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An Carl Ludwig von Knebel

Mit Dank folgt hier die französische Schrift zurück, ich habe sie nur durchblättert: denn geben wir recht auf das Acht, so machen uns solche Aufsätze hypochondrisch, indem sie uns die große Last, die wir, moralisch, politisch und ökonomisch, seit mehr als zwanzig Jahren tragen, wieder einzeln vorzuwiegen unternehmen; da man denn nicht begreift, wie jenes ausgehalten worden. Man schilt mit gleichem Recht auf Anarchie und Tyranney; wo ist denn aber der wünschenswerthe Mittelzustand? Der vernünftige Mensch sucht ihn in seinem Kreise hervorzubringen, und da gelingt es ihm kaum.

Gar sehr erfreut hat mich hingegen ein Aufsatz von Jean Paul No. 45 und 46 des Morgenblattes, ausgezogen aus einer neuen Ausgabe der Levana. Eine Unglaubliche Reise ist daran zu bewundern. Hier erscheinen seine kühnsten Tugenden, ohne die mindeste Ausartung, große richtige Umsicht, faßlicher Gang des Vortrags, Reichthum von Gleichnissen und Anspielungen, natürlich fließend, ungesucht, treffend und gehörig und das alles in dem gemüthlichsten Elemente. Ich wüßte nicht Gutes genug von diesen wenigen Blättern zu sagen und erwarte die neue Levana mit Verlangen.

Wie tröstlich ist dieses, da so manches schöne Talent [201] (wie z.B. das Wernerische) sich niemals von Schlacken reinigen wird, ja sich immer von neuem mit dem vermischt, was es abstoßen sollte.

Viel andere gute Dinge sind mir geworden, die mir in den erneuten Schneetagen zu guter Unterhaltung dienen, indem ich sie mit meiner nächsten Umgebung genieße.

Riemer ist sehr brav. Wir lesen jetzt, eine neue Ausgabe vorbereitend, Wilhelm Meister zusammen. Da ich dieses Werklein, so wie meine übrigen Sachen, als Nachtwandler geschrieben, so sind mir seine Bemerkungen über meinen Styl höchst lehrreich und anmuthig. Verändert wird übrigens nichts, als was im eigentlichen Sinne als Schreib- oder Druckfehler gelten kann. Die Frauenzimmer grüßen zum schönsten und bedauern euch nicht gesehen zu haben.

Zelter hat vortreffliche Compositionen geschickt, die uns Molke mit Flügel und Guitarre begleitet vorträgt, so wie seine eigenen Compositionen, die um desto angenehmer sind, als er sie sich nach Sinn und Stimme gesetzt hat.

Und so lebe denn mit den lieben Deinigen wohl und vergnügt, bis der Schneedamm zwischen uns wieder geschmolzen ist.

Weimar den 16. März 1814.

G. [202]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1814. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-77B1-2