Verkehr über dem Haus

Als ich mietete, fragte ich den Gärtner: »Ist es hier auch still?« Denn dies ist mein Privatsparren: still muß es sein, so still, daß man die Druckfehler in den Büchern knistern hört. Der Gärtner sah ruhig auf. Er war grade damit beschäftigt, eine erlegte Elster neben eine erlegte Krähe auf die Sträucher aufzuspießen, und das tat er, damit die andern [247] Vögel abgeschreckt würden, ihm seine Bohnen und seine Erdbeeren aufzuessen. Und so wuchsen da nun Gemüse und Fleisch, und Kompott, alles miteinander. Es sah recht schauerlich aus, aber wir Landwirte in Kent machen das so. »Ob es hier still ist?« wiederholte er. »Ganz still. Ganz außerordentlich schrecklich still. Nur . . . aber das macht nichts.« – Ich habe jedesmal eine Heidenangst, wenn da etwas ist, was aber nichts macht. Ich kenne das. »Was macht nichts –?« sagte ich. Die Landlady stand dabei und half ein. »Er meint die Flugzeuge«, sagte sie. »Über dieses Grundstück führt die Fluglinie nach dem Kontinent!«

Bums. Das war mal eine moderne Regiebemerkung; wir hatten schon von allem gehabt: Baubauhunde und Klavierdamen und Gesangsdamen, und dann klopft doch da immer einer, – aber Flieger . . . ? Flieger über dem Haus? Das war neu. Also mietete ich. Die Flieger flögen so leise, hatte mir die Dame gesagt.


Ja, da sitze ich nun, und während ich dieses schreibe, kommt hier und da so ein Ding an und durchpflügt mit bekanntem Geräusch die Luft, und ich sehe dann auf und blicke ihm ein bißchen nach. Da fährt er hin.

Manchmal, wenn es so grau und verregnet ist wie heute, dann fliegen die Herren ganz niedrig, man kann mit bloßem Auge die Nummer der Kiste lesen. Sie kommen des Morgens daher und des Mittags geflogen und des Abends, und einer kommt ganz spät, das ist aber kein Passagierflugzeug mehr, hat man mir gesagt, das ist bloß ein Postflugzeug, und das tröstet ungemein. Briefe machen nicht solchen Krach. Da fliegen sie hin.

Nach welcher Ordnung das geht, habe ich noch nicht heraus. Die Flugzeugführer, die Tenöre der Luft, fliegen ziemlich frei herum, wenigstens sieht es von unten so aus. Kein Bobby mit weißem Ärmel schwebt ihnen entgegen und hält sie auf, es ist eine ziemliche Anarchie. Aber das wird sich ja wahrscheinlich eines Tages legen. Vorläufig fliegen sie manchmal links, wie es sich in England gehört, und manchmal rechts, so daß man denkt, man sei in Europa, aber das täuscht, wir sind hier nicht in Europa. Und sagen Sie selbst, wohin kämen wir, wenn etwa alle Fahrzeuge nach derselben Verkehrsordnung fahren wollten! Übrigens fahren diese nicht. Mist wird gefahren. Sie fliegen.

Da fliegen sie hin. Ein französischer Stich des achtzehnten Jahrhunderts, sagen wir Fragonard, hätte daraus gewiß eine kleine lüsterne Sache gemacht: der Beschauer sitzt mit einem riesigen Fernrohr unten und versucht, den Damen auf die, sagen wir, Füßchen zu sehen. Aber damit ist es hier nichts, ich sehe höchstens die runden Fenster der Passagierkabinen. Da wohnt doch nun der Wallace ganz in der Nähe – aber ob sie schon mal einmal, aber auch nur ein einziges Mal [248] einen herausgeworfen haben? Nein. Und ich denke es mir so schön: da kommt also das geknebelte Opfer heruntergeflogen, zerschneidet unterwegs mit einem Tauchnitzband seine Fesseln, landet vor meinem Fenster und sagt, selbstverständlich? »Schöner Tag heute!«, und dann stürzt er eilig zur nächsten Polizeiwache, und wenn die da in London ankommen, dann sind sie schon verhaftet. Das kann man doch für sein Geld verlangen. Aber nichts ist es damit.

Manchmal donnern sie über den Wolken einher; dann hört man sie nur, kann sie aber nicht sehen. Manchmal fliegen sie hoch, so hoch – wie kleine glitzernde Pünktchen sind sie dann, hoch oben. Abends sind sie mitunter erleuchtet, das sieht hübsch aus: Postkutschen des Himmels.

Da fliegen sie hin. Ich sehe ihnen fröhlich nach, und wenn da ein Greenhorn dabei ist, dann freue ich mich, denn ich weiß etwas mehr als er. Er weiß nämlich nicht, was ihn da in London auf dem Flugplatz erwartet – aber ich weiß es. Da wird er gefragt werden, was er denn hier wolle, und ob er auch er sei, und ob er denn auch die Mittel habe, identisch zu sein, und was es alles so gibt. Aber davon weiß das Greenhorn vorläufig noch nichts. Vorläufig wird er da noch durch die Luft getragen, er sitzt da und sieht ab und zu ängstlich auf seine kleine Papiertüte. Und schaut herunter.

Er sieht mein Häuschen wie eine Streichholzschachtel . . . Hören Sie, da brummt einer! Der Wind steht grade aufs Haus, vom Meer her – und es hört sich recht bösartig an, das Gebrumm. Wie wenn ein himmlischer Zahn plombiert werden soll. Daß so ein schweres Ding fliegen kann! Nein, Notlandung war noch nicht, obgleich wir hier solche Notlandeplätze haben. Aber es war noch keine. Und neulich kam etwas angesegelt, mit großen Schrauben, es sah unheimlich aus, wie ein fliegender Raddampfer oder so etwas. Es ist jedenfalls so viel Verkehr hier über dem Haus, daß man die Kinder nicht allein ausfliegen lassen . . . das dürfte wohl vorgegriffen sein. Aber lange kann es nicht mehr dauern, dann wären wir so weit.


Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Tucholsky, Kurt. Werke. 1931. Verkehr über dem Haus. Verkehr über dem Haus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-6B63-4