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An Charlotte von Stein

Wir sind im Lande herumgeritten, haben böse Weege gesehen in die viel verwendet worden ist und die doch nicht gebessert noch zu bessern sind, haben gute in der Stille lebende Menschen gefunden und an Leib und Seele Bewegung gehabt.

Gestern Abend gab der Graf Ley den Frauen und Fräuleins ein Abendessen und Tanz. Es waren niedliche Misels dabey und es ging lustig zu Der kleine hat seine schöne Gäste mit unendlichen Kinderpossen geneckt und sie haben sich mit ihm herumgerollt. Der Stadthalter war vergnügt. Wir haben schon was rechts geschwäzzt, für mich ist sein Umgang von viel Nuzzen. Durch die Erzählungen aus seinem manigfaltigen politischen Treiben, hebt er meinen Geist aus dem einfachen Gewebe in das ich mich einspinne, das ob gleich es auch viele Fäden hat, mich doch zusehr nach und nach auf Einen Mittelpunckt bannt. Der Stadthalter ist doch eigentlich auch kein rechtes Kind dieser Welt, und so klug und brav seine Plane sind, fürcht ich doch es geht einer nach dem andern zu scheitern. Er hat eine treffliche Gewandtheit in bürgerlichen und Politischen Dingen, und eine beneidenswerthe Leichtigkeit. Wir haben gekannegiesert und gegörzt, und aus allem was ich von den vier Enden der Erde höre, zieh ich immer meine eigne [215] Nuzzanwendung. Im Stillen Krafft und Fähigkeit [darüber: Fertigkeit] (das heist Gewalt) zu sammlen, zu halten [darüber: spaaren], und auszuarbeiten und auf Glück zu warten wo das mögte zu brauchen seyn!! Zum Laufen hilft nicht schnell seyn. u.s.w. Adieu Liebste! Da Sie von der Welt so weit entfernt sind, werden wir Ihnen Kinder scheinen die das Wasser aus dem Fluss in's Meer tragen, es liefe wohl geschwinder von selbst. Bleiben Sie mir nah und verzeihen Sie dass ich immer über mein eigenstes mit Ihnen rede, hätt ich Sie nicht ich würde zu Stein. Adieu. Ich habe hundert Plane die ganz sachte in mir lebendig werden und meine Existenz scheint mir immer noch einförmig. Die Paar Tage Wechsel und Menschen und Sachen bekommen mir wohl. Ich komme mir vor wie der Steinfresser der um satt zu werden, nach der reichlichsten Mahlzeit noch Kiesel verschlucken muss Adieu. Morgen Sonnabends Mittag ess ich mit Ihnen.

d. 5. May 80. Erfurt.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1780. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6D01-E