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An Carl Friedrich von Reinhard

Carlsbad, den 28. August 1807.

Ihren Brief von Dresden, mein verehrter Freund, erwartete ich mit Ungeduld. Nun ist es mir höchst erfreulich, zu wissen, daß Sie in eine Lage versetzt sind, in der Sie Ihre nächsten Wünsche befrieden können, ohne die ferneren aufzugeben. Weiß ich Sie nur einmal als Präfect, so mache ich einen Reiseplan, Sie zu besuchen, dem Departement zu gratuliren und Ihnen zu einer schönen und weiter früheren Thätigkeit Glück zu wünschen.

[396] Die Äußerungen des deutschen Großpapas und des französischen Juvenils haben den Vorsatz, dasjenige, was ich zu sagen habe, geschwind aufs Papier zu bringen, in mir aufs neue belebt. Mit sich selbst und mit wenigen einig zu werden, ist ein selbst stolzer Wunsch, und also will ich schon zufrieden seyn, wenn er mir im Leben nur einigermaßen in Erfüllung geht. Auf die Nachkommen muß man doch auch etwas rechnen.

Die Redensweise des guten alten Herren ist gerade die, die mich in meiner Jugend aus den philosophischen Schulden vertrieb und zu dem Huronischen Zustand hindrängte, in dem ich mich noch befinde. Lassen Sie uns auch bey underm Übrigens verharren, denn ich mag wohl hinzufügen: Übrigens freue ich mich recht sehr darauf, Ihnen bald wieder etwas zu schicken.

Ihr Brief an Villers, Ihre Übersetzung, die Gespräche, die wir geführt, haben das ganze Vorhaben vor meiner Seele so lebendig gemacht, daß ich mich getrieben fand, dasjenige, was zur Einleitung dienen sollte, aufzuzeichnen und auszuarbeiten und dabey besonders jene mißlichen Paragraphen verständlicher und zusammenhängender zu wiederholen.

Bezüglich auf die Deutscher und ihre Denkungsart ist mir meine Absicht vielleicht gelungen. Manche unübersetzliche Stelle hingegen mag sich in diesem Aufsatz wohl auch noch finden, worüber man denn wohl sich beruhigen muß. Auf diesem Weg bin ich [397] wieder in die Arbeit hineingekommen, und bey meiner Rückkehr soll der Druck sogleich fortgehen.

Daß Sie den Tasso in Leipzig gesehen, ist mir sehr erwünscht. Sie haben dadurch ein Resultat gar vieler Bemühungen und Anstrengungen kennen lernen; und da die dramatische Kunst doch eigentlich nur ins Wasser schreibt, so ist es mir desto tröstlicher, daß sich diese Züge in Ihren richtigen Sinn und in Ihr theilnehmens Herz einprägen konnten.

Indessen hat das mir so freundlich verehrte schöne Kästchen sich gegen mich als eine Pandorenbüchse in gutem Sinne verhalten. Die Werke des Lafontaine, die alten und neuen Romane haben mich sehr unterhalten und aufgeregt. Besonders aber setzte mich Montesquieu in Erstaunen. Die ganze Geschichte unserer Zeit steht buchstäblich in seinem Werke, so finden die Ärzte schon im Hippokrates diejenigen Krankheiten genau beschrieben, an denen sie ihre Patienten immerfort sterben lassen.

In Ihrem Urtheil über Corinna hat mich Ihr treffender Geradsinn abermals sehr gefreut. Sie lassen ihr vollkommen Gerechtigkeit widerfahren, und das, was Sie tadeln, möchte ich nicht in Schutz nehmen. Nur gestehe ich gern, daß ich gegen dieses Werk wie gegen alles Hervorgebrachte nachsichtiger und schonender verfahre, indem schon Talent erfordert wird, auch das, was nicht recht ist, hervorzubringen. Und so verschmelzen sich vor meiner Ansicht die Fehler [398] ins Gute, wie es ja bey Betrachtung der Individuen auch der Fall ist, an denen wir immer zu loben und zu tadeln finden, und die wir zuletzt doch lieben müssen. Die Synthese der Neigung ist es eigentlich die alles lebendig macht.

