich aber mit dem Vincentio, zur Nachts-Zeit ein gantz geheimes Gespräch gehalten, Morgens frühe, mit voller Ladung von ihnen abruderten, unter dem Versprechen, sie alle wohl zu bedencken, und binnen 6. oder 8. Tagen unsere bey ihnen zurücklassenden Landes-Leute, deren 20. an der Zahl waren, wieder abzulösen. Es waren diese 20 Mann, die wir also dazumahl auf der Insul Klein-Felsen burg zurück liessen, mit wenig Worten zu sagen: Leute, von vollkommener Hertzhafftigkeit; und uns geleitete der Himmel nebst der Persianischen Printzeßin, ihrer Frau Anna und dem Löwen, glücklich bis auf die Insul Groß-Felsenburg.

Was da abermahls vor ein Aufsehen entstunde, davon will gar nicht viel reden; Die mitgebrachten Sachen aber machten bey den Manns-Personen noch lange nicht so viel Wunder, als bey unserm Frauenzimmer die 2. auf eine so seltsame Art gekleidete Weibs-Personen, der Löwe aber brachte zu Anfangs in allen Augen so wohl Verwunderung, als Schrecken zu Wege, welches letztere [400] aber binnen wenig Tagen gäntzlich verschwunde, indem die Insulaner des Löwens gar bald gewohnt wurden, als welchen die Printzeßin zuweilen frey herum spatziren ließ, zu andern Zeiten aber, auch hie oder da anbunde, da denn auch so gar die Kinder, so kaum lauffen konten, sich um den Löwen herum versammleten, welcher auf das allerpoßierlichste mit ihnen spielete, und ihnen die Gesichter, Hände und Füsse leckte.

Unser Frauenzimmer war vor allererst dahin besorgt gewesen, die angekommenen beyden Gäste in reinliche Kleidung und Wäsche zu werffen, hatten denenselben also verschiedenes von dergleichen Sachen vorgelegt; da aber Anna zu vernehmen gegeben, wie sie dergleichen schöne Sachen nicht eher anlegen würden, als bis sie sich alle beyde in den Abend-Stunden in dem nächst vorbey fliessenden Flusse würden gebadet und gewaschen haben, so machten unser Frauenzimmer gleich andere Anstalten, indem sie eine Bad-Stube heitzen liessen, da denn die Printzeßin nebst der Anna hinein geführet wurden, um ihre Bequemlichkeit in der Wärme mit warmen Wasser und andern Zubehör darinnen zu finden und zu gebrauchen. Demnach kam die Printzeßin gleich des andern Morgens in einem Felsenburgischen Festtäglichen Frauenzimmer-Habite aufgezogen, und ihre darunter hervor leuchtende gantz besondere Schönheit wurde von jedermänniglich bewundert, ohngeachtet sie aber etwas hohes nicht allein in ihren Kohl-Pechschwartzen Augen, sondern auch in allen ihren Minen und Geberden an sich hatte, und man aus [401] allen ihren Gesichts Zügen und gantzem Wesen sogleich urtheilen konte, daß sie von hoher Herkunfft seyn müsse, so muste man sich dennoch auch über ihre Gelassenheit, Sanfftmuth und stilles Wesen, welches sich bey verschiedenen Begebenheiten zeigte, ungemein verwundern; jedoch bey lustigen Begebenheiten wuste sie ihre Rolle auch zu spielen, und sich nicht etwa mürrisch, sauertöpffisch oder einfältig aufzuführen, so, wie viele schwartzen, braunen und weissen Frauenzimmer, sonderlich in Deutschland sich zu vielenmahlen belachens-würdig und häßlich vergalloppiren, wenn ihnen nicht alles sogleich nach ihren Köpfen gehet, eben, als wenn an einer Person allein so gar allzu viel gelegen wäre etc.

Allein, wie gesagt, in allen diesen Stücken zeigteMirzamanda eine gantz andere Aufführung, die ich wohl mit Recht Fürstlich nennen kan, und hiermit erwarb sie sich in der Geschwindigkeit die Liebe aller Insulaner, vom Grösten bis zum Kleinesten, beyderley Geschlechts, zumahlen, da man sahe, daß der Regente, als ein dem hunderten Jahre entgegen reisender Mann, diese Printzeßin in besondern Ehren hielt, da dieselbe an seiner Taffel ihm allezeit zur rechten Hand sitzen muste, zu seiner lincken aber saß mehrentheils die Frau Mag. Schmeltzerin Sen. jedoch in diesem Stücke, um eine die andere etwa nicht verdrießlich zu machen, wechselten die lieben Weibergen gar öffters mit einander um.

Von nun an aber war die Haupt-Sache diese, daß so wohl die Mirzamanda, als ihre Anna [402] zum wahrhafften Christenthume unterrichtet und angeführet wurden, weßwegen sich denn die Herren Geistlichen Tag vor Tag hierzu mit gröstem Ernste und Eifer bereit und willig finden liessen, so, daß so wohl dieMirzamanda, als ihre Anna binnen 3. bis 4. Wochen-Zeit Verlauf dahin gebracht wurden, daß man ihnen das Hochwürdige heilige Abendmahl ohne Bedencken und mit gutem Gewissen reichen konte, welches sie denn auch des nechsten Sonntags empfiengen.

Wie nun unser Frauenzimmer zu dieser beyder fremden Sünder Bekehrung ein nicht geringes beygetragen, indem sie beständig geistliche und christliche Gespräche mit ihnen führeten, so lerneten bey solcher Gelegenheit eine so wohl, als die andere, binnen einer fast unglaublichen kurtzen Frist, nicht allein unsere Felsenburgische Sprache vollkommen verstehen, sondern auch ziemlicher Massen reden; jedoch, was das letztere anbelangete, so muste man der alten Anna vor dißmahl in diesem Stücke den Preiß zuerkennen, daß sie viel deutlicher, geschwinder und hurtiger ausreden konte, als die Printzeßin, der, weilen sie zugleich in etwas schnarrete und lispelte, welches doch sonsten gantz angenehm zu hören war, unsere Sprache anfänglich etwas schwer fallen wolte, nunmehro aber redet sie dieselbe so deutlich und gut, als eine gebohrne und gezogene Felsenburgerin nur immer thun kan.

Hierbey aber muß ich zu melden nicht vergessen, daß ich nach dem Verlauff auf der den Klein-Felsenburgern bestimmten 8. Tage, mich abermahls [403] mit verschiedenen vertrauten Freunden, worunter sonderlich Herr Mag. Schmeltzer Jun. befindlich, auch 60. Mann der resolutesten Felsenburger, so wohl Männer als Junggesellen, in 3. Booten auf die Insul Klein-Felsenburg verfügte, und unsern daselbst zurück gelassenen Freunden nicht nur Lebens-Mittel im Uberflusse, sondern auch die allerbesten Erfrischungen zuführete, welche guten Freunde uns denn mit einem ausserordentlichen Vergnügen bewillkommeten: erstlich ihre Arbeit vorzeigten, die sie binnen der Zeit verrichtet hatten, welche in etliche 1000. Centnern der allerkostbarsten ausgehauenen Ertz-Stuffen bestunden, die alle von nicht geringer, sondern fast solcher erstaunlicher Grösse, so, daß wir zu zweiffeln begunten, ob es auch würde möglich seyn, dieselben in die Boote zu bringen; allein es gieng durch saure Bemühung endlich, da es zum Treffen kam, doch an. Ohngeachter aber der Freude, welche die Unserigen so wohl, als die Portugiesen über untere glückliche Zurückkunfft bezeugten, wolten sie sich doch von ihrer Arbeit nicht abhalten lassen, sondern waren dergestalt erpicht darauf, als ob der Himmel und die Seligkeit damit zu verdienen wäre. Wie nun dieses Herr Mag. Schmeltzer Jun. merckte, so war er zwar so neubegierig, das grosse Gebürge, wie auch den grossen Berg, und den darinnen befindlichen uralten Heyden-Tempel mit zu untersuchen und eigentlich zu betrachten; allein eben dieses verleitete ihn dahin, daß er uns allen, so viel nur unserer waren, alle Morgen, bey Aufgange der Sonnen Mittags und Abends aber nach der genossenen Mahlzeit [404] eine andächtige Betstunde hielte, so, daß wir jedes Tages 3. Betstunden abzuwarten hatten, woran sich die 5. Portugiesen dergestalt ergötzten, daß sie wünschten, unserer Religion zu seyn, indem sie durch des Herrn Mag. Schmeltzers hertzbrechende Worte und hauptsächlich durch die Krafft des Heiligen Geistes inniglich gerühret wurden.

Da diese 5. Mann nun eine brennende Begierde gegen Herrn Mag. Schmeltzern spüren liessen, um, sie in unsern Glaubens-Articuln des Christenthums vollkommen zu unterrichten, als nahm er sich nicht allein in denen darauf folgenden Tagen die grosse Mühe, etliche Stunden in dieser Arbeit mit ihnen im Sitzen zu zubringen, sondern er gieng auch sehr öffters mit ihnen spaziren; brachte ihnen also binnen kurtzer Frist die Glaubens-Articul unserer Felsenburgischen Protestantischen Religion dergestalt bey daß ihnen, nach ihrem hefftigen Verlangen, auf beschehene Beichte und Absolution, das Hochwurdige Abendmahl gereicht wurde, als worbey sich keiner andächtiger zeigte, als der gute Vincentius, dessen Augen man fast niemahls ohne Thränen sahe; wie ich aber noch bis diese Stunde vernommen, so erkennet Herr Mag. Schmeltzer den Vincentium vor einen bekehrten Sünder und aufrichtigen guten Christen, indem er denselben, sonderlich seiner Künste wegen, anfänglich zwar recht sehr scharff zugesetzt, endlich aber befunden, daß die meisten derselben erlaubte und in der vernünfftigen Philosophie gantz wohl gegründete Sachen wären, die dem Christenthume, wenn sonsten keine Bosheit darbey wäre, keinen Schaden thun könten.

[405] Binnen der Zeit nun, die wir uns selbst besti t hatten, auf Klein-Felsenburg zu verharren, schickten uns unsere Freunde von Groß-Felsenburg zu dreyen mahlen überflüßige Lebens–Mittel zu, und die Mannschafft lösete einander ohne Befehl, sondern recht gutwilliger Weise ab. Also konten wir recht vergnügt leben, zumahlen, da wir unsern Seelen-Sorger, als offtgemeldten Herrn Mag. Schmeltzern, so zu sagen, als einen Feld-Prediger bey uns hatten. Mittlerweile aber begab sich ein wunderlicher Streich, denn da dreyen dreusten Felsenburgern, welche mit dabey gewesen, die Hadscha zurück zu holen, die unordentliche Lust angekommen, um zu sehen, ob deren Cörper annoch auf selbiger Stelle läge, oder ob der Satan denselben etwa anders wohin geführet hätte, so sahen sie (ihrem Berichte nach) den Cörper noch auf derselben Stelle liegen, wo sie denselben zum letztenmahle liegen sehen, wurden aber gewahr, daß 5. oder 6. Kohlschwartze Vögel, fast in der Grösse einer Gans, auf demselben sassen, und ihm die Kleider vom Gerippe abrissen; diese schwartzen Vögel bissen sich selbsten unter einander, indem sie die Kleidungs-Stücke abrissen, und einander aus den Mäulern zerreten, wenn nun aber einer oder der andere ein gut Kleidungs-Stück, oder Lappen erhascht, schwung er sich damit in die Lufft, da denn die andern gleich aufflogen, und ihn so lange verfolgten, bis er den Lappen wieder zur Erden muste fallen lassen. Wir, (sagten unsere Reverenten ferner) bekamen zwar einen ziemlichen Abscheu vor diesem schändlichen Schauspiele, jedoch, da einer von uns im währenden Gehen [406] auf einen solchen Lappen, und zwar gantz von ohngefehr, trat, den ein Vogel aus der Lufft hatte fallen lassen, so fühlete er unter seinen Schuhsolen etwas hartes, weßwegen er weiter nachsuchte, und ein gantzes Bündlein der vortrefflichsten Diamanten und anderer Edelgesteine darinnen fand, welche man, weiln es noch heller-lichter Tag war, mehr als zu genau erkennen konte, zumahlen uns dergleichen Sachen nicht so gar unbekannt sind; Wie wir aber sahen, daß immer ein Vogel nach dem andern seinen Lappen wegen Verfolgung seiner Mit-Brüder herunter auf die Erde muste fallen lassen, so gaben wir etwas besser Achtung auf die Vögel, sonderlich aber auf die Lappen, so herunter fielen, da wir denn einen jeglichen mit Diamanten und Edelgesteinen beschweret befanden. Dieses reitzte uns an, zurück zu dem Cörper zu gehen, ohngeachtet derselbe schon einen ziemlich übeln Geruch unsern Nasen-Löchern eingeflösset hatte; Allein wir kehreten uns daran eben so gar viel nicht, sondern waren nur beschäfftiget, das Uberbleibsel von den Kleidungs-Stücken uns zu zueignen, den Cörper aber in GOttes Gewalt liegen zu lassen, und dieses geschahe, ehe die Sonne sich noch gantz völlig von unseremHorizonte zurück gezogen. Wie wir nun das hatten, was wir haben wolten, nemlich der Hadscha noch übrigen Kleidungs-Stücke, die wir ziemlich schwer zu tragen befanden, begaben wir uns auf den Weg nach unsern Hütten, um die Gesellschafft zu suchen. Es machte uns zwar, (ohnfehlbar ein böser Geist) unterweges allerhand Firlefanzereyen vor; allein wir verspotteten ihn mit Beten und Singen.

[407] Nachdem nun diese unsere Felsenburgischen hertzhafften Mit-Brüder ihre redliche Aussage gethan, und wir sie wohl gespeiset und getränckt hatten, warffen wir ihre mitgebrachten Lappen, wohl zusammen gebunden und verwahrt, in das allernächst bey uns vorbey rauschende Bächlein, und liessen dieselben bis andern Tages nach der Mittags-Stunde, nachdem wir alle mit gröstem Appetite gespeiset hatten, darinnen herum schwimmen; nachhero aber nahmen wir diese Lappen heraus, und fanden einen kleinen Schatz von Diamanten und andern der kostbarsten Edelgesteinen darinnen, als wormit sich nicht allein die Mahlzeit, sondern auch ihr hertzhaffter Gang vielfältig bezahlt befand.

Da aber der Monat zu Ende gelauffen, und unsere Groß-Felsenburger zum 4ten mahle uns alles in Menge zuschickten, was wir nur verlangen mochten, so waren doch noch viele Sachen abzuhandeln, welche Herr Mag. Schmeltzer reifflich überlegte, sich aber vor seine Person selbst anheischig machte, den Neu-bekehrten zu Gefallen annoch eine Zeitlang auf dieser Insul zu verharren. Demnach fasseten wir einen baldigen Entschluß, und fuhren, als wir uns abermahls mit den auserlesensten Ertz-Stuffen fast über die Gebühr beladen, nach unsrer Heymath zu, gelangeten auch glücklich daselbst an.

Mich und noch andere mehr wolte es fast verdriessen, daß man unsere mitgebrachten Sachen vor gantz gering-schätzig und unbedürfftig hielte, weiln wir Ertz, Silber und Gold genug auf unserer grossen Insul hätten; Mein, da Mons. Plager darzu [408] kam, und die Worte fliegen ließ: Verachtet nicht, meine Freunde! den besondern Segen des HErrn, welcher zuweilen reich machet ohne besondere Mühe; Sehet nicht allein auf diese, sondern in die zukünfftigen Zeiten; ich aber (sagte er weiter) will, wenn es mir erlaubt ist, mir nechsten hinüber kommen, und mit Beyhülffe des berühmren Vincentii ein Hütten-Werck anlegen, damit wir unsere Schätze zu Gute bringen können, denn was wil nicht brauchen, bedürffen vielleicht unsere Kinder und Nachkommen; wurden unsere Hertzen ziemlicher Massen wieder beruhiget.

Wie ich nun meine erste Aufwartung bey meiner lieben Ehefrau machte, so erzehlete mir dieselbe, daß sie in den unansehnlichen Kleidungs-Stücken derMirzamanda und der Anna, als welche Kleidungs-Stücke sie dem sämtlichen Felsenburgischen Frauenzimmer, so zu sagen, Preiß gegeben, eine gewaltige Menge der auserlesensten und kostbarsten Diamanten und anderer sehr raren Edelgesteinen gefunden, so, daß man sich billig verwundern muste, wie diese beyden Leute, indem sie eine solche Last getragen, jedennoch dabey herum gehen und stehen können. Hierauf ließ ich mich zur Mirzamanda führen, und erzehlete derselben in Gegenwart vieler Anwesenden, sonderlich aber des meisten Felsenburgischen Frauenzimmers, was uns nur vor kurtzem annoch wegen des Cörpers ihrer Hadscha begegnet und sich zugetragen hätte; brachte ihr auch Diamanten und anderen Edelgesteine mit, welche [409] wir aus der Hadscha Kleidungs- Stücken erbeutet. Allein Mirzamanda sagte darauf: Mein Herr! es ist dennoch gut, daß nur das meiste und beste bey dieser Bestie gefunden worden, ich bitte aber inständig, man wolle sich um ihren vermaledeyeten Cörper nicht weiter bemühen, sondern denselben den bösen Geistern und den Raben zur Speise überlassen, weiln derselbe keines bessern Schicksals würdig ist. Die Diamanten und andern Steine aber, welche, ob sie gleich von Rechtswegen mit zukämen, verlange nicht wieder, sondern man lege sie zu den andern, welche in meiner und der Anna Kleidung gefunden worden, und thue sie hin, wo man will, denn mir ist doch vor jetzo dergleichen Zeug nichts nütze, solten sich aber meine Umstände verändern und verbessern, so will ich auch schon diejenigen Oerter wieder zu finden wissen, wo von mir und der Anna ein 100. mahl mehreres verscharret worden.


Wir legten also alle diese kostbaren Kleynodien, Diamanten und andere Edelgesteine in ein besonderes Kästlein, darbey auch eine auf Pergament geschriebene Schrifft hinein, bezeichneten und versiegelten das Kästlein, worauf es mit dem darauf geschriebenen Nahmen MIRZAMANDA in die Schatz-Cammer des Regenten zur Verwahrung hingesetzt wurde.


Da nun aber fast alle Insulaner so neugierig waren, die Lebens-Geschichte dieser Printzeßin zu wissen, so nahm mir kein besonderes Bedencken, sie darum anzureden, und zu bitten, uns dieselbe zu erzehlen. Sie war mit gröstem Vergnügen so gleich [410] willig und bereit darzu, zumahlen, da sie eben aus der Kirche gekommen, worbey ich gedencken muß, daß sie sich ungemein andächtig bey dem Gottesdienste aufführete, und sonderlich unter der Predigt, die sie schon der Aussprache nach, fast vollkommen verstehen konte, zu vielenmahlen Thränen vergoß, und ihre Hände runge, vornemlich aber, wenn nach der Predigt der Segen vor dem Altare gesprochen wurde, da sie denn gemeiniglich heisse Thränen fallen ließ. Auf mein Bitten aber, wegen Erzehlung ihres Lebens-Lauffs, gab sie mir folgende Worte zu vernehmen: Mein Herr! ihr höret und wisset, daß ich eine unförmliche und sehr schwere Ausrede habe, welcher Fehler an meiner Zunge liegt, weiln ich vielleicht schon in meiner Jugend daran verwahrloset worden, oder die Natur etwa einen mercklichen Fehler an mir stifften wollen; Derowegen habet die Güte, und redet der Anna zu, daß sie euch meine Begebenheit erzehle, denn diese hat nicht allein eine weit beredtere Zunge, als ich, sondern wird auch alles vom Anfange an, bis auf diesen Tag, was meine Geschichte anbelanget, besser vorzubringen wissen, als ich selbst zu thun vermögend wäre, da ich mich meiner Kinder-Jahren nicht so gar sonderlich mehr zurück erinnern kan; Jedoch will ich ihr, wenn sie ja dann und wann etwas vergessen oder übergehen solte, schon einzuhelffen, und sie auf dem rechten Wege der Geschichte fort zu bringen wissen.

Als demnach die Frau Anna dieserwegen angesprochen worden, ließ sie sich gleich bereit und willig darzu finden, sagte aber zum voraus: wenn ich die

[411] Lebens-Geschichte der Persianischen PrintzeßinMirzamanda aus Candahar

recht gründlich erzehlen soll, so werden mir meine allerwerthesten Zuhörer nicht übel beuten, daß ich mich genöthiget sehe, um dieselbe desto deutlicher vorzutragen, mit erzehlung meiner eigenen Lebens-Geschichte den Anfang zu machen. Es halten demnach zwar weine allerwerthesten Freunde, wie ich vernehme, mich vor eine gebohrne Holländerin, weil nur die Holländische Sprache unter allen andern Sprachen am besten vom Munde gehet, denn meine angebohrne Mutter-Sprache habe fast gantz und gar verlernet, ich will ihnen aber aufrichtig sagen: daß ich eine gebohrne Deutsche und aus dem Fürstenthum Halberstadt gebürtig bin, in welchem meine Eltern zu damahligen Zeiten, als ich gebohren worden, (welches denn vor etwa 46. bis 48. Jahren geschehen seyn mag, denn ich weiß das Jahr und den Tag meiner Geburt so eigentlich nicht) ein adeliches Ritter-Gut gepachtet gehabt, und sich, wie ich nachhero von andern vernommen, anfänglich einige Jahre hin bey dieser Pachterey sehr wohl befunden; Zu meiner Eltern Unglück aber streifften zur selbigen Zeit eine gewisse Art Leute nicht nur in diesem, sondern auch vielen angrentzenden Ländern herum, welche Ziegeuners, auch Tatars genennet wurden, sich aber nächst dem Bettel-Stabe, mit Wahrsagen, Zeichen-deuten und allerley lusen Händeln, hauptsächlich aber mit Rauben und Stehlen nähreten; da denn meine Eltern zu verschiedenen[412] mahlen von diesem Raub-Gesindel recht empfindlich bestohlen wurden. Wie nun von der hohen Obrigkeit ein sehr strenger Befehl ergieng, dieses Volck, als Vogelfreygemachte Leute zu erkennen, und deren so viel, als man nur habhafft werden könte, entweder gleich auf dem Platze zu tödten, oder dieselben in die Gefängnisse zu verschaffen; als ließ sich mein Vater aus Verbitterung gegen dieses Volck oder Leute, nebst andern mehr, Tag und Nacht äuserst angelegen seyn, die Zigeuner oder Tatarn auf das allerhefftigste zu verfolgen, derowegen, als er ihnen fast alle Tage nachgesetzt, ihrer 3. auf die Köpffe geschossen, und 6. oder 8. in die Gefängnisse geliefert, musten wir mit Schmertzen erfahren, daß wenige Nächte hernach unser Haus in vollen Flammen stund, und aus dem Grunde abbrandte. Dieses hätte noch hingehen mögen, allein die Tatern mochten unter sich beschlossen haben, meinen Vater noch weit empfindlicher zu kräncken, derowegen, als sie wahr genommen, daß mein Vater seine 2. Kinder, nemlich mich und meinen 16. jährigen Bruder, in ein ohnweit von unserm Hofe gelegenes Bauer-Haus brachte, damit wir uns daselbst von dem gehabten Schrecken erholen, und vor fernerer Gefahr beschützt und gesichert seyn möchten, fielen sogleich 10. bis 12. der grimmigsten Tatarn in dieses kleine Bauer-Häuslein ein, kriegten so wohl mich, als meinen Bruder bey den Kollern, banden unsere Hände und Füsse mit Stricken, und schleppten uns, nachdem wir lange genug um Hülffe geschryen, weiter aber keine andere Hülffe herbey kommen sahen, als 2. alte Weiber [413] und 3. Kinder, hinten durch den Garten auf das freye Feld hinaus, allwo sie uns beyden die Mäuler mir Tüchern zustopften, damit wir nicht ferner Hülffe schreyen möchten. Hierauf, da sich, wie wir beobachteten, eine gantze Compagnie halb zu Pferde und halb zu Fusse auf dem Platze versammlet hatte, banden sie uns auf Pferde, und reiseten in schneller Eile mit uns von dannen, blieben aber, wie ich bemerckte, niemahls in der geraden Strasse, sondern nahmen allerhand Umwege, bis wir endlich, nachdem unterwegs noch viele Tatars zu uns gestossen, auch wir des darauf erfolgten Tages unsere Sicherheit in den allerdunckelsten Gebüschen gesunden, in der auf selbigen Tag folgenden sehr finstern Nacht das so genannte Gotteslager vor der Stadt Wolffenbüttel erreichten, allwo sich, wie ich bemerckte, unsere Gesellschafft in 3. Gasthöfe vertheilete, und die Abrede unter einander nahm, daß wir morgen mit anbrechendem Tage auf Braunschweig zu reisen wolten.

Wir armen beyden Geschwister konten zwar wohl freylich das uns zugestossene Unglück niemanden anders, als unserm leiblichen Vater Schuld geben, weiln er in Verfolgung der Tatarn gar allzu hitzig gewesen; jedoch hier war weiter nichts zu thun, als daß wir uns mit Gedult in unser Verhängniß schickten, und vor unsere Eltern beteten. Inmittelst wurden wir von unsern Tatarn im Gasthofezum – – aufs allerherrlichste und kostbarste bewirthet und verpflegt, hatten unsere besondere Stube und Cammer, worinnen 2. wohlgemachte Betten stunden, und einen Tatar-Jungen, wie auch ein Tatar-Mägdgen zu unserer Bedienung, es wurde uns aber [414] bey Verlust unseres Lebens anbefohlen, mit den Wirths-Leuten kein eintziges Wort zu reden, viel weniger ihnen, oder jemand anders unsern Zustand zu klagen; woferne wir aber stille und klug leben wolten, so solten wir unser Glück nicht übersehen können. Weiln wir nun, aus Furcht unser Leben einzubüssen, dem strengen Befehle gehorsameten, so kam gleich des dritten Morgens ein Schneider mit seiner Frau, welcher meinem Bruder und mir das Maaß zu neuen Kleidern nahm, ingleichen kam ein Schuster, welcher mir und meinem Bruder das Auslesen unter seiner Waare gab, deren er einen starcken Vorrath in 2. Körben herbey bringen ließ, da denn ich mir 3. Paar Pantoffeln und Schuhe, mein Bruder aber sich eben so viel auslesen muste. Binnen zweyen Tagen stellete sich der Schneider wieder ein, und brachte vor meinen Bruder ein rothes Scharlachenes sauberes Kleid, dessen Camisol und Bein-Kleider starck mit goldenen Tressen bordirt waren; Nächst diesem noch ein anderes grünes Kleid, dessen Camisol und Bein-Kleider mit Silber bordirt, ausser diesen beyden aber noch ein Strapazier-Kleid.

Ich vor meine Person bekam gleichfalls 2 gantz neue Kleider, roth und grün, und über diese noch ein Altags Kleid zum Strapazieren, alles nach der neuesten Mode gemacht, da hingegen mein Bruder noch 2. gantz neue Schlaf Röcke bekam, nemlich einen damastenen und einen etwas schlechtern zur Strapaze. Auser diesem empfieng mein Bruder einen Degen mit einem silbernen Griffe und zubehörigem Gehange, ein sauber beschlagenes Spanisches [415] Rohr, 2. bordirte Hüthe, Peruquen und sonsten alles, was vonnöthen ist, einen Cavalier aus die Parade zu stellen. So wurde uns auch weisse Wäsche, und zwar die allerfeineste mit darunter, 6. sach gereicht. Wir armen Kinder wusten uns, wie man leicht erachten kan, in unser Schicksal nicht zu finden, vielweniger dasjenige zu begreiffen, was der Himmel mit uns vorhatte, anbey kränckten wir uns über weiter nichts so sehr, als daß wir mit allen donen Leuten so zu uns kamen, und mit uns handelten, kein eintzig Wort sprechen durfften, denn unsere bestellte Aufseher gaben noch viel ärger auf unsere Augen und Mäuler Achtung, als wie die Schieß-Hunde zu thun pflegen. Die Tatars liessen uns eines Abends sagen, daß wir beyde Geschwister uns folgenden Morgen auf das allersauberste ankleiden solten, weiln sie doch gern sehen möchten, was sie vor Creaturen bey sich führeten, wie nun zu dem Ende etliche Aufwärter und Bediente früh Morgens, und zwar fast vor Anbruch des Tages zu uns kamen, und uns weckten, auch von den Füssen an bis auf die Häupter bedieneten, so sahen wir uns recht gezwungener Massen, ehe etwas weiters darauf erfolgen möchte, dem gnädigen Befehle Gehorsam zu leisten, liessen uns also, alle beyde heraus schniegeln und putzen, wie man sagt, die Ochsen. Nachdem es nun gemeldet worden, daß wir in Gala-Habit befindlich wären, kamen 4. der ältesten Tatarischen Manns-Personen, und eben so viel alte Weiber die ich in meinen Gedancken vor Hexen und Zauberinnen erkannte, als worinnen ich mich vielleicht auch nicht [416] betrogen habe, und nahmen uns beyde in Augenschein, bezeigten auch ihr Vergnügen auf eine seltsame Art, nur aber dieses war so wohl meinem Bruder, als mir zuwider, ja es gereichte uns fast zum Eckel, daß sie uns so gar sehr öffters umhalseten und küsseren. »Sehet ihr nun, ihr lieben Kinder! (sagte die eine alte Hexe) daß wir euch glücklich gemacht haben? aber dieses ist noch nichts gegen das, was euch noch beschehret und zugedacht ist. Folget nur uns, so kan es euch nicht fehlen, vor allen Dingen aber haltet die Mäuler zu, und plaudert nichts von demjenigen aus, was ihr etwa gesehen und gehöret habt.«

Wir hatten hierauf beyderseits die besondere Gnade, daß uns die ältesten und vornehmsten Tatarn vor diesesmahl an ihre Taffel zogen, welche recht Fürstlich angerichtet war; in folgenden Tagen aber wurde uns nur in unserer Stube der Tisch gedeckt, und es speiseten allezeit 3. Tatarische Mannes- auch eben so viele alte Weibs-Personen mir uns, jedoch die Speisen und Geträncke waren Mittags und Abends allezeit herrlich und kostbar, ja, wir durfften nur kühnlich fordern, was wir etwa sonsten besonderes verlangeten, so war alles in möglichster Geschwindigkeit herbey geschafft. Meinem Bruder, welcher ohngeachtet er noch ein einfältiger Knabe war, kamen die spitzfindigen Gedancken in den Kopf, daß er von einer alten Tatars-Frau begehrte, ihm zum Zeitvertreibe einige geistliche Protestantische Bücher zu verschaffen, um sich darinnen in seinem Christenthume zu üben, worbey er ihr versprach, [417] daß sie das erste und beste Gold-Stück, welches er bald zu empfangen verhoffte, von ihm zur Danckbarkeit haben solte. Nein, mein Sohn! (versetzte hierauf die alte Hexe, indem sie einen grossen Beutel mit Gold-Stücken heraus zohe, und vor meinen Bruder auf den Tisch legte) ich brauche eure Gold-Stücken nicht, leset euch aber nebst eurer Schwester hier so viel von dem Meinigen aus, als ihr etwa zu eurer Lust zu gebrauchen gedenckt, denn ich weiß gewiß, daß die Zeit nicht weit entfernt ist, da ihr mir diese Gold-Stücke gedoppelt und dreyfach wieder bezahlen werdet, ihr möget auch nehmen, so viel ihr nur wollet. Protestanti sche Bücher aber will ich euch gleich holen lassen, und sonderlich die Deutsche Bibel, nebst zwey Geber- und Gesang Büchern. Mein Bruder und ich stutzten über dieser alten Hexe Reden, es wolte aber keines von uns beyden sich an ihrem Geld-Beutel vergreiffen, weßwegen sie ungedultig zu werden schien, den Geld-Beutel ausschüttete, und uns 12. halbe Pistoletten zuzehlete, auch sogleich einen Pasch-Würffel nebst einer Spiel-Karte herbey brachte, und sagte: Nun, meine Kinder, spielet um diese Rechen-Pfennige, ich will doch meine Lust haben, zu sehen, wer unter euch beyden dieselben zusammen bringen und gewinnen wird, und wer sie gewinnet, dem follen sie alle von mir geschenckt seyn.

Wir armen Gefangenen spieleten zwar beyderseits mit schweren Hertzen einige Spiele, so wohl nach unserer annoch kindischen Art mit Karten und [418] Würffeln, da denn die alte Hexe sehr genau auf eines jeden Glück und Unglück Achtung gab, endlich aber, da fast über 2. bis 3. Stunden mit dem Spielen zugebracht waren, kamen die Bücher angezogen, als nemlich nicht allein die Bibel, sondern auch andere vortreffliche Protestantische Bücher, alle in saubere Bande eingebunden, und verguldet auf dem Schnitt, weßwegen wir uns die Spiel-Gedancken aus dem Hertzen und Köpffen verjagten, und uns uber die Bücher hermachten. Ohngeachtet nun mein lieber Bruder alles zusammen gebracht, mithin der Alten ihre 12. halben Pistoletten wieder zuzehlete, so wolte diese doch dieselben gar nicht annehmen, sondern sagte: Hebet diese Dinger auf, meine Kinder! bis euch die Lust zum Spielen wieder ankömmt.

Solchergestalt verlieffen 6. bis 8. Wochen, da wir alle Tage wohl lebten, von den alten Tatarn oder Zigeunern aber sehr selten einige zu sehen bekamen, als daß wir etwa dann und wann von zweyen oder dreyen besucht wurden, die uns denn allezeit die grösten Liebkosungen erwiesen, wormit uns aber wenig gedienet war, denn wir hätten weit lieber gesehen, daß man uns unsere Freyheit gegeben, da uns denn nicht verdrießlich fallen sollen, den Rückweg zu unsern Eltern mit dem Bettel-Stabe zu suchen.

Endlich wurden wir, nachdem die Stunde unserer Erlösung herangenahet, in den Mitternachts-Stunden von den Tatarn in unserm Schlaffe gestöhret und aufgeweckt, mit dem Andeuten, daß wir uns in aller Eile ankleiden und fertig machen [419] solten, mit ihnen nach Braunschweig zu reisen, damit wir diese grosse schöne Stadt auch zu sehen bekämen. Niemand war hurtiger und vergnügter, als mein Bruder und ich, indem wir dieses höreten, da uns an Veränderung der Lufft gar viel gelegen, und wir die Hoffnung hatten, daß sich bey der Gelegenheit auch unsere Umstände vielleicht ändern könten. Wir fanden uns demnach bald auf dem Platze ein, und bemerckten, daß 6. bis 8. zugemachte Kutschen daselbst befindlich, in deren eine wir alle beyde steigen musten, auser diesen aber sahen wir etliche 20. Mann zu Pferde, worunter viele waren, die die kostbarsten Kleider und schönstes Pferde-Zeug führeten. Es giengen also, nachdem wir ein gestiegen waren, die Kutschen in der allerschnellesten Eile über Stöck und Steine, bis wir fruh Morgens bey Aufgang der Sonnen einen an der Strasse liegenden grossen Gast-Hof erreichten, in welchem wir beyde sahen, daß wir uns nicht mehr unter Tatarn, sondern vielmehr unter den vornehmsten Cavaliers undDames befanden, welche sich alle auf das allerpropreste angekleidet, auch von dem Wirthe und allen den Seinigen aufs demüthigste empfangen, und auf das allerkostbarste tractiret wurden. Meines Behalts hielten wir uns eben nicht gar zu lange in diesem Gast-Hofe auf, ich kan aber auch nicht sagen, wie und wenn wir von dannen abgefahren sind, vielweniger, was mir und meinem Bruder zugestossen war, denn wir konten am Müd- und Mattigkeit kaum stehen, vielweniger ein Auge offen halten. Unterdessen, da wir uns nach einiger [420] Zeit einiger Massen ermuntert hatten, erfuhren wir von den Wirths-Leuten, daß wir uns in Braunschweig befänden, und daß alle unsere Geferten, so wohl männliches als weibliches Geschlechts, in die Gefängnisse gebracht wären, auch meistentheils in Ketten und Banden sässen. Nachdem wir nun dieses Schicksal mit Schrecken vernommen, und nach unserer Einfalt einiger Massen überlegt, kamen die Gerichts-Diener, und holeten auch mich und meinen Bruder, nebst allen bey uns habenden Sachen ab, als welche uns doch noch von den Tatern waren zurück gelassen worden. Man legte uns alle beyde augenblicklich in Ketten und Banden, und wir wurden auf schwere und scharffe Articul befragt, wie wir aber in allen Stücken die reine lautere Wahrheit aussagten, so wurde erstlich in unser Vaterland geschrieben, um zu erfahren, ob wir auch in allen Stücken richtig wären; wie nun dieserhalb vor uns gute und gewünschte Briefe zurück kamen, so wurden wir zwey armen Sünder zwar frey gesprochen, allein es schmertzte uns doch nicht wenig, daß wir gantzer 14. Tage unschuldiger Weise in Ketten und Banden sitzen müssen. Jedoch in Betrachtung dieser und aller unserer Umstände, war die Obrigkeit so barmhertzig, uns nicht allein alle Bagage zu lassen, die uns von den Tatarn geschenckt worden, sondern es bekamen noch über dieses mein Bruder und ich ein jedes 100. spec. Ducaten ausgezahlt, mit der Verwarnung, daß wir uns je ehe je lieber aus dem Staube machen, und unsere Personen in weitere Sicherheit bringen möchten,[421] womit wir uns endlich noch so ziemlich befriediget befanden.

