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An Carl Philipp von Martius

Euer Hochwohlgeboren

erhalten abermals eine kleine Sendung; es sind die Aushängebogen von Kunst und Alterthum, die einige serbische Lieder enthalten und sich übrigens darauf beziehen.

[110] Der Gedanke, von Parasitenpflanzen auszugehen und zu den höher gebildeten hinaufzusteigen, machte mich im ersten Augenblicke so begierig nach dem Anschauen, daß ich einen etwas übereilten Wunsch an Sie gelangen ließ. Ich suche nun in der Nähe die vorhandenen Abbildungen und bemerke dann diejenigen, die mir fehlen; da ich dann wohl eine geneigte Mittheilung hoffen darf.

Die hierher gesendeten Musterbilder, um darnach illuminiren zu können, habe mit Vergnügen gesehen; ich bin neugierig, wie unsere Künstler sich bey diesem Auftrage Ehre machen werden.

Nachstehendes kommt mir soeben unter die Hand: Beobachtung des Professor Vaucher in Genf, wonach der Same der Orobanche ramosa (ästige Sonnenwurz, Hanfwürger), der sonst mehrere Jahre unthätig in der Erde liegen bleibt, wenn er vom Regenwasser zu den Wurzeln des Hanfs, oder der Kletten und Wicken fortgeführt wird, sich an diesen anhängt, sogleich aufschwillt, seine Hülle abwirft und Wurzel treibt. Zwey Orobanchen wachsen und entwickeln sich auf gleiche Art nur an den Wurzeln der Genista tinctoria (Färberginster). Haben die Orobanchen sich so einmal durch Hülfe der Einwirkung dieser andern Pflanzen entwickelt, so bedürfen sie derselben nun nicht weiter mehr zu ihrem fernern Wachsthum.

Hiernach möchte man also diesen Parasiten eine höhere Stellung geben, als den übrigen Pflanzen, deren [111] Samen sich schon in gemeiner Erde mit Hülfe des Wassers entwickeln; der parasitische Samen nähert sich schon der thierischen Natur, er verlangt zu seiner Entwicklung und Nahrung ein organisch Vorbereitetes, da die andern sich mit dem bloßen Element begnügen, obschon auch der zu einer kräftigern Vegetation nöthige Dünger eben dahin deutet: daß ein Durchgearbeitetes nöthig ist zu vollkommenerer Entwicklung gewisser Pflanzennaturen.

So haben denn auch die Parasiten ein eigenes fleischiges und mitunter unerfreuliches, lurides Ansehen pp.

Verzeihung wenn ich Eulen nach Athen trage!

Wie heißt doch die Pflanze dieser Art, die ich vor Jahren auf einer Kieferwurzel fand? vielleicht ist sie auch dieser Holzart eigenthümlich wie die der Genista.

Hierüber geben Sie uns nächtens gewiß die erfreulichsten Aufschlüsse; wie schön wird es Licht über und an der Erde.

Über die Folge der unterirdischen Flora erhielt ich diese Tage von Herrn Grafen Sternberg Nachweisungen wie sie nur zu wünschen sind.

Und so immer zu allem Guten!

treu verbunden

Weimar den 8. Februar 1825.

J. W. v. Goethe. [112]

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1825. An Carl Philipp von Martius. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-788F-A