24/6753.

An Sara von Grotthuß

Schon mehrmals ist es mir so ergangen, daß, wenn ich mich, nach langem Zaudern, endlich entschloß lieben Freunden zu melden daß eine zugedachte Gabe nicht angekommen, sogleich nach abgesendetem Briefe das Erwartete glücklich eintraf; und so ging es auch jetzt mit den fünf köstlichen Gänse-Brüsten, die in einem Körbchen glücklich anlangten, und vortrefflicher schmecken, oder zu schmecken scheinen, als alle sonst genossene. Seit den letzten von Ihnen erhaltenen sind keine wieder in meine Speisekammer gekommen, und die Köstlichkeit derselben bezeugt vorzüglich Riemer, der sich die Abende wieder fleißig bey mir einfindet, und mir mancherley vorbereiten hilft, [159] was Ihnen dereinst auch Vergnügen machen soll, zugleich mit mir dankt und sich Ihrem theueren Andenken empfiehlt.

Lassen Sie mich, nach einer so schmackhaften leiblichen Speise, ohne gesuchten Übergang, von einer Gleichfalls wohlbereiteten geistigen Speise reden! ich meine das Werck sur l'Allemagne, von Frau vonStaël; Sie haben es selbst gelesen, und es bedarf also meiner Empfehlung nicht. Ich kannte einen großen Theil desselben im Manuscript, lese es aber immer mit neuem Antheil. Das Buch macht auf die angenehmste Weise denken, und man steht mit der Verfasserin niemals in Widerspruch, wenn man auch nicht immer gerade ihrer Meinung ist. Alles was sie von der Pariser Societät rühmt kann man wohl von ihrem Werke sagen.

Man kann das wunderbare Geschick dieses Buches wohl auch unter die merkwürdigen Ereignisse dieser Zeit rechnen. Die französische Polizey, einsichtig genug daß ein Werk wie dieses das Zutrauen der Deutschen auf sich selbst erhöhen müsse, läßt es weislich einstampfen, gerettete Exemplare schlafen, während die Deutschen aufwachen, und sich, ohne solch eine geistige Anregung, erretten. In dem gegenwärtigen Augenblick thut das Buch einen wundersamen Effect. Wäre es früher da gewesen, so hätte man ihm einen Einfluß auf die nächsten großen Ereignisse zugeschrieben, nun liegt es da wie eine spät [160] entdeckte Weissagung und Anforderung an das Schicksal, ja es klingt als wenn es vor vielen Jahren geschrieben wäre. Die Deutschen werden sich darin kaum wiedererkennen, aber sie finden daran den sichersten Maaßstab des ungeheuern Schrittes den sie gethan haben.

Möchten sie, bey diesem Anlaß, ihre Selbstkenntniß erweitern, und den zweyten großen Schritt thun ihre Verdienste wechselseitig anzuerkennen, in Wissenschaft und Kunst, nicht, wie bisher, einander ewig widerstrebend, endlich auch gemeinsam wirken, und, wie jetzt die ausländische Sclaverey, so auch den inneren Parteisinn ihrer neidischen Apprehensionen unter einander besiegen, dann würde kein mitlebendes Volk ihnen gleich genannt werden können. Um zu erfahren inwiefern dieses möglich sey, wollen wir die ersten Zeiten des bald zu hoffenden Friedens abwarten.

Dem freundlichsten Lebewohl füge ich einen wiederholten aufrichtigen Dank hinzu.

Weimar den 17. Feb. 1814.

Goethe.

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Sara von Grotthuß. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6E86-9