Allein, es wird ihnen vielleicht nicht entgegen seyn, wenn ich melde, daß, wie wir hernach erfahren, sich unsere Taters durch die Thore gantz listiger Weise eingeschlichen, indem sie die Nahmen unbekannterCavaliers, ja gar Gräflicher Personen angenommen; Es war aber dieses sehr frühzeitig offenbar, sie aber vor Spitzbuben, Räuber. Diebe, Mörder und dergleichen erkannt worden, wie denn wenig Tage hernach ihrer etliche nach andern Städten ausgeliefert worden, allwo sie ihren verdienten Lohn mit Schwerd-Streich, Hängen, Rädern und dergleichen nach kurtzen Processen empfangen. Noch muß ich melden, daß, nachdem sie befragt worden, was sie denn hätten mit uns beyden Geschwistern anfangen wollen? ihre Aussage diese gewesen: daß sie uns alle beyde nach Amsterdam führen wollen, um uns an 2. Türckische See-Räuber, die sich unter verdeckten Nahmen daselbst aufhielten, und ihre guten Freunde wären, zu verkauffen, um vor unsere Personen ein gut Stück-Geld zu erhalten, sonderlich vor meine Person / weilen ich zu derselben Zeit noch nicht mannbar, sondern ohngefehr nur 14. Jahr alt war. Hierbey hatten sich, nachdem sie dieses alles auf der Folter bekannt, sehr viele Briefe gefunden, die sie mit den Türckischen See-Räubern in Amsterdam gewechselt. Nun hielt sich damahls ein Evangelisch-Lutherischer Kauffmann in Braunschweig auf, welcher sein Haupt-Contoir in Amsterdam hatte, dieser wurde geruffen, und ihm die Briefe[422] gezeigt, als in welchen grausame Bosheiten und andere der Handelschafft sehr nachtheilige Sachen zu lesen waren. Der Kauffmann machte sich eine grosse Freude daraus, daß er hinter dieses Geheimniß gekommnen war, demnach aber sogleich fertig, auf das allereiligste nach Amsterdam zu reisen. Wie nun aber dieser redliche Mann meine und meines Bruders Umstände erfahren, ließ er uns zu sich kommen, und sagte: Meine Kinder! ich habe von euren betrübten Umständen viel erfahren; allein verzaget nicht, sondern vertrauet auf GOtt und auf mich, denn ich will euch alle beyde an Kindes-Statt auf und annehmen, mit mir nach Amsterdam führen, ohne daß es euch das geringste kosten soll, daselbst aber, so lange ihr fromm, getreu und redlich seyd, euer Glück nechst göttlicher Hülffe dergestalt machen, als ihr dasselbe bey euren leiblichen Eltern und Freunden wohl Zeit eures Lebens nimmermehr finden werdet.

Meinem Bruder und mir kam dieser ansehnliche, schöne und liebreiche Mann nicht anders vor, als ein uns vom Himmel zugeschickter heiliger Engel GOttes, weßwegen wir uns kein langes Bedencken nahmen, mit ihm zu reisen, sondern ihm die Hände unter Vergiessung vieler Freuden-Thränen küsseten, auch wenig Tage hernach mit ihm die Reise nach Amsterdam antraten, die wir in gewöhnlicher Zeit zurück legten, und gesund und frisch daselbst anlangten. Unser Versorger hielt uns bey allen Gelegenheiten nicht anders, als ob wir seine leiblichen Kinder wären, aber es war ein bejammerns-würdiger, ja, fast unersetzlicher Schade [423] vor uns, daß dieser redliche Mann kaum 6. oder 8. Wochen nach unserer Ankunfft, nachdem er, wie ich sicher glaube, von seinem bösen Weibe und dann auch den häuffigen Schuldnern einen allzugrossen Theil von Gifft und Galle einschlingen müssen, sich auf das Krancken-Bette legte, und binnen 3. Tagen gesund und tod war.


Dergestalt hatte sich die Sonne unseres Glücks auf einmahl wieder unter die trüben Wolcken versteckt, denn unsers Wohlthäters Eheweib, welches der Geitz-Teufel gantz und gar besessen hatte, wolte uns nicht einmahl das Unserige heraus geben, geschweige denn das, was uns ihr verstorbener Mann in seinem Testament vermacht hatte, als welches sich auf 800. Holländische Gulden belieff; Jedoch der Priester an der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Amsterdam war so gütig, vor uns zu sorgen, so, daß wir nicht allein das Unserige, sondern auch die ererbten 800. Fl. ausgezahlt bekamen. Nun hieß es: wo weiter hin? Allein, da wir zu sorgen kaum angefangen hatten, hatte der Himmel schon vollkommen für uns gesorgt, indem der Priester mich in sein Haus nahm, um seiner Frauen aufzuwarten, die ebenfalls eine gebohrne Deutsche war, und sich ungemein liebreich gegen mich erzeigte; meinen Bruder aber brachte eben dieser wackere Priester bey einen Rechts-Gelehrten oderProcurator, indem mein Bruder die Feder, so wohl in Lateinischer als Deutscher Sprache, schon gantz geschicklich führen konte, vor der Holländischen Sprache aber war ihm so wenig [424] bange, als mir, weilen diese einem Deutschen zu lernen gar nicht schwer fällt.

Demnach waren wir alle beyde abermahls versorgt, denn mein Bruder sagte mir, so offt wir zusammen kamen, daß er die beste Zeit hätte, und bey jetzigen Jahren sich kein besseres Glück wünschen möchte. Mit mir hatte es eben dergleichen Beschaffenheit, denn ich wurde von meiner Frau Pastorin nicht etwa als Magd, sondern als eine leibliche Schwester, ja fast so gut, als ihr eigen Kind gehalten. Das allerschönste und vortrefflichste bey der gantzen Sache war dieses, daß mich der Priester täglich fast vom Morgen bis in die Nacht im Christenthum herum tummelte, und der gestalt fest darinnen setzte, daß ich einem jeden von unsern Protestantischen Glaubens-Articuln vollkommene Rede und Antwort zu geben mich noch jetzo im Stande befinde. O Himmel! hätte ich doch nur diese guten Tage und Zeiten in stiller Gemüths-Ruhe ertragen können! aber so ließ ich mich den Satan verblenden, der es dahin brachte, daß ich mich mit einem Schiffs-Officier, welches ein ungemein schöner Mensch war, auch etliche 1000. Fl. werth aufzuweisen hatte, ehrlich verlobte, und darbey versprach, die Reise nach Ost-Indien mit ihm anzutreten, welches alles er denn durch seine gantz ausserordentliche Schmeicheleyen, indem er ein gebohrner Franzose war, so weit brachte, jedoch, GOtt sey noch jetzo davor Danck gesagt, niemahls den Zweck in Erlangung seiner wollüstigen Absichten bey mir erreichen konte, sondern ich speisete ihn jederzeit damit ab, daß ich mich [425] vorjetzo nicht weiter mit ihm einlassen würde, bis ich sähe, wo meines Bleibens wäre. Er führete sich demnach, als er meinen harten Ernst vermerckte, jederzeit sehr vernünfftig auf, da aber die Zeit kam, daß er unter Seegel gehen solte, that er mir solches zu wissen. Wie ich nun zwar noch Zeit genug übrig gehabt hätte, mich anders zu besinnen, und mein ihm gethanes Versprechen zurück zu ruffen, so weiß dennoch bis diese Stunde nicht eigentlich, wie mir zur selben Zeit zu Muthe war, ja ich glaube sicherlich, es muste mich dieser Mensch bezaubert haben, daß ich nicht von ihm ablassen konte, packte derowegen bey nächtlicher Weile alle meine Habseligkeiten ein, und begab mich damit zu meinem Liebsten, ohne vorhero Abschied weder von meiner Herrschafft, noch von meinem Bruder zu nehmen.

Es war mein Liebster ungemein erfreut, daß ich mein Wort gehalten hatte, und zu ihm gekommen, denn seinem Sagen nach, war ihm die Zeit schon allzu lang worden; wir giengen auch bald darauf unter Seegel, und nahmen die ordentliche Strasse nach Ost-Indien zu, allein Sturm, Wetter und Wind kehreten sich nicht an unsere vorgesetzte Ordnung, sondern unterbrachen dieselbe bald, indem sie uns von der ordentlichen Ost-Indischen Strasse bald ab, bald nach ihren wütenden Wellen hin und her, und endlich gantz auser der ordentlichen Strasse, an die Persianischen Küsten trieben, jedoch, ehe wir dieselben erreichten, zerscheiterten alle unsere 3. Schiffe, die damahls mit einander in Compagnie reiseten. [426] Ich hatte nicht allein den jämmerlichen Anblick, meinen vor wenig Tagen angetrauten Mann von einem Schiffs-Stücke herunter zu stürtzen, und ertrincken zu sehen, sondern muste mir auch gefallen lassen, daß ich von unsern besten Sachen kaum den 4ten Theil zu Lande bringen und retten konte; Allein es halff mir auch dieses nichts, denn die Herren Persianer, welche schon von ferne gesehen hatten, was in dasiger Gegend vorgangen war, führeten sich nicht allein so unhöflich auf, alles das, so wir doch schon zu Lande gebracht, als ob es ihr Eigenthum wäre, hinweg zu nehmen, sondern auch mich, nebst noch 3. andern jungen Europæern in die Sclaverey zu führen.

O! wie winselte, seuffzete und weinen ich unterweges, auf der ziemlich langen Strasse bis nach Candahar, und beklagte also nunmehr erst viel zu spät, daß ich nicht bey meinen lieben Priesters-Leuten in Amsterdam geblieben wäre, wenn ich aber nun vollends an meinen lieben Bruder gedachte, als welcher ein besser Theil, als ich, erwehlt hatte, so wolten sich meine Thränen-Quellen fast durch nichts verstopfen lassen. Die 16. Persianer, die des Fürsten von Candahar Unterthanen waren, und uns 4. Arrestanten zwischen sich inne führeten, bezeugten sich inzwischen gantz höflich und freundlich gegen uns, machten nicht allein kurtze Tage-Reisen von 2. bis 3. Deutscher Meilen, sondern verpflegten uns auch unterwegs, wo nur etwas zu bekommen war, mit den allerbesten Speisen und Geträncke, gaben uns auch mehr des besten Persianischen Weins zu trincken, als Wasser,[427] welches wir nur verstohlner Weise trincken musten. Nachdem wie aber (die Rast-Tage mit eingeschlossen) fast einen gantzen Monat auf der Reise zugebracht, gelangeten wir endlich auf einem Lust-Schlos se des Fürsten von Candahar an, welcher eben damahls auf demselben nebst seiner Gemahlin residirte. Er bezeigte ein besonderes Vergnügen über die jungen wohlgewachsenen Europæer, mich aber stellete er seiner Gemahlin vor, die, als sie durch einen Dollmetscher von mir vernommen, wer ich sey, und wie meine Umstände beschaffen wären? mir so gleich die gnädige Erklärung that: ich solte mich beruhigen, und vor gar nichts sorgen, sondern in ihren Diensten bleiben, da sie denn auf das allermöglichste und beste vor mein Wohlergehen sorgen wolte.

Es war diese Dame eine unvergleichlich schöne und liebreiche Fürstin, ja, fast eben so schön, als ihre dermahlen sich auf dieser Insul befindende TochterMirzamanda. Wie ich nun dieser Fürstin Leutselig-und Gütigkeit wegen sogleich des ersten Tages überführet wurde, indem sie gantz und gar kein demüthiges Bezeigen von mir erdulten wolte, so gewann ich dieselbe recht von Hertzen lieb, sie aber machte mich in wenig Tagen würcklich zu ihrer Haus-Hosmeisterin, nachdem der Fürst, ihr Gemahl, denen 3. mitgebrachten wohlgewachsenen Europæern unter seiner Leib-Guarde Officiers-Plätze gegeben, und dieselben vorhero recht reichlich beschenkt, auch mir ein Geschencke an Gold- und Silber-Werck zuschickte, das wenigstens 500. Holländische Gulden werth zu schätzen war. Bey [428] dem allen aber blieb der Neid und die Verfolgung des übrigen Fürstlichen Frauenzimmers nicht lange aussen, indem sie sahen, daß ich in vielen Stücken ein Vor-Recht vor ihnen hatte, auch mehr befehlen durffte, als diese oder jene. Jedoch ich betete fleißig, verrichtete alles mir anvertraute mit der grösten Treue und Redlichkeit, bemühete mich im übrigen, auf alle mögliche, aufrichtige und wohl erlaubte Art, mir die Gunst und Gnade meiner Herrschafft, durch Leistung getreuer Dienste, zu zuwenden. Hierinnen fehlete ich denn auch nicht, sondern der Dollmetscher, welcher ein gebohrner Holländer, Protestantischer Religion war, versicherte mich dessen zum öfftern, welches ich auch ohne dem, daraus abmercken konte, da mich so wohl der Fürst, als die Fürstin von Zeit zu Zeit mit den kostbarsten Geschencken fast überhäufften.

Niemand stund mir mehr im Wege, als 2. verfluchte Persianische Weiber, welche Anbeterinnen des Feuers waren, und der Fürstin die Schwartzkünstlerey lernen solten, worzu sie ein gantz besonderes Belieben trug, es auch binnen weniger Zeit sehr weit darinnen brachte, so, daß sie manchen lustigen Possen anstifften konte. Unter andern kam dem Fürsten einsmahls an, bey dem allerschönsten Sommer-Wetter spazieren zu fahren, da aber die Fürstin nicht mitfahren wolte, sondern sich damit entschuldigte: daß es binnen wenig Stunden gewaltig zu regnen anfangen würde; wolte sich der Fürst von dieser Spazier-Fahrt dennoch nicht abhalten lassen, sondern nahm ein gewisses Fräulein, auf welches er vor vielen andern[429] gantz besonders viel hielte, zu sich auf den offenen Wagen, weßwegen die Fürstin, vielleicht aus Eifersucht, sprach: »Fahret nur hin, aber nicht gar zu weit, denn ich will euch bald dergestalt baden, daß ihr bald zurück kommen, und euch trocknen sollet.«

Der Fürst war also kaum eine halbe Stunde Weges fortgefahren, als die Fürstin allen ihren Bedienten, so viel deren nur zugegen waren befahl, daß ein jedes ein mit Wasser angefülletes Geschirr herbey bringen solte, und zwar je grosser, je besser. Wir gehorsameten demnach alle ihrem Befehle, und brachten eine gewaltige Anzahl grosser und kleiner mit Wasser angefülleter Geschirre, setzten dieselben auf den Platz, so wie sie nach einander folgten, hin, da denn die Fürstin sprach »wir solten es alle so machen, so wie sie es machte.« Hierauf trat sie vor das allergröste Wasser-Faß, sprengete mit beyden Händen das Wasser heraus, und gen Himmel zu; Wir thaten alle dergleichen, und nachdem die Gefässe 3. mahl wieder voll gefüllet worden, und alles Wasser heraus gesprenget war, sagte sie: »Nun höret auf, meine Kinder! denn sonsten möchten wir die beyden Verliebten wohl gar ersäuffen, ein jeder gehe nun nur hin, und thue sich in Küche und Keller nach seinem Appetite etwas zu gute, denn auf Heute ist euch von mir alles vergönnet und erlaubt.«

Es befand sich keiner unter allen Hof-Bedienten, so wohl männlichen als weiblichen Geschlechts, der sich diesen letztern Befehl der Fürstin deutlicher erklären zu lassen gesonnen gewesen, sondern es [430] gieng ein jeder hin, und that sich emmahl was rechts zu gute, der liebe Fürst aber nebst seiner Fräulein kamen erstlich nach Verlauffe zweyer Stunden zurück, und sahen beyde aus, wie die gebadeten Katzen, worüber die Fürstin ein hefftiges Hohn-Gelächter aufschlug, allein, da der Fürst vielleicht bemercken mochte, daß er sich in etwas gegen seine Gemahlin vergangen hätte, machte er vor dieses mahl aus der gantzen Sache einen höflichen Spas oder Schertz, und ließ sich auf das kalte Bad in eine warme Bad-Stube bringen, auch darinnen gut pflegen, käm aber dennoch so wohl als seine Fräulein in dreyen Tagen nicht ordentlicher Weise zur Taffel, vielweniger in der Fürstin, als seiner Gemahlin, Zimmer.

Als dieser Streich kaum vergessen war, begab sich bald eine andere Geschichte: Denn da der Fürst eine grosse Jagd angestellet, ließ derselbe bey seiner Gemahlin anfragen ob es ihr beliebte, mit ihm in einem offenen Wagen zu fahren, um diese Jagd-Lust mit anzusehen? Hierauf ließ die Furstin zur Antwort melden, wie sie bereit und willig darzu sey, indessen sähe sie lieber, wenn ihr Herr Gemahl die Fräulein N. zu sich auf seinen Jagd-Wagen nähme, da sie denn mit ihrem Frauenzimmer seinem Jagd-Wagen nachfolgen wolte, und zwar in einem zugemachten Wagen. Es wurde demnach die Fräulein N. genöthiget, mit dem Fürsten auf seinem Jagd-Wagen zu fahren, es ließ aber diese zurück melden, wie sie es vor eine besondere Gnade erkennen würde, wenn sie die Erlaubniß erhielte, daß sie vor diesesmahl der Jagd zu Pferde[431] reutend beywohnen dürffte. Demnach wurde ihr der Wille gelassen, sie erschien also zu Pferde, der Fürst aber mir dem Jagd-Wagen, auf welchem er einen Cavalier an seine Seite genommen, die Fürstin hingegen in einem zugemachten Wagen, in welchem ich und noch 2. Frauenzimmer, als ihre Vertrauten bey ihr fassen. Wie nun die Fräulein M. im vollen Gallop auf uns zugeritten kam, so wurde sie von der Fürstin angeruffen und gefragt: Warum sie sich nicht besserer Bequemlichkeit gebraucht, und sich zu dem Fürsten in den Jagd-Wagen gesetzt, dem Cavalier hergegen das Pferd zum Reuten überlassen hätte? Hierauf gab das Fräulein gantz höhnisch zur Antwort: Ich fürchte mich vor diesem Jagd-Wagen, weilen besorge, daß ich etwa noch einmahl möchte gebadet werden; will also lieber reuten, denn so schiesset das Wasser desto geschwinder vom Cörper ab. »Warte! warte! (sagte die Fürstin zu uns, die wir bey ihr in dem Wagen sassen) ich will dich reuten lernen, gebt nur Achtung, meine Lieben! was vor eine artige Reuterey vorgehen soll.« Hierauf nahm die Jagd ihren Anfang, und es wurde viel Wildpret erlegt, jedoch die Fräulein N. welche sich gantz besonders angelegen seyn ließ, ihre Künste sehen zu lassen, und derowegen ihr Pferd auf das hefftigste strapazirte, stürtzte unvermuthet mit demselben, so, daß sie auf der Erden liegen blieb, ehe ihr nun die herzu eilenden Jäger noch zu Hülffe kommen konten, kam ein entsetzlich grosser Bär aus dem Gebüsche hervor gesprungen, kroch mit seinem dicken Kopffe dem Fräulein zwischen [432] die Beine, und huckte sie dergestalt auf seinen Rücken, daß sie ordentlicher Weise auf ihm reuten muste, und also trug sie dieser grosse Bär erstlich über 300. Schritte weit fort, gieng auch nicht etwa langsam oder bedachtsam, so, wie andere Bären zu gehen pflegen, sondern er eilete nicht anders, als wenn jemand mit einer Knoten-Peitsche hinter ihm drein wäre. Die Fürstin hätte vor Lachen fast zerbersten mögen, als sie dieses Schau Spiel sahe, und rief immer zum Wagen heraus: Reut zu! Reut zu! Im Gegentheil waren nicht allein der Fürst, sondern auch alle Jäger dergestalt in ein Schrecken gerathen, daß sie nicht wusten, was sie thun solten, denn Feuer auf den Bär zu geben, oder mit Pfeilen nach ihm zu schiessen, schien ihnen gar kein Rath zu seyn, weilen sie noch leichter das liebe Fräulein, als den Bär verwunden, oder gar tödten können. Derowegen machten sie ein gräßliches Geschrey, und bliesen in ihre Jagd-Hörner, allein, je öffters sie dieses wiederholten, je besser sich der Bär auf das Lauffen begab, eben als wenn er die Sporn bekäme. Endlich aber, nachdem der Bär seine Reuterin accurat 1000. halbe Manns-Schritte getragen hatte, warff er sie ab, ließ sie liegen, und begab sich wieder in den dicken Wald hinein.

Nun lieff, was Beine hatte, um zu erfahren, ob das gute Fräulein N. noch lebte, oder sich zu Tode geritten hätte, allein wir traffen sie zwar noch lebendig, jedoch in einer starcken Ohnmacht liegend an, weßwegen sie in unsern Wagen getragen, mit starcken Gewässern und Balsamen fast [433] halb gebadet, und endlich sehr schwach und kranck nach Hause gebracht wurde.

Eben dieser Fräulein begegnete einige Zeit hernach noch ein reckt poßierlicher Streich, und zwar dergestalt: Der Fürst, welcher einige Officiers und vornehme von Adel beyderley Geschlechts zu sich eingeladen, beredete dieselben gegen Untergang der Sonnen, da die allerangenehmste Witterung war, mit ihm und seiner Gemahlin Lustwandeln zu gehen, wie sie nun einen besonders grünen Platz antraffen, so befahl der Fürst, daß einige der kostbarsten Erfrischungen herbey gebracht werden solten, ingleichen etlicheSofa, wie nicht weniger einige Teppiche, um sich dar auf nieder zu lassen.

Als nun dem Befehle gehorsamet worden, setzte der Fürst selbst der Fräulein N. einen Sofa zu seiner lincken Hand, weilen seine Gemahlin ihm bereits zur rechten saß; allein das Fräulein drehete sich erstlich eine lange Weile um den ihr gesetzten Sofa herum, und schlich sich endlich mit guter Art gar davon hinweg. Da sie wieder zurück kam, nöthigte sie der Fürst nochmahls, sich neben ihn zu setzen, da die übrigen Gäste fast Circkel-rund um ihn und seine Gemahlin herum sassen und lagen, jedoch das eigensinnige Fräulein verschmähete den Sofa abermahls, weßwegen der Fürst einen kostbaren Türckischen Teppich zu seinen Füssen ausbreitete, ein Polster darauf legte, und sie bat, daß sie bey ihm möchte sitzen bleiben; aber, wie gesagt, der Eigensinn dieser Fräulein wolte auch dieses nicht zulassen, sondern sie nahm [434] ihr Schnupf-Tuch heraus, breitete dasselbe über einen frisch aufgeworffenen Maulwurffs-Hauffen, und sagte dabey: dieses soll mein Platz seyn, worauf ich sitzen will. Die Fürstin fieng hierüber gantz hertzlich zu lachen an, und sagte: »Liebe Fräulein! auf ihrem Platze möchte ich wohl nicht sitzen, denn ich traue den Maulwürffen nicht gar allzu viel zu.« Hierauf gab das Fräulein zur Antwort: »Wenn Maulwürffe drinnen sind, und etwas mit mir zu thun haben wollen, so mögen sie heraus kommen, und sich zeigen.« Nach diesen ausgesprochenen Worten schlich sich die Fürstin auf wenige Minuten bey Seite, und da ich ihr nachfolgte, bemerckte ich, daß sie sich ein etwa Fingers-langes Pflöckgen von einem grünen Busche abschnitt, und eben dieses Pflöckgen practicirte, (die Fürstin,) mit guter Art und in möglichster Geschwindigkeit in den unter der Fräulein Schnupf-Tuche bedeckten Maulwurffs-Hauffen, da denn, ehe 3. Minuten vergiengen, immer ein Maulwurff nach dem andern unter dem Schnupf-Tuche hervor gekrochen kam, und der Fräulein unter den Kleidungen hinauf lauffen wolte, worüber denn das gute Fräulein hefftig zu schreyen und zu kreischen anfieng. Es wurden aber endlich der Maulwürffe so viel, die in dem Creyse, den wir geschlossen hatten, herum lieffen, daß man sie fast nicht mehr zählen konte, darbey war lustig anzusehen, daß, wenn mit einer Spitz-Ruthe oder Stabe nach ihnen geschlagen wurde, sich diese Art von Maulwürffen augenblicklich in die Lufft erhoben, und wie die Fleder-Mäuse davon flogen. Es [435] war dieses nun zwar ein Haupt-Spas, allein das gute Fräulein hatte sich dennoch über die Maulwürffe dergestalt erschreckt und verwandelt, daß sie viele Tage das Bette hüten muste; man bekam sie auch gar nicht zu sehen, bis auf den Tag, da unsers Fürsten Geburts-Tag in gröster Pracht gefeyert wurde, da sie denn in einem besondern Haupt-Schmucke erschien, welcher von Stroh geflochten war, auf die Art, wie in Deutchland und Holland die Schaub- oder Regen-Huthe gemacht sind, es hatte aber dieser Haupt-Schmuck die Gestalt eines sehr grossen runden Huthes, auf welchem eine ebenfalls von Stroh geflochtene Crone bevestiget war, im übrigen war diese Kopff-Machine mit Reyher- und andern Federn, auch Bändern von allerhand Farben, dergestalt ausgezieret, daß man sich billig über diesen Aufsatz verwundern, ich auch selbst bekennen muste, daß er recht niedlich war, und dem Fräulein ungemein wohl anstunde. Die Fürstin aber, so bald sie das Fräulein in einem solchen Aufputze sahe, hätte sogleich vor Gifft und Galle bersten mogen, ja sie biß nicht selten recht die Zähne aus Bosheit zusammen, weilen sie sich wegen der Stroh Crone und den bunten Federn und Bändern eine gantz wiederwärtige und verdrießliche Vorstellung in ihren Gedancken machte, zumahlen, da sie eine ungemein eifersüchtige Dame war.

Mittlerweile erschien das Fräulein N. mit diesem ihrem Haupt-Putze bey der Taffel, und der Fürst ließ sich durch Stellungen und Worte so viel vernehmen, daß ihm noch niemahls, weil er [436] gelebt, ein Aufputz eines Frauenzimmers besser gefallen und vergnügt hätte, als dieser, weßwegen er denn sogleich nach aufgehobener Taffel der Fräulein ein kostbares mit Jubelen besetztes Hals-Band, ingleichen ein paar dergleichen Arm-Bänder und einen Diamantenen Ring von grossem Werthe verehrete.

Nun ist leicht zu erachten, daß dergleichen Beginnen bey der Fürstin eben kein besonderes gutes Geblüte müsse verursacht haben; Allein sie wuste ihre Gemüths-Bewegungen, um die Lust des Fürsten und aller seiner Bedienten nicht zu stöhren, vor diesesmahl dergestalt klüglich zu verbergen, daß man dey ihr eben keine sonderliche Veränderung merckte.

Es begab sich aber an eben diesem Tage noch etwas gantz besonderes, denn da wir alle, so viel unserer nur bey Hofe waren, durch eine lange Allée spazierten, an deren Ende eine von Marmor-Steinen erbauete Capelle befindlich, in welcher die Andacht verrichtet, und vor das fernere Glück und Leben des Fürsten geopfert werden solte; so führete der Fürst zu erst seine Gemahlin an der Hand, der Ober-Hofmeister aber die Fräulein von N. und das andere Frauenzimmer wurde dem Stande nach von Cavaliers oder Personen ihres gleichen der Capelle zugeführet, so, daß alles Paar-weise gieng. Wie wir aber das Ende der Allée erreicht, auf einem grossen grünen Platze, etwa eine Viertel-Stunde stehen blieben, und erwarteten, bis uns von, den Dervis der Eintritt angekündiget werden solte, sahen wir in der Lufft über uns einen[437] grossen Geyer daher geflogen kommen, welcher sich erstlich etliche Minuten in der Lufft herum schwenckte, nachhero aber, wie ein Blitz, hernieder fuhr, und der Fräulein von N. den Feder-Huth zusamt der Stroh-Crone vom Haupte riß, auch selbige in gröster Geschwindigkeit in die Lufft führete, seinen Flug aber nach dem Indianischen Meere zu nahm, mithin gar bald aus unsern Augen verschwand.

Ohngeachtet nun das Fräulein sich über diesen Possen sehr bestürtzt und verdrüßlich erzeigte, indem sie mit blosem Haupte in die Capelle gehen und opffern muste, so hätte doch dieser Possen noch hingehen mögen, und leicht verschmertzt werden können, wenn nicht ein anderer noch weit häßlicherer Possen darauf erfolget wäre; denn da sie aus der Capelle auf dem Rückwege begriffen war, senckte sich ein fürchterlicher Drache fast bis zu ihrem Haupte hernieder, und besalbete sie mit Kuh-Miste dergestalt, daß sie nicht aus den Augen sehen konte, wie denn auch ihr Führer nicht verschonet blieb, sondern einen ziemlichen Theil Küh-Mist auf seinem Haupte und Kleidern aufzuweisen hatte.

Diese Begebenheit hatte sich die gute Fräulein dergestalt zu Gemüthe gezogen, daß sie in eine tödliche Kranckheit verfiel, so, daß an ihrem Aufkommen gezweiffelt wurde, jedoch nach Verkauff einiger Wochen ließ sie sich zwar wieder öffentlich sehen, begab sich aber bald auf die Reise nach ihren Eltern, da man denn nach der Zeit die Fürstin noch einmahl so vergnügt als vorhero sahe, ohngeachtet der Fürst, unter dem Vorwande den bevorstehenden [438] den Feldzug gegen den Myriwegs besorgen zu helffen, ebenfalls eine Reise, wie er sagte, nach Ispahan antrat, und zu baldiger Zurückkunfft schlechte Hofnung machte.

So bald als nun der Fürst fort war, zog die Fürstin, als eine sehr kluge und vernünfftige Frau, ihre Hofhaltung fast bis über die Helffte in die Enge, danckte auch viele Bedienten ab, denen sie eben nicht sonderlich gewogen war, was aber sonsten ihren Kleider-Staat, die Taffel und das übrige anbelangete, so kam dennoch alles Fürstlich heraus, denn sie lebte propre und delicat, ließ auch ihren Bedienten nichts ermangeln, sondern gab denenselben zum öfftern fast überflüßig, was sie vonnöthen hatten. Sonsten aber hatte sie wenigen Zuspruch von hohen Personen, als welches ihr denn eben nicht ungelegen war, unterdessen kam doch bisweilen ein Fest-Tag, da sie sich mit ihren Cavaliers und Dames vergnügte, sonsten aber war ihr Haupt-Vergnügen der Garten-Bau und dann und wann die Tagd, auser diesen aber lebte sie in ihrem Schlosse sehr stille und ruhig, und war mehr und öffterer in ihren Zimmern, als auser demselben anzutreffen.

Bey solcher Gelegenheit hatte ich zum öfftern das Glück, gantze halbe Tage bey ihr zu zubringen, und zwar gantz allein in ihrem Zimmer, da wir denn die Zeit mit allerley nützlichen Gesprächen zubrachten. Wie ich aber mich versichert sahe, daß sie eine gantz besondere Gunst und Gnade vor vielen andern, auch so gar vor ihren Landes-Leuten, auf mich geworffen, und gerne sahe, wenn ich [439] dreuste und offenhertzig mir ihr redete, mir auch niemahls etwas übel nahm, wie sie mir denn dieses alles in Holländischer Sprache, welche sie zu der Zeit nur noch verstümmelt redete, zum öfftern sehr liebreich zu vernehmen gab, so nahm mir vor, es zu wagen, ihr einen besondern Vortrag zu thun.

Demnach stämmete ich einstmahls, als ich gantz alleine bey ihr im Zimmer war, einen Arm unter den Kopf, und ließ etliche Thränen aus meinen Augen fallen, denn sie hatte mir vorhero gantz offenhertzig viel von ihren Glücks- und Unglücks-Fallen erzehlet. Wie nun die Fürstin mich fragte: warum ich Thränen vergösse? und wer mir etwas zu Leide gethan hätte? gab ich sogleich zur Antwort: mir hat niemand das geringste zu Leide gethan, diese Thränen aber, die ich jetzo fallen lasse, fliessen aus einem Jammer-vollen Hertzen und mitleidenden Augen, beklage anbey nichts mehr, als dieses, daß Ew. Durchl. nicht das Glück haben, eine Christin zu seyn, da sich denn Dieselben in vielen Stücken weit besser fassen und trösten würden.


Was? (fuhr hierauf die Fürstin als halb erzürnt auf) wer hat euch gesagt, daß ich keine Christin wäre? fraget den Jacob, den Keller-Meister, der wird mir Zeugniß geben, daß ich eine getauffte Christin bin, und das heilige Abendmahl von einem Holländischen Protestantischen Schiffs-Prediger schon dreymahl empfangen habe, nach der Zeit aber haben sich meine Umstände dergestalt verändert, daß ich dieser grossen[440] Glückseligkeit bis hieher nicht wieder theilhafftig werden können.


Ich fiel demnach vor der Fürstin nieder auf die Knie, küssete vor Freuden den Saum ihres Kleides, und weinete dabey recht bitterlich, worauf sie mich in die Höhe hub, und mir mehr als 10. Küsse gab, aber dabey befahl, daß ich gleich von Stunde an zu dem Keller-Meister Jacob (den sie meinen Landesmann hieß, weil er ihr Dollmetscher in Holländischer und andern Sprachen war) hingehen, und ihres Christenthums wegen mich weiter bey ihm erkundigen, diese folgende Nacht aber bey ihr in ihrem Zimmer bleiben solte.

