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An Johann Jacob von Willemer

Eine Schachtel, welche Sonntag Abends hier abgeht, hätte den ehrwürdigen Zwölfen unterwegs begegnen sollen, nun kommt sie, statt im Wechsel, zur Erwiderung und kann zugleich meinen schönsten Dank mit sich nehmen. Der Inhalt, von zierlichsten Händen, mit liebevollem Herzen gefertigt, dem Frauenverein als milde Gabe zugestellt, von mir in Beschlag genommen, möge freundlich empfangen und, nach einer beyliegenden Notiz, wenigstens eine Zeitlang gebraucht werden. Nun soll vor allen Dingen Ihr Büchlein an die Behörden; wobey jedoch bemerke, daß ich räthlich gefunden allem Einfluß auf dieselben zu entsagen. [49] Es kam spät Abends bey mir an, und ich habe, bis in die tiefe Nacht, darin gelesen. Es stimmt vollkommen mit sich selbst überein und das wäre ja schon genug, allein es stimmt auch zu jeder religiosvernünftigen Ansicht und ist ein Islam, zu dem wir uns früher oder später alle bekennen müssen. Ja das zahm-wilde Völkchen ist auch nicht anders; Ernst oder Scherz, Unmuth oder Gelassenheit sind nur die verschiedenen Schattirungen ein- und ebendesselben Gefühls. Man darf davon nicht viel reden; doch da Sie von gewissen Lebensepochen sprechen, wo die Freude zu versiegen scheint, so kann ich auch wohl sagen, daß seit dem 15. Sept. 1815 mir von außen viel Glück, von innen wenig Heil widerfahren ist, deswegen auch die einzelnen weisen Lehren, ob gleich noch ziemlich heiter, zuletzt mit dem einlenkenden Rathe sich abschließen: sey lustig, geht es nicht, so sey vergnügt!

Das letzte Vierteljahr habe fast ganz in meinem Hause, wenige Freunde sehend, in ununterbrochener Thätigkeit zugebracht; schon sind wieder neue Hefte und Bändchen vorbereitet; wie Sie denn aus eigner Erfahrung wissen, daß schriftstellen eine unheilbare Krankheit ist, deswegen man wohlthut, sich auch darein zu ergeben.

Hofrath Meyer hat von einem beynahe zweymonatlichen Aufenthalte in Berlin treffliche Kunstnachrichten mitgebracht, die, bey seinem sichern Urtheil,[50] große Ausbeute geben; daran zehren wir denn die langen Winterabende, die sich denn von heute an wieder freundlich verlängern werden. Möchte ich den längsten Tag und folgende mit meinem Freunden am schönen Flüsse wieder feyern können!

Soviel für heute. Verschiedene Sendungen werden auf einander folgen, damit das Neujahr in treuem Vereine eröffnet werde. Von dem musicalischen Verein, dem Vorsteher und den Theilnehmern, haben mir Schlossers das Allerlöblichste zu erzählen gemußt; diese lieben Freunde bedauere von Herzen wegen des großen unerwarteten Verlustes, die begleitenden Umstände machen ihn doppelt schmerzlich. Ein Brief von Boisserée aus Paris hat mich in die Mitte der trauenden Familie recht unmittelbar hinein gesetzt. Versichern Sie die Freunde meiner herzlichsten Theilnahme und empfangen Gegenwärtiges und Nachfolgendes mit gutem treuen Willen.

und so fort und für ewig

Weimar den 22. December 1820.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1820. An Johann Jacob von Willemer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7A44-F