§ 2. Urbewohner.

Wie ein breites Band ziehen sich in der Geschichte des Alterthums die Sitze der Kelten durch ganz Europa hin, von Ost nach West, längs dem Zuge der Alpen, mehr auf den nördlichen [7] Abhängen denn südlich hinunter; die Länder aber, in denen sie zur Ruhe gekommen, weil das Weltmeer die Gränze schloß, sind die westlichsten dieses Erdtheiles, Gallien und Britanien, dann Iberien oder Spanien, wo sie als gewaltiger Keil sich eindrängten und mit den Urbewohnern zu Keltiberen verschmolzen. Haben sie auch in Gallien und Britanien Ureinwohner vorgefunden? wer möchte den Beweis führen, daß dem nicht so sei.

Griechen und Römer sind es, welche uns die erste Nachricht mittheilen, daß an den Quellen von Rhein und Donau und an dem oberen Laufe dieser Ströme einst Kelten seßhaft gewesen. Aber schon im letzten Jahrhunderte vor christlicher Zeitrechnung weiß Cäsar sie nicht mehr dort; er weiß nur, daß sie einst mächtig, siegreich und erobernd den im Norden und Osten heranziehenden Germanen Macht und Ruhm überlassen mußten. Näher bezeichnet Tacitus die Kelten, welche einst zwischen Rhein, Main und herkynischem Walde gehaust, als Helvetier, und Ptolomäus benennt das herkynische Bergland als Wüste der Helvetier.

Wahrscheinlich hängt dieses Zurückweichen der Kelten mit dem Abzuge der Kimbern und Teutonen aus der jütischen Halbinsel zusammen, welche die anderen germanischen Völkerschaften vor sich her auftrieben und weiter gen Süden vorschoben. Seitdem blieben suevische Stämme in den Sitzen der Helvetier zurück.

Weil man nicht anders wußte, hat man sich bisher mit der Annahme begnügt, daß die Kelten erste Bewohner ihrer Heimath seien. Der Neuzeit war es vorbehalten, eine ältere Urkunde als griechische und römische Handschriften aufzufinden, unter Erde und Wasser verborgen, deutlich Zeugniß gebend von einem im Urzustande lebenden Jäger- und Fischervolke, das von den Alpen bis zur Ostsee gewohnt und zu äußerst nach Irland [8] hinüber sich verbreitet hat. Insbesondere führen uns die aufgedeckten Pfahlbauten an dem Bodensee und den Schweizerseen auf die Spur eines Volkes, welches vor den Kelten hier seinen ärmlichen Haushalt geführt habe.

Alle Menschheit stammt aus Morgenland. Kein Volk wandert, so es nicht hiezu gedrängt wird. Nachrückende Schaaren treiben die vorderen immer mehr vorwärts. Je weiter ein Volk im Westen oder nach dem unwirthlichen Norden vorgeschritten ist, desto früher muß es aus der gemeinsamen Urheimat aufgebrochen sein. Im äußersten Südwesten Europas aber, auf der pyrenäischen Halbinsel, und diesseits der Pyrenäen, die Kelten im Rücken, wohnen die Iberen, ein Volk, das so fremd und einsam in der europäischen Völkersippe dasteht wie der Finne am östlichen Nordmeer. In geheimnißvolles Dunkel sind auch die Anfänge der Tusken auf der italischen Halbinsel gehüllt. Nach der Sage sind sie von den Alpen herniedergestiegen in die schöneren Gefilde Hesperiens, zum Theile wieder dahin zurückgewandert. Es fehlt nicht an solchen, welche in Tusken und Iberen gleiches Blut suchen.

Zu weitest und zu höchst im Norden der alten Welt ziehen und sitzen die Horden finnischen Stammes; sie bilden wohl das größte unter den Völkern der Erde und greifen bis nach Amerika hinüber. Die Hälfte der asiatischen Welt ist ihr Eigen. Sollten nun nicht Finnen in den ältesten Zeiten Bewohner des kleinen Europas gewesen sein? hat ihnen ja noch in geschichtlicher Zeit Skandinavien angehört. Im Süden haben Italer und Griechen, nördlich den Alpen Kelten die finnischen Völkerglieder an die Enden nach West und Nord vorgeschoben und zurückgedrängt und Germanen, über die Kelten sich herlegend, den Riß vergrößert. Bleibt man nicht vor dem Vorhange stehen, den das Schweigen geschriebener Geschichtsquellen aufzieht, versucht [9] man erst hinter denselben zu schauen, so werden in jenen Zeiten Finnen auf iberischem und irischem Boden so wenig befremden als heute Finnen in Ungarn und Türkei. Das Volk der Pfahlbauten aber steht finnischen Zuständen am nächsten.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2012). Birlinger, Anton. 2. Urbewohner. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0005-FF02-C