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An Charlotte von Stein

Buttstädt d. 20. März.

Mein Verlangen zu dir meine Geliebte läßt mich dir fast nicht schreiben, wenn ich ihm folgte, so setzte ich mich auf und ritte hinein, denn der Zeit nach wär[283] ich doch Morgen zur rechten Stunde wo ich seyn soll. Wäre es lieblich Wetter so geschäh es auch, nun hält mich der Sturm, und der entsetzliche Weeg von dir ab.

Beym Mittagsessen erzählten die Stadtvögte, und besonders Castrop, alte Geschichten wie sie sich im Kriege aus allerley Verlegenheit geholfen. Es ist mir auch im Kleinen interessant zu sehen wie der Mensch sich wendet und dreht und sein Geschick gelten macht.

Die Unstrut ist ausgetreten, ich werde umreiten müssen, und Morgen Nacht wohl in Kalbsrieth beym würdigen Curius schlafen der auch Rüben brädt, aber nicht in der Asche.

Nun will ich mich hinsetzen und einen alten Geschichtschreiber durchlesen damit Egmont endlich lebendig werde, oder auch wenn du willst daß er zu Grabe komme. Heute früh hab ich auch an Wilhelm Meistern gedacht gebe der Himmel daß Garvens Weissagung eintreffe, denn wenn nichts zu thun ist hab ich nichts was ich zwischen mein Verlangen zu dir legen kan als die liebe Kunst die auch mir armen in der bösen Zeit bey steht.


Abends.

Ich habe gelesen, ausgezogen und geschrieben. Den ersten Tag daß ich von dir weg bin will es nie recht gehn, mich reisst iedes Fäsergen meines Wesens zu dir. Heute war mir's fast unerträglich daß ich dich erst in acht Tagen wiedersehen sollte. Was für wunderbare [284] ich mag wohl sagen thörige Bewegungen in mir vorgehen darf ich dir nicht erzählen.

Zum Egmont habe ich Hoffnung, doch wirds langsamer gehn als ich dachte. Es ist ein wunderbaares Stück. Wenn ich's noch zu schreiben hätte schrieb ich es anders, und vielleicht gar nicht. Da es nun aber da steht so mag es stehen, ich will nur das allzuaufgeknöpfte, Studentenhaffte der Manier zu tilgen suchen, das der Würde des Gegenstands widerspricht.

Diesen Brief erhälst du durch einen Boten der Morgen frühe weg soll.

O du beste! Ich habe mein ganzes Leben einen idealischen Wunsch gehabt wie ich geliebt seyn mögte, und habe die Erfüllung immer im Traume des Wahns vergebens gesucht, nun da mir die Welt täglich klärer wird, find ichs endlich in dir auf eine Weise daß ich's nie verlieren kann. Lebe tausendmal wohl.

G.


d. 21ten früh.

Noch einen guten Morgen eh ich Buttstädt verlasse. Heut Abend werd ich in Kalbsrieth seyn. Morgen find ich einen Brief von dir das ist mein sehnlichster Wunsch. Wenn ich von dir weg bin werd ich nicht eh beruhigt bis ich wieder ein Paar Zeilen von dir sehe.

Was macht dein Hals? Wie befindest du dich. Lebe wohl. Von Alstädt schick ich dir den Mieting wenn Gelegenheit ist ich lasse dir ihn abschreiben.

[285] Der Tag ist heute besser als gestern doch wird immer etwas zu leiden seyn. Leb wohl du liebste Aussicht meines Ganzen Lebens. Leb wohl du einzige in die ich nichts zu legen brauche um alles in dir zu finden.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1782. An Charlotte von Stein. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7278-6