Dieser Jacob erzehlete mir nun, nachdem ich ihm den Befehl von unserer Fürstin überbracht, rechte Wunder-Dinge von dieser Fürstin, welche ich nachzusagen mich zwar wohl im Stande befinde, allein es möchte vielleicht die Geschichte dadurch allzu weitläufftig gemacht werden, darum will aus dessen Munde nur kürtzlich so viel melden, daß diese Fürstin, als eine Printzeßin eines benachbarten grossen Fürsten, zwar als eine Heydin gebohren, und als eine Anbeterin des Feuers erzogen worden, allein der Himmel hätte sie durch besondere Wege, da sie ohngefehr 12. bis 13. Jahr alt gewesen, auf ein Holländisches Schiff geführet, welches sie, aller Persianer Art nach, so wohl von aussen als von innen mit gröster Verwunderung beschauet, und sich auf das alleräuserste darüber vergnügt, jedoch über alles weiter nichts mehr, als über den andächtigen Gottesdienst der Christen, weßwegen sie denn gleich gebeten, daß man die Güte haben, und sie [441] mit nach Holland nehmen mochte, und war gantz heimlich, weiln sie Gold und Juwelen zu Bezahlung ihrer Reise-Kosten zur billigen Genüge herbey bringen wolte; Allein, da man ihr die Gefahr vorgestellet, welche aus dieser Sache, wenn man ihr gleich sonsten gern willfahren wolte, entstehen könte, indem es vielleicht aller auf dem Schiffe befindlicher Menschen Leben auser dem Verlust der Güther kosten könte, so hätte sie sich nur ausgebeten, daß man sie zu einer Christin machen möchte. Wie nun der Prediger ihr gemeldet, daß dieses eine Sache, die so leicht nicht angienge, indem sie erstlich getaufft, hernach in den Christlichen Glaubens-Articuln unterrichtet werden müste, so wäre sie zwar davon gegangen, jedoch, nachdem sie sich bey ihren getreuen Wald-Leuten etliche Tage verborgen aufgehalten, wieder zurück auf das Schiff gekommen, allwo sie die heilige Tauffe und nach hinlänglichem Unterricht wegen der Christlichen Glaubens-Articul, auch zum erstenmahle das heilige Abendmahl, selbiges auch nach der Zeit noch 2. mahl empfangen, indem sich das Schiff noch etliche Monate in selbigem Hafen aufgehalten, jedoch, weiln vielleicht eine Verrätherey bey der gantzen Sache vorgegangen, indem die Printzeßin nach der Zeit nicht wieder zum Vorscheine gekommen wäre, welches aber seine andern gantz besondern Ursachen gehabt hätte, so wären die Holländer zwar in gröster Gefahr gewesen, unglücklich gemacht zu werden, allein die Sache hätte sich endlich noch verschlichen, nachdem auf allen ausländischen Schiffen die schärffste Visitation der Printzeßin wegen geschehen, [442] welche Printzeßin denn von ihrem damaligen Liebsten, als dem jetzigen Fürsten vonCandahar, gewisser Ursachen wegen, wäre auf die Seite gebracht, und auf ein bestes Schloß in Verwahrung gesetzt worden.

Jacob erzehlete mir binnen wenig Stunden noch viele seltsame Begebenheiten dieser Fürstin wegen, die ich aber vorjetzo verschweigen, und nur dieses melden will, daß die Fürstin, nachdem sie ihren Gemahl schon geheyrathet, ihm, dem Jacob, zum öfftern im Vertrauen gesagt, wie sie sich auf dieser Welt nichts mehr wünschte: als nur noch ein eintzigmahl getaufft zu werden, und auch das heilige Abendmahl nur noch ein eintzigmahl zu geniessen, worauf sie gern und willig sterben, und ihre Seele dem gecreutzigten Christo anbefehlen wolte, weilen ihr Zeit ihres Lebens nicht besser zu Muthe und ums Hertze gewesen, als da sie getaufft worden und das heilige Abendmahl empfangen hätte. In diesem Stücke nun hätte er, nemlich der Jacob, seinem wenigen Verstande nach, zwar ihr vielen Unterricht gegeben, was nicht allein vor ein Unterscheid zwischen den beyden Sacramenten, nemlich der heiligen Tauffe und des heiligen Abendmahls wäre, indem die Christen nur ein eintzigmahl getaufft zu werden brauchten, nachhero aber als bußfertige Sünder das heilige Abendmahl, so offt als sie ihr Gewissen drückte, verlangen und geniessen könten; inmittelst aber käme es bloserdings auf den wahren seligmachenden Glauben an Christum und dessen Verdienst an, wenn man die Seligkeit erlangen wolte. Wie nun Jacob bezeugte, daß [443] er ihr, als ein einfältiger Protestantischer Christ nicht mehr, als so viel beybringen können, so hätte sich die Fürstin doch jederzeit dergestalt eifrig und er picht darauf erwiesen, daß er sich darüber verwundern müssen. Derowegen bat er mich, auf den kleinen Grund, den er in der Fürstin Hertzen und Gewissen geleget, ferner fort zu bauen, vor allen Dingen aber dahin bedacht zu seyn, daß sie die Persianischen 2. Zauber-Weiber, als Anbeterinnen des Feuers, mit guter Art von sich schaffte, da wir denn allebeyde nebst noch einer dritten Person binnen kurtzer Zeit eine rechte gute Christin aus ihr machen wolten.

Demnach hatte mir Jacob bey meiner ersten Besuchung zur Zeit mehr als genug gesagt. Als ich demnach zu behöriger Stunde mich bey meiner Fürstin einstellete, und dieselbe auskleiden helffen, befahl sie mir, da die andern weggiengen, noch etwas zu verweilen, indem sie noch ein und andere Haus-Geschäffte mit mir zu überlegen hätte; allein, es war weit gefehlt, denn so bald die andern fort waren, fiengen wir ein christliches Gespräch an, da sie mich denn zu allererst fragte: ob ich mit dem Jacob ihrentwegen gesprochen, und da ich solches mit Ja beantwortete, führete sie mich in ihr geheimes Zimmer, und brachte nicht allein eine Holländische Bibel, sondern auch noch mehrereProtestantische Bücher, alle sehr sauber eingebunden, herbey, und sagte: Diese Bücher verwahre ich besser, als alle meine Kleynodien und Schätze, weiln ich in Gegenwart anderer Personen darinnen zu lesen mich nicht getrauen darff, derowegen muß zum öfftern die Mitternachts-Stunden [444] mit zu Hülffe nehmen, nur ungestöhrt und gantz alleine zu seyn; Nunmehro aber (sagte sie weiter) habe ich keine Furcht mehr, denn wenn ich ja darüber betroffen werden solte, so will ich sagen, daß es eure Bücher wären, die ich nur bisweilen zum Zeitvertreibe durchblätterte. Inmittelst werde mich, da ihr nun bey mir seyd, eiferiger, als jemahls, bemühen, mich im wahren Christenthume zu üben, um eine vollkommene Christin zu werden, denn ich will durchaus nicht als eine Heydin sterben, nach meinem Tode aber, wenn es meine Feinde erfahren haben, mögen sie mit meinem Cörper machen, was sie wollen.

Dieser Vorsatz und die übrige Aufführung der Fürstin strengeten mich dahin an, daß ich mein Leib und Leben gern und willig vor sie gelassen hätte; unterdessen fiössete ich ihr aber immer bey guter Laune diejenigen Lehren ein, welche mir mein lieber Amsterdamer Priester in das Hertz und in den Kopf gesetzt hatte, welche denn immerzu bey ihr Statt funden; nur aber hatte ich zu bedauern, daß mir die Persianischen Zauber-Weiber immerzu in den Weg traten, und gemeiniglich dasjenige verderbten, was ich, als eine einfältige Christin, in der Fürstin Hertzen gesäet und gepstantzet hatte.

Wenige Nächte darauf, nachdem die Persianischen Zauberinnen der Fürstin fast nicht von der Seigte gekommen, ließ mich dieselbe ziemlich späte zu sich ruffen, da sie mir denn treuhertzig offenbarete, daß ein gewisser benachtbarter Pr. – – bey Gelegenheit des Abwesens ihres Mannes dasjenige zu erhaschen suchte, warum er sich schon seit einiger Zeit viele vergebliche [445] Mühe gegeben. Derowegen solte ich doch bey ihr bleiben, und nur mit ansehen, wie sie diesen verliebten Ehebrecher abfertigen wolte, möchte aber nur sagen, in was vor Gestalt er vor uns erscheinen solte, ob: als ein Ochse, Löwe, Bär, Hirsch, oder anderes wildes Thier, oder als ein Vogel von dieser oder jener Art? da sie denn sich mit ihrer Kunst sogleich nach mir richten, und ihren Liebhaber, den sie aber nimmermehr lieben wolte, sogleich in der Mitternachts-Stunde zur Stelle schaffen wolte. Ohngeachtet ich nun die Fürstin hierbey gantz inständigst bat, diese Possen, zumahlen in Abwesenheit ihres Herrn Gemahls, bleiben zu lassen, so ließ sie doch nicht ab, mich zu quälen, bis ich, (da sie sich hoch und theuer verschworen, daß mir nicht das geringste Leid wiederfahren solte) endlich sagte: Ey! so lassen Sie ihn in der Gestalt eines Papagoyen kommen, damit sie doch nur etwas mit ihm sprechen können. Worauf sie mir zur Antwort gab: Versteckt euch hinter die Tapeten, und wartet nur eine eintzige halbe Stunde, so soll er da seyn. Ihrem Befehle gehorsamete ich, und versteckte mich hinter die Tapeten, ward auch gewahr, daß, nachdem sie ein grosses Fenster eröffnet, und selbst noch etliche Wachs-Lichter angezündet hatte, ein Papagoy zum Fenster herein gehüpft kam, und sich fein säuberlich auf der Fürstin Nacht-Tisch setzte, auch ohngenöthiget allerley Arten von Confituren in seinen krummen Schnabel nahm, und dieselben verschlunge, ja er entblödete sich nicht, nachdem ihm die Fürstin eine ziemlich grosse silberne Schaale voll Wein eingeschenckt, erstl. hertzhafft zu trincken, hernach sich darinnen zu baden. Ich vor meine Person [446] konte mich des lauten Lachens fast nicht mehr enthalten, da aber der Papagoy und die Fürstin mit einander zu schwatzen anfiengen, spitzte ich die Ohren, und hörete gantz lustige Begebenhetten, hielt mich aber so still, als nur immer möglich war, bis der Papagoy in die Schaale hackte, mitlerweile auch noch viele Stücke Confect zu sich genommen hatte, da ihm denn die Fürstin die Schaale noch einmahl voll schenckte, woraus er sich erst dicke und satt soff, hernachmahls zum andernmahle badete, sodann auf der Fürstin weiß gemachtes Bette zuflog, und dasselbe ziemlicher Massen verunreinigte; allein die Fürstin nahm sogleich ihren weissen Stab klopffte damit 3. mahl auf den Tisch, da denn der Papagoy sogleich, wie eine Taube zum Fenster hinaus flog, weiln er zumahlen vielleicht mein Husten hinter den Tapeten mochte vernommen haben.


Wie gefiel euch diese Begebenheit? (fragte mich die Fürstin) Ich konte nun nicht anders sagen, als daß ich über den Papagoy und dessen Aufführung hätte hertzlich lachen müssen. Ihr habt wohl recht, (redete die Fürstin weiter) gewisser Ursachen wegen hätte ich ihn wohl einiger Massen züchtigen sollen, allein es mag ihm vor diesesmahl geschenckt seyn, doch Morgen Nachmittags sollet ihr eure Lust sehen, wie ich die geilen Böcke und brünstigen Hirsche züchtigen kan und will: Denn es haben so wohl der Jazzan, als der Arab-Ogli, als welche ihr alle beyde wohl kennet, mich dahero fast täglich mit unkeuschen Briefen gequälet, und verlangt, daß ich ihnen [447] einen geheimen Zutritt und gehorsamste Aufwartung bey mir zu machen vergönnen möchte. Um nun diese geilen Ehren-Diebe los zu werden, so habe sie auf Morgen beyde zu einer gewissen Stunde in das im grossen Garten befindliche Lust-Haus bestellet, als in welchem ich mich zu einer bestimmter Stunde wolte antreffen lassen, es weiß aber keiner von des andern Suchen und Verlangen, ohngeachtet sie beyde auf einerley Schand-Wegen gehen. Wenn sie nun kommen, so sollet ihr, meine liebe Anna, eure Lust sehen, wie ich diese Bösewichter bezahlen will.


Demnach begab sich die Fürstin des andern Tages gleich nach der Mittags-Mahlzeit in das Lust-Haus des grossen Baum-Gartens, und lockte zugleich 12. bis 16. grosse, mittelmäßige und kleine Hunde hinter sich her, die sie alle zusammen in das unterste grosse Zimmer des Lust-Hauses einsperrete, die Fürstin aber gieng mit mir höher hinauf, allwo wir denn einige herbey geschaffte Erfrischungen zu uns nahmen, und die Ankunfft der Herren Liebhaber abwarten wolten, ihnen auch unter vielen Schertz-Worten beständig entgegen sahen. Wie nun der Fürstin die Zeit etwas zu lang zu werden begunte, so gieng sie selbsten hin, und machte die grosse Hinter-Thür des Baum-Gartens auf, worbey ich bemerckte, daß sie viele kleine Pflöckgen schnitzte, und dieselben nicht allein bey der Thür-Swelle, sonden auch hie und da in die Erde einschlug.

Endlich kam sie zu mir in das obere Zimmer [448] herauf zurück, befahl, daß Caffée vor sie zubereitet werden solte; wie nun dieses aber schon geschehen war, so tranck sie etliche Tassen, und gab unterdessen beständig Achtung auf die Thür, worauf wir denn gar bald einen ungemein grossen Hirsch, der ein vortreffliches Geweyhe auf seinem Kopfe trug, eintreten sahen. Sehet, liebe Anna! sagte die Fürstin, das ist der Arab-Ogli; aber lasset ihn nur näher kommen, bis der Bock Jazzan auch eingetreten ist. Dieses geschahe nun nach Verlauff ewta einer Stunde, da den Jazzan, so bald er nur die Thür-Schwelle überschritte, sich sogleich in einen Stein-Bock verwandelte. Beyde Thiere machten sich einander entgegen, u. es schien mir nicht anders, als ob sie ordentlicher Weise mit einander Sprache hielten. Jedoch die Fürstin vergönnete ihnen nicht lange Zeit, sondern gieng hinunter in das unterste Zimmer, wo die Hunde eingesperret waren, tipfte jeden Hund mit ihrem weissen Stabe auf den Kopf, und ließ nachhero die Hunde auf einmahl alle heraus, da denn im Garten eine solche Kater-Jagt entstunde, daß ich, die ich oben an einem kleinen Gatter-Fenster saß, mich fast hätte mögen zum Narren lachen. Diese Jagd währete fast über 2. Stunden, bis so wohl der Hirsch und der Stein-Bock, als die Hunde gantz abgemattet und ermüdet auf dem Platze liegen blieben. Endlich aber, nachdem so wohl der Hirsch, als der Stein-Bock ihren Rückweg genommen, kamen auch die Hunde, nachdem ihnen die Fürstin ein Zeichen mit einem Jagd-Hörnlein gegeben, gantz unbeschädigt zurück, so wohl wie ihr gesagtes Wild denn ebenfalls unverletzt [449] geblieben, und sich auf ihre Strassen begeben hatte.

Diese Jagd mag ich wohl den Haupt-Spas nennen, welchen ich jemahls in meiner gantzen Lebens-Zeit gehabt, ja, ich hatte mich würcklich über das Springen des Hirsches und des Stein-Bocks dergestalt zu Schande gelacht, daß ich es nachhero fast in 8. Tagen nicht verwinden konte.

Dergleichen lustige Streiche spielete die Fürstin in nachfolgenden Tagen und Zeiten noch viel mehrere, die ich aber vorjetzo eben nicht auf das Tapet bringen will, weilen meine Geschichts Erzehlung sonsten gar zu weitläufftig werden möchte; da ich sie aber eines Abends in gröster Andacht bey der Bibel und andern christlichen Büchern sitzend antraff, und die Fürstin mich fragte: »Nun, meine liebe Anna! wie hat euch meine bisherige Aufführung gefallen?« so gab ich ihr zur Antwort: Ungemein wohl, gnädigste Fürstin, allein wie stimmer Christus und Belial zusammen? Sie wollen eine getauffte Christin seyn, und heissen, und treiben doch so viele Wercke, woran der Satan den grösten Theil hat, das Christenthum aber Gefahr läufft. Ich schlug ihr hier auch das Capitel in der Bibel auf, worinnen gemeldter Spruch, benebst der gantzen Geschichte zu lesen ist, und hielt ihr dabey eine kleine Buß- und Gesetz-Predigt, wie ich dieselbe von meinem lieben Amsterdamer Priester sehr öffters gehöret hatte, da sie denn auf einmahl angelobte, diese Zauber-Possen hinführo bey Seite zu legen und die Schwartz-Künstlerinnen unter einem guten Vorwande, mit [450] reichlichen Geschencken begabt, von sich zu schaffen. Dieses gelobte sie mir mit Thränen an, hielt auch ihr Wort, denn die Persianischen Zauber-Weiber und Anbeterinnen des Feuers wurden mit guter Manier fortgeschickt, worauf sich denn die Fürstin zu meinem allergrösten Vergnügen angelegen seyn ließ, das Christenthum auf das allerfleissigste auszuüben, nach der Zeit aber den Jacob nebst seiner Frau, die ebenfalls eine Protestantin war, und mich zu ihren Vertrauten erwehlete.

Demnach machten wir binnen wenig Wochen, unserer Einfalt nach, aus der Fürstin eine rechte gute Christin denn sie lebte dergestalt ordentlich und stille, daß an ihrem gantzen Lebens-Wandel nichts auszusetzen war. Ihr Vergnügen aber suchte sie zu gewissen Zeiten auf der Jagd und bey dem Garten-Bau, als worinnen ich ihr zur Verbesserung desselben verschiedene Anweisungen gab, die ihr nicht allein sehr wohl gefielen, sondern sie spürete auch gar bald die Lust und den Nutzen davon.

Unvermuthet kam der Fürst, ihr Gemahl, von Ispahan zurück, bezeigte sich ungemein vergnügt, seine Gemahlin in so gutem Wohlstande und besserer Verfassung anzutreffen, brachte auch derselben recht ungemein kostbare Geschencke mit; ja auch die allergeringsten Bedienten wurden von ihm sehr reichlich beschenckt. Er hielt sich damahls 2. gantzer Jahre in seiner Residentz bey seiner Gemahlin auf, und binnen dieser Zeit wurde gegenwärtige Printzeßin Mirzamanda von meiner werthen Fürstin zur Welt gebracht. Als nun jetzt gemeldter Fürstin die Geburts-Schmertzen ankamen, [451] und zwar in einem mitten im Walde gelegnen grossen Jagd-Hause, verlangte sie mit aller Gewalt, daß ich bey ihr bleiben solte; ob ich nun zwar vorschützte: wie ich eine Frau wäre, die wohl einen Mann, aber doch niemahls ein Kind gehabt hätte, mich also zu dergleichen Begebenheiten gantz und gar nicht schickte, so muste doch der Fürstin Wille er füllet werden, und ich fast gezwungener Weise, um nicht etwa die Ungnade des Fürsten zu verdienen, bey der Fürstin bleiben, welche gantz heimlicher Weise nach dem Jacob und seiner Frau schickte, und dieselben zu sich beruffen ließ. Nachdem nun Jacob nebst seiner Frauen in denen Mitternachts-Stunden sich bey ihr eingestellet, ließ sie diese beyden sogleich zu sich in ihr Zimmer kommen als in welchem ich mich gantz allein zu ihrer Aufwartung befand, nahm das kaum vor 48. Stunden glücklich zur Welt gebohrne Kind aus der Wiege heraus, gab es mir auf die Arme, und sprach: Ich beschwöre euch alle 3. Personen bey dem allmächtigen GOtte und der gantzen Hochheiligen Dreyfaltigkeit, daß ihr drey Personen mir dieses mein neugebohrnes Kind, auf Christi Blut und Gerechtigkeit, nach Christlicher Art und Weise tauffen sollet, und dessen Tauff-Zeugen werden wollet, indem ich durchaus nicht haben will, daß diese meine Tochter als eine Anbeterin des Feuers, der Sonne, Mond, Sterne, oder anderer Getzen soll auferzogen werden.


Hierauf nahm ich die kleine Mirzamanda mit uns in ein kleines Neben-Zimmer, allwo sie Jacob [452] nach heiligem Gebrauche tauffte, und ihr den Nahmen Christiana beylegte, den Heyden zu Gefallen nenneten wir sie aber jedennoch immer noch Mirzamanda, und zwar aus Furcht.

Mitlerweile war keins von den Heyden das geringste von dieser Begebenheit gewahr worden, und die Fürstin beschenkte den Jacob und seine Frau ungemein reichlich, nachdem ich ihr meinen Bericht wegen der glücklich abgelauffenen Tauffe abgestattet hatte. Ich hatte das Glück, Kinder-Frau bey dieser jungen artigen Printzeßin zu werden, und hatte 3. Kinder-Mägde unter meinem Befehle, die das Kind nach meiner Verordnung auf das allerbeste und behutsamste warten und pflegen musten.

Der Fürst hatte eine ungemeine Freude bey dem Anblicke dieser seiner schönen Tochter, allein er konte dieselbe nicht lange geniessen, indem er abermahls nach Ispahan zu reisen sich gezwungen sahe, da er denn länger aussen blieb, als wir gedachten, endlich aber plötzlich zurücke kam, und die unangenehme Zeitung mitbrachte: Was Massen es alle Umstände nicht anders erforderten, als daß er selbstē mit zu Felde, und dem Feinde entgegen gehen müste. Demnach wurde sein Feld- und Kriegs-Geräthschafft gleich in geschwinder Eille zu rechte gemacht; die Fürstin aber wolte damahls sich nicht aus dem Siñe reden lassen, ihrem Gemahle zu folgen, ohngeachtet sie ihr säugendes Kind hatte, welches kaum ein und ein halb Jahr alt war, ihr Gemahl auch ihr selbsten aufs beweglichste zusprach, nur dißmal noch mit ihrem Kinde zu Hause zu bleiben, weiln sie sich gantz und gar keiner Gefahr zu besorgē hätte; Allein, weiln [453] sie so gesinnet war, daß ihr der Wille, der einmahl in das Hertz und Kopf gestiegen war, durchaus erfüllet werden muste, so hatte sie ehe keine Ruhe, bis man ihre Feld-Reise-Geräthschafft auch zu rechte machte, da sie denn ihrem Gemahle, so zu sagen, auf dem Fusse nachfolgte, ich aber benebst der kleinen Printzeßin musten auch mitreisen. Die Reise zwar war eben nicht allzu beschwerlich, indem wir abwechselten, und uns bald in Wagens, bald auf Camele oder Elephanten setzten, nach Gefallen aber in Sänfften konten tragen lassen; allein es gefiel mir dennoch nicht, hergegen stellete sich die junge Printzeßin dergestalt lustig und munter dabey an, als ob sie zum Reisen gebohren wäre. Es gieng aber in diesem Feld-Zuge sehr scharff her, und vor uns am allerschärffesten: denn da unsere Völcker eines Morgens von den Feinden geschlagen und zerstreuet worden, kamen von den Unseringen viele um den Wagen herum, worinnen die Fürstin und die kleine Printzeßin fassen, die ich auf meinem Schoosse und in meinen Armen hatte, welche uns insgesamt warneten, ja nicht weiter zu fahren, woferne wir nicht ein Raub der Feinde seyn wolten, die gleich hinter ihnen wären; gaben anbey den Rath, daß wir lieber aussteigen, und uns in dem dicken Gebüsche verbergen solten. Die erschrockene und beängstigte Fürstin, nachdem sie auf ihr Fragen: ob ihr Gemahl noch lebte, berichtet worden, daß er noch gesund sey, und sich dem Feinde immer noch tapfer wiedersetzte, fassete den jählingen Schluß, aus dem Wagen zu steigen, und sich in das dicke Gebüsche zu begeben. Indem sie nun ausstieg, befahl sie mir, [454] ihr mit dem Kinde auf dem Fusse nachzufolgen, auch eine Flasche Wein, nebst der eingepackten kalten Küche und etwas Confect hinter ihr herzutragen, indem sie recht sehr durstig und hungrig wäre. Ich machte mich sogleich fertig, ihr zu folgen, und traff die gute Fürstin auf einem grossen Steine unter einem grünen Strauche sitzend an, gab ihr ihre liebe Tochter in die Arme, welche sie sogleich an ihre Brust legte, ich aber ließ mich unter dem Steine zu ihren Füssen vieder, und legte mein Haupt in ihren Schooß. Kaum war dieses geschehen, da ein schneller Pfeil aus dem gegen über stehenden Gebüsche heraus geflogen kam, und accurat über meinem Haupte in der Fürstin schöne Brust fuhr, so, daß ich fast vom Haupte bis zu den Füssen mit ihrem Fürsten-Blute gefärbt, ja recht eingetränckt wurde, denn sie war ein sehr vollblütiges Frauenzimmer.

Das allerjämmerlichste Spectacul, dergleichen ich Zeit meines Lebens niemahls mit Augen gesehen, und worbey mir selbsten das Hertz im Leibe recht blutete, fiel mir dergestalt empfindlich, daß ich von einer würcklichen Ohnmacht befallen wurde, zumahlen, da ich, indem ich meine Augen noch in etwas empor hub, beobachtete, daß die kleine ebenfalls mit Blut befärbte Mirzamanda mit beyden Händen, und zwar aus äusersten Kräfften, beschäfftiget war, den Pfeil aus ihrer Mutter Brust heraus zu reissen, weßwegen ich denn vollends in eine so starcke Ohnmacht gerieth, daß ich von meinen Sinnen nicht wuste, und weder sehen noch horen konte.

[455] Jedoch nach Verlauff etwa einer halben Stunde, begunten sich meine Geister in etwas wieder zu ermuntern, da ich denn gewahr wurde, daß nicht allein der Fürstin, sondern auch meine, ja so gar der kleinen Printzeßin Kleider ausgesucht, jedoch aber, wieder hingeworffen wurden. Ihrer 4. von den Feinden aber hatten die besondere Gefälligkeit, den schönen Cörper der Fürstin auf etliche mit ihren Säbeln abgehauene grüne Reiser auf ein grünes Plätzgen zu legen, und denselben mit noch mehr grünen Laub-Reisern zu bedecken, und zwar sehr starck. Dieses gefiel mir in so weit gantz wohl, da aber einer von den Feinden kam, und mir das Kind aus den Armen riß, auch mit demselben davon eilete, folgte ich ihm auf dem Fusse nach; Es begegneten mir zwar einige feindliche Soldaten, welche sich über meinen seltsamen blutigen Habit verwunderten, jedoch mich ohngehindert gehen liessen, so, daß ich beobachten konte, in welche Hütte das Kind getragen wurde. So bald ich demnach dieses gewahr worden, machte ich mich gantz dreuste in die Hütte hinnein, indem ich mich darauf verließ, daß ich noch ungemeine kostbare Kleinodien, Diamanten, und andere Edelgesteine, oben in dem Neste meiner Haare, unter der Haube, verborgen hatte, als worauf sich vermuthlich unsere Plünderer nicht mochten besonnen haben. Wie ich nun die Sache weiter untersuchte, so befand es sich, daß meine Printzeßin in die Hütte einer feindlichen Officiers-Frau gerathen, deren Mann von mittelmäßigem Range war, so bald mich aber das kleine Ding nur zu sehen bekam, [456] hörete es nicht auf zu ruffen: Ah, mi Anna! Ah, mi Anna! Die Leute verwunderten sich ungemein über den Verstand dieses Kindes, wolten also unter der Hand von mir erforschen, wem dieses Kind zugehörete; jedoch, da ich in vielen Tagen nicht vom Hintertheile einer Henne gespeiset hatte, müste mich ein thörichter Geist regiert haben, wenn ich gesagt hätte: daß diß die eintzige Printzeßin des Fürsten von Candahar wäre. Nein! das that Frau Anna nicht, sondern, weilen ich befürchtete, daß man vielleicht ein etwa allzu starckes Löse-Geld vor diese kleine Printzeßin fordern möchte, so sagte ich, sie wäre die Tochter eines Obristen von der Reuterey, welcher, wie ich schon vernommen, im letzteren Treffen geblieben, ihre Mutter aber nachhero durch einen unvermutheten Pfeil-Schuß getödet worden.

Zu meinem Glück ließ sich ein Jude im Lager erblicken, da ich denn bey Nachts-Zeit mein Nest aufmachte, und 3. Diamanten von ziemlichem Werth heraus langte, diese 3. Diamanten nehete ich sogleich in meinen lincken Ermel, trennete hernach in Gegenwart aller Anwesenden und des Juden dieselben wieder heraus, und sagte: Dieses ist es alles, was ich und mein Kind von der Plünderung übrig behalten haben; der Jude aber verliebte sich sogleich in die Diamanten, und bezahlete mir dieselben noch so ziemlich, dergestalt, daß ich nicht allein von selbigem Gelde unsere Zehrungs-Kosten bey der Officiers-Frau, sondern auch diejenigen voraus bezahlen konte, die mich von da an bis Candahar zu begleiten, sich von selbsten [457] angaben, welchen ich noch dreymahl so viel zu geben versprach, als ich ihnen schon gegeben hatte, woferne sie uns nur glücklich hin, nach Candahar, brächten.

Der Himmel halff, daß wir diese beschwerliche Reise nach vielen zurück gelegten Tagen und Nächten glücklich überstunden, indem kein Fuhrwerck zu bekommen war, und ich mit dem Kinde zu Fusse nicht wohl fortkommen konte. Den Fürsten traffen wir zu Hause an, und er stellete sich über den Verlust seiner Liebste, nachdem ich ihm alle Begebenheiten recht umständlich erzehlet, fast untröstlich an, doch bemerckte ich, daß die Fräulein von N. in wenig Tagen wieder bey Hofe zum Vorscheine kam, weilen aber dieses mich nichts angieng, als war meine Haupt-Sache die Printzessin, welche der Herr Vater als seinen Aug-Apfel liebte, auf das allerbeste zu warten und zu pflegen; wie nun der Fürst nicht allein meine Treue und Fleiß, sondern auch die besondere, ja gantz ungemeine Liebe, welche seine eintzige Tochter gegen mich hegte, in Betrachtung zog, so gab er dieser seiner Tochter einen eigenen Pallast ein, bestellete mich zur Hofmeisterin und Pflegerin über dieselbe, wie auch noch mehrere Bediente, und richtete im übrigen die Hofstadt dieser kleinen Tochter dergestalt ein, daß ich dieselbe mit einem Worte, Fürstlich nennen will.

Bey meiner kleinen untergebenen Printzeßin versäumete ich also nichts, ihr das Christenthum sogleich in der zarten Jugend einzuflössen, weßwegen ich denn, so viel als nur immer möglich war, [458] die Heydnische Bedienung von ihr abhielt und zurücke trieb, hergegen den Jacob nebst seiner Frauen, und noch einer am Hofe befindlichen Protestantischen Christin an mich zog, mit deren Beyhülffe ich ihr nicht allein die Holländische Sprache so ziemlicher Massen reden lernete, hauptsächlich aber im Christenthume unermüdet unterrichtete, denn Jacob war ein Mann, der, so zu sagen, fast einen Priester und Prediger vorstellen konte. Demnach erlernete die Printzeßin immer nach und nach die auserlesensten christlichen Gebete und Psalmen auswendig sprechen, mit Singung ein- oder anderer geistreicher Lieder durffte es sehr selten wagen, weilen die Heyden sogleich die Ohren darüber spitzeten, unterdessen lehrete ihr Jacob das Lesen, Schreiben und Rechnen, wobey sie denn ihren ungemeinen Verstand zu unserm Vergnügen dergestalt blicken ließ, daß wir in eine erstaunliche Verwunderung darüber geriethen. Unter allen Tugenden aber, welche diese Printzeßin gleich in ihrer zarten Jugend von sich blicken und spüren ließ, war die Verschwiegenheit wohl eine von den vornehmsten Haupt-Tugenden: denn sie hatte dergestalt reinen Mund zu halten gelernet, daß sie alles dasjenige, was ihr auszusagen verboten wurde, bey sich behielt, eben als wenn es in einen Stein eingegossen wäre.

Der Fürst wohnete nicht allein allen Feldzügen bey damahligen schweren Kriegen in eigener Person bey, und kam offtermahls sehr starck verwundet zurück, so bald er aber nur halwege ausgeheilet war, nahm er immer eine weite Reise nach [459] der andern vor, so, daß wir uns seiner Gegenwart wenig zu erfreuen hatten.

Mittlerweile lieffen die Jahre eines nach dem andern dahin, und Mirzamanda wurde endlich mannbar, da denn der Fürst, als er einstmahls plötzlich wieder von Ispahan zurück kam, sich über ihre schöne Person und gantze Aufführung ungemein erfreuete. Er beschenckte nicht allein mich, sondern auch alle Bedienten dergestalt reichlich, daß wir fast darüber erstauneten, rühmte und lobete anbey unsern Fleiß und Bemühung wegen guter Auferziehung seiner eintzigen liebsten Tochter über alle Massen, und versicherte uns seiner fernern beständigen Gnade.

Meine Person bildete sich vor allen andern so wohl auf das beygelegte Lob, als wegen der empfangenen kostbaren Geschencke nicht wenig ein, und sahe mit Vergnügen, daß der Fürst mit seiner eintzigen liebsten Tochter auf das allerzärtlichste, und zwar bey allen Gelegenheiten umgieng.

Allein, das Spiel bekam binnen wenig Wochen ein gantz anderes Ansehen, denn, nachdem der Fürst seine Printzeßin nicht allein sehr öffters mit sich auf die Jagd, sondern auch zu andern Lustbarkeiten genommen, wolte er sie bey gewissen Fest-Tagen auch dahin zwingen, seinem Abgötter-Dienste mit beyzuwohnen, und sonderlich das Feuer und die Sonne, Mond und Sterne anzubeten; wie sich nun die Printzeßin dessen in vielen Stücken geweigert hatte, seinen Willen zu gehorsamen, so wurde der Fürst zornig, so wohl über die Printzeßin, als mich, und ließ uns alle beyde [460] in unsern Zimmern mit davor gestellten Wachten gefänglich verwahren, nachdem er zu der Printzeßin diese Worte gesprochen: »Wo ich mich nicht irre, so wirst du gantz gewiß eine Christin seyn, und ich will darhinter kommen, wer dich darzu gemacht hat, denn das Christenthum hat deine Mutter um ihr annoch sehr junges Leben gebracht.«

Anfänglich wurde mir angst und bange, jedoch, da ich mich mit der Printzeßin in einem Zimmer befand, welches nur durch eine leichte Tapeten-Wand in etwas unterschieden war, wir auch die kostbarsten Speisen und Geträncke, ingleichen sonsten alles, was wir verlangten, im Uberflusse bekamen, fassete ich mir auf einmahl einen Muth, in Hoffnung, wenn auch die gantze Sache heraus käme, und blos auf mich allein geschoben würde, mir der Hals dennoch dieserwegen eben nicht könte gebrochen werden, es wäre denn, daß Gewalt vor Recht gienge. Jedoch meine Sorgen und Bangigkeiten waren deßfalls vergebens, denn der Fürst gewöhnete sich bald an, daß er alle Abende zur Printzeßin kam, und das Schach-Spiel mit ihr spielete, als in welchem Spiele sie ungemein fertig und glücklich war. Bey dieser Gelegenheit aber hatte der Satan sein Spiel, und verleitete den Fürsten dahin, daß er seiner leiblichen Tochter Unzucht zumuthete, derselben auch unter den grösten Schmeicheleyen und grossen Versprechungen seine hefftige Liebe antrug, und um die Erfüllung seines Willens auf das allersehnlichste anhielt. Wie ich nun über diese Begebenheit recht erstaunete, so fand mich doch bald auf das allerkräfftigste [461] getröstet, da ich vernahm (denn ich konte durch ein verborgenes Schau-Loch alles sehen und hören, was in der Printzeßin Zimmer vorgieng) daß sie die Versuchungen ihres Vaters, vornemlich aber des Teufels, mit einem heldenmüthigen Geiste von sich abschlug. Was Massen sie den christlichen Glauben angenommen, bekennete sie freymüthig und darbey dieses, daß sie niemand sonsten mehr und hefftiger darzu verleitet hätte, als ihre unglücklicher Weise verstorbene leibliche Mutter, und der auch noch in ihrem Tode zu Gefallen wolte sie eine Christin bleiben, bis an ihr Ende, man möchte auch mit ihr machen, was man nur immer wolte, indem sie gewiß glaubte, daß ihre Mutter, die eines zwar schmertzlichen Todes gestorben, dennoch aber gantz gewiß in der seligen Ewigkeit sich befinden müsse; weilen dieselbe, so lange bis ihr der letzte Athem ausgegangen, immer die beyden Worte: JEsus! CHristus! ausgeruffen, und eben dieses wäre ja der Mann, der alle Menschen, die an ihn glaubten, selig machen könte.

