Lust und Qual

Knabe saß ich, Fischerknabe,
Auf dem schwarzen Fels im Meer,
Und bereitend falsche Gabe,
Sang ich, lauschend rings umher.
Angel schwebte lockend nieder;
Gleich ein Fischlein streift und schnappt,
Schadenfrohe Schelmenlieder –
Und das Fischlein war ertappt.
Acht am Ufer, durch die Fluren,
Ins Geklüfte tief zum Hain,
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Folgt ich einer Sohle Spuren,
Und die Hirtin war allein.
Blicke sinken, Worte stocken! –
Wie ein Taschenmesser schnappt,
Faßte sie mich in die Locken,
Und das Bübchen war ertappt.
Weiß doch Gott, mit welchem Hirten
Sie aufs neue sich ergeht!
Muß ich in das Meer mich gürten,
Wie es sauset, wie es weht.
Wenn mich oft im Netze jammert
Das Gewimmel groß und klein;
Immer möcht ich noch umklammert
Noch von ihren Armen sein!

Notes
Undatiert, Erstdruck 1820.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2012). Goethe, Johann Wolfgang von. Lust und Qual. Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6A97-5