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An den Herzog Carl August

[Waldeck, 23. – 26. December 1775.]

Dass mir in diesem Winckel der Welt, Nachts, in dieser Jahrszeit, mein alt Zigeunerlied wieder einfällt, ist eben so natürlich lieber gnädiger Herr, als dass ich mich gleich hinsezze es Ihnen aufzuschreiben, und hinter drein einen Brief zu sudeln, denn ich vermisse Sie warrlich schon, ob wir gleich nicht zwölf Stunden aus einander sind.

Drunten sizzen sie noch, nach aufgehobnem Tische, und schmauchen, und schwazzen dass ich's durch den Boden höre, Einsiedels klingende Stimme voraus. Ich bin heraufgangen, es ist halb neune.

Wind und Wetter hat uns hergetrieben, auch Regen und was dran hängt. Die Klufft nach Jena hinein hat mich in glücklichem Abendsonnenblick mit all ihrer dürren Herrlichkeit angelächelt. Die Lage von Jena selbst mich gefreut, der Ort mich gedruckt, und zwischen da und hier war nicht viel Gaffens, es kam ein Regen aus Italien, wie uns ein Alter versicherte, der mit dem Schubekarrn an uns vorbeyfuhr: In Italien sey warm, da komme der warme Wind her, in den dreysig sey er da gewesen, erzählte er so ganz flüchtig weg. Hier liegen wir recht in den Fichten drein. Bey natürlich guten Menschen. Ich [7] hab Sie etliche mal auf dem Ritt gewünscht, auch hier, es würde Ihnen wohl seyn. Unterwegs haben wir in den Schencken den gedruckten Karl August gegrüst, und haben gefühlt, wie Lieb wir Sie haben, dass uns Ihr Nahme auch neben dem (L.S.) Freude machte. Einsiedel ist zu Bette. Sein Magen liegt schief, Kaffee und Brandwein wolltens nicht bessern. Ich will auch gehn. Gute, herzliche Nacht.

Noch ein Wort eh ich schlafen gehe. Wie ich so in der Nacht gegen das Fichtengebürg ritt; kam das Gefühl der Vergangenheit, meines Schicksaals, und meiner Liebe über mich, und sang so bey mir selber:


Holde Lili warst so lang
All mein Lust und all mein Sang
Bist ach nun all mein Schmerz und doch
All mein Sang bist du noch.

Nun aber und abermal gute Nacht.

Gehab dich wohl bey den hundert Lichtern
Die dich umglänzen
Und all den Gesichtern
Die dich umschwänzen
Und umkredenzen.
Findst doch nur wahre Freud und Ruh
Bey Seelen grad und treu wie du.

Sontags [24. December.] früh bey Tags Anbruch.

Fatales Tauwetter und so der ganze Ton des Tags verstimmt, wollen sehn wie wir ihn wieder aufbringen. Der herrliche Morgenstern den ich mir von nun an [8] zum Wapen nehme, steht hoch am Himmel. Einsiedel ist in Geilheit starck befangen, ich habe die ganze Nacht von Heerzügen geträumt die alle wohl abgelauffen sind, besonders von einer Reise aus der Schweiz nach Pohlen, die ich that den Marschall Saxe zu sehen und unter ihm zu dienen, der eben in meiner Traum Welt noch lebte. Die Kirche geht an, in die wir nicht gehen werden, aber den Pfarrer lass ich fragen ob er die Odyssee nicht hat, und hat er sie nicht schick ich nach Jena. Denn unmöglich ist die zu entbehren hier in der homerisch einfachen Welt. Besonders fielen mir einige Verse ein, und recht auf, da ich heut früh lang ausgeschlafen hatte und es nicht Tag werden wollte, was ohngefähr heisst: Und in ihre Felle gehüllt lagen sie am glimmenden Heerde, über ihnen wehte der nasse Sturm durch die unendliche Nacht und lagen und schliefen den erquicklichen Schlaf biss zum spätdämmernden Morgen.