In diesem Stück begieng die Printzeßin keine Lügen, denn so bald der Pfeil der verstorbenen Fürstin in die Brust fuhr, rief sie gleich zu dreyen mahlenJEsus! JEsus! Christus! und wiederhohlete diese Worte so lange, bis ihr der letzte Athem entgieng, dannenhero ich diese Fürstin eben nicht gäntzlich verdammen kan, zumahlen, da ihre übrige Lebens-Art in allen Stücken sehr wohl eingerichtet war, ausgenommen, was die Possen-Spielereyen aus der Schwartzen- Kunst anbetrifft, [462] weßwegen, wenn ich ihr dann und wann wohl öffters das Gewissen rührete, sie mir aber zur Antwort gab: Ihr sehet ja, liebe Anna! das dieses nur ein Narren-Werck und Gauckel-Spielerey ist, womit ich zwar einen und den andern zuweilen am Leibe, jedoch niemahls gefährlich, geschweige denn an der Seele beleidige, mithin, da das allermeiste von meinen Künsten und Wissenschafften natürlich zugehet, ich aber mit den bösen Geistern gantz und gar keine Gemeinschafft habe, so kan dieses eben nicht allzu sehr wider das Christenthum streiten. Jedoch (sagte sie denn öffters im rechten Ernste) ich kan ja alle diese Narrens-Possen ohne besondern Hertzens-Zwang bleiben lassen.

Damit ich aber in meiner Geschichts-Erzehlung den Krebs-Gang vermeide, und nicht wieder auf das schon vorhin gemeldete gerathe, so will nur dieses weiter berichten; daß der Fürst über die tapfermüthigen und hertzhafften Worte, die seine Tochter in gröstem Eifer vorbrachte, dergestalt in Zorn gebracht wurde, daß er plötzlich von seinem Sofa aufstund, und sich von dannen, nach seinem Zimmer begab, ohne, wie er sonsten zu thun pflegte, der Printzeßin einen Kuß auf eine geruhige Nacht zugeben. Mir fieng schon, ehe ich mich noch zu Bette legte, etwas Ubels zu träumen an, doch, da ich mich hingelegt hatte, kam die Printzeßin, scharrete sich bey mir ein, und klagte mit weinenden Augen die nie erhörten Versuchungen ihres leiblichen Vaters, welchen sie zwar entgegen gesetzt, daß dieses, was er von ihr verlangte, eine so wohl bey [463] Christen, Heyden, Juden, ja auch bey den allerungezogensten Völckern, eine verda te und verfluchte Sache sey, allein, er bliebe immerzu auf diesem Vorurtheile bestehen: »daß, wer den Baum gepflantzet hätte, der habe auch das Recht, die ersten Früchte davon zugeniessen etc.« Wie ich nun aber vollkommen überzeugt wurde, daß die Printzeßin einen recht gräulichen Abscheu vor diesem Laster, nemlich der Unzucht, hauptsächlich aber der Blutschande hatte, so stärckte ich dieselbe in ihrem Glauben, und zeigte ihr nach meiner Einfalt, daß dieses eine allen göttlichen, weltlichen und natürlichen Gesetzen und Rechten platterdings zuwider lauffende Sache sey. Weßwegen sie mir auch mit heissen Thränen angelobt, sich auf solche Art nimmermehr bethören zu lassen, sondern in diesem Stück ihrem Vater jederzeit den alleräusersten Wiederstand zu thun, und wenn es auch ihr Leben kosten solte.

Folgenden Morgens wurde Mirzamanda befehliget, sich in schneller Eile anzukleiden, und zu rechte zu machen, weilen sie mit dem Fürsten, ihrem Herrn Vater, ausfahren solte. Sie gehorsamete, nahm Abschied von mir, und ihre Fahrt gieng nach einem uralten Heyden-Tempel zu, bey welchem ein solenner Götterdienst und Opferung angestellet war, die Printzeßin aber ließ sich in keinem Stücke, weder durch gute, noch durch Droh-Worte des Fürsten, dahin bewegen, auch nur die geringste Ceremonie mit zu machen, sondern sie führete sich, so wie ich, gantz stille und gelassen darbey auf, wolte auch nicht einmahl etwas [464] von der Heydnischen Opfer-Mahlzeit geniessen, indem sie sich aus gewissen Ursachen ein Gewissen darüber machte.

Noch selbigen Abends, da der Fürst kaum nach Hause gekommen war, kam er alsobald in der Printzeßin Zimmer herauf gegangen, und stellete seine Tochter recht sehr scharff zur Rede, und zwar um dessentwegen, daß sie nicht alles mitgemacht, und sich so bezeigt, wie er selber gethan hätte; Die Printzeßin gab hierauf gantz freymüthig zur Antwort: Mein Vater und Fürst! du wollest mir alles das, was ich des vergangenen Tages verfehlet, zu Gnaden halten, und mir dieserhalb Vergebung angedeyhen lassen. Denn mir, als einer getaufften Christin, ist nicht erlaubt, auch den geringsten Götzen-Dienst zu begehen, vielweniger den Götzen zu opfern, oder von der dieserwegen von den Heyden angestelleten Mahlzeit etwas zu geniessen, wie mich denn die heilige Schrifft dieses lehret, zumahlen, da ich in meiner heiligen Tauffe durch den Mund und Zungen meiner 3. Tauff-Zeugen, dem Teufel so wohl, als allen seinem Werck und Wesen gäntzlich abgesagt, anbey mich verbindlich gemacht, weiter an nichts zu glauben als an die hochheilige Dreyfaltigkeit, nemlich, Vater, Sohn und heiligen Geist; ferner aber meine Lebens-Art so einzurichten, wie sie mir in der heiligen Bibel, als dem wahren Worte GOttes, vorgeschrieben ist.

So bist du denn schon getaufft? (fragte der erzürnte Fürst weiter:) Ja, mein Fürst und Vater! (versetzte ihm die Printzeßin) ich bin [465] getaufft im Nahmen der Hochheiligen Dreyfaltigkeit, anbey auf CHristi Blut und Gerechtigkeit. Wer hat dich getaufft? (fragte der Fürst noch ferner) Das hat Jacob gethan, und zwar auf ausdrücklichem Befehl meiner seligen Mutter (erwiederte die Printzeßin) und eben dieser Jacob, nebst seiner Frauen, und meiner Anna, als meiner Pflege-Mutter, die mir bis hieher viel Gutes erwiesen, sind die Zeugen meiner christlichen heiligen Tauffe.


Uber diese verwegenen und dreusten Reden wurde der Fürst dergestalt verdrießlich, daß er abermahls gantz zornig von seinem Sofa aufsprung, weiter kein Wort sagte, sondern stillschweigend davon gieng. Da uns aber des andern Tages die Mittags-Mahlzeit, welche in einer Schüssel voll mit Wasser gekochtem Reiß und etwas Brod und Wasser bestunde, durch die Bedienten herbey gebracht wurde, erfuhren wir von ihnen, daß der Fürst gestern Abend noch gantz spät den Jacob und seine Frau in Ketten und Banden schliessen, auch in ein wohl verwahrtes Gefängniß legen lassen. Bey so gestalten Sachen hatten ich und meine Mirzamanda keine besonders geruhige Nacht, zumahlen die Abend-Mahlzeit eben nicht besser, als die Mittags-Mahlzeit gewesen war; jedoch es fanden sich unter den Bedienten noch etliche Getreue, welche uns nicht allein alles, was wir bedurfften, und zwar auf mancherley listige Art zuschafften, sondern auch von allem dem, was bey Hofe vorgieng, Nachricht brachten.

[466] Des Fürsten Zorn, da er seine eintzige Tochter, so zu sagen, mit blosem Wasser und Brod gespeiset, verschwand aber binnen 3. Tagen, da er denn gantz freundlich kam, und sie zu einem neuen Schach-Spiele mit ihm zu spielen nöthigte; von den alten Geschichten und Begebenheiten gedachte er gar nichts, endlich aber fragte er, wo denn die Anna wäre? wie nun die Printzeßin antwortete: daß dieselbe in einem Neben-Zimmer vielleicht schon schlieffe, so fieng er abermahls an, seine Gemüths-Regungen bey derfavorablen Nacht-Zeit zu Tage zu legen, und die Printzeßin dahin zu verleiten, seinen geilen Begierden Gehör zu geben, um sogleich seinen Willen zu erfüllen; Allein, die hertzhaffte Printzeßin stund auch diesen Kampf mit himmlischer Hülffe ritterlich aus, bis er sie nach noch vielen gebrauchten Schmeicheleyen endlich mit gröstem Ungestüm beängstigte, und das, was er in Güte nicht erhalten konte, nunmehro mit stürmender Faust zu erobern trachtete. Der Printzeßin Hülffe-ruffen war vergebens, indem ich mich scheuete, ihr, wegen der vor unserer Thür stehenden Wache, zu Hülffe zu kommen; derowegen hörete ich nur noch dieses, daß die Printzeßin sagte: Wäre es doch kein Wunder, wenn sich der Cörper meiner seligen Mutter noch in der Erden umwendete, und ein Donner-Wetter erregte, welches einen so gottlosen Vater und mich unschuldige Tochter sogleich im Augenblicke verderbete! die ich durchaus keine Hure, vielweniger eine Blutschänderin werden, [467] sondern lieber als eine Christin leben und sterben will.

Kaum hatta Mirzamanda diese Worte (bey deren Anhörung mir die Haare fast zu Berge stunden) ausgeredet, da sogleich ein entsetzlicher Donnerschlag geschahe, und 2. Donner-Keile in unserm Zimmer aus einem Winckel und Ecke in die andere lieffen, auch dergestalt im Zimmer herum schwärmeten, daß wir insgesamt gedachten, dieses wäre die letzte Stunde unseres Lebens. Als aber nach Verlauff etwa einer haben Stunde, Blitz Donner, Hagel, Regen und ein grausamer Sturm-Wind sich nicht mehr hören, sehen, noch spüren liessen, wurden wir zwar einiger Massen wieder lebendig, befanden aber, daß der Fürst auf dem Faul-Bettgen ohnmächtig ausgestreckt lag, dessen Leib-Hund aber, welcher unter dem Tische lag, war dergestalt von den herum schweiffenden Donner-Keilen verletzt worden, daß er nicht auf den Beinen stehen konte, sondern so zugerichtet, daß er hinweg getragen werden muste, wie denn dieser sein Leib-Hund auch wenige Stunden nach dieser Begebenheit verreckte. Der Fürst hingegen wurde, nachdem wir ihn mit starcken Gewässern und Balsamen wieder zu sich selber gebracht, auf eigenes Verlangen in sein Schlaf-Gemach geführet.

Mir war gleich nicht wohl bey der Sache, indem ich gedachte, daß der ohne dem zornige und erschrockene Fürst uns das Bad würde austragen lassen; da wir aber gedachten, daß er vielleicht so bald nicht wiederkommen würde, kam er sogleich des zweyten Vormittags darauf, und brachte den [468] Jacob nebst seiner Frauen mit, da er denn zu seiner Tochter sagte: »Siehe! diese habe ich noch deinetwegen begnadigt, du solt mir aber durchaus keine Christin bleiben, weilen ich etwas gantz anderes zu meinem und deinem Nutzen mit dir vorhabe, und wenn du mir nicht folgen wilst, so kostet es dir dein Leben.«

Als er dieses gesagt, muste sogleich ein Scheerer herein in das Zimmer treten, welcher der Printzeßin alle ihre schönen schwartzen Haare von dem Haupte abschneiden und abscheeren muste. Sie hielt gedultig stille, wie ein Lamm, da aber dieses geschehen, trat eine verfluchte alte Persianische Schwartzkünstlerin, die ich sehr wohl kannte, in das Zimmer herein, welche in jeder Hand ein Bügel-Eisen hatte, welche alle beyde fast halb glüend zu seyn schienen.

Demnach sagte der Fürst zu seiner Tochter: Siehe! weil du wider mein Wissen und Willen mir Wasser getaufft bist, so will ich dich nunmehro zu meinem Vergnügen mit Feuer tauffen lassen. Hierauf gab er der alten verfluchten Bestie einen Winck, und sagte öffentlich, daß sie ihr Amt redlich verrichten, sich an nichts kehren, und seine Tochter gar im geringsten nicht verschonen solte. Demnach fieng das verfluchte Weib der Printzeßin Kopf dergestalt mit dem halb glüenden Eisen zu bügeln an, daß ich fast darüber in Ohnmacht gesuncken wäre, zumahlen, da die Printzeßin unter währenden Bügeln 3. laute Schreye that. Jedoch, weil sie einen recht heldenmüthigen Geist hatte, so erhohlete sie sich [469] bald wieder, wir aber sahen in der Kürtze auf dem Kopfe verschiedene ziemlich grosse Brand-Blasen auflauffen, weßwegen wir ihr denn ihre Haube aufsetzen wolten; allein, sie wolte es durchaus nicht leiden, sondern stund im blosen Kopfe auf, gieng auf ihren Herrn Vater zu, und küssete ihm die Hand. Dieser sprach zu ihr: Siehe, meine Tochter! nun bist du mit Feuer getaufft, und diese Feuer-Tauffe, ob sie dir gleich etwas schmertzlich gewesen, soll dir doch wohl besser gerathen und nutzen, als die schlechte Wasser-Tauffe. Hierauf versetzte die hertzhaffte Printzeßin: Ich habe die Hoffnung zu meinem Erlöser, JEsu CHristo, daß mir diese marterhaffte Feuer-Tauffe an meiner Seelen-Seligkeit nicht schaden, sondern er mich, vermöge seines Wortes, durch die Wasser-Tauffe und den wahren Glauben an ihn, den ich in meinem Hertzen hege, nach meinem Tode zu sich in sein Paradieß nehmen werde.

Man sahe es dem Fürsten an seinen Augen an, daß er über diese Antwort seiner Tochter vor Zorn, Gifft und Galle fast hätte platzen und bersten mögen, jedoch er gieng gantz stillschweigend fort, und wie wir aus den Fenstern sehen konten, in dem Blumen-Garten in tieffen Gedancken spatziren herum.

Wenige Stunden nach dieser Begebenheit, da meine Augen noch lange nicht trocken waren, wurden uns beyden so viel der besten Speisen und Wein zugebracht, daß sich mehr als 10. Personen damit [470] sättigen können. Wir verschmäheten dieselben nicht, sondern gaben alles unsern Aufwärtern und der Wache-Preiß, da aber ein Artzt ankam, und sich meldete, die Printzeßin an ihrem Brand-Schaden zu verbinden, wiese sie denselben mit den Worten ab: diese Tauffe, wenn sie nicht gantz und gar vom Teufel wäre, müste wohl von sich selbst den zurückgelassenen Schaden heilen; sie wuste aber wohl, daß ich noch eine ziemliche grosse Büchse voll Brand-Salbe stehen hatte, welche ich übrig behalten, da ich mir kurtz vorhero mit heissem Wasser den gantzen Schenckel verbrandt.

In nachfolgenden Tagen wurden uns ebenfalls die besten Speisen und Geträncke zugeschickt, worbey wir erfuhren, daß der Fürst abermahls eine weite Reise, (ohne Zweifel aus Gewissens-Angst) angetreten, jedoch hinterlassen hätte, uns Zeit seiner Abwesenheit auf das allerschärffste zu bewachen, bis er nach seiner Zurückkunfft andere Mittel ausfinden würde.

Die Printzeßin war froh, da sie erfuhr, daß ihr tyrannischer Vater weggereiset wäre, noch weit vergnügter aber wurde sie, als eines Abends der getreue Jacob nebst seiner Frauen in unser Zimmer eingetreten kamen, als welche die Schild-Wächter mit Gelde so wohl, als mit Wein-Flaschen bestochen hatten. Wir hielten insgesamt ein vertrauliches Gespräch mit einander, da er sich denn gegen uns erklärete, daß, weilen in dem Haupt-Hafen dieses Reichs einige Holländische Schiffe vor Ancker lägen, er seine Baarschafften [471] zusammen nehmen, und nebst seiner Frau nachEuropa überschiffen wolte, indem er schon einige Anstalten darzu gemacht, wären nun wir zum mitreisen geneigt, so wolte ersehen, daß er uns mit forthelffen könte: denn er merckte wohl, daß es so wohl vor die Printzeßin, als vor mich höchst gefährlich wäre, länger allhier zu bleiben, vorjetzo aber könne er uns als ein Wein-Händler wohl forthelffen. Man sagt sonsten im gemeinen Sprichworte: Wer gerne tantzt, dem ist leichte gepfiffen, und dieses traff bey mir ein, denn ich kan nicht läugnen, daß ich mich hertzlich nachEuropa sehnete, und vielleicht wieder in mein Vaterland zu kommen verhoffte, indem ich einen ziemlichen Schatz an Kleinodien, Diamanten und andern kostbaren Edelgesteinen gesammlet, welchen ich meistentheils der Freygebigkeit meiner seligen Fürsten zu dancken hatte. Wie nun die Printzeßin diesen meinen Entschluß gewahr wurde, fiel sie mir zu Füssen, und bat mich mit heissen Thränen, sie mit nach Europa unter die Christen zu nehmen, denn sie wolte sich und mich mit Kostbarkeiten dergestalt beladen, daß wir alle beyde schwer und sauer genug daran zu tragen haben solten. Ohngeachtet ich nun dieses Vornehmen der Printzeßin als ein allerhöchst gefährliches Werck vorstellete, indem es erstlich sehr schwer halten würde, durch die Wachen zu kommen, vor das andere, wenn man uns auf der Flucht ertappte, unser Leben in der allergrösten Gefahr stünde, so ließ sie sich doch von ihrem Vorhaben nicht abwendig machen. Als wir demnach 3. Tage und Nächte auf unsern Knien gelegen, und GOtt mit [472] heissen Thränen gebeten, daß er unsere Flucht befördern, und uns glücklich Europa bringen möchte, so wagte es die Printzeßin, und gab zweyen Heydnischen Mägden eine wichtige Geld- Summe, daß sie mit uns ihre Kleider vertauschten, indem die Printzeßin vorgab, daß sie, um nur an die frische Lufft zu kommen, eine Wallfahrt auf 3. Tage nach dem uralten Heyden-Tempel thun, und hernach wieder zurück kommen wolte. Es war dieses allerdings ein recht verzweiffelter Anschlag und Vorhaben zu nennen, allein da Jacob auch die Wache nicht nur mit Gelde, sondern auch mit vielen Wein-Flaschen abermahls bestochen, ja alle unsere Wächter mit dem besten Weine dergestalt begeistert hatte, daß sie fast von ihren Sinnen nicht wusten, kamen wir in den Mitternachts-Stunden glücklich durch die Wache und zum Schlosse hinaus. Jedennoch hatte der Satan sein Spiel, daß wir des rechten Weges, den uns Jacob abgezeichnet hatte, auf welchem wir ihn und seine Frau antreffen solten, verfehleten, uns in einem dicken Gebüsche verirreten, und endlich folgenden Morgens durch die Jäger des Arab-Ogli gefunden, erkannt, und als Gefangene auf das Schloß ihres Herrn gebracht wurden.

Demnach geriethen so wohl ich, als die Printzeßin in die alleräuserste Verzweiffelung, weilen wir wohl wusten, daß dieser Arab-Ogli vor einiger Zeit ein unglückseliger Buhler der Fürstin gewesen. Wie ich nun aber am allerbesten ausreden konte, auf was Art ihn dieselbe abgefertiget hatte, so wurde mir desto banger um das Hertze, [473] ja ich vermeynete nicht anders, als daß wir unsern baldigen Tod, wenigstens aber ein sehr schweres Gefängniß würden zu hoffen haben; Allein, das Schicksal fügte es gantz anders, denn ob ich zwar in dem Letzteren nicht gefehlt, indem uns Arab-Ogli auf eins seiner vestesten Schlösser brachte, so ließ er doch die Printzeßin, nachdem er ihrer Person wegen vollkommene Kundschafft eingezogen, auf das allerbeste verpflegen, worbey denn ich auch eben keine Noth litte.

Wenige Tage hernach schickte Arab Ogli zwey gantz vernünfftige Weiber an die Printzeßin, welche ihr gantz höflich und geschickt vorzutragen wusten, wie sich dieselbe ja nicht einbilden solte, daß sie eine solche Gefangene wäre, vermittelst deren er, der Arab Ogli, da er mit dem Fürsten von Candahar in einigem Streite und Wiederwillen lebte, etwa seinen Hohn oder Schimpff zu rächen gesonnen wäre. Nein! keineswegs; derowegen solte sie nur gutes Muths seyn, und alles fordern und befehlen, womit ihr gedienet werden könte, denn Arab-Ogli würde gegen Abend selbsten kommen, sie zu besuchen, bey solcher Gelegenheit aber sich deutlicher gegen sie, die Printzeßin, erklären.

Ob nun schon diese letztere so wohl, als ich, wünschten, uns lieber in dem wilden Walde, oder in einer Wüsteney zu befinden, als mit dem Feinde des Fürsten von Candahar fernerweit etwas zuthun zu haben, so sahen wir uns doch halb gezwungener Weise gemüßiget, in die Zeit zu schicken, und ihm den Zutritt zu vergönnen, als welchen wir ihm, wenn wir es bey dem Lichte betrachteten, [474] ohnedem nicht verwehren konten, indem wir uns ja in seiner Gewalt befanden.


Demnach kam Arab Ogli Abends nach der Taffel, da wir in unserm Zimmer bereits die Wachs-Kertzen angezündet hatten, und weilen er die Printzeßin bey ihrem Nacht-Tische sitzend, und in einem geistlichen Buche lesend antraff, so warff er sich gleich augenblicklich zu ihren Füssen hin, und redete dieselbe meines Behalts ohngefehr mit folgenden Worten an: »Printzeßin Mirzamanda! ihr stehet in der falschen Einbildung, als ob ihr meine Gefangene wäret; allein hierinnen irret ihr euch viel zu sehr, denn weilen ihr die Königin und Beherrscherin meines Hertzens, so bin ich im Gegentheil eurer Gefangener, ja euer allerunterthänigster Sclave, und zwar von der Stunde an, da ich das Glück gehabt, eure Anbetens-würdige Person, als das vollkommene, ja noch weit schönere Ebenbild eurer gestorbenen Mutter zu erblicken. Glaubet ja nicht, daß ich Schuld bin an eurer so genannten Gefangenschafft, oder es meinen Jägern anbefohlen habe, euch aufzuheben, und zu mir zu führen. Nein! ich betheure nochmahls bey dem Zeugniß aller Götter und allen dem, was heilig über und um uns heist, daß ich ein solches nicht gethan: da aber das Glück eure Person unverhoffter Weise in meine Verwahrung geführet, so sehe ich solches als eine gute Vorbedeutung an, durch diese eure Person mit eurem Durchl. Vater, dem Fürsten von Candahar, bald vollkommen [475] vereinigt zu werden, und zwar durch eine glückselige Vermählung zwischen euch und mir.«

Mirzamanda schickte sich damahls, meinen Gedancken nach, ziemlicher Massen in die Zeit, indem dieselbe den Arab-Ogli von der Erden aufzohe, und ihm eine und andere kleine Schmeicheleyen erwiese, auf die Haupt-Sache aber gab sie zu diesem erstenmahle eine fast gantz spröde heraus kommende Antwort; jedoch, der in sie allzu hefftig verliebte Ogli vermeinete vielleicht, daß sie es nach und nach schon etwas näher geben würde. Demnach besuchte er sie nicht nur auf das allerfleissigste, sondern versuchte auch durch die allerkostbarsten Geschencke, vortrefflichste Bewirthung und allerhand Schmeicheleyen sie dahin zu bewegen, ihn zu lieben; ja, er ließ aus unserm Zimmer 2. Felder ausschlagen, und 2. Treppen anlegen, vermittelst deren wir, und zwar durch die eine oben hinauf in eine grosse Gallerie steigen, und uns aus den vielen Fenstern weit und breit umsehen, mithin frische Lufft schöffen könten. Aufer dieser oben hinaus lauffenden Treppe, wurde noch eins an dere in die Tieffe angelegt, wobey er uns die Freyheit gab, so offt als es uns nur immer gefällig wäre, hinunter in den grossen Baum- und Lust-Garten zu steigen, in welchem Garten denn auch verschiedene wilde Thiere, als Löwen, Leoparden, Tygerthiere und dergleichen andere wilde Bestien mehr in ordentlichen vor sie erbaueten Gehäusen aufbehalten wurden, ohne diese unbeschreibliche Menge der grossen und kleinen Vögel von allerhand Arten. Zuweilen, wennArab-Ogli selbsten [476] in das Lust-Haus kam, worinnen sich die Printzeßin befand, ließ sich in etwas von ferne bald eine sanffte, bald aber eine starcke Musique hören. An den herrlichsten Erfrischungen war kein Mangel, vielmehr der gröste Uberfluß, und mit wenig Worten zu sagen, so suchte sich Arab-Ogli der Printzeßin auf alle nur ersinnliche Art dergestallt gefällig zu machen, daß sie ihm ihr Hertz schencken, und zu ihrem zukünfftigen Ehe-Gemahl erwehlen solte; Allein die Printzeßin wurde bey allen seinen Liebkosungen und Schmeicheleyen von einer Zeit zur andern immer unempfindlicher, ja, sie konte denArab-Ogli fast nicht mehr vor ihren Augen sehen. Endlich besonne sich dieser noch auf ein Mittel, um sie zur Liebe zu reitzen, indem er die bestenComœdianten bestellete, welche auf der Gallerie die verliebtesten Schau-Spiele spielen musten, da denn nicht allein die Printzeßin, sondern auch ich, ohne von jemanden gesehen zu werden, alles was vorgestellet wurde, beobachten konte. Da aber auch dieses nichts bey der Printzeßin verfangen wolte, im Gegentheil sie diese Narrens-Possen nach wenig Tagen gar nicht mehr anzusehen würdigte, wurde Arab-Ogli endlich verdrießlich, ja, so zu sagen, gäntzlich in den Harnisch gejagt, weßwegen er der Mirzamanda nachhero, so offt er sie besuchte, nicht halb so freundlich begegnete, als vorhero. Bald darauf legte er derselben einige Briefschafften vor, welche ihr Vater, als der Fürst von Candahar, (seinem Sagen nach) eigenhändig solte geschrieben haben, und in welchen BriefenMirzamanden von ihrem Vater [477] anbefohlen wurde, das Beylager mit dem Arab-Ogli, als seinem neuen werthen Freunde, und liebsten Schwieger-Sohne, auf das allereiligste zu vollziehen, indem er bald selbsten kommen und sie besuchen wolte; Allein Mirzamanda merckte den Betrug und die List, weilen sie ihres Vaters Hand und Siegel besser kannte; weßwegen sie sich gegen den Arab-Ogli nochmahls weigerte, dem väterlichen Befehle zu gehorsamen, sondern es so lange anstehen zu lassen versprach, bis ihr Vater selbsten käme, und ihr das Wort in den Mund gäbe.

Hiermit war dem Fasse der Boden eingestossen, denn Arab-Ogli gieng nur nach der Thüre des Zimmers, und murmelte viele Worte mit der davor stehenden Wache, welche wir aber nicht alle vernehmen konten, bis endlich etwa eine Stunde hernach der Fürst von Candahar, als der Printzeßin Vater, in unser Zimmer herein gebracht wurde; jedoch in einer sehr jämmerlichen Gestalt, und über dieses alles noch, daß er eiserne Ketten und Banden an Armen und Beinen trug. Hier solte nun die Ehe-Stifftung geschlossen werden; allein, nachdem die Prinßeßin eine kleine Ohnmacht überstanden, sagte sie so wohl zu ihrem Vater, als dem Arab-Ogli, daß sie viel lieber des allerbittersten Todes sterben, als des Arab-Ogli Gemahlin werden wolte.

Der Fürst, ihr Vater, versetzte hierauf: »Siehe, meine Tochter! wir sind unter die Hände unserer Feinde gerathen, ob uns die Götter wieder daraus erretten wollen, solches müssen wir [478] abwarten; ich aber, als Vater, zwinge dich zu keiner unanständigen Heyrath, sondern überlasse dir deßfalls deinen eigenen Willen, weilen ich versichert bin, daß es dir am Verstande nicht fehlet.«

Arab-Ogli mochte sich zwar über diese Worte nicht wenig ärgern, allein er gieng nochmahls zum Zimmer hinaus, und redete mit der darvor stehenden Wache, kam auch bald wieder zurück, und etwa eine 4tel Stunde hernach wurde der Fürst von der Wache mit seinen tragenden Ketten abgefordert und zurück geführet. In den Mitternachts-Stunden kam Ogli abermahls in der Printzeßin Zimmer, und suchte dieselbe mit den allerglättesten Worten zu seiner Liebe zu bewegen; da aber dieses geschehen, zumahlen, da sie ihren Vater in Ketten und Banden gehen und hinweg führen sehen, so war sie fast in eine kleine Raserey gerathen, dergestalt, daß sie dem Arab Ogli die schändlichsten Reden anzuhören gab. Dieser, ohngeachtet man meynen sollen, er würde sich zur Ruhe begeben, und Mirzamanden auf dißmahl zu Frieden lassen, unterstunde sich dennoch derselben auf das allerhefftigste zuzusetzen, ja! seine Geilheit trieb ihn so weit, sie mit Gewalt darzu zu zwingen, auch alle Kräffte daran streckte, seinen verfluchten Zweck zu erreichen, allein Mirzamanda wehrete sich auch dergestalt, daß ich mich nur verwundern muste, wo sie die Stärcke und Kräffte herbekam, sich diesem starcken Manne zu widersetzen. Endlich ruffte sie mich um Hülffe an, allein ich war kaum durch die halb eröffnete Thür in ihr Zimmer hinein [479] getreten, als michArab-Ogli mit gröster Gewalt zu Boden warff, so, daß ich die Beine in die Höhe kehren muste, und mich weiter fast nicht besinnen konte; doch hörete ich noch so viel, daß er zur Printzeßin sagte: »Siehe! weil du meinen Willen nicht erfüllen wilt, so will ich deinen Vater vor deinen Augen erwürgen lassen.«

Mit Endigung dieser Worte ergriff er die Printzeßin in der Mitte des Leibes, stieß die Thür auf, so auf den grossen Saal gieng, und trug dieselbe dadurch hinaus. Ich war einiger Massen wieder zu mich selbst gekommen, derowegen folgte ich ihnen auf dem Fusse nach, bis auf den grossen Saal, da ich denn so viel vernahm, daß Arab-Ogli denen daselbst befindlichen Wächtern befahl, daß sie seinen Befehl, ohne einen Augenblick zu versäumen, ausrichten solten.

Demnach wurde sogleich der gute Fürst herbey gebracht, ihm in der Geschwindigkeit eine Schnur um den Hals geworffen, und er damit erdrosselt, so, daß er sich auf dem Boden, ohne einen Laut von sich zu geben, zu Tode zappeln muste. Hergegen machte Mirzamanda ein desto grösser Geschrey, hielt sich aber auf diesem unglückseligen Platze nicht lange auf, sondern eilete in ihr Zimmer zurück. Was halff aber dieses? denn Arab-Ogli folgte ihr auf dem Fusse nach, warff sie abermahls mit der grösten Gewalt nieder, drohete ihr auch mit einem entblöseten Dolche, sie damit zu erstechen, woferne sie sich nur im allergeringsten ferner wiedersetzen würde. Jedoch die behertzte Mirzamanda runge dem Ehren-Schänder den[480] Dolch glücklich aus den Händen heraus, und versetzte ihm in gröster Geschwindigkeit 8. bis 10. Stiche in die Brust und in den Unterleib, so, daß er gar bald darnieder sanck, und seinen Geist aufgab.

Ich hätte sogleich in Ohnmacht sincken mögen, da ich durch mein Gucke-Loch diese jämmerliche Mord-Geschichte mit ansahe, allein der Printzeßin erstaunliches Zeter- und Mord-Geschrey trieb nicht allein diese zurück, sondern lockte auch etliche Mann von der Wache herbey, welche sogleich die Thür eintraten, um zu sehen, was vorgienge. Wie nun diese Mannschafft sahe, welchergestalt sich ihr Herr auf dem Boden in seinem Blute herum weltzete, lieffen sogleich einige derselben zurück, um diese Begebenheit der Schwester des Arab-Ogli zu berichten: denn es hatte dieser geile Herr weder Frau, noch Kinder, sondern sich schon eine lange Zeit daher mit Huren beholffen. Gemeldte Schwester des Arab-Ogli blieb erstlich eine lange Weile stehen, als ob sie versteinert wäre, nachdem sie dieses Spectacul erblickt hatte; endlich aber that sie ihren Mund auf, und sagte: »Printzeßin Mirzamanda! welcher böse Geist hat euch verleitet, diesen meinen Bruder, als einen regierenden Fürsten, auf so grausame Art zu ermorden?Mirzamanda gab hierauf zur Antwort: Ich habe einen vermaledeyeten Nachsteller und Räuber meiner Ehre, welche aber der Himmel mir bis hieher dennoch erhalten hat, mit seinem eigenen Dolche ermordet, und zwar ohne andere Beyhülffe, mit meiner eigenen Faust; [481] ob er ein regierender Fürst, oder euer Bruder sey, darum bekümmere ich mich wenig, weilen ich, als eine gebohrne Printzeßin wegen dieser meiner begangenen That hauptsächlich niemanden anders, als dem Dreyeinigen GOtte, und zwar als eine getauffte Christin, Rede und Antwort zu geben, mich schuldig zu seyn, versichert halte.«

Die Schwester des Arab-Ogli erholete sich einiger Massen wieder von dem gehabten Schrecken, führete sich, nachdem sie etwas Wein und Confect zu sich genommen hatte, ungemein liebreich und artig gegenMirzamanden auf, ersuchte auch dieselbe, ihr noch in ein ander Neben-Zimmer zu folgen. Diese that es, und ich hörete, daß beyde in Geheim bis zu Aufgang der Sonnen ein recht vertrauliches Gespräch unter einander führeten; So bald aber solchergestalt der Tag angebrochen war, kamen viele Männer mit Gewehr in unser Zimmer herein getreten, die Mirzamanden und mich in eiserne Ketten und Banden schliessen liessen, hernachmahls in ein wohlverwahrtes Gewölbe brachten, welches gleich unter unserm Zimmer und unter der Treppe war, durch welche wir in den Garten hinab steigen konten. So bald wir in diesem seltsamen Behältnisse angelanget, sprach ich zu meiner Printzeßin: Nunmehro wird uns wohl unser letzteres Brod schon gebacken seyn; Diese aber gab gantz freymüthig zur Antwort: Glaubet es nicht, meine liebe Anna! wir werden nicht sterben, sondern leben bleiben müssen, um des HErrn Werck zu verkündigen.

[482] Mittlerweile ließ uns die Schwester des Arab-Ogli mit den allerbesten Speisen und Geträncken versehen, welche allemahl credentzt wurden, damit wir uns nicht etwa einen Eckel oder gar die Einbildung machen möchten, als ob etwa Gifft darinnen befindlich wäre, ja, die Printzeßin offenbarete mir das gantze Gespräch, welches sie mit der Schwester ihres Feindes gehalten, und weilen diese nunmehro die regierende Fürstin wäre, so wolten wir unverzagt und gutes Muths seyn, zumahlen, da sie gewiß versichert worden, daß es nicht ihr Vater, sondern ein anderer Missethäter, von der Gestalt des Fürsten von Candahar gewesen sey, welchen Arab-Ogli blos ihr, der Printzeßin, zum Schrecken erdrosseln lassen. Ich ließ mir vor meine Person alles vorschwatzen, so viel sie nur immer wolte, unterdessen aber wurde wenige Tage hernach Mirzamanda vor ein peinliches Hals-Gerichte auf den grossen Saal gefordert, auf das allerschärffste ausgefragt und verhört; worauf ihr, als einer Mörderin des regierenden Fürsten, das Urtheil dermassen ausgesprochen wurde: daß sie auf einem 12. Ellen hohen Scheiter-Hauffen lebendig verbrand werden solte.