Ihr Brief aus Weimar ist mir nun auch zugekommen und hat mir große Vorbedeutung unseres künftigen Verhältnisses ansehen, daß Ihnen unsere Zustände so klar geworden sind, daß die Personen in Weimar meist beysammen waren, die unser Daseyn ausmachen. Bald darauf sind mehrere verreist, und später würden Sie das Local sehr leer gefunden haben. Auch unsern Weimaraner wünsch' ich Glück zu der Bekanntschaft eines Mannes, den ich so sehr schätze und von dem ich so oft werde zu reden und zu erzählen haben. Wohl ist jetzt eine Zeit, da man sich an wechselseitigen Andenken und Zutrauen theilnehmend und hoffend aufrecht erhalten muß.

Daß Ihnen meine Wohnung und die Meinigen bekannt und lieb geworden, ist mir besonders erfreulich, weil mich Ihre Einbildungskraft nicht immer in den drey Mohren aufzusuchen braucht. Wenn Sie am Rheine glücklich angelangt sind, so ersuche ich Sie um eine Beschreibung, oder noch lieber um eine Zeichnung Ihrer Wohnung und der umliegenden Gegend, damit ich die Erinnerung früherer Zeiten wieder auffrischen und mich im Geiste zu Ihnen in das schöne [399] heitre Land begeben könne. Der herrliche Nachsommer und Herbst muß sich am Main und Rhein unendlich schön zeigen.

Ich schließe meinen Brief mit einer Betrachtung, die eine Stelle des Ihrigen rege macht. Der böse Wille, der den Ruf eines bedeutenden Menschen gern vernichten möchte, bringt sehr oft das Entgegengesetzte seiner Absicht hervor. Er macht die Welt aufmerksam auf eine Persönlichkeit, und da die Welt wo nicht gerecht, doch wenigstens gleichgültig ist, so läßt sie sichs gefallen, nach und nach die guten Eigenschaften desjenigen gewahr zu werden, den man ihr auf das schlimmste zu zeigen Lust hatte. Ja es ist sogar im Publicum ein Geist des Widerspruchs, der sich dem Tadel wie dem Lobe entgegengesetzt, und im Ganzen braucht man nur nach Möglichkeit zu seyn, um gelegentlich zu seinem Vortheil zu erscheinen; wobey es denn freylich hauptsächlich darauf ankommt, daß die Augenblicke nicht allzu kritisch werden und der böse Wille nicht die Oberhand habe zur Zeit, wo er vernichten kann.

Verzeihen Sie die Wiederholung einer Betrachtung, die Sie schon selbst gemacht haben. Wir hören aber doch auch wohl gern dasjenige, wovon wir überzeugt sind, von einem Fremden wiederholen.

Mein August, der gekommen ist, mich abzuholen, und Schreiber dieses empfiehlt sich bestens. Empfehlen Sie uns Ihrer Frau Gemahlin und lasse mich bald[400] hören, ob Villers geantwortet hat, wo uns wie Sie sich befinden, und ob Sie vielleicht meine Mutter in Frankfurt gesehen haben. In etwa 8 Tagen werde ich von hier abreisen.

G.


Noch eins füge ich hinzu, daß ich mich seit Ihrer Abreise mit den Gebirgen und Gesteinen dieser Gegend lebhafter beschäftigt, auch eine Sammlung, die davon hier ausgeben wird, auch eine Sammlung, die davon hier ausgegeben wird, commentirt habe. Der kleine Aufsatz beträgt zwey Bogen, die ich hier gleich habe drucken lassen. Sie erhalten einige Exemplare, sobald ich einmal ein Packet für Sie beysammen habe, das auf der fahrenden Post abgehen kann. Nochmals die besten Wünsche für Ihr Wohl und der Ihrigen.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1807. An Carl Friedrich von Reinhard. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6BC4-6