1213. An Nanda Keßler
1213. An Nanda Keßler
Mechtshausen b. Gr. Rhüden
8. Dec. 1898.
Meine liebe Nanda!
Es hat mich sehr gefreut, mal wieder von Dir was zu hören.
Ihr unterhaltet euch, scheint's, heiter und vernehmlich in harmonischen Tönen. Zwei Klaviervirtuosinnen und ein Geiger, das kann für den Haustempel der Musik wohl genügen.
Was mich betrifft, so wandle ich inzwischen bei sonderbar schönen Dezemberwetter, wie im Frühling, in der Nähe des Mechtshäuser Pfarrhauses herum. Der große Garten senkt sich ein wenig nach Süden. Gradaus und links seh ich über ein weites Thal, wohindurch das Bächlein Nette sich schlängelt, in die blauen Berge des Harzes. Westlich, fünf Minuten entfernt, liegt langgestreckt der Heberberg, ganz bewachsen mit Tannen und Buchen. Dreiviertel Stunden ist es bis Rhüden zur Bahn. Hattorf, über Herzberg, liegt nahe.
An Bequemlichkeit daheim hab ich alles nach Wunsch. Zwei hübsche, nicht unmanierliche Kinder, beleben die Wirthschaft; hinundwieder natürlich mit jenen bekannten Geräuschen, die der fertige Mensch, weil er auch mal so war, dem beginnenden Menschen nachsichtig verzeihen soll. Ruth, die eben laufen kann, übt sich fleißig im Sprechen. Solche Anfangsübungen in Laut und Bewegung machen dem Oheim Vergnügen.
Die nützlichen und spaßhaften Hühnervogel (eure sind ja wohl abgeschafft), die von Hunteburg mitgebracht wurden und noch nachträglich im Stall allerlei störende Veränderungen erleben mußten, haben sich leider noch immer nicht eingewöhnt. Sie legen nicht. Das ist erklärlich. Wer Eier legen will, braucht Seelenruhe.
Leb wohl, liebe Nanda! Grüß mir Nelly und Hugo, wie auch die angenehmen Nachbarsleutchen in No 1, und sei du selbst herzlich gegrüßt von deinem
alten Onkel Wilhelm.