Nach angehörtem Urtheil hielt Mirzamanda in Persianischer Sprache eine Rede, die bald eine Stunde lang währete: denn es waren mehr als 5. bis 600. Menschen auf dem Saale versammlet, jedoch gieng erstlich alles gantz stille zu; nachhero aber that diese ihre bewegliche Rede unter so vielen Personen verschiedene recht Bewunderns-würdige Würckungen: denn manche fiengen zu heulen [483] und zu schreyen an; manche schlugen die Hände über den Köpffen zusammen, klatschten auch wohl darbey; noch manche stampfften mit den Füssen auf die Erde, und spyen nach der Decke und den Wänden des Saales zu. Demnach wuste Mirzamanda so wenig, als ich, zu begreiffen, was wir uns unsers fernern Schicksals wegen zu getrösten hätten. Jedoch die nunmehro regierende Fürstin ließ uns beyde durch eine sichere Wache in unser voriges Zimmer begleiten, folgte auch bald nach, und unterredete sich abermahls mit Mirzamanden, bis der Tag fast anbrechen wolte. Aus ihren Reden vernahm ich so viel, daß der Fürstin der Tod ihres gottlosen Bruders eben nicht allzu nahe gieng, denn sie tröstete Mirzamanden auf das allerliebreichste, und sagte zuletzt: Es wird zwar vor euren Augen gleich morgendes Tages ein Scheiter-Hauffen gemacht werden, allein darauf sollet ihr, meine Schwester! so wenig kommen, als eure Frau, die ihr bey euch habt, sondern ich muß nur einigen meiner mißvergnügten Unterthanen einen blauen Dunst vor die Augen machen; an eurer Stelle aber will ich zwey Mordbrennerinnen auf den Scheiter-Hauffen bringen, und verbrennen lassen; Ihr hingegen sollet durch mich zu gehöriger Zeit in Sicherheit gebracht werden, weil ich die Christen weit mehr liebe, als die Heyden.

Leichtlich ist es zu erachten, daß, da nach dem Abgange der Fürstin wir unsere Ruhe suchten, selbige jedoch keinesweges geniessen konten, vielmehr die wenigen Schlaf-Zeits-Stunden mit tausend [484] sorgsamen Grillen hinbrachten, indem wir uns auf der Fürstin, als einer Heydnischen Printzeßin, Wort eben so sehr nicht verlassen konten, mithin zwischen Furcht des Todes und des Lebens schwebeten und zwar auf eine solche jämmerliche und schmertzhaffte Art, nemlich auf einem Scheiter-Hauffen verbrannt zu werden. Allein wir wendeten uns mit einem andächtigen Gebete zu dem Allmächtigen, damit er dieser Heydnischen Fürstin Hertz regieren, und unser Leben erhalten wolle. Dieses Gebet wurde erhöret; Denn ohngeachtet wir mit dem allergrösten Schrecken den abscheulich hohen Scheiter-Hauffen aufrichten sahen, so wurden wir doch bald getröstet, weilen die Fürstin in unser Zimmer kam, und Mirzamanden verschiedene Kleynodien von hohem Werthe einhändigte, anbey sagte: »Nehmet dieses wenige, meine wertheste Schwester! auf den Nothfall mit auf die Reise, denn ich habe euch zwey Pilgrims-Kleider machen lassen, auch schon zwey Mägde bestellet, welche mit zweyen Körben, die mit Lebens Mitteln angefüllet sind, euch die richtige Strasse zur Clause des frommen und heiligen Einsiedlers Urbani zeigen sollen; welcher heilige Mann, wenn ihr nur einen Gruß an ihn von mir bringet, alles mögliche anwenden wird, euch in Sicherheit zu schaffen. Derowegen haltet euch bereit und reisefertig: denn ich will euch selbst in der Mitternachts-Stunde abholen, und durch die kleine Hinter-Thür des grossen Gartens führen, allwo die beyden Mägde eurer warten sollen; Haltet euch also nicht auf, sondern [485] setzt eure Reise in möglichster Geschwindigkeit fort, denn gleich mit Anbruch des Tages wird der Scheiter-Hauffen angezündet werden, der dem Mordbrennerinnen, keines Weges aber vor euch zur Bestraffung, auf meinen Befehl, aufgeführet worden.«

Nachdem die Fürstin unser Zimmer verlassen, fielen Mirzamanda und ich auf unsere Knie nieder, und wiederholeten das Gebet zu dem allmächtigen GOtt, welches denn auch erhöret wurde: Denn die Fürstin kam in der Mitternachts-Stunde, nahm von Mirzamanden unter sehr vielen Küssen den allerzärtlichsten Abschied, und führete uns beyde in eigener Person in Begleitung zweyer Mägde durch den grossen Garten zur Hinter-Thür hinaus, allwo wir andere 2. Mägde, die Körbe aufgehuckt hatten, antraffen, und mit denselben, nach nochmahls genommenem zärtlichen Abschiede von der Fürstin, unsere Reise antraten, und zwar dem Scheine einiger Fackeln, so hie und da am Wege aufgestellet waren, entgegen eileten, so lange bis der Tag anzubrechen begunte, da wir denn bald ein grosses Feuer-Zeichen am Himmel gewahr wurden, und daraus nicht anders urtheilen konten, als daß selbiges von dem angezündeten Scheiter-Hauffen herrührete, weiln sich solches eben über selbiger Gegend zeigte. Wir wünschten also denen Mordbreñerinnen eine glückliche Himmelfahrt, und setzten unsern Weg durch einen grossen dicken Wald auf das allereiligste fort, welchen wir nach gethanen zweyen starcken Tage-Reisen endlich nur von ferne noch hinter unserm Rücken liegen sahen. Die beyden Mägde, welche die[486] Körbe mit den Lebens-Mitteln trugen, stelleten sich ermüdeter an, als Mirzamanda und ich, weßwegen, da diese Printzeßin vermerckte, wie die faulen Mägde eben keine besondere Lust bezeigten, weiter mit uns zu gehen, einer jeden Magd einen diamantenen Ring nebst 2. Händen voll allerley güldener und silberner Müntz-Sorten gab, und sie damit umzukehren beurlaubte; jedoch musten sie uns den meisten Theil der Lebens Mittel zurück lassen, als welche wir selbsten, so gut wir nur immer konten, in unsere langen Pilgrims-Kleider einpackten.

Ob nun schon der fürchterliche dicke Wald glücklich von uns zurück gelegt war, und wir unsern fernern Weg nach dem grossen Gebürge zu nahmen, als welches Gebürge, so zu sagen die Gräntz-Scheidung des Groß-Mogulischen-Gebiets ist; so geriethen wir binnen 4. Tagen, jedoch gantz ohnvermerckt, in eine weit grössere Gefahr, nemlich in eine gantze Sand-See, welche wir kaum übersehen konten, und zum öfftern bis über die Knie darinnen baden musten. Mein Rath war, umzukehren, und uns viellieber wieder in den dicken Wald zu begeben, allwo wir doch einige frische Wasser Bächlein, ingleichen gute Kräuter und Wurtzeln zu unserer Nahrung antreffen könten, indem unsere Lebens-Mittel auf die Neige gehen wolten; Allein Mirzamanda war nicht zurück zu bringen, sondern badete immer im Sande fort, bis wir endlich die Haut von unsern Schenckeln dergestalt abziehen konten, als ob dieselbe mit siedenden Wasser verbrandt wäre. Ja, wir konten bey Tags-Zeit auf dem Sande, wegen grosser Hitze, weder stehend noch liegend, die geringste [487] Rast noch Ruhe geniessen, bis wir endlich, nachdem wir wohl gezehlet, daß es seit unserer Abreise schon 12. mahl Nacht worden, und die Sonne darauf wieder hervor gekommen war, in diesem Sand-Meere auf eine kleine so genannte Insul geriethen, die uns nicht allein ein halb verwelcktes grünes Gras, sondern auch eine hell- und klare Wasser-Quelle vor Augen stellete, als mit welchem letztern uns am allermeisten gedienet war, weilen der Durst fast noch unerträglicher, als der Hunger werden wolte; ja sich muß es nur bekennen, daß wir zu dreyen verschiedenen mahlen, ehe wir gäntzlich verschmachten wolten, eine jede ihr eigenes Wasser aus einer bey uns habenden güldenen Schaale getruncken. Wir hielten auf dieser kleinen Insul, nach meiner Rechnung, über zwey mahl 24. Stunden Rast, labten uns aus der Quelle, und zogen hernach die dicksten Gras-Stauden aus der Erde, bissen die Wurtzeln mit gröstem Appetite davon ab, und fülleten damit unsere beyden hungrigen Magen, legten uns hierauf bey eintreten der Nacht zur Ruhe, und schlieffen bis zu Aufgang der Sonnen dergestalt vergnügt und unbesorgt, als ob wir uns in einem fürstlichen Zimmer und in den allerschönsten Betten befänden, auch von einer getreuen Wache wohl verwahret würden.

Da wir nur solcher Gestalt wohl ausgeruhet, und uns recht erquickt und gelabet hatten, brachten wir noch einen halben Tag zu, um die besten Wurtzeln und grünen Stauden, die uns wegen ihrer Unschädlichkeit wohl bekannt waren, auszuziehen, und dieselben in Vorsorge wegen des etwa künfftig herannahenden [488] Hungers zu verwahren. Auch fülleten wir jede von den zwey ledigen Flaschen, worinnen vor der Zeit Wein gewesen war, vorjetzo mit Wasser, aus der schönen klaren Quelle, begaben uns also mit diesem Proviant von neuen auf die Reise nach dem Gebürge zu.


Vier gantzer Tage musten wir noch im Sande baden, ehe unsere Füsse ein vestes Land finden konten, und mittlerweile kam uns unser Proviant an Kräutern, Wurtzeln und Wasser recht herrlich wohl zu statten, indem wir sonsten wegen der fast unerträglichen Hitze ohnfehlbar hätten verschmachten müssen. So bald wir aber am Abende des 4ten Tages ein vestes Land gefunden, erblicktē wir auch auf einer Berges-Höhe ein hellbrennendes Feuer: weßwegen wir, der uns gemachten Beschreibung nach, dieses Werck nicht etwa vor ein Heydnisches Feuer, sondern als die Einsiedlerey des frommen Einsiedlers Urbani einbildeten, und in Gedancken vorstelleten; welche letztern uns denn, wie wir hernach erfahren, auch nicht betrogen hatten; Allein es war uns der grossen Mattigkeit wegen gantz unmöglich, die Höhe des Berges, auf welchem das Feuer noch immerfort brandte, zu erklettern, weßwegen wir denn an der Mitte desselben liegen blieben, in einen tieffen Schlaf verfielen, und nicht ehe, als durch den Anblick der aufgehenden Sonne ermuntert wurden. Demnach kletterten wir beyde matte und ermüdete Personen mit Händen und Füssen den Berg vollends hinauf, sahen das angemachte Feuer annoch brennen, fanden aber in der Clause oder Hütte weder Hund, [489] noch Menschen, bis wir um die Clause herum giengen, und einen Mann mit einem grossen weissen Barte (der ihm fast bis an die Gürtel-Stätte reichte) antraffen, welcher beschäfftigt war, mit einer Schauffel und Hacke ein tieffes Grab in die Erde zu machen.

Wir beteten zu GOtt, creutzigten und segneten uns alle beyde, giengen hierauf gantz dreuste auf den alten Greiß zu, und fragten ihn: warum er es sich so sauer werden liesse, ein solches tieffes Loch in die Erde zu graben, indem wir wohl sähen, daß er sehr bey solcher Arbeit schwitzte, dieser Berg aber vielleicht wohl zu hoch sey, um etwa einen Brunnen zum Wasser-Schöpffen darauf, einzugraben.

Hierauf öffnete der alte Greiß seinen Mund, und sagte zu mir: Liebe Schwester in Christo, dem Welt Heylande, erzeige mir den Gefallen, und wische mir den Schweiß von meinem Angesichte ab, sodann will ich ferner mit euch reden, weiln ich wohl weiß, daß deine Gefertin die Printzeßin Mirzamanda von Candahar, und du ihre Pflege-Mutter bist.

Ich erstaunete ziemlicher Massen über die Worte dieses Mannes, jedoch, da er den Nahmen Christi nur einmahl genennet, hielt ich ihn dennoch vor keinen Heyden oder Anbeter des Feuers und anderer Götzen; machte mir derowegen kein Gewissen, ihm den Schweiß aus seinem Angesichte mit einem reinen weissen Tüchlein abzuwischen; Mirzamanda aber gieng inzwischen etwas auf die Seite, kam jedoch bald wieder zurück, da sich denn [490] der Greiß auf eine grüne Grase-Banck niederließ, und also zu uns redete: »Ihr glaubt, meine lieben Kinder! daß ich etwa einen Brunnen graben will, um jederzeit frisches Wasser zu haben, allein dieses fehlet mir nicht, weiln etwa nur 20 bis 30 Schritte hinter dieser meiner Clause das allervortrefflichste Wasser aus einem kieselharten Felsen mir entgegen gesprungen kömmt, Ich will euch aber dieses sagen, daß das Loch, welches ich seit gestern und heute ausgegraben, mein Grab bedeuten soll. Meinen Geferten habe ich bereits vor einem halben Jahre begraben, weiln derselbe eines natürlichen und sanfften Todes gestorben war; Mir aber hat der Himmel wissen lassen, daß ich durch die Hände einer verfolgten Christlichen Printzeßin entweder beerdigt werden, oder dieselbe aus diesem Reiche in die Christenheit schaffen solte. Nun habe ich euch allen beyden schon seit etlichen Tagen daher mit sonderbarem Verlangen entgegen gesehen: denn ich weiß alle eure Umstände und Geschichte, welche mir in meinem grossen Spiegel gezeigt worden, so offt ich denselben vor mich gesetzt. Mittlerweile aber, da ich eure beschwerliche Reise gesehen, hat mir der Himmel offenbaret, daß ich zwar mein Grab machen, jedoch binnen Jahres-Frist noch nicht sterben, sondern nach Verlauff einiger Zeit mit euch eine Wallfahrt nach der Insul Ceylon, zu dem Grabe Adams, als unsers allerersten Vaters, thun soll, allda werden wir sodann ein Holländisches Schiff antreffen, dessen Patron auf Befehl einer höhern Macht uns einnehmen, und in die Christenheit führen wird, (denn ihr könnet [491] mir sicher glauben, daß ich ein so genannter natürlicher Sohn eines grossen Europæischen Printzen bin, nachdem aber dieser mein Vater gestorben, bin ich vor nunmehro 112. Jahren durch seine hinterlassenen Erben aus meinem Vaterlande vertrieben worden, und habe mich wunderlicher Weise in der Welt herum getummelt, so wohl zu Lande, als zu Wasser. Endlich nach vielen ausgestandenen Drangsalen und Gefährlichkeiten ließ mich als einen Römisch Catholischen Christen gelüsten, denFranciscaner-Münchs-Orden anzunehmen, da es denn nachhero mein Schicksal dergestalt gefügt, daß ich, nebst noch 2. anderen meiner Mit-Brüder in dieses Königreich Persien gerathen, allwo wir unsern äusersten Fleiß anwendeten, die Heyden zu dem wahren GOtte der Christen zubekehren, hergegen von der Abgötterey und sonderlich von der Anbetung des Feuers abwendig zu machen; allein, da die Heyden dieses unser Vorhaben vernahmen thaten sie uns allen dreyen nicht allein die gröste Schmach und Schande, sondern auch zum öfftern sehr viele Marter an, und endlich wurde unser dritter Mann von den Heyden gar zu Tode geschlagen; weßwegen wir armen erschrockenen zwey übrig gebliebenen Brüder uns eiligst auf die Flucht begaben, um, sonderlich bey damahligen schweren Kriegs-Zeiten, ihren Händen zu entrinnen, da uns denn der Himmel auf dieses Gebürge führete, welches, ob es gleich von aussen sehr fürchterlich, wüste und wilde zu seyn scheinet, jedennoch von innen gantz angenehm und lustig ist. Derowegen baueten wir beyde geschworne [492] Brüder sogleich eine Clause auf diese Stätte, unter welcher aber 4 in Stein gearbeitete Keller befindlich sind, und lebten in den ersten Jahren sehr schlecht und elend, nemlich von blosen Kräutern, Wurtzeln und wilden unschmackhafften Früchten, worbey uns die vortreffliche Wasser-Quelle sehr wohl zu statten kam; nach der Zeit aber haben sich aus einigen, in dem jenseitigen Groß-Mogulschen Gebiete gelegenen kleinen Städten und Dörffern immerzu Leute bey uns eingefunden, weiln wir alle beyde die Gaben hatten, zu weissagen, Krancke gesund zu machen, auch dann und wann einige besondere Wunder zu thun. Also sind wir nachhero von diesen Leuten nicht allein mit guten Speisen und Geträncken versorgt, sondern auch mit allerhand Arten von Geschencken fast überhäufft worden, bis endlich, wie ich schon gemeldet, mein Mit-Bruder ohngefehr vor einem halben Jahre gestorben, und von mir begraben ist. Nunmehro habe ich einen stumm und taub gebohrnen Mann zu meiner Bedienung, welcher mich wöchentlich 2. oder 3. mahl besucht, und zusiehet, ob ich auch noch lebe. Dieser bringet mir alles zu, was ich zur höchsten Nothdurfft brauche, und ohngeachtet er taub und stumm ist, so verstehet er doch an den Zeichen, so ich ihm gebe, alles auf das allergenaueste, was ich von ihm haben will, als wovon ihr die Proben sehen sollet, denn er wird heute, oder längstens Morgen gewiß kommen, und mir frischen Proviant bringen.«

Nachdem der alte Greiß diese seine Rede vollendet, nöthigte er uns beyde nur ihm in seine Clause [493] zu kommen, und als wir ihm gefolgt, Mirzamanda aber etwas bekü ert und traurig aussahe, sprach er zu derselben: »Ich weiß es, Printzeßin, daß ihr vor jetzo um eures Vaters wegen bekümmert und traurig seyd; allein sorget vor ihn nicht, denn ich will euch gleich zeigen, daß er noch wohl, gesund und lustig lebt.«

Hierauf stieg er hinunter in einen Keller, und brachte ein grosses, rundes, klar und hell geschliffenes-Glas herauf, welches über 2. Spannen hoch, in der Mitte aber über 3. Finger dicke war. Dieses Glas setzte er vor Mirzamanden auf den Tisch nieder, hieng ein weisses Tuch an die gegen über stehende Wand, schrieb der Printzeßin Nahmen und etlicheCharacters mit Kreite vor derselben auf den Tisch, da wir denn mit gröster Verwunderung sahen, wie sich auf dem weissen Tuche der Fürst von Candahar mit der offt genannten Fräulein von N. auf einem Jagd-Wagen sitzend, dergestalt ordentlich zeigten, als ob beyde mit einem Mahler-Pinsel abgeschildert wären. Dergleichen Proben machte er auf Verlangen der Mirzamanda noch einige, that auch weiter nichts mehr bey der gantzen Sache, als daß er dann und wann die Characters und Zeichen mit der Kreite veränderte. Endlich, da wir diese Lust über 2. Stunden gehabt, sprach er: »Nun, meine Kinder! will ich euch meinen taub und stumm gebohrnen Aufwärter vorstellen, gebt wohl Achtung darauf, ob derselbe nicht, ehe es Morgen Mittag wird, in eben der Gestalt, als ihr ihn jetzo sehen werdet, vor euren Augen erscheinen soll, denn ich will noch 3. Characters mehr darzu machen, damit er mir nicht über die Mittags-Stunde aussen[494] bleiben darff. Habt Acht! ob mein Frantz nicht kommen, und mich besorgen wird, denn ich habe ihn, ohngeachtet er taub und stumm ist, dennoch dem heiligen Francisco zu Ehren getaufft, ihm auch durch Zeichen sehr viele christliche Lehren und Einbildungen vom Christenthume beygebracht, und also ist dieser mein getreuer Frantz kein Heyde, sondern ein guter Christ.«

Wie nun Mirzamanda und ich durch die grosse Crystalle sahen, daß sich an der weissen Wand ein Mann zeigte, welcher einen ziemlich grossen Korb auf dem Rücken trug, über welchen auch ein langer Queer-Sack gelegt war, und er auser dem noch in der einen Hand einen ledernen Schlauch, in der andern aber ein Fisch-Netz hatte, worinnen sich lebendige Fische und Krebse befanden, so wurden wir über diesen Mann, der ein graues Kleid und einen schönen Persianischen Huth auf seinem Hauptem blicken ließ, fast zum hertzlichen Lachen bewogen.

Da nun Urbanus dieses gewahr wurde, fieng er, als ein gantz freundlicher Mann, den sein silberfarbener Bart gantz und gar nicht verstellete, indem die hochrothen Wangen sehr fein darunter hervor schimmerten, selbsten mit zu lachen an, und sagte: Sehet, meine lieben Schwestern! dieses ist die Gestalt meines Frantzens, in welcher er sich Morgen bey guter Zeit darstellen wird. Ihr aber werdet diesen Abend bey einer Flasche Wein mit kalter Küche mit mir vorlieb nehmen müssen, weilen ich heute keine warmen Speisen habe kochen können.

Ohne ferneres Reden stieg er abermahls auf einer[495] andern Treppe in die Tieffe hinunter, und brachte nach und nach das schönste Brat-Werck von allerley Fleisch und Fischen, anbey Citronen, Capern, Limonien und andere eingemachte Sachen an statt des Zugemüses und Salats herauf, hiernächst 4. solche vortreffliche Cocos-Nüsse, dergleichen ich von Grösse Zeit meines Lebens nie gesehen habe, und woran wir beyde uns ungemein labten. Urbanus bezeigte sein Vergnügen auf vielerley Art, da er sahe, daß wir uns seine Tractamenten so wohl schmecken liessen, langete derowegen 3. Flaschen von dem allerangenehmsten Palmen-Sect herbey, und nöthigte uns jederzeit auf das allerhefftigste, ihm Bescheid im Trincken zu thun. Wir führeten uns aber hierbey sehr behutsam auf, weiln uns dieser Wein etwas stärcker, als andere geringere Weine zu seyn, vorkommen wolte. Wie wir uns aber mit Speisen und Geträncken genugsam gesättiget hatten, räumete Urbanus selbsten alles vom Tische ab, brachte hergegen das Bild des gecreutzigten Heylandes nebst noch mehr als 12. bis 16. andern Bildern, die alle wie kleine Statuen von lautern Golde gegossen waren, setzte diese Statuen alle nach ihrer Ordnung auf den Tisch, fiel nieder auf die Knie, und verrichtete sein christliches Tisch- und Abend-Gebet in Persianischer Sprache. Da wir nun höreten und verstunden, daß er lauter heilige, andächtige und christliche Worte vorbrachte, liessen wir uns gleichfalls neben ihn auf die Knie nieder, und beteten zu GOtt, eine jede nach ihres Hertzens-Andacht und Anliegen. Nach Verlauff etwa einer guten Stunde richtete sichUrbanus und auch wir [496] beyden wieder in die Höhe, er aber sagte: »Nun, meine Schwestern! will ich euch ein Stück meines Lebens-Wandels erzehlen.«

Er that dieses, und weiln weder die Prinzessin, noch ich, so gar besondere Lust zum Schlaffe hatten: als höreten wir ihm mit Vergnügen zu, indem er, so zu sagen, rechte Wunder-Geschichte vorbrachte, bis der Tag fast anzubrechen schien, denn weiln er uns etliche Persianische Decken und Polster aufgebreitet hatte, so schlieffen wir bey ihm weit ruhiger als auf der Sand-Insul.

Kaum war die Sonne aufgegangen, da Urbanus, wie wir mit unsern noch halb schläffrigen Augen gewahr wurden, alle seine güldenen Bilder um den gecreutzigten Heyland herum setzte, sich mit dem heiligen Creutze vielmahl segnete, und hernach sein Morgen-Gebet kniend verrichtete, dergleichen auch wir beyde nach unserer Art und Andacht zugleich mit thaten. Als dieses geschehen, gieng Urbanus zur Clause hinaus, blieb über eine gute Stunde lang aussen, und brachte endlich einen ziemlich grossen Kessel voll gekochten Caffee nebst einem Huthe Zucker unter seinem Arme herein getragen. Wie genossen ein vieles von diesem edlen Geträncke, und zwar mit gröstemAppetite, aus güldenen Schalen, worauf er uns ein anderes starckes Geträncke darreichte, um das Caffee-Wasser, seinem Sagen nach, damit nieder zu schlagen, welches er selbsten erstlich etliche mahl credentzete. Nachdem wir nun auch von diesem etwas zu uns genommen, ging Urbanus an sein Schau-Fenster, rief Mirzamanden [497] und mich, und sagte zu uns: »Gucket mir zur Liebe doch alle beyde hinaus, ob ihr etwa die Person besser mit euren jungen, als ich mit meinen alten Augen erkennen möchtet, welche auf meine Clause daher zugegangen kömmt!« Als wir nun beyderseits hinaus guckten, sahen wir gleich, daß es der Frantz in Leibs- und Lebens-Grösse, auch in allen Stücken so beschaffen war, wie er sich gestern im Kleinen an der weissen Wand dargestellet hatte. Derowegen rieffen die Prinzeßin und ich fast zu gleicher Zeit: Lieber Vater, diese Person ist ohnfehlbar euer Frantz. »Ja! er ist es,« (gab Urbanus zur Antwort) »aber lasset ihn näher kommen.« Wenige Minuten hernach kam also der Frantz, welchen Urbanus erstlich in die untersten Keller führete, allwo er seine Sachen abpacken, und ihm von allen Dingen durch Zeichen seinen Bericht abstatten muste. Wir sahen dieses alles wohl mit an, konten aber aus ihrer beyder Zeichen-Sprache nicht das geringste verstehen, wurden jedoch gewahr, daß Frantz in seinem Korbe das beste und schönste Fleisch von allerley Art, nebst Fischen, Krebsen und noch viel mehreren Lebens-Mitteln mitbrachte, auch jegliches an gehörigen Ort und Stelle zu schaffen wuste.

Demnach hatten wir folgendes Abends eine recht Fürstliche Mahlzeit zu verzehren. Nach deren Einnehmung verrichtete Urbanus abermahl seinen Gottesdienst, und erzehlete hernach der Prinzeßin und mir noch ein Stück von seinem Lebens-Lauffe, welches alles ich dergestalt in mein Gedächtnis [498] gefasset, daß ich es ihm, so zu sagen, von Punct zu Puncte nach erzehlen wolte, wenn es anders die Zeit litte.

Andern Tages meldete uns Urbanus, daß er seinen Frantz nochmahls fortgeschickt, und dieser würde erstlich in 6 Tagen zurück kommen; mittlerweile aber, da er eine abermahlige himmlische Offenbahrung gehabt, wolten wir uns zu unserer Reise nach der InsulCeylon geschickt machen, indem wir, laut der himmlischen Offenbahrung, wenige Zeit zu versäumen hätten, wenn wir unser Glück daselbst machen, und auf einem christlichen Schiffe nach Europa oder in die Christenheit wolten gebracht werden. Wir bezeigten uns willig und bereit darzu, musten ihm aber alle Tage fleißig kochen, sieden und braten helffen, welche Arbeit wir denn mit Lust verrichteten, indem hiermit etwas Guts in unsere ausgehungerte Magen kam, auch die vortrefflichsten Weine, dergleichen Frantz einen gantzen Korb voll Flaschen mit gebracht hatte, unsere Glieder erqvickten.

Solchergestalt liessen wir es uns bey diesem Einsiedler, der gewisser maassen besser, als mancher grosser Fürst lebte, ungemein wohl gefallen, indem wir gut Essen und Trincken hatten, auch uns keiner besondern Gefahr besorgen durfften, anbey einer stillen Gemüths-Ruhe genossen, und zwar zu Besänfftigung der Angst und Quaal, die wir beyderseits seit einiger Zeit ausgestanden hatten.

Frantz kam am Abende des 6ten Tages fast noch stärcker, als vormahls, recht wie ein Esel [499] beladen, wieder zurücke, und brachte auser den vielen Lebens-Mitteln 2 gantz neue Pilgrims-Kleider mit, nemlich eins vor sich und eins vor Urbanum. Hierauf führete uns Urbanus bey Nachts-Zeit in seine unterirrdischen Gewölber, da wir denn einen erstaunlichen Vorrath von allerhand schönen Sachen, nebst vielen güldenen und silbernen Geschirren, auch eine ziemliche Menge Diamanten und Kleynodien antraffen, welche letztern er mir und der Prinzeßin darreichte, um dieselben, so wie er selbsten that, in unsere Pilgrims-Kleider einzunähen.

Wie nun dieses geschehen, und unsere Kleider, in welchen ohne dem viel dergleichen Zeug schon stack, ziemlich beschweret worden, musten wir beyde ihm die güldenen und silbernen Geschirre so wohl, als das Uberbleibsel von Kostbarkeiten und andern theuren Sachen, ingleichen das gemüntzte Gold- und Silber-Geld bis an sein gemachtes Grab tragen helffen; welches alles von ihm in das Grab geworffen, und dasselbe mit unserer Behülffe, zugescharret, und der Erden gleich gemacht wurde.

Als dieses vollbracht, gieng er dreymahl um den Platz des zugescharreten Grabes im Creyse herum, murmelte viele Worte und Sprüche her, die wir nicht verstehen konten, mit dem spitzigen Stabe aber, den er in der Hand hatte, zeichnete er 9. Characters oder Buchstaben, die uns unbekannt waren, in die Erde, sprung hernach viele mahl auf dem zugescharreten Grabe herum, und bath uns, daß wir dergleichen thun solten, worinnen wir ihm denn auch Folge leisteten, also recht tapffer [500] auf dem Grabe herum sprungen. Hierauf befahl er uns, noch etwas zu verrichten, welches ich aus Schamhaftigkeit eben nicht melden will; Allein wir erfülleten auch in diesem Stücke seinen Willen, worauf er uns denn zurück in seine Clause führete, und nachdem wir unser Nacht-Gebet ordentlicher Weise zu GOtt verrichtet, sich dieser Worte vernehmen ließ: »Nun habe ich mit eurer Beyhülffe einen solchen Talisman gemacht, den mir gewiß kein Heydnischer Wahrsager, Zeichen-Deuter, Schatz-Gräber, oder, er sey auch, wer er nur immer sey, auflösen wird, und wenn er gleich die 3. obersten höllischen Geister zu seiner Beyhülffe anruffte: denn der Kasten, worinn die Kleynodien, wie auch die güldenen und silbernen Münzen befindlich, ist mit dem wahrhafften Siegel des allerweisesten Königes Salomonis versiegelt, als vor welchen alle bösen Geister erzittern, und sich schleunig zurück begeben müssen. Es soll aber, (sprach er ferner) dieser Schatz, welcher, wie ihr gesehen habt, eines ziemlich starcken Werthes ist, vor euch Prinzeßin Mirzamanda verwahrt und aufgehoben seyn, weiln ich den Heyden diese Kostbarkeiten (worunter sich kein Stäublein ungerechtes, sondern alles auf redliche Art und Weise erworbenen Guts befindet) durchaus nicht gönnen will: Wenn ihr denselben nicht braucht, so bin ich damit sehr wohl zufrieden, denn ich lese an eurer Stirne geschrieben, daß ihr längstens binnen 2 oder 3 Jahren auf dieser Welt euren vollkommenen Glücks- und Ruhe-Stand finden[501] werdet. Nehmet hin aus meiner Hand diesen Schlüssel, welchen ihr auf das aller behutsamste zu verwahren habt, so bald dieser Schlüssel von euch oder von einem durch euch Abgeordneten, nur auf das Grab gelegt wird, soll sich solches von selbsten aufthun, und alle Kostbarkeiten in die Höhe heben.

Nach Endigung dieser Worte überreichte er Mirzamanden ein ungemein kostbares goldenes mit Diamanten, Rubinen und andern raren Edelgesteinen versetztes, sehr sauber ausgearbeitetes Crucifix, welches gantz bequemlich auf der Brust zu tragen war, wickelte dasselbe in ein Stücke Pergament, auf welches er vorhero noch verschiedene Characters und Buchstaben mahlete, hüllete solches alles in weisses Wachs ein, und sagte nur noch dieses: Hier habt ihr, was ihr haben sollet, und was euch auf dießmahl von der Güte des Himmels beschehret ist.«

Demnach küssete Mirzamanda unserm Wohlthäter die Hand, welches sie denn ihrem hohen Stande ohnbeschadet, zumahlen in Betrachtung der grossen ererbten Schätze, gantz wohl thun konte. Immittelst war der getreue Frantz von allem dem, was vorgegangen war, gantz und gar nichts inne worden, und da wir nachhero Urbanum fragten: wo denn sein Frantz hingekommen wäre, weilen wir denselben nicht sähen? so gab er uns zur Antwort: bekümmert euch nur um nichts! denn Frantz wird zu rechter Zeit nebst 2. mit Lebens-Mitteln beladenen Maul-Thieren bey uns erscheinen, [502] inzwischen machet euch nur dergestalt fertig zur Reise, daß wir nicht muthwilliger Weise die edle Zeit versäumen, um an gehörigen Ort und Stelle zu kommen.

Wir leisteten ihm Gehorsam, und da Frantz am dritten Tage mit zweyen wohl beladenen Maul-Thieren erschien, wurden die Sachen in gröster Geschwindigkeit umgepackt, und wir reiseten also, gleich bey Aufgange der Sonne, aus der Clause heraus, nemlichUrbanus, Mirzamanda, ich und Frantz, welcher die 2. starck bepackten Maul-Thiere leitete.

Unsere Strasse nahmen wir durch das Groß-Mogulsche Gebiethe, nach dem äusersten Hafen zu, in welchem wir vielleicht ein Schiff anzutreffen verhofften, das nach Ceylon überseegelte, oder wenn alle Stricke rissen, ein solches Schiff vor Geld miethen könten: denn wir hatten ja alle 3. so viel Kleynodien und Edelsteine bey uns, daß wir noch wohl ein eigenes Schiff hätten davon bezahlen können.

Unterdessen kamen wir, nach einer 2. monathlichen Reise zu Fuß, welche jedoch, da wir nach unserm Vergnügen reiseten, und die Tage-Reisen indem dieselben nach Belieben eingerichtet wurden, uns gar nicht beschwerlich fielen, endlich glücklich in der Stadt und dem Hafen Cambaja an. Wie wir nun unterwegs von niemanden den geringsten gefährlichen Anstoß gehabt, indem alle die, so uns begegneten, und gefragt: wo wir hin wolten? zur Antwort bekamen; daß wir heilige Pilger wären, und das GrabAdams [503] auf der Insul Ceylon besuchen wolten; uns in Friede und Freundschafft fortwandern liessen, auch nicht einmahl unsere Maul-Thiere antasteten, so waren wir desto freudiger. Hierbey bemerckten wir, daß alle Einwohner dieses Landes vor den alten graubärtigen Urbanum eine gantz besondere Hochachtung bezeigten; ob er sich nun dieselbe durch seine Künste und Wissenschafften zu Wege gebracht, oder ob es ordentlicher und natürlicher Weise zugegangen, davon kan ich eben so genau nicht Rede und Antwort geben. Unterdessen brachte uns der graue ansehnliche Bart vor diesesmahl glücklich durch, indem er bis inCambaja hinein beständig vor uns hergieng.

In jetztgedachtem Cambaja traffen wir gleich in der ersten Herberge einen Mann an, der fast eben eben einen so langen Bart trug, als unser Urbanus. So bald nun dieser Mann unsern Urbanum kaum erblickt, kam er also gleich auf ihn zugegangen, umarmete und küssete ihn. Darauf giengen beyde hinaus in den Garten spatzieren herum, und unterredeten sich wohl 2. gute Stunden gantz alleine mit einander. Endlich kam unser Urbanus wieder zu uns, ließ eine gute Mahlzeit vor uns zubereiten, nach deren Genuß er die Prinzeßin und mich auch in den Garten führete, und dieses sagte: »Meine Schwestern! es ist dieser Mann, von dem ihr gesehen, daß er mich gehertzet und geküsset hat, zwar ein Jude; aber glaubt mir dieses: ob er gleich ein Jude, mit dem ich schon seit etlichen 30. bis 40. Jahren gehandelt [504] und zu schaffen gehabt, er dennoch, ohngeachtet er nicht unseres christlichen Glaubens, ein uns von GOtt zugeschickter heiliger Engel ist, der uns glücklich auf die Insul Ceylon und noch weiter befördern wird.«

Dem Urbano glaubten wir alles, was er uns vorsagte, und traueten seiner fernern Vorsorge, worinnen wir uns auch nicht im geringsten betrogen fanden: Denn eben dieser Jude, welchem Urbanus vielleicht etliche kostbare Kleinodien mochte zugesteckt haben; verschaffte uns allen, von dem Calif oder obersten Befehlshaber Frey-Pässe, so daß wir, nachdem wir uns noch etliche Wochen in Cambaja aufgehalten, ohngehindert auf einem Mogulschen Schiffe, in Begleitung des Juden, nach der Insul Ceylon abseegeln konten.

