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An Christiane von Goethe

Wisbaden also d. 1. Aug. 1814. Die Bewegung einer glücklichen Reise, die überwarme Jahrszeit, das erquickliche Schwalbacher Wasser, und die wenigen warmen Bäder wirken schon gut auf mein ganzes Wesen daß ich mir das Beste verspreche. Solchen Anfang und solche Hoffnungen braucht es aber auch daß ich den hiesigen Aufenthalt erträglich finde, wo alles zusammenkommt was ich hasse und noch drüber. Nächstens sende eine Litaney und ihr werdet mich bedauern. Doch zu Steuer der Steuer der Wahrheit Sey gesagt: eigentlich ist die Schuld mir beyzumessen, der ich die Güter und Gaben, die solch eine Gegend, solch ein Zustand darbietet, nicht mehr genießen kann. Denn euch andern lebenslustigen Hasenfüsen wäre hier das köstlichste Gastmal bereitet. Vier Chausseen, die von Hügeln und Bergen in die Tiefe führen wo der Ort liegt, Stieben den ganzen Tag von zu- und abfahrenden, von [6] Lust- und Spazierfahrenden. Da solls nach Maynz, Biebrich, Ellfeld, Schlangenbad Schwalbach und wohin alles. Da liegen für Fusgänger verfallne Schlösser, mit Erfrischungs Örtern, im nächsten Gebirg. Da, und so weiter! Zelter, ein furchtbarer Fuswandrer, hat das alles schon durchstrichen, als Liebhaber von allen Sorten Erheiterung, das alles schon durchfahren, durchtruncken [darüber: -gessen] und will ich soll das auch thun. Ich hoffe die Lust dazu soll kommen, er muß sich meinetwegen nicht binden, einige Stunden des Tags mit ihm sind mir die größte Erquickung, das übrige theilt sich ein.

Hundeshagen wird mir zu viel Freude und Nutzen seyn. Er ist viel besser als das was er zu Markte bringt. Und das geht ganz natürlich zu. In der Gegenwart erkennt man sein redliches Streben, den Reichthum seiner Erwerbnisse, aber um alles dies zusammenhänglich, anschaulich mitzutheilen, fehlt ihm dass er den Stoff nicht ganz durchdringt und nicht Herr der Form ist, daher erscheint auf den Blättern Übertriebenheit und Leerheit, die Seiner Unterhaltung keineswegs vorzuwerfen sind. Über Gelnhausen hat er mir die schönsten Dinge gesagt. Auf meiner Rückreise hoff ich das mit Augen zu sehen. Er scheint die Zeiten critisch zu sondern und, da er von der Technic ausgeht, das wachsende derselben sehr schön und einsichtig auszulegen.

[7] Riemer und Mayer werden sich an dieser Stelle erfreuen.

Auch geologisches und sonst noch manches alterthümliche Gute erwartet mich.

Für die Haasen aber ist hier ein Saal gebaut, welcher den Weimarischen Schloss- und Schießhaussaal vereint darstellt und grösser ist als jene beyde zusammen. NB. der Erbauer ist, auf Wolzogens Veranlassung, in Weimar gewesen und hat sich zu diesem Tragelaphen die Glieder geholt. Diesen Sonntags, mit Tafelreihen ausgerichtet zu sehen, woran köstlich gespeist und getrunken wird, das ist so was wornach man lüstern seyn könnte. Die Anlage davor und überhaupt das Ganze ist imposant, für jeden der nicht mit allzureinen architectonischen Forderungen einhertritt. Nein! so einen Sonntag wollt ich euch wünschen! Denkt nur! Schon beläuft sich die Badeliste über 3000, sage dreytausend, wäre auch nur die Hälfte davon noch da. Nun der Zudrang von allen Seiten, man darf sagen dass 10000 Menschen in Bewegung sind. Nun lebt wohl Führe mich Gott gestärckt dem Koppenfelsischen Giebel entgegen.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Christiane von Goethe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7550-A