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An Ottilie von Goethe

[Concept.]

In den ersten Tagen, meine liebe Gute, war nichts zu sagen noch zu schreiben; jeder mußte die traurigen Eindrücke in sich selbst verarbeiten. Nun aber kann man doch zu wechselseitiger Beruhigung einiges aussprechen, [148] deshalb denn auch Gegenwärtiges zu dir gelangen möge.

Vor allem empfiehl mich der theuren Frau Großmama, versichre ihr, daß sie mir mit allen Lieben und Verehrten zuerst eingefallen ist; deshalb ich denn auch vorzüglich zu ihrem Troste sage, daß sich die Frau Großherzogin den Umstämden nach sehr leidlich befindet, wie Vogel schriftlich versichert, welcher gleich hinausging als er die trurige Nachricht vernommen hatte.

Ingleichen ist es schon ausgesprochen, daß sie nach Weimar zurückkehrt, wenn sie schon jetzt noch eine Zeitlang in Eisenach verweilt.

Sehr mit meiner Überzeugung trifft es zusammen, daß die Frau Gräfin in Carlsbad ihre Cur vollkommen auswarte. Ich sende vielleicht einiges Ausführlichere über die Zustände in Wilhelmsthal, wo die nähern Umgebungen Ihro Hoheit den zwar wohlgemeinten, löblichen, aber oft bis zur Indiscretion getriebenen Zudrang von Personen aller Classen zu beklagen haben. Mag denn das auch zur Zerstreuung dienen und ein großes Gemüth hindern, allzusehr und abgeschlossen bey sich selbst zu bleiben.

Walther ist in Wilhelmsthal, Wolf rühmt dich als eine treudenkende Mutter, da du zum Zeichen deiner Liebe Milch-Chocolade und kleine Gesellschaft verordnest. Alma ist wieder recht wohl, durch einige bedenkliche Tage hat Bergrath Wahl treulich durchgeholfen. [149] Ich befinde mich körperlich auch in leidlichen Umständen; was Geist und Seele betrifft, magst du aus eignen Gefühlen abnehmen.

Läugnen will ich nicht daß mir die letzten Tage sehr schwer ward, dem vortrefflichen Stieler zu sitzen, damit des Königs Befehl bis zu Ende durchgeführt werde. Zwar gelingt ihm seine Arbeit so gut, er ist ein so verständiger angenehm-unterhaltender Mann, daß ich es andererseits für eine Wohlthat anzusehen habe. Jedermann ist mit dem Bilde zufrieden und man hat alle Ursache es [zu] seyn. Doch kommt er unter vierzehn Tagen schwerlich weg und da wird denn wegen Hand und Stellung noch manches auszuharren seyn.

Eine wunderbare Erscheinung war mir Minchen Münchhausen mit ihren Schwestern, die auf einer Reise nach Schnepfenthal zu Salzmann bey uns eintrafen. Ich habe meine Neigung zu diesem wunderlichen Wesen niemals geläugnet und – sie in einem solchen Augenblicke nach Jahren wiederzusehen war eine seltsame Empfindung; doch benahm sie sich so artig und niedlich wie immer und erschien wirklich wie ein Sternchen in der Nacht.

Da sich niemand hier befand, um in zweifelhaften Fällen zu entscheiden, so ergaben sich große Schwankungen wegen dem Benehmen mit der hohen Leiche, welche von preußischer Seite mit allem Anstand und zu Rührung mehrerer tausend Zuschauer bis Nieder-Roßla [150] gebracht worden war. Ober-Baudirector Coudray ist nun bis zum Ermüden mit Prachtgerüsten, Prachtwagen, Teppichen und Gehängen beschäftigt; er zeigt dabey viel Geschmack; wie denn bey dieser Gelegenheit noch so mancher Künstler und Handwerker sein Wesen treibt, zu Freud und Leid aufgerufen, immer das Beste zu leisten bedacht.

Die Wache im Römischen Haus, wo der Leichnam gegenwärtig aufbewahrt wird, hat August schon zwey Nächte bestanden, und so wird es noch eine Weile fortgehen, bis alles zum traurig-prächtigen Empfang bereitet wird.

Unserm Canzler v. Müller ist ein Nekrolog gelungen, daß man ihn nicht besser wünschen könnte; sobald ein Abdruck davon zu haben ist send ich ihn. Man kann wirklich sagen, er sey anmuthig zu lesen, welches viel heißen will. Doch das ist ja Pflicht und Absicht des Redners so wie des Dichters, das im Leben Unerträgliche durch herzlich-künstliche Berührung unserer Einbildungskraft und Gefühle zu mildern und womöglich aufzuwiegen.

Vorzüglich will ich denn auch dir gerathen haben und darauf bestehen, daß du mit Herrn v. Ziegesar, dem ich mich zum allerschönsten empfehle, nach Prag gehest und einen hohen Begriff einer kaum begreiflichen und faßlichen Existenz in dich aufnehmest und für unsere Unterhaltung einen unschätzbaren Gewinn dir eigen machest.

[151] August entschuldigt sich, daß er nicht selbst schreibt, aber es bringt niemand recht seine Gedanken zusammen, und da ich die vierte Seite leer sehe, will ich dir lieber einen Auszug aus des guten Sorets Bulletins übersetzen, eines Freundes, der sich auch wieder hier vollkommen erprobt.

»Herr v. Spiegel ließ sich zur ungewöhnlichen Morgenstunde bey Ihro Königlichen Hoheit anmelden, um sie auf ein ungewöhnliches Ereigniß vorzubereiten. Sie empfing ihn gegen 10 Uhr und zeigte zugleich den tiefsten Schmerz und die größte Seelenstärke. Sie dankte Gott daß ihr hoher Gemahl wenigstens ohne Leiden diese Welt verlassen; später konnte sie Thränen vergießen, wodurch hoffentlich die Wirkung einer so schrecklichen unerwarteten Nachricht gemildert wird. Um 11 Uhr wurde der junge Prinz gerufen und zu Mittag hatte ich selbst das traurige Glück, Ihro Königliche Hoheit zu sehen und zu sprechen; ihre Standhaftigkeit mußte mir höchste Ehrfurcht einflößen und, wenn ich so sagen darf, mein Mitleiden für sie vermehren.«

(Hier eine Stelle die sich auf mich bezieht und die du dereinst im Original lesen magst.)

»Hiernach was hab ich nun von uns selbst zu sagen? Von der Bestürzung, die uns ergriff, von dem allgemeinen Stumpfsinn, der wohl überall ist wie hier. Der kleine Prinz hat gränzenlos geweint. Glückliches Vorrecht der Kindheit, sie überläßt sich [152] ihren Leidenschaften und heilt sie durch Erschöpfen. Ich hoffe deshalb keine schlimme Folgen für seine Gesundheit.«

Weimar den 24. Juni 1828.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1828. An Ottilie von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-752F-7