Wir hatten eine rechte vergnügte Fahrt, und traffen daselbst viele christliche Schiffe an, weilen aber Urbanus auf dieser Insul viele seiner Glaubens-Brüder antraff, so ließ er es sich mit deren Beyhülffe auf das alleräuserste angelegen seyn, die daselbstigen Heyden zum christlichen Glauben zu bereden; Sie waren auch anfänglich sehr glücklich, indem sich über 80. Heydnische Familien zum christlichen Glauben wendeten; Allein, die Sache kam bald heraus, derowegen wurden die Christen aufs grimmigste verfolgt, und deren mehr als 100. getödtet, worbey denn unser lieber Urbanus sein so hoch gebrachtes liebes Leben auch mit einbüssen muste. Mirzamanda so wohl, als ich haben seinen jämmerlichen Tod mit bittern Thränen beweinet, [505] jedoch eine höhere Gewalt regierete des alten Juden Hertze dergestalt, daß er uns auch dasiges Orts nicht allein den kräfftigsten Schutz verschaffte, sondern auch Mirzamanden, mich, den Frantz und den Löwen, als welcher Letztere zu unser allergrösten Verwunderung und Erstaunen, nachdem er, wie wir nicht anders vermuthen konten, sein Behältnis in Candahar durchbrochen, die Spur bis zu des Urbani Clause glücklich gefunden, (wobey wir nichts bedauerten, als daß er sich nicht eher bey uns eingestellet, da wir von desArab-Ogli Jägern gefangen, und ferner auf dessen Schloß gebracht worden, da denn gewiß ein starckes Blutvergiessen und Zerreissung unserer Feinde würde entstanden seyn) auf ein Holländisches Schiff verdunge. Der Jude bekam dabey eine nicht geringe Anzahl von Kleynodien und andern Edelgesteinen in seinen Juden-Beutel. Ehe wir noch zu Schiffe giengen, kam das Weibes-Stück Hadscha, welche vor Mirzamanden einen Fußfall that, und dieselbe mit Thränen bath, sie mit sich zu führen. Ob nun schon Mirzamanda wuste, daß Hadscha eine Heydin, Anbetherin des Feuers und anderer Götzen war so ließ sie sich durch ihre demüthige Stellung doch dahin bewegen, daß sie dieses Mensch, welches ihr von Jugend auf, sonsten in andern Stücken, viele getreue Dienste gethan, mit sich zu nehmen beschloß, und dieserwegen dem Schiffs-Patrone einen schönen Diamantenen Ring gab, in Hoffnung, dieses liederliche Weibes-Stücke mit der Zeit und Gelegenheit zum christlichen Glauben [506] zu bringen; Allein, wir fanden bald bey ihr, daß sie die allerwenigste Lust zum Christenthume hatte, um so viel desto mehr dauerte uns aber, daß der gute Frantz, welcher doch viele Merckmahle, ein Christ zu seyn, von sich gab elendiglich an der See-Kranckheit sterben muste, weßwegen er, nachdem wir seinen Pilger-Habit ihm ausgezogen und zu uns genommen, (als welcher mit Kleynodien und Edelgesteinen ziemlicher Maassen beschweret war) sein Begräbnis in der See finden muste. Uns aber trieb nachhero ein stürmender Würbel-Wind immer aus einer Ecke in die andere, und schlug uns um viele kleine Insuln lincks und rechts herum, wir konten aber niemahls zu Lande kommen blieben hergegen zum öfftern auf Sand-Bäncken sitzen, und stiessen nicht selten an verborgene Klippen, bis wir endlich, nachdem wir viele Wochen herum geschwärmet, an einer unbekannten Insul, die, wie ich nunmehro weiß, Klein-Felsenburg genennet wird, mit Schiff und Geschirre zu scheitern giengen, da denn, weil es schon finster war fast der meiste Theil unserer Mannschafft ersoffe;Mirzamanda aber, ich und die Hadscha waren doch so glücklich, das Ufer zu erlangen, ohngeachtet uns die Kleider dieses mahl sehr beschwerlich fielen: denn wir halten der Hadscha des Frantzens Pilger-Kleid angezogen, welches eben so schwer war, als die unserigen. Jedoch nachdem wir nur erstlich einen grünen Platz gefunden, auch die Vorsorge des Himmels uns eine ziemliche Menge von Lebens-Mitteln aus dem zerscheiterten Schiffe zuführete, [507] so beschlossen wir gleich, der See nicht weiter zu trauen, und wenn auch das Schiff schon ausgebessert würde, sondern viel lieber an diesem schönen Orte von Kräutern, Wurtzeln und allerley Baum-Früchten uns so lange zu ernähren, bis der Himmel sich unserer erbarmte, und Gelegenheit zu einem bessern Zustande an die Hand gäbe.

Der Himmel hat uns nicht fallen lassen, denn wir fanden unvermutheter Weise die Felsen-Schlufft, durch welche wir alle 3. benebst dem Löwen auf Händen und Füssen hinauf krochen, weiter habe ich vorjetzo nichts zu sagen, denn die Herrn Felsenburger wissen ausser dem schon besser, wie? wann? wo? und welcher Gestalt sie uns angetroffen haben.

Dieses eintzige aber will ich nur noch melden, daß der ehrliche Jude Rabbi Moses, wie er sich nennete, mit seinem silberfarbenen ansehnlichen Barte, auch so wohl wie andere ohnbärtige zugleich mit ersauffen muste. Es gieng so wohl Mirzamanden, als mir sein Unglück sehr nahe, weilen er uns auf der Reise viele Gefälligkeiten erwiesen, sonderlich aber auf der InsulCeylon, denn er führete uns, weil wir des Urbani Reden nach, eine grosse Begierde bezeugten, desAdams Grab zu sehen, (welche Glückseligkeit aber der gute Urbanus nicht erleben können) an dem Fusse eines Berges welcher in der Landschafft Matura liegt. Hieselbst fanden wir ein in einem Felsen gehauenes Begräbnis, und in selbigem einen Leichen-Stein, auf welchem diese Characters, oder unbekannten Buchstaben, zu sehen, wie mir denn der Jude dieselben [508] mit gröstem Fleiß vermittelst einer Reiß-Feder, sehr geschicklich abgezeichnet hat, und wovor ich ihm zur Gegengefälligkeit ein kleines Geschencke gab. Dessen Zeichnung ist also diese:



Wir giengen also mit dem Abrisse dieser 25. Characters und unbekannten Buchstaben so wohl zu allen Christlichen, als Heydnischen Gelehrten, und bothen ihnen Geschencke an, um unsere Begierden mit Auslegung derselben zu stillen, allein, unter allen, die sich damahls von beyderley Art annoch auf dieser Insul aufhielten, befand sich keiner, der uns in diesem Stücke vergnügen wollen; sondern sie bekannten alle einmüthig, daß die Bedeutung derselben bis auf diesen Tag nicht hätte können erforschet werden. Unterdessen sagen die Einwohner dieser Insul vor gewiß: daß der erste erschaffene Mensch Adam in diesem Begräbnisse begraben läge. Der Stein ist 14. Fuß lang, 5. Fuß breit u. anderthalb Elle dicke, sehr glatt und dergestalt gläntzend, als ob er polirt wäre. Zur Seiten dieses Begräbnisses siehet man 5. steinerne [509] Pfeiler. An dem Haupt-Ende des Leichen-Steins stehet ein anderer aufgerichteter Stein, jedoch nicht so schön und sein, sondern etwas gröber und sandiger, als der, den ich schon beschrieben, sein Ansehen ist recht unvergleichlich zu nennen, indem er von allerley Arten der Farben, durchwachsen und recht bewunderns würdig geflammet, so wie manche Sorten von Marmor-Steinen sich zu finden pflegen. Dieses Steins Grösse, Dicke und Breite trifft mit des erst gemeldten in allen Stücken überein. Es ist aber derselbe Stein ohne Gemählde, Zierrathen, Characters, oder Buchstaben, und stehet von dem ersten 6. Fuß ab. Demnach ist der gantze Inbegriff von dieser Grab-Städte 36. Fuß.

Hinter diesem Steine stehet eine in Stein gehauene Lampe mit einer brennenden Materie, ohne, daß weiter etwas darf hinein gethan werden, doch scheinet der Docht jederzeit, als ob er voller Oel wäre. Etwa 4. oder 5. deutscher Meilen von dar liegt noch ein sehr hoher spitziger Berg, der dem Ansehen nach einem spitzigen Thurme gleichet, auf dessen Gipffel ist eine kleine Ebene, und auf selbigem Platze siehet man eine Fußstapffe, deren Länge anderthalb Fuß. Die Einwohner sagen hierbey, es solle Adam seinen Fuß auf dieser Stelle eingedruckt haben; jedoch eben diese Einwohner sind in diesem Stücke nicht einerley Glaubens, weilen einige wollen, es sey einer von ihren Heydnischen Priestern, Bourdau genannt, von ihren Vorfahren zum Könige über sie erwählet worden; und gemeldter Bourdau wäre [510] gewohnt gewesen, sein Gebet auf diesem Brrge zu verrichten, worauf er eines Tages lebendig gen Himmel gefahren, oder von den Göttern hinauf gezogen worden. Bey solcher Aufziehung nun habe er diese Fußstapffen zu seinem Angedenken zurück gelassen. Der Christen Glaube bey dieser Geschichte ist aber gantz anders beschaffen, als welche davor halten, und aus alten Uhrkunden versichern wollen: es habe der Teuffel diesen Bourdau, als einen Ertz-verfluchten Götzen-Knecht, leibhafftiger Weise gehohlet, und von der allerhöchsten Felsen- Klippe herunter gestürtzt, da denn seine Cameraden, nemlich die andern Götzen-Knechte und Priester, gar leicht eine solche Fußstapffen einarbeiten, nachhero aber dem einfältigen Volcke vorschwatzen können, als ob Bourdau lebendig gen Himmel gefahren wäre, und dieses Wahrzeichen zurück gelassen hätte, denn die Ceylonier sind, meines Erachtens, ein sehr tummes Volck, sonderlich aber in Glaubens-Sachen.

Unterdessen aber sind sie doch von ihren Götzen-Priestern noch ferner in so weit verführet oder verblendet worden, daß sie gewiß glauben: dieser gen Himmel gefahrne Bourdau wolle und könne auch ihre Seelen in den Himmel nach sich ziehen, und dieselben zur ewigen Seligkeit bringen. Ja! sie beten ihn mit der grösten Andacht an, und halten diesen Teufels-Braten recht vor ihren Halb-Gott; wie denn ihm zu Ehren alljährlich, nach der Christen Zeit-Rechnung, den 9. Tag des Monaths Aprilis ein grosses Fest, mit dem sie zugleich ihr neues Jahr anfangen, angestellet wird, [511] welches Fest Mirzamanda und ich etliche Tage lang in gröster Stille und Behutsamkeit mit abgewartet haben.

Es finden sich bey diesem Feste unter andern Arten von Heyden auch viele Mohren zusammen, welche alle den gen Himmel gefahrnen König Bourdau anbeten, und ihm ihre Opffer bringen. Sonsten aber wird dieser Berg die Adams-Pagua genennet, und ist unter demselben eine grosse fürchterliche Höhle, worinnen sich ihrem Vorgeben nach, noch viele Heiligthümer befinden sollen; es wird aber kein Fremder leichtlich in diese Höhle gelassen, wenn er nicht einen sehr guten Freund unter den Götzen-Priestern zu seinem Führer hat, welche Pfaffen sich aber durch wenige Gold-Stücke gar bald erkauffen lassen, alle belachenswürdige Geheimnisse zu zeigen, welche in der Höhle befindlich sind.

Sonsten muß ich noch dieses vorbringen, wie ich zwar die Persianer vor sehr grobe Heyden und Abgötter erkenne; allein es werden dieselben von den Einwohnern der Insul Ceylon noch um ein vieles übertroffen, indem, wie ich davor halte, dieselben von ihren Götzen-Priestern gewaltig verblendet, vielleicht auch wohl gar bezaubert sind. Denn sie glauben endlich wohl, daß ein GOtt seyn müsse, der Himmel und Erden erschaffen hätte, auch den Menschen auf der Welt viel Gutes angedeyhen liesse; diesen aber anzubeten, wollen sie sich nicht die geringste Mühe geben. Im Gegentheil beten sie den Teufel täglich an, und sagen, daß, wenn sie diesen, von dem alles Böse käme, [512] nicht allezeit demüthig entgegen giengen, würde er sie insgesammt bald vertilgen und umbringen. Und dieses ist der Glaube dieser verblendeten, bethörten und vielleicht bezauberten Menschen, weßwegen Mirzamanda und ich dem allmächtigen GOtt auf den Knien danckten, als uns die Zeit unserer Abfährt von dem Juden angekündiget wurde.

Hiermit aber will ich, (redete die Anna noch weiter) vor dieses mahl den Bericht von dem bisherigen Lebens-Lauffe meiner Prinzeßin und meines selbst eigenen beschliessen, indem ich doch die Haupt-Sachen vorgebracht, die andern Neben-Dinge aber, worinnen sich noch viele Merckwürdigkeiten, befinden, benebst der Erzehlung des Persianischen schweren Krieges, werde bis auf eine andere Zeit versparen, weilen doch mir so wohl, als meiner Prinzeßin das Glück angebothen worden, daß wir bis zu fernerer Verfügung des Himmels auf dieser glückseeligen Insul Groß-Felsenburg bleiben, und in sicherer Ruhe leben solten. Wir dancken demnach, da wir bey so vielen frommen, gutthätigen, lieben Leuten, so zu sagen, den Himmel auf Erden gefunden, der gnädigen Vorsorge des Allerhöchsten, und wünschen weiter nichts mehr, als daß wir nur noch eine eintzige Reise auf das Mogulisch-Persische Sand-Gebürge thun möchten, um des Urbani Grab zu eröffnen, die darinnen befindlichen Schätze heraus zu nehmen, und dieselben anhero zu bringen. Unterdessen muß ich doch glauben, daß Urbanus, ohngeachtet er mit vielen verborgenen Künsten und [513] Wissenschafften umgegangen, auch dieselben jederzeit bis an sein unglückseliges Ende glücklich durchgeführet, ein besonders guter Christ und heiliger Mann gewesen seyn müsse, weilen sein Seegen und seine Propheceyung solcher gestalt wider unser Hoffen und Vermuthen, ja nach unserer Hertzen Wünschen, so glücklich gewürckt und eingetroffen hat.

Mir Eberhard Julio wurde von den Geistlichen und Aeltesten anbefohlen, der Prinzeßin Mirzamanda, die wir nunmehro aber auf unserer gantzen Insul blos Prinzeßin Christiana nennen, dieses zu melden: wie sie sich weder um den Mogul, noch um den zukünfftigen Schach in Persien gantz und gar nichts mehr zu bekümmern hätten, und die Gedancken wegen ihrer verborgenen Schätze nur aus dem Sinne schlagen solten, weilen wir dergleichen Plunder im grösten Uberflusse besässen; unterdessen könte doch mit der Zeit wohl Rath darzu werden, dieselben mit guter Manier abzuhohlen. Mittlerweilen aber solten sie alle beyde in sicherer Gemüths-Ruhe so lange bey uns bleiben, auch vor nichts sorgen, bis uns der Himmel insgesammt verderbte, welches doch nicht zu hoffen stünde, wenn wir als fromme Christen ihm vertraueten, und fleißig beteten. Wie ich nun diese aus der FrauAnna Holländischem Munde gethane Geschichts-Erzehlung, so zu sagen, vom Munde aus, in deutsche Ubersetzung gebracht, beruhigten sich alle beyde dergestalt, daß wir alle insgesammt sonderlich unsere Freude über ihren andächtigen Gottesdienst und frommen, stillen, [514] christlichen Lebens-Wandel haben musten. Ja, ich glaube, (jedoch dieses anheute noch im Vertrauen gesprochen) daß unser Regente, Albertus Julius II. dem der Tod vor etlichen Wochen seine liebwertheste Ehegemahlin geraubt hat, vielleicht aus dieser schönen Prinzeßin, dem Beyspiel des Königs David zu Folge, eine Abisag von Sunem machen werde, wovon im 1. Capitel des 1. Buchs von den Königen gleich zu Anfange desselben im 1. 2. 3. und 4. Versicul ein mehreres zu lesen ist. Unterdessen, wenn es ja dahin kommen solte, so weiß ich gewiß, daß auf der gantzen Insul sich keine lebendige Seele finden wird, die hierwider etwas einzuwenden hätte, weilen der Prinzeßin Christiana holdseelige und liebreiche Aufführung, derselben die Gunst und Gewogenheit auch so gar der kleinesten Kinder zu Wege gebracht. Mit dem Regenten aber kan sie bereits dergestalt vertraulich und schmeichelhafft umgehen, daß er sich seinen alten grauen Bart von niemanden lieber auskämmen und zu rechte machen läst, als von derChristiana, die ihm dieses am allerbesten zu Dancke machen kan, und es auch recht mit Lust thut.

Von unsern Haupt-Geschichten aber noch ferner etwas zu melden, so ist zu wissen, daß wir um selbige Zeit in jeder Pflantzstadt eine kleine neue Kirche, wie auch ein Schul-Hauß vor die Jugend zu erbauen den Anfang machten. Demnach wurden auch die hierzu behörigen Priester ordinirt, und die Schul-Diener wohl bestellet, und zwar alle von unsern eingebohrnen Felsenburgern, welches in Wahrheit Leute sind, die manchen [515] Europæischen so genannten Geistlichen oder Theologis, was Glauben, Lehre und Leben anbelanget, keiner Haare breit nachgeben, sondern vielmehr vielen die Spitze biethen sollen, ohngeachtet sie niemahls auf eine so genannte Universität gekommen, sondern nur von unsern 3. Geistlichen, hernach auch von uns andern in diesen und jenen Künsten und Wissenschafften, sonderlich aber in allerley Sprachen unterrichtet worden; Allein, hierbey habe ich hauptsächlich bemerckt, was ein unermüdeter Fleiß in Lesung guter Bücher, und über dieses alles die Gabe des heiligen Geistes würcken und ausrichten kan. Unterdessen ist unsere Haupt-Kirche auf dem Platze unter der Alberts-Burg, wie ihr mein lieber Capitain Horn sehet, annoch in ihren vorigen Ehren und Würden, ja noch in weit besserm Stande, als ihr dieselbe vor eurer Abreise gesehen, und es wird der Gottesdienst so wohl Sonn- als Fest-Tags, nach wie vor, darinnen gehalten, auch jederzeit das Signal mit einem Carthaunen-Schusse und Läutung der Glocken gegeben, da sich denn ein jedes nach seinem Belieben einstellen kan. Denen Krancken, Müden und Matten aber wird gar nicht verarget, wenn sie zu Hause bleiben, und den Gottesdienst in ihrer Pflantzstadts-Kirche abwarten.

Hierbey muß ich gedencken, daß ich nunmehro unsere Pflantzstädte, mit gröstem Rechte, Städte nennen kan: denn ihr, mein lieber Bruder Horn! habet dieselben nur noch als kleine Dörffer verlassen; aber gebt euch einmahl die Mühe, dieselben [516] nunmehro recht genau zu betrachten, so werdet ihr mir Beyfall geben, daß es lauter schöne Städte sind, indem sich die Einwohner derselben, binnen eurer Abwesenheit, die Auferbauung der saubersten und bequemlichsten Häuser auf das allerfleißigste so wohl bey Tage, als bey Nachts-Zeit dergestalt angelegen seyn lassen, daß wir zum öfftern die gröste Mühe gehabt, sie davon zu verhindern, um den Feld-Wein- und Garten-Bau solcher gestalt nicht in Vergessenheit gestellet zu sehen.

Jedoch unsere lieben Brüder, Schwestern und Freunde liessen sich, als recht vernünfftige Leute, dergestalt weisen, daß auch hieran nichts versäumet wurde; weßwegen denn auch her allmächtige GOtt so barmhertzig und gnädig war, daß er uns ein solches fruchtbares Jahr beschehrete, dergleichen unsere Vorfahren, seit dem GOtt selbst den Grund-Stein zu dieser Insul geleget, und ihnen ihren Aufenthalt darauf vergönnet, so lange als sie auf selbiger gelebt, noch niemahls gehabt. Wie wir denn solches aus den Jahr-Büchern, Zeit-Rechnungen und andern alten Uhrkunden, die sich so wohl von dem alten Don Cyrillo, als vom Alberto Julio I. herschreiben, wohl beobachten können.

Kurtz: ich will mit wenig Worten nur so viel sagen, daß der allmächtige GOTT in diesem Jahre so wohl bey dem Feld- als Wein- und Garten-Baue, ein Hundert in etliche Tausend verwandelte, dergestalt, daß wir recht darüber erstauneten, weilen wir nicht wusten, wo wir mit [517] unserm Seegen überall hin solten, und dieserwegen noch verschiedene Vorraths-Häuser aufbauen, auch noch viele Keller eingraben musten, um den kostbaren Wein, dergleichen wir auf dieser Insul noch niemahls gehabt, nicht verderben zu lassen; bey welcher Gelegenheit denn die Faßbinder, deren so genannte Innung sich bereits starck vermehret, ein ziemlich Stückgen Arbeit bekamen.

Mittlerweile, da alles, was sich auf der Insul nur regen konte, vom Grösten bis zum Kleinesten, mit der allerfleißigsten Arbeit beschäfftiget war, beredetenMons. Plager, Litzberg, Cramer und ich, nebst andern guten Freunden uns unter einander, die Fahrten nach der Insul Klein-Felsenburg aufs neue fortzusetzen, um zu sehen, was unsere daselbst zurück gelassenen Brüder benebst den Portugiesen vor gut Garn spönnen.

Demnach traten wir diese Fahrten wöchentlich 2. bis 3. mahl an, brachten den dasigen allezeit die besten Lebens-Mittel mit, und traffen dieselben jedes mahl lustig und aufgeräumt, auch in der schönsten Ordnung an, indem sie von Zeit zu Zeit dermasen überflüßig zugeführt bekommen hatten, daß sie weder über Mangel, Noth, noch Hunger klagen konten. Vincentius schien vor Freuden gantz auser sich selbst zu seyn, als er uns zum ersten mahle wieder erblickte, ja, er wuste seine Hochachtung gegen uns nicht gnugsam an den Tag zu legen, dergleichen seine Cameraden auch thaten. Wie wir sie nun mit starckem Geträncke, so wohl von allerley Weinen, als andern Sorten, recht ungemein gelabet hatten, sie uns hergegen [518] viele niedliche Speisen vorgesetzt, die wir mit dem grösten Appetite zu uns genommen, so führeten sie uns alle insgesammt heraus auf den Platz, und zeigten uns ihre Stücken-Arbeit, welche in etliche 150. Silber- und Goldhältigen Ertz-Stuffen bestund, da denn manche der grösten Stuffen über die 20. bis 30. Centner am Gewichte zu schätzen war, worbey uns denn jammerte, daß wir dieselben nachmahls zerschlagen, und in kleinere Stücken bringen solten, weilen aber des Zeuges in der Menge da war, so machten wir uns auch daraus nicht eben allzu viel.

Wir wurden aber weiter geführet, und uns gezeiget, daß die Portugiesen mit Beyhülffe unserer Felsenburger 2. grosse und 3. etwas kleinere wohl ausgearbeitete Fahrzeuge verfertiget, an welchen nichts fehlete, als hie und da ein und anderes eiserne Beschläge, ohngeachtet alles mit blossem Holtz- und Pflöcker-Werck dergestalt bevestiget war, daß man fast keine eiserne Beschläge dabey vonnöthen hatte, mithin diese Fahrzeuge vor rechte Kunst- und Meister-Stücke bey den Seefahrern erkennen muste. Hierbey aber bekam ich gegen die Portugiesen einen üblen Verdacht, konte auch denenselben nicht verbergen, sondern sagte ihnen frey in die Angesichter, daß dieses vielleicht die Fahrzeuge seyn würden, mit welchen sie bey guter Gelegenheit von hier abseegeln und uns verrathen wolten. Aber es jammerte und gereuete mich bald, daß ich mein Hertz so geschwinde gegen sie offenbaret hatte: denn sie fielen, nachdem sie sich nur etliche Minuten lang mit einander unterredet [519] hatten, sogleich auf ihre Knie vor uns nieder, da denn Vincentius das Wort führete, und also redete: »Meine Herren! ohngeachtet alles vorhergegangenen verspüren wir doch, daß ihr uns vor Schelme, Diebe und Verräther erkennet, da wir doch die allerredlichsten Leute von der Welt sind, so lieber als eure Knechte, ja, so zu sagen, Sclaven sterben wollen, ehe wir gegen unsere Wohlthäter eine neue Verrätherey anzustifften gesinnet wären. Weil ihr uns demnach nicht trauet, so schiesset uns alle 5. lieber auf die Köpfe, oder in die Hertzen, damit ihr von euren Sorgen, wir 5. aber von allem Mißvergnügen, welches uns etwa noch künfftig zustossen könte, entlediget, seyn.«

Indem nun alle 5. ihre blossen Köpffe darzeigten, auch so gar die Kleider von den Ober-Leibern abrissen, kam mir ein solches Grauen an, daß ich fast in Ohnmacht gesuncken wäre; allein, weil ich an der gantzen Sache die meiste Schuld zu haben sehr wohl erkannte, und meine Ubereilung in Worten mir zu Gemüthe zog, so hub ich erstlich den Vincentium, hernach seine andern Cameraden von der Erden auf, umarmete und küssete einen jeden, mit der Bedeutung, daß sie mir meine Reden, die ich theils aus Schertz, theils aus Ubereilung ausgesprochen, nicht gleich so übel hätten aufnehmen sollen. Worauf denn der Friede und das Vertrauen zwischen uns bey den Theilen binnen einer Stunde hergestellte wurde, zumahlen, da die Portugiesen, ohngefordert, ihre Hände gen Himmel huben, und der heiligen Dreyfaltigkeit, [520] nebst allen Heiligen und Engeln GOttes, einen leiblichen Eyd zuschwuren: daß sie es treu, redlich und aufrichtig mit uns Felsenburgern meyneten, auch weder Verrätherey, Betrug, noch Dieberey im Sinne hätten. Demnach wurde von uns allen hoch geschmauset, und binnen 3. Tagen alle mühsame Arbeit bey Seite gesetzt, hergegen lebten wir in gröster Vertraulichkeit, lustig und guter Dinge. Als aber dieses Freuden-Fest vorbey war, gieng ein jeder wieder an seine beliebige Arbeit, nemlich in die Stein- und Ertz-Brüche, oder noch mehr Bau-Holtz zuzurichten, dessen wir doch schon eine gewaltige Menge antraffen, uns also fast halb zu Tode verwunderten, wie diese Hand voll Männer, in so weniger Zeit dergleichen sauere und schwere Arbeit verrichten können. Allein, es war dieses Schuld daran, daß sie nicht gezwungener Weise, sondern blos nach eigenem Gefallen arbeiten durfften, auch dabey sich rechtschaffen etwas zu Gute thun, und ihres Leides mit den besten Speisen und Geträncken pflegen und warten konten.

Nachhero schickten wir beständig, fast immer über den 3ten, oder 4ten Tag zwey, auch wohl 3. Boote mit voller Ladung, die in Gold- und Silber-haltigen Ertz-Stuffen, auch vielen Stücken des allersaubersten Bau-Holtzes, zur Rarität der Arbeit wegen, bestunde, nach der grossen Insul, worgegen uns unsere Leute jederzeit bey ihrer Zurückkunfft die besten Lebens-Mittel, und alles dasjenige, was wir sonsten nothdürfftig brauchten, mitbrachten.

[521] Mittlerweile, da Mons. Plager dem Vincentio sein Vorhaben eröfnet, wie er nemlich gesonnen wäre, auf dieser kleinen Insul ein tüchtiges Schmeltz- und Hütten-Werck anzulegen, um die Mineralien und Metallen zu Gute zu bringen: so machte sich Vincentius eine ungemeine Freude darüber, und sagte, daß, wenn er nur von Zeit zu Zeit 20. starcke Männer zu seinen Gehülfen bekäme, er dieses Werck binnen Zeit von 2. Monaten in vollkommenen Stand bringen wolte; wenn sich nicht nur unter seinen Cameraden ihrer 2. befänden, die um das Schmeltz- und Hütten-Wesen guten Bescheid wüsten, sondern er auch hörete und spürete, daß einige unter den Felsenburgern hiervon schon sehr starck unterrichtet wären. Unterdessen brachte er in Vorschlag, daß sich zu dieser gantzen Sache kein beqvemerer und besserer Ort fände, als der unter denO.-Berge befindliche so genannte Heyden-Tempel und dessen rund herum liegende Gegend. Demnach besuchten wir diesen Tempel nachmahls mit ihm, und höreten mit gröster Verwunderung dessen deutlichere Erklärung und Anweisung an. Mons. Plager ergötzte sich vor uns allen andern auf das allermeiste darüber, und sprach mit lauter Sti e: Ja, Don Vincent hat in allen Stücken vollkommen Recht, wir müssen ihm gehorsamen und Folge leisten, wenn wir anders unser vorhabendes Werck zu glücklichem Stande bringen wollen.

Wenn ihr den Glauben habt, mein Herr! (versetzte hierauf Vincentius) so sollet ihr nach und nach grössere Wunder-Dinge sehen. Hierauf machte er eine und andere Proben mit seinen bey sich habenden[522] Wünschel-Ruthen, ingleichen mit dem Kunst-Stabe, überließ auch einem und andern die Freyheit verschiedene Proben damit zu machen, worüber wir denn alle vor Verwunderung fast aus uns selbst gesetzt wurden; da wir nemlich sahen, daß diese Dinger so sonderbare Würckungen thaten.

Wie dieses Vincentius merckte, sagte er: Meine Herrn! ihr verwundert euch zwar über diese kleinen Begebenheiten, allein sie finden ihre Stelle bloß in der magia naturali, denn ihr sehet und höret, daß ich weder Characters mache, noch den Nahmen des Dreyeinigen GOttes unnützlich führe, am allerwenigsten aber eine Geister Beschwerung darbey vonnöthen habe; derowegen halte ich davor, daß einem jeden guten Christen, der mit seinem GOtt wohl stehet, es eine gantz wohl erlaubte Sache sey, dergleichen Proben zu machen, denn die Erde ist des HErrn und was darinnen ist etc.

Nachdem wir dergleichen nachdenckliche und christliche Reden von dem Vincentio vernommen, wurde von uns also gleich beschlossen, seinem Rath und Angeben in allen Stücken zu folgen, und keinen Tag zu verabsäumen, den Hütten-Bau anzufangen, weßwegen denn nicht allein Mons. Plager die Geschicktesten und Klügsten von seinen Gehülfen auf diese kleine Insul herüber zu kommen verschrieb; sondern wir andern besonnen uns ebenfalls auf die tüchtigsten Männer, welche sich zu diesem Bauwercke wohl etwa am besten schicken möchten, um gleichfalls mit herüber zu kommen. Da sich nun diese, und zwar in noch stärckerer Anzahl, als wir verlangt, eingefunden hatten, wurde der Bau in GOttes [523] Nahmen angefangen, und noch, ehe 2. Monathe völlig verlauffen, alles zu unserer grösten Freude und Vergnügen in vollkommenesten Stande gesehen. Zu diesem neuen Wercke nun, welches in der That recht ergötzend war, fanden sich binnen kurtzer Zeit ungemein viele Liebhaber und Mitarbeiter ein, ja, wenn wir allen hätten den Willen lassen wollen, so wäre ihnen darbey der Feld-Wein- und Garten-Bau, wie auch ihr gantzes Haus-Wesen zum Eckel worden; Allein man muste solcher Gestalt auf andere Mittel bedacht seyn, die meisten hiervon abzulencken, da wir von Gold, Silber, Kupfer und andern Metallen und Mineralien keine Speise nehmen konten. Jedoch blieben immer von Zeit zu Zeit, abwechselend, 20. bis 30. Hütten-Leute bey dem Vincentio, und brachten in weniger Zeit eine ansehnliche Ausbeute zum Vorscheine, welches unsere Aeltesten kaum glauben wolten; da aber dieses Ding so gut gieng, wurden nachhero auf der Insul Groß-Felsenburg auch 2. dergleichen Schmeltz-Hütten gebauet, u. zwar die eine in Roberts- und die andere in Jacobs-Raum, welche eine Zeit daher ebenfalls unsäglich kostbare Ausbeute gebracht.

Allein unsere Schmeltzhütten-Lust ist den allermeisten unter uns schon vergangen. Es ist zwar eine ungemein schöne Augenweyde, wenn man so viele Gold-Silber-Kupfer-Zinn-Bley-Scheiben etc. nebst andern Mineralien vor sich liegen siehet, denn wir haben benebst Mons. Plagern und Mons. Litzbergen noch verschiedene sehr geschickte Marck-Scheider unter uns, allein, worzu dienet uns dieses alles weiter, als, wie schon gesagt, nur zur blossen [524] Augenweyde, und daß wir die Wunder GOttes dabey betrachten; dieses aber können wir bey so vielen 1000. Blumen, Weinstöcken, Garten- und Feld-Früchten ebenfalls weit geruhiger thun, und ohne besonderen Schweiß und Mühe die Wunder GOttes daran bemercken. Denn da wir insgesammt bis diese Stunde noch nicht gesonnen sind, mit fremden Nationen einen ordentlichen Handel, Wandel und Verkehr aufzurichten, so hilfft uns ja alles Metall, Perlen und anderes kostbares Zeug gantz und gar nichts.

Das aber ist unsere Freude und Vergnügen:


1.) Daß unser GOttes-Kirchen- und Schul-Dienst, so wohl als das Haus- Wesen auf das allervernünftigste und christlichste bestellet und eingerichtet ist.

2.) Daß der allmächtige GOtt unsern Feld-Wein-und Garten-Bau jederzeit sehr reichlich, ja öffters fast überflüßig segnet.

3.) Daß uns GOtt von der Hand unserer Feinde errettet, und seine Flügel über uns gebreitet, weßwegen denn von den Obern beliebt worden, daß wir hinführo nebst unsern Nachkommen jedesmahl um die Zeit des Jahrs, so lange als die Belagerung gewähret, mit mäßigem Fasten und desto fleißigern Beten zubringen wollen.

4.) Daß uns GOtt in dem grausamen Erdbeben nach seiner Gnade alle lebendig erhalten, so daß auch kein Hund oder anderes Stück Vieh dabey verunglücke ist, weßwegen denn auch alle Jahre auf diesen Tag noch ein besonderer grosser Buß-Bet- und Fast-Tag angestellet worden.

