[277] Faustin

Du wagsts, in Bedlam noch, dich mit Vernunft zu brüsten,
Tief tief verworfenes Geschlecht?
Pygmäisch stehst du da auf deinen Schaugerüsten,
Nur als Tyrann und Knecht.
Der Unsinn gängelt dich am Zaum der Vorurtheile,
An dem du hemionisch gehst,
Daß nicht die schwere Hand des Geißlers dich ereile,
Wenn du den Schedel drehst.
Du kniest, vor Angst verstummt, vor jedem Nebelgötzen,
Den dir Dalai Lama gab,
Und folgest allem blind, was deine Gaukler setzen,
Zur Unvernunft hinab.
[278]
Du irrst, Insecten gleich, um eine Feuerflamme,
Verbrennst die Schwingen, fällst und fluchst
Dem göttlichen Geschenk in deines Unwerths Schlamme,
In dem du Rettung suchst.
Vom ältsten Nimrod an bis auf die neuste Krone
Bestimmt der Dolch was Recht soll seyn,
Und schreibet es in Blut; und Weh dem Unglückssohne,
Fällt ihm ein Zweifel ein.
Der eine zieht am Joch, damit der andre schwelge
Und wagts der Sclav und blickt empor
Um Trost und Licht, zerbricht des Herrschers Eisenfelge
Ihn, wie der Hagel Rohr.
Wo lebten je bey euch des Himmels Lieblingskinder,
Sie, Freyheit und Gerechtigkeit?
Sie blickten nur herab auf eine Welt voll Sünder,
Und flohn mit Traurigkeit.
Kaum blieb ihr Bild zurück in diesen Regionen,
Das man nur selten ehrt und liebt.
[279]
Selbst Aristides muß die Bösewichter schonen,
Damit man ihm vergibt.
Und endlich treibt das Volk, Emblem der Weltgeschichte,
Aus seinem Kreis den reinen Mann;
Weil es das Strafgericht von seinem Angesichte
Nicht mehr ertragen kann.
Man stellt mit feilem Hohn in der Zerstörer Ehre
Des Menschensinnes Brandmark auf;
Und eilt verrückt, als ob der Frevel Wohlthat wäre,
Zu dem Idol hinauf.
Die Zwingherrnkunst und Herrschbegier gewannen
Nur durch der Andern Schändlichkeit:
Die Sclaven werden erst, dann werden die Tyrannen;
Und schnell zu gleicher Zeit.
Despoten spotten hoch, und dann Oligokraten,
Und dann des Pöbels Hefensatz:
Dann kommt ein Demagog und setzt mit Frevelthaten
Sich auf den alten Platz.
[280]
Viel Gräuel hatte schon mit seines Lictors Beilen
Des Sulla Würgerblick gethan;
Doch schmeichelnd giftiger schlug Wunden, die nicht heilen,
Der Knab' Octavian.
Der Bonzen Gaunerey erzwang das Austernleben,
Und stämpelte den Mann zum Schaf,
Und schuf oft Sünde, nur um Sünde zu vergeben,
Und Ruh zu Todesschlaf.
Ihr waret stolz und kühn mit euern Meteoren,
Und prunktet mit Philosophie:
Wie hat das neue Licht sich wieder schnell verloren
In alte Phrenesie!
Man köderte die Welt mit reinen Freyheit Golde,
Und dolchte sie in Sclaverey;
Und hier hält Despotie des Helfers Faust im Solde,
Und hier die Klerisey.
Wir können also nicht das Tagelicht ertragen,
Da man uns in die Nacht verstößt;
Und ewig müssen wir das große Räthsel wagen,
Das ewig sich nicht löst!
[281]
Vom Erdengott herab bis zu dem Dorftyrannen
Spricht Willkühr ungleich nur nach Gunst,
Und webt das feine Garn, das ihre Söldner spannen,
Mit tief gelegter Kunst.
Die große Schickung lag in eines Mannes Händen:
Der sollte wie ein Heiland seyn.
Er fing es göttlich an; doch göttlich zu vollenden
War noch sein Geist zu klein.
Noch nie schien das Geschlecht, von seinem Werthe trunken,
So hoch im Strahlenkreis zu stehn:
Und nie ist es so tief in Kriechsucht hingesunken,
Um tiefer noch zu gehn.
Des Menschen Leidenschaft ist, hat sie nur erst Nahrung,
Des Krebsgeschwüres Prototyp.
Was sich dem Arme naht, das lehret die Erfahrung,
Verzehret der Polyp.
Les't die Annalen durch von Cyrus bis auf gestern,
Und sprecht dann von Gerechtigkeit.
[282]
Man stellt ihr Bildniß auf; und eilet es zu lästern,
Wo man es eingeweiht.
Man ehrt die Göttinn laut, und höhnt sie dann mit Thaten,
Die Ariman nicht schwärzer sinnt:
Man spricht von Menschenrecht, und hat es schon verrathen,
Eh noch der Ton zerrinnt.
Mit Mäklergeiste schrey'n die Afterpatrioten,
Als bauten sie des Welttheils Glück,
Und sinken in den Staub, verächtliche Heloten,
Um einen Gnadenblick.
Wer in dem Knechtsgefühl des Jammers seiner Sünde
Zuerst ans Licht die Gnade trug,
Verdient, daß ihm der Geist das Schrecklichste verkünde,
Wenn seine Stunde schlug.
Hier würgte man am Fluß mit einer Freyheitsfahne;
Und focht ergrimmt um gleiches Recht,
[283]
Und schleppt, mit Schande schwer, dort durch die Oceane
Das Negervolk als Knecht.
Wenn uns ein Funke blickt von Gottes Flammensonne,
Erstickt ihn plötzlich eine Zunft;
Und wem kein Heerszug folgt mit Waffen von Bayonne,
Der spricht umsonst Vernunft.
Was bleibet uns zum Trost? Nur noch die holde Schöne,
Die uns der alte Mythus zeigt:
Vielleicht daß Harmonie noch aus dem Mißgetöne
Des großen Chaos steigt.
Ich geh; wer weiß, wohin? Gewiß zu meinen Vätern.
Vielleicht daß ein Centraljahr kommt,
Wo noch der Kampf zuletzt mit Narrn und Missethätern
Den Guten besser frommt.

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TextGrid Repository (2012). Seume, Johann Gottfried. Gedichte. Gedichte. Faustin. Faustin. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-0AA7-9