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An Johann Heinrich Meyer

Jeden Posttag gedachte ich bisher zu schreiben, und zauderte immer, weil ich auf einen Brief von Ihnen hoffte. Wahrscheinlich ist es Ihnen auch so gegangen. Da nun aber die Märzenluft gelinder weht, und den tiefen Schnee zu schmelzen anfängt, der unsere Gegend bisher bedeckt hielt; so dürfen wir nun an das Frühjahr, sowie an den nächsten Sommer denken, und uns über unsre Plane und Absichten vorläufig unterhalten.

Ich habe mich diesen Winter sehr wohl befunden, und um dem geringen gichtischen Wesen, das mir manchmal durch die Glieder fährt, zu steuern, halte ich das Berkaische Bad für hinlänglich; und allenfalls könnte mich ja, gegen den Herbst, noch einige Wochen nach Böhmen wenden. Die größte Zeit des Jahres aber möchte ich in Weimar und in der Gegend zubringen, aus mancherley Ursachen, aber auch um meine Kunstbesitzungen und wissenschaftlichen Sammlungen in einige Ordnung zu stellen, daß sie mir und andern genießbar und nützlich würden. Mit den Kupfern ist schon ein guter Anfang gemacht; die[183] Bronzen, Marmorbilder und Reliefs stehen auch bey sammen, nicht weniger das Gestein, und so kann eins sich an das andere anschließen. Gar manches andere wäre auch in unsern öffentlichen Dingen zu bedenken und zu thun, da unser Besitz nicht gestört noch verkümmert worden; aber der Geist weicht aus den Sachen, weil die Geister alle auswärts beschäftigt sind.

Wollen Sie nun auch mit den Schwalben zu uns zurückkehren, so sollen Sie schönstens willkommen seyn, und wenigstens so ruhig leben als irgendwo. In der Schweiz, scheint es, sind die Gemüther durch die neue Entbindung von Zwange ebenso aufgeregt wie überall: man will weder das Alte noch das Neue, und da dieß der Zustand von Europa wenigstens eine Zeitlang bleiben möchte, so haben wir andern wohl nichts zu thun, als uns im Alten das wir erprobt zu bestätigen, und uns zu erneuen insofern wir noch eine Haut abzuwerfen haben.

Jagemann hat die Standarte bis an den Rhein getragen, sie aber nachher, weil sie doch schwerer ist als Pinsel und Mahlstock, abgegeben. Aus den Zeitungen wissen Sie schon, daß unser Herzog in Brüssel war und nun auch vorwärts gegen Paris rückt. Das was ihm obliegt kann er hoffentlich mit Ehre leisten, ohne weder sich noch die Seinigen aufzuopfern. Doch ist der Krieg ein so vielgewandtes Ding, man weiß niemals wo er sich hinwirft. Müller führt unsere Zeitenschule so sachte fort. Seinen Sohn will er [184] nach München schicken, ich habe mich deshalb mit Director Langer in Connexion gesetzt. Möchten Sie doch die Kunstschätze jener Gegend kennen lernen.

Ich würde Sie jedoch zu einer Rückkehr nicht unmittelbar aufmuntern, wenn ich es nicht um der Hoheit willen thäte, die es zu wünschen scheint, ob sie gleich, nach ihrer leisen und zierlichen Art, nichts Entschiedenes äußert. Ich glaube aber, und Sie werden es selbst fühlen, daß Sie ihr nothwendig sind. Bisher habe ich als Surrogat meine Sachen so gut als möglich gemacht; kommen Sie zurück, und ich bleibe in der Nähe, so kann man gemeinschaftlich wirken und dem schönen, obgleich von mancherley Seiten bedrängten Leben etwas zu Liebe thun. Sagen Sie mir das Mittheilbare von Ihren nächsten Umgebung.

Persönlich kann ich mich die Zeit her keiner besondern Thätigkeit rühmen. Mein dritter Theil ist abgedruckt, wird aber erst zu Ostern ausgegeben. Das Werk der Frau von Staël erscheint heftweise, wahrscheinlich um den hohen Preis zu verstecken und den Nachdruck zu erschweren. Das ganze ist den Theilen gleich, die wir im Manuscript kannten. Es nöthigt durch seinen gedrängten Gehalt immerfort zum Denken. Sie hat sich eine unglaubliche Mühe gegeben, den Begriff von uns Deutschen aufzufassen, und sie verdienst deshalb um so mehr Lob, als man wohl sieht, daß sie den Stoff der Unterhaltung mit vorzüglichen [185] Männern durchgesprochen, Ansicht und Urtheil hingegen sich selbst zu danken hat.

Von Seiten der Kunst bedroht uns hier ein Schreckniß. Kügelgen, auf seiner Rückkehr von Ballenstedt, hat sein Atelier in Hummelshain aufgeschlagen, und mahlt abermals das gute und böse Princip; aber nicht, wie früher, jedes einzeln für sich, sondern beyde im Streit begriffen. Wem das böse ähnlich sehen wird, ist leicht zu errathen; das gute hingegen gleicht, ich wette, auf ein Haar, den Gebrüder Kügelgen.

Von manchem andern schweige ich, doch vermelde, daß uns der aufgegrabene Romstedter Grabhügel höchst interessante Schädel geliefert hat, die, wenn nicht Blumenbach und Gall falsche Propheten sind, einem reinen und schönen Naturvolke, von dem ich noch keinen Begriff gehabt habe, angehören.

Mit den Göttingern, die sich nunmehr ihres neuanglisirten Zustandes erfreuen, habe ich mich wieder in Verhältniß gesetzt. Sartorius verspricht uns in den Osterferien zu besuchen, und so habe ich auch Zeltern, der, wie ein Wein von vortrefflichem Jahrgang, mit jeder Olympiade besser wird, zu uns eingeladen. Und so würde sich allenfalls Weimar mit einer Umgebung, deren Radius ein paar Stunden wäre, zu einem kleinen Gosen umbilden lassen. Solches mahle ich Ihnen so hübsch vor, damit Sie sich zu der Herreise, wo nicht desto lieber entschließen, aber doch auf derselben sich einer freundlichen Aussicht erfreuen mögen.

[186] Vorstehendes wäre so weitläufig nicht nöthig gewesen, wenn Ihr lieber Brief, den ich heute erhalte, mir wäre früher zugekommen. Indessen mag Sie auch dieses in dem löblichen Vorsatz bestärken und uns die Freude Ihrer Gegenwart glücklich heranbringen. Auf eine sehr mäßige Veranlassung hat Magister Stimmel in Leipzig, den das Jahr 1813 gleichfalls in mehr als einem Sinne schlecht behandelt hat, eine Kamels-Last von Blättern und Bänden geschickt. Ich halte es alles zusammen bis Sie wieder kommen, es giebt uns gute Unterhaltung und einiges dürfen wir nicht weglassen, welchem Schatzbewahrer wir es auch übergeben. Tausend Lebewohl.

Weimar d. 7. März. 1814.

Goethe.


In München werden Sie ohne meine Bitte die sämmtlichen Freunde besuchen und grüßen, in Augsburg kenne ich niemand; in Nürnberg werden Sie Dr. Seebeck und Magister Schweigger grüßen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Johann Heinrich Meyer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6EA1-D