[525] 5.) Daß GOtt das Wild in den Wäldern, ingleichen die wilden Ziegen, hauptsächlich aber die aus Europa angekommenen Thiere von allerhand Arten, so wohl vierfüßige als geflügelte, dergestalt wohl gedeyhen lässet, daß wir uns darüber verwundern müssen, wie sich denn binnen etlichen Jahren daher alles gar gewaltig vermehret hat: Denn ihr werdet wohl schwerlich einen Haus-Wirth finden, der nicht seine Ställe über und über voll Rind-Schaaf- und Schweine-Viehe hätte. Von Flügel-Werck, als Türckischen- und Europæischen Haus-Hühnern, Schwanen, Gänsen, Endten, Tauben und dergleichen zahmen Flügelwerck will ich nicht einmahl etwas sagen: denn dasselbe hat sich dergestalt erstaunlich vermehrt, daß die meisten ihr Glück und Ruhe nicht erkennen können, sondern sich, ohngeachtet sie volles Futter haben, aus blossem Frevel zu Feldflüchtern machen. Aus den Gänsen werden wilde Gänse, und die Endten muß man sehr wohl hüten, wenn sie nicht durch die Wasser-Fälle in See gehen sollen. Eben also verhält es sich mit dem Rind-und Schweine-Vieh: denn man darf denselben nur eine scheele Mine machen, so laufft es gleich darvon, und sucht seine vermeyntliche Besserung in der Wildniß, weßwegen unser Thier-Garten bey Simons-Raum dergestalt voll angelauffen ist, daß wir fast alle Woche ertödtete Thiere darinnen finden, die von ihrem stärckern Gegentheil ermordet worden, welche denn von den Einwohnern, sobald diese solches gewahr werden, in den Ausfluß der kleinen See geschmissen werden. [526] Die Pferde, Esel und Cameele, deren letztern Gattung wir nach eurer Zeit 3. Stück bekommen, nemlich, 1. Männlein und 2. Weiblein, haben haben sich zu unsrer Lust und Nutzen auch schon unvergleichlich vermehret, demnach fehlet uns weiter nichts, als ein Paar Elephanten, wovon wir gern Zucht haben möchten, der Löwe, den die Prinzeßin Christiana mit sich gebracht, wird seines gleichen vermuthlich schon in dem Roberts-Raumer ungeheuer dicken Walde gefunden haben; wie wir denn gantz genau angemerckt, daß sich in diesem Walde nicht allein Löwen, sondern auch Leoparden, Tieger-Thiere, Bären und andere reissende Thiere aufhalten; welche wir aber lieber vertilgen, als zugeben wollen, daß sie sich vermehren möchten, es sey denn, daß sich einige zu unserer Lust so gewöhnen liessen, wie die Prinzeßin Christiana ihren Löwen gewöhnet hat, welches denn, wie ich glaube, durch Vorsicht, Geschicklichkeit und Kunst eine gantz natürliche Sache seyn kan, und ohne alle Zauberey zugehen wird. Das Affen-Ge schlecht haben wir bey nahe gantz und gar vertilget, bis auf einige, die uns als Knechte und Mägde dienen, und sich ziemlich getreu und redlich aufführen; jedoch spüren wir, daß sich dennoch einige dieses Affen-Geschlechts in den wilden Wäldern, und sonderlich bey den Cocos-Bäumen aufhalten, welche aber Vogelfrey gemacht sind, so daß sie von einem jeden, der sie antrifft, auf die Köpffe geschossen werden, indem sie uns allzu vielen [527] Schaden an den Feld- und Baum-Früchten thun.


Nun solte ich zwar, mein werthester Herr Bruder und Capitain Horn! eine ausführliche Beschreibung von unsern Künstlern und Handwercks-Leuten machen; da ich aber nicht zweifele, ihr werdet dieselben nicht verschmähen, sondern einem jeden die besondere Ehre geben, ihn in seiner Behausung und Werckstätte selbst zu besuchen, als möchte dieses wohl überflüßig seyn. Derowegen will nur so viel sagen: daß ihr bey einem jeden alles weit verbesserter finden werdet, als ihr denselben verlassen habt. Unsere Buchdruckerey gehet recht galant, mit 6. Pressen und darzu gehörigen Leuten, indem nicht allein die Herrn Geistlichen, sondern auch einige andere unter uns, vornemlich der Jugend zum Besten, von Zeit zu Zeit viele gute Bücher und kleine Tractätlein darinnen drucken lassen, worüber sich denn, zumahlen, da alles umsonst ausgetheilet wird, so wohl die Alten, als die Jungen erfreuen. Man hat dieserwegen vor rathsam befunden, noch eine neue Pappier Mühle anzurichten, welche so wohl, als die erste in sehr gutem Stande ist, nur dieses ist der eintzige Possen hierbey, daß es dann und wann an Lumpen fehlen will. Nächst derselben sind hie, und da noch 6. bis 8. neue Mahl- oder Geträyde-Mühlen erbauet worden, um einen und andern Einwohnern die müßigen und sauern Wege zu ersparen. Bey andern Handwercks-Leuten, die ihr alle wohl kennet, werdet ihr einen solchen Vorrath von ihren gemachten Waaren antreffen, worüber ihr vermuthlich erstaunen müsset; wie diese Leute bey ihrer sauern Haus- und [528] Feld-Arbeit in denen abgebrochenen Stunden ein so vieles zu Wege bringen können; eben als wenn sie sich gemüßiget sähen, mit ihren Waaren, so wie die Handwercks-Leute in Deutschland und anderer Orten, zu Marckte zu ziehen. Jedoch dieser Vorrath ist sehr gut, indem wir gesonnen sind, von jeder Art unsern Europæischen Freunden und Brüdern etwas zuzuschicken, welche sich aus diesen Kleinigkeiten doch wohl eine Rarität machen, und einiges Vergnügen darüber empfinden werden.

Der Capitain Horn sagte also: Ich habe vor dieses mahl genung gehöret, mein werthester Bruder und Freund! allein ich werde mir ausbitten, gleich morgendes Tages, und zwar gewisser Ursachen wegen, in Begleitung meines Bruders, die Pflantzstädte zu durchstreichen, und sonderlich die Künstler und Handwerker zu besuchen.

Wie ihm nun dieses so gleich von dem Regenten frey gestellet wurde, liessen wir der Beqvemlichkeit wegen, alsobald etliche mit Hirschen bespannete leichte Wagen herbey rücken, und fiengen in Alberts-Raum an, Herrn Cramern zu besuchen, den wir in gutem Vergnügen antraffen, und ihn derowegen vollends recht lustig machten. Er bewirthete uns, obgleich unsere Compagnie ziemlich starck war, recht herrlich, bewegte uns auch dahin, über Nacht bey ihm zu bleiben, und Morgens früh seine angelegte Pferde- und Esels-Stuterey benebst seinen andern Anstalten wegen der Vieh-Zucht, in Augenschein zu nehmen. Wir fanden deßfalls alles solcher gestalt klug und künstlich eingerichtet, daß sich die beyden Capitains Horn nicht gnugsam darüber [529] verwundern konten, denn er hatte in einem ziemlich weitläufftigen Bezirck, an Pferden, Eseln, Maul-Thieren, Rind-Rieh und dergleichen alles in eine solche Ordnung gebracht, daß von jeder Art, Jung und Alt ein jedes sein besonderes Behältnis hatte.

Von dar reiseten wir nach Davids-Raum, und traffen unsern lieben Bruder Töpffer eben in der Arbeit an, daß er mit seinen Gehülffen auf einmahl 4 Töpfer-Oefen geheitzt und angezündet hatte. Wir wolten ihn nicht verschmähen, weiln er uns nach der Felsenburgischen Art aufs beste bewirthete, liessen uns also auch bewegen, eine Nacht bey ihm zu bleiben, da denn früh Morgens unsere fernere Reise, auf Stephans-Jacobs-und Johannis-Raum zugieng, auf welcher Reise denn den jungen Capitain Horn nichts mehr ergötzte, als die unterwegs angetroffene Glas-Hütte, in welcher wir uns 2. Tage aufhielten; hernach unsern Weg um die grosse See herum weiter auf Christophs-Roberts-Christians- und Simons-Raum fortsetzten, mithin also nach Verlauf 14. Tagen, da wir das gantze Land durchstrichen, wieder glüklich auf der Alberts-Burg anlangten, und vielerley gute und böse Begebenheiten, aber auch viele besondere Curiositæten in Erfahrung gebracht hatten.

Nachdem nun diese Reise geschehen war, regte sich Capitain Horn Sen. in geheim am ersten, mit der Bitte: daß wir seinen Bruder, so bald als es nur immer möglich, wieder fortschaffen solten, worauf er denn ohne fernern Anstand mit seiner auf hiesiger Insul verlobten Braut Hochzeit machen [530] wolle. Da wir nun merckten, daß dieses sein harter Ernst wäre, so wurden sogleich Anstalten darzu gemacht, und dem jüngern Capitain Horn so wohl, als seinen Leuten angekündiget, daß sie sich zur Rück-Reise fertig machen möchten. Es gieng dieses dem jüngern Capitain Horn sehr nahe, indem ihm, nachdem er unsere Lebens-Art und gantzes Wesen betrachtet, vielleicht gereuen mochte, daß er seinem Protestantischen Glauben abgeschworen, und hergegen die Römisch-Catholische Religion erwehlet hatte, wie er denn gegen seinen ältern Bruder sich nicht undeutlich erkläret, daß er wieder umsatteln und zurücke kehren wolte. Da aber dieses der ältere Capitain Horn mit unsern Herren Geistlichen wohl überlegte, fiel endlich der Schluß da hinaus, daß man mit diesem wanckenden Rohre in solchem Stücke nichts weiter zu thun haben wolte; sondern man solle ihm nur so viel beybringen, daß er bey seinem neuerwehlten wahren christlichen Glauben bleiben, fromm und gottesfürchtig leben, niemanden muthwilliger Weise beleidigen möchte, und sich dergestalt der ewigen Seeligkeit versichern könte; Wir aber wolten ihm eine honorable mit vielen Reichthümern begleitete Abfertigung geben, jedoch hinführo nichts weiter mit ihm zu thun haben.

Wie dieses der Capitain Horn Jun. hörete, so war es nicht anders, als ob er von einem Schlag-Flusse gerühret würde, da aber der Capitain Wolfgang denselben in ein besonderes Zimmer führete, ihm zum Geschenck 3. Centner Gold, 6. Centner Silber, 12. Centner Kupffer-Platten, ingleichen [531] ein ziemliches Maas voll Perlen, nebst einigen kostbaren Kleynodien, vor seine unsertwegen gehabte Mühe, anwiese und darreichte, setzte sich dieser gute Mensch in eine weit bessere Verfassung, und machte etwas freundlichere Geberden, zumahlen, da ihm sein älterer Bruder seinen gantzen Antheil von allem dem, was auf dem Schiffe befindlich, es möchte Nahmen haben, wie es wolte, erb- und eigenthümlich schenckte; als vor welche Freygebigkeit der Capitain Horn Jun. dennoch so höflich war, seinem ältern Bruder die Hand zu küssen. Dieser aber dargegen umarmete und küssete ihn etliche mahl auf den Mund, ließ auch dabey viele heisse Thränen aus seinen Augen fallen, welches alle Umstehenden wohl bemerckten. Anbey redete er diese Worte: »Mein Bruder! reiset glücklich, und bleibt gesegnet hier zeitlich und dort ewiglich.«

Horn Jun. antwortete hierauf: »Mein Bruder! ich habe mich in vielen Stücken, die euch wohl bekannt sind, sonderlich in einem eintzigen Stücke, welches, wie ihr wohl wisset, eure Person allein anbetroffen, auf das schändlichste gegen euch vergangen und versündiget; darum vergebt mir, wo ihr anders wollet, daß ich, es sey hier oder da, frölich sterben soll, meine gegen euch begangene Sünden in Gegenwart dieser redlichen Zeugen, auf dieser Stelle.« Horn Sen. versetzte hierauf: »Mein Bruder! das weiß ich wohl, daß ihr euch in vielen Stücken an GOtt versündiget habt, was aber das Meinige anbelanget, so sind euch alle eure gegen mich begangenen Fehler und Ubereilungen so wohl aus christlicher, als brüderlicher Liebe, [532] schon längstens vergeben und vergessen; ich will meines Theils auch wünschen, nimmermehr wieder daran zu gedencken. Ihr seyd ein Mann, der, so zu sagen, 3. Hertzen im Leibe hat, das weiß ich gewiß, indem ich euch auf der schärfften Probe gehabt, und dieselben mit meinen eigenen Augen gesehen habe. Bewahret nur aber eure Seele in Zukunfft besser, als bishero, und seyd nicht wie ein wanckendes Rohr, (sonderlich in Glaubens-Sachen) welches der Wind hin und her wehet. Unterdessen weil eure Abreise ohne dem so gar allzu eilig nicht vonnöthen, so habt ihr die Erlaubnis von dem Regenten und allen andern Befehlshabern, euch noch so lange allhier zu verweilen, bis ich mit meiner verlobten Braut-Hochzeit gehalten habe, als woraus ich mir ein gantz besonderes Vergnügen schöpffen, euch, wenn dieses vorbey, dem Schutze des Allerhöchsten befehlen, nachhero aber eine glückliche Reise wünschen werde.«

Alle Anwesende wurden insgesammt zugleich mit recht wehmüthig gemacht, als wir das Hertzbrechende Beginnen dieser zweyen Brüder noch fernerweit mit anhöreten, und sahen, welches denn nicht allein in blossen Worten bestund, sondern sie umarmeten, hertzeten und küsseten sich dergestalt freund-brüderlich, als ob sie Zeit ihres Lebens einander nicht gesprochen oder gesehen hätten, auch wohl vielleicht niemahls wieder zusammen kommen möchten.

Hierauf wurden die allerersinnlichsten Anstalten zu des Capitain Horns Sen. Hochzeit-Feste gemacht, welches gut Befehl der Obern vor dißmahl [533] als ein besonderes Fest 6. Tage lang von den Insulanern in allen Pflantzstädten mit zu feyren angeordnet war. Dabey aber blieb es noch nicht, sondern es wurden alle unsere Carthaunen Canonen und Feuer-Mörser auf den Berg um die Alberts-Burg herum gesetzt, bis auf 2. Carthaunen, 6. Canonen und drey Feuer-Mörser, die wir nach der Insul Klein-Felsenburg hinüber führeten, um, daß unsere dasigen Freunde und Brüder bey dem Gesundheit-Trincken damit antworten könten. Hierbey bekamen sie auch 300 Stück gefülleteBomben, ingleichen unzehlige Stücken von Raqueten, Schwärmern, Feuer-Kugeln u. andern Zeuge; Unsere Feld-Wachten auf den Höhen aber wurden zu derselben Zeit an theils Orten verdoppelt, auch mehreres Geschütz und Gewehr hinauf zu ihnen gebracht, worbey an Pulver, Bley und andern Dingen gar kein Mangel zu spüren war, indem wir uns gewisser Ursachen wegen, eben damahls einer neuen Verrätherey zu besorgen, einige Merckmahle hatten.

Wie nun aber der zum Hochzeit-Feste des Capitain Horns Sen. bestimmte Tag anbrach, wurden sogleich alle Carthaunen und Canonen, so viel deren nur auf der Alberts-Burg, so wohl als auf den Gebürgen befindlich waren, abgefeuert, worauf uns denn allemahl nicht allein von der Insul Klein-Felsenburg, sondern auch von des Capitain Horns Schiffen, welche noch beständig zwischen den Sand-Bäncken vor Anker lagen, richtige Rede uñ Antwort gegeben wurde. Ich gebrauchte mich vorhero der List, den jungen Capitain Horn, als den ich sehr lieb gewonnen, und zwar um gantz besonderer [534] Ursachen wegen, wieder herüber auf unsere grosse Insul zu führen, jedoch alles ohne Wissen und Willen seines Bruders, in gantz anderer Felsenburgischer Kleidung, um nur die Copulation seines Bruders nebst andern Solennitäten mit anzusehen.

Mithin wurde der liebe Capitain Horn Sen. zum ersten mahle mit seiner verlobten Braut Johanna Margaretha, Andreä Robert Julii Tochter in Roberts-Raum, die mit meiner Ehe-Frau Geschwister-Kind ist, von Hrn. Mag. Schmeltzern, als unserm so genannten Bischoffe, nach verrichteten Gottesdienste ordentlicher Weise copuliret, oder, wie man es auf deutsch heisset, zusammen gegeben. Ich will von den Texten und Compositionen der Kirchen-Musique, die vor und nach der Copulation gemacht wurde, um alle Weitläuftigkeit zu vermeiden, vorietzo gar nichts melden, weilen bekannt, daß sich sonderlich in Deutschland weit bessere Poëten und Componisten befinden, die uns arme einfältige Felsenburger, wenn ich diePartituren zugleich mit übersendete, vielleicht nur auslachen möchten.

Zum Trau-Sermon hatte sich Herr Mag. Schmeltzer Sen. den 80. Psalm Davids, als den Grund seiner Rede erwehlet, absonderlich wuste er den 10ten Versicul: Du hast vor ihm die Bahne gebrochen, und hast ihn lassen einwurtzeln, daß er das Land erfüllet hat etc. ungemein artig auf die beyden Capitains Wolfgang und Horn, zu appliciren. Weßwegen denn der alte Capitain Wolffgang viele Freuden-Thränen fallen ließ, nachhero aber, als wir ihn darum[535] befragten: warum er geweinet hätte? gab er zur Antwort: Ihr wisset alle insgesammt, Alt und Jung, daß ich ein Mann bin, der kein Weibervielweniger Hasen-Hertz im Leibe, sich auch, ohne eitlen Ruhm zu melden, bey den Felsenburgern ziemlicher maaßen wohl verdient gemacht hat. Die Thränen, welche ich unter den beweglichen Vorstellungen des Herrn Mag. Schmeltzers fallen lassen, sind keine Crocodills-Thränen, sondern hertzliche Freuden-Thränen, weil ich an dem Glücke und der Ehre, die dem Capitain Horn heute begegnet und noch ferner begegnen wird, den allergrösten Theil zu nehmen einige Ursache habe. Mein Wunsch ist also dieser: GOtt segne die Felsenburger! den Capitain Horn nebst seiner Ehegenoßin und mich benebst den Meinigen! so sind wir alle gesegnet, und ich bin der vergnügteste Mensch auf dieser Welt, so lange als mir GOtt noch mein Leben fristet.

Nachdem nun solchergestalt der GOttesdienst geendiget, und das Te Deum laudamus, unter Trompeten- und Paucken-Schall, auch bey gewissen Absätzen, gewöhnlicher maassen, die Stücken gelöset worden; so giengen wir alle insgesamt recht ungemein vergnügt aus dem GOttes-Hause, nach der Alberts-Burg zu, musten uns aber dabey verwundern, daß die Kinder die Wege überall mit grünem Grase und den schönsten Blumen bestreuet, auch einem jeden vorbeygehenden einen schönen Blumen-Straus darreichten; ja ich glaube, daß dazumahl kein Kind, das nur lauffen können, zurück geblieben ist. Auf der Alberts-Burg war nicht allein [536] die Braut-Tafel, sondern auch in andern Zimmern verschiedene Tafeln gesetzt, über dieses auf der ordentlichen Speise-Stelle vollauf angerichtet; allein das Volck verlief sich wider Vermuthen unter dem Abblasen der Chorale: Nun dancket alle GOtt etc. Ein veste Burg ist unser GOtt etc. undEs woll uns GOtt genädig seyn etc. worbey denn die Carthaunen und Canonen zu vielen mahlen abgefeuret wurden, und worauf so wohl die Klein-Felsenburger, als das auf des Capitain Horns Schiffen befindliche Commando zu antworten nichts schuldig blieben, die denn auch insgesammt vollauf besorget waren.

Unterdessen war es ein artiger Streich, daß der Prinzeßin Christiana Löwe, sich seit einiger Zeit gäntzlich verlohren hatte, und auf der gantzen Insul, wie fleißig wir auch nachsuchen liessen, nicht anzutreffen war; Doch endlich sahen wir aus den Fenstern von der Alberts-Burg, wie er mit einer artigen jungen Löwin, die er sich ohnfehlbar aus dem Roberts-Raumer Forste gehohlet, über die Christians-Raumer-Brücke mit langsamen Schritten herüber spatzieret kam. Nun waren wir zwar wohl gewohnt worden, daß dieser Löwe dann und wann etliche Tage aussen geblieben, und nicht in seine Behausung gekommen war: denn wir hatten ihm zwischen den Palmen-Bäumen gegen Alberts Raum zu, ein eigenes 12. Ellen hohes, auch nach Proportion der Weite geräumliches höltzernes Hauß bauen lassen, und zwar von dem allerstärcksten und vestesten Holtze und Bolen, wie denn auch auf 50. Schritt herum alles mit starcken Pallisaden [537] umpflantzt war. In dieses Gehäuse und dessen Umzirck führete also der Löwe seine Gemahlin, mit der er vielleicht schon vor einiger Zeit mochte Beylager gehalten haben. Wir liessen ihnen Heu und Stroh hinein werffen, und wurden gewahr, daß sich alle beyde recht beqveme Lagerstädten davon zu rechte machten; auch liessen wir in den Vorhof viele alte und junge wilde Ziegen, Schweine, junge Rehe und dergleichen 4-füßige Thiere zu ihnen hinein lauffen, so wohl auch Türckische Hähne, Hühner, Pfauen und anderes Flügel-Werck. Allein die Löwen konten sich mit denenselben allen ungemein wohl vertragen, und beleidigten auch das allerkleineste Stück nicht mit einer scheelen Mine, sondern sie waren zufrieden mit ihrer Speise, die ihnen alle Morgen zugeworffen wurde: diese bestund in etlichen Kleyen-Brodten, hiernächst in vielen Stücken von verdorbenen, eingesaltzenen, oder geräucherten Fleischwerck und Fischen. Anbey trugen ihnen die Einwohner alltäglich gantze Lasten von den besten Garten-Kräutern, Früchten und Wurtzeln zu, woran sich beyde Löwen, dem Ansehen nach, fast noch mehr labten, als an den trockenen Speisen. Vor das Geträncke hatten wir nicht Ursach zu sorgen, indem in dem Löwen-Revier 3. frische Brunn-Quellen anzutreffen waren, woraus sie ihren Durst nach eigenem Belieben löschen konnten. Etliche Tage hernach aber trug sich eine besonders artige Begebenheit zu: denn weiln ein recht grosser Indianischer Puter-Hahn mit seinem allzu offtern Kaudern sich gar allzu sehr mausig machte, der Löwin dieses Geschrey aber vielleicht zuwider seyn mochte; [538] so riß sie den Hahn uhrplötzlich in viele Stücken ließ aber dieselben auf dem freyen Platze liegen, und leckte nicht einmahl einen Tropffen Blut davon auf, geschweige denn, daß sie einen Bissen seines Fleisches verschlungen hätte. Dem alten Löwen hingegen mochte diese Mordthat mißfallen, weßwegen er seine Gemahlin mit dem Pfoten dergestalt abstraffte, daß alle Zuschauer, darüber zum hertzlichen Lachen bewogen wurden. Man muste sich aber über das demüthige Bezeugen der Löwin so wohl, als über das behutsame Verfahren des alten Löwen, welches er im Zuschlagen brauchte, gantz ungemein verwundern.

Hierauf bemerckten wir, daß die Löwin beständig seitwärts gieng, und ihrem Gemahl immerzu scheele Minen machte; nicht, wie sonst gewöhnlich, an seiner Seite speisete, auch nicht einmahl aus einer Quelle mit ihm tranck, sondern sich immer eine besondere Quelle suchte.

Dieses unter den beyden Löwen entstandene Mißvergnügen währete viele Tage; Jedoch die PrinzeßinChristiana war so behertzt, daß sie die beyden Löwen in ihrer Wohnung und Revier besuchte. Wie nun bey derselben kein Wiederrathen verfangen wolte, (um sich diesen grimmigen und reissenden Thieren nicht entgegen zu stellen) so stunden vielen unter uns die Haare zu Berge, da wir dieselbe in den Vorhoff des Löwen-Hauses eintreten sahen; Allein der alte Löwe kam ihr sogleich entgegen gelauffen, warff sich zu ihren Füssen, küssete ihr die Hände, weltzerte sich aus Freuden zu vielen mahlen auf dem Platze herum, ja! er [539] war so verwegen, sich auf die Hinter-Pfoten zu setzen, mit den Vorder-Pfoten aber die Prinzeßin auf das allerfreundlichste zu umarmen, und ihr das Angesicht zu belecken.

Kaum hatte die Löwin dergleichen Complimente gesehen, als sie dieselben auf eben die Art und Weise recht poßierlich und liebreich nachmachte, worüber allen Zuschauern ein Grauen und Schrecken ankam; allein, nachdem sich die Prinzeßin in dem Gehäuse und Vorhofe über 2. Stunden lang mit beyden Löwen ergötzt, der schönen jungen Löwin aber etliche Stücke Confect zur Speise dargereicht (als welches dieselbe mit besonderm Appetite zu sich nahm) so kam unsere Prinzeßin Christiana vergnügt und unbeschädiget zurück auf die Burg.

Nachdem auf diese besondere Begebenheit etwa 6. oder 8. Wochen verflossen, höreten wir in einer stockfinstern Nacht ein entsetzliches Brüllen beyder Löwen, welches fast bis zum Aufgange der Sonne immer abwechselend fort wühtete. Die Behertztesten unter uns giengen mit Ober- und Unter-Gewehr hin, um zu erfahren, ob etwa eine Verrätherey unter Handen, oder was den Löwen allen beyden sonsten zugestossen wäre; allein wir höreten weiter nichts, als in dem Löwen-Hause zu etlichen mahlen ein Winseln und Wehklagen mit untermischten Brüllen, weßwegen wir denn auf die Gedancken geriethen, daß diese beyden Ehe-Gatten, die vielleicht nicht recht mit einander zufrieden seyn möchten, sich wohl etwa gar umbringen wolten, mithin uns denn nicht weiter um sie [540] bekümmerten, sondern ihnen ihre Sache zu eigener Ausmachung überliessen.

Es befand sich aber diese gantze Sache weit anders, als wir uns dieselbe eingebildet hatten: denn da die Prinzeßin Christiana gleich, nachdem sie gefrühstückt hatte, sich in das Löwen-Hauß begab, traf sie darinnen 3. neugebohrne junge Löwen, nemlich 1. Männlein und 2. Fräulein darinnen an, die mit sich umgehen liessen, so, wie man sonsten mit jungen Hunden und Katzen umzugehen pflegt. Wie wir nun auch über diese Vermehrung der Thiere zum Theil eine gantz besondere Freude empfanden, als wurden den alten so wohl, wie den jungen Löwen die besten Lecker-Speisen zugebracht, worbey wir dieses bemerckten, daß ihnen der Wein besser zu Halse gieng, als das klare Quell-Wasser. Es sind die kleinen Löwgen rechte Liebens-würdige Thiere, wir aber sind dennoch gesonnen, so bald als sie der Mutter-Milch entbehren können, dieselben auf die Insul Klein-Felsenburg hinüber zu schaffen, allwo sie sich denn zugleich auf eine Zeitlang ferner vermehren können, zumahlen, da es uns eine kleine Mühe kostet, solche Thiere nach unserm Gefallen zu vertilgen.

Nunmehro aber, mein werthester Freund und Bruder, Herr Capitain Horn! werde ich hoffentlich, als euer aufrichtiger Eberhard Julius, nach eurem Begehren, euch das, was seit eurem Wegseyn hauptsächliches vorgegangen, getreulich zu erzehlen, ein ziemliches Genüge geleistet haben: denn die Kleinigkeiten werden euch nach und nach schon von unserm Frauenzimmer berichtet werden, [541] deren einige, ein weit besseres Gedächtnis, als ich haben.

Wie nun Capitain Horn vor dießmahl mit mir vollkommen zufrieden war, und sich vielfältig gegen mich bedanckt hatte, so thaten wir erstlich noch einige Reisen nach Klein-Felsenburg hinüber, nahmen jedesmahl viele Metallen und Mineralien mit zurück, hatten auch das Schiffs-Volck in vollkommene Ordnung und Verfassung zur Rück-Reise nach Europa gebracht; da denn ein jeder vom Grösten bis zum Kleinesten, dergestalt reichlich mit Gold, Silber und Kleider-Werck beschenckt wurde, daß alle insgesammt ihr vollkommenes Vergnügen darüber bezeugten, absonderlich aber die 5. Portugiesen, welche alles gedoppelt und 3. fach bekamen, indem sie sich unter einander beredet, die Rück-Reise nach ihrem Vaterlande mit dem Capitain Horn Jun. auch mit anzutreten, woran wir ihnen denn eben nicht verhinderlich seyn wolten, sondern vielmehr gantz gerne sahen, daß wir sie mit guter Art loß wurden, jedoch schwuren sie uns bey dem Abschiednehmen, ohne unser Verlangen, ein jeder einen leiblichen Eyd, unserer allezeit im besten zu gedencken, und weder hie, noch da etwas auszuplaudern, welches etwa zu unserm Schaden und Nachtheil gereichen könte.

Demnach wurde des Capitain Horns Jun. Schiff mit Reiß Rosinen und andern Lebens-Mitteln, (die Kostbarkeiten und Felsenburgischen Raritäten ausgeno en) dergestalt voll geladen, so, daß es kein Wunder gewesen, wenn dasselbe so gleich auf der Stelle versuncken wäre; ja, ich glaube sicher [542] und gewiß, daß um selbige Zeit schwerlich ein reicherer Schiffs-Capitain weit und breit auf der offenbaren See anzutreffen gewesen, als unser Capitain Horn Jun. indem der allermeiste Theil der Ladung sein Eigenthum ist, so daß er damit schalten und walten kan, wie er nur immer will, jedoch haben wir alle das Vertrauen zu seiner Redlichkeit, daß er nicht allein diesen meinen 4ten Theil des Berichts von den Felsenburgischen Geschichten, sondern auch alle ihm anvertraute Briefe und Geschencke, an gehörige Orte bestellen wird.

Es gieng demnach derselbe um die bestimmte Zeit, da sich ein geneigter Wind vor seine Seegel erhub, ohne fernern Aufenthalt mit allem seinen Volcke in vollen Vergnügen zu Schiffe; jedoch war der letzte Abschied des Capitain Horns Jun. den er nicht allein bey seinem Bruder, sondern auch dem Regenten, Aeltesten und Vorstehern der Gemeinden, kurtz, von allen Insulanern nahm, dergestalt zärtlich und beweglich anzusehen, daß sich weder Alte noch Junge der Thränen enthalten konten, deren denn auf beyden Theilen viele 1000. vergossen wurden.

Er fuhr mit Aufgang der Sonne ab, derowegen ist unser Wunsch und Gebet zu GOtt, daß ihm derselbe die Glücks-Sonne in seinem gantzen Leben nicht wolle untergehen lassen. Auf unsern Höhen liessen sich Paucken, Trompeten und allerhand andere musicalische Instrumente hören, worbey denn aus denenCanonen i er eine scharffe Ladung nach der andern gegeben, auch etliche Bomben in die See gespielet wurden; worauf er wie wir wohl [543] vernehmen konten, bis zur Mitternachts-Stunde beständig antwortete, endlich aber war von dem Schiffe bey anbrechendem Tage nichts weiter zu sehen, weßwegen wir alle, ihm und seinen bey sich habenden Leuten, nochmahls unter Abfeurung der Canonen Glück auf die Reise wünscheten, und ein jeder von uns sich nach seiner Wohnung verfügte.

So viel ist es, meine werthesten Freunde und Leser, als ich, Gisander, aus des Herrn Eberhard Julii Manuscript zusammen stoppeln können, welches nicht allein sehr zergliedert, sondern über dieß dessen Schreib-Art ziemlich verweset ist; ob das See-Wasser, oder Lufft daran Schuld, kan ich nicht sagen; unterdessen haben wir doch noch das Meiste und Beste von dem Verfolge der Felsenburgischen Geschichts-Beschreibung überkommen. Ich vor meine Person habe das Glück und die Ehre gehabt, den Herrn Capitain Horn Jun. nicht allein in Hamburg, bey Herrn H.W.W. sondern nachhero auch in Amsterdam bey dem Herrn G.v.B. als unsern allervertrautesten Correspondenten anzutreffen, und von ihm noch viele Betrachtens-würdige Begebenheiten erfahren, welche ihm aber nach zu erzehlen, meine Schrifft vielleicht allzu weitläufftig machen würde.

Wiewohlen ich nun denselben mit guten Winde von Amsterdam aus abseegeln gesehen, so kan ich doch nicht vor gewiß sagen, ob er seinen Cours zu seiner Braut auf die Insul St. Jago, oder in sein Vaterland, oder wohl gar wieder zurück auf die Insul Groß-Felsenburg genommen, weilen ich aus seinen Reden niemahls recht klug [544] werden können, da er in vielen Stücken sehr heimlich war. Unterdessen da er mir doch viele wichtige Sachen, und sonderlich verschiedene Scripturen hinterlassen, mit der Vollmacht, daß ich Ordre-mäßig, mich damit verhalten, die Schrifften aber immerhin, so viel deren auch wären, oder noch eingehen solten, erbrechen und eröffnen möchte; so will ich meinen geehrtesten Lesern und Gönnern aus einem von gelehrter Hand erhaltenen, an die Herrn Felsenburger addressirten Briefe, als eine Zugabe dieses 4ten Theils der See-Fahrer, so viel seiten meiner verantwortlich ist, und man auf beyden Seiten nicht verstösset, mittheilen, in Hoffnung, daß die allermeisten Leser sonderlich an Erklärung, der unbekannten Characteren, welche im 3ten Theile pag. 297. anzutreffen sind, ein besonderes Vergnügen finden werden. Den übrigen Rest des Briefes zu publiciren, trägt man des besondern Inhalts wegen Bedencken, bis auf des Regenten und derer Aeltesten fernerweitige Ordre. Demnach lautet die Aufschrifft des Briefes an die Felsenburger also:


Dem Ehrwürdigen Alt-Vater, Hrn. Alberto Julio II. Regenten auf der Insul zu Groß-Felsenburg; ingleichen den Theuersten und Vorstehern der Pflantzstädte; Nicht weniger auch denen übrigenSenatoribus und Räthen des Felsenburgischen Regierungs-Collegii; Wie auch der sämmtlichen auserwehlten Heerde JEsu CHristi [545] mit ihren würdigen und sorgfältigen Seelen-Hirten:


Meinen allerseits Hochgeehrtesten und Geehrtesten Herrn Gönnern, unbekannten guten Freunden und in CHristo hertzlich geliebten Brüdern


Groß-Felsenburg.


NB. Die Erklärung der Characteren aber, zeiget sich von Wort zu Wort folgender maassen:


– – – – – Vorjetzo habe ich euch, aus eiferigen Triebe, denen gottseligen Felsenburgern mit meinen wenigen Wissenschafften zu dienen, eine besondere, vermuthlich nicht unangenehme Nachricht zu vermelden.

Es wird euch annoch erinnerlich seyn, daß bey der merckwürdigen Entdeckung derer Heydnischen Antiquitäten auf Klein Felsenburg, auch zugleich unterschiedliche Urnen gefunden worden, deren Deckel mit Characteribus bezeichnet gewesen, und den Inhalt dererselben in Europa zu erfahren gesucht. Die übrigen Characteres sind mir nicht zu Gesichte kommen, unterstehe mich auch nicht, solche zu erklären, weilen mit stechonagraphischen Figuren mich zu bemühen, niemals meine Sache gewesen. Weilen aber dieseschymische Figuren sind, und solche mit der alten Heydnischen Götter-Historie überein kommen, derenScribenten mehrentheils hermerische Philosophi [546] gewesen; Ich aber mich auch rühmen kan, in Chymicis und Alchymicis viele Geheimnisse der Natur durch GOttes Gnade und meinen unermüdeten Fleiß entdecket zu haben, die etwa denen lieben Felsenburgern zu besserer Etabilirung ihrer Wirthschafft dereinst mittheilen könte: Als habe auch dieser Characteren wegen einen Versuch gethan.

Zuförderst erwegte mit allem Fleiß, was der liebe Herr Mag. Schmeltzer für Gedancken darüber gehabt, und befand, daß er allerdings die Sache wohl errathen: Denn die Characteres stellen weiter nicht anders vor, als ihre sämtlichen Götter. Sonne und Mond waren bereits von Herrn Mag. Schmeltzern entdecket, was aber die andern Figuren für Götter vorstellen solten, konte ich noch zur Zeit nicht wissen.


Endlich zehlete ich die Characteres, so waren derselben dreyzehen. Dadurch hatte ich nun den völligen Schlüssel erlanget. Es fiel mir sogleich ein, daß dieses die im Tempel gefundenen Götter seyn müsten. Und es traf richtig ein.


Um nun eigentlich aus denen Figuren dieser Götter ihre besonderen Eigenschafften ausfindig zu machen; so setzte ich erst zum Grunde meiner Untersuchung vor aus, daß der Heydnische Götzendienst nichts anders gewesen, als ein purer Naturalismus, und haben sie durch ihren Gott lediglich die Natur verstanden.


