1114. An Nanda Keßler
1114. An Nanda Keßler
Wiedensahl 28. Febr. 1897.
Meine liebe Nanda!
Deinen vorletzten Brief erhielt ich noch in der Fremde, den letzten allhier. Jener sagte mir zu meiner Beruhigung, daß Du keine "Nerven" und also, schloß ich, keine Empfindsamkeiten und keine Grillen mehr hättest. Ganz so gut, hör ich nun, ist es noch nicht. Schnür-Leibweh und Ermattung der Beinercher infolge hochstrebender Absätze sind ja leicht zu kuriren. Bedenklich dagegen wär es, wenn Du wirklich, wie die Frau C. in C., an der Meinung littest, daß Du "Kritik nicht zu fürchten brauchtest". Aber ich hoffe, es geht dir in dieser Hinsicht doch beßer, als du zu scheinen beliebst. – Im übrigen behaupten sämmtliche Weisen Griechenlands: "Arbeit macht das Leben süß", und das soll ja mitunter auch richtig sein.
Ja, berühmte Bilder kosten freilich viel Geld! Doch damit ist nicht gesagt, daß Einer, der nichtviel Geld besitzt, grad Bilder betteln muß, um seine Wand zu verzieren. Er muß sich nur anderseits etwas zu mäßigen wißen, muß Lust am Herumstöbern und zwei talentvolle Augen im Kopfe haben. – Von Damen soll man nichts Böses sagen. Sie betteln gewiß nicht, weil sie die Gaben schätzen, sondern, weil sie ihre Liebenswürdigkeit erproben wollen und gern bestätigt finden.
Auch bei uns hier im Norden läßt sich bereits der Frühling was merken. Schneeglöckchen blühen; Arum hat Blätter; Rhabarber zeigt seinen röthlichen Kopf. Bei dem sanften Wetter hab ich schon ein wenig mit Schaufel und Harke handtirt.
Leb wohl, liebe Nanda, und sei herzlich gegrüßt von Deinem
alten Onkel Wilhelm.