Nachlese

Propst Hee

Bald leuchtest du, o Graf, in engelheiterm Schimmer.
Graf Brandt

Mein lieber Pastor, desto schlimmer.
Die Herren blendt gar oft zu vieles Licht,
Sie sehn den Wald vor lauter Bäumen nicht.
Sind Könige je zusammengekommen,
So hat man immer nur Unheil vernommen.
Bedenkt, man will euch hören;
So seid nicht redefaul;
Und wollt ihr euch erklären,
So nehmt nicht Brei ins Maul.
Bist zu schwach geschäftet,
Kannst dich selbst nicht tragen,
Erst ans Kreuz geheltet,
Dann aufs Rad geschlagen.
[394]
Denn mit dem himmlischen Küchenzettel
Ist's immer wieder der alte Bettel.
Wer Bedingung früh erfährt,
Gelangt bequem zur Freiheit.
Wem Bedingung sich spät aufdringt,
Gewinnt nur bittre Freiheit.
Ich habe die Tage
Der Freiheit gekannt,
Ich hab sie die Tage
Der Leiden genannt.
Es hange eben nicht zusammen,
Nicht mit Wartburgs Bücherflammen,
Nicht mit Verruf [?] von Geor[gia?];
Das stehe alles nur einzeln da,
Und müsse jedermann sich schämen,
Die Sache gar für ernst zu nehmen.
Ein abgestumpft Gesicht:
Zeig doch den Bloßen!
Wer ohne Nase spricht,
Hat die Franzosen.
Wie magst du ruhig fort erfahren,
Daß sie dich schelten? –
Ich rede zu! In funfzig Jahren
Wird es schon gelten.
[395]
Was einer denn wüßte? was wissen man kann?
Darob verwirrt sich, überwirft sich der Mann.
»Was einer wissen konnte, und was er nun weiß,
Er selber wiß es! Nichts macht ihm dann heiß.«
O bleibe ruhigen Bezirken
Treu, deiner Lampe Nachtrevier.
Auf Menschen ist nicht leicht zu wirken,
Doch auf das willige Papier.
Und so im Wandlen eigentlichst belehrt:
Unschätzbar ist, was niemals wiederkehrt.
Und hätt er's auch gesehn, der höchste Blick
Kehrt nur ins Herz zur Herrlichkeit zurück.
Und wie der Mensch dem Menschen Weg' bereitet,
Dem Menschen ist's der Mensch, der sie bestreitet.
Es ist nicht hübsch, wenn man den Hof so sehr zum besten hat
Behüte Gott den Hof! Es gibt auch Land und Stadt.
Willst du wirksam sein,
Bediene dich deiner Kraft,
Jung in Gesellschaft,
Alt allein.
Wenn euch vor unsrem Namen graut,
Gleichgültig ist's, wie er heißt.
Wir haben die Natur mit einem Blick beschaut,
Der Lust und Lieb Sophias beweist.
[396]
Kirschkerne wird niemand kauen,
Man kann sie verschlucken, doch nicht verdauen.
Zu wünschen hab ich nichts, mich fördert alles,
Doch denk ich jetzt des ganz besondern Falles.
Doch kann sich einer pfiffiger erweisen,
Mein guter Freund, so will auch das nichts heißen.
Du hast so vielen schon den Hals gebrochen,
Und keiner hat so viel für dich getan.
So willst du, Teufel, doch einmal uneigen –
Uneigennützig dich, der Teufel! zeigen.
Ich wünschte wohl, dich anders zu staffieren,
Doch weil du's bist, so laß ich dich passieren.
Man weiß nicht wie, man tue nur das Rechte,
Am Ende fällt, am Ende dient der Schlechte.
Das Haus ist wohl gegründet,
In dem sich ein Knab oder Mägdlein findet,
Das weiß mit redlichem Bemühn
Der Eltern Feh[ler] zurechtzuziehn.
Besonders Eulen, die verdrießt,
Daß etwas Tag in die Ritzen fließt.
[397]
Wir sollen auf unsern Lorbeern ruhn,
Nichts weiter denken, als was wir tun.
Den offnen Mann beschämt ein Fehler nicht;
Der schäme sich, der heuchlend immer fehlt.
Was muß man doch im Alter nicht
An gutem Ruf verlieren:
Herr Spicker spickt gar mein [?] Gesicht
Am Festtag mit Geschwüren.
In Jena weiß man viele Sachen,
Nur nicht aus Essig Wein zu machen.
Catalani tat, was auch andre taten;
Große Talente sind schlecht beraten.
Daß die Bibelgesellschaft
Das wunderliche Buch in die Welt schafft,
Das kann ich gar nicht überwinden,
Wenn es auch vielen Leuten gefällt;
Nur die Krämer in aller Welt
Werden sich freuen, Christen zu finden,
Denen sie denn einen Rosenkranz
Verkaufen mögen oder andern Tanz.
Wenn du nicht hättest gut reimen wollen,
Andern Tand hättest du sagen sollen.
Dreieinigkeit hab ich auch gesehn
Lebendig durcheinanderwehn!
Der Heilige Geist fuhr hin und her,
Als wenn er flatternde Taube wär.
[398]
Gott der Sohn gab sein Wort dazu,
Der Vater blieb in ewiger Ruh,
Denn er wußte schon ungefähr,
Was an der ganzen Sache wär.
Christus ein Gott vom Himmel kam,
Ein Mensch auf Erden wundersam;
Als Gott und Mensch, als Mensch und Gott
Anbetung ward ihm, Schand und Spott;
Zuletzt zu unserer Seligkeit
Ging er durchs Grab zur Herrlichkeit.
Glücklich, wenn nach außen ich die Augen wende,
Nur die Krätzigen besehen ihre eignen Hände.
Thema

