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An Carl Ludwig von Knebel

Rom d. 18. Aug. 87.

Ich habe dir lange nicht geschrieben, lange nichts von dir gehört. Ich bin nun auf einem Punckte, wo ich alle meinen Fleiß auf die Gegenwart concentriren muß. Fr. v. Stein wird dir manches von mir bey ihrer Rückkunft aus dem Carlsbade erzählt haben.

Ich werde mit den Künsten und der Natur immer verwandter und mit der Nation immer fremder, ich bin ohnedieß schon ein isolirtes Wesen und mit diesem Volcke hab ich gar nichts gemein. Doch getraute ich mich als Künstler hier zu leben, wenn ich nur einige meiner Freunde hierher versetzen könnte. Denn eigentlich ist doch der Grund und das A und O aller Kunst hier noch aufbewahrt. Man schreibt mir, es sey in Deutschland ein schöner Sommer gewesen, mögest du ihn auch genossen haben. Schreibe mir einmal wieder wo und wie du lebst.

Wenn man als Künstler gerne in Rom ist und bleibt; so wünscht man als Liebhaber der Natur nun weiter südlich zu gehen. Nach dem was ich bey Neapel in Sicilien, von Pflanzen und Fischen gesehen habe, würde ich, wenn ich ein Jahr iünger wäre, sehr versucht seyn eine Reise nach Indien zu machen, nicht um etwas Neues zu entdecken sondern um das Entdeckte nach meiner Art anzusehen. Wie ich es oft [250] voraussagte habe ich es gefunden, daß hier alles aufgeschloßner und entwickelter ist. Manches was ich bey uns nur vermuthete und mit dem Mikroscop suchte, seh ich hier mit bloßen Augen als eine zweifellose Gewißheit. Ich hoffe du wirst auch dereinst an meiner Harmonia Plantarum, wodurch das Linnaische System aufs schönste erleuchtet wird, alle Streitigkeiten über die Form der Pflanzen aufgelößt, ja sogar alle Monstra erklärt werden Freude haben.

Hier ist es bey der Nelckenflor etwas gewöhnliches, daß aus einer gewißen Sorte gefüllter Nelcken eine andre gefüllte, völlige Blume herauswächst. Ich habe eine solche gefunden da aus der Hauptblume, vier andre herausgewachsen waren. NB. vollkommen, mit Stielen und allem daß man jede besonders abbrechen hätte können. ich habe sie sorgfältig gezeichnet, auch die Anatomie davon in die kleinsten Theile.

Im Herbste geht es aufs Land, und wenn gleich mein Hauptzweck ist, Landschaft zu zeichnen und meine Einbildungskraft zu bereichern und meinen Styl zu erweitern, zu reinigen, zu vergrößern; so wird doch nebenher manches eingesammelt werden.

Sage doch Batschen, er möchte mir schreiben: wie es ihm geht? Was er studirt? Was er die Zeit gearbeitet? Ob ich ihm mit was dienen und helfen kann? Sein Wesen und Schicksal interessirt mich, ich möchte ihn nicht ganz aus den Augen verliehren.

Und da wir nicht nach Indien gehn werden wir [251] uns wohl gelegentlich auf der Büttnerischen Bibliothek wiederfinden.

Grüße Eichhorn, Büttner, Loder, Wiedeburg, Schütz und wen du sonst etwa magst auch Bentheim wenn er noch lebt.

Sage mir auch sonst etwas von Academicis, politicis wie du magst und willst.

Behalte mich in gutem Andencken mein Herz ist bey Euch. Wenn ich nach Deutschland zurückdencke mag ich nirgends leben als in Eurer Mitte. Gebe mir der Himmel daß ich Euch gesund wiederfinde!

Wo wirst du diesen Winter bleiben?

Du addreßirst die Briefe auf die alte Weise an mich, oder giebst sie Seideln.

Lebe wohl.

G.

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TextGrid Repository (2012). Goethe: Briefe. 1787. An Carl Ludwig von Knebel. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0006-7A56-7