Ich muss nach Bürgel zum Recktor schicken um den Homer, hab indess in der Bibel gelesen. Hier ein Stück Jesaias: Siehe, der Herr macht's Land leer und wüste; und wirft um was drinnen ist, und zerstreuet seine Einwohner – der Most verschwindet, die Rebe verschmachtet, und alle die Herzlich froh waren, ächzen. Der Paucken Jubel feyert, das festliche Jauchzen verstummt und der Harfen Gesang ist dahin Niemand singt mehr zum Weintrincken, das beste Getränck ist bitter dem Munde. Die leere Stadt ist [9] zerbrochen, die Häuser sind verschlossen, niemand geht aus und ein. Eitel Wüstung ist in der Stadt, und die Tohre stehen öde. Denn im Land und im Volck gehts eben, als wenn ein Öhlbaum abgepflückt ist, als wenn man nachlieset so die Wein Erndte aus ist.

Nun muss ich einen Boten fortschicken der das nach Weimar trägt. Lassen Sie lieber gnädger Herr den Brief nicht sehen als Wedeln. Alles was mich umgiebt, Einsiedel, Kalb, Bertuch das ganze Haus legt sich zu Füssen.

Der Pflicht vergessen
Wir Fische nie.
Waldeck d. 24. Dez. 1775.

Goethe.


Sontags früh eilfe. Unser Bote ist noch nicht da, der Schrittschuhe mitbringt, ihm sind tausend Flüche entgegen geschickt worden, wir sind in der Gegend herumgekrochen und geschlichen. Gleich hinter dem Hausgarten führt ein wilder Pfad nach einem Felsen, worauf ein altes Schloß der Grafen von Gleichen stund, mitten im Fichtenthal, Bertuch hat mit seinem Mägdlein Rasen und Moos Bänke und Hüttchen und Plätzchen angelegt, die sehr romantisch sind, die Felsen hinab sind wilde Blicke, und ein offener, freundlicher über die Fichtentiefen nach Bürgel hin. Die Morgensonne war lieb. Ich stieg mit Bertuch seitwärts eine Felsenstiege ab zu einem Brunnen und Fischkasten, die Eiszapfen die Felsen [10] herab! – Der Bote ist da, und nun aufs Eis. Seegen zum Morgen und Mahlzeit, lieber gnädiger Herr – – Die Schlittschue sind vergessen, ich habe gestrampft und geflucht, und eine Viertelstunde am Fenster gestanden und gemault, nun laben sie mich mit der Hoffnung es käm noch ein Bote nach. Muß also ohne geschritten zu Tische –Abends viere. Sind gekommen, habe gefahren und mir ists wohl.

Den ersten Feiertag [25. December.] früh achte. Hab ziemlich Lange geschlafen die Sonne steht schon am Himmel. Der Abend gestern ward mit Würfeln und Karten vervagabundet. Dienstag [26. December.] Abends sechs. So auch der ganze heutige Tag! Nach Bürgel geritten! Das Amthaus ist schön. Wäre wohl einmal ein Sommerritt für Ihro Durchlaucht. Und das Revier Waldeck ist recht schön. Die Waldungen in gutem Stand, daß es wohl Freude ist. Der Hofrath Hochhausen hat ein Porträt vom Herzog Ernst August. Es hat was starres, scheues, bezeichnet einen Mann, der eigentlich nicht nachdenkt, mehr durch den ersten gegenwärtigen Eindruck sich bestimmen läßt, trocken, schroff, aber gut, und ohne den einwägenden Zug von Güte, bey übrigen trefflichen Anlagen Tyrann – Auch hing da der letzte Herzog von Weisenfels, Einsiedel musste mir seinen Charackter machen und trafs, Gradheit, Güte, vorschwebende Schwäche, Untätigkeit, und alles was daran hängt. – Drauf nach Hause. Die Odyssee war endlich aufgetrieben.

[11] Nach Tisch rammelten sich Crugantino und Basko, nachdem wir vorher unsre Imagination spazieren geritten hatten wies seyn möchte wenn wir Spizbuben und Vagabunden wären, und um das natürlich vorzustellen, die Kleider gewechselt hatten. Kraus war auch gekommen und sah in Bertuchs weissen Treffen-Rocke und einer alten Perrucke des Wildmeisters wie ein verdorbener Landschreiber, Einsiedel in meinem Frack mit blauem Krägelchen wie ein verspielt Bürschgen, und ich in Kalbs blauem Rock mit gelben Knöpfen rothem Kragen und vertrotteltem Kreuz und Schnurrbart wie ein Kapital-Spitzbube aus. –

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1775. An den Herzog Carl August. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-6F9E-B