[547] Die erste Figur stund mitten im Tempel auf einem runden Altar, und war eine runde goldene Sonnen-Kugel, statt derer Strahlen aber lauter köstliche Diamanten und andere blitzende Edelgesteine sich allenthalben zeigten, und beydenen angebrannten Fackeln lauter feurige Strahlen hervor schossen, absonderlich, wenn vermittelst des künstlichen Uhrwercks diese Kugel ihren Sonnenartigen Lauff und Betragung circa Centrum mit ungemeiner Geschwindigkeit verrichtete. Dieses Bild stellete nun vor, die aus der Sonnen als dem männlichen Principio des allgemeinen chaotischen Saamens ausfliesende erste männliche Saamens-Krafft der alles hervor bringenden und fruchtbar machenden Natur. Diese alles hervor bringende Natur ist nun, recht deutlich zu sagen, der allgemeine Archæus und Weltgeist, oder Saamens-Krafft, daraus alle Dinge entstanden, und aus dreyen Principiis bestehet, nemlich Sol, Luna und Mercurius, oder nachtheosophischer Art zu reden, Feuer, Licht und Geist, oder wie der theosophische Jünger Johannes 1. Joh. 5, v. 8. diese drey Principia auf Erden nennet, Geist, das ist Feuer, Wasser, das ist Licht, und Blut, das ist Geist. Johannes nennet aber dieses letzte Principium Blut, weilen, wenn dieses gedoppelte mercurialische männliche und weibliche Principium im grossen philosophischen Wercke mit einander vereiniget, und solchen wiedergebährenden Samen in einen lebendigen göldischen Leib einführet, sie mit einander vereiniget, coaguliret und figiret, [548] so wird daraus eine blutroth-ölichte Tinctur oder der Lapis philosophorum.


Das andere Bild war das Bild des Mondens, und stund oben ex opposito des Eingangs dieses ist bekannt, denn es wird die Diana genennet. Sie ist eine Jägerin, die den brünstigen Hirschen begierig nachsetzet, das ist, sie als das weibliche Saamens-Principium hungert gewaltig nach dem männlichen feurigen Saamens-Principio aus der Sonne, unter dem Bilde eines brünstigen und brennenden Hirsches vorgestellet. Gleichwie nun der männliche Saame, welcher aus der Sonnen durch ihre schnelle Bewegung in lauter feurigen, brennenden, hitzigen, nitrosischen Saamens-Kräfften ausstrahlet, und solche über die gantze Welt ausstreuet, auch lauter Leben und Activitäten ist; die Welt aber vielmehr verbrennen müste, als daß sie solte erhalten werden können; So muste ein Gegentheiliges, ohne alle Activität seyendes kaltes, feuchtes, salinisches, weibliches Saamens-Principium, aus den aus dem Monde ausfliessenden weiblichen Saamen darzu kommen, das die Hitze des männlichen Saamens temperirte. Denn der männliche Saame, der wegen Ermangelung eines frischen erquickenden Wassers immer in einem hitzigen, feurigen Triebe ist, suchet seine grosse brennende Hitze in dem weiblichen wässerichten Saamen des Mondes zutemperiren. Dannenhero attrahiret er begierig seine Feuchtigkeit. Hergegen sucht der kalte und wässerichte [549] weibliche Saamen, aus Mangel des Feuers, die hitzigen männlichen Saamens-Kräffte aus der Sonne an sich zu ziehen. Daraus, nemlich aus dieser Vermischung derer zwey feindseligen Principien, entstehet eine leibliche fermentirende Wärme, durch welche die doppelte Saamens-Krafft, aus Wasser und Geist bestehend, in eine Activität gebracht wird. Dadurch hernach diejenige Creatur, darinnen dieser Geist sich erhitzet, und zur fermentirenden Activität aufgebracht wird, in eine Fermentation, zuletzt aber in eine völlige Putrefaction sich auflöset, seine erste Form verliehret, und die drey Principia des Saamens in die Freyheit setzt, eine neue Creatur aus sich hervor zu bringen. Also bestehet denn der Saame aller Dinge in einem männlichen und weiblichen, oder sulphurischen und salinischen Saamen, und heisset mit einem Wort Nitrum und Sal oder Geist und Wasser. Aus diesen beyden Principiis wird alles gebohren im Reiche der Natur und Gnaden. Denn auch da wird der neue Mensch wiedergebohren aus Wasser und Geist Joh. 3. nemlich aus der geistlichen Feuers-Krafft des Vaters, und aus der geistlich-wässerigen Lichts-Krafft des Sohnes. Daher auch der Sohn der Weibs-Saame genennet wird, und nicht anders als von einem Triebe ohne Zuthuung des Mannes konte gebohren werden. Wir sehen auch hieraus, wie die Schönheit und Lieblichkeit aller Creatur lediglich in einer gleichen Vermischung zweyer wiederwärtigen Dinge, als Licht und Finsternis, Feuer [550] und Wasser, bitter, scharff, herbe und süsse, temperirend und lieblich bestehet.


Der dritte Götze mag wohl die für alle ihre Creaturen sorgende und wachende Natur seyn, welches der Nacht-Eulen-Kopff mit einem Auge bedeutet. Denn ein Auge siehet viel schärffer als zweye. Bald hätte ich das beste an dieser hieroglyphischen Figur vergessen. Denn dieses Auge stund im Centro eines dreyeckigten Eulen-Kopffs, welcher dreyeckigte Kopff die drey Principia philosophica der Natur anzeigt. Ist also der Verstand dieser: Die wachsame Natur schicket unendliche Ausflüsse einer unermüdeten Sorgfalt und Hülffe denen nothleidenden Creaturen zu. Weilen aber dieses auch gleichsam zwischen denen dreyenPrincipiis eingeschlossen ist, so giebt dieses zu verstehen, daß alle drey Principia gleichsam die Quellen sind, daraus solche Ausflüsse hergeleitet, und in dem eintzigen Auge der wachsamen Natur gleichsam concentriret werden. Daß es aber ein Eulen-Kopff ist, deutet abermahl die Wachsamkeit an, indem dieser Vogel eben deßwegen der Minerva geheiliget ist, weil er des Nachts so munter ist, welches sich zum Nachtstudieren überaus wohl schicket. Es hat gleichsam der Archæus ein allsehendes Auge in seinem Hause. Er ist wie ein geschickter Haußwirth, der hinten und forn ist, und alsobald siehet, was fehlet, damit dasselbe wieder ersetzet werde; Also auch der Archæus, der ist alsobald bey allen nothleidenden [551] Gliedern mit seiner Hülffe da. Hat das Haupt Schmertzen, so stopffet er die Quelle, indem er die übrigen Speisen auf das geschwindeste aus dem Magen auszuführen sucht, die da eine Jährung im Magen intendiret, mithin schon zu dunsten angefangen. Da denn diese Dünste nach dem Kopffe steigen, und eben die Schmertzen causiren. Welche aber sobald aufhören, so bald die im Magenfermentirende materia peccans abgeführet ist. Man sehe nur zum Exempel das sorgfältige Verhalten desArchæi, wenn allerley Unreinigkeiten in seine Werckstatt kommen, sonderlich wenn der Magen mit Galle überladen wird. Weil nun diese Galle alle sein gutesFerment im Magen verderbt; um die Stärcke desArchæi aber dadurch seine meisten kräfftigsten Würckungen im menschlichen Leibe eine feurige Hitze befördert (wie denn die Hitze ohne dem dem menschlichen Leibe convenable) also weiß er sich auch damit am allerbesten wider seinen eindringenden Feind zudefendiren. Denn die Unreinigkeiten, so im Magen entstehen, sind ein dickes, irrdisches, schleimiges Wesen, welches capable ist, alle fermentirende Hitze im Magen zu tilgen. Daher wir auch sehen, wenn solche dicke irrdische Unreinigkeiten im Magen überhand nehmen, dem Menschen über den gantzen Leib ein Schauer herfähret. Daraus denn der Mensch zu urtheilen pflegt, daß er ein kaltes Fieber bekomme. Daß aber diese kalte Schauern sich bey dem Menschen äusern, kommt daher, weil der Archæus, so bald er [552] seine Werckstatt verunruhiget sieht, alsobald verdrossen wird, sein Amt nicht mehr verrichtet, und dem nothleidenden Gliede die nöthige Hülffe nicht mehr zuschicket, so nimmt freylich die febrilische Kälte über hand. Das Schaudern aber entstehet von dem schwachen Widerstande des Archæi. So bald aber der Archæus sich ein wenig erhohlet, gehet er seinem Feinde entgegen, und suchet dadurch ihn auszutreiben, wenn er die gantze menschliche Machine in Hitze und Brand stecket. Darum folgt gemeiniglich auf die Kälte eine Hitze. Hält nun die Hitze länger an, als die Kälte, so ists ein Anzeichen, daß der Archæus noch starck genug sey, seinen Feind zu überstehen. Woferne aber die Hitze abnimmt, so ists ein Zeichen, daß der Archæus aus seiner Herberge bald Abschied nehmen werde. Die Kranckheit ist zwar so gewaltig nicht mehr, daher unverständige Medici meynen, der Patiente bekomme Ruhe; Aber eben daraus erkennet ein kluger Medicus, daß die Kranckheit zum Ende gelanget. Je empfindlicher die Hitze oder der Brand der Krancken ist, je stärcker kan man sie zu seyn urtheilen. Und destomehr ist auch Hoffnung zur Genesung. Weil man daraus siehet, daß der Archæus seine Sorge und Wachsamkeit für den menschlichen Cörper noch nicht abgeleget. Denn diese feurige Wuth rühret vomArchæo des Lebens her, wenn er in Harnisch gebracht worden entweder von einer ungesehren den ersten Schaden verursachenden Materie, oder von einem vermeynten Anzeigen, daß der Sitz des [553] Lebens, oder sonst ein naher mit demselben sympathisirenden Theile, entweder durch einen bößartigen Dampff und Dunst, oder durch einige traurige Gemüths-Bewegungen Noth leide, welche durch ihre tyrannischen Eindrückungen den Sitz des Lebens als seinen eigenthümlichen uhrsprünglichen Wohnplatz beunruhiget, maassen, die Seele und das Leben uhrsprünglich an einerley Orte ihren Sitz haben. Der lebendige Archæus ist gleichsam der Vulcanus im Menschen, der die Wärme des Lebens seine gantze Lebens-Zeit über erwecket und erhält, und der bey guten gesunden Tagen in guter Ordnung und vernünfftig handelt; hergegen, wenn er in Unordnung gebracht worden, gleichsam rasend wird.


Der vierdte Götze ist ein ergrimmter Mensch, der etwas mit einer Keule zerschlagen will. Und dieses stellet nunmehro den rasenden Archæum κατ' ἐξοχὴν vor, oder die den Mißbrauch der Creaturen rächende Natur. Diese Eigenschafft des Archæi erweckt allerdings das unordentliche Leben eines Menschen, der mit Fressen und Sauffen und allerley Wollüsten in sich hinein stürmet, auch durch allerley Affecten, Sorge, Furcht, Bekümmernis, dem Archæo eine widrige Empfindung eindrücket. Und weil er durch diese Empfindung meldet, daß sein Sitz und Wohnplatz nicht im Stande ist, diese belästigende Idee zu ertragen; So wird er gewaltig erbittert, setzt wegen dieses entweder wahrhafftigen, oder durch die Ideen causirten [554] vermeyntlichen und eingebildeten Ubels alles in Feuer und Brand, und verursacht einen erbärmlichen Zustand, der von sich selbst wesentlich ist. Denn das Sprichwort ist wahr: nemo læditur, nisi a se ipso.


Das fünffte Bild ist ein Mensch mit einem Hunde-Kopffe, und zeigt an die das einschleichende Verderben der Creatur stets bewachende Natur. Wie ein Hund das Hauß bewahret und billet, wenn ein Dieb einbrechen will; Also ist der Archæus stets wachsam, daß bey Imbibirung der Nahrung nichts unreines oder überflüßiges in die Creatur eingeführet werde. Denn dieses wird sie alsobald in der Fermentation von dem guten und reinen Chylo abscheiden, und durch allerley Ausgänge der Excretion, als per sudorem urinam, sedes, ausführen. Ja, wenn der Mensch selbst durch überflüßige Geniessung der Speisen und Geträncke die Werckstatt des Archæi verunreiniget; So wird derArchæus in seinen Grimm aufgebracht, verläst seine ordentliche Würckung, und das Bellen dieses wütenden Hundes kan man ja äuserlich wohl mercken aus der entstehenden grossen Hitze, item aus allerhand gefährlichen Symptomatibus, als Ohnmachten, Hertz-Klopffen, äuserlich gifftigen Geschwüren u.s.w.


Das sechste Bild ist die Figur eines aufgerichteten sitzenden Ochsens. Gleichwie nun der Ochse arbeitsam ist; also wird dadurch die für [555] ihre Creaturen stets sorgende und arbeitende Natur angezeiget. Welches aus dem vorhergehenden gnugsam zu ersehen, daß wir also nicht nöthig haben, uns hierbey länger aufzuhalten.


Das siebende Bild ist der Neptunus, wessen Character auf dem Steine durch die dreyzinckigte Gabel angedeutet wird. Da nun der Neptunus ein Gott des Wassers ist; so stellet dieses Bild vor die für den Uberfluß, Reinigkeit und Gesundheit des Wassers sorgende Natur. Keine eintzige Creatur kan das Wasser entbehren, denn hierinnen ist verborgen ein balsamisches Lebens-Saltz, ein männlicher und weiblicher Saame, daraus alle Dinge ihre Speise des Lebens nehmen. Und wo dieses Saltz nicht darinnen ist, so wird auch die beste Speise tumm, todt, und unfruchtbar. Wie CHristus selbst sagt, Matth. 5, v. 13. Wo das Saltz tumm wird, nemlich, das balsamische Lebens-Saltz, Nitrum und Sal, womit soll man saltzen? Es ist hinfort zu nichts nütze, denn daß man es hinaus schütte, und lasse es die Leute zertreten. Insgemein ist in einer grossen Quantität Wassers, die wir trincken, gar ein klein weniges Lebens-Saltz befindlich. Welches man sehen kan, wenn man das putreficirte Wasser abrauchen, und im Keller zu Crystallen anschiessen läst, so wird man finden, daß das männliche Saltz das Nitrum sich in Crystallen in die Höhe begeben; auf dem Boden aber lieget ein braunes Saltz, welches, wenn es wohl ausgeglüet, solviret, [556] filtriret und coaguliret, seine schöne Weisse wie ein gemeines Saltz zeiget. Und das ist der weibliche Theil unserer gesaltzenen Lebens Speise. Weil nun also der meiste Theil Wasser ist, so die Natur nicht annimmt, sondern wieder von sich läst; So sehen wir ja durch dieses Scheiden des Wassers von dem balsamischen Geiste, wie immer die sorgfältige Natur bekümmert ist, daß ein gnugsamer Vorrath Wassers da sey für alle Creaturen. Also der balsamische himmlische Lebens-Geist aus der Sonne ist sehr feurig, und hat das wenigste Wasser, doch seine beständige Agitation, macht doch endlich diesen feurigen Samens-Geist etwas dicker und schwerer, daß er sich herab sencket in die Region der Lufft, und dieses, was sich aus dem Himmel mit der Lufft vereiniget, ist ein Excrement, und heist ein subtiles Wasser. Diese Lufft nun scheidet sich wieder von ihrem überflüßigen Wasser, und schicket es dem dicken Wasser zu, da es denn im Regen, Schnee, Schlossen u.s.f. bald in die See fället, als den grossen Schatz-Kasten des Wassers, bald von denen Animalien in denen Speisen genossen wird, die Animalien scheiden wieder ihr überflüßiges Wasser ab, und schicken es der Erden zu, davon sich denn alle Kräuter, Bäume und Gewächse ernähren. Das übrige Wasser gehet ad centrum terræ und ernähret und bringet zur Vollkommenheit alle Mineralien und Metallen. Wie wenig nun der balsamische Lebens-Geist aus diesem Wasser in die Metalle zu ihrer Erhaltung eingeht, können wir leicht sehen aus der grossen[557] Menge des Wassers, die die Natur in denen Bergen von denen Metallen abscheidet. Man sehe nur an, was für eine unzehlige Menge Wasser und Quellen aus denen Bergen hervor kommt, daß, wenn man alle Berge in der Welt zusammen rechnen wolte, man zu zehlen aufhören müste. Daraus genugsam zu sehen ist, wie sorgfältig die Natur für einen hinlänglichen Wasser-Vorrath jederzeit gewesen und auch noch sey.


Das achte Bild stellet vor die den männlichen Saamen zur Vollko enheit bringende Natur. Um der Ursache willen hat dieses Bild allerley besondere hieroglyphische Figuren. Das männliche Glied unten am Bilde deutet auf die feurige und brünstige Begierde des allgemeinen Archæi oder Welt-Geistes, Creaturen zu produciren; der Löwen-Kopff mit denen Krallen stellet vor dieses doppelten chaotischen Saamens-Geistes alles zerfressende, corrumpirende und per Fermentationem & Putrefactionem zerstöhrende Natur. Denn es muß allezeit bey einer neuen Geburt eine Zerstöhrung und Putrefaction vorher gehen. Man muß erst das alte Hauß einreissen, allen Schutt und faul Holtz weg schaffen, und alsdenn sind die noch guten wesentlichen Theile des Hauses, welche der Schutt gefangen hielte, daß sie nicht konten zu einem neuen Bau gebraucht werden, von diesen Banden loß. Diese wesentlichen Theile nun sind das gute Holtz und Steine, welche man nun ohne Mühe nehmen, und zum neuen Hause [558] anwenden kan. Der Unter-Leib dieses Bild es hat gerade über der männlichen Schaam eine Frosch-Gestalt. Der Frosch bestehet aus einem wässerigen weiblichen Element, und bedeutet also den weiblichen Saamen, der unter der männlichen Ruthe eben mangelt, die denn dadurch sich verhindert siehet, etwas vollkommenes für sich selbst zu produciren. Von diesem weiblichen Saamens-Principio wird hernach unten noch weiter gehandelt werden. Dieser männliche Saame hat seinen Ursprung, wie wir oben gemeldet, aus der Sonne, die solche feurige Saamens-Krafft durch eine stete Bewegung circa Centrum ausstrahlet, und in die gantze Welt ausstreuet. Und werden diese Saamens-Kräffte der Himmel genennet. Dieses ist nun ein grosses Meer, mit unzehlig viel solchen feurigen lebendig-machenden, alles erhitzenden Particulis angefüllet. Weil sie nun das allersubtilste Feuer sind, so sind sie auch das allerkräftigste, beweglichste Leben, fangen durch solche Bewegung an, sich unter einander zu erhitzen, kommen darüber in Fermentation, und ihre subtilen Le bens-Geister werden dadurch dicke gemacht, und fallen wegen ihrer Schwere herab in die Lufft-Region, als den andern Theil des männlichen Saamens. Hier hat nun dieser Luft-Saame, nachdem er durch den täglichen Zufluß aus dem Himmel immer feuriger wild, alsdenn Hitze genug, in dieser Region sich von neuen in die Agitation bringen zu lassen. Daraus endlich eine Fermention und Verdickung entstehet, daß er in einem Nebel, Dunst und Dampff, zuletzt in einem[559] Thau herab sincket, und in procinctu stehet, sich in die Frosch-Gestalt des weiblichen Saamens-Principii, nemlich des Wassers, vermittelst eines Regen, Schnees, u.s.w. herab zu stürtzen: Davon beym weiblichen Saamens-Principio ein mehreres wird zu melden seyn.


Das neundte Bild ist die bekannte Ceres, welches vorstellet die alle hervorgebrachten Creaturen mit einer lieblichen Gestalt, Schönheit, Geruch und Geschmack auszierende Natur. Diese Auszierung giebt nun allein der männliche Saame, als in dessen Feuer die rechte wahrhafftige sulphurische Tinctur ist, die allen Creaturen einen lieblichen Geruch, Geschmack und Farbe giebt, nachdem der weibliche Saamen in einem Subjecto stärcken als im andern. Dannenhero riechen, schmecken und blühen die aromatischen Sonnen-Kräuter viel kräfftiger, als die flüchtig-hitzi gen und temperirten gewesen, und diese noch kräfftiger, als die wässerigen, ja diese haben nicht einmahl einen Geruch. Wir können demnach daraus erkennen, warum der Lapis philosophorum alle andern Dinge an Geschmack, Geruch, schöner Farbe und mächtiger Krafft übertrifft, nemlich weil das weibliche Principium durch die starcke Fixation gantz in sein Innerstes hinein gekehret, mithin diese Tinctur durch und durch nichts anders ist als der lauterste und subtilsteastralische, der durch vielfältiges imbibiren und kochen in die allerhöchste Plusquamperfection gebracht, und [560] nun ein fixes, feuerbeständiges, durchsichtiges, crystallinisches Rubin-Glas, roth wie Blut, süsse wie Zucker, und wohlriechender als Ambra, mithin zu einer höchst vollkommensten Medicin aufMetallen bereitet worden. NB. Hier mag Herr Plager diese und mehr Passagen wohl attendiren. Sie klingen gantz gewiß philosophischer, als die Discourse seines Eliä Artissä und übrigen Gran-Goldmachers-Professorum ihre subtilen Weißheits-Lehren. Er bitte aber GOtt, daß mir eine Gelegenheit, Zeit und Musse von ihm geschenckt werde; so habe nicht in Abrede, als ein Gast mich eine Zeitlang in dem angenehmen Felsenburg aufzuhalten. Da er denn andere Dinge sehen soll, die er gewiß sein Lebe-Tage zu sehen die Gnade nicht gehabt. Ich muß hertzlich lachen über die seltsame Auslegung des Spruchs Hiobs, und sie haben sich damit bey dem wahren Eliä Artissä verrathen, daß Herr Plager und sein Præceptor nicht viel gewust. Gantz gewiß hatte der Mann damahls Willens, Herrn Plagern etwas zu offenbahren; Weil er aber zur Unzeit mit seinem Anagrammate heraus ruckte, so hielte er hinterm Berge, und wurde darüber gantz roth. Ohne Zweifel deutete diese Röthe bey dem Manne eine Bestürtzung an, daß es leicht hätte geschehen können, sich durch unzeitige Offenbahrung an GOtt zu versündigen. Will er ja etwas tüchtiges in diesem Anagrammate thun, so muß er vielmehr auf den

und anagrammatisiren, [561] der aber nicht das gemeine und

ist, sondern ein regenerirtes philosophisches und

, welches aber nicht ehe kan zur Regeneration gebracht werden, als bis das gemeine und

, so er zu erst in die Hände nehmen muß, auf eine philosophische Weise, in seine erstemateriam remotam gebracht ist, da es denn zwar mineralisch, aber doch ad regnum minerale noch nichtspecificiret ist. Kurtz: es ist eine

sche Gur, darzu muß und

gemacht werden. Kennet er die, so ist er auf dem rechten Wege. Hier habe ich viel offenbaret, er dancke GOtt dafür, bete fleißig und studiere. Doch wieder ad rem.


Das zehende Bild stellet einen Affen vor, in seiner gewöhnlichen sitzenden Natur. Wie nun dieses Thier überaus dienstfertig ist, auch alles nachthut, was man ihm vormacht; also zeiget dieses Bild an die dienstfertige und der nothleidenden Creatur zu Hülffe kommende Natur. Wenn der Mensch eine Wunde hat, so sammlet der Archæus alsobald allerley balsamische Lebens-Kräffte aus sich selbst zusammen, und bringt sie an den verwundeten Ort, ja er schickt auch einen stärckern Brand und Hitze dahin, um diesen Ort wider alle gefährlichen Zufälle zu defendiren, und die Heilung dadurch desto mehr zu befördern. Wenn ferner der Mensch durch üble Diæt viel Unreinigkeiten in die reine Werckstatt des Archæi eingeführt, oder wenn auch nur durch die hefftigen Affecten des Menschen [562] eine Idee eines scheinenden Wiederwärtigen und Bösen dem Archæo imprimiret wird, so wird er, wie oben gemeldet, wütend und voller Grimm, undruiniret seine gantze Werkstatt, setzt sie in Feuer und Brand, und richtet daselbst einen recht erbärmlichen Zustand an. Wenn man aber diesem erzürnten Affen nur einen schönen Apffel vorwirfft, das ist, wenn man ihm eine wohl ausgekochte fix und feuerbeständigeQuint-essenz vorhält und zu kosten giebt, so schmecket er just diejenige Speise, die mit ihm einerley Natur ist, und womit er auch seine krancke Creaturen speiset und stärcket. Dadurch wird er nun nicht nur begütiget, sondern auch noch dazu gantz lustig und munter gemacht, daß er wieder seine Arbeit in seiner Werckstatt anfängt, und alle Unreinigkeit per locos excretionis ausführet. So dienstfertig ist die gütige Natur, ob wir sie gleich erzürnet. Und gleichwie wir den Apffel diesem erzürnten Affen vorgeworffen, und ihn dadurch wieder besänftiget; also thut er solches uns gleich nach, und wirfft eben diesen Apffel, nemlich die balsamische Tinctur, dem krancken Gliede wieder vor, daß es dadurch gestärckt und gesund werde.


NB. Hier, bey der angezeigten Weise, wie ein Hermeticus die Kranckheiten zu curiren pflegt, da er nemlich nicht selbst der Medicus seyn will, denn das ist die Natur, und nach derselben GOtt, sondern derMedicus ist nur ein Diener der Natur, und wenn die Natur oder der Archæus in seiner Werckstatt [563] in Unordnung kommen, und sich nicht helffen kan, so reicht der Minister naturæ alsobald derselben diejenige Artzeney, womit sie sonst gleichfalls ihre krancken Patienten zu curiren pfleget. Dadurch wird der Archæus auf einmal gestärcket, daß er hernach schon selbst im Stande ist, seinen Patienten zu Hülffe zu kommen. Aber ich muß hertzlich lachen über die Medicos mechanicos, die, ob gleich GOtt spricht: Ich bin der Herr dein Artzt, dennoch par tout selbst der Artzt seyn wollen. Und weil sie der Natur ihre Art zucuriren nicht wissen, sondern meynen, der Archæus treibe das Böse hinaus per Mechanismum, wie man mit dem Besem eine Stube auskehrt. Da mag man denn billig fragen, wie wird sie sich aber dieser bösen Schein-Ideen entledigen, die sie sich per Impression gemacht? Was braucht man da für einen Besem dazu? Eine Magen-Bürste ist gewiß hierzu zu grob, und allzu mechanisch. Ach! in der Natur treiben keinemechanische Gewichte von grosser Schwere die Kranckheit aus; sondern in der Natur bewegt nur eine kleine subtile Lichtes-Krafft das wiederwärtige Böse viel stärcker, als das schwerste Pondus in der Mathematique. Ich habe vorhin gesagt, die Sonne strahle lauter solche Lichts-Kräffte aus. Und weil sie sich denn circa centrum ab occidente versus orientem bewegt, so bewegen sich denn auch alle ihre Lichts-Kräfte mit dahin. Weil nun alle schweren Cörper, als unsere Erde und andere Planeten in diesen solarischen Lichts-Kräfften gleichsam [564] schwimmen, eben wie eine Kugel in der See; so folget nothwendig, daß, weil alle Lichts-Kräfte sich per circulum ab occidente versus orientem drehen, alsdenn auch unsere Erde und dergleichen mehr par Compagnie eben den Weg mit fort müssen. Thut dieses der grosse Welt-Archæus die Sonne, warum soll es denn nicht auch unser Archæus thun können in unserer kleinenMachine? So curiren wir denn weit glücklicher und gewisser durch eine Medicin, die mit unzählig tausend Radiis sulphureo-solaribus angefüllet ist. Davon auch nur den Stein in Spiritum Vini geweicht, daß ihm so gar auch am Gewichte nichts abgehet, bloß durch seine einstrahlende geistliche Krafft denSpiritum Vini medicinisch machet. Nun wieder zur Sache.


Das eilfte Bild ist das weibliche Saamens-Principium, und zeiget an die den männlichen mit dem weiblichen Saamen vereinigende und solche mit einer lebendigen Saamens-Kraft des männlichen Principii prægnirende Natur. Das zeigt unten die Signatur des weiblichen Gliedes gegen die Signatur des männlichen Gliedes, die uns genungsam anzeigt, wie begierig der kalte weibliche Saame nach dem feurigen männlichen Saamen seinen Mund aufthut, um solchen in sich als in einer Matricem einzuschliessen. Welches gleichfals so zu mercken da die Diana sich gleichsam in eine solche Positur leget, als wolte sie auf den brünstigen Hirsch des feurigen mäñlichen Saamens mit höchster Begierde zufliegen. [565] Welches gleichfals anzeigt, wie begierig die weibliche allgemeine Saamens-Quelle des Mondes nach der feurigen allgemeinen Saamens Quelle der Sonne sich bezeigt, also daß der Mond alle diese solarische, feurige Influentien attrahiret, in ihre Natur verwandelt, und nach und nach selbst gantz feurig wird, und geschickt ist, eine neue Creatur hervor zu bringen, nemlich den all gemeinen chaotischen Saamen im Waßer, Nitrum und Sal, gleichwie nun der männliche Saame eine corrumpirende Krafft hat, indem er alles verbrennt und austrocknet; also hat auch der weibliche Saame eine corrumpirende Krafft, indem er durch ihre überflüßigeAquosität alles faulend machet. Diese corrumpirende Krafft wird an dem Bilde im Tempel angezeigt dadurch, daß dieser Götze ein Kind verschlingt. Was ich nun esse, das verwandele ich in meine Natur. Wenn nun eine Sache mit allzu vielen wässerigen Principiis imprægniret wird, so faults und wird zu lauter Wasser. Man probire es mit einem eingesaltzenen Fleische, stelle das Fleisch also, daß das Saltz-Wasser davon ablauffen, und die Lufft dazu kommen kan. Man werffe Saltz darauf, so viel man will, weil es ein wässeriges Saltz ist, so muß es doch verfaulen. Weil nun dieser weibliche mit dem männlichenimprægnirte Saame gleichwohl immer nach mehrern dergleichen hungert; so werden dadurch die Lebens-Geister im Saamen zu einer Activität und Leben aufgewecket, fangen an zu wachsen und aufzuschwellen, daß sich endlich zuletzt [566] der Saame zu einer dicken, ölichten, incluosen Saamens-Gur zeitiget. Und das ist materia prima remota, woraus alle Creaturen durch beständige lmbibition einer neuen Saamens-Gur endlich zur Vollkommenheit ko en. Welches auch ein Haupt-Pünctgen in der hermetischen Philosophie ist. Gewiß diese Heyden in Klein-Felsenburg müssen grosse erfahrne Philosophi gewesen seyn. Diese durch vielfältige Imbibition causirte wachsende Krafft wird an dem Bilde vorgestellet unter dem Nabel mit 6. Zitzen, dadurch die Natur ihre Kinder gleichsam als an vielen Brüsten reichlich säuget, und damit ihren Wachsthum befördert. Dieser weibliche Saame wird aber nun also mit dem männlichen vereiniget: Es ist nemlich bekannt, daß diese beyden Saamen gegen einander sehr hungrig sind. Dannenhero ziehet immer eines das andere begierig an sich. Wenn demnach Thau, Nebel, Dampf und Dunst in der untern warmen und schon dickern Region der Luft noch mehr fermentiret wird, so verdickt er sich endlich, und fället in Regen, Schlossen, Schnee u.s.w. herab, theils in die grosse Welt-See, als die grosse Vorraths-Kammer alles Wassers, theils auf die Erde, dadurch alles wächst und fruchtbar wird, auch unzehlige Vegetabilien kommen, die Animalia hergegen auch ihre Nahrung davon nehmen. Das übrige gehet centrum terræ. Daraus es wieder als ein corrosivischer Central-Dunst in die Höhe steiget, sich immer ie mehr und mehr verdicket, und in Mineralia & Metalla [567] zeitiget. Das übrige Wasser aber, das die Natur in den Bergen abscheidet, bricht an denenselben in Seen und Flüssen in grosser Menge aus, davon etliche gantz süsse sind, andere durch saltzigte Gebürge streichen, und zu Saltz-Quellen werden, noch andere durch victriolische, alaunische, martialische, venerische Gänge gehen, daraus unterschiedliche Sauer-Brunnen, warme Bäder u.s.f. zu Tage ausgehen.


Das zwölfte Bild ist der Mercurius. Dieses ist nebst der Sonne und Mond das dritte Saamens-Principium, kommt aber in der philosophischen Arbeit nicht zum Vorschein. Denn der Philosophus hat beständig nur zwey Principia in Händen, nemlich Sonne und Mond, männlichen und weiblichen Saamen, Sulphur und Saltz, Feuer und Licht, Acidum und Alcali; In beyden aber ist das dritte verborgen, als sein Geist und Leben, das nicht wohl ohne gänzliche Destruction des Saamens von einander geschieden werden kan. In dem männlichen Saamen ist es ein hitziger, feuriger, brennender und treibender Geist; in dem weiblichen Saamen ist es ein wässericht-saltzigter, gelinder und temperirter Geist. Wenn nun diese beyden Geister in denen beyden Principiis mit einander vereiniget werden, so heists Mercurius duplicatus, so führen sie ihren vereinigten Saamen desto kräftiger in die unvollkommene Metallen ein, verwandeln sie in ihre Natur, nemlich in einen sulphurischen [568] Saltz-Leib, und jemehr dieser sulphurische Saltz-Stein mit neuem Mercurio duplicato wieder aufgelöst, coagulirt und figiret, auch zur höchsten Glasigkeit und durchsichtig-crystallinischen Rubin-Röthefigiret wird, also daß es zu einer plusquam-perfectenFigität und Maturität gebracht wird; Je höher es nachgehends andere unvollkommene Metallen in das schönste Gold tingiret. Dieser Geist ist doppelt, darum hat auch der Mercurius gedoppelte Flügel, und am Stabe eine gedoppelte Schlange. Wie auch hier der Stab Mercurii durch gedoppelte Queer-Striche solches anzeiget.


Das dreyzehende ist eine gekrümmte Schlange, die mit dem Schwantze auf einer Kugel stehet. Wie nun eine Schlange durch die kleineste Ritzen durchschlupfen kan; also stellet dieses Bild vor die die kleinesten, verborgensten Winckel der Creaturen durchsuchende und von aller Unreinigkeit befreyende Natur. Gleichwie nun der Archæus durchaus nichts in seiner Werckstatt dultet; also empfindet er nun alsobald den geringsten Schnitt oder andere kleine Læsiones an denen Gliedern, schickt sogleich eine genungsamebalsamische Hitze zu Heilung dieses Gliedes dahin. Welches aus der grossen Feurigkeit und Hitze, wie auch aus der rothen Gestalt des verwundeten Theils gnugsam zu sehen, daß da hier mehr und überflüßiges Blut schon abgeführet worden, als sonst wäre nöthig gewesen. Dieses wäre nun, meine Hochgeehrteste Herrn, was ich euch aus wohlmeinenden Hertzen er öffnen wollen.

[569] Nun erlaubet mir auch zu sagen – – – – etc. Indem ich Gisander nun verhoffe, es werden die Herrn Felsenburger mit der mir ausgetragenen Ausarbeitung ihrer Geschichts-Beschreibung, die ich in meinen Nebenstunden mit vielem Vergnügen bestmöglichst verrichtet, zufrieden seyn; so dancke ihnen allen vor das reichliche Honorarium, welches sie mir ihrer besondern Generosite nach angedeyen lassen. Meine deutschen Lands-Leute werden mir vermuthlich dasselbige gönnen, weilen gewiß weiß, daß viele derselben sehr begierig sind, die Felsenburgischen Geschichte zu lesen; da aber vieler Umstände und Ursachen wegen wohl dieserhalb so bald nichts weiter zu Marckte gebracht werden dürffte, so mache nun mit gröstem Plaisir des vierdten und letzten Theils


ENDE.


Notizen
Veröffentlichte auch unter dem Pseudonym »Gisander«. Erstdruck in vier Teilen: Nordhausen [s.n.] 1731–1743. Bekannter wurde der Roman unter dem Titel »Die Insel Felsenburg« nach der Tieckschen Bearbeitung (Breslau 1828).
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Schnabel, Johann Gottfried. Wunderliche Fata einiger See-Fahrer. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0004-D921-0