1060. An Nanda Keßler

1060. An Nanda Keßler


Hattorf 11. Febr. 96.


Meine liebe Nanda!

Für deinen liebenswürdigen Brief, den Du mir schriebst, als das Jahr auf der Kippe stand, hab ich Dir freilich schon oft in Gedanken gesagt, wie sehr er mich gefreut hat. Nun wird's aber Zeit, daß es ausdrücklich in sichtbaren Zeichen geschieht. Bemerkenswerthes paßirt mir ja nicht in der eintönigen Stille meines bescheidenen Daseins. Als in den kurzen dunkelen Tagen des Januar die alten Grillen mal wieder bedenklich zu zirpen begannen, fuhr ich hierher an die Südseite des Harzes. Ich hatte erwartet, es würde wieder so ein festes lustiges Winterwetter werden, wie im vorigen Jahr. Es ist aber anders gekommen bislang. Erst Schnee, dann Regen, dann Nebel, dann Glatteis, so daß die abschüßigen Wege ringsum eigentlich nur auf der mittleren Rückseite des Körpers zu paßiren waren, wozu nicht Jeder geneigt ist. Jetzt, bei 3-4° R., schwimmt die Gegend in Sauce.

So seh ich denn im Haus den Spielen der zwei fröhlichen Kinder zu und thue nebenbei Dies und Das für meine Bildung. – Inzwischen war ich auch [67] ein paar Tage in Ebergötzen in der alten Mühle. – Nächstens, denn die Tage sind doch merklich länger und heller geworden, kehr ich nach Wiedensahl zurück; wahrscheinlich heut in acht Tagen. Dann spitzt ja wohl im Garten bald allerlei aus der Erde hervor, was der alte Einsiedel mit leidlicher Theilnahme betrachten kann. Neulich saßen hier bereits mehrere Staare hoch oben auf der Wetterfahne des Kirchthurms.

Doch zur Hauptsache! Nämlich zu der Frage: Wie gehts Euch liebenswürdigen Leutchen in Frankfurt? Dir und den Kindern und der Mama und der Letty und allen mit einander. Sind Fortschritte gemacht in der Kunstreiterei auf Roß und Rad? Werden bald die Koffer gepackt für das hochgelobte Monaco?

Es wäre sehr gut von Dir, wenn Du mir bald mal über dergleichen berichten wolltest.

Herzlichen Gruß, liebe Nanda, an Dich und die Deinigen, und vergiß nicht, daß Euch fortwährend gern leiden mag

Dein getreuer Onkel Wilhelm.


License
Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).
Link to license

Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Busch, Wilhelm. 1060. An Nanda Keßler. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-1706-C