323. Der Mönch und die Verräthergasse zu Görlitz.

(Nach Haupt Bd. II. S. 79.)


Die heilige Dreifaltigkeitskirche wurde früher wegen des angebauten Franziskanerklosters auch die Mönchskirche und der lange spitze Eckthurm der Mönchsthurm genannt. Noch heute heißt dieser Thurm kurzweg der Mönch und wenn die Uhr schlägt, sagen die Leute einfach: »der Mönch schlägt«. Der Mönch schlägt aber immer fünf Minuten vor dem eigentlichen Ablauf der Stunde. Davon wird folgende Begebenheit als Ursache angegeben.

Im Jahre 1527 hatten verschiedene unzufriedene Bürger sich mit einander verschworen, den Rath abzusetzen und zu ermorden und gleichzeitig auch die Stadt anzuzünden. Die Verschworenen versammelten sich in einem Hause auf der Langengasse, in welches sie durch ein Hinterpförtchen traten. Sie kamen spät am Abend dort zusammen und blieben hier so lange bei einander, bis der Nachtwächter seinen Abgesang machte und nach Hause ging. Eines Nachts schlug aber die Mönchsuhr viel zu früh, der Nachtwächter sah jene aus dem Hause kommen und schöpfte Verdacht. Er zeigte, was er gesehen, am nächsten Morgen an, man kam den Verschworenen auf die Spur, machte ihnen den Prozeß und ließ sie auf dem Fischmarkte vor dem jetzigen Stockhause hinrichten. Davon hat das Seitengäßchen, in welches jene Hinterthüre hinausging, den Namen die Verräthergasse bekommen; ein Stein aber ist in der Mauer über der Thüre befestigt, auf welchem man die Buchstaben D.V.R.T. (der verrätherischen Rotte Thür) und darunter die Jahrzahl 1527 liest. Die Mönchsuhr aber ist zur Erinnerung an diese Begebenheit absichtlich so gestellt worden, daß sie seitdem immer fünf Minuten vorher die Stunde schlägt.


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TextGrid Repository (2012). Grässe, Johann Georg Theodor. 323. Der Mönch und die Verräthergasse zu Görlitz. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-4BB5-E