6/1699.

An Johann Gottfried Herder

Ich dancke dir für das Zutrauen, hier ist die Predigt zurück, und dabey einige Erinnerungen. Zuförderst bitte ich dich, da du einmal veranlaßt bist sie drucken zu lassen, mache dir zum Gesetz nichts weiter zu hören was man drüber sagt. Ich habe nur noch bey, den zwey Musick Texten und den Compositionen dazu gesehen wie fast ieder Mensch anders zu den Sachen steht und sie anders nimmt, besonders da selten einer weis was er aus dem Ganzen machen soll.

Da ich deine Predigt hörte, wünschte ich du hättest ein tröstlich, wohlthätig Wort für den Herzog hinzufügen können und mögen. Du hast deine Zuhörer an den breitsten Theil der Klufft geführt, die unsre Gegenwart und iene Zukunft trennt, und da suchte ieder eine Brücke, irgend ein Plätzgen wo wahrscheinlich hinüber zu kommen wäre, du hast der Hoffnung nichts übrig gelassen als sich ihrer Flügel zu bedienen. Da es aber damals nicht geschehen halte ich es nicht für räthlich etwas ietzo hinzuzuthun, und bliebe dieser fromme Wunsch auf sich beruhen.

Vielleicht würde mancher in der ersten Abtheilung eine nähere Bestimmung wünschen, ob es gleich für mich auf die Art wie du es in der Kürze gefaßt hast stehen bleiben kann. Aber wenn du sagst: immer[138] waren nur schwache Menschen Tyrannen; so scheint es mir zu allgemein und gegen die Erfahrung zu seyn. Gewaltsame, harte, rohe Naturen können und müssen phisisch fest organisirt seyn, können der regelmäsigsten Gesundheit geniesen, und doch, ia vielmehr eben deswegen grausame, selbstische Tyrannen seyn. Von solchen kommen in der Geschichte soviel Beyspiele vor als derer die du sehr gut schilderst. Es thut auch hier weiter nichts zur Sache, und ist mit einem Worte beygelegt.

Nun trete ich bey dem zweyten Punckte mit einer Vorbitte für die schönen Künste auf. Wenn du über die Idee die du hier hinwirfst eine kleine Abhandlung schriebst, oder dich unter guten Freunden darüber herausliesest, wäre es ein anders, hier aber fällt diese Anmerckung wie vom Himmel, weil so viele Zwischen Ideen übersprungen sind. Ich weis wohl daß ieder der für sich und andre zu sorgen hat, wohlthut, sich dem nothwendigen und nützlichen zu wiedmen, und daß es gefährlich ist der Leidenschafft zum Schönen so viel Raum zu geben. Ist es denn aber nicht mit ieder Leidenschafft dasselbe, in der die Mächtigen und Reichen einen höhern und stärckern Genuß des Lebens suchen! Hunde, Pferde, Jagd, Spiel, Feste, Kleider und Diamanten, was für Capitale von Baarschafft stecken darinne und was für Intressen von Zeit und Geld zehren sie nicht auf, ohne die Seele zu erheben, das doch die Gaben der Musen um einen wohlfeilern Preis gewähren.

[139] Und wem ist ein Sonnenblick aus ienen höhern Regionen der Menschheit mehr zu gönnen als dem der sich unter den Staubwolcken des mühseeligen Erdelebens herumtreibt. Mich dünckt man kann nicht bestimmt genug sprechen wenn man vor dem Übermas eines Guten, das zum Fehler werden kann, warnen will. Ganz kann es nicht wegbleiben da du dessen einmal erwähnt hast. Wenn ich es zu thun hätte würde ich die roth angestrichne Stelle beym Eingang des Paragraphen weglassen, und gegen das Ende wo ausgeführt ist was thätige Weisheit, geschäfftige Klugheit für Vortheile bringen, würde ich hinzusetzen: daß um so viel zu würcken keine ausgebreitete todte Gelehrsamkeit nötig sey, und daß selbst schöne Wissenschafften und Künste, die sonst für die grösste Zierde der Staaten gehalten, deren Annehmlichkeiten offt von Fürsten mit zu groser Vorliebe genossen würden, dem Regenten keinen so schönen und dauerhafften Kranz knüpften, als eine wahre lebendige auf die ersten Bedürfnisse, auf das nötige und nützliche gerichtete Würcksamkeit.

Daß du in beyden Predigten keinen Gebrauch von denen Motifs die uns die kristliche Religion anbietet gemacht hast, hat mich gewundert, wenn ich's auch nur nehme als Melodie eines bekannten Chorals, der unter andrer Musick den besten Effeckt thut, und durch allgemeine Reminiscenzen die ganze Gemeinde auf einen Punckt führt.

[140] Das Ganze übrigens so schön es ist, dünckt mich zu kurz, zu gedrängt, mehr Text als Predigt. Laß diesen Tadel das beste Lob seyn das ich ihr geben kann. Und verzeih mir wenn ich auch mehr ein Individuum aus dem Publiko als einen übersehenden Censor gemacht, und einseitige Bemerckungen vorgebracht habe. Lebe wohl und grüse deine Frau.

d. 20. März 1783.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1783. An Johann Gottfried Herder. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6E01-6