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An Carl Gustav Carus

Schon zu lange hab ich angestanden, theuerster Mann, für die liebwerthe Sendung zu danken. Ihre einsichtige Darstellung des animalischen Zimmergerüstes hat sich in dem anatomischen Werke genugsam erprobt, daß Sie aber auch den Schein, durch welchen uns die gute Natur überall, wenn wir ihn gewahr werden, beglückt, so lebhaft fühlen und kunstreich nachbilden, war mir eine freudige Überraschung. Erlauben Sie, daß ich dankbar die beiden Bilder bey mir aufstelle und Sie glücklich preise, daß die herrliche Dresdner Natur Sie umgiebt, nicht weniger, daß Sie Sich mit den abgeschiedenen großen Vorfahren, unter denen ich nur Ruysdael nenne, von Zeit zu Zeit nach Belieben und Bedürfniß unterhalten können.

Den Aufsatz von den Naturreichen etc. habe mit Vergnügen gelesen als wenn ich ihn noch nicht gelesen hätte. Verweilen wir doch immer gerne da wo wir gemeinsame Gesinnung finden.

[88] Die Entdeckung der drey vollkommenen Wirbel, zwischen den drey Fußpaaren des Heupferdchens, ist höchst willkommen; sie bringt zur sinnlichen Anschauung, was die innere längst zugesteht, daß nämlich das vollkommenste Gebilde durch alle Gestaltungen potentia durchgeht; ich wenigstens stelle mir intentionelle Wirbelknochen an jedem Rückenmark, wie so manches andere Glied an anderer Stelle, der Möglichkeit nach gern vor, die nur auf den geringsten Anstoß warten, auf die organische Forderung irgend eines benachbarten Theils, um in die Wirklichkeit zu treten.

Auch halt ich den Fall mit den Lindenwurzeln für unschätzbar. Hat man denn diese Kleinodien wenigstens zum Theil verwahrt? sie verdienten eine eigene Capelle. Leider! wenn man unvermuthet auf einen solchen Schatz trifft, weiß man ihn nicht gleich zu schätzen; es ist mir selbst so ergangen und ich tadle niemand; sollte aber so ein vegetativer Sarg zerstückt seyn, wie aus der Beschreibung wahrscheinlich ist, und Sie könnten mir einen instructiven Theil davon verschaffen, so würden Sie mir eine besondere Gefälligkeit erzeigen, die Kiste dürfte nur auf der fahrenden Post unfrankirt an mich addressirt werden.

Ihro Königl. Hoheit der Großherzog haben, als wahrer und gründlicher Freund des Pflanzenreichs, daran den lebhaftesten Antheil genommen, sowie ich ein merkwürdiges Beyspiel der in's Unendliche determinablen [89] Organisation hierin bewundert. Die gränzenlose Theilung solider Pfahlwurzeln unmittelbar in die feinsten Fasergeflechte bey dargebotener Gelegen heit!

Wie manches hätt ich noch zu sagen, doch will ich Gegenwärtiges nicht länger zurückhalten; schenken Sie Beykommendem Ihre Aufmerksamkeit und melden mir gelegentlich etwas Erfreuliches, ich darf meiner Correspondenz mit Kunst- und Wissenschaftsfreunden keine lange Pause mehr zugestehen.

ergebenst

Jena den 1. Juli 1820.

Goethe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An Carl Gustav Carus. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-72E1-9