»Für den Kammerdiener
Gibt's keinen Helden!«
Ausführung

Held ist kein Kammerdiener,
Das muß ich melden.
Der Diener aber beweist
Sich nur gegen den Helden,
Wenn dieser pißt und scheißt.
Will doch auch was gelten.
Da sagt sodann der Knecht
Zu lausigen Leuten:
»Mein Herr ist mir eben recht,
Hat nichts zu bedeuten.«
[399]
Seid mir willkommen, süße Buhlerinnen,
Denn ihr allein verschönt uns doch die Welt;
Ihr lasset uns im Augenblick gewinnen,
Was Prüderie uns jahrelang verhält.
Was sie nicht fühlt, sie weiß es zu ersinnen,
Wie selbstgefällig froh sie sich verstellt;
Von Eva her geschaffen zum Betrügen,
Sie kleidet nichts so gut, als wenn sie lügen.
An Venus Medicis ruht es in Frieden
Und am Apoll von Belveder desgleichen;
Doch beide sind entschieden so geschieden,
Daß sie sich möchten gar zu gern erreichen.
So wird für Gott und Göttin, Mann und Weib
Die allerhöchste Pflicht ein Zeitvertreib.
Doch wo das Gleiche mit dem Gleichen wechselt,
An einem Körper wunderlich zu schauen,
Eins in das andre so hineingedrechselt,
Da überfällt mich Angst und quälend Grauen.
Und also, ein für allemal,
Der Lingam ist mir ganz fatal!
Es hat ein hübsches Maidel
Nur allzuviel zu tun,
Der Bursche trinkt manch Seidel
Und kann hernach nicht ruhn.
Und wenn sie dann sich trafen,
Wer kann dann was dafür?
Er hat den Rausch verschlafen,
Der Rausch, er schläft mit ihr.
[400]
Was gibst du dir mit Lieb und Ehre
Und andern Dingen so viele Pein!
Wenn ein tüchtiger S... nur wäre,
Die Weiber würden sämtlich zufrieden sein.
Und was bleibt denn an dem Leben,
Wenn es alles ging zu Funken,
Wenn die Ehre mit dem Streben
Alles ist im Quark versunken.
Und doch kann dich nichts vernichten,
Wenn, Vergänglichem zum Trotze,
Willst dein Sehnen ewig richten
Erst zur Flasche, dann zur...
Was uns gefällt und scheinet fein,
Muß erst mit Müh erworben sein.
Was der Mensch als Gott verehrt,
Ist sein eigenstes Innere herausgekehrt.
Gleichnisse dürft ihr mir nicht verwehren,
Ich wüßte mich sonst nicht zu erklären.
Denkt nicht, ich geh euch dummem Volk zu Leibe;
Ich weiß recht gut, für wen ich schreibe.
[401]
So wie ich weiß,
Hieß es Granit-Gneis.
Jetzt heißt[s] Gneis-Granit;
Das ist ein wichtiger Schritt!
Als wenn ich sagte: Seel und Leib,
Mann und Weib!
Weib und Mann, Leib und Seele:
Gott gebe, daß es am Besten nicht fehle!

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Werke. Gedichte. (Gedichte. Nachlese). Zahme Xenien. Nachlese. Nachlese. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-679A-8