[177] II.

Zwei Knaben spielten einst auf dem Löbauer Berge und zwar in der Gegend des sogenannten Geldkellers. Dem einen von ihnen entnahm der Wind sein leichtes Strohhütchen und führte es in die Tiefe einer Felsenkluft. Der Knabe weinte und schrie, doch dadurch gelangte er immer noch nicht wieder zu seinem Eigenthum. Aus Furcht vor Strafe, die er mit großer Wahrscheinlichkeit zu erwarten hatte, wenn er ohne sein Hütchen nach Hause kehren wollte, gab er sich nun alle mögliche Mühe, es wieder aufzufinden, kletterte und kroch von einem Steine auf den andern und gelangte endlich in die Tiefe der Kluft, ohne aber sein liebes Hütchen ausfindig zu machen. Jetzt entdeckte er eine in den Fels hineingehende Höhle, hier glaubte er nun das Gesuchte finden zu müssen und gerieth so, ohne daß er es dachte, von Tiefe zu Tiefe, bis sich endlich ein ungeheuerer und weiter Felsenkeller seinen staunenden Blicken eröffnete. Hier sah er nun zwar immer wieder noch nichts von seinem Hütchen, wohl aber erblickte er eine ganze Gesellschaft Herren, die um einen großen Tisch herumsaßen und zu spielen schienen, kein lautes Wort aber von sich hören ließen. Im Hintergrunde des Kellers aber standen ganz unermeßliche Braupfannen voll von blanken Thalern und Goldstücken. Die stummen Herren winkten dem Knaben freundlich, sich von den aufgehäuften Schätzen zu nehmen und einzustecken; doch ein gräßlich feuerschnaubender Hund vertrat ihm furchtbar den Weg, daß er fast allen Muth verlor; von Neuem aber winkten die Herren und der furchtbare Hund zog sich etwas zurück. Auf dringendes und wiederholtes freundliches Zureden wagte es endlich der Knabe, sich heranzuschleichen, ging dann hart bei dem Hunde vorbei, so daß er fast über ihn hinwegsteigen mußte und steckte sich von den blanken Thalern und Goldstücken so viel ein, als nur in seinen kleinen Taschen Platz hatte. Nun schon dreister gemacht, da Alles ohne Gefahr für ihn abgelaufen war, machte er sich auf den Rückweg, der ihm auch weder von dem feuerschnaubenden Hunde noch von den stummen Herren an dem großen runden Tische streitig gemacht wurde. Froh über sein [178] unverhofftes Glück, das ihm statt seines strohenen Hütchens einen so großen Schatz finden ließ, stieg er nun wieder in der Felsenkluft empor, war ohne viele Mühe und ehe er es dachte, wieder oben auf dem Berge und eilte darauf mit seiner Baarschaft vergnügt nach Hause. Der andere Knabe, der mit diesem auf dem Berge war, hatte mit Ungeduld auf die Rückkunft seines Gesellen aus der Felsenkluft geharrt und beinahe schon gefürchtet, daß er wohl unglücklich gewesen sein könne. Doch als er ihn nun, nicht nur gesund und wohlbehalten, sondern sogar mit reichen Schätzen beladen, wiederkehren sah, und es obendrein diesen erzählen hörte, wie leicht und ohne Gefahr er dazu gelangt sei, so stieg auch in ihm der Gedanke auf, sein Glück bei jenen unterirdischen Schatzmeistern zu versuchen. Um auf ähnliche Art sich einen Weg dahin zu bahnen oder wohl gar seine Ankunft in jenem Unterreiche zu verkünden, warf er absichtlich sein Hütchen in die Felsenkluft hinab. Endlich nach langem beschwerlichen und gefährlichen Klettern gelang es auch ihm, den Eingang in den beschriebenen unterirdischen Felsenkeller wirklich zu entdecken. Doch nicht so günstig war sein Empfang, wie er nur kurz zuvor seinem Genossen zu Theil geworden war. Denn mit bösen und zürnenden Mienen sahen ihn die stummen Herren an dem großen runden Tische an und bedrohten ihn auf's Strengste, wenn er es wagen wollte hineinzukommen, auch der feuerschnaubende Hund bewieß ihm schon von Weitem seinen ganzen Grimm. Eiligst und so geschwind als er nur konnte, machte der Knabe daher sich wieder auf die Beine und war nur froh, mit heiler Haut und lebendig davon gekommen zu sein. Nur mit Mühe konnte er aber den Weg rückwärts finden und die steile Höhe wieder erklimmen, von wo er nun noch obendrein ohne Hut nach Hause kehren mußte.

Ueberhaupt hat die Erfahrung gelehrt, daß diejenigen, die diesen Berg mit Willen aufsuchten und ihre Habsucht mit den darinnen befindlichen Schätzen recht geflissentlich zu befriedigen hofften, nie so glücklich waren, die sich zugeeigneten Schätze mit sich nach Hause zu nehmen. Ja ein Löbauer [179] Bürger mußte sogar einst sieben Jahre lang in dem Berge bleiben und in Geduld harren, bis sich ihm der Berg von selbst wieder aufthat, denn aus übergroßer Begierde, sich von den erblickten Schätzen so viel als nur möglich zu eigen zu machen, hatte er ganz vergessen, daß der Berg nur eine Stunde lang offen sei und dann Jahre lang sich ihm zuschließen würde. Gern ließ er dann alle Schätze und die, welche er sich sogar schon zugeeignet hatte, in Stich und war zufrieden, nur seine Freiheit wieder erlangt zu haben.

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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. Sagen. Der Sagenschatz des Königreichs Sachsen. Zweiter Band. 784. Die Sagen von dem Geldkeller auf dem Löbauer Berge. 2. [Zwei Knaben spielten einst auf dem Löbauer Berge und zwar in der]. 2. [Zwei Knaben spielten einst auf dem Löbauer Berge und zwar in der]. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-42BE-6