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An Johann Kaspar Lavater

Mir ist herzlich lieb dass du uns durch Knebel näher kommst. Gewiss ist, dass an so einem kleinen[257] Orte, wo eine Anzahl wunderbaarer moralischer Existenzen sich an einander reiben, eine Art von Gährung entstehen müsse, die einen lieblich säuerlichen Geruch hat, nur gehts uns manchmal wie einem der den Sauerteig selbst essen sollte. Es ist eine böse Kost. Aber wenn es in kleiner Portion zu andrem Meel gebracht wird, gar schmackhafft und heilsam.

Dass du Freude an meiner Iphigenie gehabt hast, ist mir ein auserordentlich Geschenck. Da wir mit unsren Existenzen so nah stehn, und mit unsern Gedancken und Imaginationen so weit auseinander gehn, und wie zwey Schüzzen, die mit den Rücken aneinander lehnend, nach ganz verschiednen Zielen schiessen; so erlaub ich mir niemals den Wunsch dass meine Sachen dir etwas werden könnten. Ich freue mich deswegen recht herzlich dass ich euch mit diesem wieder ans Herz gekommen bin.

Adieu. Die Dürers schick ich gleich wenn die, die du dazu schicken willst einrangirt sind. Du hast recht, ich treibe die Sachen als wenn wir ewig auf erden leben sollten.

Knebeln innliegendes.

Ich bin neugierig ob du an der Apokalypse nichts verdorben hast.

Mir ists neulich so gegangen dass ich habe aus einem Stück ein duzzend Verse herauskorrigirt, die ich, da es der Herzog zu sehen kriegte wieder restituiren musste.

[258] Grüse Bäben. Schicke von Wasern bald. Adieu bester. Der Herzog grüsst.

d. 24. Jul. 80.

G.


Wir werden zwar in unserm Leben keine grosse Phisiognomen werden, doch thust du wohl wenn du uns auch etwas mittheilst.

Bei Gelegenheit von Wielands Oberon brauchst du das Wort Talent als wenn es der Gegensaz von Genie wäre, wo nicht gar, doch wenigstens etwas sehr subordinirtes. Wir sollten aber bedenken dass das eigentliche Talent nichts sein kann als die Sprache des Genies. Ich will nicht schikaniren, denn ich weis wohl was du im Durchschnitt damit sagen willst, und zupfe dich nur beim Ermel. Denn wir sind oft gar zu freigebig mit algemeinen Worten, und schneiden, wenn wir ein Buch gelesen haben, das uns von Seite zu Seite Freude gemacht, und aller Ehren werth vorgekommen ist, endlich gern mit der Scheere so grade durch, wie durch einen weisen Bogen Papier.

Denn wenn ich ein solches Werk auch blos als ein Schnizbildgen ansehe, so wird doch der feinsten Scheere unmöglich, alle kleinen Formen, Züge und Linien, worinn der Werth liegt heraus zu sondern. Es ist nachher noch eins was man nicht leicht an so einem Werke schäzt weil es so selten ist; dass nemlich der Autor nichts hat machen wollen und gemacht hat als was eben da steht. Für das Gefühl, die Kunst[259] und Feinheit so vieles wegzulassen gebührt ihm freilich der grösste Dank, den ihm aber auch nur der Künstler und Mitgenosse giebt.

Was deine dikhirnschaaligen Wissenschaftsgenossen in Zürich betrift und was sie von Menschen die unter einem andern Himmel gebohren sind, reden, bitt ich dich, ia nicht zu achten. Die grössten Menschen die ich gekannt habe, und die Himmel und Erde vor ihrem Blik frei hatten, waren demüthig und wussten, was sie Stufenweis zu schäzen hatten. Solches Kandidaten und Klostergesindel ziert allein der Hochmuth. Man lasse sie in der Schellenkappe ihres Eigendünkels sich ein wechselseitiges Conzert vorrasseln. Unter dem republikanischen Druk und in der Atmosphäre durchschmauchter Wochenschriften und gelehrten Zeitungen würde ieder vernünftiger Mensch auf der Stelle toll. Nur die Einbildung, Beschränkung und Albernheit hält solche Menschen gesund und behaglich.

G.

Sage Kaysern dass ich indess auf 12 Exemplare subscribire.
Grüse Bäben.
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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1780. An Johann Kaspar Lavater. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6E8A-1