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An Friederike Brion

Liebe neue Freundinn,

Str. am 15. Ocbr.

Ich zweifle nicht Sie so zu nennen; denn wenn ich mich anders nur ein klein wenig auf die Augen verstehe; so fand mein Aug, im ersten Blick, die Hoffnung zu dieser Freundschafft in Ihrem, und für unsre Herzen wollt ich schwören; Sie zärtlich und gut wie ich Sie kenne, sollten Sie mir, da ich Sie so lieb habe, nicht wieder ein Bissgen günstig seyn?


Liebe liebe Freundinn,

Ob ich Ihnen was zu sagen habe, ist wohl keine Frage; ob ich aber iust weiß warum ich eben ietzo[251] schreiben will, und was ich schreiben mögte, das ist ein anders; soviel merck ich an einer gewißen innerlichen Unruhe, daß ich gerne bey Ihnen seyn mögte; und in dem Falle ist ein Stückgen Papier so ein wahrer Trost, so ein geflügeltes Pferd, für mich, hier, mitten in dem lärmenden Strasburg, als es Ihnen, in Ihrer Ruhe nur seyn kann, wenn Sie die Entfernung von Ihnen Freunden recht lebhafft fühlen.

Die Umstände unserer Rückreise können Sie Sich ohngefähr vorstellen, wenn Sie mir beym Abschiede ansehen konnten, wie leid er mir that; und wenn Sie beobachteten, wie sehr Weyland nach Hause eilte, so gern er auch unter andern Umständen bey Ihnen geblieben wäre. Seine Gedancken gingen vorwärts, meine zurück, und so ist natürlich daß der Diskurs weder weitläuffig noch interessant werden konnte.

Zu Ende der Wanzenau machten wir Spekulation den Weeg abzukürzen, und verirrten uns glücklich zwischen den Morästen, die Nacht brach herein, und es fehlte nichts, als daß der Regen, der einige Zeit nachher ziemlich freygebig erschien, sich um etwas übeitelt hätte; so würden wir alle Ursache gefunden haben, von der Liebe und TreuF unser Prinzessinnen vollkommen überzeugt zu seyn.

Unterdessen war mir die Rolle, die ich, aus Furcht sie zu verliehren, beständig in der Hand trug, ein rechter Talisman der mir die Beschweerlichkeiten der Reise alle hinwegzauberte. Und noch? O, ich mag[252] nichts sagen, entweder Sie können's rathen, oder Sie glaubens nicht.

Endlich langten wir an, und der erste Gedancke, den wir hatten, der auch schon auf dem Weeg unsre Freude gewesen war, endigte sich in ein Projeckt, Sie balde wiederzusehen.

Es ist ein gar zu herziges Ding um die Hoffnung,wiederzusehen. Und wir andern mit denen verwöhnten Herzgen, wenn uns ein Bissigen was leid thut, gleich sind wir mit der Arzeney da, und sagen: Liebes Herzgen, sey ruhig, du wirst nicht lange von Ihnen entfernt bleiben, von denen Leuten, die du liebst; sey ruhig liebes Herzgen! Und dann geben wir ihm inzwischen ein Schattenbild, daß es doch was hat, und dann ist es geschickt und still wie ein kleines Kind, dem die Mama eine Puppe statt des Apfels giebt, wovon es nicht essen sollte.

Genung, wir sind hier, und sehen Sie daß Sie Unrecht hatten! Sie wollten nicht glauben daß mir der Stadtlärm, auf Ihr süße Landfreuden mißfallen würde.

Gewiß Mamsell, Strasburg ist mir noch nie so leer vorgekommen als ietzo. Zwar hoff ich es soll besser werden, wenn die Zeit das Andencken unsrer niedlichen und Muthwilligen Lustbaarkeiten ein wenig ausgelöscht haben wird, wenn ich nicht mehr so lebhafft fühlen werde, wie gut, wie angenehm meine Freundinn ist. Doch sollte ich das vergessen können [253] oder wollen? Nein, ich will lieber das Wenig Herzwehe behalten, und offt an Sie schreiben.

Und nun noch vielen Dank, noch viele aufrichtige Empfelungen Ihren Teuern Eltern; Ihrer lieben Schwester, viel hundert – was ich Ihnen gerne wieder gäbe.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1770. An Friederike Brion. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-787C-3